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Kosmos.

Entwurf
einer physischen Weltbeschreibung


Zweiter Band.


Stuttgart, undTübingen: .
J. G. Cotta'scher Verlag.
1847.
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Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Kosmos.


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Anregungsmittel zum Naturstudium.


Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft: Dichterische Naturbeschreibung — Landschaftmalerei — Cultur exotischer Gewächse, den physiognomischen Charakter der Pflanzendecke auf der Erdoberfläche bezeichnend.


Wir treten aus dem Kreise der Objecte in den Kreis der Empfindungen. Die Hauptresultate der Beobachtung, wie sie, von der Phantasie entblößt, der reinen Objectivität wissenschaftlicher Naturbeschreibung angehören, sind, eng an einander gereiht, in dem ersten Bande dieses Werks, unter der Form eines Naturgemäldes, aufgestellt worden. Jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichterisch gestimmte Einbildungskraft. Es eröffnet sich uns eine innere Welt. Wir durchforschen sie, nicht um in diesem Buche von der Natur zu ergründen, — wie es von der Philosophie der Kunst gefordert wird —, was in der Möglichkeit ästhetischer Wirkungen dem Wesen der Gemüthskräfte und den mannigfaltigen Richtungen geistiger Thätigkeit zukommt; sondern vielmehr um die Quelle lebendiger Anschauung, als Mittel zur Erhöhung eines reinen [4] Naturgefühls, zu schildern, um den Ursachen nachzuspüren, welche, besonders in der neueren Zeit, durch Belebung der Einbildungskraft so mächtig auf die Liebe zum Naturstudium und auf den Hang zu fernen Reisen gewirkt haben.

Die Anregungsmittel sind, wie wir schon früher bemerkt haben1, von dreierlei Art: ästhetische Behandlung von Naturscenen, in belebten Schilderungen der Thier- und Pflanzenwelt, ein sehr moderner Zweig der Litteratur; Landschaftmalerei, besonders in so fern sie angefangen hat die Physiognomik der Gewächse aufzufassen; mehr verbreitete Cultur von Tropengewächsen und contrastirende Zusammenstellung exotischer Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungsmittel könnte schon seiner historischen Beziehungen wegen der Gegenstand vielumfassender Erörterung werden; aber nach dem Geiste und dem Zweck meiner Schrift scheint es geeigneter nur wenige leitende Ideen zu entwickeln, daran zu erinnern, wie die Naturwelt in verschiedenen Zeitepochen und bei verschiedenen Volksstämmen so ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat, wie in einem Zustande allgemeiner Cultur das ernste Wissen und die zarteren Anregungen der Phantasie sich gegenseitig zu durchdringen streben. Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu schildern, darf man nicht bei den äußeren Erscheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargestellt werden, wie sie sich im Inneren des Menschen abspiegelt, wie sie durch diesen Reflex bald das Nebelland physischer Mythen mit anmuthigen Gestalten füllt, bald den edlen Keim darstellender Kunstthätigkeit entfaltet.

Indem wir uns hier auf die einfache Betrachtung der [5] Anregungsmittel zum wissenschaftlichen Naturstudium beschränken, erinnern wir zuerst an die mehrfach sich wiederholende Erfahrung, daß oft sinnliche Eindrücke und zufällig scheinende Umstände in jungen Gemüthern die ganze Richtung eines Menschenlebens bestimmen. Kindliche Freude an der Form von Ländern und eingeschlossenen Meeren, wie sie auf Carten dargestellt sind, der Hang nach dem Anblick der südlichen Sternbilder, dessen unser Himmelsgewölbe entbehrt3, Abbildungen von Palmen und libanotischen Cedern in einer Bilderbibel können den frühesten Trieb nach Reisen in ferne Länder in die Seele pflanzen. Wäre es mir erlaubt eigene Erinnrungen anzurufen, mich selbst zu befragen, was einer unvertilgbaren Sehnsucht nach der Tropengegend den ersten Anstoß gab, so müßte ich nennen: Georg Forster's Schilderungen der Südsee-Inseln; Gemälde von Hodges die Ganges-Ufer darstellend, im Hause von Warren Hastings zu London; einen colossalen Drachenbaum in einem alten Thurme des botanischen Gartens bei Berlin. Die Gegenstände, welche wir hier beispielsweise aufzählen, gehörten den drei Classen von Anregungsmitteln an, die wir früher bezeichneten: der Naturbeschreibung, wie sie einer begeisterten Anschauung des Erdenlebens entquillt, der darstellenden Kunst als Landschaftmalerei, und der unmittelbaren objectiven Betrachtung charakteristischer Naturformen. Diese Anregungsmittel üben aber ihre Macht nur da aus, wo der Zustand moderner Cultur und ein eigenthümlicher Gang der Geistesentwicklung unter Begünstigung ursprünglicher Anlagen die Gemüther für Natureindrücke empfänglicher gemacht hat.

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I. Naturbeschreibung. — Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme.


Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. „Wenn man sich", sagt Schiller4 in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, „der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehrerem Herzensantheil als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren." [7] So viel wahres und vortreffliches auch im einzelnen in diesen Aeußerungen liegt, so können sie doch keinesweges auf das ganze Alterthum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beschränkte Ansicht nennen, unter dem Alterthum, wenn dasselbe der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll, immer nur ausschließlich die hellenische und römische Welt zu verstehen. Tiefes Naturgefühl spricht sich in den ältesten Dichtungen der Hebräer und Inder aus: also bei Volksstämmen sehr verschiedener, semitischer und indogermanischer Abkunft.

Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle schließen, welche in den Ueberbleibseln ihrer Litteratur ausgesprochen sind; wir müssen daher diesen Aeußerungen um so sorgfältiger nachspüren und sie um so vorsichtiger beurtheilen, als sie sich unter den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung nur sparsam darbieten. In dem hellenischen Alterthum, in dem Blüthenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt.

Beschreibung der Natur in ihrer gestaltenreichen Mannigfaltigkeit, Naturdichtung als ein abgesonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen. Leidenschaften in Thaten ausbrechend fesselten fast allein den [8] Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menschheit5 beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig unter der sinnigen Form des Gleichnisses, als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden.

Zu Delphi wurden Frühlingspäane6 gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den Werken und Tagen7 des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden8, Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren.

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Ist, wie so eben bemerkt, Naturbeschreibung, sei sie Darstellung des Reichthums und der Ueppigkeit tropischer Vegetation, sei sie lebensfrische Schilderung der Sitten der Thiere, gleichsam nur in der neuesten Zeit ein abgesonderter Zweig der Litteratur geworden: so ist es nicht als habe da, wo so viel Sinnlichkeit athmet, die Empfänglichkeit für das Naturschöne gemangelt;9 als müsse man da, wo die schaffende Kraft der Hellenen in der Poesie und der bildenden Kunst unnachahmliche Meisterwerke erzeugte, den lebensfrischen Ausdruck einer anschauenden Dichternatur vermissen. Was wir, nach dieser Richtung hin, im Gefühl unserer modernen Sinnesart, in jenen Regionen der antiken Welt nur zu sparsam auffinden, bezeugt in seiner Negation weniger den Mangel der Empfänglichkeit als den eines regen Bedürfnisses das Gefühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren. Minder der unbelebten Erscheinungswelt als dem handelnden Leben und der inneren, spontaneen Anregung der Gefühle zugewandt, waren die frühesten und auch die edelsten Richtungen des dichterischen Geistes episch und lyrisch. In diesen Kunstformen aber können Naturschilderungen sich nur wie zufällig beigemischt finden. Sie erscheinen nicht als gesonderte Erzeugnisse der Phantasie. Je mehr der Einfluß der alten Welt verhallte, je mehr ihre Blüthen dahinwelkten, ergoß sich die Rhetorik in die beschreibende wie in die belehrende, didactische Poesie. Diese war ernst, großartig und schmucklos in ihrer ältesten philosophischen, halb priesterlichen Form, als Naturgedicht des Empedocles; sie verlor allmälig durch die Rhetorik von ihrer Einfachheit und früheren Würde.

Möge es uns erlaubt sein, um das allgemein Gesagte [10] zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. „Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms."10 Mit der großartigen Schildrung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen, „wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen".11 Pindaros besingt in einem Frühlingsdithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, „die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt"; er besingt den Aetna, „die Säule des Himmels, Nährerinn daurenden Schnees": aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser.

Vergessen wir nicht, daß die griechische Landschaft den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben [11] wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind, so ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Neichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tiefeingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung.

Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor „den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt"; er singt „die [12] grünende Nacht der Epheugebüsche, die von himmlischem Thau getränkten Narcissen, den goldstrahlenden Krokos und den unvertilgbaren, stets selber sich wiedererzeugenden Oelbaum".12 Indem Sophokles seinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen strebt, stellt er die hohe Gestalt des schicksalverfolgten, herumirrenden Königs an die schlummerlosen Gewässer des Kephissos, von heiteren Bildern sanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Gestalt des Erblindeten, das Opfer verhängnißvoller Leidenschaft, hervorruft. Auch Euripides13 gefällt sich in der malerischen Beschreibung von „Messeniens und Lakoniens Triften, die, unter dem ewig milden Himmel, durch tausend Quellenbrunnen genährt, von dem schönen Pamisos durchströmt werden".

Die bukolische Dichtung, in den Gefilden von Sicilien entstanden und zum Dramatischen volksthümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie schildert im kleinen Hirten-Epos mehr den Naturmenschen als die Landschaft. So erscheint sie in ihrer anmuthigsten Vollendung, in Theokrit. Ein weiches elegisches Element ist übrigens dem Idyll eigen, gleichsam als wäre es „aus der Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" entstanden, als sei immerdar in der Brust des Menschen dem tiefen Naturgefühl eine gewisse Wehmuth beigemischt.

Wie nun mit dem freien Volksleben die Poesie in Hellas erstarb, wurde diese beschreibend, didactisch, eine Trägerinn des Wissens. Sternkunde, Erdbeschreibung, Jagd und Fischfang treten auf in der alexandrinischen Zeit als Gegenstände der Dichtkunst, oft geziert durch eine sehr vorzügliche metrische Technik. Die Gestalten und Sitten der [13] Thierwelt werden mit Anmuth und oft mit einer Genauigkeit geschildert, daß die neuere classificirende Naturkunde Gattungen und selbst Arten in den Beschreibungen erkennen kann. Es fehlt aber allen diesen Dichtungsarten das innere Leben, eine begeisterte Anschauung der Natur, das, wodurch die Außenwelt dem angeregten Dichter fast unbewußt ein Gegenstand der Phantasie wird. Das Uebermaaß des beschreibenden Elements findet sich in den durch kunstreichen Versbau ausgezeichneten 48 Gesängen der Dionysiaca des Aegyptiers Nonnus. Der Dichter gefällt sich in der Darstellung großer Naturumwälzungen; er läßt durch ein vom Blitz entzündetes Waldufer, im Flußbette des Hydaspes, selbst die Fische verbrennen; er lehrt, wie aufsteigende Dämpfe den meteorologischen Proceß des Gewitters und eines electrischen Regens erzeugen. Zur romantischen Poesie hingeneigt, ist Nonnus von Panopolis wundersam ungleich, bald begeistert und anregend, bald langweilig und wortreich.

Mehr Naturgefühl und Zartheit der Empfindung offenbaren sich in einzelnen Theilen der griechischen Blumenlese (Anthologie), welche auf so verschiedenen Wegen und aus verschiedenen Zeiten zu uns gelangt ist. In der anmuthigen Uebersetzung von Jacobs ist alles, was das Thier- und Pflanzenleben betrifft, in eine Abtheilung vereinigt. Es find kleine Bilder, meist nur Anspielungen auf individuelle Formen. Die Platane, welche „in ihrem Gezweige die mostschwellende Traube ernährt", und aus Kleinasien über die Insel des Diomedes erst unter Dionysius dem Aelteren bis zu den Ufern des sicilischen Anapus vordrang, wird vielleicht nur zu oft besungen; doch scheint im ganzen der antike Sinn in diesen Liedern und Epigrammen mehr der Thier- als der [14] Pflanzenwelt zugewandt. Eine edle und zugleich etwas größere Composition ist das Frühlings-Idyllium des Meleager von Gadara in Cölesyrien.14

Schon des alten Rufes der Gegend wegen muß ich der Schilderung des Waldthales von Tempe erwähnen, welche Aelian15 wahrscheinlich nach dem Vorbilde des Dicäarchus entworfen hat. Es ist das Ausführlichste, was uns von Naturbeschreibungen aus den griechischen Prosaikern erhalten ist, topographisch freilich, aber doch auch malerisch zugleich; denn das schattige Thal wird belebt durch den pythischen Aufzug (theoria), „welcher vom heiligen Lorbeer die sühnenden Zweige bricht". In der späten byzantinischen Zeit, seit dem Ende des vierten Jahrhunderts, sehen wir landschaftliche Schilderungen schon häufiger in die Romane der griechischen Prosaiker eingewebt. Durch diese Schilderungen zeichnet sich der Schäferroman des Longus16 aus, in welchem aber doch zarte Lebensbilder den Ausdruck der Naturgefühle weit übertreffen.

Es war nicht der Zweck dieser Blätter mehr zu liefern, als was durch specielle Erinnerung an einzelne Kunstformen die allgemeinen Betrachtungen über die dichterische Auffassung der Außenwelt zu erläutern vermag. Ich würde schon den Blüthenkreis des hellenischen Alterthums verlassen, wenn in einem Werke, dem ich gewagt den Namen Kosmos vorzusetzen, mit Stillschweigen die Naturschilderung übergangen werden dürfte, mit der das Pseudo-Aristotelische Buch vom Kosmos (oder von der Weltordnung) anhebt. Es zeigt uns dieselbe „den Erdball mit üppigem Pflanzenwuchse geschmückt, reich bewässert und (als das Preiswürdigste) von denkenden Wesen bewohnt".17 Die rhetorische Färbung eines [15] so reichen Naturbildes, der concisen und rein wissenschaftlichen Darstellungsweise des Stagiriten völlig unähnlich, ist selbst als eines der vielen Zeichen der Unächtheit jener Schrift über den Kosmos erkannt worden. Mag sie immerhin dem Appulejus18 oder dem Chrysippus19 oder wem sonst zugehören! Die naturbeschreibende Stelle, die wir als aristotelisch entbehren, wird uns gleichsam durch eine andere ächte ersetzt, welche Cicero uns erhalten hat. Aus einem verlorenen Werke des Aristoteles führt dieser in wörtlicher Uebertragung20 folgendes an: „Wenn es Wesen gäbe, die in den Tiefen der Erde immerfort in Wohnungen lebten, welche mit Statuen und Gemälden und allem dem verziert wären, was die für glücklich Gehaltenen in reicher Fülle besitzen; wenn dann diese Wesen Kunde erhielten von dem Walten und der Macht der Götter, und durch die geöffneten Erdspalten aus jenen verborgenen Sitzen herausträten an die Orte, die wir bewohnen; wenn sie urplötzlich Erde und Meer und das Himmelsgewölbe erblickten, den Umfang der Wolken und die Kraft der Winde erkennten, die Sonne bewunderten in ihrer Größe, Schönheit und lichtausströmenden Wirkung; wenn sie endlich, sobald die einbrechende Nacht die Erde in Finsterniß hüllt, den Sternenhimmel, den lichtwechselnden Mond, den Auf- und Untergang der Gestirne und ihren von Ewigkeit her geordneten unveränderlichen Lauf erblickten: so würden sie wahrlich aussprechen, es gebe Götter und so große Dinge seien ihr Werk." Man hat mit Recht gesagt, daß diese Worte allein schon hinreichen Cicero's Ausspruch über „den goldenen Strom der Aristotelischen Rede" zu bewähren21, daß in ihnen etwas von der begeisternden Kraft des Platonischen Genius weht. [16] Ein solcher Beweis für das Dasein himmlischer Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung steht in dem Alterthum sehr vereinzelt da.

Was wir, ich sage nicht in der Empfänglichkeit des griechischen Volkes, sondern in den Richtungen seiner litterarischen Productivität vermissen, ist noch sparsamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter siculischer Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweise zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben so vielen Anlagen zur praktischen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in seinem kalten Ernste, in seiner abgemeßnen, nüchternen Verständigkeit, sinnlich weniger erregbar, der alltäglichen Wirklichkeit mehr als einer idealisirenden dichterischen Naturanschauung hingegeben. Diese Unterschiede des inneren Lebens der Römer und der griechischen Stämme spiegeln sich ab in der Litteratur als dem geistigen Ausdruck alles Volkssinnes. Zu ihnen gesellt sich noch, trotz der Verwandtschaft in der Abstammung, die anerkannte Verschiedenheit in dem organischen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildsamkeit, eine beschränktere Wortfügung, „eine mehr realistische Tendenz" als idealische Beweglichkeit zugeschrieben. Dazu konnte im Augusteischen Zeitalter der entfremdende Hang griechischen Vorbildern nachzustreben den Ergießungen heimischer Gemüthlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlandsliebe getragen, wußten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmuth der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden.

Reichlich mit poetischem Genius ausgestattet ist das [17] begeisterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedocles und Parmenides verwandt, erhöht die archaistische Diction den Ernst der Darstellung. Die Poesie ist hier tief mit der Philosophie verwachsen, ohne deshalb in die „Frostigkeit" der Composition zu verfallen, die, gegen die phantasiereiche Naturansicht Plato's abstechend, schon von dem Rhetor Menander in dem über die physischen Hymnen gefällten Urtheil so bitter getadelt wird.22 Mein Bruder hat mit vielem Scharfsinn die auffallenden Analogien und Verschiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachsung metaphysischer Abstractionen mit der Poesie in den alten griechischen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Episode Bhagavad-Gita, aus dem indischen Epos Mahabharata23, entstanden sind. Das große physische Weltgemälde des römischen Dichters contrastirt in seiner erkältenden Atomistik und seinen oft wilden geognostischen Träumen mit seiner lebensfrischen Schilderung von dem Uebergange des Menschengeschlechts aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrschung der Naturkräfte, zur erhöhten Cultur des Geistes und also auch der Sprache, zur bürgerlichen Gesittung.24

Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeschäftigten Leben, in einem durch politische Leidenschaft aufgeregten Gemüthe lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einsamkeit sich erhalten, so liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Cicero's eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieser Behauptung. Allerdings ist, wie allgemein bekannt, in dem Buche von den Gesetzen und in dem vom Redner manches dem Phädrus des Plato25 nachgebildet; das italische Naturbild [18] hat aber darum nichts von seiner Individualität verloren. Plato preist in allgemeinen Zügen den „dunkeln Schatten der hochbelaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüthen, die Lüfte, welche süß und sommerlich in den Chor der Cicaden wehen". In Cicero's kleinem Naturbilde ist, wie noch neuerlichst ein sinniger Forscher26 bemerkt hat, alles so dargestellt, wie man es heute noch in der wirklichen Landschaft wiederfindet. Den Liris sehen wir von hohen Pappeln beschattet; man erkennt, wenn man von dem steilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Osten hinabsteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus, wie die Insel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Theilung des Flüßchens entsteht und in die Cicero sich zurückzog, um, wie er sagt, „seinen Meditationen nachzuhangen, zu lesen oder zu schreiben". Arpinum am Volscischen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtssitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf seine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menschen unbewußt, gesellt sich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abspiegelt, zu dem, was tief und frei in den ursprünglichen Anlagen, in den inneren geistigen Kräften gewurzelt ist.

Mitten unter den verhängnißvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Trost in seinen Villen, abwechselnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. „Nichts ist erfreulicher", schreibt er27 an Atticus, „als diese Einsamkeit, nichts anmuthiger als dieser Landsitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. — In der Einöde der Insel Astura, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, am Ufer des tyrrhenischen [19] Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften, doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag, aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen." Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemüthlichkeit, die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksstamme aus dem schmerzlich beklommenen Busen emporsteigen.

Die Kenntniß der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus ist mit der allgemeinen Verbreitung der römischen Litteratur so innigst verwebt, daß es überflüssig wäre hier bei einzelnen Zeugnissen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieser Werke belebt, zu verweilen. In Virgils National-Epos konnte nach der Natur dieser Dichtung die Beschreibung des Landschaftlichen allerdings nur als Beiwerk erscheinen und einen sehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffassung bestimmter Localitäten28 bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verständniß der Natur. Wo ist das sanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beschrieben? Wie contrastiren mit diesen heiteren Bildern die kräftigen Darstellungen des einbrechenden Ungewitters im ersten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Strophaden, des Felsensturzes oder des flammensprühenden Aetna's in der Aeneis!29[20] Von Ovidius hätten wir als Frucht seines langen Aufenthalts in den Ebenen von Tomi (in Unter-Mösien) eine dichterische Naturbeschreibung der Steppen erwarten können, deren keine aus dem Alterthum auf uns gekommen ist. Der Verbannte sah freilich nicht die Art von Steppen, welche im Sommer mit vier bis sechs Fuß hohen, saftreichen Kräutern dicht bedeckt sind und bei jedem Windeshauch das anmuthige Bild bewegter Blüthenwellen darbieten; der Verbannungsort des Ovidius war ein ödes, sumpfreiches Steppenland, und der gebrochene Geist des unmännlich Klagenden war mit Erinnerungen an die Genüsse der geselligen Welt, an die politischen Ereignisse in Rom, nicht mit der Anschauung der ihn umgebenden scythischen Einöde erfüllt. Als Ersatz hat uns der hochbegabte, jeder lebensfrischen Darstellung so mächtige Dichter neben den, freilich nur zu oft wiederholten, allgemeinen Schilderungen von Höhlen, Quellen und „stillen Mondnächten" eine überaus individualisirte, auch geognostisch wichtige Beschreibung des vulkanischen Ausbruchs bei Methone, zwischen Epidaurus und Trözen, gegeben. Es ist dieser Beschreibung schon an einem anderen Orte, in dem Naturgemälde30, gedacht. Ovidius zeigt uns, „wie durch der eingezwängten Dämpfe Kraft der Boden gleich einer luftgefüllten Blase, gleich dem Fell des zweigehörnten Bockes anschwillt und sich als ein Hügel erhebt".

Am meisten ist zu bedauern, daß Tibullus keine große naturbeschreibende Composition von individuellem Charakter hat hinterlassen können. Unter den Dichtern des Augusteischen Zeitalters gehört er zu den wenigen, die, der alexandrinischen Gelehrsamkeit glücklicherweise fremd, der [21] Einsamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle schöpften. Elegien31 müssen freilich als Sittenbilder betrachtet werden, in welchen die Landschaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die 6te Elegie des ersten Buches lehren, was von Horazens und Messala's Freund wäre zu erwarten gewesen.

Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, ist diesem freilich durch rednerischen Schmuck der Diction nur zu sehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerstörung des Druidenwaldes32 an dem jetzt baumlosen Gestade von Marseille. Die gefällten Eichenstämme erhalten sich schwebend an einander gelehnt; entblättert lassen sie den ersten Lichtstrahl in das schauervolle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchses schildert, dessen riesenmäßige Reste noch in einigen Torfmooren von Frankreich begraben liegen33. In dem didactischen Gedichte Aetna des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, sind allerdings die Ausbruchserscheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geschildert; aber die Auffassung ist ohne Individualität, mit viel minderer, als wir schon oben34 an dem Aetna, dialogus, des jungen Bembo gerühmt haben.

Als endlich die Dichtkunst in ihren großen und edelsten Formen, wie erschöpft, dahinwelkte, seit der zweiten Hälfte des 4ten Jahrhunderts, waren die poetischen Bestrebungen, vom Zauber schöpferischer Phantasie entblößt, auf die nüchternen Realitäten des Wissens und des Beschreibens gerichtet. Eine gewisse rednerische Ausbildung [22] des Styls konnte nicht ersetzen, was an einfachem Naturgefühl und idealisirender Begeisterung abging. Als Erzeugniß dieser unfruchtbaren Zeit, in der das poetische Element nur wie ein zufälliger äußerer Schmuck des Gedankens erscheint, nennen wir das Moselgedicht des Ausonius. Im aquitanischen Gallien geboren, hatte der Dichter dem Feldzuge Valentinians gegen die Alemannen beigewohnt. Die Mosella, in dem alten Trier gedichtet, besingt in einzelnen Stellen35 nicht ohne Anmuth die schon damals rebenbepflanzten Hügel eines der schönsten Ströme unsres vaterländischen Bodens; aber die nüchterne Topographie des Landes, die Aufzählung der der Mosel zuströmenden Bäche, die Charakteristik der Fischgattungen in Gestalt, Farbe und Sitten sind Hauptgegenstände dieser ganz didactischen Composition.

In den römischen Prosaikern, unter denen wir schon oben einige denkwürdige Stellen des Cicero angeführt, sind Naturbeschreibungen eben so selten als in den griechischen. Nur die großen Historiker Julius Cäsar, Livius und Tacitus bieten einzelne Beispiele dar, wo sie veranlaßt sind Schlachtfelder, Uebergänge von Flüssen oder unwegsame Bergpässe zu beschreiben, da, wo sie das Bedürfniß fühlen den Kampf der Menschen mit Naturhindernissen zu schildern. In den Annalen des Tacitus entzücken mich die Beschreibung der unglücklichen Schiffahrt des Germanicus auf der Ems (Amisia) und die großartige geographische Schilderung der Bergketten von Syrien und Palästina.36 Curtius37 hat uns ein schönes Naturbild von einer waldigen Wildniß hinterlassen, die das macedonische Heer westlich von Hekatompylos in dem feuchten Mazenderan durch- [23] ziehen mußte. Ich würde desselben hier ausführlicher erwähnen, wenn man mit einiger Sicherheit unterscheiden könnte, was ein Schriftsteller, dessen Zeitalter so ungewiß ist, aus seiner lebhaften Phantasie, was er aus historischen Quellen geschöpft hat.

Des großen encyclopädischen Werkes des älteren Plinius, dem an Reichthum des Inhalts kein anderes Werk des Alterthums gleich kommt, wird späterhin, in der Geschichte der Weltanschauung, gedacht werden. Es ist, wie der Neffe (der jüngere Plinius) sich schön ausdrückt, „mannigfach wie die Natur". Ein Erzeugniß des unwiderstehlichen Hanges zu allumfassendem, oft unfleißigem Sammeln, im Style ungleich, bald einfach und aufzählend, bald gedankenreich, lebendig und rhetorisch geschmückt, ist die Naturgeschichte des älteren Plinius, schon ihrer Form wegen, an individuellen Naturschilderungen arm; aber überall, wo die Anschauung auf ein großartiges Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, auf den wohlgeordneten Kosmos (Naturae majestas) gerichtet ist, kann eine wahre, aus dem Innern quellende Begeisterung nicht verkannt werden. Das Werk hat auf das ganze Mittelalter mächtig nachgewirkt.

Als Beweise des Naturgefühls bei den Römern würden wir gern auch die anmuthig gelegenen Villen auf dem Pincius, bei Tusculum und Tibur, am Vorgebirge Misenum, bei Puteoli und Bajä anführen, wenn sie nicht, wie die des Scaurus und Mäcenas, des Lucullus und des Hadrian, mit Prachtgebäuden überfüllt gewesen wären. Tempel, Theater und Rennbahnen wechselten ab mit Vogelhäusern und Gebäuden der Zucht von Schnecken und Haselmäusen bestimmt. Seinen, allerdings einfacheren Landsitz [24] zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweier38 seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß, neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklavenelendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit, er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln, der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben.39

Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem [25] Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um „während des Ueberganges über die Alpen" eine grammatische Schrift de analogia anzufertigen.40 Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose Einöde41, während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingt42. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen, wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten, die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat.

Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf Zustände und Beschauung der Außenwelt leiteten, gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch [26] phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls.

Wenn sich auf einmal etwas neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die Weichheit43 des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die, aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom, Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. [27] Man folgt ihm gern im Dämmerlichte an den Strand bei Ostia, den er freilich malerischer und der Gesundheit zuträglicher schildert, als wir ihn jetzt finden. In dem religiösen Gespräch Octavius wird der neue Glaube gegen die Einwürfe eines heidnischen Freundes muthvoll vertheidigt.44

Es ist hier der Ort aus den griechischen Kirchenvätern einige Naturschilderungen fragmentarisch einzuschalten, da sie meinen Lesern gewiß weniger bekannt sind, als was aus der römischen Litteratur uns die altitalische Liebe zum Landleben überliefert hat. Ich beginne mit einem Briefe Basilius des Großen, für den ich lange schon eine besondere Vorliebe hege. Aus Cäsarea in Cappadocien gebürtig, hatte Basilius, nicht viel über dreißig Jahre alt, dem heiteren Leben zu Athen entsagt, auch schon die christlichen Einsiedeleien in Cölesyrien und Oberägypten besucht, als er sich nach Art der vorchristlichen Essener und Therapeuten in eine Wildniß am armenischen Flusse Iris zurückzog. Dort war sein zweiter Bruder45 Naucratius nach fünfjährigem strengen Anachoretenleben beim Fischen ertrunken. „Ich glaube endlich", schreibt er an Gregorius von Nazianz, „das Ende meiner Wanderungen zu finden. Die Hoffnung mich mit Dir zu vereinigen, ich sollte sagen meine süßen Träume (denn mit Recht hat man Hoffnungen Träume des wachenden Menschen genannt), sind unerfüllt geblieben. Gott hat mich einen Ort finden lassen, wie er uns beiden oft in der Einbildungskraft vorgeschwebt. Was diese uns in weiter Ferne gezeigt, sehe ich jetzt vor mir. Ein hoher Berg, mit dichter Waldung bedeckt, ist gegen Norden von frischen, immerfließenden Wassern befeuchtet. Am Fuß des Berges dehnt sich eine weite Ebene hin, [28] fruchtbar durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von zwei tiefen Thalschluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß, auf der anderen verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist auf dem Gipfel so gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphipolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein anmuthiger, wundervoller Anblick, den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. Soll ich Dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? soll ich reden von dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; denn meine Wildniß nährt Hirsche und Heerden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit diesem vertauschen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren."46 Es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, in die Basilius sich zurück- [29] gezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von Nazianz47 so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die christliche herüberschallt.

Auch des Basilius Homilien über das Hexaëmeron zeugen von seinem Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien, wo, wie er sich ausdrückt, die Sterne, „die ewigen Blüthen des Himmels", den Geist des Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben.48 Wenn er in der Sage von der Weltschöpfung die „Schönheit des Meeres" preisen will, so beschreibt er den Anblick der grenzenlosen Fläche in ihren verschiedenen, wechselnden Zuständen: „wie sie, vom Hauch der Lüfte sanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald röthliches Licht zurückwirft, wie sie die Küste liebkost in ihren friedlichen Spielen." Dieselbe sentimentalschwermüthige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyssa, dem Bruder des Großen Basilius. „Wenn ich", ruft er aus, „jeden Felsenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neuentsprossenem Grase bedeckt sehe, dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume, und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur ausgestattet mit Wohlgeruch und mit Farbenreiz; wenn ich in der Ferne sehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt: so wird mein Gemüth von Schwermuth ergriffen, die nicht ohne Wonne ist. Verschwinden dann im Herbste die Früchte, fallen die Blätter, starren die Aeste des Baumes ihres Schmuckes beraubt; so versenken wir [30] uns (bei dem ewig und regelmäßig wiederkehrenden Wechsel) in den Einklang der Wunderkräfte der Natur. Wer diese mit dem sinnigen Auge der Seele durchschaut, fühlt des Menschen Kleinheit bei der Größe des Weltalls."49

Leitete eine solche Verherrlichung Gottes in liebevoller Anschauung der Natur die christlichen Griechen zu dichterischen Naturschilderungen, so waren sie dabei auch immer, in den früheren Zeiten des neuen Glaubens, nach der Eigenthümlichkeit ihrer Sinnesart, voll Verachtung aller Werke der menschlichen Kunst. Chrysostomus sagt in unzähligen Stellen: „Siehst du schimmernde Gebäude, will dich der Anblick der Säulengänge verführen, so betrachte schnell das Himmelsgewölbe und die freien Felder, in welchen die Heerden am Ufer der Seen weiden. Wer verachtet nicht alle Schöpfungen der Kunst, wenn er in der Stille des Herzens früh die aufgehende Sonne bewundert, indem sie ihr goldenes (krokosgelbes) Licht über den Erdkreis gießt; wenn er, an einer Quelle im tiefen Grase oder unter dem dunkeln Schatten dichtbelaubter Bäume ruhend, sein Auge weidet an der weiten dämmernd hinschwindenden Ferne?"50 Antiochien war damals von Einsiedeleien umgeben, und in einer derselben lebte Chrysostomus. Es war als hätte die Beredsamkeit am Quell der Natur, in den damals waldigen Berggegenden von Syrien und Kleinasien ihr Element, die Freiheit, wiedergefunden.

Als aber in den späteren, aller Geistescultur feindlichen Zeiten das Christenthum sich unter germanische und celtische Volksstämme verbreitete, die vormals, dem Naturdienst ergeben, in rohen Symbolen die erhaltenden und zerstörenden Mächte verehrten, wurden allmälig der nahe Umgang mit der Natur und das Aufspüren ihrer Kräfte, als zur Zau- [31] berei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.51 Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, die „Natur entsündigt" und in ihre alten Rechte eingesetzt.

Wir haben bisher die Contraste geschildert, die bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern! Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich [32] oder der iberischen Halbinsel nähert; aber der jetzt so allgemein gebrauchte, auch ethnologisch richtige Name indogermanischer Stämme sollte allein schon daran erinnern, daß man jenen Einflüssen des nordischen Winters nicht eine zu allgemeine Wirksamkeit zuschreiben müsse. Die überreiche dichterische Litteratur der Inder lehrt, daß zwischen den Wendekreisen und denselben nahe, südlich von der Himalaya-Kette, immer grüne und immer blüthenreiche Wälder die Einbildungskraft der ost-arischen Völker von je her lebhaft anregten, daß diese Völker sich zur naturbeschreibenden Poesie mehr noch hingeneigt fühlten als die im unwirthbaren Norden bis Island verbreiteten ächt germanischen Stämme. Eine Entbehrung oder wenigstens eine gewisse Unterbrechung des Naturgenusses ist aber auch den beglückteren Klimaten des südlichen Asiens eigen. Die Jahreszeiten sind schroff von einander geschieden, durch Wechsel von allbefruchtendem Regen und staubig verödender Dürre. In Persien (der west-arischen Hochebene) dringt die pflanzenleere Wüste mannigfach busenförmig in die gesegnetsten Fruchtländer ein. Waldung bildet oft in Mittel- und Vorderasien das Ufer der weitgedehnten inneren Steppenmeere. So gewähren dem Bewohner jener heißen Klimate die räumlichen Verhältnisse des Bodens in horizontaler Richtung denselben Contrast der Oede und des Pflanzenreichthums als in senkrechter Richtung die schneebedeckten Bergketten von Indien und Afghanistan. Großartige Contraste der Jahreszeiten, der Vegetation und der Höhe sind aber überall, wo eine lebendige Naturanschauung mit der ganzen Cultur und den religiösen Ahndungen eines Volksstammes verwebt ist, die anregenden Elemente dichterischer Phantasie.

[33]

Freude an der Natur, dem beschaulichen Hang der germanischen Nationen eigenthümlich, spricht sich in einem hohen Grade in den frühesten Gedichten des Mittelalters aus. Die ritterliche Poesie der Minnesänger in der hohenstaufischen Zeit giebt zahlreiche Beweise dafür. So mannigfaltige historische Berührungspunkte auch diese Poesie mit der romanischen der Provenzalen hat, so ist doch das ächt germanische Princip nie daran verkannt worden. Ein inniges, alles durchdringendes Naturgefühl leuchtet aus den germanischen Sitten und allen Einrichtungen des Lebens, ja aus dem Hange zur Freiheit hervor.52 Viel in höfischen Kreisen lebend, ja oft aus ihnen entsprossen, blieben die wandernden Minnesänger mit der Natur in beständigem Verkehr. Es erhielt sich frisch in ihnen eine idyllische, oft elegische Gemüthsstimmung. Um das zu würdigen, was eine solche Stimmung hervorgebracht, wende ich mich zu den Forschungen der tiefsten Kenner unseres deutschen Mittelalters, zu meinen edeln Freunden Jacob und Wilhelm Grimm. „Die vaterländischen Dichter jener Epoche", sagt der Letztere, „haben sich nirgends einer abgesonderten Naturschilderung hingegeben, einer solchen, die kein anderes Ziel hat, als den Eindruck der Landschaft auf das Gemüth mit glänzenden Farben darzustellen. Der Sinn für die Natur fehlte den altdeutschen Meistern gewiß nicht; aber sie hinterließen uns keine andre Aeußerung dieses Sinnes als die, welche der Zusammenhang mit geschichtlichen Vorfällen oder mit den Empfindungen erlaubte, die in lyrische Gedichte ausströmten. Um mit dem Volksepos, den ältesten und werthvollsten Denkmälern, zu beginnen, so findet sich weder in den Nibelungen noch in der Gudrun53 die [34] Schilderung einer Naturscene, selbst da, wo dazu Veranlassung war. Bei der sonst umständlichen Beschreibung der Jagd, auf welcher Siegfried ermordet wird, geschieht nur Erwähnung der blumenreichen Heide und des kühlen Brunnens unter der Linde. In der Gudrun, die eine gewisse feinere Ausbildung zeigt, bricht der Sinn für die Natur etwas mehr durch. Als die Königstochter mit ihren Gefährten, zu niedrigem Sklavendienst gezwungen, die Gewänder ihrer grausamen Gebieter an das Ufer des Meeres trägt, wird die Zeit bezeichnet, wo der Winter sich eben gelöst und der Wettgesang der Vögel beginnt. Noch fallen Schnee und Regen herab, und das Haar der Jungfrauen wird vom rauhen Märzwinde gepeitscht. Als Gudrun, ihre Befreier erwartend, das Lager verläßt und nun das Meer beim Aufgang des Morgensterns zu schimmern beginnt, unterscheidet sie die dunkeln Helme und die Schilde der Freunde. Es sind wenige Worte, welche dies andeuten, aber sie geben ein anschauliches Bild, bestimmt die Spannung vor einem wichtigen geschichtlichen Ereigniß zu vermehren. Nicht anders macht es Homer, wenn er die Cyclopen-Insel schildert und die geordneten Gärten des Alcinous: er will anschaulich machen die üppige Fülle der Wildniß, in der die riesigen Ungeheuer leben, und den prächtigen Wohnsitz eines mächtigen Königs. Beide Dichter gehen nicht darauf aus eine für sich bestehende Naturschilderung zu entwerfen."

„Dem schlichten Volksepos stehen die inhaltreichen Erzählungen der ritterlichen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts entgegen, die eine bewußte Kunst übten und unter welchen sich Hartmann von Aue, Wolfram von Eschen- [35] bach und Gottfried von Strasburg54 im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die Minne besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen."

„Die Frage, ob der Contact mit dem südlichen Italien oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient [36] dem Minnegesang eine andere Richtung gegeben habe. Die Kreuzfahrer kamen wenig in nahe Verbindung mit den Sarazenen; ja sie lebten selbst mit anderen Völkern, die für dieselbe Sache kämpften, in großer Spannung. Einer der ältesten lyrischen Dichter war Friedrich von Hausen. Er kam in dem Heere Barbarossa's um. Seine Lieder enthalten vielfache Beziehungen auf die Kreuzfahrt, aber sie drücken nur religiöse Ansichten aus oder den Schmerz sich von der Geliebten getrennt zu sehen. Von dem Lande fand er, und alle die an den Kreuzzügen Theil nahmen, wie Reinmar der Alte, Rubin, Neidhart und Ulrich von Lichtenstein, nicht Veranlassung etwas zu sagen. Reinmar kam als Pilgrim nach Syrien, wie es scheint, im Gefolge Herzogs Leopold VI von Oestreich. Er klagt, daß die Gedanken an die Heimath ihn nicht loslassen, und ihn von Gott abziehen. Die Dattelpalme wird hier einige Male genannt, wo der Palmenzweige gedacht ist, welche fromme Pilger auf der Schulter tragen sollen. Ich erinnere mich auch nicht, daß die herrliche Natur Italiens die Phantasie der Minnesänger angeregt habe, welche die Alpen überstiegen. Walther von der Vogelweide, der weit umhergezogen, hatte nur den Po gesehn; aber Freidank55 war in Rom. Er bemerkt bloß, daß in den Pallästen derer, welche sonst dort herrschten, Gras wachse."

Das deutsche Thierepos, welches nicht mit der Thierfabel des Orients verwechselt werden darf, ist aus einem Zusammenleben mit der Thierwelt entstanden, ohne die Absicht zu haben diese darzustellen. Das Thierepos, welches Jacob Grimm in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Reinhart Fuchs so meisterhaft behandelt, bezeugt eine innige [37] Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges die Landschaft belebendes Princip. „Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge, sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe."56

An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder unter dem Namen der Finnianischen aufgezeichnet aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend; aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.57

Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimentalromantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen [38] Menschenstamme des nördlichen Europa's in einem hohen Grade eigenthümlich sind, man diese Erscheinung nicht allein als Folge des Klima's, d. h. der durch lange Entbehrung gesteigerten Sehnsucht, betrachten darf. Wir haben erinnert, wie die indische und persische Litteratur, unter der Gluth des südlichen Himmels entwickelt, die reizendsten Schilderungen liefert sowohl der organischen als der todten elementarischen Natur, des Ueberganges der Dürre zum tropischen Regen, der Erscheinung des ersten Gewölkes im tiefen Blau der reinen Lüfte, wenn die langersehnten etesischen Winde in dem gefiederten Laube der Palmengipfel allmälig zu rauschen beginnen.

Es ist hier der Ort etwas tiefer in das Gebiet der indischen Naturschilderung einzudringen. „Denken wir uns", sagt Lassen in seiner vortrefflichen indischen Alterthumskunde58, „einen Theil des arischen Stammes aus seinem Ursitz, dem Nordwestlande, nach Indien eingewandert, so fand sich derselbe dort von einer ganz neuen, wundervoll reichen Natur umgeben. Die Milde des Klima's, die Fruchtbarkeit des Bodens, seine freigebige Fülle an herrlichen Gaben mußten dem neuen Leben eine heitere Farbe mittheilen. Bei den ursprünglichen herrlichen Anlagen des arischen Volkes, bei dem Besitze einer höheren Ausstattung des Geistes, in der alles Erhabene und Große, das von den Indern ausgeführt ist, wie in einem Keime wurzelt, erzeugte früh die Anschauung der Außenwelt ein tiefes Nachdenken über die Kräfte der Natur: ein Nachdenken, welches die Grundlage der contemplativen Richtung ist, die wir innigst mit der ältesten Poesie der Inder verwebt finden. Ein so allbeherrschender Eindruck, welchen die Natur auf das [39] Bewußtsein des Volkes gemacht, bethätigt sich am deutlichsten in seiner religiösen Grundansicht, in der Erkenntniß des Göttlichen in der Natur. Die sorgenlose Leichtigkeit des äußeren Daseins kam einer contemplativen Richtung fördernd entgegen. Wer konnte sich ungestörter und inniger der Betrachtung hingeben, nachsinnen über das irdische Leben, den Zustand des Menschen nach dem Tode, über das Wesen des Göttlichen, als die indischen Büßer, die waldbewohnenden Brahmanen59, deren alte Schulen eine der eigenthümlichsten Erscheinungen des indischen Lebens bilden und auf die geistige Entwickelung des ganzen Stammes einen wesentlichen Einfluß ausgeübt haben?"

Soll ich hier, wie ich, von meinem Bruder und anderen Sanskritkundigen geleitet, in meinen öffentlichen Vorlesungen gethan, einzeln an das erinnern, was ein lebendiges und häufig ausbrechendes Naturgefühl in die beschreibenden Theile der indischen Poesie eingewebt hat; so beginne ich mit den Veden, dem ersten und heiligsten Denkmale der Cultur ost-arischer Völker. Ihr Hauptgegenstand ist die Verehrung der Natur. Reizende Schilderungen der Morgenröthe und des Anblicks der „goldhändigen" Sonne enthalten die Hymnen des Rigveda. Die großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata sind jünger als die Veden, älter als die Puranen. In den epischen Schöpfungen ist ihrem Wesen nach die Verherrlichung der Natur an die Sage geknüpft. Wenn in den Veden sich selten örtlich die Scene angeben läßt, welche die heiligen Weisen begeisterte, so sind dagegen in den Heldengedichten die Naturschilderungen meist individuell und an bestimmte Localitäten gebunden, daher, was hauptsächlich Leben giebt, aus selbst- [40] empfangenen Eindrücken geschöpft. Von reicher Färbung ist die Reise Rama's von Ayodhya nach der Residenzstadt Dschanaka's, sein Leben im Urwalde, das Bild von dem Einsiedlerleben der Panduiden.

Der Name Kalidasa's ist vielfach und früh unter den westlichen Völkern gefeiert worden. Der große Dichter glänzte an dem hochgebildeten Hofe des Vikramaditya, also gleichzeitig mit Virgil und Horaz. Die englischen und deutschen Uebersetzungen der Sakuntala haben die Bewunderung angeregt, welche dem Kalidasa in so reichem Maaße gezollt worden ist.60 Zartheit der Empfindungen und Reichthum schöpferischer Phantasie weisen ihm seinen hohen Rang unter den Dichtern aller Nationen an. Den Reiz seiner Naturschilderungen bezeugen das liebliche Drama Vikrama und Urvasi, wo der König im Dickicht der Wälder umherirrt, um die Nymphe Urvasi zu suchen, das Gedicht der Jahreszeiten und der Wolkenbote (Meghaduta). Mit bewundernswürdiger Naturwahrheit ist in diesem die Freude geschildert, mit welcher nach langer tropischer Dürre die erste Erscheinung eines aufsteigenden Gewölkes als Anzeige der nahen Regenzeit begrüßt wird. Der Ausdruck Naturwahrheit, dessen ich mich eben bedient habe, kann allein die Kühnheit rechtfertigen neben dem indischen Wolkenboten an ein Naturbild von dem Eintritt der Regenzeit zu erinnern61, das ich in Südamerika zu einer Epoche entworfen, wo Kalidasa's Meghaduta mir auch nicht einmal aus Chézy's Uebersetzung bekannt sein konnte. Die geheimnißvollen meteorologischen Processe, welche im Luftkreise vorgehen, in Dunstbildung, Wolkengestalt und leuchtenden electrischen Erscheinungen, sind zwischen den [41] Wendekreisen dieselben in beiden Continenten; und die idealisirende Kunst, deren Beruf es ist die Wirklichkeit zu einem Bilde zu erheben, würde nicht von ihrem Zauber verlieren, wenn es dem zergliedernden Beobachtungsgeiste späterer Jahrhunderte glückte die Naturwahrheit einer alten, nur beschauenden Dichtung zu bekräftigen.

Von den Ost-Ariern, den brahmanischen Indern, und der entschiedenen Richtung ihres Sinnes auf die malerische Schönheit der Natur62 gehen wir zu den West-Ariern, den Persern, über, welche sich im nördlicheren Zendlande getrennt hatten und ursprünglich einer geistigen Verehrung der Natur neben der dualistischen Anschauung von Ahriman und Ormuzd zugethan waren. Was wir persische Litteratur nennen, steigt nur in die Zeit der Sassaniden hinauf; die ältesten Denkmale der Dichtung sind untergegangen. Erst nachdem das Land von den Arabern unterjocht und sich selbst entfremdet war, erhielt es wieder eine National-Litteratur unter den Samaniden, Gazneviden und Seldschuken. Der Flor der Poesie von Firdusi bis Hafiz und Dschami dauerte kaum vier- bis fünfhundert Jahre; er reicht fast nur bis zur Schiffahrt von Vasco de Gama. Wenn wir dem Naturgefühl bei Indern und Persern nachspüren, so dürfen wir nicht vergessen, daß beide Völker, nach dem Maaß ihrer Bildung betrachtet, gleichmäßig durch Zeit und Raum von einander getrennt erscheinen. Die persische Litteratur gehört dem Mittelalter, die große indische im eigentlichsten Sinne dem Alterthume zu. Die Natur im iranischen Hochlande hat nicht die Ueppigkeit der Baum-Vegetation, die wundersame Mannigfaltigkeit von Gestalt und Farbe der Gewächse, welche [42] den Boden von Hindustan schmücken. Die Bindhya-Kette, lange die Grenzscheide der ost-arischen Völker, fällt noch in die Tropenzone, während ganz Persien jenseits des Wendekreises liegt, ja die persische Dichtung theilweise sogar dem nördlichen Boden von Balkh und Fergana zugehört. Die von den persischen Dichtern gefeierten vier Paradiese63 waren das anmuthige Thal von Soghd bei Samarkand, Maschanrud bei Hamadan, Scha'abi Bowan bei Kal'eh Sofid in Fars, und Ghute, die Ebene von Damascus. Beiden, Iran und Turan, fehlt indeß die Waldnatur und mit ihr das Einsiedlerleben des Waldes, welche beide so mächtig auf die Einbildungskraft der indischen Dichter gewirkt haben. Gärten, durch springende Wasser erfrischt, mit Rosengebüsch und Fruchtbäumen gefüllt, ersetzen nicht die wilden, großartigen Naturscenen von Hindustan. Kein Wunder daher, daß die beschreibende Poesie minder lebensfrisch, oft nüchtern und von gekünstelter Zierlichkeit ist. Wenn nach dem Sinne der Eingebornen das höchste Lob dem gezollt wird, was wir durch die Worte Geist und Witz bezeichnen, so muß die Bewunderung sich auf die Fruchtbarkeit der persischen Dichter, auf die unabsehbare Mannigfaltigkeit der Formen64 beschränken, unter welchen sie denselben Stoff zu behandeln wissen; Tiefe und Innigkeit der Gefühle werden vermißt.

Auch die Schilderung der Landschaft unterbricht nur selten die Erzählung in dem National-Epos oder geschichtlichen Heldenbuche des Firdusi. Besonders anmuthig und von localer Wahrheit, die Milde des Klima's und Kraft der Vegetation beschreibend, scheint mir das Lob des Küstenlandes Mazenderan im Munde eines wandernden Sängers. Der König Kei Kawus wird durch dies Lob zu einem Zuge [43] nach dem caspischen Meere und zu einer neuen Eroberung angereizt.65 Die Frühlingsgedichte von Enweri, Dschelaleddin Rumi, Adhad und des halbindischen Feisi (der zweite gilt für den größten mystischen Dichter des Orients) athmen ein frisches Leben, da wo der kleinliche Drang nach spielenden Gleichnissen den Genuß nicht unbehaglich stört.66 Sadi im Bostan und Gulistan (Frucht- und Rosengarten), Hafiz, dessen fröhliche Lebensphilosophie man mit der des Horaz verglichen hat, bezeichnen, wie Joseph von Hammer in seinem großen Werke über die Geschichte der persischen Dichtung sich ausdrückt, der erste ein Zeitalter der Sittenlehre, der zweite als Minnesänger den höchsten Schwung der Lyrik; aber Schwulst und Ziererei verunstalten oft die Schilderung der Natur67. Der Lieblingsgegenstand der persischen Dichtung, „die Liebe der Nachtigall und der Rose", kehrt immer ermüdend wieder, und in den conventionellen Künsteleien der Blumensprache erstirbt im Morgenlande das innere Naturgefühl.

Wenn wir von dem iranischen Hochlande durch Turan (im Zend Tûirja)68 nordwärts in die Europa und Asien scheidende Uralkette übergehn, so gelangen wir zu dem Ursitze des finnischen Stammes; denn der Ural ist ein alt-finnisches, wie der Altai ein alt-türkisches Land. Bei den finnischen Stämmen nun, die sich weit in Westen auf europäischem Boden in der Niederung angesiedelt, hat aus dem Munde der Karelier und der Landleute von Olonez Elias Lönnrot eine große Zahl finnischer Lieder gesammelt, in denen nach dem Ausdruck von Jacob Grimm69 „ein reges sinniges Naturgefühl waltet, wie es fast nur in indischen Dichtungen angetroffen wird". Ein altes Epos [44] von fast dreitausend Versen dreht sich um den Kampf zwischen Finnen und Lappen und um die Schicksale eines göttlichen Helden, der Vaino genannt wird. Es enthält das Epos eine anmuthvolle Beschreibung des finnischen Landlebens, besonders da, wo die Frau des Eisenschmidts Ilmarinen ihre Heerden in die Wälder sendet und Gebete zum Schutze der Thiere spricht. Wenige Völkerstämme bieten in ihrer Geistesbildung und in der Richtung ihrer Gefühle, wie sie durch entartende Knechtschaft, oder kriegerische Wildheit, oder ausdauerndes Streben nach politischer Freiheit bestimmt worden ist, mannigfaltigere und wundersamere Abstufungen dar als der finnische Stamm in seinen sprachverwandten Unterabtheilungen. Wir erinnern an jene, jetzt so friedlichen Landleute, bei denen das Epos aufgefunden worden, an die lange mit Mongolen verwechselten weltstürmenden Hunnen, und an ein großes und edles Volk, die Magyaren.

Bei der Betrachtung dessen, was in der Lebendigkeit des Naturgefühls und der Form seiner Aeußerungen von der Verschiedenheit der Racen, von dem eigenthümlichen Einflusse der Gestaltung des Bodens, von der Staatsverfassung und der religiösen Stimmung abzuhangen scheint, bleibt uns übrig einen Blick auf die Völker Asiens zu werfen, welche mit den arischen oder indogermanischen Stämmen, den Indern und Persern, am meisten contrastiren. Die semitischen oder aramäischen Nationen zeigen uns in den ältesten und ehrwürdigsten Denkmälern ihrer dichterischen Gemüthsart und schaffenden Phantasie Beweise eines tiefen Naturgefühls. Der Ausdruck desselben offenbart sich großartig und belebend in Hirtensagen, in Tempel- und Chorgesängen, [45] in dem Glanz der lyrischen Poesie unter David, in der Seher- und Prophetenschule, deren hohe Begeisterung, der Vergangenheit fast entfremdet, ahndungsvoll auf die Zukunft gerichtet ist.

Die hebräische Dichtungsweise bietet den Bewohnern des Abendlandes bei ihrer inneren, erhabnen Größe noch den besonderen Reiz, daß sie mit den localen Glaubens-Erinnerungen der Anhänger von drei weitverbreiteten Religionen, der mosaischen, christlichen und mohammedanischen, vielfach verwebt ist. Durch Missionen, welche der Handelsgeist und die Eroberungssucht schiffahrender Nationen begünstigen, sind geographische Namen und Naturschilderungen des Morgenlandes, wie sie die Schriften des alten Bundes uns aufbewahrt, tief in die Wälder der Neuen Welt und in die Inseln der Südsee eingedrungen.

Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der Naturpoesie der Hebräer, daß, als Reflex des Monotheismus, sie stets das Ganze des Weltalls in seiner Einheit umfaßt, sowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt seltener bei dem Einzelnen der Erscheinung, sondern erfreut sich der Anschauung großer Massen. Die Natur wird nicht geschildert als ein für sich Bestehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräischen Sänger erscheint sie immer in Beziehung auf eine höher waltende geistige Macht. Die Natur ist ihm ein Geschaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnenwelt. Deshalb ist die lyrische Dichtung der Hebräer schon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernst, sie ist trübe und sehnsuchtsvoll, wenn sie die irdischen Zustände der Menschheit [46] berührt. Bemerkenswerth ist auch noch, daß diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung fast nie maaßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken, gefällt sie sich in Gleichnissen, die fast rhythmisch, immer dieselben wiederkehren.

Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des alten Bundes eine treue Abspiegelung der Beschaffenheit des Landes, in welchem das Volk sich bewegte, der Abwechslung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klima's in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr, wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen. Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, daß in dem einzigen 104ten Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: „Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich ausgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Thäler, zu den Orten, die ihnen beschieden: daß sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel singen unter dem Laube [47] hervor. Saftvoll stehen des Ewigen Bäume, Libanons Cedern, die der Herr selbst gepflanzt, daß sich das Federwild dort niste, und auf Tannen sein Gehäus der Habicht baue." Es wird beschrieben „das Weltmeer, in dem es wimmelt von Leben ohne Zahl. Da wandeln die Schiffe, und es regt sich das Ungeheuer, das Du schufest darin zu scherzen." Es wird „die Saat der Felder, durch Menschenarbeit bestellt, der fröhliche Weinbau und die Pflege der Oelgärten" geschildert. Die Himmelskörper geben diesem Naturbilde seine Vollendung. „Der Herr schuf den Mond, die Zeiten einzutheilen, die Sonne, die das Ziel kennt ihrer Bahn. Es wird Nacht, da schwärmt Gewild umher. Nach Raube brüllen junge Löwen und verlangen Speise von Gott. Erscheint die Sonne, so heben sie sich davon und lagern sich in ihre Höhlen: dann geht der Mensch zu seiner Arbeit, zu seinem Tagewerk bis Abend." Man erstaunt, in einer lyrischen Dichtung von so geringem Umfange, mit wenigen großen Zügen, das Universum, Himmel und Erde geschildert zu sehen. Dem bewegten Elementarleben, der Natur ist hier des Menschen stilles, mühevolles Treiben vom Aufgang der Sonne bis zum Schluß des Tagewerks am Abend entgegengestellt. Dieser Contrast, diese Allgemeinheit der Auffassung in der Wechselwirkung der Erscheinungen, dieser Rückblick auf die allgegenwärtige unsichtbare Macht, welche „die Erde verjüngen" oder in Staub zertrümmern kann, begründen das Feierliche einer minder lebenswarmen und gemüthlichen als erhaben poetischen Dichtung.

Aehnliche Ansichten des Kosmos kehren mehrmals70 wieder (Psalm 65, 7–14 und 74, 15–17), am vollendetsten [48] vielleicht in dem 37sten Capitel des alten, wenn auch nicht vormosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen, die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. „Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. — Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon." — Es werden die Sitten der Thiere geschildert, des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. — Wir sehen „den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt."71 Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen, daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders [49] in dem dürren und felsigen Theile von Palästina geeignet solche Beobachtungen anzuregen. Auch an Mannigfaltigkeit der Form fehlt es der dichterischen Litteratur der Hebräer nicht. Während von Josua bis Samuel die Poesie eine kriegerische Begeisterung athmet, bietet das kleine Buch der ährenlesenden Ruth ein Naturgemälde dar von der naivesten Einfachheit und von unaussprechlichem Reize. Göthe72 in der Epoche seines Enthusiasmus für das Morgenland nennt es „das lieblichste, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist".

Selbst in den neueren Zeiten, in den ersten Denkmalen der Litteratur der Araber, bemerkt man einen schwachen Abglanz der großartigen Naturanschauung, welche dem semitischen Stamme so früh eigenthümlich war. Ich erinnere an die malerische Schilderung des beduinischen Wüstenlebens, die der Grammatiker Asmai an den großen Namen Antars geknüpft und mit anderen vormohammedanischen Sagen ritterlicher Thaten zu einem großen Werke verschmolzen hat. Die Hauptperson dieser romantischen Novelle ist derselbe Antar aus dem Stamme Abs, Sohn des fürstlichen Häuptlings Scheddad und einer schwarzen Sklavinn, dessen Verse unter den in der Kaaba aufgehangenen Preisgedichten (moallakât) bewahrt werden. Der gelehrte englische Uebersetzer Terrick Hamilton hat selbst schon auf die biblischen Anklänge des Styls im Antar aufmerksam gemacht.73 Den Sohn der Wüste läßt Asmai nach Constantinopel reisen, wodurch ein malerischer Gegensatz von griechischer Cultur und nomadischer Roheit herbeigeführt wird. Daß in der frühesten arabischen Dichtung die Naturschilderung des Bodens nur einen sehr geringen Raum ein- [50] nimmt, darf nach der Bemerkung eines berühmten Kenners dieses Zweiges der Litteratur, meines Freundes Freytag zu Bonn, um so weniger Wunder nehmen, als die Hauptgegenstände der Dichtung Erzählungen von Waffenthaten, Lob der Gastfreundschaft und der Liebestreue sind, als fast kein einziger der Sänger aus dem glücklichen Arabien stammte. Eine traurige Einförmigkeit von Grasfluren und staubbedeckte Einöden konnten nur in eigenthümlichen selteneren Stimmungen das Naturgefühl beleben.

Wo dem Boden der Schmuck der Wälder fehlt, beschäftigen, wie wir bereits früher bemerkt, die Lufterscheinungen, Sturm, Gewitter und langersehnter Regen um so mehr die Einbildungskraft. Ich erinnere vorzugsweise hier, um naturwahre Bilder dieser Art den arabischen Dichtern zu entlehnen, an Antar's Moallakat, welches die vom Regen befruchtete, vom Schwarm summender Insecten besuchte Flur beschreibt74; an die herrlichen und dazu noch örtlichen Schilderungen des Gewitters von Amru'l Kais und im 7ten Buche der berühmten Hamasa75; endlich an das Anschwellen des Euphrat, wenn der Strom Schilfmassen und Baumstämme in seinen Fluthen fortrollt, im Nabegha Dhobyani76. Das achte Buch der Hamasa, welches „Reise und Schläfrigkeit" überschrieben ist, mußte natürlich meine besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Ich wurde bald belehrt, daß die Schläfrigkeit77 sich nur auf das erste Fragment des Buches bezieht und auch in diesem um so verzeihlicher ist, als sie einer Nachtreise auf dem Kameel zugeschrieben wird.

Ich habe in diesem Abschnitt fragmentarisch zu entwickeln gesucht, wie die Außenwelt, d. h. der Anblick der [51] belebten und unbelebten Natur, zu verschiedenen Zeitepochen und bei verschiedenen Volksstämmen ungleichartig auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat. Aus der Geschichte der Litteratur wurde das ausgehoben, was die lebendige Aeußerung des Naturgefühls charakterisirt. Es kam dabei, wie in meinem ganzen Werke vom Kosmos, nicht auf Vollständigkeit, sondern nur auf Allgemeinheit der Ansicht, auf die Auswahl solcher Beispiele an, in denen sich die Eigenthümlichkeiten der Zeiten und der Menschenracen offenbaren. Ich habe die Griechen und Römer geschildert bis zu dem allmäligen Absterben der Gefühle, die dem classischen Alterthume in den Abendlanden einen unverlöschbaren Glanz gegeben; ich habe in den Schriften der christlichen Kirchenväter dem schönen Ausdruck des Naturgefühls nachgespürt, den in stiller Rührung das Einsiedlerleben erzeugte. Bei Betrachtung der indogermanischen Völker (ich nehme die Benennung hier in dem engeren Sinne des Worts) sind wir übergegangen von den Dichtungen der Deutschen im Mittelalter zu denen der hochgebildeten alten Ost-Arier (Inder) und der minder begabten West-Arier, der Bewohner des alten Iran. Nach einem flüchtigen Blicke auf die celtischen (galischen) Gesänge und ein neuentdecktes finnisches Epos, habe ich das reiche Naturleben geschildert, das in einem Zweige des semitischen (aramäischen) Stammes, in den erhabenen Gedichten der Hebräer und in denen der Araber athmet. So haben wir die Erscheinungswelt abgespiegelt gesehen in der Phantasie der Völker im Norden und Südosten von Europa, in Vorderasien, in den persischen Hochebenen und dem indischen Tropenlande. Um die Natur in ihrer ganzen Größe zu [52] umfassen, glaubte ich sie nach zweierlei Ansichten, einmal objectiv, als thatsächliche Erscheinung, und dann in den Gefühlen der Menschheit reflectirt, darstellen zu müssen.

Nach dem Hinschwinden aramäischer, griechischer und römischer Herrlichkeit, ich könnte sagen nach dem Untergange der alten Welt, zeigt uns der große und begeisterte Schöpfer einer neuen, Dante Alighieri, von Zeit zu Zeit das tiefste Gefühl des irdischen Naturlebens. Er entzieht sich dann den Leidenschaften, wie dem Subjectiven seines weiten Ideenkreises, einer ahndungsschweren Mystik. Die Zeitepoche, in der er lebte, folgt unmittelbar der, in welcher diesseits der Alpen der schwäbische Minnegesang, den wir oben geschildert, zu verhallen anfing. Unnachahmlich malt Dante am Ende des ersten Gesanges des Purgatorio78 den Morgenduft und das zitternde Licht des sanft bewegten fernen Meeresspiegels (il tremolar de la marina); im fünften Gesange den Wolkenbruch und das Anschwellen der Flüsse, wobei nach der Schlacht von Campaldino der Leichnam des Buonconte da Montefeltro in den Arno versank79. Der Eingang in den dichten Hain des irdischen Paradieses erinnert den Dichter an den Pinienwald bei Ravenna, »la pineta in sul lito di Chiassi«80, wo in den Wipfeln der Frühgesang der Vögel erschallt. Mit der örtlichen Wahrheit dieses Naturbildes contrastirt im himmlischen Paradiese der Lichtstrom, aus welchem Funken81 sprühen, „die sich in die Blumen des Ufers senken, aber wie von Düften berauscht zurücktauchen in den Strom, während andere sich erheben". Man möchte glauben, einer solchen Fiction liege die Erinnerung an den eigenthümlichen und seltneren Zustand der Phosphorescenz des Oceans zum Grunde, wo leuchtende [53] Punkte beim Zusammenschlagen der Wellen sich über der Oberfläche zu erheben scheinen und die ganze flüssige Ebene ein bewegtes Sternenmeer bildet. Die außerordentliche Concision des Styls vermehrt in der Divina Commedia den Ernst und die Tiefe des Eindrucks.

Um noch auf italiänischem Boden zu verweilen, aber dem frostigen Schäferromane fremd zu bleiben, nenne ich hier, nach dem Dante: Petrarca's Trauersonett, den Eindruck schildernd, welchen das anmuthige Thal von Vaucluse ihm ohne Laura, seit ihrem Hinsterben, gemacht; die kleineren Dichtungen des Bojardo, des Freundes des Hercules von Este; und die späteren Stanzen der Vittoria Colonna.82

Als nun die classische Litteratur allgemeiner wieder aufblühte durch den plötzlichen Verkehr mit dem politisch tief gesunkenen Griechenlande, finden wir unter den Prosaikern das erste Beispiel reizender Naturbeschreibungen bei dem kunstliebenden Cardinal Bembo, Raphaels Rathgeber und Freunde. Seine kleine Jugendschrift Aetna dialogus giebt uns ein lebendiges Bild der geographischen Vertheilung der Gewächse an dem Abhange des Gebirges, von Siciliens kornreichen Fluren bis zu dem schneebedeckten Rande des Kraters. Das vollendete Werk des reiferen Alters, die Historiae Venetae, charakterisiren auf eine noch mehr malerische Weise das Klima und die Vegetation des Neuen Continents.

Alles war damals dazu geeignet den Geist gleichzeitig mit den großen Bildern des plötzlich erweiterten Weltraums und der Erhöhung menschlicher Kräfte zu erfüllen. Wie, in dem Alterthume, der macedonische Zug nach dem Paropamisus und den waldreichen Flußthälern von Vorderindien, [54] durch den Anblick einer reich geschmückten erotischen Natur, Eindrücke zurückließ, deren Lebendigkeit sich nach Jahrhunderten noch, in den Werken hochbegabter Schriftsteller, offenbart; so wirkte zum zweiten Male, und selbst in einem höheren Maaßstabe als die Kreuzzüge, auf die westlichen Völker die Entdeckung von Amerika. Die Tropenwelt mit der ganzen Ueppigkeit ihrer Vegetation in der Ebene, mit allen Abstufungen des Organismus am Abhange der Cordilleren, mit allen Anklängen nördlicher Klimate in den bewohnten Hochebenen von Mexico, Neu-Granada und Quito wurde nun zuerst den Europäern eröffnet. Die Phantasie, ohne deren Anregung kein wahrhaft großes Werk der Menschheit gedeihen kann, gab den Naturschilderungen von Columbus und Vespucci einen eigenthümlichen Reiz. Den letzteren charakterisirt in der Beschreibung der brasilischen Küste eine genaue Bekanntschaft mit den Dichtern alter und neuer Zeit; jenen in der Beschreibung des milden Himmels von Paria und der (wie er wähnt) dem östlichen Paradiese entströmenden Wassermenge des Orinoco eine ernste religiöse Stimmung. Bei zunehmendem Alter, beim Ankämpfen gegen ungerechte Verfolgung ging diese Stimmung in Trübsinn und schwärmerische Begeisterung über.

In den heroischen Zeiten der portugiesischen und castilianischen Volksstämme führte nicht Golddurst allein (wie man aus Unkunde des damaligen Volkslebens behauptet), sondern allgemeine Aufregung zu den Wagnissen ferner Reisen. Die Namen Haiti, Cubagua und Darien wirkten, im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, auf die Einbildungskraft der Menschen wie in den neueren Zeiten die, seit Anson und Cook gefeierten Namen von Tinian[55] und Otaheiti. Wenn damals die Kunde weit entlegener Länder die Jugend aus der spanischen Halbinsel, aus Flandern, Mailand und Süddeutschland unter die siegreichen Fahnen des großen Kaisers auf den Rücken der Andeskette oder in die heißen Fluren von Uraba und Coro lockte, so gewann unter dem milden Einflusse späterer Gesittung, bei gleichmäßigerer Eröffnung aller Theile des Erdraums, jenes unruhige Sehnen nach der Ferne andere Motive und eine andere Richtung. Leidenschaftliche Liebe zum Naturstudium, welche hauptsächlich vom Norden ausging, entflammte die Gemüther. Intellectuelle Größe der Ansichten wurde der materiellen Erweiterung des Wissens beigesellt, und die dichterisch sentimentale Stimmung des Zeitalters individualisirte sich, seit dem Ende des verflossenen Jahrhunderts, in litterarischen Werken, deren Formen der Vorzeit unbekannt waren.

Werfen wir noch einmal den Blick zurück in die Zeit der großen Entdeckungen, welche jene moderne Stimmung vorbereiteten, so müssen wir vor allem der Naturschilderungen gedenken, die wir von Columbus selbst besitzen. Erst seit kurzem kennen wir sein eigenes Schiffsjournal, seine Briefe an den Schatzmeister Sanchez, an die Amme des Infanten Don Juan, Frau Juana de la Torre, und an die Königinn Isabella. Ich habe schon an einem anderen Orte, in den kritischen Untersuchungen über die Geschichte der Geographie des 15ten und 16ten Jahrhunderts83, zu zeigen gesucht, mit welchem tiefen Naturgefühle der große Entdecker begabt war, wie er das Erdenleben und den neuen Himmel, die sich seinem Blicke offenbarten (viage nuevo al nuevo cielo í mundo que fasta entonces estaba en occulto), mit einer Schönheit und Ein- [56] fachheit des Ausdrucks beschrieb, die nur diejenigen ganz zu schätzen vermögen, welche mit der alten Kraft der Sprache jener Zeit vertraut sind.

Die physiognomische Gestaltung der Pflanzen, das undurchdringliche Dickicht der Wälder, „in denen man kaum unterscheiden kann, welche Blüthen und Blätter jedem Stamme zugehören", die wilde Ueppigkeit des krautbedeckten Bodens der feuchten Ufer, die rosenfarbigen Flamingos, welche fischend schon am frühen Morgen die Mündung der Flüsse beleben, beschäftigen den alten Seemann, als er längs den Küsten von Cuba, zwischen den kleinen lucayischen Inseln und den, auch von mir besuchten Jardinillos hinfuhr. Jedes neu entdeckte Land scheint ihm noch schöner als das früher beschriebene; er beklagt, nicht Worte zu finden, um die süßen Eindrücke wiederzugeben, die er empfangen. Mit der Kräuterkunde völlig unbekannt, wenn gleich durch Einfluß arabischer und jüdischer Aerzte sich damals schon einige oberflächliche Kenntniß der Gewächse in Spanien verbreitet hatte, treibt das einfache Naturgefühl den Entdecker an, alles fremdartige einzeln aufzufassen. Er unterscheidet in Cuba schon sieben oder acht verschiedene Palmenarten, die schöner und höher als die Dattelpalme sind (variedades de palmas superiores a las nuestras en su belleza y altura), er meldet seinem geistreichen Freunde Anghiera, daß er in derselben Ebene Tannen und Palmen zusammengruppirt, palmeta und pineta wundervoll gemengt gesehen; er betrachtet die Vegetation mit solchem Scharfblick, daß er zuerst bemerkt, es gebe im Cibao auf den Bergen Pinien, deren Früchte nicht Tannenzapfen sind, sondern Beeren wie die Oliven des Axarafe de Sevilla. Columbus [57] hat also schon, wie ich bereits oben84 erinnert, das Geschlecht Podocarpus von der Familie der Abietineen getrennt.

„Die Anmuth dieses neuen Landes", sagt der Entdecker, „steht hoch über der der campiña de Cordoba. Alle Bäume glänzen von immer grünem Laube und sind ewig mit Früchten beladen. Auf dem Boden stehen die Kräuter hoch und blühend. Die Lüfte sind lau wie im April in Castilien; es singt die Nachtigall süßer, als man es beschreiben kann. Bei Nacht singen wieder süß andere, kleinere Vögel; auch höre ich unseren Grashüpfer und die Frösche. Einmal kam ich in eine tief eingeschlossene Hafenbucht und sah, was kein Auge gesehen: hohes Gebirge, von dem lieblich die Wasser (lindas aguas) herabströmen. Das Gebirge war bedeckt mit Tannen und anderen vielfach gestalteten, mit schönen Blüthen geschmückten Bäumen. Den Strom hinaufsteuernd, der in die Bucht mündete, war ich erstaunt über die kühlen Schatten, die krystallklaren Wasser und die Zahl der Singvögel. Es war mir als möchte ich so einen Ort nie verlassen, als könnten tausend Zungen dies alles nicht wiedergeben, als weigere sich die verzauberte Hand es niederzuschreiben (para hacer relacion a los Reyes de las cosas que vian no bastáran mil lenguas a referillo, ni la mano para lo escribir, que le parecia questaba encantado)."85

Wir lernen hier aus dem Tagebuche eines litterarisch ganz ungebildeten Seemannes, welche Macht die Schönheit der Natur in ihrer individuellen Gestaltung auf ein empfängliches Gemüth auszuüben vermag. Gefühle veredeln die Sprache; denn die Prosa des Admirals ist, besonders da wo er, bereits 67 Jahre alt, auf der vierten Reise seinen großartigen Wundertraum86 an der Küste von Veragua [58] erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's Salicio y Nemoroso oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung; auch hat man in den herrlichsten beschreibenden Stanzen87 des befreiten Jerusalem Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt.

Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegel's zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens „an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei weitem übertreffen"88; aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden[59] nie die Begeistrung des Dichters, der Schmuck der Rede und die süßen Laute der Schwermuth der Genauigkeit in der Darstellung physischer Erscheinungen hinderlich werden. Sie haben vielmehr, wie dies immer der Fall ist, wenn die Kunst aus ungetrübter Quelle schöpft, den belebenden Eindruck der Größe und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnachahmlich sind in Camoens die Schilderungen des ewigen Verkehrs zwischen Luft und Meer, zwischen der vielfach gestalteten Wolkendecke, ihren meteorologischen Processen und den verschiedenen Zuständen der Oberfläche des Oceans. Er zeigt uns diese Oberfläche, bald wenn milde Winde sie kräuseln und die kurzen Wellen im Spiel des zurückgeworfenen Lichtstrahls funkelnd leuchten, bald wenn Coelho's und Paul de Gama's Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tief aufgeregten Elemente ankämpfen.89 Camoens ist im eigentlichsten Sinne des Worts ein großer Seemaler. Als Kriegsmann hatte er gefochten an dem Fuße des Atlas im marokkanischen Gebiete, im rothen Meere und im persischen Meerbusen; zweimal hatte er das Cap umschifft und, mit tiefem Naturgefühl begabt, 16 Jahre lang an dem indischen und chinesischen Gestade alle Phänomene des Weltmeers belauscht. Er beschreibt das electrische St. Elmsfeuer (Castor und Pollur der alten griechischen Seefahrer), „das lebende Licht90 dem Seevolke heilig"; er beschreibt die gefahrdrohende Trombe in ihrer allmäligen Entwickelung: „wie der Dunst, aus feinem Duft gewoben, sich im Kreise dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Fluth dürstend aufpumpt; wie er, wenn das schwarze Gewölk sich satt gesogen, den Fuß des Trichters zurückzieht und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als süßes Wasser den Wogen [60] wiedergiebt, was die Trombe ihnen brausend entzogen."91 Die Schriftgelehrten, sagt der Dichter (und er sagt es fast auch zum Spott der jetzigen Zeit), die Schriftgelehrten mögen versuchen „der Welt verborgene Wunderdinge zu erklären, da, vom Geist allein und von der Wissenschaft geleitet, sie so gern für falsch ausgeben, was man aus dem Munde des Schiffers hört, dem einziger Leiter die Erfahrung ist."

Das naturbeschreibende Talent des begeisterten Dichters weilt aber nicht bloß bei den einzelnen Erscheinungen, es glänzt auch da, wo es große Massen auf einmal umfaßt. Der dritte Gesang schildert mit wenigen Zügen die Gestaltung von Europa92 vom kältesten Norden an bis „zum Lusitanenreiche und zu der Meerenge, wo Hercules sein letztes Werk gethan". Ueberall wird auf die Sitten und den Culturzustand der Völker angespielt, welche den vielgegliederten Welttheil bewohnen. Von den Preußen, Moscoviten und den Stämmen, »que o Rheno frio lava«, eilt er zu den herrlichen Auen von Hellas, »que creastes os peitos eloquentes, e os juizos de alta phantasia«. Im zehnten Gesange erweitert sich der Blick. Tethys führt den Gama auf einen hohen Berg, um ihm die Geheimnisse des Weltbaues (machina do mundo) und der Planeten Lauf (nach Ptolemäischen Ansichten) zu enthüllen.93 Es ist ein Traumgesicht im Styl des Dante; und da die Erde das Centrum des Bewegten bildet, so wird zuletzt bei Beschreibung des Erdglobus die ganze Kenntniß der damals erforschten Länder und ihrer Erzeugnisse dargelegt.94 Es gilt hier nicht mehr Europa allein zu schildern, wie früher im dritten Gesange, alle Erdtheile werden durchmustert; selbst [61] das Land des heiligen Kreuzes (Brasilien) und die Küsten werden genannt, die Magelhan entdeckte, „durch die That, aber nicht durch die Treue ein Sohn Lusitaniens".

Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweise als Seemaler rühmte, so war es um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur von etwas Anschaulichem über die tropische Vegetation und ihre physiognomische Gestaltung enthält. Nur die Arome und nützlichen Handelsproducte werden bezeichnet. Die Episode der Zauberinsel95 bietet freilich das reizendste Gemälde einer Landschaft dar; aber die Pflanzendecke ist gebildet, wie eine Ilha de Venus es erfordert, von „Myrten, dem Citrusbaume, duftenden Limonen und Granaten", alle dem Klima des südlichen Europa angeeignet. Bei dem größten der damaligen Seefahrer, Christoph Columbus, finden wir mehr Freude an den Küstenwäldern, mehr Aufmerksamkeit auf die Formen des Gewächsreiches; aber Columbus schreibt ein Reisejournal und verzeichnet in diesem die lebendigen Eindrücke jedes Tages, während das Epos des Camoens die Großthaten der Portugiesen verherrlicht. Pflanzennamen den Sprachen der Eingebornen zu entlehnen und sie in die Beschreibung einer Landschaft einzuflechten, in der, wie vor einem Hintergrund, die Handelnden sich bewegen, konnte den an harmonische Klänge gewöhnten Dichter wenig reizen.

Neben der ritterlichen Gestalt des Camoens hat man oft die eben so romantische eines spanischen Kriegers aufgestellt, der unter dem großen Kaiser in Peru und Chili diente und unter jenen fernen Himmelsstrichen die Thaten [62] besang, an denen er rühmlichst Theil genommen. In dem ganzen Epos der Araucana des Don Alonso de Ercilla hat die unmittelbare Anschauung, der Anblick mit ewigem Schnee bedeckter Vulkane, heißer Waldthäler und weit in das Land eindringender Meeresarme fast nichts hervorgebracht, was man darstellend nennen könnte. Das übermäßige Lob, das Cervantes, bei Gelegenheit der geistreich satirischen Bücherschau des Quixote, dem Ercilla gespendet, ist wohl nur durch leidenschaftliche Rivalität zwischen der spanischen und italiänischen Poesie hervorgerufen worden. Man möchte fast sagen, es habe Voltaire'n und viele neuere Kritiker irre geführt. Die Araucana ist allerdings ein Werk, welches ein edles Nationalgefühl durchdringt; die Schilderung der Sitten eines wilden Volksstammes, der im Kampf für die Freiheit des Vaterlandes erliegt, ist darin nicht ohne Leben: aber die Diction des Ercilla ist schleppend, mit Eigennamen überhäuft, ohne alle Spur dichterischer Begeisterung.96

Diese Begeisterung findet sich in mehreren Strophen des Romancero caballeresco97; in der religiösen Melancholie des Fray Luis de Leon, z. B. in seiner „heiteren Nacht", wenn er die ewigen Lichter (resplandores eternales) des gestirnten Himmels besingt98; und in den großen Schöpfungen des Calderon. „Als sich die Comödie der Spanier bis zu einer hohen Vollendung ausgearbeitet hatte", sagt der tiefste Forscher aller dramatischen Litteratur, mein edler Freund Ludwig Tieck, „finden wir oft beim Calderon und bei seinen Zeitgenossen, in romanzen- und canzonartigen Sylbenmaaßen, blendend schöne Schilderungen vom Meere, von Gebirgen, Gärten und waldigen Thälern: doch fast [63] immer mit allegorischen Beziehungen, und mit einem künstlichen Glanz übergossen, der uns nicht sowohl die freie Luft der Natur, die Wahrheit des Gebirges, die Schatten der Thäler fühlen läßt, als daß in harmonischen, wohlklingenden Versen eine geistvolle Beschreibung gegeben wird, die mit kleinen Nüancen immer wiederkehrt." In dem Schauspiel das Leben ein Traum (la vida es sueño) läßt Calderon den Prinzen Sigismund das Unglück seiner Gefangenschaft in anmuthigen Gegensätzen mit der Freiheit der ganzen organischen Natur beklagen. Es werden geschildert die Sitten der Vögel, „die im weiten Himmelsraume sich in raschen Flügen regen", die Fische, „welche, kaum aus Laich und Schlamm entsprossen, schon das weite Meer suchen, dessen Unendlichkeit ihnen bei ihren kecken Zügen nicht zu genügen scheint. Selbst dem Bache, der im Ringelgange zwischen Blüthen hingleitet, gewährt die Flur einen freien Pfad." Und ich, ruft Sigismund verzweiflungsvoll aus, der mehr Leben hat, soll bei freierem Geiste mich in mindre Freiheit fügen! Auf ähnliche Weise, aber auch oft durch Antithesen, witzige Gleichnisse und Künsteleien aus Gongora's Schule verunstaltet, spricht im standhaften Prinzen Don Fernando zum Könige von Fez.99 Wir erinneren an diese einzelnen Beispiele, weil sie zeigen, wie in der dramatischen Dichtung, die es vornehmlich mit Begebenheiten, Leidenschaften und Charakteren zu thun hat, „die Beschreibungen nur Abbildungen des Gemüths, der Stimmung der handelnden Personen werden. Shakespeare, der in dem Drang seiner bewegten Handlung fast nie Zeit und Gelegenheit hat sich auf Naturschilderungen geflissentlich einzulassen, malt durch Vorfälle, Andeu- [64] tungen und Gemüthsbewegung der Handelnden Landschaft und Natur, daß wir sie vor uns zu sehen glauben und in ihr zu leben scheinen. So leben wir in der Sommernacht im Walde, sehen wir in den letzten Scenen des Kaufmann von Venedig den Mondschein, welcher eine warme Sommernacht erhellt, ohne daß beide geschildert werden. Eine wirkliche Naturbeschreibung ist aber die der Dover-Klippe im König Lear, wo der sich wahnsinnig stellende Edgar seinem blinden Vater Gloster, auf der Ebene gehend, vorbildet, sie erstiegen die Klippe. Schwindelerregend ist die Schilderung des Blicks in die Tiefe von oben hinab."100

Wenn in Shakespeare innere Lebendigkeit der Gefühle und großartige Einfachheit der Sprache die Anschaulichkeit und den individuellen Naturausdruck so wundervoll beleben, so ist in Milton's erhabener Dichtung des verlornen Paradieses, dem Wesen einer solchen Composition nach, das Beschreibende mehr prachtvoll als darstellend. Der ganze Reichthum der Phantasie und der Sprache ist auf die Schilderung der blühenden Natur des Paradieses ausgegossen; aber hier wie in Thomson's lieblichem Lehrgedichte der Jahreszeiten hat die Schilderung der Vegetation nur in allgemeinen, unbestimmteren Umrissen entworfen werden können. Nach dem Urtheile tiefer Kenner der indischen Dichtkunst individualisirt zwar Kalidasa's ähnliches indisches Gedicht, Ritusanhara, das weit über anderthalbtausend Jahre älter ist, die kräftige Tropennatur mit größerer Lebendigkeit; es entbehrt aber der Anmuth, welche in Thomson aus der den höheren Breiten eignen vielfacheren Scheidung der Jahreszeiten, aus den Uebergängen des obstreichen Herbstes [65] zum Winter und des Winters zum wiederbelebenden Frühling, aus der Schilderung des arbeitsamen oder heiteren Treibens der Menschen in jedem Theile des Jahres entspringt.

Gehen wir zu der uns näheren Zeit über, so bemerken wir, daß seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sich vorzugsweise die darstellende Prosa in eigenthümlicher Kraft entwickelt hat. Wenn auch bei dem nach allen Seiten hin erweiterten Naturstudium die Masse des Erkannten übermäßig angewachsen ist, so hat sie darum doch nicht bei den Wenigen, die einer hohen Begeisterung fähig sind, die intellectuelle Anschauung unter dem materiellen Gewichte des Wissens erdrückt. Diese intellectuelle Anschauung (das Werk dichterischer Spontaneität) hat vielmehr selbst an Umfang und an Erhabenheit des Gegenstandes zugenommen, seitdem die Blicke tiefer in den Bau der Gebirge (der geschichteten Grabstätte untergegangener Organisationen), in die geographische Verbreitung der Thiere und Pflanzen, in die Verwandtschaft der Menschenstämme eingedrungen sind. So haben zuerst, durch Anregung der Einbildungskraft, mächtig auf die Belebung des Naturgefühls, den Contact mit der Natur und den davon unzertrennlichen Trieb zu fernen Reisen gewirkt: in Frankreich Jean Jacques Rousseau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und, um hier ausnahmsweise einen noch lebenden Schriftsteller zu nennen, mein vieljähriger Freund August von Chateaubriand; in den britischen Inseln der geistreiche Playfair; in Deutschland Cook's Begleiter auf seiner zweiten Weltumseglung, der beredte und dabei jeder Verallgemeinerung der Naturansicht glücklich zugewandte Georg Forster.

Es muß diesen Blättern fremd bleiben, zu untersuchen, [66] was jeden dieser Schriftsteller charakterisirt, was in ihren überall verbreiteten Werken den Schilderungen der Landschaft Reiz und Anmuth verleiht, was die Eindrücke stört, die sie hervorrufen wollten; aber einem Reisenden, welcher sein Wissen hauptsächlich der unmittelbaren Anschauung der Welt verdankt, wird es erlaubt sein hier einige zerstreute Betrachtungen über einen jüngeren und im ganzen wenig bearbeiteten Theil der Litteratur einzuschalten. Buffon, großartig und ernst, Planetenbau, Organisation, Licht und magnetische Kraft gleichzeitig umfassend, in physikalischen Untersuchungen weit gründlicher als es seine Zeitgenossen wähnten, ist, wenn er von den Sitten der Thiere zu der Beschreibung des Landschaftlichen übergeht, in kunstreichem Periodenbau, mehr rhetorisch pomphaft als individualisirend wahr, mehr zur Empfänglichkeit des Erhabenen stimmend als das Gemüth durch anschauliche Schilderung des wirklichen Naturlebens, gleichsam durch Anklang der Gegenwart, ergreifend. Man fühlt, selbst in den mit Recht bewunderten Versuchen dieser Art, daß er Mittel-Europa nie verließ, daß ihm die eigene Ansicht der Tropenwelt fehlt, die er zu beschreiben glaubt. Was wir aber besonders in den Werken dieses großen Schriftstellers vermissen, ist die harmonische Verknüpfung der Darstellung der Natur mit dem Ausdruck der angeregten Empfindung; es fehlt fast alles, was der geheimnißvollen Analogie zwischen den Gemüthsbewegungen und den Erscheinungen der Sinnenwelt entquillt.

Größere Tiefe der Gefühle und ein frischerer Lebensgeist athmen in Jean Jacques Rousseau, in Bernardin de St. Pierre und in Chateaubriand. Wenn ich hier der hinreißenden Beredsamkeit des ersten, der malerischen [67] Scenen von Clarens und Meillerie am Leman-See erwähne, so ist es, weil in den Hauptwerken des, wenig gelehrten, aber eifrigen Pflanzensammlers (sie sind um zwanzig Jahre älter als Buffon's phantasiereiche Weltepochen1) die Begeisterung sich hauptsächlich in der innersten Eigenthümlichkeit der Sprache offenbart, ja in der Prosa eben so überströmend ausbricht als in Klopstock's, Schiller's, Göthe's und Byron's unsterblichen Dichtungen. Auch da, wo nichts beabsichtigt wird, was unmittelbar an das Studium der Natur geknüpft ist, kann doch unsere Liebe zu diesem Studium durch den Zauber einer poetischen Darstellung des Naturlebens, sei es auch in den engsten, uns wohlbekannten Erdräumen, erhöht werden.

Indem wir zu den Prosaikern wieder zurückkehren, verweilen wir gern bei der kleinen Schöpfung, welcher Bernardin de St. Pierre den schöneren Theil seines litterarischen Ruhmes verdankt. Paul und Virginia, ein Werk, wie es kaum eine andere Litteratur aufzuweisen hat, ist das einfache Naturbild einer Insel mitten im tropischen Meere, wo, bald von der Milde des Himmels beschirmt, bald von dem mächtigen Kampf der Elemente bedroht, zwei anmuthvolle Gestalten in der wilden Pflanzenfülle des Waldes sich malerisch wie von einem blüthenreichen Teppich abheben. Hier und in der Chaumière indienne, ja selbst in den Études de la Nature, welche leider durch abenteuerliche Theorien und physikalische Irrthümer verunstaltet werden, sind der Anblick des Meeres, die Gruppirung der Wolken, das Rauschen der Lüfte in den Bambus-Gebüschen, das Wogen der hohen Palmengipfel mit unnachahmlicher Wahrheit geschildert. Bernardin de St. Pierre's Meisterwerk Paul und Virginia hat [68] mich in die Zone begleitet, der es seine Entstehung verdankt. Viele Jahre lang ist es von mir und meinem theuren Begleiter und Freunde Bonpland gelesen worden: dort nun (man verzeihe den Anruf an das eigene Gefühl) in dem stillen Glanze des südlichen Himmels, oder wenn in der Regenzeit, am Ufer des Orinoco, der Blitz krachend den Wald erleuchtete, wurden wir beide von der bewundernswürdigen Wahrheit durchdrungen, mit der in jener kleinen Schrift die mächtige Tropennatur in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit dargestellt ist. Ein solches Auffassen des Einzelnen, ohne dem Eindruck des Allgemeinen zu schaden, ohne dem zu behandelnden äußeren Stoffe die freie innere Belebung dichterischer Phantasie zu rauben, charakterisirt in einem noch höheren Grade den geistreichen und gefühlvollen Verfasser von Attala, René, der Märtyrer und der Reise nach Griechenland und Palästina. In seinen Schöpfungen sind alle Contraste der Landschaft in den verschiedenartigsten Erdstrichen mit wundervoller Anschaulichkeit zusammengedrängt. Die ernste Größe historischer Erinnerungen konnte allein den Eindrücken einer schnellen Reise Tiefe und Ruhe verleihen.

In unserm deutschen Vaterlande hat sich das Naturgefühl wie in der italiänischen und spanischen Litteratur nur zu lange in der Kunstform des Idylls, des Schäferromans und des Lehrgedichts offenbart. Auf diesem Wege wandelten oft der persische Reisende Paul Flemming, Brockes, der gefühlvolle Ewald von Kleist, Hagedorn, Salomon Geßner und einer der größten Naturforscher aller Zeiten, Haller, dessen locale Schilderungen wenigstens bestimmtere Umrisse und eine mehr objective Wahrheit des Colorits darbieten. Das elegisch-idyllische Element beherrschte damals eine schwermüthige Landschafts- [69] poesie, und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben, konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden.

Die älteren Reisenden des Mittelalters, wie John Mandeville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivetät, durch ihre Freiheit der Rede, durch die Sicherheit, mit welcher sie vor einem Publikum auftreten, das ganz unvorbereitet, und darum um so neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es sich noch nicht schämen gelernt hat ergötzt oder gar erstaunt zu scheinen. Das Interesse der Reisen war damals fast ganz dramatisch, ja die nothwendige und dazu so leichte Einmischung des Wunderbaren gab ihnen beinahe eine epische Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beschrieben als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Thieren werden zunächst die menschenähnlichen, dann die reißenden, gefahrbringenden mit besondrer Vorliebe beschrieben. Die Zeitgenossen des Reisenden glaubten noch [70] an alle Gefahren, die in solchen Klimaten Wenige unter ihnen getheilt; ja die Langsamkeit der Schiffahrt und der Mangel an Verbindungsmitteln ließ die indischen Länder (so nannte man die ganze Tropen-Zone) wie in einer unabsehbaren Ferne erscheinen. Columbus2 hatte noch nicht das Recht gehabt der Königinn Isabella zu schreiben: „die Erde ist nicht gar groß, viel kleiner denn das Volk es wähnt".

In Hinsicht auf Composition hatten demnach die vergessenen Reisen des Mittelalters, die wir hier schildern, bei aller Dürftigkeit des Materials viele Vorzüge vor unseren meisten neueren Reisen. Sie hatten die Einheit, welche jedes Kunstwerk erfordert: alles war an eine Handlung geknüpft, alles der Reisebegebenheit selbst untergeordnet. Das Interesse entstand aus der einfachen, lebendigen, meist für glaubwürdig gehaltenen Erzählung überwundener Schwierigkeiten. Christliche Reisende, unbekannt mit dem, was Araber, spanische Juden und buddhistische Missionare vor ihnen gethan, rühmten sich alles zuerst gesehen und beschrieben zu haben. Bei der Dunkelheit, in welche der Orient und Inner-Asien gehüllt erschienen, vermehrte die Ferne selbst die Größe einzelner Gestalten. Eine solche Einheit der Composition fehlt meist den neueren Reisen, besonders denen, welche wissenschaftliche Zwecke verfolgen. Die Handlung steht dann den Beobachtungen nach, sie verschwindet in der Fülle derselben. Nur mühselige, wenn gleich wenig belehrende Bergbesteigungen und vor allem kühne Seefahrten, eigentliche Entdeckungsreisen in wenig erforschten Meeren oder der Aufenthalt in der schauervollen Oede der beeisten Polarzone gewähren ein dramatisches Interesse, wie die Möglichkeit einer individualisirenden Darstellung. Die Einsamkeit [71] der Umgebung und die hülflose Abgeschiedenheit der Seefahrer isoliren dann das Bild und wirken um so anregender auf die Einbildungskraft.

Wenn es nun nach den vorliegenden Betrachtungen unläugbar ist, daß in den neueren Reisebeschreibungen das Element der Handlung in den Hintergrund tritt, daß sie der größeren Zahl nach nur ein Mittel geworden sind Natur- und Sitten-Beobachtungen der Zeitfolge nach an einander zu ketten, so bieten sie dagegen für diese theilweise Entfärbung einen vollen Ersatz durch den Reichthum des Beobachteten, die Größe der Weltansicht und das rühmliche Bestreben die Eigenthümlichkeit jeder vaterländischen Sprache zu anschaulichen Darstellungen zu benutzen. Was die neuere Cultur uns gebracht, ist die unausgesetzt fortschreitende Erweiterung unseres Gesichtskreises, die wachsende Fülle von Ideen und Gefühlen, die thätige Wechselwirkung beider. Ohne den heimathlichen Boden zu verlassen, sollen wir nicht bloß erfahren können, wie die Erdrinde in den entferntesten Zonen gestaltet ist, welche Thier- und Pflanzenformen sie beleben; es soll uns auch ein Bild verschafft werden, das wenigstens einen Theil der Eindrücke lebendig wiedergiebt, welche der Mensch in jeglicher Zone von der Außenwelt empfängt. Dieser Anforderung zu genügen, diesem Bedürfniß einer Art geistiger Freuden, welche das Alterthum nicht kannte, arbeitet die neuere Zeit; die Arbeit gelingt, weil sie das gemeinsame Werk aller gebildeten Nationen ist, weil die Vervollkommnung der Bewegungsmittel auf Meer und Land die Welt zugänglicher, ihre einzelnen Theile in der weitesten Ferne vergleichbarer macht.

Ich habe hier die Richtung zu bezeichnen versucht, in [72] welcher das Darstellungsvermögen des Beobachters, die Belebung des naturbeschreibenden Elements und die Vervielfältigung der Ansichten auf dem unermeßlichen Schauplatze schaffender und zerstörender Kräfte als Anregungs- und Erweiterungsmittel des wissenschaftlichen Naturstudiums auftreten können. Der Schriftsteller, welcher in unsrer vaterländischen Litteratur nach meinem Gefühle am kräftigsten und am gelungensten den Weg zu dieser Richtung eröffnet hat, ist mein berühmter Lehrer und Freund Georg Forster gewesen. Durch ihn begann eine neue Aera wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Völker- und Länderkunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühle begabt, in sich bewahrend die lebensfrischen Bilder, welche auf Tahiti und anderen, damals glücklicheren Eilanden der Südsee seine Phantasie (wie neuerlichst wieder die von Charles Darwin3) erfüllt hatten: schilderte Georg Forster zuerst mit Anmuth die wechselnden Vegetationsstufen, die klimatischen Verhältnisse, die Nahrungsstoffe in Beziehung auf die Gesittung der Menschen nach Verschiedenheit ihrer ursprünglichen Wohnsitze und ihrer Abstammung. Alles, was der Ansicht einer exotischen Natur Wahrheit, Individualität und Anschaulichkeit gewähren kann, findet sich in seinen Werken vereint. Nicht etwa bloß in seiner trefflichen Beschreibung der zweiten Reise des Capitän Cook, mehr noch in den kleinen Schriften liegt der Keim zu vielem Großen, das die spätere Zeit zur Reife gebracht hat.4 Aber auch dieses so edle, gefühlreiche, immer hoffende Leben durfte kein glückliches sein!

Hat man die Naturschilderungen, deren sich die neuere Zeit, vorzüglich in der deutschen, französischen, englischen [73] und nordamerikanischen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen „beschreibender Poesie und Landschaftsdichtung" tadelnd belegt, so bezeichnen diese Benennungen wohl nur den Mißbrauch, welcher vermeintlichen Grenzerweiterungen des Kunstgebietes schuld gegeben wird. Dichterische Beschreibungen von Naturerzeugnissen, wie sie am Ende einer langen und rühmlichen Laufbahn Delille geliefert, sind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunst und Metrik keinesweges als Naturdichtungen im höheren Sinne des Worts zu betrachten. Sie bleiben der Begeisterung und also dem poetischen Boden fremd, sind nüchtern und kalt, wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die sogenannte „beschreibende Poesie" als eine eigene für sich bestehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden ist, so trifft eine solche Mißbilligung gewiß nicht ein ernstes Bestreben die Resultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anschaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von andern durchwanderten Zone, ja ein Theil des Genusses verschafft werden kann, den die unmittelbare Naturanschauung gewährt? Die Araber sagen5 figürlich und sinnig, die beste Beschreibung sei die, „in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird". Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemüthlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat. Verirrungen dieser Art sind um so unerfreulicher, wenn der Styl aus Mangel litterarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit [74] aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet.

Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in anderen unbeschränkt läßt.

Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung, [75] nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphose der Gewächse wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt „des Weltalls heilige Räthsel zu lösen", das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo

Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,

Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?

[76]

II. Landschaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Naturstudiums — Graphische Darstellung der Physiognomik der Gewächse — Charakteristik ihrer Gestaltung unter verschiedenen Zonen.


Wie eine lebensfrische Naturbeschreibung, so ist auch die Landschaftmalerei geeignet die Liebe zum Naturstudium zu erhöhen. Beide zeigen uns die Außenwelt in ihrer ganzen gestaltenreichen Mannigfaltigkeit; beide sind fähig, nach dem Grade eines mehr oder minder glücklichen Gelingens in Auffassung der Natur, das Sinnliche an das Unsinnliche anzuknüpfen. Das Streben nach einer solchen Verknüpfung bezeichnet das letzte und erhabenste Ziel der darstellenden Künste. Diese Blätter sind durch den wissenschaftlichen Gegenstand, dem sie gewidmet sind, auf eine andere Ansicht beschränkt: es kann hier der Landschaftmalerei nur in der Beziehung gedacht werden, als sie den physiognomischen Charakter der verschiedenen Erdräume anschaulich macht, die Sehnsucht nach fernen Reisen vermehrt, und auf eine eben so lehrreiche als anmuthige Weise zum Verkehr mit der freien Natur anreizt.

In dem Alterthum, welches wir vorzugsweise das classische nennen, bei den Griechen und Römern, war nach der besonderen Geistesrichtung dieser Völker die Landschaftmalerei eben so wenig als die dichterische Schilderung einer Gegend ein für sich bestehendes Object der [77] Kunst. Beide wurden nur als Beiwerk behandelt. Anderen Zwecken untergeordnet, diente die Landschaftmalerei lange nur als Hintergrund historischer Compositionen oder als zufälliges Ornament in Wandgemälden. Auf eine ähnliche Weise versinnlichte der epische Dichter durch eine malerische Beschreibung der Landschaft — ich könnte wieder sagen des Hintergrundes, vor dem die handelnden Personen sich bewegen — das Local eines geschichtlichen Vorganges. Die Kunstgeschichte lehrt, wie allmälig das Beiwerk zur Hauptsache der Darstellung wurde; wie die Landschaftmalerei, von der historischen gesondert, als eine eigene Gattung auftrat; wie die menschlichen Gestalten bald nur als Staffage einer Berg- und Waldgegend, eines Seestrandes oder einer Gartenanlage gedient haben. Die Trennung zweier Gattungen, der Geschichts- und Landschaftmalerei, ist so, den allgemeinen Fortschritt der Kunst auf verschiedenen Bildungsstufen begünstigend, allmälig vorbereitet worden; und man hat mit Recht bemerkt, daß, wenn überhaupt bei den Alten die Malerei der Plastik untergeordnet blieb, insbesondere das Gefühl für die landschaftliche Schönheit, welche der Pinsel wiedergeben soll, kein antikes, sondern ein modernes Gefühl ist.

Graphische Andeutung von der Eigenthümlichkeit einer Gegend mußte sich allerdings schon in den ältesten Gemälden der Griechen finden, wenn, um einzelne Beispiele anzuführen, nach Herodot's6 Berichte Mandrokles von Samos für den großen Perserkönig den Uebergang des Heeres über den Bosporus darstellen ließ, oder wenn Polygnot7 in der Lesche zu Delphi den Untergang von Troja malte. Unter den Bildern, die der ältere Philostrat beschreibt, wird sogar [78] eine Landschaft erwähnt, in der man Rauch aus dem Gipfel eines Vulkans aufsteigen und Lavaströme sich in das nahe Meer ergießen sah. In dieser sehr verwickelten Composition einer Ansicht von sieben Inseln glauben die neuesten Commentatoren8 sogar die Darstellung einer wirklichen Gegend, die kleine äolische oder liparische Vulkangruppe, nördlich von Sicilien, zu erkennen. Die perspectivische Bühnenmalerei, durch welche die Aufführung der Meisterwerke des Aeschylus und Sophokles verherrlicht worden war, erweiterte allmälig diesen Theil des Kunstgebietes9, indem sie das Bedürfniß einer täuschenden Nachahmung lebloser Gegenstände (Baulichkeiten, Wald und Felsen) vermehrte.

Von der Bühne, durch die Vervollkommnung der Scenographie, ging die Landschaftmalerei bei den Griechen und den nachahmenden Römern in die durch Säulen gezierten Hallen über, wo lange Wandflächen erst mit eingeschränkten Naturscenen10, bald aber mit großen Prospecten von Städten, Seeufern und weiten Triften bedeckt wurden, auf denen Viehheerden weiden11. Solche anmuthige Wandverzierungen hatte in dem Augusteischen Zeitalter, nicht erfunden, aber allgemein beliebt gemacht12 und durch die Staffage kleiner Figuren erheitert13 der römische Maler Ludius. Fast zu derselben Zeit und wohl noch ein halbes Jahrhundert früher finden wir schon bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikramaditya der Landschaftmalerei als einer sehr geübten Kunst erwähnt. In dem reizenden Drama Sakuntala wird dem König Duschmanta das Bild seiner Geliebten gezeigt. Er ist nicht zufrieden damit, denn er will: „daß die Malerinn die Plätze abbilde, welche der Freundinn besonders lieb sind, den Malini-Fluß mit einer [79] Sandbank, auf der die rothen Flamingos stehen; eine Hügelkette, welche sich an den Himalaya anlehnt, und Gazellen auf dieser Hügelkette gelagert". Das sind Anforderungen nicht geringer Art; sie deuten wenigstens auf den Glauben an die Ausführbarkeit einer verwickelten Composition.

Seit den Cäsaren trat die Landschaftmalerei zu Rom als eine eigene abgesonderte Kunst auf; aber nach dem Vielen, was uns die Ausgrabungen von Herculaneum, Pompeji und Stabiä zeigen, waren diese Naturbilder oft nur landkartenähnliche Uebersichten der Gegend, wieder mehr Darstellung von Hafenstädten, Villen und Kunstgärten, als der freien Natur zugewandt. Den Griechen und Römern schien fast allein das gemächlich Bewohnbare anziehend in der Landschaft, nicht das, was wir wild und romantisch nennen. Die Nachahmung konnte genau sein, so weit eine oft störende Sorglosigkeit in der Perspective und ein Streben nach conventioneller Anordnung es erlaubten; ja die arabeskenartigen Compositionen, denen der strenge Vitruvius abhold war, vereinigten, rhythmisch wiederkehrend und genialisch aufgefaßt, Thier- und Pflanzengestalten: aber, um mich eines Ausspruchs von Otfried Müller zu bedienen14, „der ahndungsvolle Dämmerschein des Geistes, mit welchem die Landschaft uns anspricht, erschien den Alten nach ihrer Gemüthsrichtung jeder künstlerischen Ausbildung unfähig; ihre Landschaften waren mehr scherzhaft als mit Ernst und Gefühl entworfen."

Wir haben die Analogie des Entwickelungsganges bezeichnet, auf dem im classischen Alterthume zwei Mittel die Natur anschaulich darzustellen, durch die Sprache (das begeisterte Wort) und durch graphische Nachbildungen, [80] allmälig zu einiger Selbstständigkeit gelangt sind. Was uns die, neuerlichst so glücklich fortgesetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker Landschaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchst wahrscheinlich einer einzigen und zwar sehr kurzen Zeitepoche15 von Nero bis Titus an; denn die Stadt war 16 Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Vesuvs schon einmal durch Erdbeben gänzlich zerstört worden.

Die spätere christliche Malerei blieb nach ihrem Kunstcharakter, von Constantin dem Großen an bis zu dem Anfange des Mittelalters, der ächt griechischen und römischen nahe verwandt. Es offenbart uns dieselbe einen Schatz von alten Erinnerungen sowohl in den Miniaturen16, welche prachtvolle und wohlerhaltene Manuscripte zieren, wie in den seltneren Mosaiken derselben Epochen. Rumohr gedenkt eines Psalmen-Manuscripts in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur „David die Harfe schlägt, von einem anmuthigen Haine umgeben, aus dessen Gezweige Nymphen hervorlauschen. Diese Personification deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes." Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politisch zerrüttet war, bewahrte vorzugsweise die byzantinische Kunst im östlichen Reiche den Nachklang und die schwer verlöschenden Typen einer besseren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des späteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Ausschmückung der Manuscripte sich aus dem griechischen Orient nach den Abendländern und dem Norden, in die fränkische Monarchie, unter den Angelsachsen und in die Niederlande verbreitet hatte. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte [81] der neueren Kunst, „daß die berühmten Brüder Hubert und Johann van Eyck dem Wesentlichen nach aus einer Schule der Miniaturmaler hervorgegangen sind, welche seit der zweiten Hälfte des 14ten Jahrhunderts in Flandern eine so große Vollkommenheit erlangt hatte."17

Sorgfältige Ausbildung des Landschaftlichen findet sich nämlich zuerst in den historischen Bildern dieser Brüder van Eyck. Beide haben nie Italien gesehen; aber der jüngere Bruder Johann genoß den Anblick einer südeuropäischen Vegetation, als er im Jahr 1428 die Gesandtschaft begleitete, welche der Herzog von Burgund Philipp der Gute wegen seiner Bewerbung um die Tochter König Johanns I von Portugal nach Lissabon schickte. Wir besitzen hier in dem Museum zu Berlin die Flügel des herrlichen Bildes, welches die eben genannten Künstler, die eigentlichen Begründer der großen niederländischen Malerschule, für die Cathedralkirche zu Gent angefertigt hatten. Auf den Flügeln, welche die heiligen Einsiedler und Pilger darstellen, hat Johann van Eyck die Landschaft durch Orangenbäume, Dattelpalmen und Cypressen geschmückt, die äußerst naturgetreu über andere dunkele Massen einen ernsten, erhabenen Charakter verbreiten. Man fühlt bei dem Anblick des Bildes, daß der Maler selbst den Eindruck einer Vegetation empfangen hat, die von lauen Lüften umweht ist.

Bei dem Meisterwerke der Gebrüder van Eyck stehen wir noch in der ersten Hälfte des 15ten Jahrhunderts, als die vervollkommnete Oelmalerei eben erst angefangen hatte die Malerei in Tempera zu verdrängen und doch schon eine hohe technische Vollendung erlangt hatte. Das Streben nach einer lebendigen Darstellung der Naturformen war [82] erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyckschen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben18. Die Bestrebungen dieser Zeit waren auf eine sorgsame, aber meist ängstliche Nachahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erscheint diese erst in den Meisterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt viele Jahre lang im Pariser Museum das Gemälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenser im Walde überfallenen Petrus Martyr19 in Gegenwart eines anderen Dominicanermönches darstellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubung, die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen lassen einen feierlichen Eindruck von Ernst und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus einfache landschaftliche Composition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildnissen schöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Gestalt der Dresdner Venus, sondern auch in den Bildnissen strengerer Auffassung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino, sei es der Landschaft, sei es dem Himmel einen der individuellen Darstellung entsprechenden Charakter gab. Einem solchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneser Schule Annibal Carracci und Domenichino.

War aber die große Kunstepoche der Historienmalerei [83] das cinquecento, so ist die Epoche der größten Landschafter das 17te Jahrhundert. Bei dem immer mehr erkannten und sorgsamer beobachteten Reichthum der Natur konnte das Kunstgefühl sich über eine größere Mannigfaltigkeit von Gegenständen verbreiten; auch vermehrte sich zugleich die Vollkommenheit der technischen Darstellungsmittel. Beziehungen auf die Stimmung des Gemüths wurden inniger, und durch sie erhöhte sich der zarte und milde Ausdruck des Naturschönen, wie der Glaube an die Macht, mit welcher die Sinnenwelt uns anregen kann. Wenn diese Anregung, dem erhabenen Zwecke aller Kunst gemäß, die wirklichen Gegenstände in ein Object der Phantasie verwandelt, wenn sie harmonisch in unserm Inneren den Eindruck der Ruhe erzeugt, so ist der Genuß nicht ohne Rührung; sie ergreift das Herz, so oft wir in die Tiefen der Natur oder der Menschheit blicken.20 In ein Jahrhundert finden wir zusammengedrängt Claude Lorrain, den idyllischen Maler des Lichts und der duftigen Ferne, Ruysdael's dunkele Waldmassen und sein drohendes Gewölk, die heroischen Baumgestalten von Gaspard und Nicolaus Poussin, die naturwahren Darstellungen von Everdingen, Hobbema und Cuyp.21

In dieser glücklichen Entwicklungsperiode der Kunst ahmte man geistreich nach, was die Vegetation des Nordens von Europa, was das südliche Italien und die iberische Halbinsel darboten. Man schmückte die Landschaft mit Orangen- und Lorbeerbäumen, mit Pinien und Dattelpalmen. Die letzten (das einzige Glied dieser herrlichen Familie, das man außer der kleinen ursprünglich europäischen Strandpalme, Chamaerops. durch eigenen Anblick kannte) wurden meist conventionell mit schlangenartig schuppigem Stamme [84] dargestellt;22 sie dienten lange zum Repräsentanten der ganzen Tropen-Vegetation, wie Pinus pinea nach einem noch sehr verbreiteten Glauben die Vegetation Italiens ausschließlich charakterisiren soll. Die Umrisse hoher Gebirgsketten wurden wenig studirt; ja Schneegipfel, welche sich über grüne Alpenwiesen erheben, wurden damals noch von Naturforschern und Landschaftmalern für unerreichbar gehalten. Die Physiognomik der Felsmassen reizte fast nur da zu einer genaueren Nachbildung an, wo der Gießbach sich schäumend und furchend eine Bahn gebrochen hat. Auch hier ist wieder die Vielseitigkeit eines freien, sich in die ganze Natur versenkenden künstlerischen Geistes zu bezeichnen. Ein Geschichtsmaler, derselbe Rubens, der in seinen großen Jagdstücken das wilde Treiben der Waldthiere mit unnachahmlicher Lebendigkeit geschildert hat, faßte beinahe gleichzeitig die Gestaltung des Erdreichs in der dürren, gänzlich öden, felsigen Hochebene des Escorials mit seltenem Glücke landschaftlich auf.23

Die Darstellung individueller Naturformen, den Theil der Kunst berührend, welcher der eigentliche Gegenstand dieser Blätter ist, konnte an Mannigfaltigkeit und Genauigkeit erst dann zunehmen, als der geographische Gesichtskreis erweitert, das Reisen in ferne Klimate erleichtert und der Sinn für die relative Schönheit und Gliederung der vegetabilischen Gestalten, wie sie in Gruppen natürlicher Familien vertheilt sind, angeregt wurden. Die Entdeckungen von Columbus, Vasco de Gama und Alvarez Cabral in Mittel-Amerika, Süd-Asien und Brasilien, der ausgebreitete Specerei- und Droguen-Handel der Spanier, Portugiesen, Italiäner und Niederländer, die Gründung botanischer, [85] aber noch nicht mit eigentlichen Treibhäusern versehener Gärten in Pisa, Padua und Bologna zwischen 1544 und 1568 machten die Maler allerdings mit vielen wunderbaren Formen exotischer Producte, selbst mit denen der Tropenwelt, bekannt. Einzelne Früchte, Blüthen und Zweige wurden von Johann Breughel, dessen Ruhm schon am Ende des 16ten Jahrhunderts begann, mit anmuthiger Naturtreue dargestellt; aber es fehlte bis kurz vor der Mitte des 17ten Jahrhunderts an Landschaften, welche den individuellen Charakter der heißen Zone, von dem Künstler selbst an Ort und Stelle aufgefaßt, wiedergeben konnten. Das erste Verdienst einer solchen Darstellung gehört wahrscheinlich, wie mich Waagen belehrt, dem niederländischen Maler Franz Post aus Harlem, der den Prinzen Moritz von Nassau nach Brasilien begleitete, wo dieser, mit den Erzeugnissen der Tropenwelt lebhaft beschäftigte Fürst in den Jahren 1637 bis 1644 holländischer Statthalter in den eroberten portugiesischen Besitzungen war. Post machte viele Jahre lang Studien nach der Natur am Vorgebirge San Augustin, in der Bucht Aller Heiligen, an den Ufern des Rio San Francisco und am unteren Laufe des Amazonenstroms.24 Diese Studien wurden von ihm selbst theils als Gemälde ausgeführt, theils mit vielem Geiste radirt. Zu derselben Zeit gehören die in Dänemark (in einer Gallerie des schönen Schlosses Frederiksborg) aufbewahrten sehr ausgezeichneten großen Oelbilder des Malers Eckhout, der 1641 sich ebenfalls mit Prinz Moritz von Nassau an der brasilianischen Küste befand. Palmen, Melonenbäume, Bananen und Heliconien sind überaus charakteristisch abgebildet: auch die Gestalten der Eingeborenen, buntgefiederte Vögel und kleine Quadrupeden.

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Solchen Beispielen physiognomischer Naturdarstellung sind bis zu Cook's zweiter Weltumseglung wenige begabte Künstler gefolgt. Was Hodges für die westlichen Inseln der Südsee, was unser verewigter Landsmann Ferdinand Bauer für Neu-Holland und Van Diemens Land geleistet, haben in den neuesten Zeiten in viel größerem Style und mit höherer Meisterschaft für die amerikanische Tropenwelt Moritz Rugendas, der Graf Clarac, Ferdinand Bellermann und Eduard Hildebrandt, für viele andere Theile der Erde Heinrich von Kittlitz, der Begleiter des russischen Admirals Lütke auf seiner Weltumseglung, gethan.25

Wer, empfänglich für die Naturschönheit von Berg-, Fluß- und Waldgegenden, die heiße Zone selbst durchwandert ist, wer Ueppigkeit und Mannigfaltigkeit der Vegetation nicht etwa bloß an den bebauten Küsten, sondern am Abhange der schneebedeckten Andes, des Himalaya und des mysorischen Nilgherry-Gebirges, oder in den Urwäldern des Flußnetzes zwischen dem Orinoco und Amazonenstrom gesehen hat; der allein kann fühlen, welch ein unabsehbares Feld der Landschaftmalerei zwischen den Wendekreisen beider Continente oder in der Inselwelt von Sumatra, Borneo und der Philippinen zu eröffnen ist, wie das, was man bisher geistreiches und treffliches geleistet, nicht mit der Größe der Naturschätze verglichen werden kann, deren einst noch die Kunst sich zu bemächtigen vermag. Warum sollte unsere Hoffnung nicht gegründet sein, daß die Landschaftmalerei zu einer neuen, nie gesehenen Herrlichkeit erblühen werde, wenn hochbegabte Künstler öfter die engen Grenzen des Mittelmeers überschreiten können, wenn es ihnen gegeben sein wird, fern von der Küste, [87] mit der ursprünglichen Frische eines reinen jugendlichen Gemüthes, die vielgestaltete Natur in den feuchten Gebirgsthälern der Tropenwelt lebendig aufzufassen?

Jene herrlichen Regionen sind bisher meist nur von Reisenden besucht worden, denen Mangel an früher Kunstbildung und anderweitige wissenschaftliche Beschäftigung wenig Gelegenheit gaben sich als Landschaftmaler zu vervollkommnen. Die Wenigsten von ihnen wußten bei dem botanischen Interesse, welches die individuelle Form der Blüthen und Blätter erregte, den Totaleindruck der tropischen Zone aufzufassen. Oft wurden die Künstler, welche große auf Kosten des Staats ausgerüstete Expeditionen begleiten sollten, wie durch Zufall gewählt, und dann unvorbereiteter befunden, als es eine solche Bestimmung erheischt. Das Ende der Reise nahete dann heran, wenn die Talentvolleren unter ihnen, durch den langen Anblick großer Naturscenen und durch häufige Versuche der Nachbildung, eben angefangen hatten eine gewisse technische Meisterschaft zu erlangen. Auch sind die sogenannten Weltumseglungen wenig geeignet den Künstler in ein eigentliches Waldland oder zu dem oberen Laufe großer Flüsse, und auf den Gipfel innerer Gebirgsketten zu führen.

Skizzen, in Angesicht der Naturscenen gemalt, können allein dazu leiten den Charakter ferner Weltgegenden, nach der Rückkehr, in ausgeführten Landschaften wiederzugeben; sie werden es um so vollkommner thun, als neben denselben der begeisterte Künstler zugleich eine große Zahl einzelner Studien von Baumgipfeln, wohlbelaubten, blüthenreichen, fruchtbehangenen Zweigen, von umgestürzten Stämmen, die mit Pothos und Orchideen bedeckt sind, von [88] Felsen, Uferstücken und Theilen des Waldbodens nach der Natur in freier Luft gezeichnet oder gemalt hat. Der Besitz solcher, in recht bestimmten Umrissen entworfenen Studien kann dem Heimkehrenden alle mißleitende Hülfe von Treibhaus-Gewächsen und sogenannten botanischen Abbildungen entbehrlich machen.

Eine große Weltbegebenheit, die Unabhängigkeit des spanischen und portugiesischen Amerika's von europäischer Herrschaft, die zunehmende Cultur in Indien, Neu-Holland, den Sandwich-Inseln und den südlichen Colonien von Afrika werden unausbleiblich, nicht der Meteorologie und beschreibenden Naturkunde allein, sondern auch der Landschaftmalerei einen neuen, großartigen Charakter und einen Schwung geben, den sie ohne diese Localverhältnisse nicht erreichen würden. In Südamerika liegen volkreiche Städte fast bis zu 13000 Fuß Höhe über der Meeresfläche. Von da hinab bieten sich dem Auge alle klimatischen Abstufungen der Pflanzenformen dar. Wie viel ist nicht von malerischen Studien der Natur zu erwarten, wenn, nach geendigtem Bürgerzwiste und hergestellten freien Verfassungen, endlich einmal Kunstsinn in jenen Hochländern erwacht!

Alles, was sich auf den Ausdruck der Leidenschaften, auf die Schönheit menschlicher Form bezieht, hat in der temperirten nördlichen Zone, unter dem griechischen und hesperischen Himmel, seine höchste Vollendung erreichen können; aus den Tiefen seines Gemüths wie aus der sinnlichen Anschauung des eigenen Geschlechts ruft, schöpferisch frei und nachbildend zugleich, der Künstler die Typen historischer Darstellungen hervor. Die Landschaftmalerei, welche eben so wenig bloß nachahmend ist, hat ein mehr materielles [89] Substratum, ein mehr irdisches Treiben. Sie bedarf einer großen Masse und Mannigfaltigkeit unmittelbar sinnlicher Anschauung, die das Gemüth in sich aufnehmen und, durch eigene Kraft befruchtet, den Sinnen wie ein freies Kunstwerk wiedergeben soll. Der große Styl der heroischen Landschaft ist das Ergebniß einer tiefen Naturauffassung und jenes inneren geistigen Processes.

Allerdings ist die Natur in jedem Winkel der Erde ein Abglanz des Ganzen. Die Gestalten des Organismus wiederholen sich in anderen und anderen Verbindungen. Auch der eisige Norden erfreut sich Monate lang der krautbedeckten Erde, großblüthiger Alpenpflanzen und milder Himmelsbläue. Nur mit den einfacheren Gestalten der heimischen Floren vertraut, darum aber nicht ohne Tiefe des Gefühls und Fülle schöpferischer Einbildungskraft, hat bisher unter uns die Landschaftmalerei ihr anmuthiges Werk vollbracht. Bei dem Vaterländischen und dem Eingebürgerten des Pflanzenreichs verweilend, hat sie einen engeren Kreis durchlaufen; aber auch in diesem fanden hochbegabte Künstler, die Carracci, Gaspard Poussin, Claude Lorrain und Ruysdael Raum genug, um durch Wechsel der Baumgestalten und der Beleuchtung die glücklichsten und mannigfaltigsten Schöpfungen zauberisch hervorzurufen. Was die Kunst noch zu erwarten hat und worauf ich hindeuten mußte, um an den alten Bund des Naturwissens mit der Poesie und dem Kunstgefühl zu erinnern, wird den Ruhm jener Meisterwerke nicht schmälern; denn, wie wir schon oben bemerkt, in der Landschaftmalerei und in jedem anderen Zweige der Kunst ist zu unterscheiden zwischen dem, was beschränkterer Art die sinnliche Anschauung und die unmittelbare Beobachtung erzeugt, [90] und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf), ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen.

Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse26 mitgetheilt habe, Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Localphänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres, als von der iberischen Halbinsel, [91] von Süd-Italien und Griechenland gegen die Tropenwelt zu. Ungleich ist der Teppich gewebt, den die blüthenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet: dichter, wo die Sonne höher an dem dunkel-reinen oder von lichtem Gewölk umflorten Himmel emporsteigt; lockerer gegen den trüben Norden hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhascht. Wenn in der kalten Zone die Baumrinde mit dürren Flechten oder mit Laubmoosen bedeckt ist, so beleben, in der Zone der Palmen und der feingefiederten baumartigen Farren, Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und riesenmäßiger Ficus-Arten. Das frische Grün der Dracontien und der tief eingeschnittenen Pothosblätter contrastirt mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen; rankende Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien umschlingen, weit und hoch durch die Lüfte steigend, den Stamm der Waldbäume; zarte Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der Theobromen wie aus der dichten und rauhen Rinde der Crescentien und der Gustavia. Bei dieser Fülle von Blüthen und Blättern, bei diesem üppigen Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse wird es oft dem Naturforscher schwer zu erkennen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören; ja ein einzelner Baum, mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geschmückt, bietet eine Fülle von Pflanzen dar, die, von einander getrennt, einen beträchtlichen Flächenraum bedecken würden.

Aber jedem Erdstrich sind eigene Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und erhabene Größe der Pflanzengestalten, dem Norden der Anblick der Wiesen [92] und das periodische, langersehnte Wiedererwachen der Natur beim ersten Wehen milder Frühlingslüfte. So wie in den Musaceen (Pisanggewächsen) die höchste Ausdehnung, so ist in den Casuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypressen bilden eine nordische Form, welche in den ebenen Gegenden der Tropen sehr selten ist. Ihr ewig frisches Grün erheitert die öde Winterlandschaft; es verkündet gleichsam den nordischen Völkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen wie das prometheische Feuer nie auf unserem Planeten erlischt.

Jede Vegetationszone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter, ruft andere Eindrücke in uns hervor. Wer fühlt sich nicht, um an uns nahe vaterländische Pflanzenformen zu erinnern, anders gestimmt in dem dunklen Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit einzelnen Tannen bekränzt sind, und auf der weiten Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birken säuselt? So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt, wie beschreibende Botanik und Zoologie im engeren Sinne des Worts Zergliederung der Thier- und Pflanzenformen sind, so giebt es auch eine gewisse Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt. Was der Künstler mit den Ausdrücken: Schweizernatur, italiänischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl eines localen Naturcharakters. Himmelsbläue, Wolkengestaltung, Duft, der auf der Ferne ruht, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge sind die Elemente, welche den Totaleindruck einer Gegend bestimmen. Diesen aufzufassen [93] und anschaulich wiederzugeben ist die Aufgabe der Landschaftmalerei. Dem Künstler ist es verliehen die Gruppen zu zergliedern, und unter seiner Hand löst sich (wenn ich den figürlichen Ausdruck wagen darf) das große Zauberbild der Natur, gleich den geschriebenen Werken der Menschen, in wenige einfache Züge auf.

Aber auch in dem jetzigen unvollkommenen Zustande bildlicher Darstellungen der Landschaft, die unsere Reiseberichte als Kupfer begleiten, ja nur zu oft verunstalten, haben sie doch nicht wenig zur physiognomischen Kenntniß ferner Zonen, zu dem Hange nach Reisen in die Tropenwelt und zu thätigerem Naturstudium beigetragen. Die Vervollkommnung der Landschaftmalerei in großen Dimensionen (als Decorationsmalerei, als Panorama, Diorama und Neorama) hat in neueren Zeiten zugleich die Allgemeinheit und die Stärke des Eindrucks vermehrt. Was Vitruvius und der Aegyptier Julius Pollux als „ländliche (satyrische) Verzierungen der Bühne" schildern, was in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, durch Serlio's Coulissen-Einrichtungen, die Sinnestäuschung vermehrte, kann jetzt, seit Prevost's und Daguerre's Meisterwerken, in Parker'schen Rundgemälden, die Wanderung durch verschiedenartige Klimate fast ersetzen. Die Rundgemälde leisten mehr als die Bühnentechnik, weil der Beschauer, wie in einen magischen Kreis gebannt und aller störenden Realität entzogen, sich von der fremden Natur selbst umgeben wähnt. Sie lassen Erinnerungen zurück, die nach Jahren sich vor der Seele mit den wirklich gesehenen Naturscenen wundersam täuschend vermengen. Bisher sind Panoramen, welche nur wirken, wenn sie einen großen [94] Durchmesser haben, mehr auf Ansichten von Städten und bewohnten Gegenden als auf solche Scenen angewendet worden, in denen die Natur in wilder Ueppigkeit und Lebensfülle prangt. Physiognomische Studien, an den schroffen Berggehängen des Himalaya und der Cordilleren oder in dem Inneren der indischen und südamerikanischen Flußwelt entworfen, ja durch Lichtbilder berichtigt, in denen nicht das Laubdach, aber die Form der Riesenstämme und der charakteristischen Verzweigung sich unübertrefflich darstellt, würden einen magischen Effect hervorbringen.

Alle diese Mittel, deren Aufzählung recht wesentlich in ein Buch vom Kosmos gehört, sind vorzüglich geeignet die Liebe zum Naturstudium zu erhöhen; ja die Kenntniß und das Gefühl von der erhabenen Größe der Schöpfung würden kräftig vermehrt werden, wenn man in großen Städten neben den Museen, und wie diese dem Volke frei geöffnet, eine Zahl von Rundgebäuden aufführte, welche wechselnd Landschaften aus verschiedenen geographischen Breiten und aus verschiedenen Höhezonen darstellten. Der Begriff eines Naturganzen, das Gefühl der Einheit und des harmonischen Einklanges im Kosmos werden um so lebendiger unter den Menschen, als sich die Mittel vervielfältigen die Gesammtheit der Naturerscheinungen zu anschaulichen Bildern zu gestalten.


[95]

III. Cultur von Tropengewächsen — Contrastirende Busammenstellung der Pflanzengestalten — Eindruck des physiognomischen Charakters der Vegetation, so weit Pflanzungen diesen Eindruck hervorbringen können.


