GESCHICHTE
VON SULLAS TODE BIS ZUR SCHLACHT VON THAPSUS.
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1856.
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Druck von Carl Schultze in Berlin, Neue Friechsstrasse 47.
OTTO JAHN
IN BONN
IN ALTER LIEBE UND TREUE.
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INHALT.
FÜNFTES BUCH.
Die Begründung der Militärmonarchie.
- KAPITEL I.Seite
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius 3 - KAPITEL II.
Die sullanische Restaurationsherrschaft 34 - KAPITEL III.
Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius 84 - KAPITEL IV.
Pompeius und der Osten 108 - KAPITEL V.
Der Parteienkampf während Pompeius Abwesenheit 149 - KAPITEL VI.
Pompeius Rücktritt und die Coalition der Prätendenten 180 - KAPITEL VII.
Die Unterwerfung des Westens 201 - KAPITEL VIII.
Pompeius und Caesars Gesammtherrschaft 278 - KAPITEL IX.
Crassus Tod. Der Bruch der Gesammtherrscher 311 - KAPITEL X.Seite
Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus 342 - KAPITEL XI.
Die alte Republik und die neue Monarchie 428 - KAPITEL XII.
Religion, Bildung, Litteratur und Kunst 525
FÜNFTES BUCH.
Die Begründung der Militärmonarchie.
‘Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt es ihm fast den Kopf herum,
Wie er wollt' Worte zu allem finden?
Wie er möcht' so viel Schwall verbinden?
Wie er möcht' immer muthig bleiben
So fort und weiter fort zu schreiben?’
(Goethe.)
Röm. Gesch. III. 1
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KAPITEL I.
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius.
Die Oligarchie, die, als Sulla im J. 676 starb, unumschränkt
den römischen Staat beherrschte, war durch Gewalt gegründet
worden; sie bedurfte der Gewalt, um sich zu behaupten. Ihr ent-
gegen stand nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgespro-
chenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Führern, son-
dern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im All-
gemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammen-
faſsten, aber doch in der That aus den verschiedenartigsten
Gründen und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die sul-
lanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da
waren die Männer des positiven Rechts, die Politik weder mach-
ten noch verstanden, denen aber Sullas willkürliches Schalten mit
dem Leben und Eigenthum der Bürger ein Gräuel war. Noch bei
Lebzeiten Sullas, während jede andere Opposition schwieg, lehn-
ten die strengen Juristen gegen den Regenten sich auf und wurden
zum Beispiel die cornelischen Gesetze, welche verschiedenen ita-
lischen Bürgerschaften das römische Bürgerrecht aberkannten,
in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso
das Bürgerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgeho-
ben durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Scla-
verei während der Revolution. Da waren ferner die Ueberreste
der alten liberalen Senatsminorität, welche in früheren Zeiten
auf Concessionen an die Reformpartei und an die Italiker ge-
drungen hatte und jetzt in ähnlicher Weise geneigt war die starr
oligarchische Verfassung Sullas durch Zugeständnisse an die Po-
1*
[4]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
pularen zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen,
die ehrlich gläubigen bornirten Radicalen, die für die Schlagwör-
ter des Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um
nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, daſs
sie nicht für eine Sache, sondern für eine Phrase gefochten hat-
ten. Die tribunicische Gewalt, die Sulla zwar nicht aufgehoben,
aber doch ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleidet hatte, wirkte
nur mit um so geheimniſsvollerem Zauber auf die Menge, weil
das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der
That ein leeres Gespenst war — hat doch der Name des Volks-
tribuns noch über ein Jahrtausend später Rom revolutionirt.
Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die
die sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu
in ihren politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus sol-
chen Ursachen gehörte der Opposition an die dichte und wohl-
habende Bevölkerung der Landschaft zwischen dem Po und den
Alpen, die natürlich die Gewährung des latinischen Rechts im
J. 665 (II, 230) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle rö-
mische Bürgerrecht betrachtete und der Agitation einen willfäh-
rigen Boden gewährte. Deſsgleichen die ebenfalls durch Anzahl
und Reichthum einfluſsreichen und durch ihre Zusammendrän-
gung in der Hauptstadt noch besonders gefährlichen Freigelas-
senen, die es nicht verschmerzen konnten durch die Restaura-
tion wieder auf ihr früheres praktisch nichtiges Stimmrecht
zurückgeführt worden zu sein. Deſsgleichen ferner die hohe Fi-
nanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren zähen
Groll und ihre nicht minder zähe Macht nach wie vor sich be-
wahrte. Ebenso miſsvergnügt war die hauptstädtische Menge,
die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere
Erbitterung gährte in den von den sullanischen Confiscationen
betroffenen Bürgerschaften, mochten sie nun, wie die Pompeia-
ner, in beschränktem Besitz innerhalb desselben Mauerringes mit
den sullanischen Colonisten und mit denselben in ewigem Hader
leben, oder, wie zum Beispiel die Arretiner und Volaterraner, zwar
noch im thatsächlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damo-
klesschwert der vom römischen Volke über sie verhängten Con-
fiscation sich befinden, oder endlich, wie dies besonders in Etru-
rien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen
oder als Räuber in den Wäldern verkommen. Es war endlich in
Gährung der ganze Familien- und Freigelassenenanhang, derje-
nigen demokratischen Häupter, die in Folge der Restauration das
Leben verloren hatten oder in allem Elend des Emigrantenthums
[5]LEPIDUS UND SERTORIUS.
theils an den mauretanischen Küsten umherirrten, theils am Hofe
und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger
Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung die-
ser Zeit galt es den Ihrigen als Ehrensache für die flüchtigen
Angehörigen die Rückkehr in die Heimath, für die todten wenig-
stens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern
haftenden Makel auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der
Geächteten, die das Gesetz des Regenten zu politischen Parias
herabgesetzt hatte (II, 326), hatten damit gleichsam von dem
Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende
Ordnung sich zu empören. — Zu allen diesen oppositionellen
Fractionen kam noch hinzu die ganze Masse der ruinirten Leute.
All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten oder
im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen
war: die adlichen Herren, an denen nichts mehr vornehm war
als ihre Schulden; die sullanischen Lanzknechte, die der Macht-
spruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Acker-
bauer hatte umschaffen können und die nach der verpraſsten ersten
Erbschaft der Geächteten sich sehnten eine zweite ähnliche zu thun,
— sie alle warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum
Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse einlud, mochte sonst
was immer darauf geschrieben sein. Mit gleicher Nothwendigkeit
schlossen alle aufstrebenden und der Popularität bedürftigen Ta-
lente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng
geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche
Emporkommen verwehrte und die deſshalb in die Phalanx gewalt-
sam sich einzudrängen und die Gesetze der oligarchischen Exclu-
sivität und Anciennetät durch ihre Popularität zu brechen ver-
suchten, als auch die gefährlicheren Männer, deren Ehrgeiz nach
einem höheren Ziel strebte als die Geschicke der Welt innerhalb
der collegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf
der Advokatentribüne, dem einzigen von Sulla offen gelassenen
Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Re-
genten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Ju-
risprudenz und der gewandten Rede lebhaft gegen die Restauration
gestritten; und zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tul-
lius Cicero (geb. 3. Jan. 648), eines Gutsbesitzers von Arpinum
Sohn, machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposi-
tion gegen den Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen
Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent
nichts weiter begehrte als den curulischen Stuhl damit sich ein-
zuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf
[6]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Mann
dieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger
finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeid-
lich; indeſs für jetzt wenigstens war dieser Platz noch unbe-
setzt. — Der Art war die Opposition, mit der das von Sulla ein-
gesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem das-
selbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen
Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war
an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen
socialen und politischen Uebelstände dieser Zeit, vor allem durch
die ungemeine Schwierigkeit theils die Militärchefs in den Pro-
vinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit
zu erhalten, theils in der Hauptstadt die Massen des daselbst sich
anhäufenden italischen und auſseritalischen Gesindels und der in
Rom groſsentheils in factischer Freiheit lebenden Sclaven im
Zaum zu halten, ohne Truppen zur Verfügung zu haben. Die
Lage des Senats war wie die einer von allen Seiten ausgesetzten
und bedrohten Festung und ernstliche Kämpfe konnten nicht
ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstands-
mittel waren ansehnlich und nachhaltig und vor allen Dingen
blieb, so lange die Opposition weder im Ziel noch im Weg
einig und hauptlos in hundert Fractionen zerspellt war, die Re-
gierung nothwendig im Vortheil. Daſs die Masse der Nation der
Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, abgeneigt, ja ihr feind-
selig gesinnt war, lieſs sich nicht verkennen; aber eben so offen-
bar war es der Regierung sehr wohl möglich, ihre feste Burg
gegen die irre und wirre Masse noch auf lange hinaus zu be-
haupten. Nur freilich muſste sie auch sich behaupten wollen
und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung
gebaut hatte, zu deren Vertheidigung heranbringen; denn freilich
für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der gröſste
Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.
Je mehr schlieſslich alles ankam auf die Persönlichkeit der
leitenden Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daſs es
genau genommen auf beiden Seiten an Führern fehlte. Die Poli-
tik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Coteriewesen
in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues;
der geschlossene Familien- und Sodalitäteneinfluſs ist untrenn-
bar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit
Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde der-
selbe doch erst in dieser Epoche, wie er denn auch erst in ihr
(zuerst 690) durch gesetzliche Repressivmaſsregeln weniger ge-
[7]LEPIDUS UND SERTORIUS.
hemmt als constatirt ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinn-
ten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, thaten sich in He-
tärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, so weit sie über-
haupt an den politischen Vorgängen regelmäſsig sich betheiligte,
bildete gleichfalls nach den Stimmbezirken geschlossene und fast
militärisch organisirte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke,
den ‚Bezirkvertheilern‘ (divisores tribuum) ihre natürlichen Haupt-
leute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Clubs
alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Rath-
manns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straſsenkrawall
machten und die Rottenführer, die ihn lenkten — nur im Tarif un-
terschieden sich die Associationen der Vornehmen und der Gerin-
gen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloſs die
Anklagen, die Hetärie leitete die Vertheidigung; sie gewann den an-
gesehenen Advokaten, sie accordirte im Nothfall wegen der Frei-
sprechung mit einem der Speculanten, die den einträglichen Handel
mit Richterstimmen im Groſsen betrieben. Die Hetärie beherrschte
durch ihre geschlossenen Banden die Straſsen der Hauptstadt und
damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer
gewissen Regel und so zu sagen öffentlich; das Hetärienwesen war
besser geordnet und besorgt als irgend ein Zweig der Staatsver-
waltung; wenn auch, wie es unter civilisirten Gaunern üblich ist,
von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Ein-
verständniſs nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch Nie-
mand dessen ein Hehl und angesehene Sachwalter scheuten sich
nicht ihr Verhältniſs zu den Hetärien ihrer Clienten öffentlich
und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzel-
ner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen
Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politi-
scher Don Quixote. An die Stelle der Parteien und des Parteien-
kampfes traten die Clubs und deren Concurrenz, an die Stelle
des Regiments die Intrigue. Ein mehr als zweideutiger Charak-
ter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später
als Ueberläufer von Sulla zu Gnaden aufgenommen (II, 308),
spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einfluſs-
reichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler
zwischen den senatorischen Fractionen und als staatsmännischer
Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die
Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner
Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo
keiner der politisch thätigen Männer sich über die Linie des Ge-
wöhnlichen erhob; jedes auſserordentliche Talent hätte diese
[8]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Factionenwirthschaft wie Spinneweben weggefegt; aber eben an
politischen und militärischen Capacitäten war der bitterste Man-
gel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen
einzigen angesehenen Mann übrig gelassen als den alten klugen
redegewandten Lucius Philippus Consul 663, der, früher popular
gesinnt und Führer der Capitalistenpartei gegen den Senat, dann
mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug um Dank
und Lohn zu ernten übergetreten zu der siegenden Oligarchie,
zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern
der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der
reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius Consul 674, Sullas
Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Con-
sul in Sullas Todesjahr 676, der Sohn des Siegers von Vercellae;
und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus
Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Aus-
zeichnung unter Sulla gefochten hatte; um zu schweigen von
Optimaten wie Quintus Hortensius (640—704), der nur als
Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Junius Bru-
tus (Consul 677), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Consul
677) und andere solche Nullitäten, an denen der vollklingende
aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier
Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswerth der
vornehmen Adlichen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Va-
ter ein feingebildeter Mann und ein ehrlicher Aristokrat, aber von
mäſsigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht
bloſs ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fä-
higer und erprobter Offizier und nicht einzig wegen seiner engen
verwandtschaftlichen und collegialischen Beziehungen zu dem
Regenten, sondern vor allem wegen seiner anerkannten Tüchtig-
keit nach Niederlegung des Consulats im J. 675 nach Spanien
gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emi-
granten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige
Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere,
der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher litte-
rarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte
und auch als Mensch ehrenwerth erschien. Allein als Staats-
männer waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel
weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der
Zeit. Dem äusseren Feind gegenüber bewährten Metellus und
die Luculler sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von
ihnen bezeigte Lust und Geschick die eigentlich politischen Auf-
gaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der
[9]LEPIDUS UND SERTORIUS.
Intriguen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken.
Ihre politische Weisheit beschränkte sich darauf aufrichtig zu
glauben an die alleinseligmachende Oligarchie und die Demagogie
wie jede sich emancipirende Einzelgewalt herzlich zu hassen und
muthig zu verwünschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit Weni-
gem vorlieb. Was von Metellus in Spanien erzählt wird, daſs er
nicht bloſs die wenig harmonische Leier der spanischen Gelegen-
heitspoeten sich gefallen, sondern sogar wo er hinkam sich gleich
einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen
und bei Tafel von niederschwebenden Victorien unter Theater-
donner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer sich kränzen
lieſs, ist nicht besser beglaubigt als die meisten geschichtlichen
Anekdoten; aber nichts desto weniger spiegelt sich darin der
heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst
die Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluſs,
sondern das Consulat und der Triumph und im Rath ein Ehren-
platz errungen war. Es ist nicht ungewöhnlich, daſs, wer solches
erlangt hat, von der politischen Bühne zurücktritt und in fürst-
lichem Luxus untergeht. Waren doch selbst Männer wie Metellus
und Lucius Lucullus schon als Feldherren nicht weniger bedacht
auf die Erweiterung des römischen Gebietes als auf die der end-
losen Wildprett-, Geflügel- und Dessertliste der römischen Gastro-
nomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delicatessen;
auch sie verdarben den besten Theil ihres Lebens in mehr oder
minder geistreichem Müſsiggang. Das traditionelle Geschick und
die individuelle Resignation, auf denen alles oligarchische Regi-
ment beruht, waren der verfallenen und künstlich wieder herge-
stellten römischen Oligarchie dieser Zeit abhanden gekommen;
der Aristokratie dieser Zeit galt durchgängig ihr Cliquengeist als
Patriotismus, ihre Eitelkeit als Ehrgeiz, ihre Bornirtheit als Con-
sequenz. Wäre die sullanische Verfassung der Obhut von Män-
nern anvertraut worden, wie sie wohl im römischen Cardinals-
collegium und im venezianischen Rath der Zehn gesessen haben,
so ist es nicht zu sagen, ob die Opposition so rasch vermocht
haben würde sie zu gefährden; mit solchen Vertheidigern war
allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Männern, die weder unbedingte Anfänger noch of-
fene Gegner der sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr
die Augen der Menge auf sich als der junge bei Sullas Tode neun-
undzwanzigjährige Gnaeus Pompeius (geb. 29. Sept. 648). Es war
das ein Unglück für den Bewunderten wie für die Bewunderer;
aber es war natürlich. Gesund an Leib und Seele, ein tüchtiger
[10]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die
Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter
und Fechter, ein kecker Freischaarenführer, war der Jüngling in
einem Alter, das ihn noch von jedem Amt und vom Senat aus-
schloſs, Imperator und Triumphator geworden und hatte nächst
Sulla den ersten Platz in der öffentlichen Meinung, ja von dem
läſslichen halb anerkennenden halb ironischen Regenten selbst
den Beinamen des Groſsen sich erworben. Zum Unglück ent-
sprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen
schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger,
aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, das Ideal eines civili-
sirten Unteroffiziers. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener,
durchaus ein vorzüglicher Soldat war er doch auch als Militär
ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt
ist es ihm eigen mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht
zu Werke zu gehen und wo möglich den entscheidenden Schlag
erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit über
den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung
der Zeit; obwohl durch und durch Soldat, versäumte er es den-
noch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler
pflichtmäſsig zu bewundern und zu beschenken. Seine Recht-
schaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem be-
trächtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus
hält; er verschmähte es nicht in der üblichen senatorischen Weise
Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich um deſswegen
sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande
sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange
gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm
den — relativ allerdings wohl gerechtfertigten — Ruhm der
Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein ‚ehrliches
Gesicht‘ ward fast sprichwörtlich und noch nach seinem Tode
galt er als ein würdiger und sittlicher Mann; in der That zeigte
er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder und es
gereicht ihm zur Ehre, daſs er zuerst von der barbarischen Sitte
abging die gefangenen feindlichen Könige und Feldherren nach
ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das
hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl,
sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem ver-
fehmten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters
Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hülfreich beigestanden
hatten, mit groſser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten
zu lassen (II, 319); er war nicht grausam, wie man ihm vor-
[11]LEPIDUS UND SERTORIUS.
warf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten
wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah
er dem Feinde das Weiſse im Auge; im bürgerlichen Leben
war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veran-
lassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Ver-
legenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk
im Verkehr war. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er,
wie ja in der Regel diejenigen es sind, die mit ihrer Selbststän-
digkeit renommiren, ein lenksames Werkzeug in der Hand der-
jenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freige-
lassenen und Clienten, von denen er nicht fürchtete beherrscht
zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staats-
mann. Unklar über sein Ziel, ungewandt in der Wahl seiner Mittel,
im Kleinen wie im Groſsen kurzsichtig und rathlos pflegte er seine
Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen
zu verbergen und wenn er täuschen wollte, nur mit dem Glauben
Andere zu täuschen sich selber zu betrügen. Durch seine mili-
tärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen
fiel ihm fast ohne sein Zuthun eine ansehnliche ihm persönlich
ergebene Partei zu, mit der sich die gröſsten Dinge hätten durch-
führen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig
eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten und wenn sie den-
noch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zu-
thun durch das bloſse Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin
wie in anderen Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist
mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen
doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steif-
leinenste aller nachgemachten groſsen Männer. Seine politische
Stellung war durchaus schief. Er war sullanischer Offizier und
Anhänger der bestehenden Verfassung, und doch auch wieder in
der Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze sena-
torische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit
etwa sechzig Jahren in den Consularverzeichnissen genannt ward,
galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll;
auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr
gehässige halbe Opposition gemacht (II, 251. 297) und er selbst
einst in den Reihen der Cinnaner gestanden (II, 308) — Erinne-
rungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die
eminente Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, ent-
zweite ihn innerlich ebenso sehr mit der Aristokratie, wie sie ihn
äuſserlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war,
ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklom-
[12]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
menen Ruhmeshöhe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle
er seine dürr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetisch-
sten aller Heldengestalten selber verhöhnen, fing er an sich mit
Alexander dem Groſsen zu vergleichen und sich für einen einzi-
gen Mann zu halten, dem es nicht gezieme bloſs einer von den
fünfhundert römischen Rathsherren zu sein. In der That war
Niemand mehr geschaffen in ein aristokratisches Regiment als
Glied sich einfügen zu lassen als er. Pompeius würdevolles
Aeuſsere, seine feierliche Förmlichkeit, seine persönliche Tapfer-
keit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative
hätten ihm, wäre er zweihundert Jahre früher geboren worden,
neben Manius Curius und Quintus Maximus einen ehrenvollen
Platz gewinnen mögen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen
Pompeius und der Masse der Bürgerschaft wie des Senats zu
allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt rö-
mische Mediocrität nicht am wenigsten beigetragen. Auch in
seiner Zeit noch hätte es eine klare und ansehnliche Stellung für
ihn gegeben, wofern er damit sich genügen lieſs der Feldherr
des Rathes zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt war. Es
genügte ihm nicht, und so gerieth er in die verhängniſsvolle
Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Be-
ständig trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat, und
wenn sie sich darbot, konnte er sich nicht entschlieſsen sie ein-
zunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen
und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten und doch trat
er selbst mit nicht bloſs affectirter Bescheidenheit überall auf
als einer von vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem
bloſsen Gedanken etwas Verfassungswidriges zu beginnen. Also
beständig in gründlicher Spannung mit und doch zugleich der
gehorsame Diener der Oligarchie, beständig gepeinigt von einem
Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloſs ihm
in ewigem inneren Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.
Ebenso wenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den
unbedingten Anhängern der Oligarchie gezählt werden. Er ist
eine für diese Epoche ungemein charakteristische Figur. Wie
Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre voranging, gehörte
auch er zu dem Kreise der hohen römischen Aristokratie, hatte
die gewöhnliche standesmäſsige Bildung erhalten und gleich Pom-
peius unter Sulla im italischen Kriege mit Auszeichnung gefoch-
ten. An geistiger Begabung, litterarischer Bildung und militäri-
schem Talent weit zurückstehend hinter vielen seines Gleichen,
überflügelte er sie durch seine grenzenlose Rührigkeit und durch
[13]LEPIDUS UND SERTORIUS.
die Beharrlichkeit, mit der er rang alles zu besitzen und alles zu
bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Speculation.
Güterkäufe während der Revolution begründeten sein Vermögen;
aber er verschmähte keinen Erwerbszweig: er betrieb das Bau-
geschäft in der Hauptstadt ebenso groſsartig wie vorsichtig; er
ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unter-
nehmungen in Compagnie; er machte in und auſser Rom, selbst
oder durch seine Leute, den Banquier; er schoſs seinen Collegen
im Senat Geld vor und unternahm es für ihre Rechnung wie es
fiel Arbeiten auszuführen oder Richtercollegien zu bestechen.
Wählerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den
sullanischen Aechtungen war ihm eine Fälschung in den Listen
nachgewiesen worden, weſshalb Sulla sich von da an in Staats-
geschäften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm
er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein
Name stand, notorisch gefälscht war; er hatte nichts dagegen,
wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren
Ländereien gewaltsam oder heimlich verdrängten. Uebrigens ver-
mied er offene Collisionen mit der Criminaljustiz und lebte als
echter Geldmann selbst bürgerlich und einfach. Auf diesem Wege
ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann von gewöhn-
lichem senatorischen der Herr eines Vermögens, das nicht lange
vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer auſserordentli-
cher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (12 Mill.
Thlr.) belief: er war der reichste Römer geworden und damit
zugleich eine politische Gröſse. Wenn nach seiner Aeuſserung
Niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen
ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies ver-
mochte, kaum noch ein bloſser Bürger. In der That war Crassus
Blick auf ein höheres Ziel gerichtet als auf den Besitz der gefüll-
testen Geldkiste in Rom. Er lieſs es sich keine Mühe verdrieſsen
seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Bürger der Hauptstadt
wuſste er beim Namen zu grüſsen. Keinem Bittenden versagte
er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel
für ihn als Sprecher gethan: seine Rede war trocken, der Vor-
trag eintönig, er hörte schwer; aber sein zäher Sinn, den keine
Langeweile abschreckte, wie kein Genuſs ihn anzog, überwand
die Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporirte
er und so ward er ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger An-
walt, dem es keinen Eintrag that, daſs ihm nicht leicht eine
Sache zu schlecht war und daſs er nicht bloſs durch sein Wort,
sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden
[14]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der
halbe Rath war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den ‚Freun-
den‘ Geld ohne Zinsen auf beliebige Rückforderung vorzuschies-
sen, machte eine Menge einfluſsreicher Männer von ihm abhängig,
um so mehr da er als echter Geschäftsmann keinen Unterschied
unter den Parteien machte, überall Verbindungen unterhielt und
bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfähig oder sonst brauch-
bar war. Die verwegensten Parteiführer, die rücksichtslos nach
allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hüteten sich gegen Cras-
sus aufzutreten; man verglich ihn dem Stier der Heerde, den zu
reizen für keinen räthlich war. Daſs ein solcher und so ge-
stellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuch-
tet ein; und, anders als Pompeius, wuſste Crassus genau wie
ein Banquier, worauf und womit er politisch speculirte. Seit
Rom stand, war daselbst das Capital eine politische Macht; die
Zeit war von der Art, daſs dem Golde wie dem Eisen alles zu-
gänglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine Capitalisten-
aristokratie daran hatte denken mögen die Oligarchie der Ge-
schlechter zu stürzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die
Blicke höher erheben als zu den Ruthenbündeln und dem ge-
stickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sulla-
ner und Anhänger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanz-
mann, um einer bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu
geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen persönlichen
Vortheil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intrigan-
teste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein
Speculant im gröſsten Maſsstab, nicht speculiren auch auf die
Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht dies Ziel zu errei-
chen; aber er hatte ja schon manches groſsartige Gesellschafts-
geschäft gemacht; es war nicht unmöglich, daſs auch hiefür ein
passender Theilnehmer sich darbot. Es gehört zur Signatur der
Zeit, daſs ein mittelmäſsiger Redner und Offizier, ein Politiker,
der seine Rührigkeit für Energie, seine Begehrlichkeit für Ehr-
geiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein colossales Vermö-
gen und das kaufmännische Talent Verbindungen anzuknüpfen
— daſs ein solcher Mann, gestützt auf die Allmacht der Coterien
und Intriguen, den ersten Feldherren und Staatsmännern der
Zeit sich ebenbürtig achten und mit ihnen um den höchsten
Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt.
In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen
Conservativen als unter den Popularen, hatten die Stürme der
Revolution mit erschreckender Gründlichkeit aufgeräumt. Unter
[15]LEPIDUS UND SERTORIUS.
jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta
(630—c. 681), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und
deſswegen im J. 663 verbannt (II, 219), sodann durch Sullas
Sieg zurückgeführt in die Heimath; er war ein kluger Mann und
ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Par-
tei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als
zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei
zog unter dem jungen Nachwuchs der zweiundzwanzigjährige
Gaius Julius Caesar (geb. 12. Juli 654) von Freund und Feind
die Blicke auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und
Cinna — seines Vaters Schwester war Marius Gemahlin gewesen,
er selbst mit Cinnas Tochter vermählt — die muthige Weige-
rung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings nach
dem Befehl des Dictators gleich Pompeius seiner jungen Ge-
mahlin den Scheidebrief zuzusenden; sein keckes Beharren auf
dem ihm von Marius zugetheilten, von Sulla aber wieder aber-
kannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden
und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten
Aechtung; seine Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und
in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weibisch stutzer-
haften Knaben Niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen
Sullas vor dem ‚Knaben im Unterrock‘, in dem mehr als ein
Marius steckte — alles dies waren eben so viele Empfehlungen in
den Augen der demokratischen Partei. Indeſs an Caesar konnten
doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; die Demo-
kratie brauchte Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im
Staat berufen waren der Zügel der Partei und des Staats sich zu
bemächtigen. Allein die ehemaligen Führer waren alle gefallen
oder geächtet. Der einzige angesehene Mann, der offen auftrat
als Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit, Marcus Aemilius
Lepidus, war ein Lückenbüſser, ein Ueberläufer aus dem Lager
der Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen die
Farbe gewechselt hatte. Einst ein eifriger Optimat und stark be-
theiligt bei den über die Güter der Geächteten angestellten Auc-
tionen hatte er als Statthalter von Sicilien die Provinz so arg
geplündert, daſs ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu
entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn
von zweifelhaftem Werthe. Zwar ein bekannter Name, ein vor-
nehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der
Opposition erworben, aber Lepidus war ein unbedeutender und
unbesonnener Kopf, der weder im Rathe noch im Felde verdiente
an der Spitze zu stehen. Nichts desto weniger hieſs die Oppo-
[16]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
sition ihn willkommen; und dem neuen Demokratenführer gelang
es nicht bloſs seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen
ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch seine
Wahl zum Consul für 676 durchzusetzen, wobei übrigens auſser
seinen in Sicilien erpreſsten Schätzen auch Pompeius albernes
Bestreben bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern
zu zeigen was er vermöge, ihm förderlich war. Da also, als
Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefun-
den hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des
Staats geworden war, so konnten baldige Bewegungen nicht
wohl ausbleiben.
Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt
hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder
geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Die-
ser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war
von Haus aus zart und selbst weich organisirt — die fast schwär-
merische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es — und zugleich
von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem kimbrischen,
dem spanischen und dem italischen Krieg heimgebrachten ehren-
vollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult,
erregte er durch den natürlichen Fluſs und die treffende Sicherheit
seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein un-
gemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er na-
mentlich in dem von den Demokraten so über die Maſsen elend
und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in
glänzendem Contrast zu beweisen; anerkannter Maſsen war er der
einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu
leiten verstand und der einzige demokratische Staatsmann, der dem
gedankenlosen Treiben und Wüthen seiner Partei mit staatsmän-
nischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten
ihn den neuen Hannibal und nicht bloſs deſswegen, weil er gleich
diesem im Krieg ein Auge eingebüſst hatte. Er erinnert in der
That an den groſsen Phoenikier durch seine ebenso verschlagene
als muthige Kriegführung, sein seltenes Talent den Krieg durch
den Krieg zu organisiren, seine Gewandtheit fremde Nationen in
sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen,
seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische
Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie nach erlittenen Un-
fällen. Man darf zweifeln, ob irgend ein römischer Staatsmann
der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent
mit Sertorius sich vergleichen läſst. Nachdem er vor Sullas
Feldherren aus Spanien hatte weichen müssen (II, 319), hatte er
[17]LEPIDUS UND SERTORIUS.
an den spanischen und afrikanischen Küsten ein unstetes Aben-
teurerleben geführt, bald im Bunde bald im Kriege mit den auch
hier einheimischen kilikischen Piraten und den Chefs der schwei-
fenden Stämme Libyens. Selbst hierhin verfolgte ihn die sieg-
reiche römische Restauration. Als er Tingis (Tanger) belagerte,
war dem Fürsten der Stadt zu Hülfe aus dem römischen Africa
ein Corps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus ward
von Sertorius völlig geschlagen und Tingis genommen. Auf das
weithin erschallende Gerücht von solchen Kriegsthaten des römi-
schen Flüchtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeb-
lichen Unterwerfung unter die römische Oberhoheit thatsächlich
ihre Unabhängigkeit behaupteten und jährlich mit den Statthal-
tern des jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius
nach Africa, um ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt
über die lusitanische Miliz zu übertragen. Sertorius, der zwanzig
Jahre zuvor unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die
Hülfsquellen des Landes kannte, beschloſs der Einladung Folge
zu leisten und schiffte mit Zurücklassung eines kleinen Postens
an der mauretanischen Küste nach Spanien sich ein (um 674).
Die Meerenge die Spanien und Africa scheidet, war besetzt durch
ein römisches von Cotta geführtes Geschwader; sich durchzu-
schleichen war nicht möglich; so schlug Sertorius sich durch
und gelangte glücklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr
als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle
stellten und auch von ‚Römern‘ musterte er nur 2600 Mann,
von denen ein guter Theil Uebergetretene aus dem Heer des Pac-
ciaecus oder römisch bewaffnete Africaner waren. Sertorius er-
kannte es, daſs alles darauf ankam den losen Guerillaschwärmen
einen festen Kern römisch organisirter und disciplinirter Truppen
zu geben; er verstärkte zu diesem Ende seine mitgebrachte Schaar
durch Aushebung von 4000 Fuſssoldaten und 700 Reitern und
rückte mit dieser einen Legion und den Schwärmen der spani-
schen Freiwilligen gegen die Römer vor. Am Beatis traf er auf
den Statthalter des jenseitigen Spaniens Lucius Fufidius, der
durch seine unbedingte und bei den Aechtungen erprobte Hin-
gebung an Sulla vom Unteroffizier zum Proprätor aufgerückt
war; hier ward er völlig geschlagen; 2000 Römer deckten die
Wahlstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der benachbar-
ten Ebroprovinz Marcus Domitius Calvinus um dem weiteren
Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen und bald erschien
(675) auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, den Sulla
sandte, um den unbrauchbaren Fufidius im südlichen Spanien
Röm. Gesch. III. 2
[18]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
abzulösen. Aber es gelang doch nicht des Aufstandes Herr zu
werden. In der Ebroprovinz wurde von Sertorius Unterfeldherrn,
dem Quaestor Lucius Hirtuleius nicht bloſs Calvinus Heer ver-
nichtet und er selbst getödtet, sondern auch Lucius Mallius, der
Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Collegen zu Hülfe
mit drei Legionen die Pyrenäen überschritten, von demselben
tapfern Führer vollständig geschlagen. Mühsam rettete Mallius
sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da
in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Ueber-
fall der aquitanischen Völkerschaften sein ganzes Gepäck ein-
büſste. Im jenseitigen Spanien drang zwar Metellus in das lusi-
tanische Gebiet ein; allein es gelang Sertorius während der Be-
lagerung von Longohriga (unweit der Tajomündung) eine Ab-
theilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und dadurch
Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Räumung
des lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm,
schlug am Anas (Guadiana) das Corps des Thorius und that dem
feindlichen Oberfeldherrn selbst unsäglichen Abbruch im klei-
nen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfälliger
Taktiker, war in Verzweiflung über diesen Gegner, der die Ent-
scheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Com-
municationen ihm abschnitt und beständig ihn von allen Seiten
umschwärmte. — Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in
beiden spanischen Provinzen erfocht, waren um so bedeutsamer,
als sie nicht bloſs durch die Waffen errungen wurden und nicht
bloſs militärischer Natur waren. Die Emigrirten als solche wa-
ren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner
unter diesem oder jenem fremden Führer war wenig gelegen.
Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Tact trat
Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottier der
gegen Rom empörten Lusitaner auf als römischer Feldherr und
Statthalter von Spanien*. Er fing an aus den Häuptern der Emi-
gration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder
steigen und in römischen Formen die Geschäfte leiten und die
Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein römi-
sches und besetzte die Offizierstellen ohne Ausnahme mit Römern.
Den Spaniern gegenüber war er der Statthalter, der kraft seines
Amtes Mannschaft und sonstige Unterstützung von ihnen ein-
[19]LEPIDUS UND SERTORIUS.
mahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten
despotischen Regiments bemüht war die Provinzialen an Rom
und persönlich an sich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte
ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht; nach der auch
hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriege-
rischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten
Spanier zu ihrem mit Begeisterung geliebten römischen Feldherrn
treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in diesen Spa-
niern zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten
und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht auch den Aber-
glauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar
zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana
durch die weiſse Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen.
Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine
Truppen muſsten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm
reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im Allge-
meinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem
von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel.
Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen
war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Sol-
daten an sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die
drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle
unsäglicher Uebelstände und Quälereien verstopft ward. Für die
Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Aca-
demie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren
Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und
die Toga tragen lernten — eine merkwürdige Maſsregel, die
keineswegs bloſs den Zweck hatte von den Verbündeten die in
Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiſseln in möglichst scho-
nender Form zu nehmen, sondern vor allem eine Steigerung war
des groſsen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokrati-
schen Partei die Provinzen allmählich zu romanisiren. Es war
der erste Anfang dazu die Romanisirung nicht durch Ausrottung
der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emi-
granten zu bewerkstelligen, sondern durch die Latinisirung der
Provinzialen selbst. Die Optimaten in Rom spotteten über den
elenden Emigranten, den Ausreiſser aus der italischen Armee,
den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn
fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen
Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluſs des
spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuſs, 2000 Bogen-
schützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure
2*
[20]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Uebermacht hatte Sertorius nicht bloſs sich in einer Kette von
glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den
gröſsten Theil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen
Provinz war Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen
Truppen besetzten Gebietstheile; hier hatten alle Völkerschaften,
die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen
gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr.
Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet;
schon fingen auch hier die Völkerschaften an sich zu regen und
zusammengerottete Haufen bedrohten die Alpenpässe. Die See
endlich gehörte ebenso sehr den Insurgenten als der legitimen
Regierung, da die Verbündeten jener, die Corsaren, in den
spanischen Gewässern fast ebenso mächtig waren wie die rö-
mischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (Ivica
gegenüber zwischen Valencia und Cartagena) richtete Sertorius
ihnen eine feste Station ein, wo sie theils den römischen Schif-
fen auflauerten die den römischen Seestädten und dem Heer
ihren Bedarf zuführten, theils den Insurgenten die Waaren ab-
nahmen oder lieferten, theils ihren Verkehr mit Italien und
Kleinasien vermittelten. Daſs diese allzeit fertigen Vermittler
von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken tru-
gen, war in hohem Grade besorgniſserregend, zumal in einer
Zeit, wo überall im römischen Staat so viel Brennstoff aufge-
häuft war.
In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod
(676). So lange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes
und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erhe-
ben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, ent-
schiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten,
so wie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höch-
sten Beamten des Reichs allenfalls als vorübergehende Miſsge-
schicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch
nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daſs entweder die
Opposition nicht wagen werde zum offenen Kampfe zu schreiten
oder daſs, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie
zum drittenmale dieselbe herstellen werde. Jetzt war der Stand
der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heiſssporne
in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern
und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien,
drängten zum Losschlagen; Lepidus selbst ging darauf ein mit
dem ganzen Eifer des Renegaten [und] mit der ihm persönlich
eigenen Leichtfertigkeit. Einen Augenblick schien es, als solle
[21]LEPIDUS UND SERTORIUS.
an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten entflammte,
auch der Bürgerkrieg sich entzünden; indeſs Pompeius Einfluſs
und die Stimmung der sullanischen Veteranen bestimmten die
Opposition das Leichenbegängniſs des Regenten ruhig vorüber-
gehen zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die
Einleitung zur abermaligen Revolution. Täglich hallte der Markt
der Hauptstadt wieder von Anklagen gegen den ‚karrikirten Ro-
mulus‘ und seine Schergen. Der Umsturz der sullanischen Ver-
fassung, die Wiedereinsetzung der Volkstribunen in den vorigen
Stand, die Zurückführung der gesetzwidrig Verbannten, die
Rückgabe der confiscirten Ländereien wurden von Lepidus und
seinen Anhängern offen als das Ziel ihrer Bestrebungen bezeich-
net. Mit den Geächteten wurden Verbindungen angeknüpft; Mar-
cus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sicilien
(II, 318), fand sich ein in der Hauptstadt. Die Söhne der sulla-
nischen Hochverräther, auf denen die Restaurationsgesetze mit
unerträglichem Drucke lasteten, und überhaupt die namhafteren
marianisch gesinnten Männer wurden zum Beitritt aufgefordert;
nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an;
andere folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die
Nachricht von Sullas Tode und Lepidus Plänen aus Asien heim-
gekehrt war, aber nachdem er den Charakter des Führers und
der Bewegung genauer kennen gelernt hatte, vorsichtig sich zu-
rückzog. Unter den expropriirten etrurischen Grundeigenthü-
mern ward eine bald weit sich verzweigende Verschwörung gegen
die neue Ordnung der Dinge angezettelt. In der Hauptstadt ward
auf Lepidus Rechnung in den Weinhäusern und den Bordellen
gezecht und geworben. Alles dies geschah unter den Augen der Re-
gierung. — Der Consul Catulus und die verständigeren Optimaten
drangen auf entschiedenes Einschreiten, allein die schlaffe Senats-
majorität konnte sich nicht entschlieſsen den unvermeidlichen
Kampf zu beginnen. Man begnügte sich die beiden Consuln eid-
lich zu verpflichten die Waffen nicht gegen einander zu kehren
und sie zu veranlassen rasch in die ihnen angewiesenen Provin-
zen abzugehen. Es war nicht möglich kopfloser zu verfahren; um
vor dem Straſsenlärm Ruhe zu haben gab man dem Empörer ein
Heer. Lepidus verlieſs die Hauptstadt, aber statt in das narbo-
nensische Gallien sich zu begeben, wie er sollte, machte er unter-
wegs in Etrurien Halt * und rüstete daselbst zum Kampfe, höh-
[22]FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.
nisch erklärend, daſs der geleistete Eid nur für das laufende Jahr
ihn binde. Jetzt setzte der Senat die Orakelmaschine in Bewegung,
um ihn zur Rückkehr zu bestimmen und übertrug ihm die Lei-
tung der bevorstehenden Consulwahlen; allein Lepidus wich aus
und während die Boten deſswegen kamen und gingen und über
Vergleichsvorschläge verhandelt ward, schwoll seine Mannschaft
zu einem Heer an. Endlich im Anfang des Jahrs 677 erging an
Lepidus der bestimmte Befehl des Senats ungesäumt zurückzu-
kehren; trotzig weigerte sich der Proconsul und forderte seiner-
seits die Erneuerung der ehemaligen tribunicischen Gewalt und
die Wiedereinsetzung der gewaltthätig Vertriebenen in ihr Bürger-
recht und ihr Eigenthum, überdies für sich die Wiederwahl zum
Consul für das laufende Jahr, das heiſst die Tyrannis in gesetz-
licher Form. Damit war der Krieg erklärt. Die Senatspartei
konnte auſser auf die sullanischen Veteranen, deren bürgerliche
Existenz durch Lepidus bedroht ward, zählen auf das dem Catu-
lus für seine Provinz bewilligte und noch in Italien stehende
Heer. Auf die dringenden Mahnungen der Einsichtigeren, na-
mentlich des Philippus, ward die Vertheidigung der Hauptstadt
und die Abwehr der in Etrurien stehenden Hauptmacht der Demo-
kratenpartei vom Senat dem Proconsul Catulus übertragen, wäh-
rend Gnaeus Pompeius mit einem andern Haufen ausrückte, um
seinem ehemaligen Schützling das Pothal zu entreiſsen, das dessen
Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Während Pom-
peius rasch seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn
eng in Mutina einschloſs, erschien Lepidus vor der Hauptstadt,
um wie einst Marius sie mit stürmender Hand für die Revolution
zu erobern. Das rechte Tiberufer gerieth ganz in seine Gewalt
und er konnte sogar den Fluſs überschreiten; auf dem Marsfelde,
hart unter den Mauern der Stadt ward die entscheidende Schlacht
geschlagen. Allein in derselben siegte Catulus; Lepidus muſste
zurückweichen nach Etrurien, während eine andere Abtheilung
unter Lepidus Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf. Damit
war der Aufstand im Wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich
an Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen siche-
ren Geleits nachträglich auf Befehl des Pompeius getödtet. Eben-
so ward Alba nach langer Belagerung durch Hunger bezwungen
und der Führer gleichfalls hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und
Pompeius von zwei Seiten gedrängt, lieferte am etrurischen Ge-
*
[23]LEPIDUS UND SERTORIUS.
stade noch ein Treffen, nur um den Rückzug sich zu erfechten
und schiffte sodann in den Hafen Cosa nach Sardinien sich ein,
von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr abzuschneiden und mit
den spanischen Insurgenten in Verbindung zu treten hoffte. Allein
der Statthalter der Insel leistete ihm kräftigen Widerstand und
er selbst starb nicht lange nach seiner Landung an der Schwind-
sucht (677), womit in Sardinien der Krieg zu Ende war. Ein
Theil seiner Soldaten verlief sich; der gewesene Prätor Marcus
Perpenna begab sich mit starker Mannschaft und voller Kasse
nach Ligurien und von da nach Spanien zu den Sertorianern.
Ueber Lepidus also hatte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah
sie sich durch die gefährliche Wendung des sertorianischen Krie-
ges zu Zugeständnissen genöthigt, die den Buchstaben wie den
Geist der sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechter-
dings nothwendig ein starkes Heer und einen fähigen Feldherrn
nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu ver-
stehen, daſs er diesen Auftrag wünsche oder vielmehr fordere. Die
Zumuthung war stark. Es war schon übel genug, daſs man die-
sen geheimen Gegner in dem Drange der lepidianischen Revolu-
tion wieder zu einem auſserordentlichen Commando hatte gelan-
gen lassen; aber noch viel bedenklicher war es mit Beseitigung
aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem
Manne, der noch kein Amt bekleidet hatte, eine der mächtigsten
ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in der Art zu übertra-
gen, daſs an die Niederlegung derselben in der gesetzlichen Jah-
resfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch
abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Rücksicht,
alle Ursache diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Jünglings seine
Sonderstellung zu verewigen allen Ernstes sich zu widersetzen;
allein leicht war dies nicht. Zunächst fehlte es ihr durchaus an
einem für den schwierigen spanischen Feldherrnposten geeigneten
Mann. Keiner der Consuln des Jahres bezeigte Lust sich mit Ser-
torius zu messen und man musste es hinnehmen, was Lucius
Philippus in voller Rathversammlung sagte, daſs unter allen an-
gesehenen Senatoren nicht einer fähig und willig sei in einem
ernsthaften Kriege zu commandiren. Vielleicht hätte man dennoch
hierüber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man kei-
nen fähigen Candidaten hatte, die Stelle mit irgend einem Lücken-
büſser ausgefüllt, wenn Pompeius den Befehl bloſs gewünscht
und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert hätte. Catulus
Weisungen das Herr zu entlassen hatte er bereits überhört; es
war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Auf-
[24]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
nahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte
Niemand berechnen — gar leicht konnte die Schale der Ari-
stokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das
Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloſs sich die
Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es
um die Bekleidung eines Privatmanns mit der höchsten Amts-
gewalt sich handelte, verfassungsmässig hätte befragt werden
müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die proconsula-
rische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und
ging, vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 über
die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu thun, wo
zwar eine förmliche Insurrection nicht ausgebrochen, aber doch
an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; in
Folge dessen Pompeius den Cantons der Volker-Arekomiker und
der Helvier ihre Selbstständigkeit entzog und sie unter Massalia
legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpen-
straſse über den cottischen Berg (Mont Genèvre I, 400) eine
kürzere Verbindung zwischen dem Pothal und dem Keltenlande
hergestellt. Ueber diese Arbeit verfloſs die gute Jahreszeit; erst
spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen. — Sertorius
hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jensei-
tige Provinz entsandt um Metellus in Schach zu halten und war
selbst bemüht seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen Pro-
vinz zu verfolgen und sich auf Pompeius Empfang vorzubereiten.
Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hiel-
ten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen;
zuletzt schon mitten im Winter war das feste Contrebia (südöst-
lich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten
Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt; er lieſs sich
durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vor-
schreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die
römische Flotte vertheidigt wurden, und der Districte der Indi-
geten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pom-
peius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte
und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu ge-
wöhnen, den Winter hindurch bivouakiren lieſs, war am Ende
des J: 677 das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Ge-
walt von Sertorius abhängig geworden und die Landschaft am
oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze sei-
ner Macht. Selbst die Besorgniſs, die das frische römische Heer
und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
[25]LEPIDUS UND SERTORIUS.
hervorrief, hatte für dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna,
der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbststän-
diges Commando über die von ihm aus Ligurien mitgebrachte
Mannschaft Anspruch gemacht hatte, wurde auf die Nachricht von
Pompeius Eintreffen in Spanien von seinen Soldaten genöthigt
sich unter die Befehle seines fähigeren Collegen zu stellen. Für den
Feldzug des J. 678 verwandte Sertorius gegen Metellus wieder das
Corps des Hirtuleius, während Perpenna mit einem starken Heer
am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius, wenn er,
Metellus die Hand zu reichen, in südlicher Richtung und, der Ver-
pflegung seiner Truppen wegen an der Küste entlang, marschiren
würde, den Uebergang über den Ebro zu wehren. Zu Perpennas
Unterstützung diente zunächst das Corps des Gaius Herennius,
sodann weiter landeinwärts Sertorius selbst, der am oberen Ebro
vorläufig die Unterwerfung einzelner römisch gesinnter Districte
nachholte und zugleich sich dort bereit hielt nach den Umstän-
den Perpenna oder Hirtuleius zu Hülfe zu eilen. Auch diesmal
war seine Absicht jeder Hauptschlacht auszuweichen und den
Feind durch kleine Kämpfe und Abschneiden der Zufuhr aufzu-
reiben. Indeſs Pompeius erzwang nicht bloſs gegen Perpenna
den Uebergang über den Ebro, sondern schlug auch bei Valentia
(Valencia) den Herennius vollständig aufs Haupt und bemäch-
tigte sich dieser wichtigen Stadt. Es war Zeit, daſs Sertorius sel-
ber erschien und die Ueberlegenheit seiner Truppenzahl und
seines Genies gegen die gröſsere Tüchtigkeit der römischen Sol-
daten in die Wagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar
südlich von Valencia), die sich für Pompeius erklärt hatte und
deſshalb von Sertorius belagert ward, concentrirte der Kampf sich
längere Zeit. Pompeius strengte sich aufs Aeuſserste an sie zu
entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abtheilungen ein-
zeln überfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich
der groſse Kriegsmann, eben da er die Sertorianer umzingelt zu
haben meinte und schon die Belagerten eingeladen hatte dem Ab-
fangen der Belagerungsarmee zuzuschauen, plötzlich vollständig
ausmanövrirt und muſste, um nicht selber umzingelt zu werden,
der Einnahme und Einäscherung der verbündeten Stadt und der
Abführung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus
zuschauen — ein Ereigniſs, das eine Reihe schwankend gewor-
dener Städte im mittleren und östlichen Spanien wieder an
Sertorius festzuhalten bestimmte. Glücklicher focht inzwischen
Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla),
das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feld-
[26]FÜEFTES BUCH. KAPITEL. I.
herren persönlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch ver-
wundet ward, schlug er diesen und zwang ihn das eigentlich römi-
sche Gebiet zu räumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser
Sieg gestattete Metellus im nächsten Feldzug (679) den Marsch
nach dem diesseitigen Spanien anzutreten, um in der Gegend von
Valentia mit Pompeius sich zu vereinigen und mit ihm gemein-
schaftlich der feindlichen Hauptarmee die Schlacht anzubieten.
Zwar warf sich Hirtuleius mit einem eiligst zusammengerafften
Heer bei Segovia ihm in den Weg; allein er ward nicht bloſs ge-
schlagen, sondern auch selbst mit seinem Bruder getödtet — ein
unersetzlicher Verlust für die Sertorianer. Die Vereinigung der
beiden römischen Feldherren war danach nicht länger zu hindern;
aber während Metellus gegen Valentia heranzog, eilte Pompeius,
um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lor-
beeren wo möglich allein zu gewinnen, dem feindlichen Haupt-
heer die Schlacht zu liefern. Mit Freuden ergriff Sertorius die
Gelegenheit mit dem Feinde zu schlagen, bevor Metellus eintraf
und Hirtuleius Tod ruchbar ward. Am Flusse Sucro (Xucar)
trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward Pom-
peius auf dem rechten Flügel geschlagen und selbst schwer ver-
wundet vom Schlachtfelde weggetragen; zwar siegte Afranius mit
dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein während
der Plünderung von Sertorius überrascht ward auch er gezwun-
gen zu weichen. Hätte Sertorius am folgenden Tage die Schlacht
zu erneuern vermocht, Pompeius Heer wäre vielleicht vernichtet
worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen, hatte
das gegen ihn aufgestellte Corps des Perpenna niedergerannt
und dessen Lager genommen; es war nicht möglich die Schlacht
gegen beide Heere zugleich aufzunehmen. Die Vereinigung der
beiden Armeen, die danach nicht länger zu verbergende Gewiſs-
heit, daſs die hirtuleische Armee nicht mehr war, das plötzliche
Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den Ser-
torianern und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam,
verlief in Folge dieses Umschwungs der Dinge sich der gröſste
Theil der sertorianischen Soldaten. Indeſs die Entmuthigung
verflog so rasch wie sie gekommen war; die weiſse Hindin, die
die militärischen Plane des Feldherrn bei der Menge vertrat, war
bald populärer als je; in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend,
südlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt, Ser-
torius mit einer neuen Armee den Römern entgegen, während die
sertorianischen Kaper den Römern die Zufuhr von der Seeseite
erschwerten und bereits im römischen Lager der Mangel sich
[27]LEPIDUS UND SERTORIUS.
bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen
des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf.
Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und
sein tapferer Schwager und Quästor Gaius Memmius getödtet;
dagegen überwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen
ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zu-
rück, wobei er selbst im tapfern Kampf eine Wunde empfing.
Abermals zerstreute sich hierauf das sertorianische Heer. — Rö-
mischer Seits durfte man mit den Erfolgen dieses Feldzugs zu-
frieden sein. Das südliche und mittlere Spanien war in Folge der
Vernichtung der hirtuleischen Armee und der Schlachten am Xu-
car und Guadalaviar vom Feinde befreit und durch die Besetzung
der keltiberischen Städte Segobriga (zwischen Toledo und
Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud) durch Metellus dauernd ge-
sichert. Der Kampf concentrirte sich fortan am oberen und mitt-
leren Ebro, wo Calagurris, Osca, Ilerda und an der Küste Tar-
raco die Hauptwaffenplätze der Sertorianer wurden. Obwohl
beide römische Feldherren sich wacker geschlagen hatten, so war
es doch wesentlich nicht Pompeius, sondern Metellus, dem man
das Errungene verdankte.
Einen Augenblick konnte man in Rom der Hoffnung sich
hingeben dem Ziele nah zu sein. Die sertorianische Armee war
verschwunden; die römischen Truppen drangen tief in das Bin-
nenland ein und belagerten den Feldherrn selbst in der Festung
Clunia am obern Duero. Allein während sie vergeblich diese
Felsenburg umstanden, sammelten die Contingente der insurgir-
ten Gemeinden sich abermals; Sertorius entschlüpfte aus der
Festung und stand doch wieder als Feldherr an der Spitze einer
Armee, als das ereigniſsreiche Jahr 679 zu Ende ging. Abermals
muſsten die Römer die Winterquartiere beziehen mit der trost-
losen Aussicht auf die unendliche Erneuerung der sisypheischen
Kriegsarbeit. Allein es war nicht möglich dieselben in dem von
Freund und Feind entsetzlich verheerten unteren Ebrothal zu
wählen; Pompeius nahm sie in dem Gebiet der Vaccaeer (um
Valladolid), Metellus gar in Gallien. Verstärkt durch zwei frische
aus Italien nachgesandte Legionen begannen die beiden Feldher-
ren im Frühjahre 680 abermals ihre Operationen. Schlachten
wurden eigentlich nicht mehr geliefert; Sertorius beschränkte
sich durchaus auf den Guerilla- und Belagerungskrieg. Metellus
unterwarf im südlichen Spanien die noch mit Sertorius haltenden
Ortschaften und führte, um die Quelle der Aufstände zu ver-
stopfen, überall die gesammte männliche Bevölkerung mit sich
[28]FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.
fort. Einen schwereren Stand hatte Pompeius in der Ebropro-
vinz; Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das er belagerte,
ward von Sertorius entsetzt; ebenso ward er vor Calagurris (Ca-
lahorra am oberen Ebro) von Sertorius geschlagen und genö-
thigt diese Gegenden zu verlassen, obwohl sich Metellus zur Be-
lagerung dieser Stadt mit ihm vereinigt hatte. In ähnlicher Weise
ward, nachdem Metellus in seiner Provinz, Pompeius in Gallien
überwintert hatte, der Feldzug 681 geführt; doch gewann Pom-
peius in diesem Jahr nachhaltigere Erfolge und bestimmte eine
beträchtliche Anzahl Gemeinden von der Insurrection zurück-
zutreten.
Acht Jahre währte also der sertorianische Krieg und noch
war weder hüben noch drüben ein Ende abzusehen. Unbeschreib-
lich litt unter demselben der Staat. Die Blüthe der italischen Ju-
gend ging in den aufreibenden Strapazen des spanischen Krieges
zu Grunde. Die öffentlichen Kassen entbehrten nicht bloſs die spa-
nischen Einnahmen, sondern hatten auch für die Besoldung und
Verpflegung der spanischen Heere jährlich sehr ansehnliche Sum-
men nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wuſste.
Daſs Spanien verödete und verarmte, und die so schön daselbst
sich entfaltende römische Civilisation einen schweren Stoſs er-
hielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert ge-
führten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veran-
lassenden Insurrectionskrieg. Selbst die Städte, die zu der in
Rom herrschenden Partei hielten, hatten unsägliche Noth zu
erdulden; die an der Küste gelegenen muſsten durch die römi-
sche Flotte mit dem Nothwendigen versehen werden und die Lage
der treuen binnenländischen Gemeinden war beinahe verzwei-
felt. Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, theils durch
die Requisitionen an Zuzug zu Fuſs und zu Pferde, an Getreide
und Geld, theils durch die drückende Last der Winterquartiere,
die in Folge der Miſsernte 680 sich ins Unerträgliche steigerte;
fast alle Gemeindekassen waren genöthigt zu den römischen Ban-
quiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrückende Schulden-
last sich aufzubürden. Feldherren und Soldaten führten den
Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen
an Talent weit überlegenen Gegner, auf einen langweilig zähen
Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer
erfochtener wenig glänzender Erfolge; es ward behauptet, daſs
Pompeius damit umgehe sich aus Spanien abberufen und ir-
gend anderswo ein erwünschteres Commando sich übertragen zu
lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem
[29]LEPIDUS UND SERTORIUS.
Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als
harte Schläge und werthlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen
höchst unregelmäſsig gezahlt ward; Pompeius berichtete im Win-
ter 680/1 an den Senat, daſs seit zwei Jahren der Sold im Rück-
stand sei und das Heer sich aufzulösen drohe, wenn der Senat
nicht Rath schaffe; worauf denn endlich die benöthigten Summen
kamen. Einen ansehnlichen Theil dieser Uebelstände hätte die
römische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie
es über sich hätte gewinnen können den spanischen Krieg mit
minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu
führen. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch
die Schuld der Feldherren, daſs ein so überlegenes Genie, wie
Sertorius war, auf einem für den Insurrections- und Corsaren-
krieg so überaus günstigen Boden aller numerischen Ueberlegen-
heit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und Jahre fortzuführen
vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, daſs viel-
mehr die sertorianische Insurrection sich mit andern gleichzei-
tigen Aufständen verschlingen und dadurch ihre Gefährlichkeit
steigern zu wollen schien. Eben damals ward auf allen Meeren
mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufständischen
Sclaven, in Makedonien mit den Völkerschaften an der unteren
Donau, in Kleinasien abermals mit König Mithradates gefochten.
Ob Sertorius mit den italischen und makedonischen Feinden
Roms Verbindungen angeknüpft hat, läſst sich nicht bestimmt
sagen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in be-
ständigem Verkehr stand; mit den Piraten hatte er schon früher
offenes Bündniſs gemacht und mit dem pontischen König, mit
welchem er längst durch Vermittelung der an dessen Hof verwei-
lenden römischen Emigranten Einverständnisse unterhalten hatte,
schloſs er jetzt einen förmlichen Allianztractat, in dem Sertorius
dem König die kleinasiatischen Clientelstaaten, nicht aber die rö-
mische Provinz Asia abtrat, überdies ihm einen zum Führer sei-
ner Truppen geeigneten Offizier und eine Anzahl Soldaten zu
senden versprach, der König dagegen ihm 40 Schiffe [und] 3000 Ta-
lente (5 Mill. Thlr.) zu überweisen sich anheischig machte. Schon
erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als
Italien sich durch Philippos und durch Hannibal von Osten und
Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal, meinte man, könne,
nachdem er wie sein Vorfahr Spanien durch sich selbst bezwun-
gen, eben wie dieser mit den Streitkräften Spaniens in Italien
und gar leicht früher als Pompeius dort eintreffen, um, wie einst
[30]FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.
der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die
Waffen zu rufen.
Indeſs dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig.
Sertorius war bei weitem nicht stark genug um das Riesenunter-
nehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spa-
nien verlieſs, an dessen Landes- und Volkseigenthümlichkeit all
seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genöthigt
der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswerthes Führer-
geschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern;
der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die
Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen
versammelt, bald wieder bis auf eine Handvoll Leute sich ver-
laufend; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten un-
botmäſsig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die
längeres Zusammenhalten der Corps erfordern, wie namentlich
die Reiterei, waren natürlich im sertorianischen Heer sehr schwach
vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Vetera-
nen rieb der Krieg allmählich auf und auch die zuverlässigsten
Gemeinden fingen an, ermüdet von der Plackerei durch die Rö-
mer und der Miſshandlung durch die sertorianischen Offiziere,
Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben.
Es ist bemerkenswerth, daſs Sertorius, auch darin Hannibal
gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich
getäuscht hat; er lieſs keine Gelegenheit vorübergehen, um einen
Vergleich herbeizuführen und war jeden Augenblick bereit gegen
die Zusicherung in seiner Heimath friedlich leben zu dürfen, sei-
nen Commandostab niederzulegen. Allein die politische Ortho-
doxie weiſs nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius
durfte nicht rückwärts, nicht seitwärts; unvermeidlich muſste er
weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler
und schwindelnder ward. Wie Hannibals wurden auch seine
kriegerischen Erfolge nothwendig immer geringer; man fing an
sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen: er sei nicht mehr
der alte, hieſs es, er verbringe den Tag beim Schmaus oder beim
Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl
der Ausreiſser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald
kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des
Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug,
wo so manche Offiziere, namentlich Perpenna nur widerwillig
sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit
langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feind-
lichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt
[31]LEPIDUS UND SERTORIUS.
war. Sertorius entzog auf diese Inzichten hin die Hut seiner Per-
son den römischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern.
Gegen die Verdächtigen selbst schritt er mit furchtbarer, aber
nothwendiger Strenge ein und verurtheilte, ohne wie sonst Rath-
männer zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den
Freunden, hieſs es in den Kreisen der Miſsvergnügten, sei er ge-
fährlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwörung
entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur
Anzeige gebracht ward, muſste flüchtig werden oder bluten, aber
nicht alle wurden verrathen und die übrigen Verschworenen, unter
ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen neuen An-
trieb sich zu eilen. In Osca ward auf Perpennas Veranstaltung
dem Feldherrn ein glänzender Sieg berichtet, den seine Truppen
erfochten. Bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna veranstal-
teten festlichen Mahlzeit erschien auch Sertorius, begleitet, wie er
pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen
Brauch im sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum
Bacchanal; wüste Reden flogen über den Tisch und es schien,
als wenn einige der Gäste Gelegenheit suchten einen Wortwech-
sel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurück
und schien den Lärm überhören zu wollen. Da klirrte eine Trink-
schale auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen.
Marcus Antonius, der neben Sertorius lag, führte den ersten
Streich gegen ihn und da dieser sich umwandte und sich aufzu-
richten versuchte, stürzte er sich über ihn und hielt ihn nieder,
bis die übrigen Tischgäste, sämmtlich Theilnehmer der Ver-
schwörung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen
an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682). Mit
ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der gröſsten,
wo nicht der gröſste Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein
Mann, der unter glücklicheren Umständen vielleicht der Regene-
rator seines Vaterlandes geworden sein würde, durch den Ver-
rath der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimath zu
führen verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht;
auch mit diesem hochherzigsten, genialsten, bedauernswerthesten
unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht.
Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Mörder zu thun.
Nach Sertorius Tode machte Perpenna als der höchste unter den
römischen Offizieren der spanischen Armee Ansprüche auf den
Oberbefehl. Man fügte sich, aber miſstrauend und widerstrebend.
Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt
hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein und
[32]FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publi-
cation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der
des Perpenna verlesen ward. Ein Theil der Soldaten, namentlich
die lusitanischen, verliefen sich und auch die zurückgebliebenen
beschlich die Ahnung, daſs mit Sertorius Tode der Geist und das
Glück von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit
Pompeius wurden denn auch die elend geführten und muthlosen
Insurgentenhaufen vollständig zersprengt und unter anderen Of-
fizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslie-
ferung der Correspondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene
Männer in Italien compromittirt haben würde, suchte der Elende
sich das Leben zu erkaufen; indeſs Pompeius befahl die Papiere
ungelesen zu verbrennen und überantwortete ihn so wie die übri-
gen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emi-
granten verliefen sich und gingen gröſstentheils in die maureta-
nischen Wüsten oder zu den Piraten. Einem Theil derselben er-
öffnete bald darauf das plotische Gesetz, das namentlich der junge
Caesar eifrig unterstützte, die Rückkehr in die Heimath; diejeni-
gen aber von ihnen, die an dem Morde des Sertorius theilge-
nommen hatten, starben mit Ausnahme eines einzigen sämmtlich
eines gewaltsamen Todes. Osca und überhaupt die meisten Städte,
die im diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten,
öffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Thore; nur Uxama
(Osma), Clunia und Calagurris muſsten mit den Waffen be-
zwungen werden. Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in
der jenseitigen erhöhte Metellus den schuldigsten Gemeinden die
Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius lohnend und
strafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbstständigkeit ver-
lor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen sertorianischer
Soldaten, der in den Pyrenäen sich zusammengefunden hatte, be-
wog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwärts der
Pyrenäen bei Lugudunum (St. Bertrand im Dep. Haute-Garonne)
als die Gemeinde der ‚Zusammengelaufenen‘ (convenae) an. Auf
der Paſshöhe der Pyrenäen wurden die römischen Siegeszeichen
errichtet; am Ende des Jahres 683 zogen Metellus und Pompeius
mit ihren Heeren durch die Straſsen der Hauptstadt, um den
Dank der Nation für die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis
auf dem Capitol darzubringen. Noch über das Grab hinaus schien
Sullas Glück mit seiner Schöpfung zu sein und dieselbe besser
zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfähigen und schlaf-
fen Wächter. Die Opposition im Staat hatte durch die Unfähig-
[33]LEPIDUS UND SERTORIUS.
keit und Vorschnelligkeit ihres Führers, die Emigration durch
inneren Zwist sich selber gesprengt. Die Niederlagen derselben,
obwohl weit mehr das Werk eigener Verkehrtheit und Zerfahren-
heit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebenso
viele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die curulischen
Stühle befestigt.
Röm. Gesch. III. 3
[[34]]
KAPITEL II.
Die sullanische Restaurationsherrschaft.
Als nach Unterdrückung der den Staat in seiner Existenz
bedrohenden cinnanischen Revolution es der restaurirten Senats-
regierung möglich ward der inneren und äuſseren Sicherheit
des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu
widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Lö-
sung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten In-
teressen zu verletzen und gegenwärtige Unbequemlichkeiten zu
künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der
sehr ernsten Verwickelung der spanischen Angelegenheiten war
es schlechterdings nothwendig, theils die Barbaren in Thrakien
und den Donauländern, die Sulla bei seinem Marsch durch Ma-
kedonien nur oberflächlich hatte züchtigen können (II, 287),
nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhältnisse
an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch zu re-
guliren, theils den überall, namentlich aber in den östlichen Ge-
wässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk
zu legen, theils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhält-
nisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla
im J. 670 mit König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte
(II, 286) und von dem der Vertrag mit Murena 673 (II, 320)
wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel
eines nothdürftig für den Augenblick hergestellten Provisoriums;
und das Verhältniſs der Römer zu König Tigranes von Armenien,
mit dem sie doch factisch Krieg geführt hatten, war in diesem
Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes
[35]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
darin die stillschweigende Erlaubniſs gefunden sich in den Besitz
der römischen Clientelstaaten Kappadokien, Kilikien, Syrien zu
setzen, und demgemäſs gehandelt. Wenn dieselben nicht als
preisgegeben erscheinen sollten, war es nothwendig in Güte
oder Gewalt mit dem neuen Groſskönig Asiens sich abzufinden.
— Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die
mit dem demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung
in Italien und Spanien und deren Ueberwältigung durch die se-
natorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das äuſsere
Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behörde es geführt oder
auch nicht geführt hat.
Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen
Maſsregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat
ungefähr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater
und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfügte. — Die
Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den
Zweck theils die barbarischen Stämme botmäſsig oder doch zahm
zu machen, die das ganze Binnenland vom schwarzen bis zum
adriatischen Meere durchstreiften und unter denen namentlich die
Besser (im groſsen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter
den Räubern als Räuber verrufen waren, theils die namentlich im
dalmatinischen Littoral sich bergenden Corsaren zu vernichten.
Wie gewöhnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und
von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von
fünf Legionen hiezu gesammelt ward. In Dalmatien führte der ge-
wesene Prätor Gaius Cosconius den Befehl, der das Land nach allen
Richtungen durchzog und die Festung Salonae nach zweijähriger
Belagerung erstürmte. In Makedonien versuchte der Proconsul
Appius Claudius (676—678) zunächst sich an der makedonisch-
thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Ka-
rasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger
Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaf-
ten und metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten
Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht er-
reicht; die beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte
mit den zahlreichen und tapfern Gebirgsbewohnern decimirten
nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein
Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679—681) wurde durch
mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht un-
bedeutenden Militäraufstand bewogen die schwierige Expedition
gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich nach der ma-
kedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren Dar-
3*
[36]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
daner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte.
Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682. 683) rückte
wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm
ihre Hauptstadt Uscudama oder Philippopolis (Adrianopel) und
zwang sie der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König
der Odrysen Sadalas und die griechischen Städte an der Ostküste
nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kal-
latis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden ab-
hängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher
kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf
dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäſsiger Theil
der Provinz Makedonien.
Aber weit nachtheiliger als die immer doch auf einen ge-
ringen Theil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der
Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die Einzelnen
die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester
sich organisirte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer
in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Producte aus- noch
das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die
Leute, hier stockte wegen Mangel an Absatz die Bestellung der
Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr
sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine
groſse Anzahl angesehener Römer wurde von den Corsaren auf-
gebracht und muſste mit schweren Summen sich ranzioniren,
wenn es nicht gar den Piraten beliebte an einzelnen derselben
das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem
Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten be-
stimmten römischen Truppenabtheilungen fingen an ihre Fahrten
vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die
Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die frei-
lich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere ver-
schwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war,
sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen
und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der
Normannenzeit liefen die Corsarengeschwader bei den Seestädten
an und zwangen sie entweder mit groſsen Summen sich loszu-
kaufen oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand.
Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mi-
thradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Pi-
raten ausgeraubt wurden (670), so kann man sich denken, wie
es dann ging, wenn weder eine römische Flotte noch ein römi-
sches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel
[37]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach
der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz
von 1000 Talenten (1700000 Thlr.) weggeführt worden sein.
Apollon, heiſst es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist
durch die Piraten so arm geworden, daſs er, wenn die Schwalbe
bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein
Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über
vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte
Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus
nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wan-
derte die gesammte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten
fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war
man vor denselben sicher; es kam vor, daſs sie ein bis zwei
Tagemärsche von der Küste gelegene Ortschaften überfielen. Die
entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im grie-
chischen Osten erliegen, stammt groſsentheils aus diesen ver-
hängniſsvollen Zeiten. Das Corsarenwesen hatte seinen Charakter
gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne,
die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Pe-
loponnes — in der Flibustiersprache dem ‚goldenen Meer‘ —
von dem groſsen Zug des italisch-orientalischen Sclaven- und
Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete
Sclavenfänger, die ‚Krieg, Handel und Piraterie‘ ebenmäſsig neben
einander betrieben; es war ein Corsarenstaat mit einem eigen-
thümlichen Gemeingeist, mit einer festen sehr respectablen Or-
ganisation, mit einer eigenen Heimath und den Anfängen einer
Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen
Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der That fan-
den auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller
Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kre-
tischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften
Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus
Fimbrias und Sertorius Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute
aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Par-
teien, alles was elend und verwegen war — und wo war nicht
Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zu-
sammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener
Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und des
Verbrechens an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb des-
sen das Verbrechen wie so oft vor sich selbst sich rettete in den
hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feig-
heit und Unbotmäſsigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ord-
[38]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
nung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich
ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Noth und Gewalt,
in den allein das unverbrüchliche Zusammenstehen, der kame-
radschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort
und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und die Ge-
wandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne
dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft ge-
schrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder
von sich ausgestoſsen hatte, so lieſs sich darüber streiten, ob
diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie
und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen die
Welt unter sich zu theilen. Die Corsaren wenigstens fühlten je-
dem legitimen Staate sich ebenbürtig; von ihrem Räuberstolz,
ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch manche
echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Bandi-
tenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerech-
ten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen,
das hieſs ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn
dem ergriffenen Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz
gewiſs war, so nahmen auch sie es als ein Recht in Anspruch
jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu dürfen. Ihre militärisch-
politische Organisation war namentlich seit dem mithradatischen
Krieg fest geschlossen. Ihre Schiffe, gröſstentheils ‚Mauskähne‘,
das heiſst kleine offene schnellsegelnde Barken, nur zum kleine-
ren Theil Zwei- und Dreidecker, waren jetzt regelmäſsig in Ge-
schwader vereinigt und fuhren unter Admiralen, deren Barken
in Gold und Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Ka-
meraden, mochte er auch völlig unbekannt sein, weigerte kein
Piratencapitän den erbetenen Beistand; der mit einem derselben
abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unwei-
gerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefügte Unbill von
allen geahndet. Ihre rechte Heimath war das Meer, von den
Säulen des Herkules bis in die syrischen und aegyptischen Ge-
wässer; die Zufluchtsstätten, deren sie daneben für sich und
ihre schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, ge-
währten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen
Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und
Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstraſse des Seehandels jener Zeit
beherrschende und so gut wie herrenlose Südküste Kleinasiens.
Der lykische Städtebund daselbst und die pamphylischen Gemein-
den hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 in Kilikien bestehende
römische Station reichte zur Beherrschung der weitläuftigen Küste
[39]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft über Kilikien war
immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden
durch die armenische, deren Inhaber als ächter Groſskönig um das
Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den Kili-
kern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die
Corsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloſs besaſsen sie
hier überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch wei-
ter landeinwärts in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen
und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes
hatten sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie
selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen,
auch wohl in gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtstätte
fanden. Namentlich gab es solche Corsarenschlösser in groſser
Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Pi-
raten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deſs-
halb ihre hauptsächlichsten Schiffbaustätten und Arsenale sich be-
fanden. Es war nicht zu verwundern, daſs an diesen geordneten
Militärstaat sich eine feste Clientel von Seestädten anschloſs, die
mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund be-
stimmter Verträge Handelsverkehr eröffneten und der Aufforde-
rung der römischen Statthalter Schiffe gegen sie zu stellen nicht
nachkamen; wie denn zum Beispiel die nicht unbeträchtliche
Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werf-
ten Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Markt-
platz feilzubieten. — Eine solche Seeräuberschaft war eine poli-
tische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie
genommen, seit zuerst der syrische König Tryphon sie als solche
benutzt und seine Herrschaft auf sie gestützt hatte (II, 61).
Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs Mithradates
von Pontos so wie der römischen demokratischen Emigration;
wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den
östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne
Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küsten-
plätzen gebieten. Es läſst sich nicht sagen, wie weit die innere
politische Entwickelung dieses schwimmenden Staates bereits ge-
diehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim
eines Seekönigthums, das bereits sich ansässig zu machen beginnt
und aus dem unter günstigen Verhältnissen wohl ein dauernder
Staat sich hätte entwickeln mögen.
Es ist hiemit ausgesprochen und ward zum Theil schon be-
reits früher (II, 60) bezeichnet, wie die Römer auf ‚ihrem Meere‘
die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutz-
[40]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
herrschaft über die Aemter bestand wesentlich in der militairischen
Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte Verthei-
digung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die
Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mün-
del unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die unter-
thänigen Gemeinden. Statt daſs Rom eine allgemeine Reichsflotte
aufgestellt und die Seepolizei centralisirt hätte, lieſs der Senat die
einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die eben hier
gar nichts auszurichten war, gänzlich fallen und überlieſs es jedem
einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Clientelstaat sich der
Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daſs Rom,
wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem
und der formell souverain gebliebenen Clientelstaaten Gut und
Blut ausschlieſslich bestritten hätte, lieſs man die italische Kriegs-
marine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den ein-
zelnen Kaufstädten requirirten Schiffen oder noch häufiger mit
den überall organisirten Strandwachen, wo dann in beiden Fällen
alle Kosten und Beschwerden die Unterthanen trafen. Die Provin-
zialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der römische Statt-
halter die für die Küstenvertheidigung ausgeschriebenen Requisi-
tionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für
sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah, an-
gewiesen wurden für einen von den Seeräubern gefangenen vor-
nehmen Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges
begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652, verkümmerte
sicher in der Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht
gänzlich in den duseligen Vorstellungen von nationaler Gröſse be-
fangen war, der hätte wünschen müssen von der Rednerbühne auf
dem Markte die Schiffsschnäbel herabreiſsen zu dürfen, um wenig-
stens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen See-
siege sich gemahnt zu finden. — Indeſs that doch Sulla, der in dem
Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte überzeu-
gen können, welche Gefahren die Vernachlässigung des Flotten-
wesens mit sich bringe, verschiedene Schritte um dem Uebel ernst-
lich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien
eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in den Seestädten eine
Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig gefruchtet, da
Murena es vorzog Krieg mit Mithradates anzufangen und der
Statthalter von Kilikien Gnaeus Dolabella sich ganz unfähig erwies.
Deſshalb beschloſs im J. 675 der Senat einen der Consuln nach
Kilikien zu senden; das Loos traf den tüchtigen Publius Servilius.
Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und
[41]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
wandte sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der klein-
asiatischen Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Entrepots
dienten. Die Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olym-
pos, Korykos, Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien
wurden gebrochen und in den Flammen der Burg Olympos fand
der Fürst selbst den Tod. Hierauf wandte sich Servilius gegen die
Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauhen Kilikiens am
nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwäldern
bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten Felsen
und tiefgeschnittenen Thälern bewohnten — eine Gegend, die
noch heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt
ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten
Zufluchtsstätten der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die
erste römische Armee über den Tauros und brach die feindlichen
Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer
Räuberstadt, auf der Höhe eines schwer zugänglichen Bergzuges
gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollständig überschauend
und beherrschend. Der dreijährige Feldzug (676—678), aus dem
Publius Servilius für sich und seine Nachkommen den Beinamen
des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine groſse
Anzahl von Corsaren und Corsarenschiffen geriethen durch den-
selben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien
wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte eingezogen
und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der
Natur der Sache, daſs die Piraterie doch damit keineswegs unter-
drückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden,
namentlich nach der ältesten Herberge der Corsaren des Mittel-
meers (II, 60), nach Kreta zog. Nur umfassend und einheitlich
durchgeführte Repressivmaſsregeln oder vielmehr nur die Ein-
richtung einer stehenden Seepolizei konnten hier durchgreifende
Abhülfe gewähren.
In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Ver-
hältnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die
hier zwischen Rom und den Königen von Pontos und Armenien
bestand, lieſs nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr.
Auf der einen Seite griff König Tigranes von Armenien in der
rücksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren
Staat in dieser Zeit auch durch innere Unruhen im tiefsten Ver-
fall darniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und
weiter in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaf-
ten zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Kor-
duene (nördliches Kurdistan) und das atropatenische Medien
[42]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
(Aderbidjan) aus parthischen in armenische Lehnkönigreiche ver-
wandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene we-
nigstens vorübergehend gleichfalls gezwungen in die armenische
Clientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um
Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die süd-
liche groſsentheils wüste Hälfte scheint nicht in festem Besitz des
neuen Groſskönigs gewesen und namentlich Seleukeia am Tigris
ihm nicht unterthänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa
oder Osroene übergab er einem Stamme der schweifenden Araber,
den er aus dem südlichen Mesopotamien hieher verpflanzte und
hier ansässig machte, um durch ihn den Euphratübergang und
die groſse Handelsstraſse zu beherrschen*. Aber Tigranes be-
schränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer
des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner An-
griffe und erlitt, wehrlos wie es war, vernichtende Schläge
von dem übermächtigen Nachbar. Die östlichste Landschaft Me-
litene riſs Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit
der gegenüberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch
er den Euphratübergang mit der groſsen kleinasiatisch-arme-
nischen Handelsstraſse in seine Gewalt bekam. Nach Sullas
Tode rückten sodann seine Heere in das eigentliche Kappado-
kien ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (spä-
ter Kaesareia) und elf anderer griechisch geordneter Städte weg
nach Armenien. Nicht mehr Umstände machte der Groſskönig
mit dem in voller Auflösung begriffenen Seleukidenreiche. Hier
herrschte im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stra-
tons Thurm (Kaesareia) der Judenfürst Alexandros Janneas, der
im Kampfe mit den syrischen, ägyptischen und arabischen Nach-
[43]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
barn und mit den Reichsstädten seine Herrschaft Schritt vor
Schritt erweiterte und befestigte. Die gröſseren Städte Syriens,
Gaza, Stratons Thurm, Ptolemais, Beroea versuchten sich bald
als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene
Hand zu behaupten; vor allen die Hauptstadt Antiochia war so
gut wie selbstständig. Damaskos und die Libanosthäler hatten
sich dem nabataeischen Fürsten Aretas von Petra unterworfen.
In Kilikien endlich herrschten die Seeräuber oder die Römer.
Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die
Seleukidenprinzen, als gälte es das Königthum allen zum Spott
und zum Aergerniſs zu machen, beharrlich fort unter einander
zu hadern, ja, während alles von diesem gleich dem Hause des
Laios zu ewigem Zwiste verfluchten Geschlechte abtrünnig ward,
sogar Ansprüche auf den durch den erblosen Abgang König
Alexanders II. erledigten Thron von Aegypten zu erheben. So
fand König Tigranes hier leichtes Spiel. Das östliche Kilikien ward
ohne Schwierigkeit von ihm unterworfen und die Bürgerschaf-
ten von Soloi und anderen Städten eben wie die kappadokischen
nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische
Landschaft mit Ausnahme der tapfer vertheidigten Stadt Seleu-
keia an der Mündung des Orontes und der gröſste Theil von
Phoenike mit den Waffen bezwungen; um 680 ward Ptolemais
von den Armeniern eingenommen und schon war der Judenstaat
ernstlich bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiochia
ward eine der Residenzen des Groſskönigs; schon von dem
Jahre 671, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla und
Mithradates, an wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als
der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien
als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Groſs-
königs Magadates. Die Zeit der Könige von Ninive, der Salma-
nassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der
orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Be-
völkerung der syrischen Küste wie einst auf Tyros und Sidon;
wieder warfen binnenländische Groſsstaaten sich auf die Land-
schaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von an-
geblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syri-
schen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die
Juden nach Babylon geführt hatten, so muſsten jetzt aus allen
Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Korduene, Adiabene,
Assyrien, Kilikien, Kappadokien die Einwohner, namentlich die
griechischen oder halbgriechischen Stadtbürger, mit ihrer ge-
sammten Habe bei Strafe der Confiscation alles dessen, was sie
[44]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi-
denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die
Gröſse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in
den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums
auf das Machtwort des neuen Groſssultans aus der Erde springen.
Die neue ‚Tigranesstadt‘, Tigranokerta, in der südlichsten Land-
schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen*,
ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig
Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen
Palast- Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der
neue Groſskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind-
heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit
wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge-
gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich
zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und
Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weiſsen halb pur-
purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho-
hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und
stand, von vier ‚Königen‘ in Sclavenart begleitet und bedient.—
Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in
Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat
ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be-
gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un-
ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte
Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm-
tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren-
gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und
namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen
und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in
groſser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste
leisteten. — Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie
gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig
wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein.
Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König
von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück-
zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im-
mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die
Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst
[45]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichem
Wege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich
ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator
von Bithynien im J. 679 starb [und] als der letzte seines Stam-
mes — denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hieſs
unächt — sein Reich im Testament den Römern vermachte,
nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land-
schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene
weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter-
blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos
Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan-
dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf-
lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die
legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan-
gen; und auch er hatte in seinem Testament* zum Erben die
römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents
ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem
er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe-
nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger
gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathy-
ros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flö-
tenbläser genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Ky-
prier, Kypros thatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden vom
Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine be-
stimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet.
Abgesehen davon, daſs die einfluſsreichen Coteriehäupter von
[46]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
diesen gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Königen eine feste
und ansehnliche Rente bezogen, ward dieser unklare Zustand
hauptsächlich dadurch verewigt, daſs der Senat weder es über
sich vermochte auf den wichtigen Erwerb zu verzichten noch
nach Aegypten, das durch seine Lage jedem dort befehligenden
General die thatsächliche Unabhängigkeit gab, ein römisches Heer
und einen römischen Feldherrn zu entsenden räthlich fand.
Wer diese Verhältniſse erwägt, muſs zugestehen, daſs es den
Römern nicht bloſs an Kriegsgründen nicht fehlte, sondern daſs
sie, wenn sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegs-
erklärung hinnahmen, damit nicht bloſs ihre Schutzbefohlenen,
sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung
preisgaben. Es war schon bedenklich, wenn sie in den grie-
chischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die
Vorwerke ihrer Herrschaft opferten; aber wenn sie die Asiaten
am Mittelmeer sich festsetzen lieſsen, welches die politische Ba-
sis ihres Reiches war, so war dies der Anfang des Endes. Wenn
dennoch die römische Regierung hier nicht einschritt, so war
dies kein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntniſs,
daſs die Oligarchie durch die sullanische Restauration wohl oli-
garchischer, aber weder klüger noch energischer geworden war.
Aber auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht.
Tigranes hatte keine Ursache ihn zu wünschen, wenn Rom ihm
auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithrada-
tes, der denn doch nicht bloſs Sultan war und Gelegenheit ge-
habt hatte im Glück und Unglück Erfahrungen über Freunde und
Feinde zu machen, wuſste sehr wohl, daſs er in einem zweiten
römischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein stehen würde
wie in dem ersten und daſs er nichts Klügeres thun konnte als
sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu stärken.
Daſs es ihm mit seinen friedlichen Erklärungen Ernst war, hatte
er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen (II,
320) und überhaupt hütete er sich sorgfältig den Römern Veran-
lassung zum Bruch zu geben. Allein wie schon der erste mithra-
datische Krieg sich entsponnen hatte, ohne daſs eine der Parteien
ihn wollte, so entwickelten auch jetzt aus den entgegengesetzten
Interessen sich gegenseitiges Miſstrauen, aus diesem gegenseitige
Vertheidigungsmaſsregeln und es führten diese endlich durch ihr
eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die
römische Politik beherrschende Miſstrauen in die eigene Schlag-
fertigkeit und Kampfbereitschaft, welchas bei dem Mangel stehen-
der Armeen und dem wenig musterhaften collegialischen Regiment
[47]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
wohl erklärlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der rö-
mischen Politik jeden Krieg nicht bloſs bis zur Ueberwältigung,
sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu führen; man war
insofern mit dem Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig
zufrieden wie einst mit den Bedingungen, die Scipio Africanus
den Karthagern gewährt hatte. Die vielfach geäuſserte Besorg-
niſs, daſs ein zweiter Angriff des pontischen Königs bevorstehe,
ward einigermaſsen gerechtfertigt durch die ungemeine Aehn-
lichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit denen vor zwölf
Jahren. Wieder traf ein gefährlicher innerer Krieg zusammen
mit ernstlichen Rüstungen im Pontos; wieder überschwemmten
die Thraker Makedonien und bedeckten die Corsarenflotten das
ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissäre wie
einst zwischen Mithradates und den Italikern so jetzt zwischen
den römischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe von
Sinope. Schon im Anfang des J. 677 ward es im Senat ausge-
sprochen, daſs der König nur auf die Gelegenheit warte während
des italischen Bürgerkriegs das römische Asien zu überfallen; die
römischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstärkt um
möglichen Ereignissen zu begegnen. Auch Mithradates verfolgte
mit steigender Besorgniſs die Entwickelung der römischen Politik.
Er muſste es fühlen, daſs ein Krieg der Römer gegen Tigranes,
wie sehr auch der schwächliche Senat davor sich scheuen möge,
doch auf die Länge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin
können werde sich an demselben zu betheiligen. Der Versuch
das immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von
dem römischen Senat zu erlangen war in die Wirren der lepi-
dianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mi-
thradates fand darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneue-
rung des Kampfes und die Einleitung dazu in der Expedition
gegen die Seeräuber, die mittelbar doch auch die Könige des
Ostens betraf, deren Verbündete sie waren. Noch bedenklicher
waren die schwebenden Ansprüche Roms auf Aegypten und Ky-
pros; es ist bezeichnend, daſs der pontische König den beiden
Ptolemaeern, denen der Senat fortfuhr die Anerkennung zu wei-
gern, seine beiden Töchter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die
Emigranten drängten zum Losschlagen; Sertorius Stellung in Spa-
nien, die zu erkunden Mithradates unter passenden Vorwänden
Boten in das pompeianische Hauptquartier abordnete und die
in der That eben um diese Zeit imposant war, eröffnete dem
König die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die bei-
den römischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere
FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
[48] zu fechten. Ein günstigerer Moment konnte kaum gehofft wer-
den und am Ende war es immer besser den Krieg zu erklären
als ihn sich erklären zu lasen. Den Ausschlag endlich gab die
Einziehung Bithyniens durch die Römer, welche, da Paphlagonien
kaum zu rechnen war, die Römer zu unmittelbaren Nachbarn des
pontischen Reiches machte. Der König that den entscheidenden
Schritt und erklärte im Winter 679/80 den Römern den Krieg.
Gern hätte Mithradates die schwere Arbeit nicht allein un-
ternommen. Sein nächster und natürlicher Bundesgenosse war
der Groſskönig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den
Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgen-
ten und die Piraten. Mithradates lieſs es sich angelegen sein mit
beiden durch starke nach Spanien und nach Kreta entsandte Ge-
schwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein
förmlicher Vertrag abgeschlossen (S. 29), durch den Rom an
den König Bithynien, Paphlagonien, Galatien und Kappadokien
abtrat — freilich lauter Abtretungen, die erst der legitimen römi-
schen Regierung entrissen werden muſsten. Wichtiger war die
Unterstützung, die der spanische Feldherr durch Sendung römi-
scher Offiziere zur Führung seiner Heere und Flotten dem König
gewährte. Die thätigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius
Magius und Lucius Fannius wurden von Sertorius zu seinen
Vertretern am Hofe von Sinope bestellt. Auch mit den Piraten
wurden Verbindungen angeknüpft; sie stellten in groſser Anzahl
im pontischen Reich sich ein und namentlich durch ihre Hülfe
scheint es dem König gelungen zu sein eine durch die Zahl wie
durch die Tüchtigkeit der Schiffe imponirende Seemacht zu bil-
den. Die Hauptstütze blieben die eigenen Streitkräfte, mit denen
der König, bevor die Römer in Asien eintreffen würden, sich ihrer
Besitzungen daselbst bemächtigen zu können hoffte, zumal da in
der Provinz Asia die Wiederherstellung der gracchischen Bo-
denzehnten, in Bithynien der Widerwille gegen das neue römische
Regiment, in Kilikien und Pamphylien der von dem kürzlich be-
endigten verheerenden Krieg zurückgebliebene Brandstoff einer
pontischen Invasion günstige Aussichten eröffnete. An Vorräthen
fehlte es nicht; in den königlichen Speichern lagen 2 Millionen
Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und
wohlgeübt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine aus-
erlesene auch italischen Soldaten gewachsene Schaar. Auch dies-
mal war es der König, der die Offensive begann. Ein Corps
unter Diophantos rückte in Kappadokien ein, um die Festungen
daselbst zu besetzen und den Römern den Weg in das pontische
[49]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte Führer, der Pro-
prätor Marcus Marius ging in Gemeinschaft mit dem pontischen
Offizier Eumachos nach Phrygien, um die römische Provinz und
das Taurusgebirg zu insurgiren; die Hauptarmee, über 100000
Mann, nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, geführt von
Taxiles und Hermokrates unter der persönlichen Oberleitung des
Königs, und die von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400
Segeln bewegten sich die kleinasiatischen Nordküste entlang um
Paphlagonien und Bithynien zu besetzen. — Römischer Seits ward
zur Führung des Krieges in erster Reihe der Consul des J. 680
Lucius Lucullus ausersehen, der als Statthalter von Asien und
Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen
und einer fünften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und
angewiesen ward mit dieser auf 30000 Mann zu Fuſs und 1600
Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das pontische
Reich einzudringen. Sein College Marcus Cotta ging mit der
Flotte und einem anderen römischen Corps nach der Propontis
um Asien und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allge-
meine Armirung der Küsten, namentlich der von der pontischen
Flotte zunächst bedrohten thrakischen, angeordnet und die Säu-
berung der sämmtlichen Meere und Küsten von den Piraten und
ihren pontischen Genossen auſserordentlicher Weise einem ein-
zigen Beamten übertragen, wofür die Wahl auf den Prätor Mar-
cus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der dreiſsig Jahre zuvor
zuerst die kilikischen Corsaren gezüchtigt hatte (II, 127). Auſser-
dem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill.
Sesterzen (5 Mill. Thlr.) zur Verfügung, um davon eine Flotte
zu erbauen; was Lucullus indeſs ablehnte. Aus allem sieht man,
daſs die Römer in der Vernachlässigung des Seewesens den Kern
des Uebels erkannten und hierin wenigstens so weit Ernst mach-
ten, als Decrete reichten.
So begann im J. 680 der Krieg auf allen Punkten. Es war
ein Unglück für Mithradates, daſs eben im Moment seiner Kriegs-
erklärung der Wendepunkt im sertorianischen Kriege eintrat,
wodurch von vorn herein eine seiner hauptsächlichsten Hoffnun-
gen ihm zu Grunde ging und es der römischen Regierung mög-
lich ward ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen
Krieg zu verwenden. Schon war auf dem Continent durch die
unvermeidliche Zögerung der römischen Kriegsvorbereitungen
dem Feinde ein nicht unbeträchtlicher Vorsprung gegeben wor-
den. Dem sertorianischen Proprätor, der in der römischen Pro-
vinz vorangestellt ward, öffneten eine beträchtliche Anzahl klein-
Röm. Gesch. III. 4
[50]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
asiatischer Städte die Thore und metzelten wie im J. 666 die
unter ihnen lebenden römischen Familien nieder; die Pisider,
Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Gefahr war
so dringend, daſs tüchtige Männer versuchten auf ihre eigene
Hand wenigstens vorläufig ihr zu wehren — so verlieſs auf die
Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos,
wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit
einer rasch zusammengerafften Schaar den Insurgenten entgegen.
Viel freilich konnten solche Freicorps nicht ausrichten. Wenn
nicht der tapfere Vierfürst des um Pessinus ansässigen Kelten-
stamms der Tolistobojer, Deiotarus die Partei der Römer ergriffen
und glücklich gegen die pontischen Feldherren gefochten hätte, so
hätte Lucullus damit beginnen müssen das Binnenland der römi-
schen Provinz dem Feind wieder abzunehmen. Auch so aber ver-
lor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurück-
drängung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen
Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als ver-
gütet ward. Ungünstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die
Dinge für die Römer an der Nordküste Kleinasiens. Hier hatte die
groſse Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens voll-
ständig bemeistert und die weit schwächeren Römer genöthigt
mit ihrer Mannschaft und ihren Schiffen in den Mauern und dem
Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blo-
kirt hielt. Indeſs war diese Einschlieſsung insofern ein günsti-
ges Ereigniſs für die Römer, als es ihnen weit gelegener war bei
Kalchedon als in dem fernen und unwegsamen pontischen Land
die Waffenentscheidung aufzusuchen. Wie natürlich beschloſs
Lucullus statt nach dem Pontos sich nach Bithynien zu wenden
und im Verein mit Cotta den König anzugreifen; allein Cotta, um
vorher noch auf eigene Hand eine Groſsthat auszuführen, lieſs
seinen Flottenführer Publius Rutilius Nudus einen Ausfall machen,
der nicht bloſs mit einer blutigen Niederlage der Römer endigte,
sondern auch den Pontikern es möglich machte den Hafen an-
zugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und
sämmtliche daselbst befindliche römische Kriegsschiffe, gegen
siebzig an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von die-
sen Unfällen, die Lucullus am Fluſs Sangarios erhielt, beschleu-
nigte derselbe seinen Marsch, zur groſsen Unzufriedenheit seiner
Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging und die
weit lieber ein unvertheidigtes Land geplündert als ihre Kamera-
den siegen gelehrt hätten. Bei Lucullus Eintreffen hob der König
die Belagerung von Kalchedon auf, aber er ging nicht nach Pon-
[51]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
tos zu, sondern wandte sich südwärts in die altrömische Provinz,
wo er an der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete,
Lampsakos besetzte und die groſse und reiche Stadt Kyzikos zu
belagern begann. Immer fester verrannte er sich also in die
Sackgasse, die er eingeschlagen hatte. Die kyzikenische Bürger-
schaft, obwohl sie in der unglücklichen Doppelschlacht von Kal-
chedon an Schiffen und an Mannschaft starke Einbuſse erlitten
hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand; wie in
wenigen anderen Griechenstädten regte hier sich noch die alte
hellenische Tüchtigkeit und Gewandtheit. Kyzikos lag auf einer
Insel unmittelbar dem Festland gegenüber und durch eine Brücke
mit diesem verbunden. Die Belagerer bemächtigten sich sowohl
des Höhenzugs auf dem Festland, der an der Brücke endigt, und
der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der be-
rühmten dindymenischen Höhen, und auf der Festland- wie auf der
Inselseite boten die griechischen Ingenieure des Königs alle ihre
Kunst auf den Sturm möglich zu machen. Allein die Bresche, die
endlich zu machen gelang, wurde während der Nacht wieder von
den Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der königli-
chen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung
des Königs die gefangenen Kyzikener vor den Mauern tödten zu
lassen, wenn die Bürgerschaft noch länger die Uebergabe ver-
weigere. Die Kyzikener setzten die Vertheidigung mit Muth und
Glück fort; es fehlte nicht viel, so hätten sie im Laufe der Bela-
gerung den König selbst gefangen genommen. Inzwischen hatte
Lucullus sich einer sehr festen Position im Rücken der ponti-
schen Armee bemächtigt, die ihm zwar nicht gestattete der be-
drängten Stadt unmittelbar zu Hülfe zu kommen, aber wohl dem
Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die unge-
heure mit dem Troſs auf 300000 Köpfe geschätzte mithradatische
Armee weder im Stande zu schlagen noch zu marschiren, fest
eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbe-
weglich stehenden römischen Heer, und für allen ihren Bedarf
einzig angewiesen auf die See, die zum Glück die pontische Flotte
ausschlieſslich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach
herein; ein Unwetter zerstörte einen groſsen Theil der Belage-
rungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an
Pferdefutter fing an unerträglich zu werden. Die Lastthiere und
der Troſs wurden unter Bedeckung des gröſsten Theils der pon-
tischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag um jeden Preis sich
durchzuschleichen oder durchzuschlagen; am Fluſs Rhyndakos
östlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen
4*
[52]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
Haufen zusammen. Eine andere Reiterabtheilung unter Metro-
phanes und Lucius Fannius muſste nach langer Irrfahrt im
westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurück-
kehren. Hunger und Seuchen räumten unter den pontischen
Schaaren fürchterlich auf. Als der Frühling herankam (681),
verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die
auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb nichts übrig
als die Belagerung aufzuheben und mit Hülfe, der Flotte zu retten
was zu retten war. Die Flotte nahm den König an Bord und ging
nach dem Hellespont, wobei sie theils bei der Abfahrt, theils un-
terwegs durch Stürme beträchtliche Einbuſse erlitt. Unter Zu-
rücklassung des Gepäcks so wie der Kranken und Verwundeten,
die von den erbitterten Kyzikenern sämmtlich niedergemacht
wurden, brachen die Trümmer des Landheers, geführt von Her-
maeos und Marius, nach Lampsakos auf, von dessen Mauern ge-
schützt sie hofften sich einschiffen zu können. Unterwegs fügte
ihnen Lucullus beim Uebergang über die Flüsse Aesepos und
Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr
Ziel: die pontischen Schiffe entführten die Ueberreste der groſsen
Armee und die lampsakenische Bürgerschaft selbst aus dem Be-
reiche der Römer. — Lucullus folgerechte und bedächtige Krieg-
führung hatte nicht bloſs die Fehler seines Collegen wieder gut
gemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, den
Kern der feindlichen Armee — angeblich 200000 Soldaten —
aufgerieben. Hätte er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von
Kalchedon verbrannt war, so würde er die ganze feindliche Armee
vernichtet haben; so blieb das Zerstörungswerk unvollendet und
er muſste sogar es leiden, daſs trotz der Katastrophe von Kyzi-
kos die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perin-
thos und Byzantion auf der europäischen Küste von ihr blokirt,
Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das königliche Haupt-
quartier nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward.
Ja ein erlesenes Geschwader von fünfzig Segeln, das 10000 er-
lesene Leute, darunter Marcus Marius und den Kern der römi-
schen Emigranten trug, segelte sogar hinaus in das aegaeische
Meer; es ging die Rede, daſs es bestimmt sei in Italien zu landen
um dort aufs Neue den Bürgerkrieg zu entfachen. Indeſs fingen
die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den
asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an sich einzustellen
und es konnte ein Geschwader gebildet werden, um die in das
aegaeische Meer abgegangenen feindlichen Schiffe aufzusuchen.
Lucullus selbst, als Flottenführer erprobt (II, 285), übernahm
[53]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
das Commando desselben. Vor dem Achaeerhafen in den Ge-
wässern zwischen der troischen Küste und der Insel Tenedos
wurden dreizehn feindliche auf der Fahrt nach Lemnos begriffene
Fünfruderer unter Isidoros überfallen und versenkt. Bei der
kleinen Insel Neae zwischen Lemnos und Skyros sodann, an
welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32
Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff sie
zur See mit den Schiffen, auf der Insel durch rasch gelandete
Truppen an und bemächtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier
fanden Marcus Marius und die tüchtigsten der römischen Emi-
grirten entweder im Kampfe oder nachher durch das Henker-
beil den Tod. Die ganze aegaeische Flotte der Feinde war von
Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen
mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstärkten Landheer
und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und
die Legaten Luculls Voconius, Barba und Gaius Valerius Tria-
rius fortgesetzt. Barba nahm im Binnenland Prusias am Olymp
und Nikaea, Triarius an der Küste Apameia (sonst Myrleia) und
Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich endlich zu
einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst
in Nikomedeia; aber der König, ohne nur den Kampf zu versu-
chen, entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwärts. Auch dies
gelang ihm nur, weil der mit der Blokirung des Hafens von Ni-
komedeia beauftragte römische Flottenführer Voconius zu spät
eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den
König verrathen und von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen
Gewässern versenkte über sechzig seiner Schiffe und zerstreute
die übrigen; fast allein gelangte der König nach Sinope. Die Of-
ensive Mithradats endigte mit einer vollständigen und durchaus
nicht, am wenigsten aber für den obersten Leiter rühmlichen
Niederlage der pontischen Land- und Seemacht.
Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius
übernahm den Befehl über die Flotte mit dem Auftrag vor allem
den Hellespont zu sperren und den aus Kreta und Spanien rück-
kehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta die Belagerung
von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschäft ward den
treuen und thätigen Galaterfürsten und dem König Ariobarzanes
von Kappadokien übertragen. So rückte im Herbst 681 Lucullus
ein in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betre-
tene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur
strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurück
von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (später Neo-
[54]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
kaesareia, jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluſs des Iris;
er begnügte sich den Feind immer tiefer landeinwärts zu ziehen
und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu bedrohen. Rasch
folgte Lucullus; Sinope blieb ihm seitwärts liegen; die alte sci-
pionische Grenze, der Halys ward überschritten, die blühenden
Städte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am Thermo-
don) umstellt, bis endlich der Winter den Märschen, aber nicht
den Einschlieſsungen der Städte ein Ende machte. Die Soldaten
Luculls murrten über das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen
nicht gestattete die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten, und
über die weitläuftigen und in der rauhen Jahreszeit beschwerli-
chen Blokaden. Allein es war Lucullus Art nicht auf dergleichen
Klagen zu hören; im Frühjahr 682 ging es sofort weiter gegen
Kabeira unter Zurücklassung zweier Legionen vor Amisos unter
Lucius Murena. Der König hatte während des Winters einen Ver-
such gemacht den Groſskönig von Armenien zum Eintritt in den
Kampf zu bestimmen; er blieb wie der frühere vergeblich oder
führte doch nur zu leeren Verheiſsungen. Noch weniger bezeig-
ten die Parther Lust bei der verlorenen Sache sich zu bethei-
ligen. Indeſs fand sich, besonders durch Werbungen im Sky-
thenland, wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und
Taxiles bei Kabeira beisammen, die an Reiterei der römischen
entschieden überlegen war. Das römische Heer, das nur noch
drei Legionen zählte, sah sich genöthigt das Blachfeld möglichst
zu vermeiden und gelangte nicht ohne Mühe und Verlust auf
schwierigen Nebenpfaden bis nach Kabeira. Bei dieser Stadt la-
gerten die beiden Armeen längere Zeit einander gegenüber. Ge-
stritten ward hauptsächlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten
knapp war; Mithradates bildete deſswegen aus dem Kern seiner
Reiterei und einer Abtheilung erlesener Fuſssoldaten unter Dio-
phantos und Taxiles ein fliegendes Corps, das bestimmt war zwi-
schen dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappa-
dokien kommenden römischen Transporte von Lebensmitteln
aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Luculls Marcus Fabius
Hadrianus, der einen solchen Zug escortirte, schlug nicht bloſs
die ihm auflauernde Schaar in dem Engpaſs, wo sie ihn zu über-
fallen gedachte, vollständig aufs Haupt, sondern auch, nachdem
er Verstärkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Dio-
phantos und Taxiles selbst, so daſs dieselbe völlig sich auflöste. Es
war für den König ein unersetzlicher Verlust, daſs seine Reiterei,
auf die er allein vertraute, ihm hier zu Grunde gegangen war; so
wie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangen-
[55]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
den Flüchtlinge — bezeichnend genug die geschlagenen Generale
selbst — die Hiobspost, früher noch als Lucullus die Nachricht
von dem Sieg, erhalten hatte, beschloſs er sofortigen weiteren
Rückzug. Aber der gefaſste Entschluss des Königs verbreitete
sich mit Blitzesschnelle unter seiner nächsten Umgebung; und
wie die Soldaten die Vertrauten des Königs eiligst einpacken sahen,
wurden auch sie von panischen Schreck ergriffen. Niemand
wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe
liefen durch einander wie gescheuchtes Wild; keine Autorität,
nicht einmal die des Königs ward noch beachtet und der König
selbst fortgerissen in dem wilden Getümmel. Die Verwirrung ge-
wahrend griff Lucullus an und fast ohne Widerstand zu leisten
lieſsen die pontischen Schaaren sich niedermetzeln. Hätten die
Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu mäſsigen
vermocht, so wäre kaum ein Mann ihnen entronnen und der Kö-
nig ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Noth entkam
Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Ko-
mana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber bald
eine römische Schaar unter Marcus Pompeius wieder aufscheuchte
und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern be-
gleitet, bei Talaura in Kleinarmenien die Grenze seines Reiches
überschritt, um in dem Reiche des Groſskönigs eine Zuflucht-
stätte zu finden, aber auch nicht mehr (Ende 682). Tigranes
lieſs seinem flüchtigen Schwiegervater zwar königliche Ehre er-
zeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt
ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in
einer Art von anständiger Haft. Ganz Pontos und Kleinarmenien
war in den Händen der Römer; die Frauen des königlichen Ha-
rems, die königlichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlin-
nen und Kebse lieſs der König, da sie zu flüchten nicht mög-
lich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Ke-
rasunt) sämmtlich tödten. Bis nach Trapezus hinauf unter-
warf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch
die Befehlshaber der königlichen Schatzhäuser ergaben sich nach
kürzerem oder längerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvor-
räthe aus. Hartnäckiger waren die Städte. Zwar die wenigen im
Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Ge-
walt der Römer; aber die gröſseren Seestädte, Amisos und Si-
nope im Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pon-
tische Herakleia in Bithynien wehrten sich wie Verzweifelte, theils
begeistert durch die Anhänglichkeit an den König und die von
ihm geschirmte freie hellenische Stadtverfassung, theils terrorisirt
[56]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
durch die Schaaren der vom König herbeigerufenen Corsaren.
Sinope und Herakleia lieſsen sogar Schiffe gegen die Römer aus-
laufen und das sinopische Geschwader bemächtigte sich selbst
einer römischen Flottille, die von der taurischen Halbinsel für
Lucullus Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach
zweijähriger Belagerung, nachdem die römische Flotte der Stadt
den Verkehr mit den griechischen Städten auf der taurischen
Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung
Verrätherei ausgebrochen war. Als Amisos aufs Aeuſserste ge-
bracht war, zündete die Besatzung die Stadt an und rettete sich
unter dem Schutze der Flammen auf ihre Schiffe. In Sinope, wo
der kecke Piratencapitän Seleukos und der königliche Verschnit-
tene Bakchides die Vertheidigung leiteten, plünderte die Besatzung
die Häuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht
mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der gröſste
Theil der Vertheidiger sich hatte einschiffen können, doch noch
8000 Corsaren von Lucullus getödtet worden sein. Zwei volle
Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darüber (682—684)
währten diese Städtebelagerungen, die Lucullus groſsentheils
durch seine Unterbefehlshaber betrieb, während er selbst die
Verhältnisse der Provinz Asia ordnete, die eine gründliche Re-
form erheischten und erhielten. Wie geschichtlich merkwürdig
auch jener hartnäckige Widerstand der pontischen Kaufstädte
gegen die siegreichen Römer ist, so kam doch zunächst wenig
dabei heraus; die Sache des Königs Mithradates war darum nicht
minder verloren. Der Groſskönig hatte offenbar für jetzt wenig-
stens durchaus nicht die Absicht ihn in sein Reich zurückzufüh-
ren. Die römische Emigration in Asien hatte durch die Vernich-
tung der aegaeischen Flotte ihre Besten eingebüſst; von den
Uebriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die thä-
thigen Führer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden
mit Lucullus gemacht und mit dem Tode des Sertorius, der in
dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand die letzte
Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war voll-
ständig zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre letz-
ten Stützen zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heim-
kehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von Triarius
bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der Statt-
halter des bosporanischen Reiches, des Königs eigener Sohn Ma-
chares fiel von ihm ab und schloſs als selbstständiger Fürst des tau-
rischen Chersones auf eigene Hand mit den Römern Frieden und
Freundschaft (684). Der König selbst saſs nach nicht allzu rühm-
[57]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
licher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloſs,
ein Flüchtling aus seinem Reich und fast ein Gefangener seines
Schwiegersohns. Mochten die Corsarenschaaren noch auf Kreta
sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war,
an die schwer zugängliche Ostküste des schwarzen Meeres zu den
Sanegen und Lazen sich retten: Lucullus geschickte Kriegführung
und seine verständige Mäſsigung, die es nicht verschmähte den
gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und die reu-
müthigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen,
hatte mit mäſsigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und
das pontische Reich vernichtet, so daſs dasselbe aus einem rö-
mischen Clientelstaat in eine römische Provinz verwandelt wer-
den konnte. Eine Commission des Senats ward erwartet, um in
Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorgani-
sation festzustellen.
Aber noch waren die Verhältnisse mit Armenien nicht ge-
schlichtet. Daſs eine Kriegserklärung der Römer gegen Tigranes
an sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde früher gezeigt. Lu-
cullus, der die Verhältnisse aus gröſserer Nähe und mit höherem
Sinn betrachtete als das Senatorencollegium in Rom, erkannte
deutlich die Nothwendigkeit Armenien in seine Schranken zu-
rückzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms über das Mittel-
meer wieder herzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiati-
schen Angelegenheiten sich als keinen unwürdigen Nachfolger
seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige
Römer seiner Zeit, war er nicht unempfänglich für die Verpflich-
tung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders übernommen hatte:
Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persönliche
Beweggründe, der Wunsch auch jenseit des Euphrat Lorbeeren
zu ernten, die Empfindlichkeit darüber, daſs der Groſskönig in
einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel weggelassen, kön-
nen freilich Lucullus mit bestimmt haben: allein es ist ungerecht
kleinliche und egoistische Motive da anzunehmen, wo zur Erklä-
rung der Handlungen die pflichtmäſsigen vollkommen ausreichen.
Indeſs von dem ängstlichen, lässigen, schlecht unterrichteten und
vor allen Dingen von ewiger Finanznoth bedrängten römischen
Regierungscollegium lieſs sich nimmermehr erwarten, daſs es zu
einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition, ohne
unmittelbar dazu genöthigt zu sein, die Initiative ergreifen
werde. Veranlaſst durch die günstige Wendung des pontischen
Krieges waren die legitimen Repräsentanten der Seleukidendyna-
stie, Antiochos der Asiate genannt und dessen Bruder, um 682
[58]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
nach Rom gegangen, um römische Intervention in Syrien und
nebenbei auch die Anerkennung ihrer Erbansprüche auf Aegyp-
ten zu erlangen. Die letztere Anforderung konnte freilich nicht
gewährt werden; aber der Augenblick wie die Veranlassung lies-
sen sich nicht günstiger finden um den längst nothwendigen
Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der Senat hatte die
Prinzen wohl als die rechtmäſsigen Könige Syriens anerkannt,
aber sich nicht entschlieſsen können die bewaffnete Intervention
zu verfügen. Wenn die günstige Gelegenheit benutzt und gegen
Armenien Ernst gemacht werden sollte, so konnte dies nur da-
durch geschehen, daſs Lucullus sich entschloſs den Krieg dem
Senat über den Kopf zu nehmen; auch er sah sich eben wie Sulla
in die Nothwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse
der bestehenden Regierung that, nicht mit ihr, sondern ihr zum
Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm der Entschluſs
durch die seit langem bestehenden unklar zwischen Krieg und Frie-
den schwankenden Verhältnisse Roms zu Armenien, durch welche
die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens einigermaſsen bedeckt ward.
An formellen Kriegsgründen war kein Mangel; die kappadokischen
und syrischen Zustände boten Anlässe genug und es hatten auch
schon bei der Verfolgung des pontischen Königs römische Trup-
pen das Gebiet des Groſskönigs verletzt. Da indeſs Lucullus Auf-
trag nur ging auf Führung des Krieges gegen Mithradates, so zog
er es vor einen seiner Offiziere Appius Claudius an den Groſs-
könig nach Antiochien zu senden, um Mithradates Auslieferung
zu fordern, was denn freilich zum Kriege führen muſste. Der
Entschluſs war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der römischen
Armee. Es war unvermeidlich während des Feldzugs in Arme-
nien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da
sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit der
Heimath verloren ging und überdieſs ein Einfall Mithradats in
sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte
die Armee, an deren Spitze Lucullus den mithradatischen Krieg
beendigt hatte, von beiläufig 30000 Mann für diese verdoppelte
Aufgabe nicht aus. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der
Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten
Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg
der Regierung über den Kopf nehmen wollte und gewissermaſsen
muſste, sah er sich genöthigt hierauf zu verzichten und, ob er
gleich selbst die gefangenen thrakischen Söldner des pontischen
Königs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als
zwei Legionen oder höchstens 15000 Mann den Krieg am rech-
[59]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
ten Ufer des Euphrat zu führen. Schon dies war bedenklich;
indeſs die Geringfügigkeit der Zahl mochte durch die erprobte
Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee eini-
germaſsen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung
der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadlichen Art viel zu
wenig Rücksicht nahm. Lucullus war ein tüchtiger General und
— nach aristokratischem Maſsstab — ein rechtschaffener und
wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei seinen
Soldaten. Er war unpopulär als entschiedener Anhänger der Oli-
garchie, unpopulär, weil er in Kleinasien der gräulichen Wucherei
der römischen Capitalisten nachdrücklich gesteuert hatte, unpo-
pulär wegen der Arbeiten und Strapazen, die er dem Soldaten
zumuthete, unpopulär, weil er von seinen Soldaten strenge Manns-
zucht forderte und die Plünderung der griechischen Städte durch
seine Leute möglichst verhinderte, daneben aber doch für sich sel-
ber manchen Wagen und manches Kameel mit den Schätzen des
Ostens beladen lieſs, unpopulär wegen seiner feinen, vornehmen,
hellenisirenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo
immer möglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden
Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen
dem Feldherrn und dem Soldaten ein persönliches Band schlingt.
Hiezu kam endlich, daſs ein groſser Theil seiner besten Soldaten
alle Ursache hatte sich über die maſslose Verlängerung ihrer
Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden besten Legionen waren
eben diejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 nach dem Osten
geführt hatten (II, 282); ungeachtet ihnen nach dreizehnjährigem
Dienst vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira der Abschied
zugesichert worden war, führte sie nichts desto weniger Lucul-
lus jetzt über den Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg ent-
gegen — es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlim-
mer behandeln als die Geschlagenen von Cannae (I, 429. 472).
Es war in der That mehr als verwegen, wenn mit so schwachen
und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und
streng genommen verfassungswidrig eine Expedition begann ge-
gen ein fernes und unbekanntes Land voll reiſsender Ströme und
schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdeh-
nung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefährlich machte.
Vielfach und nicht ohne Grund wurde deſshalb Lucullus Verfah-
ren in Rom getadelt; nur hätte man dabei nicht verschweigen
sollen, daſs zunächst die Verkehrtheit der Regierung dieses ver-
wegene Vorgehen des Feldherrn veranlaſste und dasselbe wo
nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte.
[60]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der
Aufgabe den Krieg diplomatisch zu motiviren den Zweck gehabt
die Fürsten und Städte zunächst Syriens gegen den Groſskönig
unter die Waffen zu bringen; im Frühling 685 begann der förm-
liche Angriff. Während des Winters hatte der König von Kappa-
dokien im Stillen für Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward
der Euphrat überschritten und der Marsch durch die Landschaft
Sophene gerades Weges, ohne mit Belagerung der kleineren Ort-
schaften Zeit zu verlieren, gerichtet auf Tigranokerta, wohin kurz
zuvor auch der Groſskönig aus Syrien zurückgekehrt war, nach-
dem er die Verfolgung seiner Eroberungspläne am Mittelmeer
wegen der Verwickelung mit den Römern vorläufig vertagt hatte.
Eben entwarf er einen Einfall in das römische Kleinasien von Kili-
kien und Lykaonien aus und überlegte bei sich, ob die Römer Asien
sofort räumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur
Schlacht stellen würden, als ihn der Bote mit der Nachricht von
dem Anmarsche Luculls unterbrach. Er lieſs ihn aufknüpfen, aber
lange lieſs die lästige Wirklichkeit sich nicht verkennen; wo er
denn seine Hauptstadt verlieſs und sich in das innere Armenien
begab, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die
Römer zu rüsten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben
zur Verfügung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleu-
nigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstämmen die Römer
beschäftigten. Allein das Corps des Mithrobarzanes ward schon
von dem römischen Vortrab, die Araber von einem Detachement
unter Sextilius zersprengt; und während die sich in den nord-
östlich von Tigranokerta gelegenen Bergen (um Bitlis) sam-
melnde armenische Hauptmacht durch eine vorgeschobene rö-
mische Abtheilung in einer wohlgewählten Stellung unter glück-
lichen Gefechten aufgehalten ward, betrieb Lucullus eifrig die Be-
lagerung von Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit
dem die Besatzung das römische Heer überschüttete, und die
Anzündung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten
hier die Römer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege
und der tapfere Commandant Mankaeos behauptete die Stadt, bis
endlich die groſse königliche Entsatzarmee aus allen Theilen des
weiten Reiches und den angrenzenden den armenischen Werbern
offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordöst-
lichen Pässe zum Entsatz der Hauptstadt herangerückt war. Der
in den Kriegen Mithradats erprobte Führer Taxiles rieth die
Schlacht zu vermeiden und die kleine römische Schaar durch die
Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als der König
[61]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
den römischen Feldherrn, der sich entschlossen hatte die Schlacht
zu liefern ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht viel
mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Uebermacht aus-
rücken und keck den Fluſs überschreiten sah, der beide Heere
trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schaar überblickte,
‚zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig‘, auf der andern
seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Völker vom schwar-
zen und vom kaspischen See mit denen vom Mittelmeer und vom
persischen Golf sich begegneten, deren gefürchtete eisenbedeckte
Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus ganzes Heer
und in denen es auch an römisch gerüstetem Fuſsvolk nicht
mangelte: da entschloſs er sich ungesäumt die vom Feinde be-
gehrte Schlacht zu liefern. Während aber die Armenier noch sich
dazu ordneten, erkannte Lucullus scharfes Auge, daſs sie es ver-
säumt hatten eine Höhe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung
beherrschte; er eilte sie mit zwei Cohorten einzunehmen, während
seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die Aufmerk-
samkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und so wie
er oben angekommen war, führte er seinen kleinen Haufen der
feindlichen Reiterei in den Rücken. Sie ward völlig zersprengt
und warf sich auf die noch nicht völlig geordnete Infanterie, die
davonlief ohne auch nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin
des Siegers, daſs 100000 Armenier und 5 Römer gefallen seien
und der König Turban und Stirnbinde von sich geworfen habe,
um unerkannt mit wenigen Reitern zu entkommen, ist im Stile
seines Meisters Sulla abgefaſst; allein nichts desto weniger bleibt
der am 6. October 685 vor Tigranokerta erfochtene Sieg einer
der glänzendsten Sterne in der ruhmvollen Kriegsgeschichte Roms;
und er war nicht minder erfolgreich als glänzend. Alle den Par-
thern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren durch
diesen Sieg strategisch den Armeniern verloren und gingen gröſs-
tentheils ohne Weiteres über in den Besitz des Siegers. Die neu
erbaute Hauptstadt des Groſsreiches selber machte den Anfang.
Die in ihr so zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empörten
sich gegen die Besatzung und öffneten dem römischen Heere die
Pforten der Stadt, die den Soldaten zur Plünderung preisgegeben
ward. Aus Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Ma-
gadates bereits alle Truppen herausgezogen um die Entsatzarmee
vor Tigranokerta zu verstärken. Lucullus rückte in die nörd-
lichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstürmte die
Hauptstadt Samosata; in das eigentliche Syrien gelangte er nicht,
doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum rothen
[62]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
Meer hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern Gesandte an
um den Römern als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst
der Fürst von Korduene, der östlich von Tigranokerta gelegenen
Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und da-
mit in Mesopotamien der Bruder des Groſskönigs Guras sich be-
hauptete. Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der helle-
nischen Fürsten und Bürgerschaften; in Kommagene setzte er
einen Prinzen des seleukidischen Hauses Antiochos auf den Thron;
Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach
Antiochia zurückgekehrt war, erkannte er an als König von Sy-
rien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokarta entlieſs er
wieder in ihre Heimathen. Die unermeſslichen Vorräthe und
Schätze des Groſskönigs — an Getreide wurden 30 Millionen
Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (14 Mill.
Thlr.) erbeutet — machten es Lucullus möglich die Kosten des
Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu neh-
men, und jedem seiner Soldaten auſser reichlichster Verpflegung
noch eine Verehrung von 800 Denaren (229 Thlr.) zu machen.
Der Groſskönig war tief gedemüthigt. Er war ein schwäch-
licher Charakter, übermüthig im Glück, im Unglück verzagt;
wahrscheinlich würde zwischen ihm und Lucullus ein Abkom-
men zu Stande gekommen sein, das der Groſskönig mit ansehn-
lichen Opfern zu erkaufen, der römische Feldherr unter leidli-
chen Bedingungen zu gewähren beide alle Ursache hatten, wenn
der alte Mithradates nicht gewesen wäre. Dieser hatte nicht Theil
genommen an den Kämpfen um Tigranokerta. Durch die zwi-
schen dem Groſskönig und den Römern eingetretene Spannung
nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des J. 684 befreit,
war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich
abgesandt worden, um hier die Communicationen des Feindes zu
bedrohen; allein noch ehe er hier etwas ausrichten konnte, ward
er zurückgerufen, als die gesammte Macht des Groſskönigs auf-
geboten ward um die Hauptstadt zu entsetzen. Bei seinem Ein-
treffen kamen ihm schon die vom Schlachtfeld flüchtenden Hau-
fen entgegen und vom Groſskönig bis zum gemeinen Soldaten
herab schien allen alles verloren. Wenn Tigranes jetzt Frieden
machte, so schwand für Mithradates nicht bloſs die letzte Möglich-
keit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine Ausliefe-
rung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und
sicher würde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als
wie Bocchus einst gegen Jugurtha handelte. Seine ganze Persön-
lichkeit setzte der König ein, um diese Wendung zu verhindern
[63]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
und zur Fortführung des Krieges, bei der er nichts zu verlieren
und alles zu gewinnen hatte, den armenischen Hof zu bestimmen;
und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluſs
an demselben nicht gering. Noch war er ein stattlicher und ge-
waltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in
voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge
gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die
Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in frühe-
ren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege
nicht unmittelbar Theil nahm, finden wir fortan als Greis ihn in
der Schlacht selber führen und selber fechten. Ihm, der während
seines funfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswech-
sel erlebt hatte, schien die Sache des Groſskönigs durch die Nie-
derlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr
Lucullus Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum
Frieden kam und der Krieg in zweckmäſsiger Weise fortgeführt
ward, sogar in hohem Maſse gefährdet. Der vielerfahrene Greis,
der fast wie ein Vater dem Groſskönig gegenüberstand und jetzt
persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den
schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn nicht
nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern
auch dessen politische und militärische Leitung ihm selber anzu-
vertrauen. Aus einem Kabinetskrieg sollte der Krieg jetzt ein
national-asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens
zu demselben sich vereinigen gegen die übermächtigen und über-
müthigen Occidentalen. Es wurden die gröſsten Anstrengungen
gemacht die Armenier und die Parther mit einander zu versöh-
nen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu be-
stimmen. Auf Mithradates Betrieb erbot sich Tigranes dem Ar-
sakiden Phraates dem Gott (reg. seit 684) die von den Arme-
niern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die ‚groſsen
Thäler‘ zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündniſs
zu machen. Allein nach allem, was vorgefallen war, konnte die
Zurückweisung dieses Anerbietens nicht befremden; Phraates zog
es vor die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Ar-
meniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen,
wie sich der verhaſste Nachbar und der unbequeme Fremdling
unter einander aufrieben. Mit gröſserem Erfolg als an die Kö-
nige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt
nicht schwer den Krieg darzustellen als einen nationalen des
Orients gegen den Occident, denn er war es; gar wohl konnte
er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet
[64]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
werden, daſs das Ziel des lucullischen Heeres der Tempel der
Anaitis oder der sogenannten syrischen Diana in Ekbatana sei,
das gefeiertste und das reichste Heiligthum der ganzen Euphrats-
landschaft*. Schaarenweise drängten sich von nah und fern die
Asiaten unter die Banner der Könige, welche sie aufriefen den
Osten und seine Götter vor den gottlosen Fremdlingen zu schir-
men. Allein die Thatsachen hatten gezeigt, daſs das bloſse Zu-
sammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war,
sondern durch die Einfügung in dieselben selbst die wirklich
marschir- und schlagfähigen Schaaren unbrauchbar gemacht
und in den allgemeinen Ruin mit verwickelt wurden. Mithrada-
tes suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die
schwächste der Occidentalen und die stärkste der Asiaten war,
die Reiterei: in der von ihm neu gebildeten Armee war die Hälfte
der Mannschaft beritten. Für den Dienst zu Fuſs las er aus der
Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten
die dienstfähigen Leute sorgfältig aus und lieſs diese durch seine
pontischen Offiziere dressiren. Das ansehnliche Heer, das bald
wieder unter den Fahnen des Groſskönigs sich zusammenfand,
war aber nicht bestimmt auf der ersten besten Wahlstatt mit den
römischen Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Ver-
theidigung und auf den kleinen Krieg zu beschränken. Schon
den letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zu-
rückweichend und die Schlacht vermeidend geführt; auch dies-
mal wurde eine ähnliche Taktik angenommen und zum Kriegs-
schauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das Erbland des
Tigranes und vom Feinde noch vollkommen unberührt, das sich
durch seine physische Beschaffenheit wie durch den Patriotismus
seiner Bewohner vortrefflich für diese Kriegsweise eignete. —
Das Jahr 686 fand Lucullus in einer schwierigen und täglich be-
denklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glänzenden Siege
war man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat
empfand die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens; die von ihm
empfindlich verletzte Capitalistenpartei setzte alle Mittel der In-
trigue und Bestechung in Bewegung um seine Abberufung durch-
zusetzen. Täglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerech-
[65]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
ten und ungerechten Beschwerden über den tollkühnen, den
habsüchtigen, den unrömischen, den hochverrätherischen Feld-
herrn. Schon gab der Senat den Klagen über die Vereinigung
einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaf-
ten und eines wichtigen auſserordentlichen Commandos, in sol-
cher Hand in so weit nach, daſs er die Provinz Asia einem der
Prätoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legio-
nen dem Consul Quintus Marcius Rex bestimmte und den Feld-
herrn auf das Commando gegen Mithradates und Tigranes be-
schränkte. — Gefährlicher noch als die in Rom gegen den Feld-
herrn sich erhebenden Anklagen selbst war der Wiederhall, den
sie in den Quartieren am Iris und am Tigris fanden, wo mehrere
der Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn Pu-
blius Clodius in dem gleichen Sinne die Soldaten bearbeiteten.
Das ohne Zweifel absichtlich ausgesprengte Gerücht, daſs Lucullus
jetzt mit dem pontisch-armenischen Krieg noch eine Expedition
gegen die Parther zu verbinden gedenke, nährte die Erbitterung
der Truppen. Der siegreiche Feldherr selbst fuhr fort, während
ihn also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten
mit Abberufung und Meuterei bedrohte, dem verzweifelten Spieler
gleich seinen Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen
die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder bereit
zeigte Frieden zu machen noch dem Wunsche der Römer zu
schlagen abermals entgegenkam, entschloſs sich Lucullus von
Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am östlichen
Ufer des Wansees in das Thal des östlichen Euphrat (oder des
Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes
vorzudringen, wo, am nördlichen Abhang des Ararat, die Haupt-
stadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloſs
und dem Harem des Königs lag. Er hoffte den König durch die
Bedrohung seiner angestammten Residenz zu bestimmen ihm
unterwegs oder vor Artaxata eine zweite Schlacht zu liefern.
Unumgänglich nothwendig war es freilich bei Tigranokerta eine
Abtheilung zurückzulassen, während doch das Marschheer un-
möglich noch weiter vermindert werden konnte: es blieb nichts
übrig als die Stellung im Pontos zu schwächen und von dort
Truppen nach Tigranokerta zu berufen Die Hauptschwierig-
keit aber war die für militärische Unternehmungen so unbe-
queme Kürze des armenischen Sommers. Auf der armenischen
Hochebene, die 5000 Fuſs und mehr über der Meeresfläche liegt,
sproſst bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni und mit der
Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in
Röm. Gesch. III. 5
[66]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
höchstens vier Monaten also muſste Artaxata erreicht und die
Campagne beendigt sein. — Im Mittsommer 686 brach Lucullus
von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch das Thal
des Karasu, eines in südöstlicher Richtung dem östlichen Euphrat-
arm zuströmenden Flusses, das einzige, das die Ebenen Mesopo-
tamiens mit der Hochebene des innern Armeniens verbindet, auf
das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging,
unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen
Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber
ohne wesentliches Hinderniſs von Statten und auch der Euphrat-
übergang, den die armenische Reiterei ernstlich vertheidigte,
ward durch ein glückliches Gefecht erzwungen; die armenische
Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht sie in das Gefecht zu
verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene
Armeniens und marschirte weiter hinein in das unbekannte Land.
Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloſse un-
abwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwie-
rigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr
empfindlicher Nachtheil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte,
brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee
und Eis um sich sahen, riſs der allzu straff gespannte Bogen der
militärischen Zucht. Es kam zu einer förmlichen Meuterei; dem
Feldherrn blieb nichts übrig als den Rückzug anzuordnen, den
er dann mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte.
Glücklich angekommen in der Ebene, wo die Jahreszeit noch
weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den
Tigris und warf sich mit dem Haupttheil seines Heeres auf die
Hauptstadt des armenischen Mesopotamiens Nisibis. Der Groſs-
könig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung,
überlieſs die Stadt sich selbst, Sie ward trotz ihrer tapfern Ver-
theidigung in einer finstern Regennacht von den Belagerern er-
stürmt und Lucullus Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute
und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher
in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der
feindlichen Offensive auf die schwachen in Pontos und bei Tigra-
nokerta zurückgebliebenen römischen Corps. Hier zwang Tigra-
nes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius — derselbe, der
früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht
hatte (S. 48. 57) — sich in eine Festung zu werfen und hielt
ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 arme-
nischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rä-
cher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu;
[67]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
die zerstreuten römischen Soldaten wurden überall aufgehoben
und getödtet; als der römische Commandant in Pontos Hadrianus
(S. 54) seine Truppen gegen ihn führte, machten die ehemaligen
Söldner des Königs und die zahlreichen als Sclaven dem Heere
folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei
Tage nach einander währte der ungleiche Kampf; nur daſs der Kö-
nig nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetra-
gen werden muſste, machte es dem römischen Befehlshaber mög-
lich die Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner
Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus Un-
terbefehlshabern, der zufällig in diese Gegend kam, der entschlos-
sene Triarius sammelte indeſs ein neues Heer und lieferte dem
König ein glückliches Gefecht; allein er war viel zu schwach um
ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und muſste es ge-
schehen lassen, daſs der König Winterquartiere in Komana nahm.
So kam das Frühjahr 687 heran. Die Vereinigung der Armee
in Nisibis, die Muſse der Winterquartiere, die häufige Abwesenheit
des Feldherrn hatten die Unbotmäſsigkeit der Truppen inzwischen
noch gesteigert; sie verlangten nicht bloſs ungestüm zurückge-
führt zu werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, daſs
sie, wenn der Feldherr sich weigerte sie heimzuführen, von selbst
aufbrechen würden. Die Vorräthe waren knapp; Fannius und
Triarius sandten in ihrer bedrängten Lage die dringendsten Bit-
ten um Hülfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren Herzens
entschloſs sich Lucullus der Nothwendigkeit zu weichen, Nisibis
und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glänzenden Hoff-
nungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurückzu-
kehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit;
im Pontos aber war es schon zu spät. Tirarius, nicht stark ge-
nug um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal
am Iris westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, wäh-
rend das Gepäck bei Dadasa zurückblieb. Als indeſs Mithradates
den letzteren Ort belagerte, zwangen die römischen Soldaten, um
ihre Habseligkeiten besorgt, den Führer seine gesicherte Stellung
zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den
skotischen Anhöhen dem König eine Schlacht zu liefern. Was
Triarius vorhergesehen hatte, trat ein: trotz der tapfersten Ge-
genwehr durchbrach der Flügel, den der König persönlich führte,
die römische Linie und drängte das Fuſsvolk in eine lehmige
Schlucht zusammen, in der es weder vor- noch seitwärts rücken
konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch
einen römischen Centurio, der dafür sein Leben opferte, der
5 *
[68]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
König auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum
nicht minder vollständig. Das römische Lager ward genommen;
der Kern des Fuſsvolks, fast alle Stabs- und Unteroffiziere be-
deckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben auf dem
Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten Euphrat-
ufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die
Berichte der Eingebornen die Niederlage. — Hand in Hand mit
dieser Niederlage ging der Ausbruch der Militärverschwörung.
Eben jetzt traf aus Rom die Nachricht ein, daſs das Volk be-
schlossen habe den Soldaten, deren gesetzmäſsige Dienstzeit ab-
gelaufen sei, das heiſst den Fimbrianern den Abschied zu bewil-
ligen und einem der Consuln des laufenden Jahres den Oberbefehl
in Bithynien und Pontos zu übertragen; schon war der Nachfolger
Lucullus, der Consul Manius Acilius Glabrio in Kleinasien gelan-
det. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen
und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem
Eindruck der Niederlage von Ziela lösten in dem Heer alle Bande
der Autorität auf, eben da der Feldherr ihrer am nothwendigsten
bedurfte. Bei Talaura in Kleinarmenien stand er den pontischen
Truppen gegenüber, an deren Spitze Tigranes Schwiegersohn,
Mithradates von Medien den Römern bereits ein glückliches Rei-
tergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die
Hauptmacht des Groſskönigs im Anmarsch. Lucullus sandte an
den neuen Statthalter von Kilikien Quintus Marcius, der auf dem
Marsch nach seiner Provinz so eben mit drei Legionen in Lykao-
nien angelangt war, um von ihm Hülfe zu erhalten; derselbe er-
klärte, daſs seine Soldaten sich weigerten nach Armenien zu
marschiren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen den ihm
vom Volke übertragenen Oberbefehl zu übernehmen; derselbe
bezeigte noch weniger Lust dieser jetzt so schwierig und gefähr-
lich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genöthigt
den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich
gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu müssen, den Auf-
bruch gegen das anrückende armenische Heer. Die Soldaten ka-
men dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Straſsen
nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die
Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz
Asia. Hier angelangt begehrten die Fimbrianer ihren augenblick-
lichen Abschied; die inständige Bitte des Oberfeldherrn und der
übrigen Corps vermochte sie zwar hievon abzustehen; allein sie
beharrten dabei, wenn der Winter herankäme, ohne daſs ihnen
ein Feind gegenüberstände, sich auflösen zu wollen; was denn
[69]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloſs abermals fast
sein ganzes Königreich, sondern seine Reiter streiften durch
ganz Kappadokien und bis nach Bithynien; gleich vergeblich hat
König Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei
Glabrio um Hülfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher
Ausgang des in so glorreicher Weise geführten Krieges. Wenn
man bloſs auf die militärischen Leistungen sieht, so hat kaum
ein anderer römischer General mit so geringen Mitteln so viel
gethan wie Lucullus; das Talent und das Glück Sullas schienen
auf diesen seinen Schüler sich vererbt zu haben. Daſs unter den
obwaltenden Verhältnissen das römische Heer aus Armenien in-
tact nach Kleinasien zurückkam, ist ein militärisches Wunder-
werk, das, soweit wir urtheilen können, den xenophontischen
Rückzug weit übertrifft und wohl zunächst aus der Solidität des
römischen und der Untüchtigkeit des orientalischen Kriegswesens
sich erklärt, aber doch unter allen Umständen dem Leiter dieses
Zuges einen ehrenvollen Namen unter den militärischen Capaci-
täten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus Name gewöhnlich
nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem An-
schein nach nur darin, daſs theils kein militärisch auch nur leid-
licher Bericht über seine Feldzüge auf uns gekommen ist, theils
überall und vor allem im Kriege, zunächst nichts gilt als das
schlieſsliche Resultat, und dies freilich kam einer vollständigen
Niederlage gleich. Durch die letzte unglückliche Wendung der
Dinge, hauptsächlich durch die Meuterei der Soldaten waren alle
Erfolge eines achtjährigen Krieges wieder verloren worden; man
stand im Winter 687/8 genau wieder an demselben Fleck wie im
Winter 679/80.
Nicht bessere Resultate als der Continentalkrieg lieferte der
Seekrieg gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann
und beständig in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits
erzählt (S. 49), daſs der Senat im J. 680 den verständigen Be-
schluſs faſste die Säuberung der Meere von den Corsaren einem
einzigen höchstcommandirenden Admiral, dem Prätor Marcus An-
tonius zu übertragen. Allein gleich von vorn herein hatte man
sich in der Wahl des Führers durchaus vergriffen, oder vielmehr
diejenigen, welche diese an sich zweckmäſsige Maſsregel durch-
gesetzt hatten, berechneten nicht, daſs im Senat alle Personen-
fragen durch Cethegus Einfluſs (S. 7) und ähnliche Coterierück-
sichten entschieden wurden. Man hatte ferner versäumt den ge-
wählten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemes-
senen Weise mit Geld und Waffen auszustatten, so daſs er durch
[70]FÜNFTES BUCH. KAPITEL. II.
seine ungeheuren Requisitionen den befreundeten Provinzialen
fast ebenso lästig fiel wie die Corsaren. Die Erfolge waren ent-
sprechend. In den campanischen Gewässern brachte die Flotte
des Antonius zwar eine Anzahl Piratenschiffe auf; aber die Kre-
tenser, die mit den Piraten Freundschaft und Bündniſs gemacht
hatten, wiesen seine Forderung von dieser Gemeinschaft abzu-
lassen schroff zurück. Es kam zum Gefecht und die Ketten, die
Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrath gelegt hatte
um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu
den Quästor und die übrigen römischen Gefangenen an die Ma-
sten der eroberten römischen Schiffe zu schlieſsen, als die ky-
doniatischen Feldherren Lasthenes und Panares aus dem bei
ihrer Insel den Römern gelieferten Seetreffen triumphirend zu-
rückkehrten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen
Kriegführung ungeheure Summen vergeudet und nicht das Ge-
ringste ausgerichtet hatte, starb im J. 683 auf Kreta. Theils der
schlechte Erfolg seiner Expedition, theils die Kostbarkeit des
Flottenbaus, theils der Widerwille der Oligarchie gegen jede um-
fassendere Beamtencompetenz bewirkten, daſs man nach der fac-
tischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius Tod
keinen Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zu-
rückkam jeden Statthalter in seiner Provinz für die Unterdrückung
der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von
Lucullus hergestellte Flotte (S. 52) hiefür im aegaeischen Meer
thätig war. Indeſs mit den Kretern blieb noch abzurechnen; eine
Schmach wie die vor Kydonia erlittene schien doch selbst die-
sem gesunkenen Geschlecht nur durch die Kriegserklärung be-
antwortet werden zu können. Dennoch hätten die kretischen
Gesandten, die im Jahre 684 in Rom mit der Bitte erschienen
die Gefangenen zurücknehmen und das alte Bündniſs wieder her-
stellen zu wollen, fast einen günstigen Senatsbeschluſs erlangt;
was die ganze Corporation eine Schande nannte, das verkaufte
bereitwillig für klingenden Preis der einzelne Senator. Erst nach-
dem ein förmlicher Senatsbeschluſs die Anlehen der kretischen
Gesandten bei den römischen Banquiers klaglos gestellt, das
heiſst nachdem der Senat sich selber in die Unmöglichkeit ver-
setzt hatte sich bestechen zu lassen, beschloſs derselbe, daſs die
kretischen Gemeinden auſser den römischen Ueberläufern die
Urheber des vor Kydonia verübten Frevels, die Führer Lasthe-
nes und Panares den Römern zu geeigneter Bestrafung zu über-
geben, ferner sämmtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr
Rudern auszuliefern, 400 Geiſseln zu stellen und eine Buſse von
[71]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
4000 Talenten (6,900000 Thlr.) zu zahlen hätten, wofern sie
den Krieg zu vermeiden wünschten. Als die Gesandten sich zur
Eingehung solcher Bedingungen nicht bevollmächtigt erklärten,
wurde einer der Consuln des nächsten Jahres bestimmt nach
Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen um dort entwe-
der das Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu
beginnen. Demgemäſs erschien im J. 686 der Proconsul Quin-
tus Metellus in den kretischen Gewässern. Die Gemeinden der
Insel, voran die gröſseren Städte Gortyna, Knossos, Kydonia, wa-
ren entschlossen lieber mit den Waffen sich zu vertheidigen als
jenen übermäſsigen Forderungen sich zu fügen. Die Kretenser
waren ein ruchloses und entartetes Volk (II, 60), mit deren öffent-
licher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war
wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Aetoler; allein sie
glichen den Aetolern wie überhaupt in vielen Stücken so auch in
der Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen
Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die Unabhängigkeit
muthig und ehrenhaft geführt haben. Bei Kydonia, wo Metellus
seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische Armee
von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit ihn zu
empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der
der Sieg nach hartem Kampf den Römern blieb. Allein die Städte
trotzten dem römischen Feldhern nichts desto weniger hinter
ihren Mauern; Metellus muſste sich entschlieſsen eine nach der
andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die Trümmer
der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Bela-
gerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges für sich
selber übergeben. Allein Lasthenes, der aus der Stadt entwichen
war, muſste zum zweiten Mal in Knossos belagert werden, und
da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er
seine Schätze und entschlüpfte abermals dorthin, wo, wie in Ly-
ktos, Eleutherna und anderswo, die Vertheidigung noch fortgesetzt
ward. Zwei Jahre (686. 687) vergingen, bevor Metellus der gan-
zen Insel Herr und damit der letzte Fleck freier griechischer Erde
in die Gewalt der übermächtigen Römer gekommen war; die
kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die
freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt
hatten, sollten auch die letzten von allen jenen einst das Mittelmeer
erfüllenden griechischen Seestaaten sein, die der römischen Con-
tinentalmacht erlagen. Alle Rechtsbedingungen waren erfüllt um
wiederum einen der üblichen nichtigen Triumphe zu feiern; das
Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numi-
[72]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
dischen, dalmatischen, baliarischen Häusern mit gleichem Recht
den neuen Zweig der Kretasieger beifügen und es gab in Rom einen
stolzen Namen mehr. In der That hatte die Macht der Römer
auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Corsaren nie höher gestan-
den als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter
der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sol-
len, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege
spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den mithradatischen
Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen
Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Corsarenstaat zog, ward
bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand
fast nicht minder groſsartige Geschäfte. Fast unter den Augen
der Flotte Luculls überfiel im J. 685 der Pirat Athenodoros die
Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligthümer und Tempe
und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sclaverei. Die In-
sel Lipara bei Sicilien zahlte den Piraten jährlich einen festenl
Tribut, um von ähnlichen Ueberfällen verschont zu bleiben. Ein
anderer Piratenchef Herakleon zerstörte im J. 682 das in Sicilien
gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es mit nicht mehr
als vier offenen Böten in den Hafen von Syrakus einzufahren.
Zwei Jahre später stieg sein College Pyrganion in demselben Ha-
fen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von
dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthal-
ter endlich zwang sich wieder einzuschiffen. Das war man am
Ende nach gerade gewohnt, daſs alle Provinzen Geschwader
ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides
steuerten, und dennoch die Corsaren so regelmäſsig erschie-
nen um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statt-
halter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respectirten
jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten
sie den Tempelschatz der lakinischen Hera mit sich fort; sie lan-
deten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Hä-
fen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen
Offiziere als Gefangene auf, unter anderm den Flottenführer der
kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge,
mit den gefürchteten Beilen und Ruthen selbst und allen Abzei-
chen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die
eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten
römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von
Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Consul befeh-
ligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Rei-
sende auf der appischen Straſse, der vornehme Badegast in dem
[73]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Le-
bens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Ver-
kehr stockte; die entsetzlichste Theurung herrschte in Italien
und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Haupt-
stadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen
über unerträglichen Nothstand; hier dürfte die Bezeichnung
passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restau-
rirte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disciplin über
die Clientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei ge-
übt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere
Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen vielleicht noch
dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des prnvinzialen
und namentlich des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des
Sclavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Alter-
thums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren;
denn Macht und Reichthum des Staats führten unter den beste-
henden Verhältnissen regelmäſsig zu einer unverhältniſsmäſsigen
Vermehrung der Sclavenmenge. Natürlich litt denn auch Rom
darunter schwerer als irgend ein anderer Staat des Alterthums.
Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die
Banden entlaufener Hirten- und Feldsclaven Truppen schicken
müssen. Die unter den italischen Speculanten mehr und mehr
um sich greifende Plantagenwirthschaft hatte das gefährliche
Uebel ins Unendliche gesteigert; in der Zeit der gracchischen
und der marianischen Krise und mit denselben in engem Zu-
sammenhang hatten Sclavenaufstände an zahlreichen Puncten des
römischen Reiches stattgehabt, in Sicilien sogar zu zwei blu-
tigen Kriegen (619—622 und 652—654) sich entwickelt (II,
72—74. 128—131). Aber das Decennium der Restaurations-
herrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die
Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Fest-
land, vor allem in der bisher noch verhältniſsmäſsig leidlich ge-
ordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte
dort kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den min-
der bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich,
Mordthaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sclaven wie
an freien Leuten erging — vielleicht in dieser Epoche — ein be-
sonderer Volkschluſs; gegen gewaltsame Besitzentziehung von
Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage
neu eingeführt. Diese Verbrechen muſsten besonders deſswegen
gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wur-
[74]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
den von dem Proletariat, aber auch die vornehme Classe we-
nigstens durch Connivenz in groſsem Umfang dabei betheiligt
war. Namentlich der Menschen- und der Güterraub wurde
sehr häufig durch die Aufseher der groſsen Güter veranlaſst
und durch die daselbst vereinigten häufig bewaffneten Sclaven-
schaaren ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene
Mann verschmähte nicht, was einer seiner diensteifrigen Scla-
venaufseher so für ihn erwarb wie Mephisto für Faust die Lin-
den Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt die verschärfte
Bestrafung der durch bewaffnete Banden verübten Eigenthums-
frevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus
um das J. 676 verfügte *, mit der ausgesprochenen Absicht die
Eigenthümer der groſsen Sclavenheerden durch die Gefahr sich
dieselben aberkannt zu sehen zu nachdrücklicherer Beaufsichti-
gung derselben anzuhalten. Wo also für Rechnung der vorneh-
men Welt geplündert und gemordet ward, lag es diesen Scla-
ven- und Proletariermassen nahe das gleiche Geschäft für eigene
Rechnung zu betreiben; es genügte ein Funke um den furcht-
baren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat
in eine Insurrectionsarmee zu verwandeln. Diese Veranlassung
fand sich bald. — Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbar-
keiten in Italien jetzt den ersten Rang behaupteten, hatten die
Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich in und um Capua
herbeigeführt, worin diejenigen Sclaven theils aufbewahrt, theils
eingeschult wurden, die bestimmt waren zur Belustigung der sou-
veränen Menge zu tödten oder zu sterben — natürlich groſsen-
theils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen hatten
einst gegen die Römer im Felde gestanden zu haben. Eine An-
zahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuani-
schen Fechterschulen aus (681) und warf sich auf den Vesuv.
An ihrer Spitze standen zwei keltische Männer, die mit ihren
Sclavennamen Krixos und Oenomaos genannt werden, und der
Thraker Spartokos oder wie die Römer ihn nennen Spartacus.
Spartacus, vielleicht ein Spröſsling des edlen in der thrakischen
Heimath wie in Pantikapaeon sogar zu königlichen Ehren gelang-
ten Geschlechts der Spartokiden, hatte zuerst unter den thra-
kischen Hülfstruppen im römischen Heer gedient, war dann de-
sertirt und als Räuber in die Berge gegangen, endlich wieder
[75]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
eingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die
Streifereien dieser kleinen anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe
zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwel-
lenden Schaar wurden den Bewohnern der reichen campanischen
Landschaft bald so lästig, daſs dieselben, nachdem sie vergeb-
lich versucht hatten sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie
Hülfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammen-
geraffte Abtheilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius
Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sclaven-
schaar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer ge-
ringen Zahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung über jähe Ab-
hänge von dem Berg herabzusteigen und die römischen Posten
anzugreifen: als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifel-
ter Männer unvermuthet auf sich eindringen sah, gab sie Fersen-
geld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg ver-
schaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenn gleich
auch jetzt noch ein groſser Theil von ihnen nichts führte als zu-
gespitzte Knittel, so lagerten sie doch schon fast wie ein Kriegs-
heer in der Ebene, als eine neue und stärkere Abtheilung der
römischen Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius
Varinius, von Rom her in Campanien einrückte. Varinius hatte
einen schwierigen Stand. Seine Truppen, genöthigt dem Feind
gegenüber zu bivouakiren, wurden durch die feuchte Herbst-
witterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitge-
nommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feig-
heit und Unbotmäſsigkeit die Reihen der römischen Milizen.
Gleich zu Anfang lief eine seiner Abtheilungen vollständig aus-
einander, so daſs die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptcorps
zurück, sondern geradeswegs nach Hause gingen. Als sodann
der Befehl zum Sturm auf die feindlichen Verschanzungen gege-
ben ward, weigerte sich der gröſste Theil der Milizen ihm Folge
zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die
Stand hielten, gegen die Räuberschaar auf; allein er fand sie nicht
mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen
und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) ge-
wendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht weh-
ren konnte, daſs sie über den Silarus zurückwich in das innere
Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch
dorthin folgte Varinius. Hier endlich stellte der verachtete Feind
sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf
stattfand, waren zum Nachtheil der Römer; die Soldaten, so
ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlu-
[76]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
gen dennoch sich schlecht; Varinius ward völlig besiegt, sein
Pferd und die Insignien seiner Amtswürde geriethen mit dem
römischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise strömten
die süditalischen Sclaven, namentlich die tapferen halbwilden
Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erlöser;
nach den mäſsigsten Angaben schwoll die Zahl der bewaffne-
ten Insurgenten auf 40000 Mann. Campanien, so eben geräumt,
ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter dem Quä-
stor des Varinius Gaius Thoranius zurückgebliebene römische
Corps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Süden und Süd-
westen Italiens war das offene Land in den Händen der siegrei-
reichen Räuberhauptleute; selbst ansehnliche Städte, wie Con-
sentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien,
Nola und Nuceria in Campanien, wurden von ihnen erstürmt und
erlitten alle Gräuel, die siegreiche Barbaren über wehrlose Civi-
lisirte, entfesselte Sclaven über ihre gewesenen Herren zu brin-
gen vermögen. Daſs ein Kampf wie dieser überhaupt rechtlos
und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich leider von
selbst: die Herren schlugen den gefangenen Sclaven von Rechts-
wegen ans Kreuz; diese machten natürlich gleichfalls ihre Gefan-
genen nieder oder zwangen gar in noch höhnischerer Vergeltung
die kriegsgefangenen Römer im Fechtspiel einander selber zu
morden; wie dies später mit dreihundert derselben bei der Lei-
chenfeier eines im Kampfe gefallenen Räuberhauptmannes ge-
schah. In Rom war man mit Recht in Besorgniſs über den im-
mer weiter um sich greifenden verheerenden Brand. Es ward
beschlossen das nächste Jahr (682) beide Consuln gegen die
furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der That gelang es
dem Prätor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Consuls
Lucius Gellius, den keltischen Haufen, der unter Krixos von der
Masse des Räuberheers sich gesondert hatte und auf eigene Hand
brandschatzte, in Apulien am Garganus zu fassen und zu ver-
nichten. Aber um so glänzendere Siege erfocht Spartacus im
Apennin und im nördlichen Italien, wo der Consul Gnaeus Len-
tulus, während er die Räuber zu umzingeln und aufzuheben ver-
meinte, sodann sein College Gellius und der so eben noch sieg-
reiche Prätor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des dies-
seitigen Gallien Gaius Cassius (Consul 681) und der Prätor
Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen.
Die kaum bewaffneten Sclavenrotten waren das Schrecken der
Legionen; die Kette der Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre
des hannibalischen Krieges. Was hätte kommen mögen, wenn
[77]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
nicht entlaufene Fechtersclaven, sondern die Volkskönige aus den
Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegrei-
chen Schaaren gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Be-
wegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räu-
beraufstand und unterlag weniger den Anstrengungen ihrer Geg-
ner als der eigenen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit
gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sicili-
schen Sclavenkriegen in so bemerkenswerther Weise hervorge-
treten war, ward in diesem italischen vermiſst; wovon wohl die
Ursache darin zu suchen ist, daſs die sicilischen Sclaven in dem
gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Eini-
gungspunct fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen
der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die
Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spar-
tacus — Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte ge-
fallen — und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errun-
genen Erfolge und gewährte den Römern manchen wichtigen
Sieg. Aber noch weit nachtheiliger als die keltisch-germani-
sche Unbotmäſsigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel
eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach
dem Wenigen zu schlieſsen, was wir von dem seltenen Mann
erfahren, hierin über seiner Partei. Er verrieth neben seinem
strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn
gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schaar
vorstand und die Beute vertheilte, wenigstens ebenso sehr wie
seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um
dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhel-
fen, versuchte er mit Hülfe der in Unteritalien aufgegriffenen
Pferdeheerden sich eine Cavallerie zu schulen und zu disciplini-
ren und so wie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam,
von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittelung
der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen ver-
mochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf
feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchana-
lien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenom-
menen Städten sich gestatteten, und die die hauptsächliche Ur-
sache waren, weſshalb keine italische Stadt freiwillig mit den In-
surgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam,
den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege
auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach
den im Apennin 682 erfochtenen Siegen stand dem Sieger nach
jeder Richtung hin der Weg offen. Spartacus selbst soll be-
[78]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
absichtigt haben die Alpen zu überschreiten, um sich und den
Seinigen die Wege in ihre keltische oder thrakische Heimath zu
öffnen; wenn der Bericht gegründet ist, so zeigt er, wie wenig
der Sieger seine Erfolge und seine Macht überschätzte. Da die
Mannschaft sich weigerte dem reichen Italien so rasch den
Rücken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein
und soll daran gedacht haben die Hauptstadt zu blokiren. Indeſs
auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmäſsigen Beginnen
zeigten die Schaaren sich abgeneigt; sie zwangen ihren Führer,
da er Feldherr sein wollte, Räuberhauptmann zu bleiben und ziel-
los weiter in Italien auf Plünderung umherzuziehen. Rom mochte
sich glücklich preisen, daſs es also kam; auch so aber war guter
Rath theuer. Es fehlte an geübten Soldaten wie an erprobten
Offizieren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in
Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Klein-
asien beschäftigt und zur Verfügung standen nur rohe Milizen und
höchstens mittelmäſsige Offiziere. Man bekleidete mit dem auſser-
ordentlichen Oberbefehl in Italien den Prätor Marcus Crassus,
der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit
Ehren gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm
eine wenn nicht durch ihre Qualität, doch durch ihre Zahl im-
ponirende Armee von acht Legionen zur Verfügung. Der neue
Oberfeldherr begann damit die erste Abtheilung, die wieder mit
Wegwerfung ihrer Waffen vor den Räubern davonlief, nach der
ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten
Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der That die Legio-
nen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in
dem nächsten Gefecht besiegt, zog sich zurück und suchte durch
Lucanien nach Rhegion zu gelangen. Eben damals beherrschten
die Piraten nicht bloſs die sicilischen Gewässer, sondern selbst den
Hafen von Syrakus (S. 72); mit Hülfe ihrer Böte gedachte Spar-
tacus ein Corps nach Sicilien zu werfen, wo die Sclaven nur auf
einen Anstoſs warteten, um zum dritten Mal loszuschlagen. Der
Marsch nach Rhegion gelang; allein die Corsaren, vielleicht ge-
schreckt durch die von dem Prätor Gaius Verres eingerichteten
sicilischen Strandwachen, vielleicht auch von den Römern be-
stochen, nahmen den mit Spartacus bedungenen Lohn, ohne ihm
die Gegenleistung dafür zu gewähren. Crassus inzwischen war
dem Räuberheer bis etwa an die Krathismündung gefolgt und
lieſs, ähnlich wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie
nicht schlugen wie sie sollten, einen festungsähnlich verschanzten
Wall in der Länge von sieben deutschen Meilen aufführen, der die
[79]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
bruttische Halbinsel von dem übrigen Italien absperrte* und
dem von Rhegion rückkehrenden Insurgentenheer den Weg ver-
legte und die Zufuhr abschnitt. Indeſs in einer dunklen Winter-
nacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien und stand im
Frühjahr 683** wieder in Lucanien. Das mühsame Werk war
also vergebens gewesen. Crassus fing an an der Lösung seiner
Aufgabe zu verzweifeln und forderte vom Senat, daſs er die in
Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter
Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstützung nach
Italien berufe. Es bedurfte indeſs dieses äuſsersten Nothschrit-
tes nicht; die Uneinigkeit und der Uebermuth der Räuberhaufen
genügten um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals lösten
sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt
und Seele der Thraker war, um unter Führern ihrer eigenen Na-
tion, Gannicus und Castus sich vereinzelt den Römern ans Mes-
ser zu liefern. Einmal, am lucanischen See, rettete sie Spartacus
rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager
nahe bei dem seinigen, aber dennoch gelang es Crassus Spar-
tacus durch die Reiterei zu beschäftigen und indessen die kelti-
schen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen,
in welchem sie sämmtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer käm-
pfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn.
Spartacus versuchte darauf sich mit seiner Abtheilung in die
Berge um Petelia (bei Strongoli in Calabrien) zu werfen und
schlug nachdrücklich die römische Vorhut, die dem Weichenden
folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem
Besiegten zum Nachtheil. Berauscht von dem Erfolg weigerten
sich die Räuber weiter zurückzuweichen und nöthigten ihren
Feldherrn sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten ent-
scheidenden Kampf entgegen zu führen. Vor der Schlacht stieſs
Spartacus sein Roſs nieder; wie er im Glück und im Unglück
treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt
durch die That, daſs es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder
Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Muth des Löwen:
[80]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die
Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden
Feinde; der groſse Räuberhauptmann und mit ihm die besten
seiner Gesellen starben den Tod freier Männer und ehrlicher
Soldaten (683). Nach dem theuer erkauften Siege ward von
den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius,
die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien
eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Men-
schenhatze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war und
überall die letzten Funken des gewaltigen Brandes zertreten. Die
schmachvoll verlorenen Adler waren also wieder gewonnen —
allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein.
Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das
Städtchen Tempsa 683 von einer Räuberschaar eingenommen
ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betrof-
fenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich ein-
fand, galt doch derselbe officiell als in Italien wiederhergestellt;
und wenigstens zeugten längs der Straſse von Capua nach Rom
die sechstausend Kreuze, die gefangene Sclaven trugen, von der
neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des aner-
kannten Rechts über das rebellirende lebendige Eigen.
Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Decennium
der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige den Le-
bensnerv der Nation nothwendig berührende Gefahr hatte nir-
gends weder im Innern noch im Aeuſsern sich hervorgethan;
weder in der Insurrection des Lepidus noch in den Emigran-
tenhaufen und Guerillaschaaren des Sertorius noch in den thra-
kisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen noch in den
Piraten- und Sclavenaufständen lag eine solche enthalten; und
dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Exi-
stenz gefochten. Die Ursache war, daſs die Aufgaben, so lange
sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben;
die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaſsregeln erzeugte
die entsetzlichsten Miſsstände und Unglücksfälle und schuf ab-
hängige Klassen und machtlose Reiche in ebenbürtige Gegner um.
Die Demokratie zwar und die Sclaveninsurrection hatte man be-
siegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder
innerlich gehoben noch äuſserlich gekräftigt. Es war keine Ehre,
daſs die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in
einem achtjährigen mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten
Kampfe des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen
Guerillas nicht Herr geworden waren, daſs erst der Mordstahl sei-
[81]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
ner Freunde den sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen
Regierung entschieden hatte. Die Sclaven nun gar war es viel
weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande ihnen jahrelang in
gleichem Kampfe gegenüber gestanden zu haben. Wenig mehr
als ein Jahrhundert war seit dem hannibalischen Kriege verflos-
sen; es muſste dem ehrbaren Römer das Blut in die Wangen
treiben, wenn er den furchtbar raschen Rückschritt der Nation seit
jener groſsen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sclaven
wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt stäubte die ita-
lische Landwehr vor den Knitteln ihrer entlaufenen Knechte wie
Spreu aus einander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall
der Noth den Feldherrn und focht wo nicht immer mit Glück,
doch immer mit Ehren; jetzt hielt es hart unter all den vorneh-
men Offizieren nur einen Führer von gewöhnlicher Brauchbarkeit
zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den letzten Bauer
vom Pflug, als daſs sie darauf verzichtet hätte Griechenland und
Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran beide längst
erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der auf-
ständischen Knechte sich erwehren zu können. Auch Spartacus
hatte so gut wie Hannibal vom Po bis an die sicilische Meerenge
Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Consuln geschlagen
und Rom mit der Blokade bedroht; wozu es gegen das damalige
Rom des gröſsten Feldherrn des Alterthums bedurft hatte, das ver-
mochte gegen das jetzige ein kecker Räuberhauptmann. War es ein
Wunder, daſs solchen Siegen über Insurgenten und Räuberhaupt-
leute kein frisches Leben entkeimte? — Ein noch minder erfreu-
liches Ergebniſs aber hatten die äuſseren Kriege herausgestellt.
Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn auch kein dem
ansehnlichen Aufwand von Menschen und Geld entsprechendes,
doch auch kein positiv ungünstiges Resultat gegeben. Dagegen
in dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hätte die Regie-
rung vollständigen Bankerott gemacht. Jener schloſs ab mit dem
Verlust der gesammten in acht blutigen Feldzügen gemachten Er-
oberungen, dieser mit der vollständigen Verdrängung der Römer
von ‚ihrem Meer‘. Einst hatte Rom im Vollgefühl der Unwider-
stehlichkeit seiner Landmacht dies Uebergewicht auch auf das
zweite Element übertragen; jetzt war der gewaltige Staat zur See
ohnmächtig und wie es schien im Begriff auch wenigstens über
den asiatischen Continent die Herrschaft einzubüſsen. Die mate-
riellen Wohlthaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Gren-
zen, ungestörter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete
Verwaltung fingen an alle mit einander den sämmtlichen im rö-
Röm. Gesch. III. 6
[82]FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
mischen Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die seg-
nenden Götter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein
und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilli-
gen Plünderern und Peinigern überlassen zu haben. Dieser Verfall
des Staats ward nicht etwa bloſs von dem, der politische Rechte
und Bürgersinn hatte, als ein öffentliches Unglück empfunden,
sondern die Proletariatsinsurrection und die an die Zeiten der nea-
politanischen Ferdinande erinnernde Räuber- und Piratenwirth-
schaft trugen das Gefühl davon in das entlegenste Thal, in die
niedrigste Hütte Italiens, lieſsen es jeden, der Handel und Ver-
kehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persönlichen
Nothstand empfinden. — Wenn nach den Urhebern dieses heil-
losen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht
schwer mit gutem Recht gar Viele deſshalb anzuklagen. Die Scla-
venwirthe, deren Herz im Geldbeutel saſs, die unbotmäſsigen Sol-
daten, die bald feigen, bald unfähigen, bald tollkühnen Generale,
die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes
trugen ihren Theil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an der-
selben nicht mit? Die groſse Majorität der Bürgerschaft taugte
nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des
ganzen Gebäudes; es büſste die ganze Nation, was die ganze Na-
tion verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung
als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats für alle heilbaren
und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte;
aber es war doch so viel wahr, daſs die Regierung in furchtbar
schwerer Weise mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In-
stinctmäſsig ward es empfunden, daſs die Ursache des Nothstan-
des nicht in dem Verhalten Einzelner liege. In dem kleinasiati-
schen Kriege namentlich hatte kein einzelner der regierenden
Herren sich in hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar
militärisch wenigstens tadellos, ja glorreich sich geführt; nur um
so deutlicher ward es deſshalb erkannt, daſs die Schuld des Miſs-
lingens in dem System und in der Regierung als solcher, hier
zunächst in dem schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens
durch den Senat lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat
den einmal gefaſsten richtigen Gedanken einer allgemeinen Pira-
tenjagd erst in der Ausführung verdorben und dann ihn gänzlich
fallen lassen, um zu dem thörichten System zurückzukehren, das
gegen die Rosse des Meeres Legionen sandte. Nach diesem Sy-
stem wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius
nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach die-
sem lieſs Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten
[83]DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
mit einer Mauer umziehen. Man wird durch diese Versuche der
Seeherrschaft sich zu versichern an den persischen Groſskönig
erinnert, der das Meer mit Ruthen peitschen lieſs, um es sich
unterthänig zu machen. Wohl hatte die Nation guten Grund
ihren Bankerott der Restaurationsregierung zur Last zu legen.
Immer schon war mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein
ähnliches Miſsregiment gekommen, nach dem Sturz der Gracchen
wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam
und zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich
war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn eine Regierung so wie
diese nicht regieren kann, hört sie auf legitim zu sein und es hat
wer die Macht, auch das Recht sie zu stürzen. Zwar ist es leider
wahr, daſs eine unfähige und verbrecherische Regierung lange
Zeit das Wohl und die Ehre des Landes mit Füſsen zu treten
vermag, bevor die Männer sich finden, welche die furchtbaren
Waffen, die sie selber gegen sich geschmiedet, regieren und aus
der sittlichen Empörung der Tüchtigen und dem Nothstande der
Vielen die in solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwören
können und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Glücke der
Völker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch unge-
stört gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tückisches,
das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und Niemand schilt
dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Früchte trägt, sich
an die Wurzel legt. Für die römische Oligarchie war diese Zeit
jetzt gekommen. Der pontisch-armenische Krieg und die Pira-
tenangelegenheit wurden die nächsten Ursachen zum Umsturz
der sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutio-
nären Militärdictatur.
6*
[[84]]
KAPITEL III.
Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius.
Noch stand die sullanische Verfassung unerschüttert. Der
Sturm, den Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war
mit Erfolg zurückgeschlagen worden. Das halb fertige Gebäude
in dem energischen Geiste seines Urhebers auszubauen hatte die
Regierung freilich versäumt. Es zeichnet sie, daſs sie die von
Sulla zur Vertheilung bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst
parzelirten Ländereien weder auftheilte noch auch den Anspruch
auf dieselben geradezu aufgab, sondern die früheren Eigenthü-
mer ohne Regulirung des Titels vorläufig im Besitze duldete,
auch wohl manche noch unvertheilte Strecke sullanischen Do-
maniallandes gar von einzelnen Personen nach dem alten durch
die gracchischen Reformen rechtlich und factisch beseitigten
Occupationssystem willkürlich in Besitz nehmen lieſs (II, 331).
