[][][][][][][[I]]
Die
organiſche Chemie
in
ihrer Anwendung
auf

Phyſiologie und Pathologie.
[[II]]

Druck und Papier
von Fr. Vieweg und Sohn
in Braunſchweig.


[[III]]
Die
organiſche Chemie
in
ihrer Anwendung
auf

Phyſiologie und Pathologie.


Braunſchweig,:
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn.
1842.

[[IV]][[V]]

Meinem Freunde
J. J. Berzelius
als ein Zeichen

inniger Zuneigung und aufrichtiger Hochachtung
gewidmet.


[[VI]][[VII]]

Vorwort.


Durch die Uebertragung der Methoden, welche die Phy-
ſiker ſeit Jahrhunderten in der Ermittelung der Urſachen der
Naturerſcheinungen befolgen, auf die Chemie, durch Beach-
tung von Maß und Gewicht, iſt von Lavoiſier der Grund-
ſtein einer neuen Wiſſenſchaft gelegt worden, welche durch
die Pflege ausgezeichneter Männer in außerordentlich kurzer
Zeit einen hohen Grad von Vollendung erhalten hat.


Es war die Aufſuchung und das Feſthalten aller Bedin-
gungen, die ſich zu einer Beobachtung vereinigen müſſen, es
war die Erkenntniß der richtigeren Grundſätze zu Forſchun-
gen, welche die Chemiker vor Irrthümern ſchützten und ſie
auf einem ebenſo einfachen als ſicheren Wege zu Entdeckun-
gen führten, welche in die früher dunkelſten und unbegreif-
lichſten Naturerſcheinungen Licht und Klarheit brachten.


Die nützlichſten Anwendungen auf Künſte und Induſtrie
und alle der Chemie verwandten Zweige des Wiſſens, er-
gaben ſich aus den von ihnen erforſchten Geſetzen und dieſer
Einfluß zeigte ſich nicht erſt, nachdem die Chemie den erreich-
baren Grad von Vollendung erhalten hatte, ſondern er machte
ſich mit jeder einzelnen neuen Erfahrung geltend.


[VIII]Vorwort.

Alle in den anderen Fächern bereits vorhandenen Erfah-
rungen und Beobachtungen wirkten in ganz gleicher Weiſe
fördernd, auf die Ausbildung und Entwicklung der Chemie
zurück, ſo daß ſie eben ſo viel von der Metallurgie und In-
duſtrie empfing, als ſie gegeben hatte; indem ſie zuſam-
men an Reichthum zunahmen, bildeten ſie ſich mit und ne-
ben einander aus.


Nach der allmäligen Vervollkommnung der Mineralchemie
wandten ſich die Arbeiten der Chemiker einer andern Rich-
tung zu; aus der Unterſuchung der Beſtandtheile der Pflan-
zen und Thiere ſind neue und veränderte Anſichten hervor-
gegangen; das vorliegende Werk iſt ein Verſuch zu ihrer
Anwendung in der Phyſiologie und Pathologie.


In früheren Zeiten hat man, in vielen Fällen mit gro-
ßem Erfolg, die aus der Bekanntſchaft mit den chemiſchen
Erfahrungen erworbenen Anſichten auf die Zwecke der Heil-
wiſſenſchaft anzuwenden verſucht; ja, die großen Aerzte,
welche zu Ende des ſiebenzehnten Jahrhunderts lebten, wa-
ren die ausſchließlichen Kenner und Begründer der Chemie; das
phlogiſtiſche Syſtem der Chemie, mit allen ſeinen Unvollkom-
menheiten, erſchien als die Morgenröthe eines neuen Tages,
es war der Sieg der Philoſophie über die roheſte Experi-
mentirkunſt.


Die neuere Chemie hat mit allen ihren Entdeckungen der
Phyſiologie und Pathologie nur unbedeutende Dienſte gelei-
ſtet, und Niemand kann ſich über die Urſache dieſer Theil-
nahmloſigkeit täuſchen, wer in Erwägung zieht, daß alle in
[IX]Vorwort.
dem Gebiete der anorganiſchen Chemie erworbenen Erfah-
rungen, die Kenntniß des Verhaltens der einfachen Körper
und ihrer in Laboratorien darſtellbaren Verbindungen mit
dem lebendigen Thierkörper und dem Verhalten ſeiner Be-
ſtandtheile in keine Art von Beziehung gebracht werden
konnten.


Die Phyſiologie nahm keinen Theil an den Fortſchritten
der Chemie, weil ſie lange Zeit hindurch, zu ihrer eigenen
Förderung, nichts von dieſer Wiſſenſchaft zu empfangen hatte.
Dieſer Zuſtand hat ſich ſeit fünfundzwanzig Jahren geändert;
allein auch in der Phyſiologie ſind in dieſer Zeit neue Wege
und Mittel zu Forſchungen in ihrem eigenen Gebiete ge-
wonnen worden, und erſt mit der Erſchöpfung dieſer Quellen
von Entdeckungen ließ ſich einer neuen Richtung in den
Arbeiten der Phyſiologen entgegenſehen. Auch dieſe Zeit
liegt uns nahe, und ein Weiterſchreiten auf dem einge-
ſchlagenen Wege würde jetzt das Gebiet der Phyſiologie,
aus dem ſich ſehr bald fühlbar machenden Mangel an fri-
ſchen Anhaltspunkten zu Forſchungen, nur breiter, aber we-
der tiefer noch gründlicher machen.


Niemand wird den Muth haben zu behaupten, daß die
Ermittelung der Formen und der Bewegungserſcheinungen
nicht nothwendig oder nützlich wäre, ſie muß im Gegentheil
als durchaus unentbehrlich zur Erkenntniß der Lebensproceſſe
angeſehen werden; allein ſie umfaßt nur eine einzige Klaſſe
von Bedingungen zur Erkenntniß, und dieſe reichen für ſich
allein nicht dazu hin.


[X]Vorwort.

Die Erforſchung der Zwecke und Functionen der einzel-
nen Organe und ihres gegenſeitigen Verbandes im Thier-
körper, war in früherer Zeit der Hauptgegenſtand der phy-
ſiologiſchen Unterſuchungen; er iſt in der neuern Zeit in den
Hintergrund getreten. Die größte Maſſe aller neueren Ent-
deckungen hat die vergleichende Anatomie weit mehr als die
Phyſiologie bereichert.


Für die Erkennung der ungleichen Formen und Zuſtände
im geſunden und kranken Organismus geben dieſe Arbeiten
ohne Zweifel die werthvollſten Reſultate, allein für eine tie-
fere Einſicht in das Weſen der vitalen Acte bieten ſie keine
Aufſchlüſſe dar.


Durch die genaueſte, anatomiſche Kenntniß der Gebilde
kann man zuletzt nicht erfahren, zu welchem Zwecke ſie die-
nen, und mit der mikroſkopiſchen Unterſuchung der feinſten
Verzweigungen der Gefäßnetze wird man nicht mehr von ih-
ren Verrichtungen wiſſen, als man über den Geſichtsſinn
durch das Zählen der Flächen auf dem Auge einer Stuben-
fliege erfahren hat. Die ſchönſte und erhabenſte Aufgabe des
menſchlichen Geiſtes, die Erforſchung der Geſetze des Lebens,
kann nicht gelöſ’t, ſie kann nicht gedacht werden, ohne eine
genaue Kenntniß der chemiſchen Kräfte, der Kräfte nämlich,
die nicht in Entfernungen wirken, die in einer ähnlichen Weiſe
zur Aeußerung gelangen, wie die letzten Urſachen, von welchen
die Lebenserſcheinungen bedingt werden, die ſich überall thätig
zeigen, wo ſich differente Materien berühren.


Die Pathologie verſucht noch heutzutage, wiewohl ganz
[XI]Vorwort.
nach dem Muſter der phlogiſtiſchen Chemiker (der qualitati-
ven Methode), Anwendung von chemiſchen Erfahrungen zur
Beſeitigung von Krankheitszuſtänden zu machen, allein den
Urſachen und dem Weſen der Krankheit iſt man mit allen
dieſen zahlloſen Verſuchen um keinen Schritt näher ge-
kommen.


Ohne beſtimmte Fragen zu ſtellen, hat man Blut, Harn
und alle Beſtandtheile des geſunden und kranken Organis-
mus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemi-
ſchen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kennt-
niß der vorgegangenen Aenderungen Rückſchlüſſe auf ihr
Verhalten im Körper gemacht.


Auf dieſem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen
Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann
auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper
kann nicht für ein chemiſches Laboratorium angeſehen werden.


Bei krankhaften Zuſtänden, in deſſen Folge das Blut eine
dickflüſſige Beſchaffenheit erhält, kann dieſe nicht durch eine che-
miſche Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüſ-
ſigkeit dauernd gehoben werden; die Abſcheidung von Sedi-
menten im Harn läßt ſich vielleicht durch Alkalien verhin-
dern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsurſache be-
ſeitigt ſein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Am-
moniakſalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Be-
ſchaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, ſo wie ſie durch
Ammoniakflüſſigkeit künſtlich im Blute hervorgebracht werden
kann, ſo darf deshalb das im Körper vorhandene Ammoniak
[XII]Vorwort.
nicht als die Urſache, ſondern ſtets nur als der Effect einer
Urſache angeſehen werden.


So hat die Medizin, nach dem Vorbilde der ariſtoteliſchen
Philoſophie, ſich Vorſtellungen geſchaffen über Ernährung und
Blutbildung, man hat die Speiſen claſſificirt in nahrhafte und
nichtnahrhafte; aber auf Beobachtungen geſtützt, denen die
weſentlichſten Erforderniſſe zu richtigen Schlüſſen mangelten,
konnten dieſe Theorien nicht als Ausdrücke der Wahrheit gelten.


In welcher Klarheit erſcheinen uns jetzt die Beziehungen
der Speiſen zu den Zwecken, zu welchen ſie im Thierkörper
dienen, ſeitdem die organiſche Chemie ihre quantitative Unter-
ſuchungsmethode auf ihre Ermittelung in Anwendung brachte!


Wenn eine magere 4 Pfund wiegende Gans in 36 Ta-
gen, während welchen ſie mit 24 Pfund Welſchkorn (Mays)
gemäſtet worden iſt, 5 Pfund über ihr urſprüngliches Ge-
wicht zunimmt und man 3½ Pfund reines Fett aus ihr ge-
winnt, ſo kann dieſes Fett nicht fertig gebildet in der Nah-
rung geweſen ſein, da dieſe noch nicht den tauſendſten Theil
an Fett oder fettähnlichen Materien enthält. Und wenn eine
gewiſſe Anzahl Bienen, deren Gewicht man genau kennt,
mit reinem, wachsfreiem Honig gefüttert, für je 20 Theile
verbrauchten Honigs einen Theil Wachs liefern, ohne daß
ſich ſonſt in ihrem Geſundheitszuſtande oder in ihrem Ge-
wichte etwas ändert, ſo kann man über die Erzeugung von
Fett in dem Thierkörper aus Zucker nicht im Zweifel ſein.


Ganz ähnlich wie bei der Entſcheidung der Frage über
die Fettbildung, verhält es ſich mit der Erforſchung des Ur-
[XIII]Vorwort.
ſprungs und der Veränderung der Secrete und anderer Er-
ſcheinungen im Thierkörper. Von dem Augenblick, wo man
anfängt die Antworten auf Fragen, mit Ernſt und Gewiſſen-
haftigkeit zu ſuchen, wo man ſich die Mühe nimmt, durch
Maß und Gewicht die Beobachtungen feſtzuhalten und in Glei-
chungen auszudrücken, ergeben ſich die Antworten von ſelbſt.


Durch eine noch ſo große Anzahl von Beobachtungen,
welche nur die eine Seite der Frage erläutern, wird man nie-
mals im Stande ſein, das Weſen einer Naturerſcheinung in
ſeiner ganzen Bedeutung zu erforſchen; ſie müſſen nothwen-
dig, wenn ſie Nutzen ſchaffen ſollen, nach einem ganz be-
ſtimmten Zweck und Ziel gerichtet ſein, ſie müſſen einen or-
ganiſchen Zuſammenhang beſitzen.


Mit Recht ſchreiben die Phyſiker und Chemiker ihren
Forſchungsmethoden den größten Theil des Erfolgs in ih-
ren Arbeiten zu. Jede chemiſche oder phyſikaliſche Arbeit,
welche einigermaßen den Stempel der Vollendung an ſich
trägt, läßt ſich im Reſultate in wenigen Worten wiederge-
ben. Allein dieſe wenigen Worte ſind unvergängliche Wahr-
heiten, zu deren Auffindung zahlloſe Verſuche und Fragen
erforderlich waren; die Arbeiten ſelbſt, die mühſamen Ver-
ſuche und verwickelten Apparate fallen der Vergeſſenheit an-
heim, ſobald die Wahrheit ermittelt iſt; es ſind die Leitern,
die Schachte und Werkzeuge, welche nicht entbehrt werden
konnten, um zu dem reichen Erzgang zu gelangen; es ſind
die Stollen und Luftzüge, welche die Gruben von Waſſer
und böſen Wettern frei hielten.


[XIV]Vorwort.

Eine jede, auch die kleinſte chemiſche oder phyſikaliſche
Arbeit, wenn ſie auf Beachtung Anſprüche macht, muß heut-
zutage dieſen Character an ſich tragen; aus einer gewiſſen
Anzahl von Beobachtungen muß ein Schluß, gleichgültig
ob er viel oder wenig umfaßt, gezogen werden können.


Es kann nur in der Methode, nur in ihrer Unterſuchungs-
weiſe liegen, daß ſeit einem halben Jahrhundert in Beziehung
auf eine tiefere Einſicht in die Functionen der wichtigſten
Organe, der Milz, der Leber und zahlreichen Drüſen, von
den Phyſiologen ſo wenig neue feſtſtehende Wahrheiten ge-
wonnen worden ſind, und ſicher wird die unvollkommene Be-
kanntſchaft mit den Forſchungsmethoden der Chemie das
Haupthinderniß bleiben, was den Fortſchritten der Phyſio-
logie entgegenſteht, der Hauptvorwurf, den ſie nicht zu be-
ſeitigen vermag.


Die Chemie ſtand der Phyſik vor Lavoiſier, Scheele
und Prieſtley nicht näher, als heutzutage der Phyſio-
logie; ſie iſt jetzt mit der Phyſik ſo innig verſchmol-
zen, daß es ſchwer halten dürfte, zwiſchen beiden eine ſcharfe
Grenzlinie zu ziehen; ganz daſſelbe Band vereinigt die Chemie
mit der Phyſiologie, und in einem halben Jahrhundert wird
man ihre Trennung für ebenſo unmöglich halten.


Unſere Fragen und Verſuche durchſchneiden in unzähli-
gen krummen Linien die grade Linie, die zur Wahrheit führt,
es ſind die Kreuzungspunkte, die uns die wahre Richtung
erkennen laſſen; es liegt in der Unvollkommenheit des menſch-
lichen Geiſtes, daß die krummen Linien gemacht werden
[XV]Vorwort.
müſſen. Die Chemiker und Phyſiker behalten ſtets ihr Ziel
im Auge, dem einen gelingt es, ſtreckenweiſe den geraden
Weg zu verfolgen, allein alle ſind auf die Umwege vorbe-
reitet; des Erfolgs ihrer Anſtrengungen bei Beharrlichkeit
und Ausdauer gewiß, wächſt die Begierde und ihr Muth
mit den Schwierigkeiten.


Einzelne Beobachtungen ohne Zuſammenhang ſind auf
einer Ebene zerſtreute Punkte, die uns nicht geſtatten, einen
beſtimmten Weg zu wählen. In der Chemie hatte man
Jahrhunderte lang nichts als dieſe Punkte, deren Zwiſchen-
räume auszufüllen Mittel genug in Anwendung kamen; allein
bleibende Entdeckungen, wahre Fortſchritte wurden erſt dann
gemacht, als man ihre Verknüpfung nicht mehr der Phantaſie
überließ.


Ich habe den Zweck gehabt, die Kreuzungspunkte der Phy-
ſiologie und Chemie in dieſem Buche hervorzuheben und die
Stellen anzudeuten, wo beide Wiſſenſchaften gegenſeitig in
einander greifen. Es enthält eine Sammlung von Aufga-
ben, ſo wie ſie gegenwärtig von der Chemie geſtellt werden,
und eine Anzahl von Schlüſſen, die nach ihren Regeln aus
den vorhandenen Erfahrungen ſich ergeben.


Dieſe Fragen und Aufgaben werden ihre Löſung erhal-
ten, und kein Zweifel kann darüber ſein, daß wir alsdann
eine neue Phyſiologie und eine rationelle Pathologie haben
werden. Gewiß iſt unſer Senkblei nicht lang genug, um die
Tiefe des Meeres zu meſſen, allein es verliert deshalb ſeinen
Werth für uns nicht; wenn es uns vorläufig nur hilft, um
[XVI]Vorwort.
die Klippen und Sandbänke zu vermeiden, ſo iſt dieſer Nutzen
groß genug. In der Hand des Phyſiologen muß die orga-
niſche Chemie zu einem geiſtigen Hilfsmittel werden, mit
dem er im Stande ſein wird, die Urſachen von Erſcheinungen
zu erforſchen, die das leibliche Auge nicht mehr erkennt; und
wenn von den Reſultaten, die ich in dieſem Buche entwickelt
oder angedeutet habe, nur ein Einziges eine nützliche Anwen-
dung zuläßt, ſo halte ich den Zweck, für den es geſchrieben
iſt, für vollkommen erreicht. Der Weg, der dazu geführt
hat, wird andere Wege bahnen, und dies betrachte ich als den
höchſten Gewinn.


Gießen, im April 1842.


Dr.Juſtus Liebig.

[]

Erſter Theil.
Der chemiſche Proceß
der
Reſpiration und Ernährung.


[][[1]]

I.


In dem Thierei, in dem Samen einer Pflanze erkennen
wir eine merkwürdige Thätigkeit, eine Urſache der Zunahme
an Maſſe, des Erſatzes an verbrauchtem Stoff, eine Kraft in
dem Zuſtande der Ruhe. Durch äußere Bedingungen, durch die
Begattung, durch Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft wird
der Zuſtand des ſtatiſchen Gleichgewichtes dieſer Thätigkeit aufge-
hoben; die in Bewegung übergehende Kraft äußert ſich in einer
Reihe von Formbildungen, welche, wenn auch zuweilen durch
grade Linien eingeſchloſſen, doch weit entfernt von geometri-
ſchen Geſtalten ſind, ſo wie wir ſie beim kryſtalliſirenden
Minerale beobachten. Dieſe Kraft heißt Lebenskraft.


Die Zunahme an Maſſe in einer Pflanze wird durch den
Akt einer Zerſetzung bedingt, die in gewiſſen Pflanzenthei-
len durch die Einwirkung des Lichts und der Wärme vor
ſich geht.


Dieſer Zerſetzung unterliegen in dem Lebensproceß der
Pflanze ausſchließlich nur anorganiſche Materien, und wenn
man mit ausgezeichneten Mineralogen die Luft und gewiſſe
andere Gaſe als Mineralien gelten läßt, ſo kann man ſa-
gen, daß die vegetative Lebensthätigkeit die Verwandlung
1
[2]Der chemiſche Proceß der
des Minerals in einen mit Leben begabten Organismus be-
wirkt, das Mineral wird Theil eines Trägers der Lebens-
kraft.


Die Zunahme an Maſſe in einer lebenden Pflanze ſetzt
voraus, daß gewiſſe Beſtandtheile der Nahrung zu Beſtand-
theilen des Pflanzenkörpers werden, und eine Vergleichung
der chemiſchen Zuſammenſetzung von beiden, zeigt mit un-
zweifelhafter Gewißheit, welche von den Beſtandtheilen der
Nahrung ausgetreten, welche aſſimilirt worden ſind.


Die Beobachtungen der Pflanzenphyſiologen und die Un-
terſuchungen der Chemiker, ſie haben gegenſeitig dazu ge-
dient, um den Beweis zu führen, daß das Wachsthum und
die Entwickelung der Pflanze abhängig ſind von einer Aus-
ſcheidung von Sauerſtoff, der ſich von den Beſtandtheilen
ihrer Nahrungsmittel trennt.


Im geraden Gegenſatz zu dem Pflanzenleben äußert ſich
das Thierleben in einer nie aufhörenden Einſaugung und
Verbindung des Sauerſtoffs der Luft mit gewiſſen Beſtand-
theilen des Thierkörpers.


Während kein Theil eines organiſchen Weſens zur Nah-
rung einer Pflanze dienen kann, wenn er nicht vorher, in
Folge von Fäulniß und Verweſungsproceſſen, die Form ei-
nes anorganiſchen Körpers angenommen hat, bedarf der thie-
riſche Organismus zu ſeiner Erhaltung und Entwickelung
höher organiſirter Atome. Die Nahrungsmittel aller Thiere
ſind unter allen Umſtänden Theile von Organismen.


Durch ihre Fähigkeit, den Ort zu wechſeln, und im All-
[3]Reſpiration und Ernährung.
gemeinen durch die Sinne unterſcheidet ſich das Thier von
der Pflanze.


Alle dieſe Thätigkeiten gehen von gewiſſen Werkzeugen
aus, die in der Pflanze fehlen. Die vergleichende Anatomie
zeigt, daß die Bewegungs- und Gefühlsäußerungen von ge-
wiſſen Apparaten abhängig ſind, die mit einander in keinem
andern Zuſammenhange ſtehen, als daß ſie ſich in einem ge-
meinſchaftlichen Centrum vereinigen. Die Subſtanz des Rü-
ckenmarks, der Nerven, der Gehirnmaterie ſind in ihrer Zu-
ſammenſetzung und ihrem chemiſchen Verhalten weſentlich von
der Subſtanz der Zellen, Membranen, Muskeln und der
Haut verſchieden.


Alles, was im Thierorganismus Bewegung genannt
werden kann, geht von den Nervenapparaten aus. Die Be-
wegungserſcheinungen in den Pflanzen, die Saftcirculation,
die man in manchen Charen beobachtet hat, das Schließen
der Blüthen und Blätter hängt von phyſikaliſchen und me-
chaniſchen Urſachen ab. Eine Pflanze enthält keine Nerven.
Wärme und Licht ſind die entfernteren Urſachen der Bewe-
gungen in Pflanzen, in den Thieren erkennen wir in den
Nervenapparaten eine Quelle von Kraft, die ſich in jedem
Zeitmomente ihres Lebens wieder zu erneuern vermag.


Aehnlich wie die Aſſimilation der Nahrungsmittel in den
Pflanzen, ihr ganzer Bildungsproceß, abhängig iſt von ge-
wiſſen äußeren Urſachen, welche die Bewegungen vermitteln,
iſt die Entwickelung des Thierorganismus bis zu einem ge-
wiſſen Grade unabhängig von dieſen äußeren Urſachen, eben
1*
[4]Der chemiſche Proceß der
weil er in ſich ſelbſt durch ein beſonderes Syſtem von Ap-
paraten die zu dem Lebensproceß unentbehrliche Kraft der
Bewegung erzeugt.


Der Bildungsproceß, die Aſſimilation, der Uebergang des
in Bewegung befindlichen Stoffs in den Zuſtand der Ruhe
geht bei Pflanzen und Thieren in einerlei Weiſe vor ſich,
es iſt die nämliche Urſache, die in beiden die Zunahme an
Maſſe bedingt, es iſt dies das eigentliche vegetative Leben,
es äußert ſich ohne Bewußtſein.


In der Pflanze giebt ſich die vegetative Lebensthätigkeit
unter Mitwirkung von äußeren Kräften, in Thieren durch
Thätigkeiten kund, die ſich in ihrem Organismus erzeugen.
Die Verdauung, der Blutumlauf, die Abſonderung der Säfte,
ſie ſtehen jedenfalls unter der Herrſchaft des Nervenſyſtems,
allein es iſt ein und dieſelbe Kraft, welche dem Keim, dem
Blatt, der Wurzelfaſer die nämlichen wunderbaren Eigen-
ſchaften giebt, welche die ſecernirende Haut, die Drüſe be-
ſitzen, welche jedes Organ im Thier befähigt, ſeinen eigenen
Funktionen vorzuſtehen; nur die Urſachen der Bewegungen
ſind in beiden verſchieden.


Während wir in den niedrigſten Thierklaſſen die Apparate
der Bewegung, wie im befruchteten Keim des Thierei’s, in
dem ſie ſich zu allererſt entwickeln, nie vermiſſen, finden wir
in höheren Thierklaſſen beſondere Apparate des Gefühls und
Empfindens, des Bewußtſeins und des höheren geiſtigen Lebens.


Der Patholog zeigt uns, daß das eigentlich vegetative
Leben keineswegs an das Vorhandenſein dieſer Apparate ge-
[5]Reſpiration und Ernährung.
knüpft iſt, daß der Nutritionsproceß in den Theilen des Kör-
pers, wo diejenigen Nerven gelähmt ſind, welche das Gefühl
oder die willkürlichen Bewegungen vermitteln, in der näm-
lichen Form vor ſich geht, wie in anderen, in denen ſie
ſich in normalem Zuſtande befinden, ſo wie auf der andern
Seite die kräftigſte Energie des Willens auf die Zuſammen-
ziehung des Herzens, auf die Bewegung der Eingeweide und
die Secretionsproceſſe keinen Einfluß auszuüben vermag.


Die Erſcheinungen des höheren geiſtigen Lebens, ſie kön-
nen auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Wiſſenſchaft
nicht auf ihre nächſten, viel weniger auf ihre letzten Urſa-
chen zurückgeführt werden, wir wiſſen weiter nichts davon,
als daß ſie vorhanden ſind; wir ſchreiben ſie einer immate-
riellen Thätigkeit zu, und zwar inſofern ihre Aeußerungen
an die Materie ſich gebunden finden, einer Kraft, welche
durchaus verſchieden iſt und nichts gemein hat mit der Le-
benskraft.


Dieſe eigenthümliche Kraft übt, wie nicht geleugnet wer-
den kann, einen gewiſſen Einfluß auf die vegetative Lebens-
thätigkeit aus, ähnlich wie dies von anderen immateriellen
Potenzen, von Licht, Elektricität, Wärme und Magnetismus
geſchieht, allein dieſer Einfluß iſt nicht bedingender Art, ſon-
dern er äußert ſich nur als eine Beſchleunigung, Störung oder
Verlangſamung der vegetativen Lebensproceſſe; auf eine ganz
ähnliche Weiſe übt die vegetative Lebensthätigkeit rückwärts
gewiſſe Wirkungen auf das bewußte geiſtige Leben aus.


Es ſind zwei Kräfte, die ſich neben einander in Aktion
[6]Der chemiſche Proceß der
befinden, allein Bewußtſein und Geiſt, ſie fehlen im Thiere
und der lebendigen Pflanze, ohne daß wir in dieſen etwas
Anderes vermiſſen, als den Mangel einer beſondern Urſache
der Steigerung oder Störung; abgeſehen davon, gehen alle
vitalchemiſchen Proceſſe im Menſchen und Thiere auf einerlei
Weiſe vor ſich.


Das unaufhörlich ſich erneuernde Streben, die Beziehun-
gen der Pſyche zu dem animaliſchen Leben ermitteln zu wol-
len, hat von jeher die Fortſchritte der Phyſiologie aufgehal-
ten, es war ein beſtändiges Heraustreten aus dem Gebiete
der Naturforſchung in das Reich der phantaſtiſchen Gebilde;
denn die begeiſterten Phyſiologen, ſie waren weit davon ent-
fernt, die Geſetze des rein thieriſchen Lebens zu kennen.
Keiner von ihnen hatte eine klare Vorſtellung über den Ent-
wickelungs- und Ernährungsproceß, keiner von der wahren
Urſache des Todes. Sie erklärten die verborgenſten pſychiſchen
Erſcheinungen und waren nicht im Stande zu ſagen, was Fie-
ber iſt und in welcher Weiſe das Chinin bei ſeiner Heilung wirkt!


Um die Geſetze der Bewegungen im Thierkörper zu er-
mitteln, war nur die eine Bedingung, die Kenntniß der Ap-
parate erforſcht, welche die Bewegungen vermitteln, aber die
Subſtanz der Organe, die Veränderungen, welche die Nah-
rungsmittel im lebenden Körper erfahren, ihr Uebergang zu
Beſtandtheilen der Organe und rückwärts wieder in lebloſe
Verbindungen, der Antheil, den die Atmoſphäre an den Le-
bensproceſſen nimmt, alle dieſe Grundlagen zu weiteren
Schlüſſen waren noch nicht gegeben.


[7]Reſpiration und Ernährung.

Was hat die Pſyche, was hat [Bewußtſein] und Geiſt mit
der Entwickelung des menſchlichen Fötus, mit der des Fö-
tus im Hühnerei zu ſchaffen? gewiß nicht mehr als ſie An-
theil nimmt an der Entwickelung des Samens einer Pflanze!
Suchen wir vor der Hand die nicht pſychiſchen Erſcheinun-
gen auf ihre letzten Urſachen zurückzuführen, und hüten wir
uns vor Schlüſſen, ehe wir eine Grundlage haben. Wir
kennen genau den Mechanismus des Auges, allein weder
die Anatomie, noch Chemie wird uns jemals Aufſchluß ge-
ben, wie der Lichtſtrahl zum Bewußtſein gelangt. Die Na-
turforſchung hat eine beſtimmte Grenze, die ſie nicht über-
ſchreiten darf, ſie muß ſich ſtets daran erinnern, daß mit al-
len Entdeckungen nicht in Erfahrung gebracht werden kann,
was Licht, Elektricität und Magnetismus für Dinge ſind,
eben weil der menſchliche Geiſt nur Vorſtellungen hat für
Dinge, welche Materialität beſitzen. Wir können aber die
Geſetze ihres Zuſtands der Ruhe und der Bewegung erfor-
ſchen, eben weil ſie ſich in Erſcheinungen äußern. So kön-
nen zweifellos die Geſetze des Lebens und Alles, was ſie
ſtört, befördert oder ändert, erforſcht werden, ohne daß man
jemals wiſſen wird, was das Leben iſt; ſo führte die Er-
forſchung der Geſetze des Falles und der Bewegung der
Himmelskörper auf eine vorher nie gedachte Vorſtellung über
ihre Urſache. Dieſe Vorſtellung konnte in ihrer Klarheit
nicht entſtehen ohne die Kenntniß der Erſcheinungen, aus
denen ſie ſich entwickelte; an und für ſich iſt ja die Schwer-
kraft, wie das Licht für einen Blindgebornen, ein bloßes Wort.


[8]Der chemiſche Proceß der

Die neue Wiſſenſchaft der Phyſiologie hat die Methode
des Ariſtoteles verlaſſen, ſie erfindet keinen horror vacui,
keine Quinta essentia mehr, um den gläubigen Zuhörern
Aufſchlüſſe und Erklärungen von Erſcheinungen zu geben,
deren eigentlicher Verband mit anderen, deren letzte Urſache
nicht ermittelt iſt, zum Heil der Wiſſenſchaft, muß man hin-
zuſetzen, und zum Segen für die Menſchheit.


Wenn wir feſthalten, daß alle Erſcheinungen in dem
Organismus der Pflanzen und des Thieres einer ganz ei-
genthümlichen Urſache zugeſchrieben werden müſſen, welche
in ihren Aeußerungen durchaus verſchieden iſt von allen an-
deren Urſachen, die Zuſtandsänderungen oder Bewegungen
bedingen, wenn wir die Lebenskraft alſo gelten laſſen für
eine für ſich beſtehende Kraft, ſo haben wir in den Erſchei-
nungen des organiſchen Lebens, wie in allen anderen Er-
ſcheinungen, welche Kräften zugeſchrieben werden müſſen,
eine Statik (Zuſtand des Gleichgewichtes, bedingt durch
einen Widerſtand) und eine Dynamik der Lebenskraft.


Alle Theile des Thierkörpers bilden ſich aus einer eigen-
thümlichen, in ſeinem Organismus circulirenden Flüſſigkeit,
in Folge einer, jeder Zelle, jedem Organe oder Theile eines
Organs inwohnenden Thätigkeit. Die Phyſiologie lehrt,
daß alle Beſtandtheile des Körpers urſprünglich Blut wa-
ren, oder daß ſie wenigſtens den entſtehenden Organen durch
dieſe Flüſſigkeit zugeführt worden ſind.


Die gewöhnlichſten Erfahrungen geben ferner zu erken-
nen, daß in jedem Momente des Lebens in dem Thierorga-
[9]Reſpiration und Ernährung.
nismus ein fortdauernder, mehr oder minder beſchleunigter
Stoffwechſel vor ſich geht, daß ein Theil der Gebilde ſich
zu formloſen Stoffen umſetzt, daß ſie ihren Zuſtand des Le-
bens verlieren und wieder erneuert werden müſſen. Die
Phyſiologie hat entſcheidende Gründe genug für die Mei-
nung, daß jede Bewegung, jede Kraftäußerung die Folge
einer Umſetzung der Gebilde oder der Subſtanz derſelben
iſt, daß jede Vorſtellung, jeder Affekt Veränderungen in der
chemiſchen Beſchaffenheit der abgeſonderten Säfte zur Folge
hat, daß jeder Gedanke, jede Empfindung von einer Aende-
rung in der Zuſammenſetzung der Gehirnſubſtanz begleitet iſt.


Zur Unterhaltung der Lebenserſcheinungen im Thiere ge-
hören gewiſſe Stoffe, Theile von Organismen, die man
Nahrungsmittel nennt; in Folge einer Reihe von Ver-
änderungen dienen ſie entweder zur Vermehrung ſeiner Maſſe
(zur Ernährung), oder zum Erſatze an verbrauchtem Stoff
(Reproduktion), oder ſie dienen zur Hervorbringung von
Kraft.


II.


Wenn wir die Aufnahme von Nahrungsmitteln als die
eine Bedingung des Lebens bezeichnen, ſo iſt die zweite eine
fortdauernde Einſaugung von Sauerſtoff aus der atmoſphä-
riſchen Luft.


Von dem Standpunkte des Naturforſchers aus zeigt ſich
das Thierleben in einer Reihe von Erſcheinungen, deren Zu-
[10]Der chemiſche Proceß der
ſammenhang und Wiederkehr vermittelt wird durch eine in
dem Organismus vorgehende Veränderung, welche die Nah-
rungsmittel und der eingeſaugte atmoſphäriſche Sauerſtoff
unter der Mitwirkung der Lebenskraft erleiden.


Alle vitalen Thätigkeiten entſpringen aus der Wechſel-
wirkung des Sauerſtoffs der Luft und der Beſtandtheile der
Nahrungsmittel.


In der Ernährung und Reproduktion erkennen wir den
Uebergang des Stoffs aus dem Zuſtande der Bewegung in
den Zuſtand der Ruhe (des ſtatiſchen Gleichgewichts); durch
den Einfluß des Nervenſyſtems gelangt dieſer Stoff in den
Zuſtand der Bewegung. Die letzten Urſachen dieſer Zuſtände
der Lebenskraft ſind die chemiſchen Kräfte.


Die Urſache des Zuſtandes der Ruhe iſt ein Widerſtand,
welcher bedingt wird durch eine Kraft der Anziehung (Ver-
bindung), welche zwiſchen den kleinſten Theilchen der Ma-
terie wirkt und nur bei unmittelbarer Berührung, oder in
unmeßbar kleinen Entfernungen ſich thätig zeigt.


Dieſe beſondere Art der Anziehung, man kann ihr na-
türlich die verſchiedenſten Namen geben, der Chemiker nennt
ſie aber Affinität.


Die Bedingung des Zuſtandes der Bewegung liegt in
einer Reihe von Veränderungen, welche die Nahrungsmittel
in dem Organismus erleiden, in Folge alſo von Zerſetzungs-
proceſſen, welche die Nahrungsmittel an und für ſich, oder
die daraus entſprungenen Gebilde, oder Beſtandtheile der
Organe erleiden.


[11]Reſpiration und Ernährung.

Der Hauptcharacter des vegetativen Lebens iſt ein ſteter
Uebergang des in Bewegung geſetzten Stoffs in den Zuſtand
des ſtatiſchen Gleichgewichtes. So lange die Pflanze lebt, iſt
kein Stillſtand in der Zunahme bemerklich, kein Theil eines
Organs der Pflanze nimmt an Maſſe ab. Wenn eine Zer-
ſetzung erfolgt, ſo iſt ſie eine Folge der Aſſimilation. Eine
Pflanze erzeugt in ſich ſelbſt keine Kraft der Bewegung, kein
Theil ihrer Gebilde verliert, durch eine in ihrem Organismus
vorhandene Urſache, den Zuſtand des Lebens und geht in
formloſe Verbindungen über, in ihr findet kein Verbrauch
ſtatt. Der Verbrauch im Thier iſt eine Aenderung des Zu-
ſtandes und der Zuſammenſetzung gewiſſer Beſtandtheile des
Thierkörpers, er geht mithin vor ſich in Folge chemiſcher
Actionen. Der Einfluß der Gifte, der Arzneimittel auf den
lebenden thieriſchen Körper zeigt auf eine evidente Weiſe, daß
der Act der chemiſchen Zerſetzung und Verbindung im Thier-
körper, die ſich uns in der Form von Lebenserſcheinungen zu
erkennen geben, daß ſie durch ähnlich wirkende chemiſche Kräfte
geſteigert, durch entgegengeſetzt wirkende verlangſamt und
aufgehoben werden können, daß wir auf jeden Theil eines
Organs durch Stoffe, die eine beſtimmte chemiſche Action
beſitzen, eine Wirkung auszuüben vermögen.


Aehnlich alſo wie in der geſchloſſenen galvaniſchen Säule
durch gewiſſe Veränderungen, welche ein anorganiſcher Kör-
per, ein Metall, bei ſeiner Berührung mit einer Säure, erlei-
det, ein gewiſſes Etwas für unſere Sinne wahrnehmbar wird,
was wir mit einem Strome electriſcher Materie bezeichnen,
[12]Der chemiſche Proceß der
entſtehen in Folge von Umſetzungen und Veränderungen von
Materien, die früher Theile von Organismen waren, gewiſſe
Bewegungs- und Thätigkeitsäußerungen, die wir Leben
nennen.


Der electriſche Strom giebt ſich uns zu erkennen durch
gewiſſe Erſcheinungen der Anziehung und Abſtoßung, welche
andere, an und für ſich bewegungsloſe, Materien durch ihn
empfangen, durch Erſcheinungen der Bildung und Zerſetzung
chemiſcher Verbindungen, die ſich überall äußern, wo der Wi-
derſtand die Bewegung nicht aufhebt.


Von dieſem Standpunkte allein und von keinem andern
aus darf die Chemie die Lebenserſcheinungen ſtudiren. Wunder
finden wir überall; die Bildung eines Kryſtalls, eines Octae-
ders iſt nicht minder unbegreiflich, wie die Entſtehung eines
Blatts oder einer Muskelfaſer, und die Entſtehung des Zin-
nobers aus Queckſilber und Schwefel iſt ein ebenſo großes
Räthſel, wie die Bildung eines Auges aus der Subſtanz des
Blutes.


Aufnahme von Nahrungsmitteln und Sauerſtoff ſind die
erſten Bedingungen des thieriſchen Lebens.


In jedem Zeittheilchen ſeines Lebens nimmt der Menſch
durch die Organe der Reſpiration Sauerſtoff auf; nie iſt, ſo
lange das Thier lebt, ein Stillſtand bemerklich.


Die Beobachtungen der Phyſiologen zeigen, daß der Kör-
per eines erwachſenen Menſchen, nach 24 Stunden, bei hin-
länglicher Nahrung, am Gewicht weder zu- noch abgenom-
men hat, dennoch iſt die Menge von Sauerſtoff, die in dieſer
[13]Reſpiration und Ernährung.
Zeit in ſeinen Organismus aufgenommen wurde, höchſt be-
trächtlich.


Nach Lavoiſier’s Verſuchen werden von einem erwach-
ſenen Manne in einem Jahre 746 Pfd., nach Menzies
837 Pfd. Sauerſtoffgas aus der Atmoſphäre in ſeinen Kör-
per aufgenommen, und dennoch finden wir ſein Gewicht zu
Anfang und Ende des Jahres entweder ganz unverändert,
der die Ab- und Zunahme bewegt ſich um wenige Pfunde 1).


Wo iſt, kann man fragen, dieſes enorme Gewicht an
Sauerſtoff hingekommen, was ein Individuum im Verlaufe
eines Jahres in ſich aufnimmt?


Dieſe Frage iſt mit befriedigender Sicherheit gelöſ’t;
kein Theil des aufgenommenen Sauerſtoffs bleibt im Körper,
ſondern er tritt in der Form einer Kohlenſtoff- oder einer
Waſſerſtoffverbindung wieder aus.


Der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff von gewiſſen Beſtand-
theilen des Thierkörpers haben ſich mit dem durch die Haut
und Lunge aufgenommenen Sauerſtoff verbunden, ſie ſind als
Kohlenſäure und Waſſerdampf wieder ausgetreten.


Mit jedem Athemzuge, in jedem Lebensmomente trennen
ſich von dem Thierorganismus gewiſſe Mengen ſeiner Be-
ſtandtheile, nachdem ſie mit dem Sauerſtoff der atmoſphäri-
ſchen Luft eine Verbindung in dem Körper ſelbſt eingegan-
gen ſind.


Wenn wir, um einen Anhaltspunkt zu einer Rechnung
zu haben, mit Lavoiſier und Seguin annehmen, daß der
erwachſene Menſch täglich 65 Loth Sauerſtoff (46037 Cu-
[14]Der chemiſche Proceß der
bikzoll = 15661 Gran fr. Gew.) in ſich aufnimmt, und
wir ſeine Blutmaſſe zu 24 Pfund, bei einem Waſſergehalt
von 80 pCt. annehmen, ſo ergiebt ſich aus der bekannten
Zuſammenſetzung des Blutes, daß zu einer völligen Ver-
wandlung des Kohlenſtoffs und Waſſerſtoffs im Blut, in
Kohlenſäure und Waſſer 64103 Gran Sauerſtoff nöthig ſind,
die in 4 Tagen und 5 Stunden in den Körper eines er-
wachſenen Menſchen aufgenommen werden 2).


Gleichgültig ob der Sauerſtoff an die Beſtandtheile des
Bluts tritt oder an andere kohlen- und waſſerſtoffreiche Ma-
terien im Körper, es kann dem Schluſſe nichts entgegenge-
ſetzt werden, daß dem menſchlichen Körper, welcher 65
Loth Sauerſtoff täglich einathmet, in 4 Tagen und 5
Stunden ſo viel an Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in ſeinen
Nahrungsmitteln wieder zugeführt werden muß, als nöthig
wäre, 24 Pfund Blut mit dieſen Beſtandtheilen zu verſehen,
vorausgeſetzt, daß das Gewicht des Körpers ſich nicht ändere,
daß er ſeine normale Beſchaffenheit behaupten ſoll.


Dieſe Zufuhr geſchieht durch die Speiſen.


Aus der genauen Beſtimmung der Kohlenſtoffmenge, welche
durch die Speiſen in den Körper aufgenommen werden, ſo
wie durch die Ausmittelung derjenigen Quantität, welche
durch die Faeces und den Urin unverbrannt, oder wenn man
will, in einer andern Form, als in der Form einer Sauer-
ſtoffverbindung, wieder austritt, ergiebt ſich, daß ein erwach-
ſener Mann, im Zuſtande mäßiger Bewegung, täglich 27,8
Loth Kohlenſtoff verzehrt 3).


[15]Reſpiration und Ernährung.

Dieſe 27 8/10 Loth Kohlenſtoff entweichen aus Haut und
Lunge in der Form von kohlenſaurem Gas.


Zur Verwandlung in kohlenſaures Gas bedürfen dieſe
27,8 Loth Kohlenſtoff 74 Loth Sauerſtoff.


Nach den analytiſchen Beſtimmungen von Bouſſingault
(Annales de chim. et de phys. LXX. 1. S. 136) verzehrt
ein Pferd in 24 Stunden 158¼ Loth Kohlenſtoff, eine milch-
gebende Kuh 141½ Loth 4).


Die hier angeführten Kohlenſtoffmengen ſind als Kohlen-
ſäure aus ihrem Körper getreten, das Pferd hat in 24 Stun-
den für die Ueberführung des Kohlenſtoffs in Kohlenſäure
13 7/32 Pfd. und die Kuh 11⅔ Pfd. Sauerſtoff verbraucht.


Da kein Theil des aufgenommenen Sauerſtoffs in einer
andern Form als in der einer Kohlenſtoff- oder Waſſerſtoff-
verbindung wieder aus dem Körper tritt, da ferner bei nor-
malem Geſundheitszuſtande der ausgetretene Kohlenſtoff und
Waſſerſtoff wieder erſetzt wird durch Kohlenſtoff und Waſſer-
ſtoff, den wir in den Speiſen zuführen, ſo iſt klar, daß die
Menge von Nahrung, welche der thieriſche Organismus zu
ſeiner Erhaltung bedarf, in geradem Verhältniß ſteht zu der
Menge des aufgenommenen Sauerſtoffs.


Zwei Thiere, die in gleichen Zeiten ungleiche Mengen
von Sauerſtoff durch Haut und Lunge in ſich aufnehmen,
verzehren in einem ähnlichen Verhältniß ein ungleiches Ge-
wicht von der nämlichen Speiſe.


In gleichen Zeiten iſt der Sauerſtoffverbrauch ausdrück-
bar durch die Anzahl der Athemzüge; es iſt klar, daß bei
[16]Der chemiſche Proceß der
einem und demſelben Thiere die Menge der zu genießen-
den Nahrung wechſelt, je nach der Stärke und Anzahl der
Athemzüge.


Ein Kind, deſſen Reſpirationswerkzeuge ſich in größerer
Thätigkeit befinden, muß häufiger und verhältnißmäßig mehr
Nahrung zu ſich nehmen, als ein Erwachſener, es kann den
Hunger weniger leicht ertragen. Ein Vogel ſtirbt bei Man-
gel an Nahrung den dritten Tag; eine Schlange, die in
einer Stunde, unter einer Glasglocke athmend, kaum ſo viel
Sauerſtoff verzehrt, daß die davon erzeugte Kohlenſäure wahr-
nehmbar iſt, lebt drei Monate und länger ohne Nahrung.


Im Zuſtand der Ruhe beträgt die Anzahl der Athemzüge
weniger als im Zuſtand der Bewegung und Arbeit. Die
Menge der in beiden Zuſtänden nothwendigen Nahrung muß
in dem nämlichen Verhältniß ſtehen.


Ein Ueberfluß von Nahrung und Mangel an eingeath-
metem Sauerſtoff (an Bewegung), ſo wie ſtarke Bewe-
gung (die zu einem größeren Maaß von Nahrung zwingt)
und ſchwache Verdauungsorgane ſind unverträglich mit
einander.


Die Menge des Sauerſtoffs, welche ein Thier durch die
Lunge aufnimmt, iſt aber nicht allein abhängig von der An-
zahl der Athemzüge, ſondern auch von der Temperatur und
der Dichtigkeit der eingeathmeten Luft.


Die Bruſthöhle eines Thieres hat eine unveränderliche
Größe, mit jedem Athemzuge tritt eine gewiſſe Menge Luft
ein, die in Beziehung auf ihr Volumen als gleichbleibend
[17]Reſpiration und Ernährung.
angeſehen werden kann. Aber ihr Gewicht und damit das
Gewicht des darin enthaltenen Sauerſtoffs bleibt ſich nicht
gleich. In der Wärme dehnt ſich die Luft aus, in der Kälte
zieht ſie ſich zuſammen. In einem gleichen Volum kalter
und warmer Luft haben wir ein ungleiches Gewicht Sauer-
ſtoff. Im Sommer enthält die atmoſphäriſche Luft Waſſer-
gas, im Winter iſt ſie trocken; der Raum, den das Waſſer-
gas in der warmen Luft einnimmt, wird im Winter durch
Luft eingenommen, d. h. ſie enthält bei gleichem Volum im
Winter mehr Sauerſtoff.


Im Sommer und Winter, am Pole und Aequator ath-
men wir ein gleiches Luftvolumen ein. Die kalte Luft er-
wärmt ſich beim Einathmen in der Luftröhre und den Lun-
genzellen, und nimmt die Temperatur des Körpers an. Um
ein gewiſſes Sauerſtoffvolumen in die Lunge zu bringen, iſt
im Winter ein geringerer Kraftaufwand nöthig, als im
Sommer; für denſelben Kraftverbrauch athmet man im Win-
ter mehr Sauerſtoff ein.


Es iſt einleuchtend, daß wir bei einer gleichen Anzahl
von Athemzügen an dem Ufer des Meeres eine größere
Menge von Sauerſtoff verzehren, als auf Bergen; daß die
Menge der austretenden Kohlenſäure, ſo wie das einge-
ſaugte Sauerſtoffgas mit dem Barometerſtande ſich ändert.


Das aufgenommene Sauerſtoffgas tritt im Sommer und
Winter in ähnlicher Weiſe verändert wieder aus, wir athmen
in niederer Temperatur und höherem Luftdrucke mehr Kohlen-
ſtoff aus wie in höherer, und wir müſſen in dem nämlichen
2
[18]Der chemiſche Proceß der
Verhältniß mehr oder weniger Kohlenſtoff in den Speiſen
genießen, in Schweden mehr wie in Sicilien, in unſern Ge-
genden im Winter ein ganzes Achtel mehr wie im Sommer.


Selbſt wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten
Speiſe in kalten und warmen Gegenden genießen, ſo hat eine
unendliche Weisheit die Einrichtung getroffen, daß dieſe Spei-
ſen höchſt ungleich in ihrem Kohlenſtoffgehalte ſind. Die
Früchte, welche der Südländer genießt, enthalten im friſchen
Zuſtande nicht über 12 pCt. Kohlenſtoff, während der Speck und
Thran des Polarländers 66 bis 80 pCt. Kohlenſtoff enthalten.


Es iſt keine ſchwere Aufgabe, ſich in warmen Gegenden
der Mäßigkeit zu befleißigen, oder lange Zeit den Hunger
unter dem Aequator zu ertragen, allein Kälte und Hunger
reiben in kurzer Zeit den Körper auf.


Die Wechſelwirkung der Beſtandtheile der Speiſen und
des durch die Blutcirculation im Körper verbreiteten Sauer-
ſtoffs iſt die Quelle der thieriſchen Wärme.


III.


Alle lebenden Weſen, deren Exiſtenz auf einer Einſau-
gung von Sauerſtoff beruht, beſitzen eine von der Umgebung
unabhängige Wärmequelle.


Dieſe Wahrheit bezieht ſich auf alle Thiere, ſie erſtreckt
ſich auf den keimenden Samen, auf die Blüthe der Pflanze
und auf die reifende Frucht.


Nur in den Theilen des Thieres, zu welchen arterielles
[19]Reſpiration und Ernährung.
Blut, und durch dieſes der in dem Athmungsproceß aufge-
nommene Sauerſtoff gelangen kann, wird Wärme erzeugt.
Haare, Wolle, Federn beſitzen keine eigenthümliche Temperatur.


Dieſe höhere Temperatur des Thierkörpers oder, wenn
man will, Wärmeausſcheidung iſt überall und unter allen
Umſtänden die Folge der Verbindung einer brennbaren Sub-
ſtanz mit Sauerſtoff.


In welcher Form ſich auch der Kohlenſtoff mit Sauer-
ſtoff verbinden mag, der Akt der Verbindung kann nicht vor
ſich gehen, ohne von Entwicklung von Wärme begleitet zu
ſeyn, gleichgültig, ob ſie langſam oder raſch erfolgt, ob ſie
in höherer oder niederer Temperatur vor ſich geht, ſtets
bleibt die freigewordene Wärmemenge eine unveränderliche
Größe.


Der Kohlenſtoff der Speiſen, der ſich im Thierkörper in
Kohlenſäure verwandelt, muß eben ſo viel Wärme entwickeln,
als wenn er in der Luft oder im Sauerſtoff direct verbrannt
worden wäre; der einzige Unterſchied iſt der, daß die erzeugte
Wärmemenge ſich auf ungleiche Zeiten vertheilt; in reinem
Sauerſtoffgas geht die Verbrennung ſchneller vor ſich, die
Temperatur iſt höher, in der Luft langſamer, die Temperatur
iſt niedriger, ſie hält aber länger an.


Es iſt klar, daß mit der Menge des in gleichen Zeiten
durch den Athmungsproceß zugeführten Sauerſtoffs die An-
zahl der freigewordenen Wärmegrade zu- oder abnehmen muß.
Thiere, welche raſch und ſchnell athmen und demzufolge viel
Sauerſtoff verzehren, beſitzen eine höhere Temperatur als
2*
[20]Der chemiſche Proceß der
andere, die in derſelben Zeit, bei gleichem Volum des zu
erwärmenden Körpers, weniger in ſich aufnehmen; ein Kind
mehr (39°) als ein erwachſener Menſch (37,5°), ein Vogel
mehr (40—41°) wie ein vierfüßiges Thier (37—38°), wie
ein Fiſch oder Amphibium, deſſen Eigentemperatur ſich 1½
bis 2° über das umgebende Medium erhebt 5). Alle Thiere
ſind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen
athmen, iſt die Eigenwärme ganz unabhängig von der Tem-
peratur der Umgebung.


Die zuverläſſigſten Beobachtungen beweiſen, daß in allen
Klimaten, in der gemäßigten Zone ſowohl wie am Aequator
oder an den Polen, die Temperatur des Menſchen, ſo wie
die aller ſogenannten warmblütigen Thiere, niemals wechſelt;
allein wie verſchieden ſind die Zuſtände, in denen ſie
leben.


Der Thierkörper iſt ein erwärmter Körper, der ſich zu
ſeiner Umgebung verhält wie alle warmen Körper; er empfängt
Wärme, wenn die äußere Temperatur höher, er giebt Wärme
ab, wenn ſie niedriger iſt, als ſeine eigene Temperatur.


Wir wiſſen, daß die Schnelligkeit der Abkühlung eines
warmen Körpers wächſt mit der Differenz ſeiner eignen Tem-
peratur und der des Mediums, worin er ſich befindet, d. h.
je kälter die Umgebung iſt, in deſto kürzerer Zeit kühlt ſich
der warme Körper ab.


Wie ungleich iſt aber der Wärmeverluſt, den ein Menſch
in Palermo erleidet, wo die äußere Temperatur nahe gleich
iſt der Temperatur des Körpers, und der eines Menſchen,
[21]Reſpiration und Ernährung.
der am Pole lebt, wo die Temperatur 40 — 50 Grade nie-
driger iſt.


Trotzt dieſem ſo höchſt ungleichen Wärmeverluſt, zeigt
die Erfahrung, daß das Blut des Polarländers keine nie-
drigere Temperatur beſitzt, als das des Südländers, der in
einer ſo verſchiedenen Umgebung lebt.


Dieſe Thatſache ihrer wahren Bedeutung nach anerkannt,
beweiſ’t, daß die nach Außen hin abgegebene Wärme in
dem Thierkörper mit großer Schnelligkeit erſetzt wird; im
Winter erfolgt dieſe Erneuerung ſchneller wie im Sommer,
am Pole raſcher wie am Aequator.


In verſchiedenen Klimaten wechſelt nun die Menge des
durch die Reſpiration in den Körper tretenden Sauerſtoffs
nach der Temperatur der äußern Luft; mit dem Wärmeverluſt
durch Abkühlung ſteigt die Menge des eingeathmeten Sauer-
ſtoffs; die zur Verbindung mit dieſem Sauerſtoff nöthige
Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff, ſie muß in einem ähn-
lichen Verhältniß zunehmen.


Es iſt klar, daß der Wärmeerſatz bewirkt wird durch die
Wechſelwirkung der Beſtandtheile der Speiſen, die ſich mit
dem eingeathmeten Sauerſtoff verbinden. Um einen trivialen
aber deswegen nicht minder richtigen Vergleich anzuwenden,
verhält ſich in dieſer Beziehung der Thierkörper, wie ein
Ofen, den wir mit Brennmaterial verſehen. Gleichgültig,
welche Formen die Speiſen nach und nach im Körper an-
nehmen, welche Veränderungen ſie auch erleiden mögen, die
letzte Veränderung, die ſie erfahren, iſt eine Verwandlung
[22]Der chemiſche Proceß der
ihres Kohlenſtoffs in Kohlenſäure, ihres Waſſerſtoffs in
Waſſer; der Stickſtoff und der unverbrannte Kohlenſtoff, ſie
werden in dem Urin und den feſten Excrementen abgeſchieden.
Um eine conſtante Temperatur im Ofen zu haben, müſſen
wir, je nach der äußern Temperatur wechſelnd, eine ungleiche
Menge von Brennmaterial einſchieben.


In Beziehung auf den Thierkörper ſind die Speiſen das
Brennmaterial; bei gehörigem Sauerſtoffzutritt erhalten wir
die durch ihre Oxydation freiwerdende Wärme. Im Winter,
bei Bewegung in kalter Luft, wo die Menge des eingeath-
meten Sauerſtoffs zunimmt, wächſt in dem nämlichen Ver-
hältniß das Bedürfniß nach kohlen- und waſſerſtoffreichen
Nahrungsmitteln, und in Befriedigung dieſes Bedürfniſſes er-
halten wir den wirkſamſten Schutz gegen die grimmigſte
Kälte. Ein Hungernder friert. Jedermann weiß, daß die
Raubthiere der nördlichen Klimate an Gefräßigkeit weit den
in ſüdlichen Gegenden voranſtehen.


In der kalten und temperirten Zone treibt uns die Luft,
die ohne Aufhören den Körper zu verzehren ſtrebt, zur Ar-
beit und Anſtrengung, um uns die Mittel zum Widerſtande
gegen dieſe Einwirkung zu ſchaffen, während in heißen Kli-
maten die Anforderungen zur Herbeiſchaffung an Speiſe bei
weitem nicht ſo dringend ſind.


Unſere Kleider ſind nur Aequivalente für die Speiſen;
je wärmer wir uns kleiden, deſto mehr vermindert ſich das
Bedürfniß zu eſſen, eben weil der Wärmeverluſt, die Abküh-
lung und damit der nöthige Erſatz durch Speiſen kleiner wird.


[23]Reſpiration und Ernährung.

Gingen wir nackt wie der Indianer, oder wären wir
beim Jagen und Fiſchen denſelben Kältegraden ausgeſetzt
wie der Samojede, ſo würden wir 10 Pfund Fiſch oder Fleiſch
und noch obendrein ein Dutzend Talglichter bewältigen können,
wie uns warmbekleidete Reiſende mit Verwunderung erzählt
haben; wir würden dieſelbe Menge Branntwein oder Thran
ohne Nachtheil genießen können, eben weil ihr Kohlenſtoff-
und Waſſerſtoffgehalt dazu dient, um ein Gleichgewicht mit
der äußeren Temperatur hervorzubringen.


Die Menge der zu genießenden Speiſen richtet ſich nach
den vorhergehenden Auseinanderſetzungen, nach der Anzahl
der Athemzüge, nach der Temperatur der Luft, die wir ein-
athmen und nach dem Wärmequantum, was wir nach außen
hin abgeben.


Keine iſolirte, entgegenſtehende Thatſache kann die Wahr-
heit dieſes Naturgeſetzes ändern. Ohne der Geſundheit einen
vorübergehenden oder bleibenden Nachtheil zuzufügen, kann
der Neapolitaner nicht mehr Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in
den Speiſen zu ſich nehmen, als er ausathmet, und kein
Nordländer kann mehr Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ausath-
men, als er in den Speiſen zu ſich genommen hat, wenn
nicht im Zuſtand der Krankheit, oder wenn er hungert, Zu-
ſtände, die wir näher beleuchten werden.


Der Engländer ſieht mit Bedauern ſeinen Appetit, der
ihm einen häufig wiederkehrenden Genuß darbietet, in Ja-
maica ſchwinden, und es gelingt ihm in der That, durch
Cayennepfeffer und die kräftigſten Reizmittel die nämliche
[24]Der chemiſche Proceß der
Menge von Speiſen zu ſich zu nehmen wie in ſeiner Hei-
math; allein der in den Körper übergegangene Kohlenſtoff
dieſer Speiſen, er wird nicht verbraucht, die Temperatur der
Luft iſt zu hoch und eine erſchlaffende Hitze erlaubt nicht die
Anzahl der Athemzüge (durch Bewegung und Anſtrengung)
zu ſteigern, den Verbrauch alſo mit dem, was er zu ſich ge-
nommen, in Verhältniß zu ſetzen.


Im Gegenſatz hierzu ſendet England ſeine Patienten,
deren kranken Verdauungsorganen die Fähigkeit abgeht oder
vermindert iſt, die Speiſen in den Zuſtand zu verſetzen, in
welchem ſie ſich zur Verbindung mit dem Sauerſtoff eignen,
welche alſo weniger Widerſtand produziren, als das Klima,
die Temperatur ihrer Heimath verlangt, nach ſüdlichen Ge-
genden, wo die Menge des eingeathmeten Sauerſtoffs in ei-
nem ſo großen Verhältniß ſich vermindert, und das Reſultat,
eine Verbeſſerung des Geſundheitzuſtandes, iſt ſichtbar. Die
kranken Verdauungsorgane haben Kraft genug, um die ge-
ringere Menge von Speiſe in Verhältniß zu ſetzen mit dem
verbrauchten Sauerſtoff; in dem kälteren Klima würden die
Reſpirationsorgane ſelbſt zu dieſem Widerſtande dienen müſſen.


Im Sommer ſind bei uns die Leberkrankheiten (Kohlen-
ſtoffkrankheiten), im Winter die Lungenkrankheiten (Sauer-
ſtoffkrankheiten) vorherrſchend.


Die Abkühlung des Körpers, durch welche Urſache es
auch ſei, bedingt eine größeres Maaß von Speiſe. Der
bloße Aufenthalt in freier Luft, gleichgültig ob im Reiſe-
wagen oder auf dem Verdecke von Schiffen, erhöht durch
[25]Reſpiration und Ernährung.
Strahlung und geſteigerte Verdunſtung den Wärmeverluſt,
ſelbſt ohne vermehrte Bewegung; er zwingt uns mehr wie
gewöhnlich zu eſſen. Daſſelbe muß für Perſonen gelten,
welche gewohnt ſind große Quantitäten kaltes Waſſer zu
trinken, welches auf 37° erwärmt wieder abgeht, es vermehrt
den Appetit, und ſchwächliche Conſtitutionen müſſen durch an-
haltende Bewegung den zum Erſatz der an das kalte Waſ-
ſer abgegebenen Wärme nöthigen Sauerſtoff dem Körper
hinzuführen. Starkes und anhaltendes Sprechen und Sin-
gen, das Schreien der Kinder, feuchte Luft, alles dieſes übt
einen beſtimmten nachweisbaren Einfluß auf die zu genießen-
den Speiſen aus.


IV.


In dem Vorhergehenden iſt angenommen worden, daß
vorzüglich der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff zur Verbindung
mit dem Sauerſtoff und zur Hervorbringung der animaliſchen
Wärme dient; die einfachſten Beobachtungen zeigen in der
That, daß der Waſſerſtoff der Speiſen eine nicht minder
wichtige Rolle wie der Kohlenſtoff ſpielt.


Der ganze Reſpirationsproceß erſcheint in völliger Klar-
heit, wenn wir den Zuſtand eines Menſchen oder Thieres,
bei Enthaltung aller Speiſe, ins Auge faſſen. Die Athem-
bewegungen bleiben ungeändert, es wird nach wie vor Sauer-
ſtoff aus der Atmoſphäre aufgenommen und Kohlenſäure und
Waſſerdampf ausgeathmet. Wir wiſſen mit unzweifelhafter
[26]Der chemiſche Proceß der
Beſtimmtheit, woher der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſtammt,
denn mit der Dauer des Hungers ſehen wir den Kohlenſtoff
und Waſſerſtoff des Körpers ſich vermindern.


Die erſte Wirkung des Hungers iſt ein Verſchwinden des
Fettes; dieſes Fett iſt weder in den ſparſamen Faeces, noch
im Urin nachweisbar, ſein Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſind
durch Haut und Lunge in der Form von Sauerſtoffverbin-
dungen ausgetreten; es iſt klar, dieſe Beſtandtheile haben zur
Reſpiration gedient.


Jeden Tag treten 65 Loth Sauerſtoff ein und nehmen
beim Austreten einen Theil von dem Körper des Hungernden
mit. (Currie ſah einen Kranken, der nicht ſchlingen konnte,
während eines Monates über 100 Pfd. an ſeinem Gewichte
verlieren, und ein fettes Schwein, was durch einen Berg-
ſturz verſchüttet wurde, lebte 160 Tage ohne Nahrung, und
hatte über 120 Pfd. am Gewichte verloren. (Martell in
den Transactions of the Linnéan Soc. Vol. XI. p. 411.)
Das Verhalten der Winterſchläfer, ſo wie die periodenweiſe
Anſammlung von Fett bei andern Thieren, von Fett, was in
andern Perioden ihres Lebens wieder verſchwindet, ohne eine
Spur zu hinterlaſſen, alle dieſe wohlbekannten Thatſachen
beweiſen, daß der Sauerſtoff in dem Reſpirationsproceß keine
Auswahl unter den Stoffen trifft, die ſich zu einer Verbin-
dung mit ihm eignen. Der Sauerſtoff verbindet ſich mit
allem, was ihm dargeboten wird, und nur Mangel an Waſſer-
ſtoff iſt der Grund, warum ſich überhaupt Kohlenſäure bil-
det, eben weil bei der Temperatur des Körpers die Ver-
[27]Reſpiration und Ernährung.
wandtſchaft des Waſſerſtoffs zum Sauerſtoff bei weitem die
des Kohlenſtoffs übertrifft.


Wir wiſſen in der That, daß die grasfreſſenden Thiere
ein dem eingeathmeten Sauerſtoff gleiches Volum Kohlen-
ſäure wieder ausathmen, während bei den Fleiſchfreſſern, der
einzigen Thierklaſſe, welche Fett in ihrer Nahrung genießt,
mehr Sauerſtoff aufgenommen wird, als dem ausgeathmeten
Kohlenſäurevolum entſpricht; beſtimmte Verſuche haben dar-
gethan, daß in manchen Fällen nur die Hälfte von dem Vo-
lumen des Sauerſtoffs an Kohlenſäuregas ausgeathmet wird.
Dieſe Beobachtungen ſind keiner Widerlegung fähig, ſie ſind
überzeugender, als alle die künſtlich und willkürlich hervor-
gerufenen Erſcheinungen, die man Verſuche nennt, Verſuche,
welche, völlig entbehrlich, alles Gegengewichtes ermangeln,
wenn die Gelegenheit zur Beobachtung in der Natur ſich
darbietet und dieſe Gelegenheit verſtändig benutzt wird.


Bei Hungernden verſchwindet aber nicht allein das Fett,
ſondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen, feſten
Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhunger-
ten ſind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractibilität
beraubt, alle Theile des Körpers, welche fähig waren, in
den Zuſtand der Bewegung überzugehen, ſie haben dazu ge-
dient, um den Reſt der Gebilde vor der alles zerſtörenden
Wirkung der Atmoſphäre zu ſchützen; zuletzt nehmen die Be-
ſtandtheile des Gehirns Antheil an dieſem Oxydationsproceß,
es erfolgt Wahnſinn, Irrereden und der Tod, das heißt,
aller Widerſtand hört völlig auf, es tritt der chemiſche Pro-
[28]Der chemiſche Proceß der
ceß der Verweſung ein, alle Theile des Körpers verbinden
ſich mit dem Sauerſtoff der Luft.


Die Zeit, in welcher ein Verhungernder ſtirbt, richtet
ſich nach dem Zuſtand der Fettleibigkeit, nach dem Zuſtand
der Bewegung (Anſtrengung und Arbeit), nach der Tempe-
ratur der Luft, und iſt zuletzt abhängig von der Gegenwart
oder Abweſenheit des Waſſers. Durch die Haut und Lunge
verdunſtet eine gewiſſe Menge Waſſer, durch deren Austre-
ten, als die Bedingung aller Vermittelung von Bewegun-
gen, der Tod beſchleunigt wird. Es giebt Fälle, wo bei
ungeſchmälertem Waſſergenuß der Tod erſt nach 20, in ei-
nem Fall erſt nach 60 Tagen erfolgte.


In allen chroniſchen Krankheiten erfolgt der Tod durch
die nämliche Urſache, durch die Einwirkung der Atmoſphäre.
Wenn die Stoffe fehlen, welche in dem Organismus zur
Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes beſtimmt ſind, wenn
die Organe des Kranken ihre Funktion verſagen, wenn ſie
die Fähigkeit verlieren, zu ihrem eignen Schutz die genoſſe-
nen Speiſen in den Zuſtand zu verſetzen, in dem ſich ihre
Beſtandtheile mit dem Sauerſtoff der Luft zu verbinden ver-
mögen, ſo wird ihre eigne Subſtanz, das Fett, das Gehirn,
die Subſtanz der Muskeln und Nerven dazu verwendet *).


Die eigentliche Urſache des Todes iſt in dieſen Fällen
der Reſpirationsproceß, die Einwirkung der Atmoſphäre.
[29]Reſpiration und Ernährung.
Mangel an Nahrung, an Fähigkeit, ſie zu Beſtandtheilen des
Organismus zu machen, iſt Mangel an Widerſtand, es iſt
die negative Urſache des Aufhörens der Lebensthätigkeit.
Die Flamme geht aus, weil das Oel verzehrt iſt; es iſt
der Sauerſtoff der Luft, der es verzehrt hat.


In manchen Krankheitszuſtänden erzeugen ſich Stoffe, die
zur Aſſimilation nicht verwendbar ſind, durch bloße Enthal-
tung von Speiſen werden ſie aus dem Körper entfernt, ſie
verſchwinden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, indem ihre
Beſtandtheile mit dem Sauerſtoff der Luft in Verbindung treten.


Von dem Augenblicke an, wo die Funktion der Haut
oder Lunge eine Störung erleidet, erſcheinen kohlenſtoffrei-
chere Stoffe im Urin, der ſeine gewöhnliche Farbe in braun
umändert. Von der ganzen Oberfläche des menſchlichen Kör-
pers wird Sauerſtoff aus der Luft aufgenommen, der ſich
mit allen Materien verbindet, die ſeiner Action keinen Wi-
derſtand entgegenſetzen; an allen Stellen des Körpers, wo
der Zutritt des Sauerſtoffs gehemmt iſt, unter den Achſel-
höhlen und an den Füßen z. B., bemerken wir eine Aus-
ſcheidung von Stoffen, die ſich durch ihren Zuſtand oder
durch den Geruch den Sinnen zu erkennen geben.