Die Wirkung der Landschaftmalerei ist, trotz der Vervielfältigung ihrer Erzeugnisse durch Kupferstiche und durch die neueste Vervollkommnung der Lithographie, doch beschränkter und minder anregend als der Eindruck, welchen der unmittelbare Anblick exotischer Pflanzengruppen in Gewächshäusern und freien Anlagen auf die für Naturschönheit empfänglichen Gemüther macht. Ich habe mich schon früher auf meine eigene Jugenderfahrung berufen; ich habe daran erinnert, wie der Anblick eines colossalen Drachenbaums und einer Fächerpalme in einem alten Thurme des botanischen Gartens bei Berlin den ersten Keim unwiderstehlicher Sehnsucht nach fernen Reisen in mich gelegt hatte. Wer ernst in seinen Erinnerungen zu dem hinaufsteigen kann, was den ersten Anlaß zu einer ganzen Lebensbestimmung gab, wird diese Macht sinnlicher Eindrücke nicht verkennen.

Ich unterscheide hier den pittoresken Eindruck der Pflanzengestaltung von den Hülfsmitteln des anschaulichen botanischen Studiums; ich unterscheide Pflanzengruppen, die durch Größe und Masse sich auszeichnen (an einander gedrängte Gruppen von Pisang und Heliconien, abwechselnd [96] mit Corypha-Palmen, Araucarien und Mimosaceen; moosbedeckte Stämme, aus denen Dracontien, feinlaubige Farnkräuter und blüthenreiche Orchideen hervorsprossen), von der Fülle einzeln stehender niederer Kräuter, welche familienweise in Reihen zum Unterricht in der beschreibenden und systematischen Botanik cultivirt werden. Dort ist die Betrachtung vorzugsweise geleitet auf die üppige Entwickelung der Vegetation in Cecropien, Carolineen und leichtgefiederten Bambusen; auf die malerische Zusammenstellung großer und edler Formen, wie sie den oberen Orinoco oder die von Martius und Eduard Pöppig so naturwahr beschriebenen Waldufer des Amazonenflusses und des Huallaga schmücken; auf die Eindrücke, welche das Gemüth mit Sehnsucht nach den Ländern erfüllen, in denen der Strom des Lebens reicher fließt und deren Herrlichkeit unsere Gewächshäuser (einst Krankenanstalten für halbbelebte gährende Pflanzenstoffe) in schwachem, doch freudigem Abglanze darbieten.

Der Landschaftmalerei ist es allerdings gegeben ein reicheres, vollständigeres Naturbild zu liefern, als die künstlichste Gruppirung cultivirter Gewächse es zu thun vermag. Die Landschaftmalerei gebietet zauberisch über Masse und Form. Fast unbeschränkt im Raume, verfolgt sie den Saum des Waldes bis in den Duft der Ferne; sie stürzt den Bergstrom herab von Klippe zu Klippe, und ergießt das tiefe Blau des tropischen Himmels über die Gipfel der Palmen wie über die wogende, den Horizont begrenzende Grasflur. Die Beleuchtung und die Färbung, welche das Licht des dünnverschleierten oder reinen Himmels unter den Wendekreisen über alle irdischen Gegenstände [97] verbreitet, giebt der Landschaftmalerei, wenn es dem Pinsel gelingt diesen milden Lichteffect nachzuahmen, eine eigenthümliche, geheimnißvolle Macht. Bei tiefer Kenntniß von dem Wesen des griechischen Trauerspiels hat man sinnig den Zauber des Chors in seiner allvermittelnden Wirkungsweise mit dem Himmel in der Landschaft verglichen.27

Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote steht, um die Phantasie anzuregen und die großartigsten Erscheinungen von Meer und Land gleichsam auf einen kleinen Raum zu concentriren, ist unseren Pflanzungen und Gartenanlagen versagt; aber wo in diesen der Totaleindruck des Landschaftlichen geringer ist, entschädigen sie im einzelnen durch die Herrschaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhause von Loddiges oder in dem der Pfaueninsel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unseres edlen, hingeschiedenen Monarchen) von dem hohen Altane bei heller Mittagssonne auf die Fülle schilf- und baumartiger Palmen herabblickt, so ist man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man sich befindet, vollkommen getäuscht. Man glaubt unter dem Tropen-Klima selbst, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüsch zu sehen. Man entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren Intensität des Lichtes; dennoch ist die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illusion größer als bei dem vollkommensten Gemälde. Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauschen der fächerartigen Blätter, man sieht ihre wechselnd schwindende Erleuchtung, wenn, von kleinen Luftströmen sanft bewegt, die Palmengipfel [98] wogend einander berühren. So groß ist der Reiz, den die Wirklichkeit gewähren kann, wenn auch die Erinnerung an die künstliche Treibhaus-Pflege wiederum störend einwirkt. Vollkommenes Gedeihen und Freiheit sind unzertrennliche Ideen auch in der Natur; und für den eifrigen, vielgereisten Botaniker haben die getrockneten Pflanzen eines Herbariums, wenn sie auf den Cordilleren von Südamerika oder in den Ebenen Indiens gesammelt wurden, oft mehr Werth als der Anblick derselben Pflanzenart, wenn sie einem europäischen Gewächshause entnommen ist. Die Cultur verwischt etwas von dem ursprünglichen Naturcharakter: sie stört in der gefesselten Organisation die freie Entwickelung der Theile.

Die physiognomische Gestaltung der Gewächse und ihre contrastirende Zusammenstellung ist aber nicht bloß ein Gegenstand des Naturstudiums oder ein Anregungsmittel zu demselben; die Aufmerksamkeit, welche man der Pflanzenphysiognomik schenkt, ist auch von großer Wichtigkeit für die Landschaft-Gärtnerei, d. h. für die Kunst eine Garten-Landschaft zu componiren. Ich widerstehe der Versuchung, in dieses, freilich sehr nahe gelegene Feld überzuschweifen, und begnüge mich hier nur in Erinnerung zu bringen, daß, wie wir bereits in dem Anfange dieser Abhandlung Gelegenheit fanden die häufigeren Ausbrüche eines tiefen Naturgefühls bei den semitischen, indischen und iranischen Völkern zu preisen, so uns auch die Geschichte die frühesten Parkanlagen im mittleren und südlichen Asien zeige. Semiramis hatte am Fuß des Berges Bagistanos Gärten anlegen lassen, welche Diodor beschreibt28 und deren Ruf Alexander, auf seinem Zuge von Kelonä nach den Nysäischen [99] Pferdeweiden, veranlaßte sich von dem geraden Wege zu entfernen. Die Parkanlagen der persischen Könige waren mit Cypressen geschmückt, deren obeliskenartige Gestalt an Feuerflammen erinnerte und die deshalb nach der Erscheinung des Zerduscht (Zoroaster) zuerst von Guschtasp um das Heiligthum der Feuertempel gepflanzt wurden. So leitete die Baumform selbst auf die Mythe von dem Ursprunge der Cypresse aus dem Paradiese.29 Die asiatischen irdischen Paradiese (παράδεισοι) hatten schon früh einen Ruf in den westlichen Ländern;30 ja der Baumdienst steigt bei den Iraniern bis zu den Vorschriften des Hom, des im Zend-Avesta angerufenen Verkünders des alten Gesetzes, hinauf. Man kennt aus Herodot die Freude, welche Xerxes noch an der großen Platane in Lydien hatte31, die er mit goldenem Schmuck beschenkte und der er in der Person eines der „zehntausend Unsterblichen" einen eigenen Wächter gab. Die uralte Verehrung der Bäume hing, wegen des erquickenden und feuchten Schattens eines Laubdaches, mit dem Dienste der heiligen Quellen zusammen.

In einen solchen Kreis des ursprünglichen Naturdienstes gehören bei den hellenischen Völkern der Ruf des wundergroßen Palmbaums auf Delos wie der einer alten Platane in Arcadien. Die Buddhisten auf Ceylon verehren den colossalen indischen Feigenbaum (Banyane) von Anurahdepura. Es soll derselbe aus Zweigen des Urstammes entsprossen sein, unter welchem Buddha, als Bewohner des alten Magadha, in Seligkeit (Selbstverlöschung, nirwâna) versunken war.32 So wie einzelne Bäume wegen ihrer schönen Gestalt ein Gegenstand der Heiligung waren, so wurden es Gruppen von Bäumen als Haine der Götter. Pausanias ist voll des Lobes von einem Haine des Apollotempels zu Grynion in Aeolis33; [100] der Hain von Kolonos wird in dem berühmten Chore des Sophokles gefeiert.

Wie nun das Naturgefühl sich in der Auswahl und sorgfältigen Pflege geheiligter Gegenstände des Pflanzenreichs aussprach, so offenbarte es sich noch lebendiger und mannigfaltiger in den Gartenanlagen früh cultivirter ostasiatischer Völker. In dem fernsten Theile des alten Continents scheinen die chinesischen Gärten sich am meisten dem genähert zu haben, was wir jetzt englische Parks zu nennen pflegen. Unter der siegreichen Dynastie der Han hatten freie Gartenanlagen so viele Meilen im Umfange, daß der Ackerbau durch sie gefährdet34 und das Volk zum Aufruhr angeregt wurde. „Was sucht man", sagt ein alter chinesischer Schriftsteller, Lieu-tscheu, „in der Freude an einem Lustgarten? In allen Jahrhunderten ist man darin übereingekommen, daß die Pflanzung den Menschen für alles Anmuthige entschädigen soll, was ihm die Entfernung von dem Leben in der freien Natur, seinem eigentlichen und liebsten Aufenthalte, entzieht. Die Kunst den Garten anzulegen besteht also in dem Bestreben Heiterkeit (der Aussicht), Ueppigkeit des Wachsthums, Schatten, Einsamkeit und Ruhe so zu vereinigen, daß durch den ländlichen Anblick die Sinne getäuscht werden. Die Mannigfaltigkeit, welche der Hauptvorzug der freien Landschaft ist, muß also gesucht werden in der Auswahl des Bodens, in dem Wechsel von Hügelketten und Thalschluchten, von Bächen und Seen, die mit Wasserpflanzen bedeckt sind. Alle Symmetrie ist ermüdend; Ueberdruß und Langeweile werden in Gärten erzeugt, in welchen jede Anlage Zwang und Kunst verräth."35 Eine Beschreibung, welche uns Sir George [101] Staunton von dem großen kaiserlichen Garten von Zhe-hol36 nördlich von der chinesischen Mauer gegeben hat, entspricht jenen Vorschriften des Lieu-tscheu: Vorschriften, denen einer unserer geistreichen Zeitgenossen, der Schöpfer des anmuthigen Parks von Muskau37, seinen Beifall nicht versagen wird.

In dem großen beschreibenden Gedichte, in welchem der Kaiser Kien-long um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts die ehemalige mandschuische Residenzstadt Mukden und die Gräber seiner Vorfahren verherrlichen wollte, spricht sich ebenfalls die innigste Liebe zu einer freien, durch die Kunst nur sehr theilweise verschönerten Natur aus. Der poetische Herrscher weiß in gestaltender Anschaulichkeit zu verschmelzen die heiteren Bilder von der üppigen Frische der Wiesen, von waldbekränzten Hügeln und friedlichen Menschenwohnungen mit dem ernsten Bilde der Grabstätte seiner Ahnherrn. Die Opfer, welche er diesen bringt, nach den von Confucius vorgeschriebenen Riten, die fromme Erinnerung an die hingeschiedenen Monarchen und Krieger sind der eigentliche Zweck dieser merkwürdigen Dichtung. Eine lange Aufzählung der wildwachsenden Pflanzen, wie der Thiere, welche die Gegend beleben, ist, wie alles didactische, ermüdend; aber das Verweben des sinnlichen Eindrucks von der Landschaft, die gleichsam nur als Hintergrund des Gemäldes dient, mit erhabenen Objecten der Ideenwelt, mit der Erfüllung religiöser Pflichten, mit Erwähnung großer geschichtlicher Ereignisse giebt der ganzen Composition einen eigenthümlichen Charakter. Die bei dem chinesischen Volke so tief eingewurzelte Heiligung der Berge führt Kien-long zu sorgfältigen Schilderungen der Physiognomik der unbelebten Natur, für welche die Griechen und Römer keinen [102] Sinn hatten. Auch die Gestaltung der einzelnen Bäume, die Art ihrer Verzweigung, die Richtung der Aeste, die Form ihres Laubes werden mit besonderer Vorliebe behandelt.38

Wenn ich der, leider! zu langsam unter uns verschwindenden Abneigung gegen die chinesische Litteratur nicht nachgebe und bei den Naturansichten eines Zeitgenossen Friedrichs des Großen nur zu lange verweilt bin, so ist es hier um so mehr meine Pflicht sieben und ein halbes Jahrhundert weiter hinaufzusteigen und an das Gartengedicht des Seema-kuang, eines berühmten Staatsmannes, zu erinnern. Die Anlagen, welche das Gedicht beschreibt, sind freilich theilweise voller Baulichkeiten, nach Art der alten italischen Villen; aber der Minister besingt auch eine Einsiedelei, die zwischen Felsen liegt und von hohen Tannen umgeben ist. Er lobt die freie Aussicht auf den breiten, vielbeschifften Strom Kiang; er fürchtet selbst die Freunde nicht, wenn sie kommen, ihm ihre Gedichte vorzulesen, weil sie auch die seinigen anhören.39 See-ma-kuang schrieb um das Jahr 1086, als in Deutschland die Poesie in den Händen einer rohen Geistlichkeit, nicht einmal in der vaterländischen Sprache auftrat.

Damals, und vielleicht ein halbes Jahrtausend früher, waren die Bewohner von China, Hinterindien und Japan schon mit einer großen Mannigfaltigkeit von Pflanzenformen bekannt. Der innige Zusammenhang, welcher sich zwischen den buddhistischen Mönchsanstalten erhielt, übte auch in diesem Punkte seinen Einfluß aus. Tempel, Klöster und Begräbnißplätze wurden von Gartenanlagen umgeben, welche mit ausländischen Bäumen und einem Teppich vielfarbiger, vielgestalteter Blumen geschmückt waren. Indische Pflanzen wurden früh schon nach China, Korea und Nipon [103] verbreitet. Siebold, dessen Schriften einen weitumfassenden Ueberblick aller japanischen Verhältnisse liefern, hat zuerst auf die Ursach einer Vermischung der Floren entlegener buddhistischer Länder aufmerksam gemacht.40

Der Reichthum von charakteristischen Pflanzenformen, welche unsere Zeit der wissenschaftlichen Beobachtung wie der Landschaftmalerei darbietet, muß lebhaft anreizen den Quellen nachzuspüren, welche uns diese Erkenntniß und diesen Naturgenuß bereiten. Die Aufzählung dieser Quellen bleibt der nächstfolgenden Abtheilung dieses Werkes, der Geschichte der Weltanschauung, vorbehalten. Hier kam es darauf an in dem Reflex der Außenwelt auf das Innere des Menschen, auf seine geistige Thätigkeit und seine Empfindungsweise die Anregungsmittel zu schildern, welche bei fortschreitender Cultur so mächtig auf die Belebung des Naturstudiums eingewirkt haben. Die urtiefe Kraft der Organisation fesselt, trotz einer gewissen Freiwilligkeit im Entfalten einzelner Theile, alle thierische und vegetabilische Gestaltung an feste, ewig wiederkehrende Typen; sie bestimmt in jeder Zone den ihr eingeprägten, eigenthümlichen Charakter, d. i. die Physiognomik der Natur. Deshalb gehört es unter die schönsten Früchte europäischer Völkerbildung, daß es dem Menschen möglich geworden sich fast überall, wo ihn schmerzliche Entbehrung bedroht, durch Cultur und Gruppirung exotischer Gewächse, durch den Zauber der Landschaftmalerei und durch die Kraft des begeisterten Wortes einen Theil des Naturgenusses zu verschaffen, den auf fernen, oft gefahrvollen Reisen durch das Innere der Continente die wirkliche Anschauung gewährt.

[[104]]

[135]

Geschichte der physischen Welt-
anschauung.


Hauptmomente der allmäligen Entwickelung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos, als einem Naturganzen.


Die Geschichte der physischen Weltanschauung ist die Geschichte der Erkenntniß eines Naturganzen, die Darstellung des Strebens der Menschheit das Zusammenwirken der Kräfte in dem Erd- und Himmelsraume zu begreifen; sie bezeichnet demnach die Epochen des Fortschrittes in der Verallgemeinerung der Ansichten, sie ist ein Theil der Geschichte unserer Gedankenwelt, in so fern dieser Theil sich auf die Gegenstände sinnlicher Erscheinung, auf die Gestaltung der geballten Materie und die ihr inwohnenden Kräfte bezieht.

In dem ersten Theile dieses Werkes, in dem Abschnitt über die Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung einer physischen Weltbeschreibung, glaube ich deutlich entwickelt zu haben, wie die einzelnen Naturwissenschaften sich zur Weltbeschreibung, d. h. zur Lehre vom Kosmos (vom Weltganzen), verhalten, wie diese Lehre aus jenen Disciplinen nur die Materialien zu ihrer wissenschaftlichen Begründung schöpfe.1 Die Geschichte der Erkenntniß des Weltganzen, zu welcher ich hier die leitenden Ideen darlege und welche ich der Kürze wegen bald Geschichte des [136] Kosmos, bald Geschichte der physischen Weltanschauung nenne, darf also nicht verwechselt werden mit der Geschichte der Naturwissenschaften, wie sie mehrere unserer vorzüglichsten Lehrbücher der Physik oder die der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern.

Um Rechenschaft von der Bedeutung dessen zu geben, was hier unter den Gesichtspunkt einzelner historischer Momente zusammenzustellen ist, scheint es am geeignetsten beispielsweise aufzuführen, was nach dem Zweck dieser Blätter behandelt oder ausgeschlossen werden muß. In die Geschichte des Naturganzen gehören die Entdeckungen des zusammengesetzten Microscops, des Fernrohrs und der farbigen Polarisation: weil sie Mittel verschafft haben das, was allen Organismen gemeinsam ist, aufzufinden, in die fernsten Himmelsräume zu dringen und das erborgte, reflectirte Licht von dem selbstleuchtender Körper zu unterscheiden, d. i. zu bestimmen, ob das Sonnenlicht aus einer festen Masse oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausstrahle. Die Aufzählung der Versuche aber, welche seit Huygens allmälig auf Arago's Entdeckung der farbigen Polarisation geleitet haben, werden der Geschichte der Optik vorbehalten. Eben so verbleibt der Geschichte der Phytognosie oder Botanik die Entwickelung der Grundsätze, nach denen die Masse vielgestalteter Gewächse sich in Familien an einander reihen läßt: während die Geographie der Pflanzen, oder die Einsicht in die örtliche und klimatische Vertheilung der Vegetation über den ganzen Erdkörper, über die Feste und das algenreiche Becken der Meere, einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der physischen Weltanschauung ausmacht.

Die denkende Betrachtung dessen, was die Menschen [137] zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze Culturgeschichte der Menschheit als sie, wie wir eben erinnert haben, eine Geschichte der Naturwissenschaften genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab; wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben.

Vor allem müssen sorgfältig ein frühes Ahnden und ein wirkliches Wissen scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den [138] Zusammenhang von Naturerscheinungen ausgesprochen worden, erst unerwiesen und mit dem Unbegründetsten vermengt, aber in späterer Zeit auf sichere Erfahrung gestützt und dann wissenschaftlich erkannt! Die ahndende Phantasie, die allbelebende Thätigkeit des Geistes, welche in Plato, in Columbus, in Kepler gewirkt hat, darf nicht angeklagt werden, als habe sie in dem Gebiet der Wissenschaft nichts geschaffen, als müsse sie nothwendig ihrem Wesen nach von der Ergründung des Wirklichen abziehen.

Da wir die Geschichte der physischen Weltanschauung als die Geschichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleichsam als die Geschichte des Gedankens von der Einheit in den Erscheinungen und von dem Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, definirt haben, so kann die Behandlungsweise dieser Geschichte nur in der Aufzählung dessen bestehen, wodurch der Begriff von der Einheit der Erscheinungen sich allmälig ausgebildet hat. Wir unterscheiden in dieser Hinsicht: 1) das selbstständige Streben der Vernunft nach Erkenntniß von Naturgesetzen, also eine denkende Betrachtung der Naturerscheinungen; 2) die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; 3) die Erfindung neuer Mittel sinnlicher Wahrnehmung, gleichsam die Erfindung neuer Organe, welche den Menschen mit den irdischen Gegenständen wie mit den fernsten Welträumen in näheren Verkehr bringen, welche die Beobachtung schärfen und vervielfältigen. Dieser dreifache Gesichtspunkt muß uns leiten, wenn wir die Hauptepochen (Hauptmomente) bestimmen, welche die Geschichte der Lehre vom Kosmos zu durchlaufen hat. Um das Gesagte zu erläutern, wollen wir [139] hier wiederum solche Beispiele anführen, welche die Verschiedenheit der Mittel charakterisiren, durch welche die Menschheit allmälig zum intellectuellen Besitz von einem großen Theile der Welt gelangt ist: Beispiele von erweiterter Naturkenntniß, von großen Begebenheiten und von der Erfindung neuer Organe.

Die Kenntniß der Natur, als älteste Physik der Hellenen, war mehr aus inneren Anschauungen, aus der Tiefe des Gemüths als aus der Wahrnehmung der Erscheinungen geschöpft. Die Naturphilosophie der ionischen Physiologen ist auf den Urgrund des Entstehens, auf den Formenwechsel eines einigen Grundstoffes gerichtet; in der mathematischen Symbolik der Pythagoreer, in ihren Betrachtungen über Zahl und Gestalt offenbart sich dagegen eine Philosophie des Maaßes und der Harmonie. Indem die dorisch-italische Schule überall numerische Elemente sucht, hat sie von dieser Seite, durch eine gewisse Vorliebe für die Zahlenverhältnisse, die sie im Raum und in der Zeit erkennt, gleichsam den Grund zur späteren Ausbildung unserer Erfahrungswissenschaften gelegt. Die Geschichte der Weltanschauung, wie ich sie auffasse, bezeichnet nicht sowohl die oft wiederkehrenden Schwankungen zwischen Wahrheit und Irrthum, als die Hauptmomente der allmäligen Annäherung an die Wahrheit, an die richtige Ansicht der irdischen Kräfte und des Planetensystems. Sie zeigt uns, wie die Pythagoreer, nach dem Berichte des Philolaus aus Croton, die fortschreitende Bewegung der nicht rotirenden Erde, ihren Kreislauf um den Weltheerd (das Centralfeuer, Hestia) lehrten: wenn Plato und Aristoteles sich die Erde weder als [140] rotirend noch fortschreitend, sondern als unbeweglich im Mittelpunkt schwebend vorstellten. Hicetas von Syracus, der mindestens älter als Theophrast ist, Heraclides Ponticus und Ecphantus kannten die Achsendrehung der Erde; aber nur Aristarch von Samos und besonders Seleucus der Babylonier, anderthalb Jahrhunderte nach Alexander, wußten, daß die Erde nicht bloß rotire, sondern sich zugleich auch um die Sonne, als das Centrum des ganzen Planetensystems, bewege. Kehrte auch in den dunkeln Zeiten des Mittelalters durch christlichen Fanatismus und den herrschend bleibenden Einfluß des Ptolemäischen Systemes der Glaube an die Unbeweglichkeit der Erde zurück, wurde auch ihre Gestalt bei dem alexandrinischen Cosmas Indicopleustes wieder die Scheibe des Thales, so hatte dagegen ein deutscher Cardinal, Nicolaus de Cuß, zuerst die Geistesfreiheit und den Muth, fast hundert Jahre vor Copernicus, unserem Planeten zugleich wieder die Achsendrehung und die fortschreitende Bewegung zuzuschreiben. Nach Copernicus war Tycho's Lehre allerdings ein Rückschritt, aber ein Rückschritt von kurzer Dauer. Sobald eine große Masse genauer Beobachtungen, zu der Tycho selbst reichlich beigetragen, angesammelt war, konnte die richtige Ansicht des Weltbaues nicht auf lange verdrängt bleiben. Wir haben hier gezeigt, wie die Periode der Schwankungen vorzüglich die der Ahndungen und naturphilosophischen Phantasien gewesen ist.

Nach der vervollkommneten Kenntniß der Natur, als einer gleichzeitigen Folge unmittelbarer Beobachtung und ideeller Combinationen, haben wir oben der Aufzählung großer Begebenheiten gedacht, d. i. solcher, durch welche der Horizont der Weltanschauung räumlich erweitert wurde. Zu diesen Begebenheiten [141] gehören Völkerwanderungen, Schifffahrt und Heerzüge. Sie haben von der natürlichen Beschaffenheit der Erdoberfläche (Gestaltung der Continente, Richtung der Gebirgsjoche, relativen Anschwellung der Hochebenen) Kunde verschafft, ja in weiten Länderstrecken Material zur Ergründung allgemeiner Naturgesetze dargeboten. Es bedarf bei diesen historischen Betrachtungen nicht der Darstellung eines zusammenhangenden Gewebes von Begebenheiten. Für die Geschichte der Erkenntniß des Naturganzen ist es hinlänglich in jeder Epoche nur an solche Begebenheiten zu erinnern, welche einen entschiedenen Einfluß auf die geistigen Bestrebungen der Menschheit und auf eine erweiterte Weltansicht auszuüben vermochten. In dieser Hinsicht sind von großer Wichtigkeit gewesen für die Völker, die um das Becken des Mittelmeeres angesiedelt waren, die Fahrt des Coläus von Samos jenseits der Hercules-Säulen, der Zug Alexanders nach Vorder-Indien, die Weltherrschaft der Römer, die Verbreitung arabischer Cultur, die Entdeckung des Neuen Continents. Wir verweilen nicht sowohl bei der Erzählung von etwas Geschehenem als bei der Bezeichnung der Wirkung, welche das Geschehene, d. i. die Begebenheit, — sei sie eine Entdeckungsreise, oder das Herrschend-Werden einer hochausgebildeten, litteraturreichen Sprache, oder die plötzlich verbreitete Kenntniß der indo-afrikanischen Monsune —, auf die Entwickelung der Idee des Kosmos ausgeübt hat.

Wenn ich bei der Aufzählung so heterogener Anregungen schon beispielsweise der Sprachen erwähne, so will ich hier im allgemeinen auf ihre unermeßliche Wichtigkeit in zwei ganz verschiedenen Richtungen aufmerksam machen. Die Sprachen wirken einzeln durch große Verbreitung als Communicationsmittel zwischen weit von einander getrennten [142] Völkerstämmen; sie wirken, mit einander verglichen, durch die erlangte Einsicht in ihren inneren Organismus und ihre Verwandtschaftsgrade, auf das tiefere Studium der Geschichte der Menschheit. Die griechische Sprache und die mit derselben so innigst verknüpfte Nationalität der Griechen (das Griechenleben) haben eine zauberische Gewalt geübt über alle fremde von ihnen berührte Völker.2 Die griechische Sprache erscheint in Inner-Asien durch den Einfluß des bactrischen Reiches als eine Trägerinn des Wissens, das ein volles Jahrtausend später, mit indischem Wissen gemischt, durch die Araber in den äußersten Westen von Europa zurückgebracht wird. Die altindische und malayische Sprache haben in der Inselwelt des südöstlichen Asiens wie an der Ostküste von Afrika und auf Madagascar den Handel und den Völkerverkehr befördert, ja wahrscheinlich, durch die Nachrichten von den indischen Handelsstationen der Banianen, das kühne Unternehmen von Vasco de Gama veranlaßt. Herrschend gewordene Sprachen, die leider den verdrängten Idiomen einen frühen Untergang bereiten, haben wie das Christenthum und wie der Buddhismus wohlthätig zur Einigung der Menschheit beigetragen.

Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes betrachtet, nach der Analogie ihres inneren Baues in Familien gesondert, sind die Sprachen (und dieses ist eines der glänzendsten Ergebnisse der Studien neuerer Zeit, der letztverflossenen sechzig bis siebzig Jahre) eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Product der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grundzüge ihres Organismus in eine dunkle Ferne, in eine solche, zu welcher [143] keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Völkerstämme mit einander verwandt und aus einem gemeinschaftlichen Ursitze ausgezogen sind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung und Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen, gemeinsamen Sprache näher geblieben ist. Zu dieser Art der Untersuchungen über die ersten alterthümlichen Sprachzustände, in denen das Menschengeschlecht im eigentlichsten Sinne des Worts als ein lebendiges Naturganze betrachtet wird, giebt die lange Kette der indogermanischen Sprachen, vom Ganges bis zum iberischen Westende von Europa, von Sicilien bis zum Nordcap, vielfachen Anlaß. Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte, die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.3

Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsstrahlen zu gelangen. Die rationellen[144] Hülfsmittel der sich allmälig entwickelnden Lehre vom Kosmos sind demnach sehr verschiedener Art: Erforschung des Sprachbaues, Entzifferung alter Schriftzüge und historischer Monumente in Hieroglyphen und Keilschrift, Vervollkommnung der Mathematik, besonders des mächtigen, Erdgestalt, Meeresfluth und Himmelsräume beherrschenden analytischen Calculs. Zu diesen Hülfsmitteln gesellen sich endlich die materiellen Erfindungen, welche uns gleichsam neue Organe schaffen, die Schärfe der Sinne erhöhen, ja den Menschen in einen näheren Verkehr mit den irdischen Kräften wie mit den fernen Welträumen setzen. Um hier nur diejenigen Instrumente zu erwähnen, welche große Epochen der Culturgeschichte bezeichnen, nennen wir das Fernrohr und dessen leider zu späte Verbindung mit Meßinstrumenten; das zusammengesetzte Microscop, welches uns Mittel verschafft den Entwickelungszuständen des Organischen („der gestaltenden Thätigkeit als dem Grunde des Werdens", wie Aristoteles schön sagt) zu folgen; die Boussole und die verschiedenen Vorrichtungen zur Ergründung des Erdmagnetismus, den Gebrauch des Pendels zum Zeitmaaße, das Barometer, den Wärmemesser, hygrometrische und electrometrische Apparate, das Polariscop in Anwendung auf farbige Polarisations-Phänomene im Licht der Gestirne oder im erleuchteten Luftkreise.

Die Geschichte der physischen Weltanschauung, gegründet, wie wir eben entwickelt haben, auf denkende Betrachtung der Naturerscheinungen, auf eine Verkettung großer Begebenheiten, auf Erfindungen, welche den Kreis sinnlicher Wahrnehmung erweitern, soll aber hier in ihren Hauptzügen nur fragmentarisch und übersichtlich dargestellt werden. Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß die Kürze dieser [145] Darstellung den Leser in den Stand setzen könne den Geist, in welchem ein so schwer zu begrenzendes Bild einst auszuführen wäre, leichter zu erfassen. Hier wie in dem Naturgemälde, welches der erste Band des Kosmos enthält, wird nicht nach Vollständigkeit in Aufzählung von Einzelheiten, sondern nach der klaren Entwickelung von leitenden Ideen getrachtet, solchen, welche einige der Wege bezeichnen, die der Physiker als Geschichtsforscher durchlaufen kann. Die Kenntniß von dem Zusammenhang der Begebenheiten und ihren Causalverhältnissen wird als ein Gegebenes vorausgesetzt; die Begebenheiten brauchen nicht erzählt zu werden, es genügt sie zu nennen und den Einfluß zu bestimmen, den sie auf die allmälig anwachsende Erkenntniß eines Naturganzen ausgeübt haben. Vollständigkeit, ich glaube es wiederholen zu müssen, ist hier weder zu erreichen noch als das Ziel eines solchen Unternehmens zu betrachten. Indem ich dies ausspreche, um meinem Werke vom Kosmos den eigenthümlichen Charakter zu bewahren, der dasselbe allein ausführbar macht, werde ich mich freilich von neuem dem Tadel derer aussetzen, welche weniger bei dem verweilen, was ein Buch enthält, als bei dem, was nach ihrer individuellen Ansicht darin gefunden werden sollte. In den älteren Theilen der Geschichte bin ich geflissentlich weit umständlicher als in den neueren gewesen. Wo die Quellen sparsamer fließen, ist die Combination schwieriger, und die aufgestellten Meinungen bedürfen dann der Anführung nicht allgemein bekannter Zeugnisse. Auch Ungleichmäßigkeit in der Behandlung der Materien habe ich mir da frei gestattet, wo es darauf ankam durch Aufzählung von Einzelheiten dem Vortrag ein belebenderes Interesse zu geben.

Wie die Erkenntniß eines Weltganzen mit intuitiver [146] Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Naturansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natureinheit gehört nicht einem sogenannten Urvolke an, für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen Arpaxad4 (Arrapachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten Zenblande5 am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein Urvolk, keinen einigen ersten Sitz der Cultur, keine Urphysik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste [147] fünftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung6; Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran, und China seit der ersten Colonie, die vom nordöstlichen Abfall des Kuen-lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Diese Centralpunkte erinnern unwillkührlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenige7 ausgenommen, die relative Entfernung von unserem Planeten kennen.

Eine dem ersten Menschenstamme geoffenbarte Urphysik, eine durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wissens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenstande dieses Werkes fremd bleibt. Wir finden einen solchen Glauben indeß schon tief in der ältesten indischen Lehre Krischna's8 gewurzelt. „Die Wahrheit soll ursprünglich in den Menschen gelegt, aber allmälig eingeschläfert und vergessen worden sein; die Erkenntniß kehrt wie eine Erinnerung zurück." Wir lassen es gern unentschieden, ob die Volksstämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher Roheit sind; ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur sind. Ein naher Umgang mit diesen sogenannten Naturmenschen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewissen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntniß der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings steigt ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Busen des Wilden auf; aber ein solches Gefühl hat [148] nichts mit den Versuchen gemein den Zusammenhang der Erscheinungen unter Ideen zu fassen. Wahrhaft kosmische Ansichten sind erst Folge der Beobachtung und ideeller Combination, Folge eines lange dauernden Contacts der Menschheit mit der Außenwelt; auch sind sie nicht das Werk eines einzigen Volkes, sie sind die Frucht gegenseitiger Mittheilung, eines, wo nicht allgemeinen, doch großen Völkerverkehrs.

Wie in den Betrachtungen über den Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft wir, im Eingange dieses Bandes, aus der allgemeinen Litteraturgeschichte das ausgehoben haben, was sich auf den Ausdruck eines lebendigen Naturgefühls bezieht, so wird in der Geschichte der Weltanschauung aus der allgemeinen Culturgeschichte dasjenige ausgesondert, was die Fortschritte in der Erkenntniß eines Naturganzen bezeichnet. Beide, nicht willkührlich, sondern nach bestimmten Grundsätzen abgesonderte Theile haben wieder unter einander dieselben Beziehungen als die Disciplinen, welchen sie entlehnt sind. Die Geschichte der Cultur der Menschheit schließt in sich die Geschichte der Grundkräfte des menschlichen Geistes, und also auch der Werke, in denen nach verschiedenen Richtungen diese Grundkräfte in Litteratur und Kunst sich offenbart haben. Auf gleiche Weise erkennen wir in der Tiefe und Lebendigkeit des Naturgefühls, die wir nach dem Unterschiede der Zeiten und der Völkerstämme geschildert, wirksame Anregungsmittel zu sorgfältigerer Beachtung der Erscheinungen, zu ernster Ergründung ihres kosmischen Zusammenhanges.

Eben weil nun so mannigfaltig die Ströme sind, welche die Elemente des erweiterten Naturwissens getragen und im Laufe der Zeiten ungleich über den Erdboden verbreitet [149] haben, ist es, wie wir bereits oben bemerkt, am geeignetsten in der Geschichte der Weltansicht von Einer Völkergruppe und zwar von der auszugehen, in der unsere jetzige wissenschaftliche Cultur und die des ganzen europäischen Abendlandes ursprünglich gewurzelt sind. Die Geistesbildung der Griechen und Römer ist allerdings ihrem Anfange nach eine sehr neue zu nennen, in Vergleich mit der Cultur der Aegypter, Chinesen und Inder; aber was ihnen von außen, von dem Orient und von Süden her, zugeströmt, hat sich mit dem, was sie selbst hervorgebracht und verarbeitet, trotz des ewigen Wechsels der Weltbegebenheiten und des fremdartigen Gemisches eindringender Völkermassen, ununterbrochen auf europäischem Boden fortgepflanzt. In den Regionen, wo man vor Jahrtausenden vieles früher gewußt, ist entweder eine alles verdunkelnde Barbarei wiederum eingetreten; oder neben der Erhaltung alter Gesittung und fester, complicirter Staatseinrichtungen (wie in China) ist doch der Fortschritt in Wissenschaft und gewerblichen Kunstfertigkeiten überaus geringe, noch geringer der Antheil an dem Weltverkehr gewesen, ohne den allgemeine Ansichten sich nie bilden können. Europäische Culturvölker und die von ihnen abstammenden, in andere Continente übergegangenen sind durch eine riesenmäßige Erweiterung ihrer Schifffahrt in den fernsten Meeren, an den fernsten Küsten gleichsam allgegenwärtig geworden. Was sie nicht besitzen, können sie bedrohen. In ihrem fast ununterbrochen vererbten Wissen, in ihrer lang vererbten wissenschaftlichen Nomenclatur liegen, wie Marksteine der Geschichte der Menschheit, Erinnerungen an die mannigfaltigen Wege, auf denen wichtige Erfindungen oder wenigstens der Keim zu denselben den Völkern Europa's zugeströmt [150] sind: aus dem östlichsten Asien die Kenntniß von der Richtkraft und Abweichung eines frei sich bewegenden Magnetstabes, aus Phönicien und Aegypten chemische Bereitungen (Glas, thierische und vegetabilische Färbestoffe, Metalloxyde), aus Indien allgemeiner Gebrauch der Position zur Bestimmung des erhöhten Werthes weniger Zahlzeichen.

Seitdem die Civilisation ihre ältesten Ursitze innerhalb der Tropen oder in der subtropischen Zone verlassen, hat sie sich bleibend in dem Welttheile angesiedelt, dessen nördlichste Regionen weniger kalt als unter gleicher Breite die von Asien und Amerika sind. Das Festland von Europa ist eine westliche Halbinsel von Asien; und wie es eine größere, die allgemeine Gesittung begünstigende Milde seines Klima's diesem Umstande und seiner mannigfaltigen, vielgegliederten, schon von Strabo gerühmten Form, seiner Stellung gegen das in der Aequatorialzone weit ausgedehnte Afrika, so wie den vorherrschenden, über den breiten Ocean hinstreichenden und deshalb im Winter warmen Westwinden verdankt, habe ich bereits früher entwickelt.9 Die physische Beschaffenheit von Europa hat der Verbreitung der Cultur weniger Hindernisse entgegengestellt, als ihr in Asien und Afrika gesetzt waren, da wo weitausgedehnte Reihen von Parallelketten, Hochebenen und Sandmeeren als schwer zu überwindende Völkerscheiden auftreten. Wir beginnen demnach hier, bei der Aufzählung der Hauptmomente in der Geschichte der physischen Weltbetrachtung, mit einem Erdwinkel, der durch seine räumlichen Verhältnisse und seine Weltstellung den wechselnden Völkerverkehr und die Erweiterung kosmischer Ansichten, welche Folge dieses Verkehres ist, am meisten begünstigt hat.

[151]

Hauptmomente einer Geschichte der physischen Weltanschauung.


I.

Das Mittelmeer als Ausgangspunkt für die Darstellung der Verhältnisse, welche die allmälige Erweiterung der Idee des Kosmos begründet haben. — Anreihung dieser Darstellung an die früheste Cultur der Hellenen. — Versuche ferner Schifffahrt gegen Nordost (Argonauten), gegen Süden (Ophir), gegen Westen (Coläus von Samos).


Ganz in dem Sinne einer großen Weltansicht schildert Plato im Phädon die Enge des Mittelmeeres.10 „Wir", sagt er, „die wir vom Phasis bis zu den Säulen des Hercules wohnen, haben inne nur einen kleinen Theil der Erde, in dem wir uns, wie um einen Sumpf Ameisen oder Frösche, um das (innere) Meer angesiedelt haben." Und dieses enge Becken, an dessen Rande ägyptische, phönicische und hellenische Völker zu einem hohen Glanze der Cultur erblühten, ist der Ausgangspunkt der wichtigsten Weltbegebenheiten, der Colonisirung großer Länderstrecken von Afrika und Asien, der nautischen Unternehmungen gewesen, durch welche eine ganze westliche Erdhälfte enthüllt worden ist.

Das Mittelmeer zeigt noch in seiner jetzigen Gestaltung die Spuren einer ehemaligen Unterabtheilung in drei geschlossene, an einander grenzende kleinere Becken.11 Das [152]ägäische ist südlich begrenzt durch die Bogenlinie, welche, von der carischen Küste Kleinasiens an, die Inseln Rhodus, Creta und Cerigo bilden und die sich an den Peloponnes anschließt unfern von dem Vorgebirge Malea. Westlicher folgt das ionische Meer, das Syrten-Bassin, in dem Malta liegt. Die Westspitze von Sicilien nähert sich dort auf 12 geographische Meilen der Küste von Afrika. Die plötzliche, aber kurz dauernde Erscheinung der gehobenen Feuerinsel Ferdinandea (1831) südwestlich von den Kalksteinfelsen von Sciacca mahnt an einen Versuch der Natur12 das Syrten-Bassin zwischen Cap Grantola, der von Capitän Smyth untersuchten Adventure-Bank, Pantellaria und dem afrikanischen Cap Bon wiederum zu schließen und so von dem westlichsten, dritten Bassin, dem tyrrhenischen, zu trennen. Letzteres empfängt durch die Hercules-Säulen den von Westen her einbrechenden Ocean und umschließt Sardinien, die Balearen und die kleine vulkanische Gruppe der spanischen Columbraten.

Diese Form des dreimal verengten Mittelmeeres hat einen großen Einfluß auf die früheste Beschränkung und spätere Erweiterung phönicischer und griechischer Entdeckungsreisen gehabt. Die letzteren blieben lange auf das ägäische und auf das Syrtenmeer beschränkt. Zu der homerischen Zeit war das continentale Italien noch ein „unbekanntes Land". Die Phocäer eröffneten das tyrrhenische Bassin westlich von Sicilien; Tartessusfahrer gelangten zu den Säulen des Hercules. Man darf nicht vergessen, daß Carthago an der Grenze des tyrrhenischen und Syrten-Beckens gegründet ward. Die physische Gestaltung der Küsten wirkte auf den Gang der Begebenheiten, auf die Richtung nautischer [153] Unternehmungen, auf den Wechsel der Meeresherrschaft; letztere wirkte wiederum auf die Erweiterung des Ideenkreises.

Das nördliche Gestade des inneren oder Mittelmeeres hat den, schon von Eratosthenes nach Strabo bemerkten Vorzug reicher geformt, „vielgestalteter", mehr gegliedert zu sein als das südliche libysche. Dort treten drei Halbinseln13 hervor, die iberische, italische und hellenische, welche, mannigfach busenförmig eingeschnitten, mit den nahen Inseln und den gegenüberliegenden Küsten Meer- und Landengen bilden. Solche Gestaltungen des Continents und der, theils abgerissenen, theils vulkanisch, reihenweise wie auf weit fortlaufenden Spalten, gehobenen Inseln haben früh zu geognostischen Ansichten über Durchbrüche, Erdrevolutionen und Ergießungen der angeschwollenen höheren Meere in die tiefer stehenden geführt. Der Pontus, die Dardanellen, die Straße von Gades und das inselreiche Mittelmeer waren ganz dazu geeignet die Ansichten eines solchen Schleusensystems hervorzurufen. Der orphische Argonautiker, wahrscheinlich aus christlicher Zeit, hat alte Sagen eingewebt; er singt von der Zertrümmerung des alten Lyktonien in einzelne Inseln, wie „Poseidon, der Finstergelockte, dem Vater Kronion zürnend, schlug auf Lyktonien mit dem goldenen Dreizack". Aehnliche Phantasien, die freilich oft aus einer unvollkommenen Kenntniß räumlicher Verhältnisse entstanden sein konnten, waren in der eruditionsreichen, allem Alterthümlichen zugewandten alexandrinischen Schule ausgesponnen worden. Ob die Mythe der zertrümmerten Atlantis ein ferner und westlicher Reflex der Mythe von Lyktonien ist, wie ich an einem andern Ort wahrscheinlich zu machen glaubte, oder ob nach [154] Otfried Müller „der Untergang von Lyktonien (Leukonia) auf die samothracische Sage von einer jene Gegend umgestaltenden großen Fluth hindeute"14, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Was aber, wie schon oft bemerkt worden, die geographische Lage des Mittelmeers vor allem wohlthätig in ihrem Einfluß auf den Völkerverkehr und die fortschreitende Erweiterung des Weltbewußtseins gemacht hat, ist die Nähe des in der kleinasiatischen Halbinsel vortretenden östlichen Continents; die Fülle der Inseln des ägäischen Meeres, welche eine Brücke für die übergehende Cultur gewesen sind15; die Furche zwischen Arabien, Aegypten und Abyssinien, durch die der große indische Ocean unter der Benennung des arabischen Meerbusens oder des rothen Meeres eindringt, getrennt durch eine schmale Erdenge von dem Nil-Delta und der südöstlichen Küste des inneren Meeres. Durch alle diese räumlichen Verhältnisse offenbarte sich in der anwachsenden Macht der Phönicier und später in der der Hellenen, in der schnellen Erweiterung des Ideenkreises der Völker der Einfluß des Meeres, als des verbindenden Elementes. Die Cultur war in ihren früheren Sitzen in Aegypten, am Euphrat und Tigris, in der indischen Pentapotamia und in China an reiche Stromlandschaften gefesselt gewesen; nicht so in Phönicien und Hellas. In dem bewegten Leben des Griechenthums, vorzüglich im ionischen Stamme, fand der frühe Drang nach seemännischen Unternehmungen eine reiche Befriedigung in den merkwürdigen Formen des mittelländischen Meerbeckens, in seiner relativen Stellung zu dem Ocean im Süden und Westen.

Die Existenz des arabischen Meerbusens, als Folge [155] des Einbruchs des indischen Oceans durch die Meerenge Bab-el-Mandeb, gehört zu der Reihe großer physischer Erscheinungen, die uns erst die neuere Geognosie hat offenbaren können. Der europäische Continent nämlich ist in seiner Hauptaxe von Nordost gegen Südwest gerichtet; aber fast rechtwinklig mit dieser Richtung findet sich ein System von Spalten, die theils zum Eindringen der Meereswasser, theils zu Hebung paralleler Gebirgsjoche Anlaß gegeben haben. Ein solches inverses Streichen von Südost gegen Nordwest zeigen (vom indischen Ocean bis zum Ausfluß der Elbe im nördlichen Deutschland) das rothe Meer in dem südlichen Theile der Spalte, zu beiden Seiten von vulkanischen Gebirgsarten umgeben, der persische Meerbusen mit dem Tieflande des Doppelstromes Euphrat und Tigris, die Zagros-Kette in Luristan, die Ketten von Hellas und den nahen Inselreihen des Archipels, das adriatische Meer und die dalmatischen Kalk-Alpen. Die Kreuzung16 der beiden Systeme geodätischer Linien (NO—SW und SO—NW), die ihre Ursach gewiß in Erschütterungs-Richtungen des Inneren unseres Erdkörpers gehabt haben und von denen ich die Spalten SO—NW für neueren Ursprungs halte, hat den wichtigsten Einfluß auf die Schicksale der Menschheit und die Erleichterung des Völkerverkehrs gehabt. Die relative Lage und die, nach der Abweichung der Sonne in verschiedenen Jahreszeiten so ungleiche Erwärmung von Ost-Afrika, Arabien und der Halbinsel von Vorder-Indien erzeugen eine regelmäßige Abwechselung von Luftströmen (Monsun17), welche die Schifffahrt nach der Myrrhifera Regio der Adramiten in Süd-Arabien, nach dem persischen Meerbusen, Indien und Ceylon dadurch begünstigten, daß [156] in der Jahreszeit (April und Mai bis October), wo Nordwinde auf dem rothen Meere wehen, der Südwest-Monsun von Ost-Afrika bis zur Küste Malabar herrscht, während der dem Rückweg günstige Nordost-Monsun (October bis April) zusammentrifft mit der Periode der Südwinde zwischen der Meerenge Bab-el-Mandeb und dem Isthmus von Suez.

Nachdem wir nun, in diesem Entwurf einer Geschichte der physischen Weltanschauung, den Schauplatz geschildert haben, auf dem von so verschiedenen Seiten fremde Elemente der Cultur und Länderkenntniß dem Griechenvolke zugeführt werden konnten, bezeichnen wir hier zuerst diejenigen der das Mittelmeer umwohnenden Völker, welche sich einer alten und ausgezeichneten Bildung erfreuten: die Aegypter, die Phönicier sammt ihren nord- und west-afrikanischen Colonien, und die Etrusker. Einwanderung und Handelsverkehr haben am mächtigsten gewirkt. Je mehr sich in der neuesten Zeit durch Entdeckung von Monumenten und Inschriften, wie durch philosophischere Sprachforschung unser historischer Gesichtskreis erweitert hat, desto mannigfaltiger erscheint der Einfluß, welcher in der frühesten Zeit auch vom Euphrat her, aus Lycien und durch die mit den thracischen Stämmen verwandten Phrygier auf die Griechen ausgeübt wurde.

In dem Nilthale, das eine so große Rolle in der Geschichte der Menschheit spielt, „gehen sichere Königsschilder" (ich folge den neuesten Forschungen von Lepsius18 und dem Resultate seiner wichtigen, das ganze Alterthum aufklärenden Expedition) „bis in den Anfang der vierten Manethonischen Dynastie, welche die Erbauer der großen [157] Pyramiden von Giseh (Chephren oder Schafra, Cheops-Chufu und Menkera oder Mencheres) in sich schließt. Diese Dynastie beginnt mehr als 34 Jahrhunderte vor unsrer christlichen Zeitrechnung, 23 Jahrhunderte vor der dorischen Einwanderung der Heracliden in den Peloponnes.19 Die großen Stein-Pyramiden von Dahschur, etwas südlich von Giseh und Sakara, hält Lepsius für Werke der dritten Dynastie. Auf den Blöcken derselben finden sich Steinmetz-Inschriften, aber bis jetzt keine Königsnamen. Die letzte Dynastie des alten Reichs, das mit dem Einfall der Hyksos endigte, wohl 1200 Jahre vor Homer, war die 12te Manethonische, welcher Amenemha III angehörte, der Erbauer des ursprünglichen Labyrinths, der den Möris-See künstlich schuf durch Ausgrabung und mächtige Erddämme in Norden und Westen. Nach der Vertreibung der Hyksos beginnt das neue Reich mit der 18ten Dynastie (1600 Jahre vor Chr.). Der große Ramses-Miamen (Ramses II) war der zweite Herrscher der 19ten Dynastie. Seine Siege, durch Abbildungen in Stein verewigt, wurden dem Germanicus von den Priestern in Theben erklärt.20 Herodot kennt ihn unter dem Namen Sesostris, wahrscheinlich durch eine Verwechselung mit dem fast eben so kriegerischen und mächtigen Eroberer Seti (Setos), welcher der Vater Ramses II war."

Wir haben geglaubt hier bei diesen Einzelheiten der Zeitrechnung verweilen zu müssen, um da, wo für uns fester Geschichtsboden ist, das relative Alter großer Begebenheiten in Aegypten, Phönicien und Griechenland annäherungsweise bestimmen zu können. Wie wir vorher das Mittelmeer nach seinen räumlichen Verhältnissen mit wenigen [158] Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen.

Die Cultur im Nilthale, früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot „in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend, zu den Scythen, Thraciern, endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner [159] längs dem erythräischen Meere sich unterworfen, bis er endlich im Weiterschiffen in ein Meer kam, das vor Seichtigkeit nicht mehr schiffbar war."21 Diodor sagt bestimmt, daß Sesoosis (der große Ramses) in Indien bis über den Ganges ging, auch Gefangene aus Babylon zurückführte. „Die einzige sichere Thatsache in Bezug auf die eigene altägyptische Schifffahrt ist die, daß seit den frühesten Zeiten die Aegypter nicht bloß den Nil, sondern auch den arabischen Meerbusen befuhren. Die berühmten Kupferminen bei Wadi Magara auf der Sinai-Halbinsel wurden bereits unter der 4ten Dynastie, unter Cheops-Chufu, bebaut. Bis zur 6ten Dynastie gehen die Inschriften von Hamamat an der Kossêr-Straße, welche das Nilthal mit der westlichen Küste des rothen Meeres verband. Der Canal von Suez wurde unter Ramses dem Großen zu bauen versucht22, zunächst wohl wegen des Verkehrs mit dem arabischen Kupferlande." Größere nautische Unternehmungen, wie selbst die so oft bestrittene, mir gar nicht unwahrscheinliche23 Umseglung von Afrika unter Neku II (611–595 vor Chr.) wurden phönicischen Schiffen anvertraut. Fast um dieselbe Zeit, etwas früher, unter Neku's Vater Psammitich (Psemetek), und etwas später nach geendigtem Bürgerkriege unter Amasis (Aahmes) legten griechische Miethstruppen und ihre Ansiedelung in Naucratis den Grund zu bleibendem auswärtigem Handelsverkehr, zur Aufnahme fremder Elemente, zu dem allmäligen Eindringen des Hellenismus in Nieder-Aegypten. Es war ein Keim geistiger Freiheit, größerer Unabhängigkeit von localisirenden Einflüssen, ein Keim, der sich in der Periode einer neuen Weltgestaltung durch die macedonische Eroberung schnell und [160] kräftig entwickelte. Die Eröffnung der ägyptischen Häfen unter Psammitich bezeichnet eine um so wichtigere Epoche, als bis dahin das Land wenigstens an seiner nördlichen Küste sich seit langer Zeit, wie jetzt noch Japan, gegen Fremde völlig abgeschlossen hielt.24

In der Aufzählung der nicht-hellenischen Culturvölker, welche das Becken des Mittelmeers, den ältesten Sitz und Ausgangspunkt unseres Wissens, umwohnen, reihen wir hier an die Aegypter die Phönicier an. Diese sind als die thätigsten Vermittler der Völkerverbindung vom indischen Meere bis in den Westen und Norden des alten Continents zu betrachten. Eingeschränkt in manchen Sphären geistiger Bildung, den schönen Künsten mehr als den mechanischen entfremdet, nicht großartig-schöpferisch wie die sinnigeren Bewohner des Nilthals, haben die Phönicier doch als ein kühnes, allbewegtes Handelsvolk, vorzüglich durch Ausführung von Colonien, deren eine an politischer Macht die Mutterstadt weit übertraf, früher als alle anderen Stämme des Mittelmeers auf den Umlauf der Ideen, auf die Bereicherung und Vielseitigkeit der Weltansichten gewirkt. Der phönicische Volksstamm hatte babylonisches Maaß und Gewicht25, auch, wenigstens seit der persischen Herrschaft, geprägte metallische Münze als Tauschmittel, das — sonderbar genug — den politisch, ja künstlerisch so ausgebildeten Aegyptern fehlte. Wodurch aber die Phönicier fast am meisten zu der Cultur der Nationen beitrugen, mit denen sie in Contact traten, war die räumliche Verallgemeinerung und Mittheilung der Buchstabenschrift, deren sie sich schon längst selbst bedienten. Wenn auch die ganze Sagengeschichte einer angeblichen Colonie des Kadmus in Böotien in mythisches Dunkel gehüllt bleibt, [161] so ist es darum nicht minder gewiß, daß die Hellenen die Buchstabenschrift, welche sie lange phönicische Zeichen nannten, durch den Handelsverkehr der Jonier mit den Phöniciern erhielten.26 Nach den Ansichten, die sich seit Champollion's großer Entdeckung immer mehr über die früheren Zustände alphabetischer Schriftentwickelung verbreiten, ist die phönicische wie die ganze semitische Zeichenschrift als ein aus der Bilderschrift allerdings ursprünglich ausgegangenes Lautalphabet zu betrachten, d. h. als ein solches, in dem die ideelle Bedeutung der Bildzeichen völlig unbeachtet bleibt und letztere nur phonetisch, als Lautzeichen, behandelt werden. Ein solches Lautalphabet, seiner Natur und Grundform nach ein Sylbenalphabet, war geeignet alle Bedürfnisse graphischer Darstellung von dem Lautsysteme einer Sprache zu befriedigen. „Als die semitische Schrift", sagt Lepsius in seiner Abhandlung über die Alphabete, „nach Europa zu indogermanischen Völkern überging, die durchgängig eine weit höhere Tendenz zu strenger Sonderung der Vocale und Consonanten zeigen und hierzu durch die weit höhere Bedeutung des Vocalismus in ihren Sprachen geleitet werden mußten, nahm man überaus wichtige und einflußreiche Veränderungen mit diesen Sylbenalphabeten vor."27 Das Streben die Syllabität aufzuheben fand bei den Hellenen seine volle Befriedigung. So verschaffte die Uebertragung der phönicischen Zeichen fast allen Küstenländern des Mittelmeers, ja selbst der Nordwestküste von Afrika, nicht bloß Erleichterung in dem materiellen Handelsverkehr und ein gemeinsames Band, das viele Culturvölker umschlang: nein die Buchstabenschrift, durch ihre graphische Biegsamkeit verallgemeinert, war zu etwas höherem berufen. Sie wurde [162] die Trägerinn des Edelsten, was in den beiden großen Sphären, der Intelligenz und der Gefühle, des forschenden Sinnes und der schaffenden Einbildungskraft, das Volk der Hellenen errungen und als eine unvergängliche Wohlthat der spätesten Nachwelt vererbt hat.

Die Phönicier haben aber nicht bloß vermittelnd und anregend die Elemente der Weltanschauung vermehrt; sie haben auch erfinderisch und selbstthätig nach einzelnen Richtungen hin den Kreis des Wissens erweitert. Ein indüstrieller Wohlstand, der auf eine ausgebreitete Schifffahrt und auf den Fabrikfleiß von Sidon in weißen und gefärbten Glaswaaren, in Geweben und Purpurfärberei gegründet war, führte hier wie überall zu Fortschritten in dem mathematischen und chemischen Wissen, vorzüglich aber in den technischen Künsten. „Die Sidonier", sagt Strabo, „werden geschildert als strebsame Forscher sowohl in der Sternkunde als in der Zahlenlehre, wobei sie ausgingen von der Rechenkunst und Nachtschifffahrt: denn beides ist dem Handel und dem Schiffsverkehr unentbehrlich."28 Um den Erdraum zu messen, der durch phönicische Schifffahrt und phönicischen Caravanenhandel zuerst eröffnet wurde, nennen wir die Ansiedelung im Pontus an der bithynischen Küste (Pronectus und Bithynium), wahrscheinlich in sehr früher Zeit; den Besuch der Cycladen und mehrerer Inseln des ägäischen Meeres zur Zeit des homerischen Sängers; das silberreiche südliche Spanien (Tartessus und Gades); das nördliche Afrika westlich von der kleinen Syrte (Utica, Hadrumetum und Carthago); die Zinn-29 und Bernsteinländer des Nordens von Europa; zwei Handelsfactoreien30 im persischen Meerbusen (Tylos und Aradus, die Baharein-Inseln).

[163]

Der Bernsteinhandel, welcher wahrscheinlich zuerst nach den westlichen cimbrischen Küsten31 und dann später nach der Ostsee, dem Lande der Aestyer, gerichtet war, verdankt der Kühnheit und der Ausdauer phönicischer Küstenfahrer seinen ersten Ursprung. Er bietet uns in seiner nachmaligen Ausdehnung für die Geschichte der Weltanschauung ein merkwürdiges Beispiel von dem Einflusse dar, den die Liebe zu einem einzigen fernen Erzeugniß auf die Eröffnung eines inneren Völkerverkehrs und auf die Kenntniß großer Länderstrecken haben kann. So wie die phocäischen Massilier das britische Zinn quer durch Gallien bis an den Rhodanus führten, so gelangte der Bernstein (electrum) von Volk zu Volk durch Germanien und das Gebiet der Kelten an beiden Abhängen der Alpen zum Padus, durch Pannonien an den Borysthenes. Dieser Landhandel setzte so zuerst die Küsten des nördlichen Oceans in Verbindung mit dem adriatischen Meerbusen und dem Pontus.

Von Carthago und wahrscheinlich von den 200 Jahre früher gegründeten Ansiedelungen Tartessus und Gades aus haben die Phönicier einen wichtigen Theil der Nordwestküste von Afrika erforscht, weit jenseits dem Cap Bojador: wenn auch der Chretes des Hanno wohl weder der Chremetes der Meteorologie des Aristoteles, noch unser Gambia ist32. Dort lagen die vielen Städte der Tyrier, deren Zahl Strabo bis zu 300 erhöht und die von den Pharusiern und Nigriten33 zerstört wurden. Unter ihnen war Cerne (Dicuil's Gaulea nach Letronne) die Hauptstation der Schiffe wie der Hauptstapelplatz der colonisirten Küste. Die canarischen Inseln und die Azoren, welche letzteren des Columbus Sohn Don Fernando für die von den [164] Carthagern aufgefundenen Kassiteriden hielt, sind gegen Westen, die Orcaden, Faröer-Inseln und Island sind gegen Norden gleichsam vermittelnde Stationen geworden, um nach dem Neuen Continent überzugehen. Sie bezeichnen die zwei Wege, auf denen zuerst der europäische Theil des Menschengeschlechts mit dem von Nord- und Mittelamerika bekannt geworden ist. Diese Betrachtung giebt der Frage, ob und wie früh die Phönicier des Mutterlandes oder die der iberischen und afrikanischen Pflanzstädte (Gadeira, Carthago, Cerne) Porto Santo, Madera und die canarischen Inseln gekannt haben, eine große, ich möchte sagen eine weltgeschichtliche Wichtigkeit. In einer langen Verkettung von Begebenheiten spürt man gern dem ersten Kettengliede nach. Wahrscheinlich sind seit der phönicischen Gründung von Tartessus und Utica bis zur Entdeckung von Amerika auf dem nördlichen Wege, d. i. bis zu Erich Rauda's Uebergang nach Grönland, dem bald Seefahrten bis Nord-Carolina folgten, volle 2000 Jahre: auf dem südwestlichen Wege, welchen Christoph Columbus einschlug, indem er nahe bei dem altphönicischen Gadeira auslief, 2500 Jahre verflossen.

Wenn wir nun nach dem Bedürfniß der Verallgemeinerung der Ideen, welche diesem Werke obliegt, die Auffindung einer Inselgruppe, die nur 42 geographische Meilen von der afrikanischen Küste entfernt ist, als das erste Glied einer langen Reihe gleichmäßig gerichteter Bestrebungen betrachten; so ist hier nicht von einer aus dem Innern des Gemüthes erzeugten Dichtung, von dem Elysion, den Inseln der Seligen die Rede, welche an den Grenzen der Erde im Oceanus von der nahe untergehenden Sonnenscheibe erwärmt werden. In der weitesten Ferne dachte [165] man sich alle Anmuth des Lebens, die kostbarsten Erzeugnisse34 der Erde. Das ideale Land, die geographische Mythe des Elysion ward weiter gegen Westen geschoben, über die Säulen des Hercules hinaus, je nachdem die Kenntniß des Mittelmeers bei den Hellenen sich erweiterte. Die wirkliche Weltkunde, die frühesten Entdeckungen der Phönicier, über deren Epoche keine bestimmte Nachricht zu uns gekommen ist, haben wahrscheinlich nicht zu jener Mythe von seligen Inseln Veranlassung gegeben, es ist die Mythe erst nachher gedeutet worden. Die geographische Entdeckung hat nur ein Phantasie-Gebilde verkörpert, ihm gleichsam zum Substrat gedient.

Wo spätere Schriftsteller (wie ein unbekannter Compilator der dem Aristoteles zugeschriebenen Sammlung wunderbarer Erzählungen, welcher den Timäus benutzte, oder noch ausführlicher Diodor von Sicilien) der anmuthigen Inseln erwähnen, die man für die canarischen halten kann, wird großer Stürme gedacht, welche die zufällige Entdeckung veranlaßt haben. Phönicische und carthagische Schiffe, heißt es, „welche nach den (damals schon vorhandenen) Niederlassungen an der Küste Libyens segelten", wurden in das Meer hinausgetrieben. Die Begebenheit soll sich in der frühen Zeit der tyrrhenischen Seeherrschaft, in der des Streites zwischen den tyrrhenischen Pelasgern und den Phöniciern zugetragen haben. Statius Sebosus und der numidische König Juba nannten zuerst die einzelnen Inseln, aber leider nicht mit punischen Namen, wenn auch gewiß nach Notizen, die aus punischen Büchern geschöpft waren. Weil Sertorius, aus Hispanien vertrieben, nach Verlust seiner Flotte sich mit den Seinen „nach einer Gruppe von nur zwei atlantischen Inseln, 10000 Stadien im Westen vom Ausflusse des Bätis", retten wollte, so hat man [166] vermuthet, Plutarch habe die beiden Inseln Porto Santo und Madera gemeint35, welche Plinius nicht undeutlich als Purpurariae bezeichne. Die heftige Meeresströmung, welche jenseits der Hercules-Säulen von Nordwesten gegen Südost gerichtet ist, konnte allerdings die Küstenfahrer lange hindern die vom Continent entferntesten Inseln, von denen nur die kleinere (Porto Santo) im 15ten Jahrhundert bevölkert gefunden ward, zu entdecken. Der Gipfel des großen Vulkans von Teneriffa hat, wegen der Erdkrümmung, auch bei einer starken Strahlenbrechung von den phönicischen Schiffern, die an der Continentalküste hinschifften, nicht gesehen werden können; wohl aber nach meinen Untersuchungen von den mäßigen Anhöhen, welche das Cap Bojador umgeben36, besonders bei Feuerausbrüchen und durch den Reflex eines hohen über dem Vulkan stehenden Gewölkes. Behauptet man doch in Griechenland in neueren Zeiten Ausbrüche des Aetna vom Gebirge Taygetos aus gesehen zu haben.37

In der Aufzählung der Elemente einer erweiterten Erdkenntniß, welche früh den Griechen aus anderen Theilen des mittelländischen Meerbeckens zuströmten, sind wir bisher den Phöniciern und Carthagern in ihrem Verkehr mit den nördlichen Zinn- und Bernsteinländern wie in ihren der Tropengegend nahen Ansiedelungen an der Westküste von Afrika gefolgt. Es bleibt uns übrig an eine Schifffahrt gegen Süden zu erinnern, welche die Phönicier tausend geographische Meilen östlich von Cerne und Hanno's Westhorne weit über den Wendekreis in das prasodische und indische Meer führte. Mag auch Zweifel über die Localisirung der Namen von fernen Goldländern (Ophir und Supara) übrig bleiben, mögen diese Goldländer die Westküste der indischen [167] Halbinsel oder die Ostküste von Afrika sein: immer ist es gewiß, daß derselbe regsame, alles vermittelnde, früh mit Buchstabenschrift ausgerüstete semitische Menschenstamm von den Kassiteriden an bis südlich von der Straße Bab-el-Mandeb tief innerhalb der Tropen-Region in Contact mit den Erzeugnissen der verschiedenartigsten Klimate trat. Tyrische Wimpel wehten zugleich in Britannien und im indischen Ocean. Die Phönicier hatten Handelsniederlassungen in dem nördlichsten Theile des arabischen Meerbusens in den Häfen von Elath und Ezion-Geber, wie im persischen Meerbusen zu Aradus und Tylos, wo nach Strabo Tempel standen, im Styl der Architectur denen am Mittelmeer ähnlich38. Auch der Caravanenhandel, welchen die Phönicier trieben, um Gewürze und Weihrauch zu holen, war über Palmyra nach dem glücklichen Arabien und dem chaldäischen oder nabatäischen Gerrha am westlichen oder arabischen Gestade des persischen Meerbusens gerichtet.

Von Ezion-Geber aus gingen die Hiram-Salomonischen Expeditionen, gemeinschaftliche Unternehmungen der Tyrier und Israeliten, durch die Meerenge Bab-el-Mandeb nach Ophir (Opheir, Sophir, Sophara, das sanskritische Supara39 des Ptolemäus). Der prachtliebende Salomo ließ eine Flotte am Schilfmeere bauen, Hiram gab ihm seekundige phönicische Schiffsleute und auch tyrische Schiffe, Tarschischfahrer40. Die Waaren, welche aus Ophir zurückgebracht wurden, waren Gold, Silber, Sandelholz (algummim), Edelgesteine, Elfenbein, Affen (kophim) und Pfauen (thukiim). Die Namen für diese Waaren sind nicht hebräisch, sondern indisch.41 Nach den scharfsinnigen Untersuchungen von Gesenius, Benfey und Lassen ist es [168] überaus wahrscheinlich, daß die durch ihre Colonien am persischen Meerbusen und ihren Verkehr mit den Gerrhäern der periodisch wehenden Monsune früh kundigen Phönicier die westliche Küste der indischen Halbinsel besuchten. Christoph Columbus war sogar überzeugt, daß Ophir (Salomo's Eldorado) und der Berg Sopora ein Theil von Ost-Asien, von der Chersonesus aurea des Ptolemäus sei.42 Wenn es schwierig scheint sich Vorder-Indien als eine ergiebige Quelle des Goldes zu denken, so glaube ich, daß man, nicht etwa an die „goldsuchenden Ameisen" oder an Ktesias unverkennbare Beschreibung eines Hüttenwerkes, in welchem aber nach seinem Vorgeben Gold und Eisen zugleich geschmolzen wurde43, sondern nur an die Verhältnisse der geographischen Nähe des südlichen Arabiens, der von indischen Ansiedlern bebauten Insel des Dioscorides (Diu zokotora der Neueren, Verstümmelung des sanskritischen Dvipa Sukhatara), und an die goldführende ost-afrikanische Küste von Sofala zu erinnern braucht. Arabien und die eben genannte Insel, südöstlich von der Meerenge Bab-el-Mandeb, waren für den phönicisch-jüdischen Handelsverkehr gleichsam vermittelnde Elemente zwischen der indischen Halbinsel und Ost-Afrika. In diesem hatten sich seit den ältesten Zeiten Inder wie auf einer ihrem Vaterlande gegenüberstehenden Küste niedergelassen, und die Ophirfahrer konnten in dem Bassin des erythräisch-indischen Meeres andere Quellen des Goldes als Indien selbst finden.

Nicht so vermittelnd als der phönicische Stamm, auch den geographischen Gesichtskreis weniger erweiternd, und früh schon unter dem griechischen Einflusse eines seewärts einbrechenden Stromes pelasgischer Tyrrhener, zeigt sich [169] uns das düstre, strenge Volk der Tusker. Es trieb einen nicht unbeträchtlichen Landhandel durch das nördliche Italien über die Alpen, da wo eine heilige Straße44 von allen umwohnenden Stämmen geschützt wurde, nach fernen Bernsteinländern. Fast auf demselben Wege scheint das tuscische Urvolk der Rasener aus Rhätien an den Padus und weiter südlich gelangt zu sein. Am wichtigsten ist für uns nach dem Standpunkte, den wir hier einnehmen, um immer das Allgemeinste und Dauerndste zu erfassen, der Einfluß, welchen das Gemeinwesen Etruriens auf die ältesten römischen Staatseinrichtungen und so auf das ganze römische Leben ausgeübt hat. Man darf sagen, daß ein solcher Reflex (in so fern er durch das Römerthum die Bildung der Menschheit gefördert oder wenigstens auf Jahrhunderte eigenthümlich gestempelt hat) in seinen abgeleiteten und entfernten Aeußerungen politisch noch heute fortwirkt.45

Ein eigenthümlicher, hier besonders zu bezeichnender Charakterzug des tuscischen Stammes war die Neigung zu einem innigen Verkehr mit gewissen Naturerscheinungen. Die Divination (das Geschäft der ritterlichen Priestercaste) veranlaßte eine tägliche Beobachtung der meteorologischen Processe des Luftkreises. Die Blitzschauer (Fulguratoren) beschäftigten sich mit Erforschung der Richtung der Blitze, dem „Herabziehen" und dem „Abwenden" derselben.46 Sie unterschieden sorgfältig Blitze aus der hohen Wolkenregion von denen, welche Saturn, ein Erdgott47, von unten aufsteigen läßt und die man saturnische Erdblitze nannte: ein Unterschied, welchen die neuere Physik wieder einer besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt hat. So [170] entstanden officielle Verzeichnisse täglicher Gewitter-Beobachtungen.48 Auch die von den Tuskern geübte Kunst des Wasserspürens (aquaelicium) und Quellen-Hervorlockens setzte bei den Aquilegen eine aufmerksame Erforschung natürlicher Merkmale der Schichtung des Gesteins und der Unebenheiten des Bodens voraus. Diodor preist deshalb die Tusker als forschende Naturkundige. Wir wollen zu diesem Lobe hinzusetzen, daß die vornehme und mächtige Priestercaste von Tarquinii das seltene Beispiel einer Begünstigung des physikalischen Wissens dargeboten hat.

Wir haben, ehe wir zu den Hellenen, zu dem hochbegabten Stamme übergehen, in dessen Cultur die unsrige am tiefsten wurzelt und aus dessen Ueberlieferungen wir einen wichtigen Theil aller früheren Völkerkunde und Weltansicht schöpfen, die alten Sitze der Menschenbildung in Aegypten, Phönicien und Etrurien genannt. Wir haben das Becken des Mittelmeers in seiner eigenthümlichen Gestaltung und Weltstellung, in dem Einfluß dieser Verhältnisse auf den Handelsverkehr mit der Westküste von Afrika, mit dem hohen Norden, mit dem arabisch-indischen Meere betrachtet. An keinem Punkte der Erde ist mehr Wechsel der Macht und unter geistigem Einfluß mehr Wechsel eines bewegten Lebens gewesen. Die Bewegung hat sich durch Griechen und Römer, besonders seitdem letztere die phönicisch-carthagische Macht gebrochen, weit und dauernd fortgepflanzt. Dazu ist das, was wir den Anfang der Geschichte nennen, nur das Selbstbewußtsein später Generationen. Es ist ein Vorzug unserer Zeit, daß durch glänzende Fortschritte in der allgemeinen und vergleichenden Sprachkunde, durch das sorgfältigere Aufsuchen der Monumente und die [171] sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben aufgeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und Turdetaner49. Von diesen sagt Strabo: „sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen." Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt.

Ueber den 48sten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere, zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,50 ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der [172] Nordwesten von Hellas die Heerstraße vordringender illyrischer Stämme war. Die ägäische Inselwelt, welche theilweise nach einander phönicischer, persischer und griechischer Herrschaft unterlag, war das vermittelnde Glied zwischen dem Griechenthum und dem fernen Orient.

Als das phrygische Reich dem lydischen und dieses dem Perserreiche einverleibt wurde, erweiterte der Contact den Ideenkreis der asiatischen und europäischen Griechen. Die persische Weltherrschaft erstreckte sich durch die kriegerischen Unternehmungen des Cambyses und Darius Hystaspis von Cyrene und dem Nil bis in die Fruchtländer des Euphrats und des Indus. Ein Grieche, Scylax von Karyanda, wurde gebraucht, den Lauf des Indus von dem damaligen Gebiete von Kaschmir (Kaspapyrus51) bis zu seiner Mündung zu erforschen. Der Verkehr der Griechen mit Aegypten (mit Naucratis und dem pelusischen Nilarme) war schon lebhaft vor der persischen Eroberung, er war es unter Psammitich und Amasis.52 Die hier geschilderten Verhältnisse entzogen viele Griechen dem heimischen Boden, nicht etwa bloß bei Stiftung von fernen Colonien, deren wir später erwähnen werden, sondern um als Söldner den Kern fremder Heere zu bilden: in Carthago53, Aegypten, Babylon, Persien und dem bactrischen Oxus-Lande.

Ein tieferer Blick in die Individualität und volksthümliche Gestaltung der verschiedenen griechischen Stämme hat gezeigt, daß, wenn bei den Doriern und theilweise bei den Aeoliern eine ernste, fast innungsartige Abgeschlossenheit herrscht, dem heiteren ionischen Stamme dagegen ein durch Forschbegier und Thatkraft unaufhaltsam angeregtes, nach innen und außen bewegtes Leben zuzuschreiben ist. Von [173] objectiver Sinnesart geleitet, durch Dichtung und Kunst phantasiereich verschönert, hat das ionische Leben überall, wo es in den Pflanzstädten verbreitet war, die wohlthätigen Keime fortschreitender Bildung ausgestreut.

War dem Charakter der griechischen Landschaft54 der eigenthümliche Reiz einer innigen Verschmelzung des Festen und Flüssigen gegeben, so mußte die Gliederung der Länderform, welche diese Verschmelzung begründet, auch früh die Griechen zu Schifffahrt, zu thätigem Handelsverkehr und zu der Berührung mit Fremden anreizen. Auf die Seeherrschaft der Creter und Rhodier folgten die, freilich anfangs auf Menschenraub und Plünderung gerichteten Expeditionen der Samier, Phocäer, Taphier und Thesproten. Die Hesiodische Abneigung gegen das Seeleben bezeugt wohl nur eine individuelle Ansicht oder die schüchterne Unkunde in der Nautik bei anfangender Gesittung im Festlande von Hellas. Dagegen haben die ältesten Sagengeschichten und Mythen Bezug auf weite Wanderungen, auf eine weite Schifffahrt, eben als erfreue sich die jugendliche Phantasie des Menschengeschlechts an dem Contraste zwischen den idealen Schöpfungen und einer beschränkten Wirklichkeit; so die Züge des Dionysus und Hercules (Melkarth im Tempel zu Gadeira), die Wanderung der Jo55, des oft wieder erstandenen Aristeas, des hyperboreischen Wundermannes Abaris, in dessen leitendem Pfeile56 man einen Compaß zu erkennen gewähnt hat. In solchen Wanderungen spiegeln sich gegenseitig Begebenheiten und alte Weltansichten; ja die fortschreitende Veränderlichkeit der letzteren wirkt auf das Mythisch-Geschichtliche zurück. In den Irrfahrten der von Troja zurückkehrenden Helden ließ Aristonikus den [174] Menelaus selbst Afrika mehr denn 500 Jahre vor Neko umschiffen57 und von Gadeira nach Indien segeln.

In der Periode, die wir hier behandeln, in dem Griechenthum vor dem macedonischen Feldzuge nach Asien giebt es drei Begebenheiten, welche einen vorzüglichen Einfluß auf den erweiterten Gesichtskreis hellenischer Weltanschauung gehabt haben. Diese Begebenheiten sind die Versuche aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Osten und Westen vorzudringen, und die Gründung zahlreicher Colonien von der Hercules-Straße bis zum nordöstlichsten Pontus: Colonien, welche ihrer politischen Verfassung nach vielgestalteter und den Fortschritten geistiger Bildung günstiger waren als die der Phönicier und der Carthager im ägäischen Meere, in Sicilien, Iberien, an der Nord- und Westküste von Afrika.

Das Vordringen gegen Osten ungefähr zwölf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, 150 Jahre nach Ramses Miamen (Sesostris) wird, als geschichtliche Begebenheit betrachtet, der Zug der Argonauten nach Kolchis genannt. Die wirkliche, aber mythisch eingekleidete, d. h. in der Darstellung mit Idealem, Innerlich-Erzeugtem gemischte Begebenheit ist ihrem einfachen Sinne nach die Erfüllung eines nationalen Bestrebens den unwirthbaren Pontus zu eröffnen. Die Prometheus-Sage und die Entfesselung des feuerzündenden Titanen am Kaukasus auf der östlichen Wanderung des Hercules, das Aufsteigen der Jo aus dem Thal des Hybrites58 nach dem Kaukasus, die Mythe von Phrixus und Helle bezeichnen alle dieselbe Richtung des Weges, die Bestrebung in den euxinischen Pontus vorzudringen, in welchen früh schon sich phönicische Schiffer gewagt hatten.

[175]

Vor der dorischen und äolischen Wanderung war das böotische Orchomenos, nahe dem nördlichsten Ende des Sees Kopais, ein durch Handelsverkehr reicher Seestaat der Minyer. Die Argofahrt aber begann in Jolkos, dem Hauptsitz der thessalischen Minyer am pagasetischen Meerbusen. Zu verschiedenen Zeiten mannigfach umgestaltet, hat sich das Local der Sage, als Ziel und Endpunkt des Unternehmens59, statt des unbestimmten Fernlandes Aea, an die Mündung des Phasis (Rion) und an Kolchis, einen Sitz älterer Cultur, gebunden. Die Seefahrten der Milesier und ihre zahlreichen Pflanzstädte am Pontus verschafften eine genauere Kenntniß von der Ost- und Nordgrenze des Meeres. Sie gaben dem geographischen Theile der Mythe bestimmtere Umrisse. Eine wichtige Reihe neuer Ansichten bot sich gleichzeitig dar. Von dem nahen caspischen Meere kannte man lange nur das westliche Gestade: noch Hecatäus hält dies westliche Gestade60 für das des kreisenden östlichen Weltmeeres selbst. Erst der ehrwürdige Vater der Geschichte lehrte (was nach ihm sechs Jahrhunderte lang, bis Ptolemäus, wiederum bestritten ward), daß das caspische Meer ein von allen Seiten geschlossenes Becken sei.

Auch der Völkerkunde ward in dem nordöstlichen Winkel des schwarzen Meeres ein weites Feld eröffnet. Man erstaunte über die Vielzüngigkeit der Stämme61, und das Bedürfniß geschickter Dolmetscher (der ersten Hülfsmittel und roher Werkzeuge vergleichender Sprachkunde) wurde hier lebhaft gefühlt. Tauschhandel leitete von dem, übermäßig groß geglaubten mäotischen Busen durch die Steppe, in welcher jetzt die mittlere Kirghisen-Horde weidet, durch eine Kette scythisch-scolotischer Völkerschaften (ich [176] halte sie für indogermanischen62 Ursprungs), von den Argippäern und Issedonen zu den goldreichen Arimaspen63 an den nördlichen Abfall des Altai. Hier ist das alte Reich der Greife, der Sitz des meteorologischen Mythus64 der Hyperboreer, welcher mit Hercules weit nach Westen gewandert ist.

Man darf vermuthen, daß der oben bezeichnete, in unseren Tagen durch die sibirischen Goldwäschen wieder so berühmt gewordene Theil des nördlichen Asiens, wie das viele bei den Massageten (von gothischem Stamme) zu Herodots Zeiten angehäufte Gold, eine durch den Verkehr mit dem Pontus eröffnete wichtige Quelle des Reichthums und des Luxus für die Hellenen geworden ist. Ich setze diese Quelle zwischen den 53sten und 55sten Breitengrad. Die Region des Goldsandes aber, von welcher die im Mahabharata und in des Megasthenes Fragmenten genannten Daradas (Darder oder Derder) den Reisenden Nachricht gaben und an welche wegen des zufälligen Doppelsinnes von Thiernamen65 die oft wiederholte Fabel der Riesen-Ameisen geknüpft worden ist, gehört südlicheren Breiten von 35° oder 37° zu. Sie fällt, nach zweierlei Combinationen, entweder in das tübetische Hochland östlich von der Bolor-Kette zwischen den Himalaya und Kuen-lün, westlich von Iskardo, oder nördlich von Kuen-lün gegen die Wüste Gobi hin, welche der immer so genau beobachtende chinesische Reisende Hiuen-thsang (aus dem Anfang des 7ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung) ebenfalls als goldreich beschreibt. Wie viel zugänglicher mußte dem Verkehr der milesischen Colonien an der nordöstlichen Küste des Pontus der nördliche Goldreichthum der Arimaspen und [177] Massageten sein! Es schien mir geeignet in der Geschichte der Weltanschauung hier alles das zu berühren, was als eine wichtige, spät noch wirkende Folge der Eröffnung des Pontus und des ersten Vordringens der Griechen nach Osten betrachtet werden darf.

Die große alles umgestaltende Begebenheit der dorischen Wanderung und der Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes fällt ungefähr anderthalb Jahrhunderte nach der halb mythischen Argonautenfahrt, d. h. nach der Eröffnung des Pontus für die griechische Schifffahrt und den Handelsverkehr. Diese Wanderung hat gleichzeitig mit der Gründung neuer Staaten und neuer Verfassungen den ersten Anlaß zu dem System der Anlegung von Pflanzstädten gegeben, einem Colonial-System, das eine wichtige Lebensperiode des hellenischen Volkes bezeichnet und am einflußreichsten für die auf intellectuelle Cultur gegründete Erweiterung der Weltansicht geworden ist. Die engere Verkettung von Europa und Asien ist recht eigentlich durch Ausführung von Colonien begründet worden. Es bildeten dieselben eine Kette von Sinope, Dioscurias und dem taurischen Panticapäum an bis Saguntum und Cyrene, das von der regenlosen Thera gestiftet worden war.

Kein Volk der alten Welt hat zahlreichere und in der Mehrzahl mächtigere Pflanzstädte dargeboten als die Hellenen. Von der Ausführung der ältesten äolischen Colonien, unter denen Mytilene und Smyrna glänzten, bis zu der Gründung von Syracus, Croton und Cyrene sind aber auch vier bis fünf Jahrhunderte verflossen. Die Inder und Malayen haben nur schwache Ansiedelungen an der Ostküste von Afrika, in Zokotora (Dioscorides) und im südlichen asiatischen Archipel [178] versucht. Bei den Phöniciern hat sich zwar ein sehr ausgebildetes Colonial-System auf noch größere Räume als das griechische ausgedehnt, indem dasselbe, doch mit sehr großer Unterbrechung der Stationen, sich vom persischen Meerbusen bis Cerne an der Westküste von Afrika erstreckte. Kein Mutterland hat je eine Colonie geschaffen, welche in dem Grade mächtig erobernd und handelnd zugleich gewesen ist, als es Carthago war. Aber Carthago stand trotz seiner Größe in geistiger Cultur und artistischer Bildsamkeit tief unter dem, was in den griechischen Pflanzstädten so herrlich und dauernd unter den edelsten Kunstformen erblühte.

Vergessen wir nicht, daß gleichzeitig viele volkreiche griechische Städte in Kleinasien, im ägäischen Meere, in Unteritalien und Sicilien glänzten; daß, wie Carthago, so auch die Pflanzstädte Miletus und Massilia andere Pflanzstädte gründeten; daß Syracus auf dem Gipfel seiner Macht gegen Athen und die Heere von Hannibal und Hamilkar kämpfte; daß Milet nach Tyrus und Carthago lange Zeit die erste Handelsstadt der Welt war. Indem sich durch die Thatkraft eines, in seinem Inneren oft erschütterten Volkes ein so reich bewegtes Leben nach außen entfaltete, wurden, bei zunehmendem Wohlstande, durch die Verpflanzung einheimischer Cultur überall neue Keime der geistigen National-Entwickelung hervorgerufen. Das Band gemeinsamer Sprache und Heiligthümer umfaßte die fernesten Glieder. Durch diese trat das kleine hellenische Mutterland in die weiten Lebenskreise anderer Völker. Fremde Elemente wurden aufgenommen, ohne dem Griechenthum etwas von seinem großen und selbstständigen Charakter zu entziehen. Der Einfluß eines Contacts mit dem Orient und, über [179] hundert Jahre vor dem Einfall des Cambyses, mit dem noch nicht persisch gewordenen Aegypten war ohnedies seiner Natur nach dauernder als der Einfluß so viel bestrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlassungen des Cecrops aus Sais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis.

Was die griechischen Colonien von allen anderen, besonders von den starren phönicischen, unterschied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinwesens eingriff, entsprang aus der Individualität und uralten Verschiedenheit der Stämme, in welche die Nation sich theilte. Es war in den Colonien wie im ganzen Hellenismus ein Gemisch von bindenden und trennenden Kräften. Diese Gegensätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verschiedenheiten in Dichtungsweise und melischer Kunst; sie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher sich das scheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löste.

Waren auch Milet, Ephesus und Kolophon ionisch; Cos, Rhodus und Halikarnaß dorisch; Croton und Sybaris achäisch: so übte doch mitten in dieser Vielseitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzstädte verschiedener Volksstämme neben einander lagen, die Macht der homerischen Gesänge, die Macht des begeisterten, tiefempfundenen Wortes, ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei fest gewurzelten Contrasten in den Sitten und in den Staatsverfassungen, bei dem wechselnden Schwanken der letzteren erhielt sich das Griechenthum ungetheilt. Ein weites durch die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunsttypen wurde als das Eigenthum der gesammten Nation betrachtet.

[180]

Es bleibt mir übrig in diesem Abschnitt noch des dritten Punktes zu erwähnen, den wir oben als vorzüglich einflußreich auf die Geschichte der Weltansichten neben der Eröffnung des Pontus und der Stiftung der Colonien am Rande des inneren Meerbeckens bezeichnet haben. Die Gründung von Tartessus und Gades, wo ein Tempel dem wandernden Gotte Melkarth (einem Sohne des Bal) geheiligt war, die Pflanzstadt Utica, älter als Carthago, erinnern daran, daß die Phönicier schon viele Jahrhunderte lang durch den freien Ocean schifften, als den Hellenen noch die Straße, die Pindar66 die Gadeirische Pforte nennt, verschlossen war. So wie die Milesier in Osten durch den geöffneten Pontus67 Verbindungen stifteten, durch welche der Landhandel mit dem europäischen und asiatischen Norden und in viel späteren Zeiten mit dem Oxus und Indus belebt wurde, so suchten unter den Hellenen die Samier68 und Phocäer69 zuerst aus dem Becken des Mittelmeers gegen Westen vorzudringen.

Coläus von Samos wollte nach Aegypten schiffen, wo zu dieser Zeit der, vielleicht nur erneuerte Verkehr mit den Griechen unter Psammitichus begonnen hatte. Er wurde durch Oststürme nach der Insel Platea und von da (Herodot fügt bedeutsam hinzu: „nicht ohne göttliche Schickung") durch die Meerenge in den Ocean getrieben. Nicht bloß der Zufall eines unerwarteten Handelsgewinnstes in dem iberischen Tartessus, sondern die räumliche Entdeckung, der Eintritt in eine unbekannte, nur mythisch geahndete Welt gab der Begebenheit Größe und Ruf, so weit im Mittelmeer die griechische Zunge verständlich war. Hier, jenseits der Säulen des Hercules (früher Säulen des Briareus, [181] des Aegäon und Kronos genannt), an dem westlichen Erdrande, auf dem Wege zum Elysium und zu den Hesperiden, sah man zuerst die Urwasser des kreisenden Okeanos70, in welchem damals noch der Ursprung aller Flüsse gesucht ward.

Am Phasis war der Schiffer wieder an eine den Pontus begrenzende Küste gelangt, jenseits deren er sich einen Sonnenteich fabeln durfte; südlich von Gadeira und Tartessus ruhte frei der Blick auf dem Unbegrenzten. Dieser Umstand hat anderthalb Jahrtausende lang der Pforte des inneren Meeres eine eigene Wichtigkeit gegeben. Immerfort nach dem Jenseitigen strebend, haben seefahrende Völker, haben hinter einander Phönicier, Hellenen, Araber, Catalanen, Mayorcaner, Franzosen aus Dieppe und La Rochelle, Genueser, Venetianer, Portugiesen und Spanier Versuche gemacht in dem atlantischen Oceane (er galt lange für ein schlammerfülltes, seichtes, nebeliges Dunkelmeer, Mare tenebrosum) vorzudringen: bis gleichsam stationsweise jene südlichen Nationen, von den canarischen Inseln und den Azoren aus, endlich den Neuen Continent erreichten, welchen aber Normannen schon früher und auf anderem Wege erreicht hatten.

Während Alexander den fernen Osten eröffnete, leiteten schon Betrachtungen über die Gestalt der Erde den großen Stagiriten71 auf die Idee der Nähe von Indien zu den Säulen des Hercules; ja Strabo ahndete sogar, „daß in der nördlichen Hemisphäre, vielleicht in dem Parallelkreise, welcher durch die Säulen, die Insel Rhodus und Thinä geht, zwischen den Küsten des westlichen Europa's und des östlichen Asiens mehrere andere bewohnbare Ländermassen72 liegen könnten." Die Angabe einer [182] solchen Oertlichkeit in der fortgesetzten Längenaxe des Mittelmeeres hing mit einer großartigen im Alterthum sehr verbreiteten Erdansicht des Eratosthenes zusammen, nach welcher der ganze alte Continent in seiner weitesten Ausdehnung von Westen nach Osten, ungefähr im Parallel von 36°, eine wenig unterbrochene Hebungslinie darbietet.73

Aber die Expedition des Coläus von Samos bezeichnet nicht bloß eine Epoche, in welcher sich den griechischen Stämmen und den Nationen, auf die ihre Civilisation vererbt wurde, neue Aussicht zu fernen nautischen Unternehmungen entfaltete: sie erweiterte auch unmittelbar den Kreis der Ideen. Ein großes Naturphänomen, das im periodischen Anschwellen des Meeres den Verkehr der Erde mit dem Mond und der Sonne sichtbar macht, fesselte nun zuerst dauernd die Aufmerksamkeit. In den afrikanischen Syrten hatte das Phänomen den Griechen unregelmäßiger geschienen, es war ihnen sogar bisweilen gefahrbringend gewesen. Posidonius beobachtete Ebbe und Fluth zu Ilipa und Gadeira, und verglich seine Beobachtungen mit dem, was ihm dort über den Einfluß des Mondes die erfahrneren Phönicier74 mittheilen konnten.


[183]
II.

Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen. — Umgestaltung der Weltverhältnisse. — Verschmelzung des Westens mit dem Osten. — Das Griechenthum befördert die Völkervermischung vom Nil bis zum Euphrat, dem Jaxartes und Indus. — Plötzliche Erweiterung der Weltansicht durch eigene Beobachtung der Natur wie durch den Verkehr mit altcultivirten, gewerbtreibenden Völkern.

In dem Entwickelungsgange der Menschengeschichte, so fern dieselbe eine innigere Verbindung der europäischen Abendländer mit dem südwestlichen Asien, dem Nilthale und Libyen darstellt, bezeichnen die Heerzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen, der Untergang der Perserherrschaft, der beginnende Verkehr mit Vorder-Indien, die Einwirkung des 116 Jahre dauernden griechisch-bactrischen Reichs eine der wichtigsten Epochen des gemeinsamen Völkerlebens. War die Sphäre der Entwickelung fast maaßlos dem Raume nach, so gewann sie dazu noch an intensiver moralischer Größe durch das unablässige Streben des Eroberers nach Vermischung aller Stämme, nach einer Welteinheit unter dem begeistigenden Einflusse des Hellenismus75. Die Gründung so vieler neuer Städte an Punkten, deren Auswahl höhere Zwecke andeutet, die Anordnung und Gliederung eines selbstständigen Gemeinwesens zur Verwaltung dieser Städte, die zarte Schonung [184] der Nationalgewohnheiten und des einheimischen Cultus, — alles bezeugt, daß der Plan zu einem großen organischen Ganzen gelegt war. Was vielleicht ursprünglich diesem Plane nicht angehörte, hat sich, wie es immer in dem Drange vielumfassender Weltbegebenheiten der Fall ist, später aus der Natur der Verhältnisse von selbst entwickelt. Erinnert man sich nun, daß von der Schlacht am Granicus bis zu dem zerstörenden Einbruch der Saker und Tocharer in Bactrien nur 52 Olympiaden verflossen sind, so bewundert man die Ausdauer und die zauberisch vermittelnde Macht der von Westen eingeführten hellenischen Bildung. Dem Wissen der Araber, der Neuperser und Inder beigemengt, hat diese Bildung ihre Wirksamkeit bis in das Mittelalter ausgeübt: so daß es oft zweifelhaft bleibt, was der griechischen Litteratur, was unvermischt dem Erfindungsgeiste jener asiatischen Völker ursprünglich zugehört.

Das Princip der Einigung und Einheit oder vielmehr das Gefühl von dem wohlthätigen politischen Einflusse dieses Princips lag, wie alle seine Staatseinrichtungen beweisen, tief in dem Gemüth des kühnen Eroberers. Selbst auf Griechenland angewandt, war es ihm von seinem großen Lehrer schon früh eingeprägt worden. In der Politik des Aristoteles76 lesen wir: „den asiatischen Völkern fehlt es nicht an Thätigkeit des Geistes und Kunstgeschicklichkeit; doch muthlos leben sie in Unterwürfigkeit und Knechtschaft, während die Hellenen, kräftig und regsam, in Freiheit lebend und deshalb gut verwaltet, wären sie zu einem Staate vereinigt, alle Barbaren beherrschen könnten." So schrieb der Stagirite bei seinem zweiten Aufenthalte in Athen77, ehe noch Alexander [185] über den Granicus ging. Die Grundsätze des Lehrers, so „widernatürlich diesem auch das unumschränkte Königthum (die παμβασιλεία ) erschien", haben zweifelsohne einen lebendigeren Eindruck auf den Eroberer gemacht als die phantasiereichen Berichte des Ktesias über Indien, denen August Wilhelm von Schlegel und vor ihm schon Ste. Croix eine so große Wirkung zuschreiben78.

In dem vorhergehenden Abschnitte haben wir das Meer als ein vermittelndes, völkerverbindendes Element, die durch Phönicier und Carthager, Tyrrhener und Tusker erweiterte Schifffahrt in wenigen Zügen geschildert. Wir haben gezeigt, wie, durch zahlreiche Colonien in ihrer Seemacht verstärkt, die Griechen gegen Osten und Westen, durch die Argonauten von Jolkos und durch den Samier Coläus, aus dem Becken des Mittelmeers vorzudringen gestrebt, wie gegen Süden die Salomon-Hiramschen Expeditionen, in Ophirfahrten, durch das rothe Meer ferne Goldländer besuchten. Der zweite Abschnitt führt uns vorzugsweise in das Innere eines großen Continents auf Wegen, die dem Landhandel und der Flußschifffahrt geöffnet werden. In den kurzen Zeitraum von zwölf Jahren fallen der Zeitfolge nach: die Feldzüge in Vorder-Asien und Syrien mit den Schlachten am Granicus und in den Strandpässen von Issus; die Einnahme von Tyrus und die leichte Besitznahme Aegyptens; der babylonisch-persische Feldzug, als bei Arbela (in der Ebene von Gaugamela) die Weltherrschaft der Achämeniden vernichtet wurde; die Expedition nach Bactrien und Sogdiana zwischen dem Hindu Kho und dem Jaxartes (Syr); endlich das kühne Vordringen in das Fünfstromland (Pentapotamia) von Vorder- [186] Indien. Fast überall hat Alexander hellenische Ansiedelungen gegründet und in der ungeheuren Länderstrecke vom Ammonstempel in der libyschen Oase und von Alexandria am westlichen Nil-Delta bis zum nördlichen Alexandria am Jaxartes (dem jetzigen Khodjend in Fergana) griechische Sitten verbreitet.

Die Erweiterung des Ideenkreises, — und dies ist der Standpunkt, aus welchem hier des Macedoniers Unternehmen und die längere Dauer des bactrischen Reiches betrachtet werden müssen —, war begründet: in der Größe des Raumes; in der Verschiedenheit der Klimate von Cyropolis am Jaxartes (unter der Breite von Tiflis und Rom) bis zu dem östlichen Indus-Delta bei Tira unter dem Wendekreise des Krebses. Rechnen wir dazu die wunderbar wechselnde Gestaltung des Bodens, von üppigen Fruchtländern, Wüsten und Schneebergen mannigfaltig durchzogen; die Neuheit und riesenhafte Größe der Erzeugnisse des Thier- und Pflanzenreichs; den Anblick und die geographische Vertheilung ungleich gefärbter Menschenracen; den lebendigen Contact mit theilweise vielbegabten, uraltcultivirten Völkern des Orients, mit ihren religiösen Mythen, ihren Philosophemen, ihrem astronomischen Wissen und ihren sterndeutenden Phantasten. In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahrhundert später erfolgende Begebenheit der Entdeckung und Aufschließung des tropischen Amerika's ausgenommen) ist auf einmal einem Theile des Menschengeschlechts eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur Begründung der physischen Erdkenntniß und des vergleichenden ethnologischen Studiums dargeboten worden. Für die Lebhaftigkeit des Eindrucks, welchen eine solche [187] Bereicherung der Ansichten hervorgebracht, zeugt die ganze abendländische Litteratur; es zeugen selbst dafür, wie bei allem, was unsere Einbildungskraft in Beschreibung erhabener Naturscenen anspricht, die Zweifel, welche bei den griechischen und in der Folge bei den römischen Schriftstellern die Berichte des Megasthenes, Nearchus, Aristobulus und anderer Begleiter Alexanders erregt haben. Diese Berichterstatter, der Färbung und dem Einfluß ihres Zeitalters unterworfen, Thatsachen und individuelle Meinungen eng mit einander verwebend, haben das wechselnde Schicksal aller Reisenden, die Oscillation zwischen anfänglichem bitteren Tadel und später, mildernder Rechtfertigung, erfahren. Die letztere ist in unseren Tagen um so häufiger eingetreten, als tiefes Sprachstudium des Sanskrit, als allgemeinere Kenntniß einheimischer geographischer Namen, als bactrische Münzen in den Topen aufgefunden, und vor allem eine lebendige Ansicht des Landes und seiner organischen Erzeugnisse der Kritik Elemente verschafft haben, die dem vielverdammenden Eratosthenes, dem Strabo und Plinius bei ihrem so einseitigen Wissen unbekannt blieben.79

Wenn man nach Unterschieden der Längengrade die Erstreckung des ganzen Mittelmeeres mit der Entfernung von Westen nach Osten vergleicht, welche Kleinasien von den Ufern des Hyphasis (Beas), von den Altären der Rückkehr trennt, so erkennt man, daß die Erdkunde der Hellenen in wenigen Jahren um das Zwiefache vermehrt wurde. Um nun näher zu bezeichnen, was ich ein, durch Alexanders Heerzüge und Städtegründung so reichlich vermehrtes Material der physischen Geographie und Naturkunde genannt habe, erinnere ich zuerst an die neu ein- [188] gesammelten Erfahrungen über die besondere Gestaltung der Erdoberfläche. In den durchzogenen Ländern contrastiren Tiefländer (pflanzenleere Wüsten oder Salzsteppen, wie nördlich von der Asferah-Kette, einer Fortsetzung des Thianschan, und vier große angebaute Stromgebiete des Euphrat, Indus, Oxus und Jaxartes) mit Schneegebirgen von fast 19000 Fuß Höhe. Der Hindu-Kho oder indische Kaukasus der Macedonier, eine Fortsetzung des nord-tübetischen Kuenlün, westlich von der durchsetzenden Meridiankette des Bolor, ist in seiner Erstreckung gegen Herat hin in zwei große das Kafiristan begrenzende Ketten getheilt;80 die südlichere dieser Ketten ist die mächtigere. Alexander gelangte durch das noch 8000 Fuß hohe Plateau von Bamian, in dem man die Höhle des Prometheus zu sehen wähnte81, auf den Kamm des Kohibaba, um über Kabura, längs dem Choes, etwas nördlich vom jetzigen Attok, über den Indus zu setzen. Vergleichung des niedrigeren Taurus, an den die Griechen gewöhnt waren, mit dem ewigen Schnee des Hindu-Kho, welcher bei Bamian nach Burnes erst in 12200 Fuß Höhe beginnt, muß Veranlassung gegeben haben hier in einem colossaleren Maaßstabe das Uebereinanderliegen der Klimate und Pflanzenzonen zu erkennen. In regsamen Gemüthern wirkt bleibend und tiefer, was die elementare Natur dem Menschen unmittelbar vor den Sinnen entfaltet. Strabo beschreibt anschaulich den Uebergang über das Bergland der Paropanisaden, wo das Heer mit Mühe sich durch den Schnee einen Weg bahnte und wo alle Baumvegetation aufhört.82

Was von indischen Erzeugnissen und Kunstproducten durch ältere Handelsverbindungen oder aus den Berichten [189] des Ktesias von Cnidus, der 17 Jahre lang als Leibarzt des Artaxerxes Mnemon am persischen Hoflager lebte, unvollkommen, ja fast nur dem Namen nach gekannt war, davon wurde jetzt in dem Abendlande durch die macedonischen Ansiedelungen eine sichrere Kunde verbreitet. Es gehören dahin: die bewässerten Reißfelder, von deren Cultur Aristobulus besondere Nachricht gegeben; die Baumwollenstaude, wie die feinen Gewebe und das Papier83, zu welchen jene Staude den Stoff lieferte; Gewürze und Opium; Wein aus Reiß und aus dem Saft der Palme, deren Sanskritname tala uns bei Arrian erhalten ist84; Zucker aus Zuckerrohr85, freilich oft in griechischen und römischen Schriftstellern mit dem Tabaschir des Bambusrohres verwechselt; Wolle von großen Bombar-Bäumen86, Shawls aus tübetischer Ziegenwolle, seidene (serische) Gewebe87; Oel aus weißem Sesamum (sanskr. tila), Rosenöl und andere Wohlgerüche; Lack (sanskr. lâkschâ, in der Vulgärsprache lakkha)88; und endlich der gehärtete indische Wutzstahl.

Neben der materiellen Kenntniß dieser Producte, welche bald ein Gegenstand des großen Welthandels wurden und von welchen die Seleuciden89 mehrere nach Arabien verpflanzten, verschaffte der Anblick einer so reich geschmückten subtropischen Natur den Hellenen noch geistige Genüsse anderer Art. Große und niegesehene Thier- und Pflanzengestalten erfüllten die Einbildungskraft mit anregenden Bildern. Schriftsteller, deren nüchtern-wissenschaftliche Schreibart sonst aller Begeisterung fremd bleibt, werden dichterisch, wenn sie beschreiben die Sitten der Elephanten; die „Höhe der Bäume, deren Gipfel mit einem Pfeile nicht erreicht werden kann, deren Blätter größer als die Schilde des [190] Fußvolks sind"; die Bambusa, ein leichtgefiedertes baumartiges Gras, „dessen einzelne Knoten (internodia) als vielrudrige Kähne dienen"; den durch seine Zweige wurzelnden indischen Feigenbaum, dessen Stamm bis 28 Fuß Durchmesser erreicht und der, wie Onesikritus sehr naturwahr sich ausdrückt, „ein Laubdach bildet gleich einem vielsäuligen Zelte". Der hohen baumartigen Farren, nach meinem Gefühl des größten Schmuckes der Tropenländer, erwähnen indeß Alexanders Gefährten nie90, wohl aber der herrlichen fächerartigen Schirmpalmen wie des zarten, ewig frischen Grünes angepflanzter Pisang-Gebüsche91.

Die Kunde eines großen Theils des Erdbodens wurde nun erst wahrhaft eröffnet. Die Welt der Objecte trat mit überwiegender Gewalt dem subjectiven Schaffen gegenüber; und indem, durch Alexanders Eroberungen, griechische Sprache und Litteratur sich fruchtbringend verbreiteten, waren gleichzeitig die wissenschaftliche Beobachtung und die systematische Bearbeitung des gesammten Wissens durch Aristoteles Lehre und Vorbild dem Geiste klar geworden.92 Wir bezeichnen hier ein glückliches Zusammentreffen günstiger Verhältnisse; denn gerade in der Epoche, in der sich plötzlich ein so ungeheurer Vorrath von neuem Stoffe der menschlichen Erkenntniß darbot, war durch die Richtung, welche der Stagirite gleichzeitig dem empirischen Forschen nach Thatsachen im Gebiete der Natur, der Versenkung in alle Tiefen der Speculation und der Ausbildung einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte, die geistige Verarbeitung des Stoffes erleichtert und vervielfältigt worden. So bleibt Aristoteles, wie Dante sich schön ausdrückt, auf Jahrtausende noch: il maestro di color che sanno93.

[191]

Der Glaube an eine unmittelbare Bereicherung des Aristotelischen zoologischen Wissens durch die Heerzüge des Macedoniers ist jedoch durch ernste neuere Untersuchungen, wo nicht gänzlich verschwunden, doch wenigstens sehr schwankend geworden. Die elende Compilation eines Lebens des Stagiriten, welche lange dem Ammonius, Sohn des Hermias, zugeschrieben ward, hatte unter vielen historischen Irrthümern auch den verbreitet94, daß der Philosoph seinen Zögling wenigstens bis an die Ufer des Nils begleitet habe95. Das große Werk über die Thiere scheint um sehr weniges neuer als die Meteorologica, und diese fallen nach inneren Kennzeichen96 in die 106te, am spätesten in die 111te Olympiade: also entweder 14 Jahre früher als Aristoteles an den Hof des Philippus kam, oder auf das höchste 3 Jahre vor dem Uebergange über den Granicus. Gegen diese Ansicht einer frühen Vollendung der neun Bücher Aristotelischer Thiergeschichte werden nun freilich einzelne Angaben als widerstreitend angeführt. Dahin gehört die genaue Kenntniß, welche Aristoteles von dem Elephanten, dem bärtigen Pferd-Hirsche (hippelaphos), dem bactrischen zweibuckligen Kameele, dem Hippardion, das man für den Jagdtiger (Guepard) hält, und von dem indischen Büffel zu haben scheint, welcher letzte erst zur Zeit der Kreuzzüge in Europa eingeführt wurde. Es ist aber zu bemerken, daß gerade der Geburtsort jenes merkwürdig großen Hirsches mit der Pferdemähne, den Diard und Duvaucel aus dem östlichen Indien an Cuvier geschickt haben und welchem dieser sogar den Namen Cervus Aristotelis gegeben hat, nach des Stagiriten eigener Angabe nicht die von Alexander durchzogene indische Pentapotamia [192] ist, sondern Arachosien, eine Landschaft westlich von Kandahar, die mit Gedrosien eine altpersische Satrapie ausmachte.97 Sollten nicht die der Mehrzahl nach so kurzen Nachrichten über die Gestalt und die Sitten der oben genannten Thiere dem Aristoteles, ganz unabhängig von dem macedonischen Heerzuge, aus Persien und dem weltverkehrenden Babylon überliefert worden sein? Bei gänzlicher Unbekanntschaft mit der Bereitung des Alkohols98 konnten ohnedies nur Felle und Knochen, nicht aber weiche, der Zergliederung fähige Theile aus dem fernen Asien nach Griechenland geschickt werden. So wahrscheinlich es übrigens auch ist, daß Aristoteles zur Förderung seiner physikalischen und naturbeschreibenden Studien, zur Herbeischaffung eines ungeheuren zoologischen Materials aus dem gesammten Griechenland und aus den griechischen Meeren, ja zur Gründung der für seine Zeit einzigen Büchersammlung, die an Theophrast und später an Neleus von Skepsis überging, von Philippus und Alexander die freigebigste Unterstützung erhalten habe; so sind doch wohl die Geschenke von achthundert Talenten und die „Beköstigung so vieler tausend Sammler, Aufseher von Fischteichen und Vogelhüter" nur für späte Uebertreibungen99 und mißverstandene Traditionen des Plinius, Athenäus und Aelian zu halten.

Die macedonische Expedition, welche einen großen und schönen Theil der Erde dem Einflusse eines einzigen und dazu eines so hochgebildeten Volkes eröffnete, kann demnach im eigentlichsten Sinne des Worts als eine wissenschaftliche Expedition betrachtet werden: ja als die erste, in der ein Eroberer sich mit Gelehrten aus allen Fächern des Wissens, mit Naturforschern, Landmessern, [193] Geschichtsschreibern, Philosophen und Künstlern umgeben hatte. Aristoteles wirkte aber nicht bloß durch das, was er selbst hervorgebracht; er wirkte auch durch die geistreichen Männer seiner Schule, welche den Feldzug begleiteten. Unter diesen glänzte vor allen des Stagiriten naher Verwandter, Callisthenes aus Olynth, der schon vor dem Heerzuge botanische Werke und eine feine anatomische Untersuchung über das Gesichtsorgan geliefert hatte. Durch die ernste Strenge seiner Sitten und die ungemessene Freiheit seiner Rede ward er dem, schon von seiner edeln und hohen Sinnesart herabgesunkenen Fürsten, wie dessen Schmeichlern, verhaßt. Callisthenes zog unerschrocken die Freiheit dem Leben vor, und als man ihn zu Bactra in die Verschwörung des Hermolaus und der Edelknaben schuldlos verwickelte, ward er die unglückliche Veranlassung zu der Erbitterung Alexanders gegen seinen früheren Lehrer. Theophrast, des Olynthiers gemüthlicher Freund und Mitschüler, hatte den Biedersinn ihn nach seinem Sturze öffentlich zu vertheidigen; von Aristoteles wissen wir nur, daß er ihn vor seiner Abreise zur Vorsicht gemahnt und, durch den langen Aufenthalt bei Philipp von Macedonien des Hoflebens, wie es scheint, sehr kundig, ihm gerathen habe: „mit dem König so wenig als möglich, und wenn es sein müßte, immer beifällig zu reden".100

Von auserwählten Männern aus der Schule des Stagiriten unterstützt, hatte Callisthenes, als ein schon in Griechenland mit der Natur vertrauter Philosoph, in den neu aufgeschlossenen weiteren Erdkreisen die Forschungen seiner Mitarbeiter zu höheren Ansichten geleitet. Nicht die Pflanzenfülle und das mächtige Thierreich, nicht die Gestaltung des Bodens [194] oder die Periodicität des Anschwellens der großen Flüsse konnten allein die Aufmerksamkeit fesseln; der Mensch und seine Geschlechter in ihren mannigfaltigen Abstufungen der Färbung und Gesittung mußten nach dem eigenen Ausspruche des Aristoteles1 als „der Mittelpunkt und Zweck der gesammten Schöpfung erscheinen: als komme der Gedanke des göttlichen Denkens hienieden erst in ihm zum Bewußtsein". Aus dem Wenigen, was uns von den Berichten des im Alterthum so getadelten Onesikritus übrig ist, ersehen wir, wie sehr man in der macedonischen Expedition, weit zum Sonnenaufgang gelangend, verwundert war, zwar die von Herodot genannten dunkelfarbigen, den Aethiopen ähnlichen indischen Stämme, aber nicht die afrikanischen kraushaarigen Neger zu finden;2 man beachtete scharf den Einfluß der Atmosphäre auf Färbung, die verschiedene Wirkung der trockenen und feuchten Wärme. In der frühesten homerischen Zeit und noch lange nach den Homeriden wurde die Abhängigkeit der Luftwärme von den Breitengraden, von den Polarabständen, vollkommen verkannt; Osten und Westen bestimmten damals die ganze thermische Meteorologie der Hellenen. Die nach dem Aufgang gelegenen Erdstriche wurden für „sonnennäher, für Sonnenländer " gehalten. „Der Gott färbt in seinem Laufe mit des Russes finsterem Glanze die Haut des Menschen und kräuselt ihm dörrend das Haar."3

Alexanders Heerzüge gaben zuerst Veranlassung in einem großen Maaßstabe die besonders in Aegypten zusammenströmenden afrikanischen Menschenracen mit den arischen Geschlechtern jenseits des Tigris und den alt-indischen, sehr dunkel gefärbten, aber nicht kraushaarigen [195] Urvölkern zu vergleichen. Die Gliederung der Menschheit in Abarten; ihre Vertheilung auf dem Erdboden, mehr als Folge geschichtlicher Ereignisse als des langdauernden klimatischen Einflusses da, wo die Typen einmal festgesetzt sind; der scheinbare Widerspruch zwischen Färbung und Wohnort mußten denkende Beobachter auf das lebhafteste anregen. Noch findet sich im Inneren des großen indischen Landes ein weites Gebiet, das von sehr dunkel, fast schwarz gefärbten, von den später eingedrungenen helleren arischen Stämmen gänzlich verschiedenen Ureinwohnern bevölkert ist. Dahin gehören unter den Vindhya-Völkern die Gonda, die Bhilla in den Waldgebirgen von Malava und Guzerat, wie die Kola von Orissa. Der scharfsinnige Lassen hält es für wahrscheinlich, daß zu Herodots Zeit die schwarze asiatische Race, dessen „Aethiopier vom Aufgang der Sonne", den libyschen wohl in der Hautfarbe, aber nicht in der Beschaffenheit des Haares ähnlich, viel weiter als jetzt gegen Nordwesten verbreitet waren.4 Eben so dehnten im alten ägyptischen Reiche die eigentlichen wollhaarigen, oft besiegten Negerstämme ihre Wohnsitze weit in das nördliche Nubien aus.5

Zu der Bereicherung des Ideenkreises, welche aus dem Anblick vieler neuen physischen Erscheinungen, wie aus dem Contact mit verschiedenen Volksstämmen und ihrer contrastirenden Civilisation entsprang, gesellten sich leider! nicht die Früchte ethnologischer Sprachvergleichung, in so fern dieselbe philosophisch, abhängig von den Grundverhältnissen des Gedankens6, oder bloß historisch ist. Diese Art der Untersuchung war dem sogenannten classischen Alterthume fremd. Dagegen lieferte Alexanders [196] Expedition den Hellenen wissenschaftliche Materialien, welche den lange aufgehäuften Schätzen früher cultivirter Völker entnommen werden konnten. Ich erinnere hier vorzugsweise daran, daß mit der Kenntniß der Erde und ihrer Erzeugnisse durch die Bekanntschaft mit Babylon, nach neueren und gründlichen Untersuchungen, auch die Kenntniß des Himmels ansehnlich vermehrt wurde. Allerdings war durch die Eroberung des Cyrus der Glanz des astronomischen Priester-Collegiums in der orientalischen Weltstadt bereits tief gesunken. Die Treppen-Pyramide des Belus (zugleich Tempel, Grab und eine, die nächtlichen Stunden verkündende Sternwarte) war von Xerxes der Zerstörung preis gegeben; das Monument lag zur Zeit des macedonischen Heerzuges bereits in Trümmern. Aber eben weil die geschlossene Pricstercaste sich bereits aufgelöst, ja der astronomischen Schulen sich eine große Zahl7 gebildet hatte, war es dem Callisthenes möglich geworden (wie Simplicius behauptet, auf Rath des Aristoteles) Sternbeobachtungen aus einer sehr langen Periode von Jahren (Porphyrius sagt: für eine Periode von 1903 Jahren vor Alexanders Einzug in Babylon, Ol. 112, 2) nach Griechenland zu senden. Die ältesten chaldäischen Beobachtungen, deren das Almagest erwähnt (wahrscheinlich die ältesten, welche Ptolemäus zu seinen Zwecken tauglich fand), gehen aber freilich nur bis 721 Jahre vor unserer Zeitrechnung, d. h. bis zu dem ersten messenischen Kriege. Gewiß ist es, „daß die Chaldäer die mittleren Bewegungen des Mondes mit einer Genauigkeit kannten, welche die griechischen Astronomen veranlaßte sich derselben zur Begründung der Mondstheorie zu bedienen."8 Auch ihre Planetenbeobachtungen, [197] zu denen sie eine uralte Liebe der Astrologie anregte, scheinen sie zur wirklichen Construction astronomischer Tafeln benutzt zu haben.

Wie viel von den frühesten pythagoreischen Ansichten über die wahre Beschaffenheit des Himmelsgebäudes, über den Planetenlauf und die nach Apollonius Myndius9 in langer geregelter Bahn wiederkehrenden Cometen den Chaldäern zugehört, ist hier nicht der Ort zu entwickeln. Strabo nennt den „Mathematiker Seleucus" einen Babylonier und unterscheidet ihn10 so von dem Erythräer, der die Meeresfluth maaß. Es genügt zu bemerken, daß auch der griechische Thierkreis höchst wahrscheinlich „von der Dodecatemoria der Chaldäer entlehnt ist und daß derselbe nach Letronne's wichtigen Untersuchungen11 nicht höher als bis zum Anfang des sechsten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung hinaufsteigt".

Was der Contact der Hellenen mit den Völkern indischen Ursprungs in der Epoche der macedonischen Heerzüge unmittelbar hervorgerufen, ist in Dunkel gehüllt. Von wissenschaftlicher Seite konnte wahrscheinlich wenig gewonnen werden, weil Alexander in dem Fünfstromlande (in dem Pantschanada), nachdem er das Reich des Porus zwischen dem cederreichen12 Hydaspes (Jelum) und dem Acesines (Tschinab) durchzogen, nur bis zum Hyphasis vorgedrungen war: doch bis zu dem Punkte, wo dieser Fluß bereits die Wasser des Satadru (Hesidrus bei Plinius) empfangen hat. Mißmuth seiner Kriegsvölker und Besorgniß vor einem allgemeinen Aufstande in den persischen und syrischen Provinzen zwangen den Helden, der gegen Osten bis zum Ganges vordringen wollte, zur großen [198] Catastrophe der Rückkehr. Die Länder, welche die Macedonier durchstreiften, waren der Wohnsitz wenig cultivirter Stämme. In dem Zwischenlande zwischen dem Satadru und der Yamuna (dem Indus- und Ganges-Gebiete) bildet ein unbedeutender Fluß, die heilige Sarasvati, eine uralte classische Grenze zwischen den reinen, würdigen, frommen Brahma-Anbetern in Osten und den unreinen, nicht in Casten getheilten, königslosen Stämmen in Westen.13 Demnach gelangte Alexander nicht bis zu dem eigentlichen Sitze höherer indischer Cultur. Erst Seleucus Nicator, der Gründer des großen Seleuciden-Reiches, drang von Babylon aus gegen den Ganges vor und knüpfte durch die mehrfachen Gesandtschaften des Megasthenes nach Pataliputra14 politische Verbindungen mit dem mächtigen Sandracottus (Tschandraguptas).

Auf diese Weise erst entstand ein lebhafter und dauernder Contact mit dem civilisirtesten Theile von Madhya-Desa (dem Land der Mitte). Zwar gab es auch im Pendschab (in der Pentapotamia) einsiedlerisch lebende gelehrte Brachmanen. Wir wissen aber nicht, ob das herrliche indische Zahlensystem, in dem die wenigen Zeichen ihren Werth durch bloße Stellung (Position) erlangen, jenen Brachmanen und Gymnosophisten bekannt war, ob (wie wohl zu vermuthen steht) damals schon im cultivirtesten Theile des indischen Landes der Stellenwerth erfunden war. Welch eine Revolution würde die Welt in der schnelleren Entwickelung und erleichterten Anwendung mathematischer Kenntnisse erfahren haben, wenn der, Alexanders Heer begleitende Brachmane Sphines (im Heere Kalanos genannt), wenn später zu Augusts Zeiten der Brachmane [199] Bargosa, ehe sie beide freiwillig den Scheiterhaufen zu Susa und Athen bestiegen, den Griechen das indische Zahlensystem auf eine Weise hätten mittheilen können, durch die dasselbe zu einem allgemeinen Gebrauche gelangt wäre! Die scharfsinnigen und vielumfassenden Untersuchungen von Chasles haben allerdings gelehrt, daß die sogenannte Methode des pythagorischen Abacus oder Algorismus, wie sie sich in der Geometrie des Boethius beschrieben findet, mit dem indischen Zahlensysteme des Stellenwerthes fast identisch sei; aber jene Methode, lange unfruchtbar bei Griechen und Römern, hat erst im Mittelalter eine allgemeine Verbreitung gewonnen, besonders als das Nullzeichen an die Stelle des leeren Faches trat. Die wohlthätigsten Erfindungen bedürfen oft Jahrhunderte, um anerkannt und vervollständigt zu werden.


[200]
III.

Zunahme der Weltanschauung unter den Ptolemäern. — Museum im Serapeum. — Eigenthümlicher Charakter der wissenschaftlichen Richtung in dieser Zeitepoche. — Encyclopädische Gelehrsamkeit. — Verallgemeinerung der Naturansichten in den Erd- und Himmelsräumen.

Nach der Auflösung des macedonischen Weltreichs, das Gebiete dreier Continente umfaßte, entwickelten sich, doch in sehr verschiedener Gestaltung, die Keime, welche das vermittelnde, völkerverbindende Regierungssystem des großen Macedoniers in einen fruchtbaren Boden gelegt hatte. Je mehr die nationale Abgeschlossenheit der hellenischen Denkart dahinschwand, je mehr ihre schöpferische begeisternde Kraft an Tiefe und Stärke verlor: desto gewinnreicher waren durch Belebung und Erweiterung des Völkerverkehrs, wie durch rationelle Verallgemeinerung der Naturansichten, die Fortschritte in der Kenntniß des Zusammenhangs der Erscheinungen. Im syrischen Reiche, bei den Attaliden von Pergamum, unter den Seleuciden und Ptolemäern wurden sie überall und fast gleichzeitig von ausgezeichneten Herrschern begünstigt. Das griechische Aegypten hatte den Vorzug politischer Einheit; es hatte auch den einer geographischen Weltstellung, die durch den Einbruch des arabischen Meerbusens von Bab-el-Mandeb bis Suez und Akaba (in der Erschütterungs-Richtung SSO—NNW) den [201] Verkehr auf dem indischen Ocean dem Verkehr an den Küsten des Mittelmeers auf wenige Meilen nahe bringt.15

Das Reich der Seleuciden genoß nicht diese Vortheile des Seehandels, wie sie Form und Gliederung der Ländermassen den Lagiden darboten; seine Stellung war gefährdeter, von den Zersplitterungen bedroht, welche die verschiedenartige Nationalität der Satrapien erzeugte. Der Verkehr im Seleuciden-Reiche war überdies mehr ein innerer, an Stromgebiete oder an Caravanenstraßen gefesselt, die allen hindernden Naturgewalten von schneebedeckten Gebirgsketten, Hochebenen und Wüsten trotzten. Der große Waarenzug, in welchem die Seide das kostbarste Product war, ging aus Inner-Asien von der Hochebene der Serer nördlich von Uttara-Kuru, über den steinernen Thurm16 (wahrscheinlich einen befestigten Caravanserai) südlich von den Quellen des Jaxartes nach dem Oxus-Thale zum caspischen und schwarzen Meere. Dagegen war der Hauptverkehr des Lagiden-Reiches, so lebhaft auch die Flußschifffahrt auf dem Nil und die Communication zwischen den Nil-Ufern und den Kunststraßen längs dem Gestade des rothen Meeres sein mochte, doch im eigentlichsten Verstande des Wortes der Seehandel. Nach Alexanders großen Ansichten sollten, in Westen und Osten, das neugegründete ägyptische Alexandria und das uralte Babylon die beiden Hauptstädte des macedonischen Weltreichs werden; doch Babylon hat diesen Hoffnungen später nie entsprochen, und die Blüthe der, von Seleucus Nicator am unteren Tigris erbauten, durch Canäle17 mit dem Euphrat verbundenen Seleucia trug dazu bei den völligen Verfall von Babylon zu veranlassen.

[202]

Drei große Regenten, die ersten drei Ptolemäer, deren Regierung ein ganzes Jahrhundert ausfüllt, haben, durch ihre Liebe für die Wissenschaften, durch die glänzendsten Anstalten zur Beförderung geistiger Bildung und durch ununterbrochenes Streben nach Erweiterung des Seehandels, der Natur- und Länderkenntniß einen Zuwachs verschafft, wie derselbe bis dahin noch von keinem Volke errungen worden war. Dieser Schatz ächt wissenschaftlicher Cultur ging von den in Aegypten angesiedelten Hellenen zu den Römern über. Schon unter Ptolemäus Philadelphus, kaum ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Alexanders (selbst eher als der erste punische Krieg den aristocratischen Freistaat der Carthager erschütterte), war Alexandria der größte Handelsplatz der Welt. Ueber Alexandria ging der nächste und bequemste Weg von dem Becken des Mittelmeers nach dem südöstlichen Afrika, nach Arabien und Indien. Die Lagiden haben die Straße des Weltverkehrs, welche die Natur durch die Richtung des arabischen Meerbusens gleichsam vorgezeichnet18, mit beispiellosem Erfolge benutzt: eine Straße, die ihr Recht in vollem Maaße erst dann wird wieder gelten lassen, wenn die Verwilderung des morgenländischen Lebens und die störende Eifersucht der abendländischen Mächte gleichzeitig abnehmen. Selbst als Aegypten eine römische Provinz wurde, blieb es der Sitz eines unermeßlichen Reichthums, da der wachsende Luxus von Rom unter den Cäsaren auf das Nilland zurückwirkte und die Mittel seiner Befriedigung hauptsächlich in dem Weltverkehr von Alexandria fand.

Die wichtige Erweiterung der Natur- und Länderkenntniß unter den Lagiden war gegründet auf den Caravanenhandel in dem Inneren von Afrika über Cyrene und [203] die Oasen, auf die Eroberungen in Aethiopien und dem glücklichen Arabien unter Ptolemäus Evergetes, auf den Seehandel mit der ganzen westlichen Halbinsel Indiens vom Meerbusen von Barygaza (Guzerat und Cambay) an längs den Küsten von Canara und Malabar (Malayavara, Gebiet von Malaya) bis zu den brahmanischen Heiligthümern des Vorgebirges Comorin (Kumari)19 und der großen Insel Ceylon (Lanka im Ramayana; Taprobane, ein von den Zeitgenossen Alexanders verstümmelter20 einheimischer Name). Schon Nearchs mühevolle, fünf Monat dauernde Beschiffung der Küsten von Gedrosien und Caramanien (zwischen Pattala an der Mündung des Indus und dem Ausfluß des Euphrat) hatte wesentlich zu den Fortschritten der Nautik beigetragen.

Die Kenntniß der Monsun-Winde, welche die Schifffahrt zwischen der Ostküste von Afrika und der Nord- und Westküste von Indien so wirksam begünstigen, fehlte Alexanders Gefährten nicht. Nachdem, um den Indus dem Weltverkehr zu eröffnen, der Macedonier in einer zehn Monate langen Fahrt den Fluß zwischen Nicäa am Hydaspes und Pattala untersucht hatte, eilte Nearch im Anfang des October (Ol. 113,3) von der Mündung des Indus bei Stura abzusegeln, weil er wußte, daß seine Seefahrt bis zum persischen Meerbusen von dem Nordost- und Ost-Monsun, längs der in einem Parallelkreise laufenden Küste, begünstigt werden würde. Die Ergründung eines so merkwürdigen localen Gesetzes der Windrichtung gab den Piloten später den Muth von Ocelis an der Straße Bab-el-Mandeb geradezu durch das hohe Meer nach dem großen malabarischen Stapelplatze Muziris (südlich von Mangalor) zu schiffen, wo durch inneren [204] Verkehr auch die Waaren der östlichen Küste der indischen Halbinsel, ja selbst das Gold der fernen Chryse (Borneo?) zusammenflossen. Die Ehre dies neue System der indischen Schifffahrt zuerst in Anwendung gebracht zu haben wird einem übrigens unbekannten Seemanne Hippalus zugeschrieben, dessen Zeitalter21 zweifelhaft ist.