Was den Optimaten unter den sullanischen Bestimmungen gleich-
gültig oder unbequem war, wurde ohne Bedenken ignorirt oder
cassirt; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene Aberken-
nung des Staatsbürgerrechts; so das Verbot der Zusammenschla-
gung der neuen Bauerstellen; so manche der von Sulla einzelnen
Gemeinden ertheilten Freibriefe, natürlich ohne daſs die für diese
Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurückgegeben
wurden. Aber diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch
die Regierung selbst, obwohl auch sie dazu beitrugen die Fun-
damente seines Gebäudes zu erschüttern, arbeiteten doch nur
mittelbar der Gegenpartei in die Hände. Die sempronischen Ge-
setze waren und blieben abgeschafft.
[85]STURZ DER OLIGARCHIE.
Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung
der gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Ent-
würfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revo-
lution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungs-
mäſsiger Reformen zu erreichen. Die Erneuerung der Getreide-
spenden, die Wiederherstellung der tribunicischen Gewalt in
ihrem alten Umfang, die Beseitigung der senatorischen Gerichte
hörten nie auf die Gegenstände popularer Agitation zu bilden.
Zuerst gab die Regierung in der Wiederherstellung der Getreide-
vertheilungen nach, die in Folge der hohen hauptsächlich durch
die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise von der Bürgerschaft
immer ungestümer gefordert ward. Bereits 679 wurden, nach-
dem es wegen der Brottheuerung in Rom zu einem heftigen Stras-
senauflauf gekommen war, auſserordentliche Getreidekäufe in Si-
cilien für Rechnung der Regierung veranstaltet, um der Noth ab-
zuhelfen. Aber schon im J. 681 gewährte der Senat eine be-
schränkte Erneuerung des sempronischen Getreidegesetzes. Die
Consuln Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus
brachten einen Vorschlag ein, wonach nicht wie nach dem sem-
pronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Zahl — es
scheint 40000 — der ärmeren Bürger die früheren Spenden, wie
sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den
Preis von 6⅓ Assen (3½ Gr.) empfangen sollten — eine Bestim-
mung, aus der dem Aerar ein jährlicher Nettoverlust von minde-
stens 3 Mill. Thlrn. erwuchs.* — Nachdrücklicheren Widerstand
leistete die Regierung in dem Streit um die tribunicische Gewalt
und um die Geschwornenstellen. Jenen eröffnete schon 678, un-
mittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lu-
cius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Man-
nes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt be-
[86]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
kleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der
rührige Consul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im J. 680 nahm
Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, lieſs sich aber durch
die Autorität des Consuls Lucius Lucullus bestimmen von seinem
Vorhaben abzustehen. Mit gröſserem Eifer trat das Jahr darauf
in seine Fuſsstapfen Gaius Licinius Macer, der — bezeichnend
für die Zeit — in das öffentliche Leben seine litterarischen Stu-
dien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bür-
gerschaft anrieth die Conscription zu verweigern. — Auch über
die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatori-
schen Geschwornen wurden bald nur zu wohl begründete Be-
schwerden laut. Die Verurtheilung eines einigermaſsen einfluſs-
reichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloſs em-
pfand der College mit dem Collegen, der gewesene oder künftige
Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid;
auch die Käuflichkeit der Geschwornenstimmen war kaum noch
eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Ver-
brechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies
man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Ca-
tulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daſs die Be-
schwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders ecla-
tante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im J. 680,
über Maſsregeln gegen die Feilheit der Geschwornen zu delibe-
riren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte
und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Fol-
gen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem
System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, womit
verglichen selbst die bisherigen Frevel als erträglich und gemäs-
sigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaſsen
durch Gewohnheit legitim geworden und die Erpressungscom-
mission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien
heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen
Collegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil
er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bie-
ten wollen, dafür von diesem abwesend zum Tode verurtheilt
ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Se-
natoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den
Ruthen und Beilen des römischen Vogts [und] die älteste Errun-
genschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes
und Lebens von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füs-
sen getreten zu werden: da hatte auch das Publicum auf dem
römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte
[87]STURZ DER OLIGARCHIE.
in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche
Unthaten moralisch mit verschuldeten. Die Opposition unterlieſs
es natürlich nicht auf dem fast allein ihr übrig gebliebenen Ter-
rain, dem gerichtlichen ihre Gegner anzugreifen. So zog der
junge Gaius Caesar, der auch, so weit sein Alter es gestattete,
sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunici-
schen Gewalt eifrig betheiligte, im J. 677 einen der angesehen-
sten sullanischen Parteimänner, den Consular Gnaeus Dolabella
und im folgenden Jahr einen andern sullanischen Offizier Gaius
Antonius vor Gericht; so Marcus Cicero 684 den Gaius Verres,
eine der elendesten unter den Creaturen Sullas und eine der
schlimmsten Geiſseln der Provinzialen. Wieder und wieder wur-
den die Bilder jener finstern Zeit der Aechtungen, die entsetz-
lichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der rö-
mischen Criminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhe-
torik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versam-
melten Menge entfaltet und der gewaltige Todte so wie seine le-
benden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preis-
gegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunicischen Gewalt,
an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der
Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien,
die Wiedereinführung der ‚strengen‘ Gerichte der Ritterschaft,
die Erneuerung der von Sulla beseitigten Censur zur Reinigung
der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Ele-
menten wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der
Volkspartei gefordert.
Indeſs mit alle dem kam man nicht weiter. Es gab Scandal
und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daſs
man die Regierung nach und über Verdienst prostituirte, doch
noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch,
so lange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der
hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies ‚Volk‘, das in den Gas-
sen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze
machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat.
Zwar muſste die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren
eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der
Erneuerung des sempronischen Korngesetzes. Allein daran war
nicht zu denken, daſs diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar
um einer zweckmäſsigen Reform willen Ernst gemacht hätte.
Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was De-
mosthenes von seinen Athenern sagte: daſs die Leute gar eifrig
thäten, so lange sie um die Rednerbühne ständen und die Vor-
[88]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
schläge zu Reformen vernähmen; aber wenn sie nach Hause ge-
kommen seien, denke keiner weiter an das, was er auf dem Markte
gehört habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die Flam-
men schürten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die
Regierung wuſste dies und lieſs in den wichtigen Principienfra-
gen sich keinerlei Zugeständniſs entreiſsen; höchstens daſs sie
sich dazu verstand um 682 einem Theil der mit Lepidus land-
flüchtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von
Concessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Drängen der
Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der ge-
mäſsigten Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der
einzige noch übrige Führer dieser Fraction Gaius Cotta in sei-
nem Consulat 679 durchsetzte, wurde das die Gerichte betref-
fende schon im nächsten Jahre wieder beseitigt, und auch das
zweite, welches die sullanische Bestimmung aufhob, daſs die Be-
kleidung des Tribunats zur Uebernahme anderer Magistraturen
unfähig mache, die übrigen Beschränkungen aber bestehen lieſs,
erregte wie jede halbe Maſsregel nur den Unwillen beider Par-
teien. Die Partei der reformistisch gesinnten Conservativen, die
durch Cottas bald nachher (um 681) erfolgten frühen Tod ihr
namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst
zusammen, erdrückt zwischen den immer schroffer hervortreten-
den Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der Regierung,
schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und gleich
schlaffen Opposition gegenüber nothwendig im Vortheil.
Aber dies der Regierung so günstige Verhältniſs änderte
sich, als die Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Par-
teigänger sich schärfer entwickelten, deren Hoffnungen über den
Ehrensitz in der Curie und das aristokratische Landhaus hinaus
zu höheren Zielen sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus
Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist früher gezeigt wor-
den (S. 11), wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zu-
rechtfand, wie von der Nobilität, als deren Schild und Schwert
er officiell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine Ver-
gangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon
klaffende Riſs hatte während der spanischen Feldzüge (677—
683) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb
gezwungen hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter
Quintus Metellus als Collegen beigesellt; und wieder er beschul-
digte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es lieder-
liche, sei es böswillige Vernachlässigung der spanischen Armeen
deren Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition
[89]STURZ DER OLIGARCHIE.
aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam er zurück als Sieger über
die offenen wie über die heimlichen Feinde, an der Spitze eines
krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, für seine Sol-
daten Landanweisungen begehrend, für sich Triumph und Con-
sulat. Die letzteren Forderungen verstieſsen gegen das Gesetz.
Pompeius, obwohl mehrmals schon auſserordentlicher Weise mit
der höchsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein ordentliches
Amt, nicht einmal die Quästur verwaltet und war noch immer
nicht Mitglied des Raths; und Consul durfte nur werden, wer
die Staffel der geringeren ordentlichen Aemter durchmessen,
triumphiren nur, wer die ordentliche höchste Gewalt bekleidet
hatte. Der Senat war gesetzlich befugt ihn, wenn er um das Con-
sulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quästur zu ver-
weisen, wenn er den Triumph erbat, ihn an den groſsen Scipio
zu erinnern, der unter ganz gleichen Verhältnissen auf den Tri-
umph über das eroberte Spanien verzichtet hatte. Nicht min-
der hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versproche-
nen Domänen ab von dem guten Willen des Senats. Indeſs wenn
auch der Senat, wie es bei seiner Schwächlichkeit auch im Grol-
len wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen Feld-
herrn für den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergen-
dienst den Triumph, das Consulat, die Landanweisungen zuge-
stand, so war doch eine ehrenvolle Annullirung in rathsherrli-
cher Indolenz unter der langen Reihe der friedlichen senatori-
schen Imperatoren das günstigste Loos, das die Oligarchie dem
sechsunddreiſsigjährigen Feldherrn darzubieten über sich ge-
winnen konnte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das
Commando im mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat be-
willigt zu erhalten, konnte er nimmer erwarten; die im Osten
reichlich und bequem zu pflückenden Lorbeeren blieben auf jeden
Fall der reinen Aristokratie reservirt. Sah sich also der gefeierte
General gedrängt von der herrschenden Oligarchie abzufallen, so
blieb ihm nur die Wahl entweder auf eigene Hand als Gewalt-
haber aufzutreten oder mit der demokratischen Partei gemein-
schaftliche Sache zu machen. Es kann hier unerörtert bleiben,
ob er im Stande war die Prätendentenrolle auf eigene Hand
durchzuführen oder ob er in diesem Fall geendet haben würde,
wie so eben Lepidus und Sertorius geendet hatten; sein ganzes
Naturell machte einen solchen kecken und entschiedenen Ent-
schluſs ihm ein- für allemal unmöglich. Dagegen der Demokra-
tie sich in die Arme zu werfen hinderte ihn nichts; ein eigenes
Interesse an dem Fortbestand der sullanischen Verfassung hatte
[90]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
er nicht, sondern konnte seine persönlichen Zwecke auch inner-
halb einer mehr demokratischen ebenso gut, wo nicht besser
verfolgen. Dagegen fand er alles was er brauchte bei der demo-
kratischen Partei. Die thätigen und gewandten Führer derselben
waren bereit und fähig dem unbehülflichen und etwas hölzernen
Helden die mühselige politische Leitung abzunehmen, und doch
viel zu gering um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und
namentlich die militärische Oberleitung streitig machen zu kön-
nen oder auch nur zu wollen. Selbst der weitaus bedeutendste
von ihnen, Gaius Caesar war nichts als ein junger Mensch, dem
mehr noch als seine feurige demokratische Beredsamkeit seine
dreisten Fahrten und eleganten Schulden einen Namen gemacht
hatten und der sich sehr geehrt fühlen muſste, wenn der welt-
berühmte Imperator ihm gestattete sein politischer Adjutant zu
sein. Die Popularität, auf welche Menschen wie Pompeius, von
gröſseren Ansprüchen als Fähigkeiten, mehr Werth zu legen pfle-
gen als sie gern sich selber gestehen, muſste im höchsten Maſs
dem jungen General zu Theil werden, dessen Uebertritt der fast
verlorenen Sache der Demokratie den Sieg gab. Der von ihm
für sich und seine Soldaten geforderte Siegeslohn fand damit
sich von selbst. Ueberhaupt schien, wenn die Oligarchie ge-
stürzt ward, bei dem gänzlichen Mangel anderer ansehnlicher
Oppositionshäupter es nur von Pompeius abzuhängen sich seine
weitere Stellung selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum
gezweifelt werden, daſs der Uebertritt des Feldherrn der so
eben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien
geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei
den Sturz der bestehenden Ordnung zur Folge haben müsse.
Regierung und Opposition waren gleich machtlos; so wie die
letztere nicht mehr bloſs mit Declamationen focht, sondern das
Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war ihren Forderun-
gen Nachdruck zu geben, war die Regierung, vielleicht sogar
ohne Kampf, überwunden.
So sah man von beiden Seiten sich gedrängt zur Coalition.
An persönlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht
fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die Straſsenredner un-
möglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo und
Brutus mit Freuden als ihr Haupt begrüſsen; indeſs die poli-
tische Nothwendigkeit überwog, wenigstens für den Augenblick,
jedes sittliche Bedenken. Aber die Demokraten und Pompeius
schlossen ihren Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in
einer ähnlichen Lage wie Pompeius. — Obwohl Sullaner wie
[91]STURZ DER OLIGARCHIE.
dieser, war doch auch seine Politik ganz wie die des Pompeius
vor allem eine persönliche und durchaus nicht die der herr-
schenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der
Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er so
eben den Sclavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm
die Wahl entweder gegen die Coalition mit der Oligarchie sich zu
verbünden oder in die Coalition einzutreten; er wählte den letz-
teren und damit ohne Zweifel den sichreren Weg. Bei seinem
colossalen Vermögen und seinem Einfluſs auf die hauptstädti-
schen Clubs war er überhaupt ein schätzbarer Bundesgenosse;
unter den obwaltenden Umständen aber war es ein unberechen-
barer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat
den Truppen des Pompeius hätte begegnen könuen, der angrei-
fenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten überdies, denen
bei der Allianz mit dem übermächtigen Feldherrn nicht wohl zu
Muthe sein mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm
ein Gegengewicht und vielleicht einen künftigen Rivalen zur Seite
gestellt. — So kam im Sommer des J. 683 die erste Coalition
zu Stande zwischen der Demokratie einer- und den beiden sul-
lanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus an-
dererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie
zu dem ihrigen; es ward ihnen dafür zunächst das Consulat auf
das kommende Jahr, Pompeius überdies der Triumph und die
begehrten Landloose für seine Soldaten, Crassus als dem Ueber-
winder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Ein-
zugs in die Hauptstadt zugesichert. — Den beiden italischen Ar-
meen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum Sturz
der sullanischen Verfassung verbündet [auftraten], hatte der Senat
nichts gegenüberzustellen. Wäre Quintus Metellus Pius ein zwei-
ter Sulla gewesen, so hätte er das zweite spanische Heer zum
Schutz der bestehenden Verfassung gegen Pompeius und Crassus
geführt; allein derselbe, durchaus nicht begehrend sich in einen
Bürgerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Ueberschreitung der
Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts
übrig als in das Unvermeidliche sich zu fügen. Der Rath bewil-
ligte die für Consulat und Triumph erforderlichen Dispensatio-
nen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden,
zu Consuln für das J. 684 gewählt, während ihre Heere, angeb-
lich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch
vor dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in
einer von dem Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehalte-
nen Volksversammlung sich öffentlich und förmlich zu dem de-
[92]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
mokratischen Programm. Die Verfassungsänderung war damit
im Princip entschieden.
Alles Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullani-
schen Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunicische
Amt wieder seine frühere Geltung. Pompeius selbst als Consul
brachte das Gesetz ein, das den Volkstribunen ihre althergebrach-
ten Befugnisse, namentlich auch die legislatorische Initiative zu-
rückgab — freilich eine seltsame Gabe aus der Hand des Mannes,
der mehr als irgend ein Lebender dazu gethan hatte die alte Ver-
fassung zu zertrümmern. — Hinsichtlich der Geschwornenstellen
wurde die Bestimmung Sullas, daſs das Verzeichniſs der Senato-
ren als Geschwornenliste dienen solle, zwar abgeschafft; allein
es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung
der gracchischen Rittergerichte. Künftig, so bestimmte das neue
aurelische Gesetz, sollten die Geschwornencollegien zu einem
Drittheil aus Senatoren bestehen, zu zwei Drittheilen aus Männern
vom Rittercensus, von welchen letzteren wieder die Hälfte die
Districtvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat be-
kleidet haben muſste. Es war diese letzte Neuerung eine weitere
den Demokraten gemachte Concession, indem hienach wenigstens
der dritte Theil der Criminalgeschwornen, ähnlich wie die Ci-
vilgeschwornen des Gerichtshofs der hundert Männer, mittelbar
hervorging aus den Wahlen der Districte. Wenn dagegen der
Senat nicht gänzlich aus den Gerichten verdrängt ward, so ist
die Ursache davon wahrscheinlich theils in Crassus Beziehungen
zum Senat zu suchen, theils in dem Beitritt der senatorischen
Mittelpartei zu der Coalition, mit dem es auch wohl zusammen-
hängt, daſs der Bruder ihres kürzlich verstorbenen Führers, der
Prätor Lucius Cotta dies Gesetz einbrachte. — Nicht weniger
wichtig war die Beseitigung der für Asien von Sulla festgesetzten
Steuerordnung (II, 333), welche vermuthlich ebenfalls in dies
Jahr fällt; der damalige Statthalter Asiens Lucius Lucullus ward
angewiesen das von Gaius Gracchus eingeführte Verpachtungs-
system wieder herzustellen und damit der hohen Finanz ihre
frühere Stellung zurückgegeben. — Endlich zur Erneuerung der
Censur bedurfte es eines neuen Gesetzes nicht, da dies Amt nicht
förmlich abgeschafft worden war, sondern nur der Anordnung
der Wahlen, welche denn auch die neuen Consuln kurz nach An-
tritt ihres Amtes anberaumten. Sie fielen, in offenbarer Verhöh-
nung des Senats, auf die beiden Consuln des J. 682 Gnaeus Len-
tulus Clodianus und Lucius Gellius, die wegen ihrer elenden Krieg-
führung gegen Spartacus (S. 72) durch den Senat vom Com-
[93]STURZ DER OLIGARCHIE.
mando entfernt worden waren. Es begreift sich, daſs diese Män-
ner alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen an die
Hand gab, in Bewegung setzten um den neuen Machthabern zu
huldigen und den Senat zu ärgern. Mindestens der achte Theil
des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhörte
Zahl wurden von der Liste gestrichen, darunter der einst von
Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius (S. 87)
und der Consul des J. 683 Publius Lentulus Sura, vermuthlich
auch nicht wenige der verhaſstesten Creaturen Sullas.
So war man mit dem J. 684 wieder im Wesentlichen zu-
rückgekommen auf die Institutionen der Zeit vor der sullanischen
Restauration. Wieder ward die hauptstädtische Menge aus der
Staatskasse, das heiſst von den Provinzen gespeist; wieder gab
die tribunicische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Frei-
brief die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der
Geldadel neben der Regierung als Inhaber der Steuerpachtungen
und der gerichtlichen Controle über die Statthalter so mächtig
wie nur je zuvor sein Haupt; wieder zitterte der Senat vor dem
Verdict der Geschwornen des Ritterstandes und vor der censori-
schen Rüge. Das System Sullas, das auf die politische Vernich-
tung der kaufmännischen Aristokratie und der Demagogie die
Alleinherrschaft der Nobilität begründet hatte, war damit voll-
ständig über den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen
untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst später
nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurückgabe des Selbst-
ergänzungsrechts an die Priestercollegien (II, 335), blieb von
Sullas allgemeinen Ordnungen hienach nichts übrig als theils die
Concessionen, die er selbst der Opposition zu machen nothwen-
dig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des römi-
schen Bürgerrechts der sämmtlichen Italiker, theils Verfügungen
ohne schroffe Parteitendenz, an denen deſshalb auch die ver-
ständigen Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter an-
derm die Beschränkungen der Freigelassenen und die materiellen
Aenderungen im Criminalrecht. — Weit bedenklicher als diese
principiellen waren die persönlichen Fragen, die die Staatsum-
wälzung von 684 nach sich zog. Begreiflicher Weise lieſsen die
Demokraten sich nicht genügen mit der allgemeinen Anerkennung
ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restau-
ration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer
Todten, Bestrafung der Mörder, Rückberufung der Geächteten
aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden
politischen Zurücksetzung, Rückgabe der von Sulla eingezogenen
[94]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Güter, Schadensersatz aus dem Vermögen der Erben und Gehül-
fen des Dictators. Es waren das allerdings die logischen Con-
sequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich erga-
ben; allein der Sieg der Coalition von 683 war doch weit entfernt
ein solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und
das Programm, die übergetretenen Offiziere aber, vor allem Pom-
peius, die Macht und die Vollendung; und nun- und nimmermehr
konnten diese zu Maſsregeln ihre Zustimmung geben, die nicht
bloſs die bestehenden Verhältnisse bis in ihre Grundfesten er-
schüttert, sondern auch schlieſslich sich gegen sie selbst gewandt
haben würden — war es doch noch im frischen Andenken, wel-
cher Männer Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem
ungeheuren Vermögen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl
erklärlich, aber auch zugleich bezeichnend für die Schwäche der
Demokraten, daſs die Coalition von 683 nicht das Geringste that
um den Demokraten Rache oder auch nur Rehabilitation zu ge-
währen. Die nachträgliche Einforderung aller der für erstandene
confiscirte Güter noch rückständigen oder auch von Sulla den
Käufern erlassenen Kaufgelder, welche der Censor Lentulus in
einem besonderen Gesetz feststellte, kann kaum als Ausnahme
bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner da-
durch in ihren persönlichen Interessen empfindlich verletzt wur-
den, so war doch die Maſsregel selbst wesentlich eine Bestätigung
der von Sulla vorgenommenen Confiscationen.
Sullas Werk also war zerstört; aber die Zukunft des Staates
war damit vielmehr in Frage als festgestellt. Die Coalition, einzig
zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck das Re-
staurationswerk zu beseitigen, löste sich, als dieser erreicht war,
wenn nicht dem Namen, doch der Sache nach von selber auf;
Pompeius, Crassus, die Demokratie verfolgten fortan wieder je-
des besondere und sehr häufig einander zuwiderlaufende Zwecke.
Vorläufig war es immer noch der Senat, der officiell dem Staate
vorstand; das Regiment, wie er lange vor Sulla es besessen
hatte, blieb ihm auch jetzt nach der Zerstörung der von Sulla
aufgeführten Bollwerke. Es lag der demokratischen Faction al-
lerdings nahe genug nach diesem groſsen Erfolg zu weiteren An-
griffen fortzuschreiten, und nach der Wiederherstellung der grac-
chischen Verfassung nun zu versuchen auch einen neuen Gracchus
auf den Schild zu heben. Allein dieser Gedanke trat den Demo-
kraten für den Augenblick zurück vor einer dringenden Gefahr,
durch welche sie nicht minder als die Aristokratie sich bedroht
sahen. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer
[95]STURZ DER OLIGARCHIE.
noch vor den Thoren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt nach
dem Triumph (31. December 683) seine Soldaten zu verabschieden;
allein zunächst war es unterblieben, um unter dem Druck, den das
spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat aus-
übte, die Staatsumwälzung ungestört zu vollenden, was denn in
gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand.
Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb
die Auflösung der Heere. Die Dinge schienen sich dahin wenden
zu wollen, daſs einer der beiden mit der Demokratie alliirten
Feldherren die Militärdictatur ergreifen und Oligarchen und De-
mokraten in dieselben Fesseln schlagen werde. Indeſs von An-
fang an hatte Crassus in der Coalition eine untergeordnete Rolle
gespielt; er hatte sich antragen müssen und verdankte selbst seine
Wahl zum Consulat hauptsächlich Pompeius stolzer Verwendung.
Weitaus der Stärkere war Pompeius und offenbar er der Herr
der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu müssen
als was ihn der Instinct der Menge schon jetzt bezeichnete: der
unumschränkte Gebieter des mächtigsten Staates der civilisirten
Welt. Schon drängte sich die ganze Masse der Servilen um den
künftigen Monarchen. Schon suchten die schwächeren Gegner
eine letzte Hülfe in einer neuen Coalition; Crassus, voll alter und
neuer Eifersucht auf den jüngeren so durchaus ihn überflügelnden
Rivalen, näherte sich dem Senat und versuchte durch beispiellose
Spenden die hauptstädtische Menge an sich zu fesseln — als ob
die durch Crassus selbst mit gebrochene Oligarchie und die ewig
undankbare Menge gegen die Veteranen der spanischen Armee
irgend welchen Schutz zu gewähren vermocht hätten. Einen
Augenblick schien es, als würde es vor den Thoren der Haupt-
stadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht
kommen. Auch der Demokratie lag eben wie dem Senat und
Crassus alles daran, daſs Pompeius nicht die Dictatur ergriff;
aber mit richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwäche und in den
Charakter des mächtigen Gegners versuchten ihre Führer den
Weg der Güte. Pompeius fehlte keine Bedingung um nach der
Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene königliche
Muth. Wir haben den Mann früher geschildert, mit seinem Stre-
ben zugleich loyaler Republikaner und Herr von Rom zu sein,
mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner unter dem
Pochen auf selbstständige Entschlüsse sich verbergenden Lenk-
samkeit. Es war dies die erste groſse Probe, auf die das Verhäng-
niſs ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter
dem Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, daſs er
[96]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Crassus miſstraue und darum nicht mit der Entlassung der Sol-
daten den Anfang machen könne. Die Demokraten bestimmten
den Crassus hierin entgegenkommende Schritte zu thun, dem Col-
legen öffentlich zum Frieden die Hand zu bieten; öffentlich und ge-
heim bestürmten sie ihn, daſs er zu dem zwiefachen Verdienst, den
Feind besiegt und die Parteien versöhnt zu haben, noch das dritte
und gröſste fügen möge dem Vaterland den inneren Frieden zu er-
halten und das drohende Schreckbild des Bürgerkrieges zu ban-
nen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten, unsicheren
Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkünste der Diplomatie,
aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Be-
wegung gesetzt um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die
Hauptsache war, die Dinge hatten sich so gestaltet, daſs Pompeius
nur die Wahl blieb entweder geradezu als Tyrann von Rom auf-
oder zurückzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die
Entlassung der Heere. Das Commando im mithradatischen Krieg,
das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich für 684 zum
Consul hatte wählen lassen, konnte er jetzt nicht wünschen, da
mit dem Feldzuge von 683 Lucullus denselben in der That be-
endigt zu haben schien; die vom Senat in Gemäſsheit des sem-
pronischen Gesetzes ihm angewiesene Consularprovinz anzuneh-
men hielt er unter seiner Würde und Crassus folgte darin seinem
Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Sol-
daten am letzten Tage des J. 684 sein Consulat niederlegte, sich
zunächst ganz von den öffentlichen Geschäften zurück und er-
klärte fortan als einfacher Bürger in stiller Muſse leben zu wollen.
Er hatte sich so gestellt, daſs er nach der Krone greifen muſste,
und da er dies doch nicht wollte, ihm keine Rolle übrig blieb als
die nichtige eines resignirenden Throncandidaten.
Der Rücktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen
die erste Stelle zukam, vom politischen Schauplatz führte zu-
nächst ungefähr dieselbe Parteistellung wieder herbei, wie wir sie
in der gracchischen und marianischen Epoche fanden. Die Ver-
fassung war im oppositionellen Geiste geordnet, aber der Senat
führte das Regiment; die Opposition versuchte nicht geradezu
es an sich zu reiſsen, da es ihr an einem diesem Unternehmen
gewachsenen Führer mangelte, aber hemmte und ärgerte die Re-
gierung auf Schritt und Tritt. Zwischen beiden erhob sich zu
neuem Ansehen die Capitalistenpartei, welche bisher mit der De-
mokratie gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die aber zu sich
hinüberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demo-
kratie zu gewinnen die Oligarchen bemüht waren. Also von beiden
[97]STURZ DER OLIGARCHIE.
Seiten umworben säumten die Geldherren nicht ihre vortheilhafte
Lage sich zu Nutze zu machen und zunächst der Regierung sich
wieder zu nähern. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus
und seiner Clientel gehören in diesen Zusammenhang; haupt-
sächlich aber scheint ein besseres Verhältniſs zwischen dem Se-
nat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daſs
dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren Lucius
Lucullus auf Andringen der von Lucullus schwer gekränkten Ca-
pitalisten im J. 686 die Verwaltung der für diese so wichtigen
Provinz Asia abnahm (S. 65). Auch das Zugeständniſs reservir-
ter Sitze im Theater, das dem Ritterstand jetzt (687) zu Theil
ward, ist von politischer Bedeutung: ähnlich wie der Senat hun-
dertundzwanzig Jahre zuvor durch die Anweisung besonderer
Sitzplätze sich offiziell als bevorrechteten Stand angekündigt
hatte (I, 605), ward hiemit die Ritterschaft als zweite privile-
girte Klasse förmlich anerkannt. — Während aber die haupt-
städtischen Factionen also mit einander des gewohnten Haders
pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Ent-
scheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereig-
nisse ihren verhängniſsvollen Gang, wie wir ihn früher geschil-
dert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der
hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der
Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im
Anfang des J. 687 war die pontische Armee der Römer aufgerie-
ben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle
Eroberungen verloren, das Meer ausschlieſslich in der Gewalt der
Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrie-
ben, daſs man eine förmliche Hungersnoth befürchtete. Wohl
hatten, wir wir sahen, diesen Nothstand zum Theil die Fehler
der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals
Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lu-
cius Lucullus, verschuldet; wohl auch die Demokratie durch ihre
Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich
beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles,
was sie und was Andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen
verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge ver-
langte nur eine Gelegenheit um mit dem Senat abzurechnen.
Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie man
sie auch herabwürdigen und entwaffnen mochte, stand dennoch
aufrecht, so lange die Verwaltung der öffentlichen Angelegenhei-
ten in ihren Händen blieb. Erst wenn die Gegner diese, das
heiſst namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegen-
Röm. Gesch. III. 7
[98]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
heiten sich selber zueigneten, war das Senatsregiment gestürzt;
und jetzt war dies möglich. Wenn jetzt Vorschläge über eine
andere und bessere Führung des Land- und Seekrieges an die
Comitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Bürger-
schaft der Senat voraussichtlich nicht im Stande deren Durch-
setzung zu verhindern; und eine Intervention der Bürgerschaft
in diesen höchsten Verwaltungsfragen war thatsächlich die Ab-
setzung des Senats und die Uebertragung der Leitung des Staats
an die Führer der Opposition. Wieder einmal brachte die Ver-
kettung der Dinge die Entscheidung in die Hände des Pompeius.
Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privat-
mann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathhaus wie
auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern ge-
sehen und ohne Einfluſs, hier scheute er sich vor dem stürmi-
schen Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah
es mit dem vollständigen Hofstaat seiner vornehmen und gerin-
gen Clienten, und eben seine feierliche Zurückgezogenheit impo-
nirte der Menge. Wenn er, an dem noch der volle Glanz sei-
ner ungemeinen Erfolge unvermindert haftete, jetzt sich erbot
nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller
von ihm selbst geforderten militärischen und politischen Macht-
vollkommenheit von der Bürgerschaft bereitwillig bekleidet. Für
die Oligarchie, die in der populären Militärdictatur ihren sicheren
Ruin, in Pompeius selbst seit der Coalition von 683 ihren ver-
haſstesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber
auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mu-
the sein. So wünschenswerth es ihr an sich auch sein muſste
dem Regiment des Senats ein Ende zu machen, so war es doch,
wenn es in dieser Weise geschah, weit [weniger] ein Sieg ihrer
Partei als ein persönlicher ihres übermächtigen militärischen Ver-
bündeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei
ein weit gefährlicherer Gegner aufstehen, als der Senat war. Die
wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee
und Pompeius Rücktritt glücklich vermiedene Gefahr kehrte in
verstärktem Maſse wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der
Armeen des Ostens trat.
Diesmal indeſs griff Pompeius zu oder lieſs es wenigstens
geschehen, daſs Andere für ihn zugriffen. Es wurden im J. 687
zwei Gesetzvorschläge eingebracht, von denen der eine auſser
der längst von der Demokratie geforderten Entlassung der aus-
gedienten Soldaten der asiatischen Armee die [Abberufung] des
Oberfeldherrn derselben Lucius Lucullus und dessen Ersetzung
[99]STURZ DER OLIGARCHIE.
durch einen der Consuln des laufenden Jahres Gaius Piso oder
Manius Glabrio verfügte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur
Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst aufge-
stellten Plan wieder aufnahm und erweiterte. Ein einziger vom
Senat aus den Consularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt
werden, um zur See auf dem gesammten mittelländischen Meer
von den Säulen des Hercules bis an die pontische und syrische
Küste ausschlieſslich, zu Lande über sämmtliche Küsten bis zehn
deutsche Meilen landeinwärts mit den betreffenden römischen
Statthaltern concurrirend, den Oberbefehl zu übernehmen. Auf
drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab
ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fünf-
undzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit
prätorischen Insignien und prätorischer Gewalt bekleidet, und
von zwei Unterschatzmeistern mit quästorischen Befugnissen, sie
alle erlesen durch den ausschlieſslichen Willen des höchstcom-
mandirenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet bis zu
120000 Mann Fuſsvolk, 4000 Reitern, 500 Kriegsschiffen auf-
zustellen und zu dem Ende über die Mittel der Provinzen und
Clientelstaaten unbeschränkt zu verfügen; überdies wurden die
vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl
sofort ihm überwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt
wie in den Provinzen so wie die der abhängigen Gemeinden soll-
ten ihm unbeschränkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen
Finanznoth sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von
9 Mill. Thlr. (144 Mill. Sest.) ausgezahlt werden. — Es leuchtet
ein, daſs durch diese Gesetzentwürfe, namentlich durch den die
Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Se-
nats über den Haufen fiel. Die Oberleitung der Militärangelegen-
heiten hatte ihm zugestanden, seit es einen römischen Freistaat
gab. Wohl waren die von der Bürgerschaft ernannten ordentli-
chen höchsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der
Gemeinde und bedurften auch die auſserordentlichen Beamten,
um Feldherren sein zu können, wenigstens nach strengem Recht
der Bestätigung durch die Bürgerschaft; aber auf die Besetzung
der einzelnen Commandos stand ihr verfassungsmäſsig kein Ein-
fluſs zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf An-
trag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hat-
ten bisher die Comitien in die Besetzung der Commandos sich
so gemischt, daſs sie nicht bloſs über die allgemeine, sondern
auch über die specielle Competenz entschieden. Selbst in dem
bedenklichsten der bisher vorgekommenen Fälle, in der Ueber-
7 *
[100]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
tragung des africanischen Commandos auf Gaius Marius 647 (II,
145) war nur ein verfassungsmäſsig zum Feldherrnamt überhaupt
berechtigter Beamter durch den Schluſs der Bürgerschaft mit einer
bestimmten Expedition beauftragt und selbst dabei noch der frü-
her gefaſste Beschluſs des Senats respectirt worden. Aber jetzt
stattete die Bürgerschaft in directem Widerspruch mit dem Se-
nat einen beliebigen Privatmann nicht bloſs mit der auſseror-
dentlichen höchsten Amtsgewalt aus, sondern auch mit einer
bestimmt von ihr normirten Competenz. Daſs der Senat diesen
Mann aus der Reihe der Consulare auszuwählen hatte, war eine
Milderung nur in der Form. Die Auswahl war dem Senat nur
deſshalb übertragen, weil es eben eine Wahl nicht war und der
stürmisch aufgeregten Menge gegenüber der Senat den Oberbe-
fehl der Meere und Küsten schlechterdings keinem Andern über-
tragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber bedenklicher noch
als diese principielle Negirung der Senatsherrschaft war die that-
sächliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Am-
tes von fast unbeschränkter militärischer und finanzieller Com-
petenz. Während das Feldherrnamt sonst auf eine einjährige
Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene mili-
tärische und finanzielle Hülfsmittel beschränkt war, war dem
neuen auſserordentlichen Amt von vorn herein eine dreijährige
Dauer gesichert, die natürlich weitere Verlängerung nicht aus-
schloſs, war demselben der gröſste Theil der sämmtlichen Pro-
vinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst von militärischer Amts-
gewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten, Schiffe,
Kassen des Staats fast unbeschränkt zur Verfügung gestellt. Der
eben erwähnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-römi-
schen Staatsrechts, daſs die höchste militärische und bürgerliche
Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Bürgerschaft vergeben
werden könne, ward ferner zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn
gebrochen: indem das Gesetz den fünfundzwanzig Adjutanten,
die er sich ernennen würde, im Voraus prätorischen Rang und
prätorische Befugnisse verlieh*, wurde das höchste Amt des re-
publikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, für
[101]STURZ DER OLIGARCHIE.
das den Namen zu finden der Zukunft überlassen blieb, das aber
der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es
war eine ungeheure Umwälzung, die in diesem Gesetzvorschlag
anfing sich zu realisiren.
Die durchgreifende Energie dieser Maſsregeln kann befrem-
den, da sie von einem Manne herrühren, der so eben noch von
seiner Halbheit und Schwäche so auffallende Beweise geliefert
hatte. Indeſs es ist doch wohl erklärlich, daſs Pompeius diesmal
entschlossener verfuhr als während seines Consulats. Handelte es
sich doch nicht darum sofort als Monarch aufzutreten, sondern
die Monarchie zunächst nur vorzubereiten durch eine militärische
Ausnahmsmaſsregel, die, wie revolutionär sie ihrem Wesen nach
war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung voll-
zogen werden konnte und die zunächst Pompeius dem alten Ziel
seiner Wünsche, dem Commando gegen Mithradates und Tigra-
nes, entgegenführte. Aber auch gewichtige Zweckmäſsigkeits-
gründe sprachen für die Emancipation der Militärgewalt von dem
Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, daſs ein nach
ganz gleichen Grundsätzen angelegter Plan zur Unterdrückung
der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausführung
durch den Senat gescheitert, daſs der Ausgang des spanischen
Krieges durch die Vernachlässigung der Heere von Seiten des
Senats und dessen unverständige Finanzwirthschaft aufs Höchste
gefährdet worden war; er konnte nicht übersehen, wie die groſse
*
[102]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner
gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als
Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Competenz sich
nach dem Osten senden lieſs. Begreiflich ist er daher, daſs der
Feldherr als die erste Bedingung der Uebernahme des Comman-
dos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daſs
die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in ho-
hem Grade wahrscheinlich, daſs Pompeius diesmal durch seine
Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren ver-
muthlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln
fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus Abbe-
rufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht
von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und
sittlich ruinirten Mann, aber einem gewandten Unterhändler,
einem dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernst-
haft auch Pompeius Betheurungen gemeint waren, daſs er den
Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und
nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahr-
scheinlich so viel wahr, daſs der kecke und bewegliche Client,
der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen
Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkom-
men durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehülflichen Pa-
tron die Entscheidung zum guten Theil über den Kopf nahm. —
Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im Stillen mit die-
sem Streiche sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich
gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung des-
selben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hin-
dern vermocht, wohl aber mit Pompeius offen gebrochen und
dadurch ihn genöthigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern
oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik
rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts
übrig als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war,
auch jetzt noch festzuhalten, und diese Gelegenheit zu ergreifen
um den Senat endlich einmal definitiv zu stürzen und aus der
Opposition in das Regiment überzugehen, das Weitere aber der
Zukunft und des Pompeius wohlbekannter Charakterschwäche zu
überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor
Lucius Quinctius, derselbe der sieben Jahre zuvor für die Wieder-
herstellung der tribunicischen Gewalt thätig gewesen war (S. 87),
und der gewesene Quästor Gaius Caesar die gabinischen Gesetz-
vorschläge. — Die privilegirten Klassen waren auſser sich, nicht
bloſs die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristo-
[103]STURZ DER OLIGARCHIE.
kratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche
Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rech-
ten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach
Einbringung seiner Anträge in der Curie sich zeigte, fehlte nicht
viel, daſs ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hät-
ten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvortheilhaft
diese Methode zu argumentiren für sie ablaufen muſste. Der Tri-
bun entkam auf den Markt und rief die Menge auf das Rathhaus
zu stürmen. Die rechtzeitige Aufhebung der Sitzung entzog den
Senat dem drohenden Sturm; der Consul Piso aber, der Vor-
kämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände ge-
rieth, wäre sicher ein Opfer der Volkswuth geworden, wenn
nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch
unzeitige Frevelthaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu
stellen, den Consul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbit-
terung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung
in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen zum Theil
ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel daſs Lucius Lucullus die
ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder theils in Rom zins-
bar belegt, theils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache
des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daſs der Senat
dem ‚zweiten Romulus‘, wie man Pompeius nannte, das Schick-
sal des ersten * zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber
kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt
stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren
alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte,
mit Menschen bedeckt. Sämmtliche Collegen des Gabinius hat-
ten dem Senat die Intercession zugesagt; aber den brausenden
Wogen der Massen gegenüber schwiegen sie alle bis auf den ein-
zigen Lucius Trebellius, der es sich und dem Senat geschworen
hatte lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser intercedirte,
unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetz-
vorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke: mit sei-
nem widerstrebenden Collegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius
Gracchus Antrag mit dem Octavius verfahren war (II. 82), das
heiſst ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt
und die Verlesung der Stimmtafeln begann; die ersten siebzehn
Bezirke, die zur Verlesung kamen, erklärten sich für den Antrag
und die nächste bejahende Stimme gab demselben die Majorität.
[104]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
Da zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Intercession klein-
müthig zurück. Vergeblich bemühte sich darauf der Tribun Otho
wenigstens zu bewirken, daſs statt eines Feldherren zwei — die
alten Zweiherren der Flotte — gewählt werden möchten; vergeb-
lich strengte der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste
Mann im Senat, seine letzten Kräfte dafür an, daſs die Unterfeld-
herren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke ge-
wählt werden möchten. Otho konnte in dem Toben der Menge
nicht einmal sich Gehör verschaffen; dem Catulus verschaffte es
Gabinius wohlberechnete Courtoisie und in ehrerbietigem Schwei-
gen horchte die Menge den Worten des Greises; aber verloren wa-
ren sie darum nicht minder. Die Vorschläge wurden nicht bloſs
mit allen Clauseln unverändert zum Gesetz erhoben, sondern auch,
was Pompeius noch im Einzelnen nachträglich begehrte, augen-
blicklich und vollständig bewilligt.
Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldher-
ren Pompeius und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen.
Die Kornpreise waren nach dem Durchgehen der gabinischen Ge-
setze sogleich auf die gewöhnlichen Sätze zurückgegangen; ein Be-
weis, welche Hoffnungen an die groſsartige Expedition und ihren
ruhmvollen Führer sich knüpften. Sie wurden, wie später erzählt
werden wird, nicht bloſs erfüllt, sondern übertroffen; in drei Mo-
naten war die Säuberung der Meere vollendet. Seit dem hanni-
balischen Kriege war die römische Regierung nicht mit solcher
Energie nach auſsen hin aufgetreten; gegenüber der schlaffen und
unfähigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-mi-
litärische Opposition auf das Glänzendste ihren Beruf dargethan
die Zügel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso un-
patriotischen wie ungeschickten Versuche des Consuls Piso den
Maſsregeln des Pompeius gegen die Corsaren im narbonensischen
Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen steigerten nur
noch mehr die Erbitterung der Bürgerschaft gegen die Oligarchie
und ihren Enthusiasmus für Pompeius; nur dessen persönliche
Dazwischenkunft verhinderte es, daſs die Volksversammlung nicht
den Consul kurzweg seines Amtes entsetzte. — Inzwischen war auf
dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch ärger gewor-
den. Glabrio, der an Lucullus Stelle den Oberbefehl gegen Mithra-
dates und Tigranes übernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen
geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proclamationen die
Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht
übernommen, so daſs thatsächlich Lucullus denselben noch immer
führte. Gegen Mithradates war natürlich nichts geschehen; die
[105]STURZ DER OLIGARCHIE.
pontischen Reiter plünderten ungescheut und ungestraft in Bithy-
nien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war auch Pom-
peius veranlaſst worden sich mit seinem Heer nach Kleinasien zu
begeben; nichts lag näher als ihm den Oberbefehl in dem pon-
tisch-armenischen Kriege zu übertragen, dem er selbst seit lan-
gem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom theilte
begreiflicher Weise die Wünsche ihres Generals nicht und hütete
sich wohl hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrschein-
lich, daſs sie es gewesen war, die Gabinius bestimmt hatte den
mithradatischen und den Piratenkrieg nicht beide zugleich an
Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu übertragen; auf
keinen Fall konnte sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzu
mächtigen Feldherrn steigern und verewigen wollen. Auch Pom-
peius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich passiv und viel-
leicht wäre er in der That nach Vollziehung des ihm gewordenen
Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter
Zwischenfall eingetreten wäre. Ein gewisser Gaius Manilius, ein
ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun
es durch seine ungeschickten Gesetzvorschläge zugleich mit der
Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung sich
unter des mächtigen Feldherrn Flügeln zu bergen, wenn er diesem
verschaffe, was er, wie Jedem bekannt war, sehnlichst wünschte,
aber doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Bürger-
schaft den Antrag die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pon-
tus, Marcius Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Aemter so
wie die Führung des Krieges im Osten, wie es scheint ohne fest
bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten Befugniſs
Frieden und Bündniſs zu schlieſsen, dem Proconsul der Meere
und Küsten neben seinem bisherigen Amte zu übertragen (An-
fang 688). Es zeigte hier sich einmal recht deutlich, wie zer-
rüttet die römische Verfassungsmaschine war, seit die Legislation
theils der Initiative nach jedem noch so geringen Demagogen und
der Beschluſsfassung nach der unmündigen Menge in die Hände
gegeben, theils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt
war. Der manilische Vorschlag war keiner der politischen Par-
teien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Wi-
derstand. Die demokratischen Führer konnten aus denselben
Gründen, die sie gezwungen hatten das gabinische Gesetz sich
gefallen zu lassen, es nicht wagen sich dem manilischen ernstlich
zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorg-
nisse in sich und redeten öffentlich für den Feldherrn der De-
mokratie. Die gemäſsigten Optimaten erklärten sich für den ma-
[106]FÜNFTES BUCH. KAPITEL III.
nilischen Antrag, weil nach dem gabinischen Gesetz der Wider-
stand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Männer
schon damals erkannten, daſs es für den Senat die richtige Po-
litik sei sich Pompeius möglichst zu nähern und bei dem voraus-
zusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten mit ihm
gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Männer des Schaukel-
systems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine Meinung zu
haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es mit
einer der Parteien zu verderben — es ist bezeichnend, daſs mit
der Vertheidigung des manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst
die politische Rednerbühne betrat. Einzig die strengen Optima-
ten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens ihre Farbe
und sprachen gegen den Vorschlag. Natürlich wurde derselbe mit
einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität zum Gesetz erho-
ben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner früheren ausgedehnten
Machtfülle noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen
Provinzen, so daſs es innerhalb der weiten römischen Grenze
kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht hätte,
und die Führung eines Krieges, von dem man, wie von Alexan-
ders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber
nicht, wo und wann er enden möge. Niemals noch, seit Rom
stand, war solche Gewalt in den Händen eines einzigen Mannes
vereinigt gewesen.
Die gabinisch-manilischen Anträge beendigten den Kampf
zwischen dem Senat und der Popularpartei, den vor siebenund-
sechzig Jahren die sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie
die sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zuerst als poli-
tische Opposition constituirten, so ging dieselbe mit den gabi-
nisch-manilischen über von der Opposition in das Regiment.
Wie es ein groſsartiger Moment gewesen war, als mit der ver-
geblichen Intercession des Octavius der erste Bruch in die beste-
hende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein bedeu-
tungsvoller Augenblick, als mit dem Rücktritt des Trebellius das
letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach.
Wohl ward auf beiden Seiten dies empfunden; selbst die schlaffen
Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief
doch der Verfassungskampf in gar anderer und gar viel kümmerli-
cherer Weise zu Ende als er begonnen hatte. Ein in jedem Sinne
adlicher Jüngling hatte die Revolution eröffnet; sie ward be-
schlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten
Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Wi-
derstand, mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst aushar-
[107]STURZ DER OLIGARCHIE.
renden Vertheidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der
Initiative zum Faustrecht, mit groſswortiger Schwäche und jäm-
merlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker
Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehört zu regieren.
Aber wenn die einzelnen alten Männer, die noch der ersten Stürme
der Revolution, der Worte der Gracchen sich erinnerten, jene Zeit
und diese mit einander verglichen, so fanden sie alles inzwischen
verändert, Landschaft und Bürgerschaft, Staatsrecht und Kriegs-
zucht, Leben und Sitte; und wohl mochte schmerzlich lächeln,
wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisirung verglich.
Indeſs solche Betrachtungen gehörten der Vergangenheit an. Für
jetzt und wohl auch für die Zukunft war der Sturz der Aristo-
kratie eine vollendete Thatsache. Die Oligarchen glichen einer voll-
ständig aufgelösten Armee, deren versprengte Haufen wohl noch
eine andere Heeresmasse verstärken, aber selbst nirgends mehr
das Feld halten noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen
konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zu-
gleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum
Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbündeten Mächte,
der bürgerlich demokratischen Opposition und der immer über-
mächtiger aufstrebenden Militärgewalt. Pompeius exceptionelle
Machtstellung war schon nach dem gabinischen, um wie viel
mehr nach dem manilischen Gesetz mit einer republicanischen
Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Geg-
ner mit gutem Grund sagten, durch das gabinische Gesetz nicht
zum Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht
mit Unrecht heiſst er einem mit den östlichen Verhältnissen ver-
trauten Griechen ‚König der Könige‘. Wenn er dereinst, siegreich
und mit erhöhtem Ruhm, mit gefüllten Kassen, mit schlagferti-
gen und ergebenen Truppen zurückgekehrt aus dem Osten, nach
der Krone die Hand ausstreckte — wer wollte dann ihm in den
Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner Zeit
und seine erprobten Legionen der Consular Quintus Catulus die
Senatoren aufbieten? oder der designirte Aedil Gaius Caesar die
städtische Menge, deren Augen er so eben an seinen dreihun-
dertzwanzig silbergerüsteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald
werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Capitols
flüchten müssen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die
Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte,
von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstäblicher als er
selbst es ahnte seine Worte erfüllend, das vernichtende Unwetter
wenige Jahre später aus dem Keltenland heranführte.
[[108]]
KAPITEL IV.
Pompeius und der Osten.
Wir haben früher gesehen, wie trostlos im Osten die An-
gelegenheiten Roms [zu] Lande und zur See standen, als im An-
fang des J. 687 Pompeius zunächst die Führung des Krieges ge-
gen die Piraten mit beinahe unumschränkter Machtvollkommen-
heit übernahm. Er begann damit das ungeheure ihm überwie-
sene Gebiet in dreizehn Bezirke zu theilen, von denen jeder einem
seiner Unterfeldherren überwiesen ward um daselbst Schiffe und
Mannschaften zu rüsten, die Küsten abzusuchen und die Piraten-
böte aufzubringen oder einem der Collegen ins Garn zu jagen.
Er selbst ging mit dem besten Theil der vorhandenen Kriegs-
schiffe, unter denen auch diesmal die rhodischen sich auszeich-
neten, früh im Jahr in See und reinigte zunächst die sicilischen,
africanischen und sardischen Gewässer, um vor allem die Ge-
treidezufuhr aus diesen Provinzen nach Italien wieder in Gang
zu bringen. Für die Säuberung der spanischen und gallischen
Küsten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei dieser
Gelegenheit, daſs der Consul Gaius Piso von Rom aus die Enro-
lirungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius Legat Marcus
Pomponius kraft des gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo
veranstaltete — ein unkluges Beginnen, dem zu steuern und zu-
gleich die gerechte Erbitterung der Menge gegen den Consul in den
gesetzlichen Schranken zu halten Pompeius vorübergehend wie-
der in Rom erschien (S. 104). Nach vierzig Tagen war im westli-
chen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt überall frei. Sofort ging
Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen ab in das öst-
[109]POMPEIUS UND DER OSTEN.
liche Meer, namentlich nach dem Ur- und Hauptsitz der Pira-
terie, den kilikischen Gewässern. Auf die Kunde von dem Heran-
nahen der römischen Flotte verschwanden nicht bloſs die Piraten-
kähne überall von der offenen See, sondern selbst die starken
lykischen Festen Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernst-
lichen Widerstand zu leisten. Mehr noch Pompeius wohlberech-
nete Milde als die Furcht vor seinen Waffen öffnete ihm die
Thore dieser schwer zugänglichen Seeburgen; denn während
seine Vorgänger jeden gefangenen Seeräuber ans Kreuz hatten
heften lassen, gab er ohne Bedenken allen Quartier und behan-
delte namentlich die auf den genommenen Piratenböten vorge-
fundenen gemeinen Ruderer mit ungewohnter Nachsicht. Nur
die kühnen kilikischen Seekönige wagten einen Versuch wenig-
stens ihre eigenen Gewässer mit den Waffen gegen die Römer zu
behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre rei-
chen Schätze in die Bergschlösser des Taurus geflüchtet hatten,
erwarteten sie die römische Flotte an der Westgrenze Kilikiens,
auf der Höhe von Korakesion. Aber Pompeius wohlbemannte und
mit allem Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen
vollständigen Sieg. Ohne weiteres Hinderniſs stieg er sodann an
das Land und begann die Bergschlösser der Corsaren zu stürmen
und zu brechen, während er fortfuhr ihnen selbst als Preis der
Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab die groſse
Menge es auf in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen
Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunund-
vierzig Tage, nachdem Pompeius in der östlichen See erschienen,
war Kilikien unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche
Ueberwältigung der Piraterie war eine groſse Erleichterung, aber
keine groſsartige That: mit den Hülfsmitteln des römischen
Staates, die in verschwenderischem Maſs waren aufgeboten wor-
den, konnten die Corsaren so wenig sich messen als die ver-
einigten Diebesbanden einer groſsen Stadt mit einer wohlorga-
nisirten Polizei. Es war naiv eine solche Razzia als einen Sieg
zu feiern. Aber verglichen mit dem langjährigen Bestehen und
der grenzenlosen Ausdehnung des täglich weiter um sich grei-
fenden Uebels ist es erklärlich, daſs die überraschende Schnel-
ligkeit der Ueberwältigung der gefürchteten Piraten auf das Pu-
blicum den gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies
die erste Probe des in einer Hand centralisirten Regiments
war und die Parteien gespannt darauf harrten, ob es verstehen
werde besser als das collegialische zu regieren. Gegen 400
Schiffe und Böte, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge, wur-
[110]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
den von Pompeius theils genommen, theils ihm ausgeliefert; im
Ganzen sollen an 1300 Piratenfahrzeuge zu Grunde gerichtet und
auſserdem die reichgefüllten Arsenale und Zeughäuser der Fli-
bustier in Flammen aufgegangen sein. Von den Seeräubern wa-
ren gegen 10000 umgekommen, über 20000 dem Sieger lebend
in die Hände gefallen, wogegen Publius Clodius, der Flottenfüh-
rer der in Kilikien stehenden römischen Armee, und eine Menge
anderer von den Piraten weggeführter, zum Theil daheim längst
todtgeglaubter Individuen durch Pompeius ihre Freiheit wieder
erlangten. Im Sommer 687, drei Monate nach dem Beginn des
Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten
Gang und anstatt der befürchteten Hungersnoth herrschte in Ita-
lien Ueberfluſs.
Ein verdrieſsliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta trübte
indeſs einigermaſsen diesen erfreulichen Erfolg der römischen Waf-
fen. Dort stand schon im zweiten Jahre Quintus Metellus, be-
schäftigt die im Wesentlichen bereits bewirkte Unterwerfung der
Insel zu vollenden (S. 71), als Pompeius in den östlichen Ge-
wässern erschien. Eine Collision lag nahe, denn nach dem ga-
binischen Gesetz erstreckte sich Pompeius Commando concur-
rirend mit dem des Metellus auf die ganze langgestreckte, aber
nirgends über zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war
Pompeius so rücksichtsvoll sie keinem seiner Unterbefehlshaber
zu überweisen. Allein die noch widerstrebenden kretischen Ge-
meinden, die ihre früher unterworfenen Landsleute von Metellus
mit der grausamsten Strenge zur Verantwortung hatten ziehen
sehen und dagegen die milden Bedingungen vernahmen, welche
Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des südlichen
Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor ihre Gesammtunter-
werfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien,
wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm
und ihnen seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus
den Abschluſs der Verträge anzuzeigen und die Städte zu über-
nehmen. Collegialisch war dies Verfahren freilich nicht; allein
das formelle Recht war durchaus auf Seiten des Pompeius und
Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er, den Vertrag der Städte
mit Pompeius vollständig ignorirend, dieselben als feindliche zu
behandeln fortfuhr. Vergeblich protestirte Octavius; vergeblich
berief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Africa
den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius Lucius Sisenna
herbei: Metellus, ohne weder um Octavius noch um Sisenna sich
zu kümmern, belagerte Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm,
[111]POMPEIUS UND DER OSTEN.
wo Octavius selbst gefangen genommen und beschimpft entlas-
sen, die mit ihm gefangenen Kreter aber dem Henker überliefert
wurden. So kam es zu förmlichen Gefechten zwischen Sisennas
Truppen, an deren Spitze nach dieses Führers Tode sich Octa-
vius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia
zurückcommandirt worden waren, setzte Octavius in Gemein-
schaft mit dem Kreter Aristion den Krieg fort und Hierapytna,
wo beide sich hielten, ward von Metellus erst nach der hart-
näckigsten Gegenwehr bezwungen. Diese Auftritte waren in der
That nichts anderes als der förmliche Bürgerkrieg, den der eifrige
Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn der Demokratie auf
eigene Hand begann; und es zeugt von der unbeschreiblichen
Zerrüttung der römischen Staatsverhältnisse, daſs derselbe den-
noch zu nichts weiterem führte als zu einer bittern Correspon-
denz zwischen den beiden Generalen, die ein paar Jahre darauf
wieder friedlich und sogar ‚freundschaftlich‘ neben einander im
Senate saſsen.
Pompeius stand während dieser Vorgänge in Kilikien; für
das nächste Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend ge-
gen die Kretenser oder vielmehr gegen Metellus, in der That des
Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen in die gründlich ver-
wirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Continents berief.
Was von Lucullus Heer nach den erlittenen Verlusten und der
Verabschiedung der fimbrianischen Legionen noch übrig war,
stand unthätig am obern Halys in der Landschaft der Trokmer
an der Grenze des pontischen Gebietes. Den Oberbefehl führte
einstweilen immer noch Lucullus, da sein ernannter Nachfolger
Glabrio fortfuhr in Vorderasien zu säumen. Ebenso unthätig la-
gerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex befehligten
Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Ge-
walt des Königs Mithradates, der die einzelnen Männer und Ge-
meinden, die den Römern sich angeschlossen hatten, wie z. B.
die Stadt Eupatoria, mit grausamer Strenge ihren Abfall büſsen
lieſs; zu einer ernstlichen Offensive gegen die Römer schritten die
Könige des Ostens nicht, sei es daſs sie überhaupt nicht in ihrem
Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, daſs Pompeius Lan-
dung in Kilikien die Könige Mithradates und Tigranes von wei-
terem Vorgehen abschreckte. Rascher als Pompeius selbst es ge-
hofft haben mochte, verwirklichte das manilische Gesetz seine im
Stillen genährten Hoffnungen: Glabrio und Rex wurden abbe-
rufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien
mit den darin stehenden Truppen so wie die Führung des pon-
[112]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
tisch-armenischen Krieges nebst der Befugniſs über Krieg, Frie-
den und Bündniſs mit den Dynasten des Ostens nach eigenem
Gutdünken zu bestimmen auf Pompeius übertragen. Ueber der
Aussicht auf so reiche Ehren und Spolien vergaſs Pompeius
gern die Züchtigung eines übellaunigen und seine sparsamen
Lorbeerblätter neidisch hütenden Optimaten, gab den Zug gegen
Kreta und die fernere Verfolgung der Corsaren auf und bestimmte
auch seine Flotte zur Unterstützung des Angriffs, den er gegen
die Könige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er
über diesen Landkrieg die immer wieder aufs Neue ihr Haupt er-
hebende Piraterie keineswegs völlig aus den Augen. Ehe er Asien
verlieſs (691), lieſs er daselbst noch eine Flotte gegen die Cor-
saren in Stand setzen; auf seinen Antrag ward das Jahr darauf
für Italien eine ähnliche Maſsregel beschlossen und vom Senat
dazu die nöthige Summe verwilligt. Man fuhr fort die Küsten mit
Reiterbesatzungen und kleineren Geschwadern zu decken; und
wenn man auch, wie schon die später zu erwähnenden Expeditio-
nen gegen Kypros 696 und gegen Aegypten 699 beweisen, der
Piraterie niemals völlig Herr ward, so hat dieselbe doch nach der
Expedition des Pompeius unter allen Wechselfällen und politi-
schen Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt emporheben
und so völlig die Römer von der See verdrängen können, wie es
unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie geschehen war.
Die wenigen Monate, die noch übrig waren, bevor der klein-
asiatische Feldzug von Pompeius begonnen werden konnte, wur-
den von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Thätigkeit
zu diplomatischen und militärischen Vorbereitungen benutzt. Es
gingen Gesandte an Mithradates, mehr um zu kundschaften als
um eine ernstliche Vermittelung zu versuchen. Am pontischen
Hofe hoffte man, daſs der König der Parther Phraates durch die
letzten bedeutenden Erfolge, die die Verbündeten über Rom da-
vongetragen hatten, sich zum Eintritt in das pontisch-armeni-
schen Bündniſs bestimmen lassen werde; dem entgegenzuwir-
ken gingen auch römische Boten an den Hof von Ktesiphon.
Die inneren Wirren, die das armenische Herrscherhaus zerrissen,
kamen den Römern hier zu Hülfe. Des Groſskönigs Tigranes
gleichnamiger Sohn hatte sich gegen seinen Vater empört, sei es
daſs er den Tod des Greises nicht erwarten mochte, sei es daſs
der Argwohn desselben, der schon mehreren seiner Brüder das
Leben gekostet hatte, ihn die einzige Möglichkeit der Rettung in
der offenen Empörung sehen lieſs. Vom Vater überwunden hatte
er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den Hof des
[113]POMPEIUS UND DER OSTEN.
Arsakiden geflüchtet und intriguirte dort gegen den Vater. Es
war zum Theil sein Werk, daſs Phraates den Lohn für den Bei-
tritt, der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten
Besitz Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Römer nahm und
den mit Lucullus hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen
Vertrag (S. 63) mit Pompeius erneuerte, ja sogar darauf ein-
ging mit den Römern gemeinschaftlich gegen Armenien zu ope-
riren. Noch gröſseren Schaden als durch diesen Bruch zwischen
den Alliirten und den Parthern that der jüngere Tigranes den Ver-
bündeten dadurch, daſs unter ihnen selbst über seinen Aufstand
eine Spaltung entstand. Der Groſskönig nährte im Geheimen
den Argwohn, daſs der Schwiegervater bei der Schilderhebung
seines Enkels — die Mutter des jüngeren Tigranes Kleopatra war
die Tochter Mithradats — die Hand im Spiel gehabt haben möge,
und wenn es auch darüber nicht zum offenen Bruch kam, so war
doch das gute Einverständniſs der beiden Monarchen eben in dem
Augenblick gestört, wo sie desselben am dringendsten bedurften.
— Zugleich betrieb Pompeius die Rüstungen mit Energie. Die
asiatischen Bundes- und Clientelgemeinden wurden gemahnt den
vertragsmäſsigen Zuzug zu leisten. Oeffentliche Anschläge for-
derten die entlassenen Veteranen der Legionen Fimbrias auf als
Freiwillige wieder unter die Fahnen zurückzutreten, und durch
groſse Versprechungen und den Namen des Pompeius lieſs ein
ansehnlicher Theil derselben in der That sich bestimmen dem
Rufe zu folgen. Die gesammte Streitmacht, die unter Pompeius
Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluſs der Hülfsvölker
sich auf etwa 40—50000 Mann belaufen. *
Im Frühjahr 688 begab sich Pompeius nach Galatien um
den Oberbefehl über die Truppen Luculls zu übernehmen und
mit ihnen in das pontische Gebiet einzurücken, wohin die kili-
kischen Legionen angewiesen waren zu folgen. In Danala, einer
Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren zusammen;
die Versöhnung aber, die die beiderseitigen Freunde gehofft hat-
ten, ward nicht erreicht. Die einleitenden Höflichkeiten gingen
bald über in bittere Erörterungen und diese in heftigen Wort-
wechsel; man schied verstimmter als man gekommen war. Da
Röm. Gesch. III. 8
[114]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Lucullus fortfuhr, gleich als wäre er noch im Amte, Ehren-
geschenke zu machen und Ländereien zu vertheilen, so erklärte
Pompeius alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgänger
vollzogenen Handlungen für nichtig. Formell war er in seinem
Recht; sittlichen Tact in der Behandlung eines verdienten und mehr
als genug gekränkten Gegners durfte man bei ihm nicht suchen.
— So wie es die Jahreszeit erlaubte, überschritten die römischen
Truppen abermals die pontische Grenze. Gegen sie stand hier
mit 30000 Mann zu Fuſs und 3000 Reitern König Mithradates.
Im Stich gelassen von seinem Verbündeten und von Rom ange-
griffen mit verstärkter Macht und Energie machte er einen Ver-
such Frieden zu erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung,
die Pompeius forderte, wollte er nichts hören — was konnte der
unglücklichste Feldzug ihm Schlimmeres bringen? Um sein Heer,
gröſstentheils Schützen und Reiter, nicht dem furchtbaren Stoſs
der römischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam vor
dem Feinde zurück und nöthigte die Römer ihm auf seinen Kreuz-
und Quermärschen zu folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war,
mit seiner überlegenen Reiterei der feindlichen Stand hielt und
den Römern durch die Erschwerung der Verpflegung nicht ge-
ringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab endlich Pompeius es
auf die pontische Armee zu begleiten und zog es vor statt dem
König zu folgen das Land zu unterwerfen; er rückte an den obe-
ren Euphrat, überschritt ihn und betrat die östlichen Provinzen
des pontischen Reiches. Aber auch Mithradates folgte dem Feind
auf das linke Euphratufer und in der anaitischen oder akiliseni-
schen Landschaft angelangt, verlegte er den Römern den Weg bei
der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg Dasteira, von
wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld beherrschte.
Pompeius, der die kilikischen Legionen noch immer nicht an sich
gezogen hatte, war nicht stark genug um hier sich zu behaupten,
sondern muſste, über den Euphrat zurückgehend, in dem wal-
digen von Felsschluchten und Tiefthälern vielfach durchschnitte-
nen Terrain des pontischen Armenien vor den Reitern und Bo-
genschützen des Königs Schutz suchen, bis die Truppen aus Ki-
likien eintrafen und die Wiederaufnahme der Offensive möglich
machten. Pompeius, der nun mit Uebermacht auftrat, um-
schloſs das Lager des Königs mit einer Postenkette von fast vier
deutschen Meilen Länge und hielt ihn hier förmlich blokirt, wäh-
rend die römischen Detachements die Gegend weit umher durch-
streiften. Die Noth im pontischen Lager war groſs; schon muſste
die Bespannung niedergestoſsen werden; endlich nach fünfund-
[115]POMPEIUS UND DER OSTEN.
vierzigtägigem Verweilen lieſs der König seine Kranken und Ver-
wundeten, da er sie weder retten konnte noch dem Feind in die
Hände fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen
und brach zur Nachtzeit in möglichster Stille auf gegen Osten.
Vorsichtig folgte Pompeius durch das unbekannte Land; allein
da der Marsch sich der Grenze näherte, die Mithradates und Ti-
granes Gebiete von einander schied, und der Feldherr erkannte,
daſs Mithradates nicht innerhalb seines Gebietes den Kampf zur
Entscheidung zu bringen, sondern den Feind in die grenzenlosen
Fernen des Ostens sich nachzuziehen gedenke, entschloſs er sich
zu kühnerem Auftreten. Die beiden Heere lagerten hart aneinan-
der. Während der Mittagrast brach Pompeius auf, ohne daſs der
Feind es bemerkte, umging ihn und besetzte die vorwärts liegen-
den und den vom Feinde zu passirenden Engpaſs beherrschenden
Anhöhen am südlichen Ufer des Flusses Lykos (Jeschil Irmak)
unweit des heutigen Enderes, da wo später Nikopolis erbaut ward.
Den folgenden Morgen brach die pontische Armee in gewohnter
Weise auf und, den Feind wie bisher hinter sich vermuthend,
schlug sie nach zurückgelegtem Tagemarsch ihr Lager eben in
dem Thale, dessen Höhenring die Römer besetzt hatten. Plötz-
lich erscholl in der Stille der Nacht rings im Kreise um sie der
gefürchtete Schlachtruf der Legionen und regneten von allen Sei-
ten die Geschosse in die pontischen Heerhaufen, in denen Sol-
daten und Troſs, Wagen, Pferde, Kameele sich durch einander
schoben und in deren dichtem Knäuel trotz der Dunkelheit kein
Geschoſs fehlging. Als die Römer sich verschossen hatten, stürm-
ten sie von den Höhen herab auf die jetzt in dem Scheine des
inzwischen aufgegangenen Mondes sichtbar gewordenen und fast
wehrlos ihnen preisgegebenen Schaaren und was nicht von dem
Eisen der Feinde fiel, ward in dem fürchterlichen Gedränge unter
den Hufen und Rädern zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld,
auf welchem der greise König mit den Römern gestritten hat.
Mit drei Begleitern, zweien seiner Reiter und einer Kebse, die in
Männertracht ihm zu folgen und tapfer zu streiten gewohnt war,
entrann er von demselben zu der Feste Sinoria, wo der gröſste
Theil seiner Schätze aufbewahrt wurde. Hier fand sich ein Theil
seiner Getreuen zu ihm: er theilte seinen Schatz, in dem 6000 Ta-
lente Goldes (9 Mill. Thlr.) sich befanden, unter sie aus, versah
sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen Haufen
den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbündeten, dem Groſs-
könig von Armenien sich zu vereinigen.
In Armenien war inzwischen eine unerwartete Wendung
8 *
[116]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
eingetreten. Der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vor
allem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend,
war mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen
und hatte denselben gezwungen sich in die unzugänglichen Ge-
birge zurückzuziehen, worauf die Invasionsarmee die Belagerung
der Hauptstadt Artaxata begann. Allein da dieselbe sich in die
Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem gröſsten Theil
seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische
Corps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigran-
ten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wie-
der herstellte. Begreiflicher Weise indeſs war unter diesen Um-
ständen der König wenig geneigt mit den aufs Neue siegreichen
Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzu-
opfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zuge-
kommen war, daſs sein rebellischer Sohn beabsichtigte sich zu
seinem Groſsvater zu begeben. So begann er mit den Römern
Unterhandlungen über einen Sonderfrieden; aber er wartete den
Abschluſs des Vertrages nicht ab, um das Bündniſs, das ihn an
Mithradates fesselte, zu zerreiſsen. An der armenischen Grenze
angelangt muſste dieser vernehmen, daſs der Groſskönig Tigranes
einen Preis von 100 Talenten (150000 Thlr.) auf seinen Kopf
gesetzt, seine Gesandten gefangen genommen und sie den Römern
ausgeliefert habe. Auch diese Hoffnung also war dem König Mi-
thradates vereitelt; sein Reich war in den Händen des Feindes,
seine Bundesgenossen im Begriff mit demselben sich zu verglei-
chen; es war nicht möglich den Krieg fortzusetzen; er muſste sich
glücklich schätzen, wenn es ihm gelang sich an die Ost- und Nord-
gestade des schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrün-
nigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Ma-
chares (S. 56) wieder aus dem bosporanischen Reiche zu verdrän-
gen und an der Maeotis für neue Entwürfe einen neuen Boden
zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der
Flucht, die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte,
stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das
Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts
in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen.
Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von
Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von
der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Groſskönigs
sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Dia-
dem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum
den Abschluſs des Vertrages zwischen seinem Vater und den Rö-
[117]POMPEIUS UND DER OSTEN.
mern in jeder Weise zu hindern bemüht war. Der Groſskönig,
um so mehr entschlossen den Frieden um jeden Preis zu er-
kaufen, erschien gleichfalls selbst im römischen Lager. Zu Pferd
und ohne Purpurgewand, aber geschmückt mit der königlichen
Stirnbinde und dem königlichen Turban hielt er an der Lager-
pforte und gab hier auf Geheiſs der Lictoren, wie die römische
Lagerordnung es erheischte, sein Roſs und sein Schwert ab; also
vor den römischen Feldherrn geführt, warf er nach Barbarenart
sich ihm zu Füſsen und legte zum Zeichen der unbedingten Un-
terwerfung Diadem und Tiara in seine Hände. Pompeius, hoch
erfreut über den mühelosen Sieg, hob den gedemüthigten König
der Könige auf, schmückte ihn wieder mit den Abzeichen seiner
Würde und dictirte den Frieden. Auſser einer Zahlung von 9
Mill. Thlr. (6000 Talente) an die Kriegskasse und einem Ge-
schenk an die Soldaten, wovon auf jeden einzelnen 50 Denare
(14 Thlr.) kamen, trat der König alle gemachten Eroberungen
wieder ab, nicht bloſs die phönikischen, syrischen, kilikischen,
kappadokischen Besitzungen, sondern auch am rechten Ufer des
Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder beschränkt auf
das eigentliche Armenien und mit seinem Groſskönigthum war
es von selber vorbei. Klugheit und Glück hatten sich vereinigt,
um es Pompeius möglich zu machen die beiden mächtigen Könige
von Pontus und Armenien in einem einzigen Feldzug zu unter-
werfen. Am Anfang des J. 688 stand kein römischer Soldat jen-
seit der Grenze der altrömischen Besitzungen; am Schlusse des-
selben irrte König Mithradates landflüchtig und ohne Heer in den
Schluchten des Kaukasus und saſs sein Verbündeter auf dem ar-
menischen Thron nicht mehr als König der Könige, sondern als
römischer Lehnsfürst. Das gesammte kleinasiatische Gebiet west-
lich vom Euphrat gehorchte den Römern unbedingt; die siegreiche
Armee nahm ihre Winterquartiere östlich von diesem Strom auf
armenischem Boden, in der Landschaft vom obern Euphrat bis
an den Kurfluſs, aus welchem damals zuerst die Italiker ihre
Rosse tränkten.
Aber das neue Gebiet, das die Römer hier betraten, erweckte
ihnen neue Kämpfe. Unwillig sahen die tapferen Völkerschaften
des mittleren und östlichen Kaukasus die fernen Occidentalen
auf ihrem Gebiete lagern. Es wohnten dort in der fruchtbaren
und wasserreichen Hochebene des heutigen Georgien die Iberer,
eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende Nation, deren Ge-
schlechtergaue unter ihren Aeltesten das Land nach Feldgemein-
schaft bestellten, ohne Sondereigenthum der einzelnen Bauern.
[118]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen
theils die Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der
ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Rich-
ter und Heerführer vorstand, theils eigene priesterliche Fami-
lien, denen vornämlich oblag die Kunde der mit anderen Völkern
geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhal-
tung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene
des Königs. Auf einer weit niedrigeren Culturstufe standen ihre
östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am untern Kur
bis zum kaspischen Meere hinab saſsen. Vorwiegend ein Hirten-
volk weideten sie, zu Fuſs oder zu Pferde, ihre zahlreichen Heer-
den auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; ihre weni-
gen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne
Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward
nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig wa-
ren, hatte seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonde-
ren Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen vermochten sich
die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu mes-
sen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im Ganzen die
gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurf-
spieſsen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken
hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab
auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche
zum Theil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen
und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren
Aeckern und Triften in vollkommener seit unvordenklicher Zeit
bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die
Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völ-
kerfluthen aufgerichtet zu haben: an ihm hatten die Waffen des
Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden und jetzt schickte
die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an auch gegen die
Römer sie zu vertheidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daſs
der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu
überschreiten und den pontischen König jenseit des Kaukasus zu
verfolgen beabsichtige — denn Mithradates, vernahm man, über-
winterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Ana-
klia) am schwarzen Meer —, überschritten zuerst die Albaner
unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/9 den Kur
und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei gröſsere
Corps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompe-
ius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Haupt-
angriff traf, hielt tapfer Stand und Pompeius selbst verfolgte,
[119]POMPEIUS UND DER OSTEN.
nachdem er sich des gegen ihn geschickten Haufens entledigt, die
auf allen Punkten geschlagenen Barbaren bis an den Kur. Als
das Frühjahr herankam und Pompeius im Begriff war die Ver-
folgung des Mithradates wieder aufzunehmen, ward ihm berich-
tet, daſs der König der Iberer Artokes es mit seinen Versicherun-
gen des Friedens und der Freundschaft nicht ehrlich meine, son-
dern insgeheim rüste um die Römer zu überfallen. Sofort rückte
er vor die beiden kaum eine halbe deutsche Meile von einander
entfernten Festungen Harmozika (Horumziche oder Armazi)
und Seusamora (Tsumar), welche wenig oberhalb des heutigen
Tiflis die beiden Fluſsthäler des Kur und seines Nebenflusses Ara-
gua und damit die einzigen von Armenien nach Iberien führenden
Pässe beherrschen. Artokes, ehe er dessen sich versah vom
Feinde überrascht, brannte eiligst die Kurbrücke ab und wich
unterhandelnd in das innere Land zurück. Pompeius besetzte
die Festungen und folgte den Iberern auf das andere Ufer des
Kur, wodurch er sie zu sofortiger Unterwerfung zu bestimmen
hoffte. Artokes aber wich weiter und weiter in das innere Land
zurück, und als er endlich am Fluſs Peloros Halt machte, geschah
es nicht um sich zu ergeben, sondern um zu schlagen. Allein
dem Anprall der Legionen standen doch die iberischen Schützen
keinen Augenblick und da Artokes auch den Peloros von den Rö-
mern überschritten sah, fügte er sich endlich den Bedingungen,
die der Sieger stellte, und sandte seine Kinder als Geiſseln. Pom-
peius konnte jetzt seinen früheren Plan wieder aufnehmen durch
den Sarapanapaſs aus dem Gebiet des Kur in das des Phasis
und von da am Flusse hinab marschirend an das schwarze
Meer zu gelangen, wo an der kolchischen Küste die Flotte unter
Servilius bereits seiner harrte. Dieser Marsch durch unbekannte
und meistentheils feindliche Nationen ward unter groſsen Drang-
salen vollendet; immer mehr aber zeigte es sich, wie schwierig
der Weg, wie unsicher und nichtig das Ziel war, dem zu Liebe
man Heer und Flotte an den mährchenreichen kolchischen Strand
geführt hatte. Wenn es gelang mit Heer und Flotte von der Pha-
sismündung aus die Krim zu erreichen, durch kriegerische und
arme Barbarenstämme, auf unwirthlichen und unbekannten Ge-
wässern, längs einer Küste, wo an einzelnen Stellen die Gebirge
lothrecht in die See hinabfallen und es schlechterdings nothwen-
dig gewesen wäre die Schiffe zu besteigen; wenn es gelang diesen
Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als die Heerfahr-
ten Alexanders und Hannibal, — was ward im besten Falle damit
erzielt, was irgend den Mühen und Gefahren entsprach? Wohl
[120]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
war der Krieg nicht geendigt, so lange der alte König noch unter
den Lebenden war; aber wer bürgte dafür, daſs es wirklich gelang
das königliche Wild zu fangen, um dessen willen diese beispiel-
lose Jagd angestellt werden sollte? war es nicht besser, selbst auf
die Gefahr hin, daſs Mithradates noch einmal die Kriegsfackel
nach Kleinasien schleudere, von einer Verfolgung abzustehen, die
so wenig Gewinn und so viel Gefahren verhieſs? Wohl drängten
zahlreiche Stimmen im Heer, noch zahlreichere in der Haupt-
stadt den Feldherrn die Verfolgung unablässig und um jeden
Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen theils tolldreister Hitz-
köpfe, theils derjenigen perfiden Freunde, die den mächtigen Feld-
herrn gern um jeden Preis von der Hauptstadt fern gehalten und
ihn im Osten in unabsehbare Unternehmungen sich hätten ver-
wickeln sehen. Pompeius war ein zu erfahrener und zu bedäch-
tiger Offizier, um in einer so unverständigen Expedition seinen
Ruhm und sein Heer auf das Spiel zu setzen; ein Aufstand der
Albaner im Rücken des Heeres gab den Vorwand her um die
weitere Verfolgung des Königs aufzugeben und die Rückkehr an-
zuordnen. Die Flotte erhielt den Auftrag in dem schwarzen Meer
zu kreuzen, die kleinasiatische Nordküste gegen jeden feindlichen
Einfall zu decken, den kimmerischen Bosporus aber streng zu
blokiren unter Androhung der Lebensstrafe für jeden Kauffahrer,
der die Blokade brechen würde. Die Landtruppen führte Pompeius
nicht ohne groſse Beschwerden durch das kolchische und arme-
nische Gebiet an den unteren Lauf des Kur und drang, den Strom
überschreitend, in die albanische Ebene ein. Mehrere Tage muſste
das römische Heer in der glühenden Hitze durch das wasserarme
Blachland marschiren, ohne auf den Feind zu treffen; erst am
linken Ufer des Abas (wahrscheinlich der sonst Alazonios, jetzt
Alasan genannte Fluſs) stellte unter Führung des Koses, Bruders
des Königs Oroizes sich die Streitmacht der Albaner den Römern
entgegen; sie soll mit Einschluſs des von den transkaukasischen
Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzugs 60000 Mann zu Fuſs
und 12000 Reiter gezählt haben. Dennoch hätte sie schwerlich
den Kampf gewagt, wenn sie nicht gemeint hätte bloſs mit der
römischen Reiterei fechten zu sollen; aber die Reiter waren nur
vorangestellt und wie diese sich zurückzogen, zeigten sich da-
hinter verborgen die römischen Infanteriemassen. Nach kurzem
Kampfe war das Heer der Barbaren in die Wälder versprengt, die
Pompeius zu umstellen und anzuzünden befahl. Die Albaner be-
quemten sich hierauf Frieden zu machen und dem Beispiel der
mächtigeren Völker folgend, schlossen alle zwischen dem Kur
[121]POMPEIUS UND DER OSTEN.
und dem kaspischen Meer sitzenden Stämme mit dem römischen
Feldherrn Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und überhaupt die
südlich am und unter dem Kaukasus ansässigen Völkerschaften
traten also wenigstens für den Augenblick in ein abhängiges Ver-
hältniſs zu Rom. Wenn dagegen auch die Völker zwischen dem
Phasis und der Maeotis, Kolcher, Soaner, Heniocher, Jazygen,
Achaeer, sogar die fernen Bastarner dem langen Verzeichniſs der
von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden, so
nahm man dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwer-
fung nicht allzu genau. Der Kaukasus bewährte sich abermals
in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung; wie die persische und
die hellenische fand auch die römische Eroberung an ihm ihre
Grenze.
So blieb denn König Mithradates sich selbst und dem Ver-
hängniſs überlassen. Wie einst sein Ahnherr, der Gründer des pon-
tischen Staates, sein künftiges Reich zuerst betreten hatte auf der
Flucht vor den Häschern des Antigonos und nur von sechs Rei-
tern begleitet, so hatte nun der Enkel die Grenzen seines Reiches
wieder überschreiten und seine und seiner Väter Eroberungen mit
dem Rücken ansehen müssen. Aber die Würfel des Verhängnisses
hatten keinem öfter und launenhafter die höchsten Gewinne und
die gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan von
Sinope und rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im
Osten. Wohl mochte Mithradates jetzt am Abend seines Lebens
jeden neuen Wechselfall mit dem Gedanken hinnehmen, daſs er
doch nur wieder einen neuen Umschwung vorbereite und das
einzig Stetige der ewige Wandel der Geschicke sei. War doch
die römische Herrschaft den Orientalen im tiefsten Grunde ihres
Wesens unerträglich und Mithradates selbst im Guten wie im Bö-
sen der rechte Fürst des Ostens; bei der Schlaffheit des Regi-
ments, wie der römische Senat es über die Provinzen übte, und
bei dem gährenden und zum Bürgerkriege reifenden Hader der
politischen Parteien in Rom konnte Mithradates, wenn er es ver-
stand seine Zeit abzuwarten, gar wohl noch einmal eine Wieder-
herstellung seiner Herrschaft bewirken. Darum blieb er den Rö-
mern gefährlich, so lange er lebte, weil er hoffte und plante, so
lange Leben in ihm war, als landflüchtiger Greis nicht minder
wie da er mit seinen Hunderttausenden ausgezogen war, um
Hellas und Makedonien den Römern zu entreiſsen. Der rastlose
alte Mann gelangte im J. 689 von Dioskurias unter unsäglichen
Beschwerden theils zu Lande, theils zur See in das Reich von
Pantikapaeon, stürzte hier durch sein Ansehen und sein starkes
[122]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und
zwang ihn sich selber den Tod zu geben. Von hier aus ver-
suchte er noch einmal mit den Römern zu unterhandeln; er bat
ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich be-
reit die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnsfürst Zins
zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich dem König eine Stel-
lung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs Neue begonnen
haben würde, und bestand darauf, daſs er sich persönlich unter-
werfen müsse. Mithradates aber dachte nicht daran sich dem
Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer
ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die
seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm dar-
boten, rüstete er ein neues zum Theil aus Sclaven bestehendes
Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete
und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beab-
sichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien west-
wärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die
Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureiſsen
und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat
dies wohl groſsartig gefunden und den Kriegsplan des ponti-
schen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber der-
selbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird ab-
surd in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orien-
talen in Italien war einfach eine Lächerlichkeit und nichts als die
Ausgeburt einer ohnmächtig phantasirenden Verzweiflung. Durch
die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer da-
vor bewahrt dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen
und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er
nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fuſse der
Alpen begegnet ward. Aber während Pompeius, ohne weiter um
den König sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen
beschäftigt war, scheiterten jene weitaussehenden Entwürfe ohne
sein Zuthun und erfüllten sich im entlegenen Norden die Ge-
schicke des greisen Königs. Die unverhältniſsmäſsigen Rüstun-
gen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriſs,
die Ochsen vom Pflug spannte und niederstieſs, um Balken und
Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gährung
hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoff-
nungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben
gewesen von Argwohn und Verrath; er hatte die Gabe nicht
Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frü-
heren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genö-
[123]POMPEIUS UND DER OSTEN.
thigt hatte im römischen Lager Schutz zu suchen, wie während
der Feldzüge Luculls seine vertrautesten Offiziere Diokles, Phoe-
nix, sogar die Chefs der römischen Emigranten zum Feind über-
gegangen waren, so folgte jetzt, wo sein Stern erblich und der
alte kranke verbitterte Sultan keinem mehr als seinen Verschnit-
tenen zugänglich war, noch rascher Abfall auf Abfall. Der Com-
mandant der Festung Phanagoria (auf der asiatischen Küste
Kertsch gegenüber) Kastor erhob zuerst die Fahne des Aufstan-
des; er proclamirte die Freiheit der Stadt und lieferte die in der
Festung befindlichen Söhne Mithradats in die Hände der Römer.
Während unter den bosporanischen Städten der Aufstand sich
ausbreitete, Chersonesos (unweit Sebastopol), Theudosia (Kaffa)
und andere sich den Phanagoriten anschlossen, lieſs der König
seinem Argwohn und seiner Grausamkeit den Lauf. Auf die An-
zeige verächtlicher Eunuchen hin wurden seine Vertrautesten an
das Kreuz geschlagen; die eigenen Söhne des Königs waren ih-
res Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von ihnen, der des
Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum Nachfolger
bestimmt war, Pharnakes entschloſs sich und trat an die Spitze
der Insurgenten. Die Häscher, welche kamen um ihn zu verhaf-
ten, die gegen ihn ausgesandten Truppen gingen zu ihm über;
das Corps der italischen Ueberläufer, vielleicht der tüchtigste un-
ter den mithradatischen Heerhaufen und eben darum am wenig-
sten geneigt die abenteuerliche und für die [Ueberläufer] beson-
ders bedenkliche Expedition gegen Italien mitzumachen, erklärte
sich in Masse für den Prinzen; die übrigen Heerabtheilungen und
die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel. Nachdem die Land-
schaft und die Armee den König verlassen hatten, öffnete endlich
auch die Hauptstadt Pantikapaeon den Insurgenten die Thore
und überlieferte ihrer Willkür den alten in seinem Palast einge-
schlossenen König. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte die-
ser den Sohn an ihm wenigstens das Leben zu gewähren und
nicht in das Blut des Vaters die Hände zu tauchen; aber die Bitte
klang übel aus dem Munde eines Mannes, an dessen eigenen
Händen das Blut der Mutter und das frisch vergossene seines
unschuldigen Sohnes Xiphares klebte. Pharnakes blieb unerbitt-
lich. Da es nun also zum Tode ging, so beschloſs der Sultan
wenigstens zu sterben, wie er gelebt hatte, und befahl seinem gan-
zen Harem Gift zu reichen: seine Frauen, seine Kebse und seine
Töchter, unter diesen die jugendlichen Bräute der Könige von
Aegypten und Kypros, sie alle muſsten die Bitterkeit des Todes
erleiden, bevor auch er den Giftbecher nahm und, da dieser nicht
[124]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
schnell genug wirkte, einem keltischen Söldner Bituitus den
Nacken zum tödlichen Streiche darbot. So starb im J. 691 Mi-
thradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens,
im siebenundfunfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre
nachdem er zum ersten Mal gegen die Römer ins Feld gezogen
war. Sein Tod galt den Römern einem Siege gleich: lorbeerbe-
kränzt, als hätten sie einen solchen zu melden, erschienen die
Boten, welche dem Feldherrn die Katastrophe berichteten, im
römischen Lager vor Jericho. Die Leiche aber, die König Phar-
nakes als Belegstück seiner Verdienste und seiner Loyalität an
Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den
Königsgräbern von Sinope. Ein groſser Feind ward mit ihm zu
Grabe getragen, ein gröſserer, als je noch in dem schlaffen Osten
einer den Römern erstanden war. Instinctmäſsig fühlte es die
Menge; wie einst Scipio mehr noch über Hannibal als über Kar-
thago triumphirt hatte, so wurde auch die Ueberwindung der
zahlreichen Stämme des Ostens und des Groſskönigs selbst fast
vergessen über Mithradates Tod, und bei Pompeius feierlichem
Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf sich als die
Schildereien, in denen man den König Mithradates als Flücht-
ling sein Pferd am Zügel führen, dann ihn sterbend zwischen
den Leichen seiner Töchter niedersinken sah. Wie man auch
über die Individualität des Königs urtheilen mag, er ist eine be-
deutende im vollen Sinne des Wortes geschichtliche Gestalt. Er
war keine geniale, wahrscheinlich nicht einmal eine reichbegabte
Persönlichkeit; aber er besaſs doch wenigstens die sehr respec-
table Gabe zu hassen und mit diesem Hasse hat er den unglei-
chen Kampf gegen die übermächtigen Feinde ein halbes Jahr-
hundert hindurch zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden.
Vor allem aber ward er geschichtlich bedeutungsvoll durch den
Platz, den er einnahm. Als der Vorposten der nationalen Re-
action des Orients gegen die Occidentalen hat er den neuen
Kampf des Ostens gegen den Westen eröffnet; und das Gefühl,
daſs man nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den Be-
siegten wie den Siegern.
Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre 689 mit
den Völkern des Kaukasus gekriegt hatte, zurückgegangen in das
pontische Reich und bezwang daselbst die letzten noch Wider-
stand leistenden Schlösser, welche, um dem Räuberunwesen zu
steuern, geschleift und die Schloſsbrunnen durch hinein gewälzte
Felsblöcke unbrauchbar gemacht wurden. Von da brach er im
Sommer 690 nach Syrien auf um dessen Verhältnisse zu ordnen.
[125]POMPEIUS UND DER OSTEN.
Es ist schwierig den aufgelösten Zustand, in dem die syrischen
Landschaften damals sich befanden, anschaulich darzulegen. Zwar
hatte in Folge der Angriffe Luculls der armenische Statthalter
Magadates im J. 685 diese Provinzen geräumt (S. 61), und auch
die Ptolemaeer, so gern sie die Versuche ihrer Vorfahren die
syrische Küste zu ihrem Reiche zu fügen erneuert haben würden,
scheuten sich doch die römische Regierung, welche noch nicht
einmal für Aegypten ihren mehr als zweifelhaften Rechtstitel re-
gulirt hatte und von den syrischen Prinzen mehrfach angegangen
worden war sie als die legitimen Erben des erloschenen Lagiden-
hauses anzuerkennen, durch die Occupation Syriens zu reizen.
Aber wenn auch die gröſseren Mächte sich augenblicklich sämmt-
lich der Einmischung in die Angelegenheiten Syriens enthielten,
so litt das Land doch weit mehr, als es unter einem groſsen
Krieg hätte leiden können, durch die end- und ziellosen Fehden
der Fürsten, Ritter und Städte. Die factischen Herren im Se-
leukidenreich waren derzeit die Beduinen, die Juden und die
Nabataeer. Die unwirthliche quell- und baumlose Sandsteppe,
die von der arabischen Halbinsel aus bis an und über den Euphrat
sich hinzieht und gegen Westen bis an den syrischen Gebirgszug
und seinen schmalen Küstensaum, gegen Osten bis zu den rei-
chen Niederungen des Tigris und des unteren Euphrat reicht,
diese asiatische Sahara ist die uralte Heimath der Söhne Ismaels;
und seit es eine Ueberlieferung giebt, finden wir dort den ‚Be-
dawin‘, den Sohn der Wüste seine Zelte schlagen und seine Ka-
meele weiden oder auch auf seinem geschwinden Roſs Jagd
machen bald auf den Stammfeind, bald auf den wandernden Han-
delsmann. Begünstigt früher durch König Tigranes, der sich
ihrer für seine handelspolitischen Pläne bediente (S. 42), nach-
her durch die vollständige Meisterlosigkeit in dem syrischen Lande,
breiteten diese Kinder der Wüste über das nördliche Syrien sich
aus und namentlich diejenigen Stämme, die durch die Nachbar-
schaft der civilisirten Syrer die ersten Anfänge einer geordneten
Existenz in sich aufgenommen hatten, spielten hier politisch fast
die erste Rolle. Die namhaftesten unter diesen Emirs waren Ab-
garos, der Häuptling des Araberstamms der Mardaner, den Ti-
granes um Edessa und Karrhae im obern Mesopotamien ange-
siedelt hatte (S. 61); dann westlich vom Euphrat Sampsikera-
mos, der Emir der Araber von Hemesa (Hems) zwischen Da-
maskos und Antiochia und der Herr der starken Festung Arethusa;
Azizos, das Haupt einer andern in denselben Gegenden streifen-
den Horde; Alchaudonios, der Fürst der Rhambäer, der schon
[126]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
mit Lucullus sich in Verbindung gesetzt hatte; und andere mehr.
Neben diesen Beduinenfürsten waren überall dreiste Gesellen auf-
getreten, die es den Kindern der Wüste in dem edlen Gewerbe der
Wegelagerung gleich oder auch zuvorthaten: so Ptolemaeos Men-
naeos Sohn, vielleicht der mächtigste unter diesen syrischen
Raubrittern und einer der reichsten Männer dieser Zeit, der über
das Gebiet der Ituraeer — der heutigen Drusen — in den Thä-
lern des Libanon wie an der Küste und über die nördlich vorlie-
gende Massyasebene mit den Städten Heliupolis (Baalbeck) und
Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete; so
Dionysios und Kinyras, die Herren der Seestädte Tripolis (Tara-
blus) und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude
Silas in Lysias, einer Festung unweit Apameia am Orontes. Im
Süden Syriens dagegen schien der Stamm der Juden sich um
diese Zeit zu einer politischen Macht consolidiren zu wollen.
Durch die fromme und kühne Vertheidigung des uralten jüdischen
Nationalcultes, den der nivellirende Hellenismus der syrischen
Könige bedrohte, war das Geschlecht der Hasmonaeer oder der
Makkabi nicht bloſs zum erblichen Principat und allmählich zu
königlichen Ehren gelangt (II, 56. 57), sondern es hatten auch
die fürstlichen Hochpriester erobernd nach Norden, Osten und
Süden um sich gegriffen. Als der tapfere Jannaeos Alexandros
starb (675), erstreckte sich das jüdische Reich gegen Süden
über das ganze philistaeische Gebiet bis an die aegyptische Grenze,
gegen Südosten bis an die des Nabataeerreiches von Petra, von
welchem Jannaeos beträchtliche Strecken am rechten Ufer des
Jordan und des todten Meeres abgerissen hatte, gegen Norden
über Samareia und die Dekapolis bis zum See von Genezareth;
schon machte er hier Anstalt Ptolemais (Acco) einzunehmen
und die Uebergriffe der Ituraeer erobernd zurückzuweisen. Die
Küste gehorchte den Juden vom Berge Karmel bis nach Rhino-
korura mit Einschluſs des wichtigen Gaza — nur Askalon war
noch frei —, so daſs das einst vom Meer fast abgeschnittene Ge-
biet der Juden jetzt mit unter den Freistätten der Piraterie auf-
geführt werden konnte. Wahrscheinlich hätten, zumal da der ar-
menische Sturm, eben als er sich den Grenzen Judaeas nahte,
durch Lucullus Dazwischenkunft von dieser Landschaft abgewen-
det ward (S. 60), die begabten Herrscher des hasmonaeischen
Hauses ihre Waffen noch weiter getragen, wenn nicht die Macht-
entwicklung dieses merkwürdigen erobernden Priesterstaates
durch innere Spaltungen im Keime geknickt worden wäre. Die
confessionelle und nationale Tendenz, deren energisches Auftre-
[127]POMPEIUS UND DER OSTEN.
ten den Makkabaeerstaat ins Leben gerufen hatte, erstarrte rasch
zu theologischer Gedankenlosigkeit und vornehmer Hochkirch-
lichkeit und es trat eine militärisch hellenisirende Richtung ihr
gegenüber, die, statt zu dem Gott der Väter um Hülfe zu flehen,
es zweckmäſsiger fand mit den Waffen dieser Welt die Feinde zu
schlagen. Jene stützte sich auf die Priesterschaft und auf die
Menge, diese auf die tüchtigeren Könige, auf das Heer, in dem
zahlreiche pisidische und kilikische Söldner dienten, und auf die
Intelligenz. Wie mehr als ein Jahrtausend später die Hohenstau-
fen mit der Kirchengewalt rangen, so befehdeten sich in Palae-
stina die Königs- und die Priesterpartei, die Sadducäer und die
Pharisäer, und auch dieser für den jüdischen Staat verhängniſs-
volle Hader war bezeichnet durch die ganze rücksichtslose Unver-
söhnlichkeit, mit welcher die Frommen für den Besitz irdischer
Güter zu streiten gewohnt sind. Mit starker Hand hatte Jannaeos
die Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden Söhnen
kam es (685 fg.) zu einem Bürger- und Bruderkrieg, indem die
Pharisäer sich dem kräftigen Aristobulos widersetzten und ver-
suchten unter der nominellen Herrschaft seines Bruders, des
gutmüthigen und schlaffen Hyrkanos ihre Herrschaft zu restau-
riren. Dieser Zwist brachte nicht bloſs die jüdischen Eroberun-
gen ins Stocken, sondern gab auch auswärtigen Nationen Gele-
genheit sich einzumischen und dadurch im südlichen Syrien eine
gebietende Stellung zu gewinnen. Zunächst gilt dies von den Na-
bataeern. Diese merkwürdige Nation ist oft mit ihren östlichen
Nachbarn, den schweifenden Arabern zusammengeworfen wor-
den; aber sie ist den eigentlichen Kindern Ismaels stammfremd.
Der aramaeische oder, nach der Benennung der Occidentalen, der
syrische Stamm muſs von seinen ältesten Sitzen um Babylon,
wahrscheinlich des Handels wegen, in sehr früher Zeit eine Co-
lonie an die Nordspitze des arabischen Meerbusens ausgeführt
haben: dies sind die Nabataeer auf der sinaitischen Halbinsel
zwischen dem Golf von Suez und Aila und in der Gegend von
Petra (Wadi Musa). In ihren Häfen wurden die Waaren vom
Mittelmeer gegen indische umgesetzt und die groſse südliche Ka-
rawanenstraſse, die von Gaza zur Euphratmündung und dem per-
sischen Meerbusen lief, führte durch die Hauptstadt der Naba-
taeer Petra, deren heute noch prachtvolle Felspaläste und Fel-
sengräber deutlicheres Zeugniſs von der nabataeischen Civilisa-
tion ablegen als die fast verschollene Ueberlieferung. Die Phari-
säerpartei, der nach Priesterart der Sieg ihrer Partei um den
Preis der Unabhängigkeit und Integrität des Landes nicht zu
[128]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
theuer erkauft schien, ersuchte den König der Nabataeer Aretas
um Hülfe gegen Aristobulos, wofür sie ihm alle von Jannaeos
ihm entrissenen Eroberungen zurückzugeben verhieſs. Darauf hin
war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das jüdische Land ein-
gerückt und, verstärkt durch den Anhang der Pharisäer, hielt er
den König Aristobulos in seiner Hauptstadt belagert. — Unter
dem Faust- und Fehderecht, die also von einem Ende Syriens
zum andern herrschten, litten natürlich vor allen Dingen die grös-
seren Städte, wie Antiochia, Seleukeia, Damaskos, deren Bürger
in ihrem Feldbau wie in ihrem See- und Karawanenhandel sich
gelähmt sahen. Die Bürger von Byblos und Berytos (Beirut) ver-
mochten ihre Aecker und ihre Schiffe nicht vor den Ituraeern zu
schützen, die von ihren Berg- und Seecastellen aus Land und
Meer gleich unsicher machten. Die von Damaskos suchten der
Angriffe der Ituraeer und des Ptolemaeos dadurch sich zu er-
wehren, daſs sie sich den fernen Königen der Nabataeer oder der
Juden zu eigen gaben. In Antiochia mischten sich Sampsikera-
mos und Azizos in die inneren Fehden der Bürgerschaft und fast
wäre die hellenische Groſsstadt der Sitz eines arabischen Emirs
geworden. Es waren Zustände, die an die königlosen Zeiten des
deutschen Mittelalters erinnern, als Nürnberg und Augsburg nicht
in des Königs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Wällen
noch Schutz fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbür-
ger des starken Arms, der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit
wiedergab. An einem legitimen König zwar fehlte es in Syrien
nicht; Antiochos der Asiate war sowohl vom Senat als von Lu-
cullus als solcher anerkannt worden (S. 57. 62). Allein Lucullus
hatte wohl einem andern Prinzen aus dem gleichen Stamme der
Seleukiden und gleichen Namens zu dem Besitz der nördlichsten
syrischen Landschaft Kommagene verholfen, aber es Antiochos
dem Asiaten selber überlassen müssen den Thron seiner Väter
wieder aufzurichten. In der That war dieser nach dem Abzug der
Armenier in Antiochia aufgenommen und als König anerkannt
worden. Aber sogleich war ihm ein anderer Seleukidenprinz Phi-
lippos als Nebenbuhler entgegengetreten und hatte die groſse fast
wie die alexandrinische bewegliche und oppositionslustige Bür-
gerschaft von Antiochia so wie dieser und jener benachbarte
arabische Emir sich eingemischt in den Familienzwist, der nun
einmal von der Herrschaft der Seleukiden unzertrennlich schien.
War es ein Wunder, daſs die Legitimität den Unterthanen zum
Spott und zum Ekel ward und daſs die sogenannten rechtmäſsi-
[129]POMPEIUS UND DER OSTEN.
gen Könige noch etwas weniger im Lande galten als die kleinen
Fürsten und Raubritter?
In diesem Chaos Ordnung zu schaffen bedurfte es weder
genialer Conceptionen noch gewaltiger Machtentfaltung, wohl aber
der klaren Einsicht in die Interessen Roms und seiner Untertha-
nen, und der kräftigen und folgerechten Aufrichtung und Auf-
rechthaltung der als nothwendig erkannten Institutionen. Die
Legitimitätspolitik des Senats hatte sich sattsam prostituirt; der
Feldherr, den die Opposition ans Regiment gebracht, hatte na-
türlich, ohne die legitimen Ansprüche weiter zu respectiren, das
syrische Reich einzig mit Rücksicht darauf zu ordnen, daſs es
in Zukunft weder durch den Zwist der Prätendenten noch durch
die Begehrlichkeit der Nachbarn der römischen Clientel entzogen
werden könne. Dazu aber gab es nur einen Weg: daſs die rö-
mische Gemeinde durch einen von ihr gesandten Satrapen mit
kräftiger Hand die Zügel der Regierung erfasse, die den letzten
Königen des regierenden Hauses mehr noch durch eigene Ver-
schuldung als durch äuſsere Unfälle seit langem thatsächlich ent-
glitten waren. So geschah es. Antiochos der Asiate erhielt auf
seine Bitte, ihn als den angestammten Herrscher Syriens anzu-
erkennen, von Pompeius die Antwort, daſs er einem König, der
sein Reich weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die Herr-
schaft nicht einmal auf die Bitte seiner Unterthanen, geschweige
denn gegen deren bestimmt ausgesprochene Wünsche zurück-
geben werde. Mit diesem Briefe des römischen Proconsuls war
das Haus des Seleukos von dem Throne gestoſsen, den es seit
zweihundertfunfzig Jahren eingenommen hatte. Antiochos verlor
bald darauf sein Leben durch die Hinterlist des Emirs Sampsi-
keramos, als dessen Client er in Antiochia den Herrn spielte;
seitdem ist von diesen Schattenkönigen und ihren Ansprüchen
nicht weiter die Rede und an ihren Platz tritt die römische Ge-
meinde. Form und Ordnung des Regiments blieben also im We-
sentlichen dieselben und nichts ward verändert als die Person des
Monarchen. Zunächst ward das Land militärisch besetzt, um
all die Störer der friedlichen Ordnung, die während der viel-
jährigen Anarchie emporgewachsen waren, durch die römischen
Legionen zu schrecken oder niederzuwerfen. Schon während der
Feldzüge im pontischen Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius
den Angelegenheiten Syriens seine Aufmerksamkeit zugewandt
und einzelne Beauftragte und Detachements wo es Noth that ein-
greifen lassen. Aulus Gabinius — derselbe, der als Volkstribun
Pompeius nach dem Osten gesandt hatte — war schon 689 an
Röm. Gesch. III. 9
[130]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien
gegangen, um die verwickelten Verhältnisse im jüdischen Lande
zu schlichten. Ebenso war das schwer bedrängte Damaskos be-
reits durch Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher
traf ein anderer Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus in Ju-
daea ein, um die immer neu wieder daselbst ausbrechenden Feh-
den beizulegen. Auch Lucius Afranius, der während Pompeius
Expedition nach dem Kaukasus das Commando über die römi-
schen Truppen in Armenien führte, hatte von Korduene (dem
nördlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien be-
geben und, nachdem er durch die hülfreiche Theilnahme der in
Karrhae angesiedelten Hellenen den gefährlichen Weg durch die
Wüste glücklich zurückgelegt hatte, die Araber in Osroene zur
Botmäſsigkeit gebracht. Gegen Ende des J. 690 traf dann Pom-
peius selbst in Syrien ein * und verweilte dort bis zum Sommer
des folgenden Jahres, entschlossen durchgreifend und für jetzt
und künftig die Verhältnisse ordnend. Zurückgehend auf die Zu-
stände des Reiches in den besseren Zeiten der Seleukidenherr-
schaft, wurden alle usurpirten Gewalten beseitigt, die Raubherren
aufgefordert ihre Burgen zu übergeben, die arabischen Scheiks
wieder auf ihr Wüstengebiet beschränkt, die Verhältnisse der ein-
zelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen
Gehorsam zu verschaffen standen die Legionen bereit und ihr
Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen
Raubritter als nothwendig. Der Herr von Lysias Sila, der Herr
von Tripolis Dionysios, der Herr von Byblos Kinyras wurden in
ihren Burgen gefangen genommen und hingerichtet, die Berg-
und Seeschlösser der Ituraeer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos
Sohn gezwungen mit 1000 Talenten (1,716000 Thlr.) Lösegeld
Freiheit und Herrschaft zu erkaufen. Im Uebrigen fanden die Be-
fehle des neuen Machthabers meistentheils widerstandslosen Ge-
horsam. Nur die Juden schwankten. Die früher von Pompeius
gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten — beide, wie
[131]POMPEIUS UND DER OSTEN.
es heiſst, mit bedeutenden Summen bestochen — im Streite der
beiden Brüder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letz-
teren entschieden, auch den König Aretas veranlaſst die Belage-
rung von Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimath zu be-
geben, wobei er auf dem Rückweg noch von Aristobulos eine
Niederlage erlitt. Als aber Pompeius in Syrien eintraf, cassirte er
die Anordnungen seiner Untergebenen und wies die Juden an ihre
alte Hochpriesterverfassung, wie der Senat sie um 593 anerkannt
hatte (II, 56), wieder einzuführen und, wie auf das Fürstenthum
selbst, so auch auf alle von den hasmonäischen Fürsten gemach-
ten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisäer, welche
eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Männer
an den römischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz der
Königsherrschaft erwirkt hatten; nicht zum Vortheil der eigenen
Nation, aber wohl zu dem der Römer, die der Natur der Sache
nach auch hier zurückkommen muſsten auf die alten Rechte der
Seleukiden und eine erobernde Macht, wie die des Jannaeos
war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten. Aristobulos
schwankte, ob er das Unvermeidliche geduldig über sich ergehen
lassen wolle oder mit den Waffen in der Hand dem Verhängniſs
erliegen; bald schien er im Begriff sich Pompeius zu unterwer-
fen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen
die Römer aufzurufen. Als er endlich, da schon die Legionen
vor den Thoren von Jerusalem standen, sich dem Feinde ergab,
weigerte sich der entschlossenere oder fanatisirtere Theil seiner
Armee den Befehlen des unfreien Königs Folge zu leisten. Zwar
unterwarf sich die Hauptstadt dennoch den Römern; aber den
steilen Tempelfelsen vertheidigte jene fanatische Schaar drei Mo-
nate hindurch mit todesmuthiger Hartnäckigkeit, bis endlich wäh-
rend der Sabbathruhe der Belagerten die Belagerer eindrangen,
des Heiligthums sich bemächtigten und die Anstifter dieser ver-
zweifelten Gegenwehr, so weit sie nicht unter den römischen
Schwertern gefallen waren, unter die Beile der Lictoren sandten.
Damit ging der letzte Widerstand der neu zum römischen Staat
gezogenen Gebiete zu Ende.
Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollen-
det: die bisher wenigstens dem Namen nach selbstständigen Staa-
ten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit dem römischen ver-
einigt; was man seit mehr als hundert Jahren als nothwendig er-
kannt hatte, die Vertauschung des schwächlichen Clientelsystems
mit der unmittelbaren Herrschaft über die wichtigeren abhängigen
Gebiete (II, 21) war verwirklicht worden, so wie der Senat ge-
9*
[132]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
stürzt und die gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man
hatte im Osten neue Grenzen erhalten, neue Nachbaren, neue
freundliche und feindliche Beziehungen. Neu traten unter die
mittelbar römischen Gebiete ein das Königreich Armenien und
die kaukasischen Fürstenthümer, ferner das Reich am kimmeri-
schen Bosporus, der geringe Ueberrest der ausgedehnten Erobe-
rungen Mithradates Eupators, das jetzt ein römischer Clientelstaat
unter der Regierung seines Sohnes und Mörders Pharnakes ward;
nur die Stadt Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal
zum Aufstand gegeben hatte, wurde dafür von den Römern als
frei und unabhängig anerkannt. Der König der Nabataeer Aretas
hatte allerdings das jüdische Land geräumt, wie die Römer es be-
gehrten; allein immer noch gebot er in Damaskos und überhaupt
schien es wünschenswerth den Nachbarn im arabischen Lande
zu zeigen, daſs jetzt am Orontes und am Jordan die römischen
Adler geboten und daſs die Zeit vorbei war, wo die syrischen
Landschaften als herrenloses Gut zu brandschatzen Jedem frei
stand. Darum unternahm Pompeius im J. 691 eine Expedition
gegen Petra; allein aufgehalten durch den Aufstand der Juden,
der während dieses Zuges zum Ausbruch kam, überlieſs er sei-
nem Nachfolger Marcus Scaurus nicht ungern die Ausführung
der schwierigen Unternehmung gegen die fern inmitten der Wüste
gelegene Nabataeerstadt*. In der That sah auch Scaurus sich
bald genöthigt unverrichteter Sache umzukehren; er muſste sich
begnügen in den Wüsten am linken Ufer des Jordan die Nabataeer
zu bekriegen, wo er sich auf die Juden zu stützen vermochte, aber
doch auch nur sehr unbedeutende Erfolge davontrug. Schlieſs-
lich überredete der gewandte jüdische Minister Antipatros aus Idu-
maea den Aretas sich die Gewähr seiner sämmtlichen Besitzun-
gen mit Einschluſs von Damaskos von dem römischen Statthalter
um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies ist denn der auf den
Münzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo König Aretas, das
Kameel am Zügel, kniefällig dem Römer den Oelzweig darreichend
[133]POMPEIUS UND DER OSTEN.
erscheint. — Bei weitem folgenreicher als diese neuen Beziehungen
der Römer zu den Armeniern, Iberern, Bosporanern und Naba-
taeern war die Nachbarschaft, in welche sie durch die Occupation
Syriens zu dem parthischen Staate traten. So geschmeidig die
römische Diplomatie gegen Phraates aufgetreten war, als noch
der pontische und der armenische Staat aufrecht standen, so willig
damals sowohl Lucullus als Pompeius ihm den Besitz der Land-
schaften jenseit des Euphrat zugestanden hatten (S. 63. 113), so
schroff stellte jetzt der neue Nachbar sich neben den Arsakiden;
und wenn die königliche Kunst die eigenen Fehler zu vergessen die-
sem es gestattete, mochte er wohl jetzt sich der warnenden Worte
Mithradats erinnern, daſs der Parther durch das Bündniſs mit
den Occidentalen gegen die stammverwandten Reiche erst diesen
und sodann sich selber das Verderben bereite. Römer und Par-
ther im Bunde hatten Armenien zu Grunde gerichtet; als es ge-
stürzt war, kehrte Rom, seiner alten Politik getreu, die Rollen
um und begünstigte den gedemüthigten Feind auf Kosten des
mächtigen Bundesgenossen. Schon die auffallende Bevorzugung
gehört hieher, die seinem Sohne, dem Verbündeten und Tochter-
mann des Partherkönigs gegenüber der Vater Tigranes bei Pom-
peius fand; es war eine unmittelbare Beleidigung, als bald nach-
her auf Pompeius Befehl der jüngere Tigranes mit seiner Familie
zur Haft gebracht und selbst dann nicht freigegeben ward, als
sich Phraates bei dem befreundeten Feldherrn für seine Tochter
und seinen Schwiegersohn verwandte. Aber Pompeius blieb hie-
bei nicht stehen. Die Landschaft Korduene, auf welche sowohl
Phraates als Tigranes Ansprüche erhoben, wurde auf Pompeius
Befehl durch römische Truppen für den Letzteren occupirt und
die im Besitz befindlichen Parther über die Grenze hinausgeschla-
gen, ja bis nach Arbela in Adiabene verfolgt, ohne daſs die Re-
gierung von Ktesiphon auch nur vorher gehört worden wäre (689).
Weitaus am bedenklichsten jedoch war es, daſs die Römer keines-
wegs geneigt schienen die tractatenmäſsig festgestellte Euphrat-
grenze zu respectiren. Mehrmals marschirten römische von Ar-
menien nach Syrien bestimmte Corps quer durch Mesopotamien;
der arabische Emir Abgáros von Osroene ward unter auffallend
günstigen Bedingungen in die römische Clientel aufgenommen;
ja Oruros, das im oberen Mesopotamien etwa zwischen Nisibis
und dem Tigris 50 deutsche Meilen östlich von dem kommageni-
schen Euphratübergang liegt, ward bezeichnet als östlicher Grenz-
punkt der römischen Herrschaft, vermuthlich der mittelbaren,
insofern die gröſsere und fruchtbarere nördliche Hälfte Mesopo-
[134]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
tamiens von den Römern ebenso wie Korduene zum armenischen
Reiche gelegt ward. Die Grenze zwischen Römern und Parthern
ward also statt des Euphrat die groſse syrisch-mesopotamische
Wüste; und auch dies schien nur vorläufig. Den parthischen Ge-
sandten, die kamen um auf das Einhalten der allerdings, wie es
scheint, nur mündlich abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der
Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die zweideutige Antwort,
daſs Roms Gebiet sich soweit erstrecke wie sein Recht. Ein Com-
mentar zu dieser Rede schien der bedenkliche Verkehr, den der
römische Oberfeldherr mit Dareios, dem parthischen Satrapen
der Landschaft Elymais (oberhalb Ekbatana oder Hamadan) an-
spann*. Die Statthalter dieser gebirgigen, kriegerischen und ent-
legenen Provinz waren von je her bestrebt gewesen eine von dem
Groſskönig unabhängige Stellung zu gewinnen; um so verletzen-
der und bedrohlicher war es für die parthische Regierung, wenn
Pompeius von diesem Dynasten die dargebotene Huldigung an-
nahm. Nicht minder war es bezeichnend, daſs der Titel des ‚Kö-
nigs der Könige,‘ der dem Partherkönig bis dahin auch von den
Römern im officiellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf
einmal von ihnen mit dem einfachen Königstitel vertauscht ward.
Es war das mehr noch eine Drohung als eine Verletzung der Eti-
kette. Seit Rom die Erbschaft der Seleukiden gethan, schien es
fast, als gedenke man dort im gelegenen Augenblick auf jene alten
Zeiten zurückzugreifen, da ganz Iran und Turan von Antiochia
aus beherrscht wurden und es noch kein parthisches Reich gab,
sondern nur eine parthische Satrapie. Der Hof von Ktesiphon
[135]POMPEIUS UND DER OSTEN.
hätte also Grund genug gehabt mit Rom den Krieg zu beginnen;
es schien die Einleitung dazu, daſs er im J. 690 wegen der Grenz-
frage Armenien den Krieg erklärte. Aber Phraates hatte doch
nicht den Muth, eben jetzt, wo der gefürchtete Feldherr mit seiner
starken Armee an den Grenzen des parthischen Reiches stand,
mit den Römern offen zu brechen. Als Pompeius Commissarien
sandte um den Streit zwischen Parthien und Armenien gütlich
beizulegen, fügte auch Phraates sich der aufgezwungenen römi-
schen Vermittelung und lieſs es sich gefallen, daſs ihr Schieds-
spruch den Armeniern Korduene und das nördliche Mesopota-
mien zuwies. Bald nachher schmückte seine Tochter mit ihrem
Sohn und ihrem Gemahl den Triumph des römischen Feldherrn.
Auch die Parther zitterten vor der römischen Uebermacht; und
wenn sie nicht wie die Pontiker und die Armenier den römischen
Waffen erlegen waren, so schien davon die Ursache nur die zu
sein, daſs sie es nicht gewagt hatten den Kampf zu bestehen.
Noch lag es dem Feldherrn ob die inneren Verhältnisse der
neu gewonnenen Landschaften zu reguliren und die Spuren eines
dreizehnjährigen verheerenden Krieges so weit möglich zu tilgen.
Das in Kleinasien von Lucullus und der ihm beigegebenen Com-
mission, auf Kreta von Metellus begonnene Organisationsgeschäft
erhielt den endlichen Abschluſs durch Pompeius. Die bisherige
Provinz Asia, die Mysien, Lydien, Phrygien, Karien und Lykien
umfaſste, ward aus einer Grenz- eine Mittelprovinz; neu einge-
richtet wurden die Provinz Bithynien und Pontus, welche gebil-
det ward aus dem gesammten ehemaligen Reiche des Nikomedes
und der westlichen Hälfte des ehemaligen pontischen Staates bis
an und über den Halys; die Provinz Kilikien, die zwar schon älter
war, aber doch erst jetzt ihrem Namen entsprechend erweitert und
organisirt ward und auch Pamphylien und Isaurien mit umfaſste;
die Provinz Syrien und die Provinz Kreta. Freilich fehlte viel,
daſs jene Ländermasse als zusammenhängendes römisches Gebiet
hätte betrachtet werden können; vielmehr bestand sie aus einer
bunten Mischung unmittelbar römischen Landes, autonomer Stadt-
gebiete, fürstlicher und priesterlicher Herrschaften und König-
reiche, welche alle für die innere Verwaltung mehr oder minder
sich selbst überlassen waren, übrigens aber bald in milderen,
bald in schrofferen Formen von der römischen Regierung und
deren Proconsuln in ähnlicher Weise abhingen, wie früher von
dem Groſskönig und dessen Satrapen. Wenigstens dem Range
nach nahm unter den abhängigen Dynasten den ersten Platz ein
der König von Kappadokien, dessen Gebiet schon Lucullus durch
[136]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
die Belehnung mit der Landschaft Melitene (um Malatia) bis an
den Euphrat erweitert hatte und dem Pompeius noch theils an
der Westgrenze einige von Kilikien abgerissene Bezirke von Kasta-
bala bis nach Derbe bei Ikonion, theils an der Ostgrenze die am
linken Euphratufer Melitene gegenüber gelegene anfänglich dem
armenischen Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft Sophene
verlieh, wodurch also die wichtigste Euphratpassage ganz in die
Gewalt dieses Fürsten kam. Die kleine Landschaft Kommagene
zwischen Syrien und Kappadokien mit der Hauptstadt Samosata
(Samsat) blieb als abhängiges Königthum dem Antiochos, einem
Prinzen aus dem Hause der Seleukiden*; demselben wurden auch
die wichtige den südlicheren Uebergang über den Euphrat beherr-
schende Festung Seleukeia (bei Biradjik) und die nächsten Striche
am linken Ufer des Euphrat zugetheilt und somit dafür gesorgt,
daſs die beiden Hauptübergänge über den Euphrat mit einem ent-
sprechenden Gebiet am östlichen Ufer in den Händen zweier von
Rom völlig abhängiger Dynasten blieben. Neben den Königen von
Kappadokien und Kommagene und an wirklicher Macht ihnen bei
weitem überlegen herrschte in Kleinasien der neue König Deiotarus.
Einer der Vierfürsten des um Pessinus ansäſsigen Keltenstammes
der Tolistoboier und mit den andern kleinen römischen Clienten
zur Heerfolge aufgeboten, hatte Deiotarus in den Feldzügen des
Lucullus und Pompeius im Gegensatz zu all den schlaffen Orien-
talen seine Zuverlässigkeit und seine Thatkraft so glänzend be-
währt, daſs die römischen Feldherren zu seinem galatischen Erbe
und seinen Besitzungen in der reichen Landschaft zwischen Ami-
sos und der Halysmündung ihm die östliche Hälfte des ehemals
pontischen Reiches mit den Seestädten Pharnakia und Trapezus
und das pontische Armenien bis zur kolchischen und groſsarme-
nischen Grenze als Königreich Kleinarmenien verliehen. Bald
nachher vermehrte er noch durch die Landschaft der keltischen
Trokmer, deren Vierfürsten er verdrängte, sein schon ansehnli-
ches Gebiet. So ward der geringe Lehnsmann einer der mächtig-
sten Dynasten Kleinasiens, dem die Hut eines wichtigen Theils
der Reichsgrenze anvertraut werden konnte. Vasallen geringerer
Bedeutung waren die übrigen zahlreichen galatischen Vierfürsten,
[137]POMPEIUS UND DER OSTEN.
von denen einer, der Trokmerfürst Bogodiatarus wegen seiner
im mithradatischen Kriege bewährten Tüchtigkeit von Pompeius
mit der ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt
ward; der Fürst von Paphlagonien Attalos, der sein Geschlecht
auf das alte Herrscherhaus der Pylaemeniden zurückführte; Ari-
starchos und andere kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tar-
kondimotos, der im östlichen Kilikien in den Bergthälern des
Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos Sohn, der fortfuhr in Chal-
kis am Libanos zu herrschen; der Nabataeerkönig Aretas als Herr
von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den Landschaf-
ten dies- und jenseit des Euphrat, Abgaros in Osroene, den die
Römer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu
benutzen auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemühten,
Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambaeer, ein
andrer Emir in Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren,
die im Osten häufig gleich den weltlichen Dynasten über Land
und Leute geboten und an deren in dieser Heimath des Fanatis-
mus fest gegründeter Autorität zu rütteln oder auch nur die Tem-
pel ihrer Schätze zu berauben die Römer klüglich sich enthielten:
der Hochpriester der Göttin Mutter in Pessinus; die beiden Hoch-
priester der Göttin Ma in dem kappadokischen Komana (am obe-
ren Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt (Gümenek
bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem
König an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel späte-
rer Zeit ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit
und an sechstausend Tempelsclaven besaſs — mit dem pontischen
Hochpriesteramt ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen
von Mithradates zu den Römern übergegangenen Feldherrn, von
Pompeius belehnt —; der Hochpriester des venasischen Zeus in
dem kappadokischen Amt Morimene, dessen Einkünfte sich auf
jährlich 22500 Thlr. (15 Talente) beliefen; der ‚Erzpriester und
Herr‘ desjenigen Gebietes im rauhen Kilikien, wo Teukros des
Aias Sohn dem Zeus einen Tempel gegründet hatte, welchem seine
Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der ‚Erzpriester und
Herr des Volkes‘ der Juden, dem Pompeius, nachdem er die
Mauern der Hauptstadt und die königlichen Schatz- und Zwing-
burgen im Lande geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung
Friede zu halten und nicht weiter auf Eroberungen auszugehen die
Vorstandschaft seiner Nation zurückgab. Neben diesen weltlichen
und geistlichen Potentaten standen die Stadtgemeinden. Zum
Theil waren dieselben zu gröſseren Verbänden zusammengeordnet,
welche einer verhältniſsmäſsigen Selbstständigkeit sich erfreuten,
[138]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
wie namentlich der wohlgeordnete und zum Beispiel der Theil-
nahme an der wüsten Piratenwirthschaft stets ferngebliebene
Bund der dreiundzwanzig lykischen Städte; wogegen die zahl-
reichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie die
Selbstregierung als Recht in Anspruch nehmen durften, thatsäch-
lich von den römischen Statthaltern durchaus abhängig waren.
Die Römer verkannten es nicht, daſs mit der Aufgabe den Helle-
nismus zu vertreten und im Osten Alexanders Marken zu schirmen
und zu erweitern, vor allem die Hebung des städtischen Wesens
ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn die Städte überall
die Träger der Gesittung sind, so faſste vor allem der Antago-
nismus der Orientalen und Occidentalen in seiner ganzen Schärfe
sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen militärisch-
despotischen Lehenshierarchie und des gewerb- und handeltrei-
benden städtischen Gemeinwesens der Hellenen und Italiker. Lu-
cullus und Pompeius, so wenig sie auch sonst auf die Nivellirung
der Zustände im Osten hinarbeiteten und so sehr auch der letz-
tere in Detailfragen die Anordnungen seines Vorgängers zu meistern
und zu ändern geneigt war, trafen doch vollständig zusammen in
dem Grundsatz das städtische Wesen in Kleinasien und Syrien
nach Kräften zu fördern. Kyzikos, an dessen kräftiger Gegenwehr
die erste Heftigkeit des letzten Krieges sich gebrochen hatte, em-
pfing von Lucullus eine beträchtliche Erweiterung seines Gebie-
tes. Das pontische Herakleia, wie energisch es auch den Römern
widerstanden hatte, erhielt dennoch sein Gebiet und seine Häfen
zurück und Cottas barbarisches Wüthen gegen die unglückliche
Stadt erfuhr im Senat den schärfsten Tadel. Lucullus hatte es
tief und aufrichtig beklagt, daſs das Schicksal ihm das Glück ver-
sagt hatte Sinope und Amisos von der Verheerung durch die pon-
tische und die eigene Soldateska zu erretten; wenigstens that er
was er vermochte um sie wieder herzustellen, erweiterte ansehn-
lich ihre Gebiete, bevölkerte sie aufs Neue theils mit den alten
Bewohnern, die auf seine Einladung schaarenweise in die geliebte
Heimath zurückkehrten, theils mit neuen Ansiedlern hellenischer
Abstammung und sorgte für den Wiederaufbau der zerstörten
Gebäude. In gleichem Sinn und in noch gröſserem Maſsstab ver-
fuhr Pompeius. Schon nach der Ueberwindung der Piraten hatte
er die Gefangenen, deren Zahl 20000 überstieg, statt nach dem
Beispiel seiner Vorgänger sie zu kreuzigen, angesiedelt theils in
den verödeten Städten des ebenen Kilikien, wie in Soloi, das seit-
dem den Namen der Pompeiusstadt (Pompeiupolis) führte, in
Mallos, Adana, Epiphaneia, theils in Dyme in Achaia, ja sogar in
[139]POMPEIUS UND DER OSTEN.
Tarent. Die Maſsregel fand vielfachen Tadel, da sie gewisser-
maſsen auf das Verbrechen eine Belohnung zu setzen schien; in
der That war sie politisch und sittlich wohl gerechtfertigt, denn
wie die Dinge damals standen, war die Piraterie etwas anderes als
Räuberei und die Gefangenen billig nach Kriegsrecht zu behan-
deln. Vor allen Dingen aber lieſs Pompeius es sich angelegen
sein in den neuen römischen Provinzen das städtische Wesen
emporzubringen. Wie städtearm das pontische Reich war, ward
schon bemerkt (II, 259); die meisten Districte Kappadokiens hat-
ten noch ein Jahrhundert später keine Städte, sondern nur Berg-
festungen als Zufluchtsort für die ackerbauende Bevölkerung im
Kriege; im ganzen östlichen Kleinasien wird es, abgesehen von
den sparsam gesäten griechischen Colonien an den Küsten, zu
dieser Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von Pompe-
ius in diesen Landschaften neu gegründeten Städte wird einschlieſs-
lich der kilikischen Ansiedlungen auf neununddreiſsig angegeben,
von denen mehrere zu hoher Blüthe gelangten. Die namhaftesten
dieser Ortschaften in dem ehemaligen pontischen Reiche sind Ni-
kopolis, die ‚Siegesstadt‘, gegründet an dem Orte, wo Mithrada-
tes die letzte entscheidende Niederlage erlitt (S. 115) — das
schönste Siegesdenkmal des trophäenreichen Feldherren; Megalo-
polis, nach Pompeius Beinamen genannt, an der Grenze von Kap-
padokien und Kleinarmenien, das spätere Sebasteia (jetzt Siwas),
Ziela, wo die Römer die unglückliche Schlacht lieferten (S. 67);
eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und bisher
dem Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius städ-
tische Form und städtisches Recht gab; Diospolis, früher Kabeira,
später Neokaesareia (Niksar), gleichfalls eine der Wahlstätten des
letzten Krieges; Magnopolis oder Pompeiupolis, das wiederher-
gestellte Eupatoria am Zusammenfluſs des Lykos und des Iris, ur-
sprünglich von Mithradates erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt
zu den Römern wieder von ihm zerstört (S. 111); Neapolis, sonst
Phazemon, zwischen Amasia und dem Halys. Die meisten dieser
Stadtgründungen wurden nicht durch Colonisten aus der Ferne
bewirkt, sondern durch Niederlegung der Dörfer und Zusammen-
ziehung ihrer Bewohner in den neuen Mauerring; nur in Nikopo-
lis siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee
an, die es vorzogen statt später in Italien hier sofort eine Heimath
sich zu gründen. Aber auch an andern Orten entstanden auf den
Wink des Machthabers neue Brennpuncte der hellenischen Civi-
lisation. In Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis
die Stätte, wo Mithradates Armee im J. 666 den groſsen Sieg
[140]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
über die Bithyner erfocht (II, 272). In Kappadokien, das viel-
leicht mehr als irgend eine andere Provinz durch den Krieg ge-
litten hatte, wurden die Residenz Mazaka (später Kaisareia, jetzt
Kaisarieh) und sieben andere Ortschaften von Pompeius wieder
hergestellt und städtisch eingerichtet. In Kilikien und Koilesyrien
zählte man zwanzig von Pompeius angelegte Städte. In den von
den Juden geräumten Districten erhob sich Gadara in der Deka-
polis auf Pompeius Befehl aus seinen Trümmern und ward die
Stadt Selenkis gegründet. Bei weitem der gröſste Theil des auf
den asiatischen Continent zur Verfügung stehenden Domaniallan-
des muſs von Pompeius für seine neuen Ansiedlungen verwandt
worden sein, wogegen auf Kreta, um das Pompeius sich wenig
oder gar nicht kümmerte, der römische Domanialbesitz ziem-
lich ausgedehnt geblieben zu sein scheint. — Nicht minder wie
auf Gründung neuer Ortschaften war Pompeius darauf bedacht
die bestehenden Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die einge-
rissenen Miſsbräuche und Usurpationen wurden nach Vermögen
abgestellt; ausführliche und für die verschiedenen Provinzen mit
Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen regelten im Einzelnen
das Municipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten Städte ward
mit neuen Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten An-
tiochia am Orontes, die bedeutendste Stadt des römischen Asiens
und nur wenig zurückstehend hinter dem ägyptischen Alexandreia
und dem Bagdad des Alterthums, der Stadt Seleukeia im parthi-
schen Reiche; ferner die Nachbarstadt von Antiochia, das pieri-
sche Seleukeia, das für seine muthige Gegenwehr gegen Tigranes
jetzt den Lohn empfing; Gaza und überhaupt alle von der jüdi-
schen Herrschaft befreite Städte; in Vorderasien Mytilene; Pha-
nagoria am schwarzen Meer.
So war der Bau des asiatischen Römerstaates vollendet, der
mit seinen Lehnkönigen und Vasallen, den gefürsteten Priestern
und der Reihe ganz- und halbfreier Städte lebhaft erinnert an das
heilige römische Reich deutscher Nation. Er war kein Wunder-
werk, weder hinsichtlich der überwundenen Schwierigkeiten,
noch hinsichtlich der erreichten Vollendung, und ward es auch
nicht durch all die groſsen Worte, mit denen in Rom die vor-
nehme Welt zu Gunsten des Lucullus, die laute Menge zum Preise
des Pompeius freigebig waren. Pompeius namentlich lieſs sich
feiern und feierte sich selbst in einer Weise, daſs man ihn fast für
noch schwachköpfiger hätte halten mögen, als er in der That war.
Seine Inschriften rechneten 12 Millionen unterworfener Seelen
und 1538 eroberte Städte und Burgen heraus — es schien, als
[141]POMPEIUS UND DER OSTEN.
solle die Quantität die Qualität ersetzen — und erstreckten den
Kreis seiner Siege vom mäotischen zum kaspischen, von diesem
zum rothen Meer, von welchen drei Meeren er keines je mit
Augen gesehen hat; ja wenn er es auch nicht geradezu sagte,
so veranlaſste er doch das Publicum zu meinen, daſs die Ein-
ziehung Syriens, die wahrlich keine Heldenthat war, den ganzen
Osten bis nach Baktrien und Indien zum römischen Reiche ge-
bracht habe — in so duftige Ferne lieſs er in seinen Angaben die
Grenzlinie seiner östlichen Eroberungen verschwimmen. Die de-
mokratische Servilität, die zu allen Zeiten mit der höfischen ge-
wetteifert hat, ging bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen
Schwindel ein. Ihr genügte nicht der pomphafte Triumphalzug,
der am 28. und 29. Sept. 693, dem sechsundvierzigsten Geburts-
tag Pompeius des Groſsen, durch die Gassen Roms sich bewegte,
verherrlicht, um von den Kleinodien aller Art zu schweigen, durch
die Kroninsignien Mithradats und durch die Kinder der drei mäch-
tigsten Könige Asiens, des Mithradates, Tigranes und Phraates: sie
lohnte ihrem Feldherrn, der zweiundzwanzig Könige besiegt, dafür
mit königlichen Ehren und verlieh ihm den goldenen Kranz und
die Insignien der Magistratur auf Lebenszeit. Die ihm zu Ehren
geschlagenen Münzen zeigen gar die Weltkugel zwischen dem
dreifachen aus den drei Welttheilen heimgebrachten Lorbeer und
über ihr schwebend jenen dem Triumphator über Africa, Spanien
und Asien von der Bürgerschaft verehrten Goldkranz. Es kann
solchen kindischen Huldigungen gegenüber nicht Wunder neh-
men, daſs auch im entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wur-
den. Unter der römischen vornehmen Welt war es eine geläufige
Rede, daſs das eigentliche Verdienst der Unterwerfung des Ostens
Lucullus zukomme und Pompeius nur nach dem Osten gegangen
sei um Lucullus zu verdrängen und die von fremder Hand ge-
brochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu flechten. Beides
war vollständig falsch; Lucullus war bereits durch Glabrio ersetzt,
als Pompeius im Osten eintraf, und wie wacker auch Lucullus
gefochten, es war Thatsache, daſs, als Pompeius den Oberbefehl
übernahm, die Römer all ihre früheren Erfolge wieder eingebüſst
und keinen Fuſs breit pontischen Bodens inne hatten. Mehr zum
Ziele traf der Spott der Hauptstädter, die nicht ermangelten dem
mächtigen Besieger des Erdballs die Namen der von ihm über-
wundenen Groſsmächte als Spitznamen beizulegen und ihn bald
als Sieger von Salem, bald als Emir (Arabarches), bald als den
römischen Sampsikeramos begrüſsten. Der unbefangene Urthei-
ler wird indeſs weder in jene Ueberschwänglichkeiten noch in
[142]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
diese Verkleinerungen einstimmen. Lucullus und Pompeius haben,
indem sie Asien unterwarfen und ordneten, sich nicht als Helden
und Staatsschöpfer bewährt, aber wohl als einsichtige und kräf-
tige Heerführer und Statthalter. Als Feldherr bewies Lucullus
nicht gemeine Talente und ein an Verwegenheit grenzendes Selbst-
vertrauen, Pompeius militärische Einsicht und eine seltene Zu-
rückhaltung, wie denn kaum je ein General mit solchen Streit-
kräften und einer so vollkommen freien Stellung so vorsichtig
aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die glänzendsten Auf-
gaben trugen von allen Seiten sich ihm gleichsam selber an: er
konnte nach dem kimmerischen Bosporus und gegen das rothe
Meer hin aufbrechen; er hatte Gelegenheit den Parthern den Krieg
zu erklären; die aufständischen Landschaften Aegyptens luden
ihn ein den von Rom nicht anerkannten König Ptolemaeos vom
Thron zu stoſsen und das Testament Alexanders in Vollzug zu
setzen; aber Pompeius ist weder nach Pantikapaeon noch nach
Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia gezogen;
durchaus pflückte er nur diejenigen Früchte, die ihm von selber
in die Hand fielen. Ebenso schlug er all seine Schlachten zur See
wie zu Lande mit einer erdrückenden Uebermacht. Wäre diese
Mäſsigung hervorgegangen aus dem strengen Einhalten der er-
theilten Instructionen, wie Pompeius vorzugeben pflegte, oder
auch aus der Einsicht, daſs Roms Eroberungen irgendwo eine
Grenze finden müſsten und neuer Gebietszuwachs dem Staat
nicht förderlich sei, so würde sie ein höheres Lob verdienen, als
die Geschichte es dem talentvollsten Offizier ertheilt; allein wie
Pompeius war, ist seine Zurückhaltung ohne Zweifel einzig das
Resultat des ihm eigenthümlichen Mangels an Sicherheit und an
Initiative — Mängel freilich, die dem Staate in diesem Falle weit
nützlicher wurden als die entgegengesetzten Vorzüge seines Vor-
gängers. Allerdings sind auch von Lucullus wie von Pompeius
sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus erntete deren
Früchte selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm alle Re-
sultate seiner Siege wieder entriſs; Pompeius überlieſs es seinen
Nachfolgern die Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther
zu tragen. Er konnte diese entweder bekriegen, wenn er des-
sen sich getraute, oder Frieden halten und, wie er versprochen,
den Euphrat als Grenze anerkennen; zu jenem war er zu zag-
haft, zu diesem zu eitel und so kam er denn zu der einfältigen
Perfidie die gute Nachbarschaft, die der Hof von Ktesiphon
wünschte und seinerseits übte, durch die maſslosesten Ueber-
griffe unmöglich zu machen, dennoch aber dem Feinde zu ge-
[143]POMPEIUS UND DER OSTEN.
statten sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung selber wäh-
len zu dürfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr
als fürstliches Vermögen und auch Pompeius empfing als Lohn
für seine Organisationen von dem König von Kappadokien, von
der reichen Stadt Antiochia und anderen Herren und Gemeinden
groſse Baarsummen und noch ansehnlichere Schuldverschreibun-
gen. Indeſs dergleichen Erpressungen waren fast eine gewohn-
heitsmäſsige Steuer geworden und beide Feldherren bewiesen doch
nicht gerade in wichtigeren Fragen sich käuflich, lieſsen auch wo
möglich sich von der Partei bezahlen, deren Interessen mit denen
Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren, hindert
dies nicht die Verwaltung beider Männer als eine relativ löbliche
und zunächst im Interesse Roms, demnächst in dem der Provin-
zialen geführte zu bezeichnen. Die Verwandlung der Clienten in
Unterthanen, die bessere Regulirung der Ostgrenze, die Be-
gründung eines einheitlichen und starken Regiments waren segens-
reich für die Herrscher wie für die Beherrschten. Der finanzielle
Gewinn, den Rom machte, war unermeſslich; die neue Vermö-
genssteuer, die mit Ausnahme einzelner besonders befreiter Ge-
meinden all jene Fürsten, Priester und Städte nach Rom zu
zahlen hatten, steigerte die römischen Staatseinnahmen fast um
die Hälfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer.
Pompeius legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 14 Mill.
Thlrn. (200 Mill. Sest.) in die Staatskasse nieder und vertheilte
27 Mill. (16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten;
wenn man hiezu die bedeutenden von Lucullus heimgebrachten
Summen, die nicht officiellen Erpressungen der römischen Ar-
mee und den Betrag der Kriegsschäden selbst rechnet, so ist die
finanzielle Erschöpfung des Landes begreiflich. Der neue Steuer-
druck war vielleicht an sich nicht schlimmer als unter den frü-
heren Regenten, aber lastete doch insofern weit schwerer auf dem
Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland gingen und nur zum
kleineren Theil wieder in Asien verwandt wurden. Immer ist es
nicht zu leugnen, daſs das asiatische Steuersystem in den alten
wie in den neu gewonnenen Provinzen basirt war auf systemati-
scher Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten Roms; aber die
Verantwortung hiefür trifft weit weniger die Feldherren persön-
lich, als die Parteien daheim, auf die jene Rücksicht zu nehmen
hatten; Lucullus war sogar sehr ernstlich bemüht dem wuche-
rischen Treiben der römischen Capitalisten in Asien Schranken
zu setzen und sein Sturz ward wesentlich mit hiedurch herbei-
geführt. Wie sehr es beiden Männern Ernst damit war die her-
[144]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
untergekommenen Landschaften wieder in die Höhe zu bringen,
beweist ihre Thätigkeit da, wo keine Rücksichten der Partei-
politik ihnen die Hände banden, namentlich ihre Fürsorge für
die kleinasiatischen Städte. Wenn auch noch Jahrhunderte spä-
ter manches in Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten
des groſsen Krieges erinnerte, so hatte doch Sinope wohl Ur-
sache mit dem Jahr der Wiederherstellung durch Lucullus eine
neue Aera zu beginnen und fast alle ansehnlicheren Binnenstädte
des pontischen Reiches Pompeius als ihren Stifter zu verehren.
Die Einrichtung des römischen Asien durch Lucullus und Pom-
peius darf bei all ihren unleugbaren Mängeln eine im Ganzen
verständige und löbliche genannt werden; wie schwere Uebel-
stände aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten
muſste sie schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam
mit dem so lange und so schmerzlich entbehrten inneren und
äuſseren Frieden.
Es blieb auch im Wesentlichen Friede im Orient, bis der von
Pompeius nur mit der ihm eigenen Zaghaftigkeit angedeutete Ge-
danke die Landschaften östlich vom Euphrat zum römischen
Reiche zu fügen von der neuen Triarchie der römischen Macht-
haber energisch, aber unglücklich wieder aufgenommen ward und
bald darauf der Bürgerkrieg wie alle anderen so auch die östlichen
Provinzen in seinen verhängniſsvollen Strudel hineinzog. Daſs in
der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens beständig mit den Berg-
völkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwärmen der
Wüste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen
die Beduinen manche römische Truppe aufgerieben ward, ist
ohne weitere Bedeutung. Bemerkenswerther ist der eigensinnige
Widerstand, den die zähe jüdische Nation den Eroberern ent-
gegensetzte. Theils des abgesetzten Königs Aristobulos Sohn
Alexandros, theils Aristobulos selbst, dem es nach einiger Zeit
gelang aus der Gefangenschaft zu entkommen, erregten während
der Statthalterschaft des Aulus Gabinius (697—700) drei ver-
schiedene Aufstände gegen die neuen Machthaber, deren jedem
die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters Hyrkanos
ohnmächtig erlag. Es war nicht politische Ueberlegung, sondern
der unbesiegbare Widerwille der Orientalen gegen das unnatür-
liche Joch, der sie zwang gegen den Stachel zu löcken; wie denn
auch der letzte und gefährlichste dieser Aufstände, zu welchem die
durch die aegyptischen Krisen veranlaſste Wegziehung der syri-
schen Occupationsarmee den nächsten Anstoſs gab, begann mit
der Ermordung aller in Palaestina ansässigen Römer. Nicht ohne
[145]POMPEIUS UND DER OSTEN.
Mühe gelang es dem tüchtigen Statthalter die wenigen Römer, die
diesem Schicksal sich entzogen und eine vorläufige Zuflucht auf
dem Berge Garizim gefunden hatten, von den dort sie blokirt
haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren hart be-
strittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den Auf-
stand zu bewältigen. In Folge dessen ward die Hohenpriester-
monarchie abgeschafft und das jüdische Land, wie einst Make-
donien, in fünf selbstständige von optimatisch geordneten Regie-
rungscollegien verwaltete Kreise aufgelöst, auch Samareia und
andere von den Juden geschleifte Ortschaften wiederhergestellt,
um als Gegengewicht gegen Jerusalem zu dienen, endlich den
Juden ein schwererer Tribut auferlegt als den übrigen syrischen
Unterthanen Roms.
Noch ist es übrig auf das Königreich Aegypten nebst dem
letzten ihm von den ausgedehnten Eroberungen der Lagiden noch
verbliebenen Nebenland, der schönen Insel Kypros, einen Blick
zu werfen. Aegypten war der einzige noch wenigstens dem Na-
men nach unabhängige Staat des hellenistischen Ostens; eben wie
einst, als die Perser an der östlichen Hälfte des Mittelmeers sich
festsetzten, Aegypten ihre letzte Eroberung war, säumten auch
die mächtigen Eroberer aus dem Westen am längsten mit der Ein-
ziehung dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Es war das
auffallend genug. Aegypten war ungefähr eben so machtlos wie
Syrien und bereits im J. 673 in aller Form Rechtens der römi-
schen Gemeinde angestorben (S. 45); das am Hofe von Alexan-
dreia herrschende Regiment der königlichen Garde, welche Minister
und gelegentlich Könige ein- und absetzte, für sich nahm was
ihr gefiel und, wenn ihr die Erhöhung des Soldes verweigert ward,
den König in seinem Palast belagerte, war im Lande oder viel-
mehr in der Hauptstadt — denn das Land mit seiner Ackerscla-
venbevölkerung kam überhaupt kaum in Betracht — ganz und
gar nicht beliebt und wenigstens eine Partei daselbst wünschte
die Einziehung Aegyptens durch Rom und that sogar Schritte um
sie herbeizuführen. Allein je weniger die Könige Aegyptens daran
denken konnten mit den Waffen gegen Rom zu streiten, desto ener-
gischer setzte das aegyptische Gold gegen die römischen Reunions-
pläne sich zur Wehre; und in Folge der eigenthümlichen despotisch-
communistischen Centralisation der aegyptischen Volkswirthschaft
waren die Einkünfte des Hofes von Alexandreia der römischen
Staatseinnahme selbst nach deren Vermehrung durch Pompeius
noch ungefähr gleich. Dem Gemeinwesen freilich wäre die Ein-
ziehung Aegyptens vortheilhaft gewesen; allein der Begehrlichkeit
Röm. Gesch. III. 10
[146]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
des Staats machte die Begehrlichkeit der einzelnen römischen
Machthaber und Vornehmen eine in der Regel überlegene Con-
currenz und mit Hülfe dieser unternahmen es die factischen Her-
ren von Aegypten und Kypros ihre schwankenden Kronen sich
zu fristen und wo möglich neu zu befestigen. Es gelang ihnen in
der That vom Senat die Bestätigung ihrer Königstitel zu erkau-
fen; allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle
Staatsrecht forderte einen Beschluſs der römischen Bürgerschaft;
bevor dieser erlassen war, waren die Ptolemaeer abhängig von der
Laune jedes demokratischen Parteimannes und sie hatten also
den Bestechungskrieg auch gegen die andere römische Partei zu
eröffnen, welche als die mächtigere weit höhere Preise bedang.
Der Ausgang war ungleich. Die Einziehung von Kypros ward im
J. 696 vom Volke, das heiſst von den Führern der Demokratie
verfügt, wobei als officieller Grund, weſshalb dieselbe jetzt vor-
genommen werde, die Förderung der Piraterie durch die Ky-
prioten angegeben ward. Marcus Cato, der von seinen Gegnern
mit der Ausführung dieser Maſsregel beauftragt ward, kam ohne
Heer; allein er bedurfte dessen auch nicht. Der König nahm
Gift; die Einwohner fügten sich ohne Widerstand zu leisten dem
unvermeidlichen Verhängniſs und wurden dem Statthalter von
Kilikien untergeordnet. Der überreiche Schatz von fast 7000 Ta-
lenten (12 Mill. Thlr.), den der ebenso habsüchtige wie geizige
König sich nicht hatte überwinden können für die zur Rettung
seiner Krone erforderlichen Bestechungen anzugreifen, fiel mit
dieser zugleich an die Römer und füllte in erwünschter Weise die
leeren Gewölbe ihres Aerars. — Dagegen gelang es dem Bruder,
der in Aegypten regierte, die Anerkennung durch Volksschluſs
von den neuen Herren Roms im J. 695 zu erkaufen; der Kauf-
preis soll 6000 Talente (10 Mill. Thlr.) betragen haben. Frei-
lich jagte ihn dafür die Bürgerschaft aus dem Lande, die längst
gegen den guten Flötenbläser und schlechten Regenten erbittert
war und nun durch den definitiven Verlust von Kypros und
den in Folge der Transactionen mit den Römern unerträglich
gesteigerten Steuerdruck aufs Aeusserste getrieben ward (696).
Allein der König wandte sich, gleichsam wie wegen Entwährung
des Kaufobjects, an seine Verkäufer. Diese waren billig genug
einzusehen, daſs es ihnen als redlichen Geschäftsmännern obliege
dem Ptolemaeos sein Reich wieder zu verschaffen; nur konn-
ten die Parteien sich nicht einig werden, wem der wichtige Auf-
trag Aegypten mit bewaffneter Hand zu besetzen nebst den davon
zu erhoffenden Sporteln zukommen solle. Erst als die Triarchie
[147]POMPEIUS UND DER OSTEN.
auf der Conferenz von Luca sich neu consolidirte, wurde zugleich
auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem Ptolemaeos noch
sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (17 Mill. Thlr.) ver-
standen hatte: der Statthalter Syriens Aulus Gabinius erhielt
jetzt von den Machthabern Befehl sofort zur Zurückführung des
Königs die nöthigen Schritte zu thun. Die Bürgerschaft von
Alexandreia hatte inzwischen des vertriebenen Königs ältester
Tochter Berenike die Krone aufgesetzt und ihr in der Person eines
der geistlichen Fürsten des römischen Asiens, des Hochpriesters
von Komana Archelaos (S. 137) einen Gemahl gegeben, der Ehr-
geiz genug hatte um eine ansehnliche Stellung für den schwan-
kenden Thron der Lagiden daranzugeben. Seine Versuche die
römischen Machthaber für sich zu gewinnen blieben ohne Erfolg;
aber er schrak auch nicht zurück vor dem Gedanken sein neues
Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Römer be-
haupten zu müssen. Gabinius, zwar ohne ostensible Vollmacht
den Krieg gegen Aegypten zu beginnen, aber von den Macht-
habern dazu angewiesen, nahm die angebliche Förderung der Pi-
raterie durch die Aegypter und den Flottenbau des Archelaos
zum Vorwand und brach ungesäumt auf gegen die aegyptische
Grenze (699). Der Marsch durch die Sandwüste zwischen Gaza
und Pelusion, an der so manche gegen Aegypten gerichtete In-
vasion gescheitert war, ward diesmal glücklich zurückgelegt, was
besonders dem raschen und geschickten Führer der Reiterei Mar-
cus Antonius verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion
wurde von der dort stehenden jüdischen Besatzung ohne Gegen-
wehr übergeben. Vorwärts dieser Stadt traf das römische Heer
auf das aegyptische und schlug es, wobei Antonius wiederum
sich auszeichnete. Also gelangte die erste römische Armee an
den Nil, wo Flotte und Heer der Aegypter zum letzten entschei-
denden Kampfe sich aufgestellt hatten. Aber die Römer siegten
[abermals] und Archelaos selbst fand hier mit vielen der Seinigen
kämpfend den Tod. Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die
Hauptstadt und damit war jeder Widerstand am Ende. Das un-
glückliche Land ward seinem rechtmäſsigen Zwingherrn überlie-
fert: das Henken und Köpfen, womit ohne des ritterlichen Anto-
nius Dazwischenkunft Ptolemaeos die Wiederherstellung des le-
gitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern begonnen haben
würde, ging nun ungehemmt seinen Gang und vor allen andern
ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schaffot
gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten
Lohnes scheiterte an der absoluten Unmöglichkeit dem ausgeso-
10 *
[148]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
genen Lande die verlangten ungeheuren Summen abzupressen,
obwohl man dem armen Volke den letzten Pfennig nahm; dafür
aber, daſs das Land wenigstens ruhig blieb, sorgte die in der
Hauptstadt zurückgelassene Besatzung von römischer Infanterie
und keltischer und deutscher Reiterei, welche die einheimischen
Prätorianer ablöste und übrigens nicht unglücklich ihnen nach-
eiferte. Die bisherige Hegemonie Roms über Aegypten ward da-
mit in eine unmittelbare militärische Occupation verwandelt und
die nominelle Fortdauer des einheimischen Königthums war
nicht so sehr eine Bevorzugung des Landes als eine zwiefache
Belastung.
[[149]]
KAPITEL V.
Der Parteienkampf während Pompeius Abwesenheit.
Mit dem gabinischen Gesetze wechselten die hauptstädtischen
Parteien die Rollen. So lange der erwählte Feldherr der Demo-
kratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei oder
was dafür galt auch in der Hauptstadt übermächtig. Wohl stand
die Nobilität noch geschlossen zusammen und gingen nach wie
vor aus der Comitialmaschine nur Consuln hervor, die nach dem
Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum Consulate
designirt waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den Ein-
fluſs der alten Familien zu brechen vermochten selbst die Macht-
haber nicht. Aber leider fing das Consulat, eben da man es so
weit gebracht hatte die ‚neuen Menschen‘ so gut wie vollständig
davon auszuschlieſsen, selber an vor dem neu aufgehenden Gestirn
der exceptionellen Militärgewalt zu erbleichen. Die Aristokratie
empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab
sich selber verloren. Auſser Quintus Catulus, der mit achtbarer
Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter
einer überwundenen Partei bis zu seinem Tode (694) ausharrte,
ist aus den obersten Reihen der Nobilität kein Optimat zu nen-
nen, der die Interessen der Aristokratie mit Muth und Stetig-
keit vertreten hätte. Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten
Männer, wie Quintus Metellus Pius und Lucius Lucullus, abdicir-
ten thatsächlich und zogen sich, so weit es irgend schicklicher
Weise anging, auf ihre Villen zurück, um über Gärten und Biblio-
theken, über Fischteichen und Vogelhäusern den Markt und das
Rathhaus möglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natür-
[150]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
lich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder
ganz in Luxus und Litteratur unterging oder der aufgehenden
Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren macht
hievon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren
659), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung und
doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Er-
scheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit.
Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll
Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfas-
sung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne
Leidenschaft hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmei-
ster oder Corporal abgeben mögen. Unglücklicher Weise aber ge-
rieth er früh unter die Gewalt der Phrase, und, theils beherrscht
von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstracter Kahlheit und
geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt in
Umlauf waren, theils von dem Exempel seines Urgroſsvaters, den
zu reproduciren er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an
als Musterbürger und wandelnder Tugendspiegel in der sündigen
Hauptstadt einherzuziehen, gleich dem alten Cato auf die Zeiten
zu schelten, zu Fuſs zu gehen statt zu reiten, die Annahme von
Zinsen zu verweigern, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und
die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daſs
er nach König Romulus Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame
Carricatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haſs und Zorn
zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich
führte, der mit seinem bornirten, aber originellen und gesunden
Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war
dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den
Lippen troff und den man überall mit dem Buche in der Hand
sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst
irgend ein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche
der abstracten Moralphilosophie. Dennoch gelangte er zu sittli-
cher Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit im-
ponirten sein Muth und seine negativen Tugenden der Menge; er
machte Schule und es gab Einzelne — freilich waren sie danach —,
die die lebendige Philosophenschablone weiter copirten und aber-
mals carrikirten. Auf ähnlichen Ursachen beruht auch sein politi-
scher Einfluſs. Da er der einzige namhafte Conservative war, der
wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Muth besaſs
und immer bereit stand, wo es nöthig und nicht nöthig war, seine
Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder
sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten,
[151]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei.
Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes ent-
scheiden konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in
Detailfragen, namentlich finanzieller Art, oft zweckmäſsig einge-
griffen, wie er denn in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner
Quästur in der That Epoche machte, auch so lange er lebte das
öffentliche Budget im Einzelnen controlirte und natürlich denn
auch darüber mit den Steuerpächtern in beständigem Kriege lebte.
Uebrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr als alles. Er
war unfähig einen politischen Zweck auch nur zu begreifen und
die Verhältnisse zu combiniren; seine ganze Taktik bestand darin
gegen jeden Front zu machen, der von dem traditionellen mora-
lisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich oder ihm
abzuweichen schien, womit er denn natürlich ebenso oft dem
Gegner wie dem Parteigenossen in die Hände gearbeitet hat. Der
Don Quixote der Aristokratie, bewährte er durch sein Wesen und
sein Thun, daſs damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhan-
den, die aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine
Chimäre.
Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen brachte ge-
ringe Ehre. Dennoch ruhten die Angriffe der Demokratie gegen
den überwundenen Feind natürlich nicht. Wie die Troſsbuben
über ein erobertes Lager stürzte sich die populäre Meute auf die
gesprengte Nobilität und wenigstens die Oberfläche der Politik
ward von dieser Agitation zu hohen Schaumwellen emporgetrie-
ben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit, als namentlich
Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die verschwenderische
Pracht seiner Spiele (689), bei welchen alles Geräth, selbst die
Käfichte der wilden Bestien, aus massivem Silber erschien, und
überhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um so
mehr fürstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte.
Die Angriffe auf die Nobilität waren von der mannigfaltigsten Art.
Reichen Stoff gewährten die Miſsbräuche des aristokratischen
Regiments; liberale oder liberal schillernde Beamte wie Gaius
Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort die är-
gerlichsten und schändlichsten Seiten der Optimatenwirthschaft
systematisch zu enthüllen und Gesetze dagegen zu beantragen.
Der Senat ward angewiesen den auswärtigen Boten an bestimm-
ten Tagen Zutritt zu gewähren, um dadurch der üblichen Ver-
schleppung der Audienzen Einhalt zu thun. Die von fremden
Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos
gestellt, da man hierin das einzige Mittel fand den Bestechun-
[152]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
gen, die im Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu
steuern (687). Das Recht des Senats in einzelnen Fällen von
den Gesetzen zu dispensiren wurde beschränkt (687); ebenso
der Miſsbrauch, daſs jeder vornehme Römer, der in den Provin-
zen Privatgeschäfte zu besorgen hatte, sich deſshalb vom Senat
den Charakter eines römischen Gesandten ertheilen lieſs (691).
Man schärfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe
(687.691), welche letztere namentlich in ärgerlicher Weise gestei-
gert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestoſsenen
Individuen (S. 93) durch Wiederwahl in denselben zurückzu-
gelangen. Den rechtsprechenden Beamten wurde als rechtlicher
Zwang auferlegt, was bisher nur üblich gewesen war, in Gemäſs-
heit der nach römischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen
aufgestellten Normen Recht zu sprechen (687). — Vor allem
aber fuhr man fort das Werk der demokratischen Restauration
zu vollenden und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit
in zeitgemäſser Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester
durch die Comitien, wie sie Gnaeus Domitius eingeführt (II, 188),
Sulla wieder abgeschafft hatte (II, 335), ward durch ein Gesetz
des Volkstribuns Titus Labienus im J. 691 hergestellt. Man wies
gern darauf hin, wie viel zur Wiederherstellung der sempronischen
Getreidegesetze in ihrem vollen Umfang noch fehle und überging
dabei mit Stillschweigen, daſs unter den veränderten Umstän-
den, bei der bedrängten Lage der öffentlichen Finanzen und der
so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten römischen Bürger
diese Wiederherstellung schlechterdings unausführbar war. In
der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen nährte man
eifrig die Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Ita-
likern. Schon 686 reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst
von Ort zu Ort; 689 machte Marcus Crassus als Censor Anstalt
die Einwohner geradewegs in die Bürgerliste einzuschreiben,
was nur an dem Widerstand seines Collegen scheiterte; bei den
folgenden Censuren scheint dieser Versuch sich regelmäſsig wie-
derholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone
der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwärtigen
Führer der Demokratie zu Beschützern der Transpadaner auf
und Gaius Piso (Consul 687) hatte es schwer zu bereuen, daſs
er gewagt hatte an einem dieser Clienten des Caesar und Cras-
sus sich zu vergreifen. Dagegen zeigten sich dieselben Führer
keineswegs geneigt die politische Gleichberechtigung der Frei-
gelassenen zu befürworten: der Volkstribun Gaius Manilius, der
in einer nur von wenigen Leuten besuchten Versammlung das
[153]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen
(II, 240) hatte erneuern lassen (31. Dec. 687), ward von den
leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouirt und mit
ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durch-
bringung vom Senate cassirt. In demselben Sinn wurden im
J. 689 durch Volksbeschluſs die sämmtlichen Fremden, die
weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaſsen, aus der
Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der
gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlosse-
nen um Aufnahme in den Kreis der Privilegirten und dem der
Privilegirten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung
zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während
Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürger-
recht in Aussicht stellten, gaben sie andrerseits ihre Zustimmung
zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu
der barbarischen Beseitigung der Concurrenz, die die Industrie
und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien
selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die
Demokratie hinsichtlich der alten Criminalgerichtsbarkeit der Co-
mitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben,
aber thatsächlich war sie doch durch die Geschwornencommis-
sionen über Hochverrath und Mord ersetzt worden (II, 343) und
an eine ernstliche Wiederherstellung des alten schon lange vor
Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünf-
tiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouve-
ränetät eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der
Bürgerschaft wenigstens im Princip zu fordern schien, so zog
der Volkstribun Titus Labienus im J. 691 den alten Mann, der
vor achtunddreiſsig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus
erschlagen hatte oder haben sollte (II, 198), vor dasselbe hoch-
nothpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht
berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius
Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getödtet, doch wenig-
stens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der
Vornehmen Parade gemacht hatte und der überdies unter den
apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und
seiner Blutthaten verrufen war. Es war wenn nicht dem An-
kläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm stan-
den, durchaus nicht darum zu thun diesen elenden Gesellen den
Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern lieſs man es
geschehen, daſs zunächst die Form der Anklage vom Senat we-
[154]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
sentlich gemildert und sodann die zur Aburtheilung des Schul-
digen berufene Volksversammlung unter irgend einem Vorwand
von der Gegenpartei aufgelöst und die ganze Procedur damit
beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden
Palladien der römischen Freiheit, das Provocationsrecht der
Bürgerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats noch
einmal als praktisches Recht festgestellt und der demokratische
Rechtsboden in den vorigen Stand wieder eingesetzt worden. —
Mit noch gröſserer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische
Reaction in allen Personenfragen auf. Zwar gebot es die Klug-
heit die Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter an die ehe-
maligen Eigenthümer nicht zu vertreten, um nicht mit den ma-
teriellen Interessen in einen Kampf zu gerathen, dem die Ten-
denzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rückberufung der
Emigrirten hing mit dieser Vermögensfrage zu eng zusammen
um nicht ebenso unräthlich zu erscheinen. Dagegen machte
man groſse Anstrengungen um den Kindern der Geächteten die
ihnen entzogenen politischen Rechte zurückzugeben (691), und
die Spitzen der Senatspartei wurden von persönlichen Angriffen
verfolgt. So hing dem Marcus Lucullus Gaius Memmius im J. 688
einen Tendenzprozeſs an. So lieſs man seinen berühmteren Bru-
der vor den Thoren der Hauptstadt drei Jahre auf den Triumph
harren (688—691). Aehnlich wurden Quintus Rex und der Er-
oberer von Kreta Quintus Metellus insultirt. Gröſseres Aufsehen
noch machte es, daſs der junge Führer der Demokratie Gaius
Caesar im J. 691 sich es herausnahm bei der Bewerbung um das
höchste Priesteramt mit den beiden angesehensten Männern der
Nobilität Quintus Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von
Isaura, zu concurriren und sogar bei der Bürgerschaft ihnen den
Rang abzulaufen. Die Erben Sullas, namentlich sein Sohn Fau-
stus sahen sich beständig bedroht von einer Klage auf Rücker-
stattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen öffent-
lichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der
im J. 664 sistirten demokratischen Anklagen [auf] Grund des va-
rischen Gesetzes (II, 229). Am nachdrücklichsten wurden be-
greiflicher Weise die bei den sullanischen Executionen betheiligten
Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quästor Marcus Cato
in seiner täppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte
ihnen die empfangenen Mordprämien als widerrechtlich dem
Staate entfremdetes Gut wieder abzufordern (689), so kann es
nicht befremden, daſs das Jahr darauf (690) Gaius Caesar als
Vorsitzender in dem Mordgericht die Clausel in der sullanischen
[155]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Ordnung, welche die Tödtung eines Geächteten straflos erklärte,
kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den
Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Lu-
scius vor seine Geschwornen stellen und zum Theil auch verur-
theilen lieſs. Endlich unterlieſs man nicht die lange verfehmten
Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder
öffentlich zu nennen und ihr Andenken zu feiern. Wie Saturni-
nus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeſs offiziell
rehabilitirt ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen
Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nen-
nung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daſs
derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen
Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Füh-
rers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im
J. 686 Gaius Caesar es wagte den Verboten zum Trotz bei der
Beerdigung der Wittwe des Marius die verehrten Züge des Helden
auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Als aber gar drei Jahre
nachher (689) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Capitol
hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens Allen
unerwartet wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Mar-
mor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem africani-
schen und kimbrischen Kriege, Thränen in den Augen, um das
Bild des geliebten Feldherrn und den jubelnden Massen gegen-
über wagte der Senat nicht an den Trophäen sich zu vergrei-
fen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz er-
neuert hatte.
Indeſs all dieses Treiben und Hadern, so viel Lärm es auch
machte, war politisch betrachtet nur von sehr untergeordneter
Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans
Ruder gelangt. Daſs die Kleinen und Kleinsten herbeieilten um
dem am Boden liegenden Feind noch einen Fuſstritt zu versetzen;
daſs auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Princi-
piencult hatten; daſs ihre Doctrinäre nicht ruhten, bis die sämmt-
lichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wieder herge-
stellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie
Legitimisten es pflegen — das alles war ebenso begreiflich wie
gleichgültig. Im Ganzen genommen ist die Agitation ziellos und
sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an einen Gegenstand
für ihre Thätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durch-
aus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht.
Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristo-
kratie waren die Demokraten Sieger geblieben; die Feuerprobe
[156]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
aber stand ihnen noch bevor — nicht gegen den bisherigen Feind,
sondern gegen den übermächtigen Bundesgenossen, dem sie in
dem Kampfe mit der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten
und dem sie jetzt eine beispiellose militärische und politische
Gewalt selbst in die Hände hatten geben müssen, weil sie nicht
wagten sie ihm zu verweigern. Noch war der Feldherr des Ostens
und der Meere beschäftigt Könige ein- und abzusetzen; wie lange
Zeit er dazu sich nehmen, wann er das Kriegsgeschäft für been-
det erklären werde, konnte keiner sagen als er selbst, da wie alles
andere auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Italien, das heiſst
der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die Parteien in Rom
inzwischen saſsen und harrten. Die Optimaten freilich sahen der
Ankunft des gefürchteten Feldherrn verhältniſsmäſsig ruhig ent-
gegen; wohl erkannten auch sie den herannahenden Bruch zwi-
schen Pompeius und der Demokratie, allein eben darauf moch-
ten sie neue Hoffnungen bauen. Dagegen die Demokraten, von
angstvoller Erwartung gepeinigt, suchten Pompeius Abwesenheit
zu benutzen, um während der vergönnten Frist gegen die dro-
hende Explosion eine Contremine zu legen. Hierin begegne-
ten sie sich mit Crassus, dem nichts übrig blieb um dem be-
neideten und gehaſsten Nebenbuhler zu begegnen als sich neu
und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbünden. Schon
bei der ersten Coalition hatten Caesar und Crassus als die beiden
Schwächeren sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaft-
liche Interesse und die gemeinschaftliche Gefahr zog das Band
noch fester, das den reichsten und den verschuldetsten Mann von
Rom zu engster Allianz verknüpfte. Während öffentlich die De-
mokraten den abwesenden Feldherrn als das Haupt und den
Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen die Ari-
stokratie zu richten schienen, ward im Stillen gegen Pompeius
gerüstet. Diese Versuche der Demokratie sich der drohenden Mili-
tärdictatur zu entwinden haben geschichtlich eine weit höhere
Bedeutung als die lärmende und gröſstentheils nur als Maske be-
nutzte Agitation gegen die Nobilität. Freilich bewegten sie sich
in einem Dunkel, in das unsere Ueberlieferung nur einzelne Streif-
lichter fallen lässt; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Fol-
gezeit hatte ihre Ursachen einen Schleier darüber zu werfen.
Indess im Allgemeinen sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser
Bestrebungen vollkommen klar. Der Militärgewalt konnte nur
durch eine andere Militärgewalt wirksam Schach geboten werden.
Die Absicht der Demokraten war sich nach dem Beispiel des
Marius und Cinna der Zügel der Regierung zu bemächtigen und
[157]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
sodann einen ihrer Chefs sei es mit der Eroberung Aegyptens,
sei es mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem ähnlichen
ordentlichen oder auſserordentlichen Amte zu betrauen, in wel-
chem die auſserordentliche Gewalt des Pompeius wenigstens eini-
germaſsen ein Gegengewicht gefunden hätte. Dies Ziel konnte
nur erreicht werden durch eine Revolution, die zunächst gegen
die nominelle Regierung, in der That gegen Pompeius als den
designirten Monarchen sich richtete * und zu deren Einleitung
von der Erlassung der gabinisch-manilischen Gesetze an bis auf
Pompeius Rückkehr (688—692) die Verschwörung in Rom in
Permanenz war. Die Gemüther waren in ängstlicher Spannung;
die gedrückte Stimmung der Capitalisten, die Zahlungsstockun-
gen, die häufigen Bankerotte waren Vorboten der im Geheimen
gährenden Umwälzung, die zugleich eine gänzlich neue Stellung
der Parteien herbeiführen zu müssen schien. Der Anschlag der
Demokratie, der zugleich gegen den Senat und gegen Pompeius
gerichtet war, legte eine Annäherung zwischen diesen nahe. Die
Demokratie aber, indem sie der Militärdictatur des Pompeius die
eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen unternahm, er-
kannte genau genommen auch ihrerseits sie als unvermeidlich an
und trieb in der That den Teufel aus durch Beelzebub; unter den
Händen ward ihr die Principien- zur Personenfrage.
Die Einleitung der von den Führern der Demokratie ent-
worfenen Revolution sollte der Sturz der bestehenden Regierung
durch eine zunächst in Rom von demokratischen Verschwor-
nen angestiftete Insurrection sein. Der sittliche Zustand der
niedrigsten wie der höchsten Schichten der hauptstädtischen
Gesellschaft bot hiezu den Stoff in beklagenswerther Fülle. Wie
das freie und das Sclavenproletariat der Hauptstadt beschaffen
waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward
schon das bezeichnende Wort vernommen, daſs nur der Arme
den Armen zu vertreten fähig sei — wie man sieht, regte der
[158]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Gedanke sich bereits, daſs auch die Masse der Armen so gut
wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstständige Macht
constituiren und statt sich tyrannisiren zu lassen, auch wohl
selbst den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen
der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Wieder-
hall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloſs das
Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes.
Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen
Bärte und Manschetten, so lustig es auch bei Tanz und Cither-
spiel und früh und spät beim Becher in ihr herging, barg
doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und öko-
nomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung
und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Krei-
sen seufzte man unverholen nach der Wiederkehr der cinnani-
schen Zeit mit ihren Aechtungen und Confiscationen und ihrer
Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter
nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und Anlage, die nur
auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschaar über die bür-
gerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen
sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es
an Führern nicht; auch hier fanden sich bald die Männer, die zu
Räuberhauptleuten sich qualificirten. Der gewesene Prätor Lucius
Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Ge-
nossen nicht bloſs durch ihre vornehme Geburt und ihren höhe-
ren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich
abgebrochen und imponirten ihren Spieſsgesellen durch ihre
Ruchlosigkeit ebenso sehr wie durch ihre Talente. Vor allem
Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit.
Seine Bubenstücke gehören in die Criminalacten, nicht in die
Geschichte; aber schon sein Aeuſseres, das bleiche Antlitz, der
wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verriethen seine
unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaſs er die Eigen-
schaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt wer-
den: die Fähigkeit alles zu genieſsen und alles zu entbehren,
Muth, militärisches Talent, Menschenkenntniſs, Energie des Ver-
brechens und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den
Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher
zu erziehen versteht. — Aus solchen Elementen eine Verschwö-
rung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte
Männern, die Geld und politischen Einfluſs besaſsen, nicht schwer
fallen. Catilina, Piso und ihres Gleichen gingen bereitwillig auf
jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Cassation der Schuld-
[159]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
bücher in Aussicht stellte; jener war überdies noch mit der Ari-
stokratie speciell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des ver-
worfenen und gefährlichen Menschen um das Consulat widersetzt
hatte. Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Kel-
tenschaar auf die Geächteten Jagd gemacht und unter Anderen
seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit eigener Hand nieder-
gemacht hatte, so lieſs er jetzt sich bereitwillig dazu herbei der
Gegenpartei ähnliche Dienste zuzusagen. Ein geheimer Bund
ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen Indi-
viduen soll 400 überstiegen haben; er zählte Affiliirte in allen
Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; überdies verstand es
sich von selbst, daſs einer Insurrection, die das zeitgemäſse Pro-
gramm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den
Reihen der dissoluten Jugend zahlreiche Rekruten ungeheiſsen
zuströmen würden.
Im December 688 — so wird erzählt — glaubten die Leiter
des Bundes den geeigneten Anlaſs gefunden zu haben um loszu-
schlagen. Die beiden für 689 erwählten Consuln Publius Corne-
lius Sulla und Publius Autronius Paetus waren vor kurzem der
Wahlbestechung gerichtlich überwiesen und deſshalb nach gesetz-
licher Vorschrift ihrer Anwartschaft auf das höchste Amt ver-
lustig erklärt worden. Beide traten hierauf dem Bunde bei. Die
Verschwornen beschlossen ihnen das Consulat mit Gewalt zu ver-
schaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der höchsten Ge-
walt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Consuln
ihr Amt antreten würden, dem 1. Jan. 689, sollte die Curie von
Bewaffneten gestürmt, die neuen Consuln und die sonst bezeich-
neten Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Cassirung
des gerichtlichen Urtheils, das sie ausschloſs, als Consuln procla-
mirt werden. Crassus sollte sodann die Dictatur, Caesar das Rei-
terführeramt übernehmen, ohne Zweifel um eine imposante Mili-
tärmacht auf die Beine zu bringen, während Pompeius fern am
Kaukasus beschäftigt war. Schon waren Hauptleute und Gemeine
angewiesen und bedungen; an dem bestimmten Tage wartete
Catilina in der Nähe des Rathhauses auf das verabredete Zeichen,
das auf Crassus Wink von Caesar ihm gegeben werden sollte.
Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden
Senatssitzung und daran scheiterte für diesmal die projectirte In-
surrection. Ein ähnlicher noch umfassenderer Mordplan ward
dann für den 5. Febr. verabredet; allein auch dieser ward ver-
eitelt, da Catilina das Zeichen zu früh gab, bevor noch die be-
stellten Banditen sich alle eingefunden hatten. Darüber ward das
[160]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Geheimniſs ruchtbar. Die Regierung wagte zwar nicht offen der
Verschwörung entgegenzutreten, aber sie gab doch den zunächst
bedrohten Consuln Wache bei und stellte der Bande der Ver-
schwornen eine von der Regierung bezahlte entgegen. Um Piso
zu entfernen wurde der Antrag gestellt ihn als Quaestor mit prä-
torischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden;
worauf Crassus einging, in der Hoffnung durch denselben die
Hülfsquellen dieser wichtigen Provinz für die Insurrection zu ge-
winnen. Weiter gehende Vorschläge wurden durch die Tribunen
verhindert. — Also lautet die offenbar wesentlich aus den Be-
hauptungen der Gegner der Verschwornen geflossene Ueberlie-
ferung, deren Glaubwürdigkeit im Einzelnen in Ermangelung
jeder Controle dahingestellt bleiben muſs. Was die Hauptsache
anlangt, die Betheiligung von Caesar und Crassus, so kann aller-
dings der von ihren politischen Gegnern herrührende Bericht
nicht als ausreichender Beweis für dieselbe angesehen werden.
Aber bemerkenswerth bleibt es doch, wie gut ihre offenkundige
Thätigkeit in dieser Epoche zu der geheimen paſst, die dieser
Bericht ihnen beimiſst. Daſs Crassus, der in diesem Jahre Cen-
sor war, als solcher den Versuch machte die Transpadaner in
die Bürgerliste einzuschreiben (S. 152), war schon geradezu
ein revolutionäres Beginnen. Noch bemerkenswerther ist es,
daſs Crassus ebenfalls in seiner Censur Aegypten und Kypros in
das Verzeichniſs der römischen Domänen einschreiben wollte *
und daſs Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690) durch
einige Tribune bei der Bürgerschaft den Antrag stellen lieſs ihn
nach Aegypten zu senden, um den von den Alexandrinern ver-
triebenen König Ptolemaeos wieder einzusetzen. Diese Machina-
tionen stimmen mit den von den Gegnern erhobenen Anklagen
in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses läſst sich hier nicht
ermitteln; aber die groſse Wahrscheinlichkeit ist dafür, daſs
[161]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten sich während
Pompeius Abwesenheit der Militärdictatur zu bemächtigen; daſs
Aegypten zur Basis dieser demokratischen Militärmacht auser-
sehen war; daſs endlich der Insurrectionsversuch von 689 ange-
zettelt worden ist um diese Entwürfe zu realisiren und Catilina
und Piso also Werkzeuge in den Händen von Crassus und Caesar
gewesen sind.
Einen Augenblick kam die Verschwörung ins Stocken. Die
Wahlen für 690 fanden statt, ohne daſs Crassus und Caesar ihren
Versuch sich des Consulats zu bemeistern dabei erneuert hätten;
wozu mit beigetragen haben mag, daſs ein Verwandter des Füh-
rers der Demokratie, Lucius Caesar, ein schwacher und von sei-
nem Geschlechtsfreund nicht selten als Werkzeug benutzter Mann,
diesmal um das Consulat sich bewarb. Indeſs drängten die Be-
richte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und armenischen
Angelegenheiten waren bereits vollständig geordnet. So klar auch
die demokratischen Strategen es bewiesen, daſs der mithradati-
sche Krieg erst mit der Gefangennahme des Königs als beendigt
gelten könne und daſs es deſshalb nothwendig sei die Hetzjagd
um das schwarze Meer herum zu beginnen, vor allen Dingen aber
von Syrien fern zu bleiben (S. 120) — Pompeius war, unbeküm-
mert um solches Geschwätz, im Frühjahr 690 aus Armenien auf-
gebrochen und nach Syrien marschirt. Wenn Aegypten wirklich
zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so hatte man
Grund sich zu eilen; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar
in Aegypten stehen. Die Verschwörung von 688, durch die schlaf-
fen und ängstlichen Repressivmaſsregeln dagegen keineswegs ge-
sprengt, regte sich wieder, als im Anfang Juni 690 die Agitation
für die Consulwahlen des nächsten Jahres ernstlich begann. Der
Plan war wenig verändert. Die Leiter der Bewegung hielten wie
vorher sich im Hintergrund. Als Bewerber um das Consulat wur-
den diesmal von ihnen aufgestellt Catilina selbst und Gaius Anto-
nius, der jüngere Sohn des Redners, ein Bruder des von Kreta
her übel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher; Antonius,
ursprünglich Sullaner und von der demokratischen Partei vor
einigen Jahren vor Gericht gestellt und aus dem Senate gestos-
sen (S. 87. 93), übrigens ein schlaffer, unbedeutender, in keiner
Hinsicht zum Führer berufener Mann, ward als völlig bankerott
mit leichter Mühe von den Demokraten bewogen zu ihnen über-
zutreten. Durch die Consuln gedachte man sich des Regiments
zu bemächtigen, die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Kinder
des Pompeius als Geiſseln festzunehmen und in Italien und den
Röm. Gesch. III. 11
[162]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Provinzen gegen Pompeius zu rüsten. Auf die erste Nachricht
von dem in der Hauptstadt gefallenem Schlage sollte der Statt-
halter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der Insur-
rection aufstecken. Die Communication mit ihm konnte auf dem
Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte;
man zählte deſsfalls auf die Transpadaner, die alten Clienten der
Demokratie, unter denen es gewaltig gährte und die natürlich
sofort das Bürgerrecht erhalten haben würden, ferner auf ver-
schiedene keltische Stämme* Bis nach Mauretanien hin ver-
zweigten sich die Fäden dieser Verbindung. Einer der Mitver-
schwornen, der römische Groſshändler Publius Sittius aus Nu-
ceria, durch finanzielle Verwickelungen gezwungen Italien zu
verlassen, hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifel-
ter Leute bewaffnet und zog nun als Freischaarenführer im west-
lichen Africa herum, wo er alte Handelsverbindungen hatte. —
Die Partei strengte alle ihre Kräfte für den Wahlkampf an. Cras-
sus und Caesar setzten ihr Geld — eigenes oder geborgtes —
und ihre Verbindungen ein um Catilina und Antonius das Con-
sulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten jeden Nerv an
um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Aemter
und Priesterthümer, die Paläste und Landgüter ihrer Gegner und
vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhieſs und von
dem man wuſste, daſs er Wort halten werde. Die Aristokratie
war in groſser Noth, hauptsächlich weil sie nicht einmal Gegen-
candidaten aufzustellen wuſste. Daſs ein solcher seinen Kopf
wagte, war offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der
Posten der Gefahr den Bürger lockte — jetzt schwieg selbst der
Ehrgeiz vor der Angst. So begnügte sich die Nobilität einen
schwächlichen Versuch zu machen den Wahlumtrieben durch Er-
lassung eines neuen Gesetzes über den Stimmenkauf zu steuern —
was übrigens an der Intercession eines Volkstribunen scheiterte —
und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar
auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschädlich war. Es
war dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achselträger**
[163]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
gewohnt bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus
etwas weiterer Ferne mit der Aristokratie zu liebäugeln und ohne
Unterschied der Person oder Partei — er zählte auch Catilina
unter seinen Clienten — Advocatendienste zu leisten, eigentlich
keiner Partei angehörig oder, was ziemlich dasselbe ist, der Par-
tei der materiellen Interessen, die in den Gerichten dominirte und
den beredten Sachwalter, den höflichen und witzigen Gesell-
schafter gern hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Haupt-
stadt und den Landstädten, um neben den von der Demokratie
aufgestellten Candidaten noch eine Chance zu haben; und da
auch die Nobilität, obwohl nicht gern, und die Pompeianer für
ihn stimmten, ward er mit groſser Majorität gewählt. Die bei-
den Candidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele Stim-
men, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war
als die seines Concurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte
die Wahl Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna.
Schon etwas früher war Piso, es hieſs auf Anstiften seines po-
litischen und persönlichen Feindes Pompeius, in Spanien von
seiner einheimischen Escorte niedergemacht worden * Mit dem
Consul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte
das lockere Band, das ihn an die Verschwörung knüpfte, noch
ehe sie beide ihre Aemter antraten, indem er auf die von Rechts-
wegen ihm zustehende Loosung um die Consularprovinzen Ver-
zicht leistete und dem tief verschuldeten Collegen die einträgliche
Statthalterschaft Makedonien überlieſs. Auch dieses Anschlags
wesentliche Vorbedingungen waren vereitelt.
Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhältnisse sich
immer bedrohlicher für die Demokratie. Die Ordnung Syriens
schritt rasch vorwärts; schon waren von Aegypten Aufforderun-
gen an Pompeius ergangen daselbst einzurücken und das Land
für Rom einzuziehen; man muſste fürchten demnächst zu ver-
nehmen, daſs Pompeius selbst das Nilland in Besitz genom-
men habe. Eben hiedurch mag Caesars Versuch sich vom Volke
nach Aegypten senden zu lassen, um dem König gegen seine
aufrührerischen Unterthanen Beistand zu leisten (S. 160), her-
vorgerufen worden sein; er scheiterte, wie es scheint, an der
Abneigung der Groſsen und Kleinen irgend etwas gegen Pompe-
ius Interesse zu unternehmen. Pompeius Heimkehr und damit
die wahrscheinliche Katastrophe rückten immer näher; wie oft
11*
[164]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
auch die Sehne gerissen war, es muſste doch wieder versucht
werden denselben Bogen zu spannen. Die Stadt war in dumpfer
Gährung; häufige Conferenzen der Häupter der Bewegung deu-
teten an, daſs wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward
offenbar, als die neuen Volkstribunen ihr Amt antraten (10. Dec.
690) und sogleich einer von ihnen, Publius Servilius Rullus, ein
Ackergesetz beantragte, durch welches die Führer der Demokra-
ten sich eine ähnliche Stellung zu verschaffen gedachten, wie sie
in Folge der gabinisch-manilischen Anträge Pompeius einnahm.
Der nominelle Zweck war die Gründung von Colonien in Italien,
wozu der Boden indeſs nicht durch Expropriation gewonnen
werden sollte — vielmehr wurden alle bestehende Privatrechte
garantirt, ja sogar die widerrechtlichen Occupationen der jüng-
sten Zeit (S. 84) in volles Eigenthum umgewandelt. Nur die
verpachtete campanische Domäne sollte parcelirt und colonisirt,
im Uebrigen das zur Assignation bestimmte Land durch gewöhn-
lichen Kauf von der Regierung erworben werden. Um die hiezu
nöthigen Summen zu beschaffen, sollte alles italische und auſser-
italische Domanialland — mit Ausschluſs der campanischen Do-
mäne — successiv zum Verkauf gebracht werden; worunter na-
mentlich die ehemaligen königlichen Tafelgüter in Makedonien,
dem thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner
die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen
Städte in Spanien, Africa, Sicilien, Hellas, Kilikien verstanden
waren. Verkauft werden sollte imgleichen alles, was der Staat an
beweglichem und unbeweglichem Gut seit dem J. 666 erworben
und worüber er nicht früher verfügt hatte; wobei man haupt-
sächlich zielte auf Aegypten und Kypros. Zu dem gleichen Zweck
wurden alle unterthänigen Gemeinden mit Ausnahme der Städte
latinischen Rechts und der sonstigen Freistädte mit sehr hoch
gegriffenen Gefällen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward dazu
endlich bestimmt der Ertrag der neuen Provinzialgefälle, anzu-
rechnen vom J. 692, und der Erlös aus der sämmtlichen noch
nicht gesetzmäſsig verwandten Beute; welche Anordnung auf die
neuen von Pompeius im Osten eröffneten Steuerquellen und auf
die in den Händen des Pompeius und der Erben Sullas befindli-
chen öffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausführung dieser
Maſsregeln sollten Zehnmänner mit eigener Jurisdiction und eige-
nem Imperium ernannt werden, welche fünf Jahre im Amte zu
bleiben und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu
umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmänner aber sollten nur
die Candidaten, die persönlich sich melden würden, berücksich-
[165]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
tigt werden dürfen und, ähnlich wie bei den Priesterwahlen (II,
400), nur siebzehn durch Loos aus den fünfunddreiſsig zu be-
stimmende Bezirke wählen. Es war ohne groſsen Scharfsinn zu
erkennen, daſs man in diesem Zehnmännercollegium eine der
des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militärisch und
mehr demokratisch gefärbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte.
Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich um die ägyptische
Frage zu entscheiden, der Militärgewalt, um gegen Pompeius
zu rüsten; die Clausel, welche die Wahl eines Abwesenden unter-
sagte, schloſs Pompeius aus und die Verminderung der stimm-
berechtigten Bezirke so wie die Manipulation des Ausloosens
sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie erleich-
tern. — Indeſs dieser Versuch verfehlte gänzlich sein Ziel. Die
Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der rö-
mischen Hallen aus den öffentlichen Magazinen sich zumessen
zu lassen, als es im Schweiſse des Angesichts selber zu bauen,
nahm den Antrag an sich schon mit vollkommener Gleichgültig-
keit auf. Sie fühlte auch bald heraus, daſs Pompeius einen sol-
chen in jeder Hinsicht ihn verletzenden Entschluſs sich nim-
mermehr gefallen lasse werde und daſs es nicht gut stehen könne
mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so aus-
schweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umstän-
den fand die Regierung es nicht schwer den Antrag zu vereiteln;
der neue Consul Cicero säumte nicht sein Talent der geschlage-
nen Partei einen nachträglichen letzten Stoſs zu geben auch hier
anzubringen; noch ehe die bereitstehenden Tribune intercedirten,
zog der Urheber selbst den Vorschlag zurück (1. Jan. 691). Die
Demokratie hatte nichts gewonnen als die unerfreuliche Beleh-
rung, daſs die groſse Menge in Liebe oder in Furcht fortwährend
noch an Pompeius hing und daſs jeder Antrag sicher fiel, den
das Publicum als gegen Pompeius gerichtet erkannte.
Ermüdet von all diesem vergeblichen Intriguiren und resul-
tatlosen Planemachen beschloſs Catilina die Sache zur Entschei-
dung zu treiben und ein für alle Mal ein Ende zu machen. Es konnte
dies nur geschehen durch den Bürgerkrieg und er traf danach seine
Maſsregeln. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in dem von
Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien, war zum
Hauptquartier der Insurrection ausersehen. Dorthin gingen die
Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwörung ver-
wickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben;
dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter sullani-
scher Hauptmann Gaius Manlius, so tapfer und so frei von Ge-
[166]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
wissensscrupeln wie nur je ein Lanzknecht, übernahm daselbst
vorläufig den Oberbefehl. Aehnliche wenn auch minder ausge-
dehnte Zurüstungen wurden an andern Puncten Italiens gemacht.
Die Transpadaner waren so aufgeregt, daſs sie nur auf das Zei-
chen zum Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande,
an der Ostküste Italiens, in Capua, wo überall groſse Sclaven-
massen angehäuft waren, schien eine zweite Sclaveninsurrection
gleich der des Spartacus im Entstehen. Auch in der Hauptstadt
bereitete etwas sich vor; wer die trotzige Haltung sah, in der die
vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtprätor erschienen, muſste
der Scenen gedenken, die der Ermordung des Asellio (II, 239)
vorangegangen waren. Die Capitalisten schwebten in namenloser
Angst; es zeigte sich nöthig das Verbot der Gold- und Silber-
ausfuhr einzuschärfen und die Haupthäfen überwachen zu lassen.
Der Plan der Verschworenen war bei der Consulwahl für 692, zu
der Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Consul
so wie die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen
und Catilinas Wahl um jeden Preis durchzusetzen, nöthigenfalls
die bewaffneten Schaaren von Faesulae und den andern Sammel-
puncten gegen die Hauptstadt zu führen und mit ihnen den Wi-
derstand daselbst zu brechen. — Cicero, durch seine Agen-
ten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen
beständig rasch und vollständig unterrichtet, denuncirte an dem
anberaumten Wahltag (20. Oct.) die Verschwörung in vollem
Senat und im Beisein ihrer hauptsächlichsten Führer. Catilina
lieſs sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig,
wenn die Wahl zum Consul auf ihn fallen sollte, so werde es
allerdings der groſsen hauptlosen Partei gegen die kleine von
elenden Häuptern geleitete an einem Führer nicht länger fehlen.
Indeſs da es an handgreiflichen Beweisen des Complotts mangelte,
konnte von dem ängstlichen Senat nichts weiter erreicht werden,
als daſs derselbe in der üblichen Weise den von den Beamten
zweckmäſsig befundenen Ausnahmemaſsregeln im Voraus seine
Sanction ertheilte (21. Oct.). So nahte die Wahlschlacht, dies-
mal mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte
aus den jüngeren Männern namentlich des Kaufmannsstandes sich
eine bewaffnete Leibwache gebildet. Am 28. October, auf welchen
Tag die Wahl vom Senat vertagt worden war, bedeckten diese
Bewaffneten der Regierung das Marsfeld; es gelang den Ver-
schworenen weder den wahlleitenden Consul niederzumachen
noch die Wahlen in ihrem Sinn zu entscheiden. — Inzwischen
hatte der Bürgerkrieg bereits begonnen. Am 27. Oct. hatte Gaius
[167]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee
der Insurrection sich schaaren sollte — es war einer der mari-
anischen aus dem kimbrischen Kriege — und die Räuber aus den
Bergen wie das Landvolk aufgerufen sich ihm anzuschlieſsen.
Seine Proclamationen forderten, anknüpfend an die alten Tra-
ditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrückenden Schul-
denlast und Milderung des Schuldprocesses, der allerdings immer
noch, wenn der Schuldbestand in der That das Reinvermögen
überstieg, rechtlich den Verlust der Freiheit für den Schuldner
nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstädtische Gesindel,
indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten plebejischen
Bauerschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des kim-
brischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloſs die Gegen-
wart, sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. In-
deſs blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den andern Sam-
melpuncten kam die Verschwörung nicht hinaus über Waffen-
aufhäufung und Veranstaltung geheimer Zusammenkünfte, da es
überall an entschlossenen Führern gebrach. Es war ein Glück
für die Regierung; denn wie offen auch seit längerer Zeit der
bevorstehende Bürgerkrieg angekündigt ward, hatten doch die
eigene Unentschlossenheit und die Schwerfälligkeit der verroste-
ten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet irgend welche
militärische Vorbereitungen zu treffen. Jetzt endlich ward der
Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaf-
ten Italiens höhere Offiziere commandirt, um jeder in seinem
Bezirk die Insurrection zu unterdrücken. Aus der Hauptstadt
wurden die Fechtersclaven ausgewiesen und wegen der befürch-
teten Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in
einer peinlichen Lage. Er sah wohl ein, daſs mit dem bei Fae-
sulae sich sammelnden Haufen allein sein Plan nicht durchzu-
führen sei; alles lag ihm daran gleichzeitig die Insurrection in der
Hauptstadt zum Ausbruch zu bringen. Aber seinen Gehülfen da-
selbst mochte er das schwierige Unternehmen nicht anvertrauen.
Die angeseheneren unter denselben, Publius Lentulus Sura, Con-
sul 683, später aus dem Senat gestoſsen und jetzt, um in den
Senat zurückzugelangen, wieder Prätor, und die beiden gewesenen
Prätoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfähige
Menschen, Lentulus ein gewöhnlicher Aristokrat von groſsen
Worten und groſsen Ansprüchen, aber langsam im Begreifen und
unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeich-
net als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius
gar begriff es Niemand, wie ein so dicker und so einfältiger Mensch
[168]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
unter die Verschwörer verschlagen worden sei. Die fähigeren
Theilnehmer aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und
die Ritter Lucius Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Ca-
talina nicht wagen an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Ver-
schworenen noch die traditionelle Standeshierarchie ihren Platz
behauptete und auch die Anarchisten nicht meinten obsiegen zu
können, wenn nicht ein Consular oder mindestens ein Prätorier
an der Spitze stand. Darum entschloſs sich Catalina, wie drin-
gend immer die Insurrectionsarmee nach ihrem Feldherrn ver-
langte und wie gefährlich auch nach den Vorgängen bei Faesulae
sein Verbleiben in Rom für ihn persönlich war, dennoch Rom
nicht zu verlassen, bevor daselbst nicht wenigstens der erste
Schritt zur Empörung gethan sei. Gewohnt durch seinen kecken
Uebermuth den feigen Gegnern zu imponiren zeigte er sich öf-
fentlich auf dem Markte wie im Rathhaus und antwortete auf die
Drohungen, die dort gegen ihn fielen, daſs man sich hüten möge
ihn aufs Aeuſserste zu treiben; wenn man ihm das Haus anzünde,
werde er genöthigt sein es niederzureiſsen um den Brand unter
Trümmern zu löschen. In der That wagten es weder Private noch
Behörden auf den gefährlichen Menschen die Hand zu legen; es
war ziemlich gleichgültig, daſs ein junger Adlicher ihn wegen
Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozeſs zu Ende
kommen konnte, muſste längst anderweitig entschieden sein.
Aber auch Catilinas Entwürfe scheiterten; hauptsächlich daran,
daſs die Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschwo-
renen gedrängt hatten und dieselbe stets von allem Detail des
Complotts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Ver-
schworenen vor der wichtigen Festung Praeneste erschienen
(1. Nov.), die sie durch einen Handstreich zu überrumpeln ge-
hofft hatten, fanden sie die Besatzung gewarnt und verstärkt;
und so schlug alles fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkühnheit
es doch gerathen Rom schleunig zu verlassen und setzte den
Tag seiner Abreise fest. In einer letzten Zusammenkunft der
Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. Nov. wurde auf
ernstliches Begehren Catilinas beschlossen den Consul Cicero, der
die Contremine hauptsächlich leitete, noch vor der Abreise des
Führers zu ermorden und, um jedem Verrath zuvorzukommen,
diesen Beschluſs sogleich ins Werk zu setzen. Früh am Morgen
des 7. Nov. pochten die erkorenen Mörder an dem Hause des
Consuls; aber sie sahen die Wachen verstärkt und sich selber ab-
gewiesen — auch diesmal hatten die Spione der Regierung den
Verschworenen den Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. Nov.)
[169]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erschei-
nen und eine Vertheidigung gegen die zornigen Angriffe des Con-
suls zu versuchen, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten
Tage enthüllte; aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der
Nähe des Platzes, auf dem er saſs, leerten sich die Bänke. Er
verlieſs die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne
diesen Zwischenfall ohne Zweifel gethan haben würde, der Ver-
abredung gemäſs nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum
Consul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste
Meldung von dem Ausbruch der Insurrection in der Hauptstadt
die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regie-
rung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius so wie die-
jenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag
die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue
Milizen ein; aber nicht bloſs ward nicht eingeschritten gegen die
in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung,
sondern auch an die Spitze des gegen Catilina bestimmten Hee-
res der Consul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Ver-
schwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus
vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm
zuführen werde. Der Plan der hauptstädtischen Emeute war noch
von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgestellt wor-
den: ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung
das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Consul Cicero
aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf
Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen her-
angezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Ge-
schwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus dringende Vor-
stellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an
die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Los-
schlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt
noch gelingen. Allein die Conspiratoren waren gerade ebenso
unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und
es kam zu keiner Entscheidung.
Endlich führte die Contremine sie herbei. In seiner weit-
läuftigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Noth-
wendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitschichtiger
Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom
anwesenden Deputirten eines Keltengaus, der Allobrogen einge-
lassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Ge-
meinwesens und selber tief verschuldet, zur Theilnahme an der
Verschwörung bestimmt, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und
[170]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Deputirten verlieſsen
Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. December
hart an den Thoren von den römischen Behörden angehalten und
ihre Papiere ihnen abgenommen. Es zeigte sich, daſs die Allo-
brogen sich zu Spionen der römischen Regierung hergegeben und
die Verhandlungen nur deſshalb geführt hatten, um dieser die ge-
wünschten Beweisstücke gegen die Hauptleiter der Verschwörung
in die Hände zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero
in möglichster Stille Verhaftsbefehle gegen die gefährlichsten
Führer des Complotts erlassen und gegen Lentulus, Cethegus,
Gabinius und Statilius dieselben vollzogen, während einige An-
dere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die Schuld
der Verhafteten wie der Flüchtigen war vollkommen evident. Un-
mittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenom-
menen Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift
die Verhafteten nicht umhin konnten sich zu bekennen, und die
Gefangenen und Zeugen verhört; weitere bestätigende Thatsachen,
Waffenniederlagen in den Häusern der Verschworenen, drohende
Aeuſserungen, die sie gethan, ergaben sich alsbald; der That-
bestand der Verschwörung ward vollständig und rechtskräftig fest-
gestellt und die wichtigsten Actenstücke sogleich auf Ciceros Ver-
anstaltung durch fliegende Blätter publicirt. — Die Erbitterung
gegen die anarchistische Verschwörung war allgemein. Wie die
oligarchische Partei die Enthüllungen aufnahm, kann man sich
denken; gern hätte sie dieselben benutzt um mit der Demokra-
tie überhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein sie
war viel zu gründlich gesprengt um dies durchsetzen und ihm
das Ende bereiten zu können, das sie vor Zeiten den beiden
Gracchen und Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb
es bei dem guten Willen. Die hauptstädtische Menge empörten
namentlich die Brandstiftungspläne der Verschworenen. Die Kauf-
mannschaft und die ganze Partei der materiellen Interessen er-
kannte in diesem Krieg der Schuldner gegen die Gläubiger natür-
lich einen Kampf um ihre Existenz; in stürmischer Aufregung
drängte sich ihre Jugend, die Schwerter in den Händen, um das
Rathhaus und zückte dieselben gegen die offenen und heimlichen
Parteigenossen Catilinas. In der That war für den Augenblick
die Verschwörung paralysirt; wenn auch vielleicht ihre letzten
Urheber noch auf freien Füſsen waren, so war doch der ganze
mit der Ausführung beauftragte Stab der Verschwörung entwe-
der gefangen oder auf der Flucht; der bei Faesulae versammelte
Haufe konnte ohne Unterstützung durch eine Insurrection in
[171]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten. In einem leidlich ge-
ordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiemit zu Ende gewesen
und hätten das Militär und die Gerichte das Weitere übernom-
men. Allein in Rom war es so weit gekommen, daſs die Regie-
rung nicht einmal ein paar angesehene Adliche in sicherem Ge-
wahrsam zu halten im Stande war. Die Sclaven und Freigelasse-
nen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne
sollten geschmiedet sein um aus den Privathäusern, in denen sie
gefangen saſsen, sie mit Gewalt zu befreien; es fehlte, Dank dem
anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Banden-
führern, die für eine gewisse Taxe Aufläufe und Gewaltthaten in
Accord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereigniſs benach-
richtigt und nahe genug um mit seinen Schaaren einen dreisten
Streich zu versuchen. Wie viel von diesen Befürchtungen ge-
gründet war, läſst sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren
natürlich, da der Regierung der Verfassung zufolge in der Haupt-
stadt weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Po-
lizeimacht zu Gebote stand und sie in der That jedem Banditen-
haufen Preis gegeben war. Der Gedanke ward laut alle etwaigen
Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefange-
nen abzuschneiden. Verfassungsmäſsig war dies nicht möglich.
Nach dem altgeheiligten Provocationsrecht konnte über den Ge-
meindebürger ein Todesurtheil nur von der gesammten Bürger-
schaft und sonst von keiner andern Behörde verhängt werden;
seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden
waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern
hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; wie auch
der Advocat über die Rechtsfrage denken mochte, er wuſste wohl,
wie nützlich es eben dem Advocaten ist liberal zu heiſsen und
verspürte wenig Lust durch dies vergossene Blut sich auf ewig
von der demokratischen Partei zu scheiden. Indeſs seine Umge-
bung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn seine
Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu
krönen; der Consul, wie alle Feigen ängstlich bemüht den Schein
der Feigheit zu vermeiden und doch zitternd vor der furchtbaren
Verantwortung, berief in seiner Angst den Senat und überlieſs es
diesem über Tod und Leben der vier Gefangenen zu entscheiden.
Freilich hatte dies keinen Sinn, denn da der Senat verfassungs-
mäſsig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Con-
sul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letz-
teren zurück; aber wann ist je die Feigheit consequent gewesen?
Caesar bot alles auf um die Gefangenen zu retten, und seine Rede
[172]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
voll versteckter Drohungen vor der künftigen unausbleiblichen
Rache der Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl
bereits sämmtliche Consulare und die groſse Majorität des Senats
sich für die Hinrichtung ausgesprochen hatten, schienen doch
nun wieder die Meisten, Cicero voran, geneigt sich innerhalb der
rechtlichen Schranken zu halten. Allein Cato verstand es, indem
er nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der
Mitwisserschaft an dem Complott verdächtigte und auf die Vor-
bereitungen zur Befreiung der Gefangenen durch einen Straſsen-
aufstand hinwies, die schwankenden Seelen wieder in eine andere
Furcht zu werfen und für die sofortige Hinrichtung der Ver-
brecher die Majorität zu gewinnen. Die Vollziehung des Be-
schlusses lag natürlich dem Consul ob, der ihn hervorgerufen
hatte. Spät am Abend des fünften Decembers wurden die Ver-
hafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und über den
immer noch dicht von Menschen vollgedrängten Marktplatz in
das Gefängniſs gebracht, worin die zum Tode verurtheilten Ver-
brecher aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches
zwölf Fuſs tiefes Gewölbe am Fuſs des Capitols, das ehemals als
Brunnenhaus gedient hatte. Der Consul selbst führte den Lentu-
lus, Prätoren die übrigen, alle von starken Wachen begleitet;
doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt.
Niemand wuſste, ob die Verhafteten in ein gesicherteres Gewahr-
sam oder zur Richtstätte geführt wurden. An der Thüre des Ker-
kers wurden sie den Dreimännern übergeben, die die Hinrich-
tungen leiteten, und in dem unterirdischen Gewölbe bei Fackel-
schein erdrosselt. Der Consul, der vor der Thüre gewartet hatte
bis die Executionen vollzogen waren, rief darauf mit seiner lauten
wohlbekannten Stimme über den Markt hin der stumm harren-
den Menge die Worte zu: ‚Sie sind todt‘. Bis tief in die Nacht
hinein wogten die Haufen durch die Straſsen und begrüſsten ju-
belnd den Consul, dem sie meinten die Sicherung ihrer Häuser
und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rath aber ord-
nete öffentliche Dankfeste an und die ersten Männer der Nobilität,
Marcus Cato und Quintus Catulus, begrüſsten den Urheber des
Todesurtheils mit dem — hier zuerst vernommenen — Namen
eines Vaters des Vaterlandes. — Aber es war eine grauenvolle
That und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke
als groſs und preisenswerth erschien. Elender hat sich wohl nie
ein Gemeinwesen bankerott erklärt als Rom durch diesen mit
kaltem Blute von der Majorität der Regierung gefaſsten, von der
Majorität der Bürgerschaft gebilligten Beschluſs einige politische
[173]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das
Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der
Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende
Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer ge-
schichtlichen Tragödie fehlt, daſs dieser Act der brutalsten Tyran-
nei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen
Staatsmänner vollzogen werden muſste und daſs der ‚erste demo-
kratische Consul‘ dazu ausersehen war das Palladium der alten
römischen Gemeindefreiheit, das Provocationsrecht zu zerstören.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt wor-
den war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig
der Insurrection in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heer-
bestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich
durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünf-
acht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin
freilich nur etwa der vierte Theil der Mannschaft genügend be-
waffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen
und eine Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um
die Organisirung seiner Schaaren zu vollenden und den Aus-
bruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht
von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der In-
surgenten: die Masse der minder Compromittirten ging darauf
hin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlosse-
ner oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch sich
durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber
als die kleine Schaar an dem Fuſs des Gebirges bei Pistoria
(Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die
Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Corps des Quintus Me-
tellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um
den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die
Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich
nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte.
Man war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel
gingen zu Ende; es blieb nichts übrig als sich auf den näher ste-
henden Feind, das heiſst auf Antonius zu werfen. In einem engen
von felsigen Bergen eingeschlossenen Thale kam es zum Kampfe
zwischen Catilina und den Truppen des Antonius, welche der-
selbe, um die Execution gegen seine ehemaligen Verbündeten
wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, an diesem Tage
unter einem Vorwand einem tapferen unter den Waffen ergrau-
ten Offizier, dem Marcus Petreius anvertraut hatte. Die Ueber-
macht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des
[174]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Schlachtfeldes wenig in Betracht; Catilina wie Petreius stellten
ihre zuverlässigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier
ward weder gegeben noch genommen. Lange stand der Kampf
und von beiden Seiten fielen viele tapfere Männer; Catilina, der
vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der sämmt-
lichen Offiziere zurückgeschickt hatte, bewies an diesem Tage,
daſs ihn die Natur zu nicht gewöhnlichen Dingen bestimmt hatte
und daſs er es verstand zugleich als Feldherr zu commandiren
und als Soldat zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner
Garde das Centrum des Feindes und faſste, nachdem er dies ge-
worfen hatte, die beiden Flügel von innen; der Sieg war damit
entschieden. Die Leichen der Catilinarier — man zählte ihrer
3000 — deckten gleichsam in Reihe und Glied den Boden wo
sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst hatten,
da alles verloren war, sich in die Feinde gestürzt und dort den
Tod gesucht und gefunden (Anfang 692). Antonius ward wegen
dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt
und neue Dankfeste bewiesen, daſs Regierung und Regierte an-
fingen sich an den Bürgerkrieg zu gewöhnen.
Das anarchische Complott war also in der Hauptstadt wie
in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen; man ward nur
noch an dasselbe erinnert durch die Criminalprozesse, die in den
etruskischen Landstädten und in der Hauptstadt unter den Affi-
liirten der geschlagenen Partei aufräumten, und durch die an-
schwellenden italischen Räuberbanden, wie deren zum Beispiel
eine aus den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina
erwachsene im J. 694 im Gebiete von Thurii durch Militärgewalt
vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im Auge zu behalten,
daſs der Schlag keineswegs bloſs die eigentlichen Anarchisten, die
zur Anzündung der Hauptstadt sich verschworen und bei Pistoria
gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei traf.
Daſs diese, speciell Crassus und Caesar hier so gut wie bei dem
Complott von 688 die Hand im Spiele hatten, darf als eine zwar
nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Thatsache angesehen
werden. Zwar daſs Catulus und die übrigen Häupter der Senats-
partei den Führer der Demokraten der Mitwisserschaft um das
anarchistische Complott ziehen und daſs dieser den von der
Senatspartei beabsichtigten brutalen Justizmord zu hindern ver-
suchte, konnte nur von der Parteichicane als Beweis seiner Be-
theiligung an den Plänen Catilinas geltend gemacht werden. Aber
mehr ins Gewicht fällt eine Reihe anderer Thatsachen. Nach aus-
drücklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allem
[175]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Consulat
unterstützten. Als Caesar 690 die Schergen Sullas vor das Mord-
gericht zog (S. 155), lieſs er die übrigen verurtheilen, den schul-
digsten und schändlichsten aber von ihnen allen, den Catilina frei-
sprechen. Bei den Enthüllungen des dritten December wurden
zwar die Namen der beiden einfluſsreichen Männer nicht geradezu
auf die Anklageliste gesetzt, allein es sprachen doch gegen sie noch
ganz andere Dinge als die Anschuldigungen des Catulus. Es ist
notorisch, daſs die Denuncianten nicht bloſs die bekannten Na-
men nannten, sondern auſserdem noch auf ‚viele Unschuldige‘
aussagten, die der Consul Cicero aus dem Verzeichniſs zu streichen
für gut fand; und in späteren Jahren, als er keine Ursache hatte
die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdrücklich Caesar unter
den Mitwissern genannt. Eine indirecte, aber sehr verständliche
Bezichtigung liegt auch darin, daſs von den vier am dritten De-
cember Verhafteten die beiden am wenigsten gefährlichen Statilius
und Gabinius den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung
übergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie
entrinnen lieſsen, vor der öffentlichen Meinung als Mitschuldige,
oder, wenn sie in der That sie festhielten, vor ihren Mitverschwo-
renen als Abtrünnige compromittirt werden. Bezeichnend für
die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Scene. Un-
mittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen
wurde ein aus Rom an Catilina abgesandter Bote von den Agen-
ten der Regierung aufgegriffen. Nachdem ihm Straflosigkeit zu-
gesichert war, begann er in voller Senatssitzung ein umfassendes
Geständniſs abzulegen. Wie er an die bedenklichen Theile seiner
Confession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den Cras-
sus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ci-
ceros Vorschlag beschlossen die ganze Angabe ohne weitere Un-
tersuchung zu cassiren, ihren Urheber aber ungeachtet der zuge-
sicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloſs die
Angabe zurückgenommen, sondern auch bekannt haben werde,
wer ihn zu solchem falschen Zeugniſs aufgestiftet habe! Hier liegt
es deutlich zu Tage, nicht bloſs daſs jener Mann die Verhältnisse
recht genau kannte, der auf die Aufforderung einen Angriff auf
Crassus zu machen zur Antwort gab, er habe keine Lust den Stier
der Heerde zu reizen, sondern auch daſs die Senatsmajorität, Ci-
cero an der Spitze, unter sich einig geworden war die Enthüllun-
gen nicht über eine bestimmte Grenze fortzusetzen. Das Publicum
war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mord-
brenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so er-
[176]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
bittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften December, als
er die Curie verlieſs, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte
nicht viel, daſs er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben ge-
lassen, wo siebzehn Jahr später ihn der Todesstreich traf; län-
gere Zeit hat er die Curie nicht wieder betreten. Wer überall das
Verhalten Catilinas in Rom und die Entsendung des Antonius
unbefangen erwägt, wird des Argwohns kaum sich zu erwehren
vermögen, daſs hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche,
gestützt auf den Mangel vollständiger Beweise, die Lauheit und
Feigheit der nach jedem Vorwande zur Unthätigkeit begierig grei-
fenden Senatsmehrheit benutzten um ein ernstliches Einschrei-
ten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem
Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die
Kriegserklärung und Truppensendung gegen die Insurrection so
zu lenken, daſs sie beinahe auf die Sendung einer Hülfsarmee
hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt,
daſs die Fäden des catilinarischen Complotts weit höher hinauf-
reichen als zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung
verdienen, daſs in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des
Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilina-
rier, dem mauretanischen Freischaarenführer Publius Sittius in
der engsten Allianz stand und daſs er das Schuldrecht ganz in
dem Sinne milderte, wie es die Proclamationen des Manlius be-
gehrten. — All diese einzelnen Indicien reden deutlich genug;
wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie
gegenüber der seit dem gabinisch-manilischen Gesetze drohender
als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an
sich schon fast zur Gewiſsheit, daſs sie, wie es in solchen Fällen
zu gehen pflegt, in den geheimen Complotten und dem Bündniſs
mit der Anarchie eine letzte Hülfe gesucht hat. Die Verhältnisse
waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten
Pompeius eine Stellung einnahm ähnlich wie damals Sulla, so such-
ten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzu-
richten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann wo
möglich besser zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch
Terrorismus und Anarchie und diesen zu bahnen war Catilina
allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputirliche-
ren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund
und überlieſsen den unsauberen Genossen die Ausführung der
unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich
zuzueignen hofften. Noch mehr muſsten, als das Unternehmen
gescheitert war, die höher gestellten Theilnehmer alles anwenden
[177]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
um ihre Betheiligung daran zu verhüllen. Und auch in späterer
Zeit, als der ehemalige Conspirator selbst die Zielscheibe der po-
litischen Complotte geworden war, zog eben darum über diese
düsteren Jahre in dem Leben des groſsen Mannes der Schleier
nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne
sogar eigene Apologien für ihn geschrieben.*
Seit fünf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze
seiner Heere und Flotten; seit fünf Jahren conspirirte die De-
mokratie daheim um ihn zu stürzen. Das Ergebniſs war entmu-
thigend. Mit unsäglichen Anstrengungen hatte man nicht bloſs
nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Ein-
buſse gemacht. Schon die Coalition vom Jahre 683 mochte den
Demokraten vom reinen Wasser ein Aergerniſs sein, obwohl die
Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Männern der Ge-
genpartei sich einlieſs und diese auf ihr Programm verpflichtete.
Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache
gemacht mit einer Bande von Mördern und Bankerottirern, die
fast alle gleichfalls Ueberläufer aus dem Lager der Aristokratie
waren, und hatte deren Programm, das heiſst den einnanischen
Terrorismus wenigstens vorläufig acceptirt. Die Partei der ma-
teriellen Interessen, eines der Hauptelemente der Coalition von
683, wurde hiedurch der Demokratie entfremdet und zunächst
den Optimaten, überhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor
der Anarchie gewähren wollte und konnte, in die Arme ge-
trieben. Selbst die hauptstädtische Menge, die zwar gegen
einen Strassenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch
unbequem fand sich das Haus über dem Kopfe anzünden zu
lassen, ward einigermaſsen scheu. Es ist merkwürdig, daſs
eben in diesem Jahre (691) die volle Wiederherstellung der
sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten
des Senats auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der
Röm. Gesch. III. 12
[178]FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Demokratenführer mit der Anarchie zwischen jene und die Stadt-
bürgerschaft einen Keil getrieben und suchte die Oligarchie die-
sen Riſs zu erweitern und, nicht ohne wenigstens augenblick-
lichen Erfolg, die Massen auf ihre Seite hinüberzuziehen. Endlich
war Gnaeus Pompeius durch all diese Kabalen theils gewarnt, theils
erbittert worden; nach allem was vorgefallen war und nachdem die
Demokratie die Bande, die sie mit Pompeius verknüpften, selber
so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr schicklicher
Weise von ihm begehren, was im J. 684 eine gewisse Billigkeit
für sich gehabt hatte, daſs er die demokratische Macht, die er
und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zer-
störe. So war die Demokratie entehrt und geschwächt; vor allen
Dingen aber war sie lächerlich geworden durch die unbarmher-
zige Aufdeckung ihrer Rathlosigkeit und Schwäche. Wo es sich
um die Demüthigung des gestürzten Regiments und ähnliche
Nichtigkeiten handelte, that sie groſs und gewaltig; aber jeder
ihrer Versuche einen wirklich politischen Erfolg zu erreichen
war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhältniſs zu Pompeius war so
falsch wie kläglich. Während sie ihn mit Lobsprüchen und Hul-
digungen überschüttete, spann sie gegen ihn eine Intrigue nach
der andern, die eine nach der andern Seifenblasen gleich von sel-
ber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere, weit
entfernt sich dagegen zur Wehre zu setzen, schien das ganze
geschäftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege
über sie zu erfechten, wie Herakles die über die Pygmäen, ohne
selber darum gewahr zu werden. Der Versuch den Bürgerkrieg
zu entflammen war jämmerlich gescheitert; hatte die anarchisti-
sche Fraction wenigstens einige Energie entwickelt, so hatte die
reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen verstanden, aber
weder sie zu führen noch sie zu retten noch mit ihnen zu sterben.
Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestärkt durch die aus
den Reihen der Demokratie zu ihr übertretenden Massen und vor
allem durch die unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und der-
jenigen des Pompeius in dieser Angelegenheit, es vermocht diesen
Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen letz-
ten Sieg über die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war König
Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius
Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Ent-
scheidung war nicht fern; aber konnte noch die Rede sein von
einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und
gewaltiger als je zurückkam, und der beispiellos gedemüthigten
und völlig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an
[179]DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
seine Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo
im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elasti-
sche und so energische Natur wie Caesar schien im Begriff das
Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691) fällt seine Bewer-
bung um die Stelle des Oberpontifex (S. 154); als er am Mor-
gen der Wahl seine Wohnung verlieſs, äuſserte er, wenn auch
dieses ihm fehlschlage, werde er die Schwelle seines Hauses nicht
wieder überschreiten.
12*
[[180]]
KAPITEL VI.
Pompeius Rücktritt und die Coalition der Prätendenten.
Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Ver-
richtungen seine Blicke wieder der Heimath zuwandte, fand er
zum zweiten Male das Diadem zu seinen Füſsen. Längst neigte
die Entwickelung des römischen Gemeinwesens einer solchen
Katastrophe sich zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und
war tausendmal gesagt worden, daſs wenn der Herrschaft der
Aristokratie ein Ende gemacht sein werde, die Monarchie unaus-
bleiblich sei. Jetzt war der Senat gestürzt zugleich durch die
bürgerliche liberale Opposition und die soldatische Gewalt; es
konnte sich nur noch darum handeln für die neue Ordnung der
Dinge die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die
übrigens in den theils demokratischen, theils militärischen Ele-
menten der Umwälzung bereits ziemlich klar angedeutet waren. Die
Ereignisse der letzten fünf Jahre hatten auf diese bevorstehende
Umwandelung des Gemeinwesens gleichsam das letzte Siegel
gedrückt. In den neu eingerichteten asiatischen Provinzen, die
in ihrem Ordner den Nachfolger des groſsen Alexander könig-
lich verehrten und schon seine begünstigten Freigelassenen wie
Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner Herrschaft
gelegt und zugleich die Schätze, das Heer und den Nimbus ge-
funden, deren der künftige Fürst des römischen Staates bedurfte.
Die anarchistische Verschwörung aber in der Hauptstadt mit
dem daran sich knüpfenden Bürgerkrieg hatte es Jedem, der gei-
stige oder auch nur materielle Interessen hatte, mit empfindlicher
Schärfe dargelegt, daſs eine Regierung ohne Autorität und ohne
[181]POMPEIUS RÜCKTRITT.
militärische Macht, wie die des Senats war, den Staat der ebenso
lächerlichen wie furchtbaren Tyrannei der politischen Industrie-
ritter aussetzt und daſs eine Verfassungsänderung, welche die Mi-
litärgewalt enger mit dem Regiment verknüpfte, eine unabweis-
liche Nothwendigkeit war, wenn die gesellschaftliche Ordnung
ferner Bestand haben sollte. So war im Osten der Herrscher auf-
gestanden, in Italien der Thron errichtet; allem Anschein nach war
das Jahr 692 das letzte der Republik, das erste der Monarchie.
Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen.
Die [Verfassung], die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und
unter der die unbedeutende Stadt an der Tiber zu beispielloser
Gröſse und Herrlichkeit gediehen war, hatte ihre Wurzeln man
wuſste nicht wie tief in den Boden gesenkt und es lieſs sich
durchaus nicht berechnen, bis in welche Schichten hinab der
Versuch sie umzustürzen die bürgerliche Gesellschaft aufwühlen
werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf nach dem
groſsen Ziel von Pompeius überholt, aber nicht völlig beseitigt
worden. Es lag durchaus nicht auſser der Berechnung, daſs alle
diese Elemente sich verbanden um den neuen Machthaber zu
stürzen und Pompeius sich gegenüber Quintus Catulus und Mar-
cus Cato mit Marcus Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus
vereinigt fand. Aber nicht leicht konnte der unvermeidliche und
unzweifelhaft ernste Kampf unter günstigeren Verhältnissen auf-
genommen werden. Es war in hohem Grade wahrscheinlich, daſs
unter dem frischen Eindrucke des catilinarischen Aufstandes
einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenn gleich um
den Preis der Freiheit, verhieſs, die gesammte Mittelpartei sich
fügen werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interes-
sen bekümmerte Kaufmannschaft, aber nicht minder ein groſser
Theil der Aristokratie, die, in sich zerrüttet und politisch hoff-
nungslos, zufrieden sein muſste durch zeitige Transaction mit
dem Fürsten sich Reichthum, Rang und Einfluſs zu sichern;
vielleicht sogar mochte ein Theil der von den letzten Schlägen
schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden von einem aus
ihren Reihen hervorgegangenen Militärchef die Realisirung eines
Theils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer
die Parteiverhältnisse sich stellten, was kam, zunächst wenig-
stens, auf die Parteien in Italien überhaupt noch an Pompeius
gegenüber und seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor
hatte Sulla, nachdem er mit Mithradates einen Nothfrieden ab-
geschlossen hatte, gegen die gesammte seit Jahren massenhaft
rüstende liberale Partei, von den gemäſsigten Aristokraten und
[182]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den Anarchisten,
eine der natürlichen Entwickelung der Dinge zuwiderlaufende Re-
stauration durchzusetzen vermocht. Pompeius Aufgabe war weit
minder schwer. Er kam zurück, nachdem er zur See und zu
Lande seine verschiedenen Aufgaben vollständig und gewissenhaft
gelöst hatte. Er durfte erwarten auf keine andere ernstliche Op-
position zu treffen als auf die der verschiedenen extremen Par-
teien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die selbst
verbündet immer nicht mehr waren als eine Coalition eben noch
hitzig sich befehdender und innerlich gründlich entzweiter Factio-
nen. Vollkommen ungerüstet waren sie ohne Heer und Haupt,
ohne Organisation in Italien, ohne Rückhalt in den Provinzen,
vor allen Dingen ohne einen Feldherrn; es war in ihren Reihen
kaum ein namhafter Militär, geschweige denn ein Offizier, der es
hätte wagen dürfen die Bürger zum Kampfe gegen Pompeius auf-
zurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen, daſs der jetzt
seit siebzig Jahren rastlos flammende Vulcan der Revolution an-
fing an seiner eigenen Gluth zu ermatten. Es war sehr zweifel-
haft, ob es jetzt noch gelingen werde die Italiker so für Partei-
interessen zu bewaffnen, wie Cinna und Carbo dies vermocht
hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie konnte es ihm fehlen eine
Staatsumwälzung durchzusetzen, die in der organischen Ent-
wickelung des römischen Gemeinwesens mit einer gewissen Na-
turnothwendigkeit vorgezeichnet war?
Pompeius hatte den Moment erfaſst, indem er die Mission
nach dem Orient übernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im
Herbste des J. 691 traf Quintus Metellus Nepos aus dem Lager
des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber
um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht als Volkstribun
Pompeius das Consulat für das nächste Jahr und durch speciel-
len Volksbeschluſs die Führung des Krieges gegen Catilina zu
verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht
zu bezweifeln, daſs Nepos im directen oder indirecten Auftrag
des Pompeius handelte; Pompeius Begehren die höchste bürger-
liche und militärische Gewalt in Italien zu verwalten und daselbst
an der Spitze seiner asiatischen Legionen wiederum als Feld-
herr aufzutreten schien ein weiterer Schritt auf dem Wege zum
Throne. Nepos Sendung ward aufgefaſst als die halbofficielle
Ankündigung der Monarchie. — Es kam alles darauf an, wie
die beiden groſsen politischen Parteien zu diesen Eröffnungen
sich verhielten; ihre künftige Stellung und die Zukunft der Nation
hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand, ward
[183]POMPEIUS RÜCKTRITT.
selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhältniſs der Par-
teien zu Pompeius, das sehr eigenthümlicher Art war. Als Feld-
herr der Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen.
Er hatte Ursache genug mit Caesar und seinem Anhang unzu-
frieden zu sein, aber ein offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist
wahrscheinlich, daſs Pompeius, der weit entfernt und mit andern
Dingen beschäftigt war, überdies der Gabe sich politisch zu
orientiren durchaus entbehrte, den Umfang und den Zusammen-
hang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe da-
mals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in
seiner hochmüthigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen
Stolz darein setzte diese Maulwurfsthätigkeit zu ignoriren. Dazu
kam, was bei einem Charakter von Pompeius Art sehr ins Ge-
wicht fiel, daſs die Demokratie den äuſseren Respect gegen den
groſsen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja eben jetzt (691), un-
aufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen besonderen Volks-
schluſs unerhörte Ehren und Decorationen gewährt hatte (S. 141).
Indeſs wäre auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pom-
peius eigenem wohlverstandenem Interesse sich wenigstens äus-
serlich fortwährend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und
Monarchie stehen in so enger Wahlverwandtschaft, daſs Pom-
peius um nach der Krone zu greifen nichts besseres thun konnte
als sich zum Vorfechter der Volksrechte aufwerfen. Wenn also
persönliche und politische Gründe zusammenwirkten, um trotz
allem Vorgefallenen Pompeius und die Führer der Demokratie
wieder einander zu nähern, so öffnete dagegen die Kluft, die ihn
von seinen ehemaligen Parteigenossen trennte, sich immer wei-
ter und immer tiefer. Sein Hader mit Metellus und Lucullus über-
trug sich auf deren ausgedehnte und einfluſsreiche Coterien. Eine
kleinliche und für einen so kleinlich zugeschnittenen Charakter
eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so tiefer erbitternde Opposi-
tion des Senats hatte ihn auf seiner ganzen Feldherrnlaufbahn
begleitet. Er empfand es schmerzlich, daſs der Senat nicht das
Geringste gethan um den auſserordentlichen Mann nach Ver-
dienst, das heiſst auſserordentlich zu ehren. Nicht aus der Acht
ist es ferner zu lassen, daſs die Aristokratie eben damals von
ihrem frischen Siege berauscht, die Demokratie tief gedemüthigt
war und daſs die Aristokratie von dem bocksteifen und halb
närrischen Cato, die Demokratie von dem schmiegsamen Meister
der Intrigue Caesar geleitet ward. — In diese Verhältnisse traf
das Auftreten des von Pompeius gesandten Emissärs. Die Ari-
stokratie betrachtete nicht bloſs die Anträge, die derselbe zu
[184]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
Pompeius Gunsten ankündigte, als eine Kriegserklärung gegen
die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie auch öffentlich
als solche und gab sich nicht die mindeste Mühe ihre Besorgniſs
und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen Ab-
sicht diese Anträge zu bekämpfen lieſs sich Marcus Cato mit Ne-
pos zugleich zum Volkstribun wählen und wies Pompeius wieder-
holten Versuch sich ihm persönlich zu nähern schroff zurück. Es
ist begreiflich, daſs Nepos hienach sich nicht veranlaſst fand die
Aristokratie zu schonen und sich den Demokraten um so bereit-
williger anschloſs, als diese, geschmeidig wie immer, in das Un-
vermeidliche sich fügten und das Consulat wie das Feldherrnamt
in Italien lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen sich
abzwingen lieſsen. Das herzliche Einverständniſs offenbarte sich
bald. Nepos bekannte sich (Dec. 693) öffentlich zu der demo-
kratischen Auffassung der von der Senatsmajorität kürzlich ver-
fügten Executionen als verfassungswidriger Justizmorde; und daſs
auch sein Herr und Meister sie nicht anders ansah, bewies sein
bedeutsames Stillschweigen über die voluminöse Rechtfertigungs-
schrift, die ihm Cicero übersandt hatte. Andrerseits war es der
erste Act, womit Caesar seine Prätur eröffnete, daſs er den Quin-
tus Catulus wegen bei dem Wiederaufbau des capitolinischen
Tempels angeblich von ihm unterschlagener Gelder zur Rechen-
schaft zog und die Vollendung des Tempels oder vielmehr des-
sen Einweihung — denn der Bau war im Wesentlichen beendet
— an Pompeius übertrug. Indem er also diesem die Aussicht
eröffnete an dieser stolzesten Stätte der stolzesten Stadt des Erd-
kreises seinen Namen einzugraben, ward die Aristokratie, die
doch ihren besten Mann nicht fallen lassen konnte, auf die är-
gerlichste Weise mit Pompeius verwickelt. — Inzwischen hatte
Nepos seine Pompeius betreffenden Anträge bei der Bürger-
schaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung intercedirten Cato
und sein Freund und College Quintus Minucius. Als Nepos sich
daran nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu
einem förmlichen Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich
über ihren Collegen und zwangen ihn innezuhalten, bis eine be-
waffnete Schaar ihn befreite und die Gegner vom Markte ver-
trieb. Aber Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von
bewaffneten Haufen begleitet, und behaupteten schlieſslich das
Schlachtfeld für die Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande
über die des Gegners ermuthigt suspendirte der Senat den Tri-
bun Nepos so wie den Prätor Caesar, der denselben bei der
Einbringung des Gesetzes nach Kräften unterstützt hatte, von
[185]POMPEIUS RÜCKTRITT.
ihren Aemtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward,
wurde, mehr wohl wegen der Verfassungs- als wegen der Zweck-
widrigkeit der Maſsregel, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich
an den Beschluſs nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort,
bis der Senat Gewalt gegen ihn brauchte. Zwei Tage nachher
erschien die Menge vor seinem Hause und stellte sich ihm zur
Verfügung; es hätte nur von ihm abgehangen den Straſsen-
kampf zu beginnen oder wenigstens die von Metellus gestellten
Anträge jetzt wieder aufzunehmen; allein keines von beidem
lag in seinem Interesse und so bewog er die Haufen sich wieder
zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhängte Sus-
pension zurücknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner
Amtsentsetzung die Stadt verlassen und sich nach Asien ein-
geschifft, um Pompeius von dem Erfolg seiner Sendung Bericht
zu erstatten.
Pompeius hatte alle Ursache mit dieser Wendung der Dinge
zufrieden zu sein. Der Weg zum Thron ging nun einmal nicht
anders als durch den Bürgerkrieg. Diesen mit gutem Fug zu be-
ginnen hatte Catos zwiefache Verkehrtheit in der rechtswidrigen
Verurtheilung des Lentulus und seiner Genossen und in den Ge-
waltsamkeiten gegen den Tribun Metellus dem Gegner die Mög-
lichkeit gegeben; Pompeius konnte ihn führen zugleich als Ver-
fechter der beiden Palladien der römischen Gemeindefreiheit, des
Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des Volkstribunats ge-
gen die Aristokratie und als Vorkämpfer der Ordnungspartei
gegen die catilinarische Bande. Es schien fast unmöglich, daſs
Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen sich zum
zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die er
durch die Entlassung seiner Armee im J. 684 gekommen und aus
der er erst durch das gabinische Gesetz erlöst worden war. In-
deſs, wie nahe es ihm auch gelegt war die Krone zu ergreifen,
wie sehr seine eigene Seele nach der weiſsen Stirnbinde gelü-
stete, als es galt den Griff zu thun versagten ihm abermals Herz
und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Ansprüchen nicht, ganz
gewöhnliche Mensch hätte wohl gern auſserhalb des Gesetzes sich
gestellt, wenn dies nur geschehen könnte ohne den gesetzlichen
Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien lieſs dies ahnen.
Er hätte, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 mit Flotte
und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier
empfangen können. Daſs er den ganzen Winter 691/2 in Asien
säumte, hatte zunächst die nachtheilige Folge, daſs die Aristo-
kratie, die natürlich den Feldzug gegen Catilina nach Kräften be-
[186]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
eilte, inzwischen mit dessen Banden fertig geworden war und da-
mit der schicklichste Vorwand die asiatischen Legionen in Italien
zusammenzuhalten hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius
Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen
Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht
anklammerte und bei dem der Vorwand ungefähr eben so viel
wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er
mochte sich ferner sagen, daſs, selbst wenn er sein Heer ent-
lasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Nothfall
doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige
Armee aufzubringen vermöge; daſs die Demokratie in unterwür-
figer Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem renitenten
Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter
sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug
Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plau-
sibel erscheinen zu lassen. Den Ausschlag gab natürlich wieder-
um Pompeius eigenstes Naturell. Er gehört zu den Menschen,
die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insubordina-
tion; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch
Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die
sittliche Nothwendigkeit, gemeine als die hergehrachte alltägliche
Regel; eben darum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr
als irgendwo sonst das Gesetz als Routine auftritt, jeden nicht
ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist
oft beobachtet worden, daſs der Soldat, auch wenn er den Ent-
schluſs gefaſst hat seinem Vorgesetzten den Gehorsam zu versa-
gen, dennoch, wenn Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wie-
der in Reihe und Glied tritt; es war dieses Gefühl, das Lafayette
und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treubruch schwan-
ken und scheitern machte und auch Pompeius ist demselben un-
terlegen. — Im Herbst 692 schiffte Pompeius nach Italien sich
ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete den neuen
Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daſs Pompeius, kaum
in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit gerin-
gem Gefolg die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn
es ein Glück ist eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das
Glück nie mehr für einen Sterblichen gethan als es für Pom-
peius that; aber an den Muthlosen verschwenden die Götter um-
sonst alle Gunst und alle Gabe.
Die Parteien athmeten auf. Zum zweiten Mal hatte Pompeius
abdicirt; die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals
den Wettlauf beginnen, wobei wohl das Wunderlichste war, daſs
[187]POMPEIUS RÜCKTRITT.
auch in diesem Pompeius wieder mitlief. Im Januar 693 kam er
nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte so unklar
zwischen den Parteien, daſs man ihm den Spottnamen Gnaeus
Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben. Die Anar-
chisten sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen
unbequemen Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die ver-
mögende Classe einen unzuverlässigen Beschützer, die Aristokra-
tie einen erklärten Feind.* Er war wohl immer noch der mäch-
tigste Mann im Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militä-
rischer Anhang, sein Einfluſs in den Provinzen, namentlich den
östlichen, sein militärischer Ruf, sein ungeheurer Reichthum
gaben ihm ein Gewicht wie es kein Anderer hatte; aber statt des
begeisterten Empfanges, auf den er gezählt hatte, war die Auf-
nahme, die er fand, mehr als kühl und noch kühler behandelte
man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte für sich, wie er
schon durch Nepos hatte ankündigen lassen, das zweite Consulat,
auſserdem natürlich die Bestätigung der von ihm im Osten ge-
troffenen Anordnungen und die Erfüllung des seinen Soldaten ge-
gebenen Versprechens sie mit Ländereien auszustatten. Hiegegen
erhob sich im Senat eine systematische Opposition, zu der die
persönliche Erbitterung des Lucullus und des Metellus Creticus,
der alte Groll des Crassus und Catos gewissenhafte Thorheit die
hauptsächlichen Elemente hergaben. Das gewünschte zweite Con-
sulat ward sofort und unverblümt verweigert. Gleich die erste
Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat richtete, die
Wahl der Consuln für 693 bis nach seinem Eintreffen in der
Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel
weniger war daran zu denken die erforderliche Dispensation
von dem Gesetze Sullas über die Wiederwahl (II, 336) vom Se-
nat zu erlangen. Für die in den östlichen Provinzen getroffenen
Anordnungen begehrte natürlich Pompeius die Bestätigung im
Ganzen; Lucullus setzte es durch, daſs über jede Verfügung be-
sonders verhandelt und abgestimmt ward, womit für endlose Tra-
casserien und eine Menge Niederlagen im Einzelnen das Feld er-
öffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Solda-
ten der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im Allgemeinen
[188]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
ratificirt, jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen
des Metellus und was schlimmer war, es wurde nicht ausge-
führt, da die Gemeindekasse leer und der Senat nicht gemeint
war die Domänen für diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran
verzweifelnd der zähen und tückischen Opposition des Rathes
Herr zu werden, wandte sich an die Bürgerschaft. Allein er ver-
stand es noch weniger auf diesem Gebiet sich zu bewegen. Die
demokratischen Führer, obwohl sie ihm nicht offen entgegen
wirkten, hatten doch auch durchaus keine Ursache seine Inter-
essen zu den ihrigen zu machen und hielten sich bei Seite. Pom-
peius eigene Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Ein-
fluſs und zum Theil für sein Geld gewählten Consuln Marcus Pu-
pius Piso 693 und Lucius Afranius 694, erwiesen sich als un-
geschickt und unbrauchbar. Als endlich durch den Volkstribun
Lucius Flavius in Form eines allgemeinen Ackergesetzes Pom-
peius Begehren wegen der Landanweisung für seine alten Solda-
ten an die Bürgerschaft gebracht ward, blieb der von den Demo-
kraten nicht unterstützte, von den Aristokraten offen bekämpfte
Antrag in der Minorität (Anf. 694). Fast demüthig buhlte der
hochgestellte Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf
seinen Antrieb durch ein vom Prätor Metellus Nepos eingebrach-
tes Gesetz die italischen Zölle abgeschafft wurden (694). Aber er
spielte den Demagogen ohne Geschick und ohne Glück; sein An-
sehen litt darunter und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte
sich vollständig festgezogen. Einer seiner Gegner faſst seine da-
malige politische Stellung dahin zusammen, daſs er bemüht sei
‚seinen gestickten Triumphalmantel schweigend zu conserviren‘.
Es blieb ihm in der That nichts übrig als sich zu ärgern.
Da bot sich eine neue Combination dar. Der Führer der
demokratischen Partei hatte die politische Windstille, die zu-
nächst auf den Rücktritt des bisherigen Machthabers gefolgt war,
in seinem Interesse thätig benutzt. Als Pompeius aus Asien zu-
rückkam, war Caesar wenig mehr gewesen als was auch Catilina
war: der Chef einer fast in einen complottirenden Club übergegan-
genen politischen Partei und ein bankerotter Mann. Seitdem aber
hatte er nach verwalteter Prätur (692) die Statthalterschaft des
diesseitigen Spanien übernommen und dadurch Mittel gefunden
theils seiner Schulden sich zu entledigen, theils zu einer militä-
rischen Stellung und einem militärischen Ruf den Grund zu legen.
Sein alter Freund und Bundesgenosse Crassus meinte den Rück-
halt gegen Pompeius, den er an Piso verloren hatte (S. 160), jetzt
an Caesar wieder zu finden und hatte dadurch sich bestimmen
[189]POMPEIUS RÜCKTRITT. DIE COALITION.
lassen ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem
drückendsten Theil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst
hatte den kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahr
694 mit gefüllten Kassen und als Imperator mit wohlgegründeten
Ansprüchen auf den Triumph aus Spanien zurückgekehrt, trat
er für das folgende Jahr als Bewerber um das Consulat auf, um
dessen willen er, da der Senat ihm die Erlaubniſs abwesend sich
als Bewerber um das Consulat zu melden abschlug, die Ehre des
Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte die Demo-
kratie danach gerungen einen der Ihrigen in den Besitz des höch-
sten Amtes zu bringen um auf dieser Brücke zur Gründung einer
eigenen militärischen Macht zu gelangen. Längst war es ja den
Einsichtigen aller Farben klar geworden, daſs der Parteienstreit
nicht durch bürgerlichen Kampf, sondern nur noch durch Mili-
tärmacht entschieden werden könne; der Verlauf aber der Coali-
tion zwischen der Demokratie und den mächtigen Militärchefs,
durch die der Senatsherrschaft ein Ende gemacht worden war,
zeigte mit unerbittlicher Schärfe, daſs jede solche Allianz that-
sächlich auf eine Unterordnung der bürgerlichen unter die mili-
tärischen Elemente derselben hinauslief und daſs die Volkspartei,
wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich frem-
den, ja feindlichen Generalen sich verbünden, sondern selbst ihre
Führer zu Generalen machen müsse. Die Versuche Catilinas Wahl
zum Consul durchzusetzen, in Spanien oder Aegypten einen mi-
litärischen Rückhalt zu gewinnen waren gescheitert; jetzt bot sich
die Möglichkeit ihrem bedeutendsten Führer das Consulat und
die Consularprovinz auf dem gewöhnlichen verfassungsmäſsigen
Wege zu verschaffen und durch Begründung, wenn man so sagen
darf, einer demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaf-
ten und gefährlichen Bundesgenossen Pompeius unabhängig zu
machen. — Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein
muſste sich diese Bahn zu eröffnen, die ihr nicht so sehr die
günstigste als die einzige Aussicht auf ernstliche Erfolge dar-
bot, desto gewisser konnte sie dabei auf den energischsten Wi-
derstand ihrer politischen Gegner zählen. Es kam darauf an, wen
sie hiebei sich gegenüber fand. Die Aristokratie isolirt war nicht
furchtbar; aber es hatte doch so eben in der catilinarischen An-
gelegenheit sich herausgestellt, daſs sie da allerdings noch etwas
vermochte, wo sie von den Männern der materiellen Interessen
und von den Anhängern des Pompeius mehr oder minder offen
unterstützt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Consulat
mehrmals vereitelt und daſs sie das Gleiche gegen Caesar ver-
[190]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
suchen werde, war gewiſs genug. Aber wenn auch vielleicht Cae-
sar ihr zum Trotze gewählt ward, so war es damit nicht genug.
Er bedurfte mindestens einige Jahre ungestörter Wirksamkeit
auſserhalb Italiens, um eine feste militärische Stellung zu gewin-
nen; und sicherlich lieſs die Nobilität kein Mittel unversucht um
während dieser Vorbereitungszeit seine Plane zu durchkreuzen.
Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen könne die Aristokra-
tie wieder wie im J. 683/4 zu isoliren und zwischen den Demo-
kraten nebst ihrem Bundesgenossen Crassus einer- und Pom-
peius und der hohen Finanz andrerseits ein auf gemeinschaftli-
chem Vortheil fest begründetes Bündniſs aufzurichten. Für Pom-
peius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein
bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, daſs er das einzige
Parteihaupt war, das zugleich über Legionen, wenn auch jetzt
aufgelöste, doch immer noch in einem gewissen Maſse verfügte.
Der Plan der Demokratie war eben darauf gerichtet ihn dieses
Uebergewichtes zu berauben und ihm in ihrem eigenen Chef
einen militärischen Nebenbuhler zur Seite zu stellen. Nimmer-
mehr durfte er hierauf eingehen, am allerwenigsten aber einem
Manne wie Caesar, der schon als bloſser politischer Agitator ihm
genug zu schaffen gemacht und so eben in Spanien die glänzend-
sten Beweise auch militärischer Capacität gegeben hatte, selber
zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der anderen
Seite war in Folge der chicanösen Opposition des Senats und
der Gleichgültigkeit der Menge für Pompeius und seine Wünsche
seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenüber, so
peinlich und so demüthigend geworden, daſs man bei seinem
Charakter wohl erwarten konnte um den Preis der Erlösung aus
dieser unbequemen Lage ihn für eine solche Coalition zu gewin-
nen. Was aber die sogenannte Ritterpartei anlangt, so fand diese
überall da sich ein wo die Macht war, und es verstand sich von
selbst, daſs sie nicht lange auf sich werde warten lassen, wenn
sie Pompeius und die Demokratie aufs Neue ernstlich sich ver-
binden sah. Es kam hinzu, daſs wegen Catos übrigens sehr löb-
licher Strenge gegen die Steuerpächter die hohe Finanz eben jetzt
wieder mit dem Senat in heftigem Hader lag. — So ward im
Sommer 694 die zweite Coalition abgeschlossen. Caesar lieſs sich
das Consulat für das folgende Jahr und demnächst die Statthal-
terschaft zusichern; Pompeius ward die Ratification seiner im
Osten getroffenen Verfügungen und Anweisung von Ländereien
an die Soldaten der asiatischen Armee zugesagt; der Ritterschaft
versprach Caesar gleichfalls das, was der Senat verweigert hatte,
[191]COALITION DER PRAETENDENTEN.
ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der
unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschlieſsen,
freilich ohne für den Beitritt, den er nicht versagen konnte, eine
bestimmte Vergütung zugesagt zu erhalten. Es waren genau die-
selben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 und
die im Sommer 694 den Bund mit einander schlossen; aber
wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien!
Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre
Verbündeten siegreiche an der Spitze ihrer Armeen stehende
Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten ein sieg-
gekrönter von groſsartigen militärischen Entwürfen erfüllter Im-
perator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee.
Damals siegte die Demokratie in Principienfragen und räumte um
diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten
ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste
bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur
in untergeordneten Verwaltungsfragen den Bundesgenossen Con-
cessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pom-
peius alte Forderung eines zweiten Consulats berücksichtigt wurde.
Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt
muſsten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind voll-
ständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demo-
kratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im in-
nersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein
die ideale Monarchie, wie sie ihren besten Köpfen in mehr oder
minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein
bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in
der die Macht des Fürsten darauf beruhte, daſs er die Bürger-
schaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der voll-
kommenste und edelste Theil der Bürgerschaft ihren rechten Ver-
trauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen idealen
Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale,
die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu reali-
sirt werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie
Gaius Gracchus sie besessen hatte, noch die Bewaffnung der de-
mokratischen Partei, wie sie Cinna freilich in sehr unzulänglicher
Art versuchte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als
dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine
Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine,
die rohe Macht der Condottieri zeigte, nachdem sie zuerst im
Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald
allen politischen Parteien sich unbedingt überlegen. Auch Caesar
[192]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
muſste im praktischen Parteitreiben hievon sich überzeugen und
also reifte in ihm der verhängniſsvolle Entschluſs diese Heeres-
maschine selbst der bürgerlichen Ordnung dienstbar zu machen
und das ideale Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug, durch
Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloſs er im
J. 683 den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher,
ungeachtet dieselben das demokratische Programm acceptirt hat-
ten, doch die Demokratie und Caesar selbst an den Rand des
Unterganges führte. In der gleichen Absicht trat elf Jahre später
er selber als Condottier auf. Es geschah in beiden Fällen mit einer
gewissen Naivetät, mit dem guten Glauben an die Möglichkeit ein
freies Gemeinwesen wo nicht durch fremde, doch durch den eige-
nen Säbel begründen zu können. Man sieht es ohne Mühe ein,
daſs dieser Glaube trog und daſs Niemand den bösen Geist zum
Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber
die gröſsten Männer sind nicht die, welche am wenigsten irren.
Wenn noch nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen
vor dem, was Caesar gewollt und gethan hat, so liegt die Ursache
nicht darin, daſs er eine Krone begehrt und gewonnen hat, was
an sich so wenig etwas Groſses ist wie die Krone selbst, sondern
darin, daſs sein mächtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens un-
ter einem Monarchen — ihn nie verlassen und auch als Monarchen
ihn davor bewahrt hat in das gemeine Königthum zu versinken.
Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Cae-
sars Wahl zum Consul für das Jahr 695 durchgesetzt. Da seine
Wahl nicht zu hindern war, muſste die Aristokratie sich begnü-
gen ihm in der Person des Marcus Bibulus einen Collegen zu-
zugesellen, dessen bornirter Starrsinn in ihren Kreisen als con-
servative Energie betrachtet ward. Durch einen selbst in dieser
Zeit tiefster Corruption Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wo-
für die gesammte Aristokratie die Mittel zusammenschoſs, wurde
Bibulus Wahl durchgesetzt und an seinem guten Willen wenig-
stens lag es nicht, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen
Auslagen nicht wieder herausbekamen. — Caesar brachte zu-
nächst die Begehren seiner Verbündeten zur Verhandlung, unter
denen die Landanweisung an die Veteranen des asiatischen Hee-
res bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende von Cae-
sar entworfene Ackergesetz hielt im Allgemeinen fest an den
Grundzügen, wie sie in dem das Jahr zuvor in Pompeius Auftrag
eingebrachten, aber gescheiterten Gesetzentwurf aufgestellt wor-
den waren (S. 188). Zur Vertheilung ward nur das italische Do-
manialland bestimmt, das heiſst wesentlich das Gebiet von Capua,
[193]COALITION DER PRAETENDENTEN.
und, wenn dies nicht ausreichen sollte, anderer italischer Grund-
besitz, der aus dem Ertrage der neuen östlichen Provinzen zu dem
in den Schätzungslisten verzeichneten Taxationswerth angekauft
werden sollte; alle bestehenden Eigenthums- und Erbbesitzrechte
blieben also unangetastet. Die einzelnen Parzelen waren klein. Die
Landempfänger sollten arme Bürger Väter von wenigstens drei Kin-
dern sein; der bedenkliche Grundsatz, daſs der geleistete Militär-
dienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht aufgestellt, son-
dern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten geschehen war,
die alten Soldaten so wie nicht minder die auszuweisenden Zeit-
pächter den Landaustheilern vorzugsweise zur Berücksichtigung
empfohlen. Die Ausführung ward einer Commission von zwanzig
Männern übertragen, in die Caesar sich selber nicht wählen lassen
zu wollen bestimmt erklärte. — Die Opposition hatte gegen die-
sen Vorschlag einen schweren Stand. Es lieſs sich vernünftiger
Weise nicht leugnen, daſs die Staatsfinanzen nach Einrichtung
der Provinzen Pontus und Syrien im Stande sein muſsten auf die
campanischen Pachtgelder zu verzichten; daſs es unverantwort-
lich war einen der schönsten und eben zum Kleinbesitz vorzüg-
lich geeigneten Districte Italiens dem Privatverkehr zu entziehen;
daſs es überhaupt ebenso ungerecht wie lächerlich war noch
jetzt nach der Erstreckung des Bürgerrechts auf ganz Italien der
Ortschaft Capua die Municipalrechte vorzuenthalten. Der ganze
Vorschlag trug den Stempel der Mäſsigung, der Ehrlichkeit und
der Solidität, womit sehr geschickt der demokratische Partei-
character verbunden war; denn im Wesentlichen lief derselbe
doch hinaus auf Wiederherstellung der in der marianischen Zeit
gegründeten, von Sulla wieder aufgehobenen capuanischen Colo-
nie (II, 301. 330). Auch in der Form beobachtete Caesar jede
mögliche Rücksicht. Er legte den Entwurf des Ackergesetzes, so
wie zugleich den Antrag die von Pompeius im Osten erlassenen
Verfügungen in Bausch und Bogen zu ratificiren, und die Peti-
tion der Steuerpächter um Nachlaſs eines Drittels der Pachtsum-
men, zunächst dem Senat zur Begutachtung vor und erklärte
sich bereit Abänderungsvorschläge entgegenzunehmen und zu
discutiren. Das hohe Collegium hatte jetzt Gelegenheit sich zu
überzeugen, wie thöricht es gehandelt hatte durch Verweigerung
dieser Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in
die Arme zu treiben. Vielleicht war es das stille Gefühl hiervon,
das die hochgebornen Herren zu dem lautesten und mit dem ge-
haltenen Auftreten Caesars übel contrastirenden Widerbellen trieb.
Das Ackergesetz ward einfach und selbst ohne Discussion zu-
Röm. Gesch. III. 13
[194]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
rückgewiesen. Den Antrag hinsichtlich der Steuerpächter ver-
suchte Cato nach der unlöblichen Sitte des römischen Parlamen-
tarismus todtzusprechen, d. h. bis zu der gesetzlichen Schluſs-
stunde der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; worauf Caesar
Miene machte, den störrigen Mann verhaften zu lassen. Schlieſs-
lich ward auch dieser Antrag verworfen. — Natürlich gingen
nun sämmtliche Anträge an die Bürgerschaft. Ohne sich weit von
der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, daſs
der Senat die vernünftigsten und nothwendigsten in der ach-
tungsvollsten Form an ihn gebrachten Vorschläge, bloſs weil sie
von dem demokratischen Consul kamen, schnöde zurückgewiesen
habe. Wenn er hinzufügte, daſs die Aristokraten ein Complott
gesponnen hätten um die Verwerfung der Anträge zu bewirken
und die Bürgerschaft, namentlich Pompeius selbst und seine al-
ten Soldaten, aufforderte gegen List und Gewalt ihm beizustehen,
so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Aristo-
kratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der
standhafte Principiennarr Cato, hatte in der That beschlossen
die Sache noch weiter zu treiben. Pompeius, von Caesar ver-
anlaſst sich über seine Stellung zu der obschwebenden Frage
auszusprechen, erklärte unumwunden, wie es sonst seine Art
nicht war, daſs wenn Jemand wagen sollte das Schwert zu
zücken, auch er nach dem seinigen greifen und dann den Schild
nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich aus.
Pompeius alte Soldaten wurden angewiesen am Tage der Abstim-
mung, die ja sie zunächst anging, zahlreich und mit Waffen unter
den Kleidern auf dem Stimmplatze zu erscheinen. Die Nobilität
indeſs hatte nun einmal beschlossen keine Mittel unversucht zu
lassen um die Anträge Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo
Caesar vor dem Volke auftrat, stellte sein College Bibulus die be-
kannten politischen Wetterbeobachtungen an, die alle öffentlichen
Geschäfte unterbrachen (II, 399); Caesar kümmerte sich um den
Himmel nicht, sondern fuhr fort seine irdischen Geschäfte zu
betreiben. Die tribunicische Intercession ward eingelegt; Caesar
begnügte sich sie nicht zu beachten. Bibulus und Cato sprangen
auf die Rednerbühne, haranguirten die Menge und trieben es bis
zum Krawall; Caesar lieſs sie durch Gerichtsdiener vom Markte
hinwegführen und übrigens dafür sorgen, daſs ihnen kein Leides
geschah — es lag auch in seinem Interesse, daſs die politische
Komödie das blieb was sie war. Alles Chicanirens und alles Pol-
terns der Nobilität ungeachtet wurden das Ackergesetz, die Bestä-
tigung der asiatischen Organisationen und der Nachlaſs für die
[195]COALITION DER PRAETENDENTEN.
Steuerpächter von der Bürgerschaft angenommen, die Zwanziger-
commission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwählt und
in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die
Aristokratie nichts weiter erreicht, als daſs ihre blinde und ge-
hässige Widersetzlichkeit die Bande der Coalition noch fester ge-
zogen und ihre Energie, deren sie bald bei wichtigern Dingen be-
dürfen sollte, an diesen im Grunde gleichgültigen Angelegenhei-
ten sich erschöpft hatte. Man becomplimentirte sich unter einan-
der über den bewiesenen Heldenmuth; daſs Bibulus erklärt hatte
lieber sterben als weichen zu wollen, daſs Cato gar noch in den
Händen der Büttel fortgefahren hatte zu peroriren, waren groſse
patriotische Thaten; übrigens ergab man sich in sein Schicksal.
Der Consul Bibulus schloſs sich für den noch übrigen Theil des
Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch öffentlichen An-
schlag bekannt machte, daſs er die fromme Absicht habe an allen
in diesem Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach
Himmelszeichen zu spähen. Seine Collegen bewunderten wieder
den groſsen Mann, der, gleich wie Ennius von dem alten Fabius
gesagt, ‚den Staat durch Zaudern errette‘ und thaten wie er; die
meisten derselben, darunter Cato, erschienen nicht mehr im Senat
und halfen innerhalb der vier Wände ihrem Consul sich ärgern,
daſs der politischen Astronomie zum Trotz die Weltgeschichte
weiter ging. Dem Publicum erschien diese Passivität des Con-
suls so wie überhaupt der Aristokratie wie billig als deren politi-
sche Abdication; und die Coalition war natürlich sehr wohl damit
zufrieden, daſs man sie die weiteren Schritte fast ungestört thun
lieſs. Der wichtigste darunter war die Regulirung der künftigen
Stellung Caesars. Verfassungsmäſsig lag es dem Senat ob die
Competenzen der Consuln in ihrem zweiten Amtsjahr noch vor
ihrer Wahl festzustellen; demgemäſs hatte er denn auch, in Vor-
aussicht der Wahl Caesars, dazu für 696 die gleichgültigsten Ge-
schäfte, Straſsenbauten und dergleichen nützliche Dinge auserse-
hen. Natürlich konnte es dabei nicht bleiben; es war unter den
Verbündeten ausgemacht, daſs Caesar ein auſserordentliches nach
dem Muster der gabinisch-manilischen Gesetze zugeschnittenes
Commando durch Volksschluſs erhalten solle. Caesar hatte öffent-
lich erklärt keinen Antrag zu seinem eigenen Gunsten einbrin-
gen zu wollen; so übernahm es der Volkstribun Publius Vatinius
den Antrag bei der Bürgerschaft zu stellen, die natürlich unbedingt
gehorchte. Caesar erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisal-
pinischen Galliens und den Oberbefehl der drei daselbst stehen-
den schon im Grenzkrieg unter Lucius Afranius erprobten Le-
13*
[196]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
gionen, ferner proprätorischen Rang für seine Adjutanten, wie
die pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fünf Jahre hinaus,
auf längere Zeit als je früher ein überhaupt auf bestimmte Zeit
beschränkter Feldherr bestellt worden war, ward dies Amt ihm
gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die Trans-
padaner, seit Jahren schon in Hoffnung auf Erlangung des Bür-
gerrechts die Clienten der demokratischen Partei in Rom und
insbesondere Caesars (S. 152). Sein Amtsbezirk erstreckte sich
südlich bis zum Arnus und zum Rubico und schloſs Luca und
Ravenna ein; da in der Halbinsel selbst verfassungsmäſsig keine
Truppen stehen durften (II, 340), so war durch diesen Beschluſs
Rom und Italien dem Heerführer der Demokratie auf die näch-
sten fünf Jahre wehrlos überliefert. Nachträglich ward dann noch
die Provinz Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion
zu Caesars Amtsbezirk hinzugefügt, was auf Pompeius Antrag
der Senat beschloſs, um wenigstens nicht auch dies Commando
durch auſserordentlichen Bürgerschaftsbeschluſs auf Caesar über-
gehen zu sehen. Indem in den Legionen des cis- und transalpi-
nischen Galliens die Coalition und zunächst Caesar das Schwer-
gewicht in der Hand behielt, das ihr die Herrschaft über Italien
auch ferner sicherte, war der Plan der Verbündeten in seinen
wesentlichen Theilen durchgeführt und das erreicht, was Caesar
als Consul sich vorgesetzt hatte. Es versteht sich, daſs man ne-
benbei nicht versäumte die Menge durch Spiele und Lustbarkei-
ten aller Art bei guter Laune zu erhalten und daſs man gern jede
Gelegenheit ergriff die Kasse der Verbündeten zu füllen; wie denn
zum Beispiel dem König von Aegypten der Volksschluſs, der ihn
als legitimen Herrscher anerkannte (S. 146), von der Coalition
um hohen Preis verkauft ward und ebenso andere Dynasten
und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser Gelegenheit
erwarben.
Auch die Stabilität der getroffenen Verfügungen schien hin-
länglich gesichert. Das Consulat war wenigstens für das nächste
Jahr sicheren Händen anvertraut. Das Publicum glaubte anfangs,
daſs es Pompeius und Crassus selber bestimmt sei; die Macht-
haber zogen es indeſs vor zwei untergeordnete, aber zuverlässige
Männer ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter Pompeius
Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber Cae-
sars Schwiegervater war, für 696 zu Consuln wählen zu lassen.
Pompeius übernahm es persönlich Italien zu überwachen, wo
er an der Spitze der Zwanzigercommission die Ausführung
des Ackergesetzes betrieb und gegen 20,000 Bürger, groſsen-
[197]COALITION DER PRAETENDENTEN.
theils alte Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua
mit Grundbesitz ausstattete; als Rückhalt gegen die hauptstädti-
sche Opposition dienten ihm Caesars norditalische Legionen.
Ein Bruch unter den Machthabern selbst stand zunächst wenig-
stens nicht in Aussicht. Die von Caesar als Consul erlassenen
Gesetze, an deren Aufrechthaltung Pompeius wenigstens ebenso
viel gelegen war als Caesar, verbürgten auch für die Zukunft
die Spaltung zwischen Pompeius und der Aristokratie, deren
Spitzen, namentlich Cato fortfuhren diese Gesetze als nichtig zu
behandeln, und damit den Fortbestand der Coalition. Es kam
hinzu, daſs auch die persönlichen Bande zwischen ihren Häup-
tern sich enger zusammengezogen. Caesar hatte seinen Verbün-
deten redlich und treulich Wort gehalten ohne sie in dem Ver-
sprochenen zu beknappen oder zu chicaniren und namentlich
das in Pompeius Interesse beantragte Ackergesetz völlig wie seine
eigene Sache mit Gewandtheit und Energie durchgefochten; Pom-
peius war nicht unempfänglich für rechtliches Verhalten und
bürgerliche Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen,
der ihm mit einem Schlag über die seit drei Jahren gespielte
armselige Petentenrolle hinweg geholfen hatte. Der häufige und
vertraute Verkehr mit einem Manne von der unwiderstehlichen
Liebenswürdigkeit Caesars that das Uebrige um den Bund der
Interessen in einen Freundschaftsbund umzugestalten. Das Er-
gebniſs und das Unterpfand dieser Freundschaft, freilich zugleich
auch eine öffentliche schwer miſszuverstehende Ankündigung der
neu begründeten Gesammtherrschaft wurde das Eheband, das
Pompeius mit Caesars einziger dreiundzwanzigjähriger Tochter
einging. Julia, die die Anmuth ihres Vaters geerbt hatte, lebte
mit ihrem um das Doppelte ältern Gemahl in der glücklichsten
Häuslichkeit und die nach so vielen Nöthen und Krisen nach
Ruhe und Ordnung verlangende Bürgerschaft sah in diesem
Ehebündniſs die Gewähr einer friedlichen und gedeihlichen Zu-
kunft. — Je fester und enger also das Bündniſs zwischen Pom-
peius und Caesar sich knüpfte, desto hoffnungsloser gestaltete
sich die Sache der Aristokratie. Sie fühlte das Schwert über
ihrem Haupte schweben und kannte Caesar hinlänglich um nicht
zu bezweifeln, daſs er wenn nöthig es unbedenklich brauchen
werde. ‚Von allen Seiten, schrieb einer von ihnen, stehen wir
im Schach; schon haben wir aus Furcht vor dem Tode oder
vor der Verbannung auf die „Freiheit“ verzichtet; Jeder seufzt,
zu reden wagt keiner‘. Mehr konnten die Verbündeten nicht ver-
langen. Aber wenn auch die Majorität der Aristokratie in dieser
[198]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
wünschenswerthen Stimmung sich befand, so fehlte es doch na-
türlich in dieser Partei auch nicht an Heiſsspornen. Kaum hatte
Caesar das Consulat niedergelegt, als einige der hitzigsten Aristo-
kraten Lucius Domitius und Gaius Memmius in vollem Senat
den Antrag stellten die julischen Gesetze zu cassiren. Es war
das freilich nichts als eine Thorheit, die nur zum Vortheil der
Coalition ausschlug; denn da Caesar nun selbst darauf bestand,
daſs der Senat die Gültigkeit der angefochtenen Gesetze unter-
suchen möge, konnte dieser nicht anders als deren Legalität
förmlich anerkennen. Allein begreiflicher Weise fanden dennoch
die Machthaber hierin eine neue Aufforderung an einigen der
namhaftesten und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu sta-
tuiren und dadurch sich zu versichern, daſs die übrige Masse bei
jenem zweckmäſsigen Seufzen und Schweigen beharre. Anfangs
hatte man gehofft, daſs die Clausel des Ackergesetzes, welche wie
üblich den Eid auf das neue Gesetz den sämmtlichen Senatoren
bei Verlust ihrer politischen Rechte auferlegte, die heftigsten
Opponenten bestimmen werde nach dem Vorgange des Metellus
(II, 194) sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen.
Allein so gefällig erwiesen sich dieselben denn doch nicht;
selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwören und seine
Sanchos folgten ihm nach. Ein zweiter und weit weniger ehrba-
rer Versuch die Häupter der Aristokratie wegen eines angeblich
gegen Pompeius gesponnenen Mordanschlags vor Gericht zu
ziehen und dadurch in die Verbannung zu treiben ward durch
die Unfähigkeit der Werkzeuge vereitelt; der Denunciant, ein ge-
wisser Vettius, übertrieb und widersprach sich so arg und der
Tribun Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigirte, zeigte
sein Einverständniſs mit jenem Vettius so deutlich, daſs man es
gerathen fand den letzteren im Gefängniſs zu erdrosseln und die
ganze Sache fallen zu lassen. Indeſs hatte man bei dieser Gele-
genheit von der totalen Deroute der Aristokratie und der gren-
zenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam überzeugt;
selbst ein Mann wie Lucius Lucullus hatte sich persönlich Caesar
zu Füſsen geworfen und öffentlich erklärt, daſs er seines hohen
Alters wegen sich genöthigt sehe sich vom öffentlichen Leben
zurückzuziehen. Man lieſs sich denn endlich an einzelnen weni-
gen Opfern genügen. Hauptsächlich galt es Cato zu entfernen,
der seiner Ueberzeugung von der Nichtigkeit der sämmtlichen
julischen Gesetze hein Hehl hatte und der der Mann war so wie
er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus
Cicero nicht und man gab sich nicht die Mühe ihn zu fürchten.
[199]COALITION DER PRAETENDENTEN.
Allein die demokratische Partei, die in der Coalition die erste
Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dec. 691, den sie
so laut und mit so gutem Recht getadelt hatte, unmöglich nach
ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber
des verhängniſsvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wol-
len, so muſste man freilich sich nicht an den schwachmüthigen
Consul halten, sondern an die Fraction der strengen Aristokratie,
die den ängstlichen Mann zu jener Execution gedrängt hatte; aber
nach formellem Recht waren allerdings nicht die Rathgeber des
Consuls, sondern zunächst der Consul selbst für dieselbe verant-
wortlich und vor allem war es der mildere Weg nur den Consul
zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatscollegium ganz aus dem
Spiele zu lassen, welche Absicht sehr scharf darin hervortritt,
daſs der Senatsbeschluſs, kraft dessen Cicero die Hinrichtung an-
ordnete, in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags als
untergeschoben bezeichnet ward. Es kam hinzu daſs Cicero
es nicht über sich gewinnen konnte weder den Machthabern die
verlangte Garantie zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm
dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu
verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen
jeden Anstoſs zu vermeiden und der aufrichtigsten Angst hatte
er doch nicht Haltung genug um vorsichtig zu sein; das Wort
muſste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn
sein durch das Lob so vieler adlichen Herren fast übergeschnapp-
tes Selbstbewuſstsein die wohlcadenzirten Perioden des plebeji-
schen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und
Cicero beschlossenen Maſsregeln ward dem lockeren und wüsten,
aber nicht talentlosen Publius Clodius übertragen, der seit Jahren
mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese be-
friedigen und als Demagoge eine Rolle spielen zu können, unter
Caesars Consulat sich durch eilige Adoption aus einem Patricier
in einen Plebejer verwandelt und dann für das J. 696 zum Volks-
tribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte
der Proconsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer
gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den
erhaltenen Aufträgen gemäſs proponirte Clodius der Bürger-
schaft Cato mit der Regulirung der verwickelten Gemeindever-
hältnisse der Byzantiner und mit der Einziehung des Königreichs
Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Aegypten durch das
Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht
wie Aegypten die römische Einziehung abgekauft, dessen König
überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hin-
[200]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
sichtlich Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, wel-
cher die Hinrichtung eines Bürgers ohne Urtheil und Recht als
ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen bezeich-
nete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Mission entfernt,
Cicero wenigstens mit der möglichst gelinden Strafe belegt, über-
dies in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnü-
gen aber versagte man sich nicht einerseits einen notorisch zag-
haften und zu der Gattung der politischen Wetterfahnen zählen-
den Mann wegen von ihm bewiesener conservativer Energie zu
bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe
der Bürgerschaft in die Administration und aller auſserordent-
lichen Commandos durch Bürgerschaftsbeschluſs selbst mit einem
solchen auszustatten; und in gleichem Sinn ward der Cato be-
treffende Antrag motivirt mit der abnormen Tugendhaftigkeit
dieses Mannes, welche ihn vor jedem Andern geeignet erscheinen
lasse einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des an-
sehnlichen kyprischen Kronschatzes war, auszuführen ohne zu
stehlen. Man sieht, daſs beide Anträge denselben Charakter
rücksichtsvoller Deferenz und kühler Ironie an sich tragen, der
Caesars Verhalten dem Senat gegenüber durchgängig bezeichnet.
Auf Widerstand stieſsen sie nicht. Es half natürlich nichts, daſs
die Senatsmajorität, um doch auf irgend eine Art gegen die Ver-
höhnung und Brandmarkung ihres Beschlusses in der catilina-
rischen Sache zu protestiren, öffentlich das Trauergewand anlegte
und daſs Cicero selbst, nun da es zu spät war, bei Pompeius
kniefällig um Gnade bat; er muſste sich entschliessen Italien zu
verlassen (April 696), noch bevor das Gesetz durchging, das
ihm die Heimath verschloſs. Cato lieſs es gleichfalls nicht darauf
ankommen durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schär-
fere Maſsregeln zu provociren, sondern nahm denselben an und
schiffte sich ein nach dem Osten (S. 146). Das Nächste war ge-
than; auch Caesar konnte Italien verlassen um sich ernsteren
Aufgaben zu widmen.
[[201]]
KAPITEL VI.
Die Unterwerfung des Westens.
Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egois-
mus, der in der Curie und auf den Straſsen der Hauptstadt seine
Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu wich-
tigeren Dingen wendet, als die Frage ist, ob der erste Monarch
Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heiſsen wird, so mag es wohl
gestattet sein an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen
noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick
umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem
die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und
ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und
Groſsbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind. — Kraft des
Gesetzes, daſs das zum Staat entwickelte Volk die politisch, das
civilisirte die geistig unmündigen Nachbaren in sich auflöst — Kraft
dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz
ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die ein-
zige des Alterthums, welche die höhere politische Entwicklung
und die höhere Civilisation, wenn auch letztere nur in unvoll-
kommener und äuſserlicher Weise, mit einander zu verbinden
vermocht hat, befugt die zum Untergang reifen griechischen Staa-
ten des Ostens sich unterthan zu machen und die Völkerschaften
niedrigerer Culturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Ger-
manen durch ihre Ansiedler zu verdrängen — eben wie England
mit gleichem Recht in Ostindien eine ebenbürtige, aber politisch
impotente Civilisation sich unterworfen, in Amerika und Austra-
lien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel sei-
[202]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend
bezeichnet und adelt. Die römische Aristokratie vollbrachte die
Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, aber die
Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die auſseritalischen
Eroberungen stets nur entweder als nothwendiges Uebel oder
auch als einen gleichsam auſserhalb des Staates stehenden Ren-
tenerwerb betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römi-
schen Demokratie oder Monarchie — denn beides fällt zusammen
—, daſs sie jene höchste Bestimmung ihres Gemeinwesens richtig
erkannt und kräftig verfolgt hat. Was die unwiderstehliche Macht
der Verhältnisse, die den Senat wider Willen zwang die Grund-
lagen der künftigen römischen Macht im Westen wie im Osten
festzustellen, vorbereitet hatte, was dann die römische Emigra-
tion in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in den
westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren
Cultur, instinctmäſsig erfaſste, das hat der Schöpfer der römi-
schen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit
und Sicherheit erkannt und durchzuführen begonnen. Die beiden
Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, so
weit es hellenisch war, zu reuniren, so weit es nicht hellenisch
war, zu colonisiren, fanden ihre praktische Anerkennung bereits
in der Einziehung des attalischen Reiches, in den transalpinischen
Eroberungen des Flaccus. Aber die obsiegende Reaction lieſs
diese Gedanken verkümmern. Der römische Staat blieb eine
wüste Ländermasse ohne intensive Occupation und ohne gehörige
Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen
waren durch weite kaum in ihren Küstensäumen den Römern
unterthänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der
afrikanischen Nordküste waren nur die Gebiete von Karthago und
Kyrene inselartig occupirt, selbst von dem unterthänigen Gebiet
groſse Strecken namentlich in Spanien den Römern nur dem
Namen nach unterworfen; von Seiten der Regierung geschah
schlechterdings nichts zur Concentrirung und Arrondirung der
Herrschaft und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte
Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl ver-
suchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch
die äuſsere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn
namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber sie ver-
mochte nicht auf die Dauer ans Ruder zu kommen und es blieb
darum auch hier im Ganzen bei Entwürfen. Erst als mit dem
Sturz der sullanischen Verfassung im J. 684 die Demokratie that-
sächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser
[203]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herr-
schaft auf dem mittelländischen Meer wieder hergestellt, die erste
Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten
wurde durch Annectirung der pontischen und syrischen Land-
schaften die Euphratgrenze gesichert. Aber es war noch übrig in
den transalpinischen Eroberungen zugleich das römische Gebiet
gegen Norden und Westen abzuschlieſsen und der hellenischen
Civilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen
Stammes hier ein neues jungfräuliches Gebiet zu gewinnen. Die-
ser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist ein Irrthum
und mehr noch ein Frevel gegen den in der Geschichte mächti-
gen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exercirplatz
betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den be-
vorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung
des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als
er seine spätere Machtstellung in den transalpinischen Kriegen
begründet hat, so ist eben dies das Privilegium des staats-
männischen Genies, daſs seine Mittel selbst wieder Zwecke sind.
Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen
Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es
war für Rom eine politische Nothwendigkeit der ewig drohen-
den Invasion der Deutschen schon jenseit der Alpen zu begeg-
nen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt
den Frieden sicherte. Aber auch dieser Zweck, wie wichtig er
immer war, war noch nicht der höchste und letzte, weſshalb
Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürger-
schaft die alte Heimath zu eng geworden war und sie in Gefahr
stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des
Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Hei-
math wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an dem-
selben in gleicher Art, nur in gröſseren Verhältnissen sich wie-
derholenden socialen Miſsverhältniſs. Es war ein genialer Ge-
danke, eine groſsartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen
führte, der Gedanke und die Zuversicht dort seinen Mitbürgern
eine neue grenzenlose Heimath zu gewinnen und den Staat zum
zweiten Mal dadurch zu regeneriren, daſs er auf eine breitere
Basis gestellt ward.
Gewissermaſsen läſst sich zu den auf die Unterwerfung des
Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen,
den Caesar im J. 693 im jenseitigen Spanien unternahm. Wie
lange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch
war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die
[204]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gallaeker (II, 17) das westliche Gestade von den Römern we-
sentlich unabhängig geblieben und die Nordküste noch gar von
ihnen nicht betreten worden; und die Raubzüge, denen von hier
aus die unterthänigen Landschaften fortwährend ausgesetzt blie-
ben, thaten der Civilisirung und Romanisirung Spaniens nicht
geringen Eintrag. Hiegegen richtete sich Caesars Zug an der
Westküste hinauf. Er überschritt die den Tajo nördlich begren-
zende Kette der herminischen Berge (Sierra de Estrella), nach-
dem er die Bewohner derselben geschlagen und zum Theil in
die Ebene übergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden
Seiten des Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze
der Halbinsel, wo er mit Hülfe einer von Gades herbeigezogenen
Flottille Brigantium (Coruña) einnahm. Dadurch wurden die An-
wohner des atlantischen Oceans, Lusitaner und Gallaeker zur An-
erkennung der römischen Suprematie gezwungen, während der
Ueberwinder zugleich darauf bedacht war durch Herabsetzung
der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulirung der öko-
nomischen Verhältnisse der Gemeinden die Lage der Unterthanen
überhaupt leidlich zu gestalten. — Indeſs wenn auch schon in
diesem militärischen und administrativen Debut des groſsen Feld-
herrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leiten-
den Gedanken durchschimmern, die er später auf gröſseren
Schauplätzen bewährt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf
der iberischen Halbinsel viel zu vorübergehend um hier tief ein-
zugreifen, um so mehr als bei den eigenthümlichen physischen
und nationalen Verhältnissen derselben nur eine längere Zeit
hindurch mit Stetigkeit fortgesetzte Thätigkeit eine dauernde
Wirkung hervorbringen konnte.
Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwickelung
des Westens war der Landschaft bestimmt, welche zwischen den
Pyrenäen und dem Rheine, dem Mittelmeer und dem atlantischen
Ocean sich ausbreitet und an der seit der augusteischen Zeit der
Name des Keltenlandes, Gallien vorzugsweise haftet, obwohl genau
genommen das Keltenland theils enger ist, theils viel weiter sich
erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und eine
politische Einheit nicht vor Augustus gebildet hat. Es ist eben
darum nicht leicht von den sehr mannigfaltigen Zuständen, die
Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im J. 696 vorfand, ein an-
schauliches Bild zu entwerfen. — In der Landschaft am Mittel-
meer, welche, ungefähr im Westen der Rhone Languedoc, im Osten
Dauphiné und Provence umfassend, seit sechzig Jahren römische
Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch über
[205]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
sie hingebraust war, die römischen Waffen selten geruht. 664
hatte Gaius Caecilius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 671
Gaius Flaccus ebenfalls in dieser Provinz mit den Eingebornen
gekämpft. Im sertorianischen Krieg ward ihr Statthalter Lucius
Mallius genöthigt seinen Collegen jenseit der Pyrenäen zu Hülfe
zu eilen; als er geschlagen von Ilerda (Lerida) zurückkam und
auf dem Heimweg von den westlichen Nachbaren der römischen
Provinz, den Aquitanern zum zweiten Mal besiegt ward (um 676;
S. 18), scheint dies einen allgemeinen Aufstand der Provinzia-
len zwischen den Pyrenäen und der Rhone, vielleicht selbst derer
zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius
bahnte sich (677) mit dem Schwert einen Weg durch das usur-
pirte Gallien nach Spanien (S. 24) und gab zur Strafe für die
Empörung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier
(Dep. Gard und Ardeche) den Massalioten zu eigen; allein erst
der Statthalter Marcus Fonteius (678—680) führte diese Be-
schlüsse aus und stellte die Ruhe in der Provinz wieder her,
indem er die Vocontier (Dep. Drôme) niederwarf, Massalia vor
den Aufständischen schützte und die römische Hauptstadt Narbo,
die sie schon berannten, von ihnen befreite. Die Verzweiflung
indeſs und die ökonomische Zerrüttung, welche die Mitleiden-
schaft unter dem spanischen Krieg (S. 28) und überhaupt die
amtlichen und nicht amtlichen Erpressungen der Römer über die
gallischen Besitzungen brachten, lieſs dieselben nicht zur Ruhe
kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte
Canton der Allobrogen war in beständiger Gährung, von der die
‚Friedensstiftung‘, die Gaius Piso dort 688 vornahm, so wie das
Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegen-
heit des Anarchistencomplotts 691 (S. 169) Zeugniſs ablegen
und die bald darauf (693) zum Ausbruch kam in einer neuen
verzweifelten Schilderhebung des Cantons unter Catugnatus. Der-
selbe ward, nachdem er anfangs nicht unglücklich gefochten, bei
Solonium in einem nicht unbedeutenden Treffen von dem Statt-
halter Gaius Pomptinus überwunden. — Trotz aller dieser Kämpfe
wurden die Grenzen des römischen Gebiets nicht wesentlich vor-
geschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Trüm-
mer der sertorianischen Armee angesiedelt hatte (S. 32), To-
losa, Vienna und Genava waren immer noch die äuſsersten römi-
schen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber war
die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen für das Mutterland
beständig im Steigen. Das herrliche dem italischen verwandte
Klima, die günstigen Bodenverhältnisse, das dem Handel so för-
[206]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
derliche groſse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Bri-
tannien reichenden Handelsstraſsen, der bequeme Land- und
Seeverkehr mit der Heimath gaben rasch dem südlichen Kelten-
land eine Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie
zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hat-
ten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit
vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtstätte suchten und dort
italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen
sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr
an die Rhone und die Garonne. ‚Die Provinz Gallien‘, heiſst es
in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung,
‚ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein
Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittelung eines Römers; je-
der Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt,
geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger‘. Aus
derselben Schilderung ergiebt sich, daſs in Gallien auch auſser
den Colonisten von Narbo römische Landwirthe und Viehzüch-
ter in groſser Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht auſser
Acht zu lassen ist, daſs das meiste von Römern besessene Pro-
vinzialland, eben wie in frühester Zeit der gröſste Theil der eng-
lischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen
in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Vieh-
züchter zum gröſsten Theil aus deren Verwaltern, Sclaven oder
Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daſs unter solchen
Verhältnissen die Civilisirung und die Romanisirung unter den
Eingebornen rasch um sich griff. Die Kelten liebten den Acker-
bau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie das Schwert mit
dem Pfluge zu vertauschen und es ist sehr glaublich, daſs der er-
bitterte Widerstand der Allobrogen zum Theil eben durch derglei-
chen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte
der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen
Grade beherrscht und ihnen die Elemente höherer Gesittung, die
Anregungen zum Wein- und Oelbau (II, 153), zum Gebrauche
der Schrift* und zur Münzprägung von Massalia aus zugeführt.
Auch durch die Römer ward die hellenische Cultur hier eher ge-
fördert als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Ein-
fluſs als es verlor und noch in der römischen Zeit wurden grie-
[207]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
chische Aerzte und Rhetoren in den gallischen Cantons von
Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicher Weise erhielt
der Hellenismus durch die Römer im südlichen Keltenland den-
selben Charakter, den er in Italien trug: die specifisch hellenische
Civilisation ward überwogen durch die lateinisch-griechische
Mischcultur, die bald hier Proselyten in groſser Anzahl machte.
Die ‚Hosengallier‘, wie man im Gegensatz zu den norditalischen
‚Galliern in der Toga‘ die Bewohner des südlichen Keltenlandes
nannte, waren zwar nicht wie diese bereits vollständig romani-
sirt, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von
den ‚langhaarigen Galliern‘ der noch unbezwungenen nördlichen
Landschaften. Die hier sich einbürgernde Halbcultur gab zwar
Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein und
man unterlieſs es nicht dem, der im Verdacht keltischer Abstam-
mung stand, seine ‚behoste Verwandtschaft‘ zu Gemüthe zu füh-
ren; aber sie reichte doch aus um selbst den entfernten Allo-
brogen den Geschäftsverkehr mit den römischen Behörden und
sogar das Ablegen von Zeugnissen in römischen Gerichten ohne
Dollmetsch möglich zu machen. — Wenn also die keltische und
ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war ihre
Nationalität einzubüſsen und daneben siechte und verkümmerte
unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen
Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeug-
niſs ablegen, so darf doch dabei nicht übersehen werden, daſs
der Untergang der eingebornen Bevölkerung auch hier Hand in
Hand ging mit der Einbürgerung derselben höheren Cultur, wie
wir sie in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr
noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Bene-
vent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die
bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von
Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng ari-
stokratischen Regiment, auf das die römischen Conservativen
wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen,
im Besitz eines bedeutenden von den Römern ansehnlich ver-
gröſserten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben
jenen latinischen Städten wie in Italien neben Capua und Bene-
vent Rhegion und Neapolis.
Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze über-
schritt. Die groſse keltische Nation, die in den südlichen Land-
schaften schon von der italischen Einwanderung anfing unter-
drückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in
althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daſs wir ihr
[208]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
begegnen; mit den Ausläufern und Vorposten des ungeheuren
Stammes hatten die Italiker bereits an der Tiber und am Po, in
den Bergen Castiliens und Kärnthens, ja tief im inneren Klein-
asien gefochten; erst hier aber ward der Hauptstock in seinem
Kerne von ihren Angriffen erfaſst. Der Keltenstamm hatte bei
seiner Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornämlich über die rei-
chen Fluſsthäler und das anmuthige Hügelland des heutigen
Frankreich mit Einschluſs der westlichen Striche Deutschlands
und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den süd-
lichen Theil von England, vielleicht schon damals ganz Groſs-
britannien und Irland besetzt*; mehr als irgendwo sonst hatte er
hier eine breite geographisch geschlossene Völkermasse gebildet.
Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natürlich inner-
halb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein
reger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefühl der Gemein-
schaft diese Völkerschaften zusammengeknüpft zu haben; wo-
gegen mit den Kelten in Spanien und im heutigen Oesterreich
wohl ein gewisser localer Zusammenhang stattfand, aber doch
theils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenäen und der Alpen,
theils die hier ebenfalls einwirkenden Uebergriffe der Römer und
der Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der
stammverwandten Völkerschaften ganz anders unterbrachen als
der schmale Meerarm den Verkehr der continentalen und der
brittischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergönnt die innere
Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Volkes in diesen sei-
nen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir müssen
uns begnügen dessen culturhistorischen und politischen Zustand,
wie er hier zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in sei-
nen Umrissen darzustellen.
Gallien war nach den Berichten der Alten verhältniſsmäſsig
wohl bevölkert. Einzelne Angaben lassen schlieſsen, daſs in den
belgischen Districten etwa 900 Köpfe auf die Quadratmeile ka-
men, ein Verhältniſs wie es heutzutage etwa für Wallis und für
Liefland gilt, in dem helvetischen Canton etwa 1100;** es ist
[209]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
wahrscheinlich, daſs in den Districten, die cultivirter als die bel-
gischen und weniger gebirgig als der helvetische waren, wie bei
den Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich das Verhältniſs noch
günstiger stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben,
allein nicht geachtet; selbst in dem civilisirteren Süden galt noch
der Satz, daſs es für den freien Kelten sich nicht schicke den
Pflug zu führen, und im Norden überwog die Viehzucht durch-
aus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im
Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen
sich anschlieſsend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum
Rheine und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und
Lothringens weidete damals der menapische und treverische
Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue.
Eben wie im Pothal an die Stelle der keltischen Eichelmast durch
die Römer Wollproduction und Kornbau getreten sind, so gehen
auch die Schafzucht und die Ackerwirthschaft in den Ebenen der
Schelde und der Maas auf sie zurück. In Britanmen gar war das
Dreschen des Kornes noch nicht üblich und in den nördlicheren
Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht
die einzige bekannte Bodennutzung. Der Weinbau, der den Mas-
salioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseit der Cevennen zu Cae-
sars Zeit noch nicht betrieben. — Dem Zusammensiedeln waren
die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und
allein der helvetische Canton zählte deren im J. 696 vierhundert
auſser einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an
ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch
**
Röm. Gesch. III. 14
[210]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ihre Zweckmäſsigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung
von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich
die Gebäude selbst in den Städten der Allobrogen allein aus Holz
aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und
ebenso viele die Suessionen; wogegen freilich in den nördlicheren
Districten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte
gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen
und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseit
der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durch-
aus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zu-
fluchtsstätte für Menschen und Heerden war. Mit der verhältniſs-
mäſsig bedeutenden Entwickelung des städtischen Lebens steht in
enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu
Wasser. Ueberall gab es Straſsen und Brücken. Die Fluſsschiff-
fahrt, wozu Ströme wie die Rhone, Garonne, Loire und Seine
von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit
merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloſs
sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst
den atlantischen Ocean regelmäſsig befahren hat, sondern wir
finden hier auch die Kunst Schiffe zu bauen und zu lenken in
einer eigenthümlichen sonst in der alten Welt nicht wieder vor-
kommenden Entwickelung. Zwar auf dem Kanal bediente man
sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer
lederner Kähne, die im Wesentlichen gewöhnliche Ruderböte ge-
wesen zu sein scheinen. Aber die Völker an der Westküste Gal-
liens, die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter fuhren
nach Britannien mit groſsen freilich plump gebauten Schiffen, die
nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und
eisernen Ankerketten versehen waren. Wenn die Phönikier, Hel-
lenen und Römer, wie es die Natur der von ihnen befahrenen Ge-
wässer begreiflich macht, durchaus bei der Fluſs- und Küsten-
schiffahrt und darum bei dem Ruder stehen geblieben sind und
das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwandt
haben, so begegnen wir hier wie zuerst der Schiffahrt auf einer
freieren See, so auch zuerst dem wirklichen Segelschiff — ein
Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt
nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Re-
sultate erst unsere verjüngte Culturperiode beschäftigt ist all-
mählich zu ziehen. Bei diesem regelmäſsigen Seeverkehr zwi-
schen der brittischen und der gallischen Küste ist die überaus
enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwoh-
nern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des über-
[211]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
seeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten na-
mentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis
aus England holten und es auf den Fluſs- und Landstraſsen des
Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe,
daſs zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmün-
dung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf
deuten, daſs hier die Seefischerei und das Einsammeln der See-
vögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faſst man
die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen
Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend
zusammen, so begreift man wohl, daſs die Zölle der Fluſs- und
Seehäfen in den Budgets einzelner Cantons, z. B. in dem der
Haeduer und der Veneter, eine groſse Rolle spielen und daſs der
Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straſsen
und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz
nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen
sein. In den meisten Zweigen scheint dieselbe allerdings sich nicht
über das Maſs des Gewöhnlichen erhoben zu haben und die spä-
ter im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrication lei-
nener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Rö-
mer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme aber, und so
viel wir wissen, die einzige macht die Bereitung der Metalle. Das
nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige
Kupfergeräth, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vor-
schein kommt, und die sorgfältig justirten arvernischen Gold-
münzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit
der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu
die Berichte der Alten, daſs die Römer von den Biturigen das
Verzinnen, von den Alesinern das Versilbern lernten — Erfin-
dungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe [genug]
gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit
der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit
der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst
sie zu gewinnen, die zum Theil, namentlich in den Eisengruben
an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daſs
die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle
spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daſs Gal-
lien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich wi-
derlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die
Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam
und bei weitem minder häufig als in den gleichartigen Funden
der wahren Heimathländer des Goldes erscheint. Jenem Gerede
14 *
[212]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
liegen die vermuthlich stark gefärbten Schilderungen von der ar-
vernischen Königspracht (II, 154) und den Tempelschätzen von
Tolosa (II, 168) zu Grunde; es ist aber doch nicht völlig aus der
Luft gegriffen. Es ist sehr glaublich, daſs in und an den Flüssen,
welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien
und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Werth der Arbeitskraft
unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sclavenwirthschaft mit
Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies
mögen die Handelsverhältnisse Galliens wie nicht selten die der
halbcivilisirten Völker das Aufhäufen eines todten Capitals edler
Metalle begünstigt haben. — Bemerkenswerth ist der niedrige
Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschick-
lichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt.
Die Vorliebe für bunte und glänzende Zierrathen zeigt den Mangel
an Schönheitssinn und eine leidige Bestätigung gewähren die gal-
lischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich,
immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit
unvergleichlicher Rohheit ausgeführten Darstellungen. Es ist viel-
leicht ohne Beispiel, daſs eine Jahrhunderte hindurch mit einem
gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesent-
lich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel
immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen
wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und ver-
wuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen In-
stitutionen der Nation; wir finden die geistliche und die Hof-
und Bettelpoesie in Blüthe (II, 154). Auch Naturwissenschaft und
Philosophie fanden, wenn gleich in den Formen und den Banden
der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der
hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie
er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei
den Priestern allgemein. Meistentheils bediente man sich der
griechischen, wie unter Andern zu Caesars Zeit die Helvetier tha-
ten; nur in den südlichsten Districten auch des freien Galliens
war schon damals in Folge des Verkehrs mit den romanisirten
Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den
arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.
Auch die politische Entwickelung der keltischen Nation bietet
sehr bemerkenswerthe Erscheinungen. Die staatliche Verfassung
ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau, mit dem Für-
sten, dem Rath der Aeltesten und der Gemeinde der freien waf-
fenfähigen Männer; das aber ist ihr eigenthümlich, daſs sie über
diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen
[213]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
und Römern trat sehr früh an die Stelle des Gaues der Mauer-
ring als die Grundlage der politischen Einheit: wo zwei Gaue in
denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu
einem Gemeinwesen; wo eine Bürgerschaft einem Theil ihrer Mit-
bürger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmäſsig da-
mit auch ein neuer nur durch die Bande der Pietät und höchstens
der Clientel mit der Muttergemeinde verknüpfter Staat. Bei den
Kelten dagegen bleibt die ‚Bürgerschaft‘ zu allen Zeiten der Clan:
dem Gau und nicht irgend einer Stadt stehen Fürst und Rath
vor und der allgemeine Gautag bildet die letzte Instanz im Staate.
Der Mauerring ist nicht unbekannt, aber er hat nur strategische,
nicht politische Bedeutung; weſshalb denn auch die gallischen
Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna
und Genava, den Griechen und Römern nichts sind als Dörfer.
Zu Caesars Zeit bestand die ursprüngliche Clanverfassung noch
wesentlich ungeändert bei den Inselkelten und in den nördlichen
Gauen des Festlandes: die Landsgemeinde behauptete die höchste
Autorität; der Fürst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Be-
schlüsse gebunden; der Gemeinderath war zahlreich — er zählte
in einzelnen Clans sechshundert Mitglieder —, scheint aber nicht
mehr bedeutet zu haben als der Senat unter den römischen Kö-
nigen. Dagegen in dem regsameren Süden des Landes war ein
oder zwei Menschenalter vor Caesar — die Kinder der letzten
Könige lebten noch zu seiner Zeit — wenigstens bei den gröſse-
ren Clans, den Arvernern, Haeduern, Sequanern, Helvetiern, eine
Umwälzung eingetreten, die die Königsherrschaft beseitigte und
dem Adel die Gewalt in die Hände gab. Die Ursache scheint die
Entwickelung des Gefolgsystems gewesen zu sein, das zwar bei
allen Nationen in einer gewissen Entwicklungsepoche in mehr oder
minder bestimmter Gestalt auftritt, aber doch kaum irgendwo sonst
eine so überwiegende politische Bedeutung erlangt hat wie in der
keltischen Clanverfassung; wovon es eben nur die Kehrseite ist,
daſs der entgegengesetzte Pol der politischen Entwickelung, das
städtische Gemeinwesen nirgends so durchaus nichtig erscheint
wie bei den Kelten. Die keltische Aristokratie war allem Anschein
nach ein hoher Adel, gröſstentheils vielleicht die Glieder der kö-
niglichen oder ehemals königlichen Familien, wie es denn bemer-
kenswerth ist, daſs die Häupter der entgegengesetzten Parteien in
demselben Clan sehr häufig dem gleichen Geschlecht angehören.
Diese groſsen Familien vereinigten in ihrer Hand die ökonomische,
kriegerische und politische Uebermacht. Sie monopolisirten die
Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie nöthigten die
[214]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen
und zuerst thatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige
sich ihrer Freiheit zu begeben. Gestützt auf die Schaaren ihrer
Andbakten oder Ambakten, das heiſst ihrer gedungenen reisigen
Knechte,* trotzten sie den gesetzlichen Behörden und dem Land-
sturm und sprengten thatsächlich das Gemeinwesen. Wenn in
einem Clan, der etwa 80000 Waffenfähige zählte, ein einzelner
Adlicher mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hörigen und die
Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es ein-
leuchtend, daſs ein solcher mehr ein unabhängiger Dynast war als
ein Bürger seines Clan. Es kam hinzu, daſs die vornehmen Fa-
milien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen
und durch Zwischenheirathen und Sonderverträge gleichsam einen
geschlossenen Bund bildeten, dem gegenüber der einzelne Clan
ohnmächtig war. Eine Folge war, daſs die Gemeinden es nicht
vermochten den Landfrieden aufrecht zu halten und durchgängig
das Faustrecht regierte. Schutz fand nur noch der hörige Mann
bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse nöthigten die seinem
Clienten zugefügte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen
hatte der Staat die Macht nicht mehr, weſshalb diese zahl-
[215]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
reich sich als Hörige einem Mächtigen zu eigen gaben. Die Ge-
meindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch
das Fürstenthum, das den Uebergriffen des Adels hätte steuern
sollen, erlag demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An
die Stelle des Königs trat der ‚Rechtwirker‘ oder Vergobretus,*
der wie der römische Consul nur auf ein Jahr ernannt ward. So
weit der Gau überhaupt noch zusammenhielt, ward er durch den
Gemeinderath geleitet, in dem natürlich die Häupter der Aristo-
kratie die Regierung an sich rissen. Es versteht sich von selbst,
daſs unter solchen Verhältnissen es in den einzelnen Clans in
ganz ähnlicher Weise gährte, wie es in Latium nach der Vertrei-
bung der Könige Jahrhunderte lang gegährt hatte: während der
Adel der verschiedenen Gemeinden sich zu einem im Grunde re-
volutionären Sonderbündniſs zusammenthat, hörte die Menge
nicht auf die Wiederherstellung des Königthums zu begehren und
versuchte nicht selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius
Cassius in Rom gethan, gestützt auf den gemeinen Mann, die
Macht seiner Standesgenossen zu brechen und die Krone zu sei-
nem Besten wieder in ihre Rechte einzusetzen. — Wenn also die
einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl daneben
mächtig in der Nation das Gefühl der Einheit und suchte in man-
cherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Wie die Hellenen in
den Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die Kel-
ten, so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen
Rom des Bestehens und der Macht der nationalen Einheit sich be-
wuſst geworden zu sein. Unter dem Hader der rivalisirenden Clans
und all jenem feudalistischen Gezänk machten doch auch die Stim-
men derer sich bemerklich, die die Unabhängigkeit der Nation
selbst um den Preis der Selbstständigkeit der einzelnen Gaue und
der Ritterschaftsverbände zu erkaufen bereit waren. Wie durch-
weg populär die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, be-
weisen die Kriege Caesars, dem gegenüber die keltische Patrioten-
partei eine ganz ähnliche Stellung hatte wie die deutschen Pa-
trioten gegen Napoleon: die Telegraphengeschwindigkeit, mit der
sie sich Nachrichten mittheilte, zeugt unter anderm für ihre Aus-
dehnung und ihre Organisation. Die Allgemeinheit und die Mäch-
tigkeit des keltischen Nationalbewuſstseins würde unerklärlich
sein, wenn nicht bei der gröſsten politischen Zersplitterung die
keltische Nation seit langem religiös und selbst theologisch cen-
tralisirt gewesen wäre. Die keltische Priesterschaft oder mit dem
[216]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
einheimischen Namen die Corporation der Druiden umfaſste sicher
die brittischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere
Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande.
Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber
sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche
Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich
Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan re-
spectirte, mit jährlichen Concilien, die bei Chartres am ‚Mittel-
punkt der keltischen Erde‘ abgehalten wurden, und vor allen
Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Fröm-
migkeit und blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen
Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daſs
eine solche Priesterschaft auch in das weltliche Regiment einzu-
greifen versuchte und theilweise durchdrang: sie nahm mit Er-
folg das Recht in Anspruch einzelne Männer und ganze Gemein-
den von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Ge-
meinschaft auszuschlieſsen; sie wuſste die wichtigsten Civilsachen,
namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen; sie
entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht aus der Ge-
meinde auszuschlieſsen und vielleicht auch auf die Landesgewohn-
heit, daſs zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Ver-
brecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Cri-
minalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten
concurrirte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und
Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchen-
staat mit Papst und Concilien, mit Immunitäten, Interdicten und
geistlichen Gerichten; nur daſs dieser Kirchenstaat nicht wie der
der Neuzeit von den Nationen abstrahirte, sondern vielmehr
durchaus national war. — Aber wenn also das Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Le-
bendigkeit erwacht war, so blieb es dagegen der Nation versagt
zu einem Haltpunct politischer Centralisation zu gelangen, wie
ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Ger-
manen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden.
Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl sie
in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren
doch ihrer ständisch-particularistischen Interessen wegen un-
fähig sie zu einigen, wohl aber mächtig genug um keinem Kö-
nig und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. An-
sätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauver-
fassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems.
Der mächtige Canton bestimmte den schwächeren sich ihm in
[217]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
der Art unterzuordnen, daſs der führende Canton nach auſsen
den andern mit vertrat und in Staatsverträgen für ihn mit stipu-
lirte, der Clientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl
zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege ent-
stand eine Reihe von Sonderbünden; einen führenden Gau für
das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband
der gesammten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt
(II, 154), daſs bei dem Beginn der transalpinischen Eroberungen
die Römer dort im Norden einen brittisch-belgischen Bund unter
Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die
Arvernerconföderation vorfanden, mit der die Haeduer mit ihrer
schwächeren Clientel daselbst rivalisirten. In Caesars Zeit finden
wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und
Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indeſs wie es
scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint
in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der armori-
canischen, das heiſst der Seegaue; im mittleren Gallien ringen
wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze
einerseits die Haeduer stehen, andrerseits, nachdem die Arverner
durch die Kriege mit Rom geschwächt und genöthigt worden sind
von der Rivalität mit den Haeduern abzustehen, die Sequaner.
Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig
neben einander; die führenden Staaten des mittleren Galliens
scheinen ihre Clientel nie auf das nordöstliche und ernstlich
wohl auch nicht den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben.
Der Einheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbindungen
wohl eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder
Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten
beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art,
die Repräsentation durch die Bundestage im höchsten Grade
dürftig. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester
zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem
die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging (II, 173), mag
ihr zu Gute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie
wirkten einen dauernden Riſs in jedem einzelnen Bund, den die
Zeit nicht schloſs, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des
einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz lieſs und
es demselben, auch wenn er in die Clientel sich gefügt hatte,
immer gestattete den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wett-
streit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloſs diese, sondern
in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause
setzte er sich fort, indem jeder Einzelne nach seinen persönlichen
[218]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich zerrieb nicht so sehr
in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist
athenischer und lakedämonischer Faction in jeder abhängigen
Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Ar-
verner und der Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem
und immer kleinerem Maſsstab die keltische Nation zernichtet.
Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag
dieser politischen und socialen Verhältnisse. Die Reiterei war
durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und
mehr noch auf den brittischen Inseln die altnationalen Streitwa-
gen in bemerkenswerther Vervollkommnung erscheinen. Diese
ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpfer-
schaaren wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen,
der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust
hatte und es sich viel kosten lieſs edle Rosse ausländischer Race
zu reiten. Für die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeich-
nend, daſs sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde
ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schworen Haus und
Hof meiden zu wollen, wenn man nicht wenigstens zweimal durch
die feindliche Linie setzen werde. Neben dieser Ritterschaft trat
das Fuſsvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es
wesentlich noch den Keltenschaaren, mit denen die Römer früher
in Italien und Spanien gefochten hatten. Der groſse Schild war
wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte
dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoſslanze die erste
Rolle. Wo mehrere Gaue zusammen Krieg führten, lagerte und
stritt natürlich Clan neben Clan; es findet sich keine Spur,
daſs man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert
und kleinere und regelrechtere taktische Abtheilungen gebildet
hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroſs dem Kelten-
heer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es
die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige
Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Bei-
spiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres
Fuſsvolks hervorgehoben; bemerkenswerth ist es, daſs eben
diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein kelti-
scher, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im
Allgemeinen aber erscheint das keltische Fuſsvolk dieser Zeit als
ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten
in den südlicheren Landschaften, wo mit der Roheit auch die
Tapferkeit verschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es
nicht dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schär-
[219]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
fer als durch dieses Urtheil kritisirte der römische Feldherr die
keltische Infanterie dadurch, daſs, nachdem er sie in seinem
ersten Feldzug kennen gelernt hatte, er consequent es unterlieſs
sie in Verbindung mit der römischen zu verwenden.
Ueberblicken wir den Gesammtzustand der Kelten, wie ihn
Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, ver-
glichen mit der Culturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zu-
vor die Kelten im Pothal uns entgegentraten, ein Fortschritt in
der Civilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren
durchaus die in ihrer Art freilich vortreffliche Landwehr (I, 209);
jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohn-
ten die Kelten in offenen Flecken, jetzt umgaben ihre Ortschaften
wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde ste-
hen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeräth, weit zurück
hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuver-
lässigste Messer der steigenden Cultur ist das Gefühl der Zusam-
mengehörigkeit der Nation; so wenig davon in den auf dem Bo-
den der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage
tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem
Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenüber-
trat, das Maximum der ihr möglichen Cultur bereits erreicht und
war schon wieder im Sinken. Die Civilisation der transalpinischen
Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur
sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und
noch mehr interessante Seiten; in mehr als einer Hinsicht schlieſst
sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit
ihren Segelschiffen, ihrem Ritterthum, ihrer Kirchenverfassung,
vor allen Dingen mit ihren wenn auch unvollkommenen Versu-
chen den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und
in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber eben darum,
weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunct ihrer
Entwickelung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere
sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Cultur-
fähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale
Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es
höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Rit-
terthum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr;
der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäſsige Ordnungen ge-
stützte militärische Muth, wie er im Gefolge der gesteigerten Ci-
vilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt in dem
Ritterthum sich eingestellt. Wohl war die eigentliche Barbarei
überwunden; die alte Sitte mit dem verstorbenen Häuptling seine
[220]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
treuesten Gefolgmänner zu verbrennen bestand zu Caesars Zeit
nicht mehr; aber doch dauerten die Menschenopfer noch fort
und der Rechtssatz, daſs die Folterung des freien Mannes unzu-
lässig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folte-
rung des Sclaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung,
die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer
Culturzeit einnahm. Die Vorzüge, die der primitiven Epoche der
Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebüſst, aber diejenigen
nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie
ein Volk innerlich und völlig durchdringt.
Also war die keltische Nation in ihren inneren Zuständen
beschaffen. Es bleibt noch übrig ihre äuſseren Beziehungen zu
den Nachbaren darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie
in diesem Augenblick einnahm in dem gewaltigen Wettlauf und
Ringkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich überall noch
schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenäen waren die
Zeiten längst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heiſst
baskische Urbevölkerung bedrängten und zum Theil verdrängten;
längst hatten hier die Verhältnisse der Völker sich friedlich ge-
ordnet. Das Ergebniſs war, daſs die Kelten nach ihrer Weise
die besseren Theile der Landschaft in Besitz genommen hatten.
In den Thälern der Pyrenäen wie in den Gebirgen Bearns und
der Gascogne und ebenso in den Küstensteppen südlich von der
Garonne wohnten dagegen noch in Caesars Zeit die Aquitaner,
eine groſse Anzahl kleiner wenig unter sich und noch weniger
mit dem Ausland sich berührender Völkerschaften iberischer
Abstammung; nur die Garonnemündung selbst mit dem wichti-
gen Hafen Burdigala (Bordeaux) war in den Händen eines kelti-
schen Stammes, der Bituriger-Vivisker. — Von weit gröſserer
Bedeutung waren die Berührungen der keltischen Nation mit dem
Römervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wieder-
holt werden, was früher erzählt worden ist, wie die Römer in
langsamem Vordringen die Kelten allmählich zurückgedrückt,
zuletzt auch den Küstensaum zwischen den Alpen und Pyrenäen
besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem mittellän-
dischen Meer gänzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits
Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der römisch-hellenischen
Zwingburg an der Rhonemündung diese Katastrophe vorbereitet
war; daran aber müssen wir hier wieder erinnern, daſs nicht bloſs
die Ueberlegenheit der römischen Waffen die Kelten bedrängte,
sondern eben so sehr die der römischen Cultur, der die ansehn-
lichen Fortschritte der hellenischen Civilisation im Keltenlande in
[221]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
letzter Instanz doch auch zu Gute kamen. Auch hier bahnten
Handel und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der
Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getränke; daſs er den
edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche
trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des mäſsigen
Südländers, aber der Händler verkehrt nicht ungern mit sol-
chen Kunden. Bald ward der Weinhandel nach dem Kelten-
land eine Goldgrube für den italischen Kaufmann; es war nichts
Seltenes, daſs daselbst ein Krug Wein um einen Sclaven ge-
tauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel ita-
lische Pferde, fanden in dem Keltenland vortheilhaften Absatz.
Es kam sogar bereits vor, daſs römische Bürger jenseit der rö-
mischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach itali-
scher Art benutzten, wie denn zum Beispiel römische Landgüter
im Canton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 erwähnt
werden. Ohne Zweifel ist es hievon eine Folge, daſs, wie schon
gesagt ward (S. 212), selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel
bei den Arvernern, die römische Sprache schon vor der Erobe-
rung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese Kunde ver-
muthlich noch auf Wenige beschränkte und selbst mit den Vor-
nehmen des verbündeten Gaues der Haeduer durch Dollmetscher
verkehrt werden muſste. So gut wie die Händler mit Feuerwas-
ser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten,
so wiesen und winkten auch diese römischen Weinhändler und
Gutsbesitzer den künftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft
man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das
Verbot, das einer der tüchtigsten Stämme des Keltenlandes, der
Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen Völkerschaften, gegen
den Handelsverkehr mit den Römern erlieſs. — Ungestümer noch
als vom mittelländischen Meere die Römer drängten vom balti-
schen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm
aus der groſsen Völkerwiege des Ostens, der sich Platz machte
neben seinen älteren Brüdern mit jugendlicher Kraft, freilich auch
mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die nächst am Rhein
wohnenden Völkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencte-
rer, Sugambrer, Ubier sich einigermaſsen zu civilisiren angefan-
gen und wenigstens aufgehört hatten freiwillig ihre Sitze zu
wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen,
daſs weiter landeinwärts der Ackerbau wenig bedeutete und die
einzelnen Stämme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren.
Es ist bezeichnend dafür, daſs die westlichen Nachbaren in die-
ser Zeit kaum eines der Völker des inneren Deutschlands seinem
[222]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gaunamen nach zu nennen wuſsten, sondern dieselben ihnen
nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sue-
ben, das ist der Nomaden, der schweifenden Leute, und der Mar-
comannen, das ist der Landwehr * — Namen, die in
Caesars
Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Römern
als solche erschienen und später auch vielfach Gaunamen ge-
worden sind. Der gewaltigste Andrang dieser groſsen Nation
traf die Kelten. Die Kämpfe, die die Deutschen um den Besitz
der Landschaften östlich vom Rheine mit den Kelten geführt
haben mögen, entziehen sich vollständig unsern Blicken. Wir
vermögen nur zu erkennen, daſs um das Ende des siebenten
Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten
verloren war, die Boier, die einst in Baiern und Böhmen geses-
sen haben mochten (II, 159), heimathlos herumirrten und selbst
der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald (II, 159)
wenn auch nicht von den nächstwohnenden deutschen Stämmen
in Besitz genommen, doch wenigstens wüstes Grenzstreitland
und vermuthlich schon damals war, was er später hieſs: die hel-
vetische Einöde. Die barbarische Strategik der Deutschen durch
meilenweite Wüstlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen
Ueberfällen zu sichern scheint hier im gröſsten Maſsstab An-
wendung gefunden zu haben. — Aber die Deutschen waren nicht
stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kerne nach aus deut-
schen Stämmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und
Teutonen, der funfzig Jahre zuvor über Pannonien, Gallien, Ita-
lien und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts ge-
wesen zu sein als eine groſsartige Recognoscirung. Schon hat-
ten westlich vom Rhein, namentlich dem unteren Laufe dessel-
ben, verschiedene deutsche Stämme bleibende Sitze gefunden;
als Eroberer eingedrungen fuhren diese Ansiedler fort von ihren
[223]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
gallischen Umwohnern gleich wie von Unterthanen Geiſseln ein-
zufordern und jährlichen Tribut zu erheben. Dahin gehörten die
Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse (II, 174)
zu einem ansehnlichen Gau angewachsen waren, und eine Anzahl
anderer später unter dem Namen der Tungrer zusammengefaſster
Völkerschaften an der Maas in der Gegend von Lüttich. In dem
ganzen Gebiet der Schelde, Maas und Mosel war die Bevölkerung
stark mit deutschen Elementen gemischt; die mächtigen Nervier
(im Hennegau) bezeichnet eine achtbare Autorität geradezu als
Germanen. Diese ersten Ansiedlungen waren vielleicht gering-
fügig; unbedeutend waren sie nicht, denn in dem chaotischen
Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Völkerschaften am Rhein
auf- und niederwogen sehen, läſst sich doch wohl erkennen,
daſs auf der Spur jener Vorposten ihre Landsleute sich anschick-
ten in Massen den Rhein zu überschreiten. Von zwei Seiten
durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen war es
kaum zu erwarten, daſs die unglückliche keltische Nation sich
jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde.
Ihre Zersplitterung und ihr Untergang in der Zersplitterung war
bisher ihre Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag
nannte gleich denen von Marathon und Salamis, von Aricia und
dem raudischen Felde, eine Nation, die selbst in ihrer frischen
Zeit keinen Versuch gemacht hatte Massalia mit gesammter Hand
zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde
sich erwehren?
Je weniger die Kelten sich selbst überlassen den Germanen ge-
wachsen waren, desto mehr Ursache hatten die Römer die zwischen
den beiden Nationen obwaltenden Verwickelungen sorgsam zu über-
wachen. Waren sie auch von den daraus entspringenden Bewe-
gungen bis jetzt nicht unmittelbar berührt worden, so waren sie
doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Inter-
essen betheiligt. Begreiflicher Weise hatte die innere Haltung
der keltischen Nation sich mit ihren auswärtigen Beziehungen
rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die lake-
daemonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband,
so hatten die Römer von ihrem ersten Auftreten jenseit der Alpen
an gegen die Arverner, die damals unter den südlichen Kelten
die führende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um die Hege-
monie, den Haeduern eine Stütze gefunden und mit Hülfe dieser
neuen ‚Brüder der römischen Nation‘ nicht bloſs die Allobrogen
und einen groſsen Theil des mittelbaren Gebiets der Arverner
sich unterthänig gemacht, sondern auch in dem frei gebliebenen
[224]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gallien durch ihren Einfluſs die Hegemonie von den Arvernern
auf die Haeduer übertragen. Allein wenn den Griechen nur von
einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich
die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war
natürlich, daſs man versuchte bei dem einen vor dem andern
Schutz zu finden. Wenn die eine Keltenpartei den Römern sich
anschloſs, so suchten ihre Gegner natürlicher Weise dagegen
ein Gegengewicht in dem Bunde mit den Deutschen. Am nächsten
lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige
Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und
überdies bei ihrer minder entwickelten Cultur sich dem stamm-
fremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als
dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber
auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt,
der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besancon) an der Spitze
der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache
gegen die sie zunächst bedrohenden Römer die Hülfe der Deut-
schen eben jetzt herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats
und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die
den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, lieſsen gerade die-
sen Moment als geeignet erscheinen um des römischen Einflusses
sich zu entledigen und zunächst deren Clienten, die Haeduer zu
demüthigen. Ueber die Zölle auf der Saone, die das Gebiet der
Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den
beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 hatte
der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Con-
dottier der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog
manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im Ganzen
waren die Ergebnisse den Haeduern ungünstig. Ihr Führer Epo-
redorix bot endlich die ganze Clientel auf und zog mit unge-
heurer Uebermacht aus gegen die Germanen; allein diese ver-
weigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in
Sümpfen und Wäldern, bis die Clans, des Harrens müde, an-
fingen aufzubrechen und sich aufzulösen. Jetzt erschienen die
Deutschen in freiem Felde; bei Admagetobriga erzwang Ariovist die
Schlacht, in der die Blüthe der Ritterschaft der Haeduer auf dem
Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwun-
gen auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu
schlieſsen, muſsten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem
ganzen Anhang in die Clientel der Sequaner sich fügen, auch sich
anheischig machen den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist
Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adlichen
[225]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
als Geiſseln zu stellen, endlich eidlich versprechen weder diese
Geiſseln je zurückzufordern noch die Intervention der Römer
anzurufen. Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 ge-
schlossen.* Ehre und Vortheil geboten den Römern dagegen auf-
zutreten; der vornehme Haeduer Divitiacus, das Haupt der römi-
schen Partei in seinem Clan und darum jetzt von seinen Lands-
leuten verbannt, ging persönlich nach Rom um ihre Dazwischen-
kunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand
der Allobrogen 693 (S. 205), der Nachbarn der Sequaner, wel-
cher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der
That ergingen Befehle an die gallischen Statthalter den Haeduern
beizustehen; man sprach davon Consuln und consularische Ar-
meen über die Alpen zu senden; allein schlieſslich verleugnete
der Senat, an den diese Angelegenheiten zunächst zur Entschei-
dung kamen, sich auch hier nicht: die allobrogische Insurrection
ward mit den Waffen unterdrückt, für die Haeduer aber geschah
nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im J. 695 in
das Verzeichniſs der den Römern befreundeten Könige einge-
schrieben.** Der deutsche Kriegsfürst nahm dies begreiflicher
Weise als Verzicht der Römer auf das noch nicht von ihnen ein-
genommene Keltenland; er richtete demgemäſs sich hier häuslich
ein und fing an auf gallischem Boden ein deutsches Fürstenthum
zu begründen. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte,
die noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf später aus der Heimath
nachkamen — man rechnete, daſs bis zum J. 696 bis 120000
Deutsche den Rhein überschritten — diese ganze gewaltige Ein-
wanderung der deutschen Nation, welche durch die einmal geöff-
neten Schleusen stromweise über den schönen Westen sich ergoſs,
gedachte er daselbst ansässig zu machen und auf dieser Grundlage
seine Herrschaft über das Keltenland aufzubauen. Der Umfang
der von ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen
Ansiedlungen läſst sich nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er
weit und noch viel weiter seine Entwürfe. Die Kelten wurden
Röm. Gesch. III. 15
[226]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
von ihm als eine Nation behandelt, die er ganz sich unterwor-
fen, und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied ge-
macht. Als gedungener Feldhauptmann der Sequaner hatte er
den Rhein überschritten; dennoch muſsten auch sie, als wären
sie gleichfalls besiegte Feinde, ihm für seine Söldner ein Drittel
ihrer Mark abtreten — vermuthlich den später von den Tribok-
kern bewohnten Landstrich —; ja als sei dies nicht genug, ward
ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zwei-
tes Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenlande die Rolle
des makedonischen Philipp übernehmen und die germanisch ge-
sinnten Kelten nicht minder wie die den Römern anhängenden
tyrannisiren zu wollen. — Das Auftreten des kräftigen Fürsten
in einer so gefährlichen Nähe, das allein schon die ernstesten
Besorgnisse der Römer erwecken muſste, erschien noch bedroh-
licher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch
die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer wa-
ren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die über-
müthigen Sueben müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf
(695) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen um sich andere
am unteren Rheine zu suchen. Schon hatten sie an dessen Mün-
dung den auf dem rechten Rheinufer belegenen Theil des Gebiets
der Menapier weggenommen und es war vorherzusehen, daſs sie
den Versuch machen würden auch auf dem linken Ufer sich fest-
zusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich sue-
bische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau
der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward
das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und
zahlreichen Helvetier immer nachdrücklicher von den Germanen
heimgesucht, so daſs die Helvetier, die vielleicht schon durch das
Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nord-
wärts vom Rheine ohnehin an Uebervölkerung litten, überdies
durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner einer
völligen Isolirung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den
verzweifelten Entschluſs faſsten ihr bisheriges Gebiet freiwillig
den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere
und fruchtbarere Sitze und zugleich wo möglich die Hegemonie
im inneren Gallien zu gewinnen — ein Plan, den schon während
der kimbrischen Invasion einige ihrer Districte gefaſst und aus-
zuführen versucht hatten (II, 167). Die Rauraker, deren Gebiet
(Basel und das südliche Elsaſs) in ähnlicher Weise bedroht war,
ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen
gezwungen waren ihrer Heimath den Rücken zu kehren und nun
[227]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit
den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 kamen ihre
Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Pro-
vinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzö-
gern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach
in die von ihren Vertheidigern verlassene wichtige Landschaft
zwischen dem Oberrhein und dem Genfersee. Vom Bodensee
bis zum atlantischen Ocean waren die deutschen Stämme in Be-
wegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Mo-
ment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende
Reich der Caesaren warfen und jetzt gleich schien gegen die Kel-
ten eben das ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes
Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius
Caesar im Frühling 696 in dem narbonensischen Gallien ein, das
zu seiner ursprünglichen, das diesseitige Gallien nebst Istrien und
Dalmatien umfassenden, Provinz durch Senatsbeschluſs hinzuge-
fügt worden war. Sein Amt, das ihm auf zuerst auf fünf, dann
im J. 699 auf weitere fünf Jahre übertragen ward, gab ihm das
Recht zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu er-
nennen und — wenigstens nach seiner Auslegung — aus der be-
sonders im diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung
des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen
zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den
beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfuſsvolk aus vier
geschulten und krieggewohnten Legionen, der siebenten, achten,
neunten und zehnten oder höchstens 24000 Mann, wozu dann,
wie üblich, die Unterthanencontingente hinzutraten. Reiterei und
Leichtbewaffnete waren auſserdem vertreten durch Reiter aus Spa-
nien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleu-
derer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie,
enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren vornehmen jungen
Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jünge-
ren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus
Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom
Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte
Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Muthigen lagen
sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der
Senat versäumt hatte und vor allen Dingen der Strom der deut-
schen Invasion zu hemmen. Die mit der deutschen eng verfloch-
tene Invasion der Helvetier war nach langjährigen Vorbereitun-
gen eben im Begriff zu beginnen. Um sowohl die verlassenen
15*
[228]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Hütten nicht den Germanen zu gönnen als auch sich selber die
Rückkehr unmöglich zu machen, hatten sie ihre Städte und Wei-
ler niedergebrannt und lange Wagenzüge mit Weibern, Kindern
und dem besten Theil der Fahrniſs beladen, trafen von allen Sei-
ten her am Leman ein, wo die Helvetier und ihre Genossen sich
zum 28. März * dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach
ihrer eigenen Zählung bestand die gesammte Masse aus 368000
Köpfen, wovon etwa der vierte Theil im Stande war die Waffen
zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich
erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast voll-
ständig abschloſs und dessen schmale Defileen für den Durchzug
einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut
für die Vertheidigung, hatten die Führer darum beschlossen in
südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich
da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten
Theil des Jura und den savoyischen Bergen die Rhone bei dem
heutigen Fort de l'Ecluse die Gebirgsketten durchbrochen hat.
Allein an der Nordseite treten die Felsen und Abgründe so hart
an den Fluſs, daſs hier in der Gegend des Fort de l'Ecluse jedes
Heer sich völlig gehemmt findet; es blieb nichts übrig als ober-
halb dieses Punktes auf das südliche Ufer überzugehen, um spä-
ter, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das nördliche zu
gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu
ziehen, wo der fruchtbare Canton der Santonen (Saintonge, das
Thal der Charente) am atlantischen Meer von den Wanderern zu
ihrem neuen Wohnsitz ausersehen war. Caesar, ohnehin nicht
gemeint den Helvetiern die Festsetzung im westlichen Gallien zu
gestatten, konnte es um so weniger sich gefallen lassen, daſs sie
das römische Gebiet auf ihrem Marsche betraten. Allein von sei-
nen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; ob-
wohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot,
war die Aufgabe dennoch nicht leicht mit einer so geringen Mann-
schaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang über die
Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem
Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Mei-
len, zu verwehren. Caesar gewann indeſs durch Unterhandlun-
gen mit den Helvetiern, die den Uebergang über den Fluſs und
den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher
[229]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von funfzehn Tagen, welche
dazu benutzt ward die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubre-
chen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deut-
sche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren — es
war die erste Anwendung des später in so ungeheurem Umfang
durchgeführten Systems der Römer durch eine Kette von einzel-
nen durch Wälle und Gräben mit einander in Verbindung gesetz-
ten Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schlieſsen. Die Ver-
suche der Helvetier mittelst Schiffen oder durch Furthe an ver-
schiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen wurden in diesen
Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier ge-
nöthigt von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte
die den Römern feindlich gesinnte Partei der Kelten, die an den
Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, nament-
lich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und wie die-
ser an der Spitze der römischen so in seinem Gau an der Spitze
der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jura-
pässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verwehren hatten
die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem
helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiele
als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets —
Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt,
wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius (II, 173) ge-
than, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu
beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige
Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats,
sondern des Staates; er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus
hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der
ihm eigenen Raschheit die drei dort cantonnirenden so wie zwei
neu formirte Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen ver-
einigte er mit dem bei Genava stehenden Corps und überschritt
mit der gesammten Macht die Rhone. Sein unvermuthetes Er-
scheinen im Gebiet der Haeduer brachte natürlich daselbst sofort
wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung
wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt
die Saone zu passiren und aus dem Gebiet der Sequaner in das
der Haeduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saone-
ufer stand, namentlich das Corps der Tigoriner, ward von den
rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das
Gros des Zuges war indeſs bereits auf dem rechten Ufer des Flus-
ses angelangt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Ueber-
gang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen
[230]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Fortan
heftete er sich an die Fersen des Feindes. Funfzehn Tage mar-
schirte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen
Meile von dem feindlichen hinter demselben her, immer auf einen
günstigen Augenblick hoffend um den feindlichen Heereszug un-
ter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten.
Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die
helvetische Karawane einherzog, die Führer wuſsten einen Ueber-
fall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräthen reichlich ver-
sehen so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen
Lager aufs Genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer
an Mangel an dem Nothwendigsten zu leiden, namentlich als die
Helvetier sich von der Saone entfernten und der Fluſstransport
aufhörte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen
Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte
um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem
Gebiete sich herumbewegten. Es zeigte sich ferner die ansehn-
liche fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei als völlig unzu-
verlässig — was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus
keltischer Ritterschaft und namentlich den Rittern der Haeduer
unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix
bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiſseln denn als
Verbündete übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glau-
ben, daſs eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren hel-
vetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden
war und daſs durch sie der Feind von allen Vorfällen im römi-
schen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich;
in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Hae-
duern, trotz ihres officiellen Bündnisses mit Rom und der nach
Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische
Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man
in die gährende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und
von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen
die Heere in mäſsiger Entfernung von der Hauptstadt der Hae-
duer Bibracte (Autun) vorüber; Caesar beschloſs dieses wichti-
gen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er
die Verfolgung der Helvetier fortsetzte. Allein da er von dem
Feinde ablassend sich gegen Bibracte wendete, meinten die Hel-
vetier, daſs die Römer zur Flucht Anstalt machten und grif-
fen nun ihrerseits an. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen
stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Ge-
fecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Rei-
[231]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
terei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Hügels
postirten römischen Legionen, muſsten aber vor Caesars Vetera-
nen weichen. Als die Römer, ihren Vortheil verfolgend, nun
ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder
zum Angriff über, während zugleich ein zurückgehaltenes Corps
derselben die Römer in die Flanke nahm. Gegen das letztere
wurde die römische Reserve gesendet und drängte dasselbe von
der Hauptmasse ab auf das Gepäck und die Wagenburg, wo es
aufgerieben ward. Das Gros des helvetischen Zuges muſste end-
lich auch zurück und ward genöthigt statt der bisherigen Rich-
tung gegen Westen die nach Norden einzuschlagen. Es war auch
für die Sieger ein heiſser Tag. Caesar, der Ursache hatte seinem
Offiziercorps nicht durchgängig zu trauen, hatte gleich zu Anfang
alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Nothwendigkeit Stand [zu]
halten den Seinigen gründlich klar zu machen; in der That würde
die Schlacht, wenn die Römer sie verloren hätten, wahrschein-
lich die Vernichtung der römischen Armee herbeigeführt haben.
Wie sie ausgegangen war, überlieferte sie dagegen die Helvetier
der Willkür des Siegers. Caesars Truppen waren zu erschöpft
um ihnen auf dem Fuſse zu folgen; allein in Folge der Bekannt-
machung Caesars, daſs er alle, die die Helvetier unterstützen wür-
den, wie deise selbst als Feinde der Römer behandeln werde,
ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunächst in dem Gau
der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstützung verweigert.
Aller Zufuhr und ihres Gepäcks beraubt und belastet von der
Masse des nicht kampffähigen Trosses muſsten sie wohl dem rö-
mischen Feldherrn sich unterwerfen. Ihr Loos war ein verhält-
niſsmäſsig mildes. Den heimathlosen Boiern wurden die Hae-
duer angewiesen in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuräumen; diese
Ansiedelung der überwundenen Feinde inmitten der mächtigsten
Keltengaue that fast die Dienste einer römischen Colonie. Die
von den Helvetiern und Raurakern noch übrigen, etwas mehr
als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natürlich in
ihr ehemaliges Gebiet zurückgesandt, um unter römischer Hoheit
am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu vertheidi-
gen. Nur die südwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde
von den Römern in Besitz genommen und hier an dem anmuthi-
gen Gestade des Leman späterhin die alte Keltenstadt Noviodu-
num (jetzt Nyon) in eine römische Grenzfestung, die ‚julische
Reitercolonie‘* umgewandelt.
[232]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Am Bodensee also war der hier drohenden Invasion der
Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche
Partei unter den Kelten gedemüthigt. Eine schwerere Arbeit
stand bevor gegen die am Mittelrhein bereits über den Rhein
gegangenen und täglich sich mehrenden Deutschen. Die Römer
hatten Ursache genug gegen die in Gallien mit ihnen concur-
rirende Macht des Ariovist feindlich aufzutreten; die Veranlas-
sung war leicht gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist
ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte dem
gröſseren Theil der Kelten die römische Suprematie das gerin-
gere Uebel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaſs fest-
hielt, muſste wenigstens verstummen. Ein unter römischem Ein-
fluſs abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens
ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feld-
herrn um Beistand gegen die Deutschen. Der Feldherr ging darauf
ein und auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung
des vertragsmäſsig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und
forderten die gestellten Geiſseln zurück. Die Angriffe, die Ario-
vist wegen dieses Vertragsbruchs gegen die Clienten Roms rich-
tete, gaben Caesar Veranlassung mit ihm in directe Verhandlung
zu treten und auſser der Rückgabe der Geiſseln und dem Verspre-
chen mit den Haeduern Frieden zu halten namentlich zu fordern,
daſs Ariovist sich anheischig mache keine Deutschen mehr über
den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr begegnete dem
römischen mit dem Vollgefühl ebenbürtiger Macht und eben-
bürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach
Kriegsrecht unterthänig geworden wie den Römern das südliche;
wie er die Römer nicht hindere von den Allobrogen Tribut zu
nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren seine Untertha-
nen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es
sich, daſs der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig
war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zu-
gekommen seien Caesar aus dem Wege zu räumen und erbot
sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle,
ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behülf-
lich zu sein — wie ihm der Hader der keltischen Nation Gallien
eröffnet hatte, so schien er von dem Hader der italischen die Be-
*
[233]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
festigung seiner Herrschaft zu erwarten. Seit Jahrhunderten
war den Römern gegenüber diese Sprache der vollkommen
selbstständigen und ihre Selbstständigkeit schroff und rück-
sichtslos äuſsernden Macht nicht geführt worden, wie man sie
jetzt von dem deutschen Heerkönig vernahm: kurzweg weigerte
er sich zu kommen, als der römische Feldherr nach der bei
Clientelfürsten hergebrachten Uebung ihm ansann persönlich vor
ihm zu erscheinen. Um so nothwendiger war es nicht zu zau-
dern. Sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Die tief gesun-
kene Sitten- und Kriegszucht machte auch in seinem Lager sich
geltend; ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor al-
lem seine Offiziere, als sie daran sollten mit den seit vierzehn
Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen Kernschaaren
Ariovists sich zu messen. Desertion und Meuterei schien bevor-
zustehen; allein der Feldherr, indem er erklärte nöthigenfalls
mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wuſste
nicht bloſs durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den
kriegerischen Wetteifer auch die übrigen Regimenter an die Adler
zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen
einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen sich zu besinnen
führte er in raschen Märschen sie weiter und kam glücklich
Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio
(Besancon) zuvor. Eine persönliche Zusammenkunft der beiden
Feldherren, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig
einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwi-
schen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen
entscheiden. Vorläufig kam der Krieg zum Stehen. Etwa in der
Gegend von Belfort und Mömpelgard lagerten die beiden Heere
in geringer Entfernung von einander, bis es Ariovist gelang mit
seiner sehr überlegenen Macht an dem römischen Lager vorbei-
marschirend sich ihm in den Rücken zu legen und die Römer
von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar ver-
suchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu
befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem römischen
Feldherrn blieb nichts übrig als trotz seiner geringen Stärke
die Bewegung des Feindes nachzuahmen, und seine Verbin-
dungen dadurch wieder zu gewinnen, daſs er zwei Legionen
am Feinde vorbeiziehen und jenseit des Lagers der Deutschen
eine Stellung nehmen lieſs, während vier Legionen in dem bis-
herigen Lager zurückblieben. Ariovist, da er die Römer getheilt
sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die
Römer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges
[234]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ward das gesammte römische Heer zum Angriff vorgeführt und
auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in lan-
ger Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht un-
möglich zu machen, die Karren der Armee mit dem Gepäck und
den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eige-
ner Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor
sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen.
Noch stand die Wage gleich; allein die Taktik der Reserven ent-
schied wie so manchen andern Kampf gegen Barbaren so auch
den gegen die Germanen: die dritte Linie, die Publius Crassus
rechtzeitig zur Hülfe sandte, stellte auf dem linken römischen
Flügel die Schlacht wieder her. Damit war der Sieg entschie-
den. Bis an den Rhein, zehn deutsche Meilen vom Schlachtfeld,
ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem
König, gelang es auf das andere Ufer zu entkommen (696). —
So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die itali-
schen Soldaten zum ersten Mal erblickten, das römische Regi-
ment sich an. Mit einer einzigen glücklichen Schlacht war auch
hier die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen An-
siedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand. Der Sie-
ger konnte sie vernichten, aber er that es nicht. Die benachbar-
ten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker wa-
ren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übergesiedelten Deut-
schen waren nicht bloſs tapfrere Grenzhüter, sondern lieſsen
sich auch dazu an bessere Unterthanen Roms zu werden, da sie
von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen
Landsleuten das eigene Interesse an der Bewachung der neuge-
nommenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolirten Stellung
nicht umhin konnten an der Centralgewalt festzuhalten. Caesar
zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften
Freunden vor; er lieſs den von Ariovist längs des linken Rhein-
ufers angesiedelten Germanen, den Tribokkern um Straſsburg,
den Nemetern um Speier, den Vangionen um Worms ihre neuen
Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen
ihre Landsleute an*
— Die Sueben aber, die am Mittelrhein das
[235]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ario-
vists Niederlage wieder zurück in das innere Dentschland, wobei
sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften an-
sehnliche Einbuſse erlitten.
Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeſslich;
noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein
war die Grenze des römischen Reiches gegen die Deutschen ge-
worden. In Gallien, das nicht mehr vermochte sich selber zu
gebieten, hatten bisher die Römer im Süden geherrscht, seit Kur-
zem die Deutschen versucht im Norden sich festzusetzen. In
Folge der letzten Ereignisse war es entschieden worden, daſs
Gallien nicht nur zum Theil, sondern ganz der römischen Ober-
hoheit unterlag und daſs die Naturgrenze, die der mächtige Fluſs
darbietet, auch bestimmt war die staatliche Grenze zu werden.
In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis die
Herrschaft Roms Italiens natürliche Grenzen erreicht hatte, die
Alpen und das Mittelmeer mit seinen Inseln. Einer ähnlichen
militärischen Arrondirung bedurfte auch das erweiterte Reich;
aber die Regierung überlieſs dieselbe dem Zufall und sah höch-
stens darauf, nicht daſs die Grenzen vertheidigt werden konn-
ten, sondern daſs sie nicht unmittelbar von ihr selbst verthei-
digt zu werden brauchten. Man fühlte es, daſs jetzt ein ande-
rer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken
begann.
Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; es han-
delte sich darum dasselbe auszubauen und bei den Galliern die
Anerkennung der römischen Herrschaft, bei den Deutschen die
der Rheingrenze vollständig durchzuführen. Es fehlte hieran
doch noch gar viel. In ganz Mittelgallien zwar von der römi-
schen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte man sich
ohne Widerrede dem neuen Machthaber und am oberen und mitt-
leren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff
zu besorgen. Allein das nördliche Gallien, sowohl die armorica-
nischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die
mächtigere Conföderation der Belgen war von den gegen das
mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mit getroffen worden.
Es kam hinzu, daſs, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den
überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und
auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig
*
[236]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
machten den Strom zu überschreiten. In Folge dessen brach
Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen angewachsenen Heer
im Frühjahr 697 auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des
tapfern und glücklichen Widerstandes, den sie funfzig Jahre zu-
vor mit gesammter Hand an der Landesgrenze den Kimbrern
geleistet hatte (II, 173) und gespornt durch die zahlreich aus
Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidge-
nossenschaft der Belgen ihr gesammtes erstes Aufgebot, 300000
Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen Galba
an ihre südliche Grenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur
ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Rheims), schloſs
sich aus und schickte sich an die Rolle, die in Mittelgallien die
Haeduer gespielt haben, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem
Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleich-
zeitig ein. Caesar unternahm es nicht dem tapfern sechsfach
stärkeren Feinde eine Schlacht [zu] lieferen; er lagerte sich nord-
wärts der Aisne, unweit des heutigen Pont à Vère zwischen
Rheims und Laon, auf einem theils durch den Fluſs und durch
Sümpfe, theils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast
unangreifbar gemachten Plateau, und begnügte sich die Versuche
der Belgen die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen
Verbindungen abzuschneiden durch defensive Maſsregeln zu ver-
eiteln. Wenn er darauf zählte, daſs die Coalition demnächst un-
ter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er
richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher allgemein ge-
achteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann
auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht
weiter und die Vorräthe gingen auf die Neige; Unzufriedenheit
und Entzweiung fingen an im Lager der Eidgenossen sich einzu-
nisten. Die Bellovaker, den Suessionen an Macht gleich und schon
verstimmt darüber, daſs die Führerschaft des Gesammtaufgebots
der Eidgenossen nicht an sie gekommen war, wurden durch die
Meldung, daſs die Haeduer als Bundesgenossen der Römer An-
stalt machten in die bellovakische Landschaft einzurücken, be-
wogen in Masse nach Hause zu gehen. Die Führer des Gesammt-
aufgebots muſsten nachgeben und die einzelnen Aufgebote in die
Heimath entlassen, da sie sonst von selber gegangen sein wür-
den; wenn Schande halber die sämmtlichen Gaue zugleich sich
verpflichteten dem zunächst angegriffenen mit gesammter Hand
zu Hülfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipula-
tionen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft
nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft
[237]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
an diejenige erinnert, die im J. 1792 fast auf demselben Boden
eintrat; und gleich wie in dem Feldzug in der Champagne war
die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt
war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem
römischen Feldherrn dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine ge-
schlagene, und einen Theil der bis zuletzt gebliebenen Contin-
gente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich
hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Cantone der Belgen
einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich
verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons) ebenso wie
ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambia-
ner (um Amiens). Die Städte öffneten ihre Thore, als sie die
fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollen-
den Thürme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht er-
geben mochte, suchte eine Zuflucht jenseit des Meeres in Britan-
nien. Aber in den östlichen Cantonen regte sich energischer das
Nationalgefühl. Die Veromanduer, die Atrebaten, die deutschen
Aduatuker, vor allem aber die Nervier mit ihrer nicht geringen
Clientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachge-
bend, an Tapferkeit und kräftigen Vaterlandssinn ihnen weit über-
legen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre
Mannschaften an der oberen Sambre zusammen. Keltische Spione
unterrichteten sie aufs Genaueste über die Bewegungen der rö-
mischen Armee; ihre eigene Ortskunde so wie die hohen Ver-
zäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren
um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberschaaren
den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten ihre eigenen
Operationen dem Blick der Römer gröſstentheils zu entziehen.
Als diese an der Sambre angelangt beschäftigt waren auf dem
Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, während ihre Rei-
terei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen recognoscirten,
wurden die letzteren plötzlich von der gesammten Masse des feind-
lichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluſs
gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind diesen selbst
überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit
die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den eben mit Schanzen
beschäftigten Legionen die Zeit um die Hacke mit dem Schwert
zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, muſsten fechten
wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigent-
liches Commando; denn bei der Plötzlichkeit des Ueberfalls und
dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die ein-
zelnen Abtheilungen ihre Verbindung völlig verloren. Statt der
[238]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte.
Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte
sie bis über den Fluſs. Das römische Mitteltreffen drängte die
Veromanduer den Abhang hinab. Auf dem rechten Flügel aber
wurden die Römer von den weit zahlreicheren Nerviern völlig
umzingelt und der Uferkamm mit dem halbfertigen Lager von
diesen besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes
Knäuel geballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen,
ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schie-
nen im Begriff gesprengt und zusammengehauen zu werden.
Schon flohen der römische Troſs und die Bundestruppen nach
allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abtheilun-
gen, wie das Contingent der Treverer, mit verhängten Zügeln da-
von, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der
erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem
Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den
Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zu-
ruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon
hatte man einigermaſsen sich Luft gemacht und wenigstens die
Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt,
als Succurs herbeikam: theils die römische Nachhut, die mit dem
Gepäck erst jetzt eintraf, theils vom andern Fluſsufer her die sieg-
reiche zehnte Legion, die Labienus, endlich die auf dem rechten
Flügel drohende Gefahr gewahrend, seinem Feldherrn zu Hülfe
sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von
allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück
sich wandte, denselben Heldenmuth, wie da sie sich Sieger glaub-
ten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten
sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe über-
lebten von ihren sechshundert Rathsherren nur drei diesen Tag.
Nach einer so vernichtenden Niederlage muſsten die Nervier,
Atrebaten und Veromanduer wohl die römische Hoheit anerken-
nen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen um an dem Kampfe an
der Sambre Theil zu nehmen, versuchten zwar noch in einer
ihrer Festungen sich zu halten, allein auch sie unterwarfen sich;
ein Versuch nach der Ergebung das römische Lager vor der
Stadt nächtlich zu überfallen, schlug fehl und der Treubruch
ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die
Clientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und
Rhein und anderen kleinen benachbarten Stämmen bestand, wurde
von den Römern selbstständig erklärt, die gefangenen Aduatuker
aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem
[239]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Hammer verkauft. Es schien als ob das Verhängniſs, das die
Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter
noch verfolge. Den übrigen unterworfenen Stämmen begnügte
sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiſselstellung auf-
zuerlegen. Die Remer wurden natürlich der führende Gau im
belgischen wie die Haeduer im mittleren Gallien; sogar in diesem
begaben sich manche mit den Haeduern verfeindete Clans in die
Clientel der Remer. Mur die entlegenen Seecantone der Moriner
(Artois) und Menapier (Flandern und Brabant) und die groſsen-
theils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und
Rhein blieben für diesmal von der römischen Invasion noch ver-
schont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit.
Die Reihe kam an die armoricanischen Gaue. Noch im Herbst
697 ward Publius Crassus mit einem römischen Corps dahin ge-
sandt; er bewirkte, daſs die Veneter, die, als Herren der Häfen des
heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt
und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnah-
men, und überhaupt die Küstendistricte zwischen Loire und Seine
sich den Römern unterwarfen und ihnen Geiſseln stellten. Allein
es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/8) römische
Offiziere in diese Gegenden kamen um Getreidelieferungen da-
selbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegen-
geiſseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht
bloſs die armoricanischen, sondern auch die noch frei geblie-
benen Seecantone der Belgen; wo wie in einigen Gauen der
Normandie der Gemeinderath sich weigerte der Insurrection bei-
zutreten, machte die Menge ihn nieder und schloſs mit verdop-
peltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Küste von der
Mündung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom;
dorthin eilten aus allen keltischen Gauen die entschlossensten
Patrioten um mitzuwirken an dem groſsen Werke der Befreiung.
Die Contingente der Verbündeten sammelten sich in der Nor-
mandie. Man rechnete weiter auf den Aufstand der gesammten
belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf
das Einrücken der überrheinischen Germanen. — Caesar sandte
Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gäh-
rende belgische Landschaft niederzuhalten und nöthigenfalls den
Deutschen den Uebergang über den Fluſs zu wehren, einen an-
dern seiner Unterbefehlshaber Quintus Titurius Sabinus mit drei
Legionen gegen die in der Normandie zusammengezogenen Hau-
fen. Allein der entscheidende Schlag konnte nicht hier fallen,
sondern nur in dem eigentlichen Heerd der Insurrection, bei den
[240]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
mächtigen und intelligenten Venetern; gegen sie ward zu Lande
und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die Flotte, die theils aus
den Schiffen der unterthänigen Keltengaue, theils aus einer An-
zahl römischer eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern
aus der narbonensischen Provinz ausgerüsteter Galeeren bestand,
führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst
rückte mit dem Kern seiner Infanterie in ihr Gebiet ein. Aber
man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie ent-
schlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagni-
sche Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Flotte darbot.
Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte
gröſstentheils auf Klippen und Landspitzen gelegen und nur
durch schwer zu passirende Watten vom Festlande her zugänglich;
die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande an-
greifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre
Schiffe die Städte leicht mit allem Nöthigen versehen und im
schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konn-
ten. Die Legionen verschwendeten in diesen Belagerungen der
venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesent-
lichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde ver-
schwinden zu sehen. Als die römische Flotte, lange in der Loire-
mündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagni-
schen Küste eintraf, überlieſs man es ihr den Kampf durch
eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegen-
heit auf diesem Elemente sich bewuſst, führten gegen die von
Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloſs
zählte diese zweihundertundzwanzig Segel, weit mehr, als die
Römer hatten aufbringen können, sondern ihre hochbordigen
festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei wei-
tem geeigneter für die hochgehenden Fluthen des atlantischen
Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Rö-
mer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die
Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feind-
lichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken
derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die
römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die
Raae an den Masten befestigt waren, mittelst an langen Stangen
befestigter Sicheln; Raae und Segel stürzten herab und, da man
den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff
dadurch zum Wrack wie heutzutage durch Stürzen der Maste,
und leicht gelang es den römischen Böten durch vereinigten An-
griff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als
[241]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
die Gallier dieses Manövers inne wurden, versuchten sie von der
Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen
hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin
die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum
Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und
die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre
Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich ver-
nichtet. So ward diese Seeschlacht — so weit die geschichtliche
Kunde reicht, die älteste auf dem atlantischen Ocean geschlagene
— eben wie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae (I,
342) trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der
Noth eingegebene glückliche Erfindung zum Vortheil der Römer
entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war
die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr um der
keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen
die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge
gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponiren, als um den
Vertragsbruch und die Verletzung der römischen Gesandten zu
ahnden, lieſs Caesar den gesammten Gemeinderath hinrichten
und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten
Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche
Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben
die Veneter mehr als irgend ein anderer Keltenclan sich ein An-
recht erworben auf die Theilnahme der Nachwelt. — Dem am
Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus
inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr
zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden
hatte; er verhielt sich vertheidigend, bis Ungeduld und Mangel
in den Reihen der Feinde einrissen, und wuſste sie dann durch
Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und
vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen
Sturm auf das römische Lager zu verlocken. Die Römer erfoch-
ten einen vollständigen Sieg, in Folge dessen die Milizen sich
zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. —
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei sich der Aner-
kennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu
zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen; aber gewitzigt durch
die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden
sie es den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wi-
chen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee
hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer
versuchten sich durch dieselben mit der Axt eine Straſse zu bah-
Röm. Gesch. III. 16
[242]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
nen, zu deren beiden Seiten die gefällten Bäume als Verhacke gegen
feindliche Ueberfälle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar,
verwegen wie er war, fand es rathsam, zumal da es gegen den
Winter ging, nach einigen Tagen mühseligsten Marschirens den
Rückzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner
Theil unterworfen und die mächtigeren Menapier gar nicht er-
reicht worden waren. Das folgende Jahr (699) ward, während
Caesar selbst in Britannien beschäftigt war, der gröſste Theil des
Heeres aufs Neue gegen diese Völkerschaften gesandt; allein auch
diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch
war das Ergebniſs der letzten Feldzüge die fast vollständige Un-
terwerfung Galliens unter die Herrschaft der Römer. Wenn Mit-
telgallien ohne Gegenwehr sich ergeben hatte, so waren durch
den vorjährigen Feldzug die belgischen, durch den des J. 698
die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der römischen
Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen
aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug be-
gonnen, hatten nirgends sich erfüllt. Weder Deutsche noch
Britten waren ihnen zu Hülfe gekommen und in Belgien hatte
Labienus Anwesenheit genügt die Erneuerung der vorjährigen
Kämpfe zu verhüten.
Während also Caesar das römische Gebiet im Westen mit
den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, ver-
säumte er nicht der neu unterworfenen Landschaft, welche ja
bestimmt war die zwischen Italien und Spanien klaffende Ge-
bietslücke auszufüllen, mit der italischen Heimath wie mit den
spanischen Provinzen Communicationen zu eröffnen. Die Ver-
bindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die
von Pompeius im J. 677 angelegte Heerstraſse über den Mont
Genevre (S. 24) wesentlich erleichtert worden; allein seit das
ganze Gallien den Römern unterworfen war, bedurfte man einer
Straſse, die aus dem Pothal statt in westlicher vielmehr in nörd-
licher Richtung den Alpenkamm überschritt und Italien mit dem
mittleren Gallien in directe Verbindung setzte. Dem Kaufmann
diente hiezu längst der Weg, der über den groſsen Bernhard in
das Wallis und an den Genfersee führt; um diese Straſse in seine
Gewalt zu bringen lieſs Caesar schon im Herbst 697 durch Ser-
vius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner
des Wallis zur Botmäſsigkeit bringen, was durch die Gegenwehr
dieser tapferen Bergvölker natürlich nur verzögert, nicht verhin-
dert ward. — Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewin-
nen, wurde im folgenden Jahr (698) Publius Crassus nach
[243]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Aquitanien gesandt mit dem Auftrag die daselbst wohnenden
iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft
zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die
Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es
besser als diese von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jen-
seit der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Cantabrer sandten
ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfah-
rene unter Sertorius Führung römisch geschulte Offiziere, die so
weit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, nament-
lich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und
seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten.
Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wuſste alle
Schwierigkeiten zu überwinden und nach einigen hart bestritte-
nen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaf-
ten von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung
unter den neuen Herrn zu bestimmen.
Die eine Aufgabe, die Caesar sich gestellt hatte, die Unter-
werfung Galliens, war mit kaum nennenswerthen Ausnahmen im
Wesentlichen so weit vollendet, als sie überhaupt mit dem Schwert
sich vollenden lieſs. Allein die andere Hälfte des von Caesar be-
gonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt
und die Deutschen noch keineswegs überall genöthigt den Rhein
als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/9, hatte
an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch
nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung
stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencte-
rer, deren Versuche über den Rhein zu setzen bereits erwähnt
wurden (S. 226), waren bisher durch die Menapier hieran gehin-
dert worden, endlich aber doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner
durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schif-
fen der Menapier übergegangen — ein ungeheurer Schwarm, der
sich mit Einschluſs der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe
belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend
von Nymwegen und Kleve; aber es hieſs, daſs sie den Auffor-
derungen der keltischen Patriotenpartei folgend in das innere
Gallien einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward da-
durch bestärkt, daſs ihre Reiterschaaren bereits bis an die Gren-
zen der Treverer streiften. Indeſs als Caesar mit seinen Legio-
nen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Aus-
wanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern
bereit von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer
Hoheit in Frieden zu bestellen. Unterhandlungen darüber wur-
16*
[244]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
den angeknüpft. In dem römischen Feldherrn aber stieg der Arg-
wohn auf, daſs die Deutschen damit nur Zeit zu gewinnen such-
ten, bis die von ihnen entsendeten Reiterschaaren wieder ein-
getroffen seien. Ob derselbe gegründet war oder nicht, läſst sich
nicht sagen; aber darin bestärkt durch einen Angriff, den trotz
des thatsächlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf
seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen
empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt jede völker-
rechtliche Rücksicht aus den Augen zu setzen. Als am andern
Morgen die Fürsten und Aeltesten der Deutschen, den ohne ihr
Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im römi-
schen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts
ahnende ihrer Führer beraubte Menge von dem römischen Heer
plötzlich überfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine
Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Römer fiel,
ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Ueberfalls deta-
chirten Abtheilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zu-
rück über den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet,
es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewährten. Das Verfahren
Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat
schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig dasselbe auch
entschuldigt werden kann, den deutschen Uebergriffen ward da-
durch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es
Caesar rathsam noch einen Schritt weiter zu thun und die Le-
gionen über den Rhein zu führen. An Verbindungen jenseit des-
selben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer dama-
ligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang;
an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen
Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und
Lahn), der civilisirteste unter den deutschen Stämmen, waren vor
kurzem von einem mächtigen suebischen Gau des Binnenlandes
unterworfen und zinspflichtig gemacht worden und hatten 697
Boten an Caesar gesandt ihn zu ersuchen auch sie wie die Gal-
lier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars
Absicht nicht diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unterneh-
mungen verwickelt haben würde, ernstlich zu entsprechen; aber
wohl schien es zweckmäſsig, um das Erscheinen der germani-
schen Waffen diesseit des Rheines zu verhindern, die römischen
jenseit desselben zu zeigen. Der Schutz, den die flüchtigen Usi-
peten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot
eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint,
zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahl-
[245]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
brücke über den Rhein und führte seine Legionen hinüber aus
dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue
gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die
der Zug zunächst gerichtet war, zogen, wie das römische Heer
herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land
zurück. In gleicher Weise lieſs der mächtige suebische Gau, der
östlich von den Ubiern saſs, vermuthlich derjenige, der später
unter dem Namen der Chatten auftritt, die westlichen Ortschaf-
ten räumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen,
während alle waffenfähige Mannschaft angewiesen ward im Mit-
telpunct des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh auf-
zuheben hatte der römische Feldherr weder Veranlassung noch
Lust; sein Zweck theils zu recognosciren, theils durch einen Zug
über den Rhein wo möglich den Deutschen, wenigstens aber den
Kelten und den Landsleuten daheim zu imponiren war im We-
sentlichen erreicht; nach achtzehntägigem Verweilen am rechten
Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rhein-
brücke hinter sich ab (699).
Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang
zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den
Seegauen ist es begreiflich, daſs sie an dem nationalen Wider-
stand wenigstens mit ihren Sympathien sich betheiligt hatten und
wenn auch nicht den Gegnern Caesars bewaffneten Beistand, doch
mindestens jedem Patrioten, für den die Heimath nicht mehr
sicher war, auf ihrer gesicherten Insel eine ehrenvolle Freistatt
gewährten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht für die
Gegenwart, doch für die Zukunft; es schien zweckmäſsig wo
nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch
hier die Defensive offensiv zu führen und durch eine Landung an
der Küste den Insulanern zu zeigen, daſs der Arm der Römer
auch über den Kanal reiche. Schon der erste römische Offizier,
der die Bretagne betrat, Publius Crassus war von dort nach den
‚Zinninseln‘ an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinüber-
gefahren (697); im Sommer 699 ging Caesar selbst mit nur zwei
Legionen da wo er am schmalsten ist* über den Kanal. Er fand
die Küste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit
[246]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
seinen Schiffen weiter; aber die brittischen Streitwagen beweg-
ten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die römischen Galeeren
auf der See und nur mit gröſster Mühe gelang es den römischen
Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurf-
maschinen und Handgeschütze den Strand fegten, theils watend,
theils in Kähnen das Ufer im Angesicht der Feinde zu gewinnen.
Im ersten Schreck unterwarfen sich die nächsten Dörfer; allein
bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei
und wie er nicht wage sich vom Ufer zu entfernen. Die nächst-
wohnenden derselben verschwanden in das Binnenland und ka-
men nur zurück um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die
man auf der offenen Rhede gelassen hatte, erlitt durch den ersten
über sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden.
Man muſste sich glücklich schätzen die Angriffe der Barbaren ab-
zuschlagen, bis man die Schiffe nothdürftig reparirt hatte, und
mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach,
die gallische Küste wieder zu erreichen. Caesar selbst war mit
den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulänglichen Mit-
teln unternommenen Expedition so unzufrieden, daſs er sogleich
(Winter 699/700) eine Transportflotte von 800 Segeln in Stand
setzen lieſs und im Frühling 700, diesmal mit fünf Legionen und
2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Küste unter
Segel ging. Der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am
Ufer versammelte Streitmacht der Britten, ohne einen Kampf zu
wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und
überschritt nach einigen glücklichen Gefechten den Fluſs Stour;
allein er muſste sehr wider seinen Willen inne halten, weil die
Flotte auf der Rhede von Dover wiederum von den Stürmen des
Kanals halb zernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den
Strand gezogen und für die Reparatur umfassende Vorkehrungen
getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weis-
lich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fürst Cassivellaunus,
der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst
der Schreck der Kelten südlich von der Themse, jetzt aber der
Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der
Landesvertheidigung getreten. Er begriff, daſs mit dem keltischen
Fuſsvolk gegen das römische schlechterdings nichts auszurichten
und die schwer zu ernährende und schwer zu regierende Masse
des Landsturms der Vertheidigung nur hinderlich war; also ent-
lieſs er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000
zusammenbrachte und deren Kämpfer, geübt vom Wagen herab-
springend zu Fuſs zu fechten, gleich der Bürgerreiterei des älte-
[247]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
sten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als
Caesar den Marsch wieder fortzusetzen im Stande war, fand er
denselben nirgends sich verlegt; aber die brittischen Streitwagen
zogen stets dem römischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten
die Räumung des Landes, die bei dem Mangel an Städten keine
groſse Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachirung und be-
drohten die Communicationen. Die Themse ward — wie es
scheint zwischen Kingston und Brentford — von den Römern
überschritten; man kam vorwärts, aber nicht eigentlich weiter;
der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute
und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trino-
banten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor
den Römern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivel-
launus. Mit jedem Schritte vorwärts stieg die Gefahr, und der
Angriff, den die Fürsten von Kent nach Cassivellaunus Anord-
nung auf das römische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er
abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstürmung
eines groſsen brittischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den
Römern in die Hände fiel, gab für das ziellose Vordringen einen
leidlichen Abschluſs und einen erträglichen Vorwand für die Um-
kehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug den gefährlichen
Feind nicht aufs Aeuſserste zu treiben und versprach, wie Caesar
verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu
zahlen und Geiſseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder
Zurücklassung einer römischen Besatzung war nicht die Rede,
und selbst jene Versprechungen wurden vermuthlich, so weit sie
die Zukunft betrafen, weder ernstlich gegeben noch ernstlich ge-
nommen. Nach Empfang der Geiſseln kehrte Caesar in das
Schiffslager und von da nach Gallien zurück. Wenn er, wie es
allerdings scheint, gehofft hatte Britannien diesmal zu erobern,
so war dieser Plan theils an dem klugen Vertheidigungssystem
des Cassivellaunus, theils und vor allem an der Unbrauchbarkeit
der italischen Ruderflotte auf den Gewässern der Nordsee voll-
kommen gescheitert; denn daſs der bedungene Tribut niemals
erlegt ward, ist gewiſs. Der nächste Zweck aber: die Inselkelten
aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzurütteln und sie zu veranlas-
sen in ihrem eigenen Interesse nicht ihre Insel zum Heerd der
festländischen Emigration zu machen, scheint allerdings erreicht
worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden über derglei-
chen Schutzverleihung späterhin nicht wieder vernommen.
Das Werk der Zurückweisung der germanischen Invasion
und der Unterwerfung der festländischen Kelten war vollendet.
[248]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Aber oft ist es leichter eine freie Nation zu unterwerfen als eine
unterworfene in Botmäſsigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die
Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die
keltische Nation zu Grunde gegangen war, ward durch die Er-
oberung gewissermaſsen aufgehoben, indem der Eroberer die He-
gemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen;
in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als eine
Nation und was man, da man es besaſs, gleichgültig verspielt
hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Werth
ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht
vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger
Scham gestand man es sich, daſs eine Nation, die mindestens
eine Million waffenfähiger Männer zählte, von höchstens 50000
Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung
der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daſs sie auch
nur einen Schlag gethan, die der belgischen, ohne daſs sie mehr
gethan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmüthige
Untergang der Nervier und der Veneter, der kluge und glückliche
Widerstand der Moriner und der Britten unter Cassivellaunus —
alles was im Einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und
erreicht war, spornte die Gemüther der Patrioten zu neuen wo
möglich einigeren und glücklicheren Versuchen. Namentlich unter
dem keltischen Adel herrschte eine Gährung, die jeden Augen-
blick in eine allgemeine Insurrection ausbrechen zu müssen
schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Früh-
jahr 700 hatte Caesar es nothwendig gefunden sich persönlich zu
den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 in der Nervierschlacht
sich compromittirt hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht
mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen
mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals
hatte Caesar sich begnügt die namhaftesten Männer der Patrioten-
partei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Rei-
tercontingent mit sich nach Britannien zu führen; er that sein
Mögliches die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge
Maſsregeln sie zur Insurrection zu zeitigen. Allein als der Hae-
duer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffi-
zier, in der That aber als Geiſsel sich bei dem nach Britannien
bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen
und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin ihn
als Ausreiſser verfolgen zu lassen, wobei er von dem nachge-
schickten Detachement eingeholt und, da er gegen dasselbe sich
zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700). Daſs der ange-
[249]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
sehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhän-
gigen Keltengaus von den Römern getödtet worden war, war ein
Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder der sich ähn-
licher Gesinnung bewuſst war — und es war dies die ungeheure
Majorität — sah in seiner Katastrophe das Bild dessen, was ihm
selber bevorstand. Wenn die patriotische Begeisterung die Ver-
schwörung hervorgerufen hatte, so trieb jetzt Furcht und Noth-
wehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/1
lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in
den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten
Legion, das gesammte römische Heer, sieben Legionen stark, im
belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräthe hatte Cae-
sar bewogen eine weitere Auseinanderlegung der Truppen zu ge-
statten, als er sonst zu thun pflegte; das Heer war vertheilt in
sechs verschiedene Lager in den Gauen der Bellovaker, Ambianer,
Moriner, Nervier, Remer und Eburonen. In dem letzten und
östlichsten dieser Lager, bei Aduatuca (wahrscheinlich Tongern)
im eburonischen Gebiet, standen unter Quintus Titurius Sabinus
eine unvollzählige alte und eine vollzählige erst vor wenigen Jah-
ren ausgehobene Legion. Urplötzlich fand sich dies Lager von dem
Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Cati-
volcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daſs die eben
abwesenden Detachements nicht einberufen werden konnten und
von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die
Gefahr nicht groſs, da es an Vorräthen nicht mangelte und der
Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Ver-
schanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete
dem römischen Befehlshaber, daſs die sämmtlichen römischen
Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen
und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen
Corps nicht rasch aufbrächen und mit einander sich vereinigten;
daſs Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn
auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien;
daſs er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug
bis zu dem nächsten nur zwei Tagemärsche entfernten römischen
Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden;
es war in der That unglaublich, daſs der kleine von den Römern
besonders begünstigte (S. 238) Gau der Eburonen den Angriff
auf eigene Hand unternommen habe; nichts desto weniger konnte
es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daſs sowohl die Ehre
wie die Klugheit gebot den vom Feinde angebotenen freien Ab-
zug zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszu-
[250]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
harren. Dennoch, obwohl im Kriegsrath manche Stimmen, na-
mentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese An-
sicht vertraten, entschied sich der Commandant dafür den Vor-
schlag des Ambiorix anzunehmen. Kaum waren die römischen
Truppen in einem schmalen Thal eine halbe Meile vom Lager an-
gelangt, als sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Aus-
weg gesperrt fanden. Sie versuchten mit den Waffen sich den Weg
zu öffnen; allein die Eburonen lieſsen sich auf kein Nahgefecht
ein und begnügten sich aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre
Geschosse in den Knäuel der Römer zu entsenden. Wie verwirrt
begehrte Sabinus, gleichsam Rettung vor dem Verrath bei dem
Verräther suchend, eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde
gewährt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaff-
net, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers war-
fen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschöpf-
ten und verzweifelten Römer und brachen ihre Reihen; die Mei-
sten, unter ihnen der schon früher verwundete Cotta, fanden bei
diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Theil, dem es gelungen
war das verlassene Lager wieder zu gewinnen, stürzte sich wäh-
rend der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze
Heerhaufen war vernichtet. — Dieser Erfolg, wie die Insurgenten
ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gährung
unter den keltischen Patrioten so gewaltig, daſs die Römer mit
Ausnahme der Haeduer und der Remer keines einzigen Districts
ferner sicher waren und an verschiedenen Puncten die Insurrec-
tion losbrach. Der Treverer Indutiomarus, durch welchen schon
die Eburonen, als Clienten der Treverer, hauptsächlich zum Los-
schlagen bestimmt worden waren, rief seinen Gau unter die Waf-
fen; auch die Seegaue erhoben sich. Vor allen Dingen verfolgten
die Eburonen ihren Sieg. Verstärkt durch das Aufgebot der Adua-
tuker, die gern die Gelegenheit ergriffen das von Caesar ihnen
zugefügte Leid zu vergelten, und der mächtigen und noch unbe-
zwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier,
welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000
Köpfe angeschwollene Schwarm rückte vor das im nervischen Gau
befindliche römische Lager. Quintus Cicero, der hier comman-
dirte, hatte mit seinem schwachen Corps einen schweren Stand,
namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Wälle und
Gräben, Schilddächer und bewegliche Thürme in römischer Weise
aufführten und die strohgedeckten Lagerhütten mit Brandschleu-
dern und Brandspeeren überschütteten. Die einzige Hoffnung der
Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der
[251]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand;
allein — ein charakteristischer Beweis für die im Keltenland herr-
schende Stimmung — geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeld-
herrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastro-
phe, die Sabinus erlitten hatte, noch von der Gefahr, in der Cicero
schwebte. Erst ein keltischer Reiter, dem es gelungen war aus
Ciceros Lager sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschlei-
chen, brachte die erschütternde Kunde. Augenblicklich brach Cae-
sar auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa
7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichts desto weniger
genügte die Meldung, daſs Caesar anrücke, um die Insurgenten
zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht
der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, ge-
gen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, täuschte die
Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise
über seine Stärke; unter den ungünstigsten Verhältnissen wagten
sie einen Sturm auf das Römerlager, und erlitten dabei eine
Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch für die kel-
tische Nation, daſs in Folge dieser einen verlorenen Schlacht
oder vielleicht mehr noch in Folge von Caesars persönlichem Er-
scheinen auf dem Kampfplatz die so gewaltig begonnene, so
weithin ausgedehnte Insurrection plötzlich und kläglich den Krieg
abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich
nach Hause. Das Gleiche thaten die Mannschaften der Seegaue,
die Anstalt gemacht hatten die Legion in der Bretagne zu über-
fallen, und die Treverer, die in das Gebiet der Remer eingerückt
waren um die unter Labienus Befehl dort cantonnirende Legion
anzugreifen. Auch Caesar verschob die weiteren Maſsregeln gegen
die aufgestandenen Districte auf das Frühjahr, um seine hart mit-
genommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen
Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampf-
platz zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von
dreiſsig neuen Cohorten die vernichteten funfzehn in imponirender
Weise ersetzt sein würden. Die Insurrection spann inzwischen
sich fort, wenn auch während des Winters die Waffen ruhten.
Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren theils die Districte der Car-
nuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere
den von Caesar eingesetzten König aus dem Lande jagten, theils
die Landschaft der Treverer, welche die gesammte keltische Emi-
gration und die überrheinischen Deutschen zur Theilnahme an
dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze
Mannschaft aufs neue unter die Waffen riefen, um zum zweiten
[252]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Mal in das Gebiet der Remer einzurücken, das Corps des Labie-
nus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufständischen an
der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei
Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausge-
schriebenen Landtag aus und erklärten damit ebenso offen den
Krieg, wie es ein Theil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf
die Lager des Sabinus und Cicero gethan hatten. Der Winter
neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem neu verstärkten Heer
aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer den
Aufstand zu concentriren waren nicht geglückt; die gährenden
Landschaften wurden durch den Einmarsch römischer Truppen
im Zaum gehalten, die in offener Empörung stehenden verein-
zelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu
Paaren getrieben. Gleiches widerfuhr den Senonen und Carnuten.
Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den
Römern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten
zugleich gegen sie gerichteten Gesammtangriff genöthigt der lange
bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwi-
schen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war ge-
lähmt worden theils durch die Weigerung der nächstwohnenden
deutschen Stämme ihnen Söldner zu liefern, theils durch den Tod
des Indutionmarus, der Seele der ganzen Bewegung, der in einem
Scharmützel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein
sie gaben ihre Entwürfe darum nicht auf; bessere Aufnahme als
bei den Anwohnern des Rheines fanden ihre Werber bei den
streitbaren Völkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich
wie es scheint den Chatten; mit gesammter Macht waren sie La-
bienus gegenüber erschienen und harrten der nachfolgenden sue-
bischen Schaaren. Allein da ihnen Labienus deren Eintreffen nicht
abwarten zu wollen, sondern auf eiligen Rückzug zu sinnen schien,
griffen die Treverer, durch diese Kriegslist getäuscht, noch ehe
die Sueben angelangt waren und in der ungünstigsten Oertlich-
keit die Römer an und wurden vollständig geschlagen. Den zu
spät eintreffenden Deutschen blieb nichts übrig als umzukehren,
dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regi-
ment daselbst kam wieder an das Haupt der römischen Partei, an
des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expe-
ditionen Caesars gegen die Menapier und Labienus gegen die Tre-
verer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze römische Armee
wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu
verleiden, hatte Caesar sich entschlossen noch einmal über den
Rhein zu gehen und wo möglich gegen die lästigen Nachbarn im
[253]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
inneren Deutschland einen nachdrücklichen Schlag zu führen.
Allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht
an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am
Harz, zur Landesvertheidigung sammelten, so kehrte Caesar so-
gleich wieder um und begnügte sich an dem Rheinübergang Be-
satzung zurückzulassen. Mit den sämmtlichen an dem Aufstand
betheiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburo-
nen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die
Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauer-
gewand und hatte geschworen erst dann es abzulegen, wenn er
seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch
ermordeten Soldaten gerächt haben werde. Rath- und thatlos
saſsen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer
nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen.
Plötzlich rückte die römische Reiterei vom treverischen Gebiet
aus durch die Ardennen unvermuthet in ihr Land und hätte fast
den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen; während sein Ge-
folge für ihn sich aufopferte, entkam er mit genauer Noth in das
nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen.
Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Auffor-
derung mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogel-
freien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht
Wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseit des Rheines eine
kecke Schaar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern
nicht besser machten wie den Eburonen und fast durch einen
kecken Angriff das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt
hätten. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie
auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren
mehr als des Wildes; mancher gab sich selbst den Tod wie der
greise Fürst Cativolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit.
Aber unter diesen war der Mann, auf den die Römer vor allem
fahndeten, der Fürst Ambiorix; mit nur vier Reitern entrann er
über den Rhein. Auf diese Execution gegen den Gau, der vor
allen andern gefrevelt, folgten in den andern Landschaften die
Hochverrathprozesse gegen die Einzelnen. Die Zeit der Milde
war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Proconsuls ward
der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Lictoren
enthauptet (701) und die Herrschaft der Ruthen und Beile damit
förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte; überall herrschte
Ruhe. Caesar ging wie er pflegte im Spätjahr 701 über die Al-
pen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickeln-
den Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.
[254]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer
war gedämpft, aber nicht gelöscht. Den Streich, unter dem Ac-
cos Haupt fiel, fühlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot
die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrection des
letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, daſs Caesar
selbst auf den Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch
den nahe bevorstehenden Bürgerkrieg festgehalten am Po, und das
gallische Heer, das an der oberen Seine und Marne zusammengezo-
gen stand, weit getrennt von dem gefürchteten Feldherrn. Wenn
jetzt eine allgemeine Insurrection in Mittelgallien ausbrach, so
konnte die fast unvertheidigte altrömische Provinz von ihr über-
schwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseit der Alpen stand,
selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht überhaupt ihn
abhielten sich ferner um Gallien zu kümmern. Die Carnuten, als
durch Accos Hinrichtung zunächst betroffen, erboten sich vor-
anzugehen: an dem festgesetzten Tage im Winter 701/2 gaben
die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in
Genabum (Orleans) das Zeichen zur Insurrection und machten
die daselbst anwesenden Römer insgesammt nieder. Die gewal-
tigste Bewegung ergriff das ganze groſse Keltenland; überall er-
hoben sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation
wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Ge-
meinde, die einst unter ihren Königen die erste im südlichen Gal-
lien gewesen und noch nach ihrem durch die unglücklichen Kriege
gegen Rom (II, 156) herbeigeführten Sturze eine der reichsten,
gebildetsten und mächtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte
bisher unverbrüchlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war in dem
regierenden Gemeinderath die Patriotenpartei in der Minorität;
ein Versuch den Rath zum Beitritt zu der Insurrection zu bestim-
men war vergeblich. Man erinnerte sich, daſs die Verfassungs-
änderung, die bei den Arvernern den Gemeinderath an die Stelle
des Fürsten gesetzt hatte (S. 213), nach dem Siege der Römer
und wahrscheinlich unter dem Einfluſs derselben erfolgt war.
Die Angriffe der Patrioten richteten sich gegen den Gemeinderath
und die bestehende Verfassung selbst. Der Führer der arverni-
schen Patrioten Vercingetorix, einer jener Adlichen, wie sie wohl
bei den Kelten begegnen, von fast königlichem Ansehen in und
auſser seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann,
verlieſs die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herr-
schenden Oligarchie ebenso wie den Römern abgeneigt war, zu-
gleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königthums und
zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die
[255]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuitus war
zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den ein-
heitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der
Nation das fremdländische Joch von sich abzuschütteln geschei-
tert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbst ernannten König
der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes,
was den Inselkelten Cassivellaunus gewesen war; gewaltig durch-
drang die Massen das Gefühl, daſs er oder keiner der Mann sei
die Nation zu erretten. Rasch war das westliche Gallien bis zur
oberen Loire und die ganze Nordküste von der Insurrection er-
faſst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr
anerkannt; wo der Gemeinderath Schwierigkeit machte, nöthigte
ihn die Menge zum Anschluſs an die Insurrection; nur wenige
Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen,
und vielleicht auch diese nur zum Schein. So gewaltig war der
patriotische Aufschwung, daſs er selbst die entschiedensten und
begünstigtsten Anhänger Roms mit sich fortriſs, wie zum Bei-
spiel den König der Atrebaten Commius, der wegen seiner treuen
Dienste von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde
und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Weniger
günstigen Boden fand die Insurrection im östlichen Gallien. Zu-
vörderst schlossen die sämmtlichen deutschen Gemeinden sich
aus, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden
hatten; ja es wurden sogar die Treverer und wie es scheint auch
die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert an
dem Kriege der keltischen Nation gegen Rom thätigen Antheil zu
nehmen. Es ist das ein merkwürdiger Beweis dafür, wie durch-
aus national, man darf vielleicht sagen national-religiös diese
Bewegung war. Die Remer ferner mit den von ihnen zunächst
abhängigen Districten der Suessionen. Leuker und Lingonen wur-
den von der Theilnahme an dem Aufstande abgehalten ebenso
sehr durch ihren selbst unter dem allgemeinen Enthusiasmus
nicht mürbe gewordenen Particularismus wie durch die um
Sens, Rheims und Langres concentrirte römische Armee. Noch
fester hielten zu den Römern die von Caesar im Gebiet der Hae-
duer angesiedelten Boier. Die Haeduer selbst zögerten. Die Pa-
triotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte
Antagonismus gegen die führenden Arverner machte die Wage
schwanken — zum empfindlichsten Nachtheil der Insurrection,
da der Anschluſs der östlichen Cantone, namentlich der Sequa-
ner und der Helvetier durch den Beitritt der Haeduer bedingt
war und überhaupt in diesem Theile Galliens die Entscheidung
[256]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
bei ihnen stand. Während also die Insurrection daran arbeitete
theils die noch schwankenden Cantone, vor allem die Haeduer,
zum Beitritt zu bewegen, theils sich Narbos zu bemächtigen, zu
welchem Ende Vercingetorix bereits das Corps des Lucterius bis an
den Tarn vorgeschoben hatte, erschien plötzlich im tiefen Winter,
Freunden und Feinden gleich unerwartet, der römische Oberfeld-
herr in der südlichen Provinz. Rasch traf er nicht bloſs die
nöthigen Anstalten um diese zu decken, sondern sandte auch
über die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arver-
nische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden
Augenblick der Zutritt der Haeduer zu dem gallischen Bündniſs
von seiner Armee vollständig abschneiden konnte. In aller Stille
ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern be-
gleitet, durch das Gebiet der Haeduer zu seinen Truppen. Die
Hoffnungen schwanden, welche die Insurrection zum Losschla-
gen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand
abermals an der Spitze seiner Armee. Was sollten die Insur-
genten beginnen? Es war eine Thorheit unter solchen Umstän-
den auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen;
denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte
ebenso gut versuchen mit Steinwürfen die Alpen zu erschüttern
wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben
nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein
Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix ver-
zichtete darauf die Römer zu schlagen. Er nahm dasselbe Kriegs-
system an, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet
hatte. Das römische Fuſsvolk war nicht zu besiegen; aber Cae-
sars Reiterei bestand faſst ausschlieſslich aus dem Zuzug des kel-
tischen Adels und war durch die allgemeine Insurrection factisch
aufgelöst. Es war den Insurgenten, die ja eben wesentlich aus
dem keltischen Adel bestanden, möglich in dieser Waffe eine
solche Ueberlegenheit zu entwickeln, daſs sie weit und breit
das Land öde legen, Städte und Dörfer niederbrennen, die Vor-
räthe vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des
Feindes gefährden konnten, ohne daſs derselbe es ernstlich zu
hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine
Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach da-
maliger Fechtweise regelmäſsig damit verbundenen Bogenschützen
zu Fuſs. Dagegen beschränkte er die ungeheuren und sich selber
lähmenden Massen der Linienmiliz in angemessener Weise und
versuchte den Haufen, die er davon beibehielt, allmählich einige
Schanz-, Marschir- und Manövrirfähigkeit und die Erkenntniſs bei-
[257]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
zubringen, daſs der Soldat nicht bloſs bestimmt ist sich zu rau-
fen. Er suchte von den Feinden zu lernen und adoptirte na-
mentlich das römische Lagersystem, auf dem das ganze Geheim-
niſs der taktischen Ueberlegenheit der Römer beruhte; denn in
Folge dessen vereinigte jedes römische Corps alle Vortheile der
Festungsbesatzung mit allen Vortheilen der Offensivarmee*. Frei-
lich war jenes dem städtearmen Britannien und seinen rauhen,
entschlossenen und im Ganzen einigen Bewohnern vollkommen
angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire
und deren schlaffe in vollständiger politischer Auflösung begrif-
fene Bewohner nicht unbedingt übertragbar. Vercingetorix setzte
wenigstens durch, daſs man nicht wie bisher jede Stadt zu hal-
ten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig die
der Vertheidigung nicht fähigen Ortschaften, bevor der Angriff
sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit al-
ler Energie der Verzweiflung zu vertheidigen. Daneben that der
Arvernerkönig was er vermochte, um durch unnachsichtliche
Strenge die Feigen und Säumigen, durch Bitten und Vorstellun-
gen die Schwankenden, die Habsüchtigen durch Gold, die ent-
schiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes
zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel
einigen Patriotismus aufzunöthigen oder abzulisten. Noch bevor
der Winter zu Ende war, warf er sich auf die Boier, um diese
fast einzigen zuverlässigen Bundesgenossen Roms zu vernichten,
bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff be-
stimmte Caesar früher, als er sonst wohl gethan haben würde,
gegen die Insurgenten zu marschiren. Sehr empfindlich war der
Mangel an Reiterei und leichtem Fuſsvolk; doch ward im Laufe
des Feldzugs einigermaſsen demselben abgeholfen durch deut-
sche Söldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen
Klepper mit italischen und spanischen, theils gekauften, theils
von den Offizieren requirirten Pferden ausgerüstet wurden. Cae-
sar griff zuerst die Carnuten an und lieſs deren Stadt Gena-
bum, die das Zeichen zum Abfall gegeben hatte, plündern und
in Asche legen. Alsdann wandte er sich südwärts an die Loire
gegen die Biturigen. Er erreichte insofern seinen Zweck, als
Röm. Gesch. III. 17
[258]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und
gleichfalls in die biturigische Landschaft einrückte, in der die
neue Kriegführung zuerst sich erproben sollte. Auf seine Anord-
nung gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der
Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung erging
über die benachbarten Gaue, so weit sie von römischen Streif-
partien erreicht werden konnten. Nach Vercingetorix Absicht
sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avari-
cum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität
des Kriegsraths gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Be-
hörden nach und beschloſs die Stadt vielmehr mit allem Nach-
druck zu vertheidigen. So concentrirte sich der Krieg zunächst
um diese Stadt. Vercingetorix stellte sein Fuſsvolk zwischen den
der Stadt benachbarten Sümpfen in einer so unnahbaren Stel-
lung auf, daſs es auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein den
Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische
Reiterei bedeckte alle Straſsen und hemmte die Communication.
Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee
vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage
war sehr schwierig. Der Versuch das keltische Fuſsvolk zum
Schlagen zu bringen miſslang; es rührte sich nicht aus seinen
unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Sol-
daten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit
ihnen an Erfindsamkeit und Muth und fast wäre es ihnen gelun-
gen das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei
ward die Aufgabe ein Heer von beiläufig 80000 Mann in einer
weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen
durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen täglich
schwieriger. Die geringen Vorräthe der Boier waren bald ver-
braucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus;
schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschlieſslich
auf Fleischrationen gesetzt. Indeſs rückte der Augenblick heran,
wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte,
nicht länger gehalten werden konnte. Noch war es nicht unmög-
lich die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszu-
ziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte.
Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei,
das im Augenblick des Abmarsches die Weiber und Kinder in
der Stadt erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug
miſslang; an dem folgenden trüben und regnichten Tage über-
stiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die
hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht
[259]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
noch Alter. Die reichen Vorräthe, die die Kelten in Avaricum auf-
gehäuft hatten und die nun dem Feinde zu Gute kamen, befriedig-
ten seine dringendsten Bedürfnisse. Indeſs fand Caesar sich durch
die gemachten Erfahrungen hinsichtlich der Verpflegung bewo-
gen sein Heer zu theilen. Die kleinere Hälfte, vier Legionen unter
Labienus, rückte an die Seine; er selbst mit den sechs übrigen
marschirte durch das Gebiet der Haeduer gegen die Arverner. Ver-
cingetorix versuchte ihm den Uebergang auf das linke Ufer des
Allier zu verwehren, allein Caesar überlistete ihn und stand nach
einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia*. Indeſs
hatte Vercingetorix doch einigen Vorsprung und dadurch Zeit
gehabt, hinreichende Vorräthe für die ohne Zweifel stark von ihm
reducirte Armee in die Stadt zu schaffen und vor den Mauern
der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Hügels
gelegenen Stadt ein mit starken Steinwällen versehenes Stand-
lager für seine Truppen anzulegen. Hier erwartete er den Feind.
Caesar mit seiner verhältniſsmäſsig schwachen Armee konnte
den Platz weder regelmäſsig belagern noch auch nur hinreichend
blokiren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix
besetzten Anhöhe auf und verhielt sich nothgedrungen ebenso
unthätig wie sein Gegner. Für die Insurgenten war es fast ein
Sieg, daſs Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender
Lauf plötzlich gestockt war. In der That kamen die Folgen die-
ser Stockung für Caesar fast denen einer Niederlage gleich. Die
Haeduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten
jetzt ernstlich Anstalt der Patriotenpartei sich anzuschlieſsen;
schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten
hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden
[260]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
sich den Insurgenten anzuschlieſsen; schon hatten gleichzeitig
im Canton selbst die Angriffe auf die daselbst ansässigen Römer
begonnen. Noch einmal hatte Caesar den Bruch verhindert, in-
dem er jenem auf Gergovia zu rückenden Corps der Haeduer mit
zwei Dritteln des Blokadeheeres entgegengegangen war und das-
selbe durch sein plötzliches Erscheinen wieder zum nominellen
Gehorsam zurückgebracht hatte; allein es war mehr als je ein hoh-
les und brüchiges Verhältniſs, dessen Fortbestand fast zu theuer
erkauft worden war durch die groſse Gefahr der vor Gergovia
zurückgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Ver-
cingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend,
während Caesars Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein
Haar mit der Ueberwältigung derselben und der Erstürmung des
römischen Lagers geendigt hätte. Nur Caesars unvergleichliche
Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca
hier ab. Die aussichtslose und besorgliche Lage der Belagerungs-
armee ward Freunden und Feinden so offenbar, daſs es räthlich
schien mit dem Aufbruch nicht lange mehr zu säumen; indeſs Cae-
sars Stellung der gallischen Insurrection gegenüber beruhte we-
sentlich auf seinem Siegernimbus und es war nicht bloſs peinlich,
sondern auch gefährlich die Blokade des Insurgentenheeres vor
Gergovia unverrichteter Sache aufzuheben. Demnach beschloſs
der römische Feldherr auf jeden Fall vorher noch ein Gefecht zu
erzwingen, um doch wenigstens gleichsam als Sieger abzuziehen.
Zwei Abhänge führten von der Ebene hinauf auf die Höhe von
Gergovia. Caesar ersah sich die Zeit, wo die Masse der belagerten
Armee beschäftigt war an dem einen derselben zu schanzen, um
einen Sturm gegen den andern anzuordnen. Es gelang die Lager-
mauern zu übersteigen und der nächsten Quartiere des Lagers
sich zu bemächtigen, worauf der Feldherr, der das Erreichbare
erreicht sah, das Zeichen zum Rückzug gab. Allein die vorder-
sten Legionen, von dem Ungestüm des Sieges hingerissen, hör-
ten nicht oder wollten nicht hören und drangen unaufhaltsam
vor bis an die Stadtmauer und in die Stadt selbst. Auf der an-
dern Seite trafen dagegen Verstärkungen über Verstärkungen
ein; immer dichter wurden die Massen, die den Eingedrungenen
sich entgegen stellten und die Sturmcolonnen wurden endlich
mit sehr beträchtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den
Berg hinunter gejagt. Der Sieg, durch den Caesar gehofft hatte
seinen vergeblichen Versuch gegen Gergovia zu bedecken, hatte
sich in eine Niederlage verwandelt — die erste, die Caesar selbst
von den Kelten erlitten hatte. Aber der Abzug konnte nun nicht
[261]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
länger verzögert werden oder war vielmehr schon zu lange
aufgeschoben worden; wenigstens kam Caesar zu spät um den
definitiven Uebertritt der Haeduer zu hindern — er war inzwi-
schen bereits erfolgt. Allerdings war dies von den Haeduern in
der Voraussetzung geschehen, daſs die Nation jetzt die Führer-
schaft den Arvernern abnehmen und auf sie übertragen werde;
sie scheuten sich nicht es officiell zu constatiren, daſs noch in
diesem Todeskampf der Nation die Sonderinteressen nicht schwie-
gen, und auf der allgemeinen Landesversammlung in Bibracte den
Antrag zu stellen an die Stelle des Vercingetorix einen Haeduer
zu setzen; was die Majorität freilich ablehnte. Dennoch war der
Anschluſs des mächtigen Cantons für die Sache der Insurrection
ein unberechenbarer Gewinn. Niemals noch hatte die keltische
Nation so einig wie jetzt dem Feinde gegenüber gestanden. Mit-
telgallien schien den Römern verloren, um so mehr als es dem
bei der römischen Armee befindlichen Contingent der Haeduer
gelungen war nicht bloſs von dieser sich loszumachen, sondern
auch die Depots der römischen Armee in Noviodunum an der
Loire aufzuheben, wodurch die römischen Kassen und Magazine,
eine Menge Remontepferde und sämmtliche Geiſseln in die Ge-
walt der Insurgenten fielen. Vercingetorix, nachdem er auf der
Landesversammlung in Bibracte in seinem Oberbefehl feierlich
bestätigt worden war und ferner daselbst den Beschluſs erwirkt
hatte das Fuſsvolk in seiner bisherigen Stärke zu belassen, die
Reiterei aber auf 15000 Pferde zu bringen, entwarf den verwe-
genen, aber nicht unausführbaren Plan mit diesen Reitermassen
von drei verschiedenen Seiten her in die südliche Provinz einzu-
rücken, wobei er durch einen Aufstand der Allobrogen unter-
stützt zu werden hoffte. Caesar hatte nur die Wahl entweder die
altrömischen Besitzungen oder das Corps des Labienus vorläufig
preiszugeben; manche seiner Offiziere drangen darauf sofort zur
Deckung der bisherigen Reichsgrenzen zu marschiren; Caesar aber
zog es vor zunächst Labienus aufzunehmen und das Heer wieder
zu vereinigen. Von Agedicum (Sens) aus, das er zum Stützpunct
seiner Operationen in diesem Gebiet ausersehen, hatte Labienus
sich gegen die Seine gewendet. Hinter dieser hatte der feindliche
Feldherr, der greise Camulogenus eine starke Stellung bei der
Seineinsel Lutetia (Paris) eingenommen. Labienus hatte weiter
stromaufwärts bei Melodunum (Melun) den Uebergang über die
Seine geschickt bewerkstelligt und dachte ein Ende zu machen;
allein Camulogenus brannte Lutetia nieder und ging nun seiner-
seits auf das linke Ufer. Labienus war nicht im Stande ihn hier
[262]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
in seiner durch die vorliegenden Sümpfe völlig unangreifbaren
Stellung zum Schlagen zu zwingen und das Heranrücken der
Bellovaker von Norden her drohte ihn zwischen zwei feindliche
Armeen einzuklemmen. In dieser unbequemen Situation kam ihm
die Nachricht zu, daſs Caesar anrücke um mit ihm sich zu ver-
einigen, und der Befehl sich schleunigst auf Agedicum und die
gegen Agedicum anrückenden Legionen zurückzuziehen. In Folge
dessen überschritt er zum zweiten Mal unterhalb des feindlichen
Lagers die Seine, fand sich aber hier vor Agedicum der feind-
lichen Hauptarmee gegenüber, die beschlossen hatte die Verei-
nigung der beiden römischen Heerhaufen durch eine Schlacht zu
verhindern. In einem sehr hitzigen Treffen, in dem unter vielen
Andern auch der alte Camulogenus blieb, erzwang Labienus den
Weitermarsch und traf glücklich in Agedicum mit Caesar zu-
sammen. Inzwischen schwebte die ganz und gar sich selbst über-
lassene Südprovinz in groſser Gefahr; die Grenzvertheidigung
ward organisirt, allein schwerlich hätte sie viel zu leisten ver-
mocht, wenn es Vercingetorix möglich gewesen wäre seine Miliz-
haufen so rasch wie Caesar seine Legionen vom Platze zu bewe-
gen. Allein mit Ausnahme eines vereinzelten Einfalls in das Ge-
biet der Helvier am Südabhang der Cevennen hatte der wirkliche
Angriff auf die Südprovinz noch nicht begonnen und stand na-
mentlich die von Vercingetorix geführte Hauptarmee noch auſser-
halb ihrer Grenzen, als Caesar mit seiner ganzen vereinigten
Armee sie wieder einholte. An der Südgrenze des lingonischen
Gebiets, unweit der Wahlstatt, auf der der Kampf gegen Ariovist
entschieden worden war, begegneten sich die beiden Heere. Die
Schlacht, die Caesar wünschte, lehnte Vercingetorix ab; als da-
gegen die römische Reiterei sich zum Kampfe stellte, nahm die
keltische den Kampf gegen diese geringgeschätzten Gegner bereit-
willig auf; und die deutschen Reiter, gestützt auf die ihnen zum
Rückhalt aufgestellte römische Infanterie, behielten zu Aller Er-
staunen die Oberhand über die weit überlegenen keltischen Schwa-
dronen. Dies an sich unbedeutende Scharmützel beugte doch, weil
es ein Reitergefecht war, den Muth der Kelten mehr als eine verlo-
rene Feldschlacht und das Flackerfeuer des patriotischen Enthu-
siasmus schlug wieder einmal bei den Kelten plötzlich in voll-
ständige Hoffnungslosigkeit um. Vercingetorix verzichtete auf den
Plan in die römische Provinz einzufallen und richtete statt dessen
seinen Marsch nach der Festung Alesia (Sainte-Reine bei Semur,
Dep. Côte d'or), an der er im östlichen Gallien einen ähnlichen
Stützpunct sich geschaffen hatte wie in seinem Heimathgau es
[263]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Gergovia für ihn gewesen war. Allein sein Plan gelang nur un-
vollständig. Wenn er damals nur sechs Legionen sich gegenüber
und in Folge des mit der Ueberschreitung des Allier für Caesar
verknüpften Zeitverlustes einen beträchtlichen Vorsprung gehabt
hatte, so heftete jetzt Caesar mit der ganzen vereinigten Armee
von zehn Legionen sich an seine Fersen. Es war Vercingetorix
nicht möglich seine Armee, wie die Verhältnisse es forderten, zu
reduciren; mit etwa 80000 Mann Infanterie und einer sehr zahl-
reichen Reiterei muſste er in Alesia sich einschlieſsen. So beträcht-
liche Vorräthe auch daselbst aufgehäuft worden waren, so konn-
ten sie doch eine solche Menschenmasse in Verbindung mit der
zahlreichen Stadtbewohnerschaft unmöglich lange speisen; an-
dererseits aber war die römische Armee jetzt stark genug um die
Stadt vollständig abzusperren. Wenn nicht rechtzeitig Succurs
kam, war die Katastrophe unvermeidlich. Vercingetorix entlieſs
also, bevor die römische Umwallung völlig sich schloſs, seine ge-
sammte Reiterei und befahl binnen eines Monats, bis wohin seine
Lebensmittel reichten, die gesammten Aufgebote der Gaue zum
Entsatz heranzuführen; er selber, hochherzig entschlossen das
Schicksal der belagerten Armee zu theilen, blieb in der Festung.
Caesar lieſs um die Stadt herum in einer Ausdehnung von zwei
deutschen Meilen eine Umwallungslinie errichten, die nach innen
wie nach auſsen vertheidigungsfähig und hinreichend verprovian-
tirt war; man sah, er machte sich darauf gefaſst zugleich zu be-
lagern und belagert zu werden. Die Tage verflossen; im römi-
schen Lager waren die Lebensmittel knapp; in der Festung
aber herrschte bereits Hungersnoth und kaum gelang es auch
nur der Besatzung das Leben so lange zu fristen, bis das Ent-
satzheer der Insurgenten vor den römischen Wällen eintraf.
Die insurgirten Gaue, das heiſst fast das ganze Keltenland, hat-
ten jeden Nerv angestrengt um den Feldherrn und den Helden
der Nation zu erretten; nur die Bellovaker hatten erklärt, daſs
sie wohl an dem Krieg gegen Rom theilzunehmen, aber nicht
auſserhalb ihrer Grenzen zu fechten gesonnen seien. So er-
schien denn vor Caesars Linien ein Keltenheer von 250000 Mann
zu Fuſs und 8000 Reitern. Zwei Tage nach einander ward die
römische Umwallung von innen und von auſsen gestürmt; an
einem Puncte, wo die Localität den Angriff begünstigte, war
am zweiten Tage der Sturm so gut wie gelungen, der Gra-
ben verschüttet und bereits der Wall von Vertheidigern ent-
blöſst, als Labienus die nächsten vier Legionen zusammennahm
und durch einen verzweifelten Ausfall die Stürmenden in die
[264]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Flucht trieb. Standhaftigkeit war die Tugend der Kelten nicht;
in Folge dieser Niederlage ging das Entsatzheer aus einander
und die Festung war also verloren. Vercingetorix hätte vielleicht
auch jetzt noch fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des
freien Mannes sich erretten können; er that es nicht, sondern er-
klärte im Kriegsrath, daſs, da es ihm nicht gelungen sei die
Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei sich als Opfer hinzu-
geben und so weit möglich das Verderben von der Nation auf sein
Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere liefer-
ten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn
dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roſs
und in vollem Waffenschmucke erschien der König der Arverner
vor dem römischen Proconsul und umritt dessen Tribunal; dar-
auf gab er Roſs und Waffen ab und lieſs schweigend auf den
Stufen zu Caesars Füſsen sich nieder (702). Fünf Jahre später
ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt
geführt und als Hochverräther an der römischen Nation, während
auf der Höhe des Capitols sein Ueberwinder den Göttern dersel-
ben den Feierdank darbrachte, an dessen Fuſs enthauptet. Wie
nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne noch im Sinken
durchbricht, so verleiht auch das Geschick noch untergehenden
Völkern wohl einen letzten groſsartigen Mann. Also steht am
Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der
keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Na-
tion von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die
letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart.
Auch Vercingetorix hat eben wie der Karthager nicht bloſs gegen
den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die
tückische antinationale Opposition verletzter Egoisten und auf-
gestörter Feiglinge, wie sie die entartete Civilisation regelmäſsig
begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht
seine Schlachten und Belagerungen, sondern daſs er es vermocht
hat einer zerfahrenen und im Particularismus verkommenen Na-
tion in seiner Person einen Mittel- und Haltpunct zu geben. Und
doch giebt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz, als der ist
zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kauf-
stadt mit seinen auf das eine groſse Ziel hin funfzig Jahre hin-
durch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem
kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Thaten zu-
gleich mit seiner hochherzigen Aufopferung ein kurzer Sommer
einschlieſst. Das ganze Alterthum kennt keinen ritterlicheren
Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äuſseren Erschei-
[265]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
nung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten
der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es ver-
schmähte sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein
der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnli-
chen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der
sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter
erreicht ward, als daſs die Nation sich öffentlich entehrte und
ebenso feig wie widersinnig ihren weltgeschichtlichen Todes-
kampf mit ihrem letzten Athemzug ein Verbrechen nannte gegen
ihren Zwingherrn. Wie so ganz anders hat in den gleichen La-
gen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich ohne geschicht-
liche und menschliche Theilnahme von dem edlen Arvernerkönig
zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation,
daſs ihr gröſster Mann doch nur ein Ritter war.
Der Fall von Alesia und die Capitulation der daselbst einge-
schlossenen Armee war für die keltische Insurrection materiell
ein herber Verlust; indeſs es hatten schon ebenso schwere die
Nation betroffen und doch war es möglich geblieben den Kampf
zu erneuern. Aber Vercingetorix Verlust war unersetzlich. Mit
ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien
sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daſs die Insur-
rection einen Versuch machte die Gesammtvertheidigung fortzu-
setzen und einen andern Oberfeldherrn zu bestellen; der Patrio-
tenbund fiel von selbst aus einander und jedem Clan blieb es
überlassen wie es ihm beliebte mit den Römern sich zu vertragen
oder auch nicht. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen
nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran rasch zu Ende
zu kommen. Von den zehn ihm bewilligten Jahren waren sieben
bereits verstrichen; den letzten Sommer nahm die beabsichtigte
Bewerbung um das Consulat in Anspruch; wenn Caesars Inter-
esse wie seine Ehre verlangte, daſs er die neu gewonnenen Land-
schaften in einem leidlichen und einigermaſsen beruhigten Frie-
densstand seinem Nachfolger übergab, so war, um einen solchen
herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben
war in diesem Falle noch mehr Bedürfniſs für den Sieger als für
die Besiegten; und er durfte seinen Stern preisen, daſs die innere
Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf
halbem Weg entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten
mittelgallischen Cantons, dem der Haeduer und dem der Arver-
ner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, da wurde den
Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstän-
dige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom ge-
[266]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
währt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Löse-
geld entlassen, während die der übrigen Clans in die harte Knecht-
schaft der siegreichen Legionare kamen. Wie die Haeduer und
die Arverner ergab sich überhaupt der gröſsere Theil der galli-
schen Districte in sein Schicksal und lieſs ohne weitere Gegen-
wehr die unvermeidlichen Strafgerichte über sich ergehen; aber
nicht wenige harrten auch in thörichtem Leichtsinn oder dumpfer
Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die römischen
Executionstruppen in ihren Grenzen erschienen. Solche Expe-
ditionen wurden noch im Winter 702/3 gegen die Biturigen und
die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die
Völkerschaften, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich
ausgeschlossen hatten, die Bellovaker in Verbindung mit den
Atrebaten, Ambianern, Caleten und anderen belgischen Gauen;
es schien als wollten sie beweisen, daſs sie wenigstens nicht aus
Mangel an Muth und an Freiheitsliebe an jenem entscheidenden
Tage gefehlt hatten. Eifrig betheiligte sich an diesem Kampfe der
tapfere König der Atrebaten Commius, dem die Römer seinen
Beitritt zur Insurrection am wenigsten verziehen und gegen den
kürzlich Labienus sogar einen widerwärtig tückischen Mordver-
such gerichtet hatte; er führte den Bellovakern 500 deutsche Rei-
ter zu, deren Werth der vorjährige Feldzug hatte kennen lehren.
Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die
oberste Leitung des Krieges zugefallen war, führte den Krieg wie
Vercingetorix ihn geführt hatte, und mit nicht geringem Erfolg;
Caesar, obwohl er nach und nach den gröſsten Theil seines Hee-
res heranzog, konnte das Fuſsvolk der Bellovaker weder zum
Schlagen bringen noch dasselbe, als der Proviant ihm ausging,
hindern sich ungeschädigt nach Hause zu begeben; die römische
Reiterei aber, namentlich die keltischen Contingente, erlitten in
verschiedenen Gefechten durch die feindlichen Reiter, besonders
die deutschen des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein
nachdem in einem Scharmützel mit den römischen Fouragirern
Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier ge-
brochen; der Sieger stellte erträgliche Bedingungen, auf die hin
die Bellovaker nebst ihren Verbündeten sich unterwarfen. Die
Treverer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurückgebracht
und beiläufig das Gebiet der verfehmten Eburonen noch einmal
durchzogen und verwüstet. Also ward der letzte Widerstand der
belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen letzten Ver-
such der Römerherrschaft sich zu erwehren machten die Seegaue
in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgenten-
[267]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
schaaren aus dem andischen, dem carnutischen und anderen um-
liegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und be-
lagerten in Limo (Poitiers) die römisch gesinnte Partei der Pic-
tonen. Allein bald fand sich ihnen gegenüber eine so ansehnliche
römische Macht zusammen, daſs die Insurgenten die Belagerung
aufhoben und abzogen um die Loire zwischen sich und den Feind
zu bringen. Auf dem Marsche dahin wurden sie eingeholt und
geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen
Cantone, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung eingaben. Die
Insurrection war zu Ende; kaum daſs ein kühner Freischaa-
renführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt.
Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte
Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire ver-
sammelten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit die-
sen in die feste Bergstadt Uxellodunum (vielleicht Capdenac un-
geweit Figeac am Lot), die ihnen unter schweren und verlust-
vollen Gefechten ausreichend zu verproviantiren gelang. Trotz
des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucte-
rius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich
auf das Aeuſserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine
Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten,
mittelst unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung,
die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter
der Sache der Freiheit zu kennzeichnen befahl Caesar der ge-
sammten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen
jeden in seine Heimath, zu entlassen. Noch hielt sich in der Ge-
gend von Arras der König Commius und seine Streifschaar schlug
sich daselbst bis in den Winter 703/4 mit den römischen Truppen
herum. Caesar, dem alles daran lag in ganz Gallien wenigstens
dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, gestattete ihm seinen
Frieden zu machen und lieſs es sogar hingehen, daſs der erbit-
terte und mit Recht miſstrauische Mann trotzig sich weigerte
persönlich im römischen Lager sich einzustellen. Es ist sehr
wahrscheinlich, daſs Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer
zugänglichen Districten im Nordwesten wie im Nordosten Gal-
liens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar
schon mit dem factischen Friedenszustand sich genügen lieſs *.
[268]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Also ward Gallien, das heiſst das Land westlich vom Rhein
und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen
den Römern unterthänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Be-
ruhigung des Landes, zu Anfang des J. 705 muſsten die römi-
schen Truppen in Folge des nun endlich in Italien ausgebroche-
nen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und
es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabthei-
lungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht
wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen al-
ten Provinzen des Reiches die Parteien sich einander bekriegten,
blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fort-
während botmäſsig. Auch die Entwürfe zur Errichtung deutscher
Reiche auf dem linken Ufer des Rheines wiederholten für jetzt
sich nicht. Ebenso wenig kam es während der nachfolgenden
Krisen zu einer neuen nationalen Insurrection oder deutschen
Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten;
wenn irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 die
Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewe-
gungen so vereinzelt und so auſser Zusammenhang mit den Ver-
wickelungen in Italien, daſs sie ohne wesentliche Schwierigkeit
von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings
ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie
Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daſs man den
entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durch-
drungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistricten, der
Pyrenäengegend vorläufig gestattete sich in mehr oder minder
bestimmter Weise der römischen Botmäſsigkeit thatsächlich zu
entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau,
wie knapp er auch dazu zwischen anderen zunächst noch drin-
genderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur noth-
dürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, so-
wohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Un-
terwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im Wesentlichen als
haltbar. — In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter
des narbonensichen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig
mit der Provinz Narbo vereinigt; die definitive Organisation der-
selben konnte erst in einer ruhigeren Zeit erfolgen. Daſs die kel-
tischen Gaue ihre politische Selbstständigkeit verloren, lag im
Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen
Gemeinde steuerpflichtig. Das Steuersystem indeſs war natürlich
nicht dasjenige, mittelst dessen die adliche und finanzielle Ari-
stokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien ge-
[269]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
schah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein für allemal be-
stimmte Abgabe auferlegt, deren Erhebung ihr selbst überlassen
blieb. Auf diesem Wege flossen jährlich 40 Mill. Sesterzen
(2,860000 Thlr.) aus Gallien in die römischen Kassen, die da-
für freilich die Rheingrenze auf ihre Kosten zu vertheidigen
überkam. Daſs auſserdem die in den Tempeln der Götter und
den Schatzkammern der Groſsen aufgehäuften Goldmassen in
Folge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich
von selbst; wenn Caesar im ganzen römischen Reich sein gal-
lisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den
Geldmarkt brachte, daſs das Gold gegen Silber um 25 % verlor,
so läſst dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg
eingebüſst hat. Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erb-
königen oder ihren feudal-oligarchischen Vorstandschaften blie-
ben im Wesentlichen bestehen und selbst das Clientelsystem,
das einzelne Cantone von anderen mächtigeren abhängig machte,
ward nicht abgeschafft, obwohl mit dem Verlust der staatlichen
Selbstständigkeit seine Spitze freilich ihm abgebrochen war; Cae-
sar war nur darauf bedacht unter Benutzung der bestehenden dyna-
stischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Ver-
hältnisse im Interesse Roms zu ordnen und überall der Fremd-
herrschaft genehme Männer an die Spitze zu bringen. Ueber-
haupt sparte Caesar keine Mühe um in Gallien eine römische
Partei zu bilden: seinen Anhängern wurden ausgedehnte Beloh-
nungen an Geld und besonders an confiscirten Landgütern be-
willigt und ihnen durch Caesars Einfluſs Plätze im Gemeinde-
rath und die ersten Gemeindeämter in ihren Gauen verschafft.
Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverläs-
sige römische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen,
der Haeduer, wurden durch Ertheilung einer freieren Com-
munalverfassung — des sogenannten Bündniſsrechts — und
durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens
gefördert. Den Nationalcult und dessen Priester scheint Caesar
von Anfang an so weit irgend möglich geschont zu haben; von
Maſsregeln, wie sie in späterer Zeit von den römischen Macht-
habern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm
sich keine Spur und es hängt wahrscheinlich damit zusammen,
daſs seine gallischen Kriege, so viel wir sehen, nicht so den Cha-
rakter des Religionskrieges tragen, wie er bei den britannischen
später so bestimmt hervortritt. — Wenn Caesar also der be-
siegten Nation jede irgend zulässige Rücksicht bewies und ihre
nationalen, politischen und religiösen Institutionen so weit
[270]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich
vertrug, so geschah dies nicht um auf den Grundgedanken sei-
ner Eroberung, die Romanisirung Galliens zu verzichten, son-
dern um denselben in möglichst schonender Weise zu realisiren.
Auch begnügte er sich nicht dieselben Verhältnisse, die die Süd-
provinz bereits groſsentheils romanisirt hatten, im Norden ihre
Wirkung ebenfalls thun zu lassen, sondern er förderte, als echter
Staatsmann, von oben herab die naturgemäſse Entwickelung und
that dazu die immer peinliche Uebergangszeit möglichst zu ver-
kürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vor-
nehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner viel-
leicht schon in den römischen Senat, so ist es wahrscheinlich Cae-
sar gewesen, der in Gallien anstatt der einheimischen Sprache die
lateinische als die officielle auch innerhalb der einzelnen Gaue,
wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des
nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daſs
die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vor-
behalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen
und nur zur Circulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch
nach römischem Fuſs geschlagen werden sollte. Man mag lächeln
über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire
und Seine fortan verordnungsmäſsig sich beflissen *; es lag doch
in diesen Sprachfehlern eine gröſsere Zukunft als in dem cor-
recten hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Cae-
sar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der
italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte
des Gaues, so wie die Gemeinderäthe in ihr schärfer hervortre-
ten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahr-
scheinlich der Fall war. Wie wünschenswerth in militärischer
wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre als Stützpuncte der
neuen Herrschaft und Ausgangspuncte der neuen Civilisation eine
Reihe transalpinischer Colonien zu begründen, mochte Niemand
mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und
des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansied-
lung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum
(S. 232) und auf die der Boier im Haeduergau (S. 231), welche
[271]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon
völlig die Dienste einer römischen Colonie that (S. 257), so war
die Ursache nur die, daſs seine weiteren Pläne ihm noch nicht
gestatteten seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die
Hand zu geben. Was er in späteren Jahren für die altrömische
Provinz in dieser Beziehung gethan, wird seines Orts dargelegt
werden: es ist nicht unwahrscheinlich, daſs nur die Zeit ihm ge-
mangelt hat um das Gleiche auch auf die von ihm unterworfenen
Landschaften zu erstrecken. — Mit der keltischen Nation war es
zu Ende. Ihre politische Vernichtung war durch Caesar eine voll-
endete Thatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im
regelmäſsigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufäl-
liges Verderben, wie das Verhängniſs es auch entwicklungsfä-
gen Völkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschul-
dete und gewissermaſsen geschichtlich nothwendige Katastrophe.
Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn
nun im Ganzen oder im Einzelnen betrachten. Als die Fremd-
herrschaft gegründet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne noch
dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energi-
schen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegründet war, wur-
den die Versuche sie abzuschütteln entweder ganz kopflos un-
ternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner
hervorragender Adlicher und darum mit dem Tod oder der
Gefangennahme eines Vercingetorix, Camulogenus, Correus so-
gleich und völlig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine
Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volks-
kriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von cha-
rakteristischer Erbärmlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Ge-
schichte bestätigt das strenge Wort eines der wenigen Römer,
die es verstanden die sogenannten Barbaren nicht zu verach-
ten, daſs die Kelten dreist die künftige Gefahr herausfordern,
vor der gegenwärtigen aber der Muth ihnen entsinkt. In dem
gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem
Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Völker un-
erbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Länge
sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes
dasselbe Schicksal von den Römern, das ihre Stammgenossen
auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sach-
sen erleiden: das Schicksal als Gährungsstoff künftiger Ent-
wickelung aufzugehen in eine staatlich überlegene Nationalität.
Im Begriff zu scheiden von der merkwürdigen Nation mag es
gestattet sein daran zu erinnern, daſs in den Berichten der Alten
[272]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charak-
teristischen Züge vermiſst wird, an denen wir gewohnt sind
Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit
in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen;
die Prahlhansigkeit — wir erinnern an jenes in dem heiligen
Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene
Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an
der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorg-
fältig zu schonen befahl —; die Rede voll von Vergleichen und Hy-
perbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige
Humor — ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daſs,
wenn Jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Stö-
renfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch
in den Rock geschnitten wird —; die innige Freude am Singen
und Sagen von den Thaten der Vorzeit und die entschiedenste
Redner- und Dichtergabe; die Neugier — kein Kaufmann wird
durchgelassen, bevor er auf offener Straſse erzählt hat, was er
an Neuigkeiten weiſs oder nicht weiſs — und die tolle Leicht-
gläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weſshalb es
in den besser geordneten Cantons den Wandersleuten bei stren-
ger Strafe verboten war unbeglaubigte Berichte andern als den
Gemeindebeamten mitzutheilen; die kindliche Frömmigkeit, die
in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rath
fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das
fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den
Fremden; die Geneigtheit unter dem ersten besten Führer sich
aufzulehnen und Banden zu bilden und daneben wieder die völ-
lige Unfähigkeit den sicheren von Uebermuth wie von Kleinmuth
entfernten Muth sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwar-
ten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgend einer Orga-
nisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disciplin
zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt
zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische,
schwachmüthige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebens-
würdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauch-
bare Nation und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und
überall dasselbe gewesen. — Aber daſs durch Caesars transal-
pinische Kriege ein groſses Volk zu Grunde ging, ist noch nicht
das bedeutendste Ergebniſs dieses groſsartigen Unternehmens;
weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es
leidet kaum einen Zweifel, daſs, wenn das Senatregiment sein
Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die
[273]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
sogenannte Völkerwanderung vierhundert Jahre früher eingetre-
ten sein würde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein würde
zu einer Zeit, wo die italische Civilisation sich weder in Gallien
noch an der Donau noch in Africa und Spanien häuslich nieder-
gelassen hatte. Indem der groſse Feldherr und Staatsmann Roms
mit sicherem Blick in den deutschen Stämmen den ebenbürtigen
Feind der römisch-griechischen Welt erkannte; indem er das
neue System offensiver Vertheidigung mit fester Hand selbst bis
ins Einzelne hinein begründete und die Reichsgrenzen durch
Flüsse oder künstliche Wälle vertheidigen, längs der Grenze die
nächsten Barbarenstämme zur Abwehr der entfernteren colonisi-
ren, das römische Heer durch geworbene Leute aus den feind-
lichen Ländern recrutiren lehrte, gewann er der hellenisch-itali-
schen Cultur die nöthige Frist um den Westen ebenso zu civili-
siren, wie der Osten bereits von ihr civilisirt war. Gewöhnliche
Menschen schauen die Früchte ihres Thuns; der Same, den
geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhun-
derte, bis man begriff, daſs Alexander nicht bloſs ein ephemeres
Königreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach
Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, daſs
Caesar nicht bloſs den Römern eine neue Provinz erobert, son-
dern die Romanisirung der westlichen Landschaften begründet
habe. Auch von jenen militärisch leichtsinnigen und zunächst
resultatlosen Zügen nach England und Deutschland haben erst
die späten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Völ-
kerkreis, von dessen Dasein und Zuständen bis dahin kaum der
Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung
berichtet hatten, ward durch sie der römisch-griechischen Welt
aufgeschlossen. ‚Täglich‘, heiſst es in einer römischen Schrift
vom Mai 698, ‚melden die gallischen Briefe und Botschaften uns
bisher unbekannte Namen von Völkern, Gauen und Landschaften‘.
Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars
Züge jenseit der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereigniſs so
gut wie die Erkundung von America durch europäische Schaa-
ren. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mit-
tel- und nordeuropäischen Völker, die Anwohner der Ost- und
der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch
jene mit bestimmt ward und sie mit bestimmte. Es hat nicht viel
gefehlt, daſs bereits von Ariovist durchgeführt ward, was später
dem gothischen Theodorich gelang. Wäre dies geschehen, so
würde unsere Civilisation zu der römisch-griechischen schwer-
lich in einem innerlicheren Verhältniſs stehen als zu der indi-
Röm. Gesch. III. 18
[274]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
schen und assyrischen Cultur. Daſs von Hellas und Italiens ver-
gangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Welt-
geschichte eine Brücke hinüberführt, daſs Westeuropa romanisch,
das germanische Europa klassisch ist, daſs die Namen Themisto-
kles und Scipio für uns einen andern Klang haben als Asoka und
Salmanassar, daſs Homer und Sophokles nicht wie die Veden
und Kalidasa nur den litterarischen Botaniker anziehen, sondern
in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und
wenn die Schöpfung seines groſsen Vorgängers im Osten von
den Sturmfluthen des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden
ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem
Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwer-
punct der Civilisation selbst ihm verschoben haben, und für das,
was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des
Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig einen
Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen
und der griechischen Halbinseln von den Rheinquellen bis zum
schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völker-
getümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die
Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die
in dieses Gebiet fallen, sind wie der schwache Schimmer in tiefer
Finsterniſs mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indeſs es
ist die Pflicht des Geschichtschreibers auch die Lücken in dem
Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht ver-
schmähen neben Caesars groſsartigem Vertheidigungssystem der
dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Se-
nats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermein-
ten. — Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor (II, 160) den
Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im
Jahre 695 bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der
Triumph des Statthalters des cisalpinischen Galliens Lucius Afra-
nius lassen schlieſsen, daſs um diese Zeit eine Expedition in die
Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daſs wir bald
darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der
Noriker finden. Daſs aber von dieser Seite auch nachher Italien
durchaus nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der blühen-
den Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im J. 702,
als die transalpinische Insurrection Caesar genöthigt hatte Ober-
italien ganz von Truppen zu entblöſsen. — Auch die unruhigen
Völker, die den illyrischen Küstenstrich inne hatten, machten
ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Delmater,
[275]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
schon früher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergröſser-
ten durch Aufnahme der Nachbaren in ihren Verband sich so an-
sehnlich, daſs die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig
stieg. Ueber die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluſs),
die sie den Liburniern entrissen hatten und wieder herauszuge-
ben sich weigerten, geriethen sie mit den Römern in Händel,
und schlugen den Landsturm, den Caesar gegen sie aufbot; was
zu ahnden der Ausbruch des Bürgerkrieges hinderte. Zum Theil
deswegen ward Dalmatien in demselben ein Heerd der Caesar
feindlichen Partei; die Einwohner leisteten in Verbindung mit
den Pompeianern und mit den Seeräubern den Feldherren Cae-
sars zu Lande und zu Wasser sehr energischen Widerstand. —
Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so verödet und
heruntergekommen wie kaum ein anderer Theil des römischen
Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch eini-
gen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und
seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an;
im Ganzen aber lag über Hellas einst volkreichen Städten und
menschenwimmelnden Häfen die Ruhe des Grabes. Aber wenn
auch die Griechen sich nicht regten, so setzten doch die Bewoh-
ner der schwer zugänglichen makedonischen Gebirge nach alter
Weise ihre Raubzüge und Fehden fort, wie denn zum Beispiel
um 697/8 Agraeer und Doloper die aetolischen Städte, im J. 700
die in den Drinthälern wohnenden Pirusten das südliche Illyrien
überrannten. Ebenso stand es mit den Anwohnern. Die Dar-
daner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar
in den achtjährigen Kämpfen 676 bis 683 von den Römern ge-
demüthigt worden; der mächtigste unter den thrakischen Für-
sten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys ward seitdem den
römischen Clientelkönigen beigezählt. Allein nichts desto weni-
ger hatte das befriedete Land nach wie von Norden und
Osten her Einfälle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius
ward sowohl von den Dardanern übel heimgeschickt als auch
von den in der heutigen Dobrudscha ansässigen Stämmen, welche
mit Hülfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen gefürch-
teten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche)
eine bedeutende Niederlage beibrachten (692—693). Glück-
licher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694).
Dagegen machte Marcus Piso (697—698) wiederum als Ober-
feldherr sehr schlechte Geschäfte, was auch kein Wunder war,
da er um Geld Freunden und Feinden gewährte was sie wünsch-
ten. Die thrakischen Dentheleten, (am Strymon) plünderten unter
18*
[276]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten
auf der groſsen von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden
römischen Heerstraſse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike
machte man sich darauf gefaſst von ihnen eine Belagerung auszu-
halten. Es war nur um so schlimmer, daſs eine starke römische
Armee in der Provinz stand und zusah, wie die Bergbewohner
und die Nachbarvölker die friedlichen Unterthanen Roms brand-
schatzten. — Dergleichen Angriffe konnten nun freilich Roms
Macht allerdings nicht gefährden und auf eine Schande mehr kam
es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseit
der Donau in den weiten dakischen Steppen ein Volk sich staat-
lich zu consolidiren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu
spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten.
Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des
Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zamolxis genannt,
der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen
in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägypti-
schen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte,
in seine Heimath zurückgekommen war um in einer Höhle des
‚heiligen Berges‘ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschlies-
sen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und
spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes
wichtige Beginnen; seinen Landsleuten galt er anfangs als Prie-
ster des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie
es von Moses und Aaron heiſst, daſs der Herr den Aaron zum
Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe.
Es war hieraus eine bleibende Institution geworden; regelmäſsig
stand jetzt dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus
dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König
befahl. Diese eigenthümliche Verfassung, in der die theokratische
Idee der wie es scheint absoluten Königsgewalt dienstbar gewor-
den war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Unter-
thanen gegenüber gegeben haben, wie etwa Muhamed sie seinen
Arabern gegenüber gehabt hat. Die Folge davon war die wunder-
barste religiös-politische Reform der Nation, welche um diese
Zeit der König der Geten Boerebistas und der Gott Dekaeneos
durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich
und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das
neue Mäſsigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt;
mit seinen so zu sagen puritanisch disciplinirten und begeister-
ten Schaaren gründete König Boerebistas binnen wenigen Jahren
ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich aus-
[277]DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
breitete und südwärts bis tief in Thrakien, Illyrien und das no-
rische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Berührung mit
den Römern hatte noch nicht stattgefunden und es konnte Nie-
mand sagen, was aus diesem sonderbaren an die Anfänge des
Islam erinnernden Staat werden möge; das aber mochte man
auch ohne Prophet zu sein vorhersagen, daſs Proconsuln wie
Antonius und Piso nicht berufen waren mit Göttern zu streiten.
[[278]]
KAPITEL VIII.
Pompeius und Caesars Gesammtherrschaft.
Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Consulat so zu
sagen officiell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Ge-
meinwesens, als die regierenden ‚Dreimänner‘ anerkannt waren,
nahm der öffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle
Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der ‚Privatdictator‘
hieſs; vor ihm that Cicero seinen vergeblichen Fuſsfall; ihm gal-
ten die schärfsten Sarkasmen in den Mauerplacaten des Bibulus,
die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war
dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Thatsachen
war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar
ein gewandter Parteiführer und Parteiredner, von unleugbaren
Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibi-
schem Naturell. Diese Urtheile waren seit langem geläufig; man
konnte es von dem vornehmen Pöbel nicht erwarten, daſs er um
das Wesen der Dinge sich kümmere und einmal festgestellte
Plattheiten wegen obscurer Heldenthaten am Tajo aufgebe. Offen-
bar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten,
der das für seinen Chef ausführte, was Flavius, Afranius und an-
dere weniger fähige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hat-
ten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhältniſs nicht zu
ändern. Eine sehr ähnliche Stellung hatte erst kürzlich Afranius
eingenommen, ohne darum etwas besonderes zu bedeuten; beide
Gallien und vier Legionen waren oft in einer Hand vereinigt ge-
wesen; da es jenseit der Alpen wieder ruhig und Fürst Ariovist
von den Römern als Freund und Nachbar anerkannt war, so
[279]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
war auch keine Aussicht zur Führung eines irgend ins Gewicht
fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pom-
peius durch das gabinisch-manilische, Caesar durch das vatinische
Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars
Vortheil aus. Pompeius gebot fast über das gesammte römische
Reich, Caesar über zwei Provinzen. Pompeius standen die Sol-
daten und die Kassen des Staats beinahe unbeschränkt zur Verfü-
gung, Caesar nur die ihm angewiesenen Armeen und ein Heer
von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben den Zeit-
punkt seines Rücktritts selber zu bestimmen; Caesars Commando
war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte
Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Un-
ternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar
ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Haupt-
stadt zu überwachen und dafür zu sorgen, daſs Pompeius unge-
stört sie beherrsche.
Aber als Pompeius von der Coalition zum Beherrscher der
Hauptstadt bestimmt ward, übernahm er eine für ihn völlig un-
lösbare Aufgabe. Pompeius verstand vom Herrschen nichts wei-
ter als was sich zusammenfassen läſst in Parole und Commando.
Die Wellen des hauptstädtischen Treibens gingen hohl zugleich
von vergangenen und von zukünftigen Revolutionen; die schwere
Aufgabe, diese in vieler Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahr-
hunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren,
war für jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten geradezu eine
unmögliche. Sehr bald war er so weit, daſs Feinde und Freunde,
beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was
ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die
Coalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die
Straſsen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch
eine Art nominellen Regiments zustand, lieſs die Dinge in der
Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Theil
weil der von der Coalition beherrschten Fraction dieser Körper-
schaft die Parole der Machthaber fehlte, zum Theil weil die grol-
lende Opposition aus Gleichgültigkeit oder Pessimismus bei Seite
trat, hauptsächlich aber weil die gesammte hochadliche Körper-
schaft ihre vollständige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch
zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends
eine Widerstandskraft irgend welcher Regierung, nirgends eine
reelle Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem zer-
trümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen
Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes
[280]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Functionen
und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint
in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie in einer
nicht beneidenswerthen Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammen-
treffen, daſs in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseit der
Alpen ein Werk für die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten
politischen Grotesken aufgeführt ward, die jemals über die Bretter
der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemein-
wesens regierte nicht, sondern schloſs in sein Haus sich ein und
maulte im Stillen. Die ehemalige halb abgesetzte Regierung re-
gierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den trau-
lichen Zirkeln der Villen, bald in der Curie im Chor. Der Theil
der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen
lagen, war des wüsten Treibens übersatt, aber völlig führer- und
rathlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloſs
jede politische Thätigkeit, sondern, so weit es anging, das poli-
tische Sodom selbst. Dagegen das Gesindel aller Art hatte nie
bessere Tage, nie lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der
kleinen groſsen Männer war Legion. Die Demagogie ward völlig
zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte:
der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde
Haar, die tiefe Baſsstimme; und nicht selten war es ein Handwerk
mit goldenem Boden. In den öffentlichen Versammlungen waren
Griechen und Juden, Freigelassene und Sclaven die regelmäſsig-
sten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum
Stimmen ging, bestand häufig nur der kleinere Theil der Stim-
menden aus verfassungsmäſsig stimmberechtigten Bürgern. ‚Näch-
stens‘, heiſst es in einem Briefe aus dieser Zeit, ‚können wir er-
warten, daſs unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotiren‘.
Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und
bewaffneten Banden, die aus fechtgewohnten Sclaven und Lum-
pen zusammengesetzten von vornehmen Abenteurern aufgestell-
ten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber zählten von Haus aus
meistentheils zur Popularpartei; aber seit Caesars Entfernung,
der dieser Partei allein zu imponiren und allein sie zu lenken
verstanden hatte, war aus derselben alle Disciplin entwichen und
jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand. Am
liebsten freilich fochten diese Leute auch jetzt noch unter dem
demokratischen Panier; [aber] genau genommen waren sie weder
demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben
auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald das Volk,
bald statt des Volksnamens den Namen des Senats oder den
[281]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nach einander
für die herrschende Demokratie, für den Senat und für Crassus
gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die
Bandenführer nur insofern, als sie ihre persönlichen Feinde, wie
Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten,
wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen
Personenfehden diente. Man könnte ebenso gut ein Charivari
auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexen-
sabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran all die
Mordthaten, Häuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonsti-
gen Räuberscenen inmitten einer Weltstadt aufzuzählen und
nachzurechnen, wie oft die Scala vom Zischen und Schreien
zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen
und Schwerterzücken durchgemacht ward. Der Protagonist auf
diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius,
dessen, wie schon erwähnt ward (S. 199), die Machthaber
sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst überlassen
trieb dieser einfluſsreiche, talentvolle, energische und in sei-
nem Metier in der That musterhafte Parteigänger zuerst ultra-
demokratische Politik, gab den Städtern das Getreide umsonst,
beschränkte das Recht der Censoren sittenlose Bürger zu be-
mäkeln, untersagte den Beamten durch religiöse Hindernisse
in den Gang der Comitialmaschine einzugreifen und beseitigte
wieder die Schranken, die kurz zuvor (690), um dem Banden-
wesen zu steuern, dem Associationsrecht der niederen Klas-
sen gesetzt worden waren. Wenn dazu noch das Gesetz hin-
zutrat, das Clodius bereits entworfen hatte und als Prätor 702
einzubringen gedachte, welches den Freigelassenen und den im
thatsächlichen Besitz der Freiheit lebenden Sclaven die gleichen
politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der
neue Numa der Freiheit und Gleichheit sein Werk für vollen-
det erklären, und es war die Zeit gekommen, wo der Urheber
all dieser tapferen Verfassungsbesserungen den süſsen Pöbel
der Hauptstadt einladen konnte in dem auf einer seiner Brand-
stätten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit
zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das
Hochamt zu celebriren. Natürlich schlossen diese Freiheits-
bestrebungen den Schacher mit Bürgerschaftsbeschlüssen nicht
aus; wie Caesar hielt auch Gaesars Affe für seine Mitbürger
Statthalterschaften und andere Posten und Pöstchen, für die
unterthänigen Könige und Städte die Herrlichkeitsrechte des
Staates feil. All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich
[282]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich
compromittirte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so
dreist, daſs er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksen-
dung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten
von Rom geradezu anband und bald ward der Zwist zur förmli-
chen Fehde, in der Pompeius völlige Hülflosigkeit zu Tage kam.
Das Haupt des Staates wuſste dem Parteigänger nicht anders zu
begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführ-
ten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen
chicanirt worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von
Clodius über alles gehaſsten Cicero aus dem Exil erlöste, in das
ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich
seinen Zweck, daſs er Clodius aus einem Gegner in einen unver-
söhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden
die Straſsen unsicher machte, so lieſs der siegreiche Feldherr
gleichfalls Sclaven und Fechter marschiren, in welchen Balgereien
natürlich der General gegen den Demagogen den Kürzeren zog,
auf der Straſse geschlagen und von Clodius und dessen Spieſs-
gesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung
gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug
in diesem merkwürdigen Schauspiel, daſs der Regent und der
Schwindler in ihrem Hader beide um die Gunst der gestürzten
Regierung wetteifernd buhlten, Pompeius zum Theil auch um dem
Senat gefällig zu sein ihm gestattete Cicero zurückzuberufen, Clo-
dius dagegen die julischen Gesetze für nichtig erklärte und Mar-
cus Bibulus aufrief deren verfassungswidrige Durchbringung öf-
fentlich zu bezeugen! — Ein positives Resultat konnte natür-
licher Weise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht her-
vorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine
bis zum Gräſslichen lächerliche Zwecklosigkeit. Das demokra-
tische Treiben war so vollständig abgenutzt, daſs, wie dies in
früheren Jahren selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte er-
fahren müssen, sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die
Demagogie ging. Wenn mit des Propheten Mantel und Stab, die
Caesar längst abgelegt hatte, sich irgend ein toller Geselle noch
einmal staffirte und Gaius Gracchus groſse Ideale parodisch ver-
zerrt noch einmal über die Scene führte, so bewies das nur, daſs
ihre Zeit vorübergegangen war. In der That ist diese demokra-
tische Agitation nichts als ein geschichtlicher Lückenbüſser; in
dem nahe bevorstehenden Entscheidungskampf fiel der soge-
nannten Partei, von der sie ausging, nicht einmal eine Rolle zu.
Selbst das läſst sich nicht behaupten, daſs durch diesen anarchi-
[283]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
schen Zustand das Verlangen nach einer starken auf Militärmacht
gegründeten Regierung in den Gemüthern der politisch indiffe-
rent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen
davon, daſs diese neutrale Bürgerschaft hauptsächlich auſserhalb
Rom zu suchen war und also von dem hauptstädtischen Crawal-
liren nicht unmittelbar berührt ward, so waren diejenigen Gemü-
ther, die überhaupt durch solche Motive sich bestimmen lieſsen,
schon durch frühere Erfahrungen, namentlich die catilinarische
Verschwörung, gründlich zum Autoritätsprincip bekehrt worden;
auf die eigentlichen Aengsterlinge aber wirkte die Furcht vor der
von jeder Usurpation unzertrennlichen ungeheuren Krise bei wei-
tem nachdrücklicher als die Furcht vor der bloſsen Fortdauer der
im Grunde doch sehr oberflächlichen hauptstädtischen Anarchie.
Das einzige Ergebniſs derselben, das geschichtlich in Anschlag
kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die An-
griffe der Clodianer gerieth und durch die sein weiteres Verfah-
ren wesentlich mit bedingt ward.
Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand,
so ward er doch durch die Verhältnisse gezwungen aus sei-
ner bisherigen Passivität herauszutreten. Die verdrieſsliche und
schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, muſste auf
die Länge selbst seine träge Natur zu Haſs und Zorn entflammen.
Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhält-
niſs zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden ver-
bündeten Machthabern Pompeius in der übernommenen Thätig-
keit vollkommen bankerott geworden war, so hatte Caesar aus
seiner Competenz etwas zu machen gewuſst, was jede Berech-
nung wie jede Befürchtung weit hinter sich lieſs. Ohne wegen
der Erlaubniſs viel anzufragen hatte Caesar durch Aushebungen
in seiner groſsentheils von römischen Bürgern bewohnten süd-
lichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem, statt von
Norditalien aus über Rom Wache zu halten, die Alpen überschrit-
ten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und bin-
nen zwei Jahren (696. 697) die römischen Waffen bis an den
Rhein und den Kanal getragen. Solchen Thatsachen gegenüber
ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorirens und Ver-
kleinerns der Athem aus. Der oft als Zärtling Verhöhnte war
jetzt der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekrönte Held, des-
sen junge Lorbeern die welken des Pompeius überglänzten und
dem sogar der Senat die nach glücklichen Feldzügen üblichen
Ehrenbezeigungen schon 697 in reicherem Maſse zuerkannte,
als sie je Pompeius zu Theil geworden waren. Pompeius
[284]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
stand zu seinem ehemaligen Adjutanten genau wie nach den
gabinisch-manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden
hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr
der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals be-
rühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und
Schwiegersohn noch zu keiner Collision gekommen und das
Verhältniſs äuſserlich ungetrübt; aber jedes politische Bünd-
niſs ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältniſs der Con-
trahenten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clo-
dius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung
Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: eben wie einst
Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so hatte jetzt er zu
suchen, wie er gegen Caesar ein Fundament reeller Macht ge-
winne. Er war genöthigt seine stolze Amtlosigkeit bei Seite zu
legen und als Bewerber um irgend ein auſserordentliches Amt
aufzutreten, das ihn in den Stand setzte dem Statthalter der bei-
den Gallien mit gleicher und wo möglich mit überlegener Macht
zur Seite zu bleiben. Wie Pompeius gegenwärtige Stellung der-
jenigen glich, die Caesar während des mithradatischen Krieges
eingenommen hatte, so war auch seine Taktik dieselbe. Um sel-
ber ohnmächtig gegen den übermächtigen, aber noch passiven
Gegner eine effective Macht zu gewinnen, muſste Pompeius zu-
nächst suchen sich in den Besitz der formellen Regierungs-
maschine zu setzen. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie unbedingt
ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber regierten Rom
damals durch die Comitien, die ihnen als den Herren der Straſse
unbedingt gehorchten, und durch den von Caesar energisch ter-
rorisirten Senat; als Vertreter der Coalition in Rom und als
deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von
der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluſs erlangt, den er
wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein
durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die
Straſsenherrschaft eingebüſst und konnte nicht daran denken
einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durch-
zusetzen. Auch im Senat war es zweifelhaft, ob Pompeius nach
dieser langen und verhängniſsvollen Passivität die Zügel der Ma-
jorität noch fest genug in der Hand habe um einen solchen Be-
schluſs durchzusetzen; indeſs war hier wenigstens noch nicht
alle Aussicht auf Erfolg verschwunden.
Aber die Stellung des Senats oder vielmehr der Nobilität
überhaupt war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer
vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war
[285]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
bei der Coalition von 694 Verschiedenes an den Tag gekommen,
was für das Sonnenlicht noch keineswegs reif war: die Verban-
nung Catos und Ciceros, welche die öffentliche Meinung, wie
sehr auch die Machthaber dabei sich zurückhielten und sogar sich
die Miene gaben sie zu beklagen, mit ungeirrtem Tact auf ihre
wahren Urheber zurückführte, und die Verschwägerung zwischen
Caesar und Pompeius erinnerten mit unerfreulicher Deutlichkeit
an monarchische Ausweisungsdecrete und Familienallianzen.
Auch das gröſsere Publicum, das den politischen Ereignissen
ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter her-
vortretenden Grundlagen der künftigen Monarchie. Von dem
Augenblick an, wo man begriff, daſs es Caesar nicht um eine
Modification der republicanischen Verfassung zu thun sei, son-
dern daſs es sich handle um Sein oder Nichtsein der Republik,
werden unfehlbar eine Menge der besten Männer, die bisher sich
zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr Haupt verehrt
hatten, auf die entgegengesetzte Seite übergetreten sein. Nicht
mehr allein in den Salons und den Landhäusern des regierenden
Adels wurden die Reden von den ‚drei Dynasten‘, dem ‚drei-
köpfigen Ungeheuer‘ vernommen. Caesars consularischen Reden
horchte die Menge dichtgedrängt, ohne daſs Zuruf oder Beifall
aus ihr erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der
demokratische Consul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man,
wo eines der Werkzeuge der Machthaber öffentlich sich sehen
lieſs, und selbst gesetzte Männer klatschten, wenn ein Schauspie-
ler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung gegen
Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte,
legten eine groſse Zahl — angeblich zwanzigtausend — Bürger
gröſstentheils aus den Mittelklassen nach dem Beispiel des Senats
das Trauergewand an. ‚Nichts ist jetzt populärer‘, heiſst es in
einem Briefe aus dieser Zeit, ‚als der Haſs der Popularpartei‘. Die
Machthaber lieſsen Andeutungen fallen, daſs durch solche Oppo-
sition leicht die Ritter ihre neuen Sonderplätze im Theater, der
gemeine Mann sein Brotkorn einbüſsen könne; man nahm sich
darauf mit den Aeuſserungen des Unwillens vielleicht etwas mehr
in Acht, aber die Stimmung blieb die gleiche. Mit besserem Er-
folg ward der Hebel der materiellen Interessen angesetzt. Caesars
Gold floſs in Strömen. Scheinreiche mit zerrütteten Finanzen,
einfluſsreiche in Geldverlegenheiten befangene Damen, verschul-
dete junge Adliche, bedrängte Kaufleute und Banquiers gingen
entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schöpfen, oder
wandten sich an Caesars hauptstädtische Agenten; und nicht
[286]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
leicht ward ein äuſserlich anständiger Mann — mit ganz verlore-
nem Gesindel mied Caesar sich einzulassen — dort oder hier zu-
rückgewiesen. Dazu kamen die ungeheuren Bauten, die Caesar
für seine Rechnung in der Hauptstadt ausführen lieſs und bei
denen eine Unzahl von Menschen aller Stände vom Consular bis
zum Lastträger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, so wie die
unermeſslichen für öffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Sum-
men. In beschränkterem Maſse that Pompeius das Gleiche; ihm
verdankte die Hauptstadt das erste steinerne Theater und er feierte
dessen Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Daſs
solche Spenden eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich
in der Hauptstadt, mit der neuen Ordnung der Dinge bis zu
einem gewissen Grade aussöhnten, versteht sich ebenso von selbst
wie daſs der Kern der Opposition diesem Corruptionssystem
nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage, wie tief
die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte und
wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner
stehenden Kreise, vor allem die Landstädte, der Monarchie ge-
neigt oder auch nur bereit waren sie über sich ergehen zu lassen.
Hätte Rom eine Repräsentativverfassung gehabt, so würde die
Unzufriedenheit der Bürgerschaft ihren natürlichen Ausdruck in
den Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich ge-
steigert haben; unter den bestehenden Verhältnissen blieb den
Verfassungstreuen nichts übrig als dem Senat, der, herabgekom-
men wie er war, doch immer noch als Vertreter und Verfechter
der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam es,
daſs der Senat, jetzt da er gestürzt worden war, plötzlich eine
weit ansehnlichere und weit ernster getreue Armee zu seiner Ver-
fügung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stürzte
und geschirmt durch Sullas Säbel den Staat restaurirte. Die Ari-
stokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben
jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte den
Gehorsamen im Senat sich anzuschlieſsen und nicht bloſs keine
Opposition zu machen, sondern für die Machthaber nach Kräften
zu wirken, von denselben die Erlaubniſs zur Rückkehr erhalten.
Obwohl Pompeius der Oligarchie hiemit nur beiläufig eine Con-
cession machte und vor allem dem Clodius einen Possen zu spie-
len, demnächst ein durch hinreichende Schläge geschmeidigtes
Werkzeug in dem redefertigen Consular zu erwerben bedacht war,
so nahm man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung
eine Demonstration gegen den Senat gewesen war, seine Rückkehr
zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen. In möglichst
[287]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
feierlicher Weise, übrigens durch die Bande des Titus Annius
Milo geschützt gegen die Clodianer, brachten beide Consuln nach
vorgängigem Senatsbeschluſs einen Antrag an die Bürgerschaft
dem Consular Cicero die Rückkehr zu gestatten und der Senat
rief sämmtliche verfassungstreue Bürger auf bei der Abstimmung
nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der Abstim-
mung (4. Aug. 697) in Rom namentlich aus den Landstädten
eine ungewöhnliche Anzahl angesehener Männer. Die Reise des
Consulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit
zu einer Reihe ähnlicher nicht minder glänzender Manifestationen
der öffentlichen Meinung. Das neue Bündniſs zwischen dem Se-
nat und der verfassungstreuen Bürgerschaft ward bei dieser Ge-
legenheit gleichsam öffentlich bekannt gemacht und eine Art Re-
vue über die letztere gehalten, deren überraschend günstiges Er-
gebniſs nicht wenig dazu beitrug den gesunkenen Muth der Ari-
stokratie wieder aufzurichten. Die seltene Ungeschicklichkeit, die
Pompeius in der Leitung der der Coalition ergebenen Fraction
des Senats entwickelte, und die Rathlosigkeit der sich selbst über-
lassenen Clientel steigerten noch ferner den Einfluſs, den die An-
hänger der gestürzten Regierung im Senat wieder anfingen zu ge-
winnen. Endlich ward die unwürdige Stellung, die Pompeius gegen
Clodius einnahm, dem Ansehen der Coalition ebenso schädlich wie
der Nobilität förderlich. Für einen muthigen und geschickten Spie-
ler stand damals — 697 — das Spiel des Adels noch keines-
wegs verzweifelt. Das Verhältniſs der beiden Machthaber, deren
Coalition den Staat beherrschte, hatte sich verschoben und ge-
lockert, seit Caesar übermächtig neben Pompeius sich gestellt
und diesen genöthigt hatte um eine neue Machtstellung zu wer-
ben; es war wahrscheinlich, daſs, wenn er dieselbe erlangte, es
damit auf die eine oder die andere Weise zum Bruch und zum
Kampfe kam. Wenn in diesem Pompeius allein blieb, so war
seine Niederlage freilich kaum zweifelhaft und die Verfassungs-
partei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe sich nur statt
unter der Zwei- unter der Einherrschaft. Allein wenn die Nobi-
lität gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine
bisherigen Siege erfochten hatte, und eine Coalition mit dem
schwächeren Nebenbuhler einging, so war es wahrscheinlich, daſs
mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der
Verfassungstreuen war, der Sieg der Coalition blieb; nach dem
Siege aber mit Pompeius fertig zu werden konnte, nach den Be-
weisen von politischer Unfähigkeit, die derselbe zeither gege-
ben, nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen. —
[288]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
Es war dies die eine der Aristokratie sich darbietende Möglichkeit
des endlichen Sieges. Aber es gab noch einen anderen und ehren-
volleren Weg. Warum nicht die Machthaber mit offenem Visir
angreifen? warum cassirte nicht ein entschlossener und namhaf-
ter Mann an der Spitze des Senats die auſserordentlichen Gewal-
ten als verfassungswidrig und rief die sämmtlichen Republikaner
Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang unter die Waffen?
Möglicher Weise konnte es auch auf diesem Wege gelingen die
Senatsherrschaft noch einmal zu restauriren. Allerdings spielte
man hohes Spiel; aber vielleicht war auch hier, wie oft, der mu-
thigste Entschluſs zugleich der klügste.
Im Herbst 697 that Pompeius die ersten Schritte um mit
Hülfe des Senats seine politische Stellung zu verbessern. Er
knüpfte wieder an an das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht
begründet hatte: an die Brotpreise in der Hauptstadt, die eben
damals wie vor dem gabinischen Gesetz eine drückende Höhe er-
reicht hatten. Ob sie durch besondere Machinationen hinaufge-
trieben worden waren, wie deren Clodius bald dem Pompeius,
bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, lässt sich
nicht entscheiden; die fortwährende Piraterie, die Leere des öf-
fentlichen Schatzes und die lässige und unordentliche Ueberwa-
chung der Kornzufuhr durch die Regierung reichten übrigens
auch ohne politischen Kornwucher an sich schon vollkommen
aus, um in einer fast lediglich auf überseeische Zufuhr ange-
wiesenen Groſsstadt Brottheurungen herbeizuführen. Pompeius
Plan war sich vom Senat die Oberaufsicht über das Getreidewe-
sen im ganzen Umfang des römischen Reiches und zu diesem
Endzwecke theils das unbeschränkte Verfügungsrecht über die
römische Staatskasse, theils Heer und Flotte übertragen zu las-
sen so wie ein Commando, welches nicht bloſs über das ganze
römische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Pro-
vinz das des Statthalters wich — kurz er beabsichtigte eine ver-
besserte Auflage des gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran
sich sodann die Führung des eben damals schwebenden aegypti-
schen Krieges (S. 146) ebenso von selbst angeschlossen haben
würde wie die des mithradatischen an die Razzia gegen die Pira-
ten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in
den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als
diese Angelegenheit im Sept. 697 im Senat zur Verhandlung kam,
die Majorität des Senats noch unter dem Bann des von Caesar
erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie im Princip ihn an und
zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis
[289]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
der in der Verbannung gelernten Fügsamkeit geben sollte und
gab. Allein bei der Feststellung der Modalitäten wurden doch von
dem ursprünglichen Plane, den der Volkstribun Gaius Messius
vorlegte, sehr wesentliche Stücke abgedungen. Pompeius erhielt
weder freie Disposition über das Aerar noch eigene Legionen
und Schiffe noch auch eine der der Statthalter übergeordnete
Gewalt, sondern man begnügte sich ihm zum Behuf der Ordnung
des hauptstädtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen,
funfzehn Adjutanten und eine der statthalterischen gleichkommende
Gewalt im ganzen römischen Gebiet auf die nächsten fünf Jahre
zu decretiren und dies Decret von der Bürgerschaft ratificiren zu
lassen. Daſs diese Abänderungen von der eigentlichen Opposition
gebilligt wurden, versteht sich, aber sie gingen nicht von ihr aus.
Wenn Pompeius in den Hindernissen, auf die er stieſs, die Hand
seines Erbfeindes und widerwilligen Bundesgenossen Crassus zu
erkennen meinte, wird er sich nicht getäuscht haben; allein Cras-
sus war nicht mächtig genug um Pompeius die Majorität zu ent-
winden. Die Hauptursache der Niederlage, die Pompeius hier im
Senat erlitt, war ohne Zweifel die Rücksicht auf Caesar, dem in
Gallien selbst seinen Collegen nicht bloſs neben- sondern über-
zuordnen eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen
muſsten. Dazu kam die eigene Unfähigkeit des Pompeius, der
selbst da, wo er hatte handeln müssen, es nicht über sich ge-
winnen konnte zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie im-
mer seine wahre Absicht gleichsam im Incognito durch seine
Freunde vorführen lieſs, selber aber in bekannter Bescheidenheit
erklärte auch mit Geringerem sich begnügen zu wollen. Es ver-
steht sich, daſs man ihn beim Worte nahm und ihm das Gerin-
gere gab. Pompeius war froh wenigstens eine reelle Thätigkeit und
vor allen Dingen einen schicklichen Vorwand gefunden zu haben
um die Hauptstadt zu verlassen; es gelang ihm auch dieselbe,
freilich nicht ohne daſs die Provinzen den Rückschlag schwer
empfanden, mit reichlicher und billiger Zufuhr zu versehen.
Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt. Der Proconsu-
lartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu führen, blieb
ein leerer Name, so lange er nicht über eigene Truppen verfügte.
Darum griff er die Sache abermals von einer andern Seite an und
lieſs den Antrag stellen, daſs der Senat ihm den Auftrag erthei-
len möge den vertriebenen König von Aegypten in seine Heimath,
wenn nöthig mit Waffengewalt, zurückzuführen. Diesmal verfuhr
die Opposition bereits weniger rücksichtsvoll. Zunächst ward in
den sibyllinischen Orakeln entdeckt, daſs es gottlos sei ein römi-
Röm. Gesch. III. 19
[290]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
sches Heer nach Aegypten zu senden; worauf der fromme Senat
fast einstimmig beschloſs von der bewaffneten Intervention abzu-
stehen. Pompeius war bereits so gedemüthigt, daſs er auch ohne
Heer die Sendung angenommen haben würde; allein in seiner
unverbesserlichen Hinterhaltigkeit lieſs er auch dies nur durch
seine Freunde erklären und sprach und stimmte für die Absen-
dung eines anderen Senators. Natürlich wies der Senat jenen
Vorschlag zurück, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben
freventlich preisgab, und das schlieſsliche Ergebniſs der endlosen
Verhandlung war der Beschluſs überhaupt in Aegypten nicht zu
interveniren (Jan. 698). Diese wiederholten Zurückweisungen,
die Pompeius im Senat erhielt und, was schlimmer war, hinge-
hen lassen muſste ohne sie wett zu machen, galten natürlich,
mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem groſsen
Publicum als ebenso viele Siege der Opposition und Niederlagen
der Machthaber überhaupt; die Fluth der Opposition war dem-
gemäſs im stetigen Steigen. Schon die Wahlen für 698 waren
nur zum Theil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Can-
didaten für die Praetur Publius Vatinius und Gaius Alfius waren
durchgefallen, dagegen zwei entschiedene Anhänger der gestürzten
Regierung Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus Domitius
Calvinus jener zum Consul, dieser zum Prätor gewählt worden.
Für 699 aber war gar als Bewerber um das Consulat Lucius Do-
mitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluſs
in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermögen schwer zu ver-
hindern und von dem es hinreichend bekannt war, daſs er sich
nicht an verdeckter Opposition werde genügen lassen. Die Comi-
tien [also rebellirten]; bald stimmte der Senat ein. Es ward feierlich
in ihm deliberirt über ein Gutachten, das etruskische Wahrsager
von anerkannter Weisheit über gewisse Zeichen und Wunder auf
Verlangen des Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offen-
barung verkündigte, daſs durch den Zwist der höheren Stände
die ganze Gewalt über Heer und Schatz auf einen Gebieter über-
zugehen und der Staat in Unfreiheit zu gerathen in Gefahr sei —
es schien, daſs die Götter zunächst auf den Antrag des Gaius
Messius zielten. Bald erklärte man sich deutlicher. Das Gesetz
über das Gebiet von Capua und die übrigen von Caesar als Con-
sul erlassenen Gesetze waren von der Opposition stets als nich-
tig bezeichnet und schon im Dec. 697 war im Senat geäuſsert
worden, daſs es erforderlich sei sie wegen ihrer Formfehler zu
cassiren. Am 5. April 698 stellte der Consular Cicero in vollem
Senat den Antrag die Berathung über die campanische Acker-
[291]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
vertheilung auf den 15. Mai anzusetzen. Es war die förmliche
Kriegserklärung; und sie war um so bezeichnender, als sie aus
dem Munde eines jener Männer kam, die nur dann die Farbe
wechseln, wenn sie meinen es mit Sicherheit thun zu können.
Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen um
den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen
sämmtliche Dynasten zugleich zu beginnen. Was weiter folgen
werde, war leicht zu sehen. Domitius hatte es kein Hehl, daſs er
als Consul bei der Bürgerschaft auf Caesars sofortige Abberufung
aus Gallien anzutragen beabsichtige. Eine aristokratische Restau-
ration war im Werke; mit dem Antrag über die Colonie Capua
warf die Nobilität den Machthabern den Handschuh hin.
Caesar, obwohl er über die hauptstädtischen Ereignisse von
Tag zu Tag detaillirte Berichte empfing und, wenn die militäri-
schen Rücksichten es irgend erlaubten, sie von seiner Südpro-
vinz aus in möglichster Nähe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar
wenigstens nicht in dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man
ihm so gut wie seinen Collegen, ja ihm vornämlich den Krieg
erklärt; er muſste handeln und handelte rasch. Eben befand er
sich in der Nähe; die Aristokratie hatte nicht einmal für gut be-
funden mit dem Bruche zu warten, bis er wieder über die Alpen
zurückgegangen sein würde. Anfang April 698 verlieſs Crassus
die Hauptstadt um mit seinem mächtigeren Collegen das Erfor-
derliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus
begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit
ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich
um die Getreidesendungen aus Sardinien und Africa zu betrei-
ben, sich von Rom entfernt hatte. Die namhaftesten Anhänger
der Machthaber, wie der Proconsul des diesseitigen Spaniens Me-
tellus Nepos, der Propraetor von Sardinien Appius Claudius und
viele Andere folgten ihnen nach; hundertundzwanzig Lictoren,
über zweihundert Senatoren zählte man auf dieser Conferenz, die
bereits im Gegensatz zu dem republikanischen den neuen monar-
chischen Senat repräsentirte. In jeder Hinsicht stand das ent-
scheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es um die bestehende
Gesammtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmäſsigerer Macht-
vertheilung wiederherzustellen und fester zu gründen. Die mi-
litärisch bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der
beiden Gallien gab, wurden den zwei Collegen zugestanden:
Pompeius die beider Spanien, Crassus die von Syrien, welche
Aemter ihnen durch Volksschluſs auf fünf Jahre (700—704)
gesichert und militärisch wie finanziell angemessen ausgestattet
19*
[292]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die Verlängerung
seines Commandos, das mit dem J. 700 zu Ende lief, bis zum
Schluſs des J. 705 aus, so wie die Befugniſs seine Legionen auf
zehn zu vermehren und die eigenmächtig ausgehobenen Truppen
aus der Staatskasse besolden zu lassen. Pompeius und Crassus
ward ferner für das nächste Jahr (699), bevor sie in ihre Statt-
halterschaften abgingen, das zweite Consulat zugesagt, während
Caesar es sich ausmachte gleich nach Beendigung seiner Statthal-
terschaft im J. 706, wo für ihn das gesetzlich zwischen zwei Con-
sulaten erforderliche zehnjährige Intervall verstrichen war, zum
zweiten Mal das höchste Amt zu erhalten. Den militärischen
Rückhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulirung der
hauptstädtischen Verhältnisse um so mehr bedurften, als die ur-
sprünglich hiezu bestimmten Legionen Caesars für jetzt aus dem
transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fan-
den sie in den Legionen, die sie für die spanischen und syrischen
Armeen neu ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemes-
sen schiene, von Italien aus an ihre verschiedenen Bestimmungs-
plätze abgehen lassen sollten. Die Hauptfragen waren damit er-
ledigt; die untergeordneten Dinge, wie die Festsetzung der gegen
die hauptstädtische Opposition zu befolgenden Taktik, die Regu-
lirung der Candidaturen für die nächsten Jahre und dergleichen
mehr hielten nicht lange auf. Die persönlichen Zwistigkeiten, die
dem Verträgniſs im Wege standen, schlichtete der groſse Meister
der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die wi-
derstrebendsten Elemente sich mit einander zu behaben. Zwi-
schen Pompeius und Crassus ward äuſserlich wenigstens ein
collegialisches Einvernehmen wieder hergestellt. Sogar Publius
Clodius ward bestimmt sich und seine Meute ruhig zu halten und
Pompeius nicht ferner zu belästigen — keine der geringsten
Wunderthaten des mächtigen Zauberers. — Daſs diese ganze
Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Compro-
miſs selbstständiger und ebenbürtig rivalisirender Mächte, son-
dern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen
die Verhältnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinli-
chen Lage eines machtlosen Flüchtlings, der kommt bei seinem
Gegner Hülfe zu erbitten. Mochte Caesar ihn zurückweisen und
die Coalition als gelöst erklären oder auch ihn aufnehmen und
den Bund fortbestehen lassen wie er eben war — Pompeius war
so wie so politisch vernichtet. Wenn er alsdann mit Caesar
nicht brach, so war er der machtlose Schutzbefohlene seiner
Verbündeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach und wenn es
[293]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
ihm gelang, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt
eine Coalition mit der Aristokratie zu Stande zu bringen, so
war doch auch dieses nothgedrungen und im letzten Augen-
blick abgeschlossene Bündniſs der Gegner nicht eben furcht-
bar; schwerlich hat Caesar, um dies abzuwenden, sich zu jenen
Concessionen verstanden. Eine ernstliche Rivalität des Cras-
sus Caesar gegenüber war vollends unmöglich. Es ist schwer
zu sagen, welche Motive Caesar bestimmten seine überlegene
Stellung ohne Noth aufzugeben und, was er seinem Nebenbuh-
ler selbst bei Abschluſs des Bundes 694 versagt und was die-
ser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar gerüstet
zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Wil-
len vergeblich angestrebt hatte, das zweite Consulat und die
militärische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuräumen. Allerdings
ward Pompeius neue Macht einigermaſsen aufgewogen durch
die seines alten Feindes und Caesars langjährigen Verbündeten
Crassus, und unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche mi-
litärische Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius neue
Macht. Allein nichts desto weniger verlor Caesar unendlich, in-
dem sein Rival für seine bisherige Machtlosigkeit eine reelle,
wenn auch durch einen Dritten aufgewogene Machtstellung ein-
tauschte. Es ist möglich, daſs Caesar sich seiner Soldaten noch
nicht hinreichend Herr fühlte um sie in den Krieg gegen die for-
mellen Autoritäten des Landes mit Zuversicht zu führen; allein
ob es zum Bürgerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich
weit mehr bei der hauptstädtischen Aristokratie als bei Pompeius,
und es wäre dies höchstens ein Grund für Caesar gewesen nicht
offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch
die Opposition zu ermuthigen, nicht aber ihm das zuzugestehen,
was er ihm zugestand. Rein persönliche Motive mochten mitwir-
ken: es kann sein, daſs Caesar sich erinnerte einstmals in glei-
cher Machtlosigkeit Pompeius gegenüber gestanden zu haben und
nur durch dessen freilich mehr schwach- als groſsmüthiges Zu-
rücktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist wahr-
scheinlich, daſs Caesar sich scheute das Herz seiner geliebten und
ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreiſsen — in
seiner Seele war für vieles Raum noch neben dem Staatsmann.
Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Rücksicht
auf Gallien. Caesar betrachtete — anders als seine Biographen
— die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der
Krone ihm nützliche beiläufige Unternehmung, sondern es hing
ihm die äuſsere Sicherheit und die innere Reorganisation, mit
[294]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
einem Worte die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Er-
oberung ungestört vollenden zu können und nicht gleich jetzt die
Entwirrung der italischen Verhältnisse in die Hand nehmen zu
müssen, gab er unbedenklich seinen politischen Vortheil daran
und gewährte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat
und dessen Anhang fertig zu werden. Es war das ein arger po-
litischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte als möglichst rasch
König von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes
beschränkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er
traute es sich zu die beiden gleich ungeheuren Arbeiten: der Ord-
nung der inneren Verhältnisse Italiens und der Gewinnung und
Sicherung eines neuen und frischen Bodens für die italische Ci-
vilisation, neben einander zu betreiben und zu vollenden. Natür-
lich kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen
haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt
als gefördert. Es trug ihm bittere Früchte, daſs er die italische
Revolution, statt sie im J. 698 zu erledigen, auf das J. 706 hin-
ausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein
überverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie seine
Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter über alles
Maſs hinaus vorgab.
Es war nun also an der Aristokratie ihren hohen Einsatz
gut zu machen und den Krieg so kühn zu führen, wie sie kühn
ihn erklärt hatte. Allein es giebt kein kläglicheres Schauspiel, als
wenn feige Menschen das Unglück haben einen muthigen Ent-
schluſs zu fassen. Man hatte sich eben auf gar nichts vorgesehen.
Keinem schien es beigefallen zu sein, daſs Caesar möglicher Weise
sich zur Wehre setzen, daſs nun gar Pompeius und Crsasus sich
mit ihm aufs Neue und enger als je vereinigen würden. Das
scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persönlich-
keiten ins Auge faſst, die damals die verfassungstreue Opposition
im Senate führten. Cato war noch abwesend*; der einfluſs-
reichste Mann im Senat war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der
Held des passiven Widerstandes, der eigensinnigste und stumpf-
sinnigste aller Consulare. Man hatte die Waffen bloſs ergriffen um
[295]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
sie zu strecken, so wie der Gegner nur an die Scheide schlug:
die bloſse Kunde von den Conferenzen in Luca genügte, um jeden
Gedanken einer ernstlichen Opposition niederzuschlagen und die
Masse der Aengstlichen, das heiſst die ungeheure Majorität des
Senats, wieder zu ihrer in unglücklicher Stunde verlassenen Un-
terthanenpflicht zurückzubringen. Von der anberaumten Ver-
handlung zur Prüfung der Gültigkeit der julischen Gesetze war
nicht weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichte-
ten Legionen wurden durch Beschluſs des Senats auf die Staats-
kasse übernommen; die Versuche bei der Regulirung der nächsten
Consularprovinzen Caesar beide Gallien oder doch das eine der-
selben hinwegzudecretiren wurden von der Majorität abgewiesen
(Ende Mai 698). So that man öffentlich Buſse. Im Geheimen
kamen die Herren deſsgleichen, einer nach dem andern, tödtlich
erschrocken über ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu
machen und unbedingten Gehorsam zu geloben — keiner schnel-
ler als Marcus Cicero, der seine Wortbrüchigkeit zu spät bereute
und hinsichtlich seiner jüngsten Vergangenheit sich mit Ehren-
titeln belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft wa-
ren*. Natürlich lieſsen die Machthaber sich beschwichtigen; man
versagte keinem den Pardon, da keiner die Mühe lohnte mit ihm
eine Ausnahme zu machen. Um zu erkennen, wie plötzlich nach
dem Bekanntwerden der Beschlüsse von Luca der Ton in den
aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Mühe werth die
kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschüren mit der Pali-
nodie zu vergleichen, die er ausgehen lieſs, um seine Reue und
seine guten Vorsätze öffentlich zu constatiren**.
Wie es ihnen gefiel und gründlicher als zuvor konnten also
die Machthaber die italischen Verhältnisse ordnen. Italien und die
Hauptstadt erhielten thatsächlich eine wenn auch nicht unter den
Waffen versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum
Commandanten. Von den für Syrien und Spanien durch Crassus
und Pompeius ausgehobenen Truppen gingen zwar die ersteren
[296]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
nach dem Osten ab; allein Pompeius lieſs in den beiden spani-
schen Provinzen die bisher dort stehende Besatzung unter seinen
Unterbefehlshabern, während er die Offiziere und Soldaten der
neu ausgehobenen Legionen auf Urlaub entlieſs und selbst mit
ihnen in Italien blieb. — Man gehorchte also, weil man gehor-
chen muſste; der stille Widerstand der öffentlichen Meinung frei-
lich steigerte sich, je deutlicher und allgemeiner es begriffen ward,
daſs die Machthaber bemüht waren mit der alten Verfassung ein
Ende zu machen und in möglichst schonender Weise die beste-
henden Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in die For-
men der Monarchie zu fügen. Vor allen Dingen wurden alle wich-
tigeren Angelegenheiten ohne Zuziehung des Senats und nament-
lich das Militärwesen und die äuſseren Verhältnisse, ohne ihn zu
fragen, bald durch Volksbeschluſs, bald durch das bloſse Gutfin-
den der Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestim-
mungen hinsichtlich der Militärcommandos von Gallien, Spanien
und Syrien wurden durch den Volkstribun Gaius Trebonius un-
mittelbar an die Bürgerschaft gebracht, überhaupt über die Be-
setzung der wichtigeren Statthalterschaften häufig durch Volks-
schluſs entschieden. Daſs für die Machthaber es der Einwilli-
gung der Behörden nicht bedürfe, um ihre Truppen beliebig zu
vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend dargethan; ebenso-
wenig trugen sie Bedenken ihre Truppen sich unter einander zu
borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius für den galli-
schen, Crassus von Caesar für den parthischen Krieg solche col-
legialische Unterstützung empfing. Wenn sonst die Einrichtung
neu erworbener Gebiete durch eine Senatscommission beschafft
worden war, so organisirte Caesar seine ausgedehnten gallischen
Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen. Das den höchst-
commandirenden Feldherrn instructionsmäſsig zustehende Recht
an einzelne Unterthanen das römische Bürgerrecht zu verleihen
ward von Caesar benutzt um bei den massenweisen Aushebun-
gen, die er im cisalpinischen Gallien anordnete, sämmtlichen la-
tinischen Rekruten das Bürgerrecht zu verleihen*, ja sogar um
[297]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
förmliche Bürgercolonien, namentlich Novum-Comum (Como)
mit fünftausend Colonisten, zu gründen, ohne irgend Jemand
deſswegen zu fragen. Piso führte den thrakischen, Gabinius den
ägyptischen, Crassus den parthischen Krieg, ohne den Senat zu
fragen, ja ohne auch nur, wie es herkömmlich war, an den Senat
zu berichten; in ähnlicher Weise wurden Triumphe und andere
Ehrenbezeugungen bewilligt und vollzogen, ohne daſs der Se-
nat darum begrüſst ward. Offenbar liegt hierin nicht eine bloſse
Vernachlässigung der Formen, die um so weniger erklärlich
wäre, als in den bei weitem meisten Fällen eine Opposition des
Senats durchaus nicht zu erwarten war; es war die wohl berech-
nete Absicht den Senat von dem militärischen und dem Gebiet
der höheren Politik zu verdrängen und seine Theilnahme an der
Verwaltung auf die finanziellen Fragen und die inneren Angele-
genheiten zu beschränken. Auch die Gegner erkannten dies wohl
und arbeiteten, freilich ohne Erfolg, darauf hin durch Senats-
beschlüsse und Hochverrathsurtheile wenigstens energische De-
monstrationen gegen dies Verfahren der Machthaber zu bewirken.
Den Senat schob man also in der Hauptsache bei Seite; der
minder gefährlichen Volksversammlungen bedienten die Macht-
haber auch ferner sich noch — es war dafür gesorgt, dass die
Herren von der Straſse wenigstens den Machthabern keine
Schwierigkeit mehr in den Weg legten —: indeſs in vielen Fäl-
len entledigte man sich auch dieses leeren Schemens und ge-
brauchte unverholen autokratische Formen.
Der gedemüthigte Senat muſste wohl oder übel in seine
Lage sich finden. Der Führer der gehorsamen Majorität blieb
Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advocatentalents
für alles Gründe oder doch Worte zu finden; und es lag eine echt
caesarische Ironie darin den Mann, dessen die Aristokratie sich
vorzugsweise zu Demonstrationen gegen die Machthaber bedient
hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden. Darum er-
theilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten wider den
Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unter-
würfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermaſsen
um als Geiſsel für ihn zu haften hatte sein Bruder einen Offi-
*
[298]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
ziersposten im gallischen Heere übernehmen müssen; ihn selbst
hatte Pompeius genöthigt eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm
anzunehmen, welche eine Handhabe hergab um ihn jeden Augen-
blick mit Manier zu verbannen. Clodius war zwar angewiesen
worden ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar lieſs ebenso
wenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um des
Clodius willen, und der groſse Vaterlandserretter wie der nicht
minder groſse Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Sa-
marobriva sich eine Antichambreconcurrenz, die gehörig zu illu-
striren es leider an einem römischen Aristophanes gebrach. Aber
nicht bloſs ward dieselbe Ruthe über Ciceros Haupte schwebend
erhalten, die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte;
auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen stark
brouillirten Finanzen waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars
und die Mitaufseherschaft über die ungeheure Summen in Um-
lauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen
und manche unsterbliche Senatsrede erstickte an dem Gedan-
ken an den Geschäftsträger Caesars, der nach dem Schluſs der
Sitzung ihm den Wechsel präsentiren möchte. Also gelobte er
sich ‚künftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, son-
dern um die Gunst der Machthaber sich zu bemühen‘ und ‚ge-
schmeidig zu sein wie ein Ohrläppchen.‘ Man brauchte ihn denn
wozu er gut war: als Advocaten, wo es vielfach sein Loos war
eben seine bittersten Feinde auf höheren Befehl vertheidigen zu
müssen, und vor allem im Senat, wo er fast regelmäſsig den
Dynasten als Organ diente und die Anträge stellte, ‚denen An-
dere wohl zustimmten, aber er selbst nicht‘; ja als anerkannter
Führer der Majorität der Gehorsamen erlangte er sogar eine ge-
wisse politische Bedeutung. In ähnlicher Weise wie mit Cicero
verfuhr man mit den übrigen der Furcht, der Schmeichelei oder
dem Golde zugänglichen Mitgliedern des regierenden Collegiums
und es gelang dasselbe im Ganzen botmäſsig zu erhalten. Aller-
dings blieb eine Fraction von Opponenten, die wenigstens Farbe
hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die
Machthaber hatten sich überzeugt, daſs Ausnahmemaſsregeln, wie
die gegen Cato und Cicero, ihrer Sache mehr schadeten, als nütz-
ten und daſs es ein minderes Uebel sei die unbequeme republi-
kanische Opposition zu ertragen als aus den Opponenten Mär-
tyrer der Republik zu machen. Darum lieſs man es geschehen,
daſs Cato zurückkam (Ende 698) und von da an wieder im Senat
und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine
Opposition machte, die wohl ehrenwerth, aber leider doch auch
[299]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
zugleich lächerlich war. Man lieſs es geschehen, daſs er bei Ge-
legenheit der Anträge des Trebonius den Widerstand auf dem
Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb und daſs
er im Senat den Antrag stellte den Pronconsul Caesar wegen
seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer
diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, daſs Marcus
Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluſs ge-
faſst hatte die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu überneh-
men, zur Thür der Curie sprang und die Gefahr des Vaterlandes
auf die Gasse hinausrief; daſs derselbe in seiner scurrilen Art
die weiſse Binde, die Pompeius um sein krankes Bein trug, ein
deplacirtes Diadem hieſs; daſs der Consular Lentulus Marcellinus,
da die Bürger ihm Beifall klatschten, es wohlgethan nannte jetzt
zu klatschen, da es noch dem Bürger gestattet sei seine Meinung
zu äuſsern; daſs der Volkstribun Gaius Ateius Capito den Cras-
sus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger
Theologie öffentlich den bösen Geistern überantwortete. Im Gan-
zen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minori-
tät; doch war dieselbe nicht völlig ohne Bedeutung, indem sie
theils der im Stillen gährenden republikanischen Opposition Nah-
rung und Parole gab, theils auch wohl die Senatsmajorität, die
doch im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Macht-
haber hegte, zu einzelnen oppositionellen Beschlüssen fortriſs.
Auch die Majorität fühlte das Bedürfniſs wenigstens zuweilen und
in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu ma-
chen und namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen,
ihren Groll gegen die groſsen Feinde in der Wuth gegen die klei-
nen auszulassen. Wo es nur anging, ward den Werkzeugen der
Machthaber ein leiser Fuſstritt versetzt: so wurde Gabinius das
erbetene Dankfest verweigert (698), so Piso aus der Provinz
abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun
Gaius Cato die Wahlen für 699 so lange hinderte, als der oppo-
sitionelle Consul Marcellinus noch im Amte war. Sogar Cicero,
wie demüthig er immer vor den Machthabern sich neigte, lieſs
doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschüre ge-
gen Caesars Schwiegervater Piso ausgehen. Aber all diese kleinen
oppositionellen Velleitäten der Senatsmajorität und nicht minder
der resultatlose Widerstand der Minorität zeigen nur um so deut-
licher, daſs das Regiment wie einst von der Bürgerschaft auf
den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber übergegan-
gen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein monarchi-
scher Staatsrath. ‚Kein Mensch‘, klagten die Anhänger der ge-
[300]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
stürzten Regierung, ‚gilt das Mindeste auſser den Dreien; die
Herrscher sind allmächtig und sie sorgen dafür, daſs keiner dar-
über im Unklaren bleibe; der ganze Staat ist wie umgewandelt
und gehorcht den Gebietern; unsere Generation wird einen Um-
schwung der Dinge nicht erleben.‘ Man lebte eben nicht mehr in
der Republik, sondern in der Monarchie.
Aber wenn über das eigentliche Regierungswesen die Macht-
haber unumschränkt verfügten, so blieb noch ein von dem eigent-
lichen Regiment gewissermaſsen abgesondertes politisches Gebiet,
das leichter zu vertheidigen und schwerer zu erobern war: das
der Wahlen der ordentlichen Beamten und das der Geschwornen-
gerichte. Daſs die letzteren in den Gang der Regierung unmittel-
bar nicht eingreifen, aber überall und vor allem in Rom von dem
das Staatswesen beherrschenden Geiste mit beherrscht werden,
ist von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehörten allerdings
von Rechtswegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates mit;
allein da in dieser Zeit der Staat wesentlich durch auſserordent-
liche Beamte oder auch ganz titellose Männer verwaltet ward und
selbst die höchsten ordentlichen Beamten, wenn sie der opposi-
tionellen Richtung anhingen, doch auf die Staatsmaschine in ir-
gend fühlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten, so sanken
die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten,
wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen gerade-
zu und mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre
Wahlen also zu Demonstrationen. So konnte, nachdem die Op-
position von dem eigentlichen Schlachtfeld bereits gänzlich ver-
drängt war, dennoch in den Wahlen und den Prozessen die Fehde
noch fortgeführt werden. Die Machthaber sparten keine Mühe, um
auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen hatten sie
bereits in Luca für die nächsten Jahre die Candidatenlisten unter
einander festgestellt und lieſsen kein Mittel unversucht um die
dort vereinbarten Candidaten durchzubringen. Zunächst zum
Zweck der Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jährlich
wurden aus Caesars und Pompeius Heeren eine groſse Anzahl
Soldaten auf Urlaub entlassen, um an den Abstimmungen in Rom
theilnehmen zu können. Caesar pflegte selbst von Oberitalien
aus in möglichster Nähe die Wahlbewegungen zu leiten und zu
überwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen
erreicht. Für 699 wurden zwar, dem Vertrag von Luca entspre-
chend, Pompeius und Crassus zu Consuln gewählt und der ein-
zige ausharrende Candidat der Opposition Lucius Domitius be-
seitigt; allein schon dies war nur durch offenbare Gewalt durch-
[301]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
gesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und andere höchst
ärgerliche Auftritte vorfielen. In den nächsten Consularwahlen
für 700 aber ward gar allen Anstrengungen der Machthaber zum
Trotz Domitius wirklich gewählt, und auch Cato siegte jetzt ob in
der Bewerbung um die Praetur, in der ihn das Jahr zuvor zum
Aergerniſs der ganzen Bürgerschaft Caesars Client Vatinius aus
dem Felde geschlagen hatte. Bei den Wahlen für 701 gelang es der
Opposition unter andern Candidaten auch die der Machthaber der
ärgerlichsten Wahlumtriebe so unwidersprechlich zu überweisen,
daſs die Machthaber, auf die der Scandal zurückfiel, nicht anders
konnten als sie fallen lassen. Diese wiederholten und argen Nie-
derlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld mögen zum
Theil zurückzuführen sein auf die Unregierlichkeit der eingero-
steten Maschinerie, die unberechenbaren Zufälligkeiten des Wahl-
geschäfts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die man-
cherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam
durchkreuzenden Privatrücksichten; die Hauptursache aber liegt
anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der
Gewalt der verschiedenen Clubs, in die die Aristokratie sich grup-
pirte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassend-
sten Maſsstab und mit gröſster Ordnung organisirt. Dieselbe
Aristokratie also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch
die Wahlen; aber wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte
und stimmte sie hier im Geheimen und vor jeder Rechenschaft
sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Diese versuchten
dem zu steuern durch ein strenges Strafgesetz gegen die clubbi-
stischen Wahlumtriebe, das Crassus als Consul 699 durch die
Bürgerschaft bestätigen lieſs; daſs damit wenig erreicht ward,
versteht sich von selbst und zeigen die Wahlumtriebe der näch-
sten Jahre. — Ebenso groſse Schwierigkeit machten den Macht-
habern die Geschwornengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusam-
mensetzung entschied in denselben neben dem auch hier einfluſs-
reichen Senatsadel vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung
eines hochgegriffenen Geschwornencensus durch ein von Pom-
peius 699 beantragtes Gesetz ist ein bemerkenswerther Beweis
dafür, daſs die Opposition gegen die Machthaber ihren Hauptsitz
in dem eigentlichen Mittelstand hatte und die hohe Finanz hier
wie überall sich gefügiger als dieser erwies. Nichtsdestoweniger
war der republikanischen Partei hier noch nicht aller Boden ent-
zogen und sie ward nicht müde mit politischen Criminalanklagen
zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren hervorragende
Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozeſskrieg ward um so leb-
[302]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
hafter geführt, als dem Herkommen gemäſs das Anklagegeschäft
der senatorischen Jugend zukam und begreiflicher Weise unter
diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen
noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke An-
griffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei;
wenn die Machthaber ernstlich befahlen, wagten sie so wenig wie
der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern
wurde von der Opposition mit so grimmigem fast sprichwörtlich
gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der ver-
wegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern
Caesars; aber sein Herr befahl und er ward von allen gegen ihn
erhobenen Anklagen freigesprochen. Indeſs Anklagen von Män-
nern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Caius Asinius Pollio
das Schwert der Dialektik und die Geiſsel des Spottes zu schwin-
gen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann noch nicht ganz,
wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus.
Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen da-
vongetragen, allein es ward doch auch durch sie einer der höchst-
gestellten und verhaſstesten Anhänger der Dynasten gestürzt, der
Consular Gabinius, den die Geschwornen Ende 700 der Erpres-
sungen schuldig fanden und ihn in die Verbannung schickten. Al-
lerdings vereinigte gegen Gabinius mit dem unversöhnlichen Haſs
der Aristokratie, die ihm das Seeräubergesetz so wenig vergab
wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner sy-
rischen Statthalterschaft, sich die Wuth der hohen Finanz, der
gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte die Interessen
der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus,
dem er bei Uebergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht
hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pom-
peius und dieser hatte alle Ursache seinen fähigsten, kecksten
und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu vertheidigen; aber
hier wie überall verstand er es nicht seine Macht zu gebrauchen
und seine Clienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat.
— Im Ganzen war auf dem Gebiet der Volkswahlen und der Ge-
schwornengerichte der Erfolg der Machthaber nur ein sehr zwei-
felhafter und getheilter. Die Factoren, die hier herrschten, waren
minder greifbar und eben darum weit schwerer zu terrorisiren
oder zu corrumpiren als die unmittelbaren Organe der Regierung
und Verwaltung. Die Gewalthaber stieſsen hier, namentlich in
den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in
Coterien gruppirten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht
fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat und die um so
[303]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
schwerer zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stieſsen
hier ferner, namentlich in den Geschwornengerichten, auf den
Widerwillen der Mittelklassen gegen das neue monarchische Re-
giment, den mit allen daraus entspringenden Verlegenheiten sie
ebenso wenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten auf beiden
Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege
der Opposition zwar nur den Werth von Demonstrationen hatten,
da die Machthaber die Mittel besaſsen und gebrauchten, um jeden
miſsliebigen Beamten thatsächlich zu annulliren, die oppositio-
nellen Criminalverurtheilungen aber in empfindlicher Weise sie
brauchbarer Gehülfen beraubten. Wie die Dinge standen, ver-
mochten die Machthaber die Volkswahlen und die Geschwornen-
gerichte weder zu entbehren noch ausreichend zu beherrschen
und die Opposition, wie sehr sie auch hier sich eingeengt fand,
behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den Kampfplatz.
Noch schwieriger aber erwies es sich der Opposition auf
einem Felde zu begegnen, dem sie immer mehr sich zuwandte,
je weiter sie aus der unmittelbaren politischen Thätigkeit heraus-
gedrängt ward. Es war dies die Litteratur. Schon die gericht-
liche Opposition war zugleich, ja vor allem eine litterarische, da
die Reden regelmäſsig veröffentlicht wurden und als politische
Flugschriften dienten. Rascher und schärfer noch trafen die
Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend, noch
energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen
Landstädten führten den Pamphleten- und Epigrammenkrieg
mit Eifer und Erfolg. Neben einander fochten auf diesem Felde
der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672—706),
der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dich-
ter gefürchtet war, und die Municipalen von Cremona und Ve-
rona Marcus Furius Bibaculus (652—691) und Quintus Valerius
Catullus (667—c.700), deren elegante und beiſsende Epigramme
pfeilschnell durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durch-
aus herrscht in der Litteratur dieser Jahre der oppositionelle Ton.
Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den ‚groſsen Caesar‘,
den ‚einzigen Feldherrn‘, gegen den liebevollen Schwiegervater
und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zu Grunde rich-
ten, damit es ihren verlotterten Günstlingen möglich werde die
Spolien der langhaarigen Kelten durch die Straſsen Roms zu pa-
radiren, mit der Beute der fernsten Insel des Westens königliche
Schmäuse auszurichten und als goldregnende Concurrenten die
ehrlichen Jungen daheim bei ihren Mädchen auszustechen. Es
[304]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
ist in den catullischen Gedichten* und den sonstigen Trümmern
der Litteratur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persön-
lich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster
Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie
in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demo-
sthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher er-
kannte es wohl, daſs es ebenso unmöglich war diese Opposition
zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. So
weit er konnte, versuchte Caesar die namhaftesten Schriftsteller
persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle
Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten
Theil seinem litterarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter
Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch
Vermittlung des Vaters desselben, in dessen Hause Caesar abzu-
steigen pflegte, wenn er nach Verona kam, seinen Specialfrieden
zu schlieſsen und der junge Dichter, der den mächtigen General
eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen über-
schüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten
Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug um
seinen litterarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und
als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Ge-
sammtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, wel-
cher die Nothwendigkeit und Verfassungsmäſsigkeit seiner Krieg-
führung mit glücklich angenommener Naivetät vor dem Publikum
entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal un-
bedingt und ausschlieſslich die Freiheit; sie und sie allein ver-
mag es noch in der elendesten Carricatur, noch mit ihrem letz-
ten Athemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Ele-
mente der Litteratur waren und blieben antimonarchisch, und
wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu
scheitern, so war der Grund doch nur, daſs er selbst sogar jetzt
noch den groſsartigen Traum eines freien Gemeinwesens im
[305]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine
Anhänger zu übertragen vermochte. Die praktische Politik ward
nicht unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Lit-
teratur von den Republikanern.
So standen die Dinge in der Hauptstadt. Die Herrscher ent-
schlossen sich gegen die zwar machtlose, aber immer noch lä-
stige und dreiste Opposition nachdrücklich einzuschreiten. Den
Ausschlag gab, wie es scheint, die Verurtheilung des Gabinius
(Ende 700). Man kam überein eine wenn auch nur zeitweilige
Dictatur eintreten zu lassen und mittelst dieser neue Zwangs-
maſsregeln namentlich hinsichtlich der Wahlen und der Ge-
schwornengerichte durchzusetzen. Als derjenige der Herrscher,
dem zunächst die Regierung Roms und Italiens oblag, übernahm
Pompeius die Ausführung dieses Beschlusses; sie trug denn auch
den Stempel der ihm eigenen Schwerfälligkeit im Entschlieſsen
und im Handeln und seiner wunderlichen Unfähigkeit selbst da,
wo er befehlen wollte und konnte, mit der Sprache herauszu-
gehen. Die Forderung ihn mit der Dictatur zu bekleiden ward,
wenn auch nur in Andeutungen und nicht durch Pompeius
selbst, bereits Ausgang 700 im Senat vorgebracht; allein be-
greiflicher Weise scheute selbst die servile Majorität davor zu-
rück das zu bewilligen, was der künftige Dictator selbst sich zu
scheuen schien offen zu begehren. Als ostensibler Grund diente
die fortwährende Clubs- und Bandenwirthschaft in der Haupt-
stadt, die durch Bestechungen und Gewaltthätigkeiten allerdings
auf die Wahlen wie auf die Geschwornengerichte den verderb-
lichsten Einfluſs ausübte und den Krawall daselbst in Permanenz
hielt; man muſs es zugeben, daſs sie es den Machthabern leicht
machte ihre Exceptionalmaſsregeln zu rechtfertigen. Die Agita-
tion für die Wahlen von 701, die weit in dieses Jahr sich hin-
einzogen und erst im Juli 701 nach fast siebenmonatlichem In-
terregnum stattfanden, hatte bereits die ärgerlichsten Auftritte
herbeigeführt und Pompeius erwünschten Anlaſs gegeben dem
Senat als das einzige Mittel den Knoten wo nicht zu lösen doch
zu zerhauen immer bestimmter die Dictatur zu bezeichnen. Allein
das entscheidende Befehlswort hatte er immer noch nicht ge-
sprochen, und vielleicht wäre es noch lange ungesprochen geblie-
ben, wenn nicht bei den Consularwahlen für 702 gegen die Can-
didaten der Machthaber Quintus Metellus Scipio und Publius
Plautius Hypsacus, beide dem Pompeius persönlich nahe ste-
hende und durchaus ergebene Männer, der verwegenste Partei-
gänger der republikanischen Opposition Titus Annius Milo als
Röm. Gesch. III. 20
[306]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
Gegencandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet
mit physischem Muth, mit einem gewissen Talent zur Intrigue
und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angebore-
ner und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den poli-
tischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und
war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommirteste Mann,
natürlich also auch mit diesem in tödtlichster Concurrenzfeind-
schaft. Clodius stand mit den Machthabern im Einvernehmen und
spielte wieder den Ultrademokraten. Da also die eine Partei den
Achill der Straſse acquirirt hatte, fiel der Hektor der Straſse der
andern von selber zu: Milo ward Aristokrat, und die republikani-
sche Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündniſs geschlossen
hätte, wenn er sich ihr angetragen, erkannte ihn bereitwillig an als
ihren rechtmäſsigen Vorfechter in allen Krawallen. In der That
waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon
trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande.
So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos
Bewerbung um das Consulat; selbst Cicero konnte nicht umhin
seinen langjährigen Beschützer gegen Clodius und seines Fein-
des Feind zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch
Gewalt sparte um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe
gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloſs eine neue em-
pfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine drohende Ge-
fahr; denn es war vorauszusehen, daſs der verwegene Parteigän-
ger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der an-
ständigen Opposition als Consul werde annulliren lassen. Da begab
es sich, daſs zufällig unweit der Hauptstadt auf der appischen
Straſse Achill und Hektor sich begegneten und zwischen den
beiderseitigen Banden eine Balgerei entstand, in welcher Clodius
selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genöthigt ward
in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne
Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen
war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden muſste,
so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerther und selbst
minder gefährlich als das halbe; er befahl seinen Leuten den Clo-
dius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzuma-
chen (13. Jan. 702). Den Straſsenführern von der Partei der
Machthaber, den Volkstribunen Titus Munatius Plancus, Quintus
Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus erschien dieser
Vorfall als ein passender Anlaſs um im Interesse ihrer Herren
Milos Candidatur zu vereiteln und Pompeius Dictatur durchzu-
setzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und
[307]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
Sclaven, hatten mit Clodius ihren Patron und künftigen Befreier
eingebüſst (S. 281); die erforderliche Aufregung war leicht be-
wirkt; nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbühne des
Marktes in Parade ausgestellt und die dazu gehörigen Reden ge-
halten worden waren, ging der Krawall los. Zum Scheiterhaufen
für den groſsen Befreier ward der Sitz der perfiden Aristokratie
bestimmt: die Rotte trug den Körper in das Rathhaus und zün-
dete das Gebäude an. Hierauf zog der Schwarm vor Milos Haus
und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer mit
Pfeilschüssen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pom-
peius und seiner Consularcandidaten, von denen jener als Dic-
tator, diese als Consuln begrüſst wurden, und von da vor das
des Zwischenkönigs Marcus Lepidus, dem die Leitung der Con-
sulwahlen oblag. Da dieser pflichtmäſsig sich weigerte dieselben,
wie die brüllenden Haufen es forderten, sofort zu veranstalten,
so ward auch er fünf Tage lang in seiner Wohnung belagert ge-
halten. — Die Unternehmer dieser scandalösen Auftritte hatten
ihre Rolle überspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Mei-
ster entschlossen diesen günstigen Zwischenfall zu benutzen, um
nicht bloſs Milo zu beseitigen, sondern auch die Dictatur zu er-
greifen; allein er wollte sie doch nicht von einem Haufen Knit-
telmänner empfangen, sondern vom Senat. Jetzt befahl er dem
Senat sofort den Dictator zu ernennen und zog zugleich Trup-
pen heran um die in der Hauptstadt herrschende und in der
That allen Parteien unerträglich gewordene Anarchie niederzu-
schlagen. Der Senat gab also nach. Es war nur eine formelle
Flause, daſs auf Vorschlag von Cato und Bibulus der Proconsul
Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Aemter statt zum
Dictator zum ‚Consul ohne Collegen‘ ernannt ward (25 Schalt-
monat* 702) — eine Flause, welche eine mit zwiefachem inne-
rem Widerspruch behaftete** Benennung zulieſs, um nur die ein-
fach sachbezeichnende zu vermeiden und die lebhaft erinnert an
den weisen Beschluſs des verschollenen Junkerthums den Plebe-
jern nicht das Consulat, sondern nur die consularische Gewalt ein-
zuräumen (I, 188). — Also im legalen Besitz der Vollgewalt
ging Pompeius an das Werk und schritt nachdrücklich vor ge-
gen die in den Clubs und den Geschwornengerichten mächtige
20*
[308]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
Opposition. Die bestehenden Wahlvorschriften wurden durch
ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschärft und durch ein
anderes gegen die Wahlumtriebe, das für alle seit 684 begange-
nen Vergehen dieser Art rückwirkende Kraft erhielt, die bisher
darauf gesetzten Strafen gesteigert. Die Geschwornencommis-
sionen blieben zwar bestehen, aber das Recusationsrecht ward
beschränkt und, was vielleicht noch wichtiger war, der Redefrei-
heit in den Gerichten Grenzen gesetzt, indem sowohl die Zahl
der Advocaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch Maxi-
malsätze beschränkt und die eingerissene Unsitte neben den
That- auch noch Charakterzeugen oder sogenannte ‚Lobredner‘
zu Gunsten des Angeklagten beizubringen untersagt ward. Der
gehorsame Senat decretirte auf Pompeius Wink, daſs durch den
Raufhandel auf der appischen Straſse das Vaterland in Gefahr
gerathen sei; demnach wurde für alle mit demselben zusammen-
hängenden Verbrechen durch ein Ausnahmegesetz eine Special-
commission bestellt, deren Mitglieder geradezu von Pompeius
ernannt wurden. Es ward auch ein Versuch gemacht dem cen-
sorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen
und durch dasselbe die tiefzerrüttete Bürgerschaft von dem
schlimmsten Gesindel zu säubern. — Alle diese Maſsregeln er-
folgten unter dem Drucke des Säbels. In Folge der Erklärung
des Senats, daſs das Vaterland gefährdet sei, rief Pompeius in
ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und
nahm sie in Eid und Pflicht; vorläufig ward eine ausreichende
und zuverlässige Truppe in das Capitol verlegt; bei jeder oppo-
sitionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschrei-
ten und stellte während der Prozeſsverhandlungen über die Er-
mordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der Ge-
richtsstätte selbst Wache auf. — Der Plan zur Wiederbelebung
der Censur scheiterte daran, daſs unter der servilen Senatsma-
jorität Niemand sittlichen Muth und Autorität genug besaſs, um
sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben; übrigens er-
reichten die Machthaber ihren Zweck: die Opposition zu demü-
thigen und die Zügel straffer anzuziehen, vollkommen. Milo ward
von den Geschwornen verurtheilt (8. April 703), Catos Bewer-
bung um das Consulat für 703 von den Machthabern vereitelt.
Die Reden- und Pamphletenopposition erhielt durch die neue
Prozeſsordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder er-
holt hat; die gefürchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit
von dem politischen Gebiet verdrängt und trug fortan die Zü-
gel der Monarchie. Man fing an in diese sich zu finden. Als
[309]POMPEIUS UND CAESARS GESAMMTHERRSCHAFT.
Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit
genas, ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit all
dem obligaten Freudigkeitsceremoniell gefeiert, das bei solchen
Gelegenheiten in Monarchien üblich ist. Die Machthaber zeigten
sich befriedigt: schon am 1. Aug. 702 legte Pompeius die Dic-
tatur nieder und theilte das Consulat mit seinem Clienten Metellus
Scipio. — Mit alle dem war der Opposition nicht jede Gelegen-
heit sich zu äuſsern abgeschnitten; dies konnte nur gelingen,
wenn man aus dem Leben der Nation die Volkswahlen, die Ge-
schwornengerichte und die Litteratur gänzlich ausstrich. Aber
bemerkenswerth ist es, daſs Pompeius, indem er der Opposition
Fesseln anlegte, zugleich ihr durch seine Ungeschicklichkeit und
innerliche Verkehrtheit wieder Vorschub that und ihr selbst unter
seiner Dictatur einzelne für ihn empfindliche Triumphe verschaffte.
Daſs die Tendenzmaſsregeln, die die Herrscher zur Befestigung
ihrer Macht ergriffen, officiell als im Interesse der öffentlichen
Ruhe und Ordnung getroffene Verfügungen charakterisirt wur-
den und die Machthaber jeden Bürger, der die Anarchie nicht
wolle, als mit ihnen wesentlich einverstanden bezeichneten, war
in der Ordnung. Aber Pompeius trieb es mit dieser durchsich-
tigen Fiction so weit, daſs er zu Mitgliedern der Specialcommis-
sion zur Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werk-
zeuge die achtbarsten Männer aller Parteien, sogar Cato er-
nannte und seinen Einfluſs auf das Gericht wesentlich dazu an-
wandte um die Ordnung zu handhaben und das in den Gerich-
ten dieser Zeit hergebrachte Spectakeln seinen Anhängern so
gut wie den Gegnern unmöglich zu machen. Diese Neutralität
des Regenten sah man den Urtheilen des Specialhofes an. Die
Geschwornen wagten zwar nicht Milo selbst freizusprechen;
aber die meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei
der republikanischen Opposition gingen frei aus, während die
Verurtheilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in dem letzten
Krawall für Clodius, das heiſst für die Machthaber Partei ge-
nommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Pompeius ver-
trautesten Freunden, sogar seinen Candidaten zum Consulat Hy-
psaeus und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem
Interesse die Emeute dirigirt hatten. Wenn Pompeius deren Ver-
urtheilung nicht hinderte um unparteiisch zu erscheinen, so war
dies eine Albernheit, und eine zweite, daſs er denn doch wieder
in Nebendingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze
verletzte, zum Beispiel im Prozeſs des Plancus als Charakterzeuge
auftrat, und einzelne ihm besonders nahe stehende Angeklagte,
[310]FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
wie den Metellus Scipio, in der That vor der Verurtheilung
schützte. Wie gewöhnlich wollte er auch hier entgegengesetzte
Dinge; und indem er versuchte zugleich den Pflichten des un-
parteiischen Regenten und des Parteihauptes Genüge zu thun,
erfüllte er weder diese noch jene und erschien der öffentlichen
Meinung mit Recht als despotischer Regent, seinen Anhängern
mit gleichem Recht als ein Führer, der die Seinigen entweder
nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte.
[[311]]
KAPITEL IX.
Crassus Tod. Der Bruch der Gesammtherrscher.
Unter den Häuptern des ‚dreiköpfigen Ungeheuers‘ war
Marcus Crassus Jahre lang mitgerechnet worden, ohne eigent-
lich mitzuzählen. Er diente den wirklichen Machthabern Pom-
peius und Caesar als Gleichgewichtstein, oder genauer gesagt, er
fiel mit in Caesars Wagschale gegen Pompeius. Diese Rolle des
überzähligen Collegen ist nicht allzu ehrenvoll; aber Crassus ward
nie durch leidenschaftliches Ehrgefühl gehindert seinen Vortheil
zu verfolgen. Er war Kaufmann und lieſs mit sich handeln. Was
ihm geboten ward, war nicht viel; aber da mehr nicht zu erhalten
war, nahm er es an und suchte den nagenden Ehrgeiz und den
Verdruſs über seine der Macht so nahe und doch machtlose Stel-
lung über den ihm immer höher sich häufenden Goldbergen zu
vergessen. Aber die Conferenz zu Luca wandelte auch für ihn
die Verhältnisse um. Um nach den ausgedehnten Zugeständnis-
sen an Pompeius auch ferner gegen ihn im Uebergewicht zu blei-
ben, gab Caesar seinem alten Verbündeten Crassus Gelegenheit
durch den parthischen Krieg eben dahin in Syrien zu gelangen,
wohin Caesar durch den keltischen in Gallien gelangt war. Es
war schwer zu sagen, ob diese neuen Aussichten mehr den
Heiſshunger nach Golde reizten, der dem jetzt sechzigjährigen
Manne zur andern Natur geworden war und mit jeder neu er-
worbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in
der Brust des Graukopfs lange mühsam niedergekämpften und
jetzt mit unheimlichem Feuer in ihr glühenden Ehrgeiz. Bereits
Anfang 700 traf er in Syrien ein; nicht einmal den Ablauf seines
[312]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
Consulats hatte er abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger
Leidenschaft schien er jede Minute auskaufen zu wollen um das
Versäumte nachzuholen, zu den Schätzen des Westens noch die
des Ostens einzuthun, Feldherrnmacht und Feldherrnruhm rasch
wie Caesar und mühelos wie Pompeius zu erjagen.
Er fand den parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius
illoyales Verfahren gegen die Parther ist früher erzählt worden
(S. 133); er hatte die vertragsmäſsige Euphratgrenze nicht re-
spectirt und zu Gunsten Armeniens, das jetzt römischer Clientel-
staat war, mehrere Landschaften vom parthischen Reich abge-
rissen. König Phraates hatte sich das gefallen lassen; nachdem
er aber von seinen beiden Söhnen Mithradates und Orodes er-
mordet worden war, erklärte der neue König Mithradates dem
König von Armenien, des kürzlich verstorbenen Tigranes Sohn
Artavasdes, sofort den Krieg (um 698*). Es war dies zugleich
eine Kriegserklärung gegen Rom; so wie daher der Aufstand der
Juden unterdrückt war, führte der tüchtige und muthige Statt-
halter Syriens Gabinius die Legionen über den Euphrat. Im Par-
therreich war indeſs inzwischen eine Umwälzung eingetreten: die
Groſsen des Reiches, an ihrer Spitze der junge kühne und talent-
volle Fürst Surenas, hatten den König Mithradates gestürzt und
dessen Bruder Orodes auf den Thron gesetzt. Mithradates machte
deſshalb gemeinschaftliche Sache mit den Römern und begab
sich in Gabinius Lager. Alles versprach dem Unternehmen des
römischen Statthalters den besten Erfolg, als er unvermuthet
Befehl bekam, den König von Aegypten mit Waffengewalt nach
Alexandreia zurückzuführen (S. 147). Er muſste gehorchen;
aber in der Erwartung bald wieder zurück zu sein veranlaſste er
den bei ihm Hülfe bittenden König inzwischen auf eigene Faust
den Krieg zu eröffnen. Mithradates that es und besetzte auch
Seleukeia und Babylon; aber Seleukeia nahm Surenas, er der
Feldherr persönlich der erste auf der Zinne, mit stürmender
Hand ein und in Babylon muſste Mithradates selbst, durch Hun-
ger bezwungen, sich ergeben, worauf er auf Befehl des Bruders
hingerichtet ward. Sein Tod war ein fühlbarer Verlust für die
Römer; aber die Gährung im parthischen Reich war damit kei-
neswegs zu Ende; auch der armenische Krieg währte noch fort
und verhinderte ernstliche Rüstungen gegen Rom. Eben war
Gabinius im Begriff nach Beendigung des ägyptischen Feldzugs
[313]CRASSUS TOD.
die immer noch günstige Gelegenheit zu nutzen und den unter-
brochenen parthischen Krieg wieder aufzunehmen, als Crassus
in Syrien eintraf und mit dem Commando zugleich die Pläne
seines Vorgängers übernahm. Voll hochfliegender Hoffnungen
schlug er die Schwierigkeiten des Marsches gering, die Wider-
standskraft der feindlichen Heere noch geringer an; zuversicht-
lich sprach er nicht bloſs von der Unterwerfung der Parther,
sondern eroberte schon in Gedanken die Reiche von Baktrien
und Indien.
Eile indeſs hatte der neue Alexander nicht. Er fand, bevor
er so groſse Pläne ins Werk setzte, noch Muſse zu sehr weitläuf-
tigen und sehr einträglichen Nebengeschäften. Die Tempel der
Derketo in Hierapolis Bambyke, des Jehovah in Jerusalem und
andere reiche Heiligthümer der syrischen Provinz wurden auf
Crassus Befehl ihrer Schätze beraubt und von allen Untertha-
nen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen beige-
trieben. Die militärischen Operationen des ersten Sommers be-
schränkten sich auf eine umfassende Recognoscirung in Mesopo-
tamien; der Euphrat ward überschritten, bei Ichnae (am Belik
nördlich von Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die
nächstliegenden Städte, darunter das ansehnliche Nikephorion
(Rakkah) besetzt, worauf man mit Zurücklassung von Besatzun-
gen in denselben wieder nach Syrien zurückging. Man hatte bis-
her geschwankt, ob es rathsamer sei auf dem Umweg über Arme-
nien oder auf der geraden Straſse durch die mesopotamische Wüste
die Parther anzugreifen. Der erste Weg durch gebirgige und von
zuverlässigen Verbündeten beherrschte Landschaften empfahl
sich durch gröſsere Sicherheit; König Artavasdes kam selbst in
das römische Hauptquartier um diesen Feldzugsplan zu befürwor-
ten. Allein jene Recognoscirung entschied für den Marsch durch
Mesopotamien. Die zahlreichen und blühenden griechischen und
halbgriechischen Städte in den Landschaften am Euphrat und
Tigris, vor allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen
Herrschaft durchaus abgeneigt; wie früher die Bürger von Karrhae
(S. 130), so hatten jetzt alle von den Römern berührten grie-
chischen Ortschaften es mit der That bewiesen, daſs sie bereit
waren die unerträgliche Fremdherrschaft abzuschütteln und die
Römer als Befreier, beinahe als Landsleute zu empfangen. Der
Araberfürst Abgaros, der die Wüste um Edessa und Karrhae und
damit die gewöhnliche Straſse vom Euphrat an den Tigris be-
herrschte, hatte im Lager der Römer sich eingefunden um die-
selben seiner Ergebenheit persönlich zu versichern. Durchaus
[314]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der
Euphrat (bei Biradjik) überschritten. Um von da an den Ti-
gris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen.
Entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe
von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige
Meilen von einander entfernt sind; oder man schlug sogleich
nach dem Uebergang quer durch die groſse mesopotamische
Wüste auf der kürzesten Linie den Weg zum Tigris ein. Der
erste Weg führte zunächst nach der parthischen Hauptstadt
Ktesiphon, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris
lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrath meh-
rere gewichtige Stimmen und namentlich der Quästor Gaius Cas-
sius Longinus wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches
und auf die bedenklichen Berichte hin, welche über die Kriegs-
vorbereitungen der Parther von den römischen Besatzungen am
linken Euphratufer einliefen. Allein damit im Widerspruch mel-
dete der arabische Fürst Abgaros, daſs die Parther beschäftigt
seien ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits seien ihre
Schätze eingepackt und ihr Zug in Bewegung, um sich zu den
Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewalt-
marsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich
sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahr-
scheinlich gelingen wenigstens den Nachtrab der groſsen Armee
unter Surenas und Sillakes einzuholen und aufzureiben und un-
geheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten
Beduinen entschieden über die Marschrichtung: das römische
Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000
Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und
hinein in die unwirthlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens.
Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und
die endlose Sandwüste schienen an den Pforten des Ostens Wache
zu halten. Endlich, nach vieltägigem mühseligem Marsch, zeigten
sich unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu über-
schreiten hatte, des Balissos (Belik), die ersten feindlichen Rei-
ter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt um zu kund-
schaften; die Reiterschaaren wichen zurück bis an und über den
Fluſs und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und
den Seinen. Vergebens harrte man auf seine Rückkehr mit ge-
nauerer Kundschaft. Der Feldherr war ungeduldig endlich an den
ewig zurückweichenden Feind heranzukommen; sein junger ta-
pferer Sohn Publius, der mit der gröſsten Auszeichnung in Gal-
lien unter Caesar gefochten hatte (S. 227. 243) und von diesem
[315]CRASSUS TOD.
an der Spitze einer keltischen Reiterschaar zur Unterstützung
des Vaters im parthischen Kriege entsandt worden war, brannte
vor stürmischer Kampflust. Das Zeichen zum Aufbruch ward
gegeben, der Balissos überschritten, das Heer nach kurzer un-
genügender Mittagrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt vorwärts
gegen den Feind geführt. Da erschollen plötzlich rings umher
die Kesselpauken der Parther; auf allen Seiten sah man ihre sei-
denen goldgestickten Fahnen flattern, ihre Eisenhelme und Pan-
zer im Strahl der heiſsen Mittagssonne glänzen; und neben ihnen
hielt Fürst Abgaros mit seinen Beduinen.
Man begriff zu spät, in welches Netz man sich hatte ver-
stricken lassen. Mit sicherem Blick hatte Surenas sowohl die Ge-
fahr durchschaut wie die Mittel ihr zu begegnen. Mit orientali-
schem Fuſsvolk war gegen die römische Linieninfanterie nichts
anzufangen: Surenas hatte sich ihrer entledigt und diese auf dem
Hauptschlachtfeld unbrauchbare Masse unter König Orodes eige-
ner Führung gegen Armenien gesandt, wodurch König Artavasdes
verhindert ward die versprochenen 10000 schweren Reiter zu
Crassus Heer stoſsen zu lassen, die dieser jetzt schmerzlich ver-
miſste. Surenas selbst trat der römischen in ihrer Art unüber-
trefflichen Taktik mit einer vollkommen verschiedenen gegen-
über. Sein Heer bestand ausschlieſslich aus Reiterei; die Linie
bildeten die schweren Reiter, mit langen Stoſslanzen bewaffnet
und Mann und Roſs durch metallene Schuppenpanzer oder Leder-
koller und durch ähnliche Schienen geschirmt; die Masse der
Truppen bestand aus berittenen Bogenschützen. Diesen gegen-
über waren die Römer in den gleichen Waffen sowohl der Zahl
wie der Tüchtigkeit nach durchaus im Nachtheil. Ihre Linienin-
fanterie, wie vorzüglich sie auch im Nahkampf, sowohl auf kurze
Distanz mit dem schweren Wurfspeer* als im Handgemenge mit
dem Schwert war, konnte doch eine bloſs aus Reiterei bestehende
Armee nicht nach Gefallen zum Nahkampf zwingen und fand, wenn
es dazu kam, in den eisenstarrenden Schaaren der Lanzenreiter
einen auch hierin ihr gewachsenen, wo nicht überlegenen Gegner.
Einem Heer gegenüber, wie das des Surenas war, stand das rö-
mische strategisch im Nachtheil, weil die Reiterei die Commu-
nicationen beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fern-
[316]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
waffe unterliegen muſs, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen
Mann zu gelangen vermag. Die concentrirte Stellung, auf der die
ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen An-
griff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Colonne sich
schaarte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoſs, aber
desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter ge-
wöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu vertheidigen und Boden-
schwierigkeiten zu berücksichtigen sind, wäre es nicht möglich
jene bloſs mit Reiterei gegen Fuſsvolk operirende Taktik voll-
kommen durchzuführen; in der mesopotamischen Wüste, wo
das Heer fast wie das Schiff auf der hohen See viele Tagemärsche
hindurch weder auf ein Hinderniſs noch auf einen strategischen
Anhaltspunct traf, war diese Kriegführung eben darum so un-
widerstehlich, weil die Verhältnisse gestatteten sie in ihrer gan-
zen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier
vereinigte sich alles um die fremden Fuſsgänger gegen die ein-
heimischen Reiter in Nachtheil zu setzen. Wo der schwerbeladene
römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe
sich hinschleppte und auf dem pfadlosen durch weit auseinander
gelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege
vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische
Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt auf seinem Thier zu
sitzen, ja fast auf demselben zu leben, auf seinem geschwinden
Roſs oder Kameel leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit
langem sich zu erleichtern und im Nothfall zu ertragen gewöhnt
war. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und
die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen
und Schleuderer erschlafft hätte; hier war an vielen Stellen es
kaum möglich in dem tiefen Sande ordentliche Gräben und Wälle
für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage
zu erdenken, in der die militärischen Vortheile mehr auf der
einen, die Nachtheile mehr auf der andern Seite wären. — Auf
die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese
neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten
Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider
nur mit Muthmaſsungen antworten. Die Lanzenreiter und berit-
tenen Bogenschützen an sich sind im Orient uralt und bildeten
bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios.
Aber bisher waren diese Waffen nur nebenbei und wesentlich zur
Deckung der durchaus unbrauchbaren Infanterie verwendet wor-
den und die parthischen Heere weichen hierin von den übrigen
orientalischen ab; es werden parthische Armeen erwähnt, die zu
[317]CRASSUS TOD.
fünf Sechsteln aus Fuſsvolk bestanden. Hier dagegen trat die
Reiterei zum ersten Mal ganz selbstständig auf und es erhielt
diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz
anderen Werth. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des römi-
schen Fuſsvolks im Nahkampf scheint unabhängig von einander
die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu glei-
cher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben ihnen
mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cas-
sivellaunus in Britannien vollständig (S. 246), Vercingetorix in
Gallien zum Theil gelang (S. 256), was bis zu einem gewissen
Grade schon Mithradates Eupator versuchte (S. 64), das hat Su-
renas nur in gröſserem Maſsstab und vollständiger durchgeführt;
wobei es ihm namentlich zu Statten kam, daſs er in der schwe-
ren Cavallerie das Mittel eine Linie zu bilden, in dem im Orient
nationalen und vornämlich in den persischen Landschaften mit
meisterticher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame
Fernwaffe, endlich in den Eigenthümlichkeiten des Landes und
des Volkes die Möglichkeit fand seinen genialen Gedanken rein
zu realisiren. Es bereitete hier, wo der römischen Nahwaffe und
dem römischen Concentrirungssystem zum ersten Mal die Fern-
waffe und das Deployirungssystem überlegen gegenübertraten, die-
jenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einfüh-
rung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluſs erhalten hat.
Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von
Karrhae (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher
Richtung etwas näher an Ichnae, inmitten der Sandwüste die
erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die
römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblick-
lich zurück vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit gröſseren
Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die römische
Armee, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere sie
möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes
Viereck von zwölf Cohorten an jeder Seite gestellt worden war,
war bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet,
die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Legionen
mit nichts auch nur zu erwiedern vermochten. Die Hoffnung,
daſs der Feind sich verschieſsen möge, verschwand bei einem
Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kameele.
Die Parther, immer weiter sich ausdehnend, waren im Begriff die
Ueberflügelung in eine Umzingelung zu verwandeln, als Publius
Crassus mit einem auserlesenen Corps von Reitern, Schützen
und Linieninfanterie zum Angriff gegen sie vorrückte. Der Aus-
[318]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
fall gelang; der Feind gab es auf den Kreis zu schlieſsen und
wich zurück, hitzig verfolgt von dem ungestümen Führer der
Römer. Aber als das Corps des Publius die Hauptarmee ganz aus
dem Gesicht verloren hatte, hielten die schweren Reiter ihm gegen-
über Stand und die von allen Seiten herbeieilenden parthischen
Haufen zogen wie ein Netz sich um dasselbe zusammen. Pu-
blius, der unter den Pfeilen der berittenen Schützen die Seinigen
dicht und nutzlos um sich fallen sah, stürzte verzweifelt mit sei-
ner unbepanzerten keltischen Reiterei sich auf die eisenstarrenden
Lanzenreiter der Feinde; allein die todesverachtende Tapferkeit
seiner Kelten, die die Lanzen mit den Händen packten oder von
den Pferden sprangen um die der Feinde niederzustechen, that
ihre Wunder umsonst. Die Trümmer des Corps, unter ihnen der
am Schwertarm verwundete Führer, wurden auf eine kleine An-
höhe gedrängt, wo sie den feindlichen Schützen erst recht zur
bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen, die der
Gegend genau kundig waren, beschworen den Crassus mit ihnen
abzureiten und einen Versuch zu machen sich zu retten; aber er
weigerte sich sein Schicksal von dem der tapferen Männer zu
trennen, die sein verwegener Muth in den Tod geführt hatte und
lieſs von der Hand seines Schildträgers sich durchbohren. Gleich
ihm gaben die meisten noch übrigen Offiziere sich selber den Tod.
Von der ganzen gegen 6000 Mann starken Abtheilung wurden
nicht mehr als etwa 500 gefangen; zu retten vermochte sich keiner.
Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff nachgelassen
und man rastete nur zu gern, bis das Ausbleiben jeder Meldung
von dem entsandten Corps aus der trügerischen Ruhe aufschreckte
und man sich in Bewegung setzte um dasselbe aufzusuchen.
Allein als der Vater der Wahlstatt sich näherte, ward ihm bereits
das Haupt des Sohnes auf einer Stange entgegengetragen; und
abermals begann gegen das Hauptheer die schreckliche Schlacht
mit demselben Ungestüm und derselben hoffnungslosen Gleich-
förmigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter zu sprengen
noch die Schützen zu erreichen; erst die Nacht machte dem Mor-
den ein Ende. Hätten die Parther auf dem Schlachtfeld bivouakirt,
es wäre schwerlich vom römischen Heer ein Mann entkommen.
Allein unfähig wie sie waren ein Handgemenge zu bestehen und
darum besorgt vor einem Ueberfall hatten sie die Gewohnheit
niemals hart am Feinde zu lagern; höhnisch riefen sie den Rö-
mern zu, daſs sie dem Feldherrn eine Nacht schenkten um sei-
nen Sohn zu beweinen und jagten davon, um am andern Morgen
wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild abzu-
[319]CRASSUS TOD.
fangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die
Unterfeldherren Cassius und Octavius — Crassus selbst hatte
gänzlich den Kopf verloren — ordneten an was unvermeidlich
war, daſs das Heer mit Zurücklassung der sämmtlichen — an-
geblich 4000 — Verwundeten und Versprengten sofort und in
möglichster Stille aufbreche. Daſs die Parther, als sie den folgen-
den Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten die zer-
streut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und
daſs die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhae, durch
Ausreiſser frühzeitig von der Katastrophe in Kenntniſs gesetzt,
schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, ret-
tete die Trümmer derselben von der wie es schien unausbleib-
lichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae konnten
die parthischen Reiterschaaren natürlich nicht denken; allein
bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an
Lebensmitteln genöthigt, sei es in Folge der muthlosen Ueber-
eilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vom Commando zu
entfernen und dasselbe dem Cassius zu übertragen vergeblich
versucht hatten. Man schlug die Richtung ein nach den armeni-
schen Bergen; die Nacht marschirend und am Tage rastend er-
reichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung
Sinnaka, die nur noch einen Tagemarsch von den sichernden
Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr
den Oberfeldherrn, den der Führer irre geleitet und dem Feinde
preisgegeben hatte. Da ritt Surenas vor das römische Lager, um
im Namen des Königs Orodes den Römern Frieden und Freund-
schaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft mit
dem feindlichen Feldherrn anzutragen. Das römische Heer, de-
moralisirt wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer das
Anerbieten anzunehmen. Surenas empfing den Consular und
dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs Neue
einen Freundschaftspact abzuschlieſsen; nur forderte er, mit ge-
rechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pom-
peius abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze
erinnernd (S. 133), daſs derselbe sogleich schriftlich abgefaſst
werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein
Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener
des Surenas drängten sich um diesen, beeifert ihn auf das Pferd
zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige
man sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octa-
vius, unbewaffnet wie er war, riſs einem der Parther das Schwert
aus der Scheide und stieſs den Pferdeknecht nieder. In dem Auf-
[320]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
lauf, der hieraus sich entspann, wurden die römischen Offiziere
alle getödtet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Groſs-
ohm (II, 52), dem Feind nicht lebend als Trophäe dienen und zog
den Tod der Gefangenschaft vor. Die im Lager zurückgebliebene
führerlose Menge ward zum Theil gefangen, zum Theil versprengt.
Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von
Sinnaka (9. Juni 701); beide nahmen ihren Platz neben den
Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphrat-
armee war nicht mehr. Nur der Reiterschaar des Gaius Cassius,
welche bei dem Abmarsch von Karrhae von dem Hauptheer ab-
gesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen
und vereinzelten Flüchtlingen gelang es sich den Parthern und
den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien
zu finden. Von über 40000 römischen Legionaren, die den
Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück;
die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene
wurden von den Siegern im äuſsersten Osten ihres Reiches, in
Antiochia Margiane, nach parthischer Art als heerpflichtige Leib-
eigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen
führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den
Händen der Feinde, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im
Westen (S. 250) und im Osten der Parther geworden. Von dem
Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist
uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und
bleibend muſs er gewesen sein. König Orodes richtete eben die
Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen
Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien aus, als die
Siegesbotschaft bei ihm einlief und nach orientalischer Sitte zu-
gleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war
die Tafel aufgehoben und eine der wandernden kleinasiatischen
Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden
und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis
tief in den Osten hinein trugen, führte vor dem versammelten
Hofe Euripides Bakchen auf. Der Schauspieler, der die Rolle der
Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung
ihren Sohn zerrissen hat und nun, mit dem Haupte desselben
auf dem Thyrsus, vom Kithaeron zurückkehrt, vertauschte dieses
mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Ju-
bel seines Publicums von halbhellenisirten Barbaren begann er
aufs Neue das wohlbekannte Lied:
[321]CRASSUS TOD.
Es war seit den Zeiten der Achaemeniden der erste ernsthafte
Sieg, den die Orientalen über den Occident erfochten; und wohl
lag auch darin ein tiefer Sinn, daſs zur Feier dieses Sieges das
schönste Erzeugniſs der occidentalischen Welt, die griechische
Tragödie durch ihre herabgekommenen Vertreter in grotesk grau-
siger Weise sich selber parodirte. Das römische Bürgerthum und
der Genius von Hellas fingen gleichzeitig an sich auf die Ketten
des Sultanismus zu schicken.
Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren Fol-
gen furchtbar werden und die Grundfesten der römischen Macht im
Osten erschüttern zu sollen. Es war das Wenigste, daſs die Parther
jetzt jenseit des Euphrat unbeschränkt schalteten, daſs Armenien,
nachdem es schon vor der Katastrophe des Crassus vom römischen
Bündniſs abgefallen war, jetzt ganz in parthische Clientel gerieth,
daſs den treuen Bürgern von Karrhae durch den von den Par-
thern ihnen gesetzten neuen Herrn, einen der verrätherischen
Wegweiser der Römer Namens Andromachos, ihre Anhänglich-
keit an die Occidentalen bitter vergolten ward. Alles Ernstes
schickten die Parther sich an nun ihrerseits die Euphratgrenze
zu überschreiten und im Verein mit den Armeniern und den Ara-
bern die Römer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden und andere
Völkerschaften mehr harrten hier der Erlösung von der römischen
Herrschaft nicht minder ungeduldig wie die Hellenen jenseit des
Euphrat der von der parthischen; in Rom stand der Bürgerkrieg
vor der Thür; der Angriff eben hier und eben jetzt war eine schwere
Gefahr. Allein zum Glücke Roms hatten auf beiden Seiten die
Führer gewechselt. Sultan Orodes verdankte dem heldenmüthi-
gen Fürsten, der ihm die Krone aufgesetzt und das Land von den
Feinden gesäubert hatte, zu viel, um sich seiner nicht baldmög-
lichst durch den Henker zu entledigen. Surenas Platz als Ober-
feldherr der nach Syrien bestimmten Invasionsarmee füllte ein
Prinz aus, des Königs Sohn Pakoros, dem seiner Jugend und
Unerfahrenheit wegen der Fürst Osakes als militärischer Rath-
geber beigegeben werden muſste. Andrerseits übernahm bei den
Römern an Crassus Stelle das Commando in Syrien interimistisch
der besonnene und entschlossene Quästor Gaius Cassius. Da die
Parther, eben wie früher Crassus, den Angriff nicht beeilten, son-
dern in den Jahren 701 und 702 nur schwache schnell zurück-
geworfene Streifschaaren über den Euphrat sandten, so behielt
Cassius Zeit das Heer einigermaſsen zu reorganisiren und die
Röm. Gesch. III. 21
[322]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spolia-
tion des Tempels wieder einmal unter die Waffen getrieben hatte,
mit Hülfe des treuen Anhängers der Römer Antipatros zum Ge-
horsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte volle
Zeit gehabt zur Vertheidigung der bedrohten Grenze frische
Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Convulsionen
der beginnenden Revolution und als endlich im J. 703 die groſse
parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius
immer noch nur die zwei schwachen aus den Trümmern der Ar-
mee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natür-
lich konnte er damit weder den Uebergang wehren noch die Pro-
vinz vertheidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und
ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht
Städte zu belagern; von Antiochia, in das Cassius mit seinen
Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloſs unverrichteter
Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch
durch Cassius Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch
die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war
unter den Todten und Freund und Feind ward hier inne, daſs
die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und
auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede
andere orientalische. Indeſs aufgegeben war der Angriff nicht.
Noch im Winter 703/4 lagerte Pakoros in Kyrrhestike dies-
seit des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bi-
bulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann,
wuſste nichts Besseres zu thun als sich in seine Festungen ein-
zuschlieſsen. Allgemein ward erwartet, daſs der Krieg im J. 704
mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die
Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater
und trat deſshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Ein-
verständniſs. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde
der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im
Orient wieder hergestellt, allein mit der parthischen Invasion in
Vorderasien war es vorbei und es blieb, vorläufig wenigstens, die
Euphratgrenze erhalten.
In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Re-
volution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an
keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind,
keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschicke der
Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, daſs
das ungeheure Nationalunglück von Karrhae und Sinnaka den der-
zeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als
[323]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
jener elende Krawall auf der appischen Straſse, in dem ein paar
Monate nach Crassus der Bandenführer Clodius umkam; aber es
ist begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den
beiden Machthabern, lange als unvermeidlich gefühlt und oft als
nahe verkündigt, rückte jetzt unaufhaltsam heran. Wie das Boot
der alten griechischen Schiffersage befand sich das Schiff der rö-
mischen Gemeinde gleichsam zwischen zwei auf einander zu-
schwimmenden Felsen; von Augenblick zu Augenblick den kra-
chenden Zusammenstoſs erwartend starrten die, welche es trug,
von namenloser Angst gebannt, in die hoch und höher strudelnde
Brandung und während jedes kleinste Rücken hier tausend Augen
auf sich zog, wagte nicht eines den Blick nach rechts oder links
zu verwenden.
Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April 698
Caesar sich Pompeius gegenüber zu ansehnlichen Concessionen
verstanden und die Machthaber damit sich wesentlich ins Gleich-
gewicht gesetzt hatten, fehlte es ihrem Verhältniſs nicht an den
äuſseren Bedingungen der Haltbarkeit, insoweit bei einer Thei-
lung der an sich untheilbaren monarchischen Gewalt überhaupt
von Haltbarkeit die Rede sein kann. Eine andere Frage war es,
ob die inneren Voraussetzungen der Dauerhaftigkeit vorhanden wa-
ren und ob die Machthaber, wenigstens für jetzt, gegenseitig sich
ohne Hinterhalt als gleichberechtigt anerkannten. Daſs dies bei
Caesar der Fall war daſs er um den Preis der Gleichstellung mit
Pompeius sich die zur Unterwerfung Galliens nothwendige Frist
erkauft hatte, ist früher dargelegt worden. Aber Pompeius war
es schwerlich jemals auch nur vorläufig Ernst mit der Collegia-
lität. Er war eine von den kleinlichen und gemeinen Naturen,
gegen die es gefährlich ist Groſsmuth zu üben: seinem kleinlichen
Sinn muſste es als Gebot der Klugheit erscheinen dem unwillig
anerkannten Nebenbuhler bei erster Gelegenheit ein Bein zu stel-
len, und seine gemeine Seele muſste dürsten nach der Möglich-
keit die durch Caesars Nachsicht erlittene Demüthigung ihm um-
gekehrt zu vergelten. Pompeius Entschluſs mit Caesar zu brechen
ist dem Ursprung nach wahrscheinlich so alt wie der Bund der
Machthaber selbst, wahrscheinlich aber auch in Pompeius dumpfer
und träger Natur erst allmählich zur Klarheit und Reife gelangt. Auf
keinen Fall wird das Publikum, das überhaupt Pompeius An- und
Absichten gewöhnlich besser durchschaute als er selbst, darin
sich getäuscht haben, daſs wenigstens mit dem Tode der schönen
Julia, welche in der Blüthe ihrer Jahre im Herbst 700 starb und
der ihr einziges Kind bald in das Grab nachfolgte, das persön-
21*
[324]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
liche Verhältniſs zwischen ihrem Vater und ihrem Gemahl gelöst
war. Pompeius war es, der abbrach. Caesar versuchte die vom
Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wieder herzu-
stellen: er warb für sich um die Hand der einzigen Tochter des
Pompeius und trug diesem seine jetzt nächste Verwandte, seiner
Schwester Enkelin Octavia zur Gemahlin an; allein Pompeius
lieſs seine Tochter ihrem bisherigen Gatten Faustus Sulla, dem
Sohn des Regenten, und vermählte sich selbst mit der Tochter
des Quintus Metellus Scipio. Der persönliche Bruch war unver-
kennbar eingetreten; man erwartete, daſs der politische ihm auf
dem Fuſse folgen werde. Allein hierin hatte man sich getäuscht:
in öffentlichen Angelegenheiten blieb vorläufig noch ein collegia-
lisches Einvernehmen bestehen. Die Ursache war, daſs Caesar
nicht brechen wollte, bevor Galliens Unterwerfung eine vollen-
dete Thatsache war, Pompeius nicht, bevor er durch die Ueber-
nahme der Dictatur die Regierungsbehörden und Italien vollstän-
dig in seine Gewalt gebracht haben würde. Es ist sonderbar,
aber wohl erklärlich, daſs die Machthaber hiebei sich gegenseitig
unterstützten: Pompeius überlieſs nach der Katastrophe von
Aduatuca im Winter 700 eine seiner auf Urlaub entlassenen ita-
lischen Legionen leihweise an Caesar; andrerseits gewährte Cae-
sar Pompeius seine Einwilligung und seine moralische Unter-
stützung bei den Repressivmaſsregeln, die dieser gegen die stör-
rige republikanische Opposition ergriff. Das politische Resultat
der letzteren war, daſs Pompeius im Anfang des J. 702 das un-
getheilte Consulat und einen durchaus den Caesars überwiegenden
Einfluſs in der Hauptstadt gewann und daſs die sämmtliche waffen-
fähige Mannschaft in Italien den Soldateneid in seine Hände und
auf seinen Namen ableistete. Pompeius war hiermit am Ziele und
es lag in seinem Interesse nun baldmöglichst mit Caesar ein Ende
zu machen. Die Absicht trat auch klar genug hervor. Daſs die
nach dem Auflauf auf der appischen Straſse stattfindende gericht-
liche Verfolgung eben Caesars alte demokratische Parteigenossen
mit schonungsloser Härte traf (S. 309), konnte vielleicht noch als
bloſse Ungeschicklichkeit hingehen. Daſs das neue Gesetz gegen
die Wahlumtriebe, indem es bis 684 zurückgriff, auch die bedenk-
lichen Vorgänge bei Caesars Bewerbung um das Consulat mit ein-
schloſs (S. 308), mochte gleichfalls ohne bestimmte Absicht ver-
fügt sein, obgleich nicht wenige Caesarianer darin eine solche zu
erkennen meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man
nicht mehr die Augen verschlieſsen, als Pompeius sich zum Col-
legen im Consulat nicht seinen früheren Schwiegervater erkor,
[325]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
wie es der Lage der Sache entsprach und vielfach gefordert ward,
sondern in seinem neuen Schwiegervater sich einen von ihm völ-
lig abhängigen Figuranten an die Seite setzte (S. 309); noch we-
niger, als Pompeius sich gleichzeitig die Statthalterschaft beider
Spanien auf weitere fünf Jahre, also bis 709 verlängern und für
die Besoldung seiner Truppen sich aus der Staatskasse eine an-
sehnliche feste Summe auswerfen lieſs, ohne für Caesar die gleiche
Verlängerung des Commandos und die gleiche Geldbewilligung
zu bedingen. Unverkennbar waren diese Uebergriffe darauf be-
rechnet Caesars Stellung zu untergraben und demnächst ihn zu
stürzen. Der Augenblick konnte nicht günstiger sein. Crassus,
seit der sullanischen Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und
fast ebenso lange mit Caesar politisch und persönlich verbündet,
wäre bei einem etwanigen Bruch zwischen Pompeius und Caesar
unzweifelhaft auf Caesars Seite getreten; wie er war, allenfalls,
wenn er nicht selbst König von Rom sein konnte, auch damit
zufrieden der erste Banquier des neuen Königs von Rom zu sein,
durfte Caesar überhaupt auf seine Unterstützung mit Sicherheit
zählen und auf keinen Fall besorgen ihn sich gegenüber als Ver-
bündeten seiner Feinde zu erblicken. Nur darum hatte Caesar in
Luca Pompeius so viel eingeräumt, weil er an Crassus und des-
sen syrischer Armee zugleich ein Gegengewicht gegen Pompeius
erhielt; die Katastrophe vom Juni 701, in der Heer und Feldherr
zu Grunde gingen, war auch für Caesar ein furchtbar schwerer
Schlag. Wenige Monate später brach in Gallien, eben da es voll-
ständig unterworfen schien, die nationale Insurrection gewaltiger
als je aus und zum erstenmal schien hier gegen Caesar ein eben-
bürtiger Gegner in dem Arvernerkönig Vercingetorix aufgetreten
zu sein. Wieder einmal hatte das Geschick für Pompeius gear-
beitet: Crassus war todt, ganz Gallien im Aufstand, Pompeius
factisch Dictator von Rom und Herr des Senats — was hätte
kommen mögen, wenn er jetzt den Senat zwang Caesar aus Gal-
lien abzurufen! — Aber Pompeius hat es nie veretanden das
Glück bei der Locke zu fassen. Er kündigte den Bruch deutlich
genug an: bereits 702 lieſsen seine Handlungen darüber keinen
Zweifel und schon im Frühjahr 703 sprach er seine Absicht mit
Caesar zu brechen unverholen aus; aber er brach nicht und lieſs
ungenutzt die Monate verstreichen.
Indeſs wie auch Pompeius zögerte, die Krise rückte doch
durch das Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam heran
und die Vorbereitungen zu ihr wurden allerseits getroffen. —
Der bevorstehende Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen Re-
[326]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
publik und Monarchie, worüber die Entscheidung bereits gefallen
war, sondern ein Kampf um den Besitz der Krone Roms zwischen
Pompeius und Caesar. Aber keiner der Prätendenten fand seine
Rechnung dabei die rechte Parole auszusprechen; er hätte damit
den ganzen sehr ansehnlichen Theil der Bürgerschaft, der den
Fortbestand der Republik wünschte und an dessen Möglichkeit
glaubte, dem Gegner geradezu ins Lager getrieben. Die alten
Schlachtrufe, wie sie Gracchus und Drusus, Cinna und Sulla
angestimmt hatten, wie verbraucht und inhaltslos sie auch wa-
ren, blieben immer noch gut zum Feldgeschrei für den Kampf
der beiden um die Alleinherrschaft ringenden Generale. Wenn
auch für den Augenblick sowohl Pompeius wie Caesar officiell
sich zu der sogenannten Popularpartei rechneten, so konnte es
doch keinen Augenblick zweifelhaft sein, daſs Caesar das Volk
und den demokratischen Fortschritt, Pompeius die Aristokratie
und die legitime Verfassung auf sein Panier schreiben werde.
Caesar hatte keine Wahl. Er war von Haus aus und sehr ernst-
lich Demokrat, die Monarchie wie er sie verstand mehr dem Na-
men als der Sache nach von dem gracchischen Volksregiment
verschieden; und er war ein zu hochsinniger und zu tiefer Staats-
mann, um seine Farben zu decken und unter einem anderen als
seinem eigenen Wappen zu fechten. Der materielle Gewinn frei-
lich, den dies Feldgeschrei ihm eintrug, war sehr gering; er be-
schränkte in der Hauptsache sich darauf, daſs er dadurch der
Unbequemlichkeit überhoben ward das Königthum beim Namen
zu nennen und mit dem verfehmten Namen die Masse der Lauen
und die eigenen Anhänger zu consterniren. Positiven Gewinn
brachte die demokratische Fahne kaum noch, seit die gracchi-
schen Ideale durch Clodius schändlich und lächerlich geworden
waren; denn wo gab es jetzt, abgesehen etwa von den Transpa-
danern, einen Kreis von irgend welcher Bedeutung, der durch
den populären Schlachtruf zur Theilnahme an dem Kampfe sich
hätte bestimmen lassen? — Damit wäre auch Pompeius Rolle
in dem bevorstehenden Kampf entschieden gewesen, wenn nicht
ohnehin schon es sich von selbst verstanden hätte, daſs er in den-
selben eintreten muſste als der Feldherr der legitimen Republik.
Ihn hatte wenn je einen die Natur zum Glied einer Aristokratie be-
stimmt und nur durch sehr zufällige und sehr egoistische Motive
war er als Ueberläufer aus dem aristokratischen in das demokrati-
sche Lager geführt worden. Es konnte nicht fehlen, daſs er jetzt
wieder auf seine sullanischen Traditionen zurückkam; es war das
nicht bloſs sachgemäſs, sondern in jeder Beziehung unmittelbar
[327]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
nützlich. So verbraucht das demokratische Feldgeschrei war, von
so gewaltiger Wirkung muſste das conservative sein, wenn es von
dem rechten Mann ausging. Vielleicht die Majorität, auf jeden
Fall der Kern der Bürgerschaft gehörte der verfassungstreuen
Partei an und ihrer numerischen und moralischen Stärke nach
war dieselbe wohl berufen in dem bevorstehenden Prätendenten-
kampf in mächtiger, vielleicht in entscheidender Weise zu inter-
veniren. Es fehlte ihr nichts als ein Führer. Marcus Cato, ihr
gegenwärtiges Haupt, that als Vormann seine Schuldigkeit, wie
er sie verstand, unter täglicher Lebensgefahr und vielleicht ohne
Hoffnung auf Erfolg; seine Pflichttreue war achtbar, aber der
letzte auf einem verlorenen Posten zu sein ist Soldaten-, nicht
Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die der Partei der gestürz-
ten Regierung wie von selber in Italien erwachsen war, wuſste
er weder zu organisiren noch rechtzeitig in den Kampf zu zie-
hen; und worauf am Ende alles ankam, die militärische Führung
hat er aus guten Gründen niemals in Anspruch genommen. Wenn
anstatt dieses Mannes, der weder Parteihaupt noch General zu
sein verstand, ein Mann von Pompeius politischer und militäri-
scher Bedeutung das Banner der bestehenden Verfassung erhob,
so strömten nothwendig die Municipalen Italiens haufenweise dem-
selben zu, um, zwar nicht für den König Pompeius, aber doch
gegen den König Caesar fechten zu helfen. Hiezu kam ein anderes
wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war Pompeius Art,
selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg zur Aus-
führung seines Entschlusses finden zu können. Wenn er den Krieg
vielleicht zu führen, aber nicht zu erklären verstand, so war die ca-
tonische Partei sicher unfähig ihn zu führen, aber sehr fähig und
vor allem sehr bereit der in der Gründung begriffenen Monarchie
den Krieg zu motiviren und anzukündigen. Nach Pompeius Ab-
sicht sollte, während er selbst sich passiv verhielt und in seiner
Art bald davon redete demnächst in seine spanischen Provinzen
abgehen zu wollen, bald zur Uebernahme des Commandos am Eu-
phrat sich reisefertig machte, die legitime Regierungsbehörde, das
heiſst der Senat mit Caesar brechen, ihm den Krieg erklären und
mit dessen Führung Pompeius beauftragen, der dann, dem allge-
meinen Verlangen nachgebend, als Beschützer der Verfassung ge-
gen demagogisch-monarchische Wühlereien, als rechtlicher Mann
und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wüstlinge und
Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Curie gegen den Im-
perator von der Gasse aufzutreten und das Vaterland wieder ein-
mal zu retten gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz
[328]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
mit den Conservativen theils zu seinen persönlichen Anhängern
eine zweite Armee, theils ein angemessenes Kriegsmanifest —
Vortheile, die allerdings erkauft wurden um den hohen Preis einer
Coalition mit den principiellen Gegnern. Von den unzähligen
Uebelständen, die hierin lagen, entwickelte sich vorläufig nur erst
der eine, aber bereits sehr ernste, daſs Pompeius es aus der Hand
gab, wann und wie es ihm gefiel, mit Caesar zu brechen und in
diesem entscheidenden Puncte sich abhängig machte von allen
Zufälligkeiten und Launen einer aristokratischen Corporation.
So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie
sich Jahre lang mit der Zuschauerrolle hatte begnügen müssen
und kaum hatte wagen dürfen zu pfeifen, jetzt durch den bevor-
stehenden Bruch der Machthaber wieder auf die politische Schau-
bühne zurückgeführt. Es war nicht schwer vorauszusehen, wie
sie zu Pompeius Coalitionsversuchen sich verhalten werde. Im
Senat, auf den es vorläufig allein ankam, war zwar die ganze
Körperschaft mit wenigen vereinzelten Ausnahmen der Monarchie
abgeneigt; allein die Majorität wollte doch das oligarchische Regi-
ment nur dann restauriren, wenn es ohne Gefahr sich restauriren
lieſs, womit es denn freilich gute Weile hatte. Sie verlangte vor
allen Dingen und um jeden Preis Frieden und war allem abgeneigt,
was entschieden war, am meisten einem entschiedenen Bruch mit
dem einen oder dem andern der Machthaber. Die kleine Minorität
der Entschlossenen, die in Cato ihren Mittelpunct fand, wünschte
im Gegentheil nichts eifriger als den Kampf für die Republik und
gegen die Monarchie je eher desto lieber zu beginnen. Der kläg-
liche Ausgang des im J. 698 gemachten Versuches (S. 294)
hatte sie indeſs belehrt, daſs sie für sich allein den Krieg nicht
einmal zu bewirken, geschweige denn zu führen vermochte; sie
begriff, daſs die einzige Möglichkeit zu einer Restauration des
alten Regiments zu gelangen in der Coalition mit dem minder ge-
fährlichen gegen den gefährlicheren Herrscher lag. Wenn Pom-
peius sich zu der oligarchischen Verfassung bekannte und für sie
gegen Caesar zu streiten sich erbot, so konnte und muſste die
republikanische Opposition ihn als ihren Feldherrn anerkennen
und mit ihm im Bunde die furchtsame Majorität zur Kriegserklä-
rung zwingen. Daſs es Pompeius mit seiner Verfassungstreue
nicht voller Ernst war, konnte zwar Niemand entgehen; aber
halb wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so
wie Caesar zum deutlichen und sicheren Bewuſstsein gekommen,
daſs es das erste Geschäft des neuen Monarchen sein müsse mit
dem oligarchischen Gerümpel gründlich und abschlieſsend auf-
[329]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
zuräumen. Auf alle Fälle bildete der Krieg ein wirklich republi-
kanisches Heer und wirklich republikanische Feldherren heran
und es konnte dann, nach dem Siege über Caesar, unter günsti-
geren Aussichten dazu geschritten werden nicht bloſs einen der
Monarchen, sondern die im Werden begriffene Monarchie selbst
zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der Oligarchie stand,
muſste das Anerbieten des Pompeius mit ihr sich zu alliiren als
eine unerwartet günstige Fügung betrachtet werden.
Der Abschluſs der Allianz zwischen Pompeius und der ca-
tonischen Partei erfolgte verhältniſsmäſsig rasch. Schon während
Pompeius Dictatur hatte beiderseits eine bemerkenswerthe An-
näherung stattgefunden. Pompeius ganzes Verhalten in der milo-
nischen Krise, seine schroffe Zurückweisung des die Dictatur ihm
antragenden Pöbels, seine bestimmte Erklärung nur vom Senat
dies Amt annehmen zu wollen, seine unnachsichtige Strenge ge-
gen die Ruhestörer jeder Art und namentlich gegen die Ultrade-
mokraten, die auffallende Courtoisie, womit er Cato und dessen
Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso darauf berech-
net der Partei der Ordnung entgegenzukommen wie sie für den
Demokraten Caesar beleidigend waren. Andrerseits hatten auch
Cato und seine Getreuen den Antrag Pompeius, die Dictatur zu
übertragen, statt ihn mit gewohntem Rigorismus zu bekämpfen,
unter unwesentlichen Formänderungen zu dem ihrigen gemacht;
zunächst aus den Händen des Bibulus und Cato hatte Pompeius
das ungetheilte Consulat empfangen. Wenn so schon zu Anfang
des J. 702 zwischen der catonischen Partei und Pompeius we-
nigstens ein stillschweigendes Einverständniſs stattfand, so durfte
das Bündniſs als förmlich abgeschlossen gelten, als bei den Con-
sulwahlen für 703 zwar nicht Cato selbst gewählt ward, aber
doch neben einem insignificanten Manne der Senatsmajorität einer
der entschiedensten Anhänger Catos, Marcus Claudius Marcellus.
Marcellus war kein stürmischer Eiferer und noch weniger ein
Genie, aber ein charakterfester und strenger Aristokrat, eben der
rechte Mann um, wenn mit Caesar der Krieg eröffnet werden sollte,
ihm denselben zu erklären. Wie die Verhältnisse lagen, konnte
diese nach den unmittelbar vorher gegen die republikanische
Opposition ergriffenen Repressivmaſsregeln so auffallende Wahl
kaum anders erfolgt sein als mit Einwilligung oder wenigstens
mit stillschweigender Zulassung des gegenwärtigen Machthabers
von Rom. Langsam und schwerfällig, wie er pflegte, aber sicher
und unverwandt schritt Pompeius auf den Bruch zu.
In Caesars Absicht lag es auch jetzt nicht mit Pompeius zu
[330]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
brechen. Zwar ernstlich und auf die Dauer konnte er die Herr-
schergewalt mit keinem Collegen theilen wollen, am wenigsten
mit einem so untergeordneter Art wie Pompeius war, und ohne
Zweifel war er längst entschlossen nach Beendigung der galli-
schen Eroberung die Alleinherrschaft für sich zu nehmen und
nöthigenfalls mit den Waffen zu erzwingen. Allein eine Natur wie
die seinige, in der der Offizier durchaus dem Staatsmann unter-
geordnet war, konnte nicht verkennen, daſs die Regulirung des
staatlichen Organismus durch Waffengewalt denselben in ihren
Folgen tief und oft für immer zerrüttet; Caesar wünschte wenn
irgend möglich die Verwickelung durch friedliche Mittel oder
wenigstens ohne offenbaren Bürgerkrieg zu lösen. Sollte aber
nun einmal der Bürgerkrieg geführt werden, so konnte er für
Caesar in keinem ungelegeneren Momente beginnen als in die-
sem, wo er, von jedem unmittelbaren Eingreifen in Italien aus-
geschlossen, die Coalition seines neuen Gegners und der grund-
sätzlich ihm feindlichen Verfassungspartei nicht wohl im Stande
war zu verhindern. Darum wünschte er das Verhältniſs mit
Pompeius und damit den Frieden wenn irgend möglich aufrecht
zu halten und in friedlicher Weise zu dem bereits in Luca ihm
zugesicherten Consulat für 706 zu gelangen. Ward er alsdann
nach abschlieſsender Erledigung der keltischen Angelegenheiten
in ordnungsmäſsiger Weise an die Spitze des Staats gestellt, so
konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit entschie-
dener überlegen war als dem Feldherrn, ohne Schwierigkeit die-
sen in der Curie und auf dem Forum ausmanövriren und zur
thatsächlichen Alleinherrschaft gelangen. Vielleicht war es mög-
lich für seinen schwerfälligen, unklaren und hoffärtigen Neben-
buhler irgend eine ehrenvolle und einfluſslose Stellung zu er-
mitteln, in der dieser sich zu annulliren zufrieden war; ähnlich
wie Napoleon die Groſswählerschaft für Cambaceres erfand. Die
wiederholten Versuche Caesars, sich mit Pompeius verschwägert
zu halten, mochten eine solche Lösung anbahnen und in der
Succession der aus beider Blut herstammenden Spröſslinge die
letzte Schlichtung des alten Haders herbeiführen sollen. Die re-
publikanische Opposition blieb dann führerlos, also wahrschein-
lich ebenfalls ruhig und der Friede ward erhalten. Aber wenn
es auch auf diese oder jene Weise zum Bürgerkrieg kam —
und die Wahrscheinlichkeit war allerdings dafür —, so konnte
doch Caesar dann als Consul von Rom aus den Krieg schicklicher
und vortheilhafter führen als wenn er jetzt genöthigt ward als
Proconsul von Gallien gegen den Senat und dessen Feldherrn zu
[331]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
Felde zu ziehen; in diesem Fall war er es, der über die gehor-
same Senatsmajorität verfügte und konnte er die Coalition der
Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja vielleicht völlig
vereiteln. Allerdings hing das Gelingen dieses Planes davon ab,
daſs Pompeius gutmüthig genug war Caesar das ihm in Luca zu-
gesicherte Consulat für 706 jetzt noch zuzugestehen; aber selbst
wenn dies fehlschlug, war es für Caesar immer noch vortheilhaft
die gröſste Nachgiebigkeit thatsächlich und wiederholt zu docu-
mentiren. Theils ward dadurch Zeit gewonnen um im Kelten-
land zum Ziele zu kommen, wo der Aufstand des Vercingetorix
eben alles Erreichte von Neuem in Frage stellte und Caesar vom
Winter 701/2 bis zum Sommer 703 unausgesetzt beschäftigte;
theils blieb den Gegnern die gehässige Initiative des Bruches und
also des Bürgerkriegs, was sowohl der Senatsmajorität und der
Partei der materiellen Interessen, als auch namentlich den eige-
nen Soldaten gegenüber für Caesar vom gröſsten Belang war. —
Hienach handelte er. Er rüstete freilich: durch neue Aushebun-
gen im Winter 702/3 stieg die Zahl seiner Legionen einschlieſs-
lich der von Pompeius entlehnten auf elf. Aber zugleich billigte
er ausdrücklich und öffentlich Pompeius Verhalten während der
Dictatur und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ord-
nung in der Hauptstadt, wies die Warnungen geschäftiger Freunde
als Verleumdungen zurück, übersah, was sich übersehen lieſs
und ertrug, was ertragen werden konnte, unerschütterlich fest-
haltend nur an der einen und entscheidenden Forderung, daſs
das nach republikanischem Staatsrecht zulässige, von seinem
Collegen vertragsmäſsig zugestandene zweite Consulat ihm in ge-
höriger Weise zu Theil werde. Indeſs bedurfte es hiezu noth-
wendig noch zweier weiterer Zugeständnisse von Seiten des Pom-
peius. Das eine war der Sache nach schon in dem Vertrag von
Luca enthalten. Hier war festgesetzt worden, daſs Caesars Statt-
halterschaft mit dem letzten December 705 zu Ende gehen und
das Consulat ihm für 706 offen gehalten werden solle. Allein da
nach der römischen Verfassung der Consularcandidat ein halbes
Jahr vor dem Amtsantritt persönlich sich in der Hauptstadt als
Bewerber zu melden verpflichtet war, der Statthalter aber die
Hauptstadt erst nach Niederlegung seines Amtes betreten durfte,
so konnte diese Clausel nur ausgeführt werden, wenn Caesar, wie
dies oft geschehen war, von der Pflicht persönlicher Bewerbung
dispensirt ward. Caesar muſste hierauf bestehen, denn wenn er
die Statthalterschaft abgab, ehe er das Consulat übernahm, so
war die Anklage, die nach römischem Recht gegen den fungiren-
[332]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
den Beamten unzulässig war, alsdann ihm gewiſs, wie denn Cato
längst geschworen hatte ihn bei erster Gelegenheit zu belangen;
und da Pompeius ein mehr als zweifelhafter Beschützer war, so
hatte das Publicum ganz Recht ihm für diesen Fall einen miloni-
schen Prozeſs zu prophezeien. Pompeius erkannte denn auch die
Billigkeit dieser Forderung an und es ward im J. 702 durch ein
tribunicisches Gesetz Caesar gestattet sich abwesend um das
Consulat zu bewerben. Bald darauf erging die neue Wahlordnung
(S. 308); mit Befremden sahen Caesars Freunde, daſs die Ver-
pflichtung der Candidaten sich persönlich zu melden darin allge-
mein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch
frühere Gesetze davon Dispensirten hinzugefügt war. Auf Cae-
sars Beschwerde ward eine solche beschränkende Clausel dem
schon solennisirten Gesetz zwar eingefügt, aber nicht durch
neuen Volksschluſs bestätigt. Nach formellem Recht war das zu
Gunsten Caesars ergangene Privileg durch die jüngere Wahlord-
nung unzweifelhaft aufgehoben und die nachträglich eingerückte
Clausel ebenso unzweifelhaft nichtig; die kümmerliche Hinter-
hältigkeit des Collegen lag hier offen zu Tage; dennoch fand es
Caesar in seinem Interesse all diese Winkelzüge nicht zu sehen
und mit jener Clausel sich zu begnügen. — Wenn Pompeius dies
Begehren Caesars wenigstens nicht offen zurückzuweisen wagte,
so stieſs dagegen das zweite: ihm die Cumulirung der Statthalter-
schaft und des Consulats zu gestatten — auf die entschiedenste
Weigerung. Dies ging allerdings über den Vertrag von Luca hinaus;
allein es war eine unter den veränderten Verhältnissen durchaus
gerechte, ja schlechterdings nothwendige Forderung des Collegen
an den Collegen. Vor wenigen Jahren erst hatte Pompeius die
Statthalterschaft beider Spanien mit dem Consulat zusammen
verwaltet und noch gegenwärtig cumulirte er, auſser dem wich-
tigen Oberaufsichtsamt über das hauptstädtische Verpflegungs-
wesen, den militärischen Oberbefehl in Italien mit dem spani-
schen; es war nur billig dem Collegen das Gleiche zu gewähren.
Caesar konnte es nicht darauf ankommen lassen neben Pom-
peius, der sämmtliche waffenfähige Mannschaft in Italien in Eid
und Pflicht genommen hatte, bloſs als Consul, das heiſst ohne
militärischen Oberbefehl und ohne Truppen, zu stehen; es war
das Wenigste, was er fordern konnte, ihm neben dem Consulat
das Commando in Norditalien und jenseit der Alpen zu belassen.
Die Sache kam im Senat zur Verhandlung: nach dem Gutachten
des neuen Consuls Marcus Marcellus ward Caesars Begehren
abgelehnt (Anf. 703). Es konnte nicht zweifelhaft sein, daſs
[333]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
Pompeius diese Zurückweisung zugelassen, wo nicht veranlaſst
hatte.
Der catonischen Partei schien der Augenblick gekommen
offen aufzutreten. In den ersten Monaten des J. 703 stellte der
Consul Marcus Marcellus im Senat den Antrag, daſs derselbe, da
die Unterwerfung Galliens beendigt sei, den Proconsul Gaius
Caesar veranlassen wolle die ausgedienten Soldaten sofort zu ent-
lassen und sein auſserordentliches Commando niederzulegen;
daſs ferner der Senat die von Caesar in Oberitalien vorgenom-
menen Bürgerrechtsverleihungen und Coloniegründungen als ver-
fassungswidrig und nichtig cassiren und imgleichen, um mög-
liche Miſsverständnisse zu vermeiden, declariren möge, daſs das
durch Exceptionalgesetz dem Proconsul beider Gallien gestattete
Recht sich abwesend um das Consulat zu bewerben durch die
jüngere Wahlordnung aufgehoben, auch nicht darin gesetzmäſsig
reservirt sei. Wenn Marcellus noch zu weiterer Verdeutlichung
seiner Absichten einen Rathsherrn von Comum, der durch das
angefochtene Colonierecht dieser Stadt römischer Bürger gewor-
den war, mit der nur gegen Nichtbürger zulässigen Strafe des
Auspeitschens belegte, so war dies ziemlich überflüssig; man
konnte der Kriegserklärung wenigstens das Verdienst der Klar-
heit ohnehin nicht absprechen. Wieder verlor Pompeius Monate
in feierlichem Zaudern; als endlich (29. Sept. 703) die entschei-
dende Senatssitzung stattfand, bewirkten die Angst der Majorität
vor dem Bruch und Pompeius rückhaltiges und unsicheres Be-
nehmen zusammen, daſs der Antrag des Marcellus zwar nicht
zurückgewiesen, aber doch ihm die Spitze abgebrochen und end-
losen Weiterungen Thür und Thor geöffnet ward. Die Veteranen
des gallischen Heeres wurden durch Beschluſs des Senats aufge-
fordert um ihren Abschied einzukommen und also die Sprengung
der gefürchteten caesarischen Armee vom Senat in derselben
Weise an die Hand genommen, wie es einst durch Volksschluſs
mit dem Heere Luculls geschehen war (S. 68. 98.); die Ver-
handlung über Caesars Abberufung ward dagegen auf den 1. März
704 vertagt. Zugleich trat Pompeius jetzt öffentlich auf die Seite
der Verfassungspartei gegen Caesar: das Begehren desselben
eine Verlängerung der Statthalterschaft über den letzten Dec.
705 hinaus zu erhalten nannte er mit geschmackloser Grobheit
ebenso unverschämt, wie wenn ein Sohn von dem Vater verlange,
daſs er von ihm sich mit dem Stock schlagen lasse, und sprach
von der Verpflichtung der Beamten dem Senat unbedingt zu ge-
horchen, ohne um Bürgerschaftsbeschlüsse, tribunicische Inter-
[334]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
cessionen und ähnliche antiquirte Formalitäten sich zu beküm-
mern. Es ging dies zunächst darauf, daſs Caesar sein Amt durch
Volksschluſs garantirt war und mehrere Tribune von Caesars
Partei sich bereit hielten jeden Caesar feindlichen Senatsbeschluſs
durch Intercession zu annulliren; allein es sprach sich unzweifel-
haft darin die Ansicht der entschiedenen Opposition überhaupt
aus, daſs es nothwendig sei nach einem allfälligen Siege energi-
scher noch, als Sulla gethan, die Oligarchie durchzuführen und
alles, was wie Volksfreiheit auch nur aussah, gründlich zu besei-
tigen; wie man es denn auch ohne Zweifel absichtlich unterlieſs
sich bei diesen Angriffen gegen Caesar irgendwie der Comitien zu
bedienen. — Caesar blieb trotz jener offenbar feindlichen Be-
schlüsse seiner bisherigen Taktik treu. Zwar zog er, nachdem die
Insurrection in Gallien überwältigt war, unter dem schicklichen
Vorwand der Grenzvertheidigung (S. 274) im Sommer 703 eine
Legion nach Norditalien, allein er brach nicht bloſs nicht mit
dem Senat, sondern er gab die Hoffnung nicht auf die Senats-
majorität, deren Angst vor dem Bruch bekannt war, ungeachtet
des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes für die von Caesar
herrührenden Vergleichsvorschläge zu gewinnen, so daſs nicht
er, sondern der Gegner in offenen Widerspruch mit der höchsten
Regierungsbehörde gerieth. Die Ausführung dieser ebenso viel
List wie Muth erfordernden Aufgabe übernahm der Volkstribun
Gaius Curio, wohl das eminenteste unter den liederlichen Genies*
dieser Epoche, übertroffen an vornehmer Eleganz, an flieſsender
und geistreicher Rede, an der bei energisch angelegten, aber ver-
lotterten Charakteren in den Pausen des Müssiggangs nur um so
mächtiger sich regenden Thatkraft, aber auch unübertroffen in
wüster Wirthschaft, im Borgtalent — man berechnete seine Schul-
den auf 60 Mill. Sest. (4 Mill. Thlr.) — und in sittlicher und po-
litischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich
zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden; das Talent, das
er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelte, bestimmte
diesen ihn nachträglich zu erstehen — der Preis war hoch, aber
die Waare war es werth. Curio hatte bisher den Demagogen ge-
macht und als solcher gewettert sowohl gegen Caesar wie gegen
Pompeius. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm
gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im Frühjahr
704 der Antrag Caesar zur Niederlegung seines auſserordentli-
chen Commandos in Gallien zu veranlassen wieder zur Verhand-
[335]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
lung im Senat kam, die Ausdehnung dieser Maſsregel auch auf
Pompeius und dessen auſserordentliche Commandos vorzuschla-
gen. Seine Auseinandersetzung, daſs ein verfassungsmäſsiger Zu-
stand sich nur durch Beseitigung sämmtlicher Ausnahmestellun-
gen herbeiführen lasse, die einseitige Beseitigung aber eines der
Generale, sei es Caesars, sei es Pompeius, die Gefahr für die Ver-
fassung nur steigern werde, leuchtete den politischen Halbweisen
wie dem groſsen Publicum vollkommen ein. Caesar seinerseits,
der von Oberitalien aus den Verhandlungen folgte, erklärte sich
mit Curios Vorschlag sogleich einverstanden und erbot sich Statt-
halterschaft und Commando augenblicklich niederzulegen, so wie
Pompeius das Gleiche thue; ohne Frage war es ihm damit auch
Ernst, denn nur die von Pompeius in Italien eingenommene Aus-
nahmestellung nöthigte ihn an der seinigen festzuhalten. So of-
fenbar hatte Curios Vorschlag die Majorität im Senate für sich,
daſs Pompeius und die Minorität der Entschiedenen nicht einmal
wagten es zur Abstimmung kommen zu lassen. Pompeius er-
klärte, daſs Caesar sein Commando jedenfalls bis zum 23. Nov.
704 abgeben müsse und daſs er selbst zwar dem gegebenen Bei-
spiel bald zu folgen gedenke, aber für seinen Rücktritt weder
diesen noch irgend einen andern bestimmten Termin festzusetzen
vermöge. Uebrigens documentirten er und seine Verbündeten ihre
Rathlosigkeit durch eine abermalige Vertagung; noch einmal ging
der Senat unverrichteter Sache auseinander. Bis jetzt war es
also nicht Caesar, sondern Pompeius, der dem offenbaren Wil-
len des Senats sich widersetzte. Pompeius suchte auf einem an-
dern Weg Caesar mit den legalen Behörden in Widerspruch und
ins offenbare Unrecht zu bringen. Der Senat beschloſs auf seine
Veranlassung, daſs für den bevorstehenden parthischen Krieg
(S. 322) Pompeius und Caesar jeder eine Legion abzugeben
hätten; in Folge dieses Beschlusses forderte Pompeius die vor
mehreren Jahren an Caesar geborgte Legion von diesem zu-
rück, so daſs, wenn Caesar dem Beschlusse nachkam, er in der
That zwei Legionen einbüſste; und doch lieſs sich weder die
Opportunität des Senatsbeschlusses noch die Berechtigung des
von Pompeius erhobenen Begehrens bestreiten. Es war ein em-
pfindlicher Verlust; aber Caesar war an seiner vortheilhaften Stel-
lung der strengen Gerechtigkeit und zuvorkommenden Nachgie-
bigkeit mehr gelegen als an einigen Tausend Soldaten mehr; die
beiden Legionen kamen ohne Verzug und stellten der Regierung
sich zur Verfügung. Aber statt nach Syrien eingeschifft zu wer-
den, wurden sie in Capua zu Pompeius Verfügung gehalten und
[336]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
das Publicum hatte abermals Gelegenheit Caesars offenkundige
Bestrebungen den Bürgerkrieg abzuwenden mit der perfiden
Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen. So verfloſs der
Sommer 704 in schwüler Stille und der Tag, den Pompeius als
den unwiderruflich letzten Termin für Caesars Abberufung be-
zeichnet hatte, der 13. Nov. 704 kam allmählich heran. Caesar
hatte den Sommer benutzt um die transalpinischen Angelegen-
heiten schlieſslich zu ordnen; die aufs Neue beginnenden Ver-
handlungen fanden ihn wieder in Ravenna. Die Vertagung hatte
den Gegnern Caesars keinen besseren Rath gebracht. Sie hatten
bisher die Abstimmung über Curios Antrag verhindert; jetzt fand
sie statt und constatirte die Niederlage der Partei des Pompeius
und Cato in ihrem ganzen Umfang. Mit 370 gegen 22 Stim-
men beschloſs der Senat, daſs die Proconsuln von Spanien und
Gallien beide aufzufordern seien ihre Aemter zugleich niederzu-
legen. Pompeius also ward vom Senat nicht minder abberufen
als Caesar und während Caesar bereit stand dem Befehl nachzu-
kommen, verweigerte Pompeius geradezu den Gehorsam. Der
vorsitzende Consul Gaius Marcellus, des Marcus Marcellus Vetter
und gleich diesem zur catonischen Partei gehörig, hielt der ser-
vilen Majorität eine bittere Strafpredigt; und ärgerlich war es
freilich so im eigenen Lager geschlagen zu werden und geschla-
gen mittelst der Phalanx der Memmen. Aber wo sollte der Sieg
auch herkommen unter einem Führer, der, statt kurz und be-
stimmt den Senatoren seine Befehle zu dictiren, sich auf seine
alten Tage bei einem Professor der Redekunst zum zweiten Mal
in die Lehre begab, um dem jugendfrischen glänzenden Talente
Curios mit seiner neu aufpolirten Eloquenz zu begegnen?
Auch die verfassungstreue Opposition war in der peinlich-
sten Lage. Sie zunächst hatte es übernommen die Dinge zum
Bruche zu treiben und den Senat mit sich fortzureiſsen, und
sah nun in der ärgerlichsten Weise ihr Fahrzeug auf den Sand-
bänken der schlaffen Majorität stranden. Von Pompeius muſs-
ten ihre Führer in den Conferenzen die bittersten Vorwürfe hö-
ren; er wies mit Nachdruck und mit vollem Recht auf die Gefah-
ren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an ihm selber
lag den Knoten durch eine rasche That zu durchhauen, so wuſs-
ten seine Verbündeten doch sehr wohl, daſs diese von ihm nim-
mermehr erwartet werden durfte und daſs es an ihnen war ein
Ende zu machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und
des Senatregiments bereits früher die verfassungsmäſsigen Rechte
der Bürgerschaft und der Volkstribunen für inhaltlose Formali-
[337]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
täten erklärt hatten (S. 333), sahen sie sich jetzt in die Noth-
wendigkeit versetzt die verfassungsmäſsigen Entscheidungen des
Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legi-
time Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen,
sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch
zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen
hatten auch Sulla (II, 323) und Lucullus (S. 57) jeden im rech-
ten Interesse der Regierung gefaſsten energischen Entschluſs
derselben über den Kopf nehmen müssen; die Verfassungsma-
schine war eben vollständig abgenutzt und wie seit Jahrhunder-
ten die Comitien, so war jetzt auch der Senat nichts als ein lah-
mes aus dem Geleise weichendes Rad. — Es ging die Rede, daſs
Caesar vier Legionen aus dem jenseitigen in das diesseitige Gal-
lien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese
Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters
lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit dieses Ge-
rüchts im Senat handgreiflich darthat und die Curie den Antrag
des Consuls, darauf hin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu
ertheilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der Con-
sul des laufenden Jahres Gaius Marcellus in Verbindung mit den
beiden für 705 erwählten gleichfalls zur catonischen Partei ge-
hörigen Consuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten
kraft eigener Machtvollkommenheit den General sich an die
Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und
nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen
zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bür-
gerkrieges lieſs schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit
mehr auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius
nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen began-
nen; um sie persönlich zu fördern verlieſs Pompeius im Decem-
ber 704 die Hauptstadt.
Caesar muſste lange erkannt haben, daſs der in erster Li-
nie verfolgte Plan: auf friedlichem Wege das Consulat für 706
zu erlangen und von da aus der Alleinherrschaft sich zu be-
mächtigen, von Pompeius durchschaut und vereitelt war. Er
war darauf gefaſst und längst entschlossen in diesem Fall den
Handschuh zwar nicht hinzuwerfen, aber wohl ihn aufzuheben,
wenn er hingeworfen ward. Dies war also geschehen und Cae-
sar hatte es vollständig erreicht den Gegnern die Initiative des
Bürgerkrieges zuzuschieben. Zwar täuschte der Instinct der
Massen sich darüber keinen Augenblick, daſs es in diesem Krieg
sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen;
Röm. Gesch. III. 22
[338]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
aber dennoch war es nicht gering anzuschlagen, daſs Caesar den
Rechtsboden bis auf das Aeuſserste festgehalten und Pompeius
gezwungen hatte den Krieg zu erklären, und ihn zu erklären nicht
als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr einer of-
fenbar revolutionären und die Mehrheit terrorisirenden Senats-
minorität. Jetzt, wo der Krieg erklärt war, lag es in Caesars In-
teresse baldmöglichst zum Schlagen zu kommen. Die Rüstungen
der Gegner waren erst im Beginnen und selbst die Hauptstadt
unbesetzt. In zehn bis zwölf Tagen konnte daselbst eine den in
Oberitalien stehenden Truppen Caesars dreifach überlegene Ar-
mee beisammen sein; aber noch war es nicht unmöglich Rom
unvertheidigt zu überrumpeln, ja vielleicht durch einen raschen
Winterfeldzug ganz Italien einzunehmen und den Gegnern ihre
besten Hülfsquellen zu verschlieſsen, bevor sie noch dieselben
nutzbar zu machen vermochten. Der kluge und energische Cu-
rio, der nach Niederlegung seines Tribunats (10. Dec. 704) so-
fort zu Caesar nach Ravenna gegangen war, stellte seinem Mei-
ster die Lage der Dinge lebhaft vor und es bedurfte dessen nicht
um Caesar zu überzeugen, daſs jetzt das Zaudern nur schaden
könne. Allein da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu Be-
schwerden zu geben, nach Ravenna selbst bisher keine Truppen
gezogen hatte, konnte er für jetzt nichts thun als seinen sämmt-
lichen Corps den Befehl zum schleunigsten Aufbruch zufertigen.
Die Zwischenzeit, bis wenigstens die eine am nächsten stehende
Legion in Ravenna eintraf, nützte er, um ein letztes Ultimatum
nach Rom zu senden, das wenn zu nichts anderem gut, doch
durch Nachgiebigkeit bis aufs Aeuſserste seine Gegner noch wei-
ter in der öffentlichen Meinung compromittirte und vielleicht
sogar, indem Caesar zu zaudern schien, sie bestimmte die Rü-
stungen gegen ihn lässiger zu betreiben. In diesem Ultima-
tum erbot sich Caesar auf die Cumulirung des Consulats und
des Proconsulats zu verzichten und sofort sowohl die Statt-
halterschaft des jenseitigen Galliens niederzulegen als auch von
den zehn ihm eigenen Legionen acht aufzulösen; er bedang sich
nichts, als daſs entweder die Statthalterschaft des diesseitigen
Galliens und Illyriens mit einer, oder auch die des diesseitigen
Galliens allein mit zwei Legionen ihm bis zur Uebernahme des
Consulats verbleibe und lieſs alle Pompeius früher zugemuthe-
ten Concessionen fallen. Ob es Caesar mit diesen erstaunli-
chen Zugeständnissen Ernst war und er sein Spiel gegen Pom-
peius selbst bei solchem Vorgeben durchführen zu können sich
getraute, oder ob er darauf rechnete, daſs man auf der anderen
[339]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
Seite bereits zu weit gegangen sei um in diesen Vergleichsvor-
schlägen mehr zu finden als den Beweis dafür, daſs Caesar sein
Spiel selbst als verloren betrachte, läſst sich nicht mehr mit
Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daſs
Caesar weit eher den Fehler allzu kecken Spielens als den
schlimmeren beging etwas zu versprechen, was er nicht zu
halten gesonnen war und daſs, wenn wunderbarer Weise seine
Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gut ge-
macht haben würde. Curio übernahm es seinen Herrn noch
einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen
durchflog er die Straſse von Ravenna nach Rom; als die neuen
Consuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der Jüngere* zum
ersten Mal am 1. Jan. 705 den Senat versammelten, übergab er
in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerich-
tete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Scan-
dalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und
aller seiner Thorheiten Genosse, aber zugleich auch aus den
ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffi-
zier, und Quintus Cassius Longinus, Pompeius ehemaliger Quä-
stor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom
führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ern-
sten und klaren Worte, in denen Caesar den drohenden Bürger-
krieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius Ueber-
muth, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwidersteh-
lichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von
einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäs-
sigung, die bestimmte Erklärung, daſs hiemit die Hand zum
Frieden zum letzten Mal geboten sei, machten den tiefsten Ein-
druck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt
geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Ma-
jorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen sie sich aus-
sprechen zu lassen. Ueber den von Caesar erneuerten Vor-
schlag, daſs beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres
Commandos aufgegeben werden möge, so wie über den von Mar-
cus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pom-
peius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, wei-
gerten sich die Consuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die
Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschie-
22*
[340]FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
densten Gesinnungsgenossen, der nur nicht über die militärische
Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Mar-
cellus: die Beschluſsfassung auszusetzen, bis der italische Land-
sturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge,
durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius lieſs
durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, daſs er
jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei
und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Con-
sul Lentulus sprach es unumwunden aus, daſs es gar auf den
Beschluſs des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn der-
selbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus han-
deln und mit seinen mächtigen Freunden das Weitere veranlas-
sen werde. So terrorisirt beschloſs die Majorität, was ihr befoh-
len ward: daſs Caesar bis zu einem bestimmten nicht fernen Tage
das jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das dies-
seitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu
entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräther erachtet werde.
Als die Tribunen von Caesars Partei gegen diesen Beschluſs ihres
Intercessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloſs, wie
sie wenigstens behaupteten, in der Curie selbst von pompeia-
nischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben
zu retten, in Sclavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten ge-
zwungen, sondern es behandelte auch der Senat ihr formell
durchaus verfassungsmäſsiges Einschreiten wie einen Revolu-
tionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den
üblichen Formen die gesammte Bürgerschaft unter die Waffen
und an die Spitze der Bewaffneten die sämmtlichen verfassungs-
treuen Beamten (7. Jan. 705).
Nun war es genug. Wie Caesar durch die flüchtigen Tri-
bune, die schutzflehend zu ihm in das Lager kamen, von der Auf-
nahme in Kenntniſs gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der
Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten
Legion, die inzwischen aus ihren Cantonnirungen bei Tergeste
(Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte
vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloſs der geniale
Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede
in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltge-
schicks hoch empor leuchtete und flammte; nicht bloſs der freige-
bige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu Soldaten
sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht
Jahren mit immer steigernder Begeisterung seinen Fahnen gefolgt
waren; es sprach vor allem der energische und consequente
[341]DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der
Freiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen
der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern
der Deutschen und den Fluthen des unbekannten Oceans Trotz
geboten hatte ohne je zu weichen und zu wanken, der die sulla-
nische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt,
die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseit der
Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem
clodianischen Publicum, dessen republikanischer Enthusiasmus
längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu
den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Nordita-
liens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch
frisch und rein empfanden, die noch fähig waren für Ideale zu
fechten und zu sterben, die selbst das Bürgerrecht erst von Cae-
sar empfangen hatten und für ihre Landschaft es von ihm zu
empfangen hofften, die Caesars Sturz den Ruthen und Beilen
abermals preisgab und die die thatsächlichen Beweise bereits da-
von besaſsen (S. 333), wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie
davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen
Zuhörern legte ein solcher Redner die Thatsachen dar: den Dank
für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem
Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Comitien, die
Terrorisirung des Senats, die heilige Pflicht das vor einem halben
Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem
Adel abgezwungene Volkstribunal mit gewaffneter Hand zu schir-
men, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die
Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribunen der Gemeinde Mann
für Mann einzustehen bis in den Tod (I, 177). Als dann er, der
Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Vol-
kes aufrief jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nach-
giebigkeit an den äuſsersten Genzen angelangt war, jetzt ihm zu
folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden
Kampf gegen den ebenso verhaſsten wie verachteten, ebenso per-
fiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen
Adel — da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurück-
gehalten hätte. Der Aufbruch ward befohlen; an der Spitze sei-
nes Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine
Provinz von Italien schied und jenseit dessen die Verfassung den
Proconsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjähriger Ab-
wesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er
zugleich die Bahn der Revolution. ‚Die Würfel waren geworfen.‘
[[342]]
KAPITEL X.
Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus.
Zwischen den beiden bisherigen Gesammtherrschern von
Rom sollten also die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen
sei Roms erster Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie für die be-
vorstehende Kriegführung zwischen Caesar und Pompeius sich
das Machtverhältniſs gestellt hatte.
Caesars Macht ruhte zunächst auf der durchaus unum-
schränkten Gewalt, deren er innerhalb seiner Partei genoſs. Wenn
die Ideen der Demokratie und der Monarchie in ihr zusammen-
flossen, so war dies nicht die Folge einer zufällig eingegangenen
und zufällig lösbaren Coalition, sondern es war im tiefsten We-
sen der Demokratie ohne Repräsentativverfassung begründet,
daſs Demokratie wie Monarchie zugleich ihren höchsten und letz-
ten Ausdruck in Caesar fanden. Innerhalb seiner Partei stand
Caesar ohne Genossen, nur umgeben von politischen und mili-
tärischen Adjutanten, die eben wie seine Soldaten geschult waren
nicht nach Grund und Zweck zu fragen, sondern unbedingt zu
gehorchen. In wie hohen Ehren er auch jedes brauchbare Werk-
zeug hielt, so blieb es doch immer Werkzeug, und Caesar ent-
schied politisch wie militärisch durchaus in erster und letzter
Instanz. Hieraus erklärt sich wohl auch der auffallende Umstand,
daſs, als der Bürgerkrieg begann, keiner von Caesars Soldaten und
Offizieren in das feindliche Lager überging mit der einzigen Aus-
nahme des von allen am höchsten gestellten und geehrten Titus
Labienus. Caesar übertrug ihm im J. 704 den Oberbefehl im
diesseitigen Gallien, um ihm durch denselben den Weg zum Con-
[343]BRUNDISIUM.
sulat zu erleichtern; aber Labienus trat hier mit den Pompeianern
in Verbindung und beim Beginn der Feindseligkeiten im J. 705
begab er statt in Caesars sich in Pompeius Hauptquartier. Wir
sind über Labienus Charakter zu unvollkommen unterrichtet, um
seinen Uebertritt sicher zu würdigen. Allem Anschein nach war
er eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit
die vollständigste staatsmännische Unfähigkeit vereinigen, und die
dann, wenn sie unglücklicher Weise Politik machen wollen oder
müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die
Geschichte der napoleonischen Marschälle so manches tragikomi-
sche Beispiel aufzeigt. Allein wenigstens der Anlaſs dieses Abfalls
und der grenzenlosen Erbitterung, mit der Labienus seitdem gegen
Caesar stritt, läſst sich mit Wahrscheinlichkeit bezeichnen. Labie-
nus, der mit Caesar alle Drangsale der düstern catilinarischen Zeit
(S. 153), wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn getheilt,
der regelmäſsig selbstständig befehligt, häufig die halbe Armee
geführt hatte, mochte wohl sich berechtigt halten als das zweite
Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und daſs er mit
diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager
der Gegner geführt haben. Es war für Caesar nicht gleichgültig,
daſs sein ältester und tüchtigster Waffengefährte jetzt gegen ihn
focht und daſs überhaupt die Behandlung seiner Offiziere als un-
selbstständiger Adjutanten keine zur Uebernahme eines abgeson-
derten Commandos geeigneten Männer in seinem Lager empor-
kommen lieſs, während er doch bei der leicht vorherzusehenden
Zersplitterung des bevorstehenden Krieges durch alle Provinzen
des weiten Reiches eben solcher Männer dringend bedurfte.
Allein alle diese Nachtheile wurden weit aufgewogen durch die
erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines
jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung. — Diese einheit-
liche Leitung erwies ihre volle Gewalt aber erst durch die Brauch-
barkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die
Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens
50000 Mann, welche alle vor dem Feinde gestanden und von
denen zwei Drittel sämmtliche Feldzüge gegen die Kelten mitge-
macht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen
Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege
gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg
voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch mili-
tärisch der italischen durchaus nachstehende keltische Nation
hatte Caesar die Gelegenheit gegeben seine Armee zu organisiren,
wie nur er zu organisiren verstand. Alle Brauchbarkeit des Sol-
[344]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
daten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebun-
gen wurde mehr als auf Vermögen und Moralität auf Stärke und
Gewandtheit der Rekruten gesehen. Aber die Brauchbarkeit der
Armee beruht wie die einer jeden Maschine vor allen Dingen auf
der Leichtigkeit und der Schnelligkeit der Bewegung: in der Be-
reitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der
Schnelligkeit des Marschirens erlangten Caesars Soldaten eine
selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Muth
galt natürlich über alles: die Kunst den kriegerischen Wetteifer
und den Corpsgeist anzufachen, so daſs die Bevorzugung einzel-
ner Soldaten oder Abtheilungen selbst den Zurückstehenden als
die nothwendige Folge der Hierarchie der Tapferkeit erschien,
übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den
Leuten das Fürchten ab, indem er nicht selten, wo es ohne ern-
ste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten von einem bevorste-
henden Kampf nicht in Kenntniſs setzte, sondern sie unvermuthet
auf den Feind treffen lieſs. Aber der Tapferkeit gleich stand der
Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten das Befohlene zu thun,
ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Stra-
paze wurde einzig als Uebung in der schweren Kunst der blinden
Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disciplin war streng, aber nicht
peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat
vor dem Feinde stand; zu andern Zeiten, vor allem nach dem
Siege, wurden die Zügel nachgelassen und wenn es dem sonst
brauchbaren Soldaten dann beliebte sich zu parfümiren oder
mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar
wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher
Art sich zu Schulden kommen lieſs und nur nicht zunächst die
militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die
Narrentheidung wie das Verbrechen ihm hin und die deſsfälligen
Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr.
Meuterei dagegen ward, nicht bloſs den Anstiftern, sondern selbst
dem Corps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht
bloſs überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll
dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es
gegeben durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch
das Bewuſstsein zweckmäſsig gebraucht zu werden die beseelte
Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen.
Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen,
selber der Gefahr mit ihnen ins Auge gesehen haben muſs, so
hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt den Degen zu
ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Thätigkeit
[345]BRUNDISIUM.
aber und Strapazen muthete er stets sich selbst weit mehr zu
als seinen Soldaten. Wenn der Sieg zunächst dem Feldherrn Ge-
winn bringt, so sorgte Caesar dafür, daſs doch auch für den Sol-
daten sich persönliche Hoffnungen an denselben knüpften. Daſs
er es verstand die Soldaten für die Sache der Demokratie zu be-
geistern, so weit die prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung
gestattete, und daſs die politische Gleichstellung der transpa-
danischen Landschaft, der Heimath seiner meisten Soldaten, mit
dem eigentlichen Italien als eines der Kampfziele hingestellt ward,
wurde schon erwähnt (S. 152). Es versteht sich, daſs daneben
auch materielle Prämien nicht fehlten, sowohl besondere für her-
vorragende Waffenthaten wie allgemeine für jeden tüchtigen Sol-
daten; daſs die Offiziere dotirt, die Soldaten beschenkt und für
den Triumph die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt
wurden. Aber in nichts offenbart sich das Talent eine Armee zu
organisiren so entschieden wie darin, daſs in jedem einzelnen gros-
sen oder kleinen Triebrad des mächtigen Instruments das Gefühl
zweckmäſsig verwendet zu werden erweckt wird. Der gewöhnliche
Mensch ist zum Dienen bestimmt und er sträubt sich nicht Werk-
zeug zu sein, wenn er fühlt, daſs ein Meister ihn lenkt. Allgegen-
wärtig und jederzeit ruhte der Adlerblick des Feldherrn auf dem
ganzen Heer, mit unparteiischer Gerechtigkeit belohnend und be-
strafend und der Thätigkeit eines Jeden die zum Besten aller die-
nenden Wege weisend, so daſs auch mit des Geringsten Schweiſs
und Blut nicht experimentirt oder gespielt ward und darum
auch, wo es nöthig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod
gefordert werden konnte. Ohne dem Einzelnen in das gesammte
Triebwerk den Einblick zu gestatten, lieſs Caesar ihn doch ge-
nug von dem politischen und militärischen Zusammenhang der
Dinge ahnen, um als Staatsmann und Feldherr von dem Solda-
ten erkannt, auch wohl idealisirt zu werden. Durchaus behan-
delte er die Soldaten nicht als seines Gleichen, aber als Män-
ner, die Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen fähig
waren und die den Versprechungen und den Versicherungen des
Feldherrn Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu ver-
muthen oder auf Gerüchte zu horchen; als langjährige Kamera-
den in Krieg und Sieg, unter denen kaum einer war, den er nicht
mit Namen kannte und bei dem sich nicht in all den Feldzügen
ein mehr oder minder persönliches Verhältniſs zu dem Feldherrn
gebildet hätte; als gute Genossen, mit denen er zutraulich und
mit der ihm eigenen heiteren Elasticität schwatzte und verkehrte;
als Schutzbefohlene, deren Dienste zu vergelten, deren Unbill
[346]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
und Tod zu rächen ihm heilige Pflicht war. Vielleicht nie hat es
eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was die Armee
sein soll: eine für ihre Zwecke fähige und für ihre Zwecke willige
Maschine in der Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene
Spannkraft überträgt. Caesars Soldaten waren und fühlten sich
zehnfacher Uebermacht gewachsen; wobei nicht übersehen wer-
den darf, daſs bei der durchaus auf das Handgemenge und vor-
nehmlich den Schwertkampf berechneten römischen Taktik der
geübte römische Soldat dem Neuling noch in weit höherem Grade
überlegen war, als dies unter den heutigen Verhältnissen der Fall
ist*. Aber noch mehr als durch die überlegene Tapferkeit fühlten
die Gegner sich gedemüthigt durch die unwandelbare und rüh-
rende Treue, mit der Caesars Soldaten an ihrem Feldherrn hin-
gen. Es ist wohl ohne Beispiel in der Geschichte, daſs als der
Feldherr seine Soldaten aufrief ihm in den Bürgerkrieg zu folgen,
mit der einzigen schon erwähnten Ausnahme des Labienns kein
römischer Offizier und kein römischer Soldat ihn im Stich lieſs.
Die Hoffnungen der Gegner auf eine ausgedehnte Desertion schei-
terten ebenso schmählich wie der frühere Versuch sein Heer wie
das des Lucullus auseinander zu sprengen (S. 333); selbst Labie-
nus erschien in Pompeius Lager wohl mit einem Haufen keltischer
und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen Legionar. Ja die
Soldaten, als wollten sie zeigen, daſs der Krieg ganz ebenso ihre
Sache sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus, daſs sie
den Sold, den ihnen Caesar beim Ausbruch des Bürgerkrieges
zu verdoppeln versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem
Feldherrn creditiren, und inzwischen die ärmeren Kameraden aus
allgemeinen Mitteln unterstützen wollten; überdies rüstete und
besoldete jeder Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche. —
Wenn also Caesar das Eine hatte, was Noth that: unbeschränkte
politische und militärische Gewalt und eine schlagfertige zuver-
lässige Armee, so war extensiv seine Macht verhältniſsmäſsig be-
[347]BRUNDISIUM.
schränkt. Sie ruhte wesentlich auf der oberitalischen Provinz.
Diese Landschaft war nicht bloſs die am besten bevölkerte unter
allen italischen, sondern auch unbedingt der Sache der Demo-
kratie ergeben. Von der daselbst herrschenden Stimmung zeugt
das Verhalten einer Abtheilung Rekruten von Opitergium (Oderzo
in der Delegation Treviso), die nicht lange nach dem Ausbruch
des Krieges in den illyrischen Gewässern auf einem elenden Floſs
von den feindlichen Kriegsschiffen umzingelt wurden, aber statt
sich zu ergeben, lieber sich den ganzen Tag bis zur sinkenden
Sonne zusammenschieſsen lieſsen und in der folgenden Nacht,
so weit sie den Geschossen entgangen waren, mit eigener Hand
sich den Tod gaben. Man begreift, was einer solchen Bevölke-
rung zugemuthet werden konnte. Wie sie Caesar bereits die Mit-
tel gewährt hatte seine ursprüngliche Armee mehr als zu ver-
doppeln, so stellten auch nach Ausbruch des Bürgerkrieges zu
den sofort angeordneten umfassenden Aushebungen die Rekruten
zahlreich sich ein. In dem eigentlichen Italien dagegen war Cae-
sars Einfluſs dem der Gegner nicht entfernt zu vergleichen. Wenn
er auch durch geschickte Manöver die catonische Partei ins Un-
recht zu setzen gewuſst und alle, die einen Vorwand wünschten
um mit gutem Gewissen entweder dem Krieg zu entgehen, wie
die Senatsmajorität, oder seine Partei zu ergreifen, wie seine
Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hin-
reichend überzeugt hatte, so lieſs sich doch die Masse der Bür-
gerschaft natürlich dadurch nicht irren und sah, als der Com-
mandant von Gallien seine Legionen gegen Rom in Bewegung
setzte, allen formalen Rechtserörterungen zum Trotz, in Cato und
Pompeius die Vertheidiger der legitimen Republik, in Caesar den
demokratischen Usurpator. Allgemein erwartete man von dem
Neffen des Marius, dem Verbündeten Catilinas die Wiederholung
der marianisch-cinnanischen Greuel, die Realisirung der von Ca-
tilina entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch
Caesar hierdurch allerdings Verbündete gewann, die politischen
Flüchtlinge sofort in Masse sich ihm zur Verfügung stellten, die
verlorenen Leute ihren Erlöser in ihm sahen, die niedrigsten
Schichten des haupt- und landstädtischen Pöbels durch die Kunde
von seinem Anmarsch in Gährung geriethen, so waren dies doch
von den Freunden, die gefährlicher als die Feinde sind. Noch
weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen und den
Clientelstaaten Einfluſs. Das transalpinische Gallien gehorchte
ihm zwar und die Colonisten von Narbo so wie die sonst daselbst
ansässigen römischen Bürger waren ihm ergeben; allein selbst
[348]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
in der narbonensischen Provinz hatte die Verfassungspartei zahl-
reiche Anhänger und nun gar die neueroberten Landschaften wa-
ren für Caesar in dem bevorstehenden Bürgerkrieg weit mehr
eine Last als ein Vortheil, wie er denn aus guten Gründen in
demselben von dem keltischen Fuſsvolk gar keinen, von der Rei-
terei nur sparsamen Gebrauch machte. In den übrigen Provin-
zen und den benachbarten halb oder ganz unabhängigen Staaten
hatte Caesar wohl auch versucht sich Rückhalt zu verschaffen,
hatte den Fürsten reiche Geschenke gespendet, in manchen Städ-
ten groſse Bauten ausführen lassen und in Nothfällen ihnen finan-
ziellen und militärischen Beistand gewährt; allein im Ganzen war
natürlich damit nicht viel erreicht worden und die Verbindungen
mit den deutschen und keltischen Fürsten in den Rhein- und
Donaulandschaften, namentlich das der Reiterwerbung wegen
wichtige Verhältniſs zu dem norischen König Voctio waren wohl
die einzigen, die für ihn etwas bedeuten mochten.
Wenn Caesar also in den Kampf eintrat nur als Comman-
dant von Gallien, ohne andere wesentliche Hülfsmittel als brauch-
bare Adjutanten und ein treues Heer, so begann ihn Pompeius
als thatsächliches Oberhaupt des römischen Gemeinwesens und
im Vollbesitz aller der legitimen Regierung des groſsen römischen
Reiches zur Verfügung stehenden Hülfsquellen. Allein wenn seine
Stellung politisch und militärisch weit ansehnlicher war, so war
sie dagegen auch weit minder klar und fest. Wenn die Einheit
der Oberleitung aus Caesars Stellung sich von selbst und mit
Nothwendigkeit ergab, so war sie dagegen der Natur der Coali-
tion zuwider. Pompeius täuschte darüber sich nicht, daſs unum-
schränkte Gewalt die erste Bedingung des Erfolges ist; er ver-
suchte sie der Coalition aufzuzwingen und lieſs sich vom Senat
zum alleinigen und ununschränkten Oberfeldherrn zu Lande und
zur See ernennen. Allein der Senat selbst lieſs sich doch nicht
beseitigen und ein überwiegender Einfluſs auf die politische,
ein gelegentliches und darum doppelt schädliches Eingreifen in
die militärische Oberleitung konnte ihm nicht verwehrt werden.
Die Erinnerung an den zwanzigjährigen auf beiden Seiten mit
vergifteten Waffen geführten Krieg zwischen Pompeius und der
Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und
mühsam verhehlte Bewuſstsein, daſs die nächste Folge des er-
fochtenen Sieges der Bruch zwischen den Siegern sein werde, die
Verachtung, die man gegenseitig und von beiden Seiten mit nur
zu gutem Grund sich zollte, die unbequeme Anzahl angesehener
und einfluſsreicher Männer in den Reihen der Aristokratie und
[349]BRUNDISIUM.
die geistige und sittliche Inferiorität fast aller Betheiligten erzeug-
ten überhaupt bei den Gegnern Caesars ein widerwilliges und
widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem einträchtigen und
geschlossenen Handeln auf der andern Seite den übelsten Con-
trast bildet. Wenn also alle Nachtheile der Coalition zweier Feinde
gegen einen dritten von Caesars Gegnern in ungewöhnlichem
Maſse empfunden wurden, so war doch allerdings auch diese
Coalition eine sehr ansehnliche Macht. Die See beherrschte sie
ausschlieſslich: alle Häfen, alle Kriegsschiffe, alles Flottenmaterial
war in ihren Händen. Ihre Landarmee bestand hauptsächlich in
den spanischen Heeren, sieben krieggewohnten Legionen unter
tüchtigen und zuverlässigen Führern von Pompeius engerer Par-
tei. Auch in den übrigen Provinzen, natürlich mit Ausnahme der
beiden Gallien, waren die Statthalter- und Commandantenstellen
während der letzten Jahre unter dem Einfluſs von Pompeius und
der Senatsminorität mit zuverlässigen Männern besetzt worden
und die in Sicilien, Africa, Makedonien, Asia, Syrien und sonst
zerstreuten freilich schwachen Truppenabtheilungen standen zu
Pompeius Verfügung. Durchaus und mit groſser Entschiedenheit
ergriffen die Clientelstaaten Partei gegen Caesar und für Pompeius.
In diesen abgelegenen Theilen des Reiches überstrahlte die Glorie
des Siegers in drei Welttheilen noch weit die des Eroberers von
Gallien. Die bedeutendsten Fürsten und Städte waren in den ver-
schiedensten Abschnitten seiner mannigfaltigen Wirksamkeit zu
Pompeius in die engsten persönlichen Beziehungen getreten —
wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der Waffengenosse
der Könige von Numidien und Mauretanien gewesen war und das
Reich des ersteren wieder aufgerichtet hatte (II, 319); wie er im
mithradatischen Kriege auſser einer Menge anderer kleinerer geist-
licher und weltlicher Fürstenthümer die Königreiche Bosporus,
Armenien und Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des
Deiotarus geschaffen hatte (S. 132. 135); wie zunächst auf seine
Veranlassung der ägyptische Krieg unternommen und durch sei-
nen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu befestigt worden war
(S. 147); wie selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener Provinz
diesem wohl auch manche Vergünstigungen, aber Pompeius vom
sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche Gebietserwei-
terung verdankte (S. 24), auch davon abgesehen, daſs hier die
regierende Oligarchie mit der römischen in einem natürlichen und
durch vielfache Zwischenbeziehungen befestigten Bunde stand.
Mehr aber vielleicht noch als durch diese Rücksichten wurden die
Clientelstaaten bestimmt sich gegen Caesar zu erklären durch die
[350]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Ga-
ius Gracchus über die erforderliche Reunion der abhängigen Staa-
ten und die Nützlichkeit der Provinzialcolonisationen. Keiner unter
den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher be-
droht als König Juba von Numidien. Nicht bloſs war er vor Jah-
ren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar per-
sönlich aufs heftigste zusammengerathen, sondern es hatte auch
kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast
den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den
Antrag auf Einziehung des numidischen Reiches gestellt. Sollte
endlich es so weit kommen, daſs die unabhängigen Nachbarstaa-
ten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige
wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros
und Bibulus angeknüpfte Verbindung (S. 322) thatsächlich be-
reits mit der aristokratischen Partei alliirt, während Caesar viel
zu sehr Römer war um aus Parteiinteressen sich mit den Ueber-
windern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was endlich
Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die groſse Majorität
der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die ge-
sammte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht
viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte
bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre par-
teiischen Geschwornengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu
conserviren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen
Capitalisten, die Landgutbesitzer und überhaupt alle Klassen, die
etwas zu verlieren hatten; nur daſs freilich in diesen Schichten
die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ern-
ten jede andere Rücksicht in der Regel überwog. — Unter den
Waffen standen indeſs auf dieser Seite zunächst nur die zwei von
Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effectivbestand sich
nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als
zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im diesseitigen Gallien und
alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrigue, durch die
man sie das Lager hatte wechseln machen (S. 335), in hohem
Grade miſsvergnügt waren und ihres Feldherrn, der ihnen vor
ihrem Abmarsch die für den Triumph jedem Soldaten verspro-
chenen Geschenke groſsmüthig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig
gedachten. Allein auſser den spanischen Truppen, die mit dem
Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See
in Italien eintreffen konnten, brauchte in Italien selbst die Mann-
schaft der von den Aushebungen von 699 noch übrigen drei Le-
gionen (S. 295) so wie das im J. 702 in Pflicht genommene ita-
[351]BRUNDISIUM.
lische Aufgebot (S. 308) nur aus dem Urlaub einberufen zu wer-
den. Mit Einrechnung dieser stellte sich die Zahl der Pompeius im
Ganzen zur Verfügung stehenden Truppen, ohne die sieben Le-
gionen in Spanien und die in den andern Provinzen zerstreuten
zu rechnen, bloſs in Italien auf zehn Legionen* oder gegen 60000
Mann, so daſs es eben keine Uebertreibung war, wenn Pompeius
behauptete nur mit dem Fuſse stampfen zu müssen, um den Bo-
den Italiens mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte es,
wenn auch kurzer, doch einiger Frist, um diese Truppen zu mo-
bilisiren; die Anstalten dazu so wie zur Effectuirung der neuen
in Folge des Ausbruchs des Bürgerkrieges vom Senat angeordne-
ten Aushebungen waren aber auch bereits überall im Gange. Un-
mittelbar nach dem entscheidenden Senatsbeschluſs (7. Jan. 705)
mitten im tiefen Winter waren die angesehensten Männer der Ari-
stokratie in die verschiedenen Landschaften abgegangen, um die
Einberufung der Rekruten und die Anfertigung von Waffen zu
beschleunigen. Sehr empfindlich war der Mangel an Reiterei, da
man für diese gewohnt war sich gänzlich auf die Provinzen und
namentlich die keltischen Contingente zu verlassen; um wenig-
stens einen Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar gehö-
rende Gladiatoren aus den Fechtschulen von Capua entnommen
und beritten gemacht, was indeſs so allgemeine Miſsbilligung
fand, daſs Pompeius diese Truppe wieder auflöste und dafür aus
den berittenen Hirtensclaven Apuliens 300 Reiter aushob. — In
der Staatskasse war Ebbe wie gewöhnlich; man war beschäftigt
aus den Gemeindekassen und selbst den Tempelschätzen der Mu-
nicipien den unzureichenden Baarbestand zu ergänzen.
Unter diesen Umständen ward zu Anfang Januar 705 der
Krieg erklärt. Von marschfähigen Truppen hatte Caesar nicht
mehr als eine Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei
Ravenna, das auf der Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom
entfernt war; Pompeius zwei schwache Legionen, 7000 Mann
Infanterie und eine geringe Reiterschaar, unter Appius Claudius
Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls auf der Chaussee, un-
gefähr eben so weit nach der Hauptstadt hatte. Die andern Truppen
Caesars, abgesehen von den rohen noch in der Bildung begriffe-
nen Rekrutenabtheilungen, standen zur Hälfte an der Saone und
Loire, zur Hälfte in Belgien, während Pompeius italische Reser-
[352]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
ven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange
bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars
in Italien einrücken konnte, muſste hier ein weit überlegenes Heer
bereit stehen sie zu empfangen. Es schien eine Thorheit mit
einem Haufen von der Stärke des catilinarischen und augenblick-
lich ohne wirksame Reserve gegen eine überlegene und stündlich
anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn angreifend
vorzugehen; allein es war eine Thorheit im Geiste Hannibals.
Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog
und Pompeius gestattet ward mit seinen spanischen Truppen im
transalpinischen, mit seinen italischen im cisalpinischen Gallien
die Offensive zu ergreifen, so hatte er allen Grund dem Ausgang
des Krieges mit Zuversicht entgegenzusehen. Pompeius, als Tak-
tiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem
solchen regelmäſsig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Geg-
ner; jetzt lieſs er, gewohnt mit überlegenen Massen langsam und
sicher zu operiren, durch einen so durchaus improvisirten An-
griff vielleicht sich deroutiren. Die jetzt Caesar gegenüberstehende
Armee bestand entweder aus seinen alten Soldaten oder aus
schlecht geübten und in der Bildung begriffenen Rekrutenabthei-
lungen; was seine dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des
gallischen Ueberfalls und der Januarcampagne im Bellovakerland
(S. 266) nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlich-
keit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, muſste
solche Heerhaufen desorganisiren. — So rückte denn Caesar in
Italien ein.* Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna
nach Süden: die aemilisch-cassische, die von Bononia über den
Apennin nach Arretium und Rom, und die popillisch-flaminische,
die von Ravenna nach Fanum an der Küste des adriatischen Meeres
sich hielt und dort sich theilend, in westlicher Richtung durch den
Furlopaſs nach Rom, in südlicher nach Ancon und weiter nach
Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arre-
tium, auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward
nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Mi-
litärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur
besorgt nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio
[353]BRUNDISIUM.
mit 1500 Mann auf Iguvium anrückte, wo ein paar Tausend um-
brischer Rekruten unter dem Praetor Quintus Minucius Thermus
sich gesammelt hatten, suchten auf die bloſse Meldung seines
Anmarsches General und Soldaten das Weite; und ähnlich ging
es im Kleinen überall. Caesar hatte die Wahl entweder gegen
Rom, dem seine Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Mei-
len sich genähert hatten, oder gegen die bei Luceria lagernden.
Legionen zu marschiren. Er wählte das Letztere. Die Conster-
nation der Gegenpartei war grenzenlos. Pompeius erhielt die Mel-
dung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien anfangs die Haupt-
stadt vertheidigen zu wollen, aber als die Nachricht von Caesars
Einrücken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen da-
selbst einlief, gab er sie auf und befahl die Räumung. Ein pani-
scher Schreck, vermehrt durch das falsche Gerücht, daſs Caesars
Reiter vor den Thoren sich gezeigt hätten, kam über die vor-
nehme Welt. Die Senatoren, denen angezeigt worden war, daſs
man jeden in der Hauptstadt zurückbleibenden als Mitschuldigen
des Rebellen Caesar behandeln werde, strömten schaarenweise aus
den Thoren. Die Consuln selbst hatten so vollständig den Kopf
verloren, daſs sie nicht einmal die Kassen in Sicherheit brachten,
und als Pompeius sie aufforderte dafür nachträglich zu sorgen,
wozu ausreichend Zeit war, lieſsen sie ihm zurücksagen, daſs sie
es für sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war
rathlos; also ward groſser Kriegsrath in Teanum Sidicinum ge-
halten (23. Jan.), dem Pompeius, Labienus und beide Consuln
beiwohnten. Auch hier hatte man zunächst wieder Vergleichs-
vorschläge zu berathen, die Caesar selbst jetzt noch zu erneuern
nicht unterlieſs: er erbot sich sein Heer sofort zu entlassen, seine
Provinzen den ernannten Nachfolgern zu übergeben und sich in
regelrechter Weise um das Consulat zu bewerben, wofern Pom-
peius nach Spanien abgehe und in Italien entwaffnet werde. Die
Antwort war, daſs man, wenn Caesar sogleich in seine Provinz
zurückkehre, sich anheischig mache die Entwaffnung Italiens und
die Abreise des Pompeius durch einen ordnungsmäſsig in der
Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluſs herbeizuführen; was,
wenn es mehr war als eine plumpe Prellerei, wohl eine Annahme
des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der Sache
nach eine Ablehnung war. Die von Caesar gewünschte persön-
liche Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und muſste
sie ablehnen, um nicht durch den Anschein einer neuen Coalition
mit Caesar das schon rege Miſstrauen der Verfassungspartei noch
mehr zu reizen. Der in Teanum festgestellte Kriegsplan ging da-
Röm. Gesch. III. 23
[354]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
hin, daſs Pompeius das Commando der bei Luceria stehenden
Truppen, auf denen trotz ihrer Unzuverlässigkeit doch alle Hoff-
nung beruhte, übernehmen, mit diesen in seine und Labienus
Heimath, in Picenum einrücken, dort wie einst vor fünfunddreiſsig
Jahren (II, 308) den Landsturm persönlich zu den Waffen rufen
und an der Spitze der treuen picentischen und der krieggewohn-
ten ehemals caesarischen Cohorten versuchen solle dem Vordrin-
gen des Feindes eine Schranke zu setzen. Es kam nur darauf
an, ob die picenische Landschaft sich so lange hielt, bis Pom-
peius zu ihrer Vertheidigung herankam. Bereits war Caesar mit
seiner wieder vereinigten Armee auf der Küstenstraſse über An-
con in Picenum eingedrungen. Auch hier waren die Rüstungen
in vollem Gange; gleich in der nördlichsten picenischen Stadt
Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Pu-
blius Attius Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Municipa-
lität räumte Varus die Stadt noch ehe Caesar erschien und eine
Handvoll von dessen Soldaten, die den Trupp unweit Auximum
einholten, zerstreuten ihn vollständig nach kurzem Gefecht —
es war das erste in diesem Kriege. Ebenso räumten bald darauf
Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann Camerinum, Publius Len-
tulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz ergebenen
Mannschaften lieſsen zum gröſsten Theil Haus und Hof willig im
Stich und folgten den Führern über die Grenze; die Landschaft
selbst aber war schon nicht mehr zu retten, als der zur vorläu-
figen Leitung der Vertheidigung von Pompeius gesandte Offizier
Lucius Vibullius Rufus, kein vornehmer Senator, aber ein kriegs-
kundiger Militär, daselbst eintraf: er muſste sich begnügen die
geretteten etwa 6—7000 Rekruten den unfähigen Werbeoffizie-
ren abzunehmen und sie vorläufig nach dem nächsten Sammel-
platz zu führen. Dies war Corfinium, der Mittelpunct der Aushe-
bungen im albensischen, marsischen und paelignischen Gebiet; die
hier versammelte Rekrutenmasse von beiläufig 15000 Mann war
das Contingent der streitbarsten und zuverlässigsten Landschaften
Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der
Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch
mehrere Tagemärsche zurück; es war nichts im Wege Pompeius
Befehlen gemäſs sofort aufzubrechen und die geretteten picenti-
schen nebst den in Corfinium gesammelten Rekruten dem Haupt-
heer in Apulien zuzuführen. Allein in Corfinium commandirte der
designirte Nachfolger Caesars Lucius Domitius, einer der bornir-
testen Starrköpfe der römischen Aristokratie; und dieser weigerte
sich nicht bloſs Pompeius Befehlen Folge zu leisten, sondern ver-
[355]BRUNDISIUM.
hinderte auch den Vibullius wenigstens mit der Mannschaft aus
Picenum nach Apulien abzumarschiren. So fest hielt er sich
überzeugt, daſs Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und noth-
wendig zum Entsatz herbeikommen müsse, daſs er kaum sich
ernstlich auf die Belagerung gefaſst machte und nicht einmal
die in die umliegenden Städte verlegten Rekrutenhaufen in Cor-
finium zusammenzog. Pompeius kam nicht, da er seine beiden
unzuverlässigen Legionen wohl als Rückhalt für den picentischen
Landsturm verwenden, aber nicht mit ihnen allein Caesar die
Schlacht anbieten konnte. Statt seiner kam Caesar (14. Febr.).
Zu den Truppen desselben war in Picenum die zwölfte und vor
Corfinium die achte Legion von den transalpinischen gestoſsen
und auſserdem wurden theils aus den pompeianischen gefange-
nen oder freiwillig sich stellenden, theils aus den auf Caesars
Befehl überall ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen gebil-
det, so daſs er vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee
von 40,000 Mann, zur Hälfte gedienter Leute stand. So lange
Domitius auf Pompeius Eintreffen hoffte, lieſs er die Stadt ver-
theidigen; als dessen Briefe ihn endlich enttäuscht hatten, be-
schloſs er nicht etwa auf dem verlorenen Posten auszuharren,
womit er seiner Partei den gröſsten Dienst geleistet haben würde,
auch nicht einmal zu capituliren, sondern, während dem gemei-
nen Soldaten der Entsatz als nahe bevorstehend angekündigt
ward, selbst mit den vornehmen Offizieren in der nächsten Nacht
auszureiſsen. Indeſs selbst diesen sauberen Plan ins Werk zu
setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verrieth ihn.
Ein Theil der Mannschaften fing an zu meutern; die marsischen
Rekruten, die eine solche Schändlichkeit ihres Feldherrn nicht
für möglich hielten, wollten gegen die Meuterer kämpfen; aber
auch sie muſsten sich widerwillig von der Wahrheit der Anschul-
digung überzeugen, worauf denn die gesammte Besatzung ihren
Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt an Caesar übergab
(20. Febr.). Das 3000 Mann starke Corps in Alba und 1500 in
Tarracina gesammelte Rekruten ergaben sich hierauf, so wie
Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abtheilung in
Sulmo von 3500 Mann war bereits früher genöthigt worden zu
capituliren. — Pompeius hatte Italien verloren gegeben, so wie
Caesar Picenum eingenommen hatte; nur wollte er die Einschif-
fung so lange wie möglich verzögern, um von den Mannschaften
zu retten, was noch zu retten war. Langsam hatte er sich dem-
nach nach dem nächsten Hafenplatz Brundisium in Bewegung ge-
setzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und was Pom-
23*
[356]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
peius in dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile
hatte zusammenraffen können, so wie die von den Consuln und
den sonstigen Beauftragten in Campanien ausgehobenen und
eiligst nach Brundisium beorderten Mannschaften sich ein; eben
dahin begab sich eine Menge politischer Flüchtlinge, unter ihnen
die angesehensten Senatoren in Begleitungn ihrer Familien. Die
Einschiffung begann; allein die vorräthigen Schiffe genügten
nicht, um die ganze Masse, die sich doch noch auf 25000 Köpfe
belief, auf einmal zu transportiren. Es blieb nichts übrig als das
Heer zu theilen. Die gröſsere Hälfte ging vorauf (4. März); mit
der kleineren von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in
Brundisium die Rückkehr der Flotte, denn wie wünschenswerth
für einen etwaigen Versuch Italien wieder einzunehmen auch der
Besitz von Brundisium war, so getraute man sich doch nicht
den Platz auf die Dauer gegen Caesar zu halten. Inzwischen traf
Caesar vor Brundisium ein; die Belagerung begann. Caesar ver-
suchte vor allem die Hafenmündung durch Dämme und schwim-
mende Brücken zu schlieſsen, um die rückkehrende Flotte aus-
zusperren; allein Pompeius lieſs die im Hafen liegenden Han-
delsfahrzeuge armiren und wuſste die völlige Schlieſsung des
Hafens so lange zu verhindern, bis die Flotte erschien und die
von Pompeius trotz der Wachsamkeit der Belagerer und der
feindlichen Gesinnung der Stadtbewohner mit groſser Geschick-
lichkeit bis auf den letzten Mann unbeschädigt aus der Stadt her-
ausgezogenen Truppen aus Caesars Bereich nach Griechenland
entführte (17. März). An dem Mangel einer Flotte scheiterte wie
die Belagerung selbst so auch die weitere Verfolgung. — In einem
zweimonatlichen Feldzug, ohne ein einziges ernstliches Gefecht,
hatte Caesar eine Armee von zehn Legionen so aufgelöst, daſs mit
genauer Noth die kleinere Hälfte derselben in verwirrter Flucht
über das Meer entkommen und die ganze italische Halbinsel mit
Einschluſs der Hauptstadt nebst der Staatskasse und allen da-
selbst aufgehäuften Vorräthen in der Gewalt des Siegers geblieben
war. Nicht ohne Grund klagte die geschlagene Partei über die
schauerliche Raschheit, Einsicht und Energie des ‚Ungeheuers‘.
Indeſs es lieſs sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung
Italiens mehr gewann oder mehr verlor. In militärischer Hinsicht
wurden zwar jetzt sehr ansehnliche Hülfsquellen nicht bloſs den
Gegnern entzogen, sondern auch für Caesar flüssig gemacht;
schon im Frühjahr 705 zählte seine Armee in Folge der überall
angeordneten massenhaften Aushebungen statt der ursprünglichen
neun zwischen dreiſsig und fünfunddreiſsig Legionen. Andrer-
[357]BRUNDISIUM.
seits aber wurde es jetzt nicht bloſs nöthig in Italien eine an-
sehnliche Besatzung zurückzulassen, sondern auch Maſsregeln zu
treffen gegen die von den seemächtigen Gegnern beabsichtigte
Sperrung des überseeischen Verkehrs und gegen die in Folge
dessen namentlich der Hauptstadt drohende Hungersnoth, wo-
durch Caesars bereits hinreichend verwickelte militärische Auf-
gabe noch weiter sich complicirte. Finanziell war es allerdings
von Belang, daſs es geglückt war der hauptstädtischen Kassen-
bestände von 4135 Pfunden Gold und 900000 Pfunden Silber
(gegen 23 Mill. Thlr.) sich zu bemächtigen; aber die hauptsäch-
lichsten Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem Orient
waren doch in den Händen des Feindes und den so sehr vermehr-
ten Bedürfnissen für das Heer sowie der neuen Verpflichtung gegen-
über für die darbende hauptstädtische Bevölkerung zu sorgen wa-
ren selbst diese ungeheuren Summen so wenig zureichend, daſs
Caesar sich bald genöthigt sah den Privatcredit anzusprechen
und, da es unmöglich schien, daſs er damit lange sich friste, all-
gemein als die einzig übrig bleibende Aushülfe umfassende Confis-
cationen erwartet wurden. — Ernstere Schwierigkeiten noch be-
reiteten die politischen Verhältnisse, in welche Caesar mit der Er-
oberung Italiens eintrat. Die Besorgniſs der besitzenden Klassen
vor einer anarchischen Umwälzung war allgemein. Feinde und
Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius glaubte
oder behauptete zu glauben, daſs Caesar nur durch die Unmög-
lichkeit seine Schulden zu bezahlen zum Bürgerkrieg getrieben
worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der That waren
Caesars Antecedentien nichts weniger als beruhigend und noch
weniger beruhigend der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn
umgab. Individuen des anbrüchigsten Rufes, stadtkundige Ge-
sellen wie Quintus Hortensius, Gaius Curio, Marcus Antonius —
dieser der Stiefsohn des auf Ciceros Befehl hingerichteten Catili-
nariers Lentulus — spielten darin die ersten Rollen; die höch-
sten Vertrauensposten wurden an Männer vergeben, die es längst
aufgegeben hatten ihre Schulden auch nur zu summiren; man
sah caesarische Beamte Tänzerinnen nicht bloſs unterhalten —
das thaten Andere auch —, sondern öffentlich in Begleitung sol-
cher Dirnen erscheinen. War es ein Wunder, daſs auch ernst-
hafte und politisch parteilose Männer Amnestie für alle landflüch-
tigen Verbrecher, Vernichtung der Schuldbücher, umfassende
Confiscations-, Acht- und Mordbefehle erwarteten, ja eine Plün-
derung Roms durch die gallische Soldatesca? — Indeſs hierin
täuschte das ‚Ungeheuer‘ die Erwartungen seiner Feinde wie
[358]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
seiner Freunde. Wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum
besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten sich bewaffnet
innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Un-
terschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten,
wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meu-
terische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob
er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt
bis zum andern Morgen, einzig um die Bürgerschaft nicht einem
nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben.
Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich
politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere
aber nicht bloſs verschont, sondern auch ohne Unterschied der
Person und ohne Abnahme irgend welcher Zusagen frei entlassen
und was sie als Privateigenthum in Anspruch nahmen, ohne auch
nur die Berechtigung der Reclamationen mit Strenge zu unter-
suchen, ihnen ohne Weiterung verabfolgt. So ward selbst Lucius
Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene
Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der pein-
lichsten Finanznoth wurden dennoch die ungeheuren Güter der
anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja
Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daſs er auch nur durch
Ausschreibung der formell zulässigen, aber thatsächlich antiquir-
ten Grundsteuer (II, 362) die Besitzenden gegen sich aufgeregt
hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe
betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft
der Dauer sah er nach seiner eigenen Aeuſserung allein in der
unbedingten Begnadigung der Besiegten. Mit dieser grenzenlosen
Milde Caesars contrastirte seltsam das wilde Racheschnauben der
geschlagenen Partei. Auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis
Brundisium hatte Caesar unablässig die Versuche erneuert eine
persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen
Vergleich einzuleiten; aber wenn die Aristokratie schon früher
von keiner Aussöhnung etwas hatte wissen wollen, so hatte die so
unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum
Wahnsinn gesteigert. Die Mittheilungen, die aus dem Emigranten-
lager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmäſsig zuka-
men, flossen über von Entwürfen zu Confiscationen und Proscrip-
tionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die
Sullas Restauration Kinderspiel war und die selbst die gemäſsigten
Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft
der Ohnmacht, die weise Mäſsigung der Macht thaten ihre Wirkung.
Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politi-
[359]BRUNDISIUM.
schen gingen, warf sich Caesar in die Arme. Die Landstädte ver-
götterten ‚die Rechtschaffenheit, die Mäſsigung, die Klugheit‘ des
Siegers; und selbst die Gegner räumten es ein, daſs es mit diesen
Huldigungen Ernst war. Die hohe Finanz, Steuerpächter und
Geschworne verspürten nach dem argen Schiffbruch; der die Ver-
fassungspartei in Italien betroffen hatte, keine besondere Lust
sich weiter denselben Steuermännern anzuvertrauen; die Capita-
lien kamen wieder zum Vorschein und ‚die reichen Herren be-
gaben sich wieder an ihr Tagewerk die Zinsbücher zu schreiben‘.
Selbst die groſse Majorität des Senats, wenigstens der Zahl nach
— denn allerdings befanden sich von den vornehmeren und ein-
fluſsreichen Senatsmitgliedern nur wenige darunter — war, trotz
der Befehle des Pompeius und der Consuln, in Italien, zum Theil
sogar in der Hauptstadt selbst zurückgeblieben und lieſs Caesars
Regiment sich gefallen. Caesars eben in ihrer scheinbaren Ueber-
schwänglichkeit wohl berechnete Milde erreichte ihren Zweck: die
zappelnde Angst der besitzenden Klassen vor der drohenden
Anarchie wurde einigermaſsen beschwichtigt. Wohl war dies für
die Folgezeit ein unberechenbarer Gewinn; die Abwendung der
Anarchie und der fast nicht minder gefährlichen Angst vor der
Anarchie war die Vorbedingung der künftigen Reorganisation des
Gemeinwesens. Aber für den Augenblick war diese Milde für Cae-
sar gefährlicher als die Erneuerung der cinnanischen und catili-
narischen Raserei gewesen sein würde: sie verwandelte Freunde
in Feinde und Feinde nicht in Freunde. Caesars catilinarischer An-
hang grollte, daſs das Morden und Plündern unterblieb; von die-
sen verwegenen, verzweifelten und zum Theil talentvollen Gesellen
waren die bedenklichsten Quersprünge zu erwarten. Die Republi-
kaner aller Schattirungen dagegen wurden durch die Gnade des
Ueberwinders weder bekehrt noch versöhnt. Nach dem Credo der
catonischen Partei entband die Pflicht gegen das, was sie Vater-
land nannte, von jeder anderen Rücksicht; selbst wer Caesar
Freiheit und Leben verdankte, blieb befugt und verpflichtet gegen
ihn die Waffen zu ergreifen oder doch mindestens gegen ihn zu
complottiren. Die minder entschiedenen Fractionen der Verfas-
sungspartei lieſsen zwar allenfalls sich willig finden von dem neuen
Monarchen Frieden und Schutz anzunehmen; aber sie hörten
doch darum nicht auf die Monarchie wie den Monarchen wenig-
stens zu verwünschen. Je offenbarer die Verfassungsänderung
hervortrat, desto bestimmter kam der groſsen Majorität der Bür-
gerschaft, sowohl in der politisch lebhafter aufgeregten Haupt-
stadt wie in der energischeren ländlichen und landstädtischen Be-
[360]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
völkerung, ihre republikanische Gesinnung zum Bewuſstsein; in-
sofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an
ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daſs daheim alle Klassen und
alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stim-
mung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den morali-
schen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesin-
nungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren
und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Ver-
bleiben in Italien das Gewissen, und der Halbaristokrat glaubte
sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern
und den Metellern ins Exil ging und gar wenn er in dem caesa-
rischen Senat der Nullitäten mit saſs. Die eigene Milde des Sie-
gers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung:
da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen
die heimlichen Feinde ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne
viele Gefahr bethätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser
Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte
den Kampf begonnen, um den terrorisirten Senat von seinen Un-
terdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also
von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu
weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke
beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die
Volkstribunen seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Ver-
sammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien
gebliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben,
sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität Marcus Cicero
und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlim-
mer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt auf Caesars
Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fort-
setzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen
anwesenden Consulare Servius Sulpicius Rufus, ein urfurcht-
samer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in sei-
nem Bette, daſs Caesar sich sehr um das Vaterland verdient
machen werde, wenn er es aufgebe den Krieg nach Griechenland
und Spanien zu tragen. Als dann Caesar wenigstens versuchte
seine Friedensvorschläge durch den Senat an Pompeius zu über-
mitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die
Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so
in Furcht gesetzt, daſs Niemand sich fand um die Friedens-
botschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie
den Thron des Monarchen errichten zu helfen und an derselben
Schlaffheit des hohen Collegiums, durch die kurz zuvor Caesar
[361]BRUNDISIUM. ILERDA.
Pompeius legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Bürger-
krieg vereitelt hatte, scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen
Verlangen. Andere Hemmungen kamen hinzu. Da beide Con-
suln im feindlichen Lager waren und der Versuch fehlschlug den
Consul Lentulus, dessen zerrüttete Vermögensverhältnisse Jeder-
mann kannte, zu kaufen, so war es überhaupt nach formellem
Recht sehr schwierig oder vielmehr unmöglich, die von Caesar
gewünschte Ernennung eines Dictators zu bewirken. Der Volks-
tribun Lucius Metellus ferner legte gegen sämmtliche Schritte des
Proconsuls Protest ein und machte Miene die Staatskasse, als
Caesars Leute kamen um sie zu leeren, mit seinem Leibe zu
decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin den Unver-
letzlichen so sänftlich wie möglich bei Seite schieben zu lassen;
übrigens blieb er dabei sich aller terroristischen Maſsregeln zu
enthalten. Dem Senat erklärte er, eben wie es kurz zuvor die Ver-
fassungspartei gethan, daſs er zwar gewünscht habe mit Beihülfe
der höchsten Behörde die Verhältnisse zu ordnen; allein da diese
verweigert werde, könne er ihrer auch entrathen. Ohne weiter
um den Senat und die staatsrechtlichen Formalien sich zu küm-
mern, übergab er die einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem
Prätor Marcus Aemilius Lepidus als Stadtpräfecten und ordnete
für die Verwaltung der ihm gehorchenden Landschaften und die
Fortsetzung des Krieges das Erforderliche an. Selbst unter dem
Getöse des Riesenkampfes und neben dem lockenden Klang der
verschwenderischen Versprechungen Caesars machte es doch
noch tiefen Eindruck auf die hauptstädtische Menge, als sie in
ihrem freien Rom zum ersten Mal den Monarchen als Monarchen
schalten und die Thüre der Staatskasse durch seine Soldaten auf-
sprengen sah. Allein die Zeiten waren nicht mehr, wo Eindrücke
und Stimmungen der Masse den Gang der Ereignisse bestimm-
ten; die Legionen entschieden und auf einige schmerzliche Em-
pfindungen mehr oder weniger kam eben nichts weiter an.
Caesar eilte den Krieg wieder aufzunehmen. Seine bisheri-
gen Erfolge verdankte er der Offensive und er gedachte auch fer-
ner bei derselben zu bleiben. Die Lage seines Gegners war selt-
sam. Nachdem der ursprüngliche Plan, den Feldzug zugleich von
Italien und Spanien aus in den beiden Gallien offensiv zu führen,
durch Caesars Angriff vereitelt worden war, war Pompeius Ab-
sicht gewesen Italien aufzugeben und nach Spanien zu gehen.
Hier hatte er eine sehr starke Stellung. Das Heer zählte sieben
Legionen; es dienten darin eine groſse Anzahl von Pompeius
Veteranen und die mehrjährigen Kämpfe in den lusitanischen
[362]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Bergen hatten Soldaten und Offiziere gestählt. Unter den An-
führern war Marcus Varro zwar nichts als ein berühmter Gelehr-
ter und ein getreuer Anhänger; aber Lucius Afranius hatte mit
Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Mar-
cus Petreius, der Ueberwinder Catilinas, war ein ebenso uner-
schrockener wie fähiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Pro-
vinz Caesar noch von seiner Statthalterschaft her (S. 203)
mancherlei Anhang hatte, so war dagegen diejenige, auf die es
zunächst ankam, die Ebroprovinz mit allen Banden der Ehrfurcht
und der Dankbarkeit an den berühmten General gefesselt, der da-
selbst zwanzig Jahre zuvor im sertorianischen Kriege comman-
dirt und nach dessen Beendigung sie reorganisirt hatte. Wenn
Pompeius mit den aus der italischen Katastrophe geretteten
Heerestrümmern dort sich hin begab und an der Spitze seiner
gesammten Macht Caesar entgegentrat, so war es keineswegs
unwahrscheinlich, daſs in diesem Kampfe ihm die Oberhand blieb.
Unglücklicher Weise aber hatte er, in der Hoffnung die in Corfi-
nium stehenden Truppen noch retten zu können, so lange in
Apulien sich verweilt, daſs er statt der campanischen Häfen das
nähere Brundisium zum Einschiffungsort zu wählen genöthigt
war. Warum er, Herr der See und Siciliens, nicht späterhin
auf den ursprünglichen Plan wieder zurückkam, läſst sich nicht
entscheiden; genug es geschah nicht. Caesar blieb die Wahl ent-
weder gegen die Armee, die in Griechenland unter Pompeius
eigenem Befehl sich organisirte, oder gegen die schlagfertige sei-
ner Unterfeldherren in Spanien den nächsten Angriff zu richten.
Er hatte für das Letztere sich entschieden und, so wie der itali-
sche Feldzug zu Ende ging, Maſsregeln getroffen um neun seiner
besten Legionen, ferner 6000 Reiter, theils in den Keltengauen
von Caesar einzeln ausgesuchte Leute, theils deutsche Söldner, und
eine Anzahl iberischer und ligurischer Schützen an der unteren
Rhone zusammenzuziehen. — Aber auch seine Gegner waren hier
thätig. Der vom Senat zu Caesars Nachfolger bestimmte Statt-
halter des diesseitigen Galliens Lucius Domitius hatte von Corfi-
nium aus, so wie Caesar ihn freigegeben, sich mit seinem Ge-
sinde und mit Pompeius Vertrauensmann Lucius Vibullius Rufus
nach Massalia auf den Weg gemacht und in der That die Stadt
bestimmt sich für Pompeius zu erklären, ja Caesars Truppen den
Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben
die zwei am wenigsten zuverlässigen Legionen unter Varros Ober-
befehl in der jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fünf
besten Legionen, verstärkt durch 40000 Mann spanischen Fuſs-
[363]ILERDA.
volks, theils keltiberischer Linieninfanterie, theils lusitanischer
und anderer Leichten, und durch 5000 spanische Reiter, unter
Afranius und Petreius, den durch Vibullius überbrachten Befehlen
des Pompeius gemäſs, sich aufgemacht um die Pyrenäen dem
Feinde zu sperren. — Hierüber traf Caesar selbst in Gallien ein
und entsandte sogleich, da er selbst noch durch die Einleitung der
Belagerung von Massalia zurückgehalten ward, den gröſsten Theil
seiner an der Rhone versammelten Truppen, sechs Legionen und
die Reiterei, auf der groſsen über Narbo (Narbonne) nach Rhoda
(Rosas) führenden Chaussee, um an den Pyrenäen dem Feinde
zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius und Petreius an den
Pässen anlangten, fanden sie dieselben bereits besetzt von den
Caesarianern und nahmen nach dem Verlust der Pyrenäenlinie
zwischen diesen und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda (Lerida).
Diese Stadt liegt vier Meilen nördlich vom Ebro an dem rechten
Ufer eines Nebenflusses desselben, des Sicoris (Segre), über den
nur eine einzige solide Brücke unmittelbar bei Ilerda führte. Süd-
lich von Ilerda treten die das linke Ufer des Ebro begleitenden
Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan; nordwärts erstreckt
sich zu beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das von dem Hü-
gel, auf welchem die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Für eine
Armee, die sich muſste belagern lassen, war es eine vortreffliche
Stellung; aber die Vertheidigung Spaniens konnte, nachdem die
Pyrenäenlinie verloren war, doch nur hinter der Ebrolinie ernst-
lich aufgenommen werden, und da weder eine feste Verbindung
zwischen Ilerda und dem Ebro hergestellt noch dieser Fluſs über-
brückt war, so war der Rückzug aus der vorläufigen in die wahre
Vertheidigungsstellung nicht hinreichend gesichert. Die Caesaria-
ner setzten sich oberhalb Ilerda in dem Delta fest, das der Fluſs
Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm sich vereinigenden
Cinga (Cinca) bildet; indeſs ward es mit dem Angriff erst Ernst,
nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Ein Ge-
fecht unter den Mauern der Stadt, in dem beide Theile mit glei-
cher Erbitterung und gleicher Tapferkeit kämpften, ergab nach
vielfach wechselnden Erfolgen als letztes Resultat, daſs die Cae-
sarianer ihren Zweck: zwischen dem pompeianischen Lager und
der Stadt sich festzusetzen und dadurch der Steinbrücke sich zu
bemächtigen, nicht erreichten. Sie blieben also für ihre Com-
munication mit Gallien ausschlieſslich angewiesen auf zwei in
der Eile über den Sicoris geschlagene Brücken, welche, da der
Fluſs hei Ilerda selbst zur Ueberbrückung schon zu ansehnlich
war, vier bis fünf deutsche Meilen weiter oberwärts hatten ge-
[364]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
schlagen werden müssen. Als nun mit der Schneeschmelze die
Hochwasser kamen, wurden diese Nothbrücken weggerissen und
der Sicoris wie die Cinca so hoch angeschwellt, daſs für die
nächste Zeit sie nicht anders als auf Schiffen passirt werden konn-
ten. Da es an diesen fehlte und auch die Wiederherstellung der
Brücken nicht erfolgen konnte ohne das andere Ufer zu gewinnen,
so war die römische Armee beschränkt auf den schmalen Raum
zwischen der Cinca und dem Sicoris; das linke Ufer des Sicoris
und damit die Straſse, auf der die Armee mit Gallien und Italien
communicirte, war fast unvertheidigt den Pompeianern preisge-
geben, die den Fluſs theils auf der Stadtbrücke, theils nach lusi-
tanischer Art auf Schläuchen schwimmend zu passiren vermoch-
ten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast
aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge
Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager
herrschte förmliche Hungersnoth — der preuſsische Scheffel Wei-
zen kostete 300 Denare (84 Thlr.) — und brachen bedenkliche
Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die
mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nach-
schub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere
und Soldaten, heimkehrende Streifschaaren, im Ganzen eine Masse
von 6000 Köpfen, die die Pompeianer mit überlegener Macht an-
griffen und mit groſsem Verlust in die Berge drängten, während
die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht unthätig
zusehen muſsten. Die Verbindungen der Armee waren in den
Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten von
Caesars Armee plötzlich aus und die bedenklichen Gerüchte, die
dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzu-
weit entfernt. Indeſs die Schlaffheit der Pompeianer und ein
glücklicher Gedanke Caesars rettete die Armee. Hätten jene ihren
Vortheil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen
nicht fehlen die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammenge-
drängte kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt
zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzudrängen und
dies Ufer so vollständig zu besetzen, daſs ohne ihr Wissen kein
Mann den Fluſs überschritt. Allein beides war versäumt worden;
jene Haufen waren wohl mit Verlust bei Seite gedrängt, aber doch
weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden und die
Ueberschreitung des Flusses zu wehren überlieſs man wesentlich
dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er lieſs
tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit
lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Brit-
[365]ILERDA.
ten und später den Sachsen üblichen, im Lager anfertigen und
sie auf Wagen an den Punct, wo die Brücken gestanden hatten,
transportiren. Das andere Ufer war frei; man erreichte auf den
gebrechlichen Nachen dasselbe ohne Schwierigkeit und stellte die
Brücken wieder her; und sofort wurde auch die Verbindungs-
straſse wieder frei gemacht und die sehnlich erwartete Zufuhr in
das Lager geschafft. — Kaum war durch Caesars glücklichen Ein-
fall das Heer aus der ungeheuren Gefahr gerissen, als er durch
seine an Tüchtigkeit der feindlichen weit überlegene Reiterei die
Landschaft am linken Ufer des Sicoris durchstreifen lieſs und den
Feind hinderte von hier aus sich zu versorgen. Schon traten die
ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den Pyrenäen
und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst ein-
zelne südlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Reiter Cae-
sars und die Uebertritte der benachbarten Gemeinden wurde den
Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich nun end-
lich zum Rückzug hinter die Ebrolinie und machten jetzt eiligst
Anstalt unterhalb der Sicorismündung eine Schiffbrücke über
den Ebro zu schlagen. Caesar dagegen hoffte in Folge der feh-
lerhaften Aufstellung der Gegner bei Ilerda ihnen den Rückweg
über den Ebro abschneiden und sie in Ilerda einschlieſsen zu
können. Allein um Ilerda ernstlich zu umstellen bedurfte er einer
Verbindung der beiden Fluſsufer unmittelbar bei der Stadt, in-
dem er sonst seine Armee in zwei nur auf einem weiten Umweg
mit einander communicirende Corps aufgelöst und jedes dersel-
ben einzeln dem Angriff der ganzen feindlichen Heermasse aus-
gesetzt haben würde. Seine Soldaten schanzten Tag und Nacht,
um durch Abzugsgräben den Fluſs so viel tiefer zu legen, daſs
die Infanterie ihn durchwaten könne. Alles kam darauf an, ob
die Vorbereitungen der Pompeianer um den Ebro zu passiren oder
die der Caesarianer um Ilerda einzuschlieſsen früher zu Ende
kamen. Es waren die Pompeianer, die zuerst fertig wurden:
als sie nach Vollendung der Schiffbrücke den Marsch nach dem
Ebro zu am linken Ufer des Sicoris antraten, konnten zwar Cae-
sars Reiter den Strom passiren und, dem Feinde an die Fersen
sich heftend, ihn aufhalten und schädigen, aber da dem Fuſs-
gänger das Wasser noch bis an die Schultern ging, muſste die
Infanterie auf dem rechten Ufer des Flusses zurückbleiben. Allein
als Caesars Soldaten am grauenden Morgen die seit Mitternacht
abziehenden feindlichen Colonnen erblickten, begriffen sie mit der
instinctmäſsigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die Bedeu-
tung dieses Rückzugs, der sie nöthigte dem Gegner in ferne, un-
[366]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
wegsame und von feindlichen Schaaren erfüllte Landschaften zu
folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr auch die In-
fanterie in den Fluſs zu führen und ohne Unfall ward er durch-
schritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene,
welche die Stadt Ilerda von den Ebro einfassenden Gebirgen
trennt, einmal durchschritten und das Heer in die Berge einge-
treten war, so war es nicht mehr möglich demselben den Rück-
zug an den Ebro zu verwehren; und schon hatten die Pompeianer
trotz der beständigen den Marsch ungemein verzögernden An-
griffe der feindlichen Reiterei bis auf eine Meile sich den Bergen
genähert. Allein, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäg-
lich erschöpft, gaben sie ihren ursprünglichen Plan, die Ebene
noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, auf und schlugen
ein Lager; so holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am
Abend ihnen gegenüber. Die Pompeianer beabsichtigten in der
Nacht weiter zu marschiren, allein es unterblieb aus Furcht vor den
Folgen nächtlicher Angriffe der Reiterei; und auch am folgenden
Tage standen beide Heere unbeweglich sich gegenüber, nur be-
schäftigt die Gegend zu recognosciren. Am frühen Morgen des
dritten brach Caesar auf, um durch die pfadlosen Berge zur Seite
der Straſse sich einen Weg zu bahnen und also den Weg zum
Ebro dem Feinde zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Mar-
sches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden
schien, ward von den pompeianischen Offizieren nicht sogleich
erkannt. Als sie ihn faſsten, opferten sie Lager und Gepäck und
rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstraſse vor, um die Höhen
zu gewinnen. Indeſs es war bereits zu spät: schon hielten auf
der Hauptstraſse selbst die geschlossenen Massen der Feinde. Ein
verzweifelter Versuch der Pompeianer über die Bergsteile einen
neuen Weg zum Ebro ausfindig zu machen ward von der römi-
schen Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitani-
schen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen
der pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken,
das Fuſsvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich de-
moralisirt war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekom-
men, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft und die Gelegen-
heit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte
keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die unge-
duldige Kampflust seiner siegesgewissen Soldaten. Die pompe-
ianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar ver-
mied es durch nutzloses Blutvergieſsen sein Heer zu schwächen
und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage
[367]ILERDA.
nach dem Abschneiden der Ebropassage hatten die Soldaten der
beiden Heere mit einander angefangen zu fraternisiren und wegen
der Uebergabe zu unterhandeln, ja es waren bereits die von den
Pompeianern geforderten Bedingungen, namentlich Schonung
der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als Petreius mit
seiner aus Sclaven und Spaniern bestehenden Escorte über die
Unterhändler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward,
niedermachen lieſs. Caesar dagegen sandte die in sein Lager ge-
kommenen Pompeianer ungeschädigt zurück und beharrte dabei
eine friedliche Lösung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch
Besatzung und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel
ihres Marsches; allein sie hatten vor sich das feindliche Heer und
zwischen sich und der Festung den Sicoris. Die pompeianische
Armee marschirte in der Gegend herum ohne ihrem Ziele näher
zu kommen; ihre Reiterei ward allmählich so eingeschüchtert, daſs
das Fuſsvolk sie in die Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut
gestellt werden muſsten; die Beschaffung von Wasser und Fourage
ward immer schwieriger; schon muſste man die Lastthiere nieder-
stoſsen, da man sie nicht ernähren konnte. Endlich fand die um-
herirrende Armee sich förmlich eingeschlossen, den Sicoris im
Rücken, vor sich das feindliche Heer, das Wall und Graben um
sie herumzog. Sie versuchte den Fluſs zu überschreiten, aber
Caesars deutsche Reiter und leichte Infanterie besetzten ihr zu-
vorkommend das entgegenstehende Ufer. Alle Tapferkeit und alle
Treue konnten die unvermeidliche Capitulation nicht länger ab-
wenden (2. Aug. 705). Caesar gewährte nicht bloſs Offizieren
und Soldaten Leben, Freiheit und den Besitz der ihnen noch ge-
bliebenen so wie die Zurückgabe der bereits ihnen abgenomme-
nen Habe, deren vollen Werth er selber seinen Soldaten zu er-
statten übernahm, sondern, während er die in Italien gefangenen
Rekruten zwangsweise in seine Armee eingereiht hatte, ehrte er
diese alten Legionare des Pompeius durch die Zusage, daſs kei-
ner wider seinen Willen genöthigt werden solle in sein Heer ein-
zutreten. Er forderte nur, daſs ein jeder die Waffen abgebe und
sich in seine Heimath verfüge. Demgemäſs wurden die aus Spa-
nien gebürtigen Soldaten, etwa der dritte Theil der Armee, so-
gleich, die italischen an der Grenze des jen- und diesseitigen Gal-
liens verabschiedet. — Das diesseitige Spanien fiel mit der Auflö-
sung dieser Armee von selbst in die Gewalt des Siegers. Im jensei-
tigen führte Marcus Varro für Pompeius den Oberbefehl. Als dieser
die Katastrophe von Ilerda erfuhr, schien es ihm das Räthlichste
sich in die Inselstadt Gades zu werfen und die beträchtlichen
[368]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Summen, die er durch Einziehung der Tempelschätze und der
Vermögen angesehener Caesarianer zusammengebracht hatte, so
wie die nicht unbedeutete von ihm aufgestellte Flotte und die ihm
anvertrauten zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen.
Allein auf das bloſse Gerücht von Caesars Ankunft erklärten die
namhaftesten Städte der Caesar seit langem anhänglichen Pro-
vinz sich für diesen und verjagten die pompeianischen Besatzun-
gen oder bestimmten sie zu gleichem Abfall: so Corduba, Carmo
und Gades selbst. Auch eine der Legionen brach auf eigene Hand
nach Hispalis auf und trat mit dieser Stadt zugleich auf Caesars
Seite. Als endlich auch Italica dem Varro die Thore sperrte, ent-
schloſs dieser selbst sich zu capituliren. — Ungefähr gleichzeitig
unterwarf sich auch Massalia. Mit seltener Energie hatten die Mas-
salioten nicht bloſs die Belagerung ertragen, sondern auch die See
gegen Caesar behauptet; es war ihr heimisches Element und sie
durften hoffen auf diesem kräftige Unterstützung von Pompeius
zu empfangen, da er ja die Meere ausschlieſslich beherrschte. In-
deſs der tüchtige Decimus Brutus, derselbe, der über die Veneter
den ersten Seesieg im Ocean erfochten hatte (S. 240), wuſste
rasch eine Flotte herzustellen und trotz der tapferen Gegenwehr
der feindlichen, theils aus albioekischen Soldknechten der Massa-
lioten, theils aus Hirtensclaven des Domitius bestehenden Flotten-
mannschaft, durch seine tapfern aus den Legionen auserlesenen
Schiffssoldaten die stärkere massaliotische Flotte zu überwinden
und die gröſsere Hälfte der Schiffe zu versenken oder zu erobern.
Indeſs als ein kleines pompeianisches Geschwader unter Lucius
Nasidius aus dem Osten über Sicilien und Sardinien im Hafen
von Massalia eintraf, erneuerten die Massalioten ihre Seerüstung
und liefen zugleich mit den Schiffen des Nasidius abermals aus.
Hätten in dem Treffen, das auf der Höhe von Tauroeis (la Ciotat
östlich von Marseille) geschlagen ward, die Schiffe des Nasidius
mit demselben verzweifelten Muth gestritten, den die massalioti-
schen in diesem Gefechte bewiesen, so möchte das Ergebniſs des
Tages wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die Flucht der
Nasidianer entschied den Sieg für Brutus. Die Trümmer der
Flotte der Pompeianer flüchteten nach Spanien und die Belager-
ten sahen sich von der See vollständig verdrängt. Auf der Land-
seite leitete Gaius Trebonius die Belagerung. Auch er traf auf
die entschlossenste Gegenwehr und ward durch die häufigen Aus-
fälle der albioekischen Söldner und die geschickte Verwendung
der ungeheuren in der Stadt aufgehäuften Geschützvorräthe viel-
fältig gehemmt; allein endlich rückten doch die Arbeiten der Be-
[369]ILERDA.
lagerer bis an die Mauer vor und einer der Thürme stürzte zu-
sammen. Die Massalioten erklärten, daſs sie die Vertheidigung
aufgäben, aber mit Caesar selbst die Capitulation abzuschlieſsen
wünschten; weſshalb sie den römischen Befehlshaber ersuchten
bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Tre-
bonius hatte von Caesar gemessenen Befehl die Stadt so weit
irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffen-
stillstand. Allein die Massalioten benutzten ihn zu einem tücki-
schen Ausfall, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten
römischen Werke vollständig niederbrannten. So begann von
Neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf.
Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender
Schnelligkeit die vernichteten Thürme und den Damm wieder her;
bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen.
Als Caesar von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend vor
ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe theils durch die feindlichen
Angriffe, theils durch Hunger und Seuchen aufs Aeuſserste ge-
bracht und zum zweiten Mal, und dieses Mal ernstlich, bereit auf
jede Bedingung zu capituliren; nur Domitius, der schmählich
miſsbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg ein Schiff
und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unver-
söhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Sol-
daten hatten geschworen die ganze männliche Bevölkerung der
treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und for-
derten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plün-
derung. Allein Caesar, seiner groſsen Aufgabe die hellenisch-ita-
lische Civilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk,
lieſs sich nicht zwingen die Fortsetzung zu der Zerstörung Ko-
rinths zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien
und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die
von der Heimath am weitesten entfernte und fast die letzte, in der
das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten
hatte, wie sie denn auch die letzte griechische Stadt gewesen ist,
die zur See geschlagen hat — Massalia muſste zwar seine Waf-
fen- und Flottenvorräthe an den Sieger abliefern und verlor einen
Theil seines seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in
geschmälerten Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine
Freiheit und Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittel-
punct der hellenischen Cultur in der fernen eben jetzt zu neuer
geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.
Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach
manchen bedenklichen Wechselfällen schlieſslich sich durchaus zu
Röm. Gesch. III. 24
[370]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Caesars Gunsten entschied und Spanien und Massalia unterwor-
fen, die feindliche Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangen
genommen wurde, hatten auch auf dem zweiten Kriegsschau-
platze, auf welchem Caesar es nothwendig gefunden hatte sofort
nach der Eroberung Italiens die Offensive zu ergreifen, die Waf-
fen entschieden. — Es ward schon gesagt, daſs die Pompeianer
die Absicht hatten Italien auszuhungern. Die Mittel dazu hatten
sie in Händen. Sie beherrschten die See durchaus und arbeite-
ten allerorts, in Gades, Utica, Messana, vor allem im Osten mit
groſsem Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte; sie hatten ferner
die sämmtlichen Provinzen inne, aus denen die Hauptstadt ihre
Subsistenzmittel zog: Sardinien und Corsica durch Marcus Cotta,
Sicilien durch Marcus Cato. Africa durch den selbsternannten
Oberfeldherrn Titus Attius Varus und den ihnen eng verbündeten
König Juba von Numidien. Es war für Caesar unumgänglich nö-
thig diese Pläne des Feindes zu durchkreuzen und demselben die
Getreideprovinzen zu entreiſsen. Quintus Valerius ward mit einer
Legion nach Sardinien gesandt und zwang den pompeianischen
Statthalter die Insel zu räumen. Die wichtigere Unternehmung
Sicilien und Africa dem Feinde zu entreiſsen wurde unter Bei-
stand des tüchtigen und kriegserfahrenen Gaius Caninius Rebilus
dem jungen Gaius Curio anvertraut. Sicilien ward ohne Schwert-
streich besetzt; Cato, ohne rechte Armee und kein Mann des
Degens, räumte die Insel, nachdem er die Sikelioten vorher auf-
gefordert hatte sich nicht durch unzulänglichen Widerstand nutz-
los zu compromittiren. Curio lieſs zur Deckung dieser für die
Hauptstadt so wichtigen Insel die Hälfte seiner Truppen zurück
und schiffte sich mit der andern, zwei Legionen und 500 Rei-
tern, nach Africa ein. Hier durfte er erwarten ernsten Wider-
stand zu finden. Auſser der ansehnlichen und in ihrer Art tüch-
tigen Armee Jubas hatte der Statthalter Varus aus den in Africa
ansässigen Römern zwei Legionen gebildet und ferner eine kleine
Flotte von zehn Segeln aufgestellt. Mit Hülfe seiner überlegenen
Flotte bewerkstelligte indeſs Curio ohne Schwierigkeit die Lan-
dung zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der Feinde
nebst ihren Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt ihre
zweite Legion unter Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen
Varus und schlug sein Lager unweit Utica, eben da wo an-
derthalb Jahrhunderte zuvor der ältere Scipio sein erstes Win-
terlager in Africa genommen hatte (I, 474). Seine Stellung
war besonders deshalb schwierig, weil Caesar, genöthigt seine
Kerntruppen für den spanischen Krieg zusammenzuhalten, die
[371]ILERDA.
sicilisch-africanische Armee gröſstentheils aus den vom Feind
übernommenen Legionen, namentlich den Kriegsgefangenen von
Corfinium hatte zusammensetzen müssen. Die Offiziere der pom-
peianischen Armee in Africa, die zum Theil ebenfalls in densel-
ben in Corfinium überwundenen Legionen gestanden hatten,
lieſsen kein Mittel unversucht, um die Soldaten zu ihrem ersten
Eidschwur wieder zurückzubringen. Indeſs Caesar hatte in sei-
nem Stellvertreter sich nicht vergriffen. Curio verstand es eben-
sowohl die Bewegungen des Heeres und der Flotte zu lenken, als
auch persönlichen Einfluſs auf die Soldaten zu gewinnen. Die
Verpflegung war reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme glück-
lich; nur Einzelne lieſsen sich bewegen ihre neue Fahne wieder
mit der alten zu vertauschen. Varus, in der Voraussetzung, daſs
es den Truppen Curios nur an Gelegenheit fehle auf seine Seite
überzugehen, entschloſs sich, hauptsächlich um ihnen diese zu
verschaffen, eine Schlacht zu liefern. Der Erfolg rechtfertigte
seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die feurige Ansprache
ihres jugendlichen Führers schlugen Curios Reiter die feindlichen
in die Flucht und säbelten im Angesichte beider Heere die mit
den Reitern ausgerückte leichte Infanterie der Feinde nieder; und
ermuthigt durch diesen Erfolg und durch Curios persönliches
Beispiel gingen die caesarischen Legionen durch die schwierige
die beiden Linien trennende Thalschlucht vor zum Angriff, den
die Pompeianer aber nicht erwarteten, sondern schimpflich in
ihr Lager zurückflohen und auch dies die Nacht darauf räumten.
Der Sieg war so vollständig, daſs Curio sofort dazu schritt Utica
zu belagern. Als aber die Meldung eintraf, daſs König Juba mit
seiner gesammten Heeresmacht zum Entsatz heranrücke, ent-
schloſs sich Curio, eben wie bei Syphax Eintreffen Scipio gethan,
die Belagerung aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager zu-
rückzugehen, bis aus Sicilien Verstärkung nachkommen werde.
Allein bald darauf lief ein zweiter Bericht ein, daſs König Juba
durch Angriffe seiner Nachbarfürsten veranlaſst worden sei mit
seiner Hauptmacht wieder umzukehren und den Belagerten nur
ein mäſsiges Corps unter Saburra zu Hülfe sende. Curio, der bei
seinem lebhaften Naturell nur sehr ungern sich entschlossen
hatte zu rasten, brach sofort wieder auf, um mit Saburra zu schla-
gen, bevor derselbe mit der Besatzung von Utica in Verbindung
treten könne. Seiner Reiterei, die am Abend voraufgegangen war,
gelang es in der That das Corps des Saburra am Bagradas bei
nächtlicher Weile zu überraschen und übel zuzurichten; und auf
diese Siegesbotschaft beschleunigte Curio den Marsch der Infan-
24*
[372]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
terie, um durch sie die Niederlage zu vollenden. Bald erblickte
man das Corps des Saburra, das auf den letzten Abhängen der
gegen den Bagradas sich senkenden Anhöhen mit den römischen
Reitern sich herumschlug; die heranrückenden Legionen halfen
dasselbe völlig in die Ebene hinabdrängen. Allein hier wendete
sich das Gefecht. Saburra stand nicht, wie man meinte, ohne
Rückhalt, sondern nicht viel mehr als eine deutsche Meile entfernt
von der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen der Kern des
numidischen Fuſsvolks und 2000 gallische und spanische Reiter
auf dem Kampfplatz ein, um Saburra zu unterstützen und der
König selbst mit dem Gros der Armee und sechzehn Elephanten
war im Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und dem hitzigen
Gefecht waren von den römischen Reitern augenblicklich nicht
viel über 200 beisammen; diese so wie die Infanterie waren von
den Strapazen und dem Fechten aufs Aeuſserste erschöpft, und
alle in der weiten Ebene, in die man sich hatte verlocken lassen,
rings eingeschlossen von den beständig sich mehrenden feindli-
chen Schaaren. Vergeblich versuchte Curio handgemein zu wer-
den; die libyschen Reiter wichen, wie sie pflegten, sowie eine rö-
mische Abtheilung vorging, und wenn diese umkehrte, fand sie
von denselben Reiterhaufen sich verfolgt. Vergeblich versuchte er
die Höhen wieder zu gewinnen; sie wurden von den feindlichen
Reitern besetzt und versperrt. Es war alles verloren. Das Fuſs-
volk ward niedergehauen bis auf den letzten Mann. Von der Rei-
terei gelang es Einzelnen sich durchzuschlagen; auch Curio hätte
wahrscheinlich sich zu retten vermocht, aber er ertrug es nicht
ohne das ihm anvertraute Heer allein vor seinem Herrn zu er-
scheinen und starb mit dem Degen in der Hand. Selbst die Mann-
schaft, die im Lager vor Utica sich zusammenfand und die Flot-
tenbesatzung, die sich so leicht nach Sicilien hätten retten kön-
nen, ergaben sich unter dem Eindruck der fürchterlich raschen
Katastrophe den Tag darauf an Varus (Aug. oder Sept. 705). —
So endigte die von Caesar angeordnete sicilisch-africanische Ex-
pedition. Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Be-
setzung Siciliens in Verbindung mit der von Sardinien wenig-
stens dem dringendsten Bedürfniſs der Hauptstadt abgeholfen
ward; die vereitelte Eroberung Africas, aus welcher die siegende
Partei keinen weiteren wesentlichen Gewinn zog, und der Ver-
lust zweier unzuverlässiger Legionen lieſsen sich verschmerzen.
Aber ein unersetzlicher Verlust für Caesar, ja für Rom war Cu-
rios früher Tod. Nicht ohne Ursache hatte Caesar dem mili-
tärisch unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens berufenen
[373]ILERDA.
jungen Mann das wichtigste selbstständige Commando anvertraut;
es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen
Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf
die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil
er Offizier war, sondern es gab seine politische Thätigkeit ihm
das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die
der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief em-
pfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem
raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war
Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmuthige Offenherzigkeit
und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von
ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Muth ihn zu Unvorsichtigkeiten
hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich
verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente
gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars
Geschichte nicht. Man darf es beklagen, daſs es dieser über-
sprudelnden Natur nicht vergönnt war auszuschäumen und sich
aufzubewahren für die folgende an Talenten so bettelarme, dem
schrecklichen Regiment der Mittelmäſsigkeiten so rasch verfal-
lene Generation.
Von Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite groſse
Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausge-
dehntere finanzielle Hülfsmittel der Gegner Caesars sich befanden,
ward in diesen allentscheidenden Kampf im Westen so gut wie gar
nicht eingegriffen. Vergeblich fragt man nach zureichenden Grün-
den für diese verhängniſsvolle Unthätigkeit; nicht einmal das läſst
sich bestimmen, welche Rolle den Heerkörpern im Westen nach
dem Verlust Italiens in Pompeius Kriegsplan zugedacht war. Daſs
er die Absicht gehabt seinem in Spanien fechtenden Heer über
Africa und Mauretanien zu Hülfe zu kommen, war nichts als ein
im Lager von Ilerda umlaufendes abenteuerliches und ohne Zwei-
fel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es,
daſs er bei seinem früheren Plan, Caesar im dies- und jenseitigen
Gallien von zwei Seiten her anzugreifen (S. 352), selbst noch
nach dem Verlust von Italien beharrte und einen combinirten An-
griff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte, so
daſs die Armeen nach Umständen entweder an der Rhone oder
am Po zusammengetroffen wären. Vermuthlich sollte die spani-
sche so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in
der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig
war; worauf dann beide zugleich gegen Gallien aufgebrochen sein
und die Flotte vermuthlich gleichzeitig versucht haben würde
[374]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
das eigentliche Italien zurückzuerobern. Ueber diesen weitschich-
tigen Anstalten geschah denn vorläufig gar nichts. Nicht einmal ein
ernstlicher Versuch auf Italien fand statt, wo Caesar sich darauf
gefaſst gemacht hatte einem Angriff zu begegnen. Einer der tüch-
tigsten seiner Offiziere, der Volkstribun Marcus Antonius war hier
zum Oberbefehlshaber mit proprätorischer Gewalt ernannt wor-
den. Die südöstlichen Häfen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am
ersten ein Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Be-
satzung von drei Legionen erhalten. Auſserdem bekam Quintus
Hortensius, des bekannten Redners ungerathener Sohn, den Auf-
trag eine Flotte im tyrrhenischen, Publius Dolabella den eine
zweite im adriatischen Meere zu bilden, welche theils die Verthei-
digung unterstützen, theils für die bevorstehende Ueberfahrt nach
Griechenland mit verwandt werden sollten. Falls Pompeius ver-
suchen würde zu Lande in Italien einzudringen, so hatten Mar-
cus Licinius Crassus, der älteste Sohn des alten Collegen Caesars,
als Commandant des diesseitigen Galliens, und des Marcus An-
tonius jüngerer Bruder Gaius als Commandant von Illyricum hier
die Vertheidigung zu leiten. Indeſs der vermuthete Angriff lieſs
lange auf sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward
man wenigstens in Illyrien handgemein. Hier stand Caesars Statt-
halter Gaius Antonius mit seinen zwei Legionen auf der Insel Cu-
ricta (Veglia im Golf von Quarnero), Caesars Admiral Publius
Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen Meerarm zwischen
dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader griffen
Pompeius Flottenführer im adriatischen Meer, Marcus Octavius
mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen
Flottenabtheilung an und vernichteten sämmtliche Schiffe Dolabel-
las. Antonius, hiedurch auf seiner Insel abgeschnitten, schwebte
in der gröſsten Gefahr. Ihn zu retten kamen aus Italien ein Corps
unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des Hortensius
aus dem tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses ver-
mochten der weitüberlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben;
sie muſsten die Legionen des Antonius ihrem Schicksal überlas-
sen. Die Vorräthe gingen zu Ende, die Truppen wurden schwie-
rig und meuterisch; mit Ausnahme weniger Abtheilungen, denen
es gelang auf Flöſsen das Festland zu erreichen, muſste das Corps,
immer noch funfzehn Cohorten stark, die Waffen strecken. Es
ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien geführt um dort in
die pompeianische Armee eingereiht zu werden, während Octavius
zurückblieb um die Unterwerfung der jetzt von Truppen entblöſs-
ten illyrischen Küste zu vollenden. Die Delmater, die noch von
[375]ILERDA.
Caesars Statthalterschaft her mit ihm in Fehde lagen (S. 275),
die wichtige Inselstadt Issa (Lissa) und andere Ortschaften er-
griffen die Partei des Pompeius; allein in Salonae (Spalatro) und
Lissos (Alessio) gelang es den Anhängern Caesars sich zu be-
haupten und in der ersteren Stadt hielten sie nicht bloſs die Be-
lagerung muthig aus, sondern machten, als sie aufs Aeuſserste
gebracht waren, einen Ausfall mit solchem Erfolg, daſs Octavius
die Belagerung aufhob und nach Dyrrhachion abfuhr um dort zu
überwintern. — Der in Illyricum von der pompeianischen Flotte
erfochtene Erfolg war an sich nicht unbedeutend; aber auf den
Gesammtgang des Feldzugs wirkte er doch in entscheidender
Weise nicht ein und zwerghaft gering erscheint er, wenn man er-
wägt, daſs die Verrichtungen der unter Pompeius Oberbefehl ste-
henden Land- und Seemacht während des ganzen ereigniſsreichen
Jahres 705 sich auf diese einzige Waffenthat beschränkten. Die
Unthätigkeit der Landmacht wird wenigstens begreiflich, wenn
man den aufgelösten Zustand der in der östlichen Hälfte des Rei-
ches zerstreuten Streitkräfte, die Methode des Feldherrn nie an-
ders als mit überlegenen Massen zu operiren, seine Schwerfällig-
keit und die Zerfahrenheit der Coalition in Betracht zieht; aber
daſs die Flotte, die doch ohne Rivalen das Mittelmeer beherrschte,
so gar nichts that um in den Gang der Dinge einzugreifen, nichts
für Spanien, so gut wie nichts für die treuen Massalioten, nichts
um Sardinien, Sicilien, Africa zu vertheidigen und Italien wo nicht
wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die Zufuhr abzusperren
— das macht an unsere Vorstellungen von der im pompeiani-
schen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit An-
sprüche, denen wir nur mit Mühe zu genügen vermögen. — Das
Gesammtresultat war entsprechend. Caesars doppelte Offensive
gegen Spanien und gegen Sicilien und Africa war dort vollstän-
dig, hier wenigstens theilweise gelungen; dagegen ward Pompeius
Plan Italien auszuhungern durch die Wegnahme Siciliens in der
Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung
der spanischen Armee vollständig vereitelt; und in Italien waren
Caesars Vertheidigungsanstalten nur zum kleinsten Theil zur Ver-
wendung gekommen. Trotz der empfindlichen Verluste in Africa
und Illyrien ging doch Caesar in der entschiedensten und ent-
scheidendsten Weise aus diesem ersten Kriegsjahr als Sieger
hervor.
Wenn indeſs vom Osten aus nichts Wesentliches geschah
um Caesar an die Unterwerfung des Westens zu hindern, so ar-
beitete man doch wenigstens dort in der so schmählich gewonne-
[376]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nen Frist daran sich politisch und militärisch zu consolidiren.
Der groſse Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien.
Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundi-
sinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem
Westen: Marcus Cato aus Sicilien, Lucius Domitius von Massalia,
namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und
Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherren
Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den
Aristokraten allmählich nicht bloſs Ehren-, sondern fast Mode-
sache und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nach-
richten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den
laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen
nach und nach nicht wenige an und selbst Marcus Cicero über-
zeugte sich endlich, daſs er seine Bürgerpflicht nicht ausreichend
damit erfülle, eine Abhandlung über die Eintracht zu schreiben.
Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das officielle Rom sei-
nen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglie-der,
darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämmtliche Con-
sulare. Aber freilich waren es Emigranten und deren Treiben
hier nicht besser als anderswo. Auch die vornehme Welt Roms
stellte in diesem römischen Koblenz ihre hohen Ansprüche und
dürftigen Leistungen, ihre unzeitigen Reminiscenzen und un-
zeitigeren Recriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und
finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es
war das Wenigste, daſs man, während der alte Bau zusammen-
sank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel
und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es
bloſs lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensscru-
pel machte auſserhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre
Rathversammlung Senat zu heiſsen und sie vorsichtig sich die
‚Dreihundert‘ titulirten;* oder wenn man weitläuftige staatsrecht-
liche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Curiatgesetz von
Rechtswegen sich anderswo als auf dem Capitol zu Stande brin-
[377]PHARSALOS.
den lasse. Weit schlimmer war die Gleichgültigkeit der Lauen und
die bornirte Verbissenheit der Ultras. Jene waren weder zum Han-
deln zu bringen noch auch nur zum Schweigen. Wurden sie auf-
gefordert in einer bestimmten Weise für das gemeine Beste thätig
zu sein, so betrachteten sie mit der schwachen Leuten eigenen
Inconsequenz jedes solche Ansinnen als einen böswilligen Ver-
such sie noch weiter zu compromittiren und thaten das Befoh-
lene gar nicht oder mit halbem Herzen. Dabei aber fielen sie na-
türlich mit ihrem verspäteten Besserwissen und ihren superklu-
gen Unausführbarkeiten den Handelnden beständig zur Last; ihr
Tagewerk bestand darin jeden kleinen und groſsen Vorgang zu
bekritteln, zu bespötteln und zu beseufzen und durch ihre eigene
Lässigkeit und Hoffnungslosigkeit die Menge abzuspannen und zu
entmuthigen. Wenn hier die Atonie der Schwäche zu schauen
war, so stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in voller
Blüthe. Hier hatte man es kein Hehl, daſs die Vorbedingung für
jede Friedensverhandlung die Ueberbringung von Caesars Kopf
sei: jeder der Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wie-
derholentlich machte, ward unbesehen von der Hand gewiesen
oder nur benutzt, um auf heimtückische Weise den Beauftragten
des Gegners nach dem Leben zu stellen. Daſs die erklärten Caesa-
rianer sammt und sonders Leben und Gut verwirkt hatten, ver-
stand sich von selbst; aber auch den mehr oder minder Neutralen
ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von Corfinium,
machte im Kriegsrath alles Ernstes den Vorschlag diejenigen Se-
natoren, die im Heer des Pompeius gefochten hätten, über alle,
die entweder neutral geblieben oder zwar emigrirt, aber nicht in
das Heer eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln
je nach Befinden freizusprechen oder mit Geldbuſse oder auch
mit dem Verlust des Lebens und des Vermögens zu bestrafen.
Ein anderer dieser Ultras erhob gegen Lucius Afranius wegen
seiner mangelhaften Vertheidigung Spaniens förmlich bei Pom-
peius eine Anklage auf Bestechung und Verrath. Diesen in der
Wolle gefärbten Republikanern nahm ihre politische Theorie fast
den Charakter eines religiösen Glaubensbekenntnisses an; sie haſs-
ten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit
seinem persönlichen Anhang wo möglich noch mehr als die offen-
baren Gegner und durchaus mit jener Stupidität des Hasses, wie
sie sonst den orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt. Sie
wesentlich verschuldeten die zahllosen und erbitterten Special-
fehden, die die Emigrantenarmee und den Emigrantensenat zer-
rissen. Aber es blieb nicht bei Worten. Marcus Bibulus, Titus
[378]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Labienus und Andere dieser Coterie führten ihre Theorie praktisch
durch und lieſsen was ihnen von Caesars Armee an Offizieren oder
Soldaten in die Hände fiel, in Masse hinrichten; was begreiflicher
Weise Caesars Truppen nicht gerade bewog mit minderer Ener-
gie zu fechten. Zu einer Contrerevolution in Italien zu Gunsten
der Verfassungsfreunde waren alle Elemente vorhanden (S. 360);
wenn während Caesars Abwesenheit sie dennoch nicht ausbrach,
so lag, nach der Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die
Ursache hauptsächlich in der allgemeinen Besorgniſs vor dem
unbezähmbaren Wüthen der republikanischen Ultras nach erfolg-
ter Restauration. Die Besseren im pompeianischen Lager waren
in Verzweiflung über dies rasende Treiben. Pompeius, selbst ein
tapferer Soldat, schonte, so weit er durfte und konnte, der Ge-
fangenen; aber er war zu schwachmüthig und in einer zu schiefen
Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel
dieser Art zu hemmen oder zu ahnden. Energischer versuchte
der einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den
Kampf eintrat, Marcus Cato diesem Treiben zu steuern: er er-
wirkte es, daſs der Senat die Plünderung der unterthänigen Städte
und die Tödtung eines Bürgers anders als in der Schlacht unter-
sagte. Ebenso dachte der tüchtige Marcus Marcellus. Freilich
wuſste es niemand besser als Cato und Marcellus, daſs die ex-
treme Partei ihre rettenden Thaten wenn nöthig allen Senats-
beschlüssen zum Trotze vollzog. Wenn aber bereits jetzt, wo man
noch Klugheitsrücksichten zu beobachten hatte, die Wuth der
Ultras sich nicht bändigen lieſs, so mochte man nach dem Siege
auf eine Schreckensherrschaft sich gefaſst machen, von der Ma-
rius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben würden;
und man begreift es, daſs Cato, seinem eigenen Geständniſs zu-
folge, mehr als vor einer Niederlage graute vor dem Siege seiner
eigenen Partei. — Die Leitung der militärischen Vorbereitungen
im makedonischen Lager lag in der Hand des Oberfeldherrn Pom-
peius. Die stets schwierige und gedrückte Stellung desselben hatte
durch die unglücklichen Ereignisse des J. 705 sich noch beträcht-
lich verschlimmert. In den Augen seiner Parteigenossen trug er
wesentlich davon die Schuld. Es war das in vieler Hinsicht nicht
gerecht. Ein guter Theil der erlittenen Unfälle kam auf Rechnung
der Verkehrtheit und Unbotmäſsigkeit der Unterfeldherren, na-
mentlich des Consuls Lentulus und des Lucius Domitius; von dem
Augenblick an, wo Pompeius an die Spitze der Armee getreten
war, hatte er sie geschickt und muthig geführt und wenigstens
sehr ansehnliche Streitkräfte aus dem Schiffbruch gerettet; daſs
[379]PHARSALOS.
er Caesars jetzt von Allen anerkanntem durchaus überlegenen Ge-
nie nicht gewachsen war, konnte nicht billig ihm vorgeworfen
werden. Allein auch hier entschied allein der Erfolg. Im Ver-
trauen auf den Feldherrn Pompeius hatte die Verfassungspartei
mit Caesar gebrochen; die verderblichen Folgen dieses Bruches
fielen auf den Feldherrn Pompeius zurück, und wenn auch bei
der notorischen militärischen Unfähigkeit aller übrigen Chefs kein
Versuch gemacht ward das Obercommando zu wechseln, so wurde
doch wenigstens das Vertrauen zu dem Oberfeldherrn paralysirt.
Zu diesen Nachwehen der erlittenen Niederlagen kamen die nach-
theiligen Einflüsse der Emigration. Unter den eintreffenden
Flüchtlingen war allerdings eine Anzahl tüchtiger Soldaten und
fähiger Offiziere namentlich der ehemaligen spanischen Armee;
allein die Zahl derer, die kamen um zu dienen und zu fechten,
war ebenso gering wie zum Erschrecken groſs die der vornehmen
Generale, die mit ebenso gutem Fug wie Pompeius sich Pro-
consuln und Imperatoren nannten, und der vornehmen Herren,
die nur mehr oder weniger unfreiwillig am activen Kriegsdienst
sich betheiligten. Durch diese ward die hauptstädtische Lebens-
weise in das Feldlager eingebürgert, durchaus nicht zum Vortheil
des Heeres: die Zelte solcher Herren waren anmuthige Lauben,
der Boden mit frischem Rasen zierlich bedeckt, die Wände mit
Epheu bekleidet; auf dem Tisch stand silbernes Tafelgeschirr und
oft kreiste dort schon am hellen Tage der Becher. Diese elegan-
ten Krieger machten einen seltsamen Contrast mit Caesars Gras-
teufeln, vor deren grobem Brot jene erschraken und die in Er-
mangelung dessen auch Wurzeln aſsen und eher Baumrinde zu
kauen als vom Feinde abzulassen schwuren. Wenn ferner schon
an sich die unvermeidliche Rücksicht auf eine collegialische und
dem Oberfeldherrn persönliche abgeneigte Behörde Pompeius in
seiner Thätigkeit hemmte, so steigerte diese Verlegenheit sich un-
gemein, als der Emigrantensenat beinahe im Hauptquartier selbst
seinen Sitz aufschlug und nun alles Gift der Emigration in diesen
Senatssitzungen sich entleerte. All diese Uebelstände, die Pom-
peius Stellung behinderten, thaten ihre volle Wirkung um so mehr,
als sie in keiner bedeutenden Persönlichkeit ein Gegengewicht fan-
den. Pompeius selbst war dazu geistig viel zu untergeordnet und
viel zu zögernd, schwerfällig und versteckt. Marcus Cato würde
wenigstens die erforderliche moralische Autorität gehabt und auch
des guten Willens, Pompeius damit zu unterstützen, nicht erman-
gelt haben; allein Pompeius, statt ihn zum Beistand aufzufordern,
setzte ihn mit miſstrauischer Eifersucht zurück und übertrug zum
[380]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Beispiel das so wichtige Obercommando der Flotte lieber an den
in jeder Beziehung unfähigen Bibulus als an Cato. Wenn somit
Pompeius die politische Seite seiner Stellung mit der ihm eigenen
Verkehrtheit behandelte und was an sich schon verdorben war,
nach Kräften weiter verdarb, so erfüllte er dagegen mit aner-
kennenswerthem Eifer die Pflicht seine bedeutenden, aber aufge-
lösten Streitkräfte militärisch zu organisiren. Den Kern derselben
bildeten die aus Italien mitgebrachten Truppen, aus denen mit
den Ergänzungen aus den illyrischen Kriegsgefangenen und den
in Griechenland domicilirten Römern zusammen fünf Legionen
gebildet wurden. Drei andere kamen aus dem Osten: die beiden
aus den Trümmern der Armee des Crassus gebildeten syrischen
und eine aus den zwei schwachen bisher in Kilikien stehenden
combinirte. Der Wegziehung dieser Besatzungstruppen stand
nichts im Wege, da theils die Pompeianer mit den Parthern im
Einvernehmen standen und selbst ein Bündniſs mit ihnen hätten
haben können, wenn Pompeius nicht unwillig sich geweigert hätte
den geforderten Preis: die Abtretung der von ihm selbst zum
Reiche gebrachten syrischen Landschaft, dafür zu zahlen; theils
Caesars Plan zwei Legionen nach Syrien zu entsenden und durch
den in Rom gefangen gehaltenen Prinzen Aristobulos die Juden
abermals unter die Waffen zu bringen, zum Theil durch andere
Ursachen, zum Theil durch Aristobulos Tod vereitelt ward. Wei-
ter wurden aus den in Kreta und Makedonien angesiedelten ge-
dienten Soldaten eine, aus den kleinasiatischen Römern zwei
neue Legionen ausgehoben. Zu allem dem kamen 2000 Freiwil-
lige, die aus den Trümmern der spanischen Kernschaaren und
anderen ähnlichen Zuzügen hervorgingen, und endlich die Con-
tingente der Unterthanen. Wie Caesar hatte Pompeius es ver-
schmäht von denselben Infanterie zu requiriren; nur zur Küsten-
besatzung waren die epirotischen, aetolischen und thrakischen
Milizen aufgeboten und auſserdem an leichten Truppen 3000 grie-
chische und kleinasiatische Schützen und 1200 Schleuderer ange-
nommen worden. Die Reiterei dagegen bestand auſser einer aus
dem jungen Adel Roms gebildeten mehr ansehnlichen als mili-
tärisch bedeutenden Nobelgarde und den von Pompeius beritten
gemachten apulischen Hirtensclaven (S. 351) ausschlieſslich aus
den Zuzügen der Unterthanen und Clienten Roms. Den Kern
bildeten die Kelten, theils von der Besatzung von Alexandreia
(S. 148), theils die Contingente des Königs Deiotarus, der trotz
seines hohen Alters an der Spitze seiner Reiter in Person er-
schienen war, und der übrigen galatischen Dynasten. Mit ihnen
[381]PHARSALOS.
wurden vereinigt die vortrefflichen thrakischen Reiter, die theils
von ihren Fürsten Sadala und Rhaskyporis herangeführt, theils
von Pompeius in der makedonischen Provinz angeworben wa-
ren; die kappadokische Reiterei; die von König Antiochos von
Kommagene gesendeten berittenen Schützen; die Zuzüge der Ar-
menier von diesseit des Euphrat unter Taxiles, von jenseit des-
selben unter Megabates und die von König Juba gesandten numi-
dischen Schaaren — die gesammte Masse stieg auf 7000 Pferde.