Die Reſpiration iſt das fallende Gewicht, die geſpannte
Feder, welche das Uhrwerk in Bewegung erhält, die Athem-
züge ſind die Pendelſchläge, die es reguliren. Wir kennen
bei unſeren gewöhnlichen Uhren mit mathematiſcher Schärfe
die Aenderungen, welche durch die Länge des Pendels oder
durch äußere Temperaturen ausgeübt werden, auf ihren re-
[30]Der chemiſche Proceß der
gelmäßigen Gang; allein nur von Wenigen iſt in ſeiner Klar-
heit der Einfluß erkannt, den Luft und Temperatur auf
den Geſundheitszuſtand des menſchlichen Körpers ausüben,
und doch iſt die Ausmittelung der Bedingungen, um ihn im
normalen Zuſtand zu erhalten, nicht ſchwieriger, wie bei ei-
ner gewöhnlichen Uhr.


V.


Der Mangel an einer richtigen Anſicht von Kraft und
Wirkung und dem Zuſammenhang der Naturerſcheinungen
hat die Chemiker dahin geführt, einen Theil der im Thier-
organismus ſich erzeugenden Wärme den Wirkungen des Ner-
venſyſtems zuzuſchreiben. Wenn man damit einen Stoff-
wechſel als Bedingung der Nervenwirkungen ausſchließt, ſo
will dies nichts anders ſagen, als das Vorhandenſein einer
Bewegung, die Aeußerung einer Thätigkeit hervorgehen zu
machen aus Nichts. Allein aus Nichts kann keine Kraft,
keine Thätigkeit entſtehen.


Niemand wird ernſtlich den Antheil läugnen, welchen die
Nervenapparate an dem Reſpirationsproceß nehmen, keine
Art von Zuſtandsänderung kann im Thierkörper vor ſich ge-
hen, ohne die Nerven, denn ſie ſind die Bedinger aller Be-
wegungen. Durch ſie, durch ihre Mitwirkung produciren
die Eingeweide die Stoffe, welche als Mittel zum Wider-
ſtande gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs zur Hervor-
bringung der animaliſchen Wärme dienen, und mit dem Auf-
hören ihrer Funktionen muß der ganze Akt der Sauerſtoff-
[31]Reſpiration und Ernährung.
aufnahme eine andere Form annehmen. Beim Durchſchnei-
den des Gehirns von Hunden beim Pons varolii, bei Con-
tuſionen gegen Scheitel und Hinterhaupt fährt das Thier
eine Zeitlang zu athmen fort, oft raſcher und lebhafter, wie
im geſunden Zuſtande, die Schnelligkeit des Blutumlaufs
nimmt in der erſten Zeit eher zu als ab, allein das Thier
erkaltet, wie wenn ein plötzlicher Tod eingetreten wäre, der
dann auch unabwendbar erfolgt; ganz ähnliche Erfahrungen
hat man bei Durchſchneidung des Rückenmarks, des Nervus
vagus
gemacht. Die Athembewegungen dauern eine Zeitlang
fort, allein der Sauerſtoff findet die Stoffe auf ſeinem Wege
nicht vor, mit denen er ſich im normalen Zuſtande verbun-
den haben würde, weil ſie ihm von den gelähmten Unter-
leibsorganen nicht geliefert werden können. Die ſonderbare
Anſicht über die Erzeugung der thieriſchen Wärme durch die
Nerven, ſie iſt, wie man leicht bemerkt, aus der Vorſtellung
hervorgegangen, daß das eingeſaugte Sauerſtoffgas in dem
Blute ſelbſt zu Kohlenſäure werde, in welchem Fall, in obi-
gen Verſuchen, freilich die Temperatur des Körpers nicht
abnehmen dürfte, allein es kann, wie ſpäter entwickelt wer-
den ſoll, keinen größeren Irrthum geben.


Aehnlich wie bei Durchſchneidung der pneumogaſtriſchen
Nerven die Bewegung des Magens und die Secretion des
Magenſaftes aufgehoben und damit dem Verdauungsproceß
eine unmittelbare Gränze geſetzt wird, ändert die Lähmung
der Bewegungsorgane des Unterleibs den Reſpirationspro-
ceß; beide ſtehen in dem engſten Zuſammenhang mit einan-
[32]Der chemiſche Proceß der
der; eine jede Störung des Nervenſyſtems, der Verdauungs-
nerven übt rückwärts einen wahrnehmbaren Einfluß auf den
Reſpirationsproceß aus.


Man hat zuletzt die Beobachtung gemacht, daß durch die
Contraction der Muskeln Wärme erzeugt wird, ähnlich wie
in einem Stücke Kautſchuck, was man, raſch aus einander
gezogen, ſich wieder contrahiren läßt. Man iſt ſo weit ge-
gangen, einen Theil der thieriſchen Wärme den mechaniſchen
Bewegungen im Körper zuzuſchreiben, als ob die Bewegun-
gen ſelbſt entſtehen könnten, ohne einen gewiſſen Aufwand
von Kraft, welche durch dieſe Bewegungen verzehrt wird.
Durch was aber, kann man hier fragen, wird dieſe Kraft erzeugt?


Durch verbrennenden Kohlenſtoff, durch Auflöſung eines
Metalls in einer Säure, durch die Vereinigung der beiden
Elektricitäten, durch Einſaugung von Licht entſteht Wärme.
Gleichermaßen entſteht Wärme, wenn wir zwei Stücke eines
feſten Körpers mit einer gewiſſen Geſchwindigkeit auf einan-
der reiben.


Durch eine Menge in ihren Aeußerungen höchſt ver-
ſchiedener Urſachen können wir einerlei Effekt hervorbrin-
gen. Wir haben in der Verbrennung und in der Elek-
tricitätserzeugung einen Stoffwechſel, oder, wie in dem Licht
und der Reibungswärme, die Verwandlung einer vorhande-
nen Bewegung in eine neue, die auf eine andere Weiſe auf
unſere Sinne wirkt. Wir haben ein Subſtrat, etwas Ge-
gebenes, was die Form eines andern Subſtrates annimmt,
in allen Fällen eine Kraft und eine Wirkung. Wir können
[33]Reſpiration und Ernährung.
durch Feuer unter einer Dampfmaſchine alle möglichen Ar-
ten von Bewegungen, und durch ein gegebenes Maaß von
Bewegung Feuer hervorbringen.


Ein Stück Zucker, das wir auf einem Reibeiſen reiben,
erleidet an den Berührungsflächen des Eiſens die nämliche
Veränderung, wie durch eine hohe Temperatur, und zwei
Stücke Eis ſchmelzen an den Punkten, wo ſie ſich reibend
berühren.


Man muß ſich nur erinnern, daß die ausgezeichnetſten
Phyſiker die Erſcheinungen der Wärme nur als Bewegungs-
erſcheinungen gelten laſſen, eben weil der Begriff der Er-
zeugung
einer Materie, wenn auch einer gewichtsloſen,
ſchlechterdings nicht vereinbar iſt mit ihrer Entſtehung durch
mechaniſche Urſachen, wie durch Reibung und Bewegung.


Alles zugegeben, was von elektriſchen und magnetiſchen
Störungen in dem Thierkörper Antheil nehmen mag an den
Funktionen ſeiner Organe, die letzte Urſache aller dieſer
Thätigkeiten iſt ein Stoffwechſel, ausdrückbar durch einen
in einer gewiſſen Zeit ſtattfindenden Uebergang der Beſtand-
theile der Speiſen in Sauerſtoffverbindungen; diejenigen un-
ter ihnen, welche dieſen allmähligen Verbrennungsproceß nicht
erfahren, ſie werden unverbrannt oder unverbrennlich in der
Form von Excrementen ausgeſtoßen.


Es iſt nun ſchlechterdings unmöglich, daß eine gegebene
Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff, welche verſchiedene
Formen ſie auch im Laufe der Verbrennung annehmen mö-
gen, mehr Wärme hervorzubringen fähig iſt, als wie ſie
3
[34]Der chemiſche Proceß der
liefert, wenn ſie im Sauerſtoffgas oder in der Luft direkt
verbrannt wird.


Wenn wir Feuer unter eine Dampfmaſchine machen und
die erhaltene Kraft benutzen, um durch Reibung Wärme her-
vorzubringen, ſo kann dieſe in keiner Weiſe jemals größer
ſein, als die Wärme, die wir nöthig gehabt haben, um den
Dampfkeſſel zu heizen, und wenn wir in einer galvaniſchen
Säule den Strom zur Hervorbringung von Wärme benutzen,
ſo iſt dieſe unter allen Umſtänden nicht größer, als wir ſie
haben können durch die Verbrennung des Zinks, was ſich in
der Säure auflöſ’t.


Die Contraction der Muskeln erzeugt Wärme, die hierzu
nöthige Kraft äußert ſich durch die Organe der Bewegung,
die ſie durch einen Stoffwechſel empfangen. Die letzte Ur-
ſache der erzeugten Wärme kann natürlich nur dieſer Stoff-
wechſel ſein.


Durch die Auflöſung eines Metalls in einer Säure ent-
ſteht ein elektriſcher Strom; durch einen Draht geleitet, wird
dieſer zu einem Magneten, durch den wir verſchiedene Effekte
hervorzubringen vermögen. Die Urſache aller erzeugten Er-
ſcheinungen iſt der Magnetismus, die Urſache der magneti-
ſchen Wirkungen ſuchen wir in dem elektriſchen Strom, und
die letzte Urſache des elektriſchen Stromes, wir finden ſie in
einem Stoffwechſel, in einer chemiſchen Action.


Es giebt verſchiedene Urſachen der Krafterzeugung; eine
geſpannte Feder, ein Luftſtrom, eine fallende Waſſermaſſe, Feuer,
was unter einem Dampfkeſſel brennt, ein Metall, was ſich in einer
[35]Reſpiration und Ernährung.
Säure löſ’t, durch alle dieſe verſchiedenen Urſachen der Bewe-
gung läßt ſich einerlei Effekt hervorbringen. In dem thieriſchen
Körper erkennen wir aber als die letzte Urſache aller Kraft-
erzeugung nur eine, und dieſe iſt die Wechſelwirkung, welche
die Beſtandtheile der Speiſen und der Sauerſtoff der Luft
auf einander ausüben. Die einzige bekannte und letzte Ur-
ſache der Lebensthätigkeit im Thier ſowohl, wie in der
Pflanze iſt ein chemiſcher Proceß; ſchließen wir ihn aus, ſo
ſtellen ſich die Lebensäußerungen nicht ein, oder ſie hören
auf, wahrnehmbar zu ſein; hindern wir die chemiſche Action,
ſo nehmen die Lebenserſcheinungen andere Formen an.


Nach den Verſuchen von Despretz entwickelt 1 Loth
Kohlenſtoff bei ſeiner Verbrennung ſo viel Wärme, daß da-
mit 105 Loth Waſſer von 0° auf 75° erwärmt werden können, im
Ganzen alſo 105mal 75° = 7875° Wärme. Die 27,8 Loth
Kohlenſtoff, welche ſich in dem Körper eines Soldaten in
Kohlenſäure verwandeln, entwickeln mithin 27,8mal 7875°
Wärme = 218825° Wärme. Mit dieſer Wärmemenge kann
man 1 Loth Waſſer auf dieſe Temperatur erheben oder 68\nicefrac{4}{10}
Pfd. Waſſer zum Sieden oder 185 Pfd. auf 37° erhitzen,
oder 12 Pfd. Waſſer bei 37° in Dampf verwandeln.


Wenn wir nun annehmen, daß die Ausdünſtung durch
Haut und Lunge in 24 Stunden 48 Unzen (3 Pfd.) betrage,
ſo bleiben, die hierzu nöthige Wärmemenge abgezogen, 162093
Grad Wärme, welche durch Strahlung, durch Erwärmung
der ausgeathmeten Luft, durch Faeces und Urin aus dem
Körper treten.


3*
[36]Der chemiſche Proceß der

Es iſt in dieſer Rechnung die durch den verbrennenden
Waſſerſtoff, durch ſeinen Uebergang in Waſſer, erzeugte Wär-
memenge nicht in Anſchlag gebracht. Wenn man ſich nun
erinnert, daß die ſpecifiſche Wärme der Knochen, des Fet-
tes, der Subſtanz der Organe weit geringer iſt, als die des
Waſſers, daß ſie alſo, um auf 37° erwärmt zu werden,
weit weniger Wärme bedürfen, als ein gleiches Gewicht
Waſſer, ſo kann es keinem Zweifel unterliegen, daß, alle
dieſe Verhältniſſe mit in Rechnung gezogen, die durch den
Verbrennungsproceß erzeugte Wärme vollkommen hinreicht,
um die conſtante Temperatur des Körpers und die Verdun-
ſtung zu erklären.


VI.


Alle Verſuche der Phyſiker über die Sauerſtoffmenge, die
ein Thier in einer gegebenen Zeit verzehrt, ſo wie die
Schlüſſe, die man daraus auf die Entſtehung der animali-
ſchen Wärme gezogen hat, ſind völlig bedeutungslos, denn
dieſe Sauerſtoffmengen wechſeln, nach der Temperatur und der
Dichtigkeit der Luft, nach dem Zuſtand der Bewegung, Arbeit
und Anſtrengung, ſie ändern ſich nach der Menge und Qualität
der genoſſenen Nahrung, mit der mehr oder weniger warmen
Kleidung, nach der Zeit, in welcher die Speiſe verzehrt wurde.
Die Gefangenen in dem Zuchthaus (Arbeitshaus) zu Ma-
rienſchloß verzehren nicht über 21 Loth Kohlenſtoff, die in
dem Arreſthaus zu Gießen, denen alle Bewegung mangelt,
[37]Reſpiration und Ernährung.
nicht über 17 Loth 6) und in einer mir bekannten Haushaltung
verzehrten 9 Perſonen (4 Kinder, 5 Erwachſene) durchſchnitt-
lich nicht über 19 Loth Kohlenſtoff *). Annäherungsweiſe
kann angenommen werden, daß die aufgenommenen Sauer-
ſtoffmengen ſich wie dieſe Zahlen verhalten, allein durch
Fleiſch, Wein und Fettgenuß ändern ſich dieſe Verhältniſſe
in Folge des ausgetretenen Waſſerſtoffs dieſer Nahrungs-
mittel, der in ſeiner Verwandlung in Waſſer bei gleichem
Gewichte eine weit größere Wärmemenge hervorbringt.


Die Verſuche über die Beſtimmung der Wärmemenge,
die ſich für einen gegebenen Sauerſtoffverbrauch aus einem
Thier entwickelt, ſind nicht minder bedeutungslos. Man hat
Thiere in geſchloſſenen, mit kaltem Waſſer umgebenen Räu-
men athmen laſſen, die Wärmezunahme der Umgebung durch
den Thermometer gemeſſen und die Menge des verſchwunde-
nen Sauerſtoffgaſes, ſo wie die erzeugte Kohlenſäure durch
die Analyſe der ein- und ausgetretenen Luft beſtimmt. In
dieſen Verſuchen hat man gefunden, daß das Thier mehr
Wärme verlor, als dem verzehrten Sauerſtoff entſprach, und
zwar 1/10 mehr, und wenn man dem Thiere die Luftröhre
zugebunden haben würde, ſo wäre das merkwürdige Ver-
hältniß eingetreten, daß das umgebende Waſſer durch das
erkaltende Thier Wärme empfangen hätte, ohne allen Ver-
[38]Der chemiſche Proceß der
brauch von Sauerſtoff. Die Temperatur des Thiers war
38°, die des umgebenden Waſſers in den Verſuchen von
Despretz 8,5°. Dieſe Verſuche beweiſen alſo, daß bei ei-
ner großen Differenz der Temperatur des Körpers und der
der Umgebung, beim Mangel aller Bewegung, mehr Wärme
entweicht, als dem eingeathmeten Sauerſtoff entſpricht; in
gleichen Zeiten bei freier ungehinderter Bewegung würde
eine weit größere Menge Sauerſtoff aufgenommen worden
ſein, ohne bemerkbare Erhöhung des Wärmeverluſtes.
Dieſer Zuſtand tritt bei Menſchen und Thieren zu ge-
wiſſen Jahreszeiten ein, und wir ſagen in dieſem Fall,
daß wir frieren. Es iſt klar, daß, wenn wir einen
Menſchen mit einem metalliſchen Kleide umgeben, der Wär-
meverluſt, wenn wir ihm Hände und Füße binden, bei glei-
chem Sauerſtoffverbrauch weit größer ſein wird, als wenn
wir ihn in Pelz und Wolle ſtecken, ja wir finden ſogar,
daß er in dem letztern Fall anfängt zu ſchwitzen, daß war-
mes Waſſer quellenweiſe aus den feinen Schweißlöchern ſei-
ner Haut tritt.


Wenn man hinzunimmt, daß ganz beſtimmte Beobach-
tungen vorliegen, wo Thiere, die gebunden in einer unna-
türlichen Stellung, z. B. auf dem Rücken liegend, athmeten,
daß die Temperatur ihres Körpers durch den Thermometer
meßbar abnimmt, ſo kann man wohl ſchwerlich über die
Schlüſſe, die man aus dieſen Verſuchen gezogen hat, im
Zweifel ſein.


Dieſe Schlüſſe haben für die Meinung, daß eine andere
[39]Reſpiration und Ernährung.
unbekannte Quelle der Wärme in dem thieriſchen Körper
exiſtire, nicht den allergeringſten Werth.


VII.


Wenn wir die Erzeugung von Kraft, die Bewegungs-
erſcheinungen mit Nervenleben, und den Widerſtand, den
Zuſtand des ſtatiſchen Gleichgewichtes mit vegetativem
Leben
bezeichnen, ſo iſt klar, daß im jugendlichen Alter bei
allen Thierklaſſen das letztere, nämlich das vegetative Leben,
das Nervenleben überwiegt.


Der Uebergang des in Bewegung befindlichen Stoffs in
den Zuſtand der Ruhe zeigt ſich in einer Zunahme an Maſſe,
in einem Erſatz an verbrauchtem Stoffe; die Bewegung ſelbſt,
die Krafterzeugung ſtellt ſich dar als ein Verbrauch an Stoff.


In dem jugendlichen Thiere iſt der Verbrauch kleiner,
als die Zunahme, und dieſen Zuſtand eines intenſiveren ve-
getativen Lebens behält das weibliche Thier bis zu einem
gewiſſen Lebensalter unverändert bei, es erreicht nicht, wie
beim männlichen Thiere, mit der Ausbildung aller Organe
eine Gränze.


Das weibliche Thier iſt zu gewiſſen Perioden des Jahrs
der Fortpflanzung fähig, durch äußere Bedingungen, Tem-
peratur, Nahrung ꝛc. wird das vegetative Leben in ſeinem
Organismus geſteigert, er producirt mehr als er verwendet;
dieſe Fähigkeit zeigt ſich in der Fortpflanzung. Unabhängig
von äußeren Bedingungen der Steigerung des vegetativen
[40]Der chemiſche Proceß der
Lebens iſt das Weib des Menſchen, mit der Ausbildung al-
ler ſeiner Organe, zu jeder Zeit der Fortpflanzung fähig,
die Empfängniß iſt an keine Periode gebunden, und eine wun-
derbare Weisheit hat in ſeinen Körper die Fähigkeit gelegt,
bis zu einem beſtimmten Lebensalter alle Beſtandtheile ſeiner
Organe in größerer Menge zu erzeugen, als ſie zur Repro-
duktion der umgeſetzten Gebilde erforderlich ſind. Dieſes
Erzeugniß enthält nachweisbar alle Elemente eines ihm glei-
chen Weſens, es vermehrt ſich in jedem Lebensmomente und
wird, bis es Verwendung findet, periodenweiſe aus dem
Körper abgeſchieden. Mit der Befruchtung des Ei’s hört
dieſe Abſcheidung auf, jeder Tropfen des mehrerzeugten Blu-
tes formt ſich zu einem der Mutter ähnlichen Organismus.


Durch Bewegung und Anſtrengung wird die Menge des
abgeſchiedenen Blutes geringer, und bei krankhafter Unter-
drückung der Menſtruation zeigt ſich das vegetative Leben in
einer geſteigerten Fettbildung. Wird das Gleichgewicht des
vegetativen und Nervenlebens bei dem Manne geſtört, wird
die Intenſität des letztern, wie bei den Caſtraten, verringert,
ſo zeigt ſich das Uebergewicht des erſtern in einer gleichen
Form, in einer Steigerung der Fettbildung.


VIII.


Wenn wir feſthalten, daß die Zunahme an Maſſe in
dem thieriſchen Körper, daß die Ausbildung ſeiner Organe
und ihrer Reproduktion aus dem Blute, d. h. aus den Be-
[41]Reſpiration und Ernährung.
ſtandtheilen des Blutes, geſchieht, ſo können nur diejenigen
Materien Nahrungsmittel genannt werden, welche fähig
ſind zu Blut zu werden. Die Unterſuchung der Stoffe, die
ſich hierzu eignen, beſchränkt ſich hiernach auf die Ausmitte-
lung der Zuſammenſetzung der Nahrungsmittel und ihrer
Vergleichung mit der Zuſammenſetzung der Beſtandtheile des
Blutes.


Zwei Materien ſind als Hauptbeſtandtheile des Blutes
vorzüglich in Betracht zu ziehen. Die eine davon ſcheidet
ſich augenblicklich aus dem Blute ab, ſobald es aus der Cir-
culation genommen wird. Jedermann weiß, daß das Blut
in dieſem Fall gerinnt, es trennt ſich in eine gelbliche Flüſ-
ſigkeit, in Blutſerum, und eine gallertartige Maſſe, die
ſich in weichen, zähen elaſtiſchen Fäden an einen Stab oder
eine Ruthe anhängt, mit denen man das friſche Blut wäh-
rend ſeines Gerinnens peitſcht oder ſchlägt. Dieſer Körper
iſt das Fibrin, Blutfaſerſtoff, er iſt identiſch in ſeinen Ei-
genſchaften mit der von allen anderen Materien befreiten
Muskelfaſer.


Der zweite Hauptbeſtandtheil des Blutes iſt im Blut-
ſerum enthalten, er ertheilt dieſer Flüſſigkeit alle Eigenſchaf-
ten des weißen Theils des Hühnerei’s, indem er identiſch
mit dieſem Beſtandtheil aller Eier iſt. Er gerinnt in der
Hitze zu einer weißen elaſtiſchen Maſſe; dieſer gerinnende
Beſtandtheil hat den Namen Albumin erhalten.


Fibrin und Albumin, die Hauptbeſtandtheile des Blutes,
enthalten im Ganzen 7 chemiſche Elemente, unter welche
[42]Der chemiſche Proceß der
namentlich Stickſtoff, Phosphor und Schwefel, ſo wie die
Subſtanz der Knochen gehört. In dem Serum befinden ſich
Kochſalz und Salze in Auflöſung, welche Kali, Natron als
Baſen enthalten, ſie ſind mit Kohlenſäure, Phosphorſäure
und Schwefelſäure verbunden. Die Blutkörperchen enthal-
ten Fibrin und Albumin, ſowie einen rothen Farbſtoff, in
welchem Eiſen einen nie fehlenden Beſtandtheil ausmacht.
Außer dieſen enthält das Blut noch einige fette Körper in
geringer Menge, die ſich von den gewöhnlichen Fetten durch
verſchiedene Eigenſchaften unterſcheiden.


Die chemiſche Analyſe hat zu dem merkwürdigen [Reſul-
tate]
geführt, daß Fibrin und Albumin einerlei organiſche Ele-
mente und zwar in dem nämlichen Gewichtsverhältniß enthalten,
in der Art alſo, daß, wenn man zwei Analyſen, die eine von
Fibrin, die andere von Albumin neben einander ſtellt, wir
keinen größeren Unterſchied in der procentiſchen Zuſammen-
ſetzung wahrnehmen, wie in zwei Analyſen von Fibrin, oder
in zwei Analyſen von Albumin.


In beiden Blutbeſtandtheilen ſind offenbar, dies zeigt ihr
verſchiedener Zuſtand, die Elemente auf verſchiedene Weiſe
geordnet, allein ihrer Zuſammenſetzung nach ſind ſie identiſch.


Dieſer Schluß iſt neuerdings aufs Schönſte dadurch be-
ſtätigt worden, daß es einem ausgezeichneten Phyſiologen
(P. Denis) gelang, Fibrin in den Zuſtand von Albumin
künſtlich überzuführen, ihm alſo die Löslichkeit und Gerinn-
barkeit zu geben, die das Eiweiß charakteriſirt.


Neben der gleichen Zuſammenſetzung haben ſie noch die
[43]Reſpiration und Ernährung.
chemiſche Eigenſchaft mit einander gemein, daß ſie ſich beide
in ſtarker Salzſäure zu einer intenſiv indigblauen Flüſſigkeit
löſen, welche gegen alle Materien, die man damit zuſam-
menbringt, ein ganz gleiches Verhalten zeigt.


Albumin und Fibrin können beide in dem Ernährungs-
proceſſe zu Muskelfaſer werden, und Muskelfaſer kann rück-
wärts wieder in Blut übergehen. Dieſer Uebergang iſt von
den Phyſiologen längſt außer allen Zweifel geſtellt, und die
Chemie hat alſo nur nachgewieſen, daß die Metamorphoſe
rückwärts und vorwärts erfolgen kann, kraft einer einwir-
kenden Thätigkeit, ohne Zuhülfenahme eines dritten Körpers
oder ſeiner Beſtandtheile, ohne daß alſo ein fremdes Ele-
ment aufgenommen zu werden oder ein in Verbindung vor-
handenes auszutreten braucht.


Wenn wir nun die Zuſammenſetzung aller Gebilde mit
der des Fibrins und Albumins im Blute vergleichen, ſo er-
geben ſich folgende Beziehungen.


Alle Theile des Thierkörpers, die eine beſtimmte Form
beſitzen, welche Beſtandtheile von Organen ſind, enthalten
Stickſtoff. Kein Theil oder Beſtandtheil eines Organs, wel-
ches Bewegung und Leben beſitzt, iſt frei von Stickſtoff, alle
enthalten Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers, wie-
wohl dieſe letzteren nie in dem Verhältniß, wie im Waſſer.


Die Hauptbeſtandtheile des Blutes enthalten nahe an
17 pCt. Stickſtoff, kein Theil eines Organs enthält weni-
ger, wie ſiebzehn Procent Stickſtoff 7).


Die entſcheidendſten Verſuche und Beobachtungen haben
[44]Der chemiſche Proceß der
bewieſen, daß der thieriſche Organismus durchaus unfähig
iſt, ein chemiſches Element, Kohlenſtoff oder Stickſtoff, aus
anderen Materien, in denen dieſe Körper fehlen, hervorzu-
bringen, und es iſt hiernach einleuchtend, daß alle Nahrungs-
mittel, die zur Blutbildung oder zur Bildung von Zellen,
Membranen, Haut, Haaren, Muskelfaſer dienen ſollen, eine
gewiſſe Portion Stickſtoff enthalten müſſen, eben weil dieſer
einen Beſtandtheil der genannten Organe ausmacht, dieſe
aus anderen Elementen, die man ihnen darbietet, keinen
Stickſtoff erzeugen können und weil kein Stickſtoff aus der
Atmoſphäre in dem Lebensproceß verwendet wird.


Der thieriſche Körper enthält in der Nerven- und Ge-
hirnſubſtanz eine große Menge Albumin und außer dieſem
zwei eigenthümliche fette Säuren, die ſich von allen ande-
ren Fetten durch einen Gehalt von Phosphor (-ſäure?) un-
terſcheiden (Fremy). Eins dieſer Fette enthält Stickſtoff.


Waſſer und Fett machen zuletzt die ſtickſtofffreien Be-
ſtandtheile des Thierkörpers aus, beide ſind formlos und
nehmen nur in ſofern Antheil an dem Lebensproceß, als
durch ſie die Lebensfunktionen vermittelt werden. Die nicht-
organiſchen Beſtandtheile des Thierkörpers ſind Eiſen, Kalk,
Bittererde, Kochſalz, ſowie die Alkalien.


IX.


Die Ernährung der Fleiſchfreſſer nimmt unter allen Thier-
klaſſen die einfachſte Form an; ſie leben vom Blut und Fleiſch
[45]Reſpiration und Ernährung.
der gras- und körnerfreſſenden Thiere, allein dieſes Blut
und Fleiſch iſt identiſch in allen ſeinen Eigenſchaften mit ih-
rem eigenen Blut und Fleiſch, weder chemiſch, noch phyſio-
logiſch iſt ein Unterſchied wahrnehmbar.


Die Nahrung der fleiſchfreſſenden Thiere iſt aus Blut
entſtanden, ſie wird in ihrem Magen flüſſig und überführbar
in andere Körpertheile, ſie wird in ihrem Leibe wieder zu
Blut, und aus dieſem Blut erzeugen ſich alle Theile ihres
Körpers wieder, die eine Veränderung oder Umſetzung er-
litten haben.


Bis auf Klauen, Haare, Federn und Knochenerde iſt kein
Beſtandtheil der Nahrung der Carnivoren unaſſimilirbar.


In chemiſchem Sinne kann man alſo ſagen, daß das
fleiſchfreſſende Thier zur Erhaltung ſeiner Lebensproceſſe ſich
ſelbſt verzehrt.


Dasjenige, was zu ſeiner Ernährung dient, iſt identiſch
mit den Beſtandtheilen ſeiner Organe, welche erneuert wer-
den ſollen.


Ganz anders ſtellt ſich dem Anſchein nach der Ernäh-
rungsproceß der pflanzenfreſſenden Thiere dar; ihre Ver-
dauungsorgane ſind minder einfach und ihre Nahrung beſteht
aus Vegetabilien, die ihrer Hauptmaſſe nach nur ſehr wenig
Stickſtoff enthalten.


Aus welchen Stoffen, kann man fragen, entſteht bei ih-
nen das Blut, aus dem ſich ihre Organe entwickeln?


Dieſe Frage läßt ſich mit genügender Sicherheit beant-
worten.


[46]Der chemiſche Proceß der

Die chemiſchen Unterſuchungen haben dargethan, daß alle
Theile von Pflanzen, welche Thieren zur Nahrung dienen,
gewiſſe Beſtandtheile enthalten, welche reich ſind an Stick-
ſtoff, und die gewöhnlichſten Erfahrungen beweiſen, daß die
Thiere zu ihrer Erhaltung und Ernährung der Quantität
nach um ſo weniger von dieſen Pflanzentheilen bedürfen, je
reicher ſie an dieſen ſtickſtoffhaltigen Stoffen ſind; ſie kön-
nen nicht mit Materien ernährt werden, worin ſie fehlen.


In vorzüglicher Menge ſind dieſe Erzeugniſſe der Pflan-
zen in den Samen der Getreidearten, der Erbſen, Linſen,
Bohnen, in Wurzeln und in den Säften der ſogenannten
Gemüspflanzen enthalten, ſie fehlen übrigens in keiner ein-
zigen Pflanze, in keinem ihrer Theile.


Dieſe ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe laſſen ſich im Gan-
zen auf drei Materien zurückführen, die ihrer äußern Be-
ſchaffenheit nach leicht von einander zu unterſcheiden ſind.
Zwei davon ſind im Waſſer löslich, der dritte wird davon
nicht aufgenommen.


Wenn man friſch ausgepreßte Pflanzenſäfte ſich ſelbſt
überläßt, ſo tritt nach wenigen Minuten eine Scheidung
ein, es ſondert ſich ein gelatinöſer Niederſchlag ab, gewöhn-
lich von grüner Farbe, welcher, mit Flüſſigkeiten behandelt,
die den Farbeſtoff löſen, eine grauweiße Materie hinterläßt.
Dieſe Subſtanz iſt unter dem Namen grünes Satzmehl
der Pflanzenſäfte den Pharmaceuten wohl bekannt. Dieß
iſt der eine von den ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln der
Thiere, er hat den Namen Pflanzenfibrin erhalten. Der
[47]Reſpiration und Ernährung.
Saft der Gräſer iſt vorzüglich reich an dieſem Beſtandtheil,
er iſt in reichlichſter Menge in dem Weizenſamen, ſo wie
überhaupt in den Samen der Cerealien enthalten, und kann
aus dem Weizenmehl durch eine mechaniſche Operation ziem-
lich rein erhalten werden. In dieſem Zuſtande heißt er
Kleber, allein die klebenden Eigenſchaften gehören ihm nicht
an, ſondern einer geringen Menge eines beigemiſchten frem-
den Körpers, der in den Samen der übrigen Getreidearten
fehlt.


Wie ſich aus der Art ſeiner Darſtellung ergiebt, iſt das
Pflanzenfibrin im Waſſer nicht löslich, obwohl man nicht
zweifeln kann, daß es in der lebenden Pflanze im Safte
gelöſ’t vorhanden war, aus dem es ſich, ähnlich wie das
Fibrin aus Blut, erſt ſpäter abſchied.


Der zweite ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoff iſt in dem Safte
der Pflanzen gelöſ’t, er ſcheidet ſich daraus bei gewöhnlicher
Temperatur nicht ab, wohl aber, wenn der Pflanzenſaft zum
Sieden erhitzt wird.


Bringt man den ausgepreßten klaren Saft, am beſten
von Gemüspflanzen, von Blumenkohl, Spargel, Kohlrüben,
weißen Rüben u. ſ. w. zum Sieden, ſo entſteht darin ein
Coagulum, welches in ſeiner äußern Beſchaffenheit und ſei-
nen Eigenſchaften ſchlechterdings nicht zu unterſcheiden iſt
von dem Körper, der ſich als Gerinnſel abſcheidet, wenn
man mit Waſſer verdünntes Blutſerum oder Eiweiß der
Siedhitze ausſetzt. Dies iſt das Pflanzenalbumin; in
vorzüglicher Menge findet ſich dieſer Körper in gewiſſen Sa-
[48]Der chemiſche Proceß der
men, in Nüſſen, Mandeln und anderen, in denen das Amy-
lon der Getreideſamen ſich vertreten findet durch Oel oder
Fett.


Der dritte ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoff, den die Pflan-
zen produciren, das Pflanzencaſein, findet ſich haupt-
ſächlich in den Samenlappen der Erbſen, Linſen und Boh-
nen, er iſt wie das Pflanzenalbumin im Waſſer löslich, un-
terſcheidet ſich aber von ihm dadurch, daß ſeine Auflöſung
durch Hitze nicht coagulirt wird; beim Abdampfen und Er-
hitzen zieht ſie an der Oberfläche eine Haut, und, mit Säu-
ren verſetzt, entſteht darin ein Gerinnſel wie in der Thier-
milch.


Dieſe drei Stoffe, Pflanzen-Fibrin, -Albumin und -Ca-
ſein, ſind die eigentlichen ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe der
pflanzenfreſſenden Thiere, alle anderen in Pflanzen vorkom-
menden ſtickſtoffhaltigen Materien werden entweder, wie die
Stoffe in den Giftpflanzen und Medizinalpflanzen, von den
Thieren nicht genoſſen, oder ſie ſind ihrer Nahrung in ſo
außerordentlich kleinen Mengen beigemiſcht, daß ſie zur Ver-
mehrung der Maſſe ihres Körpers nicht beizutragen ver-
mögen.


Die chemiſche Unterſuchung der drei genannten Subſtan-
zen hat zu dem intereſſanten Reſultate geführt, daß ſie ei-
nerlei organiſche Elemente in dem nämlichen Gewichts-Ver-
hältniſſe enthalten, und was noch weit merkwürdiger iſt, es
hat ſich ergeben, daß ſie identiſch ſind in ihrer Zuſammen-
ſetzung mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes, mit Fibrin
[49]Reſpiration und Ernährung.
und Albumin. Sie löſen ſich alle drei in concentrirter Salz-
ſäure mit der nämlichen indigblauen Farbe auf, und auch in
ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften ſind Thierfibrin und Thier-
albumin von Pflanzenfibrin und Pflanzenalbumin in keiner
Weiſe verſchieden. Es verdient ganz beſonders hervorgeho-
ben zu werden, daß hier unter einer gleichen Zuſammenſetzung
nicht bloß eine ähnliche gemeint iſt, ſondern es iſt auch in
Beziehung auf ihren Gehalt an Phosphor, Schwefel, Kno-
chenerde und Alkalien kein Unterſchied wahrnehmbar 8).


In welcher bewundernswürdigen Einfachheit erſcheint nach
dieſen Entdeckungen der Bildungsproceß im Thiere, die Ent-
ſtehung ſeiner Organe, der Hauptträger der Lebensthätigkeit.
Die Pflanzenſtoffe, welche in den Thieren zur Blutbildung
verwendet werden, enthalten die Hauptbeſtandtheile des Blu-
tes, Fibrin und Albumin, fertig gebildet allen ihren Ele-
menten nach, alle Pflanzen enthalten noch überdies eine ge-
wiſſe Menge Eiſen, was wir im Blutfarbeſtoff wiederfinden.
Pflanzenfibrin und Thierfibrin, Pflanzenalbumin und Thier-
albumin ſind kaum der Form nach verſchieden; wenn dieſe
Stoffe in der Nahrung der Thiere fehlen, ſo hört die Er-
nährung der Thiere auf, und wenn ſie darin gegeben wer-
den, ſo empfängt das pflanzenfreſſende Thier die nämlichen
Materien, auf welche die fleiſchfreſſenden zu ihrer Erhaltung
beſchränkt ſind.


Die Pflanzen erzeugen in ihrem Organismus das Blut
aller Thiere, denn in dem Blut und Fleiſch der pflanzen-
freſſenden verzehren die fleiſchfreſſenden im eigentlichen Sinne
4
[50]Der chemiſche Proceß der
nur die Pflanzenſtoffe, von denen die erſteren ſich ernährt
haben; Pflanzenfibrin und -Albumin nehmen in dem Magen
des pflanzenfreſſenden Thiers genau die nämliche Form an,
wie Thierfibrin und Thieralbumin in dem Magen der Car-
nivoren.


Aus dem Vorhergehenden ergiebt ſich, daß die Entwicke-
lung der Organe eines Thiers, ihre Vergrößerung und Zu-
nahme an Maſſe an die Aufnahme gewiſſer Stoffe geknüpft
iſt, die identiſch ſind mit den Hauptbeſtandtheilen ihres Blutes.


In dieſem Sinne kann man ſagen, daß der Thierorga-
nismus ſein Blut nur der Form nach ſchafft, daß ihm die
Fähigkeit mangelt, es aus anderen Stoffen zu erzeugen, die
nicht identiſch ſind mit ſeinen Hauptbeſtandtheilen. Damit
kann freilich nicht behauptet werden, daß ihm die Fähigkeit,
andere Verbindungen zu erzeugen, abgehe, wir wiſſen
im Gegentheil, daß ſein Organismus eine große Reihe
von ſeinen Blutbeſtandtheilen in ihrer Zuſammenſetzung
abweichender Verbindungen hervorbringt, aber den Anfangs-
punkt der Reihe, ſeine Blutbeſtandtheile, dieſe kann er ſich
nicht bilden.


Der Thierorganismus iſt eine höhere Pflanze, deren Ent-
wickelung mit denjenigen Materien beginnt, mit deren Er-
zeugung das Leben der gewöhnlichen Pflanze aufhört; ſo-
bald dieſe Samen getragen hat, ſtirbt ſie ab, oder es hört
damit eine Periode ihres Lebens auf.


In der unendlichen Reihe von Verbindungen, welche mit
den Nahrungsſtoffen der Pflanzen, mit Kohlenſäure und Am-
[51]Reſpiration und Ernährung.
moniak und Waſſer anfängt, bis zu den zuſammengeſetzteſten
Beſtandtheilen des Gehirns im Thierkörper finden wir keine
Lücke, keine Unterbrechung. Der erſte Nahrungsſtoff des
Thieres iſt das letzte Produkt der ſchaffenden Thätigkeit der
Pflanze.


Die Subſtanz der Zellen und Membranen, der Nerven
und des Gehirns erzeugt die Pflanze nicht.


Das Wunderbare in der ſchaffenden Thätigkeit der Pflanze
verliert ſich, wenn man erwägt, daß die Erzeugung der
Blutbeſtandtheile nicht auffallender erſcheinen kann, als wenn
wir Ochſentalg und Hammelstalg (in den Kakaobohnen), oder
Menſchenſchmalz (im Olivenöl), oder die Hauptbeſtandtheile
der Kuhbutter (Palmbutter) auf Bäumen wachſend finden,
daß wir das Pferdefett und den Fiſchthran in den ölreichen
Samen entſtehen ſehen.


X.


So wenig man nun auch, wie ſich aus dem Vorherge-
henden ergiebt, über die Art und Weiſe in Ungewißheit ſein
kann, wie die Zunahme in der Maſſe der Organe eines
Thieres vor ſich geht, ſo bleibt immer noch eine überaus
wichtige Frage zu löſen, die Rolle nämlich auszumitteln,
welche die ſtickſtofffreien Subſtanzen, Zucker, Amylon, Gummi,
Pectin u. ſ. w. in dem thieriſchen Körper ſpielen.


Die größte aller Thierklaſſen kann ohne dieſe Materien
nicht leben, ihre Nahrung muß eine gewiſſe Menge davon
4*
[52]Der chemiſche Proceß der
enthalten, und wir ſehen ihrem Leben ein raſches Ziel geſetzt,
wenn ſie in ihr fehlen.


Dieſe wichtige Frage erſtreckt ſich gleichfalls auf die Be-
ſtandtheile der Nahrung des fleiſchfreſſenden Thieres in der
frühſten Periode ſeines Lebens, denn auch dieſe Nahrung
enthält gewiſſe Beſtandtheile, welche ſein Körper zu ſeiner
Erhaltung im erwachſenen Zuſtande nicht bedarf.


In dem jugendlichen Körper der Fleiſchfreſſer geſchieht
offenbar die Ernährung in einer ähnlichen Weiſe, wie in
dem Körper der pflanzenfreſſenden Thiere; ſeine Entwicke-
lung iſt an die Aufnahme einer Flüſſigkeit gebunden, welche
der Leib der Mutter in der Form der Milch abſondert.


Die Milch enthält nur einen ſtickhoffhaltigen Beſtand-
theil, den ſogenannten Käſeſtoff, Caſein; außer dieſem ſind
ihre Hauptbeſtandtheile Butter (Fett) und Milchzucker.


Aus dem ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil der Milch muß
das Blut des jungen Thieres, ſeine Muskelfaſer, Zellen
und Nervenſubſtanz und ſeine Knochen, erzeugt worden ſein,
denn Butter und Milchzucker enthalten keinen Stickſtoff.


Die Unterſuchung des Caſeins hat nun zu dem Reſul-
tate geführt, was nach dem Vorhergehenden kaum mehr über-
raſchen kann, daß auch dieſer Stoff identiſch iſt in ſeiner
Zuſammenſetzung mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes,
mit Fibrin und Albumin, ja was noch mehr iſt, die Ver-
gleichung ſeiner Eigenſchaften mit denen des Pflanzencaſeins
hat gezeigt, daß er mit dieſem auch identiſch iſt in allen
ſeinen Eigenſchaften, in der Art alſo, daß gewiſſe Pflanzen
[53]Reſpiration und Ernährung.
wie die Erbſen, Bohnen, Linſen, den nämlichen Körper zu
erzeugen vermögen, welcher aus dem Blute der Mutter ent-
ſteht und zur Blutbildung in dem Körper des jungen Thie-
res verwendet wird 9).


In dem Caſein, das ſich durch ſeine außerordentliche
Löslichkeit und Nichtgerinnbarkeit in der Wärme von dem
Fibrin und Albumin unterſcheidet, empfängt demnach das
junge Thier, ſeinem Hauptbeſtandtheil nach, das Blut ſeiner
Mutter; zu ſeinem Uebergang in Blut gehört kein dritter
Stoff, und keiner der Beſtandtheile des Blutes ſeiner Mut-
ter trennt ſich davon bei ihrem Uebergang in Caſein. In
chemiſcher Verbindung enthält das Caſein der Milch eine
weit größere Quantität von Knochenerde, als wie das Blut,
und zwar in höchſt löslichem Zuſtande, überführbar alſo in
alle Körpertheile. Auch in der frühſten Periode ihres Le-
bens iſt die Entwickelung und Ausbildung der Träger der
Lebensthätigkeit im jungen Thiere an die Aufnahme einer
Materie gebunden, welche in Beziehung auf ſeine organiſchen
Beſtandtheile identiſch iſt in ihrer Zuſammenſetzung mit den
Hauptbeſtandtheilen ſeines Blutes.


Wozu dient nun aber das Fett der Butter, der Milch-
zucker? Was iſt der Grund, warum ſie zu dem Leben der
jungen Thiere unentbehrlich ſind?


Butter und Milchzucker enthalten keine fixen Baſen, kei-
nen Kalk, kein Natron, kein Kali; der Milchzucker beſitzt
eine den gewöhnlichen Zuckerarten, dem Amylon, dem
Gummi ähnliche Zuſammenſetzung, ſie beſtehen aus Koh-
[54]Der chemiſche Proceß der
lenſtoff und den Elementen des Waſſers, und zwar genau
in dem nämlichen Verhältniſſe, wie im Waſſer.


Durch dieſe ſtickſtofffreien Stoffe iſt alſo ihren ſtickſtoff-
haltigen eine gewiſſe Menge von Kohlenſtoff, oder, wie in der
Butter, von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff zugeſetzt, ein Ueber-
ſchuß von Elementen alſo, der zur Blutbildung ſchlechterdings
nicht verwendet werden kann, eben weil ihre ſtickſtoffhaltigen
Nahrungsmittel genau die Kohlenſtoffmengen ſchon enthalten,
welche zur Bildung von Fibrin und Albumin nöthig ſind.


Man kann, wie aus den folgenden Betrachtungen ſich
ergeben wird, kaum einen Zweifel hegen, daß dieſer Ueber-
ſchuß an Kohlenſtoff allein, oder an Kohlen- und Waſſerſtoff
zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme, daß er zum
Widerſtand gegen die äußere Einwirkung des Sauerſtoffs
verwendet wird.


XI.


Betrachten wir zuförderſt, um zu einer klareren Einſicht
in das Weſen des Ernährungsproceſſes in den beiden Thier-
klaſſen zu gelangen, die Veränderungen, welche die Nahrung
des fleiſchfreſſenden Thieres in ſeinem Organismus erfährt.


Wir geben einer erwachſenen Schlange eine Ziege, ein
Kaninchen oder einen Vogel zu verzehren und finden, daß
die Haare, Klauen, Federn, Knochen dieſer Thiere ſcheinbar
unverändert ausgeworfen werden, denn ſie haben ihre Form
und natürliche Beſchaffenheit behalten, ſie ſind zerbrechlich,
[55]Reſpiration und Ernährung.
weil ſie von allen nur den der Auflöſung fähigen Beſtand-
theil (Leimſubſtanz) verloren haben. Eigentliche Faeces gehen
von der Schlange ſo wenig, wie von den fleiſchfreſſenden
Vögeln ab.


Das Fleiſch, das Fett, das Blut, die Gehirn- und Ner-
venſubſtanz des verzehrten Thieres, alles übrige iſt, wenn
die Schlange ihr urſprüngliches Gewicht wieder erhalten hat,
verſchwunden.


Als das einzige Excrement finden wir eine Materie, welche
durch die Harnwege ausgeleert wird; im trocknen Zuſtande
iſt ſie blendend weiß wie Kreide, ſie iſt ſehr reich an Stick-
ſtoff, und enthält nur kohlenſauren und phosphorſauren Kalk
beigemiſcht.


Dieſes Excrement iſt harnſaures Ammoniak, eine chemi-
ſche Verbindung, in welcher ſich der Stickſtoff zum Kohlenſtoff
in dem nämlichen Verhältniß befindet, wie im ſauren kohlen-
ſauren Ammoniak, ſie enthält auf 1 Aeq. Stickſtoff 2 Aeq.
Kohlenſtoff.


Die Muskelfaſer, das Blut, die Membranen und Häute
enthielten aber auf die nämliche Quantität Stickſtoff vier-
mal ſo viel Kohlenſtoff, nämlich 8 Aequivalente, und wenn
man hierzu den Kohlenſtoff des genoſſenen Fettes, der Ner-
ven- und Gehirnſubſtanz hinzurechnet, ſo iſt klar, daß die
Schlange auf 1 Aeq. Stickſtoff weit mehr als 8 Aeq. Koh-
lenſtoff verzehrt hat.


Wenn wir nun annehmen, daß das harnſaure Ammoniak
allen Stickſtoff des verzehrten Thieres enthält, ſo ſind offen-
[56]Der chemiſche Proceß der
bar im geringſten Falle 6 Aeq. Kohlenſtoff, die mit dieſem
Stickſtoff verbunden waren, in einer andern Form ausgetre-
ten, wie die übrigen zwei Atome, die wir im harnſauren
Ammoniak wiederfinden.


Wir wiſſen nun mit zweifelloſer Gewißheit, daß dieſer Koh-
lenſtoff aus Haut und Lunge ausgetreten iſt, und zwar konnte
dies nur geſchehen in der Form einer Sauerſtoffverbindung.


Die Excremente eines Buſſards, der mit Rindfleiſch ge-
füttert worden, aus der Kloake genommen, beſtanden der
Unterſuchung nach (L. Gmelin u. Tiedemann) aus harn-
ſaurem Ammoniak. Ebenſo ſind die Faeces bei Löwen und
Tiegern ſparſam und trocken, ſie enthalten der Hauptſache
nach Knochenerde und nur Spuren von kohlenſtoffhaltigen
Materien, aber ihr Harn enthält kein harnſaures Ammoniak,
ſondern Harnſtoff, eine Verbindung, welche Stickſtoff und
Kohlenſtoff im Verhältniß wie im neutralen kohlenſauren
Ammoniak enthält.


Angenommen, daß ihre Nahrung (Fleiſch ꝛc.) Stickſtoff
und Kohlenſtoff in dem Verhältniß wie 1 : 8 enthielt, ſo
finden wir in dem Harn beide nur in dem Verhältniß wie
1 : 1 wieder, ein kleineres Verhältniß von Kohlenſtoff alſo,
wie bei den Schlangen, in denen der Reſpirationsakt bei
weitem weniger thätig iſt.


Aller Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, den die Nahrung dieſer
Thiere mehr enthielt, als wir in ihren Excrementen wieder
finden, ſie ſind, als Kohlenſäure und Waſſer, durch den Re-
ſpirationsproceß verſchwunden.


[57]Reſpiration und Ernährung.

Hätten wir das verzehrte Thier in einem Ofen verbrannt,
ſo würde die vorgegangene Veränderung nur der Form
der Stickſtoffverbindungen nach eine andere geweſen ſein.


Den Stickſtoff würden wir als kohlenſaures Ammoniak,
den übrigen Kohlenſtoff als Kohlenſäure, den übrigen Waſ-
ſerſtoff als Waſſer wiederbekommen haben. Es würden die
unverbrennlichen Theile als Aſche, die unverbrannten als
Ruß übrig geblieben ſein. Die feſten Excremente ſind aber
nichts anders als die im Thierkörper unverbrennlichen, oder
unvollkommen verbrannten Theile der Nahrung.


In dem Vorhergehenden iſt angenommen worden, daß
die Beſtandtheile der von dem Thiere genoſſenen Nahrungs-
mittel in ſeinem Organismus, in Folge des durch Lunge
und Haut aufgenommenen Sauerſtoffs, ihr Kohlenſtoff in
Kohlenſäure, ihr Waſſerſtoff und ihr Stickſtoff in eine chemi-
ſche Verbindung, welche die Elemente des kohlenſauren Am-
moniaks enthält, übergehen.


Dieſe Vorausſetzung iſt nur der äußeren Erſcheinung
nach wahr, in der That erlangt nach einer gewiſſen Zeit
der Thierkörper ſein urſprüngliches Gewicht wieder, ſein Ge-
halt an Kohlenſtoff und den andern Elementen hat in ſeinem
Körper nicht zugenommen, es iſt genau ſo viel Kohlenſtoff,
Stickſtoff, Waſſerſtoff ꝛc. wieder ausgetreten, als ihm davon
in der Speiſe zugeführt wurde. Aber nichts kann gewiſſer
ſein, als daß der ausgetretene Kohlenſtoff, Stickſtoff und
Waſſerſtoff nicht von der Speiſe herrührt, wenn ſie auch, der
Quantität nach, den dadurch zugeführten gleich waren.


[58]Der chemiſche Proceß der

Es wäre aller Vernunft entgegen, wenn man annehmen
wollte, die Stillung des Hungers, das Bedürfniß nach Speiſe
habe keinen andern Zweck, als die Erzeugung von Harnſtoff,
Harnſäure, Kohlenſäure und den andern Excrementen, von
Materien, die der Körper ausſtößt, in ſeiner Haushaltung
alſo zu nichts verwendet.


Die Speiſen dienen in dem erwachſenen Thiere zum Er-
ſatz an verbrauchtem Stoff, gewiſſe Theile der Organe ha-
ben ihren Zuſtand des Lebens verloren, ſie ſind aus der
Subſtanz der Organe ausgetreten, ſie haben ſich zu neuen
und zwar formloſen Verbindungen umgeſetzt.


Die Speiſe des Fleiſchfreſſers wurde zur Blutbildung ver-
wendet und aus dem neuerzeugten Blute haben ſich die um-
geſetzten Organe wieder neu gebildet. Der Kohlenſtoff und
Stickſtoff der Nahrung ſind zu Beſtandtheilen des Organis-
mus geworden.


Eben ſo viel Kohlenſtoff und Stickſtoff als die Organe
abgegeben haben, genau ſo viel iſt ihnen durch das Blut und
in letzter Form durch die Speiſe wieder erſetzt worden.


Wo ſind denn aber, kann man fragen, die neuen Verbin-
dungen hingekommen, welche durch die Umſetzung der Be-
ſtandtheile der Organe, der Muskelfaſer, der Subſtanz der
Membranen und Zellen, der Nerven- und Gehirnſubſtanz,
entſtanden ſind?


Dieſe neuen Verbindungen, ſie konnten keinen Moment,
inſofern ſie löslich waren, an dem Platze beharren, wo ſie
entſtanden ſind, denn eine ſehr wohlbekannte Thätigkeit, die
[59]Reſpiration und Ernährung.
Blutcirculation nämlich, widerſetzt ſich dieſem Beharren.


Durch die Erweiterung des Herzens, in dem ſich zwei
Syſteme von Kanälen vereinigen, welche ſich in ein unendlich
feines Netzwerk von Röhrchen durch alle Theile des Thier-
körpers hin verzweigen, entſteht abwechſelnd ein luftleerer
Raum, in deſſen unmittelbarer Folge, durch den äußern
atmoſphäriſchen Druck, alle Flüſſigkeiten, die in dieſes Röh-
renſyſtem gelangen können, nach der einen Seite des Herzens
hin mit großer Gewalt getrieben werden. Dieſe Bewegung
wird bei der Zuſammenziehung des Herzens durch einen von
dem Gewichte der Atmoſphäre unabhängigen Druck aufs
kräftigſte unterſtützt.


Wir haben mit einem Worte in dem Herzen eine Druck-
pumpe, durch welche arterielles Blut in alle Theile des Körpers
getrieben wird, und eine Saugpumpe, durch welche alle Flüſſig-
keiten, von welcher Beſchaffenheit ſie auch ſein mögen, ſobald
ſie in das Röhrenſyſtem der Saugadern, die ſich mit den Venen
vereinigen, gelangen können, nach dem Herzen hin geführt
werden. Dieſe Aufſaugung, in Folge des im Herzen entſtan-
denen luftleeren Raums, iſt ein rein mechaniſcher Act, der
ſich, wie bemerkt, auf flüſſige Stoffe jeder Art, Salzauflöſun-
gen, Gifte ꝛc. erſtreckt. Es iſt nun einleuchtend, daß durch
das Einſtrömen des arteriellen Blutes in die Capillargefäße
alle dort vorhandenen Flüſſigkeiten, ſagen wir die löslichen
Verbindungen, die durch die Umſetzung der Gebilde entſtanden
ſind, eine Bewegung nach dem Herzen hin empfangen müſſen.


Dieſe Materien können zur Neubildung der nämlichen
[60]Der chemiſche Proceß der
Organe, aus denen ſie entſtanden ſind, nicht verwendet wer-
den; ſie gelangen durch das Saug- und Lymphgefäßſyſtem in
die Venen, wo ihre Anhäufung dem Ernährungsproceß eine
ſehr raſche Grenze ſetzen würde, wenn ſich dieſer Anſamm-
lung nicht zwei, ganz beſonders zu dieſem Zwecke eingerich-
tete, Filtrirapparate widerſetzen würden.


Das venöſe Blut nimmt, ehe es zum Herzen gelangt,
ſeinen Weg durch die Leber, das arterielle Blut geht durch
die Nieren, welche alle für den Ernährungsproceß untaugli-
chen Stoffe davon ſcheiden.


Die neuentſtandenen Verbindungen, welche den Stickſtoff
der umgeſetzten Organe enthalten, ſammeln ſich in der
Harnblaſe an und treten, indem ſie einer weiteren Verwen-
dung durchaus unfähig ſind, aus dem Körper aus.


Alle anderen, welche den Kohlenſtoff der umgeſetzten Ge-
bilde enthalten, ſammeln ſich in Geſtalt einer löslichen, mit
Waſſer in allen Verhältniſſen miſchbaren Natronverbindung
in der Gallenblaſe an, aus der ſie ſich im Duodenum mit
dem Speiſebrei wieder miſchen. Alle Theile der Galle, die ihre
Löslichkeit in dem Verdauungsproceß nicht verlieren, kehren
während der Verdauung friſch genoſſener Nahrung im un-
endlich fein zertheilten Zuſtande wieder in den Körper zurück.
Das Natron der Galle, ſo wie alle durch ſchwache Säure
nicht fällbaren, kohlenſtoffreichen Beſtandtheile (dieſe betragen
99/100 aller übrigen), behalten ihre Fähigkeit, durch die Saug-
adern des Dünndarms und Dickdarms wieder reſorbirt zu
werden, unverändert bei. Ja dieſe Fähigkeit iſt direct be-
[61]Reſpiration und Ernährung.
weisbar durch gallehaltige Klyſtiere, deren Gallegehalt mit
der Flüſſigkeit im Maſtdarm verſchwindet.


Die ſtickſtoffhaltigen Verbindungen, welche in Folge der
Umſetzung der Gebilde entſtanden, wir wiſſen genau, daß ſie,
durch die Nieren von dem venöſen Blute geſchieden, als einer
weiteren Veränderung durchaus unfähig, aus dem Körper
treten, aber die kohlenſtoffreichen Produkte, ſie kehren in den
Körper des fleiſchfreſſenden Thieres zurück.


Die Nahrung des fleiſchfreſſenden Thieres iſt identiſch
mit den Hauptbeſtandtheilen ſeines Körpers; die Metamor-
phoſen, welche ſeine Gebilde erfahren, ſie müſſen identiſch
ſein mit den Veränderungen, welche in ihren Lebensakten
ihre Nahrungsmittel erleiden.


Das verzehrte Fleiſch und Blut giebt ſeinen Kohlenſtoff
zur Unterhaltung des Reſpirationsproceſſes her, ſeinen Stick-
ſtoff erhalten wir als Harnſtoff oder Harnſäure wieder. Ehe
aber dieſe letzte Veränderung erfolgt, wird das todte Fleiſch
und Blut zu lebendigem Fleiſch und Blut, und es iſt im
eigentlichen Sinne der Kohlenſtoff der durch Umſetzung der
lebenden Gebilde entſtandenen Verbindungen, welcher zur
Hervorbringung der thieriſchen Wärme dient.


Die Speiſe des Fleiſchfreſſers verwandelt ſich in Blut,
das Blut iſt beſtimmt zur Reproduktion der Organe, durch
die Blutcirculation wird ein Strom von Sauerſtoff allen
Theilen des Körpers zugeführt. Die Träger dieſes Sauer-
ſtoffs, die Blutkörperchen, welche nachweisbar keinen Antheil
an dem Nutritionsproceſſe nehmen, geben ihn beim Durch-
[62]Der chemiſche Proceß der
gang durch die Capillargefäße wieder ab. Dieſer Sauerſtoff-
ſtrom begegnet auf dieſem Wege den durch die Umſetzung
der Gebilde entſtandenen Verbindungen, er verbindet ſich mit
ihrem Kohlenſtoff zu Kohlenſäure, mit ihrem Waſſerſtoff zu
Waſſer, und alles, was dieſen Oxydationsproceß nicht erlitten
hat, kehrt in der Form von Galle wieder in den Körper
zurück, wo ſie nach und nach völlig verſchwindet.


Bei den Fleiſchfreſſern enthält die Galle den Kohlenſtoff
der umgeſetzten Gebilde, dieſer Kohlenſtoff verſchwindet in
dem thieriſchen Körper, die Galle verſchwindet in dem Le-
bensproceß, ihr Kohlenſtoff tritt als Kohlenſäure, ihr Waſ-
ſerſtoff als Waſſer durch Haut und Lunge aus; es iſt
klar, die Beſtandtheile der Galle dienen zur Reſpiration und
zur Hervorbringung der animaliſchen Wärme. Alle Theile
der Nahrung der Fleiſchfreſſer ſind fähig in Blut überzu-
gehen, ihre Excremente enthalten nur anorganiſche Subſtanz
(Knochenerde ꝛc.), und was wir an organiſchen Stoffen dieſen
beigemiſcht finden, ſind lediglich Excretionen, welche den
Durchgang durch die Eingeweide vermitteln. Bei den fleiſch-
freſſenden Thieren enthalten die Excremente keine Galle, kein
Natron; keine Spur einer der Galle ähnlichen Subſtanz
wird von Waſſer daraus aufgenommen, die Galle iſt aber
in allen Verhältniſſen darin löslich und damit miſchbar.


Ueber den Urſprung der Beſtandtheile des Harns und der
Galle können die Phyſiologen nicht im Zweifel ſein; wenn
der Magen bei Enthaltung aller Speiſe ſich darmartig zu-
ſammenzieht, kann ſich aus der Gallenblaſe, da ſie keine Be-
[63]Reſpiration und Ernährung.
wegung empfängt, keine Galle ergießen; in dem Körper der
Verhungerten finden wir die Gallenblaſe ſtraff und voll. Wir
beobachten Galle- und Harnſekretion bei den Winterſchläfern,
wir wiſſen, daß der Harn der Thiere (Hunde), die während
18 bis 20 Tagen keine andere Nahrung als reinen Zucker
bekamen, ebenſoviel an dem ſtickſtoffreichſten Produkt des
Thierkörpers, ebenſoviel Harnſtoff enthielt, als im geſunden
Zuſtande (Marchand, Erdm. J. XIV. p. 495.). Unter-
ſchiede in der Menge des ſecernirten Harnſtoffs erklären ſich
in dieſen und ähnlichen Verſuchen durch den Mangel oder
die Geſtattung der natürlichen Bewegungen. Eine jede Be-
wegung ſteigert den Umſatz der Gebilde, nach einem jeden
Spaziergang vermehrt ſich beim Menſchen die Harnſekretion.


Der Harn der Säugethiere, Vögel, der Amphibien ent-
hält Harnſäure oder Harnſtoff, der Koth der Weichthiere,
der Inſecten, der Canthariden, des Seidenwurm-Schmetter-
lings enthält harnſaures Ammoniak; die Beſtändigkeit des
Vorkommens einer oder zweier Stickſtoff-Verbindungen in
den Ausleerungen der Thiere, bei einer ſo großen Verſchie-
denheit in der genoſſenen Nahrung, zeigt mit Beſtimmtheit
an, daß ſie aus einer und derſelben Quelle entſpringen.


Ebenſowenig zweifelhaft kann man über die Rolle ſein,
welche die Galle in dem Lebensproceß übernimmt. Wenn
man ſich erinnert, daß eſſigſaures Kali, in der Form eines
Klyſtiers oder als Fußbad genommen, den Harn im hohen
Grade alkaliſch macht (Rehberger in Tiedemann’s Zeit-
ſchrift für Phyſiologie II. 149.), daß die Umwandlung, welche
[64]Der chemiſche Proceß der
hier die Eſſigſäure erfährt, nicht ohne ein Hinzutreten von
Sauerſtoff gedacht werden kann, ſo iſt klar, daß die löslichen
Beſtandtheile der Galle, veränderlich im hohen Grade, ſo wie
wir ſie kennen, welche durch die Eingeweide in den Orga-
nismus wieder zurückkehren, da ſie zur Blutbildung nicht ver-
wendet werden können, der Einwirkung des Sauerſtoffs in
einer ganz ähnlichen Weiſe unterliegen müſſen. Die Galle
iſt eine Natronverbindung, deren Beſtandtheile in dem Körper
des fleiſchfreſſenden Thieres bis auf das Natron verſchwinden.


Nach der Anſicht vieler der ausgezeichnetſten Phyſiologen
iſt die Galle zur Ausleerung beſtimmt, und nichts kann ge-
wiſſer ſein, als daß eine an Stickſtoff ſo arme Materie in
dem Nutritionsproceß keine Rolle übernimmt, allein die quan-
titative Phyſiologie muß die Anſicht, daß ſie zu keinerlei
Zwecken dient, daß ſie unfähig zu weiteren Veränderungen
iſt, mit Entſchiedenheit zurückweiſen.


Kein Beſtandtheil eines Organs enthält Natron, nur in
dem Blute (Serum), in dem Gehirnfett und in der Galle
haben wir Natronverbindungen. Wenn die Natronverbin-
dungen des Bluts in Muskelfaſer, in Membranen und Zellen
übergehen, ſo muß ihr Natron in eine neue, in eine andere
Verbindung treten; das in Muskelfaſer, in Membranen über-
gehende Blut giebt ſein Natron an Verbindungen ab, welche
durch die Umſetzung der Gebilde entſtanden ſind. Eine die-
ſer neuen Natronverbindungen erhalten wir in der Galle
wieder.


Wäre die Galle zur Ausleerung beſtimmt, ſo müßten
[65]Reſpiration und Ernährung.
wir ſie verändert oder unverändert, wir müßten das Natron
in den feſten Excrementen wiederfinden. Aber bis auf ge-
wiſſen Mengen von Kochſalz und ſchwefelſauren Salzen, welche
Beſtandtheile aller thieriſchen Flüſſigkeiten ſind, finden wir
in den feſten Excrementen nur Spuren von Natronverbin-
dungen. Das Natron der Galle iſt aber jedenfalls aus den
Eingeweiden in den Organismus wieder zurückgekehrt, und
das nämliche muß von den organiſchen Stoffen gelten, die
mit dieſem Natron verbunden bleiben.


Ein Menſch ſecernirt nach den Beobachtungen der Phy-
ſiologen 17—24 Unzen Galle, ein großer Hund 36 Un-
zen, ein Pferd 37 Pfd. Galle (Burdach’s Phyſiologie 5r
Band S. 260.) Die feſten Excremente eines Menſchen wie-
gen aber durchſchnittlich nicht über 5½ Unzen, die eines
Pferdes 28½ Pfd. Bouſſingault (7½ Pfd. trockne Sub-
ſtanz und 21 Pfd. Waſſer). Die letzteren geben mit Alkohol
behandelt nur 1/76 ihres Gewichts lösliche Theile ab. Die-
ſer ſechsundſiebzigſte Theil von dem Gewicht der feſten Ex-
cremente des Pferdes müßte Galle ſein.


Den Waſſergehalt der Galle zu 90 pCt. angenommen,
ſecernirt ein Pferd täglich 592 Unzen Galle, welche 59,2 Un-
zen feſte Subſtanz enthalten, während aus 120 Unzen trock-
ner Excremente (7½ Pfd.) nur 6 Unzen einer Subſtanz
ausziehbar ſind, die man für Galle nehmen könnte. Aber
das, was der Alkohol aus den Excrementen auflöſ’t, iſt keine
Galle mehr, von dem Weingeiſt befreit bleibt ein weicher,
ölartiger Rückſtand, welcher ſeine Löslichkeit im Waſſer gänz-
5
[66]Der chemiſche Proceß der
lich eingebüßt hat, er hinterläßt nach dem Verbrennen keine
alkaliſche Aſche, kein Natron 10).


Während dem Verdauungsproceß iſt alſo das Natron der
Galle und mit ihm alle Beſtandtheile derſelben, die ihre Lös-
lichkeit nicht verloren haben, in den Organismus zurückge-
kehrt; wir finden dieſes Natron in dem neugebildeten Blute
wieder, wir finden es zuletzt in der Form von phosphorſau-
rem, kohlenſaurem und hippurſaurem Natron im Urin. In
1000 Theilen feſter, friſcher Menſchenexcremente fand Berze-
lius
nur 9 Theile einer der Galle ähnlichen Subſtanz, fünf
Unzen würden hiernach nur 21 Gran feſter Galle enthalten,
entſprechend mit ihrem Waſſergehalte 200 Gr. Galle im na-
türlichen Zuſtande; es werden aber beim Menſchen 9640 bis
11520 Gran Galle täglich ſecernirt, alſo 45- bis 56mal
mehr als man in den durch den Darmkanal ausgeleerten
Stoffen nachzuweiſen vermag.


Welche Vorſtellung man nun auch hegen mag über die
Richtigkeit der phyſiologiſchen Verſuche in Beziehung auf
die Menge der in verſchiedenen Thierklaſſen ſecernirten Galle,
ſo viel iſt vollkommen gewiß, daß auch das Maximum der-
ſelben noch nicht den Kohlenſtoff enthält, den ein Menſch
oder ein Pferd in 24 Stunden ausathmet. Mit allen ihren
Gemeng- oder Beſtandtheilen an Fett ꝛc. enthalten 100 Theile
feſter Galle nicht über 69 pCt. Kohlenſtoff; in 37 Pfd. Galle,
die ein Pferd ſecernirt, ſind demnach nur 80 Loth Kohlenſtoff
enthalten. Das Pferd athmet aber täglich nahe doppelt
ſoviel Kohlenſtoff in der Form von Kohlenſäure aus. Ein
[67]Reſpiration und Ernährung.
ganz ähnliches Verhältniß findet bei dem Menſchen ſtatt.


Mit dem zur Neubildung und Reproduction beſtimm-
ten Stoff wird durch die Blutcirculation allen Theilen
des Körpers Sauerſtoff zugeführt. Welche Verbindung
dieſer Sauerſtoff in dem Blut auch eingegangen ſein
mag, es muß als gewiß angenommen werden, daß die-
jenigen Beſtandtheile, welche zur Reproduktion verwendet
werden, keine weſentliche Veränderung durch ihn erlitten
haben, in der Muskelfaſer finden wir das Fibrin mit allen
ſeinen Eigenſchaften, die es im venöſen Blute beſitzt, wie-
der vor, das Albumin im Blut nimmt kein Sauerſtoffgas
auf; der im Blute aufgenommene Sauerſtoff mag dazu ge-
dient haben, um gewiſſe unbekannte Beſtandtheile des Blutes
in Gaszuſtand zu verſetzen, aber die zur Ernährung und
Reproduktion dienenden bekannten Hauptbeſtandtheile deſſel-
ben, ſie können von der Natur nicht dazu beſtimmt ſein, um
den Reſpirationsproceß zu unterhalten, keine ihre Eigenſchaften
rechtfertigt eine ſolche Vorſtellung.