In die Geschichte der Weltanschauung gehört die Aufzählung aller Mittel, durch welche die Völker sich genähert, große Theile des Erdkreises zugänglicher geworden, die Erkenntniß-Sphären der Menschheit erweitert worden sind. Unter diesen Mitteln ist eines der großartigsten gewesen die materielle Eröffnung einer Wasserstraße vom rothen zum mittelländischen Meere vermittelst des Nils. Wo zwei kaum zusammenhangende Continental-Massen die tiefsten maritimen Einschnitte darbieten, hatte, wenn auch nicht der große Sesostris (Ramses-Miamen), welchem Aristoteles und Strabo es zuschreiben, doch Necho (Neku) die Ausgrabung eines Canals begonnen, aber, durch priesterliche Orakelsprüche geschreckt, wiederum aufgegeben. Herodot sah und beschrieb einen vollendeten, der etwas oberhalb Bubastus in den Nil einmündete, ein Werk des Achämeniden Darius Hystaspis. Wieder in Verfall gerathen, ward endlich dieser Canal von Ptolemäus Philadelphus so vollkommen hergestellt, daß er, wenn auch nicht, trotz seiner künstlichen Schleuseneinrichtung, zu jeder Jahreszeit schiffbar, doch bis zu der Römer Herrschaft, bis Marc-Aurel, vielleicht bis Septimius Severus, also über vier und ein halbes Jahrhundert, den äthiopischen, arabischen und indischen Handel belebte. Zu denselben Zwecken des Völkerverkehrs durch das rothe Meer wurde der Hafenbau in Myos Hormos und Berenice sorgsam [205] betrieben und durch eine herrliche Kunststraße mit Coptos in Verbindung gesetzt.22

Allen diesen Anstalten und Unternehmungen der Lagiden, den mercantilen wie den wissenschaftlichen, lag ein unaufhaltsames Streben nach dem Ganzen und Fernen, die Idee des Anknüpfens und der vermittelnden Einigung, des Umfassens großer Massen von Verhältnissen und Anschauungen zum Grunde. Eine so fruchtbringende Richtung der hellenischen Gedankenwelt, lange im Stillen vorbereitet, war durch Alexanders Heerzüge, durch seinen Versuch den Westen mit dem Osten zu verschmelzen zu einer großartigen Manifestation gelangt. Sie charakterisirt in ihrer Erweiterung unter den Lagiden die Epoche, deren Bild ich hier entwerfe; sie darf als ein wichtiger Fortschritt zur Erkenntniß eines Weltganzen betrachtet werden.

In so fern nun zu dieser wachsenden Erkenntniß Reichthum und Fülle der Anschauungen erforderlich sind, konnte der Verkehr Aegyptens mit fernen Ländern, konnten wissenschaftliche Untersuchungsreisen in Aethiopien auf Kosten der Regierung23, ferne Strauß- und Elephantenjagden24, Menagerien wilder und seltener Thiere in den „Königshäusern vom Bruchium" anregend zum Studium der Naturgeschichte25 wirken und den Anforderungen des empirischen Wissens genügen; aber der eigenthümliche Charakter der ptolemäischen Epoche wie der ganzen alexandrinischen Schule, die ihre besondere Richtung bis in das dritte und vierte Jahrhundert behielt, offenbarte sich auf einem anderen Wege, minder im Selbstbeobachten des Einzelnen als in dem mühevollen Zusammenfassen des Vorhandenen, in der Anordnung, Vergleichung und geistigen Befruchtung [206] des längst Gesammelten. Nachdem, so viele Jahrhunderte hindurch, bis zum mächtigen Auftreten des Aristoteles, die Naturerscheinungen, jeder scharfen Beobachtung entzogen, in ihrer Deutung der alleinigen Herrschaft der Ideen, ja der Willkühr dumpfer Ahndungen und wandelbarer Hypothesen anheim gefallen waren, offenbarte sich jetzt eine höhere Achtung für das empirische Wissen. Man untersuchte und sichtete, was man besaß. Die Naturphilosophie, minder kühn in ihren Speculationen und phantastischen Gebilden, trat endlich der forschenden Empirie näher auf dem sicheren Wege der Induction. Ein mühevolles Streben nach Anhäufung des Stoffes hatte eine gewisse Polymathie nothwendig gemacht; und wenn auch das vielseitige Wissen in den Arbeiten ausgezeichneter Denker wohlthätige Früchte darbot, so zeigte sich dasselbe doch, bei der hingesunkenen Schöpfungskraft der Hellenen, nur zu oft von Geistlosigkeit und nüchterner Erudition begleitet. Auch haben Mangel an Pflege der Form wie an Lebendigkeit und Anmuth der Diction dazu beigetragen die alexandrinische Gelehrsamkeit strengen Urtheilen der Nachwelt auszusetzen.

Es ist diesen Blättern vorbehalten hauptsächlich das hervorzuheben, was die Epoche der Ptolemäer durch das Zusammenwirken äußerer Verhältnisse, durch Stiftung und planmäßige Ausstattung zweier großer Anstalten (des alexandrinischen Museums und zweier Büchersammlungen im Bruchium26 und in Rhakotis), durch die collegialische Annäherung so vieler Gelehrten, die ein praktischer Sinn belebte, geleistet hat. Das encyclopädische Wissen erleichterte die Vergleichung des Beobachteten, die Verallgemeinerung von Naturansichten. Das große wissenschaftliche [207] Institut, welches den ersten beiden Lagiden seinen Ursprung verdankte, hat unter vielen Vorzügen lange auch den behauptet, daß seine Mitglieder frei nach ganz verschiedenen Richtungen27 arbeiteten und dabei doch, in einem fremden Lande angesiedelt und von vielerlei Volksstämmen umgeben, das Charakteristische hellenischer Sinnesart, hellenischen Scharfsinnes bewahrten.

Wenige Beispiele mögen, nach dem Geiste und der Form dieser historischen Darstellung, genügen, um zu beweisen, wie in der Erd- und Himmelskunde unter dem schützenden Einfluß der Ptolemäer Erfahrung und Beobachtung sich als die wahren Quellen der Erkenntniß Geltung verschafften, wie in der Richtung des alexandrinischen Zeitalters neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße doch immer eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten sich offenbarte. Hatten auch die verschiedenen griechischen Philosophenschulen, nach Nieder-Aegypten verpflanzt, in ihrer orientalischen Ausartung, zu vielen mythischen Deutungen über die Natur der Dinge Anlaß gegeben, so blieb doch im Museum den platonischen Lehren28 als sicherste Stütze das mathematische Wissen. Die Fortschritte dieses Wissens umfaßten fast gleichzeitig reine Mathematik, Mechanik und Astronomie. In Plato's hoher Achtung für mathematische Gedankenentwickelung wie in den alle Organismen umfassenden morphologischen Ansichten des Stagiriten lagen gleichsam die Keime aller späteren Fortschritte der Naturwissenschaft. Sie wurden der Leitstern, welcher den menschlichen Geist durch die Verirrungen der Schwärmerei finsterer Jahrhunderte sicher hindurchgeleitet, sie haben die gesunde wissenschaftliche Geisteskraft nicht ersterben lassen.

[208]

Der Mathematiker und Astronom Eratosthenes von Cyrene, der berühmteste in der Reihe der alexandrinischen Bibliothekare, benutzte die Schätze, welche ihm geöffnet standen, um sie zu einer systematischen Universal-Geographie zu verarbeiten. Er reinigte die Erdbeschreibung von den mythischen Sagen. Selbst mit Chronologie und Geschichte beschäftigt, trennte er doch die Erdbeschreibung von den geschichtlichen Einmischungen, welche dieselbe früher nicht ohne Anmuth belebten. Einen befriedigenden Ersatz lieferten mathematische Betrachtungen über die gegliederte Form und Ausdehnung der Continente, geognostische Vermuthungen über den Zusammenhang der Bergketten, die Wirkung der Strömungen und die vormalige Wasserbedeckung von Ländern, welche jetzt noch alle Spuren des trockenen Meeresbodens an sich tragen. Der oceanischen Schleusen-Theorie des Strato von Lampsacus günstig, leitete der Glaube an das einstige Anschwellen des Pontus, an den Durchbruch der Dardanellen und die dadurch veranlaßte Eröffnung der Hercules-Säulen den alexandrinischen Bibliothekar auf die wichtige Untersuchung des Problems von der Gleichheit des Niveau's aller äußeren die Continente um fließen den Meere29. Wie glücklich er in Verallgemeinerung der Ansichten war, bezeugt ferner seine Behauptung, daß der ganze Continent von Asien in dem Parallel von Rhodus (in dem Diaphragma des Dicäarchus) von einer zusammenhangenden west-östlich streichenden Bergkette durchschnitten sei.30

Ein reger Wunsch nach Allgemeinheit der Ansichten, Folge der geistigen Bewegung jener Zeit, veranlaßte auch die erste (hellenische) Gradmessung zwischen Syene und [209] Alexandrien, d. i. den Versuch des Eratosthenes den Umfang der Erde annäherungsweise zu bestimmen. Es ist nicht das erlangte Resultat, auf unvollkommene Angaben von Bematisten gegründet, welches unser Interesse erregt; es ist das Streben sich von dem engen Raume des heimathlichen Landes zu der Kenntniß der Größe des Erdballs zu erheben.

Ein ähnliches Streben nach Verallgemeinerung der Ansichten bezeichnet in dem Zeitalter der Ptolemäer die glänzenden Fortschritte einer wissenschaftlichen Kenntniß der Himmelsräume. Ich erinnere hier an die Bestimmung der Fixsternörter der frühesten alexandrinischen Astronomen Aristyllus und Timochares; an Aristarch von Samos, den Zeitgenossen des Kleanthes, welcher, mit alt-pythagoreischen Ansichten vertraut, die räumliche Construction des ganzen Weltgebäudes zu ergründen wagte, den unermeßlichen Abstand des Fixsternhimmels von unserem kleinen Planetensysteme zuerst erkannte, ja die zwiefache Bewegung der Erde um ihre Achse und fortschreitend um die Centralsonne muthmaßte; an den Seleucus aus Erythrä (oder aus Babylon31), der ein Jahrhundert später die, noch wenig Anklang findende (kopernicanische) Meinung des Samiers zu begründen suchte; an Hipparch, den Schöpfer der wissenschaftlichen Astronomie, den größten selbstbeobachtenden Astronomen des ganzen Alterthums. Hipparch war unter den Griechen der eigentliche Urheber astronomischer Tafeln32, der Entdecker des Vorrückens der Nachtgleichen. Seine eigenen Fixsternbeobachtungen (zu Rhodus, nicht zu Alexandria, angestellt), als er sie mit denen des Timochares und Aristyllus verglichen, leiteten ihn (wahrscheinlich ohne33 das Auflodern eines neuen [210] Sternes) zu dieser großen Entdeckung, auf welche eine langfortgesetzte Beobachtung des Frühaufgangs des Sirius die Aegypter allerdings sollte geführt haben können.34

Ein eigenthümlicher Charakterzug der Hipparchischen Bestrebungen ist noch der gewesen, Erscheinungen in den Himmelsräumen zu geographischen Ortsbestimmungen zu benutzen. Eine solche Verbindung der Erd- und Himmelskunde, der Reflex der einen auf die andere, belebte wie durch einigende Vermittelung die große Idee des Kosmos. Die Construction einer neuen Weltkarte des Hipparchus, auf die des Eratosthenes gegründet, beruht, wo die Anwendung astronomischer Beobachtungen möglich war, auf Mondfinsternissen und Schattenmessungen für die geographischen Längen und Breiten. Die hydraulische Uhr des Ktesibius, eine Vervollkommnung der früheren Klepsydren, konnte genauere Zeitmessungen verschaffen, während für Bestimmungen im Raume vom alten Gnomon und den Skaphen an bis zu der Erfindung von Astrolabien, von Solstitial-Armillen und Diopter-Linealen den alexandrinischen Astronomen allmälig bessere Winkelmesser dargeboten wurden. So gelangte stufenweise der Mensch wie durch neue Organe zu einer genaueren Kenntniß der Bewegungen im Planetensysteme. Nur die Kenntniß von der absoluten Größe, Gestaltung, Masse und physischen Beschaffenheit der Weltkörper machte Jahrtausende lang keine Fortschritte.

Nicht allein mehrere selbstbeobachtende Astronomen des alexandrinischen Museums waren ausgezeichnete Geometer, das Zeitalter der Ptolemäer war überhaupt die glänzendste Epoche der Bearbeitung des mathematischen Wissens. Es [211] erscheinen in demselben Jahrhundert Euclides, der Schöpfer der Mathematik als Wissenschaft, Apollonius von Perga und Archimedes, der Aegypten besuchte und durch Conon mit der alexandrinischen Schule zusammenhing. Der lange Weg, welcher von der sogenannten geometrischen Analysis des Plato und den Menächmeischen Dreigestalten35 bis zu dem Zeitalter von Kepler und Tycho, Euler und Clairaut, d'Alembert und Laplace führt, bezeichnet eine Reihe mathematischer Entdeckungen, ohne welche die Gesetze der Bewegung der Weltkörper und ihre gegenseitigen Verhältnisse in den Himmelsräumen dem Menschengeschlechte nicht offenbart worden wären. Wie das Fernrohr, ein sinnliches näherndes, raumdurchdringendes Hülfsmittel, hat die Mathematik durch Ideenverknüpfung in jene fernen Himmelsregionen geführt, von einem Theil derselben sicheren Besitz genommen; ja bei Anwendung aller Elemente, die der Standpunkt der heutigen Astronomie gestattet, hat in unseren für Erweiterung des Wissens glücklichen Tagen das geistige Auge einen Weltkörper36 gesehen, ihm seinen Himmelsort, seine Bahn und seine Masse angewiesen, ehe noch ein Fernrohr auf ihn gerichtet war!


[212]
IV.

Römische Weltherrschaft. — Einfluß eines großen Staatsverbandes auf die kosmischen Ansichten. — Fortschritte der Erdkunde durch Landhandel. — Strabo und Ptolemäus. — Anfänge der mathematischen Optik und des chemischen Wissens. — Versuch einer physischen Weltbeschreibung durch Plinius. — Die Entstehung des Christenthums erzeugt und begünstigt das Gefühl von der Einheit des Menschengeschlechts.


Wenn man die geistigen Fortschritte der Menschheit und die allmälige Erweiterung kosmischer Ansichten verfolgt, so tritt die Periode der römischen Weltherrschaft als einer der wichtigsten Zeitpunkte hervor. Alle die fruchtbaren Erdstriche, welche das Becken des Mittelmeers umgeben, finden wir nun zum ersten Male in einem engen Staatsverbande vereinigt. Große Ländermassen haben sich ihm besonders in Osten angeschlossen.

Es ist hier der Ort auf's neue daran zu erinnern,37 wie das Bild, das ich mich bestrebe als Geschichte der Weltanschauung in allgemeinen Zügen zu entwerfen, eben durch das Auftreten eines solchen Staatsverbandes eine objective Einheit der Darstellung empfängt. Unsere Civilisation, d. i. die geistige Entwickelung aller Völker des ganzen europäischen Continents, kann man als gewurzelt betrachten in der der Anwohner des mittelländischen Meerbeckens, und [213] zunächst in der Civilisation der Griechen und Römer. Was wir vielleicht nur zu ausschließlich classische Litteratur nennen, erhielt diese Bezeichnung durch die Kenntniß von dem Ursprunge unseres frühesten Wissens, von der ersten Anregung zu solchen Ideenkreisen und Gefühlen, die mit der Vermenschlichung und Geisteserhebung eines Volksstammes38 am innigsten verwandt sind. Es wird in dieser Betrachtungsweise keinesweges für unwichtig erklärt, was dem großen Strome griechischer und römischer Cultur auf mannigfaltigen, noch nicht genugsam ergründeten Wanderungswegen aus dem Nilthale und aus Phönicien, vom Euphrat her oder aus Indien zugeführt worden ist; aber auch diese fremdartigen Elemente verdanken wir zuerst dem Griechenthume und den von Etruskern und Griechen umgebenen Römern. Wie spät erst haben die großen Denkmäler älterer Culturvölker unmittelbar durchforscht, gedeutet, nach ihrem relativen Alter geordnet werden können! wie spät sind Hieroglyphen und Keilschriften gelesen worden, vor denen Jahrtausende lang Heerschaaren und Caravanen vorbeigezogen waren, ohne etwas von ihrem Inhalte zu ahnden!

Das Becken des Mittelmeeres ist allerdings in seinen beiden vielgegliederten, nördlichen Halbinseln der Ausgangspunkt rationeller und politischer Bildung für diejenigen Nationen gewesen, welche jetzt den, wir hoffen, unvergänglichen, täglich sich mehrenden Schatz wissenschaftlicher Kenntnisse und schöpferischer Kunstthätigkeiten besitzen, welche Gesittung und mit ihr erst Knechtschaft und dann unwillkührlich Freiheit über eine andere Erdhälfte verbreiten; aber es bleiben doch auch in unserer Erdhälfte, wie durch die Gunst des Schicksals, [214] wieder Einheit und Mannigfaltigkeit anmuthig mit einander gepaart. Die Elemente, die aufgenommen wurden, waren so verschieden als ihre Aneignung und Transformation nach den grell contrastirenden Eigenthümlichkeiten und den individuellen Gemüthsrichtungen der einzelnen Völkerracen von Europa. Selbst jenseits des Oceans bewahren Colonien und Ansiedelungen, die mächtige freie Staaten geworden sind oder hoffentlich einst sich organisch dazu ausbilden werden, den Reflex dieser Contraste.

Der römische Staat in der Form einer Monarchie unter den Cäsaren ist, nach seinem Flächeninhalte39 betrachtet, an absoluter Größe allerdings von der chinesischen Weltherrschaft unter der Dynastie der Thsin und der östlichen Han (30 Jahre vor bis 116 Jahre nach unserer Zeitrechnung), von der Weltherrschaft der Mongolen unter Oschingischan und dem jetzigen Areal des russischen europäisch-asiatischen Kaiserreichs übertroffen worden; aber, die einzige spanische Monarchie, so lange sie über den Neuen Continent ausgebreitet war, ausgenommen, ist nie eine größere Masse durch Klima, Fruchtbarkeit und Weltstellung begünstigter Erdstriche unter einem Scepter verbunden gewesen denn in dem römischen Reiche von Octavian bis Constantin.

Von dem westlichen Ende Europa's bis zum Euphrat, von Britannien und einem Theile Caledoniens bis Gätulien und zur Grenze des wüsten Libyens bot sich nicht bloß die größte Mannigfaltigkeit von Bodengestaltung, organischen Erzeugnissen und physischen Erscheinungen dar; auch das Menschengeschlecht zeigte sich dort in allen Abstufungen seiner Cultur und Verwilderung, im Besitze alten [215] Wissens und lang geübter Künste, wie im ersten Dämmerlichte des intellectuellen Erwachens. Ferne Expeditionen in Norden und Süden nach den Bernsteinküsten, und unter Aelius Gallius und Balbus nach Arabien und zu den Garamanten wurden mit ungleichem Glücke ausgeführt. Vermessungen des ganzen Reichs wurden durch griechische Geometer (Zenodoxus und Polycletus) schon unter Augustus begonnen, auch Itinerarien und Special-Topographien angefertigt (was freilich im chinesischen Reiche viele Jahrhunderte früher geschah), um sie unter die einzelnen Statthalter der Provinzen zu vertheilen40. Es waren die ersten statistischen Arbeiten, welche Europa aufzuweisen hat. Römerstraßen, in Milien getheilt, durchschnitten viele ausgedehnte Präfecturen; ja Hadrian besuchte, doch nicht ohne Unterbrechung, in einer eilfjährigen Reise sein Weltreich von der iberischen Halbinsel an bis Judäa, Aegypten und Mauretanien. So war ein großer der römischen Herrschaft unterworfener Theil der Welt aufgeschlossen und wegsam gemacht: pervius orbis, wie mit minderem Rechte von dem ganzen Erdkreise der Chor41 in der Medea des Seneca weissagt.

Bei dem Genusse eines langen Friedens hätte man vielleicht erwarten sollen, daß die Vereinigung so ausgedehnter, unter den verschiedenartigsten Klimaten gelegener Länder zu einer Monarchie, daß die Leichtigkeit, mit der Staatsbeamte mit einem zahlreichen Gefolge vielseitig gebildeter Männer die Provinzen durchreisten, nicht bloß der Erdbeschreibung, sondern der gesammten Naturkunde und den höheren Ansichten über den Zusammenhang der Erscheinungen auf eine außerordentliche Weise förderlich gewesen [216] sein würde; aber so hochgespannte Erwartungen sind nicht in Erfüllung gegangen. In dieser langen Periode der ungetheilten römischen Weltherrschaft, in fast vier Jahrhunderten, erhoben sich als Beobachter der Natur nur Dioscorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Der erstere, die Zahl der beschriebenen Pflanzenarten ansehnlich vermehrend, steht tief unter dem philosophisch combinirenden Theophrast: während durch Feinheit der Zergliederung und den Umfang physiologischer Entdeckungen Galenus, welcher seine Beobachtungen auf mehrere Thiergattungen ausgedehnt, „sehr nahe neben Aristoteles und meist über ihn gestellt werden kann". Dieses Urtheil hat Cuvier42 gefällt.

Neben Dioscorides und Galenus glänzt nur noch ein dritter großer Name, der des Ptolemäus. Wir nennen ihn hier nicht als astronomischen Systematiker oder als Geographen, sondern als experimentirenden, die Strahlenbrechung messenden Physiker, als ersten Gründer eines wichtigen Theils der Optik. Seine ganz unbezweifelbaren Rechte sind erst spät erkannt worden.43 So wichtig auch die Fortschritte in der Sphäre des organischen Lebens und in den allgemeinen Ansichten der vergleichenden Zootomie waren, so müssen doch hier in einer Periode, welche der der Araber um ein halbes Jahrtausend vorhergeht, physische Experimente über den Gang der Lichtstrahlen unsere Aufmerksamkeit besonders fesseln. Es ist wie der erste Schritt in einer neugeöffneten Laufbahn, in dem Streben nach einer mathematischen Physik.

Die ausgezeichneten Männer, welche wir so eben genannt als wissenschaftlichen Glanz über die Kaiserzeit verbreitend (der tiefsinnige, aber noch symbollose, arithmetische [217] Algebrist Diophantus44 gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römischen Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind, war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken, unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann.

Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen. [218] Die ewige Stadt war das Centrum eines zu großen Kreises geworden. Es fehlte der Geist, der einen so vieltheiligen Staatskörper hätte dauernd beseelen können. Das Christenthum wurde Staatsreligion, als das Reich bereits tief erschüttert und die Milde der neuen Lehre durch den dogmatischen Zwist der Partheien in ihren wohlthätigen Wirkungen gestört war. Auch begann schon damals „der lästige Kampf des Wissens und des Glaubens", welcher unter mancherlei Gestaltung, der Forschung hinderlich, durch alle Jahrhunderte fortgesetzt wird.

Wenn aber auch seinem Umfange und seiner durch den Umfang bedingten Verfassung nach das römische Kaiserreich, ganz im Gegensatz des partiellen selbstständigen Lebens der kleinen hellenischen Republiken, die schaffende geistige Kraft der Menschheit nicht zu beleben und zu stärken vermochte, so bot es dagegen andere eigenthümliche Vortheile dar, die hier zu bezeichnen sind. Es entstand ein großer Reichthum von Ideen als Folge der Erfahrung und vielseitiger Beobachtung. Die Welt der Objecte wurde ansehnlich vergrößert, und so für spätere Zeiten einer denkenden Betrachtung der Naturerscheinungen vorgearbeitet. Der Völkerverkehr wurde durch die Römerherrschaft belebt, die römische Sprache verbreitet über den ganzen Occident und einen Theil des nördlichen Afrika. Im Orient blieb das Griechenthum heimisch, nachdem das bactrische Reich schon längst unter Mithridates I (dreizehn Jahre vor dem Einfall der Sacen oder Scythen) zerstört war.

Der Ausdehnung, d. h. der geographischen Verbreitung nach gewann, selbst ehe der Sitz des Reichs nach Byzanz verlegt wurde, die römische Sprache über die [219] griechische. Dieses Eindringen zweier hochbegabter, an litterarischen Denkmalen reicher Idiome wurde ein Mittel der größeren Verschmelzung und Einigung der Volksstämme, ein Mittel zugleich die Gesittung und Bildungsfähigkeit zu vermehren, „den Menschen (wie Plinius45 sagt) menschlich zu machen und ihm ein gemeinsames Vaterland zu geben". So viel Verachtung auch im ganzen der Sprache der Barbaren (der stummen, ἄγλωσσοι nach Pollux) zugewandt war, gab es doch einzelne Beispiele, daß in Rom, nach dem Vorbilde der Lagiden, die Uebertragung eines litterarischen Werkes aus dem Punischen in das Lateinische befördert wurde. Die Schrift des Mago vom Ackerbau ist bekanntlich auf Befehl des römischen Senats übersetzt worden.

Wenn das Weltreich der Römer im Westen des alten Continents, wenigstens an der nördlichen Küste des Mittelmeeres, schon das heilige Vorgebirge, also das äußerste Ende erreicht hatte, so erstreckte es sich in Osten selbst unter Trajan, der den Tigris beschiffte, doch nur bis zum Meridian des persischen Meerbusens. Nach dieser Seite hin war in der Periode, welche wir schildern, der Fortschritt des Völkerverkehrs, des für die Erdkunde wichtigen Landhandels am größten. Nach dem Sturze des griechisch-bactrischen Reiches begünstigte dazu die aufblühende Macht der Arsaciden den Verkehr mit den Serern; doch war derselbe nur ein mittelbarer, indem der unmittelbare Contact der Römer mit Inner-Asien durch den lebhaften Zwischenhandel der Parther gestört wurde. Bewegungen, die aus dem fernsten China ausgingen, veränderten stürmisch schnell, wenn auch nicht auf eine lange Dauer, den [220] politischen Zustand der ungeheuren Länderstrecke, die sich zwischen dem vulkanischen Himmelsgebirge (Thian-schan) und der Kette des nördlichen Tübet (dem Kuen-lün) hinzieht. Eine chinesische Kriegsmacht bedrängte die Hiungnu, machte zinsbar die kleinen Reiche von Khotan und Kaschgar, und trug ihre siegreichen Waffen bis an die östliche Küste des caspischen Meeres. Das ist die große Expedition des Feldherrn Pantschab unter dem Kaiser Mingti aus der Dynastie der Han. Sie fällt in die Zeiten des Vespasian und Domitianus. Chinesische Schriftsteller schreiben sogar dem kühnen und glücklichen Feldherrn einen großartigeren Plan zu; sie behaupten, er habe das Reich der Römer (Tathsin) angreifen wollen, aber die Perser hätten ihn abgemahnt.46 So entstanden Verbindungen zwischen den Küsten des stillen Meeres, dem Schensi und jenem Oxus-Gebiete, in welchem von früher Zeit her ein lebhafter Handel mit dem schwarzen Meere getrieben wurde.

Die Richtung der großen Völkerfluthen in Asien war von Osten nach Westen, in dem Neuen Continente von Norden gegen Süden. Anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, fast zur Zeit der Zerstörung von Korinth und Carthago, gab der Anfall der Hiungnu (eines türkischen Stammes, den Deguignes und Johannes Müller mit den finnischen Hunnen verwechseln) auf die blonde und blauäugige, wahrscheinlich indogermanische Race47 der Yueti (Geten?) und Usün, nahe an der chinesischen Mauer, den ersten Anstoß zu der Völkerwanderung, welche die Grenzen von Europa erst um ein halbes Jahrtausend später berührte. So hat sich langsam die Völkerwelle vom oberen Flußthal des Huangho nach Westen bis zum Don und zur [221] Donau fortgepflanzt, und Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen haben in dem nördlichen Gebiete des alten Continents einen Theil des Menschengeschlechts mit dem anderen zuerst in feindlichen, später in commerciellen friedlichen Contact gebracht. So werden große Volksströmungen, fortschreitend wie die Strömungen des Oceans zwischen ruhenden unbewegten Massen, Begebenheiten von kosmischer Bedeutung.

Unter der Regierung des Kaisers Claudius kam die Gesandtschaft des Rachias aus Ceylon über Aegypten nach Rom. Unter dem Marcus Aurelius Antoninus (bei den Geschichtsschreibern der Dynastie der Han An-tun genannt) erschienen römische Legaten am chinesischen Hofe. Sie waren zu Wasser über Tunkin gekommen. Wir bezeichnen hier die ersten Spuren eines ausgebreiteten Verkehrs des Römerreiches mit China und Indien schon deshalb, weil höchst wahrscheinlich durch diesen Verkehr in beide Länder, ohngefähr in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, die Kenntniß der griechischen Sphäre, des griechischen Thierkreises und der astrologischen Planetenwoche verbreitet worden ist.48 Die großen indischen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht selbst Aryabhatta sind neuer als die Periode, die wir hier schildern;49 aber was früher schon auf ganz einsamen, abgesonderten Wegen in Indien entdeckt war und diesem altgebildeten Volke ursprünglich zugehört, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäsaren so ausgebreiteten Welthandel theilweise in den Occident eingedrungen sein. Es soll hier nicht unternommen werden abzusondern, was jedem Völkerstamme und jeder Zeitepoche eigenthümlich ist; es ist genug [222] an die Wege zu erinnern, die dem Ideenverkehr geöffnet waren.

Wie vielfach diese Wege und alle Fortschritte des allgemeinen Verkehrs geworden waren, bezeugen am lebhaftesten die Riesenwerke des Strabo und Ptolemäus. Der geistreiche Geograph von Amasea hat nicht die Hipparchische Genauigkeit des Meßbaren und die Ansichten mathematischer Erdkunde des Ptolemäus; aber an Mannigfaltigkeit des Stoffes, an Großartigkeit des entworfenen Planes übertrifft sein Werk alle geographischen Arbeiten des Alterthums. Strabo hatte, wie er sich dessen gern rühmt, einen beträchtlichen Theil des Römerreichs mit eigenen Augen gesehen, „von Armenien bis an die tyrrhenischen Küsten, vom Euxinus bis an die Grenzen Aethiopiens". Nachdem er als Fortsetzung des Polybius 43 Geschichtsbücher vollendet, hatte er in seinem drei und achtzigsten Lebensjahre50 den Muth die Redaction seines geographischen Werkes zu beginnen. Er erinnert, „daß zu seiner Zeit die Herrschaft der Römer und Parther die Welt eröffnet haben, mehr noch als Alexanders Heerzüge, auf die Eratosthenes sich stützen konnte". Der indische Handel war nicht mehr in den Händen der Araber; Strabo staunte in Aegypten über die vermehrte Zahl der Schiffe, die von Myos Hormos unmittelbar nach Indien segeln51, ja seine Einbildungskraft führte ihn weiter über Indien hinaus an die östliche Küste von Asien. Da wo nach ihm in dem Parallel der Hercules-Säulen und der Insel Rhodos eine zusammenhangende Gebirgskette (Fortsetzung des Taurus) den alten Continent in seiner größten Breite durchzieht, ahndet er die Existenz eines anderen Festlandes zwischen dem westlichen [223] Europa und Asien. „Es ist sehr wohl möglich", sagt er52, „daß in demselben gemäßigten Erdgürtel nahe an dem Parallelkreise von Thinä (oder Athen?), welcher durch das atlantische Meer geht, außer der von uns bewohnten Welt noch eine andere oder selbst mehrere liegen, mit Menschen bevölkert, die von uns verschieden sind." Es muß Wunder nehmen, daß dieser Ausspruch nicht die Aufmerksamkeit der spanischen Schriftsteller auf sich gezogen hat, welche am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts überall in den Classikern Spuren einer Kenntniß des neuen Welttheils zu finden glaubten.

„Wie bei allen Kunstwerken", sagt Strabo schön, „die etwas großes darstellen sollen, es nicht vorzüglich auf die Vollendung einzelner Theile ankommt", so wolle er „in seinem Riesenwerke" auch vor allem den Blick auf die Gestaltung des Ganzen heften. Dieser Hang nach Verallgemeinerung der Ideen hat ihn nicht abgehalten gleichzeitig eine große Zahl trefflicher physikalischer, besonders geognostischer Resultate53 aufzustellen. Er behandelt wie Posidonius und Polybius den Einfluß der schneller oder langsamer auf einander folgenden Durchgänge der Sonne durch den Zenith auf das Maximum der Luftwärme unter dem Wendekreise oder dem Aequator; die mannigfaltigen Ursachen der Veränderungen, welche die Erdfläche erlitten; den Durchbruch ursprünglich abgeschlossener Seen; das allgemeine, schon von Archimedes anerkannte Niveau der Meere; die Strömungen derselben; die Eruption unterseeischer Vulkane, Muschelversteinerungen und Fischabdrücke; ja, was am meisten unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil es der Kern der neueren Geognosie geworden ist, die periodischen [224] Oscillationen der Erdrinde. Strabo sagt ausdrücklich, daß die veränderten Grenzen zwischen Meer und Land mehr der Hebung und Senkung des Bodens als den kleinlichen Anschwemmungen zuzuschreiben seien; „daß nicht bloß einzelne Felsmassen oder kleine und große Inseln, sondern ganze Continente können emporgehoben werden". Wie Herodot, ist Strabo auch auf die Abstammung der Völker und die Racenverschiedenheit des Menschen aufmerksam, welchen er merkwürdig genug „ein Land- und Luftthier" nennt, das „vieles Lichtes bedürftig" ist54. Die ethnologische Absonderung der Stämme finden wir am schärfsten aufgefaßt in den Commentaren des Julius Cäsar wie in des Tacitus herrlicher Lobrede auf den Agricola.

Leider ist Strabo's großes, an Thatsachen so reichhaltiges Werk, dessen kosmische Ansichten wir hier zusammenstellen, in dem römischen Alterthume bis in das fünfte Jahrhundert fast unbekannt, selbst von dem vielsammelnden Plinius unbenutzt geblieben. Es hat erst am Ende des Mittelalters auf die Richtung der Ideen gewirkt: aber in minderem Maaße als die mehr mathematische, den physikalischen Ansichten fast ganz entfremdete, tabellarisch-nüchterne Geographie des Claudius Ptolemäus. Letztere ist bis in das sechzehnte Jahrhundert der Leitfaden aller Reisenden gewesen. Was man entdeckte, glaubte man fast immer in ihr unter anderen Benennungen zu erkennen. Wie die Naturhistoriker lange neu aufgefundene Pflanzen und Thiere den classischen Verzeichnissen des Linnäus anschlossen, so erschienen auch die frühesten Carten des Neuen Continents in dem Atlas des Ptolemäus, welchen Agathodämon zu derselben Zeit anfertigte als im fernsten Asien [225] bei den hochgebildeten Chinesen schon die westlichen Provinzen des Reichs55 in vier und vierzig Abtheilungen verzeichnet waren. Die Universal-Geographie des Ptolemäus hat allerdings den Vorzug uns die ganze alte Welt sowohl graphisch (in Umrissen) als numerisch (in sogenannten Ortsbestimmungen nach Längen, Polhöhen und Tagesdauer) darzustellen; aber so oft auch in derselben der Vorzug astronomischer Resultate vor den Angaben der Weglängen zu Wasser und zu Lande ausgesprochen wird, so ist doch leider in jenen unsicheren Ortsbestimmungen (über 2500 an der Zahl) nicht zu erkennen, auf welche Art von Fundamenten sie gegründet sind, welche relative Wahrscheinlichkeit nach den damaligen Itinerarien ihnen zugeschrieben werden könne. Die völlige Unkenntniß der Nordweisung der Magnetnadel, d. i. der Nichtgebrauch der Boussole, welche schon 1250 Jahre vor Ptolemäus neben einem Wegmesser in der Construction der magnetischen Wagen des chinesischen Kaisers Tschingwang angebracht war, machte bei Griechen und Römern die ausführlichsten Itinerarien wegen Mangels der Sicherheit in den Richtungen56 (in dem Winkel mit dem Meridian) höchst ungewiß.

Je mehr man in der neuesten Zeit mit den indischen Sprachen und der altpersischen (dem Zend) bekannt geworden ist, desto mehr hat man erstaunen müssen, wie ein großer Theil der geographischen Nomenclatur des Ptolemäus als geschichtliches Denkmal von den Handelsverbindungen zwischen dem Occident und den fernsten Regionen von Süd- und Mittel-Asien zu betrachten ist.57 Für eine der wichtigsten Folgen solcher Handelsverbindungen darf auch die richtige Ansicht der völligen Abgeschlossenheit des [226] caspischen Meeres gelten: eine Ansicht, welche die Ptolemäische Erdkunde nach fünfhundertjährigem Irrthume wiederherstellte. Herodot und Aristoteles (der letztere schrieb seine Meteorologica glücklicherweise vor den asiatischen Feldzügen Alexanders) hatten diese Abgeschlossenheit gekannt. Die Olbiopoliten, aus deren Munde der Vater der Geschichte seine Nachrichten schöpfte, waren vertraut mit der nördlichen Küste des caspischen Meers zwischen der Kuma, der Wolga (Rha) und dem Jaik (Ural). Nichts konnte dort bei ihnen die Idee eines Ausflusses nach dem Eismeere anregen. Ganz andere Ursachen der Täuschung boten sich dem Heere Alexanders dar, welches über Hekatompylos (Damaghan) in die feuchten Waldungen des Mazenderan herabstieg und das caspische Meer bei Zadrakarta, etwas westlich von dem jetzigen Asterabad, sich endlos gegen Norden hindehnen sah. Dieser Anblick erzeugte, wie Plutarch in dem Leben Alexanders erzählt, zuerst die Vermuthung, das gesehene Meer sei ein Busen des Pontus.58 Die macedonische Expedition, im ganzen wohlthätig für die Fortschritte der Erdkunde, führte zu einzelnen Irrthümern, die sich lange erhalten haben. Der Tanais wurde mit dem Jaxartes (Herodots Araxes), der Kaukasus mit dem Paropanisus (Hindu-Kho) verwechselt. Ptolemäus konnte durch seinen Aufenthalt in Alexandrien sichere Nachrichten aus den Ländern, welche das caspische Meer zunächst umgrenzen (aus Albanien, Atropatene und Hyrcanien), wie von den Zügen der Aorser haben, deren Kameele indische und babylonische Waaren zum Don und zum schwarzen Meere führten59. Wenn er, gegen Herodots richtigere Kenntniß, die große Axe des caspischen Binnenmeeres von Westen gegen Osten gerichtet [227] glaubte, so verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntniß der ehemaligen großen Ausdehnung des scythischen Golfes (Karabogas) und der Existenz des Aral-Sees, dessen erste bestimmte Andeutung wir bei einem byzantinischen Schriftsteller, dem Menander60, welcher den Agathias fortsetzte, finden.

Es ist zu beklagen, daß Ptolemäus, der das caspische Meer wiederum geschlossen, nachdem es durch die Hypothese von vier Meerbusen und selbst nach Reflexen in der Mondscheibe61 lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Prasum mit Cattigara und Thinä, Sinarum metropolis, also Ost-Afrika mit dem Lande der Tsin (China), verbinden sollte. Diese Mythe, welche den indischen Ocean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Ansichten, die von Marinus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja selbst bis zum Aristoteles hinaufsteigen.62 Es muß in diesen kosmischen Schilderungen fortschreitender Weltansicht genügen durch einige wenige Beispiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wissen das schon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schifffahrt und des Landhandels man glauben durfte das Ganze der Erdgestaltung zu begreifen, desto mehr versuchte, besonders im alexandrinischen Zeitalter, unter den Lagiden und der römischen Weltherrschaft, die nie schlummernde Einbildungskraft der Hellenen in sinnreichen Combinationen alte Ahndungen mit neuem wirklichen Wissen zu verschmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorschnell zu vollenden.

[228]

Wir haben bereits oben beiläufig daran erinnert, wie Claudius Ptolemäus durch seine Optik, welche uns die Araber, wenn gleich sehr unvollständig, erhalten haben, der Gründer eines Theils der mathematischen Physik geworden ist: eines Theils, der freilich nach Theon von Alexandrien63 in Hinsicht auf die Strahlenbrechung schon in der Catoptrik des Archimedes berührt worden war. Es ist ein wichtiger Fortschritt, wenn physische Erscheinungen, statt bloß beobachtet und mit einander verglichen zu werden, wovon wir denkwürdige Beispiele in dem griechischen Alterthume in den inhaltreichen pseudo-aristotelischen Problemen, in dem römischen Alterthume bei Seneca vorfinden, willkührlich unter veränderten Bedingungen hervorgerufen64 und gemessen werden. Dieses Hervorrufen und Messen charakterisirt die Untersuchungen des Ptolemäus über die Brechung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgange durch Mittel ungleicher Dichtigkeit. Ptolemäus leitet die Strahlen von der Luft in Wasser und in Glas, wie von Wasser in Glas unter verschiedenen Einfallswinkeln. Die Resultate solcher physischen Experimente werden von ihm in Tabellen zusammengestellt. Diese Messung einer absichtlich hervorgerufenen physischen Erscheinung, eines Naturprocesses, der nicht auf Bewegung von Lichtwellen reducirt ist (Aristoteles65 nahm beim Lichte eine Bewegung des Mittels zwischen dem Auge und dem Gesehenen an), steht ganz isolirt in dem Zeitraume, den wir hier behandeln. Es bietet derselbe in der Erforschung der elementaren Natur nur noch einige wenige chemische Arbeiten (Experimente) des Dioscorides dar und, wie ich an einem anderen Orte entwickelt habe, die technische Kunst des Auffangens übergetriebener tropfbarer Flüssigkeiten66 in [229] ächten Destillir-Apparaten. Da Chemie erst dann beginnt, wenn der Mensch sich mineralische Säuren, als mächtige Mittel der Lösung und Entfesselung der Stoffe, verschaffen kann, so ist die von Alexander aus Aphrodisias unter Caracalla beschriebene Destillation des Seewassers einer großen Beachtung werth. Sie bezeichnet den Weg, auf welchem man allmälig zur Kenntniß der Heterogeneität der Stoffe, ihrer chemischen Zusammensetzung und gegenseitigen Anziehungskraft gelangt ist.

In der organischen Naturkunde ist neben dem Anatomen Marinus, dem Affenzergliederer Rufus von Ephesus, welcher Empfindungs- und Bewegungs-Nerven unterschied, und dem alle verdunkelnden Galenus von Pergamus kein anderer Name zu nennen. Die Thiergeschichte des Aelianus aus Präneste, das Fischgedicht des Ciliciers Oppianus enthalten zerstreute Notizen, nicht Thatsachen auf eigene Forschung gegründet. Es ist kaum zu begreifen, wie die Unzahl67 seltener Thiere, welche vier Jahrhunderte lang im römischen Circus gemordet wurden (Elephanten, Rhinoceros, Nilpferde, Elenthiere, Löwen, Tiger, Panther, Crocodile und Strauße), für die vergleichende Anatomie so völlig unbenutzt blieben. Des Verdienstes des Dioscorides um die gesammte Pflanzenkunde ist schon oben gedacht worden; er hat einen mächtigen, langdauernden Einfluß auf die Botanik und pharmaceutische Chemie der Araber ausgeübt. Der botanische Garten des über hundert Jahre erreichenden Arztes Antonius Castor zu Rom, vielleicht den botanischen Gärten des Theophrast und Mithridates nachgebildet, hat den Wissenschaften wahrscheinlich nicht mehr genützt als die Sammlung fossiler Knochen des Kaisers Augustus oder die Naturaliensamm- [230] lung, die man aus sehr schwachen Gründen dem geistreichen Appulejus von Madaura zugeschrieben hat.68

Am Schluß der Darstellung dessen, was zu der Zeit römischer Weltherrschaft in Erweiterung des kosmischen Wissens geleistet worden ist, muß noch des großartigen Unternehmens einer Weltbeschreibung gedacht werden, welche Cajus Plinius Secundus in 37 Büchern zu umfassen strebte. Im ganzen Alterthume ist nichts ähnliches versucht worden; und wenn das Werk auch während seiner Ausführung in eine Art von Encyclopädie der Natur und Kunst ausartete (der Verfasser, in der Zueignung an den Titus, scheuet sich selbst nicht den damals edleren griechischen Ausdruck ἐνγκυκλοπεδία , gleichsam den „Inbegriff und Vollkreis allgemeiner Bildungswissenschaften", auf sein Werk anzuwenden): so ist doch nicht zu läugnen, daß trotz des Mangels eines inneren Zusammenhanges der Theile das Ganze den Entwurf einer physischen Weltbeschreibung darbietet.

Die Historia naturalis des Plinius, in der tabellarischen Uebersicht, welche jetzt das sogenannte erste Buch bildet, Historiae Mundi, in einem Briefe des Neffen an seinen Freund Macer schöner Naturae Historia genannt, begreift Himmel und Erde zugleich: die Lage und den Lauf der Weltkörper, die meteorologischen Processe des Luftkreises, die Oberflächen-Gestaltung der Erde, alles tellurische, von der Pflanzendecke und den Weich-Gewürmen des Oceans an bis hinauf zu dem Menschengeschlechte. Dieses ist betrachtet nach Verschiedenheit seiner geistigen Anlagen wie in der Verherrlichung derselben zu den edelsten Blüthen der bildenden Künste. Ich nenne die Elemente [231] des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. „Der Weg, den ich wandeln werde", sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, „ist unbetreten (non trita auctoribus via); keiner unter uns, keiner unter den Griechen hat unternommen, einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, so ist es doch etwas schönes und glänzendes (pulchrum atque magnificum) dergleichen versucht zu haben."

Es schwebte dem geistreichen Manne ein einiges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerstreut, bei mangelnder lebendiger Selbstanschauung der Natur, hat er dies Bild nicht festzuhalten gewußt. Die Ausführung ist unvollkommen geblieben: nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntniß der zu behandelnden Gegenstände (wir urtheilen nach den excerpirten Werken, welche uns noch heute zugänglich sind) als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfasser einen vielbeschäftigten vornehmen Mann, der sich gern seiner Schlaflosigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Oberaufseher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft seinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer endlosen Compilation anvertraute. Dies Streben nach Compilation, d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten [232] unterzuordnen, den Gesichtspunkt einer vergleichenden Naturkunde festzuhalten. Die Keime zu solchen höheren, nicht bloß orographischen, sondern wahrhaft geognostischen Ansichten liegen in Eratosthenes und Strabo; der erstere wird ein einziges Mal, der zweite nie benutzt. Aus der anatomischen Thiergeschichte des Aristoteles hat Plinius weder die auf die Hauptverschiedenheit der inneren Organisation gegründete Eintheilung in große Thierclassen, noch den Sinn für die allein sichere Inductions-Methode in Verallgemeinerung der Resultate zu schöpfen gewußt.

Mit pantheistischen Betrachtungen anhebend, steigt Plinius aus den Himmelsräumen zum Irdischen herab. Wie er die Nothwendigkeit anerkennt der Natur Kräfte und Herrlichkeit (naturae vis atque majestas) als ein großes und zusammenwirkendes Ganzes darzustellen (ich erinnere an das Motto auf dem Titel meiner Schrift), so unterscheidet er auch, im Eingange des 3ten Buches, generelle und specielle Erdkunde; aber dieser Unterschied wird bald wieder vernachlässigt, wenn er sich in die dürre Nomenclatur von Ländern, Bergen und Flüssen versenkt. Den größeren Theil der Bücher VIII-XXVII, XXXIII und XXXIV, XXXVI und XXXVII füllen Verzeichnisse aus den drei Reichen der Natur aus. Der jüngere Plinius charakterisirt in einem seiner Briefe die Arbeit des Oheims sehr richtig als ein „inhaltschweres und gelehrtes Werk, das nicht minder mannigfaltig als die Natur selbst ist (opus diffusum, eruditum, nec minus varium quam ipsa natura)". Manches, das dem Plinius zum Vorwurf gemacht worden ist, als wäre es eine unnöthige und zu fremdartige Einmischung, bin ich geneigt hier lobend hervorzuheben. Es [233] scheint mir besonders erfreulich, daß er so oft und immer mit Vorliebe an den Einfluß erinnert, welchen die Natur auf die Gesittung und geistige Entwickelung der Menschheit ausgeübt hat. Nur die Anknüpfungspunkte sind selten glücklich gewählt (VII, 24–47; XXV, 2; XXVI, 1; XXXV, 2; XXXVI, 2–4; XXXVII, 1). Die Natur der Mineral- und Pflanzenstoffe z. B. führt zu einem Fragment aus der Geschichte der bildenden Künste, einem Fragmente, das für den heutigen Stand unseres Wissens freilich wichtiger geworden ist als fast alles, was wir von beschreibender Naturgeschichte aus dem Werke schöpfen können.

Der Styl des Plinius hat mehr Geist und Leben als eigentliche Größe; er ist selten malerisch bezeichnend. Man fühlt, daß der Verfasser seine Eindrücke nicht aus der freien Natur, so viel er auch diese unter sehr verschiedenen Himmelsstrichen genossen, sondern aus Büchern geschöpft hat. Eine ernste, trübe Färbung ist über das Ganze ausgegossen. In diese sentimentale Stimmung ist Bitterkeit gemischt, so oft die Zustände des Menschengeschlechts und seine Bestimmung berührt werden. Fast wie in Cicero69, doch in minderer Einfachheit der Diction, wird dann als aufrichtend und tröstlich geschildert der Blick in das große Weltganze der Natur.

Der Schluß der Historia naturalis des Plinius, des größten römischen Denkmals, welches der Litteratur des Mittelalters vererbt wurde, ist in dem ächten Geiste einer Weltbeschreibung abgefaßt. Er enthält, wie wir ihn erst seit 1831 kennen70, einen Blick auf die vergleichende Naturgeschichte der Länder in verschiedenen Zonen, das Lob des südlichen Europa's zwischen den natürlichen Gren- [234] zen des Mittelmeeres und der Alpenkette, das Lob des hesperischen Himmels: „wo Mäßigung und sanfte Milde des Klima's (ein Dogma der ältesten Pythagoreer) früh die Entwilderung der Menschheit beschleunigt" hätten.

Der Einfluß der Römerherrschaft als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Element hat in einer Geschichte der Weltanschauung um so ausführlicher und kräftiger bezeichnet werden dürfen, als dieser Einfluß, selbst zu einer Zeit, wo die Einigung lockerer gemacht, ja durch den Sturm einbrechender Barbaren zerstört wurde, bis in seine entfernten Folgen erkannt werden kann. Noch singt Claudian, der zu einer trüben und späten Zeit, unter Theodosius dem Großen und dessen Söhnen, im Verfall der Litteratur mit neuer dichterischer Productivität auftritt, freilich nur zu lobend, von der Herrschaft der Römer71:

Haec est, in gremium victos quae sola recepit,

Humanumque genus communi nomine fovit,

Matris, non dominae, ritu; civesque vocavit

Quos domuit, nexuque pio longinqua revinxit.

Hujus pacificis debemus moribus omnes

Quod veluti patriis regionibus utitur hospes .....

Aeußere Mittel des Zwanges, kunstreiche Staatsverfassungen, eine lange Gewohnheit der Knechtschaft konnten freilich einigen, sie konnten das vereinzelte Dasein der Völker aufheben; aber das Gefühl von der Gemeinschaft und Einheit des ganzen Menschengeschlechts, von der gleichen Berechtigung aller Theile desselben hat einen edleren Ursprung. Es ist in den inneren Antrieben des Gemüths und religiöser Ueberzeugungen gegründet. Das Christenthum hat hauptsächlich dazu beigetragen den Begriff der Einheit des [235] Menschengeschlechts hervorzurufen; es hat dadurch auf die „Vermenschlichung" der Völker in ihren Sitten und Einrichtungen wohlthätig gewirkt. Tief mit den frühesten christlichen Dogmen verwebt, hat der Begriff der Humanität sich aber nur langsam Geltung verschaffen können, da zu der Zeit, als der neue Glaube aus politischen Motiven in Byzanz zur Staatsreligion erhoben wurde, die Anhänger desselben bereits in elenden Partheistreit verwickelt, der ferne Verkehr der Völker gehemmt und die Fundamente des Reichs mannigfach durch äußere Angriffe erschüttert waren. Selbst die persönliche Freiheit ganzer Menschenclassen hat lange in den christlichen Staaten, bei geistlichen Grundbesitzern und Corporationen, keinen Schutz gefunden.

Solche unnatürlichen Hemmungen, und viele andere, welche dem geistigen Fortschreiten der Menschheit wie der Veredlung des gesellschaftlichen Zustandes im Wege stehen, werden allmälig verschwinden. Das Princip der individuellen und der politischen Freiheit ist in der unvertilgbaren Ueberzeugung gewurzelt von der gleichen Berechtigung des einigen Menschengeschlechts. So tritt dieses, wie schon an einem anderen Orte72 gesagt worden ist, „als Ein großer verbrüderter Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes (der freien Entwickelung innerlicher Kraft) bestehendes Ganzes" auf. Diese Betrachtung der Humanität, des bald gehemmten, bald mächtig fortschreitenden Strebens nach derselben (keinesweges die Erfindung einer neueren Zeit!) gehört durch die Allgemeinheit ihrer Richtung recht eigentlich zu dem, was das kosmische Leben erhöht und begeistigt. In der Schilderung einer großen welthistorischen Epoche, der der Herrschaft der Römer, ihrer Gesetzgebung [236] und der Entstehung des Christenthums, mußte vor allem daran erinnert werden, wie dieselbe die Ansichten des Menschengeschlechts erweitert und einen milden, langdauernden, wenn gleich langsam wirkenden Einfluß auf Intelligenz und Gesittung ausgeübt hat.


[237]
V.

Einfall der Araber. — Geistige Bildsamkeit dieses Theils des semitischen Volksstammes. — Einfluß eines fremdartigen Elements auf den Entwickelungsgang europäischer Cultur. — Eigenthümlichkeit des Nationalcharakters der Araber. — Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. — Arzneimittellehre und Chemie. — Erweiterung der physischen Erdkunde im Innern der Continente, der Astronomie und der mathematischen Wissenschaften.

Wir haben in dem Entwurf einer Geschichte der physischen Weltanschauung, d. h. in der Darstellung der sich allmälig entwickelnden Erkenntniß von einem Weltganzen, bereits vier Hauptmomente aufgezählt. Es sind: die Versuche aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Osten nach dem Pontus und Phasis, gegen Süden nach Ophir und den tropischen Goldländern, gegen Westen durch die Hercules-Säulen in den „alles umströmenden Oceanus" vorzudringen; der macedonische Feldzug unter Alexander dem Großen; das Zeitalter der Lagiden und die römische Weltherrschaft. Wir lassen nun folgen den mächtigen Einfluß, welchen die Araber, ein fremdartiges Element europäischer Civilisation, und sechs bis sieben Jahrhunderte später die maritimen Entdeckungen der Portugiesen und Spanier, auf das allgemeine physische und mathematische Naturwissen, auf Kenntniß der Erd- und Himmelsräume, [238] ihrer meßbaren Gestaltung, der Heterogeneität der Stoffe und der ihnen inwohnenden Kräfte ausgeübt haben. Die Entdeckung und Durchforschung des Neuen Continents, seiner vulkanreichen Cordilleren, seiner Hochebenen, in denen gleichsam die Klimate über einander gelagert sind, seiner in 120 Breitengraden entfalteten Pflanzendecke bezeichnet unstreitig die Periode, wo dem menschlichen Geiste in dem kürzesten Zeitraum die größte Fülle neuer physischer Wahrnehmungen dargeboten wurde.

Von da an ist die Erweiterung des kosmischen Wissens nicht an einzelne politische, räumlich wirkende Begebenheiten zu knüpfen. Die Intelligenz bringt fortan Großes hervor aus eigener Kraft, nicht durch einzelne äußere Ereignisse vorzugsweise angeregt. Sie wirkt in vielen Richtungen gleichzeitig, schafft durch neue Gedankenverbindung sich neue Organe, um das zarte Gewebe des Thier- und Pflanzenbaues als Substrat des Lebens, wie die weiten Himmelsräume zu durchspähen. So erscheint das ganze siebzehnte Jahrhundert, glänzend eröffnet durch die große Erfindung des Fernrohrs, wie durch die nächsten Früchte dieser Erfindung, von Galilei's Entdeckung der Jupiterstrabanten, der sichelförmigen Gestalt der Venusscheibe und der Sonnenflecken an bis zu Isaac Newton's Gravitations-Theorie, als die wichtigste Epoche einer neugeschaffenen physischen Astronomie. Es zeigt sich hier noch einmal, durch Einheit der Bestrebungen in der Beobachtung des Himmels und der mathematischen Forschung hervorgerufen, ein scharf bezeichneter Abschnitt in dem großen, von nun an ununterbrochen fortlaufenden Processe intellectueller Entwickelung.

Unseren Zeiten näher wird das Herausheben einzelner [239] Momente um so schwieriger, als die menschliche Thätigkeit sich vielseitiger bewegt und als mit einer neuen Ordnung in den geselligen und staatlichen Verhältnissen auch ein engeres Band alle wissenschaftlichen Richtungen umschließt. In den einzelnen Disciplinen, deren Entwickelung eine Geschichte der physischen Wissenschaften darstellt, in der Chemie und der beschreibenden Botanik, ist es möglich bis in die neueste Zeit Perioden zu isoliren, in denen die Fortschritte am größten waren oder plötzlich neue Ansichten herrschend wurden; aber in der Geschichte der Weltanschauung, welche ihrem Wesen nach der Geschichte der einzelnen Disciplinen nur das entlehnen soll, was am unmittelbarsten sich auf die Erweiterung des Begriffs vom Kosmos als einem Naturganzen bezieht, wird das Anknüpfen an bestimmte Epochen schon darum gefahrvoll und unthunlich, weil das, was wir eben einen intellectuellen Entwickelungsproceß nannten, ein ununterbrochenes gleichzeitiges Fortschreiten in allen Sphären des kosmischen Wissens voraussetzt. An dem wichtigen Scheidepunkte angelangt, wo nach dem Untergange der römischen Weltherrschaft ein neues, fremdartiges Element der Bildung sich offenbart, wo unser Continent dasselbe zum ersten Male unmittelbar aus einem Tropenlande empfängt, schien es mir nützlich einen allgemeinen, übersichtlichen Blick auf den Weg zu werfen, welcher noch zu durchlaufen übrig ist.

Die Araber, ein semitischer Urstamm, verscheuchen theilweise die Barbarei, welche das von Völkerstürmen erschütterte Europa bereits seit zwei Jahrhunderten bedeckt hat. Sie führen zurück zu den ewigen Quellen griechischer Philosophie; sie tragen nicht bloß dazu bei die wissenschaft- [240] liche Cultur zu erhalten, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue Wege. In unserm Continent begann die Erschütterung erst, als unter Valentinian I die Hunnen (finnischen, nicht mongolischen Ursprungs) in dem letzten Viertel des vierten Jahrhunderts über den Don vordrangen und die Alanen, später mit diesen die Ostgothen bedrängten. Fern im östlichen Asien war der Strom wandernder Völker in Bewegung gesetzt mehrere Jahrhunderte früher als unsere Zeitrechnung beginnt. Den ersten Anstoß zur Bewegung gab, wie wir schon früher erinnert, der Anfall der Hiungnu (eines türkischen Stammes) auf das blonde und blauäugige, vielleicht indogermanische Volk der Usün, die, an die Yueti (Geten?) grenzend, im oberen Flußthal des Huangho im nordwestlichen China wohnten. Der verheerende Völkerstrom, fortgepflanzt von der, gegen die Hiungnu (214 vor Chr.) errichteten großen Mauer bis in das westlichste Europa, bewegte sich durch Mittel-Asien, nördlich von der Kette des Himmelsgebirges. Kein Religionseifer beseelte diese asiatischen Horden, ehe sie Europa berührten; ja man hat bestimmt erwiesen, daß die Mongolen noch nicht Buddhisten73 waren, als sie siegreich bis nach Polen und Schlesien vordrangen. Ganz andere Verhältnisse gaben dem kriegerischen Ausbruch eines südlichen Volkes, der Araber, einen eigenthümlichen Charakter.

In dem wenig gegliederten74 Continent von Asien dehnt sich, ausgezeichnet durch seine Form, als ein merkwürdig absondertes Glied, die arabische Halbinsel zwischen dem rothen Meere und dem persischen Meerbusen, zwischen dem Euphrat und dem syrisch-mittelländischen Meere hin. Es ist die westlichste der drei Halbinseln von Süd-Asien, [241] und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem mittleren Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz, ein edler, kräftiger Menschenstamm, unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus, bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen; gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) „wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut". Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr [242] Wirkung eines schrankenlosen dogmatisirenden Despotismus75 als Wirkung der ursprünglichen Glaubenslehre, der religiösen Anschauung der Nation. Die Strenge des Koran ist vorzugsweise gegen Abgötterei und den Götzendienst aramäischer Stämme gerichtet.

Da das Leben der Völker außer den inneren geistigen Anlagen durch viele äußere Bedingnisse des Bodens, des Klima's und der Meeresnähe bestimmt wird, so muß hier zuvörderst an die ungleichartige Gestaltung der arabischen Halbinsel erinnert werden. Wenn auch der erste Impuls zu den großen Veränderungen, welche die Araber in drei Continenten hervorgebracht haben, von dem ismaelitischen Hedschaz ausging und seine hauptsächlichste Kraft einem einsamen Hirtenstamme verdankte, so ist doch der übrige Theil der Halbinsel an seinen Küsten seit Tausenden von Jahren nicht von dem übrigen Weltverkehr abgeschnitten geblieben. Um den Zusammenhang und die Möglichkeit großer und seltsamer Ereignisse einzusehen, muß man zu den Ursachen aufsteigen, welche dieselben allmälig vorbereitet haben.

Gegen Südwesten am erythräischen Meere liegt das schöne Land der Joctaniden76, Yemen, fruchtbar und ackerbauend, der alte Cultursitz von Saba. Es erzeugt Weihrauch (lebonah der Hebräer, vielleicht Boswellia thurifera Colebr.)77, Myrrhe (eine Amyris-Art, von Ehrenberg zuerst genau beschrieben) und den sogenannten Mekka-Balsam (Balsamodendron gileadense, Kunth): Gegenstände eines wichtigen Handels der Nachbarvölker, verführt zu den Aegyptern, Persern und Indern wie zu den Griechen und Römern. Auf diese Erzeugnisse gründet sich die geographische Benennung des „glücklichen Arabiens", welche [243] wir zuerst bei Diodor und Strabo finden. Im Südosten der Halbinsel am persischen Meerbusen lag Gerrha, den phönicischen Niederlassungen von Aradus und Tylus gegenüber, ein wichtiger Stapelplatz des Verkehrs mit indischen Waaren. Wenn gleich fast das ganze Innere des arabischen Landes eine baumlose Sandwüste zu nennen ist, so findet sich doch in Oman (zwischen Jailan und Batna) eine ganze Reihe wohl cultivirter, durch unterirdische Canäle bewässerter Oasen; ja der Thätigkeit des verdienstvollen Reisenden Wellsted78 verdanken wir die Kenntniß dreier Gebirgsketten, deren höchster, waldbedeckter Gipfel, Dschebel Akhdar, sich bis sechstausend Fuß Höhe über dem Meeresspiegel bei Maskat erhebt. Auch in dem Berglande von Yemen östlich von Loheia und in der Küstenkette von Hedschaz, in Asyr, wie östlich von Mekka bei Tayef, befinden sich Hochebenen, deren perpetuirlich niedrige Temperatur schon dem Geographen Edrisi bekannt war79.

Dieselbe Mannigfaltigkeit der Gebirgslandschaft charakterisirt die Halbinsel Sinai, das Kupferland der Aegypter des alten Reiches (vor der Hyksos-Zeit), und die Felsthäler von Petra. Der phönicischen Handelsniederlassungen an dem nördlichsten Theile des rothen Meeres und der Hiram-Salomonischen Ophirfahrt, die von Ezion-Geber ausging, habe ich bereits an einem anderen Orte80 erwähnt. Arabien und die von indischen Ansiedlern bewohnte nahe Insel Socotora (die Insel des Dioscorides) waren Mittelglieder des Welthandels nach Indien und der Ostküste von Afrika. Die Producte dieser Länder wurden gemeinhin mit denen von Hadhramaut und Yemen verwechselt. „Aus Saba werden sie kommen" (die Dromedare von Midian), [244] singt der Prophet Jesaias, „werden Gold und Weihrauch bringen."81 Petra war der Stapelplatz kostbarer Waaren, für Tyrus und Sidon bestimmt, ein Hauptsitz des einst so mächtigen Handelsvolks der Nabatäer, denen der sprachgelehrte Quatremère als ursprünglichen Wohnsitz die Gerrhäer-Gebirge am unteren Euphrat anweist. Dieser nördliche Theil von Arabien ist vorzugsweise durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabischer Stämme in dem syrisch-palästinischen Grenzgebirge und den Euphratländern, wie durch die berühmte Caravanenstraße von Damascus über Emesa und Tadmor (Palmyra) nach Babylon in belebendem Contact mit anderen Culturstaaten gewesen. Mohammed selbst, entsprossen aus einem vornehmen, aber verarmten Geschlecht des Koreischiten-Stammes, hatte, ehe er als inspirirter Prophet und Reformator auftrat, in Handelsgeschäften die Waarenmesse von Bosra an der syrischen Grenze, die in Hadhramaut, dem Weihrauchlande, und am meisten die zwanzigtägige von Okadh bei Mekka besucht, wo Dichter, meist Beduinen, sich alljährlich zu lyrischen Kampfspielen versammelten. Wir berühren diese Einzelheiten des Verkehrs und seiner Veranlassungen, um ein lebendigeres Bild von dem zu geben, was vorbereitend auf eine Weltveränderung wirkte.

Die Verbreitung der arabischen Bevölkerung gegen Norden erinnert zunächst an zwei Begebenheiten, deren nähere Verhältnisse freilich noch in Dunkel gehüllt sind, welche aber doch dafür zeugen, daß schon Jahrtausende vor Mohammed die Bewohner der Halbinsel sich durch Ausfälle nach Westen und Osten, gegen Aegypten und den Euphrat hin, in die großen Welthändel gemischt hatten. Die semitische [245] oder aramäische Abstammung der Hyksos, welche unter der zwölften Dynastie, 2200 Jahre vor unserer Zeitrechnung, dem alten Reiche ein Ende machten, wird jetzt fast allgemein von Geschichtsforschern angenommen. Auch Manetho sagt: „Einige behaupten, daß diese Hirten Araber waren". In anderen Quellen werden sie Phönicier genannt: ein Name, der im Alterthume auf die Bewohner des Jordanthales und auf alle arabischen Stämme ausgedehnt wird. Der scharfsinnige Ewald gedenkt besonders der Amalekiter (Amalekäer), welche ursprünglich in Yemen wohnten, dann über Mekka und Medina sich nach Canaan und Syrien verbreiteten und in arabischen Urkunden als zu Josephs Zeit über Acgypten herrschend genannt werden82. Auffallend ist es immer, wie die nomadischen Stämme der Hyksos das mächtige, wohleingerichtete alte Reich der Aegypter haben überwältigen können. Freier gesinnte Menschen traten glücklich gegen die an lange Knechtschaft gewöhnten auf; und doch waren die siegreichen arabischen Einwanderer damals nicht, wie in neuerer Zeit, durch religiöse Begeisterung aufgeregt. Aus Furcht vor den Assyrern (Stämmen von Arpachschad) gründeten die Hyksos den Waffenplatz und die Feste Avaris am östlichen Nilarme. Vielleicht deutet dieser Umstand auf nachdringende Kriegsschaaren, auf eine große gegen Westen gerichtete Völkerwanderung. Eine zweite, wohl um tausend Jahre spätere Begebenheit ist die, welche Diodor83 dem Ktesias nacherzählt. Ariäus, ein mächtiger Himyariten-Fürst, wird Bundesgenosse des Ninus am Tigris, schlägt mit ihm die Babylonier und kehrt mit reicher Beute beladen in seine Heimath, das südliche Arabien, zurück.84

[246]

War im ganzen das freie Hirtenleben das herrschende im Hedschaz, war es das Leben einer großen und kräftigen Volkszahl, so wurden doch auch dort die Städte Medina und Mekka (letztere mit ihrem uralten räthselhaften Tempelheiligthum, der Kaaba) als ansehnliche, von fremden Nationen besuchte Orte bezeichnet. In Gegenden, welche den Küsten oder den Caravanenstraßen, die wie Flußthäler wirken, nahe lagen, herrschte wohl nirgends die völlige rohe Wildheit, welche die Abgeschlossenheit erzeugt. Schon Gibbon85, der die menschlichen Zustände immer so klar auffaßt, erinnert daran, wie in der arabischen Halbinsel das Nomadenleben sich wesentlich von dem unterscheidet, welches Herodot und Hippocrates in dem sogenannten Scythenlande beschreiben: weil in diesem kein Theil des Hirtenvolkes sich je in Städten angesiedelt hat, während auf der großen arabischen Halbinsel das Landvolk noch jetzt mit den Städtebewohnern verkehrt, die es von gleicher ursprünglicher Abkunft mit sich selbst hält. In der Kirghisensteppe, einem Theile der Ebenen, welche die alten Scythen (Scoloten und Sacer) bewohnten, hat es auf einem Raume, der an Flächeninhalt Deutschland übertrifft86, seit Jahrtausenden nie eine Stadt gegeben; und doch überstieg, zur Zeit meiner sibirischen Reise, die Zahl der Zelte (Yurten oder Kibitken) in den drei Wanderhorden noch 400,000: was ein Nomadenvolk von zwei Millionen andeutet. Wie sehr solche Contraste der größeren oder minderen Abgeschlossenheit des Hirtenlebens (selbst wenn man gleiche innere Anlagen voraussetzen will) auf die geistige Bildsamkeit wirken, bedarf hier keiner umständlicheren Entwickelung.

Bei dem edeln, von der Natur begünstigten Stamme [247] der Araber machen gleichzeitig die inneren Anlagen zu geistiger Bildsamkeit, die von uns angedeuteten Verhältnisse der natürlichen Beschaffenheit des Landes und der alte Handelsverkehr der Küsten mit hochcultivirten Nachbarstaaten erklärlich, wie der Einbruch nach Syrien und Persien und später der Besitz von Aegypten so schnell Liebe zu den Wissenschaften und Hang zu eigener Forschung in den Siegern erwecken konnten. In den wundersamen Bestimmungen der Weltordnung lag es, daß die christliche Secte der Nestorianer, welche einen sehr wichtigen Einfluß auf die räumliche Verbreitung der Kenntnisse ausgeübt hat, auch den Arabern, ehe diese nach dem vielgelehrten und streitsüchtigen Alexandrien kamen, nützlich wurde, ja daß der christliche Nestorianismus unter dem Schutze des bewaffneten Islam tief in das östliche Asien dringen konnte. Die Araber wurden nämlich mit der griechischen Litteratur erst durch die Syrer87, einen ihnen verwandten semitischen Stamm, bekannt, während die Syrer selbst, kaum anderthalb Jahrhunderte früher, die Kenntniß der griechischen Litteratur erst durch die verketzerten Nestorianer empfangen hatten. Aerzte, die in den Lehranstalten der Griechen und auf der berühmten von den nestorianischen Christen zu Edessa in Mesopotamien gestifteten medicinischen Schule gebildet waren, lebten schon zu Mohammeds Zeiten, mit diesem und mit Abu-Bekr befreundet, in Mekka.

Die Schule von Edessa, ein Vorbild der Benedictiner-Schulen von Monte-Cassino und Salerno, erweckte die naturwissenschaftliche Untersuchung der Heilstoffe aus dem Mineral- und Pflanzenreiche. Als durch christlichen Fanatismus unter Zeno dem Isaurier sie aufgelöst wurde, [248] zerstreuten sich die Nestorianer nach Persien, wo sie bald eine politische Wichtigkeit erlangten und ein neues, vielbesuchtes medicinisches Institut zu Dschondisapur in Khusistan stifteten. Es gelang ihnen ihre Kenntnisse und ihren Glauben gegen die Mitte des siebenten Jahrhunderts bis nach China unter der Dynastie der Thang zu verbreiten, 572 Jahre nachdem der Buddhismus dort aus Indien eingedrungen war.

Der Saamen abendländischer Cultur, in Persien durch gelehrte Mönche und durch die von Justinian verfolgten Philosophen der letzten platonischen Schule von Athen ausgestreuet, hatte einen wohlthätigen Einfluß auf die Araber während ihrer ersten asiatischen Feldzüge ausgeübt. So schwach auch die Kenntnisse der nestorianischen Priester mögen gewesen sein, so konnten sie doch, ihrer eigenthümlichen medicinisch-pharmaceutischen Richtung nach, anregend auf einen Menschenstamm wirken, der lange im Genuß der freien Natur gelebt und einen frischeren Sinn für jede Art der Naturanschauung bewahrte als die griechischen und italischen Städtebewohner. Was der Epoche der Araber die kosmische Wichtigkeit giebt, die wir hier hervorheben müssen, hängt großentheils mit dem eben bezeichneten Zuge ihres Nationalcharakters zusammen. Die Araber sind, wir wiederholen es, als die eigentlichen Gründer der physischen Wissenschaften zu betrachten, in der Bedeutung des Worts, welche wir ihm jetzt zu geben gewohnt sind.

Allerdings ist in der Gedankenwelt, bei der inneren Verkettung alles Gedachten, ein absoluter Anfang schwer an einen bestimmten Zeitabschnitt zu knüpfen. Einzelne Lichtpunkte des Wissens, wie der Processe, durch die das [249] Wissen erlangt werden kann, zeigen sich frühe zerstreut. Wie weit ist nicht Dioscorides, welcher Quecksilber aus dem Zinnober übertrieb, vom arabischen Chemiker Dscheber, wie weit ist Ptolemäus als Optiker von Alhazen getrennt! aber die Gründung der physischen Disciplinen, der Naturwissenschaften selbst, hebt da erst an, wo auf neu geöffneten Wegen zugleich von Vielen, wenn auch mit ungleichem Erfolge, fortgeschritten wird. Nach der bloßen Naturbeschauung, nach dem Beobachten der Erscheinungen, die sich in den irdischen und himmlischen Räumen zufällig dem Auge darbieten, kommt das Erforschen, das Aufsuchen des Vorhandenen, das Messen von Größe und Dauer der Bewegung. Die früheste Epoche einer solchen, doch aber meist auf das Organische beschränkten Naturforschung ist die des Aristoteles gewesen. Es bleibt eine dritte und höhere Stufe übrig in der fortschreitenden Kenntniß physischer Erscheinungen, die Ergründung der Naturkräfte: die des Werdens, bei dem diese Kräfte wirken; die der Stoffe selbst, die entfesselt werden, um neue Verbindungen einzugehen. Das Mittel, welches zu dieser Entfesselung führt, ist das willkührliche Hervorrufen von Erscheinungen, das Experimentiren.

Auf diese letzte, in dem Alterthum fast ganz unbetretene Stufe haben sich vorzugsweise im großen die Araber erhoben. Sie gehörten einem Lande an, das ganz des Palmen- und zur größeren Hälfte des Tropen-Klima's genießt (der Wendekreis des Krebses durchschneidet die Halbinsel ungefähr von Maskat nach Mekka hin), also einer Weltgegend, in der bei erhöhter Lebenskraft der Organe das Pflanzenreich eine Fülle von Aromen, von balsamischen Säften, dem [250] Menschen wohlthätigen oder gefahrdrohenden Stoffen liefert. Früh mußte daher die Aufmerksamkeit des Volkes auf die Erzeugnisse des heimischen Bodens und der durch Handel erreichbaren malabarischen, ceylanischen und ost-afrikanischen Küsten gerichtet sein. In diesen Theilen der heißen Zone „individualisiren" sich die organischen Gestalten in den kleinsten Erdräumen. Jeder derselben bietet eigenthümliche Erzeugnisse dar und vervielfältigt durch stete Anregung zum Beobachten den Verkehr des Menschen mit der Natur. Es kam darauf an so kostbare, der Medicin, den Gewerben, dem Luxus der Tempel und Palläste wichtige Waaren sorgfältig von einander zu unterscheiden und ihrem, oft mit gewinnsüchtiger List verheimlichten Vaterlande nachzuspüren. Ausgehend von dem Stapelplatze Gerrha am persischen Meerbusen und aus dem Weihrauch-Districte von Yemen, durchstrichen zahlreiche Caravanenstraßen das ganze Innere der arabischen Halbinsel bis Phönicien und Syrien und die Namen jener kräftigen Naturproducte, wie das Interesse für dieselben, wurden überall verbreitet.

Die Arzneimittellehre, gegründet von Dioscorides in der alexandrinischen Schule, ist ihrer wissenschaftlichen Ausbildung nach eine Schöpfung der Araber, denen jedoch eine reiche Quelle der Belehrung und die älteste von allen, die der indischen Aerzte, schon früher geöffnet war88. Die chemische Apothekerkunst ist von den Arabern geschaffen worden, und die ersten obrigkeitlichen Vorschriften über Bereitung der Arzneimittel, die jetzt so genannten Dispensatorien, sind von ihnen ausgegangen. Sie wurden später von der salernitanischen Schule durch das südliche Europa verbreitet. Pharmacie und Materia medica, die ersten Bedürfnisse der [251] praktischen Heilkunst, leiteten nach zwei Richtungen gleichzeitig zum Studium der Botanik und zu dem der Chemie. Aus den engen Kreisen der Nützlichkeit und einseitiger Anwendung gelangte die Pflanzenkunde allmälig in ein weiteres und freieres Feld; sie erforschte die Structur des organischen Gewebes, die Verbindung der Structur mit den Kräften, die Gesetze, nach welchen die Pflanzenformen familienweise auftreten und sich geographisch nach Verschiedenheit der Klimate und Höhen über den Erdboden vertheilen.

Seit den asiatischen Eroberungen, für deren Erhaltung später Bagdad ein Centralpunkt der Macht und der Cultur wurde, bewegten sich die Araber in dem kurzen Zeitraume von 70 Jahren über Aegypten, Cyrene und Carthago durch das ganze nördliche Afrika bis zu der fernsten iberischen Halbinsel. Der geringe Bildungszustand des Volkes und seiner Heerführer konnte allerdings jeglichen Ausbruch wilder Roheit vermuthen lassen; aber die Mythe von Verbrennung der alexandrinischen Bibliothek durch Amru (das sechsmonatliche Heizen von 4000 Badstuben) beruht auf dem alleinigen Zeugniß von zwei Schriftstellern, welche 580 Jahre später lebten, als die Begebenheit sich soll zugetragen haben.89 Wie in friedlicheren Zeiten, doch ohne daß die geistige Cultur der ganzen Volksmasse einen freien Aufschwung hätte gewinnen können, in der glanzvollen Epoche von Al-Mansur, Harun Al-Raschid, Mamun und Motasem, die Höfe der Fürsten und die öffentlichen wissenschaftlichen Institute eine große Zahl der ausgezeichnetsten Männer vereinigen konnten, bedarf hier keiner besonderen Entwickelung. Es gilt nicht in diesen Blättern [252] eine Charakteristik der so ausgedehnten und in ihrer Mannigfaltigkeit so ungleichartigen arabischen Litteratur zu geben, oder zu unterscheiden, was in den verborgenen Tiefen der Organisation eines Menschenstammes und der Naturentfaltung seiner Anlagen, was in äußeren Anregungen und zufälligen Bedingnissen gegründet ist. Die Lösung dieser wichtigen Aufgabe gehört einer anderen Sphäre der Ideen an. Unsere historische Betrachtungen sind auf eine fragmentarische Herzählung dessen beschränkt, was in mathematischen, astronomischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen das Volk der Araber zur allgemeineren Weltanschauung beigetragen hat.

Alchymie, Zauberkunst und mystische Phantasien, durch scholastische Dialektik jeder dichterischen Anmuth entblößt, verunreinigen freilich auch hier, wie überall im Mittelalter, die wahren Resultate der Erforschung; aber unablässig selbstarbeitend, mühevoll durch Uebersetzungen sich die Früchte früher gebildeter Generationen aneignend, haben die Araber die Naturansichten erweitert und vieles Eigene geschaffen. Man hat mit Recht auf den großen Unterschied90 der Culturverhältnisse aufmerksam gemacht zwischen den einwandernden germanischen und den arabischen Stämmen. Jene bildeten sich erst nach der Einwanderung aus; diese brachten mit sich schon aus der Heimath nicht bloß ihre Religion, auch eine hochausgebildete Sprache, und die zarten Blüthen einer Poesie, welche nicht ganz ohne Einfluß auf die Provenzalen und die Minnesänger geblieben ist.

Die Araber besaßen merkwürdige Eigenschaften, um aneignend und vermittelnd zu wirken vom Euphrat bis zum Guadalquivir und bis zu dem Süden von Mittel-Afrika. Sie [253] besaßen eine beispiellose weltgeschichtliche Beweglichkeit, eine Neigung, von dem abstoßenden israelitischen Castengeiste entfernt, sich mit den besiegten Völkern zu verschmelzen und doch trotz des ewigen Bodenwechsels ihrem Nationalcharakter und den traditionellen Erinnerungen an die ursprüngliche Heimath nicht zu entsagen. Beispiele von größeren Landreisen einzelner Individuen, nicht immer des Handels wegen, sondern um Kenntnisse einzusammeln, hat kein anderer Volksstamm aufzuweisen; selbst die buddhistischen Priester aus Tübet und China, selbst Marco Polo und die christlichen Missionare, welche zu den Mongolenfürsten gesandt wurden, haben sich nur in engeren Räumen bewegt. Durch die vielen Verbindungen der Araber mit Indien und China (schon am Ende des 7ten Jahrhunderts91 unter dem Chalifat der Ommajaden wurden die Eroberungen bis nach Kaschgar, Kabul und dem Pendschab ausgedehnt) gelangten wichtige Theile des asiatischen Wissens nach Europa. Die scharfsinnigen Forschungen von Reinaud haben gelehrt, wie viel aus arabischen Quellen für die Kenntniß von Indien zu schöpfen ist. Der Einfall der Mongolen in China störte zwar den Verkehr über den Oxus92; aber die Mongolen selbst wurden bald ein vermittelndes Glied für die Araber, welche durch eigene Anschauung und mühevolles Forschen von den Küsten des stillen Meeres bis zu denen West-Afrika's, von den Pyrenäen bis zu des Scherifs Edrisi Sumpflande des Wangarah in Inner-Afrika die Erdkunde aufgeklärt haben. Die Geographie des Ptolemäus wurde nach Frähn schon auf Befehl des Chalifen Mamun zwischen 813 und 833 in das Arabische übersetzt, und es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß bei der Uebersetzung [254] einige nicht auf uns gekommene Fragmente des Marinus Tyrius benutzt werden konnten93.

Von der langen Reihe vorzüglicher Geographen, welche die arabische Litteratur uns liefert, ist es genug die äußersten Glieder, El-Istachri94 und Alhassan (Johannes Leo, den Afrikaner), zu nennen. Eine größere Bereicherung hat die Erdkunde nie auf einmal vor den Entdeckungen der Portugiesen und Spanier erhalten. Schon funfzig Jahre nach dem Tode des Propheten waren die Araber bis an die äußerste westliche Küste von Afrika, bis an den Hafen Asfi, gelangt. Ob später, als die unter dem Namen der Almagrurin bekannten Abenteurer das Mare tenebrosum beschifften, die Inseln der Guanschen von arabischen Schiffen besucht worden sind, wie mir lange wahrscheinlich war, ist neuerdings wieder in Zweifel gezogen worden.95 Die große Masse arabischer Münzen, die man in den Ostsee-Ländern und im hohen Norden von Scandinavien vergraben findet, ist nicht der eigenen Schifffahrt, sondern dem weit verbreiteten inneren Handelsverkehr der Araber zuzuschreiben.96

Die Erdkunde blieb nicht auf die Darstellung räumlicher Verhältnisse, auf Breiten- und Längenbestimmungen97, wie sie Abul-Hassan vervielfältigt hat, auf Beschreibung von Flußgebieten und Bergketten beschränkt; sie leitete vielmehr das mit der Natur so befreundete Volk auf die organischen Erzeugnisse des Bodens, besonders auf die der Pflanzenwelt. Der Abscheu, welchen die Bekenner des Islams vor anatomischen Untersuchungen hatten, hinderte sie an allen Fortschritten in der Thiergeschichte. Sie begnügten sich für diese mit dem, was sie aus Uebersetzungen des Aristoteles98 und Galenus sich aneignen konnten; [255] doch ist die Thiergeschichte des Avicenna, welche die königliche Bibliothek zu Paris99 besitzt, von der des Aristoteles verschieden. Als Botaniker ist Ibn-Baithar aus Malaga100 zu nennen, den man wegen seiner Reisen in Griechenland, Persien, Indien und Aegypten auch als ein Beispiel von dem Streben ansehen kann durch eigene Beobachtungen die Erzeugnisse verschiedener Zonen des Morgen- und Abendlandes mit einander zu vergleichen. Der Ausgangspunkt aller dieser Bestrebungen war aber immer die Arzneimittelkunde, durch welche die Araber die christlichen Schulen lange beherrschten und zu deren Ausbildung Ibn-Sina (Avicenna), aus Afschena bei Bochara gebürtig, Ibn-Roschd (Averroes) aus Cordova, der jüngere Serapion aus Syrien und Mesue aus Maridin am Euphrat alles benutzten, was der arabische Caravanen- und Seehandel darbieten konnten. Ich nenne geflissentlich weit von einander entfernte Geburtsörter berühmter arabischer Gelehrten, weil diese Geburtsörter recht lebhaft daran erinnern, wie das Naturwissen sich durch die eigenthümliche Geistesrichtung des Stammes über einen großen Erdraum erstreckte, wie durch gleichzeitige Thätigkeit sich der Kreis der Ansichten erweitert hatte.

In diesen Kreis wurde auch das Wissen eines älteren Culturvolkes, das der Inder, gezogen, da unter dem Chalifate von Harun Al-Raschid mehrere wichtige Werke, wahrscheinlich die unter den halb fabelhaften Namen des Tscharaka und Susruta1 bekannten, aus dem Sanskrit in das Arabische übersetzt wurden. Avicenna, ein vielumfassender Geist, den man oft mit Albert dem Großen verglichen, giebt in seiner Materia medica selbst einen [256] recht auffallenden Beweis dieses Einflusses indischer Litteratur. Er kennt, wie der gelehrte Royle bemerkt, die Deodvara-Ceder2 der schneebedeckten, gewiß im 11ten Jahrhundert von keinem Araber besuchten Himalaya-Alpen unter ihrem wahren Sanskritnamen und hält sie für einen hohen Wachholder-Baum, eine Juniperus-Art, welche zu Terpentinöl benutzt wird. Die Söhne von Averroes lebten am Hofe des großen Hohenstaufen, Friedrichs II, der einen Theil seiner naturhistorischen Kenntniß indischer Thiere und Pflanzen dem Verkehr mit arabischen Gelehrten und sprachkundigen spanischen Juden3 verdankte. Der Chalife Abdurrahman I legte selbst einen botanischen Garten bei Cordova an4 und ließ durch eigene Reisende in Syrien und andern asiatischen Ländern seltene Sämereien sammeln. Er pflanzte bei dem Pallaste der Rißafah die erste Dattelpalme, die er in einem Gedichte voll schwermüthiger Sehnsucht nach seiner Heimath Damascus besang.

Der wichtigste Einfluß aber, den die Araber auf das allgemeine Naturwissen ausgeübt haben, ist der gewesen, welcher auf die Fortschritte der Chemie gerichtet war. Mit den Arabern fing gleichsam ein neues Zeitalter für diese Wissenschaft an. Allerdings waren bei ihnen alchymistische und neuplatonische Phantasien mit der Chemie eben so verschwistert wie Astrologie mit der Sternkunde. Die Bedürfnisse der Pharmacie und die gleich dringenden der technischen Künste leiteten zu Entdeckungen, welche von den alchymistisch-metallurgischen Bestrebungen bald absichtlich, bald durch glückliche Zufälle begünstigt wurden. Die Arbeiten von Geber oder vielmehr Djaber (Abu-Mußah Dschafar al-Kufi) und die viel späteren des Razes (Abu- [257] Bekr Arrasi) sind von den wichtigsten Folgen gewesen. Die Bereitung von Schwefel- und Salpetersäure5, von Königswasser, Quecksilber-Präparaten und anderen Metalloxyden, die Kenntniß des alkoholischen6 Gährungsprocesses bezeichnen diese Epoche. Die erste wissenschaftliche Begründung und die Fortschritte der Chemie sind für die Geschichte der Weltanschauung um so wichtiger, als nun zuerst die Heterogeneität der Stoffe und die Natur von Kräften erkannt wurden, die sich nicht durch Bewegung sichtbar verkündigen und neben der pythagoreisch-platonischen „Vollkommenheit" der Form auch der Mischung Geltung verschafften. Unterschiede der Form und Mischung sind aber die Elemente unseres ganzen Wissens von der Materie, die Abstractionen, unter denen wir glauben das allbewegte Weltganze zu erfassen, messend und zersetzend zugleich.

Was die arabischen Chemiker mögen aus ihrer Bekanntschaft mit der indischen Litteratur (den Schriften über das Rasayana7), aus den uralten technischen Künsten der Aegypter, aus den neuen alchymistischen Vorschriften des Pseudo-Democritus und des Sophisten Synesius, oder gar aus chinesischen Quellen durch Vermittelung der Mongolen geschöpft haben: ist für jetzt schwer zu entscheiden. Nach den neuesten sehr sorgfältigen Untersuchungen eines berühmten Orientalisten, Herrn Reinaud, darf wenigstens die Erfindung des Schießpulvers8 und dessen Anwendung zur Fortschleuderung von hohlen Projectilen nicht den Arabern zugeschrieben werden. Hassan Al-Rammah, welcher zwischen 1285 und 1295 schrieb, kannte diese Anwendung nicht, während daß bereits im zwölften Jahrhundert, also fast 200 Jahre vor Berthold Schwarz, im Rammelsberge [258] am Harz eine Art Schießpulver zur Sprengung des Gesteins gebraucht wurde. Auch die Erfindung eines Luftthermometers wird nach einer Angabe des Sanctorius dem Avicenna zugeschrieben; aber diese Angabe ist sehr dunkel: und es verflossen noch sechs volle Jahrhunderte, bis Galilei, Cornelius Drebbel und die Academia del Cimento durch die Begründung einer genauen Wärmemessung ein großartiges Mittel verschafften in eine Welt unbekannter Erscheinungen einzudringen, den kosmischen Zusammenhang von Wirkungen im Luftkreise, in den über einander gelagerten Meeresschichten und in dem Inneren der Erde zu begreifen, Erscheinungen, deren Regelmäßigkeit und Periodicität Erstaunen erregt. Unter den Fortschritten, welche die Physik den Arabern verdankt, darf man nur Alhazen's Arbeit über die Strahlenbrechung, vielleicht theilweise der Optik des Ptolemäus entlehnt, und die Kenntniß und erste Anwendung des Pendels als Zeitmessers9 durch den großen Astronomen Ebn-Junis erwähnen.

Wenn auch die Reinheit und dabei so selten gestörte Durchsichtigkeit des arabischen Himmels das Volk bereits in dem Zustand der frühesten Uncultur in seiner Heimath auf die Bewegung der Gestirne besonders aufmerksam gemacht hatte (neben dem Sterndienst des Jupiter unter den Lachmiten finden wir, bei dem Stamm der Asediten, selbst die Heiligung eines sonnennahen, seltener sichtbaren Planeten, des Merkur), so ist die so ausgezeichnete wissenschaftliche Thätigkeit der gebildeten Araber in allen Theilen der praktischen Astronomie doch wohl mehr chaldäischen und indischen Einflüssen zuzuschreiben. Zustände der Atmosphäre begünstigen nur, was durch geistige Anlagen und den [259] Verkehr mit gebildeteren Nachbarvölkern bei hochbegabten Stämmen hervorgerufen wird. Wie viele regenlose Gegenden des tropischen Amerika (Cumana, Coro, Payta) haben eine noch durchsichtigere Luft als Aegypten, Arabien und Bochara! Das tropische Klima, die ewige Heiterkeit des in Sternen und Nebelflecken prangenden Himmelsgewölbes wirken überall auf das Gemüth; doch folgereich, d. h. zu Ideen führend, zur Arbeit des Menschengeistes in Entwickelung mathematischer Gedanken, regen sie nur da an, wo andere, vom Klima ganz unabhängige, innere und äußere Antriebe einen Völkerstamm bewegen, wo z. B. die genaue Zeiteintheilung zur Befriedigung religiöser oder agronomischer Bedürfnisse eine Nothwendigkeit des geselligen Zustandes wird. Bei rechnenden Handelsvölkern (Phöniciern), bei construirenden, baulustigen, feldmessenden Nationen (Chaldäern und Aegyptern) werden früh empirische Regeln der Arithmetik und der Geometrie aufgefunden; aber alles dies kann nur die Entstehung mathematischer und astronomischer Wissenschaft vorbereiten. Erst bei höherer Cultur wird gesetzliche Regelmäßigkeit der Veränderungen am Himmel in den irdischen Erscheinungen wie reflectirt erkannt, auch in letzteren, laut dem Ausspruch unseres großen Dichters, nach dem „ruhenden Pole" geforscht. Die Ueberzeugung von dem Gesetzmäßigen in der Planetenbewegung hat unter allen Klimaten am meisten dazu beigetragen in dem wogenden Luftmeere, in den Oscillationen des Oceans, in dem periodischen Gange der Magnetnadel, in der Vertheilung des Organismus auf der Erdfläche Gesetz und Ordnung zu suchen.

Die Araber erhielten indische Planetentafeln10 schon [260] am Ende des achten Jahrhunderts. Wir haben bereits oben erinnert, daß der Susruta, der uralte Inbegriff aller medicinischen Kenntnisse der Inder, von Gelehrten übersetzt wurde, welche zu dem Hofe des Chalifen Harun Al-Raschid gehörten: ein Beweis, wie sehr die Sanskrit-Litteratur früh Eingang gefunden hatte. Der arabische Mathematiker Albyruni ging selbst nach Indien, um dort Astronomie zu studiren. Seine Schriften, die erst neuerlichst zugänglich geworden sind, beweisen, wie genau er das Land, die Traditionen und das vielumfassende Wissen der Inder kannte.11

Aber die arabischen Astronomen, so viel sie den früher civilisirten Völkern, vorzüglich den indischen und alexandrinischen Schulen, verdankten, haben doch auch, bei ihrem eigenthümlichen praktischen Sinne, durch die große Zahl und die Richtung ihrer Beobachtungen, durch die Vervollkommnung der winkelmessenden Instrumente, durch das eifrigste Bestreben die älteren Tafeln bei sorgfältiger Vergleichung mit dem Himmel zu verbessern, das Gebiet der Astronomie ansehnlich erweitert. In dem siebenten Buche von dem Almagest des Abul-Wefa hat Sédillot die wichtige Störung der Länge des Mondes erkannt, welche in den Syzygien und Quadraturen verschwindet, ihren größten Werth in den Octanten hat und bisher unter dem Namen der Variation lange für Tycho's Entdeckung gehalten wurde.12 Die Beobachtungen von Ebn-Junis in Cairo sind für die Störungen und secularen Bahnänderungen der beiden größten Planeten, Jupiter und Saturn, besonders wichtig geworden.13 Eine Gradmessung, welche der Chalif Al-Mamun in der großen Ebene von Sindschar zwischen Tadmor und Rakka durch Beobachter ausführen ließ, deren [261] Namen uns Ebn-Junis erhalten hat, ist minder wichtig durch ihr Resultat als durch das Zeugniß geworden, das sie uns von der wissenschaftlichen Bildung des arabischen Menschenstammes gewährt.

Als der Abglanz einer solchen Bildung müssen betrachtet werden: im Westen, im christlichen Spanien, der astronomische Congreß zu Toledo unter Alfons von Castilien, auf dem der Rabbiner Isaac Ebn Sid Hazan die Hauptrolle spielte; im fernen Osten die von Ilschan Holagu, dem Enkel des Weltstürmers Dschingischan, auf einem Berge bei Meragha mit vielen Instrumenten ausgerüstete Sternwarte, in welcher Naßir-Eddin aus Tus in Chorasan seine Beobachtungen anstellte. Diese Einzelheiten verdienen in der Geschichte der Weltanschauung in so fern Erwähnung, als sie lebhaft daran erinnern, wie die Erscheinung der Araber vermittelnd in weiten Räumen auf Verbreitung des Wissens und Anhäufung der numerischen Resultate gewirkt hat: Resultate, die in der großen Epoche von Kepler und Tycho wesentlich zur Begründung der theoretischen Sternkunde und einer richtigen Ansicht von den Bewegungen im Himmelsraume beigetragen haben. Das Licht, welches in dem von tatarischen Völkern bewohnten Asien angezündet war, verbreitete sich im 15ten Jahrhundert weiter in Westen bis Samarkand, wo der Timuride Ulugh Beig neben der Sternwarte ein Gymnasium nach Art des alexandrinischen Museums stiftete und einen Sterncatalog anfertigen ließ, der sich ganz auf neue und eigene Beobachtungen gründete14.

Nach dem Lobe, welches hier dem Naturwissen der Araber in beiden Sphären, der Erdräume und des Himmels, gezollt worden ist, haben wir auch an das zu erinnern, [262] was sie, auf den einsamen Wegen der Gedankenentwickelung, dem Schatze des reinen mathematischen Wissens hinzufügten. Nach den neuesten Arbeiten, welche in England, Frankreich und Deutschland15 über die Geschichte der Mathematik unternommen worden sind, ist die Algebra der Araber „wie aus zwei lange von einander unabhängig fließenden Strömen, einem indischen und einem griechischen, ursprünglich entstanden". Das Compendium der Algebra, welches auf Befehl des Chalifen Al-Mamun der arabische Mathematiker Mohammed Ben-Musa (der Chowarezmier) verfaßte, gründet sich, wie mein so früh dahingeschiedener gelehrter Freund Friedrich Rosen erwiesen hat16, nicht auf Diophantus, sondern auf indisches Wissen; ja schon unter Almansor am Ende des achten Jahrhunderts waren indische Astronomen an den glänzenden Hof der Abbassiden berufen. Diophantus wurde nach Casiri und Colebrooke erst gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabische übersetzt. Was bei den alten indischen Algebristen soll vermißt werden, die von Satz zu Satz fortschreitende Begründung des Erlangten, hatten die Araber der alexandrinischen Schule zu verdanken. Ein so schönes von ihnen vermehrtes Erbtheil ging im zwölften Jahrhunderte durch Johannes Hispalensis und Gerhard von Cremona in die europäische Litteratur des Mittelalters über.17 „In den algebraischen Werken der Inder findet sich die allgemeine Lösung der unbestimmten Gleichungen des ersten Grades und eine weiter ausgebildete Behandlung derer des zweiten als in den auf uns gekommenen Schriften der Alexandriner; es unterliegt daher keinem Zweifel, daß, wären die Werke der Inder zwei Jahrhunderte früher und nicht erst in [263] unseren Tagen den Europäern bekannt geworden, sie auf die Entwickelung der modernen Analysis fördernd hätten einwirken müssen."

Auf demselben Wege und durch dieselben Verhältnisse, welche den Arabern die Kenntniß der indischen Algebra zuführten, erhielten diese auch in Persien und am Euphrat die indischen Zahlzeichen im neunten Jahrhundert. Perser waren damals als Zollbediente am Indus angestellt, und der Gebrauch der indischen Zahlen hatte sich allgemein in die Zollämter der Araber im nördlichen Afrika (den Küsten von Sicilien gegenüber) verpflanzt. Dennoch machen die wichtigen und überaus gründlichen historischen Untersuchungen, zu welchen ein ausgezeichneter Mathematiker, Herr Chasles, durch seine richtige Interpretation der sogenannten pythagorischen Tafel in der Geometrie des Boethius veranlaßt worden ist18, es mehr als wahrscheinlich, daß die Christen im Abendlande selbst früher als die Araber mit den indischen Zahlen vertraut waren und daß sie unter dem Namen des Systems des Abacus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellenwerthe kannten.

Es ist hier nicht der Ort diesen Gegenstand, welcher mich schon früher (1819 und 1829) in zwei, der Académie des Inscriptions zu Paris und der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelegten Abhandlungen beschäftigt hat19, näher zu erläutern; aber bei einem historischen Probleme, über das noch viel zu entdecken übrig ist, entsteht die Frage: ob auch der Stellenwerth, der sinnreiche Kunstgriff der Position, welcher schon im tuscischen Abacus wie im Suanpan von Inner-Asien hervortritt, zweimal abgesondert, im Orient und Occident, erfunden worden ist; oder [264] ob durch die Richtung des Welthandels unter den Lagiden das System des Stellenwerthes von der indischen westlichen Halbinsel aus nach Alexandrien verpflanzt und in der Erneuerung der Träumereien der Pythagoreer für eine Erfindung des ersten Stifters des Bundes ausgegeben worden ist. An die bloße Möglichkeit uralter, uns völlig unbekannter Verbindungen vor der 60ten Olympiade ist wohl nicht zu erinnern. Warum sollten in dem Gefühl ähnlicher Bedürfnisse dieselben Ideenverbindungen sich nicht bei hochbegabten Völkern verschiedenen Stammes abgesondert dargeboten haben?

Wie nun die Algebra der Araber durch das, was dies morgenländische Volk von Griechen und Indern aufgenommen und selbst geschaffen, trotz einer großen Dürftigkeit in der symbolischen Bezeichnung, wohlthätig auf die glänzende Periode der italiänischen Mathematiker des Mittelalters gewirkt hat, so bleibt auch den Arabern das Verdienst, von Bagdad bis Cordova durch ihre Schriften und ihren ausgebreiteten Handelsverkehr den Gebrauch des indischen Zahlensystems beschleunigt zu haben. Beide Wirkungen, die gleichzeitige Verbreitung der Wissenschaft und der numerischen Zeichen mit Stellenwerth, haben verschiedenartig, aber mächtig, die Fortschritte des mathematischen Theils des Naturwissens befördert, den Zugang zu entlegenen Regionen in der Astronomie, in der Optik, in der physischen Erdkunde, in der Wärmelehre, in der Theorie des Magnetismus erleichtert, welche ohne jene Hülfsmittel uneröffnet geblieben wären.

Man hat mehrmals in der Völkergeschichte die Frage aufgeworfen, welche Folge die Weltbegebenheiten würden [265] gehabt haben, wenn Carthago Rom besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte. „Man kann mit gleichem Rechte fragen", sagt Wilhelm von Humboldt20, „in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber, wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte, dem römischen Geist und Charakter, nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den wissenschaftlichen Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen." Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildendschaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat.


[266]
VI.

Zeit der oceanischen Entdeckungen. — Eröffnung der westlichen Hemisphäre. — Begebenheiten und Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse, welche die oceanischen Entdeckungen vorbereitet haben. — Columbus, Sebastian Cabot und Gama. — Amerika und das stille Meer. — Cabrillo, Sebastian Vizcaino, Mendaña und Quiros. — Die reichste Fülle des Materials zur Begründung der physischen Erdbeschreibung wird den westlichen Völkern Europa's dargeboten.

Das funfzehnte Jahrhundert gehört zu den seltenen Zeitepochen, in denen alle Geistesbestrebungen einen bestimmten und gemeinsamen Charakter andeuten, die unabänderliche Bewegung nach einem vorgesteckten Ziele offenbaren. Die Einheit dieses Strebens, der Erfolg, welcher es gekrönt, die handelnde Thatkraft ganzer Völkermassen geben dem Zeitalter des Columbus, des Sebastian Cabot und Gama Größe und dauernden Glanz. In der Mitte von zwei verschiedenen Bildungsstufen der Menschheit ist das funfzehnte Jahrhundert gleichsam eine Uebergangsepoche, welche beiden, dem Mittelalter und dem Anfang der neueren Zeit, angehört. Es ist die Epoche der größten Entdeckungen im Raume, solcher, die fast alle Breitengrade und alle Höhen der Erdoberfläche umfassen. Wenn dieselbe für die Bewohner Europa's die Werke der Schöpfung verdoppelt hat, [267] so bot sie zugleich der Intelligenz neue und mächtige Anregungsmittel zur Vervollkommnung der Naturwissenschaften in ihren physischen und mathematischen Theilen dar.21

Wie in Alexanders Heerzügen, aber mit noch überwältigenderer Macht, drängte sich jetzt die Welt der Objecte, in den Einzelformen des Wahrnehmbaren wie in dem Zusammenwirken lebendiger Kräfte, dem combinirenden Geiste auf. Die zerstreuenden Bilder sinnlicher Anschauung wurden, trotz ihrer Fülle und Verschiedenartigkeit, allmälig zu einem concreten Ganzen verschmolzen, die irdische Natur in ihrer Allgemeinheit aufgefaßt: eine Frucht wirklicher Beobachtung, nicht nach bloßen Ahndungen, die in wechselnden Gestalten der Phantasie vorschweben. Auch das Himmelsgewölbe entfaltete dem noch immer unbewaffneten Auge neue Gebiete, nie gesehene Sternbilder, einzeln kreisende Nebelwolken. Zu keiner anderen Zeit (wir haben es bereits oben bemerkt) ist einem Theile des Menschengeschlechts ein größerer Reichthum von Thatsachen, ein größeres Material zur Begründung der vergleichenden physischen Erdbeschreibung dargeboten worden. Niemals haben aber auch Entdeckungen im Raume, in der materiellen Welt, durch Erweiterung des Gesichtskreises, durch Vervielfältigung der Erzeugnisse und Tauschmittel, durch Colonien von einem Umfange, wie man sie nie gekannt, außerordentlichere Veränderungen in den Sitten, in den Zuständen langer Knechtschaft eines Theils der Menschheit und ihres späten Erwachens zu politischer Freiheit hervorgerufen.

Was in jedem einzelnen Zeitpunkte des Völkerlebens einen wichtigen Fortschritt der Intelligenz bezeichnet, hat seine tiefen Wurzeln in der Reihe vorhergehender Jahr- [268] hunderte. Es liegt nicht in der Bestimmung des menschlichen Geschlechts, eine Verfinsterung zu erleiden, die gleichmäßig das ganze Geschlecht ergriffe. Ein erhaltendes Princip nährt den ewigen Lebensproceß der fortschreitenden Vernunft. Die Epoche des Columbus erlangte nur deshalb so schnell die Erfüllung ihrer Bestimmungen, weil befruchtende Keime von einer Reihe hochbegabter Männer ausgestreuet worden waren, die wie ein Lichtstreifen durch das ganze Mittelalter, durch finstere Jahrhunderte hindurchgeht. Ein einziges derselben, das dreizehnte, zeigt uns Roger Baco, Nicolaus Scotus, Albert den Großen, Vincentius von Beauvais. Die erweckte Geistesthätigkeit trug bald ihre Früchte in Erweiterung der Erdkunde. Als Diego Ribero im Jahr 1525 von dem geographisch-astronomischen Congreß zurückkam, welcher an der Puente de Caya nahe bei Yelves zur Schlichtung der Streitigkeiten über die Grenze zweier Weltreiche, der portugiesischen und spanischen Monarchie, gehalten wurde, waren schon die Umrisse des Neuen Continents von dem Feuerlande bis an die Küsten von Labrador verzeichnet. Auf der westlichen Seite, Asien gegenüber, waren die Fortschritte natürlich langsamer. Doch war Rodriguez Cabrillo 1543 schon nördlicher als Monterey vorgedrungen; und wenn auch dieser große und kühne Seefahrer seinen Tod in dem Canal von Santa Barbara bei Neu-Californien fand, so führte der Steuermann der Expedition, Bartholomäus Ferreto, doch die Expedition bis 43° der Breite, wo Vancouver's Vorgebirge Oxford liegt. Die wetteifernde Thätigkeit der Spanier, Engländer und Portugiesen, auf einen und denselben Gegenstand gerichtet, war damals so groß, daß ein halbes [269] Jahrhundert genügte, um die äußere Gestaltung der Ländermasse in der westlichen Halbkugel, d. h. die Hauptrichtung ihrer Küsten, zu bestimmen.

Wenn die Bekanntschaft der Völker Europa's mit dem westlichen Theile des Erdballes der Hauptgegenstand ist, welchem wir diesen Abschnitt widmen und um welchen sich als folgenreichste Begebenheit so viele Verhältnisse der richtigeren und großartigeren Weltansicht gruppiren, so muß die unbestreitbar erste Entdeckung von Amerika in seinen nördlichen Theilen durch die Normänner von der Wiederauffindung desselben Continents in seinen tropischen Theilen streng geschieden werden. Als noch das Chalifat in Bagdad unter den Abbassiden blühete, wie in Persien die der Poesie so günstige Herrschaft der Samaniden, wurde Amerika um das Jahr 1000 von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, vom Norden her bis zu 41° ½ nördlicher Breite entdeckt.22 Der erste, aber zufällige Anstoß zu dieser Begebenheit kam aus Norwegen. Naddod war in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts, da er nach den schon früher von den Irländern besuchten Färöern hatte schiffen wollen, durch Sturm nach Island verschlagen. Die erste normännische Ansiedelung daselbst geschah (875) durch Ingolf. Grönland, die östliche Halbinsel einer Ländermasse, welche überall durch Meereswasser vom eigentlichen Amerika getrennt erscheint, wurde früh gesehen23, aber erst hundert Jahre nachher (983) von Island aus bevölkert. Die Colonisirung von Island, welches Naddod zuerst Schneeland, Snjoland, genannt hatte, führte nun über Grönland in südwestlicher Richtung nach dem Neuen Continent.

Die Färöer und Island muß man als Zwischen- [270] stationen, als Anfangspunkte zu Unternehmungen nach dem amerikanischen Scandinavien betrachten. Auf ähnliche Weise hatte die Niederlassung zu Carthago den Tyriern zur Erreichung der Meerenge von Gadeira und des Hafens Tartessus gedient, eben so führte Tartessus dies unternehmende Volk von Station zu Station nach Cerne, dem Gauleon (der Schiffsinsel) der Carthager.24

Trotz der Nähe der gegenüberliegenden Küste von Labrador (Helluland it mikla) vergingen doch 125 Jahre von der ersten Ansiedelung der Normänner auf Island bis zu Leif's großer Entdeckung von Amerika. So gering waren die Mittel, welche zur Förderung der Schifffahrt in diesen abgelegenen öden Erdwinkel von einem edeln, kräftigen, aber armen Menschenstamme angewandt werden konnten. Die Küstenstrecke Winland, so wegen der von einem Deutschen, Tyrker, dort aufgefundenen wilden Weintrauben genannt, reizte durch Fruchtbarkeit des Bodens und Milde des Klima's in Vergleich mit Island und Grönland. Durch Leif mit dem Namen des guten Winlands (Vinland it goda) bezeichnet, begriff es das Littoral zwischen Boston und Neu-York: also Theile der jetzigen Staaten Massachusetts, Rhode-Island und Connecticut, zwischen den Breitenparallelen von Cività vecchia und Terracina, denen aber hier doch nur die mittleren25 Jahres-Temperaturen von 8°,8 und 11°,2 entsprechen. Das war die Hauptansiedelung der Normänner. Die Colonisten hatten oft mit dem recht kriegerischen Stamme der Esquimaux, welcher damals unter dem Namen der Skrälinger viel südlicher verbreitet war, zu kämpfen. Der erste grönländische Bischof, Erik Upsi, ein Isländer, unternahm 1121 eine christliche Missionsfahrt nach Winland; und [271] der Name des colonisirten Landes ist sogar in alten National-Gesängen bei den Eingeborenen der Färöer aufgefunden worden.26

Von der Thätigkeit und dem kühnen Unternehmungsgeiste der isländischen und grönländischen Abenteurer zeugt der Umstand, daß, nachdem sie sich im Süden bis unter 41° ½ Breite angesiedelt, sie an der Ostküste der Baffinsbai unter der Breite von 72° 55′ auf einer der Weiber-Inseln27, nordwestlich von der jetzt nördlichsten dänischen Colonie Upernavick, drei Grenzsäulen aufrichteten. Der Runenstein, welchen man im Herbst des Jahres 1824 aufgefunden, enthält nach Rask und Finn Magnusen die Jahrzahl 1135. Von dieser östlichen Küste der Baffinsbai aus besuchten die Ansiedler des Fischfangs wegen sehr regelmäßig den Lancaster-Sund und einen Theil der Barrow-Straße, und zwar mehr denn sechs Jahrhunderte vor den kühnen Unternehmungen von Parry und Roß. Die Localität des Fischfanges ist sehr bestimmt beschrieben, und grönländische Priester aus dem Bisthum Gardar leiteten (1266) die erste Entdeckungsfahrt. Man nannte diese nordwestliche Sommerstation die Kroksfjardar-Heide. Es geschieht schon Erwähnung des angeschwemmten (gewiß sibirischen) Treibholzes, welches man dort sammelte, der vielen Wallfische, Phoken, Wallrosse und Seebären.28

Ueber den Verkehr des hohen europäischen Nordens, wie über den der Grönländer und Isländer mit dem eigentlichen amerikanischen Continent reichen sichere Nachrichten nur bis in die Mitte des 14ten Jahrhunderts. Noch im Jahr 1347 wurde von Grönland aus ein Schiff nach Markland (Neu-Schottland) gesandt, um Bauholz und andere [272] Bedürfnisse einzusammeln. Auf der Rückreise von Markland wurde das Schiff vom Sturme verschlagen und mußte in Straumfjörd im Westen von Island landen. Dies ist die letzte Nachricht von dem normännischen Amerika, welche uns alt-scandinavische Quellenschriften aufbewahrt haben.29

Wir sind bisher sorgfältig auf historischem Boden geblieben. Durch die kritischen, nicht genug zu lobenden Bemühungen von Christian Rafn und der königlichen Gesellschaft für nordische Alterthumskunde in Kopenhagen sind die Sagas und Urkunden über die Fahrten der Normänner nach Helluland (Neufundland), nach Markland (der Mündung des St. Lorenz-Flusses mit Nova Scotia) und nach Winland (Massachusetts) einzeln abgedruckt und befriedigend commentirt worden.30 Die Länge der Fahrt, die Richtung, in der man gesegelt, die Zeit des Aufganges und Unterganges der Sonne sind genau angegeben.

Geringere Gewißheit gewähren noch die Spuren, die man von einer früheren irischen Entdeckung von Amerika, vor dem Jahre 1000, glaubt gefunden zu haben. Die Skrälinger erzählten den in Winland angesiedelten Normännern: weiter in Süden jenseit der Chesapeak-Bai wohnten „weiße Menschen, die in langen weißen Kleidern einhergingen, Stangen, an welche Tücher geheftet seien, vor sich her trügen und mit lauter Stimme riefen." Diese Erzählung wurde von den christlichen Normännern auf Processionen gedeutet, in denen man Fahnen trug und sang. In den ältesten Sagas, in den geschichtlichen Erzählungen von Thorfinn Karlsefne und dem isländischen Landnama-Buche sind diese südlichen Küsten zwischen Virginien und Florida durch den Namen des Weißmännerlandes[273] bezeichnet. Sie werden darin bestimmt Groß-Irland (Irland it mikla) genannt, und es wird behauptet, sie seien von den Iren bevölkert worden. Nach Zeugnissen, die bis 1064 hinaufreichen, wurde, ehe noch Leif Winland entdeckte, wahrscheinlich schon um das Jahr 982, Ari Marsson, aus dem mächtigen isländischen Geschlechte Ulf's des Schielers, auf einer Fahrt von Island gegen Süden durch Sturm an die Küste des Weißmännerlandes verschlagen, in demselben als Christ getauft und, da man ihm nicht erlaubte sich zu entfernen, dort von Männern aus den Orkney-Inseln und Island erkannt.31

Die Meinung einiger nordischen Alterthumsforscher ist nun, daß, da in den ältesten isländischen Documenten die ersten Bewohner der Insel „über das Meer gekommene Westmänner" genannt werden (Ankömmlinge, die sich in Papyli an der Südostküste und auf dem nahe gelegenen kleinen Papar-Eilande niedergelassen), Island zuerst nicht unmittelbar von Europa, sondern von Virginien und Carolina her, d. i. aus Groß-Irland (dem amerikanischen Weißmännerlande), von nach Amerika früh verpflanzten Iren bevölkert worden sei. Die wichtige Schrift des irländischen Mönches Dicuil, de Mensura Orbis Terrae, welche um das Jahr 825 verfaßt wurde, also 38 Jahr früher als die Normänner durch Naddod Kenntniß von Island erhielten, bestätigt aber nicht diese Meinung.

Im Norden von Europa haben christliche Anachoreten, im Inneren Asiens fromme Buddhistenmönche unzugängliche Gegenden zu erforschen und der Civilisation zu eröffnen gewußt. Das emsige Bestreben religiöse Dogmen zu verbreiten hat bald kriegerischen Unternehmungen, bald friedlichen [274] Ideen und Handelsverbindungen den Weg gebahnt. Der den Religionssystemen von Indien, Palästina und Arabien so eigenthümliche, dem Indifferentismus der polytheistischen Griechen und Römer durchaus fremde Eifer hat die Fortschritte der Erdkunde in der ersten Hälfte des Mittelalters belebt. Letronne, der Commentator des Dicuil, hat auf eine scharfsinnige Weise dargethan, daß, seitdem die irländischen Missionare von den Normännern aus den Färöer-Inseln verdrängt waren, sie um das Jahr 795 Island zu besuchen anfingen. Die Normänner, als sie Island betraten, fanden daselbst irländische Bücher, Meßglocken und andere Gegenstände, welche frühere Ankömmlinge, die Papar genannt werden, dort zurückgelassen hatten. Diese Papae (Väter) aber sind die Clerici des Dicuil.32 Gehörten nun, wie man nach seinem Zeugniß vermuthen muß, jene Gegenstände irländischen Mönchen, die aus den Färöer-Inseln kamen, so fragt sich, warum die Mönche (Papar) nach einheimischen Sagen Westmänner, Vestmenn, „von Westen über das Meer gekommene (komnir til vestan um haf)" genannt wurden? Ueber die Schifffahrt des galischen Häuptlings Madoc, Sohnes des Owen Guineth, nach einem großen westlichen Lande im Jahr 1170 und den Zusammenhang dieser Begebenheit mit dem Groß-Irland der isländischen Sagas ist bis jetzt alles in tiefes Dunkel gehüllt. Auch verschwindet nach und nach die Race der Celto-Amerikaner, welche leichtgläubige Reisende in mehreren Theilen der Vereinigten Staaten wollten gefunden haben; sie verschwindet, seitdem eine ernste, auf grammatische Formen und organischen Bau, nicht auf zufällige Lautähnlichkeiten, gegründete Sprachvergleichung eingeführt ist.33

[275]

Daß diese erste Entdeckung von Amerika in oder vor dem 11ten Jahrhundert nichts großes und bleibendes zu Erweiterung der physischen Weltanschauung schaffen konnte, wie es das Wiederauffinden desselben Continents durch Columbus am Ende des 15ten Jahrhunderts hervorbrachte, ergiebt sich aus dem Zustande der Uncultur des Volksstammes, welcher die erste Entdeckung machte, und aus der Natur der Gegenden, auf welche dieselbe beschränkt blieb. Durch keine wissenschaftliche Kenntniß waren die Scandinavier vorbereitet, um, über die Befriedigung des nächsten Bedürfnisses hinaus, die Länder, in denen sie sich angesiedelt, zu durchforschen. Als das eigentliche Mutterland jener neuen Colonien waren Grönland und Island zu betrachten, Regionen, in denen der Mensch alle Beschwerden eines unwirthbaren Klima's zu bekämpfen hatte. Der wunderbar organisirte isländische Freistaat erhielt allerdings seine Selbstständigkeit viertehalb hundert Jahre lang, bis die bürgerliche Freiheit unterging und das Land sich dem norwegischen König Hakon VI unterwarf. Die Blüthe der isländischen Litteratur, die Geschichtsschreibung, die Aufsammlung der Sagas und der Edda-Lieder bezeichnen das 12te und 13te Jahrhundert.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung in der Culturgeschichte der Völker, den Nationalschatz der ältesten Ueberlieferungen des europäischen Nordens, durch Unruhen in der Heimath gefährdet und nach Island übergetragen, dort sorgsam gepflegt und für die Nachwelt gerettet zu sehen. Diese Rettung, die entfernte Folge von Ingolf's erster Ansiedelung auf Island (875), ist eine wichtige Begebenheit in den Kreisen der Dichtung und schaffender Einbildungskraft [276] in der formlosen Nebelwelt scandinavischer Mythen und sinnbildlicher Cosmogonien geworden. Nur das Naturwissen gewann keine Erweiterung. Reisende Isländer besuchten allerdings die Lehranstalten Deutschlands und Italiens; aber die Entdeckungen der Grönländer im Süden, der geringe Verkehr mit Winland, dessen Vegetation keinen merkwürdig eigenthümlichen physiognomischen Charakter darbot, zogen Ansiedler und Seefahrer so wenig von ihrem ganz europäischen Interesse ab, daß sich unter den Culturvölkern des südlichen Europa's keine Nachricht von jenen neuangesiedelten Ländern verbreitete. Ja in Island selbst scheint eine solche Nachricht nicht einmal zu den Ohren des großen genuesischen Seefahrers gelangt zu sein. Island und Grönland waren nämlich damals schon über zwei Jahrhunderte von einander getrennt, da Grönland 1261 seine republicanische Verfassung verloren hatte und ihm, als Krongut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und auch mit Island förmlich untersagt wurde. Christoph Columbus erzählt in seiner so selten gewordenen Schrift „über die fünf bewohnbaren Erdzonen", daß er im Monat Februar 1477 Island besuchte, „wo damals das Meer nicht mit Eis bedeckt war34 und das von vielen Kaufleuten von Bristol besucht wurde". Hätte er dort von der alten Colonisation eines gegenüberliegenden ausgedehnten zusammenhangenden Landstriches, von Helluland it mikla, Markland und dem „guten Winland" reden hören, hätte er diese Kenntniß eines nahen Continents mit den Projecten in Verbindung gesetzt, welche ihn schon seit 1470 und 1473 beschäftigten; so würde in dem berühmten erst 1517 beendigten Processe über das Verdienst der ersten Entdeckung [277] um so mehr von der Reise nach Thyle (Island) die Rede gewesen sein, als der argwöhnische Fiscal selbst einer Seekarte (mappamundo) erwähnt, die Martin Alonso Pinzon in Rom gesehen hatte und auf der der Neue Continent soll abgebildet gewesen sein. Wenn Columbus ein Land hätte aufsuchen wollen, von dem er in Island Kenntniß erhalten, so würde er gewiß nicht auf seiner ersten Entdeckungsreise von den canarischen Inseln aus in südwestlicher Richtung gesteuert haben. Zwischen Bergen und Grönland gab es aber noch Handelsverbindungen bis 1484, also bis sieben Jahre nach des Columbus Reise nach Island.

Ganz verschieden von der ersten Entdeckung des Neuen Continents im 11ten Jahrhundert ist durch ihre weltgeschichtliche Folgen, durch ihren Einfluß auf die Erweiterung physischer Weltanschauung die Wiederauffindung dieses Continents durch Christoph Columbus, die Entdeckung der Tropenländer von Amerika geworden. Wenn auch der Seefahrer, welcher am Ende des 15ten Jahrhunderts das große Unternehmen leitete, keinesweges die Absicht hatte einen neuen Welttheil zu entdecken, wenn es auch entschieden ist, daß Columbus und Amerigo Vespucci in der festen Ueberzeugung35 gestorben sind, sie hätten bloß Theile des östlichen Asiens berührt; so hat die Expedition doch ganz den Charakter der Ausführung eines nach wissenschaftlichen Combinationen entworfenen Planes gehabt. Es wurde sicher geschifft nach Westen, durch die Pforte, welche die Tyrier und Coläus von Samos geöffnet, durch das „unermeßliche Dunkelmeer" (mare tenebrosum) der arabischen Geographen. Man strebte nach einem Ziele, dessen Abstand man zu kennen glaubte. Die Schiffer wurden nicht zufällig verschlagen, [278] wie Naddod und Gardar nach Island, wie Gunnbjörn, der Sohn von Ulf Kraka, nach Grönland. Auch wurde der Entdecker nicht durch Zwischenstationen geleitet. Der große Nürnberger Cosmograph Martin Behaim, welcher den Portugiesen Diego Cam auf seinen wichtigen Expeditionen nach der Westküste von Afrika begleitet hatte, lebte vier Jahre, von 1486 bis 1490, auf den Azoren; und nicht von diesen Inseln aus, welche zwischen den iberischen Küsten und der Küste Pennsylvaniens in 3/5 Entfernung von der letzteren liegen, wurde Amerika entdeckt. Das Vorsätzliche der That ist dichterisch schön in den Stanzen des Tasso gefeiert. Er singt von dem, was Hercules nicht wagte:
Non osò di tentar l'alto Oceano:
Segnò le mete, e'n troppo brevi chiostri
L'ardir ristrinse dell' ingegno umano — —
Tempo verrà che fian d'Ercole i segni
Favola vile ai naviganti industri — —
Un uom della Liguria avrà ardimento
All' incognito corso esporsi in prima — —
Tasso XV st. 25, 30 und 31.

Und doch weiß von diesem „uom della Liguria" der große portugiesische Geschichtsschreiber Johann Barros36, dessen erste Decade 1552 erschienen ist, nicht mehr zu sagen, als daß er ein eitler phantastischer Schwätzer gewesen sei (homem fallador, e glorioso em mostrar suas habilidades, e mais fantastico, e de imaginações com sua Ilha Cypango). So hat durch alle Jahrhunderte, durch alle Abstufungen der errungenen Civilisation hindurch Nationalhaß den Glanz ruhmvoller Namen zu verdunkeln gestrebt.

Die Entdeckung der Tropenländer von Amerika durch Christoph Columbus, Alonso de Hojeda und Alvarez Cabral [279] kann in der Geschichte der Weltanschauung nicht als eine isolirte Begebenheit betrachtet werden. Ihr Einfluß auf die Erweiterung des physischen Wissens und auf die Bereicherung der Ideenwelt im allgemeinen wird nur dann richtig aufgefaßt, wenn man einen flüchtigen Blick auf diejenigen Jahrhunderte wirft, welche das Zeitalter der großen nautischen Unternehmungen von dem der Blüthe wissenschaftlicher Cultur unter den Arabern trennen. Was der Aera des Columbus ihren eigenthümlichen Charakter gab, den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach Entdeckungen im Raume, nach erweiterter Erdkenntniß, wurde langsam und auf vielfachen Wegen vorbereitet. Es wurde es durch eine kleine Zahl kühner Männer, welche früher auftraten und gleichzeitig zu allgemeiner Freiheit des Selbstdenkens wie zum Erforschen einzelner Naturerscheinungen anregten; durch den Einfluß, welchen auf die tiefsten Quellen des geistigen Lebens ausübte die in Italien erneuerte Bekanntschaft mit den Werken der griechischen Litteratur und die Erfindung einer Kunst, die dem Gedanken Flügel und lange Dauer verlieh; durch die erweiterte Kenntniß des östlichen Asiens, welche Mönchsgesandtschaften an die Mongolenfürsten und reisende Kaufleute unter die weltverkehrenden Nationen des südwestlichen Europa's verbreiteten, unter solche, denen ein kürzerer Weg nach den Gewürzländern ein Gegenstand der eifrigsten Wünsche war. Zu den hier genannten Anregungsmitteln gesellten sich noch, was die Befriedigung jener Wünsche gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts am meisten erleichterte, die Fortschritte der Schifffahrtskunde, die allmälige Vervollkommung der nautischen Instrumente, der magnetischen wie der astronomisch messenden, endlich die [280] Anwendung gewisser Methoden zur Ortsbestimmung des Schiffes und der allgemeinere Gebrauch der Sonnen- und Mond-Ephemeriden des Regiomontanus.