— Sehr ansehnlich endlich war die pompeianische Flotte. Sie
ward gebildet theils aus den von Brundisium mitgeführten oder
später erbauten römischen Fahrzeugen, theils aus den Kriegs-
schiffen des Königs von Aegypten, der kolchischen Fürsten, des
kilikischen Dynasten Tarkondimotos, der Städte Tyros, Rhodos,
Athen, Kerkyra und überhaupt der sämmtlichen asiatischen und
griechischen Seestaaten und zählte gegen 500 Segel, wovon die
römischen den fünften Theil ausmachten. An Getreide und
Kriegsmaterial waren in Dyrrhachion ungeheure Vorräthe auf-
gehäuft. Die Kriegskasse war wohlgefüllt, da die Pompeianer
sich im Besitz der hauptsächlichsten Einnahmequellen des Staats
befanden und die Geldmittel der Clientelfürsten, der angesehenen
Senatoren, der Steuerpächter und überhaupt der gesammten
römischen und nichtrömischen Bevölkerung in ihrem Bereich für
sich nutzbar machten. Was in Africa, Aegypten, Makedonien,
Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen der legiti-
men Regierung und Pompeius oftgefeierte Königs- und Völker-
clientel vermochte, war zum Schutz der römischen Republik in
Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, daſs
Pompeius die Geten, Kolchier und Armenier gegen Rom be-
waffne, wenn im Lager Pompeius der König der Könige hieſs,
so waren dies kaum Uebertreibungen zu nennen. Im Ganzen
gebot er über eine Armee von 7000 Reitern und elf Legionen,
von denen freilich höchstens fünf als krieggewohnt bezeichnet
werden durften, und über eine Flotte von 500 Segeln. Die
Stimmung der Soldaten, für deren Verpflegung und Sold Pom-
peius genügend sorgte und denen für den Fall des Sieges die
groſsartigsten Belohnungen zugesichert waren, war durchgängig
gut, in manchen und eben den tüchtigsten Abtheilungen sogar
vortrefflich; indeſs bestand doch ein groſser Theil der Armee
aus neu ausgehobenen Truppen, deren Formirung und Exerci-
rung, wie eifrig sie auch betrieben ward, nothwendiger Weise
Zeit erforderte. Die Armee überhaupt war imposant, aber zu-
gleich einigermaſsen buntscheckig. — Nach der Absicht des
[382]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Oberfeldherrn sollte bis zum Winter 705/6 Heer und Flotte
wesentlich vollständig an der Küste und in den Gewässern von
Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch bereits mit
110 Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra eingetrof-
fen. Dagegen war das Landheer, dessen Hauptquartier während
des Sommers zu Berrhoea am Haliakmon gewesen war, noch
zurück: die Masse bewegte sich langsam auf der groſsen Kunst-
straſse von Thessalonike nach der Westküste auf das neue Haupt-
quartier Dyrrhachion zu; die beiden Legionen, die Metellus Scipio
aus Syrien heranführte, standen gar noch bei Pergamon in Klein-
asien im Winterquartier und wurden erst zum Frühjahr in Europa
erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorläufig waren die epiro-
tischen Häfen auſser durch die Flotte nur noch durch die Bür-
gerwehren und die Aufgebote der Umgegend vertheidigt.
So war es Caesar möglich geblieben trotz des dazwischen-
fallenden spanischen Krieges auch in Makedonien die Offensive
für sich zu nehmen, und er wenigstens säumte nicht. Längst
hatte er die Zusammenziehung von Kriegs- und Transportschif-
fen in Brundisium angeordnet und nach der Capitulation der spa-
nischen Armee und dem Fall von Massalia die dort verwendeten
Kerntruppen zum gröſsten Theil eben dahin dirigirt. Die uner-
hörten Anstrengungen zwar, die also von Caesar den Soldaten
zugemuthet wurden, lichteten mehr als die Gefechte die Reihen,
und die Meuterei einer der vier ältesten Legionen, der neunten,
auf ihrem Durchmarsch durch Placentia war ein gefährliches
Zeichen der bei der Armee einreiſsenden Stimmung; doch wur-
den Caesars Geistesgegenwart und persönliche Autorität dersel-
ben Herr und von dieser Seite stand der Einschiffung nichts im
Wege. Allein woran schon im März 705 die Verfolgung des
Pompeius gescheitert war, der Mangel an Schiffen drohte auch
diese Expedition zu vereiteln. Die Kriegsschiffe, die Caesar in
den gallischen, sicilischen und italischen Häfen zu erbauen be-
fohlen hatte, waren noch nicht fertig oder doch nicht zur Stelle;
sein Geschwader im adriatischen Meer war das Jahr zuvor bei
Curicta vernichtet worden (S. 374); er fand bei Brundisium
nicht mehr als zwölf Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge
genug, um den dritten Theil seiner nach Griechenland bestimmten
Armee von 12 Legionen und 10000 Reitern auf einmal überzu-
führen. Die ansehnliche feindliche Flotte beherrschte ausschlieſs-
lich das adriatische Meer und namentlich die sämmtlichen Insel-
und festländischen Häfen der Ostküste. Unter solchen Umstän-
den drängt die Frage sich auf, warum Caesar nicht statt des
[383]PHARSALOS.
Seeweges den zu Lande durch Ulyrien einschlug, welcher aller
von der Flotte drohenden Gefahren ihn überhob und überdies
für seine gröſstentheils aus Gallien kommenden Truppen kürzer
war als der über Brundisium. Zwar waren die illyrischen Land-
schaften unbeschreiblich rauh und arm; aber sie sind doch von
andern Armeen nicht lange nachher durchschritten worden und
dieses Hinderniſs konnte schwerlich dem Eroberer Galliens un-
übersteiglich erscheinen. Vielleicht besorgte er, daſs während
des schwierigen illyrischen Marsches Pompeius seine gesammte
Streitmacht über das adriatische Meer führen möchte, wodurch
die Rollen auf einmal sich umkehren, Caesar in Makedonien,
Pompeius in Italien zu stehen kommen konnte; obwohl ein sol-
cher rascher Wechsel dem schwerfälligen Gegner doch kaum zu-
zutrauen war. Vielleicht hatte Caesar auch, als er sich für den
Seeweg entschied, dies in der Voraussetzung gethan, daſs seine
Flotte inzwischen auf einen achtunggebietenden Stand gebracht
sein würde, und als er nach seiner Rückkehr aus Spanien des wah-
ren Standes der Dinge im adriatischen Meere inne ward, mochte
es zu spät sein den Feldzugsplan zu ändern. Vielleicht, ja nach
Caesars raschem stets zur Entscheidung drängenden Naturell
darf man sagen wahrscheinlich, fand er durch die augenblicklich
noch unbesetzte, aber sicher in wenigen Tagen mit Feinden sich
bedeckende epirotische Küste sich unwiderstehlich gelockt den
ganzen Plan des Gegners wieder einmal durch einen verwegenen
Streich zu durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4. Jan. 706*
ging Caesar mit sechs durch Strapazen und Krankheiten sehr
gelichteten Legionen und 600 Reitern von Brundisium nach der
epirotischen Küste unter Segel. Es war ein Seitenstück zu der
tollkühnen britannischen Expedition; indeſs wenigstens der erste
Wurf war glücklich. Inmitten der akrokeraunischen (Chimara-)
Klippen, auf der wenig besuchten Rhede von Paleassa (Paljassa)
ward die Küste erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl
aus dem Hafen von Orikon (Bucht von Avlona), wo ein pom-
peianisches Geschwader von 18 Schiffen lag, als auch aus dem
Hauptquartier der feindlichen Flotte bei Kerkyra; aber dort hielt
man sich zu schwach, hier war man nicht segelfertig und unge-
hindert ward der erste Transport ans Land gesetzt. Während
die Schiffe sogleich zurückgingen um den zweiten nachzuholen,
überstieg Caesar noch denselben Abend die akrokeraunischen
Berge. Seine ersten Erfolge waren so groſs wie die Ueberra-
[384]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
schung der Feinde. Der epirotische Landsturm setzte nirgends
sich zur Wehr; die wichtigen Hafenstädte Orikon und Apollonia
nebst einer Menge kleinerer Ortschaften wurden weggenommen,
Dyrrhachion, von den Pompeianern zum Hauptwaffenplatz aus-
ersehen und mit Vorräthen aller Art angefüllt, aber nur schwach
besetzt, schwebte in der gröſsten Gefahr.
Indeſs der weitere Verlauf des Feldzugs entsprach diesem
glänzenden Anfange nicht. Bibulus machte die Nachlässigkeit, die
er sich hatte zu Schulden kommen lassen, nachträglich durch
verdoppelte Anstrengungen zum Theil wieder gut. Nicht bloſs
brachte er von den heimkehrenden Transportschiffen gegen
dreiſsig auf, die er sämmtlich mit Mann und Maus verbrennen
lieſs, sondern er richtete auch längs des ganzen von Caesar be-
setzten Küstenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den
Häfen von Kerkyra, den sorgfältigsten Wachdienst ein, so be-
schwerlich auch die rauhe Jahreszeit und die Nothwendigkeit den
Wachtschiffen alle Bedürfnisse, selbst Holz und Wasser, von Ker-
kyra zuzuführen denselben machten; ja nachdem er selbst bald
darauf den ungewohnten Strapazen erlegen war, sperrte sein
Nachfolger Libo sogar eine Zeitlang den Hafen von Brundisium,
bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er sich fest-
gesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war schlech-
terdings nicht möglich den zweiten Transport der caesarischen
Armee nachzuführen. Ebensowenig gelang die Wegnahme von
Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten
Caesars von dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epiroti-
schen Küste und den Marsch beschleunigend warf er sich noch
eben zu rechter Zeit in diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars
Lage war kritisch. Obwohl er in Epirus so weit sich ausbreitete,
als es bei der geringen Stärke seiner Armee nur irgend möglich
war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch schwierig und
unsicher, während die Feinde, im Besitz der Magazine von Dyr-
rhachion und Herren der See, Ueberfluſs an allem hatten. Mit
seinem vermuthlich wenig über 20000 Mann starken Heer konnte
er dem wenigstens doppelt so zahlreichen pompeianischen keine
Schlacht anbieten, sondern muſste sich glücklich schätzen, daſs
Pompeius methodisch zu Werke ging und, statt sofort die
Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und Apollonia am
rechten Ufer des Apsos, gegenüber Caesar auf dem linken, das
Winterlager bezog, um mit dem Frühjahr nach dem Eintreffen
der Legionen von Pergamon mit unwiderstehlicher Uebermacht
den Feind zu vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Ein-
[385]PHARSALOS.
tritt der besseren Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und
den freien Gebrauch seiner Flotte brachte, Caesar noch in der-
selben Lage fand, so war er, in den epirotischen Felsen mit sei-
ner schwachen Schaar eingekeilt zwischen der ungeheuren Flotte
und dem dreifach überlegenen Landheer der Feinde, allem An-
schein nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu Ende.
Alle Hoffnung beruhte immer noch darauf, daſs die Transportflotte
durch die Blokade sich durchschlich oder durchschlug. Es war
das mehr als verwegen; aber nach der ersten freiwilligen Toll-
kühnheit war diese zweite durch die Nothwendigkeit geboten. Wie
verzweifelt Caesar selbst seine Lage erschien, beweist sein Ent-
schluſs, da die Flotte immer nicht kam, allein auf einer Fischer-
barke durch das adriatische Meer nach Brundisium zu fahren um
sie zu holen; was in der That nur darum unterblieb, weil sich
kein Schiffer fand die verwegene Fahrt zu unternehmen. Indeſs
es bedurfte seines persönlichen Erscheinens nicht um den treuen
Offizier, der in Italien commandirte, Marcus Antonius zu bestim-
men diesen letzten Versuch zu machen, um seinen Herrn zu retten.
Abermals lief die Transportflotte, mit vier Legionen und 800 Rei-
tern an Bord, aus dem Hafen von Brundisium aus und glücklich
führte sie ein starker Südwind an Libos Galeeren vorüber. Allein
derselbe Wind, der hier die Flotte rettete, machte es ihr unmöglich,
wie ihr befohlen war, nach der apolloniatischen Küste zu steuern,
und zwang sie an Caesars und Pompeius Lager vorbeizufahren
und nördlich von Dyrrhachion unweit Lissos zu landen, welche
Stadt zu gutem Glück noch zu Caesar hielt (S. 375). Indeſs noch
war die Transportflotte nicht geborgen: aus dem Hafen von Dyr-
rhachion, an dem sie vorüberfuhr, waren die rhodischen Galeeren
aufgebrochen um sie zu verfolgen, und kaum waren Antonius
Schiffe in den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das feind-
liche Geschwader vor demselben erschien. Aber eben in diesem
Augenblick schlug plötzlich der Wind um und warf die verfol-
genden Galeeren wieder zurück in die offene See und zum Theil
an die felsige Küste. Durch die wunderbarsten Glücksfälle war die
Landung auch des zweiten Transports gelungen. Noch standen
zwar Antonius und Caesar etwa vier Tagemärsche von einander,
getrennt durch Dyrrhachion und die gesammte feindliche Armee;
indeſs Antonius bewerkstelligte glücklich den gefährlichen Marsch
um Dyrrhachion herum durch die Pässe des Graba Balkan und
ward von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten
Ufer des Apsos aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich
versucht hatte die Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu
Röm. Gesch. III. 25
[386]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
verhindern und das Corps des Antonius einzeln zum Schlagen
zu zwingen, nahm eine neue Stellung bei Asparagion an dem
Flusse Genusos (Uschkomobin), der dem Apsos parallel zwischen
diesem und der Stadt Dyrrhachion flieſst, und hielt hier sich wie-
der unbeweglich. Caesar fühlte jetzt sich stark genug eine Schlacht
zu liefern; da Pompeius*-darauf nicht einging, versuchte er, eben
wie in der Stellung vor Herda, sich zwischen das feindliche Lager
und die Festung, auf die es sich stützte, zu werfen. Pompeius
erkannte die Absicht seines Gegners nicht rechtzeitig und seine
Truppen standen denen Caesars an Marschirfähigkeit weit nach;
es gelang diesem zwischen Dyrrhachion und dem feindlichen Heer
sich festzusetzen, indeſs die Resultate der gelungenen Opera-
tion waren gering. Die Kette des Graba Balkan, die in der Rich-
tung von Osten nach Westen streichend am adriatischen Meere
in der schmalen Landzunge von Dyrrhachion endigt, entsendet
drei Meilen östlich von Dyrrhachion in südwestlicher Richtung
einen Seitenarm, der in bogenförmiger Richtung ebenfalls zum
Meere sich wendet. Der Haupt- und der Seitenarm des Gebirges
schlieſsen zwischen sich eine kleine um eine Klippe am Meeres-
strand sich ausbreitende Ebene ein. Hier nahm Pompeius jetzt
sein Lager, und obwohl die caesarische Armee ihm den Landweg
nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hülfe seiner
Flotte fortwährend mit Dyrrhachion in Verbindung und ward von
dort mit allem Nöthigen reichlich und bequem versehen, während
bei den Caesarianern, trotz starker Detachirungen in das Hinter-
land und trotz aller Anstrengung des Feldherrn ein geordnetes
Fuhrwesen und damit eine regelmäſsige Verpflegung zu organi-
siren, es doch mehr als knapp herging und Fleisch, Gerste, ja
Wurzeln sehr häufig die Stelle des gewohnten Weizens vertreten
muſsten. Da der phlegmatische Gegner beharrlich bei seiner Pas-
sivität blieb, entschloſs sich Caesar den Höhenkreis zu besetzen,
der die von Pompeius eingenommene Strandebene einschloſs, um
wenigstens die überlegene feindliche Reiterei festzustellen und un-
gestörter gegen Dyrrhachion operiren zu können, wo möglich aber
den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung zu nö-
thigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Hälfte ins Binnen-
land detachirt; es schien fast abenteuerlich mit dem Rest eine
vielleicht doppelt so zahlreiche concentrirt aufgestellte auf die See
und die Flotte gestützte Armee gewissermaſsen belagern zu wollen.
Dennoch schlossen Caesars Veteranen unter unsäglichen Anstren-
gungen das pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe
deutsche Meile langen Postenkette ein und fügten später, eben
[387]PHARSALOS.
wie vor Alesia, zu dieser inneren Linie noch eine zweite äuſsere,
um sich vor Angriffen von Dyrrhachion aus und vor den mit Hülfe
der Flotte so leicht ausführbaren Umgehungen zu schützen. Pom-
peius machte keinen Versuch durch eine Schlacht die Einschlies-
sung zu hindern, sondern begnügte sich auch seinerseits um sein
Lager herum eine Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch
Linien mit einander zu verbinden. Die Erdarbeiten fanden statt
unter beständigen Gefechten, indem man beiderseits die Schanzen
möglichst weit vorzurücken bemüht war, Pompeius auch mehr-
mals einzelne Schanzen der Feinde mit überlegenen Streitkräften
angriff um die feindliche Linie zu sprengen. Durchgängig behielt
in diesen Scharmützeln die erprobte Tapferkeit der Caesarianer
die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige Cohorte
sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze
hielt, bis Unterstützung herbeikam. Andrerseits miſslangen Cae-
sars Versuche sich Dyrrhachions zu bemächtigen, wo er Einver-
ständnisse hatte, durch die Dazwischenkunft der Flotte. Unauf-
hörlich ward an den verschiedensten Puncten — an einem der
heiſsesten Tage an sechs Stellen zugleich — gefochten, ein Haupt-
erfolg aber auf keiner Seite erreicht. Doch machten sich die Fol-
gen der Einschlieſsung den Pompeianern allmählich in drücken-
der Weise fühlbar. Die Stauung der von den Höhen in die Ebene
sich ergieſsenden Bäche nöthigte sie sich mit sparsamem und
schlechtem Brunnenwasser zu begnügen. Noch empfindlicher
war der Mangel an Futter für die Lastthiere und die Pferde, dem
auch die Flotte nicht genügend abzuhelfen vermochte; sie fielen
zahlreich und es half nur wenig, daſs die Pferde durch die Flotte
nach Dyrrhachion geschafft wurden, da sie auch hier nicht viel
mehr Futter fanden. Lange konnte Pompeius nicht mehr zögern
sich durch einen gegen den Feind geführten Schlag aus seiner
unbequemen Lage zu befreien. Da ward er durch keltische Ueber-
läufer in Kenntniſs gesetzt, daſs der Feind es versäumt habe den
Strand zwischen seinen beiden 600 Fuſs von einander entfern-
ten Schanzenketten durch einen Querwall zu sichern. Hierauf
baute er seinen Plan. Während er die innere Linie der Verschan-
zungen Caesars vom Lager aus durch die Legionen, die äuſsere
durch die auf Schiffe gesetzten und jenseit der feindlichen Ver-
schanzungen gelandeten leichten Truppen angreifen lieſs, landete
eine dritte Abtheilung in dem Zwischenraum zwischen beiden
Linien und griff die schon hinreichend beschäftigten Besatzungen
derselben im Rücken an. Die zunächst am Meer befindliche
Schanze wurde genommen und die Besatzung floh in wilder Ver-
25*
[388]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
wirrung; mit Mühe gelang es dem Befehlshaber der nächsten
Schanze Marcus Antonius diese zu behaupten und für den Augen-
blick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu setzen; aber,
abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die äuſserste
Schanze am Meer in den Händen der Pompeianer und die Linie
durchbrochen. Um so eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit,
die bald darauf sich ihm darbot, eine unvorsichtig sich verein-
zelnde pompeianische Legion mit dem Gros seiner Infanterie an-
zugreifen. Allein die angegriffene Legion leistete tapferen Wider-
stand und in dem mehrmals zum Lager gröſserer und kleinerer
Abtheilungen benutzten und kreuz und quer von Wällen und
Gräben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward, kam
Caesars rechter Flügel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab und
statt den linken im Angriff auf die pompeianische Legion zu un-
terstützen, gerieth er in einen engen aus einem der alten Lager
zum Fluſs hin geführten Laufgraben. So fand Pompeius, der den
Seinigen zu Hülfe mit fünf Legionen eiligst herbeikam, die beiden
Flügel der Feinde von einander getrennt und den einen in einer
gänzlich verlorenen Stellung. Wie die Caesarianer ihn anrücken
sahen, ergriff sie ein panischer Schreck; alles stürzte in wilder
Flucht zurück und wenn es bei dem Verlust von 1000 der besten
Soldaten blieb und Caesars Armee nicht eine vollständige Nieder-
lage erlitt, so hatte sie dies nur dem Umstand zu danken, daſs
auch Pompeius sich in dem coupirten Terrain nicht frei ent-
wickeln konnte und überdies, eine Kriegslist besorgend, seine
Truppen anfangs zurückhielt. Aber auch so waren es unheilvolle
Tage. Nicht bloſs hatte Caesar die empfindlichsten Verluste er-
litten und seine Verschanzungen, das Resultat einer viermonat-
lichen Riesenarbeit, auf einen Schlag eingebüſst: er war durch
die letzten Gefechte wieder genau auf den Punct zurückgeworfen,
von welchem er ausgegangen war. Von der See war er vollstän-
diger verdrängt als je, seit des Pompeius älterer Sohn Gnaeus
Caesars wenige Kriegsschiffe, die im Hafen von Orikon lagerten,
durch einen kühnen Angriff theils verbrannt, theils weggeführt
und bald nachher die in Lissos zurückgebliebene Transportflotte
gleichfalls in Brand gesteckt hatte; jede Möglichkeit von Brundi-
sium noch weitere Verstärkungen heranzuziehen war damit für
Caesar verloren. Die zahlreiche pompeianische Reiterei, jetzt
ihrer Fesseln entledigt, ergoſs sich in die Umgegend und drohte
Caesar die stets schwierige Verpflegung der Armee völlig unmög-
lich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen gegen einen
seemächtigen auf die Flotte gestützten Feind bloſs zu Lande die
[389]PHARSALOS.
Offensive durchzuführen war vollständig gescheitert. Auf dem bis-
herigen Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen De-
fensive gegenüber und vermochte weder gegen Dyrrhachion noch
gegen das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszuführen;
dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab gegen den bereits in
seinen Subsistenzmitteln sehr gefährdeten Gegner unter den gün-
stigsten Verhältnissen die Offensive zu ergreifen. Der Krieg war
an einem Wendepunct angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem
Anschein nach, das Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur
nach dem jedesmaligen Angriff seine Vertheidigung bemessen; es
war dies nicht gerade zu tadeln, da das Hinziehen des Krieges ihm
Gelegenheit gab seine Rekruten schlagfähig zu machen, seine Re-
serven heranzuziehen und das Uebergewicht seiner Flotte im adria-
tischen Meer immer vollständiger zu entwickeln. Durch die Nie-
derlagen von Dyrrhachion aber hatte die Lage der Dinge sich völlig
verwandelt. Zwar Pompeius nicht ungegründete Erwartung, daſs
die feindliche Armee durch Hunger und Meuterei bald in völlige
Auflösung gerathen werde, ward durch die eminente soldatische
Energie der Veteranen Caesars vereitelt; allein Caesar war allerdings
nicht bloſs taktisch, sondern auch strategisch geschlagen und er
schien weder in seiner gegenwärtigen Stellung sich behaupten noch
dieselbe zweckmäſsig wechseln zu können. Jetzt war es an Pom-
peius die Offensive zu ergreifen; und er war dazu entschlossen.
Es boten sich dem Sieger drei verschiedene Wege dar um
seinen Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war
von der überwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie
aufbrach, sie zu verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst
und dessen Kerntruppen in Griechenland stehen lassen und
selber, wie er längst es vorbereitet hatte, mit der Hauptarmee
nach Italien überfahren, wo die Stimmung entschieden antimo-
narchisch war und die Streitmacht Caesars nach Entsendung der
besten Truppen und des tapfern und zuverlässigen Commandan-
ten zu der griechischen Armee nicht gar viel bedeuten wollte.
Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden,
die Legionen des Metellus Scipio an sich ziehen und versuchen
die im Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es
hatte nämlich dieser, unmittelbar nachdem der zweite Trans-
port bei ihm eingetroffen war, theils, um die Subsistenzmittel für
seine Armee herbeizuschaffen, starke Detachements nach Aetolien
und Thessalien entsandt, theils ein Corps von zwei Legionen un-
ter Gnaeus Domitius Calvinus auf der egnatischen Chaussee ge-
gen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf derselben Straſse
[390]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
von Thessalonike her anrückenden Corps des Scipio den Weg ver-
legen und wo möglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten
Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genähert,
als Scipio plötzlich sich südwärts wandte und, rasch den Haliak-
mon (Jadsche Karasu) überschreitend, an dem sein Gepäck und
ein Posten unter Marcus Favonius zurückblieb, in Thessalien ein-
drang, um die mit der Unterwerfung des Landes beschäftigte Re-
crutenlegion Caesars unter Lucius Cassius Longinus mit Ueber-
macht anzugreifen. Longinus zog sich über die Berge nach Am-
brakia auf das von Caesar nach Aetolien gesandte Detachement
unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurück; Scipio konnte ihn nur
durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da Calvinus seine
unter Favonius am Haliakmon zurückgelassene Reserve mit dem
gleichen Schicksal bedrohte, welches er selbst dem Longinus zu
bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon
wieder zusammen und lagerten hier längere Zeit einander gegen-
über. — Pompeius konnte zwischen diesen Plänen wählen; Cae-
sar blieb keine Wahl. Er trat nach jenem unglücklichen Gefechte
den Rückzug auf Apollonia an. Pompeius folgte. Der Marsch von
Dyrrhachion nach Apollonia auf einer schwierigen von mehreren
Flüssen durchschnittenen Straſse war keine leichte Aufgabe für
eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee; indeſs die ge-
schickte Leitung des Feldherrn und die unverwüstliche Marschir-
fähigkeit der Soldaten nöthigten Pompeius nach viertägiger Ver-
folgung dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu
entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch
in das Binnenland; und so räthlich und lockend auch jene schien,
so manche Stimmen auch dafür sich erhoben, er zog es doch vor
das Corps des Metellus nicht preiszugeben, um so mehr als er
durch diesen Marsch das des Calvinus in die Hände zu bekom-
men hoffte. Calvinus stand augenblicklich auf der egnatischen
Straſse bei Herakleia Lynkestis, zwischen Pompeius und Scipio
und, nachdem Caesar sich auf Apollonia zurückgezogen, von
diesem weiter entfernt als von der groſsen Armee des Pompeius,
zu alle dem ohne Kenntniſs von den Vorgängen bei Dyrrhachion
und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion
errungenen Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte
und die Boten Caesars überall aufgegriffen wurden. Erst als die
feindliche Hauptmacht bis auf wenige Stunden sich ihm genähert
hatte, erfuhr Calvinus aus den Erzählungen der feindlichen Vor-
posten selbst den Stand der Dinge und ein rascher Aufbruch
in südlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn im letzten
[391]PHARSALOS.
Augenblick der drohenden Vernichtung. Caesar war inzwischen
unangefochten nach Apollonia gelangt. Sogleich nach der Kata-
strophe von Dyrrhachion hatte er sich entschlossen, wenn mög-
lich den Kampf von der Küste weg in das Binnenland zu verle-
gen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner bisherigen
Anstrengungen, die feindliche Flotte aus dem Spiel zu bringen.
Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt dort, wo
seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu
bringen und seinen Soldaten die Löhnung zu zahlen; so wie dies
geschehen war, brach er mit Hinterlassung von Besatzungen in
Apollonia, Orikon und Lissos nach Thessalien auf. Nach Thes-
salien hatte auch das Corps des Calvinus sich in Bewegung ge-
setzt; und die aus Italien, jetzt auf dem Landwege durch Illyrien,
anrückenden Verstärkungen, zwei Legionen unter Quintus Cor-
nificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch als in Epirus
an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Thale des Aoos auf-
wärts steigend und die Bergkette überschreitend, die Epirus von
Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; eben dorthin
ward Calvinus dirigirt und die Vereinigung der beiden Armeen
ward also auf dem kürzesten und dem Feinde am wenigsten aus-
gesetzten Wege bewerkstelligt. Sie erfolgte bei Aeginion unweit
der Quelle des Peneios. Die erste thessalische Stadt, vor der die
jetzt vereinigte Armee erschien, Gomphoi schloſs ihr die Thore;
sie ward rasch erstürmt und der Plünderung preisgegeben. Da-
durch geschreckt unterwarfen sich die übrigen Städte Thessa-
liens, so wie nur Caesars Legionen vor den Mauern sich zeigten.
Ueber diesen Märschen und Gefechten und mit Hülfe der wenn
auch nicht allzu reichlichen Vorräthe, die die Landschaft am Pe-
neios darbot, schwanden allmählich die Spuren und die Erinne-
rungen der überstandenen unheilvollen Tage. — Pompeius störte
hierin nicht. Er hatte gesiegt; aber was waren die Ergebnisse des
Sieges? Sowohl Caesar wie Calvinus hatten der Verfolgung sich
entzogen; dem beweglichen Feinde konnte Pompeius mit seiner
schwerfälligen Armee und seiner zahlreichen Reiterei nicht auf den
Gebirgsmärschen folgen. Nach Calvinus eiligem Rückzug wäre es
möglich gewesen, da Scipio jetzt ohne Gefährde Dyrrhachion er-
reichen konnte, die Hauptmacht nach Italien einzuschiffen; indeſs
vorläufig wurde nur eine Abtheilung der Flotte nach Sicilien und
Italien gesendet. Der Erfolg von Dyrrhachion hatte die Zuversicht
im pompeianischen Lager so sehr gesteigert, daſs man beschloſs
zu bleiben und auf der griechischen Halbinsel die Sache mit Caesar
zum Austrag zu bringen. Man konnte alsdann entweder von Caesar
[392]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
sich aufsuchen lassen oder ihn aufsuchen. Im ersteren Falle
ward Caesar gezwungen entweder den Krieg in die Länge zu zie-
hen, was weder seinem Naturell noch seinem Interesse entsprach,
oder die Feldschlacht irgendwo an der Küste, wo Pompeius Flotte
mitzuwirken vermochte, und auf dem von Pompeius bestimmten
Schlachtfeld anzunehmen. Im zweiten Falle dagegen war es Cae-
sar, der das Schlachtfeld wählte, wo es ihm beliebte, natürlich also
vom Meere entfernt und obwohl jetzt der Angegriffene, bestimm-
ten dennoch seine Bewegungen auch ferner im Allgemeinen den
Gang des Krieges. Wenn es vielleicht schon fehlerhaft war nicht
nach Italien zu gehen, wo der Erfolg kaum zweifelhaft war, so
war es eine mit der früheren ängstlichen Kriegführung der Pom-
peianer seltsam contrastirende Dreistigkeit mit Aufopferung aller
sicheren Vortheile nun auf einmal dem Gegner auf dessen Schlacht-
feld sich zum Kampfe zu stellen und nur darauf bedacht zu sein
dies auf dem möglichst bequemen Wege zu erreichen. Indeſs
Schwachmuth und Uebermuth gehen regelmäſsig zusammen; man
war eben entschlossen um jeden Preis baldmöglichst mit Caesar
zu schlagen. Cato übernahm das Commando in Dyrrhachion,
wo eine Besatzung von 18 Cohorten, und in Kerkyra, wo
300 Kriegsschiffe zurückblieben; Pompeius und Scipio begaben
sich, jener wie es scheint die egnatische Chaussee bis Pella ver-
folgend und dann die groſse Straſse nach Süden einschlagend,
dieser vom Haliakmon aus durch die Pässe des Olymp, an den
untern Peneios und trafen bei Larissa zusammen. Caesar stand
nicht weit davon, in der Ebene, die zwischen dem Othrysgebirge
und dem Peneios sich ausbreitet und von den Bächen Enipeus
und Apidanos durchschnitten wird, am linken Ufer des erst-
genannten Baches; ihm gegenüber am andern Ufer desselben
schlug Pompeius sein Lager*. Auf Pompeius Seite sprachen
[393]PHARSALOS.
alle militärischen Gründe dahin die Entscheidungsschlacht jetzt
nicht zu verzögern. Seine Armee war vollständig beisammen; Cae-
sar dagegen erwartete noch das früher nach Aetolien und Thes-
salien detachirte, jetzt unter Quintus Fufius Calenus in Griechen-
land stehende Corps von fast zwei Legionen und die auf dem
Landweg von Italien nachgesandten bereits in Illyrien angelangten
zwei Legionen des Cornificius. Pompeius Heer, elf Legionen oder
47000 Mann und 7000 Pferde stark, war dem Caesars an Fuſs-
volk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das Siebenfache
überlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen so
decimirt, daſs seine acht Legionen nicht über 22000 Mann unter
den Waffen, also bei weitem nicht die Hälfte des Normalbestandes
zählten. Pompeius siegreiche mit einer zahllosen Reiterei und
guten Magazinen versehene Armee hatte Lebensmittel in Fülle,
während Caesars Truppen nothdürftig sich hinhielten und erst
mit der nicht fernen Getreideernte bessere Verpflegung erhofften.
Die Stimmung der pompeianischen Soldaten, die in der letzten
Campagne den Krieg kennen und ihrem Führer vertrauen gelernt
hatten, war die beste. Solche Erwägungen rechtfertigten allerdings
diejenigen, welche jetzt, da man nun einmal in Thessalien Caesar
gegenüber stand, darauf drangen baldmöglichst eine Feldschlacht
zu liefern. Indeſs trug Pompeius Bedenken den Bach, der beide
Heere schied, seinerseits zu überschreiten; und auch Caesar fand
sich nicht veranlaſst mit seiner weit schwächeren Armee dem Feind
auch diesen Vortheil noch einzuräumen. In der Meinung daſs Pom-
peius auch diesmal wie so oft dem Kampfe auszuweichen entschlos-
sen sei, war er eben im Begriff gegen Skotussa aufzubrechen, als
er die Pompeianer sich anschicken sah auf seinem Ufer ihm die
Schlacht anzubieten. Es war vornämlich die Emigrantenungeduld
*
[394]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
der vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter, die Pompeius
zu diesem entscheidenden Schritt gedrängt hatte. Seit den Ereig-
nissen von Dyrrhachion betrachteten diese Herren den Triumph
ihrer Partei als eine ausgemachte Thatsache; bereits wurde eifrig
gehadert über die Besetzung des von Caesar innegehabten Ober-
pontificats und Aufträge nach Rom gesandt um für die nächsten
Wahlen Häuser am Markte zu miethen. Pompeius, meinten sie,
zaudere nur mit der Schlacht, um noch etwas länger über so viele
Consulare und Prätorier zu gebieten und seine Agamemnonrolle
zu verewigen. Pompeius gab nach; und also ward, fast auf der-
selben Wahlstatt, wo hundertundfunfzig Jahre zuvor die Römer
ihre Herrschaft im Osten begründet hatten (I, 531), am 9. August
706 die Schlacht von Pharsalos geschlagen. Pompeius lehnte den
rechten Flügel an den Enipeus, Caesar ihm gegenüber den linken
an das vor dem Enipeus sich ausbreitende durchschnittene Ter-
rain; die beiden anderen Flügel standen in die Ebene hinaus,
beiderseits gedeckt durch die Reiterei und die leichten Truppen.
Pompeius Absicht war sein Fuſsvolk möglichst zu versagen und
jedenfalls in der Vertheidigung zu halten, dagegen mit seiner Rei-
terei die schwache Reiterschaar, die, nach deutscher Art mit
leichter Infanterie gemischt, ihr gegenüberstand, zu zersprengen
und sodann Caesars rechten Flügel in den Rücken zu nehmen.
Sein Fuſsvolk hielt auch den ersten Stoſs der feindlichen Infan-
terie muthig aus und es kam das Gefecht hier zum Stehen. La-
bienus indessen sprengte die feindliche Reiterei nach tapferem,
aber kurzem Widerstand aus einander und entwickelte sich links-
hin, um das Fuſsvolk zu umgehen. Aber Caesar, die Niederlage
seiner Reiterei voraussehend, hatte hinter ihr auf der bedrohten
Flanke seines rechten Flügels etwa 2000 seiner besten Legionare
aufgestellt. Wie die feindlichen Reiter, die caesarischen vor sich
hertreibend, heran und um die Linie herum jagten, prallten sie
plötzlich auf auf diese unerschrocken gegen sie anrückende Kern-
schaar und, durch den unerwarteten und ungewohnten Infanterie-
angriff* rasch in Verwirrung gebracht, sprengten sie mit ver-
[395]PHARSALOS.
hängten Zügeln vom Schlachtfeld. Die siegreichen Legionare,
nachdem sie die preisgegebenen Schützen der Feinde zusammen-
gehauen hatten, rückten auf den linken Flügel des Feindes los und
begannen nun ihrerseits dessen Umgehung. Zugleich ging Caesars
bisher zurückgehaltenes drittes Treffen auf der ganzen Linie zum
Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage der besten Waffe des pom-
peianischen Heeres, wie sie den Muth der Gegner hob, brach den
der Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius, der
seinem Fuſsvolk von Haus nicht traute, die Reiter zurückjagen
sah, ritt er sofort von dem Schlachtfeld zurück in das Lager,
ohne auch nur den Ausgang des von Caesar befohlenen Ge-
sammtangriffs abzuwarten. Seine Legionen fingen an zu schwan-
ken und bald über den Bach in das Lager zurückzuweichen, was
nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt ward. Der Tag war
also verloren und mancher tüchtige Soldat gefallen, die Armee
indeſs noch im Wesentlichen intact und Pompeius Lage weit
minder bedenklich als die Caesars nach der Niederlage von Dyr-
rhachion. Aber wenn Caesar in den Wechselfällen seiner Ge-
schicke es gelernt hatte, daſs das Glück es liebt auch seinen
Günstlingen wohl auf Augenblicke sich zu entziehen, um aber-
mals durch Beharrlichkeit von ihnen bezwungen zu werden,
so kannte Pompeius das Glück bis dahin nur als die beständige
Göttin und verzweifelte an sich und an ihr, als sie ihm entwich;
und wenn in Caesars groſsartiger Natur auch die Verzweiflung
nur immer mächtigere Kräfte entwickelte, so versank Pompeius
dürftige Seele unter dem gleichen Druck in den unendlichen
Abgrund der Kümmerlichkeit. Wie einst im Kriege mit Serto-
rius er im Begriff gewesen war das anvertraute Amt im Stiche
lassend vor dem überlegenen Gegner auf und davon zu gehen
(S. 28), so warf er jetzt, da er die Legionen über den Bach
zurückweichen sah, die verhängniſsvolle Feldherrnschärpe von
sich und ritt auf dem nächsten Weg dem Meere zu, [um] dort ein
Schiff sich zu suchen. Seine Armee, entmuthigt und führerlos
— denn Scipio, obwohl von Pompeius als College im Obercom-
*
[396]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
mando anerkannt, war doch nur dem Namen nach Oberfeldherr
— hoffte hinter den Lagerwällen Schutz zu finden; aber Caesar
gestattete ihr keine Rast: rasch war die hartnäckige Gegenwehr
der römischen und thrakischen Lagerwachen überwältigt und die
Masse genöthigt sich in Unordnung die Anhöhen von Krannon
und Skotussa hinaufzuziehen, an deren Fuſse das Lager geschla-
gen war. Sie versuchte auf diesen Hügeln sich fortbewegend
Larissa wieder zu erreichen; allein Caesars Truppen, weder der
Beute noch der Müdigkeit achtend und auf besseren Wegen in
der Ebene vorrückend, verlegten den Flüchtigen den Weg; ja als
am späten Abend die Pompeianer ihren Marsch einstellten, ver-
mochten ihre Verfolger es noch eine Schanzlinie zu ziehen, die
den Zugang zu dem einzigen in der Nähe befindlichen Bach den
Flüchtigen verschloſs. So endigte der Tag von Pharsalos. Die
feindliche Armee war nicht bloſs geschlagen, sondern vernichtet.
15000 der Feinde lagen todt oder verwundet auf dem Schlacht-
feld, während die Caesarianer nur 200 Mann vermiſsten; die noch
zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000 Mann,
streckten am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur ein-
zelne Trupps, darunter freilich die namhaftesten Offiziere, such-
ten eine Zuflucht in den Bergen; von den elf feindlichen Adlern
wurden Caesar neun überbracht. Caesar, der schon am Tage
der Schlacht die Soldaten erinnert hatte im Feinde nicht den
Mitbürger zu vergessen, behandelte die Gefangenen nicht wie Bi-
bulus und Labienus; indeſs auch er fand es doch nöthig jetzt die
Strenge walten zu lassen. Die gemeinen Soldaten wurden in das
Heer eingereiht, gegen die Leute besseren Standes Geldbuſsen
oder Vermögensconfiscationen erkannt; die gefangenen Sena-
toren und namhaften Ritter erlitten mit wenigen Ausnahmen den
Tod. Die Zeiten unbedingter Gnade waren vorbei; je länger er
währte, desto rücksichtsloser und unversöhnlicher waltete der
Bürgerkrieg.
Es dauerte einige Zeit, bevor die Folgen des neunten August
706 vollständig sich übersehen lieſsen. Was am wenigsten Zwei-
fel litt, war der Uebertritt aller derer, die nur aus Klugheitsrück-
sichten oder widerwillig sich zu der bei Pharsalos überwundenen
Partei geschlagen hatten, auf die Seite des Siegers; die Nieder-
lage war eine so völlig entscheidende, daſs dem Sieger alles zufiel,
was nicht für eine verlorene Sache streiten wollte oder muſste.
Alle die Könige, Völker und Städte, die bisher Pompeius Clientel
gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flotten- und Heerescontingente
zurück und weigerten den Flüchtlingen der geschlagenen Partei
[397]PHARSALOS.
die Aufnahme — so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens,
Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und
überhaupt der ganze Osten. Ja König Pharnakes vom Bosporus
trieb den Diensteifer so weit, daſs er auf die Nachricht von
der pharsalischen Schlacht nicht bloſs die manches Jahr zuvor
von Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete
der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst
das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich
Kleinarmenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen
von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Me-
gara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen
lieſs, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einzie-
hung seines Reiches schon längst, und nach dem Siege über Cu-
rio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich,
wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren muſste.
Ebenso wie die Clientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsa-
los unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei,
alle die mit halbem Herzen mitgemacht hatten, oder gar, wie
Marcus Cicero und seines Gleichen, nur um die Aristokratie
herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei
um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen,
den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern
bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlage-
nen Parteien transigirte nicht. Mit der Aristokratie war es vor-
bei; aber doch konnten die Aristokraten sich nimmermehr zur
Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der
Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur
Lüge, die einst segenshafte Staatsordnung zum Fluche werden;
aber selbst das vergangene Evangelium noch findet seine Beken-
ner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie
der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich sel-
ber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche
der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine
letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein jüngeres Geschlecht,
von jenen umgehenden Gespenstern befreit, über die verjüngte
Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Ent-
artung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war,
es war einst ein groſsartiges politisches System gewesen; das
heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt
worden war, wie auch getrübt und verdumpft, glühte doch fort
in dem römischen Adel, so lange es einen solchen gab, und
machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des
[398]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
alten Regiments und dem neuen Monarchen unmöglich. Wohl
begriffen wenigstens diejenigen von ihnen, die es vermochten
sich schmerzliche Wahrheiten einzugestehen, daſs nach der Ver-
nichtung der beiden groſsen Armeen der Verfassungspartei bei
Ilerda und Pharsalos die Monarchie unvermeidlich war. Allein
für sie blieb einmal nur die Wahl entweder die Monarchie ertra-
gend jeder öffentlichen Thätigkeit sich zu enthalten, oder aber,
nicht um den Sieg, sondern um rascheren und ehrenvolleren
Untergang gegen die Monarchie weiter zu kämpfen. Ein groſser
Theil der Verfassungspartei wählte die erste Alternative; freilich
regelmäſsig nicht ohne den Hintergedanken sich damit auf einen
künftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise tha-
ten dies die minder namhaften Parteigenossen; doch zählte auch
der tüchtige Marcus Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Cae-
sar herbeigeführt hatte (S. 329), zu diesen Verständigen und
verbannte sich freiwillig nach Lesbos. Aber in der Majorität der
echten Aristokratie war die Leidenschaft mächtiger als die kühle
Ueberlegung; wobei freilich auch die Selbsttäuschungen über den
noch möglichen Erfolg und die Besorgnisse vor der drohenden
Rache des Siegers mannigfaltig mitwirkten. Keiner wohl beur-
theilte mit so schmerzlicher Klarheit und so frei von Furcht wie
von Hoffnung für sich die Lage der Dinge wie Marcus Cato. Er
schwankte einen Augenblick, ob die Verfassungspartei den Krieg
überhaupt noch fortsetzen dürfe, der nothwendig für eine verlo-
rene Sache Vielen Opfer zumuthete, die nicht wuſsten, wofür sie
sie brachten. Aber wenn er sich entschloſs den Krieg weiter zu
führen, so suchte er doch so weit möglich in denselben keinen
hineinzuziehen, der entschlossen war den Untergang der Repu-
blik zu überleben und mit der Monarchie sich abzufinden. So
lange die Republik nur bedroht gewesen, meinte er, habe man
das Recht und die Pflicht gehabt auch den lauen und schlechten
Bürger zur Theilnahme an dem Kampfe zu zwingen; aber jetzt
sei es sinnlos und grausam den Einzelnen zu nöthigen, daſs er
mit der verlorenen Republik sich zu Grunde richte. Nicht bloſs
entlieſs er selbst Jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte;
als der wildeste unter den wilden Parteimännern, Gnaeus Pom-
peius der Sohn, auf die Hinrichtung dieser Leute, namentlich
des Cicero drang, war es einzig Cato, der sie durch seine sittliche
Autorität verhinderte. — Auch Pompeius begehrte keinen Frie-
den. Wäre er ein Mann gewesen, der es verdiente an dem Platze
zu stehen wo er stand, so möchte man meinen, er habe es be-
griffen, daſs wer nach der Krone greift, nicht wieder zurück kann
[399]PHARSALOS.
in das Geleise der gewöhnlichen Existenz, und darum für den,
der fehl gegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein
schwerlich dachte Pompeius zu groſs, um eine Gnade zu erbit-
ten, die der Sieger vielleicht hochherzig genug gewesen wäre
ihm nicht zu versagen, sondern vielmehr wohl zu gering dazu.
Sei es nun, daſs er es nicht über sich gewann Caesar sich anzu-
vertrauen, sei es daſs er in seiner gewöhnlichen unklaren und
unentschiedenen Weise, nachdem der erste unmittelbare Ein-
druck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war, wieder
anfing Hoffnung zu schöpfen, Pompeius war entschlossen den
Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem pharsalischen
noch ein anderes Schlachtfeld sich zu suchen.
So ging also, wie Caesar immer durch Klugheit und Mäs-
sigung den Groll seiner Gegner zu beschwichtigen und ihre Zahl
zu mindern bemüht war, der Kampf nichts desto weniger unab-
änderlich weiter. Allein da die führenden Männer fast alle bei
Pharsalos mitgefochten hatten und durch die Niederlage nach
allen Seiten hin versprengt waren, kam man nicht dazu für die
Fortsetzung des Feldzugs einen gemeinschaftlichen Plan zu ver-
abreden, obwohl mit Ausnahme von Lucius Domitius Ahenobar-
bus, der auf der Flucht niedergemacht ward, die sämmtlichen
namhaften Führer sich retteten. Die meisten derselben gelang-
ten, theils durch die öden makedonischen und illyrischen Gebirge,
theils mit Hülfe der Flotte, nach Kerkyra, wo Marcus Cato die
zurückgelassene Reserve commandirte. Hier fand unter Catos
Vorsitz eine Art Kriegsrath statt, dem Quintus Scipio, Titus La-
bienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius der Sohn und Andere
beiwohnten; allein theils die Abwesenheit des Oberfeldherrn und
die peinliche Ungewiſsheit über sein Schicksal, theils die innere
Zerfahrenheit der Partei verhinderten eine gemeinsame Beschluſs-
fassung und es schlug schlieſslich Jeder den Weg ein, der ihm
für sich oder für die gemeinsame Sache am zweckmäſsigsten zu
sein schien. Es war in der That in hohem Grade schwierig unter
den vielen Strohhalmen, an die man etwa sich anklammern konnte,
denjenigen zu bezeichnen, der am längsten über Wasser halten
würde. Makedonien und Griechenland waren durch die Schlacht
von Pharsalos verloren. Zwar hielten noch Cato Dyrrhachion und
Kerkyra, Rutilius Lupus den Peloponnes für die Verfassungs-
partei. Allein Dyrrhachion wurde auf die Nachricht von der Nie-
derlage sogleich geräumt und auch Kerkyra versuchte man nicht
auf die Dauer zu behaupten. Einen Augenblick schien es, als wollten
die Pompeianer sich in Patrae auf dem Peloponnes vertheidigen;
[400]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
allein die Nachricht von Calenus Anrücken genügte um sie von
hier zu verscheuchen. In Italien hatten die nach den Siegen von
Dyrrhachion dorthin entsandten pompeianischen Geschwader
(S. 391) gegen die Häfen von Brundisium, Messana und Vibo
nicht unbedeutende Erfolge errungen und in Messana namentlich
die ganze in der Ausrüstung begriffene Flotte Caesars niederge-
brannt; allein die bei diesen Angriffen thätigen Schiffe, gröſsten-
theils kleinasiatische und syrische, wurden in Folge der pharsa-
lischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so daſs diese
Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und
Syrien standen augenblicklich gar keine Truppen weder der einen
noch der andern Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Ar-
mee des Pharnakes, die angeblich für Rechnung Caesars verschie-
dene Landschaften der Gegner desselben eingenommen hatte.
In Aegypten stand zwar noch ein ansehnliches römisches Heer,
gebildet aus den dort von Gabinius zurückgelassenen (S. 148)
und seitdem aus italischen Landstreichern und syrischem oder
kilikischem Räubergesindel recrutirten Truppen; allein es ver-
stand sich von selbst und ward durch die Rückberufung der
aegyptischen Schiffe bald unzweifelhaft festgestellt, daſs der Hof
von Alexandreia keineswegs die Absicht hatte bei der geschlagenen
Partei auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfü-
gung zu stellen. Etwas günstigere Aussichten boten sich den Be-
siegten im Westen dar. In Spanien waren unter dem Heer wie
unter der Bevölkerung die pompeianischen Sympathien so mäch-
tig, daſs sie den Angriff verhinderten, den die Caesarianer von
dort aus gegen Africa beabsichtigten, und eine Insurrection un-
ausbleiblich schien, so wie ein namhafter Führer auf der Halbinsel
sich zeigen würde. In Africa aber hatte dieselbe oder vielmehr
der eigentliche Machthaber daselbst, König Juba von Numidien
seit dem Herbst 705 Zeit gehabt ungestört zu rüsten. — Der
ganze Osten war durch die Schlacht von Pharsalos verloren;
allein in Africa und vielleicht in Spanien konnte die geschlagene
Partei noch ein Schlachtfeld finden, ohne ihren Rechtsboden zu
verlassen. Es war wohl peinlich und demüthigend, aber nicht
verfassungswidrig König Jubas Hülfe gegen die revolutionären
Mitbürger in Anspruch zu nehmen; denn König Juba war kein
unabhängiger Fürst, sondern ein Unterthan der römischen Ge-
meinde. — Auf jedem andern noch offenen Wege aber trat man
heraus aus der Verfassung, mochte man nun, sich selber auſserhalb
des Gesetzes erklärend, die Räuberfehde eröffnen, oder, mit unab-
hängigen Nachbarstaaten ein Bündniſs schlieſsend, den Landes-
[401]PHARSALOS.
feind in den inneren Streit hineinziehen, oder endlich, die Mo-
narchie mit den Lippen bekennend, im Dunkeln gegen sie con-
spiriren. Der erste dieser Wege war wenigstens der natürliche
und insofern richtigste Ausdruck der verzweifelten Lage der über-
wundenen Parteien. Das Gebirge und vor allem das Meer waren
in jener Zeit seit Menschengedenken wie die Freistatt allen Fre-
vels, so auch die des unerträglichen Elends und des unterdrück-
ten Rechtes; Pompeianern und Republikanern lag es nahe der
Monarchie Caesars, die sie ausstieſs, in den Bergen und auf den
Meeren trotzig den Krieg zu machen und namentlich nahe die Pira-
terie in gröſserem Maſsstab, in festerer Geschlossenheit, mit be-
stimmteren Zielen wieder aufzunehmen. Selbst nach der Abbe-
rufung der aus dem Osten gekommenen Geschwader besaſsen sie
noch eine sehr ansehnliche eigene Flotte, während Caesar immer
noch so gut wie ohne Kriegsschiffe war; und ihre Verbindung mit
den Delmatern, die im eigenen Interesse gegen Caesar aufgestan-
den waren (S. 375), ihre Herrschaft über die wichtigsten Meere
und Hafenplätze, gaben für den Seekrieg, namentlich im Kleinen,
die vortheilhaftesten Aussichten. Wie einst Sullas Demokraten-
hetze geendigt hatte mit dem sertorianischen Aufstand, der an-
fangs Piraten-, dann Räuberfehde war und schlieſslich ein sehr
ernstlicher Krieg ward, so konnte, wenn in der catonischen Ari-
stokratie oder unter den Anhängern des Pompeius so viel Geist
und Feuer war wie in der marianischen Demokratie, und wenn
in ihr der rechte Seekönig sich fand, auf der noch unbezwunge-
nen See wohl ein von Caesars Monarchie unabhängiges und viel-
leicht dieser gewachsenes Gemeinwesen entstehen. — In jeder
Hinsicht weit schärfere Miſsbilligung verdiente der Gedanke einen
unabhängigen Nachbarstaat in den römischen Bürgerkrieg hin-
einzuziehen und durch ihn eine Contrerevolution herbeizuführen;
Gesetz und Sittlichkeit verurtheilen den Ueberläufer strenger als
den Räuber und leichter findet die siegreiche Räuberschaar den
Rückweg zu einem freien und geordneten Gemeinwesen, als die
vom Landesfeind zurückgeführte Emigration. Uebrigens war es
auch kaum wahrscheinlich, daſs die geschlagene Partei auf die-
sem Wege eine Restauration würde bewirken können. Der einzige
Staat, auf den sie versuchen konnte sich zu stützen, war der der
Parther; und von diesem war es wenigstens zweifelhaft, ob er ihre
Sache zu der seinigen machen, und sehr unwahrscheinlich, daſs
er gegen Caesar sie durchfechten werde. — Die Zeit der republi-
kanischen Verschwörungen aber war noch nicht gekommen.
Während also die Trümmer der geschlagenen Partei rathlos
Röm. Gesch. III. 26
[402]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
vom Schicksal sich treiben lieſsen und auch die den Kampf fort-
zusetzen entschieden waren, nicht wuſsten wie noch wo, hatte
Caesar, wie immer rasch entschlossen und rasch handelnd, alles
bei Seite gelassen um Pompeius zu verfolgen, den einzigen seiner
Gegner, den er als Offizier achtete und denjenigen, durch dessen
persönliche Gefangennahme wenigstens die eine und vielleicht die
gefährlichere Hälfte seiner Gegner wahrscheinlich paralysirt ward.
Mit weniger Mannschaft fuhr er über den Hellespont — seine ein-
zelne Barke traf in demselben auf eine feindliche nach dem
schwarzen Meer bestimmte Flotte und nahm dieselbe mit ihrer
durch die Kunde von der pharsalischen Schlacht wie mit Betäu-
bung geschlagenen Mannschaft gefangen — und eilte, so wie
die nothwendigsten Anordnungen getroffen waren, Pompeius in
den Osten nach. Pompeius war vom pharsalischen Schlachtfeld
nach Lesbos gegangen, wo er seine Gemahlin und seinen zweiten
Sohn Sextus abholte, und weiter um Kleinasien herum nach Kili-
kien und von da nach Kypros gesegelt. Er hätte zu seinen Partei-
genossen nach Kerkyra oder Africa gelangen können; allein der
Widerwille gegen seine aristokratischen Verbündeten und der Ge-
danke an die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und
vor allem nach seiner schimpflichen Flucht ihn dort erwartete,
scheinen ihn bewogen zu haben seinen Weg für sich zu gehen und
lieber in den Schutz des Partherkönigs als in den Catos sich zu
begeben. Während er beschäftigt war von den römischen Steuer-
pächtern und Kaufleuten auf Kypros Geld und Sclaven beizutreiben
und einen Haufen von 2000 Sclaven zu bewaffnen, erhielt er die
Nachricht, daſs Antiochia sich für Caesar erklärt habe und der
Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So änderte er seinen
Plan und ging unter Segel nach Aegypten, wo in dem Heere eine
Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die reichen
Hülfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewährten den Krieg
zu reorganisiren. — In Aegypten hatten nach Ptolemaeos Auletes
Tode (Mai 703) dessen Kinder, die etwa sechzehnjährige Kleo-
patra und der zehnjährige Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen
ihres Vaters gemeinschaftlich und als Gatten den Thron bestie-
gen; allein bald vertrieb der Bruder oder vielmehr dessen Vor-
mund Potheinos die Schwester aus dem Reiche. Kleopatra floh
nach Syrien und suchte von da in ihr väterliches Reich zurück-
zukommen; und Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um
gegen sie die Ostgrenze zu decken, mit der ganzen aegyptischen
Armee bei Pelusion, als Pompeius bei dem kasischen Vorgebirge
vor Anker ging und den König ersuchen lieſs ihm die Landung
[403]PHARSALOS.
zu gestatten. Der aegyptische Hof, längst von der Katastrophe
bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe Pompeius zurückzu-
weisen; allein der Hofmeister des Königs Theodotos wies darauf
hin, daſs in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine Verbin-
dungen in der aegyptischen Armee benutzen werde um dieselbe
aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Rücksicht auf Caesar
zu empfehlen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme um Pom-
peius aus der Welt zu schaffen. Dergleichen politische Raison-
nements verfehlten bei den Staatsmännern der hellenischen Welt
nicht leicht ihre Wirkung. Der General der königlichen Truppen
Achillas und einige von Pompeius ehemaligen Soldaten fuhren
mit einem Kahn an Pompeius Schiff heran und luden ihn ein
zum König zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei, ihre
Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lu-
cius Septimius ihn hinterrücks nieder, unter den Augen seiner
Gattin und seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes
aus dem Morde zusehen muſsten, ohne retten oder rächen zu
können (28. Sept. 706). An demselben Tage, an dem er drei-
zehn Jahre zuvor, über Mithradates triumphirend, in die Haupt-
stadt eingezogen war (S. 141) endigte auf einer öden Düne des
unwirthlichen kasischen Strandes durch die Hand eines seiner
alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch der
Groſse geheiſsen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter
Offizier, übrigens aber von mittelmäſsigen Gaben des Geistes und
des Herzens, hatte das Schicksal mit dreiſsigjähriger dämoni-
scher Beständigkeit alle glänzend mühelosen Aufgaben nur darum
ihm zu lösen gewährt, alle von Andern gepflanzten und gepfleg-
ten Lorbeeren nur darum ihm zu brechen gestattet, nur darum
alle Bedingungen zur Erlangung der höchsten Gewalt ihm ent-
gegengetragen, um an ihm ein Beispiel falscher Gröſse aufzu-
stellen, wie die Geschichte kein zweites kennt. Unter allen kläg-
lichen Rollen giebt es keine kläglichere als die mehr zu gelten als
zu sein; und es ist das Verhängniſs der Monarchie, da doch kaum
alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann aufsteht, welcher Kö-
nig nicht bloſs heiſst, sondern auch ist, daſs diese Kläglichkeit
unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies Miſsverhältniſs zwischen
Scheinen und Sein vielleicht nie so schroff hervorgetreten ist wie
in Pompeius, so mag der ernste Gedanke wohl dabei verweilen,
daſs eben er auch in gewissem Sinn die Reihe der römischen Mo-
narchen eröffnet. — Als Caesar, Pompeius Spuren folgend, auf
der Rhede von Alexandreia eintraf, war bereits alles vorüber. Mit
tiefer Erschütterung wandte er sich ab, als ihm der Mörder das
26*
[404]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
Haupt des Mannes auf das Schiff entgegentrug, der sein Schwie-
gersohn und lange Jahre sein Genosse in der höchsten Gewalt ge-
wesen war und den lebend in die Hände zu bekommen er wohl
gewünscht haben mochte. Die Antwort auf die Frage, wie Caesar
in diesem Falle verfahren sein würde, hat der Dolch des voreiligen
Mörders abgeschnitten; aber wenn die menschliche Theilnahme,
die in Caesars groſser Seele noch neben dem Ehrgeiz Raum fand,
ihm die Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so forderte auch
sein Interesse denselben auf andere Art als durch den Henker zu
annulliren. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte Ge-
bieter von Rom gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht
nicht unter mit dem Tode des Herrn. Pompeius Tod löste die Pom-
peianer nicht auf, sondern gab ihnen statt eines bejahrten, unfähi-
gen und vernutzten Hauptes an dessen beiden Söhnen Gnaeus und
Sextus zwei Führer, welche beide jung und rührig und von denen
der zweite eine entschiedene Capacität war. Der neugegründeten
Erbmonarchie heftete sogleich parasitisch sich das erbliche Prä-
tendententhum an und es war sehr zweifelhaft, ob Caesar bei die-
sem Wechsel der Personen nicht mehr verlor als er gewann.
Indeſs für den Augenblick hatte Caesar in Aegypten nichts
weiter zu thun und die Römer wie die Aegyptier erwarteten, daſs
er sofort wieder unter Segel gehen und sich an die Unterwer-
fung Africas und an das unermeſsliche Organisationswerk machen
werde, das ihm nach dem Siege bevorstand. Allein Caesar, seiner
Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem weiten Reiche sich be-
fand, die Verhältnisse sogleich und persönlich endgültig zu regeln,
und fest überzeugt, daſs weder von der römischen Besatzung noch
von dem Hofe irgend ein Widerstand zu erwarten sei, überdies in
dringender Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den zwei
ihn begleitenden auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Le-
gionen und 800 keltischen und deutschen Reitern, nahm Quartier
in der königlichen Burg und ging daran die nöthigen Summen
beizutreiben und die aegyptische Erbfolge zu ordnen, ohne sich
stören zu lassen durch Potheinos naseweise Bemerkung, daſs Cae-
sar sich lieber als um diese um seine so wichtigen eigenen An-
gelegenheiten bekümmern möge. Uebrigens verfuhr er dabei ge-
gen die Aegypter gerecht und selbst nachsichtig. Obwohl der dem
Pompeius geleistete Beistand zur Auflegung einer Kriegscontri-
bution berechtigte, ward doch das erschöpfte Land damit ver-
schont; Caesar begnügte sich statt der im J. 695 stipulirten jetzt
noch etwa zur Hälfte rückständigen Summe (S. 147) eine Rest-
zahlung von 10 Mill. Denaren (2,860000 Thlr.) zu fordern. Den
[405]PHARSALOS.
beiden kriegführenden Geschwistern ward die sofortige Einstel-
lung der Feindseligkeiten anbefohlen und beide zur Untersuchung
und Entscheidung des Streites vor den Schiedsherrn geladen.
Man fügte sich; der königliche Knabe befand sich bereits in der
Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein. Allein im Stillen
bereitete ein Ungewitter sich vor. Alexandreia war eine Weltstadt
so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der italischen Hauptstadt
schwerlich nachstehend, an rührigem Handelsgeist, an Hand-
werkergeschick, an Sinn für Wissenschaft und Kunst ihr weit
überlegen; in der Bürgerschaft war ein reges nationales Selbst-
gefühl und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist,
der sie ihre Straſsenkrawalle so regelmäſsig und so herzhaft ab-
halten lieſs wie heutzutage die pariser; man kann sich ihre Em-
pfindungen denken, als sie in der Residenz der Lagiden den rö-
mischen Feldherrn schalten und ihre Könige vor seinem Tribunal
Recht nehmen sah. Potheinos und der königliche Knabe, beide
begreiflicher Weise sehr unzufrieden mit der peremtorischen Ein-
mahnung alter Schulden wie mit der Intervention in dem Thron-
streit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen konnte,
lieſsen die Schätze der Tempel und das goldene Tischgeräth des
Königs mit absichtlicher Ostentation zur Befriedigung der römi-
schen Forderungen verwenden; mit steigender Erbitterung schau-
ten die abergläubisch frommen und der weltberühmten Pracht
ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich erfreuenden Aegyptier
die nackten Wände der Tempel und die hölzernen Becher auf der
Tafel ihres Königs. Nicht viel anders dachte die römische Occu-
pationsarmee. Durch den langen Aufenthalt in Aegypten und die
vielen Zwischenheirathen zwischen den Soldaten und ägyptischen
Mädchen war sie so denationalisirt, daſs im Fall eines Bruches bei
ihr kaum Hülfe zu erwarten war; überdies zählte sie eine Menge
alter Soldaten des Pompeius und verlaufener italischer Verbre-
cher und Sclaven in ihren Reichen. Welcher Art die Stimmung
der Bürgerschaft und der Soldaten war, zeigte schon der Auflauf
bei der Landung, als die Menge die römischen Beile in die alte
Königsburg tragen sah, und die zahlreich in der Stadt an den
Soldaten Caesars verübten Meuchelmorde. Caesar hatte, so wie
er sich nach der Landung mit seiner Handvoll Leute dieser er-
bitterten Menge gegenüber fand, die ungeheure Gefahr wohl be-
griffen, in der er schwebte. Allein die Umkehr war wegen der
in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwestwinde schwierig und
der Versuch der Einschiffung konnte leicht das Signal werden
zum Ausbruch der Insurrection; überhaupt lag es nicht in Cae-
[406]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
sars Art unverrichteter Sache sich davonzumachen. Er beorderte
also sogleich Verstärkungen aus Asien herbei und trug inzwischen,
bis diese eintrafen, die gröſste Sicherheit zur Schau. Nie war es
lustiger in seinem Lager hergegangen als während dieser alexan-
drinischen Rast; und wenn die schöne und geistreiche Kleopatra
mit ihren Reizen überhaupt nicht und am wenigsten bei ihrem
Richter sparsam war, so schien auch Caesar unter all seinen Sie-
gen die über schöne Frauen am höchsten zu schätzen. Es war
ein lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten. Die römische
Occupationsarmee, die auf Caesars Befehl ihre Operationen an
der syrischen Grenze hatte einstellen müssen, erschien unvermu-
thet vor Alexandreia unter Führung des Achillas und, wie später
sich auswies, auf geheimen Befehl des Königs und seines Vor-
mundes. Die Bürgerschaft machte sofort mit den Soldaten ge-
meinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart, die seine Toll-
dreistigkeit gewissermassen rechtfertigt, raffte Caesar schleunigst
seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemächtigte sich der
Person des Königs und seiner Minister, verschanzte sich in der
königlichen Burg und dem benachbarten Theater, lieſs, da es an
Zeit gebrach die in dem Haupthafen unmittelbar vor dem Thea-
ter stationirte Kriegsflotte in Sicherheit zu bringen, dieselbe an-
zünden und die den Hafen beherrschende Leuchtthurminsel Pha-
ros durch Böte besetzen. So war wenigstens eine beschränkte
Vertheidigungsstellung gewonnen und die Möglichkeit Zufuhr
und Verstärkungen herbeizuschaffen offen gehalten worden. Zu-
gleich ging dem Commandanten von Kleinasien wie auch den
nächsten unterthänigen Landschaften, den Syrern und Naba-
taeern, den Kretensern und den Rhodiern, der Befehl zu, schleu-
nigst Truppen und Schiffe nach Aegypten zu expediren. Die In-
surrection, an deren Spitze die jüngere Schwester der regieren-
den Könige Arsinoe und deren Vertrauter, der Eunuch Ganyme-
des sich gestellt hatten, schaltete indeſs frei in ganz Aegypten
und in dem gröſsten Theil der Hauptstadt, in deren Straſsen
täglich gefochten ward, ohne daſs es weder Caesar gelang sich
freier zu entwickeln und wenigstens bis zu dem hinter der Stadt
befindlichen Süſswassersee von Marea durchzubrechen, wo er
sich mit Wasser und mit Fourage hätte versorgen können,
noch den Alexandrinern der Belagerten Herr zu werden und sie
alles Trinkwassers zu berauben; denn als die Nilkanäle in Cae-
sars Stadttheil durch hineingeleitetes Seewasser verdorben waren,
fand sich unerwartet trinkbares Wasser in den am Strande ge-
grabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht zu über-
[407]PHARSALOS.
wältigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer dar-
auf seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschnei-
den, auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtthurminsel und
der Damm, durch den sie mit dem Festland zusammenhing, theilte
den Hafen in eine westliche und eine östliche Hälfte, die durch
zwei Bogenöffnungen des Dammes mit einander in Verbindung
standen. Die Bürger beherrschten den Damm und den West-,
Caesar die Insel und den Osthafen; da die alexandrinische Flotte
verbrannt war, fuhren seine Schiffe ungehindert ab und zu und
es miſslang den Alexandrinern dieselben durch Brander, die aus
dem West- in den Osthafen gesandt wurden, zu vernichten. Sie
stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein kleines Geschwa-
der her und verlegten Caesars Schiffen, als dieselben eine Trans-
portflotte mit einer aus Kleinasien nachgekommenen Legion her-
einbugsirten, mit diesem den Weg. Diesmal wurden Caesars vor-
treffliche rhodische Seeleute des Feindes Herr; indeſs gelang es
nicht lange darauf den Bürgern sich der Leuchtthurminsel zu be-
mächtigen* und von da aus die schmale und klippige Mündung
des Osthafens gröſseren Schiffen gänzlich zu sperren; so daſs Cae-
sars Flotte genöthigt war auf der offenen Rhede vor dem Ostha-
fen zu stationiren und seine Verbindung mit der See nur noch an
einem schwachen Faden hing. Auf jener Rhede wurde zu wie-
derholten Malen Caesars Flotte von der überlegenen feindlichen
Seemacht angegriffen; sie konnte dem ungleichen Kampf nicht
ausweichen, da der Verlust der Leuchtthurminsel ihr den Rückzug
in den inneren Hafen verschloſs, noch auch das Weite suchen, da
der Verlust der Rhede Caesar ganz von der See abgesperrt haben
würde; so muſste sie schlagen, so oft es dem Gegner beliebte,
und ward sie ein einziges Mal überwunden, so war Caesar voll-
ständig eingeschlossen. Wenn auch die tapfern Legionare, un-
terstützt durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher
noch immer diese Gefechte zu Gunsten der Römer entschieden
hatten, so erneuerten und steigerten doch die Alexandriner mit
unermüdeter Beharrlichkeit ihre Flottenrüstungen und bei jedem
Seetreffen stand die Existenz der Belagerten auf dem Spiel. Es
ward schlechterdings nöthig einen Versuch zur Wiedergewinnung
[408]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
der Leuchtthurminsel zu machen. Der doppelte Angriff durch
Böte von der Hafen-, und durch die Kriegsschiffe von der See-
seite her gelang; er brachte nicht bloſs die Insel, sondern auch
den unteren Theil des Dammes in Caesars Gewalt. Bei der zwei-
ten Bogenöffnung des Dammes befahl Caesar anzuhalten und den
Damm hier gegen die Stadt zu durch einen Querwall zu sperren.
Allein während hier um die Schanzenden ein hitziges Gefecht
sich entspann, entblöſsten die römischen Truppen den unteren
Theil des Dammes gegen die Insel zu; unversehens landete hier
eine Abtheilung Aegyptier, griff die auf dem Damm am Querwall
zusammengedrängten römischen Soldaten und Matrosen von hin-
ten an und sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in
das Meer. Ein Theil ward von den römischen Schiffen aufge-
nommen; die Meisten ertranken. Etwa 400 Soldaten und eine
noch grössere Zahl von der Flottenmannschaft waren das Opfer
dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal der Seinigen
getheilt hatte, hatte sich auf sein Schiff, und als dieses von Men-
schen überschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten
müssen. Indeſs so empfindlich auch der erlittene Verlust war,
er ward durch den Wiedergewinn der Leuchtthurminsel, die
sammt dem Damm bis zur ersten Bogenöffnung in Caesars Hän-
den blieb, reichlich aufgewogen. Endlich kam der ersehnte Ent-
satz. Mithradates von Pergamon, ein tüchtiger Kriegsmann aus
der Schule des Mithradates Eupator, dessen natürlicher Sohn er
zu sein behauptete, führte zu Lande von Syrien her eine bunt-
scheckige Armee heran: die Ityraeer des Fürsten vom Libanos
(S. 126), die Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos Sohn
(S. 125), die Juden unter dem Minister Antipatros, überhaupt
die Contingente der kleinen Häuptlinge und Gemeinden Kilikiens
und Syriens. Von Pelusion, das ihm am Tage seiner Ankunft zu
besetzen geglückt war, schlug er, um das durchschnittene Terrain
des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner Theilung zu
überschreiten, die groſse Straſse nach Memphis ein, wobei seine
Truppen von den besonders in diesem Theil Aegyptens zahlreich
ansässigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstützung
empfingen. Die Aegypter, jetzt den jungen König Ptolemaeos an
der Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung die In-
surrection durch ihn zu beschwichtigen zu den Seinigen ent-
lassen hatte, entsandten auf dem Nil ein Heer, um Mithradates
auf dem jenseitigen Ufer festzuhalten. Dasselbe traf ihn auch
noch jenseit Memphis bei dem sogenannten Judenlager, zwischen
Onion und Heliupolis; allein Mithradates, geübt in römischer
[409]PHARSALOS.
Weise zu manövriren und zu lagern, gewann bei Memphis un-
ter glücklichen Gefechten das andere Ufer. Caesar andererseits,
so wie er von dem Eintreffen der Entsatzarmee Kunde erhielt,
führte einen Theil seiner Truppen auf Schiffen an die Spitze des
Sees von Marea westlich von Alexandreia und marschirte um
diesen herum und den Nil hinab dem fluſsaufwärts herankom-
menden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne
daſs der Feind sie zu hindern versucht hätte. Caesar rückte
dann in das Delta, wohin der König sich zurückgezogen hatte,
warf, trotz des tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Fronte, die
ägyptische Vorhut im ersten Anlauf und stürmte sofort das
ägyptische Lager selbst. Es befand sich zwischen dem Nil, von
dem es nur ein schmaler Weg trennte, und schwer zugänglichen
Sümpfen am Fuſs einer Anhöhe. Caesar lieſs zugleich in der
Fronte und von dem Weg am Nil aus das Lager berennen und
ein drittes Detachement während dieses Sturmes die Anhöhen
hinter dem Lager ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollständig;
das Lager ward genommen und was von den Aegyptiern nicht
unter den feindlichen Schwertern fiel, ertrank bei dem Versuch
zu der Nilflotte zu entkommen. Mit einem der Böte, die mit
Menschen überladen sanken, verschwand auch der junge König
in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar vom
Schlachtfeld rückte Caesar von der Landseite her gerades Wegs
an der Spitze seiner Reiterei in den von den Aegyptiern besetz-
ten Theil der Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Götterbilder
in den Händen, empfingen ihn Friede bittend die Feinde, die
Seinigen aber, da sie ihn von der andern Seite als von der er
ausgegangen als Sieger wiederkehren sahen, mit grenzenlosem
Jubel. Das Schicksal der Stadt, die den Herrn der Welt in sei-
nen Plänen zu kreuzen gewagt und um ein Haar seinen Unter-
gang herbeigeführt hatte, lag in Caesars Hand; allein er war zu
sehr Regent, um empfindlich zu sein und verfuhr mit den Alex-
andrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die
arg verwüstete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer
Kornmagazine, ihrer weltberühmten Bibliothek und anderer be-
deutender öffentlicher Gebäude beraubte Stadt, ermahnte die Ein-
wohnerschaft ernstlich sich künftig allein der Künste des Frie-
dens zu befleiſsigen und die Wunden zu heilen, die sie sich sel-
ber geschlagen; übrigens begnügte er sich den in Alexandreia
zahlreich angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewähren,
deren die griechische Stadtbevölkerung genoſs. Anstatt der bis-
herigen den Königen von Aegypten zur Verfügung gestellten rö-
[410]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
mischen Occupationsarmee blieb in der Hauptstadt eine förm-
liche römische Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine
dritte später aus Syrien nachgekommene Legion, deren Befehls-
haber Caesar ernannte. Absichtlich ward zu diesem Vertrauens-
posten kein Mann ausersehen, dessen Rang es ihm möglich ge-
macht hätte ihn zu miſsbrauchen, sondern ein tüchtiger Soldat
niedrigster Geburt, eines Freigelassenen Sohn Rufio. Das Regi-
ment Aegyptens erhielten unter Roms Oberhoheit Kleopatra und
deren jüngerer Bruder Ptolemaeos; die Prinzessin Arsinoe ward,
um nicht den nach orientalischer Art der Dynastie ebenso erge-
benen wie gegen den einzelnen Dynasten gleichgültigen Aegyptern
abermals als Vorwand für Insurrectionen zu dienen, nach Italien
abgeführt.
Dieser alexandrinische Aufstand, so geringfügig er an sich
war und so wenig er innerlich zusammenhing mit den weltge-
schichtlichen Ereignissen, die zugleich im römischen Staate sich
vollzogen, griff dennoch insofern in dieselben folgenreich ein,
als er den Mann, der alles in allem war und ohne den nichts ge-
fördert und nichts gelöst werden konnte, vom October 705 bis
zum März 706 nöthigte, seine eigentlichen Aufgaben liegen zu
lassen um mit Juden und Beduinen einen Stadtpöbel zu be-
kämpfen. Die Folgen des persönlichen Regiments fingen an sich
fühlbar zu machen. Man hatte die Monarchie; aber überall
herrschte die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch war
nicht da. Eben wie die Pompeianer waren augenblicklich auch
die Caesarianer ohne obere Leitung; es entschied überall die Fä-
higkeit der einzelnen Offiziere und vor allen Dingen der Zufall.
In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach Aegypten kein
Feind. Indeſs hatte Caesars Statthalter daselbst, der tüchtige
Gnaeus Domitius Calvinus den Auftrag erhalten dem König Phar-
nakes wieder abzunehmen, was er den Verbündeten des Pom-
peius ohne Auftrag entrissen hatte; und da dieser, ein starrkö-
pfiger und übermüthiger Despot wie sein Vater, die Räumung
Kleinarmeniens beharrlich verweigerte, so blieb nichts übrig als
gegen ihn marschiren zu lassen. Calvinus hatte von den drei
ihm zurückgelassenen aus pharsalischen Kriegsgefangenen ge-
bildeten Legionen zwei nach Aegypten absenden müssen; er er-
gänzte die Lücke durch eine eiligst aus den im Pontus domicilirten
Römern zusammengeraffte und zwei nach römischer Art exer-
cirte Legionen des Deiotarus und rückte in Kleinarmenien ein.
Allein das bosporanische in zahlreichen Kämpfen mit den An-
wohnern des schwarzen Meeres erprobte Heer erwies sich tüch-
[411]THAPSUS.
tiger als das seinige. In dem Treffen bei Nikopolis ward Calvinus
pontisches Aufgebot zusammengehauen und die galatischen Le-
gionen liefen davon; nur die eine alte Legion des Calvinus schlug
mit mäſsigem Verlust sich durch. Statt Kleinarmenien zu ero-
bern, konnte Calvinus nicht einmal verhindern, daſs Pharnakes
sich seiner pontischen ‚Erbstaaten‘ wieder bemächtigte und über
die Bewohner, namentlich die unglücklichen Amisener, die ganze
Schale seiner scheuſslichen Sultanslaunen ausgoſs (Winter 706/7).
Als indeſs Caesar selbst eintraf und ihm sagen lieſs, daſs der
Dienst, der ihm persönlich von Pharnakes geleistet sei, indem er
Pompeius keine Hülfe gewährt habe, nicht in Betracht kommen
dürfe gegen den dem Reiche zugefügten Schaden, und daſs vor
jeder Unterhandlung er die Provinz Pontus räumen und das ge-
raubte Gut zurückstellen müsse, erklärte er sich bereit zu ge-
horchen; aber wohl wissend, wie guten Grund Caesar hatte nach
dem Westen zu eilen, machte er keine ernstlichen Anstalten zur
Räumung. Er wuſste nicht, daſs Caesar abthat, was er angriff.
Ohne weiter zu verhandeln, nahm Caesar die eine von Alexandreia
mitgebrachte Legion und die Truppen des Calvinus und Deiota-
rus zusammen und rückte gegen Pharnakes Lager bei Ziela.
Wie die Bosporaner ihn kommen sahen, durchschritten sie keck
den tiefen Bergspalt, der ihre Fronte deckte, und griffen den Hü-
gel hinauf die Römer an. Caesars Soldaten waren noch mit dem
Lagerschlagen beschäftigt und einen Augenblick schwankten die
Reihen; allein die kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich
rasch und gaben das Beispiel zum allgemeinen Angriff und zum
vollkommenen Siege (2. Aug. 707). In fünf Tagen war der Feld-
zug beendigt — zu dieser Zeit, wo jede Stunde kostbar war, ein
unschätzbarer Glücksfall. Mit der Verfolgung des Königs, der über
Sinope heimgegangen war, beauftragte Caesar des Pharnakes il-
legitimen Bruder, den tapfern Mithradates von Pergamon, wel-
cher zum Lohn der in Aegypten geleisteten Dienste an Pharnakes
Stelle die bosporanische Königskrone empfing. Im Uebrigen wur-
den die syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich
geschlichtet, die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des
Pompeius im Ganzen mit Geldbuſsen oder Verweisen entlassen.
Nur der mächtigste unter den Clienten des Pompeius Deiotarus
ward wieder auf sein angestammtes enges Gebiet, den tolistoboi-
schen Gau beschränkt. An seiner Stelle ward mit Kleinarme-
nien König Ariobarzanes von Kappadokien belehnt, mit dem von
ihm usurpirten Vierfürstenthum der Trokmer der neue König
des Bosporus, welcher wie von väterlicher Seite dem pontischen,
[412]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
so von mütterlicher einem der galatischen Fürstengeschlechter
entstammte.
Auch in Illyrien hatten, während Caesar in Aegypten war,
sehr ernsthafte Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Küste
war seit Jahrhunderten ein wunder Fleck der römischen Herr-
schaft und die Bewohner mit Caesar noch von seiner Statthal-
terschaft her in offener Fehde; im Binnenland aber wimmelte es
von der thessalischen Campagne her von Trupps versprengter
Pompeianer. Indeſs hatte Quintus Cornificius mit den aus Ita-
lien nachrückenden Legionen sowohl die Eingebornen wie die
Flüchtlinge im Zaum gehalten und zugleich der in diesen rau-
hen Gegenden so schwierigen Verpflegung der Truppen genügt.
Selbst als der tüchtige Marcus Octavius, der Sieger von Curicta
(S. 374), mit einem Theil der pompeianischen Flotte in diesen
Gewässern erschien, um hier zur See und zu Lande den kleinen
Krieg gegen Caesar zu leiten, wuſste Cornificius, gestützt auf die
Schiffe und den Hafen der Jadertiner (Zara), nicht bloſs sich zu
behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte
des Gegners manches glückliche Gefecht. An seine Stelle trat als
Statthalter von Illyrien Aulus Gabinius, den Caesar aus der Ver-
bannung zurückgerufen hatte (S. 302). Kaum war er mit 15 Co-
horten und 3000 Reitern im Winter 706/7 auf dem Landweg in
Illyrien eingetroffen, so wechselte er das System der Kriegfüh-
rung. Statt sich wie sein Vorgänger auf den kleinen Krieg zu be-
schränken, unternahm der kühne thätige Mann sogleich trotz der
rauhen Jahreszeit eine Expedition in die Gebirge. Aber die un-
günstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der
tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius
muſste den Rückzug antreten, ward auf diesem von den Delma-
tern angegriffen und schmählich geschlagen, und erreichte mit
den schwachen Ueberresten seiner stattlichen Armee mühsam Sa-
lonae, wo er bald darauf starb. Die meisten illyrischen Küsten-
städte ergaben sich hierauf der Flotte des Octavius; die an Caesar
festhielten, wie Salonae und Epidauros (Ragusa), wurden von der
Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so heftig bedrängt,
daſs die Uebergabe und die Capitulation der in Salonae einge-
schlossenen Heerestrümmer nicht mehr fern schien. Da impro-
visirte der Commandant der brundisinischen Depots, der ener-
gische Publius Vatinius eine Flotte und eine Armee, indem er in
Ermangelung von Kriegsschiffen gewöhnliche Böte mit Schnäbeln
versah und die aus den Hospitälern entlassenen Soldaten in Co-
horten formirte, und lieferte der weit überlegenen octavianischen
[413]THAPSUS.
Flotte bei der Insel Tauris (Torcola zwischen Lesina und Cur-
zola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anführers und der
Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging, und
die Caesarianer einen glänzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius
verlieſs diese Gewässer und begab sich nach Africa (Frühjahr
707); die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit groſser
Hartnäckigkeit sich zur Wehre, allein es war dies nichts als ein
localer Gebirgskrieg. Als Caesar aus Aegypten zurückkam, hatte
sein entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr be-
reits beseitigt.
Um so ernster stand es in Africa, wo die Verfassungspartei
vom Anfang des Bürgerkrieges an unumschränkt geherrscht und
ihre Macht fortwährend gesteigert hatte. Bis zur pharsalischen
Schlacht hatte hier eigentlich König Juba das Regiment geführt;
er hatte Curio überwunden und die Kraft des Heeres waren seine
flüchtigen Reiter und seine zahllosen Schützen; der pompeiani-
sche Statthalter Varus spielte neben ihm eine so subalterne Rolle,
daſs er sogar diejenigen Soldaten Curios, die sich ihm ergeben
hatten, dem König hatte ausliefern und deren Hinrichtung oder
Abführung in das innere Numidien mit hatte ansehen müssen.
Dies änderte sich nach der pharsalischen Schlacht. An eine Flucht
zu den Parthern dachte mit Ausnahme des Pompeius selbst kein
namhafter Mann der geschlagenen Partei. Ebenso wenig ver-
suchte man die See mit vereinten Kräften zu behaupten; Marcus
Octavius Kriegführung in den illyrischen Gewässern stand ver-
einzelt und war ohne dauernden Erfolg. Die groſse Majorität der
Republikaner wie der Pompeianer wandte sich nach Africa, wo
allein noch ein ehrenhafter und verfassungsmäſsiger Kampf gegen
den Usurpator möglich war. Dort fanden die Trümmer der bei
Pharsalos zersprengten Armee, die Besatzungstruppen von Dyr-
rhachion, Kerkyra und dem Peloponnes, die Reste der illyrischen
Flotte sich allmählich zusammen; es trafen dort ein der zweite
Oberfeldherr Metellus Scipio, die beiden Söhne des Pompeius
Gnaeus und Sextus, der politische Führer der Republikaner Mar-
cus Cato, die tüchtigen Offiziere Labienus, Afranius, Petreius,
Octavius und Andere. Die Emigration fand einen neuen Mittel-
punct und wenn sie mit verringerten Kräften zusammenkam, so
war dagegen ihr Fanatismus wo möglich noch gesteigert. Man
fuhr nicht bloſs fort die Gefangenen und selbst die Parlamen-
täre Caesars zu ermorden, sondern König Juba, in dem die
Erbitterung des Parteimannes mit der Wuth des halbbarbari-
schen Africaners zusammenfloſs, stellte die Maxime auf, daſs in
[414]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
jeder der Sympathien mit dem Feinde verdächtigen Gemeinde die
Bürgerschaft ausgerottet und die Stadt niedergebrannt werden
müsse, und führte auch in einigen Fällen, zum Beispiel gegen das
unglückliche Vaga bei Hadrumetum, diese Theorie in der That
praktisch durch. Nur Cato bewirkte es durch seinen energischen
Widerspruch, daſs die Hauptstadt der Provinz, das blühende Utica,
eben wie einst Karthago von den numidischen Königen längst mit
schelem Auge angesehen, nicht von König Juba dieselbe Behand-
lung erfuhr, und man gegen die allerdings nicht mit Unrecht der
Hinneigung zu Caesar beschuldigte Bürgerschaft mit Vorsichts-
maſsregeln sich begnügte. — Da weder Caesar selbst noch einer
seiner Statthalter das Geringste gegen Africa unternahm, so hatte
man vollkommen Zeit sich dort politisch und militärisch zu reor-
ganisiren. Vor allem war es nothwendig die durch Pompeius Tod
erledigte Oberfeldherrnstelle aufs Neue zu beetzen. König Juba
hatte nicht übel Lust die Stellung, die er bisher in Africa gehabt,
auch ferner zu behaupten; wie er denn überhaupt nicht mehr
als Client der Römer, sondern als gleichberechtigter Verbündeter
oder gar als Schutzherr auftrat und zum Beispiel es sich heraus-
nahm römisches Courantgeld mit seinem Namen und Wappen
zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob allein im Lager den
Purpur zu führen und den römischen Heerführern ansann den
purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner
forderte den Oberbefehl für sich, weil Pompeius ihn, mehr
aus schwiegersöhnlichen als aus militärischen Rücksichten, im
thessalischen Feldzug als sich gleich berechtigt anerkannt hatte.
Die gleiche Forderung erhob Varus als — freilich selbsternann-
ter — Statthalter von Africa, da der Krieg in seiner Provinz
geführt werden sollte. Endlich die Armee begehrte zum Führer
den Proprätor Marcus Cato. Offenbar hatte sie Recht. Cato war
der einzige Mann, der für das schwere Amt die erforderliche Hin-
gebung, Energie und Autorität besaſs; wenn er kein Militär war,
so war es doch unendlich besser einen Nichtmilitär, der sich zu
bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln zu lassen verstand,
als einen Offizier von unerprobter Fähigkeit wie Varus oder gar
einen von erprobter Unfähigkeit wie Metellus Scipio zum Ober-
feldherrn zu bestellen. Indeſs die Entscheidung fiel schlieſslich
auf eben diesen Scipio, und Cato selbst war es, der sie im We-
sentlichen bestimmte. Es geschah dies nicht, weil er jener Auf-
gabe sich nicht gewachsen fühlte oder weil seine Eitelkeit bei dem
Ausschlagen mehr ihre Rechnung fand als bei dem Annehmen;
noch weniger weil er Scipio liebte oder achtete, mit dem er viel-
[415]THAPSUS.
mehr persönlich verfeindet war und der überall bei seiner noto-
rischen Untüchtigkeit einzig durch seine Schwiegervaterschaft zu
einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern einzig und allein,
weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die Republik von
Rechtswegen zu Grunde gehen lieſs als sie auf irreguläre Weise
rettete. Als er nach der pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit
Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten diesem, der
noch von seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der General-
schaft behaftet war, wie es Rechtens war, als dem höherstehenden
Offizier das Commando in Kerkyra zu übertragen und den unglück-
lichen Advocaten, der seine Lorbeeren tausendmal verwünschte,
durch diese Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle
halbwegs einsichtigen Männer zum Erstaunen gebracht. Hier, wo
etwas mehr darauf ankam, wurden die gleichen Principien ge-
ritten: Cato erwog die Frage, wem die Oberfeldherrnstelle ge-
bühre, als handelte es sich um ein Ackerfeld bei Tusculum, und
sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen Ausspruch wurden seine
eigene und die Candidatur des Varus beseitigt. Er war es aber
auch und er allein, der mit Energie den Ansprüchen des Königs
Juba entgegentrat und es ihn fühlen lieſs, daſs der römische Adel
zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Groſskönig der Parther,
um bei dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend,
um von dem Unterthan Beistand zu fordern. Bei dem gegenwär-
tigen Stande der römischen Streitkräfte in Africa konnte Juba
nicht umhin etwas gelindere Saiten aufzuziehen, obgleich er frei-
lich bei dem schwachen Scipio es dennoch durchsetzte, daſs die
Besoldung seiner Truppen der römischen Kasse aufgebürdet und
für den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz Africa zu-
gesichert ward. — Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wie-
derum der Senat der ‚Dreihundert‘, der in Utica seinen Sitz auf-
schlug und seine gelichteten Reihen durch Aufnahme der ange-
sehensten und vermögendsten Männer des Ritterstandes ergänzte.
— Die Rüstungen wurden, hauptsächlich durch Catos Eifer, mit
der gröſsten Energie gefördert und jeder waffenfähige Mann, selbst
Freigelassene und Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch
allerdings dem Ackerbau die Hände so sehr entzogen wurden,
daſs ein groſser Theil der Felder unbestellt blieb, aber auch ein
imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere Fuſsvolk zählte
vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus aufgestellt,
acht andere theils aus den Flüchtlingen, theils aus den in der
Provinz Conscribirten gebildet und vier römisch bewaffnete Le-
gionen des König Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend
[416]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
aus den mit Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und
allerlei darunter eingereihten Leuten, war ohne Jubas römisch ge-
rüstete Reiterschaar 1600 Mann stark. Die leichten Truppen be-
standen aus zahllosen Massen numidischer Reiter ohne Zaum und
Zügel und bloſs mit Wurfspeeren bewaffnet, aus einer Anzahl be-
rittener Bogenschützen und groſsen Schwärmen von Schützen zu
Fuſs. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elephanten und die von
Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel starke
Flotte. Dem drückenden Geldmangel wurde einigermaſsen durch
eine Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebi-
ger war, als die reichsten africanischen Capitalisten in denselben
einzutreten veranlaſst worden waren. Getreide und andere Vor-
räthe hatte man in den vertheidigungsfähigen Festungen in unge-
heuren Massen aufgehäuft, während zugleich aus den offenen Ort-
schaften die Vorräthe möglichst entfernt worden waren. Die Ab-
wesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die
Gährung in Spanien und Italien hoben allmählich die Stimmung
und die Erinnerung an die pharsalische Schlacht fing an neuen
Siegeshoffnungen zu weichen. — Die von Caesar im Osten verlo-
rene Zeit rächte nirgends sich schwerer als hier. Hätte er unmit-
telbar nach Pompeius Tod sich nach Africa gewendet, so würde
er daselbst ein schwaches, desorganisirtes und consternirtes Heer
und vollständige Anarchie unter den Führern vorgefunden haben;
wogegen jetzt, namentlich durch Catos Energie, eine der bei Phar-
salos geschlagenen an Zahl gleiche Armee unter namhaften Füh-
rern und unter einer gesicherten Oberleitung in Africa stand.
Es schien überhaupt über dieser africanischen Expedition
Caesars ein eigener Unstern zu walten. Caesar hatte noch vor sei-
ner Einschiffung nach Aegypten in Spanien und Italien verschie-
dene Maſsregeln zur Einleitung und Vorbereitung des africani-
schen Krieges angeordnet; aus allen aber war nichts als Unheil
entsprungen. Von Spanien aus sollte, Caesars Anordnung zufolge,
der Statthalter der südlichen Provinz Quintus Cassius Longinus
mit vier Legionen nach Africa übersetzen, dort den König Bogud
von Westmauretanien* an sich ziehen und mit ihm gegen Numi-
[417]THAPSUS.
dien und Africa vorgehen. Aber jenes nach Africa bestimmte
Heer schloſs eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehe-
mals pompeianische Legionen in sich; pompeianische Sympa-
thien herrschten in der Armee wie in der Provinz und das unge-
schickte und tyrannische Auftreten des caesarischen Statthalters
war nicht geeignet sie zu beschwichtigen. Es kam förmlich zum
Aufstande; Truppen und Städte ergriffen Partei für oder gegen
den Statthalter; schon war es darauf und daran, daſs die, welche
gegen den Statthalter Caesars sich erhoben hatten, offen die Fahne
des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius älterer Sohn
Gnaeus, um diese günstige Wendung zu benutzen, sich von Africa
nach Spanien eingeschifft, als die Desavouirung des Statthalters
durch die angesehensten Caesarianer selbst und das Einschreiten
des Statthalters der nördlichen Provinz den Aufstand eben noch
rechtzeitig unterdrückten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit
einem vergeblichen Versuch sich in Mauretanien festzusetzen Zeit
verloren hatte, kam zu spät; Gaius Trebonius, den Caesar nach
seiner Heimkehr zur Ablösung des Cassius nach Spanien sandte
(Herbst 707), fand überall unweigerlichen Gehorsam. Aber na-
türlich war über diesen Irrungen von Spanien aus nichts gesche-
hen, um die Organisation der Republikaner in Africa zu stören;
ja es war sogar in Folge der Verwicklungen mit Longinus König
Bogud von Westmauretanien, der auf Caesars Seite stand und
wenigstens König Juba einige Hindernisse hätte in den Weg legen
können, mit seinen Truppen nach Spanien abgerufen worden. —
Bedenklicher noch waren die Vorgänge unter den Truppen, die
Caesar im südlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit
ihnen nach Africa überzuschiffen. Es waren gröſstentheils die alten
Legionen, die in Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron be-
gründet hatten. Der Geist dieser Truppen war durch die Siege nicht
gebessert worden und die lange Rast in Unteritalien zerrüttete sie
vollständig. Die fast übermenschlichen Zumuthungen, die der Feld-
*
Röm. Gesch. III. 27
[418]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
herr an sie machte und deren Folgen in den schrecklich gelich-
teten Reihen nur zu grell hervortraten, lieſsen selbst in diesen
Eisenmännern einen Sauerteig des Grolls zurück, der nur der Zeit
und der Ruhe bedurfte, um die Gemüther in Gährung zu bringen.
Der einzige Mann, der ihnen imponirte, war seit einem Jahre fern
und fast verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten
weit mehr sich vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen
den Weltbesiegern jede Brutalität gegen ihre Quartiergeber und
jede Indisciplin nach. Als nun der Befehl sich nach Sicilien ein-
zuschiffen kam und der Soldat das üppige Wohlleben in Campa-
nien wieder mit einer dritten der spanischen und thessalischen
an Drangsalen sicher nicht nachstehenden Campagne vertauschen
sollte, rissen die allzu lange gelockerten und allzu plötzlich wieder
angezogenen Zügel. Die Legionen weigerten sich zu gehorchen,
bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien, und wie-
sen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit
Steinwürfen zurück. Ein Versuch den beginnenden Aufstand
durch Steigerung der versprochenen Summen zu dämpfen hatte
nicht bloſs keinen Erfolg, sondern die Soldaten brachen massen-
weise auf, um in der Hauptstadt die Erfüllung der Versprechungen
von dem Feldherrn zu erpressen. Einzelne Offiziere, die die meu-
terischen Rotten unterwegs zurückzuhalten versuchten, wurden
erschlagen. Es war eine furchtbare Gefahr. Caesar lieſs die we-
nigen in der Stadt befindlichen Soldaten die Thore besetzen, um
die mit Recht befürchtete Plünderung wenigstens für den ersten
Anlauf abzuwehren und erschien plötzlich unter den tobenden
Haufen mit der Frage was sie begehrten. Man rief: den Abschied.
Augenblicklich ward er wie gebeten ertheilt. Wegen der Ge-
schenke, fügte Caesar hinzu, welche er für den Triumph seinen
Soldaten zugesagt habe, so wie wegen der Aecker, die er ihnen
nicht versprochen, aber bestimmt gehabt, möchten sie an dem
Tage, wo er mit den andern Soldaten triumphiren werde, sich
bei ihm melden; an dem Triumphe selbst freilich könnten sie als
vorher entlassen natürlich nicht theilnehmen. Auf diese Wendung
waren die Massen nicht gefaſst; überzeugt, daſs Caesar ihrer für
den africanischen Feldzug nicht entrathen könne, hatten sie den
Abschied nur gefordert, um, wenn er ihnen verweigert werde,
daran ihre Bedingungen zu knüpfen. Halb irre geworden in der
Meinung ihrer eigenen Unentbehrlichkeit; zu unbehülflich um
wieder einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in ihr
rechtes Geleise zurückzubringen; als Menschen beschämt durch
die Treue, mit der der Imperator auch seinen treuvergessenen
[419]THAPSUS.
Soldaten Wort hielt und durch die Hochherzigkeit desselben,
welche eben jetzt weit mehr gewährte als zugesagt war; als Sol-
daten tief ergriffen, da der Feldherr ihnen in Aussicht stellte dem
Triumph ihrer Kameraden als Bürgersleute zuschauen zu müssen
und, indem er sie nicht mehr ‚Kameraden‘ hieſs, sondern ‚Bür-
ger‘, mit dieser aus seinem Munde so fremdartig klingenden An-
rede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze stolze Soldatenver-
gangenheit zerstörte und zu alledem unter dem Zauber des un-
widerstehlich gewaltigen Menschen — standen die Soldaten eine
Weile stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf er-
scholl, daſs der Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und
es ihnen wieder gestatten möge Caesars Soldaten zu heiſsen.
Caesar gestattete es, nachdem er hinreichend sich hatte bitten
lassen; den Rädelsführern bei dieser Meuterei aber wurde an
ihren Triumphalgeschenken ein Drittheil gekürzt. Ein gröſseres
psychologisches Meisterstück kennt die Geschichte nicht und kei-
nes, das vollständiger gelungen wäre. Immer aber wirkte diese
Meuterei auf den africanischen Feldzug wenigstens insofern nach-
theilig ein, als sie die Eröffnung desselben beträchtlich verzögerte.
Als Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von Lily-
baeon eintraf, waren die zehn nach Africa bestimmten Legionen
dort bei weitem noch nicht vollständig versammelt und eben die
erprobten Legionen noch am weitesten zurück. Indeſs kaum
waren sechs Legionen, darunter fünf neu gebildete, daselbst an-
gelangt und die nöthigen Kriegs- und Transportschiffe angekom-
men, als Caesar mit denselben in See stach (25. Dec. 707 des
unberichtigten, etwa 8. Oct. 707 des julianischen Kalenders). Die
feindliche Flotte, die der herrschenden Aequinoctialstürme wegen
bei der Insel Aegimuros vor der karthagischen Bucht auf den
Strand gezogen war, hinderte die Ueberfahrt nicht; allein diesel-
ben Stürme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen,
und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu lan-
den ersah, konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, gröſsten-
theils Rekruten, und 150 Reiter ausschiffen. Der Versuch das vom
Feinde stark besetzte Hadrumetum wegzunehmen miſslang; da-
gegen bemächtigte Caesar sich der beiden nicht weit von einander
entfernten Hafenplätze Ruspina (Sahalil bei Susa) und Klein-
leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine Stellung war so un-
sicher, daſs er seine Reiter auf den Schiffen und diese segelfertig
und mit Wasservorrath versehen hielt, um jeden Augenblick,
wenn er mit Uebermacht sollte angegriffen werden, wieder sich
einschiffen zu können. Indeſs war dies nicht nöthig, da eben
27 *
[420]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
noch zu rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Jan.
708). Da in Folge der von den Pompeianern getroffenen An-
stalten das Heer Mangel an Getreide litt, so unternahm Caesar
gleich am folgenden Tage eine groſse Expedition in das innere
Land. Unweit Ruspinas ward die Colonne, drei Legionen unter
Caesars eigenem Befehl, von dem unter Labienus zur Vertreibung
Caesars von der Küste herbeieilenden Heerhaufen auf dem Marsche
angegriffen. Da Labienus ausschlieſslich Reiterei und Schützen
heranführte, denen Caesar fast nichts entgegenzustellen hatte als
Linieninfanterie, so sahen die Legionen rasch sich umzingelt und
den Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwiedern
oder mit Erfolg angreifen zu können. Es gelang zwar durch De-
ployirung der ganzen Linie die Flügel wieder frei zu machen und
durch muthige Angriffe die Ehre der Waffen zu retten; allein der
Rückzug war unvermeidlich und wäre Ruspina nicht so nahe ge-
wesen, so hätte der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe
ausgerichtet, was bei Karrhae der parthische Bogen. Caesar, den
dieser Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krie-
ges überzeugt hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue
Gefechtweise entmuthigten Soldaten keinem solchen Angriff wie-
der aussetzen, sondern wartete das Eintreffen seiner Veteranen-
legionen ab. Die Zwischenzeit wurde benutzt um die drückende
Ueberlegenheit des Feindes in den Fernwaffen einigermaſsen aus-
zugleichen. Die geeigneten Leute von der Flotte wurden als leichte
Reiter oder Schützen in die Landarmee eingereiht; indeſs viel
konnte dies nicht helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar
veranlaſsten Diversionen. Es gelang die am südlichen Abhang des
groſsen Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen
Hirtenstämme gegen Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis
zu ihnen hatten die Schläge der marianisch-sullanischen Zeit
sich erstreckt und ihr Groll gegen den Pompeius, der sie damals
den numidischen Königen untergeordnet hatte (II, 319), machte
sie dem Erben des mächtigen bei ihnen noch vom jugurthinischen
Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius von vorn her-
ein geneigt. Die mauretanischen Könige, Bogud in Tingis, Boc-
chus in Jol, waren Jubas natürliche Rivalen und zum Theil längst
mit Caesar im Bündniſs. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwi-
schen den Reichen des Juba und des Bocchus noch der letzte der
Catilinarier, jener Publius Sittius aus Nuceria (S. 162), der achtzehn
Jahre zuvor aus einem bankerotten italischen Kaufmann sich in
einen mauretanischen Freischaarenführer verwandelt und seitdem
in den libyschen Händeln sich einen Namen und ein Heergefolge
[421]THAPSUS.
geschaffen hatte. Bocchus und Sittius fielen vereinigt dem König
Juba in das Land und besetzten die wichtige Stadt Cirta. König
Juba ward hiedurch genöthigt einen Theil seiner Truppen an
seine Süd- und Westgrenze zu senden; indeſs blieb Caesars Lage
unbequem genug. Seine Armee war für jetzt auf den Raum einer
Quadratmeile zusammengedrängt; wenn auch die Flotte Getreide
herbeischaffte, so ward doch der Mangel an Fourage von Caesars
Reitern ebenso gefühlt wie vor Dyrrhachion von denen des Pom-
peius. Die leichten Truppen des Feindes blieben aller Anstren-
gungen Caesars ungeachtet den seinigen so unermeſslich über-
legen, daſs es für Caesar fast unmöglich schien die Offensive in
das Binnenland hinein auch mit seinen Veteranen durchzuführen.
Wenn Scipio zurückwich und die Küstenstädte preisgab, so
konnte er vielleicht einen Sieg erfechten wie die, welche Surenas
über Crassus, Juba über Curio davongetragen hatten, wenigstens
aber den Krieg ins Unendliche hinausziehen. Diesen Feldzugs-
plan ergab die einfachste Ueberlegung: selbst Cato, obwohl nichts
weniger als ein Strateg, rieth dazu und erbot sich zugleich mit
einem Corps nach Italien überzufahren und dort die Republikaner
unter die Waffen zu rufen, was bei der gründlichen Verwirrung
daselbst gar wohl Erfolg haben konnte. Allein Cato konnte nur
rathen, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber Scipio entschied,
daſs der Krieg in der Küstenlandschaft geführt werden solle. Es
war dies um so verkehrter, als die fürchterlich strenge Aushebung,
die Wegschleppung der Vorräthe, die Verwüstung der kleineren
Ortschaften, überhaupt das Gefühl einer von Haus aus ihr frem-
den und bereits verlorenen Sache aufgeopfert zu werden die ein-
heimische Bevölkerung erbittert hatte gegen die römischen Re-
publikaner, die auf africanischem Boden ihren letzten Verzweif-
lungskampf kämpften. Das terroristische Verfahren der letzteren
gegen alle auch nur der Gleichgültigkeit verdächtigen Gemein-
den (S. 413) steigerte diese Erbitterung zum furchtbarsten Haſs.
Die africanischen Städte erklärten, wo sie irgend es wagen
konnten, sich für Caesar; unter den Gaetulern und den Libyern,
die unter den leichten Truppen und selbst in den Legionen in
Menge dienten, riſs die Desertion ein. Alle diese Nachtheile wirk-
ten doppelt stark für die Republikaner, als der Krieg in die
Küstenlandschaft verlegt und das Heer dem feindlichen gegen-
über gestellt ward. Indeſs Scipio beharrte mit aller dem Unver-
stand eigenen Hartnäckigkeit auf seinem Plan, zog mit gesamm-
ter Heeresmacht von Utica her vor die von Caesar besetzten Städte
Ruspina und Kleinleptis, besetzte nördlich davon Hadrumetum,
[422]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
südlich Thapsus (am Vorgebirge Râs ed Dimâs) mit starken Be-
satzungen und bot zu wiederholten Malen dem Feinde die Schlacht
an. Erst als die Veteranenlegionen nach und nach von Sicilien
eintrafen, nahm Caesar allmählich wieder die Offensive gegen die
Armee Scipios auf, welche inzwischen ihrerseits durch das Ein-
treffen des Königs Juba mit all seinen nicht durch die Grenzver-
theidigung in Anspruch genommenen Truppen einen ansehn-
lichen Zuwachs erhalten hatte. Indeſs als die Veteranenlegionen
auf den Kampfplatz traten, verloren Scipio und Juba die Lust
eine Feldschlacht zu wagen und Caesar hatte kein Mittel sie bei
ihrer auſserordentlichen Ueberlegenheit an leichter Reiterei zu
einer solchen zu zwingen. Ueber Märsche und Scharmützel in
der Umgegend von Ruspina und Thapsus, die hauptsächlich um
die Auffindung der landüblichen Kellerverstecke (Silos) und um
Ausbreitung der Posten sich bewegten, verflossen fast zwei Mo-
nate. Caesar, durch die feindlichen Reiter genöthigt sich mög-
lichst auf den Anhöhen zu halten oder auch seine Flanken durch
verschanzte Linien zu decken, gewöhnte doch während dieser
mühseligen und ziellosen Kriegführung allmählich seine Soldaten
an die fremdartige Fechtweise. Freund und Feind erkannten in
dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute sorgfältig und
nicht selten persönlich einschulte, den raschen Feldherrn nicht
wieder und wurden fast irre an dieser im Zögern wie im Zu-
greifen sich gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Cae-
sar, nachdem er seine letzten Verstärkungen an sich gezogen
hatte, sich seitwärts gegen Thapsus. Scipio hatte diese Stadt,
wie gesagt, stark besetzt und damit den Fehler begangen seinem
Gegner ein leicht zu fassendes Angriffsobject darzubieten; er fügte
zu dem ersten bald den zweiten noch minder verzeihlichen hinzu
die von Caesar gewünschte und mit Recht bisher verweigerte
Feldschlacht auf einem Terrain, das die Entscheidung in die
Hände der Linieninfanterie gab, jetzt zur Rettung von Thapsus
freiwillig zu liefern. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager ge-
genüber, stellten Scipios und Jubas Legionen sich auf, die vor-
deren Reihen kampfbereit, die hinteren beschäftigt ein verschanz-
tes Lager zu schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von
Thapsus einen Ausfall vor. Den letzteren zurückzuweisen genüg-
ten Caesars Lagerwachen. Seine kriegsgewohnten Legionen wür-
digten schon nach der unsicheren Aufstellung und den schlecht
geschlossenen Gliedern richtig den Feind: während drüben noch
geschanzt ward, und ehe noch der Feldherr das Zeichen gab,
zwangen sie einen Trompeter zum Angriff zu blasen und gingen
[423]THAPSUS.
auf der ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er
die Seinigen ohne seinen Befehl abzuwarten vorrücken sah, an
ihrer Spitze auf den Feind ein galoppirte. Der rechte Flügel,
den übrigen Abtheilungen voran, scheuchte die ihm gegenüber-
stehende Linie der Elephanten — es war die letzte groſse
Schlacht, in der diese Bestien verwendet worden sind — durch
Schleuderkugeln und Pfeile zurück auf ihre eigenen Leute. Die
Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Flügel der
Feinde gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage
war um so vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen
Armee noch nicht fertig und das alte beträchtlich entfernt war;
beide Lager wurden nach einander fast ohne Gegenwehr erobert.
Die Masse der geschlagenen Armee warf die Waffen weg und
bat um Quartier; aber Caesars Soldaten waren nicht mehr die-
selben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich enthalten, bei
Pharsalos der Wehrlosen ehrenhaft geschont hatten. Die Ge-
wohnheit des Bürgerkriegs und der von der Meuterei zurückge-
bliebene Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in
schrecklicher Weise sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man
kämpfte, stets neue Köpfe nachwuchsen, wenn die Armee von
Italien nach Spanien, von Spanien nach Makedonien, von Make-
donien nach Africa geschleudert ward, die immer heiſser ersehnte
Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz mit Unrecht,
der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er hatte
es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versäumt
und blieb taub für das Flehen der entwaffneten Mitbürger wie
für die Befehle Caesars und der höheren Offiziere. Die funfzig-
tausend Leichen, die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten,
darunter auch einzelne als heimliche Gegner der neuen Monar-
chie bekannte und deſshalb von ihren eigenen Leuten niederge-
machte caesarische Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe
schafft. Die siegende Armee dagegen zählte nicht mehr als funfzig
Todte (6. April 708). — Eine Fortsetzung des Kampfes fand nach
der Schlacht von Thapsus so wenig in Africa statt wie andert-
halb Jahre zuvor im Osten nach der pharsalischen Niederlage.
Cato als Commandant von Utica berief den Senat, legte den
Stand der Vertheidigungsmittel dar und stellte es zur Entschei-
dung der Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf
den letzten Mann sich vertheidigen wolle, einzig sie beschwörend
nicht jeder für sich, sondern alle für einen zu beschlieſsen und
zu handeln. Die muthigere Meinung fand manchen Vertreter; es
wurde beantragt die waffenfähigen Sclaven von Staatswegen frei-
[424]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
zusprechen, was aber Cato als einen ungesetzlichen Eingriff in
das Privateigenthum zurückwies und statt dessen einen patrioti-
schen Aufruf an die Sclaveneigenthümer vorschlug. Allein bald
verging der groſsentheils aus africanischen Groſshändlern beste-
henden Versammlung diese Anwandlung von Entschlossenheit
und man ward sich einig zu capituliren. Als dann Faustus Sulla,
des Regenten Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken Ab-
theilung Reiterei vom Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte
Cato noch einen Versuch durch sie die Stadt zu halten; allein
ihre Forderung sie zuvörderst die unzuverlässige Bürgerschaft
von Utica insgesammt niedermachen zu lassen wies er unwillig
zurück und lieſs lieber die letzte Burg der Republikaner dem Mo-
narchen ohne Gegenwehr in die Hände fallen als die letzten
Athemzüge der Republik durch eine solche Metzelei entweihen.
Nachdem er theils durch seine Autorität, theils durch freigebige
Spenden dem Wüthen der Soldatesca gegen die unglücklichen
Uticenser nach Vermögen gesteuert und denen, die Caesars Gnade
sich nicht anvertrauen mochten, die Mittel zur Flucht, denen, die
bleiben wollten, die Gelegenheit unter möglichst leidlichen Bedin-
gungen zu capituliren, so weit sein Vermögen reichte, mit rüh-
render Sorgfalt gewährt und durchaus sich überzeugt hatte, daſs
er Niemand weiter Hülfe zu leisten vermöge, hielt er seines Com-
mandos sich entbunden, zog sich in sein Schlafgemach zurück
und stieſs sich das Schwert in die Brust. Auch von den übrigen
flüchtigen Führern retteten sich nur wenige. Die von Thapsus
geflüchteten Reiter stieſsen auf die Schaaren des Sittius und wur-
den von ihnen niedergehauen oder gefangen; ihre Führer Afra-
nius und Faustus wurden an Caesar ausgeliefert und, da dieser
sie nicht sogleich hinrichten lieſs, von dessen Veteranen in einem
Auflauf erschlagen. Der Oberfeldherr Metellus Scipio gerieth mit
der Flotte der geschlagenen Partei in die Gewalt der Kreuzer des
Sittius und da man Hand an ihn legen wollte, durchbohrte er
sich selbst. König Juba, nicht unvorbereitet auf einen solchen
Ausgang, hatte für diesen Fall beschlossen zu enden, wie es ihm
königlich dünkte, und auf dem Markte seiner Stadt Zama einen
ungeheuren Scheiterhaufen rüsten lassen, der mit seinem Körper
auch all seine Schätze und die Leichen der gesammten Bürger-
schaft von Zama verzehren sollte. Allein die Stadtbewohner ver-
spürten kein Verlangen sich als Decoration der Leichenfeier des
africanischen Sardanapal verwenden zu lassen und schlossen dem
König, da er vom Schlachtfeld flüchtend mit seinem Begleiter
Marcus Petreius vor der Stadt erschien, die Thore. Da weder
[425]THAPSUS.
Drohungen noch Bitten sie zu öffnen vermochten, begab sich der
König, eine jener im grellen und übermüthigen Lebensgenuſs
verwilderten Naturen, die auch aus dem Tode sich ein Taumel-
fest bereiten, mit seinem Begleiter nach einem seiner Landhäuser,
lieſs einen reichlichen Schmaus auftragen und forderte nach ge-
endeter Mahlzeit den Petreius auf mit ihm im Zweikampf um den
Tod zu fechten. Da es der Besieger Catilinas war, der von der
Hand des Königs den Tod empfing, so lieſs der König dann von
einem seiner Sclaven sich durchbohren. Die wenigen angesehenen
Männer, welche entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius,
folgten dem älteren Bruder des Letzteren nach Spanien und such-
ten, wie einst Sertorius, in den Gewässern und Gebirgen dieser
immer noch halb unabhängigen Landschaft ein letztes Räuber-
und Piratenasyl. Ohne Widerstand ordnete Caesar die africani-
schen Verhältnisse. Wie schon Curio beantragt hatte, ward das
Reich des Massinissa aufgelöst. Der östlichste Theil oder die
Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich des Königs Bocchus
von Ostmauretanien vereinigt (II, 149), auch der treue König
Bogud von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Con-
stantine) und den umliegenden Landstrich, die bisher unter Ju-
bas Oberhoheit der Fürst Massinissa und dessen Sohn Arabion
besessen hatten, erhielt der Condottier Publius Sittius, um seine
halbrömischen Schaaren daselbst anzusiedeln; zugleich aber wurde
dieser District so wie überhaupt der bei weitem gröſste und
fruchtbarste Theil des bisherigen numidischen Reiches als ‚Neu-
africa‘ mit der bisherigen Provinz Africa vereinigt und die Ver-
theidigung der Küstenlandschaft gegen die schweifenden Stämme
der Wüste, welche die Republik einem Clientelkönig überlassen
hatte, von dem neuen Monarchen auf das Reich selbst über-
nommen.
Der Kampf, den die Republikaner und Pompeianer gegen
Caesars Monarchie unternommen hatten, endigte also nach vier-
jähriger Dauer mit dem vollständigen Sieg des neuen Monar-
chen. Zwar die Monarchie ward nicht erst auf den Schlachtfel-
dern von Pharsalos und Thapsus festgestellt; sie durfte bereits
sich datiren von dem Augenblick, wo Pompeius und Caesar im
Bunde die Gesammtherrschaft begründet und die bisherige ari-
stokratische Verfassung über den Haufen geworfen hatten. Aber
die Consolidirung durch Beseitigung jenes dem Wesen der Allein-
herrschaft widerstreitenden Gesammtregiments und die förm-
liche Anerkennung hat die römische Monarchie erst durch jene
Bluttaufen erhalten. Mit dem sechsten April 708 bestand der
[426]FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
neue Staat anerkannt und ohne Rivalen; Prätendenteninsurrec-
tionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfol-
gen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutio-
nen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines
halben Jahrtausend ununterbrochene Continuität der freien Re-
publik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten römi-
schen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Thatsache
die Monarchie begründet. Der verfassungsmäſsige Kampf war zu
Ende; und daſs er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als
er zu Utica in sein Schwert sich stürzte. Seit vielen Jahren war
er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger
der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem
jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war
der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Mar-
cus Brutus begründet hatte, war todt und niemals wieder ins
Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der
Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst;
wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel
und vor allem mehr Verstand in Catos Tode als in seinem Leben
gewesen war. Cato war nichts weniger als ein groſser Mann; aber
bei all seiner Kurzsichtigkeit, seiner Verkehrtheit, seiner dürren
Langweiligkeit und seinen falschen Phrasen war er dennoch der
Einzige, der ein groſses dem Untergang verfallenes System in
dessen Agonie ehrlich und muthig vertrat, und darum hat er
eine gröſsere geschichtliche Rolle gespielt als viele weit bedeu-
tendere Männer. Es erhöht nur die Tiefe und tragische Bedeu-
tung seines Todes, daſs er selber ein Thor war: eben weil Don
Quixote ein Thor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist er-
schütternd, daſs auf jener Weltbühne, darauf so viele groſse und
weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt
war zu epilogiren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war
ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monar-
chie, daſs der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch
kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäſsigkeit,
mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinne-
weben zerriſs und das Schiboleth der Versöhnung aller Parteien,
unter dessen Aegide das Herrenthum erwuchs, in seiner ganzen
gleiſsnerischen Lügenhaftigkeit prostituirte. Der unerbittliche
Krieg, den das Gespenst der Republik Jahrhunderte lang, von
Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel
weiter hinab, gegen die caesarische Monarchie geführt hat —
dieser Krieg der Complotte und der Litteratur ist die Erbschaft
[427]THAPSUS.
die Cato sterbend seinem Feinde vermachte. Ihre ganze vornehme,
rhetorisch transcendentale, prätentiös strenge, hoffnungslose und
bis zum Tode getreue Haltung hat diese republikanische oder
vielmehr aristokratische Opposition von Cato übernommen und
denn auch den Mann, der im Leben nicht selten ihr Spott und
ihr Aergerniſs gewesen war, schon unmittelbar nach seinem Tode
als Heiligen zu verehren begonnen. Die gröſseste aber unter die-
sen Huldigungen war die unfreiwillige, die Caesar ihm erwies,
indem er von der geringschätzigen Milde, mit welcher er seine
Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu behandeln gewohnt
war, allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch über
das Grab hinaus ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte,
welchen praktische Staatsmänner zu empfinden pflegen gegen
die auf dem idealen Gebiet, ihnen ebenso gefährlich wie uner-
reichbar, opponirenden Gegner.
[[428]]
KAPITEL XI.
Die alte Republik und die neue Monarchie.
Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher über das
ganze Gebiet römisch-hellenischer Civilisation, Gaius Julius Cae-
sar stand im vierundfunfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 654),
als die Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette
folgenschwerer Siege, die Entscheidung über die Zukunft der
Welt in seine Hände legte. Weniger Menschen Spannkraft ist
also auf die Probe gestellt worden wie die dieses einzigen schö-
pferischen Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt
hervorgebracht und in dessen Bahnen sie denn auch bis zu ih-
rem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der Spröſsling einer
der ältesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum
auf die Helden der Ilias und die Könige Roms, ja auf die beiden
Nationen gemeinsame Venus-Aphrodite zurückführte, waren
seine Knaben- und ersten Jünglingsjahre vergangen, wie sie der
vornehmen Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er
hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen
gekostet, hatte recitirt und declamirt, auf dem Faulbett Litteratur
getrieben und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung abge-
spielt und sich einweihen lassen in alle Rasir-, Frisir- und Man-
schettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, so wie in die
noch weit geheimniſsvollere Kunst immer zu borgen und nie zu
bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand
selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb
sowohl die körperliche Frische ungeschwächt wie die Spannkraft
des Geistes und des Herzens. Im Fechten und Reiten nahm er
[429]REPUBLIK UND MONARCHIE.
es mit jedem seiner Soldaten auf und sein Schwimmen rettete
ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit
seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen —
das rechte Gegenstück zu der processionsartigen Langsamkeit,
mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte —
war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ur-
sache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein be-
wundernswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der
Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordnungen, selbst wo
er befahl ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtniſs
war unvergleichlich und es war ihm geläufig mehrere Geschäfte
mit gleicher Präcision neben einander zu betreiben. Obgleich
Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. So
lange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia —
der Vater starb ihm früh — die reinste Verehrung; seinen Frauen
und vor allem seiner Tochter Julia widmete er eine ehrliche Zunei-
gung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rück-
wirkung blieb. Mit den sittlichsten und kernigsten Männern sei-
ner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schö-
nen Verhältniſs gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art.
Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius kleinmüthi-
ger und gefühlloser Art fallen lieſs und, nicht bloſs aus Berech-
nung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt,
so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius
Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre
Anhänglichkeit bewährt. Wenn in einer so harmonisch organi-
sirten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch
hervorgehoben werden kann, so ist es die, daſs alles Ideale und
alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst,
daſs Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leiden-
schaft giebt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war nie-
mals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt und auch in
sein Gemüth waren Lieder, Liebe und Wein in lebendigem Leben
eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den inner-
lichsten Kern seines Wesens. Die Litteratur beschäftigte ihn lange
und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht
schlafen lieſs, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Be-
trachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und
Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals Jeder, aber sie wa-
ren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische und na-
turwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander
der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärm-
[430]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
ter Jugendzeit der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie
allen denen, die in der Jugend der volle Glanz der Frauenliebe
umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergänglich auf ihm
ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer
und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaf-
tigkeit im äuſseren Auftreten oder richtiger ein erfreuliches Be-
wuſstsein der eigenen männlich schönen Erscheinung. Sorgfäl-
tig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren Jah-
ren öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und
hätte ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn
er damit die jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können.
Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den Frauen ver-
kehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei
Einfluſs über sich eingeräumt; selbst sein vielbesprochenes Ver-
hältniſs zu der Königin Kleopatra war nur angesponnen um einen
schwachen Punkt in seiner politischen Stellung zu maskiren (S.
406). Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und
was er angriff und that, war von der genialen Nüchternheit durch-
drungen und getragen, die seine innerste Eigenthümlichkeit be-
zeichnet. Ihr verdankte er das Vermögen unbeirrt durch Erin-
nern oder Erwarten energisch im Augenblick zu leben; ihr die
Fähigkeit, in jedem Augenblick mit concentrirter Kraft zu han-
deln und auch dem kleinsten und beiläufigsten Beginnen seine
volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er er-
faſste und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille
zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Pe-
rioden fügte wie seine Feldzugspläne entwarf; ihr die ‚wunder-
bare Heiterkeit‘, die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb;
ihr die vollendete Selbstständigkeit, die keinem Liebling und kei-
ner Maitresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich ge-
stattete. Aus dieser Verstandesklarheit rührt es aber auch her,
daſs Caesar sich über die Macht des Schicksals und das Können
des Menschen niemals Illusionen machte; für ihn war der holde
Schleier gehoben, der dem Menschen die Unzulänglichkeit seines
Wirkens verdeckte. Wie klug er auch plante und alle Möglich-
keiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner Brust, daſs
in allen Dingen das Glück, das heiſst der Zufall das gute Beste
thun müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen,
daſs er so oft dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit
verwegener Gleichgültigkeit seine Person wieder und wieder auf
das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl überwiegend verständige
Menschen in das reine Hasardspiel sich flüchten, so war auch in
[431]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Caesars Rationalismus ein Punct, wo er mit dem Mysticismus
gewissermaſsen sich berührte. — Aus einer solchen Anlage
konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von früher Jugend an
war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des
Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet
ist sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und
sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch
tiefer gesunkenen mit der seinigen innig verschwisterten helleni-
schen Nation. Die bittere Schule dreiſsigjähriger Erfahrungen
änderte seine Ansichten über die Mittel, wie dies Ziel zu errei-
chen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungs-
loser Erniedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in
den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworner auf dunk-
len Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der höch-
sten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt
im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den
verschiedensten Zeiten von ihm ausgegangene Maſsregeln blei-
bender Art ordnen in den groſsen Bauplan zweckmäſsig sich
ein. Von einzelnen Leistungen Caesars sollte darum eigentlich
nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes geschaffen. Mit
Recht rühmt man den Redner Caesar wegen seiner aller Ad-
vokatenkunst spottenden männlichen Beredsamkeit, die wie die
klare Flamme zugleich erleuchtete und erwärmte. Mit Recht be-
wundert man an dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche
Einfachheit der Composition, die einzige Reinheit und Schönheit
der Sprache. Mit Recht haben die gröſsten Kriegsmeister aller
Zeiten den Feldherrn Caesar gepriesen, der wie kein anderer
ungeirrt von Routine und Tradition immer daran festhielt, daſs
immer diejenige Kriegführung die rechte ist, durch welche in dem
gegebenen Falle der Feind besiegt wird; der mit divinatorischer
Sicherheit für jeden Zweck das rechte Mittel fand; der nach der
Niederlage schlagfertig dastand wie Wilhelm von Oranien und
mit dem Siege ohne Ausnahme den Feldzug beendigte; der das
Element der Kriegführung, dessen Behandlung das militärische
Genie von der gewöhnlichen Offiziertüchtigkeit unterscheidet, die
rasche Beweglichkeit der Massen, mit unübertroffener Vollkom-
menheit handhabte und der massenhaften Streitmacht die mo-
bile, den zeitverderbenden Vorbereitungen das rasche Handeln
selbst mit unzulänglichen Mitteln bis zur Verwegenheit vor-
zog. Allein alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war
zwar ein groſser Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes
davon ist er nur geworden, weil er ein vollendeter Staatsmann
[432]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
war. Namentlich spielt der Soldat in ihm eine durchaus beiläu-
fige Rolle, und es ist eine der hauptsächlichsten Eigenthümlich-
keiten, die ihn von Alexander, Hannibal und Napoleon unter-
scheidet, daſs in ihm nicht der Offizier, sondern der Demagog
der Ausgangspunkt der politischen Thätigkeit war. Seinem ur-
sprünglichen Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und
Gaius Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und
achtzehn Jahre hindurch hatte er als Führer der Popularpartei
ausschlieſslich in politischen Plänen und Intriguen sich bewegt,
bevor er, ungern sich überzeugend von der Nothwendigkeit eines
militärischen Rückhalts, schon ein Vierziger an die Spitze einer
Armee trat. Es war erklärlich, daſs er auch späterhin immer noch
mehr Staatsmann blieb als General — ähnlich wie Cromwell, der
auch aus dem Oppositionsführer zum Militärchef und Demokra-
tenkönig sich umschuf und der überhaupt, wie wenig auch der
Puritanerheld dem lockeren Römer zu gleichen scheint, doch in
seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Resultaten vielleicht
unter allen Staatsmännern Caesar am nächsten verwandt ist.
Selbst in seiner Kriegführung ist diese improvisirte Feldherrn-
schaft noch deutlich zu erkennen. Ein geschulter Offizier würde
es schwerlich fertig gebracht haben aus politischen Rücksichten
nicht durchaus zwingender Natur die gegründetsten militärischen
Bedenken in der Art bei Seite zu schieben, wie dies Caesar mehr-
mals, am auffallendsten bei seiner Landung in Epirus that. Wäh-
rend Napoleon in Boulogne und in Aegypten den zum Feldherrn
aufgedienten Artillerielieutenant nicht verleugnete, war Caesars
Verhalten in den gleichartigen Unternehmungen das des zum
Feldherrn metamorphosirten Demagogen. Allein wenn einzelne
seiner Handlungen militärisch tadelhaft sein mögen, so verliert
der Feldherr nur was der Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des
Staatsmanns ist universeller Natur wie Caesars Genie: wenn er
die vielfältigsten und von einander entlegensten Aufgaben zu lö-
sen unternahm, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme zurück
auf das eine groſse Ziel, dem er mit grenzenloser Treue und
Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfältigen Sei-
ten und Richtungen seiner groſsen Thätigkeit eine vor der an-
dern bevorzugt. Obwohl ein Meister der Kriegskunst, hat er
doch aus staatsmännischen Rücksichten das Aeuſserste gethan um
den Bürgerkrieg abzuwenden und um, da er dennoch begann,
wenigstens keine blutigen Lorbeeren zu ernten. Obwohl der Be-
gründer der Militärmonarchie, hat er doch mit einer in der Ge-
schichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie noch
[433]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Praetorianerregiment aufkommen lassen. Wenn überhaupt eine
Seite der bürgerlichen Verdienste, so wurden von ihm vielmehr
die um die Wissenschaften und die Künste des Friedens als die
militärischen bevorzugt. Die bemerkenswertheste Eigenthümlich-
keit seines staatsmännischen Schaffens ist dessen vollkommene
Harmonie. In der That waren alle Bedingungen zu dieser schwer-
sten aller menschlichen Leistungen in Caesar vereinigt. Durch
und durch Realist lieſs er die Bilder der Vergangenheit und die
ehrwürdige Tradition nirgends sich anfechten: ihm galt nichts
in der Politik als die lebendige Gegenwart und das verständige
Gesetz, eben wie er auch als Grammatiker die historisch-anti-
quarische Forschung bei Seite schob und nichts anerkannte als
einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andrerseits die Regel
der Gleichmäſsigkeit. Ein geborener Herrscher regierte er die
Gemüther der Menschen wie der Wind die Wolken zwingt und
nöthigte die verschiedenartigsten Naturen ihm sich zu eigen zu
geben, den schlichten Bürger und den derben Unteroffizier, die
vornehmen Damen Roms und die schönen Fürstinnen Aegyptens
und Mauretaniens, den glänzenden Cavalleriegeneral und den
calculirenden Banquier. Sein Organisationstalent ist wunder-
bar; nie hat ein Staatsmann seine Bündnisse, nie ein Feldherr
seine Armee aus ungefügen und widerstrebenden Elementen so
entschieden zusammengezwungen und so fest zusammengehalten
wie Caesar seine Coalitionen und seine Legionen; nie ein Regent
mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurtheilt und ein jedes
an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber
nie hat er den König gespielt. Auch als unumschränkter Herr
von Rom blieb er in seinem Auftreten der Parteichef: vollkom-
men biegsam und geschmeidig, bequem und anmuthig in der
Unterhaltung, zuvorkommend gegen Jeden schien er nichts sein
zu wollen als der erste unter seines Gleichen. Den Fehler so vieler
ihm sonst ebenbürtiger Männer, den militärischen Commandoton
auf die Politik zu übertragen, hat Caesar durchaus vermieden;
wie vielen Anlaſs das verdrieſsliche Verhältniſs zum Senat ihm
auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitäten gegriffen, wie die des
achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie
hat ihn der Tyrannenschwindel erfaſst. Er ist vielleicht der ein-
zige unter den Gewaltigen des Herrn, welcher im Groſsen wie im
Kleinen nie nach Neigung oder Laune, sondern ohne Ausnahme
nach seiner Regentenpflicht gehandelt hat und der, wenn er auf
sein Leben zurücksah, wohl falsche Berechnungen zu bedauern,
aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es ist
Röm. Gesch. III. 28
[434]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im Kleinen*
sich vergleichen lieſse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen,
mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis,
welche die Geschichte von seinem groſsen Vorgänger in Osten be-
richtet. Er ist endlich vielleicht der Einzige unter jenen Gewalti-
gen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Un-
mögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und
nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für groſsartig an-
gelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe die
eigenen Schranken zu erkennen. Was möglich war hat er gelei-
stet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche
Gute unterlassen, nie es verschmäht unheilbare Uebel durch Pal-
liative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, daſs das
Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am
Hyphasis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie muſsten
und zürnten dem Geschick, daſs es auch seinen Lieblingen
nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am
Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Do-
nau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüber-
windung, sondern bloſs wohlerwogene Grenzregulirungen ins
Werk zu setzen. — So war dieser einzige Mann, den zu schil-
dern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine
ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Ueberlieferung
bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über
irgend einen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Per-
sönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich
verschieden aufgefaſst werden: jedem nicht ganz verkehrten For-
scher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschie-
nen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem
gelungen. Das Geheimniſs liegt in dessen Vollendung. Mensch-
lich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunct, in
welchem die groſsen Gegensätze des Daseins sich in einander auf-
heben. Von gewaltigster Schöpferkraft und doch zugleich vom
durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch
nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbrin-
gen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren
zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wie-
[435]REPUBLIK UND MONARCHIE.
der berufen die römische und die hellenische Entwicklung in sich
wie nach auſsen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar
der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei
ihm mehr als bei irgend einer anderen geschichtlichen Persön-
lichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja
doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäs-
sen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen
Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als In-
dividualität, sondern als Eigenthümlichkeit der Culturepoche oder
der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleich-
gestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches,
aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer über-
haupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit,
daſs er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn
eine Menschlichkeit an sich giebt es nicht, sondern der lebendige
Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigen-
thümlichkeit und in einem bestimmten Culturzug stehen. Nur da-
durch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mit-
ten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil
er die kernige Eigenthümlichkeit der römischen Nation, die reale
bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug;
wie denn auch sein Hellenismus nur derjenige war, der mit der
italischen Nationalität längst sich innig verwachsen hatte. Aber
eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen
die Unmöglichkeit Caesar anschaulich zu schildern. Wie der
Künstler alles malen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so
kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre
einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn
es läſst die Regel wohl sich aussprechen, aber sie giebt uns nur
die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das
Geheimniſs der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Nor-
malität und Individualität mit einander zu verbinden, ist unaus-
sprechlich. Uns bleibt nichts als diejenigen glücklich zu preisen,
die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben
aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser groſsen
Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch
diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte sei-
nem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloſs ebenbürtig,
sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt inzwischen war
alt geworden und ihr jugendlicher Schimmer verblaſst. Caesars
Thätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vor-
wärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus
28*
[436]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Ruinen und war zufrieden in den einmal angewiesenen weiten,
aber begrenzten Räumen möglichst erträglich und möglichst sicher
sich einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertact
der Völker um den unpoetischen Römer sich nicht bekümmert
und nur den Sohn des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie,
mit allen Regenbogenfarben der Sage bekleidet. Aber das staat-
liche Leben der Nationen hat seit Jahrtausenden wieder und wie-
der auf die Linien zurückgelenkt, die Caesar gezogen hat, und
wenn die Völker, denen die Welt gehört, noch heute mit seinem
Namen die höchsten ihrer Monarchen nennen, so liegt darin eine
tiefsinnige, leider auch eine beschämende Mahnung.
Wenn es gelingen sollte aus den alten in jeder Hinsicht
heillosen Zuständen herauszukommen und das Gemeinwesen zu
verjüngen, so muſste vor allen Dingen das Land thatsächlich be-
ruhigt und der Boden von den Trümmern, die von der letzten
Katastrophe her überall ihn bedeckten, gesäubert werden. Caesar
ging dabei aus von dem Grundsatz der Versöhnung der bisheri-
gen Parteien oder richtiger gesagt — denn von wirklicher Aus-
gleichung kann bei unversöhnlichen Gegensätzen nicht gesprochen
werden — von dem Grundsatz, daſs der Kampfplatz, auf dem die
Nobilität und die Popularen bisher mit einander gestritten hatten,
von beiden Theilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der
neuen monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden hätten.
Vor allen Dingen also galt aller ältere Hader der republikanischen
Vergangenheit als abgethan für immer und ewig. Während Cae-
sar die auf die Nachricht von der pharsalischen Schlacht von dem
hauptstädtischen Pöbel umgestürzten Bildsäulen Sullas wieder
aufzurichten befahl und also es anerkannte, daſs über diesen
groſsen Mann einzig der Geschichte Gericht zu halten gebühre,
hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden Folgen seiner
Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen und
sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurück und
gab den Kindern der von Sulla Geächteten die verlorene passive
Wahlfähigkeit wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituirt,
die in dem vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch
Censorenspruch oder politischen Prozeſs, namentlich durch die
auf Grund der Exceptionalgesetze von 702 erhobenen Anklagen,
ihren Sitz im Senat oder ihre bürgerliche Existenz eingebüſst
hatten. Nur blieben, wie billig, diejenigen, die für Geld Geächtete
getödtet hatten, auch ferner bescholten und ward der verwegenste
Condottiere der Senatspartei, Milo von der allgemeinen Begnadi-
gung ausgeschlossen. — Weit schwieriger als die Ordnung dieser
[437]REPUBLIK UND MONARCHIE.
im Wesentlichen bereits der Vergangenheit anheimgefallenen Fra-
gen war die Behandlung der im Augenblick sich gegenüberste-
henden Parteien: theils des eigenen demokratischen Anhangs
Caesars, theils der gestürzten Aristokratie. Daſs jener mit Cae-
sars Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung den
alten Parteistandpunkt aufzugeben wo möglich noch minder ein-
verstanden war als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst
wollte wohl im Ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne
getragen hatte; allein die Absichten der Caesarianer waren nicht
mehr die der Gracchaner. Die römische Popularpartei war in
immer steigernder Progression aus der Reform in die Revolution,
aus der Revolution in die Anarchie, aus der Anarchie in den
Krieg gegen das Eigenthum gedrängt worden; sie hatte unter
Caesars Fahne sich gestellt, weil sie von ihm das erwartete,
was Catilina ihr nicht hatte schaffen können. Als nun aber sehr
bald sich herausstellte, daſs Caesar nichts weniger sein wollte
als der Testamentsvollstrecker Catilinas, daſs die Verschuldeten
von ihm höchstens Zahlungserleichterungen [und] Proceſsmilde-
rungen zu hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut, für
wen die Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht für das Volk? Vor
lauter Aerger über die fehlgeschlagenen politisch-ökonomischen
Saturnalien fing das vornehme und niedere Gesindel dieser Art
an erst mit den Pompeianern zu liebäugeln, dann sogar während
Caesars fast zweijähriger Abwesenheit von Italien (Jan. 706 —
Herbst 707) daselbst einen Bürgerkrieg im Bürgerkriege anzuzet-
teln. Der Praetor Marcus Caelius Rufus, ein guter Adlicher und
schlechter Schuldenbezahler, von einigem Talent und vieler Bil-
dung, als ein heftiger und redefertiger Mann bisher im Senat und
auf dem Markte einer der eifrigsten Vorkämpfer für Caesar, brachte
ohne höheren Auftrag bei dem Volke zuerst ein Gesetz, das den
Schuldnern ein sechsjähriges zinsfreies Moratorium gewährte, und
sodann, da man ihm hiebei in den Weg trat, ein zweites ein, das
alle Forderungen aus Darlehen und laufenden Hausmiethen cas-
sirte; worauf der caesarische Senat ihn seines Amtes entsetzte. Es
war eben die Zeit vor der pharsalischen Schlacht und die Wag-
schale in dem groſsen Kampfe schien sich auf die Seite der Pom-
peianer zu neigen; Rufus trat mit dem alten senatorischen Banden-
führer Milo in Verbindung und beide stifteten eine Contrerevolu-
tion an, die theils die republikanische Verfassung, theils Cassa-
tion der Forderungen und Freierklärung der Sclaven auf ihr
Panier schrieb. In der That kam Milo aus seinem Verbannungs-
ort Massalia zurück und rief in der Gegend von Thurii die Pom-
[438]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
peianer und die Hirtensclaven unter die Waffen. Allein Rufus
Plan der Stadt Capua sich durch bewaffnete Sclaven zu bemäch-
tigen ward vor der Ausführung entdeckt und durch die capuani-
sche Bürgerwehr vereitelt; Quintus Pedius, der mit einer Legion
in das thurinische Gebiet einrückte, zerstreute die daselbst hau-
sende Bande; und der Fall ihrer beiden Führer machte dem Scan-
dal völlig ein Ende. Dennoch fand sich das Jahr darauf ein zweiter
Thor, der Volkstribun Publius Dolabella, der, gleich verschuldet,
aber ungleich weniger begabt als sein Vorgänger, dessen Gesetz
über die Forderungen und Hausmiethen abermals einbrachte und
mit seinem Collegen Lucius Trebellius darüber noch einmal —
es war das letzte Mal — den Demagogenkrieg begann; es gab
arge Händel zwischen den beiderseitigen bewaffneten Banden
und vielfachen Straſsenlärm, bis der Commandant von Italien
Marcus Antonius das Militair einschreiten lieſs und bald darauf
Caesars Rückkehr aus dem Osten dem tollen Treiben vollstän-
dig ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen die
catilinarischen Projecte wieder aufzuwärmen so wenig Gewicht
bei, daſs er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach eini-
ger Zeit ihn sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesin-
del, dem es nicht um irgend welche politische Frage, sondern ein-
zig um den Krieg gegen das Eigenthum zu thun ist, genügt wie
gegen die Räuberbanden die bloſse Existenz einer starken Regie-
rung; und Caesar war zu groſs und zu besonnen, um mit der
Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen Com-
munisten empfanden, Geschäfte zu machen und damit seiner Mo-
narchie eine falsche Popularität zu erschwindeln. — Wenn Caesar
also die demokratische Partei ihrem schon bis an die äuſserste
Grenze vorgeschrittenen Zersetzungsprozeſs überlassen konnte
und überlieſs, so war es dagegen bei weitem schwieriger die ehe-
malige aristokratische Partei in der Art zu behandeln, daſs die ge-
hörige Verbindung des Niederdrückens und des Entgegenkommens
ihre Auflösung nicht herbeiführte — dies vermochte nur die Zeit
— sondern sie vorbereitete und einleitete. Es war das Wenigste,
daſs Caesar, schon aus natürlichem Anstandsgefühl, es vermied die
gestürzte Partei durch leeren Hohn zu erbittern, über die besiegten
Mitbürger nicht triumphirte*, des Pompeius oft und immer
mit Achtung gedachte und sein vom Volke umgestürztes Stand-
[439]REPUBLIK UND MONARCHIE.
bild am Rathhaus bei der Herstellung desselben an dem früheren
ausgezeichneten Platze wiederum errichten lieſs. Schwieriger
war es die Grundsätze festzustellen, nach denen über diejenigen,
die im letzten Bürgerkrieg gegen Caesar Partei ergriffen hatten
und durch den Sieg in seine Gewalt gegeben waren, entschieden
werden sollte. Vor allen Dingen fand keine Untersuchung statt
über die vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch
unter den nominellen Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die
in den feindlichen Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus
vorgefundenen Papierstöſse ungelesen ins Feuer und verschonte
sich und das Land mit politischen Prozessen gegen des Hoch-
verraths verdächtige Individuen. Ferner gingen straffrei aus alle
Gemeinen, die ihren römischen oder provinzialen Offizieren in
den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine Ausnahme ward
nur gemacht mit denjenigen römischen Bürgern, die in dem
Heere des numidischen Königs Juba Dienste genommen hatten;
ihnen wurde zur Strafe das Vermögen eingezogen. Auch den
Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des
spanischen Feldzugs 705 uneingeschränkte Begnadigung gewährt;
allein er überzeugte sich, daſs er hiemit zu weit gegangen und daſs
die Beseitigung wenigstens der Häupter unvermeidlich sei. Die Re-
gel, die er von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, daſs wer nach
der Capitulation von Ilerda im feindlichem Heere als Offizier ge-
dient oder im Gegensenat gesessen hatte, dadurch sein Vermö-
gen einbüſste, ohne Unterschied ob er den Kampf überlebt hatte
oder nicht und ob er mit oder ohne Testament starb; wer ferner
von diesen das Ende des Kampfes erlebte, seine politischen Rechte
verlor und für Lebenszeit aus Italien verbannt ward; wer endlich
von diesen früher von Caesar Gnade angenommen hatte und aber-
mals in den feindlichen Reihen betroffen ward, damit das Leben
verwirkt hatte. Indeſs in der Ausführung wurden diese Sätze we-
sentlich gemildert. Todesurtheile wurden nur gegen die wenig-
sten unter den zahlreichen Rückfälligen wirklich vollstreckt. Bei
der Confiscation des Vermögens der Gefallenen wurden nicht nur
die auf den einzelnen Massen haftenden Schulden so wie die
Mitgiftforderungen der Wittwen wie billig in Abzug gebracht,
sondern auch den Kindern der Todten ein Theil des väterlichen
Vermögens gelassen. Von denjenigen endlich, die jenen Regeln
zufolge Verbannung und Vermögensconfiscation traf, wurden
nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu
Mitgliedern des Senats von Utica gepreſsten africanischen Groſs-
[440]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
händler, mit Geldbuſsen davon. Aber auch den Uebrigen ward
fast ohne Ausnahme Freiheit und Vermögen zurückgegeben,
wenn sie nur es über sich gewannen deſshalb bittend bei Caesar
einzukommen; manchem, der dessen sich weigerte, wie zum Bei-
spiel dem Consular Marcus Marcellus, ward die Begnadigung
auch ungebeten octroyirt und endlich im J. 710 für alle noch
nicht Begnadigten eine allgemeine Amnestie erlassen. — Daſs
durch all diese weise und hochherzige Mäſsigung die republika-
nische Opposition sich nicht beschwichtigen, geschweige denn
brechen lieſs, konnte Niemand und am wenigsten Caesar selbst
überraschen. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge
und Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allge-
mein. Zu offenem politischen Widerstand gab es freilich keine
Gelegenheit mehr — es kam kaum in Betracht, daſs einige oppo-
sitionelle Tribune bei Gelegenheit der Titelfrage durch demon-
stratives Einschreiten gegen die, welche Caesar König genannt
hatten, sich die republikanische Märtyrerkrone erwarben —; aber
um so entschiedener äuſserte der Republikanismus sich als Gesin-
nungsopposition und im geheimen Treiben und Wühlen. Keine
Hand regte sich, wenn der Imperator öffentlich erschien. Es reg-
nete Maueranschläge und Spottverse voll bitterer und treffender
Volkssatire. Wo ein Komödiant eine republikanische Anspielung
wagte, begrüſste ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und Preis war
das Modethema der oppositionellen Broschürenscheiber und die
Schriften derselben fanden ein nur um so dankbareres Publicum,
weil auch die Litteratur nicht mehr frei war. Caesar bekämpfte
zwar auch jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet;
er selbst und seine fähigeren Vertrauten replicirten auf die Cato-
litteratur mit Anticatonen und es ward zwischen den republika-
nischen und den caesarianischen Scribenten um den todten Mann
von Utica gestritten wie zwischen Troern und Hellenen um die
Leiche des Patroklos; allein es verstand sich von selbst, daſs in
diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch gestimmte
Publicum Richter war, die Caesarianer den Kürzeren zogen. Es
blieb nichts übrig als die Schriftsteller zu terrorisiren; weſshalb
denn unter den Verbannten die litterarisch bekannten und ge-
fährlichen Männer, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Cae-
cina, am schwersten die Erlaubniſs zur Rückkehr nach Italien
erhielten, über die in Italien geduldeten oppositionellen Schrift-
steller aber eine thatsächliche Censur verhängt ward, die darum
um so schwerer fesselte, weil das Maſs der zu befürchtenden
[441]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Strafe durchaus arbiträr war.* Das Wühlen und Treiben der ge-
stürzten Parteien gegen die neue Monarchie wird zweckmäſsiger
in einem andern Zusammenhang dargestellt werden; hier genügt
es zu sagen, daſs die Versuche zur Erneuerung des Bürgerkrieges
unaufhörlich im ganzen Umfange des römischen Reiches gährten
und die Flamme des Bürgerkrieges, bald von den Pompeianern,
bald von den Republikanern angefacht, an verschiedenen Orten
hell wieder emporschlug; und daſs in der Hauptstadt die Ver-
schwörung gegen das Leben des Herrschers in Permanenz blieb.
Wenn Caesar mit der gleichgültigen Verwegenheit, die in allen
seine persönliche Sicherheit angehenden Dingen ihm eigen war,
durch diese Anschläge nicht einmal bewogen ward auf die Dauer
mit einer Leibwache sich zu umgeben und in der Regel sich be-
gnügte die entdeckten Conspirationen durch öffentliche Anschläge
bekannt zu geben, so konnte er doch die sehr ernste Gefahr sich
nicht verhehlen, mit der diese Masse Miſsvergnügter nicht bloſs
ihn, sondern auch seine Schöpfungen bedrohte. Wenn er den-
noch, alles Warnens und Hetzens seiner Freunde nicht achtend,
ohne über die Unversöhnlichkeit auch der begnadigten Gegner
sich zu täuschen, mit einer wunderbar kaltblütigen Energie da-
bei beharrte der bei weitem gröſseren Anzahl derselben zu ver-
zeihen, so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit einer stolzen
noch Gefühlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die
richtige staatsmännische Erwägung, daſs überwundene Parteien
rascher und mit minderem Schaden für den Staat innerhalb des
Staats sich absorbiren, als wenn man sie durch Aechtung auszu-
rotten oder durch Verbannung aus dem Gemeinwesen auszuschei-
den versucht. Caesar konnte für seine hohen Zwecke die Verfas-
sungspartei selbst nicht entbehren, die ja nicht etwa bloſs die
Aristokratie, sondern alle Elemente des Freiheits- und des Na-
tionalsinns innerhalb der italischen Bürgerschaft in sich schloſs;
für seine Pläne zur Verjüngung des alternden Staats bedurfte er
der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und selbster-
worbenem Ansehen, die diese Partei in sich schloſs; und wohl in
diesem Sinn mag er die Begnadigung der Gegner den schönsten
Lohn des Sieges genannt haben. So wurden denn zwar die her-
vorragendsten Spitzen der geschlagenen Parteien beseitigt; aber
den Männern zweiten und dritten Ranges und namentlich der
[442]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
jüngeren Generation ward nicht gestattet in passiver Opposition
zu schmollen, sondern sie wurden durch mehr oder minder ge-
linden Zwang veranlaſst sich an der neuen Verwaltung thätig zu
betheiligen und Ehren und Aemter von ihr anzunehmen. Wie
für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch
für Caesar die gröſsten Schwierigkeiten erst nach dem Siege;
denn er blieb nicht, wie Cinna und Sulla, auch nach demselben
Parteihaupt, sondern es trat ihm damit an die Stelle der Parteiin-
teressen die Wohlfahrt des Gemeinwesens. Jeder revolutionäre
Sieger macht die Erfahrung, daſs in diesem Falle die erste Folge
des Sieges ist alle Parteien gegen den Sieger zu vereinigen; und
um so mehr, je gröſser und reiner der Sieger seinen neuen Be-
ruf auffaſst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn
sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Her-
zen der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene
Demokratie war, seit sie begriffen, daſs Caesars Zwecke keines-
wegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr;
selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr
Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gleiche und gerechte
Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnstportionen
durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Die
Ordnung des Gemeinwesens, die er zu begründen dachte, war
keiner Partei genehm und Caesar muſste sie den Genossen nicht
minder als den Gegnern octroyiren. Seine eigene Stellung war
jetzt eine weit gefährdetere als vor dem Siege; aber was er ver-
lor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die
Parteimänner nicht bloſs schonte, sondern jeden Mann von Ta-
lent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine
politische Vergaugenheit, zu Aemtern gelangen lieſs, gewann er
nicht bloſs für seinen groſsen Bau alle im Staate vorhandene
Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen
der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch un-
merklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn
diese Ausgleichung der Parteien für den Augenblick nur äuſser-
licher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der
Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem
Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wuſste es wohl,
daſs die Gegensätze doch in solcher äuſserlichen Vereinigung
sich abstumpfen und daſs nur auf diesem Wege der Staatsmann
der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag solchen Hader
schlieſslich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab
legt. Noch weniger fragte er, wer ihn haſste oder auf Mord
[443]REPUBLIK UND MONARCHIE.
gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke
nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern
gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft
und vor allem für die Erlaubniſs seine Nation retten und ver-
jüngen zu dürfen.
Versuchen wir im Einzelnen Rechenschaft zu geben von der
Ueberführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zu-
nächst daran zu erinnern, daſs Caesar nicht kam um anzufangen,
sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer neuen zeitgemäſsen
Politie, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen
Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist
und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar,
von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der
Popularpartei, hatte seit dreiſsig Jahren deren Schild hoch em-
porgehalten, ohne je die Farbe zu verleugnen oder auch nur zu
decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft
seiner Partei, abgesehen natürlich von den clodischen und ca-
tilinarischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie
und den echten Aristokraten den bittersten selbst persönlichen
Haſs zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demo-
kratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische
Colonisation, die allmähliche Nivellirung der unter den Klassen
der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die
Emancipirung der executiven Gewalt vom Senat unverändert fest-
hielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie
im Widerspruch, daſs vielmehr diese erst durch sie zur Vollen-
dung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht
die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Mo-
narchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und
Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren
höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren inso-
fern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen,
nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die
zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Groſsheit der
Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte
schauen können, überrascht haben möchte.
Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell
in seltsamer Gestalt. Caesar übernahm die Dictatur zuerst vor-
übergehend 705, dann nach der pharsalischen Schlacht vom
Herbst 706 an als jährlich erneuertes Amt, hierauf nach der
Schlacht von Thapsus 708 auf zehn Jahre und endlich 710 auf
Lebenszeit; ferner die Censur unter dem neuen Titel eines Sitten-
[444]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
meisters im J. 708 auf drei Jahre, im J. 710 auf Lebenszeit;
weiter das Consulat zuerst für 706 in gewöhnlicher Weise — es
war dies das Amt, über dessen Bekleidung zunächst der Bürger-
krieg ausgebrochen war — später auf fünf, endlich auf zehn Jahre,
einmal auch ohne Collegen; imgleichen zwar nicht das Volkstribu-
nat, aber eine der tribunicischen gleichartige Gewalt im J. 706 auf
Lebenszeit; sodann die erste Stelle und damit das Vorstimmrecht
im Senat; endlich die der bisherigen Verfassung fremde Ober-
gewalt auf Lebenszeit, welche bezeichnet ward durch den als
Ehrentitel längst bekannten, aber als Amttitel neuen Namen Im-
perator, der der Unterscheidung halber späterhin regelmäſsig als
Amttitel dem Eigennamen vor-, als Ehrentitel ihm nachgesetzt
wird. Die Oberaufsicht über den Cult erhielt Caesar nur deſshalb
nicht, weil er das Amt des Oberpontifex bereits bekleidete (S. 154);
dagegen wurde er Mitglied derjenigen der groſsen geistlichen Col-
legien, denen er noch nicht angehörte. Zu diesem bunten Verein
bürgerlicher und priesterlicher Aemter kam ferner hinzu eine noch
bei weitem buntere Menge von Gesetzen und Senatsbeschlüssen,
welche das Recht ohne Befragung des Senats und des Volkes
über Krieg und Frieden zu entscheiden, die Verfügung über Heere
und Kassen, die Ernennung der Provinzialstatthalter, ein binden-
des Vorschlagsrecht hinsichtlich eines Theils der stadtrömischen
Beamten, die Wahlleitung in den Centuriatcomitien, das Recht
der Patricierernennung und andere derartige auſserordentliche
Befugnisse von den bisherigen competenten Organen auf Cae-
sar übertrugen; um ganz abzusehen von den leeren Ehren und
Decorationen, der Ertheilung des Titels eines Vaters des Vater-
landes, der Benennung seines Geburtsmonats mit dem Namen, den
er heute noch führt, des Julius, und anderer zuletzt völlig in
die einfältigste Vergötterung sich verlaufender Manifestationen des
beginnenden aberwitzigen Hoftons. Offenbar ist hier, wie es
scheint durch Compromiſs zwischen der neuen höfischen Devotion
und dem republikanischen Widerwillen die Monarchie beim rech-
ten Namen zu nennen, der Versuch gemacht die unumschränkte
Gewalt des Monarchen in ihre einzelnen Bestandtheile zu zerle-
gen; was freilich ebenso weitschweifig wie logisch verkehrt war,
denn die unumschränkte Gewalt entzieht sich ihrer Natur nach
jeder Specialisirung. Daſs Caesar selber beabsichtigt habe aus
diesem Bündel alter und neuer Aemter und auſserordentlicher
Commissionen seine neue Königsgewalt zusammenzuklittern, ist
eine mehr naive als geistreiche Vermuthung. Für den Verstän-
digen wird es weder dafür eines Beweises bedürfen, daſs Caesar
[445]REPUBLIK UND MONARCHIE.
beabsichtigte die höchste Gewalt, und zwar nicht etwa auf einige
Jahre oder auch als persönliches Amt auf Lebenszeit, etwa wie
Sullas Regentschaft, sondern als bleibendes Organ, in dem Staats-
ganzen zu constituiren, noch auch dafür, daſs er für die neue In-
stitution eine entsprechende und einfache Formulirung ausersah;
denn wenn es ein politischer Fehler ist inhaltlose Namen zu schaf-
fen, so ist es ein kaum geringerer den Inhalt der Machtfülle ohne
Namen hinzustellen. Nur ist es freilich, theils weil in dieser
Uebergangszeit die ephemeren und die bleibenden Bauten sich
noch nicht klar von einander sondern, theils weil die dem Winke
bereits zuvorkommende Devotion der Clienten den Herrn mit einer
ohne Zweifel ihm selbst widerwärtigen Fülle von Vertrauensdecre-
ten und Ehrengesetzen überschüttete, nicht ganz leicht festzustel-
len, was die von Caesar gewählte Formulirung war. Die Dictatur
Caesars, wenn sie, wie es scheint, nicht nach der ganz anomalen
sullanischen, sondern, von der Zeitgrenze abgesehen, nach der
gewöhnlichen republikanischen formulirt war, war zu eng be-
schränkt um die neue Monarchie in sich zu fassen; auf jeden Fall
aber ward sie durch den ihr anhaftenden Charakter der Exceptio-
nalgewalt und durch ihre Unpopularität dazu nicht gerade empfoh-
len. Vielmehr benutzte Caesar sie dazu, wozu sie von Alters her im
Verfassungsorganismus diente, als auſserordentliche Vorstand-
schaft zur Erledigung der auſserordentlichen Krise; woher es be-
greiflich ist, daſs unter Caesars vielen Aemtern die Dictatur prak-
tisch am häufigsten und am bestimmtesten hervortritt. Noch min-
der konnte die neue Monarchie anknüpfen an das Consulat, schon
wegen der von diesem Amt nicht wohl zu trennenden Collegia-
lität; es hat auch Caesar offenbar darauf hingearbeitet dieses bis-
her höchste Amt zum leeren Titel umzugestalten. Am wenigsten
lieh die tribunicische Gewalt einen brauchbaren Ausdruck her zur
Bezeichnung der Competenz des neuen Staatsoberhaupts, da der
Volkstribun verfassungsmäſsig nicht befehlen konnte, sondern
nur andern Befehlenden verbieten. Dagegen erscheint das neue
Imperatorenamt in jeder Hinsicht dazu geeignet; schon darum
weil es neu ist und kein bestimmter äuſserer Anlaſs vorlag das-
selbe einzurichten. Der neue Wein durfte nicht in alte Schläuche
gefüllt werden: hier aber ist zu der neuen Sache der neue Name
und in demselben in prägnantester Weise zusammengefaſst, was
schon in dem gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schärfe, die
demokratische Partei als Competenz ihres Oberhauptes formulirt
hatte: die Concentrirung der Amtsgewalt (imperium) in der Hand
eines vom Senat unabhängigen Volkshauptes. Auch scheint in
[446]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Caesars Gesetz über politische Verbrecher der Monarch mit die-
sem Ausdruck bezeichnet worden zu sein; und, was ganz entschei-
dend ist: die Imperatorengewalt wurde Caesar nicht bloſs für
seine Person, sondern auch für seine leiblichen oder adoptirten
Descendenten übertragen. Es hat denn auch die Folgezeit, wenn
gleich nicht unmittelbar, die Monarchie an den Imperatorentitel
angeknüpft. Um diesem neuen Amt zugleich die demokratische
und die religiöse Weihe zu verleihen, beabsichtigte Caesar wahr-
scheinlich mit demselben theils die tribunicische Gewalt, theils
das Oberpontificat und die Mitgliedschaft in den drei andern gros-
sen Collegien erblich zu verknüpfen, obwohl nur für das Ober-
priesterthum die Erblichmachung ausdrücklich bezeugt ist. Staats-
rechtlich lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung,
welche die Consuln oder Proconsuln auſserhalb der Bannmeile
einnahmen, so daſs nicht bloſs das militärische Commando, son-
dern auch die höchste richterliche und administrative Gewalt
darin enthalten war.* Der Imperator verhielt sich zu dem Con-
[447]REPUBLIK UND MONARCHIE.
sul gewissermassen wie dieser zu dem Prätor, indem ihre Gewalt
zwar gleichartig war, aber im Collisionsfall wie der Prätor dem
Consul, so der Consul dem Imperator wich; was auch äuſserlich
scharf bezeichnet ward durch den zwischen die beiden Herren-
stühle der Consuln gestellten erhöhten kaiserlichen Sessel. Nur in-
sofern war die Gewalt des Imperators qualitativ der consularisch-
proconsularischen überlegen, als jene nicht nach Zeit und Raum
begrenzt, sondern lebenslänglich und vererblich und auch in der
Hauptstadt wirksam war, als der Imperator nicht, wohl aber der
Consul durch gleich mächtige Collegen gehemmt werden konnte
und als alle Restrictionen, welche im Laufe der Zeit die ursprüng-
liche höchste Amtsgewalt beschränkt hatten, namentlich das Pro-
vocationsrecht und die Verpflichtung die Rathschläge des Senats
zu beachten, für den Imperator wegfielen. Um es mit einem
Worte zu sagen: dies neue Imperatorenamt war nichts anderes
als das wiederhergestellte uralte Königthum; denn es waren ja
eben jene Beschränkungen in der zeitlichen und örtlichen Be-
grenzung der Gewalt, in der Collegialität und der für gewisse Fälle
nothwendigen Mitwirkung des Raths oder der Gemeinde, die
den Consul vom König unterschieden (I, 160 fg.). Es ist kaum
ein Zug in der neuen Monarchie, der nicht in der alten sich wie-
derfände: die Vereinigung der höchsten militärischen, richter-
lichen und administrativen Gewalt in der Hand des Fürsten;
eine religiöse Vorstandschaft über das Gemeinwesen; das Recht
Verordnungen mit bindender Kraft zu erlassen; die Herab-
drückung des Senats zum Staatsrath; die Wiedererweckung des
Patriciats und der Stadtpräfectur; die eigenthümliche Quasierb-
lichkeit, indem Caesars Verfassung, ganz wie diejenige Crom-
wells, dem Monarchen gestattet sich in den Formen der Adoption
den Nachfolger zu ernennen. Aber schlagender noch als diese
Analogien ist die innere Gleichartigkeit der Monarchie des Ser-
vius Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene alten Könige
von Rom bei all ihrer Vollgewalt doch Herren einer freien Ge-
meinde und eben sie die Schutzmänner des gemeinen Mannes
gegen den Adel gewesen waren, so war auch Caesar nicht gekom-
men um die Freiheit aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen, und
zunächst um das unerträgliche Joch der Aristokratie zu brechen.
Es darf auch nicht befremden, daſs Caesar, nichts weniger als ein
politischer Antiquarius, ein halbes Jahrtausend zurückgriff um
*
[448]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
zu seinem neuen Staat das Muster zu finden; denn da das höchste
Amt des römischen Gemeinwesens zu allen Zeiten ein durch eine
Anzahl Specialgesetze eingeschränktes Königthum geblieben war,
so war auch der Begriff des Königthums selbst keineswegs ver-
schollen. Zu den verschiedensten Zeiten und von sehr verschiede-
nen Seiten her, in der republikanischen Dictatur, in der Decemviral-
gewalt, in der sullanischen Regentschaft war man auch während
der Republik praktisch auf denselben zurückgekommen; ja mit
einer gewissen logischen Nothwendigkeit trat überall, wo das Be-
dürfniſs einer Ausnahmegewalt sich zeigte, im Gegensatz gegen
das gewöhnliche beschränkte das unbeschränkte Imperium her-
vor, welches eben nichts anderes war als die königliche Gewalt.