Ohne die Frage über den Antheil, den die Galle an den
Lebensproceſſen nimmt, hier einer erſchöpfenden Erörterung
zu unterwerfen, geht, wie bemerkt, aus der einfachen Ver-
gleichung der aſſimilirbaren Beſtandtheile der Nahrung eines
fleiſchfreſſenden Thieres mit den letzten Producten, in die ſie
verwandelt wird, hervor, daß aller Kohlenſtoff derſelben,
der ſich nicht im Harne befindet, in der Form von Koh-
lenſäure ausgetreten iſt.


Dieſer Kohlenſtoff ſtammte aber von der Subſtanz der
5*
[68]Der chemiſche Proceß der
umgeſetzten Gebilde und, dieſes feſtgeſetzt, löſ’t ſich die Frage
über die Nothwendigkeit des Vorhandenſeins von kohlen-
ſtoffreichen und ſtickſtoffloſen Materien in der Nahrung der
jugendlichen Carnivoren und der pflanzenfreſſenden Thiere
auf eine höchſt einfache Weiſe.


XII.


Es iſt eine unbeſtreitbare Thatſache, daß in einem er-
wachſenen
fleiſchfreſſenden Thiere, was an Gewicht von
Tag zu Tag weder merklich zunimmt, noch abnimmt, Nah-
rung, Umſetzung der Gebilde und Sauerſtoffverbrauch in ei-
nem ganz beſtimmten Verhältniß zu einander ſtehen.


Der Kohlenſtoff der entwichenen Kohlenſäure, der des
Harns, der Stickſtoff des Harns und der Waſſerſtoff, welcher
als Ammoniak und Waſſer austritt, dieſe Elemente zuſam-
mengenommen müſſen dem Gewicht nach vollkommen gleich
ſein dem Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Stickſtoff der umge-
ſetzten Gebilde, und, inſofern dieſe durch die Nahrung genau
erſetzt worden ſind, dem Kohlenſtoff, Stickſtoff und Waſſer-
ſtoff der Nahrung. Wäre dies nicht der Fall, ſo würde das
Gewicht des Thieres ſich nicht gleich bleiben können.


Das Gewicht des ſich entwickelnden jungen fleiſchfreſſen-
den Thieres bleibt ſich aber nicht gleich, es nimmt im Gegen-
theile von Tag zu Tag um eine beſtimmbare Größe zu.


Dieſe Thatſache ſetzt voraus, daß der Aſſimilationsproceß
in dem jugendlichen Thiere ſtärker, intenſiver iſt, als der
[69]Reſpiration und Ernährung.
Proceß der Umſetzung der vorhandenen Gebilde. Wären beide
Thätigkeiten gleich, ſo könnte ihr Gewicht nicht zunehmen,
wäre der Verbrauch größer, ſo müßte ſich ihr Gewicht ver-
mindern.


Der Blutumlauf iſt in dem jungen Thiere aber nicht
ſchwächer, er iſt im Gegentheil beſchleunigter, die Athembe-
wegungen ſind raſcher, und bei gleichem Körper-Volum muß der
Sauerſtoffverbrauch eher größer als kleiner ſein, wie bei er-
wachſenen Thieren. Aber da die Umſetzung der Gebilde
langſamer vor ſich geht, ſo würde es an denjenigen Materien
fehlen, deren Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſich zur Verbindung
mit dem Sauerſtoff eignet, denn es ſind ja bei den fleiſchfreſ-
ſenden Thieren die neuen Verbindungen, die aus der Um-
ſetzung der Organe entſtanden, welche die Natur zum Widerſtande
gegen den einwirkenden Sauerſtoff und zur Hervorbringung der
animaliſchen Wärme beſtimmt hat. Was alſo an dieſem Wi-
derſtande fehlt, ſetzt eine bewunderungswürdige Weisheit dem
jungen Thiere in ſeiner Nahrung zu.


Der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff der Butter, der Kohlenſtoff
des Milchzuckers, aus welchen kein Beſtandtheil zu Blut, zu
Fibrin und Albumin werden kann, ſie ſind zur Unterhaltung
des Reſpirationsproceſſes in einem Lebensalter beſtimmt, wo
ein ſtärkerer Widerſtand ſich der Metamorphoſe der vorhande-
nen Gebilde entgegenſetzt, der Erzeugung von Stoffen alſo,
welche im erwachſenen Zuſtande in völlig zur Reſpiration aus-
reichender Menge produzirt werden.


Das junge Thier empfängt ſeine Blutbeſtandtheile in dem
[70]Der chemiſche Proceß der
Caſein der Milch, eine Umſetzung der vorhandenen Gebilde
geht vor ſich, denn Gallen- und Harnſekretion finden ſtatt, die
Subſtanz der umgeſetzten Gebilde tritt in der Form von Harn
und von Kohlenſäure und Waſſer aus ihrem Körper, allein die
Butter und der Milchzucker der Milch ſind ebenfalls verſchwun-
den, ſie laſſen ſich in den Faeces nicht nachweiſen.


Butter und Milchzucker ſind in der Form von Waſſer und
Kohlenſäure ausgetreten und ihre Verwandlung, in Sauerſtoffver-
bindungen beweiſt aufs klarſte, daß weit mehr Sauerſtoff auf-
genommen wurde, als nöthig war, um mit dem Kohlenſtoff und
Waſſerſtoff der umgeſetzten Gebilde Kohlenſäure und Waſſer
zu bilden.


Die in dem Lebensproceß des jungen Thieres vor ſich ge-
hende Veränderung und Umſetzung der Gebilde liefert demge-
mäß, in einer gegebenen Zeit, weit weniger Kohlenſtoff und
Waſſerſtoff in der zur Reſpiration geeigneten Form, als dem
aufgenommenen Sauerſtoff entſpricht, die Subſtanz ihrer Or-
gane würde einen raſcheren Stoffwechſel erfahren, ſie würde
der Einwirkung des Sauerſtoffs unterliegen müſſen, wenn der
fehlende Kohlenſtoff und Waſſerſtoff von einer andern Quelle
nicht geliefert werden würde.


Die fortſchreitende Zunahme an Maſſe, die freie und unge-
hinderte Entwickelung der Organe des jungen Thieres, ſie wird
alſo durch die Gegenwart fremder Materien bedingt, die in dem
Ernährungsproceß keine andere Rolle ſpielen, als daß ſie die
neu ſich bildenden Organe vor der Einwirkung des Sauerſtoffs
ſchützen, ihre Beſtandtheile ſind es, die ſich mit dem Sauerſtoff
[71]Reſpiration und Ernährung.
verbinden; ohne zu unterliegen, würden die Organe ſelbſt die-
ſen Widerſtand nicht übernehmen können, d. h. eine Zunahme
an Maſſe, bei gleichem Sauerſtoffverbrauch, würde ſchlechter-
dings unmöglich ſeyn.


Ueber den Zweck, zu welchem die Natur der Nahrung der
jungen Säugthiere ſtickſtofffreie Materien zugeſetzt hat, die ihr
Organismus zur eigentlichen Ernährung, zu Blutbildung nicht
verwenden kann, Materien, die zur Unterhaltung ihrer Lebens-
funktionen in erwachſenem Zuſtande völlig entbehrlich ſind, kann
man nach dem Vorhergehenden nicht zweifelhaft ſeyn. Bei den
fleiſchfreſſenden Vögeln iſt der Mangel aller Bewegung offenbar
ein Grund eines verminderten Stoffwechſels.


Der Ernährungsproceß der fleiſchfreſſenden Thiere ſtellt
ſich mithin in zwei Formen dar, von denen wir die eine Form
in den gras- und körnerfreſſenden Thieren wiederkehren ſehen.


XIII.


Bei dieſer Thierklaſſe beobachten wir, daß während ihrer
ganzen Lebensdauer ihre Exiſtenz an die Aufnahme von Stoffen
geknüpft iſt, welche eine dem Milchzucker gleiche oder ähnliche
Zuſammenſetzung beſitzen. Allem was ſie genießen, iſt jeder-
zeit eine gewiſſe Quantität von Amylon (Stärke), oder Gummi,
oder Zucker beigemiſcht.


Die am meiſten verbreitete Subſtanz dieſer Klaſſe iſt das
Amylon; es findet ſich in Wurzeln, Samen, in den Stengeln,
in dem Holzkörper, abgelagert in der Form von rundlichen oder
[72]Der chemiſche Proceß der
ovalen Körnchen, welche nur in der Größe, aber keineswegs
in der chemiſchen Zuſammenſetzung 11) von einander abweichen.
Wir finden in einer und derſelben Pflanze, in den Erbſen z. B.,
Stärkemehl von ungleicher Größe, in dem ausgepreßten Saft
von Erbſenſtengeln haben die ſich abſetzenden Stärkekörnchen
einen Durchmeſſer von 1/200 bis 1/150 Millimeter, während die
Stärkekörnchen der Samenlappen drei- bis viermal größer ſind.
Vor allen andern ſind die Stärkekörnchen der Pfeilwurzel und
der Kartoffel ausgezeichnet durch ihre Größe, die des Reiſes
und des Weitzens durch ihre Kleinheit.


Es iſt wohlbekannt, daß durch ſehr verſchiedene Einwir-
kungen das Stärkemehl übergeführt werden kann in Zucker; dies
geſchieht in dem Keimungsproceß (in dem Malzproceß), und
namentlich durch die Einwirkung von Säuren. Die Ueberführung
des Stärkemehls in Zucker wird, wie ſich durch die Analyſe
darthun läßt, durch eine einfache Aufnahme der Beſtandtheile
des Waſſers bewirkt 12).


Allen Kohlenſtoff der Stärke, wir bekommen ihn in dem
Zucker wieder, es iſt keiner ihrer Beſtandtheile ausgetreten,
und außer den Elementen des Waſſers iſt kein fremdes Element
hinzugetreten.


In ſehr vielen, namentlich fleiſchigen Früchten, die im un-
reifen Zuſtande ſauer und herbe, im reifen hingegen ſüß ſind,
wie in den Aepfeln und Birnen, entſteht der Zucker aus dem
Amylon, was dieſe Früchte enthalten.


Wenn man unreife Aepfel oder Birnen auf einem Reibeiſen
in einen Brei verwandelt und dieſen auf einem feinen Sieb mit
[73]Reſpiration und Ernährung.
Waſſer auswäſcht, ſo ſetzt ſich aus der trüben ablaufenden
Flüſſigkeit ein höchſt feines Stärkmehl ab, von dem man in den
ſogenannten reifen Früchten keine Spur mehr wahrnimmt.
Manche von dieſen Obſtſorten werden auf dem Baume ſüß
(Sommer-Birnen, -Aepfel), andere hingegen erſt einige Zeit
nachher, wenn ſie, vom Baume genommen, aufbewahrt werden.
Dieſes ſogenannte Nachreifen, wie man dieſes Süßwerden nennt,
iſt ein rein chemiſcher Proceß, der mit dem Pflanzenleben nichts
zu thun hat. Mit dem Aufhören der Vegetation iſt die Frucht
zur Fortpflanzung geeignet, d. h. der Kern iſt völlig reif, allein
die fleiſchige Hülle unterliegt von dieſem Zeitpunkte an der
Einwirkung der Atmoſphäre, ſie nimmt wie alle verweſenden
Subſtanzen Sauerſtoff auf, und es trennt ſich von ihrer Subſtanz
eine gewiſſe Menge kohlenſaures Gas.


Aehnlich nun wie die Stärke in faulendem Kleiſter oder durch
verweſenden Kleber in Zucker übergeführt wird, verwandelt ſich das
Amylon der genannten verweſenden Früchte in Traubenzucker, ſie
werden in dem Verhältniß ſüßer, als ſie mehr Stärke enthielten.


Zwiſchen Amylon und Zucker findet nach dem Vorerwähn-
ten ein ganz beſtimmter Zuſammenhang ſtatt; durch eine Menge
chemiſcher Actionen, welche auf die Elemente des Amylons
keine andere Wirkung äußern, als daß ſie die Richtung ihrer
gegenſeitigen Anziehung ändern, ſind wir im Stande, das Amy-
lon in Zucker und zwar in Traubenzucker überzuführen.


Der Milchzucker 13) verhält ſich in vielen Beziehungen ähnlich
wie das Amylon, er iſt für ſich der weingeiſtigen Gährung
nicht fähig, er erlangt aber die Eigenſchaft in Alkohol und Koh-
[74]Der chemiſche Proceß der
lenſäure zu zerfallen, wenn er mit einer gährenden Materie
(dem faulenden Käſe in der Milch) bei Gegenwart von Waſſer
einer höheren Temperatur ausgeſetzt wird. In dieſem Fall ver-
wandelt er ſich zuerſt in Traubenzucker; die nämliche Verwandlung
erfährt der Milchzucker, wenn er mit Säuren, mit Schwefelſäure
z. B., bei gewöhnlicher Temperatur in Berührung gelaſſen wird.


Das Gummi hat eine dem Rohrzucker gleiche procentiſche
Zuſammenſetzung 14), es unterſcheidet ſich von den Zuckerarten
und dem Amylon, inſofern ihm die Fähigkeit abgeht, durch
den Proceß der Fäulniß in Weingeiſt und Kohlenſäure zu zer-
fallen; gährenden Subſtanzen zugeſetzt, erleidet es keine merk-
liche Veränderung, woraus man mit einiger Wahrſcheinlichkeit
ſchließen kann, daß ſeine Elemente in der Ordnung, in wel-
cher ſie vereinigt ſind, mit einer ſtärkeren Kraft zuſammenge-
halten ſind, wie die Elemente der verſchiedenen Zuckerarten.


Einen gewiſſen Zuſammenhang zeigt das Gummi übrigens
mit dem Milchzucker, beide geben nämlich bei Behandlung mit
Salpeterſäure einerlei Oxydationsproducte, nämlich Schleimſäure,
die ſich unter denſelben Bedingungen aus den Zuckerarten nicht
darſtellen läßt.


Wenn wir, um die Aehnlichkeit in der Zuſammenſetzung
dieſer verſchiedenen Materien, welche in dem Ernährungsproceß
der pflanzenfreſſenden Thiere eine ſo wichtige Rolle überneh-
men, noch mehr hervortreten zu machen, 1 Aequivalent Kohlen-
ſtoff mit C (= 75,8 Kohlenſtoff) und 1 Aequivalent Waſſer
mit aqua (= 112,4) bezeichnen, ſo erhalten wir für die Zu-
ſammenſetzung der genannten Subſtanzen folgende Ausdrücke:


[75]Reſpiration und Ernährung.
  • Amylon = 12 C + 10 aq.
  • Rohrzucker = 12 C + 10 aq. + aq.
  • Gummi = 12 C + 10 aq. + aq.
  • Milchzucker = 12 C + 10 aq. + 2 aq.
  • Traubenzucker = 12 C + 10 aq. + 4 aq.

Auf die nämliche Anzahl von Aequivalenten Kohlenſtoff ent-
hält alſo das Amylon 10 Aeq. Waſſer, der Rohrzucker und
das Gummi 11 Aequivalente, der Milchzucker 12 und der kry-
ſtalliſirte Traubenzucker 14 Aequivalente Waſſer, oder der Be-
ſtandtheile des Waſſers.


XIV.


In dieſen verſchiedenen Subſtanzen, welche in der Nahrung
der pflanzenfreſſenden Thiere niemals fehlen, iſt alſo den ſtick-
ſtoffhaltigen Beſtandtheilen derſelben, dem Pflanzen-Albumin,
-Fibrin, -Caſein, woraus ſich ihr Blut bildet, im ſtrengſten
Sinne nur eine gewiſſe Quantität Kohlenſtoff im Ueberſchuſſe
zugeſetzt, der in ihrem Organismus zur Erzeugung von Fibrin
und Albumin ſchlechterdings nicht verwendet werden kann, weil
ihre ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe den zur Blutbildung erfor-
derlichen Kohlenſtoff ſchon enthalten und das Blut in dem Leibe
der fleiſchfreſſenden Thiere erzeugt wird, ohne Mitwirkung
dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff.


Auf eine klare und überzeugende Weiſe ſtellt ſich der An-
theil heraus, den dieſe ſtickſtofffreien Materien an dem Nutri-
[76]Der chemiſche Proceß der
tionsproceß der pflanzenfreſſenden Thiere nehmen, wenn wir
die verhältnißmäßig ſo geringe Menge Kohlenſtoff in Betrach-
tung ziehen, die ſie in ihren ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln
genießen; ſie ſteht durchaus in keinem Verhältniß zu dem durch
Lunge und Haut aufgenommenen und verbrauchten Sauerſtoff.


Ein Pferd kann z. B. in vollkommen gutem Zuſtande erhal-
ten werden, wenn ihm täglich 15 Pfd. Heu und 4½ Pfd. Ha-
fer zur Nahrung gegeben werden. Wenn wir uns nun den gan-
zen Gehalt dieſer Nahrungsſtoffe an Stickſtoff, ſo wie ihn die
Elementaranalyſe feſtgeſetzt hat (Heu 1,5 pCt., Hafer 2,2 pCt.) 15)
rückwärts in Blut, nämlich in Fibrin und Albumin, mit dem
ganzen Waſſergehalt des Blutes (80 pCt.) verwandelt denken,
ſo empfängt das Pferd täglich nur 8 9/10 Loth Stickſtoff, welche
etwas über 8 Pfd. Blut entſprechen. Mit dieſem Stickſtoff hat
aber das Thier, von den andern Beſtandtheilen, welche damit
verbunden waren, nur 28 9/10 Loth Kohlenſtoff empfangen.
Nur 15 9/10 Loth von dieſen 28 9/10 Loth Kohlenſtoff konnten
zur Reſpiration verwendet worden ſein, denn mit dem Stick-
ſtoff, der durch den Harn ausgeleert wird, treten in der Form
von Harnſtoff 6 Lothe und in der Form von Hippurſäure 7
weitere Lothe wieder aus.


Ohne weitere Rechnung anzuſtellen, wird Jedermann zuge-
ben, daß das Luftvolum, was ein Pferd ein- und ausathmet,
daß die Menge des von ihm verzehrten Sauerſtoffgaſes und in
deſſen Folge die Menge des ausgetretenen Kohlenſtoffs, weit
größer iſt, wie beim Reſpirationsproceß des Menſchen. Nun
verbraucht aber ein erwachſener Menſch täglich nahe an 28
[77]Reſpiration und Ernährung.
Loth Kohlenſtoff, und die Beſtimmung von Bouſſingault,
wonach ein Pferd täglich 158 Loth ausathmet, kann von der
Wahrheit nicht ſehr entfernt ſein.


In den ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen ſeiner Nahrung er-
hält das Pferd mithin nur etwas mehr, wie den fünften Theil
des Kohlenſtoffs, den ſein Organismus zur Unterhaltung des
Reſpirationsproceſſes bedarf, und wir ſehen, daß die Weisheit
des Schöpfers allen ſeinen Nahrungsmitteln ohne Ausnahme
die übrigen ⅘ Kohlenſtoff, welche in den ſtickſtoffhaltigen Be-
ſtandtheilen fehlen, in mannigfaltigen Formen, als Amylon,
Zucker u. ſ. w. zugeſetzt hat, welche das Thier, ohne der Ein-
wirkung des Sauerſtoffs zu unterliegen, nicht entbehren kann.


Es iſt offenbar, daß in dem Organismus des pflanzenfreſ-
ſenden Thieres, deſſen Nahrung eine verhältnißmäßig ſo kleine
Menge ſeiner Blutbeſtandtheile enthält, der Akt der Umſetzung
der vorhandenen Gebilde, daß demzufolge ihre Erneuerung, die
Reproduktion derſelben, bei weitem minder raſch vor ſich geht,
wie bei den fleiſchfreſſenden Thieren, denn wäre dies der Fall,
ſo würde eine tauſendmal reichere Vegetation zu ihrer Er-
nährung nicht hinreichen; Zucker, Gummi, Amylon würden
keine Bedingungen zur Erhaltung ihres Lebens ſein, eben weil
die kohlenſtoffhaltigen Produkte der Umſetzung ihrer Organe
für den Reſpirationsproceß hinreichen würden.


Der fleiſcheſſende Menſch bedarf zu ſeiner Erhaltung und
Ernährung eines ungeheuren Gebietes, weiter und ausgedehnter
noch, wie der Löwe und Tiger, weil er, wenn die Gelegenheit
ſich darbietet, tödtet, ohne zu genießen.


[78]Der chemiſche Proceß der

Eine Nation von Jägern auf einem begrenzten Flächenraum
iſt der Vermehrung durchaus unfähig, der zum Athmen unent-
behrliche Kohlenſtoff muß von den Thieren genommen werden,
von denen auf der gegebenen Fläche nur eine beſchränkte An-
zahl leben kann. Dieſe Thiere ſammeln von den Pflanzen die
Beſtandtheile ihrer Organe und ihres Blutes, und liefern ſie den
von der Jagd lebenden Indianern, die ſie unbegleitet von den
ſtickſtofffreien Subſtanzen genießen, welche während der Le-
bensdauer des Thieres ſeinen Reſpirationsproceß unterhielten;
es iſt bei dem fleiſcheſſenden Menſchen der Kohlenſtoff des
Fleiſches, welcher das Amylon, den Zucker erſetzen muß.


In fünfzehn Pfund Fleiſch iſt aber nicht mehr Kohlenſtoff
enthalten, wie in 4 Pfund Amylon 16) und während der Indianer
mit einem einzigen Thier und einem ihm gleichen Gewichte
Amylon eine gewiſſe Anzahl von Tagen hindurch ſein Leben
und ſeine Geſundheit würde erhalten können, muß er, um den
für dieſe Zeit, für ſeine Reſpiration unentbehrlichen Kohlenſtoff
zu erhalten, 5 Thiere verzehren.


Man ſieht leicht, in welchem engen Verbande die Vermeh-
rung des Menſchengeſchlechtes mit dem Ackerbau ſteht. Der
Anbau der Culturpflanzen hat zuletzt keinen andern Zweck, als
die Hervorbringung eines Maximums der zur Aſſimilation und
Reſpiration dienenden Stoffe, auf dem möglichſt kleinſten Raume.
Die Getreide- und Gemüſepflanzen liefern uns in dem Amylon,
dem Zucker, Gummi, nicht nur den Kohlenſtoff, der unſere Or-
gane vor der Einwirkung des Sauerſtoffs ſchützt, und in dem
Organismus die zum Leben unentbehrliche Wärme erzeugt, ſon-
[79]Reſpiration und Ernährung.
dern in dem Pflanzenfibrin, -Albumin und -Caſein noch über-
dies unſer Blut, aus dem ſich die übrigen Beſtandtheile des
Körpers entwickeln.


Der fleiſcheſſende Menſch athmet wie das fleiſchfreſſende
Thier auf Koſten der Materien, die durch die Umſetzung ſeiner
Organe entſtanden ſind, und ähnlich wie der Löwe, der Tiger,
die Hyäne in den Kaſten unſerer Menagerien durch unaufhör-
liche Bewegung den Umſatz ihrer Gebilde beſchleunigen müſſen,
um den zur Reſpiration nöthigen Stoff zu erzeugen, muß ſich
der Indianer, des nämlichen Zweckes wegen, den größten An-
ſtrengungen und mühevollſten Beſchwerden unterziehen; er muß
Kraft verbrauchen, lediglich um Stoff zum Athmen zu ſchaffen.


Die Cultur iſt die Oekonomie der Kraft; die Wiſſenſchaft
lehrt uns die einfachſten Mittel erkennen, um mit dem gering-
ſten Aufwand von Kraft den größten Effect zu erzielen, und
mit gegebenen Mitteln ein Maximum von Kraft hervorzu-
bringen. Eine jede unnütze Kraftäußerung, eine jede Kraft-
verſchwendung in der Agricultur, in der Induſtrie und der
Wiſſenſchaft, ſo wie im Staate, characteriſirt die Rohheit
oder den Mangel an Cultur.


XV.


Die Vergleichung der Zuſammenſetzung des Urins der
fleiſch- und pflanzenfreſſenden Thiere zeigt auf eine evidente
Weiſe, daß der Act der Umſetzung der Gebilde in beiden in
der Zeit und Form verſchieden iſt.


[80]Der chemiſche Proceß der

Der Harn der fleiſchfreſſenden Thiere iſt ſauer, wir ha-
ben darin alkaliſche Baſen mit Harnſäure, mit Phosphorſäure
und Schwefelſäure vereinigt. Wir wiſſen genau, aus wel-
cher Quelle dieſe beiden Säuren ſtammen. Alle Gebilde, bis
auf Zellen und Membranen, enthalten Phosphorſäure und
Schwefel, der durch den Sauerſtoff des arteriellen Blutes in
Schwefelſäure verwandelt wird. In den verſchiedenen Flüſ-
ſigkeiten des Thierkörpers finden wir nur Spuren von phos-
phorſauren oder ſchwefelſauren Salzen, aber in dem Harn
finden wir beide in reichlicher Menge. Es iſt klar, ſie ſtam-
men beide von dem Phosphor und Schwefel der Gebilde,
die ſich umgeſetzt haben; ſie gelangen als lösliche Salze in
das Blut und werden bei ihrem Durchgang durch die Nie-
ren davon geſchieden.


Der Harn der grasfreſſenden Thiere iſt alkaliſch; er ent-
hält kohlenſaures Alkali in überwiegender Menge und eine
ſo geringe Menge von phosphorſaurem Alkali, daß ſie von
den meiſten Beobachtern überſehen worden iſt.


Der Mangel, oder, wenn man will, die Abweſenheit der
phosphorſauren Alkalien in dem Harn der grasfreſſenden
Thiere zeigt offenbar, daß dieſe löslichen Salze zu beſtimm-
ten Zwecken verwendet werden; denn wenn wir annehmen,
ein Pferd verzehre eine dem Gehalte des Stickſtoffs (8 9/10
Loth) in ſeinen Nahrungsmitteln entſprechende Menge Pflan-
zenfibrin oder -Albumin, und wenn wir den umgeſetzten
Theil der Gebilde gleichſetzen dem neugebildeten, ſo iſt die
Quantität der Phosphorſäure, die wir in dem Urin (in
[81]Reſpiration und Ernährung.
3 Pfund, dem täglichen Abgang nach Bouſſingault)
finden müßten, nicht ſo klein, daß ſie nicht mit Leichtigkeit
durch die Analyſe nachweisbar wäre (ſie betrüge nach dieſer
Vorausſetzung nahe an 0,8 pCt.), allein, wie bemerkt, die
meiſten Beobachter haben keine Phosphorſäure darin auffin-
den können.


Die Phosphorſäure, welche in Folge der Umſetzung der
Gebilde in der Form von löslichem phosphorſauren Alkali
erzeugt wird, kehrt offenbar bei dieſen Thieren in den
Organismus zurück, der ſie zur Bildung der Gehirn- und
Nervenſubſtanz nicht entbehren kann.


Bei den pflanzenfreſſenden Thieren, die eine verhältniß-
mäßig ſo kleine Quantität von Phosphor oder phosphor-
ſauren Salzen genießen, ſammelt der Organismus offenbar
alle durch die Umſetzung der Gebilde erzeugten löslichen
phosphorſauren Salze, und verwendet ſie zur Ausbildung
der Knochen und der phosphorhaltigen Beſtandtheile des
Gehirns; die Secretionsorgane ſcheiden ſie von dem Blute
nicht ab. Die durch Stoffwechſel in Freiheit geſetzte Phos-
phorſäure tritt nicht als phosphorſaures Natron aus; wir
finden ſie in den feſten Excrementen in der Form von un-
löslichen phosphorſauren Erden.


XVI.


Vergleichen wir die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe,
die Kraft der Aſſimilation in den gras- und fleiſchfreſſenden
6
[82]Der chemiſche Proceß der
Thieren, ſo führen die gewöhnlichſten Beobachtungen auf
einen großen Unterſchied.


Eine Spinne, welche mit dem größten Heißhunger das
Blut der erſten Fliege ausſaugt, wird durch die zweite und
dritte Fliege in ihrer Ruhe nicht geſtört; eine Katze frißt
die erſte, vielleicht die zweite Maus, und wenn ſie auch die
dritte tödtet, ſie wird von ihr nicht verzehrt. Ganz ähnliche
Beobachtungen hat man an Löwen und Tigern gemacht; ſie
verzehren ihre Beute erſt dann, wenn ſich in ihnen das Be-
dürfniß des Hungers regt. Zur bloßen Erhaltung bedürfen
die fleiſchfreſſenden Thiere an ſich einer geringeren Menge
von Nahrung ſchon deshalb, weil ihre Haut keine Schweiß-
poren hat, weil ſie alſo bei gleichem Volum weit weniger
Wärme verlieren, als die Grasfreſſer, welche die verlorne
Wärme durch die Nahrung erſetzen müſſen.


Wie ganz anders zeigt ſich die Stärke und Intenſität des
vegetativen Lebens bei den pflanzenfreſſenden Thieren! Ein
Schaf, eine Kuh auf der Weide, ſie freſſen mit geringer Un-
terbrechung ſo lange die Sonne am Himmel ſteht. Ihr Or-
ganismus beſitzt die Fähigkeit, alle Nahrung, die ſie mehr
genießen, als ſie zur Reproduction bedürfen, in Beſtand-
theile ihres Körpers zu verwandeln.


Alles Blut, was mehr erzeugt wird, als zum Erſatz an
verbrauchtem Stoff erforderlich iſt, wird zur Zelle und
Muskelfaſer; das pflanzenfreſſende Thier wird bei geſteiger-
ter Nahrung fleiſchig oder feiſt, während das Fleiſch des
fleiſchfreſſenden ungenießbar, zähe und ſehnenartig bleibt.


[83]Reſpiration und Ernährung.

Denken wir uns nur einen Hirſch, ein Reh oder einen Ha-
ſen, welche ähnliche Nahrungsmittel genießen, wie das Rind-
vieh oder Schaf, ſo iſt es evident, daß bei Ueberfluß an Nah-
rung ihre Zunahme an Maſſe (ihr Feiſtwerden) abhängig iſt
von der Menge des genoſſenen Pflanzenalbumins, -Fibrins oder
-Caſeins. Bei einer freien ungehinderten Bewegung nehmen
ſie Sauerſtoff genug auf, um den Kohlenſtoff des genoſſenen
Gummi’s, des Amylons, des Zuckers und überhaupt aller lös-
chen ſtickſtofffreien Nahrungsmittel verſchwinden zu machen.


Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß bei unſeren Haus-
thieren, wenn wir bei reichlicher Nahrung die Abkühlung und
Exhalationsproceſſe hindern, wenn wir ſie in unſeren Ställen
füttern, wo die freie Bewegung unterdrückt iſt.


Das Thier, welches den Stall nicht verläßt, frißt und ruht
bloß, um zu verdauen, es nimmt in der Form von ſtickſtoff-
haltigen Stoffen weit mehr Nahrung auf, als es zur Repro-
duktion bedarf, und in gleicher Zeit mit dieſen genießt es weit
mehr ſtickſtofffreie Subſtanzen, als zur Unterhaltung des Re-
productionsproceſſes und zum Erſatz an verlorner Wärme nö-
thig ſind. Mangel an Bewegung und Abkühlung iſt aber
gleichbedeutend einem Mangel an Zufuhr von Sauerſtoff; es
nimmt, da dieſe vermindert ſind, bei weitem weniger Sauer-
ſtoff auf, als zur Verwandlung des in der ſtickſtofffreien Nah-
rung genoſſenen Kohlenſtoffs in Kohlenſäure erforderlich iſt.
Nur ein kleiner Theil dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff
tritt aus dem Körper bei Pferden und dem Rindvieh in der
Form von Hippurſäure aus, alles übrige wird zur Erzeu-
6*
[84]Der chemiſche Proceß der
gung einer Materie verwendet, die ſich nur in kleinen Quanti-
täten als Beſtandtheil der Nerven und des Gehirns vorfindet.


Im normalen Zuſtand der Bewegung und Arbeit enthält
der Urin des Rindviehs und Pferdes Benzoeſäure (mit 14 At.
Kohlenſtoff), ſobald es ruhig im Stalle ſteht, hingegen Hip-
purſäure (mit 18 At. Kohlenſtoff).


Das Fleiſch der wilden Thiere iſt fettlos, die Hausthiere
dagegen bedecken ſich bei der Mäſtung mit Fett.


Laſſen wir das fette Thier in freier Luft ſich bewegen
oder ſchwere Laſten ziehen, ſo verſchwindet wieder das Fett.


Es iſt offenbar, die Fettbildung im Thierkörper wird be-
dingt durch ein Mißverhältniß in der Menge der genoſſenen
Nahrungsmittel und des durch Lunge und Haut aufgenom-
menen Sauerſtoffs.


Ein Schwein wird bei Mäſtung mit ſtickſtoffreichen Nah-
rungsmitteln feiſt; bei Kartoffel- (Amylon-) Fütterung er-
hält es wenig Fleiſch, aber eine Decke von Speck. Die Milch
einer Kuh, welche bei Stall-Fütterung eine reichliche Menge
Butter enthält, wird auf freier Weide an Käſeſtoff reicher
und an Fett und Milchzucker in dem nämlichen Verhältniß
ärmer. Durch Bier und amylonhaltige Nahrung wächſt der
Buttergehalt der Frauenmilch; Fleiſchnahrung giebt weniger,
aber an Käſeſtoff reichere Milch.


Wenn man erwägt, daß in der ganzen Thierklaſſe der
Carnivoren, die außer dem verzehrten Fett kein ſtickſtofffreies
Nahrungsmittel genießen, die Fettbildung im Körper höchſt
unbedeutend iſt, daß ſie auch bei dieſen zunimmt (wie bei
[85]Reſpiration und Ernährung.
Katzen und Hunden), wenn ſie gemiſchte Nahrung genießen,
daß wir bei den andern Hausthieren die Fettbildung ſteigern
können und zwar nur durch ſtickſtofffreie Nahrungsmittel, ſo
kann man kaum einen Zweifel hegen, daß die letzteren in einer
ganz beſtimmten Beziehung ſtehen müſſen zur Fettbildung.


Dem natürlichen Gange der Naturforſchung gemäß er-
ſchließen wir rückwärts aus den genoſſenen Nahrungsmitteln
die entſtandenen Gebilde, aus den ſtickſtoffhaltigen Pflanzen-
ſtoffen die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile des Blutes, und es
iſt dieſem Gange völlig angemeſſen, die Beziehungen der
ſtickſtofffreien Nahrungsmittel zu den ſtickſtofffreien Beſtand-
theilen des Thierkörpers feſtzuſtellen; ein enger Zuſammen-
hang zwiſchen beiden kann nicht verkannt werden.


Vergleichen wir die Zuſammenſetzung des Milchzuckers, des
Amylons und der andern Zuckerarten mit denen des Hammel-
talges, Ochſentalges, Menſchenfettes, ſo finden wir, daß ſie
einerlei Verhältniß Kohlenſtoff und Waſſerſtoff enthalten und
lediglich in dem Gehalte an Sauerſtoff von einander abweichen.


Hammeltalg, Menſchenfett, Schweineſchmalz enthalten nach
den Analyſen Chevreul’s 79 pCt. Kohlenſtoff auf 11,1 pCt.,
11,4 pCt., 11,7 pCt.
Waſſerſtoff 17).


Das Amylon enthält auf 44,91 Kohlenſtoff 6,11 Waſſerſtoff;
der Zucker und das Gummi 42,58 „ 6,37 „ 18)


Nun iſt aber aus dem Folgenden einleuchtend, daß dieſe
Zahlen, welche das relative Gewichtsverhältniß des Kohlen-
ſtoffs und Waſſerſtoffs im Amylon, im Zucker und im Gummi
ausdrücken, zu einander in dem nämlichen Verhältniß ſtehen,
[86]Der chemiſche Proceß der
wie der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in den verſchiedenen Fetten.


  • 44,91 : 6,11 = 79 : 10,99
  • 42,58 : 6,37 = 79 : 11,8.

Es iſt hieraus klar, daß durch ein einfaches Austreten
von Sauerſtoff, Amylon, Zucker und Gummi übergehen kön-
nen in Fett, oder, wenn man will, in einen Körper, welcher
genau die Zuſammenſetzung des Fetts beſitzt. Nehmen wir
in der That von der Formel des Amylon 9 Atome Sauer-
ſtoff hinweg, ſo haben wir in 100 Theilen:


  • C12 . . . . 79,4
  • H20 . . . . 10,8
  • O . . . . 9,8.

Die nächſte empiriſche Formel des Fetts iſt C11H20O;
ſie giebt in 100 Theilen:


  • C11 . . . . 78,9
  • H20 . . . . 11,6
  • O . . . . 9,5.

Nach dieſer Formel würden ſich von dem Amylon die
Elemente von 1 Atom Kohlenſäure und 7 Atome Sauerſtoff
getrennt haben.


Mit dieſen beiden Formeln ſtimmt aber ſehr nahe die
von allen verſeifbaren fetten Körpern überein.


Nehmen wir von drei Atomen Milchzucker C36H72O36 die
Elemente hinweg von 4 Atomen Waſſer und laſſen wir
31 Atome Sauerſtoff austreten, ſo haben wir C36H64O,
eine Formel, welche ein genauer Ausdruck iſt für die Zu-
ſammenſetzung des Cholſterins 19).


[87]Reſpiration und Ernährung.

Gleichgültig, welche Anſicht man auch über die Entſtehung
der fetten Beſtandtheile des Thierkörpers haben mag, ſoviel
iſt unläugbar gewiß, daß die Wurzeln und Kräuter, welche
die Kuh verzehrt, keine Butter enthalten, daß in dem Heu
und der Nahrung des Rindviehs kein Ochſentalg, in der
Kartoffelſchlempe, welche die Schweine bekommen, kein Schwei-
neſchmalz und in dem Futter der Gänſe und des Geflügels
kein Gänſefett oder Kapaunenfett enthalten iſt. Die großen
Maſſen von Fett in dem Körper dieſer Thiere erzeugt ihr
Organismus, und aus dieſer Thatſache, ihrem wahren Werthe
nach anerkannt, muß geſchloſſen werden, daß von den Beſtand-
theilen der genoſſenen Nahrung eine gewiſſe Quantität
Sauerſtoff in irgend einer Form austritt, denn ohne eine
ſolche Ausſcheidung von Sauerſtoff kann kein Fett aus irgend
einem Beſtandtheil der Nahrung gebildet werden.


Die chemiſche Analyſe giebt auf die beſtimmteſte Weiſe
zu erkennen, daß in den Nahrungsmitteln, die ein Thier ver-
zehrt, ſich eine gewiſſe Menge Kohlenſtoff und Sauerſtoff be-
finden, die, in Aequivalenten ausgedrückt, folgende Reihe
bilden.


  • Im Pflanzenfibrin, -Albumin, -Caſein
  • ſind enthalten auf 120 Aeq. Kohlenſtoff 36 Aeq. Sauerſtoff
  • Im Amylon » » » 120 » » 100 » »
  • Im Rohrzucker » » » 120 » » 110 » »
  • Im Traubenzucker » » » 120 » » 140 » »
  • Im Gummi » » » 120 » » 110 » »
  • Im Milchzucker » » » 120 » » 120 » »

[88]Der chemiſche Proceß der

Nun ſind aber in allen fetten Subſtanzen im Mittel auf 120
Aeq. Kohlenſtoff nur 10 Aeq. Sauerſtoff enthalten.


Da nun der Kohlenſtoff der fetten Beſtandtheile des Thier-
körpers von den Nahrungsmitteln ſtammt, indem es keine
andere Quelle giebt, die ihn liefern könnte, ſo iſt klar, in
der Vorausſetzung, das Fett entſtehe aus Albumin, Fibrin
oder Caſein, daß für je 120 Aeq. Kohlenſtoff, die ſich als
Fett abgelagert haben, 26 Aeq. Sauerſtoff von den Beſtand-
theilen dieſer Nahrungsmittel austreten müſſen, es iſt ferner
klar, daß, wenn wir annehmen, das Fett entſtehe aus Amylon,
90 Aeq., aus Zucker 100 und aus Milchzucker 110 Aeq.
Sauerſtoff abgeſchieden werden müſſen.


Es giebt alſo nur einen einzigen Weg, auf welchem die
Fettbildung im Thierkörper möglich iſt, und dieſer iſt abſolut
der nämliche, auf welchem die Fettbildung in den Pflanzen
vor ſich geht, es iſt eine Scheidung und Trennung des Sauer-
ſtoffs von den Beſtandtheilen der Nahrungsmittel.


Der Kohlenſtoff, den wir in den Samen und Früchten
der Pflanzen in der Form von Oel und Fett abgelagert
finden, er war früher ein Beſtandtheil der Atmoſphäre, er
wurde als Kohlenſäure von der Pflanze aufgenommen. Sein
Uebergang in Fett wurde unter Mitwirkung des Lichtes durch
die vegetative Lebensthätigkeit bewirkt, der größte Theil des
Sauerſtoffs dieſer Kohlenſäure kehrte als Sauerſtoffgas in
die Luft zurück *)20).


[89]Reſpiration und Ernährung.

Im Gegenſatz zu dieſer Lebensäußerung in der Pflanze
wiſſen wir, daß der Thierorganismus Sauerſtoff aus der
Luft aufſaugt und daß dieſer Sauerſtoff in der Form einer
Kohlenſtoff- oder Waſſerſtoffverbindung wieder austritt, wir
wiſſen, daß durch den Akt der Bildung von Kohlenſäure
und Waſſer die conſtante Temperatur des Körpers hervor-
gebracht wird, daß ein Oxydationsproceß die einzige und
Hauptquelle der animaliſchen Wärme iſt.


Mag das Fett in Folge einer Zerſetzung des Fibrins
oder Albumins, der Hauptbeſtandtheile des Blutes gebildet
werden, mag es aus Amylon, aus Zucker, aus Gummi oder
Milchzucker entſtehen, das Reſultat der Zerſetzung muß be-
gleitet ſeyn, von einer Ausſcheidung des Sauerſtoffs, von den
Beſtandtheilen dieſer Nahrungsmittel, aber dieſer Sauerſtoff
tritt nicht als Sauerſtoffgas aus dem Thierkörper aus, eben
weil er in dem Organismus ſelbſt, Stoffe vorfindet, welche
die Fähigkeit haben, eine Verbindung mit ihm einzugehen;
er tritt in der nämlichen Form aus, wie der durch Lunge
und Haut aus der Luft aufgenommene Sauerſtoff.


Man beobachtet leicht, in welchem merkwürdigen Zuſam-
menhange die Fettbildung mit dem Reſpirationsproceß ſteht.


XVII.


Der abnorme Zuſtand, durch den Ablagerung von Fett
in dem Thierkörper bewirkt wird, beruht, wie früher erwähnt
worden, auf einem Mißverhältniß in der Menge des genoſſe-
[90]Der chemiſche Proceß der
nen Kohlenſtoffs und dem durch Haut und Lunge aufgenom-
menen Sauerſtoff. Im normalen Zuſtande wird eben ſo viel
Kohlenſtoff ausgeführt wie eingeführt, der Körper erhält
kein Uebergewicht an kohlenſtoffreichen und ſtickſtoffloſen Be-
ſtandtheilen.


Steigern wir die Zufuhr der kohlenſtoffreichen Nahrungs-
mittel, ſo bleibt nur in dem Fall das normale Verhältniß,
wenn durch Bewegung und Anſtrengung der Umſatz beför-
dert, wenn in gleichem Grade die Zufuhr an Sauerſtoff ver-
mehrt wird.


Jede Art von Fettbildung iſt ſtets die Folge eines Man-
gels an Sauerſtoff, der zur Vergaſung des im Ueberſchuſſe
zugeführten Kohlenſtoffs unbedingt erforderlich iſt. Dieſer
als Fett ſich ablagernde Kohlenſtoff, er zeigt ſich bei dem
Beduinen, bei dem Araber der Wüſte nicht, der mit Stolz
ſeine muskelſtarken, magern, fettfreien, ſehnenartigen Glieder
dem Reiſenden zeigt und in Liedern beſingt, er zeigt ſich aber
bei der kärglichen Nahrung in den Kerkern und Gefängniſſen
als Aufgedunſenheit, er zeigt ſich in dem Weibe des Orients
und in den wohlbekannten Bedingungen des Mäſtens bei
unſeren Hausthieren.


Die Erzeugung von Fett beruht auf einem Mangel an
Sauerſtoff, allein in ihr, in der Fettbildung ſelbſt, öffnet ſich
dem Organismus eine Quelle von Sauerſtoff, eine neue Ur-
ſache der Wärmeerzeugung.


Der in Folge der Fettbildung freiwerdende Sauerſtoff,
er tritt aus dem Körper als eine Kohlenſtoff- oder Waſſer-
[91]Reſpiration und Ernährung.
ſtoffverbindung aus, mag nun dieſer Kohlenſtoff oder Waſſer-
ſtoff von der Subſtanz ſelbſt, die auch den Sauerſtoff zu-
führte, oder mag er von einer andern Verbindung genommen
worden ſein, es muß durch dieſe Kohlenſäure- oder Waſſer-
bildung ebenſoviel Würme entwickelt werden, wie wenn wir
eine gleiche Menge Kohlenſtoff oder Waſſerſtoff in der Luft
oder im Sauerſtoffgas verbrannt hätten.


Wenn wir uns denken, daß ſich von 2 Aeq. Amylon
18 Aeq. Sauerſtoff trennen, daß ſich dieſe 18 Aeq. Sauer-
ſtoff mit 9 Aeq. Kohlenſtoff aus der Galle, z. B. zu Koh-
lenſäure, verbunden hätten, ſo iſt niemand zweifelhaft darüber,
daß in dieſem Fall gerade ſo viel Wärme entwickelt werden
muß, wie wenn wir dieſe 9 Atome Kohlenſtoff direct ver-
brannt hätten. In dieſer Form wäre alſo die Wärmeent-
wickelung in Folge der Fettbildung nicht beſtreitbar; ſie kann
alſo nur für den Fall hypothetiſch ſein, wo ſich von einer
und derſelben Subſtanz Kohlenſtoff und Sauerſtoff in den
Verhältniſſen, wie in der Kohlenſäure, trennen.


Wenn wir z. B. vorausſetzen, daß ſich von 2 At. Amy-
lon, C24H40O20 die Elemente von 9 At. Kohlenſäure ab-
ſcheiden, ſo würden wir eine Verbindung übrig behalten,
welche auf 15 At. Kohlenſtoff, 40 At. Waſſerſtoff und 2 At.
Sauerſtoff enthält:
C15H40O2 + C9O18 = C24H40O20.


Oder wenn wir annehmen, daß Sauerſtoff aus Amylon
in der Form von Kohlenſäure und Waſſer austritt, ſo wür-
den wir bei Abſcheidung der Beſtandtheile von 6 At. Waſ-
[92]Der chemiſche Proceß der
ſer und 6 At. Kohlenſäure die Verbindung C18H28O2
übrig behalten.


Dieſe Form der Ausſcheidung des Sauerſtoffs feſtgeſtellt,
bleibt zu entſcheiden übrig, ob die austretende Kohlenſäure
und das Waſſer in dem Amylon als ſolche enthalten waren
oder nicht.


War die Kohlenſäure und das Waſſer fertig gebildet in
dem Amylon, ſo konnte die Trennung vor ſich gehen, ohne
von einer Wärmeentwickelung begleitet zu ſein, war hinge-
gen der Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in einer andern Form
in dem Amylon (oder der Verbindung, aus der ſich das Fett
gebildet haben mag) zugegen, ſo iſt klar, daß eine Aende-
rung in der Anordnung der Atome vor ſich gegangen iſt,
in deren Folge ſich die Atome des Kohlenſtoffs und Waſ-
ſerſtoffs mit den Atomen des Sauerſtoffs zu Kohlenſäure
und Waſſer vereinigt haben.


So weit nun chemiſche Forſchungen reichen, kann aus
dem bekannten Verhalten des Amylons und der Zuckerarten
kein anderer Schluß gezogen werden, als daß ſie keine fer-
tig gebildete Kohlenſäure enthalten.


Wir kennen nun eine große Anzahl von Umſetzungspro-
ceſſen ähnlicher Art, wo ſich die Elemente der Kohlenſäure
und des Waſſers von gewiſſen vorhandenen Verbindungen
trennen, und wir wiſſen mit Beſtimmtheit, daß alle dieſe
Zerſetzungsweiſen begleitet ſind von einer Wärmeentwicke-
lung, gerade ſo, wie wenn ſich Kohlenſtoff und Waſſerſtoff
direct mit Sauerſtoff verbinden.


[93]Reſpiration und Ernährung.

Ein ſolches Austreten von Kohlenſäure haben wir in
allen Gährungs- und Fäulnißproceſſen, ſie ſind ohne Aus-
nahme begleitet von einer Entwickelung von Wärme.


In der Gährung einer zuckerhaltigen Flüſſigkeit tritt in
Folge einer Umſetzung der Elemente des Zuckers eine ge-
wiſſe Menge ſeines Kohlenſtoffs und Sauerſtoffs zu Kohlen-
ſäure zuſammen, welche ſich gasförmig abſcheidet, und als
Reſultat dieſer Zerſetzung haben wir eine ſauerſtoffarme,
flüchtige, brennbare Flüſſigkeit, nämlich Alkohol.


Wenn wir zu zwei Atomen Zucker die Elemente treten
laſſen von 12 At. Waſſer und von der erhaltenen Summe
der Atome 24 Atome Sauerſtoff hinwegnehmen, ſo haben
wir 6 At. Alkohol (C24H48O24 + H24O12) — O24 =
C24H72O12 = 6 At. Alkohol.


Dieſe 24 At. Sauerſtoff reichen hin, um ein drittes
Atom Zucker vollkommen zu verbrennen, ſeinen Kohlenſtoff
in Kohlenſäure zu verwandeln, und wir erhalten durch dieſe
Verbrennung die 12 At. Waſſer wieder, die wir hinzutreten
ließen, gerade ſo, als ob ſie keine Rolle hierbei geſpielt
hätten.


C12H24O12 + O24 = 12 CO2 + 12 H2O.


Nach der gewöhnlichen Anſicht trennen ſich von 3 At.
Zucker 12 Atome Kohlenſtoff in der Form von Kohlen-
ſäure: wir bekommen 6 At. Alkohol, in beiden alſo dieſelben
Produkte, wie wenn der eine Theil Zucker an den andern
Theil Sauerſtoff abgegeben hätte und deſſen Beſtandtheile auf
Koſten dieſes Sauerſtoffs verbrannt worden wären.


[94]Der chemiſche Proceß der

C36H72O36 = C24H72O12 + 12 CO2*).


Man beobachtet leicht, daß die Spaltung eines Körpers
in Kohlenſäure und eine an Sauerſtoff arme Verbindung
völlig gleichbedeutend iſt in ihrem Reſultate einer Ausſchei-
dung von Sauerſtoff und einer Verbrennung von einem
Theile der Subſtanz auf Koſten dieſes Sauerſtoffs.


Es iſt wohlbekannt, daß ſich die Temperatur einer gäh-
renden Flüſſigkeit erhöht, und wenn wir annehmen, daß
ein Stückfaß Moſt = 600 Darmſtädter Maaß = 1200
Litres = 2400 Pfund, 16 pCt. Zucker, im Ganzen alſo 384
Pfund Zucker enthalte, ſo muß während der Gährung die-
ſes Zuckers eine Wärmemenge frei werden, welche derjenigen
gleich iſt, die ſich bei der Verbrennung von 51 Pfund Koh-
lenſtoff entwickelt.


Dies iſt ausdrückbar durch eine Wärmequantität, wodurch
jedes Pfund der Flüſſigkeit auf 165½ Grad erhoben wer-
den kann, vorausgeſetzt, daß die Zerſetzung des Zuckers in
einem unmeßbaren Zeittheilchen vor ſich ginge. Dies iſt
bekanntlich nicht der Fall, die Gährung dauert 5 — 6 Tage
und die 165½ Wärmegrade empfängt jedes Pfund Flüſſig-
keit während eines Zeitraums von 120 Stunden. In der
Stunde wird alſo eine Wärmemenge entwickelt, durch welche
jedes Pfund Flüſſigkeit um 1 4/10 Grad an Temperatur zu-
nimmt, eine Erhöhung, welche durch äußere Abkühlung im
[95]Reſpiration und Ernährung.
Keller, durch Verdunſtung von Waſſer und Alkohol beträcht-
lich herabgeſtimmt wird.


XVIII.


Die Fettbildung, mit bekannten analogen Erſcheinungen
der Trennung von Sauerſtoff verglichen, iſt demnach von
einer Wärmeentwicklung begleitet; ſie erſetzt dem thieriſchen
Körper eine gewiſſe Menge des zu den vitalen Proceſſen un-
entbehrlichen, atmoſphäriſchen Sauerſtoffs, und zwar in allen
denjenigen Fällen, wo der durch Haut und Lunge eingeath-
mete Sauerſtoff nicht hinreicht, um den vorhandenen und
dazu geeigneten Kohlenſtoff in Kohlenſäure zu verwandeln.


Dieſer Ueberſchuß von Kohlenſtoff, welcher in dem Kör-
per zu einem Beſtandtheil der Organe nicht verwendet wer-
den kann, lagert ſich in der Form von Talg oder Oel in
Zellen ab.


In jedem Momente des Lebens eines Thieres tritt Fett-
bildung ein, wo ein Mißverhältniß zwiſchen dem durch die
Nahrung zugeführten Kohlenſtoff und dem eingeathmeten
Sauerſtoff ſtatt hat; es trennt ſich Sauerſtoff in Folge einer
Umſetzung von vorhandenen Verbindungen, und dieſer Sauer-
ſtoff tritt als Kohlenſäure oder Waſſer aus dem Körper aus.
Die hierbei entwickelte Wärme trägt dazu bei, um die con-
ſtante Temperatur des Körpers zu erhalten. Ein jedes
Pfund Kohlenſtoff, welches ſeinen Sauerſtoff, mit dem es
[96]Der chemiſche Proceß der
Kohlenſäure bildet, von Materien erhielt, die in Fett über-
gingen, muß ſo viel Wärme entwickeln, daß man damit 200
Pfunde Waſſer auf 39 Grade erheben kann.


In der Fettbildung ſchafft die Lebenskraft ſich ſelbſt ein
Mittel, um dem Mangel an Sauerſtoff und an der zu den
vitalen Proceſſen nöthigen Wärme zu begegnen.


Die Erfahrung zeigt, daß das Anbinden der Füße bei
dem Geflügel und eine mittlere Temperatur ein Maximum
von Fettbildung nach ſich zieht. Dieſe Thiere ſind in die-
ſem Zuſtande einer Pflanze vergleichbar, die im eminenten
Grade die Fähigkeit beſitzt, alle Nahrungsſtoffe in Theile
ihrer ſelbſt zu verwandeln. Die im Ueberſchuß zugeführten
Blutbeſtandtheile werden zu Fleiſch, zu Beſtandtheilen der
Gebilde, Amylon und die ſtickſtofffreien Materien verwandeln
ſich in Fett. Bei dem Fettwerden auf Koſten ſtickſtofffreier
Nahrungsſtoffe nehmen nur gewiſſe Theile des Organismus
an Volumen zu; ſo iſt die Leber einer gemäſteten Gans
4—5mal größer, wie die einer ungemäſteten, ohne daß man
damit ſagen kann, daß die Subſtanz der Leber ſelbſt eine
Zunahme erfahren hat. Während die Leber der ungemäſte-
ten Gans feſt und elaſtiſch iſt, zeigt die der gemäſteten eine
weiche ſchwammige Beſchaffenheit; der Unterſchied liegt ledig-
lich in einer mehr oder minderen Erweiterung der Zellen,
ausgefüllt durch Fett.


In einigen Krankheiten erleiden nachweisbar die amylon-
reichen Stoffe diejenigen Veränderungen nicht, die ſie befähi-
gen, den Reſpirationsproceß zu unterhalten oder in Fett
[97]Reſpiration und Ernährung.
überzugehen. In dem diabetes mellitus wird das Amylon
nicht weiter als in Zucker verwandelt, der ohne eine Ver-
wendung zu finden aus dem Körper entfernt wird.


Wir finden ferner in andern Krankheiten, bei Leber-
entzündungen z. B., das Blut reich an Oel und Fett,
und mit der Vorſtellung, daß unter gewiſſen Bedingun-
gen gewiſſe Beſtandtheile der Galle in Fett metamorpho-
ſirt werden, ſteht die Zuſammenſetzung der Galle nicht in
Widerſpruch.


XIX.


Nach dem Vorgehenden laſſen ſich die Nahrungsmittel
der Menſchen eintheilen in zwei Klaſſen: in ſtickſtoffhal-
tige
und in ſtickſtofffreie. Die erſteren beſitzen die Fä-
higkeit, in Blut überzugehen, den andern geht dieſe Eigen-
ſchaft ab.


Aus den Nahrungsmitteln, welche ſich zur Blutbildung
eignen, entſtehen die Beſtandtheile der Organe, die andern
dienen im normalen Zuſtande der Geſundheit zur Unterhal-
tung des Reſpirationsproceſſes. Die ſtickſtoffhaltigen bezeich-
nen wir als plaſtiſche Nahrungsmittel, die ſtickſtoff-
freien nennen wir Reſpirationsmittel.


7
[98]Der chemiſche Proceß der

Plaſtiſche Nahrungsmittel ſind:


  • Pflanzenfibrin
  • Pflanzenalbumin
  • Pflanzencaſein
  • Fleiſch und Blut der Thiere

Reſpirationsmittel ſind:


  • Fett
  • Amylon
  • Gummi
  • die Zuckerarten
  • Pectin
  • Baſſorin ꝛc.
  • Wein
  • Bier
  • Branntwein.

XX.


Als eine ganz allgemeine Thatſache, welcher bis jetzt
keine einzige Erfahrung entgegenſteht, haben die Unterſuchun-
gen ergeben, daß alle ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile der
Pflanzen eine mit den Hauptbeſtandtheilen des Blutes gleiche
Zuſammenſetzung beſitzen.


Kein ſtickſtoffhaltiger Körper, deſſen Zuſammenſetzung ab-
weicht von der des Fibrins, Albumins und Caſeins, iſt ver-
mögend, den Lebensproceß im Thiere zu unterhalten.


Der Thierorganismus beſitzt ohnſtreitig die Kraft, aus
den Beſtandtheilen ſeines Blutes die Subſtanz ſeiner Mem-
branen und Zellen, der Nerven und des Gehirns, die orga-
niſchen Beſtandtheile der Rippen, Knorpel und Knochen zu
erzeugen, allein ſein Blut muß ihm, bis auf die Form,
fertig gebildet dargeboten werden, und wenn dies nicht ge-
[99]Reſpiration und Ernährung.
ſchieht, ſo iſt damit der Blutbildung und dem Leben eine
Grenze geſetzt.


Von dieſem Geſichtspunkte aufgefaßt, iſt es leicht erklär-
lich, woher es kommt, daß die leimgebenden Gebilde, die
Gallerte der Knochen und Häute, zur Ernährung und zur
Unterhaltung des Lebensproceſſes ſich nicht eignen, denn
ihre Zuſammenſetzung iſt ungleich der des Fibrins und Al-
bumins im Blute. Dies will natürlich nichts anders ſagen,
als daß die Organe in dem Thierkörper, welche die Blut-
bildung vermitteln, die Kraft nicht beſitzen, um eine Meta-
morphoſe in der Anordnung der Elemente der Gallerte
(leim- und chondringebenden Gebilde) zu bewirken. Die
Leimgebilde, die Gallerte der Knochen, Membranen, Zellen
und Häute erleiden in dem Thierkörper durch den Einfluß
des Sauerſtoffs und der Feuchtigkeit eine fortdauernde Ver-
änderung, ein Theil davon tritt aus und muß aus dem
Blute wieder erneuert werden, aber dieſe Verwandlung und
Wiederherſtellung iſt offenbar in ſehr enge Grenzen einge-
ſchloſſen.


Während in dem Körper des Verhungernden und Kran-
ken das Fett verſchwindet und die Muskelſubſtanz die Form
von Blut wieder annimmt, ſehen wir die Sehnen und Mem-
branen ihren Zuſtand behaupten, alle Glieder des Todten
behalten ihren Zuſammenhang, den ſie dieſen Gebilden ver-
danken.


Auf der andern Seite ſehen wir, daß von einem Kno-
chen, den ein Hund verſchluckt hat, nur die Knochenerde
7*
[100]Der chemiſche Proceß der
wieder abgeht, daß die Gallerte in ſeinem Körper völlig
verſchwunden iſt; die nämliche Beobachtung machen wir an
Menſchen, die als Nahrungsmittel verhältnißmäßig mehr
Gallerte (in Fleiſchbrühe) als andere Stoffe genießen,
daß ſie weder in dem Urin, noch in den Faeces austritt; ſie
hat alſo offenbar eine Veränderung erlitten und in dem
Körper zu gewiſſen Zwecken gedient.


Es iſt klar, daß ſie in einer andern Form aus dem
Körper wieder austritt, als die iſt, in welcher ſie genoſſen
worden iſt.


Für den Uebergang des Albumins in Blut, zu einem
Beſtandtheil eines fibrinhaltigen Organs, läßt ſich in der
gleichen Zuſammenſetzung beider kein Widerſpruch entneh-
men. Wir finden im Gegentheile die Verwandlung eines
löslichen und gelöſ’ten Stoffes in einen nichtlöslichen Trä-
ger der Lebensthätigkeit begreiflich und in chemiſcher Bezie-
hung erklärt, eben weil ſie in ihrer Zuſammenſetzung iden-
tiſch ſind. So iſt denn die Meinung einer näheren Be-
gründung nicht unwürdig, daß die in Auflöſung genoſſene
Gallerte in dem Organismus wieder zur Zelle und zu Mem-
branen, zu einem Beſtandtheil der Knochen wird; daß ſie
dazu dienen kann, um die leimgebenden Gebilde, welche eine
Veränderung erlitten haben, zu erneuern und ihre Maſſe zu
vermehren.


Und wenn die Kraft zur Reproduction im ganzen Körper
ſich mit dem Zuſtand der Geſundheit ändert, ſo muß, wenn
auch die Fähigkeit der Blutbildung die nämliche bliebe, die
[101]Reſpiration und Ernährung.
organiſche Kraft, durch welche die Beſtandtheile des Bluts
zu Membranen und Zellen werden, im Zuſtand der Krank-
heit nothwendig abgenommen haben; die Intenſität der Le-
benskraft, ihre Fähigkeit, Metamorphoſen überhaupt zu be-
wirken, ſie nimmt im Kranken, in ſeinem Magen ſowohl,
wie in allen Theilen ſeines Körpers ab. In dieſem Zuſtande
zeigt die practiſche Medizin, daß die löslich gemachten leim-
gebenden Gebilde einen ganz entſchiedenen Einfluß auf das
Befinden des Körpers äußern; in einer Form dargeboten,
in der ſie ſich zur Aſſimilation eignen, dienen ſie zur Erſpa-
rung von Kraft, ähnlich ſo wie es für den Magen durch
zweckmäßig zubereitete Speiſe geſchieht. Die Knochenbrü-
chigkeit bei den grasfreſſenden Thieren iſt offenbar die Folge
einer Schwäche in denjenigen Theilen des Organismus,
welche beſtimmt ſind, die Metamorphoſen der Blutbeſtand-
theile in Zellenſubſtanz zu bewirken, und wenn die Angaben
von Aerzten, die ſich im Oriente aufgehalten haben, Ver-
trauen verdienen, ſo haben die türkiſchen Weiber in der
Reisnahrung und in den häufigen Klyſtieren von Fleiſch-
brühe die Bedingungen vereinigt zur Zellen- und Fettbil-
dung.


[[102]][[103]]

Zweiter Theil.
Die
Metamorphoſen der Gebilde.


[[104]][[105]]

I.


1. Die abſolute Gleichheit in der Zuſammenſetzung der Haupt-
beſtandtheile des Bluts und der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmit-
tel der Thiere wäre vor wenigen Jahren noch ein Argument
geweſen, um das Reſultat der chemiſchen Analyſe zu leugnen,
zu einer Zeit, wo man noch nicht die Erfahrung gemacht hatte,
daß es eine Menge ſtickſtoffhaltiger und ſtickſtofffreier Körper
giebt, die bei einer großen Verſchiedenheit in ihren phyſikaliſchen
Eigenſchaften eine vollkommen gleiche procentiſche Zuſammen-
ſetzung beſitzen, von denen manche ſogar die nämliche Anzahl
von Atomen an Elementen enthalten.


2. Wir kennen z. B. in der Cyanurſäure einen ſtickſtoffhal-
tigen Körper, welcher in ſchönen klaren Octaedern kryſtalliſirt, die
ſich in Waſſer und Säuren mit Leichtigkeit löſen, in dem Cya-
melid
haben wir einen zweiten Körper, welcher in Waſſer
und Säuren abſolut unlöslich, weiß, zuſammenhängend und
undurchſichtig wie Porzellan oder locker wie Bittererde iſt,
eine dritte Subſtanz kennen wir in dem Cyanſäurehydrat,
welche flüchtiger wie ſtarke Eſſigſäure, auf der Haut Bla-
ſen zieht und mit Waſſer nicht zuſammengebracht werden
kann, ohne augenblicklich in neue Produkte zerlegt zu werden.
[106]Der chemiſche Proceß der
Dieſe drei Stoffe zeigen nicht allein in der Analyſe ein abſolut
gleiches Gewichtsverhältniß an Elementen, ſondern ſie können
auch der eine in den andern vorwärts und rückwärts verwan-
delt werden und zwar in hermetiſch geſchloſſenen Gefäßen,
ohne daß alſo an dieſer Verwandlung ein Stoff von Außen
Antheil nimmt 21). Unter den ſtickſtofffreien Subſtanzen
kennen wir in dem Aldehyd eine mit Waſſer miſchbare
brennbare Flüſſigkeit, welche in der Wärme der Hand ſchon
ſiedet, mit großer Begierde Sauerſtoff aus der Luft anzieht
und ſich in Eſſigſäure verwandelt. Dieſer Aldehyd läßt ſich
ſelbſt in zugeſchmolzenen Gefäßen nicht aufbewahren, ſchon
nach Stunden oder Tagen ändert ſich ſeine Beſchaffenheit, ſeine
Flüchtigkeit, ſeine Fähigkeit Sauerſtoff anzuziehen; es ſetzen ſich
lange farbloſe, harte Nadeln darin ab, welche bei Siedhitze
des Waſſers noch nicht flüchtig ſind, und die Flüſſigkeit, in
welcher es geſchieht, iſt kein Aldehyd mehr, ſie ſiedet erſt bei
60°, miſcht ſich nicht mehr mit Waſſer und kryſtalliſirt in eis-
ähnlichen Nadeln bei einem geringen Kältegrade. Nichtsdeſto-
weniger hat die Analyſe dargethan, daß dieſe drei ſo verſchie-
denen Subſtanzen identiſch in ihrer Zuſammenſetzung ſind 22).


3. Einer ähnlichen Dreiheit begegnen wir in dem Albumin,
Fibrin und Caſein. Bis auf ihre phyſikaliſchen Eigenſchaften
weichen ſie in ihrem Gehalte an organiſchen Elementen nicht
von einander ab.


Wenn man Thieralbumin, -Fibrin und -Caſein in einer
mäßig ſtarken Kalilauge löſ’t und dieſe Flüſſigkeit eine Zeit-
lang einer höhern Temperatur ausſetzt, ſo werden dieſe Ma-
[107]Umſetzung der Gebilde.
terien zerlegt. Durch Zuſatz von Eſſigſäure ſcheidet ſich aus
dieſen Auflöſungen ein gelatinöſer, halb durchſcheinender Nie-
derſchlag ab, welcher einerlei Beſchaffenheit und Zuſammen-
ſetzung zeigt, von welcher der genannten drei Thierſubſtanzen
derſelbe auch dargeſtellt werden mag.


Mulder, dem wir die Entdeckung dieſes Körpers verdan-
ken, fand durch genaue und ſorgfältig ausgeführte Analyſen,
daß dieſe Subſtanz die nämlichen organiſchen Elemente, und
zwar in demſelben relativen Verhältniſſe enthält, wie die Thier-
ſtoffe, aus denen ſie erhalten worden war, in der Art alſo,
daß, wenn man von Albumin, Fibrin und Caſein die Aſchen-
beſtandtheile, den Schwefel und Phosphor, den ſie enthalten,
abzieht, und den Reſt der Beſtandtheile auf 100 Theile be-
rechnet, man zu den nämlichen Zahlenverhältniſſen, zu denen
die Analyſe des durch Kali erhaltenen Zerſetzungsproduktes
führt, gelangt 23).


Von dieſem Geſichtspunkte aus laſſen ſich die Hauptbe-
ſtandtheile des Blutes und der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe
der Thiermilch als Verbindungen von phosphorſauren und
andern Salzen, von Phosphor und Schwefel, mit einem aus
Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beſtehenden
Körper betrachten, in welchem das relative Verhältniß dieſer
Elemente nicht wechſelt, und dieſer Körper läßt ſich als An-
fangs- und Ausgangspunkt der ganzen Reihe der übrigen Thier-
gebilde anſehen, eben weil ſie alle aus dem Blute erzeugt
werden.


Dieſe Betrachtungsweiſe veranlaßte Mulder, dem erwähn-
[108]Der chemiſche Proceß der
ten Zerſetzungsprodukt den Namen Protein zu geben, von
πρωτεύω »ich nehme den erſten Platz ein,« und das Blut,
oder die Beſtandtheile des Blutes ſind hiernach Verbindungen
dieſes Protein’s mit wechſelnden Mengen von andern nicht orga-
niſchen Subſtanzen.


Mulder fand ferner, daß der in Waſſer unlösliche ſtickſtoff-
haltige Beſtandtheil des Weizenmehls, das Pflanzenfibrin, durch
Behandlung mit Kali daſſelbe Zerſetzungsprodukt, nämlich
Protein, liefert, und es hat ſich zuletzt ergeben, daß Pflanzen-
albumin und Pflanzencaſein ſich gegen Kali genau ſo verhalten,
wie Thieralbumin und Thiercaſein.


4. Soweit als unſere Forſchungen reichen, kann man es demnach
als ein Erfahrungsgeſetz betrachten, daß die Pflanzen in ihrem
Organismus Proteinverbindungen erzeugen und daß ſich aus
dieſen Proteinverbindungen die zahlreichen Gebilde und Be-
ſtandtheile des Thierkörpers unter Mitwirkung des Sauerſtoffs
der Luft und der Beſtandtheile des Waſſers durch die Lebens-
kraft entwickeln *).