Ohne, was diesen Blättern fremd bleiben muß, auf das Einzelne in der Geschichte der Wissenschaften einzugehen, nennen wir nur unter den Menschen, welche die Epoche von Columbus und Gama vorbereitet haben, drei große Namen: Albertus Magnus, Roger Baco und Vincenz von Beauvais. Sie sind hier der Zeitfolge nach aufgeführt; denn der wichtigere, mehrumfassende, geistreichere ist Roger Baco, ein Franciscaner-Mönch aus Ilchester, der sich zu Orford und Paris für die Wissenschaften ausbildete. Alle drei sind ihrem Zeitalter vorangeeilt und haben mächtig auf dasselbe eingewirkt. In den langen, meist unfruchtbaren Kämpfen dialectischer Speculationen und des logischen Dogmatismus einer Philosophie, die man mit dem unbestimmten, vieldeutigen Namen der scholastischen belegt hat, läßt sich der wohlthätige Einfluß, man könnte sagen die Nachwirkung der Araber nicht verkennen. Die Eigenthümlichkeit ihres Nationalcharakters, die wir im vorigen Abschnitte geschildert, ihr Hang zum Verkehr mit der Natur hatte den neu übersetzten Schriften des Aristoteles eine Verbreitung verschafft, welche mit der Vorliebe und der Begründung der Erfahrungswissenschaften auf das innigste zusammenhing. Bis an das Ende des 12ten und den Anfang des 13ten Jahrhunderts herrschten mißverstandene Lehren der platonischen Philosophie in den Schulen. Schon die Kirchenväter37 glaubten in derselben die Vorbilder zu ihren eigenen religiösen Anschauungen zu finden. Viele der symbolisirenden physikalischen Phantasien des Timäus wurden [281] mit Begeisterung aufgenommen, und durch christliche Autorität lebten wieder verworrene Ideen über den Kosmos auf, deren Nichtigkeit die mathematische Schule der Alexandriner längst erwiesen hatte. So pflanzten sich von Augustinus an bis Alcuin, Johannes Scotus und Bernhard von Chartres tief in das Mittelalter hinab, unter wechselnden Formen, die Herrschaft des Platonismus oder richtiger zu sagen neu-platonische Anklänge fort.38

Als nun, diese verdrängend, die aristotelische Philosophie den entschiedensten Einfluß auf die Bewegungen des Geistes gewann, war es in zwei Richtungen zugleich: in den Forschungen der speculativen Philosophie und in der philosophischen Bearbeitung des empirischen Naturwissens. Die erste dieser Richtungen, wenn sie auch dem Gegenstande meiner Schrift entfernter zu liegen scheint, darf hier schon deshalb nicht unberührt bleiben, weil sie mitten in der Zeit dialectischer Scholastik einige edle, hochbegabte Männer zum freien Selbstdenken in den verschiedenartigsten Gebieten des Wissens antrieb. Eine großartige physische Weltanschauung bedarf nicht bloß der reichen Fülle der Beobachtungen, als Substrats der Verallgemeinerung der Ideen; sie bedarf auch der vorbereitenden Kräftigung der Gemüther, um in den ewigen Kämpfen zwischen Wissen und Glauben nicht vor den drohenden Gestalten zurückzuschrecken, die bis in die neuere Zeit an den Eingängen zu gewissen Regionen der Erfahrungswissenschaft auftreten und diese Eingänge zu versperren trachten. Man darf nicht trennen, was in dem Entwickelungsgange der Menschheit gleichmäßig belebt hat das Gefühl der Berechtigung zur intellectuellen Freiheit und das lange unbefriedigte Streben [282] nach Entdeckungen in fernen Räumen. Jene freien Selbstdenker bildeten eine Reihe, welche im Mittelalter mit Duns Scotus, Wilhelm von Occam und Nicolaus von Cusa anhebt und durch Ramus, Campanella und Giordano Bruno bis zu Descartes leitet.39

Die unübersteiglich scheinende „Kluft zwischen dem Denken und dem Sein, die Beziehungen zwischen der erkennenden Seele und dem erkannten Gegenstande" trennten die Dialectiker in jene zwei berühmten Schulen der Realisten und Nominalisten. Des fast vergessenen Kampfes dieser mittelalterlichen Schulen muß hier gedacht werden, weil er einen wesentlichen Einfluß auf die endliche Begründung der Erfahrungswissenschaften ausgeübt hat. Die Nominalisten, welche den allgemeinen Begriffen nur ein subjectives Dasein in dem menschlichen Vorstellungsvermögen zugestanden, wurden nach vielen Schwankungen zuletzt im 14ten und 15ten Jahrhundert die siegreiche Parthei. Bei ihrer größeren Abneigung vor leeren Abstractionen drangen sie zuerst auf die Nothwendigkeit der Erfahrung, auf die Vermehrung der sinnlichen Grundlage der Erkenntniß. Eine solche Richtung wirkte wenigstens mittelbar auf die Bearbeitung des empirischen Naturwissens; aber auch schon da, wo sich nur noch realistische Ansichten geltend machten, hatte die Bekanntschaft mit der Litteratur der Araber Liebe zum Naturwissen, in glücklichem Kampfe mit der alles absorbirenden Theologie, verbreitet. So sehen wir in den verschiedenen Perioden des Mittelalters, dem man vielleicht eine zu große Charakter-Einheit zuzuschreiben gewohnt ist, auf ganz verschiedenen Wegen, auf rein ideellen und empirischen, das große Werk der Entdeckungen im Erdraume und die [283] Möglichkeit ihrer glücklichen Benutzung zur Erweiterung des kosmischen Ideenkreises sich allmälig vorbereiten.

Unter den gelehrten Arabern war das Naturwissen eng an Arzneikunde und Philosophie, im christlichen Mittelalter war es neben der Philosophie an die theologische Dogmatik geknüpft. Die letztere, ihrer Natur nach zur Alleinherrschaft strebend, bedrängte die empirische Forschung in den Gebieten der Physik, der organischen Morphologie und der meist mit Astrologie verschwisterten Sternkunde. Das von den Arabern und jüdischen Rabbinern40 überkommene Studium des allumfassenden Aristoteles hatte aber die Richtung nach einer philosophischen Verschmelzung aller Disciplinen hervorgerufen; daher galten Ibn-Sina (Avicenna) und Ibn-Roschd (Averroes), Albertus Magnus und Roger Bacon für die Repräsentanten des ganzen menschlichen Wissens ihrer Zeit. Der Ruhm, welcher im Mittelalter ihre Namen umstrahlte, läßt sich diesem allgemein verbreiteten Glauben beimessen.

Albert der Große, aus dem Geschlechte der Grafen von Bollstädt, muß auch als Selbstbeobachter in dem Gebiete der zerlegenden Chemie genannt werden. Seine Hoffnungen waren freilich auf die Umwandlung der Metalle gerichtet; aber, um sie zu erfüllen, vervollkommnete er nicht bloß die praktischen Handgriffe in Behandlung der Erze, er vermehrte auch die Einsicht in die allgemeine Wirkungsart der chemischen Naturkräfte. Ueber den organischen Bau und die Pflanzen-Physiologie enthalten seine Werke einzelne überaus scharfsinnige Bemerkungen. Er kannte den Schlaf der Pflanzen, das periodische sich Oeffnen und Schließen der Blumen, die Verminderung des Saftes durch [284] Verdunstung aus der Oberhaut der Blätter, den Einfluß der Theilung der Gefäßbündel auf die Ausschnitte des Blattrandes. Er commentirte alle physikalischen Schriften des Stagiriten, doch die Thiergeschichte nur nach der lateinischen Uebersetzung des Michael Scotus aus dem Arabischen.41 Ein Werk Alberts des Großen, welches den Titel führt: Liber cosmographicus de natura locorum, ist eine Art physischer Geographie. Ich habe darin Betrachtungen aufgefunden über die gleichzeitige Abhängigkeit der Klimate von der Breite und der Höhe des Orts, wie über die Wirkung des verschiedenen Einfallswinkels der Sonnenstrahlen auf Erwärmung des Bodens, die mich sehr überrascht haben. Daß Albert von Dante gefeiert worden ist, verdankt er vielleicht nicht so sehr sich selbst als seinem geliebten Schüler, dem heiligen Thomas von Aquino, welchen er 1245 von Cöln nach Paris und 1248 nach Deutschland zurückführte;

Questi, che m'è a destra più vicino,

Frate e maestro fummi; ed esso Alberto

E' di Cologna, ed io Thomas d' Aquino.
Il Paradiso X, 97–99.

In dem, was unmittelbar auf die Erweiterung der Naturwissenschaften gewirkt hat, auf ihre Begründung durch Mathematik und durch das Hervorrufen von Erscheinungen auf dem Wege des Experiments, ist Alberts von Bollstädt Zeitgenosse Roger Bacon die wichtigste Erscheinung des Mittelalters gewesen. Beide Männer füllen fast das ganze dreizehnte Jahrhundert aus; aber dem Roger Bacon gehört der Ruhm, daß der Einfluß, welchen er auf die Form und Behandlung des Naturstudiums ausgeübt hat, wohlthätiger und [285] dauernd wirksamer gewesen ist als das, was man ihm von eigenen Erfindungen mit mehr oder minderem Rechte zugeschrieben hat. Zum Selbstdenken erweckend, rügte er streng den blinden Autoritätsglauben der Schule; doch, weit davon entfernt sich nicht um das zu kümmern, was das griechische Alterthum erforscht, pries er gleichzeitig gründliche Sprachkunde42, Anwendung der Mathematik und die Scientia experimentalis, der er einen eigenen Abschnitt des Opus majus gewidmet hat43. Von Einem Pabste (Clemens IV) geschützt und begünstigt, von zwei anderen (Nicolaus III und IV) der Magie beschuldigt und eingekerkert, hatte er die wechselnden Schicksale der großen Geister aller Zeiten. Er kannte die Optik des Ptolemäus44 und das Almagest. Da er den Hipparch immer, wie die Araber, Abraxis nennt, so darf man schließen, daß auch er sich nur einer aus dem Arabischen herstammenden lateinischen Uebersetzung bediente. Neben Bacon's chemischen Versuchen über brennbare explodirende Mischungen sind seine theoretisch-optischen Arbeiten über die Perspective und die Lage des Brennpunktes bei Hohlspiegeln am wichtigsten. Sein gedankenvolles Großes Werk enthält Vorschläge und Entwürfe zu möglicher Ausführung, nicht deutliche Spuren gelungener optischer Erfindungen. Tiefe des mathematischen Wissens ist ihm nicht zuzuschreiben. Was ihn charakterisirt, ist vielmehr eine gewisse Lebhaftigkeit der Phantasie, deren ungemessene Aufregung bei den Mönchen des Mittelalters in ihren naturphilosophischen Richtungen durch den Eindruck so vieler unerklärter, großer Naturerscheinungen wie durch langes angstvolles Spähen nach Lösung geheimnißvoller Probleme krankhaft erhöht wurde.

[286]

Die durch das Kostspielige des Abschreibens vermehrte Schwierigkeit, vor Erfindung des Bücherdrucks eine große Zahl einzelner Handschriften zu sammeln, erzeugte im Mittelalter, als der Ideenkreis sich seit dem 13ten Jahrhunderte wieder zu erweitern anfing, eine große Vorliebe für encyclopädische Werke. Diese verdienen hier eine besondere Beachtung, weil sie zu Verallgemeinerung der Ansichten führten. Es erschienen, meist auf einander gegründet, die zwanzig Bücher de rerum natura von Thomas Cantipratensis, Professor in Löwen (1230); der Naturspiegel (Speculum naturale), welchen Vincenz von Beauvais (Bellovacensis) für den heiligen Ludwig und dessen Gemahlinn Margarethe von Provence schrieb (1250); das Buch der Natur von Conrad von Meygenberg, Priester zu Regensburg (1349); und das Weltbild (Imago mundi) des Cardinals Petrus de Alliaco, Bischofs von Cambray (1410). Diese Encyclopädien waren die Vorläufer der großen Margarita philosophica des Pater Reisch, deren erste Ausgabe 1486 erschien und welche ein halbes Jahrhundert lang die Verbreitung des Wissens auf eine merkwürdige Weise befördert hat. Bei dem Weltbilde (der Weltbeschreibung) des Cardinals Alliacus (Pierre d'Ailly) müssen wir hier noch besonders verweilen. Ich habe an einem anderen Orte erwiesen, daß das Buch Imago Mundi mehr Einfluß auf die Entdeckung von Amerika als der Briefwechsel mit dem gelehrten Florentiner Toscanelli ausgeübt hat.45 Alles, was Christoph Columbus von den griechischen und römischen Schriftstellern wußte, alle Stellen des Aristoteles, des Strabo und des Seneca über die Nähe des östlichen Asiens zu den Hercules-Säulen, welche, wie [287] der Sohn Don Fernando sagt, den Vater hauptsächlich anregten die indischen Länder zu entdecken (autoridad de los escritores para mover al Almirante á descubrir las Indias), schöpfte der Admiral aus den Schriften des Cardinals. Er hatte sie bei sich auf seinen Reisen; denn in einem Briefe, den er im Monat October 1498 von der Insel Haiti an die spanischen Monarchen schrieb, übersetzt er wörtlich eine Stelle aus des Alliacus Abhandlung de quantitate terrae habitabilis, welche ihm den tiefsten Eindruck gemacht hatte. Er wußte wahrscheinlich nicht, daß Alliacus auch von seiner Seite ein anderes, früheres Buch, das Opus majus des Roger Bacon, wörtlich ausgeschrieben hatte.46 Sonderbares Zeitalter, in welchem ein Gemisch von Zeugnissen des Aristoteles und Averroes (Avenryz), des Esra und Seneca über die geringe Ausdehnung der Meere in Vergleich mit der der Continental-Massen den Monarchen die Ueberzeugung von der Sicherheit eines kostspieligen Unternehmens geben konnte!

Wir haben erinnert, wie mit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts sich eine entschiedene Vorliebe zum Studium der Kräfte der Natur, auch eine fortschreitend philosophischere Richtung in der Form dieses Studiums, in seiner wissenschaftlichen Begründung durch Experimente, zeigte. Es bleibt uns übrig in wenigen Zügen den Einfluß zu schildern, welchen die Erweckung der classischen Litteratur seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf die tiefsten Quellen des geistigen Lebens der Völker, und also auch auf eine allgemeine Weltanschauung ausgeübt hat. Die Individualität einzelner hochbegabter Männer hatte dazu beigetragen den Reichthum der Ideenwelt zu vermehren. [288] Die Empfänglichkeit für eine freiere Ausbildung des Geistes war vorhanden, als, durch viele zufällig scheinende Verhältnisse begünstigt, die griechische Litteratur, in ihren alten Wohnsitzen bedrängt, eine sichere Stelle in den Abendländern gewann. Die classischen Studien der Araber waren allem fremd geblieben, was der begeisterten Sprache angehört. Sie waren auf eine sehr geringe Anzahl von Schriftstellern des Alterthums beschränkt: nach der entschiedenen Vorliebe des Volkes für das Naturstudium vorzugsweise auf die physischen Bücher des Aristoteles, auf das Almagest des Ptolemäus, die Botanik und Chemie des Dioscorides, die cosmologischen Phantasien des Plato. Die aristotelische Dialectik wurde bei den Arabern mit der Physik, wie in den früheren Zeiten des christlichen Mittelalters mit der Theologie verschwistert. Man entlehnte den Alten, was man zu speciellen Anwendungen benutzen konnte; aber man war weit entfernt den Geist des Griechenthums im ganzen zu erfassen, in den organischen Bau der Sprache einzudringen, sich der dichterischen Schöpfungen zu erfreuen, den wundervollen Reichthum in dem Gebiet der Redekunst und der Geschichtsschreibung zu ergründen.

Fast zwei Jahrhunderte vor Petrarca und Boccaccio hatten allerdings schon Johann von Salisbury und der platonisirende Abälard wohlthätig auf die Bekanntschaft mit einigen Werken des classischen Alterthums gewirkt. Beide hatten Sinn für die Anmuth von Schriften, in denen Freiheit und Maaß, Natur und Geist sich stets mit einander verschwistert finden; aber der Einfluß des in ihnen angeregten ästhetischen Gefühls schwand spurlos dahin. Der eigentliche Ruhm den geflüchteten griechischen Musen in [289] Italien einen bleibenden Wohnsitz vorbereitet, an der Wiederherstellung der classischen Litteratur am kräftigsten gearbeitet zu haben gebührt zwei innigst befreundeten Dichtern, Petrarca und Boccaccio. Ein Mönch aus Calabrien, Barlaam, der lange in Griechenland in der Gunst des Kaisers Andronicus gelebt47, unterrichtete beide. Mit ihnen fing die sorgfältige Sammlung römischer und griechischer Handschriften an. Selbst der historische Sinn für Sprachvergleichung war bei Petrarca48 erwacht, dessen philologischer Scharfsinn wie nach einer allgemeineren Weltanschauung strebte. Wichtige Beförderer der griechischen Studien waren Emanuel Chrysoloras, welcher als griechischer Gesandter nach Italien und England (1391) geschickt wurde, der Cardinal Bessarion aus Trapezunt, Gemistus Pletho und der Athener Demetrius Chalcondylas, dem man die erste gedruckte Ausgabe des Homer verdankt49. Alle diese griechischen Einwanderungen geschahen vor der verhängnißvollen Einnahme von Constantinopel (29 Mai 1453); nur Constantin Lascaris, dessen Vorfahren dort einst auf dem Throne gesessen, kam später nach Italien. Die kostbare Sammlung griechischer Handschriften, die er mitbrachte, ist in die selten benutzte Bibliothek des Escorials50 verschlagen. Das erste griechische Buch wurde nur 14 Jahre vor der Entdeckung von Amerika gedruckt, wenn gleich die Erfindung der Buchdruckerkunst selbst, wahrscheinlich gleichzeitig und ganz selbstständig51 von Guttenberg in Strasburg und Mainz, von Lorenz Jansson Koster in Harlem gemacht, zwischen 1436 und 1439 fällt, also in die glückliche Epoche der ersten Einwanderung der gelehrten Griechen in Italien.

Zwei Jahrhunderte früher als alle Quellen der grie- [290] chischen Litteratur dem Abendlande eröffnet wurden, 25 Jahre vor der Geburt des Dante, einer der großen Epochen in der Culturgeschichte des südlichen Europa's, ereigneten sich im inneren Asien wie im östlichen Afrika Begebenheiten, welche bei dem erweiterten Handelsverkehr die Umschiffung von Afrika und die Expedition des Columbus beschleunigten. Die Heerzüge der Mongolen, in 26 Jahren von Peking und der chinesischen Mauer bis Krakau und Liegnitz, erschreckten die Christenheit. Eine Zahl rüstiger Mönche wurden als Bekehrer und Diplomaten ausgesandt, Johann de Plano Carpini und Nicolas Ascelin an Batu Chan, Ruisbroeck (Rubruquis) an Mangu Chan nach Karakorum. Von diesen reisenden Missionaren hat uns der zuletzt genannte feine und wichtige Bemerkungen über die räumliche Vertheilung der Sprach- und Völkerstämme in der Mitte des 13ten Jahrhunderts aufbewahrt. Er erkannte zuerst, daß die Hunnen, die Baschkiren (Einwohner von Paskatir, Baschgird des Ibn-Fozlan) und die Ungarn finnische (uralische) Stämme sind; er fand noch gothische Stämme, die ihre Sprache beibehalten, in den festen Schlössern der Krim52. Rubruquis machte die beiden mächtigen seefahrenden Nationen Italiens, die Venetianer und Genueser, lüstern nach den unermeßlichen Reichthümern des östlichen Asiens. Er kennt, ohne den großen Handelsort zu nennen, „die silbernen Mauern und goldenen Thürme" von Quinsay, dem heutigen Hangtscheufu, welches 25 Jahre später durch den größten Landreisenden aller Jahrhunderte Marco Polo53 so berühmt geworden ist. Wahrheit und naiver Irrthum finden sich sonderbar in Rubruquis, dessen Reisenachrichten uns Roger Bacon aufbewahrt, vermischt. Nahe bei dem Khatai, „das [291] vom östlichen Meere begrenzt ist", beschreibt er ein glückliches Land, „in welchem fremde Männer und Frauen, so wie sie eingewandert sind, zu altern aufhören"54. Leichtgläubiger noch als der Brabanter Mönch, aber deshalb auch weit mehr gelesen, war der englische Ritter John Mandeville. Er beschreibt Indien und China, Ceylon und Sumatra. Der Umfang und die individuelle Form seiner Beschreibungen haben (wie die Itinerarien von Balducci Pegoletti und die Reise des Ruy Gonzalez de Clavijo) nicht wenig dazu beigetragen den Hang zu einem großen Weltverkehr zu beleben.

Man hat oft und mit sonderbarer Bestimmtheit behauptet, das vortreffliche Werk des wahrheitsliebenden Marco Polo, besonders die Kenntniß, welche dasselbe über die chinesischen Häfen und den indischen Archipelagus verbreitete, habe einen großen Einfluß auf Columbus ausgeübt, ja dieser sei sogar im Besitz eines Exemplars von Marco Polo auf seiner ersten Entdeckungsreise gewesen.55 Ich habe bewiesen, daß Christoph Columbus und sein Sohn Fernando wohl des Aeneas Sylvius (Pabsts Pius II) Geographie von Asien, aber nie Marco Polo und Mandeville nennen. Was sie von Quinsay, Zaitun, Mango und Zipangu wissen, kann aus dem berühmten Briefe des Toscanelli von 1474 über die Leichtigkeit das östliche Asien von Spanien aus zu erreichen, aus den Erzählungen des Nicolo de' Conti, welcher 25 Jahr lang Indien und das südliche China durchreist war, genommen sein, ohne unmittelbare Bekanntschaft mit den Capiteln 68 und 77 des 2ten Buchs des Marco Polo. Die älteste gedruckte Ausgabe seiner Reise ist eine, dem Columbus und Toscanelli gewiß gleich [292] unverständlich gebliebene, deutsche Uebersetzung von 1477. Daß Columbus zwischen den Jahren 1471 und 1492, in denen er sich mit seinem Projecte, „den Osten durch den Westen zu suchen (buscar el levante por el poniente, pasar á donde nacen las especerias, navegando al occidente)", beschäftigte, ein Manuscript des venetianischen Reisenden gesehen haben könne, darf als Möglichkeit freilich nicht geläugnet werden56; aber warum würde er sich in dem Briefe an die Monarchen aus Jamaica vom 7 Junius 1503, wo er die Küste von Veragua als einen Theil des asiatischen Ciguare nahe beim Ganges beschreibt und Pferde mit goldenem Geschirr zu sehen hofft, nicht lieber des Zipangu von Marco Polo als des Papa Pio erinnert haben?

Wenn die diplomatischen Missionen der Mönche und wohlgeleitete mercantilische Landreisen zu einer Zeit, wo die Weltherrschaft der Mongolen vom stillen Meere bis an die Wolga das Innere von Asien zugänglich machte, den großen seefahrenden Nationen eine Kenntniß von Khatai und Zipangu (China und Japan) verschafften, so bahnte die Sendung des Pedro de Covilham und Alonso de Payva (1487), welche König Johann II veranstaltete, um den „afrikanischen Priester Johannes" aufzusuchen, den Weg, wenn auch nicht für Bartholomäus Diaz, doch für Vasco de Gama. Vertrauend den Nachrichten, welche in Calicut, Goa und Aden wie in Sofala an der Ostküste Afrika's von indischen und arabischen Piloten eingezogen wurden, ließ Covilham den König Johann II durch zwei Juden aus Cairo wissen, daß, wenn die Portugiesen ihre Entdeckungsreisen an der Westküste gegen Süden weiter fortsetzten, sie an die Endspitze von Afrika gelangen würden, von wo aus die [293] Schifffahrt nach der Mondinsel (Magastar des Polo), nach Zanzibar und dem goldreichen Sofala überaus leicht wäre. Ehe aber diese Nachrichten nach Lissabon gelangten, wußte man dort längst, daß Bartholomäus Diaz das Vorgebirge der guten Hoffnung (Cabo tormentoso) nicht bloß entdeckt, sondern (wenn auch nur auf eine kleine Strecke) umschifft hatte.57 Durch Aegypten, Abyssinien und Arabien konnten sich übrigens sehr früh im Mittelalter Nachrichten von den indischen und arabischen Handelsstationen an der afrikanischen Ostküste und von der Configuration der Südspitze des Continents nach Venedig verbreitet haben. Die triangulare Gestalt von Afrika ist in der That schon auf dem Planisphärium des Sanuto58 von 1306 in dem genuesischen Portulano della Mediceo-Laurenziana von 1351, welchen der Graf Baldelli aufgefunden, und in der Weltkarte von Fra Mauro deutlich abgebildet. Die Geschichte der Weltanschauung bezeichnet, ohne dabei zu verweilen, die Epochen, in denen die Hauptgestaltung der großen Continental-Massen zuerst erkannt wurde.

Indem die sich allmälig entwickelnde Kenntniß der Raumverhältnisse dazu anregte auf Abkürzungen von Seewegen zu denken, wuchsen auch schnell die Mittel, durch Anwendung der Mathematik und Astronomie, durch Erfindung neuer Meßinstrumente und geschicktere Benutzung der magnetischen Kräfte die praktische Nautik zu vervollkommnen. Die Benutzung der Nord- und Südweisung des Magnets, d. i. den Gebrauch des Seecompasses, verdankt Europa sehr wahrscheinlich den Arabern und diese verdanken sie wiederum den Chinesen. In einem chinesischen Werke (in dem historischen Szuki des Szumathsian, eines [294] Schriftstellers aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung) wird der magnetischen Wagen erwähnt, welche der Kaiser Tschingwang aus der alten Dynastie der Tscheu über 900 Jahre früher den Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt hatte, damit sie ihren Landweg zur Rückkehr nicht verfehlen möchten. Im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, unter der Dynastie der Han, wird in Hiutschin's Wörterbuche Schuewen die Art beschrieben, wie man durch methodisches Streichen einem Eisenstabe die Eigenschaft giebt sich mit dem einen Ende gegen Süden zu richten. Wegen der gewöhnlichsten Richtung der dasigen Schifffahrt wird immer vorzugsweise die Südweisung erwähnt. Hundert Jahre später, unter der Dynastie der Tsin, benutzen dieselbe schon chinesische Schiffe, um ihre Fahrt auf offenem Meere sicher zu leiten. Durch diese Schiffe hatte die Kenntniß der Bussole sich nach Indien und von da nach der Ostküste von Afrika verbreitet. Die arabischen Benennungen zohron und aphron (für Süd und Nord)59, welche Vincenz von Beauvais in seinem Naturspiegel den beiden Enden der Magnetnadel giebt, bezeugen (wie die vielen arabischen Sternnamen, deren wir uns heute noch bedienen), auf welchem Wege und durch wen das Abendland belehrt wurde. In dem christlichen Europa ist von dem Gebrauch der Nadel, als von einem ganz bekannten Gegenstande, zuerst in einem politisch-satirischen Gedichte la Bible des Guyot von Provins 1190 und in der Beschreibung von Palästina des Bischofs von Ptolemais Jacob von Vitry zwischen 1204 und 1215 geredet worden. Auch Dante (Parad. XII, 29) erwähnt in einem Gleichniß der Nadel (ago), „die nach dem Sterne weist".

[295]

Dem Flavio Gioja aus Positano, unweit des schönen und durch seine weit verbreiteten Seegesetze so berühmten Amalfi, hat man lange die Erfindung des Seecompasses zugeschrieben; vielleicht war von demselben (1302) irgend eine Vervollkommnung in der Vorrichtung angegeben worden. Eine viel frühere Benutzung des Compasses in den europäischen Gewässern als im Anfang des 14ten Jahrhunderts beweist auch eine nautische Schrift des Raymundus Lullus aus Majorca, des sonderbaren geistreichen, excentrischen Mannes, dessen Doctrinen Giordano Bruno schon als Knaben begeisterten60 und der zugleich philosophischer Systematiker, Scheidekünstler, christlicher Bekehrer und Schifffahrtskundiger war. In seinem Buche Fenix de las maravillas del orbe, das im Jahr 1286 verfaßt ist, sagt Lullus, daß die Seefahrer seiner Zeit sich der „Meßinstrumente, der Seekarten und der Magnetnadel" bedienten.61 Die frühen Schifffahrten der Catalanen nach der Nordküste von Schottland und nach der Westküste des tropischen Afrika (Don Jayme Ferrer gelangte im Monat August 1346 an den Ausfluß des Rio de Ouro), die Entdeckung der Azoren (Bracir- Inseln der Weltkarte von Picigano 1367) durch die Normänner erinnern uns, daß lange vor Columbus man den freien westlichen Ocean durchschiffte. Was unter der Römerherrschaft im indischen Meere zwischen Ocelis und der malabarischen Küste bloß im Vertrauen auf die Regelmäßigkeit der Windesrichtungen62 ausgeführt wurde, geschah jetzt unter Leitung der Magnetnadel.

Die Anwendung der Astronomie auf die Schifffahrtskunde war vorbereitet durch den Einfluß, welchen vom 13ten zum 15ten Jahrhundert in Italien Andalone del Nero und [296] der Berichtiger der Alphonsinischen Himmelstafeln Johann Bianchini, in Deutschland Nicolaus von Cusa63, Georg von Peuerbach und Regiomontanus ausübten. Astrolabien zur Bestimmung der Zeit und der geographischen Breite durch Meridianhöhen, anwendbar auf einem immer bewegten Elemente, erhielten allmälige Vervollkommnung: sie erhielten sie von dem Astrolabium der Piloten von Majorca an, welches Raymund Lullus64 in dem Jahre 1295 in seiner Arte de navegar beschreibt, bis zu dem, das Martin Behaim 1484 zu Lissabon zu Stande brachte und das vielleicht nur eine Vereinfachung des Meteoroscops seines Freundes Regiomontanus war. Als der Infant Heinrich der Seefahrer (Herzog von Viseo) in Sagres eine Piloten-Akademie stiftete, wurde Maestro Jayme aus Majorca zum Director derselben ernannt. Martin Behaim hatte den Auftrag vom König Johann II von Portugal, Tafeln für die Abweichung der Sonne zu berechnen und die Piloten zu lehren „nach Sonnen- und Sternhöhen zu schiffen". Ob man schon am Ende des 15ten Jahrhunderts die Vorrichtung der Logleine gekannt habe, um neben der durch den Compaß bestimmten Richtung auch die Länge des zurückgelegten Weges zu schätzen, kann nicht entschieden werden; doch ist gewiß, daß Pigafetta, Magellan's Begleiter, von dem Log (la catena a poppa) wie von einem längst bekannten Mittel spricht den zurückgelegten Weg zu messen.65

Der Einfluß der arabischen Civilisation, der astronomischen Schulen von Cordova, Sevilla und Granada auf das Seewesen in Spanien und Portugal ist nicht zu übersehen. Man ahmte für das Seewesen im kleinen die großen Instrumente der Schulen von Bagdad und Cairo nach. [297] Auch die Namen gingen über. Der des Astrolabon, welches Martin Behaim an den großen Mast befestigte, gehört ursprünglich dem Hipparch. Als Vasco de Gama an der Ostküste von Afrika landete, fand er, daß die indischen Piloten in Melinde den Gebrauch der Astrolabien und Ballestillen kannten.66 So war durch Mittheilung bei zunehmendem Weltverkehr wie durch eigene Erfindungsgabe und gegenseitige Befruchtung des mathematischen und astronomischen Wissens alles vorbereitet, um die Entdeckung des tropischen Amerika's, die schnelle Bestimmung seiner Gestaltung, die Schifffahrt um die Südspitze von Afrika nach Indien, und die erste Weltumseglung, d. h. alles, was großes und ruhmwürdiges für die erweiterte Kenntniß des Erdraumes in dreißig Jahren (von 1492 bis 1522) geschehen ist, zu erleichtern. Auch der Sinn der Menschen war geschärfter, um die grenzenlose Fülle neuer Erscheinungen in sich aufzunehmen, zu verarbeiten und durch Vergleichung für allgemeine und höhere Weltansichten zu benutzen.

Von den Elementen dieser höheren Weltansichten, solcher, die zu der Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen auf dem Erdkörper leiten konnten, genügt es hier nur die vorzüglicheren zu berühren. Wenn man sich ernsthaft mit den Originalwerken der frühesten Geschichtsschreiber der Conquista beschäftigt, so erstaunt man, oft schon den Keim wichtiger physischer Wahrheiten in den spanischen Schriftstellern des 16ten Jahrhunderts zu entdecken. Bei dem Anblick eines Festlandes, welches in den weiten Einöden des Oceans von allen anderen Gebieten der Schöpfung getrennt erschien, bot sich sowohl der angeregten Neugierde der ersten Reisenden als denen, welche [298] ihre Erzählungen sammelten, ein großer Theil der wichtigen Fragen dar, die uns noch heute beschäftigen: Fragen über die Einheit des Menschengeschlechts und dessen Abweichungen von einer gemeinsamen Urgestaltung; über die Wanderungen der Völker und die Verschwisterung von Sprachen, welche in ihren Wurzelwörtern oft größere Verschiedenheit als in den Flexionen oder grammatischen Formen offenbaren; über die Möglichkeit der Wanderung von Pflanzen- und Thierarten; über die Ursache der Passatwinde und der constanten Meeresströmungen; über die regelmäßige Wärmeabnahme an dem Abhange der Cordilleren und in der Tiefe des Oceans in über einander gelagerten Wasserschichten; über die gegenseitige Einwirkung der in Ketten auftretenden Vulkane und den Einfluß derselben auf die Frequenz der Erdbeben und die Ausdehnung der Erschütterungskreise. Die Grundlage von dem, was man heute physikalische Erdbeschreibung nennt, ist, die mathematischen Betrachtungen abgerechnet, in des Jesuiten Joseph Acosta Historia natural y moral de las Indias wie in dem, kaum 20 Jahre nach dem Tode des Columbus erschienenen Werke von Gonzalo Hernandez de Oviedo enthalten. In keinem anderen Zeitpunkte seit dem Entstehen des gesellschaftlichen Zustandes war der Ideenkreis in Bezug auf die Außenwelt und die räumlichen Verhältnisse so plötzlich und auf eine so wunderbare Weise erweitert, das Bedürfniß lebhafter gefühlt worden die Natur unter verschiedenen Breitengraden und in verschiedenen Höhen über der Meeresfläche zu beobachten, die Mittel zu vervielfältigen, durch welche sie befragt werden kann.

Man möchte sich vielleicht, wie ich schon an einem [299] anderen Orte67 bemerkt habe, zu der Annahme verleiten lassen, daß der Werth so großer Entdeckungen, die sich gegenseitig hervorriefen, der Werth dieser zwiefachen Eroberungen in der physischen und in der intellectuellen Welt erst in unseren Tagen anerkannt worden ist, seitdem die Culturgeschichte des Menschengeschlechts sich einer philosophischen Behandlung erfreut. Eine solche Annahme wird durch die Zeitgenossen des Columbus widerlegt. Die talentvollsten unter ihnen ahndeten den Einfluß, welchen die Begebenheiten der letzten Jahre des funfzehnten Jahrhunderts auf die Menschheit ausüben würden. „Jeder Tag", schreibt Peter Martyr von Anghiera68 in seinen Briefen aus den Jahren 1493 und 1494, „bringt uns neue Wunder aus einer Neuen Welt, von jenen Antipoden des Westen, die ein gewisser Genueser (Christophorus quidam, vir Ligur) aufgefunden hat. Von unseren Monarchen, Ferdinand und Isabella, ausgesandt, hatte er mit Mühe drei Schiffe erlangen können, weil man für fabelhaft hielt, was er sagte. Unser Freund Pomponius Lätus (einer der ausgezeichnetsten Beförderer der classischen Litteratur und wegen seiner religiösen Meinungen zu Rom verfolgt) hat sich kaum der Freudenthränen enthalten können, als ich ihm die erste Nachricht von einem so unverhofften Ereignisse mittheilte." Anghiera, dem wir diese Worte entlehnen, war ein geistreicher Staatsmann an dem Hofe Ferdinands des Catholischen und Carls V, einmal Gesandter in Aegypten, persönlicher Freund von Columbus, Amerigo Vespucci, Sebastian Cabot und Cortes. Sein langer Lebenslauf umfaßt die Entdeckung der westlichsten azorischen Insel, Corvo, die Expeditionen von Diaz, Columbus, Gama und Magellan. [300] Der Pabst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen „bis in die tiefe Nacht" die Oceanica des Anghiera vor. „Spanien", sagt dieser, „möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen."69 So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird.

Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marear70, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Carte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera, und später, in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25° ½. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu [301] nicht zu entdecken, die er nach seiner Schiffsrechnung schon 216 Seemeilen östlicher hatte finden sollen, gab er nach langem Streite dem Befehlshaber der Caravele Pinta, dem eben genannten Martin Alonso Pinzon (einem der drei reichen, einflußvollen, ihm feindlichen Brüder), nach und steuerte gegen Südwest. Diese Veränderung der Richtung führte am 12 October zur Entdeckung von Guanahani.

Wir müssen hier bei einer Betrachtung verweilen, die eine wundersame Verkettung kleiner Begebenheiten und den nicht zu verkennenden Einfluß einer solchen Verkettung auf große Weltschicksale offenbart. Der verdienstvolle Washington Irving hat mit Recht behauptet, daß, wenn Columbus, dem Rathe des Martin Alonso Pinzon widerstehend, fortgefahren hätte gegen Westen zu segeln, er in den warmen Golfstrom gerathen wäre und nach Florida und von dort vielleicht nach dem Cap Hatteras und Virginien würde geführt worden sein: ein Umstand von unermeßlicher Wichtigkeit, da er den jetzigen Vereinigten Staaten von Nordamerika statt einer spät angelangten protestantisch-englischen Bevölkerung eine catholisch-spanische hätte geben können. „Es ist mir", sagte Pinzon zu dem Admiral, „wie eine Eingebung (el corazon me da), daß wir anders steuern müssen." Auch behauptete er deshalb in dem berühmten Processe, der (1513–1515) gegen die Erben des Columbus geführt wurde, daß die Entdeckung von Amerika ihm allein gehöre. Die Eingebung aber und, „was das Herz ihm sagte", verdankte Pinzon, wie in demselben Proceß ein alter Matrose aus Moguer erzählt, dem Flug einer Schaar von Papageien, die er Abends hatte gegen Südwesten fliegen sehen, um, wie er vermuthen konnte, in einem Gebüsch am [302] Lande zu schlafen. Niemals hat der Flug der Vögel gewichtigere Folgen gehabt. Man könnte sagen, er habe entschieden über die ersten Ansiedelungen im Neuen Continent, über die ursprüngliche Vertheilung romanischer und germanischer Menschenracen.71

Der Gang großer Begebenheiten ist wie die Folge der Naturerscheinungen an ewige Gesetze gefesselt, deren wir nur wenige vollständig erkennen. Die Flotte, welche König Emanuel von Portugal auf dem Wege, den Gama entdeckt, unter dem Befehle des Pedro Alvarez Cabral nach Ostindien schickte, wurde unvermuthet am 22 April 1500 an die Küste von Brasilien verschlagen. Bei dem Eifer, welchen die Portugiesen seit der Unternehmung des Diaz (1487) für die Umschiffung des Vorgebirges der guten Hoffnung zeigten, hätte es nicht an einer Wiederholung von Zufällen fehlen können, denen ähnlich, welche oceanische Strömungen auf Cabral's Schiffe ausgeübt haben. Die afrikanischen Entdeckungen würden demnach die Entdeckung von Amerika südlich vom Aequator veranlaßt haben. So durfte Robertson sagen, es habe in den Schicksalen der Menschheit gelegen, daß vor dem Ende des 15ten Jahrhunderts der Neue Continent den europäischen Seefahrern bekannt würde.

Unter den Charaktereigenschaften von Christoph Columbus müssen besonders der durchdringende Blick und der Scharfsinn hervorgehoben werden, womit er, ohne gelehrte Bildung, ohne physikalische und naturhistorische Kenntnisse, die Erscheinungen der Außenwelt erfaßt und combinirt. Bei seiner Ankunft „in einer neuen Welt und unter einem neuen Himmel"72 beachtet er aufmerksam die Form der Ländermassen, die Physiognomik der Vegetation, die Sitten der Thiere, die [303] Vertheilung der Wärme und die Variationen des Erdmagnetismus. Während der alte Seemann sich bestrebt die Specereien Indiens und den Rhabarber (ruibarba) aufzufinden, der durch die arabischen und jüdischen Aerzte, durch Rubruquis und die italiänischen Reisenden schon eine so große Berühmtheit erlangt hatte, untersuchte er auf das genaueste Wurzeln und Früchte und Blattbildung der Pflanzen. Indem hier an den Einfluß erinnert werden soll, welchen die große Epoche der Seefahrten auf die Erweiterung der Naturansichten ausgeübt, wird die Schilderung an Lebendigkeit gewinnen, wenn sie an die Individualität eines großen Mannes geknüpft ist. In seinem Reisejournal und in seinen Berichten, die erst 1825 bis 1829 veröffentlicht worden sind, findet man bereits fast alle Gegenstände berührt, auf welche sich in der letzten Hälfte des 15ten und im ganzen 16ten Jahrhundert die wissenschaftliche Thätigkeit gerichtet hat.

Was die Geographie der westlichen Hemisphäre gleichsam durch Eroberungen im Raume von der Epoche an gewonnen hat, wo der Infant Dom Henrique der Seefahrer (auf seinem Landgute Terça naval an der schönen Bai von Sagres) seine ersten Entdeckungspläne entwarf, bis zu den Südsee-Expeditionen von Gaetano und Cabrillo, bedarf nur einer allgemeinen Erinnerung. Die kühnen Unternehmungen der Portugiesen, der Spanier und Engländer bezeugen, daß sich auf einmal wie ein neuer Sinn für das Große und Unbegrenzte erschlossen hatte. Die Fortschritte der Nautik und die Anwendung astronomischer Methoden zur Correction der Schiffsrechnung begünstigten jene Bestrebungen, welche dem Zeitalter einen [304] eigenthümlichen Charakter gaben, das Erdbild vervollständigten, den Weltzusammenhang dem Menschen offenbarten. Die Entdeckung des festen Landes des tropischen Amerika (1 August 1498) war 17 Monate später als Cabot's Beschiffung der labradorischen Küste von Nordamerika. Columbus sah zuerst die Tierra firme von Südamerika nicht, wie man bisher geglaubt, in der Gebirgsküste von Paria, sondern in dem Delta des Orinoco östlich vom Caño Macareo.73 Sebastian Cabot74 landete schon den 24 Junius 1497 an der Küste von Labrador zwischen 56° und 58° Breite. Daß diese unwirthbare Gegend ein halbes Jahrtausend früher von dem Isländer Leif Eriksön besucht worden war, ist schon oben entwickelt worden.

Columbus legte bei seiner dritten Reise mehr Werth auf die Perlen der Inseln Margarita und Cubagua als auf die Entdeckung der Tierra firme, da er bis zu seinem Tode fest überzeugt war schon im November 1492 auf der ersten Reise in Cuba einen Theil des festen Landes von Asien berührt zu haben75. Von diesem Theile würde er (wie sein Sohn Don Fernando und sein Freund der Cura de los Palacios erzählen), wenn er Lebensmittel genug gehabt hätte, „die Schifffahrt gegen Westen fortsetzend, entweder zu Wasser über Ceylon (Taprobane) und rodeando toda la tierra de los Negros, oder zu Lande über Jerusalem und Jaffa nach Spanien76 zurückgekehrt sein." Solche Projecte nährte der Admiral bereits 1494, also vier Jahre vor Vasco de Gama, und eine Weltumseglung träumend 27 Jahre vor Magellan und Sebastian de Elcano. Die Vorbereitungen zur zweiten Reise des Cabot, auf welcher dieser bis 67° ½ nördlicher Breite zwischen Eisschollen vordrang und eine nordwestliche [305] Durchfahrt zum Cathai (China) suchte, ließen ihn „für spätere Zeiten an eine Fahrt nach dem Nordpol (á lo del polo arctico)" denken77. Je mehr man nach und nach erkannte, daß das Entdeckte von dem Labrador an bis zum Vorgebirge Paria und, wie die berühmte, spät erkannte Carte von Juan de la Cosa (1500) beweist, bis jenseits des Aequators weit in die südliche Halbkugel einen zusammenhangenden Erdstrich bildete, desto heißer wurde der Wunsch nach einer Durchfahrt im Süden oder im Norden. Nächst der Wiederauffindung des Festlandes von Amerika und der Ueberzeugung von der meridianartigen Ausdehnung des Neuen Continents von der Hudsonsbai bis zu dem von Garcia Jofre de Loaysa78 entdeckten Cap Horn ist die erlangte Kenntniß der Südsee, eines Meeres, das die westlichen Küsten von Amerika bespült, das wichtigste kosmische Ereigniß der großen Zeitepoche, welche wir hier schildern.

Zehn Jahre ehe Balboa die Südsee (25 Sept. 1513) von der Höhe der Sierra de Quarequa auf der Landenge von Panama erblickte, hatte bereits Columbus, als er die östliche Küste von Veragua beschiffte, bestimmt erfahren, daß westlich von diesem Lande ein Meer liege, „welches in weniger als neun Tagesfahrten nach der Chersonesus aurea des Ptolemäus und der Mündung des Ganges führe". In derselben Carta rarissima, welche die schöne und so poetische Erzählung eines Traumes enthält, sagt der Admiral, daß „die gegenüberliegenden Küsten von Veragua bei dem Rio de Belen sich in ihrer Lage gegenseitig verhalten wie Tortosa nahe am Mittelmeer und Fuenterrabia in Biscaya, wie Venedig und Pisa". Der Große Ocean (die Südsee) [306] erschien damals nur noch wie eine Fortsetzung des Sinus magnus (μέγας κόλπας) des Ptolemäus, dem der goldene Chersones vorlag, während sein östliches Ufer Cattigara und das Land der Sinen (Thinen) bilden sollte. Hipparchs phantastische Hypothese, nach welcher diese östliche Küste des Großen Busens sich an den gegen Morgen weit vorgestreckten Theil des afrikanischen Continents79 anschloß und so aus dem indischen Meere ein gesperrtes Binnenmeer machte, war glücklicherweise im Mittelalter, trotz der Anhänglichkeit an die Aussprüche des Ptolemäus, wenig beachtet worden; sie würde gewiß auf die Richtung großer nautischer Unternehmungen einen nachtheiligen Einfluß ausgeübt haben.

Die Entdeckung und Beschiffung der Südsee bezeichnen für die Erkenntniß großer kosmischer Verhältnisse eine um so wichtigere Epoche, als durch dieselben zuerst und also vor kaum viertehalb hundert Jahren nicht bloß die Gestaltung der Westküste des Neuen und der Ostküste des Alten Continents bestimmt wurde, sondern weil auch, was meteorologisch noch weit folgereicher wurde, die numerische Größenvergleichung der Areale des Festen und Flüssigen auf der Oberfläche unseres Planeten nun endlich von den irrigsten Ansichten befreit zu werden anfing. Durch die Größe dieser Areale, durch die relative Vertheilung des Festen und Flüssigen werden aber der Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre, der wechselnde Luftdruck, die Vegetationskraft der Pflanzendecke, die größere oder geringere Verbreitung gewisser Thiergeschlechter und so viele andere allgemeine Erscheinungen und physische Processe mächtig bedingt. Der größere Flächenraum, welcher dem Flüssigen, als dem das Feste bedeckenden [307] Elemente, eingeräumt ist (im Verhältniß von 2 4/5 zu 1), vermindert allerdings das bewohnbare Feld für die Ansiedelung des Menschengeschlechts, die nährende Fläche für den größeren Theil der Säugethiere, Vögel und Reptilien: er ist aber nach den jetzt herrschenden Gesetzen des Organismus ein nothwendiges Bedingniß der Erhaltung, eine wohlthätige Natureinrichtung für alles, was die Continente belebt.

Als am Ende des 15ten Jahrhunderts der lebhafte Drang nach dem kürzesten Wege entstanden war, der zu den asiatischen Gewürzländern führen könnte; als fast gleichzeitig in zwei geistreichen Männern Italiens, in dem Seefahrer Christoph Columbus und dem Arzte und Astronomen80 Paul Toscanelli, die Idee aufkeimte den Orient durch eine Schifffahrt gegen Westen zu erreichen: war die Meinung herrschend, welche Ptolemäus im Almagest aufgestellt, daß der Alte Continent von der westlichen Küste der iberischen Halbinsel bis zu dem Meridian der östlichsten Sinen einen Raum von 180 Aequatorialgraden ausfülle, d. i. seiner Erstreckung nach von Westen nach Osten die ganze Hälfte des Erdsphäroids. Columbus, durch eine lange Reihe falscher Schlüsse verleitet, erweiterte diesen Raum auf 240°; die erwünschte asiatische Ostküste schien ihm bis in den Meridian von San Diego in Neu-Californien vorzutreten. Columbus hoffte demnach, daß er nur 120 Meridiangrade würde zu durchschiffen haben, statt der 231°, um welche z. B. die reiche sinesische Handelsstadt Quinsay westlich von der Endspitze der iberischen Halbinsel wirklich gelegen ist. Auf eine noch sonderbarere, seine Entwürfe begünstigende Weise verminderte Toscanelli in seinem Briefwechsel mit dem Admiral [308] das Gebiet des flüssigen Elements. Das Wassergebiet sollte von Portugal bis China auf 52° Meridian-Unterschied eingeschränkt werden, so daß, ganz wie nach dem alten Ausspruche des Propheten Esdras, 6/7 der Erde trocken lägen. Columbus zeigte sich dieser Annahme in späteren Jahren (in einem Briefe, den er an die Königinn Isabella von Haiti aus gleich nach vollbrachter dritter Reise richtete) um so geneigter, als dieselbe von dem Manne, welcher für ihn die höchste Autorität war, von dem Cardinal d'Ailly, in seinem Weltgemälde (Imago Mundi) vertheidigt81 worden war.

Erst sechs Jahre nachdem Balboa, ein Schwerdt in der Hand, bis zum Knie in die Fluthen tretend, für Castilien Besitz von der Südsee zu nehmen glaubte, zwei Jahre nachdem sein Haupt in dem Aufruhr gegen den tyrannischen Pedrarias Davila82 durch Henkers Hand gefallen war: erschien Magellan (27 Nov. 1520) in der Südsee, durchschiffte den weiten Ocean von Südost nach Nordwest in einer Strecke von mehr als drittehalb tausend geographischen Meilen, und sah, durch ein sonderbares Geschick, ehe er die Marianen (seine Islas de los Ladrones oder de las Velas Latinas) und die Philippinen entdeckte, kein anderes Land als zwei kleine unbewohnte Inseln (die Unglücklichen, Desventuradas), von denen, wenn man seinem Journale und seiner Schiffsrechnung trauen könnte, die eine östlich von den Niedrigen Inseln (Low Islands), die andere etwas südwestlich vom Archipel des Mendaña liegt83. Sebastian de Elcano vollendete nach Magellan's Ermordung auf der Insel Zebu die erste Weltumseglung in der Nao Victoria und erhielt zum Wappen einen Erdglobus [309] mit der ruhmvollen Inschrift: Primus circumdedisti me. Er lief erst im September 1522 in den Hafen von San Lucar ein; und noch war kein volles Jahr vergangen, so drang schon Kaiser Carl, von Cosmographen belehrt, in einem Briefe an Hernan Cortez auf die Entdeckung einer Durchfahrt, „die den Weg nach den Gewürzländern um ⅔ verkürzen würde". Die Expedition des Alvaro de Saavedra wird aus einem Hafen der Provinz Zacatula an der Westküste von Mexico nach den Molukken geschickt. Hernan Cortez correspondirt (1527) von der neu eroberten mexicanischen Hauptstadt Tenochtitlan aus „mit den Königen von Zebu und Tidor in der asiatischen Inselwelt". So schnell vergrößerte sich räumlich die Weltansicht und mit ihr die Lebhaftigkeit des Weltverkehrs!

Später ging der Eroberer von Neu-Spanien selbst auf Entdeckungen in der Südsee und durch die Südsee auf die einer nordöstlichen Durchfahrt aus. Man konnte sich nicht an die Idee gewöhnen, daß das Festland undurchbrochen sich von so hohen Breiten der südlichen bis zu hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre meridianartig ausdehne. Als von den Küsten Californiens her das Gerücht von dem Untergange der Expedition des Cortez verbreitet wurde, ließ die Gemahlinn des Helden, Juana de Zuñiga, die schöne Tochter des Grafen von Aguilar, zwei Schiffe ausrüsten, um sichere Nachricht einzuholen.84 Californien wurde, was man im 17ten Jahrhundert wieder vergaß, schon vor 1541 für eine dürre waldlose Halbinsel erkannt. Aus den uns jetzt bekannten Berichten von Balboa, Pedrarias Davila und Hernan Cortez leuchtet übrigens hervor, daß man damals in der Südsee, als in einem Theile des indischen Oceans,[310] gruppenweise „an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln" zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an, wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höherbegabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast ⅔ der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für [311] den großen Haufen, sondern lange noch für die kleine Zahl der mit dem Zustand der Wissenschaften vertrauten Physiker. Ihn gewährt die zunehmende Einsicht in das stille Treiben der Kräfte der Natur: sei es in dem Electro-Magnetismus oder in der Polarisation des Lichtes, in dem Einfluß diathermaner Substanzen oder in den physiologischen Erscheinungen lebendiger Organismen — eine sich enthüllende Wunderwelt, an deren Eingang wir kaum gelangt sind!

Noch in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts wurden die Sandwich-Inseln, das Land der Papuas und einige Theile von Neu-Holland entdeckt.85 Diese Entdeckungen bereiteten vor zu denen von Cabrillo, Sebastian Vizcaino, Mendaña86 und Quiros, dessen Sagittaria Tahiti, dessen Archipelago del Espiritu Santo die Neuen Hebriden von Cook sind. Quiros war von dem kühnen Seefahrer begleitet, welcher später der Torres-Straße seinen Namen gab. Die Südsee erschien nun nicht mehr, wie dem Magellan, eine Einöde; sie erschien durch Inseln belebt, die aber freilich aus Mangel genauer astronomischer Ortsbestimmungen, wie schlecht gewurzelt, auf den Carten hin und her schwankten. Die Südsee blieb auch lange der alleinige Schauplatz von den Unternehmungen der Spanier und Portugiesen. Die wichtige südindisch-malayische Inselwelt, von Ptolemäus, Cosmas und Polo dunkel beschrieben, entfaltete sich in bestimmteren Umrissen, seitdem Albuquerque (1511) sich in Malacca festsetzte und Anton Abreu schiffte. Es ist das besondere Verdienst des classischen portugiesischen Geschichtsschreibers Barros, eines Zeitgenossen von Magellan und Camoens, die Eigenthümlichkeit des physischen und ethnischen Charakters der [312] Inselwelt so lebendig erkannt zu haben, daß er zuerst das australische Polynesien als einen fünften Erdtheil abzusondern vorschlug. Erst als die holländische Macht in den Molukken die herrschende wurde, fing Australien an aus dem Dunkel herauszutreten und sich für den Geographen zu gestalten.87 Es begann nun die große Epoche von Abel Tasman. Wir liefern hier nicht die Geschichte der einzelnen geographischen Entdeckungen; wir erinnern bloß an die Hauptereignisse, durch welche in kurzer Zeit und in enger Verkettung, folgend dem plötzlich erwachten Streben nach allem Weiten, Unbekannten und Fernen, zwei Dritttheile der Erdoberfläche erschlossen wurden.

Einer solchen erweiterten Kenntniß von Land- und Meeresräumen entsprach auch die erweiterte Einsicht in das Wesen und die Gesetze der Naturkräfte, in die Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, in den Reichthum der Organismen und die Grenzen ihrer Verbreitung. Die Fortschritte, welche am Schlusse des, wissenschaftlich zu gering geachteten Mittelalters die einzelnen Disciplinen gemacht hatten, beschleunigten das Auffassen und die sinnige Vergleichung einer maaßlosen Fülle physischer Erscheinungen, die auf einmal der Beobachtung dargeboten wurden. Die Eindrücke waren um so tiefer, zur Ergründung von kosmischen Gesetzen um so anregender, als die westlichen Völker Europa's vor der Mitte des 16ten Jahrhunderts den Neuen Continent bereits in den verschiedensten Breitengraden beider Hemisphären, wenigstens den Küsten nahe, durchforscht hatten, als sie hier zuerst in der eigentlichen Aequatorial-Gegend festen Fuß gefaßt und als durch die dortige sonderbare Höhengestaltung der Erdoberfläche auf engen Räumen die [313] auffallendsten Contraste der vegetabilischen Organisation und der Klimate sich ihren Blicken dargestellt hatten. Wenn ich mich hier wieder veranlaßt finde die begeistigenden Vorzüge der Gebirgsländer in der Aequinoctial-Zone besonders hervorzuheben, so kann mich der schon mehrfach wiederholte Ausspruch rechtfertigen, daß es den Bewohnern dieser Länder allein verliehen ist alle Gestirne der Himmelsräume wie fast alle Familien-Gestaltungen der Pflanzenwelt zu schauen; aber schauen ist nicht beobachten, d. h. vergleichend combiniren.

Wenn sich auch in Columbus, wie ich in einem anderen Werke glaube bewiesen zu haben, bei völligem Mangel naturhistorischer Vorkenntnisse, bloß durch den Contact mit großen Naturphänomenen der Sinn für genaue Beobachtung auf mannigfaltige Weise entwickelte, so darf man keinesweges eine ähnliche Entwickelung in der rohen und kriegerischen Masse der Conquistadoren voraussetzen. Was Europa unbestreitbar durch die Entdeckung von Amerika als Bereicherung seines naturhistorischen und physikalischen Wissens über die Constitution des Luftkreises und seine Wirkungen auf die menschliche Organisation, über die Vertheilung der Klimate am Abhange der Cordilleren, über die Höhe des ewigen Schnees nach Maaßgabe der verschiedenen Breitengrade in beiden Hemisphären, über die Reihefolge der Vulkane, die Begrenzung der Erschütterungskreise bei Erdbeben, die Gesetze des Magnetismus, die Richtung der Meeresströme, die Abstufungen neuer Thier- und Pflanzenformen allmälig erlangt hat: verdankt es einer anderen, friedsameren Classe von Reisenden, einer geringen Zahl ausgezeichneter Männer unter den Municipal-Beamten, [314] Geistlichen und Aerzten. Diese konnten, in alt-indischen Städten wohnend, deren einige zwölftausend Fuß hoch über dem Meere liegen, mit eigenen Augen beobachten, während eines langen Aufenthaltes das von Anderen Gesehene prüfen und combiniren, Naturproducte sammeln, beschreiben und ihren europäischen Freunden zusenden. Es genügt hier Gomara, Oviedo, Acosta und Hernandez zu nennen. Einige Naturproducte (Früchte und Thierfelle) hatte Columbus bereits von seiner ersten Entdeckungsreise heimgebracht. In einem Briefe aus Segovia (August 1494) fordert die Königinn Isabella den Admiral auf in seinem Einsammeln fortzufahren. Sie begehrt von ihm besonders „alle Strand- und Waldvögel von Ländern, die ein anderes Klima und andere Jahreszeiten haben". Man hat bisher wenig darauf geachtet, daß von derselben Westküste von Afrika, von der Hanno fast 2000 Jahre früher „gegerbte Felle wilder Frauen" (der großen Gorilla-Affen) mitbrachte, um sie in einem Tempel aufzuhängen, Martin Behaim's Freund Cadamosto schwarzes, 1½ Palmen langes Elephantenhaar für den Infanten Heinrich den Seefahrer sammelte. Hernandez, Leibarzt Philipps II und von diesem Monarchen nach Mexico gesandt, um alle vegetabilischen und zoologischen Merkwürdigkeiten des Landes in herrlichen Abbildungen darstellen zu lassen, konnte seine Sammlungen durch die Copie mehrerer sehr sorgfältig ausgeführter naturhistorischer Gemälde bereichern, welche auf Befehl eines Königs von Tezcuco Nezahualcoyotl88 (ein halbes Jahrhundert vor Ankunft der Spanier) angefertigt worden waren. Auch benutzte Hernandez eine Zusammenstellung von Medicinalpflanzen, die er in dem berühmten alt-mexicanischen Garten von Huaxtepec noch vegetirend [315] gefunden. Wegen eines nahen neu angelegten spanischen Krankenhauses89 hatten die Conquistadoren jenen Garten nicht verwüstet. Fast gleichzeitig sammelte man und beschrieb, was später für die Theorie der successiven Hebung der Gebirgsketten so wichtig wurde, fossile Mastodonten-Knochen auf den Hochebenen von Mexico, Neu-Granada und Peru. Die Benennungen: Giganten-Knochen und Giganten-Felder (Campos de Gigantes) bezeugen das Phantastische der ersten Deutungen.

Was in dieser vielbewegten Zeit auch wesentlich zur Erweiterung der Weltansichten beitrug, war der unmittelbare Contact einer zahlreichen europäischen Menschenmasse mit der freien und dabei großartigen exotischen Natur in den Ebenen und Gebirgsländern von Amerika, wie auch (als Folge der Schifffahrt von Vasco de Gama) an den östlichen Küsten von Afrika und Südindien. Hier legte schon im Anfange des 16ten Jahrhunderts ein portugiesischer Arzt, Garcia de Orta, da wo jetzt Bombay liegt, unter dem Schutze des edlen Martin Alfonso de Sousa, einen botanischen Garten an, in welchem er die Arzneigewächse der Umgegend cultivirte. Die Muse des Camoens hat ihm ein patriotisches Lob gespendet. Der Trieb zum Selbstbeobachten war nun überall erwacht, während die cosmographischen Schriften des Mittelalters minder das Resultat eigener Anschauung gewesen sind, als Compilationen, welche die Meinungen des classischen Alterthums einförmig wiedergaben. Zwei der größten Männer des 16ten Jahrhunderts, Conrad Gesner und Andreas Cäsalpinus, haben in Zoologie und Botanik einen neuen Weg rühmlichst vorgezeichnet.

[316]

Um anschaulicher den frühen Einfluß zu bezeichnen, welchen die oceanischen Entdeckungen auf die erweiterte Sphäre des physischen und astronomisch-nautischen Wissens ausgeübt, will ich, am Schluß dieser Schilderung, auf einige Lichtpunkte aufmerksam machen, die wir bereits in den Berichten des Columbus aufglimmen sehen. Ihr erster schwacher Glanz verdient um so sorgfältiger beachtet zu werden, als sie die Keime allgemeiner kosmischer Ansichten enthalten. Ich übergehe die Beweise von Resultaten, welche ich hier aufstelle, weil ich dieselben in einer anderen Schrift: „Kritische Untersuchungen über die historische Entwickelung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt und der nautischen Astronomie in dem 15ten und 16ten Jahrhundert" ausführlich gegeben habe. Um aber dem Verdacht zu entgehen, daß ich die Ansichten der neueren Physik den Beobachtungen des Columbus unterlege, fange ich ausnahmsweise damit an aus einem Briefe, den der Admiral im Monat October 1498 aus Haiti geschrieben, einige Zeilen wörtlich zu übersetzen. Es heißt in diesem Briefe: „Jedesmal wenn ich von Spanien nach Indien segle, finde ich, sobald ich hundert Seemeilen nach Westen von den Azoren gelange, eine außerordentliche Veränderung in der Bewegung der himmlischen Körper, in der Temperatur der Luft und in der Beschaffenheit des Meeres. Ich habe diese Veränderungen mit besonderer Sorgfalt beobachtet, und erkannt, daß die Seecompasse (agujas de marear), deren Declination bisher in Nordosten war, sich nun nach Nordwesten hinüberbewegten; und wenn ich diesen Strich (raya), wie den Rücken eines Hügels (como quien traspone una cuesta), überschritten hatte, fand ich [317] die See mit einer solchen Masse von Tang, gleich kleinen Tannenzweigen, die Pistacien-Früchte tragen, bedeckt, daß wir glauben mußten, die Schiffe würden aus Mangel von Wasser auf eine Untiefe auflaufen. Vor dem eben bezeichneten Striche aber war keine Spur von solchem Seekraute zu sehen. Auch wird auf der Grenzscheide (hundert Meilen westlich von den Azoren) auf einmal das Meer still und ruhig, fast nie von einem Winde bewegt. Als ich von den canarischen Inseln bis zum Parallel von Sierra Leone herabkam, hatte ich eine furchtbare Hitze zu ertragen; sobald wir aber uns jenseits der oben erwähnten raya (in Westen des Meridians der azorischen Inselgruppe) befanden, veränderte sich das Klima, die Luft wurde gemäßigt, und die Frische nahm zu, je weiter wir vorwärts kamen."

Diese Stelle, welche durch mehrere andere in den Schriften des Columbus erläutert wird, enthält Ansichten der physischen Erdkunde, Bemerkungen über den Einfluß der geographischen Länge auf die Abweichung der Magnetnadel, über die Inflexion der isothermen Linien zwischen den Westküsten des Alten und den Ostküsten des Neuen Continents, über die Lage der großen Sargasso-Bank in dem Becken des atlantischen Meeres, und die Beziehungen, in welchen dieser Meeresstrich zu dem über ihm liegenden Theile der Atmosphäre steht. Irrige Beobachtungen90 der Bewegung des Polarsternes in der Nähe der azorischen Inseln hatten Columbus schon auf der ersten Reise, bei der Schwäche seiner mathematischen Kenntnisse, zu dem Glauben an eine Unregelmäßigkeit in der Kugelgestalt der Erde verführt. In der westlichen Hemisphäre ist nach ihm „die Erde [318]angeschwollener, die Schiffe gelangen allmälig in größere Nähe des Himmels, wenn sie an den Meeresstrich (raya) kommen, wo die Magnetnadel nach dem wahren Norden weist; eine solche Erhöhung (cuesta) ist die Ursach der kühleren Temperatur." Der feierliche Empfang des Admirals in Barcelona war im April 1493, und schon am 4 Mai desselben Jahres wird jene berühmte Bulle, welche die Demarcationslinie91 zwischen dem spanischen und portugiesischen Besitzrechte in einer Entfernung von 100 Meilen westlich von den Azoren „auf ewige Zeiten" feststellt, vom Pabste Alexander VI unterzeichnet. Wenn man dazu erwägt, daß Columbus gleich nach seiner Rückkehr von der ersten Entdeckungsreise die Absicht hatte, selbst nach Rom zu gehen, um, wie er sagt, „dem Pabste über alles, was er entdeckt, Bericht abzustatten"; wenn man der Wichtigkeit gedenkt, welche die Zeitgenossen des Columbus auf die Auffindung der magnetischen Curve ohne Abweichung legten: so kann man wohl eine von mir zuerst aufgestellte historische Behauptung gerechtfertigt finden, die Behauptung, daß der Admiral in dem Augenblicke der höchsten Hofgunst daran gearbeitet hat „die physische Abgrenzungslinie in eine politische verwandeln zu lassen".

Der Einfluß, den die Entdeckung von Amerika und die damit zusammenhangenden oceanischen Unternehmungen so schnell auf das gesammte physikalische und astronomische Wissen ausgeübt haben, wird am lebendigsten fühlbar gemacht, wenn man an die frühesten Eindrücke der Zeitgenossen und an den weiten Umfang wissenschaftlicher Bestrebungen erinnert, von denen der wichtigere Theil in die erste Hälfte des 16ten Jahrhunderts fällt. Christoph Columbus hat nicht [319] allein das unbestreitbare Verdienst zuerst eine Linie ohne magnetische Abweichung entdeckt, sondern auch durch seine Betrachtungen über die fortschreitende Zunahme der westlichen Abweichung, indem er sich von jener Linie entfernte, das Studium des Erdmagnetismus in Europa zuerst angeregt zu haben. Daß meist überall die Endspitzen einer sich frei bewegenden Magnetnadel nicht genau nach dem geographischen Nord- und Südpol hinweisen, würde zwar in dem mittelländischen Meere und an allen Orten, wo im zwölften Jahrhunderte die Abweichung über 8 bis 10 Grade betrug, auch bei einer großen Unvollkommenheit der Instrumente leicht mehrfach erkannt worden sein. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß die Araber oder die Kreuzfahrer, die mit dem Orient von 1096 bis 1270 in Berührung standen, indem sie den Gebrauch der chinesischen und indischen Seecompasse verbreiteten, zugleich auch damals schon auf die Nordost- und Nordwest-Weisung in verschiedenen Weltgegenden wie auf eine längst erkannte Erscheinung aufmerksam machten. Wir wissen nämlich bestimmt aus dem chinesischen Penthsaoyan, welches unter der Dynastie der Song92 zwischen 1111 und 1117 geschrieben ist, daß man damals die Quantität der westlichen Abweichung längst zu messen verstand. Was dem Columbus gehört, ist nicht die erste Beobachtung der Existenz der Abweichung (letztere findet sich z. B. schon auf der Carte von Andrea Bianco 1436 angegeben), sondern die Bemerkung, welche er am 13 Sept. 1492 machte, „daß 2° ½ östlich von der Insel Corvo die magnetische Variation sich verändert, daß sie von NO. nach NW. überging".

Diese Entdeckung einer magnetischen Linie ohne [320] Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautischen Astronomie. Sie wird, mit gerechtem Lobe, von Oviedo, las Casas und Herrera gefeiert. Wenn man dieselbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebastian Cabot zuschreibt, so vergißt man, daß dessen erste, auf Kosten einiger Kaufleute von Bristol unternommene und durch die Berührung des Festlandes von Amerika gekrönte Reise um fünf Jahre später fällt als die erste Expedition des Columbus. Dieser aber hat nicht bloß das Verdienst gehabt im atlantischen Oceane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetische Meridian mit dem geographischen zusammenfiel; er machte zugleich auch die sinnreiche Bemerkung, daß die magnetische Abweichung mit dazu dienen könne den Ort des Schiffes in Hinsicht auf dessen Länge zu bestimmen. In dem Journal der zweiten Reise (April 1496) sehen wir den Admiral sich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientiren. Die Schwierigkeiten, welche dieser Längenmethode besonders da entgegen stehen, wo die magnetischen Abweichungscurven sich so beträchtlich krümmen, daß sie nicht der Richtung der Meridiane, sondern in großen Strecken der der Parallele folgen, waren freilich damals noch unbekannt. Magnetische und astronomische Methoden wurden ängstlich gesucht, um auf Land und Meer die Punkte zu bestimmen, welche von der ideal aufgestellten Demarcationslinie durchschnitten werden. Die Wissenschaft und der unvollkommene Zustand aller auf dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmessender Instrumente waren 1493 der praktischen Lösung einer so schwierigen Aufgabe noch nicht gewachsen. Unter diesen Verhältnissen leistete Pabst Alexander VI, indem er den Uebermuth hatte eine Erdhälfte unter zwei [321] mächtige Reiche zu theilen, ohne es zu wissen, gleichzeitig wesentliche Dienste der astronomischen Nautik und der physikalischen Lehre vom Erdmagnetismus. Auch wurden die Seemächte von da an mit einer Unzahl unausführbarer Vorschläge bedrängt. Sebastian Cabot (so berichtet sein Freund Richard Eden) rühmte sich noch auf seinem Sterbebette, daß ihm „durch göttliche Offenbarung eine untrügliche Methode mitgetheilt worden sei die geographische Länge zu finden". Diese Offenbarung war der feste Glaube an die mit den Meridianen sich regelmäßig und schnell verändernde magnetische Abweichung. Der Cosmograph Alonso de Santa Cruz, einer der Lehrer des Kaisers Carls V, unternahm es die erste allgemeine Variations-Carte93 zu entwerfen: schon um das Jahr 1530, also anderthalb Jahrhunderte vor Halley, freilich nach sehr unvollständigen Beobachtungen.

Von dem Fortschreiten, d. h. der Bewegung der magnetischen Linien, deren Kenntniß man gewöhnlich dem Gassendi zuschreibt, hatte selbst William Gilbert noch keine Ahndung, während früher Acosta, „durch portugiesische Seefahrer unterrichtet", auf dem ganzen Erdboden vier Linien ohne Abweichung annahm94. Kaum war in England durch Robert Norman 1576 die Inclinations-Boussole erfunden, so rühmte sich Gilbert mittelst dieses Instruments in dunkler, sternloser Nacht (aëre caliginoso) den Ort des Schiffes zu bestimmen95. Ich habe, auf eigene Beobachtungen in der Südsee gestützt, gleich nach meiner Rückkehr nach Europa gezeigt, wie unter gewissen Localverhältnissen, z. B. an den Küsten von Peru in der Jahreszeit der beständigen Nebel (garua), aus der Inclination die Breite mit einer [322] für die Bedürfnisse der Schifffahrt hinreichenden Genauigkeit bestimmt werden kann. Es ist hier bei diesen Einzelheiten in der Absicht verweilt worden, um an der gründlichen Betrachtung eines wichtigen kosmischen Gegenstandes zu zeigen, wie (wenn man die Messung der Intensität der magnetischen Kraft und der stündlichen Veränderungen der Declination abrechnet) im 16ten Jahrhundert schon alles zur Sprache kam, was die Physiker noch heute beschäftigt. Auf der merkwürdigen Carte von Amerika, die der römischen Ausgabe von der Geographie des Ptolemäus vom Jahre 1508 beigefügt ist, findet sich nördlich von Gruentlant (Grönland), das als ein Theil von Asien dargestellt wird, der magnetische Pol als ein Inselberg verzeichnet. Martin Cortez in dem Breve Compendio de la Sphera (1545) und Livio Sanuto in der Geographia di Tolomeo (1588) setzen ihn südlicher. Letzterer nährte schon das, leider! noch bis in die neuere Zeit verbreitete Vorurtheil, daß, „wenn man so glücklich wäre den magnetischen Pol (il calamitico) selbst zu erreichen, man dort alcun miracoloso stupendo effetto erleben würde."

In dem Gebiete der Wärmevertheilung und Meteorologie war schon am Ende des 15ten und in dem Anfange des 16ten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit gerichtet auf die mit westlicher geographischer Länge abnehmende Wärme96 (auf die Krümmung der isothermen Linien), auf das von Bacon von Verulam verallgemeinerte Drehungsgesetz der Winde97, auf die Abnahme der Luftfeuchtigkeit und Regenmenge durch Zerstörung der Waldungen98, auf die mit der zunehmenden Höhe über dem Meeresspiegel sich vermindernde Temperatur und auf die untere Grenze des ewigen Schnees. [323] Daß diese Grenze Function der geographischen Breite ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen; Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501; aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare tropische Schneeregion eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärmeabnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (ὄρη ἀγάννιφα): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von „Schnee in der Aequatorial-Zone", die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polarabstande des Orts99, die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht [324] unwichtigen Zeitpunkt in der Geschichte unseres physikalischen Wissens.

Begünstigten dieses Wissen zufällige, ihrem Ursprunge nach ganz unwissenschaftliche Beobachtungen in den plötzlich erweiterten Naturkreisen, so blieb dagegen dem Zeitalter, das wir schildern, eine andere Begünstigung, die einer rein scientifischen Anregung, durch das Mißgeschick sonderbarer Verhältnisse entzogen. Der größte Physiker des funfzehnten Jahrhunderts, der mit ausgezeichneten mathematischen Kenntnissen den bewundernswürdigsten Tiefblick in die Natur verband, Leonardo da Vinci, war der Zeitgenosse des Columbus; er starb drei Jahre nach ihm. Die Meteorologie hatte den ruhmgekrönten Künstler eben so viel als die Hydraulik und Optik beschäftigt. Er wirkte bei seinem Leben durch die großen Werke der Malerei, welche er schuf, und durch seine begeisterte Rede: nicht durch Schriften. Wären die physischen Ansichten des Leonardo da Vinci nicht in seinen Manuscripten vergraben geblieben, so würde das Feld der Beobachtung, welches die neue Welt darbot, schon vor der großen Epoche von Galilei, Pascal und Huygens in vielen Theilen wissenschaftlich bearbeitet worden sein. Wie Francis Bacon und ein volles Jahrhundert vor diesem, hielt er die Induction für die einzige sichere Methode in der Naturwissenschaft; dobbiamo cominciare dall' esperienza, e per mezzo di questa scoprirne la ragione100

So wie nun, selbst bei dem Mangel messender Instrumente, klimatische Verhältnisse in den tropischen Gebirgsländern, durch Vertheilung der Wärme, Extreme der Lufttrockenheit und Frequenz electrischer Explosionen, in den Schriften über die ersten Landreisen häufig besprochen wurden; [325] so faßten auch sehr früh die Seefahrer richtige Ansichten von der Direction und Schnelligkeit von Strömungen, die, Flüssen von sehr veränderlicher Breite vergleichbar, den atlantischen Ocean durchsetzen. Der eigentliche Aequatorialstrom, die Bewegung der Wasser zwischen den Wendekreisen, ist zuerst von Columbus beschrieben worden. Es drückt sich derselbe darüber auf das bestimmteste und in großer Allgemeinheit in seiner dritten Reise aus. „Die Wasser bewegen sich con los cielos (wie das Himmelsgewölbe) von Osten nach Westen." Selbst die Richtung einzeln schwimmender Massen von Seetang1 bekräftigten diesen Glauben. Eine kleine Pfanne von leichtem Eisenblech, welche er in den Händen der Eingebornen der Insel Guadalupe fand, leitete Columbus auf die Vermuthung, daß sie europäischen Ursprunges und aus den Trümmern eines gescheiterten Schiffes entlehnt sein könnte, welche die Aequatorialströmung von den iberischen Küsten nach den amerikanischen geführt hätte. In seinen geognostischen Phantasien hielt er die Existenz der Inselreihe der kleinen Antillen wie die eigenthümliche Gestaltung der großen, d. i. die Uebereinstimmung der Richtung ihrer Küsten mit der der Breiten-Parallelen, für die lange Wirkung der ost-westlichen Meeresbewegung zwischen den Wendekreisen.

Als auf seiner vierten und letzten Reise der Admiral die nord-südliche Richtung der Küsten des Continents vom Vorgebirge Gracias a Dios bis zur Laguna de Chiriqui erkannte, fühlte er die Wirkungen der heftigen Strömung, welche nach N. und NNW. treibt und eine Folge des Stoßes des ost-westlichen Aequatorialstromes gegen die dammartig vorliegende Küste ist. Anghiera überlebte den [326] Columbus lange genug, um die Ablenkung der atlantischen Gewässer in ihrem ganzen Zusammenhange aufzufassen, um den Wirbel in dem Golf von Mexico und die Fortpflanzung der Bewegung bis zu der Tierra de los Bacallaos (Neufundland) und der Mündung des St. Lorenzflusses zu erkennen. Ich habe an einem anderen Orte umständlich entwickelt, wie viel die Expedition des Ponce de Leon im Jahr 1512 zur genaueren Feststellung der Ideen beigetragen hat, und daß man in einer von Sir Humphrey Gilbert zwischen 1567 und 1576 geschriebenen Abhandlung die Bewegung der Gewässer des atlantischen Meeres von dem Vorgebirge der guten Hoffnung bis zur Bank von Neufundland nach Ansichten behandelt findet, welche mit denen meines vortrefflichen dahingeschiedenen Freundes des Major Rennell fast ganz übereinstimmen.

Mit der Kenntniß der Strömungen verbreitete sich auch die der großen Bänke von Seetang (Fucus natans), der oceanischen Wiesen, welche das merkwürdige Schauspiel der Zusammenhäufung einer geselligen Pflanze auf einem Raume darbieten, dessen Flächeninhalt fast siebenmal den von Frankreich übertrifft. Die große Fucus-Bank, das eigentliche Mar de Sargasso, breitet sich aus zwischen 19° und 34° nördlicher Breite. Ihre Hauptaxe liegt ohngefähr sieben Grad westlich von der Insel Corvo. Die kleine Fucus-Bank fällt dagegen in den Raum zwischen den Bermuden und den Bahama-Inseln. Winde und partielle Strömungen wirken nach Verschiedenheit der Jahre auf die Lage und den Umfang dieser atlantischen Tangwiesen, deren erste Beschreibung wir dem Columbus verdanken. Kein anderes Meer beider [327] Hemisphären zeigt in ähnlicher Größe diese Gruppirung geselliger Pflanzen.2

Aber die wichtige Zeitepoche der Entdeckungen im Erdraume, die plötzliche Eröffnung einer unbekannten Erdhälfte hat auch die Ansicht der Welträume oder, wie ich mich bestimmter ausdrücken sollte, des scheinbaren Himmelsgewölbes erweitert. Weil der Mensch, nach einem schönen Ausdruck des elegischen Garcilaso de la Vega, in der Wanderung nach fernen Ländern (unter verschiedenen Breitengraden) „Land und Gestirne" gleichzeitig sich ändern sieht3, so mußte das Vordringen zum Aequator an beiden Küsten von Afrika und bis über die Südspitze des Neuen Continents den Seefahrern und Landreisenden jetzt länger und öfter das prachtvolle Schauspiel der südlichen Sternbilder vorführen, als es zu den Zeiten des Hiram und der Ptolemäer, zu der der römischen Weltherrschaft und des arabischen Handelsverkehrs im rothen Meere oder in dem indischen Ocean zwischen der Straße Bab-el-Mandeb und der westlichen Halbinsel Indiens geschehen konnte. Amerigo Vespucci in seinen Briefen, Vicente Yañez Pinzon, Pigafetta, der Magellan's und Elcano's Begleiter war, haben, wie Andrea Corsali auf der Fahrt nach Cochin in Ostindien, in dem Anfange des 16ten Jahrhunderts die ersten und lebendigsten Anschauungen des südlichen Himmels (jenseits der Füße des Centauren und des herrlichen Sternbildes des Schiffes Argo) geliefert. Amerigo, litterarisch gelehrter, aber auch ruhmrediger als die anderen, preist nicht ohne Anmuth die Lichtfülle, die malerische Gruppirung und den fremdartigen Anblick von Gestirnen, die um den sternarmen Südpol kreisen. Er behauptet in seinem Briefe [328] an Pierfrancesco de' Medici, daß er sich auf seiner dritten Seefahrt sorgfältig mit den südlichen Constellationen beschäftigt, den Polar-Abstand der hauptsächlichsten gemessen und sie gezeichnet habe. Was er davon mittheilt, läßt freilich den Verlust jener Messungen leicht verschmerzen.

Die räthselhaften schwarzen Flecke (Kohlensäcke) finde ich zuerst von Anghiera im Jahr 1510 beschrieben. Sie waren schon 1499 von den Begleitern des Vicente Yañez Pinzon bemerkt worden auf der Expedition, die von Palos auslief und Besitz von dem brasilianischen Cap San Augustin nahm.4 Der Canopo fosco (Canopus niger) des Amerigo ist wahrscheinlich auch einer der coalbags. Der scharfsinnige Acosta vergleicht sie mit dem verfinsterten Theile der Mondscheibe (in partieller Finsterniß) und scheint sie einer Leerheit im Himmelsraume, einer Abwesenheit von Sternen zuzuschreiben. Rigaud hat gezeigt, wie ein berühmter Astronom die Kohlensäcke, von denen Acosta bestimmt sagt, daß sie in Peru (nicht in Europa) sichtbar sind und wie andere Sterne sich um den Südpol bewegen, für die erste Angabe von Sonnenflecken gehalten hat.5 Die Kenntniß der beiden Magellanischen Wolken wird mit Unrecht dem Pigafetta zugeschrieben. Ich finde, daß Anghiera, gestützt auf die Beobachtungen portugiesischer Seefahrer, dieser Wolken schon 8 Jahre vor der Beendigung der Magellanischen Weltumschiffung erwähnt. Er vergleicht ihren milden Glanz mit dem der Milchstraße. Der Scharfsichtigkeit der Araber scheint aber die große Wolke nicht entgangen zu sein. Sie ist sehr wahrscheinlich der weiße Ochse, el Bakar, ihres südlichen Himmels, d. h. der weiße Flecken, von dem der Astronom Abdurrahman Sofi sagt, daß man ihn [329] nicht in Bagdad, nicht im nördlichen Arabien, wohl aber im Tehama und in dem Parallel der Meerenge Bab-el-Mandeb sehen kann. Griechen und Römer sind denselben Weg unter den Lagiden und später gewandert, und haben nichts bemerkt oder wenigstens in auf uns gekommenen Schriften nichts aufgezeichnet über eine Lichtwolke, welche doch unter 11° bis 12° nördlicher Breite zu der Zeit des Ptolemäus sich 3°, zu der des Abdurrahman im Jahr 1000 zu mehr als 4 Graden über den Horizont erhob.6 Jetzt kann die Meridianhöhe der Mitte der Nubecula major bei Aden 5° erreichen. Wenn Seefahrer die Magellanischen Wolken gewöhnlich erst in weit südlicheren Breiten, dem Aequator nahe oder gar südlich von demselben, deutlich erkennen, so liegt der Grund davon wohl in der Beschaffenheit der Atmosphäre und den weißes Licht reflectirenden Dünsten am Horizont. Im südlichen Arabien muß im Innern des Landes die dunkle Bläue des Himmelsgewölbes und die große Trockenheit der Luft das Erkennen der Magellanischen Wolken begünstigen. Beispiele von der Sichtbarkeit von Cometenschweifen am hellen Tage zwischen den Wendekreisen und in sehr südlichen Breiten sprechen dafür.

Die Einreihung der dem antarctischen Pole nahen Gestirne in neue Sternbilder gehört dem 17ten Jahrhundert an. Was die holländischen Seefahrer Petrus Theodori von Emden und Friedrich Houtmann, der (1596–1599) ein Gefangener des Königs von Bantam und Atschin auf Java und Sumatra war, mit unvollkommenen Instrumenten beobachteten, wurde in die Himmelskarten von Hondius, Bleaw (Jansonius Caesius) und Bayer eingetragen.

[330]

Der an zusammengedrängten Nebelflecken und Sternschwärmen so reichen Zone des südlichen Himmels zwischen den Parallelkreisen von 50° und 80° giebt die ungleichmäßigere Vertheilung der Lichtmassen einen eigenthümlichen, man möchte sagen landschaftlichen Charakter, einen Reiz, der aus der Gruppirung der Sterne erster und zweiter Größe und ihrer Trennung durch Regionen hervorgeht, welche dem bloßen Auge verödet und glanzlos erscheinen. Diese sonderbaren Contraste, die mehrfach in ihrem Laufe heller auflodernde Milchstraße, die isolirt kreisenden abgerundeten Magellanischen Lichtwolken und die Kohlensäcke, von denen der größere einer schönen Constellation so nahe liegt, vermehren die Mannigfaltigkeit des Naturbildes; sie fesseln die Aufmerksamkeit empfänglicher Beschauer an einzelne Regionen in der äußersten Hälfte des südlichen Himmelsgewölbes. Eine dieser Regionen ist seit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts durch besondere, zum Theil religiöse Beziehungen sowohl christlichen Seefahrern in den tropischen und südlicheren Meeren wie christlichen Missionaren in beiden Indien wichtig geworden; es ist die des südlichen Kreuzes. Die vier Hauptsterne, welche es bilden, werden im Almagest, also in den Epochen des Hadrian und Antonin des Frommen, den Hinterfüßen des Sternbildes des Centaur7 beigezählt. Es darf fast Wunder nehmen, da die Gestaltung des Kreuzes so auffallend ist und sich merkwürdig absondernd individualisirt, wie in dem großen und kleinen Wagen (den Bären), im Scorpion, in der Cassiopea, im Adler, im Delphin, daß jene vier Sterne nicht früher von dem mächtigen alten Sternbilde des Centaur getrennt worden sind; es muß es um so mehr, als [331] der Perser Kazwini und andere mohammedanische Astronomen aus dem Delphin und Drachen eigene Kreuze mit Mühe zusammensetzten. Ob höfische Schmeichelei alexandrinischer Gelehrten, welche den Canopus in ein Ptolemäon umgewandelt, auch die Gestirne unseres jetzigen südlichen Kreuzes, zur Verherrlichung des Augustus, „an einen, in Italien nie sichtbaren Caesaris thronon"8 geheftet hatte, bleibt ziemlich ungewiß. Zur Zeit des Claudius Ptolemäus erreichte der schöne Stern am Fuß des südlichen Kreuzes bei seinem Durchgang durch den Meridian in Alexandrien noch 6° 10′ Höhe, während er jetzt daselbst mehrere Grade unter dem Horizonte culminirt. Um gegenwärtig (1847) α Crucis in 6° 10′ Höhe zu sehen, müßte man mit Rücksicht auf Strahlenbrechung sich 10° südlich von Alexandrien, in 21° 43′ nördlicher Breite, befinden. Auch die christlichen Einsiedler in der Thebaide können im vierten Jahrhundert das Kreuz noch in 10° Höhe gesehen haben. Ich zweifle indeß, daß von ihnen seine Benennung herrühre; denn Dante in der berühmten Stelle des Purgatorio:

Io mi volsi a man destra, e posi mente

All' altro polo, e vidi quattro stelle

Non viste mai fuor ch' alla prima gente

und Amerigo Vespucci, welcher dieser Stelle in seiner dritten Reise bei dem Anblick des gestirnten südlichen Himmels zuerst gedachte, ja sich rühmte „die vier nur von dem ersten Menschenpaar gesehenen Sterne nun selbst zu schauen", kennen die Benennung des Südkreuzes noch nicht. Amerigo sagt ganz einfach: die vier Sterne bilden eine rhomboidale [332] Figur, una mandorla, und diese Bemerkung ist vom Jahr 1501. Je mehr die Seereisen auf den durch Gama und Magellan eröffneten Wegen sich um das Vorgebirge der guten Hoffnung und durch die Südsee vervielfältigten und christliche Missionare in den neu entdeckten Tropenländern Amerika's vordrangen, desto mehr nahm der Ruf jenes Sternbildes zu. Ich finde es zuerst als ein Wunderkreuz (croce maravigliosa), „herrlicher als alle Constellationen des ganzen Himmels", von dem Florentiner Andrea Corsali (1517), später (1520) auch von Pigafetta genannt. Der belesenere Florentiner rühmt Dante's prophetischen Geist: als hätte der große Dichter nicht eben so viel Erudition wie Schöpfungsgabe besessen, als hätte er nicht arabische Sterngloben gesehen und mit vielen orientalischen Reisenden aus Pisa verkehrt.9 Daß in den spanischen Niederlassungen im tropischen Amerika die ersten Ansiedler sich gern, wie noch jetzt, der verschiedentlich geneigten oder senkrechten Stellung des südlichen Kreuzes als einer Himmelsuhr bedienten, bemerkt schon Acosta in seiner Historia natural y moral de las Indias.10

Durch das Vorrücken der Nachtgleichen verändert sich an jedem Punkte der Erde der Anblick des gestirnten Himmels. Das alte Menschengeschlecht hat im hohen Norden prachtvolle südliche Sternbilder aufsteigen sehen, welche, lange unsichtbar, erst nach Jahrtausenden wiederkehren werden. Canopus war schon zur Zeit des Columbus zu Toledo (Br. 39° 54′) voll 1° 20′ unter dem Horizont; jetzt erhebt er sich noch fast eben so viel über den Horizont von Cadix. Für Berlin und die nördlichen Breiten überhaupt sind die Sterne des südlichen Kreuzes, wie α und β[333] des Centauren, mehr und mehr im Entfernen begriffen, während sich die Magellanischen Wolken unseren Breiten langsam nähern. Canopus ist in dem verflossenen Jahrtausend in seiner größten nördlichen Annäherung gewesen, und geht jetzt, doch überaus langsam wegen seiner Nähe am Südpol der Ekliptik, immer mehr südlich. Das Kreuz fing in 52° ½ nördlicher Breite an unsichtbar zu werden 2900 Jahre vor unserer Zeitrechnung, da dieses Sternbild, nach Galle, sich vorher auf mehr als 10° Höhe hatte erheben können. Als es an dem Horizont unserer baltischen Länder verschwand, stand in Aegypten schon ein halbes Jahrtausend die große Pyramide des Cheops. Das Hirtenvolk der Hyksos machte seinen Einfall 700 Jahre später. Die Vorzeit tritt uns scheinbar näher, wenn man ihr Maaß an denkwürdige Ereignisse knüpft.

Gleichzeitig mit der Erweiterung einer mehr beschaulichen als wissenschaftlichen Kenntniß der Himmelsräume waren die Fortschritte in der nautischen Astronomie, d. h. in der Vervollkommnung der Methoden den Ort des Schiffes (seine geographische Breite und Länge) zu bestimmen. Alles, was in dem Laufe der Zeiten diese Fortschritte der Schifffahrtskunde hat begünstigen können: der Compaß und die sichrere Ergründung der magnetischen Abweichung, die Messung der Geschwindigkeit durch die sorgfältigere Vorrichtung des Logs wie den Gebrauch der Chronometer und Mond-Abstände, die bessere Construction der Fahrzeuge, die Ersetzung der Kräfte des Windes durch eine andere Kraft, vor allem aber die geschickte Anwendung der Astronomie auf die Schiffsrechnung; darf als kräftige Mittel betrachtet werden zur Erschließung der gesammten Erdräume, [334] zur beschleunigten Belebung des Weltverkehrs, zur Ergründung kosmischer Verhältnisse. Diesen Standpunkt auffassend, erinnern wir hier von neuem daran, wie schon in der Mitte des 13ten Jahrhunderts in der Marine der Catalanen und der Insel Majorca „nautische Instrumente üblich waren, um die Zeit durch Sternhöhen zu finden", und wie das von Raymundus Lullus in seiner Arte de Navegar beschriebene Astrolabium fast zweihundert Jahre älter ist als das des Martin Behaim. Die Wichtigkeit der astronomischen Methoden wurde in Portugal so lebhaft anerkannt, daß gegen das Jahr 1484 Behaim zum Präsidenten einer „Junta de Mathematicos" ernannt wurde, welche Tafeln der Declination der Sonne berechnen und, wie Barros sagt11, die Piloten lehren sollte die maneira de navegar per altura do Sol. Von dieser Schifffahrt „nach den Meridian-Höhen der Sonne" wurde damals schon scharf die Schifffahrt por la altura del Este- Oeste12, d. h. durch Längenbestimmungen, unterschieden.

Das Bedürfniß die Lage der päbstlichen Demarcationslinie, und so in dem neu entdeckten Brasilien und den südindischen Inseln die Grenze zwischen dem rechtmäßigen Besitze der portugiesischen und spanischen Krone aufzufinden vermehrte, wie wir schon oben bemerkt, den Drang nach praktischen Längenmethoden. Man fühlte, wie selten die alte unvollkommene hipparchische Methode der Mondfinsternisse anzuwenden sei, und der Gebrauch der Monddistanzen wurde schon 1514 von dem Nürnberger Astronomen Johann Werner, und bald nachher von Orontius Finäus und Gemma Frisius anempfohlen. Leider mußte aber diese Methode lange unanwendbar bleiben, bis, nach den vielen [335] vergeblichen Versuchen mit den Instrumenten von Peter Apianus (Bienewitz) und Alonso de Santa Cruz, durch Newton's Scharfsinn (1700) der Spiegel-Sextant erfunden und durch Hadley (1731) unter die Seefahrer verbreitet wurde.

Der Einfluß der arabischen Astronomen wirkte von Spanien aus auch auf die Fortschritte der nautischen Astronomie. Man versuchte freilich zur Längenbestimmung vieles, das nicht gelang; und die Schuld des Nichtgelingens wurde seltener auf die Unvollkommenheit der Beobachtung als auf Druckfehler in den astronomischen Ephemeriden des Regiomontanus geschoben, deren man sich bediente. Die Portugiesen verdächtigten sogar die Ergebnisse der astronomischen Angaben der Spanier, deren Tafeln aus politischen Gründen verfälscht sein sollten.13 Das auf einmal erwachte Bedürfniß nach den Hülfsmitteln, welche die nautische Astronomie wenigstens theoretisch verhieß, spricht sich besonders lebhaft aus in den Reiseberichten des Columbus, Amerigo Vespucci, Pigafetta und Andres de San Martin, des berühmten Piloten der Magellanischen Expedition, der die Längenmethoden des Ruy Falero besaß. Oppositionen der Planeten, Sternbedeckungen, Höhen-Differenzen zwischen dem Monde und Jupiter, Veränderungen der Declination des Mondes wurden mit mehr oder wenigerem Erfolge versucht. Wir besitzen Conjunctions-Beobachtungen von Columbus in der Nacht des 13 Januar 1493 aus Haiti. Die Nothwendigkeit einen eigenen, wohlunterrichteten Astronomen jeder großen Expedition beizugeben wurde so allgemein gefühlt, daß die Königinn Isabella dem Columbus am 5 Sept. 1493 schreibt: „ob er gleich in seinem Unternehmen [336] bewiesen habe, daß er mehr wisse als irgend ein sterblicher Mensch (que ninguno de los nacidos), so rathe sie ihm doch den Fray Antonio de Marchena, als einen gelehrten und fügsamen Sternkundigen, mit sich zu nehmen". Columbus sagt in der Beschreibung seiner vierten Reise: „Es giebt nur Eine untrügliche Schiffsrechnung, die der Astronomen. Wer diese versteht, kann zufrieden sein. Was sie gewährt, gleicht einer vision profetica.14 Unsere unwissenden Piloten, wenn sie viele Tage die Küste aus den Augen verloren haben, wissen nicht, wo sie sind. Sie würden die Länder nicht wiederfinden, die ich entdeckt. Zum Schiffen gehört Compas y arte, die Bussole und das Wissen, die Kunst der Astronomen."

Ich habe diese charakteristischen Einzelheiten erwähnt, weil sie anschaulicher machen, wie die nautische Sternkunde, das mächtige Werkzeug der Sicherung der Schifffahrt und durch diese Sicherung das Mittel der erleichterten Zugänglichkeit zu allen Erdräumen, in dem hier geschilderten Zeitabschnitt die erste Entwickelung empfing; wie in der allgemeinen Bewegung der Geister früh die Möglichkeit von Methoden erkannt wurde, die erst nach Vervollkommnung der Uhren, der winkelmessenden Instrumente und der Sonnen- und Mondtafeln von ausgebreiteter praktischer Anwendung sein konnten. Wenn der Charakter eines Jahrhunderts „die Offenbarung des menschlichen Geistes in einer bestimmten Zeitepoche" ist, so hat das Jahrhundert des Columbus und der großen nautischen Entdeckungen, indem es auf eine unerwartete Weise die Objecte des Wissens und der Anschauungen vermehrte, auch den folgenden Jahrhunderten einen neuen und höheren Schwung gegeben. Es [337] ist die Eigenthümlichkeit wichtiger Entdeckungen, daß sie zugleich den Kreis der Eroberungen und die Aussicht in das Gebiet, das noch zu erobern übrig bleibt, erweitern. Schwache Geister glauben in jeder Epoche wohlgefällig, daß die Menschheit auf den Culminationspunkt intellectueller Fortschritte gelangt sei; sie vergessen, daß durch die innige Verkettung aller Naturerscheinungen, in dem Maaße als man vorschreitet, das zu durchlaufende Feld eine größere Ausdehnung gewinnt, daß es von einem Gesichtskreise begrenzt ist, der unaufhörlich vor dem Forscher zurückweicht.

Wo hat die Geschichte der Völker eine Epoche aufzuweisen, der gleich, in welcher die folgenreichsten Ereignisse: die Entdeckung und erste Colonisation von Amerika, die Schifffahrt nach Ostindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung und Magellan's erste Erdumseglung, mit der höchsten Blüthe der Kunst, mit dem Erringen geistiger, religiöser Freiheit und der plötzlichen Erweiterung der Erd- und Himmelskunde zusammentrafen? Eine solche Epoche verdankt einen sehr geringen Theil ihrer Größe der Ferne, in der sie uns erscheint, dem Umstand, daß sie ungetrübt von der störenden Wirklichkeit der Gegenwart nur in der geschichtlichen Erinnerung auftritt. Wie in allen irdischen Dingen, ist auch hier des Glückes Glanz mit tiefem Weh verschwistert gewesen. Die Fortschritte des kosmischen Wissens wurden durch alle Gewaltthätigkeiten und Gräuel erkauft, welche die sogenannten civilisirenden Eroberer über den Erdball verbreiten. Es ist aber eine unverständig vermessene Kühnheit, in der unterbrochenen Entwickelungsgeschichte der Menschheit über das Abwägen von Glück und Unglück dogmatisch zu entscheiden. Es geziemt dem Menschen nicht, Weltbegebenheiten [338] zu richten, welche, in dem Schooße der Zeit langsam vorbereitet, nur theilweise dem Jahrhundert zugehören, in das wir sie versetzen.

Die erste Entdeckung des mittleren und südlichen Theils der Vereinigten Staaten von Nordamerika durch die Scandinavier ist fast gleichzeitig mit der Erscheinung und dem geheimnißvollen Auftreten von Manco Capac in dem Hochlande von Peru; sie ist 200 Jahre älter als die Ankunft der Azteken im Thale von Mexico. Die Gründung der Hauptstadt (Tenochtitlan) fällt um volle 325 Jahre später. Hätten diese normännischen Colonisationen langedauernde Folgen gehabt, wären sie von einem mächtigen, politisch einigen Mutterlande genährt und beschützt worden, so würden die vordringenden germanischen Stämme viele unstäte Jägerhorden15 noch da umherziehend gefunden haben, wo die spanischen Eroberer ansässige Ackerbauer fanden.

Die Zeiten der Conquista, das Ende des funfzehnten und den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, bezeichnet ein wundersames Zusammentreffen großer Ereignisse in dem politischen und sittlichen Leben der Völker von Europa. In demselben Monat, in welchem Hernan Cortes nach der Schlacht von Otumba gegen Mexico anzog, um es zu belagern, verbrannte Martin Luther die päbstliche Bulle zu Wittenberg und begründete die Reform, welche dem Geiste Freiheit und Fortschritte auf fast unversuchten Bahnen verhieß.16 Früher noch traten, wie aus ihren Gräbern, die herrlichsten Gebilde der alten hellenischen Kunst hervor: der Laocoon, der Torso, der Apoll von Belvedere und die mediceische Venus. Es blüheten in Italien Michelangelo, Leonardo da Vinci, Titian und Raphael; in unserem [339] deutschen Vaterlande Holbein und Albrecht Dürer. Die Weltordnung war von Copernicus aufgefunden, wenn auch nicht öffentlich verkündigt, in dem Todesjahr von Christoph Columbus, vierzehn Jahre nach der Entdeckung des Neuen Continents.

Die Wichtigkeit dieser Entdeckung und der ersten Ansiedelung der Europäer berührt auch andere Sphären als die, welcher diese Blätter vorzugsweise gewidmet sind; sie gehört jenen intellectuellen und moralischen Wirkungen an, welche die plötzliche Vergrößerung der Gesammtmasse der Ideen auf die Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes ausgeübt hat. Wir erinnern daran, wie seit jenem großen Zeitpunkte ein neues, regsameres Leben des Geistes und der Gefühle, wie muthige Wünsche und schwer enttäuschte Hoffnungen allmälig sämmtliche Classen der bürgerlichen Gesellschaft durchdrungen haben; wie die geringe Bevölkerung einer Hälfte der Erdkugel, besonders an den Europa gegenüberliegenden Küsten, die Niederlassung von Colonien begünstigen konnte, welche ihre Ausdehnung und ihre Lage zu unabhängigen, in der Wahl ihrer freien Regierungsform unbeschränkten Staaten umwandelte; wie endlich die religiöse Reform, ein Vorspiel großer politischer Umwälzungen, die verschiedenen Phasen ihrer Entwickelung unter einem Himmelsstrich durchlaufen mußte, welcher der Zufluchtsort aller Glaubensmeinungen und der verschiedenartigsten Ansichten von göttlichen Dingen geworden war. Die Kühnheit des genuesischen Seefahrers ist das erste Glied in der unermeßlichen Kette dieser verhängnißvollen Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und Ränke17, haben dem Festland von Amerika den Namen des Columbus entzogen. Durch Handelsverkehr [340] und Vervollkommnung der Schifffahrt seit einem halben Jahrhundert Europa näher gebracht, hat der Neue Welttheil einen wichtigen Einfluß auf die politischen Institutionen18, auf die Ideen und Neigungen der Völker ausgeübt, welche in Osten das scheinbar immer enger werdende Thal des atlantischen Oceans begrenzen.


[341]
VII.

Große Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fernrohrs. — Hauptepoche der Sternkunde und Mathematik von Galilei und Kepler bis Newton und Leibnitz. — Gesetze der Planetenbewegung und allgemeine Gravitations-Theorie.

Indem wir uns bestreben die am meisten gesonderten Perioden und Entwickelungsstufen kosmischer Anschauung aufzuzählen, haben wir zuletzt die Periode geschildert, in welcher den Culturvölkern der einen Erdhälfte die andere bekannt geworden ist. Auf das Zeitalter der größten Entdeckungen im Raume an der Oberfläche unsers Planeten folgt unmittelbar die Besitznahme eines beträchtlichen Theils der Himmelsräume durch das Fernrohr. Die Anwendung eines neugeschaffenen Organes, eines Werkzeuges von raumdurchdringender Kraft ruft eine neue Welt von Ideen hervor. Es beginnt ein glänzendes Zeitalter der Astronomie und der Mathematik; für die letztere beginnt die lange Reihe tiefsinniger Forscher, die zu dem „alles umgestaltenden" Leonhard Euler führt, dessen Geburtsjahr (1707) dem Todesjahre von Jacob Bernoulli so nahe liegt.

Wenige Namen können genügen, um an die Riesenschritte zu erinnern, welche der menschliche Geist vorzugsweise in Entwickelung mathematischer Gedanken, durch eigne [342] innere Kraft, nicht durch äußere Begebenheiten angeregt, im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts gemacht hat. Die Gesetze des Falles der Körper und der Planetenbewegung werden erkannt. Der Druck der Luft, die Fortpflanzung des Lichts, seine Brechung und Polarisation werden erforscht. Die mathematische Naturlehre wird geschaffen und auf feste Grundpfeiler gestützt. Die Erfindung der Infinitesimal-Rechnung bezeichnet den Schluß des Jahrhunderts; und dadurch erstarkt, hat die menschliche Intelligenz sich in den folgenden hundert und funfzig Jahren mit Glück an die Lösung von Problemen wagen können, welche die Störungen der Weltkörper, die Polarisation und Interferenz der Lichtwellen, die strahlende Wärme, die electro-magnetischen in sich zurückkehrenden Ströme, die schwingenden Saiten und Flächen, die Capillar-Anziehung enger Röhren, und so viele andere Naturerscheinungen darbieten.

Die Arbeit in der Gedankenwelt geht nun ununterbrochen und sich gegenseitig unterstützend fort. Keiner der früheren Keime wird erstickt. Es nehmen gleichzeitig zu die Fülle des zu verarbeitenden Materials, die Strenge der Methoden und die Vervollkommnung der Werkzeuge. Wir beschränken uns hier hauptsächlich auf das einige siebzehnte Jahrhundert: das Zeitalter von Kepler, Galilei und Bacon, von Tycho, Descartes und Huygens, von Fermat, Newton und Leibnitz. Die Leistungen dieser Männer sind so allgemein bekannt, daß es nur leiser Andeutungen bedarf, um das herauszuheben, wodurch sie in Erweiterung kosmischer Ansichten glänzen.

Wir haben schon früher19 gezeigt, wie dem Auge, dem Organ sinnlicher Weltanschauung, durch die Erfindung des [343] telescopischen Sehens eine Macht verliehen wurde, deren Grenze noch lange nicht erreicht ist, die aber schon in ihrem ersten schwachen Anfange, bei einer kaum 32maligen Linear-Vergrößerung20 der Fernröhre in die bis dahin uneröffneten Tiefen des Weltraums drang. Die genaue Kenntniß vieler Himmelskörper, welche zu unserem Sonnensystem gehören, die ewigen Gesetze, nach denen sie in ihren Bahnen kreisen, die vervollkommnete Einsicht in den wahren Weltbau sind das Charakteristische der Epoche, die wir hier zu schildern versuchen. Was diese Epoche hervorgebracht, bestimmt gleichsam die Hauptumrisse von dem großen Naturbilde des Kosmos; es fügt den neu erkannten Inhalt der Himmelsräume, wenigstens in einer Planetengruppe sinnig geordnet, dem früher durchforschten Inhalt der tellurischen Räume hinzu. Nach allgemeinen Ansichten strebend, begnügen wir uns, hier nur die wichtigsten Objecte der astronomischen Arbeiten des 17ten Jahrhunderts zu nennen. Wir weisen zugleich auf den Einfluß hin, welchen diese auf eine kräftige Anregung zu großen und unerwarteten mathematischen Entdeckungen wie zu der mehr umfassenden, erhabneren Anschauung des Weltganzen ausgeübt haben.

Es ist bereits früher erwähnt worden, wie das Zeitalter von Columbus, Gama und Magellan, das der nautischen Unternehmungen, verhängnißvoll mit großen Ereignissen, mit dem Erwachen religiöser Denkfreiheit, mit der Entwickelung eines edleren Kunstsinnes und der Verbreitung des copernicanischen Weltsystems zusammentraf. Nicolaus Copernicus (in zwei noch vorhandenen Briefen nennt er sich Koppernik) hatte bereits sein 21stes Lebensjahr [344] erreicht und beobachtete mit dem Astronomen Albert Brudzewski zu Krakau, als Columbus Amerika entdeckte. Kaum ein Jahr nach dem Tode des Entdeckers, nach einem sechsjährigen Aufenthalte in Padua, Bologna und Rom, finden wir ihn, wieder in Krakau, mit gänzlicher Umwandlung der astronomischen Weltansicht beschäftigt. Durch die Gunst seines Oheims, des Bischofs von Ermland Lucas Waißelrode von Allen21, 1510 zum Domherrn in Frauenburg ernannt, arbeitete er dort noch drei und dreißig Jahre lang an der Vollendung seines Werkes de Revolutionibus orbium coelestium. Das erste gedruckte Exemplar wurde ihm gebracht, als, an Körper und Geist gelähmt, er sich schon zum Tode bereitete. Er sah es, berührte es auch, aber sein Sinn war nicht mehr auf das Zeitliche gerichtet; er starb nicht, wie Gassendi in dem Leben des Copernicus erzählt, wenige Stunden22, sondern mehrere Tage nachher, am 24 Mai 1543. Zwei Jahre früher war aber schon ein wichtiger Theil seiner Lehre durch den Brief eines seiner eifrigsten Schüler und Anhänger, Joachim Rhäticus, an Johann Schoner, Professor zu Nürnberg, durch den Druck bekannt geworden. Doch ist es nicht die Verbreitung des copernicanischen Systems, die erneuerte Lehre von einer Centralsonne (von der täglichen und jährlichen Bewegung der Erde) gewesen, welche etwas mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen zu den glänzenden Entdeckungen in den Himmelsräumen geführt hat, die den Anfang des 17ten Jahrhunderts bezeichnen. Diese Entdeckungen sind die Folge einer zufällig gemachten Erfindung, des Fernrohrs, gewesen. Sie haben die Lehre des Copernicus vervollkommnet und erweitert. Durch die Resultate [345] der physischen Astronomie (durch das aufgefundene Satelliten-System des Jupiter und die Phasen der Venus) bekräftigt und erweitert, haben die Grundansichten des Copernicus der theoretischen Astronomie Wege vorgezeichnet, die zu sicherem Ziele führen mußten, ja zur Lösung von Problemen anregten, welche die Vervollkommnung des analytischen Calcüls nothwendig machten. So wie Georg Peurbach und Regiomontanus (Johann Müller aus Königsberg in Franken) wohlthätig einwirken auf Copernicus und seine Schüler Rhäticus, Reinhold und Möstlin, so wirken diese, wenn gleich der Zeit nach getrennter, auf die Arbeiten von Kepler, Galilei und Newton. Dies ist die ideelle Verkettung zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert; und man kann die erweiterte astronomische Weltansicht in diesem nicht schildern, ohne die Anregungen zu berühren, welche aus jenem überströmen.

Es ist eine irrige und leider! noch in neuerer Zeit23 sehr verbreitete Meinung, daß Copernicus aus Furchtsamkeit und in der Besorgniß priesterlicher Verfolgung die planetarische Bewegung der Erde und die Stellung der Sonne im Centrum des ganzen Planetensystems als eine bloße Hypothese vorgetragen habe, welche den astronomischen Zweck erfülle die Bahn der Himmelskörper bequem der Rechnung zu unterwerfen, „aber weder wahr, noch auch nur wahrscheinlich zu sein brauche". Allerdings liest man diese seltsamen Worte24 in dem anonymen Vorbericht, mit dem des Copernicus Werk anhebt und der de Hypothesibus hujus operis überschrieben ist; sie enthalten aber Aeußerungen, welche, dem Copernicus ganz fremd, in geradem Widerspruch mit seiner Zueignung an den Pabst Paul III [346] stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander, der mit Schoner den Druck des Buches de Revolutionibus besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen.

Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolphinischen Tafeln „den Mann freien Geistes" nennt; »vir fuit maximo ingenio et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, animo liber.« Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein „absurdes acroama" zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. „Wenn etwa leere Schwätzer (ματαιολόγοι), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja [347] weltbekannt, daß der berühmte Lactantius, den man freilich nicht zu den Mathematikern zählen könne, recht kindisch (pueriliter) von der Gestalt der Erde gesprochen und diejenigen verhöhnt habe, welche sie für kugelförmig halten. Ueber mathematische Gegenstände dürfe man nur für Mathematiker schreiben. Um zu beweisen, daß er, von der Richtigkeit seiner Resultate tief durchdrungen, kein Urtheil zu scheuen habe, wende er sich aus einem fernen Erdwinkel an das Oberhaupt der Kirche, auf daß es ihn vor dem Biß der Verläumder schütze, da die Kirche selbst von seinen Untersuchungen über die Jahreslänge und Mondbewegungen Vortheil ziehen werde." Astrologie und Calender-Verbesserung verschafften der Sternkunde lange allein Schutz bei der weltlichen und geistlichen Macht, wie Chemie und Botanik zuerst nur der Arzneimittellehre dienten.

Die kräftige, aus der innersten Ueberzeugung hervorbrechende, freie Sprache des Copernicus widerlegt hinlänglich die alte Behauptung, er habe das System, das seinen unsterblichen Namen führt, als eine dem rechnenden Astronomen bequeme Hypothese, als eine solche, die wohl auch unbegründet sein könne, vorgetragen. „Durch keine andere Anordnung", sagt er begeistert, „habe ich eine so bewundernswürdige Symmetrie des Universums, eine so harmonische Verbindung der Bahnen finden können, als da ich die Weltleuchte (lucernam mundi), die Sonne, die ganze Familie kreisender Gestirne lenkend (circumagentem gubernans astrorum familiam) wie in die Mitte des schönen Naturtempels auf einen königlichen Thron gesetzt."25 Auch die Idee von der allgemeinen Schwere oder Anziehung (appetentia quaedam naturalis partibus indita) gegen den [348] Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben, wie eine denkwürdige Stelle26 des 9ten Capitels im ersten Buche der Revolutionen beweist.

Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der „tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras, von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der Mond27, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder." Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über „Nachlassung im Umschwunge" habe ich bei Gelegenheit der Aërolithenfälle schon früher gehandelt.28 Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beschränkt.29 Nur der Alexandriner Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles, des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die [349] Erde.30 Was Copernicus ahndete, Kepler aber in seinem herrlichen Werke de Stella Martis deutlicher aussprach, dort selbst31 auf die Ebbe und Fluth des Oceans anwandte, findet man neu belebt und reich befruchtet (1666 und 1674) durch den Scharfsinn des geistreichen Robert Hooke. Nach solchen Vorbereitungen bot Newton's Lehre von der Gravitation das großartige Mittel dar die ganze physische Astronomie in eine Mechanik des Himmels zu verwandeln.32

Copernicus kannte, wie man nicht bloß aus der Zueignung an den Pabst, sondern in mehreren Stellen des Werkes selbst sieht, ziemlich vollständig die Vorstellungen der Alten vom Weltbau. Er nennt indeß aus der vorhipparchischen Zeit nur Hicetas aus Syracus, den er immer als Nicetas aufführt, Philolaus den Pythagoreer, den Timäus des Plato, Ecphantus, Heraclides den Pontiker und den großen Geometer Apollonius von Perga. Von den beiden seinem Systeme am nächsten stehenden Mathematikern, dem Aristarch von Samos und Seleucus dem Babylonier33, erwähnt er den ersteren ohne alle Bezeichnung und den zweiten gar nicht. Man hat oft behauptet, er habe die Meinung des Aristarch von Samos von der Centralsonne und der planetarischen Erde darum nicht gekannt, weil der Arenarius und alle Werke des Archimedes erst ein Jahr nach seinem Tode, ein volles Jahrhundert nach Erfindung der Buchdruckerkunst, erschienen seien; aber man vergißt, daß Copernicus in der Zueignung an den Pabst Paul III eine lange Stelle über Philolaus, Ecphantus und Heraclides vom Pontus aus des Plutarchus Werke über die Meinungen der Philosophen (III, 13) [350] citirt und daß er in demselben (II, 24) hätte lesen können, wie Aristarch von Samos die Sonne den Fixsternen beigezählt habe. Was unter allen Meinungen der Alten den tiefsten Einfluß auf die Richtung und allmälige Entwickelung seiner Ideen ausgeübt haben könnte, sind nach Gassendi's Behauptung eine Stelle in dem encyclopädischen, in halb barbarischer Sprache abgefaßten Werke des Martianus Mineus Capella und das Weltsystem des Apollonius von Perga. Nach der Vorstellungsart des Martianus Mincus aus Madaura, die mit zu großer Zuversicht34 bald den Aegyptern, bald den Chaldäern zugeschrieben wird, ruht die Erde unbeweglich im Mittelpunkte, aber die Sonne wird, als kreisender Planet, von zwei Satelliten (Merkur und Venus) umgeben. Eine solche Ansicht des Weltgebäudes konnte freilich zu der der Centralkräfte der Sonne vorbereiten. Nichts rechtfertigt aber, weder in dem Almagest und überhaupt in den Schriften der Alten, noch in dem Werke des Copernicus de Revolutionibus, die von Gassendi so bestimmt ausgesprochene Behauptung über die vollkommene Aehnlichkeit des tychonischen Systems mit dem, welches man dem Apollonius von Perga zuschreiben will. Von der Verwechselung des copernicanischen Systems mit dem des Pythagoreers Philolaus, in welchem die nicht rotirende Erde (die Antichthon oder Gegenerde ist nicht ein eigener Planet, sondern die entgegengesetzte Halbkugel unseres Planeten) wie die Sonne selbst sich um den Weltheerd, das Centralfeuer, die Lebensflamme des ganzen Planetensystems, bewegt: kann nach Böckh's vollendeten Untersuchungen ferner keine Rede sein.

Die wissenschaftliche Revolution, deren Urheber Nicolaus Copernicus war, hat das seltene Glück gehabt (eine [351] kurze rückschreitende Bewegung der tychonischen Hypothese abgerechnet) ununterbrochen zum Ziele, zur Entdeckung des wahren Weltbaues zu führen. Die reiche Fülle genauer Beobachtungen, welche der eifernde Gegner selbst, Tycho de Brahe, lieferte, begründete die Entdeckung der ewigen Gesetze planetarischer Bewegung, die Kepler's Namen einen unsterblichen Ruhm bereiteten und, von Newton gedeutet, theoretisch als nothwendig erwiesen, in das Lichtreich des Gedankens, eines denkenden Erkennens der Natur, übertragen wurden. Man hat35 mit Scharfsinn, aber vielleicht mit zu schwacher Bezeichnung des freien, selbstständig die Gravitations-Theorie schaffenden Geistes gesagt: „Kepler schrieb ein Gesetzbuch, Newton den Geist der Gesetze".

Die sinnbildlichen dichterischen Mythen pythagorischer und platonischer Weltgemälde, wandelbar36 wie die Phantasie, die sie erzeugt, fanden theilweise noch ihren Reflex in Kepler; sie erwärmten und erheiterten sein oft getrübtes Gemüth, aber sie lenkten nicht ab von der ernsten Bahn, die er verfolgte und an deren Ziel37 er gelangte zwölf Jahre vor seinem Tode in der denkwürdigen Nacht des 15 Mai 1618. Copernicus hatte durch die tägliche Rotation der Erde um ihre Achse eine genügende Erklärung der scheinbaren Umwälzung des Fixsternhimmels und durch die jährliche Bewegung um die Sonne eine eben so vollkommene Auflösung der auffallendsten Bewegungen der Planeten (Stationen und Rückgänge) gegeben und so den wahren Grund der sogenannten zweiten Ungleichheit der Planeten gefunden. Die erste Ungleichheit, die ungleichförmige Bewegung der Planeten in ihren Bahnen, ließ er unerklärt. Getreu dem uralten pythagorischen [352] Principe von der den Kreisbewegungen inwohnenden Vollkommenheit, bedurfte Copernicus noch zu seinem Weltenbau excentrischer, im Mittelpunkt leerer Kreise, auch einiger Epicykeln des Apollonius von Perga. So kühn der Weg war, den man eingeschlagen, so konnte man doch nicht auf einmal sich von allen früheren Ansichten befreien.

Der gleiche Abstand, in welchem die Sterne von einander bleiben, indem das ganze Himmelsgewölbe sich von Osten nach Westen bewegt, hatte zu der Vorstellung eines Firmaments, einer soliden krystallenen Sphäre geführt, an welche sich Anaximenes (vielleicht nicht viel jünger als Pythagoras) die Sterne wie Nägel38 angeheftet dachte. Geminus der Rhodier, gleichzeitig mit Cicero, bezweifelt, daß die Sternbilder in einer Fläche liegen; einige liegen nach ihm höher, andere tiefer. Die Vorstellung vom Fixsternhimmel wurde auf die Planeten übergetragen; und so entstand die Theorie der excentrischen in einander geschachtelten Sphären des Eudoxus, Menächmus und des Aristoteles, der die rückwirkenden Sphären erfand. Die Theorie der Epicykeln, eine Construction, welche sich der Darstellung und Berechnung der planetarischen Bewegungen leichter anpaßte, verdrängte nach einem Jahrhundert durch den Scharfsinn des Apollonius die starren Sphären. Ob man, wie Ideler glaubt, erst nach Errichtung des alexandrinischen Museums angefangen habe „eine freie Bewegung der Planeten im Weltraume für möglich zu halten"; ob man sich allgemein früher sowohl die eingeschachtelten durchsichtigen Sphären (nach Eudoxus 27, nach Aristoteles 55) als die Epicykeln, die Hipparch und Ptolemäus dem Mittelalter überlieferten, nicht als fest, von materieller Dichte, [353] sondern nur als ideelle Anschauungen dachte: darüber enthalte ich mich hier aller historischen Entscheidung, so sehr ich auch der „bloß ideellen Anschauung" zugethan bin. Gewisser ist es, daß in der Mitte des 16ten Jahrhunderts, da die Theorie der 77 homocentrischen Sphären des gelehrten Polyhistors Girolamo Fracastoro Beifall fand und da später die Gegner des Copernicus alle Mittel aufsuchten das ptolemäische System aufrecht zu halten, die, besonders von den Kirchenvätern begünstigte Vorstellung von der Existenz solider Sphären, Kreise und Epicykeln noch weit verbreitet war. Tycho de Brahe rühmt sich ausdrücklich des Verdienstes, durch seine Betrachtungen über die Cometenbahnen zuerst die Unmöglichkeit solider Sphären erwiesen, das künstliche Gerüste derselben zertrümmert zu haben. Er füllte den freien Himmelsraum mit Luft, und glaubte sogar, das widerstehende Mittel könne, von den kreisenden Weltkörpern erschüttert, Töne erzeugen. Diese erneuerte pythagorische Ton-Mythe glaubte der wenig poetische Rothmann widerlegen zu müssen.

Die große Entdeckung Kepler's, daß alle Planeten sich in Ellipsen um die Sonne bewegen und daß die Sonne in dem einen Brennpunkt dieser Ellipsen liegt, hat endlich das ursprüngliche copernicanische System von den excentrischen Kreisen und von allen Epicykeln befreit.39 Der planetarische Weltbau erschien nun objectiv, gleichsam architectonisch, in seiner einfachen Größe; aber das Spiel und der Zusammenhang der inneren, treibenden und erhaltenden Kräfte wurden erst von Isaac Newton enthüllt. Wie man oft schon in der Geschichte der allmäligen Entwickelung des menschlichen Wissens bemerkt hat, daß wichtige, aber scheinbar zufällige Entdeckungen, wie das Auftreten großer Geister [354] sich in einen kurzen Zeitraum zusammendrängen; so sehen wir diese Erscheinung auf die auffallendste Weise in dem ersten Decennium des 17ten Jahrhunderts wiederholt. Tycho, der Gründer der neueren messenden Astronomie, Kepler, Galilei und Bacon von Verulam sind Zeitgenossen. Alle, außer Tycho, haben in reifen Jahren noch die Arbeiten von Descartes und Fermat erlebt. Die Grundzüge von Bacon's Instauratio Magna erschienen in englischer Sprache schon 1605, funfzehn Jahre vor dem Novum Organon. Die Erfindung des Fernrohrs und die größten Entdeckungen der physischen Astronomie (Jupiterstrabanten, Sonnenflecken, Phasen der Venus, Wundergestalt des Saturn) fallen zwischen die Jahre 1609 und 1612. Kepler's Speculationen über die elliptische40 Marsbahn beginnen 1601 und geben Anlaß zu der acht Jahre darauf vollendeten Astronomia nova seu Physica coelestis. „Durch das Studium der Bahn des Planeten Mars", schreibt Kepler, „müssen wir zu den Geheimnissen der Astronomie gelangen oder wir bleiben in derselben auf immer unwissend. Es ist mir durch hartnäckig fortgesetzte Arbeit gelungen die Ungleichheiten der Bewegung des Mars Einem Naturgesetz zu unterwerfen." Die Verallgemeinerung desselben Gedankens hat Kepler zu den großen Wahrheiten und kosmischen Ahndungen geführt, die der phantasiereiche Mann zehn Jahre später in seiner Weltharmonie (Harmonices Mundi libri quinque) dargelegt. „Ich glaube", sagt Kepler schön in einem Briefe an den dänischen Astronomen Longomontanus, „daß Astronomie und Physik so genau mit einander verknüpft sind, daß keine ohne die andere vervollkommnet werden kann." Auch erschienen die Früchte seiner Arbeiten über die Structur [355] des Auges und die Theorie des Sehens 1604 in den Paralipomenen zum Vitellion, die Dioptrik41 selbst schon 1611. So verbreitete sich das Wissen über die wichtigsten Gegenstände der Erscheinungswelt in den himmlischen Räumen wie über die Art, durch Erfindung neuer Organe, diese Gegenstände zu erfassen, in dem kurzen Zeitraume der ersten 10 bis 12 Jahre eines mit Galilei und Kepler anbrechenden, mit Newton und Leibnitz endenden Jahrhunderts.

Die zufällige Erfindung der raumdurchdringenden Kraft der Fernröhre wurde zuerst in Holland, wahrscheinlich schon in den letzten Monaten des Jahres 1608, bekannt. Nach den neuesten archivarischen Untersuchungen42 können Ansprüche auf diese große Erfindung machen: Hans Lippershey, gebürtig aus Wesel, Brillenmacher zu Middelburg; Jacob Adriaansz mit dem Beinamen Metius, der auch Brennspiegel von Eis verfertigt haben soll; und Zacharias Jansen. Der erste wird in dem wichtigen Briefe des holländischen Gesandten Boreel an den Arzt Borelli, Verfasser der Abhandlung de vero telescopii inventore (1655), immer Laprey genannt. Wenn man die Priorität nach den Zeitepochen bestimmen will, in denen den Generalstaaten Anträge gemacht wurden, so gehört dem Hans Lippershey der Vorrang. Er bietet der Regierung drei Instrumente an, „mit denen man in die Ferne sieht", am 2 October 1608. Des Metius Anerbieten ist erst vom 17 October desselben Jahres, aber er sagt ausdrücklich in der Bittschrift: „daß er durch Fleiß und Nachdenken schon seit zwei Jahren solche Instrumente construirt habe". Zacharias Jansen (wie Lippershey Brillenmacher zu Middelburg) [356] erfand in Gemeinschaft mit seinem Vater Hans Jansen gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts (wahrscheinlich nach 1590) das zusammengesetzte Microscop, dessen Ocular ein Zerstreuungsglas ist; aber erst 1610, wie der Gesandte Boreel es bezeugt, das Fernrohr, welches er und seine Freunde zwar auf ferne irdische, aber nicht auf himmlische Gegenstände richteten. Der Einfluß, welchen das Microscop auf die tiefere Kenntniß alles Organischen in Gestaltung und Bewegung der Theile, das Fernrohr auf die plötzliche Erschließung der Welträume ausgeübt haben, ist so unermeßlich gewesen, daß die Geschichte der Entdeckung hier umständlicher berührt werden mußte.

Als die Nachricht von der in Holland gemachten Erfindung des telescopischen Sehens im Mai 1609 sich nach Venedig verbreitete, wo Galilei zufällig anwesend war, errieth dieser das Wesentliche der Construction eines Fernrohrs und brachte sogleich das seinige in Padua zu Stande.43 Er richtete dasselbe zuerst auf die Gebirgslandschaften des Mondes, deren höchste Punkte er zu messen lehrt, während er, wie Leonardo da Vinci und Möstlin, das aschfarbene Licht des Mondes dem von der Erde auf den Mond reflectirten Sonnenlichte zuschrieb; er durchforschte mit schwacher Vergrößerung die Gruppe der Plejaden, den Sternhaufen der Krippe im Krebse, die Milchstraße und die Sterngruppe im Kopf des Orion. Dann folgten schnell hinter einander die großen Entdeckungen der vier Trabanten des Jupiter, der zwei Handhaben des Saturn (seine undeutlich gesehene, nicht erkannte Ringumgebung), der Sonnenflecken und der sichelförmigen Gestalt der Venus.

Die Monde des Jupiter, die ersten aller durch das [357] Fernrohr aufgefundenen Nebenplaneten, wurden, wie es scheint, fast zugleich, und ganz unabhängigerweise, am 29 December 1609 von Simon Marius zu Ansbach und am 7 Januar 1610 von Galilei zu Padua entdeckt. In der Publication dieser Entdeckung kam Galilei durch den Nuncius Sidereus (1610) dem Mundus Jovialis (1614) des Simon Marius zuvor.44 Dieser hatte den Jupiterstrabanten den Namen Sidera Brandenburgica zugedacht; Galilei schlug die Namen Sidera Cosmica oder Medicea vor, von denen in Florenz der letztere am Hofe mehr Beifall fand. Die collectiven Namen genügten aber nicht dem schmeichlerischen Sinne. Statt die Monde, wie wir jetzt thun, durch Zahlen zu bezeichnen, nannte sie Marius: Jo, Europa, Ganymed und Callisto; durch Galilei's Nomenclatur traten an die Stelle dieser mythologischen Wesen die Familiennamen des mediceischen Herrscherhauses: Catharina, Maria, Cosimo der ältere und Cosimo der jüngere.

Die Bekanntschaft mit dem Satelliten-System des Jupiter und die mit den Phasen der Venus haben den wesentlichsten Einfluß auf die Befestigung und Verbreitung des copernicanischen Systemes gehabt. Die kleine Jupiterswelt (Mundus Jovialis) bot dem geistigen Blicke ein vollkommenes Bild des großen Planeten- und Sonnensystems dar. Man erkannte, daß die Nebenplaneten den von Kepler entdeckten Gesetzen gehorchen; am frühesten, daß die Quadrate der Umlaufszeiten sich verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernungen der Satelliten vom Hauptplaneten. Deshalb ruft Kepler, in der Harmonice Mundi, in dem festen Vertrauen und der Sicherheit, welche „einem deutschen Manne" die philosophische Freimüthigkeit einflößt, den Stimm- [358] führenden jenseits der Alpen zu: „achtzig Jahre45 sind verflossen, in denen des Copernicus Lehre von der Bewegung der Erde und von der Ruhe der Sonne ungehindert gelesen wurde, weil man für erlaubt hielt über natürliche Dinge zu disputiren und die Werke Gottes zu beleuchten; und jetzt da neue Documente zum Beweis der Lehre aufgefunden sind, Documente, welche den (geistlichen) Richtern unbekannt waren, wird die Verbreitung des wahren Systems vom Weltbau bei Euch verpönt!" Diese Verpönung, Folge des alten Kampfes der Naturwissenschaft mit der Kirche, hatte schon früh Kepler selbst in dem protestantischen Deutschland erfahren.46

Für die Geschichte der Astronomie, ja für die Schicksale ihrer Begründung47 bezeichnet die Entdeckung der Jupiterstrabanten eine ewig denkwürdige Epoche. Die Verfinsterungen der Trabanten, ihr Eintritt in den Schatten Jupiters haben auf die Geschwindigkeit des Lichts (1675) und durch die Kenntniß dieser Geschwindigkeit zur Erklärung der Aberrations-Ellipse der Fixsterne (1727) geleitet, in der sich gleichsam am Himmelsgewölbe die große Bahn der Erde in ihrem jährlichen Laufe um die Sonne abspiegelt. Man hat diese Entdeckungen Römer's und Bradley's mit Recht „den Schlußstein des copernicanischen Systems", den sinnlichen Beweis von der translatorischen Bewegung der Erde genannt.