Endlich empfahlen auch äuſsere Rücksichten dies Zurückgehen
auf das ehemalige Königthum. Die Menschheit gelangt zu Neu-
schöpfungen unsäglich schwer und hegt darum die einmal ent-
wickelten Formen als ein heiliges Erbstück. Darum knüpfte Cae-
sar mit gutem Bedacht an Servius Tullius in ähnlicher Weise an,
wie später Karl der Groſse an ihn angeknüpft hat und Napoleon
an Karl den Groſsen wenigstens anzuknüpfen versuchte. Er that
dies auch nicht etwa auf Umwegen und heimlich, sondern so gut
wie seine Nachfahren in möglichst offenkundiger Weise; es war
ja eben der Zweck dieser Anknüpfung eine klare, nationale und
populäre Formulirung für den neuen Staat zu finden. Seit alter
Zeit standen auf dem Capitol die Standbilder derjenigen sieben
Könige, die die conventionelle Geschichte Roms aufzuführen
pflegte; Caesar befahl daneben das seinige als das achte zu er-
richten. Er erschien öffentlich in der Tracht der alten Könige von
Alba. In seinem neuen Gesetz über politische Verbrecher war die
hauptsächlichste Abweichung von dem sullanischen die, daſs
neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit ihr der Impe-
rator als der lebendige und persönliche Ausdruck des Volkes ge-
stelltward. In der üblichen Formel der politischen Eide ward zu
dem Jovis und den Penaten des römischen Volkes der Genius
des Imperator hinzugefügt. Das äuſsere Kennzeichen der Monar-
chie war nach der im ganzen Alterthum verbreiteten Ansicht das
Bild des Monarchen auf den Münzen: seit dem J. 709 erscheint
auf denen des römischen Staats der Kopf Caesars. Man konnte
hienach wenigstens darüber sich nicht beschweren, daſs Caesar
das Publicum über die Auffassung seiner Stellung im Dunkeln
lieſs; so bestimmt und so förmlich wie möglich trat er auf nicht
bloſs als Monarch, sondern eben als König von Rom. Sonach ist
es denn eine Frage von sehr untergeordneter Bedeutung, ob Cae-
[449]REPUBLIK UND MONARCHIE.
sar den Imperatorentitel beizubehalten oder ihn später mit dem
Königstitel zu vertauschen gedachte.* Schon bei seinen Lebzeiten
waren viele seiner Feinde wie seiner Freunde der Ansicht, daſs
er beabsichtige sich ausdrücklich zum König von Rom ernennen
zu lassen; ja einzelne seiner leidenschaftlichsten Anhänger legten
ihm die Aufsetzung der Krone auf verschiedenen Wegen und zu
verschiedenen Zeiten nahe; am auffallendsten Marcus Antonius,
indem er als Consul vor allem Volke Caesar das Diadem darbot
(15. Febr. 710). Caesar wies diese Anträge ohne Ausnahme von
der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen einschritt, die diese
Vorfälle benutzten um republikanische Opposition zu machen, so
folgt daraus noch keineswegs, daſs es ihm mit der Zurückwei-
sung nicht Ernst war; und ebenso wenig ist der Beweis geführt
worden, daſs diese Aufforderungen auf sein Geheiſs erfolgt sind,
um die Menge auf das ungewohnte Schauspiel des römischen Dia-
dems vorzubereiten. Es kann der unberufene Eifer leidenschaft-
licher Anhänger allein diese Auftritte veranlaſst haben; es kann
auch sein, daſs Caesar die Scene mit Antonius nur zulieſs oder
auch veranstaltete, um durch die öffentliche und auf höheren Be-
fehl selbst in die Kalender des Staats eingetragene Zurückweisung
dem unbequemen Klatsch auf möglichst eclatante Weise ein Ende
zu machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daſs Caesar,
Röm. Gesch. III. 29
[450]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
der den Werth einer geläufigen Formulirung ebenso würdigte wie
die mehr an die Namen als an das Wesen der Dinge sich heften-
den Antipathien der Menge, entschlossen war den mit uraltem
Bannfluch behafteten und den Römern seiner Zeit mehr noch für
die Despoten des Orients als für ihre Numas und Servius geläu-
figen Königsnamen zu vermeiden und das Wesen des Königthums
unter dem Imperatorentitel sich anzueignen. — Wie also der Herr
da war, säumte natürlich auch der Hof nicht in obligatem Pomp
und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheit sich einzurichten.
Caesar erschien öffentlich statt in dem mit Purpurstreifen ver-
brämten Gewande der Consuln in dem ganzpurpurnen, das im
Alterthum als das Königskleid galt, und empfing auf seinem Gold-
sessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierli-
chen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und Gelübde-
feste zu seinen Ehren füllten den Kalender. Wenn Caesar nach
der Hauptstadt kam, zogen ihm die vornehmsten seiner Diener
schaarenweise auf weite Strecken entgegen ihn einzuholen. Ihm
nahe zu sein fing an so viel zu bedeuten, daſs die Miethpreise in
dem von ihm bewohnten Stadtviertel in die Höhe gingen. Durch
die Menge der zur Audienz sich drängenden Personen ward die
persönliche Verhandlung mit ihm so schwierig, daſs Caesar selbst
mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich ge-
nöthigt sah und daſs auch die Vornehmsten stundenlang im Vor-
zimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es
Caesar selber lieb war, daſs man nicht mehr zu einem Mitbürger
kam. Nach allen Seiten hin offenbarte sich das neue Herrenthum.
Unter einem also thatsächlich unumschränkten Monarchen
konnte kaum von einer Verfassung überhaupt die Rede sein, ge-
schweige denn von dem Fortbestand des bisherigen auf dem ge-
setzlichen Zusammenwirken der Gemeinde, des Senats und der
einzelnen Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Be-
stimmtheit ging Caesar zurück auf die Ueberlieferung der Kö-
nigszeit: die Bürgerschaftsversammlung blieb, was sie schon in
der Königszeit gewesen war, neben und mit dem König der
höchste und letzte Ausdruck des souverainen Volkswillens; der
Senat ward wieder auf seine ursprüngliche Bestimmung zurück-
geführt dem Herrn auf dessen Verlangen Rath zu ertheilen; der
Herrscher endlich concentrirte in seiner Person aufs Neue die
gesammte Beamtengewalt, so daſs es einen andern selbstständi-
gen Staatsbeamten neben ihm so wenig wie neben den Königen
der ältesten Zeit gab.
Für die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest
[451]REPUBLIK UND MONARCHIE.
an dem uralten Satz des römischen Staatsrechts, daſs nur die
Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem sie berufenden König
vermögend sei das Gemeinwesen organisch zu reguliren, und
sanctionirte seine constitutiven Verfügungen regelmäſsig durch
Volksschluſs. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autorität,
die das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getra-
gen hatte, lieſs sich freilich den sogenannten Comitien dieser Zeit
nicht wieder einflöſsen, und die Mitwirkung der Bürgerschaft bei
der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung höchst beschränkt,
aber reell und lebendig gewesen war, war in der neuen in prak-
tischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Nur insofern als diese
caesarischen Comitien dazu dienten die Volkssouveränetät prin-
cipiell festzuhalten und energisch gegen den Sultanismus zu
protestiren, waren sie ein wichtiges Moment in dem caesarischen
System und mittelbar auch von groſser praktischer Bedeutung.
— Neben dieser dem König und dem Volke gemeinschaftlichen
Gesetzgebung ward, wie nicht bloſs an sich klar, sondern auch
bestimmt bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von
seinen Nachfolgern der Satz des ältesten Staatsrechts wieder auf-
genommen, daſs, was der höchste oder vielmehr einzige Beamte
befiehlt, unbedingt Gültigkeit hat, so lange er im Amte bleibt,
und die königliche Verordnung wenigstens bis zum Abgang ihres
Urhebers thatsächlich dem Gesetz gleich steht. Besonderer coer-
citiver Maſsregeln gegen die Comitien bedurfte es übrigens nicht,
da eine vieljährige Erfahrung gezeigt hatte, daſs mit diesem for-
mellen Souverain jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch,
bequem auskam.
Wenn der Demokratenkönig also der Volksgemeinde wenig-
stens einen formellen Antheil an der Souveränetät zugestand, so
war es dagegen keineswegs seine Absicht mit der bisherigen Re-
gierung, dem Senatorencollegium die Gewalt zu theilen. Caesars
Senat sollte — ganz anders als der spätere augusteische — nichts
sein als ein höchster Reichsrath, den er benutzte um die Gesetze
mit ihm vorzuberathen und die wichtigeren administrativen Ver-
fügungen durch ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu er-
lassen — denn es kam freilich auch vor, daſs Senatsbeschlüsse
ergingen, von denen keiner der als bei ihrer Redaction gegen-
wärtig aufgeführten Senatoren eine Ahnung hatte. Es hatte auch
keine wesentlichen Formschwierigkeiten den Senat wieder auf
seine ursprüngliche berathende Stellung zurückzuführen, aus der
er mehr thatsächlich als rechtlich herausgeschritten war; dagegen
war es hier nothwendig, da der römische Senat ebenso der Heerd
29*
[452]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
der Opposition gegen Caesar war wie der attische Areopag der-
jenigen gegen Perikles, Maſsregeln zu treffen um dem Senat den
oppositionellen Charakter möglichst zu benehmen. Hauptsächlich
aus diesem Grunde wurde die Zahl seiner Mitglieder, die im Nor-
malstand bisher höchstens sechshundert betragen hatte (II, 334)
und durch die letzten Krisen stark zusammengeschwunden war,
durch ausserordentliche Ergänzung bis auf neunhundert gebracht
und zugleich, um sie auf dieser Höhe zu halten, die Zahl der jähr-
lich zu ernennenden Quästoren, d. h. der jährlich in den Senat
eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhöht. Die aus-
serordentliche Ergänzung des Senats nahm der Monarch allein vor.
Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluſs sich
dadurch, daſs die Wahlcollegien durch Gesetz verpflichtet wurden
den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben
versehenen Bewerbern um die Quästur ihre Stimmen zu geben;
überdieſs stand es der Krone frei die an die Quästur geknüpften
Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im Senat ausnahmsweise
auch an nicht qualificirte Individuen zu vergeben. Die auſseror-
dentlichen Ergänzungswahlen fielen natürlich wesentlich auf An-
hänger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben ange-
sehenen Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Indi-
viduen in die hohe Corporation: ehemalige durch den Censor
oder in Folge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene Se-
natoren, Ausländer aus Spanien und Gallien, welche zum Theil
erst im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unter-
offiziere, die bisher nicht einmal den Ritterring gehabt hatten,
Söhne von freigelassenen Leuten oder von solchen, die ehren-
rührige Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die
exclusiven Kreise der Nobilität, denen diese Umgestaltung des
senatorischen Personals natürlich zum bittersten Aerger gereichte,
sahen darin eine absichtliche Herabwürdigung der Institution des
Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staats-
kunst war Caesar nicht fähig; er war ebenso entschlossen sich
nicht von seinem Rath regieren zu lassen als überzeugt von der
Nothwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger hätten sie in die-
sem Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt dem Senat
seinen bisherigen Charakter der ausschlieſslichen Repräsentation
des oligarchischen Adels zu nehmen und ihn wieder zu dem zu
machen, was er in der Königszeit gewesen war: zu einem alle
Klassen der Staatsangehörigen durch ihre intelligentesten Ele-
mente vertretenden Reichsrath. Wenn Caesar Niedriggeborene
und Provinzialen in den Senat zog, so that er wesentlich das-
[453]REPUBLIK UND MONARCHIE.
selbe, was die alten Könige, als sie zu der Zeit, wo die Patricier
noch allein die Bürgerschaft ausmachten, in ihren Senat auch
Plebejer aufnahmen (I, 57. 71. 164). — Eben dieselbe Tendenz
erkennt man in dem merkwürdigen Versuche Caesars den Adel
der Oligarchie durch einen zugleich alten und neuen monarchi-
schen in den Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patri-
cierschaft, wenn gleich ohne wesentliche ständische Vorrechte,
doch als geschlossene Junkergilde fort (I, 194) und ebenso na-
türlich die freilich seit Jahrhunderten nicht ausgeübte Befugniſs
der Curien neue Geschlechter in diese Gilde aufzunehmen (I, 60).
Indem Caesar durch Volksbeschluſs anstatt der Curien dem Im-
perator das Recht übertragen lieſs neue patricische Familien zu
creiren, gründete er im Gegensatz zu der republikanischen Nobi-
lität den neuen Adel des Patriciats, der alle Erfordernisse eines
monarchischen Adels: altersgrauen Zauber, vollständige Abhän-
gigkeit von der Regierung und gänzliche Bedeutungslosigkeit auf
das Glücklichste vereinigte. — Wenn hiemit das Regiment der
Nobilität beseitigt und ihre Existenz untergraben, der Senat in
seiner neuen Gestalt aber durchaus zum Werkzeug des Monar-
chen gemacht war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Re-
gierung des Staats die Autokratie in der schärfsten Weise durch-
geführt und die gesammte Execution in der Hand des Monar-
chen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natürlich in jeder
irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person.
Caesar hat es vermocht das persönliche Regiment in einer Aus-
dehnung durchzuführen, die für uns geringe Menschen kaum
faſslich ist und deren Erklärung doch nicht allein in der beispiel-
losen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens gefunden werden
kann, sondern auſserdem noch begründet ist in einer allgemei-
neren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, über-
haupt die römischen Staatsmänner durchweg eine unsere Vorstel-
lungen von menschlicher Arbeitskraft übersteigende Thätigkeit
entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener
Zeit veränderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit
veränderten Organisation des Hauswesens. Das römische Haus
war eine Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kräfte
seiner Sclaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der sie
zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzähligen Gei-
stern. Es war das Ideal bureaukratischer Centralisation, dem un-
ser Comptoirwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter
dem Urbild ebensoweit zurückbleibt wie die heutige Capitalherr-
schaft hinter dem antiken Sclavensystem. Caesar verstand diesen
[454]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Vortheil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in An-
spruch nimmt, sehen wir ihn grundsätzlich, so weit irgend an-
dere Rücksichten es gestatten, denselben mit seinen Sclaven,
Freigelassenen, niedriggeborenen Clienten besetzen. Seine Werke
im Ganzen zeigen, was ein organisirendes Genie wie das seinige
mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die
Frage, wie im Einzelnen diese wunderbaren Leistungen durch-
geführt wurden, haben wir keine hinreichende Antwort — die
Bureaukratie gleicht der Fabrik auch darin, daſs das geschaffene
Werk nicht als das der Einzelnen erscheint, die es gearbeitet
haben, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist
vollkommen klar, daſs Caesar durchaus keinen Gehülfen bei sei-
nem Werke gehabt hat, der von persönlichem Einfluſs auf das-
selbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen wäre;
er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne
Gesellen nur mit Handlangern. Im Einzelnen versteht sich von
selbst, daſs in den eigentlich politischen Angelegenheiten Caesar
so weit irgend möglich jede Stellvertretung vermied. Wo sie un-
umgänglich war, wie denn Caesar namentlich während seiner
häufigen Abwesenheit von Rom eines höheren Organs daselbst
durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hiezu nicht der
legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpräfect bestimmt,
sondern ein Vertrauensmann ohne officiell anerkannte Compe-
tenz, gewöhnlich Caesars Banquier, der schlaue und geschmei-
dige phönikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Ga-
des. In der Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht
die Schlüssel der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze
des Königthums sich zugeeignet und mittelst deren er des Regi-
ments sich bemächtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und
sie nur solchen Dienern anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe un-
bedingt und ausschlieſslich ihm hafteten. Zwar dem Eigenthum
nach blieb das Privatvermögen des Monarchen von dem Staats-
gut natürlich streng geschieden; aber die Verwaltung des gan-
zen Finanz- und Geldwesens des Staates führte Caesar durchaus
in der Art, wie er und überhaupt die römischen Groſsen die
Verwaltung ihres eigenen Vermögens zu führen pflegten. Für
die Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefälle und die
Leitung des Münzwesens den Sclaven und Freigelassenen des
Imperators übertragen und die Männer senatorischen Standes
davon unbedingt ausgeschlossen — ein folgenreicher Schritt, aus
dem im Laufe der Zeit der so wichtige Procuratorenstand und
das ‚kaiserliche Haus‘ sich entwickelt haben. Dagegen von den
[455]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen Geschäfte
an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr
noch als bisher wesentlich Militärcommandos waren, ging nur
die aegyptische an die eigenen Leute des Monarchen über. Die in
eigenthümlicher Art geographisch isolirte und politisch centrali-
sirte Landschaft am Nil war, wie schon die während der letzten
Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedrängter italischer
Parteichefs daselbst sich festzusetzen hinreichend bewiesen, wie
kein anderer District geeignet unter einem fähigen Führer von
der Centralgewalt auf die Dauer sich loszumachen. Wahrschein-
lich war es eben diese Rücksicht, die Caesar bestimmte das Land
nicht förmlich zur Provinz zu machen, sondern die ungefährli-
chen Lagiden daselbst zu dulden; und sicher wurden aus diesem
Grunde die in Aegypten stationirenden Legionen nicht einem dem
Senat, das heiſst der ehemaligen Regierung angehörigen Manne
anvertraut, sondern dieses Commando, ähnlich wie die Steuer-
einnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt (S. 410). Im
Allgemeinen aber überwog bei Caesar die Rücksicht, die Soldaten
Roms nicht, wie die der Könige des Ostens, durch Lakaien com-
mandiren zu lassen; es blieb Regel die bedeutenderen Statthalter-
schaften mit gewesenen Consuln, die geringeren mit gewesenen
Prätoren zu besetzen. Dagegen die Vertheilung der Provinzen
unter die qualificirten Candidaten, die bisher bald durch Volks-
oder Senatsbeschluſs, bald durch Vereinbarung der Beamten oder
durch das Loos erfolgt war, ging über an den Monarchen; und
indem die Consuln häufig veranlaſst wurden vor Ende des Jahres
abzudanken und nachgewählten Consuln (consules suffecti) Platz
zu machen, ferner die Zahl der jährlich ernannten Prätoren von
acht auf sechzehn erhöht und dem Imperator die Ernennung der
Hälfte derselben in ähnlicher Art wie die der Hälfte der Quästoren
übertragen ward, endlich demselben das Recht reservirt blieb
Titularconsuln und Titularprätoren ebenso wie Titularquästoren
zu ernennen, sicherte Caesar sich für die Besetzung der Statt-
halterschaften eine hinreichende Zahl von ihm genehmen Candi-
daten. Die Abberufung blieb natürlich dem Ermessen des Re-
genten anheimgestellt ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde
angenommen, daſs der consularische Statthalter nicht über zwei,
der prätorische nicht über ein Jahr in der Provinz bleiben solle.
Was endlich die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt an-
langt, so beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar auch
diese in ähnlicher Weise Beamten anzuvertrauen, welche er selber
bestellt hatte. Er rief die alte Stadtverweserschaft der Königszeit
[456]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
(I, 54) wieder ins Leben: zu verschiedenen Zeiten während sei-
ner Abwesenheit übertrug er die Verwaltung der Hauptstadt einem
oder mehreren solchen von ihm ohne Befragung des Volkes und
auf unbestimmte Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Ge-
schäfte der sämmtlichen Verwaltungsbeamten in sich vereinigten
und sogar das Recht besaſsen mit eigenem Namen, obwohl na-
türlich nicht mit eigenem Bilde Münze zu schlagen. In dem J. 707
und in den ersten neun Monaten des J. 709 gab es ferner weder
Prätoren noch curulische Aedilen noch Quästoren; auch die Con-
suln wurden in jenem Jahre erst im December ernannt und in
diesem war gar Caesar Consul ohne Collegen. Es sieht dies ganz
aus wie ein Versuch die alte königliche Gewalt auch innerhalb der
Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische Vergangenheit des
neuen Monarchen gebotenen Beschränkungen, vollständig zu er-
neuern, also von Beamten, auſser dem König selbst, nur den Stadt-
präfecten während des Königs Abwesenheit und die zum Schutz
der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksaedilen bestehen
zu lassen, aber das Consulat, die Censur, die Prätur, die curuli-
sche Aedilität und die Quästur wieder abzuschaffen.* Indeſs ging
Caesar hievon später wieder ab und wie er selbst den Königsnamen
mied, unterlieſs er es auch jenen ehrwürdigen Namen den Krieg
zu machen. Das Consulat ward ein reiner Titularposten, der nur
insofern praktische Bedeutung hatte, als er die Anwartschaft auf
eine höhere Statthalterschaft gewährte. Den Prätoren, Aedilen,
Tribunen und Quästoren blieb im Wesentlichen ihre bisherige for-
melle Competenz; allein ihre Stellung ward dennoch eine gänzlich
andere. Es war der politische Grundgedanke der Republik, daſs
das römische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und deſshalb waren
consequent die hauptstädtischen Municipal- durchaus als Reichs-
beamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener
Auffassung auch diese Folge weg, die Beamten Roms constituir-
ten fortan nur die erste unter den vielen Municipalitäten des Rei-
ches. Das Schicksal, das die römische Gemeinde den unterworfe-
nen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr sel-
ber: ihre Souveränetät über das römische Reich verwandelte sich
in eine beschränkte Communalfreiheit innerhalb des römischen
[457]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Reiches. Daſs zugleich die Zahl der Prätoren und Quästoren ver-
doppelt ward, wurde schon erwähnt; das Gleiche geschah hin-
sichtlich der Volksaedilen, zu denen zwei neue ‚Getreideaedilen‘
(aediles Cereales) zur Ueberwachung der hauptstädtischen Zu-
fuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Aemter blieb der Ge-
meinde und ward hinsichtlich der Consuln, Volkstribunen und
Volksaedilen nicht beschränkt; daſs für die Hälfte der jährlich zu
ernennenden Prätoren, curulischen Aedilen und Quästoren der
Imperator ein die Wähler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward
in der Hauptsache schon erwähnt. Ueberhaupt wurden die sacro-
sancten Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natür-
lich nicht hinderte gegen den einzelnen aufsätzigen Volkstribun
ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der
Senatoren zu streichen. Wenn also der Imperator für alle allge-
meineren und wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; wenn
er die Finanzen durch seine Bedienten, das Heer durch seine Ad-
jutanten beherrschte; wenn er die alten republikanischen Staats-
ämter wieder in Gemeindeämter der Stadt Rom umgewandelt
hatte; wenn endlich zu dem allem der Imperator das Recht be-
saſs seinen Nachfolger selber zu ernennen, so war damit die
Autokratie hinreichend begründet.
In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl
er auch über diesen Theil des Staatshaushalts ein ausführliches
Gesetz erlieſs, nichts Wesentliches geneuert, auſser daſs er das
Oberpontificat und die Mitgliedschaft in den drei andern höch-
sten geistlichen Collegien mit der Person des Regenten ver-
knüpfte; womit es theilweise zusammenhängt, daſs in den drei
höchsten Collegien je eine, in dem vierten der Schmausherren
drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die römische Staats-
kirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stütze gedient, so
konnte sie doch eben dieselben Dienste auch der neuen Monarchie
leisten. Die conservative Religionspolitik des Senats ging über
auf die neuen Könige von Rom; als der streng conservative Varro
um diese Zeit seine ‚Alterthümer der göttlichen Dinge‘, das Haupt-
und Grundbuch der römischen Staatstheologie, bekannt machte,
durfte er dasselbe dem Oberpontifex Caesar dediciren. Der matte
Glanz, den der Joviscult noch zu geben vermochte, umfloſs
den neugegründeten Thron und der alte Landesglaube ward in
seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus
hohlen und matten Caesaropapismus.
Im Gerichtswesen ward zunächst die alte königliche Ge-
richtsbarkeit wieder hergestellt. Wie der König ursprünglich
[458]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
in Criminal- und Civilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen
an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung
der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworne rechtlich
gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch
Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Ent-
scheidung an sich zu ziehen und sie im Fall seiner Anwesenheit
selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu er-
ledigen. In der That finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten
Könige, theils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht
sitzen über des Hochverraths angeklagte römische Bürger, theils in
seinem Hause ihn Gericht halten über die des gleichen Vergehens
verdächtigen Clientelfürsten; so daſs das Vorrecht, das die römi-
schen Bürger vor den übrigen Unterthanen des Königs voraus
hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung be-
standen zu haben scheint. Indeſs diese wiedererweckte königliche
Rechtspflege konnte der Natur der Sache nach thatsächlich nur
in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, wenn gleich Caesar
seiner wichtigen oberrichterlichen Thätigkeit mit Unparteilichkeit
und Sorgfalt sich unterzog. Für den gewöhnlichen Rechtsgang
blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege für Cri-
minal- und Civilsachen im Wesentlichen unverändert bestehen.
Die Criminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den
verschiedenen Geschwornencommissionen für die einzelnen Ver-
brechen, die Civilsachen theils vor dem Erbschafts- oder dem
sogenannten ‚Hundertmännergericht‘, theils vor den Einzelge-
schwornen; die Leitung der Gerichte ward wie bisher in der
Hauptstadt wesentlich von den einzelnen Prätoren, in den Pro-
vinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Ver-
brechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschwornen-
commission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe
erlieſs, specificirte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau
und in liberaler jede Gesinnungsverfolgung ausschlieſsender Weise
und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung.
Nur hinsichtlich der Auswahl der Geschwornen, die die Senato-
renpartei ausschlieſslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner
ausschlieſslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, lieſs
er es, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, bei
dem Transactionsgesetze Cottas (S. 92), jedoch mit der wahr-
scheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom J. 699
(S. 301) vorbereiteten Modification, daſs die aus den unteren
Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt
wurden und Senatoren und Ritter in die Geschwornenfunctionen,
[459]REPUBLIK UND MONARCHIE.
die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt
friedlich sich theilten. Es lag hierin zugleich die Festsetzung
eines Geschwornencensus von mindestens 400000 Sesterzen
(28000 Thlr.). — Das Verhältniſs der königlichen und der re-
publikanischen Gerichtsbarkeit war im Ganzen concurrirender
Art, so daſs jede Sache, wenn sie anhängig gemacht ward, so-
wohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republi-
kanischen Gerichtshof instruirt werden konnte, wobei im Colli-
sionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das
eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache
damit endgültig erledigt war. Indeſs gelangte der neue König auf
einem anderen Wege auch dazu unter Umständen ein gerichtli-
ches Urtheil reformiren zu können. Der Volkstribun konnte durch
sein Einschreiten wie jede andere Amtshandlung, so auch den
unter Leitung eines Magistrats gefundenen Geschwornenspruch
cassiren, auſser wo besondere Ausnahmegesetze die tribunicische
Intercession ausschlossen; was der Fall war bei den durch neuere
Gesetze niedergesetzten Geschwornengerichten, den Hundertmän-
nern und den verschiedenen Criminalcommissionen. Mit Aus-
nahme dieser Wahrsprüche also konnte denn auch der Imperator
kraft seiner tribunicischen Gewalt jedes Geschwornenurtheil und
namentlich jede Entscheidung in dem gewöhnlichen Privatpro zeſs
vor Civilgeschwornen vernichten und kraft seiner oberrichterlichen
Befugniſs die Sache sodann abermals vor sich verhandeln lassen.
So begründete Caesar* neben der concurrirenden Gerichtsbarkeit
erster und einziger Instanz, wie sie in dem neuen Königsgericht
enthalten war, eine kaiserliche Appellationsinstanz und es ent-
stand damit der rechtliche Instanzenzug, der der ältern Geschichte
des Rechts durchaus fremd ist und der für die Folge- und noch
für die heutige Zeit so wichtig werden sollte. — Allerdings wa-
ren durch diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Ein-
führung des Princips der Appellation, nicht einmal unbedingt
zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen
die römische Rechtspflege darnieder lag, keineswegs ausgeheilt.
Der Criminalprozeſs, der von Haus aus politischer Prozeſs ge-
wesen und zum guten Theil immer geblieben war, hatte in dem
wüsten Treiben der letzten Generationen sich vollständig zer-
[460]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
nichtet und glich zuletzt nicht mehr einem ernstlichen Rechts-
handel, sondern einer mit Gunst, Gold und Gewalt geschlagenen
Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Betheiligten zugleich, an
den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauer-
publicum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte
das Treiben der Advocaten. Indem die Schmarotzerpflanze der
römischen Advocatenberedsamkeit gedieh, wurden alle positiven
Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publicum so schwer ein-
leuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der rö-
mischen Criminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. ‚Ein recht
schlechter Angeklagter, sagt ein vielerfahrener römischer Advocat
dieser Zeit, kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen
oder nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher ver-
urtheilt‘. Es sind aus dieser Epoche zahlreiche Plaidoyers in Cri-
minalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur
ernstlich versuchte das fragliche Verbrechen zu formuliren und
den Beweis oder Gegenbeweis zu entwickeln. Daſs der gleichzei-
tige Civilprozeſs ebenfalls vielfach ungesund war, bedarf kaum der
Erwähnung; auch er litt unter den Folgen der in alles sich men-
genden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozeſs des
Publius Quinctius 671—673 die widersprechendsten Entschei-
dungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand
hatte, und die Anwälte, häufig Nichtjuristen, stifteten auch hier
absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag
doch in der Natur der Sache, daſs theils die Partei hier nur aus-
nahmsweise sich einmengte, theils die Advocatenrabulistik nicht
so rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzulösen ver-
mochte; wie denn auch die Civilplaidoyers, die wir aus dieser
Epoche besitzen, zwar nicht nach unsern strengeren Begriffen
gute Advocatenschriften, aber doch weit weniger libellistischen
und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen Cri-
minalreden. Es war wohl viel gewonnen, wenn besser gewählte
und besser beaufsichtigte Beamte und Geschworne ernannt wur-
den, wenn die handgreifliche Bestechung und Einschüchterung
der Gerichte verschwand und der Advocatenberedsamkeit der von
Pompeius ihr angelegte Maulkorb (S. 308) belassen oder gar
noch verschärft ward; aber das heilige Rechtsgefühl und die Ehr-
furcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemüthern der Menge zu
zerrütten, sind schwerer noch wieder zu erzeugen. Wie auch der
Gesetzgeber die geringen Uebelstände niederwarf, den Grund-
schaden vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln,
ob die Zeit, die alles Heilbare heilt, hier Hülfe bringen werde.
[461]REBUBLIK UND MONARCHIE.
Die Reorganisation des Militärwesens muſste ausgehen von
der Wiederherstellung der tiefgesunkenen militärischen Disciplin.
Im Allgemeinen finden wir das römische Heerwesen dieser Zeit in
derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die
regierenden Klassen senden nur noch die Offiziere, die Unter-
thanenschaft, Plebejer und Provinzialen bilden das Heer. Der
Feldherr ist von der Centralregierung finanziell und militärisch
fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf
sich selbst und auf die Hülfsquellen seines Sprengels angewiesen.
Bürger- und sogar Nationalsinn sind aus dem Heere verschwun-
den und als innerliches Band einzig der Corpsgeist übrig geblie-
ben. Die Armee hat aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens
zu sein; politisch hat sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber
vermag sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch
sinkt sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer auf-
gelösten unbrauchbaren Rotte herab, entwickelt aber auch unter
dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreich-
baren militärischen Vollkommenheit. Der Offizierstand vor al-
lem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren
und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn
man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so
war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte,
einer Kriegstribunenstelle sicher und schon muſsten manche
dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden;
wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte
wenigstens in Sicilien oder einer andern Provinz, wo man sicher
war nicht vor den Feind zu kommen, sein Dienstjahr abzuthun.
Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden
wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius
seine Zeitgenossen eine in jeder Hinsicht sie compromittirende
militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreiſsen wie zur Meu-
terei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen
Nachsicht der Commandirenden waren Anträge auf Cassation
vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das
von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie
in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen
sollte, geflucht und geweint, und an Testamenten und sogar an
Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von
den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich
bestand die allgemeine Wehrpflicht noch; allein die Aushebung
erfolgte in der regellosesten und unbilligsten Weise; zahlreiche
Pflichtige wurden ganz übergangen, dagegen die einmal Ausge-
[462]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
hobenen dreiſsig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten.
Die römische Bürgerreiterei vegetirte nur noch als eine Art be-
rittener Nobelgarde, deren salbenduftende Cavaliere und ausge-
suchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine
Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfuſsvolk war eine aus den
niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung durch Werberlist
oder Werbergewalt zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Un-
terthanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen aus-
schlieſslich und fingen an auch im Fuſsvolk immer stärker mit ver-
wendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf
denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Ab-
theilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen
Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wur-
den jetzt nicht bloſs regelmäſsig nach Gunst vergeben, sondern
sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung
des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirthschaft der Re-
gierung und der Feilheit und Betrügerei der groſsen Majorität der
Beamten höchst mangelhaft und unregelmäſsig. — Die nothwen-
dige Folge hiervon war, daſs im gewöhnlichen Laufe der Dinge
die römischen Armeen die Provinzialen ausraubten, gegen die Of-
fiziere meuterten, und vor dem Feinde davon liefen; es kam vor,
daſs beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im J. 697
(S. 275), ohne eigentliche Niederlage bloſs durch diese Miſs-
wirtschaft vollständig ruinirt wurden. Fähige Führer dagegen,
wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhan-
denen Material tüchtige und schlagfertige, zum Theil musterhafte
Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heer-
führer an als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere
Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern
antipathisch geblieben und nie völlig nationalisirt worden war,
bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen
Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruinirt worden,
was überhaupt ruinirt werden konnte. — Caesar ging im Allge-
meinen von der Ansicht aus, daſs das römische Heerwesen einer
radicalen Reform entweder nicht bedürfe oder auch nicht fähig
sei und daſs es genüge die unter der bisherigen schlaffen und un-
fähigen Oberleitung gelockerten Zügel wieder straffer und fester
anzuziehen. Die Elemente der Armee acceptirte er, eben wie Han-
nibal sie acceptirt hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeord-
nung, daſs, um vor dem dreiſsigsten Jahre ein Gemeindeamt be-
kleiden oder im Gemeinderath zu sitzen, ein dreijähriger Dienst
zu Pferde — das heiſst als Offizier — oder ein sechsjähriger zu
[463]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Fuſs erforderlich sei, beweist wohl, daſs er die besseren Stände
wieder mehr in das Heer zu ziehen wünschte, aber ebenso deut-
lich auch, daſs bei dem immer mehr einreiſsenden unkriegeri-
schen Geist der Nation er selbst es nicht mehr für möglich hielt
die Bekleidung eines Ehrenamts an die Ueberstehung der Dienst-
zeit unbedingt wie ehedem zu knüpfen. Eben daraus wird es
sich erklären, daſs Caesar keinen Versuch gemacht hat die rö-
mische Bürgerreiterei wieder herzustellen. Die Aushebung ward
besser geordnet, die Dienstzeit regulirt und abgekürzt; übrigens
blieb es dabei, daſs die Linieninfanterie vorwiegend aus den nie-
deren Ständen der römischen Bürgerschaft, die Reiterei und die
leichte Infanterie aus der Unterthanenschaft ausgehoben ward —
daſs für die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist
auffallend. Bemerkenswerth ist es, daſs Caesar zuerst von dem
altrömischen System abwich niemals mit Söldnern zu fechten und
in die Reiterei gemiethete Ausländer, namentlich Deutsche ein-
stellte; eine ihrem Urheber selbst ohne Zweifel bedenkliche Neue-
rung, zu der ihn die Unzuverlässigkeit der Unterthanenreiterei
zwang (S. 257). Eine andere Neuerung war die Beseitigung des
alten zwischen den sechs Kriegstribunen der Legion wechselnden
Legionscommandos: in dieser Zeit erscheinen die Legionscom-
mandanten oder sogenannten ‚Legionsadjutanten‘ (legati
legionis),
die bisher nur auſserordentlicher Weise bestellt worden waren,
zuerst als eine bleibende und organische Institution, wovon der
Grund theils in dem Bedürfniſs einer energischeren Centralisirung
des Commandos, theils in dem fühlbaren Mangel an fähigen Ober-
offizieren zu suchen sein wird. Die wesentlichste Veränderung
im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden Gene-
ralissimus, welcher anstatt des bisherigen unmilitärischen und in
jeder Beziehung unfähigen Regierungscollegiums das gesammte
Armeeregiment in seinen Händen vereinigte und dasselbe also aus
einer meist bloſs nominellen Direction in ein reelles und ener-
gisches Obercommando umschuf. Wenn die Statthalter der Re-
publik durchaus sich selber überlassen waren, so waren die neuen
Adjutanten von dem Imperator, der sie ernannte und abrief, so
vollständig abhängig, daſs weder eine Verwahrlosung der Armeen
wie bisher, noch eine Umwandlung derselben in persönliche Ge-
folgschaften des einzelnen Offiziers leicht zu befürchten stand.
Indeſs ist es bemerkenswerth, daſs, so entschieden auch die Ver-
hältnisse zur Militärmonarchie hindrängten und so bestimmt Cae-
sar das Obercommando ausschlieſslich für sich nahm, er den-
noch keineswegs gesonnen war seine Gewalt durch und auf das
[464]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Heer zu begründen. Er hielt zwar eine stehende Armee noth-
wendig für seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geogra-
phischen Lage nach einer umfassenden Grenzregulirung und ste-
hender Grenzbesatzungen bedurfte. Theils in früheren Epochen,
theils während des letzten Bürgerkrieges hatte er an Spaniens
Befriedung gearbeitet und in Africa längs der groſsen Wüste, im
Nordwesten des Reichs an der Rheinlinie feste Stellungen für die
Grenzvertheidigung eingerichtet. Mit ähnlichen Plänen beschäf-
tigte er sich für die Landschaften am Euphrat und an der Donau.
Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und
den Tag von Karrhae zu rächen; er hatte drei Jahre für diesen Krieg
bestimmt und war entschlossen mit diesen gefährlichen Feinden
ein- für allemal und ebenso vorsichtig wie gründlich abzurechnen.
Ebenso hatte er den Plan entworfen den zu beiden Seiten der Do-
nau gewaltig um sich greifenden Getenkönig Boerebistas (S. 276)
anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch ähnliche Mar-
ken zu schützen, wie er sie ihm im Keltenlande geschaffen. Da-
gegen liegen durchaus keine Beweise dafür vor, daſs Caesar gleich
Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte;
es wird wohl erzählt, daſs er von Parthien aus an das kaspische
und von diesem an das schwarze Meer, sodann an dem Nordufer
desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germa-
nien bis an den, nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht
allzu fernen, nördlichen Ocean zum Reiche zu bringen und durch
Gallien heimzukehren beabsichtigt habe; allein keine irgend glaub-
würdige Autorität verbürgt die Existenz dieser fabulosen Pro-
jecte. Bei einem Staat, der wie der römische Caesars bereits
eine schwer zu bewältigende Masse barbarischer Elemente in
sich schloſs und mit deren Assimilirung noch auf Jahrhunderte
hinaus mehr als genug zu thun hatte, wären solche Eroberungen,
auch ihre militärische Ausführbarkeit angenommen, doch nichts
gewesen als noch weit glänzendere und noch weit schlimmere
Fehler als die Inderheerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars
Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten
derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden,
ist es in hohem Grade wahrscheinlich, daſs Caesar, mit Scipio
Aemilianus, die Götter nicht anrief das Reich zu mehren, sondern
es zu erhalten und daſs seine Eroberungspläne sich beschränkten
auf eine freilich nach seinem groſsartigen Maſsstab bemessene
Grenzregulirung, durch die die Euphratlinie gesichert und anstatt
der völlig schwankenden und militärisch nichtigen nordöstlichen
Reichsgrenze die Donaulinie gewonnen und vertheidigungsfähig
[465]REPUBLIK UND MONARCHIE.
gemacht werden sollte. Indeſs wenn es nur wahrscheinlich bleibt,
daſs Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer bezeichnet wer-
den darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen
gewiſs, daſs er seine neue Monarchie nicht zunächst auf die Ar-
mee stützen wollte und überhaupt nicht die militärische Gewalt
über die bürgerliche zu setzen, sondern sie dem bürgerlichen Ge-
meinwesen ein- und so weit möglich unterzuordnen gedachte.
Die unschätzbaren Stützen eines Soldatenstaates, jene alten viel-
gefeierten gallischen Legionen wurden eben wegen ihres mit einem
bürgerlichen Gemeinwesen unverträglichen Corpsgeistes in ehren-
voller Weise annullirt und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur
sich fort in neugegründeten städtischen Gemeinden. Die von Cae-
sar bei ihrer Entlassung mit Landloosen beschenkten Soldaten
wurden nicht wie die Sullas in eigenen Colonien gleichsam mi-
litärisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich so weit sie in
Italien ansässig wurden, möglichst vereinzelt und durch die ganze
Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, daſs
auf den disponibel gebliebenen Theilen des campanischen Ackers
die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfan-
den. Der schwierigen Aufgabe die Soldaten einer stehenden Armee
innerhalb der Kreise des bürgerlichen Lebens zu halten suchte
Caesar zu genügen theils durch die schon erwähnte Verkürzung
der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenperso-
nals herbeiführte, theils durch regelmäſsige Ansiedlung der aus-
gedienten Soldaten als Ackercolonisten, theils und vornämlich
dadurch, daſs die Armee von Italien und überhaupt von den
eigentlichen Sitzen des bürgerlichen und politischen Lebens der
Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er
nach der Meinung des groſsen Königs allein an seinem Platze
war: in die Grenzstation zur Abwehr des auswärtigen Feindes.
Das rechte Kriterium des Militärstaats, die Entwickelung und
Bevorzugung der Gardetruppe findet bei Caesar sich nicht. Ob-
wohl in der activen Armee das Institut einer besonderen Leib-
wache des Feldherrn bereits seit langem bestand (II, 186), so tritt
diese doch in Caesars Heerführung vollständig in den Hintergrund;
seine praetorische Cohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanz-
offizieren oder nicht militärischen Begleitern bestanden zu haben
und niemals ein eigentliches Elitencorps, also auch niemals Ge-
genstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn
Caesar schon als Feldherr die Garde thatsächlich fallen lieſs, so
duldete er um so weniger als König eine Leibwache um sich.
Obwohl beständig und ihm wohl bewuſst Mörder ihn umschlichen,
Röm. Gesch. III. 30
[466]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wies er dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer No-
belgarde zurück, entlieſs, so wie die Dinge einigermaſsen sich
beruhigten, die spanische Escorte, deren er in der ersten Zeit
in der Hauptstadt sich bedient hatte und begnügte sich mit dem
Gefolge von Gerichtsdienern, wie es für die römischen Oberbe-
amten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken
seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in
Rom nicht kraft des Säbels, sondern kraft des Vertrauens der
Nation zu begründen, im Kampfe mit den Realitäten hatte müssen
fallen lassen — den Grundgedanken, keine Militärmonarchie zu
stiften, hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, für die
die Geschichte kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch
dies ein unausführbares Ideal — es war die einzige Illusion, in
der das sehnsüchtige Verlangen in diesem starken Geiste mäch-
tiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar
im Sinne trug, war nicht bloſs nothwendig höchst persönlicher
Natur und muſste mit dem Tode des Urhebers ebenso zu Grunde
gehen wie die verwandten Schöpfungen Perikles und Cromwells
mit dem Tode ihrer Stifter; sondern es war auch bei dem tief
zerrütteten Zustand der Nation nicht einmal glaublich, daſs es
dem achten König von Rom selbst für seine Lebenszeit gelin-
gen werde so wie seine sieben Vorgänger seine Mitbürger bloſs
kraft Gesetz und Recht zu beherrschen und ebenso wenig wahr-
scheinlich, daſs es ihm gelingen werde das stehende Heer, nach-
dem es im letzten Bürgerkrieg seine Macht kennen gelernt und
die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die bür-
gerliche Ordnung einzufügen. Wer kaltblütig erwog, bis zu
welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten
wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war,
dem muſste die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum dünken;
und wenn mit der marianischen Reform des Heerwesens der
Soldat überhaupt aufgehört hatte Bürger zu sein (II, 186), so
zeigten jetzt die campanische Meuterei und das Schlachtfeld von
Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art die Armee
sich dazu bereit fand dem Gesetze ihren Arm zu leihen. Selbst
der groſse Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt
hatte, nur mühsam und mangelhaft wieder zu bändigen; tau-
sende von Schwerten flogen noch auf seinen Wink aus der
Scheide, aber sie kehrten schon nicht mehr in die Scheide auf
seinen Wink zurück. Das Verhängniſs ist mächtiger als das Genie.
Caesar wollte der Wiederhersteller des bürgerlichen Gemeinwe-
sens werden und ward der Gründer der von ihm verabscheuten
[467]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Militärmonarchie; er stürzte den Aristokraten- und Banquierstaat
im Staate nur, um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu
setzen und es blieb wie bisher das Gemeinwesen tyrannisirt und
exploitirt von einer privilegirten Minorität. Aber dennoch ist es
das Privilegium der höchsten Naturen also schöpferisch zu irren.
Diese genialen Versuche groſser Männer das Ideal zu realisiren,
wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz
der Nationen. Es ist Caesars Werk, daſs der römische Militär-
staat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward
und daſs die römischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch
dem groſsen Begründer ihrer Herrschaft glichen, doch den Sol-
daten wesentlich nicht gegen den Bürger verwandten, sondern
gegen den Feind und Nation und Armee beide zu hoch achteten,
um diese zum Constabler über jene zu setzen.
Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden
Grundlagen, die ungeheure Gröſse des Reiches und der Aus-
schluſs des Creditsystems gewährten, verhältniſsmäſsig nur ge-
ringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in beständiger Fi-
nanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzu-
länglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld. Diese
hatten vielmehr eben in den letzten Jahren sich ungemein ver-
mehrt. Zu der älteren Gesammteinnahme, die auf 200 Mill.
Sesterzen (14,300,000 Thlr.) angeschlagen wird, waren durch
die Einrichtung der Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien
85 Mill. Sest. (6,000,000 Thlr.) gekommen; welcher Zuwachs
nebst den sonstigen neueröffneten oder gesteigerten Einnahme-
quellen, namentlich durch den beständig steigenden Ertrag der
Luxusabgaben, den Verlust der campanischen Pachtgelder weit
überwog. Auſserdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompe-
ius, Cato und Andere auſserordentlicher Weise dem Staatsschatz
ungeheure Summen zugeflossen. Die Ursache der finanziellen
Verlegenheiten lag vielmehr theils in den gesteigerten ordent-
lichen und auſserordentlichen Ausgaben, theils in der geschäft-
lichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreidevertheilung
an die hauptstädtische Menge fast unerschwingliche Summen
in Anspruch: durch die von Cato 691 ihr gegebene Ausdeh-
nung (S. 177) stieg die jährliche Ausgabe dafür auf 30 Mill.
Sesterzen (2,145,000 Thlr.) und seit Abschaffung der bisher
gezahlten Vergütung im J. 696 verschlang dieselbe gar den fünf-
ten Theil der Staatseinkünfte. Auch das Militärbudget erforderte
immer gröſsere Summen, seit zu den Besatzungen von Spa-
nien, Makedonien und der übrigen Provinzen noch die von Ki-
30 *
[468]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
likien und Syrien hinzukamen. Unter den auſserordentlichen Aus-
gaben sind in erster Linie die groſsen Kosten der Flottenrüstungen
zu nennen, wofür zum Beispiel fünf Jahre nach der groſsen Razzia
von 687 auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2½ Mill. Thlr.) veraus-
gabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, wel-
che die Kriegszüge und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie
denn bloſs für Ausrüstung des makedonischen Heeres des Piso
auf einmal 18 Mill. Sest. (1,300000 Thlr.), an Pompeius für
die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jähr-
lich 24 Mill. Sest. (1,716000 Thlr.) und ähnliche Summen an
Caesar für die gallischen Legionen gezahlt wurden. So beträcht-
lich aber auch diese Ansprüche waren, die an die römische Staats-
kasse gemacht wurden, so hätte dennoch dieselbe ihnen wahr-
scheinlich zu genügen vermocht, wenn nicht ihre einst so mu-
sterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehr-
lichkeit dieser Zeit mit ergriffen worden wäre; oft stockten die
Zahlungen des Aerars bloſs deſshalb, weil man dessen ausste-
hende Forderungen einzumahnen versäumte. Die vorgesetzten
Beamten, zwei von den Quaestoren, junge jährlich gewechselte
Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem frü-
herhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hochangesehenen
Schreiber- und sonstigen Bureaupersonal waren jetzt, namentlich
seit diese Posten käuflich geworden waren (II, 65), die ärgsten
Miſsbräuche im Schwange. — Caesar begegnete der hier ob-
waltenden Zerrüttung hauptsächlich dadurch, daſs er, statt wie
bisher im Senat, jetzt in seinem Kabinet alle Fäden des römischen
Staatsfinanzwesens zusammenlaufen lieſs, wodurch denn von
selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammen-
hang in alle Räder und Triebfedern dieser groſsen Maschine kam.
Ferner wurden die beiden von Gaius Gracchus herrührenden und
Krebsschäden gleich das römische Finanzsystem zerfressenden
Institutionen: die Verpachtung der directen Abgaben und die Ge-
treidevertheilungen, theils beseitigt, theils reformirt. Caesar wollte
nicht wie sein Vorläufer die Nobilität durch die Banquieraristo-
kratie und den hauptstädtischen Pöbel in Schach halten, sondern
jene vernichten und das Gemeinwesen von sämmtlichen Parasiten
hohen und niedern Ranges befreien; und darum ging er in diesen
beiden wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit
dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem blieb für die in-
directen Abgaben bestehen, bei denen es uralt war und, bei der
auch von Caesar unverbrüchlich festgehaltenen finanziellen Ma-
xime der Römer die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach
[469]REPUBLIK UND MONARCHIE.
und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt wer-
den konnte. Die directen Abgaben aber wurden fortan durchgän-
gig entweder, wie die africanischen und sardinischen Korn- und
Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufüh-
rende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in
feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbe-
träge den Steuerdistricten selbst übergeben. Die Kornvertheilun-
gen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herr-
schenden und, weil sie herrschte, von den Unterthanen zu spei-
senden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz
ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen wer-
den, daſs diese Kornaustheilungen nebenher noch einem andern
Zwecke gedient hatten, indem sie allein eine Menge gänzlich un-
vermögender Bürger vor dem Verhungern schützten. In diesem
Sinne hielt Caesar sie fest. Hatte bisher jeder in Rom angesessene
römische Bürger wenigstens Anspruch gehabt auf unentgeltliches
Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis
auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller
wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000
herabgebracht. Diese Zahl wurde als Maximalzahl der Freikorn-
stellen ein für allemal fixirt und eine jährliche Revision der Liste
angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen
Plätze durch Nachwahl aus den bedürftigsten Bewerbern wieder
zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Ar-
menversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in
geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerther Satz zum erstenmal
in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe
ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität
der Interessen; im früheren Alterthum schützte der Staat die
Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er
war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der nothwendigen
Subsistenzmittel an den gänzlich hülflosen Mitbürger ihn vor
dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Es ist Cae-
sar, der zuerst, wenngleich natürlich nur noch in beschränkter
und mangelhafter Weise, den Staatsschutz hierauf erstreckt und
ein Institut, das für den Staat eine Last und eine Schmach war,
umgeschaffen hat in die erste jener heute so unzählbaren wie
segensreichen Anstalten, in denen das unendliche Erbarmen der
Menschen mit der Menschen unendlichem Elend ringt. — Auſser
diesen mehr principiellen Reformen fand eine durchgängige Re-
vision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentli-
chen Einnahmen wurden überall regulirt und fixirt. Nicht weni-
[470]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
gen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei es mittelbar
durch Verleihung des römischen oder latinischen Bürgerrechts, sei
es unmittelbar durch Privilegium die Steuerfreiheit bewilligt; so
erhielten sie z. B. alle sicilischen Gemeinden* auf jenem, die Stadt
llion auf diesem Wege. Noch gröſser war die Zahl derjenigen,
deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den Gemein-
den im jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft
auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt
worden war und jetzt der am meisten gedrückten Provinz Asia,
auſser der Erleichterung hinsichtlich der Erhebung der directen
Steuern, der dritte Theil derselben ganz erlassen ward. Die neu
hinzukommenden Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen
Gemeinden und vor allem der gallischen, die zusammen 40 Mill.
Sest. (2,860000 Thlr.) jährlich entrichteten, waren durchgängig
niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Städten,
wie Kleinleptis in Africa, Sulci auf Sardinien und mehreren spa-
nischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens während des letz-
ten Krieges die Steuer erhöht. Die sehr einträglichen in den letzten
Zeiten der Anarchie abgeschafften italischen Hafenzölle (S. 188)
wurden um so mehr wieder hergestellt, als diese Abgabe wesent-
lich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaaren traf. Zu die-
sen neu oder wieder eröffneten ordentlichen Einnahmequellen ka-
men die Summen hinzu, die auſserordentlicher Weise, namentlich
in Folge des Bürgerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien
gesammelten Schätze; der hauptstädtische Kassenbestand; die aus
den italischen und spanischen Tempeln entnommenen Schätze;
die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder
der Buſse von den abhängigen Gemeinden und Dynasten erho-
benen Summen und die in ähnlicher Weise durch Rechtsspruch
oder auch bloſs durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen
reichen Römern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber
der Erlös aus dem Vermögen der geschlagenen Gegner. Allein
die Buſse der africanischen Groſshändler, die in dem Gegensenat
gesessen, belief sich auf 100 Mill. Sest. (7 Mill. Thlr.) und der
von den Käufern des Vermögens des Pompeius gezahlte Preis auf
70 Mill. Sest. (5 Mill. Thlr.); man mag daraus schlieſsen, wie
ergiebig diese Einnahmequellen waren. Die Gehässigkeit der
[471]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Confiscationen ward einigermaſsen dadurch gemildert, daſs Cae-
sar mit strenger Sorgfalt darüber hielt, daſs ihr Ertrag allein dem
Staate zu Gute kam, und, statt in Sullas Weise seinen Günstlin-
gen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten
Anhängern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit
Strenge beitrieb. Unterbleiben aber konnten diese Schritte nicht;
die geschlagene Partei muſste schon darum die Krirgskosten tra-
gen, weil die Macht der Nobilität zum guten Theil auf ihrem co-
lossalen Reichthum beruhte und nur durch solche Maſsregeln
wirksam gebrochen werden konnte. — In dem Ausgabeetat
wurde zunächst durch die ansehnliche Beschränkung der Getrei-
despenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornver-
theilung an die hauptstädtischen Armen so wie die verwandte
von Caesar neu eingeführte Oellieferung für die hauptstädtischen
Bäder ward wenigstens zum groſsen Theil ein für allemal fundirt
auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Africa
und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder gröſsten-
theils aus. Andrerseits nahmen die regelmäſsigen Ausgaben für
das Militärwesen ungemein zu, theils durch die der umfassen-
deren Grenzvertheidigung wegen nothwendig gewordene Ver-
mehrung des stehenden Heeres, theils durch die Erhöhung des
Soldes, den Caesar verdoppelte (S. 346) und dem Legionar statt
des bisherigen Jahressoldes von 480 Sesterzen (34½ Thlr.) jähr-
lich 900 Sesterzen (64 Thlr.) gab. Dafür, daſs diese Steigerung
nicht wie so manche ähnliche aus Servilität der Regierung gegen
die Soldaten hervorging, bürgt nicht bloſs Caesars Charakter.
Der bisherige Sold von 1⅓ Sesterz (2⅘ Gr.) den Tag
war fest-
gesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz anderen
Werth hatte als in dem damaligen Rom; wenn er bis in eine Zeit
hinein, wo der gemeine Tagelöhner in der Hauptstadt mit seiner
Hände Arbeit täglich durchschnittlich 3 Sesterze (6⅓ Gr.) ver-
diente, beibehalten worden war, so war dies nur dadurch mög-
lich geworden, weil man nicht des Soldes halber, sondern haupt-
sächtlich wegen der gröſstentheils unerlaubten Accidentien des
Militärdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform
des Militärwesens und zur Beseitigung dieses meist den Provin-
zialen aufgebürdeten unregelmäſsigen Soldatenverdienstes war die
erste Bedingung eine zeitgemäſse Erhöhung der regulären Löh-
nung; und die Fixirung derselben auf 2½ Sesterzen (5⅕
Gr.) darf
als eine billige, die dem Aerar dadurch aufgebürdete groſse Last
als eine nothwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet
werden. Von dem Belauf der auſserordentlichen Ausgaben, die
[472]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Caesar übernehmen muſste oder freiwillig übernahm, ist es
schwer sich eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst
fraſsen ungeheure Summen; und vielleicht nicht geringere wur-
den erfordert, um die Zusicherungen zu erfüllen, die Caesar
während des Bürgerkrieges zu machen genöthigt worden war.
Es war ein schlimmes und für die Folgezeit leider nicht verlore-
nes Beispiel, daſs jeder gemeine Soldat für seine Theilnahme am
Bürgerkrieg 20000 Sesterzen (1430 Thlr.), jeder Bürger der
hauptstädtischen Menge für seine Nichtbetheiligung an demselben
als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (21 Thlr.) empfing;
Caesar indeſs, nachdem er einmal in dem Drange der Umstände
sein Wort verpfändet, war zu sehr König um davon abzudingen.
Auſserdem genügte Caesar unzähligen Anforderungen ehrenhafter
Freigebigkeit und machte namentlich für das Bauwesen, das wäh-
rend der Finanznoth der letzten Zeiten der Republik schmählich
vernachlässigt worden war, ungeheure Summen flüssig — man
berechnete den Kostenbetrag seiner theils während der gallischen
Feldzüge, theils nachher in der Hauptstadt ausgeführten Bauten
auf 160 Mill. Sest. (11½ Thlr.). Das Gesammtresultat der finan-
ziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, daſs er durch
einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Ver-
einigung von Sparsamkeit und Liberalität allen billigen Ansprü-
chen reichlich und völlig genügte und dennoch bereits im März
710 in der Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill.
Sest. (zusammen 57 Mill. Thlr.) baar lagen — eine Summe, die
den höchsten Kassenbestand der Republik in ihrer blühendsten
Zeit (I, 617) um das Zehnfache überstieg.
Aber die Aufgabe die alten Parteien aufzulösen und das neue
Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlag-
fertigen Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwie-
rig sie war, war nicht der schwierigste Theil von Caesars Werk.
Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so
reichte es nicht aus, daſs ihre Verfassung umgestaltet und ihre
Heere und Kasse neugeordnet wurden, sondern es bedurfte einer
Reorganisation, die alle Theile des groſsen Reiches, Rom, Italien
und die Provinzen in ihren Grundfesten umwandelte. Versuchen
wir auch hier sowohl die alten Zustände als auch die Anfänge
einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern.
Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation längst völlig
verschwunden. Es liegt in den Verhältnissen, daſs die Hauptstadt
ihr municipales und selbst ihr nationales Gepräge schneller ver-
schleift als jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die
[473]REPUBLIK UND MONARCHIE.
höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus und
finden mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt
ihre Heimath; hier concentrirt sich unvermeidlich die ausländi-
sche Ansiedlung, die fluctuirende Bevölkerung von Vergnügens-
und Geschäftsreisenden, die Masse des müssigen, faulen, ver-
brecherischen, ökonomisch und moralisch bankerotten und eben
darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in
eminenter Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrach-
tete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem
aus der städtischen Municipalität die Reichsämter hervorgingen,
das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward,
hörte jedes eigentliche Communalleben für Rom auf. Aus dem
ganzen Umfang des weitumfassenden Reiches strömte man nach
Rom, um zu speculiren, zu debauchiren, zu intriguiren, zum Ver-
brecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Ge-
setzes sich zu verbergen. Aber zu diesen unvermeidlichen Uebel-
ständen traten noch andere eigenthümliche hinzu, welche die
dem groſsstädtischen Wesen anhaftenden Beschwerden zum förm-
lichen Nothstand steigerten. Es hat vielleicht nie eine Groſsstadt
gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; theils die
Einfuhr, theils die häusliche Fabrication durch Sclaven machten
hier jede freie Industrie von vorn herein unmöglich. Die nach-
theiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Alterthum
überhaupt, des Sclavensystems traten in der Hauptstadt schärfer
als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sclavenmas-
sen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der groſsen Fa-
milien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten
sich so wie in der hauptstädtischen Sclavenschaft die Nationen
dreier Welttheile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit
Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher
einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit un-
zertrennliche Demoralisation und der scheuſsliche Widerspruch
des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum
Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten gleichsam vorneh-
men Stadtsclaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich
dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die
Sclavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloſs thatsäch-
lich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und
schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sclaven und doch noch nicht
völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn
abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben
die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es
[474]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine
Handwerk fast ganz in ihren Händen war. Ihr Einfluſs auf die
Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und daſs sie auch bei den
Straſsenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche
Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt
wurden, die Schlieſsung der Buden und Verkaufslocale. Zu allem
dem kam, daſs die Regierung nicht bloſs nichts that um dieser
Corrumpirung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwir-
ken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zu Liebe ihr Vor-
schub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen
eines Capitalverbrechens verurtheilten Individuum den Aufenthalt
in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht
zur Ausführung gebracht. Die dringend nahe gelegte polizeiliche
Ueberwachung der Associationen und Clubs des Gesindels ward an-
fangs vernachlässigt, späterhin (S. 281) als freiheitswidrige Volks-
beschränkung sogar für strafbar erklärt. Die bei einem solchen
durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unum-
gänglich nothwendige Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward
mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt und die Preis-
schwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechen-
barer Art.*Endlich die
Getreidevertheilungen luden das ge-
sammte nahrungslose und arbeitscheue Bürgerproletariat officiell
ein seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge
Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Club- und Bandenwesen
auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und
der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln.
Man war beständig im Angesicht einer Theurung und nicht sel-
ten in voller Hungersnoth. Nirgends war man seines Lebens we-
niger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbmäſsig betriebene
Banditenmord war das einzige in derselben blühende Hand-
werk; es war die Einleitung zur Ermordung, daſs das Schlacht-
opfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaff-
netes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äuſsere
Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und
schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment.
Für die Regulirung des Tiberstroms ward nichts gethan; kaum
daſs man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich be-
[475]REBUBLIK UND MONARCHIE.
half (II, 372), wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein aufführen
lieſs. Für die Planirung der Siebenhügelstadt war ebenso wenig
etwas geschehen, auſser wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen
hatten. Die Straſsen gingen eng und winkelig Hügel auf und ab
und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht ge-
pflastert. Die gewöhnlichen Häuser waren von Ziegeln ebenso lie-
derlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von speculirenden
Baumeistern für Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene stein-
reich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem
Meer von elenden Gebäuden erschienen die glänzenden Paläste
der Reichen, die den kleinen Häusern ebenso den Raum vereng-
ten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten ihr Bürgerrecht im Staat,
und neben deren Marmorsäulen und griechischen Statuen die ver-
fallenden Tempel mit ihren groſsentheils noch holzgeschnitzten
Götterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Straſsen-,
einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn die
Regierung um die alljährlich eintretenden Ueberschwemmungen,
Feuersbrünste und Häusereinstürze überhaupt sich bekümmerte,
so geschah es um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken
über den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren.
Man versuche sich ein London zu denken mit der Sclavenbevöl-
kerung von New-Orleans, mit der Polizei von Constantinopel,
mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und bewegt von einer
Politik nach dem Muster der pariser von 1848: und man wird
eine ungefähre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit
gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in ihren
Schmollbriefen betrauern. — Caesar trauerte nicht, aber er suchte
zu helfen, so weit zu helfen war. Rom blieb natürlich, was es
war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen specifisch
italischen Charakter zu geben, wäre nicht bloſs unausführbar
gewesen, sondern hätte auch in Caesars Plan nicht gepaſst.
Aehnlich wie Alexander für sein griechisch-orientalisches Reich
eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-jüdisch-aegypti-
schen und vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte
auch die im Mittelpunct des Orients und Occidents gelegene
Hauptstadt des neuen römisch-hellenischen Weltreichs nicht
eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisirte Capi-
tale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, daſs neben dem
Vater Jovis die neu angesiedelten aegyptischen Götter verehrt
wurden und gestattete sogar den Juden die freie Uebung ihres
seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches.
Wie widerlich bunt immer die parasitische namentlich hellenisch-
[476]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
orientalische Bevölkerung in derselben sich mischte, er trat ihr
nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daſs er bei seinen
hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloſs in lateini-
scher und griechischer, sondern auch in andern Zungen, ver-
muthlich doch wohl in der phönikischen, hebräischen, syrischen
aufführen lieſs. — Aber wenn Caesar den Grundcharakter der
Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewuſstsein accep-
tirte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der da-
selbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Lei-
der waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Scla-
verei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht ab-
stellen; es muſs dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht
haben würde die hauptstädtische Sclavenbevölkerung wenigstens
zu vermindern, wie er dies auf einem andern Gebiete unter-
nahm. Ebenso wenig vermochte Caesar eine freie hauptstädti-
sche Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die unge-
heuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermaſsen ab
und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehr-
lichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin die
Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluſs
von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward
durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl be-
schränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopft,* doch
sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat
räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden mit
unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten,
andererseits die umfassende überseeische Colonisation; in den
wenigen Jahren seiner Regierung führte Caesar 80000 Colonisten
über das Meer, von denen ein sehr groſser Theil den unteren
Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein
wird, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene
waren. Es kann dies keine bloſs vorübergehende Maſsregel ge-
wesen sein; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann,
daſs die einzige wahrhafte Hülfe gegen das Elend des Proletariats
in einem wohl regulirten Colonisirungssystem besteht, und durch
die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt dasselbe in
[477]REPUBLIK UND MONARCHIE.
fast ungemessener Ausdehnung zu realisiren, wird die Absicht
gehabt haben, hiemit dauernd fortzufahren und dem stets wieder
sich erzeugenden Uebel durch einen bleibenden Abzugscanal zu
begegnen. Maſsregeln wurden ferner ergriffen um den argen
Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den haupt-
städtischen Märkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und
liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hiezu die Mittel und
zwei neu ernannte Beamte, die Getreideaedilen (S. 457), über-
nahmen die specielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des
Marktes der Hauptstadt. Dem Clubwesen wurde wirksamer, als
es durch Prohibitivgesetze möglich war, gesteuert durch die ver-
änderte Verfassung, indem mit der Republik und den republika-
nischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewalti-
gung der Wahl- und Richtercollegien, überhaupt die politischen
Saturnalien der Canaille von selbst ein Ende hatten. Auſserdem
wurden die durch das clodische Gesetz ins Leben getretenen Ver-
bindungen aufgelöst und das ganze Associationswesen unter die
Oberaufsicht der Regierungsbehörden gestellt. Mit Ausnahme der
althergebrachten Zünfte und Vergesellschaftungen, der religiösen
Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener
Kategorien, wofür die einfache Anzeige an den Senat genügt zu
haben scheint, wurde die Erlaubniſs eine bleibende Gesellschaft
mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschüssen zu
constituiren an eine nach eingeholter Willensmeinung des Mo-
narchen vom Senat zu ertheilende Concession geknüpft. Dazu
kam eine strengere Criminalrechtspflege und eine energische Po-
lizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich des Verbrechens der
Vergewaltigung, wurden verschärft und die unvernünftige Be-
stimmung des republikanischen Rechts, daſs der überwiesene
Verbrecher befugt sei durch Selbstverbannung einem Theil der
verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das de-
taillirte Regulativ, das Caesar über die hauptstädtische Polizei er-
lieſs, ist groſsentheils noch erhalten und es kann wer da will sich
überzeugen, daſs der Imperator es nicht verschmähte die Haus-
besitzer zur Instandsetzung der Straſsen und zur Pflasterung der
Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzu-
halten und geeignete Bestimmungen über das Tragen der Sänften
und das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffen-
heit der Straſsen nur zur Nachtzeit in der Hauptstadt frei circu-
liren durften. Die Oberaufsicht über die Localpolizei blieb wie
bisher hauptsächlich den vier Aedilen, deren Wirksamkeit und
Verantwortlichkeit aber dadurch erhöht ward, daſs sie, statt wie
[478]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
bisher jeder in der ganzen Stadt zu wirthschaften, angehalten
wurden jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrict zu über-
wachen. Endlich das hauptstädtische Bauwesen und die damit
zusammenhängende Fürsorge für die gemeinnützigen Anstalten
überhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Römers und
des Organisators in sich vereinigte, plötzlich einen Aufschwung,
der nicht bloſs die Miſswirthschaft der letzten anarchischen Zei-
ten beschämte, sondern auch alles, was die römische Aristokratie
in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich lieſs wie
Caesars Genie das redliche Bemühen der Marcier und der Aemi-
lier. Es war nicht bloſs die Ausdehnung der Bauten an sich und
die Gröſse der darauf verwandten Summen, durch die Caesar
seine Vorgänger übertraf, sondern der echt staatsmännische und
gemeinnützige Sinn, der das, was Caesar für die öffentlichen An-
stalten Roms that, vor allen ähnlichen Leistungen auszeichnet.
Er baute nicht, wie man pflegte, Tempel und sonstige Pracht-
gebäude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich
immer noch die Bürgerversammlungen, die Hauptgerichtstätten,
die Börse und der tägliche Geschäftsverkehr wie der tägliche
Müssiggang zusammendrängten, wenigstens von den Versamm-
lungen und den Gerichten, indem er für jene eine neue Ding-
stätte, die Saepta Julia auf dem Marsfeld, für diese einen beson-
deren Gerichtsmarkt, das Forum Julium zwischen Capitol und
Palatin, anlegen lieſs. Verwandten Geistes ist die von ihm her-
rührende Einrichtung, daſs den hauptstädtischen Bädern jähr-
lich 3 Millionen Pfund Oel, gröſstentheils aus Africa, geliefert
und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden den Badenden
das zum Salben des Körpers erforderliche Oel unentgeltlich zu
verabfolgen — eine nach der alten wesentlich auf Baden und
Salben gegründeten Diätetik höchst zweckmäſsige Maſsregel der
Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indeſs diese groſsartigen
Einrichtungen waren nur die ersten Anfänge einer vollständigen
Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwürfe gemacht zu
einem neuen Rathhaus, einem neuen prachtvollen Bazar, einem
mit dem pompeischen wetteifernden Theater, einer öffentlichen
lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster der
kürzlich zu Grunde gegangenen von Alexandreia — die erste
Anstalt der Art in Rom —, endlich zu einem Tempel des Mars,
der an Reichthum und Herrlichkeit alles bisher da Gewesene
überboten haben würde. Genialer noch war der Gedanke den
ganzen unteren Lauf des Tiberstroms zu ändern und ihn von
dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem vaticanischen
[479]REPUBLIK UND MONARCHIE.
und dem Marsfelde hindurch nach Ostia zu, vielmehr um das va-
ticanische Feld und das Janiculum herum quer durch die pom-
ptinischen Sümpfe in den Hafen von Tarracina zu führen. Durch
diesen Riesenplan wurden auf einen Schlag theils die äuſserst be-
schränkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert,
daſs das jetzt auf das linke Tiberufer verlegte vaticanische Feld
an die Stelle des Marsfeldes treten konnte und das geräumige
Marsfeld für öffentliche und Privatbauten disponibel ward, theils
die pomptinischen Felder und überhaupt die latinische Küste ent-
sumpft, theils der Hauptstadt der so schmerzlich vermiſste sichere
Seehafen gegeben. Es schien in der That der Imperator Berge
und Flüsse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wa-
gen zu wollen. Indessen so sehr auch durch die neue Ordnung
die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre
politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch
eben dieselbe unwiderbringlich verloren. Daſs der römische Staat
mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit
immer unnatürlicher und verkehrter geworden; aber der Satz
war doch so innig mit dem Wesen der römischen Republik ver-
wachsen, daſs er erst mit dieser selbst zu Grunde gehen konnte.
In dem neuen Staate Caesars ward derselbe, etwa mit Ausnahme
einiger legaler Fictionen, vollständig beseitigt und das hauptstäd-
tische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen übrigen
Municipalitäten gestellt; wie denn Caesar, hier wie überall bemüht
nicht bloſs die Sache zu ordnen, sondern auch sie officiell bei
dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung,
ohne Zweifel absichtlich, zugleich für die Hauptstadt und für die
übrigen Stadtgemeinden erlieſs. Man kann hinzufügen, daſs Rom,
eben weil es als Hauptstadt eines lebendigen Communalwesens
nicht fähig war, hinter den übrigen Municipalitäten der Kaiserzeit
sogar wesentlich zurückstand. Das republikanische Rom war
eine Räuberhöhle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monar-
chie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Welttheile sich zu
schmücken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war
doch nichts im Staate als das Königsschloſs in Verbindung mit
dem Armenhaus, das heiſst ein nothwendiges Uebel.
Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte durch
polizeiliche Ordnungen im gröſsten Maſsstab handgreifliche Uebel-
stände hinwegzuräumen, so war es dagegen eine bei weitem
schwierigere Aufgabe der tief zerrütteten italischen Volkswirth-
schaft aufzuhelfen. Die Grundübel waren die bereits früher aus-
führlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der acker-
[480]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
bauenden und die unnatürliche Vermehrung der kaufmännischen
Bevölkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Uebel-
stände sich anschloſs. Wie es mit der italischen Bodenwirth-
schaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernst-
lichsten Versuche der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes
zu steuern war doch in dieser Epoche kaum noch in einer Land-
schaft des eigentlichen Italien, etwa mit Ausnahme der Apen-
ninen- und Abruzzenthäler, die Bauernwirthschaft die vorwie-
gende Wirthschaftsweise. In der Umgegend Roms hatte die
Nutzwirthschaft überhaupt dem unfruchtbaren Luxus Platz ma-
chen müssen: wo die alten latinischen Bauernschaften gesäet
und geerntet hatten, erhoben sich jetzt die glänzenden Landhäu-
ser, von denen manches mit den dazu gehörigen Gärten, Parken
und Wasserleitungen, den Süſs- und Salzwasserreservoirs zur
Aufbewahrung und Züchtung von Fluſs- und Seefischen, den
Wildhäusern, Volieren und Fasanerien den Raum einer mäſsigen
Stadt bedeckte. Im übrigen Italien wog durchaus die Guts-
wirthschaft vor, welche wesentlich ruhte auf Sclavenhaltung im
Groſsen. Wo fremde Arbeit billiger war als die der eigenen Scla-
ven, kam natürlich jene daneben zur Anwendung; wie zum Bei-
spiel im Thal von Rieti die Gutsbesitzer jährlich groſse Massen
umbrischer Schnitter bei Einbringung der Ernte beschäftigten.
Allein theils das System der Mittelsmänner, das hiebei zur An-
wendung kam, theils die Concurrenz der Besitzer von Sclaven-
heerden, die aus dem Arbeitsverdingen gleichfalls ein Geschäft
machten, drückten selbst hier noch schwer auf den freien itali-
schen Tagelöhner. Die Bewirthschaftung des Gutes war entweder
Weide- oder Plantagenwirthschaft, von denen jene im Süden
und Osten, diese im westlichen und mittleren Italien überwog.
Daſs die Verwandlung ehemals ergiebiger Ackerlandschaften in
Wiese und Weide in jeder Beziehung ein Rückschritt war, bedarf
keiner weiteren Ausführung; die Plantagenwirthschaft dagegen
stand ökonomisch auf einer schwer zu übertreffenden Höhe der
Entwickelung. Das Thal von Rieti, die Umgegend des Fuciner-
sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien
überhaupt waren landwirthschaftlich in dem blühendsten Zustand;
die italischen Producenten namentlich von Wein und Oel versorg-
ten nicht bloſs die italischen Märkte, sondern machten auch in
beiden Artikeln ansehnliche überseeische Ausfuhrgeschäfte. Eine
schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Ita-
lien einem groſsen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die die
gleichzeitigen Dichter von ihrem schönen Heimathland entwer-
[481]REPUBLIK UND MONARCHIE.
sen, wo die wohlbewässerte Wiese, das üppige Kornfeld, der lustige
Rebenhügel von der dunklen Zeile der Oelbäume umsäumt wird,
wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmuth,
die holdesten Gärten in seinem Schoſse hegt und selber von nah-
runggebenden Bäumen umkränzt wird — diese Schilderungen,
offenbar treue Gemälde der dem Dichter täglich vor Augen ste-
henden Landschaft, versetzen uns in die blühendsten Striche von
Toscana und Terra di lavoro. Die gediegene italische Boden-
wirthschaft erzielte in dieser Zeit, wo die allgemeine Entwicke-
lung der Intelligenz und die Fülle der Capitalien sie befruch-
tete, bei weitem glänzendere Resultate als jemals die alte Bauern-
wirthschaft hatte geben können, und ging sogar schon hinaus
über die Grenzen Italiens, indem der italische Oekonom auch
in den Provinzen groſse Strecken viehzüchtend und selbst korn-
bauend exploitirte. — Welche Dimensionen aber neben dieser
auf dem Ruin der kleinen Bauerschaft unnatürlich gedeihenden
Landwirthschaft die Geldwirthschaft angenommen, wie die itali-
sche Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provin-
zen und Clientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, wie alles
Capital endlich in Rom zusammenfloſs, dafür wird es, nach dem
früher darüber Gesagten, hier genügen auf die einzige Thatsache
hinzuweisen, daſs auf dem hauptstädtischen Geldmarkt der regel-
mäſsige Zinsfuſs in dieser Zeit 6 %, das Geld daselbst also halb
so billig war wie sonst durchschnittlich im Alterthume. — In
Folge dieser agrarisch wie mercantil auf Capitalmassen und Spe-
culation begründeten Volkswirthschaft ergab sich das fürchter-
lichste Miſsverhältniſs in der Vertheilung des Vermögens. Die oft
gebrauchte und oft gemiſsbrauchte Rede von einem aus Millio-
nären und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft viel-
leicht nirgends so vollständig zu wie bei dem Rom der letzten
Zeit der Republik. Was gleichsam als Mittelstand erscheint und
gewissermaſsen auch Mittelstand ist, sind diejenigen reichen Kauf-
leute und Grundbesitzer, die so ungebildet oder auch so gebildet
sind um sich innerhalb der Sphäre ihrer Thätigkeit zu beschei-
den. Unter den Kaufleuten, wo die zahlreichen Freigelassenen
und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem
Schwindel erfaſst wurden den vornehmen Mann zu spielen, gab
es solcher Verständigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gat-
tung ist der in den Berichten aus dieser Zeit häufig erwähnte Ti-
tus Pomponius Atticus, der theils mit der groſsen Gutswirth-
schaft, welche er in Italien und in Epirus betrieb, theils mit sei-
nen durch ganz Italien, Griechenland, Makedonien, Kleinasien
Röm. Gesch. III. 31
[482]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures Vermögen
gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb,
sich nicht verleiten lieſs um ein Amt zu werben oder auch nur
Staatsgeldgeschäfte zu machen, und dem geizigen Knausern eben
so fern wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit — seine
Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7 Thlr.) täglich be-
stritten — sich an einer bequemen die Anmuth des Land- und des
Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft
Roms und Griechenlands und jeden Genuſs der Litteratur und
der Kunst sich aneignenden Existenz genügen lieſs. Zahlreicher
und tüchtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages.
Die gleichzeitige Litteratur bewahrt das Bild eines solchen Land-
edelmanns (paterfamilias rusticanus): sein Vermögen, angeschla-
gen auf 6 Mill. Sesterzen (429000 Thlr.), ist wesentlich angelegt
in seinen dreizehn Landgütern; die Wirthschaft betreibt er selbst
rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er sel-
ten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen
ungehobelten Manieren von dem seinen Senator nicht minder ab
wie die zahllosen Schaaren seiner rauhen Ackerknechte von dem
zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kos-
mopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends
heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die
wesentlich durch dieselben gehaltenen ‚Ackerstädte‘ (municipia
rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren
reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern
der Nation; der Speculant, der sein Vermögen gemacht hat und
unter die Notabeln des Landes einzutreten wünscht, kauft sich
an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenig-
stens seinen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Guts-
besitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volksthüm-
liche Regung sich zeigt und wo die Litteratur einen grünen
Sproſs treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die
neue Monarchie ihre beste Kraft und ihr gehören Varro. Lucre-
tius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische
dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der
anmuthigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der
Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer grünen Oase in der
fürchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminösen Scri-
benten. — Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige
Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden ton-
angebenden Classen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der
eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen
[483]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Ziffern, um das relative Maſs der Armuth und des Reichthums
für diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wie-
der an die Aeuſserung erinnert werden, die etwa funfzig Jahre
früher ein römischer Staatsmann that (II, 126): daſs die Zahl
der Familien von festgegründetem Reichthum innerhalb der rö-
mischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürger-
schaft war seitdem eine andere geworden; aber daſs das Miſsver-
hältniſs zwischen Arm und Reich sich wenigstens gleichgeblieben
war, dafür sprechen deutliche Symptome. Die progressive Ver-
armung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu
den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die ana-
loge Steigerung des Reichthums bezeugt ausdrücklich ein Schrift-
steller dieser Generation, indem er von den Verhältnissen der ma-
rianischen Zeit sprechend ein Vermögen von 2 Mill. Sest. (143000
Thlr.) ‚nach damaligen Verhältnissen Reichthum‘ nennt; und
eben dahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen ein-
zelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius
Ahenobarbus verhieſs zwanzigtausend Soldaten jedem 4 Jugera
Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich
auf 70 Mill. Sest. (5 Mill. Thlr.), das des Schauspielers Aesopus
auf 20 (1,430000 Thlr.); Marcus Crassus, der Reichste der Rei-
chen besaſs am Anfang seiner Laufbahn 7 (500000 Thlr.), am
Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das
Volk 170 Mill. Sest. (12 Mill. Thlr.). Die Folgen solcher Armuth
und solchen Reichthums waren nach beiden Seiten eine äuſserlich
verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sitt-
liche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unter-
stützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so
war es nur eine Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechsel-
wirkend auch wieder als Ursache auftrat, daſs er der Bettlerfaul-
heit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbei-
ten gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken
und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daſs die Demagogen ihre
Rechnung dabei fanden vorwiegend die Besitzer derartiger Eta-
blissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die
Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in
der alten Welt, waren zu solcher Blüthe gelangt, daſs mit dem
Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft ge-
macht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neue-
rung auf, daſs über Leben und Tod des Besiegten nicht das
Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune
des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink
31 *
[484]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
der Sieger den darniederliegenden Besiegten entweder verschonte
oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechtens war so im Preise
gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, daſs freie
Männer nicht selten sich den Entrepreneurs für Kost und Lohn als
Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fünften Jahrhun-
derts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie
nicht verkauft; und noch weniger würden die Rechtweiser jener
Zeit sich dazu hergegeben haben den ebenso sitten- wie rechts-
widrigen Contract eines solchen Fechtknechtes ‚sich unweiger-
lich fesseln, peitschen, brennen oder tödten zu lassen, wenn
die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen würden‘ auf un-
feinen juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzu-
stellen. — In der vornehmen Welt kam nun wohl dergleichen
nicht vor; aber im Grunde war sie kaum anders, am wenigsten
besser. Im Nichtsthun nahm es der Aristokrat dreist mit dem Pro-
letarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener
sich bis in den hellen Tag hinein in den Federn. Die Verschwen-
dung regierte hier ebenso maſs- wie geschmacklos. Sie warf
sich auf die Politik wie die Kunst, natürlich zu beider Verder-
ben: man kaufte das Consulamt um unglaublichen Preis — im
Sommer 700 ward allein die erste Stimmabtheilung mit 10 Mill.
Sest. (715000 Thlr.) bezahlt — und verdarb durch den tollen
Decorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Bühnenspiel.
Die Miethpreise scheinen in Rom durchschnittlich vierfach höher
als in den Landstädten sich gestellt zu haben; ein Haus daselbst
ward einmal für 15 Mill. Sest. (1 Mill. Thlr.) verkauft. Des
mit den Landhäusern getriebenen Schwindels ward bereits ge-
dacht; wir finden, daſs für ein solches, das hauptsächlich seines
Fischteiches wegen geschätzt war, 4 Mill. Sest. (286000 Thlr.)
bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt
schon wenigstens zweier Landhäuser, eines in den Sabiner- oder
Albanerbergen bei der Hauptstadt und eines zweiten in der Nähe
der campanischen Bäder, dazu noch wo möglich eines Gartens
unmittelbar vor den Thoren Roms. Noch unsinniger als diese Vil-
len- waren die Grabpaläste, von denen einzelne noch bis auf den
heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens
der reiche Römer bedurfte, um standesmäſsig gestorben zu sein.
Die Pferde- und Hundeliebhaber fehlten auch nicht; für ein
Luxuspferd waren 24000 Sest. (1700 Thlr.) ein gangbarer
Preis. Man raffinirte auf Möbeln von feinem Holz — ein Tisch
von Citronenholz ward mit 1 Mill. Sest. (71500 Thlr.) bezahlt — ;
auf Gewänder von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze; auf
[485]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des
alten unendlich schöneren und kunstvolleren Goldschmucks tra-
ten: es war schon vollkommener Barbarenstil, wenn bei Pompe-
ius Triumph über Mithradates das Bild des Siegers ganz von
Perlen gearbeitet sich präsentirte, und wenn man im Speisesaal
die Sophas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja in der
Küche das Geschirr von Silber fertigen lieſs. Gleicher Art ist es,
wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die
kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefäſse
wieder einzusetzen. Aber keine Gattung des Luxus blühte so wie
der roheste von allen, der Luxus der Tafel. Es fiel Niemand
mehr auf, wenn der Gast, um den Folgen der Schlemmerei zu
entgehen, nach vollendeter Mahlzeit ein Vomitiv nahm. Nicht bloſs
der Koch war ein graduirter Gastronom, sondern oft machte
der Herr selbst den Lehrmeister seiner Köche. Längst war der
Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt;
jetzt galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine
fast für gemein. Kein Naturforscher kann eifriger die Länder
und Meere nach neuen Thieren und Pflanzen durchsuchen als es
von den Eſskünstlern jener Zeit wegen neuer Küchenelegantien
geschah. * An ausländischem Wein wurden jetzt schon bei Volks-
festen auſser dem italischen Falerner drei Sorten — Sicilianer,
Lesbier, Chier — vertheilt, während ein Menschenalter zuvor
es auch bei groſsen Schmäusen genügt hatte einmal griechischen
Wein herumzureichen; in dem Keller des Redners Hortensius
fand sich ein Lager von 10000 Krügen (zu 33 Berl. Quart)
fremden Weines. Es war kein Wunder, daſs die italischen Wein-
bauer anfingen über die Concurrenz der griechischen Inselweine
zu klagen. Die Debauche aller Art ward so systematisch und so
schwerfällig, daſs sie ihre Professoren fand, die davon lebten
vornehmen Jünglingen theoretisch und praktisch als Lastermei-
ster zu dienen. Es wird nicht nöthig sein bei diesem wüsten Ge-
mälde eintönigster Mannigfaltigkeit noch länger zu verweilen;
um so weniger als ja auch auf diesem Gebiet die Römer nichts
weniger als originell waren und sich darauf beschränkten von
dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch maſs- und noch
[486]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
geistlosere Copie zu liefern. Natürlich verschlingt Plutos seine
Kinder so gut wie Kronos; die Concurrenz um alle jene meist
nichtigen Gegenstände vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise
so in die Höhe, daſs den mit den Strome Schwimmenden in
kurzer Zeit das colossalste Vermögen zerrann und auch diejeni-
gen, die nur Ehren halber das Nothwendigste mitmachten, den
ererbten und festgegründeten Wohlstand rasch sich unterhöh-
len sahen. Die Bewerbung um das Consulat zum Beispiel war
die gewöhnliche Landstraſse zum Ruin angesehener Häuser; und
fast dasselbe gilt von den Spielen, den groſsen Bauten und all
jenen andern zwar lustigen, aber theuren Metiers. Bis zu welchem
Grade jenes verschwenderische Leben und Treiben der vorneh-
men römischen Welt auf Credit beruhte, beweisen zum Beispiel
die Thatsachen, daſs durch die Anleihen der verschiedenen Con-
currenten um das Consulat einmal in Rom der Zinsfuſs plötzlich
von 4 auf 8 pCt. aufschlug. Der fürstliche Reichthum jener Zeit
wird nur von der noch fürstlicheren Verschuldung überboten:
Caesar schuldete um 692 nach Abzug seiner Activa 25 Mill.
Sest. (1,800000 Thlr.), Marcus Antonius als Vierundzwanzig-
jähriger 6 Mill. Sest. (429000 Thlr.), vierzehn Jahre später
40 (2,860000 Thlr.), Curio 60 (4 Mill. Thlr.), Milo 70 (5
Mill. Thlr.). Bei dem Concurs des Letzteren erhielten die Gläu-
biger etwas über 4 pCt. der liquidirten Summen. Es gewann
bei diesem rasend schnellen Umschlagen von Reichthum zur
Insolvenz natürlich niemand als der kühle Banquier, der es
verstand Credit zu geben und zu verweigern. Auch dies hätte
sich ertragen lassen, wenn die Insolvenz rechtzeitig den Concurs
herbeigeführt und damit wenigstens wieder ein klares Verhält-
niſs hergestellt hätte. Allein statt dessen suchte der Schuldner
den Concurs, ja sogar die Liquidation durch Verkauf seiner Habe,
namentlich seiner Grundstücke aus freier Hand, so lange es ir-
gend anging, zu verzögern und so lange er konnte den Schein-
reichen weiter zu spielen. So kamen denn die Creditverhältnisse
fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in den schlimmsten
Zeiten der socialen Krise des fünften Jahrhunderts gestanden
hatten: die nominellen Grundeigenthümer waren gleichsam die
Bittbesitzer ihrer Gläubiger, die Schuldner entweder ihren Gläubi-
gern knechtisch unterthan, so daſs die geringeren von ihnen
gleich den Freigelassenen in dem Gefolge derselben zu erschei-
nen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink ihres
Schuldherrn zu sprechen und zu stimmen sich genöthigt sahen,
oder auch im Begriff dem Eigenthum selbst den Krieg zu erklären
[487]REPUBLIK UND MONARCHIE.
und ihre Gläubiger entweder durch Drohungen zu terrorisiren
oder gar sich ihrer durch Complott und Bürgerkrieg zu entledigen.
Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen
entsprangen die Aufläufe, deren Signal das ‚freie Folium‘ war, des
Cinna (II. 239. 302) und bestimmter noch des Catilina, des Cae-
lius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der
Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die
hellenische Welt bewegten (I, 579). Daſs bei so unterhöhlten
ökonomischen Zuständen jede finanzielle oder politische Krise
die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der
Dinge; es bedarf kaum gesagt zu werden, daſs die gewöhnlichen
Erscheinungen: das Verschwinden des Capitals, die plötzliche
Entwerthung der Grundstücke, zahllose Bankerotte und eine fast
allgemeine Insolvenz eben wie während des bundesgenössischen
und mithradatischen (II, 377), so auch jetzt während des Bür-
gerkrieges sich einstellten. — Daſs Sittlichkeit und Familienleben
unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft
zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht
mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen arm
zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann
den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offiziers-
stelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vor-
nehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkun-
denfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daſs bei
einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid ‚das Schuldenpflaster‘
heiſst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Be-
stechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann,
sondern für einen persönlichen Feind. Die Criminalstatistik aller
Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu
einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und
so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeſs des Aulus
Cluentius in dem Schoſs einer der angesehensten Familien einer
italischen Ackerstadt vor uns aufrollt. Einer der charakteri-
stischsten Züge in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist
die Emancipation der Frauenwelt. Oekonomisch hatte dieselbe
längst sich emancipirt; in der gegenwärtigen Epoche begegnen
schon eigene Frauenanwälte, die einzelstehenden reichen Frauen
bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflis-
sen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntniſs
ihnen imponiren und damit reichlichere Trinkgelder und Erb-
schaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse.
Aber nicht bloſs der ökonomischen Vormundschaft des Vaters
[488]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshän-
del aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen
(mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Indu-
strien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen,
die Cytheris und wie sie weiter heiſsen, beschmutzen selbst die
Blätter der Geschichte. Indeſs ihrem gleichsam concessionirten
Gewerbe that sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der
Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häu-
sern waren so häufig geworden, daſs nur ein ganz ausnehmen-
des Aergerniſs sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen
konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe
lächerlich. Ein Scandal ohne gleichen, wie ihn Publius Clodius
693 bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, ob-
wohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch funfzig Jahre zu-
vor zu einer Reihe von Todesurtheilen geführt hatten (II, 400),
ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Bade-
saison — im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vorneh-
Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte — zog ihren Haupt-
reiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die ne-
ben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder
am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen
unumschränkt; indeſs keineswegs beschränkten sie sich auf diese
ihnen von Rechtswegen zustehende Domaine, sondern machten
auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und bethei-
ligten sich mit ihrem Geld und ihren Intriguen an dem wüsten
Colerietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne
Scipios und Catos agiren und daneben den jungen Elegant sah, wie
er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit
Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensan-
dalen das lockere Dirnchen copirte — dem mochte wohl grauen
vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen
schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser
Aristokratie über Ehescheidung dachte, läſst das Verfahren ihres
besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf
Bitten eines heirathslustigen Freundes von seiner Frau sich zu
scheiden keinen Anstand nahm und ebensowenig daran nach dem
Tode desselben dieselbe Frau zum zweiten Mal zu heirathen.
Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornämlich in den höheren Stän-
den immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst
als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse
über sich nahm (I, 641. II, 384), so begegnen wir jetzt schon
auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der
[489]REPUBLIK UND MONARCHIE.
ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete (II,
40): daſs es Bürgerpflicht sei die groſsen Vermögen zusammen-
zuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. — In
Folge dieser socialen Zustände schwand der latinische Stamm in
Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich theils
eine parasitische Bevölkerung, theils die reine Oede über die schö-
nen Landschaften. Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung Italiens
strömte in das Ausland. Schon die Summe von Capacitäten und
Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und
italischen Besatzungen für das gesammte Mittelmeergebiet in An-
spruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die
also in die Fremde gesandten Elemente zum groſsen Theil der
Nation für immer verloren gingen. Je mehr die römische Ge-
meinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs,
desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie Italien als
ihre ausschlieſsliche Heimath zu betrachten; von der zum Dienst
ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein an-
sehnlicher Theil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blu-
tigen Bürgerkriege zu Grunde und ein anderer ward durch die
lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienst-
zeit der Heimath völlig entfremdet. Dazu kam die Speculation,
die einen Theil der Gutsbesitzer- und fast die ganze Kaufmann-
schaft auf Zeitlebens oder doch auf lange Zeit auſser Landes fest-
hielt und namentlich die letztere in dem demoralisirenden Han-
delsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutter-
lande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie entwöhnte.
Als Ersatz dafür erhielt Italien theils das Sclaven- und Freigelas-
senenproletariat, theils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten
einströmenden Handwerker und Händler, die vornämlich in der
Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli,
Brundisium wucherten (II, 389). Aber in dem gröſsten und wich-
tigsten Theil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen
Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung
sichtlich. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie
denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien von Gleichzeitigen
der menschenleerste Theil Italiens genannt wird, und von der
Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwir-
kung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden
bösen Luft jährlich mehr verödete. Labicum, Gabii, Bovillae,
einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daſs es
schwer hielt Vertreter derselben für die Ceremonie des Latiner-
festes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der an-
[490]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
gesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus eini-
gen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr
tusculanisches Heimathrecht festhielten, und stand an Zahl der
stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter den kleinen Ge-
meinden im inneren Italien. Der Stamm der waffenfähigen Mann-
schaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaf-
tigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, daſs
man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabel-
haft klingenden Berichte der Chronik von den Aequer- und Vols-
kerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht
überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Theilen
Mittelitaliens und in Campanien; aber dennoch ‚standen‘, wie
Varro klagt, durchgängig ‚Italiens einst menschenreiche Städte
verödet‘. — Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter
dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler
und der Welt der Reichen ist der verhängniſsvolle Gegensatz
durch nichts vermittelt noch gemildert. Je deutlicher und pein-
licher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hö-
her der Reichthum stieg', je tiefer der Abgrund der Armuth
gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spe-
culation und des Glücksspiels der Einzelne aus der Tiefe in die
Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je wei-
ter äuſserlich die beiden Welten auseinander klafften, desto voll-
ständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Fa-
milienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der
gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oeko-
nomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen
nur im Tarif unterschiedenen Corruption, der gleichen Verbre-
cherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten mit dem Eigenthum
den Krieg zu beginnen. Reichthum und Elend im innigen Bunde
treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit
Sclavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauen-
volles Bild, aber kein eigenthümliches: überall, wo das Capita-
listenregiment im Sclavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es
Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme
in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich
gleich sieht, so gleicht auch das Italien unter der römischen Oli-
garchie wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter
noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo ganz in ähnlicher
Weise das allmächtig regierende Capital den Mittelstand zu Grunde
gerichtet, den Handel und die Gutswirthschaft zur höchsten Blü-
the gesteigert, und schlieſslich eine gleiſsend übertünchte sittliche
[491]REPUBLIK UND MONARCHIE.
und politische Verwesung der Nation herbeigeführt hatte. Alles
was in der heutigen Welt das Capital von argen Sünden gegen
Nation und Civilisation begangen hat, bleibt so tief unter den
Greueln der alten Capitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er
auch noch so arm, über dem Sclaven bleibt; und erst wenn Nord-
amerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder ähnliche Früchte
zu ernten haben.
Diese Leiden, an denen die italische Volkswirthschaft darnie-
derlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar und was daran
noch geheilt werden konnte, muſsten wesentlich das Volk selber
und die Zeit bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag, so
wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Säfte des Orga-
nismus in frische zu verwandeln oder bei tiefer liegenden Uebeln
mehr zu thun als die Zufälligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft
der Natur in ihrem Wirken hindern. Ein solche Abwehr gewährte
an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments, durch
welches einige der ärgsten Auswüchse schon von selber wegfielen,
wie zum Beispiel die künstliche Groſsziehung des Proletariats,
die Straflosigkeit der Verbrechen, der Aemterkauf und anderes
mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch thun als
sich passiv verhalten. Caesar gehörte nicht zu den überklugen
Leuten, die das Meer darum nicht eindämmen, weil der Spring-
fluth doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn
die Nation und ihre Oekonomie von selbst die naturgemäſse Bahn
geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so setzte Caesar alle
seine Energie ein, um von oben herab die Nation in das heimath-
liche und Familienleben zurückzubringen und die Volksökono-
mie durch Gesetz und Decret zu reformiren. Um der dauernden
Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern, wurde nicht bloſs
die Dienstzeit der Soldaten verkürzt, sondern auch den Männern
senatorischen Standes überhaupt untersagt anders als in öffent-
lichen Geschäften ihren Aufenthalt auſserhalb Italiens zu nehmen,
den übrigen Italikern in heirathsfähigem Alter (vom zwanzigsten
bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben nicht über drei Jahre
hinter einander von Italien abwesend zu sein; eine Maſsregel, die
zur Folge haben muſste die vornehme Welt und die Kaufmann-
schaft zur Gründung eigener Heerde in der Heimath zu veran-
lassen. In demselben Sinn hatte er schon in seinem ersten Con-
sulat bei Gründung der Colonie Capua die Väter mehrerer Kinder
vorzugsweise bedacht (S. 193) und setzte nun als Imperator den
Vätern zahlreicher Familien auſserordentliche Belohnungen aus,
[492]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung
und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten
Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht ein de-
taillirtes Luxusgesetz zu erlassen, das unter Anderm die Bauver-
schwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse,
den Grabmonumenten beschnitt, den Gebrauch von Purpurge-
wändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen
beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem
Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte
geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht
neu; aber neu war es, daſs der ‚Sittenmeister‘ ernstlich über deren
Befolgung hielt, die Eſswaarenmärkte durch bezahlte Aufpasser
überwachte, ja den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener
die Tafel revidiren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst
confisciren lieſs. Durch solche theoretische und praktische Unter-
weisung in der Mäſsigkeit, welche die neue monarchische Polizei
der vornehmen Welt ertheilte, konnte freilich kaum mehr erreicht
werden, als daſs der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit
zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das
Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Ver-
hältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit
ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern. Ernsterer
Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maſsregeln Caesars
zur besseren Regulirung der italischen Geld- und Bodenwirth-
schaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestim-
mungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise
überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Ca-
pitalien hervorgerufene Gesetz, daſs Niemand über 60,000 Sester-
zen (4290 Thlr.) an baarem Gold und Silber vorräthig haben
dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden
Publicums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; daſs Cae-
sar dieser Verfügung sich schämte, zeigt die Form der Publica-
tion, wobei fingirt ward, daſs hiermit nur ein älteres in Ver-
gessenheit gerathenes Gesetz wieder eingeschärft werde, und
schwerlich wird davon ernstlich Anwendung gemacht sein. Eine
weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden For-
derungen, deren vollständigen Erlaſs die Partei, die sich die
seinige genannt, mit Ungestüm begehrte. Daſs Caesar auf dieses
Begehren so nicht einging, ward schon gesagt (S. 437); indeſs
wurden und zwar schon im J. 705 den Schuldnern zwei wichtige
Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zin-
[493]REPUBLIK UND MONARCHIE.
sen niedergeschlagen* und die gezahlten vom Capital
abgezogen.
Zweitens ward der Gläubiger genöthigt die bewegliche und unbe-
wegliche Habe des Schuldners an Zahlungsstatt nach demjenigen
Taxwerth anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Bürgerkrieg
und der durch denselben herbeigeführten allgemeinen Entwer-
thung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig:
wenn der Gläubiger thatsächlich als der Eigenthümer der Habe
seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe
anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, daſs er an der
allgemeinen Entwerthung des Besitzes seinen Antheil mittrug.
Dagegen die Annullirung der Zinszahlungen und Zinsforderungen
war in der That nichts anderes als eine theilweise Gewährung
der von den Demokraten so ungestüm begehrten Cassation aller
aus Darlehen herrührenden Forderungen, und das praktische Re-
sultat derselben kam darauf hinaus, daſs die Gläubiger durch
diese Verfügung auſser den rückständigen Zinsen durchschnitt-
lich 25 Procent ihres Capitals einbüſsten. Wie arg auch die Zins-
wucherer gewirthschaftet haben mochten, so ist es doch nicht
möglich dadurch die allgemeine und rückwirkende Cassation aller
Zinsforderungen ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um sie we-
nigstens zu begreifen, muſs man sich erinnern, wie die demo-
kratische Partei zu der Zinsfrage stand. Daſs schon während der
ersten socialen Krise in Rom die Opposition speciell gegen das
Zinsnehmen sich gerichtet und zuletzt im J. 412 ein förmliches
Zinsverbot durchgesetzt hatte (I, 195), war keineswegs vergessen.
Die Demokraten des siebenten Jahrhunderts betrachteten sich
durchaus als die Fortsetzer jener alten ständisch-socialen Bewe-
gung (S. 167); und das gesetzliche Zinsverbot war nicht bloſs
nicht förmlich abgeschafft worden, sondern es ward von der De-
mokratie zu aller Zeit als praktisch gültig betrachtet und spielte
schon in den Wirren der marianischen Zeit eine Rolle (II, 239).
Es ist nicht glaublich, daſs Caesar die cruden Ansichten seiner
Partei über die Zinsfrage theilte; wenn er in seinem Bericht über
die Liquidationsangelegenheit der Verfügung über die Hingabe
der Habe der Schuldner an Zahlungsstatt gedenkt, aber von der
Cassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer
Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteiführer hing doch auch er
von seiner Partei ab und konnte die traditionellen Sätze der De-
mokratie in der Zinsfrage nicht geradezu verleugnen; um so mehr
[494]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Phar-
salos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entschei-
den hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und
das Eigenthum vielleicht mehr zulieſs als bewirkte, so ist es sicher
sein Verdienst, daſs jenes ungeheuerliche Begehren der Cassation
sämmtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward; und es
darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daſs
die Schuldner über das ihnen gemachte nach ihrer Ansicht höchst
ungenügende Zugeständniſs noch weit ungehaltener waren als
die verkürzten Gläubiger, und unter Caelius und Dolabella den
thörichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Ver-
such machten das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch
Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen. — Aber Caesar be-
schränkte sich nicht darauf dem Schuldner für den Augenblick
zu helfen, sondern er that, was er als Gesetzgeber thun konnte
um die fürchterliche Allmacht des Capitals auf die Dauer zu beu-
gen. Vor allen Dingen proclamirte er den groſsen Rechtssatz,
daſs die Freiheit nicht ein dem Eigenthum commensurables Gut
ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem
Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat.
Es ist Caesar, der dieses den Satzungen des älteren Concurs-
rechts schnurstracks widersprechende Prinzip zuerst eingeführt
hat in das Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet.
Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner
Knecht seines Gläubigers (I, 105); das poetelische Gesetz hatte
dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung
augenblicklich zahlungsunfähigen Schuldner verstattet durch Ab-
tretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten (I, 195); je-
doch für den wirklich Ueberschuldeten war jener Rechtssatz wohl
in Nebenpuncten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein hal-
bes Jahrtausend unverändert festgehalten worden. Ein zunächst
auf das Vermögen gerichteter Concurs war immer noch Ausnahme
und kam nur dann vor, wenn der Schuldner todt oder seines Bür-
gerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Nun
aber gestattete Caesar dem überschuldeten Manne das Recht, wo-
rauf noch unsere heutigen Concursordnungen beruhen: durch
förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer
Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Frei-
heit, wenn gleich mit geschmälerten Ehren- und politischen Rech-
ten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in
der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden nicht gedeck-
ten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie
[495]REPUBLIK UND MONARCHIE.
bezahlen konnte, ohne wiederum sich ökonomisch zu ruiniren.
Wenn also dem groſsen Demokraten die unvergängliche Ehre zu
Theil ward die persönliche Freiheit principiell vom Capital zu
emancipiren, so versäumte er nicht die Uebermacht des Capitals
durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudämmen. Die demo-
kratische Antipathie gegen die Zinsverträge verleugnete auch
er nicht. Für den italischen Geldverkehr wurde eine Maximal-
summe der dem einzelnen Capitalisten zu gestattenden Zinsdar-
lehen festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zuständigen
italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht
die Hälfte des Werthes desselben betrug. Uebertretungen dieser
Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen
Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als Criminalver-
gehen behandelt und vor eine eigene Geschwornencommission
gewiesen. Wenn es gelang diese Vorschriften praktisch durch-
zuführen, so wurde jeder italische Geschäftsmann dadurch ge-
nöthigt zugleich vor allem auch italischer Grundbesitzer zu wer-
den und die Klasse der bloſs von ihren Zinsen zehrenden Capi-
talisten verschwand in Italien gänzlich. Indirect wurde damit
auch die nicht minder schädliche Kategorie der überschuldeten
und der Sache nach nur für ihre Gläubiger das Gut verwaltenden
Grundeigenthümer wesentlich beschränkt, indem die Gläubiger,
wenn sie ihr Zinsgeschäft fortführen wollten, gezwungen wurden
sich selber anzukaufen. Schon hierin liegt es übrigens enthalten,
daſs Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popular-
partei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen inner-
halb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich ist
es aber, daſs er sich nicht auf jene bloſs für Italien gültige An-
ordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summe be-
schränkte, sondern auch, namentlich mit Rücksicht auf die Pro-
vinzen, für die Zinsen selbst Maximalsätze vorschrieb. Die Ver-
fügungen, daſs es unstatthaft sei höhere Zinsen als 1 % monatlich,
oder von rückständigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen, oder
endlich eine das Capital selbst übersteigende Summe an rückstän-
digen Zinsen gerichtlich geltend zu machen, wurden zuerst von
Lucius Lucullus für Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen
besseren Nachfolgern beibehalten; sie wurden bald auch auf an-
dere Provinzen durch Statthalterverordnungen übertragen und
endlich wenigstens ein Theil derselben in allen Provinzen durch
einen Beschluſs des römischen Senats vom J. 704 mit Gesetzes-
kraft versehen. Wenn diese Iucullischen Verfügungen fortan in
ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus
[496]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
die Grundlage der römischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung
geworden sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung
Caesars zurückgeführt werden. — Hand in Hand mit diesen Be-
strebungen der Capitalübermacht zu wehren gingen die Versuche
die Bodenwirthschaft in diejenige Bahn zurückzuleiten, die dem
Gemeinwesen die förderlichste war. Sehr wesentlich war hiefür
schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn
bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen
oder unbeweglichen Eigenthums sicher gewesen war, wenn zum
Beispiel die römischen Bandenführer in den Zwischenzeiten, wo
ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik zu machen hatten, in
den Wäldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die
Landgüter ihrer Soldherren durch Eroberungen arrondirt hat-
ten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr ein Ende; und
vor allem die ackerbauende Bevölkerung aller Klassen muſste
davon die wohlthätigen Folgen empfinden. Auch Caesars Bau-
pläne, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschränk-
ten, waren bestimmt hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel
die Anlegung einer bequemen Fahrstraſse von Rom durch die
Apenninenpässe zum adriatischen Meer den italischen Binnen-
verkehr beleben, die Niedrigerlegung des Fucinersees der mar-
sischen Bauerlandschaft zu Gute kommen. Allein auch unmit-
telbar griff Caesar in die wirthschaftlichen Zustände Italiens ein.
Den italischen Viehzüchtern wurde auferlegt wenigstens den drit-
ten Theil ihrer Hirten aus freigeborenen erwachsenen Leuten zu
nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem
freien Proletariat eine Erwerbsquelle geöffnet ward. In der agra-
rischen Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Consulat
sie zu reguliren in die Lage gekommen war (S. 192), verstän-
diger als Gaius Gracchus, nicht darauf aus die Bauernwirthschaft
wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter ju-
ristischen Clauseln versteckten Revolution gegen das Eigenthum;
ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die
erste und unverbrüchlichste aller politischen Maximen die Sicher-
heit dessen, was Eigenthum ist oder doch im Publicum als Eigen-
thum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken
suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm
als eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es
lieſs auch so noch viel in dieser Beziehung sich thun. Jedes Pri-
vatrecht, mochte es Eigenthum oder titulirter Erbbesitz heiſsen,
auf Gracchus oder auf Sulla zurückgehen, ward unbedingt von
ihm respectirt. Das sämmtliche wirkliche Domanialland in Italien,
[497]REPUBLIK UND MONARCHIE.
mit Einschluſs eines ansehnlichen Theils der in den Händen geist-
licher Innungen befindlichen nach formellem Recht dem Staate
zugehörigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in
seiner streng sparsamen keine Verschleuderung und Vernach-
lässigung auch im Kleinen duldenden Weise durch die wiederer-
weckte Zwanzigercommission (S. 193) eine allgemeine Revision
der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Vertheilung in
gracchanischer Weise bestimmt; und es war wenigstens die Ab-
sicht des Imperators, wenn diese Domänen nicht ausreichen wür-
den, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grund-
stücke aus der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der
neuen Bauern wurden natürlich vor allem die gedienten Soldaten
berücksichtigt und so weit möglich die Last, die die Aushebung
für das Mutterland war, in eine Wohlthat dadurch umgewandelt,
daſs Caesar den dort als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm
als Bauer zurückgab; bemerkenswerther ist es, daſs die verödeten
latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vor-
zugsweise mit neuen Colonisten bedacht worden zu sein scheinen.
Die Vorschrift Caesars, daſs die neuen Eigenthümer erst nach
zwanzig Jahren befugt sein sollten die empfangenen Ländereien
zu veräuſsern, war ein glücklicher Mittelweg zwischen der völli-
gen Freigebung derselben, die das vertheilte Land bald gröſsten-
theils wieder in die Hände der groſsen Capitalisten zurückgeführt
haben würde, und den bleibenden Beschränkungen der Verkehrs-
freiheit, wie sie Tiberius Gracchus (II, 81. 86. 114) und Sulla
(II, 332. III, 84), beide gleich vergeblich, verfügt hatten. —
Wenn also die Regierung energisch dazu that die kranken Ele-
mente des italischen Volkslebens zu entfernen und die gesun-
den zu stärken, so sollte endlich das neu regulirte Municipal-
wesen, nachdem sich dasselbe erst jüngst aus der Krise des
Bundesgenossenkriegs in und neben der Staatswirthschaft ent-
wickelt hatte (II, 344), der neuen absoluten Monarchie das mit
ihr verträgliche Gemeindeleben mittheilen und die stockende
Circulation der edelsten Elemente des öffentlichen Lebens wie-
der zu rascheren Pulsschlägen erwecken. Als leitender Grund-
satz in den beiden im J. 705 für das cisalpinische Gallien, im
J. 709 für Italien erlassenen Gemeindeordnungen*, von denen
namentlich die letztere für die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb,
erscheint theils die strenge Reinigung der städtischen Collegien
von allen unsittlichen Elementen, während von politischer Polizei
Röm. Gesch. III. 32
[498]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
darin keine Spur vorkommt, theils die möglichste Beschränkung
des Centralisirens und die möglichst freie Bewegung der Gemein-
den, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenn
gleich beschränkte Civil- und Criminalgerichtsbarkeit verblieb.
Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Be-
schränkung des Associationsrechts (S. 477), griffen freilich auch
hier Platz. — Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar ver-
suchte die italische Volkswirthschaft zu reformiren. Es ist leicht
sowohl ihre Unzulänglichkeit darzuthun, indem auch sie noch eine
Menge von Uebelständen bestehen lieſsen, als auch nachzuweisen,
daſs sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit
zum Theil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter
nachzuweisen, daſs die Schäden der italischen Volkswirthschaft
überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotz dem wird der prak-
tische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war
schon etwas, daſs da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhülfe verzwei-
felnd, mit einer bloſs formalen Reorganisation sich begnügt hatte,
das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefaſst und hier mit ihm
gerungen ward; und wir dürfen wohl urtheilen, daſs Caesar mit
seinen Reformen dem Maſse des Möglichen so nahe kam, als zu
kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die
Verjüngung Italiens hat auch er nicht auf diesem Wege gesucht,
sondern auf einem sehr verschiedenen, den zu entwickeln es nö-
thig wird zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vor-
fand, ins Auge zu fassen.
In den Provinzen war zunächst der oligarchischen Miſswirth-
schaft ein Ende zu machen. Sie war auf einem Puncte angekom-
men, wie ihn wenigstens im Occident, trotz mancher achtbarer
Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals er-
reicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung
nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung
hiefür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen
das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern
den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer
Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daſs jeder angeschul-
digte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verant-
wortung sich zu stellen verpflichtet war; daſs der römische Statt-
halter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der ab-
hängigen Gemeinden eingriff, Bluturtheile fällte und Verhandlungen
des Gemeinderaths cassirte; daſs er im Kriegsfall mit den Milizen
nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie z. B.
Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle
[499]REPUBLIK UND MONARCHIE.
gefährlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und da
die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern
den Kopf vor die Füſse zu legen befahl. Es war wohl arg, daſs
keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts die römi-
schen Vögte und ihr Gefolge ferner band und daſs Vergewalti-
gungen, Schändungen und Ermordungen mit oder ohne Form
Rechtens in den Provinzen alltägliche Auftritte waren. Allein
es war dies wenigstens nichts Neues: fast überall war man scla-
vischer Behandlung längst gewohnt und es kam am Ende wenig
darauf an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder
ein römischer Proconsul den Localtyrannen spielte. Das mate-
rielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige, wofür man in den
Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgänge, die zwar
bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Indivi-
duen trafen, weit minder gestört als durch die auf allen zu-
gleich lastende finanzielle Exploitirung, welche mit solcher Ener-
gie doch niemals noch aufgetreten war. Die Römer bewährten
ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in
einer entsetzlichen Weise. Es ist früher versucht worden das
römische System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen
und verständigen Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verder-
bung darzustellen (II, 362—369); es versteht sich von selbst, daſs
die letztere progressiv zunahm. Die ordentlichen Abgaben wurden
weit drückender durch die Ungleichheit der Steuervertheilung und
durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre Höhe. Ueber die
Einquartierungslast äuſserten römische Staatsmänner selbst, daſs
eine Stadt ungefähr eben so viel leide, wenn der Feind sie er-
stürme und wenn ein römisches Heer Winterquartier in ihr
nehme. Während die Besteuerung nach ihrem ursprünglichen
Charakter die Vergütung für die von Rom übernommene Kriegs-
last gewesen war und die steuernde Gemeinde also ein Recht darauf
hatte vom ordentlichen Dienst verschont zu bleiben, wurde jetzt,
wie zum Beispiel für Sardinien bezeugt ist, der Besatzungsdienst
gröſstentheils den Provinzialen aufgebürdet und sogar in den or-
dentlichen Heeren auſser anderen Leistungen die ganze schwere
Last des Reiterdienstes auf sie abgewälzt. Die auſserordentlichen
Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe
oder ganz ohne Vergütung zum Besten des hauptstädtischen Pro-
letariats, die häufigen und kostspieligen Flottenrüstungen und
Strandvertheidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben
Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Requisite des wahnwitzi-
gen römischen Theater- und Thierhetzenluxus herbeizuschaffen,
32*
[500]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
die militärischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso häufig
wie erdrückend und unberechenbar. In den Clientelstaaten waren
die Formen der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten
selbst wo möglich noch ärger, da auſser den Römern hier auch
noch die einheimischen Höfe erpreſsten. In Kappadokien und
Aegypten war der Bauer wie der König bankerott und jener den
Steuereinnehmer, dieser den römischen Gläubiger zu befriedigen
auſser Stande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen
nicht bloſs des Statthalters selbst, sondern auch seiner ‚Freunde‘,
von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu
haben meinte und ein Anrecht durch ihn aus der Provinz als
ein gemachter Mann zurückzukommen. Die römische Oligarchie
glich in dieser Beziehung vollständig einer Räuberbande und
betrieb das Plündern der Provinzialen berufs- und handwerks-
mäſsig: ein tüchtiges Mitglied griff nicht allzu säuberlich zu, da
man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu theilen
hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebes-
ehre war bereits entwickelt: der groſse Räuber sah auf den klei-
nen, dieser auf den bloſsen Dieb geringschätzig herab; wer ein-
mal wunderbarer Weise verurtheilt worden war, that groſs mit
der hohen Ziffer der als erpreſst ihm nachgewiesenen Summen.
So wirthschafteten in den Aemtern die Nachfolger jener Männer,
die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu bringen gewohnt
gewesen als den Dank der Unterthanen und den Beifall der Mit-
bürger. Aber wo möglich noch ärger und noch weniger einer
Controle unterworfen hausten die italischen Geschäftsmänner un-
ter den unglücklichen Provinzialen. Die einträglichsten Stücke
des Grundbesitzes und das gesammte Handels- und Geldwesen
in den Aemtern concentrirten sich in ihren Händen. Die Wuche-
rei florirte wie nie zuvor. Es kam vor, daſs Capitalien selbst
an Stadtgemeinden zu 4 Procent monatlich verborgt wurden.
Es war etwas Gewöhnliches, daſs ein energischer und einfluſs-
reicher Geschäftsmann zu besserer Betreibung seiner Geschäfte
entweder vom Senat sich den Gesandten-* oder auch
vom Statt-
halter den Offizierstitel geben lieſs und wo möglich auch Mann-
schaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall erzählt, wo einer
dieser ehrenwerthen kriegerischen Banquiers wegen einer For-
derung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderath der-
selben im Rathhaus so lange blokirt hielt, bis fünf der Raths-
[501]REPUBLIK UND MONARCHIE.
mitglieder Hungers gestorben waren. Zu dieser gedoppelten
Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren In-
einandergreifen immer besser sich regulirte, kamen dann die all-
gemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch zum groſsen
Theil die römische Regierung wenigstens mittelbar die Schuld trug.
In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald
von den römischen Heeren groſse Capitalien aus dem Lande weg-
geschleppt und gröſsere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römi-
schen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und
Seeräubern. Im inneren Kleinasien war die Räuberwirthschaft
endemisch; in Africa und im jenseitigen Spanien machte sie es
nöthig alle auſserhalb der städtischen Ringmauern angelegten Ge-
bäude mit Mauern und Thürmen zu befestigen. Das furchtbare
Uebel der Piraterie ward bereits in einem andern Zusammenhang
geschildert. Die Panaceen des Prohibitivsystems, mit denen der
römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das
unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme
oder Brottheurung eintrat, die Verbote der Gold- oder Getreide-
ausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht
hesser. Die Communalverhältnisse waren fast überall auſser durch
den allgemeinen Nothstand auch noch durch locale Wirren und
Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Be-
drängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter
hindurch auf den Gemeinden und den Einzelnen mit stetigem
unabwendbarem jährlich steigendem Drucke lasteten, muſste wohl
der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen
und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum
Euphrat sich ausbreiten. ‚Alle Gemeinden‘, heiſst es in einer
schon 684 veröffentlichten Schrift, ‚sind zu Grunde gerichtet‘;
eben dasselbe wird für Spanien und das narbonensische Gallien,
also die verhältniſsmäſsig ökonomisch noch am leidlichsten ge-
stellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar stan-
den Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche
Sclavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen
der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe und sogar der
geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staats-
männer selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu er-
gründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann sowohl in
dem frevelhaften Zufügen, wie in dem nicht minder frevelhaften
Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Criminal-
acten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Groſse zu thun,
was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst
[502]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
die eigenen Staatsmänner räumten öffentlich und ohne Umschweife
ein, daſs der römische Name durch ganz Griechenland und Asien
unaussprechlich verhaſst sei; und wenn die Bürger des pontischen
Herakleia einmal die römischen Zöllner sämmtlich erschlugen, so
war nur zu bedauern, daſs dergleichen nicht öfter geschah. —
Die Optimaten spotteten über den neuen Herrn, der seine ‚Meier-
höfe‘ einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der
That forderte der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und
die ganze Weisheit eines jener seltenen Männer, denen der Kö-
nigsname es verdankt, daſs er den Völkern nicht bloſs gilt als
leuchtendes Exempel menschlicher Erbärmlichkeit. Die geschla-
genen Wunden muſste die Zeit heilen; daſs sie es konnte und
daſs nicht ferner neue geschlagen wurden, dafür sorgte Caesar.
Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. An die
Stelle der sullanischen Proconsuln, Proprätoren und Proquästo-
ren trat rechtlich der Imperator, der schon durch die Einheit und
die lebenslängliche Dauer seiner Macht zu den Unterthanen ein na-
türlicheres und leidlicheres Verhältniſs hatte als jene zahllosen und
jährlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die unmittelbare Ver-
waltung an Ort und Stelle übernahmen anstatt der bisherigen
wesentlich souverainen Volksbeamten die Untergebenen des Im-
perators: wo bisher der Proconsul und sein Quästor erschienen
waren gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung ab-
gesandten Mitglieder einer Räuberbande, da kamen jetzt in dem
Legaten und Procurator des Regenten die wohl in Zucht gehal-
tenen Diener eines unparteiischen Herrn. Von dem Obercom-
mando, mit dem die Leitung der Rechtspflege und die admini-
strative Controle der Gemeinden auch ferner verbunden blieb,
ward das Hebewesen vollständig getrennt und jenes den kaiser-
lichen Adjutanten, dieses den kaiserlichen Bedienten übertragen,
so daſs alle Provinzialbeamten entweder durch die Gesetze der
militärischen Hierarchie, oder durch die noch strengeren der
häuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator abhängig wurden
und blieben. Statt der bisherigen schlimmer als nichtigen Con-
trole der Ritter- oder senatorischen Gerichte trat die Verantwor-
tung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das
Gesetz über Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon
in seinem ersten Consulat verschärft hatte, wurde gegen die Ober-
commandanten in den Aemtern von ihm mit unerbittlicher, selbst
über den Buchstaben desselben hinausgehender Schärfe zur An-
wendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja es
wagten sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, büſsten ihrem
[503]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Haus-
recht jener Zeit zu büſsen pflegten. Die auſserordentlichen öffent-
lichen Lasten wurden auf das richtige Maſs und den wirklichen
Nothfall zurückgeführt, die ordentlichen wesentlich beschränkt.
Der durchgreifenden Regulirung des Steuerwesens ward bereits
früher gedacht (S. 469): die Ausdehnung der Steuerfreiheiten,
die durchgängige Herabsetzung der directen Abgaben, die Be-
schränkung des Zehntsystems auf Africa und Sardinien, die voll-
ständige Beseitigung der Mittelsmänner bei der Einziehung der
directen Abgaben waren für die Provinzialen segensreiche Refor-
men. Daſs Caesar nach dem Beispiel eines seiner gröſsten de-
mokratischen Vorgänger, des Sertorius (S. 19), die Unterthanen
von der Einquartierungslast befreit und die Soldaten angehalten
hat sich selber solide stadtartige Standlager zu errichten, ist zwar
nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem er die Prä-
tendenten- mit der Königsrolle vertauscht hatte, nicht der Mann
den Unterthan dem Soldaten preiszugeben und es war in seinem
Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager
und aus diesen Kriegslagern wieder Städte erschufen, in denen
die italische Civilisation Brennpuncte inmitten der barbarischen
Grenzlandschaften fand. — Bei weitem schwieriger als dem Be-
amtenunwesen zu steuern war es die Provinzialen von der er-
drückenden Uebermacht des römischen Capitals zu befreien. Ge-
radezu brechen lieſs dieselbe sich nicht, ohne Mittel anzuwenden,
die noch gefährlicher waren als das Uebel; die Regierung konnte
nichts thun als vorläufig der offenbaren Vergewaltigung und dem
handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der auch auf
die Provinzen sich erstreckenden allgemeinen Wuchergesetze
(S. 494) steuern und von dem unter der besseren Verwaltung
wieder aufblühenden Wohlstand der Provinzialen eine gründli-
chere Heilung des Uebels erwarten. Daſs Caesar in diesem Sinne
thätig war, zeigt die Abstellung des Miſsbrauches, der zu wucher-
lichen Zwecken mit dem Staatsgesandtentitel getrieben ward.
Transitorische Verfügungen, um der Ueberschuldung einzelner
Provinzen abzuhelfen, werden aus dieser Zeit mehrere erwähnt.
So überwies Caesar selbst bereits 694 als Statthalter des jensei-
tigen Spaniens den Gläubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer
Schuldner, um daraus sich bezahlt zu machen. Aehnlich hatte
schon Lucius Lucullus als Statthalter von Kleinasien die Gläubi-
ger, nachdem er einen Theil der maſslos angeschwollenen Zins-
reste geradezu cassirt hatte, für den übrigen Theil ihrer Forde-
rungen angewiesen auf den vierten Theil des Ertrags der Lände-
[504]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
reien ihrer Schuldner so wie auf eine angemessene Quote der aus
Hausmiethe oder Sclavenarbeit denselben zuflieſsenden Nutzun-
gen. Es ist nicht überliefert, daſs Caesar nach dem Bürgerkrieg
ähnliche allgemeine Schuldenliquidationen in den Provinzen ver-
anlaſst hätte; doch kann es, nach dem eben Bemerkten und nach
dem, was für Italien geschah (S. 492), kaum bezweifelt werden,
daſs Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder dies wenig-
stens in seinem Plane lag. — Wenn also der Imperator, so weit
Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrückungen
durch die Beamten und Capitalisten Roms entlastete, so durfte man
zugleich von der durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicher-
heit erwarten, daſs sie die wilden Grenzvölker verscheuchen und
die Land- und Seepiraten zerstreuen werde, wie die aufsteigende
Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden
schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Unterthanen
die Morgenröthe einer erträglicheren Zeit, seit Jahrhunderten
wieder die erste intelligente und humane Regierung und eine
Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der
Kraft beruhte. Wohl mochten mit den besten Römern vor allem
die Unterthanen an der Leiche des groſsen Befreiers trauern.
Allein diese Abstellung der bestehenden Miſsbräuche war nicht
die Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der römischen
Republik waren nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demo-
kratie die Aemter nichts gewesen als wie sie häufig genannt wer-
den: Landgüter des römischen Volkes und als solche benutzt und
ausgenutzt worden. Diese Auffassung ward jetzt beseitigt. Die
Provinzen als solche sollten allmählich untergehen, um der ver-
jüngten italisch-hellenischen Nation eine neue und geräumigere
Heimath zu bereiten, von deren einzelnen Landschaften keine nur
um der andern willen da war, sondern alle für einen und eine für
alle; die Leiden und Schäden der Nation, für die in dem alten Ita-
lien keine Hülfe war, sollte das neue Dasein in der verjüngten Hei-
math, das frischere, breitere, groſsartigere Volksleben von selber
überwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Längst
hatte die seit Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus
Italien in die Provinzen, freilich den Emigranten selber unbewuſst,
eine solche Ausdehnung Italiens vorbereitet. Schon Gaius Grac-
chus, der Schöpfer der römischen demokratischen Monarchie, der
Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gründer der Colo-
nien Karthago und Narbo, hatte in planmäſsiger Weise die Itali-
ker über Italiens Grenzen hinausgelenkt. Der zweite geniale
Staatsmann, den die römische Demokratie hervorbrachte, Quin-
[505]REPUBLIK UND MONARCHIE.
tus Sertorius hatte damit begonnen die barbarischen Occidentalen
zur latinischen Civilisation anzuleiten; er gab der vornehmen
spanischen Jugend römische Tracht und hielt sie an lateinisch zu
sprechen und auf der von ihm gegründeten Bildungsanstalt in Osca
sich die höhere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regie-
rungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit
wie der Concentration groſsentheils ermangelnde italische Bevöl-
kerung in allen Provinzen und Clientelstaaten vorhanden; um von
den förmlich italischen Städten in Spanien und dem südlichen
Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an die zahlreichen Bür-
gertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien, Caesar in
Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Africa, Ma-
kedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben, an die
freilich übelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten
von Corduba schon im sertorianischen Kriege der römischen Feld-
herren Lob und Preis sangen, an die eben ihrer sprachlichen Ele-
ganz wegen geschätzten Uebersetzungen griechischer Poesien, die
der älteste namhafte auſseritalische Poet, Publius Terentius Varro
von der Aude kurz nach Caesars Tod veröffentlichte. — Andrer-
seits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen
Wesens, man möchte sagen so alt wie Rom. Schon bei der Eini-
gung Italiens hatte die obsiegende latinische Nation alle anderen
besiegten Nationalitäten sich assimilirt, nur die einzige griechische,
so wie sie war, sich eingefügt, ohne sie äuſserlich mit sich zu ver-
schmelzen. Wohin der römische Legionar kam, dahin folgte der
griechische Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer,
ihm nach; schon früh finden wir namhafte griechische Sprach-
lehrer ansässig am Guadalquivir und in der Anstalt von Osca ward
so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die höhere römische Bil-
dung selbst war ja durchaus nichts anderes als die Verkündigung
des groſsen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im italischen
Idiom; gegen die bescheidene Anmaſsung der civilisirenden Er-
oberer dasselbe zunächst in ihrer Sprache den Barbaren des
Westens zu verkündigen konnte der Hellene wenigstens nicht laut
protestiren. Schon längst erblickte der Grieche überall, und am
entschiedensten eben da, wo das Nationalgefühl am reinsten und
am stärksten war, an den von barbarischer Denationalisirung be-
drohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am Nordgestade
des schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild
und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der That nah-
men Pompeius Städtegründungen im fernen Osten nach jahr-
hundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk
[506]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wieder auf. — Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches
mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war
nicht neu — er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler—;
aber daſs er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung,
aus zerstreuten Anfängen zu sicherer und concentrirter Grund-
legung fortschritt, ist das Werk des dritten und gröſsten der de-
mokratischen Staatsmänner Roms.
Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen
und nationalen Nivellirung des Reichs war die Erhaltung und Aus-
dehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimm-
ten Nationen unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr
stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In
gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Grie-
chen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in
der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem
neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spie-
len bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige
nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt
überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mäch-
tig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Ju-
den jener Zeit kaum mehr als heutzutage Jerusalem für sie be-
deutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Ein-
heit einen sichtbaren Anhalt in dem Königreich Jerusalem, aber
sie selbst bestand keineswegs in der Unterthanenschaft der Has-
monaeer, sondern in der unermeſslichen durch das ganze par-
thische und das ganze römische Reich zerstreuten Judenwelt. In
Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden
innerhalb dieser Städte eigene administrativ und selbst local ab-
gegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unsrer Städte nicht
ungleich, aber freier gestellt und von einem ‚Volksherrn‘ als
oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in
Rom bereits vor Caesar die jüdische Bevölkerung war und zu-
gleich wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zu-
sammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers die-
ser Zeit, daſs es für den Statthalter bedenklich sei den Juden in
seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zäh-
len dürfe nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel
ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende
Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen
Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin
wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben
der römischen strömte das Capital allerorts bei der jüdischen
[507]REPUBLIK UND MONARCHIE.
Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen
wir der eigenthümlichen Antipathie der Occidentalen gegen diese
so gründlich orientalische Race und ihre fremdartigen Meinungen
und Sitten. Dies Judenthum, obwohl nicht der erfreulichste Zug
in dem nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Völkermengung,
war nichts desto weniger ein im natürlichen Verlauf der Dinge
sich entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann
weder sich ableugnen noch bekämpfen durfte und dem Caesar
vielmehr, eben wie sein Vorgänger Alexander, in richtiger Er-
kenntniſs der Verhältnisse möglichst Vorschub that. Wenn Ale-
xander, der Stifter des alexandrinischen Judenthums, damit nicht
viel weniger für die Nation that wie ihr eigener David durch die
Gründung von Jerusalem, so förderte auch Caesar die Juden in
Alexandreia wie in Rom durch besondere Begünstigungen und
Vorrechte und schützte namentlich ihren eigenthümlichen Cult
gegen die römischen wie gegen die griechischen Localpfaffen. Die
beiden groſsen Männer dachten natürlich nicht daran der helle-
nischen oder italisch-hellenischen Nationalität die jüdische eben-
bürtig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Oc-
cidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat
und gegen den Staat sich wesentlich gleichgültig verhält; der
ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigenthümlich-
keit aufgiebt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Natio-
nalität umhüllt und bis zu einem gewissen Grad die fremde Volks-
thümlichkeit sich aneignet — der Jude war eben darum wie ge-
schaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert
lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaſsen abstrac-
ten und von vornherein verschliffenen Nationalität ausgestattet
werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judenthum ein
wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen
Decomposition und insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mit-
glied in dem caesarischen Staate, dessen Politie doch eigentlich
nichts als Weltbürgerthum, dessen Volksthümlichkeit eigentlich
nichts als Humanität war. — Indeſs die positiven Elemente des
neuen Bürgerthums blieben ausschlieſslich die latinische und die
hellenische Nationalität. Mit dem specifisch italischen Staat der
Republik war es also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr
erklärliches, aber auch sehr albernes Gerede des grollenden Adels,
daſs Caesar Italien und Rom absichtlich zu Grunde richte, um
den Schwerpunct des Reiches in den griechischen Osten zu ver-
legen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu
machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisationen die latinische
[508]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Nationalität immer das Uebergewicht; wie sich dies schon darin
ausspricht, daſs er jede Verfügung in lateinischer, aber die für die
griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in grie-
chischer Sprache erlieſs. Im Allgemeinen ordnete er die Verhält-
nisse der beiden groſsen Nationen in seiner Monarchie eben wie
sie in dem geeinigten Italien seine republikanischen Vorgänger
geordnet hatten: die hellenische Nationalität wurde geschützt, wo
sie bestand, die italische nach Vermögen erweitert und ihr die
Erbschaft der aufzulösenden Racen bestimmt. Es war dies schon
deſshalb nothwendig, weil eine völlige Gleichstellung des griechi-
schen und des lateinischen Elements im Staate aller Wahrschein-
lichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe herbeige-
führt haben würde, die manche Jahrhunderte später der Byzan-
tinismus vollzog; denn das Griechenthum war nicht bloſs geistig
nach allen Richtungen hin dem römischen Wesen überlegen, son-
dern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwärmen
der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden Hellenen
und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Ein-
fluſs nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der
eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so
ist das Regiment der griechischen Lakaien über die römischen
Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der ebenso lan-
gen wie widerwärtigen Liste dieser Individuen ist Pompeius ver-
trauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine
Gewalt über den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als ir-
gend ein anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen
Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht
ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten göttlich ver-
ehrt: eröffnete er doch die griechische Kammerdienerherrschaft
der Kaiserzeit, die gewissermaſsen doch auch eine Herrschaft der
Hellenen über die Römer war. Die Regierung hatte demnach allen
Grund die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen
nicht noch von oben herab zu fördern; wohl aber ward das Grie-
chenthum, wo es bestand, erhalten und geschützt. Wie nahe
auch die politischen Krisen es dem Imperator legten die festen
Pfeiler des Hellenismus im Occident und in Aegypten umzustür-
zen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch de-
nationalisirt. Wenn Sicilien nicht bloſs des Zehntendruckes ent-
lastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische Recht be-
stimmt ward, dem seiner Zeit vermuthlich die volle Gleichstel-
lung mit Italien nachfolgen sollte, so war Caesars Absicht ohne
Zweifel nicht Sicilien zu latinisiren, sondern die herrliche Insel,
[509]REPUBLIK UND MONARCHIE.
welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt
hat als zu der schönsten seiner Landschaften, unter Beibehaltung
ihrer hellenischen Nationalität ähnlich wie Neapolis und Rhegion
in den italischen Gemeindeverband einzufügen. — Dagegen das
römische Wesen ward durch Colonisirung wie durch Latinisirung
nach allen Kräften und an den verschiedensten Puncten des Rei-
ches von der Regierung gehoben. Der zwar gewaltsame, aber
um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen
zu haben unumgänglich nothwendige Satz, daſs an allem nicht
durch besonderen Act der Regierung an Gemeinden und Private
abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat das
Eigenthum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jeder-
zeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar fest-
gehalten und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie
zu einem Fundamentalprincip des monarchischen Rechts erho-
ben. In erster Linie kam für die Ausbreitung der römischen
Nationalität natürlich Gallien in Frage. Gallien diesseit der Alpen
erhielt durch die längst von der Demokratie verheiſsene (S. 4.
152) und nun (705) von Caesar verwirklichte Aufnahme der
transpadanischen Gemeinden in den römischen Bürgerverband
durchgängig, was ein groſser Theil der Gemeinden daselbst längst
gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem Hauptland. That-
sächlich hatte sich diese Provinz in den vierzig Jahren, die seit
Ertheilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits vollstän-
dig latinisirt. Die Exclusiven mochten spotten über den breiten
und gurgelnden Accent des Keltenlateins und ein ‚ich weiſs nicht
was von hauptstädtischer Anmuth‘ bei dem Insubrer und Ve-
neter vermissen, der sich als Caesars Legionar mit dem Schwert
einen Platz auf dem römischen Markt und sogar in der römi-
schen Curie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das cisalpi-
nische Gallien mit seiner dichten vorwiegend bauerschaftlichen
Bevölkerung schon vor Caesar der Sache nach eine italische
Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte Zufluchts-
ort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn die Leh-
rer der latinischen Litteratur nirgends sonst auſserhalb der
Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also
das cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so rückte
zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die alte
transalpinische Provinz ein, die ja durch Caesars Eroberungen
aus einer Grenz- in eine Binnenprovinz umgewandelt worden
war und die durch ihre Nähe wie durch ihr Klima vor allen an-
dern Gebieten sich dazu eignete mit der Zeit gleichfalls eine ita-
[510]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
lische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsächlich, nach dem
alten Zielpunct der überseeischen Ansiedlungen der römischen
Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt.
Es wurde daselbst theils die alte Colonie Narbo durch neue An-
siedler verstärkt, theils in Baeterrae (Beziers) unweit Narbo, in
Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der Rhone und in der
neuen Hafenstadt Forum Julii (Fréjus) vier neue Bürgercolonien
angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen Le-
gionen bewahrten, die das nördliche Gallien zum Reiche gebracht
hatten.* Die nicht mit Colonisten belegten Ortschaften scheinen
zugleich, wenigstens gröſstentheils, in derselben Art, wie einst
das transpadanische Keltenland (II, 230), der Romanisirung ent-
gegengeführt worden zu sein durch Verleihung latinischen Stadt-
rechts; namentlich wurde Nemausus (Nimes) als der Hauptort des
den Massalioten in Folge ihrer Auflehnung gegen Caesar aber-
kannten Gebiets (S. 369) aus einem massaliotischen Dorf in eine
latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit ansehnlichem Ge-
biet und selbst mit Münzrecht ausgestattet.** Indem also das cis-
alpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen Gleich-
stellung mit Italien fortschritt, rückte gleichzeitig die narbonen-
sische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie
bisher im cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Ge-
meinden daselbst das volle Bürger-, die übrigen latinisches Recht.
— In den übrigen nicht griechischen und nicht latinischen Land-
[511]REPUBLIK UND MONARCHIE.
schaften des Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem
Assimilationsprozeſs noch ferner standen, beschränkte Caesar
sich darauf einzelne Brennpuncte für die italische Civilisation
zu gründen, wie dies bisher in Gallien Narbo gewesen war, um
durch sie die künftige vollständige Ausgleichung vorzubereiten.
Solche Anfänge lassen, mit Ausnahme der ärmsten und gering-
sten von allen, der sardinischen, in sämmtlichen Provinzen des
Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im nördlichen Gallien ver-
fuhr, ward schon dargelegt (S. 270); die lateinische Sprache er-
hielt hier, wenn auch noch nicht für alle Zweige des öffentlichen
Verkehrs, durchgängig officielle Geltung und es entstand am Le-
mansee als die nördlichste Stadt italischer Verfassung die Colonie
Noviodunum (Nyon). — In Spanien, vermuthlich damals der am
dichtesten bevölkerten Landschaft des römischen Reiches, wur-
den, so viel wir sehen, allein in der wichtigen hellenisch-iberi-
schen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevölkerung caesa-
rische Colonisten angesiedelt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades,
deren Municipalwesen Caesar schon als Praetor zeitgemäſs umge-
staltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das volle Recht der
italischen Municipien (705) und wurde, was in Italien Tusculum
gewesen war (I, 223), die erste auſseritalische nicht von Rom
gegründete Gemeinde, die in den römischen Bürgerverband ein-
trat. Einige Jahre nachher (709) wurde das gleiche Recht auch
einigen anderen spanischen Gemeinden und vermuthlich noch
mehreren das latinische Recht zu Theil. — In Africa wurde,
was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende führen sollen, jetzt ins
Werk gesetzt und an derjenigen Stätte, wo die Stadt der Erb-
feinde Roms gestanden, 3000 italische Colonisten und eine groſse
Anzahl der im karthagischen Gebiet ansässigen Pacht- und Bitt-
besitzer angesiedelt; zum Erstaunen rasch wuchs unter den un-
vergleichlich günstigen Localverhältnissen die neue ‚Venuscolo-
nie', das römische Karthago wieder empor. Utica, bis dahin die
Haupt- und erste Handelsstadt der Provinz, war schon im Vor-
weg, es scheint durch Ertheilung des latinischen Rechts, für die
Wiedererweckung seines überlegenen Concurrenten einigermaſsen
entschädigt worden. In dem neu zum Reiche gefügten numidi-
schen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und die übrigen dem
römischen Condottier Publius Sittius für sich und die Seinigen
überwiesenen Gemeinden (S. 425) das Recht römischer Militär-
colonien. Die stattlichen Provinzialstädte freilich, die das wahn-
sinnige Wüthen Jubas und der verzweifelnden Reste der Verfas-
sungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich nicht
[512]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
so rasch wieder wie sie eingeäschert worden waren und manche
Trümmerstatt erinnerte noch lange nachher an diese verhängniſs-
volle Zeit; allein die beiden neuen julischen Colonien, Karthago
und Cirta, wurden und blieben die Brennpuncte der africanisch-
römischen Civilisation. — In dem verödeten griechischen Land be-
schäftigte Caesar auſser mit andern Plänen, zum Beispiel der An-
lage einer römischen Colonie in Buthroton (Corfu gegenüber),
vor allem sich mit der Wiederherstellung von Korinth; nicht bloſs
wurde eine ansehnliche Bürgercolonie dorthin geführt, sondern
auch der Plan entworfen durch den Durchstich des Isthmus die
gefährliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und den
ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den korinthisch-saro-
nischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem entlege-
nen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins
Leben: so am schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche
Städte die italischen Colonisten ähnlich wie Emporiae mit den al-
ten Bewohnern theilten; so an der syrischen Küste in dem wichti-
gen Hafen von Berytos, das wie Sinope italische Verfassung er-
hielt; ja sogar in Aegypten wurde auf der den Hafen von Alexan-
dreia beherrschenden Leuchtthurminsel eine römische Station
gegründet. — Es ist in all diesen einzelnen Maſsregeln, die wenig-
stens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausführung
nach auf Caesar zurückgehen, offenbar ein bestimmtes System.
Italien blieb das Mutterland auch der verjüngten Nation. Die ihm
vollständig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhieſs und ver-
bürgte es, daſs in der Monarchie Caesars, eben wie in der frische-
ren Epoche der Republik, jede latinisirte Landschaft erwarten
durfte ihren älteren Schwestern ebenbürtig an die Seite zu treten.
Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausglei-
chung mit Italien [standen dessen Nebenländer, das griechische
Sicilien und das rasch sich latinisirende südliche Gallien. Auf
einer ferneren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die übrigen
Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Südgallien Narbo
römische Colonie gewesen war, jetzt die groſsen Seestädte: Empo-
riae, Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope,
Berytos, Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemein-
den wurden, die Stützpuncte der italischen Civilisation selbst im
griechischen Osten, die Grundpfeiler der künftigen nationalen und
politischen Nivellirung des Reiches. Die Herrschaft der Stadt-
gemeinde Rom über das Littoral des Mittelmeeres war zu Ende;
an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster Act war
die Sühnung der beiden gröſsten Unthaten, die jene Stadtgemeinde
[513]REPUBLIK UND MONARCHIE.
an der Civilisation begangen hatte. Wenn die Zerstörung der bei-
den gröſsten Handelsplätze im römischen Gebiet den Wendepunct
bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der römischen Gemeinde
in politische Tyrannisirung und finanzielle Ausnutzung der un-
terthänigen Landschaften überging, so bezeichnete jetzt die sofor-
tige und glänzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth
die Begründung des neuen alle Landschaften am Mittelmeer zu
nationaler und politischer Gleichheit und wahrhaft staatlicher
Einigung heranbildenden groſsen Gemeinwesens. Wohl durfte
Caesar der Stadt Korinth zu ihrem vielberühmten alten den
neuen Namen der ‚julischen Ehre' verleihen.
Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalität
ausgestattet ward, die freilich nothwendiger Weise, wenigstens
für jetzt, der volksthümlichen Individualität entbehrte und mehr
ein unlebendiges Kunstproduct als ein frischer Trieb der Natur
war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit in denjenigen Institu-
tionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen sich bewegt:
in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege, in
Münze, Maſs und Gewicht; wobei natürlich locale Besonderheiten
mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen
vertrugen. Ueberall kann auf diesen Gebieten nur von Anfängen
die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie
Caesars in der Zukunft lag und er nichts that als für den Bau von
Jahrhunderten den Grund legen. Auch auf diesen Gebieten lassen
noch manche Linien sich erkennen, die der groſse Mann gezogen
hat; und es ist erfreulicher hier ihm nachzugehen, als in dem
Trümmerbau der Nationalitäten.
Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits
in einem andern Zusammenhang die wichtigsten Momente her-
vorgehoben. Das wesentliche Element der neuen Einheit war eben
die Ersetzung des römischen Gemeinderaths als des bisherigen
Souveräns durch den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie.
Daſs bei der Reorganisation des Senats dahin gearbeitet ward
demselben statt seines bisherigen römisch-municipalen den Cha-
rakter eines höchsten, Italien wie die Provinzen repräsentirenden
Reichsraths zu geben, ward gleichfalls schon bemerkt (S. 452).
Die Oberverwaltung war bisher nach dem Grundsatz geführt
worden, daſs Italien im engern Sinn, als das Weichbild Roms,
von dessen Municipalbehörden nach Bürger-, die Provinzen als
abhängige Gebiete von Vögten nach Kriegsrecht administrirt
wurden; was namentlich für die Rechtspflege einen wichtigen
Unterschied machte. In der neuen Monarchie Caesars, wo der
Röm. Gesch. III. 33
[514]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
qualitative Unterschied zwischen Italien und den Provinzen weg-
fiel, muſste auch in der Oberverwaltung die Ausgleichung zwi-
schen Italien und den Provinzen angebahnt werden. Die Anfänge
dazu lagen bereits in der älteren Verfassung. Indem jede Ge-
meinde römischer, latinischer und überhaupt freier Verfassung,
wo immer sie belegen war, der Jurisdiction des Statthalters ent-
zogen ward und nach ihrem eigenen Recht sich selber verwaltete,
gab es schon in der republikanischen Zeit namentlich im cisalpini-
schen Gallien, aber auch in dem transalpinischen und in den spa-
nischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl Communen, die von
dem Statthalter in der Rechtspflege ganz und wesentlich auch in
der Verwaltung unabhängig waren und nur insoweit ihm gehorch-
ten, als dies auch den italischen Städten oblag, falls in Italien ein
Bürgerheer stand. Ja seitdem im cisalpinischen Gallien sämmt-
liche Gemeinden das römische oder latinische Recht besaſsen, be-
stand hier überall italische Gemeindefreiheit und bürgerliche Juris-
diction und war die Lage der Provinz dem römischen Feldherrn
gegenüber eben dieselbe wie die der italischen Landschaften, mit
der einzigen Ausnahme, daſs dort immer, hier nur ausnahmsweise
ein römisches Obercommando seinen Sitz halte. Caesar knüpfte
hier an. Auch er hielt den Grundsatz fest, daſs, wo italische Ge-
meindefreiheit bestand, die Jurisdiction wesentlich bürgerlicher
Art war, wo sie nicht bestand, nach Kriegsrecht administrirt ward:
Italien also, das cisalpinische und das narbonensische Gallien,
Sicilien und die einzelnen in den übrigen Provinzen mit italischem
Recht ausgestatteten oder doch freien Gemeinden standen unter
den römischen oder den eigenen bürgerlichen Gerichten*, da-
gegen die übrigen Provinzialgemeinden wie bisher unter der Juris-
diction ihrer Statthalter. Dieser sehr wesentliche Unterschied in
der Jurisdiction blieb also; aber es stand jetzt mit demselben
in gar keinem Zusammen hange mehr, ob eine Landschaft Pro-
vinz war oder nicht. Der militärische Oberbefehl und was damit
zusammenhing, die Verwaltung aller nicht den Gemeinden über-
wiesenen Regierungsgeschäfte, erstreckte jetzt sich wieder wie in
der Königszeit über das gesammte Reich und stand ausschlieſslich
[515]REPUBLIK UND MONARCHIE.
dem Imperator zu; derjenige Sprengel, in dem er denselben un-
mittelbar übte, hieſs Italien, diejenigen, in denen seine Adjutan-
ten, mit oder ohne Truppen, diesen Oberbefehl in seinem Namen
verwalteten, hieſsen Provinzen.* Allein da es einen rechtlichen
Unterschied nicht macht, ob die Commando - und Verwaltungs-
geschäfte vom Imperator selbst oder durch Stellvertreter geführt
werden, so konnte der qualitative Unterschied als aufgehoben
gelten und es muſsten fortan vielmehr die Districte, in denen die
Romanisirung vollständig durchgeführt war, diejenigen, in denen
sie vorbereitet ward, und diejenigen, in denen sie noch nicht be-
gonnen hatte, das heiſst die römischen, die latinischen und die
Unterthanengemeinden, als die qualitativ verschiedenen Theile der
Monarchie unterschieden werden. — Was die Communalverfas-
sung anlangt, so führte der von Caesar eingeschlagene Weg, den
zum vollständigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden
latinisches und demnächst römisches Recht zu verleihen, allmäh-
lich gleichmäſsige Institutionen von selbst herbei. Nur in einer
Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich be-
durfte sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsäch-
lichen Grundlagen der Verwaltung, die Bevölkerungs- und Ver-
mögensverhältnisse der einzelnen Gemeinden übersichtlich vor
Augen legte, das heiſst eines verbesserten Census. Zunächst ward
der italische reformirt. Bisher war er unglaublicher Weise immer
noch ausschlieſslich in der Hauptstadt abgehalten worden, zur
Belästigung der Bürgerschaft wie zum Schaden der Geschäfte.
Nach Caesars Verordnung** sollte künftig, wenn in der rö-
mischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in je-
der italischen der Name eines jeden Gemeindebürgers und der
seines Vaters oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein
Vermögen von der höchsten Behörde der Gemeinde aufgezeich-
net und diese Listen an den römischen Schatzmeister so früh
33*
[516]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
abgeliefert werden, daſs dieser das allgemeine Verzeichniſs der
römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollen-
den konnte. Daſs es Caesars Absicht war ähnliche Institutionen
auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt theils die von Cae-
sar angeordnete Vermessung und Katastrirung des gesammten Rei-
ches, theils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die all-
gemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den
nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Centralverwal-
tung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es
auch hier Caesars Absicht auf die Traditionen der älteren repu-
blikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wieder
einzuführen, welche die ältere Republik wesentlich in derselben
Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des
Instituts der römischen Censur mit seinen Fristen und sonstigen
wesentlichen Normen auf die sämmtlichen Unterthanengemein-
den Italiens und Siciliens, bewirkt hatte. Es war dies eines der
ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie ver-
fallen lieſs; auf die Provinzen ward es mit Ausnahme der älte-
sten schon nicht mehr erstreckt und damit ging der obersten
Verwaltungsbehörde jede Uebersicht über die disponiblen Mann-
schaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirk-
samen Controle verloren. Die vorhandenen Spuren und der Zu-
sammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daſs
Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen
Reichsschatzung vorbereitete.
Daſs in der Religion wie in der Rechtspflege an eine durch-
greifende Nivellirung nicht gedacht werden konnte, ist kaum
nöthig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Tole-
ranz gegen Localglauben und Municipalstatute eines gemeinsa-
men der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Glau-
bens und einer allgemeinen den Municipalstatuten übergeordneten
Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war thatsächlich
schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhun-
derten thätig gewesen den italischen und den hellenischen Cult
theils durch äuſserliche Aufnahme, theils durch innerliche Aus-
gleichung der Gottheithegriffe in einander zu arbeiten und bei der
nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht
einmal groſse Schwierigkeit gemacht den Jupiter in dem Zeus,
die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des la-
tinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben.
Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen
fertig da; und wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen
[517]REPUBLIK UND MONARCHIE.
bewuſst war über die specifisch römische hinaus und zu einer
italisch-hellenischen Quasinationalität fortgeschritten zu sein, be-
weist namentlich die Unterscheidung der ‚gemeinen', d. h. der von
den Römern wie den Griechen anerkannten Götter von den be-
sonderen der römischen Gemeinde in der schon erwähnten var-
ronischen Theologie. — Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete
des Criminal- und Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbarer
eingreift und dem rechtlichen Bedürfniſs wesentlich durch eine
verständige Legislation genügt werden kann, keine Schwierigkeit
auf dem Wege der gesetzgeberischen Thätigkeit denjenigen Grad
materieller Gleichförmigkeit zu erreichen, der allerdings auch
hier für die Reichseinheit nothwendig war. Im Civilrecht dage-
gen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur die For-
mulirung zusteht, war das einheitliche Reichscivilrecht, das der
Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht hätte, in der That
bereits auf naturgemäſsem Wege durch den Verkehr selber ent-
wickelt worden. Das römische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich
immer noch auf der in den Zwölftafeln enthaltenen Formulirung
des latinischen Landrechts. Die späteren Gesetze hatten wohl im
Einzelnen mancherlei zeitgemäſse Verbesserungen eingeführt, un-
ter denen leicht die wichtigste war die Abschaffung der alten un-
geschickten Prozeſseröffnung durch stehende Spruchformeln der
Parteien (I, 104) und ihre Ersetzung durch eine von dem pro-
zeſsleitenden Beamten schriftlich abgefaſste Instruction für den
Einzelgeschwornen (formula); allein in der Hauptsache hatte die
Volkslegislation nur über jene altersgraue Grundlage einen den
englischen Statutargesetzen vergleichbaren unübersehlichen Wust
groſsentheils längst veralteter und vergessener Specialgesetze auf-
geschichtet. Die Versuche die Wissenschaft zu formuliren und zu
systematisiren hatten die verschlungenen Gänge des alten Civil-
rechts allerdings zugänglich gemacht und erhellt (II, 436); al-
lein dem Grundmangel, daſs ein vor vierhundert Jahren abge-
faſstes städtisches Weisthum mit seinen ebenso diffusen wie con-
fusen Amendements jetzt als das Recht eines groſsen Staates
dienen sollte, konnte kein römischer Blackstone abhelfen. Gründ-
licher half der Verkehr sich selbst. Längst hatte in Rom der rege
Verkehr zwischen Römern und Nichtrömern ein internationales
Privatrecht (ius gentium; I, 108) entwickelt, das heiſst einen
Complex von Satzungen namentlich über Verkehrsverhältnisse,
nach welchen römische Richter dann sprachen, wenn eine Sache
weder nach ihrem eigenen noch nach irgend einem andern Land-
recht entschieden werden konnte, sondern sie genöthigt waren
[518]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen
Rechtseigenthümlichkeiten abstrahirend, auf die allem Verkehr zu
Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzu-
gehen. Hier knöpfte die neuere Rechtsbildung an. Sie setzte an
die Stelle des alten praktisch unbrauchbar gewordenen thatsäch-
lich ein neues Stadtrecht, das zunächst bestimmt war den Verkehr
der römischen Bürger unter sich zu regeln, materiell aber beruhte
auf einem Compromiſs zwischen dem National - oder dem Zwölf-
tafelrecht und dem International- oder sogenannten Rechte der
Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit
zeitgemäſsen Modificationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und
Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Ver-
mögensverkehr betrafen, also für Eigenthum und Contracte das
Internationalrecht maſsgebend; ja hier wurde sogar dem localen
Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Bei-
spiel die Wuchergesetzgebung (S. 494) und das Hypothekarinstitut.
Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Ur-
heber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung
ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Ant-
wort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, daſs diese Reform,
wie natürlich, durch das Stadtgericht erfolgte, daſs sie ihren Aus-
druck fand in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter
zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über
die wichtigsten in der beginnenden Jurisdiction einzuhaltenden
Rechtsmaximen (edictum perpetuum praetoris urbani) und daſs
diese Reform, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frü-
hern Zeiten gethan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre
Vollendung und bewuſste Formulirung fand. Die neue Rechts-
satzung war theoretisch abstract, insofern die römische Rechts-
anschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich
entäuſsert hatte, als sie derselben sich bewuſst geworden war.
Sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in
die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine
Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von
bestimmten Behörden für bestimmte concrete Fälle nach festen
Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulirung
nicht bloſs fähig, sondern in dem Stadtedict wesentlich schon
theilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner mate-
riell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie die durch den gestei-
gerten Verkehr gebotenen bequemen Formen für Prozeſs, Eigen-
thumserwerb, Contractabschluſs darbot. Sie war endlich bereits
im Wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allge-
[519]REPUBLIK UND MONARCHIE.
mein subsidiäres Recht geworden, indem man die mannigfaltigen
Localstatuten für diejenigen Rechtsverhältnisse, die nicht zunächst
Verkehrsverhältnisse sind, so wie für den Localverkehr zwischen
Gliedern desselben Rechtssprengels beibehielt, dagegen den Ver-
mögensverkehr zwischen Reichsangehörigen verschiedener Rechts-
kreise durchgängig nach dem Muster des rechtlich auf diese Fälle
freilich nicht anwendbaren Stadtedicts sowohl in Italien wie in den
Provinzen regulirte. Das Recht des Stadtedicts hatte also wesent-
lich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer staatlichen
Entwickelung das römische Recht eingenommen hat: auch dies
ist, soweit solche Gegensätze sich vereinigen lassen, zugleich ab-
stract und positiv; auch dies empfahl sich durch seine verglichen
mit dem älteren Satzungsrecht geschmeidigen Verkehrsformen
und trat neben den Localstatuten als allgemeines Hülfsrecht ein.
Nur darin hatte die römische Rechtsentwickelung vor der unsri-
gen einen wesentlichen Vorzug, daſs das denationalisirte Recht
nicht wie bei uns vorzeitig und durch Kunstgeburt, sondern
rechtzeitig und naturgemäſs sich einfand. Diesen Rechtszustand
fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem neuen Ge-
setzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit beabsich-
tigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig auf das Recht der rö-
mischen Bürger sich erstrecken und allgemeines Reichsgesetzbuch
nur insofern werden, als ein zeitgemäſses Gesetzbuch der herr-
schenden Nation von selbst im ganzen Umfange des Reiches all-
gemeines Subsidiarrecht werden muſste. Im Criminalrecht, wenn
überhaupt der Plan sich auf dies mit erstreckte, bedurfte es nur
einer Revision und Redaction der sullanischen Ordnungen. Im
Civilrecht war für einen Staat, dessen Nationalität eigentlich die
Humanität war, jenes abstract-positive Stadtedict die nothwen-
dige und einzig mögliche Formulirung; es war nur erforderlich
dies aus dem rechtlichen Verkehr hervorgewachsene Recht zu
sichern und zu präcisiren. Den ersten Schritt dazu hatte das cor-
nelische Gesetz von 687 gethan, indem es dem Richter vorschrieb
von den zu Anfang seines Amtes aufgestellten Maximen nicht ab-
zuweichen noch willkürlich anderes Recht zu sprechen (S. 152)
— eine Bestimmung, die mit dem Zwölftafelgesetz wohl vergli-
chen werden darf und für die Fixirung des neueren Stadtrechts
fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes für die Fixirung
des älteren. Aber wenn auch seit dem cornelischen Volksschluſs
das Edict nicht mehr unter dem Richter stand, sondern gesetz-
lich der Richter unter dem Edict; wenn auch das neue Gesetz-
buch thatsächlich im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht
[520]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
das alte Stadtrecht verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem
Stadtrichter frei bei Antritt seines Amtes das neue Stadtrecht
unbeschränkt und willkürlich zu verändern und überwog das
Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadt-
edict, so daſs in jedem einzelnen Collisionsfall die veraltete
Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau
genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt
ward. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedicts in dem Frem-
dengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichts-
höfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Ober-
beamten gestellt. Offenbar war es nothwendig das alte Stadt-
recht, so weit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv
zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Aenderung
durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu
setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den
Localstatuten zu reguliren. Dies war Caesars Absicht, als er den
Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies muſste sie sein.
Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Ueber-
gangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach
sechshundert Jahren und auch dann nur unvollkommen diese
nothwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem
Kaiser Justinianus vollzogen ward.
Endlich in Münze, Maſs und Gewicht war die wesentliche
Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems längst
im Zuge. Sie war uralt in den für Handel und Verkehr unent-
behrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Körper- und Län-
genmaſse (I, 139) und so alt wie in Rom das Silbergeld in dem
Münzwesen durch die Gleichsetzung des römischen Denars und
der attischen Drachme (I, 295). Indeſs reichten diese älteren
Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die ver-
schiedenartigsten metrischen und Münzsysteme neben einander
bestanden; es war nothwendig und lag auch ohne Zweifel in Cae-
sars Plan in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht be-
reits früher schon geschehen war, römische Münze, römisches
Maaſs und römisches Gewicht jetzt überall in der Art einzufüh-
ren, daſs im officiellen Verkehr allein danach gerechnet und die
Localsysteme theils auf locale Geltung beschränkt, theils zu dem
römischen in ein ein- für allemal regulirtes Verhältniſs gesetzt
wurden. Nachweisen indeſs läſst Caesars Thätigkeit sich nur auf
zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld - und im Ka-
lenderwesen. — Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden
neben und in einem festen Verhältniſs zu einander umlaufenden
[521]REPUBLIK UND MONARCHIE.
edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht,* das Sil-
ber nach dem Gepräge gegeben und genommen ward, thatsäch-
lich aber in Folge des ausgedehnten überseeischen Verkehrs das
Gold bei weitem das Silber überwog. Ob nicht schon früher im
ganzen Umfange des Reiches die Annahme des römischen Silber-
geldes obligatorisch war, ist ungewiſs; auf jeden Fall vertrat die
Stelle des Reichsgeldes im ganzen römischen Gebiet wesentlich
das ungemünzte Gold, um so mehr als die Römer in allen Pro-
vinzen und Clientelstaaten die Goldprägung untersagt hatten, und
hatte der Denar auſser in Italien auch im cisalpinischen Gallien, in
Sicilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen, ge-
setzlich oder factisch sich eingebürgert. Mit Caesar aber beginnt
die Reichsmünze. Eben wie Alexander bezeichnete auch er die
Gründung der neuen die civilisirte Welt umfassenden Monarchie
dadurch, daſs das einzige weltenvermittelnde Metall auch in der
Münze den ersten Platz erhielt. In wie groſsartigem Umfang
sogleich das neue caesarische Goldstück (zu 7 Thlr. 5 Gr. nach
heutigem Metallwerth) geprägt ward, beweist die Thatsache, daſs
in einem einzelnen sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen
Schatz sich 80000 dieser Stücke beisammen gefunden haben.
Freilich mögen hier nebenbei auch finanzielle Speculationen mit-
gewirkt haben.** Was das Silbergeld anlangt, so ward durch
Caesar die Alleinherrschaft des römischen Denars im gesammten
Westen festgestellt, indem er die einzige occidentalische Münz-
stätte, die in Silbercourant noch mit der römischen concurrirte,
die massaliotische definitiv schloſs. Die Prägung von silberner
oder kupferner Scheidemünze blieb einer Anzahl occidentalischer
Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen lati-
nischen Gemeinden des südlichen Galliens, halbe Denare von
mehreren nordgallischen Gauen, Kupferscheidemünze vielfach
[522]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
auch noch nach Caesar von Communen des Westens geschlagen
ward; allein auch diese Scheidemünze ward durchgängig auf rö-
mischen Fuſs geprägt und war überdies wahrscheinlich nur als lo-
cales Circulationsmittel obligatorisch. Auf weit gröſsere Schwierig-
keiten stieſs die Regulierung des Münzwesens im Osten, wo groſse
Massen groben groſsentheils zu leicht ausgebrachten oder ver-
nutzten Silbergeldes, zum Theil auch, wie in Aegypten, eine un-
serem Papiergeld verwandte Kupfermünze umlief und die Einfüh-
rung des römischen Münzsystems nicht ohne ungeheure Verluste
sich hätte bewerkstelligen lassen. Es kam hinzu, daſs der Denar
daselbst fremd war und die syrischen Handelsstädte den Mangel
ihrer bisherigen dem mesopotamischen Courant entsprechenden
Landesmünze sehr schwer empfunden haben würden. Wir finden
hier später die Einrichtung, daſs der Denar überall gesetzlichen
Curs hat und officiell nur nach ihm gerechnet wird*, die Local-
münzen aber innerhalb ihres beschränkteren Rayons zwar auch
Legalcurs, aber nach einem für sie ungünstigen Tarif gegen den
Denar haben**; wenn sie nicht von Caesar selbst herrührt, so
ist sie doch als wesentliche Ergänzung der von ihm herrührenden
Reichsmünzinstitution und in seinem Sinne angeordnet worden.
— Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische
Kalender, unglaublicher Weise immer noch der alte Decemviral-
kalender des vormetonischen Mondjahrs (I, 301), war durch die
Verbindung elendester Mathematik und elendester Administration
dahin gelangt um volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen
und zum Beispiel das Blüthenfest statt am 28. April am 11. Juli
zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Scandal und führte mit
Hülfe des alexandrinischen Mathematikers Sosigenes das aegyp-
tische Sonnenjahr so wie ein verständiges Einschaltungssystem in
Rom ein. — Er ward damit der Urheber des nach ihm benannten
julianischen Kalenders, der lange nach dem Untergang der Mo-
narchie Caesars in der gebildeten Welt maſsgebend geblieben und
in der Hauptsache es noch ist. Zur Erläuterung ward in einem
ausführlichen Edict ein den aegyptischen Himmelsbeobachtungen
entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien übertra-
[523]REPUBLIK UND MONARCHIE.
gener Sternkalender hinzugefügt, welcher den Auf- und Unter-
gang der namhaften Gestirne nach Kalendertagen bestimmte.*
Auch auf diesem Gebiet also setzte die römische und die grie-
chische Welt sich ins Gleiche.
Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Cae-
sars. Zum zweitenmal war in Rom die sociale Frage zu einer Krise
gelangt, wo die Gegensätze, so wie sie aufgestellt waren, unauf-
löslich, so wie sie ausgesprochen waren, unversöhnlich nicht bloſs
schienen, sondern waren. Damals war Rom dadurch gerettet
worden, daſs Italien in Rom und Rom in Italien aufging und in
der neuen erweiterten und verwandelten Heimath jene alten Ge-
gensätze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder
ward jetzt Rom dadurch gerettet, daſs die Landschaften des
Mittelmeers in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wur-
den; der Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten
Italien nur mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte
in dem Italien dreier Welttheile kein Schlachtfeld und keinen Sinn
mehr. Die latinischen Colonien schlossen die Kluft, die im fünften
Jahrhundert die römische Gemeinde zu verschlingen drohte; den
tieferen Riſs des siebenten Jahrhunderts füllten Gaius Gracchus
und Caesars transalpinische und überseeische Colonisationen.