Obwohl es nun nicht bewieſen werden kann, daß das Pro-
tein fertig gebildet in dieſen ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffen und
[109]Umſetzung der Gebilde.
Thierſubſtanzen enthalten iſt, indem die Verſchiedenheit ihrer
Eigenſchaften darauf hinzudeuten ſcheint, daß ihre Elemente
nicht auf gleiche Weiſe mit einander vereinigt ſind, ſo gewährt
dennoch, als Ausgangspunkt für die Entwickelung und Ver-
gleichung ihrer Eigenſchaften, die Annahme der Präexiſtenz des
Proteins viele Bequemlichkeit. Jedenfalls ordnen ſich die or-
ganiſchen Elemente der genannten Subſtanzen auf einerlei Weiſe,
wenn ſie bei einer höhern Temperatur mit kauſtiſchem Kali in
Berührung gebracht werden.


Alle organiſchen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile des Thierkör-
pers, ſo verſchieden ſie auch in ihrer Zuſammenſetzung ſich
darſtellen mögen, ſtammen vom Protein ab; ſie ſind daraus
gebildet worden durch Aus- oder Hinzutreten der Beſtand-
theile des Waſſers oder des Sauerſtoffs und durch Spal-
tung in zwei oder mehrere neue Verbindungen.


5. Dieſer Satz muß als eine unleugbare Wahrheit angenom-
men werden, wenn man ſich an die Entwickelung des jungen
Thieres im Hühnerei erinnert. Nachweisbar enthält das Hüh-
nerei außer dem Albumin keinen anderen ſtickſtoffhaltigen Be-
ſtandtheil, das Albumin des Dotters iſt identiſch mit dem
Albumin des Weißen im Ei 24); der Dotter enthält ein gelb ge-
färbtes Fett, in dem ſich Cholſterin und Eiſen als Beſtand-
theile nachweiſen laſſen. Wir ſehen nun, daß in der Bebrütung
des Eies, wo bis auf den Sauerſtoff der Luft kein Nahrungs-
ſtoff, keine Materie von Außen Antheil an dem Entwickelungs-
proceß nehmen kann, daß ſich aus dem Albumin, Federn, Klauen
Blutkörperchen, Fibrin, Membranen und Zellen, Arterien und
[110]Der chemiſche Proceß der
Venen erzeugen; an der Bildung der Gehirn- und Nerven-
ſubſtanz mag das Fett des Ei’s einen gewiſſen Antheil genom-
men haben, allein zur Erzeugung der ſtickſtoffhaltigen Träger
der Lebensthätigkeit konnte ſein Kohlenſtoff nicht verwendet wer-
den, eben weil das Albumin des Weißen und Dotters im Ei
auf den gegebenen Stickſtoffgehalt die zur Hervorbringung der
Gebilde nöthige Kohlenſtoffmenge ſchon enthält.


6. Der eigentliche Ausgangspunkt aller Gebilde im Thierkör-
per iſt hiernach das Albumin; alle ſtickſtoffhaltigen Nahrungs-
ſtoffe, gleichgültig, ob ſie von Thieren und Pflanzen ſtammen,
verwandeln ſich, ehe ſie Theil an dem Nutritionsproceß nehmen,
in Albumin.


Alle Nahrungsſtoffe, welche das Thier genießt, werden in
ſeinem Magen löslich und überführbar in das Blut. An
dieſem Löslichwerden nimmt außer dem Sauerſtoff der Luft
nur eine Flüſſigkeit Antheil, welche von den Wänden des
Magens abgeſondert wird.


Die entſcheidendſten Verſuche der Phyſiologen haben dar-
gethan, daß der Verdauungsproceß unabhängig iſt von der
Lebensthätigkeit, er geht vor ſich in Folge einer rein chemi-
ſchen Aktion, ganz ähnlich den Zerſetzungs- oder Umſetzungs-
proceſſen, die man mit Fäulniß, Gährung oder Verweſung
bezeichnet.


7. In der einfachſten Form ausgedrückt iſt Gährung und
Fäulniß der Vorgang der Umſetzung (neuen Lagerung) der Ele-
mentartheile (Atome) einer Verbindung, zu einer oder zu
mehreren neuen Gruppen (Verbindungen), welche bewirkt
[111]Umſetzung der Gebilde.
wird durch die Berührung mit andern Körpern, deren Ele-
mentartheile ſich ſelbſt im Zuſtand der Umſetzung (Zerſetzung)
befinden. Es iſt eine Uebertragung und Mittheilung eines
Zuſtandes der Bewegung, welche die Atome eines ſich
in Bewegung befindlichen Körpers in andern Materien her-
vorzubringen vermögen, deren Elementartheile nur mit einer
geringen Kraft zuſammengehalten ſind.


8. So enthält denn der klare Magenſaft eine im Zuſtand
der Umſetzung befindliche Materie, durch deren Berührung
mit den an und für ſich im Waſſer unlöslichen Beſtandtheilen
der Speiſe, dieſe die Fähigkeit ſich zu löſen, in Folge einer
neuen Gruppirung ihrer Elementartheile, empfangen. Wäh-
rend der Verdauung enthält der abgeſonderte Magenſaft eine
freie Mineralſäure, durch deren Gegenwart eine jede weitere
Veränderung aufgehalten wird.


Daß die Löslichwerdung der Speiſen unabhängig von der
Lebensthätigkeit der Verdauungsorgane iſt, haben die Phyſiolo-
gen aufs klarſte durch eine Menge der ſchönſten Verſuche darge-
than. Speiſen, in metallene durchlöcherte Röhren eingeſchloſſen,
ſo daß ſie mit den Wänden des Magens nicht in Berührung
kommen konnten, verſchwinden ebenſo leicht und ſchnell, ſie wer-
den eben ſo gut verdaut, wie wenn dieſe Hülle nicht vorhanden
geweſen wäre, und friſch aus dem Körper genommener Ma-
genſaft, in dem man gekochtes Eiweiß, Muskelfleiſch bei der
Temperatur des Thierkörpers eine Zeitlang erhält, bewirkt,
daß ſie ihre feſte Beſchaffenheit verlieren; ſie löſen ſich in
der Flüſſigkeit auf.


[112]Der chemiſche Proceß der

9. Die in dem Magenſaft vorhandene, im Zuſtand der Ver-
änderung befindliche Materie iſt, wie man kaum bezweifeln kann,
ein Produkt der Umſetzung des Magens ſelbſt. Keine mehr wie
die Produkte, welche durch die fortſchreitende Zerſetzung der
Leim- (Chondrin-?) gebenden Gebilde erzeugt werden, beſitzen in
ſo hohem Grade die Fähigkeit, in andern Stoffen eine Umſe-
tzung ihrer Beſtandtheile hervorzurufen. Wenn man die Mem-
branen des Magens irgend eines Thieres (den Labmagen des
Kalbes z. B.) durch anhaltendes Waſchen mit Waſſer reinigt,
ſo zeigt er keine Art von Wirkung, wenn er mit Zucker, Milch
und andern Subſtanzen zuſammengebracht wird; läßt man
dieſelben Membranen eine Zeitlang an der Luft liegen, oder
trocknet man ſie und bringt ſie mit Waſſer und den genann-
ten Subſtanzen in Berührung, ſo verwandelt ſich der Zucker,
je nach dem Zuſtand der Zerſetzung, in der ſich die Thierſub-
ſtanz befindet, in Milchſäure oder in Schleim und Mannit
oder in Alkohol und Kohlenſäure; die Milch wird davon au-
genblicklich zum Gerinnen gebracht. Eine gewöhnliche Thier-
blaſe behauptet in trocknem Zuſtande ihren Zuſtand und alle
ihre Eigenſchaften unverändert, aber bei Gegenwart von
Feuchtigkeit und Luft geht ſie einer Veränderung entgegen,
ohne daß man dieſe durch beſondere äußere Zeichen wahr-
nimmt; wird ſie in dieſem Zuſtande in eine Auflöſung von
Milchzucker gelegt, ſo verwandelt ſich dieſer in kurzer Zeit
in Milchſäure.


10. Friſcher Labmagen des Kalbes, mit ſchwacher Salzſäure
in Berührung, ertheilt dieſer Flüſſigkeit nicht die geringſte
[113]Umſetzung der Gebilde.
Fähigkeit, gekochtes Fleiſch oder Eiweiß aufzulöſen; war
aber der Labmagen vorher getrocknet worden, oder läßt man
ihn eine Zeitlang im Waſſer liegen, ſo löſ’t mit Salzſäure ange-
ſäuertes Waſſer eine Materie in höchſt geringer Menge daraus
auf, deren Zuſtand der Zerſetzung ſich in der Auflöſung vollen-
det; durch die Uebertragung des Aktes der Zerſetzung auf das
coagulirte Eiweiß wird es an den Rändern zuerſt durchſcheinend,
dann ſchleimig und löſ’t ſich zuletzt bis auf trübende fette Ge-
mengtheile völlig auf. Sauerſtoff wird durch das arterielle
Blut allen Theilen des Thierkörpers zugeführt, überall befin-
det ſich Feuchtigkeit, in beiden finden wir die Hauptbedingungen
aller Veränderungen im Thierkörper vereinigt.


Aehnlich alſo wie der im Keimungsproceß der Samen
in einem Zuſtande der Umſetzung ſeiner Beſtandtheile be-
findliche Körper, dem man den Namen Diaſtaſe gegeben hat,
die Löslichwerdung des Amylons (ſeine Verwandlung in Zucker)
bewirkt, veranlaßt ein Produkt der Metamorphoſe der Sub-
ſtanz der Verdauungsorgane, indem ſich ſeine Zerſetzung im
Magen vollendet, die Verflüſſigung aller der Löſung fähigen
Beſtandtheile der Speiſen. In gewiſſen Krankheitszuſtänden
erzeugen ſich aus den ſtickſtofffreien Beſtandtheilen der Spei-
ſen, aus Amylon und Zucker, Milchſäure 25) und Schleim, die
nämlichen Produkte, die wir durch Membranen, welche ſich
im Zuſtande der Zerſetzung befinden, außerhalb des Magens
hervorbringen können; allein im normalen Zuſtande der Ge-
ſundheit wird im Magen keine Milchſäure gebildet.


11. Die Eigenſchaft vieler Reſpirationsmittel, des Amy-
8
[114]Der chemiſche Proceß der
lons und der Zuckerarten, bei Berührung mit Thierſubſtan-
zen, die ſich im Zuſtande der Zerſetzung befinden, in Milch-
ſäure überzugehen, hat einen Grund bei den Phyſiologen
abgegeben, um ihre Entſtehung während der Verdauung ohne
weiteres anzunehmen, und ihre Fähigkeit, den phosphorſau-
ren Kalk aufzulöſen, veranlaßte ſie, der Milchſäure die
Rolle eines allgemeinen Auflöſungsmittels zuzuſchreiben.
Allein es gelang weder Prout noch Braconnot, Milch-
ſäure im Magenſafte nachzuweiſen, und ſelbſt Lehmann
(ſ. ſein Lehrbuch der phyſiologiſchen Chemie 1. Bd. S. 285)
erhielt aus dem Magenſaft einer Katze nur mikroſkopiſch
erkennbare Kryſtalle, die er für milchſaures Zinkoxyd erklärt,
obwohl ihr chemiſcher Charakter nicht ausgemittelt werden
konnte.


Das Vorhandenſein von freier Salzſäure im Magen-
ſafte, was Prout zuerſt beobachtete, iſt ſpäter von allen
Chemikern, die ſich mit ſeiner Unterſuchung beſchäftigt haben,
beſtätigt worden. Dieſe Salzſäure ſtammt offenbar von
dem Kochſalz her, deſſen Natron bei dem Uebergang des
Fibrins und Caſeins in Blut eine ganz beſtimmte Rolle über-
nimmt.


In ihrem Vermögen, Knochenerde aufzulöſen, wird die
Salzſäure von keiner organiſchen Säure übertroffen, und
Eſſigſäure ſteht in dieſer Eigenſchaft der Milchſäure gleich.
Von einer Nothwendigkeit der Gegenwart der Milchſäure
während des Verdauungsproceſſes kann hiernach keine Rede
ſein; mit Beſtimmtheit weiß man, daß ſie in dem künſtlichen
[115]Umſetzung der Gebilde.
Verdauungsproceß nicht erzeugt wird. Berzelius hat
zwar milchſaure Salze im Blut und Fleiſch der Thiere ge-
funden, allein damals war die außerordentliche Leichtigkeit
und Schnelligkeit noch nicht bekannt, mit welcher dieſe
Säure bei Gegenwart von Thierſtoffen aus einer Menge von
Materien zu entſtehen vermag, welche die Elemente der
Milchſäure enthalten.


In dem Magenſafte eines Hundes fand Braconnot,
neben Salzſäure, nachweisbare Spuren eines Eiſenſalzes,
was er anfänglich für einen zufälligen Beſtandtheil anſah,
deſſen Gegenwart ſich aber in dem Magenſafte eines zweiten
Hundes, den man mit der nöthigen Vorſicht gewonnen hatte,
beſtätigte (Ann. d. chim. et d. phys. T. 59. S. 349). Dieſer
Eiſengehalt iſt für die Blutbildung bedeutungsvoll.


12. An der Wirkung des Magenſaftes auf die Speiſen nimmt,
außer Waſſer, kein anderes Element als der Sauerſtoff
nachweisbaren Antheil. Dieſer Sauerſtoff wird aus der
atmoſphäriſchen Luft dem Magen zugeführt. Während des
Kauens der Speiſen wird im Munde, durch beſonders dazu
beſtimmte Organe, eine Flüſſigkeit abgeſondert, welche die
ausgezeichnete Fähigkeit, Luft ſchaumartig einzuſchließen, in
weit höherem Grade noch wie Seifenwaſſer beſitzt. Dieſe
Luft gelangt durch den Speichel mit den Speiſen in den
Magen, wo ihr Sauerſtoff eine Verbindung eingeht; der
Stickſtoff dieſer Luft wird durch Haut und Lunge ausgeath-
met. Je länger die Verdauung dauert, je größeren Wider-
ſtand die Speiſen der auflöſenden Aktion entgegenſetzen,
8*
[116]Der chemiſche Proceß der
deſto mehr Speichel, und mit ihm deſto mehr Luft gelangt
in den Magen. Das Wiederkäuen bei gewiſſen grasfreſſenden
Thieren hat offenbar noch den Zweck einer neuen und wieder-
holten Hinzuführung von Sauerſtoff, denn eine vollkommnere
mechaniſche Zertheilung verkürzt nur die Zeit, in welcher die
Auflöſung vor ſich geht.


Aus der ungleichen Menge von Luft, welche bei ver-
ſchiedenen Thierklaſſen bei dem Kauen der Speiſen mit dem
Speichel in den Magen gelangt, erklären ſich die wohlbe-
gründeten Beobachtungen der Phyſiologen, welche die That-
ſache außer Zweifel geſtellt haben, daß die Thiere durch Haut
und Lunge reines Stickgas ausathmen, eine Erfahrung, die
um ſo wichtiger iſt, da ſie in ſich ſelbſt den entſcheidendſten
Beweis trägt, daß der Stickſtoff der Luft in der thieriſchen
Oekonomie keine Verwendung findet.


Das Austreten von Stickgas aus Haut und Lunge er-
klärt ſich durch das Vermögen der Thiergewebe Gaſe aller
Art durchzulaſſen, was ſich durch die einfachſten Verſuche
darthun läßt. Eine Blaſe, die man, mit kohlenſaurem Gas,
Stickgas oder Waſſerſtoffgas gefüllt, wohlverſchloſſen in die
Luft hängt, verliert in 24 Stunden ihren ganzen Gehalt
an dieſen Gaſen; durch eine Art von Austauſch ſind ſie
nach Außen hin in die Atmoſphäre entwichen, ihren Platz
finden wir von atmoſphäriſcher Luft eingenommen. Ein Darm,
ein Magen oder eine Haut, die wir mit dieſen Gaſen füllen,
verhält ſich ganz ähnlich wie die Blaſe; dieſes Durchlaſſen
der Gaſe iſt eine phyſikaliſche Eigenſchaft, die allen thieriſchen
[117]Umſetzung der Gebilde.
Geweben angehört; wir beobachten ſie in dem lebenden Kör-
per in gleichem Grade wie an den todten Subſtanzen.


Man weiß, daß bei Lungenverletzungen nicht ſelten ein
eigenthümlicher Zuſtand entſteht, wo beim Athmen die atmo-
ſphäriſche Luft von den Luftwegen aus in das angränzende
Zellgewebe eindringt. Dieſe Luft wird durch die Reſpira-
tionsbewegungen von der Wundſtelle aus in dem Zellgewebe
immer weiter fortgetrieben und bildet ſo den unter dem
Namen Emphyſem bekannten Krankheitszuſtand. Sobald das
fernere Eindringen der atmoſphäriſchen Luft in das Zellge-
webe frühzeitig genug verhindert wird, verliert ſich dieſer
Zuſtand allmälig von ſelbſt wieder, der Sauerſtoff dieſer
Luft iſt, wie man nicht zweifeln kann, in Verbindung getreten,
das Stickſtoffgas iſt durch Haut und Lunge ausgeathmet worden.


Es iſt ferner bekannt, daß bei vielen grasfreſſenden Thie-
ren, wenn ſie ſich im Genuße friſcher ſaftiger Pflanzen die
Verdauungswerkzeuge überladen haben, dieſe Stoffe in dem
Magen ſelbſt der nämlichen Zerſetzung unterliegen, die ſie au-
ßerhalb des Körpers in gleicher Temperatur erfahren; ſie gehen
in Gährung und Fäulniß über, wobei ſich eine ſo große Menge
kohlenſaures und entzündliches Gas entwickelt, daß dieſe Or-
gane auf eine ungewöhnliche Weiſe (zuweilen bis zum Zer-
ſprengen) aufgetrieben werden. Nach der Einrichtung ihres
Magens oder ihrer Mägen, können dieſe Gaſe durch den
Schlund nicht entweichen, man ſieht aber nach einigen Stunden
ſchon den aufgetriebenen Leib kleiner werden, und nach 24
Stunden iſt von allem Gaſe keine Spur mehr vorhanden 26).


[118]Der chemiſche Proceß der

Erinnert man ſich zuletzt an die tödtlichen Zufälle, die in
Weinländern ſo häufig durch den Genuß von ſogenanntem
federweißen Wein veranlaßt werden, ſo kann man nicht
den geringſten Zweifel hegen, daß Gaſe jeder Art, im Waſ-
ſer lösliche oder unlösliche, das Vermögen beſitzen, die thie-
riſchen Gewebe zu durchdringen, ähnlich wie Waſſer von un-
geleimtem Papier durchgelaſſen wird. Der federweiße Wein
iſt in Gährung begriffener Wein, welche durch die Tempera-
tur des Magens geſteigert wird; das entwickelte kohlenſaure
Gas dringt durch die Wände des Magens, des Zwerchfelles,
durch alle Häute in die Lungenzellen, und verdrängt aus die-
ſen die atmoſpäriſche Luft. Der Menſch ſtirbt mit allen Zei-
chen der Erſtickung in einem irreſpirablen Gaſe, und der
ſicherſte Beweis für ihr Vorhandenſein in der Lunge iſt un-
ſtreitig der Umſtand, daß das Einathmen von Ammoniakgas
als das beſte Gegenmittel gegen dieſen Krankheitszuſtand
anerkannt iſt.


Die Kohlenſäure der mouſſirenden Weine, welche in den
Magen gelangt, die Kohlenſäure, die man im Waſſer, was
damit geſättigt iſt, in der Form eines Klyſtiers zu ſich nimmt,
ſie treten durch Haut und Lunge wieder aus, und in glei-
chem Grade muß dies von dem Stickgas gelten, was durch
den Speichel in den Magen gelangt.


Gewiß mag ein Theil dieſer Gaſe durch das Saug- und
Lymphgefäßſyſtem in das venöſe Blut und von da in die
Lunge gelangen, wo ſie abdunſten, allein ihrem directen Ein-
dringen in die Bruſthöhle und Lunge ſteht in den Membranen
[119]Umſetzung der Gebilde.
ſelbſt, nicht das geringſte Hinderniß im Wege. Es iſt in
der That ſchwer zu glauben, daß die Saug- und Lymphge-
gefäße ein beſonderes Beſtreben haben, Luft, Stickgas, Waſ-
ſerſtoffgas ꝛc. aufzuſaugen und dem Blute zuzuführen, da
die Eingeweide, der Magen, alle Räume, die nicht mit feſten
oder flüſſigen Stoffen ausgefüllt ſind, Gaſe enthalten, die
nur bei einer gewiſſen Volumsvergrößerung ihren Platz ver-
laſſen, die alſo nicht aufgeſaugt werden. Von dem Stickgas
im beſondern, mit dem ſich das Blut bei ſeinem Durchgange
durch die Lunge, wie eine jede andere Flüſſigkeit ſättigt, d. h.
von dem es ſo viel aufnimmt, als ſeinem Auflöſungsvermö-
gen entſpricht, muß angenommen werden, daß es nicht durch
den Kreislauf des Blutes, ſondern auf einem directeren Wege
wieder aus dem Magen tritt. Durch die Athembewegungen
werden alle Gaſe, welche die leeren Räume ausfüllen, nach der
Bruſthöhle hingetrieben, indem durch die Bewegung des
Zwergfelles und die Erweiterung der Bruſthöhle ein luft-
verdünnter Raum entſteht, in deſſen Folge, durch den atmo-
ſphäriſchen Luftdruck, Luft von allen Seiten her in die Lun-
gen eingetrieben wird; es findet freilich das Maximum der
Ausgleichung durch die Luftröhre ſtatt, aber auch von Innen
her müſſen alle Gaſe eine Bewegung nach der Bruſthöhle
und Lunge hin empfangen. Bei den Vögeln und Schild-
kröten iſt dieſes Verhältniß umgekehrt. Wenn wir annehmen,
daß ein Menſch in einer Minute nur ⅛ Kubikzoll Luft mit
dem Speichel ſeinem Magen zuführt, ſo macht dies in 18 Stun-
den 135 Kubikzoll aus, wenn wir den fünften Theil davon
[120]Der chemiſche Proceß der
als Sauerſtoff abrechnen, ſo bleiben immer noch 108 Kubik-
zoll Stickgas, welche den Raum von drei Pfund (heſſiſche)
Waſſer einnehmen. So wenig oder ſo viel die verſchluckte
Stickſtoffmenge nun auch betragen mag, gewiß iſt, daß dieſes
Gas durch den Mund, Naſe oder Haut wieder austritt, und
wenn wir die große Menge Stickgas in Betrachtung ziehen,
welche von Magendie in den Eingeweiden Hingerichteter nach-
gewieſen worden iſt, ſo wie die Abweſenheit von allem Sauer-
ſtoffgas in den nämlichen Organen 27), ſo muß angenommen
werden, daß auch in Folge der Reſorbtion durch die Haut
Luft, d. h. Stickgas, eintritt, welches durch die Lunge wieder
ausgeathmet wird.


Bei dem Athmen der Thiere in Gaſen, die keinen Stick-
ſtoff enthalten, wird mehr Stickgas ausgeathmet, eben weil
ſich in dieſem Falle das Stickgas im Körper gegen den
Raum außerhalb verhält, wie wenn dieſer Raum luftleer
wäre. (S. Graham über die Diffuſion der Gaſe.)


Die Unterſchiede in der Menge des ausgeathmeten Stick-
gaſes von verſchiedenen Thierklaſſen erklären ſich hiernach
leicht; die Herbivoren verſchlucken mit dem Speichel mehr
Luft wie die Carnivoren; ſie athmen mehr Stickgas aus,
beim Faſten weniger wie nach friſch genoſſener Nah-
rung.


13. Aehnlich wie die aus dem Leibe genommene Muskel-
faſer den Zuſtand der Zerſetzung und Umſetzung, in welchem
ſich ihre Beſtandtheile befinden, dem [Waſſerſtoffhyperoxyde]
überträgt, wirkt ein durch den organiſchen Proceß, in Folge
[121]Umſetzung der Gebilde.
der Umſetzung der Beſtandtheile des Magens und der Ver-
dauungsorgane, entſtehendes Product, indem ſich ſeine Me-
tamorphoſe im Magen vollendet, auf die Beſtandtheile der
genoſſenen Speiſen. Die unlöslichen erhalten die Fähigkeit
ſich zu löſen, ſie werden verdaut.


Es iſt gewiß bemerkenswerth, daß gekochtes Eiweiß oder
Fibrin, wenn ſie durch gewiſſe Flüſſigkeiten, durch organi-
ſche Säuren oder ſchwache alkaliſche Laugen, löslich ge-
macht werden, daß alle ihre übrigen Eigenſchaften bis auf
die Form (den Cohäſionszuſtand) nicht die geringſte Aende-
rung erfahren, ihre Elementartheile ordnen ſich ſicher auf
eine andere Art, allein ſie theilen ſich nicht in zwei oder
mehre Gruppen, in zwei oder mehre neue Verbindungen,
ſondern ſie bleiben zuſammen vereinigt.


Ganz daſſelbe findet in dem Verdauungsproceſſe ſtatt;
im geſunden Zuſtande erleiden die Speiſen nur eine Aufhe-
bung ihres Cohäſionszuſtandes.


Das größte Hinderniß, was ſich der klaren Auffaſſung des
Verdauungsproceſſes, der in dem Vorhergehenden zu den chemi-
ſchen Metamorphoſen gerechnet worden iſt, die man Gährung
und Fäulniß nennt, entgegenſtellt, beruht auf der unwillkührli-
chen Erinnerung und in der Feſthaltung der Erſcheinungen,
welche die Gährung des Zuckers und der Thierſubſtanzen
(Fäulniß) begleiten, allein es giebt zahlloſe Fälle, wo eine
Umſetzung der Beſtandtheile einer Verbindung vor ſich geht,
ohne die geringſte Gasentwickelung, und es ſind hauptſäch-
lich dieſe, welche man ins Auge zu faſſen hat, wenn man
[122]Der chemiſche Proceß der
den chemiſchen Begriff der Verdauung frei von Irrthum in
ſich aufnehmen will.


Alle Materien, welche die Erſcheinungen der Gährung
und Fäulniß in Flüſſigkeiten aufzuheben vermögen, ſtören,
in den verdauenden Magen gebracht, die Verdauung. Die
Wirkung der brenzlichen, empyreumatiſchen Stoffe von Caffee,
Tabacksdampf, Kreoſot, Queckſilbermittel u. ſ. w. verdienen
in dieſer Beziehung für Dietätik eine beſondere Beachtung.


Durch die Gleichheit in der Zuſammenſetzung der Be-
ſtandtheile des Bluts mit den ſtickſtoffhaltigen, vegetabiliſchen
Nahrungsſtoffen haben wir, gewiß auf eine ſehr unerwartete
Weiſe, erfahren, warum faulendes Blut, Eiweiß, Fleiſch,
Käſe in Zuckerwaſſer die nämliche Veränderung hervorbrin-
gen, wie Hefe, warum Zucker damit in Berührung je nach
dem Zuſtande der Zerſetzung, in welchem ſich die faulenden
Materien befinden, bald in Alkohol und Kohlenſäure, bald
in Milchſäure und Schleim ſich zerlegt. Die Urſache liegt
einfach darin, daß die Materie, welche man Hefe (Ferment)
genannt hat, im Zuſtande der Zerſetzung begriffenes Pflan-
zenalbumin, -Fibrin oder -Caſein iſt, Subſtanzen, welche
identiſch ſind mit den Beſtandtheilen des Fleiſches oder des
Blutes. Die Fäulniß der genannten Thierſubſtanzen iſt in
ihrem Vorgang identiſch mit dem Proceß der Metamorphoſe
der ihnen identiſchen Pflanzenſtoffe, es iſt ein Zerfallen in
minder complexe neue Verbindungen. Und wenn man die
Umſetzung der Beſtandtheile des Thierkörpers (den Verbrauch
an Stoff vom Thiere) als einen chemiſchen Proceß betrach-
[123]Umſetzung der Gebilde.
tet, welcher unter dem Einfluſſe der Lebensthätigkeit vor
ſich geht, ſo iſt die Fäulniß derſelben außerhalb des Thier-
körpers ein Zerfallen in einfachere Verbindungen, an welchen
die Lebenskraft keinen Antheil nimmt. Die Action iſt in
beiden Fällen die nämliche, nur die Producte ſind verſchie-
den. Die practiſche Medicin hat über die Wirkung empy-
reumatiſcher Stoffe (Holzeſſig und anderer) auf bösartige
Wunden und Geſchwüre die ſchönſten und intereſſanteſten
Beobachtungen gemacht. In dieſen Krankheitserſcheinungen
gehen zwei Actionen neben einander vor ſich, eine Metamor-
phoſe, welche unter dem Einfluß der Lebensthätigkeit ſich zu
vollenden ſtrebt, und eine zweite, welche unabhängig von
ihr iſt. Die letztere iſt ein chemiſcher Proceß, welcher durch
empyreumatiſche Subſtanzen gänzlich unterdrückt und aufge-
hoben wird; es iſt der reine Gegenſatz von der ſchädlichen
Einwirkung, welche faulendes Blut, auf friſche Wunden ge-
legt, in dem Organismus hervorbringt.


II.


14. Den nächſten Ausdruck für die Zuſammenſetzung des
Proteins oder die relativen Verhältniſſe der organiſchen
Beſtandtheile des Bluts, ſo wie ſie durch die Analyſe feſt-
geſtellt worden ſind, giebt die Formel C43 H72 N12 O14*). Al-
[124]Der chemiſche Proceß der
bumin, Fibrin, Caſein enthalten Protein; das Caſein enthält
Schwefel, keinen Phosphor; Albumin und Fibrin enthalten
beide Subſtanzen in chemiſcher Verbindung, das erſtere mehr
Schwefel als wie das Fibrin. In welcher Form der Phos-
phor in dieſen Materien vorhanden iſt, kann direct nicht
entſchieden werden, aber man hat beſtimmte Beweiſe dafür,
daß der Schwefel nicht im oxydirten Zuſtande darin enthal-
ten ſein kann. Alle dieſe Materien geben nämlich mit einer
mäßig ſtarken Kalilauge erhitzt den Schwefel ab, den man
in der Flüſſigkeit als Schwefelkalium wiederfindet; mit einer
Säure verſetzt entwickelt er ſich daraus als Schwefelwaſſer-
ſtoff. Löſ’t man reines Fibrin oder gewöhnliches Eiweiß
in ſchwacher Kalilauge auf, ſetzt eſſigſaures Bleioxyd mit
der Vorſicht hinzu, daß alles Bleioxyd in der alkaliſchen
Lauge gelöſ’t bleibt, und erhitzt nun zum Sieden, ſo wird
die Flüſſigkeit ſchwarz wie Dinte und es ſchlägt ſich Schwe-
felblei als feines Pulver nieder.


Es iſt außerordentlich wahrſcheinlich, daß durch die Ein-
wirkung des Alkali’s der Schwefel als Schwefelwaſſerſtoff,
der Phosphor als Phosphorſäure hinweggenommen wird.
Da nun in dieſem Falle Schwefel und Phosphor auf der
einen Seite, Waſſerſtoff und Sauerſtoff auf der andern aus-
treten, ſo ſollte man denken, daß Fibrin und Albumin mit
ihrem Schwefel und Phosphor mehr Waſſerſtoff und Sauer-
ſtoff in der Analyſe geben müßten, als das Protein. Allein
dies läßt ſich thatſächlich durch die Analyſe nicht darthun.
Man hat z. B. in dem Fibrin 0,36 pCt. Schwefel gefun-
[125]Umſetzung der Gebilde.
den. Angenommen nun, der Schwefel trete mit Waſſerſtoff
aus, ſo würde das Protein 0,0225 pCt. Waſſerſtoff weni-
ger enthalten, wie das Fibrin, anſtatt den mittleren Gehalt
von 7,062 pCt. Waſſerſtoff würde man im Protein alſo
7,04 pCt. bekommen müſſen. In einer ähnlichen Weiſe
würde durch das Austreten vom Sauerſtoff mit dem Phos-
phor der Sauerſtoffgehalt des Fibrins von 22,715 pCt.
oder 22,00 auf 22,5 oder 21,8 pCt. in dem Protein zurück-
geführt werden. Die Fehlergrenzen unſerer Analyſen ſind
aber im Durchſchnitt größer als ein Zehntel Procent in der
Waſſerſtoffbeſtimmung, und über 4/10 pCt. in der Sauerſtoff-
beſtimmung; in den angegebenen Fällen würde der Unterſchied
in dem Waſſerſtoffgehalte nur 1/48 pCt. betragen.


Wenn man zuletzt bedenkt, daß das Austreten von Sauer-
ſtoff und Waſſerſtoff mit dem Phosphor und Schwefel ein
Hinzutreten der Beſtandtheile des Waſſers nicht ausſchließt,
wenn wir annehmen, daß mit den organiſchen Beſtandtheilen
des Albumins und Fibrins eine gewiſſe Menge Waſſer in
Verbindung tritt, um Protein zu bilden, ſo hört alle Wahr-
ſcheinlichkeit völlig auf, durch die chemiſche Analyſe darüber
zu einer beſtimmten Anſicht zu gelangen.


Man hat von der Bildung des Schwefelkaliums rück-
wärts Schlüſſe auf das Vorhandenſein von nicht oxydirtem
Phosphor in dem Fibrin und Albumin gezogen, indem man
annahm, daß der Sauerſtoff des Kalis dazu gedient habe,
um mit dem Phosphor Phosphorſäure zu bilden; allein das
Caſein, in welchem kein Phosphor zugegen iſt, verhält ſich
[126]Der chemiſche Proceß der
gegen Kali ganz den anderen gleich; es entſteht nämlich
Schwefelkalium, deſſen Bildung ohne ein Austreten von
Schwefelwaſſerſtoff nicht erklärbar iſt. Beim bloßen Kochen
von Fleiſch, bei der Bereitung von Fleiſchbrühe, entwickelt
ſich, wie Chevreul gefunden hat, Schwefelwaſſerſtoff.


Zuletzt ſind die Schwefelmengen im Fibrin und Albumin
auf dieſelbe Phosphormenge nicht gleich, woraus man keinen
andern Schluß ziehen kann, als daß die Bildung des Schwe-
felkaliums zu dieſem Phosphorgehalt in keiner Beziehung
ſteht; es bildet ſich Schwefelkalium aus Caſein, in welchem
man keinen freien (als Säure ungebundenen?) Phosphor
vorausſetzt und ebenſo aus Albumin, was nur halb ſo viel
Phosphor enthält wie das Fibrin.


Eine jede Bemühung, die wahre Anzahl der Atome des
Fibrins und Albumins in einer rationellen Formel feſtzuſetzen,
in welcher Schwefel und Phosphor zu ganzen Atomzah-
len aufgenommen ſind, wird immer unfruchtbar bleiben, weil
uns ſchlechterdings alle Mittel fehlen, um mit abſoluter Ge-
nauigkeit die ſo äußerſt geringen Mengen von Schwefel und
Phosphor in den Thierſubſtanzen beſtimmen zu können,
und eine Abweichung, welche kleiner iſt als die gewöhn-
lichen Grenzen der Beobachtungsfehler, um 10 und mehr
Atome, die Anzahl der Atome des Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs
und Sauerſtoffs in der Formel ändert.


Man muß ſich in dieſer Hinſicht über das, was die
chemiſche Analyſe zu leiſten vermögend iſt, keiner Täuſchung
hingeben, mit Gewißheit wiſſen wir, daß die Zahlenver-
[127]Umſetzung der Gebilde.
hältniſſe der Analyſen vom Fibrin und Albumin nicht von
einander abweichen, und wir erſchließen hieraus die gleiche
Zuſammenſetzung. Dieſer Schluß verliert von ſeiner Wahr-
heit nichts, obwohl wir die Anzahl der Atome ihrer Ele-
mente nicht kennen, welche zu dem zuſammengeſetzten Atome
ſich vereinigt haben.


15. Eine Formel für Protein iſt für uns nichts weiter wie
der genaueſte und nächſte Ausdruck der Analyſe, einer Er-
fahrung, über die wir alle Zweifel als beſeitigt betrachten.
Dies allein hat vorläufig Werth für uns.


Wenn wir uns nun denken, daß aus dem Albumin
und Fibrin im Blute alle andern Gebilde entſprungen ſind,
ſo iſt vollkommen ſicher, daß dies nur auf zwei Weiſen ge-
ſchehen kann. Es ſind nämlich entweder gewiſſe Elemente
hinzu-, oder es ſind von ihren Beſtandtheilen gewiſſe Mengen
ausgetreten.


Suchen wir nun z. B. für die Zellen und leimgebenden
Gebilde, Sehnen, Haare, Horn und die übrigen, einen
analytiſchen Ausdruck auf, in welchem die Anzahl der Atome
des Kohlenſtoffs als eine unveränderliche Größe feſtgeſetzt
wird, ſo giebt ſich auf den erſten Blick zu erkennen, in
welcher Art und Weiſe ſich das Verhältniß der andern Ele-
mente geändert hat; dies umfaßt aber alles, was die Phy-
ſiologie bedarf, um Einſicht in das Weſen des Bildungs-
und Ernährungsproceſſes im Thierkörper zu erlangen.


16. Aus den Unterſuchungen von Mulder und Sche-
rer
28) ergeben ſich folgende empiriſche Formeln:


[128]Der chemiſche Proceß der

Beſtandtheile der organiſchen Gebilde.


  • Albumin ....... C48 N12 H72 O14 + P + S

    *)

  • Fibrin ........ C48 N12 H72 O14 + P + 2 S
  • Caſein ......... C48 N12 H72 O14 + S
  • Leimgebilde, Sehnen C48 N15 H82 O18
  • Chondrin ꝛc. ..... C48 N12 H80 O20
  • Arterienhaut ..... C48 N12 H76 O16
  • Haare, Horn .... C48 N14 H78 O15.

Die Vergleichung dieſer Formeln zeigt, daß bei dem
Uebergang des Proteins in Chondrin (Subſtanz der Rippen-
knorpeln) die Beſtandtheile von Waſſer und Sauerſtoff, bei
der Bildung der ſeröſen Membranen, Zellen und Sehnen
außer dieſen Elementen noch Stickſtoff hinzugetreten iſt.


Bezeichnen wir die Formel des Proteins C48 N12 H72 O14
mit Pr, ſo ſind Stickſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff, in der
Form von bekannten Verbindungen geordnet, bei der Bil-
dung der Leimſubſtanzen, Haare, Horn, Arterienhaut hinzu-
getreten.


[129]Umſetzung der Gebilde.

17. Aus dieſer Ueberſicht geht hervor, daß alle Gebilde
des Thierkörpers auf eine gleiche Anzahl von Kohlenſtoff
atomen mehr Sauerſtoff enthalten als die Beſtandtheile des
Bluts; bei ihrer Entſtehung iſt ohne Zweifel Sauerſtoff aus
der Atmoſphäre oder durch die Elemente des Waſſers zu
den Beſtandtheilen des Proteins hinzugetreten; wir finden
in den Haaren und Membranen mehr Stickſtoff und Waſſer-
ſtoff, und zwar beide im Verhältniß wie im Ammoniak.


Die Chemiker ſind bekanntlich heute noch nicht einig über
die Art und Weiſe, wie die Beſtandtheile des ſchwefelſauren
Kali’s geordnet ſind, es wäre deshalb dem Chemismus zu
viel eingeräumt, wenn man die Arterienhaut für ein Hydrat,
das Chondrin für das Oxyd des Proteinhydrats, wenn wir
Haare und Membranen für Oxyde des Proteins in Verbin-
dung mit Ammoniak anſehen wollten.


Dieſe Formeln drücken mit Beſtimmtheit die Verſchieden-
heit in der Zuſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile der
Thiere aus, ſie zeigen, daß auf einen gleichen Kohlenſtoffge-
halt das relative Verhältniß ihrer Elemente abweicht, wie-
viel der eine Stoff mehr Sauerſtoff oder Stickſtoff enthält
wie der andere.


18. Es kann daraus gefolgert werden, wie ſie aus den
Beſtandtheilen des Bluts entſtehen; aber die Erklärung ihrer
Entſtehung nimmt zwei Formen an, von denen zu entſchei-
den iſt, welche der Wahrheit am nächſten kommt.


*)


9
[130]Der chemiſche Proceß der

Auf einen gleichen Kohlenſtoffgehalt enthalten die Membra-
nen und die leimgebenden Gebilde mehr Stickſtoff, Sauerſtoff
und Waſſerſtoff wie das Protein; es iſt denkbar, daß ſie aus
Albumin entſtanden ſind durch Hinzutreten von Sauerſtoff,
der Beſtandtheile des Waſſers und des Ammoniaks und durch
Austreten von Phosphor und Schwefel; jedenfalls iſt ihre
Zuſammenſetzung von der der Hauptbeſtandtheile des Bluts
durchaus verſchieden.


Das Verhalten der Leimgebilde gegen ätzende Alkalien
zeigt mit Beſtimmtheit, daß ſie kein Protein mehr enthalten,
auf keine Weiſe kann Protein daraus erhalten werden, alle
durch die Einwirkung des Alkali’s erzeugten Producte wei-
chen von den Producten, welche die Protein-Verbindungen
unter den nämlichen Bedingungen liefern, durchaus ab; mag
fertig gebildetes Protein in dem Fibrin, Caſein und Albu-
min enthalten ſein oder nicht, gewiß iſt, daß ſich ihre Ele-
mente durch die Einwirkung des Alkali’s zu Protein ordnen;
dieſe Fähigkeit geht den Elementen der Leimſubſtanz ab.


Zur zweiten Form der Bildung der Leimſubſtanz und
zwar zur wahrſcheinlicheren gelangt man, wenn ſeine Bil-
dung abhängig gedacht wird von einem Austreten von Koh-
lenſtoff.


Angenommen, der Stickſtoffgehalt des Proteins bleibe in
der Leimſubſtanz, ſo würde die Zuſammenſetzung der letztern
(auf 12 At. Stickſtoff berechnet) durch die Formel C38 N12 H64 O14
ausgedrückt werden müſſen. Dieſe Formel ſtimmt am näch-
ſten mit der Analyſe von Scherer, wiewohl ſie kein ge-
[131]Umſetzung der Gebilde.
nauer Ausdruck dafür iſt. Eine den Analyſen entſprechendere
Formel iſt C32 H54 N10 O12 oder, nach Mulder’s Analyſe
berechnet, die Formel C54 H84 N18 O20*).


Nach der erſten Formel wäre Kohlenſtoff und Waſſer-
ſtoff, nach den beiden andern wäre ein gewiſſes Verhältniß
aller Elemente ausgetreten.


19. Als das für uns wichtigſte Reſultat in der Betrachtung
der Zuſammenſetzung der Leimſubſtanz muß als eine unleug-
bare Wahrheit angenommen werden, daß ſie, obwohl aus
Protein-Verbindungen entſtanden, aus der Reihe der Protein-
Verbindungen herausgetreten iſt. Ihr chemiſches Verhalten
und ihre Zuſammenſetzung rechtfertigt dieſen Schluß.


Keine Beobachtung ſteht dem Erfahrungsgeſetz entgegen,
wonach die Natur ausſchließlich nur Protein-Verbindungen
zur Blutbildung beſtimmt. In den Vegetabilien exiſtirt
kein der Leimſubſtanz ähnlicher Körper, ſie iſt keine Protein-
Verbindung, ſie enthält keinen Phosphor, keinen Schwefel,
ſie enthält mehr Stickſtoff oder weniger Kohlenſtoff wie
das Protein. Durch die Lebensthätigkeit der zur Blutbil-
dung beſtimmten Organe nehmen die Protein-Verbindungen
eine neue Form an, aber in ihrer Zuſammenſetzung erleiden
ſie keine Veränderung; dieſe Organe beſitzen, ſoweit unſere
Erfahrungen reichen, das Vermögen nicht, Protein-Verbin-
dungen kraft einer einwirkenden Thätigkeit zu erzeugen
9*
[132]Der chemiſche Proceß der
aus Stoffen, die kein Protein enthalten. Thiere mit Leim-
ſubſtanz, mit dem ſtickſtoffreichſten Beſtandtheil der Nahrung
der Carnivoren ausſchließlich ernährt, ſtarben den Hungers-
tod; die Leimſubſtanzen ſind unfähig zu Blut zu werden.


Aber es unterliegt keinem Zweifel, ſie wird aus den
Beſtandtheilen des Bluts erzeugt und kaum läßt ſich die
Vorſtellung zurückweiſen, daß das Fibrin des venöſen Bluts,
indem es zu arteriöſem Fibrin wird, ſich auf der erſten
Stufe der Umbildung zur Leimſubſtanz befindet. Mit eini-
ger Wahrſcheinlichkeit kann man kaum den Membranen und
Sehnen die Fähigkeit zuſchreiben, ſich ſelbſt aus Stoffen zu
bilden, die ihnen durch das Blut zugeführt werden; wie
könnte in der That ein Stoff zur Zelle werden, kraft einer
einwirkenden Thätigkeit, welche noch keinen Träger hat;
eine ſchon beſtehende Zelle mag die Fähigkeit beſitzen, ſich
zu erhalten oder zu vervielfältigen, allein zu beidem gehören
Stoffe, welche identiſch in ihrer Zuſammenſetzung mit der
Subſtanz der Zellen ſind. Dieſe Stoffe werden in dem
Organismus erzeugt, und keiner kann ſich mehr zu ihrer
Bildung eignen als die Zellen und Membranen ſelbſt, die
in dem Magen des Thiers in dem Proceß der Verdauung
löslich geworden ſind, oder welche der Menſch im löslichen
Zuſtande genießt.


20. Ich gebe in dem Folgenden einen Verſuch zur analyti-
ſchen Entwicklung der in dem thieriſchen Körper vorgehenden
Haupt-Metamorphoſen, und zwar, um allen und jeden Miß-
verſtändniſſen vorzubeugen, mit der ausdrücklichen Verwah-
[133]Umſetzung der Gebilde.
rung gegen alle Schlüſſe und Folgerungen, die man jetzt
oder zu irgend einer Zeit gegen die Anſichten daraus
ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem
ſie in keinerlei Verbindung ſtehen, entwickelt habe. Die
Reſultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht
minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die ſie
in Andern erwecken werden, allein ſie ſind keine Schö-
pfungen der Phantaſie, und ich gebe ſie, weil ich die Ueber-
zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge-
führt hat, der einzige iſt, auf welchem wir hoffen können,
Einſicht in die organiſchen Proceſſe zu erlangen.


Alle die zahlloſen qualitativen Unterſuchungen thieriſcher
Subſtanzen ſind abſolut werthlos für die Phyſiologie ſo-
wohl, wie für die Chemie, ſo lange ihnen nicht ein ganz
beſtimmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt
wird.


Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen,
die Buchſtaben auseinander nehmen und in eine Reihe ſtel-
len, ſo ſind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge-
kommen. Um ein Räthſel zu löſen, müſſen wir völlig klar
über die Aufgabe ſein. Es giebt freilich viele Wege, um
die höchſte Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die-
jenigen haben Hoffnung, dem Ziele ſich zu nähern, welche
die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An-
ſtrengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als
daß man ſich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet,
das Höherſteigen wird durch ſelbſtgeſchaffene Schwierigkeiten
[134]Der chemiſche Proceß der
immer mühevoller und auch die größte Kraft muß zuletzt
unter dieſem Unrath erliegen.


21. Wenn es wahr iſt, daß aus dem Blute oder den
Beſtandtheilen des Bluts alle Theile des Thierkörpers entwi-
ckelt und gebildet werden, daß die vorhandenen Organe in jedem
Zeitmomente des Lebens ſich durch den Einfluß des zuge-
führten Sauerſtoffs in neue Verbindungen umſetzen, ſo müſ-
ſen die Secrete des Thierkörpers nothwendig die Producte
der umgeſetzten Gebilde enthalten.


22. Wenn der Schluß ferner wahr iſt, daß der Harn die
ſtickſtoffhaltigen und die Galle die kohlenſtoffreichen Pro-
ducte aller Gebilde enthält, die in dem Lebensproceß ſich in
anorganiſche Verbindungen umgeſetzt haben, ſo iſt klar, daß
die Beſtandtheile der Galle und des Harns zuſammengenom-
men gleich ſein müſſen, in ihrem relativen Verhältniſſe, der
Zuſammenſetzung des Bluts.


23. Aus dem Blute ſind die Organe entſtanden, die Or-
gane enthalten die Beſtandtheile des Bluts; ſie haben ſich in
neue Verbindungen umgeſetzt, zu dieſen neuen Verbindungen
iſt außer Sauerſtoff und Waſſer kein anderer Körper hinzu-
gekommen, das relative Verhältniß ihres Kohlenſtoffs und
Stickſtoffs muß gleich ſein dem relativen Verhältniß des
Kohlenſtoffs und Stickſtoffs im Blute.


Wenn wir alſo von der Zuſammenſetzung des Bluts die
Beſtandtheile des Harns abziehen, ſo müſſen wir, den hinzu-
gekommenen Sauerſtoff und das Waſſer abgerechnet, die Zu-
ſammenſetzung der Galle bekommen.


[135]Umſetzung der Gebilde.

Oder wenn wir von den Beſtandtheilen des Bluts ab-
ziehen die Beſtandtheile der Galle, ſo müſſen wir harnſau-
res Ammoniak oder Harnſtoff und Kohlenſäure übrig behalten.


Man wird es vielleicht bemerkenswerth finden, daß dieſe
Betrachtungsweiſe auf die wahre Formel der Galle, oder
richtiger, auf den empiriſchen Ausdruck für ihre Zuſammen-
ſetzung geführt hat, auf den Schlüſſel zur Erklärung ihrer
Metamorphoſen durch Säuren und Alkalien, den man bis
jetzt ohne Erfolg zu ſuchen bemüht war.


24. Wenn man friſches Blut über eine 60° heiße Silber-
platte fließen läßt, ſo trocknet es zu einem rothen firnißarti-
gen Ueberzug ein, der ſich leicht pulveriſiren läßt; anfänglich
in gelinder Wärme, zuletzt bei 100°, trocknet friſches fett-
freies Muskelfleiſch zu einer braunen pulveriſirbaren Maſſe ein.


Die Analyſen von Playfair und Boeckmann29)
führen als den nächſten Ausdruck der erhaltenen Gewichts-
verhältniſſe ihrer Elemente für das Muskelfleiſch (Fibrin,
Albumin, Zellen und Nerven) und für das Blut zu einer
und derſelben empiriſchen Formel, ſie iſt:
C48 N12 H78 O15 (empiriſche Formel des Bluts).


25. Der Hauptbeſtandtheil der Galle iſt nach den Unterſu-
chungen von Demarçay eine den Seifen ähnliche Verbin-
dung von Natron mit einer eigenthümlichen Materie, welche
den Namen Choleinſäure erhalten hat; ſie wird in Verbin-
dung mit Bleioxyd gefällt, wenn man eine durch Alkohol
von allen darin unlöslichen Stoffen befreite Galle, mit eſſig-
ſaurem Bleioxyd vermiſcht.


[136]Der chemiſche Proceß der

Dieſe Choleinſäure wird durch Salzſäure zerlegt in
Taurin, Salmiak und in eine neue ſtickſtofffreie Säure,
in Choloidinſäure.


Durch Kochen mit ätzendem Kali zerfällt ſie in Kohlen-
ſäure, Ammoniak und in Cholinſäure (verſchieden von
Gmelin’s Cholſäure).


Es iſt nun klar, daß die wahre Formel der Cholein-
ſäure den analytiſchen Ausdruck für dieſe Zerſetzungsweiſen
in ſich ſchließen, daß ſie erlauben muß, die Zuſammenſetzung
der entſtandenen Producte in eine ganz beſtimmte und ein-
fache Beziehung zu der Zuſammenſetzung der Choleinſäure
zu bringen. Dieſer Ausdruck verliert an ſeiner Wahrheit
nichts, wenn ſich auch ergeben ſollte, daß die Choleinſäure
und Choloidinſäure, wie aus den Unterſuchungen von Ber-
zelius
hervorzugehen ſcheint, Gemenge von mehreren ver-
ſchiedenartigen Verbindungen ſind, die relative Anzahl der
Atome kann hierdurch in keiner Weiſe geändert werden.


26. Zur Entwickelung der Metamorphoſen, welche die Cho-
leinſäure durch Säuren und Alkalien erleidet, kann als em-
piriſcher Ausdruck ihrer Zuſammenſetzung nur die folgende
Formel angenommen werden:
Formel der Choleinſäure: C76 H132 N4 O2230).


Ich wiederhole es, dieſe Formel kann der Ausdruck ſein
für die Zuſammenſetzung von zwei oder mehreren Verbindun-
gen, gleichgültig, wie viel es auch ſein mögen, ſie enthält die
relative Anzahl aller ihrer Elemente zuſammengenommen.


Nehmen wir von den Elementen der Choleinſäure die
[137]Umſetzung der Gebilde.
durch Einwirkung der Salzſäure entſtehenden Producte, Am-
moniak und Taurin, hinweg, ſo gelangen wir zur empiri-
ſchen Formel der Choloidinſäure.


Formel der Choleinſäure ..........C76 H132 N4 O22
ab
1 At. Taurin C4 H14 N2 O10— C4 H20 N4 O10
1 Aeq. Ammoniak H[6] N2
Bleibt die Formel der CholoidinſäureC72 H112 O1231).

27. Werden ferner von den Elementen der Choleinſäure die
Beſtandtheile von Harnſtoff und 2 At. Waſſer (2 At. Koh-
lenſäure und 2 Aeq. Ammoniak) hinweggenommen, ſo haben
wir die Formel und Zuſammenſetzung der Cholinſäure.


Formel der Choleinſäure ........ C76 H132 N4 O22
ab
2 At. Kohlenſäure C2 O4— C2 H12 N4 O4
2 Aeq. Ammoniak N4 H12
Formel der CholinſäureC74 H120 O1832).

Wenn man die ſo große Uebereinſtimmung der Zahlenreſul-
tate der Analyſen 30) 31) 32) mit den obigen Formeln ins Auge
faßt, ſo wird man kaum zweifeln können, daß die aufgefun-
dene Formel der Choleinſäure ſo nahe, wie man bei Analy-
ſen dieſer Art Subſtanzen nur erwarten kann, die relative
Anzahl der Atome ihrer Elemente ausdrückt, gleichgültig, in
wieviel verſchiedenen Formen ſie auch darin vereinigt ſein
mögen.


[138]Der chemiſche Proceß der

28. Addiren wir nun die Hälfte der Zahlen, welche die
relativen Verhältniſſe der Elemente der Choleinſäure ausdrü-
cken, zu den Beſtandtheilen des Harns der Schlangen, zu den
Elementen des neutralen harnſauren Ammoniaks, ſo erhalten wir:


Formel der Choleinſäure ........ C38 H66 N2 O11
hierzu


    • 1 Aeq. Harnſäure C10 H8 N8 O6
    • 1 » Ammoniak H6 N2
  • in Summa C48 H80 N12 O17.

29. Dieſe Formel drückt aber aus die Zuſammenſetzung
des Bluts, zu welchem die Elemente von 1 At. Waſſer und
1 At. Sauerſtoff getreten ſind.


Formel des Bluts ..... C48 H78 N12 O15.
hierzu


    • 1 At. Waſſer H2 O
    • 1 » Sauerſtoff O
  • in Summa C48 H80 N12 O17.

30. Wenn wir ferner zu den Elementen des Proteins die
Elemente treten laſſen von 3 At. Waſſer, ſo haben wir, bis
auf 2 At. Waſſerſtoff, genau die Elemente der Choleinſäure
und des harnſauren Ammoniaks.


  • 1 At. Protein C48 H72 N12 O14
  • 3 » Waſſer H6 O3
  • C48 H78 N12 O17.

[139]Umſetzung der Gebilde.

31. Betrachten wir alſo die Choleinſäure und das harnſaure
Ammoniak als die Producte der Umſetzung der Muskelfaſer,
indem es keine andern Gebilde im Thierkörper giebt, welche
Protein enthalten (Albumin geht in Gebilde über, ohne daß
man ſagen kann, daß es im Lebensproceß direct eine Umſe-
tzung in Harnſäure und Choleinſäure erfährt), ſo haben wir
darin mit Zuziehung der Beſtandtheile des Waſſers alle zu
der Metamorphoſe nöthigen Elemente; bis auf den Schwe-
fel und Phosphor, die ſich beide oxydirt haben mögen, iſt
kein anderes Element ausgetreten.


Dieſe Art der Metamorphoſe bezieht ſich auf die Umſe-
tzung in den niedrigen Thierklaſſen der Amphibien und viel-
leicht der Würmer und Inſecten. In den höhern Thier-
klaſſen verſchwindet in dem Harn die Harnſäure, an ihrer
Stelle finden wir Harnſtoff.


Das Verſchwinden der Harnſäure und die Erzeugung
von Harnſtoff ſteht offenbar in ſehr enger Beziehung zu
dem durch den Reſpirationsproceß aufgenommenen Sauer-
ſtoff und zu der Menge von Waſſer, welche verſchiedene
Thiere in einer gegebenen Zeit genießen.


Wenn wir der Harnſäure Sauerſtoff zuführen, ſo zerlegt
ſie ſich, wie man weiß, zuerſt in Alloxan 33) und Harnſtoff,
eine neue Quantität Sauerſtoff dem Alloxan zugeführt,
macht, daß es entweder in Oxalſäure und Harnſtoff, Oxalur-
ſäure und Parabanſäure 34) oder in Kohlenſäure und Harn-
ſtoff zerfällt.


32. Wir finden in den ſogenannten Maulbeerſteinen oxal-
[140]Der chemiſche Proceß der
ſauren Kalk, in den andern Harnſteinen harnſaures Ammoniak
und zwar ſtets bei Perſonen, in denen durch Mangel an Bewegung
und Anſtrengung, oder durch andere Urſachen die Sauerſtoff-
zuführung gemindert iſt. Nie finden ſich Harnſteine, welche
Harnſäure oder Oxalſäure enthalten, bei Schwindſüchtigen
(ſiehe S. 24); und es iſt eine gewöhnliche Erfahrung in
Frankreich bei Perſonen, welche an Steinbeſchwerden leiden,
ſobald ſie ſich auf das Land begeben, wo ſie ſich mehr Be-
wegung machen, daß die in der Blaſe während ihres Auf-
enthaltes in der Stadt ſich abſetzenden harnſauren Verbin-
dungen (durch die vergrößerte Sauerſtoffaufnahme) in
oxalſaure Salze (in Maulbeerſteine) übergehen; bei noch
mehr Sauerſtoff würde ſich wie bei geſunden Menſchen nur
das letzte Oxydationsprodukt des Kohlenſtoffs, nämlich nur
Kohlenſäure, haben bilden können.


Die falſche Interpretation der unleugbaren Beobachtungen,
daß durch die Nieren alle von dem Organismus nicht ver-
wendbaren Subſtanzen verändert oder unverändert abgeſchie-
den und in dem Harn ausgeleert werden, hat die praktiſche
Medizin zu der Anſicht geführt, daß die Nahrung und nament-
lich ſtickſtoffhaltige Nahrungsſtoffe einen directen Einfluß haben
können auf die Erzeugung der Harnſteine. Es giebt keine Gründe,
dieſe Meinung zu ſtützen, es giebt unzählige, die ſie wider-
legen. Möglich iſt es, daß in den Speiſen eine Menge
durch die Kochkunſt umgewandelter Stoffe genoſſen werden,
welche, als für Blutbildung nicht mehr tauglich, durch den
Reſpirationsproceß mehr oder weniger verändert, aus dem
[141]Umſetzung der Gebilde.
Harn ausgeſtoßen werden, allein Braten und Kochen
ändern in keiner Weiſe die Zuſammenſetzung der Fleiſch-
ſpeiſen 35).


Das gekochte und gebratene Fleiſch wird zu Blut, die
Harnſäure und der Harnſtoff ſtammen von den umgeſetzten
Gebilden. Die Menge dieſer Produkte ſteigt mit der Schnel-
ligkeit der Umſetzung in der gegebenen Zeit, ſie ſteht in
keiner Beziehung zu der in dem nämlichen Zeitraume ge-
noſſenen Nahrung. Bei einem Hungernden, welcher ſich einer
ſtarken und anhaltenden Bewegung hingeben muß, wird
mehr Harnſtoff ſecernirt, als bei dem wohlgenährteſten Men-
ſchen im Zuſtande der Ruhe; in Fiebern bei raſcher Abma-
gerung iſt der Harn harnſtoffreicher als im Zuſtande der
Geſundheit (Prout).


33. Aehnlich alſo wie die in dem Urin des ruhenden Pfer-
des vorhandene Hippurſäure in benzoeſaures Ammoniak und
Kohlenſäure verwandelt wird, ſobald es ſich in Arbeit und
Bewegung befindet, verſchwindet die Harnſäure in dem Harn
des Menſchen, der durch Haut und Lunge eine zur Oxyda-
tion der Produkte der umgeſetzten Gebilde hinreichende
Menge Sauerſtoff in ſich aufnimmt; der Genuß von Wein
und Fett, die in dem Organismus nur inſofern ſich weiter
verändern als ſie Sauerſtoff aufnehmen, hat einen entſchie-
denen Einfluß auf die Bildung von Harnſäure. Nach dem
Genuß von fetten Speiſen iſt der Harn trübe und ſetzt beim
Erkalten kleine Kryſtalle von Harnſäure ab (Prout). Das-
ſelbe beobachtet man nach dem Genuß von Weinen (nie bei
[142]Der chemiſche Proceß der
Rheinweinen), in denen das zur Löslicherhaltung der Harn-
ſäure nothwendige Alkali fehlt.


Bei Thieren, welche größere Mengen Waſſer genießen,
wodurch die ſchwerlösliche Harnſäure in Auflöſung erhalten
wird, ſo daß der eingeathmete Sauerſtoff darauf wirken
kann, finden wir im Harn keine Harnſäure, ſondern Harn-
ſtoff. Bei Vögeln iſt als Secretionsproduct die Harnſäure
vorherrſchend.


Wenn wir zu 1 Atom Harnſäure 6 Atome Sauerſtoff und
4 Atome Waſſer hinzutreten laſſen, ſo zerlegt ſie ſich in
Harnſtoff und Kohlenſäure


  • 1 At. Harnſäure C10 N8 H8 O6 = 2 At. Harnſtoff C4 N8 H16 O4
    • 4 » Waſſer
    • 6 » Sauerſtoff
    6 » Kohlenſäure C6 O12
  • C10 N8 H16 O16 C10 N8 H16 O16

34. Der Harn der Gras freſſenden Thiere enthält keine
Harnſäure, wohl aber Ammoniak, Harnſtoff und Hippurſäure,
oder Benzoeſäure. Bei einem Hinzutreten von 9 Atomen
Sauerſtoff zu der empiriſchen Formel ihres Blutes, fünf
mal genommen, haben wir darin die Elemente von 6 Atomen
Hippurſäure, 9 At. Harnſtoff, 3 At. Choleinſäure, 3 At.
Waſſer und 3 At. Ammoniak; oder wenn wir uns denken,
daß während der Metamorphoſe dieſes Blutes 45 Atome
Sauerſtoff hinzutreten, ſo haben wir 6 At. Benzoeſäure,
13½ At. Harnſtoff, 3 At. Choleinſäure, 15 At. Kohlen-
ſäure und 12 At. Waſſer.


[143]Umſetzung der Gebilde.
  • 5 (C48 N12 H78 O15 + 9 O = C240 N60 H390 O84 =
  • =
    • 6 At. Hippurſäure 6 (C18 N2 H16 O5) = C108 N12 H96 O30
    • 9 » Harnſtoff 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
    • =3 » Choleinſäure 3 (C38 N2 H66 O11) = C114 N6 H198 O33
    • 3 » Ammoniak 3 (N2 H6) = N6 H18
    • 3 » Waſſer 3 (H2 O) = H6 O3
  • C240 N60 H390 O84

oder


  • 5 (C48 N12 H78 O15) + O45 = C240 N60 H390 O120 =
  • =
    • 6 At. Benzoeſäure 6 (C14 H10 O3) = C84 H60 O18
    • 27/2» Harnſtoff 27 (C N2 H4 O) = C27 N54 H108 O27
    • 3 » Choleinſäure 3 (C38 N2 H66 O11) = C114 N6 H198 O33
    • 15 » Kohlenſäure 15 (C O2) = C15 O30
    • 12 » Waſſer 12 (H2 O) = H24 O12
  • Summa C240 N60 H390 O120

35. Verfolgen wir zuletzt die Metamorphoſe der Gebilde
in dem Foetus der Kuh und betrachten wir das im Blute der
Mutter zugeführte Protein als den Stoff, welcher eine
Umſetzung erleidet oder erlitten hat, ſo ergiebt ſich, daß
2 At. Protein ohne Hinzutreten von Sauerſtoff oder einer
fremden Subſtanz die Elemente enthalten von 3 At. Al-
lantoin, 4 At. Waſſer und 1 At Choloidinſäure, (Kinds-
pech, Meconium??).


  • 2 At. Protein = 2 (C48 N12 H72 O14) + 2 At. Waſſer = C96 N24 H148 O30 =
  • =
    • 3 At. Allantoin 3 (C8 N8 H12 O6) = C24 N24 H36 O18
    • 1 » Choloidinſäure C72 H112 O12
  • C96 N24 H148 O30

[144]Der chemiſche Proceß der

36. Die Elemente von drei Atomen Allantoin, die in obiger
Formel aufgeführt ſind, entſprechen aber genau der Anzahl
der Elemente von 2 At. Harnſäure, 2 At. Harnſtoff und
2 Atomen Waſſer.


  • 3 At. Allantoin = C24 N24 H36 O18 =
    • 2 At. Harnſäure C20 N16 H16 O12
    • 2 » Harnſtoff C4 N8 H16 O4
    • 2 » Waſſer H4 O2
  • C24 N24 H36 O18

Die Beziehungen des Allantoins, in dem Harn des Foetus
der Kuh, zu den ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen des Harns
bei athmenden Thieren ſind, wie aus der Nebeneinanderſtellung
beider Formeln hervorgeht, unverkennbar. In dem Allantoin
befinden ſich die Elemente der Harnſäure und des Harnſtoffs,
das heißt der ſtickſtoffhaltigen Umſetzungsproducte der Pro-
teinverbindungen.


37. Wenn wir ferner zu der Formel des Proteins, dreimal
genommen, hinzutreten laſſen die Elemente von 4 Atomen
Waſſer und von der ganzen Anzahl aller Beſtandtheile die
Hälfte der Elemente der Choloidinſäure hinwegnehmen, ſo
bleibt eine Formel, welche außerordentlich nahe die Zuſam-
menſetzung des Leims ausdrückt.


  • 3 (C48 N12 H72 O14) + 4 H2 O = C144 N36 H224 O46 =
  • ab ½ At. Choloidinſäure = C36 H56 O6
  • bleibt = C108 N36 H168 O40
  • oder 4 (C27 N9 H42 O10)36).

[145]Umſetzung der Gebilde.

38. Nehmen wir von dieſer Formel des Leims die Beſtand-
theile von 2 At. Protein hinweg, ſo bleiben uns die Ele-
mente des Harnſtoffs, der Harnſäure und des Waſſers, oder
3 At. Allantoin und 3 At. Waſſer.


  • Formel des Leims nach MulderC108 H168 N36 O40
  • ab 2 Protein C96 H144 N24 O28
  • bleiben C12 H24 N12 O12 =
  • 1 At. Harnſäure C10 H8 N8 O6
  • 1 » Harnſtoff C2 H8 N4 O2 = 3 At. Allantoin C12 H18 N12 O9
  • 4 » Waſſer H8 O4 3 = Waſſer H5 O3
  • C12 H24 N12 O12 C12 H24 N12 O12

39. Abgeſehen von dem größeren Stickſtoffgehalt, in wel-
chem dieſe Zahlenverhältniſſe von Mulder’s und Scherer’s
Analyſen abweichen, geht aus der gegebenen Auseinander-
ſetzung hervor, daß, wenn wir zu den Elementen von 2 At.
Protein hinzutreten laſſen die Beſtandtheile der ſtickſtoffhal-
tigen Umſetzungsproducte von einem dritten Atom Protein,
von Harnſtoff, Harnſäure und Waſſer, oder wenn wir von
drei Atomen Protein hinwegnehmen die Beſtandtheile eines
ſtickſtofffreien Körpers, den wir als Zerſetzungsproduct der
Choleinſäure ebenfalls erhalten können, daß wir in beiden
Fällen eine der Zuſammenſetzung der Leimſubſtanz nahe
kommende Formel erhalten. Man darf dieſen Formeln, wie
ich wiederholt in Erinnerung bringe, keinen höheren Werth
beilegen als ſie verdienen; ſie ſollen zu weiter nichts als
10
[146]Der chemiſche Proceß der
zu Anknüpfungspunkten dienen, um zu richtigeren Vorſtel-
lungen über das Entſtehen und Zerfallen der Subſtanzen zu
gelangen, woraus die thieriſchen Gebilde beſtehen. Es ſind
die erſten Verſuche zur Auffindung des Weges, den wir ein-
zuſchlagen haben, um das vorgeſteckte Ziel zu erreichen, und
dieſes Ziel, nach dem wir ſtreben, es kann und muß er-
reichbar ſein.


Die Erfahrungen von Allen, die ſich mit der Erfor-
ſchung der Naturerſcheinungen beſchäftigt haben, kommen zu-
letzt darin überein, daß dieſe durch weit einfachere Mittel und
Urſachen bedingt und hervorgebracht werden, als man ſich
gedacht hat oder als wir uns denken, und gerade ihre Ein-
fachheit müſſen wir als das größte Wunder betrachten.


Die Leimſubſtanz entſteht aus Blut, aus Proteinver-
bindungen, ſie kann durch Hinzutreten von Ammoniak und
Sauerſtoff oder von Waſſer, Harnſtoff und Harnſäure zu
den Elementen des Proteins, oder durch Austreten einer ſtick-
ſtofffreien Materie gebildet worden ſein. Die Löſung aller
dieſer Aufgaben wird minder ſchwierig, wenn die Fragen
zur Beantwortung reif und klar geſtellt ſind. Eine jede
Verneinung derſelben iſt der Anfangspunkt einer neuen
Frage, deren Ermittelung zuletzt die nothwendige Folge der
erſten Frageſtellung iſt.