Auch die Wichtigkeit, welche die Verfinsterungen der Jupiterstrabanten für die geographischen Längenbestimmungen auf dem festen Lande darbieten, wurde von Galilei früh (Sept. 1612) erkannt. Er schlug diese Längenmethode erst dem spanischen Hofe (1616), später den Generalstaaten [359] von Holland, und zwar für das Seewesen, vor48: wenig bekannt, wie es scheint, mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche die praktische Anwendung der Methode auf dem vielbewegten Elemente findet. Er wollte mit hundert von ihm anzufertigenden Fernröhren selbst nach Spanien gehen oder seinen Sohn Vicenzio dahin schicken. Er verlangt als Belohnung »una Croce di S. Jago« und ein Jahrgehalt von 4000 Scudi; eine geringe Summe, sagt er, da man ihm anfangs im Hause des Cardinals Borgia zu 6000 Ducaten Renten Hoffnung gemacht.

Auf die Entdeckung der Nebenplaneten des Jupiter folgte bald die Beobachtung der sogenannten Dreigestaltung des Saturn, planeta tergeminus. Schon im November 1610 meldete Galilei an Kepler, daß „der Saturn aus drei Sternen bestehe, die sich gegenseitig berühren". In dieser Beobachtung lag der Keim zur Entdeckung des Saturnringes. Hevelius beschrieb (1656) das Veränderliche dieser Gestaltung, die ungleiche Oeffnung der Ansen (Henkel) und ihr zuweilen eintreffendes gänzliches Verschwinden. Das Verdienst alle Erscheinungen des einigen Saturnringes wissenschaftlich erklärt zu haben gehört aber (1655) dem scharfsinnigen Huygens, der nach der mißtrauischen Sitte der Zeit seine Entdeckung, wie Galilei, in ein Anagramm und zwar von 88 Buchstaben einhüllte. Erst Dominicus Cassini sah den schwarzen Streifen am Ringe und erkannte (1684), daß er sich (wenigstens) in zwei concentrische Ringe theile. Ich fasse zusammen, was Ein Jahrhundert über die wunderbarste, ungeahndetste aller Gestaltungen in den himmlischen Räumen gelehrt hat, über eine Gestaltung, die auf scharfsinnige Vermuthungen über [360] die ursprüngliche Bildung von Neben- und Hauptplaneten hat leiten können.

Die Sonnenflecken sind zuerst durch Fernröhre von Johann Fabricius, dem Ostfriesen, und von Galilei (man behauptet, zu Padua oder Venedig) beobachtet worden; in der Veröffentlichung der Entdeckung ist unbestreitbar Fabricius (Junius 1611) dem Galilei (erster Brief an den Bürgermeister Marcus Welser vom 4 Mai 1612) um ein Jahr zuvorgekommen. Die ersten Beobachtungen des Fabricius sind nach Arago's sorgfältiger Untersuchung49 vom März 1611, nach Sir David Brewster sogar von dem Ende des Jahres 1610, wenn Christoph Scheiner die seinigen selbst nur bis April 1611 zurückführt und wahrscheinlich sich erst im October desselben Jahres ernsthaft mit den Sonnenflecken beschäftigte. Ueber Galilei besitzen wir nur sehr dunkle und von einander abweichende Angaben. Wahrscheinlich erkannte er die Sonnenflecken im April 1611; denn er zeigte sie öffentlich zu Rom im Garten des Cardinals Bandini am Quirinal im April und Mai desselben Jahres. Harriot, welchem Baron Zach die Entdeckung der Sonnenflecken (am 16 Januar 1610!) zuschreibt, sah allerdings schon drei derselben den 8 Dec. 1610 und bildete ihre Lage in einem Register der Beobachtungen ab; er wußte aber nicht, daß er Sonnenflecken gesehen, so wenig als Flamstead am 23 Dec. 1690 oder Tobias Mayer am 25 Sept. 1756 den Uranus als Planeten erkannten, als er durch ihr Fernrohr ging. Harriot erkennt die Sonnenflecken erst den 1 Dec. 1611, also 5 Monate nachdem Fabricius die Entdeckung veröffentlicht hatte. Galilei bemerkt schon, daß die Sonnenflecken, „von denen viele größer als das mittelländische [361] Meer, ja als Afrika und Asien sind", eine bestimmte Zone auf der Sonnenscheibe einnehmen. Er sieht bisweilen denselben Flecken wiederkehren; er ist überzeugt, daß sie zu dem Sonnenkörper selbst gehören. Die Unterschiede der Dimensionen im Centrum der Sonne und bei dem Verschwinden am Rande fesseln besonders seine Aufmerksamkeit; doch finde ich in dem merkwürdigen zweiten Briefe an Marcus Welser (vom 14 Aug. 1612) nichts, das sich auf eine beobachtete Ungleichheit des aschfarbenen Randes zu beiden Seiten des schwarzen Kernes am Sonnenrande (Alexander Wilson's schöne Bemerkung von 1773!) deuten ließe. Von dem Canonicus Tarde (1620) und von Malapertus (1633) wurden alle Verdunkelungen der Sonne kleinen um dieselbe circulirenden lichtraubenden Weltkörpern zugeschrieben, den bourbonischen und österreichischen50 Gestirnen (Borbonia und Austriaca Sidera). Fabricius erkannte, wie Galilei, daß die Flecken dem Sonnenkörper51 selbst angehören; auch er sah früher gesehene verschwinden und dann wiederkehren; solche Erscheinungen lehrten ihn die Rotation der Sonne, die Kepler schon vor Entdeckung der Sonnenflecken geahndet hat. Die genauesten Bestimmungen (1630) der Rotationsdauer sind aber von dem fleißigen Scheiner. Wenn in der neuesten Zeit das stärkste Licht, welches die Menschen bisher hervorgebracht, das Drummond'sche Erglühen des Kalkes, auf die Sonnenscheibe projicirt, tintenartig schwarz erschienen ist; so darf es nicht Wunder nehmen, daß Galilei, der zweifelsohne die großen Sonnenfackeln zuerst beschrieben hat, das Licht des Kernes der Sonnenflecken für intensiver hielt als das des Vollmondes oder der Luft nahe um die Sonnenscheibe.52 Phantasien über die [362] mehrfachen Luft-, Wolken- und Lichthüllen, welche den (schwarzen) erdhaften Kern der Sonne umgeben, finden sich schon in den Schriften des Cardinals Nicolaus von Cusa aus der Mitte des 15ten Jahrhunderts.53

Um den Cyclus der bewundernswürdigen Entdeckungen zu schließen, welcher kaum zwei Jahre umfaßt und in welchem des großen, unsterblichen Florentiners Name vorleuchtet, muß ich noch der Lichtgestalten der Venus erwähnen. Schon im Februar 1610 sah Galilei den Planeten sichelförmig, und verbarg (11 Dec. 1610), nach einer Sitte, deren wir bereits oben erwähnt, die wichtige Entdeckung in ein Anagramm, dessen Kepler in der Vorrede zu seiner Dioptrik gedenkt. Auch von der wechselnden Lichtgestalt des Mars glaubt er etwas trotz der schwachen Vergrößerung seiner Fernröhre zu erkennen, wie er in einem Briefe an Benedetto Castelli (30 Dec. 1610) sagt. Die Entdeckung der mondartigen Sichelgestalt der Venus war der Triumph des copernicanischen Systems. Dem Urheber dieses Systems konnte gewiß die Nothwendigkeit der Existenz der Phasen nicht entgehen; er discutirt umständlich in dem 10ten Capitel des ersten Buchs die Zweifel, welche in Hinsicht der Lichtgestalten die neueren Anhänger platonischer Meinungen gegen den ptolemäischen Weltbau erheben. Bei der Entwickelung seines eigenen Systems spricht er sich aber nicht besonders über die Phasen der Venus aus, wie Thomas Smith es in seiner Optik behauptet.

Die Erweiterungen des kosmischen Wissens, deren Schilderung leider! nicht ganz von dem unheimlichen Hader über Prioritätsrecht der Entdeckungen zu trennen ist, fanden, wie alles, was die physische Astronomie berührt, [363] einen um so allgemeineren Anklang, als die Erfindung der Fernröhre (1608) in eine Zeit fiel, in welcher, 36, 8 und 4 Jahre zuvor, große Himmelsbegebenheiten (das plötzliche Erscheinen und Verlöschen dreier neuer Sterne, in der Cassiopea 1572, im Schwan 1600 und am Fuß des Ophiuchus 1604) das Zusammenlaufen von erstaunten Volksmassen erregt hatten. Alle diese Sterne waren heller als Sterne erster Größe, und der von Kepler beobachtete im Schwan blieb 21 Jahre leuchtend am Himmelsgewölbe die ganze Periode der Galilei'schen Entdeckungen hindurch. Drei und ein halbes Jahrhundert sind nun fast verflossen, und kein neuer Stern erster oder zweiter Größe ist seitdem erschienen; denn die merkwürdige Himmelsbegebenheit, deren Zeuge Sir John Herschel (1837) in der südlichen Halbkugel54 war, ist die übergroße Zunahme der Licht-Intensität eines längst gesehenen Sternes zweiter Größe ( η Argo), den man bisher nicht als veränderlich gekannt. Wie mächtig das Erscheinen neuer Sterne zwischen 1572 und 1604 die Neugierde gefesselt, den Antheil an astronomischen Entdeckungen vermehrt, ja zu phantasiereichen Combinationen angeregt hat: lehren Kepler's Schriften, lehrt alles, was wir erfahren, wenn dem bloßen Auge sichtbare Cometen auftreten. Auch irdische Naturbegebenheiten, wie Erdbeben in Gegenden, wo dieselben sehr selten gespürt worden sind, Ausbrüche lang ruhender Vulkane, das Geräusch der Aërolithen, die unsere Atmosphäre durchstreichen und sich in derselben erhitzen: beleben auf eine gewisse Zeit von neuem das Interesse für Probleme, die dem Volke noch ungelöster als den dogmatisirenden Physikern erscheinen.

Wenn ich in diesen Betrachtungen über den Einfluß [364] der unmittelbaren Sinnesanschauung Kepler vorzugsweise genannt habe, so war es, um daran zu erinnern, wie sich in diesem großen, herrlich begabten und wunderbaren Manne jener Hang zu phantasiereichen Combinationen mit einem ausgezeichneten Beobachtungstalente und einer ernsten, strengen Inductionsmethode, mit einer muthigen, fast beispiellosen Beharrlichkeit im Rechnen, mit einem mathematischen Tiefsinne vereinigt fand, der, in der Stereometria doliorum offenbart, auf Fermat und durch diesen auf die Erfindung der Rechnung des Unendlichen einen glücklichen Einfluß ausgeübt hat.55 Ein solcher Geist56 war recht vorzugsweise vor allen dazu geeignet, durch den Reichthum und die Beweglichkeit seiner Ideen, ja durch die Wagnisse cosmologischer Ahndungen Leben um sich her zu verbreiten, die Bewegung zu vermehren, welche das siebzehnte Jahrhundert unaufhaltsam seinem erhabenen Ziele erweiterter Weltanschauung zuführte.

Die vielen dem Auge sichtbaren Cometen von 1577 an bis zu der Erscheinung des Halley'schen Cometen 1607 (acht an der Zahl) und das bereits oben erwähnte Erscheinen von drei neuen Sternen fast in derselben Periode regten zu Speculationen über die Entstehung dieser Weltkörper aus einem die Himmelsräume füllenden kosmischen Nebel und Weltdunste an. Kepler glaubte, wie Tycho, daß die neuen Sterne sich aus diesem Weltdunste zusammengeballt und daß sie sich in ihn wieder auflösen.57 Auch die Cometen, denen er, vor der thatsächlichen Ergründung der elliptischen Bahn der Planeten, eine geradlinige, nicht in sich wiederkehrende und geschlossene Bahn zuschrieb, ließ er (1608) in seinem neuen und seltsamen Discurse [365] über die Haarsterne „aus himmlischer Luft" entstehen. Er setzte sogar nach uralten Phantasien über die mutterlose Erzeugung hinzu: daß Cometen entstehen, „wie aus jeder Erde ein Kraut auch ohne Saamen wachse und wie aus dem Salzwasser Fische durch generatio spontanea erzeugt werden."

Glücklicher in anderen kosmischen Ahndungen, wagte Kepler folgende Sätze aufzustellen: alle Fixsterne sind Sonnen wie die unsrige, von Planetensystemen umgeben; unsere Sonne ist in eine Atmosphäre gehüllt, die sich als eine weiße Lichtkrone in den totalen Sonnenfinsternissen offenbart; unsere Sonne liegt in der großen Welteninsel so, daß sie das Centrum des zusammengedrängten Sternenringes der Milchstraße58 bildet; sie selbst, deren Flecken damals noch nicht entdeckt waren, alle Planeten und alle Fixsterne haben eine Rotation um ihre Achsen; um Saturn (und um Mars) wird man Trabanten, wie die von Galilei um den Jupiter aufgefundenen, entdecken; in dem viel zu großen Abstand59 zwischen Mars und Jupiter, wo wir jetzt 7 Asteroiden kennen, (wie zwischen Venus und Merkur) bewegen sich, ihrer Kleinheit wegen dem bloßen Auge unsichtbare Planeten. Ahndungsvolle Aussprüche dieser Art, ein glückliches Errathen von dem, was großentheils später aufgefunden wurde, erregten ein allgemeines Interesse: während daß keiner von Kepler's Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, der Entdeckung der drei Gesetze mit gerechtem Ruhme erwähnt, welche seit Newton und der Erscheinung der Gravitations-Theorie Kepler's Namen auf ewig verherrlichen60. Kosmische Betrachtungen, selbst die, welche nicht auf Beobachtungen, sondern auf schwache Analogien gegründet sind, [366] fesselten damals, wie oft noch jetzt, die Aufmerksamkeit mehr als die wichtigsten Ergebnisse der rechnenden Astronomie.

Nachdem ich die wichtigen Entdeckungen geschildert, die in einem so kleinen Cyclus von Jahren die Kenntniß der Welträume erweitert haben, muß ich noch der Fortschritte in der physischen Astronomie gedenken, durch welche sich die zweite Hälfte des großen Jahrhunderts auszeichnet. Die Vervollkommnung der Fernröhre veranlaßte die Auffindung der Saturnstrabanten. Huygens entdeckte zuerst (25 März 1655) den sechsten durch ein von ihm selbst geschliffenes Objectiv, 45 Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten. Nach dem Vorurtheil, welches er mit mehreren Astronomen seiner Zeit theilte, daß die Zahl der Nebenplaneten die der Hauptplaneten nicht übertreffen könne61, bemühte er sich nicht andere Saturnsmonde zu entdecken. Vier derselben, Sidera Lodovicea, d. i. den 7ten äußersten, mit großer Lichtabwechselung (1671), den 5ten (1672), den 4ten und 3ten, durch Campani'sche Objective von 100–136 Fuß Focallänge (1684), fand Dominicus Cassini; die zwei innersten, den 1ten und 2ten, mehr als ein Jahrhundert später (1788 und 1789) durch sein Riesentelescop Wilhelm Herschel. Der letztgenannte Saturnmond bietet die merkwürdige Erscheinung eines Umlaufs um den Hauptplaneten von weniger als einem Tage dar.

Bald nach Huygens Entdeckung eines Saturnstrabanten beobachtete Childrey (1658–1661) das Thierkreislicht, dessen räumliche Verhältnisse aber erst Dominicus Cassini (1683) bestimmt hat. Der letztere hielt dasselbe nicht für einen Theil der Sonnen-Atmosphäre, sondern wie Schubert, Laplace und Poisson für einen abgesondert[367] kreisenden Nebelring.62 Nächst der erwiesenen Existenz von Nebenplaneten und von dem freien und dazu concentrisch getheilten Saturnsringe gehört unstreitig die muthmaßliche, wahrscheinliche Existenz des dunstartigen Thierkreisringes zu den großartigsten Erweiterungen der Ansicht des früher so einfach scheinenden Planetensystems. In unseren Tagen haben die in einander geschlungenen Bahnen der kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter, die inneren Cometen, deren ersten Encke als solchen erwiesen, und die an bestimmte Tage geknüpften Sternschnuppenschwärme (wenn man sie anders als kleine mit planetarischer Geschwindigkeit sich bewegende kosmische Massen betrachten darf) jene Weltansichten wie mit neuen Objecten der Betrachtung in wundersamer Mannigfaltigkeit bereichert.

Auch die Ideen über den Inhalt der Welträume jenseits des äußersten Planetenkreises und jenseits aller Cometenbahnen, über die Vertheilung der Materie (des Geschaffenen, wie man das Seiende und Werdende zu nennen pflegt) wurden in dem Zeitalter von Kepler und Galilei großartig erweitert. In derselben Periode, in welcher (1572–1604) drei neue Sterne erster Größe in der Cassiopea, im Schwan und im Schlangenträger aufloderten, bemerkten David Fabricius, Pfarrer zu Ostell in Ostfriesland (Vater des Entdeckers der Sonnenflecken), (1596) und Johann Bayer zu Augsburg (1603) am Halse des Wallfisches einen wieder verschwindenden Stern, dessen veränderlichen Lichtwechsel aber, wie Arago in einer für die Geschichte astronomischer Entdeckungen wichtigen Abhandlung63 gezeigt hat, erst Johann Phocylides Holwarda, Professor in [368] Franeker, (1638 und 1639) erkannt hat. Das Phänomen zeigte sich nicht isolirt. Noch in der letzten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wurden periodisch veränderliche Sterne im Medusenhaupte, in der Wasserschlange und im Schwane entdeckt. Wie genaue Beobachtungen des Lichtwechsels des Algol unmittelbar zur Bestimmung der Geschwindigkeit des Lichts dieses Sternes führen können, ist in der eben angeführten Abhandlung von 1842 mit vielem Scharfsinn gezeigt worden.

Der Gebrauch des Fernrohrs reizte nun auch zu der ernsteren Beobachtung einer Classe von Erscheinungen, von denen einige wenige auch dem unbewaffneten Auge nicht entgehen konnten. Simon Marius beschrieb (1612) den Nebelfleck der Andromeda, Huygens entwarf (1656) das Bild von dem am Schwerdt des Orion. Beide Nebel konnten als Typen dienen von einer verschiedenartig, mehr oder weniger fortgeschrittenen, Verdichtung der dunstförmigen kosmischen Materie. Indem Marius den Nebelfleck der Andromeda mit „einem Kerzenlichte" vergleicht, „das man durch einen halb durchsichtigen Körper betrachtet", bezeichnet er durch diese Vergleichung sehr passend den Unterschied zwischen den Nebelflecken überhaupt und den von Galilei untersuchten Sternhaufen und Sternschwärmen, den Plejaden und der Krippe im Krebse. Schon im Anfange des 16ten Jahrhunderts hatten spanische und portugiesische Seefahrer, ohne den Vortheil des telescopischen Sehens, die beiden Magellanischen um den Südpol kreisenden Lichtwolken bewundert, deren eine, wie schon oben bemerkt, der weiße Fleck oder Ochse des persischen Astronomen Abdurrahman Sufi (aus der Mitte des zehnten Jahrhunderts) [369] ist. Galilei gebraucht im Nuncius Sidereus die Benennungen Stellae nebulosae und Nebulosae eigentlich für Sternschwärme, die (wie er sich ausdrückt) als areolae sparsim per aethera subfulgent. Da er den, dem bloßen Auge sichtbaren, aber für die stärksten Vergrößerungen bisher sternlosen Nebelfleck der Andromeda keiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt hat, so hält er allen Schein des Nebels, alle seine Nebulosae, wie die Milchstraße selbst, für Lichtmassen sehr zusammengedrängter Sterne. Er unterscheidet nicht Nebel und Stern, wie Huygens im Nebelfleck des Orion thut. Das sind die schwachen Anfänge der großen Arbeiten über die Nebelflecke, welche die ersten Astronomen unserer Zeit in beiden Hemisphären rühmlichst beschäftigt haben.

Wenn auch das siebzehnte Jahrhundert in seinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntniß der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an seinem Ende den Fortschritten des reinen mathematischen Wissens durch Newton und Leibnitz seinen Hauptglanz verdankt, so hat doch zugleich auch der größte Theil der physikalischen Probleme, welche uns gegenwärtig beschäftigen, in jenem Jahrhundert eine wohlthätige und befruchtende Pflege erfahren. Um der Geschichte der Weltanschauung nichts von ihrem eigenthümlichen Charakter zu rauben, beschränke ich mich, nur die Arbeiten zu erwähnen, welche unmittelbar einen wesentlichen Einfluß auf allgemeine, d. h. kosmische Naturansichten ausgeübt haben. Für die Processe des Lichts, der Wärme und des Magnetismus nennen wir zuerst Huygens, Galilei und Gilbert. Als Huygens mit der doppelten Brechung des Lichts im isländischen Krystall, d. h. [370] mit der Zerspaltung in zwei Lichtstrahlen, beschäftigt war, entdeckte er (1678) auch die Art der Polarisation des Lichtes, welche seinen Namen führt. Der Entdeckung dieser vereinzelten Erscheinung, welche erst 1690, also fünf Jahre vor seinem Tode, veröffentlicht wurde, sind die großen Entdeckungen von Malus, Arago und Fresnel, von Brewster64 und Biot erst nach mehr als einem Jahrhunderte gefolgt! Malus fand (1808) die Polarisation durch Zurückwerfung von spiegelnden Flächen, Arago (1811) die farbige Polarisation. Eine Wunderwelt mannigfach modificirter, mit neuen Eigenschaften begabter Lichtwellen ward nun eröffnet. Ein Lichtstrahl, der viele Millionen Meilen weit aus den fernsten Himmelsräumen zu unserem Auge gelangt, verkündigt in Arago's Polariscop gleichsam von selbst, ob er reflectirt oder gebrochen sei; ob er von einem festen, oder tropfbar flüssigen, oder gasförmigen Körper emanirt;65 er verkündigt sogar den Grad seiner Intensität. Auf diesem Wege, der uns zu dem siebzehnten Jahrhundert durch Huygens zurückführt, werden wir über die Constitution des Sonnenkörpers und seiner Hüllen, über das reflectirte oder eigene Licht der Cometenschweife und des Thierkreislichtes, über die optischen Eigenschaften unserer Atmosphäre und die Lage von vier neutralen Punkten der Polarisation66 unterrichtet, welche Arago, Babinet und Brewster entdeckt haben. So schafft sich der Mensch Organe, die, mit Scharfsinn angewandt, neue Weltansichten eröffnen.

Neben der Polarisation des Lichtes ist noch der auffallendsten aller optischen Erscheinungen, der Interferenz, zu erwähnen, von welcher ebenfalls im 17ten Jahrhundert schon schwache Spuren ohne Verständniß der ursächlichen [371] Bedingungen67 von Grimaldi (1665) und Hooke beobachtet worden waren. Die Auffindung dieser Bedingungen, die klare Erkenntniß der Gesetze, nach denen (unpolarisirte) Lichtstrahlen sich zerstören und Finsterniß hervorbringen, wenn sie aus einer und derselben Quelle mit verschiedener Länge des Weges kommen, verdankt die neuere Zeit dem glücklichen Scharfblicke von Thomas Young. Die Gesetze der Interferenz des polarisirten Lichtes haben Arago und Fresnel (1816) entdeckt. Die von Huygens und Hooke angeregte, von Leonhard Euler vertheidigte Undulations-Theorie fand endlich festen und sicheren Grund.

War die letzte Hälfte des 17ten Jahrhunderts durch die erlangte Einsicht in die Natur der doppelten Strahlenbrechung für die Erweiterung des optischen Wissens wichtig geworden, so hat sie einen weit höheren Glanz noch durch Newton's Experimental-Arbeiten und durch Olaus Römer's Entdeckung (1675) der meßbaren Geschwindigkeit des Lichts gewonnen. Ein halbes Jahrhundert später (1728) hat diese Entdeckung Bradley in den Stand gesetzt die von ihm aufgefundene Veränderung des scheinbaren Orts der Sterne als eine Folge der Bewegung der Erde in ihrer Bahn verbunden mit der Fortpflanzung des Lichts zu betrachten. Newton's herrliches Werk, seine Optik, erschien (1704) aus persönlichen Gründen erst zwei Jahre nach Hooke's Tode, in englischer Sprache; es wird aber versichert, daß der große Mann schon vor den Jahren 1666 und 1667 im Besitz68 des Hauptsächlichsten seiner optischen Anschauungen, seiner Gravitations-Theorie und der Differential-Rechnung (method of fluxions) gewesen sei.

Um das gemeinsame Band nicht aufzulösen, welches [372] die allgemeinen primitiven Erscheinungen der Materie umschlingt, lassen wir hier auf die aphoristische Erwähnung der optischen Entdeckungen von Huygens, Grimaldi und Newton die Betrachtungen über Erdmagnetismus und Wärme des Luftkreises folgen, in so fern beide Lehren im Laufe des Jahrhunderts begründet worden sind, dessen Schilderung wir hier unternommen haben. Das geistreichste und wichtigste Werk über die magnetischen und electrischen Kräfte, William Gilbert's Physiologia nova de Magnete, erschien in dem Jahre 1600. Ich habe Gelegenheit gehabt desselben schon mehrmals zu gedenken.69 Der von Galilei wegen seines Scharfsinnes so bewunderte Mann70ahndet vieles von dem, was wir jetzt wissen. Er hält Magnetismus und Electricität für zwei Emanationen der einigen aller Materie inwohnenden Grundkraft. Er behandelt daher beide zugleich. Solche dunkle auf Analogien gegründete Ahndungen über die Wirkung des heracleischen Magnetsteins auf das Eisen und die Ziehkraft des, wie Plinius sagt, durch Wärme und Reibung beseelten Amber gegen dürre Spreu gehören allen Zeiten, ja allen Volksstämmen, der ionischen Naturphilosophie wie den chinesischen71 Physikern an. Dem William Gilbert ist die Erde selbst ein Magnet, und die Curven gleicher Abweichung und Neigung hangen in ihren Inflexionen von der Massenvertheilung oder Gestaltung der Continente, von der Form und Ausdehnung der tiefen dazwischen liegenden oceanischen Becken ab. Die periodische Veränderlichkeit, welche die drei Hauptformen der magnetischen Erscheinungen (die isoklinischen, isogonischen und isodynamischen) charakterisirt, ist mit diesem starren System der Kraft- und [373] Massenvertheilung schwer zu vereinigen, wenn man sich nicht die Ziehkraft der materiellen Theile durch ebenfalls periodische Temperatur-Veränderungen im Innern des Erdkörpers modificirt vorstellt.

In Gilbert's Theorie wird bloß, wie bei der Gravitation, die Quantität der materiellen Theile geschätzt, ohne auf die specifische Heterogeneität der Stoffe zu achten. Dieser Umstand hat seinem Werke, zu Galilei's und Kepler's Zeit, einen Charakter kosmischer Größe gegeben. Durch die unerwartete Entdeckung des Rotations-Magnetismus von Arago (1825) ist factisch bewiesen worden, daß alle Arten der Materie des Magnetismus fähig sind; die neuesten Arbeiten von Faraday über die diamagnetischen Substanzen bestätigen, unter besonderen Bedingnissen der Meridian- oder Aequatorial-Richtung, des festen, flüssigen oder gasförmig-unwirksamen Zustandes der Körper, jenes wichtige Resultat. Gilbert hatte einen so klaren Begriff von der Mittheilung der tellurischen Magnetkraft, daß er bereits den magnetischen Zustand von Eisenstangen am Kreuz alter Kirchthürme72 dieser Einwirkung der Erde zuschrieb.

Die zunehmende Thätigkeit der Schifffahrt bis zu den höchsten Breiten und die Vervollkommnung der magnetischen Instrumente, denen sich schon seit 1576 die von Robert Norman aus Ratcliffe construirte Neigungsnadel (das Inclinatorium) beigesellt hatte, verallgemeinerten erst im Lauf des 17ten Jahrhunderts die Kenntniß von dem periodischen Fortschreiten eines Theils der magnetischen Curven, der Linien ohne Abweichung. Die Lage des magnetischen Aequators, den man lange mit dem geogra- [374] phischen identisch glaubte, blieb ununtersucht. Inclinations-Beobachtungen wurden nur in einigen Hauptstädten des westlichen und südlichen Europa angestellt, und die ebenfalls in Raum und Zeit veränderliche Intensität der magnetischen Erdkraft ist zwar von Graham zu London (1723) durch die Oscillationen einer Magnetnadel zu messen versucht worden, aber nach dem resultatlosen Unternehmen von Borda auf seiner letzten Reise nach den canarischen Inseln (1776) ist es erst Lamanon (1785) in La Pérouse's Expedition geglückt die Intensität in verschiedenen Erdzonen mit einander zu vergleichen.

Auf eine große Masse schon vorhandener Declinations-Beobachtungen von sehr ungleichem Werthe (Beobachtungen von Baffin, Hudson, James Hall und Schouten) gestützt, entwarf Edmund Halley 1683 seine Theorie von vier magnetischen Polen oder Convergenzpunkten und von der periodischen Bewegung der magnetischen Linie ohne Abweichung. Um diese Theorie zu prüfen und mit Hülfe neuer und genauerer Beobachtungen zu vervollkommnen, ließ die englische Regierung ihn drei Reisen (1698–1702) in dem atlantischen Ocean auf einem Schiffe machen, das er selbst befehligte. Er gelangte auf einer dieser Seefahrten bis zu 52° südlicher Breite. Dies Unternehmen hat Epoche in der Geschichte des tellurischen Magnetismus gemacht. Eine allgemeine Variations-Carte, in der die Punkte, an welchen die Seefahrer die Abweichung von gleicher Größe gefunden hatten, durch krumme Linien verbunden sind, war die Frucht derselben. Nie vorher, glaube ich, hatte ein Gouvernement eine See-Expedition zu einem Zwecke angeordnet, von dessen Erreichung die praktische Nautik sich [375] zwar viel versprechen durfte, der aber doch recht eigentlich ein wissenschaftlicher, physiko-mathematischer genannt zu werden verdiente.

Da von einem aufmerksamen Forscher keine Erscheinung isolirt ergründet werden kann, ohne in ihrem Verhältniß zu einer anderen betrachtet zu werden, so wagte auch schon Halley, von seinen Reisen zurückgekehrt, die Vermuthung, daß das Nordlicht eine magnetische Erscheinung sei. Ich habe in dem allgemeinen Naturgemälde bemerkt, daß Faraday's glänzende Entdeckung (Lichtentwickelung durch magnetische Kräfte) jene 1714 ausgesprochene Hypothese zu einer empirischen Gewißheit erhoben hat.

Sollen aber die Gesetze des Erdmagnetismus gründlich, d. h. in dem großen Cyclus des periodischen räumlichen Fortschreitens aller drei Arten von magnetischen Curven, erforscht werden, so ist es nicht genug, den täglichen regelmäßigen oder gestörten Gang der Nadel in den magnetischen Stationen zu beobachten, die seit 1828 angefangen haben einen beträchtlichen Theil der Erdoberfläche in nördlichen und südlichen Breiten zu bedecken73; es müßte auch viermal in jedem Jahrhundert eine Expedition von drei Schiffen ausgesandt werden, welche möglichst gleichzeitig den Zustand des Magnetismus der Erde, so weit er sich auf ihrer mit Wasser bedeckten Oberfläche für uns meßbar offenbart, zu untersuchen hätten. Der magnetische Aequator, d. h. die Curve, auf welcher die Neigung null ist, müßte nicht bloß aus der geographischen Ortslänge ihrer Knoten (der Intersection mit dem geographischen Aequator) geschlossen werden; sondern, den Curs des Schiffes nach den Inclinations-Angaben perpetuirlich abändernd, müßte man [376] den dermaligen magnetischen Aequator nie verlassen. Land-Expeditionen wären mit diesem Unternehmen zu verbinden, um da, wo eine Ländermasse nicht ganz durchstrichen werden kann, genau zu bestimmen, an welchen Punkten des Littorals die magnetischen Curven (besonders die Linien ohne Abweichung) eintreten. Eine vorzügliche Aufmerksamkeit möchten in ihrer Bewegung und allmäligen Auflösung zwei isolirte geschlossene Systeme von eiförmiger Gestaltung mit fast concentrischen Abweichungs-Curven, im östlichen Asien und in der Südsee im Meridian der Marquesas-Inselgruppe74, verdienen. Seitdem die ruhmvolle antarctische Expedition von Sir James Clark Roß (1839–1843), mit vortrefflichen Instrumenten ausgerüstet, ein großes Licht über die südliche Erdhälfte bis zum Polar-Abstand verbreitet und empirisch den magnetischen Südpol bestimmt hat; seitdem es dem großen Mathematiker unseres Zeitalters, meinem verehrten Freunde Friedrich Gauß, gelungen ist die erste allgemeine Theorie des Erdmagnetismus aufzustellen: darf man, bei so vielfachem Bedürfniß der Wissenschaft und der Schifffahrt, die Hoffnung nicht aufgeben, daß dieser so oft schon von mir angeregte Plan dereinst ausgeführt werde. Möge das Jahr 1850 als die erste normale Epoche bezeichnet werden können, in der die Materialien zu einer magnetischen Weltkarte gesammelt werden sollen; mögen permanente wissenschaftliche Institute (Akademien) es sich zum Gesetz machen, von 25 zu 25 Jahren ein die Fortschritte der Nautik begünstigendes Gouvernement an die Wichtigkeit des Unternehmens zu erinnern, dessen großer kosmischer Werth an eine lange Wiederholung geknüpft ist!

Die Erfindung wärmemessender Instrumente (Galilei's [377]Thermoscope75 von 1593 und 1602 waren gleichzeitig von den Veränderungen der Temperatur und des äußeren Luftdruckes abhängig) regte zuerst den Gedanken an, durch eine Reihe zusammenhangender Beobachtungen, der Zeitfolge nach, die Modificationen des Luftkreises zu ergründen. Wir erfahren aus dem Diario der Academia del Cimento, welche in der kurzen Dauer ihrer Wirksamkeit einen so glücklichen Einfluß auf die Liebe zu planmäßigem Experimentiren ausgeübt hat, daß mit Alkohol-Thermometern, den unsrigen ähnlich, in vielen Stationen: zu Florenz im Kloster degli Angeli, in den Ebenen der Lombardei und den Gebirgen um Pistoja, ja in der Hochebene von Innsbruck, bereits seit 1641, fünfmal täglich Temperatur-Beobachtungen angestellt wurden.76 Der Großherzog Ferdinand II beauftragte mit dieser Arbeit die Mönche mehrerer Klöster in seinen Staaten.77 Auch die Temperatur der Mineralquellen wurde damals bestimmt: was zu vielen Fragen über die Erd-Temperatur Veranlassung gab. Da alle Naturerscheinungen, alle Veränderungen der irdischen Materie mit Modificationen der Wärme, des Lichtes und der Electricität, der ruhenden oder der in Strömen bewegten, zusammenhangen, zugleich die Phänomene der Wärme, auf Ausdehnung wirkend, der sinnlichen Wahrnehmung am zugänglichsten sind; so mußte, wie ich schon an einem anderen Orte erinnert habe, die Erfindung und Vervollkommnung von Wärmemessern eine große Epoche unter den Fortschritten des allgemeinen Naturwissens bezeichnen. Das Gebiet der Anwendung des Thermometers und der rationellen Folgerungen, die aus seinen Anzeigen gezogen werden können, ist so unermeßlich als das Gebiet [378] der Naturkräfte selbst, welche in dem Luftmeer, auf der Feste oder in den über einander gelagerten Schichten des Oceans, in den unorganischen Stoffen wie in den chemischen Lebensprocessen der organischen walten.

Auch die Wirkungen der strahlenden Wärme sind mehr als ein Jahrhundert vor Scheele's großen Arbeiten, von den florentiner Mitgliedern der Academia del Cimento, durch merkwürdige Versuche mit Hohlspiegeln, gegen welche nicht leuchtende erhitzte Körper und Eismassen bis zu 500 Pfund Gewicht wirklich und scheinbar strahlten, ergründet worden.78 Mariotte am Ende des 17ten Jahrhunderts untersuchte die Verhältnisse der strahlenden Wärme bei ihrem Durchgange durch Glastafeln. Es mußte dieser vereinzelten Experimente hier gedacht werden, da in späterer Zeit die Lehre von der Wärmestrahlung ein großes Licht über Erkaltung des Bodens, die Entstehung des Thaues und viele allgemeine klimatische Modificationen verbreitet, ja durch Melloni's bewundernswürdigen Scharfsinn zu der contrastirenden Diathermanie des Steinsalzes und Alauns geführt hat.

Den Untersuchungen über die nach Maaßgabe der geographischen Breite, der Jahreszeiten und der Erhebung des Bodens veränderte Wärme des Luftkreises gesellten sich bald andere bei über den wechselnden Druck und die Dunstmenge der Atmosphäre, über die so oft beobachtete periodische Folge, d. h. das Drehungsgesetz der Winde. Galilei's richtige Ansichten vom Luftdrucke hatten Torricelli ein Jahr nach dem Tode seines großen Lehrers auf die Construction des Barometers geleitet. Daß die Quecksilbersäule in der Torricelli'schen Röhre minder niedrig am Fuß eines Thurmes oder eines Berges als auf deren Höhe stehe, bemerkte, wie [379] es scheint, zuerst in Pisa Claudio Beriguardi79; und fünf Jahre später in Frankreich, auf Pascal's Aufforderung, des letzteren Schwager Perrier, da er den Puy de Dôme (840 Fuß höher als der Vesuv) bestieg. Die Idee das Barometer zu Höhenmessungen anzuwenden bot sich nun wie von selbst dar; vielleicht ward sie in Pascal durch einen Brief von Descartes80 geweckt. Wie viel das Barometer, als hypsometrisches Werkzeug auf die Bestimmung der partiellen Oberflächengestalt der Erde, als metereologisches Werkzeug (auf Ergründung des Einflusses der Luftströme angewandt) zur Erweiterung der physikalischen Erdbeschreibung und der Witterungslehre beigetragen habe: erheischt hier keine besondere Erörterung. Die Theorie der eben erwähnten Luftströme ist in ihren festen Grundpfeilern ebenfalls vor dem Schluß des 17ten Jahrhunderts erkannt worden. Bacon hat das Verdienst (1664) gehabt, in seiner berühmten Historia naturalis et experimentalis de ventis81 die Richtung der Winde in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur und den Hydrometeoren zu betrachten; aber, die Richtigkeit des copernicanischen Systems unmathematisch läugnend, fabelte er von der Möglichkeit, „daß unsere Atmosphäre sich auf gleiche Weise als der Himmel täglich um die Erde drehen und so den tropischen Ostwind veranlassen könne."

Hooke's allumfassendes Genie verbreitete auch hier wieder Gesetzmäßigkeit und Licht.82 Er erkannte den Einfluß der Rotation der Erde, wie die oberen und unteren Strömungen warmer und kalter Luft vom Aequator zu den Polen und von diesen zum Aequator zurückkehrend. Galilei hatte in seinem letzten Dialogo allerdings auch die Passatwinde [380] als Folge der Rotation der Erde betrachtet; aber das Zurückbleiben der Lufttheile innerhalb der Tropen gegen die Rotations-Geschwindigkeit der Erde schrieb er einer dunstlosen Reinheit der Luft zwischen den Wendekreisen zu.83 Hooke's richtigere Ansicht ist spät erst im 18ten Jahrhundert von Halley wiederum aufgenommen und in Hinsicht auf die Wirkung der jedem Parallelkreise zugehörigen Umdrehungsgeschwindigkeit umständlicher und befriedigend erläutert worden. Halley, durch seinen langen Aufenthalt in der heißen Zone dazu veranlaßt, hatte früher (1686) eine treffliche empirische Arbeit über die geographische Verbreitung der Passate (trade-winds und monsoons) geliefert. Es ist zu verwundern, daß er in seinen magnetischen Expeditionen des für die gesammte Meteorologie so wichtigen Drehungsgesetzes der Winde gar nicht erwähnt, da es doch durch Bacon und Johann Christian Sturm aus Hippolstein (nach Brewster84 den eigentlichen Erfinder des Differential-Thermometers) in allgemeinen Zügen erkannt war.

In dem glänzenden Zeitalter der Gründung einer mathematischen Naturphilosophie fehlte es auch nicht an Versuchen die Luftfeuchtigkeit in ihrem Zusammenhange mit den Veränderungen der Temperatur und der Windesrichtung zu erforschen. Die Academia del Cimento hatte den glücklichen Gedanken die Dampfmenge durch Verdunstung und Niederschlag zu bestimmen. Das älteste florentiner Hygrometer war demnach ein Condensations-Hygrometer, ein Apparat, in welchem die Menge des niedergeschlagenen ablaufenden Wassers durch Abwägen bestimmt wurde.85 Diesem Condensations-Hygrometer, das durch Benutzung der Ideen von Le Roy in unseren Tagen [381] zu den genauen psychrometrischen Methoden von Dalton, Daniell und August allmälig geleitet hat, gesellten sich, schon nach Leonardo's da Vinci Vorgange86, Absorptions-Hygrometer aus Substanzen des Thier- und Pflanzenreiches von Santori (1625), Torricelli (1646) und Molineur bei. Darmsaiten und Grannen von Gräsern wurden fast gleichzeitig angewandt. Solche Instrumente, welche sich auf die Absorption der in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdämpfe durch organische Stoffe gründeten, waren mit Zeigern und kleinen Gegengewichten versehen, der Construction nach den Saussure'schen und Deluc'schen Haar- und Fischbein-Hygrometern sehr ähnlich; aber es fehlte bei den Instrumenten des 17ten Jahrhunderts die zur Vergleichung und zum Verständniß der Resultate so nothwendige und endlich durch Regnault erreichte Bestimmung fester Punkte der Trockenheit und Nässe, minder die Empfindlichkeit bei langer Dauer der angewandten hygrometrischen Substanzen. Pictet87 fand in einem Saussure'schen Hygrometer befriedigend empfindlich das Haar einer Guanschen-Mumie von Teneriffa, die vielleicht an tausend Jahre alt war.

Der electrische Proceß ward als Wirkung einer eigenen, wenn gleich der magnetischen verwandten, Naturkraft von William Gilbert erkannt. Das Buch, in welchem diese Ansicht zuerst ausgesprochen, ja die Worte electrische Kraft, electrische Ausflüsse, electrische Anziehung zuerst88 gebraucht sind, ist die oft genannte im Jahr 1600 erschienene Physiologie vom Magnete und von dem Erdkörper als einem großen Magnet (de magno magnete tellure). „Die Fähigkeit", sagt Gilbert, „gerieben, leichte Stoffe, welcher Natur sie auch seien, anzuziehen ist [382] nicht dem Bernstein allein eigen, der ein verdickter Erdsaft ist, welchen die Meereswogen aufwühlen und in dem fliegende Insecten, Ameisen und Gewürme wie in ewigen Gräbern (aeternis sepulchris) eingekerkert liegen. Die Ziehkraft gehört einer ganzen Classe von sehr verschiedenen Substanzen an: wie Glas, Schwefel, Siegellack und allen Harzen, dem Bergkrystall und allen Edelsteinen, dem Alaun und dem Steinsalze." Die Stärke der erregten Electricität mißt Gilbert an einer nicht eisernen kleinen Nadel, die sich auf einem Stifte frei bewegt (versorium electricum): ganz dem Apparate ähnlich, dessen sich Hauy und Brewster bei Prüfung der Electricität geriebener und erwärmter Mineralien bedienten. „Die Reibung", sagt Gilbert weiter, „bringt stärkere Wirkungen hervor bei trockner als bei feuchter Luft; das Reiben mit seidenen Tüchern ist am vortheilhaftesten befunden. Die Erdkugel wird wie durch eine electrische Kraft(?) zusammengehalten (Globus telluris per se electrice congregatur et cohaeret); denn das electrische Streben geht auf bindende Anhäufung aus (motus electricus est motus coacervationis materiae)." In diesen dunkeln Axiomen liegt ausgedrückt die Ansicht einer tellurischen Electricität, die Aeußerung einer Kraft, welche, wie der Magnetismus, der Materie als solcher angehört. Von Abstoßung, von Unterschied zwischen Isolatoren und Leitern ist noch keine Rede.

Mehr als bloße Anziehungs-Erscheinungen beobachtete zuerst der sinnige Erfinder der Luftpumpe, Otto von Guerike. In seinen Versuchen mit einem geriebenen Schwefelkuchen erkannte er Phänomene der Abstoßung und solche, die später auf die Gesetze der Wirkungskreise und Vertheilung der Electricität geleitet haben. Er hörte das erste Geräusch, [383] sah das erste Licht in selbsthervorgerufener Electricität. In einem Versuche, welchen Newton 1675 anstellte, zeigten sich die ersten Spuren der electrischen Ladung an einer geriebenen Glasplatte.89 Wir haben hier bloß nach den ersten Keimen des electrischen Wissens geforscht, das in seiner großen, sonderbar verspäteten Entwickelung nicht bloß einer der wichtigsten Theile der Meteorologie geworden ist, sondern auch, seitdem man gelernt, daß der Magnetismus eine der vielfachen Formen ist, unter denen die Electricität sich offenbart, so vieles von dem inneren Treiben der Erdkräfte aufgehellt hat.

Wenn gleich schon Wall (1708), Stephan Gray (1734) und Nollet die Identität der Reibungs-Electricität und des Blitzes vermutheten, so wurde die empirische Gewißheit doch erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch die glücklichen Bestrebungen des edeln Benjamin Franklin erlangt. Von dem Zeitpunkte an trat der electrische Proceß aus dem Gebiet der speculativen Physik in das Gebiet kosmischer Naturanschauung, aus dem Studirzimmer in das Freie. Die Lehre von der Electricität hat, wie die Optik und wie der Magnetismus, lange Epochen überaus schwacher Entwickelung gehabt, bis in den eben genannten drei Disciplinen die Arbeiten von Franklin und Volta, Thomas Young und Malus, Oersted und Faraday die Zeitgenossen zu einer bewundernswürdigen Thätigkeit anregten. An solchen Wechsel von Schlummer und plötzlich erweckter Thätigkeit ist der Fortschritt des menschlichen Wissens geknüpft.

Sind aber auch, wie wir eben entwickelt, durch die Erfindung geeigneter, obgleich noch sehr unvollkommener, physikalischer Werkzeuge und durch den Scharfblick von Galilei, Torricelli und der Mitglieder der Academia del [384] Cimento die Temperatur-Verhältnisse, der wechselnde Luftdruck und die Dunstmenge der Atmosphäre ein Gegenstand unmittelbarer Forschung geworden; so ist dagegen alles, was die chemische Zusammensetzung des Luftkreises betrifft, in Dunkel gehüllt geblieben. Allerdings sind die Grundlagen der pneumatischen Chemie durch Johann Baptist van Helmont und Jean Rey in der ersten, durch Hooke, Mayow, Boyle und den dogmatisirenden Becher in der letzten Hälfte des 17ten Jahrhunderts gelegt worden; aber so auffallend auch die richtige Auffassung einzelner und wichtiger Erscheinungen ist, so fehlte doch die Einsicht in ihren Zusammenhang. Der alte Glaube an die elementarische Einfachheit der, auf Verbrennung, Oxydation der Metalle und das Athmen wirkenden Luft war ein schwer zu überwindendes Hinderniß.

Die entzündlichen oder lichtverlöschenden Gasarten in Höhlen und Bergwerken (die spiritus letales des Plinius), das Entweichen dieser Gasarten in Form von Bläschen in Sümpfen und Mineralquellen, also Grubenwetter und Brunnengeister, hatten schon die Aufmerksamkeit des Erfurter Benedictiners Basilius Valentinus (wahrscheinlich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts) und des Libavius (1612), eines Bewunderers des Paracelsus, gefesselt. Man verglich, was man in alchymistischen Laboratorien zufällig bemerkte, mit dem, was man in den großen Werkstätten der Natur, besonders im Inneren der Erde, bereitet sah. Bergbau auf erzführenden Lagerstätten (vorzüglich auf schwefelkieshaltigen, die sich durch Oxydation und Contact-Electricität erwärmen) führte zu Ahndungen über den chemischen Verkehr zwischen Metall, Säure und zutretender äußerer Luft. Schon Paracelsus, dessen Schwärmereien in die Epoche [385] der ersten Eroberung von Amerika fallen, bemerkte die Gas-Entwickelung während der Auflösung von Eisen in Schwefelsäure. Van Helmont, welcher sich zuerst des Wortes Gase bedient hat, unterscheidet dieselben von der atmosphärischen Luft, und wegen ihrer Nicht-Condensirbarkeit auch von den Dämpfen. Die Wolken sind ihm Dämpfe, sie werden zu Gas bei sehr heiterem Himmel „durch Kälte und den Einfluß der Gestirne". Gas kann nur zu Wasser werden, wenn es vorher wiederum in Dampf verwandelt ist. Das sind Ansichten über den meteorologischen Proceß aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Van Helmont kennt noch nicht das einfache Mittel sein Gas sylvestre (unter diesem Namen begriff er alle unentzündbaren, die Flamme und das Athmen nicht unterhaltenden, von der reinen atmosphärischen Luft verschiedenen Gase) aufzufangen und abzusondern; doch ließ er ein Licht unter einem durch Wasser abgesperrten Gefäße brennen, und bemerkte, als die Flamme erlosch, das Eindringen des Wassers und die Abnahme des Luftvolums. Auch durch Gewichtsbestimmungen, die wir schon bei Cardanus finden, suchte van Helmont zu beweisen, daß sich alle feste Theile der Vegetabilien aus Wasser bilden.

Die mittelalterlichen alchymistischen Meinungen von der Zusammensetzung der Metalle, von ihrer glanzzerstörenden Verbrennung (Einäscherung, Vererdung und Verkalkung) unter Zutritt der Luft regten an zu erforschen, was diesen Proceß begleite, welche Veränderung die sich verkalkenden oder vererdenden Metalle und die mit ihnen in Contact tretende Luft erleiden. Schon Cardanus hatte (1553) die Gewichtszunahme bei der Oxydation des [386] Bleies wahrgenommen und sie, ganz im Sinne der Mythe vom Phlogiston, einer entweichenden leichtmachenden „himmlischen Feuermaterie" zugeschrieben; aber erst achtzig Jahre später sprach Jean Rey, ein überaus geschickter Experimentator zu Bergerac, der mit größerer Genauigkeit die Gewichtszunahme der Metallkalke des Bleies, des Zinnes und des Antimons erforscht hatte, das wichtige Resultat aus, die Gewichtszunahme sei dem Zutritt der Luft an den Metallkalk zuzuschreiben. »Je responds et soustiens glorieusement, sagte er90, que ce surcroît de poids vient de l'air qui dans le vase a esté espessi.«

Man war nun auf den Weg gerathen, der zur Chemie unserer Tage und durch sie zur Kenntniß eines großen kosmischen Phänomens, des Verkehrs zwischen dem Sauerstoff der Atmosphäre und dem Pflanzenleben, führen sollte. Die Gedankenverbindung aber, die sich ausgezeichneten Männern darbot, war zunächst von sonderbar complicirter Natur. Gegen das Ende des 17ten Jahrhunderts trat, dunkel bei Hooke in seiner Micrographia (1665), ausgebildeter bei Mayow (1669) und bei Willis (1671), ein Glaube an salpetrige Partikeln (spiritus nitro-aëreus, pabulum nitrosum) auf, welche mit den im Salpeter fixirten identisch, in der Luft enthalten und das Bedingende in den Verbrennungs-Processen sein sollten. „Es wurde behauptet, das Erlöschen der Flamme im geschlossenen Raume finde nicht deshalb statt, weil die vorhandene Luft mit Dämpfen aus dem brennenden Körper übersättigt werde, sondern das Erlöschen sei eine Folge der gänzlichen Absorption des ursprünglich in der Luft enthaltenen salpetrigen spiritus nitroaëreus.« Das plötzliche Beleben der Gluth, wenn schmelzender [387] (Sauerstoffgas ausstoßender) Salpeter auf Kohle gestreuet wird, und das sogenannte Auswittern des Salpeters an Thonwänden im Contact mit der Atmosphäre scheinen diese Meinung gleichzeitig begünstigt zu haben. Die salpetrigen Partikeln der Luft bedingen, nach Mayow, das Athmen der Thiere, dessen Folge die Hervorbringung thierischer Wärme und Entschwärzung des Blutes ist; sie bedingen alle Verbrennungsprocesse und die Verkalkung der Metalle; sie spielen ohngefähr die Rolle des Sauerstoffs in der antiphlogistischen Chemie. Der vorsichtig zweifelnde Robert Boyle erkannte zwar, daß die Anwesenheit eines gewissen Bestandtheils der atmosphärischen Luft zum Verbrennungsprocesse nothwendig sei; aber er blieb ungewiß über die salpetrige Natur desselben.

Der Sauerstoff war für Hooke und Mayow ein ideeller Gegenstand, eine Fiction der Gedankenwelt. Als Gas sah den Sauerstoff zuerst der scharfsinnige Chemiker und Pflanzenphysiolog Hales aus dem Blei, das er zu Mennige verkalkte, bei starker Hitze in großer Menge (1727) entweichen. Er sah das Entweichen, ohne die Natur der Luftart zu untersuchen oder das lebhafte Brennen der Flamme in derselben zu bemerken. Hales ahndete nicht die Wichtigkeit der Substanz, die er bereitet hatte. Die lebhafte Lichtentwickelung brennender Körper im Sauerstoffgas und die Eigenschaften desselben wurden, — wie Viele behaupten, ganz unabhängig91 —, von Priestley (1772–1774), von Scheele (1774 und 1775), und von Lavoisier und Trudaine (1775) entdeckt.

Die Anfänge der pneumatischen Chemie sind in diesen Blättern, ihrem historischen Zusammenhange nach, berührt worden, weil sie, wie die schwachen Anfänge des [388] electrischen Wissens, das vorbereitet haben, was das folgende Jahrhundert an großen Ansichten über die Constitution des Luftkreises und dessen meteorologische Veränderungen hat offenbaren können. Die Idee specifisch verschiedener Gasarten wurde im siebzehnten Jahrhundert denen, welche diese Gasarten erzeugten, nie völlig klar. Man fing wieder an, den Unterschied zwischen der atmosphärischen Luft und den irrespirabeln, lichtverlöschenden oder entzündlichen Gasarten der Einmengung von gewissen Dünsten ausschließlich zuzuschreiben. Black und Cavendish erwiesen erst 1766, daß Kohlensäure (fixe Luft) und Wasserstoffgas (brennbare Luft) specifisch verschiedene luftförmige Flüssigkeiten sind. So lange hatte der uralte Glaube an die elementare Einfachheit des Luftkreises jeden Fortschritt des Wissens gelähmt. Die endliche Ergründung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre (die feinste Bestimmung ihrer quantitativen Verhältnisse durch die schönen Arbeiten von Boussingault und Dumas) ist einer der Glanzpunkte der neueren Meteorologie.

Die hier fragmentarisch geschilderte Erweiterung des physikalischen und chemischen Wissens konnte nicht ohne Einfluß bleiben auf die früheste Ausbildung der Geognosie. Ein großer Theil der geognostischen Fragen, mit deren Lösung sich unser Zeitalter beschäftigt, wurden durch einen Mann von den umfassendsten Kenntnissen, den großen dänischen Anatomen Nicolaus Steno (Stenson), welchen der Großherzog von Toscana Ferdinand II in seine Dienste berief, durch einen anderen (englischen) Arzt, Martin Lister, und den „würdigen Nebenbuhler92 Newton's", Robert Hooke, angeregt. Von Steno's Verdiensten um die Positions- oder Lagerungs- Geognosie habe ich umständlicher in [389] einem anderen Werke93 gehandelt. Allerdings hatten schon Leonardo da Vinci gegen das Ende des 15ten Jahrhunderts (wahrscheinlich indem er in der Lombardei Canäle anlegte, welche Schuttland und Tertiärschichten durchschnitten), Fracastoro (1517) bei Gelegenheit zufällig entblößter fischreicher Gesteinschichten im Monte Bolca bei Verona, und Bernard Palissy bei seinen Nachforschungen über die Springbrunnen (1563) das Dasein einer untergegangenen oceanischen Thierwelt in ihren hinterlassenen Spuren erkannt. Leonardo, wie im Vorgefühl einer philosophischeren Eintheilung thierischer Gestaltung, nennt die Conchylien »animali che hanno l'ossa di fuori«. Steno, in seinem Werke „über das in den Gesteinen Enthaltene" (de Solido intra Solidum naturaliter contento), unterscheidet (1669) „Gesteinschichten (uranfängliche?), die sich früher erhärtet haben, als es Pflanzen und Thiere gab, und daher nie organische Reste enthalten, von Sedimentschichten (turbidi maris sedimenta sibi invicem imposita), welche unter einander abwechseln und jene bedecken. Alle versteinerungshaltigen Niederschlagsschichten waren ursprünglich horizontal gelagert. Ihre Neigung (Fallen) ist entstanden theils durch den Ausbruch unterirdischer Dämpfe, welche die Centralwärme (ignis in medio terrae) erzeugt, theils durch das Nachgeben von schwach unterstützenden unteren Schichten.94 Die Thäler sind die Folge der Umstürzung."

Steno's Theorie der Thalformen ist die von Deluc, während Leonardo da Vinci95, wie Cuvier, die Thäler durch ablaufende Fluthen einfurchen läßt. In der geognostischen Beschaffenheit des Bodens von Toscana erkennt Steno Umwälzungen, die sechs großen Naturepochen [390] zugeschrieben werden müssen (sex sunt distinctae Etruriae facies, ex praesenti facie Etruriae collectae). Sechsmal nämlich ist periodisch das Meer eingebrochen und hat sich, erst nach langem Verbleiben im Innern des Landes, in seine alten Grenzen zurückgezogen. Alle Petrefacte gehören aber nicht dem Meere an; Steno unterscheidet die pelagischen von den Süßwasser-Petrefacten. Scilla (1670) gab Abbildungen von den Versteinerungen von Calabrien und Malta. Unter den letzteren hat unser großer Zergliederer und Zoologe Johannes Müller die älteste Abbildung der Zähne des riesenhaften Hydrarchus (Zeuglodon cetoides von Owen) von Alabama, eines Säugethiers aus der großen Ordnung der Cetaceen, entdeckt:96 Zähne, deren Krone wie bei den Seehunden gestaltet ist.

Lister stellte schon (1678) die wichtige Behauptung auf, daß jede Gebirgsart durch eigene Fossilien charakterisirt ist und daß „die Arten von Murex, Tellina und Trochus, welche in den Steinbrüchen von Northamptonshire vorkommen, zwar denen der heutigen Meere ähnlich, aber, genauer untersucht, von diesen verschieden gefunden werden." Es seien, sagt er, specifisch andere.97 Die strengen Beweise von der Richtigkeit so großartiger Ahndungen konnten freilich, bei dem unvollkommenen Zustande der beschreibenden Morphologie, nicht gegeben werden. Wir bezeichnen ein früh aufdämmerndes, bald wieder ersticktes Licht vor den herrlichen paläontologischen Arbeiten von Cuvier und Alexander Brongniart, welche der Geognosie der Sediment-Formationen eine neue Gestaltung gegeben haben.98 Lister, aufmerksam auf die regelmäßige Reihenfolge der Schichten in England, fühlte zuerst das Bedürfniß geognostischer Carten. Wenn [391] gleich diese Erscheinungen und ihr Zusammenhang mit alten Ueberfluthungen (einer einmaligen oder mehrfachen) das Interesse fesselten und, Glauben und Wissen mit einander vermengend, die sogenannten Systeme von Ray, Woodward, Burnet und Whiston in England erzeugten; so blieb doch, bei gänzlichem Mangel mineralogischer Unterscheidung in den Bestandtheilen zusammengesetzter Gebirgsarten, alles, was das krystallinische und massige Eruptionsgestein und seine Umwandlung betrifft, unbearbeitet. Trotz der Annahme einer Centralwärme des Erdkörpers wurden Erdbeben, heiße Quellen und vulkanische Ausbrüche nicht als Folgen der Reaction des Planeten gegen seine äußere Rinde angesehen, sondern kleinlichen Localursachen, z. B. der Selbstentzündung von Schwefelkies-Lagern, zugeschrieben. Spielende Versuche von Lemery (1700) sind leider! von langdauerndem Einfluß auf vulkanische Theorien geblieben, wenn gleich die letzteren durch die phantasiereiche Protogaea von Leibnitz (1680) zu allgemeineren Ansichten hätten erhoben werden können.

Die Protogaea, bisweilen dichterischer als die vielen jetzt eben bekannt gewordenen metrischen Versuche desselben Philosophen99, lehrt „die Verschlackung der cavernösen, glühenden, einst selbstständig leuchtenden Erdrinde; die allmälige Abkühlung der in Dämpfe gehüllten wärmestrahlenden Oberfläche; den Niederschlag und die Verdichtung der allmälig erkalteten Dampf-Atmosphäre zu Wasser; das Sinken des Meeresspiegels durch Eindringen der Wasser in die inneren Erdhöhlen; endlich den Einsturz dieser Höhlen, welche das Fallen der Schichten (ihre Neigung gegen den Horizont) veranlaßt." Der physische Theil dieses wilden Phantasiebildes bietet einige Züge dar, welche den Anhängern [392] der neuen, nach allen Richtungen mehr ausgebildeten Geognosie nicht verwerflich scheinen werden. Dahin gehören die Bewegung der Wärme im Inneren des Erdkörpers und die Abkühlung mittelst der Ausstrahlung durch die Oberfläche; die Existenz einer Dampf-Atmosphäre; der Druck, welchen diese Dämpfe während der Consolidirung der Schichten auf letztere ausüben, der doppelte Ursprung der Massen, als geschmolzen und erstarrt oder aus den Gewässern niedergeschlagen. Von dem typischen Charakter und dem mineralogischen Unterschiede der Gebirgsarten, d. h. der in den entferntesten Gegenden wiederkehrenden Associationen gewisser, meist krystallisirter Substanzen, ist in der Protogaea so wenig die Rede wie in Hooke's geognostischen Ansichten. Auch bei diesem haben die physischen Speculationen über die Wirkung unterirdischer Kräfte im Erdbeben, in der plötzlichen Hebung des Meeresbodens und der Küstenländer, in der Entstehung von Inseln und Bergen die Oberhand. Die Natur der organischen Ueberreste der Vorwelt leitete ihn sogar auf die Vermuthung, daß die gemäßigte Zone früher die Wärme des tropischen Klima's müsse genossen haben.

Es bleibt noch übrig, der größten aller geognostischen Erscheinungen zu gedenken, der mathematischen Gestalt der Erde, in welcher die Zustände der Urzeit sich erkennbar abspiegeln, die Flüssigkeit der rotirenden Masse und ihre Erhärtung als Erdsphäroid. In seinen Hauptzügen, freilich nicht genau in den numerischen Angaben des Verhältnisses zwischen der Polar- und Aequatorial-Axe, wurde das Bild der Erdgestaltung am Ende des 17ten Jahrhunderts entworfen. Picard's Gradmessung, mit von ihm selbst vervollkommneten Meßinstrumenten (1670) ausgeführt, ist um so wichtiger gewesen, als sie zuerst Newton veranlaßte seine schon [393] 1666 aufgefundene und später vernachlässigte Gravitations-Theorie wiederum mit erneuertem Eifer aufzunehmen, weil sie dem tiefsinnigen und glücklichen Forscher die Mittel zu beweisen darbot, wie die Anziehung der Erde den, durch die Schwungkraft umgetriebenen Mond in seiner Bahn erhalte. Die viel früher100 erkannte Abplattung des Jupiter hatte, wie man glaubt, Newton angeregt über die Ursach einer solchen von der Sphäricität abweichenden Erscheinung nachzudenken. Den Versuchen über die wahre Länge des Secundenpendels zu Cayenne von Richer (1673) und an der westlichen afrikanischen Küste von Varin waren andere1, weniger entscheidende zu London, Lyon und Bologna in 7° Breiten-Unterschied vorhergegangen. Die Abnahme der Schwere vom Pol zum Aequator, die lange noch selbst Picard geläugnet, wurde nun allgemein angenommen. Newton erkannte die Polar-Abplattung der Erde und ihre sphäroidische Gestalt als eine Folge der Rotation; er wagte sogar unter der Voraussetzung einer homogenen Masse das Maaß dieser Erd-Abplattung numerisch zu bestimmen. Es blieb den verglichenen Gradmessungen des 18ten und 19ten Jahrhunderts unter dem Aequator, dem Nordpol nahe und in den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln, der südlichen und nördlichen, vorbehalten, dieses Maaß der mittleren Abplattung und so die wahre Figur der Erde genau zu erörtern. Die Existenz der Abplattung selbst verkündigt, wie schon in dem Naturgemälde bemerkt2 worden ist, was man die älteste aller geognostischen Begebenheiten nennen kann: den Zustand der allgemeinen Flüssigkeit eines Planeten, seine frühere und spätere Erhärtung.

Wir haben die Schilderung des großen Zeitalters von [394] Galilei und Kepler, Newton und Leibnitz mit den Entdeckungen in den Himmelsräumen durch das neuerfundene Fernrohr begonnen. Wir endigen mit der Erdgestaltung, wie sie aus theoretischen Schlüssen erkannt worden ist. „Newton erhob sich zu der Erklärung des Weltsystems, weil es ihm glückte die Kraft zu finden3, von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze die nothwendige Folge sind, und welche den Erscheinungen entsprechen mußte, indem diese Gesetze ihnen entsprachen und sie vorherverkündigten." Die Auffindung einer solchen Kraft, deren Dasein Newton in seinem unsterblichen Werke der Principien (einer allgemeinen Naturlehre) entwickelt hat, ist fast gleichzeitig gewesen mit den durch die Infinitesimal-Rechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen. Die Geistesarbeit zeigt sich in ihrer erhabensten Größe da, wo sie, statt äußerer materieller Mittel zu bedürfen, ihren Glanz allein von dem erhält, was der mathematischen Gedankenentwickelung, der reinen Abstraction entquillt. Es wohnet inne ein fesselnder, von dem ganzen Alterthum gefeierter Zauber4 in der Anschauung mathematischer Wahrheiten, der ewigen Verhältnisse der Zeit und des Raumes, wie sie sich in Tönen und Zahlen und Linien offenbaren. Die Vervollkommnung eines geistigen Werkzeuges der Forschung, der Analysis, hat die gegenseitige Befruchtung der Ideen, welche eben so wichtig als der Reichthum ihrer Erzeugung ist, mächtig befördert. Sie hat der physischen Weltanschauung in ihrer irdischen und himmlischen Sphäre (in den periodischen Schwankungen der Oberfläche des Weltmeeres, wie in den wechselnden Störungen der Planeten) neue Gebiete von ungemessenem Umfange eröffnet.


[395]
VIII.

Rückblick auf die Reihenfolge der durchlaufenen Perioden. — Einfluß äußerer Ereignisse auf die sich entwickelnde Erkenntniß des Weltganzen. — Vielseitigkeit und innigere Verkettung der wissenschaftlichen Bestrebungen in der neuesten Zeit. — Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt allmälig mit der Geschichte des Kosmos zusammen.

Ich nähere mich dem Ende eines vielgewagten, inhaltschweren Unternehmens. Mehr als zwei Jahrtausende sind durchlaufen worden, von den frühen Zuständen der Cultur unter den Völkern, die das Becken des Mittelmeeres und die fruchtbaren Stromgebiete des westlichen Asiens umwohnten, bis zu dem Anfange des letztverflossenen Jahrhunderts, also bis zu einer Zeit, in der Ansichten und Gefühle sich schon mit den unsrigen verschmelzen. Ich habe in sieben scharf von einander geschiedenen Abtheilungen, gleichsam in der Reihenfolge von eben so viel einzelnen Gemälden, die Geschichte der physischen Weltanschauung, d. h. die Geschichte der sich allmälig entwickelnden Erkenntniß des Weltganzen, darzustellen geglaubt. Ob es einigermaßen gelungen ist die Masse des angehäuften Stoffes zu beherrschen, den Charakter der Hauptepochen aufzufassen, die Wege zu bezeichnen, auf denen Ideen und Gesittung zugeführt worden sind: darf, in gerechtem Mißtrauen der ihm übrig gebliebenen Kräfte, der nicht entscheiden, dem mit Klarheit nur in [396] allgemeinen Zügen der Entwurf zu einem so großen Unternehmen vor der Seele schwebte.

Ich habe bereits in dem Eingange zu der arabischen Epoche, als ich den mächtigen Einfluß zu schildern begann, den ein der europäischen Civilisation eingemischtes fremdartiges Element ausgeübt, die Grenze angegeben, über welche hinaus die Geschichte des Kosmos mit der der physischen Wissenschaften zusammenfällt. Die geschichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Naturwissens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, ist nach meiner Ansicht an bestimmte Perioden, an gewisse räumlich und intellectuell wirkende Ereignisse gebunden, die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereignisse waren die Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenseits des Phasis ein anderes Seeufer ahnden ließen; die Expeditionen nach tropischen Gold- und Weihrauchländern; die Durchschiffung der westlichen Meerenge, oder Eröffnung der großen maritimen Völkerstraße, auf der in langen Zeitabständen Cerne und die Hesperiden, die nördlichen Zinn- und Bernsteininseln, die vulkanischen Azoren und der Neue Continent des Columbus, südlich von den alten scandinavischen Ansiedelungen, entdeckt wurden. Auf die Bewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichsten Ende des nahen arabischen Meerbusens ausgingen, auf die Pontus- und Ophirfahrten, folgen in meiner historischen Schilderung die Heerzüge des Macedoniers und sein Versuch den Westen mit dem Osten zu verschmelzen; die Wirkungen des indischen Seehandels und der alexandrinischen Institute unter den Lagiden; die Weltherrschaft der Römer unter den Cäsaren; der folgenreiche Hang der Araber [397] zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu astronomischem, mathematischem und praktisch-chemischem Wissen. Mit der Besitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhüllt lag, mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je den Menschen geglückt, ist für mich die Reihe der Ereignisse und Begebenheiten geschlossen, die plötzlich den Horizont der Ideen erweitert, zum Erforschen von physischen Gesetzen angeregt, das Streben nach dem endlichen Erfassen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortan, wie wir schon oben angedeutet, Großes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innerer Kraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor.

Unter den Werkzeugen, gleichsam neuen Organen, die der Mensch sich geschaffen und welche das sinnliche Wahrnehmungsvermögen erhöhen, hat eines jedoch wie ein plötzliches Ereigniß gewirkt. Durch die raumdurchdringende Eigenschaft des Fernrohrs wird, fast wie auf einmal, ein beträchtlicher Theil des Himmels erforscht, die Zahl der erkannten Weltkörper vermehrt, ihre Gestaltung und Bahn zu bestimmen versucht. Die Menschheit gelangt jetzt erst in den Besitz der „himmlischen Sphäre" des Kosmos. Ein siebenter Abschnitt der Geschichte der Weltanschauung konnte auf die Wichtigkeit dieser Besitznahme und auf die Einheit der Bestrebungen gegründet werden, welche der Gebrauch des Fernrohrs hervorrief. Vergleichen wir mit der Erfindung dieses optischen Werkzeuges eine andere große Erfindung und zwar der neueren Zeit, die der Volta'schen Säule, wie den Einfluß, den dieselbe auf die scharfsinnige electro-chemische Theorie, auf die Darstellung der Alkali- und Erdmetalle und auf die [398] lange ersehnte Entdeckung des Electro-Magnetismus ausgeübt; so gelangen wir an eine Verkettung nach Willkühr hervorzurufender Erscheinungen, die nach vielen Seiten tief in die Erkenntniß des Waltens der Naturkräfte eingreift, aber mehr einen Abschnitt in der Geschichte der physischen Disciplinen als unmittelbar in der Geschichte der kosmischen Anschauungen bildet. Eben diese vielseitige Verknüpfung alles jetzigen Wissens erschwert die Absonderung und Umgrenzung des Einzelnen. Den Electro-Magnetismus haben wir ja neuerlichst selbst auf die Richtung des polarisirten Lichtstrahls wirken sehen, Modificationen hervorbringend wie chemische Mischungen. Wo durch die Geistesarbeit des Jahrhunderts alles im Werden begriffen scheint, ist es eben so gefahrvoll, in den intellectuellen Proceß einzugreifen und das unaufhaltsam Fortschreitende wie am Ziele angelangt zu schildern als, bei dem Bewußtsein eigener Beschränktheit sich über die relative Wichtigkeit ruhmvoller Bestrebungen der Mitlebenden oder Nächsthingeschiedenen auszusprechen.

In den historischen Betrachtungen habe ich fast überall bei Angabe der frühen Keime des Naturwissens den Grad der Entwickelung bezeichnet, zu dem sie in der neuesten Zeit gelangt sind. Der dritte und letzte Theil meines Werkes liefert zur Erläuterung des allgemeinen Naturgemäldes die Ergebnisse der Beobachtung, auf welche der jetzige Zustand wissenschaftlicher Meinungen hauptsächlich gegründet ist. Vieles, das man nach anderen Ansichten der Composition eines Buches von der Natur, als die meinigen sind, hier vermissen kann, wird dort seinen Platz finden. Durch den Glanz neuer Entdeckungen angeregt, [399] mit Hoffnungen genährt, deren Täuschung oft spät erst eintritt, wähnt jedes Zeitalter dem Culminationspunkte im Erkennen und Verstehen der Natur nahe gelangt zu sein. Ich bezweifle, daß bei ernstem Nachdenken ein solcher Glaube den Genuß der Gegenwart wahrhaft erhöhe. Belebender und der Idee von der großen Bestimmung unseres Geschlechtes angemessener ist die Ueberzeugung, daß der eroberte Besitz nur ein sehr unbeträchtlicher Theil von dem ist, was bei fortschreitender Thätigkeit und gemeinsamer Ausbildung die freie Menschheit in den kommenden Jahrhunderten erringen wird. Jedes Erforschte ist nur eine Stufe zu etwas Höherem in dem verhängnißvollen Laufe der Dinge.

Was die Fortschritte der Erkenntniß in dem neunzehnten Jahrhundert besonders befördert und den Hauptcharakter der Zeit gebildet hat, ist das allgemeine und erfolgreiche Bemühen den Blick nicht auf das Neu-Errungene zu beschränken, sondern alles früher Berührte nach Maaß und Gewicht streng zu prüfen, das bloß aus Analogien Geschlossene von dem Gewissen zu sondern, und so einer und derselben strengen kritischen Methode alle Theile des Wissens, physikalische Astronomie, Studium der irdischen Naturkräfte, Geologie und Alterthumskunde zu unterwerfen. Die Allgemeinheit eines solchen kritischen Verfahrens hat besonders dazu beigetragen die jedesmaligen Grenzen der einzelnen Wissenschaften kenntlich zu machen, ja die Schwäche gewisser Disciplinen aufzudecken, in denen unbegründete Meinungen als Thatsachen, symbolisirende Mythen unter alten Firmen als ernste Theorien auftreten. Unbestimmtheit der Sprache, Uebertragung der Nomenclatur aus einer Wissenschaft in die andere haben zu irrigen Ansichten, zu täuschenden [400] Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten kryptogamischen Cormophyten (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Thallophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des Thierreichs5 zu finden glaubte.

Wenn die Kunst innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen.

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Appendix A Inhalts-Uebersicht
der
Bände I. und II. des Kosmos.



Appendix A.1 Band I.


Vorrede S. V–XVI.

Einleitende Betrachtungen über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses und die wissenschaftliche Ergründung der Weltgesetze S. 5–40.

Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen als Zweck aller Naturforschung. — Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit. — Verschiedenheit der Stufen des Naturgenusses. — Wirkung des Eintritts in das Freie; Genuß ohne Einsicht in das Wirken der Naturkräfte, ohne Eindruck von dem individuellen Charakter einer Gegend. — Wirkung der physiognomischen Gestaltung der Oberfläche oder des Charakters der Vegetation. Erinnerung an die Waldthäler der Cordilleren und an den Vulkan von Teneriffa. Vorzüge der Gebirgsgegend dem Aequator nahe, wo im engsten Raume die Mannigfaltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht, wo es dem Menschen gegeben ist alle Gestirne des Himmels und alle Gestalten der Pflanzen gleichzeitig zu sehen S. 5–14. — Trieb nach Aufsuchung der Ursachen physischer Erscheinungen. — Irrige Ansichten über das Wesen der Naturkräfte, durch Unvollständigkeit der Beobachtung oder der Induction erzeugt. — Rohe Anhäufung physischer Dogmen, die ein Jahrhundert dem anderen aufdringt. Verbreitung derselben unter die höheren Volksclassen. Neben der wissenschaftlichen Physik besteht eine andere, ein tief eingewurzeltes System ungeprüfter mißverstandener Erfahrungssätze. — Aufsuchung von Naturgesetzen. Besorgniß, daß die Natur bei dem Forschen in das innere Wesen der Kräfte von ihrem geheimnißvollen Zauber verliert, daß der Naturgenuß durch das Naturwissen nothwendig geschwächt werde. Vorzüge der generellen Ansichten, die der Wissenschaft einen erhabenen und ernsten Charakter verleihen. Mögliche Trennung des Allgemeinen von dem Besonderen. Beispiele [522] aus der Astronomie, den neuen optischen Entdeckungen, der physischen Erdkunde und der Geographie der Pflanzen. Zugänglichkeit des Studiums der physischen Weltbeschreibung. S. 15–35. — Mißverstandenes populäres Wissen und Verwechselung einer Weltbeschreibung mit einer Encyclopädie der Naturwissenschaften. Nothwendigkeit der gleichzeitigen Würdigung aller Theile des Naturstudiums. Einfluß dieses Studiums auf den Nationalreichthum und den Wohlstand der Völker; doch ist sein erster und eigentlicher Zweck ein innerer, der der erhöhten geistigen Thätigkeit. Form der Behandlung in Vortrag und Darstellung; Wechselverkehr zwischen Gedanken und Sprache. S. 36–40.

In den Anmerkungen S. 41–48 (No. 1–18): Vergleichende hypsometrische Angaben, Bergmessungen des Dhawalagiri, Jawahir, Chimborazo, Aetna nach Sir John Herschel, der schweizer Alpen u. s. w. (S. 41.) — Seltenheit der Palmen und Farn im Himalaya (S. 42). Europäische Pflanzenformen in den indischen Gebirgen (S. 43). — Nördliche und südliche Grenze des ewigen Schnees am Himalaya; Einfluß der Hochebene von Tübet (S. 44–47). — Fische der Vorwelt (S. 48).

Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung einer physischen Weltbeschreibung S. 49–72.

Inhalt der Lehre vom Kosmos oder der physischen Weltbeschreibung. Sonderung von anderen, verwandten Disciplinen. S. 49–56. — Der uranologische Theil des Kosmos ist einfacher als der tellurische; die Ausschließung von allem Wahrnehmbaren der Stoff-Verschiedenheit vereinfacht die Mechanik des Himmels. — Ursprung des Wortes Kosmos, Schmuck und Weltordnung. Das Seiende ist im Begreifen der Natur nicht absolut vom Werden zu trennen. Weltgeschichte und Weltbeschreibung. S. 57–64. — Versuche die Vielheit der Erscheinungen im Kosmos in der Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zusammenhanges zu fassen. — Naturphilosophie ist aller genauen Beobachtung schon im Alterthum vorhergegangen, ein natürliches, bisweilen irre geleitetes Streben der Vernunft. — Zwei Formen der Abstraction beherrschen die ganze Masse der Erkenntniß, quantitative (Verhältnißbestimmungen nach Zahl und Größe) und qualitative (stoffartige Beschaffenheiten). — Mittel die Erscheinungen dem Calcül zu unterwerfen. Atome, mechanische Constructionsmethoden; sinnbildliche Vorstellungen; Mythen der imponderablen Stoffe und eigener Lebenskräfte in jeglichem Organismus. — Was durch Beobachtung und Experiment (Hervorrufen der Erscheinungen) erlangt ist, führt durch Analogie und Induction zur Erkenntniß empirischer Gesetze. Allmälige Vereinfachung und Verallgemeinerung derselben. — Anordnung des Aufgefundenen nach leitenden Ideen. Der so viele Jahrhunderte [523] hindurch gesammelte Schatz empirischer Anschauung wird nicht von der Philosophie wie von einer feindlichen Macht bedroht. S. 65–72.

In den Anmerkungen S. 73–78 (No. 1–12): Ueber die allgemeine und vergleichende Erdkunde des Varenius (S. 74). — Philologische Untersuchung über κόσμος und mundus (S. 76–78).

Naturgemälde. Uebersicht der Erscheinungen S. 79–386.

Einleitung S. 79–86: Ein beschreibendes Weltgemälde umfaßt das Universum (τὸ πᾶν) in seinen beiden Sphären, der himmlischen und irdischen. — Form und Gang der Darstellung. Es beginnt dieselbe mit den Tiefen des Weltraums, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitations-Gesetze erkennen, mit der Region der fernsten Nebelflecke und Doppelsterne; und steigt stufenweise herab durch die Sternschicht, der unser Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung, zu der organischen Lebensfülle, welche, vom Lichte angeregt, sich an seiner Oberfläche entfaltet. — Partielle Einsicht in die relative Abhängigkeit der Erscheinungen von einander. — Bei allem Beweglichen und Veränderlichen im Raume sind mittlere Zahlenwerthe der letzte Zweck; sie sind der Ausdruck physischer Gesetze, die Mächte des Kosmos. — Das Weltgemälde beginnt nicht mit dem Tellurischen, wie aus einem subjectiven Standpunkte hätte vorgezogen werden können; es beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Vertheilung der Materie; sie ist theils zu rotirenden und kreisenden Weltkörpern von sehr verschiedener Dichtigkeit und Größe geballt, theils selbstleuchtend, dunstförmig als Lichtnebel zerstreut. Vorläufige Uebersicht der einzelnen Theile des Naturgemäldes, um die Aneinanderreihung der Erscheinungen kenntlich zu machen.

I. Uranologischer Theil des Kosmos S. 86–161.

II. Tellurischer Theil des Kosmos S. 162–386.

a) Gestalt der Erde, mittlere Dichtigkeit, Wärmegehalt, electromagnetische Thätigkeit, Lichtprocesse S. 162–208.

b) Lebensthätigkeiten des Erdkörpers nach außen. — Reaction des Inneren des Planeten gegen seine Rinde und Oberfläche. Unterirdisches Getöse ohne Erschütterungswellen. Erdbeben als dynamisches Phänomen. S. 209–225.

c) Stoffartige Productionen, die das Erdbeben oft begleiten. Luft- und Wasserquellen. Salsen und Schlammvulkane. Hebungen des Bodens durch elastische Kräfte. S. 226–234.

d) Feuerspeiende Berge. Erhebungskrater. Vertheilung der Vulkane auf der Erde. S. 234–257. [524] e) Die vulkanischen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. — Geognostische Classification der Gebirgsmassen in vier Gruppen. — Contact-Phänomene. — Versteinerungshaltige Schichten. Ihre Aufrichtung. Fauna und Flora der Vorwelt. Zerstreuung der Felsblöcke. S. 257–300.

f) Die geognostischen Epochen, bezeichnet durch die mineralogische Verschiedenheit der Gebirgsarten, haben den Zustand räumlicher Vertheilung der Feste und des Flüssigen, der Continente und der Meere bestimmt. Individuelle Gestaltungen der Feste in horizontaler Ausdehnung und senkrechter Erhebung. — Verhältniß der Areale. Gliederung. Fortgesetzte Faltung der Erdrinde. S. 301–321.

g) Umhüllungen der starren Oberfläche des Planeten, tropfbarflüssige und luftförmige. Wärmevertheilung in beiden. — Meer. Ebbe und Fluth. Strömungen und ihre Folgen. S. 321–332.

h) Atmosphäre. Chemische Zusammensetzung. Schwankungen der Dichtigkeit. — Gesetz der Windrichtung. Mittlere Wärme. Aufzählung der temperatur-erhöhenden und temperatur-vermindernden Ursachen. Continental- und Insel-Klima. Ost- und Westküsten. — Ursach der Krümmung der Isothermen. — Grenze des ewigen Schnees. — Dampfmenge. — Electricität des Luftkreises. Wolkengestalt. S. 333–366.

i) Scheidung des anorganischen Erdenlebens von der Geographie des Organisch-Lebendigen, der Geographie der Pflanzen und Thiere. — Physische Abstufungen des Menschengeschlechts. S. 367–386.


Appendix A.2 Specielle Zergliederung des Naturgemäldes mit Beziehung auf den Inhalt der Anmerkungen.


Uranologischer Theil des Kosmos: Text S. 86–161, Anm. S. 387–416.

Inhalt der Welträume. Vielgestaltete Nebelflecke, planetarische Nebel und Nebelsterne. — Landschaftliche Anmuth des südlichen Himmels (Anm. S. 387). — Vermuthungen über die räumliche Anordnung des Weltgebäudes. Unser Sternhaufen, eine Weltinsel. Stern-Aichungen. — Doppelsterne, um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisend. Entfernung des Sterns 61 im Schwan (S. 92 und 160, Anm. S. 388). — Attractions-Systeme verschiedener Ordnung. S. 86–94. — Unser Sonnensystem viel complicirter, als man es noch am Ende des verflossenen Jahrhunderts geglaubt. Hauptplaneten mit Neptun, Asträa, Hebe und Iris jetzt 15, Nebenplaneten 18; [525] Myriaden von Cometen, worunter mehrere innere, in die Planetenbahnen eingeschlossene; ein rotirender Ring (das Zodiacallicht), und wahrscheinlich Meteorsteine als kleine Weltkörper. — Die telescopischen Planeten, Vesta, Juno, Ceres, Pallas, Asträa, Hebe und Iris, mit ihren stark geneigten und mehr excentrischen, in einander verschlungenen Bahnen scheiden, als mittlere Gruppe, die innere Planetengruppe (Merkur, Venus, Erde und Mars) von der äußeren (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun). Contraste dieser Planetengruppen. — Verhältnisse der Abstände von einem Centralkörper. Verschiedenheiten der absoluten Größe, Dichtigkeit, Umdrehungszeit, Excentricität und Neigung der Bahnen. Das sogenannte Gesetz der Abstände der Planeten von ihrer Centralsonne. Mondreichste Planeten. S. 94–99 und Anm. S. 388–389. — Räumliche (absolute und relative) Verhältnisse der Nebenplaneten; größter und kleinster der Monde. Größte Annäherung an einen Hauptplaneten. — Rückläufige Bewegung der Uranusmonde. Libration des Erdtrabanten. S. 99–104 und Anm. S. 389. — Cometen. Kern und Schweif. Mannigfaltige Form und Richtung der Ausströmungen in conoidischen Hüllen mit dickerer und dünnerer Wandung. Mehrfache Schweife, selbst der Sonne zugekehrt. Formenwechsel des Schweifes; vermuthete Rotation desselben. Natur des Lichts. Sogenannte Bedeckungen von Fixsternen durch Cometenkerne. Excentricität der Bahnen und Umlaufszeiten. Größte Entfernung und größte Nähe der Cometen. Durchgang durch das System der Jupitersmonde. — Cometen von kurzer Umlaufszeit, wohl besser innere Cometen genannt (Encke, Biela, Faye). S. 105–119 und Anm. S. 389–393. — Kreisende Aërolithen (Meteorsteine, Feuerkugeln, Sternschuppen). Planetarische Geschwindigkeit. Größe, Form, beobachtete Höhe. Periodische Wiederkehr in Strömen; November-Strom und der des heil. Laurentius. Chemische Zusammensetzung der Meteor-Asteroiden. S. 120–142 und Anm. S. 393–409. — Ring des Thierkreislichts. — Beschränktheit der jetzigen Sonnen-Atmosphäre. S. 142–149 und Anm. S. 409–413. — Ortsveränderung des ganzen Sonnensystems S. 149–151 und Anm. S. 414–415. — Das Walten der Gravitations-Gesetze auch jenseits unseres Sonnensystems. — Milchstraße der Sterne und ihr vermuthetes Aufbrechen. Milchstraße von Nebelflecken, rechtwinklig mit der der Sterne. — Umlaufszeiten zweifarbiger Doppelsterne. — Sternenteppich; Oeffnungen im Himmel, in der Sternschicht. — Begebenheiten im Weltraum; Auflodern neuer Sterne. — Fortpflanzung des Lichtes; der Anblick des gestirnten Himmels bietet Ungleichzeitiges dar. S. 151–161 und Anm. S. 415–416.

[526]

II. Tellurischer Theil des Kosmos S. 162–386 und Anm. S. 416–493.

a) Gestalt der Erde. Dichtigkeit, Wärmegehalt, electro-magnetische Spannung und Erdlicht. S. 162–208 und Anm. S. 416 bis 442: Ergründung der Abplattung und Krümmung der Erdoberfläche durch Gradmessungen, Pendelschwingungen und gewisse Ungleichheiten der Mondsbahn. — Mittlere Dichtigkeit der Erde. — Erdrinde, wie tief wir sie kennen? S. 162–178 und Anm. S. 416–425. — Dreierlei Bewegung der Wärme des Erdkörpers, sein thermischer Zustand. Gesetz der Zunahme der Wärme mit der Tiefe. S. 178–184 und Anm. S. 425–427. — Magnetismus, Electricität in Bewegung. Periodische Veränderlichkeit des tellurischen Magnetismus. Störung des regelmäßigen Ganges der Magnetnadel. Magnetische Ungewitter; Ausdehnung ihrer Wirkung. Offenbarungen der magnetischen Kraft an der Oberfläche in drei Classen der Erscheinungen; Linien gleicher Kraft (isodynamische), gleicher Neigung (isoklinische) und gleicher Abweichung (isogonische). — Lage der Magnetpole. Ihr vermutheter Zusammenhang mit den Kälte-Polen. — Wechsel aller magnetischen Erscheinungen des Erdkörpers. — Errichtung magnetischer Warten seit 1828; ein weitverbreitetes Netz magnetischer Stationen. S. 184–198 und Anm. S. 427–439. — Lichtentwickelung an den Magnetpolen; Erdlicht als Folge electro-magnetischer Thätigkeit unseres Planeten. Höhe des Polarlichts. Ob das magnetische Gewitter mit Geräusch verbunden ist? Zusammenhang des Polarlichts (einer electro-magnetischen Lichtentwickelung) mit der Erzeugung von Cirrus-Wölkchen. — Andere Beispiele irdischer Lichterzeugung. S. 199–208 und Anm. S. 439–442.

b) Lebensthätigkeit des Planeten nach außen als Hauptquelle geognostischer Erscheinungen. Verkettung der bloß dynamischen Erschütterung oder Hebung ganzer Theile der Erdrinde mit stoffhaltigem Erguß und Erzeugung von gasförmigen und tropfbaren Flüssigkeiten, von heißen Schlamme, von geschmolzenen Erden, die als Gebirgsarten erhärten. — Vulcanicität in der größten Allgemeinheit des Begriffs ist die Reaction des Inneren eines Planeten gegen seine Oberfläche. — Erdbeben. Umfang der Erschütterungskreise und ihre allmälige Erweiterung. — Ob Zusammenhang mit Veränderungen im tellurischen Magnetismus und Processen des Luftkreises. Getöse, unterirdischer Donner ohne fühlbare Erschütterung. Gebirgsmassen, welche die Fortpflanzung der Erschütterungswelle modificiren. — Hebungen; Ausbrüche von Wasser, heißen Dämpfen, Schlamm, Mofetten, Rauch und Flammen während des Erdbebens. S. 209–225 und Anm. S. 442–445.

c) Nähere Betrachtung von stoffartigen Productionen als Folge [527] innerer planetarischer Lebensthätigkeit. Es steigen aus dem Schooße der Erde hervor, durch Spalten und Ausbruchkegel, Luftarten, tropfbare Flüssigkeiten (rein oder gesäuert), Schlamm und geschmolzene Erden. — Die Vulkane sind eine Art intermittirender Quellen. Temperatur der Thermen; ihre Constanz und Veränderung. — Tiefe des Heerdes. S. 226–232 und Anm. S. 445–448. — Salsen, Schlammvulkane. Wenn feuerspeiende Berge als Quellen geschmolzener Erden vulkanische Gebirgsarten hervorbringen, so erzeugen dagegen Quellwasser durch Niederschlag Kalksteinschichten. Fortgesetzte Erzeugung von Sediment-Gestein. S. 232–234 und Anm. S. 448.

d) Mannigfaltigkeit der vulkanischen Hebungen. Domförmige ungeöffnete Trachytberge. — Eigentliche Vulkane, die aus Erhebungskratern oder zwischen den Trümmern ihrer ehemaligen Bildung hervortreten. — Permanente Verbindung des inneren Erdkörpers mit dem Luftkreise. Verhältniß gegen gewisse Gebirgsarten. Einfluß der Höhenverhältnisse auf die Frequenz der Ausbrüche. Höhe des Aschenkegels. Eigenthümlichkeiten der Vulkane, welche sich über die Schneegrenze erheben. — Aschen- und Feuersäulen. Vulkanische Gewitter während des Ausbruchs. Mineralische Zusammensetzung der Laven. S. 235 bis 249 und Anm. S. 448–452. — Vertheilung der Vulkane auf der Erdfläche; Central- und Reihen-Vulkane, Insel- und Küsten-Vulkane. Abstand der Vulkane von der Meeresküste. Erlöschen der vulkanischen Kräfte. S. 249–256 und Anm. S. 452–456.

e) Verhältniß der Vulkane zu der Natur der Gebirgsmassen; die vulkanischen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. Ihr Studium leitet auf Doppelwegen zu dem mineralogischen Theile der Geognosie (Lehre vom Gewebe und von der Lage der Erdschichten) und zur Gestaltung der über den Meeresspiegel gehobenen Continente und Inselgruppen (Lehre von der geographischen Form und den Umrissen der Erdtheile). — Classification der Gebirgsarten nach Maaßgabe der Erscheinungen der Bildung und Umwandlung, welche noch jetzt unter unseren Augen vorgehen: Eruptions-Gestein, Sediment-Gestein, umgewandeltes (metamorphosirtes) Gestein, Conglomerate. — Die zusammengesetzten Gebirgsarten sind bestimmte Associationen von oryctognostisch einfachen Fossilien. — Vier Phasen der Bildungszustände: Eruptions-Gestein, endogenes (Granit, Syenit, Porphyre, Grünsteine, Hypersthenfels, Euphotid, Melaphyr, Basalt und Phonolith); Sediment-Gestein (silurische Schiefer, Steinkohlen - Ablagerungen, Kalksteine, Travertino, Infusorienlager); umgewandeltes Gestein, das neben den Trümmern des Eruptions- und Sediment-Gesteins auch Trümmer von Gneiß, Glimmerschiefer und älteren metamorphischen Massen enthält; [528] Aggregate und Sandstein-Bildungen (Trümmergestein). S. 257–268 und Anm. S. 456–459. — Contact-Phänomene erläutert durch künstliche Nachbildung der Mineralien. Wirkungen des Drucks und der verschiedenen Schnelligkeit der Abkühlung. Entstehung des körnigen (salinischen) Marmors, Verkieselung der Schiefer zu Band-Jaspis, Umwandelung der Kreide-Mergel durch Granit zu Glimmerschiefer; Dolomitisirung, Granitbildung in Thonschiefer bei Berührung mit Basalt und Dolerit-Gestein. — Füllung der Gangmassen von unten. Processe der Cämentirung in den Agglomerat-Bildungen. Reibungs-Conglomerate. S. 269–283 und Anm. S. 459–465. — Relatives Alter der Felsmassen, Chronometrik der Erdrinde. Versteinerungshaltige Schichten. — Relatives Alter der Organismen. Einfachheit der ersten Lebensformen? Abhängigkeit physiologischer Abstufungen von dem Alter der Formationen. — Geognostischer Horizont, dessen sorgfältige Verfolgung sichere Aufschlüsse gewährt über die Identität oder das relative Alter der Formationen, über die periodische Wiederkehr gewisser Schichten, ihren Parallelismus oder ihre gänzliche Suppression (Verkümmerung). — Typus der Sediment-Gebilde in der größten Einfachheit seiner Verallgemeinerung aufgefaßt: silurische und devonische Schichten (die ehemals so genannten Uebergangs-Gebirge); die untere Trias (Bergkalk, Steinkohlen-Gebirge sammt Todtliegendem und Zechstein); die obere Trias (bunter Sandstein, Muschelkalk und Keuper); Jurakalk (Lias und Oolithen); Quadersandstein, untere und obere Kreide, als die letzte der Flözschichten, welche mit dem Bergkalk beginnen; Tertiär-Gebilde in drei Abtheilungen, die durch Grobkalk, Braunkohle und Süd-Apenninen-Gerölle bezeichnet werden. — Faunen und Floren der Vorwelt, ihr Verhältniß zu den jetzigen Organismen. Riesenmäßige Knochen vorweltlicher Säugethiere im oberen Schuttlande. — Vegetation der Vorwelt, Monumente der Pflanzengeschichte. Wo gewisse Pflanzengruppen ihr Maximum erreichen; Cycadeen in den Keuperschichten und der Lias, Coniferen im bunten Sandstein. Ligniten und Braunkohlenschichten (Bernsteinbaum). — Ablagerung großer Felsblöcke, Zweifel über ihren Ursprung. S. 284–300 und Anm. S. 465–470.

f) Die Kenntniß der geognostischen Epochen, des länderbildenden und zertrümmernden Emporsteigens von Bergketten und Hochebenen leitet durch inneren Causalzusammenhang auf die räumliche Vertheilung der Feste und des Flüssigen, auf die Besonderheiten der Naturgestaltung der Erdoberfläche. — Jetziges Areal-Verhältniß des Starren zum Flüssigen sehr verschieden von dem, welches die für den physischen Theil der älteren Geographie entworfenen Carten darlegen. Wichtigkeit der Eruption der Quarzporphyre [529] für die derzeitige Gestaltung der Continental-Massen. — Individuelle Gestaltung in horizontaler Ausdehnung (Gliederungs-Verhältnisse) und in senkrechter Erhebung (hypsometrische Ansichten). — Einfluß der Areal-Verhältnisse von Land und Meer auf Temperatur, Windrichtung, Fülle oder Kargheit organischer Erzeugnisse, auf die Gesammtheit aller meteorologischen Processe. — Orientirung der größten Axen der Continental-Masse. Gliederung, pyramidale Endigung gegen Süden, Reihe der Halbinseln. Thalbildung des atlantischen Oceans. Formen, die sich wiederholen. S. 300–311 und Anm. S. 470–472. — Abgesonderte Gebirgsglieder, Systeme der Bergketten und Mittel ihr relatives Alter zu bestimmen. Versuche den Schwerpunkt des Volums der jetzt über dem Meeresspiegel erhobenen Länder zu bestimmen. Die Hebung der Continente ist noch jetzt in langsamem Fortschreiten, und an einzelnen Punkten durch bemerkbares Sinken compensirt. Alle geognostischen Phänomene deuten auf periodischen Wechsel von Thätigkeit im Inneren unsres Planeten. Wahrscheinlichkeit neuer Faltungen. S. 311–320 und Anm. S. 472–475.

g) Die starre Oberfläche der Erde hat zweierlei Umhüllungen, tropfbar-flüssige und luftförmige. Contraste und Analogien, welche diese Umhüllungen, das Meer und die Atmosphäre, darbieten in Aggregat- und Electricitäts-Zuständen, Strömungen und Temperatur-Verhältnissen. Tiefen des Oceans und des Luftmeeres, dessen Untiefen unsere Hochländer und Bergketten sind. — Wärmegehalt des Meeres an der Oberfläche in verschiedenen Breiten und in den unteren Schichten. Tendenz des Meeres wegen Verschiebbarkeit der Theile und Veränderung der Dichtigkeit die Wärme seiner Oberfläche in den der Luft nächsten Schichten zu bewahren. Maximum der Dichtigkeit des salzigen Wassers. Lage der Zonen der wärmsten Wasser und der am meisten gesalzenen. Thermischer Einfluß der unteren Polarströme wie der Gegenströme in den Meerengen. S. 320–323 und Anm. S. 475–476. — Allgemeines Niveau der Meere und permanente örtliche Störungen des Gleichgewichts; periodische als Ebbe und Fluth. — Meeresströmungen: Aequatorial- oder Rotations-Strom; der atlantische warme Golfstrom und der ferne Impuls, den er empfängt; der kalte peruanische Strom in dem östlichen Theile des stillen Meeres südlicher Zone. — Temperatur der Untiefen. — Allbelebtheit des Oceans; Einfluß der kleinen submarinen Waldregion am Boden wurzelnder Tanggesträuche oder weitverbreiteter schwimmender Fucusbänke. S. 324–332 und Anm. S. 476–477.

h) Die gasförmige Umhüllung unseres Planeten, das Luftmeer. — Chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, Diaphanität, Polarisation, [530] Druck, Temperatur, Feuchtigkeit und electrische Spannung. — Verhältniß des Sauerstoffs zum Stickstoff; Kohlensäure-Gehalt; gekohlter Wasserstoff; Ammoniacal-Dämpfe. Miasmen. — Regelmäßige (stündliche) Veränderungen des Luftdruckes. Mittlere Barometerhöhe am Meere in verschiedenen Erdzonen. Isobarometrische Curven. — Barometrische Windrosen; Drehungsgesetz der Winde und seine Wichtigkeit für die Kenntniß vieler meteorologischen Processe. Land- und Seewinde; Passate und Monsune. S. 332–340 und Anm. S. 477–480. — Klimatische Wärmevertheilung im Luftkreise, als Wirkung der relativen Stellung der durchsichtigen und undurchsichtigen Massen (der flüssigen und festen Oberflächenräume) wie der hypsometrischen Configuration der Continente. — Krümmung der Isothermen in horizontaler und verticaler Richtung, in der Ebene und in den über einander gelagerten Luftschichten. Convexe und concave Scheitel der Isothermen. — Mittlere Wärme, der Jahre, der Jahreszeiten, der Monate, der Tage. Aufzählung der Ursachen, welche Störungen in der Gestalt der Isothermen hervorbringen, d. h. ihre Abweichung von der Lage der geographischen Parallele bewirken. — Isochimenen und Isotheren, Linien gleicher Winter- und Sommerwärme. — Temperatur-erhöhende und temperatur-vermindernde Ursachen. Strahlung der Erdoberfläche nach Maaßgabe ihrer Inclination, Farbe, Dichtigkeit, Dürre und chemischen Composition. — Die Wolkenform, Verkündigerinn dessen, was in der oberen Luft vorgeht, ist am heißen Sommerhimmel das „projicirte Bild" des wärmestrahlenden Bodens. — Contrast zwischen dem Insel- oder Küsten-Klima, dessen alle vielgegliederte busen- und halbinselreiche Continente genießen, und dem Klima des Inneren großer Ländermassen. Ost- und Westküsten. Unterschiede der südlichen und nördlichen Hemisphäre. — Thermische Scalen der Culturpflanzen, herabsteigend von Vanille, Cacao und Pisang bis zu Citronen, Oelbaum und trinkbarem Wein. Einfluß, welchen diese Scalen auf die geographische Verbreitung der Culturen ausüben. Das günstige Reifen und das Nichtreifen der Früchte wird wesentlich bedingt durch die Unterschiede der Wirkung des directen und zerstreuten Lichtes bei heiterem und durch Nebel verschleiertem Himmel. — Allgemeine Angabe der Ursachen, welche dem größeren Theile von Europa, als der westlichen Halbinsel von Asien, ein milderes Klima verschaffen. S. 340–353 und Anm. S. 480–482. — Bestimmung der mittleren Temperatur-Veränderung der Jahres- oder Sommerwärme, welche dem Fortschreiten um 1° geographischer Breite entspricht. Gleichheit der mittleren Temperatur einer Bergstation und der Polar-Distanz eines im Meeresspiegel gelegenen Punktes. — Abnahme der Temperatur mit der Höhe. Grenze des ewigen Schnees und Oscillation dieser Grenze. [531] Ursachen der Störung in der Regelmäßigkeit des Phänomens; nördliche und südliche Himalaya-Kette; Bewohnbarkeit der Hochebene von Tübet. S. 354–358 und Anm. S. 482–484. — Dampfmenge des Luftkreises nach Stunden des Tages, nach den Jahreszeiten, Breitengraden und Höhen. Größte Trockenheit der Atmosphäre, beobachtet im nördlichen Asien zwischen den Flußgebieten des Irtysch und Obi. — Thau als Folge der Strahlung. Regenmenge. S. 358–361 und Anm. S. 484–485. — Electricität des Luftkreises und Störung der electrischen Spannung. Geographische Vertheilung der Gewitter. Vorherbestimmung atmosphärischer Veränderungen. Die wichtigsten klimatischen Störungen haben nicht eine örtliche Ursach in dem Beobachtungsorte selbst, sie sind Folge einer Begebenheit, welche in weiter Ferne das Gleichgewicht in den Luftströmungen aufgehoben hat. S. 361–366 und Anm. S. 485–486.

i) Die physische Erdbeschreibung ist nicht auf das elementare, anorganische Erdenleben beschränkt; zu einem höheren Standpunkte erhoben, umfaßt sie die Sphäre des organischen Lebens und der zahllosen Abstufungen seiner typischen Entwickelung. — Thier- und Pflanzenleben. Allbelebtheit der Natur in Meer und Land; microscopische Lebensformen zwischen dem Polar-Eise, wie in den Tiefen des Oceans zwischen den Wendekreisen. Erweiterung des Horizonts des Lebens durch Ehrenberg's Entdeckungen. — Schätzung der Masse (des Volums) der thierischen und vegetabilischen Organismen. S. 366–373 und Anm. S. 486–489. (Die speciellen Temperatur-Verhältnisse der Weincultur S. 481.) — Geographie der Pflanzen und Thiere. Wanderung der Organismen im Ei oder durch eigene bewegungskräftige Organe. Verbreitungssphären in Abhängigkeit klimatischer Verhältnisse. Vegetations-Gebiete und Gruppirung der Thiergeschlechter. Einzeln und gesellig lebende Pflanzen und Thiere. Der Charakter der Floren und Faunen ist nicht sowohl durch das Vorherrschen einzelner Familien unter gewissen Breiten als durch die viel complicirteren Verhältnisse des Zusammenlebens vieler Familien und den relativen Zahlenwerth ihrer Arten bestimmt. Formen natürlicher Familien, welche vom Aequator nach den Polen hin ab- oder zunehmen. Untersuchungen über das Zahlenverhältniß, in dem in verschiedenen Erdstrichen jede der großen Familien zu der ganzen daselbst wachsenden Masse der Phanerogamen steht. S. 373–378 und Anm. S. 489–490. — Das Menschengeschlecht in seinen physischen Abstufungen und in der geographischen Verbreitung seiner gleichzeitig vorhandenen Typen. Racen, Abarten. Alle Menschenracen sind Formen einer einzigen Art. Einheit des Menschengeschlechts. — Sprachen, als geistige Schöpfungen der Menschheit, Theile der Naturkunde des Geistes, offenbaren [532] eine nationelle Form; aber geschichtliche Ereignisse haben bewirkt, daß bei Völkern sehr verschiedener Abstammung sich Idiome desselben Sprachstammes finden. S. 378–386 und Anm. S. 490–493.


Appendix A.3 Band II.
Allgemeine Uebersicht des Inhalts.


A. Anregungsmittel zum Naturstudium. Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft S. 3–103.

I. Dichterische Naturbeschreibung. Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme. S. 6–75.

II. Landschaftmalerei. Graphische Darstellung der Physiognomik der Gewächse. S. 76–94.

III. Cultur exotischer Gewächse. Contrastirende Zusammenstellung von Pflanzengestalten. S. 95–103.

B. Geschichte der physischen Weltanschauung. Hauptmomente der allmäligen Entwickelung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos, als einem Naturganzen. S. 135–400.

I. Das Mittelmeer als Ausgangspunkt der Versuche ferner Schifffahrt gegen Nordost (Argonauten), gegen Süden (Ophir), gegen Westen (Phönicier und Coläus von Samos). Anreihung dieser Darstellung an die früheste Cultur der Völker, die das Becken des Mittelmeers umwohnten. S. 151–182.

II. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen. Verschmelzung des Ostens mit dem Westen. Das Griechenthum befördert die Völkervermischung vom Nil bis zum Euphrat, dem Jaxartes und Indus. Plötzliche Erweiterung der Weltansicht durch eigene Beobachtung wie durch den Verkehr mit altcultivirten, gewerbetreibenden Völkern. S. 183–199.

III. Zunahme der Weltanschauung unter den Lagiden. Museum im Serapeum. Encyclopädische Gelehrsamkeit. Verallgemeinerung der Naturansichten in den Erd- und Himmelsräumen. Vermehrter Seehandel nach Süden. S. 200–211.

IV. Römische Weltherrschaft. Einfluß eines großen Staatsverbandes auf die kosmischen Ansichten, Fortschritte der Erdkunde durch Landhandel. Die Entstehung des Christenthums erzeugt und begünstigt das Gefühl von der Einheit des Menschengeschlechts. S. 212–236.

[533]

V. Einbruch des arabischen Volksstammes. Geistige Bildsamkeit dieses Theils der semitischen Völker. Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. Arzneimittellehre und Chemie. Erweiterung der physischen Erdkunde, der Astronomie und der mathematischen Wissenschaften im allgemeinen. S. 237–265.

VI. Zeit der großen oceanischen Entdeckungen. Eröffnung der westlichen Hemisphäre. Amerika und das stille Meer. Die Scandinavier, Columbus, Cabot und Gama; Cabrillo, Mendaña und Quiros. Die reichste Fülle des Materials zur Begründung der physischen Erdbeschreibung wird den westlichen Völkern Europa's dargeboten. S. 266–340.

VII. Zeit der großen Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fernrohrs. Haupt-Epoche der Sternkunde und Mathematik von Galilei und Kepler bis Newton und Leibnitz. S. 341–394.

VIII. Vielseitigkeit und innigere Verkettung der wissenschaftlichen Bestrebungen in der neuesten Zeit. Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt allmälig mit der Geschichte des Kosmos zusammen. S. 395–400.

Appendix A.4 Specielle Uebersicht des Inhalts


Appendix A.4.1 A. Anregungsmittel zum Naturstudium.


I. Dichterische Naturbeschreibung. Die Hauptresultate der Beobachtung, wie sie der reinen Objectivität wissenschaftlicher Naturbeschreibung angehören, sind in dem Naturgemälde aufgestellt worden; jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichterisch gestimmte Einbildungskraft. — Sinnesart der Griechen und Römer. Ueber den Vorwurf, als wäre in beiden das Naturgefühl minder lebhaft gewesen. Nur die Aeußerungen des Naturgefühls sind seltener, weil in den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung das Naturbeschreibende bloß als Beiwerk auftritt und in der alten hellenischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt. — Frühlingspäane, Homer, Hesiodus. Tragiker; Fragment aus einem verlorenen Werke des Aristoteles. Bukolische Dichtung, Nonnus, Anthologie. — Eigenthümlichkeit der griechischen Landschaft. S. 6–11 und Anm. S. 104–105. — Römer; Lucretius, Virgil, Ovidius, Lucanus, Lucilius Junior. Spätere Zeit, wo das poetische Element nur als zufälliger Schmuck des Gedankens erscheint; Moselgedicht des Ausonius. Römische Prosaiker; Cicero in seinen Briefen, Tacitus, Plinius. Beschreibung römischer Villen. S. 12–25 und Anm. S. 105–110. — [534] Veränderungen der Sinnesart und der Darstellung der Gefühle, welche die Verbreitung des Christenthums und das Einsiedlerleben hervorbringen. Minucius Felix im Octavius. Stellen aus den Kirchenvätern; Basilius der Große in der Wildniß am armenischen Flusse Iris, Gregorius von Nyssa, Chrysostomus. Sentimental-schwermüthige Stimmung. S. 25 bis 31 und Anm. S. 110–112. — Einfluß der Racenverschiedenheit, welche sich in der Färbung der Naturschilderungen offenbart bei Hellenen, italischen Stämmen, Germanen des Nordens, semitischen Völkern, Persern und Indern. Die überreiche poetische Litteratur der drei letzten Racen lehrt, daß einer langen winterlichen Entbehrung des Naturgenusses wohl nicht allein die Lebendigkeit des Naturgefühls bei den nordischen germanischen Stämmen zuzuschreiben ist. — Ritterliche Poesie der Minnesänger und deutsches Thier-Epos nach Jacob und Wilhelm Grimm. Celtisch-irische Naturdichtungen. S. 31–38 und Anm. S. 112–113. — Ost- und west-arische Völker (Inder und Perser). Ramayana und Mahabharata; Sakuntala und Kalidasa's Wolkenbote. Persische Litteratur im iranischen Hochlande, nicht über die Zeit der Sassaniden hinaufsteigend. S. 38–43 und Anm. S. 113–118. (Ein Fragment von Theodor Goldstücker.) — Finnisches Epos und Lieder, aus dem Munde der Karelier gesammelt von Elias Lönnrot, S. 43 und 44. — Aramäische Nationen; Naturpoesie der Hebräer, in der sich der Monotheismus spiegelt, S. 44–49 und Anm. S. 119. — Alte arabische Litteratur; Schilderung des beduinischen Wüstenlebens in Antar; Naturbeschreibung des Amru'l Kais S. 49–52 und Anm. S. 119 bis 120. — Nach dem Hinschwinden aramäischer, griechischer und römischer Herrlichkeit erscheint Dante Alighieri, dessen poetische Schöpfung von Zeit zu Zeit das tiefste Gefühl des irdischen Naturlebens athmet. Petrarca, Bojardo und Vittoria Colonna. Aetna dialogus und malerische Schilderung des üppigen Pflanzenlebens der Neuen Welt in den Historiae Venetae des Bembo. Christoph Columbus. S. 52 bis 58 und Anm. S. 120–122. — Die Lusiaden des Camoens S. 58 bis 61 und Anm. S. 122–123. — Spanische Poesie; die Araucana des Don Alonso de Ercilla, Fray Luis de Leon, und Calderon nach Ludwig Tieck. — Shakespeare, Milton, Thomson. S. 61–64 und Anm. S. 123–125. — Französische Prosaiker: Rousseau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und Chateaubriand S. 64–68 und Anm. S. 125. — Rückblick auf die Darstellung der älteren Reisenden des Mittelalters, John Mandeville, Hans Schiltberger und Bernhard von Breitenbach; Contrast mit den neueren Reisenden. Cook's Begleiter Georg Forster. S. 68–72 und Anm. S. 126. — Der gerechte Tadel der „beschreibenden Poesie" als eigener für sich bestehender [535] Form der Dichtung trifft nicht das Bestreben ein Bild der durchwanderten Zonen aufzustellen, die Resultate unmittelbarer Naturanschauung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Worts, zu versinnlichen. Alle Theile des weiten Schöpfungskreises vom Aequator bis zu der kalten Zone können sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. S. 72–75.

II. Landschaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Naturstudiums. — In dem classischen Alterthum war nach der besonderen Geistesrichtung der Völker die Landschaftmalerei eben so wenig als die dichterische Schilderung einer Gegend ein für sich bestehendes Object der Kunst. Der ältere Philostrat. Scenographie. Ludius. — Spuren der Landschaftmalerei bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikramaditya. — Herculanum und Pompeji. — Christliche Malerei von Constantin dem Großen bis zum Anfang des Mittelalters. Miniaturen der Manuscripte. S. 76–80 und Anm. S. 126 bis 128. — Ausbildung des Landschaftlichen in den historischen Bildern der Gebrüder van Eyck. Das 17te Jahrhundert als die glänzende Epoche der Landschaftmalerei (Claude Lorrain, Ruysdael, Gaspard und Nicolaus Poussin, Everdingen, Hobbema und Cuyp). — Späteres Streben nach Naturwahrheit der Vegetationsformen. Darstellung der Tropen-Vegetation. Franz Post, Begleiter des Prinzen Moritz von Nassau. Eckhout. Bedürfniß physiognomischer Naturdarstellung. — Eine große, kaum vollbrachte Weltbegebenheit, die Unabhängigkeit und Gründung gesetzlicher Freiheit im spanischen und portugiesischen Amerika (wo in der Andeskette zwischen den Wendekreisen volkreiche Städte bis zu 13000 Fuß Höhe über der Meeresfläche liegen), die zunehmende Cultur von Indien, Neu-Holland, der Sandwich-Inseln und Süd-Afrika's werden einst nicht bloß der Meteorologie und beschreibenden Naturkunde, sondern auch der Landschaftmalerei, dem graphischen Ausdruck der Naturphysiognomie, einen neuen Schwung und großartigen Charakter geben. — Wichtigkeit der Benutzung Parker'scher Rundgemälde. — Der Begriff eines Naturganzen, das Gefühl der harmonischen Einheit im Kosmos wird um so lebendiger unter den Menschen werden, als sich die Mittel vervielfältigen die Gesammtheit der Naturerscheinungen zu anschaulichen Bildern zu gestalten. S. 81–94 und Anm. S. 128–132.

III. Cultur exotischer Gewächse; Eindruck der Physiognomik der Gewächse, so weit Pflanzungen diesen Eindruck hervorbringen können. — Landschaftgärtnerei. Früheste Parkanlagen im mittleren und südlichen Asien, heilige Bäume und Haine der Götter. S. 95–100 und Anm. S. 132–133. — Gartenanlagen ost-asiatischer [536] Völker. Chinesische Gärten unter der siegreichen Dynastie der Han. Gartengedicht eines chinesischen Staatsmannes, See-ma-kuang, aus dem Ende des 11ten Jahrhunderts. Vorschriften des Lieu-tscheu. Naturbeschreibendes Gedicht des Kaisers Kien-long. — Einfluß des Zusammenhanges buddhistischer Mönchsanstalten auf die Verbreitung schöner, charakteristischer Pflanzenformen. S. 100–103 und Anm. S. 133–134.

Appendix A.4.2 B. Geschichte der physischen Weltanschauung.


Einleitung. Die Geschichte der Erkenntniß des Weltganzen ist von der Geschichte der Naturwissenschaften, wie sie unsere Lehrbücher der Physik und der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern, ganz verschieden. Sie ist gleichsam die Geschichte des Gedankens von der Einheit in den Erscheinungen und von dem Zusammenwirken der Kräfte im Weltall. — Behandlungsweise der Geschichte des Kosmos: a) selbstständiges Streben der Vernunft nach Naturgesetzen; b) Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; c) Erfindung neuer Mittel sinnlicher Wahrnehmung. — Sprachen. Verbreitungsstrahlen der Cultur. Sogenannte Urphysik und durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker. S. 135–150 und Anm. S. 401–404.

Appendix A.4.2.1 Hauptmomente einer Geschichte der physischen Weltanschauung.

I. Das Becken des Mittelmeers als Ausgang der Versuche die Idee des Kosmos zu erweitern. — Unterabtheilungen der Gestaltung des Beckens. Wichtigkeit der Bildung des arabischen Meerbusens. Kreuzung zweier geognostischen Hebungssysteme NO—SW und SSO—NNW. Wichtigkeit der letzteren Spaltungsrichtung für den Weltverkehr. — Alte Cultur der das Mittelmeer umwohnenden Völker. — Nilthal, altes und neues Reich der Aegypter. — Phönicier, ein vermittelnder Stamm, verbreiten Buchstabenschrift (phönicische Zeichen), Münze als Tauschmittel und das ursprünglich babylonische Maaß und Gewicht. Zahlenlehre, Rechenkunst. Nachtschifffahrt. West-afrikanische Colonien. S. 151–166 und Anm. S. 404–414. — Hiram-Salomonische Expeditionen nach den Goldländern Ophir und Supara S. 166–168 und Anm. S. 414–416. — Pelasgische Tyrrhener und Tusker (Rasener). Eigenthümliche Neigung des tuscischen Stammes zu einem innigen Verkehr mit den Naturkräften; Fulguratoren und Aquilegen. S. 168–170 und Anm. S. 417–418. — Andere sehr alte Culturvölker, die das Mittelmeer umwohnen. Spuren der Bildung im Osten unter Phrygiern und Lyciern, im Westen unter Turdulern und Turdetanern. — Anfänge der hellenischen Macht. Vorder- [537] Asien die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker; die ägäische Inselwelt das vermittelnde Glied zwischen dem Griechenthum und dem fernen Orient. Ueber den 48ten Breitengrad hinaus sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen; auch betrachten Pherecydes von Syros und Herodot das ganze nördliche scythische Asien als zum sarmatischen Europa gehörig. — Seemacht, dorisches und ionisches Leben in die Pflanzstädte übergetragen. — Vordringen gegen Osten nach dem Pontus und Kolchis, erste Kenntniß der westlichen Gestade des caspischen Meeres, nach Hecatäus mit dem kreisenden östlichen Weltmeer verwechselt. Tauschhandel durch die Kette scythisch-scolotischer Stämme mit den Argippäern, Issedonen und goldreichen Arimaspen. Meteorologischer Mythus der Hyperboreer. — Gegen Westen Oeffnung der gadeirischen Pforte, die lange den Hellenen verschlossen war. Schifffahrt des Coläus von Samos. Blick in das Unbegrenzte; unausgesetztes Streben nach dem Jenseitigen; genaue Kenntniß eines großen Naturphänomens, des periodischen Anschwellens des Meeres. S. 171–182 und Anm. S. 418–423.

II. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen und langer Einfluß des bactrischen Reichs. — In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahrhundert später erfolgte Begebenheit der Entdeckung und Aufschließung des tropischen Amerika's ausgenommen) ist auf einmal einem Theile des Menschengeschlechts eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur Begründung des kosmischen Wissens und des vergleichenden ethnologischen Studiums dargeboten worden. — Die Benutzung dieses Materials, die geistige Verarbeitung des Stoffes wird erleichtert und in ihrem Werthe erhöht durch die vorbereitende Richtung, welche der Stagirite dem empirischen Forschen der philosophischen Speculation und einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte. — Die macedonische Expedition war im eigensten Sinne des Worts eine wissenschaftliche Expedition. Callisthenes von Olynth, Schüler des Aristoteles und Freund des Theophrast. — Mit der Kenntniß der Erde und ihrer Erzeugnisse wurde durch die Bekanntschaft mit Babylon und mit den Beobachtungen der schon aufgelösten chaldäischen Priestercaste auch die Kenntniß des Himmels ansehnlich vermehrt. S. 183–199 und Anm. S. 423–430.

III. Zunahme der Weltanschauung unter den Ptolemäern. — Das griechische Aegypten hatte den Vorzug politischer Einheit, und seine geographische Weltstellung, der Einbruch des arabischen Meerbusens brachte den gewinnreichen Verkehr auf dem indischen Ocean dem Verkehr an den südöstlichen Küsten des Mittelmeers um wenige [538] Meilen nahe. — Das Seleuciden-Reich genoß nicht die Vortheile des Seehandels, war oft erschüttert durch die verschiedenartige Nationalität der Satrapien. Lebhafter Handel auf Strömen und Caravanenstraßen mit den Hochebenen der Serer nördlich von Uttara-Kuru und dem Oxus-Thale. — Kenntniß der Monsun-Winde. Wiedereröffnung des Canals zur Verbindung des rothen Meeres mit dem Nil oberhalb Bubastus. Geschichte dieser Wasserstraße. — Wissenschaftliche Institute unter dem Schutz der Lagiden; alexandrinisches Museum und zwei Büchersammlungen, im Bruchium und in Rhakotis. Eigenthümliche Richtung der Studien. Neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße offenbart sich eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten. — Eratosthenes von Cyrene. Erster hellenischer Versuch einer Gradmessung zwischen Syene und Alexandrien auf unvollkommene Angaben der Bematisten gegründet. Gleichzeitige Fortschritte des Wissens in reiner Mathematik, Mechanik und Astronomie. Aristyllus und Timocharis. Ansichten des Weltgebäudes von dem Samier Aristarch und Seleucus dem Babylonier oder aus Erythrä. Hipparch der Schöpfer der wissenschaftlichen Astronomie und der größte selbstbeobachtende Astronom des ganzen Alterthums. Euclides, Apollonius von Perga und Archimedes. S. 200–211 und Anm. S. 431–436.

IV. Einfluß der römischen Weltherrschaft, eines großen Staatsverbandes auf die Erweiterung der kosmischen Ansichten. — Bei der Mannigfaltigkeit der Bodengestaltung und Verschiedenartigkeit der organischen Erzeugnisse, bei den fernen Expeditionen nach den Bernsteinküsten und unter Aelius Gallus nach Arabien, bei dem Genusse eines langen Friedens hatte die Monarchie der Cäsaren in fast vier Jahrhunderten das Naturwissen lebhafter fördern können; aber mit dem römischen Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen, es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität, die zwei Hauptstützen freier, das Geistige belebender Verfassungen. — In dieser langen Periode erhoben sich als Beobachter der Natur nur Dioscorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Die ersten Schritte in einem wichtigen Theile der mathematischen Physik, in der selbst auf Experimente gegründeten Optik, that Claudius Ptolemäus. — Materielle Vortheile der Ausdehnung des Landhandels nach Inner-Asien und der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien. — Unter Vespasian und Domitian, zur Zeit der Dynastie der Han, dringt eine chinesische Kriegsmacht bis an die Ostküste des caspischen Meeres. Die Richtung der Völkerfluthen in Asien geht von Osten nach Westen, wie sie im Neuen Continent von Norden nach Süden geht. Die asiatische Völkerwanderung beginnt mit dem Anfall [539] der Hiungnu, eines türkischen Stammes, auf die blonde, blauäugige, vielleicht indogermanische Race der Yueti und Usün nahe an der chinesischen Mauer, schon anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. — Unter Marcus Aurelius werden römische Gesandte über Tunkin an den chinesischen Hof geschickt. Kaiser Claudius empfing schon die Botschaft des Rachias aus Ceylon. Die großen indischen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht selbst Aryabhatta sind neuer als diese Perioden; aber was früher auf ganz einsamen, abgesonderten Wegen in Indien entdeckt worden ist, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäsaren so ausgebreiteten Welthandel theilweise in den Occident eingedrungen sein. — Den Reflex dieses Welthandels offenbaren die geographischen Riesenwerke des Strabo und Ptolemäus. Die geographische Nomenclatur des Letzteren ist in neuerer Zeit durch gründliches Studium der indischen Sprachen und des west-iranischen Zend als ein geschichtliches Denkmal jener fernen Handelsverbindungen erkannt worden. — Großartiges Unternehmen einer Weltbeschreibung durch Plinius; Charakteristik seiner Encyclopädie der Natur und Kunst. — Hat in der Geschichte der Weltanschauung der langdauernde Einfluß der Römerherrschaft sich als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Element erwiesen, so hat doch erst die Verbreitung des Christenthums, als der neue Glaube aus politischen Motiven in Byzanz gewaltsam zur Staatsreligion erhoben wurde, dazu beigetragen den Begriff der Einheit des Menschengeschlechts hervorzurufen und ihm mitten unter dem elenden Streite der Religionspartheien allmälig Geltung zu verschaffen. S. 212–236 und Anm. S. 436–442.

V. Einbruch des arabischen Volksstammes. Wirkung eines fremdartigen Elements auf den Entwickelungsgang europäischer Cultur. — Die Araber, ein bildsamer semitischer Urstamm, verscheuchen theilweise die Barbarei, welche das von Völkerstürmen erschütterte Europa seit zwei Jahrhunderten bedeckt hat; sie erhalten nicht bloß die alte Cultur, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue Wege. — Naturgestalt der arabischen Halbinsel. Erzeugnisse von Hadhramaut, Yemen und Oman. Gebirgsketten von Dschebel Akhdar und Asyr. Gerrha alter Stapelplatz des Verkehrs mit indischen Waaren, den phönicischen Niederlassungen von Aradus und Tylus gegenüber. — Der nördliche Theil der Halbinsel ist vorzugsweise durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabischer Stämme in dem syrischpalästinischen Grenzgebirge und den Euphratländern in belebendem Contact mit anderen Culturstaaten gewesen. — Heimische vorbereitende Cultur. Altes Eingreifen in die Welthändel: Ausfälle nach Westen [540] und Osten; Hyksos und der Himyariten-Fürst Ariäus, Bundesgenosse des Ninus am Tigris. — Eigenthümlicher Charakter des arabischen Nomadenlebens neben Caravanenstraßen und volkreichen Städten. S. 237–246 und Anm. S. 442–445. — Einfluß der Nestorianer, der Syrer und der medicinisch-pharmaceutischen Schule von Edessa. — Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. Die Araber werden die eigentlichen Gründer der physischen und chemischen Wissenschaften. Arzneimittellehre. — Wissenschaftliche Institute in der glanzvollen Epoche von Al-Mansur, Harun Al-Raschid, Mamun und Motasem. Wissenschaftlicher Verkehr mit Indien. Benutzung des Tscharaka und Susruta wie der alten technischen Künste der Aegypter. Botanischer Garten bei Cordova unter dem poetischen Chalifen Abdurrahman. S. 247–258 und Anm. S. 445–451. — Astronomische Bestrebungen durch eigene Beobachtung und Vervollkommnung der Instrumente. Ebn-Junis Anwendung des Pendels als Zeitmessers. Arbeit des Alhazen über die Strahlenbrechung. Indische Planetentafeln. Störung der Länge des Mondes von Abul-Wefa erkannt. Astronomischer Congreß zu Toledo, zu welchem Alfons von Castilien Rabbiner und Araber berief. Sternwarte zu Meragha und späte Wirkung derselben auf den Timuriden Ulugh Beig zu Samarkand. Gradmessung in der Ebene zwischen Tadmor und Rakka. — Die Algebra der Araber aus zwei lange von einander unabhängig fließenden Strömen, einem indischen und einem griechischen, entstanden. Mohammed Ben-Musa, der Chowarezmier. Diophantus, erst gegen das Ende des 10ten Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabische übersetzt. — Auf demselben Wege, welcher den Arabern die Kenntniß der indischen Algebra zuführte, erhielten diese in Persien und am Euphrat auch die indischen Zahlzeichen und den sinnreichen Kunstgriff der Position, d. h. den Gebrauch des Stellenwerthes. Sie verpflanzten diesen Gebrauch in die Zollämter im nördlichen Afrika, den Küsten von Sicilien gegenüber. Wahrscheinlichkeit, daß die Christen im Abendlande früher als die Araber mit den indischen Zahlen vertraut waren und daß sie unter dem Namen des Systems des Abacus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellenwerthe kannten. Die Position tritt schon im Suanpan von Inner-Asien wie im tuscischen Abacus hervor. — Ob eine dauernde Weltherrschaft der Araber bei ihrer fast ausschließlichen Vorliebe für die wissenschaftlichen (naturbeschreibenden, physischen und astronomischen) Resultate griechischer Forschung einer allgemeinen und freien Geistescultur und dem bildend schaffenden Kunstsinne hätte förderlich sein können? S. 258–265 und Anm. S. 451–457.