Für das einzige Rom hat die Geschichte nicht bloſs Wunder ge-
than, sondern auch seine Wunder wiederholt und zweimal die
im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt, daſs sie
den Staat verjüngte. Wohl ist viel Verwesung in dieser Verjün-
gung; wie die Einigung Italiens auf den Trümmern der samniti-
schen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die
Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzähliger einst leben-
diger und tüchtiger Staaten und Stämme; aber es ist eine Ver-
wesung, der frische und zum Theil noch heute grünende Saaten
entkeimten. Was zu Grunde ging um des neuen Gebäudes willen,
waren nur die längst schon von der nivellirenden Civilisation zum
Untergang bezeichneten secundären Nationalitäten. Caesar hat,
[524]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der ge-
schichtlichen Entwickelung vollzogen, die Keime der Cultur aber
geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so
gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das
Römerthum gerettet und erneuert; aber auch das Griechenthum
hat er nicht bloſs geschont, sondern mit derselben sicheren Ge-
nialität, womit er die Neugründung Roms vollzog, auch der Re-
generation der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene
Werk des groſsen Alexander wieder aufgenommen, dessen Bild,
wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er
hat diese beiden groſsen Aufgaben nicht bloſs neben einander,
sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden groſsen Wesen-
heiten des Menschenthums, die allgemeine und die individuelle
Entwickelung oder Staat und Cultur, einst im Keime vereinigt in
jenen allen fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in
urväterlicher Einfachheit ihre Heerden weidenden Graecoitalikern,
hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Hellenen
und Italiker, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden
geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der
latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Cultur und
einer kosmopolitischen Civilisation ein neues Ganze, in welchem
Staat und Cultur auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der
reichen Fülle des glückseligen Alters wiederum sich zusammen-
fanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis
würdig erfüllten. — Die Linien sind dargelegt, welche Caesar
für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und
nach denen die Späteren, die viele Jahrhunderte hindurch in
die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen gebannt blieben,
wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im Ganzen nach
den Intentionen des groſsen Meisters weiter zu arbeiten versuch-
ten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan
vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in
die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen
Lücken in dem was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug um
einen Mann unsterblich zu machen und doch wieder alle zusam-
men ein harmonisches Ganze. Fünf und ein halbes Jahr, nicht
halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom;
zwischen sieben groſsen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zu-
sammen funfzehn Monate * in der Hauptstadt seines Reiches zu
[525]REPUBLIK UND MONARCHIE.
verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt für die
Gegenwart und die Zukunft, von der Feststellung der Grenzlinie
zwischen Civilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseiti-
gung der Regenpfützen auf den Gassen der Hauptstadt, und be-
hielt dabei noch Zeit und Heiterkeit genug um den Preisstücken
im Theater aufmerksam zu folgen und dem Sieger den Kranz mit
improvisirten Versen zu ertheilen. Die Schnelligkeit und Sicher-
heit der Ausführung des Planes beweist, daſs er lange durchdacht
und in allen Theilen im Einzelnen festgestellt war; allein auch so
bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan selbst. Die
Grundzüge waren gegeben und damit der neue Staat für alle Zu-
kunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose
Zukunft. Insofern durfte Caesar sich sagen, daſs sein Ziel er-
reicht sei, und das wohl mochten die Worte bedeuten, die man
zuweilen aus seinem Munde vernahm, daſs er genug gelebt habe.
Aber eben weil der Bau ein unendlicher war, fügte der Meister,
so lange er lebte, rastlos Stein auf Stein, mit immer gleicher Ge-
schmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft thätig an seinem
Werk, ohne je zu überstürzen oder zu verschieben, eben als gebe
es für ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und schaffte
er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein Wirken-
der und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedächt-
niſs der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator
Caesar.
[[526]]
KAPITEL XII.
Religion, Bildung, Litteratur und Kunst.
In der religiös-philosophischen Entwickelung tritt in dieser
Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische
Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische
Staatsphilosophie waren für jede Regierung, mochte sie Oligar-
chie, Demokratie oder Monarchie sein, nicht bloſs ein bequemes
Instrument, sondern deſshalb geradezu unentbehrlich, weil es
eben so unmöglich war den Staat ganz ohne religiöse Elemente
zu construiren als irgend eine neue zur Ersetzung der alten ge-
eignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revo-
lutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinneweben der
auguralen Vogelweisheit hinein (S. 281); aber die morsche in
allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erd-
beben, das die Republik selber verschlang und rettete ihre Geist-
losigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Mo-
narchie. Es versteht sich, daſs sie zunahm an Ungnade bei allen
denen, die ein freies Urtheil sich bewahrten. Zwar gegen die
Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich
gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Con-
venienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich
um sie mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Ge-
lehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte
sich in dem unbefangenen Publicum jene Feindseligkeit, die die
leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie
verfehlt zu erwecken. Daſs der Stoa selbst von ihrer eigenen Nich-
tigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch auf
[527]RELIGION.
dem Wege des Synkretismus sich wieder einigen Geist künstlich
einzuflöſsen: Antiochos von Askalon (blüht 675), der mit dem
stoischen System das platonisch-aristotelische zu einer organi-
schen Einheit zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es
in der That dahin, daſs seine miſsgeschaffene Doctrin die Mode-
philosophie der Conservativen seiner Zeit und von den vorneh-
men Dilettanten und Litteraten Roms gewissenhaft studirt ward.
Wer irgend in geistiger Frische sich regte, opponirte der Stoa
oder ignorirte sie. Es war hauptsächlich der Widerwille gegen
die groſsmauligen und langweiligen römischen Pharisäer, daneben
freilich auch die Richtung des geistigen Lebens auf eine schlaffe
Ruhe, dem während dieser Epoche das System Epikurs seine
Ausbreitung in weiteren Kreisen und die diogenische Hundephi-
losophie ihre Einbürgerung in Rom verdankte. Wie matt und
gedankenarm auch jenes sein mochte, eine Philosophie, die nicht
neue Ausdrücke als bessere zu gebrauchen, sondern mit den vor-
handenen sich zu begnügen vorschrieb und durchaus nur die
sinnliche Wahrnehmung als wahr gelten lieſs, war immer noch
besser als das terminologische Geklapper und die hohlen Begriffe
der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie gar war von
allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem
das vorzüglichste, als ihr System sich darauf beschränkte gar
kein System zu haben und alle Systeme und Systematiker zu ver-
höhnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und
Glück Krieg geführt; für ernste Männer predigte der Epikureer
Lucretius mit dem vollen Accent der innigen Ueberzeugung und
des heiligen Eifers gegen den stoischen Götter - und Vorsehungs-
glauben und die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele;
für das groſse lachbereite Publicum traf der Kyniker Varro mit
den flüchtigen Pfeilen seiner vielgelesenen Satiren noch schärfer
zum Ziel. Wenn also die tüchtigsten Männer der älteren Gene-
ration die Stoa befehdeten, so stand dagegen die jüngere, wie
zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem innerlichen Verhält-
niſs mehr und kritisirte sie noch bei weitem schärfer durch voll-
ständiges Ignoriren.
Indeſs wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer
Convenienz aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anders-
wo reichlich wieder ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene
Farbenbrechungen desselben geschichtlichen Phänomens, gingen
auch in der damaligen römischen Welt Hand in Hand und es
fehlte auch nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinig-
ten, mit Epikuros die Götter leugneten und doch vor jeder Ka-
[528]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
pelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus
dem Osten gekommenen Götter und wie die Menschen fortfuhren
aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so
wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl
nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Cult damals in
Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Män-
nern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherr-
lichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der cha-
rakteristischen Bitte schlieſst, daſs die Göttin geneigen möge nur
Andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat
hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittelung
der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeer sich be-
gegnenden Piraten zu den Occidentalen gelangt sein soll und als
dessen älteste Cultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien
bezeichnet wird. Dafür, daſs man bei der Aufnahme der orien-
talischen Culte im Occident das, was sie von höheren speculati-
ven und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen lieſs,
ist es ein merkwürdiger Beleg, daſs der höchste Gott der reinen
Lehre Zarathustras Ahuramazda im Westen so gut wie unbekannt
blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjeni-
gen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den
ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den
zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher
noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten
traf der langweilig geheimniſsvolle Schwarm der aegyptischen
Göttercarricaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem
ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wieder aufleben-
den Osiris, dem finstern Sarapis, dem schweigsam ernsten Har-
pokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius
die Clubs und Conventikel freigab (696) und ohne Zweifel in
Folge dieser Emancipation des Pöbels, machte jener Schwarm
sogar Anstalt in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Ca-
pitol seinen Einzug zu halten und kaum gelang es ihn hier noch
abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die
Vorstädte Roms zu bannen. Kein Cult war in den unteren Schich-
ten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat
die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureiſsen
befahl, wagte kein Arbeiter die erste Hand daran zu legen und
der Consul Lucius Paullus muſste selber den ersten Axtschlag
thun (704); man konnte darauf wetten, daſs je lockerer ein
Dirnchen war, es desto frömmer die Isis verehrte. Daſs Loos-
werfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann
[529]RELIGION. BILDUNG.
ernährten, versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward
schon wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum,
ein angesehener und in seiner Art gelehrter Mann, stellte ganz
ernsthaft den Königen Romulus und Numa die Nativität und er-
härtete zur Erbauung der beiderseitigen Gläubigen mittelst seiner
chaldäischen und aegyptischen Weisheit die Berichte der römi-
schen Chronik. Aber bei weitem die merkwürdigste Erscheinung
auf diesem Gebiet ist der erste Versuch das rohe Glauben mit
dem speculativen Denken zu vermitteln, das erste Hervortreten
derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen
gewohnt sind, in der römischen Welt. Ihr erster Apostel daselbst
war Publius Nigidius Figulus, ein vornehmer Römer von der
strengsten Fraction der Aristokratie, der 696 die Prätur beklei-
dete und im J. 709 als politischer Verbannter auſserhalb Italien
starb. Mit staunenswerther Vielgelehrtheit und noch staunens-
wertherer Glaubensstärke schuf er aus den disparatesten Ele-
menten einen philosophisch-religiösen Bau, dessen wunderlichen
Grundriſs er mehr wohl noch in mündlichen Verkündigungen
entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaft-
lichen Schriften. In der Philosophie griff er, Erlösung suchend
von den Todtengerippen der umgehenden Systeme und Abstrac-
tionen, zurück auf den verschütteten Born der vorsokratischen
Philosophie, deren alten Weisen der Gedanke selber noch mit
sinnlicher Lebendigkeit erschien. Die naturwissenschaftliche For-
schung, die, zweckmäſsig behandelt, dem mystischen Schwindel
und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch so vortreff-
liche Handhaben darbietet und im Alterthum bei der mangelhaf-
teren Einsicht in die physikalischen Gesetze sie noch bequemer
darbot, spielte begreiflicher Weise auch hier eine ansehnliche
Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen
Gebräu, in dem den geistesverwandten Griechen orphische und
andere uralte oder sehr neue einheimische Weisheit mit persi-
schen, chaldäischen und aegyptischen Geheimlehren zusammen-
geflossen war und in welches Figulus noch die Quasiresultate der
tuskischen Forschung in das Nichts und die einheimische Vogel-
fluglehre zu weiterer harmonischer Confusion einarbeitete. Dem
ganzen System gab die politisch-religiös - nationale Weihe der
Name des Pythagoras, des ultraconservativen Staatsmannes, des-
sen oberster Grundsatz war, die Ordnung zu fördern und der Un-
ordnung zu wehren‘, des Wundermannes und Geisterbeschwörers,
des in Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verfloch-
tenen und auf dem römischen Markte im Standbilde zu schauen-
Röm. Gesch. III. 34
[530]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
den uralten Weisen — wie Geburt und Tod mit einander ver-
wandt sind, so, schien es, sollte Pythagoras nicht bloſs an der
Wiege der Republik stehen als der Freund des weisen Numa und
College der klugen Mutter Egeria, sondern auch als der letzte
Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue Sy-
stem war aber nicht bloſs wunderhaft, es wirkte auch Wunder:
Nigidius verkündigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus
an dem Tage selbst, wo dieser geboren ward, die künftige Gröſse
des Sohnes; ja die Propheten bannten den Gläubigen Geister und
was mehr sagen will, sie wiesen ihnen die Plätze nach, wo ihre
verlorenen Münzen lagen. Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben
war, machte doch auf die Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die
vornehmsten, gelehrtesten, tüchtigsten Männer der verschieden-
sten Parteien, der Consul des J. 700 Appius Claudius, der groſse
Litterator Marcus Varro, der tapfere Offizier Publius Vatinius
machten das Geistercitiren mit und es scheint sogar, daſs gegen
das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich eingeschritten wer-
den muſste. Diese letzten Versuche die römische Theologie zu ret-
ten machen, ähnlich wie Catos verwandte Bestrebungen auf dem
politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen wehmüthi-
gen Eindruck; man darf über das Evangelium wie über die Apo-
stel lächeln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch
die tüchtigen Männer anfangen sich dem Absurden zu ergeben.
Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst ver-
steht, in dem in der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwie-
sprachiger Humanität. Charakteristisch für den in der römischen
Welt im Laufe eines Jahrhunderts durchaus umgewandelten Be-
griff von allgemeiner Bildung ist die Vergleichung der catonischen
Encyclopädie (I, 636) mit der gleichnamigen Schrift Varros, von
den Schulwissenschaften‘. Als Bestandtheile der nicht fachwis-
senschaftlichen Bildung erscheinen bei Cato die Sittenlehre, die
Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-, Kriegs- und Arzneikunde, bei
Varro — nach wahrscheinlicher Vermuthung — Grammatik, Lo-
gik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie,
Musik, Medicin und Architektur. Der Moralkatechismus also hat
aufgehört als Bestandtheil der Jugendbildung zu gelten und Kriegs-,
Rechts- und Ackerbaukunde sind aus allgemeinen zu Fachwis-
senschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die hellenische Ju-
gendbildung bereits in ihrer ganzen Vollständigkeit auf: neben dem
grammatisch-rhetorisch-philosophischen Cursus, der schon länger
in Italien recipirt war, findet jetzt auch der länger specifisch hel-
lenisch gebliebene geometrisch-arithmetisch-astronomisch-mu-
[531]BILDUNG.
sikalische* sich ein. Daſs namentlich die Astronomie, die in der
Nomenclatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettan-
tismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herr-
schenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der
Jugend regelmäſsig und eifrig studirt ward, läſst sich auch ander-
weitig belegen: Aratos astronomische Lehrgedichte fanden unter
allen Werken der alexandrinischen Litteratur am frühesten Ein-
gang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen
Cursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugend-
unterricht stehen gebliebene Medicin und endlich die dem dama-
ligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Rö-
mer unentbehrliche Architektur. — Im Vergleich mit der vorigen
Epoche nimmt die lateinische wie die griechische Bildung an Um-
fang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an
Feinheit. Der steigende Drang nach griechischer Bildung gab dem
Unterricht von selbst einen gelehrteren Charakter. Homeros
oder Euripides zu exponiren war am Ende keine Kunst; Lehrer
und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrini-
schen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der da-
maligen römischen Welt weit näher standen als die echte grie-
chische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwür-
dig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend respectables
Alter besaſsen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Eupho-
rions Liebesgedichte, Kallimachos ‚Ursachen‘ und seine Ibis,
Lykophrons komisch dunkle Alexandra enthielten in reicher Fülle
seltene Vocabeln (glossae), die zum Excerpiren und Interpre-
tiren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzu-
lösende Sätze und Zusammengeheimnissung verlegener Mythen
in weitläufigen Excursen, überhaupt Vorrath an beschwerlicher
Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwie-
rigerer Uebungsstücke; jene Producte, groſsentheils Musterar-
beiten von Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben,
für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in
bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf
Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde
Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend so viel wie
34 *
[532]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
möglich an der Quelle zu schöpfen. Die Curse bei den griechi-
schen Meistern in Rom genügten nur noch für den ersten Anlauf;
wer irgend wollte mitsprechen können, hörte griechische Philo-
sophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte
eine litterarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am
meisten von den alten Kunstschätzen der Hellenen an Ort und
Stelle anzutreffen war und, wenn auch handwerksmäſsig, die mu-
sische Bildung derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das
fernere und mehr als Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte
Alexandreia weit seltener das Reiseziel der bildungslustigen jungen
Leute ward. — Aehnlich wie der griechische steigerte sich auch
der lateinische Unterricht. Zum Theil geschah dies schon durch
die bloſse Rückwirkung des griechischen, dem er ja seine Me-
thode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Es kam hin-
zu, daſs die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je weiter sie in
die Vergangenheit zurücktraten, desto entschiedener als klassische
Texte der goldenen Zeit der lateinischen Litteratur zu gelten an-
fingen und dem wesentlich auf sie sich concentrirenden Unter-
richt damit ein gröſseres Schwergewicht gaben. Endlich gab die
von vielen Seiten her einreiſsende und einwandernde Barbarei und
die beginnende Latinisirung ausgedehnter keltischer und spani-
scher Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem latei-
nischen Unterricht von selbst eine höhere Bedeutung, als er sie
hatte haben können, so lange nur Latium lateinisch sprach: der
Lehrer der lateinischen Litteratur hatte in Comum und Narbo von
Haus aus eine andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Das
Gesammtresultat war doch mehr ein Sinken als ein Steigen der
Bildung. Der Ruin der italischen Landstädte, das massenhafte
Eindringen fremder Elemente, die politische, ökonomische und
sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerrüttenden
Bürgerkriege verdarben auch in der Sprache mehr als alle Schul-
meister der Welt wieder gut machen konnten; und der engere
Contact mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der be-
stimmtere Einfluſs der geschwätzigen athenischen Weisheit und
der rhodischen und kleinasiatischen Rhetorik führten vorwiegend
eben die schädlichsten Elemente des Hellenismus der römischen
Jugend zu. Auch die propagandistische Mission, die Latium un-
ter den Kelten, Iberern und Libyern übernahm, wie stolz die
Aufgabe auch war, muſste doch für die lateinische Sprache ähn-
liche Folgen haben, wie die Hellenisirung des Ostens sie für die
hellenische gehabt hatte. Wenn das römische Publicum dieser
Zeit die wohlgefügte und rhythmisch cadenzirte Periode des Red-
[533]BILDUNG. LITTERATUR.
ners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder me-
trischer Verstoſs theuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, daſs
die schulmäſsig reflectirte Einsicht in der Muttersprache in immer
weiteren Kreisen Gemeingut ward; aber daneben sind nicht zu
übersehen die Klagen urtheilsfähiger Zeitgenossen, daſs die hel-
lenische Bildung in Italien um 690 weit tiefer gestanden als ein
Menschenalter zuvor; daſs man das reine gute Latein nur selten
mehr, am meisten noch aus dem Munde älterer gebildeten Frauen
zu hören bekomme; daſs die Ueberlieferung echter Bildung, der
alte gute lateinische Mutterwitz, die lucilische Feinheit, der ge-
bildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen.
Daſs Wort und Begriff der ‚Urbanität‘, das heiſst der feinen na-
tionalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, daſs
sie herrschte, sondern daſs sie im Verschwinden war und daſs
man in der Sprache und dem Wesen der latinisirten Barbaren
oder barbarisirten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität
schneidend empfand. Wo noch der urbane Conversationston
begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es
ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht völlig
verschollenen Weise. — So blieb die bisherige Jugendbildung
ihrem Wesen nach unverändert, nur daſs sie, nicht so sehr durch
ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, we-
niger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen
Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar
ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und
sodann höchstens geduldet hatte, so muſste die Regierung des
neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Huma-
nität war, dieselbe nothwendig in hellenischer Weise von oben
herab fördern. Wenn Caesar sämmtlichen Lehrern der freien
Wissenschaften und sämmtlichen Aerzten der Hauptstadt das rö-
mische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Ein-
leitung gefunden werden zu jenen Staatsanstalten, in denen spä-
terhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Rei-
ches gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen
Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Grün-
dung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek
in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer
der Zeit, Marcus Varro zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so
liegt darin unverkennbar die Absicht an die Weltmonarchie auch
die Weltlitteratur zu knüpfen.
Die sprachliche Entwickelung dieser Zeit knüpfte an den
Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Ge-
[534]Fünftes Buch. Kapitel XII.
sellschaft und der Vulgarsprache des gemeinen Lebens. Jenes
selbst war ein Erzeugniſs der specifischen italischen Bildung;
schon in dem scipionischen Kreise war das ‚reine Latein‘ Stich-
wort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig
naiv gesprochen, sondern in bewuſstem Unterschied von der
Sprache des groſsen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer
merkwürdigen Reaction gegen den bisher in der höheren Um-
gangssprache und demnach auch in der Litteratur alleinherr-
schenden Klassicismus: eine Reaction, die innerlich und äuſser-
lich mit der gleichartigen Sprachreaction in Griechenland eng
zusammenhing. Der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von
Magnesia und die zahlreichen an ihn sich anschlieſsenden klein-
asiatischen Rhetoren und Litteraten begannen um diese Zeit sich
aufzulehnen gegen den orthodoxen Atticismus. Sie forderten das
Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob
das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Ka-
rien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für
den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des gros-
sen Publicums. Gegen den Grundsatz lieſs sich nicht viel einwen-
den; nur konnte freilich das Resultat nicht besser sein als das
damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge
und Reinheit der Production gänzlich verloren hatte und nur nach
dem Zierlichen und dem Brillanten verlangte. Um von den aus
dieser Richtung entsprungenen Asterkunstgattungen, namentlich
dem Roman und der romanhaften Geschichte hier zu schweigen,
so war schon der Stil dieser Asiaten natürlicher Weise zerhackt
und ohne Cadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll
Flitter und Bombast, durchaus gemein und manierirt;‚wer He-
gesias kennt‘, sagt Cicero, ‚der weiſs, was albern ist.‘ — Dennoch
machte dieser neue Stil seinen Weg auch in die lateinische Welt.
Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vo-
rigen Epoche in den lateinischen Jugendunterricht sich einge-
drängt hatte (II, 468), zu Anfang der gegenwärtigen den letzten
Schritt that und mit Quintus Hortensius (640—704), dem ge-
feiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Red-
nerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateini-
schen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng
sich an; und das römische Publicum, nicht mehr das rein und
streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich
eifrig den Neuerer, der es verstand dem Vulgarismus den Schein
kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von groſser Be-
deutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst
[535]LITTERATUR.
in den Rhetorenschulen geführt ward, so war auch in Rom die ge-
richtliche Rede gewissermaſsen mehr noch maſsgebend für den Stil
als die Litteratur und es war deſshalb mit dem Sachwalterprin-
cipat gleichsam von Rechtswegen die Befugniſs verbunden den
Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben. Hor-
tensius asiatischer Vulgarismus verdrängte also den Klassicismus
von der römischen Rednerbühne und zum Theil auch aus der
Litteratur. Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die
Mode wieder um. Dort war es die rhodische Rhetorenschule, die
ohne auf die ganze keusche Strenge des attischen Stils zurück-
zugehen, doch versuchte zwischen ihm und der modernen Weise
einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen Meister es
mit der innerlichen Correctheit des Denkens und Sprechens nicht
allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprach-
liche und stilistische Reinheit, auf sorgfältige Auswahl der Wör-
ter und Wendungen und durchgeführte Cadenzirung der Sätze.
In Italien war es Marcus Tullius Cicero (648—711), der, nach-
dem er in seiner ersten Jugend die hortensische Manier mitge-
macht hatte, durch das Hören der rhodischen Meister und durch
eigenen gereisteren Geschmack auf bessere Wege zurückgeführt
ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache und durch-
gängiger Periodisirung und Cadenzirung der Rede befliſs. Die
Sprachmuster, an die er hiebei sich anschloſs, fand er vor allen
Dingen in denjenigen Kreisen der höheren römischen Gesellschaft,
welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten
hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl
sie anfingen zu schwinden. Die ältere lateinische und die gute
griechische Litteratur, so bedeutend auch namentlich auf den
Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben
doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung also
keineswegs eine Reaction der Buch- gegen die Umgangssprache,
sondern eine Reaction der Sprache der wirklich Gebildeten gegen
den Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf
dem Gebiet der Sprache der gröſste Meister seiner Zeit, sprach
den Grundgedanken des römischen Klassicismus aus, indem er
in Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden ge-
bot, wie der Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poeti-
sche und das verschollene Wort der älteren Litteratur ebenso wie
die bäurische Wendung und den neugebildeten oder neu entlehn-
ten Vulgarausdruck. Aber nichts desto weniger war dieser cice-
ronische Klassicismus mit dem scipionischen verglichen ein schul-
mäſsiges und künstliches Erzeugniſs und von dem der scipioni-
[536]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
schen Zeit so zu unterscheiden, wie die Unschuld von der be-
kehrten Sünde. Wenn jener aus dem vollen Leben geschöpft
hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Athemzüge eines un-
wiederbringlich untergehenden Geschlechtes noch eben rechtzei-
tig auf. Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem
Sachwalterprincipat ging auch die Sprach- und Geschmacksdic-
tatur von Hortensius auf Cicero über und die mannigfaltige und
weitläuftige Schriftstellerei des Letzteren gab diesem Klassicismus,
was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte. So
wurde Cicero der Schöpfer der modernen klassischen lateinischen
Prosa und knüpfte der römische Klassicismus durchaus und
überall an Cicero als Stilisten an: dem Stilisten Cicero, nicht
dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmann galten die
überschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lob-
sprüche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassicismus,
namentlich Caesar und Catullus ihn überhäufen. Bald ging man
weiter. Was Cicero in der Prosa, das führte in der Poesie gegen
das Ende der Epoche die neurömische an die griechische Mode-
poesie sich anlehnende Dichterschule durch deren bedeutendstes
Talent Catullus war. Auch hier verdrängte die höhere Umgangs-
sprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden ar-
chaistischen Reminiscenzen und wie Cicero dem attischen Nu-
merus in der Prosa fügten sich diese Poeten in der Poesie den
strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen der Ale-
xandriner. Endlich trat denn auch die Wissenschaft hinzu, fixirte
das Sprachgesetz und entwickelte die Regel, die nicht mehr aus
der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch machte die
Empirie zu bestimmen. Die Declinationsendungen, die bisher
noch zum Theil geschwankt hatten, sollten jetzt ein für allemal
fixirt werden, wie zum Beispiel von den bisherigen neben einan-
der gangbaren Genitiv- und Dativformen der sogenannten vierten
Declination (senatuis und senatus, senatui, und senatu) Caesar
ausschlieſslich die zusammengezogenen us und u gelten lieſs. In
der Orthographie wurde mancherlei geändert, um die Schrift mit
der Sprache wieder vollständiger ins Gleiche zu setzen — so ward
das inlautende u in Wörten wie maximus nach Caesars Vor-
gang durch i ersetzt und von den beiden überflüssig geworde-
nen Buchstaben k und q die Beseitigung des ersten durchgesetzt
die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Daſs für diese Thätig-
keit auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik die griechische
nicht bloſs im Allgemeinen den Geist und die Methode hergab,
sondern die lateinische Sprache auch wohl geradezu nach jener
[537]LITTERATUR.
rectificirt ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schlie-
ſsenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Ge-
fallen bald consonantische, bald vocalische Geltung gehabt hatte,
von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Grie-
chischen als consonantischer Auslaut behandelt ward. Diese
Sprachregulirung ist die eigentliche Domäne des römischen Klas-
sicismus; in der verschiedensten Weise und eben darum nur um
so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero,
Caesar, sogar in den Gedichten Catulls die Regel eingeschärft und
der Verstoſs dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation
sich über diese auf dem sprachlichen ebenso wie auf dem poli-
tischen Gebiet rücksichtslos durchgreifende Revolution mit be-
greiflicher Empfindlichkeit äuſsert.* Indem aber der neue Klas-
sicismus, das heiſst das regulirte und mit dem mustergültigen
Griechisch so weit möglich ins Gleiche gesetzte mustergültige
Latein, hervorgehend aus der bewuſsten Reaction gegen den in
die höhere Gesellschaft und selbst in die Litteratur sich eindrän-
genden Vulgarismus, sich litterarisch fixirte und schematisch for-
mulirte, war die Sprache selbst zwar noch nicht erstarrt und von
der Regel beherrscht, aber doch begriffen im Erstarren und der
Regel sich bewuſst geworden. Es versteht sich von selbst, daſs
der Vulgarismus das Feld nicht räumte; wir finden ihn nicht
bloſs naiv in den Werken untergeordneter nur zufällig unter die
Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über
Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch
in der eigentlichen Litteratur, im Mimus, im Halbroman, in den
ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt be-
gegnen; und charakteristisch ist es, daſs er eben in den am mei-
sten volksthümlichen Gebieten der Litteratur sich behauptet und
daſs wahrhaft conservative Männer wie Varro ihn in Schutz neh-
men. Der Klassicismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache
wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es
war vollkommen consequent, daſs die Männer, in denen die Re-
publik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren
ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volks-
thümlichkeit zu Liebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So
gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser
Epoche überall hin aus einander: neben der altfränkischen Poesie
des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, ne-
[538]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
ben Ciceros allzu wohlklingender Periode Varros absichtlich jede
Gliederung verschmähender Satz. Auch hierin spiegelt sich die
Zerrissenheit der Zeit.
In der Litteratur dieser Periode fällt zunächst, im Vergleich
mit der früheren, die äuſsere Steigerung in dem litterarischen
Treiben auf. Für die Griechen ward Rom allmählich ein zweites
Alexandreia. Unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit
denen der vornehme Römer sich umgab, spielten neben dem Koch,
dem Buhlknaben und dem Spaſsmacher auch der Philosoph, der
Poet und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen und es
ist schon nicht mehr selten in diesen Stellungen namhaften Litte-
raten zu begegnen; wie zum Beispiel der Epikureer Philodemos
als Hausphilosoph bei dem Consular Lucius Piso angestellt war
und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den grobdräh-
tigen Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute.
Ueberhaupt zogen die angesehensten Vertreter der griechischen
Kunst und Wissenschaft immer zahlreicher sich nach Rom, wo
der litterarische Verdienst jetzt reichlicher floſs als irgendwo sonst;
so werden als in Rom ansässig genannt der Arzt Asklepiades,
den König Mithradates vergeblich von dort weg in seinen Dienst
zu ziehen versuchte; der Gelehrte für Alles Alexandros von Milet,
genannt der Polyhistor; der Poet Parthenios aus Nikaea in Bithy-
nien; der als Reisender, Lehrer und Schriftsteller gleich gefeierte
Poseidonios von Apameia in Syrien, der hochbejahrt im J. 703
von Rhodos nach Rom übersiedelte, und Andere mehr. Ein Haus
wie das des Lucius Lucullus war fast wie das alexandrinische
Museion ein Sitz hellenischer Bildung und ein Sammelplatz hel-
lenischer Litteraten; in diesen Hallen des Reichthums und der
Wissenschaft, wo mit römischen Mitteln und hellenischer Kenner-
schaft ein unvergleichlicher Schatz von Bildwerken und Gemäl-
den älterer und gleichzeitiger Meister so wie ebenso sorg-
fältig ausgewählte wie Prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt
worden waren, war jeder Gebildete und namentlich jeder Grieche
willkommen und oft sah man hier den Hausherrn selbst mit
einem seiner gelehrten Gäste in philologischen oder philosophi-
schen Gesprächen den schönen Säulengang auf- und niederwan-
deln. Die griechische Wissenschaft, seit Alexanders des Groſsen
Tode nothgedrungen kosmopolitisch und unter den Aegyptern
und Syrern wenigstens eben so fremd wie unter den Lateinern,
trug jetzt vorzugsweise nach Italien ihre reichen Bildungsschätze,
freilich auch zugleich ihre Verkehrtheit und Bedientenhaftigkeit;
wie sich denn zum Beispiel einer dieser gelehrten Landläufer, der
[539]LITTERATUR.
Verfasser der ‚Schmeichelredekunst‘, Aristodemos von Nysa (um
700) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, daſs Homeros
ein geborener Römer gewesen sei! In demselben Maſse wie das
Treiben der griechischen Litteraten in Rom stieg auch bei den
Römern selbst die litterarische Thätigkeit und das litterarische
Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere
Geschmack des scipionischen Zeitalters gänzlich beseitigt hatte,
tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun ein-
mal Weltsprache und eine griechische Schrift fand ein ganz an-
deres Publicum als eine lateinische; darum lieſsen wie die Kö-
nige von Armenien und Mauretanien so auch römische Vornehme,
wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus,
Quintus Scaevola (Volkstribun 700), gelegentlich griechische
Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indeſs dergleichen
griechische Schriftstellerei geborener Römer blieb Nebensache
und beinahe Spielerei; die litterarischen wie die politischen Par-
teien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der
italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrun-
genen Nationalität. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer
Schriftstellerei wenigstens über Mangel an Rührigkeit sich nicht
beklagen. Es regnete in Rom Bücher und Flugschriften aller Art
und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie
nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publicationen waren
zur stehenden Jugendsünde regerer Naturen geworden und auch
damals pries man denjenigen glücklich, dessen Jugendgedichte
die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Hand-
werk einmal verstand, schrieb ohne Mühe auf einen Ansatz seine
fünfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu
tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die
Frauenwelt betheiligte sich lebhaft an diesem litterarischen Trei-
ben; die Damen beschränkten sich nicht darauf Tanz und Musik
zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Con-
versation und sprachen vortrefflich über griechische wie latei-
nische Litteratur; und wenn die Poesie auf die Mädchenherzen
Sturm lief, so capitulirte auch die belagerte Festung nicht selten
gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr
das elegante Spielzeug der groſsen Kinder beiderlei Geschlechts;
poetische Billets und gemeinschaftliche poetische Uebungen und
Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewöhnli-
ches und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in
der Hauptstadt Anstalten eröffnet, in denen unflügge lateinische
Poeten das Versemachen für Geld erlernen konnten. In Folge des
[540]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
starken Bücherconsums wurde die Technik des fabrikmäſsigen
Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publication ver-
hältniſsmäſsig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward
ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des
Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Män-
ner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Ta-
fel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt
hatte, regelmäſsig vorgelesen und wer eine Reise vorhatte, vergals
nicht leicht eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier
sah man im Lagerzelt mit dem schlüpfrigen griechischen Ro-
man, den Staatsmann im Senat mit dem philosophischen Tractat
in der Hand sitzen. Es stand denn auch im römischen Staate
wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die
Bürger lesen ‚von der Thürschwell an bis zum Privet‘. Der par-
thische General Surenas hatte nicht Unrecht, wenn er den Bür-
gern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Ro-
mane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Bücher noch
für furchtbare Gegner hielten.
Die litterarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und
konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und
der neuen Weise getheilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem
politischen Gebiet sich bekämpfen, die nationalitalische der Con-
servativen, die hellenisch-italische oder wenn man will kosmo-
politische der neuen Monarchie, haben auch auf dem litterarischen
ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere latei-
nische Litteratur, die mehr und mehr auf dem Theater, in der
Schule und in der gelehrten Forschung den Charakter der Klassi-
cität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Partei-
tendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius,
Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die
Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die
relative Nationalität und relative Productivität der Dichter des sech-
sten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser
Epoche des ausgebildeten Epigonenthums, die in der Litteratur
ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der
Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwieder-
bringlich untergegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewun-
derung der alten Klassiker ein guter Theil derselben Hohlheit und
Heuchelei, die dem conservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen
sind. Die alte Litteratur rangirte ungefähr auf einer Linie mit der
aristokratischen Verfassung und der Auguraldisciplin; ‚der Patrio-
tismus erfordert es‘, heiſst es bei Cicero, ‚lieber eine notorisch
[541]LITTERATUR.
elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original'.
Wenn also die moderne der demokratischen Monarchie verwandte
litterarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbe-
wunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon
nicht an dreisteren Urtheilern, die mit der einheimischen Littera-
tur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Po-
litik. Man nahm nicht bloſs die strenge Kritik der scipionischen
Epoche wieder auf und lieſs den Terenz nur gelten, um Ennius
und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jün-
gere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte
es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen
den orthodoxen Litteraturglauben, den Plautus einen rohen Spaſs-
macher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heiſsen.
Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung
vielmehr auf die neuere griechische Litteratur oder den soge-
nannten Alexandrinismus. — Es kann nicht umgangen werden
von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache
und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständ-
niſs der römischen Litteratur dieser und der späteren Epochen
erforderlich ist. Die alexandrinische Litteratur ruht auf dem
Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit
Alexanders des Groſsen im Leben ersetzt ward durch einen dürf-
tigen zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts
mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervor-
gegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische
Litteratur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Na-
tion überhaupt, die um die alexandrinische Weltmonarchie und
das Reich des Hellenismus zu begründen in ihrer volksthümlichen
Individualität untergehen muſste und unterging. Hätte Alexan-
ders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehe-
maligen nationalen und volksthümlichen eine hellenisch sich nen-
nende, aber wesentlich denationalisirte und gewissermaſsen von
oben herab ins Leben gerufene Weltlitteratur getreten sein. Allein
zu einem hellenistischen Weltreich kam es auf die Dauer nicht;
mit dem Staate Alexanders gingen auch die Anfänge einer ihm
entsprechenden Litteratur zu Grunde. Die griechische Nation aber
gehörte darum nicht weniger mit allem was sie gehabt, mit ihrer
Volksthümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit
an. Nur in einem engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als
solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die grie-
chische Litteratur noch als todte gepflegt, ihr reicher Nachlaſs
in wehmüthiger Freude oder trockener Grübelei inventarisirt und
[542]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die todte Gelehrsam-
keit bis zu einer Scheinproductivität gesteigert. Diese postume
Productivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesent-
lich gleichartig derjenigen Gelehrtenlitteratur, welche, abstrahi-
rend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren
vulgaren Idiomen, in einem philologisch gelehrten kosmopoliti-
schen Kreise als künstliche Nachblüthe einer untergegangenen
Volkslitteratur während des funfzehnten und sechszehnten Jahr-
hunderts erwuchs; nur daſs freilich der Gegensatz zwischen dem
klassischen und dem Vulgargriechisch dieser Zeit minder schroff
war wie der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italie-
nisch Macchiavellis. — In Italien hatte man bisher sich gegen den
Alexandrinismus im Wesentlichen ablehnend verhalten. Die rela-
tive Blüthezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem ersten
punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius
und schloſs überhaupt die gesammte nationalrömische Schriftstel-
lerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer
Production, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen,[] nicht
an ihre griechische Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an,
sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und
die anderen Meister der lebendigen und volksthümlichen griechi-
schen Litteratur. Die römische Litteratur ist niemals frisch und
national gewesen; aber so lange es ein römisches Volk gab, griff
sie instinctmäſsig nach lebendigen und volksthümlichen Mustern
und copirte, wenn auch nicht immer aufs Beste noch die besten,
doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer —
denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit (II, 427)
können kaum mitgezählt werden — fand die nach Alexander ent-
standene griechische Litteratur unter den Zeitgenossen Ciceros
und Caesars und bald griff der römische Alexandrinismus mit
reiſsender Schnelligkeit um sich. Zum Theil ging dies aus äuſser-
lichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Grie-
chen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die helleni-
schen Landschaften und die Ansammlung griechischer Littera-
ten in Rom, verschaffte natürlich der griechischen Tageslitte-
ratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen
und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Mähr-
chen auch unter den Italikern ein Publicum. Indem ferner die
alexandrinische Poesie, wie früher (S. 530) dargestellt ward, in
dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies um
so mehr zurück auf die lateinische Litteratur, als diese von der
hellenistischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig
[543]LITTERATUR.
war und blieb. Es findet sich hier sogar eine unmittelbare An-
knüpfung der neurömischen an die neugriechische Litteratur:
der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren alexandri-
nischen Elegiker, eröffnete, es scheint um 700, eine Litteratur-
und Poesieschule in Rom und es sind noch die Excerpte vorhan-
den, in denen er Stoffe für lateinische erotisch-mythologische
Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Recept einem sei-
ner vornehmen Schüler an die Hand gab. Aber es waren keines-
wegs bloſs diese mehr zufälligen Veranlassungen, die den römi-
schen Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein
vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Er-
zeugniſs der politischen und nationalen Entwickelung Roms.
Einerseits löste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im
Romanismus sich auf; die nationale Entwickelung Italiens über-
wuchs und zersprengte sich in ganz ähnlicher Weise in Caesars
Mittelmeer- wie die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn
andrerseits das neue Reich darauf beruhte, daſs die mächtigen
Ströme der griechischen und der lateinischen Nationalität, nach-
dem sie Jahrtausende in parallelen Betten geflossen, nun endlich
zusammenfielen, so muſste auch die italische Litteratur nicht
bloſs wie bisher an der griechischen überhaupt einen Halt suchen,
sondern eben mit der griechischen Litteratur der Gegenwart, das
heiſst mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem
schulmäſsigen Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem ex-
clusiven Kreise der klassikerlesenden ‚Urbanen‘ war die volks-
thümliche lateinische Litteratur todt und zu Ende; es entstand
dafür eine durchaus epigonenhafte und künstlich groſsgezogene
Reichslitteratur, die nicht auf einer bestimmten Volksthümlichkeit
ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium
der Humanität verkündigte und geistig durchaus und bewuſst von
der althellenischen, sprachlich theils von dieser, theils von der
altrömischen Volkslitteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt.
Die Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine groſsartige und,
was mehr ist, eine nothwendige Schöpfung; aber sie war von
oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr zu fin-
den von dem frischen Volksleben, von der übersprudelnden Na-
tionalkraft, wie sie jüngeren, beschränkteren, natürlicheren Ge-
meinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten
Jahrhunderts sie hatte aufzeigen können. Der Litteratur wenig-
stens wurde das Herzblatt ausgebrochen, als die italische Volks-
thümlichkeit unterging. Wer ein Gefühl hat für die innige Wahl-
verwandtschaft der Kunst und der Nationalität, der wird stets sich
[544]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-
den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei-
sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es
vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche
vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch-
hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen
Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen
älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan-
drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie
Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird
später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver-
glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine
Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese
und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine
weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie-
chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur.
Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte-
ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die
Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete
hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich-
tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das
Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge-
schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden
und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom
ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer-
spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu
figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man
ungefähr danach bemessen, daſs Quintus Cicero, um die Lange-
weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei-
ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein-
zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ‚Lebens-
bild‘ oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb
der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloſs mit
den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die
der Alexandrinismus mit gröſserer poetischer Kraft und besse-
rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der
Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän-
zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich
zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson-
ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf-
geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei
[545]LITTERATUR.
denen die Rede wohl längst gelegentlich zu Hülfe genommen
ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines
regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von
dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich fortwäh-
rend dadurch wesentlich unterschieden, daſs der Tanz und die
von solchem Tanz unzertrennliche Lascivität hier fortfuhren eine
Hauptrolle zu spielen und daſs der Mimus, als nicht eigentlich
auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede scenische
Idealisirung, wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, bei
Seite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen in
dem Mimus auch von Frauen dargestellt wurden. Dieser neue
Mimus, der zuerst um 672 auf die hauptstädtische Bühne ge-
kommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harleki-
nade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusam-
menfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und nament-
lich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet.*
Die Fabel war natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller
als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, der Bettler
plötzlich zum Krösus ward und so weiter, so rechtete man mit
dem Poeten nicht, der statt den Knoten zu lösen ihn zerhieb. Die
Sujets waren vorwiegend verliebter Art. meistens von der frech-
sten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und
Publicum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit
bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der poetische Reiz
beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des ge-
meinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen Bilder vor
denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten
und der süſse Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen grie-
chischen Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird sein
eigenes Conterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Hand-
werkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeid-
liche ‚Walker‘, dann ‚der Seiler‘, ‚der
Färber‘, ‚der Salzmann‘,
Röm. Gesch. III. 35
[546]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
‚die Weberinnen‘, ‚die Hetäre‘, ‚der
Hundejunge‘; andere Stücke
geben Charakterfiguren: ‚das Breitmaul‘, ‚der Mann von
100000
Sesterzen‘; oder Bilder des Auslandes: ‚die Gallier‘,
‚Alexan-
dreia‘; oder Schilderungen von Volksfesten: ‚die
Compitalien‘,
‚die Saturnalien‘, ‚Anna Perenna‘, ‚die
warmen Bäder‘; oder
travestirte Mythologie: ‚die Fahrt in die Unterwelt‘, ‚der
Arverner-
see‘. Treffende Schlagwörter und kurze leicht behalt- und an-
wendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Un-
sinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt
wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegan-
gen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng
untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich
einzelne Beispiele.* Die Sprache strömte
natürlich selbst in den
zur Veröffentlichung redigirten Stücken über von Vulgaraus-
drücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht,
der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse, nur daſs die
Charaktermasken und die stehende Scenerie von Atella so wie
das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische
Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bret-
ter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel
flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz
in der Litteratur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer
Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch meisterlich be-
handelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Ge-
schichtschreiber muſs es bedauern, daſs es uns nicht mehr ver-
gönnt ist das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit
seinem groſsen attischen Gegenbild zu vergleichen.
Mit der Nichtigkeit der Bühnenlitteratur Hand in Hand geht
die Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramati-
sche Vorstellungen erhielten ihren regelmäſsigen Platz im öffent-
lichen Leben nicht bloſs der Hauptstadt, sondern auch der Land-
städte; jene bekam nun auch endlich durch Pompeius ein stehendes
Theater (699, s. S. 286). Die Dramen der gleichzeitigen Poeten,
mit Ausnahme der Mimen, wurden der Aufführung kaum gewürdigt;
[547]LITTERATUR.
man spielte, wie es scheint ausschlieſslich, die älteren Stücke —
eben wie gleichzeitig in Griechenland nicht die mehr als blassen
Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klas-
sische Schauspiel, vor allem die euripideische Tragödie in reich-
ster Entfaltung scenischer Mittel die Bühne behauptete. In Rom
gab man vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und
Accius und die Lustspiele des Plautus; wenn der letztere in der
vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komi-
scher Kraft freilich weit geringeren Terenz verdrängt worden war,
so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heiſst das Theater und
die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufste-
hung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und John-
son widerfuhr. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr
richtete sich sowohl die Thätigkeit des dirigirenden und execu-
tirenden Personals als auch das Interesse des Publicums auf die
scenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein ein-
träglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin
ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schau-
spielers Aesopus ward bereits erwähnt (S. 483); sein noch hö-
her gefeierter Zeitgenosse Roscius (II, 422) schlug seine Jah-
reseinnahme auf 600000 Sesterzen (43000 Thlr.) an* und die
Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (14000 Thlr.).
Daneben wandte man ungeheure Summen auf Decorationen und
Costüme: die Malerei der Coulissen fing an Kunstmalerei zu wer-
den; gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten
Maulthieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward
dazu benutzt um dem Publicum eine Musterkarte der von Pom-
peius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag
der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleich-
falls gröſsere und selbstständigere Bedeutung; wie der Wind die
Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemü-
ther der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie ward
allmählich rascher und nöthigte den Schauspieler zu lebhafterer
Action. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte
sich; der Habitué erkannte jedes Tonstück an der ersten Note
und wuſste die Lieder auswendig; jeder musikalische oder Reci-
tationsfehler ward streng von dem Publicum gerügt. Lebhaft
erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an
35 *
[548]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
das heutige französische Theater. Wie den losen Tableaus der
Tagesstücke der römische Mimus entspricht, für den wie für jene
nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in bei-
den sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel,
die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete
Mann von Rechtswegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genüge
gethan, indem sie in der Posse sich selber wiederfindet und in
dem Schauspiel den decorativen Pomp anstaunt und den allge-
meinen Eindruck einer idealen Welt empfängt; der höher Gebil-
dete kümmert im Theater sich nicht um das Stück, sondern ein-
zig um die künstlerische Darstellung. Endlich die römische Schau-
spielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphären ähnlich
wie die französische zwischen der Chaumière und dem Salon. Es
war nichts Ungewöhnliches, daſs die römischen Tänzerinnen bei
dem Finale das Obergewand abwarfen und dem Publicum einen
Tanz im Hemde zum Besten gaben; anderseits aber galt auch
dem römischen Talma als das höchste Gesetz seiner Kunst nicht
die Naturwahrheit, sondern das Ebenmaſs.
In der recitativen Poesie scheint es an metrischen Chroni-
ken nach dem Muster der ennianischen nicht gefehlt zu haben;
aber sie dürften ausreichend kritisirt sein durch jenes artige
Mädchengelübde, von dem Catullus singt: für die glückliche
Heimkehr des geliebten Entfernten das schlechteste der schlech-
ten Heldengedichte den Göttern zum Brandopfer darzubringen.
In der That ist in dem ganzen Gebiet der recitativen Dichtung in
dieser Epoche die ältere nationalrömische Tendenz nur durch ein
einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeu-
tendsten dichterischen Erzeugnissen der römischen Litteratur
überhaupt gehört. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius
Carus (655—699), ‚vom Wesen der Dinge‘, dessen Verfasser,
den besten Kreisen der römischen Gesellschaft angehörig, aber,
sei es durch Kränklichkeit, sei es durch Abneigung vom öffentli-
chen Leben ferngehalten, kurz vor dem Ausbruch des Bürger-
krieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter knüpft er ener-
gisch an Ennius an und damit an die klassische griechische Litte-
ratur. Unwillig wendet er sich weg von dem ‚hohlen Hellenismus‘
seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem Herzen
als den Schüler der ‚strengen Griechen‘, wie denn selbst des
Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte
dieser römischen Dichtung keinen unwürdigen Wiederhall gefun-
den hat. Wie Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine
Weisheit schöpft, so entlehnt Lucretius die Form seiner Darstel-
[549]LITTERATUR.
lung dem Empedokles, ‚dem herrlichsten Schatz des gabenrei-
chen sicilischen Eilands‘ und liest dem Stoffe nach ‚die goldenen
Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros‘, ‚welcher die
anderen Weisen überstrahlt wie die Sonne die Sterne verdunkelt‘.
Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem
Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und
fordert nichts von seinem Leser als die Kenntniſs der allgemein
geläufigen Traditionen.* Dem modernen Purismus zum Trotz,
der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius,
wie es Ennius gethan, statt matten und undeutlichen Lateins
lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Allit-
teration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzein-
schnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begeg-
nen noch häufig in Lucretius Rhythmen, und obwohl er den Vers
melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine
Hexameter nicht wie die elegischen zierlich hüpfend gleich dem
rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich
dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und prak-
tisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen
einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubens-
bekenntniſs des Sängers von Rudiae:
Götter freilich wird es geben, Himmelsbewohner allerdings,
Doch sie kümmern keinesweges, scheint mir, sich um der Menschen
Loos —
bezeichnet vollständig auch Lucretius religiösen Standpunct und
nicht mit Unrecht nennt er deſshalb selbst sein Lied gleichsam
die Fortsetzung dessen,
Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers
Kranz zuerst mitbracht' aus des Helikon lustigem Haine,
Daſs Italiens Völkern er strahl' in glänzender Glorie.
Noch einmal, zum letzten Mal noch erklingt in Lucretius Ge-
dicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des
sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem
furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die An-
schauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen ge-
sunkenen Zeit.** Auch ihm klingt der eigene ‚aus dem reichen
[550]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Gemüth anmuthig quillende‘ Gesang den gemeinen Liedern ge-
genüber ‚wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied
des Schwanes‘; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfunde-
nen Melodien lauschend, von hoher Ehren Hoffnung — eben wie
Ennius den Menschen, denen er ‚geschöpft aus tiefer Brust des
Liedes Flammenborn‘, verbietet an seinem des unsterblichen
Sängers Grabe zu trauern. — Es ist ein seltsames Verhängniſs,
daſs dieses ungemeine an ursprünglicher poetischer Begabung
den meisten, wo nicht allen seinen Vorgängern weit überlegene
Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und
verwaist fühlte und in Folge dessen in der wunderlichsten Weise
sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros System, welches das All
in einen groſsen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung
und das Ende der Welt so wie alle Probleme der Natur und des
Lebens in rein mechanistischer Weise abzuwickeln unternimmt,
war wohl etwas weniger albern als die Mythenhistorisirung, wie
Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein
geistreiches und frisches System war es nicht und die Aufgabe
nun gar diese mechanistischer Weltanschauung poetisch zu ent-
wickeln war von der Art, daſs wohl nie ein Dichter an einen un-
dankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der phi-
losophische Leser tadelt an dem lucretischen Lehrgedicht die
Weglassung der feineren Pointen, die Oberflächlichkeit nament-
lich in der Darstellung der Controversen, die mangelhafte Glie-
derung, die häufigen Wiederholungen mit ebenso gutem Recht,
wie der poetische an der rhythmisirten Mathematik sich ärgert,
die einen groſsen Theil des Gedichtes geradezu unlesbar macht.
Trotz dieser unglaublichen Mängel, denen jedes mittelmäſsige
Talent unvermeidlich hätte erliegen müssen, durfte dieser Dich-
ter mit Recht sich rühmen aus der poetischen Wildniſs einen
neuen Kranz davongetragen zu haben, wie keinen noch die Mu-
sen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloſs die ge-
legentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen
mächtiger Naturerscheinungen und mächtigerer Leidenschaften,
die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialität der Le-
bensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem
Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und
**
[551]LITTERATUR.
darum mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschen-
den Heuchel- oder Aberglauben gegenübertrat und treten durfte.
Als darnieder er sah das Dasein liegen der Menschheit
Jammervoll auf der Erd', erdrückt von der lastenden Gottfurcht,
Die vom Himmelsgewölb ihr Antlitz offenbarend,
Schauerlich anzusehn, hinab auf die Sterblichen drohte,
Wagt' es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge
Ihr entgegen zu heben, zuerst ihr entgegenzutreten;
Und die muthige Macht des Gedankens siegte; gewaltig
Trat hinaus er über die flammenden Schranken des Weltalls
Und der verständige Geist durchschritt das unendliche Ganze.
Also eiferte der Dichter die Götter zu stürzen, wie Brutus die
Könige gestürzt, und ‚die Natur von ihren strengen Herren
zu erlösen.‘ Aber nicht gegen Jovis längst eingestürzten Thron
wurden diese Flammenworte geschleudert; eben wie Ennius
kämpft Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wüsten
Fremd- und Aberglauben der Menge, den Cult der groſsen Mut-
ter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der Etrusker.
Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt
überhaupt, in der und für die der Dichter schrieb, haben dies
Gedicht eingegeben. Es wurde verfaſst in jener hoffnungslosen
Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestürzt und das Caesars
noch nicht aufgerichtet war, in den schwülen Jahren, während
deren der Ausbruch des Bürgerkrieges in langer peinlicher Span-
nung erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und un-
ruhigen Vortrag die Spannung eines Dichters anzufühlen meint,
der täglich erwartete den wüsten Lärm der Revolution über sich
und sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei
seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht verges-
sen dürfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche
Dinge sie ihm entstand. Unter allen in der caesarischen Zeit
einem zarten und poetisch organisirten Gemüth möglichen Welt-
anschauungen war die edelste und die veredelndste diese, daſs
es eine Wohlthat für den Menschen ist erlöst zu werden von
dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von
der bösen die Menschen, gleich wie die Kinder die Angst im
dunkeln Gemach, tückisch beschleichenden Furcht vor dem Tode
und vor den Göttern; daſs, wie der Schlaf der Nacht erquick-
licher ist als die Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige
Ausruhen von allem Hoffen und Fürchten, besser ist als das
Leben, wie denn auch die Götter des Dichters selber nichts sind
noch haben als die ewige selige Ruhe; daſs die Höllenstrafen
nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern wäh-
[552]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
rend desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des
klopfenden Herzens; daſs die Aufgabe des Menschen ist sein
Herz zum ruhigen Gleichmaſs zu stimmen, den Purpur nicht hö-
her zu schätzen als das warme Hauskleid, lieber unter den Ge-
horchenden zu verharren als in das Getümmel der Bewerber um
das Herrenamt sich zu drängen, lieber am Bach im Grase zu lie-
gen als unter dem goldenen Plafond des Reichen dessen zahl-
lose Schüsseln leeren zu helfen. Diese philosophisch-praktische
Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des lucretischen Lehr-
gedichts und alle Oede physikalischer Demonstration hat sie nur
verschüttet, nicht unterdrückt. Wesentlich auf ihr beruht dessen
relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer Ehr-
furcht vor seinen groſsen Vorgängern, mit einem gewaltsamen
Eifer, wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre
gepredigt und sie mit musischem Zauber verklärt hat, darf zu-
gleich ein guter Bürger und ein groſser Dichter genannt werden.
Das Lehrgedicht vom Wesen der Dinge, wie vieles auch daran
den Tadel herausfordert, ist eines der glänzenden Gestirne in
den sternenarmen Räumen der römischen Litteratur geblieben
und wählte billig der gröſste deutsche Sprachenmeister die Wie-
derlesbarmachung des lucrètischen Gedichts zu seiner letzten
und meisterlichsten Arbeit.
Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon
von den gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spät-
ling wie er war, ein Meister ohne Schüler. In der hellenischen
Modedichtung dagegen fehlte es an Schülern wenigstens nicht, die
den alexandrinischen Meistern nachzueifern versuchten. Mit rich-
tigem Tact mieden die begabteren alexandrinischen Poeten die
gröſseren Arbeiten und die reinen Dichtgattungen, das Drama, das
Epos, die Lyrik; ihre erfreulichsten Leistungen gelangen ihnen,
ähnlich wie den neulateinischen Dichtern, in ‚kurzathmigen‘ Auf-
gaben, welche vorzugsweise den Grenzgebieten der Kunstgattun-
gen, namentlich dem weiten zwischen Erzählung und Lied in der
Mitte liegenden, entnommen wurden. Gern schrieb man kleine
heroisch-erotische Epen und Lehrgedichte. Noch beliebter war
eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigenthüm-
liche und für ihre philologische Hippokrene charakteristische ge-
lehrte Liebeselegie, wobei der Dichter in die Schilderung der
eigenen vorwiegend erotischen Empfindungen epische Fetzen aus
dem griechischen Sagenkreis mehr oder minder willkürlich ein-
flocht. Festlieder wurden fleiſsig und künstlich gezimmert; über-
haupt waltete bei dem Mangel an innerlich poetischer Empfindung
[553]LITTERATUR.
das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin
die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der
Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder
nicht volksthümlichen Litteratur unvermeidlich anhaftet, suchte
man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, ge-
schraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Vers-
behandlung, überhaupt dem ganzen Apparat der philologisch- an-
tiquarischen Gelehrsamkeit und der technischen Gewandtheit. Dies
war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepre-
digt ward, und sie kamen in hellen Haufen um zu hören und aus-
zuüben: schon um 700 waren Euphorions Liebesgedichte und ähn-
liche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lectüre und die ge-
wöhnlichen Declamationsstücke der gebildeten Jugend. Die littera-
rische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen
Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der ‚neu-
modischen Dichter‘, wie Cicero sie nennt, war Legion, aber die
Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am
Parnasse hergeht, genöthigt sehr kurzen Prozeſs zu machen. Die
langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch
in diesem litterarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage
geworden; es begegnete wohl, daſs einem der Freund zum Hohn
einen Stoſs schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager als Fest-
tagsgeschenk ins Haus schickte, deren Werth der zierliche Ein-
band und das glatte Papier schon auf drei Schritte verrieth. Ein
eigentliches Publicum, in dem Sinne wie die volksthümliche Lit-
teratur ein Publicum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so
gut wie den hellenischen; es ist durchaus die Poesie der Clique
oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten,
dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien
vorlesen und kritisiren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise
die gelungenen Productionen wieder poetisch feiern und viel-
fach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm er-
schwindeln. Ein angesehener und selbst in dieser neuen Rich-
tung poetisch thätiger Lehrer der lateinischen Litteratur, Valerius
Cato scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schul-
patronat ausgeübt und über den relativen Werth der Poesien in
letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern
gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zu-
weilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Producte werden
nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen be-
griffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung.
Indem man in der Sprache und im Maſs weit enger, als je die
[554]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
volksthümliche lateinische Poesie es gethan, an die griechischen
Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine gröſsere sprach-
liche und metrische Correctheit und Consequenz erreicht; aber
es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen
Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluſs theils der weich-
lichen Muster, theils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen
ein auffallendes der Poesie wenig zuträgliches Uebergewicht. Es
ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daſs von dieser zahl-
losen Dichterschaar uns nur wenige Namen aufbehalten worden
sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Curiosi-
täten oder als gewesene Gröſsen: so der Redner Quintus Hor-
tensius mit seinen ‚fünfhunderttausend Zeilen‘ langweiliger
Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevinus, dessen
‚Liebesscherze‘ nur durch ihre verwickelten Maſse und manierir-
ten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Selbst das
Kleinepos Smyrna des Gaius Helvius Cinna († 710?), so sehr
es von der Clique angepriesen ward, trägt doch sowohl in dem
Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen
Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die
schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und
erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser
Schule, die es verstanden mit der Sauberkeit und der Form-
gewandtheit derselben den in dem republikanischen und nament-
lich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volksthüm-
lichen Gehalt zu verbinden. Es gilt dies, um von Laberius und
Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben
(S. 303) erwähnten Poeten der republikanischen Opposition
Marcus Furius Bibaculus (652—691), Gaius Licinius Calvus
(672—706) und Quintus Valerius Catullus (667— c. 700).
Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, kön-
nen wir dies freilich nur muthmaſsen; über die Gedichte des Ca-
tullus steht auch uns noch ein Urtheil zu. Auch er hängt in Stoff
und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner
Sammlung Uebersetzungen von Stücken des Kallimachos und
nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwie-
rigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Mode-
poesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der phry-
gischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der
Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschach-
telung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch ver-
dorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische
Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck
[555]LITTERATUR.
individueller und fast dramatischer Durchführung, steht vor allem
die solideste Kleinmalerei gebildeter Geselligkeit, die anmuthigen
sehr ungenirten Mädchenabenteuer, davon das halbe Vergnügen
im Ausschwatzen und Poetisiren der Liebesgeheimnisse besteht,
das liebe Leben der Jugend bei vollen Bechern und leeren Beu-
teln, die Reise- und die Dichterlust, die römische und öfter noch
die veronesische Stadtanekdote und der launige Scherz in dem
vertrauten Zirkel der Freunde. Aber nicht bloſs in die Saiten
greift des Dichters Apoll, sondern er führt auch den Bogen; der
geflügelte Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen
Versemacher noch den sprachverderbenden Provinzialen, aber
keinen trifft er öfter und schärfer als die Gewaltigen, von denen
der Freiheit des Volkes Gefahr droht. Die kurzzeiligen und kurz-
weiligen, oft von anmuthigen Refrains belebten Maſse sind von
vollendeter Kunst und doch ohne die widerwärtige Glätte der Fa-
brik. Um einander führen diese Gedichte in das Nil- und in das
Pothal; aber in dem letztern ist der Dichter unvergleichlich bes-
ser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl auf der alexandri-
nischen Kunst, aber doch auch auf dem bürgerlichen, ja dem
landstädtischen Bewuſstsein, auf dem Gegensatz von Verona zu
Rom, auf dem Gegensatz des schlichten Municipalen gegen die
hochgebornen ihren geringen Freunden gewöhnlich übel mit-
spielenden Herren vom Senat, wie er in Catulls Heimath, dem
blühenden und verhältniſsmäſsig frischen cisalpinischen Gallien,
lebendiger noch als irgendwo anders empfunden werden mochte.
In die schönsten seiner Lieder spielen die süſsen Bilder vom
Gardasee hinein und schwerlich hätte in dieser Zeit ein Haupt-
städter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfun-
dene auf des Bruders Tod oder das brave echt bürgerliche Fest-
lied zu der Hochzeit des Manlius und der Aurunculeia. Catullus,
obwohl abhängig von den alexandrinischen Meistern und mitten
in der Mode- und Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch
nicht bloſs ein guter Schüler unter vielen mäſsigen und schlech-
ten, sondern seinen Meistern selbst um so viel überlegen, als der
Bürger einer freien italischen Gemeinde mehr war als der kosmo-
politische hellenische Litterat. Eminente schöpferische Kraft und
hohe poetische Intentionen darf man freilich bei ihm nicht su-
chen; er ist ein reichbegabter und anmuthiger, aber kein groſser
Poet und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts als
‚Scherze und Thorheiten‘. Aber wenn nicht bloſs die Zeitgenos-
sen von diesen flüchtigen Liedchen elektrisirt wurden, sondern
auch die Kunstkritiker der augusteischen Zeit ihn neben Lucre-
[556]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
tius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so
hatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen Recht.
Die latinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht,
in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in
so gleichmäſsiger Vollendung wieder erscheinen wie bei Catullus;
und in diesem Sinne ist Catullus Gedichtsammlung allerdings das
Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen
vermag.
Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in pro-
saischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der
echten, naiven wie bewuſsten, Kunst, daſs zwischen dem poeti-
schen Inhalt und dem metrischen Gewand eine nothwendige Wahl-
verwandtschaft stattfindet, weicht der Vermischung und Trübung
aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeich-
nendsten Zügen dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch
weiter nichts anzuführen, als daſs der berühmteste Geschicht-
schreiber dieser Epoche Sisenna sich nicht für zu gut hielt die
viel gelesenen milesischen Erzählungen des Aristeides, schlüpfrige
Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu übersetzen.
Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zwei-
felhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die ästhetischen
Schriften Varros, der nicht bloſs der bedeutendste Vertreter der
lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch
in der productiven Litteratur einer der fruchtbarsten und inte-
ressantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Land-
schaft heimischen dem römischen Senat seit zweihundert Jahren
angehörigen Geschlechte entsprossen, streng in alterthümlicher
Zucht und Ehrbarkeit erzogen* und bereits am Anfang dieser
Epoche ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von
Reate (638—727) politisch, wie sich von selbst versteht, der
Verfassungspartei an und betheiligte sich ehrlich und energisch
an ihrem Thun und Leiden. Er that dies theils litterarisch, indem
er zum Beispiel die erste Coalition, das ‚dreiköpfige Ungeheuer‘,
in Flugschriften bekämpfte, theils im ernsteren Kriege, wo wir
ihn im Heere des Pompeius als Commandanten des jenseitigen
Spaniens fanden (S. 362). Als die Sache der Republik verloren
[557]LITTERATUR.
war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum Bibliothekar der
neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt; allein
die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal
in ihren Strudel hinein und erst siebzehn Jahre nach Caesars
Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief
der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen
gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, theils einfach prosaische
ernsteren Inhalts, theils launige Schilderungen, deren prosaisches
Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirkte. Jenes sind
die ‚philosophisch-historischen Abhandlungen‘(logistorici), dies
die menippischen Satiren. Beide schlieſsen nicht an lateinische
Vorbilder sich an, namentlich die varronische Satura keineswegs
an die lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht
eigentlich eine feste Kunstgattung ist, sondern diese Benennung
zunächst nur negativ bezeichnet, daſs das, ‚mannigfaltige Ge-
dicht‘ zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein
will und darum denn auch die Saturapoesie in jedem ihrer Aus-
über wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt.
Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie,
in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leich-
teren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen
in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am schwarzen
Meer († um 450), für die Satiren in den Schriften des Menippos
von Gadara in Syrien (blüht um 475). Die Wahl war bezeich-
nend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons phi-
losophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den
systematischen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die
poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er
war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger
als ein Philosoph. Menippos war es eben so wenig, sondern der
echteste litterarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren
Weisheit darin besteht die Philosophie zu leugnen und die Phi-
losophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein
lustiger Meister ernsthafter Weisheit bewies er in Exempeln und
Schnurren, daſs auſser dem rechtschaffenen Leben alles auf Er-
den und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der
sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Meister für einen
Mann wie Varro, der voll altrömischen Unwillens über die er-
bärmliche Zeit und voll altrömischer Laune auch durchaus nicht
ohne plastisches Talent, aber für alles was nicht wie Bild und
Thatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, voll-
ständig vernagelt und vielleicht unter den unphilosophischen Rö-
[558]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
mern der unphilosophischste war.* Allein Varro war kein unfreier
Schüler. Die Anregung und im Allgemeinen die Form entlehnte
er von Herakleides und Menippos; aber er war eine zu individuelle
und zu entschieden römische Natur, um nicht seine Nachschöpfun-
gen wesentlich selbstständig zu halten und ihnen den nationalrö-
mischen Stempel aufzudrücken. Für seine ernsten Abhandlungen,
in denen ein moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von all-
gemeinem Interesse behandelt ward, verschmähte er die fabulirende
an die milesischen Mährchen streifende Weise des Herakleides, der
sich gefiel in einigermaſsen kinderhaften Geschichtchen wie die vom
Abaris und von dem nach siebentägigem Tode wieder zum Leben
erwachenden Mädchen. Nur selten entnahm er die Einkleidung den
edleren Mythen der Griechen, wie in dem Aufsatz, ‚Orestes oder
vom Wahnsinn‘; regelmäſsig gab ihm einen würdigeren Rahmen
für seine Stoffe die Geschichte, namentlich die vaterländische
seiner Zeit, wodurch diese Aufsätze zugleich, wie sie auch heiſsen,
‚Lobschriften‘ wurden auf geachtete Römer, vor allem auf die
Koryphäen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung, ‚vom
Frieden‘ zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten
in der glänzenden Reihe der glücklichen Feldherren des Senats;
die ‚von der Götterverehrung‘ zugleich bestimmt das Andenken
an den hochgeachteten Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu
bewahren; der Aufsatz ‚über das Schicksal‘ knüpfte an Marius
an, der ‚über die Geschichtschreibung‘ an den ersten Histo-
riker dieser Epoche Sisenna, der ‚über die Anfänge der römi-
schen Schaubühne‘ an den fürstlichen Spielgeber Scaurus, der
‚über die Zahlen‘ an den fein gebildeten römischen Banquier At-
ticus. Die beiden philosophisch-historischen Aufsätze ‚Laelius
oder von der Freundschaft‘, ‚Cato oder vom Alter‘, welche Ci-
cero, wahrscheinlich nach dem Muster der varronischen, schrieb,
mögen von Varros halb lehrender, halb erzählender Behandlung
dieser Stoffe ungefähr eine Vorstellung geben. — Ebenso origi-
nell in Form und Inhalt ward von Varro die menippische Satire
behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem
[559]LITTERATUR.
griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von rö-
mischer Eigenthümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem
Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln wie
die philosophisch-historischen Aufsätze irgend ein moralisches
oder sonst für das gröſsere Publicum geeignetes Thema; wie dies
schon einzelne Titel zeigen: ‚Herkules Säulen oder vom Ruhm‘;
‚der Topf findet den Deckel oder vom Heirathen‘; ‚der Krug hat
sein Maſs oder vom Zechen‘; ‚Papperlapapp oder von der Lob-
rede‘. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen
durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten
entlehnt, wie in der Satire ‚Serranus oder von den Wahlen‘. Da-
gegen spielt die diogenische Hundewelt wie billig eine groſse
Rolle: es begegnen der Hund Forscher, der Hund Rhetor, der
Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus
und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen
Zwecken in Contribution gesetzt: wir finden einen ‚befreiten
Prometheus‘, einen ‚strohernen Aias‘, einen ‚Herkules Sokra-
tiker‘, einen ‚Anderthalb-Odysseus‘, der nicht bloſs zehn, son-
dern funfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der
dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen
Stücken, z. B. im ‚befreiten Prometheus‘, in dem ‚Mann von
sechzig Jahren‘, im ‚Frühauf‘ noch aus den Trümmern hervor,
es scheint, daſs Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmäſsig als
eigenes Erlebniſs erzählte, wie zum Beispiel im Frühauf die han-
delnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten,
‚da er als Büchermacher ihnen bekannt war‘. Ueber den poeti-
schen Werth dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urtheil nicht
mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unsern Trümmern
allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit — so
eröffnet im ‚befreiten Prometheus‘ der Heros nach Lösung seiner
Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh der Reiche
sich ein Mädchen bestellt, von Milch und feinstem Wachs, wie
es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüthen sammeln,
ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar,
rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensathem
dieser Dichtung ist die Polemik — nicht so sehr die politische
der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die
allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und
verkehrte Jugend, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das
neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweine-
stall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet,
keine Spur seiner weisen Ordnung mehr gewahrt. Varro that in
[560]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht schien; aber sein
Herz war bei diesem Parteitreiben nicht — ‚warum‘, klagt er
einmal, ‚riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rath-
hausschmutz?‘ Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede
nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war.
Nur eine einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen
den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde
des echten Römerthums, die griechischen Weltweisen; aber es
lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varro's Na-
turell, daſs die menippische Geiſsel ganz besonders den Philoso-
phen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene
Angst versetzte — nicht ohne Herzklopfen übersandten die phi-
losophischen Scribenten der Zeit dem ‚scharfen Mann‘ ihre neu
erschienenen Tractate. Das Philosophiren ist wahrlich keine
Kunst. Mit dem zehnten Theil der Mühe, womit der Herr den
Sclaven zum Kunstbäcker erzieht, bildet er selbst sich zum Phi-
losophen; freilich, wenn dann der Bäcker und der Philosoph
beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkünstler
hundertmal theurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute,
diese Philosophen! Der eine befiehlt die Leichen in Honig bei-
zusetzen — ein Glück, daſs man ihm nicht den Willen thut, wo
bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, daſs die Men-
schen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte
hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst unter-
gehen wird.
Gewiſs, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt
So toll, was nicht als Lehrsatz bringt ein Philosoph.
Es ist spaſshaft anzusehen, wie so ein Langbart — der etymolo-
gisirende Stoiker ist gemeint — ein jedes Wort bedächtig auf der
Goldwage wägt; aber nichts geht doch über den echten Philoso-
phenzank — ein stoischer Faustkampf übertrifft weit jede Athle-
tenbalgerei. In der Satire ‚die Marcusstadt oder vom Regimente‘,
wo Marcus sich ein Wolkenkukuksheim nach seinem Herzen
schuf, erging es eben wie in dem attischen dem Bauer gut, dem
Philosophen aber übel; der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis
(Celer-δι'-ἑνὸς-λήμματος-λόγος), Antipatros des Stoikers
Sohn, schlägt darin seinem Gegner, offenbar dem philosophi-
schen Zweiglied (Dilemma) mit der Feldhacke den Schädel ein.
Mit dieser sittlich polemischen Tendenz vereinigte sich auf das
Glücklichste Varros unvergleichliche Kunde der nationalen Sitte
und Sprache, die in den fachwissenschaftlichen Schriften seines
Greisenalters collectaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmit-
[561]LITTERATUR.
telbaren Lebendigkeit sich entfaltet. Varro war im besten und
vollsten Sinne des Wortes ein Localgelehrter, der seine Nation
in ihrer ehemaligen Eigenthümlichkeit und Abgeschlossenheit wie
in ihrer modernen Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljäh-
riger eigener Anschauung kannte und seine unmittelbare Kennt-
niſs der Landessitte und Landessprache durch die umfassendste
Durchforschung der geschichtlichen und litterarischen Archive
ergänzt und vertieft hatte. Was insofern an verstandesmäſsiger
Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm abging, das
gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er
haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen
veralteten oder poetischen Wörtern*; aber er selbst war ein alter
und altfränkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker sei-
ner Nation ihm liebe langgewohnte Genossen; wie konnte es feh-
len, daſs von der Sitte der Väter, die er über alles liebte und vor
allen kannte, gar vielerlei in seinen Schriften erzählt ward, und daſs
seine Rede überfloſs von sprichwörtlichen griechischen und latei-
nischen Wendungen, von guten alten in der sabinischen Um-
gangssprache bewahrten Wörtern, von ennianischen, lucilischen,
vor allem plautinischen Reminiscenzen? Den Prosastil dieser
ästhetischen Schriften aus Varros früherer Zeit darf man sich
nicht vorstellen nach dem der fachwissenschaftlichen Werke sei-
nes hohen Alters, der die Satzglieder am Faden der Relativa auf-
reiht wie die Drosseln an der Schnur; daſs aber Varro grundsätz-
lich die strenge Stilisirung und die attische Periodisirung ver-
warf, wurde früher schon bemerkt (S. 537), und seine ästheti-
schen Aufsätze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und die
falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefügten
als wohl gegliederten Sätzen unklassisch und selbst schluderig ge-
schrieben. Die eingelegten Poesien bewiesen dagegen nicht bloſs,
daſs ihr Urheber die mannigfaltigsten Maſse meisterlich wie nur
einer der Modepoeten zu bilden verstand, sondern auch daſs er
ein Recht hatte denen sich zuzuzählen, welchen ein Gott es ver-
gönnt hat ‚die Sorgen aus dem Herzen zu bannen durch das
Lied und die heilige Dichtkunst‘. ** Schule machte die varronische
Röm. Gesch. III. 36
[562]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Skizze so wenig wie das lucretische Lehrgedicht; zu den allge-
meineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus indivi-
duelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem
höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigen-
thümlichen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmuth und
Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie
an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit überlegen scheinen
gewesen zu sein, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen
Späteren, die für Originalität und Volksthümlichkeit Sinn hatten;
und auch wir noch, denen es nicht mehr vergönnt ist sie zu lesen,
mögen aus den erhaltenen Bruchstücken einigermaſsen es nach-
empfinden, daſs der Schreiber ‚es verstand zu lachen und mit
Maſs zu scherzen‘. Und schon als der letzte Hauch des scheiden-
den guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne
Sproſs, den die volksthümliche lateinische Poesie getrieben hat,
verdienten es Varros Satiren, daſs der Dichter in seinem poeti-
schen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl,
Dem da Roma liegt und Latiums Blüthe am Herzen
und sie behaupten einen ehrenvollen Platz auch in der Geschichte
des italischen Volkes. *
**
[563]LITTERATUR.
Zu einer kritischen Geschichtschreibung in der Art, wie die
Nationalgeschichte von den Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie
*
36*
[564]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
die Weltgeschichte von Polybios geschrieben ward, ist man in
Rom eigentlich niemals gelangt. Selbst auf dem dafür am mei-
sten geeigneten Boden, in der Darstellung der gleichzeitigen und
der jüngst vergangenen Ereignisse blieb es im Ganzen bei mehr
oder minder unzulänglichen Versuchen; in der Epoche nament-
lich von Sulla bis auf Caesar wurden die nicht sehr bedeutenden
Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem Gebiet aufzu-
weisen hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum auch
nur erreicht. Das einzige diesem Gebiete angehörende namhafte
Werk, das in der gegenwärtigen Epoche entstand, ist des Lucius
Cornelius Sisenna (Praetor 676) Geschichte des Bundesgenossen-
und Bürgerkrieges. Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, daſs
sie an Lebendigkeit und Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken
weit übertraf, aber auch in einem durchaus unreinen und selbst
*
[565]LITTERATUR.
in das Kindische verfallenden Stil geschrieben war; wie denn
auch die wenigen übrigen Bruchstücke eine kleinliche Detailma-
lerei des Gräſslichen* und eine Menge neu gebildeter oder der
Umgangssprache entnommener Wörter aufzeigen. Wenn noch
hinzugefügt wird, daſs das Muster des Verfassers und so zu sagen
der einzige ihm geläufige griechische Historiker Kleitarchos war,
der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiction schwanken-
den Biographie Alexanders des Groſsen in der Art des Halbro-
mans, der den Namen des Curtius trägt, so wird man nicht an-
stehen in Sisennas vielgerühmten Geschichtswerk nicht ein Er-
zeugniſs echter historischer Kritik und Kunst zu erkennen, son-
dern den ersten römischen Versuch in der bei den Griechen so
beliebten historischen Zwittergattung, welche das historische
Grundwerk durch erfundene Ausführung lebendig und interessant
machen möchte und es dadurch schal und unwahr macht; und es
wird nicht ferner Verwunderung erregen demselben Sisenna auch
als Uebersetzer griechischer Moderomane zu begegnen (S. 556).
— Daſs es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadt- und gar der
Welt-Chronik noch weit erbärmlicher aussah, lag in der Natur
der Sache. Zwar Gaius Licinius Macer († als gewesener Prae-
tor 688), des Dichters Calvus (S. 554) Vater und ein eifriger
Demokrat (S. 86), nahm einen achtbaren Anlauf die Urkunden
und sonstige zuverlässige Quellen nach Polybios Vorgang wieder
an das Licht zu ziehen und danach die gangbare Erzählung zu
rectificiren; und die steigende Regsamkeit der antiquarischen
Forschung lieſs erwarten, daſs dieser erste Versuch nicht ver-
einzelt bleiben werde. Allein es trat das gerade Gegentheil ein.
Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat es her-
vor, was es hieſs eine kritische Geschichte Roms zu schreiben.
Schon die Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstel-
lung sich entgegenstellten, waren unermeſslich; aber die be-
denklichsten Hindernisse waren nicht die litterarischer Art. Die
conventionelle Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenig-
stens zehn Menschenaltern erzählt und geglaubt ward (I, 303),
war mit dem bürgerlichen Leben der Nation aufs innigste zu-
sammengewachsen; und doch muſste bei jeder eingehenden
und ehrlichen Forschung nicht bloſs Einzelnes hie und da mo-
[566]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
dificirt, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen wer-
den wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund
und die brittische vom König Arthur. Ein conservativ gesinn-
ter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses
Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Frei-
geist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimm-
sten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre
Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, unter allen guten
Bürgern das Kreuzige erschollen sein. So führte die philolo-
gische und antiquarische Forschung von der Geschichtschrei-
bung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren über-
haupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens
daſs man, wie Titus Pomponius Atticus that, die Beamten-
und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit
zusammenstellte. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum
ihre Thätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der
groſsen von der langen Weile für die lange Weile geschriebenen
Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern,
ohne daſs die Buchmacher, zum Theil bereits Freigelassene,
um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten.
Einzelne derselben zeichneten wohl unter der Menge sich aus:
Macers relativ kritische Stadtchronik ward schon erwähnt; die
Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676?) war in
einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliſs in
der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze.
Dagegen übertraf Valerius von Antium in der Weitläuftigkeit wie
in der kindischen Fabulirung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge
war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab
durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten aber-
mals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung,
in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe
Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die
schöne von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene
Conversation allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte
Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um wo
möglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben.
Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellen-
schreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hät-
ten entgehen lassen. In der That fehlte es auch nicht an griechi-
schen Litteraten, welche die römische Geschichte, und zwar kei-
neswegs bloſs die der ältesten, sondern zum Beispiel auch die
der hannibalischen Zeit zu Romanen verarbeiteten: solche Schrif-
[567]LITTERATUR.
ten ‚von italischen Dingen‘, ein widerwärtiges Gemisch abgestan-
dener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend ero-
tischer Erfindung, gab es zum Beispiel von dem schon unter den
in Rom lebenden griechischen Litteraten erwähnten Polyhistor
Alexandros (S. 538) und, charakteristisch genug, von dem mehr
genannten Aristeides von Milet, dem gelesensten Romanschreiber
der Zeit. — So dringt von verschiedenen Seiten her der histo-
rische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein;
und es ist mehr als wahrscheinlich, daſs von dem, was man heute
Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der
kleinste Theil aus Quellen herrührt von dem Schlage der Amadis
von Gallien und der Fouquéschen Ritterromane — eine erbau-
liche Betrachtung, welche denjenigen empfohlen sein mag, die
Sinn haben für den Humor der Geschichte und welche die Komik
der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für
König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in
die römische Litteratur tritt in dieser Epoche neben der Landes-
die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefaſste rö-
misch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos (c. 650— c. 725)
lieferte zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700)
und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biogra-
phiensammlung politisch oder litterarisch ausgezeichneter römi-
scher und griechischer oder doch in die römische oder griechische
Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schlieſsen an
die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit
längerer Zeit schrieben; und es ist bemerkenswerth, daſs eben
diese griechischen Weltchroniken jetzt auch, wie zum Beispiel die
im J. 698 abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galati-
schen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte rö-
mische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen begannen. Polybios
Tendenz der localen Geschichte die der Mittelmeerwelt zu substi-
tuiren liegt allerdings auch diesen Arbeiten zu Grunde; aber was
bei Polybios aus groſsartig klarer Auffassung und tiefem ge-
schichtlichem Sinn hervorging, erscheint in diesen Chroniken viel-
mehr als ein Product des praktischen Bedürfnisses von Schul-
meistern und Dilettanten. Der künstlerischen Geschichtschrei-
bung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Unterricht
oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusam-
menhängende auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weit-
schichtig gewordene Litteratur kaum zugezählt werden; und
namentlich Nepos selbst war ein reiner weder durch Geist noch
auch nur durch Planmäſsigkeit und Genauigkeit ausgezeichneter
[568]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Compilator. — Merkwürdig und in hohem Grade charakteristisch
ist die Historiographie dieser Zeit allerdings, aber freilich so un-
erfreulich wie die Zeit selbst. Das Ineinanderaufgehen der grie-
chischen und der lateinischen Litteratur tritt auf keinem Gebiet so
deutlich hervor wie auf dem der Geschichte; hier setzen die beider-
seitigen Litteraturen in Stoff und Form am frühesten sich ins
Gleiche und die einheitliche Auffassung der hellenisch-italischen
Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit vorangeeilt war, lernte
jetzt bereits der griechische wie der römische Knabe in der Schule.
Allein wenn der Mittelmeerstaat einen Geschichtschreiber gefunden
hatte, ehe er seiner selbst sich bewuſst worden war, so stand jetzt,
wo das Bewuſstsein sich eingestellt hatte, weder bei den Griechen
noch bei den Römern ein Mann auf, der ihm den rechten Aus-
druck zu leihen vermochte. Eine römische Geschichtschreibung,
sagt Cicero, giebt es nicht; und so weit wir urtheilen können, ist
dies nicht mehr als die einfache Wahrheit. Die Forschung wendet
von der Geschichtschreibung sich ab, die Geschichtschreibung
von der Forschung; die historische Litteratur schwankt zwischen
dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen Kunstgattungen,
Epos, Drama, Lyrik, Historie sind nichtig in dieser nichtigen
Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige Verfall der
ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder wie in
ihrer Historiographie. — Die kleine historische Litteratur dieser
Zeit weist dagegen unter vielen geringfügigen und verschollenen
Productionen eine Schrift ersten Ranges auf: die Memoiren Cae-
sars oder vielmehr der militärische Rapport des demokratischen
Generals an das Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten hat.
Der vollendetste und allein von dem Verfasser selbst veröffent-
lichte Abschnitt, der die keltischen Feldzüge bis zum J. 702 schil-
dert, hat offenbar den Zweck das formell verfassungswidrige Be-
ginnen Caesars, ohne Auftrag der competenten Behörde ein groſses
Land zu erobern und zu diesem Ende sein Heer beständig zu
vermehren, so gut wie möglich vor dem Publicum zu rechtfer-
tigen; er ward geschrieben und bekannt gemacht im J. 703, als in
Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert ward
sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen.* Der
[569]LITTERATUR.
Verfasser dieser Rechtfertigungsschrift schreibt, wie er auch selber
sagt, durchaus als Offizier und vermeidet es sorgfältig die militä-
rische Berichterstattung auf die bedenklichen Gebiete der poli-
tischen Organisation und Administration zu erstrecken. Seine in
der Form eines Militärberichts entworfene Gelegenheits- und
Parteischrift ist wohl selber ein Stück Geschichte wie die Bülle-
tins Napoleons, aber ein Geschichtswerk im rechten Sinne des
Wortes ist es nicht und soll es nicht sein; die Objectivität der
Darstellung ist nicht die historische, sondern die des Beamten.
Allein in dieser bescheidenen Gattung ist die Arbeit meisterlich
und vollendet wie keine andere in der gesammten römischen Lit-
teratur. Die Darstellung ist immer knapp und nie karg, immer
schlicht und nie nachlässig, immer von durchsichtiger Leben-
digkeit und nie gespannt oder manierirt. Die Sprache ist voll-
kommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen, der Typus
der modernen Urbanität. Den Büchern vom Bürgerkrieg meint
man es anzufühlen, daſs der Verfasser den Krieg hatte vermeiden
wollen und nicht vermeiden können, vielleicht auch, daſs in Cae-
sars Seele wie in jeder anderen die Zeit der Hoffnung eine reinere
und frischere war als die der Erfüllung; aber über die Schrift
vom gallischen Krieg ist eine helle Heiterkeit, eine einfache An-
muth ausgegossen, welche nicht minder einzig in der Litteratur
dastehen wie Caesar in der Geschichte. — Verwandter Art sind
die Briefwechsel von Staatsmännern und Litteraten dieser Zeit,
die in der folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und veröf-
fentlicht wurden: so die Correspondenz von Caesar selbst, von
Cicero, Calvus und Andern. Den eigentlich litterarischen Lei-
stungen können sie noch weniger beigezählt werden; aber für die
*
[570]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Corre-
spondenzlitteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegel-
bild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener
Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen
Treiben sich verflüchtigte und verzettelte. — Eine Journalistik
in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet;
die litterarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenlitte-
ratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein ver-
breitete Sitte die für das Publicum bestimmten Notizen an öffent-
lichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Da-
gegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt für die
abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten
aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Aus-
zugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem
ersten Consulat geeignete Maſsregeln. Aus den Privatjournalen
jener römischen penny-a-liners und diesen officiellen laufenden
Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt
(acta diurna), in dem das Resumé der vor dem Volke und im
Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und
dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht
unwichtige geschichtliche Quelle, aber blieb ohne eigentliche po-
litische wie ohne litterarische Bedeutung.
Zu der historischen Nebenlitteratur gehört von Rechts wegen
auch die Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht,
ist ihrer Natur nach ephemer und gehört der Litteratur nicht an;
indeſs kann auch sie wie der Bericht und der Brief, und sie noch
leichter als diese, durch die Prägnanz des Moments und die Macht
des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden
Schätze der nationalen Litteratur. So spielten denn auch in Rom
die Aufzeichnungen der vor der Bürgerschaft oder den Geschwor-
nen gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloſs seit langem
eine groſse Rolle in dem öffentlichen Leben, sondern es wurden
auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezählt
zu der klassischen römischen Litteratur. In dieser Epoche aber
tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein.
Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede
selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten
Politien, ihren Höhepunct in den Verhandlungen vor der Bürger-
schaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, collegialische
Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden,
die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Ver-
theidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen
[571]LITTERATUR.
an seinen Lippen hangenden groſsen und mächtigen römischen
Volksgemeinde. Allein damit war es nun vorbei. Nicht als hätte
es an Rednern gemangelt oder an der Veröffentlichung der vor
der Bürgerschaft gehaltenen Reden; vielmehr ward die politische
Schriftstellerei jetzt erst recht weitläuftig und es fing an zu den
stehenden Tafelbeschwerden zu gehören, daſs der Wirth die Gäste
durch Vorlesung seiner neuesten Reden incommodirte. Auch
Publius Clodius lieſs seine Volksreden als Broschüren ausgehen,
eben wie Gaius Gracchus; aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei
Männer dasselbe thun. Die bedeutenderen Führer selbst der Op-
position, vor allem Caesar selbst, sprachen zu der Bürgerschaft
nicht oft und veröffentlichten nicht mehr die vor ihr gehaltenen
Reden; ja sie suchten zum Theil für ihre politischen Flugschriften
sich eine andere Form als die hergebrachte der Contionen, in wel-
cher Hinsicht namentlich die Lob- und Tadelschriften auf Cato (S.
440) bemerkenswerth sind. Es ist das wohl erklärlich. Gaius
Gracchus hatte zur Bürgerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu
dem Pöbel; und wie das Publicum, so die Rede. Kein Wunder, wenn
der reputirliche politische Schriftsteller auch die Einkleidung ver-
mied, als seien seine Worte zu den auf dem Markte der Hauptstadt
versammelten Haufen gesprochen. Wenn also die Redeschriftstel-
lerei in ihrer bisherigen litterarischen und politischen Geltung in
derselben Weise verfällt, wie alle naturgemäſs aus dem nationalen
Leben entwickelten Zweige der Litteratur, so beginnt zugleich eine
seltsame nicht politische Plaidoyerlitteratur. Bisher hatte man
nichts davon gewuſst, daſs der Advocatenvortrag als solcher, auſser
für die Richter und die Parteien, auch noch für Mit- und Nachwelt
zur litterarischen Erbauung bestimmt sei; kein Sachwalter hatte
seine Plaidoyers aufgezeichnet und veröffentlicht, wofern dieselben
sich nicht etwa dazu eigneten als politische Parteischriften verbrei-
tet zu werden, und auch dies war nicht gerade häufig geschehen.
Noch Quintus Hortensius (640—704), in den ersten Jahren dieser
Periode der gefeiertste römische Advocat, veröffentlichte nur we-
nige und wie es scheint nur die ganz oder halb politischen Reden.
Erst sein Nachfolger in dem Principal der römischen Sachwalter,
M. Tullius Cicero (648—711) war von Haus aus ebenso sehr
Schriftsteller wie Gerichtsredner; er publicirte seine Plaidoyers
regelmäſsig und auch dann, wenn sie nicht oder nur entfernt
mit der Politik zusammenhingen. Dies ist nicht Fortschritt,
sondern Unnatur und Verfall. Auch in der attischen Litteratur
ist das Auftreten der geschriebenen nicht politischen Advocaten-
reden unter den Kunstgattungen ein Zeichen der Krankheit; aber
[572]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
zwiefach ist es dies in der römischen, in der diese Miſsbildung
nicht wie in Attika aus dem überspannten rhetorischen Trei-
ben mit einer gewissen Nothwendigkeit erwachsen, sondern
willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen
der Nation dem Ausland abgeborgt ist. Dennoch kam dieses
neue Genre rasch in Aufnahme, theils weil es mit der älteren
politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zu-
sammenfloſs, theils weil das unpoetische, rechthaberische, rhe-
torisirende Naturell der Römer für den neuen Samen einen gün-
stigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advocatenrede
und selbst eine Art Prozeſsschriftlitteratur in Italien etwas be-
deutet. Also erwarb die von der Politik emancipirte Rede-
schriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Litteratenwelt
durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehr-
fach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht
und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat
und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr
gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien,
waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäſsig bereits abge-
than: so trat er im Prozeſs des Verres gegen die Senatsgerichte
auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Ver-
handlung über das gabinische und verfocht das manilische Ge-
setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits
feststand, und so weiter. Gegen Scheinattaquen war er gewaltig
und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt;
eine ernstliche Sache ist nie, weder im Guten noch im Bösen,
durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung
der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber
bewirkt. In litterarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben
worden, daſs er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa
war (S. 535); auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung und
allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als
Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als
Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich ver-
sucht, in unendlichen Hexametern Marius Groſs- und seine eige-
nen Kleinthaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit
seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde
geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt um auch den Thu-
kydides noch zu überwinden. Er war in der That so durchaus
Pfuscher, daſs es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte.
Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinn des Wortes, an
Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle
[573]LITTERATUR.
Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hülfe weniger
Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzt oder compilirt
hätte. Am treuesten giebt seine Correspondenz sein Bild wieder.
Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen; sie ist es
auch, so lange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vor-
nehmen Welt wiederspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich
selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der
pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele
eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daſs ein
solcher Staatsmann und ein solcher Litterat auch als Mensch
nicht anders sein konnte als von schwach überfirniſster Ober-
flächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nöthig zu sagen.
Sollen wir den Redner noch schildern? Der groſse Schriftsteller
ist doch auch ein groſser Mensch; und vor allem dem groſsen
Redner strömt die Ueberzeugung oder die Leidenschaft klarer und
brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen
Vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Ueber-
zeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advocat, und
kein guter Advocat. Er verstand es, seine Sacherzählung anek-
dotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl doch die
Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder
Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der
Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenn gleich
auch sie die freie Anmuth und den sicheren Treff der vorzüglich-
sten Compositionen dieser Art, z. B. der Memoiren von Beau-
marchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und
angenehme Lectüre. Werden aber schon die eben bezeichneten
Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften
Werthes erscheinen, so muſs der absolute Mangel politischen
Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduction in den
Gerichtsreden, der pflichtvergessene die Sache stets über dem
Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräſsliche Ge-
dankenöde jeden Leser der ciceronischen Reden von Herz und Ver-
stand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahr-
lich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fan-
den. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im Reinen sein; der
Ciceronianismus ist ein Problem, das in der That nicht eigentlich
aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem gröſseren
Geheimniſs der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung
der Sprache auf das Gemüth. Indem die edle lateinische Sprache,
eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten
Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaſst und in seinen
[574]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
weitläuftigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige
Gefäſs etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und
von der Pietät, die sie erweckt. Man besaſs keinen groſsen latei-
nischen Prosaiker; denn Caesar war wie Napoleon nur beiläufig
Schriftsteller. War es zu verwundern, daſs man in Ermangelung
eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem
groſsen Stilisten? und daſs wie Cicero selbst so auch Cicero's
Leser sich gewöhnten zu fragen nicht was, sondern wie er ge-
schrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was
die Macht der Sprache begonnen hatte. Cicero's Zeitgenossen wa-
ren begreiflicher Weise in dieser seltsamen Abgötterei weit we-
niger befangen als viele der Späteren. Die ciceronische Manier be-
herrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advoca-
tenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es
gethan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hiel-
ten doch stets derselben sich fern und unter der jüngeren Genera-
tion regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die ent-
schiedenste Opposition gegen Cicero's zwitterhafte und schwäch-
liche Redekunst. Man vermiſste in der Sprache Knappheit und
Strenge, in den Späſsen das Leben, in der Anordnung Klarheit und
Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das
Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker
fing man an auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und De-
mosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männ-
lichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung ge-
hörten an der feierliche, aber steife Marcus Junius Brutus (669—
712), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus
(672—706; S. 437) und Gaius Scribonius Curio († 705; S. 334.
373), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter
bekannte Calvus (672—706), der litterarische Koryphäe dieses
jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius
Asinius Pollio (678—757). Unleugbar war in dieser jüngeren Re-
delitteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der hortensi-
schen und ciceronischen zusammengenommen; indeſs vermögen
wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolu-
tion, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme
des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Ent-
wickelung gelangten. Die Zeit dazu war kurz gemessen. Die neue
Monarchie begann damit der Redefreiheit den Krieg zu machen
und unterdrückte die politische Rede bald ganz (S. 308). Seit-
dem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen
Advocatenplaidoyers in der Litteratur festgehalten; aber die
[575]LITTERATUR.
höhere Redekunst und Redelitteratur, die durchaus ruht auf dem
politischen Treiben, ging mit diesem selbst nothwendig und für
immer zu Grunde.
Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Litteratur dieser
Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe
in der Form des stilisirten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr
verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern
vorgekommen war (II, 432). Namentlich Cicero war es, der den
Versuch machte rhetorische und philosophische Stoffe in dieser
Form darzustellen und das Lehr- mit dem Lesebuch zu ver-
schmelzen. Seine Hauptschriften sind die ‚vom Redner‘ (ge-
schrieben 699), wozu die Geschichte der römischen Beredsam-
keit (der Dialog ‚Brutus‘, geschrieben 708) und andere kleinere
rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift, ‚vom
Staat‘ (geschrieben 700), womit die Schrift ‚von den Gesetzen‘
(geschrieben 702?) nach platonischem Muster in Verbindung
gesetzt ist. Es sind keine groſse Kunstwerke, aber unzweifel-
haft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers
am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die
rhetorischen Schriften entwickeln einen Schatz von praktischer
Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leich-
ter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der That das
Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staate
führt in einem wunderlichen geschichtlich-philosophischen Zwit-
tergebilde den Grundgedanken durch, daſs die bestehende Verfas-
sung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale
Staatsordnung sei; eine Idee, die freilich eben so unphilosophisch
wie unhistorisch, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser
eigenthümlich, aber begreiflicher Weise populär war und blieb.
Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politi-
schen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen
und auch vieles Einzelne, z. B. der groſse Schluſseffect in der
Schrift vom Staate, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt
denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbei-
tung durchaus römische Localfarbe zeigt. Auch die Gesprächs-
form Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten
griechischen Kunstdialoge noch der echte Conversationston Di-
derots oder Lessings; aber die groſsen Gruppen der um Cras-
sus und Antonius sich versammelnden Advocaten und der älteren
und jüngeren Staatsmänner des scipionischen Zirkels geben doch
einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfun-
gen für geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte
[576]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Ruhepunkte für die wissenschaftliche Erörterung. Der Stil ist
ebenso durchgearbeitet und gefeilt wie in den bestgeschriebenen
Reden und insofern erfreulicher als diese, als der Verfasser hier
nicht leicht einen vergeblichen Anlauf zum Pathos nimmt. Wenn
diese philosophisch gefärbten rhetorischen und politischen Schrif-
ten Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen der Com-
pilator vollständig durch, als er in der unfreiwilligen Muſse seiner
letzten Lebensjahre (709. 710) sich an die eigentliche Philoso-
phie machte und mit ebenso groſser Verdrieſslichkeit wie Eil-
fertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek
zusammenschrieb. Das Recept war sehr einfach. In roher Nach-
ahmung der populären aristotelischen Schriften, in welchen die
dialogische Form hauptsächlich zur Entwickelung und Kritisirung
der verschiedenen älteren Systeme benutzt war, nähte Cicero
über irgend ein philosophisches Problem die einschlagenden
epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften, wie sie
ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem soge-
nannten Dialog an einander, ohne von sich mehr dazu zu thun
als theils irgend eine aus der reichen Sammlung von Vorreden
für künftige Werke, die er liegen hatte, dem neuen Buche
vorgeschobene Einleitung, theils diejenige Verhunzung, ohne
welche ein weder zum philosophischen Denken noch auch nur
zum philosophischen Wissen gelangter schnell und dreist arbei-
tender Litterat dialektische Gedankenreihen nicht reproducirt.
Auf diesem Wege konnten denn freilich sehr schnell eine Menge
dicker Bücher entstehen — ‚es sind Abschriften‘, schrieb der
Verfasser selbst einem über seine Fruchtbarkeit verwunderten
Freunde; ‚sie machen mir wenig Mühe, denn ich gebe nur die
Worte dazu und die habe ich in Ueberfluſs‘. Aber wer in solchen
Schreibereien klassische Productionen sucht, dem kann man nur
rathen sich in litterarischen Dingen eines schönen Stillschweigens
zu befleiſsigen.
Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in
einer einzigen: es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo
angelegte Gebäude sprachlicher und sachlicher lateinischer For-
schung wurde vor allem von seinem Schüler Varro in der groſs-
artigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende Durch-
arbeitungen des gesammten Sprachschatzes, namentlich Figulus
weitschichtige grammatische Commentarien und Varros groſses
Werk ‚von der lateinischen Sprache‘; grammatische und sprach-
geschichtliche Monographien, wie Varros Schriften vom lateini-
schen Sprachgebrauch, über die Synonymen, über das Alter der
[577]LITTERATUR.
Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scho-
lien zu der älteren Litteratur, welche besonders für Plautus Si-
senna, Varro und Andere lieferten; litterargeschichtliche Arbei-
ten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schau-
bühne, über die scenische Theilung der plautinischen Komödien
und über die Aechtheit derselben. Die lateinische Realphilologie,
welche die gesammte ältere Geschichte und das aus der prakti-
schen Jurisprudenz ausfallende Sacralrecht in ihren Kreis zog,
wurde zusammengefaſst in Varros fundamentalen und für alle Zei-
ten fundamental gebliebenen ‚Alterthümern der menschlichen und
der göttlichen Dinge‘ (bekanntgemacht zwischen 687 u. 709). Die
erste Hälfte ‚von den menschlichen Dingen‘ schilderte die Urzeit
Roms, die Land- und Stadteintheilung, die Wissenschaft von den
Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen
daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ‚von den göttlichen
Dingen‘ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung
der Sachverständigencollegien, der heiligen Stätten, der religiösen
Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst
übersichtlich entwickelt. Dazu kam auſser einer Anzahl von Mono-
graphien — zum Beispiel über die Herkunft des römischen
Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter,
über die Districte — als ein gröſserer und selbstständigerer Nach-
trag die Schrift ‚vom Leben des römischen Volkes‘; ein merk-
würdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild
des häuslichen, finanziellen und Culturzustandes in der Königs-,
der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten
Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseiti-
gen und in ihrer Art so groſsartigen empirischen Kenntniſs der
römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie
vor- oder nachher ein anderer Römer besessen hat, und zu der
die lebendige Anschauung und das Studium der Litteratur gleich-
mäſsig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohl-
verdient, daſs Varro seinen in ihrer eigenen Welt fremden Lands-
leuten die Heimath gewiesen und die Römer kennen gelehrt habe,
wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man ver-
gebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trü-
ben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daſs auch
in der römischen der Schreiber von dem Einfluſs des histo-
rischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl
in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber
methodisch weder gegliedert noch behandelt; die Anlehnung an
die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Män-
Röm. Gesch. III. 37
[578]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
gel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymolo-
gisiren auf bloſsen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei
den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine
Charade und oft geradezu ins Alberne verläuft.* Gegen die
Form zeigt der Schreiber vollständige Gleichgültigkeit. In ihrer
empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen
Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die varronische leb-
haft an die englische Nationalphilologie und findet auch eben wie
diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne.
Daſs die monarchische Litteratur im Gegensatz gegen diese
sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits
bemerkt (S. 536). Es ist in hohem Grade bedeutsam, daſs an
der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann
steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie
(bekanntgemacht zwischen 696 und 704) es zuerst unternahm
die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. —
Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philo-
logie fällt die geringe Thätigkeit in den übrigen Wissenschaften
auf. Was in der Philosophie von Belang erschien, wie Lucretius
Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinder-
kleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schrif-
ten Ciceros, fand seine Bedeutung und sein Publicum nicht durch,
sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch seine
ästhetische Form. Die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer
Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros groſses
Werk über die Principien der Zahlen und das noch ausführlichere
des Figulus von den Göttern, lassen sich noch weniger als wis-
senschaftlich bedeutende Erscheinungen bezeichnen. — Auch in
den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch
geschriebene Bücher vom Landbau und desselben so wie des
Servius Sulpicius Rufus (Consul 703) juristische Arbeiten sind
so ziemlich das Einzige, was hier Erwähnung verdient; und auch
von den letzteren ist kaum etwas weiter zu sagen, als daſs sie
zu dem dialektischen und philosophischen Aufputz der römi-
schen Jurisprudenz beitrugen. Daſs Mathematik und Physik
[579]LITTERATUR. KUNST.
durch die gesteigerten hellenistischen und utilitarischen Tenden-
zen der Monarchie gefördert wurden, zeigt sich wohl in der stei-
genden Bedeutung derselben im Jugendunterricht (S. 530) und
in einzelnen praktischen Anwendungen, wohin auſser der Reform
des Kalenders etwa noch gezählt werden können das Aufkom-
men der Wandkarten in dieser Zeit, die verbesserte Technik des
Schiffbaus und der musikalischen Instrumente und die Ausfüh-
rung mechanischer Operationen, wie das Zusammenschieben
zweier erst als Theater benutzten halbkreisförmigen Bretter-
gerüste zu einem kreisförmigen Amphitheater oder das Schla-
gen einer Pfahlbrücke über einen Strom von der Breite des
Rheines. Die Schilderungen merkwürdiger Thiere, die Caesar in
seine Feldzugsberichte eingelegt hat, beweist, daſs ein Aristote-
les, wenn er aufgetreten wäre, seinen Fürsten wiederum gefunden
haben würde. Was aber von litterarischen Leistungen auf diesem
Gebiet erwähnt wird, hängt wesentlich an den Neupythagoreis-
mus sich an; so des Figulus Zusammenstellung griechischer und
barbarischer, d. h. ägyptischer Himmelsbeobachtungen und des-
selben Schriften von den Thieren, den Winden, den Geschlechts-
theilen. Wenn überhaupt die griechische Naturforschung von
dem aristotelischen Streben im Einzelnen das Gesetz zu finden
mehr und mehr zu der empirischen Beobachtung des Aeuſser-
lichen und Auffallenden in der Natur abgeirrt war, so konnte die
Naturwissenschaft, indem sie als mystische Naturphilosophie
auftrat, statt aufzuklären und anzuregen, nur noch mehr ver-
dummen und lähmen; und solchem Treiben gegenüber lieſs man
es besser noch bei der Plattitüde bewenden, welche Cicero als
sokratische Weisheit debitirt, daſs die Naturforschung entweder
nach Dingen sucht, die Niemand wissen könne, oder nach solchen,
die Niemand zu wissen brauche.
Werfen wir schlieſslich noch einen Blick auf die Kunst, so
zeigen auch hier sich dieselben unerfreulichen Erscheinungen,
die das ganze geistige Leben dieser Periode erfüllen. Das Staats-
bauwesen stockte in der Geldklemme der letzten Zeit der Re-
publik so gut wie ganz. Von dem Bauluxus der Vornehmen
Roms war bereits die Rede; die Architekten lernten in Folge des-
sen den Marmor verschwenden — in dieser Zeit kamen die far-
bigen Sorten wie der gelbe numidische (Giallo antico) und andere
in Aufnahme und wurden auch die lunensischen (carrarischen)
Marmorbrüche zuerst benutzt — und fingen an die Fuſsböden
der Zimmer mit Mosaik auszulegen, die Wände mit Marmorplat-
ten zu fourniren oder auch den Stuck marmorartig zu bemalen
37 *
[580]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
— die ersten Anfänge der späteren Wandmalerei. Die Kunst ge-
wann nicht bei dieser verschwenderischen Pracht. In den bil-
denden Künsten waren Kennerschaft und Sammelei in weiterem
Zunehmen. Es war eine bloſse Affectation catonischer Simplici-
tät, wenn ein Advocat vor den Geschwornen von den Kunst-
werken ‚eines gewissen Praxiteles‘ sprach; alles reiste und
schaute und das Handwerk der Kunstciceronen oder, wie sie
damals hieſsen, der Exegeten, war keines von den schlechtesten.
Auf alte Kunstwerke wurde förmlich Jagd gemacht — mehr frei-
lich noch als auf Statuen und Gemälde, nach der rohen Art rö-
mischer Prachtwirthschaft auf kunstvolles Geräth und Zimmer-
und Tafeldecoration aller Art. Schon zu jener Zeit wühlte man
die alten griechischen Gräber von Capua und Korinth der Erz-
und Thongefäſse wegen um, die den Todten waren mit ins Grab
gegeben worden. Für eine kleine Nippefigur von Bronze wurden
40000 (2860 Thlr.), für ein Paar kostbare Teppiche 200000 Sest.
(14000 Thlr.) bezahlt; eine gut gearbeitete bronzene Kochmaschine
kam höher zu stehen als ein Landgut. Wie billig ward bei dieser
barbarischen Kunstjagd der reiche Liebhaber von seinen Zuträ-
gern häufig geprellt; aber der ökonomische Ruin namentlich des
an Kunstwerken überreichen Kleinasiens brachte auch manches
wirklich alte und seltene Prachtstück und Kunstwerk auf den
Markt, und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Sa-
mos und wie die alten Kunststätten weiter hieſsen wanderte al-
les was feil war und gar manches was es nicht war, in die Pa-
läste und Villen der römischen Groſsen. Welche Kunstschätze
zum Beispiel das Haus des Lucullus barg, der freilich wohl nicht
mit Unrecht beschuldigt wurde sein artistisches Interesse auf
Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt zu haben, ward be-
reits erwähnt. Die Kunstliebhaber beklagten sich schon in dieser
Zeit über die Verbannung der Kunstschätze auf die Paläste und
Landhäuser der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur
nach besonders von dem Besitzer eingeholter Erlaubniſs gesehen
werden konnten. Die öffentlichen Gebäude dagegen füllten sich
keineswegs im Verhältniſs mit berühmten Werken griechischer
Meister und vielfach sah man noch in den Tempeln der Haupt-
stadt nichts als die alten holzgeschnitzten Götterbilder. Von Aus-
übung der Kunst ist so gut wie gar nichts zu berichten; kaum
wird aus dieser Zeit ein anderer römischer Bildhauer oder Maler
mit Namen genannt als ein gewisser Arellius, dessen Bilder rei-
ſsend abgingen, nicht ihres künstlerischen Werthes wegen, son-
dern weil der arge Roué in den Bildern der Göttinnen getreue
[581]KUNST.
Conterfeis seiner jedesmaligen Mätressen lieferte. Die Bedeutung
von Musik und Tanz stieg im öffentlichen wie im häuslichen Le-
ben. Wie die Theatermusik und das Tanzstück in der Bühnen-
entwickelung dieser Zeit zu selbstständigerer Geltung gelangten,
wurde bereits dargestellt (S. 547); es kann noch hinzugefügt
werden, daſs jetzt auch in Rom selbst auf der öffentlichen Bühne
schon sehr häufig von griechischen Musikern, Tänzern und De-
clamatoren Vorstellungen gegeben wurden, wie sie in Kleinasien
und überhaupt in der ganzen hellenischen und hellenisirenden
Welt üblich waren.*
Dazu kamen denn die Musikanten und Tän-
[582]FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
zerinnen, die bei Tafel und sonst auf Bestellung ihre Künste
producirten und die in vornehmen Häusern nicht mehr seltenen
eigenen Kapellen von Saiten- und Blasinstrumenten und Sän-
gern. Daſs aber auch die vornehme Welt selbst fleiſsig spielte
und sang, beweist schon die Aufnahme der Musik in den Kreis
der officiell anerkannten Unterrichtsgegenstände (S. 530); und
was das Tanzen anlangt, so wurde, um von den Frauen zu
schweigen, auch manchem Consular es vorgehalten, daſs er im
kleinen Zirkel sich mit Tanzvorstellungen producirt habe. — In-
deſs gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden
Monarchie sich auch in der Kunst die Anfänge einer besseren
Zeit. Welchen gewaltigen Aufschwung das hauptstädtische Bau
wesen durch Caesar nahm und das Reichsbauwesen nehmen
sollte, ist früher erzählt worden. Sogar im Stempelschnitt der
Münzen erscheint um das J. 700 ein bemerkenswerther Auf-
schwung: das bis dahin gröſstentheils rohe und nachlässige Ge-
präge wird von da an feiner und sorgsamer behandelt.
Wir stehen am Ende der römischen Republik. Wir sahen
sie ein halbes Jahrtausend in Italien und in den Landschaften
am Mittelmeer schalten; wir sahen sie nicht durch äuſsere Ge-
walt, sondern durch inneren Verfall politisch und sittlich, reli-
giös und litterarisch zu Grunde gehen und der neuen Monarchie
Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar sie vor-
fand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine un-
endliche Fülle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist,
noch weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am
Leben. Wohl war es eine alte Welt; und auch Caesars genialer
Patriotismus vermochte nicht sie wieder jung zu machen. Die
Morgenröthe kehrt nicht wieder, bevor die Nacht völlig herein-
gebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den vielgeplagten Völ-
kern am Mittelmeer nach schwülem Mittag ein leidlicher Abend;
und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht der neue Völ-
kertag abermals anbrach und frische Nationen in freier Selbst-
bewegung nach neuen und höheren Zielen den Lauf begannen,
da fanden sich manche darunter, in denen Caesars Same aufge-
gangen war und die ihm ihre nationale Individualität verdankten
und verdanken.
674. 675. 676 fallen, wenn gleich die Ausführung ohne Zweifel zum guten
Theil erst den späteren Jahren angehört.
lassen.
um 620 setzen (II, 57), kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter
die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst
finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber
durch Tigranes den Groſsen in der Gegend von Edessa, Kallirrhoe, Karrhae
(Plin. h. n. 5, 20, 85. 21, 86. 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21)
berichtet, daſs Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie sei-
nem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemächtigen.
Vermuthlich ist dies so zu verstehen, daſs die Beduinen, die gewohnt waren,
durch ihr Gebiet Handelsstraſsen zu eröffnen und auf diesen feste Durch-
gangszölle zu erheben (Strabon 16, 748), dem Groſskönig als eine Art von
Zollcontroleuren dienen und an der Euphratpassage für ihn und für sich
Zölle erheben sollten. Diese osroenischen Araber (Orei Arabes), wie sie
Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius
überwand (Plut. Pomp. 39).
Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem
Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem
der nördlichen Zuflüsse des Tigris.
Alexander I. († 666) oder Alexander II. († 673) herrühre, wird gewöhn-
lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu-
länglich; denn Cicero (de l. agr. 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, daſs
Aegypten im J. 666, sondern daſs es in oder nach diesem Jahr an Rom ge-
fallen sei; und wenn man daraus, daſs Alexander I. im Ausland, Alexan-
der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, daſs die in Tyros lagernden
Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daſs Alexan-
der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le-
tronne inscr. de l'Egypte 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros
sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daſs der zweite Alex-
ander der letzte ächte Spröſsling der Lagiden war, da bei den ähnlichen
Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten
Sproſs der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un-
bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch
dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. — Ob das Testament ächt
oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be-
sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor.
gemeint haben als diesen, gegen die Raubzüge der syrischen wie der
parthischen Könige regelmäſsig sich richteten (Strabo 16, 744; Polyb. 31,
11; 1. Makkab. 6 u. a. m.); am wenigsten darf an den Tempel von Komana
oder überhaupt irgend ein Heiligthum im pontischen Reiche gedacht werden.
als eines besonderen Verbrechens, während das ältere Recht den Raub un-
ter dem Diebstahl mit begriff.
Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, son-
dern nördlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano über die hier in gera-
der Linie etwa 6 deutsche Meilen breite Halbinsel.
der Beseitigung der Consuln (Plutarch Crass. 10); daſs der Winter 682/3
den beiden Heeren am bruttischen Wall verstrich, aus der ‚Schneenacht‘
(Plut. a. a. O.).
3, 82, 19 Kritz). Da nun das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig
mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3,
30, 72), hienach also etwa 40000 Bürger Getreide empfingen, während doch
die Zahl der in der Hauptstadt domicilirten römischen Bürger unzweifelhaft
viel beträchtlicher war, so dürfte die wesentliche Beschränkung, die das
Gesetz von 681 dem sempronischen hinzufügte, in der oben angebenen
Weise zu fassen sein. Daſs man daneben über das zu geringe Quantum
klagte, wie Sallust (a. a. O.) andeutet, verträgt sich damit recht wohl. Die
Verlustsumme ist danach berechnet, daſs das Getreide mindestens den dop-
pelten Werth hatte (II, 99); wenn die Piraterie oder andere Ursachen die
Preise in die Höhe trieben, muſste der Schaden sich noch weit beträchtli-
cher herausstellen.
quaestore konnte nach römischem Staatsrecht in dreifacher Weise erwor-
ben werden: durch Verfügung der Bürgerschaft, des Senats oder des Be-
amten selbst. Die Bürgerschaft griff dazu in manchen Fällen, wo die nomi-
nelle Bekleidung mit dem Amte auf Schwierigkeiten stieſs; namentlich
wenn die Amtsfrist über ihre gesetzliche Grenze hinaus erstreckt werden
sollte, aber auch sonst nicht selten, z. B. bei der Sendung des älteren Scipio
— Das Erstreckungsrecht ging nachher gewohnheitmäſsig auf den Senat
über (I, 201). Derselbe scheint in späterer Zeit auch das Recht in An-
spruch genommen zu haben vom Volke ernannte Quaestoren mit prätori-
scher Amtsgewalt auszustatten, welche quaestores pro praetore zuerst 647
(Sallust lug. 103), sodann in den neuen Provinzen Kyrene und Kypros be-
gegnen. Der Fall, daſs ein Nichtbeamter vom Senat mit proconsularischer
Gewalt ausgestattet ward, wie Pompeius 677 (S. 23), steht ganz einzeln
und ist Usurpation. — Endlich der höchste Beamte ist kraft seines Mandi-
rungsrechts befugt, wenn er seinen Amtsbezirk verläſst, einen seiner Leute
zu seinem Stellvertreter oder wenn er keinen Quästor hat, einen Stellver-
treter desselben zu ernennen; insofern begegnen legati pro praetore und
legati pro quaestore schon früh, jene nachweislich schon im jugurthinischen
Krieg (Sallust Jug. 36. 37. 38), diese wohl zuerst auf den Münzen des
Sura, des Unterbefehlshabers des Consuls von Makedonien 665—667, der
auf makedonischen Tetradrachmen leg. pro q. genannt wird. Das aber ist
nach älterem Staatsrecht unmöglich, daſs der höchste Beamte, während er
selbst sein Amt verwaltet, zugleich einen seiner Untergebenen mit höchster
Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro praetore des Pro-
consuls Pompeius eine Neuerung und schon denen gleichartig, die in der
Kaiserzeit eine so groſse Rolle spielen.
Stücke
zerrissen.
seine Soldaten und Offiziere als Ehren-
geschenk 384 Mill. Sesterzen (=16000 Talente, App. Mithr. 116); da die
Offiziere 100 Mill. empfingen (Plin. h. n. 37, 2, 16), von den
gemeinen
Soldaten aber jeder 6000 Sesterzen (Plin., App.), so zählte das Heer noch
bei dem Triumph etwa 40000 Mann.
schen Meeres zu (Dio 37, 7). Im Jahre 690 unterwarf er zunächst im pon-
tischen Reiche die letzten noch Widerstand leistenden Burgen und zog dann
langsam, überall die Verhältnisse regelnd, gegen Süden. Daſs die Ordnung
Syriens 690 begann, bestätigt sich dadurch, daſs die syrische Provinzial-
aera mit diesem Jahre anhebt und durch Ciceros Angabe hinsichtlich Kom-
magenes (ad Q. fr. 2, 12, 2; vgl. Dio 37, 7). Den Winter 690/1 scheint
Pompeius in Damaskos sein Hauptquartier gehabt zu haben (Joseph. 14, 3,
1. 2, wo freilich vieles verwirrt ist; Diodor fr. Vat. p. 139).
Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen
oder gar das rothe Meer erreichen; allein das Gegentheil, daſs er bald nach
Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche
nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurückging, sagt Plutarch
(Pomp. 41. 42) und wird durch Florus 1, 39 und Josephus 14, 3, 3. 4 be-
stätigt. Wenn König Aretas unter den von Pompeius Besiegten in den
Bülletins figurirt, so genügte hiezu sein durch Pompeius veranlaſster Abzug
von Jerusalem.
von Pompeius besiegten Landschaften und Könige aufgeführt (Diodor fr.
Vat. p. 140; Appian Mithr. 117). Daſs Elymais gemeint ist, nicht, wie man
wohl vermuthet hat, Atropatene, macht Strabons (16, 744) Bericht über
die Stellung des parthischen Satrapen von Elymais wahrscheinlich. Daſs
die Unterwerfung (ὑπόταξις, Diodor) durch bloſse Botensendung erfolgte,
sagt Plutarch (Pomp. 36); es ist sicher falsch, wenn Appian (Mithr. 106.
114) von einem Kriege mit den Medern spricht, Oros. 6, 4 (vergl. Vellei.
2, 40) nun gar von einem Marsch des Pompeius nach Ekbatana, das gar dem
Satrapen von Elymais nicht gehorchte. Allein eine Verwechselung mit der
fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier schwerlich statt-
gefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es scheint aus Pompeius groſs-
wortigen und absichtlich zweideutigen Bülletins sich herleitende, Ueber-
treibung, die aus seiner Razzia gegen die Gaetuler (II, 319) einen Zug an
die africanische Westküste (Plut. Pomp. 38), aus seiner fehlgeschlagenen
Expedition gegen die Nabataeer eine Eroberung der Stadt Petra, aus sei-
nem Schiedsspruch hinsichtlich der Grenzen Armeniens eine Feststellung
der römischen Reichsgrenze jenseit Nisibis gemacht hat.
(Appian Mithr. 106. 117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den der-
selbe mit Lucullus abschloſs (Dio 36, 4) und seinem ungestörten Verblei-
ben in der Herrschaft; vermuthlich ist auch er bloſs daraus herausgespon-
nen, daſs Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfe-
nen Königen figurirte.
sieht, wird specieller Beweise nicht bedürfen, um zu der Einsicht zu ge-
langen, daſs das wesentliche Ziel der demokratischen Machinationen
688fg. nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch
fehlt es auch an solchen nicht. Daſs das gabinisch-manilische Gesetz der
Demokratie einen tödtlichen Schlag versetzte, sagt Sallust (Cat. 39); daſs
die Verschwörung 688—689 und die servilische Rogation speciell gegen
Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sallust Cat. 19; Val.
Max. 6, 2, 4; Cic. de lege agr. 2, 17, 46). Ueberdies zeigt Crassus Stel-
lung zu der Verschwörung allein schon hinreichend, daſs sie gegen Pom-
peius gerichtet war.
gehört Ciceros Rede de rege Alexandrino, die man unrichtig in das J. 698
gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen,
Crassus Behauptung, daſs durch das Testament des Königs Alexandros
Aegypten römisches Eigenthum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte
und muſste im J. 689 discutirt werden; im J. 698 aber war sie bereits er-
ledigt durch das julische Gesetz von 695. Auch handelte es sich im J. 698
gar nicht um die Frage, wem Aegypten gehöre, sondern um die Zurückfüh-
rung des durch einen Aufstand vertriebenen Königs und es hat bei dieser
uns genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich
war Cicero nach der Conferenz von Luca durchaus nicht in der Lage gegen
einen der Triumvirn ernstlich zu opponiren.
nen (Plutarch Mar. 19), sondern verschrieben für Arverni.
es thut (de pet. cons. 1, 5. 13, 51. 53; vom J. 690). Als Belegstück dazu
werden unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen
Rullus lesen, wo der ‚erste demokratische Consul‘, in sehr ergötzlicher
Weise das liebe Publicum nasführend, ihm die ‚richtige Demokratie‘ ent-
wickelt.
Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit.
einem notorischen Caesarianer, zwischen 708 und 720 veröffentlicht wurde;
offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich bemüht die demokrati-
sche Partei, auf welcher ja die römische Monarchie beruht, zu Ehren zu
bringen und Caesars Andenken von dem schwärzesten Fleck, der darauf
haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Triumvir Marcus An-
tonius möglichst weiſs zu waschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz
ähnlich soll der Jugurtha theils die Erbärmlichkeit des oligarchischen Re-
giments aufdecken, theils den Koryphäen der Demokratie Gaius Marius ver-
herrlichen. Daſs der gewandte Schriftsteller den apologetischen und ac-
cusatorischen Charakter seiner Bücher zurücktreten läſst, beweist nicht,
daſs sie keine, sondern daſs sie gute Parteischriften sind.
kehr an die Bürgerschaft richtete, wird von Cicero (ad Att. 1, 14) so ge-
schildert: prima contio Pompei non iucunda miseris (dem Gesindel), ina-
nis improbis (den Demokraten), beatis (den Vermögenden) non grata,
bonis (den Aristokraten) non gravis; itaque frigebat.
Inschrift gefunden, die in gewöhnlichem griechischem Alphabet geschrie-
ben ist. Sie lautet: σεγομαϱος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατιο ειω-
ϱουβηλησαμισοειν νεμητον. Das letzte Wort heiſst ‚heilig‘
deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen der englischen Völker-
schaften zu beiden Ufern der Themse, wie der der Atrebaten, der Belgen,
ja der Britanner selbst, welcher ursprünglich von den an der Somme unter-
halb Amiens ansässigen Brittonen auf einen englischen Gau und sodann auf
die ganze Insel übertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmün-
zung ist aus der belgischen abgeleitet und ursprünglich mit ihr identisch.
Rheims und Andernach von 2000—2200 Quadratmeilen wird auf etwa
300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker ange-
gebene Verhältniſs des ersten Aufgebots zu der gesammten waffenfähigen
Mannschaft als allgemeingültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Bel-
gen auf 500000 und danach die Gesammtbevölkerung auf mindestens
2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor
ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daſs sie damals schon
vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr
300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hiebei mitge-
zählt sind, läſst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen,
welche Form die Sclaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Cae-
sar 1, 4 von Orgetorix Sclaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht
eher für als gegen die Mitzählung. — Daſs übrigens jeder solche Versuch
das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grund-
lage durch Combinationen zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen
werden muſs, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn
darum unbedingt wegwerfen.
Gefolgsystem selbst, sowohl den Kelten wie den Deutschen eigen und auf
jeden Fall entweder im Keltischen oder im Deutschen Lehnwort. Der
wahrscheinlichen Ableitung nach ist es ursprünglich deutsch und bezeichnet
zunächst den im Kampfe dem Herrn ‚gegen den Rücken‘ (and = gegen,
bak = Rücken) stehenden Knecht und darum den Gefolgmann überhaupt.
Daſs das Wort schon bei den Kelten des Pothals im sechsten Jahrhundert
Roms und ebenso am Ende des siebenten bei den transalpinischen eingebür-
gert war, beweist dessen Vorkommen als gallisches Wort bei Ennius und
bei Caesar. Es ist das allerdings merkwürdig, aber doch auch historisch
mit der Entlehnung aus dem Deutschen wohl zu vereinigen. Das alte kel-
tische Gefolgsystem, in dem die Gefolgmänner natürlich die geringeren
Clansglieder waren, muſs nothwendig späterhin durch ein Gefolge gedun-
gener Knechte verdrängt worden sein; und dies eben sind die Andbakten,
die δοὺλοι μισϑωτοί, wie die auf gute Quellen zurückgehenden Glossen
dies Wort übersetzen. Es ist also das Ambaktenthum bei den Kelten keine
altnationale, sondern eine relativ junge Institution; und bei dem zwischen
den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin
zu erörternden Verhältniſs ist es nicht bloſs möglich, sondern sogar wahr-
scheinlich, daſs die Kelten zu diesen gedungenen Waffenknechten haupt-
sächlich Deutsche nahmen. Die ‚Schweizer‘ sind also um einige Jahrtau-
sende älter als man meint. — Wenn die Benennung, womit die Kelten und
nach ihrem Beispiel die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der
Name Germani wirklich keltischen Ursprungs ist (I, 373), so steht dies
damit, wie man sieht, im besten Einklang.
die Chatten, ohne daſs man
darum berechtigt wäre anzunehmen, daſs diese Bezeichnung zu Caesars Zeit
und noch viel später nicht auch jedem andern deutschen Stamme beigelegt
ward, der als ein regelmäſsig wandernder bezeichnet werden konnte.
Wenn also auch, wie nicht zu zweifeln, der ‚König der Sueben‘ bei
Mela
(3, 1) und Plinius (n. n. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch kei-
neswegs, daſs Ariovist ein Chatte war. Die Marcomannen als Bezeichnung
eines bestimmten Volkes lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist
sehr möglich, daſs das Wort bis dahin nichts war als was es etymologisch
heiſst, die Benennung der Land- oder Grenzwehr. Wenn Caesar 1, 51
sie unter den im Heere Ariovists fechtenden Völkern erwähnt, so kann er
auch hier eine bloſs appellative Bezeichnung ebenso miſsverstanden haben,
wie dies bei den Sueben entschieden der Fall ist.
Schlacht von Admagetobriga nach Caesar 1, 35 und Cicero ad Att. 1, 19
auf 693 gesetzt worden.
selben gar tiefere Motive unterzulegen als staatsmännische Unwissenheit
und Faulheit sind, wird man wohl thun den leichtfertigen Ton sich zu ver-
gegenwärtigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Cor-
respondenz sich über diese wichtigen transalpinischen Angelegenheiten
ausläſst.
Rectifica-
tion, die indeſs hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten be-
ruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des julianischen Kalenders.
waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erthei-
lung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landloose
empfingen.
manischen Ansiedlungen. Daſs Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansie-
delte, ist deſshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes.
1, 51) und früher nicht vorkommen; daſs ihnen Caesar ihre Sitze lieſs,
deſshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte die in Gallien be-
reits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. 1, 35. 43) und weil wir sie
später in diesen Sitzen finden. Caesar schweigt darüber, weil er über alle
Stillschweigen beobachtet.
Ecale, östlich vom Cap Gris Nez, nach Southforeland nordöstlich von Dover
und, da hier die Landung vereitelt ward, weiter nach Dover; die zweite
von dem itischen Hafen, den man bei dem heutigen Boulogne ansetzt, eben-
falls nach Dover. Mit voller Gewiſsheit lassen die Localitäten sich nicht
bestimmen, aber beträchtlich kann der Fehler nicht sein.
lich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegführung ist,
wie dies Napoleon vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deſshalb
unanwendbar geworden, weil bei unseren aus der Ferne wirkenden Offen-
sivwaffen die deployirte Stellung vortheilhafter ist als die concentrische.
In der damaligen Zeit verhielt es sich umgekehrt.
der arvernischen Hauptstadt Nemetum, des heutigen Clermont, welche noch
jetzt Gergoie genannt wird. Diese Ortsbestimmung paſst wie zu den übri-
gen Angaben Caesars so namentlich auch dazu, daſs er Gergovia ziemlich
deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (7, 4); man wird dann an-
zunehmen haben, daſs die Arverner nach der Niederlage genöthigt wurden
sich von Gergovia nach dem nahen weniger festen Nemetum überzusiedeln.
Allein sicher begründet ist diese Bestimmung nicht. Die Urkunde von
1149, auf die man sich hauptsächlich beruft, ist von Baluze, der sie sah,
nach äuſseren und inneren Kennzeichen für gefälscht erklärt worden; ob
die jüngeren Urkunden, in denen die gleiche Benennung erscheint, echt sind
und ob die mündliche Tradition des Namens eine ursprüngliche und nicht
wie so manche ähnliche aus falscher Gelehrsamkeit hervorgegangen ist,
steht so lange dahin, bis eine kundige und vorurtheilsfreie Untersuchung
hier Licht schaffen wird.
schrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung giebt
Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere
Beweise geben die Münzen.
sieux, Dep. Calvados) schlagen lieſs, folgende Aufschrift: Cisiambos Cat-
tos vercobreto; simissos (so) publicos lixovio. Die oft kaum leserliche
Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit
ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.
sprach (pro Sest. 28, 60) und als im Senat in Folge der Beschlüsse von
Luca über Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei
den Verhandlungen im Anfang 699 finden wir ihn wieder thätig, und da er
im Winter reiste (Plut. Cato min. 38), kehrte er also Ende 698 nach Rom
zurück. Er kann daher auch nicht, wie man miſsverständlich aus Asconius
p. 35. 53) gefolgert hat, im Febr. 698 Milo vertheidigt haben.
des J. 699 anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 gehalten;
die Gegenstücke dazu sind die Reden für Sestius und gegen Vatinius und
die über das Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten März
und April, in denen das aristokratische Regime nach Kräften verherrlicht
und namentlich Caesar in sehr cavalierem Ton behandelt wird. Man kann
es nur billigen, daſs Cicero, wie er selbst gesteht, selbst vertrauten Freun-
den jene Palinodie zu übersenden sich schämte.
Caesars gallischer Armee keine Spur sich findet, vielmehr nach seiner aus-
drücklichen Angabe alle im cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten
in Legionen, d. h. in Bürgermilitär formirt wurden, so ist man zu dieser
Annahme gezwungen; denn daſs Caesar aus den latinischen Gemeinden, das
heiſst aus dem bei weitem gröſseren Theil seiner Provinz überhaupt keine
Soldaten ausgehoben hat, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich und läſst
sich auch daraus, daſs die nach Ausbruch des Bürgerkrieges von Caesar
den transpadanischen Colonien gebürtig‘ (Caesar b. c. 3, 87), ganz und gar
nicht folgern. Es gehört vielleicht auch hieher, daſs die Demokratie schon
früher die Transpadaner als Bürger hatte behandeln wollen (S. 152); auf
jeden Fall ist die Verleihung des Bürgerrechts an ganze Truppenkörper frü-
her und später sehr häufig vorgekommen.
eignisse der J. 699 und 700 und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt
gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeſs des Vati-
nius (Aug. 700). Hieronymus Angabe, daſs Catullus 697/8 gestorben,
braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daſs Vati-
nius ‚bei seinem Consulat sich verschwört‘, hat man mit Unrecht geschlos-
sen, daſs die Sammlung erst nach Vatinius Consulat (707) erschienen ist;
es folgt daraus nur, daſs Vatinius, als sie erschien, schon erwartete Consul
zu werden, wozu er bereits 700 alle Ursache hatte; denn ohne Zweifel
stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Candidatenliste (Cicero
ad Att. 4, 8b, 2).
23 Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der März.
sul ist, ist ein zugleich wirklicher und stellvertretender Consul.
herrschte Artavasdes schon vor 700 (Justin 42, 2, 4; Plut. Crass. 49).
Schritten geworfen wird, gehört zu den Nahwaffen; seiner militärischen
Bedeutung nach hat man das Abwerfen der Pila vor dem Angriff mit dem
Schwert treffend mit unserer Gewehrsalve vor dem Bajonettangriff vergli-
chen.
war ein Vetter, der Consul des J. 705 ein Bruder des Marcus Marcellus
Consul 703.
dem feindlichen Oberfeldherrn, daſs er bereit sei es mit zehn von seinen
Leuten gegen die beste feindliche Cohorte (500 Mann) aufzunehmen (bell.
Afric. 45). ‚In der Fechtweise der Alten‘, urtheilt Napoleon, ‚bestand die
Schlacht aus lauter Zweikämpfen; in dem Munde des heutigen Soldaten
würde es Prahlerei sein, was in dem jenes Centurio nur richtig war‘. Von
dem Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die Berichte über
den africanischen und den zweiten spanischen Krieg, von denen jener einen
Offizier zweiten Ranges zum Verfasser zu haben scheint, dieser ein in je-
der Beziehung subalternes Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab.
damit, daſs er in Italien etwa 60 Cohorten oder 30000 Mann einbüſste und
25000 nach Griechenland überführte (Caesar b. c. 3, 10).
Rom seit mehreren Tagen, daſs Caesar eingerückt sei (Cic. ad Att. 7, 10.
9, 10, 4); der Bote von Ravenna nach Rom brauchte allermindestens drei
Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der
gangbaren Reduction dem julianischen 24. Nov. 704 entspricht.
felhaft ebenso wie das ‚gesetzliche Gericht‘ nur in der Stadt selbst oder
innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte der Senat von Thes-
salonike sich die ‚Dreihundert‘ (bell. Afric. 88. 90; Appian 2, 95), nicht
weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normal-
zahl der Senatoren war (I, 58). Es ist sehr glaublich, daſs diese Ver-
sammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch
(Cato 59. 61) die Dreihundert zu italischen Groſshändlern macht, so hat
er seine Quelle (b. Afr. 90) miſsverstanden.
ward auf dem linken Ufer des Enipeus, wo Neu- und sicher auch Altphar-
salos lag (Strabon 2, 431), da die Pompeianer, die das Gesicht nach Süden
wandten, ihren rechten Flügel an den Enipeus lehnten (Caesar b. c. 3, 83;
Frontinus 2, 3, 22); auch setzt Appian 2, 75 das Schlachtfeld ausdrücklich
zwischen den Enipeus und die Stadt Pharsalos. Aber das Lager der Pom-
peianer kann nicht am linken, sondern muſs auf dem rechten Ufer gewesen
sein, theils weil sie Caesar den Weg nach Skotussa verlegten, theils weil
ihre Rückzugslinie offenbar über die oberhalb des Lagers befindlichen Berge
nach Larissa ging; hätten sie auf dem linken gelagert, so konnten sie nim-
mermehr hoffen das hier sehr steile Thal des Enipeus zu passiren und Pom-
peius hätte dann, statt nach Larissa, nach Lamia flüchten müssen. Militär-
schriftsteller haben, um aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen, die
diese den Berichten der Alten geradezu widersprechende Annahme dürfte
die sein, daſs die Pompeianer am rechten Ufer des Enipeus ihr Lager schlu-
gen, aber den Fluſs passirten um am linken zu schlagen, und also auch auf
dem Rückzug wieder über den Fluſs in ihr Lager zurückgingen, von wo sie
sodann sich die Abhänge von Krannon und Skotussa hinauf zogen, welche
über dem letzteren Ort zu den steilen Felsen von Kynoskephalae sich gipfeln.
Caesar und seine Ausschreiber verschweigen die zwiefache Ueberschreitung
des Flusses, weil dieselbe die übrigens aus der ganzen Erzählung hervor-
gehende Kampfbegierde der Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen würde;
militärisch unmöglich war die Operation nicht, da der Enipeus im Sommer
häufig ganz trocken ist, die Pompeianer auch bei dem Anfang der Schlacht
volle Zeit hatten sich aufzustellen und den Rückzug wenigstens des Cen-
trums und des rechten Flügels nicht in allzu groſser Hast bewerkstelligten.
seine Soldaten nach den Gesichtern der feindlichen Reiter zu stoſsen. Die
Infanterie, welche hier in ganz irregulärer Weise offensiv gegen die Ca-
vallerie auftrat, der mit den Säbeln nicht beizukommen war, sollte ihre
Pila nicht abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die Reiter brauchen
und, um dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben zu stoſsen (Plu-
tarch Pomp. 69. 71. Caes. 45; Appian 2, 76. 78; Flor. 2, 13; Oros. 6, 15;
irrig Frontin 4, 7, 32). Die anekdotenhafte Umwendung dieser Instruction
zum Weglaufen sollten gebracht werden, und auch wirklich ‚die Hände vor
die Augen haltend‘ (Plutarch) davon galoppirt seien, fällt in sich selbst
zusammen; denn sie hat nur dann eine Pointe, wenn die pompeianische Rei-
terei hauptsächlich aus dem jungen Adel Roms, den ‚artigen Tänzern‘ be-
stand; und dies ist falsch (S. 380). Höchstens kann es sein, daſs der La-
gerwitz jener einfachen und zweckmäſsigen militärischen Ordre diese sehr
unsinnige, aber allerdings lustige Beziehung gab.
zweiten Seetreffens, in dem die bei Chersonesos geschlagene ägyptische
Flotte vernichtet ward, in der Lücke b. Alex. 12 ausgefallen sein, da die
Insel anfänglich ja in Caesars Gewalt war (b. c. 3, 112. b. Alex. 8). Der
Damm muſs beständig in der Gewalt der Feinde geblieben sein, da Caesar
mit der Insel zu Wasser communicirte.
liegt sehr im Dunkel. Nach dem jugurthinischen Kriege herrschte König Boe-
chus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meer bis zum Hafen
von Saldae in dem heutigen Marocco und Algier (II, 149); die Fürsten von
Tingis (Tanger), die allerdings schon früher vorkommen (Plut. Sert. 9) und
zu denen wahrscheinlich Sallusts (hist. 2, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros (in
Vat. 5, 12) Mastanesosus gehören, mögen in beschränkten Grenzen selbst-
diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wie es scheint unter Jubas
Oberherrlichkeit, von dem Fürsten Massinissa besessen ward (App. 4, 54).
Um 672 finden wir an Bocchus Stelle einen König Bogud (II, 318), ver-
muthlich des Bocchus Sohn. Von 705 an erscheint das Reich getheilt zwi-
schen dem König Bogud, der die westliche, und dem König Bocchus, der die
östliche Hälfte besitzt und auf welche die seitdem gebliebene Scheidung
Mauretaniens in Boguds Reich oder den Staat von Tingis und Bocchus
Reich oder den Staat von Jol (Caesarea) zurückgeht (Plin. h. n. 5, 2, 19,
vergl. bell. Afr. 23).
ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man
die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abge-
sehen von der Naivetät den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poe-
ten als Märtyrer zu bedauern.
Munda galt wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lu-
sitanern.
wird in dem Briefe des Caecina (Cicero ad Fam. 6, 7) Gelegenheit dazu
finden.
eine wesentlich militärische Gewalt, nämlich die lebenslängliche Reichsfeld-
herrnwürde sieht, ist durchaus irrig und wird weder durch die Bedeutung
des Wortes noch durch die Auffassung der alten Berichterstatter gerecht-
fertigt. Imperium ist die Amtsgewalt, imperator der Inhaber derselben;
in diesen Worten wie in den entsprechenden griechischen Ausdrücken
ϰϱάτος, αὐτοϰϱάτωϱ liegt so wenig eine specifisch militärische Beziehung,
daſs es vielmehr eben das Charakteristische der römischen Amtsgewalt ist,
wo sie rein und vollständig auftritt, die militärische und die bürgerliche
Gewalt als ein untrennbares Ganze in sich zu enthalten. Ganz richtig sagt
Dio (53, 17, vgl. 43, 44. 52, 41), daſs der Name Imperator von den Kaisern
angenommen ward, zur Anzeige ihrer Vollgewalt anstatt des Königs- und
Dictatortitels (πϱὸς δήλωσιν τῆς αὐτοτελοῦς σφῶν ἐξουσίας, ἀντὶ τῆς
τοῦ βασιλέως τοῦ τε δήλωσιν ἐπιϰλήσεως); denn diese älteren Titel
sind dem Namen nach verschwunden, der Sache nach aber giebt der Impe-
ratorname dieselben Befugnisse, (τὸ δὲ δὴ ἒϱγον τῆ τοῦ αὐτοϰϱά-
τοϱος πϱοσηγοϱίᾳ βεβαιοῦνται), zum Beispiel das Recht Soldaten auszu-
heben, Steuern auszuschreiben, Krieg zu erklären und Frieden zu schlieſsen,
über Bürger und Nichtbürger in und auſser der Stadt die höchste Gewalt
zu üben und jeden an jedem Orte am Leben oder sonst zu strafen, über-
haupt der mit dem höchsten Imperium in ältester Zeit verbundenen Befug-
nisse sich anzumaſsen.‘ Deutlicher kann es wohl nicht gesagt werden, daſs
imperator eben gar nichts ist als ein Synonym für rex, so gut wie imperare
mit regere zusammenfällt. — Damit freilich steht es im Widerspruch — und
zunächst dadurch scheint die Auffassung der kaiserlichen Imperatorenwürde
als eines militärischen Amtes veranlaſst zu sein —, daſs Tiberius sich
den Herrn seiner Sclaven, den Imperator seiner Soldaten, den Fürsten
(princeps) seiner Mitbürger nannte (Dio 57, 8). Aber eben hierin liegt die
vollkommenste Bestätigung: denn Tiberius wies ja jenes neue kaiserliche
Imperium zurück (Sueton Tib. 26; Dio 57, 2; Eckhel 6, 200) und war Im-
dings rein militärisch, aber auch reiner Titel ist.
daſs es Caesars Absicht gewesen die Römer als Imperator, die Nichtrömer
als König zu beherrschen, einfach verworfen werden. Sie stützt sich einzig
darauf, daſs angeblich in der Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet
ward, von einem der Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch, wo-
nach die Parther nur von einem König könnten überwunden werden, hatte
vorgelegt und in Folge dessen der Beschluſs gefaſst werden sollen Caesar
das Königthum über die römischen Provinzen zu übertragen. Ein derar-
tiges Gerücht war allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Um-
lauf. Allein nicht bloſs findet dasselbe nirgends irgend welche auch nur
mittelbare Bestätigung, sondern es wird von dem Zeitgenossen Cicero (de
div. 2, 54, 119) sogar ausdrücklich für falsch erklärt und von den späteren
Geschichtsschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als
Gerücht referirt, das sie weit entfernt sind verbürgen zu wollen; und es
wird denn auch nicht besser dadurch beglaubigt, daſs Plutarch (Caes. 60.
64. Brut. 10) und Appian (b. c. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemäſs dasselbe,
jener anekdotenhaft, dieser pragmatisirend berichten. Es ist diese Erzäh-
lung aber nicht bloſs unbezeugt, sondern auch innerlich unmöglich. Wenn
man auch davon absehen will, daſs Caesar zu viel Geist und zu viel politi-
schen Tact hatte um nach Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen
Schlag mit der Orakelmaschine zu entscheiden, so konnte er doch nimmer-
mehr daran denken den Staat, den er nivelliren wollte, also förmlich und
rechtlich zu spalten.
denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwähnung dieser
Aemter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae
populi censum aget (l. Iul. mun. 2. 144); praetor isre quei Romae iure
deicundo praeerit (l. Rubr. oft): quaestor urbanus queire aerario praeerit
(l. Iul. mun. 2. 37 u. ö.)
stus; aber da alle Elemente dieser merkwürdigen Gerichtsreform in der
von Caesar begrenzten Imperatorengewalt enthalten sind, so wird man sie
auf diesen zurückführen dürfen.
auch direct bezeugt Varro den Wegfall der sicilischen Zehnten in einer
nach Caesars Tode publicirten Schrift (de r. r. 2 praef.), indem er als
die Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Africa
und Sardinien, nicht mehr Sicilien nennt.
inner-
halb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne da-
nach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen muſsten, das vom
überseeischen Korn lebte und der Sitz der Speculanten war.
tischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius Namen an Caesar
gerichteten Briefe, diesem den Rath ertheilt die hauptstädtische Getreide-
vertheilung in die einzelnen Municipien zu verlegen. Diese Kritik hat ihren
guten Sinn; wie denn bei der groſsartigen municipalen Waisenversorgung
unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.
Pfauen von Samos. Haselhühner aus Phrygien. Kraniche von Melos. Zick-
lein von Ambrakia. Thunfische von Chalkedon. Muränen aus der gadita-
nischen Meerenge. Eselfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln
von Tarent. Störe (?) von Rhodos. Scarusfische (?) von Kilikien. Nüsse
von Thasos. Datteln aus Aegypten. Spanische Eicheln.
aus der Be-
stimmung hinsichtlich der gezahlten Zinsen.
sind beträchtliche Bruchstücke noch vorhanden.
lich eine Gesundtschaft ohne eigentliche öffentliche Aufträge.
rum Julii der Octavaner, Arelate (und überdies die latinische Colonie
Ruscino) der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte Legion fehlt,
weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia (S. 382) entehrt
hatte. Daſs übrigens die Colonisten dieser Colonien den eponymen Legio-
nen angehörten, wird nicht gesagt und ist nicht glaublich; die Veteranen
selbst wurden wenigstens der groſsen Mehrzahl nach in Italien angesiedelt
(S. 465).
der nicht colonisirten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von Ne-
mausus herrührt. Aber da Caesar selbst (b. c. 1, 35) so gut wie geradezu
sagt, daſs Nemausus bis 705 ein massaliotisches Dorf war; da nach dem
livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. 2, 13; Oros. 6, 15) eben dieser
Theil des Gebietes den Massalioten von Caesar entzogen ward; da endlich
schon auf voraugusteischen Münzen und sodann bei Strabon die Stadt als
Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber
dieser Latinitätsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan)
und anderen im narbonensischen Gallien früh zu latinischer Stadtverfassung
gelangten Gemeinden läſst sich nur vermuthen, daſs sie dieselbe gleichzeitig
mit Nemausus empfingen.
nicipalbehörden übersteigende Prozeſs auch noch nach Caesars Ordnungen
vor die hauptstädtischen Gerichte gebracht werden muſste, ist gewiſs. Daſs
für Gades, Karthago, Korinth die gleiche Einrichtung bestand, ist wenig
wahrscheinlich; wie man aber hier sonst geholfen hat, ist nicht bekannt.
Die latinischen Gemeinden hatten wahrscheinlich unbeschränkte Competenz.
und in dem Fortbestand der Provinzialverfassung sich einander ausschlieſsende
Gegensätze zu erblicken. Auch erhielt notorisch das cisalpinische Gallien
bereits 705 die Civität, während die Statthalter bis 711 nachweisbar sind;
und geradezu sagt es Dio (48, 12), daſs die Einverleibung des cisalpini-
schen Galliens in Italien erst nach Caesars Tode erfolgte. So lange Caesar
lebte, blieb es Provinz. Schon daſs die caesarische Gemeindeordnung die
Landschaft nie als Italien, sondern als cisalpinisches Gallien bezeichnet,
hätte auf das Richtige führen müssen.
Bundesgenossenkriegs verordnet war, hätte nicht bezweifelt werden sollen
(Cic. Verr. act. 1, 18, 54 und sonst).
geringer Zahl schlagen lieſsen, heben diesen Satz nicht auf; denn wenn sie
circulirten, wurden sie wahrscheinlich auch nach dem Gewicht genommen.
Merkwürdig sind sie allerdings, insofern sie das caesarische Reichsgold ähn-
lich einleiten wie Sullas und Pompeius Regentschaften die neue Monarchie.
Forderungen der Staatsgläubiger nicht wider deren Willen in Gold, nach
dem legalen Curs desselben zum Silber, bezahlen konnte; wogegen es
keinen Zweifel leidet, daſs seit Caesar das Goldstück unweigerlich für
100 Silbersesterzen angenommen werden muſste. Es war dies eben da-
mals um so wichtiger, als in Folge der durch Caesar in Umlauf gebrachten
groſsen Quantitäten Goldes dasselbe im Handelscurs 25% unter dem Le-
galcurs stand.
als in römischer Münze angäbe.
Silber schwer, gleich 3 römischen Denaren, die nur gegen 12 Gramme wie-
gen; so der kleinasiatische Cistophorus nach Silberwerth über 3, nach dem
Legaltarif 2½ Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwerth
¾, nach dem Legaltarif ⅝ Denare, und so weiter.
(Macrob. sat. 1, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den Gestir-
nen beweist der Scherz Ciceros (Plutarch Caes. 59), daſs jetzt die Leier
nach Verordnung aufgehe. — Uebrigens wuſste man schon vor Caesar,
daſs das Sonnenjahr von 365 T. 6 St., das dem ägyptischen Kalender zu
Grunde lag und das er seinem Kalender zu Grunde legte, etwas zu lang an-
gesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte
Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 T. 5 St. 55′ 2″;
die wahre Länge ist 365 T. 5 St. 48' 48″.
wenige Tage; vom Sept. bis Dec. 707; etwa vier Herbstmonate des funf-
zehnmonatlichen Jahres 708 und vom Oct. 709 bis zum März 710.
die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und
der nachträglich recipirten vier Disciplinen sich durch das ganze Mittelalter
behauptet haben.
tribus nostris, ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo.
sei, bezeugt Cicero (ab die. 9, 16); damit stimmt überein, daſs die Mimen
und Miminnen der späteren Art zuerst um die sullanische Zeit hervortre-
ten (ad Her. 1, 14, 24. 2, 13, 19. Plin. h. n. 7, 48, 158. Plutarch Sull.
2, 36). Uebrigens wird, wo weiter nichts darauf ankommt, die Bezeichnung
mimus überhaupt auf die Komödie angewandt; so war der bei der apollini-
schen Festfeier 542/3 aufgeführte mimus (Festus unter salca res est; vgl.
Cicero de orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als eine palliata. Zu dem Mi-
mus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen
Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hatte der römische
Mimus keine nähere Beziehung.
Wunder und Zeichen gesehen hat; dem Einen ist ein Mann zweier Frauen
erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürz-
lich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Näm-
lich Caesar wollte — nach dem Klatsch der Zeit — die Vielweiberei in
Rom einführen (Sueton Caes. 82) und ernannte in der That statt vier Aedi-
len deren sechs. Man sieht auch hieraus, daſs Laberius Narrenrecht zu
üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.
für jeden Spieltag 1000 Denare (286 Thlr.)
und auſserdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er
für sich das Honorar zurück.
(2, 417), sind daraus zu erklären, daſs dies aus dem Reiseroman des Euhe-
meros seinen Weg in die ennianische Poesie gefunden hatte und daher dem
Publicum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
phantenschaaren, also Bilder aus den punischen Kriegen, erscheinen als
gehörten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41. 5, 1226. 1303.
1339.
Rock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne
Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Fluſsbad selten‘. Wegen
seiner persönlichen Taperkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flot-
tenabtheilung führte, den Schiffskranz.
lichen Philosophien, das erstlich alle nicht die Beglückung des Menschen
als letztes Ziel aufstellende Systeme kurzweg für nicht vorhanden erklärt
und dann die Zahl der denkbaren Philosophien auf zweihundertachtundacht-
zig berechnet. Der tüchtige Mann war leider zu sehr Gelehrter um ein-
zugestehen, daſs er Philosoph weder sein könne noch sein möge, und hat
deſshalb als solcher Zeit seines Lebens zwischen Stoa, Pythagoreismus und
Diogenismus einen nicht schönen Eiertanz aufgeführt.
ders liebe, aber öfter sie brauche, poetische Wörter sehr liebe, aber sie
nicht brauche.
Auf einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa,
Als uns mit Feuerflammen weit und breit gestickt
Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies,
Mit kühlem Regenflore rascher Wolken Zug,
Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,
Und schossen, los sich reiſsend von dem eisigen Pol,
Die Wind' heran, des groſsen Bären tolle Brut,
Fortführend mit sich Ziegel, Zweig' und Wetterwust.
Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,
Die an zweizackigen Blitzes Gluth die Flügel sich
Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd' hinab.
In der ‚Menschenstadt‘ heiſst es:
Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;
Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg
Sorg' und Furcht, noch thut es der Schatzsaal Crassus des Reichen.
Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‚der Krug hat sein Maſs‘
stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:
Es bleibt der Wein für Jedermann der beste Trank.
Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;
Er ist der süſse Keimeplatz der Fröhlichkeit,
Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.
und in dem ‚Weltbohrer‘ schlieſst der heimkehrende Wandersmann also
seinen Zuruf an die Schiffer:
Laſst schieſsen die Zügel dem leiseren Hauch,
Bis daſs uns erfrischenden Windes Geleit
Rückführt in die liebliche Heimath!
in der uns die Kunde davon zugekommen ist, so Wenigen bekannt und so
verdrieſslich kennen zu lernen, daſs es wohl erlaubt sein wird einige der-
selben hier mit den wenigen zur Lesbarkeit unumgänglichen Restaurationen
zu resumiren. — Die Satire ‚Frühauf‘ schildert die ländliche Haushaltung.
‚Frühauf ruft mit der Sonne zum Aufstehen und führt selbst die Leute auf
‚den Arbeitsplatz. Die Jungen machen sich selber ihr Bett, das die Arbeit
‚ihnen weich macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu.
‚Der Trank ist der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot die
‚Zwiebel. In Haus und Feld gedeiht Alles. Das Haus ist kein Kunstbau;
‚aber der Architekt könnte Symmetrie daran lernen. Für den Acker wird
‚gesorgt, daſs er nicht unordentlich und wüst in Unsauberkeit und Vernach-
‚lässigung verkomme; dafür wehrt die dankbare Ceres den Schaden von der
‚Frucht, daſs die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes er-
‚freuen. Hier gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur Muttermilch
‚gesogen hat. Brotkammer und Weinfaſs und der Wurstvorrath am Haus-
‚balken, Schlüssel und Schloſs sind dem Wandersmann dienstwillig und
‚hoch thürmen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der gesättigte
‚Gast, weder vor- noch rückwärts schauend, nickend am Heerde in der
‚Küche. Zum Lager wird der wärmste doppelwollige Schaafpelz für ihn
‚ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Bürger dem gerechten
‚Gesetz, das weder aus Miſsgunst Unschuldigen zu nahe tritt noch aus Gunst
‚Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Böses wider den Nächsten.
‚Hier rekelt man nicht mit den Füſsen auf dem heiligen Heerd, sondern ehrt
‚die Götter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist sein Stückchen
‚Fleisch in das bestimmte Schüsselchen und geleitet, wenn der Hausherr stirbt,
‚die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die des Vaters und des Groſs-
‚vaters hinweggetragen wurde‘. — In einer andern Satire tritt ein ‚Lehrer
‚der Alten‘ auf, dessen die gesunkene Zeit dringender zu bedürfen scheint
als des Jugendlehrers. ‚Trügt mich mein Auge oder sehe ich Sclaven in
‚Waffen gegen ihre Herren? — Einst ward, wer zur Aushebung sich nicht
‚stellte, von Staatswegen als Sclave in die Fremde verkauft; jetzt heiſst
‚der Censor, der Feigheit und alles hingehen läſst, ein groſser Bürger und
‚erntet Lob, daſs er nicht darauf aus ist sich durch Kränkung der Mitbür-
‚ger einen Namen zu machen. — Einst lieſs der römische Bauer sich alle
‚drei Wochen den Bart scheeren; jetzt kann der Ackersclave es nicht fein
‚genug haben, der Herr aber hält sich Pfauenheerden und läſst seine Thü-
‚ren mit africanischen Cypressenholz einlegen. — Einst drehte die Haus-
‚frau mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem Heerd im
‚Auge‚, damit der Brei nicht verbrenne; jetzt‘ [heiſst es in einer andern
Satire] ‚bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund Edelsteine, das Weib
‚den Mann um einen Scheffel Perlen an. Einst war die Frau vollkommen
‚zufrieden, wenn der Mann ein oder zweimal im Jahre sie in dem ungepol-
sterten Wagen über Land fuhr‘; jetzt — konnte er hinzusetzen (vgl. Cic.
pro Mil. 21, 55) schmollt die Frau, wenn der Mann ohne sie auf sein Land-
gut geht, und folgt der reisenden Dame das elegante griechische Bedienten-
gesindel und die Kapelle nach auf die Villa. — In einer Schrift der ernste-
ren Gattung: ‚Catus oder die Kinderzucht‘ belehrt Varro den Freund, der
altem Brauch für der Kinder Wohl zu opfern war, sondern, hinweisend auf
die verständigere Kindererziehung der Perser und auf seine eigene streng
verlebte Jugend, warnt er vor Ueberfüttern und Ueberschlafen, vor süſsem
Brot und feiner Kost — die jungen Hunde, meint der Alte, werden jetzt
verständiger genährt als die Kinder —, ebenso vor dem Besiebnen und
Besegnen, das in Krankheitsfällen so oft die Stelle des ärztlichen Rathes
vertrat. Er räth die Mädchen zum Sticken anzuhalten, damit sie später die
Stickereien und Webereien richtig zu beurtheilen verständen, und sie nicht
zu früh das Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor die Knaben in
die Fechterspiele zu führen, in denen früh das Herz verhärtet und die
Grausamkeit gelernt wird. — In dem ‚Mann von sechzig Jahren‘ erscheint
Varro als römischer Epimenides, der, als zehnjähriger Knabe eingeschla-
fen, nach einem halben Jahrhundert wieder erwacht. Er staunt darüber
statt seines glattgeschornen Knabenkopfes ein altes Glatzhaupt wiederzu-
finden, mit häſslicher Schnauze und wüsten Borsten gleich dem Igel; mehr
noch aber staunt er über das verwandelte Rom. Die lucrinischen Austern,
sonst eine Hochzeitschüssel, sind jetzt ein Alltagsgericht; dafür rüstet
denn auch der bankerotte Schlemmer im Stillen die Brandfackel. Wenn
sonst der Vater dem Knaben vergab, so ist jetzt das Vergeben an den Kna-
ben gekommen: das heiſst, er vergiebt den Vater mit Gift. Der Wahlplatz
ist zur Börse geworden, der Criminalprozeſs zur Goldgrube für den Ge-
schwornen. Keinem Gesetze wird noch gehorcht, auſser dem einen, daſs
nichts für nichts gegeben wird. Alle Tugenden sind geschwunden; dafür
begrüſsen den Erwachten als neue Insassen die Gotteslasterung, die Wort-
losigkeit, die Geilheit. ‚O wehe dir, Marcus, über solchen Schlaf und sol-
ches Erwachen!‘ — Die Skizze gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach
welcher (um 697) sie der alte Mann geschrieben haben muſs, und es lag
eine Wahrheit in der bittern Schluſswendung, wo der Marcus, gehörig
ausgescholten wegen seiner unzeitgemäſsen Anklagen und antiquarischen
Reminiscenzen, mit parodischer Anwendung einer uralten römischen Sitte
als unnützer Greis auf die Brücke geschleppt und in die Tiber gestürzt
wird. Es war allerdings für solche Männer in Rom kein Platz mehr.
an allen Gliedern, heraus und am hohen Uferrande des Flusses beim Mor-
gengrauen‘ [lässest du sie schlachten]. Solche ohne Mühe einer Taschen-
buchsnovelle einzufügende Phrasen begegnen mehrere.
den ist, hat man längst vermuthet; den bestimmten Beweis dafür liefert die
Erwähnung der Gleichstellung der Boier und der Haeduer schon im ersten
Buch (c. 28), während doch die Boier noch im siebenten (c. 10) als zins-
pflichtige Unterthanen der Haeduer vorkommen und offenbar erst wegen
getorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren erhielten. Andrerseits
wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam verfolgt, in der Aeuſserung
über die milonische Krise 7, 6 den Beweis finden, daſs die Schrift vor dem
Ausbruch des Bürgerkrieges publicirt ward; nicht weil Pompeius hier gelobt
wird, sondern weil Caesar daselbst die Exceptionalgesetze vom J. 702
(S. 308) billigt. Dies konnte und muſste er thun, so lange er ein friedliches
Abkommen mit Pompeius herbeizuführen suchte (S. 331), nicht aber nach dem
Bruch, wo er die auf Grund jener für Caesar verletzenden Gesetze erfolgten
Verurtheilungen umstieſs (S. 436). Darum ist die Veröffentlichung dieser
Schrift mit vollem Recht in das J. 703 gesetzt worden. — Die Tendenz der
Schrift erkennt man am deutlichsten in der beständigen, oft, am entschie-
densten wohl bei der aquitanischen Expedition 3, 11, nicht glücklichen Mo-
tivirung jedes einzelnen Kriegsacts als einer unvermeidlichen Defensiv-
maſsregel. Daſs die Gegner Caesars Angriffe auf die Kelten und Deutschen
vor allem als unprovocirt tadelten, ist bekannt (Sueton Caes. 24).
Sache ein Ansehn giebt, Gaius Trebatius, ein philologischer Jurist dieser
Zeit, sacellum von sacra cella, Figulus frater von fere alter und so weiter.
Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der phi-
lologischen Litteratur dieser Zeit erscheint, hat die gröſste Aehnlichkeit mit
der Weise, wie man bei uns Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in
den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte.
schen Städten Italiens, namentlich in Neapel aufgeführt (Cic. pro Arch. 5,
10. Plutarch Brut. 21), sondern waren auch in Rom, wo sie zuerst 568 ge-
geben worden waren (Liv. 39, 22), jetzt schon sehr häufig (II, 438; Cic.
ad fam. 7, 1, 3. ad Att. 16, 5, 1. Sueton Caes. 39. Plutarch Brut. 21).
Wenn die bekannte Grabschrift der vierzehnjährigen Licinia Eucharis, die
wahrscheinlich dem Ende dieser Epoche angehört, dieses ‚wohlunterrich-
tete und in allen Künsten von den Musen selbst unterrichtete Mädchen‘ in
den Privatvorstellungen der vornehmen Häuser als Tänzerin glänzen und
öffentlich zuerst auf der griechischen Schaubühne auftreten läſst (modo
nobilium ludos decoraxi choro, Et Graeca in scaena prima populo apparui),
so kann dies wohl nur heiſsen, daſs sie das erste Mädchen war, das auf der
öffentlichen griechischen Schaubühne in Rom erschien; wie denn überhaupt
erst in dieser Epoche die Frauenzimmer in Rom anfingen auf der öffentli-
chen Schaubühne aufzutreten (S. 545). — Diese ‚griechischen Spiele‘ in
Rom scheinen nicht eigentlich scenische gewesen zu sein, sondern vielmehr
zu der Gattung der zusammengesetzten zunächst musikalisch-declamatori-
schen Aufführungen gehört zu haben, wie sie auch in Griechenland in spä-
terer Zeit nicht selten vorkamen (Welcker griech. Tanz. S. 1277). Dahin
führt das Hervortreten des Flötenspiels bei Polybios 30, 13, des Tanzes in
dem Berichte Suetons über die bei Caesars Spielen aufgeführten kleinasia-
tischen Waffentänze und in der Grabschrift der Eucharis; auch die Be-
schreibung des Kitharöden ad Her. 4, 47, 60 (vgl. Vitruv. 5, 5, 7) wird sol-
chen ‚griechischen Spielen‘ entnommen sein. Bezeichnend ist noch die
Verbindung dieser Vorstellungen in Rom mit griechischen Athletenkämpfen
(Polyb. a. a. O.; Liv. 32, 22). Dramatische Recitationen waren von diesen
Mischspielen keineswegs ausgeschlossen, wie denn auch unter den Spie-
lern, die Lucius Anicius 587 in Rom auftreten lieſs, ausdrücklich Tragö-
den mit erwähnt werden; aber es wurden doch dabei nicht eigentlich
Schauspiele aufgeführt, sondern vielmehr von einzelnen Künstlern entwe-
der ganze Dramen oder wohl noch häufiger Stücke daraus declamirend
oder singend zur Flöte vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorge-
kommen sein; aber allem Anschein nach war für das römische Publicum
die Hauptsache bei diesen griechischen Spielen Musik und Tanz, und der
Text mag für sie wenig mehr bedeutet haben als heutzutage die der italie-
nischen Oper in London und Paris bedeuten. Daſs eigentlich dramatische
Aufführungen in griechischer Sprache in Rom stattgefunden, ist nicht un-
möglich, aber beweisen läſst es sich nicht und es können alle Erwähnungen
Spiele, die in der That mit ihrem wüsten Potpourri sich weit besser als die
eigentlich scenischen für das römische Publicum und namentlich für die
Aufführungen in Privathäusern eigneten.
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Mommsen, Theodor. Römische Geschichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn4p.0