40. In dem Vorhergehenden iſt außer der Choleinſäure
keiner der andern Beſtandtheile der Galle in Rechnung gezogen
worden, und zwar deswegen, weil man nur bei dieſer Säure
mit Beſtimmtheit weiß, daß ſie Stickſtoff enthält. Wenn
[147]Umſetzung der Gebilde.
nun vorausgeſetzt wird, daß ihr Stickſtoffgehalt von den
Gebilden herrührt, die ſich umgeſetzt haben, ſo iſt es nicht
unwahrſcheinlich, daß der Kohlenſtoff und die übrigen Be-
ſtandtheile, die wir damit vereinigt finden, aus der näm-
lichen Quelle entſprungen ſind.


Bei den fleiſchfreſſenden Thieren iſt es nicht dem gering-
ſten Zweifel unterworfen, daß die Beſtandtheile ihres Harns
und ihrer Galle Produkte der Umſetzung von Proteinver-
bindungen ſind, denn außer Fett genießen ſie nur Stoffe,
welche Protein enthalten oder welche aus Protein entſtan-
den ſind; ihre Nahrung iſt identiſch mit ihrem Blute, und
es iſt vollkommen gleichgültig, welche von beiden als Aus-
gangspunkt der chemiſchen Entwickelung ihrer Metamor-
phoſen gewählt werden.


Für den Proceß der Ernährung kann es keinen größern
Widerſpruch geben, als wenn vorausgeſetzt wird, daß der
Stickſtoff der Nahrungsmittel fähig wäre, in den Harn als
Harnſtoff überzugehen, ohne vorher zu einem Beſtandtheil
der Gebilde geworden zu ſein, denn Albumin, der einzige
Beſtandtheil des Bluts, der ſeinem Gewichte nach in Be-
tracht kommen kann, kann bei ſeinem Durchgange durch die Leber
nicht die geringſte Veränderung erlitten haben, da wir es
in allen Theilen des Körpers von gleicher Beſchaffenheit
und Eigenſchaften wieder finden. Dieſe Organe können zu
einer Metamorphoſe, zu einer Veränderung oder Zerſetzung
des Stoffes nicht geeignet ſein, aus dem ſich alle übrigen
entwickeln.


10*
[148]Der chemiſche Proceß der

41. Aus dem Verhalten des Chylus und der Lymphe geht
mit Zuverläſſigkeit hervor, daß die löslichen Beſtandtheile
der Speiſen oder des Chymus die Form von Albumin er-
halten. Das gekochte Eiweiß, der gekochte oder geronnene
Faſerſtoff, welche in dem Magen wieder löslich geworden,
ihre Gerinnbarkeit an der Luft oder durch die Hitze aber
verloren hatten, erhalten dieſe Eigenſchaften nach und nach
wieder. In den Chylusgefäßen iſt die ſaure Reaction des
Chymus bereits in die ſchwach alkaliſche des Blutes über-
gegangen, nach ſeinem Durchgange durch die Drüſen des
Meſenteriums, in dem Ductus thoracicus angelangt, enthält
er in der Hitze gerinnendes Albumin und ſcheidet, ſich ſelbſt
überlaſſen, Fibrin ab. Alle Proteinverbindungen, welche
beim Durchgange des Chymus durch die Eingeweide auf-
geſaugt wurden, werden zu Albumin, welches, wie die Er-
fahrung beim Bebrüten des Hühnerei’s ergiebt, bis auf den
Eiſengehalt, der von andern Seiten her geliefert wird, die
Grundbeſtandtheile aller übrigen Organe enthält.


Die Frage, was beim Menſchen aus den im Ueberſchuß
zugeführten Proteinverbindungen wird, welche Verwandlung
die überreichliche ſtickſtoffhaltige Speiſe erfährt, hat die
practiſche Medicin längſt entſchieden. Die Blutgefäße zeigen
ſich mit Blut, die übrigen mit Säften überfüllt, und wenn
die Zufuhr an Speiſen fortdauert und das Blut oder die
Säfte, die ſich zur Blutbildung eignen, keine Verwendung
finden, wenn die löslichen Materien von den dazu beſtimm-
ten Organen nicht aufgenommen werden, ſo entwickeln
[149]Umſetzung der Gebilde.
ſich in den Eingeweiden, wie bei Fäulnißproceſſen, Gaſe
mannigfaltiger Art, die feſten Ausleerungen nehmen in
Farbe, Geruch u. ſ. w. eine veränderte Beſchaffenheit an, und
wenn die Säfte in dem Saug- und Lymphgefäßſyſtem
eine ähnliche Umſetzung erfahren, ſo iſt dies ſogleich in der
Blutmiſchung ſichtbar, und durch dieſes nimmt alsdann der
Ernährungsproceß andere Formen an.


42. Keine von allen dieſen Erſcheinungen dürfte ſich zei-
gen, wenn Nieren und Leber fähig wären, eine Zerſetzung der
löslich gewordenen, im Ueberſchuß zugeführten, Proteinver-
bindungen in Harnſtoff, Harnſäure und Galle zu bewirken.
Durch alle Beobachtungen, die man hinſichtlich des Ein-
fluſſes der ſtickſtoffhaltigen Nahrung auf die Beſtandtheile des
Harns gemacht hat, iſt dieſe Vorausſetzung nicht im ent-
fernteſten bewieſen, denn dieſer Einfluß iſt einer andern und
weit einfacheren Interpretation fähig, wenn man mit der
Nahrung die Lebensweiſe und Gewohnheiten der Perſonen
in Betracht zieht, welche zu Gegenſtänden der Beobachtung
gedient haben. Harngries und Harnſteine finden ſich bei
Perſonen, welche ſehr wenig animaliſche Koſt genießen. Nie
ſind bis jetzt Harnſäure-haltige Concretionen bei Fleiſch-freſ-
ſenden Säugethieren, welche im freien, wilden Zuſtande
leben, beobachtet worden *), und bei Nationen, welche keine
andere Nahrung als Fleiſchſpeiſen genießen, ſind Ablagerun-
[150]Der chemiſche Proceß der
gen von Harnſäure-haltigen Concretionen an den Gliedern
oder in der Harnblaſe völlig unbekannt.


43. Was in Beziehung auf den Urſprung der Galle, oder
richtiger vielleicht, der Choleinſäure bei den Fleiſch-freſſenden
Thieren als eine unleugbare Wahrheit angeſehen werden
muß, kann in keiner Weiſe für alle Beſtandtheile der Galle
gelten, welche von der Leber der Gras- und Körner-freſſen-
den Thiere ſecernirt werden, denn es iſt bei der ſo großen
Menge Galle, die von der Leber eines Ochſen ſecernirt
wird, ſchlechterdings unmöglich anzunehmen, daß aller Koh-
lenſtoff derſelben von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde
ſtammt.


Nehmen wir an, daß die 59 Unzen trockner Galle (von
37 Pfunden ſecernirter Galle) den nämlichen Stickſtoffgehalt
enthielten, wie die Choleinſäure (3,86 p. c.), ſo würden
wir darin nahe an 4½ Loth Stickſtoff haben, und wenn
dieſer Stickſtoff von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde
ſtammt, ſo könnte ſich im höchſten Fall, wenn aller Kohlen-
ſtoff derſelben in die Galle übergehen würde, nur eine dem
Gewicht von 143/10 Loth Kohlenſtoff entſprechende Menge
Galle bilden, dies iſt aber weit unter derjenigen Quantität,
welche den Beobachtungen nach, ſecernirt wird.


44. Es müſſen nothwendiger Weiſe, außer den Protein-
Verbindungen, noch Materien anderer Art, an der Bildung
der Galle in dem Organismus des Gras- und Körner-freſſen-
den Thieres Antheil nehmen, und dieſe können nur die ſtick-
ſtofffreien Nahrungsmittel ſein.


[151]Umſetzung der Gebilde.

45. Der Gallenzucker Gmelin’s (Picromel, Bilin
nach Berzelius), welchen Berzelius als den Hauptbe-
ſtandtheil der Galle betrachtet, während ihn Demarçay im
Weſentlichen für Choleinſäure hält, brennt an der Luft
erhitzt wie Harz, liefert ammoniakaliſche Produkte und giebt,
mit Säuren behandelt, Taurin und die Zerſetzungsproducte
der Choleinſäure, mit Alkalien liefert er Ammoniak und
Cholinſäure. Jedenfalls enthält dieſe Subſtanz Stickſtoff
als Beſtandtheil, ein weit kleineres Verhältniß von
Sauerſtoff wie Amylon oder Zucker und eine größere Menge
wie die fetten Säuren. Wenn wir in der Metamorphoſe
des Gallenzuckers oder der Choleinſäure durch ätzende Al-
kalien den Stickſtoff austreten machen, ſo erhalten wir
eine kryſtalliſirte, den fetten Säuren außerordentlich ähn-
liche Säure (Cholinſäure), fähig mit den Baſen Salze zu
bilden, welche die Haupteigenſchaften mit den Seifen gemein
haben. Ja wir können ſogar dieſe Hauptbeſtandtheile der
Galle als Verbindungen von fetten Säuren mit organiſchen
Oxyden betrachten, ähnlich den gewöhnlichen Fetten, und
nur in ſofern von ihnen verſchieden, als ſich kein Glyceryl-
oxyd darin befindet. Die Choleinſäure z. B. läßt ſich be-
trachten als eine Verbindung von Choloidinſäure mit den
Elementen des Allantoins und des Waſſers.


oder von Cholinſäure, Harnſtoff und Waſſer:


[152]Der chemiſche Proceß der

46. Wenn nun in der That, woran man kaum zweifeln
kann, die Beſtandtheile der ſtickſtofffreien Nahrungsmittel an
der Bildung der Galle in dem Körper der Gras-freſſenden
Thiere Antheil nehmen, ſo ſteht dieſer Anſicht, in der Zu-
ſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile der Galle, nach dem
gegenwärtigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe, kein Hinderniß
entgegen.


Wenn das Amylon hierbei die Hauptrolle übernimmt, ſo
kann dies in keiner andern Weiſe geſchehen, als daß ſich,
ganz ähnlich wie bei ſeinem Uebergang in Fett, von ſeinen
Elementen eine gewiſſe Quantität Sauerſtoff trennt, denn
es enthält auf die gleiche Anzahl an Kohlenſtoffatomen (auf
72 At.) fünfmal ſo viel Sauerſtoff wie die Choloidinſäure.


Ohne ein Austreten von Sauerſtoff, von den Elementen
des Amylon’s, iſt hiernach ſein Uebergang in Galle nicht denk-
bar und, dies vorausgeſetzt, iſt die chemiſche Entwickelung
ſeiner Verwandlung in eine zwiſchen ſeiner eignen und der Zu-
ſammenſetzung der fetten Säuren ſtehenden Verbindung keiner-
lei Schwierigkeit unterworfen.


47. Um dieſe Auseinanderſetzung nicht zu einem müſſigen
Spiele mit Formeln zu machen und um den Hauptzweck
nicht aus den Augen zu verlieren, führt alſo die Betrachtung
des quantitativen Verhältniſſes der in dem Körper der Gras-
freſſenden Thiere abgeſonderten Galle zu folgenden Schlüſſen:


Die Hauptbeſtandtheile der Galle der Gras-freſſenden
[153]Umſetzung der Gebilde.
Thiere enthalten Stickſtoff; dieſer Stickſtoff ſtammt von Pro-
tein-Verbindungen.


Sie enthält eine größere Menge Kohlenſtoff als der
genoſſenen ſtickſtoffhaltigen Nahrung, oder der Subſtanz ihrer
Gebilde entſpricht, die in ihrem Lebensproceſſe eine Verän-
derung erlitten haben.


Ein Theil dieſes Kohlenſtoffs muß demnach von den
ſtickſtofffreien Nahrungsmitteln geliefert werden und, um in
einen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil der Galle überzugehen,
müſſen ſich nothwendig eine gewiſſe Anzahl ihrer Elemente
verbunden haben mit einem ſtickſtoffhaltigen Körper,
der aus einer Proteinverbindung entſtanden iſt
.


Für dieſen Schluß iſt es ganz gleichgültig, ob man an-
nimmt, daß die Protein-Verbindung von der Nahrung oder
den Gebilden ſtammt.


48. Es iſt neuerlichſt von Ure angegeben worden, daß
Benzoeſäure innerlich gegeben, in dem Harn als Hippur-
ſäure wieder erſcheint.


Wenn ſich dieſe Beobachtung beſtätigen ſollte *), ſo er-
langt ſie eine große phyſiologiſche Bedeutung, weil ſie offen-
bar beweiſen würde, daß der Akt der Umſetzung der Gebilde im
Thierkörper, durch gewiſſe, in den Speiſen genoſſene Mate-
[154]Der chemiſche Proceß der
rien, eine andere Form in Beziehung auf die neugebildeten
Verbindungen annimmt, denn die Hippurſäure enthält die
Elemente des milchſauren Harnſtoffs, in deſſen Zuſammen-
ſetzung die Elemente der Benzoeſäure eingetreten ſind.


  • 1 At. Harnſtoff C2 N4 H3 O2
  • 1 » Milchſäure C6 H8 O4 = 2 At. kryſt. Hippurſäure.
  • 2 » Benzoeſäure C28 H20 O5 = 2 (C18 N2 H18 O6)
  • C35 N4 H36 O12.

49. Wenn wir uns den Akt der Umſetzung der Gebilde
in dem Körper der Gras-freſſenden Thiere, auf eine ähnliche
Weiſe denken, wie bei den Fleiſch-freſſenden, ſo wird ihr
Blut, in den letzten Produkten der Umſetzung, von allen
Organen zuſammengenommen, Choleinſäure, Harnſäure und
Ammoniak (S. 138) liefern müſſen, und wenn wir der Harn-
ſäure eine ähnliche Wirkung zuſchreiben wie der Benzoe-
ſäure in Ure’s Beobachtung, daß nämlich durch ihre Ge-
genwart die weitere Umſetzung eine andere Form an-
nimmt, inſofern ihre Elemente in die neuentſtehenden Pro-
dukte mit aufgenommen werden, ſo ergiebt ſich z. B., daß
2 At. Protein, zu welchen die Elemente von 3 At. Harn-
ſäure und zwei Atome Sauerſtoff treten, zur Bildung von
Hippurſäure und Harnſtoff Veranlaſſung geben können.


  • 2 At. Protein 2 (C43 N12 H72 O14) = C96 N24 H144 O28
  • 3 » Harnſäure 3 (C10 N8 H8 O6) = C30 N24 H24 O18
  • 2 » Sauerſtoff O2
  • in Summa C126 N48 H168 O48 =

[155]Umſetzung der Gebilde.
  • =
    • 6 At. Hippurſäure 6 (C18 N2 H16 O5) = C108 N12 H96 O30
    • 9 » Harnſtoff 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
  • C126 N48 H168 O48.

50. Wenn wir zuletzt feſthalten, daß bei den Gras-freſſenden
Thieren, die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel (Amylon u. ſ. w.)
eine beſtimmte Rolle in der Bildung der Galle ſpielen müſſen,
daß zu ihren Elementen ein ſtickſtoffhaltiger Körper noth-
wendig treten muß, um die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile
der Galle hervorzubringen, ſo ergiebt ſich als das bemerkens-
wertheſte Reſultat dieſer Combinationen, daß die Elemente
des Amylons und die der Hippurſäure, gleich ſind, den Ele-
menten der Choleinſäure, plus einer gewiſſen Menge Koh-
lenſäure.


  • 2 At. Hippurſäure 2 (C18 N2 H15 O5) = C36 N4 H32 O10
  • 5 » Amylon 5 (C12 H20 O10) = C60 H100 O50
  • 2 » Sauerſtoff O2
  • C96 N4 H132 O62
  • =
    • 2 At. Choleinſäure C76 N4 H132 O22
    • 20 » Kohlenſäure C20 O40
  • C96 N4 H132 O62

51. Da nun die Hippurſäure neben Harnſtoff aus den
Proteinverbindungen entſtehen kann, wenn in die Zuſammen-
ſetzung derſelben die Elemente der Harnſäure aufgenommen
werden (S. 154), da ferner Harnſäure, Ammoniak und Cholein-
ſäure (S. 138) die Elemente des Proteins in einer nahe gleichen
Anzahl von Elementen enthalten, ſo iſt klar, daß, wenn
[156]Der chemiſche Proceß der
beim Hinzutritt von Sauerſtoff und den Elementen des
Waſſers, von 5 At. Protein die Beſtandtheile der Cholein-
ſäure und Ammoniak austreten, wir die Elemente der Hip-
purſäure und des Harnſtoffs übrig behalten, und wenn ferner
bei dieſem Austreten und der weiter vorgehenden Umſetzung
die Elemente von Amylon ſich gegenwärtig befinden und in
die neu entſtehenden Verbindungen eintreten, ſo erhalten wir
eine neue Menge Choleinſäure, ſowie eine gewiſſe Quan-
tität gasförmige Kohlenſäure.


Dies will alſo ſagen, daß, wenn die Elemente
von Protein und Amylon ſich bei Gegenwart von
Sauerſtoff und Waſſer neben und mit einander
umſetzen, wir als Produkte dieſer Umſetzung
Harnſtoff, Choleinſäure, Ammoniak und Koh-
lenſäure und außer dieſen kein anderes Produkt
erhalten
.


Die Elemente von


  • 5 At. Protein 9 At. Choleinſäure.
  • 15 » Amylon 9 » Harnſtoff.
  • 12 » Waſſer 60 » Kohlenſäure.
  • 5 » Sauerſtoff 6 » Ammoniak.

Es ſind nemlich:


  • 5 At. Protein = 5 (C48 N12 H72 O14) = C240 N60 H360 O70
  • 15 » Amylon = 15 (C12 H20 O10) = C180 H300 O150
  • 12 » Waſſer = 12 (H2 O) = H24 O12
  • 5 » Sauerſtoff = 5 (O) = O5
  • in Summa = C420 N60 H684 O237.

[157]Umſetzung der Gebilde.
  • =
    • 9 At. Choleinſäure = 9 (C38 N2 H66 O11) = C342 N18 H594 O99
    • 9 » Harnſtoff = 9 (C2 N4 H8 O2) = C18 N36 H72 O18
    • 60 » Kohlenſäure = 60 (C O2) = C60 O120
    • 6 » Ammoniak = 6 (N H3) = N6 H18
  • in Summa = C420 N60 H584 O237

Die Umſetzung der in dem Thierkörper vorhandenen
Protein-Verbindungen wird bewirkt durch den im arteriellen
Blut zugeführten Sauerſtoff, und wenn die Beſtandtheile des
in dem Magen des Thieres löslich gewordenen und in allen
Theilen des Körpers verbreiteten Amylons in die neu ent-
ſtandenen Verbindungen mit aufgenommen werden, ſo er-
halten wir die Hauptbeſtandtheile der Se- und Excretionen
des Thierkörpers; Kohlenſäure als Excretion der Lunge,
Harnſtoff und kohlenſaures Ammoniak als Excretion der
Nieren, Choleinſäure als Secret der Leber.


Der Anſicht, daß ein Theil des Kohlenſtoffs der ſtickſtoff-
freien Nahrungsmittel in die Galle übergehen kann, ſteht
mithin in der chemiſchen Zuſammenſetzung der Stoffe, welche
denkbarer Weiſe an dem Stoffwechſel im Thier Antheil neh-
men können, kein Hinderniß entgegen.


52. Das Fett verſchwindet in dem Thierkörper bei gehö-
riger Zufuhr von Sauerſtoff, beim Mangel an Sauerſtoff
kann die Choleinſäure übergehen in Hippurſäure, Lithofellin-
ſäure und Waſſer. Die Lithofellinſäure 37) iſt bekanntlich
der Hauptbeſtandtheil der in gewiſſen Gras-freſſenden Thieren
vorkommenden Bezoare.


[158]Der chemiſche Proceß der
    • 2 At. Choleinſäure C76 N4 H132 O22
    • 10 » Sauerſtoff O10
    • 2 At. Hippurſäure C36 N4 H32 O10
    • 1 » Lithofellinſäure C40 H72 O8
    • 14 » Waſſer H28 O14
  • C76 N4 H132 O32 C76 N4 H132 O32

53. Zur Erzeugung von Galle im Thierkörper gehört
unter allen Umſtänden eine gewiſſe Quantität Natron, ohne
die Gegenwart einer Natronverbindung kann ſich keine Galle
bilden. Bei Abweſenheit von Natron kann ſich durch Um-
ſetzung der Proteingebilde nur Fett und Harnſtoff bilden.
Denken wir uns das Fett nach der empiriſchen Formel
C11 H20 O zuſammengeſetzt, ſo haben wir beim Hinzutreten
von Waſſer und Sauerſtoff zu den Elementen des Proteins
die Beſtandtheile des Fettes, der Kohlenſäure und des
Harnſtoffs.


  • Protein. Waſſer. Sauerſtoff.
  • 2 (C48 N12 H72 O14) + 12 H2 O + 14 O = C96 N24 H168 O54 =
  • =
    • 6 At. Harnſtoff . . = C12 N24 H48 O12
    • Fett. . . . . . . . . = C66 H120 O6
    • 18 Kohlenſäure . . = C18 O36
  • C96 N24 H168 O54.

Die Zuſammenſetzung aller Fette liegt zwiſchen den em-
piriſchen Formeln C11 H20 O oder C12 H20 O. Gehen wir
von der letzteren aus, ſo geben die Elemente von Protein
(2 Pr.) beim Hinzutreten von 2 At. Sauerſtoff und 12 At.
Waſſer, 6 At. Harnſtoff, Fett (C72 H120 O6) und 12 At.
Kohlenſäure.


[159]Umſetzung der Gebilde.

Bemerkenswerth in Beziehung auf die Bildung des Fet-
tes bleibt es immer, daß die Abweſenheit des Kochſalzes
(eine Natrium-Verbindung, welche dem Organismus das
Natron liefert) die Fettbildung begünſtigt, daß das Mäſten
eines Thieres unmöglich gemacht wird, wenn wir ſeiner
Nahrung einen Ueberfluß von Kochſalz, wiewohl weniger als
nöthig wäre, um Purgiren zu bewirken, zuſetzen.


54. Als eine Art von Ueberblick über die Metamorphoſen
der ſtickſtoffhaltigen Secrete des Thierkörpers, iſt es hier
ganz an ſeinem Orte, die Aufmerkſamkeit darauf hinzulen-
ken, daß die ſtickſtoffhaltigen Producte der Metamorphoſe der
Galle, identiſch ſind mit den Beſtandtheilen des Harns, mit
welchen die Elemente des Waſſers in Verbindung getreten ſind.


  • 1 At. Harnſäure C10 N8 H8 O6
  • 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2 = 3 At. Taurin C12 N6 H42 O30
  • 22 » Waſſer H44 O22 3 » Ammoniak N6 H18
  • C12 N12 H60 O30 C12 N12 H60 O30.
  • 1 At. Allantoin C4 N4 H6 O3 = 1 At. Taurin C4 N2 H14 O10
  • 7 » Waſſer H14 O7 1 Aeq. Ammoniak N2 H6
  • C4 N4 H20 O10 C4 N4 H20 O10.

55. Für die Metamorphoſen der Harnſäure und der
ſtickſtoffhaltigen Umſetzungsproducte der Galle, iſt es nicht
minder bedeutungsvoll, daß beim Hinzutreten von Sauerſtoff
und Waſſer zu den Beſtandtheilen der Harnſäure, Taurin und
Harnſtoff, oder Taurin, Kohlenſäure und Ammoniak ent-
ſtehen kann.


[160]Der chemiſche Proceß der
  • 1 At. Harnſäure C10N8H8 O62 At. Taurin C8 N4 H28 O20
  • 14 » Waſſer H28O14 = 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2
  • 2 » Sauerſtoff O2C10N8H36O22
  • C10N8H36O22 = 2 At. Taurin C8N4H28O20
  • Hierzu 2 At. Waſſer H4O2 2 » Kohlenſäure C2 O4
  • C10N8H40O24 2 » Ammoniak N4H12
  • C10N8H40O24

56. Alloxan plus einer gewiſſen Menge Waſſer, iſt in ſei-
ner Zuſammenſetzung gleich der des Taurin, das letztere ent-
hält zuletzt die Elemente des ſauren oxalſauren Ammoniaks.


  • Taurin.
    • 1 At. Alloran *)C8N4H8 O10
    • 10 » Waſſer H20O10
  • 1 At. Taurin C4N2H14O10 =
    • 2 At. Oxalſäure C4 O5
    • 1 » Ammoniak N2H5
    • 4 » Waſſer H8 O4
  • C4N2H14O10

57. Die Vergleichung des Kohlenſtoffgehaltes der in dem
Körper eines Gras-freſſenden Thieres ſecernirten Galle,
mit der Kohlenſtoffmenge ſeiner Gebilde oder ſeiner ſtickſtoff-
haltigen Nahrungsmittel, welche in Folge des Stoffwechſels
in Galle übergehen können, führt, wie ſich aus dem Vorher-
gehenden ergiebt, auf einen großen Unterſchied.


[161]Umſetzung der Gebilde.

Die Kohlenſtoffmenge der ſecernirten Galle beträgt im
geringſten Falle mehr wie das 5fache, von dem was durch
den Stoffwechſel ihrer Gebilde oder die ſtickſtoffhaltigen Be-
ſtandtheile ihrer Nahrung der Leber zugeführt werden kann,
und der Schluß, daß an der Bildung der Galle bei dieſen
Thieren, die ſtickſtofffreien Beſtandtheile ihrer Nahrung einen
ganz beſtimmten Antheil nehmen, darf als wohlbegründet
angeſehen werden, denn es giebt keine Erfahrung oder Beob-
achtung, die ſeiner Richtigkeit entgegenſtände.


58. Es iſt in dem Obigen der analytiſche Beweis nieder-
gelegt, daß aus allen Beſtandtheilen des Harns, aus Hip-
purſäure, Harnſäure und Allantoin, die ſtickſtoffhaltigen Pro-
ducte der Umſetzung der Galle, nämlich Ammoniak und Taurin
entſtehen können, und wenn wir uns daran erinnern, daß
durch ein bloßes Austreten von Sauerſtoff und Waſſer, aus
den Beſtandtheilen des Amylon, Choloidinſäure gebildet wer-
den kann,


  • 6 At. Amylon = 6 (C12H20O10) = C72H120O60
  • hiervon ab
    • 44 At. Sauerſtoff
    • 4 » Waſſer
  • bleibt Choloidinſäure = C72H112O12

daß zuletzt die Choloidinſäure, das Ammoniak und Taurin
die Elemente der Choleinſäure in ſich ſchließen,


11
[162]Der chemiſche Proceß der
  • 1 At. Choloidinſäure C72 H112O12
  • 1 » Taurin C4 N2H14 O10
  • 2 » Ammoniak N2H6
  • Choleinſäure = C76N4H132O22

ſo wird durch die Kenntniß dieſer Thatſachen, ein jeder
Widerſpruch gegen die Möglichkeit dieſer Vorgänge entfernt.


59. Die chemiſche Analyſe ſowohl wie die Beobachtung des
lebenden Thierkörpers unterſtützen ſich alle gegenſeitig; ſie
führen beide zu dem Schluſſe, daß eine gewiſſe Quantität
des Kohlenſtoffs der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe (Reſpi-
rationsſtoffe) von der Leber in der Form von Galle ſecernirt
wird, daß ferner die ſtickſtoffhaltigen Producte der Umſetzung
der Gebilde der Gras-freſſenden Thiere nicht direct und un-
mittelbar wie bei den Fleiſchfreſſern zu den Nieren gelan-
gen, ſondern daß ſie vor ihrem Austreten durch die Harn-
blaſe, in gewiſſen anderen Proceſſen, und namentlich in der
Bildung der Galle eine Rolle übernehmen.


Mit den Elementen der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe
werden ſie der Leber zugeführt, ſie kehren in der Form von
Galle wieder in den Körper zurück und werden erſt zuletzt,
wenn ſie zur Bildung des allgemeinſten Reſpirationsmittels
gedient haben, durch die Nieren aus dem Körper entfernt.


60. Wenn wir den Harn ſich ſelbſt überlaſſen, ſo verwan-
delt ſich der darin enthaltene Harnſtoff in kohlenſaures Am-
moniak; ſeine Elemente ſind genau in dem Verhältniß zu-
gegen, daß mit dem Hinzutreten der Elemente des Waſſers
[163]Umſetzung der Gebilde.
aller Kohlenſtoff in Kohlenſäure, aller Waſſerſtoff in Am-
moniak übergehen kann.


  • 1 At. Harnſtoff C2N4H8O2 = 2 At. Kohlenſäure C2 O4
  • 2 » Waſſer H4O2 2 Aeq. Ammoniak N4H12

61. Wären wir im Stande, aus Harnſäure oder Allantoin
geradezu Taurin und Ammoniak darzuſtellen, ſo möchte dies
wohl als ein weiterer Beweis für den Antheil angeſehen
werden dürfen, welcher dieſen Materien an der Bildung der
Galle zugeſchrieben worden iſt, allein es darf nicht als Ein-
wurf betrachtet werden, wenn dieſe Verwandlung mit den
Mitteln, die uns zu Gebote ſtehen, nicht bewirkt werden
kann. Ein ſolcher Einwurf verliert ſeine Bedeutung, wenn
man berückſichtigt, daß das Vorhandenſein von Taurin und
Ammoniak in der Galle ſchlechterdings nicht vorausgeſetzt
werden kann, ja daß es ſogar nicht einmal wahrſcheinlich
iſt, daß ſie in der Form, wie wir ſie als Zerſetzungspro-
ducte der Galle bekommen, wirkliche Beſtandtheile davon
ausmachen.


Durch die Einwirkung der Salzſäure auf Galle zwingen
wir gewiſſermaßen ihre Elemente in ſolchen Formen zu-
ſammenzutreten, welche durch den nämlichen einwirkenden
Körper keiner weiteren Veränderung mehr fähig ſind, und
wenn wir uns anſtatt der Salzſäure des Kali’s bedienen,
ſo erhalten wir die nämlichen Elemente, wiewohl in einer
andern und ganz verſchiedenen Weiſe geordnet. Wäre Taurin
als ſolches in der Galle vorhanden, ſo müßte man durch
11*
[164]Der chemiſche Proceß der
Alkalien die nämlichen Producte erhalten, wie durch Säuren.
Alles dies iſt gegen die Erfahrung.


Wenn wir alſo auch im Stande wären, das Allantoin
oder Harnſäure und Harnſtoff, in Taurin und Ammoniak
überzuführen, ſo würden wir an Einſicht in den wahren
Vorgang nicht reicher ſein, eben weil die Präexiſtenz von
Ammoniak und Taurin in der Galle bezweifelt werden muß,
und weil wir keinen Grund haben zu glauben, daß Harn-
ſtoff als Harnſtoff, Allantoin als Allantoin zur Bildung
der Galle vom Organismus verwendet wird; wir können
darthun, daß ihre Elemente zu dieſem Zwecke dienen, allein
es iſt uns gänzlich unbekannt, in welcher Weiſe dieſe Ele-
mente eingetreten ſind, welchen chemiſchen Charakter die
ſtickſtoffhaltige Verbindung beſitzt, die ſich mit den Elementen
des Amylons zu Galle oder vielmehr zu Choleinſäure ver-
einigt.


62. Choleinſäure kann entſtehen aus den Elementen des
Amylons, der Harnſäure und des Harnſtoffs, oder des Al-
lantoins, oder der Harnſäure, oder des Alloxan’s, oder der
Oxalſäure und des Ammoniaks, oder der Hippurſäure;
dieſe verſchiedenen Formen von Stickſtoffverbindungen zeigen
an und für ſich ſchon, daß ſich alle ſtickſtoffhaltigen Pro-
ducte des Stoffwechſels im Thierkörper zur Bildung von
Galle eignen, ohne daß wir damit wiſſen, in welcher Weiſe
ſie dazu verwendet werden.


Wir können durch Behandlung mit kauſtiſchen Alkalien
das Allantoin zerlegen in Oxalſäure und Ammoniak; die
[165]Umſetzung der Gebilde.
nämlichen Producte erhalten wir aus dem Oxamid, ohne
daß wir aus der Gleichheit derſelben einen Schluß rückwärts
auf ihre Identität, auf eine gleiche Conſtitution dieſer Ver-
bindungen machen können. So geſtatten uns denn die Pro-
ducte, die wir aus Choleinſäure durch die Einwirkung
von Säuren erhalten, in keiner Weiſe einen Schluß über
die Art und Weiſe, wie ihre Elemente ſich darin geordnet
befinden.


63. Wenn die Aufgabe der organiſchen Chemie in der Un-
terſuchung der Veränderungen beſteht, welche die Nahrungs-
mittel im Thierkörper erfahren, ſo hat ſie darzuthun, welche
Elemente hinzu-, welche ausgetreten ſind, um die Verwand-
lung einer gegebenen Verbindung in eine zweite und dritte
zu bewirken oder überhaupt möglich zu machen, allein ſyn-
thetiſche Beweiſe können von ihr nicht erwartet werden,
weil alle Vorgänge im Organismus unter dem Einfluß einer
immateriellen Thätigkeit ſtehen, über welche der Chemiker
nicht nach Willkühr verfügen kann.


Die Beobachtung der Erſcheinungen, welche die Meta-
morphoſen der Nahrungsmittel im Organismus begleiten,
die Ermittelung des Antheils, den die Atmoſphäre oder die
Beſtandtheile des Waſſers an dieſen Veränderungen nehmen,
führen von ſelbſt auf die Bedingungen, welche ſich zur Ent-
ſtehung eines Secretes oder eines Theiles oder Beſtand-
theiles eines Organs vereinigen müſſen.


64. Das Vorhandenſein von freier Salzſäure im Magen,
ſowie der Natrongehalt des Blutes ſetzen die Nothwendig-
[166]Der chemiſche Proceß der
keit des Kochſalzes für den organiſchen Proceß außer allen
Zweifel, allein die Quantität von Natron, welche verſchie-
dene Thierklaſſen zur Unterhaltung der vitalen Proceſſe be-
dürfen, iſt außerordentlich ungleich.


Wenn wir uns denken, daß eine gegebene Menge Blut
als Natronverbindung betrachtet, in dem Körper eines Fleiſch-
freſſenden Thieres in Folge des Stoffwechſels in eine neue
Natronverbindung, in Galle nämlich, übergeht, ſo muß
vorausgeſetzt werden, daß im normalen Zuſtande der Ge-
ſundheit der Natrongehalt des Blutes vollkommen hinreicht,
um mit den entſtandenen Producten der Umſetzung Galle zu
bilden. Das zu den vitalen Proceſſen verbrauchte oder über-
flüſſige Natron wird, durch die Nieren von dem Blute ge-
ſchieden, in der Form eines Salzes austreten müſſen.


Wenn es nun wahr iſt, daß in dem Körper eines Gras-
freſſenden Thieres eine weit größere Menge Galle gebildet
wird, als der Quantität des erzeugten oder umgeſetzten Blu-
tes entſpricht, daß der größte Theil ihrer Galle von gewiſ-
ſen Beſtandtheilen ihrer Nahrung ſtammt, ſo kann das Na-
tron des zu Gebilden gewordenen (aſſimilirten, umgeſetzten)
Blutes bei weitem nicht hinreichen, um den zur Bildung von
Galle täglich nöthigen Bedarf an Natron zu liefern. Das Na-
tron der Galle der Gras-freſſenden Thiere muß demzufolge
direct von den Nahrungsmitteln geliefert werden; ihr Orga-
nismus muß die Fähigkeit haben, alle in den Speiſen vor-
handenen und von dem Organismus zerlegbaren Natronver-
bindungen unmittelbar zur Bildung von Galle zu verwen-
[167]Umſetzung der Gebilde.
den. Alles Natron im Thierkörper ſtammt, wie ſich von
ſelbſt verſteht, von den Speiſen, allein die Speiſe des
Fleiſch-freſſenden Thieres enthält im Maximo nur die zur
Blutbildung erforderliche Menge Natron; in den meiſten
Fällen kann man bei dieſer Thierklaſſe vorausſetzen, daß
nur eine der Menge des zur Blutbildung verwendeten Natrons
entſprechende Quantität durch ihren Harn wieder austritt.


Wenn ſie eine zur Blutbildung hinreichende Quantität
Natron zu ſich nehmen, ſo wird eine dieſer gleiche Menge
durch den Harn ausgeleert, genießen ſie weniger, ſo behält
ihr Organismus einen Theil des zur Ausleerung beſtimmten
Natronſalzes zurück.


Ueber alle dieſe Verhältniſſe giebt die Zuſammenſetzung
des Harns der verſchiedenen Thierklaſſen die unzweideutig-
ſten Belege.


65. Als letztes Product der Veränderung aller Natron-
verbindungen im Thierkörper erhalten wir im Harn, das
Natron in der Form eines Salzes, den Stickſtoff als Am-
moniak oder Harnſtoff.


Das Natron in dem Harn der Fleiſch-freſſenden Thiere
finden wir an Schwefelſäure und Phosphorſäure gebunden,
nie fehlt neben dieſen Natronſalzen eine gewiſſe Menge
eines Ammoniakſalzes, Salmiak oder phosphorſaures Am-
moniak. Es kann keinen entſcheidenderen Beweis für die
Meinung abgeben, daß das Natron ihrer Galle oder ihrer
umgeſetzten Blutbeſtandtheile bei weitem nicht hinreicht, um
die austretenden Säuren zu neutraliſiren, als wie die Ge-
[168]Der chemiſche Proceß der
genwart dieſer Ammoniakſalze im Harn; dieſer Harn reagirt
ſauer.


Im graden Gegenſatz hierzu finden wir in dem Harn
der Gras-freſſenden Thiere eine überwiegende Menge von
Natron und zwar nicht an Schwefelſäure oder Phosphor-
ſäure gebunden, ſondern an Kohlenſäure, Benzoeſäure oder
Hippurſäure.


66. Dieſe wohlbegründeten Erfahrungen beweiſen, daß
die Gras-freſſenden Thiere eine weit größere Menge Natron
genießen als zur Neubildung ihres täglichen Bedarfes an
Blut erforderlich iſt. In ihrer Nahrung finden wir alle
Bedingungen vereinigt zur Erzeugung einer zweiten Natron-
verbindung, welche zum Reſpirationsmittel beſtimmt iſt, und
nur eine geringe Erfahrung in dem Weſen der mit ſo
großer Weisheit geordneten Natureinrichtungen dürfte den
Natrongehalt der Speiſe und des Harns der Gras-freſſen-
den Thiere für zufällig erklären.


Es kann kein Zufall ſein, daß das Leben, die Entwicke-
lung einer Pflanze abhängig iſt von der Gegenwart der Al-
kalien, die ſie dem Boden entzieht; dieſe Pflanze dient zur
Nahrung einer großen Thierklaſſe, deren vitale Proceſſe aufs
engſte an die Gegenwart dieſer Alkalien geknüpft iſt. Wir
finden dieſe Alkalien in der Galle, ihre Gegenwart im Thier-
körper iſt die unerläßliche Bedingung zur Erzeugung des
erſten Nahrungsſtoffs des jungen Thieres, ohne eine reich-
liche Menge Kali kann die Bildung der Milch nicht gedacht
werden.


[169]Umſetzung der Gebilde.

67. Alle Beobachtungen führen, wie ſich aus dem Vor-
hergehenden ergiebt, zu der Anſicht, daß gewiſſe ſtickſtofffreie
Beſtandtheile der Nahrung der Gras-freſſenden Thiere
(Amylon, Zucker, Gummi ꝛc.) die Form einer Natronver-
bindung erhalten, welche in ihrem Körper zu den nämlichen
Zwecken dient, wozu, wie wir mit Beſtimmtheit wiſſen, die
Galle (das kohlenſtoffreichſte Product der Umſetzung ihrer
Gebilde) in dem Körper des Fleiſch-freſſenden Thieres ver-
wendet wird. Sie dienen zur Unterhaltung gewiſſer vitalen
Proceſſe, und werden zuletzt zur Hervorbringung der ani-
maliſchen Wärme, zum Widerſtand gegen die Einwirkung
der Atmoſphäre verbraucht; bei den Fleiſchfreſſern iſt der
raſche Umſatz ihrer Gebilde eine Bedingung ihres Beſtehens,
eben weil erſt in Folge des Stoffwechſels die Materien ge-
bildet werden müſſen, welche zur Verbindung mit dem Sauer-
ſtoff der Luft beſtimmt ſind; in dieſem Sinne kann man
ſagen, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel den Stoff-
wechſel hindern, daß ſie ihn verlangſamen und eine ebenſo
raſche Beſchleunigung wie bei den Fleiſchfreſſern jedenfalls
unnöthig machen.


68. Mit dieſer Fähigkeit der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe,
als Reſpirationsmaterie zu dienen, ſteht die verhältnißmäßig
ſo geringe Menge von ſtickſtoffhaltiger Nahrung, die ſie
zur Unterhaltung ihrer Lebensfunctionen bedürfen, in dem
engſten Zuſammenhang, und es dürfte vielleicht ſich heraus-
ſtellen, daß die Nothwendigkeit zuſammengeſetzterer Verdauungs-
organe in dem Körper der Pflanzen-freſſenden Thiere weit
[170]Der chemiſche Proceß der
mehr durch die Schwierigkeit bedingt iſt, gewiſſe ſtickſtoff-
freie Nahrungsmittel (Gummi? ſtärkemehlartige Faſer?)
löslich und geſchickt zu machen, an den vitalen Proceſſen
Antheil zu nehmen, als die Ueberführung und Verwandlung
des Pflanzen-Fibrins, -Albumins und -Caſeins in Blut zu
bewirken, denn für dieſen Zweck finden wir die minder zu-
ſammengeſetzten Apparate der Carnivoren vollkommen aus-
reichend.


69. Wenn in dem Körper des Menſchen, der an gemiſchte
Nahrung gewöhnt iſt, das Amylon eine ähnliche Rolle über-
nimmt, wie in dem Körper der Gras- und Körner-freſſen-
den Thiere, wenn alſo vorausgeſetzt wird, daß ihre Ele-
mente an der Bildung ihrer Galle einen ebenſo beſtimmten
Antheil nehmen, ſo folgt hieraus von ſelbſt, daß ein Theil
der ſtickſtoffhaltigen Producte der Umſetzung ihrer Organe,
ehe ſie durch die Harnblaſe austreten, von der Leber aus, in
der Form von Galle, in den Kreislauf zurückkehren und erſt
als letztes Product des Reſpirationsproceſſes durch die Nie-
ren von dem Blute geſchieden werden.


70. Beim Mangel an ſtickſtofffreien Subſtanzen in der
Nahrung des Menſchen wird dieſe Form der Gallenbildung
nicht ſtattfinden können, die Secrete müſſen in dieſem Fall eine
andere Beſchaffenheit beſitzen, und das Erſcheinen von Harn-
ſäure im Harn in gewiſſen Krankheiten, die Ablagerung von
Harnſäure in den Gliedern und in der Harnblaſe, ſowie der
Einfluß, den ein Ueberfluß von Fleiſchnahrung, der als
gleichbedeutend angeſehen werden muß einem Mangel an
[171]Umſetzung der Gebilde.
Amylon, auf die Abſonderung der Harnſäure bei gewiſſen
Individuen ausübt, dürfte hierin ſeine Erklärung finden.
Fehlt es an Amylon, an Zucker ꝛc., ſo wird ein Theil der
durch den Stoffwechſel gebildeten oder ſich bildenden Stick-
ſtoffverbindungen entweder an dem Orte beharren, wo ſie
erzeugt worden ſind, ſie werden nicht von der Leber aus als
Reſpirationsmittel in den Organismus zurückkehren, und
durch die Einwirkung des Sauerſtoffs die letzten Verände-
rungen erfahren, die ſie überhaupt zu erleiden fähig ſind,
ſondern von den Nieren in irgend einer andern Form abge-
ſchieden werden müſſen.


71. In dem Vorhergehenden iſt der Beweis zu führen
verſucht worden, daß die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel einen
ganz beſtimmten Einfluß auf die Natur und Beſchaffenheit
der Secrete des Thierkörpers ausüben; ob dies direct ge-
ſchieht, ob ihre Elemente nämlich unmittelbar an dem Acte
der Umſetzung der Gebilde Antheil nehmen, oder indirect,
möchte durch ſorgfältige und umſichtige Verſuche und Beob-
achtungen entſchieden werden können. Möglich iſt es, daß
die ſtickſtofffreien Nahrungsmittel, in irgend einer Weiſe ver-
ändert, von den Eingeweiden aus gradezu der Leber zuge-
führt werden, daß ſie in dieſem Organ, wo ſie mit den
Producten der umgeſetzten Gebilde zuſammentreten, die Ver-
wandlung in Galle erfahren und dann erſt ihren Kreislauf
im Körper vollenden.


Dieſe Meinung gewinnt an Wahrſcheinlichkeit, wenn
man in Betracht zieht, daß in dem arteriellen Blute bis
[172]Der chemiſche Proceß der
jetzt noch niemals weder eine Spur Amylon noch Zucker
aufgefunden worden iſt, ſelbſt nicht bei Thieren, die man
ausſchließlich mit dieſen Materien zu ernähren verſuchte.
Dieſen Materien kann man demnach, da ſie in dem arteriel-
len Blute fehlen, keinen Antheil an dem Ernährungsproceſſe
zuſchreiben, und das Erſcheinen von Zucker im Harne Dia-
betiſcher, von Zucker, welcher, nach allen Beobachtungen, von
der Nahrung ſtammt, ſowie die völlige Abweſenheit dieſes
Zuckers in dem Blute der an dieſer Krankheit Leidenden,
beweiſ’t offenbar, daß Amylon und Zucker als ſolche in die
Blutcirculation nicht aufgenommen werden.


72. Ueber die Anweſenheit gewiſſer Beſtandtheile der Galle
im Blute des geſunden Menſchen findet man in den Schrif-
ten der Phyſiologen viele Belege, wiewohl ſie quantitativ
ſchwerlich beſtimmbar darin iſt; denken wir uns in der That,
daß in einer Minute zehn Pfund Blut (120 Unzen) durch
die Leber gehen und von dieſem Blute 2 Tropfen Galle (zu
drei Gran den Tropfen) abgeſondert würden, ſo macht dies
1/9600 von dem Gewichte der Blutmaſſe aus, ein Gehalt, der
durch die Analyſe nicht mehr feſtgeſtellt werden kann.


73. Der größte Theil der Galle entſteht nach dem Vor-
hergehenden in dem Körper der Gras- und Körner-freſſenden
Thiere, ſowie in dem des Menſchen, der an gemiſchte Nah-
rung gewöhnt iſt, aus den Beſtandtheilen ſeiner ſtickſtoff-
freien Nahrungsmittel; ihre Bildung kann aber nicht gedacht
werden, ohne ein Hinzutreten eines ſtickſtoffhaltigen Körpers,
denn die Galle iſt eine Stickſtoffverbindung. Alle bis
[173]Umſetzung der Gebilde.
jetzt unterſuchten Gallen geben bei der trocknen Deſtillation
Ammoniak und ſtickſtoffhaltige Producte; aus der Ochſengalle
hat man Taurin und Ammoniak dargeſtellt; der Beweis, daß
dieſe beiden Producte aus allen anderen Gallen darſtellbar
ſind, iſt nur deshalb nicht geführt worden, weil es ſchwer
hält, ſich von anderen Thieren hinlängliche Mengen von
Galle zu verſchaffen.


Mag nun die ſtickſtoffhaltige Verbindung, die ſich mit
den Beſtandtheilen des Amylons zu Galle vereinigt, von
den Speiſen oder von der Subſtanz der umgeſetzten Gebilde
ſtammen, der Schluß, daß die Gegenwart derſelben als eine
Bedingung der Gallenſecretion anzuſehen iſt, kann nicht in
Zweifel gezogen werden.


Da nun die Gras- und Körner-freſſenden Thiere in
ihren Nahrungsmitteln nur ſolche ſtickſtoffhaltige Materien
genießen, welche identiſch ſind mit ihren Blutbeſtandtheilen,
ſo ſtammt der ſtickſtoffhaltige Beſtandtheil, den wir in der
Galle finden, jedenfalls von einer Proteinverbindung ab, er
iſt entweder durch eine Veränderung entſtanden, welche die
Proteinverbindungen der Speiſe erlitten haben, oder er iſt
aus dem Blute oder aus der Subſtanz der Gebilde in Folge
des Stoffwechſels erzeugt worden.


74. Wenn nun der Schluß wahr iſt, daß ſtickſtoffhaltige
Verbindungen, gleichgültig, ob ſie von der Subſtanz des Blutes
oder den ſtickſtoffhaltigen Nahrungsmitteln ſtammen, an der
Bildung der Secrete und namentlich an der Bildung der
Galle einen beſtimmten Antheil zu nehmen vermögen, ſo iſt
[174]Der chemiſche Proceß der
klar, daß der Organismus die Fähigkeit beſitzen muß, fremde
Materien, welche weder Theile, noch Beſtandtheile der Trä-
ger der Lebensthätigkeit ausmachen, zu gewiſſen vitalen Zwe-
cken dienen zu machen; alle ſtickſtoffhaltigen, der Auflöſung
fähigen Subſtanzen ohne Unterſchied dem Blute oder den
Verdauungsorganen zugeführt, wenn ſie ſich durch ihre Zu-
ſammenſetzung zu dieſen Zwecken eignen, werden von dem
Organismus in ähnlicher Weiſe dazu verwendet werden müſ-
ſen, wie die ſtickſtoffhaltigen Producte, die ſich durch den
Stoffwechſel gebildet haben.


Wir kennen eine Menge Materien, welche auf den Akt
der Umſetzung der Gebilde, ſowie auf den Ernährungspro-
ceß einen ganz beſtimmten Einfluß ausüben, ohne daß ihre
Elemente an den vor ſich gehenden Veränderungen Antheil
nehmen, es ſind dies lauter ſolche Subſtanzen, deren Theile
ſich in einem gewiſſen Zuſtand der Zerſetzung befinden, der
ſich allen Theilen des Organismus überträgt, welche fähig
ſind, eine ähnliche Umſetzung zu erfahren.


75. Die Arzneiſtoffe und Gifte umfaſſen eine zweite au-
ßerordentlich zahlreiche Klaſſe von Verbindungen, welche die
Fähigkeit haben, durch ihre Elemente direct oder indirect
Antheil an den Secretionsproceſſen oder dem Stoffwechſel
zu nehmen. Sie laſſen ſich in drei große Klaſſen eintheilen,
von denen die eine (wozu die metalliſchen Gifte gerechnet
werden müſſen) eine chemiſche Verbindung mit gewiſſen
Theilen oder Beſtandtheilen des animaliſchen Körpers ein-
geht, welche durch die Lebensthätigkeit nicht aufgehoben
[175]Umſetzung der Gebilde.
wird. Die zweite Klaſſe (ätheriſche Oele, Camphor, empy-
reumatiſche Materien, Antiſeptica ꝛc.) beſitzt die Eigenſchaft,
den Zuſtand der Umſetzung ihrer Elementartheile, welchen ge-
wiſſe ſehr zuſammengeſetzte, organiſche Atome zu erleiden
vermögen (Umſetzungsproceſſe, die man, wenn ſie außerhalb
des Thierkörpers vor ſich gehen, gewöhnlich mit Gährung
und Fäulniß bezeichnet) zu hindern oder zu verlangſamen.


Die dritte Klaſſe von Arzneiſtoffen nimmt durch ihre
Elemente an den im Thierkörper vor ſich gehenden Verän-
derungen einen directen Antheil; dem Organismus zugeführt,
ſteigern und erhöhen ſie die vitale Thätigkeit einzelner oder
mehrerer Organe, ſie bringen im geſunden Körper Krank-
heitserſcheinungen hervor; alle üben ſchon in verhältnißmä-
ßig ſehr kleinen Gaben eine bemerkbare Wirkung aus, viele
wirken in größeren Maſſen als Gifte. Von keinem dieſer
Körper läßt ſich behaupten, daß er in dem Ernährungspro-
ceſſe eine entſchiedene Rolle ſpiele, daß er von dem Orga-
nismus zur Blutbildung verwendet werden könne, theils,
weil ihre Zuſammenſetzung von der der Blutbeſtandtheile
abweicht, theils, weil die Maſſe, in der ſie die Wirkung äu-
ßern, gegen die Blutmaſſe verſchwindend klein iſt.


In die Blutcirculation aufgenommen, ändern ſie, wie
man gewöhnlich ſagt, die Qualität des Bluts, und um durch
den Magen in die Blutgefäße mit ihrer ganzen Wirkſamkeit
überzugehen, muß vorausgeſetzt werden, daß ſie durch die
organiſche Thätigkeit, welche dieſes Organ beſitzt, keine Ver-
änderung in ihrer Zuſammenſetzung erfahren, ſie werden im
[176]Der chemiſche Proceß der
unlöslichen Zuſtande darin löslich gemacht (verdaut), aber
nicht zerſtört, denn in letzterem Fall würden ſie keine Wir-
kung ausüben können.


76. Das Blut beſitzt im normalen Zuſtande der Geſundheit
zwei Qualitäten, welche mit einander in engem Zuſammen-
hange ſtehen, obwohl eine von der andern als ganz unab-
hängig gedacht werden kann.


In den Blutkörperchen enthält das Blut die Träger des
zur Neubildung gewiſſer Theile des Thierkörpers, ſowie zur
Hervorbringung der animaliſchen Wärme dienenden Sauer-
ſtoffs; durch die Fähigkeit dieſer Blutkörperchen, den in der
Lunge aufgenommenen Sauerſtoff wieder abzugeben, ohne
daß ſie damit ihren Character verlieren, bedingen ſie im All-
gemeinen den Stoffwechſel.


Die zweite Qualität des Blutes, ſeine Fähigkeit, zu Be-
ſtandtheilen von Organen zu werden, ſich für die Zunahme
an Maſſe und Neubildung der Organe, ſowie zum Erſatz
von verbrauchtem Stoff zu eignen, verdankt es vorzugsweiſe
dem in Auflöſung vorhandenen Fibrin und Albumin. Dieſe
beiden Hauptbeſtandtheile, welche zur Nutrition und Repro-
duction dienen, ſättigen ſich bei ihrem Durchgang durch die
Lunge mit Sauerſtoff, ſie nehmen jedenfalls ſoviel davon
aus der Atmoſphäre auf, daß ſie die Fähigkeit völlig verlie-
ren, den anderen Materien, die ſich im Blute befinden, Sauer-
ſtoff zu entziehen.


Mit Beſtimmtheit wiſſen wir, daß die Blutkörperchen
des venöſen Blutes in der Lunge, bei ihrer Berührung mit
[177]Umſetzung der Gebilde.
der Atmoſphäre, ihre Farbe ändern, daß dieſer Farbenwechſel
begleitet iſt von einer Abſorbtion von Sauerſtoff; alle Beſtand-
theile des Blutes, welche die Fähigkeit überhaupt beſitzen, ſich
mit Sauerſtoff zu verbinden, nehmen in der Lunge Sauerſtoff auf
und ſättigen ſich damit. Neben dieſen anderen Materien behal-
ten die Blutkörperchen ihre hochrothe Farbe bis in die feinſten
Verzweigungen der Arterien, erſt bei ihrem Durchgange durch
die Capillargefäße beobachten wir, daß ſie dieſelbe wechſeln
und die dunkelrothe Farbe annehmen, welche die Blutkörperchen
des venöſen Blutes characteriſirt. Aus dieſen Thatſachen muß
gefolgert werden, daß den Beſtandtheilen des arteriellen Blutes
die Fähigkeit völlig abgeht, den Sauerſtoff der im arteriel-
len Blute circulirenden Blutkörperchen, welchen ſie aus der
Luft aufgenommen haben, zu entziehen, und aus der in den
Capillargefäßen ſtattfindenden Farbenveränderung läßt ſich
kein anderer Schluß ziehen, als daß ſie (die Blutkörperchen
des arteriellen Blutes) während dieſem Durchgang, in den
Zuſtand zurückkehren, den ſie im venöſen Blut beſitzen, daß
ſie alſo den in der Lunge aufgenommenen Sauerſtoff abge-
geben und damit das Vermögen wieder erlangt haben, ſich
mit Sauerſtoff aufs Neue zu verbinden.


78. Wir finden demnach in dem arteriellen Blut Albumin,
was ſich, wie alle anderen Beſtandtheile, bei ſeinem Durch-
gange durch die Lunge mit Sauerſtoff geſättigt hat, und
Sauerſtoffgas, was jedem Körpertheilchen durch die Blut-
körperchen in chemiſcher Verbindung zugeführt wird. So weit
unſere Beobachtungen (bei der Bebrütung des Ei’s) reichen,
12
[178]Der chemiſche Proceß der
vereinigen ſich darin die Bedingungen zur Erzeugung aller
Gebilde; der zur Neubildung oder in dem Proceß der Re-
production nicht verbrauchte Sauerſtoff vereinigt ſich mit der
Subſtanz der belebten Körpertheilchen, er bedingt, indem er
in ihre Elemente aufgenommen wird, den Act der Umſe-
tzung, den wir mit Stoffwechſel bezeichnet haben.


79. Es iſt klar, daß alle in den Capillargefäßen vorhande-
nen oder abgeſchiedenen oder durch Endosmoſe oder Imbibition
zugeführten Stoffe, welcher Art ſie auch ſein mögen, wenn
ihnen die Fähigkeit nicht völlig abgeht, ſich mit Sauerſtoff
zu vereinigen, daß ſie, bei Berührung mit den Trägern des
Sauerſtoffs, ſich ähnlich verhalten müſſen, wie die lebendi-
gen Körpertheilchen ſelbſt, ſie werden, oder ihre Elemente
werden mit dieſem Sauerſtoff in Verbindung treten, es wird
in dieſem Fall entweder kein Stoffwechſel ſtattfinden, oder
er wird ſich in einer andern Form, in der Bildung von
Producten anderer Art, zu erkennen geben.


80. Der Begriff einer Aenderung der beiden in dem Vor-
hergehenden berührten Qualitäten des Blutes durch einen in
dem Blute enthaltenen oder aufgenommenen fremden Stoff
(Arzneiſtoff) ſetzt demnach zweierlei Wirkungsweiſen voraus.


Angenommen, daß der Arzneiſtoff keine, der Lebensthä-
tigkeit eine Grenze ſetzende, chemiſche Verbindung mit den
Beſtandtheilen des Blutes einzugehen vermag, daß er ferner
ſich nicht im Zuſtande einer Umſetzung befindet, die ſich auf
die Beſtandtheile des Blutes oder der Organe fortpflanzen
und übertragen kann, daß ihm die Fähigkeit abgeht, durch
[179]Umſetzung der Gebilde.
ſeinen Contact mit den lebenden Körpertheilchen ihren Stoff-
wechſel, die Umſetzung ihrer Elemente, zu hindern, ſo bleibt
für dieſe Art von Stoffen, um ihre Wirkungsweiſe erklär-
lich zu finden, nichts anders übrig, als anzunehmen, daß
ihre Elemente an der Erzeugung gewiſſer Beſtandtheile des
lebenden Thierkörpers oder an der Bildung gewiſſer Secrete
Antheil nehmen.


81. Inſoweit der vitale Act der Secretion mit dem Chemis-
mus in Beziehung ſteht, iſt er in dem Vorhergehenden einer
Unterſuchung unterworfen worden; bei den Fleiſch-freſſenden
Thieren haben wir Grund zu glauben, daß ohne Hinzutre-
ten eines fremden Stoffes von Außen, die Galle und die
Beſtandtheile des Harns an dem Orte gebildet werden, wo
der Stoffwechſel vor ſich geht; bei den anderen Thierclaſſen
hingegen kann angenommen werden, daß in dem Secretions-
organ ſelbſt, aus gewiſſen zugeführten Stoffen (bei den Gras-
freſſenden Thieren aus den Beſtandtheilen des Amylons und
einem ſtickſtoffhaltigen Product der umgeſetzten Organe) die
Erzeugung der Secrete vermittelt wird. Dieſe Vorſtellung
ſchließt die Meinung übrigens nicht aus, daß bei den Fleiſch-
freſſenden Thieren die Producte der umgeſetzten Organe, eine
Spaltung in Galle, Harnſäure oder Harnſtoff, erſt in
den Secretionsorganen erleiden, oder daß die Beſtandtheile
der ſtickſtofffreien Nahrungsſtoffe, direct den Körpertheilen
zugeführt, wo Stoffwechſel ſtattfindet, mit den Elementen
der umgeſetzten Gebilde zu den Beſtandtheilen des Harns
und der Galle zuſammentreten.


12*
[180]Der chemiſche Proceß der

82. Wenn nun vorausgeſetzt wird, daß gewiſſe Arzneimittel
zu Beſtandtheilen von Secreten werden können, ſo kann dies
nur auf zweierlei Weiſe geſchehen; entweder gelangen ſie in
die Blutcirculation und nehmen an dem Stoffwechſel directen
Antheil, inſofern ihre Elemente in die Zuſammenſetzung der
neuen Producte eintreten, oder ſie werden den Secretions-
organen zugeführt, wo ſie auf die Bildung oder auf die
Beſchaffenheit des Secretes einen Einfluß durch Hinzutreten
ihrer Elemente äußern.


In beiden Fällen müſſen ſie in dem Organismus ihren
chemiſchen Character verlieren, und wir wiſſen mit genügen-
der Sicherheit, daß dieſe Claſſe von Arzneiſtoffen ſpurlos im
Körper verſchwindet. Schreibt man ihnen in der That eine
Wirkung zu, ſo können ſie durch den Magen ihre Eigen-
thümlichkeit nicht verlieren, ſie können durch den Verdauungs-
proceß nicht zerſtört worden ſein; ihr Verſchwinden ſetzt alſo
voraus, daß ſie zu gewiſſen Zwecken verwendet worden ſind,
was ohne Aenderung ihrer Zuſammenſetzung nicht denkbar iſt.


83. So wenig man nun auch, bis auf die Galle, mit der
Zuſammenſetzung der übrigen Secrete bekannt ſein mag, mit
Beſtimmtheit weiß man, daß alle Secrete Stickſtoff in che-
miſcher Verbindung enthalten; ſie gehen in ſtinkende Fäul-
niß über und liefern entweder in dieſem Zerſetzungsproceß
oder bei der trocknen Deſtillation ammoniakhaltige Producte;
ſelbſt der Speichel, mit Kalihydrat zuſammengebracht, ent-
wickelt reichlich Ammoniak.


84. Durch ihre Zuſammenſetzung theilen ſich die Arznei-
[181]Umſetzung der Gebilde.
mittel in zwei Klaſſen, in ſtickſtoffhaltige und in ſtickſtofffreie.
Vor allen ausgezeichnet durch ihre mediziniſchen Wirkungen auf
den Organismus ſind die ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffe, de-
ren Zuſammenſetzung von den eigentlichen, ſtickſtoffhaltigen
Nahrungsſtoffen, welche der Organismus der Pflanze eben-
falls erzeugt, abweicht.


Die Arzneiwirkungen dieſer Materien ſind außerordent-
lich verſchieden; von der mildeſten Form der Wirkung der
Aloe bis zum furchtbarſten Gifte, dem Strychnin, beobach-
ten wir Unterſchiede der mannigfaltigſten Art.


Bis auf drei Verbindungen, bringen alle dieſe Materien
im geſunden Organismus Krankheitszuſtände hervor und
wirken in gewiſſen Gaben giftig, die meiſten beſitzen den
chemiſchen Character der Baſen.


Kein ſtickſtofffreies Arzneimittel übt in gleichen Gaben
eine giftige Wirkung aus *).


85. Die arzneiliche oder giftige Wirkung der ſtickſtoffhalti-
gen Pflanzenſtoffe ſteht mit ihrer Zuſammenſetzung in einer
beſtimmten Beziehung, ſie kann nicht unabhängig von ihrem
Stickſtoffgehalte gedacht werden, allein ſie ſteht keineswegs
in directem Zuſammenhang mit dieſem Stickſtoffgehalte.


Das Solanin 38), das Picrotoxin 39), welche die geringſte
Stickſtoffmenge enthalten, ſind ſtarke Gifte, Chinin 40) enthält
[182]Der chemiſche Proceß der
mehr Stickſtoff wie Morphin 41); Caffein 42) und Theobromin 43),
die ſtickſtoffreichſten Pflanzenſtoffe, die man kennt, ſind nicht
giftig.


86. Ein ſtickſtoffhaltiger Körper, der durch ſeine Elemente
auf die Bildung oder die Qualität eines Secretes eine Wir-
kung äußert, muß in Beziehung auf ſeinen chemiſchen Cha-
racter die Rolle übernehmen können, welche die ſtickſtoff-
haltigen Producte des Thierkörpers in der Bildung der
Galle ſpielen, die Rolle alſo eines Productes des Le-
bensproceſſes. Ein ſtickſtofffreies Arzneimittel, inſofern ſeine
Wirkung ſich in den Secreten äußert, muß in dem Thier-
körper dieſelbe Rolle ſpielen können, die wir den ſtickſtoff-
freien Nahrungsſtoffen zugeſchrieben haben.


Wenn wir uns alſo denken, daß die Elemente der Hip-
pur- oder Harnſäure von den Trägern der Lebensthätigkeit
ſtammen, daß ſie als Producte ihrer Umſetzung den Charac-
ter des Lebens, aber keineswegs die Fähigkeit verlieren, Ver-
änderungen durch den eingeathmeten Sauerſtoff oder durch
die Einwirkung der Secretionsapparate zu erleiden, ſo läßt
ſich kaum ein Zweifel hegen, daß Stickſtoffverbindungen ähn-
licher Art, Producte des Lebensproceſſes der Pflanzen, in
den Thierkörper gebracht, wenn ſie ſich zu gleichen Zwecken
eignen, ganz auf die nämliche Weiſe von dem Thierorganis-
mus verwendet werden können, wie die ſtickſtoffhaltigen Pro-
ducte der Metamorphoſen der Thiergebilde ſelbſt; und wenn
Hippur- oder Harnſäure oder eins ihrer Elemente Antheil
z. B. zu nehmen vermögen an der Bildung und Erzeugung
[183]Umſetzung der Gebilde.
von Galle, ſo muß anderen ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen ein
ähnliches Vermögen zugeſchrieben werden.


Unerforſchlich wird es immer bleiben, wie die Menſchen
auf den Genuß eines heißen Aufguſſes von Blättern gewiſ-
ſer Stauden oder der Abkochung geröſteter Samen gekom-
men ſind; es muß eine Urſache geben, welche erklärt, wie er
ganzen Nationen zu einem Lebensbedürfniß geworden iſt.
Noch weit merkwürdiger iſt es gewiß, daß die wohlthätigen
Wirkungen auf die Geſundheit, in beiden Pflanzenſtoffen, ei-
ner und derſelben Materie zugeſchrieben werden müſſen,
deren Vorhandenſein in zwei Pflanzen, welche verſchiedenen
Pflanzenfamilien und Welttheilen angehören, die kühnſte
Phantaſie nicht vorausſetzen konnte.


Nicht minder bemerkenswerth iſt es gewiß, daß der
Fleiſch-eſſende Indianer in dem Tabacksrauchen ein Mittel
entdeckte, welches den Umſatz ſeiner Gebilde verlangſamt
und damit den Hunger erträglicher macht, daß er dem Ge-
nuſſe des Branntweins nicht zu widerſtehen vermag, der in
ſeinem Körper als Reſpirationsmittel dient und die Func-
tion ſeiner umgeſetzten Gebilde übernimmt. Thee und
Caffee treffen wir urſprünglich bei Nationen an, welche vor-
zugsweiſe vegetabiliſche Nahrung genießen.


87. Ohne auf die mediciniſchen Wirkungen des Caffeins
und Theins einzugehen, wird man es jedenfalls, ſelbſt
wenn man ſich darin gefallen ſollte, ihren Einfluß auf den
Secretionsproceß zu leugnen, höchſt auffallend finden, daß
Caffein und Thein, durch ein Hinzutreten von Waſſer und
[184]Der chemiſche Proceß der
Sauerſtoff in Taurin, in den der Galle eigenthümlichen
ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheil übergehen können.


  • 1 At. Caffein, Thein C8N4H10O2
  • 9 » Waſſer H18O9
  • 9 » Sauerſtoff O9
  • 2 » Taurin 2 (C4N2H14O10)

Eine ganz ähnliche Beziehung beobachten wir in dem
Hauptbeſtandtheil der Spargeln, dem Althäin oder Asparagin;
beim Hinzutreten von Sauerſtoff und Waſſer bekommen wir
ebenfalls die Elemente des Taurin’s.


  • 1 At. Asparagin C8N4H16O6
  • 6 » Waſſer H12O6
  • 8 » Sauerſtoff O8
  • 2 » Taurin 2 (C4N2H14O10)

Beim Hinzutreten der Elemente des Waſſers und einer
gewiſſen Menge Sauerſtoff zu den Elementen des Theobro-
mins, des Hauptbeſtandtheils der Cacaobohnen, haben wir
Harnſtoff und Taurin oder Harnſäure, Taurin und Waſſer.


  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 4 At. Taurin C16N8 H56O40
  • 22 » Waſſer H44O22 = 1 » Harnſtoff C2 N4 H8 O2
  • 16 » Sauerſtoff O16
  • C18N12H64O42 C18N12H54O42

oder:


  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 4 At. Taurin C16N8H56O40
  • 24 » Waſſer H48O24 = 2 » Kohlenſäure C2 O4
  • 16 » Sauerſtoff O16 2 » Ammoniak N4H12
  • C18N12H68O44 C18N12H68O44

[185]Umſetzung der Gebilde.

oder:


  • 1 At. Theobromin C18N12H20O4 2 At. Taurin C8 N4H28O20
  • 8 » Waſſer H16O8 = 1 » Harnſäure C10N8H8 O6
  • 14 » Sauerſtoff O14
  • C18N12H36O26 C18N12H36O26

88. Um die Wirkung des Caffeins, Asparagins ꝛc. auf den
Organismus erklärlich zu finden, muß man ſich erinnern,
daß der Hauptbeſtandtheil der Galle nur 3,8 pCt. Stick-
ſtoff enthält, von dem nur die Hälfte dem Taurin angehört
(1,9 pCt.).