VI. Zeit der großen oceanischen Entdeckungen; Amerika [541] und das stille Meer. — Begebenheiten und Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse, welche die Entdeckungen im Raume vorbereitet haben. — Eben weil die Bekanntschaft der Völker Europa's mit dem westlichen Theile des Erdballs der Hauptgegenstand dieses Abschnittes ist, muß die unbestreitbare erste Entdeckung von Amerika in seiner nördlichen und gemäßigten Zone durch die Normänner ganz von der Wiederauffindung desselben Continents in den tropischen Theilen geschieden werden. — Als noch das Chalifat von Bagdad unter den Abbassiden blühte, wurde Amerika von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, bis zu 41°½ nördl. Breite aufgefunden. Die Färöer und das durch Naddod zufällig entdeckte Island sind als Zwischenstationen, als Anfangspunkte zu den Unternehmungen nach dem amerikanischen Scandinavien zu betrachten. Auch die Ostküste von Grönland im Scoresby-Lande (Svalbord), die Ostküste der Baffinsbai bis 72° 55′ und der Eingang des Lancaster-Sunds und der Barrow-Straße wurden besucht. — Frühere? irische Entdeckungen. Das Weißmännerland zwischen Virginien und Florida. Ob vor Naddod und vor Ingolf's Colonisirung von Island diese Insel von Iren (Westmännern aus dem amerikanischen Groß-Irland) oder von den durch Normänner aus den Färöern verjagten irländischen Missionaren (Papar, die Clerici des Dicuil) zuerst bewohnt worden ist? — Der Nationalschatz der ältesten Ueberlieferungen des europäischen Nordens, durch Unruhen in der Heimath gefährdet, wurde nach Island übergetragen, das viertehalb hundert Jahre einer freien bürgerlichen Verfassung genoß, und dort für die Nachwelt gerettet. Wir kennen die Handelsverbindung zwischen Grönland und Neu-Schottland (dem amerikanischen Markland) bis 1347; aber da Grönland schon 1261 seine republicanische Verfassung verloren hatte und ihm, als Krongut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und also auch mit Island verboten war, so nimmt es weniger Wunder, daß Columbus, als er im Februar 1477 Island besuchte, keine Kunde von dem westlich gelegenen Neuen Continent erhielt. Zwischen dem norwegischen Hafen Bergen und Grönland gab es aber Handelsverkehr noch bis 1484. S. 266–277 und Anm. S. 457–462. — Weltgeschichtlich ganz verschieden von dem isolirten, folgenlosen Ereigniß der ersten normännischen Entdeckung des Neuen Continents ist seine Wiederauffindung in dem tropischen Theile durch Christoph Columbus gewesen, wenn gleich dieser Seefahrer, nur einen kürzeren Weg nach Ost-Asien suchend, weder je die Absicht hatte einen neuen Welttheil aufzufinden, noch, wie ebenfalls Amerigo Vespucci, bis zu seinem Tode glaubte andere als ost-asiatische Küsten berührt zu haben. — Der Einfluß, den die nautischen Entdeckungen am Ende des 15ten und im Anfang des 16ten Jahrhunderts auf die Bereicherung [542] der Ideenwelt ausgeübt haben, wird erst verständlich, wenn man einen Blick auf diejenigen Jahrhunderte wirft, welche Columbus von der Blüthe wissenschaftlicher Cultur unter den Arabern trennen. — Was der Aera des Columbus ihren eigenthümlichen Charakter gab, den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach erweiterter Erdkenntniß, war: das Auftreten einer kleinen Zahl kühner Männer (Albertus Magnus, Roger Bacon, Duns Scotus, Wilhelm von Occam), die zum freien Selbstdenken und zum Erforschen einzelner Naturerscheinungen anregten; die erneuerte Bekanntschaft mit den Werken der griechischen Litteratur; die Erfindung der Buchdruckerkunst; die Mönchsgesandtschaften an die Mongolenfürsten und die mercantilischen Reisen nach Ost-Asien und Südindien (Marco Polo, Mandeville, Nicolo de' Conti); die Vervollkommnung der Schifffahrtskunde; der Gebrauch des Seecompasses oder die Kenntniß von der Nord- und Südweisung des Magnets, welche man durch die Araber den Chinesen verdankt. S. 277–298 und Anm. S. 462–472. — Frühe Schifffahrten der Catalanen nach der Westküste des tropischen Afrika, Entdeckung der Azoren, Weltkarte des Picigano von 1367. Verhältniß des Columbus zu Toscanelli und Martin Alonso Pinzon. Spät erkannte Carte von Juan de la Cosa. — Südsee und ihre Inseln. S. 299–315 und Anm. S. 473–481. — Entdeckung der magnetischen Curve ohne Abweichung im atlantischen Ocean. Bemerkte Inflexion der Isothermen hundert Seemeilen in Westen der Azoren. Eine physische Abgrenzungslinie wird in eine politische verwandelt; Demarcationslinie des Pabstes Alexander VI vom 4 Mai 1493. — Kenntniß der Wärmevertheilung; die Grenze des ewigen Schnees wird als Function der geographischen Breite erkannt. Bewegung der Gewässer im atlantischen Meeresthale. Große Tangwiesen. S. 316–327 und Anm. S. 481–485. — Erweiterte Ansicht der Welträume; Bekanntschaft mit den Gestirnen des südlichen Himmels; mehr beschauliche als wissenschaftliche Kenntniß! — Vervollkommnung der Methode den Ort des Schiffes zu bestimmen; das politische Bedürfniß die Lage der päbstlichen Demarcationslinie festzusetzen vermehrt den Drang nach praktischen Längenmethoden. — Die Entdeckung und erste Colonisation von Amerika, die Schifffahrt nach Ostindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung treffen zusammen mit der höchsten Blüthe der Kunst, mit dem Erringen eines Theils der geistigen Freiheit durch die religiöse Reform, als Vorspiel großer politischer Umwälzungen. Die Kühnheit des genuesischen Seefahrers ist das erste Glied in der unermeßlichen Kette verhängnißvoller Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und Ränke von Amerigo Vespucci, haben dem Festland von Amerika den Namen des Columbus entzogen. — Einfluß [543] des Neuen Welttheils auf die politischen Institutionen, auf die Ideen und Neigungen der Völker im alten Continent. S. 327–340 und Anm. S. 485–496.

VII. Zeit der großen Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fernrohrs; Vorbereitung dieser Entdeckungen durch richtigere Ansicht des Weltbaues. — Nicolaus Copernicus beobachtete schon mit dem Astronomen Brudzewski zu Krakau, als Columbus Amerika entdeckte. Ideelle Verkettung des 16ten und 17ten Jahrhunderts durch Peurbach und Regiomontanus. Copernicus hat sein Weltsystem nie als Hypothese, sondern als unumstößliche Wahrheit aufgestellt. S. 341–353 und Anm. S. 496–506. — Kepler und die empirischen von ihm entdeckten Gesetze der Planetenbahnen S. 353 bis 355 und Anm. S. 506 (auch S. 363–365 und Anm. S. 512 bis 513). — Erfindung des Fernrohrs; Hans Lippershey, Jacob Adriaansz (Metius), Zacharias Jansen. Erste Früchte des telescopischen Sehens: Gebirgslandschaften des Mondes; Sternschwärme und Milchstraße, die vier Trabanten des Jupiter; Dreigestaltung des Saturn; sichelförmige Gestalt der Venus; Sonnenflecken und Rotationsdauer der Sonne. — Für die Schicksale der Astronomie und die Schicksale ihrer Begründung bezeichnet die Entdeckung der kleinen Jupiterswelt eine denkwürdige Epoche. Die Jupitersmonde veranlassen die Entdeckung der Geschwindigkeit des Lichts, und die Erkenntniß dieser Geschwindigkeit führt zu Erklärung der Aberrations-Ellipse der Fixsterne, d. i. zu dem sinnlichen Beweise von der translatorischen Bewegung der Erde. — Den Entdeckungen von Galilei, Simon Marius und Johann Fabricius folgte das Auffinden der Saturnstrabanten durch Huygens und Cassini, des Thierkreislichtes als eines kreisenden abgesonderten Nebelringes durch Childrey, des veränderlichen Lichtwechsels von Fixsternen durch David Fabricius, Johann Bayer und Holwarda. Sternloser Nebelfleck der Andromeda von Simon Marius beschrieben. S. 355–369 und Anm. S. 507–514. — Wenn auch das siebzehnte Jahrhundert in seinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntnisse der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an seinem Ende den Fortschritten des reinen mathematischen Wissens durch Newton und Leibnitz seinen Hauptglanz verdankt, so hat doch auch in dieser großen Zeit der wichtigste Theil der physikalischen Probleme in den Processen des Lichts, der Wärme und des Magnetismus eine befruchtende Pflege erfahren. Doppelte Strahlenbrechung und Polarisation; Spuren von der Kenntniß der Interferenz bei Grimaldi und Hooke. William Gilbert trennt den Magnetismus von der Electricität. Kenntniß von dem periodischen Fortschreiten der Linien ohne Abweichung. Halley's frühe Vermuthung, daß das Polarlicht (das Leuchten [544] der Erde) eine magnetische Erscheinung sei. Galilei's Thermoscope und Benutzung derselben zu einer Reihe regelmäßiger täglicher Beobachtungen auf Stationen verschiedener Höhe. Untersuchungen über die strahlende Wärme. Torricelli's Röhre und Höhenmessungen durch den Stand des Quecksilbers in derselben. Kenntniß der Luftströme und des Einflusses der Rotation der Erde auf dieselben. Drehungsgesetz der Winde, von Bacon geahndet. Glücklicher, aber kurzer Einfluß der Academia del Cimento auf die Gründung der mathematischen Naturphilosophie auf dem Wege des Experiments. — Versuche die Luftfeuchtigkeit zu messen; Condensations-Hygrometer. — Electrischer Proceß, tellurische Electricität; Otto von Guerike sieht das erste Licht in selbsthervorgerufener Electricität. — Anfänge der pneumatischen Chemie; beobachtete Gewichtszunahme bei Oxydation der Metalle; Cardanus und Jean Rey, Hooke und Mayow. Ideen über einen Grundstoff des Luftkreises (Spiritus nitro-aëreus), welcher an die sich verkalkenden Metalle tritt, für alle Verbrennungs-Processe und das Athmen der Thiere nothwendig ist. — Einfluß des physikalischen und chemischen Wissens auf die Ausbildung der Geognosie (Nicolaus Steno, Scilla, Lister); Hebung des Meeresbodens und der Küstenländer. In der größten aller geognostischen Erscheinungen, in der mathematischen Gestalt der Erde, spiegeln sich erkennbar die Zustände der Urzeit ab, d. h. die primitive Flüssigkeit der rotirenden Masse und ihre Erhärtung als Erdsphäroid. Gradmessungen und Pendelversuche in verschiedenen Breiten. Polar-Abplattung. Die Erdgestaltung wird von Newton aus theoretischen Gründen erkannt, und so die Kraft aufgefunden, von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze eine nothwendige Folge sind. Die Auffindung einer solchen Kraft, deren Dasein in Newton's unsterblichem Werke der Principien entwickelt wird, ist fast gleichzeitig mit den durch die Infinitesimal-Rechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen gewesen. S. 369–394 und Anm. S. 514–520.

VIII. Vielseitigkeit und innigere Verkettung der wissenschaftlichen Bestrebungen in der neuesten Zeit. — Rückblick auf die Hauptmomente in der Geschichte der Weltanschauung, die an große Begebenheiten geknüpft sind. — Die Vielseitigkeit der Verknüpfung alles jetzigen Wissens erschwert die Absonderung und Umgrenzung des Einzelnen. — Die Intelligenz bringt fortan Großes, fast ohne Anregung von außen, durch eigene innere Kraft nach allen Richtungen hervor. Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt so allmälig mit der Geschichte von der Idee eines Naturganzen zusammen. S. 395–400 und Anm. S. 520.

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Appendix B

Notes
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1.
(S. 4.) Kosmos Bd. I. S. 50.
3.
(S. 5.) Dante, Purg. I, 25–28: Goder pareva il ciel di lor fiammelle: O settentrional vedovo sito, Poi che privato se' di mirar quelle!
4.
(S. 6.) Schiller's sämmtliche Werke 1826 Bd. XVIII. S. 231, 473, 480 und 486; Gervinus, neuere Gesch. der poet. National-Litteratur der Deutschen 1840 Bd. I. S. 135; Adolph Becker im Charikles Th. I. S. 219. Vergleiche aber damit Eduard Müller über Sophokleische Naturanschauung und die tiefe Naturempfindung der Griechen 1842 S. 10 und 26.
5.
(S. 8.) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste bei den Alten Bd. II. 1843 S. 128–138.
6.
(S. 8.) Plut. de EI apud Delphos c. 9. Vergl. über eine Stelle des Apollonius Dyscolus aus Alexandrien (Mirab. Hist. c. 40) die letzte Schrift von Otfr. Müller: Gesch. der griech. Litteratur Bd. I. 1845 S. 31.
7.
(S. 8.) Hesiodi Opera et Dies v. 502–561; Göttling in Hes. Carm. 1831 p. XIX; Ulrici, Gesch. der hellenischen Dichtkunst Th. I. 1835 S. 337; Bernhardy, Grundriß der griech. Litteratur Th. II. S. 176; doch nach dem Ausspruch von Gottfr. Hermann (Opuscula Vol. VI. p. 239) „trägt des Hesiodus malerische Beschreibung des Winters alle Zeichen eines hohen Alterthums".
8.
(S. 8.) Hes. Theog. v. 233–264. Auch die Nereide Mära (Od. XI, 326; Il. XVIII, 48) soll vielleicht das phosphorische [105] Leuchten der Meeresfläche ausdrücken, wie derselbe Name μαῖρα den funkelnden Hundsstern (Sirius) bezeichnet.
9.
(S. 9.) Vergl. Jacobs, Leben und Kunst der Alten Bd. I. Abth. 1. S. VII.
10.
(S. 10.) Ilias VIII, 555–559; IV, 452–455; XI, 115–199. Vergl. auch im Eingang der Heerschau die gehäuften, aber lebensvollen Schilderungen der Thierwelt II, 458–475.
11.
(S. 10.) Od. XIX, 431–445; VI, 290; IX, 115–199. Vergl. „des grünenden Haines Umschattung" bei der Felsengrotte der Kalypso, „wo ein Unsterblicher selbst würde bewunderungsvoll weilen und sich herzlich erfreuen des Anblicks", V, 55–73; die Braudung im Lande der Phäaken V, 400–442; die Gärten des Alcinous VII, 113–130. — Ueber den Frühlingsdithyrambus des Pindaros s. Böckh, Pindari Opera T. II. P. 2. p. 575–579.
12.
(S. 12.) Oed. in Kolonos v. 668–719. Als Beschreibungen der Landschaft, in denen sich ein tiefes Naturgefühl offenbart, muß ich hier noch erwähnen: der Schilderung des Cithäron in Euripides Bachen v. 1045 (Leake, North. Greece Vol. II. p. 370), wo der Bote aus dem Asoposthale aufsteigt; des Sonnenaufganges im Delphischen Thale bei Euripides, Jon v. 82; des Anblickes der heiligen Delos, mit trüben Farben gemalt: „von Möwen umflattert, von stürmischen Wellen gegeißelt", bei Kallimachus im Hymnos auf Delos v. 11.
13.
(S. 12.) Nach Strabo (lib. VIII pag. 366, Casaub.), wo er den Tragiker wegen einer geographisch unrichtigen Begrenzung von Elis anklagt. Die schöne Stelle des Euripides ist aus dem Kresphontes und die Beschreibung der Trefflichkeit Messene's stand mit der Exposition der politischen Verhältnisse (der Theilung der Länder unter die Herakliden) in genauer Verbindung. Die Naturschilderung war also auch hier, wie Böckh scharfsinnig bemerkt, an menschliche Verhältnisse geknüpft.
14.
(S. 14.) Meleagri Reliquiae, ed. Manso p. 5. Vergl. Jacobs, Leben und Kunst der Alten Bd. I. Abth. 1. S. XV, Abth. 2. S. 150–190. Das Frühlingsgedicht des Meleager glaubte Zenobetti (Mel. Gadareni in Ver Idyllion 1759 p. 5) um die Mitte des 18ten Jahrhunderts zuerst entdeckt zu haben. S. Brunckii Anal. T. III. p. 105. — Zwei schöne [106] Waldgedichte des Marianos stehen in der Anthol. graeca II, 511 und 512. Mit dem Meleager contrastirt das Lob des Frühlings in den Eclogen des Himerius, eines Sophisten, der unter Julian Lehrer der Rhetorik zu Athen war. Der Styl ist im ganzen kalt und geziert; aber im einzelnen, besonders in der beschreibenden Form, kommt er bisweilen der modernen Weltanschauung sehr nahe. Himerii Sophistae Eclogae et Declamationes, ed. Wernsdorf 1790 (Oratio III, 3–6 und XXI, 5). Man muß sich wundern, daß die herrliche Lage von Constantinopel den Sophisten gar nicht begeistert habe (Orat. VII, 5–7; XVI, 3–8). — Die im Text (S. 13) bezeichneten Stellen des Nonnus finden sich Dionys. ed. Petri Cunaei 1610 lib. II p. 70, VI p. 199, XXIII p. 16 und 619, XXVI p. 694. (Vergl. auch Ouwaroff, Nonnos von Panopolis, der Dichter 1817 S. 3, 16 und 21.)
15.
(S. 14.) Aeliani Var. Hist. et Fragm. lib. III cap. 1 pag. 139, Kühn. Vergl. A. Buttmann, Quaest. de Dicaearcho (Naumb. 1832) p. 32 und Geogr. gr. min. ed. Gail Vol. II. p. 140–145. — Eine merkwürdige Naturliebe, besonders eine Blumenliebhaberei, die William Jones schon mit der der indischen Dichter zusammengestellt, bemerkt man bei einem Tragiker, dem Chäremon; s. Welcker, griechische Tragödien Abth. III. S. 1088.
16.
(S. 14.) Longi Pastoralia (Daphnis et Chloe, ed. Seiler 1843) lib. I, 9; III, 12 und IV, 1–3; pag. 92, 125 und 137. Vergl. Villemain sur les Romans grecs in seinen Mélanges de Littérature T. II. p. 435–448, wo Longus mit Bernardin de St. Pierre verglichen ist.
17.
(S. 14.) Pseudo-Aristot. de Mundo cap. 3, 14–20, pag. 392 Bekker.
18.
(S. 15.) S. Aristoteles bei den Römern von Stahr 1834 S. 173–177; Osann, Beiträge zur griech. und röm. Litteraturgeschichte Bd. I. 1835 S. 165–192. Stahr vermuthet (S. 172), wie Heumann, daß der heutige griechische Text eine umgestaltete Uebersetzung des lateinischen Textes des Appulejus sei. Letzterer (de Mundo p. 250 Bip.) sagt bestimmt: „er habe sich in der Abfassung seines Buches an Aristoteles und Theophrast gehalten".
19.
(S. 15.) Osann a. a. O. S. 194–266.
20.
(S. 15.) Cicero de Natura Deorum II, 37. Eine Stelle, in welcher Sextus Empiricus (adversus Physicos lib. IX, 22 p. 554 Fabr.) eine ähnliche Aeußerung des Aristoteles anführt, verdient um so mehr Aufmerksamkeit als Sextus kurz vorher (IX, 20) auf einen anderen, für uns ebenfalls verlorenen Text (über Divination und Träume) anspielt.
21.
(S. 15.) „Aristoteles flumen orationis aureum fundens", Cic. Acad. Quaest. II cap. 38. (Vergl. Stahr, Aristotelia Th. II. S. 161 und in desselben Schrift: Aristoteles bei den Römern S. 53.)
22.
(S. 17.) Menandri Rhetoris Comment. de Encomiis ex rec. Heeren 1785 sect. I cap. 5 p. 38 und 39. Der strenge Kritiker nennt das didactische Naturgedicht ψσυχρότερον, eine frostige Composition, in der die Naturkräfte ihrer Persönlichkeit entkleidet auftreten, Apoll das Licht, Here der Inbegriff der Lufterscheinungen, Zeus die Wärme ist. Auch Plutarch (de aud. poet. p. 27 Steph.) verspottet die sogenannten Naturgedichte, welche nur die Form der Poesie haben. Nach dem Stagiriten (de Poet. c. 1) ist Empedocles mehr Physiologe als Dichter, er hat mit Homer nichts gemein als das Versmaaß.
23.
(S. 17.) „Es mag wunderbar scheinen, die Dichtung, die sich überall an Gestalt, Farbe und Mannigfaltigkeit erfreut, gerade mit den einfachsten und abgezogensten Ideen verbinden zu wollen; aber es ist darum nicht weniger richtig. Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Thatenkunde sind nicht in sich und ihrem Wesen nach gespalten; sie sind eins, wo der Mensch auf seinem Bildungsgange noch eins ist oder sich durch wahrhaft dichterische Stimmung in jene Einheit zurückversetzt." Wilhelm v. Humboldt, gesammelte Werke Bd. I. S. 98–102 (vergl. auch Bernhardy, röm. Litteratur S. 215–218 und Fried. Schlegel's sämmtliche Werke Bd. I. S. 108–110). Cicero (ad Quint. fratrem II, 11) schrieb freilich, wo nicht mürrisch, doch mit vieler Strenge, dem von Virgil, Ovid und Quintilian so hochgepriesenen Lucretius mehr Kunst als schöpferisches Talent (ingenium) zu.
24.
(S. 17.) Lucret. lib. V v. 930–1455.
25.
(S. 17.) Plato, Phaedr. p. 230; Cicero de Leg. I. 5, 15; II. 2, 1–3; II. 3, 6 (vergl. Wagner, Comment. [108] perp. in Cic. de Leg. 1804 p. 6); Cic. de Oratore I. 7, 28 (pag. 15 Ellendt).
26.
(S. 18.) S. die vortreffliche Schrift von Rudolph Abeken, Rector des Gymnasiums zu Osnabrück, welche unter dem Titel: Cicero in seinen Briefen im Jahr 1835 erschienen ist, S. 431–434. Die wichtige Zugabe über Cicero's Geburtsstätte ist von H. Abeken, dem gelehrten Neffen des Verfassers, ehemals preußischem Gesandtschaftsprediger in Rom, jetzt theilnehmend an der wichtigen ägyptischen Expedition des Professor Lepsius. Vergl. auch über die Geburtsstätte des Cicero Valery, Voy. hist. en Italie T. III. p. 421.
27.
(S. 18.) Cic. Ep. ad Atticum XII, 9 und 15.
28.
(S. 19.) Die Stellen des Virgilius, welche Malte-Brun (Annales des Voyages T. III. 1808 p. 235–266) als Localbeschreibungen anführt, beweisen bloß, daß der Dichter die Erzeugnisse der verschiedenen Länder, den Safran des Berges Tmolus, den Weihrauch der Sabäer, die wahren Namen vieler kleinen Flüsse, ja die mephitischen Dämpfe kannte, welche aus einer Höhle in den Apenninen bei Amsanctus aufsteigen.
29.
(S. 19.) Virg. Georg. I, 356–392; III, 349–380; Aen. III, 191–211; IV, 246–251; IV, 522–528; XII, 684–689.
30.
(S. 20.) S. Kosmos Bd. I. S. 252 und 453. (Vergl. als einzelne Naturbilder Ovid. Met. I, 568–576; III, 155–164; III, 407–412; VII, 180–188; XV, 296–306. Trist. lib. I El. 3, 60; lib. III El. 4, 49; El. 12, 15. Ex Ponto lib. III, Ep. 7–9.) Zu den seltenen Beispielen von individuellen Naturbildern, solchen, die sich auf eine bestimmte Landschaft beziehen, gehört, wie Roß zuerst erwiesen, die anmuthige Schilderung einer Quelle am Hymettus, welche mit dem Verse anhebt: Est prope purpureos colles florentis Hymetti... (Ovid. de arte am. III, 687). Der Dichter beschreibt die bei den Alten berühmte, der Aphrodite geheiligte Quelle Kallia, die an der Westseite des sonst sehr wasserarmen Hymettus ausbricht. (S. Roß, Brief an Prof. Vuros in der Griech. medicin. Zeitschrift, Junius 1837.)
31.
(S. 21.) Tibullus ed. Voß 1811, Eleg. lib. I. 6, 21–34; lib. II. 1, 37–66.
32.
(S. 21.) Lucan. Phars. III, 400–452 (Vol. I. p. 374–384 Weber).
33.
(S. 21.) S. oben Kosmos Bd. I. S. 298.
34.
(S. 21.) S. a. a. O. S. 455. Das Gedicht Aetna des Lucilius, sehr wahrscheinlich Theil eines größeren Gedichts über die Naturmerkwürdigkeiten Siciliens, wurde von Wernsdorf dem Cornelius Severus zugeschrieben. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen: das Lob des allgemeinen Naturwissens, als „Früchte des Geistes" betrachtet, v. 270–280; die Lavaströme v. 360–370 und 474–515; die Wasserausbrüche am Fuß des Vulkans (?) v. 395; die Bildung des Bimssteins v. 425 (pag. XVI—XX, 32, 42, 46, 50 und 55 ed. Jacob 1826).
35.
(S. 22.) Decii Magni Ausonii Mosella v. 189–199, pag. 15 und 44 Böcking. Vergl. auch die in naturhistorischer Hinsicht nicht unwichtige, von Valenciennes scharfsinnig benutzte Notiz über die Fische der Mosel v. 85–150 pag. 9–12, ein Gegenstück zu Oppian (Bernhardy, griech. Litt. Th. II. S. 1049). Zu dieser trocken didactischen Dichtungsart, welche sich mit Naturproducten beschäftigte, gehörten auch die nicht auf uns gekommenen Ornithogonia und Theriaca des Aemilius Macer aus Verona, den Werken des Kolophoniers Nicander nachgebildet. Anziehender als des Ausonius Mosella war eine Naturbeschreibung der südlichen Küste von Gallien, welche das Reisegedicht des Claudius Rutilius Numatianus, eines Staatsmannes unter Honorius, enthielt. Durch den Einbruch der Barbaren von Rom vertrieben, kehrte Rutilius nach Gallien auf seine Landgüter zurück. Wir besitzen leider nur ein Fragment des zweiten Buchs, welches nicht weiter als bis zu den Steinbrüchen von Carrara führt. S. Rutilii Claudii Namatiani de Reditu suo (e Roma in Galliam Narbonensem) libri duo; rec. A. W. Zumpt 1840 p. XV, 31 und 219 (mit einer schönen Carte von Kiepert); Wernsdorf, Poetae lat. min. T. V. P. 1. p. 125.
36.
(S. 22.) Tac. Ann. II, 23–24; Hist. V, 6. Das einzige Fragment, das uns der Rhetor Seneca (Suasor. I p. 11 Bipont.) aus einem Heldengedichte erhalten hat, in welchem Ovids Freund Pedo Albinovanus die Thaten des Germanicus besang, beschreibt ebenfalls die unglückliche Schiffahrt auf der Ems (Ped. Albinov. Elegiae Amst. 1703 p. 172). Seneca hält diese Schilderung des stürmischen Meeres für malerischer als alles, was die römischen Dichter hervorgebracht haben. Freilich [110] sagt er selbst: latini declamatores in Oceani descriptione non nimis viguerunt; nam aut tumide scripserunt aut curiose.
37.
(S. 22.) Curt. in Alex. Magno VI, 16. (Vergl. Droysen, Gesch. Alexanders des Großen 1833 S. 265.) In dem nur zu rhetorischen Lucius Annaeus Seneca (Quaest. Natur. lib. III c. 27–30 pag. 677–686 ed. Lips. 1741) findet sich die merkwürdige Beschreibung eines der verschiedenen Untergänge des einst reinen, dann sündhaft gewordenen Menschengeschlechts durch eine fast allgemeine Wasserfluth: Cum fatalis dies diluvii venerit .... bis: peracto exitio generis humani exstinctisque pariter feris in quarum homines ingenia transierant .... Vergl. die Schilderung chaotischer Erdrevolutionen im Bhagavata-Purana Buch III c. 17 (ed. Burnouf T. I. p. 441).
38.
(S. 24.) Plin. Epist. II, 17; V, 6; IX, 7; Plin. Hist. nat. XII, 6; Hirt, Gesch. der Baukunst bei den Alten Bd. II. S. 241, 291 und 376. Die Villa Laurentina des jüngeren Plinius lag bei der jetzigen Torre di Paterno im Küstenthale la Palombara östlich von Ostia; s. Viaggio da Ostia a la Villa di Plinio 1802 p. 9 und Le Laurentin par Haudelcourt 1838 p. 62. Den Ausbruch eines tiefen Naturgefühls enthalten die wenigen Zeilen, welche Plinius vom Laurentinum aus an Minutius Fundanus schrieb: „Mecum tantum et cum libellis loquor. Rectam sinceramque vitam! dulce otium honestumque! O mare, o littus, verum secretumque μουσεῖον! quam multa invenitis, quam multa dictatis!" (I, 9.) Hirt hatte die Ueberzeugung, daß, wenn in Italien, im 15ten und 16ten Jahrhundert, die streng geregelte Gartenkunst aufkam, welche man lange die französische genannt und der freien Landschaftgärtnerei der Engländer entgegenstellt hat, die Ursach dieser früheren Neigung zu langweilig geregelten Anlagen in dem Wunsch zu suchen sei, nachzuahmen, was der jüngere Plinius in seinen Briefen beschrieben hatte (Geschichte der Baukunst bei den Alten Th. II. S. 366).
39.
(S. 24.) Plin. Epist. III, 19; VIII, 16.
40.
(S. 25.) Suet. in Julio Caesare cap. 56. Das verlorene Gedicht des Cäsar (Iter) beschrieb die Reise nach Spanien, als er zu seiner letzten Kriegsthat sein Heer, nach Sueton in 24, nach Strabo und Appian in 27 Tagen zu Lande von Rom nach [111] Corduba führte, weil die Reste der in Afrika geschlagenen Pompejanischen Parthei sich in Spanien wieder gesammelt hatten.
41.
(S. 25.) Sil. Ital. Punica lib. III v. 477.
42.
(S. 25.) A. a. O. lib. IV v. 348, lib. VIII v. 399.
43.
(S. 26.) S. über das elegische Gedicht Nicol. Bach in der allg. Schul-Zeitung 1829 Abth. II. No. 134 S. 1097.
44.
(S. 27.) Minucii Felicis Octavius ex rec. Gron. (Roterod. 1743) cap. 2 und 3 (pag. 12–28), cap. 16–18 (pag. 151–171).
45.
(S. 27.) Ueber den Tod des Naucratius um das Jahr 357 f. Basilii Magni Opp. omnia ed. Par. 1730 T. III. p. XLV. Die jüdischen Essener führten zwei Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung ein Einsiedlerleben am westlichen Ufer des todten Meeres, in Verkehr mit der Natur. Plinius sagt schön von ihnen (V, 15): „mira gens, socia palmarum". Die Therapeuten wohnten ursprünglich, und in mehr klösterlicher Gemeinschaft, in einer anmuthigen Gegend am See Möris (Neander, allg. Geschichte der christl. Religion und Kirche Bd. I. Abth. 1. 1842 S. 73 und 103).
46.
(S. 28.) Basilii M. Epist. XIV p. 93, Ep. CCXXIII p. 339. Ueber den schönen Brief an Gregorius von Nazianz und über die poetische Stimmung des heil. Basilius s. Villemain de l'éloquence chrétienne dans le quatrième siècle, in seinen Mélanges historiques et littéraires T. III. p. 320–325. Der Iris, an dessen Ufern die Familie des großen Basilius alten Länderbesitz hatte, entspringt in Armenien, durchströmt die pontischen Landschaften und fließt, mit den Wassern des Lycus gemischt, in das schwarze Meer.
47.
(S. 29.) Gregorius von Nazianz ließ sich jedoch nicht durch die Beschreibung der Einsiedelei des Basilius am Iris reizen; er zog Arianzus in der Tiberina Regio vor, obgleich sein Freund diesen Ort mürrisch ein unreines βάραθρον nennt. S. Basilii Ep. II p. 70 und die Vita Sancti Bas. p. XLVI und LIX der Ausg. von 1730.
48.
(S. 29.) Basilii Homil. in Hexaem. VI, 1 und IV, 6 (Bas. Opp. omnia ed. Jul. Garnier 1839 T. I. p. 54 und 70). Vergl. damit den Ausdruck der tiefsten Schwermuth in dem schönen Gedichte des Gregorius von Nazianz unter der [112] Ueberschrift: „von der Natur des Menschen" (Gregor. Naz. Opp. omnia ed. Par. 1611 T. II. Carm. XIII p. 85).
49.
(S. 30.) Die im Texte citirte Stelle des Gregorius von Nyssa ist aus einzelnen hier wörtlich übersetzten Fragmenten zusammengetragen. Es finden sich dieselben in S. Gregorii Nysseni Opp. ed. Par. 1615 T. I. p. 49 C, p. 589 D, p. 210 C, p. 780 C; T. II. p. 860 B, p. 619 B, p. 619 D, p. 324 D. „Sei milde gegen die Regungen der Schwermuth", sagt Thalassius in Denksprüchen, welche von seinen Zeitgenossen bewundert wurden (Biblioth. Patrum ed. Par. 1624 T. II. p. 1180 C).
50.
(S. 30.) S. Joannis Chrysostomi Opp. omnia Par. 1838 (8°) T. IX. p. 687 A, T. II. p. 821 A und 851 E, T. I. p. 79. Vergl. auch Joannis Philoponi in cap. I Geneseos de creatione Mundi libri septem Viennae Austr. 1630 p. 192, 236 und 272; wie auch Georgii Pisidae Mundi opificium ed. 1596 v. 367–375, 560, 933 und 1248. Die Werke des Basilius und des Gregorius von Nazianz hatten schon früh, seitdem ich anfing Naturschilderungen zu sammeln, meine Aufmerksamkeit gefesselt; aber alle angeführten trefflichen Uebersetzungen von Gregorius von Nyssa, Chrysostomus und Thalassius verdanke ich meinem vieljährigen, mir immer so hülfreichen Collegen und Freunde Herrn Hase, Mitglied des Instituts und Conservator der Königl. Bibliothek zu Paris.
51.
(S. 31.) Ueber das Concilium Turonense unter Pabst Alexander III s. Ziegelbauer, Hist. Rei litter. ordinis S. Benedicti T. II. p. 248 ed. 1754; über das Concilium zu Paris von 1209 und die Bulle Gregors IX vom Jahr 1231 s. Jourdain, Recherches crit. sur les traductions d'Aristote 1819 p. 204–206. Es war das Lesen der physikalischen Bücher des Aristoteles mit strengen Strafen belegt worden. In dem Concilium Lateranense von 1139 (Sacror. Concil. nova Collectio ed. Ven. 1776 T. XXI. p. 528) wurde den Mönchen bloß die Ausübung der Medicin untersagt. Vergl. die gelehrte und anmuthige Schrift des jungen Wolfgang von Göthe: der Mensch und die elementarische Natur 1844 S. 10.
52.
(S. 33.) Fried. Schlegel über nordische Dichtkunst in seinen sämmtlichen Werken Bd. X. S. 71 und 90. Aus der sehr frühen Zeit Carls des Großen ist noch die dichterische [113] Schilderung des waldigen, wieseneinschließenden Thiergartens bei Aachen anzuführen in dem Leben des großen Kaisers von Angilbertus, Abt von St. Riquier (s. Pertz, Monum. Vol. II. pag. 393–403).
53.
(S. 33.) S. die Vergleichung beider Epen, der Nibelungen (die Rache der Chriemhild schildernd, der Gemahlinn des hörnernen Siegfried) und der Gudrun (der Tochter Königs Hetel), in Gervinus Gesch. der deutschen Litt. Bd. I. S. 354–381.
54.
(S. 35.) Ueber die romantische Schilderung der Höhle der Liebenden im Tristan des Gottfried von Strasburg s. Gervinus a. a. O. Bd. I. S. 450.
55.
(S. 36). Vridankes Bescheidenheit von Wilhelm Grimm 1834 S. L und CXXVIII. Das ganze Urtheil über das deutsche Volksepos und über den Minnegesang (im Text von S. 33 bis S. 36) habe ich einem Briefe von Wilhelm Grimm an mich (Oct. 1845) entlehnt. Aus einem sehr alten angelsächsischen Gedichte über die Namen der Nunen, welches Hickes zuerst bekannt gemacht und das eine gewisse Verwandtschaft mit eddischen Liedern hat, schalte ich hier noch eine recht charakteristische Beschreibung der Birke ein: „Beorc ist in Aesten schön; an den Spitzen rauscht sie lieblich bewachsen mit Blättern, von den Lüften bewegt." Einfach und edel ist die Begrüßung des Tages: „Tag ist des Herren Bote, theuer dem Menschen, herrliches Licht Gottes, Freude und Zuversicht Reichen und Armen, allen gedeihlich!" Vergl. Wilhelm Grimm über deutsche Runen 1821 S. 94, 225 und 234.
56.
(S. 37.) Jacob Grimm in Reinhart Fuchs 1834 S. CCXCIV. (Vergl. auch Christian Lassen in seiner indischen Alterthumskunde Bd. I. 1843 S. 296.)
57.
(S. 37.) Die Unächtheit der Lieder Ossian's und des Macpherson'schen Ossian's insbesondere, von Talvj (1840), der geistreichen Uebersetzerinn der serbischen Volkspoesien. Die erste Publication des Ossian von Macpherson ist von 1760. Die Finnianischen Lieder ertönen allerdings in den schottischen Hochlanden wie in Irland, aber sie sind nach O'Reilly und Drummond von Irland aus dahin übergetragen.
58.
(S. 38.) Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 412–415.
59.
(S. 39.) Ueber die indischen Waldeinsiedler, Vanaprasthen (sylvicolae) und Sramanen (ein Name, der in Sarmanen und Garmanen verstümmelt wurde) s. Lassen de nominibus quibus veteribus appellantur Indorum philosophi im Rhein. Museum für Philologie 1833 S. 178–180. Wilhelm Grimm findet eine indische Färbung in der Waldbeschreibung, die der Pfaffe Lambrecht vor 1200 Jahren in seinem Alexanderliede gibt, das zunächst nach einem französischen Vorbilde gedichtet ist. Der Held kommt in einen wunderbaren Wald, wo aus großen Blumen übernatürliche, mit allen Reizen ausgeschmückte Mädchen hervorwuchsen. Er verweilte so lange bei ihnen, bis Blumen und Mädchen wieder hinwelkten. (Vergl. Gervinus Bd. I. S. 282 und Maßmann, Denkmäler Bd. I. S. 16.) Das sind die Mädchen aus Edrisi's östlichster Zauberinsel Vacvac, die ein Ausfuhrartikel sind und in der lateinischen Uebertragung des Masudi Chothbeddin puellae vasvakienses heißen. (Humboldt, Examen crit. de la Géographie T. I. p. 53.)
60.

(S. 40.) Kalidasa, am Hofe des Vikramaditya, lebte ungefähr 56 Jahr vor unsrer Zeitrechnung. Das Alter der beiden großen Heldengedichte, des Ramayana und Mahabharata, reicht sehr wahrscheinlich weit über die Erscheinung Buddha's, d. i. weit über die Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Chr., hinauf (Burnouf, Bhagavata-Purana T. I. p. CXI und CXVIII; Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 356 und 492). Georg Forster hat durch die Uebersetzung der Sakuntala, d. i. durch die geschmackvolle Verdeutschung einer englischen Uebertragung von William Jones (1791), viel zu dem Enthusiasmus beigetragen, welcher damals zuerst für indische Dichtkunst in unserm Vaterlande ausbrach. Ich erinnere gern an zwei schöne Distichen Göthe's, die 1792 erschienen:

Willst du die Blüthe des frühen, die Früchte des späteren Jahres,

Willst du, was reizt und entzückt, willst du, was sättigt und nährt,

Willst du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen;

Nenn' ich, Sakontala, Dich, und so ist alles gesagt.

Die neueste deutsche Uebersetzung des indischen Drama's, nach den wichtigen von Brockhaus aufgefundenen Urtexten, ist die von Otto Böhtlingk (Bonn 1842).

61.
(S. 40.) Humboldt über Steppen und Wüsten in den Ansichten der Natur, 2te Ausg. 1826 Bd. I. S. 33–37.
62.

(S. 41.) Um das Wenige zu vervollständigen, was in dem Texte der indischen Litteratur entlehnt ist, und um (wie früher bei der griechischen und römischen Litteratur geschehen ist) die Quellen einzeln angeben zu können, schalte ich hier, nach den freundlichen handschriftlichen Mittheilungen eines ausgezeichneten und philosophischen Kenners der indischen Dichtungen, Herrn Theodor Goldstücker, allgemeinere Betrachtungen über das indische Naturgefühl ein:

„Unter allen Einflüssen, welche die geistige Entwickelung des indischen Volkes erfahren, scheint mir derjenige der erste und wichtigste, welchen die reiche Natur des Landes auf das Volk ausgeübt hat. Das tiefste Naturgefühl ist zu allen Zeiten der Grundzug des indischen Geistes gewesen. Drei Epochen lassen sich mit Bezug auf die Weise angeben, in welcher sich dieses Naturgefühl offenbart hat. Jede derselben hat ihren bestimmten, im Leben und in der Tendenz des Volkes tief begründeten Charakter. Daher können wenige Beispiele hinreichen, um die fast dreitausendjährige Thätigkeit der indischen Phantasie zu bezeichnen. Die erste Epoche des Ausdrucks eines regen Naturgefühls offenbaren die Vedas. Aus dem Rigveda führen wir an die einfach erhabenen Schilderungen der Morgenröthe (Rigveda-Sanhitâ ed. Rosen 1838 hymn. XLVI p. 88, hymn. XLVIII p. 92, hymn. XCII p. 184, hymn. CXIII p. 233; vergl. auch Höfer, ind. Gedichte 1841 Lese 1. S. 3) und der „goldhändigen" Sonne (s. a. a. O. hymn. XXII p. 31, hymn. XXXV p. 65). Die Verehrung der Natur war hier, wie bei anderen Völkern, der Beginn des Glaubens; sie hat aber in den Vedas die besondere Bestimmtheit, daß der Mensch sie stets in ihrem tiefsten Zusammenhange mit seinem eigenen äußern und inneren Leben auffaßt. — Sehr verschieden ist die zweite Epoche. In ihr wird eine populäre Mythologie geschaffen; sie hat den Zweck die Sagen der Vedas für das der Urzeit schon entfremdete Bewußtsein faßlicher auszubilden und mit historischen Ereignissen, die in das Reich der Mythe erhoben werden, zu verweben. Es fallen in diese zweite Epoche die beiden großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata, von denen das letztere, jüngere, noch den Nebenzweck hat die Brahmanencaste unter den vieren, welche die Verfassung des alten [116] Indiens constituiren, zu der einflußreichsten zu machen. Darum ist das Ramayana auch schöner, an Naturgefühl reicher; es ist auf dem Boden der Poesie geblieben, und nicht genöthigt gewesen Elemente, die diesem fremd, ja fast widersprechend sind, aufzunehmen. In beiden Dichtungen ist die Natur nicht mehr, wie in den Vedas, das ganze Gemälde, sondern nur ein Theil desselben. Zwei Punkte unterscheiden die Auffassung der Natur in dieser Epoche der Heldengedichte wesentlich von derjenigen, welche die Vedas darthun; des Abstandes in der Form nicht zu gedenken, welcher die Sprache der Verehrung von der Sprache der Erzählung trennt. Der eine Punkt ist die Localisirung der Naturschilderung (z. B. im Ramayana nach Wilhelm von Schlegel das erste Buch oder Balakanda und das zweite Buch oder Ayodhyakanda; s. auch über den Unterschied der genannten beiden großen Epen Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 482); der andere Punkt, mit dem ersten nahe verbunden, betrifft den Inhalt, um den sich das Naturgefühl bereichert hat. Die Sage und zumal die historische brachte es mit sich, daß Beschreibung bestimmter Oertlichkeiten an die Stelle allgemeiner Naturschilderung trat. Die Schöpfer der großen epischen Dichterformen, sei es Valmiki, der die Thaten Rama's besingt, seien es die Verfasser des Mahabharata, welche die Tradition unter dem Gesammtnamen Vyasa zusammenfaßt, alle zeigen sich beim Erzählen wie vom Naturgefühl überwältigt. Die Reise Rama's von Ayodhya nach der Residenzstadt Dschanaka's, sein Leben im Walde, sein Aufbruch nach Lanka (Ceylon), wo der wilde Ravana, der Räuber seiner Gattinn Sita, haust, bieten, wie das Einsiedlerleben der Panduiden, dem begeisterten Dichter Gelegenheit dar dem ursprünglichen Triebe des indischen Gemüthes zu folgen und an die Erzählung der Heldenthaten Bilder einer reichen Natur zu knüpfen (Ramayana ed. Schlegel lib. I cap. 26 v. 13–15, lib. II cap. 56 v. 6–11; vergl. Nalus ed. Bopp 1832 Ges. XII v. 1–10). Ein anderer Punkt, in welchem sich in Hinsicht auf das Naturgefühl diese zweite Epoche von der der Vedas unterscheidet, betrifft den reicheren Inhalt der Poesie selbst. Dieser ist nicht mehr, wie dort, die Erscheinung der himmlischen Mächte; er umfaßt vielmehr die ganze Natur, den Himmelsraum und die Erde, die Welt der Pflanzen und Thieren in ihrer üppigen Fülle und in ihrem Einfluß auf das Gemüth des Menschen. — In der dritten Epoche der poetischen Litteratur Indiens (wenn wir die Puranen[117] ausnehmen, welche die Aufgabe haben das religiöse Element im Geiste der Secten fortzubilden) übt die Natur die alleinige Herrschaft, aber der beschreibende Theil der Dichtkunst ist auf eine gelehrtere und örtliche Beobachtung gegründet. Um einige der großen Gedichte zu nennen, welche zu dieser Epoche gehören, erwähnen wir hier des Bhattikavya, d. i. des Gedichts von Bhatti, das gleich dem Ramayana die Thaten des Rama zum Gegenstande hat und in welchem erhabene Schilderungen des Waldlebens während einer Verbannung, des Meeres und seiner lieblichen Gestade wie des Morgenanbruchs in Lanka auf einander folgen (Bhattikavya ed. Calc. P. I. Ges. VII p. 432, Ges. X p. 715, Ges. XI p. 814; vergl. auch Schütz, Prof. zu Bielefeld, fünf Gesänge des Bhatti-Kâvya 1837 S. 1–18); des Sisupalabadha von Magha mit einer anmuthigen Beschreibung der Tageszeiten; des Naischada-tscharita von Sri Harscha, wo aber in der Geschichte des Nalus und der Damayanti der Ausdruck des Naturgefühls in das Maaßlose übergeht. Mit diesem Maaßlosen contrastirt die edle Einfachheit des Ramayana, wenn z. B. Visvamitra seinen Zögling an die Ufer des Sona führt (Sisupalabadha ed. Calc. p. 298 und 372, vergl. Schütz a. a. O. S. 25–28; Naischada-tscharita ed. Calc. P. I. v. 77–129; Ramayana ed. Schlegel lib. I cap. 35 v. 15–18). Kalidasa, der gefeierte Dichter der Sakuntala, ist Meister in der Darstellung des Einflusses, welchen die Natur auf das Gemüth der Liebenden ausübt. Die Waldscene, die er in dem Drama Vikrama und Urvasi geschaffen, gehört zu den schönsten dichterischen Erzeugnissen, welche je eine Zeit hervorgebracht (Vikramorvasi ed. Calc. 1830 p. 71; Uebersetzung in Wilson's select specimens of the Theatre of the Hindus Calc. 1827 Vol. II. p. 63). In dem Gedichte der Jahreszeiten, besonders der Regenzeit und des Frühlings (Ritusanhâra ed. Bohlen 1840 p. 11–18 und 37–45, Uebersetzung von Bohlen S. 80–88 und S. 107–114), wie in dem Wolkenboten (alles Schöpfungen des Kalidasa) ist der Einfluß der Natur auf die Gefühle des Menschen wieder der Hauptgegenstand der Composition. Der Wolkenbote (Meghaduta), den Wilson und Gildemeister edirt, auch Wilson und Chézy übersetzt haben, schildert die Trauer eines Verbannten auf dem Berge Ramagiri. In der Sehnsucht nach der Geliebten, von welcher er getrennt ist, bittet er eine vorüberziehende Wolke, sie möge Nachricht [118] von seinem Schmerze geben. Er bezeichnet der Wolke den Weg, den sie nehmen soll, und schildert die Landschaft, wie sie sich in einem tief aufgeregten Gemüthe abspiegelt. Unter den Schätzen, welche die indische Poesie in dieser dritten Periode dem Naturgefühl des Volkes verdankt, gebührt dem Gitagovinda des Dschayadeva (Rückert in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. I. 1837 S. 129–173; Gitagovinda Jayadevae poetae indici drama lyricum ed. Chr. Lassen 1836) die rühmlichste Erwähnung. Wir besitzen von diesem Gedichte, einem der anmuthigsten und schwierigsten der ganzen Litteratur, Rückert's meisterhafte rhythmische Uebersetzung; es giebt dieselbe mit bewundernswürdiger Treue den Geist des Originals und eine Naturauffassung wieder, deren Innigkeit alle Theile der großen Composition belebt."

63.
(S. 42.) Journ. of the Royal Geogr. Soc. of London Vol. X. 1841 p. 2–3; Rückert, Makamen Hariri's S. 261.
64.
(S. 42.) Göthe im Commentar zum west-östlichen Divan, in seinen Werken Bd. VI. 1828 S. 73, 78 und 111.
65.
(S. 43.) S. le Livre des Rois publié par Jules Mohl T. I. 1838 p. 487.
66.
(S. 43.) Vergl. in Jos. von Hammer, Gesch. der schönen Redekünste Persiens 1818: S. 96 Ewhadeddin Enweri aus dem 12ten Jahrhundert, in dessen Gedichte an Schedschai man eine denkwürdige Anspielung auf die gegenseitige Attraction der Himmelskörper entdeckt hat; S. 183 Dschelaleddin Rumi den Mystiker; S. 259 Dschelaleddin Adhad und S. 403 Feisi, welcher als Vertheidiger der Brahma-Religion an Akbars Hofe auftrat und in dessen Ghaselen eine indische Zartheit der Gefühle wehen soll.
67.
(S. 43.) „Die Nacht bricht ein, wenn die Tintenflasche des Himmels umgestürzt ist"; dichtet geschmacklos Chodschah Abdullah Wassaf, der aber das Verdienst hat die große Sternwarte von Meragha mit ihrem hohen Gnomon zuerst beschrieben zu haben. Hilali aus Asterabad läßt „die Mondscheibe vor Hitze glühen" und hält so den Thau für „den Schweiß des Mondes" (Jos. von Hammer S. 247 und 371).
68.
(S. 43.) Tûirja oder Turan sind Benennungen unent= [119] deckter Herleitung. Doch hat Burnouf (Yacna T. I. p. 427–430) scharfsinnig an die bei Strabo (lib. XI. pag. 517 Cas.) genannte bactrische Satrapie Turiua oder Turiva erinnert. Du Theil und Groskurd (letzterer Th. II. S. 410) wollen aber Tapyria lesen.
69.
(S. 43.) Ueber ein finnisches Epos von Jacob Grimm 1845 S. 5.
70.
(S. 47.) Ich bin in den Psalmen der trefflichen Uebertragung von Moses Mendelssohn (s. dessen gesammelte Schriften Bd. VI. S. 220, 238 und 280) gefolgt. Edle Nachklänge der alt-hebräischen Poesie finden sich noch im eilften Jahrhundert in den Hymnen des spanischen Synagogen-Dichters Salomo ben Jehudah Gabirol, die eine dichterische Umschreibung des pseudo-aristotelischen Buches von der Welt darbieten. S. Michael Sachs, die religiöse Poesie der Juden in Spanien 1845 S. 7, 217 und 229. Auch die dem Naturleben entnommenen Züge in Mose ben Jakob ben Esra sind voll Kraft und Größe (S. 69, 77 und 285).
71.
(S. 48.) Die Stellen aus dem Buche Hiob habe ich der Uebersetzung und Auslegung von Umbreit (1824) S. XXIX–XLII und 290–314 entlehnt. (Vergl. über das Ganze Gesenius Geschichte der hebr. Sprache und Schrift S. 33 und Jobi antiquissimi carminis hebr. natura atque virtutes ed. Ilgen p. 28.) Die längste und am meisten charakteristische Thierbeschreibung im Hiob (XL v. 25–XLI v. 26) ist die des Crocodils; und doch ist gerade in dieser (Umbreit S. XLI und 308) einer der Beweise enthalten, daß der Verfasser des Buchs Hiob aus Palästina selbst gebürtig war. Da Nilpferde und Crocodile ehemals im ganzen Nil-Delta gefunden wurden, so darf man sich nicht wundern, daß die Kenntniß von so seltsam gestalteten Thieren sich bis in das nahe Palästina verbreitet hatte.
72.
(S. 49.) Göthe im Commentar zum west-östlichen Divan S. 8.
73.
(S. 49.) Antar, a bedoueen Romance, transl. from the arabic by Terrick Hamilton Vol. I. p. XXVI; Hammer in den Wiener Jahrbüchern der Litteratur Bd. VI. 1819 S. 229; Rosenmüller in den Charakteren der vornehmsten Dichter aller Nationen Bd. V. (1798) S. 251.
74.
(S. 50.) Antara cum schol. Sunsenii ed. Menil 1816 v. 15.
75.

(S. 50.) Amrulkeisi Moailakat ed. E. G. Hengstenberg 1823; Hamasa ed. Freytag P. I. 1828 lib. VII p. 785. Vergl. auch das poetische Werk: Amrilkais, der Dichter und König, übersetzt von Fr. Rückert 1843 S. 29 und 62, wo zweimal die südlichen Regenschauer überaus naturwahr geschildert sind. Der königliche Dichter besuchte, mehrere Jahre vor der Geburt Mohammeds, den Hof des Kaisers Justinian, um Hülfe gegen seine Feinde zu erbitten. S. le Diwan d'Amro'lkaïs accomp. d'une traduction par le B\<up\>on\</up\>

Mac Guckin de Slane 1837 p. 111.

76.
(S. 50.) Nabeghah Dhobyani in Silvestre de Sacy, Chrestom. arabe 1806 T. III. p. 47. Vergl. über die früheste arabische Litteratur im allgemeinen Weil, die poet. Litteratur der Araber vor Mohammed 1837 S. 15 und 90, wie auch Freytag's Darstellung der arabischen Verskunst 1830 S. 372–392. Eine herrliche und vollständige Uebertragung der arabischen Naturpoesie aus der Hamasa haben wir von unserem großen Dichter Friedrich Rückert bald zu erwarten.
77.
(S. 50.) Hamasae carmina ed. Freytag P. I. 1828 p. 788. Es ist hier vollendet, heißt es ausdrücklich p. 796, „das Capitel der Reise und der Schläfrigkeit".
78.

(S. 52.) Dante, Purgatorio canto I v. 115:

L'alba vinceva l'ora mattutina,

Che fuggia innanzi, sì che di lontano

Conobbi il tremolar della marina ....

79.

(S. 52.) Purg. canto V v. 109–127:

Ben sai come nell' aer si raccoglie

Quell' umido vapor, che in acqua riede,

Tosto che sale, dove'l freddo il coglie ....

80.
(S. 52.) Purg. canto XXVIII v. 1–24.
81.

(S. 52.) Parad. canto XXX v. 61–69:

E vidi lume in forma di riviera

Fulvido di fulgore intra duo rive,

Dipinte di mirabil primavera.

Di tal fiumana uscian faville vive,

[121]

E d'ogni parte si mettean ne' fiori,

Quasi rubin, che oro circonscrive.

Poi, come inebriate dagli odori,

Riprofondavan se nel miro gurge,

E s' una entrava, un' altra n'uscia fuori.

Vergl. die Uebertragung des, als Dichter und Maler vielbegabten August Kopisch 1842 S. 399–401. Ich habe nichts aus den Canzonen der Vita nuova entlehnt, weil die Gleichnisse und Bilder, die sie enthalten, nicht in den reinen Naturkreis irdischer Erscheinungen gehören.

82.

(S. 53.) Ich erinnere an das Sonett des Bojardo: Ombrosa selva, che il mio duolo ascolti ... und an die herrlichen Stanzen der Vittoria Colonna, welche anheben:

Quando miro la terra ornata e bella,

Di mille vaghi ed odorati fiori ...

Eine schöne und sehr individuelle Naturbeschreibung des Landsitzes des Fracastoro am Hügel von Incassi (Mons Caphius) bei Verona giebt dieser als Arzt, Mathematiker und Dichter ausgezeichnete Mann in seinem „Naugerius de poetica dialogus". (Hieron. Fracastorii Opp. 1591 P. I. p. 321–326). Vergl. auch in einem seiner Lehrgedichte lib. II v. 208–219 (Opp. p. 636) die anmuthige Stelle über die Cultur des Citrus in Italien. Mit Verwunderung vermisse ich dagegen allen Ausdruck von Naturgefühl in den Briefen des Petrarca: sei es, daß er 1345, also drei Jahre vor dem Tode der Laura, von Vaucluse aus den Mont Ventoux zu besteigen versucht und sehnsuchtsvoll hofft in sein Vaterland hinüberzublicken, oder daß er die Rheinufer bis Cöln, oder den Golf von Bajä besucht. Er lebte mehr in den classischen Erinnerungen an Cicero und die römischen Dichter oder in den begeisternden Anregungen seiner ascetischen Schwermuth, als in der ihn umgebenden Natur (s. Petrarchae Epist. de Rebus familiaribus lib. IV, 1; V, 3 und 4: pag. 119, 156 und 161 ed. Lugdun. 1601). Nur die Beschreibung eines großen Sturmes, den Petrarca in Neapel 1343 beobachtete (lib. V, 5 p. 165), ist überaus malerisch.

83.
(S. 55.) Humboldt, Examen critique de l'his- [122] toire de la Géographie du Nouveau Continent T. III. p. 227–248.
84.
(S. 57.) S. oben Kosmos Bd. I. S. 296 und 469.
85.
(S. 57.) Tagebuch des Columbus auf der ersten Reise (29 Oct. 1492, 25 – 29 Nov., 7–16 Dec., 21 Dec.), auch sein Brief an Doña Maria de Guzman, ama del Principe D. Juan, Dec. 1500; in Navarrete, Coleccion de los Viages que hiciéron por mar los Españoles T. I. p. 43, 65–72, 82, 92, 100 und 266.
86.
(S. 57.) A. a. O. p. 303–304 (Carta del Almirante a los Reyes escrita en Jamaica a 7 de Julio 1503); Humboldt, Examen crit. T. III. p. 231–236.
87.
(S. 58.) Tasso canto XVI Sranze 9–16.
88.
(S. 58.) S. Friedrich Schlegel's sämmtl. Werke Bd. II. S. 96 und über den, freilich störenden Dualismus der Mythik, das Gemisch der alten Fabel mit christlichen Anschauungen Bd. X. S. 54. Camoens hat in den, nicht genug beachteten Stanzen 82–84 diesen mythischen Dualismus zu rechtfertigen versucht. Tethys gesteht auf eine fast naive Weise, doch in dem herrlichsten Schwunge der Poesie: „daß sie selbst, wie Saturn, Jupiter und aller Götter Schaar eitle Fabeleien sind, die blinder Wahn den Sterblichen gebar; sie dienen bloß, dem Liede Reiz zu geben. A Sancta Providencia que em Jupiter aqui se representa ..."
89.
(S. 59.) Os Lusiadas de Camões canto I est. 19, canto VI est. 71–82. S. auch das Gleichniß in der schönen Beschreibung des Sturmes, welcher in einem Walde wüthet, canto I est. 35.
90.
(S. 59.) Das Elmsfeuer: „o lume vivo, que a maritima gente tem por santo, em tempo de tormenta ..." canto V est. 18. Eine Flamme, Helena des griechischen Seevolks, bringt Unglück (Plin. II, 37); zwei Flammen, Castor und Pollux, mit Geräusch erscheinend, „als flatterten Vögel", sind heilsame Zeichen (Stob. Eclog. phys. I p. 514; Seneca, Nat. Quaest. I, 1). Ueber den hohen Grad eigenthümlicher Anschaulichkeit in den Naturbeschreibungen des Camoens s. die große Pariser Edition von 1818 in der Vida de Camões von Dom Joze Maria de Souza p. CII.
91.
(S. 60.) Die Wasserhose (Wettersäule) canto V est. 19–22 ist zu vergleichen mit der ebenfalls sehr dichterischen und naturwahren Beschreibung des Lucretius VI, 423–442. Ueber das süße Wasser, welches gegen Ende des Phänomens scheinbar aus dem oberen Theil der Wasserhose herabstürzt, s. Ogden, on Water Spouts (nach Beobachtungen auf einer im Jahr 1820 gemachten Reise von der Havana nach Norfolk), in Silliman, Amer. Journal of sc. Vol. XXIX. 1836 p. 254–260.
92.
(S. 60.) Canto III est. 7–21. Ich befolge immer den Text des Camoens der Editio princeps von 1572, welche die Vortreffliche und splendide Ausgabe des Dom Joze Maria de Souza-Botelho (Paris 1818) uns wiedergegeben hat. In den deutschen Citaten bin ich meist der Uebertragung Donner's (1833) gefolgt. Der Hauptzweck der Lusiaden des Camoens war die Verherrlichung seiner Nation. Es wäre ein Monument eines solchen dichterischen Ruhmes und einer solchen Nation würdig, wenn, nach dem edlen Beispiele der Säle von Schiller und Göthe im großherzoglichen Schlosse zu Weimar, in Lissabon selbst die zwölf grandiosen Compositionen meines hingeschiedenen geistreichen Freundes Gérard, welche Souza's Ausgabe schmücken, in recht beträchtlichen Dimensionen als Fresken an wohl beleuchteten Wänden ausgeführt würden. Das Traumgesicht des Königs Dom Manoel, in welchem ihm die Flüsse Indus und Ganges erscheinen, der Gigant Adamastor über dem Vorgebirge der guten Hoffnung schwebend („Eu sou aquelle occulto e grande Cabo, A quem chamais vós outros Tormentorio"), der Mord der Ignes de Castro und die liebliche Ilha de Venus würden von der herrlichsten Wirkung sein.
93.
(S. 60.) Canto X est. 79–90. Camoens nennt wie Vespucci die dem Südpol nächste Himmelsgegend sternenarm, canto V est. 14; auch kennt er das Eis der südlichen Meere, canto V est. 27.
94.
(S. 60.) Canto X est. 91–141.
95.
(S. 61.) Canto IX est. 51–63. (Vergl. Ludwig Kriegk, Schriften zur allgemeinen Erdkunde 1840 S. 338.) Die ganze Insel Ilha de Venus ist eine allegorische Mythe, wie est. 89 ausdrücklich angedeutet wird. Nur der Anfang der Erzählung des [124] Traumes von Dom Manoel schildert eine indische Berg- und Waldgegend, canto IV est. 70.
96.

(S. 62.) Aus Vorliebe für die alte spanische Litteratur und für den reizenden Himmelsstrich, in welchem die Araucana des Alonso de Ercilla y Zuñiga gedichtet wurde, habe ich gewissenhaft das, leider 42000 Verse lange Epos zweimal ganz gelesen: einmal in Peru, das andere Mal neuerlichst in Paris, als ich zur Vergleichung mit dem Ercilla durch die Güte eines gelehrten Reisenden, Herrn Ternaux Compans, ein sehr seltenes 1596 in Lima gedrucktes Buch, die neunzehn Gesänge des Arauco domado compuesto por el Licenciado Pedro de Oña, natural de los Infantes de Engol en Chile, erhielt. Von dem Epos des Ercilla, in dem Voltaire eine „Ilias", Sismondi eine „Zeitung in Reimen" zu sehen glauben, sind die ersten funfzehn Gesänge zwischen 1555 und 1563 gedichtet und schon 1569 erschienen; die letzten wurden erst 1590 gedruckt, nur sechs Jahre vor dem elenden Gedichte von Pedro de Oña, das denselben Titel führt als eines der dramatischen Meisterwerke des Lope de Vega, in welchem aber der Cacique Caupolican wieder die Hauptrolle spielt. Ercilla ist naiv und treuherzig, besonders in den Theilen seiner Composition, die er im Felde, aus Mangel an Papier, auf Baumrinde und Thierfelle schrieb. Die Schilderung seiner Dürftigkeit und des Undanks, welchen auch er an König Philipps Hofe erfuhr, ist überaus rührend, besonders am Schluß des 37sten Gesanges:

„Climas passè, mudè constelaciones,

Golfos inavegables navegando,

Estendiendo, Señor, Vuestra Corona

Hasta la austral frigida zona ..."

„Die Blüthenzeit meines Lebens ist dahin; ich werde, spät belehrt, dem Irdischen entsagen, weinen und nicht mehr singen." Die Naturbeschreibungen (der Garten des Zauberers, der Sturm, den Eponamon erregt, die Schilderung des Meeres; P. I. p. 80, 135 und 173, P. II. p. 130 und 161 in der Ausgabe von 1733) entbehren alles Naturgefühls; die geographischen Wortregister (canto XXVII) sind so gehäuft, daß in einer Ottave 27 Eigennamen unmittelbar auf einander folgen. Die Parte II. der Araucana ist nicht von Ercilla, sondern eine Fortsetzung in 20 cantos von Diego de [125] Santistevan Osorio, den 37 cantos des Ercilla folgend und diesen angeheftet.

97.

(S. 62.) Im Romancero de Romances caballerescos é historicos ordenado por D. Agustin Duran P. I. p. 189 und P. II. p. 237 erinnere ich an die schönen Strophen: Yba declinando el dia — Su curso y ligeras horas ... und an die Flucht des Königs Rodrigo, welche beginnt:

Quando las pintadas aves

Mudas estan y la tierra

Atenta escucha los rios ....

98.
(S. 62.) Fray Luis de Leon, Obras proprias y traducciones dedicadas á Don Pedro Portocarero 1681 p. 120: Noche serena. Ein tiefes Naturgefühl offenbart sich bisweilen auch in den alten mystischen Poesien der Spanier (Fray Luis de Granada, Santa Teresa de Jesus, Malon de Chaide); aber die Naturbilder sind meist nur die Hülle, in der ideale religiöse Anschauungen symbolisirt sind.
99.
(S. 63.) Calderon im standhaften Prinzen über Annäherung der spanischen Flotte Act I Scene 1, und über das Königthum des Gewildes in den Wäldern Act III Scene 2.
100.
(S. 64.) Was in dem Texte, im Urtheil über Calderon und Shakespeare, von Anführungszeichen begleitet ist, habe ich aus einem ungedruckten an mich gerichteten Briefe von Ludwig Tieck entlehnt.
1.
(S. 67.) Dies ist die Zeitfolge, nach welcher die Werke erschienen sind: Jean Jacques Rousseau 1759 (Nouvelle Héloise); Buffon 1778 (Époques de la Nature, aber die Histoire Naturelle schon 1749–1767); Bernardin de St. Pierre, Études de la Nature 1784, Paul et Virginie 1788, Chaumière indienne 1791; Georg Forster, Reise nach der Südsee 1777, kleine Schriften 1794. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem Erscheinen der Nouvelle Héloise hatte schon Madame de Sévigné in ihren anmuthigen Briefen die Lebendigkeit eines Naturgefühls offenbart, das in dem großen Zeitalter von Ludwig XIV sich so selten aussprach. Vergl. die herrlichen Naturschilderungen in den Briefen vom 20 April, 31 Mai, 15 August, 16 September und 6 November 1671; vom 23 October und 28 December 1689 (Aubenas, Hist. de Madame [126] de Sévigné 1842 p. 201 und 427). — Wenn ich später im Texte (S. 68) des alten deutschen Dichters Paul Flemming erwähnt habe, der von 1633 bis 1639 Adam Olearius auf seiner moscovitischen und persischen Reise begleitete, so ist es, weil nach dem gewichtigen Ausspruche meines Freundes Varnhagen von Ense (biographische Denkm. Bd. IV. S. 4, 75 und 129) „der Charakter von Flemming's Dichtungen eine gesunde und frische Kraft ist", weil seine Naturbilder zart und voll Leben sind.
2.
(S. 70.) Brief des Admirals aus Jamaica vom 7 Julius 1503: „El mundo es poco; digo que el mundo no es tan grande como dice el vulgo." (Navarrete, Coleccion de Viages esp. T. I. p. 300.)
3.
(S. 72.) S. Journal and Remarks by Charles Darwin 1832–1836 in Narrative of the Voyages of the Adventure and Beagle Vol. III. p. 479–490, wo eine überaus schöne Schilderung von Tahiti gegeben ist.
4.
(S. 72.) Ueber die Verdienste Georg Forster's als Mensch und als Schriftsteller s. Gervinus, Gesch. der poet. National-Litteratur der Deutschen Th. V. S. 390–392.
5.
(S. 73.) Freytag's Darstellung der arabischen Verskunst 1830 S. 402.
6.
(S. 77.) Herod. IV, 88.
7.
(S. 77.) Ein Theil der Werke des Polygnot und des Mikon (das Gemälde der Schlacht von Marathon in der Pökile zu Athen) wurde nach dem Zeugnisse des Himerius noch am Ende des vierten Jahrhunderts (nach dem Anfange unsrer Zeitrechnung) gesehen; diese Werke waren damals also gegen 850 Jahre alt (Letronne, Lettres sur la Peinture historique murale 1835 p. 202 und 453).
8.
(S. 78.) Philostratorum Imagines ed. Jacobs et Welcker 1825 p. 79 und 485. Beide gelehrte Herausgeber vertheidigen gegen ältere Verdächtigung die Wahrhaftigkeit der Gemälde-Beschreibung in der alten neapolitanischen Pinacothek (Jacobs p. XVII und XLVI, Welcker p. LV und LXVI). Otfried Müller vermuthet, daß Philostrats Gemälde der Inseln (II, 17) wie die der Sumpfgegend (I, 9), des Bosporus und der Fischer (I, 12 und 13) in der Darstellung viel Aehnlichkeit mit der Mosaik von Palestrina hatten. Auch Plato erwähnt im Eingange des Critias (p. 107) [127] der Landschaftmalerei, wie sie Berge, Flüsse und Waldungen darstellt.
9.
(S. 78.) Vorzüglich durch Agatharchus oder wenigstens nach dessen Vorschrift Aristot. Poet. IV, 16; Vitruv. lib. V cap. 7, lib. VII in Praef. (ed. Alois. Marinius 1836 T. I. p. 292, T. II. p. 56); vergl. Letronne a. a. O. p. 271–280.
10.
(S. 78.) Objecte der Rhopographia s. Welcker ad Philostr. Imag. p. 397.
11.
(S. 78.) Vitruv. lib. VII cap. 5 (T. II. p. 91).
12.
(S. 78). Hirt, Gesch. der bildenden Künste bei den Alten 1833 S. 332, Letronne p. 262 und 468.
13.
(S. 78.) Ludius qui primus (?) instituit amoenissimam parietum picturam, Plin. XXXV, 10. Die topiaria opera des Plinius und varietates topiorum des Vitruvius waren kleine landschaftliche Decorations-Gemälde. — Die im Text citirte Stelle des Kalidasa steht in Sakuntala Act VI (Böhtlingk's Uebers. 1842 S. 90).
14.
(S. 79.) Otfried Müller, Archäologie der Kunst 1830 S. 609. — Da früher im Texte des Kosmos der, in Pompeji und Herculaneum aufgefundenen Malereien gedacht worden ist, als einer Kunst, die der freien Natur wenig zugewandt war, so muß ich hier doch einige wenige Ausnahmen bezeichnen, welche durchaus als Landschaften im modernen Sinne des Worts gelten können. S. Pitture d'Ercolano Vol. II. tab. 45, Vol. III. tab. 53 und, als Hintergrund in reizenden historischen Compositionen, Vol. IV. tab. 61, 62 und 63. Ich erwähne nicht der merkwürdigen Darstellung in den Monumenti dell' Instituto di Corrispondenza archeologica Vol. III. tab. 9, deren antike Aechtheit schon von einem scharfsinnigen Archäologen, Raoul-Rochette, bezweifelt worden ist.
15.
(S. 80.) Gegen die Behauptung von Du Theil (Voyage en Italie par l'Abbé Barthélémy p. 284), daß Pompeji noch mit Glanz unter Hadrian bestanden und erst am Ende des fünften Jahrhunderts völlig zerstört worden sei, s. Adolph v. Hoff, Geschichte der Veränderungen der Erdoberfläche Th. II. 1824 S. 195–199.
16.
(S. 80.) S. Waagen, Kunstwerke und Künstler in England und Paris Th. III. 1839 S. 195–201, und besonders [128] S. 217–224, wo das berühmte Psalterium der Pariser Bibliothek (aus dem 10ten Jahrhundert) beschrieben wird, welches beweist, wie lange in Constantinopel sich „die antike Auffassungsweise" erhalten hat. — Den freundschaftlichen und leitenden Mittheilungen dieses tiefen Kunstkenners (des Professor Waagen, Directors der Gemälde-Gallerie in meiner Vaterstadt) habe ich zur Zeit meiner öffentlichen Vorträge im Jahr 1828 interessante Notizen über die Kunstgeschichte nach der römischen Kaiserzeit verdankt. Was ich später über die allmälige Entwickelung der Landschaftmalerei aufgeschrieben, theilte ich im Winter 1835 dem berühmten, leider uns so früh entrissenen Verfasser der italienischen Forschungen, Freiherrn von Rumohr in Dresden, mit. Ich erhielt von dem edel mittheilenden Manne eine große Zahl historischer Erläuterungen, die er mir sogar, wenn es nach der Form meines Werkes geschehen könnte, vollständig zu veröffentlichen erlaubte.
17.
(S. 81.) Waagen a. a. O. Th. I. 1837 S. 59, Th. III. 1839 S. 352–359.
18.
(S. 82.) „Im Belvedere des Vatican malte schon Pinturicchio Landschaften als selbstständige Verzierung; sie waren reich und componirt. Er hat auf Raphael eingewirkt, in dessen Bildern viele landschaftliche Seltsamkeiten nicht von Perugino abzuleiten sind. Bei Pinturicchio und bei dessen Freunden finden sich auch schon die sonderbaren spitzigen Bergformen, welche Sie früher in Ihren Vorlesungen geneigt waren von den durch Leopold von Buch so berühmt gewordenen tyroler Dolomitkegeln abzuleiten, die auf reisende Künstler bei dem steten Verkehr zwischen Italien und Deutschland könnten Eindruck gemacht haben. Ich glaube vielmehr, daß diese Kegelformen auf den frühesten italiänischen Landschaften entweder sehr alte conventionelle Uebertragungen sind aus Berg-Andeutungen in antiken Reliefs und musivischen Arbeiten, oder daß sie als ungeschickt verkürzte Ansichten des Soracte und ähnlicher isolirter Gebirge in der Campagna di Roma betrachtet werden müssen." (Aus einem Briefe von Carl Friedrich von Rumohr an mich im October 1832.) — Um die Kegel- und Spitzberge näher zu bezeichnen, von denen hier die Rede ist, erinnere ich an die phantastische Landschaft, welche in Leonardo da Vinci's allgemein bewundertem Bilde der Mona Lisa (Gemahlinn des Francesco del Giocondo) den Hintergrund bildet. — Unter denen, welche [129] in der niederländischen Schule die Landschaft vorzugsweise als eine eigene Gattung ausgebildet haben, sind noch Patenier's Nachfolger Herry de Bles, wegen seines Thier-Monogramms Civetta genannt, und später die Brüder Matthäus und Paul Bril zu erwähnen, die bei ihrem Aufenthalte in Rom große Neigung zu diesem abgesonderten Zweige der Kunst erweckten. In Deutschland behandelte Albrecht Altdorfer, Dürer's Schüler, die Landschaftmalerei noch etwas früher und mit größerem Erfolge als Patenier.
19.
(S. 82.) Gemalt für die Kirche San Giovanni e Paolo zu Venedig.
20.
(S. 83.) Wilhelm von Humboldt, gesammelte Werke Bd. IV. S. 37. Vergl. auch über die verschiedenen Stadien des Naturlebens und die durch die Landschaft hervorgerufenen Gemüthsstimmungen Carus in seinen geistreichen Briefen über die Landschaftsmalerei 1831 S. 45.
21.
(S. 83.) Das große Jahrhundert der Landschaftmalerei vereinigte: Johann Breughel 1569–1625; Rubens 1577–1640; Domenichino 1581–1641; Philippe de Champaigne 1602–1674; Nicolas Poussin 1594–1655; Gaspard Poussin (Dughet) 1613–1675; Claude Lorrain 1600–1682; Albert Cuyp 1606–1672; Jan Both 1610–1650; Salvator Rosa 1615–1673; Everdingen 1621–1675; Nicolaus Berghem 1624–1683; Swanevelt 1620–1690; Ruysdael 1635–1681; Minderhoot Hobbema; Jan Wynants; Adriaan van de Velde 1639–1672; Carl Dujardin 1644–1687.
22.
(S. 84.) Wunderbar phantastische Darstellungen der Dattelpalme, die in der Mitte der Laubkrone einen Knopf haben, zeigt mir ein altes Bild von Cima da Conegliano aus der Schule des Bellino (Dresdner Gallerie 1835 No. 40).
23.
(S. 84.) A. a. O. No. 917.
24.
(S. 85.) Franz Post oder Poost war zu Harlem 1620 geboren. Er starb daselbst 1680. Sein Bruder begleitete ebenfalls den Grafen Moritz von Nassau als Architect. Von den Gemälden waren einige, die Ufer des Amazonenstroms darstellend, in der Bildergallerie von Schleisheim zu sehen; andere sind in Berlin, Hannover und Prag. Die radirten Blätter (in Barläus, Reise des Prinzen Moritz von Nassau und in der königlichen Sammlung der Kupferstiche zu Berlin) zeugen von schönem Naturgefühl in Auffassung der Küstenform, der Beschaffenheit des Bodens [130] und der Vegetation. Sie stellen dar: Musaceen, Cactus, Palmen, Ficus-Arten mit den bekannten bretterartigen Auswüchsen am Fuß des Stammes, Rhizophora und baumartige Gräser. Die malerische brasilianische Reise endigt (Blatt LV) sonderbar genug mit einem deutschen Kiefernwalde, der das Schloß Dillenburg umgiebt. — Die früher im Texte (S. 85) gemachte Bemerkung über den Einfluß, den die Gründung botanischer Gärten in Oberitalien gegen die Mitte des 16ten Jahrhunderts auf die physiognomische Kenntniß tropischer Pflanzengestaltung kann ausgeübt haben, veranlaßt mich in dieser Note an die wohlbegründete Thatsache zu erinnern, daß der für die Belebung der Aristotelischen Philosophie und der Naturkunde gleich verdiente Albertus Magnus im 13ten Jahrhunderte im Dominicaner-Kloster zu Cöln wahrscheinlich ein warmes Treibhaus besaß. Der berühmte, schon wegen seiner Sprechmaschine der Zauberkunst verdächtigte Mann gab nämlich am 6 Januar 1249 dem römischen Könige Wilhelm von Holland bei seiner Durchreise ein Fest in einem weiten Raume des Klostergartens, in dem er bei angenehmer Wärme Fruchtbäume und blühende Gewächse den Winter hindurch unterhielt. Die Erzählung dieses Gastmahls ins Wunderbare übertrieben findet sich in der Chronica Joannis de Beka aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts. (Beka et Heda de Episcopis Ultrajectinis recogn. ab Arn. Buchelio 1643 p. 79; Jourdain, Recherches critiques sur l'age des traductions d'Aristote 1819 p. 331; Buhle, Gesch. der Philosophie Th. V. S. 296.) Obgleich die Alten, wie einzelne Beispiele aus den Pompejanischen Ausgrabungen lehren, Glasscheiben in Gebäuden anwendeten, so ist bisher doch wohl nichts aufgefunden worden, was in der antiken Kunstgärtnerei den Gebrauch von erwärmten Glas- und Treibhäusern bezeugte. Die Wärmeleitung der caldaria in Bädern hätte auf Anlegung solcher Treibereien und der Gewächshäuser leiten können, aber bei der Kürze des griechischen und italiänischen Winters wurde das Bedürfniß der künstlichen Wärme im Gartenbau weniger gefühlt. Die Adonisgärten (κῆποι Ἀδώνιδος), für den Sinn des Adonisfestes so bezeichnend, waren nach Böckh „Pflanzungen in kleinen Töpfen, die ohne Zweifel den Garten darstellen sollten, in welchem Aphrodite sich zum Adonis gesellte, dem Symbol der schnell hinwelkenden Jugendblüthe, des üppigen Wachsthums und des Vergehens. Die [131]Adonien waren also ein Trauerfest der Weiber, eines jener Feste, durch welche das Alterthum die hinsterbende Natur betrauerte. Wie wir von Treibhauspflanzen reden im Gegensatze des Naturwüchsigen, so haben die Alten oft sprichwörtlich das Wort Adonisgarten gebraucht, um damit schnell Emporgesprossenes, aber nicht zu tüchtiger Reife und Dauer Gediehenes zu bezeichnen. Die Pflanzen, nicht vielfarbige Blumen, nur Lattich, Fenchel, Gerste und Weizen, wurden mit emsiger Pflege zu schnellem Wachsthum gebracht; auch nicht im Winter, sondern im vollen Sommer, und in einer Zeit von acht Tagen." Creuzer (Symbolik und Mythologie Th. II. 1841 S. 427, 430, 479 und 481) glaubt indeß, daß zur Beschleunigung des Wachsthums der Pflanzen in den Adonisgärtchen „starke natürliche, und auch wohl künstliche Wärme im Zimmer angewendet wurde". — Der Klostergarten des Dominicauer-Klosters in Cöln erinnert übrigens an ein grönländisches oder isländisches Kloster des heil. Thomas, dessen immer schneeloser Garten durch natürliche heiße Quellen erwärmt war, wie die Fratelli Zeni in ihren, freilich der geographischen Oertlichkeit nach sehr problematischen Reisen (1388–1404) berichten. (Vergl. Zurla, Viaggiatori Veneziani T. II. p. 63–69 und Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 127.) — In unseren botanischen Gärten scheint die Anlage eigentlicher Treibhäuser viel neuer zu sein, als man gewöhnlich glaubt. Reife Ananas wurden erst am Ende des 17ten Jahrhunderts erzielt (Beckmann, Geschichte der Erfindungen Bd. IV. S. 287); ja Linné behauptet sogar in der Musa Cliffortiana florens Hartecampi, daß man Pisang in Europa zum ersten Male zu Wien im Garten des Prinzen Eugen 1731 habe blühen sehen.
25.
(S. 86.) Diese Ansichten der Tropen-Vegetation, welche die Physiognomik der Gewächse charakterisiren, bilden in dem Königl. Museum zu Berlin (Abtheilung der Miniaturen, Handzeichnungen und Kupferstiche) einen Kunstschatz, der seiner Eigenthümlichkeit und malerischen Mannigfaltigkeit nach bisher mit keiner anderen Sammlung verglichen werden kann. Des Freiherrn von Kittlitz edirte Blätter führen den Titel: Vegetations-Ansichten der Küstenländer und Inseln des stillen Oceans, aufgenommen 1827–1829 auf der Entdeckungsreise der kais. russ. Corvette Senjäwin (Siegen 1844). [132] Von einer großen Naturwahrheit zeugen auch die Zeichnungen von Carl Bodmer, welche, meisterhaft gestochen, eine Zierde des großen Reisewerkes des Prinzen Maximilian zu Wied in das Innere von Nordamerika sind.
26.
(S. 90.) Humboldt, Ansichten der Natur 2te Ausg. 1826 Bd. I. S. 7, 16, 21, 36 und 42. Vergl. auch zwei sehr lehrreiche Schriften: Friedrich von Martius, Physiognomie des Pflanzenreiches in Brasilien 1824 und M. von Olfers, allgemeine Uebersicht von Brasilien in Feldner's Reisen 1828 Th. I. S. 18–23.
27.
(S. 97.) Wilhelm v. Humboldt in seinem Briefwechsel mit Schiller 1830 S. 470.
28.
(S. 98.) Diodor II, 13. Er giebt aber dem berühmten Garten der Semiramis nur 12 Stadien im Umkreise. Die Paßgegend des Bagistanos heißt noch der Bogen oder Umfang des Gartens, Tauk-i bostan (Droysen, Gesch. Alexanders des Großen 1833 S. 553).
29.
(S. 99.) Im Schahnameh des Firdusi heißt es: „Eine schlanke Cypresse, dem Paradiese entsprossen, pflanzte Zerduscht vor die Thür des Feuertempels (zu Kischmer in Chorasan). Geschrieben hatte er auf diese hohe Cypresse: Guschtasp habe angenommen den guten Glauben; ein Zeuge ward somit der schlanke Baum; so verbreitet Gott die Gerechtigkeit. Als viele Jahre darüber verflossen waren, entfaltete sich die hohe Cypresse und ward so groß, daß des Jägers Fangschnur ihren Umfang nicht befaßte. Als ihren Gipfel vielfaches Gezweige umgab, umschloß er sie mit einem Pallast von reinem Golde .... und ließ ausbreiten in der Welt: wo auf Erden giebt es eine Cypresse wie die von Kischmer? Aus dem Paradiese sandte sie mir Gott und sprach: neige dich von dort zum Paradiese." (Als der Chalif Motewekkil die den Magiern heilige Cypresse abhauen ließ, gab man ihr ein Alter von 1450 Jahren.) Vergl. Vullers, Fragmente über die Religion des Zoroaster 1831 S. 71 und 114; Ritter, Erdkunde Th. VI, 1. S. 242. Die ursprüngliche Heimath der Cypresse (arab. Ararholz, persisch serw kohi) scheinen die Gebirge von Busih westlich von Herat zu sein; s. Edrisi, Géogr. trad. par Jaubert 1836 T. I. p. 464.
30.
(S. 99.) Achill. Tat. I, 25; Longus, Past. IV p. 108 [133] Schäfer. „Gesenius (Thes. linguae hebr. T. II. p. 1124) stellt sehr richtig die Ansicht auf, daß das Wort Paradies ursprünglich der alt-persischen Sprache angehört habe; in der neupersischen Sprache ist sein Gebrauch verloren gegangen. Firdusi (obgleich sein Name selbst daher genommen) bedient sich gewöhnlich nur des Wortes behischt; aber für den alt-persischen Ursprung zeugen sehr ausdrücklich Pollux im Onomast. IX, 3 und Xenophon, Oecon. 4, 13 und 21; Anab. I. 2, 7 und I. 4, 10; Cyrop. I. 4, 5. Als Lustgarten oder Garten ist wahrscheinlich aus dem Persischen das Wort in das Hebräische (pardês Cant. 4, 13; Nehem. 2, 8 und Eccl. 2, 5), Arabische (firdaus, Plur. farâdîsu, vergl. Alcoran 23, 11 und Lu c. 23, 43), Syrische und Armenische (partês, s. Ciakciak, Dizionario armeno 1837 p. 1194 und Schröder, Thes. ling. armen. 1711 praef. p. 56) übergegangen. Die Ableitung des persischen Wortes aus dem Sanskrit (pradêsa oder paradêsa, Bezirk, Gegend oder Ausland), welche Benfey (Griech. Wurzellexikon Bd. I. 1839 S. 138), Bohlen und Gesenius auch schon anführen, trifft der Form nach vollkommen, der Bedeutung nach aber wenig zu." — Buschmann.
31.
(S. 99.) Herod. VII, 31 (zwischen Kallatebus und Sardes).
32.
(S. 99.) Ritter, Erdkunde Th. IV, 2. S. 237, 251 und 681; Lassen, indische Alterthumskunde Bd. I. S. 260.
33.
(S. 99.) Pausanias I. 21, 9. Vergl. auch Arboretum sacrum in Meursii Opp. ex recensione Joann. Lami Vol. X. (Florent. 1753) p. 777–844.
34.
(S. 100.) Notice historique sur les Jardins des Chinois in den Mémoires concernant les Chinois T. VIII. p. 309.
35.
(S. 100.) A. a. O. p. 318–320.
36.
(S. 101.) Sir George Staunton, Account of the Embassy of the Earl of Macartney to China Vol. II. p. 245.
37.
(S. 101.) Fürst v. Pückler-Muskau, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei 1834; vergl. damit seine malerischen Beschreibungen der alten und neuen englischen Parks wie die der ägyptischen Gärten von Schubra.
38.
(S. 102.) Éloge de la Ville de Moukden, poëme [134] composé par l'Empereur Kien-long, traduit par le P. Amiot 1770 p. 18, 22–25, 37, 63–68, 73–87, 104 und 120.
39.
(S. 102.) Mémoires concernant les Chinois T. II. p. 643–650.
40.
(S. 103.) Ph. Fr. von Siebold, Kruidkundige Naamlijst van japansche en chineesche Planten 1844 p. 4. Welch ein Abstand, wenn man die Mannigfaltigkeit der in Ost-Asien seit so vielen Jahrhunderten cultivirten Pflanzenformen mit dem Material vergleicht, das Columella in seinem nüchternen Gedichte de cultu hortorum (v. 95–105, 174–176, 255–271, 295–306) aufzählt und auf welches zu Athen die berühmtesten Kranzwinderinnen beschränkt waren! Erst unter den Ptolemäern scheint in Aegypten, besonders in Alexandrien, das Bestreben nach Mannigfaltigkeit und Winter-Cultur bei den Kunstgärtnern größer geworden zu sein. (Vergl. Athen. V p. 196.)
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1.
(S. 135.) Kosmos Bd. I. S. 50–57.
2.
(S. 142.) Niebuhr, röm. Geschichte Th. I. S. 69; Droysen, Gesch. der Bildung des hellenistischen Staatensystems 1843 S. 31–34, 567–573; Fried. Cramer de studiis quae veteres ad aliarum gentium contulerint linguas 1844 p. 2–13.
3.
(S. 143.) Im Sanskrit Reiß vrîhi, Baumwolle karpâsa, Zucker 'sarkara, Narde nanartha; s. Lassen, indische Alterthumskunde Bd. I. 1843 S. 245, 250, 270, 289 und 538. Ueber 'sarkara und kanda, wovon unser Zuckerkand, s. meine Prolegomena de distributione geographica plantarum 1817 p. 211: „Confudisse videntur veteres saccharum verum cum Tebaschiro Bambusae, tum quia utraque in arundinibus inveniuntur, tum etiam quia vox sanscradana scharkara, quae hodie (ut pers. schakar et hindost. schukur) pro saccharo nostro adhibetur, observante Boppio, ex auctoritate Amarasinhae, proprie nil dulce (madu) significat, sed quicquid lapidosum et arenaceum est, ac vel calculum vesicae. Verisimile igitur, vocem scharkara initio dumtaxat tebaschirum (saccar mombu) indicasse, posterius in saccharum nostrum humilioris arundinis (ikschu, kandekschu, kanda) ex similitudine aspectus translatam esse. Vox Bambusae ex mambu derivatur; ex kanda nostratium voces candis, zuckerkand. In tebaschiro agnoscitur Persarum schir, h. e. lac, sanscr. kschiram." Der Sanskritname für tabaschir ist (Lassen Bd. I. S. 271–274) tvakkschîrâ, Rindemilch, Milch aus der Rinde (tvatsch). Vergl. auch Pott, Kurdische Studien in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. VII. S. 163–166, [402] die meisterhafte Abhandlung von Carl Ritter in seiner Erdkunde von Asien Bd. VI, 2. S. 232–237.
4.
(S. 146.) Ewald, Geschichte des Volkes Israel Bd. I. 1843 S. 332–334; Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 528. Vergl. Rödiger in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. III. S. 4 über Chaldäer und Kurden, welche letztere Strabo Kyrtier nennt.
5.
(S. 146.) Bordj der Wassernabel des Ormuzd, ungefähr da, wo das Himmelsgebirge (Thian-schan) an seinem westlichen Ende an den Bolor (Belurtagh) gangartig anschaart oder vielmehr diesen unter dem Namen der Asferah-Kette durchsetzt, nördlich von dem Hochlande Pamer (Upa-Mêru, Land über dem Meru). Vergl. Burnouf, Commentaire sur le Yaçna T. I. p. 239 und Addit. p. CLXXXV mit Humboldt, Asie centrale T. I. p. 163, T. II. p. 16, 377 und 390.
6.
(S. 147.) Chronologische Angaben für Aegypten: „3900 Jahre vor Chr. Menes (auf das wenigste, und wahrscheinlich ziemlich genau); 3430 Anfang der 4ten Dynastie (die Pyramidenbauer Chephren-Schafra, Cheops-Chufu und Mykerinos oder Menkera); 2200 Einfall der Hyksos unter der 12ten Dynastie, welcher Amenemha III, der Erbauer des ursprünglichen Labyrinths, zugehört. Vor Menes (3900 vor Chr.) ist doch wenigstens noch ein Jahrtausend für das allmälige Wachsthum jener zum mindesten 3430 Jahre vor unserer Zeitrechnung ganz fertigen, ja zum Theil schon erstarrten Cultur zu vermuthen, wahrscheinlich noch weit mehr." (Lepsius in mehreren Briefen an mich vom März 1846, also nach der Rückkunft von seiner ruhmvollen Expedition.) Vergl. auch Bunsens Betrachtungen „über die Anfänge unserer sogenannten Weltgeschichte, welche streng genommen nur die der neueren Menschheit oder, wenn es von jenen Anfängen eine Geschichte geben sollte, die neuere Geschichte unsers Geschlechts ist", in dem geistreichen und gelehrten Werke: Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte 1845, erstes Buch S. 11–13. — Das historische Bewußtsein und die geregelte Chronologie der Chinesen steigen bis 2400, ja selbst 2700 Jahre vor unserer Zeitrechnung, weit über Ju bis zu Hoang-ty, hinauf. Viele litterarische Monumente sind aus dem 13ten Jahrhundert; und im 12ten Jahrhundert vor Chr. wurde laut dem Tscheu-li die Länge des Solstitial-Schattens bereits mit [403] solcher Genauigkeit von Tscheu-kung in der südlich vom gelben Flusse erbauten Stadt Lo-yang gemessen, daß Laplace diese Länge ganz mit der Theorie von der Veränderung der Schiefe der Ecliptik, welche erst am Ende des letzten Jahrhunderts aufgestellt worden ist, übereinstimmend gefunden hat. Jeder Verdacht einer Erdichtung der Angabe durch Zurückrechnen fällt also von selbst weg. S. Édouard Biot sur la Constitution politique de la Chine au 12me siècle avant notre ère (1845) p. 3 und 9. Die Erbauung von Tyrus und des uralten Tempels des Melkarth (des tyrischen Hercules) soll nach der Erzählung, die Herodot (II, 44) von den Priestern empfing, 2760 Jahre vor unserer Zeitrechnung hinaufreichen; vergl. auch Heeren, Ideen über Politik und Verkehr der Völker Th. I, 2. 1824 S. 12. Simplicius schätzt nach einer Ueberlieferung des Porphyrius das Alter der babylonischen Sternbeobachtungen, die dem Aristoteles bekannt waren, auf 1903 Jahre vor Alexander dem Großen, und Ideler, der so gründliche und vorsichtige Forscher der Chronologie, hat diese Angabe keinesweges unglaublich gefunden; vergl. sein Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 207, die Abhandlungen der Berliner Akad. auf das J. 1814 S. 217 und Böckh, metrol. Untersuchungen über die Maße des Alterthums 1838 S. 36. — Ob man in Indien mehr als 1200 Jahre vor Chr. selbst nach der Chronik von Kaschmir (Radjatarangini, trad. par Troyer) einen historischen Boden finde, während Megasthenes (Indica, ed. Schwanbeck 1846 p. 50) von Manu bis Kandragupta für 153 Könige der Dynastie von Magadha 60 bis 64 Jahrhunderte rechnet und der Astronom Aryabhatta den Anfang der Zeitrechnung auf 3102 vor Chr. bestimmt, bleibt noch in Dunkel gehüllt (Lassen, ind. Alterthums k. Bd. I. S. 473, 505, 507 und 510). — Um den Zahlen, welche in dieser Anmerkung zusammengestellt sind, eine höhere Bedeutung für die Culturgeschichte der Menschheit zu geben, ist es nicht überflüssig hier zu erinnern, daß bei den Griechen die Zerstörung von Troja 1184, Homer 1000 oder 950, Kadmus der Milesier, der erste Geschichtsschreiber unter den Griechen, 524 Jahre vor unserer Zeitrechnung gesetzt werden. Diese Zusammenstellung der Epochen lehrt, wie ungleich, früh oder spät, bei den bildungsfähigsten Völkern das Bedürfniß einer genauen Aufzeichnung von Ereignissen und [404] Unternehmungen erwacht ist; sie erinnert unwillkührlich an den Ausspruch, welchen Plato im Timäus den Priestern von Sais in den Mund legt: „O Solon, Solon! ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder; nirgends ist in Hellas ein Greis. Eure Seelen sind stets jugendlich; ihr habt in ihnen keine Kunde des Alterthums, keinen alten Glauben, keine durch die Zeit ergraute Wissenschaft."
7.
(S. 147.) Vergl. Kosmos Bd. I. S. 92 und 160.
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(S. 147.) Wilhelm von Humboldt über eine Episode des Maha-Bharata in dessen gesammelten Werken Bd. I. S. 73.
9.
(S. 150.) Kosmos Bd. I. S. 309 und 351; Asie centrale T. III. p. 24 und 143.
10.
(S. 151.) Plato, Phädon pag. 109 B (vergl. Herod. II, 21). Auch Kleomedes vertiefte die Erdfläche in der Mitte, um das Mittelmeer zu fassen (Voß, krit. Blätter Bd. II. 1828 S. 144 und 150).
11.
(S. 151.) Ich habe diese Idee zuerst entwickelt in meiner Rel. historique du Voyage aux Régions équinoxiales T. III. p. 236 und in dem Examen crit. de l'hist. de la Géogr. au 15me siècle T. I. p. 36–38. Vergl. auch Otfried Müller in den Göttingischen gelehrten Anzeigen aus dem J. 1838 Bd. I. S. 375. Das westlichste Bassin, welches ich im allgemeinen das tyrrhenische nenne, begreift nach Strabo das iberische, ligustische und sardoische Meer. Das Syrten-Bassin östlich von Sicilien begreift das ausonische oder sikelische, das libysche und ionische Meer. Der südliche und südwestliche Theil des ägäischen Meeres hieß das kretische, saronische und myrtoische. Die merkwürdige Stelle Aristot. de Mundo cap. 3 (pag. 393 Bekk.) bezieht sich bloß auf die Busenform der Küsten des Mittelmeers und ihre Wirkung auf den einströmenden Ocean.
12.
(S. 152.) Kosmos Bd. I. S. 253 und 454.
13.
(S. 153.) Humboldt, Asie centrale T. I. p. 67. Die beiden merkwürdigen Stellen des Strabo sind folgende: (lib. II pag. 109) „Eratosthenes nennt drei, Polybius fünf Landspitzen, in die sich Europa verläuft. Der Erstere nennt die gegen die Säulen sich erstreckende, auf welcher Iberia; die gegen den sikelischen Sund, auf welcher Italia liegt; dann folgt die dritte (Halbinsel) gegen Malea, welche alle Völker zwischen dem Adrias, dem Euxinos und [405] dem Tanais umfaßt." (Lib. II pag. 126): „Wir beginnen mit Europa, weil es vielgestaltig und für Veredlung der Menschen und Bürger der gedeihlichste Welttheil ist. Er ist ganz bewohnbar außer wenigen vor Kälte unbewohnten Landen um den Tanais."
14.
(S. 154.) Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. I. Abth. 2. S. 345–348 und Th. II. Abth. 1. S. 194; Johannes v. Müller, Werke Bd. I. S. 38; Humboldt, Examen critique T. I. p. 112 und 171; Otfried Müller, Minyer S. 64 und derselbe in der, übrigens nur zu wohlwollenden Kritik meiner Behandlung der mythischen Geographie der Griechen (Gött. gelehrte Anzeigen 1838 Bd. I. S. 372 und 383). Ich habe mich im allgemeinen also ausgesprochen: „En soulevant des questions qui offriraient déjà de l'importance dans l'intérêt des études philologiques, je n'ai pu gagner sur moi de passer entièrement sous silence ce qui appartient moins à la description du monde réel qu'au cycle de la Géographie mythique. Il en est de l'espace comme du tems: on ne saurait traiter l'histoire sous un point de vue philosophique, en ensevelissant dans un oubli absolu les tems héroïques. Les mythes des peuples, mêlés à l'histoire et à la géographie, ne sont pas en entier du domaine du monde idéal. Si le vague est un de leurs traits distinctifs, si le symbole y couvre la réalité d'un voile plus ou moins épais, les mythes intimement liés entre eux, n'en révèlent pas moins la souche antique des premiers aperçus de cosmographie et de physique. Les faits de l'histoire et de la géographie primitives ne sont pas seulement d'ingénieuses fictions, les opinions qu'on s'est formées sur le monde réel, s'y reflètent." Der große mir befreundete Alterthumsforscher, dessen früher Verlust auf griechischem, von ihm so tief und mannigfach ergründetem Boden allgemein betrauert worden ist, glaubt dagegen: „daß wirklichen Erfahrungen, welche durch Wundersucht und Leichtgläubigkeit eine fabelhafte Gestalt erhielten (wie man sich besonders die phönicischen Schiffersagen vorstellt), keinesweges der Hauptantheil an der poetischen Gestaltung der Erde, die in der griechischen Poesie hervortritt, zuzuschreiben sei! die eigentlichen Wurzeln dieser Gebilde lägen in gewissen ideellen Voraussetzungen und Forderungen des Gefühls, auf welche eine wirkliche Länderkunde erst allmälig einzuwirken beginne: woraus dann oft die [406] interessante Erscheinung hervorgehe, daß rein subjective Schöpfungen einer von gewissen Ideen geleiteten Phantasie fast unmerklich in wirkliche Länder und wohlbekannte Gegenstände der wissenschaftlichen Geographie übergehen. Nach diesen Betrachtungen könne man schließen, daß alle mythischen oder in mythische Formen ausgeprägten Phantasiegemälde in ihrem eigentlichen Grunde einer idealen Welt angehören und mit der wirklichen Erweiterung der Erdkunde oder der Schifffahrt außerhalb der Säulen des Hercules ursprünglich nichts zu thun haben." Die von mir in dem französischen Werke geäußerte Meinung stimmte mit den früheren Ansichten von Otfried Müller mehr überein, da er in den Prolegomenen zu einer wissenschaftlichen Mythologie S. 68 und 109 sehr bestimmt sagte, „daß in mythischen Erzählungen Geschehenes und Gedachtes, Reelles und Ideelles meist eng mit einander verbunden sind". (Vergl. auch über die Atlantis und Lyktonien Martin, Études sur le Timée de Platon T. I. p. 293–326.)
15.
(S. 154.) Naxos von Ernst Eurtius (1846) S. 11; Droysen, Geschichte der Bildung des hellenistischen Staatensystems (1843) S. 4–9.
16.
(S. 155.) Leopold v. Buch über die geognostischen Systeme von Deutschland S. XI; Humboldt, Asie centrale T. I. p. 284–286.
17.
(S. 155.) Kosmos Bd. I. S. 479.
18.
(S. 156.) Alles, was sich auf ägyptische Chronologie und Geschichte bezieht und (S. 156–159) durch Anführungszeichen im Texte unterschieden ist, gründet sich auf handschriftliche Mittheilungen meines Freundes des Professor Lepsius vom Monat März 1846.
19.
(S. 157.) Ich setze die dorische Einwanderung in den Peloponnes mit Otfried Müller (Dorier Abth. II. S. 436) 328 Jahre vor der ersten Olympiade.
20.
(S. 157.) Tac. Annal. II, 59. In dem Papyrus von Sallier (Campagnes de Sésostris) fand Champollion den Namen der Javanen oder Jouni und den der Luki (Jonier und Lycier?). Vergl. Bunsen, Aegypten Buch I. S. 60.
21.
(S. 159.) Herod. II, 102 und 103; Diod. Sic. I, 55 und 56. Von den Denksäulen (Stelen), die Ramses-Miamen als Siegeszeichen in den durchzogenen Landen setzte, nennt Herodot[407] (II, 106) ausdrücklich drei: „eine im palästinischen Syrien, zwei in Jonien, wo man aus dem Ephesischen nach Phocäa und von Sardes nach Smyrna geht." Ein Felsenrelief, welches den Namen des Ramses mehrmals darbietet, ist in Syrien am Lycus, unfern Beirut (Berytus), aufgefunden, so wie ein anderes, roheres im Thal Karabel bei Nymphio, nach Lepsius auf dem Wege aus dem Ephesischen nach Phocäa. (Lepsius in den Ann. dell' Instit. archeol. Vol. X. 1838 p. 12 und desselben Brief aus Smyrna vom December 1845 in der archäologischen Zeitung Mai 1846 No. 41 S. 271–280; Kiepert in derselben Zeitung 1843 No. 3 S. 35). Ob der große Eroberer, wie Heeren glaubt (Gesch. der Staaten des Alterthums 1828 S. 76), bis Persien und Vorder-Indien vorgedrungen sei, „weil damals das westliche Asien noch kein großes Reich enthielt" (die Erbauung des assyrischen Ninive wird erst 1230 vor Chr. gesetzt), werden bei jetzt so schnell fortschreitenden Entdeckungen die Archäologen und phonetische Sprachforscher einst entscheiden. Strabo (lib. XVI pag. 760) nennt eine Denksäule des Sesostris nahe bei der Meerenge Deire, jetzt Bab-el-Mandeb genannt. Es ist übrigens auch sehr wahrscheinlich, daß schon im alten Reiche über 900 Jahre vor Ramses-Miamen ähnliche Heerzüge ägyptischer Könige nach Asien statt gefunden haben. Unter dem, zur 19ten Dynastie gehörigen Pharao Setos II, dem zweiten Nachfolger des großen Ramses-Miamen, zog Moses aus Aegypten aus, nach den Untersuchungen von Lepsius ungefähr 1300 Jahre vor unserer Zeitrechnung.
22.
(S. 159.) Nach Aristoteles, Strabo und Plinius, nicht nach Herodot; s. Letronne in der Revue des deux Mondes 1841 T. XXVII. p. 219, und Droysen, Bildung des hellen ist. Staatensystems S. 735.
23.
(S. 159.) Zu den wichtigen der Umschiffung von Libyen günstigen Meinungen von Rennell, Heeren und Sprengel muß man jetzt auch die eines überaus gründlichen Philologen, Étienne Quatremère, zählen (s. Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XV. P. 2. 1845 p. 380–388). Das überzeugendste Argument für die Wahrheit des Berichts von Herod. IV, 42 scheint mir die dem Herodot unglaublich vorkommende Bemerkung, „daß die Seefahrer bei dem Umschiffen Libyens (von Osten nach Westen segelnd) die Sonne zur Rechten bekommen hätten". Im Mittelmeere sah [408] man, ebenfalls von Osten nach Westen (von Tyrus nach Gadeira) schiffend, die Sonne um Mittag nur zur Linken. Uebrigens muß auch vor Neku II (Necho) schon in Aegypten eine ältere Kenntniß von der Möglichkeit einer ungehinderten Umschiffung Libyens vorhanden gewesen sein, da Herodot den Neku bestimmt den Phöniciern befehlen läßt, „sie sollten den Rückweg nach Aegypten durch die Säulen des Hercules nehmen". Sonderbar ist es immer, daß Strabo (lib. II pag. 98), der so weitläuftig die versuchte Umschiffung des Eudoxus von Cyzicus unter der Kleopatra discutirt und auch der Trümmer des Schiffes aus Gadeira erwähnt, welches an der äthiopischen (östlichen) Küste gefunden war, zwar die vorgegebenen wirklichen Umschiffungen für eine Bergäische Fabel erklärt (lib. II p. 100), aber die Möglichkeit der Umschiffung keinesweges läugnet (lib. I p. 38), und daß er behauptet, es sei östlich und westlich des noch Unumschifften nur wenig (lib. I p. 4). Strabo hing gar nicht der wundersamen Isthmus-Hypothese des Hipparch und Marinus Tyrius an, nach der das östliche Afrika sich an das Südostende von Asien anschließt und das indische Meer zu einem Mittelmeer macht (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 139–142, 145, 161 und 229; T. II. p. 370–373). Strabo citirt Herodot, nennt aber den Namen Neko's nicht, dessen Expedition er mit der von Darius veranstalteten Umschiffung von Süd-Persien und ganz Arabien verwechselt (Herod. IV, 44). Gossellin hat sogar allzu kühn die Lesart Darius in Neko verwandeln wollen. Ein Gegenstück zu dem Pferdekopf des Schiffes von Gadeira, welchen Eudoxus in Aegypten auf einem Marktplatze gezeigt haben soll, sind die Trümmer eines Schiffes aus dem rothen Meere, das nach der Erzählung eines sehr glaubwürdigen arabischen Geschichtsschreibers (Masudi in dem Morudj-al-dzeheb, Quatremère p. 389, und Reinaud, Relation des voyages dans l'Inde 1845 T. I. p. XVI und T. II. p. 46) an die Küste von Creta durch westliche Strömungen gelangt ist.
24.
(S. 160.) Diod. lib. I cap. 67, 10; Herod. II, 154, 178 und 182. Ueber die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrs zwischen Aegypten und Griechenland vor Psammitich s. die scharfsichtigen Beobachtungen von Ludwig Roß in Hellenika Bd. I. 1846 S. V und X. „In den nächsten Zeiten vor Psammitich (sagt er) war [409] in beiden Ländern eine Epoche innerer Zerrüttung, die nothwendig eine Beschränkung und theilweise Unterbrechung des Verkehrs herbeiführen mußte."
25.
(S. 160.) Böckh, metrologische Untersuchungen über Gewichte, Münzfüße und Maße des Alterthums in ihrem Zusammenhang 1838 S. 12 und 273.
26.
(S. 161.) S. die Stellen gesammelt in Otfried Müller, Minyer S. 115 und Dorier Abth. I. S. 129; Franz, Elementa Epigraphices graecae 1840 p. 13, 32 und 34.
27.
(S. 161.) Lepsius in seiner Abhandlung über die Anordnung und Verwandtschaft des Semitischen, Indischen, Alt-Persischen, Alt-Aegyptischen und Aethiopischen Alphabets 1836 S. 23–28 und 57; Gesenius, Scripturae Phoeniciae Monumenta 1837 p. 17.
28.
(S. 162.) Strabo lib. XVI pag. 757.
29.
(S. 162.) Die Bestimmung des Zinnlandes (Britannien, die Scilly-Inseln) ist leichter als die der Bernsteinküste; denn daß die altgriechische Benennung καδδίτερος, schon in den homerischen Zeiten verbreitet, von einem zinnreichen Berge Cassius im südwestlichen Spanien herzuleiten sei, welchen der dieser Gegend sehr kundige Avienus zwischen Gaddir und die Mündung eines kleinen südlichen Iberus versetzt (Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. II. Abth. 1. S. 479), ist mir sehr unwahrscheinlich. Kassiteros ist das altindische Sanskritwort kastîra. Zinn (isländ., dän., engl. tin, schwed. tenn) heißt in der malayischen und javanischen Sprache timah, eine Lautähnlichkeit, welche fast an die des altgermanischen glessum (Name für den durchsichtigen Bernstein) mit unserem Worte Glas erinnert. Die Benennungen von Waaren und Handelsartikeln (s. oben S. 143 und Anm. 3) gehen von einem Volke zum anderen in die verschiedensten Sprachfamilien über. Durch den Verkehr, welchen die Phönicier von ihren Factoreien in dem persischen Meerbusen aus mit der Ostküste von Indien trieben, hat das Sanskritwort kastira, welches ein so nützliches hinter-indisches Product bezeichnete und sich unter den alt-aramäischen Idiomen noch jetzt im Arabischen als kasdir findet, den Griechen bekannt werden können, ehe selbst Albion und die britannischen Kassiteriden besucht wurden. (Aug. Wilh. v. Schlegel in der Indischen Bibliothek Bd. II. S. 393; Benfey, [410] Indien S. 307; Pott, etymol. Forschungen Th. II. S. 414; Lassen, indische Alterthumskunde Bd. I. S. 239.) Eine Benennung wird oft ein geschichtliches Denkmal, und die etymologisirende zergliedernde Sprachforschung, von Unkundigen verspottet, trägt ihre Früchte. Den Alten war auch das Zinn, eines der seltensten Metalle auf unserem Erdkörper, im Lande der Artabrer und der Callaeci auf dem nordwestlichsten iberischen Continente bekannt (Strabo lib. III p. 147, Plin. XXXIV c. 16), also in einer größeren Nähe für die Seefahrt aus dem Mittelmeer als die Kassiteriden (Oestrymnides des Avienus). Als ich vor meiner Einschiffung nach den canarischen Inseln im Jahr 1799 in Galicien war, wurde noch daselbst im Granitgebirge ein sehr ärmlicher Bergbau getrieben (s. meine Relation hist. T. I. p. 51 und 53). Dies Vorkommen des Zinnes ist von einiger geognostischen Wichtigkeit wegen des ehemaligen Zusammenhanges von Galicien, der Halbinsel Bretagne und Cornwall.
30.
(S. 162.) Étienne Quatremère a. a. O. p. 363–370.
31.
(S. 163.) Die schon früh geäußerte Meinung (Heinzens neues Kielisches Magazin Th. II. 1787 S. 339; Sprengel, Gesch. der geogr. Entdeckungen 1792 S. 51; Voß, krit. Blätter Bd. II. S. 392–403), daß der Bernstein zuerst nur von der westlichen cimbrischen Küste durch Schifffahrt und vorzüglich durch inneren Tauschhandel auf Landwegen an das Mittelmeer gelangt sei, gewinnt immer mehr Anklang. Die gründlichste und scharfsinnigste Untersuchung dieses Gegenstandes enthält Ukert's Abhandlung über das Elektrum in der Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft 1838 No. 52–55 S. 425–452 (vergl. damit seine Geographie der Griechen und Römer Th. II. Abth. 2. 1832 S. 26–36, Th. III, 1. 1843 S. 86, 175, 182, 320 und 349). Die Massilier, welche Heeren unter Pytheas, nach den Phöniciern, bis in die Ostsee vordringen läßt, überschritten wohl kaum die Mündungen der Weser und Elbe. Die Bernstein-Insel Glessaria (auch Austrania genannt) setzt Plinius (IV, 16) bestimmt westlich vom Vorgebirge der Cimbern in das germanische Meer, und der Zusammenhang mit der Expedition des Germanicus lehrt genugsam, daß nicht eine Insel der Ostsee gemeint sei. Die großen Wirkungen der Ebbe und Fluth in den aestuariis, welche Bernstein auswerfen, wo nach Servius Ausdruck „mare [411] vicissim tum accedit, tum recedit", passen ebenfalls nur auf die Küstengegend zwischen dem Helder und der cimbrischen Halbinsel und nicht auf die Ostsee, in der des Timäus Insel Baltia (Plin. XXXVII, 2) liegen mag. Abalus, eine Tagereise von einem aestuarium entfernt, kann daher nicht die kurische Nehrung sein. Vergl. auch über die Fahrt des Pytheas nach der westlichen Küste von Jütland und den Bernsteinhandel längs dem ganzen Littoral von Skagen bis zu den Niederlanden Werlauff, Bidrag til den nordiske Ravhandels Historie (Kopenh. 1835). Nicht Plinius, sondern erst Tacitus kennt das glessum der Ostsee-Küsten im Lande der Aestyer (Aestuorum gentium) und der Veneder, von welchen der große Sprachforscher Schaffarik (slawische Alterthümer Th. I. S. 151–165) ungewiß ist, ob sie Slaven oder Germanen waren. Die lebhaftere unmittelbare Verbindung mit der samländischen Ostsee-Küste und mit den Aestyern mittelst des Landweges durch Pannonien über Carnuntum, den ein römischer Ritter unter Nero einschlug, scheint mir in die spätere Periode der römischen Cäsaren zu fallen (Voigt, Gesch. Preußens Bd. I. S. 85). Von den Verbindungen zwischen der preußischen Küste und den griechischen Colonien am schwarzen Meere zeugen schöne, wahrscheinlich vor Olymp. 85 geprägte Münzen, die man in den neuesten Zeiten im Netze-District gefunden hat (Levezow in den Abhandt. der Berl. Akad. der Wiss. aus dem J. 1833 S. 181–224). Zu verschiedenen Zeiten ist wohl auch aus sehr verschiedenen Gegenden das an die Küsten angeschwemmte oder gegrabene (Plin. XXXVII cap. 2) Electron, der Sonnenstein der uralten Eridanus-Mythe, auf See- und Landwegen dem Süden zugeströmt. Der „an zwei Orten in Scythien gegrabene Bernstein war theilweise sehr dunkel gefärbt". Allerdings wird noch heute bei Kaltschedansk unfern Kamensk am Ural Bernstein gesammelt; wir haben Fragmente davon in Braunkohle eingehüllt in Katharinenburg erhalten (G. Rose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 481 und Sir Roderick Murchison in Geology of Russia Vol. I. p. 366). Das den Bernstein oft umschließende fossile Holz hatte früh auch die Aufmerksamkeit der Alten auf sich gezogen. Das damals so kostbare Harz wurde bald der Schwarzpappel (nach dem Chier Scymnus v. 396 pag. 367, Letronne), bald einem Baume aus dem Cedern- oder Fichtengeschlechte (nach Mithridates in Plin.[412] XXXVII cap. 2 und 3) zugeschrieben. Die neuesten vortrefflichen Untersuchungen des Prof. Göppert zu Breslau haben gelehrt, daß die Ahndung des römischen Sammlers die richtigere war. Vergl. über den fossilen Bernsteinbaum (Pinites succinifer) einer untergegangenen Pflanzenwelt Kosmos Bd. I. S. 298 und Berendt, organische Reste im Bernstein Bd. I. Abth. 1. 1845 S. 89.
32.
(S. 163.) S. über den Chremetes Aristot. Meteor. lib. I p. 350 Bekk.) und über die südlichsten Punkte, deren Hanno in seinem Schiffsjournal Erwähnung thut, meine Rel. hist. T. I. p. 172 und Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 39, 180 und 288, T. III. p. 135. (Gossellin, Recherches sur la Géogr. systém. des anciens T. I. p. 94 und 98; Ukert Th. I, 1. S. 61–66.)
33.
(S. 163.) Strabo lib. XVII p. 826. Die Zerstörung phönicischer Colonien durch Nigriten (lib. II pag. 131) scheint auf eine sehr südliche Lage zu deuten, mehr vielleicht als die Crocodile und Elephanten, welche Hanno nennt: da beide bestimmt ehemals nördlich von der Wüste Sahara in Maurusien und im ganzen westlichen Atlaslande gefunden wurden, wie Strabo lib. XVII p. 827, Aelian de Nat. Anim. VII, 2, Plin. V, 1 und viele Vorfälle der Kriege zwischen Rom und Carthago beweisen. (Vergl. über diesen wichtigen Gegenstand der Geographie der Thiere Cuvier, Ossemens fossiles 2. éd. T. I. p. 74 und Quatremère a. a. O. p. 391–394.)
34.
(S. 165.) Herod. III, 106.
35.
(S. 166.) Ich habe diesen oft bestrittenen Gegenstand wie die Stellen des Diodor (V, 19 und 20) und Pseudo-Aristoteles (Mirab. Auscult. cap. 85 pag. 172, Bekk.) an einem anderen Orte umständlich behandelt (Examen crit. T. I. p. 130–139, T. II. p. 158 und 169, T. III. p. 137–140). Die Compilation der Mirab. Auscult. scheint älter als das Ende des ersten punischen Krieges, da sie (cap. 105 pag. 211) Sardinien unter der Botmäßigkeit der Carthager schildert. Merkwürdig ist auch, daß die waldreiche Insel, deren dieses Werk erwähnt, als unbewohnt (also von Guanschen unbevölkert) beschrieben wird. Guanschen (Guanches) bewohnten die ganze Gruppe der canarischen Inseln; aber in der That nicht die Insel Madera, auf welcher weder Johann Gonzalves und Tristan Vaz 1519, noch der frühere Robert Masham mit [413] Anna Dorset (falls ihre Robinsonade geschichtlich sicher ist) Einwohner fanden. Heeren bezieht die Beschreibung des Diodor auf Madera allein, doch in dem mit punischen Schriften so vertrauten Festus Avienus (v. 164) glaubt er die häufigen vulkanischen Erderschütterungen des Pics von Teneriffa (Ideen über Politik und Handel Th. II. Abth. 1. 1826 S. 106) erkennen zu dürfen. Dem geographischen Zusammenhange nach scheint mir in der Darstellung des Avienus (Examen critique T. III. p. 138) eine nördlichere Gegend, vielleicht selbst im Kronischen Meere, gemeint zu sein. Der punischen Quellen, die Juba benutzte, erwähnt auch Ammianus Marcellinus XXII, 15. Ueber die Wahrscheinlichkeit des semitischen Ursprungs der Benennung der canarischen Inseln (der Hundeinseln des lateinisch etymologisirenden Plinius!) s. Credner, die biblische Vorstellung vom Paradiese in Illgen's Zeitschr. für die historische Theologie Bd. VI. 1836 S. 166–186. Am gründlichsten und litterarisch vollständigsten ist neuerlichst alles, was von den ältesten Zeiten bis zum Mittelalter über die canarischen Inseln geschrieben worden ist, zusammengestellt worden in einer Arbeit von Joaquim José da Costa de Macedo unter dem Titel: Memoria em que se pretende provar que os Arabes não conhecerão as Canarias antes dos Portuguezes, 1844. Wenn neben den Sagen die Geschichte schweigt, in so fern sie auf sichere und bestimmt ausgedrückte Zeugnisse gegründet ist, so bleiben nur verschiedene Abstufungen der Wahrscheinlichkeit übrig; ein absolutes Abläugnen alles Thatsächlichen in der Weltgeschichte, wo die Zeugnisse unbestimmter sind, scheint mir aber keine glückliche Anwendung der philologischen und historischen Kritik zu sein. Die vielen uns aus dem Alterthum überkommenen Angaben und eine genaue Erwähnung der räumlichen Verhältnisse, besonders der großen Nähe von alten unbestreitbaren Ansiedlungen der afrikanischen Küste lassen mich glauben an eine Kenntniß der canarischen Inselgruppe bei den Phöniciern, Carthagern, Griechen und Römern, vielleicht selbst bei den Etruskern.
36.
(S. 166.) Vergl. die Berechnungen in meiner Rel. hist. T. I. p. 140 und 287. Der Pic von Teneriffa ist 2° 49′ im Bogen von dem nächsten Punkte der afrikanischen Küste entfernt. Bei einer Annahme mittlerer Strahlenbrechung von 0,08 kann der [414] Gipfel des Pics also von einer Höhe von 202 Toisen gesehen werden, also von den Montañas negras unfern des Vorgebirges Bojador. In dieser Rechnung ist der Pic zu 1904\<up\>t\</up\> über der Meeresfläche angenommen. Neuerlichst haben ihn trigonometrisch Capitän Vidal 1940, die Herren Coupvent und Dumoulin barometrisch 1900\<up\>t\</up\> hoch gefunden (d'Urville, Voyage au Pole Sud, Hist. T. I. 1842 p. 31 und 32). Aber Lancerote mit einem 300\<up\>t\</up\> hohen Vulkan, la Corona (Leop. v. Buch, canarische Inseln S. 104) und Fortaventura liegen der Küste viel näher als Teneriffa: die erste dieser Inseln in 1° 15′, die zweite in 1° 2′ Entfernung.
37.
(S. 166.) Roß hat der Behauptung nur als einer Sage erwähnt, in Hellenika Bd. I. S. XI. Sollte die Beobachtung nicht auf einer bloßen Täuschung beruht haben? Wenn man die Höhe des Aetna über dem Meere zu 1704 Toisen (Br. 37° 45′, Länge 12° 41′ von Paris), die des Beobachtungsortes auf dem Taygetos am Elias-Berge zu 1236 Toisen (Br. 36° 57′, Länge 20° 1′) und die Entfernung beider 88 geogr. Meilen annimmt, so ergeben sich für die Höhe des Punktes, von welchem der Lichtstrahl über dem Aetna ausging, um auf dem Taygetos gesehen zu werden, volle 7612 Toisen, also 4½ mal die Höhe des Aetna. Könnte man dagegen, bemerkt mein Freund Herr Professor Encke, den Reflex einer zwischen dem Aetna und Taygetos stehenden reflectirenden Fläche, d. i. den Reflex eines Gewölks annehmen, das 46 Meilen vom Aetna und 42 Meilen vom Taygetos entfernt wäre, so brauchte die Höhe der reflectirenden Fläche über dem Meeresspiegel nur 286 Toisen zu sein.
38.
(S. 167.) Strabo lib. XVI p. 767 Casaub. Nach Polybius sollte man vom Gebirge Aimon den Pontus und das adriatische Meer sehen können, was schon Strabo (lib. VII p. 313) bespöttelt. (Vergl. Scymnus p. 93.)
39.
(S. 167.) Ueber die Synonymie von Ophir s. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 42. Ptolemäus hat lib. VI cap. 7 p. 156 ein Sapphara, Metropolis von Arabien, und lib. VII cap. 1 p. 168 Supara im Golf von Camboya (Barigazenus sinus, nach Hesychius), „eine an Gold reiche Gegend"! Supara bedeutet indisch Schönufer. (Lassen, Diss. de Tapobrane p. 18 und indische Alterthumskunde Bd. I. S. 107; Keil, Professor in Dorpat, über die Hiram-Salomonische Schiffahrt nach Ophir und Tarsis S. 40–45.)
40.
(S. 167.) Ob Tarsisschiffe Weltmeerschiffe sind? ob sie, was Michaelis bestreitet, vom phönicischen Tarsus in Cilicien ihren Namen haben? S. Keil S. 7, 15–22 und 71–84.
41.
(S. 167.) Gesenius, Thesaurus linguae hebr. T. I. p. 141 und derselbe in der Encykl. von Ersch und Gruber Sect. III. Th. IV. S. 401; Lassen, ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 538; Reinaud, Relation des Voyages faits par les Arabes dans l'Inde et en Chine T. I. 1845 p. XXVIII. Der gelehrte Quatremère, der Ophir in einer ganz neuerlich erschienenen Abhandlung (Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XV. P. 2. 1845 p. 349–402 wieder wie Heeren für die östliche Küste von Afrika hält, erklärt das Wort thukkiim (thukkiyyim) nicht durch Pfau, sondern durch Papagai oder Perlhuhn (p. 375). Ueber Sokotora vergl. Bohlen, das alte Indien Th. II. S. 139 mit Benfey, Indien S. 30–32. Sofala wird von Edrisi (in Amédée Jaubert's Uebersetzung T. I. p. 67) und später nach Gama's Entdeckungsreise von den Portugiesen (Barros Dec. I. liv. X cap. 1 (P. 2.) p. 375; Külb, Geschichte der Entdeckungsreisen Th. I. 1841 S. 236) als ein goldreiches Land beschrieben. Ich habe an einem anderen Orte darauf aufmerksam gemacht, daß Edrisi in der Mitte des 12ten Jahrhunderts von der Anwendung des Quecksilbers in den Goldwäschen der Neger dieser Gegend als einer längst eingeführten Amalgamations-Methode spricht. Wenn man der häufigen Verwechselung von r und l gedenkt, so findet sich der Name des ost-afrikanischen Sofala vollkommen wieder in der Form Sophara, welche für das Salomonisch-Hiramsche Ophir in der Uebertragung der Septuaginta neben mehreren anderen Formen vorkommt. Auch Ptolemäus kennt, wie wir schon oben (Anm. 39) erwähnt, ein Sapphara in Arabien (Ritter, Asien Bd. VIII, 1. 1846 S. 252) und ein Supara in Indien. Auf nahe oder gegenüberstehende Küsten hatte, wie wir noch heute ähnliche Verhältnisse in dem spanisch und englisch redenden Amerika wiederfinden, das Mutterland seine eigenen bedeutsamen Sanskritnamen reflectirt. Das Gebiet des Ophirhandels konnte also nach meiner Ansicht eben so erweitert werden, wie eine phönicische Tartessusfahrt Cyrene und Carthago, Gadeira und Cerne, und eine Kassiteridenfahrt zugleich die Artabrer, Britannien und die cimbrische Ostküste berühren konnte. Auffallend ist [416] es immer, daß Weihrauch, Gewürze, Seide und baumwollene Zeuge nicht unter den Ophirwaaren neben Elfenbein, Affen und Pfauen genannt werden. Die letzten sind ausschließlich indisch, wenn sie auch wegen ihrer allmäligen Verbreitung gegen Westen von den Griechen oft medische und persische Vögel genannt worden sind, ja die Samier sogar wegen der im Heiligthum der Here von Priestern genährten Pfauen sie für ursprünglich samisch hielten. Aus einer Stelle des Eustathius (Comm. in Iliad. T. IV. p. 225 ed. Lips. 1827) über die Heiligkeit der Pfauen in Libyen hat man mit Unrecht schließen wollen, daß der taèj auch Afrika angehöre.
42.
(S. 168.) S. Columbus über Ophir und el Monte Sopora, „den Salomo's Flotte erst in drei Jahren erreichen konnte", in Navarrete, Viages y descubrimientos que hiciéron los Españoles T. I. p. 103. An einem anderen Orte sagt der große Entdecker, immer in der Hoffnung Ophir zu erreichen: „Die Herrlichkeit und Macht des Goldes von Ophir sind unbeschreiblich. Wer es besitzt, thut, was er will, in dieser Welt; ja es glückt ihm sogar die Seelen aus dem Fegefeuer in das Paradies zu ziehen (llega á que echa las animas al paraiso)." Carta del Almirante escrita en la Jamaica 1503 (Navarrete T. I. p. 309.) — Vergl. mein Examen critique T. I. p. 70 und 109, T. II. p. 38–44, und über die eigentliche Dauer der Tarschischfahrt Keil S. 106.
43.
(S. 168.) Ctesiae Cnidii Operum Reliquiae ed. Felix Baehr 1824 cap. 4 und 12 p. 248, 271 und 300. Aber die aus einheimischen Quellen gesammelten und deshalb gar nicht so verwerflichen Nachrichten des Arztes am persischen Hofe beziehen sich auf Gegenden im Norden von Indien, und aus diesen müßte das Gold der Daradas auf vielen Umwegen nach Abhira, nach der Indus-Mündung und der Malabar-Küste gelangt sein; vergl. meine Asie centrale T. I. p. 157 und Lassen, ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 5. Sollte die wundersame Angabe des Ktesias von einer indischen Quelle, in deren Grunde man Eisen und zwar sehr schmiedbares fände, wenn das flüssige Gold abgelaufen ist, sich nicht auf die mißverstandene Erzählung von einem Hüttenwerke gründen? Man hielt das geschmolzene Eisen seiner Farbe wegen für Gold, und wenn nun die gelbe Farbe beim Erkalten verschwunden war, fand man die schwarze Eisenmasse darunter.
44.
(S. 169.) Aristot. Mirab. Auscult. cap. 86 und 111, pag. 175 und 225 Bekk.
45.
(S. 169.) Die Etrusker von Otfried Müller Abth. II. S. 350; Niebuhr, römische Geschichte Th. II. S. 380.
46.
(S. 169.) Wenn man ehemals in Deutschland dem Pater Angelo Cortenovis nachfabelte, daß das von Varro beschriebene, mit einem ehernen Hut und ehernen herabhangenden Ketten gezierte Grabmal des Helden von Clusium, Lars Porsena, ein atmosphärischer Electricitäts-Sammler oder ein Blitzableitungs-Apparat (wie nach Michaelis die metallenen Spitzen auf dem Salomonischen Tempel) gewesen sei; so geschah dies zu einer Zeit, in der man den alten Völkern gern die Reste einer geoffenbarten, bald aber wieder verdunkelten Urphysik zuschrieb. Ueber den nicht schwer aufzufindenden Verkehr zwischen Blitz und leitenden Metallen scheint mir noch immer die wichtigste Notiz die des Ktesias (Indica cap. 4 pag. 169 ed. Lion, pag. 248 ed. Baehr) zu sein. „Er habe", heißt es, „zwei eiserne Schwerdter besessen, Geschenke des Königs (Artaxerxes Mnemon) und dessen Mutter (Parysatis): Schwerdter, welche, in die Erde gepflanzt, Gewölk, Hagel und Blitzstrahlen abwendeten. Er habe die Wirkung selbst gesehen, da der König zweimal vor seinen Augen das Experiment gemacht." — Die genaue Aufmerksamkeit der Tusker auf die meteorischen Processe des Luftkreises, auf alles, was von der gewöhnlichen Naturerscheinung abwich, macht es gewiß beklagenswerth, daß von den Fulgural-Büchern nichts auf uns gekommen ist. Die Epochen der Erscheinung großer Cometen, des Falls von Meteorsteinen und Sternschnuppenschwärmen waren gewiß darin eben so aufgezeichnet als in den von Eduard Biot benutzten älteren chinesischen Annalen. Creuzer (Symbolik und Mythologie der alten Völker Th. III. 1842 S. 659) hat zu zeigen gesucht, wie die Naturbeschaffenheit von Etrurien auf die eigenthümliche Geistesrichtung der Bewohner wirken konnte. Ein Hervorlocken der Blitze, welches dem Prometheus zugeschrieben wird, erinnert an das sonderbare vorgebliche Herabziehen der Blitze durch die Fulguratoren. Es bestand aber diese Operation in einem bloßen Herabbeschwören, und mag wohl nicht wirksamer gewesen sein als der abgehäutete Eselskopf, durch den nach tuscischen Religionsgebräuchen man sich vor einem Ungewitter schützen konnte.
47.
(S. 169.) Otfr. Müller, Etrusker Abth. II. S. 162 bis 178. Nach der, sehr verwickelten etruscischen Auguraltheorie unterschied man die sanft erinnernden Blitze, welche Jupiter aus eigener Machtvollkommenheit sendet, von den heftigeren electrischen Zuchtmitteln, die Jupiter constitutionsmäßig nur nach vorhergehender Berathung aller zwölf Götter senden durfte (Seneca, Nat. Quaest. II, 41).
48.
(S. 170.) Joh. Lydus de Ostentis ed. Hase pag. 18 in praefat.
49.
(S. 171.) Strabo lib. III pag. 139 Casaub. Vergl. Wilhelm von Humboldt über die Urbewohner Hispaniens 1821 S. 123 und 131–136. Mit der Entzifferung des iberischen Alphabets hat sich neuerlichst Herr de Saulcy glücklich beschäftigt, wie der scharfsinnige Entdecker der Keilschrift Grotefend mit den Phrygiern und Sir Charles Fellows mit den Lyciern. (Vergl. Roß, Hellenika 1846 Bd. I. S. XVI.)
50.
(S. 171.) Herod. IV, 42 (Schweighäuser ad Herod. T. V. p. 204). Vergl. Humboldt, Asie centrale T. I. p. 54 und 577.
51.
(S. 172.) Ueber die wahrscheinlichste Etymologie von Kaspapyrus des Hecatäus (Fragm. ed. Klausen No. 179 v. 94) und Kaspatyrus des Herodot (III, 102 und IV, 44) s. meine Asie centrale T. I. p. 101–104.
52.
(S. 172.) Psemetek und Achmes, s. oben Kosmos Bd. II. S. 159.
53.
(S. 172.) Droysen, Geschichte der Bildung des hellenistischen Staatensystems 1843 S. 23.
54.
(S. 173.) Kosmos Bd. II. S. 10.
55.
(S. 173.) Völker, mythische Geographie der Griechen und Römer Th. I. 1832 S. 1–10; Klausen über die Wanderungen der Jo und des Herakles in Niebuhr's und Brandis rheinischem Museum für Philologie, Geschichte und griech. Philosophie Jahrg. III. 1829 S. 293–323.
56.
(S. 173.) In der Mythe des Abaris (Herod. IV, 36) fährt der Wundermann nicht auf einem Pfeile durch die Luft, sondern er trägt den Pfeil, „den ihm Pythagoras gab (Jambl. de vita Pythag. XXIX p. 194 Kießling), damit er ihm nützlich [419] werde in allen Hindernissen auf einer langen Irrfahrt"; Creuzer, Symbolik Th. II. 1841 S. 660–664. Ueber den mehrmals verschwundenen und wiedererschienenen Arimaspen-Sänger Aristeas von Proconnesus s. Herod. IV, 13–15.
57.
(S. 174.) Strab. lib. I pag. 38 Casaub.
58.
(S. 174.) Wahrscheinlich das Thal des Don oder des Kuban; vergl. meine Asie centrale T. II. p. 164. — Pherecydes sagt ausdrücklich (fragm. 37 ex Schol. Apollon. II, 1214), der Kaukasus habe gebrannt und Typhon sei deshalb nach Italien geflüchtet: eine Notiz, aus welcher Klausen (a. a. O. S. 298) das ideale Verhältniß des Feuerzünders (πυρκαεύς) Prometheus zum Brandberge erklärt. Wenn auch die, neuerlichst von Abich so gründlich erspähte geognostische Beschaffenheit des Kaukasus und sein Zusammenhang mit dem vulkanischen innerasiatischen Thian-schan (Himmelsgebirge), den ich an einem andern Orte glaube nachgewiesen zu haben (Asie centrale T. II. p. 55–59), es keinesweges unwahrscheinlich machen, daß sich in den ältesten Sagen des Menschengeschlechts Erinnerungen an große vulkanische Erscheinungen hätten erhalten können; so ist doch wohl eher anzunehmen, daß etymologische Wagnisse die Griechen auf die Hypothese des Brennens geleitet haben. Ueber die Sanskrit-Etymologien von Graucasus (Glanzberg?) s. Bohlen's und Burnouf's Aeußerungen in meiner Asie centrale T. I. p. 109.
59.
(S. 175.) Otfr. Müller, Minyer S. 247, 254 und 274. Homer kannte nicht den Phasis, nicht Kolchis, nicht die Hercules-Säulen; aber der Phasis wird schon von Hesiodus genannt. Die mythischen Sagen über die Rückkehr der Argonauten durch den Phasis in den östlichen Ocean und den durch die vorgebliche Bifurcation des Ister oder durch den gedoppelten, von vulkanischen Erderschütterungen gebildeten Tritonsee (Asie centr. T. I. p. 179, T. III. p. 135–137; Otfr. Müller, Minyer S. 357) sind von besonderer Wichtigkeit für die Kenntniß der frühesten Ansichten über die Gestaltung der Continente. Geographische Phantasien von Peisandros, Timagetus und dem Rhodier Apollonius haben sich übrigens bis in das späte Mittelalter fortgepflanzt; sie sind bald verwirrende, abschreckende Hindernisse, bald Anreizung zu wirklichen Entdeckungen geworden. Diese Rückwirkung des Alterthums auf die späteren Zeiten, in denen man sich fast mehr von [420] Meinungen als von wirklichen Beobachtungen leiten ließ, wurde leider bisher in der Geschichte der Geographie nicht hinlänglich beachtet. Es ist der Zweck der Anmerkungen zum Kosmos, nicht etwa bloß bibliographische Quellen aus verschiedenen Litteraturen zur Erläuterung dessen darzubieten, was im Texte behauptet wird; ich habe in diesen Anmerkungen, die eine freiere Bewegung gestatten, auch einen reichhaltigen Stoff des Nachdenkens niederlegen wollen, so wie ich ihn aus der Erfahrung und aus langen litterarischen Studien habe schöpfen können.
60.
(S. 175.) Hecataei fragm. ed. Klausen p. 39, 92, 98 und 119. S. auch meine Untersuchungen über die Geschichte der Geographie des caspischen Meeres von Herodot bis zu den Arabern El-Istachri, Edrisi und Ibn-el-Vardi, über den Aral-See, die Bifurcation des Oxus und den Araxes in der Asie centr. T. II. p. 162–297.
61.
(S. 175.) Cramer de studiis quae veteres ad aliarum gentium contulerint linguas 1844 p. 8 und 17. Die alten Kolcher scheinen identisch gewesen zu sein mit dem Stamme der Lazen (Lazi, gentes Colchorum, Plin. VI, 4; die Λαζοί der byzantinischen Schriftsteller); s. Vater (Professor in Casan), der Argonautenzug aus den Quellen dargestellt, 1845 Heft I. S. 24, Heft II. S. 45, 57 und 103. Im Kaukasus erklingen noch die Namen: Alanen (Alanethi für das Alanenland), Ossi und Aß. Nach den mit philosophischem Sprachsinn in den Thälern des Kaukasus begonnenen Arbeiten von Georg Rosen enthält die Sprache der Lazen Reste des alten kolchischen Idioms. Der iberische und grusische Sprachstamm begreift: Lazisch, Georgisch, Suanisch und Mingrelisch, alle zur Familie der indogermanischen Sprachen gehörig. Die der Osseten steht dem Gothischen näher als das Litthauische.
62.
(S. 176.) Ueber die Verwandtschaft der Scythen (Scoloten oder Sacae), Alanen, Gothen, Massa-Geten und Yueti der chinesischen Geschichtsschreiber s. Klaproth in dem Commentar zu dem Voyage du Comte Potocki T. I. p. 129, wie auch meine Asie centrale T. I. p. 400, T. II. p. 252. Procopius sagt selbst ganz bestimmt (de bello gothico IV, 5, ed. Bonn. 1833 Vol. II. pag. 476), daß die Gothen ehemals Scythen genannt wurden. Die Identität der Geten und Gothen hat Jacob [421] Grimm in seiner neuesten Abhandlung über Jornandes 1846 S. 21 erwiesen. Die Behauptung Niebuhr's (s. dessen Untersuchungen über die Geten und Sarmaten in seinen kleinen histor. und philologischen Schriften, 1te Samml. 1828 S. 362, 364 und 395), daß die Scythen Herodots zur Familie der mongolischen Völkerschaften gehören, hat um so weniger Wahrscheinlichkeit, als diese Völkerschaften unter dem Joche theils der Chinesen, theils der Hakas oder Kirghisen (Χορχίς des Menander) im Anfang des 13ten Jahrhunderts noch weit im Osten von Asien um den Baikal-See wohnten. Herodot unterscheidet dazu die kahlköpfigen Argippäer (IV, 23) von den Scythen; und sind die ersteren „plattnasig", so haben sie dabei auch „ein langes Kinn", was nach meiner eigenen Erfahrung keinesweges ein physiognomisches Kennzeichen der Kalmücken oder anderer mongolischer Stämme ist; eher wohl ein Kennzeichen der blonden (germanisirenden?) Usün und Tingling, welchen die chinesischen Geschichtsschreiber „lange Pferdegesichter" zutheilen.
63.
(S. 176.) Ueber die Wohnsitze der Arimaspen und den Goldverkehr im nordwestlichen Asien zu Herodots Zeiten s. Asie centrale T. I. pag. 389–407.
64.
(S. 176.) „Les Hyperboréens sont un mythe météorologique. Le vent des montagnes (B'Oreas) sort des Monts Rhipéens. Au-delà de ces monts, doit régner un air calme, un climat heureux, comme sur les sommets alpins, dans la partie qui dépasse les nuages. Ce sont là les premiers aperçus d'une physique qui explique la distribution de la chaleur et la différence des climats par des causes locales, par la direction des vents qui dominent, par la proximité du soleil, par l'action d'un principe humide ou salin. La conséquence de ces idées systématiques était une certaine indépendance qu'on supposait entre les climats et la latitude des lieux: aussi le mythe des Hyperboréens, lié par son origine au culte dorien et primitivement boréal d'Apollon, a pu se déplacer du nord vers l'ouest, en suivant Hercule dans ses courses aux sources de l'Ister, à l'île d'Erythia et aux Jardins des Hespérides. Les Rhipes ou Monts Rhipéens sont aussi un nom signisicatif météorologique. Ce sont les montagnes de l' impulsion ou du souffle glacé (ῥιπή), celles d'où se déchaînent les tempêtes boréales." Asie centr. T. I. pag. 392 und 403.
65.
(S. 176.) Im Hindustani bezeichnet (wie schon Wilford bemerkt) von zwei Wörtern, die verwechselt werden könnten, das eine, tschiûntâ, eine große schwarze Ameisenart (woher das Diminutiv tschiûntî, tschîntî, die kleine, gewöhnliche Ameise); das andre, tschîtâ, ein geflecktes Pantherthier, den kleinen Jagdleoparden (Felis jubata, Schreb.). Das letzte Wort ist das Sanskritwort tschitra, buntfarbig, gefleckt, wie der bengalische Name für das Thier (tschitâbâgh und tschitibâgh, von bâgh, sanskr. wyâghra, Tiger) beweist. (Buschmann.) — Im Mahabharata (II, 1860) ist neuerlichst eine Stelle aufgefunden worden, in der von dem Ameisengolde die Rede ist. „Wilso invenit (Journ. of the Asiat. Soc. Vol. VII. 1843 p. 143) mentionem fieri etiam in Indicis litteris bestiarum aurum effodientium, quas, quum terram effodiant, eodem nomine (pipilica) atque formicas Indi nuncupant." Vergl. Schwanbeck in Megasth. Indicis 1846 p. 73. Auffallend ist es mir gewesen zu sehen, daß in basaltreichen Gegenden des mexicanischen Hochlandes die Ameisen glänzende Körner von Hyalith zusammentragen, die ich mir aus Ameisenhaufen sammeln konnte.
66.
(S. 180.) Bei Strabo lib. III p. 172. (Böckh, Pind. fragm. v. 155.) — Die Fahrt des Coläus von Samos fällt nach Otfr. Müller (Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie) in Ol. 31, nach Letronne's Untersuchung (Essai sur les idées cosmographiques qui se rattachent au nom d'Atlas p. 9) in Ol. 35, 1 oder in das Jahr 640. Die Epoche ist von der Gründung von Cyrene, welche Otfr. Müller (Minyer S. 344, Prolegomena S. 63) zwischen Ol. 35 und 37 setzt, abhängig, weil man zur Zeit des Coläus (Herod. IV, 152) von Thera noch nicht den Weg nach Libyen kannte. Zumpt setzt die Gründung von Carthago 878, die von Gades 1100 vor Chr.
67.
(S. 180.) Nach Art der Alten (Strabo lib. II p. 126) rechne ich den ganzen Pontus sammt der Mäotis, wie geognostische und physikalische Ansichten es erheischen, zu dem gemeinsamen Becken des großen Inneren Meeres.
68.
(S. 180.) Herod. IV, 152.
69.
(S. 180.) Herod. I, 163, wo den Phocäern sogar die Entdeckung von Tartessus zugeschrieben wird; aber die Handelsunter= [423] nehmung der Phocäer war nach Ukert (Geogr. der Griechen und Römer Th. I, 1. S. 40) 70 Jahre später als Coläus von Samos.
70.
(S. 181.) Nach einem Fragmente des Phavorinus sind die Wörter ὠκεανός(und also auch ὠγήν) keinesweges griechisch, sondern von den Barbaren entlehnt (Spohn de Nicephor. Blemm. duobus opusculis 1818 p. 23). Mein Bruder glaubte, daß sie mit den Sanskritwurzeln ogha und ogh zusammenhangen. (S. Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 33 und 182.)
71.
(S. 181.) Aristot. de Coelo II, 14 (pag. 298,b Bekk.), Meteor. II, 5 (pag. 362 Bekk.); vergl. mein Examen critique T. I. p. 125–130. Seneca wagt zu sagen (Nat. Quaest. in praefat. 11): „contemnet curiosus spectator domicilii (terrae) angustias. Quantum enim est quod ab ultimis littoribus Hispaniae usque ad Indos jacet? Paucissimorum dierum spatium, si navem suus ventus implevit." (Examen crit. T. I. p. 158.)
72.
(S. 181.) Strabo lib. I pag. 65 und 118 Casaub. (Examen crit. T. I. p. 152.)
73.
(S. 182.) Im Diaphragma (der Erdscheidungslinie) des Dicäarchus läuft die Hebung durch den Taurus, die Ketten des Demavend und Hindu-Kho, den nord-tübetischen Kuen-lün und das mit ewigem Schnee bedeckte Wolkengebirge der chinesischen Provinzen Sse-tschuan und Kuang-si. S. meine orographischen Untersuchungen über diese Hebungslinie in der Asie centrale T. I. p. 104–114, 118–164; T. II. p. 413 und 438.
74.
(S. 182.) Strabo lib. III pag. 173 (Examen crit. T. III. p. 98).
75.
(S. 183.) Droysen, Gesch. Alexanders des Großen S. 544; derselbe in der Gesch. der Bildung des hellenistischen Staatensystems S. 23–34, 588–592, 748–755.
76.
(S. 184.) Aristot. Polit. VII, 7 pag. 1327 Bekker (vergl. auch III, 16 und die merkwürdige Stelle des Eratosthenes bei Strabo lib. I p. 66 und 97 Casaub.).
77.
(S. 184.) Stahr, Aristotelia Th. II. S. 114.
78.
(S. 185.) Ste. Croix, Examen critique des historiens d'Alexandre p. 731 (Schlegel, Ind. Bibliothek Bd. I. S. 150).
79.
(S. 187.) Vergl. Schwanbeck de fide Megasthenis et pretio in seiner Ausgabe dieses Schriftstellers p. 59–77. Megasthenes besuchte oft Palibothra, den Hof des Königs von Magadha. Er war tief in die Chronologie der Inder eingeweiht, und berichtet, „wie in der verflossenen Vorzeit das All dreimal zur Freiheit gekommen sei, wie drei Weltalter abgelaufen und zu seiner Zeit das vierte begonnen war" (Lassen, indische Alterthumskunde Bd. I. S. 510). Die Hesiodische Lehre von vier Weltaltern, an vier elementarische Weltzerstörungen geknüpft, die zusammen eine Zeit von 18028 Jahren ausfüllen, findet sich auch bei den Mexicanern (Humboldt, Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 119–129). — Einen denkwürdigen Beweis für die Genauigkeit des Megasthenes hat in neuerer Zeit das Studium des Rigveda und des Mahabharata verschafft. Man vergleiche, was Megasthenes „über das Land der langlebenden Seligen im höchsten Norden von Indien, über das Land Uttara-Kuru (wahrscheinlich nördlich von Kaschmir gegen den Belurtagh hin) berichtet, das er nach seinen griechischen Ansichten an das tausendjährige Leben der Hyperboräer anschließt." (Lassen in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. II. S. 62.) Damit hängt eine Sage in dem nur zu lange verschmähten Ktesias von einem heiligen Orte in der nördlichen Wüste zusammen (Ind. cap. 8, ed. Baehr p. 249 und 285). Den. Martichoras, welchen Aristoteles (Hist. de Animal. II, 3 § 10, T. I. pag. 51 Schneider) nennt, die Greifen, welche halb Adler, halb Löwen sind, das von Aelian erwähnte Kartazonon, einen einhörnigen wilden Esel, hat Ktesias als wirkliche Thiere aufgeführt: nicht als eigene Erdichtung, sondern weil er, wie schon Heeren und Cuvier bemerkt haben, an persischen Monumenten abgebildete symbolisirte Thiergestalten für Nachahmung noch im fernen Indien lebender Unthiere hielt. Die genaue Identificirung des Martichoras mit persepolitanischen Symbolen hat aber nach des scharfsinnigen Guigniaut Bemerkung (Creuzer, Religions de l'Antiquité; notes et éclaircissements p. 720) viele Schwierigkeit.
80.
(S. 188.) Ich habe diese verwickelten orographischen Verhältnisse erläutert in meiner Asie centrale T. II. p. 429–434.
81.
(S. 188.) Lassen in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenl. Bd. I. S. 230.
82.
(S. 188.) Das Land zwischen Bamian und Ghori. S. Carl Zimmermann's vortreffliches orographisches Uebersichtsblatt von Afghanistan 1842. (Vergl. Strabo lib. XV pag. 725, Diod. Sicul. XVII, 82; Menn, Meletem. hist. 1839 p. 25 und 31, Ritter über Alexanders Feldzug am Indischen Kaukasus in den Abhandl. der Berl. Akad. aus dem J. 1829 S. 150; Droysen, Bildung des hellenist. Staatensystems S. 614.) Ich schreibe Paropanisus, wie alle guten Codices des Ptolemäus haben, und nicht Paropamisus. Die Gründe habe ich entwickelt in der Asie centrale T. I. p. 114–118 (vergl. auch Lassen, zur Gesch. der Griechischen und Indoskythischen Könige S. 128).
83.
(S. 189.) Strabo lib. XV pag. 717 Casaub.
84.
(S. 189.) Tala, als Name der Palme Borassus flabelliformis (sehr charakteristisch von Amarasinha ein König der Gräser genannt), bei Arrian, Ind. VII, 3.
85.
(S. 189.) Das Wort tabaschir wird auf das sanskritische tvak-kschîrâ (Rindenmilch) zurückgeführt; s. oben S. 401 Anm. 3. Ich habe schon 1817 in den geschichtlichen Beilagen zu meinem Werke de distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium p. 215 darauf aufmerksam gemacht, daß neben dem Tabaschir der Bambusa die Begleiter Alexanders (Strabo lib. XV pag. 693, Peripl. maris Erythr. p. 9) auch den wahren Rohrzucker der Inder hatten kennen gelernt. Moses von Chorene, der in der Mitte des 5ten Jahrhunderts lebte, hat zuerst (Geogr. ed. Whiston 1736 p. 364) die Bereitung des Zuckers aus dem Safte des Saccharum officinarum in der Provinz Chorasan umständlich beschrieben.
86.
(S. 189.) Strabo lib. XV pag. 694.
87.
(S. 189.) Ritter, Erdkunde von Asien Bd. IV, 1. S. 437, Bd. VI, 1. S. 698; Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 317–323. Die Stelle in Aristot. Hist. de Animal. V, 17 (T. I. pag. 209 ed. Schneider) von dem Gespinnste einer großen gehörnten Raupe bezieht sich auf die Insel Cos.
88.
(S. 189.) So λάκκος χρομάτικος im Peripl. maris Erythr. p. 5 (Lassen S. 316).
89.
(S. 189.) Plin. Hist. Nat. XVI, 32. (Ueber Einführung seltener asiatischer Pflanzen in Aegypten durch die Lagiden s. Plin. XII, 14 und 17.)
90.
(S. 190.) Humboldt, de distrib. geogr. plantarum p. 178.
91.
(S. 190.) Ich habe seit dem Jahre 1827 oft mit Lassen über die merkwürdige Stelle des Plinius XII, 6 correspondirt: „Major alia (arbor) pomo et suavitate praecellentior, quo sapientes Indorum vivunt. Folium alas avium imitatur, longitudine trium cubitorum, latitudine duûm. Fructum cortice mittit, admirabilem succi dulcedine ut uno quaternos satiet. Arbori nomen palae, pomo arienae." Folgendes ist das Resultat der Untersuchung meines gelehrten Freundes: „Amarasinha stellt die Musa (Banane, Pisang) an die Spitze aller nahrhaften Pflanzen. Unter den vielen Sanskritnamen, die er anführt, finden sich: varanabuscha, bhanuphala (Sonnenfrucht) und moko, woraus das arabische mauza. Phala (pala) heißt Frucht im allgemeinen und ist also nur aus Mißverständniß für den Namen der Pflanze gehalten worden. Varana kommt ohne buscha nicht im Sanskrit als Name der Musa vor, die Abkürzung mag aber der Volkssprache angehört haben; varana wäre griechisch οὐαρενα, was gewiß von ariena nicht sehr entfernt ist." Vergl. Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 262; mein Essai politique sur la Nouv. Espagne T. II. 1827 p. 382, Relation hist. T. I. p. 491. Den chemischen Zusammenhang des nahrhaften Amylum mit dem Zuckerstoff haben Prosper Alpinus und Abd-Allatif gleichsam geahndet, indem sie die Entstehung der Musa aus der Insertion des Zuckerrohrs oder der süßen Dattelfrucht in die Wurzel der Colocasia zu erklären suchten. (Abd-Allatif, Relation de l'Égypte, trad. par Silvestre de Sacy p. 28 und 105.)
92.
(S. 190.) Vergl. über diese Epoche Wilhelm von Humboldt in seinem Werke über die Kawi-Sprache und die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbanes Bd. I. S. CCL und CCLIV; Droysen, Gesch. Alexanders des Gr. S. 547, und hellenist. Staatensystem S. 24.
93.
(S. 190.) Dante, Inf. IV, 130.
94.
(S. 191.) Vergl. Cuvier's Behauptungen in der Biographie universelle T. II. 1811 p. 458 (leider! auch wieder in der Ausgabe von 1843 T. II. p. 219) mit Stahr's Aristotelia Th. I. S. 15 und 108.
95.
(S. 191.) Cuvier hat, als er das Leben des Aristoteles bearbeitete, an diese Begleitung nach Aegypten geglaubt, „von woher der Stagirite alle Materialien zu der Historia Animalium nach Athen erst Ol. 112, 2 sollte zurückgebracht haben". Später (1830) hat der große Naturforscher diese Meinung aufgegeben, weil er nach näherer Untersuchung bemerkte, „daß die Beschreibungen der ägyptischen Thiere nicht nach dem Leben, sondern nach Notizen des Herodot entworfen wären". (Vergl. Cuvier, Histoire des Sciences naturelles, publiée par Magdeleine de Saint-Agy T. I. 1841 p. 136.)
96.
(S. 191.) Zu diesen inneren Kennzeichen gehören: die Angabe von der vollkommenen Abgeschlossenheit (Isolirtheit) des caspischen Meeres; die von dem großen unter dem Archonten Nicomachus erschienenen Cometen, Ol. 109, 4 nach Corsini, der nicht mit dem, welchen Herr von Boguslawski neuerlichst den Cometen des Aristoteles (unter dem Archonten Asteus, Ol. 101, 4; Aristot. Meteor. lib. I cap. 6, 10, Vol. I. pag. 395 Ideler; identisch mit Cometen von 1695 und 1843?) genannt hat, zu verwechseln ist; die Erwähnung der Zerstörung des Tempels zu Ephesus, wie die eines in 50 Jahren zweimal gesehenen Mondregenbogens. (Vergl. Schneider ad Aristot. Hist. de Animalibus T. I. p. XL, XLII, CIII und CXX; Ideler ad Aristot. Meteor. Vol. I. p. X; Humboldt, Asie centr. T. II. p. 168.) Daß die Thiergeschichte später geschrieben als die Metcorologica, erkennt man auch daraus, daß in diesen bereits auf jene als auf einen Gegenstand hingedeutet wird, der bald folgen soll (Meteor. I. 1, 3 und IV. 12, 13).
97.
(S. 192.) Die im Texte genannten fünf Thiere und unter ihnen vorzüglich den Hippelaphus (Pferd-Hirsch mit langer Mähne), das Hippardion, das bactrische Kameel und den Büffel führt Cuvier als Beweise der späteren Abfassung der Historia Animalium des Aristoteles an (Hist. des Sciences nat. T. I. p. 154). Cuvier unterscheidet in dem 4ten Bande seiner vortrefflichen Recherches sur les Ossemens fossiles[428] 1823 p. 40–43 und p. 502 zwischen zwei gemähnten Hirschen Asiens, die er Cervus hippelaphus und Cervus Aristotelis nennt. Anfangs hielt er den ersteren, von welchem er ein lebendiges Exemplar in London gesehen und von welchem Diard ihm Felle und Geweihe aus Sumatra geschickt hatte, für den hippelaphos des Aristoteles aus Arachosien (Hist. de Animal. II, 2 § 3 und 4, T. I. pag. 43–44 Schneider); später schien ihm ein von Duvaucel aus Bengalen gesandter Hirschkopf, der Zeichnung des ganzen großen Thieres nach, noch mehr mit der Beschreibung des Stagiriten vom Hippelaphus übereinzustimmen. Letzterer, einheimisch in dem bengalischen Gebirge Sylhet, in Nepaul und östlich vom Indus, erhielt nun den Namen Cervus Aristotelis. Wenn in demselben Capitel, in welchem Aristoteles von gemähnten Thieren im allgemeinen redet, neben dem Pferd-Hirsch (Equicervus) auch der indische Guepard oder Jagdtiger (Felis jubata) bezeichnet sein soll, so ist, wie Schneider (T. III. p. 66) will, die Lesart πάρδιον der τὸ ἱππάρδιον vorzuziehen. Die letztere Lesart würde am besten, wie auch Pallas (Spicileg. zool. fasc. I. p. 4) meint, auf die Giraffe zu deuten sein. — Hätte Aristoteles den Guepard selbst gesehen und nicht bloß beschreiben hören, wie würde er die nicht retractilen Klauen in einem katzenartigen Thiere unerwähnt gelassen haben! Eben so ist es auffallend, daß der immer so genaue Aristoteles, wenn er wirklich (wie August Wilhelm von Schlegel behauptet) „nahe bei seiner Wohnung zu Athen eine Menagerie gehabt und einen von den bei Arbela erbeuteten Elephanten selbst zergliedert" hätte, die kleine Oeffnung neben den Schläfen, in welcher besonders zur Brunstzeit des Elephanten eine starkriechende Flüssigkeit abgesondert wird und auf welche die indischen Dichter so oft anspielen, nicht beschrieben habe (Schlegel's Indische Bibliothek Bd. I. S. 163–166). Ich erinnere an diesen kleinlich scheinenden Umstand hier besonders deshalb, weil uns die eben genannte Drüsenöffnung zunächst aus Berichten des Megasthenes (Strabo lib. XV pag. 704 und 705 Casaub.) bekannt war, und doch gewiß Niemand darum diesem eine anatomische Kenntniß zuschreiben wird. Ich finde in den verschiedenen zoologischen Werken des Aristoteles, welche auf uns gekommen sind, nichts, was auf Selbstbeobachtung an Elephanten oder gar auf Zergliederuug derselben zu schließen nöthigte. Indeß ist die Möglichkeit, daß die [429]Historia Animalium, wenn sie auch am wahrscheinlichsten schon vor dem kleinasiatischen Feldzuge Alexanders vollendet war, doch, wie Stahr will (Aristotelia Th. II. S. 98), bis zu dem Lebensende des Verfassers (Ol. 114, 3, also drei Jahre nach dem Tode des großen Eroberers) durch Zusätze habe vervollständigt werden können, keinesweges zu läugnen; es fehlt aber an directen Zeugnissen dafür. Alles, was wir von dem Briefwechsel des Aristoteles besitzen, ist unächt (Stahr Th. I. S. 194–208, Th. II. S. 169–234), und Schneider sagt mit großer Zuversicht (Hist. de Animal. T. I. p. XL): „hoc enim tanquam certissimum sumere mihi licebit, scriptas comitum Alexandri notitias post mortem demum regis fuisse vulgatas."
98.
(S. 192.) Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, daß, wenn auch die Zerlegung des geschwefelten Quecksilbers durch Destillation schon im Dioscorides (Mat. medica V, 110 p. 667 Saracen.) beschrieben ist, doch die erste Beschreibung der Destillation einer Flüssigkeit (bei künstlicher Versüßung des Seewassers) sich in dem Commentar des Alexander von Aphrodisias zu dem Buche de Meteorol. des Aristoteles findet; s. mein Examen critique de l'hist. de la Géographie T. II. p. 308–316 und Joannis (Philoponi) Grammatici in libr. de Generat. et Alexandri Aphrod. in Meteorol. Comm. Venet. 1527 p. 97, b. Alexander aus Aphrodisias in Carien, der gelehrte Commentator der Meteorologica des Aristoteles, lebte unter Septimius Severus und Caracalla; und wenn bei ihm auch chemische Apparate χυικὰ ὄργανα heißen, so beweist doch wohl eine Stelle des Plutarch (de Iside et Osir. c. 33), daß das Wort Chemie von den Griechen auf die ägyptische Kunst angewandt nicht von χέω abzuleiten ist (Hoefer, Histoire de la Chimie T. I. p. 91, 195 und 219, T. II. p. 109).
99.
(S. 192.) Vergl. Sainte-Croix, Examen des historiens d'Alexandre 1810 p. 207 und Cuvier, Hist. des Sciences nat. T. I. p. 137 mit Schneider ad Aristot. de Hist. Animal. T. I. p. XLII–XLVI und Stahr, Aristotelia Th. I. S. 116–118. Wenn demnach die Sendungen aus Aegypten und Inner-Asien sehr unwahrscheinlich sind, so bezeugen dagegen die neuesten Arbeiten unseres großen Anatomen Johannes [430] Müller, mit welcher wundervollen Feinheit Aristoteles Fische der griechischen Meere zergliederte. S. über die Adhärenz des Eies mit dem Uterus in einer der beiden im Mittelmeer lebenden Arten der Gattung Mustelus, die im Fötuszustande eine Placenta des Dottersacks besitzt, welche mit der Uterin–Placenta der Mutter zusammenhängt, die gelehrte Abhandlung von Johannes Müller und seine Untersuchungen über den γαλεὸς λεῖος des Aristoteles in den Abhandl. der Berliner Akademie aus d. J. 1840 S. 192–197. (Vergl. Aristot. Hist. Anim. VI, 10 und de Gener. Anim. III, 3.) Eben so zeugen für die feinsten anatomischen Selbstarbeiten des Stagiriten die Unterscheidung und ausführliche Zergliederung der Tintenfisch–Arten, die Beschreibung der Zähne in den Schnecken und der Organe anderer Gasteropoden. (Vergl. Hist. Anim. IV, 1 und 4 mit Lebert in Müller's Archiv der Physiologie 1846 S. 463 und 467.) Auf die Gestalt der Schneckenzähne habe ich selbst schon 1797 die neueren Naturforscher aufmerksam gemacht; s. meine Versuche über die gereizte Muskel– und Nervenfaser Bd. I. S. 261.
100.
(S. 193.) Valer. Maxim. VII, 2: „ut cum Rege aut rarissime aut quam jucundissime loqueretur."
1.
(S. 194.) Aristot. Polit. I, 8 und Eth. ad Eudemum VII, 14.
2.
(S. 194.) Strabo lib. XV pag. 690 und 695 (Herod. III, 101).
3.
(S. 194.) So Theodectes von Phaselis; s. oben Kosmos Bd. I. S. 380 und 491. Alles Nördliche wurde mehr dem Westen, alles Südliche dem Osten zugeschrieben; vergl. Völcker über Homerische Geographie und Weltkunde S. 43 und 87. Das Unbestimmte des Wortes Indien, schon damals an Ideen der Lage, der Menschenfärbung und kostbarer Erzeugnisse geknüpft, trug zur Verbreitung solcher meteorologischen Hypothesen bei; denn Indien hießen gleichzeitig West–Arabien, das Land zwischen Ceylon und dem Ausfluß des Indus, das troglodytische Aethiopien, und das afrikanische Myrrhen– und Zimmtland südlich vom Vorgebirge der Arome (Humboldt, Examen crit. T. II. p. 35).
4.
(S. 195.) Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 369, 372–375, 379 und 389; Ritter, Asien Bd. IV, 1. S. 446.
5.
(S. 195.) Die geographische Verbreitung der Menschenracen kann so wenig als die der Pflanzen und Thiere in ganzen Continenten nach Breitengraden bestimmt werden. Das Axiom, welches Ptolemäus (Geogr. lib. I cap. 9) aufstellt, daß es nördlich vom Parallel von Agisymba keine Elephanten, kein Rhinoceros und keine Neger gebe, ist völlig unbegründet (Examen critique T. I. p. 39). Die Lehre von dem allgemeinen Einfluß des Bodens und der Klimate auf die intellectuellen Anlagen und die Gesittung der Menschheit blieb der alexandrinischen Schule des Ammonius Sakkas eigenthümlich, besonders dem Longinus. S. Proclus, Comment. in Tim. p. 50.
6.
(S. 195.) S. Georg Curtius, die Sprachvergleichung in ihrem Verhältniß zur classischen Philologie 1845 S. 5–7 und dessen Bildung der Tempora und Modi 1846 S. 3–9. (Vergl. auch Pott's Artikel indogermanischer Sprachstamm in der allgem. Encyklopädie von Ersch und Gruber Sect. II. Th. XVIII. S. 1–112.) Untersuchungen über die Sprache im allgemeinen, in so fern sie die Grundverhältnisse des Gedankens berührt, finden sich aber schon bei Aristoteles, da wo er den Zusammenhang der Kategorien mit grammatischen Verhältnissen entwickelt. S. die lichtvolle Darstellung dieser Vergleichung in Adolf Trendelenburg's histor. Beiträgen zur Philosophie 1846 Th. I. S. 23–32.
7.
(S. 196.) Die Schulen der Orchener und Borsipener, Strabo lib. XVI p. 739. In dieser Stelle werden in Verbindung mit den chaldäischen Astronomen vier chaldäische Mathematiker namentlich aufgeführt; dieser Umstand ist historisch um so wichtiger, da Ptolemäus, als wären die Beobachtungen in Babylon immer nur collegialisch angestellt worden (Ideler, Handbuch der Chronologie Bd. I. 1825 S. 198), die Sternbeobachter stets durch den Gesammtnamen Χαλδαῖοι bezeichnet.
8.
(S. 196.) Ideler a. a. O. Bd. I. S. 202, 206 und 218. Wenn man den Zweifel gegen den Glauben an die von Callisthenes aus Babylon nach Griechenland gesandten astronomischen Beobachtungen darauf gründet (Delambre, Histoire de l'Astronomie ancienne T. I. p. 308), „daß keine Spur von diesen Beobachtungen der chaldäischen Priestercaste sich in den Schriften des Aristoteles finde"; so vergißt man, daß Aristoteles (de Coelo[432] lib. II c. 12) gerade da, wo er von einer von ihm selbst beobachteten Bedeckung des Mars vom Monde spricht, ausdrücklich hinzufügt: „eben dergleichen vieljährige an den übrigen Planeten gemachte Beobachtungen haben die Aegypter und die Babylonier angestellt, von denen viele zu unserer Kunde gelangt sind." Ueber den wahrscheinlichen Gebrauch astronomischer Tafeln bei den Chaldäern s. Chasles in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XXIII. (1846) p. 852–854.
9.
(S. 197.) Seneca, Nat. Quaest. VII, 17.
10.
(S. 197.) Vergl. Strabo lib. XVI p. 739 mit lib. III p. 174.
11.
(S. 197.) Diese Untersuchungen sind vom Jahr 1824 (s. Guigniaut, Religions de l'Antiquité, ouvr. trad. de l'allem. de F. Creuzer T. I. P. 2. p. 928). Spätere Aufsätze von Letronne sind die im Journal des Savants 1839 p. 338 und 492 wie auch die Analyse critique des représentations zodiacales en Egypte 1846 p. 15 und 34. (Vergl. damit Ideler über den Ursprung des Thierkreises in den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem J. 1838 S. 21.)
12.
(S. 197.) Die herrlichen Waldungen von Cedrus deodvara (Kosmos Bd. I. S. 43), am häufigsten zwischen acht- und eilftausend Fuß, am oberen Hydaspes (Behut), der den Wallersee in dem Alpenthale von Kaschmir durchströmt, haben das Material zu Nearchs Flotte hergegeben (Burnes, Travels Vol. I. p. 59). Der Stamm dieser Ceder hat nach der Beobachtung des, leider! der Wissenschaft (durch den Tod auf einem Schlachtfelde) entrissenen Dr. Hoffmeister, des Begleiters des Prinzen Waldemar von Preußen, oft bis 40 Fuß Umfang.
13.
(S. 198.) Lassen in der Pentapotamia indica p. 25, 29, 57–62 und 77, auch in der indischen Alterthumskunde Bd. I. S. 91. Zwischen der Sarasvati, im Nordwesten von Delhi, und der felsenreichen Drischadvati liegt nach Manu's Gesetzbuch Brahmavarta, ein von den Göttern selbst priesterlich eingerichteter Bezirk des Brahma; dagegen ist im weiteren Sinne des Worts Aryavarta (das Land der Würdigen, Arier) in der alten indischen Geographie das ganze Gebiet östlich vom Indus zwischen dem Himalaya und der Vindhya-Kette, von welcher an [433] südlich die alte nicht-arische Urbevölkerung begann. Madhya-Desa, das Land der Mitte, dessen ich oben (Kosmos Bd. I. S. 15) erwähnte, war nur ein Theil von Aryavarta. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 204 und Lassen, ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 5, 10 und 93.) Die antiken indischen Freistaaten, die Gebiete der Königslosen (von den orthodoxen östlichen Dichtern verdammt), lagen zwischen dem Hydraotes und Hyphasis, d. i. zwischen dem jetzigen Ravi und dem Beas.
14.
(S. 198.) Megasthenes, Indica ed. Schwanbeck 1846 p. 17.
15.
(S. 201.) S. oben Kosmos Bd. II. S. 155.
16.
(S. 201.) Vergl. meine geographischen Untersuchungen in der Asie centrale T. I. p. 145 und 151–157, T. II. p. 179.
17.
(S. 201.) Plin. VI, 26?
18.
(S. 202.) Droysen, Gesch. des hellenistischen Staatensystems S. 749.
19.
(S. 203.) Vergl. Lassen, indische Alterthumskunde Bd. I. S. 107, 153 und 158.
20.
(S. 203.) „Verstümmelt aus Tâmbapannî. Diese Paliform lautet im Sanskrit Tâmraparnì; die griechische Form Taprobane giebt halb die sanskritische (Tâmbra, Tapro), halb die Paliform wieder." (Lassen a. a. O. S. 201; vergl. Lassen, Diss. de Taprobane insula p. 19.) Auch die Lakediven (lakke statt lakscha und dive statt dwîpa, einhundert tausend Inseln) waren wie die Malediven (Malayadiba, d. i. Inseln von Malabar) den alexandrinischen Seeleuten bekannt.
21.
(S. 204.) Hippalus soll erst unter Claudius gelebt haben; aber die Angabe ist unwahrscheinlich, wenn auch unter den ersten Lagiden ein großer Theil der indischen Erzeugnisse nur auf arabischen Märkten gekauft wurden. Uebrigens wurde der Südwest-Monsun selbst Hippalus genannt, wie auch ein Theil des erythräischen oder indischen Oceans das Meer des Hippalus hieß; Letronne im Journal des Savans 1818 p. 405, Reinaud, Relation des Voyages dans l'Inde T. I. p. XXX.
22.
(S. 205.) S. die Untersuchungen von Letronne über den Canalbau zwischen dem Nil und dem rothen Meere von Neku bis zum Chalifen Omar, durch einen Zeitraum von mehr als 1300 Jahren, in der Revue des deux Mondes T. XXVII. [434] 1841 p. 215–235. Vergl. auch Letronne de la civilisation égyptienne depuis Psammitichus jusqu'à la conquête d'Alexandre 1845 p. 16–19.
23.
(S. 205.) Meteorologische Speculationen über die fernen Ursachen des Anschwellens des Nils veranlaßten einen Theil dieser Reisen, weil Philadelphus, wie Strabo sich ausdrückt (lib. XVII p. 789 und 790), „wegen Wißbegier und Körperschwäche immer neue Zerstreuungen und Ergötzlichkeiten suchte".
24.
(S. 205.) Zwei Jägerinschriften, „von denen die eine vorzugsweise an die Elephantenjagden des Ptolemäus Philadelphus erinnert", hat Lepsius auf seiner ägyptischen Reise an den Colossen von Abusimbel (Ibsambul) gefunden und copirt. (Vergl. über diesen Gegenstand Strabo lib. XVI p. 769 und 770; Aelian, de nat. anim. III, 34 und XVII, 3; Athenäus V p. 196.) Wenn gleich indisches Elfenbein nach dem Periplus maris Erythraei ein Ausfuhrartikel von Barygaza war, so wurde doch nach dem Berichte des Cosmas Elfenbein auch aus Aethiopien nach der westlichen Halbinsel von Indien exportirt. Die Elephanten haben sich seit dem Alterthume, auch im östlichen Afrika, mehr nach Süden zurückgezogen. Nach dem Zeugnisse des Polybius (V, 84) trieb da, wo in der Schlacht afrikanische und indische Elephanten einander gegenüber standen, der Anblick, der Geruch und das Geschrei der größeren und stärkeren indischen Elephanten die afrikanischen in die Flucht. Der letzteren sind wohl nie als Kriegselephanten so viele aufgestellt worden als in den asiatischen Feldzügen, wo Kandragupta 9000, der mächtige König der Prasier 6000, ja selbst Akbar noch eben so viel versammelt hielten (Lassen, ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 305–307).
25.
(S. 205.) Athen. XIV p. 654; vergl. Parthey, das Alexandrinische Museum, eine Preisschrift, S. 55 und 171.
26.
(S. 206.) Die Bibliothek im Bruchium war die ältere, welche bei dem Brande der Flotte unter Julius Cäsar zerstört wurde. Die Bibliothek in Rhakotis machte einen Theil des Serapeums aus, wo sie mit dem Museum verbunden war. Die Büchersammlung von Pergamus wurde durch die Freigebigkeit des Antonius der Bibliothek in Rhakotis einverleibt.
27.
(S. 207.) Vacherot, Histoire critique de l'École d'Alexandrie 1846 T. I. p. V und 103. Daß das Institut [435] von Alexandria, wie alle akademischen Corporationen, neben dem Vortrefflichen, was aus dem Zusammenwirken der Kräfte und der Anschaffung materieller Hülfsmittel entsteht, auch einschränkend und beherrschend wirkte, wurde schon im Alterthume mannigfaltig bezeugt. Ehe noch die einst so glänzende Stadt der traurige Sitz christlich-theologischer Streitigkeiten wurde, bestellte Hadrian seinen Lehrer Vestinus zum Hohenpriester von Alexandria (zu einer Art von Cultus-Minister) und zugleich zum Vorsteher des Museums (zum Präsidenten der Akademie). Letronne, Recherches pour servir à l'histoire de l'Égypte pendant la domination des Grecs et des Romains 1823 p. 251.
28.
(S. 207.) Fries, Geschichte der Philosophie Bd. II. S. 5 und dessen Lehrbuch der Naturlehre Th. I. S. 42. Vergl. auch die Betrachtungen über den Einfluß, welchen Plato auf die Begründung der Erfahrungswissenschaften durch Anwendung der Mathematik ausgeübt hat, in Brandis Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. II. Abth. 1. S. 276.
29.
(S. 208.) Ueber die physischen und geognostischen Meinungen des Eratosthenes s. Strabo lib. I p. 49–56, lib. II p. 108.
30.
(S. 208.) Strabo lib. XI p. 519, Agathem. in Hudson, Geogr. graeci min. Vol. II. p. 4. Ueber die Richtigkeit der großartigen orographischen Ansichten des Eratosthenes s. meine Asie centrale T. I. p. 104–150, 198, 208–227, 413–415, T. II. p. 367 und 414–435, und Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 152–154. Ich habe die Gradmessung des Eratosthenes mit Vorsicht die erste hellenische genannt, da eine uralte chaldäische Bestimmung der Größe des Grades nach Kameelschritten nicht unwahrscheinlich ist. S. Chasles, Recherches sur l'Astronomie in dienne et chaldéenne in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1846 p. 851.
31.
(S. 209.) Mir scheint die letztere Benennung die richtigere, da Strabo lib. XVI p. 739 einen „Seleucus von Seleucia unter mehreren sehr ehrenwerthen Männern als einen sternkundigen Chaldäer " aufführt. Hier ist wahrscheinlich Seleucia am Tigris gemeint, eine blühende Handelsstadt. Sonderbar ist es freilich, daß derselbe Strabo einen Seleucus als genauen Beobachter der [436] Ebbe und Fluth ebenfalls einen Babylonier (lib. I p. 6) und später wieder (lib. III p. 174), vielleicht aus Nachlässigkeit, einen Erythräer nennt. (Vergl. Stobäus, Ecl. phys. p. 440.)
32.
(S. 209.) Ideler, Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 212 und 329.
33.
(S. 209.) Delambre, Histoire de l'Astronomie ancienne T. I. p. 290.
34.
(S. 210.) Böckh hat in seinem Philolaos S. 118 untersucht, ob die Pythagoreer schon früh aus ägyptischen Quellen die Präcession unter der Benennung: Bewegung des Fixsternhimmels gekannt haben. Letronne (Observations sur les représentations zodiacales qui nous restent de l'Antiquité 1824 p. 62) und Ideler (Handbuch der Chronol. Bd. I. S. 192) vindiciren aber diese Entdeckung ausschließlich dem Hipparch.
35.
(S. 211.) Ideler über Eudoxus S. 23.
36.
(S. 211.) Der von Le Verrier entdeckte Planet.
37.
(S. 212.) Vergl. oben Kosmos Bd. II. S. 141, 146, 149 und 170.
38.
(S. 213.) Wilhelm v. Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. XXXVII.
39.
(S. 214.) Der Flächeninhalt des römischen Reichs unter August ist nach der Umgrenzung, welche Heeren in seiner Geschichte der Staaten des Alterthums S. 403–470 annimmt, von Professor Berghaus, dem Verfasser des vortrefflichen Physikalischen Atlasses, zu etwas mehr als 100000 geographischen Quadratmeilen berechnet worden: ohngefähr ¼ mehr als die Zahl (1600000 square miles), die Gibbon in der History of the decline of the Roman Empire Vol. I. chapt. 1 p. 39, aber freilich selbst als überaus zweifelhaft, angiebt.
40.
(S. 215.) Veget. de re mil. III, 6.
41.
(S. 215.) Act. II v. 371, in der vielberufenen Weissagung, welche schon seit Columbus dem Sohne auf die Entdeckung von Amerika gedeutet wurde.
42.
(S. 216.) Cuvier, Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 312–328.
43.
(S. 216.) Liber Ptholemei de opticis sive aspectibus, das seltene Manuscript der königlichen Pariser [437] Bibliothek No. 7310, welches ich bei Gelegenheit der Auffindung einer denkwürdigen Stelle über die Strahlenbrechung im Sextus Empiricus (adversus Astrologos lib. V p. 351 Fabr.) untersucht habe. Die Auszüge, die ich aus dem Pariser Manuscripte 1811, also vor Delambre und Venturi, gegeben, stehen in der Einleitung meines Recueil d'Observations astronomiques T. I. p. LXV–LXX. Das griechische Original ist uns nicht erhalten, sondern nur eine lateinische Uebersetzung zweier arabischen Manuscripte der Optik des Ptolemäus. Der lateinische Uebersetzer nennt sich Amiracus Eugenius, Siculus. Vergl. Venturi, Comment. sopra la storia e le teorie dell' Ottica (Bologna 1814) p. 227; Delambre, Hist. de l'Astronomie ancienne (1817) T. I. p. LI und T. II. p. 410–432.
44.
(S. 217.) Letronne beweist aus der Begebenheit des fanatisch-christlichen Mordes der Tochter des Theon von Alexandrien, daß das so viel bestrittene Zeitalter des Diophantus doch nicht nach dem Jahre 389 fallen kann (Sur l'origine grecque des Zodiaques prétendus égyptiens 1837 p. 26).
45.
(S. 219.) Diese Wohlthat der Gesittung (der Anregung zu menschlichen Gefühlen) durch Verbreitung einer Sprache ist in dem Lobe Italiens von Plinius schön bezeichnet: omnium terrarum alumna eadem et parens, numine Deûm electa, quae sparsa congregaret imperia ritusque molliret, et tot populorum discordes ferasque linguas sermonis commercio contraheret, colloquia, et humanitatem homini daret, breviterque una cunctarum gentium in toto orbe patria fieret. (Plin. Hist. nat. III, 5.)
46.
(S. 220.) Klaproth, Tableaux historiques de l'Asie 1826 p. 65–67.
47.
(S. 220.) Zu dieser blonden, blauäugigen indogermanischen, gothischen oder arischen Race des östlichsten Asiens gehören die Usün, Tingling, Hutis und großen Yueten. Die letzten werden von den chinesischen Schriftstellern ein tübetischer Nomadenstamm genannt, der schon 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung zwischen dem oberen Lauf des Huangho und dem Schneegebirge Nanschan eingewandert war. Ich erinnere hier an diese Abkunft, da die Serer (Plin. VI, 22) ebenfalls rutilis comis et caeruleis oculis beschrieben werden (vergl. Ukert, Geogr. der Griechen [438] und Römer Th. III. Abth. 2. 1845 S. 275). Die Kenntniß dieser blonden Racen, welche in dem östlichsten Theil von Asien auftreten und den ersten Anstoß zur sogenannten großen Völkerwanderung gaben, haben wir den Nachforschungen von Abel-Rémusat und Klaproth zu verdanken; sie gehören zu den glänzenden geschichtlichen Entdeckungen unseres Zeitalters.
48.
(S. 221.) Letronne in den Observations critiques et archéologiques sur les représentations zodiacales de l'Antiquité 1824 p. 99, wie auch in seiner neueren Schrift sur l'origine grecque des Zodiaques prétendus égyptiens 1837 p. 27.
49.
(S. 221.) Der gründliche Colebrooke setzt Warahamihira in das fünfte, Brahmagupta an das Ende des sechsten Jahrhunderts, und Aryabhatta ziemlich unbestimmt zwischen 200 und 400 unserer Zeitrechnung. (Vergl. Holtzmann über den griechischen Ursprung des indischen Thierkreises 1841 S. 23.)
50.
(S. 222.) Ueber die Gründe, welche nach dem Zeugniß unseres Textes des Strabo den so überaus späten Beginn der Ausarbeitung beweisen, s. Groskurd's deutsche Uebersetzung Th. I. (1831) S. XVII.
51.
(S. 222.) Strabo lib. I p. 14, lib. II p. 118, lib. XVI p. 781, lib. XVII p. 798 und 815.
52.
(S. 223.) Vergl. die beiden Stellen des Strabo lib. I p. 65 und lib. II p. 118 (Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géographie T. I. p. 152–154). In der wichtigen neuen Ausgabe des Strabo von Gustav Kramer (1844) Th. I. p. 100 wird für „Kreis von Thinä Kreis von Athen gelesen, als wäre Thinä erst im Pseudo-Arrian, im Periplus maris Rubri genannt worden." Diesen Periplus setzt Dodwell unter M. Aurelius und Lucius Verus, während derselbe nach Letronne erst unter Septimius Severus und Caracalla verfaßt wurde. Obgleich fünf Stellen des Strabo nach allen Handschriften Thinae haben, so entscheiden doch lib. II p. 79, 86, 87 und vor allen 82, wo selbst Eratosthenes genannt ist, für den Parallelkreis von Athen und Rhodus. Man verwechselte beide, da die alten Geographen die Halbinsel von Attica zu weit gegen Süden vorstreckten. Auch müßte es auffallend scheinen, wäre die gewöhnliche Lesart Θινῶν κύκλος die richtigere, daß nach einem so wenig [439] bekannten Orte der Sinen (Tsín) ein eigener Parallelkreis, das Diaphragma des Dicäarchus, benannt worden sei. Indeß setzt Cosmas Indicopleustes sein Tzinitza (Thinä) ebenfalls in Verbindung mit der Gebirgskette, welche Persien und die romanischen Länder, wie die ganze bewohnte Welt in zwei Theile theilt; er fügt sogar die Bemerkung hinzu (und diese Worte sind sehr merkwürdig): nach dem Glauben der indischen Philosophen oder Brachmanen. Vergl. Cosmas in Montfaucon, Collect. nova Patrum T. II. p. 137 und meine Asie centrale T. I. p. XXIII, 120–129 und 194–203, T. II. p. 413. Der Pseudo-Arrian, Agathemeros nach den gelehrten Untersuchungen von Professor Franz, und Cosmas schreiben bestimmt der Metropolis der Sinen eine sehr nördliche Breite, ohngefähr im Parallel von Rhodos und Athen, zu: während Ptolemäus, durch Schiffernachrichten (Geogr. I, 17) verführt, nur ein Thinä 3 Grade südlich vom Aequator kennt. Ich vermuthe, daß Thinä bloß im allgemeinen ein sinesisches Emporium, einen Hafen im Lande Tsin, bezeichnet und daß daher ein Thinä (Tzinitza) nördlich und ein anderes südlich vom Aequator habe genannt werden können.
53.
(S. 223.) Strabo lib. I p. 49–60, lib. II p. 95 und 97, lib. VI p. 277, lib. XVII p. 830. Ueber Hebung der Inseln und des Festlandes s. besonders lib. I p. 51, 54 und 59. Schon der alte Eleate Xenophanes lehrte, durch die Fülle fossiler Seeproducte fern von den Küsten geleitet, „daß der jetzt trockene Erdboden aus dem Meere gehoben sei" (Origen. Philosophumena cap. 4). Appulejus sammelte zur Zeit der Antonine Versteinerungen auf den gätulischen (mauretanischen) Gebirgen und schrieb sie der Deucalionischen Fluth zu, welche er sich demnach eben so allgemein dachte als die Hebräer die Noachidische und die mexicanischen Azteken die Fluth des Coxcox. Die Behauptungen Beckmann's und Cuvier's (Gesch. der Erfindungen Bd. II. S. 370 und Hist. des Sciences nat. T. I. p. 350), daß Appulejus eine Naturaliensammlung gehabt, hat Prof. Franz durch sehr sorgfältige Untersuchung widerlegt.
54.
(S. 224.) Strabo lib. XVII p. 810.
55.
(S. 225.) Carl Ritter's Asien Th. V. S. 560.
56.
(S. 225.) S. die auffallendsten Beispiele falscher Orientirungen von Bergketten bei Griechen und Römern zusammengestellt [440] in der Einleitung zu meiner Asic centrale T. I. p. XXXVII–XL. Ueber die Ungewißheit der numerischen Fundamente von Ptolemäus Ortsbestimmungen finden sich die befriedigendsten speciellen Untersuchungen in einer Abhandlung von Ukert im rheinischen Museum für Philologie Jahrg. VI. 1838 S. 314–324.
57.