Die Galle enthält im natürlichen Zuſtande 80 Theile Waſ-
ſer und 10 Theile feſte Subſtanz. Nehmen wir nun an, dieſe
10 Theile ſeien Choleinſäure mit 3,87 pCt. Stickſtoff, ſo
enthalten 100 Gewichtstheile Galle im natürlichen Zuſtande
in der Form von Taurin 0,171 Gewichtstheile Stickſtoff.
Dieſe Quantität Stickſtoff iſt aber in 0,6 Caffein enthalten
oder 28/10 Gran Caffein können in der Form von Taurin, einer
Unze Galle den Stickſtoff liefern, und wenn ein Theeaufguß
auch nur den zehnten Theil eines Grans Thein enthält,
ſo kann, wenn es überhaupt zur Gallenbildung beiträgt,
ſeine Wirkung nicht gleich Null geſetzt werden. Man
wird eben ſo wenig leugnen können, daß bei einem Ueber-
fluß von ſtickſtofffreien Nahrungsmitteln und bei Mangel an
Bewegung, welche den Umſatz der Gebilde bedingt und die
zur Gallenbildung nöthige Stickſtoffverbindung liefert, daß
in dieſem Zuſtande der Genuß von Stoffen der Geſund-
heit zuträglich ſein mag, welche die Rolle der zur Reſpira-
[186]Der chemiſche Proceß der
tionsmaterie unentbehrlichen Stickſtoffverbindung, die der Kör-
per erzeugt, zu übernehmen vermögen. In chemiſcher Bezie-
hung und dies allein ſoll mit Obigem dargethan werden, eig-
nen ſich Thein, Caffein, Theobromin, Asparagin mehr, wie
alle anderen ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſtoffe, ihrer Zuſammen-
ſetzung nach, zu dieſer Verwendungsweiſe. Ihre Wirkungen ſind
für die gewöhnlichen Zuſtände nicht in die Augen fallend,
wiewohl unleugbar vorhanden.


89. Was die Wirkung der andern ſtickſtoffhaltigen Pflanzen-
ſtoffe betrifft, des Chinins, der Beſtandtheile des Opiums ꝛc. ꝛc.,
die ſich nicht in den Secretionsproceſſen, ſondern in anderen
Erſcheinungen äußert, ſo ſind die Phyſiologen und Patholo-
gen nicht zweifelhaft, daß ſie vorzugsweiſe auf die Nerven
und das Gehirn gerichtet iſt; ſie iſt, wie man gewöhnlich
ſagt, dynamiſcher Art, was ausdrücken will, daß ſie die Bewe-
gungserſcheinungen des Thierlebens entweder beſchleunigt oder
verlangſamt, oder in irgend einer Form ändert. Beachtet man
nun, daß die Wirkung materiellen, mit der Hand greifbaren
und wägbaren Stoffen angehört, daß ſie in dem Organis-
mus verſchwinden, daß eine doppelte Portion ſtärker wirkt,
wie eine einfache, daß nach einiger Zeit eine neue Doſis
gegeben werden muß, wenn man die Wirkung zum zweiten-
mal hervorbringen will, ſo läßt dies Verhalten, in chemi-
ſcher Beziehung, nur eine einzige Form von Erklärung, die
Vorſtellung nämlich zu, daß ſie durch ihre Elemente Theil
an der Bildung oder Umſetzung der Gehirn- und Nerven-
ſubſtanz nehmen.


[187]Umſetzung der Gebilde.

So ſonderbar nun auch der Gedanke auf den erſten
Blick zu ſein ſcheint, daß die Beſtandtheile des Opiums,
oder der Chinarinde, die Elemente des Codeins, Morphins,
Chinins ꝛc. in Beſtandtheile der Gehirn- und Nervenſub-
ſtanz, zu Trägern der Thätigkeit übergehen, von denen aus
die Bewegungen der Organe im Thierkörper vermittelt wer-
den, daß ſie zu einem Beſtandtheil der Subſtanz werden,
mit deren Hinwegnahme der Sitz des geiſtigen Lebens, des
Gefühls und des Bewußtſeins vernichtet wird, ſo bleibt
nicht minder gewiß, daß alle dieſe Fähigkeiten und Thätigkeiten
auf’s engſte mit der Exiſtenz und einer gewiſſen Beſchaffen-
heit der Gehirn-, Rückenmark- und Nervenſubſtanz im Zu-
ſammenhange ſtehen, in der Art, daß alle Aeußerungen des
Lebens dieſer Stoffe, die in der Erſcheinung ſich als Be-
wegung, Empfindung, Gefühl zu erkennen geben, eine an-
dere Form annehmen, ſo wie ihre Zuſammenſetzung ſich
ändert. Die Gehirn- und Nervenſubſtanz erzeugte der Or-
ganismus des Thieres aus Materien, die ihm von den
Pflanzen geliefert wurden; es ſind die Beſtandtheile ihrer
Nahrung, welche in Folge einer Reihe von Veränderungen
die Eigenſchaften und die Beſchaffenheit annehmen, die wir
an ihnen kennen.


90. Wenn nun als eine unbeſtreitbare Wahrheit angeſehen
werden muß, daß aus den Beſtandtheilen des Pflanzen-
Fibrins, -Caſeins, -Albumins allein, oder mit Zuhülfenahme
der Beſtandtheile der ſtickſtofffreien Nahrungsmittel, oder des
daraus gebildeten Fettes die Gehirn- und Nervenſubſtanz er-
[188]Der chemiſche Proceß der
zeugt wird, ſo hat die Meinung nichts Abſurdes, daß an-
dere Beſtandtheile der Vegetabilien, die in ihrer Zuſammen-
ſetzung zwiſchen beiden (den Fetten nämlich und den Pro-
teinverbindungen) ſtehen, daß dieſe in dem Organismus zu
gleichem Zwecke verwendet werden können.


91. Nach Fremy’s Unterſuchung iſt der Hauptbeſtand-
theil des Gehirnfettes die Natronverbindung von einer eigen-
thümlichen Säure, der Cerebrinſäure, welche in 100 Th.
enthält:


  • Kohlenſtoff . . . . . . . . . 66,7
  • Waſſerſtoff . . . . . . . . . 10,6
  • Stickſtoff . . . . . . . . . 2,3
  • Phosphor . . . . . . . . . 0,9
  • Sauerſtoff . . . . . . . . . 19,5

Wie man leicht bemerkt, weicht die Zuſammenſetzung
der Cerebrinſäure von der der fetten Körper und der ſtick-
ſtoffhaltigen Beſtandtheile des Blutes gänzlich ab; die Fette
ſind frei von Stickſtoff, die Proteinverbindungen enthalten
nahe an 17 pCt. Stickſtoff. Bis auf den Phosphor(ſäure?)-
gehalt kann die Zuſammenſetzung der Gehirnſubſtanz am nächſten
nur mit der Zuſammenſetzung der Choleinſäure verglichen
werden, obwohl beide mit einander nicht verwechſelt werden
können.


92. Die Gehirn- und Nervenſubſtanz ſind jedenfalls auf
eine ähnliche Weiſe entſtanden wie die Galle, entweder durch
Austreten einer ſtickſtoffreichen Materie aus den Beſtand-
theilen des Blutes, oder durch Zuſammentreten eines ſtick-
[189]Umſetzung der Gebilde.
ſtoffhaltigen Productes des Lebensproceſſes mit einem ſtick-
ſtofffreien (einem fetten!) Körper. Alles was in dem Vor-
hergehenden über die verſchiedene Art und Weiſe der Ent-
ſtehung der Galle geſagt worden iſt, alle Schlüſſe, zu de-
nen wir über die Mitwirkung ſtickſtoffhaltiger oder ſtickſtoff-
freier Nahrungsſtoffe gelangt ſind, laſſen ſich mit gleichem
Rechte oder mit gleicher Wahrſcheinlichkeit auf die Bildung
und Erzeugung der Gehirn- und Nervenſubſtanz anwenden.


Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß, wie
man auch die vitalen Vorgänge betrachten mag, die Ent-
ſtehung der Gehirnſubſtanz aus Blut eine Aenderung in
der Zuſammenſetzung und den Qualitäten der Blutbeſtand-
theile vorausſetzt; dieſe Aenderung findet eben ſo gewiß
ſtatt, als die Exiſtenz der Gehirnſubſtanz nicht geleugnet
werden kann. In dieſem Sinne muß angenommen werden,
daß aus einer Proteinverbindung ein erſtes, zweites, drittes ꝛc.
Product hervorgeht, ehe eine gewiſſe Anzahl ihrer Elemente
zu Beſtandtheilen der Gehirnſubſtanz werden können, und es
muß als vollkommen gewiß angeſehen werden, daß ein Pro-
duct des Lebensproceſſes einer Pflanze, dem Blute zugeführt,
die Rolle der erſten, zweiten, dritten Producte der Verän-
derung der Proteinverbindung übernehmen wird, wenn ihre
Zuſammenſetzung ſich zu dieſem Zwecke eignet. Es kann in
der That nicht als zufällig angeſehen werden, daß die Zuſam-
menſetzung der wirkſamſten Arzneiſtoffe, der organiſchen Baſen,
mit keinem Beſtandtheil des Thierkörpers außer mit der
Gehirnſubſtanz in Beziehung gebracht werden kann; alle ent-
[190]Der chemiſche Proceß der
halten eine gewiſſe Menge Stickſtoff; ſie ſtehen, in Beziehung
auf ihre Elemente, in der Mitte zwiſchen den Proteinver-
bindungen und den Fetten.


93. Im Gegenſatz zu ihrem chemiſchen Charakter finden
wir in der Gehirnſubſtanz die Eigenſchaft einer Säure; ſie ent-
hält eine weit größere Menge von Sauerſtoff wie die or-
ganiſchen Baſen. Wir beobachten, daß Chinin und Cinchonin,
Morphin und Codein, Strychnin und Brucin, die ſich in
ihrer Zuſammenſetzung ſo nahe ſtehen, wenn nicht eine gleiche
Wirkung äußern, doch darin ſich näher ſtehen, als
den anderen, welche größere Unterſchiede in ihrer Zuſam-
menſetzung zeigen. Wir finden, daß mit ihrem Sauerſtoff-
gehalte (wie beim Narcotin) ihre energiſche Wirkung ab-
nimmt, daß im ſtrengſten Sinne keine durch die andere voll-
kommen erſetzt werden kann. Es giebt aber keinen entſchei-
denderen Beweis für die Art und Weiſe ihrer Wirkung, als
das letztere Verhalten, ſie muß in der engſten Beziehung zu
ihrer Zuſammenſetzung ſtehen. Wenn dieſe Stoffe in der That
eine Rolle in Beziehung auf die Bildung oder Aenderung
der Qualitäten der Gehirn- und Nervenſubſtanz ausüben,
ſo erklären ſich ihre Wirkungen auf den geſunden ſo wie
auf den kranken Organismus auf eine überraſchend einfache
Weiſe, und wenn man nicht verſucht iſt zu leugnen, daß der
Hauptbeſtandtheil der Fleiſchbrühe in dem Körper des Men-
ſchen oder der organiſche Beſtandtheil der Knochen in dem
Leibe eines Hundes, obwohl ſie zur Blutbildung ſchlechter-
dings nicht geeignet ſind, daß alſo Stickſtoffverbindungen,
[191]Umſetzung der Gebilde.
welche den Proteinverbindungen durchaus unähnlich ſind, eine
ihrer Zuſammenſetzung entſprechende Verwendung finden,
ſo werden wir daraus ſchließen dürfen, daß ein anderes,
dem Protein ebenfalls unähnliches, aber einem Beſtandtheil
des Thierkörpers ähnliches Product des Pflanzenlebens in
dem Organismus des Thieres eine ähnliche Verwendung
findet, wie das Product, welches durch die vitale Thätig-
keit ſeiner Organe urſprünglich ebenfalls aus einer Pflanzen-
ſubſtanz erzeugt worden iſt.


Die Zeit iſt noch nicht lange vorübergegangen, wo man
über die Urſache der verſchiedenartigen Wirkungen des Opiums
nicht die allergeringſte Vorſtellung hatte, wo die Wirkung
der Chinarinde in ein unbegreifliches Dunkel gehüllt ſchien.
Jetzt, wo man weiß, daß ſie kriſtalliſirbaren, chemiſchen Ver-
bindungen angehört, welche in ihrer Zuſammenſetzung ebenſo
verſchieden ſind, wie ſie in ihrer Wirkung auf den Organis-
mus von einander abweichen, jetzt alſo, wo man die Stoffe
kennt, denen die arzneiliche oder giftige Wirkung zukommt,
kann nur der Unverſtand ihren Antheil an dem Lebenspro-
ceß für unerforſchbar halten; ſie deshalb, wie Manche ge-
than haben, für unerforſchbar erklären, weil ſie in kleinen
Gaben wirken, iſt eben ſo ungereimt, wie wenn man die
Schärfe eines Raſirmeſſers beurtheilen wollte nach ſeinem
Gewichte.


94. Es wäre völlig zwecklos, dieſen Schlüſſen eine
größere Ausdehnung zu geben, ſie verdienen, ſo hypothe-
tiſch ſie ſich auch darſtellen mögen, nur in ſo fern Beachtung,
[192]Der chemiſche Proceß der
als ſie den Weg andeuten, den die Chemie verfolgt,
oder den ſie nicht verlaſſen darf, wenn ſie in der That der
Phyſiologie und Pathologie Dienſte leiſten ſoll. Die Com-
binationen des Chemikers beziehen ſich ſtets auf den Stoff-
wechſel vorwärts und rückwärts, auf den Uebergang der Nah-
rung in die mannigfaltigen Gebilde und Secrete und ihrer Um-
ſetzung in lebloſe Verbindungen; ſeine Unterſuchungen ſollen
zeigen, was im Körper vor ſich gegangen iſt, und was vor
ſich gehen kann. Sonderbarer Weiſe ſehen wir die Arznei-
wirkungen alle abhängig von gewiſſen Stoffen, die ſich in
ihrer Zuſammenſetzung nicht ähnlich ſind, und wenn durch
die Hinzuführung eines Stoffes gewiſſe abnormale Zuſtände
zu normalen werden, ſo wird man die Anſicht nicht zurück-
weiſen können, daß dieſe Erſcheinung in einer Aenderung
der Zuſammenſetzung der Beſtandtheile des kranken Orga-
nismus beruht, an welcher die Elemente des Arzneimittels
einen beſtimmten Antheil haben, einen ähnlichen Antheil, wie der
iſt, den die Beſtandtheile der Pflanzen an der Bildung des Fettes
und der Membranen, des Speichels, der ſpermatiſchen Ma-
terie ꝛc. genommen haben; ihr Kohlenſtoff, ihr Waſſerſtoff,
Stickſtoff, oder was ſonſt zu ihrer Zuſammenſetzung ge-
hört, ſie ſtammen ja von dem Organismus der Pflanze ab;
die Wirkungen des Chinins, des Morphins, der vegetabi-
liſchen Gifte ſind zuletzt keine Hypotheſen.


95. Aehnlich alſo wie man in gewiſſem Sinne von Caffein,
Thein, Asparagin, ſo wie von den ſtickſtofffreien Nahrungs-
ſtoffen ſagen kann, daß ſie Nahrungsſtoffe für die Leber ſind,
[193]Umſetzung der Gebilde.
indem ſie die Elemente enthalten, durch deren Gegen-
wart dieſes Organ befähigt wird, ſeinen Functionen vor-
zuſtehen, laſſen ſich die ſtickſtoffhaltigen, durch ihre Wir-
kung auf das Gehirn und die Subſtanz der Bewegungsap-
parate ſo merkwürdigen Arzneiſtoffe als Nahrungsſtoffe für
die unbekannten Organe betrachten, welche zur Metamor-
phoſe der Blutbeſtandtheile in Gehirn- und Nervenſubſtanz
beſtimmt ſind, Organe, die in dem Thierkörper nicht fehlen
können, und wenn im Zuſtande der Krankheit ein abnormaler
Proceß der Bildung oder Umſetzung der Beſtandtheile der
Nerven- und Gehirnſubſtanz ſich eingeſtellt hat, wenn in den
dazu beſtimmten Organen die Fähigkeit vermindert iſt, aus den
Blutbeſtandtheilen Nerven- und Gehirnſubſtanz zu erzeugen,
oder einer abnormalen Umſetzung Widerſtand zu leiſten, ſo
ſteht der Anſicht in chemiſcher Beziehung kein Hinderniß ent-
gegen, daß Materien von einer der Gehirn- und Nerven-
ſubſtanz ähnlichen Zuſammenſetzung, die ſich für die Bildung
derſelben eignen, ſtatt der aus dem Blute erzeugten zum
Widerſtand oder zur Herſtellung des normalen Zuſtandes ver-
wendet werden können. Beide ſind Producte des Lebenspro-
ceſſes; die Blutbeſtandtheile ſowohl, wie die Körper, welche
wir Arzneimittel nennen, ſtammen von den Pflanzen, nur
in ihrer Form zeigen ſie Verſchiedenheiten.


96. Einige Phyſiologen und Chemiker haben die Eigen-
thümlichkeit der Cerebrinſäure, welche ihrem Kohlenſtoff- und
Waſſerſtoffgehalte und ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften nach
einer ſtickſtoffhaltigen fetten Säure gleicht, in Zweifel ge-
13
[194]Der chemiſche Proceß der
zogen; ein ſtickſtoffhaltiges Fett, was einen ſauren Charak-
ter beſitzt, iſt aber in der That keine Anomalie. Die Hip-
purſäure iſt in manchen ihrer Eigenſchaften den fetten Säu-
ren ſehr ähnlich, ſie iſt aber durch ihren Stickſtoffgehalt
weſentlich davon unterſchieden; die organiſchen Beſtandtheile
der Galle, ſie gleichen in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften den
ſauren Harzen und ſind ebenfalls ſtickſtoffhaltig; die organiſchen
Baſen ſtehen in ihren phyſikaliſchen Eigenſchaften zwiſchen
den fetten Körpern und den Harzen, alle ſind ſtickſtoffhaltig;
eine ſtickſtoffhaltige fette Säure iſt eben ſo wenig unwahrſchein-
lich, wie die Exiſtenz eines ſtickſtoffhaltigen Harzes, was die
Eigenſchaften einer Salzbaſe beſitzt.


97. Ein genaues Studium möchte wahrſcheinlich in der
Subſtanz des Gehirns, des Rückenmarks und der Nerven Ver-
ſchiedenheiten darthun. Nach den Beobachtungen von Va-
lentin
ändert ſich die Beſchaffenheit der Gehirn- und Ner-
venſubſtanz von dem Tode an, mit großer Schnelligkeit, und
ganz beſondere Sorgfalt müßte auf die Sonderung fremder,
der Mark- und Gehirnſubſtanz nicht angehörender Materien
zu verwenden ſein. So groß nun auch die Schwierigkeiten
ſich darſtellen mögen, ſo ſcheint die Unterſuchung dennoch
ausführbar. Vorläufig wiſſen wir, daß gegen einen großen
Kohlenſtoff- und Waſſerſtoffgehalt in der Gehirnſubſtanz alle
Erfahrungen ſprechen; die Abweſenheit von Stickſtoff als
Beſtandtheil der Nerven- und Gehirnſubſtanz erſcheint jeden-
falls unwahrſcheinlich. Sie darf ferner nicht zu den Fetten
gerechnet werden, denn wir finden ſie mit Natron vereinigt;
[195]Umſetzung der Gebilde.
alle Fette ſind aber Glycerylverbindungen. Was den Phos-
phorgehalt der Gehirnſubſtanz betrifft, ſo haben wir über
den Zuſtand, in welchem der Phosphor darin enthalten iſt,
nur Vermuthungen. Walchner beobachtete vor Kurzem,
daß ſich aus einem Brunnentroge in Carlsruhe, auf deſſen
Boden Fiſche faulten, ſelbſtentzündliches Phosphorwaſſerſtoff-
gas in Blaſen entwickelte, und auch in der Fäulniß der
Gehirnſubſtanz ſind phosphorreiche Gaſe beobachtet worden *).



[[196]][[197]]

Dritter Theil.
Die
Bewegungserſcheinungen
im
Thierorganismus.


[[198]][[199]]

I.


Die zahlloſen Bilder, welche ſich der menſchliche Geiſt über
die Natur und das Weſen der eigenthümlichen Urſache ge-
ſchaffen hat, welche als der letzte Grund der Erſcheinungen
angeſehen werden muß, die das Thier- und Pflanzenleben
characteriſiren, mit einem neuen zu vermehren, dürfte nicht
der Beachtung werth gehalten werden, wenn ſich nicht aus
den Vorſtellungen über dieſe Urſache, welche im Eingang
zum erſten Theil dieſer Schrift entwickelt worden ſind, ge-
wiſſe Begriffe als nothwendige Folgerungen ergäben, deren
nähere Erörterung in dem Folgenden verſucht werden ſoll.


Von vorne herein muß zugegeben werden, daß alle dieſe
Folgerungen ihre Bedeutung verlieren, wenn der Beweis
geführt werden kann, daß die Urſache der Lebensthätigkeit
mit anderen bekannten Urſachen, welche Bewegung oder Form-
und Beſchaffenheitsänderungen der Materie bewirken, in ih-
ren Aeußerungen nichts gemein hat.


Eine Vergleichung ihrer Eigenthümlichkeiten mit der
Wirkungsweiſe dieſer anderen Urſachen, kann übrigens ſchon
deshalb keinen Nachtheil bringen, weil die Natur und das
Weſen einer Naturerſcheinung nicht durch Abſtraction, ſon-
[200]Die Bewegungserſcheinungen
dern nur durch vergleichende Beobachtungen erkennbar ſind.


Wenn die Lebenserſcheinungen nämlich als Aeußerungen
einer eigenthümlichen Kraft angeſehen werden, ſo müſſen die
Wirkungen dieſer Kraft an gewiſſe erforſchbare Geſetze ge-
bunden ſein, die mit den allgemeinſten Geſetzen des Wider-
ſtandes und der Bewegung im Einklange ſind, welche die
Weltkörper und Weltkörperſyſteme in ihren Bahnen erhalten,
wodurch Form- und Beſchaffenheitsänderungen in den Kör-
pern bedingt werden, ganz abgeſehen von dem Stoff, wel-
cher als Träger der Lebenskraft ſich darſtellt, oder der Form,
in der ſich die Lebenskraft äußert.


Die Lebenskraft giebt ſich in einem belebten Körpertheil
als eine Urſache der Zunahme an Maſſe, ſowie des Wider-
ſtandes gegen äußere Thätigkeiten zu erkennen, welche die
Form, Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung der Elementar-
theilchen ihres Trägers zu ändern ſtreben.


Als eine Kraft der Bewegung, Form- und Beſchaffen-
heitsänderung der Materie zeigt ſie ſich durch Störung und
Aufhebung des Zuſtandes der Ruhe, in dem ſich die chemi-
ſchen Kräfte befinden, durch welche die Beſtandtheile der ih-
ren Trägern zugeführten Verbindungen, die wir als Nah-
rungsſtoffe kennen, zuſammengehalten werden.


Die Lebenskraft bewirkt eine Zerſetzung dieſer Nahrungs-
ſtoffe, ſie hebt die Kraft der Anziehung auf, die zwiſchen
ihren kleinſten Theilchen unausgeſetzt thätig iſt, ſie ändert
die Richtung der chemiſchen Kräfte in der Art, daß die Ele-
mente der Nahrungsſtoffe ſich in einer andern Weiſe ordnen,
[201]im Thierorganismus.
daß ſie zu neuen, den Trägern der Lebenskraft gleichen oder
unähnlichen Verbindungen zuſammentreten; ſie ändert die
Richtung und Stärke der Cohäſionskraft, ſie hebt den Cohä-
ſionszuſtand der Nahrungsmittel auf und zwingt die neuen
Verbindungen, zu Formen zuſammenzutreten, welche keine
Aehnlichkeit mit den Formen haben, welche durch die frei
(ohne Widerſtand) wirkende Cohäſionskraft gebildet werden.


Die Lebenskraft äußert ſich als eine Kraft der Anzie-
hung, inſofern die durch die Form- und Beſchaffenheitsände-
rung des Nahrungsſtoffes neu gebildete Verbindung, bei
gleicher Zuſammenſetzung mit ihrem Träger, zu einem Be-
ſtandtheil dieſes Trägers wird.


Die dem Träger der Lebenskraft unähnlichen, neuerzeugten
Verbindungen treten aus dem Körpertheile aus, ſie erlei-
den in der Form gewiſſer Secretionen, anderen Körperthei-
len zugeführt, bei ihrer Berührung damit, eine Reihe ähn-
licher Veränderungen.


Als Widerſtand giebt ſich die Lebenskraft in belebten
Körpertheilen zu erkennen, inſofern durch ſie, durch ihr Vor-
handenſein in ihren Trägern, die Elemente derſelben das
Vermögen erlangen, Störungen und Aenderungen in ihrer
Form und Zuſammenſetzung durch äußere Thätigkeiten zu
widerſtehen, eine Fähigkeit, die ſie für ſich als chemiſche
Verbindungen nicht beſitzen.


Wie bei anderen Kräften umfaßt der Begriff einer un-
gleichen Intenſität der Lebenskraft in einem belebten Körper-
theil nicht nur die ungleiche Fähigkeit der Zunahme an
[202]Die Bewegungserſcheinungen
Maſſe und der Ueberwindung von (chemiſchen) Widerſtän-
den, ſondern man bezeichnet damit auch gradezu die Ver-
ſchiedenheit in der Größe des Widerſtandes ſelbſt, den die
Theile oder Beſtandtheile eines belebten Körpertheils einer
Aenderung in der Form und Zuſammenſetzung durch neue
äußere einwirkende Urſachen entgegenſetzen; ganz ähnlich
wie die Stärke der Cohäſionskraft oder der Affinität in
gradem Verhältniß ſteht zu dem Widerſtande, den dieſe
Kräfte einer äußern mechaniſchen oder chemiſchen Urſache
entgegenſetzen, welche die Theile einer Verbindung von ein-
ander zu trennen ſtrebt.


Die Aeußerungen der Lebenskraft ſind abhängig von ei-
ner gewiſſen Form ihrer Träger und einer beſtimmten Zu-
ſammenſetzung der Subſtanz des lebendigen Körpertheils.


Die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe in einem belebten
Körpertheil wird bedingt durch die unmittelbare Berührung
mit Stoffen, die ſich zu einer Zerſetzung eignen, oder deren
Elementartheile zu Beſtandtheilen des Trägers der Lebens-
thätigkeit übergehen können.


Die Aeußerung der Zunahme ſetzt voraus, daß die ein-
wirkende Lebenskraft mächtiger iſt, als der Widerſtand, den
die chemiſche Kraft einer Zerſetzung oder Umſetzung der Ele-
mentartheile der Nahrungsſtoffe ihr entgegenſetzt.


Die Aeußerungen der Lebenskraft ſind abhängig von ei-
ner gewiſſen Temperatur; weder in einer Pflanze, noch in
einem Thiere zeigen ſich Lebenserſcheinungen, wenn die Tem-
peratur in gewiſſen Verhältniſſen abnimmt.


[203]im Thierorganismus.

Die Lebenserſcheinungen eines belebten Organismus neh-
men an Stärke und Intenſität durch Wärmeentziehung ab,
wenn die Temperatur, welche er beſitzt, nicht durch andere
Urſachen wieder erneuert wird.


Entziehung von Nahrungsſtoff ſetzt allen Lebensäußerun-
gen eine beſtimmte Grenze.


Der Contact der belebten Körpertheile mit Nahrungs-
ſtoff wird in dem Thierorganismus bedingt durch eine me-
chaniſche Kraft, welche in ihm ſelbſt erzeugt wird und ge-
wiſſen Organen die Fähigkeit giebt, Ortsveränderungen zu
bewirken, eine mechaniſche Bewegung hervorzubringen, me-
chaniſche Widerſtände aufzuheben.


Man kann einem ruhenden Körper eine gewiſſe Bewe-
gung ertheilen durch eine Menge in ihren Aeußerungen
höchſt verſchiedener Kräfte; wir ſetzen ein Uhrwerk in Be-
wegung durch ein fallendes Gewicht (durch die Schwere),
durch eine geſpannte Feder (durch Elaſticität). Wir bringen
jede Art von Bewegungen hervor durch die elektriſche oder
magnetiſche Kraft, ſowie durch die chemiſchen Kräfte, ohne
daß wir im Stande ſind zu ſagen, wenn wir die Aeußerung
dieſer Thätigkeiten nur in ihrer Erſcheinung ins Auge faſ-
ſen, durch welche von dieſen verſchiedenen Urſachen des
Ortswechſels der ruhende Körper die Bewegung oder Ge-
ſchwindigkeit empfangen hat.


In dem Organismus des Thieres kennen wir nur eine
Quelle der bewegenden Kraft, und dieſe Quelle iſt die näm-
liche Urſache, welche die Zunahme belebter Körpertheile an
[204]Die Bewegungserſcheinungen
Maſſe bedingt, welche ihnen das Vermögen giebt, äußeren
Actionen Widerſtand zu leiſten, es iſt die Lebenskraft.


Um zu einer klaren Einſicht dieſer in ihrer Form ſo
verſchiedenen Aeußerungen der Lebenskraft zu gelangen, muß
man ſich erinnern, daß eine jede Kraft ſich in einer Materie
durch zwei für die Beobachtung durchaus verſchiedene Zu-
ſtände der Thätigkeit zu erkennen giebt.


Die in den Theilchen eines Steins vorhandene Kraft der
Schwere ertheilt ihnen ein unausgeſetztes Streben, ſich nach
dem Mittelpunkte der Erde hinzubewegen.


Für die Wahrnehmung verſchwindet dieſe Thätigkeit,
wenn der Stein z. B. auf einem Tiſche liegt, deſſen Theile
der Aeußerung ſeiner Schwere einen Widerſtand entgegenſe-
tzen. Die auf ihn wirkende Kraft iſt ſtets vorhanden, ſie
äußert ſich als Druck auf die Unterlage, allein er bleibt
auf ſeinem Platze, er beſitzt keine Bewegung. Mit Gewicht
bezeichnen wir die Aeußerung ſeiner Schwere im Zuſtande
der Ruhe.


Was den Stein am Fallen hindert, iſt ein Widerſtand,
welcher bewirkt wird durch eine Kraft der Anziehung, mit
welcher die Theilchen des Holzes zuſammenhängen; eine
Waſſermaſſe würde ihn am Fallen nicht gehindert haben.


Wenn die Kraft, welche die Theilchen des Steins nach
dem Mittelpunkte der Erde hintreibt, größer wäre als die
Kraft, womit die Holztheilchen zuſammenhängen, ſo würde
die Cohäſionskraft überwunden werden, ſie würde den Stein
am Fallen nicht hindern können.


[205]im Thierorganismus.

Nehmen wir den Tiſch und damit die Kraft hinweg,
welche die Aeußerung der Schwere aufgehoben hatte, ſo
zeigt ſich die letztere als die Urſache der Ortsveränderung
des Steins, er kommt in Bewegung, d. h. er fällt: Wider-
ſtand iſt ſtets eine Kraft.


Je nachdem wir ihn kürzere oder längere Zeit fallen
laſſen, erlangt er Fähigkeiten, die er im ruhenden Zuſtande
nicht beſaß, er erhält nämlich das Vermögen, ſchwächere
oder ſtärkere Widerſtände (Kräfte) aufzuheben, oder ruhenden
Körpern Bewegung mitzutheilen.


Von einer gewiſſen Höhe herabfallend macht er einen
bleibenden Eindruck an dem Orte, den er berührt, von einer
noch größern Höhe (längere Zeit) fallend, macht er ein
Loch in die Tiſchplatte; ſeine eigene Bewegung theilt ſich
einer gewiſſen Anzahl Holztheilchen mit, die nun mit dem
Steine ſelbſt fallen. Keine dieſer Eigenſchaften beſaß der
ruhende Stein.


Die erlangte Geſchwindigkeit iſt ſtets die Wirkung der
bewegenden Kraft. Sie iſt unter ſonſt gleichen Umſtänden
dem Druck proportional.


Ein frei fallender Körper gewinnt nach einer Sekunde
eine Geſchwindigkeit von 30 Fuß. Derſelbe Körper auf
dem Monde fallend, würde in einer Sekunde nur eine Ge-
ſchwindigkeit von 30/3600 = 0,1 Zoll gewinnen, weil dort die
Intenſität der Schwere (der Druck, welcher auf den Körper
wirkt, die bewegende Kraft) 3600 mal kleiner iſt.


Wenn der Druck gleichförmig fortwirkt, ſo ſteht die Ge-
[206]Die Bewegungserſcheinungen
ſchwindigkeit genau im Verhältniß zum Druck, dergeſtalt, daß
z. B. der 3600mal langſamer fallende Körper nach 3600 Se-
kunden dieſelbe Geſchwindigkeit annimmt, wie der andere
nach einer Sekunde.


Die Wirkung iſt folglich nicht der bewegenden Kraft allein,
noch der Zeit allein, ſondern dem Druck, multiplicirt mit der
Zeit = Kraftmoment, proportional.


In zwei gleichen Körpermaſſen bezeichnet die Geſchwin-
digkeit das Kraftmoment. Unter dem Einfluß deſſelben Drucks
bewegt ſich aber ein Körper um ſo langſamer, je größer ſeine
Maſſe; die doppelte Maſſe braucht, um in gleicher Zeit eine
gleiche Geſchwindigkeit zu erlangen, einen doppelten Druck,
oder ſie muß unter dem einfachen Drucke eine doppelt ſo
lange Zeit in Bewegung bleiben.


Um einen Ausdruck für die ganze eingetretene Wirkung
zu haben, muß man daher, die Maſſe mit ihrer Geſchwindig-
keit multipliciren.


Dieſes Product heißt Bewegungsgröße.


Die Größe der Bewegung eines Körpers muß in allen
Fällen dem Kraftmoment genau entſprechen.


Größe der Bewegung und Kraftmoment wird auch ſchlecht-
weg mit Kraft bezeichnet, weil man ſich vorſtellt, daß ein
kleiner Druck, der z. B. 10 Sekunden gewirkt hat, ebenſoviel
werth iſt, als ein zehnmal größerer Druck, der nur eine
Sekunde thätig war.


Bewegungsmoment heißt in der Mechanik die Wir-
kung einer Kraft ohne Rückſicht auf die Zeit (Geſchwindig-
[207]im Thierorganismus.
keit), in welcher ſie zur Aeußerung kam. — Wenn ein Mann
z. B. dreißig Pfunde 100 Fuß hoch hebt, ein zweiter dreißig
Pfund auf 200 Fuß Höhe, ſo hat der zweite doppelt ſo viel
Kraft wie der erſte verwendet; ein dritter welcher 60 Pfund
auf 50 Fuß Höhe gehoben hat, verbraucht dazu nicht mehr
Kraft wie der erſte, um 30 Pfund 100 Fuß hoch zu heben.
Die Bewegungsmomente des erſten (30 × 100) und des
dritten (60 × 50) ſind ſich gleich, das Bewegungsmoment
des zweiten (30 × 200) iſt doppelt ſo groß.


Kraftmomente und Bewegungsmomente ſind
demnach in der Mechanik Ausdrücke oder Maßſtäbe für
Kraftwirkungen, die ſich auf eine in gegebener Zeit erlangte
Geſchwindigkeit oder auf einen gegebenen Raum beziehen; in
dieſem Sinne laſſen ſie ſich auf die Wirkungen aller anderen
Urſachen der Bewegung, Form- und Beſchaffenheitsverände-
rung übertragen, wie groß oder wie klein auch der Raum
oder die Zeit ſein mag, in der ſich ihre Wirkung für die
Sinne offenbart.


Eine jede Kraft äußert ſich demnach in der Materie als
Widerſtand gegen äußere Urſachen der Orts- (Form- und
Beſchaffenheits-) Veränderung; als Bewegung-erzeugende
Kraft zeigt ſie ſich, wenn ihr keine Widerſtände entgegenſte-
hen oder in der Ueberwindung von Widerſtänden.


Eine und dieſelbe Kraft wirkt Bewegung mittheilend
und Bewegungen vernichtend; in dem einen Falle, wenn
ihrer Thätigkeitsäußerung keine Widerſtände entgegenſte-
hen; in dem andern, wenn ſie ſelbſt die Aeußerung einer
[208]Die Bewegungserſcheinungen
andern Urſache der Bewegung (Form- und Beſchaffenheits-
Aenderung) aufhebt. Gleichgewicht (oder Ruhe) heißt der
Zuſtand der Thätigkeit, wo ein Kraft- oder Bewegungs-
moment, durch ein entgegengeſetztes Kraft- oder Bewe-
gungsmoment aufgehoben iſt.


Beide Thätigkeitsäußerungen beobachten wir an der
Kraft, welche den belebten Körpertheilen ihre eigenthümlichen
Eigenſchaften giebt.


Durch Aufhebung der zwiſchen den Beſtandtheilen der
Nahrungsſtoffe wirkenden chemiſchen Kräfte (der Cohäſion
und Affinität), durch Aenderung der Lage oder des Ortes,
in welchem ſich ihre Elementartheilchen befinden, giebt ſich
die Lebenskraft als bewegende Kraft zu erkennen; ſie äußert
ſich als Bewegung erzeugende Kraft durch Ueberwindung
der chemiſchen Anziehung der Beſtandtheile der Nahrungs-
ſtoffe und als die Urſache, die ſie zwingt, ſich in einer neuen
Ordnung mit einander zu vereinigen.


Es iſt klar, daß einem belebten Körpertheil, welcher alſo
die Fähigkeit beſitzt, Widerſtände aufzuheben und den Elementar-
theilchen der Nahrungsſtoffe eine Bewegung mitzutheilen durch
die in ihm frei ſich äußernde Lebenskraft, ein Bewegungsmoment
zukommen muß, was ja nichts anderes iſt, als das Maß der
eingetretenen Bewegung, Form- und Beſchaffenheits-Aenderung.


Wir wiſſen, daß dieſes Bewegungsmoment der Lebens-
kraft in einem belebten Körpertheil verwendbar iſt, um ruhen-
den Materien Bewegung zu ertheilen (Zerſetzung zu be-
wirken, Widerſtände aufzuheben), und wenn die Lebenskraft
[209]im Thierorganismus.
in ihren Aeußerungen ſich ähnlich verhält wie andere Kräfte,
ſo muß dieſes Bewegungsmoment mitgetheilt oder fortgepflanzt
werden können durch Materien, die in ſich ſelbſt durch eine
entgegenwirkende Thätigkeit ſeine freie Aeußerung nicht aufheben.


Die durch irgend eine Urſache gewonnene Bewegung
eines Stoffes oder einer Materie kann in ſich ſelbſt nicht
vernichtet werden, ſie kann zwar für die Wahrnehmung
verſchwinden, allein auch aufgehoben durch Widerſtände
(durch entgegengeſetzte Kraftwirkungen) wird ihr Effect
nicht vernichtet. Der fallende Stein übt durch ſeine im
Fallen gewonnene Bewegungsgröße, auf dem Tiſche an-
gelangt, eine Wirkung aus; der hervorgebrachte Eindruck
auf das Holz, die Geſchwindigkeit, welche von der ſeinigen
ſich auf die Holztheile überträgt, iſt ſein Effect.


Uebertragen wir die Begriffe von Bewegung, Gleichgewicht
und Widerſtand auf die chemiſchen Kräfte, die in ihrer Wir-
kungsweiſe der Lebenskraft unendlich näher ſtehen, als die
Schwere, ſo wiſſen wir mit der größten Beſtimmtheit, daß
ſie nur bei unmittelbarer Berührung ſich thätig zeigen; wir
wiſſen, daß die ungleiche Fähigkeit chemiſcher Verbindungen,
Widerſtand gegen äußere Störungen zu leiſten, gegen die
Einwirkung der Wärme, der elektriſchen Kraft, die ihre Theil-
chen zu trennen ſtreben, ſo wie ihr Vermögen Widerſtände
in anderen Verbindungen aufzuheben (Zerſetzung zu bewirken),
daß mit einem Worte die in einer Verbindung thätige Kraft,
abhängig iſt von einer gewiſſen Ordnung, in welcher ſich ihre
Elementartheilchen berühren.


14
[210]Die Bewegungserſcheinungen

Die nämlichen Elemente in einer andern Ordnung mit
einander vereinigt, äußern mit anderen Verbindungen in Be-
rührung eine höchſt ungleiche Fähigkeit Widerſtand zu leiſten
oder Widerſtände aufzuheben, in der einen Form iſt die zur
Aeußerung gelangte Kraft verwendbar (der Körper iſt activ,
eine Säure z. B.), in der andern nicht (er iſt indifferent),
in einer dritten Form iſt ſein Kraftmoment der erſten ent-
gegengeſetzt (er iſt activ, aber eine Baſis).


Aendern wir die Ordnung der Elemente, ſo ſind wir
im Stande, die Beſtandtheile einer Verbindung durch einen
andern activen Körper zu trennen, die, in einer andern Form
vereinigt, ſeiner Action einen unüberwindlichen Widerſtand
entgegenſetzten.


Aehnlich wie zwei gleiche unelaſtiſche Maſſen von gleicher
Geſchwindigkeit, die aus entgegengeſetzter Richtung getrieben,
mit einander in Berührung kommend, zur Ruhe gelangen, ähnlich
alſo wie zwei gleiche aber entgegengeſetzte Bewegungsmomente
ſich gegenſeitig aufheben, kann das Kraftmoment einer chemiſchen
Verbindung, durch ein gleiches aber entgegengeſetztes Kraft-
moment einer zweiten Verbindung ganz oder zum Theil auf-
gehoben, allein es kann nicht vernichtet werden, ſo lange
die Ordnung nicht geſtört wird, durch welche die in ihnen
wohnende Kraft zur Aeußerung gelangt iſt.


Die chemiſche Kraft der Schwefelſäure iſt im Gyps eben
ſo ungeſchwächt vorhanden, als im Vitriolöl, aber für die
Wahrnehmung iſt ſie verſchwunden; nehmen wir die Urſache
hinweg, die ihre Aeußerung auf andere Materien aufhob,
[211]im Thierorganismus.
ſo zeigt ſie ſich in ihrem Träger mit ihrer ganzen Stärke.


So kann die Cohäſionskraft eines feſten Körpers durch
eine chemiſche Kraft (in der Auflöſung), durch Wärme (beim
Schmelzen), für die Beobachtung völlig verſchwinden, ohne
daß ſie nur entfernt geſchwächt oder vernichtet wäre. Ent-
fernen wir die ihr entgegenwirkende Kraftäußerung (den
Widerſtand), ſo zeigt ſie ſich in der Kryſtalliſation unver-
ändert.


Durch die elektriſche Kraft, durch die Wärme, ſind wir
im Stande, der chemiſchen Kraft in ihren Aeußerungen die
mannigfaltigſten Richtungen zu geben; wir ſtellen damit
die Ordnung feſt, in welcher ſich die Elementartheilchen ver-
einigen ſollen. Nehmen wir die Urſache hinweg (Wärme,
elektriſche Kraft), die ihrer ſchwächeren Anziehung nach der
einen Richtung hin das Uebergewicht gab, ſo wird die ſtär-
kere Anziehung nach einer andern Richtung hin ſich unaus-
geſetzt thätig zeigen, und wenn dieſe ſtärkere Anziehung
das Beharrungsvermögen der Elementartheilchen über-
winden kann, ſo werden ſich die Elementartheile in einer
neuen Form mit einander vereinigen, das iſt, es wird eine
neue Verbindung von veränderten Eigenſchaften gebildet
werden müſſen.


In Verbindungen dieſer Art, in welchen alſo die freie
Aeußerung der chemiſchen Kraft, durch andere Kräfte ge-
hindert wurde, kann ein Stoß, eine mechaniſche Reibung,
die Berührung mit einer Materie, deren Elementartheile
ſich im Zuſtande der Bewegung (Umſetzung, Zerſetzung) be-
14*
[212]Die Bewegungserſcheinungen
finden, irgend eine Urſache von Außen, deren Thätigkeit
ſich der ſtärkeren Anziehung der Elementartheilchen nach einer
andern Richtung hinzufügt, hinreichen, um dieſer ſtärkeren
Anziehung das Uebergewicht zu geben, das Beharrungs-
vermögen zu überwinden, ihre Form und Beſchaffenheit,
welche ſie der Mitwirkung fremder Urſachen verdanken, zu
ändern, ein Zerfallen der Verbindung in eine oder meh-
rere neue Körper von veränderten Eigenſchaften zu be-
wirken.


Umſetzungen, oder wenn man will, Bewegungserſchei-
nungen, können in Verbindungen dieſer Claſſe, bewirkt
werden durch die in einer andern chemiſchen Verbindung frei
und verwendbar wirkende chemiſche Kraft, und zwar ohne daß
ihre Aeußerung durch Widerſtände erſchöpft oder aufgehoben
wird. So wird das Gleichgewicht in der Anziehung der
Elemente des Rohrzuckers, durch Berührung mit einer ſehr
kleinen Menge Schwefelſäure aufgehoben; er verwandelt ſich
in Traubenzucker; ganz ähnlich ſehen wir die Elemente des
Amylons ſich mit den Elementen des Waſſers zu einer neuen
Form ordnen, ohne daß die Schwefelſäure, welche gedient
hatte, um dieſe Umſetzung zu bewirken, ihren chemiſchen
Charakter verliert, ſie bleibt in Bezug auf andere Ma-
terien, auf die ſie eine Wirkung äußert, ebenſo activ als
wie vorher, grade ſo, als wenn ſie keine Art von Wirkung
auf das Amylon ausgeübt hätte.


Ganz verſchieden von der Aeußerung der ſogenannten
mechaniſchen Kräfte haben wir in den chemiſchen Kräften
[213]im Thierorganismus.
Urſachen von Bewegungserſcheinungen, von Form- und Be-
ſchaffenheitsänderungen, ohne wahrnehmbare Erſchöpfung der
Kraft, wodurch ſie hervorgerufen werden, erkannt; allein
der Grund der fortdauernden Thätigkeitsäußerung bleibt
ſtets derſelbe, es iſt der Mangel einer entgegengeſetzten Thätig-
keit (eines Widerſtandes), der ſie aufzuheben oder ins Gleich-
gewicht zu ſetzen fähig iſt.


Aehnlich wie die Aeußerungen der chemiſchen Kräfte (das
Kraftmoment einer chemiſchen Verbindung) abhängig erſcheinen
von einer beſtimmten Ordnung, in der ſich ihre Elementar-
theilchen berühren, zeigt die Erfahrung, daß die Lebenser-
ſcheinungen unzertrennlich von der Materie ſind, daß die
Aeußerungen der Lebenskraft in einem belebten Körpertheil
bedingt werden durch eine gewiſſe Form des Trägers und
durch eine gewiſſe Ordnungsweiſe ſeiner Elementartheilchen;
heben wir die Form oder Zuſammenſetzung des Organs auf,
ſo verſchwinden alle Lebensäußerungen.


Nichts hindert uns, die Lebenskraft als eine beſondere
Eigenſchaft zu betrachten, die gewiſſen Materien zukommt,
und wahrnehmbar wird, wenn ihre Elementartheilchen zu
einer gewiſſen Form zuſammengetreten ſind.


Dieſe Vorſtellung nimmt den Lebenserſcheinungen nichts
von ihrer wunderbaren Eigenthümlichkeit, man kann ſie als
einen Anhaltspunkt betrachten, von dem aus ſich eine Un-
terſuchung derſelben, ſowie die Erforſchung ihrer Geſetze
anknüpfen läßt, ganz ſo wie man die Eigenſchaften und Ge-
ſetze der Bewegungen des Lichts, als abhängig von einer
[214]Die Bewegungserſcheinungen
Lichtmaterie, oder einem Aether betrachtet, der mit den er-
forſchten Geſetzen nichts weiter zu thun hat.


In dieſer Form gedacht, vereinigt die Lebenskraft in
ihren Aeußerungen alle Eigenthümlichkeiten der chemiſchen
Kräfte und der nicht minder wunderbaren Urſache, die wir
als den letzten Grund der elektriſchen Erſcheinungen anſehen.


Die Lebenskraft äußert ſich nicht wie die Schwerkraft
oder magnetiſche Kraft in unendlichen Entfernungen, ſondern
ſie iſt, wie die chemiſchen Kräfte, nur bei unmittelbarer
Berührung thätig, ſie wird durch einen Complex materieller
Theile wahrnehmbar.


Ein belebter Körpertheil erhält nach obiger Vorausſetzung
die Fähigkeit, Widerſtand zu leiſten und Widerſtände aufzuheben,
durch das Zuſammentreten ſeiner Elementartheilchen in einer
gewiſſen Form und er muß, ſo lange dieſe Form und Ord-
nung durch entgegengeſetzte Kräfte nicht aufgehoben wird,
ſeine Kraft unausgeſetzt zu behaupten vermögen.


Wenn durch den Act der Thätigkeitsäußerung eines be-
lebten Körpertheils die Elemente der Nahrungsſtoffe in der
ihm gleichen Form und Beſchaffenheit zuſammengetreten ſind,
ſo erlangen ſie eine ihm gleiche Fähigkeit; es gelangt
durch dieſes Zuſammentreten die in ihnen wohnende Lebens-
kraft zur freien Aeußerung, ſie wird in gleicher Weiſe ver-
wendbar.


Wenn man ſich nun erinnert, daß alle Nahrungsſtoffe
belebter Organismen Verbindungen zweier oder mehrerer
Elemente ſind, welche durch chemiſche Kräfte zuſammengehal-
[215]im Thierorganismus.
ten werden, wenn man erwägt, daß in dem Act der Thätig-
keitsäußerung eines belebten Körpertheils die Elemente der
Nahrungsſtoffe in einer andern Ordnung zuſammentreten, ſo
iſt völlig gewiß, daß das Kraft- oder Bewegungsmoment
der Lebenskraft ſtärker war, als die zwiſchen den Elementen
der Nahrung ſich äußernde chemiſche Anziehung *).


Die chemiſche Kraft, welche die Beſtandtheile zuſammen-
hielt, wirkte gleich einem Widerſtande, welcher überwunden
wurde durch die active Lebenskraft.


Wären beide gleich geweſen, ſo würde keine Art von
wahrnehmbarer Wirkung eingetreten ſein; bei überwiegen-
der chemiſcher Action würde der belebte Körpertheil eine
Veränderung erlitten haben.


Wenn wir uns nun denken, daß eine gewiſſe Quantität
von Lebenskraft dazu verwendet werden mußte, um ſich mit
der chemiſchen Kraft ins Gleichgewicht zu ſetzen, ſo bleibt
immer noch ein Ueberſchuß von Kraft, durch welchen die
Zerſetzung bewirkt wurde; in dieſem Ueberſchuß beſteht das
Kraftmoment des belebten Körpertheils, durch den die Zer-
ſetzung bewerkſtelligt wurde; er erhält durch ihn ein dauern-
des Vermögen, weitere Zerſetzungen zu bewirken und ſeinen
[216]Die Bewegungserſcheinungen
Zuſtand, ſeine Form und Beſchaffenheit gegen äußere Actio-
nen zu behaupten.


Wir können uns denken, daß dieſer Ueberſchuß hinweg-
genommen und in einer andern Weiſe verwendet werden
kann; das Beſtehen des belebten Körpertheils würde dadurch
nicht gefährdet werden, eben weil in dieſem Falle ein Ruhe-
und Gleichgewichtszuſtand eintreten würde; allein mit der
Hinwegnahme dieſes Ueberſchuſſes würde er ſeine Fähigkeit
der Zunahme an Maſſe, ſein Vermögen weitere Zerſetzun-
gen zu bewirken, äußeren Urſachen von Störungen zu wi-
derſtehen, verlieren. Wenn ihm in dieſem Gleichgewichtszu-
ſtande Sauerſtoff (eine chemiſche Action) zugeführt werden
würde, ſo würde deſſen Streben, ſich mit einem Elemente
des belebten Körpertheils zu vereinigen, kein Hinderniß ent-
gegenſtehen, eben weil ihm das Vermögen, Widerſtand zu
leiſten, durch anderweitige Verwendung von Lebenskraft ge-
nommen worden iſt. Je nach der Menge des zugeführten
Sauerſtoffs würde eine entſprechende Menge des belebten
Körpertheils ſeinen Zuſtand des Lebens verlieren und die
Form einer chemiſchen Verbindung erhalten von einer dem
belebten Stoff unähnlichen Zuſammenſetzung, es würde mit
einem Worte ein Wechſel in den Eigenſchaften der belebten
Verbindung, ein Stoffwechſel entſtehen.


Wenn wir erwägen, daß die Fähigkeit der Zunahme an
Maſſe in der Pflanze beinahe keine Grenze hat, daß hundert
Weidenzweige, von einem Baume genommen, zu hundert
Bäumen werden, ſo kann man kaum einen Zweifel hegen,
[217]im Thierorganismus.
daß mit dem Zuſammentreten der Elemente des Nahrungs-
ſtoffs zu einem Beſtandtheil der Pflanze, zu dem vorhande-
nen Kraftmoment, in dem neugebildeten Pflanzentheile ein
neues Kraftmoment hinzukommt, in der Art, daß mit der
Zunahme an Maſſe die Summe von Lebenskraft wächſt.


Je nach der Quantität verwendbarer Lebenskraft ändern
ſich die Producte, die durch ihre Thätigkeit aus dem zuge-
führten Nahrungsſtoff gebildet werden. Die Beſtandtheile
der Knospe, der Wurzelfaſer, des Blattes, der Blüthe und
Frucht ſind höchſt verſchieden; die chemiſche Kraft, wodurch
ihre Elemente zuſammen gehalten werden, iſt ſehr ungleich.


Von den ſtickſtofffreien Beſtandtheilen der Pflanzen kann
man behaupten, daß kein Theil des Kraftmomentes verwen-
det wird, um ihre Form und Beſchaffenheit zu behaupten,
ſobald ihre Elemente einmal in der Ordnung zuſammenge-
treten ſind, in der ſie zu Trägern der Lebenskraft werden.


Ganz verſchieden verhalten ſich die ſtickſtoffhaltigen Pflan-
zenſtoffe, denn ſie gehen, wie man gewöhnlich ſagt, von der
Pflanze getrennt, von ſelbſt in Gährung und Fäulniß über.
Die Urſache dieſer Zerſetzung oder Umſetzung ihrer Ele-
mente iſt die chemiſche Action, welche der Sauerſtoff auf ei-
nen ihrer Beſtandtheile ausübt. Wir wiſſen nun, daß, ſo
lange die Pflanze Lebenserſcheinungen zeigt, Sauerſtoffgas
von ihrer Oberfläche abgeſchieden wird, daß dieſer Sauer-
ſtoff ohne alle Wirkung iſt auf die Beſtandtheile der leben-
digen Pflanze, zu denen er ſonſt die größte Anziehung be-
ſitzt, und es iſt klar, daß eine gewiſſe Quantität Lebenskraft
[218]Die Bewegungserſcheinungen
verwendet werden muß, theils um die Elemente der com-
plexen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile, in der Form, Beſchaf-
fenheit und Ordnung zu erhalten, die ihnen zukommt, theils
als Widerſtand gegen die unaufhörliche Einwirkung des
Sauerſtoffs der Luft auf ihre Elemente, ſo wie des Sauer-
ſtoffs, der in ihrem Organismus durch den Lebensproceß
abgeſchieden wird.


Mit der Zunahme an dieſen veränderlichen Beſtandthei-
len, in der Blüthe z. B. und in der Frucht, wächſt die
Summe von chemiſcher Kraft, deren freie Aeußerung durch
ein entſprechendes Maß von Lebenskraft im Gleichgewicht
gehalten, als Widerſtand verbraucht wird.


Die Pflanze nimmt ſo lange an Maſſe zu, bis ſich die
in ihr wohnende Lebenskraft mit allen äußeren Urſachen,
die ihrer Aeußerung entgegenwirken, ins Gleichgewicht ge-
ſetzt hat, eine jede neue Urſache von Störung, die ſich den
vorhandenen hinzufügt (Temperaturwechſel ꝛc.), nimmt ihr
jetzt die Fähigkeit, Widerſtand zu leiſten, ſie ſtirbt ab.


In den perennirenden Pflanzen (den Holzpflanzen z. B.)
iſt die Maſſe der veränderlichen Beſtandtheile (der ſtickſtoff-
haltigen), verglichen mit den ſtickſtofffreien, ſo klein, daß
von der ganzen Summe von Kraft, als Widerſtand, nur
ein verſchwindendes Moment verbraucht wird; bei den jähri-
gen Pflanzen iſt dieſes Verhältniß umgekehrt.


In allen Perioden des Lebens einer Pflanze wird die
vorhandene active (durch Widerſtände nicht aufgehobene) Le-
benskraft nur zu einer Form von Lebensäußerung verwen-
[219]im Thierorganismus.
det, zur Zunahme an Maſſe nämlich, zur Ueberwindung von
Widerſtänden; kein Theil der Kraft wird zu anderen Zwecken
verbraucht.


In dem Organismus des Thieres zeigt ſich die Lebens-
kraft, wie in der Pflanze in der Fähigkeit der Zunahme an
Maſſe, als die Urſache des Widerſtandes gegen äußere Ein-
wirkungen, allein die Zunahme ſo wie der Widerſtand ſind
in gewiſſe Grenzen eingeſchloſſen.


Wir beobachten nämlich, daß der Uebergang der Nah-
rungsſtoffe in Blut, die Berührung des Blutes mit den
belebten Körpertheilen bedingt wird von einer mechaniſchen
Kraft, deren Aeußerung von beſonderen Organen ausgeht
und vermittelt wird durch ein beſonderes Syſtem von Appa-
raten, denen die Fähigkeit zukommt, die empfangene Bewe-
gung fortzupflanzen und zu verbreiten; von einem zweiten
Syſteme ähnlicher Apparate finden wir das Vermögen des
Thieres abhängig, den Ort zu wechſeln und durch ſeine
Glieder mechaniſche Effecte hervorzubringen. Dieſe Apparate,
ſo wie die von ihnen ausgehenden Bewegungserſcheinungen,
fehlen in der Pflanze.


Um ſich ein klares Bild über den Urſprung und die
Quelle der mechaniſchen Bewegungen im Thierkörper zu
verſchaffen, dürfte es eine Erleichterung ſein, ſich an die
Wirkungsweiſe anderer Kräfte zu erinnern, welche der Le-
benskraft in ihren Aeußerungen am nächſten ſtehen.


Wenn wir eine Anzahl Zink- und Kupferplatten in ei-
ner gewiſſen Weiſe geordnet mit einer Säure in Berührung
[220]Die Bewegungserſcheinungen
bringen, ſo tritt, wenn man die beiden äußerſten Punkte des
Apparates mit einem Metalldraht in Verbindung ſetzt, eine
chemiſche Action an den Zinkplatten ein, und der Draht er-
hält in Folge dieſer Action die merkwürdigſten und wun-
derbarſten Eigenſchaften.


Dieſer Draht zeigt ſich nämlich als der Träger einer
Kraft, welche durch ihn mit außerordentlicher Schnelligkeit
nach allen Richtungen hingeleitet und fortgepflanzt werden
kann; er iſt der Leiter oder Fortpflanzer einer ununterbro-
chenen Reihe von Thätigkeits-Aeußerungen.


Eine ſolche Fortpflanzung von Bewegung iſt nicht denk-
bar, wenn in dem Drahte eine Urſache des Widerſtandes
zu überwinden wäre, jeder Widerſtand würde einen Theil
der bewegenden Kraft zur ruhenden machen.


Wird der Draht in der Mitte zerſchnitten, ſein Zuſam-
menhang unterbrochen, ſo hört damit die Fortpflanzung der
Kraft auf, und wir ſehen, daß in dieſem Falle die Action
der Säure auf das Zink augenblicklich aufhört.


Stellen wir die Verbindung wieder her, ſo tritt die ver-
ſchwundene Action mit ihrer ganzen Energie wieder ein.


Wir können durch die in dem Drahte vorhandene Thä-
tigkeit eine Menge der verſchiedenartigſten Effecte bewirken,
Widerſtände aller Art überwältigen, Laſten heben, Schiffe
in Bewegung ſetzen, und, was noch weit merkwürdiger iſt,
dieſer Draht verhält ſich wie eine hohle Röhre, in welcher
ein Strom von chemiſcher Kraft frei und ohne Hinderniß
circulirt.


[221]im Thierorganismus.

Die Eigenſchaften, die wir als feſtgekettet an gewiſſe
Materien mit dem Ausdruck der ſtärkſten und energiſchſten
Verwandtſchaft bezeichnen, wir finden ſie, dem Anſchein nach,
frei und ungebunden an dieſem Drahte wieder, wir können
ſie, von ihm aus, auf andere Materien übertragen und ih-
nen damit eine Affinität (die Fähigkeit, Verbindungen ein-
zugehen) ertheilen, die ihnen für ſich nicht zukommt; je nach
der Quantität der Kraft, die in dem Drahte circulirt, kön-
nen wir damit Verbindungen zerlegen, deren Elemente die
mächtigſte Verwandtſchaft zu einander haben, und an allen
dieſen Thätigkeitsäußerungen nimmt die Subſtanz des Drah-
tes nicht den geringſten Antheil, er iſt nur der Leiter der
Kraft.


An dieſem Drahte beobachten wir noch überdies Erſchei-
nungen der Anziehung und Abſtoßung, die wir dem aufge-
hobenen Gleichgewichtszuſtande der elektriſchen und magne-
tiſchen Kraft zuſchreiben müſſen, und es ſtellen ſich bei der
Wiederherſtellung des Gleichgewichts des geſtörten elektri-
ſchen Zuſtandes, Licht und Wärme, als ihre nie fehlenden Be-
gleiter ein.


Alle dieſe merkwürdigen Erſcheinungen werden hervorge-
rufen durch die chemiſche Action, welche Säure und Zink auf
einander ausüben, ſie ſind begleitet von einer Form- und
Beſchaffenheitsänderung, welche beide erleiden.


Die Säure verliert ihren chemiſchen Character, das Zink
geht eine Verbindung mit ihr ein. Die in dem Metall-
drahte hervorgerufenen Thätigkeitsäußerungen, ſie ſind eine
[222]Die Bewegungserſcheinungen
unmittelbare Folge des Wechſels in ihren Eigenſchaften.


Ein Theilchen Säure nach dem andern verliert ſeine,
ihm zukommenden, chemiſchen Eigenſchaften und wir ſehen,
daß in eben dieſem Grade der Draht eine chemiſche, mecha-
niſche, galvaniſche oder magnetiſche Kraft, oder wie man ſie
nennen will, empfängt; je nach der Anzahl von Theilchen
der Säure, welche in einer und derſelben Zeit dieſe Verän-
derung erfahren (je nach der Oberfläche des Zinks), em-
pfängt der Draht eine größere oder geringere Quantität
von dieſen Kräften.


Die Fortdauer des Stromes von Kraft hängt ab von
der Fortdauer der chemiſchen Action, die Fortdauer der che-
miſchen Action iſt aufs engſte geknüpft, an die Ableitung der
Kraft.


Hindern wir die Fortpflanzung der Kraft, ſo behält die
Säure ihren chemiſchen Character; wird ſie zur Ueberwin-
dung von chemiſchen oder mechaniſchen Widerſtänden ver-
braucht, zur Zerſetzung chemiſcher Verbindungen oder zur
mechaniſchen Bewegung, ſo dauert die chemiſche Action fort,
das heißt, ein Theilchen Säure nach dem andern wechſelt
ſeine Eigenſchaften.


Wir haben in dem Vorhergehenden dieſe merkwürdigen
Erſcheinungen in einer Form aufgefaßt, welche unabhängig
von den Erklärungen der Schule iſt. Iſt die in dem Drahte
circulirende Kraft, die elektriſche Kraft? iſt es Affinität?
pflanzt ſie ſich in dem Leiter wie eine in Bewegung geſetzte
Flüſſigkeit, oder als eine Reihe von Bewegungsmomenten,
[223]im Thierorganismus.
wie der Schall, das Licht, von einem Theilchen des Leiters
zu dem andern fort? Alles dieſes weiß man nicht, und
wird es nie ermitteln. Auf die Wahrheit der Erſcheinungen
haben alle Vorſtellungen, die man ihnen als Erklärungen
unterlegt, nicht den geringſten Einfluß, denn ſie beziehen ſich
lediglich auf die Form, in welcher ſie ſich äußern.


Nur darüber iſt man nicht im Zweifel, daß nämlich alle
Effecte, welche durch den Draht hervorgebracht werden kön-
nen, bedingt werden von dem Wechſel in den Eigenſchaften
des Zinks und der Säure, denn der Ausdruck »chemiſche
Action« bezeichnet ja nicht mehr und nicht weniger, als den
Act ihrer Veränderung; daß ſie abhängig ſind, von dem Vor-
handenſein eines Leiters, einer Subſtanz, welche die eintre-
tende Thätigkeitsäußerung, das Kraftmoment, fortpflanzt
nach allen Richtungen hin, wo es durch Widerſtände nicht
aufgehoben wird, daß es alſo in ein Bewegungsmoment
übergeht, mit dem man mechaniſche Bewegungen hervorbrin-
gen kann, was, auf andere Körper übertragen, dieſen alle
Eigenſchaften giebt, deren letzte Urſache die chemiſche Kraft
ſelbſt iſt; ſie erhalten das Vermögen, Zerſetzungen und Ver-
bindungen zu bewirken, was ihnen, ohne Zufuhr an Kraft,
durch den Leiter, völlig abgehen würde.


Wenn wir dieſe wohlbekannten Erfahrungen als Mittel
benutzen, um, durch ſie geführt, die letzte Urſache der mecha-
niſchen Effecte im Thierorganismus zu erforſchen, ſo giebt
die Beobachtung zu erkennen, daß die Bewegung des Blu-
tes und der Säfte von ganz beſtimmten Organen ausgeht,
[224]Die Bewegungserſcheinungen
welche, wie das Herz und die Eingeweide, die bewegende
Kraft nicht in ſich ſelbſt erzeugen, ſondern von anderen Sei-
ten her empfangen.


Wir kennen mit zweifelloſer Gewißheit in den Nerven die
Leiter und Verbreiter mechaniſcher Effecte, wir wiſſen, daß
durch ſie die Bewegung nach allen Seiten hin fortgepflanzt
wird. Für jede Bewegung kennen wir einen beſondern Ner-
ven, einen beſondern Leiter, mit deſſen Leitungsvermögen,
mit deſſen Unterbrechung ſich die Fortpflanzung verändert
oder eine Grenze findet.


Durch die Nerven empfangen alle Theile des Thierkör-
pers, die Glieder, die zu ihren Functionen, zum Ortswech-
ſel, zur Hervorbringung mechaniſcher Effecte unentbehrliche
Kraft der Bewegung, wo die Nerven fehlen, vermiſſen wir
Bewegung; die an einem Orte im Ueberfluß erzeugte Kraft
wird den anderen durch die Nerven zugeleitet, was das eine
Organ in ſich ſelbſt an Kraft nicht zu erzeugen vermag, wird
ihm von anderen Seiten zugeführt, was ihm an Lebenskraft
fehlt, um Widerſtand zu leiſten gegen äußere Urſachen von
Störungen, um Widerſtände aufzuheben, empfängt es als
Ueberſchuß von einem andern Organe, welches ihn für ſich
ſelbſt nicht zu verwenden vermag.


Wir beobachten ferner, daß die willkührlichen und un-
willkührlichen Bewegungen, daß alle mechaniſchen Effecte im
Thierorganismus begleitet, daß ſie abhängig ſind von einer
eigenthümlichen Form- und Beſchaffenheitsänderung in der
Subſtanz gewiſſer belebter Körpertheile, deren Zu- oder Ab-
[225]im Thierorganismus.
nahme im engſten Zuſammenhange ſteht mit dem Maß von
Bewegung oder mit der Quantität von Kraft, welche durch
die Bewegungen verzehrt worden iſt.


Als eine unmittelbare Folge der zur Aeußerung gelang-
ten, mechaniſchen Kraft ſehen wir, daß ein Theil der Mus-
kelſubſtanz ihre vitalen Eigenſchaften, ihren Character des Le-
bens verliert, daß ſie aus dem belebten Körpertheile austritt,
daß dieſer Theil ſeine Fähigkeit der Zunahme an Maſſe,
ſein Vermögen Widerſtand zu leiſten, einbüßt; wir finden,
daß dieſer Wechſel in den Eigenſchaften begleitet iſt von der
Aufnahme eines fremden Elementes, des Sauerſtoffs, in die
Zuſammenſetzung der belebten Muskelſubſtanz (ähnlich wie
die Säure ihren chemiſchen Character durch Aufnahme von
Zink verlor), und alle Erfahrungen beweiſen, daß dieſer
Uebergang der belebten Muskelſubſtanz, in Verbindungen ohne
alle Lebensäußerungen, beſchleunigt oder verlangſamt wird,
je nach der Quantität der verbrauchten Kraft zur Bewegung;
ja daß ſie ſich gegenſeitig proportional ſind, daß ein raſcher
Uebergang der Muskelſubſtanz, ſagen wir, ein raſcher Stoff-
wechſel, eine größere Quantität von mechaniſcher Kraft und
ein größeres Maß von mechaniſcher Bewegung (verbrauchter,
mechaniſcher Kraft) einen raſcheren Stoffwechſel gegenſeitig
bedingen.


Aus dieſem ganz beſtimmten Zuſammenhange des Stoff-
wechſels im Thierkörper mit der durch mechaniſche Bewe-
gungen verzehrten Kraft kann kein anderer Schluß gezogen
werden, als daß die in gewiſſen, belebten Körpertheilen active
15
[226]Die Bewegungserſcheinungen
oder verwendbare Lebenskraft die Urſache iſt der mechani-
ſchen Effecte des Thierkörpers.


Die bewegende Kraft ſtammt zweifellos von belebten
Körpertheilen, ſie beſaßen ein Kraft- oder Bewegungsmoment,
was ſie in eben dem Grade verloren, als andere ein Kraft-
oder Bewegungsmoment empfangen haben; ſie verlieren ihre
Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, ihr Vermögen, Wider-
ſtand gegen äußere Urſachen von Störungen zu leiſten;
es iſt klar, die letzte Urſache, die Lebenskraft, von denen ſie
dieſe Eigenſchaften erhielten, ſie hat zur Hervorbringung
der mechaniſchen Kraft gedient, ſie iſt als Bewegung ver-
zehrt worden.


Wie ließe ſich in der That einſehen, daß ein belebter
Körpertheil den Zuſtand des Lebens verliert, daß er unfä-
hig wird, der Einwirkung des im arteriellen Blute ihm zu-
geführten Sauerſtoffs zu widerſtehen, daß er das Vermögen
einbüßt, chemiſche Widerſtände aufzuheben, wenn das Kraft-
moment der Lebenskraft, was ihm alle dieſe Eigenſchaften
gab, nicht zu anderen Zwecken verwendet worden wäre!


Durch das Vermögen der Leiter (der Nerven), das Kraft-
moment eines belebten Körpertheils, den Effect, den die in
ihm thätige Lebenskraft auf alle ſeine Umgebungen äußert,
fortzupflanzen nach anderen Orten hin, wo die Kraft (d. h.
ihr Bewegungsmoment) ohne alle Widerſtände verzehrt wird
(ohne Bewegung tritt kein Stoffwechſel ein, iſt die Bewe-
gung eingetreten, ſo ſteht ihr kein Widerſtand entgegen),
wird offenbar in dem belebten Körpertheil ein Gleichgewichts-
[227]im Thierorganismus.
zuſtand zwiſchen den chemiſchen Kräften und der noch in ihm
wohnenden Lebenskraft herbeigeführt, der ohne dieſen Verbrauch
an Lebenskraft zur mechaniſchen Bewegung nicht eingetreten
wäre.


Eine jede dem Organismus fremde Urſache, welche auf
die Form, Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung des Organs
eine Wirkung auszuüben vermag, findet jetzt keinen Wider-
ſtand mehr. Ohne die Ableitung der Kraft und ihre Ver-
wendung zu anderen Zwecken, ohne das Hinzutreten von
Sauerſtoff würde das Organ ſeinen Zuſtand, aber ohne alle
Lebensäußerung behauptet haben, erſt durch die chemiſche
Action des Sauerſtoffs findet der Stoffwechſel, d. h. das
Austreten in der Form einer unbelebten Verbindung ſtatt.


Stoffwechſel, mechaniſche Kraftäußerung und Sauerſtoffauf-
nahme, ſtehen in dem Thierkörper in ſo enger Beziehung zu ein-
ander, daß man die Quantität von Bewegung, die Menge
des umgeſetzten, belebten Stoffes, in einerlei Verhältniß ſetzen
kann mit einer gewiſſen Menge, des, von dem Thiere, in einer
gegebenen Zeit aufgenommenen und verbrauchten Sauerſtoffs.
Für ein beſtimmtes Maß von Bewegung, für eine Proportion
als mechaniſche Kraft verbrauchter Lebenskraft, gelangt ein
Aequivalent von chemiſcher Kraft zur Aeußerung, d. h. es
wird ein Aequivalent Sauerſtoff zum Beſtandtheil des Or-
gans, was die Lebenskraft verlor, und ein ihm gleiches Ver-
hältniß von der Materie dieſes Organs tritt aus dem Kör-
pertheil, in der Form einer Sauerſtoffverbindung aus.


Alle Theile des Thierkörpers, welche die Natur zum
15*
[228]Die Bewegungserſcheinungen
Stoffwechſel (zur Hervorbringung von mechaniſcher Kraft)
beſtimmt hat, ſind nach allen Richtungen hin von den fein-
ſten Kanälen durchzogen, in denen unausgeſetzt ein Strom
von Sauerſtoff in der Form von arteriellem Blut circulirt,
der zum Austreten ihrer Beſtandtheile (zur Störung des
Gleichgewichtes) unumgänglich nöthig iſt.


So lange die Lebenskraft dieſer Körpertheile nicht zu
anderen Zwecken verbraucht und abgeleitet wird, äußert der
Sauerſtoff des arteriellen Blutes nicht die geringſte Wir-
kung auf ihre Subſtanz und ſtets wird nur eine der Ablei-
tung entſprechende (den hervorgebrachten mechaniſchen Effecten
correſpondirende) Menge davon aufgenommen.


Der Sauerſtoff der Atmoſphäre iſt die von außen her
wirkende Urſache des Verbrauchs an Stoff im Thierkörper,
er wirkt wie eine Kraft, welche die Aeußerung der Lebens-
kraft in jedem Zeitmomente ſtört und aufzuheben ſtrebt; als
chemiſche Action wird aber ſeine Einwirkung, die von ihm
ausgehende Störung, im Gleichgewicht gehalten durch die
in dem belebten Körpertheile frei wirkende Lebenskraft, oder
ſie wird vernichtet durch eine der ſeinigen entgegengeſetzte,
chemiſche Thätigkeit, deren Aeußerung immer als abhängig
angeſehen werden muß von der Lebenskraft.


Nach chemiſchen Begriffen heißt die chemiſche Action des
Sauerſtoffs vernichten, ihm Stoffe darbieten, Theile von
Materien, die ſich mit ihm zu verbinden vermögen.


Die Action des Sauerſtoffs (Affinität) wird entweder
durch die Beſtandtheile des Organs (nach Ableitung der
[229]im Thierorganismus.
Lebenskraft), die ſich mit ihm zu verbinden vermögen, aus-
geglichen, oder das Organ ſetzt ihr (der Action des Sauer-
ſtoffs) die Producte von anderen Organen, oder gewiſſe
Stoffe entgegen, welche aus den Beſtandtheilen der Nah-
rung, in Folge der vitalen Thätigkeit gewiſſer Apparate
entſtanden ſind.


Nur das Muskularſyſtem producirt in dieſem Sinne, in ſich
ſelbſt, einen Widerſtand gegen die chemiſche Action des Sauer-
ſtoffs und gleicht ſie vollſtändig aus.


Die Subſtanz der Zellen, Membranen und Häute, deren
kleinſte Theilchen ſich nicht im unmittelbaren Contact mit
arteriellem Blut (mit Sauerſtoff) befinden, iſt nicht zum
Stoffwechſel beſtimmt. Welche Art von Veränderungen ſie
auch im Lebensproceſſe erleiden mag, ſie treffen unter allen
Umſtänden nur ihre Oberfläche.


Die Leimgebilde, Schleimhäute, Sehnen ꝛc. ſind nicht
zur Hervorbringung von mechaniſcher Kraft beſtimmt, ſie
enthalten in ihrer Subſtanz keine Leiter der mechaniſchen
Effecte. Das Muskularſyſtem iſt mit zahlloſen Nerven durch-
webt. Die Subſtanz des Uterus iſt von der übrigen Mus-
kelſubſtanz chemiſch, in keiner Weiſe verſchieden, allein ſie iſt
nicht zum Stoffwechſel, zur Krafterzeugung beſtimmt, ſie
enthält keine Ableiter der bewegenden Kraft.


Den Membranen, Schleimhäuten und Zellen geht das
Vermögen, ſich bei Gegenwart von Feuchtigkeit mit Sauer-
ſtoff zu verbinden, keineswegs ab, wir wiſſen, daß ſie
im feuchten Zuſtande mit Sauerſtoff nicht in Berührung
[230]Die Bewegungserſcheinungen
gebracht werden können, ohne eine fortſchreitende Verände-
rung zu erfahren. Die eine Oberfläche der Eingeweide, die
Lungenzellen, ſind aber unausgeſetzt in Berührung mit Sauer-
ſtoff; es iſt klar, daß ſie eine eben ſo raſche Umſetzung,
Veränderung durch ſeine chemiſche Action erfahren müßten,
wenn in dem Organismus ſelbſt, nicht eine Quelle von
Widerſtand exiſtirte, der die Einwirkung des Sauerſtoffs
völlig vernichtete. Unter dieſem Widerſtande laſſen ſich alle
Materien zuſammenfaſſen, welche die Fähigkeit haben oder
unter dem Einfluß der Lebenskraft erhalten, ſich mit Sauer-
ſtoff zu verbinden und in ihrem Vermögen ſeine chemi-
ſche Action auszugleichen, die Subſtanz der Leimgebilde
übertreffen.


Alle Beſtandtheile des Thierkörpers, welche in ſich ſelbſt
durch die Lebenskraft, der Einwirkung des Sauerſtoffs nicht
zu widerſtehen vermögen, müſſen ſich zu dieſem Zwecke weit
mehr eignen, wie die unter dem Einfluß der Lebenskraft,
wenn auch nur durch die Nerven, ſtehenden Gebilde; die
Bedeutung der Galle für die Subſtanz der Eingeweide, der
Lungenzellen, ſo wie die des Fettes, Schleimes und der Secre-
tionen überhaupt, kann nach dieſer Betrachtung nicht ver-
kannt werden.


Wenn die Membranen durch ihre eigne Subſtanz Wider-
ſtand gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs produciren
müſſen, wenn es alſo an den Stoffen fehlt, welche die Na-
tur zu ihrem Schutze beſtimmt hat, ſo werden ſie, da ihre
Erneuerung in enge Grenzen eingeſchloſſen iſt, der chemi-
[231]im Thierorganismus.
ſchen Action unterliegen müſſen. Eingeweide und Lunge wer-
den immer gleichzeitig abnormale Veränderungen erfahren.


In dem Stoffwechſel ſelbſt, in der Umſetzung der be-
lebten Subſtanz des Muskularſyſtems, erhalten dieſe Organe
den zu ihrem Beſtehen unentbehrlichen Widerſtand gegen die
Einwirkung des Sauerſtoffs; je nach ſeiner Beſchleunigung
nimmt die Quantität der ſecernirten Galle zu, die Menge
des vorhandenen Fettes nimmt in gradem Verhältniß ab.


Zur Unterhaltung der unwillkürlichen Bewegungen im
Thierkörper wird in jedem Zeitmomente ſeines Lebens eine
gewiſſe Quantität Lebenskraft verbraucht und es findet des-
halb ein unaufhörlicher Stoffwechſel ſtatt, allein die Menge
der Subſtanz, welche in Folge der verbrauchten Kraft ihren
Zuſtand des Lebens, ihre Fähigkeit der Zunahme an Maſſe
verliert, iſt in enge Grenzen eingeſchloſſen; ſie ſteht in gra-
dem Verhältniß zu der, zu dieſen Bewegungen, nöthigen Kraft.


Wenn wir uns nun auch denken können, daß die belebte
Muskelſubſtanz bei hinreichender Zufuhr an Nahrung ihre
Fähigkeit der Zunahme in keinem Zeitmomente verliert,
daß ſich dieſe Form der Lebens-Aeußerung unausgeſetzt gel-
tend macht, ſo kann dies keineswegs für diejenigen Kör-
pertheile angenommen werden, deren frei wirkende Lebens-
kraft zur mechaniſchen Bewegung verbraucht worden iſt. Der
Verbrauch an Stoff durch Bewegung und Anſtrengung iſt bei
je zwei Individuen höchſt verſchieden.


Wenn man nun erwägt, daß die unmerklichſte Bewegung
eines Fingers und der Glieder Kraft verbraucht, daß, in
[232]Die Bewegungserſcheinungen
Folge der verzehrten mechaniſchen Kraft, ein correſpondiren-
der Theil der Muskeln an Volumen abnimmt, ſo iſt klar,
daß ein Gleichgewicht im Erſatz und Verbrauch
an Stoff (an belebten Körpertheilen) nur dann ſich herſtel-
len kann, wenn der ausgetretene Körpertheil in dem nämli-
chen Augenblicke, wo er ſeinen Zuſtand des Lebens ver-
liert, wieder an einer andern Stelle erneuert wird.


Die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe iſt abhängig von
dem, einem jeden Körpertheile zukommenden Kraftmomente,
ſie muß ſich unausgeſetzt äußern können, ſo lange (bei hin-
länglicher Zufuhr von Nahrungsſtoff) er dieſes Kraftmoment
nicht verliert (durch Verwendung z. B. zur mechaniſchen Be-
wegung).


Unter allen Umſtänden iſt die Zunahme ſelbſt an die Zeit
gebunden, d. h. ſie kann für eine begrenzte Zeit nicht unbe-
grenzt ſein.


In dem nämlichen Augenblick, in welchem ein belebter
Körpertheil ſeinen Zuſtand des Lebens verliert und aus dem
Organ in der Form einer unbelebten Verbindung austritt,
kann dieſer Theil nicht zunehmen, ſeine Maſſe, ſeine Volu-
men nehmen ja ab.


Durch die fortdauernde Verwendung der Kraftmomente
belebter Körpertheile zu mechaniſchen Effecten, wird demnach
ein fortdauerndes Austreten von Maſſe bedingt, und erſt von
dem Augenblicke an, wo die Urſache des Verbrauchs nicht
mehr wirkt, kann ſich die Fähigkeit der Zunahme wieder
äußern.


[233]im Thierorganismus.

Da nun verſchiedene Individuen in 24 Stunden, je nach der
zur Hervorbringung willkürlicher, mechaniſcher Effecte verwen-
deten Kraft, eine ungleiche Menge von ihren belebten Körper-
theilen verbrauchen, ſo muß für ein jedes, wenn die Bewe-
gungserſcheinungen nicht ihre Grenze finden ſollen, ein Zu-
ſtand eintreten, in welchem alle willkürlichen Bewegungen
völlig unterdrückt ſind, wo alſo für dieſe kein Verbrauch
ſtattfindet. Dieſer Zuſtand heißt Schlaf.


Auf die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe eines Körpertheils,
dem ſein Kraftmoment nicht genommen worden iſt, kann der
Verbrauch deſſelben zu mechaniſchen Effecten in einem andern
Körpertheil, nicht den geringſten Einfluß äußern (der eine
kann an Maſſe zunehmen, während der andere abnimmt, ohne
daß ſich beide Actionen ſtören), der Verbrauch in dem einen
kann den Erſatz in dem andern nicht vermindern und nicht
ſteigern.


Da nun der Verbrauch an mechaniſcher Kraft zu den un-
willkürlichen Bewegungen im Schlafe fortdauert, ſo iſt klar,
daß auch ein Verbrauch an Stoff im Schlafe fortdauert, und
es muß, wenn das urſprüngliche Gleichgewicht wieder eintre-
ten ſoll, vorausgeſetzt werden, daß während des Schlafes eine
eben ſo große Quantität von Kraft (in der Form belebter
Körpertheile) ſich wieder ſammelt, als in der vorherge-
gangenen Zeit des Wachens zu den willkürlichen und unwill-
kürlichen mechaniſchen Effecten verwendet worden iſt.


Wird das Gleichgewicht in Erſatz und Verbrauch von
Stoff im mindeſten geſtört, ſo giebt ſich dies ſogleich in
[234]Die Bewegungserſcheinungen
einem Unterſchied von verwendbarer Kraft zu mechaniſchen
Effecten zu erkennen.


Es iſt ferner klar, daß wenn ein Mißverhältniß in der
Leitungsfähigkeit der Nerven der willkürlichen und unwill-
kürlichen Bewegungen ſtattfindet, ſo wird nach dem Grade,
in welchem die einen oder die anderen dies Bewegungsmo-
ment, was ſie durch Stoffwechſel empfangen haben, fort-
zupflanzen vermögen, der Unterſchied in den Bewegungser-
ſcheinungen ſelbſt bemerklich ſein. Mit der Zunahme der
Blutbewegung und der Bewegung der Eingeweide wird die
Hervorbringung mechaniſcher Effecte durch die Glieder in
gradem Verhältniß abnehmen müſſen (wie bei den ſogenann-
ten Freſſern), und wenn in einer gegebenen Zeit für mecha-
niſche Bewegung (durch Anſtrengung, Laufen, Tanzen ꝛc.)
mehr Lebenskraft verbraucht wird, als für die willkürlichen
und unwillkürlichen Bewegungen überhaupt verwendbar iſt
(als ſich in der gegebenen Zeit an Stoff umſetzen kann),
ſo wird zur Ausgleichung der für die willkürlichen Bewe-
gungen mehrverbrauchten mechaniſchen Kraft ein Theil der
Kraft, die zu den unwillkürlichen Bewegungen nöthig iſt,
verwendet werden müſſen. Die Bewegung des Herzens,
der Eingeweide muß verlangſamt werden oder ſie hört gänz-
lich auf.


Von dem ungleichen Grade der Leitungsfähigkeit der
Nerven müſſen die Zuſtände abgeleitet werden, die man mit
Lähmung, Ohnmacht, Krampf bezeichnet. Die Läh-
mung
der Nerven der willkürlichen Bewegung kann für
[235]im Thierorganismus.
ſich keine Abmagerung nach ſich ziehen; häufig wiederkehrende
epileptiſche Anfälle (Verbrauch von Lebenskraft zu mechani-
ſchen Effecten) ſind ſtets von einer außerordentlich raſchen
Abmagerung begleitet.


Es muß die höchſte Bewunderung erwecken, wenn man
erwägt, mit welcher unendlichen Weisheit der Schöpfer die
Mittel vertheilt hat, die das Thier, die Pflanze, zu ſeinen
Functionen, zu ſeinen ihm eigenthümlichen Lebensäußerungen
befähigen.


Die ganze Richtung, die ganze Stärke der Lebenskraft
behält der belebte Pflanzentheil durch die Abweſenheit aller
Leiter der Kraft. Durch ſie wird das Blatt befähigt, die
ſtärkſten chemiſchen Anziehungen zu überwinden, die Kohlen-
ſäure zu zerlegen und ſich die Beſtandtheile ihrer Nahrungs-
ſtoffe anzueignen.


Nur in der Blüthe der Pflanze findet ein dem Stoff-
wechſel im Thierkörper ähnlicher Proceß ſtatt, es zeigen ſich
Bewegungserſcheinungen, allein die mechaniſchen Effecte pflan-
zen ſich nicht fort aus Mangel an Leitern der Kraft.


Die nämliche Lebenskraft, die wir in der Pflanze als
eine beinahe unbegrenzte Fähigkeit der Zunahme an Maſſe
kennen, verwandelt ſich in dem Thierkörper in bewegende
Kraft (in einen Strom von Lebenskraft), und eine wunder-
bare und weiſe Oekonomie beſtimmt zur Ernährung des
Thieres nur ſolche Stoffe, die eine mit den Organen der
Krafterzeugung (dem Muskularſyſtem) identiſche Zuſammen-
ſetzung beſitzen. Der Aufwand von Kraft, den ihre belebten
[236]Die Bewegungserſcheinungen
Theile bedürfen, um aus dem Blute ſich ſelbſt wiederzuer-
zeugen, der Widerſtand der chemiſchen Kraft, welcher in den
Beſtandtheilen der ſtickſtoffhaltigen Nahrungsſtoffe durch die
Lebensthätigkeit der Organe überwunden werden muß, welche
beſtimmt ſind, ſie zu Beſtandtheilen des Blutes zu machen,
iſt für nichts zu achten gegen die Kraft und Energie, mit
welcher die Beſtandtheile der Kohlenſäure zuſammenhängen.
Eine gewiſſe Quantität Kraft könnte nicht in bewegende
Kraft übergehen, wenn ſie zur Ueberwindung der chemiſchen
Kräfte verwendet werden müßte; das Bewegungsmoment
der Lebenskraft wird durch alle Widerſtände verringert.
Der Uebergang der Beſtandtheile des Blutes in Muskelfaſer
(in ein Organ der Krafterzeugung) iſt nur eine Formände-
rung, beide ſind gleich zuſammengeſetzt; das Blut iſt flüſſig,
die Muskelfaſer iſt feſtes Blut; man kann ſich denken, daß
er vor ſich geht ohne allen Verbrauch von Lebenskraft, denn
bei dem Uebergang eines flüſſigen Körpers in einen feſten
bedarf es keiner Kraftäußerung, ſondern nur der Beſeitigung
von Hinderniſſen (Wärme z. B.), die ſich der Kraft, welche
der Zuſtand bedingt (der Cohäſionskraft), in ihren Aeuße-
rungen entgegenſetzen.


In welcher Form, auf welche Weiſe die Lebenskraft die
mechaniſchen Effecte im Thierkörper bewirkt, iſt gänzlich un-
bekannt und wird durch Verſuche ſo wenig ermittelt werden
können, wie der Zuſammenhang der chemiſchen Action mit
den Bewegungserſcheinungen, die wir mit der galvaniſchen
Säule hervorzubringen vermögen; alle Erklärungen, die man
[237]im Thierorganismus.
zu geben verſucht hat, ſind immer nur Bilder der Er-
ſcheinung, es ſind mehr oder weniger genaue Beſchreibun-
gen und Vergleichungen bekannter Erſcheinungen mit dieſen
unbekannten; es geht uns in dieſer Beziehung wie dem Un-
kundigen, dem das Aufundniederſteigen eines eiſernen Stem-
pels in einem Gefäße, worin das Auge nichts Sichtbares
erkennen kann, und ſein Zuſammenhang mit dem Drehen und
Bewegen von Tauſenden von Rädern, die ſich in einer ge-
wiſſen Entfernung von dem Stempel befinden, unbegreiflich
erſcheint.


Wir wiſſen nicht, wie ein an ſich unſichtbares, unwägba-
res Etwas, die Wärme, gewiſſen Materien die Fähigkeit er-
theilt, den ungeheuerſten Druck auf ihre Umgebungen zu
äußern, wie überhaupt dieſes Etwas hervorgebracht wird,
wenn wir Holz oder Kohlen verbrennen.


So iſt es denn auch mit der Lebenskraft und den Er-
ſcheinungen, welche belebte Körper darbieten; ihre Urſache
iſt nicht chemiſche Kraft, nicht Elektricität, nicht Magnetis-
mus, es iſt eine Kraft, welche die allgemeinſten Eigenſchaf-
ten aller Urſachen der Bewegung, Form- und Beſchaffen-
heitsänderung der Materie beſitzt, und eine eigenthümliche
Kraft, weil ihr Aeußerungen zukommen, welche keine der
anderen Kräfte an ſich trägt.


[238]Die Bewegungserſcheinungen

II.


In der belebten Pflanze überwiegt die Intenſität der Le-
benskraft bei weitem die chemiſche Action des Sauerſtoffs.


Wir wiſſen mit der größten Beſtimmtheit, daß der Sauer-
ſtoff durch den Einfluß der Lebenskraft von Elementen ab-
geſchieden wird, zu denen er die ſtärkſte Affinität beſitzt; daß
er in Gasform austritt, ohne die geringſte Einwirkung auf
die Beſtandtheile der Säfte auszuüben.


Wie groß muß in der That der Widerſtand erſcheinen,
den die Lebenskraft dem terpentinöl- oder gerbſäurehalti-
gen Blatte verleiht, wenn wir die Verwandtſchaft in Be-
tracht ziehen, welche der Sauerſtoff zu dieſen Beſtandtheilen
beſitzt!


Dieſe Intenſität der Wirkung oder des Widerſtandes er-
hält das belebte Blatt durch das Sonnenlicht, deſſen Ein-
fluß in chemiſchen Actionen mit der eines hohen Wärme-
grades (einer ſchwachen Glühhitze) vergleichbar iſt und ver-
glichen wird.


In der Nacht zeigt ſich in der lebendigen Pflanze ein
entgegengeſetzter Proceß, wir ſehen, daß ſich die Beſtand-
theile der Blätter und grünen Theile mit dem Sauerſtoff
der Luft verbinden, eine Fähigkeit, die ihnen im Lichte ab-
ging.


Man kann hieraus keinen andern Schluß ziehen, als daß
die Intenſität der Lebenskraft mit der Abnahme des Lichts
[239]im Thierorganismus.
ſich vermindert, daß mit der kommenden Nacht ein Gleich-
gewichtszuſtand eintritt und bei völliger Abweſenheit des
Lichts alle Theile der Pflanze, die während des Tages die
Fähigkeit beſaßen, den Sauerſtoff aus chemiſchen Verbin-
dungen auszuſcheiden oder ſeiner Einwirkung Widerſtand zu
leiſten, dieſe Fähigkeit völlig verlieren.


Eine ganz ähnliche Erſcheinung beobachten wir bei den
Thieren.


Nur in gewiſſen Temperaturen zeigt der belebte Thierkör-
per die ihm zukommenden Lebensäußerungen. Einem be-
ſtimmten Kältegrade ausgeſetzt, hören ſie völlig auf.


Eine Entziehung von Wärme muß deshalb völlig gleich-
bedeutend angeſehen werden, einer Verminderung der Lebens-
thätigkeit; der Widerſtand, den die Lebenskraft belebten Kör-
pertheilen gegen äußere Urſachen von Störungen verleiht,
muß in gewiſſen Temperaturen in dem nämlichen Verhältniß
abnehmen, wie die Fähigkeit ihrer Elementartheile zunimmt,
ſich mit dem Sauerſtoff der Luft zu verbinden.


Durch die Verbindung des Sauerſtoffs mit den Beſtand-
theilen der Gebilde, die ſich umgeſetzt haben, wird bei den
fleiſchfreſſenden Thieren die zur Aeußerung der Lebensthätig-
keit nöthige Temperatur erzeugt. Bei den grasfreſſenden
Thieren wird eine gewiſſe Menge Wärme durch die Be-
ſtandtheile ihrer ſtickſtofffreien Nahrungsmittel entwickelt,
welche die Fähigkeit haben, eine Verbindung mit dem Sauer-
ſtoff einzugehen.


Es iſt klar, daß die Temperatur eines Thierkörpers ſich
[240]Die Bewegungserſcheinungen
nicht ändern kann, wenn die Menge des eingeathmeten Sauer-
ſtoffs mit dem Wärmeverluſt durch äußere Abkühlung in
gradem Verhältniß zunimmt.


Zwei Individuen von gleichem Gewichte, welche unglei-
chen Kältegraden ausgeſetzt ſind, verlieren in einer gegebenen
Zeit, nach Außen hin, eine ungleiche Menge Wärme. Die
Erfahrung lehrt, daß ſie, wenn die ihnen eigenthümliche
Temperatur und ihr urſprüngliches Gewicht ſich nicht än-
dern ſoll, einer ungleichen Menge Speiſe bedürfen; in der
niedrigern Temperatur mehr Speiſe wie in der höhern.


Das Gleichbleiben des Gewichts bei ungleicher Quanti-
tät genoſſener Nahrung ſetzt, wie ſich von ſelbſt verſteht,
voraus, daß in derſelben Zeit eine der Temperatur propor-
tionale Menge Sauerſtoff aufgenommen worden iſt, in der
niedern Temperatur mehr wie in der höhern.


Wir finden, daß das Gewicht beider Individuen nach
24 Stunden gleich iſt dem urſprünglichen Gewichte; an-
genommen, daß die Nahrung zu Blut wird, daß das Blut
zur Ernährung gedient hat, ſo iſt klar, daß mit der
Wiederkehr des urſprünglichen Gewichtes ein den Be-
ſtandtheilen der Speiſe gleiches Gewicht von den Beſtand-
theilen des Körpers ſeinen Zuſtand des Lebens verloren und
mit dem Sauerſtoff verbunden wieder ausgetreten iſt.


Das eine Individuum, was bei dem höhern Kältegrade
mehr Speiſe zu ſich nahm, hat auch mehr Sauerſtoff aufge-
nommen, es iſt eine größere Menge ſeiner Körpertheile mit
dieſem Sauerſtoff ausgetreten und in Folge der Verbindung
[241]im Thierorganismus.
des Sauerſtoffs mit den umgeſetzten Beſtandtheilen iſt ein
größeres Maß von Wärme frei geworden, wodurch die
entführte Wärme wieder erſetzt und die ſeinem Organismus
zukommende Temperatur erhalten wurde.


Durch die Wärmeentziehung muß demnach, bei hinrei-
chender Nahrung und ungehindertem Sauerſtoffzutritt, der
Stoffwechſel beſchleunigt werden und mit der, in einer gege-
benen Zeit beſchleunigten Umſetzung der belebten Körpertheile
muß gleichzeitig ein größeres Maß von Lebenskraft zu me-
chaniſchen Effecten verwendbar geworden ſein.


Mit der äußern Abkühlung verſtärken ſich die Athembe-
wegungen, mit der niedern Temperatur wird ein größeres
Gewicht Sauerſtoff dem Blute zugeführt, der Verbrauch an
Stoff nimmt zu und wenn der Erſatz mit dieſem Verbrauch
nicht im Gleichgewicht (durch Zufuhr an Speiſe) erhalten
wird, ſo nimmt die Temperatur des Körpers allmählig ab.


In einer gegebenen Zeit kann aber keine unbegrenzte
Menge Sauerſtoff in den Körper aufgenommen, es kann
nur eine gewiſſe Quantität des belebten Stoffs ſeinen Zu-
ſtand des Lebens verlieren, es kann nur ein begrenztes Maß
von Lebenskraft als mechaniſche Kraft zur Aeußerung gelan-
gen. Nur in dem Falle wird alſo die Temperatur des Thier-
körpers ſich nicht ändern, wenn Abkühlung, Krafterzeugung
und Sauerſtoffaufnahme ſich einander im Gleichgewichte hal-
ten. Nimmt die Wärmeentziehung über einen beſtimmten
Punkt hinaus zu, ſo nehmen die Lebenserſcheinungen in dem
nämlichen Verhältniſſe ab, denn die Temperatur nimmt ab,
16
[242]Die Bewegungserſcheinungen
welche als eine ſich gleichbleibende Bedingung, zu ihrer
Aeußerung angeſehen werden muß.


Die Erfahrung zeigt nun, daß bei der Abnahme der Tem-
peratur des Körpers, das Vermögen der Glieder, mechaniſche
Effecte hervorzubringen (die zu den willkürlichen Bewegun-
gen nöthige Kraft) ebenfalls abnimmt, es tritt der Zuſtand
ein, den man Schlaf nennt, zuletzt hören alle unwillkürlichen
Bewegungen (des Herzens, der Eingeweide) auf, es tritt ein
Scheintod ein.


Es iſt klar, daß die Urſache der Krafterzeugung, der
Stoffwechſel nämlich, deshalb abnimmt, weil mit der Ent-
ziehung von Wärme, ähnlich wie durch Abnahme des Lich-
tes bei der Pflanze, die Intenſität der Lebenskraft ſich ver-
mindert; es iſt klar, daß das Kraftmoment eines belebten
Körpertheils abhängig iſt von der ihm zukommenden Tem-
peratur, ganz ähnlich, wie der Effect eines fallenden Kör-
pers in einer beſtimmten Beziehung ſteht zu gewiſſen an-
dern Bedingungen, die man Maſſe nennt oder Geſchwindigkeit.


Nimmt die Temperatur ab, ſo nimmt die Lebensthätig-
keit ab; mit dem Steigen der Temperatur muß das Kraft-
moment belebter Körpertheile in ſeiner ganzen Intenſität
wieder hergeſtellt werden.


Krafterzeugung zu mechaniſchen Effecten und Tempera-
tur müſſen deshalb, in einer ganz beſtimmten Beziehung ſte-
hen, zu der Menge des in einer gegebenen Zeit von dem
Thierkörper aufnehmbaren Sauerſtoffs.


Die Menge von Sauerſtoff, welche ein Wallfiſch und
[243]im Thierorganismus.
ein Fuhrmannspferd in einer gleichen Zeit einzuathmen ver-
mögen, iſt ſehr ungleich. Die Temperatur, ſowie die Menge
des Sauerſtoffs, iſt bei dem Pferde weit größer.


Die mechaniſche Kraft, welche ein harpunirter Wallfiſch
entwickelt, deſſen Körper von dem umgebenden Medium
getragen wird, ſo wie die Kraft eines Fuhrmannspferdes,
was ſeinen eigenen Körper und eine ſchwere Laſt 8 — 10
Stunden lang fortzubewegen hat, muß mit dem von beiden
verzehrten Sauerſtoff in einerlei Verhältniß ſtehen. Wenn
man die Zeit beachtet, in welcher die Kraft zur Aeußerung
gelangt, ſo iſt ſie offenbar bei dem Pferde weit größer.


Beim Beſteigen hoher Berge, wo durch das Einathmen
einer ſehr verdünnten Luft, in gleichen Zeiten, weit weniger
Sauerſtoff dem Blute zugeführt wird, wie in Thälern oder
an dem Ufer des Meeres, nimmt der Stoffwechſel in
dem nämlichen Verhältniß und damit die zu mechaniſchen
Effecten verwendbare Kraft, ab; Neigung zum Schlaf, Man-
gel an Kraft für die willkürlichen Bewegungen ſtellt ſich
meiſtens ein; nach zwanzig oder dreißig Schritten zwingt
die Ermüdung zu neuer Anſammlung von Kraft durch Ruhe
(Einſaugung von Sauerſtoff, ohne Verbrauch an Kraft für
willkürliche Bewegungen).


Durch die Aufnahme von Sauerſtoff in die Subſtanz
belebter Körpertheile verlieren ſie ihren Zuſtand des Lebens
und treten als formloſe Verbindungen aus, allein nicht aller
eingeathmete Sauerſtoff wird zu dieſer Umſetzung verwen-
det; der größte Theil dient zur Vergaſung, zur Entfernung
16*
[244]Die Bewegungserſcheinungen
aller dem Organismus nicht mehr angehörenden Stoffe, und
wie erwähnt, wird in Folge der Verbindung ihrer Elemente
mit dieſem Sauerſtoff, die dem Organismus zukommende
Temperatur erzeugt.


Wärmeerzeugung und Stoffwechſel ſtehen in enger Be-
ziehung zu einander, allein obwohl im Thierkörper Wärme
hervorgebracht werden kann ohne allen Stoffwechſel, ſo kann
der letztere dennoch nicht unabhängig von der Mitwirkung
des Sauerſtoffs gedacht werden.


Nach allen bis jetzt gemachten Beobachtungen enthält
nach dem Genuß von geiſtigen Getränken, weder die ausge-
athmete Luft, noch der Schweiß, noch der Urin, Spuren von
Alkohol, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ſeine
Beſtandtheile ſich im Thierkörper mit Sauerſtoff verbinden,
daß ſein Kohlenſtoff und Waſſerſtoff als Kohlenſäure und
Waſſer wieder austreten.


Der Sauerſtoff, welcher dieſe Verwandlung bewirkt,
muß nothwendig von dem arteriellen Blute genommen wor-
den ſein, denn wir kennen keinen andern Weg als die Blut-
circulation, auf welchem Sauerſtoff in das Innere des Kör-
pers gelangen kann.


Vermöge ſeiner Flüchtigkeit und der Leichtigkeit, womit
der Alkoholdampf von den Membranen und thieriſchen Ge-
weben durchgelaſſen wird, kann er ſich überall nach allen
Orten im Körper hin verbreiten.


Wäre die Fähigkeit der Beſtandtheile des Alkohols, ſich
mit Sauerſtoff zu vereinigen, nicht größer, als die der
[245]im Thierorganismus.
Verbindungen, welche durch den Stoffwechſel gebildet wer-
den, oder als die der Subſtanz der belebten Körper-
theile iſt, ſo würden ſie (die Beſtandtheile des Alkohols)
ſich mit Sauerſtoff nicht verbinden können.


Es iſt deßhalb einleuchtend, daß durch den Genuß von
Alkohol, dem Stoffwechſel in gewiſſen Körpertheilen, eine
raſche Grenze geſetzt werden muß. Der Sauerſtoff des ar-
teriellen Blutes, der ſich ohne die Gegenwart des Alkohols
mit belebtem Stoff verbunden haben würde, tritt jetzt an die
Beſtandtheile des Alkohols, ein Theil des arteriellen Blutes
wird zu venöſem Blut, ohne daß die Muskelſubſtanz an
dieſer Umwandlung Antheil nimmt.


Wir beobachten nun, daß die Wärmeentwickelung im Or-
ganismus nach dem Genuß von Wein eher zu-. als abnimmt,
ohne daß damit ein entſprechendes größeres Maß von me-
chaniſcher Kraft zur Aeußerung gelangt.


Eine mäßige Quantität Wein bedingt bei Frauen und
Kindern, welche an Weingenuß nicht gewöhnt ſind, ganz
im Gegentheil eine Abnahme der zu den willkürlichen Be-
wegungen nöthigen Kraft; Müdigkeit, Abgeſchlagenheit der
Glieder, Neigung zum Schlaf geben offenbar zu erkennen,
daß die zu mechaniſchen Effecten verwendbare Kraft, dies
will ſagen, daß der Stoffwechſel abgenommen hat.


Gewiß kann an dieſen Symptomen eine Verminderung der
Leitungsfähigkeit der willkürlichen Bewegungsnerven einen
gewiſſen Antheil haben, allein dies muß auf die Summe
von verwendbarer Kraft ohne allen Einfluß ſein.


[246]Die Bewegungserſcheinungen

Was die Leiter der willkürlichen Bewegungen an Kraft-
effecten nicht fortzupflanzen vermögen, wird von den Leitern
der unwillkürlichen Bewegungen aufgenommen und dem Her-
zen, den Eingeweiden zugeführt werden müſſen. Die Blut-
bewegung wird in dieſem Fall, auf Koſten der zu willkür-
lichen Bewegungen durch die Glieder verwendbaren Kraft
beſchleunigt erſcheinen, ohne daß aber, wie bemerkt, durch
den Oxydationsproceß des Alkohols ein größers Maaß von
mechaniſcher Kraft erzeugt worden iſt.


Wir beobachten zuletzt bei den Winterſchläfern, daß wäh-
rend ihres Winterſchlafs die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe
(eine der Hauptäußerungen der Lebenskraft), durch den Aus-
ſchluß aller Speiſe, völlig unterdrückt iſt; bei manchen tritt
in Folge der niedern Temperatur und der hierdurch herab-
geſtimmten Lebensthätigkeit ein Scheintod ein, bei anderen
dauern die unwillkürlichen Bewegungen fort; das Thier be-
hält eine von der Umgebung unabhängige Temperatur. Die
Athembewegungen dauern fort, nach wie vor wird Sauer-
ſtoff als der Bedinger der Wärme- und Krafterzeugung auf-
genommen; wir finden vor dem Winterſchlaf alle Theile ih-
res Körpers, die in ſich ſelbſt keinen Widerſtand gegen die
Einwirkung des Sauerſtoffs zu produciren vermögen, welche
wie die Eingeweide und Membranen nicht zum Stoffwechſel
beſtimmt ſind, mit Fett bedeckt, mit einer Materie umgeben,
welche dieſen Widerſtand übernimmt.


Wenn wir uns nun denken, daß der während des Win-
terſchlafs aufgenommene Sauerſtoff nicht in die Zuſammen-
[247]im Thierorganismus.
ſetzung der belebten Körpertheile, ſondern mit den Beſtand-
theilen des Fettes in Verbindung tritt, ſo wird der belebte
Körpertheil, obwohl ein gewiſſes Bewegungsmoment zu der
Unterhaltung des Blutumlaufs verwendet worden iſt, nicht
austreten.


Mit der höhern Temperatur wächſt in gleichem Grade
die Fähigkeit der Zunahme an Maſſe, die Blutbewegung
nimmt mit der Sauerſtoffaufnahme zu. Manche dieſer Thiere
magern während dem Winterſchlafe, andere erſt mit dem
Erwachen aus dem Winterſchlafe ab.


Bei den Winterſchläfern wird die in den belebten Kör-
pertheilen thätige Kraft ausſchließlich nur zur Unterhaltung
der unwillkürlichen Bewegungen verbraucht, alle Kraft-
verwendung zu willkürlichen Bewegungen iſt völlig unter-
drückt.


Im Gegenſatz zu dieſen Erſcheinungen wiſſen wir, daß
bei Uebermaß von Bewegung und Anſtrengung, die in den
belebten Körpertheilen thätige Kraft ausſchließlich und vollſtän-
dig zur Hervorbringung willkürlicher mechaniſcher Effecte
verzehrt werden kann, in der Art, daß für die unwillkür-
lichen Bewegungen keine Kraft mehr zu verwenden übrig
bleibt. Ein Hirſch kann zu Tode gehetzt werden, aber dies kann
nicht geſchehen ohne Umſetzung aller belebten Theile ſeines
Muskularſyſtems, ſein Fleiſch iſt nicht genießbar; der Zuſtand
der Umſetzung, in den es durch einen enormen Kraft- und
Sauerſtoffverbrauch übergegangen iſt, ſetzt ſich mit dem Auf-
hören aller Bewegungserſcheinungen fort; in ſeinen belebten
[248]Die Bewegungserſcheinungen
Körpertheilen iſt aller Widerſtand der Lebenskraft gegen äu-
ßere Urſachen und Störungen völlig aufgehoben.


So eng mit einander verknüpft nun auch die Bedingun-
gen der Wärme- und Krafterzeugung zu mechaniſchen Effe-
cten ſich der Beobachtung darſtellen mögen, ſo kann die Wär-
meentwicklung für ſich allein in keiner Weiſe als die Ur-
ſache der mechaniſchen Effecte angeſehen werden.


Alle Erfahrungen beweiſen, daß es im Organismus nur
eine Quelle von mechaniſcher Kraft giebt und dieſe Quelle
iſt der Uebergang belebter Körpertheile in lebloſe Verbin-
dungen.


Von dieſer Wahrheit ausgehend, welche unabhängig iſt
von jeder Theorie, läßt ſich das animaliſche Leben als be-
dingt durch die Wechſelwirkung entgegengeſetzter Kräfte be-
trachten, von denen die einen als Urſachen der Zu-
nahme
(des Erſatzes an Stoff), die andern als Urſa-
chen der Abnahme
(des Verbrauchs an Stoff) angeſehen
werden müſſen.


Die Zunahme an Maſſe wird in belebten Körpertheilen
bewirkt durch die Lebenskraft; ihre Aeußerung iſt abhän-
gig von der Wärme (von einer gewiſſen einem jeden Or-
ganismus eigenthümlichen Temperatur).


Die Urſache des Verbrauchs iſt die chemiſche Action
des Sauerſtoffs
, ihre Aeußerung iſt abhängig von einer
Entziehung von Wärme, ſo wie von der Verwendung der
Lebenskraft zu mechaniſchen Effecten.


Der Act des Verbrauchs heißt Stoffwechſel,
[249]im Thierorganismus.
er tritt ein in Folge der Aufnahme von Sauer-
ſtoff in die Subſtanz belebter Körpertheile; dieſe
Aufnahme von Sauerſtoff findet nur dann ſtatt,
wenn der Widerſtand, welchen die Lebenskraft
belebter Körpertheile der chemiſchen Action des
Sauerſtoffs entgegenſetzt, kleiner iſt als dieſe
chemiſche Action ſelbſt, und dieſer ſchwächere Wi-
derſtand wird bedingt durch Entziehung von
Wärme oder durch Verwendung der in den Kör-
pertheilen thätigen Kraft zu mechaniſchen Be-
wegungen
.


In Folge der Verbindung des im arteriellen Blute zu-
geführten Sauerſtoffs mit allen Beſtandtheilen des Thierkör-
pers, die ſeiner chemiſchen Action keinen Widerſtand entge-
genſetzen, wird die zur Aeußerung der Lebensthätigkeit nö-
thige Temperatur erzeugt.


Aus den Beziehungen des Sauerſtoffverbrauches zu dem
Stoffwechſel und zur Wärmeentwickelung im Thierkörper
ergeben ſich die folgenden allgemeinen Regeln.


Für jedes Verhältniß Sauerſtoff, was in dem Körper in
Verbindung tritt, muß eine entſprechende Menge Wärme er-
zeugt werden.


Die Summe der zu mechaniſchen Effecten verwendbaren
Kraft muß gleich ſein der Summe von Lebenskraft aller zum
Stoffwechſel geeigneten Gebilde.


Wenn in gleichen Zeiten eine ungleiche Menge von Sauer-
ſtoff verzehrt worden iſt, ſo zeigt ſich dies in einem unglei-
[250]Die Bewegungserſcheinungen
chen Maß von freigewordener Wärme und mechaniſcher Kraft.


Ein ungleiches Maß von verbrauchter mechaniſcher Kraft
oder von Wärme bedingt die Aufnahme einer entſprechenden
Menge Sauerſtoff.


Zum Uebergang belebter Körpertheile in lebloſe Verbin-
dungen, ſowie zur Verbindung des Sauerſtoffs mit den Be-
ſtandtheilen des Thierkörpers, welche Verwandtſchaft zu ihm
haben, gehört Zeit.


In einer gegebenen Zeit kann nur ein begrenztes Maß
von mechaniſchen Effecten zur Aeußerung gelangen, es kann
nur eine begrenzte Menge von Wärme in Freiheit geſetzt
werden.


Was in den mechaniſchen Effecten an Geſchwindigkeit
verbraucht wird, geht an Zeit ab, d. h. je raſcher die her-
vorgebrachten Bewegungen ſind, deſto ſchneller wird die Kraft
erſchöpft.


Die Summe der im Thierkörper in einer gegebenen Zeit
erzeugten mechaniſchen Kraft iſt gleich der Summe der in der
nämlichen Zeit zur Hervorbringung der willkürlichen und
unwillkürlichen Bewegungen nöthigen Kraft, d. h. alle
Kraft, welche das Herz, die Eingeweide ꝛc. zu ihren Be-
wegungen bedürfen, geht für die willkürlichen Bewegungen
verloren.


Die Menge der zur Herſtellung des Gleichgewichts zwi-
ſchen Verbrauch und Erſatz nöthigen, ſtickſtoffhaltigen Speiſe
ſteht im graden Verhältniß zu der Menge der umgeſetzten
Gebilde.


[251]im Thierorganismus.

Die Menge des belebten Stoffs, welcher in dem Thier-
körper ſeinen Zuſtand des Lebens verliert, ſteht bei gleichen
Temperaturen in geradem Verhältniß zu den in der gegebe-
nen Zeit hervorgebrachten mechaniſchen Effecten.


Die Quantität der in einer gegebenen Zeit umgeſetzten
Gebilde iſt meßbar durch den Stickſtoffgehalt des Harns.


Die Summe der bei gleichen Temperaturen in zwei In-
dividuen hervorgebrachten mechaniſchen Effecte iſt proportio-
nal dem Stickſtoffgehalt ihres Harns, gleichgültig ob die
mechaniſche Kraft zu den willkürlichen oder unwillkürlichen
Bewegungen verwendet, ob ſie durch die Glieder, oder das
Herz und die Eingeweide verzehrt worden iſt.


Der Zuſtand des Thierkörpers, den man mit Geſund-
heit
bezeichnet, umfaßt den Begriff eines Gleichgewichts
zwiſchen allen Urſachen des Verbrauchs und den Urſachen
des Erſatzes, und das Thierleben giebt ſich hiernach zu er-
kennen als die Wechſelwirkung beider Urſachen, es zeigt ſich
als eine ſich wiederholende Aufhebung und Wiederherſtellung
des Gleichgewichtszuſtandes.


Der Maſſe nach iſt in den verſchiedenen Lebensaltern der
Erſatz und Verbrauch an Stoff ungleich, allein im Zuſtand
der Geſundheit muß die verwendbare Lebenskraft ſtets als
eine der Summe der belebten Körpertheile entſprechende, un-
veränderliche Größe angeſehen werden.


Die Zunahme an Maſſe ſteht in jedem Lebensalter in
einem ganz beſtimmten Verhältniß zu der als bewegende
Kraft verbrauchten Lebenskraft.


[252]Die Bewegungserſcheinungen

Die Lebenskraft, welche zu mechaniſchen Effecten verwen-
det wird, geht von der Summe an Kraft ab, welche zur
Zunahme verwendbar iſt.


Die thätige Kraft, welche in dem Thierkörper zur Ueber-
windung von Widerſtänden, ſagen wir zu Bildungsef-
fecten
(zur Zunahme an Maſſe), verwendet wird, iſt gleichzei-
tig nicht zur Hervorbringung mechaniſcher Effecte verwendbar.


Hieraus folgt von ſelbſt, daß wenn der Maſſe nach, wie
in dem Kindesalter, der Erſatz (die Zunahme an Maſſe)
größer iſt, als der Verbrauch, daß die hervorgebrachten me-
chaniſchen Effecte in demſelben Verhältniß kleiner geweſen
ſein müſſen.


Mit der Steigerung der mechaniſchen Effecte vermin-
dert ſich in dem nämlichen Verhältniß die Fähigkeit der Zu-
nahme oder des Erſatzes an belebten Körpertheilen.


Ein vollkommnes Gleichgewicht in dem Verbrauch der
Lebenskraft zu Bildungseffecten und mechaniſchen Effecten fin-
det demnach nur in dem erwachſenen Zuſtande ſtatt; es zeigt
ſich unverkennbar an dem vollkommnen Erſatz von verbrauch-
tem Stoff. Im Greiſenalter wird mehr verbraucht, im
Kindesalter wird mehr erſetzt als verbraucht.


Die zu mechaniſchen Effecten von einem erwachſenen
Manne verwendbare Kraft wird in der Mechanik zu einem
Fünftel ſeines eigenen Gewichts angenommen, was er acht
Stunden lang mit einer Geſchwindigkeit von 5 Fuß in zwei
Secunden fortbewegen kann.


Nehmen wir das Gewicht eines Mannes zu 150 Pfund
[253]im Thierorganismus.
an, ſo iſt ſeine Kraft gleich einem Gewicht von 30 Pfun-
den, die er 72000 Fuß weit trägt. Für jede Secunde
iſt ſein Kraftmoment 30 × 2,5 = 75 und für die
ganze Tageszeit ſein Bewegungsmoment 30 × 72000 =
216000.


Durch die Wiederherſtellung ſeines Körpergewichts ſam-
melt der Mann nun eine Summe von Kraft wieder an, die
ihm den zweiten Tag geſtattet, ohne Erſchöpfung eine gleiche
Anzahl von mechaniſchen Effecten hervorzubringen.


Dieſer Erſatz an Kraft geſchieht in einem ſie-
benſtündigen Schlaf
.


In den Fabriken von gewalztem Eiſen kommt es häufig
vor, daß für den gewöhnlichen Gang der Maſchine ihr
Druck nicht ſtark genug iſt, um eine Eiſenſtange von einer
gewiſſen Dicke durch die Cylinder der Walze durchgehen zu
machen. Man hilft ſich in dieſem Fall, indem man die
ganze Kraft des Dampfs auf das Schwungrad wirken läßt
und alsdann erſt, wenn dieſes eine große Geſchwindigkeit
erlangt hat, die Eiſenſtange unter die Walze bringt, wo ſie
dann (während das Schwungrad ſeine Geſchwindigkeit ver-
liert) mit großer Leichtigkeit zu einer Tafel zuſammengepreßt
wird. Was das Schwungrad an Geſchwindigkeit zunahm,
gewann die Walze an Kraft; durch dieſes Verfahren iſt of-
fenbar in der Geſchwindigkeit Kraft angeſammelt worden;
allein in dieſem Sinne häuft ſich im lebendigen Organismus
keine Kraft an.


Die Wiederherſtellung der Kraft geſchieht im Thierkör-
[254]Die Bewegungserſcheinungen
per durch die Neubildung der ausgetretenen, zur Krafterzeu-
gung beſtimmten Körpertheile, durch die Verwendung der
thätigen Lebenskraft zu Bildungseffecten und mit der
Wiederherſtellung der ausgetretenen Körpertheile, erhält der
Organismus eine der verwendeten, gleiche Kraft zurück.


Es iſt einleuchtend, daß die während des Schlafs in
Bildungseffecten ſich äußernde Lebenskraft, gleich ſein muß,
der ganzen Summe der im wachenden Zuſtande zu allen me-
chaniſchen Effecten zuſammengenommenen verwendeten bewe-
genden Kraft, plus einer gewiſſen Quantität von Kraft, welche
zur Unterhaltung der im Schlafe fortdauernden, unwillkür-
lichen Bewegungen erforderlich war.


Von Tag zu Tag erhält der arbeitende Mann bei hin-
länglicher Nahrung durch ſieben Stunden Schlaf dieſe ganze
Summe von Kraft zurück, und abgeſehen von der zu den
unwillkürlichen Bewegungen nöthigen Kraft, die in allen
Individuen gleich iſt, kann man annehmen, daß die zur Ar-
beit verwendbare, mechaniſche Kraft in gradem Verhältniß
ſteht zu der Anzahl von Stunden Schlaf.


Der Mann ſchläft 7 und wacht 17 Stunden; bei Wie-
derherſtellung des Gleichgewichtes
nach 24 Stunden
ſind demnach die in 17 Stunden geäußerten mechaniſchen Effecte
gleich den in 7 Schlafſtunden verwendeten Bildungseffecten.


Wenn ein Greis nur 3½ Stunden ſchläft und alles übrige
gleich wie bei dem Manne geſetzt wird, ſo würde er jeden-
falls nur die Hälfte der mechaniſchen Effecte hervorzubringen
vermögen, wie der Mann von gleichem Gewicht, er würde
[255]im Thierorganismus.
nur 15 Pfund die nämliche Strecke weit tragen können.


Der Säugling ſchläft 20 Stunden und wacht 4 Stun-
den; die in ihm thätige Kraft, welche zu Bildungseffecten
verwendet wird, verhält ſich zu der, welche zu mechaniſchen
Effecten (zur Bewegung der Glieder) verwendet wird, wie
20 : 4; aber ſeine Glieder beſitzen kein Kraftmoment, denn
er kann ſeinen eigenen Körper noch nicht tragen. Nehmen
wir an, der Greis und Säugling verbrauche zu mechaniſchen
Effecten eine dem Verhältniß, der von dem Manne verwend-
baren, entſprechende Menge Kraft, ſo ſtehen die mechani-
ſchen Effecte im Verhältniß zu der Anzahl der Stunden des
Wachens, die Bildungseffecte im Verhältniß zu der Anzahl
der Stunden Schlaf, und wir haben:


Bei dem Manne findet zwiſchen Verbrauch und Erſatz ein
vollkommnes Gleichgewicht ſtatt, beim Säugling und Greis
weichen Erſatz und Verbrauch von einander ab. Setzen wir
den Kraftverbrauch in den ſiebzehn Stunden des Wachens
gleich dem Kraftverbrauch zur Wiederherſtellung des Gleich-
gewichts im Schlaf = 100 = 17 Wacheſtunden = 7
Schlafſtunden, ſo ergeben ſich folgende Verhältniſſe.


[256]Die Bewegungserſcheinungen

Die mechaniſchen Effecte verhalten ſich zu den Bildungs-
effecten


  • beim Mann = 100 : 100
  • beim Säugling = 25 : 250
  • beim Greis = 125 : 50

oder die Zunahme zur Abnahme


  • beim Erwachſenen = 100 : 100
  • beim Säugling = 100 : 10
  • beim Greis = 100 : 250

Es iſt hiernach klar, daß wenn der Greis eine den
Schlafſtunden des Mannes proportionale Arbeit verrichtet,
ſo wird der Verbrauch größer ſein wie der Erſatz, d. h. ſein
Körper wird raſch abnehmen, im Fall er 15 Pfund, mit
einer Geſchwindigkeit von 2½ Fuß in der Sekunde 72000
Fuß weit trägt, aber 6 Pfund Laſt wird er dieſe Strecke
weit fortbewegen können.


Beim Kinde verhält ſich die Zunahme zur Abnahme wie
10 : 1 und wenn wir den Verbrauch an mechaniſchen Effecten
bei ihm alſo um das zehnfache ſteigern, ſo wird erſt dann
ein Gleichgewicht an Erſatz und Verbrauch eintreten; das
Kind wird in dieſem Fall freilich nicht an Maſſe zunehmen,
allein es wird daran auch nicht abnehmen.


Wenn bei dem Erwachſenen der Kraftverbrauch zu me-
chaniſchen Effecten in 24 Stunden, über die in 7 Schlafſtun-
den erſetzbare Quantität geſteigert wird, ſo muß, wenn das
Gleichgewicht ſich wiederherſtellen ſoll, in den folgenden 24
[257]im Thierorganismus.
Stunden, in dem nämlichen Verhältniß, weniger Kraft zu me-
chaniſchen Effecten verwendet werden, im entgegengeſetzten
Fall nimmt die Maſſe des Körpers ab und es tritt mehr
oder weniger ſchnell der Zuſtand ein, welcher das Greiſen-
alter characteriſirt.


Mit jeder Stunde Schlaf mehrt ſich beim Greiſe die
Summe der verwendbaren Krafteffecte, oder nähert ſich dem
Gleichgewichtsverhältniß an Erſatz und Verbrauch wie beim
erwachſenen Menſchen.


Es iſt ferner klar, daß wenn ein Theil der Kraft, welche
zu mechaniſchen Bewegungen ohne Störung des Gleichge-
wichtes verwendbar iſt, zur Bewegung der Glieder, Hebung
von Laſten, Arbeit ꝛc. nicht verzehrt wird, ſo wird ſie
durch die unwillkürlichen Bewegungen verwendbar ſein.
Wenn die Bewegung des Herzens und der Säfte, der
Eingeweide (der Blutumlauf und die Verdauung) ſich in dem
nämlichen Verhältniß beſchleunigt findet, wie zu mechaniſchen
Effecten durch die Glieder weniger Kraft verbraucht wird,
ſo wird das Gewicht des Körpers in 24 Stunden weder zu-
noch abnehmen; der Körper nimmt an Maſſe alſo nur dann
zu, wenn die in den Schlafſtunden geſammelte und zu me-
chaniſchen Effecten verwendbare Kraft weder für die willkür-
lichen, noch unwillkürlichen Bewegungen verzehrt wird.


Die angeführten approximativen Zahlenwerthe für den
Kraftverbrauch im Organismus des Menſchen beziehen ſich,
wie ausdrücklich hervorgehoben worden, nur auf eine gege-
bene, unveränderliche Temperatur; in ungleicher Temperatur
17
[258]Die Bewegungserſcheinungen
und bei Mangel an Nahrung müſſen ſich alle dieſe Verhält-
niſſe ändern.


Wenn wir einen Körpertheil mit Eis und Schnee um-
geben, während die übrigen in ihrer gewöhnlichen Beſchaf-
fenheit bleiben, ſo tritt mehr oder weniger ſchnell in Folge
der Entziehung von Wärme, ein raſcherer Stoffwechſel an
der abgekühlten Stelle ein.


Der Widerſtand der belebten Körpertheile gegen die Ein-
wirkung des Sauerſtoffs an der abgekühlten Stelle iſt klei-
ner, als an allen übrigen Orten, was im Reſultate ganz
gleich iſt einer Erhöhung des Widerſtandes an dieſen andern
Orten.


Das Kraftmoment der Lebenskraft an den nicht abgekühl-
ten Stellen wird nach wie vor zur mechaniſchen Bewegung
verbraucht, allein die ganze Wirkung des eingeathmeten Sauer-
ſtoffs wendet ſich der abgekühlten Stelle zu.


Denken wir uns einen Cylinder von Eiſen, in den wir
Dampf unter einem gewiſſen Drucke einſtrömen laſſen, ſo
wird, wenn die Kraft, mit welcher die Theile des Eiſens zu-
ſammenhängen, gleich iſt der Kraft, welche ſie zu tren-
nen ſtrebt, ein Gleichgewichtszuſtand eintreten, d. h. die ganze
Wirkung des Dampfes wird durch den Widerſtand aufgeho-
ben. Wenn aber eine der Wände des Cylinders beweglich
iſt, ein Stempel z. B., dem Druck des Dampfes alſo einen
geringeren Widerſtand entgegenſetzt, als die anderen Wände,
ſo wird der ganze Druck in der Bewegung dieſer einen Wand,
in der Hebung des Stempels, verzehrt. Wenn wir nicht
[259]im Thierorganismus.
neuen Dampf (neue Kraft) hinzuſtrömen laſſen, ſo wird ſich
bald ein Gleichgewichtszuſtand einſtellen. Einen gewiſſen Druck
hält die Wand aus ohne ſich zu bewegen, durch einen größe-
ren Druck wird der Stempel gehoben; wenn dieſer Ueber-
ſchuß von Kraft verzehrt iſt durch die Bewegung, ſo wird
er nicht weiter gehoben werden; wenn immer neuer Dampf
hinzuſtrömt, ſo wird ſeine Bewegung fortdauern.


An der abgekühlten Stelle ſetzen die belebten Körpertheile
der chemiſchen Action des Sauerſtoffs ein kleineres Hinderniß
entgegen; ſeine Fähigkeit, mit ihren Beſtandtheilen eine Ver-
bindung einzugehen, iſt an dieſem Orte erhöht; einmal aus-
getreten hört aller Widerſtand völlig auf, und in Folge der
Verbindung des Sauerſtoffs mit den Beſtandtheilen der um-
geſetzten Gebilde wird ein größeres Maß von Wärme frei.


Für eine gegebene Quantität Sauerſtoff bleibt ſich die
erzeugte Wärmemenge völlig gleich; an der abgekühlten Stelle
nimmt der Stoffwechſel und damit die Wärmeentwicklung
zu, an den anderen nimmt der Stoffwechſel (die Wärme-
entwicklung) ab. Hat aber die abgekühlte Stelle, durch die
Verbindung des Sauerſtoffs mit den ausgetretenen Körper-
theilen, ihre urſprüngliche Temperatur wiedererhalten, ſo
nimmt damit der Widerſtand ihrer belebten Körpertheile ge-
gen den nachſtrömenden Sauerſtoff wieder zu, an allen übri-
gen Orten iſt aber nun der Widerſtand kleiner geworden,
d. h. es tritt nun auch an dieſen ein raſcherer Stoffwechſel,
eine Erhöhung der Temperatur ein, und mit dieſer wird,
wenn die Urſache des Stoffwechſels fortdauert, ein größe-
17*
[260]Die Bewegungserſcheinungen
res Maß von Lebenskraft zu mechaniſchen Effekten verwendbar.


Denken wir uns nun, daß der ganzen Oberfläche des
Körpers Wärme entzogen wird, ſo wird die ganze Wirkung
des Sauerſtoffs der Haut zugelenkt werden, in kurzer Zeit
muß der Stoffwechſel im ganzen Körper zunehmen; das Fett,
ſo wie alle Beſtandtheile des Thierkörpers, welche die Fähig-
keit haben, mit dem in größerer Quantität zugeführten Sauer-
ſtoff ſich zu verbinden, werden in der Form von Sauerſtoff-
verbindungen aus dem Körper treten.


Theorie der Krankheit.


Ein jeder Stoff oder Materie, eine jede chemiſche oder
mechaniſche Thätigkeit, welche die Wiederherſtellung des Gleich-
gewichtes in den Aeußerungen der Urſachen des Verbrauches
und Erſatzes in der Art ändert oder ſtört, daß ſich ihre
Wirkung den Urſachen des Verbrauches hinzufügt, heißt
Krankheits-Urſache; es entſteht Krankheit, wenn die
Summe von Lebenskraft, welche alle Urſachen von Störun-
gen aufzuheben ſtrebt (wenn alſo der Widerſtand der Lebens-
kraft), kleiner iſt, als die einwirkende, ſtörende Thätigkeit.


Tod heißt der Zuſtand, wo aller Widerſtand der Lebens-
kraft völlig aufhört; ſo lange dieſer Zuſtand nicht eintritt,
[261]im Thierorganismus.
äußern die belebten Körpertheile ſtets noch einen Widerſtand.


In der Beobachtung zeigt ſich die Wirkung einer Krank-
heitsurſache in dem geſtörten Verhältniſſe zwiſchen dem, ei-
nem jeden Lebensalter zukommenden, Verbrauch und Erſatz.
In der Heilkunde heißt Krankheit jeder abnorme Zuſtand des
Erſatzes oder Verbrauchs, in allen Körpertheilen oder in ei-
nem einzelnen Körpertheil.


Es iſt klar, daß eine und dieſelbe Krankheitsurſache auf
den Organismus, je nach dem Lebensalter, eine höchſt ungleiche
Wirkung äußern muß, daß ein gewiſſes Maß von Störung,
welche Krankheit in dem erwachſenen Zuſtande bewirkt, ohne
Einfluß auf die Lebensäußerungen im Kindes- oder Greiſen-
alter ſein kann. Eine Krankheitsurſache kann im Greiſen-
alter, wenn ſie ſich der Wirkung der Urſache des Verbrauchs
hinzufügt, den Tod bewirken (allen Widerſtand der Lebens-
kraft vernichten), während ſie im reifen Lebensalter nur ein
Mißverhältniß im Verbrauch und Erſatz (Krankheit), und im
Kindesalter nur ein Gleichgewichtsverhältniß zwiſchen Ver-
brauch und Erſatz, das iſt, den abſtracten Zuſtand von Ge-
ſundheit, hervorbringt.


Eine Krankheitsurſache, welche die Urſache des Erſatzes
verſtärkt, entweder direct, oder inſofern die Urſache des Ver-
brauchs in ihrer Wirkung dadurch geſchwächt wird, hebt den
relativ normalen Geſundheitszuſtand im Kindesalter und im
reifen Alter auf, und ſetzt im Greiſenalter Verbrauch und
Erſatz in’s Gleichgewicht.


Ein Kind erträgt, leicht gekleidet, Abkühlung durch hohe
[262]Die Bewegungserſcheinungen
Kältegrade ohne Störung ſeiner Geſundheit, ſeine zu mecha-
niſchen Effekten verwendbare Kraft, ſo wie ſeine Temperatur
nehmen mit dem durch Abkühlung ſich einſtellenden Stoff-
wechſel zu, während ein hoher Wärmegrad, welcher den Stoff-
wechſel hindert, einen krankhaften Zuſtand nach ſich zieht.


Wir ſehen im Gegenſatze hierzu in den Hoſpitälern und
in den wohlthätigen Anſtalten (in Brüſſel ꝛc.), in welchen
alte Leute ihre letzten Lebenstage zubringen, daß, wenn die
Temperatur des Schlafraums (im Winter) zwei bis drei
Grade unter die erwartete Temperatur fällt, daß durch dieſe
ſchwache Abkühlung der Tod von den älteſten und an ſich
ſchwächſten Greiſen und Greiſinnen herbeigeführt wird; man
findet ſie in ihren Betten ruhig liegend ohne die geringſten
Symptome von Krankheit oder anderen erkennbaren Urſachen
des Todes.


Mangel an Widerſtand eines belebten Körpertheils gegen
die Urſachen des Verbrauchs iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht,
Mangel an Widerſtand gegen die Einwirkung des atmo-
ſphäriſchen Sauerſtoffs.


Wenn nun durch irgend eine Urſache der Störung in
einem belebten Körpertheil dieſer Widerſtand abnimmt, ſo
nimmt in gleichem Grade der Stoffwechſel zu.


Da nun die Bewegungserſcheinungen in dem Thierkörper
abhängig ſind von dem Stoffwechſel, ſo folgt mit der
Steigerung des Stoffwechſels in irgend einem Körpertheil,
von ſelbſt, eine Beſchleunigung aller Bewegungen; je nach
der Fortpflanzungsfähigkeit der Nerven vertheilt ſich die ver-
[263]im Thierorganismus.
wendbare Kraft auf die Leiter der unwillkürlichen Bewe-
gungen allein oder auf alle zuſammengenommen.


Wird demnach in Folge einer krankhaften Umſetzung der
belebten Körpertheile ein größeres Maß von Kraft erzeugt,
als zur Hervorbringung der normalen Bewegung erforderlich
iſt, ſo zeigt ſich dies in einer Beſchleunigung aller oder
einzelner, unwillkürlichen Bewegungen, ſo wie in einer höhe-
ren Temperatur des kranken Körpertheils.


Dieſer Zuſtand heißt Fieber.


Bei einem Uebermaß von Krafterzeugung durch Stoff-
wechſel überträgt ſich die Kraft (da ſie nur durch Bewegung
verzehrt werden kann), auf die Apparate der willkürlichen
Bewegung.


Dieſer Zuſtand heißt Fieberparoxysmus.


In Folge der durch den Fieberzuſtand beſchleunigten
Blutbewegung wird in einer gegebenen Zeit dem kranken
Ort ſowohl, wie allen anderen Orten, ein größeres Maß
arterielles Blut und damit Sauerſtoff hinzugeführt, und
wenn die thätige Kraft an den geſunden Orten in ihrer
Aeußerung ſich gleich bleibt, ſo muß die ganze Wirkung des
mehr hinzugeführten Sauerſtoffs ſich auf den kranken Ort
allein erſtrecken.


Je nachdem ein einzelnes Organ oder ein Syſtem von
Organen, krank iſt, erſtreckt ſich der Stoffwechſel auf einen
einzelnen Ort, oder auf das ganze ergriffene Syſtem.


Entſtehen an den kranken Orten in Folge des Stoff-
wechſels aus den Beſtandtheilen des Gebildes oder Blutes
[264]Die Bewegungserſcheinungen
neue Producte, welche die nächſtliegenden Theile zu ihren
eigenen vitalen Function nicht verwenden können, ſind ihre
Umgebungen unfähig, ſie anderen Orten, wo ſie eine Verän-
derung erfahren können, zuzuführen, ſo erleiden ſie an dem
Orte ſelbſt, wo ſie ſich gebildet haben, einen der Verwe-
ſung, Fäulniß oder Gährung ähnlichen Umſetzungsproceß.


In gewiſſen Fällen beſeitigt die Heilkunde dieſe Krank-
heitszuſtände, indem ſie in der Nähe des kranken, oder an
irgend einem andern paſſenden Ort, einen künſtlichen Krank-
heitszuſtand (Blaſenpflaſter, Senfpflaſter, Haarſeil ꝛc.) her-
vorbringt, indem ſie an dieſen Orten den Widerſtand der
Lebensthätigkeit durch künſtliche Störungen vermindert; es ge-
lingt dem Arzte, den urſprünglichen Krankheitszuſtand zu he-
ben, wenn die hervorgebrachte Störung (der verringerte Wi-
derſtand) die zu beſiegende Krankheitsſtörung überwiegt.


Der raſchere Stoffwechſel und die höhere Temperatur
an dem kranken Orte zeigt, daß der Widerſtand der Lebens-
thätigkeit an dem kranken Orte gegen den Sauerſtoff ſchwä-
cher iſt, wie im geſunden Zuſtande, aber erſt mit dem Tode
hört er völlig auf. Durch die künſtliche Verminderung des
Widerſtandes an einem andern Körpertheil wird der Wi-
derſtand des urſprünglich kranken Theils zwar direct nicht
verſtärkt, allein die chemiſche Action (die Urſache des Stoff-
wechſels) nimmt an dem kranken Körpertheil ab, indem ſie
einem andern Orte zugelenkt wird, wo es der Kunſt des
Arztes gelungen iſt, einen noch geringern Widerſtand gegen
Stoffwechſel (gegen die Einwirkung des Sauerſtoffs) hervor-
[265]im Thierorganismus.
zubringen. Es tritt eine vollkommne Hebung der urſprünglichen
Krankheit ein, wenn Widerſtand und Einwirkung an dem kranken
Körpertheil ins Gleichgewicht gebracht ſind. Es erfolgt Ge-
ſundheit, Wiederherſtellung des kranken Körpertheils in ſeinem
urſprünglichen Zuſtande, wenn es gelingt, die ſtörende
Action des Sauerſtoffs durch irgend ein Mittel ſo weit zu
ſchwächen, daß ſie kleiner wird, als der Widerſtand der un-
ausgeſetzt vorhandenen, wiewohl verminderten Lebensthätig-
keit; denn dies iſt die Bedingung der Zunahme an Maſſe
im lebendigen Organismus überhaupt.


In Fällen anderer Art, wo die äußeren künſtlichen Stö-
rungen ohne Wirkung ſind, ſchlägt der praktiſche Arzt, um
den Widerſtand der Lebensthätigkeit zu erhöhen, andere in-
directe Wege ein, auf welche die vollendetſte Theorie, weder
ſcharfſichtiger noch richtiger, hätte führen können; er ver-
mindert nämlich durch Blutentziehung die Anzahl der Trä-
ger des Sauerſtoffs und damit die Bedingung des Stoff-
wechſels; er ſchließt in der Speiſe alle Stoffe aus, welche
die Fähigkeit beſitzen, zu Blut zu werden; er giebt ausſchließ-
lich oder vorzugsweiſe nur ſtickſtofffreie Nahrung, welche den
Reſpirationsproceß unterhält, ſo wie Obſt und Theile von
Vegetabilien, welche die zu den Secreten nöthigen Alkalien
enthalten.