(S. 225.) Beispiele von Zend- und Sanskritwörtern, die uns in der Geographie des Ptolemäus erhalten sind, s. in Lassen, Diss. de Taprobane insula p. 6, 9 und 17; in Burnouf's Comment. sur le Yaçna T. I. p. XCIII–CXX und CLXXXI–CLXXXV; in meinem Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 45–49. In seltenen Fällen giebt Ptolemäus den Sanskritnamen und dessen Bedeutung zugleich, wie für die Insel Java als eine Gersteninsel, Ἰαβαδίου, ὅ σημαίνει κριθῆς νῆσος

Ptol. VII, 2 (Wilhelm v. Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. 60–63). Noch heute wird nach Buschmann in den hauptsächlichsten indischen Sprachen (dem Hindustani, Bengali und Nepal, in der mahrattischen, guzeratischen und cingalesischen Sprache) wie im Persischen und Malayischen die zweizeilige Gerste, Hordeum distichon, yava, dschav oder dschau, im Orissa yaa genannt (vergl. die indischen Bibelübersetzungen in der Stelle Joh. VI, 9 und 13, und Ainslie, Materia medica of Hindoostan, Madras 1813, p. 217).

58.
(S. 226.) S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 147–188.
59.
(S. 226.) Strabo lib. XI p. 506.
60.
(S. 227.) Menander de legationibus Barbarorum ad Romanos et Romanorum ad gentes, e rec. Bekkeri et Niebuhr. 1829, p. 300, 619, 623 und 628.
61.
(S. 227.) Plutarch de facie in orbe lunae p. 921, 19 (vergl. mein Examen crit. T. I. p. 145 und 191). Die Hypothese des Agesianax, nach welcher die Mondflecken, in denen Plutarch (p. 935, 4) eine eigene Art (vulkanischer?) Lichtberge zu sehen glaubte, bloß abgespiegelte Erdländer und Erdmeere mit ihren Isthmen sind, habe ich selbst bei einigen sehr gebildeten Persern wiedergefunden. „Was man uns", sagten sie, „durch Fernröhre auf der Mondflache zeigt, sind zurückgeworfene Bilder unseres Landes."
62.
(S. 227.) Ptolem. lib. IV c. 9, lib. VII c. 3 und 5. Vergl. Letronne im Journal des Savans 1831 p. 476–480 und 545–555; Humboldt, Examen crit. T. I. p. 144, 161 und 329, T. II. p. 370–373.
63.
(S. 228.) Delambre, Hist. de l'Astronomie ancienne T. I. p. LIV, T. II. p. 551. Theon erwähnt nie der Optik des Ptolemäus, ob er gleich zwei volle Jahrhunderte nach ihm lebte.
64.
(S. 228.) Oft ist es in der Physik der Alten schwer zu entscheiden, ob ein Resultat Folge einer hervorgerufenen Erscheinung oder einer zufällig beobachteten ist. Wo Aristoteles (de Coelo IV, 4) von der Schwere der Luft handelt, was freilich Ideler zu läugnen scheint (Meteorologia veterum Graecorum et Romanorum p. 23), sagt er bestimmt: „ein aufgeblasener Schlauch ist schwerer als ein leerer". Der Versuch muß mit verdichteter Luft gemacht worden sein, falls er wirklich unternommen wurde.
65.
(S. 228.) Aristot. de anima II, 7; Biese, die Philosophie des Aristot. Bd. II. S. 147.
66.
(S. 228.) Joannis (Philoponi) Grammatici in libr. de generat. und Alexandri Aphrodis. in Meteorol. Comment. (Venet. 1527) p. 97, b. Vergl. mein Examen crit. T. II. p. 306–312.
67.
(S. 229.) Der numidische Metellus ließ 142 Elephanten im Circus tödten. In den Spielen, welche Pompejus gab, erschienen 600 Löwen und 406 Panther. August hatte den Volksfesten 3500 reißende Thiere geopfert; und ein zärtlicher Gatte klagt, daß er den Todestag seiner Gattinn nicht durch ein blutiges Gladiatorengefecht zu Verona feiern könne, „weil widrige Winde die in Afrika gekauften Panther im Hafen zurückhalten"! (Plin. Epist. VI, 34.)
68.
(S. 230.) Vergl. oben Anm. 53. Doch hat Appulejus, wie Cuvier erinnert (Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 287), die knochenartigen Haken im zweiten und dritten Magen der Aplysien (Seehasen) zuerst genau beschrieben.
69.
(S. 233.) »Est enim animorum ingeniorumque naturale quoddam quasi pabulum consideratio contemplatioque naturae. [442] Erigimur, elatiores fieri videmur, humana despicimus, cogitantesque supera atque coelestia haec nostra, ut exigua et minima, contemnimus.« Cic. Acad. II, 41.
70.
(S. 233.) Plin. XXXVII, 13 (ed. Sillig T. V. 1836 p. 320). Alle früheren Ausgaben endigten bei den Worten Hispaniam, quacunque ambitur mari. Der Schluß des Werks ist 1831 in einem Bamberger Codex von Hrn. Ludwig v. Jan (Professor zu Schweinfurt) entdeckt worden.
71.
(S. 234.) Claudian. in secundum consulatum Stilichonis v. 150–155.
72.
(S. 235.) Kosmos Bd. I. S. 385 und 492, Bd. II. S. 25. (Vergl. auch Wilhelm v. Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. XXXVIII.)
73.
(S. 240.) Wenn Carl Martell, wie man oft gesagt, durch seinen Sieg bei Tours das mittlere Europa gegen den einbrechenden Islam geschützt hat, so kann man nicht mit gleichem Rechte behaupten, daß der Rückzug der Mongolen nach der Schlacht bei Liegnitz den Buddhismus gehindert habe bis an die Elbe und den Rhein vorzudringen. Die Mongolenschlacht in der Ebene von Wahlstatt bei Liegnitz, in welcher Herzog Heinrich der Fromme heldenmüthig fiel, ward am 9 April 1241 geliefert, vier Jahre nachdem unter Batu, dem Enkel Dschingischans, das Kaptschak und Rußland den asiatischen Horden dienstbar wurden. Die erste Einführung des Buddhismus unter den Mongolen fällt aber in das Jahr 1247, als fern im Osten zu Leang-tscheu, in der chinesischen Provinz Schensi, der kranke mongolische Prinz Godan den Sakya Pandita, einen tübetanischen Erzpriester, zu sich berief, um sich von ihm heilen und bekehren zu lassen (Klaproth in einem handschriftlichen Fragmente über die Verbreitung des Buddhismus im östlichen und nördlichen Asien). Dazu haben die Mongolen sich nie mit der Bekehrung der überwundenen Völker beschäftigt.
74.
(S. 240.) Kosmos Bd. I. S. 308 und 471.
75.
(S. 242.) Daher der Contrast zwischen den tyrannischen Maaßregeln des Motewekkil, zehnten Chalifen aus dem Hause der Abbassiden, gegen Juden und Christen (Joseph von Hammer über die Länderverwaltung unter dem Chalifate 1835 [443] S. 27, 85 und 117) und der milden Toleranz unter weiseren Herrschern in Spanien (Conde, Hist. de la dominacion de los Arabes en España T. I. 1820 p. 67). Auch ist zu erinnern, daß Omar nach der Einnahme von Jerusalem jeden Ritus des christlichen Gottesdienstes erlaubte und mit dem Patriarchen einen den Christen günstigen Vertrag abschloß (Fundgruben des Orients Bd. V. S. 68).
76.
(S. 242.) „Ein starker Zweig der Hebräer war, der Sage nach, lange vor Abraham unter dem Namen Jokthan (Qachthau) in das südliche Arabien hinabgewandert und hatte dort blühende Reiche gegründet." (Ewald, Geschichte des Volkes Israel Bd. I. S. 337 und 450.)
77.
(S. 242.) Der Baum, welcher den arabischen, seit der urältesten Zeit berühmten Weihrauch von Hadhramaut giebt (auf der Insel Socotora fehlt derselbe ganz), ist noch von keinem Botaniker, selbst nicht von dem mühsam forschenden Ehrenberg, aufgefunden und bestimmt worden. In Ostindien findet sich ein ähnliches Product, vorzüglich in Bundelkhund, mit welchem von Bombay aus ein beträchtlicher Handel nach China getrieben wird. Dieser indische Weihrauch wird nach Colebrooke (Asiatic Researches Vol. IX. p. 377) von einer durch Roxburgh bekannt gewordenen Pflanze, Boswellia thurifera oder serrata, aus der Familie der Burseraceen von Kunth, gewonnen. Da wegen der ältesten Handelsverbindungen zwischen den Küsten von Süd-Arabien und des westlichen Indiens (Gildemeister, Scriptorum Arabum loci de rebus Indicis p. 35) man in Zweifel ziehen konnte, ob der λίβανος des Theophrastus (das thus der Römer) ursprünglich der arabischen Halbinsel zugehört habe, so ist Lassen's Bemerkung sehr wichtig (indische Alterthumskunde Bd. I. S. 286), daß der Weihrauch im Amara-Koscha selbst „yâwana, javanisch, d. h. arabisch, genannt", demnach als ein aus Arabien nach Indien gebrachtes Erzeugniß aufgeführt wird. »Turuschka' pindaka' sihlô (drei Benennungen des Weihrauchs) yâwanô«, heißt es im Amara-Koscha (Amarakocha publ. par A. Loiseleur Deslongchamps. P. I. 1839 p. 156). Auch Dioscorides unterscheidet den arabischen von dem indischen Weihrauch. Carl Ritter in seiner vortrefflichen Monographie der Weihrauch-Arten (Asien Bd. VIII. Abth. 1. S. 356–372) [444] bemerkt sehr richtig, dieselbe Pflanzenart (Boswellia thurifera) könne wegen der Aehnlichkeit des Klima's wohl ihre Verbreitungssphäre von Indien durch das südliche Persien nach Arabien ausdehnen. Der amerikanische Weihrauch (Olibanum americanum unserer Pharmacopöen) kommt von Icica gujanensis Aubl. und Icica tacamahaca, die wir, Boupland und ich, häufig in den großen Grasebenen (Llanos) von Calabozo in Südamerika gefunden haben. Icica ist wie Boswellia aus der Familie der Burseraceen. Die Rothtanne (Pinus abies Linn.) erzeugt den gemeinen Weihrauch unserer Kirchen. — Die Pflanze, welche die Myrrhe trägt und welche Bruce glaubte gesehen zu haben (Ainslie, Materia medica of Hindoostan, Madras 1813, p. 29), ist bei el-Gisan in Arabien von Ehrenberg entdeckt und nach den von ihm gesammelten Exemplaren durch Nees von Esenbeck unter dem Namen Balsamodendron myrrha beschrieben worden. Man hielt lange fälschlich Balsamodendron Kotaf Kunth., eine Amyris von Forskål, für den Baum der ächten Myrrhe.
78.
(S. 243.) Wellsted, Travels in Arabia 1838 Vol. I. p. 272–289.
79.
(S. 243.) Jomard, Études géogr. et hist. sur l'Arabie 1839 p. 14 und 32.
80.
(S. 243.) Kosmos Bd. II. S. 167.
81.
(S. 244.) Jesaias 60, 6.
82.
(S. 245.) Ewald, Gesch. des Volkes Israel Bd. I. S. 300 und 450; Bunsen, Aegypten Buch III. S. 10 und 32. Auf uralte Völkerwanderungen gegen Westen deuten die Sagen von Persern und Medern im nördlichen Afrika. Sie sind an die vielgestaltete Mythe von Hercules und dem phönicischen Melkarth geknüpft worden. (Vergl. Sallust. bellum Jugurth. cap. 18, aus punischen Schriften des Hiempsal geschöpft; Plin. V, 8.) Strabo nennt die Maurusier (Bewohner von Mauretanien) gar „mit Hercules gekommene Inder".
83.
(S. 245.) Diod. Sic. lib. II cap. 2 und 3.
84.
(S. 245.) Ctesiae Cnidii Operum reliquiae ed. Baehr: Fragmenta assyriaca p. 421, und Carl Müller in Dindorf's Ausgabe des Herodot (Par. 1844) p. 13–15.
85.
(S. 246.) Gibbon, Hist. of the decline and fall of the Roman empire Vol. IX. chapt. 50 p. 200 (Leips. 1829).
86.
(S. 246.) Humboldt, Asie centr. T. II. p. 128.
87.
(S. 247.) Jourdain, Recherches critiques sur l'âge des traductions d'Aristote 1819 p. 81 und 87.
88.
(S. 250.) Ueber die Kenntnisse, welche die Araber aus der Arzneimittellehre der Inder geschöpft haben, s. die wichtigen Untersuchungen von Wilson im Oriental Magazine of Calcutta 1823 Febr. und März und von Royle in seinem Essay on the Antiquity of Hindoo Medicine 1837 p. 56–59, 64–66, 73 und 92. Vergl. ein Verzeichniß pharmaceutischer arabischer Schriften, die aus dem Indischen übersetzt sind, in Ainslie (Ausgabe von Madras) p. 289.
89.
(S. 251.) Gibbon Vol. IX. chapt. 51 p. 392; Heeren, Gesch. des Studiums der classischen Litteratur Bd. I. 1797 S. 44 und 72; Sacy, Abd-Allatif p. 240; Parthey, das Alexandrinische Museum 1838 S. 106.
90.
(S. 252.) Heinrich Ritter, Geschichte der christlichen Philosophie Th. III. 1844 S. 669–676.
91.
(S. 253.) Reinaud in drei neueren Schriften, welche beweisen, wie viel neben den chinesischen Quellen noch aus den arabischen und persischen zu schöpfen ist: Fragments arabes et persans inédits relatifs à l'Inde, antérieurement au XI\<up\>e\</up\> siècle de l'ère chrétienne, 1845 p. XX–XXXIII; Relation des Voyages faits par les Arabes et les Persans dans l'Inde et à la Chine dans le IX\<up\>e\</up\> siècle de notre ère, 1845 T. I. p. XLVI; Mémoire géographique et historique sur l'Inde d'après les écrivains Arabes, Persans et Chinois, antérieurement au milieu du onzième siècle de l'ère chrétienne, 1846 p. 6. Die zweite Schrift des gelehrten Orientalisten Herrn Reinaud ist eine neue Bearbeitung der vom Abbé Renaudot so unvollständig herausgegebenen Anciennes relations des Indes et de la Chine de deux voyageurs Mahométans (1718). Die arabische Handschrift enthält nur Einen Reisebericht, den des Kaufmanns Soleiman, welcher sich auf dem persischen Meerbusen [446] im Jahr 851 einschiffte. Diesem Berichte ist angehängt, was Abu-Zeyd-Hassan aus Syraf im Farsistan, welcher nie nach Indien oder China gereist war, von anderen unterrichteten Kaufleuten erfahren hatte.
92.
(S. 253.) Reinaud et Favé du feu grégeois 1845 p. 200.
93.
(S. 254.) Ukert über Marinus Tyrius und Ptolemäus, die Geographen, im Rheinischen Museum für Philologie 1839 S. 329–332; Gildemeister de rebus Indicis Pars I. 1838 p. 120; Humboldt, Asie centrale T. II. p. 191.
94.
(S. 254.) Die Oriental Geography von Ebn-Haukal, welche Sir William Ouseley im Jahr 1800 zu London herausgegeben hat, ist die des Abu-Ishak el-Istachri und, wie Frähn erwiesen (Ibn Fozlan p. IX, XXII und p. 256–263), ein halbes Jahrhundert älter als Ebn-Haukal. Die Carten, welche das Buch der Klimate vom Jahr 920 begleiten und von denen die Bibliothek zu Gotha eine schöne Handschrift besitzt, sind mir sehr nützlich bei meinen Arbeiten über das caspische Meer und den Aral-See geworden (Asie centrale T. II. p. 192–196). Wir besitzen vom Istachri seit kurzem eine Ausgabe und eine deutsche Uebersetzung (Liber climatum. Ad similitudinem codicis Gothani delineandum cur. J. H. Moeller. Goth. 1839. Das Buch der Länder. Aus dem Arab. übers. von A. D. Mordtmann. Hamb. 1845).
95.
(S. 254.) Vergl. Joaquim José da Costa de Macedo, Memoria em que se pretende provar que os Arabes não conhecerão as Canarias antes dos Portuguezes (Lisboa 1844) p. 86–99, 205–227 mit Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 137–141.
96.
(S. 254.) Leopold von Ledebur über die in den Baltischen Ländern gefundenen Zeugnisse eines Handels-Verkehrs mit dem Orient zur Zeit der Arabischen Weltherrschaft (1840) S. 8 und 75.
97.
(S. 254.) Die Längenbestimmungen, welche Abul-Hassan Ali aus Marokko, Astronom des 13ten Jahrhunderts, seinem Werke über die astronomischen Instrumente der Araber einverleibt [447] hat, sind alle nach dem ersten Meridian von Arin gerechnet. Herr Sédillot der Sohn richtete zuerst die Aufmerksamkeit der Geographen auf diesen Meridian. Es hat derselbe ebenfalls ein Gegenstand meiner sorgfältigen Untersuchungen werden müssen, da Christoph Columbus, wie immer, von der Imago Mundi des Cardinals d'Ailly geleitet, in seinen Phantasien über die Ungleichartigkeit der Erdgestalt in der östlichen und westlichen Hemisphäre einer Isla de Arin erwähnt: centro de el hemispherio del qual habla Toloméo y quès debaxo la linea equinoxial entre el Sino Arabico y aquel de Persia. (Vergl. J. J. Sédillot, Traité des Instruments astronomiques des Arabes, publ. par L. Am. Sédillot, T. I. 1834 p. 312–318, T. II. 1835 Préface mit Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 64 und Asie centrale T. III. p. 593–596, wo die Angaben stehen, welche ich in der Mappa Mundi des Alliacus von 1410, in den Alphonsinischen Tafeln von 1483 und in Madrignano's Itinerarium Portugallensium von 1508 aufgefunden habe. Sonderbar ist es, daß Edrisi nichts von Khobbet Arin (Cancadora, eigentlich Kankder) zu wissen scheint. Sédillot der Sohn (Mémoire sur les systèmes géographiques des Grecs et des Arabes 1842 p. 20–25) setzt den Meridian von Arin in die Gruppe der Azoren, während der gelehrte Commentator des Abulfeda, Herr Reinaud (Mémoire sur l'Inde antérieurement au XI\<up\>e\</up\> siècle de l'ère chrétienne, d'après les écrivains Arabes et Persans p. 20–24), annimmt, „daß Arin aus Verwechslung mit azyn, ozein und Odjein, dem Namen eines alten Cultursitzes (nach Burnouf Udjijayani) in Malva, Ὀζήνη des Ptolemäus, entstanden ist. Dies Ozene liege im Meridian von Lanka, und in späterer Zeit sei Arin für eine Insel an der Küste Zanguebar gehalten worden, vielleicht Ἔδδυνον des Ptolemäus." Vergl. auch Am. Sédillot, Mém. sur les Instr. astron. des Arabes 1841 p. 75.
98.
(S. 254.) Der Chalif Al-Mamun ließ viele kostbare griechische Handschriften in Constantinopel, Armenien, Syrien und Aegypten aufkaufen und unmittelbar aus dem Griechischen in das Arabische übertragen, da früher die arabischen Uebersetzungen sich lange auf syrische Uebersetzungen gründeten (Jourdain, Recherches critiques sur l'àge et sur l'origine des [448] traductions latines d'Aristote 1819 p. 85, 88 und 226). Durch Al-Mamun's Bemühungen wurde daher manches gerettet, was ohne die Araber ganz für uns verloren gegangen wäre. Einen ähnlichen Dienst haben, wie Neumann in München zuerst gezeigt, armenische Uebersetzungen geleistet. Leider läßt eine Notiz des Geschichtsschreibers Geuzi aus Bagdad, die der berühmte Geograph Leo Africanus in einer Schrift de viris inter Arabes illustribus uns erhalten hat, vermuthen, daß zu Bagdad selbst manche griechische Originale, die man für unbrauchbar hielt, verbrannt worden sind; aber die Stelle bezieht sich wohl nicht auf wichtige schon übersetzte Handschriften. Sie ist mehrfacher Erklärung fähig, wie Bernhardy (Grundriß der Griech. Litteratur Th. I. S. 489) gegen Heeren's Geschichte der classischen Litteratur (Bd. I. S. 135) gezeigt hat. — Die arabischen Uebersetzungen haben allerdings oft zu den lateinischen des Aristoteles gedient (z. B. der 8 Bücher der Physik und der Geschichte der Thiere), doch ist der größere und bessere Theil der lateinischen Uebertragungen unmittelbar aus dem Griechischen gemacht (Jourdain, Rech. crit. sur l'âge des traductions d'Aristote p. 230–236). Diese zwiefache Quelle erkennt man auch in dem denkwürdigen Briefe angegeben, mit welchem Kaiser Friedrich II von Hohenstaufen im Jahr 1232 seinen Universitäten, besonders der zu Bologna, Uebersetzungen des Aristoteles sandte und anempfahl. Dieser Brief enthält den Ausdruck erhabener Gesinnungen; er beweist, daß es nicht die Liebe zur Naturgeschichte allein war, welche Friedrich II den Werth der Philosopheme, »compilationes varias quae ab Aristotele aliisque philosophis sub graecis arabicisque vocabulis antiquitus editae sunt«, schätzen lehrte. „Wir haben von frühester Jugend an der Wissenschaft nachgestrebt, wenn gleich die Sorgen der Regierung uns von ihr abgezogen haben; wir verwendeten unsere Zeit mit freudigem Ernste zum Lesen trefflicher Werke, damit die Seele sich aufhelle und kräftige durch Erwerbungen, ohne welche das Leben des Menschen der Regel und der Freiheit entbehrt (ut animae clarius vigeat instrumentum in acquisitione scientiae, sine qua mortalium vita non regitur liberaliter). Libros ipsos tamquam praemium amici Caesaris gratulanter accipite, et ipsos antiquis philosophorum operibus, qui vocis vestrae ministerio reviviscunt, aggregantes [449] in auditorio vestro . . . . . . . (Vergl. Jourdain p. 169–178 und Friedrichs von Raumer vortreffliche Geschichte der Hohenstaufen Bd. III. 1841 S. 413.) Die Araber sind vermittelnd zwischen dem alten und neuen Wissen aufgetreten. Ohne sie und ihre Uebersetzungslust wäre den folgenden Jahrhunderten ein großer Theil von dem verloren gegangen, was die griechische Welt geschaffen oder sich angeeignet hatte. Nach dieser Ansicht haben die hier berührten, scheinbar bloß linguistischen Verhältnisse ein allgemeines kosmisches Interesse.
99.
(S. 255.) Von der Uebersetzung der Aristotelischen Historia animalium durch Michael Scotus und von einer ähnlichen Arbeit des Avicenna (Handschrift der Pariser Bibliothek No. 6493) handeln Jourdain, Traductions d'Aristote p. 135–138, und Schneider, Adnot. ad Aristotelis de Animalibus hist. lib. IX cap. 15.
100.
(S. 255.) Ueber Ibn-Baithar s. Sprengel, Gesch. der Arzneykunde Th. II. (1823) S. 468 und Royle on the Antiquity of Hindoo Medicine p. 28. Eine deutsche Uebersetzung des Ibn-Baithar besitzen wir (seit 1840) unter dem Titel: Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel. Aus dem Arab. übers. von J. v. Sontheimer. 2 Bände.
1.
(S. 255.) Royle p. 35–65. Susruta, Sohn des Visvamitra, wird nach Wilson für einen Zeitgenossen des Rama ausgegeben. Von seinem Werke haben wir eine Sanskrit-Ausgabe (The Sus'ruta, or system of medicine, taught by Dhanwantari, and composed by his disciple Sus'ruta. Ed. by Sri Madhusúdana Gupta. Vol. I. II. Calcutta 1835, 1836) und eine lateinische Uebersetzung: Sus'rutas. Áyurvédas. Id est Medicinae systema, a venerabili D'hanvantare demonstratum, a Susruta discipulo compositum. Nunc pr. ex Sanskrita in Latinum sermonem vertit Franc. Hessler. Erlangae 1844, 1847, 2 Bände.
2.
(S. 256.) „Deiudar (deodar) aus dem Geschlechte des abhel (juniperus); auch indische Tanne, welche eine eigene Milch, syr deiudar (flüssigen Terpentin), giebt"; sagt Avicenna.
3.
(S. 256.) Spanische Juden aus Cordova brachten die Lehren [450] des Avicenna nach Montpellier und trugen am meisten zur Stiftung dieser berühmten medicinischen Schule bei, die, nach arabischen Mustern gebildet, schon in das 12te Jahrhundert fällt. (Cuvier, Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 387.)
4.
(S. 256.) Ueber die Gartenanlagen in dem Pallast von Rißafah, welchen Abdurrahman Ibn-Moawijeh erbaute, s. History of the Mohammedan Dynasties in Spain, extracted from Ahmed Ibn Mohammed Al-Makkarí by Pascual de Gayangos Vol. I. 1840 p. 209–211. »En su Huerta plantó el Rey Abdurrahman una palma que era entonces (756) unica, y de ella procediéron todas las que hay en España. La vista del arbol acrecentaba mas que templaba su melancolia.« (An tonio Conde, Hist. de la dominacion de los Arabes en España T. I. p. 169.)
5.
(S. 257.) Die Bereitung der Salpetersäure und des Königswassers von Djaber (eigentlich Abu-Mußah Dschafar) ist über 500 Jahre älter als Albert der Große und Raymund Lullus, ja fast 700 Jahre älter als der Erfurter Mönch Basilius Valentinus. Doch wurde lange diesen dreien die Epoche machende Entdeckung jener zerlegenden (aufschließenden) Säuren zugeschrieben.
6.
(S. 257.) Ueber die Vorschrift des Nazes zur Weingährung von Amylum und Zucker und zur Destillation des Alkohols s. Hoefer, Hist. de la Chimie T. I. p. 325. Wenn auch Alexander von Aphrodisias (Joannis Philoponi Grammatici in libr. de generatione et interitu Comm. Venet. 1527 p. 97) eigentlich nur die Destillation des Seewassers umständlich beschreibt, so erinnert er doch schon daran, daß auch Wein destillirt werden könne. Diese Behauptung ist um so merkwürdiger, als Aristoteles die irrige Meinung vorträgt, durch natürliche Verdunstung steige aus dem Wein nur süßes Wasser auf (Meteorol. II, 3 p. 358 Bekker), wie aus dem Salzwasser des Meeres.
7.
(S. 257.) Die Chemie der Inder, die alchymistischen Künste umfassend, heißt rasâyana (rasa, Saft, Flüssiges, auch Quecksilber, und âyana, Gang) und bildet nach Wilson die siebente Abtheilung des Âyur-Veda, der Wissenschaft des Lebens oder der Lebensverlängerung (Royle, Hindoo Medicine p. 39–48). Die Inder kennen seit der ältesten Zeit (Royle p. 131) die Anwendung der Beizen bei der Calico- oder Kattun- [451] Druckerei, einer ägyptischen Kunst, die man bei Plinius lib. XXXV cap. 11 no. 150 auf das deutlichste beschrieben findet. Der Name Chemie für Scheidekunst bezeichnet wörtlich ägyptische Kunst, Kunst des schwarzen Landes; denn schon Plutarch wußte (de Iside et Osir. cap. 33), „daß die Aegypter ihr Land wegen der schwarzen Erde Χημία nannten". Die Inschrift von Rosette hat Chmi. Das Wort Chemie, auf Scheidekunst angewandt, finde ich zuerst in dem Decrete des Diocletian „gegen die alten Schriften der Aegypter, welche von der Chemie des Goldes und Silbers handeln (περὶ χημίας ἀργύρον καὶ χρυσοῦ)"; vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie et de l'Astronomie nautique T. II. p. 314.
8.
(S. 257.) Reinaud et Favé du feu grégeois, des feux de guerre et des origines de la poudre à canon, in ihrer Histoire de l'Artillerie T. I. 1845 pag. 89–97, 201 und 211; Piobert, Traité d'Artillerie 1836 p. 25; Beckmann, Technologie S. 342.
9.
(S. 258.) Laplace, Précis de l'hist. de l'Astronomie 1821 p. 60 und Am. Sédillot, Mémoire sur les Instrum. astr. des Arabes 1841 p. 44. Auch Thomas Young (Lectures on Natural Philosophy and the Mechanical Arts 1807 Vol. I. p. 191) zweifelt nicht daran, daß Ebn-Junis am Ende des zehnten Jahrhunderts das Pendel zur Zeitbestimmung angewandt hat; aber die Verbindung des Pendels mit Räderwerk schreibt er erst dem Sanctorius (1612, also 44 Jahre vor Huygens) zu. Von der überaus künstlichen Uhr, die unter den Geschenken sich befand, welche Harun Al-Raschid oder vielmehr der Chalif Abdallah aus Persien dem Kaiser Carl dem Großen zwei Jahrhunderte früher (807) nach Aachen schickte, sagt Eginhard bestimmt, daß sie durch Wasser bewegt wurde (Horologium ex aurichalco arte mechanica mirifice compositum, in quo duodecim horarum cursus ad clepsidram vertebatur); Einhardi Annales in Pertz Monumenta Germaniae historica, Scriptorum T. I. 1826 p. 195. Vergl. H. Mutius de Germanorum origine, gestis etc. Chronic. lib. VIII p. 57, in Pistorii Germanicorum scriptorum T. II. Francof. 1584; Bouquet, Recueil des Historiens des Gaules T. V. p. 333 und 354. Die Stunden [452] wurden angegeben durch das tönende Herabfallen kleiner Kugeln, wie durch das Hervortreten von kleinen Reitern aus eben so vielen sich öffnenden Thüren. Die Art, wie das Wasser in solchen Uhren wirkte, mag wohl bei Chaldäern, die „die Zeit wogen" (durch das Gewicht der Flüssigkeit bestimmten), bei Griechen und Indern in den Klepsydren sehr verschieden gewesen sein; denn des Ktesibius hydraulisches Uhrwerk (unter Ptolemäus Evergetes II), welches das ganze Jahr hindurch zu Alexandria die bürgerlichen Stunden angab, kommt nach Ideler (Handbuch der Chronologie 1825 Bd. I. S. 231) nie unter der gemeinen Benennung κλεψύδρα vor. Nach Vitruvs Beschreibung (lib. IX cap. 4) war es eine wirkliche astronomische Uhr, ein horologium ex aqua, eine sehr zusammengesetzte machina hydraulica, durch gezähnte Räder (versatilis tympani denticuli aequales alius alium impellentes) wirkend. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß die Araber, mit dem bekannt, was unter der römischen Weltherrschaft sich von verbesserten mechanischen Vorrichtungen verbreitet hatte, eine hydraulische Uhr mit Räderwerk (tympana quae nonnulli rotas appellant, Graeci autem περίτροχα, Vitruv. X, 4) zu Stande gebracht haben. Doch äußert noch Leibnitz (Annales Imperii occidentis Brunsvicenses ed. Pertz T. I. 1843 p. 247) seine Verwunderung über die Construction der Uhr des Harun Al-Raschid. (Abd-Allatif, trad. par Silvestre de Sacy p. 578.) — Viel merkwürdiger ist aber das Kunstwerk gewesen, welches der Sultan von Aegypten 1232 dem Kaiser Friedrich II schickte. Es war ein großes Zelt, in dem Sonne und Mond, durch künstliche Vorrichtungen bewegt, auf- und untergingen und in richtigen Zwischenräumen die Stunden des Tags und der Nacht zeigten. In den Annales Godefridi monachi S. Pantaleonis apud Coloniam Agrippinam heißt es: tentorium, in quo imagines Solis et Lunae artificialiter motae cursum suum certis et debitis spaciis peragrant et horas diei et noctis infallibiliter indicant (Freheri rerum germanicarum scriptores T. I. Argentor. 1717 p. 398). Der Mönch Godefridus, oder wer sonst in der vielleicht von mehreren Verfassern herrührenden und für das Kloster St. Pantaleon in Cöln eingerichteten Chronik (s. Böhmer, Fontes rerum germanicarum Bd. II. 1845 S. XXXIV–XXXVII) diese Jahre behandelt hat, lebte zur Zeit des großen Kaisers Friedrichs II selbst. [453] Der Kaiser ließ das Kunstwerk, dessen Werth auf 20000 Mark angegeben wurde, in Venusium bei anderen Schätzen bewahren (Fried. v. Raumer, Gesch. der Hohenstaufen Bd. III. S. 430). Daß, wie oft behauptet wird, das ganze Zelt sich wie das Himmelsgewölbe bewegt habe, ist mir sehr unwahrscheinlich. In der Chronica Monasterii Hirsaugiensis, die Trithemius herausgegeben, ist die Stelle der Annales Godefridi fast nur wiederholt (Joh. Trithemii Opera historica P. II. Francof. 1601 p. 180), ohne daß man über die mechanische Vorrichtung belehrt würde. Reinaud sagt, die Bewegung sei gewesen »par des ressorts cachés« (Extraits des Historiens Arabes relatifs aux guerres des Croisades 1829 p. 435).
10.
(S. 259.) Ueber die indischen Tafeln, welche Alphazari und Alkoresmi ins Arabische übersetzt haben, s. Chasles, Recherches sur l'Astronomie indienne in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1846 p. 846–850. Die Substitution der Sinus für die Bögen, welche man gewöhnlich dem Albategnius im Anfang des zehnten Jahrhunderts zuschreibt, gehört ursprünglich auch den Indern; Sinustafeln finden sich schon in dem Surya-Siddhanta.
11.
(S. 260.) Reinaud, Fragments arabes relatifs à l'Inde p. XII–XVII, 96–126 und besonders 135–160. Albyruni's eigentlicher Name war Abul-Ryhan. Er war gebürtig aus Byrun im Indus-Thale, war ein Freund des Avicenna und lebte mit ihm in der arabischen Akademie, die sich im Charezm gebildet hatte. Sein Aufenthalt in Indien wie die Abfassung seiner Geschichte von Indien (Tarîkhi-Hind), aus welcher Reinaud die merkwürdigsten Bruchstücke bekannt gemacht, fallen in die Jahre 1030–1032.
12.
(S. 260.) Sédillot, Matériaux pour servir à l'histoire comparée des sciences mathématiques chez les Grecs et les Orientaux T. I. p. 50–89; derselbe in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. II. 1836 p. 202, T. XVII. 1843 p. 163–173, T. XX. 1845 p. 1308. Gegen diese Meinung behauptet Herr Biot, daß die schöne Entdeckung des Tycho dem Abul-Wefa keinesweges gehöre, daß dieser nicht die variation, sondern nur den zweiten Theil der évection gekannt habe; s. Journal des Savants 1843 p. 513–532, [454] 609–626, 719–737; 1845 p. 146–166, und Comptes rendus T. XX. 1845 p. 1319–1323.
13.
(S. 260.) Laplace, Expos. du Système du Monde note V p. 407.
14.
(S. 261.) Ueber die Sternwarte von Meragha s. Delambre, Histoire de l'Astronomie du moyen âge p. 198–203 und Am. Sédillot, Mém. sur les Instr. arabes 1841 p. 201–205, wo der Gnomon mit cirkelrunder Oeffnung beschrieben wird; über das Eigenthümliche des Sterncatalogs von Ulugh Beig s. J. J. Sédillot, Traité des Instruments astronomiques des Arabes 1834 p. 4.
15.
(S. 262.) Colebrooke, Algebra with Arithmetic and Mensuration, from the Sanscrit of Brahmegupta and Bhascara, Lond. 1817; Chasles, Aperçu historique sur l'origine et le développement des méthodes en Géométrie 1837 p. 416–502; Nesselmann, Versuch einer kritischen Geschichte der Algebra Th. I. S. 30–61, 273–276, 302–306.
16.
(S. 262.) Algebra of Mohammed ben Musa, edited and translated by F. Rosen, 1831 p. VIII, 72 und 196–199. Auch nach China verbreiteten sich gegen das Jahr 720 die mathematischen Kenntnisse der Inder: aber zu einer Zeit, wo schon viele Araber in Canton und in anderen chinesischen Städten angesiedelt waren; Reinaud, Relation des Voyages faits par les Arabes dans l'Inde et à la Chine T. I. p. CIX, T. II. p. 36.
17.
(S. 262.) Chasles, Histoire de l'Algèbre in den Comptes rendus T. XIII. 1841 p. 497–524, 601–626; vergl. auch Libri eben daselbst p. 559–563.
18.
(S. 263.) Chasles, Aperçu historique des méthodes en Géométrie 1837 p. 464–472; derselbe in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. VIII. 1839 p. 78, T. IX. 1839 p. 449, T. XVI. 1843 p. 156–173 und 218–246, T. XVII. 1843 p. 143–154.
19.
(S. 263.) Humboldt über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen, in Crelle's Journal für die reine und angewandte [455] Mathematik Bd. IV. (1829) S. 205–231; vergl. auch mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. IV. p. 275. „In der einfachen Herzählung der verschiedenen Methoden, welche Völker, denen die indische Positions-Arithmetik unbekannt war, angewandt haben, um die multipla der Fundamental-Gruppen auszudrücken, liegt, glaube ich, die Erklärung von der allmäligen Entstehung des indischen Systems. Wenn man die Zahl 3568 perpendicular oder horizontal durch Hülfe von Indicatoren ausdrückt, welche den verschiedenen Abtheilungen des Abacus entsprechen (also M C X I), so erkennt man leicht, daß die Gruppenzeichen (M, C ...) weggelassen werden können. Unsere indischen Zahlen sind aber nichts anderes als jene Indicatoren; sie sind Multiplicatoren der verschiedenen Gruppen. An diese alleinige Bezeichnung durch Indicatoren erinnert auch der alt-asiatische Suanpan (die Rechenmaschine, welche die Mongolen in Rußland eingeführt haben) mit auf einander folgenden Reihen von Schnüren der Tausende, Hunderte, Zehner und Einheiten. Diese Schnüre würden bei dem eben angeführten numerischen Beispiele 3, 5, 6 und 8 Kugeln darbieten. Im Suanpan ist kein Gruppenzeichen sichtbar; die Gruppenzeichen sind die Stellen selbst, und diese Stellen (Schnüre) werden mit Einheiten (3, 5, 6 und 8), als Multiplicatoren oder Indicatoren, angefüllt. Auf beiden Wegen, dem der figurativen (schreibenden) und dem der palpablen (betastenden) Arithmetik, gelangt man demnach zur Position, zum Stellenwerth, zum einfachen Gebrauch von neun Zahlen. Ist die Schnur leer, so bleibt die Stelle im Schreiben offen; fehlt eine Gruppe (ein Glied der Progression), so wird graphisch die Leere durch die Hieroglyphen der Leere (sûnya, sifron, tzüphra) ausgefüllt. In der Methode des Eutocius finde ich bei der Gruppe der Myriaden die erste Spur des für den Orient so wichtigen Exponential- oder vielmehr Indications-Systems unter den Griechen. M α , M β , M γ bezeichnen 10000, 20000, 30000. Was hier bei den Myriaden allein angewandt wird, geht bei den Chinesen und den Japanesen, die ihre Cultur von den Chinesen erst 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung erhielten, durch alle multipla der Gruppen hindurch. Im Gobar, der arabischen Staubschrift, welche von meinem verewigten Freunde und Lehrer Silvestre de [456] Sacy in einem Manuscript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Prés entdeckt worden ist, sind die Gruppenzeichen Punkte, also Nullen; denn in Indien, Tübet und Persien sind Nullen und Punkte identisch. Man schreibt im Gobar 3 statt 30; 4 statt 400; 6 statt 6000. Die indischen Zahlen und die Kenntniß des Stellenwerths muß neuer sein als die Trennung der Inder und der Arier, denn das Zendvolk bediente sich der unbehülflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine successive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien scheinen mir besonders die Tamul- Ziffern zu sprechen, welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch besondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werthe mittelst links zugefügter Multiplicatoren ausdrücken. Für eine solche allmälige Vervollkommnung sprechen auch die sonderbaren ἀριθμοὶ ἰνδικοί in einem vom Prof. Brandis in der Pariser Bibliothek aufgefundenen und mir gütigst zur Bekanntmachung mitgetheilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos sind, außer der 4, ganz den jetzigen persischen ähnlich; aber diese neun Einheiten werden 10fach, 100fach, 1000fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber schreibt: gleichsam wie  für zwanzig, 4 für vier und zwanzig, also durch Juxtaposition;  für fünfhundert,  für dreihundert und sechs. Denken wir uns statt der Null bloß Punkte, so haben wir die arabische Staubschrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelms von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen indische und alt-indische Sprache bezeichnet wird, da es auf der indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt, so ist auch der Ausdruck: indische, alt-indische Ziffern im allgemeinen sehr unbestimmt; und eine solche Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden, der sich ausspricht bald durch bloße Beifügung (Juxtaposition), bald durch Coefficienten und Indicatoren, bald durch eigentlichen Stellenwerth. Selbst die Existenz eines Nullzeichens ist, wie das Scholion des Neophytos beweist, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des einfachen Stellenwerthes. Die tamul-sprechenden Inder haben von ihrem Alphabet scheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und die 8 eine schwache [457] Aehnlichkeit mit den Devanagari-Ziffern von 2 und 5 haben (Rob. Anderson, Rudiments of Tamul grammar 1821 p. 135); und doch beweist eine genaue Vergleichung, daß die tamulischen Ziffern von der alphabetischen Tamulschrift abgeleitet sind. Noch verschiedener von den Devanagari-Ziffern sind nach Carey die cingalesischen. In diesen nun und in den tamulischen findet man keinen Stellenwerth und kein Nullzeichen, sondern Hieroglyphen für die Gruppen von Zehnern, Hunderten und Tausenden. Die Cingalesen operiren wie die Römer durch Juxtaposition, die Tamulen durch Coefficienten. Das wirkliche Nullzeichen als etwas fehlendes wendet Ptolemäus sowohl im Almagest als in seiner Geographie in der abwärts steigenden Scala für fehlende Grade und Minuten an. Das Nullzeichen ist demnach im Occident weit älter als der Einbruch der Araber." (S. meine oben angeführte und in Crelle's mathematischem Journale abgedruckte Abhandlung S. 215, 219, 223 und 227.)
20.
(S. 265.) Wilh. v. Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. CCLXII. Vergl. auch die treffliche Schilderung der Araber in Herder's Ideen zur Gesch. der Menschheit Buch XIX, 4 und 5.
21.
(S. 267.) Vergl. Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. VIII und XIX.
22.
(S. 269.) Gesehen wurden Theile von Amerika, aber nicht betreten, schon 14 Jahre vor Leif Eireksson, auf der Schifffahrt, die Bjarne Herjulfsson von Grönland gegen Süden im Jahr 986 unternahm. Dieser sah zuerst das Land in der Insel Nantucket, einen Grad südlich von Boston, dann in Neu-Schottland, und zuletzt in Neufundland, das später Litla Helluland, nie aber Winland genannt wurde. Der Busen, welcher Neufundland von dem Ausfluß des großen Laurentius-Stromes trennt, hieß bei den Normännern, die auf Island und Grönland angesiedelt waren, Marklands-Busen. S. Caroli Christiani Rafn Antiquitates Americanae 1845 p. 4, 421, 423 und 463.
23.
(S. 269.) Gunnbjörn wurde nach den von ihm benannten Gunnbjörns-Scheeren, die Capitän Graah neuerlichst wiederentdeckt, im Jahre 876 oder 877 verschlagen; er hat zuerst die Ostküste von Grönland gesehen, ohne dort zu landen. (Rafn, Antiquit. Amer. p. 11, 93 und 304.)
24.
(S. 270.) Kosmos Bd. II. S. 163.
25.
(S. 270.) Diese amerikanischen Jahres-Temperaturen der östlichen Küste unter den Parallelen von 42° 25′ und 41° 15′ entsprechen in Europa den Breiten von Berlin und Paris, also Orten, die 8° bis 10° nördlicher liegen. Dazu ist auf der Westküste von Nordamerika die Abnahme der Jahres-Temperatur von niederen zu höheren Breiten so schnell, daß in dem Breiten-Unterschiede von Boston und Philadelphia, welcher 2° 41′ beträgt, 1° Breite in der Jahres-Temperatur eine Wärmeabnahme von fast 2° des hunderttheiligen Thermometers hervorbringt, während in dem System der isothermen Linien von Europa die Abnahme der Jahres-Temperatur nach meinen Untersuchungen (Asie centrale T. III. p. 227) für denselben Abstand kaum einen halben Grad ausmacht.
26.
(S. 271.) S. Carmen Faeröicum, in quo Vinlandiae mentio fit (Rafn, Antiquit. Amer. p. 320 und 332).
27.
(S. 271.) Der Runenstein war auf dem höchsten Punkte der Insel Kingiktorsoak gesetzt, „an dem Samstage vor dem Siegestage", d. i. vor dem 21 April, einem heidnischen Hauptfeste der alten Scandinavier, das bei der Annahme des Christenthums in ein christliches Fest verwandelt wurde; Rafn, Antiquit. Amer. p. 347–355. Ueber die Zweifel an den Runenzahlen, welche Brynjulfsen, Mohnike und Klaproth geäußert, s. mein Examen crit. T. II. p. 97–101; doch halten Brynjulfsen und Graah nach anderen Kennzeichen das wichtige Monument der Woman's Islands (wie die zu Igalikko und Egegeit, Br. 60° 51′ und 60° 0′, gefundenen Runenschriften und die Ruinen von Gebäuden bei Upernavick, Br. 72° 50′) bestimmt für dem 11ten und 12ten Jahrhundert angehörig.
28.
(S. 271.) Rafn, Antiquit. Amer. p. 20, 274 und 415–418 (Wilhelmi über Island, Hvitramannaland, Grönland und Vinland S. 117–121). — Nach einer sehr alten Saga wurde auch 1194 die nördlichste Ostküste von Grönland unter der Benennung Svalbard in einer Gegend besucht, die dem Scoresby-Lande entspricht: nahe dem Punkte, wo mein Freund der damalige Capitän Sabine seine Pendel-Beobachtungen gemacht und wo ich (73° 16′) ein sehr unfreundliches Vorgebirge besitze; Rafn, Antiquit. Amer. p. 303 und Aperçu de l'ancienne Géographie des régions arctiques de l'Amérique 1847 p. 6.
29.
(S. 272.) Wilhelmi a. a. O. S. 226; Rafn, Antiquit. Amer. p. 264 und 453. Die Niederlassungen auf der Westküste von Grönland, welche sich bis zur Mitte des 14ten Jahrhunderts eines sehr blühenden Zustandes erfreuten, fanden allmälig ihren Untergang durch die verderbliche Einwirkung von Handelsmonopolen; durch die Einfälle der Esquimaux (Skrälinger); durch den schwarzen Tod, welcher nach Hecker besonders während der Jahre 1347 bis 1351 den Norden entvölkerte; auch durch den Anfall einer feindlichen Flotte, deren Ausgangspunkt unbekannt geblieben ist. Heutiges Tages glaubt man nicht mehr an die meteorologische Mythe von einer plötzlichen Veränderung des Klima's, von der Bildung eines Eisdammes, welcher die gänzliche Trennung der in Grönland angesiedelten Colonien von ihrem Mutterlande auf einmal soll zur Folge gehabt haben. Da diese Colonien sich nur in der gemäßigten Gegend der Westküste von Grönland befunden haben, so kann ein Bischof von Skalholt nicht im Jahr 1540 auf der Ostküste jenseits der Eismauer „Schäfer gesehen haben, welche ihre Heerden weideten". Die Anhäufung der Eismassen an der Island gegenüberliegenden östlichen Küste hängt von der Gestaltung des Landes, der Nachbarschaft einer der Richtung der Küste parallelen, mit Gletschern versehenen Bergkette und der Richtung des Meeresstromes ab. Dieser Zustand der Dinge schreibt sich nicht von dem Schlusse des 14ten Jahrhunderts oder dem Anfang des 15ten her. Er ist, wie Sir John Barrow sehr richtig entwickelt hat, vielen zufälligen Veränderungen, besonders in den Jahren 1815–1817, ausgesetzt gewesen. (S. Barrow, Voyages of discovery within the Arctic Regions 1846 p. 2–6.) — Pabst Nicolaus V hat noch 1448 einen grönländischen Bischof ernannt.
30.
(S. 272.) Hauptquellen sind die geschichtlichen Erzählungen von Erik dem Rothen, Thorfinn Karlsefne und Snorre Thorbrandsson: wahrscheinlich in Grönland selbst und schon im 12ten Jahrhundert niedergeschrieben, zum Theil von Abkömmlingen in Winland geborener Ansiedler; Rafn, Antiquit. Amer. p. VII, XIV und XVI. Die Sorgfalt, mit welcher die Geschlechtstafeln gehalten sind, war so groß, daß man die des Thorfinn Karlsefne, dessen Sohn Snorre Thorbrandsson in Amerika geboren war, von 1007 bis zu 1811 herabgeführt hat.
31.
(S. 273.) Hvitramannaland, das Land der weißen Männer. Vergl. die Urkunden in Rafn, Antiquit. Amer. p. 203–206, 211, 446–451 und Wilhelmi über Island, Hvitramannaland u. s. w. S. 75–81.
32.
(S. 274.) Letronne, Recherches géogr. et crit. sur le livre de Mensura Orbis Terrae, composé en Irlande par Dicuil 1814 p. 129–146. Vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 87–91.
33.
(S. 274.) Was schon seit Ralegh's Zeiten über rein celtisch sprechende Eingeborene von Virginien gefabelt worden ist, wie man dort den galischen Gruß hao, hui, iach zu hören geglaubt; wie Owen Chapelain 1669 sich aus den Händen der Tuscaroras, welche ihn scalpiren wollten, rettete, „weil er sie in seiner galischen Muttersprache anredete": habe ich in einer Beilage zu dem neunten Buche meiner Reise zusammengetragen (Relation historique T. III. 1825 p. 159). Diese Tuscaroren in Nord-Carolina sind aber, wie man jetzt bestimmt nach Sprachuntersuchungen weiß, ein Iroquesen-Stamm; s. Albert Gallatin on Indian tribes in der Archaeologia Americana Vol. II. (1836) p. 23 und 57. Eine beträchtliche Sammlung von Tuscarora-Wörtern giebt Catlin, einer der vortrefflichsten Sittenbeobachter, welche je unter den amerikanischen Eingeborenen gelebt. Er ist aber doch geneigt die weißliche, oft blauäugige Nation der Tuscaroren für ein Mischvolk von alten Wälschen und amerikanischen Ureinwohnern zu halten. S. seine Letters and Notes on the manners, customs, and condition of the North American Indians 1841 Vol. I. p. 207, Vol. II. p. 259 und 262–265; eine andere Sammlung von Tuscarora-Wörtern findet sich in den handschriftlichen Spracharbeiten meines Bruders auf der königl. Bibliothek zu Berlin. »Comme la structure des idiomes américains paraît singulièrement bizarre aux différens peuples qui parlent les langues modernes de l'Europe occidentale et se laissent facilement tromper par de fortuites analogies de quelques sons, les théologiens ont cru généralement y voir de l'hébreu, les colons espagnols du basque, les colons anglais ou français du gallois, de l'irlandais ou du bas-breton. — — — J'ai rencontré un jour, sur les côtes du Pérou, un officier de la marine espagnole et un baleinier anglais, dont l'un prétendait avoir entendu parler [461] basque à Tahiti, et l'autre gale-irlandais aux îles Sandwich.« Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales, Relat. hist. T. III. 1825 p. 160. Wenn aber auch bisher kein Zusammenhang der Sprachen erwiesen worden ist, so will ich doch auf keine Weise in Abrede stellen, daß die Basken und die Völker celtischen Ursprungs von Irland und Wales, die früh an den entlegensten Küsten mit Fischfang beschäftigt waren, im nördlichen Theile des atlantischen Meeres beständige Nebenbuhler der Scandinavier gewesen, ja daß auf den Färöer-Inseln und Island die Irländer den Scandinaviern zuvorgekommen sind. Es ist sehr zu wünschen, daß in unseren Tagen, wo eine gesunde Kritik zwar strenge geübt wird, aber keinen verschmähenden Charakter annimmt, die alten Untersuchungen von Powel und Richard Hakluyt (Voyages and Navigations Vol. III. p. 4) in England und Irland selbst wieder aufgenommen werden mögen. Ist es gegründet, daß Madoc's Irrfahrt 15 Jahre vor der Entdeckung durch Columbus in dem Gedichte des wälschen Sängers Mereditho verherrlicht wurde? Ich theile nicht den wegwerfenden Sinn, mit welchem nur zu oft Volksüberlieferungen verdunkelt werden; ich lebe vielmehr der festen Ueberzeugung, daß mit mehr Emsigkeit und mehr Ausdauer viele der geschichtlichen Probleme, welche sich auf die Seefahrten im frühesten Mittelalter, auf die auffallende Uebereinstimmung in religiösen Ueberlieferungen, Zeiteintheilung und Werken der Kunst in Amerika und dem östlichen Asien, auf die Wanderungen der mexicanischen Völker, auf jene alten Mittelpunkte aufdämmernder Civilisation in Aztlan, Quivira und der oberen Luisiana, so wie in den Hochebenen von Cundinamarca und Peru beziehen, eines Tages durch Entdeckungen von Thatsachen werden aufgehellt werden, die uns bisher gänzlich unbekannt geblieben sind. S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. du Nouveau Continent T. II. p. 142–149.
34.
(S. 276.) Während dieser Umstand des mangelnden Eises im Februar 1477 als ein Beweis angeführt wurde, daß die Insel Thyle des Columbus nicht Island sein könne, hat Finn Magnusen aus alten Urkunden aufgefunden, daß bis zum März 1477 das nördliche Island keinen Schnee hatte und daß im Februar desselben Jahres die südliche Küste frei von Eis war; Examen crit. T. I. p. 105, T. V. p. 213. Sehr merkwürdig ist, daß Columbus in [462] demselben Tratado de las cinco zonas habitables einer südlicheren Insel Frislanda erwähnt: ein Name, der in den, meist für fabelhaft gehaltenen Reisen der Gebrüder Zeni (1388–1404) eine große Rolle spielt, aber auf den Carten von Andrea Bianco (1436) wie auf der des Fra Mauro (1457–1470) fehlt. (Vergl. Examen crit. T. II. p. 114–126.) Columbus kann die Reisen der Fratelli Zeni nicht gekannt haben, da sie der venetianischen Familie selbst bis zum Jahre 1558 unbekannt blieben, in welchem Marcolini, 52 Jahre nach dem Tode des großen Admirals, sie zuerst herausgab. Woher kommt des Admirals Bekanntschaft mit dem Namen Frislanda?
35.
(S. 277.) S. die Beweise, die ich aus sicheren Documenten gesammelt habe, für Columbus im Examen crit. T. IV. p. 233, 250 und 261, für Vespucci T. V. p. 182–185. Columbus war dergestalt mit der Idee erfüllt, daß Cuba Theil des Continents von Asien, ja das südliche Khatai (die Provinz Mango) sei, daß er am 12 Junius 1494 die ganze Mannschaft seines Geschwaders (etwa 80 Matrosen) schwören ließ, „sie seien davon überzeugt, man könne von Cuba nach Spanien zu Lande gehen (que esta tierra de Cuba fuese la tierra firme al comienzo de las Indias y fin á quien en estas partes quisiere venir de España por tierra)"; wer von denen, „welche es jetzt beschwören, einst das Gegentheil zu behaupten wagte, würde den Meineid mit 100 Hieben und dem Ausreißen der Zunge zu büßen haben." (S. Informacion del escribano publico Fernando Perez de Luna in Navarrete, Viages y descubrimientos de los Españoles T. II. p. 143–149.) Als Columbus auf der ersten Expedition sich der Insel Cuba nähert, glaubt er sich gegenüber den chinesischen Handelsplätzen Zaitun und Quinsay (y es cierto, dice el Almirante, questa es la tierra firme y que estoy, dice él, ante Zayto y Guinsay). „Er will die Briefe der catholischen Monarchen an den großen Mongolen-Chan (Gran Can) in Khatai abgeben, und wenn er so den ihm gegebenen Auftrag erfüllt, sogleich nach Spanien (aber zur See) zurückkehren. Später sendet er einen getauften Juden, Luis de Torres, ans Land, weil dieser Hebräisch, Chaldäisch und etwas Arabisch versteht", was in den asiatischen Handelsstädten gebräuchliche Sprachen sind. (S. das Reisejournal des Columbus von 1492 in Navarrete, Viages y descubrim.[463] T. I. p. 37, 44 und 46.) Noch 1533 behauptet der Astronom Schoner, daß die ganze sogenannte Neue Welt ein Theil von Asien (superioris Indiae) ist und daß die von Cortes eroberte Stadt Mexico (Temistitan) nichts anderes sei als die chinesische, von Marco Polo so übermäßig gerühmte Handelsstadt Quinsay. (S. Joannis Schoneri Carlostadii Opusculum geographicum, Norimb. 1533, Pars II. cap. 1–20.)
36.
(S. 278.) Da Asia de João de Barros e de Diogo de Couto Dec. I. liv. III cap. 11 (Parte I. Lisboa 1778 p. 250).
37.
(S. 280.) Jourdain, Rech. crit. sur les traductions d'Aristote p. 230, 234 und 421–423; Letronne, des opinions cosmographiques des Pères de l'Église, rapprochées des doctrines philosophiques de la Grèce, in der Revue des deux Mondes 1834 T. I. p. 632.
38.
(S. 281.) Friedrich von Raumer über die Philosophie des dreizehnten Jahrhunderts, in seinem Hist. Taschenbuche 1840 S. 468. Ueber die Neigung zum Platonismus im Mittelalter und den Kampf der Schulen s. Heinrich Ritter, Gesch. der christl. Philosophie Th. II. S. 159, Th. III. S. 131–160 und 381–417.
39.
(S. 282.) Cousin, Cours de l'hist. de la Philosophie T. I. 1829 p. 360 und 389–436; Fragmens de Philosophie Cartésienne p. 8–12 und 403. Vergl. auch die neue geistreiche Schrift von Christian Bartholmèß: Jordano Bruno 1847 T. I. p. 308, T. II. p. 409–416.
40.
(S. 283.) Jourdain sur les trad. d'Aristote p. 236; Michael Sachs, die religiöse Poesie der Juden in Spanien 1845 S. 180–200.
41.
(S. 284.) Das größere Verdienst in Bearbeitung der Thiergeschichte gehört dem Kaiser Friedrich II. Man verdankt ihm wichtige eigene Beobachtungen über die innere Structur der Vögel. (S. Schneider in Reliqua librorum Friderici II. imperatoris de arte venandi cum avibus T. I. 1788 in der Vorrede.) Auch Cuvier nennt den Hohenstaufen den „ersten selbstarbeitenden Zoologen des scholastischen Mittelalters". — Ueber Alberts des Großen richtige Ansicht von der Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper unter verschiedenen Breiten und nach Verschiedenheit [464] der Jahreszeiten s. dessen Liber cosmographicus de natura locorum, Argent. 1515, fol. 14,b und 23,a (Examen crit. T. I. p. 54–58). Bei eigenen Beobachtungen zeigt sich aber doch leider in Albertus Magnus oft die Unkritik seines Zeitalters. Er glaubt zu wissen, daß „sich Roggen auf gutem Boden in Weizen verwandelt; daß aus einem abgeholzten Buchenwalde durch Fäulniß ein Birkenwald entsteht; daß aus Eichenzweigen, die man in die Erde steckt, Weinreben entstehen." (Vergl. auch Ernst Meyer über die Botanik des 13ten Jahrhunderts in der Linnaea Bd. X. 1836 S. 719.)
42.
(S. 285.) So viele Stellen des Opus majus sprechen für die Achtung, welche Roger Bacon dem griechischen Alterthum zollte, daß man, wie schon Jourdain (p. 429) bemerkt hat, den in einem Briefe an den Pabst Clemens IV geäußerten Wunsch, „die Bücher des Aristoteles zu verbrennen, um die Verbreitung der Irrthümer unter den Schülern zu verhindern", nur auf die schlechten lateinischen Uebersetzungen aus dem Arabischen deuten kann.
43.
(S. 285.) Scientia experimentalis a vulgo studentium penitus ignorata; duo tamen sunt modi cognoscendi, scilicet per argumentum et experientiam (der ideelle Weg und der des Experiments). Sine experientia nihil sufficienter sciri potest. Argumentum concludit, sed non certificat, neque removet dubitationem, ut quiescat animus in intuitu veritatis, nisi eam inveniat via experientiae. (Opus majus Pars VI cap. 1.) Ich habe alle Stellen, die sich auf die physischen Kenntnisse und Erfindungsvorschläge des Roger Bacon beziehen, zusammengetragen im Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 295–299. Vergl. auch Whewell, the Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 323–337.
44.
(S. 285.) S. Kosmos Bd. II. S. 228. Ich finde die Optik des Ptolemäus citirt im Opus majus (ed. Jebb, Lond. 1733) p. 79, 288 und 404. Daß die aus Alhazen geschöpfte Kenntniß von der vergrößernden Kraft von Kugelsegmenten den Bacon wirklich veranlaßt habe Brillen (Augengläser) zu construiren, wird mit Recht geläugnet (Wilde, Geschichte der Optik Th. I. S. 92–96); die Erfindung soll schon 1299 bekannt gewesen sein oder dem Florentiner Salvino degli Armati gehören, welcher 1317 in der Kirche Santa Maria Maggiore zu Florenz begraben wurde. Wenn Roger Bacon, der das [465]Opus majus 1267 vollendete, von Instrumenten spricht, durch welche kleine Buchstaben groß erscheinen, utiles senibus habentibus oculos debiles, so beweisen seine Worte und die thatsächlich irrigen Betrachtungen, die er hinzufügt, daß er nicht selbst ausgeführt haben kann, was ihm als etwas mögliches dunkel vor der Seele schwebte.
45.
(S. 286.) S. mein Examen crit. T. I. p. 61, 64–70, 96–108; T. II. p. 349: »Il existe aussi de Pierre d'Ailly, que Don Fernando Colon nomme toujours Pedro de Helico, cinq mémoires de Concordantia astronomiae cum theologia. Ils rappellent quelques essais très-modernes de Géologie hébraïsante publiés 400 ans après le Cardinal.«
46.
(S. 287.) Vergl. den Brief von Columbus (Navarrete, Viages y descubr. T. I. p. 244) mit der Imago Mundi des Cardinal d'Ailly cap. 8 und Roger Bacon's Opusmajus p. 183.
47.
(S. 289.) Heeren, Gesch. der classischen Litteratur Bd. I. S. 284–290.
48.
(S. 289.) Klaproth, Mémoires relatifs à l'Asie T. III. p. 113.
49.
(S. 289.) Die florentiner Ausgabe des Homer von 1488; aber das erste gedruckte griechische Buch war die Grammatik des Constantin Lascaris von 1476.
50.
(S. 289.) Villemain, Mélanges historiques et littéraires T. II. p. 135.
51.
(S. 289.) Das Resultat der Untersuchungen des Bibliothekars Ludwig Wachler zu Breslau (s. dessen Geschichte der Litteratur 1833 Th. I. S. 12–23). Der Druck ohne bewegliche Lettern geht auch in China nicht über den Anfang des zehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hinauf. Die 4 ersten Bücher des Confucius wurden nach Klaproth in der Provinz Szütschuen zwischen 890 und 925 gedruckt, und die Beschreibung der technischen Manipulation der chinesischen Druckerei hätten die Abendländer schon 1310 in Raschid-eddin's persischer Geschichte der Herrscher von Khatai lesen können. Nach dem neuesten Resultate der wichtigen Forschungen von Stanislas Julien hatte aber in China selbst ein Eisenschmidt zwischen den Jahren 1041 und 1048, also fast 400 Jahre vor Guttenberg, bewegliche Typen von gebranntem Thone angewandt. Das ist die Erfindung des Pi-sching, die aber ohne Anwendung blieb.
52.
(S. 290.) S. die Beweise in meinem Examen crit. T. II. p. 316–320. Josafat Barbaro (1436) und Ghislin von Busbeck (1555) fanden noch zwischen Tana (Asow), Caffa und dem Erdil (der Wolga) Alanen und deutsch redende gothische Stämme (Ramusio, delle Navigationi et Viaggi Vol. II. p. 92,b und 98,a). Roger Bacon nennt Rubruquis immer nur frater Willielmus, quem dominus Rex Franciae misit ad Tartaros.
53.
(S. 290.) Das große und herrliche Werk des Marco Polo (Il Milione di Messer Marco Polo), wie wir es in der correcten Ausgabe des Grafen Baldelli besitzen, wird fälschlich eine Reise genannt; es ist größtentheils ein beschreibendes, man möchte sagen statistisches Werk: in welchem schwer zu unterscheiden ist, was der Reisende selbst gesehen, was er von Anderen erfahren oder aus topographischen Beschreibungen, an denen die chinesische Litteratur so reich ist und die ihm durch seinen persischen Dolmetscher zugänglich werden konnten, geschöpft habe. Die auffallende Aehnlichkeit des Reiseberichts von Hiuan-thsang, dem buddhistischen Pilger des siebenten Jahrhunderts, mit dem, was Marco Polo von dem Pamir-Hochlande 1277 erfahren, hatte früh meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Der der asiatischen Sprachkunde leider so früh entzogene Jacquet, der sich, wie Klaproth und ich, lange mit dem venetianischen Reisenden beschäftigt hatte, schrieb mir kurz vor seinem Tode: Je suis frappé comme Vous de la forme de rédaction littéraire du Milione. Le fond appartient sans doute à l'observation directe et personnelle du voyageur, mais il a probablement employé des documents qui lui ont été communiqués soit officiellement, soit en particulier. Bien des choses paraissent avoir été empruntées à des livres chinois et mongols, bien que ces influences sur la composition du Milione soient difficiles à reconnaître dans les traductions successives sur lesquelles Polo aura fondé ses extraits. Eben so sehr als die neueren Reisenden sich nur zu gern mit ihrer Person beschäftigen, ist dagegen Marco Polo bemüht seine eigenen Beobachtungen mit den ihm mitgetheilten officiellen Angaben, deren er, als Gouverneur der Stadt Yangui, viele haben konnte, zu vermengen. (S. meine Asie centrale T. II. p. 395.) Die compilirende Methode des berühmten Reisenden macht auch begreiflich, daß er im Gefängniß in Genua 1295 wie im Angesicht vorliegender Documente [467] seinem mitgefangenen Freunde Messer Rustigielo aus Pisa sein Buch dictiren konnte. (Vergl. Marsden, Travels of Marco Polo p. XXXIII.)
54.
(S. 291.) Purchas, Pilgrimes Part III. chapt. 28 und 56 (p. 23 und 34).
55.
(S. 291.) Navarrete, Coleccion de los Viages y Descubrimientos que hiciéron por mar los Españoles T. I. p. 261; Washington Irving, History of the life and voyages of Christopher Columbus 1828 Vol. IV. p. 297.
56.
(S. 292.) Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 63 und 215, T. II. p. 350; Marsden, Travels of Marco Polo p. LVII, LXX und LXXV. Während des Lebens des Columbus erschien gedruckt die erste deutsche Nürnberger Uebersetzung von 1477 (das puch des edeln Ritters uñ landtfarers Marcho Polo), die erste lateinische Uebersetzung von 1490, die ersten italiänischen und portugiesischen Uebersetzungen von 1496 und 1502.
57.
(S. 293.) Barros Dec. I. liv. III cap. 4 p. 190 sagt ausdrücklich, daß: »Bartholomeu Diaz, e os de sua companhia per causa dos perigos, e tormentas, que em o dobrar delle passáram, Ihe puzeram nome Tormentoso.« Das Verdienst der ersten Umschiffung gehört also nicht dem Vasco de Gama, wie man gewöhnlich angiebt. Diaz war am Vorgebirge im Mai 1487, also fast zu derselben Zeit als Pedro de Covilham und Alonso de Payva von Barcelona aus ihre Expedition antraten. Schon im December 1487 brachte Diaz selbst die Nachricht seiner wichtigen Entdeckung nach Portugal.
58.
(S. 293.) Das Planisphärium des Sanuto, der sich selbst »Marinus Sanuto dictus Torxellus de Veneciis« nennt, gehört zu dem Werke Secreta fidelium Crucis. »Marinus prêcha adroitement une croisade dans l'intérêt du commerce, voulant détruire la prospérité de l'Égypte et diriger toutes les marchandises de l'Inde par Bagdad, Bassora et Tauris (Tebriz) à Kaffa, Tana (Azow), et aux côtes asiatiques de la Méditerranée. Contemporain et compatriote de Polo, dont il n'a pas connu le Milione, Sanuto s'élève à de grandes vues de politique commerciale. C'est le Raynal du moyen-âge, moins l'incrédulité d'un abbé philosophe du 18me siècle.« (Examen crit. T. I. p. 231 und [468] 333–348.) Das Vorgebirge der guten Hoffnung heißt Capo di Diab auf der Carte des Fra Mauro, welche zwischen 1457 und 1459 zusammengetragen wurde; s. die gelehrte Schrift des Cardinals Zurla: Il Mappamondo di Fra Mauro Camaldolese 1806 § 54.
59.
(S. 294.) Avron oder avr (aur) ist ein seltneres Wort für Nord statt des gewöhnlichen schemâl; das arabische zohron oder zohr, von welchem Klaproth irrthümlich das spanische sur und portugiesische sul (das mit unserm Süd ohne Zweifel ein ächt germanisches Wort ist) abzuleiten sucht, paßt nicht eigentlich zu der Benennung der Weltgegend: es bedeutet nur die Zeit des hohen Mittages; Süden heißt dschenûb. Ueber die frühe Kenntniß der Chinesen von der Südweisung der Magnetnadel s. Klaproth's wichtige Untersuchungen in der Lettre à M. A. de Humboldt, sur l'invention de la Boussole 1834 p. 41, 45, 50, 66, 79 und 90, und die schon 1805 erschienene Schrift von Azuni aus Nizza, Dissertation sur l'origine de la Boussole p. 35 und 65–68. Navarrete in seinem Discurso historico sobre los progresos del Arte de Navegar en España 1802 p. 28 erinnert an eine merkwürdige Stelle in den spanischen Leyes de las Partidas (II, tit. IX ley 28) aus der Mitte des 13ten Jahrhunderts: „die Nadel, welche den Schiffer in der finsteren Nacht leitet und ihm bei gutem wie bei bösem Wetter zeigt, wohin er sich richten soll, ist die Vermittlerinn (medianera) zwischen dem Magnetsteine (la piedra) und dem Nordsterne ...." S. die Stelle in: Las siete Partidas del sabio Rey Don Alonso el IX (nach gewöhnlicher Zählung el X), Madrid 1829 T. I. p. 473.
60.
(S. 295.) Jordano Bruno par Christian Bartholmèss 1847 T. II. p. 181–187.
61.
(S. 295.) »Tenian los mareantes instrumento, carta, compas y aguja.« Salazar, Discurso sobre los progresos de la Hydrografia en España 1809 p. 7.
62.
(S. 295.) Kosmos Bd. II. S. 203.
63.
(S. 296.) Ueber Cusa (Nicolaus von Cuß, eigentlich von Cues an der Mosel) s. oben Kosmos Bd. II. S. 140 und Clemens Abhandlung über Giordano Bruno und Nicolaus de Cusa S. 97, wo ein wichtiges, erst vor drei Jahren aufgefundenes Bruchstück von Cusa's eigener Hand, eine dreifache Bewegung der Erde betreffend, mitgetheilt wird. (Vergl. auch Chasles, [469] Aperçu sur l'origine des méthodes en Géométrie 1837 p. 529.)
64.
(S. 296.) Navarrete, Disertacion histórica sobre la parte que tuviéron los Españoles en las guerras de Ultramar ó de las Cruzadas 1816 p. 100 und Examen crit. T. I. p. 274–277. Dem Lehrer des Regiomontanus, Georg von Peuerbach, wird eine wichtige Verbesserung der Beobachtung durch den Gebrauch des Bleiloths zugeschrieben. Letzteres wurde aber längst von den Arabern angewandt, wie die im 13ten Jahrhundert abgefaßte Beschreibung der astronomischen Instrumente von Abul-Hassan Ali lehrt; Sédillot, Traité des instruments astronomiques des Arabes 1835 p. 379, 1841 p. 205.
65.
(S. 296.) Es ist in allen Schriften über die Schifffahrtskunde, die ich untersucht, die irrige Meinung verbreitet, als sei das Log zur Messung des zurückgelegten Weges nicht früher angewandt worden als seit dem Ende des 16ten oder im Anfang des 17ten Jahrhunderts. In der Encyclopaedia britannica (7th edit. von 1842) Vol. XIII. p. 416 heißt es noch: »the author of the device for measuring the ship's way is not known and no mention of it occurs till the year 1607 in an East India voyage published by Purchas.« Dieses Jahr ist auch in allen früheren und späteren Wörterbüchern (Gehler Bd. VI. 1831 S. 450) als äußerste Grenze angeführt worden. Nur Navarrete in der Disertacion sobre los progresos del Arte de Navegar 1802 setzt den Gebrauch der Loglinie auf englischen Schiffen in das Jahr 1577 (Duflot de Mofras, Notice biographique sur Mendoza et Navarrete 1845 p. 64); später, an einem anderen Orte (Coleccion de los Viages de los Españoles T. IV. 1837 p. 97), behauptet er: „zu Magellan's Zeiten sei die Schnelligkeit des Schiffes nur á ojo (nach dem Augenmaaße) geschätzt worden, bis erst im 16ten Jahrhunderte die corredera (das Log) erfunden wurde". Die Messung der „gesegelten Distanz" durch Auswerfen der Loglinie ist, wenn auch das Mittel an sich unvollkommen genannt werden muß, doch von so großer Wichtigkeit für die Kenntniß der Schnelligkeit und Richtung oceanischer Strömungen geworden, daß ich sie zu einem Gegenstande sorgfältiger Untersuchungen habe machen müssen. Ich theile hier die Hauptresultate mit, die in dem noch nicht erschienenen 6ten [470] Bande meines Examen critique de l'histoire de la Géogr. et des progrès de l'Astronomie nautique enthalten sind. Die Römer hatten zur Zeit der Republik auf ihren Schiffen Wegmesser, die in 4 Fuß hohen, mit Schaufeln versehenen Rädern an dem äußern Schiffsborde bestanden, ganz wie bei unseren Dampfschiffen und wie bei der Vorrichtung zur Bewegung von Fahrzeugen, welche Blasco de Garay 1543 zu Barcelona dem Kaiser Carl V angeboten hatte (Arago, Annuaire du Bur. des Long. 1829 p. 152). Der altrömische Wegmesser (ratio a majoribus tradita, qua in via rheda sedentes vel mari navigantes scire possumus quot millia numero itineris fecerimus) ist umständlich von Vitruvius (lib. X cap. 14), dessen Augusteisches Zeitalter freilich neuerlichst von C. Schultz und Osann sehr erschüttert worden ist, beschrieben. Durch drei in einander greifende gezähnte Räder und das Herabfallen kleiner runder Steinchen aus einem Radgehäuse (loculamentum), das nur ein einziges Loch hat, ward die Zahl der Umgänge der äußeren Räder, die in das Meer tauchten, und die Zahl der zurückgelegten Meilen in einer Tagereise angegeben. Ob diese Hodometer im mittelländischen Meere viel gebraucht worden sind, „da sie Nutzen und auch Vergnügen" gewähren konnten, sagt Vitruvius nicht. In der Lebensbeschreibung des Kaisers Pertinax von Julius Capitolinus wird des verkauften Nachlasses des Kaisers Commodus erwähnt (cap. 8; in Hist. Augustae Script. ed. Lugd. Bat. 1671 T. I. p. 554), in welchem sich ein Reisewagen, mit einer ähnlichen Hodometer-Einrichtung versehen, befand. Die Räder gaben zugleich „das Maaß des zurückgelegten Weges und die Dauer der Reise", in Stunden, an. Einen viel vollkommeneren, ebenfalls zu Wasser und zu Lande gebrauchten Wegmesser hat Hero von Alexandrien, der Schüler des Ktesibius, in seiner, griechisch noch unedirten Schrift über die Dioptren beschrieben (s. Venturi, Comment. sopra la Storia dell' Ottica, Bologna 1814 T. I. p. 134–139). In der Litteratur des ganzen Mittelalters findet sich wohl nichts über den Gegenstand, den wir hier behandeln, bis man zu der Epoche der vielen kurz nach einander verfaßten oder in Druck erschienenen Lehrbücher der Nautik von Antonio Pigafetta (Trattato di Navigazione, wahrscheinlich vor 1530), Francisco Falero (1535, Bruder des Astronomen Ruy Falero, der den [471] Magellan auf seiner Reise um die Welt begleiten sollte und ein Regimiento para observar la longitud en la mar hinterließ), Pedro de Medina aus Sevilla (Arte de navegar 1545), Martin Cortes aus Bujalaroz (Breve Compendio de la esfera y de la arte de navegar 1551) und Andres Garcia de Cespedes (Regimiento de Navegacion y Hidrografia 1606) gelangt. Aus fast allen diesen, zum Theil jetzt sehr seltenen Werken, wie aus der Suma de Geografia, welche Martin Fernandez de Enciso 1519 herausgab, erkennt man deutlichst, daß die „gesegelte Distanz" auf spanischen und portugiesischen Schiffen nicht durch irgend unmittelbare Messung, sondern nur durch Schätzung nach dem Augenmaaße und nach gewissen numerisch festgesetzten Grundsätzen zu bestimmen gelehrt wird. Medina sagt (Libro III cap. 11 und 12): „um den Curs des Schiffes in der Länge des durchlaufenen Raumes zu kennen, muß der Pilot nach Stunden (d. h. durch die Sanduhr, ampolleta, geleitet) in seinem Register aufzeichnen, wie viel das Schiff zurückgelegt; er muß deshalb wissen, daß das meiste, was er in einer Stunde fortschreitet, vier Meilen sind, bei schwächerem Winde drei, auch nur zwei ...." Cespedes (Regimiento p. 99 und 156) nennt dies Verfahren wie Medina echar punto por fantasia. Diese fantasia hängt allerdings, wenn man großen Irrthum vermeiden will, wie Enciso richtig bemerkt, von der Kenntniß ab, welche der Pilot von der Qualität seines Schiffes hat; aber im ganzen wird jeder, der lange auf dem Meere war, doch meist mit Verwunderung bemerkt haben, wie übereinstimmend die bloße Schätzung der Geschwindigkeit des Schiffes, bei nicht sehr hohem Wellenschlage, mit dem später erhaltenen Resultate des ausgeworfenen Logs ist. Einige spanische Piloten nennen die alte, freilich gewagte Methode bloßer Schätzung (cuenta de estima), gewiß sehr ungerecht sarcastisch, la corredera de los Holandeses, corredera de los perezosos. In dem Schiffsjournale des Christoph Columbus wird oft des Streites gedacht mit Alonso Pinzon über die Länge des zurückgelegten Weges seit der Abfahrt von Palos. Die gebrauchten Sanduhren, ampolletas, liefen in einer halben Stunde ab, so daß der Zeitraum von Tag und Nacht zu 48 ampolletas gerechnet wurde. Es heißt in jenem wichtigen Schiffsjournale des Columbus (z. B. den 22 Januar 1493): andaba 8 millas por hora [472] hasta pasadas 5 ampolletas, y 3 antes que comenzase la guardia, que eran 8 ampolletas (Navarrete T. I. p. 143). Das Log, la corredera, wird nie genannt. Soll man annehmen, Columbus habe es gekannt, benutzt und als ein schon sehr gewöhnliches Mittel nicht zu nennen nöthig erachtet, wie Marco Polo nicht des Thees und der chinesischen Mauer erwähnt hat? Eine solche Annahme scheint mir schon deshalb sehr unwahrscheinlich, weil in den Vorschlägen, welche der Pilot Don Jayme Ferrer 1495 einreicht, um die Lage der päbstlichen Demarcationslinie genau zu ergründen, es auf die Bestimmung der „gesegelten Distanz" ankommt, und doch nur das übereinstimmende Urtheil (juicio) von 20 sehr erfahrenen Seeleuten angerufen wird (que apunten en su carta de 6 en 6 horas el camino que la nao fará segun su juicio). Hätte das Log angewandt werden sollen, so würde Ferrer gewiß vorgeschrieben haben, wie oft es ausgeworfen werden sollte. Die erste Anwendung des Loggens finde ich in einer Stelle von Pigafetta's Reisejournal der Magellanischen Weltumseglung, das lange in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand unter den Handschriften vergraben lag. Es heißt darin im Januar 1521, als Magellan schon in die Südsee gelangt war: secondo la misura che facevamo del viaggio colla catena a poppa, noi percorrevamo da 60 in 70 leghe al giorno (Amoretti, Primo Viaggio intorno al Globo terracqueo, ossia Navigazione fatta dal Cavaliere Antonio Pigafetta sulla squadra del Cap. Magaglianes, 1800, p. 46). Was kann diese Vorrichtung der Kette am Hintertheil des Schiffes (catena a poppa), „deren wir uns auf der ganzen Reise bedienten, um den Weg zu messen", anders gewesen sein als eine unserem Log ähnliche Einrichtung? Der aufgewickelten in Knoten getheilten Loglinie, des Logbrettes oder Logschiffes und des Halb-Minuten- oder Logglases geschieht keine besondere Erwähnung; aber dieses Stillschweigen kann nicht verwundern, wenn von einer längst bekannten Sache geredet wird. Auch in dem Theile des Trattato di Navigazione des Cavaliere Pigafetta, den Amoretti im Auszuge geliefert hat (freilich nur von 10 Seiten), wird die catena della poppa nicht wieder genannt.
66.
(S. 297.) Barros Dec. I. liv. IV p. 320.
67.
(S. 299.) Examen crit. T. I. p. 3–6 und 290.
68.
(S. 299.) Vergl. Opus Epistolarum Petri Martyris Anglerii Mediolanensis 1670 ep. CXXX und CLII. »Prae laetitia prosiliisse te, vixque à lachrymis prae gaudio temperasse, quando literas adspexisti meas, quibus de Antipodum Orbe, latenti hactenus, te certiorem feci, mi suavissime Pomponi, insinuasti. Ex tuis ipse literis colligo, quid senseris. Sensisti autem, tantique rem fecisti, quanti virum summa doctrina insignitum decuit. quis namque cibus sublimibus praestari potest ingeniis isto suavior? quod condimentum gratius? à me facio conjecturam. Beari sentio spiritus meos, quando accitos alloquor prudentes aliquos ex his qui ab ea redeunt provincia (Hispaniola insula).« Der Ausdruck Christophorus quidam Colonus erinnert, ich sage nicht an das zu oft und mit Unrecht citirte nescio quis Plutarchus des Aulus Gellius (Noct. Atticae XI, 16), aber wohl an das quodam Cornelio scribente in dem Antwortsschreiben des Königs Theodorich an den Fürsten der Aestyer, welcher aus der Germ. cap. 45 des Tacitus über den wahren Ursprung des Bernsteins belehrt werden sollte.
69.
(S. 300.) Opus Epistol. No. CCCCXXXVII und DLXII. Auch der begeisterte Wundermann Hieronymus Cardanus, Phantastiker und doch scharfsinniger Mathematiker zugleich, macht in seinen physischen Problemen darauf aufmerksam, was die Erdkunde den Thatsachen verdanke, zu deren Beobachtung ein einziger Mann geleitet habe! Cardani Opera ed. Lugdun. 1663 T. II. Probl. p. 630 und 659: at nunc quibus te laudibus afferam, Christophore Columbi, non familiae tantum, non Genuensis urbis, non Italiae Provinciae, non Europae partis orbis solum sed humani generis decus. Wenn ich die Probleme des Cardanus mit denen aus der späten Schule des Stagiriten verglichen habe, so ist bei der Verworrenheit und Schwäche der physischen Erklärungen, welche in beiden Sammlungen fast gleichmäßig herrscht, mir doch augenscheinlich und für die Epoche einer so plötzlich erweiterten Erdkunde charakteristisch geworden, daß bei Cardanus der größere Theil der Probleme sich auf die vergleichende Meteorologie bezieht. Ich erinnere an die Betrachtungen über das warme Inselklima von England im Contrast mit dem Winter in Mailand; über die Abhängigkeit des Hagels von electrischen Explosionen; über die Ursach und Richtung [474] der Meeresströmungen; über das Maximum der atmosphärischen Wärme und Kälte, das erst nach jedem der beiden Solstitien eintritt; über die Höhe der Schneeregion unter den Tropen; über die Temperatur, welche durch die Wärmestrahlung der Sonne und aller Sterne zugleich bedingt wird; über die größere Lichtstärke des südlichen Himmels u. s. w. „Kälte ist bloß Abwesenheit der Wärme. Licht und Wärme sind nur dem Namen nach verschieden, und in sich unzertrennlich." Cardani Opp. T. I. de vita propria p. 40; T. II. Probl. p. 621, 630–632, 653 und 713; T. III. de subtilitate p. 417.
70.
(S. 300.) S. mein Examen crit. T. I. p. 210–249. Nach der handschriftlichen Historia general de las Indias lib. I. cap. 12 war »la carta de marear, que Maestro Paulo Fisico (Toscanelli) envió á Colon«, in den Händen von Bartholomé de las Casas, als er sein Werk schrieb. Das Schiffsjournal des Columbus, von dem wir einen Auszug besitzen (Navarrete T. I. p. 13), stimmt nicht ganz mit der Erzählung überein, welche ich in der Handschrift des Las Casas finde, deren gütige Mittheilung ich Herrn Ternaux-Compans verdanke. Das Schiffsjournal sagt: »Iba hablando el Almirante (martes 25 de Seitembre 1492) con Martin Alonso Pinzon, capitan de la otra carabela Pinta, sobre una carta que le habia enviado tres dias hacia á la carabela, donde segun parece tenia pintadas el Almirante ciertas islas por aquella mar ....« Dagegen steht in der Handschrift des Las Casas lib. I. cap. 12: »La carta de marear que embió (Toscanelli al Almirante) yo que esta historia escrivo la tengo en mi poder. Creo que todo su viage sobre esta carta fundó«; lib. I. cap. 38: »asi fué que el martes 25 de Setiembre Ilegase Martin Alonso Pinzon con su caravela Pinta á hablar con Christobal Colon sobre una carta de marear que Christobal Colon le avia embiado ... Esta carta es la que le embió Paulo Fisico el Florentin, la qual yo tengo en mi poder con otras cosas del Almirante y escrituras de su misma mano que traxéron á mi poder. En ella le pintó muchas islas ...« Soll man annehmen, der Admiral habe in die Carte des Toscanelli die zu erwartenden Inseln hineingezeichnet, oder soll tenia pintadas bloß sagen: „der Admiral hatte eine Carte, auf der gemalt waren ...."?
71.
(S. 302.) Navarrete, Documentos No. 69, in T. [475] III. der Viages y descubr. p. 565–571; Examen crit. T. I. p. 234–249 und 252, T. III. p. 158–165 und 224. Ueber den bestrittenen ersten Landungspunkt in Westindien s. T. III. p. 186–222. Die so berühmt gewordene, im Jahr 1832 während der Cholera-Epidemie von Walckenaer und mir erkannte Weltkarte des Juan de la Cosa, die 6 Jahre vor dem Tode des Columbus entworfen ist, hat ein neues Licht über diese Streitfrage verbreitet.
72.
(S. 302.) Ueber das naturbeschreibende, oft dichterische Talent des Columbus s. oben Kosmos Bd. II. S. 55–57.
73.
(S. 304.) S. die Resultate meiner Untersuchung in der Relation historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent T. II. p. 702 und im Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 309.
74.
(S. 304.) Biddle, Memoir of Sebastian Cabot 1831 p. 52–61; Examen crit. T. IV. p. 231.
75.
(S. 304.) Es heißt in einer wenig beachteten Stelle des Tagebuchs von Columbus vom 1 Nov. 1492: „ich habe (in Cuba) gegenüber und nahe Zayto y Guinsay (Zaitun et Quinsay, Marco Polo II, 77) del Gran Can.« (Navarrete, Viages y descubrim. de los Españoles T. I. p. 46 und oben S. 462 Anm. 35.) Die Krümmung gegen Süden, welche Columbus auf der zweiten Reise in dem westlichsten Theile des Landes Cuba bemerkte, hat einen wichtigen Einfluß auf die Entdeckung von Südamerika, auf die des Orinoco-Delta und des Vorgebirges Paria, ausgeübt, wie ich an einem anderen Orte gezeigt; s. Examen crit. T. IV. p. 246–250. »Putat (Colonus)«, schreibt Anghiera (Epist. CLXVIII, ed. Amst. 1670 p. 96), »regiones has (Pariae) esse Cubae contiguas et adhaerentes: ita quod utraeque sint Indiae Gangetidis continens ipsum ......«
76.
(S. 304.) S. die wichtige Handschrift des Andres Bernaldez, Cura de la Villa de los Palacios (Historia de los Reyes Catholicos cap. 123). Diese Geschichte begreift die Jahre 1488 bis 1513. Bernaldez hatte 1496 den Columbus, als er von der zweiten Reise zurückkam, in sein Haus aufgenommen. Ich habe durch die besondere Güte des Herrn Ternaux-Compans, dem die Geschichte der Conquista viele wichtige Aufklärungen verdankt, zu [476] Paris im Dec. des Jahres 1838 diese Handschrift, welche im Besitz meines berühmten Freundes, des Historiographen Don Juan Bautista Muñoz, gewesen ist, frei benutzen können. (Vergl. Fern. Colon, Vida del Almirante cap. 56.)
77.
(S. 305.) Examen crit. T. III. p. 244–248.
78.
(S. 305.) Das Cap Horn wurde auf der Expedition des Comendador Garcia de Loaysa, welche, der des Magellan folgend, nach den Molukken bestimmt war, im Februar 1526 von Francisco de Hoces entdeckt. Indeß Loaysa durch die Magellanische Straße segelte, hatte sich Hoces mit seiner Caravele San Lesmes von der Flottille getrennt und war bis 55° südlicher Breite verschlagen worden. »Dijéron los del buque que les parecia que era alli acabamiento de tierra«; Navarrete, Viages de los Españoles T. V. p. 28 und 404–488. Fleurieu behauptet, Hoces habe nur das Cabo del buen Successo westlich von der Staaten-Insel gesehen. Gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts war bereits wieder eine so sonderbare Ungewißheit über die Gestaltung des Landes verbreitet, daß der Sänger der Araucana glauben konnte (Canto I oct. 9), die Magellanische Meerenge habe sich durch ein Erdbeben und durch Hebung des Seebodens geschlossen: wogegen Acosta (Historia natural y moral de las Indias lib. III cap. 10) das Feuerland für den Anfang seines großen südlichen Polarlandes hielt. (Vergl. auch Kosmos Bd. II. S. 62 und 124.)
79.
(S. 306.) Ob die Isthmen-Hypothese, nach welcher das ostafrikanische Vorgebirge Prasum sich an die ost-asiatische Landzunge von Thinä anschließt, auf Marinus Tyrius, oder auf Hipparch, oder auf den Babylonier Seleucus, oder nicht vielmehr auf den Aristoteles de Coelo (II, 14) zurückgeführt werden soll: habe ich umständlich an einer anderen Stelle erörtert (Examen crit. T. I. p. 144, 161 und 329, T. II. p. 370–372).
80.
(S. 307.) Paolo Toscanelli war als Astronom so ausgezeichnet, daß Behaim's Lehrer Regiomontanus ihm 1463 sein gegen den Cardinal Nicolaus de Cusa gerichtetes Werk de Quadratura Circuli zueignete. Er construirte den großen Gnomon in der Kirche Santa Maria Novella zu Florenz und starb 1482 in einem Alter von 85 Jahren, ohne die Freude gehabt zu haben die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung durch Diaz und die des tropischen Theils des Neuen Continents durch Columbus zu erleben.
81.
(S. 308.) Da der Alte Continent von dem westlichen Ende der iberischen Halbinsel bis zur Küste von China fast 130° Meridian-Unterschied zählt, so bleiben ohngefähr 230° für den Raum übrig, den Columbus würde zu durchschiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China), weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian-Unterschied von 230° gründet sich auf die Lage des portugiesischen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20′ westlich von Paris) und des weit vortretenden chinesischen Ufers bei dem ehemals so berühmten, von Columbus und Toscanelli oft genannten Hafen Quinsay (Breite 30° 28′, Länge 117° 47′ östlich von Paris). Synonyme für Quinsay in der Provinz Tschekiang sind Kanfu, Hangtscheufu, Kingszu. Der asiatische östliche Welthandel war im 13ten Jahrhundert getheilt zwischen Quinsay und Zaitun (Pinghai oder Tseuthung), welches der Insel Formosa (damals Tungfan) gegenüber unter 25° 5′ nördlicher Breite lag (s. Klaproth, Tableaux hist. de l'Asie p. 227). Der Abstand des Vorgebirges St. Vincent von Zipangi (Niphon) ist 22 Längengrade geringer wie von Quinsay, also statt 230° 53′ ohngefähr nur 209°. Auffallend ist es, daß die ältesten Angaben, die des Eratosthenes und Strabo (lib. I p. 64), dem oben gegebenen Resultate von 129° für den Meridian-Unterschied der οἰκουμένη durch zufällige Compensationen bis auf 10° nahe kommen. Strabo sagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Existenz von zwei großen bewohnbaren Festländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unsere οἰκουμένη0 im Parallel von Thinä (Athen, s. oben Kosmos Bd. II. S. 223) mehr als ⅓ des ganzen Erdumkreises ausmacht. Marinus Tyrius, durch die Dauer der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Axe des caspischen Meeres von Westen nach Osten und die Ueberschätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet, gab dem Alten Continent statt 129° volle 225°. Die chinesische Küste wurde dadurch bis zu den Sandwich-Inseln vorgerückt. Columbus zieht dies Resultat natürlich dem des Ptolemäus vor, nach welchem Quinsay nur in den östlichen Theil des Archipels der Carolinen fallen würde. Ptolemäus setzt nämlich im Almagest (II, 1) die Küste der Sinae auf 180°, in der Geographie (lib. I cap. 12) auf 177°¼. Da Columbus die Schifffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120°, Toscanelli gar nur auf 52° anschlägt, so konnte beiden, [478] wenn sie die Länge des Mittelmeers zu ohngefähr 40° schätzten, das so gewagt scheinende Unternehmen allerdings ein brevissimo camino heißen. Auch Martin Behaim setzt auf seinem Weltapfel, dem berühmten Globus, welchen er 1492 vollendete und welcher noch im Behaim'schen Hause zu Nürnberg aufbewahrt wird, die Küste von China (den Thron des Königs von Mango, Cambalu und Cathay) nur 100° westlich von den Azoren, d. i., da Behaim 4 Jahre in Fayal lebte und wahrscheinlich von diesem Punkte den Abstand rechnet, wieder nur 119° 40′ westlich vom Vorgebirge St. Vincent. Columbus wird wahrscheinlich Behaim in Lissabon gekannt haben, wo beide von 1480 bis 1484 sich aufhielten. (S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 357–369.) Die vielen ganz unrichtigen Zahlen, welche man in allen Schriften über die Entdeckung von Amerika und die damals vermuthete Ausdehnung des östlichen Asiens findet, haben mich veranlaßt die Meinungen des Mittelalters genauer mit denen des classischen Alterthums zu vergleichen.
82.
(S. 308.) Von weißen Menschen ist in einem Canot zuerst beschifft der östlichste Theil des stillen Meeres, als Alonso Martin de Don Benito, der den Meerhorizont mit Vasco Nuñez de Balboa am 25 Sept. 1513 auf der kleinen Bergkette von Quarequa gesehen, einige Tage darauf am Isthmus zu dem Golfo de San Miguel herabstieg, ehe Balboa die abenteuerliche Ceremonie der Besitznahme ausführte. Schon sieben Monate früher, im Januar 1513, meldete Balboa seinem Hofe, daß das südliche Meer, von welchem er die Eingeborenen reden hörte, sehr leicht zu beschiffen wäre: »mar muy mansa y que nunca anda brava como la mar de nuestra banda« (de las Antillas). Der Name Oceano Pacifico wurde indeß, wie Pigafetta erzählt, der Mar del Sur (des Balboa) erst von Magellan gegeben. Schon ehe Magellan's Expedition zu Stande kam (10 August 1519), hatte die spanische Regierung, der es nicht an sorgsamer Thätigkeit fehlte, im November 1514, gleichzeitig dem Pedrarias Davila, Gouverneur der Provinz Castilla del Oro (der nordwestlichsten von Südamerika), und dem großen Seemann Juan Diaz de Solis geheime Befehle ertheilt: dem ersteren, 4 Caravelen im Golfo de San Miguel bauen zu lassen, „um Entdeckungen in der neuentdeckten Südsee zu machen"; dem zweiten, von der östlichen Küste Amerika's aus eine Oeffnung, [479] abertura de la tierra, zu finden, um in den Rücken (á espaldas) des neuen Landes, d. i. in den meerumflossenen westlichen Theil der Castilla del Oro, zu gelangen. Die Expedition des Solis (Oct. 1515 bis Aug. 1516) führte weit gegen Süden und zur Entdeckung des Rio de la Plata, welcher lange Rio de Solis genannt wurde. (Vergl. über diese wenig bekannte erste Entdeckung des stillen Meeres Petrus Martyr, Epist. DXL p. 296 mit den Documenten von 1513–1515 in Navarrete T. III. p. 134 und 357; auch mein Examen crit. T. I. p. 320 und 350.)
83.
(S. 308.) S. über die geographische Lage der zwei Unglücklichen Inseln (San Pablo lat. 16°¼ Süd, long. 135°¾ westlich von Paris; Isla de Tiburones lat. 10°¾ Süd, long. 145°) das Examen crit. T. I. p. 286 und Navarrete T. IV. p. LIX, 52, 218 und 267. — Zu so ruhmvollen Wappenausschmückungen, als wir im Texte für die Nachkommen des Sebastian de Elcano erwähnt haben (der Weltkugel mit der Inschrift: Primus circumdedisti me), gab die große Zeit der Entdeckungen im Raume mehrfache Veranlassung. Das Wappen, welches dem Columbus, „um seine Person bei der Nachwelt zu verherrlichen, para sublimarlo«, schon den 20 Mai 1493 gegeben wird, enthält die erste Carte von Amerika, eine Inselreihe, die einem Golf vorliegt. (Oviedo, Hist. general de las Indias, ed. de 1547, lib. II cap. 7 fol. 10, a; Navarrete T. II. p. 37; Exam. crit. T. IV. p. 236.) Kaiser Carl V gab dem Diego de Ordaz, der sich rühmte den Vulkan von Orizaba erstiegen zu haben, das Bild dieses Kegelberges, dem Geschichtsschreiber Oviedo, welcher 34 Jahre (von 1513–1547) ununterbrochen im tropischen Amerika lebte, die vier schönen Sterne des südlichen Kreuzes zu Wappenschildern (Oviedo lib. II cap. 11 fol. 16, b).
84.
(S. 309.) S. mein Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne T. II. (1827) p. 259 und Prescott, History of the Conquest of Mexico (New York 1843) Vol. III. p. 271 und 336.
85.
(S. 311.) Gaetano entdeckte eine der Sandwich-Inseln 1542. Ueber die Schifffahrt des Don Jorge de Menezes (1526) und des Alvaro de Saavedra (1528) nach den Ilhas de Papuas s. Barros da Asia Dec. IV. liv. I cap. 16 und Navarrete T. V. p. 125. Die im britischen Museum aufbewahrte und von dem gelehrten [480] Dalrymple untersuchte Hydrographie von Joh. Rotz (1542) enthält Umrisse von Neu-Holland, wie auch die Cartensammlung von Jean Valard aus Dieppe (1552), deren erste Kenntniß wir Herrn Coquebert Monbret verdanken.
86.
(S. 311.) Nach dem Tode von Mendaña übernahm in der Südsee seine durch persönlichen Muth und große Geistesgaben ausgezeichnete Frau Doña Isabela Baretos den Befehl der Expedition, welche erst 1596 endigte (Essai pol. sur la Nouv. Esp. T. IV. p. 111). — Quiros führte auf seinen Schiffen die Entsalzung des Seewassers im großen ein, und sein Beispiel wurde mehrfach befolgt (Navarrete T. I. p. LIII). Die ganze Operation war, wie ich an einem anderen Orte durch das Zeugniß des Alexander von Aphrodisias erwiesen, schon im dritten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung bekannt, wenn auch wohl nicht auf Schiffen benutzt.
87.
(S. 312.) S. das vortreffliche Werk von Professor Meinicke in Prenzlau: das Festland Australien, eine geogr. Monographie, 1837 Th. I. S. 2–10.
88.
(S. 314.) Dieser König starb zur Zeit des mexicanischen Königes Axayacatl, welcher von 1464 bis 1477 regierte. Ein Abkömmling des Nezahualcoyotl, eines Dichter-Königs, war der gelehrte einheimische Geschichtsschreiber Fernando de Alva Ixtlilxochitl, dessen handschriftliche Chronik der Chichimequen ich 1803 im Pallaste des Vicekönigs von Mexico gesehen und die Herr Prescott so glücklich benutzt hat (Conquest of Mexico Vol. I. p. 61, 173 und 206, Vol. III. p. 112). Der aztekische Name des Geschichtsschreibers Fernando de Alva bedeutet Vanillen-Gesicht Herr Ternaux-Compans hat 1840 eine französische Uebersetzung des Manuscripts in Paris drucken lassen. — Die Nachricht über die langen Elephantenhaare, welche Cadamosto sammelte, findet sich in Ramusio Vol. I. p. 109 und in Grynäus cap. 43 p. 33.
89.
(S. 314.) Clavigero, Storia antica del Messico (Cesena 1780) T. II. p. 153. Es ist nach den übereinstimmenden Zeugnissen von Hernan Cortes in seinen Berichten an Kaiser Carl V, von Bernal Diaz, Gomara, Oviedo und Hernandez keinem Zweifel unterworfen, daß zur Zeit der Eroberung von Montezuma's Reich in keinem Theile von Europa Menagerien und botanische Gärten (Sammlungen lebender Thiere und Pflanzen) entstanden waren, die man mit denen von Huaxtepec, Chapoltepec, Iztapalapan [481] und Tezcuco hätte vergleichen können. (Prescott Vol. I. p. 178, Vol. II. p. 66 und 117–121, Vol. III. p. 42.) — Ueber die im Text erwähnte früheste Beachtung der fossilen Knochen in den amerikanischen Giganten-Feldern s. Garcilaso lib. IX cap. 9, Acosta lib. IV cap. 30 und Hernandez (ed. von 1556) T. I. cap. 32 p. 105.
90.
(S. 317.) Observations de Christophe Colomb sur le passage de la Polaire par le méridien in meiner Relation hist. T. I. p. 506 und im Examen crit. T. III. p. 17–20, 44–51 und 56–61. (Vergl. auch Navarrete im Reisejournal des Columbus vom 16–30 Sept. 1492 p. 9, 15 und 254.)
91.
(S. 318.) Ueber die sonderbaren Verschiedenheiten der Bula de concesion á los Reyes Catholicos de las Indias descubiertas y que se descubrieren vom 3 Mai 1493 und der Bula de Alexandro VI sobre la particion del Oceano vom 4 Mai 1493 (erläutert in der Bula de extension vom 25 Sept. 1493) s. Examen crit. T. III. p. 52–54. Sehr verschieden von dieser Demarcationslinie ist die in der Capitulacion de la particion del Mar Oceano entre los Reyes Catholicos y Don Juan Rey de Portugal vom 7 Junius 1494 bestimmte Scheidungslinie, 370 leguas (zu 17½ auf einen Aequatorialgrad) westlich von den capverdischen Inseln. (Vergl. Navarrete, Coleccion de los Viages y descubr. de los Esp. T. II. p. 28–35, 116–143 und 404, T. IV. p. 55 und 252.) Die letztgenannte, welche zu dem Verkauf der Molukken (de el Maluco) an Portugal 1529 für die Summe von 350,000 Goldducaten geführt hat, stand in keiner Beziehung mit magnetischen und meteorologischen Phantasien. Die päbstlichen Demarcationslinien verdienen aber darum hier eine genauere Anführung, weil sie, wie im Texte erwähnt ist, einen großen Einfluß auf die Bestrebungen nach Vervollkommnung der nautischen Astronomie und besonders der Längenmethoden ausgeübt haben. Recht merkwürdig ist es auch, daß die Capitulacion vom 7 Jun. 1494 schon das erste Beispiel von der festen Bezeichnung eines Meridians durch in Felsen eingegrabene Marken oder errichtete Thürme giebt. Es wird befohlen: »que se haga alguna señal ó torre« überall, wo der Grenzmeridian von Pol zu Pol in der östlichen oder westlichen Halbkugel eine Insel oder einen Continent durchschneidet. In den Continenten soll die raya, von Distanz zu Distanz, durch eine Reihe [482] solcher Zeichen oder Thürme kenntlich gemacht werden: was allerdings kein kleines Unternehmen gewesen wäre!
92.
(S. 319.) Sehr bemerkenswerth scheint mir zu sein, daß der früheste classische Schriftsteller über den Erdmagnetismus, William Gilbert, bei welchem man nicht die geringste Kenntniß der chinesischen Litteratur vermuthen kann, doch den Seecompaß für eine chinesische Erfindung hält, die Marco Polo nach Europa gebracht habe: Illa quidem pyxide nihil unquam humanis excogitatum artibus humano generi profuisse magis, constat. Scientia nauticae pyxidulae traducta videtur in Italiam per Paulum Venetum, qui circa annum MCCLX apud Chinas artem pyxidis didicit.« (Guilielmi Gilberti Colcestrensis, Medici Londinensis, de Magnete Physiologia nova, Lond. 1600 p. 4.) Die Einführung durch Marco Polo, dessen Reisen in die Jahre 1271–1295 fallen, der also nach Italien zurückkehrte, als Guyot de Provins in seinem Gedichte des Seecompasses, wie Jacques de Vitry und Dante, als eines längst bekannten Instrumentes gedacht hatten, ist durch nichts begründet. Ehe Marco Polo abreiste, schon in der Mitte des 13ten Jahrhunderts, bedienten sich Catalanen und Basken des Seecompasses. (S. Raymundus Lullus in der Abhandlung de contemplatione, die 1272 geschrieben ist.)
93.
(S. 321.) Das Zeugniß über den sterbenden Sebastian Cabot s. in der mit vieler historischer Kritik abgefaßten Schrift von Biddle, Memoir of Seb. Cabot p. 222. „Man kennt", sagt Biddle, „mit Genauigkeit weder das Todesjahr noch den Begräbnißort des großen Seefahrers, der Großbritannien fast einen Continent geschenkt und ohne den (wie ohne Sir Walter Ralegh) vielleicht die englische Sprache nicht von vielen Millionen der Bewohner Amerika's gesprochen würde." — Ueber die Materialien, nach denen die Variations-Carte des Alonso de Sta. Cruz construirt war, wie über die Variations-Compasse, deren Vorrichtung schon zugleich erlaubte Sonnenhöhen zu nehmen, s. Navarrete, Noticia biografica del Cosmografo Alonso de Santa Cruz p. 3–8. Der erste Variations-Compaß war schon vor 1525 von einem kunstreichen Apotheker aus Sevilla, Felipe Guillen, zu Stande gebracht. Das Bestreben die Richtung der magnetischen Declinations-Curven genauer kennen zu lernen war so groß, daß 1585 Juan Jayme mit Francisco Gali bloß deshalb von Manila nach Acapulco schiffte, um ein von ihm erfundenes [483] Declinations-Instrument in der Südsee zu prüfen. S. mein Essai polit. sur la Nouv. Esp. T. IV. p. 110.
94.
(S. 321.) Acosta, Hist. natural de las Indias lib. I cap. 17. Diese vier magnetischen Linien ohne Abweichung haben Halley durch die Streitigkeiten zwischen Henry Bond und Beckborrow auf die Theorie von vier magnetischen Polen geführt.
95.
(S. 321.) Gilbert, de Magnete Physiologia nova lib. V cap. 8 pag. 200.
96.
(S. 322.) In der gemäßigten und kalten Zone ist diese Krümmung der Isothermen zwischen den westlichen Küsten von Europa und den östlichen Küsten von Nordamerika allerdings allgemein, aber im Inneren der Tropen-Zone laufen die Isothermen dem Aequator fast parallel; und in den raschen Schlüssen, zu denen sich Columbus verleitet sieht, blieben unbeachtet die Unterschiede des See- und Landklima's wie der Ost- und Westküsten, der Einfluß der Breite und der Winde, die über Afrika wegwehen. (Vergl. die merkwürdigen Betrachtungen über die Klimate, welche in der Vida del Almirante cap. 66 zusammengestellt sind.) Die frühe Ahndung des Columbus von der Krümmung der Isothermen im atlantischen Ocean war wohl begründet, wenn man sie auf die außer-tropische (gemäßigte und kalte) Zone beschränkt.
97.
(S. 322.) Eine Beobachtung von Columbus (Vida del Almirante cap. 55, Examen crit. T. IV. p. 253, Kosmos Bd. I. S. 479).
98.
(S. 322.) Der Admiral, sagt Fernando Colon (Vida del Alm. cap. 58), schrieb dem Umfang und der Dichtigkeit der Wälder, welche die Rücken der Berge bedeckten, die vielen erfrischenden, die Luft abkühlenden Regengüsse zu, denen er ausgesetzt war, so lange er längs der Küste von Jamaica hinsegelte. Er bemerkt bei dieser Gelegenheit in seinem Schiffsjournale: daß „vormals die Wassermenge eben so groß war auf Madeira, auf den canarischen und azorischen Inseln; aber daß seit der Zeit, wo man die Bäume abgehauen hat, welche Schatten verbreiteten, die Regen daselbst viel seltener geworden sind." Diese Warnung ist drei und ein halbes Jahrhundert fast unbeachtet geblieben.
99.
(S. 323.) Kosmos Bd. I. S. 355 und 482, Examen crit. T. IV. p. 294, Asie centrale T. III. p. 235. Die [484] Inschrift von Adulis, fast anderthalb tausend Jahre älter als Anghiera, spricht von „abyssinischem Schnee, in den man bis an die Knie versinkt".
100.
(S. 324.) Leonardo da Vinci sagt von diesem Verfahren sehr schön: questo è il methodo da osservarsi nella ricerca de' fenomeni della natura. S. Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 p. 31; Amoretti, Memorie storiche sù la vita di Lionardo da Vinci, Milano 1804 p. 143 (in seiner Ausgabe des Trattato della Pittura, T. XXXIII. der Classici Italiani); Whewell, Philos. of the inductive Sciences 1840 Vol. II. p. 368–370; Brewster, Life of Newton p. 332. Die meisten physikalischen Arbeiten des Leonardo da Vinci sind von 1498.
1.
(S. 325.) Wie groß die Aufmerksamkeit auf Naturerscheinungen von früher Zeit an bei den Seeleuten gewesen ist, erkennt man auch in den ältesten spanischen Berichten. Diego de Lepe z. B. fand 1499 (wie ein Zeugniß in dem fiscalischen Processe gegen die Erben von Christoph Columbus es uns lehrt) mittelst eines mit Klappen-Ventilen versehenen Gefäßes, welches sich erst am Meeresboden öffnete, daß weit von der Mündung des Orinoco eine 6 Faden dicke Schicht süßen Wassers das Salzwasser bedeckt (Navarrete, Viages y descubrim. T. III. p. 549). Columbus schöpfte im Süden der Insel Cuba milchweißes Seewasser („weiß, als wäre Mehl hineingestreut"), um es in Flaschen mit nach Spanien zu nehmen (Vida del Almirante p. 56). Ich war der Längenbestimmungen wegen an denselben Punkten, und es hat mich Wunder genommen, daß dem alten erfahrenen Admiral die auf Untiefen so gewöhnliche trübe, milchweiße Farbe des Seewassers eine neue, unerwartete Erscheinung habe sein können. — Was den Golfstrom selbst betrifft, der als ein wichtiges kosmisches Phänomen zu betrachten ist, so waren die Wirkungen desselben schon lange vor der Entdeckung von Amerika auf den azorischen und canarischen Inseln durch Anschwemmung von Bambusrohr, Pinus-Stämmen und sonderbar gestalteten Leichnamen aus den Antillen, ja selbst durch die unwillkührliche Landung von fremden Menschen in Canots, „die nie untergehen können", vielfach beobachtet worden. Man schrieb dieselben aber damals allein der Stärke von Weststürmen zu (Vida del Almirante cap. 8; Herrera[485] Dec. I. lib. I cap. 2, lib. IX cap. 12): ohne noch die von der Richtung der Winde ganz unabhängige Bewegung der Wasser, die, gleichsam rückwirkende Inflexion des pelagischen Stromes gegen Osten und Südosten, d. h. den Impuls zu erkennen, welcher alljährlich tropische Früchte der Antillen den irischen und norwegischen Küsten zuführt. Vergl. das Memoire des Sir Humphrey Gilbert „über die Möglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt nach dem Cathay" in Hakluyt, Navigations and Voyages Vol. III. p. 14, Herrera Dec. I. lib. IX cap. 12 und Examen crit. T. II. p. 247–257, T. III. p. 99–108.
2.
(S. 327.) Examen crit. T. III. p. 26 und 66–99; Kosmos Bd. I. S. 328 und 330.
3.
(S. 327.) Alonso de Ercilla hat in der Araucana die Stelle des Garcilaso nachgeahmt: Climas passè, mudè constelaciones; s. Kosmos Bd. II. S. 121 Anm. 62.
4.
(S. 328.) Petr. Mart. Ocean. Dec. I. lib. IX p. 96; Examen crit. T. IV. p. 221 und 317.
5.
(S. 328.) Acosta, Hist. natural de las Indias lib. I cap. 2; Rigaud, Account of Harriot's astron. papers 1833 p. 37.
6.
(S. 329.) Pigafetta, Primo Viaggio intorno al Globo terracqueo, pubbl. da C. Amoretti 1800 p. 46; Ramusio Vol. I. p. 355, c; Petr. Mart. Ocean. Dec. III. lib. I p. 217. (Nach den Begebenheiten, die Anghiera Dec. II. lib. X p. 204 und Dec. III. lib. X p. 232 anführt, muß die Stelle der Oceanica des Anghiera, welche von den Magellanischen Wolken handelt, zwischen 1514 und 1516 geschrieben worden sein.) Andrea Corsali (Ramusio Vol. I. p. 177) beschreibt auch in einem Briefe an Giuliano de' Medici die kreisförmige translatorische Bewegung von due nugolette di ragionevol grandezza. Der Stern, den er zwischen Nubecula major und minor abbildet, scheint mir b Hydrae; Examen crit. T. V. p. 234–238. — Ueber Petrus Theodori von Emden und Houtmann, den Schüler des Mathematikers Plancius, s. einen historischen Aufsatz von Olbers in Schumacher's Jahrbuch für 1840 S. 249.
7.
(S. 330.) Vergleiche die Untersuchungen von Delambre und Encke mit Ideler, Ursprung der Sternnamen S. XLIX, [486] 263 und 277; auch mein Examen crit. T. IV. p. 319–324, T. V. p. 17–19, 30 und 230–234.
8.
(S. 331.) Plin. II, 70; Ideler, Sternnamen S. 260 und 295.
9.
(S. 332.) Ich habe an einem anderen Orte die Zweifel, welche mehrere berühmte Commentatoren des Dante in neueren Zeiten über die quattro stelle geäußert, zu lösen gesucht. Um das Problem in seinem ganzen Umfang zu fassen, muß die Stelle Io mi volsi .... (Purgat. I v. 22–24) mit den anderen Stellen: Purg. I v. 37, VIII v. 85–93, XXIX v. 121, XXX v. 97, XXXI v. 106 und Inf. XXVI v. 117 und 127 verglichen werden. Der Mailänder Astronom De Cesaris hielt die drei facelle (Di che'l polo di quà tutto quanto arde und welche untergehen, wenn die vier Sterne des Kreuzes aufgehen) für Canopus, Achernar und Fomahaut. Ich habe versucht die Schwierigkeiten durch die nachfolgenden Betrachtungen zu lösen: »Le mysticisme philosophique et religieux qui pénètre et vivifie l'immense composition du Dante, assigne à tous les objets, à côté de leur existence réelle ou matérielle, une existence idéale. C'est comme deux mondes, dont l'un est le reflet de l'autre. Le groupe des quatre étoiles représente, dans l'ordre moral, les vertus cardinales, la prudence, la justice, la force et la tempérance; elles méritent pour cela le nom de »saintes lumières, luci sante«. Les trois étoiles »qui éclairent le pole«, représentent les vertus théologales, la foi, l'espérance et la charité. Les premiers de ces êtres nous révèlent eux-mêmes leur double nature; ils chantent: »Ici nous sommes des nymphes, dans le ciel nous sommes des étoiles; Noi sem qui Ninfe, e nel ciel semo stelle.« Dans la Terre de la vérité, le Paradis terrestre, sept nymphes se trouvent réunies: In cerchio le facevan di se claustro le sette Ninfe. C'est la réunion des vertus cardinales et théologales. Sous ces formes mystiques, les objets réels du firmament, éloignés les uns des autres, d'après les lois éternelles de la Mécanique céleste, se reconnaissent à peine. Le monde idéal est une libre création de l'ame, le produit de l'inspiration poétique.« (Examen crit. T. IV. p. 324–332.)
10.
(S. 332.) Acosta lib. I cap. 5. Vergl. meine Relation historique T. I. p. 209. Da die Sterne α und γ des südlichen [487] Kreuzes fast einerlei Geradaufsteigung haben, so erscheint das Kreuz senkrecht, wenn es durch den Meridian geht; aber die Eingeborenen vergessen nur zu oft, daß diese Himmelsuhr jeden Tag um 3′ 56″ voreilt. — Alle Berechnungen über das Sichtbarsein südlicher Sterne in nördlichen Breiten verdanke ich den freundschaftlichen Mittheilungen des Herrn Dr. Galle, der zuerst den Planeten von Le Verrier am Himmel aufgefunden. „Die Unsicherheit der Berechnung, nach welcher der Stern a des südlichen Kreuzes, mit Rücksicht auf Refraction, für 52° 25′ nördlicher Breite um das Jahr 2900 vor der christlichen Zeitrechnung anfing unsichtbar zu werden, kann vielleicht mehr als 100 Jahre betragen, und würde sich auch bei strengster Berechnungsform nicht ganz beseitigen lassen, da die eigene Bewegung der Fixsterne für so lange Zeiträume wohl nicht gleichförmig ist. Die eigene Bewegung von a Crucis beträgt etwa ⅓ Secunde jährlich, meist im Sinne der Rectascension. Von der durch Vernachlässigung derselben erzeugten Unsicherheit steht zu erwarten, daß sie die obige Zeitgrenze nicht übersteige."
11.
(S. 334.) Barros da Asia Dec. I. liv. IV cap. 2 (1778) p. 282.
12.
(S. 334.) Navarrete, Coleccion de los Viages y Descubrimientos que hiciéron por mar los Españoles T. IV. p. XXXII (in der Noticia biografica de Fernando de Magallanes).
13.
(S. 335.) Barros Dec. III. Parte 2. 1777 p. 650 und 658–662.
14.
(S. 335.) Die Königinn schreibt an Columbus: »Nosotros mismos, y no otro alguno, habemos visto algo del libro que nos dejástes (ein Reisejournal, in dem der mißtrauische Seemann alle numerischen Angaben von Breitengraden und Distanzen weggelassen hatte): quanto mas en esto platicamos y vemos, conocemos cuan gran cosa ha seido este negocio vuestro y que habeis sabido en ello mas que nunca se pensó que pudiera saber ninguno de los nacidos. Nos parece que seria bien que llevásedes con vos un buen Estrologo, y nos parescia que seria bueno para esto Fray Antonio de Marchena, porque es buen Estrologo y siempre nos pareció que se conformaba con vuestro parecer.« Ueber [488] diesen Marchena, der identisch ist mit Fray Juan Perez, dem Guardian des Klosters de la Rabida, in welchem Columbus in seiner Armuth 1484 die Mönche „für sein Kind um Brodt und Wasser ansprach", s. Navarrete T. II. p. 110, T. III. p. 597 und 603 (Muñoz, Hist. del Nuevo Mundo lib. IV §. 24). — Die astronomischen Ephemeriden nennt Columbus eine vision profetica in einem Briefe an die Christianissimos Monarcas aus Jamaica vom 7 Jul. 1503 (Navarrete T. I. p. 306). — Der portugiesische Astronom Ruy Falero, aus Cubilla gebürtig, von Carl V 1519 zugleich mit Magellan zum Caballero de la Orden de Santiago ernannt, spielte eine wichtige Rolle in den Zurüstungen zu Magellan's Weltumseglung. Er hatte eine eigene Abhandlung über die Längenbestimmungen für Magellan angefertigt, von welcher der große Geschichtsschreiber Barros einige Capitel handschriftlich besaß (Examen crit. T. I. p. 276 und 302, T. IV. p. 315): wahrscheinlich dieselbe, welche 1535 in Sevilla bei Johann Cromberger gedruckt worden ist. Navarrete (Obra póstuma sobre la Hist. de la Nautica y de las ciencias matematicas 1846 p. 147) hat das Buch selbst in Spanien nicht auffinden können. Ueber die vier Längenmethoden, die Falero durch Eingebung seines Demonio familiar besaß, s. Herrera Dec. II. lib. II cap. 19 und Navarrete T. V. p. LXXVII. Später machte der Cosmograph Alonso de Santa Cruz, derselbe, welcher (wie der Apotheker aus Sevilla Felipe Guillen 1525) die Länge durch die Variation der Magnetnadel zu bestimmen versuchte, unausführbare Vorschläge, zu demselben Zweck durch Uebertragung der Zeit zu gelangen; aber seine Chronometer waren Sand- und Wasseruhren, Räderwerke durch Gewichte bewegt, ja selbst „in Oel getränkte Dochte", die in sehr gleicher Zeitdauer abbrannten! — Pigafetta (Transunto del Trattato di Navigazione p. 219) empfiehlt Mondhöhen im Meridian. Von den Lunar-Längenmethoden sagt Amerigo Vespucci sehr naiv und wahr: der Vortheil, welchen sie gewähren, entspringe aus dem corso più leggier de la luna (Canovai, Viaggi p. 57).
15.
(S. 338.) Die amerikanische Menschenrace, eine und dieselbe von 65° nördlicher bis 55° südlicher Breite, ging vom Jagdleben nicht durch die Stufe des Hirtenlebens zum Ackerbau über. Dieser Umstand ist um so merkwürdiger, als der Bison, von [489] welchem ungeheure Heerden umherschwärmen, der Zähmung fähig ist und viel Milch giebt. Wenig beachtet ist die Nachricht, die man in Gomara (Historia gen. de las Indias cap. 214) liest und nach der im Nordwesten von Mexico unter 40° Breite noch im 16ten Jahrhunderte ein Volksstamm lebte, dessen größter Reichthum in Heerden gezähmter Bisons (bueyes con una giba) bestand. Von diesen Thieren erhielten die Eingeborenen Stoff zur Bekleidung, Speise und Trank, wahrscheinlich Blut (Prescott, Conquest of Mexico Vol. III. p. 416); denn die Abneigung gegen Milch, oder wenigstens der Nichtgebrauch derselben, scheint, vor der Ankunft der Europäer, allen Eingeborenen des Neuen Continents mit den Bewohnern von China und Cochinchina gemein gewesen zu sein. Allerdings gab es von je her in dem gebirgigen Theile von Quito, Peru und Chili Heerden zahmer Lamas. Diese Heerden waren aber der Reichthum von Völkern, welche angesiedelt sich mit der Cultur des Bodens beschäftigten; in den Cordilleren von Südamerika fand man keine Hirtenvölker, kein Hirtenleben. Was sind die „gezähmten Hirsche" bei der Punta de S. Helena, deren ich Erwähnung finde in Herrera Dec. II. lib. X cap. 6 (T. I. p. 471, ed. Amberes 1728)? Diese Hirsche sollen Milch und Käse gegeben haben: ciervos que dan leche y queso y se crian en casa! Aus welcher Quelle ist diese Notiz geschöpft? Sie kann aus keiner Verwechselung mit den geweih- und hornlosen Lamas der kalten Bergregion entstanden sein, von denen Garcilaso (Comment. reales P. I. lib. V cap. 2, p. 133) behauptet, daß sie in Peru, besonders auf der Hochebene des Collao, zum Pflügen gebraucht wurden. (Vergl. auch Pedro de Cieça de Leon, Chronica del Peru, Sevilla 1553, cap. 110 p. 264) Diese Anwendung scheint wohl nur eine seltene Ausnahme, eine Localsitte gewesen zu sein. Denn im allgemeinen war der amerikanische Menschenstamm durch Mangel von Hausthieren charakterisirt, was auf das Familienleben tief einwirkte.
16.
(S. 338.) Ueber die Hoffnung, welche Luther bei der Ausführung seines großen freisinnigen Werkes zuerst vorzugsweise auf die jüngere Generation, auf die Jugend Deutschlands setzte, s. die merkwürdigen Aeußerungen in einem Briefe vom Monat Junius 1518 (Neander de Vicelio p. 7).
17.
(S. 339.) Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, wie [490] die Kenntniß der Epoche, in welcher Vespucci zum königlichen Ober-Piloten ernannt wurde, allein schon die, zuerst von dem Astronomen Schoner in Nürnberg 1533 ersonnene Anklage widerlegt, daß Vespucci die Worte Terra di Amerigo listig in die von ihm umgeänderten Küstenkarten eingeschrieben habe. Die hohe Achtung, welche der spanische Hof den hydrographischen und astronomischen Kenntnissen des Amerigo Vespucci schenkte, leuchtet deutlich hervor aus den Vorschriften (Real titulo con extensas facultades), die ihm gegeben wurden, als man ihn am 22 März 1508 zum Piloto mayor ernannte (Navarrete T. III. p. 297–302). Er wird an die Spitze eines wahren Deposito hydrografico gestellt und soll für die Casa de Contratacion in Sevilla, den Centralpunkt aller oceanischen Unternehmungen, eine allgemeine Küstenbeschreibung und ein Positions-Verzeichniß (Padron general) anfertigen, in dem jährlich alles neu Entdeckte nachzutragen wäre. Aber schon 1507 ist der Name Americi terra von einem Manne, dessen Existenz dem Vespucci gewiß unbekannt geblieben war, von dem Geographen Waldseemüller (Martinus Hylacomylus) aus Freiburg im Breisgau, dem Vorsteher einer Druckerei zu St. Dié in Lothringen, in einer kleinen Weltbeschreibung, Cosmographiae Introductio, insuper quatuor Amcrici Vespucii Navigationes (impr. in oppido S. Deodati 1507), für den Neuen Continent vorgeschlagen worden. Ringmann, Professor der Cosmographie in Basel (bekannter unter dem Namen Philesius), Hylacomylus und der Pater Gregorius Reisch, Herausgeber der Margarita philosophica, waren genaue Freunde. In der letzten Schrift findet sich eine Abhandlung des Hylacomylus über Architectur und Perspective von 1509 (Examen crit. T. IV. p. 112). Laurentius Phrisius in Metz, ein Freund des Hylacomylus und wie dieser von dem mit Vespucci in Briefwechsel stehenden Herzog Renatus von Lothringen beschützt, nennt den Hylacomylus einen Verstorbenen in der Strasburger Ausgabe des Ptolemäus von 1522. Die in dieser Ausgabe enthaltene von Hylacomylus gezeichnete Carte des Neuen Continents bietet zum ersten Male in den Ausgaben der Geographie des Ptolemäus den Namen America dar. Nach meinen Untersuchungen war indeß schon zwei Jahre früher eine Weltkarte von Petrus Apianus erschienen, welche einmal des Camers Ausgabe [491] des Solinus, ein zweites Mal der Vadianischen Ausgabe des Mela beigefügt ist und, wie neuere chinesische Carten, den Isthmus von Panama durchbrochen darstellt (Examen crit. T. IV. p. 99–124, T. V. p. 168–176). Sehr mit Unrecht hat man ehemals die jetzt in Weimar befindliche Carte aus der Ebner'schen Bibliothek zu Nürnberg von 1527 und die davon verschiedene, von Güssefeld gestochene des Diego Ribero von 1529 für die ältesten Carten des Neuen Continents gehalten (a. a. O. T. II. p. 184, T. III. p. 191). Vespucci hatte mit Juan de la Cosa, dessen, volle sechs Jahre vor des Columbus Tode, 1500 im Puerto de Santa Maria gezeichnete Carte ich zuerst bekannt gemacht habe, in der Expedition von Alonso de Hojeda 1499 die Küsten von Südamerika besucht, ein Jahr nach Christoph Columbus dritter Reise. Vespucci hätte gar keinen Zweck haben können eine Reise vom Jahre 1497 zu fingiren, da er sowohl als Columbus bis an ihren Tod fest überzeugt gewesen sind nur Theile des östlichen Asiens berührt zu haben. (Vergl. den Brief des Columbus an den Pabst Alexander VI vom Februar 1502 und einen anderen an die Königinn Isabella vom Julius 1503 in Navarrete T. I. p. 304, T. II. p. 280, wie Vespucci's Brief an Pier Francesco de' Medici in Bandini, Vita e Lettere di Amerigo Vespucci p. 66 und 83.) Pedro de Ledesma, Pilot des Columbus auf der dritten Reise, sagt noch 1513 in dem Processe gegen die Erben, „daß man Paria für einen Theil von Asien halte, la tierra firme que dicese que es de Asia«; Navarrete T. III. p. 539. Die oft gebrauchten Periphrasen Mondo nuovo, alter Orbis, Colonus novi orbis repertor stehen damit nicht in Widerspruch, da sie nur auf nie vorher gesehene Gegenden deuten und eben so von Strabo, Mela, Tertullian, Isidor von Sevilla und Cadamosto gebraucht werden (Examen crit. T. I. p. 118, T. V. p. 182–184). Noch mehr als 20 Jahre nach dem Tode von Vespucci, der 1512 erfolgte, ja bis zu den Verläumdungen von Schoner im Opusculum geographicum 1533 und von Servet in der Lyoner Ausgabe der Geographie des Ptolemäus von 1535 findet man keine Klage gegen den florentiner Seefahrer. Christoph Columbus nennt ihn ein Jahr vor seinem Tode einen Mann „von dem unbescholtensten Charakter (mucho hombre de bien), alles Vertrauens würdig, immer geneigt ihm nützlich zu sein" (Carta à mi muy caro [492] fijo D. Diego in Navarrete T. I. p. 351). Eben so wohlwollend für Vespucci sind Fernando Colon, welcher das Leben seines Vaters erst gegen 1535, vier Jahre vor seinem Tode, in Sevilla abfaßte und mit Juan Vespucci, dem Neffen des Amerigo, 1524 der astronomischen Junta zu Badajoz und den Verhandlungen über den Besitz der Molukken beiwohnte; Petrus Martyr de Anghiera, der persönliche Freund des Admirals, dessen Briefwechsel bis 1525 reicht; Oviedo, der alles aufsucht, was den Ruf des Columbus vermindern kann; Ramusio und der große Geschichtsschreiber Guicciardini. Wenn Amerigo absichtlich die Zeitepochen seiner Reisen hätte verfälschen wollen, so würde er sie mit einander in Uebereinstimmung gebracht haben, nicht die erste Reise 5 Monate nach dem Antritt der zweiten geendigt haben. Die Zahlenverwirrungen in den vielen Uebersetzungen seiner Reisen sind nicht ihm zuzuschreiben, da er keinen dieser Berichte selbst herausgegeben. Solche Zahlenverwechselungen waren übrigens in den Druckschriften des 16ten Jahrhunderts sehr gewöhnlich. Oviedo hatte als Edelknabe der Königinn der Audienz beigewohnt, in welcher Ferdinand und Isabella 1493 den Admiral nach seiner ersten Entdeckungsreise in Barcelona pomphaft empfingen. Er hat dreimal drucken lassen, daß die Audienz im Jahr 1496 statt fand, ja sogar daß Amerika 1491 entdeckt wurde. Gomara läßt dasselbe, nicht mit Ziffern, sondern mit Worten drucken und setzt die Entdeckung der Tierra firme von Amerika in 1497, also genau in das für den Ruf des Amerigo Vespucci so verhängnißvolle Jahr (Examen crit. T. V. p. 196–202). Für das ganz schuldlose Benehmen des Florentiners, der nie dem Neuen Continente seinen Namen beizulegen versucht hat, aber durch seine Ruhmredigkeit in den Berichten an den Gonfaloniere Piero Soderini, an Pierfrancesco de' Medici und an Herzog Renatus II von Lothringen das Unglück gehabt hat die Aufmerksamkeit der Nachwelt mehr auf sich zu ziehen, als er es verdiente, spricht am meisten der Proceß, welchen der Fiscal in den Jahren 1508 bis 1527 gegen die Erben von Christoph Columbus führte, um ihnen die Privilegien und Rechte zu entziehen, die dem Admiral bereits 1492 von der Krone verliehen waren. Amerigo trat in Staatsdienst als Piloto mayor in demselben Jahr als der Proceß begann. Er lebte noch vier Jahre lang in Sevilla während der Führung des Processes, in welchem entschieden werden [493] sollte, welche Theile des Neuen Continents von Columbus zuerst berührt worden wären. Die elendesten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiscal zur Anklage. Man suchte Zeugen in Santo Domingo und allen spanischen Häfen, in Moguer, Palos und Sevilla, gleichsam unter den Augen von Amerigo Vespucci und seines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, die Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fiorentino) von Alessandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeschrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldseemüller (Hylacomylus) waren schon erschienen; seit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name America, welchen Hylacomylus 1507 vorgeschlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolph Agricola belobt hatte, eingeschrieben war: und doch wurde der Mann, welchem in Deutschland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reise nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuschrieben, von dem Fiscal in dem bereits 1508 begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Processe weder persönlich citirt, noch als Vorgänger und Widersacher des Columbus genannt? Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Vespucci (22 Febr. 1512 in Sevilla) sein Neffe Juan Vespucci, wie es mit Martin Alonso und Vicente Yañez Pinzon, mit Juan de la Cosa und Alonso de Hojeda geschah, berufen worden sein, um zu bezeugen, daß die Küste von Paria, die nicht als „festes Land von Asien", sondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfischerei einen so großen Werth hatte, bereits vor Columbus, d. h. vor dem 1 August 1498, von Amerigo berührt worden sei? Diese Nichtbenutzung des wichtigsten Zeugnisses bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Vespucci sich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreise 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernsten Werth gelegt hätte. Das große noch ungedruckte Werk eines Freundes des Columbus, Fray Bartholomé de las Casas (die Historia general de las Indias), ist, wie wir sehr bestimmt wissen, in den einzelnen Theilen zu sehr verschiedenen Epochen geschrieben. Es wurde erst 15 Jahre nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet, sieben Jahre vor dem, im 92ten Lebensjahr erfolgten Tode des greisen [494] Verfassers. Lob und bitterer Tadel sind darin wunderbar gemischt. Man sieht den Haß und den Verdacht des Betruges zunehmen, je mehr der Ruf des florentinischen Seefahrers sich verbreitet. In der Vorrede (Prologo), die zuerst geschrieben worden ist, heißt es: „Amerigo erzählt, was er in zwei Reisen nach unseren Indien unternommen; doch scheint er manche Umstände verschwiegen zu haben, sei es geflissentlich (á saviendas) oder weil er sie nicht beachtete. Deshalb haben ihm Einige zugeschrieben, was Anderen gehört, denen es nicht entzogen werden sollte." Eben so gemäßigt ist noch das Urtheil Lib. I cap. 140: „Hier muß ich des Unrechts erwähnen, welches Amerigo scheint dem Admiral gethan zu haben oder vielleicht die, welche seine Quatuor Navigationes drucken ließen (ó los que imprimiéron). Es wird ihm allein, ohne Andere zu nennen, die Entdeckung des Festlandes zugeschrieben. Auf Carten soll er den Namen America gesetzt und so gegen den Admiral sündlich gefehlt haben. Da Amerigo sprachgewandt war und zierlich zu schreiben wußte (era latino y eloquente), so hat er sich für den Anführer der Expedition des Hojeda in dem Briefe an den König Renatus ausgegeben. Er war jedoch nur einer der Steuerleute, wenn gleich erfahren im Seewesen und gelehrt in der Cosmographie (hombre entendido en las cosas de la mar y docto en Cosmographia) ..... In der Welt ist verbreitet worden, er sei der Erste gewesen am festen Lande. Hat er dies mit Absicht verbreitet, so ist es große Bosheit; und war auch keine wirkliche Absicht da, so sieht es doch danach aus (clara pareze la falsedad: y si fué de industria hecha, maldad grande fué; y ya que no lo fuese, al menos parezelo) ..... Amerigo soll im Jahr 7 (1497) abgereist sein: eine Angabe, die freilich nur ein Schreibversehen zu sein scheint, nicht eine böswillige (pareze aver avido yerro de pendola y no malicia), weil er nach 18 Monaten will zurückgekommen sein. Die fremden Schriftsteller nennen das Land America. Es sollte Columba heißen." Diese Stelle zeigt deutlich, daß Casas bis dahin den Amerigo selbst nicht beschuldigt den Namen America in Umlauf gebracht zu haben. Er sagt: an tomado los escriptores extrangeros de nombrar la nuestra Tierra firme America, como si Americo solo y no otro con él y antes que todos la oviera descubierto. In Lib. I cap. 164–169 und Lib. II cap. 2 bricht aber der ganze Haß auf einmal aus. Es wird nichts mehr einem bloßen Versehen in der [495] Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben; alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo .... persistió en el engaño ... de falsedad està claramente convencido). Bartholomé de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihefolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht, manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen, und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. „Ich muß mich wundern", sagt las Casas (cap. 164), „daß Hernando Colon, ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat." — Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholomé de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem Examen critique T. V. p. 178–217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: »Quand la dénomination d'un grand continent, généralement adoptée et consacrée par l'usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus intéressé à la commettre. L'étude des documens a prouvé qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d' Amèrique a pris naissance dans un pays éloigné (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent écarter jusqu'au soupçon d'une influence de la part de Vespuce. C'est là que s'arrête la critique historique. Le champ sans bornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales possibles, n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carrière a joui de l'estime des plus [496] illustres de ses contemporains, s'est élevé, par ses connaissances en astronomie nautique, distinguées pour le temps où il vivait, à un emploi honorable. Le concours de circonstances fortuites lui a donné une célébrité dont le poids, pendant trois siècles, a pesé sur sa mémoire, en fournissant des motifs pour avilir son caractère. Une telle position est bien rare dans l'histoire des infortunes humaines: c'est l'exemple d'une flétrissure morale croissant avec l'illustration du nom. Il valait la peine de scruter ce qui, dans ce mélange de succès et d'adversités, appartient au navigateur même, aux hazards de la rédaction précipitée de ses écrits, ou à de maladroits et dangereux amis.« Copernicus selbst hat zu diesem gefahrbringenden Ruhme beigetragen; auch er schreibt die Entdeckung des Neuen Welttheils dem Vespucci zu. Indem er über das »centrum gravitatis und centrum magnitudinis« des Festlandes discutirt, fügt er hinzu: »magis id erit clarum, si addentur insulae aetate nostra sub Hispaniarum Lusitaniaeque Principibus repertae et praesertim America ab inventore denominata navium praefecto, quem, ob incompertam ejus adhuc magnitudinem, alterum orbem terrarum putant.« (Nicolai Copernici de Revolutionibus orbium coelestium Libri sex 1543 p. 2, a.)
18.
(S. 340.) Vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. III. p. 154–158 und 225–227.
19.
(S. 342.) Vergl. Kosmos Bd. I. S. 86.
20.
(S. 343.) „Die Fernröhre, welche Galilei selbst construirte, und andere, deren er sich bediente, um die Jupiterstrabanten, die Phasen der Venus und die Sonnenflecken zu beobachten, hatten stufenweise 4-, 7- und 32malige Linear-Vergrößerung, nie eine größere." Arago im Annuaire du Bureau des Long. pour l'an 1842 p. 268.
21.
(S. 344.) Westphal in der, dem großen Königsberger Astronomen Bessel gewidmeten Biographie des Copernicus 1822 S. 33 nennt, wie Gassendi, den Bischof von Ermland Lucas Watzelrodt von Allen. Nach Erläuterungen, die ich ganz neuerlich dem gelehrten Geschichtsschreiber von Preußen, dem geh. Archiv-Director Voigt, verdanke, „wird die Familie der Mutter des Copernicus in Urkunden: Weiselrodt, Weißelrot, Weisebrodt, am gewöhnlichsten Waißelrode genannt. Die Mutter war unbezweifelt deutschen [497] Stammes, und das Geschlecht der Waißelrode, ursprünglich von dem Geschlechte derer von Allen, das seit dem Anfange des 15ten Jahrhunderts in Thorn blühte, verschieden, hat, wahrscheinlich durch Adoption oder wegen naher Verwandtschaftsverhältnisse, den Namenszusatz von Allen angenommen." Sniadecki und Czynski (Kopernik et ses travaux 1847 p. 26) nennen die Mutter des großen Copernicus Barbara Wasselrode, welche der Vater, dessen Familie sie aus Böhmen herleiten, 1464 zu Thorn geheirathet habe. Den Namen des Astronomen, welchen Gassendi als Tornaeus Borussus bezeichnet, schreiben Westphal und Czynski Köpernik, Krzyzanowski Kopirnig. In einem Briefe des ermländischen Bischofs Martin Cromer aus Heilsberg vom 21 Nov. 1580 heißt es: »Cum Jo. (Nicolaus) Copernicus vivens ornamento fuerit atque etiam nunc post fata sit, non solum huic Ecclesiae, verum etiam toti Prussiae patriae suae, iniquum esse puto, eum post obitum carere honore sepulchri sive monumenti.«
22.
(S. 344.) So Gassendi in Nicolai Copernici vita, angehängt seiner Lebensbeschreibung des Tycho (Tychonis Brahei vita) 1655, Hagae-Comitum, p. 320: eodem die et horis non multis priusquam animam efflaret. Nur Schubert in seiner Astronomie Th. I. S. 115 und Robert Small in dem sehr lehrreichen Account of the astron. discoveries of Kepler 1804 p. 92 behaupten, daß Copernicus „wenige Tage nach dem Erscheinen seines Werkes" verschieden sei. Dies ist auch die Meinung des Archiv-Directors Voigt zu Königsberg: weil in einem Briefe, den der ermländische Domherr Georg Donner kurz nach dem Tode des Copernicus an den Herzog von Preußen schrieb, gesagt wird, „der achtbare und würdige Doctor Nicolaus Koppernick habe sein Werk kurz vor den Tagen seines letzten Abschiedes von diesem Elend, gleichsam als einen süßen Schwanengesang, ausgehen lassen." Nach der gewöhnlichen Annahme (Westphal, Nikolaus Kopernikus 1822 S. 73 und 82) war das Werk 1507 begonnen und 1530 schon so weit vollendet, daß späterhin nur wenige Verbesserungen angebracht wurden. Durch einen Brief des Cardinals Schonberg, aus Rom vom November 1536, wird die Herausgabe beeilt. Der Cardinal will durch Theodor von Reden das Manuscript abschreiben und sich schicken lassen. Daß die ganze [498] Bearbeitung des Buchs sich bis in das quartum novennium verzögert habe, sagt Copernicus selbst in der Zueignung an Pabst Paul III. Wenn man nun bedenkt, wie viel Zeit zum Druck einer 400 Seiten langen Schrift erforderlich war und daß der große Mann schon im Mai 1543 starb, so ist zu vermuthen, daß die Zueignung nicht im zuletzt genannten Jahre geschrieben ist: woraus dann für den Anfang der Bearbeitung sich uns (36 Jahre zurückrechnend) nicht ein späteres, sondern ein früheres Jahr als 1507 ergiebt. — Daß die zu Frauenburg dem Copernicus allgemein zugeschriebene Wasserleitung nach seinen Entwürfen ausgeführt worden sei, bezweifelt Herr Voigt. Er findet, daß erst 1571 zwischen dem Domcapitel und dem „kunstreichen Meister Valentin Zendel, Rohrmeister in Breslau", ein Contract geschlossen wurde, um das Wasser zu Frauenburg aus dem Mühlgraben in die Wohnungen der Domherren zu leiten. Von einer früher vorhandenen Wasserleitung ist keine Rede. Die jetzige ist also erst 28 Jahre nach dem Tode des Copernicus entstanden.
23.
(S. 345.) Delambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. I. p. 140.
24.
(S. 345.) Neque enim necesse est, eas hypotheses esse veras, imo ne verisimiles quidem, sed sufficit hoc unum, si calculum observationibus congruentem exhibeant: sagt der Vorbericht des Osiander. „Der Bischof von Culm Tidemann Gise, aus Danzig gebürtig, welcher Jahre lang den Copernicus wegen der Herausgabe seines Werkes bedrängte, erhielt endlich das Manuscript mit dem Auftrage, es ganz nach seiner freien Wahl zum Druck zu befördern. Er schickte dasselbe zuerst an den Rhäticus, Professor in Wittenberg, der kurz vorher lange bei seinem Lehrer in Frauenburg gelebt hatte. Rhäticus hielt Nürnberg geeigneter für die Herausgabe und trug die Besorgung des Druckes dem dortigen Professor Schoner und dem Andreas Osiander auf." (Gassendi, Vita Copernici p. 319.) Die Lobsprüche, welche am Ende des Vorberichts dem Werke des Copernicus ertheilt werden, hätten auch schon, ohne das ausdrückliche Zeugniß des Gassendi, darauf führen müssen, daß der Vorbericht von fremder Hand sei. Auch auf dem Titel der ersten Ausgabe, der von Nürnberg von 1543, hat Osiander den in allem, was Copernicus selbst geschrieben, sorgfältig vermiedenen Ausdruck: motus stellarum novis insuper ac [499] admirabilibus hypothesibus ornati neben dem überaus unzarten Zusatze: »igitur, studiose lector, eme, lege, fruere« angebracht. In der zweiten, Baseler Ausgabe von 1566, die ich sehr sorgfältig mit der ersten, Nürnberger verglichen, ist auf dem Titel des Buchs nicht mehr der „bewundernswürdigen Hypothesen" gedacht; aber Osiander's Praefatiuncula de hypothesibus hujus operis, wie Gassendi den eingeschobenen Vorbericht nennt, ist beibehalten. Daß übrigens Osiander, ohne sich zu nennen, selbst hat darauf hinweisen wollen, die Praefatiuncula sei von fremder Hand, erhellt auch daraus, daß er die Dedication an Paul III als Praefatio authoris bezeichnet. Die erste Ausgabe hat nur 196 Blätter, die zweite 213 wegen der angefügten Narratio prima des Astronomen Georg Joachim Rhäticus, eines erzählenden an Schoner gerichteten Briefes, der, wie ich im Texte bemerkt, bereits 1541 durch den Mathematiker Gassarus in Basel zum Druck befördert, der gelehrten Welt die erste genauere Kenntniß des copernicanischen Systemes gab. Rhäticus hatte 1539 seine Professur in Wittenberg niedergelegt, um zu Frauenburg selbst des Copernicus Unterricht zu genießen. (Vergl. über diese Verhältnisse Gassendi p. 310 – 319.) Die Erläuterung von dem, was sich Osiander aus Furchtsamkeit zuzusetzen bewogen fand, giebt Gassendi: »Andraeas porro Osiander fuit, qui non modo operarum inspector (der Besorger des Druckes) fuit, sed Praefatiunculam quoque ad lectorem (tacito licet nomine) de Hypothesibus operis adhibuit. Ejus in ea consilium fuit, ut, tametsi Copernicus Motum Terrae habuisset, non solum pro Hypothesi, sed pro vero etiam placito; ipse tamen ad rem, ob illos, qui heinc offenderentur, leniendam, excusatum eum faceret, quasi talem Motum non pro dogmate, sed pro Hypothesi mera assumpsisset."
25.
(S. 347.) Quis enim in hoc pulcherrimo templo lampadem hanc in alio vel meliori loco poneret, quam unde totum simul possit illuminare? Siquidem non inepte quidam lucernam mundi, alii mentem, alii rectorem vocant. Trimegistus visibilem Deum, Sophoclis Electra intuentem omnia. Ita profecto tanquam in solio regali Sol residens circumagentem gubernat Astrorum familiam: Tellus quoque minime fraudatur lunari ministerio, sed ut Aristoteles de animalibus ait, maximam Luna cum terra [500] cognationem habet. Concipit interea a Sole terra, et impregnatur annuo partu. Invenimus igitur sub hac ordinatione admirandam mundi symmetriam ae certum harmoniae nexum motus et magnitudinis orbium: qualis alio modo reperiri non potest. (Nicol. Copern. de Revol. orbium coelestium lib. I cap. 10 p. 9,b.) In dieser Stelle, welche nicht ohne dichterische Anmuth und Erhabenheit des Ausdrucks ist, erkennt man, wie bei allen Astronomen des 17ten Jahrhunderts, Spuren eines langen und schönen Verkehrs mit dem classischen Alterthume. Copernicus hatte im Andenken: Cic. Somn. Scip. c. 4, Plin. II, 4 und Mercur. Trismeg. lib. V (ed. Cracov. 1586) pag. 195 und 201. Die Anspielung auf die Electra des Sophokles ist dunkel, da die Sonne nie ausdrücklich darin allsehend genannt wird, wie sonst in der Ilias und der Odyssee, auch in den Choephoren des Aeschylus (v. 980), die Copernicus wohl nicht Electra würde genannt haben. Nach Böckh's Vermuthung ist die Anspielung wohl einem Gedächtnißfehler zuzuschreiben und Folge einer dunklen Erinnerung an Vers 869 des Oedipus in Kolonos des Sophokles. Sonderbarerweise ist ganz neuerlich in einer sonst lehrreichen Schrift (Czynski, Kopernik et ses travaux 1847 p. 102) die Electra des Tragikers mit electrischen Strömungen verwechselt worden. Man liest als Uebersetzung der oben angeführten Stelle des Copernicus: »Si on prend le soleil pour le flambeau de l'Univers, pour son ame, pour son guide, si Trimegiste le nomme un Dieu, si Sophocle le croit une puissance électrique qui anime et contemple l'ensemble de la création ......«
26.
(S. 348.) »Pluribus ergo existentibus centris, de centro quoque mundi non temere quis dubitabit, an videlicet fuerit istud gravitatis terrenae, an aliud. Equidem existimo, gravitatem non aliud esse, quam appetentiam quandam naturalem partibus inditam a divina providentia opificis universorum, ut in unitatem integritatemque suam sese conferant in formam globi coëuntes. Quam affectionem credibile est etiam Soli, Lunae, caeterisque errantium fulgoribus inesse, ut ejus eflicacia in ea qua se repraesentant rotunditate permaneant, quae nihilominus multis modis suos efficiunt circuitus. Si igitur et terra faciat alios, utpote secundum centrum (mundi), necesse erit eos esse qui similiter extrinsecus in multis apparent, in [501] quibus invenimus annuum circuitum. — Ipse denique Sol medium mundi putabitur possidere, quae omnia ratio ordinis, quo illa sibi invicem succedunt, et mundi totius harmonia nos docet, si modo rem ipsam ambobus (ut ajunt) oculis inspiciamus.« Copern. de Revol. orb. coel. lib. I cap. 9 p. 7,b.
27.
(S. 348.) Plut. de facie in orbe Lunae pag. 923 C. (Vergl. Ideler, Meteorologia veterum Graecorum et Romanorum 1832 p. 6.) In der Stelle des Plutarch wird Anaxagoras nicht genannt; daß dieser aber dieselbe Theorie „vom Fall beim Nachlassen des Umschwunges" auf alle (steinerne) Himmelskörper anwendet, lehren Diog. Laert. II, 12 und die vielen Stellen, welche ich oben (Kosmos Bd. I. S. 139, 397, 401 und 408) gesammelt. Vergl. auch Aristot. de Coelo II, 1 pag. 284, a 24 Bekker, und eine merkwürdige Stelle des Simplicius p. 491,b in den Scholien nach der Ausgabe der Berliner Akademie, wo des „Nichtherabfallens der himmlischen Körper" gedacht wird, „wenn der Umschwung die Oberhand habe über die eigene Fallkraft oder den Zug nach unten". An diese Ideen, welche übrigens theilweise dem Empedocles und Democritus wie dem Anaxagoras zugehören, knüpft sich das von Simplicius (l. c.) angeführte Beispiel: „daß das Wasser in einer Phiole nicht ausgegossen wird beim Umschwung derselben, wenn der Umschwung schneller ist als die Bewegung des Wassers nach unten, τῆς ἐπὶ τὸ κάτω τοῦ ὕδατος φορᾶς"
28.
(S. 348.) Kosmos Bd. I. S. 139 und 408. (Vergl. Letronne des opinions cosmographiques des Pères de l'Église in der Revue des deux Mondes 1834 T. I. p. 621.)
29.
(S. 348.) S. die Beweisstellen zu allem, was sich im Alterthum auf Anziehung, Schwere und Fall der Körper bezieht, mit großem Fleiß und mit Scharfsinn gesammelt in Th. Henri Martin, Études sur le Timée de Platon 1841 T. II. p. 272–280 und 341.
30.
(S. 349.) Joh. Philoponus de creatione mundi lib. I cap. 12.
31.
(S. 349.) Er gab später die richtige Meinung auf (Brewster, Martyrs of Science 1846 p. 211); aber daß dem Centralkörper des Planetensystems, der Sonne, eine Kraft inwohne, welche die Bewegungen der Planeten beherrsche, daß diese Sonnenkraft entweder wie das Quadrat der Entfernungen oder in geradem [502] Verhältniß abnehme, äußert schon Kepler in der 1618 vollendeten Harmonice Mundi.
32.
(S. 349.) Kosmos Bd. I. S. 30 und 58.
33.
(S. 349.) A. a. O. Bd. II. S. 139 und 209. Die zerstreuten Stellen, welche sich in dem Werke des Copernicus auf die vor-hipparchischen Systeme des Weltbaues beziehen, sind außer der Zueignung folgende: lib. I cap. 5 und 10, lib. V cap. 1 und 3 (ed. princ. 1543 p. 3,b; 7,b; 8,b; 133,b; 141 und 141,b; 179 und 181,b). Ueberall zeigt Copernicus eine Vorliebe und sehr genaue Bekanntschaft mit den Pythagoreern oder, um vorsichtiger mich auszudrücken, mit dem, was den ältesten unter ihnen zugeschrieben wurde. So kennt er z. B., wie der Eingang der Zueignung beweist, den Brief des Lysis an den Hipparchus, welcher allerdings bezeugt, daß die geheimnißliebende italische Schule, „wie es anfangs auch des Copernicus Vorsatz war", nur Freunden ihre Meinungen mittheilen wollte. Das Zeitalter des Lysis ist ziemlich unsicher; er wird bald ein unmittelbarer Schüler des Pythagoras genannt, bald und sicherer ein Lehrer des Epaminondas (Böckh, Philolaos S. 8–15). Der Brief des Lysis an Hipparch, einen alten Pythagoreer, der die Geheimnisse des Bundes veröffentlicht hatte, ist, wie so viele ähnliche Schriften, in späten Zeiten geschmiedet worden. Copernicus hat ihn wahrscheinlich aus der Sammlung des Aldus Manutius, Epistolae diversorum philosophorum (Romae 1494), oder aus einer lateinischen Uebersetzung des Cardinals Bessarion (Venet. 1516) gekannt. Auch in dem Verbot der Copernicanischen Schrift de Revolutionibus, in dem berühmten Decret der Congregazione dell' Indice vom 5 März 1616, wird das neue Weltsystem ausdrücklich als »falsa illa doctrina Pythagorica, Divinae Scripturae omnino adversans« bezeichnet. Die wichtige Stelle über Aristarch von Samos, von welcher ich im Text geredet, steht im Arenarius pag. 449 der Pariser Ausgabe des Archimedes von 1615 von David Rivaltus. Die editio princeps aber ist die Baseler von 1544 apud Io. Hervagium. Die Stelle im Arenarius sagt sehr bestimmt: „Aristarch habe die Astronomen widerlegt, welche sich die Erde unbewegt in der Mitte des Weltbaues denken. Die Sonne bezeichne diese Mitte; sie sei unbeweglich wie die anderen Sterne, während die Erde um die Sonne kreise." In dem [503] Werk des Copernicus ist Aristarch zweimal, p. 69,b und 79, ohne alle Beziehung auf sein System genannt. — Ideler fragt (Wolf's und Buttmann's Museum der Alterthums-Wissenschaft Bd. II. 1808 S. 452), ob Copernicus die Schrift de docta ignorantia des Nicolaus von Cusa gekannt habe. Die erste Pariser Ausgabe der Werke ist allerdings von 1514, und der Ausdruck: jam nobis manifestum est terram in veritate moveri hätte. aus dem Munde eines platonisirenden Cardinals auf den Domherrn von Frauenburg einigen Eindruck machen sollen (Whewell, Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 343); aber ein Bruchstück von Cusa's Hand, das durch Clemens ganz neuerlich 1843 in der Bibliothek des Hospitals zu Cues aufgefunden worden ist, beweist genugsam, so wie auch die Schrift de venatione sapientiae cap. 28, daß Cusa sich die Erde nicht um die Sonne, sondern mit dieser zugleich, aber langsamer, „um die immerfort wechselnden Pole der Welt" bewegt dachte. (Clemens in Giordano Bruno und Nicol. von Cusa 1847 S. 97–100.)
34.
(S. 350.) S. die gründliche Behandlung dieses Gegenstandes in Martin, Études sur Timée T. II. p. 111 (Cosmographie des Égyptiens) und p. 129–133 (antécédents du Système de Copernic). Die Behauptung dieses gelehrten Philologen, nach welcher das ursprüngliche System des Pythagoras selbst von dem des Philolaus verschieden ist und die Erde unbewegt in die Mitte gesetzt haben soll, scheint mir nicht ganz überzeugend (T. II. p. 103 und 107). Ueber die auffallende Behauptung Gassendi's von dem tychonischen Systeme des Apollonius von Perga, deren ich oben im Texte Erwähnung gethan, will ich hier mich bestimmter erklären. Es heißt in den Biographien des Gassendi: »Magnam imprimis rationem habuit Copernicus duarum opinionum affinium, quarum unam Martiano Capellae, alteram Apollonio Pergaco attribuit. — Apollonius Solem delegit, circa quem, ut centrum, non modo Mercurius et Venus, verum etiam Mars, Jupiter, Saturnus suas obirent periodos, dum Sol interim, uti et Luna, circa Terram, ut circa centrum, quod foret Affixarum mundique centrum, moverentur; quae deinceps quoque opinio Tychonis propemodum fuit. Rationem autem magnam harum opinionum Copernicus habuit, quod utraque eximie Mercurii ac Veneris circuitiones repraesentaret, eximicque causam retrogradationum, directionum, [504] stationum in iis apparentium exprimeret et posterior (Pergaei) quoque in tribus Planetis superioribus praestaret.« (Gassendi, Tychonis Brahei vita p. 296.) Mein Freund, der Astronom Galle, von dem ich Belehrung gewünscht, findet, wie ich, nichts, was Gassendi's so bestimmte Behauptung rechtfertigen könnte. „In den Stellen", schreibt er, „die Sie mir in des Ptolemäus Almagest (im Eingang von Buch XII) und in dem Werke des Copernicus lib. V cap. 3 pag. 141,a, cap. 35 pag. 179,a und b, cap. 36 pag. 181,b bezeichnen, ist nur von der Erklärung der Rückgänge und Stillstände der Planeten die Rede, wodurch zwar auf des Apollonius Annahme von der Umdrehung der Planeten um die Sonne hingewiesen wird (so wie auch Copernicus selbst der Annahme des Stillstandes der Erde ausdrücklich erwähnt); woher aber dieser, was er von Apollonius voraussetzt, geschöpft habe, ist nicht zu bestimmen. Es wird deshalb nur auf eine späte Autorität ein dem tychonischen gleiches System des Apollonius von Perga vermuthet werden können, obgleich ich eine deutliche Darlegung dieses Systems auch bei Copernicus nicht erwähnt noch aus älteren Stellen citirt gefunden habe. Sollte bloß lib. XII des Almagest die Quelle sein, wonach dem Apollonius die vollständige tychonische Ansicht beigemessen wird, so ist zu glauben, daß Gassendi in seinen Voraussetzungen zu weit gegangen ist und daß es sich damit eben so verhalte, wie mit den Phasen des Merkur und der Venus, die Copernicus (lib. I cap. 10 pag. 7,b und 8,a) zur Sprache gebracht, ohne sie bestimmt auf sein System angewendet zu haben. Aehnlich hat vielleicht Apollonius die Erklärung der Rückgänge der Planeten unter der Annahme einer Umdrehung um die Sonne mathematisch behandelt, ohne etwas bestimmtes und allgemeines über die Wahrheit dieser Annahme hinzuzufügen. Der Unterschied des von Gassendi beschriebenen apollonischen Systems von dem des Tycho würde übrigens nur der sein, daß dieser auch noch die Ungleichheiten in den Bewegungen erklärt. Die Bemerkung von Robert Small, daß die Idee, welche dem tychonischen Systeme zum Grunde liegt, keinesweges fremd dem Geiste des Copernicus gewesen sei, sondern ihm vielmehr als ein Durchgangspunkt für sein eigenes System gedient habe, scheint mir wohlbegründet."
35.
(S. 351.) Schubert, Astronomie Th. I. S. 124. [505] Eine überaus gelungene und vollständige tabellarische Uebersicht aller astronomischen Anschauungen des Weltbaues von den frühesten Zeiten der Menschheit bis zu Newton's Gravitations-System (Inductive Table of Astronomy) hat Whewell gegeben in der Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 282.
36.
(S. 351.) Plato ist philolaisch im Phädrus, im Timäus dagegen ganz dem System der unbewegten im Centrum ruhenden Erde, das man später hipparchisch und ptolemäisch genannt hat, zugethan. (Böckh de Platonico systemate coelestium globorum et de vera indole astronomiae Philolaicae p. XXVI–XXXII; derselbe im Philolaos S. 104–108. Vergl. auch Fries, Geschichte der Philosophie Bd. I. S. 325–347 mit Martin, Études sur Timée T. II. p. 64–92.) Das astronomische Traumbild, in welches der Weltbau am Ende des Buchs von der Republik gehüllt ist, erinnert zugleich an das eingeschachtelte Sphärensystem der Planeten und den Einklang der Töne „als Stimmen der mit umschwingenden Sirenen". (S. über Entdeckung des wahren Weltsystems die schöne, vielumfassende Schrift von Apelt: Epochen der Gesch. der Menschheit Bd. I. 1845 S. 205–305 und 379–445.)
37.
(S. 351.) Kepler, Harmonices Mundi libri quinque 1619 p. 189. „Am 8 März 1618 kam Kepler nach vielen vergeblichen Versuchen auf den Gedanken die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten mit den Würfeln der mittleren Entfernungen zu vergleichen, allein er verrechnete sich und verwarf diesen Gedanken wieder. Am 15 Mai 1618 kam er auf den Gedanken zurück und rechnete richtig. Das dritte Kepler'sche Gesetz war nun entdeckt." Diese Entdeckung und die damit verwandten fallen gerade in die unglückliche Epoche, in welcher der, von früher Kindheit an den härtesten Schlägen des Schicksals ausgesetzte Mann daran arbeitet seine 70jährige Mutter, die der Giftmischung, Thränenlosigkeit und Zauberei angeklagt ist, in einem 6 Jahre dauernden Hexenprocesse von der Folter und dem Scheiterhaufen zu retten. Der Verdacht ward dadurch verstärkt, daß ihr eigener Sohn, der bösartige Zinngießer Christoph Kepler, die Mutter anklagte und daß diese bei einer Tante erzogen war, welche zu Weil als Hexe verbrannt wurde. S. eine überaus interessante, im Auslande wenig bekannt gewordene und nach neu aufgefundenen [506] Mannscripten abgefaßte Schrift des Freiherrn von Breitschwert: Johann Keppler's Leben und Wirken 1831 S. 12, 97–147 und 196. Nach derselben Schrift ward Kepler, der sich in deutschen Briefen immer Keppler unterzeichnet, nicht den 21 Dec. 1571 in der Reichsstadt Weil, wie man gewöhnlich annimmt, sondern den 27 Dec. 1571 in dem würtembergischen Dorfe Magstatt geboren. Von Copernicus ist es ungewiß, ob er am 19 Jan. 1472, oder am 19 Febr. 1473, wie Möstlin will, oder (nach Czynski) den 12 Februar desselben Jahres geboren ist. Des Columbus Geburtsjahr schwankte lange um 19 Jahre. Ramusio setzt es in 1430, Bernaldez, der Freund des Entdeckers, in 1436, der berühmte Geschichtsschreiber Muñoz in das Jahr 1446.
38.
(S. 352.) Plut. de plac. Philos. II, 14; Aristot. Meteorol. XI, 8, de Coelo II, 8. Ueber die Sphärentheorie im allgemeinen und insbesondere über die rückwirkenden Sphären des Aristoteles s. Ideler's Vorlesung über Eudoxus 1828 S. 49–60.
39.
(S. 353.) Eine bessere Einsicht in die freie Bewegung der Körper, in die Unabhängigkeit der einmal gegebenen Richtung der Erdachse von der rotatorischen und fortschreitenden Bewegung der Erdkugel in ihrer Bahn hat das ursprüngliche System des Copernicus auch von der Annahme einer Declinations-Bewegung oder sogenannten dritten Bewegung der Erde (de Revolut. orb. coel. lib. I cap. 11, triplex motus telluris) befreit. Der Parallelismus der Erdachse erhält sich im jährlichen Umlauf um die Sonne, nach dem Gesetz der Trägheit, ohne Anwendung eines berichtigenden Epicykels.
40.
(S. 354.) Delambre, Hist. de l'Astronomie ancienne T. II. p. 381.
41.
(S. 355.) S. Sir David Brewster's Urtheil über Kepler's optische Arbeiten in the Martyrs of Science 1846 p. 179–182 (vergl. Wilde, Gesch. der Optik 1838 Th. I. S. 182–210). Wenn das Gesetz der Brechung der Lichtstrahlen dem Leidener Professor Willebrord Snellius (1626) gehört, der es in seinen Papieren vergraben hinterließ, so ist dagegen die Publication des Gesetzes unter einer trigonometrischen Form zuerst durch Descartes geschehen. S. Brewster im North-British Review Vol. VII. p. 207; Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 227.
42.
(S. 355.) Vergl. zwei vortreffliche Abhandlungen über die Erfindung des Fernrohrs von Prof. Moll aus Utrecht im Journal of the Royal Institution 1831 Vol. I. p. 319 und von Wilde zu Berlin in seiner Geschichte der Optik 1838 Th. I. S. 138–172. Das in holländischer Sprache abgefaßte Werk von Moll führt den Titel: Geschiedkundig Onderzoek naar de eerste Uitfinders der Vernkykers, uit de Aantekeningen van wyle den Hoogl. van Swinden zamengesteld door G. Moll. (Amsterdam 1831.) Olbers hat einen Auszug aus dieser interessanten Schrift mitgetheilt in Schumacher's Jahrbuch für 1843 S. 56–65. Die optischen Instrumente, welche Jansen dem Prinzen Moritz von Nassau und dem Erzherzog Albert lieferte (letzterer schenkte das seinige an Cornelius Drebbel), waren, wie aus dem Briefe des Gesandten Boreel erhellt, der als Kind oft in des Brillenmachers Jansen Hause gewesen war und die Instrumente später im Laden sah, Microscope von 18 Zoll Länge, „durch welche kleine Gegenstände, wenn man von oben hineinsah, wunderbar vergrößert wurden". Die Verwechselung der Microscope und Telescope verdunkelt die Geschichte der Erfindungen beider Werkzeuge. Der eben erwähnte Brief von Boreel (aus Paris 1655) macht es, trotz der Autorität von Tiraboschi, unwahrscheinlich, daß die erste Erfindung des zusammengesetzten Microscops Galilei gehöre. Vergl. über diese dunkle Geschichte optischer Erfindungen Vincenzio Antinori in den Saggi di Naturali Esperienze fatte nell' Accademia del Cimento 1841 p. 22–26. Huygens, dessen Geburtsjahr kaum 25 Jahre nach der muthmaßlichen Erfindungsepoche des Fernrohrs fällt, wagt schon nicht mit Gewißheit über den Namen des ersten Erfinders zu entscheiden (Opera reliqua 1728 Vol. II. p. 125). Nach den archivarischen Forschungen von van Swinden und Moll besaß nicht nur Lippershey schon den 2 Oct. 1608 von ihm selbst angefertigte Fernröhre, sondern der französische Gesandte im Haag, Präsident Jeannin, schrieb auch schon den 28 Dec. desselben Jahres an Sully: „daß er mit dem Middelburger Brillenmacher über ein Fernrohr unterhandle, welches er dem König Heinrich IV schicken wolle." Simon Marius (Mayer aus Gunzenhausen, der Mitentdecker der Jupitersmonde) erzählt sogar, daß seinem Freunde Fuchs von Bimbach, geheimem Rath des Markgrafen von Ansbach, bereits [508] im Herbste 1608 in Frankfurt am Main von einem Belgier ein Fernrohr angeboten worden sei. Zu London fabricirte man Fernröhre im Februar 1610, also ein Jahr später als Galilei das seinige zu Stande brachte (Rigaud on Harriot's papers 1833 p. 23, 26 und 46). Man nannte sie anfangs Cylinder. Porta, der Erfinder der Camera obscura, hat, wie früher Fracastoro, der Zeitgenosse von Columbus, Copernicus und Cardanus, bloß von der Möglichkeit gesprochen durch auf einander gelegte convexe und concave Gläser (duo specilla ocularia alterum alteri superposita) „alles größer und näher zu sehen"; aber die Erfindung des Fernrohrs kann man ihnen nicht zuschreiben. (Tiraboschi, Storia della Letter. ital. T. XI. p. 467; Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 121.) Brillen waren in Harlem seit dem Anfang des 14ten Jahrhunderts bekannt, und eine Grabschrift in der Kirche Maria Maggiore zu Florenz nennt als Erfinder (inventore degli occhiali) den 1317 gestorbenen Salvino degli Armati. Einzelne, wie es scheint, sichere Angaben über den Gebrauch der Brillen durch Greise hat man selbst von 1299 und 1305. Die Stellen von Roger Bacon beziehen sich auf die vergrößernde Kraft gläserner Kugelsegmente. S. Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 93 – 96 und oben S. 464 Anm. 44.
43.
(S. 356.) Eben so soll der oben genannte Arzt und markgräflich ansbachische Mathematicus Simon Marius schon 1608, nach der von Fuchs von Bimbach erhaltenen Beschreibung von der Wirkung eines holländischen Fernrohrs, sich selbst eines construirt haben. — Ueber Galilei's früheste Beobachtung der Gebirgslandschaften des Mondes, deren ich im Texte erwähnt, vergl. Nelli, Vita di Galilei Vol. I. p. 200–206; Galilei, Opere 1744 T. II. p. 60, 403 und (Lettera al Padre Cristoforo Grienberger, in materia delle Montuosità della Luna) p. 409–424. Galilei findet einige kreisrunde, von Bergen überall umgebene Landschaften im Monde, der Gestaltung von Böhmen ähnlich. »Eundem facit aspectum Lunae locus quidam, ac faceret in terris regio consimilis Boemiae, si montibus altissimis, inque peripheriam perfecti circuli dispositis occluderetur undique.« (T. II. p. 8.) Die Bergmessungen geschahen nach der Methode der Lichttangenten. Galilei maß, wie später noch Hevelius that, den Abstand des Berggipfels von der Erleuchtungsgrenze in dem Augenblick, wo die Berggipfel [509] zuerst von den Sonnenstrahlen getroffen werden. Von der Länge der Bergschatten finde ich keine Beobachtung. Er fand die Erhöhungen incirca miglia quattro hoch, und viele höher als unsere Berge auf der Erde. Die Vergleichung ist sonderbar, da nach Riccioli man damals so übertriebene Meinungen von unseren Berggipfeln hatte und einer der vornehmsten, d. h. früh berufensten, der Pic von Teneriffa, erst 1724 mit einiger Genauigkeit trigonometrisch von Feuillée gemessen wurde. An die Existenz von vielen Seen und einer Atmosphäre des Mondes glaubte Galilei auch, wie alle Beobachter bis zum Ende des 18ten Jahrhunderts.
44.
(S. 357.) Ich finde hier Veranlassung wiederum (s. Kosmos Bd. I. S. 434) an den von Arago ausgesprochenen Grundsatz zu erinnern: »Il n'y a qu'une manière rationnelle et juste d'écrire l'histoire des sciences, c'est de s'appuyer exclusivement sur des publications ayant date certaine; hors de là tout est confusion et obscurité.« — Die so sonderbar verspätete Erscheinung des Fränkischen Kalenders oder der Practica (1612) und des, astronomisch wichtigen Mundus Jovialis anno 1609 detectus ope perspicilli Belgici (Febr. 1614) konnte allerdings zu dem Verdachte Anlaß geben, Marius habe aus dem Nuncius Sidereus des Galilei, dessen Zueignung vom März 1610 ist, oder gar aus früheren brieflichen Mittheilungen geschöpft. Auch nennt ihn Galilei, gereizt durch den noch nicht vergessenen Proceß über den Proportional-Zirkel gegen Balthasar Capra, einen Schüler des Marius, usurpatore del Sistema di Giove; ja Galilei wirft sogar dem ketzerisch- protestantischen Astronomen aus Gunzenhausen vor, daß seine frühere Beobachtung auf einer Calenderverwechselung beruhe. »Tace il Mario di far cauto il lettore, come essendo egli separato della Chiesa nostra, ne avendo acettato l'emendatione gregoriana, il giorno 7 di gennaio del 1610 di noi cattolici (der Tag, an welchem Galilei die Satelliten entdeckte), è l'istesso, che il dì 28 di decembre del 1609 di loro eretici, e questa è tutta la precedenza delle sue finte osservationi.« (Venturi, Memorie e Lettere di Galileo Galilei 1818 P. I. p. 279 und Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. 696.) Nach einem Briefe, den Galilei 1614 an die Academia dei Lincei richtete, wollte derselbe seine Klage gegen Marius etwas unphilosophisch an den Marchese di Brandeburgo richten. Im ganzen [510] blieb indeß Galilei wohlwollend gesinnt für die deutschen Astronomen. »Gli ingegni singolari, che in gran numero fioriscono nell' Alemagna, mi hanno lungo tempo tenuto in desiderio di vederla«; schreibt er im März 1611 (Opere T. II. p. 44). Auffallend ist es mir immer gewesen, daß, wenn Kepler in einem Gespräche mit Marius scherzhaft als Taufzeuge jener mythologischen Benennungen, Jo und Callisto, aufgeführt wird, derselbe weder in seinem in Prag (April 1610) erschienenen Commentar zum Nuncius Sidereus nuper ad mortales a Galilaeo missus, noch in seinen Briefen an Galilei oder an den Kaiser Rudolph (Herbst 1610) seines Landsmannes Marius Erwähnung thut, sondern überall von „der glorreichen Entdeckung der mediceischen Gestirne durch Galilei" spricht. Indem er seine eigenen Satelliten-Beobachtungen vom 4–9 Sept. 1610 veröffentlicht, giebt er einer kleinen zu Frankfurt 1611 erschienenen Schrift den Titel: Kepleri Narratio de observatis a se quatuor Jovis satellitibus erronibus quos Galilaeus Mathematicus Florentinus jure inventionis Medicea Sidera nuncupavit. Ein Brief aus Prag (25 Oct. 1610), an Galilei gerichtet, endigt mit den Worten: »neminem habes, quem metuas aemulum.« Vergl. Venturi P. I. p. 100, 117, 139, 144 und 149. Durch einen Irrthum verleitet und nach einer sehr unsorgfältigen Durchsicht aller zu Petworth, dem Landsitze von Lord Egremont, aufbewahrten kostbaren Handschriften, hat Baron von Zach behauptet, daß der ausgezeichnete Astronom und virginische Reisende Thomas Harriot gleichzeitig mit Galilei und vielleicht selbst früher die Jupiterstrabanten entdeckt habe. Eine sorgfältigere von Rigaud angestellte Untersuchung von Harriot's Manuscripten hat gelehrt, daß seine Beobachtungen nicht am 16 Januar, sondern erst am 17 October 1610 anfangen, 9 Monate nach Galilei und Marius. (Vergl. Zach, Corr. astron. Vol. VII. p. 105; Rigaud, Account of Harriot's astron. papers Oxf. 1833 p. 37; Brewster, Martyrs of Science 1846 p. 32.) Die frühesten Originalbeobachtungen der Jupiterstrabanten, die Galilei und sein Schüler Renieri angestellt, sind erst vor zwei Jahren aufgefunden worden.
45.
(S. 357.) Es sollte heißen 73 Jahre, denn das Verbot des copernicanischen Systems durch die Congregation des Index war vom 5 März 1616.
46.
(S. 358.) Frhr. von Breitschwert, Keppler's Leben S. 36.
47.
(S. 358.) Sir John Herschel, Astron. § 465.
48.
(S 358.) Galilei, Opere T. II. (Longitudine per via de' Pianeti Medicei) p. 435–506; Nelli, Vita Vol. II. p. 656–688; Venturi, Memorie e Lettere di G. Galilei P. I. p. 177. Schon 1612, also kaum zwei Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten, rühmte sich Galilei, wohl etwas voreilig, die Tafeln dieser Nebenplaneten „mit der Sicherheit einer Zeitminute" vollendet zu haben. Eine lange diplomatische Correspondenz begann, ohne zum Ziel zu führen, mit dem spanischen Gesandten 1616, mit dem holländischen 1636. Die Fernröhre sollten 40- bis 50malige Vergrößerung haben. Um die Satelliten auf dem schwankenden Schiffe leichter zu finden und besser (wie er wähnte) im Felde zu behalten, erfand er 1617 (Nelli Vol. II. p. 663) das Binocular-Telescop, das gewöhnlich dem in optischen Dingen sehr erfahrenen und nach Fernröhren von 4000maliger Vergrößerung strebenden Capuciner Schyrleus de Rheita zugeschrieben wird. Galilei machte Versuche mit seinem binoculo (auch von ihm celatone oder testiera genannt) im Hafen von Livorno bei heftigem, das Schiff stark bewegendem Winde. Auch ließ er im Arsenal zu Pisa an einer Vorrichtung arbeiten, in welcher der Beobachter der Trabanten dadurch „vor allen Schwankungen" geschützt werden sollte, daß er in einer Art Kahn säße, der in einem anderen, mit Wasser oder Oel gefüllten Kahne frei schwämme. (Lettera al Picchena de' 22 Marzo 1617, Nelli, Vita Vol. I. p. 281; Galilei, Opere T. II. p. 473, Lettera a Lorenzo Realio del 5 Giugno 1637.) Sehr merkwürdig ist der Beweis der Vorzüge, welche Galilei (Opere T. II. p. 454) seiner Methode im Seedienste vor der Methode der Monddistanzen von Morin zuschreibt.
49.
(S. 360.) Arago im Annuaire für 1842 p. 460–476 (Découvertes des taches Solaires et de la rotation du Soleil). Brewster (Martyrs of Science p. 36 und 39) setzt die erste Beobachtung Galilei's in den Oct. oder Nov. 1610. Vergl. Nelli, Vita Vol. I. p. 324–384; Galilei, Opere T. I. p. LIX, T. II. p. 85–200, T. IV. p. 53. Ueber Harriot's Beobachtungen s. Rigaud p. 32 und 38. Dem Jesuiten Scheiner, der von Gratz nach Rom berufen wurde, hat man Schuld gegeben, daß er, um sich [512] wegen des litterarischen Streits über die Entdeckung der Sonnenflecken an Galilei zu rächen, dem Papst Urban VIII durch einen anderen Jesuiten, Grassi, habe einflüstern lassen, er, der Pabst, sei in den berühmten Dialoghi delle Scienze Nuove in der Person des albern unwissenden Simplicio aufgeführt. (Nelli Vol. II. p. 515.)
50.
(S. 361.) Delambre, Hist. de l'Astronomie moderne T. I. p. 690.
51.
(S. 361.) In Galilei's Briefe an den Principe Cesi (25 Mai 1612) ist dieselbe Meinung ausgedrückt; Venturi P. I. p. 172.
52.
(S. 361.) S. geistreiche Betrachtungen Arago's über diesen Gegenstand im Annuaire pour l'an 1842 p. 481–488. (Der Versuche mit dem Drummond'schen auf die Sonnenscheibe projicirten Lichte erwähnt Sir John Herschel in der Astron. § 334.)
53.
(S. 362.) Giordano Bruno und Nic. von Cusa verglichen von J. Clemens 1847 S. 101. — Ueber die Lichtgestalten der Venus s. Galilei, Opere T. II. p. 53 und Nelli, Vita Vol. I. p. 213–215.
54.
(S. 363.) Vergl. Kosmos Bd. I. S. 160 und 416.
55.
(S. 364.) Laplace sagt von Kepler's Theorie der Ausmessung der Fässer (Stereometria doliorum 1615), „welche wie die Sandrechnung des Archimedes über einen geringen Gegenstand erhabene Ideen entwickelt": Kepler présente dans cet ouvrage des vues sur l'infini qui ont influé sur la révolution que la Géométrie a éprouvée à la fin du 17me siècle; et Fermat, que l'on doit regarder comme le véritable inventeur du calcul différentiel, a fondé sur elles sa belle méthode de maximis et minimis. (Précis de l'hist. de l'Astronomie 1821 p. 95.) Ueber den geometrischen Scharfsinn, welchen Kepler in den fünf Büchern seiner Weltharmonie offenbart, s. Chasles, Aperçu hist. des Méthodes en Géometrie 1837 p. 482–487.
56.
(S. 364) Sir David Brewster sagt sehr schön in dem Account of Kepler's Method of investigating Truth: »The influence of imagination as an instrument of research has been much overlooked by those who have ventured to give laws to philosophy. This faculty is of greatest value in physical inquiries. If we use it as a guide and confide in its indi- [513] cations, it will infallibly deceive us; but if we employ it as an auxiliary, it will afford us the most invaluable aid.« (Martyrs of Science p. 215.)
57.
(S. 364.) Arago im Annuaire 1842 p. 434 (De la transformation des Nébuleuses et de la matière diffuse en étoiles). Vergl. Kosmos Bd. I. S. 148 und 158.
58.
(S. 365.) Vergl. die Ideen von Sir John Herschel über die Lage unseres Planetensystems im Kosmos Bd. I. S. 157 und 415; auch Struve, Études d'Astronomie stellaire 1847 p. 4.
59.
(S. 365.) Apelt sagt (Epochen der Geschichte der Menschheit Bd. I. 1845 S. 223): „Das merkwürdige Gesetz der Abstände, das gewöhnlich den Namen von Bode (oder von Titius) führt, ist die Entdeckung Kepler's, der es zuerst durch vieljährigen anhaltenden Fleiß aus den Beobachtungen des Tycho de Brahe herausrechnete." S. Harmonices Mundi libri quinque cap. 3. Vergl. auch Cournot in seinen Zusätzen zu Sir John Herschel, Traité d'Astronomie 1834 § 434 p. 324 und Fries, Vorlesungen über die Sternkunde 1813 S. 325 (Gesetz der Abstände in den Nebenplaneten). Die Stellen des Plato, des Plinius, des Censorinus und des Achilles Tatius in den Prolegomenen zum Aratus sind sorgfältig gesammelt in Fries, Geschichte der Philosophie Bd. I. 1837 S. 146–150; in Martin, Études sur le Timée T. II. p. 38; in Brandis, Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. II. Abth. 1. 1844 S. 364.
60.
(S. 365.) Delambre, Hist. de l'Astronomie moderne T. I. p. 360.
61.
(S. 366.) Arago im Annuaire für 1842 p. 560–564 (Kosmos Bd. I. S. 102).
62.
(S. 366.) Vergl. Kosmos Bd. I. S. 142–148 und 412.
63.
(S. 367.) Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1842 p. 312–353 (Étoiles changeantes ou périodiques). Noch im 17ten Jahrhundert wurden als veränderlich erkannt, außer Mira Ceti (Holwarda 1638), α Hydrae (Montanari 1672), β Persei oder Algol, und χ Cygni (Kirch 1686). — Ueber das, was Galilei Nebelflecke nennt, s. dessen Opere T. II. p. 15 und Nelli, Vita Vol. II. p. 208. Huygens bezeichnet im Systema Saturninum den Nebel im Schwerdt des Orion auf [514] das deutlichste, indem er im allgemeinen von dem Nebelflecken sagt: »cui certe simile aliud nusquam apud reliquas fixas potui animadvertere. Nam ceterae nebulosae olim existimatae atque ipsa via lactea, perspicillis inspectae, nullas nebulas habere comperiuntur, neque aliud esse quam plurium stellarum congeries et frequentia.« Es geht aus dieser Stelle hervor, daß der von Marius zuerst beschriebene Nebel in der Andromeda von Huygens (wie früher von Galilei) nicht aufmerksam betrachtet worden war.
64.
(S. 370.) Ueber das von Brewster aufgefundene wichtige Gesetz des Zusammenhanges zwischen dem Winkel der vollständigen Polarisation und dem Brechungsvermögen der Körper s. Philosophical Transactions of the Royal Society for the year 1815 p. 125–159.
65.
(S. 370.) S. Kosmos Bd. I. S. 35 und 48.
66.
(S. 370.) Sir David Brewster in Berghaus und Johnson, Physical Atlas 1847 Part VII. p. 5 (Polarization of the Atmosphere).
67.
(S. 370.) Ueber Grimaldi und über Hooke's Versuch das Polarisiren der Seifenblasen durch Interferenz der Lichtstrahlen zu erklären s. Arago im Annuaire pour 1831 p. 164 (Brewster, Life of Newton p. 53).
68.
(S. 371.) Brewster, The life of Sir Isaac Newton p. 17. Für die Erfindung des method of fluxions, nach der officiellen Erklärung des Comité der königlichen Societät zu London vom 24 April 1712 »one and the same with the differential method, excepting the name and mode of notation«, wird das Jahr 1665 angenommen. Ueber den ganzen unheimlichen Prioritätsstreit mit Leibnitz, welchem (wundersam genug!) sogar Anschuldigungen gegen Newton's Rechtgläubigkeit eingemischt waren, s. Brewster p. 189–218. — Daß in dem weißen Lichte alle Farben enthalten sind, behaupteten schon de la Chambre in seinem Werke: La Lumiere (Paris 1657) und Isaac Vossius, welcher später Canonicus in Windsor wurde, in einer merkwürdigen Schrift, deren Mittheilung ich vor zwei Jahren in Paris Herrn Arago verdankte: de Lucis natura et proprietate (Amstelod. 1662). Von dieser Schrift handeln Brandes in der neuen Bearbeitung von Gehler's physikalischem Wörterbuch Bd. IV. (1827) S. 43 [515] und sehr umständlich Wilde in seiner Gesch. der Optik Th. I. (1838) S. 223, 228 und 317. Als Grundstoff aller Farbe betrachtet aber Isaac Vossius den Schwefel, welcher nach ihm allen Körpern beigemischt ist (cap. 25 p. 60). — In Vossii Responsum ad objecta Joh. de Bruyn, Professoris Trajectini, et Petri Petiti 1663 heißt es pag. 69: Nec lumen ullum est absque calore, nec calor ullus absque lumine. Lux, sonus, anima(!), odor, vis magnetica, quamvis incorporea, sunt tamen aliquid. (De Lucis nat. cap. 13 p. 29.)
69.
(S. 372.) Kosmos Bd. I. S. 427 und 429, Bd. II. S. 482 Anm. 92.
70.
(S. 372.) Um so ungerechter gegen Gilbert war Bacon von Verulam, dessen allgemeine, im ganzen freie und methodische Ansichten von einem leider! selbst für seine Zeit recht geringen Wissen in Mathematik und Physik begleitet waren. »Bacon showed his inferior aptitude for physical research in rejecting the Copernican doctrine, which William Gilbert adopted.« Whewell, Philos. of the inductive Sciences Vol. II. p. 378.
71.
(S. 372.) Kosmos Bd. I. S. 194, und 435 Anm. 31 und 32.
72.
(S. 373.) Die ersten Beobachtungen der Art waren (1590) an dem Thurm der Augustiner-Kirche zu Mantua angestellt. Grimaldi und Gassendi kannten ähnliche Beispiele, immer in geographischen Breitengraden, wo die Inclination der Magnetnadel sehr beträchtlich ist. — Ueber die ersten Messungen der magnetischen Intensität durch die Oscillation einer Nadel vergl. meine Relation hist. T. I. p. 260–264 und Kosmos Bd. I. S. 432–434.
73.
(S. 375.) Kosmos Bd. I. S. 436–439 Anm. 36.
74.
(S. 376.) A. a. O. Bd. I. S. 189.
75.
(S. 376.) Ueber die ältesten Thermometer s. Nelli, Vita e commercio letterario di Galilei (Losanna 1793) Vol. I. p. 68–94; Opere di Galilei (Padova 1744) T. I. p. LV; Libri, Histoire des Sciences mathématiques en Italie T. IV. (1841) p. 185–197. Als Zeugnisse für die ersten vergleichenden Temperatur-Beobachtungen können gelten die Briefe von Gianfrancesco Sagredo und Benedetto Castelli von 1613, 1615 und 1633 in Venturi, Memorie e Lettere inedite di Galilei P. I. 1818 p. 20.
76.
(S. 377.) Vincenzio Antinori in den Saggi di Naturali Esperienze fatte nell' Accademia del Cimento 1841 p. 30–44.
77.
(S. 377.) S. über Bestimmung der Scale des Thermometers der Academia del Cimento und über die, 16 Jahre lang, von einem Schüler des Galilei, dem Pater Raineri, fortgesetzten meteorologischen Beobachtungen Libri in den Annales de Chimie et de Physique T. XLV. 1830 p. 354, und eine spätere ähnliche Arbeit von Schouw in seinem Tableau du Climat et de la Végétation de l'Italie 1839 p. 99–106.
78.
(S. 378.) Antinori, Saggi dell' Accad. del Cim. 1841 p. 114 und in den Aggiunte am Ende des Buchs p. LXXVI.
79.
(S. 378.) Antinori p. 29.
80.
(S. 379.) Ren. Cartesii Epistolae Amstel. 1682 P. III. Ep. 67.
81.
(S. 379.) Bacon's Works by Shaw 1733 Vol. III. p. 441. (S. Kosmos Bd. I. S. 338 und 479 Anm. 58.)
82.
(S. 379.) Hooke's Posthumous Works p. 364. (Vergl. meine Relat. historique T. I. p. 199.) Hooke nahm aber leider! wie Galilei eine Geschwindigkeits-Verschiedenheit zwischen der Rotation der Erde und der Atmosphäre an; s. Posth. Works p. 88 und 363.
83.
(S. 380.) Wenn auch gleich in Galilei's Ansicht über die Ursach der Passate von einem Zurückbleiben der Lufttheile die Rede ist, so darf sie doch nicht, wie neuerdings geschehen, mit der Ansicht von Hooke und Hadley verwechselt werden. »Dicevamo pur' ora«, läßt Galilei im Dialogo quarto (Opere T. IV. p. 311) den Salviati sagen, »che l'aria, come corpo tenue, e fluido, e non saldamente congiunto alla terra, pareva, che non avesse necessità d'obbedire al suo moto, se non in quanto l'asprezza della superficie terrestre ne rapisce, e seco porta una parte a se contigua, che di non molto intervallo sopravanza le maggiori altezze delle montagne; la qual porzion d'aria tanto meno dovrà esser renitente alla conversion terrestre, quanto che ella è ripiena di vapori, fumi, ed esalazioni, materie tutte participanti delle qualità terrene: e per conseguenza atte nate per lor natura(?) a i medesimi movimenti. Ma dove mancassero le cause del moto, cioè dove la superficie del globo avesse grandi spazii piani, e [517] meno vi fusse della mistione de i vapori terreni, quivi cesserebbe in parte la causa, per la quale l'aria ambiente dovesse totalmente obbedire al rapimento della conversion terrestre; si che in tali luoghi, mentre che la terra si volge verso Oriente, si dovrebbe sentir continuamente un vento, che ci ferisse, spirando da Levante verso Ponente; e tale spiramento dovrebbe farsi più sensibile, dove la vertigine del globo fusse più veloce: il che sarebbe ne i luoghi più remoti da i Poli, e vicini al cerchio massimo della diurna conversione. L'esperienza applaude molto a questo filosofico discorso, poichè ne gli ampi mari sottoposti alla Zona torrida, dove anco l'evaporazioni terrestri mancano (?), si sente una perpetua aura muovere da Oriente....«
84.
(S. 380.) Brewster im Edinburgh Journal of Science Vol. II. 1825 p. 145. Sturm hat das Differential-Thermometer beschrieben in dem kleinen Werke: Collegium experimentale curiosum (Nürnb. 1676 p. 49). Ueber das Baconische Gesetz der Winddrehung, das Dove erst auf beide Zonen ausgedehnt und in seinem inneren Zusammenhange mit den Ursachen aller Luftströmungen erkannt hat, s. die ausführliche Abhandlung von Muncke in der neuen Bearb. von Gehler's physikal. Wörterbuch Bd. X. S. 2003–2019 und 2030–2035.
85.
(S. 380.) Antinori p. 45 und in den Saggi selbst p. 17–19.
86.
(S. 381.) Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 p. 28.
87.
(S. 381.) Bibliothèque Universelle de Genève T. XXVII. 1824 p. 120.
88.
(S. 381.) Gilbert de Magnete lib. II cap. 2–4 p. 46–71. Schon in der Interpretation der gebrauchten Nomenclatur heißt es: Electrica quae attrahit eadem ratione ut electrum; versorium non magneticum ex quovis metallo, inserviens electricis experimentis. Im Texte selbst findet man: magneticè ut ita dicam, vel electricè attrahere (vim illam electricam nobis placet appellare ...) (p. 52); effluvia electrica, attractiones electricae. Der abstracte Ausdruck electricitas findet sich nicht, so wenig als das barbarische Wort magnetismus des 18ten Jahrhunderts. Ueber die schon im Timäus des Plato p. 80c angedeutete Ableitung von ἤλεκτρον, „dem Zieher und Zugsteine", von [518]ἕλξις und ἕλκειν und den wahrscheinlichen Uebergang durch ein härteres ἕλκτρον s. Buttmann, Mythologus Bd. II. (1829) S. 357. Unter den von Gilbert aufgestellten theoretischen Sätzen (die nicht immer mit gleicher Klarheit ausgedrückt sind) wähle ich aus: »Cum duo sint corporum genera, quae manifestis sensibus nostris motionibus corpora allicere videntur, Electrica et Magnetica; Electrica naturalibus ab humore effluviis; Magnetica formalibus efficientiis, seu potius primariis vigoribus, incitationes faciunt. — Facile est hominibus ingenio acutis, absque experimentis, et usu rerum labi, et errare. Substantiae proprietates aut familiaritates, sunt generales nimis, nec tamen verae designatae causae, atque, ut ita dicam, verba quaedam sonant, re ipsâ nihil in specie ostendunt. Neque ista succini credita attractio, a singulari aliquâ proprietate substantiae, aut familiaritate assurgit: cum in pluribus aliis corporibus eundem effectum, majori industria invenimus, et omnia etiam corpora cujusmodicunque proprietatis, ab omnibus illis alliciuntur.« (De Magnete p. 50, 51, 60 und 65.) Gilbert's vorzüglichere Arbeiten scheinen zwischen 1590 und 1600 zu fallen. Whewell weist ihm mit Recht eine wichtige Stelle unter denen an, die er „practical Reformers der positiven Wissenschaften" nennt. Gilbert war Leibarzt der Königinn Elisabeth und Jacobs I, und starb schon 1603. Nach seinem Tode erschien ein zweites Werk: De Mundo nostro Sublunari Philosophia nova.
89.
(S. 383.) Brewster, Life of Newton p. 307.
90.
(S. 386.) Rey spricht eigentlich nur von dem Zutritt der Luft an die Oxyde; er erkennt nicht, daß die Oxyde selbst (die man damals vererdete Metalle nannte) eine bloße Verbindung von Metall und Luft sind. Die Luft macht nach ihm „den Metallkalk schwerer, wie Sand an Gewicht zunimmt, wenn sich Wasser daran hängt. Der Metallkalk ist dabei einer Sättigung mit Luft fähig. L'air espaissi s'attache à la chaux, ainsi le poids augmente du commencement jusqu'à la fin: mais quand tout en est affublé, elle n'en sçauroit prendre d'avantage. Ne continuez plus vostre calcination soubs cet espoir, vous perdriez vostre peine." Rey's Werk enthält demnach die erste Annäherung zu der besseren Erklärung einer Erscheinung, deren vollkommnes Verständniß später auf das ganze System der Chemie reformirend [519] eingewirkt hat. S. Kopp, Geschichte der Chemie Th. III. S. 131–133. (Vergl. auch in derselben Th. I. S. 116–127 und Th. III. S. 119–138, wie S. 175–195.)
91.
(S. 387.) Priestley's letzte Klage über das, „was Lavoisier sich soll zugeeignet haben", erschallt in seiner kleinen Schrift: The doctrine of Phlogiston established (1800) p. 43.
92.
(S. 388.) John Herschel, Discourse on the study of Natural Philosophy p. 116.
93.
(S. 389.) Humboldt, Essai géognostique sur le Gisement des Roches dans les deux hémisphères 1823 p. 38.
94.
(S. 389.) Steno de Solido intra Solidum naturaliter contento 1669 p. 2, 17, 28, 63 und 69 (fig. 20–25).
95.
(S. 389.) Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 § 5 no. 124.
96.
(S. 390.) Agostino Scilla, la vana Speculazione disingannata dal senso, Nap. 1670 tab. XII fig. 1. — Vergl. Joh. Müller, Bericht über die von Herrn Koch in Alabama gesammelten fossilen Knochenreste seines Hydrarchus (des Basilosaurus von Harlan 1835, des Zeuglodon von Owen 1839, des Squalodon von Grateloup 1840, des Dorudon von Gibbes 1845), gelesen in der Kön. Akad. der Wiss. zu Berlin April – Juni 1847. Diese kostbaren im Staat Alabama (Washington-County und unfern Clarksville) gesammelten Reste des vorweltlichen Thieres sind durch die Munificenz unseres Königs seit 1847 Eigenthum des zoologischen Museums zu Berlin. Außer Alabama und Süd-Carolina wurden Theile des Hydrarchus in Europa zu Leognan bei Bordeaux, unweit Linz an der Donau und 1670 in Malta entdeckt.
97.
(S. 390.) Martin Lister in den Philos. Transact. Vol. VI. 1671 Numb. LXXVI. p. 2283.
98.
(S. 390.) S. eine lichtvolle Entwickelung der früheren Fortschritte des paläontologischen Studiums in Whewell, History of the inductive Sciences 1837 Vol. III. p. 507–545.
99.
(S. 391.) Leibnizens geschichtliche Aufsätze und Gedichte, herausgegeben von Pertz 1847 (in den gesammelten Werken: Geschichte, Bd. IV). Ueber den ersten Entwurf der [520]Protogaea von 1691 und die nachmaligen Umarbeitungen s. Tellkampf, Jahresbericht der Bürgerschule zu Hannover 1847 S. 1–32.
100.
(S. 393.) Kosmos Bd. I. S. 172.
1.
(S. 393.) Delambre, Hist. de l'Astronomie mod. T. II. p. 601.
2.
(S. 393.) Kosmos Bd. I. S. 171. Den Prioritätsstreit über die Abplattung in Hinsicht auf eine von Huygens in der Pariser Akademie 1669 vorgelesene Abhandlung hat zuerst Delambre aufgeklärt in seiner Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. LII und T. II. p. 558. Richer's Rückkunft nach Europa fiel allerdings schon in das Jahr 1673, aber sein Werk wurde erst 1679 gedruckt; und da Huygens Paris 1682 verließ, so hat er das Additamentum zu der sehr verspätet publicirten Abhandlung von 1669 erst dann geschrieben, als er schon die Resultate von Richer's Pendelversuchen und von Newton's großem Werke: Philosophiae Naturalis Principia mathematica vor Augen hatte.
3.
(S. 394.) Bessel in Schumacher's Jahrbuch für 1843 S. 32.
4.
(S. 394.) Wilhelms von Humboldt gesammelte Werke Bd. I. S. 11.
5.
(S. 400.) Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik Th. I. 1845 S. 152, Th. II. S. 76; Kunth, Lehrbuch der Botanik Th. I. (1847) S. 91–100 und 505.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Humboldt, Alexander von. Kosmos. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn2h.0