Gelingt es ihm, die Einwirkung des Sauerſtoffs im Blute
auf den kranken Körpertheil ſo weit zu vermindern, daß die
Lebensthätigkeit des letztern, ſein Widerſtand, die chemiſche
Action nur etwas überwiegt, und geſchieht dies, ohne den
[266]Die Bewegungserſcheinungen
Functionen der anderen Organe eine Grenze zu ſetzen, ſo iſt
die Wiederherſtellung gewiß.


Zu der in dieſen Fällen mit Geſchick und Beobachtungs-
gabe angewendeten Heilmethode fügt ſich, man kann ſagen
zur Hülfe des kranken Körpertheils, die Lebenskraft der übri-
gen, nicht ergriffenen Theile hinzu, denn durch Blutentziehung,
durch Ausſchluß der zur Blutbildung nöthigen Speiſe,
nimmt ja auch auf ſie die äußere Urſache der Störung ab,
welche ihre eigne Lebenskraft im Gleichgewicht erhielt; ihre
eigne Thätigkeit erhält ein Uebergewicht; der Stoffwechſel
nimmt zwar im ganzen Körper ab, und damit die Bewegungs-
erſcheinungen, allein die Summe aller Widerſtände zuſam-
mengenommen nimmt zu in dem Grade, wie der auf ſie in
dem Blute einwirkende Sauerſtoff ſich vermindert. In dem
Gefühl von Hunger gelangt gewiſſermaßen dieſer Wider-
ſtand zum Bewußtſein, und die überwiegende Lebensthätig-
keit zeigt ſich bei vielen Verhungernden in einer abnormalen
Zunahme oder einer abnormalen Umſetzung gewiſſer Theile
von Organen. Mitleidenſchaft heißt eine Uebertragung
des geringern Widerſtandes der Lebensthätigkeit von einem
kranken Körpertheil nicht gerade auf die zunächſtliegenden,
ſondern auf andere Organe, wenn die Functionen beider ſich
gegenſeitig bedingen. Wenn die Verrichtungen des kranken
Organs mit denen eines andern in Verbindung ſtehen, wenn
das eine z. B. die Materien nicht mehr producirt, welche
zur vitalen Function des andern gehören, ſo überträgt ſich
auf dieſe, wiewohl nur ſcheinbar, der Krankheitszuſtand.


[267]im Thierorganismus.

Ueber die Natur und das Weſen der Lebenskraft kann
man ſich wohl keiner ſelbſtgeſchaffenen Täuſchung hingeben,
wenn man beachtet, daß ſie ſich in allen ihren Aeußerungen
ganz ähnlich wie andere Naturkräfte verhält, daß ſie ohne
Bewußtſein, völlig willenlos, einem Blaſenpflaſter unterge-
ordnet iſt.


Die Nerven, welche die willkürlichen und unwillkürlichen
Bewegungen im Thierkörper vermitteln, ſind, nach dem Vor-
hergehenden, nicht die Erzeuger, ſondern nur die Leiter der
Lebenskraft; ſie pflanzen die Bewegung fort und verhalten
ſich gegen andere Urſachen von Bewegungen, welche in ih-
ren Aeußerungen der Lebenskraft ähnlich ſind, gegen einen
elektriſchen Strom z. B. auf eine völlig gleiche Weiſe, ſie
geſtatten ihm den Durchgang und bieten als Leiter der Elek-
tricität alle Erſcheinungen dar, welche ihnen als Leitern der
Lebenskraft zukommen. Niemandem wird es wohl, nach dem
gegenwärtigen Zuſtande unſerer Kenntniſſe, in den Sinn
kommen, als die Urſache der Bewegungserſcheinungen in dem
Thierkörper die Elektricität anzuſehen, allein die medicini-
ſchen Wirkungen der Elektricität, ſo wie die eines Magne-
ten, der in Berührung mit dem Körper die Entſtehung ei-
nes elektriſchen Stromes vermittelt, können nicht geleugnet
werden. Denn zu der vorhandenen Kraft der Bewegung
und Störung addirt ſich in dem elektriſchen Strome eine
neue Urſache von Bewegung, Form- und Beſchaffenheitsän-
derung, deren Wirkungen nicht gleich Null geſetzt werden
dürfen.


[268]Die Bewegungserſcheinungen

Auf eine höchſt rationelle Weiſe wendet die praktiſche
Medicin in manchen Krankheiten die Kälte als Mittel
an, um den Stoffwechſel auf eine ungewöhnliche Weiſe zu
ſteigern und zu beſchleunigen. Dies geſchieht namentlich bei
gewiſſen krankhaften Zuſtänden der Subſtanz des Centrums
der Bewegungsapparate, wenn eine glühende Hitze und ein
raſcher Strom von Blut nach dem Kopfe, eine abnormale
Umſetzung des Gehirns erkennen laſſen. Wenn dieſer Zuſtand
über eine gewiſſe Zeit hindurch dauert, ſo giebt die Erfah-
rung zu erkennen, daß alle Bewegungen im Thierkörper auf-
hören; wenn ſich der Stoffwechſel auf das Gehirn vorzugs-
weiſe beſchränkt, ſo nimmt der Stoffwechſel, die Krafterzeu-
gung, in allen anderen Theilen ab; durch Umgebung dieſes
Körpertheils mit Eis wird die Temperatur herabgeſtimmt,
allein die Urſache der Wärmeentwicklung dauert fort; der
Widerſtand der Lebensthätigkeit wird vermindert, die Um-
ſetzung, die Entſcheidung über den Ausgang der Krankheit,
wird auf eine kürzere Zeitdauer beſchränkt. Man darf nicht
vergeſſen, daß das Eis ſchmilzt und Wärme aus dem kran-
ken Körpertheil aufnimmt, daß mit der Entfernung des Ei-
ſes, vor dem Verlauf der Umſetzung, die höhere Temperatur
wieder ſich einſtellt, daß man durch Umgebung mit Eis weit
mehr Wärme entzieht, als durch Umhüllung mit einem
ſchlechten Wärmeleiter; es iſt offenbar in der gleichen Zeit
eine größere Menge Wärme frei geworden, was nur durch
geſteigerte Zufuhr von Sauerſtoff, der eine raſchere Um-
ſetzung bedingen mußte, möglich iſt.


[269]im Thierorganismus.

Ein nicht ganz unpaſſendes Bild für die Vorgänge im
Thierkörper geben die ſich ſelbſt regulirenden Dampfmaſchi-
nen ab, an denen zur Hervorbringung einer gleichförmigen
Bewegung der menſchliche Geiſt den bewundernswürdigſten
Scharfſinn bethätigt hat.


Jedermann weiß, daß in dem Rohre, was den Dampf
zu dem Cylinder führt, in welchem ein Stempel in die Höhe
gehoben werden ſoll, ein durchbrochener Hahn angebracht iſt,
durch deſſen Oeffnung aller Dampf ſeinen Weg nehmen
muß; durch eine mit dem Schwungrad in Verbindung ſte-
hende Vorrichtung öffnet ſich dieſer Hahn, wenn das Rad
langſamer, es ſchließt ſich mehr oder weniger, wenn es ge-
ſchwinder geht, als zur gleichförmigen Bewegung erforderlich
iſt. Mit dem Oeffnen des Hahns ſtrömt mehr Dampf zu
(mehr Kraft), die Bewegung der Maſchine wird beſchleu-
nigt; mit dem Schließen des Hahns wird der hinzuſtrömende
Dampf mehr oder weniger abgeſchloſſen, die Kraft, welche
auf den Stempel wirkt, nimmt ab, die Spannung des Dam-
pfes im Keſſel nimmt zu; ſie wird zu einer ſpätern Ver-
wendung aufgeſpart. Die Spannung des Dampfes, die
Kraft, wenn man will, wird hervorgebracht durch Stoff-
wechſel, durch Verbrennung von Kohlen unter dem Heerde
der Maſchine. Die Kraft ſteigt (die Menge des entwickel-
ten Dampfes und ſeine Spannung nehmen zu) mit der Tem-
peratur des Heerdes, welche abhängig iſt von Zufuhr an
Kohlen und Luft. Es finden ſich an dieſen Maſchinen an-
dere Vorrichtungen, welche beide zu reguliren beſtimmt ſind.
[270]Die Bewegungserſcheinungen
Steigt die Spannung des Dampfes im Keſſel, ſo ſchließen
ſich die Luftzüge, die Verbrennung wird verlangſamt, die Zufuhr
an Kraft (an Dampf) vermindert; geht die Maſchine langſa-
mer, ſo ſtrömt ihr mehr Dampf zu, die Luftzüge öffnen ſich und
die Urſache der Wärmeentwicklung (Krafterzeugung) nimmt
zu, eine letzte Vorrichtung wirft dem Heerde ohne Unterlaß
Kohlen zu.


Wenn wir nun an irgend einer Stelle des Dampfkeſſels die
Temperatur erniedrigen, ſo nimmt ſeine Spannung ab; dies
giebt ſich ſogleich an den Regulatoren der Kraft zu erken-
nen, die nun ganz die Functionen verrichten, wie wenn wir
eine gewiſſe Quantität Dampf (Kraft) aus dem Keſſel hät-
ten heraustreten laſſen; der Dampfregulator, die Luftzüge
öffnen ſich, die Maſchine wirft ſich ſelbſt eine größere Menge
Kohlen zu.


Ganz ähnlich wie in dieſen Maſchinen, verhält es ſich im
Thierkörper hinſichtlich der Wärme und Krafterzeugung. Mit
der Abnahme der äußern Temperatur verſtärken ſich die
Athembewegungen, es wird Sauerſtoff häufiger und in ver-
dichteterem Zuſtande zugeführt, der Stoffwechſel erhöht ſich,
es muß mehr Nahrungsſtoff zugeführt werden, wenn die
Temperatur nicht wechſeln ſoll.


Es bedarf wohl keiner Erinnerung, daß ein geſpannter
Dampf in dem Thierkörper, ſo wenig wie ein elektriſcher,
Strom, als die Urſache der Krafterzeugung angeſehen wer-
den kann.


Aus der in dem Obigen entwickelten Theorie der Krank-
[271]im Thierorganismus.
heit ergiebt ſich von ſelbſt, daß ein ausgebildeter Krankheits-
zuſtand in einem Körpertheil durch die chemiſche Action eines
Arzneimittels nicht zum Verſchwinden gebracht werden kann.


Einem abnormalen Umſetzungsproceß kann durch Arznei-
mittel eine Grenze geſetzt werden; er kann beſchleunigt oder
verlangſamt werden, allein damit iſt der Normal- (Geſund-
heits-) Zuſtand nicht zurückgekehrt.


Die Kunſt des Arztes beſteht in der Kenntniß der Mit-
tel, die ihm geſtatten, einen Einfluß auf den Verlauf der
Krankheit auszuüben, und in der Beſeitigung und Entfer-
nung aller ſtörenden Urſachen, deren Wirkung ſich der Wir-
kung der Krankheitsurſache hinzufügt.


Eine jede Theorie bringt nur durch die richtige Anwen-
dung ihrer Principien einen wirklichen Nutzen. Eine und
dieſelbe Heilmethode kann dem einen Individuum die Ge-
ſundheit wiedergeben, während ſie, auf ein anderes ange-
wandt, den ſichern Tod nach ſich zieht. So hat in gewiſſen,
entzündlichen Krankheiten, bei muskelreichen Perſonen, die
antiphlogiſtiſche Behandlung ihren entſchiedenen Werth,
während Blutentziehung bei anderen von nachtheiligen Fol-
gen begleitet iſt. Das belebende Blut bleibt immer die
wichtigſte Bedingung zur Wiederherſtellung eines aufgehobe-
nen Gleichgewichts-Zuſtandes, welche ſtets an den Gewinn
von Zeit geknüpft iſt; es muß als die letzte und wichtigſte
Urſache eines dauernden, vitalen Widerſtandes der kranken
ſowohl, wie der nicht ergriffenen Körpertheile angeſehen und
im Auge behalten werden.


[272]Die Bewegungserſcheinungen

Es iſt ferner klar, daß in allen Krankheiten, wo das
Fieber die Bildung von Anſteckungsſtoffen und Exenthemen
begleitet, zwei Krankheitszuſtände ſich neben einander vollen-
den, und daß das Blut (Fieber) als der Träger des Stoffs
(Sauerſtoffs), ohne deſſen Mitwirkung die krankhaften Erzeug-
niſſe nicht unſchädlich gemacht, zerſtört und aus dem Körper ent-
fernt werden können, reaktionell als Heilmittel auftritt, durch
deſſen Mitwirkung zuletzt eine Ausgleichung bewirkt wird.


Theorie der Reſpiration.


Bei dem Durchgang des venöſen Blutes durch die Lunge
ändern die Blutkörperchen ihre Farbe, mit dieſem Farbewech-
ſel beobachten wir, daß Sauerſtoff aus der Luft aufgenom-
men, daß für jedes Volumen Sauerſtoff in den meiſten Fäl-
len, ein ihm gleiches Volumen Kohlenſäure abgeſchieden wird.


Die Blutkörperchen enthalten eine Eiſenverbindung,
kein anderer Beſtandtheil der lebendigen Körpertheile enthält
Eiſen.


Welche Art von Veränderung auch die übrigen Beſtand-
theile des Blutes in der Lunge erleiden mögen, gewiß iſt,
daß die Blutkörperchen des venöſen Blutes einen Farbewech-
ſel erfahren, welcher abhängig iſt von der Einwirkung des
Sauerſtoffs.


[273]im Thierorganismus.

Wir ſehen nun, daß die Blutkörperchen des arteriel-
len Blutes in den weiten Kanälen ihre Farbe bewahren,
daß ſie ſie erſt bei dem Durchgange durch die Capillargefäße
verlieren. Alle Beſtandtheile des venöſen Blutes, welche die
Fähigkeit hatten ſich mit Sauerſtoff zu verbinden, nehmen in
der Lunge einen entſprechenden Theil davon auf; Verſuche
mit Serum zeigen, daß es mit reinem Sauerſtoff in Be-
rührung deſſen Volumen nicht merklich ändert. Venöſes Blut
mit Sauerſtoff in Berührung röthet ſich unter Abſorption
des Sauerſtoffs; es wird hierbei eine entſprechende Menge
Kohlenſäure gebildet.


Es iſt klar, der Farbewechſel der Blutkörperchen hängt
von der Verbindung von irgend einem ihrer Beſtandtheile
mit dem Sauerſtoff ab, und mit dieſer Sauerſtoffaufnahme
tritt eine gewiſſe Quantität Kohlenſäure aus.


Von dem Serum ſcheidet ſich dieſe Kohlenſäure nicht ab,
denn es beſitzt nicht die Fähigkeit, bei Berührung mit Sauer-
ſtoff Kohlenſäure abzugeben; das Blut von den Blutkörper-
chen getrennt (das Serum) abſorbirt ſein halbes bis gleiches
Volumen Kohlenſäure (ſiehe den Artikel Blut in dem Hand-
wörterbuche der Chemie von Poggendorff, Wöhler und
Liebig, Seite 877), es iſt bei gewöhnlicher Temperatur
nicht mit Kohlenſäure geſättigt.


Das arterielle Blut geht, von dem Thiere genommen,
unausgeſetzt einer Veränderung entgegen, ſeine hochrothe
Farbe wird ſchwarzroth; das hochrothe Blut, was ſeine
Farbe den Blutkörperchen verdankt, wird ſchwarzroth durch
18
[274]Die Bewegungserſcheinungen
Kohlenſäure; dieſe Farbeänderung trifft die Blutkörperchen;
es abſorbirt eine Menge Gaſe, welche ſich in der Blutflüſ-
ſigkeit (ohne Blutkörperchen) nicht löſen; es iſt klar, die
Blutkörperchen haben das Vermögen, ſich mit
Gaſen zu verbinden
.


Die Blutkörperchen ändern ihre Farbe in verſchiedenen
Gaſen; dieſer Wechſel kann von zwei Urſachen, einer Ver-
bindung oder einer Zerſetzung herrühren.


Durch Schwefelwaſſerſtoff werden ſie ſchwarzgrün und
zuletzt ſchwarz, die urſprüngliche rothe Farbe kann durch
Contact mit Sauerſtoffgas nicht wieder hervorgebracht wer-
den; es iſt offenbar hier eine Zerſetzung vor ſich gegangen.


Die durch Kohlenſäure ſchwarzroth gewordenen Blutkör-
perchen werden beim Contact mit Sauerſtoff unter Abſchei-
dung von Kohlenſäure wieder hochroth, ähnlich verhalten ſie
ſich gegen Stickoxydulgas; es iſt klar, daß ſie keine Zerſe-
tzung erfahren hatten; ſie beſitzen alſo die Fähigkeit, eine
Verbindung mit Gaſen einzugehen, ihre Verbindung mit
Kohlenſäure wird durch Sauerſtoff wieder aufge-
hoben
; ſich ſelbſt überlaſſen, wird außerhalb des Thierkör-
pers die Sauerſtoffverbindung wieder ſchwarzroth, ohne durch
Sauerſtoff wieder hochroth zu werden.


Die Blutkörperchen enthalten eine Eiſenverbindung.


Aus dem nie fehlenden Eiſengehalt des rothen Blutes
muß geſchloſſen werden, daß er unbedingt für das animali-
ſche Leben nothwendig ſei, und ſeitdem die Phyſiologie be-
wieſen hat, daß die Blutkörperchen an dem Ernährungspro-
[275]im Thierorganismus.
ceſſe keinen Antheil nehmen, kann es keinem Zweifel unter-
liegen, daß ſie in dem Reſpirationsproceß eine Rolle über-
nehmen.


Die Eiſenverbindung in den Blutkörperchen verhält ſich
wie eine Sauerſtoffverbindung, denn durch Schwefelwaſſer-
ſtoff wird ſie ganz auf dieſelbe Weiſe zerlegt, wie die Eiſen-
oxyde oder die ihnen ähnlichen Eiſenverbindungen. Durch
verdünnte Mineralſäuren läßt ſich aus friſchem oder getrockne-
tem Blutroth Eiſenoxyd, bei gewöhnlicher Temperatur ausziehen.


Das Verhalten der Eiſenverbindungen giebt vielleicht
Aufſchluß über die Rolle, welche das Eiſen in dem Reſpira-
tionsproceſſe ſpielt; kein einziges Metall kann in Beziehung
auf merkwürdige Eigenſchaften mit den Eiſenverbindungen
verglichen werden.


Die Eiſenoxydulverbindungen beſitzen das Vermögen an-
deren Sauerſtoffverbindungen Sauerſtoff zu entziehen; die Ei-
ſenoxydverbindungen geben Sauerſtoff unter anderen Bedin-
gungen mit der allergrößten Leichtigkeit wieder ab.


Eiſenoxydhydrat in Berührung mit ſchwefelfreien organi-
ſchen Materien verwandelt ſich in kohlenſaures Eiſenoxydul.


Kohlenſaures Eiſenoxydul in Berührung mit Waſſer und
Sauerſtoff wird zerſetzt, alle Kohlenſäure, die es enthält,
entweicht; durch Aufnahme von Sauerſtoff verwandelt es ſich
in Eiſenoxydhydrat, was durch reducirende Materien wieder
zurückführbar iſt in eine Eiſenoxydulverbindung.


Aber nicht bloß die Sauerſtoffverbindungen des Eiſens,
ſondern auch die Cyanverbindungen zeigen ein ähnliches Ver-
18*
[276]Die Bewegungserſcheinungen
halten. In dem Berlinerblau haben wir Eiſen in Verbin-
dung mit allen organiſchen Beſtandtheilen des Thierkörpers:
Waſſerſtoff und Sauerſtoff (Waſſer), Kohlenſtoff und Stick-
ſtoff (Cyan).


Dem Lichte ausgeſetzt, entweicht Cyan, es wird weiß,
im Dunkeln zieht es Sauerſtoff an und wird wieder blau.


Alle dieſe Beobachtungen zuſammengenommen führen zu
der Meinung, daß die Blutkörperchen des arteriellen Blutes
eine mit Sauerſtoff geſättigte Eiſenverbindung enthalten,
welche im lebendigen Blute beim Durchgang durch die Ca-
pillargefäße ihren Sauerſtoff verliert; daſſelbe geſchieht, wenn
das Blut vom Körper genommen ſich zu zerſetzen anfängt
(zu faulen beginnt); die an Sauerſtoff reiche Verbindung
geht alſo durch Sauerſtoffabgabe (Reduction) in eine ſauer-
ſtoffarme Verbindung über. Eins der Oxydationsproducte,
welches hierbei gebildet wird, iſt Kohlenſäure. Die Eiſenver-
bindung des venöſen Bluts beſitzt die Fähigkeit, ſich mit Kohlen-
ſäure zu verbinden; es iſt klar, daß die Blutkörperchen des
arteriellen Blutes, wenn ſie nach Abgabe von einem Theile
ihres Sauerſtoffs Kohlenſäure vorfinden, ſich mit dieſer
Kohlenſäure verbinden werden.


In der Lunge angelangt werden ſie den verlornen Sauer-
ſtoff wieder aufnehmen, für jedes Volumen Sauerſtoff wird
eine entſprechende Menge Kohlenſäure wieder austreten, ſie
werden in ihren urſprünglichen Zuſtand wieder zurückkehren,
d. h. das Vermögen wieder erhalten, Sauerſtoff abzugeben.


Für jedes Volum Sauerſtoff, was die Blutkörperchen
[277]im Thierorganismus.
abzugeben vermögen, wird (da die Kohlenſäure ihr gleiches
Volum Sauerſtoff ohne Condenſation enthält) nicht mehr
und nicht weniger als ein Volumen kohlenſaures Gas ge-
bildet werden können; für jedes Volumen Sauerſtoff, was
ſie aufzunehmen fähig ſind, kann nicht mehr Kohlenſäure
abgeſchieden werden, als überhaupt aus dieſem Volum Sauer-
ſtoff erzeugbar iſt.


Wenn ein kohlenſaures Eiſenoxydul durch Aufnahme von
Sauerſtoff in Eiſenoxyd übergeht, ſo werden für jedes Volum
Sauerſtoff, was zum Uebergang in Eiſenoxyd gehört, vier
Volumina Kohlenſäure abgeſchieden.


Für ein Volumen Sauerſtoff kann ſich aber nur ein Vo-
lumen Kohlenſäure bilden, es kann alſo auch nicht mehr ab-
geſchieden werden; die ihres Sauerſtoffs beraubte Verbin-
dung muß aber die Fähigkeit haben, noch Kohlenſäure auf-
zunehmen, und wir ſehen in der That, daß das Blut in kei-
nem Zuſtande des Lebens mit Kohlenſäure geſättigt iſt, daß
es zu der Kohlenſäure, die es ſchon enthält, noch eine Menge
Kohlenſäure aufzunehmen vermag, ohne daß damit die Fun-
ction der Blutkörperchen geſtört erſcheint. (Nach dem Trin-
ken von mouſſirenden Weinen, Bier, Mineralwaſſer muß
nothwendig mehr Kohlenſäure ausgeathmet werden.) In
allen Fällen, wo der Sauerſtoff der Blutkörperchen nicht zur
Bildung von Kohlenſäure gedient hat, wird ſtets nur eine
der erzeugten Kohlenſäure entſprechende Menge ausgeathmet
werden können; bei Genuß von Fett und Wein jedenfalls
weniger, wie nach dem Genuß von Champagner.


[278]Die Bewegungserſcheinungen

Nach der ſo eben entwickelten Vorſtellung geben die
Blutkörperchen des arteriellen Blutes, bei ihrem Durchgang
durch die Capillargefäße, Sauerſtoff an gewiſſe Beſtand-
theile des Thierkörpers ab. Ein kleiner Theil dieſes Sauer-
ſtoffs dient zur Hervorbringung des Stoffwechſels und be-
dingt das Austreten belebter Körpertheile, ſo wie die Bil-
dung und Erzeugung der Secrete, der größte Theil dieſes
Sauerſtoffs wird zur Verwandlung der, den belebten Kör-
pertheilen nicht mehr angehörenden Subſtanzen, in Sauer-
ſtoffverbindungen verwendet.


Auf ihrem Wege nach dem Herzen hin, verbinden ſich
die Blutkörperchen, welche ihren Sauerſtoff abgegeben haben,
mit Kohlenſäuregas zu venöſen Blut, in der Lunge ange-
langt, findet ein Austauſch ſtatt.


Die organiſche Eiſenverbindung des venöſen Blutes
nimmt in der Lunge und der Luft den verlornen Sauerſtoff
wieder auf, und in Folge dieſer Sauerſtoffaufnahme ſcheidet
ſich alle damit verbundene Kohlenſäure wieder ab.


Alle in dem venöſen Blute vorhandenen Materien, welche
Verwandtſchaft zum Sauerſtoff beſitzen, verwandeln ſich in
der Lunge, ähnlich wie die Blutkörperchen, in höhere Sauer-
ſtoffverbindungen, es entſteht eine gewiſſe Quantität Kohlen-
ſäure, von der ſtets ein Theil in der Blutflüſſigkeit gelöſ’t
bleibt.


Die Quantität der gelöſ’ten (oder der an Natron ge-
bundenen) Kohlenſäure muß in beiden Blutarten, da ſie ei-
nerlei Temperatur beſitzen, gleich ſein, allein das arterielle
[279]im Thierorganismus.
Blut muß, ſich ſelbſt überlaſſen, nach kurzer Zeit eine grö-
ßere Menge Kohlenſäure enthalten, wie das venöſe, weil
der aufgenommene Sauerſtoff zur Bildung von Kohlenſäure
verwendet wird.


In dem Organismus des Thieres finden mithin zwei
Oxydationsproceſſe ſtatt, der eine in der Lunge, der andere
in den Capillargefäßen. Durch den erſtern wird, trotz der
ſtarken Abkühlung und geſteigerten Verdunſtung, die con-
ſtante Temperatur der Lunge, durch den andern die conſtante
Temperatur in den übrigen Körpertheilen hervorgebracht.


Ein Menſch, welcher täglich 27,8 Loth Kohlenſtoff in
der Form von Kohlenſäure ausathmet, verzehrt in 24 Stun-
den 74 Loth Sauerſtoff (64 Loth = 1 Kilogramm), welche
den Raum von 807 Litres = 51648 heſſiſche Kubikzoll
(64 = 1 Litre) einnehmen.


Rechnet man auf die Minute 18 Athemzüge, ſo haben
wir in 24 Stunden 25920 Athemzüge und bei jedem Athem-
zug werden demnach Kubikzoll Sauerſtoff in
das Blut aufgenommen.


In einer Minute treten 18 × 1,99 = 35,8 Kubikzoll
Sauerſtoff zu den Beſtandtheilen des Blutes, welche bei
gewöhnlicher Temperatur etwas weniger wie 12 Gran
(802,8 Milligramm) wiegen.


Nehmen wir nun an, daß in einer Minute 10 Pfund
Blut (5 Kilogramm) (Müller, Phyſiologie Bd I. S. 345)
durch die Lunge gehen und dieſe den Raum von 320 Ku-
[280]Die Bewegungserſcheinungen
bikzoll einnehmen, ſo verbindet ſich 1 Kubikzoll Sauerſtoff
ſehr nahe mit 9 Kubikzoll Blut.


Nach den Unterſuchungen von Denis, Richardſon,
Naſſe
(Handwörterbuch der Phyſiologie Bd. I. S. 138)
enthalten 10000 Blut 8 Theile Eiſenoxyd. 76800 Gran
(10 Pfd.) Blut enthalten demnach 61,54 Gran Eiſenoxyd
im arteriellen oder 55,14 Eiſenoxydul im venöſen Blut.


Nehmen wir nun an, das Eiſen in den Blutkörperchen
des venöſen Blutes ſei als Eiſenoxydul, das im arteriellen
Blut als Eiſenoxyd enthalten, ſo nehmen 55,14 Gran Ei-
ſenoxydul bei ihrem Durchgang durch die Lunge in einer
Minute 6,40 Gran Sauerſtoff auf; da nun in dieſer Zeit
im Ganzen von 10 Pfund Blut 12 Gran Sauerſtoff auf-
genommen werden, ſo treten von dieſen 12 Gran, 5,6 Gran
an die anderen Beſtandtheile des Blutes.


55,14 Gran Eiſenoxydul verbinden ſich nun mit 34,8
Gran Kohlenſäure, welche den Raum von 73 Kubikzoll ein-
nehmen. Es iſt deshalb klar, daß die in dem Blute vor-
handene Menge Eiſen, als Eiſenoxydul gedacht, hinreicht,
um den Träger der doppelten Menge Kohlenſäure abzuge-
ben, welche überhaupt auf Koſten alles in der Lunge aufge-
nommenen Sauerſtoffs erzeugbar iſt.


Die eben entwickelte Hypotheſe ſtützt ſich auf die bekann-
ten Beobachtungen und zwar erklärt ſie den Reſpirations-
proceß, ſoweit er von den Blutkörperchen abhängig iſt, voll-
kommen, ſie ſchließt die Meinung nicht aus, daß auch auf
anderen Wegen Kohlenſäure in die Lunge gelangen, daß gewiſſe
[281]im Thierorganismus.
andere Beſtandtheile des Bluts zur Bildung von Kohlenſäure
in der Lunge Veranlaſſung geben können; allein alles dies
ſteht in keiner Beziehung zu dem vitalen Proceß, durch wel-
chen in allen Theilchen des Körpers die zu ſeinem Beſtehen
nöthige Wärme erzeugt wird. Dies allein kann aber vor-
läufig nur als ein würdiger Gegenſtand der Unterſuchung
betrachtet werden; warum dunkelrothes Blut durch Salpeter,
Kochſalz ꝛc. hellroth wird, iſt eine nicht unintereſſante Frage,
die aber mit dem Athmungsproceß in keinem Zuſammenhange
ſteht.


Die furchtbare Wirkung des Schwefelwaſſerſtoffs, der
Blauſäure, welche beim Einathmen in wenigen Secunden
allen Bewegungserſcheinungen im Thierkörper eine Grenze
ſetzen, erklären ſich aus den bekannten Veränderungen, welche
alle Eiſenverbindungen bei Gegenwart von Alkalien, die im
Blute nicht fehlen, durch dieſe Stoffe erleiden, auf eine un-
gezwungene Weiſe.


Denken wir uns, daß die Blutkörperchen ihre Fä-
higkeit verlieren, Sauerſtoff aufzunehmen, dieſen Sauer-
ſtoff wieder abzugeben und die gebildete Kohlenſäure fort-
zuführen, ſo wird ein ſolcher hypothetiſcher Krankheits-
zuſtand augenblicklich an der Temperatur und den Bewe-
gungserſcheinungen im Thierkörper erkennbar ſein. Es wird
nämlich kein Stoffwechſel ſtattfinden, ohne daß damit die
Bewegungen ſelbſt eine unmittelbare Grenze finden.


Die Leiter der Kraft werden den Eingeweiden, dem Her-
zen, nach wie vor, die zu ihren Functionen nöthige Kraft
[282]Die Bewegungserſcheinungen im Thierorganismus.
zuführen, ſie werden ſie von dem Muskularſyſtem erhalten,
ohne aber daß aus dieſen ein Beſtandtheil austritt; Galle-
und Harnſecretion können nicht ſtattfinden; die Temperatur
des Körpers muß abnehmen.


Dem Ernährungsproceß wird durch dieſen Zuſtand eine
Grenze geſetzt und in kürzerer oder längerer Zeit muß der
Tod eintreten, ohne, was hier das Wichtigſte iſt, von Fie-
bererſcheinungen begleitet zu ſein.


Dieſes Beiſpiel ſoll dazu dienen, um Veranlaſſung zu
einer Unterſuchung des Bluts in Krankheitszuſtänden ähn-
licher Art, zu geben, denn es kann nicht dem geringſten
Zweifel unterliegen, daß die Rolle, welche den Blutkörper-
chen zugeſchrieben worden iſt, als vollkommen ausgemittelt
und aufgeklärt betrachtet werden kann, wenn ſich in ſolchen
Zuſtänden eine Abweichung in der Form, Beſchaffenheit und
dem Verhalten der Blutkörperchen ergiebt, die durch geeig-
nete Reagentien erkennbar ſein muß.


Wenn die Kraft, welche die Lebenserſcheinungen bedingt,
als eine Eigenſchaft gewiſſer Materien angeſehen wird, ſo
führt dieſe Vorſtellung von ſelbſt auf eine neue und ſchär-
fere Betrachtungsweiſe gewiſſer räthſelhafter Erſcheinungen,
welche die nämlichen Subſtanzen in Zuſtänden darbieten, wo
ſie keine Beſtandtheile belebter Organismen mehr ausmachen.


[[283]]

Analytiſche Belege
zu
dem chemiſchen Proceß
der
Reſpiration und Ernährung
ſo wie
zu dem chemiſchen Proceß
der
Umſetzung der Gebilde.


Die Noten correſpondiren mit den in den Abſchnitten im Texte aufgeführten Nummern.
Alle mit * bezeichneten Zahlenreſultate der Analyſen ſind in dem chemiſchen Laboratorium in
Gießen ausgeführt.


[[284]][[285]]

Anhang.


Seite 1. Einleitung zu den Analyſen.
Erklärung der Formeln.


Die frühere Darſtellung der Verſchiedenheit in der Zu-
ſammenſetzung der Stoffe, die Angabe des Gehaltes in ih-
ren Beſtandtheilen nach Procenten, iſt von den Chemikern
längſt verlaſſen, weil ſie keine Einſicht in die Beziehungen
geſtattet, welche zwiſchen zwei und mehr Verbindungen ſtatt-
finden. Um hiervon einige Beiſpiele zu geben, ſoll die Zu-
ſammenſetzung der Eſſigſäure und des Aldehyds, des Bitter-
mandelöls und der Benzoeſäure hier erwähnt werden.


Aldehyd verwandelt ſich nun in Eſſigſäure, Bitterman-
delöl in Benzoeſäure durch Aufnahme von Sauerſtoff, ohne
daß ſich an ihren Elementen ſonſt irgend etwas ändert. In
den bloßen Zahlenverhältniſſen läßt ſich dieſe Beziehung nicht
erkennen, drücken wir aber die Zuſammenſetzung beider in
einer Formel aus, ſo fällt der Zuſammenhang zwiſchen die-
[286]Analytiſche Belege.
ſen Materien auch demjenigen in die Augen, welcher von der
Chemie nichts weiß, als daß der Buchſtabe C ein Aequiva-
lent Kohlenſtoff, H 1 Aeq. Waſſerſtoff, N 1 Aeq. Stickſtoff
und O 1 Aeq. Sauerſtoff bedeutet.


Dieſe Formeln ſind genaue Ausdrücke der Analyſen, die,
man kann es ſich ſo denken, ſich auf eine unveränderliche
Kohlenſtoffquantität beziehen; ſie zeigen, daß Eſſigſäure und
Aldehyd, Benzoeſäure und Bittermandelöl nur in dem Sauer-
ſtoffgehalt von einander abweichen, daß ſie von den übrigen
Elementen einerlei Verhältniſſe enthalten. Das Verſtändniß
der folgenden Formeln iſt nicht minder einfach.


Die erſte Formel iſt eine ſogenannte empiriſche Formel,
in der man wohl das relative Verhältniß der Elemente ge-
nau kennt, aber nicht die Ordnung, in welcher ſie zuſam-
mengetreten ſind. Die zweite Formel drückt aus, daß 6 At.
Cyan oder 6 At. Stickſtoff und 6 At. Kohlenſtoff zu ei-
nem
zuſammengeſetzten Atom ſich vereinigt haben, das mit
3 At. Sauerſtoff und 3 At. Waſſer Cyanurſäurehydrat ge-
bildet hat; die letzte drückt aus die Art und Weiſe der Ord-
nung der Atome in dem Cyanſäurehydrat, dreimal genom-
[287]Analytiſche Belege.
men; dieſelbe Anzahl von Elementen, wie in der Cyanur-
ſäure iſt zu 3 Atomen Cyanſäurehydrat zuſammengetreten.
Wie man verfährt, um die procentiſche Zuſammenſetzung ei-
nes Körpers in einer Formel auszudrücken, gehört nicht hier-
her; es ſoll nur erwähnt werden, wie man verfahren muß,
um aus einer jeden Formel rückwärts die procentiſche Zu-
ſammenſetzung zu finden. Für dieſen Zweck muß man be-
achten, daß der Buchſtabe C in einer chemiſchen Formel ein
Gewicht von 76,437 Kohlenſtoff (nach den neueſten Beſtim-
mungen 75,8 oder 75, eine Abweichung, welche auf die
angeführten Formeln, da ſie alle nach der Zahl 76,437 be-
rechnet ſind, ohne den geringſten Einfluß iſt) bedeutet, der
Buchſtabe H ein Gewicht von 6,239 Waſſerſtoff, der Buch-
ſtabe N = 88,52 Stickſtoff, und zuletzt der Buchſtabe O,
ein Gewicht von 100 Sauerſtoff.


Die Formel des Proteins C48 N12 H72 O14 drückt alſo aus:


  • 48 mal 76,437 = 3668,88 Kohlenſtoff
  • 12 » 88,52 = 1062,24 Stickſtoff
  • 72 » 6,239 = 449,26 Waſſerſtoff
  • 14 » 100,00 = 1400,00 Sauerſtoff
  • in Summa das Gewicht von 6580,38 Protein.
  • in 100 Theilen
  • In 6580,38 Theilen Protein ſind enthalten 3668,88 Kohlenſtoff 55,742
  • In 6580,38 » » » » 1062,24 Stickſtoff 16,143
  • In 6580,38 » » » » 449,26 Waſſerſtoff 6,827
  • In 6580,38 » » » » 1400,00 Sauerſtoff 21,288
  • 100,000

[288]Analytiſche Belege.

Note 1. Seite 13.
Sauerſtoffverbrauch des erwachſenen Mannes.


(Aus L. Gmelins Handbuch der theor. Chemie.)


Note 2. Seite 14.
Zuſammenſetzung des Bluts: (Siehe Note 29.)


  • in 100 Theilen in 4,8 Pfd. = 36864 Gran
  • Kohlenſtoff 51,96 … 19154,5
  • Waſſerſtoff 7,25 … 2672,7
  • Stickſtoff 15,07 … 5555,4
  • Sauerſtoff 21,30 … 7852,0
  • Aſche . . 4,42 … 1629,4
  • 100,000 36864,0
  • Gran Gran
  • 19154,5 Kohlenſtoff bildet mit 50539,5 Sauerſtoff Kohlenſäure
  • 2672,7 Waſſerſtoff » » 21415,8 » Waſſer
  • Summa = 71955,3 Sauerſtoff
  • Hiervon ab vorhandener Sauerſtoff = 7852,0
  • bleiben 64103,3 Gran

Sauerſtoff, welche zur vollſtändigen Verbrennung von 4,8 Pfd.
Blut erforderlich ſind.


[289]Analytiſche Belege.

In obiger Rechnung iſt angenommen worden, daß 24 Pfd.
Blut 4,8 Pfd. trocknen Rückſtand (80 pCt.) hinterlaſſen.


Note 3. Seite 14.


Beſtimmung der Menge des ausgeathmeten Kohlenſtoffs.

  • Faeces:
  • 2,356 trockene Faeces hinterließen 0,320 Aſche (13,58 pCt.).
  • 0,352 Faeces gaben 0,576 Kohlenſäure und 0,218 Waſſer.
  • Linſen:
  • 0,566 bei 100° getrocknete Linſen gaben 0,910 Kohlenſäure und 0,336 Waſſer.
  • Erbſen:
  • 1,060 hinterließen 0,037 Aſche
  • 0,416 gaben 0,642 Kohlenſäure und 0,241 Waſſer.
  • Kartoffeln:
  • 0,443 trockene Kartoffeln gaben 0,704 Kohlenſäure und 0,248 Waſſer.
  • Schwarzbrod:
  • 0,302 trocknes Schwarzbrod gaben 0,496 Kohlenſäure und 0,175 Waſſer
  • 0,241 » » » 0,393 » 0,142 »

19
[290]Analytiſche Belege.
Berechnung des von einem erwachſenen Menſchen
ausgeathmeten Kohlenſtoffs
.

Fleiſch. Das fettloſe Muskelfleiſch, zu 74 Waſſer und
26 pCt. feſter Subſtanz angenommen, enthält in 100 Thei-
len 13,6 Kohlenſtoff. Das gewöhnliche Fleiſch enthält Mus-
kelfleiſch, Zellgewebe und Fett. Die beiden letzteren machen
im Durchſchnitt 1/7 vom Gewicht des im Fleiſchladen erkauf-
ten Fleiſches aus. Die Anzahl der verzehrten Lothe (64
Loth = 1 Kilogramm) beträgt 8896, welche beſtehen aus:


  • 7625 Loth fettloſes Muskelfleiſch enthalten Kohlenſtoff 1037 Loth
  • 1271 » Zellgewebe mit Fett » » 898 »
  • in Summe Kohlenſtoff 1935 Loth

[291]Analytiſche Belege.

Mit den Knochen enthält das gekaufte Fleiſch 29 pCt.
feſte Subſtanz, und 278 Pfd. Fleiſch 28 Pfd. trockne Kno-
chen, ſie ſind nicht in Rechnung genommen, obwohl ſie beim
Kochen 8—10 pCt. Leimſubſtanz verlieren, welche mit als
Nahrung genoſſen wird.


Fett. Es ſind verzehrt worden 112 Loth Fett, welche
zu 80 pCt. Kohlenſtoff in Summa 89,6 Loth Kohlenſtoff
enthalten.


Kohlenſtoffgehalt der verzehrten Linſen, Bohnen
und Erbſen
.

Es ſind verzehrt worden 107 Loth Linſen, 436 Loth
Bohnen und 371 Loth Erbſen, im Ganzen 914 Loth; bei
einem Gehalte von 37 pCt. Kohlenſtoff ſind verzehrt worden
338,2 Loth Kohlenſtoff.


Kartoffeln. 100 Theile friſche Kartoffeln enthalten
12,2 Kohlenſtoff; in den verzehrten 31752 Loth ſind ent-
halten 3873,7 Kohlenſtoff.


Brod. 855 Mann eſſen täglich 855 × 64 Loth, dazu
noch 36 Pfd. Suppenbrod macht zuſammen 55872 Loth.
100 Loth friſches Brod enthalten durchſchnittlich 30,15 Loth
Kohlenſtoff, es ſind mithin im Brod verzehrt worden 17543
Loth Kohlenſtoff.


19*
[292]Analytiſche Belege.

Im Ganzen ſind verzehrt worden:


  • im Fleiſch . . . . . . . . 1935 Loth Kohlenſtoff
  • Fett . . . . . . . . . . 89,6 » »
  • Bohnen, Erbſen, Linſen . . . . 338,2 » »
  • Kartoffeln . . . . . . . . 3873,7 » »
  • Brod . . . . . . . . . . 17543,0 » »
  • von 855 Mann . . . . . . 23779,5 Loth Kohlenſtoff
  • von 1 Mann . . . . . . . 27,8 Loth Kohlenſtoff

Die Faeces eines Soldaten wiegen 11 Loth (5½ Unze);
ſie enthalten mit ihrem ganzen Waſſergehalt 11 pCt. Koh-
lenſtoff; für 86 Kreuzer Gemüſe, Weißkraut, Kohlrabi, Gelbe-
rüben ꝛc. erhält man durchſchnittlich 172 Pfd.; 25 Maas
Sauerkraut wiegen 100 Pfd. Für 48½ Kreuzer Zwiebeln,
Lauch, Sellerie erhält man auf dem Markte durchſchnittlich
24¼ Pfd. Dem Gewicht nach haben 855 Mann Soldaten
verzehrt:


  • an grünem Gemüſe . . . . 5604 Loth
  • an Sauerkraut . . . . . 3200 »
  • an Zwiebeln ꝛc. . . . . . 776 »
  • 9580 Loth
  • ein Mann täglich. … 11,2 Loth

Der Kohlenſtoffgehalt des verzehrten Gemüſes iſt gleich
dem Kohlenſtoffgehalt der Faeces angenommen. Wurſt,
Branntwein, Bier, überhaupt was im Wirthshaus verzehrt
worden, nicht gerechnet.


[293]Analytiſche Belege.

Die Zahlen, welche den vorhergehenden Berechnungen zu
Grunde gelegt wurden, ſind durchſchnittlich dem Verbrauch
von 855 Mann caſernirter Soldaten entnommen, deren Spei-
ſen (Brod, Kartoffeln, Fleiſch, Linſen, Erbſen, Bohnen ꝛc.)
während eines Monats bis auf Pfeffer, Salz und Butter,
mit der größten Genauigkeit gewogen und jedes einzelne der
Elementaranalyſe unterworfen worden war (ſiehe Tabelle).
Eine Ausnahme hiervon machten drei Gardiſten, welche außer
dem vorſchriftsmäßigen Brodquantum (2 Pfd. täglich) in je-
der Löhnungsperiode ½ Laib = 2½ Pfd. mehr bekamen und
ein Tambour, der ½ Laib übrig behielt. Nach einem an-
nähernden Ueberſchlage des Feldwebels verzehrt jeder Soldat
täglich durchſchnittlich 6 Loth Wurſt, 1½ Loth Butter, ½
Schoppen (¼ Litr.) Bier und 1/10 Schoppen Branntwein,
deren Kohlenſtoffgehalt mehr als das Doppelte beträgt, von
dem Kohlenſtoffgehalt der Faeces und des Urins zuſammen-
genommen. Die Faeces betragen bei einem Soldaten durch-
ſchnittlich 11 Loth, ſie enthalten 75 pCt. Waſſer und der
trockne Rückſtand 45,24 pCt. Kohlenſtoff und 13,15 pCt.
Aſche. 100 Theile friſche Faeces enthalten hiernach 11,31
Kohlenſtoff, ſehr nahe ſo viel als ein gleiches Gewicht
friſches Fleiſch. In obiger Rechnung iſt der Kohlenſtoff der
Faeces und der des Urins gleichgeſetzt worden dem Kohlen-
ſtoffgehalt der friſchen Gemüſe und der anderen Speiſen,
welche im Wirthshauſe verzehrt wurden.


[294]Analytiſche Belege.

Großherzogl.


Ueberſicht der im Monate November 1840 für die

[295]Analytiſche Belege.

Leib-Compagnie.


Menage obiger Compagnie verbrauchten Victualien.

[296]Analytiſche Belege.

Note 4. Seite 15.


Nahrungsmittel eines Pferdes,
in 24 Stunden verzehrt.
Producte eines Pferdes
in 24 Stunden *).
[297]Analytiſche Belege.
Nahrungsmittel einer Kuh,
in 24 Stunden verzehrt.
Producte einer Kuh
in 24 Stunden *)
[298]Analytiſche Belege.

Note 5. Seite 20.
Temperatur und Bewegung des Bluts.


Die Wärme des Menſchen beträgt in den inneren Thei-
len, welche zunächſt zugänglich ſind, wie Mund, Maſtdarm
29,20 — 29,60° R. = 36,50 — 37° C. Die Wärme des
Blutes (Magendie) 30,5 — 31° R. = 38,1 — 38,7° C.
Als mittlere Temperatur iſt p. 20. 37,5° C. angenommen.


[299]Analytiſche Belege.

Note 6. Seite 37.


Die Gefangenen in dem Arreſthaus in Gießen erhalten
täglich 1½ Pfd. Brod (48 Loth), welche 14½ Loth Koh-
lenſtoff enthalten. Sie erhalten ferner 1 Pfd. Suppe und
in je zwei Tagen 1 Pfd. Kartoffeln.


  • 1½ Pfund Brod enthalten 14,5 Loth Kohlenſtoff
  • 1 » Suppe » 1,5 » »
  • ½ » Kartoffeln » 2,00 » »
  • 17,00 Loth Kohlenſtoff

Note 7. Seite 43.
Zuſammenſetzung des Blut-Fibrins und -Albumins †).


Die weiteren Analyſen des Thier-Albumins und Fibrins
ſiehe in der Note 28 S. 319, ſo wie auch die Analyſen der
Organe oder ihrer Theile.



[300]Analytiſche Belege.

Note 8. Seite 49.
Zuſammenſetzung des Pflanzen-Fibrins, -Albu-
mins, -Caſeins und -Leims
.


Pflanzenfibrin
Pflanzenalbumin †)


[301]Analytiſche Belege.
Pflanzencaſein †)


Pflanzenleim
[302]Analytiſche Belege.

Note 9. Seite 53.
Zuſammenſetzung des Thier-Caſeins.


  • Mulder ††)
  • Kohlenſtoff . . . . . 54,96
  • Waſſerſtoff . . . . . 7,15
  • Stickſtoff . . . . . . 15,80
  • Sauerſtoff . . . . . 21,73
  • Schwefel . . . . . . 0,36


Note 10. Seite 66.
Gehalt der feſten Excremente an in Alkohol
löslichen Beſtandtheilen (Will *)
.


18,3 Grm. bei 100° getrocknete Pferdexcremente verloren
durch Behandlung mit Alkohol 0,995 am Gewichte, der
trockne Rückſtand beſaß die Beſchaffenheit von ausgekochten
Sägeſpänen.


14,98 Grm. trockner Kuhexcremente verloren durch die
nämliche Behandlung 0,625 Grm.


[303]Analytiſche Belege.

Note 11. S. 72.
Zuſammenſetzung des Amylons †).



[304]Analytiſche Belege.

Note 12. Seite 72.
Zuſammenſetzung des Trauben- (Stärke-) zuckers.

Note 13. Seite 73.
Zuſammenſetzung des Milchzuckers.

Note 14. Seite 74.
Zuſammenſetzung des Gummis.

[305]Analytiſche Belege.

Note 15. Seite 76


Analyſe des Hafers nach Bouſſingault †).

  • 100 Theile Hafer enthalten trockne Subſtanz 84,9
  • Waſſer 17,1
  • 100,0
  • 100 Theile trockner Hafer = 117,7 lufttrocknem enthalten:
  • Kohlenſtoff . . . . . 50,7
  • Waſſerſtoff . . . . . 6,4
  • Sauerſtoff . . . . . 36,7
  • Stickſtoff . . . . . 2,2
  • Aſche . . . . . . . 4,0
  • 100,0
  • 17,7 Waſſer
  • lufttrockner Hafer 117,7 in 100 Theilen 1,867 Stickſtoff.


Analyſe des Heu’s †).

  • 100 Theile Heu enthalten lufttrocken 86 trockne Subſtanz
  • 14 Waſſer
  • 100
  • 100 Th. bei 100° getrocknetes Heu = 116,2 lufttrocknes Heu enthalten:
  • Kohlenſtoff . . . 45,8
  • Waſſerſtoff . . . 5,0
  • Sauerſtoff . . . 38,7
  • Stickſtoff . . . 1,5
  • Aſche . . . . . 9,0
  • 100,0
  • Hierzu . . . . 16,2 Waſſer
  • 116,2 lufttrocknes Heu.

20
[306]Analytiſche Belege.
  • 100,0 lufttrocknes Heu enthalten 1,29 Stickſtoff
  • 480 Loth Heu lufttrocken = 15 Pfund enthalten 6,19 Loth Stickſtoff
  • 144 » Hafer » = 4½ » » 2,68 » »
  • Zuſammen . . 8,87 Loth Stickſtoff.


Note 16. Seite 78.
Kohlenſtoffgehalt des Fleiſches und Amylons.


  • 100 Loth Amylon enthalten 44 Loth Kohlenſtoff, 128 Loth (4 Pfund)
    enthalten 56,32 Loth Kohlenſtoff.
  • 100 Loth friſches Fleiſch enthalten 13,6 Loth Kohlenſtoff (ſiehe Note 3)
  • 480 » » » (15 Pfund) mithin 55,28 Loth.

Note 17. Seite 85.

Note 18. Seite 85.


Die Zuſammenſetzung des Gummis und der Stärke ſiehe Note 14 u. 11.


[307]Analytiſche Belege.

Note 19. Seite 86.
Zuſammenſetzung des Cholſterins.

Note 20. Seite 88.
Die Entſtehung des Wachſes aus Zucker†).


Sobald die Bienen ihren Magen oder die ſogenannte
Honigblaſe mit Honig angefüllt haben, und dieſen nicht ab-
legen können, geht derſelbe in Menge nach und nach in den
Darmkanal, wird hier verdauet, der größte Theil davon
als Excremente ausgeſchieden und der andere in die Säfte
der Bienen übergeführt. Durch dieſen großen Zufluß von
Säften bildet ſich ein Fett, welches auf den vorn erwähn-
ten acht Fleckchen, die ſich an den untern 4 Schuppen der
Bauchringel befinden, als eine flüſſige Maſſe hervorquillt
und bald als Wachsblättchen erhärtet; während, wenn die
20*
[308]Analytiſche Belege.
Biene den Honig ablegen kann, nur ſo viel in den Darm-
kanal übergeht, als zur Ernährung derſelben nöthig iſt.
Die Honigblaſe der Bienen braucht kaum 40 Stunden mit
Honig angefüllt zu ſein, um auf den 8 Fleckchen, 8 Wachs-
blättchen vollkommen zur Reife zu bringen, ſo daß dieſe ab-
fallen. Ich machte den Verſuch und gab Bienen, die ich am
Ende des Monats September mit ihrer Königin in ein Käſt-
chen ſetzte, ſtatt Honig aufgelöſ’ten Candiszucker. Es bilde-
ten ſich auch davon Wachsblättchen; aber ſie wollten nicht
recht abſpringen, ſondern die weiter ausquellende Maſſe blieb
an den oberen Wachsblättchen bei den meiſten Bienen hängen,
ſo daß die Blättchen ſo dick wurden, als es ſonſt viere zu-
ſammen ſind. Die Schuppen der Bienen wurden dadurch
ganz in die Höhe gehoben, und die Blättchen ragten hervor.
Beim Nachſehen fand ich, daß dieſe dicken Blättchen, welche
unter der Lupe mehrere Lamellen zeigten, nach dem Kopfe
der Biene hin von oben nach unten, und nach der Schwanz-
ſpitze hin von unten nach oben eine ſchiefe Fläche hatten.
Es war alſo das ſich zuerſt gebildete Blättchen durch das
nächſtfolgende, und weil da, wo die Schuppen an der Fu-
genhaut feſtſitzen, kein Raum für 2 Blättchen vorhanden iſt,
etwas abgeſchoben worden, und ſo war es denn auch mit
dem dritten Blättchen gegangen, wodurch die ſchiefen Flä-
chen an den Seiten der Blättchen nach vorn und hinten ent-
ſtanden waren. Ich habe hieraus recht deutlich erſehen, daß
die Wachsblättchen durch die nächſtfolgend ſich bildenden Blätt-
chen abgeſchoben werden. Der Zuckerſaft war von den Bie-
[309]Analytiſche Belege.
nen auch in Wachs zerſetzt worden; allein es ſcheint doch,
daß die Bildung irgend eine Unvollkommenheit erlitten hatte,
indem die reifen Wachsblättchen ſich nicht ablöſ’ten, ſondern
an den nächſtfolgenden hängen blieben. Zum Wachsaus-
ſchwitzen bedürfen die Bienen keines Blumenſtaubes, ſondern
nur Honig. Ich habe ſchon im October Bienen in ein lee-
res Käſtchen gebracht und ihnen Honig untergeſetzt, und ſie
bauten bald Waben, obſchon das Wetter ſo war, daß ſie
gar nicht fliegen konnten. Ich kann deßhalb gar nicht glau-
ben, daß der Blumenſtaub eine Nahrung für die Bienen ab-
gebe, ſondern ich glaube, daß ſie ihn nur verſchlucken, um
mit Honig und Waſſer vermiſcht, den Nahrungsſaft für die
Maden daraus zu bereiten. Die Bienen verhungern auch
oft noch im April, wenn ihr Honigvorrath aufgezehrt iſt,
und ſie Blumenſtaub in Menge, aber keinen Honig eintra-
gen können. Sie reißen in der Noth die Nymphen aus den
Zellen und zernagen dieſe, um durch den ſüßen Saft, den
ſie in dieſen finden, ſich das Leben zu friſten. Werden ſie
aber in dieſer Lage nicht gefüttert, oder tritt nicht alsbald
Nahrung auf dem Felde ein, ſo ſterben ſie in wenigen Ta-
gen. Wäre nun aber der Blumenſtaub eine wirkliche Nah-
rung für die Bienen, ſo müßten ſie doch wohl von dieſem,
mit Waſſer vermiſcht, ſich ihr Leben friſten können.


Die Bienen bauen nie Waben, wenn ſie nicht eine Kö-
nigin haben, oder nicht mit Brut verſehen ſind, aus wel-
cher ſie ſich eine Königin erziehen können. Sperrt man aber
Bienen ohne Königin in ein Käſtchen und füttert ſie mit
[310]Analytiſche Belege.
Honig, ſo ſieht man, daß ſie nach 48 Stunden Wachsblätt-
chen auf den Schuppen haben, und daß deren auch ſchon
einige abgefallen ſind. Das Wabenbauen iſt alſo etwas Will-
kürliches und an gewiſſe Bedingungen geknüpft; das Wachs-
ausſchwitzen aber etwas Unwillkürliches.


Man ſollte glauben, daß eine große Menge dieſer Wachs-
blättchen verloren gingen, da ſie ja den Bienen eben ſo gut
außer dem Stocke als in demſelben abfallen könnten; allein
der Schöpfer hat weiſe dafür geſorgt, daß ſolche nicht ver-
loren gehen. Stellt man den Bienen, welche im Bauen be-
griffen ſind, Honig in einem flachen Gefäße unter und be-
deckt dieſen, damit die Bienen nicht in den Honig einſinken,
mit einem durchlöcherten Papier, ſo ſieht man am andern
Morgen, daß der Honig aufgetragen iſt, und daß auf dem
Papier eine große Menge Wachsblättchen liegen. Man ſollte
wohl glauben, daß die Bienen, welche den Honig aufgetra-
gen haben, dieſe Blättchen hätten fallen laſſen; allein es iſt
nicht ſo. Legt man über das Honiggefäß zwei dünne Stäb-
chen und auf dieſe ein Brett, welches das Gefäß von allen
Seiten überragt, ſo alſo, daß die Bienen unter dem Brette
durchkriechen und den Honig holen können, aber nichts von
oben aus dem Stocke auf den Honig fallen kann, ſo findet
man am andern Morgen den Honig aufgetragen, aber keine
Wachsblättchen auf dem Papier liegen; wohl aber liegen
deren auf dem das Gefäß überragenden Brettchen. Die Bie-
nen, welche den Honig holen, laſſen alſo keine Blättchen
fallen, ſondern es thun dieſes nur die Bienen, welche oben
[311]Analytiſche Belege.
im Stocke hängen. Wiederholte Verſuche dieſer Art haben
mich überzeugt, daß die Bienen, ſobald ihre Wachsblättchen
zum Abfallen reif ſind, ſich in den Stock zurückziehen und
der Ruhe pflegen, eben ſo wie die Raupen es thun, wenn
ſie ſich häuten wollen. Bei einem Schwarme, der ſtark baut,
ſieht man Tauſende von Bienen, welche ganz unthätig oben
im Stocke hängen; es ſind dies lauter Bienen, deren Wachs-
blättchen zum Abfallen reif ſind; haben ſie ſich abgelöſet, ſo
erwacht wieder die Thätigkeit der Biene, und ihre Stelle
wird nun von einer andern zu gleichem Zwecke eingenommen.


Seite 28. derſelben Schrift. Um zu ermitteln, wie viel Ho-
nig die Bienen zur Erzeugung des Wachſes nöthig haben,
und wie oft, bei einem im Bauen begriffenen Schwarme,
die Wachsblättchen ihre Reife erhalten und abfallen, machte
ich folgenden, wie ich glaube, nicht unintereſſanten Verſuch.


Am 29ſten Auguſt d. J., zu einer Zeit, wo hier kein Ho-
nig mehr für die Bienen auf dem Felde zu finden war, trieb
ich einen kleinen Bienenſtock ab, that die Bienen in einen
kleinen, aus Holz angefertigten, Bienenkaſten, ſuchte aber
vorher die Königin aus und ſperrte dieſe in eine mit Draht-
gitter verſehene Büchſe, welche ich in das Stopfenloch des
Bienenkaſtens einfügte, damit keine Brut in die Zellen kom-
men konnte, und ſtellte ſodann, um die Bienen genau beob-
achten zu können, dieſes Stöckchen in ein Fenſter auf mei-
nen Boden. Des Nachmittags um 6 Uhr gab ich den Bie-
nen 12 Loth aus zugeſpundeten Zellen ausgelaufenen Honig,
der alſo ganz die Conſiſtenz des fertigen Honigs hatte. Die-
[312]Analytiſche Belege.
ſer war am andern Morgen von den Bienen aufgeleckt.
Am 30ſten Auguſt des Abends gab ich den Bienen wieder
12 Loth, der am andern Morgen ebenfalls aufgeleckt war;
es lagen aber auch ſchon einige Wachsblättchen auf dem durch-
löcherten Papiere, womit ich den Honig bedeckt hatte. Am
31ſten Auguſt und 1ſten September erhielten die Bienen des
Abends 20 Loth und am 3ten September des Abends
14 Loth; in Summa alſo 1 Pfund 26 Loth Honig, der aus
Zellen, welche die Bienen ſchon zugeſpundet hatten, kalt aus-
gelaufen war. Am 5ten September betäubte ich die Bienen,
indem ich ſie durch Boviſt herabfallen ließ. Ich zählte ſolche,
und fand 2765 Bienen; ſie wogen 20 Loth. Nun wog ich
das Käſtchen, deſſen darin befindliche Waben ſehr mit Honig
angefüllt, jedoch die Zellen noch nicht bedeckelt waren, be-
merkte mir das Gewicht und ließ nun von einem ſtarken
Stocke den Honig auftragen, was in ein Paar Stunden ge-
ſchehen war. Ich wog jetzt das Käſtchen wieder und fand,
daß es 24 Loth leichter geworden war; folglich hatten die
Bienen 24 Loth Honig von dem ihnen gegebenen 1 Pfund
26 Loth noch im Stocke gehabt. Nun brach ich die kleinen
Waben aus und fand, daß ſie 1¼ Loth wogen. Ich ließ
die Bienen in einem andern Käſtchen erwachen, welches mit
leeren Waben verſehen war, und fütterte ſie mit ganz ähn-
lichem Honig. In den erſten paar Tagen verloren ſie täg-
lich über 2 Loth an Gewicht, nachher aber jeden Tag 1 Loth,
was daher kam, daß der Darmkanal der Bienen in Folge
der Verdauung des vielen Honigs voll von Excrementen
[313]Analytiſche Belege.
war, denn 1170 Bienen wiegen im Herbſte, wenn ſie
noch nicht lange eingeſeſſen haben, 8 Loth; mithin müßten
2765 Bienen etwa 18 Loth wiegen. Sie wogen aber 20 Loth
und hatten deßhalb 2 Loth Excremente bei ſich, denn ihre
Honigblaſen waren leer. Des Nachts verminderte ſich das
Gewicht des Stöckchens gar nicht, weil der wenige Honig,
den die Bienen im Stöckchen hatten, und weil derſelbe ſchon
die nöthige Conſiſtenz erlangt hatte, keinen merkbaren Ver-
luſt des Gewichts durch das Verdunſten erlitt und die Bie-
nen keine Excremente von ſich geben konnten; daher geſchah
die Verminderung des Gewichts nur jedesmal von des Mor-
gens bis zum Abend. Hatten nun die Bienen in den 7 Ta-
gen 7 Loth Honig zur Ernährung ihres Körpers bedurft, ſo
hatten ſie zur Bildung von 1¼ Loth Wachs 27 Loth Ho-
nig verbraucht, und mithin ſind zur Bildung eines Pfundes
Wachſes an 20 Pfund Honig nöthig. Daher kommt es auch,
daß die ſtärkſten Schwärme bei der ergiebigſten Honigerndte,
wo andere Stöcke, die nicht zu bauen brauchen, oft in einem
Tage 3—4 Pfunde zunehmen, faſt gar nicht ſchwerer wer-
den, obſchon ihre Thätigkeit ohne Grenzen iſt; es wird al-
les Gewonnene zu Wachs verwendet. Es iſt dieſes ein
Wink für die Bienenhalter, den Wachsbau einzuſchränken.
Cnauf empfahl dieſes ſchon, obgleich ihm das eigentliche
Verhältniß unbekannt war. Von einem Loth Wachs können
die Bienen ſo viel Zellen bauen, daß ſie darin 1 Pfund Ho-
nig aufbewahren können.


100 Wachsblättchen wiegen 0,024 Gramm, folglich ge-
[314]Analytiſche Belege.
hen auf ein Kilogramm 4,166,666 Wachsblättchen, 50 Ki-
logramm ſind gleich 106 Pfund Cöllniſch Gewicht, 1 Pfund
gleich 32 Loth. Es gehen daher auf 1¼ Loth 81,367
Wachsblättchen. Dieſe waren von 2765 Bienen in 6 Ta-
gen ausgeſchwitzt worden; es kommen daher auf jede Biene
in 24 Stunden 5 Blättchen, und mithin bedarf die Biene
zur Bildung ihrer 8 Blättchen etwa 38 Stunden; was auch
mit meinen Beobachtungen ſehr genau übereinſtimmt. Die
ausgeſchwitzten Wachsblättchen ſind vollkommen ſo weiß, als
gut gebleichtes Wachs. Auch die Waben ſind anfänglich
ganz weiß, ſie werden aber durch den Honig und beſonders
durch den Blumenſtaub gelb gefärbt. Sowie es anfängt kalt
zu werden, ziehen ſich die Bienen in dem Stocke unter dem
Honig zuſammen und zehren nun von ihrem Vorrathe.


S. 54. Viele glauben, die Bienen hätten einen Winterſchlaf;
allein dieſes iſt ganz falſch. Die Bienen ſind den ganzen
Winter über munter; es bleibt immer warm in ihrem Stocke,
durch die Wärme, welche ſie ſelbſt entwickeln. Je mehr Bie-
nen in einem Stocke ſind, deſto mehr Wärme wird entwickelt,
und deßhalb können ſtarke Stöcke der heftigſten Kälte trotzen.
Ich hatte den Fall, daß ich vergeſſen hatte, einem Stocke,
welchem ich im Juli zur Verminderung der Hitze ein durch-
löchertes Blech auf das ſehr weite Stopfenloch geheftet hatte,
dieſes im Herbſte abzunehmen; und obſchon der Winter un-
gemein heftig war, und die Kälte mehrere Tage über — 18°
betrug, kam dieſer Stock doch ſehr gut durch den Winter;
ich hatte aber im Herbſte zu dieſem Stocke das Volk von
[315]Analytiſche Belege.
2 anderen Stöcken gethan! Wird die Kälte ſehr heftig, ſo fan-
gen die Bienen an zu brauſen; dadurch wird der Reſpira-
tionsproceß erhöht, und die Wärmeentwicklung vermehrt.
Sperrt man im Sommer Bienen ohne Königin in einen
Glaskaſten, ſo werden dieſe unruhig und fangen an zu brau-
ſen; dadurch entwickelt ſich eine ſolche Hitze, daß die Glas-
ſcheiben ganz heiß werden. Oeffnet man in dieſem Falle
nicht das Flugloch, oder ſucht den Bienen mehr Luft zu
verſchaffen, und durch Waſſer die Glasſcheiben abzukühlen,
ſo erſticken die Bienen bald.


Zuſammenſetzung des Bienenwachſes.
[216]Analytiſche Belege.

Note 21. S. 106.
Zuſammenſetzung der Cyanurſäure, des Cyamelids und des
Cyanſäurehydrats, nach den Analyſen von
Wöhler und Liebig †) *



Note 22. Seite 106.
Zuſammenſetzung des Aldehyds, Metaldehyds,
Elaldehyds †)
.



Note 23. Seite 107.
Zuſammenſetzung des Proteins


[317]Analytiſche Belege.

Note 24. Seite 109.
Zuſammenſetzung des Albumins aus dem Dotter
und Weißen des Ei’s †)
.



[318]Analytiſche Belege.

Note 25. S. 113
Zuſammenſetzung der Milchſäure.


  • C6H10O5
  • Kohlenſtoff . . . . . 44,90
  • Waſſerſtoff . . . . . 6,11
  • Sauerſtoff . . . . . 48,99

Note 26. Seite 117.
Gas aus dem Unterleib von Kühen, nach dem Genuß von
zu vielem Klee durch Punctur erhalten:

Note 27. Seite 120.
Magendie fand in dem Magen und den Eingeweiden
Hingerichteter:


bei einem Individuum a) welches eine Stunde, b) bei einem zweiten Indivi-
duum, welches 2 Stunden und c) bei einem dritten Individuum, welches
4 Stunden vor der Hinrichtung eine leichte Mahlzeit zu ſich genommen hatte,
in 100 Volum-Theilen befanden ſich:


[319]Analytiſche Belege.

Note 28. S. 127.


Zuſammenſetzung des Thieralbumins.

[320]Analytiſche Belege.
Zuſammenſetzung des Thierfibrins.

Ueber die Zuſammenſetzung des Thier-Caſeins vergl. Note 9.


[321]Analytiſche Belege.
Zuſammenſetzung der leimgebenden Gewebe.

Zuſammenſetzung der Chondrin-gebenden
Gewebe
.
21
[322]Analytiſche Belege.
Zuſammenſetzung der mittleren Arterienhaut.
Zuſammenſetzung der Horngebilde.

[323]Analytiſche Belege.
Hiermit ſtimmt nahe die Zuſammenſetzung der die innere
Schale des Hühnerei’s auskleidenden Haut;
Zuſammenſetzung der Federn.
Zuſammenſetzung des Augenſchwarzes.
21*
[324]Analytiſche Belege.

Note 29. S. 135.


Nach den Analyſen von Playfair und Boeckmann* gaben


  • 0,452 trocknes Muskelfleiſch 0,836 Kohlenſäure
  • 0,407 » » 0,279 Waſſer
  • 0,242 » » 0,450 Kohlenſäure u. 0,164 Waſſer
  • 0,191 » » 0,360 » 0,130 »
  • Blut
  • 0,305 Subſtanz gaben 0,575 Kohlenſäure u. 0,202 Waſſer
  • 0,214 » » 0,402 » 0,138 »
  • 1,471 Blut hinterließen 0,065 Aſche.

Zieht man den Aſchengehalt ab, ſo iſt die Zuſammenſetzung des orga-
niſchen Theils des


[325]Analytiſche Belege.

Dieſer Zuſammenſetzung entſpricht die Formel:


  • C48 . . . . . 54,62
  • H78 . . . . . 7,24
  • N12 . . . . . 15,81
  • O15 . . . . . 22,33

Note 30. S. 137.
Zuſammenſetzung der Choleinſäure †).



Note 31. S. 137.
Zuſammenſetzung des Taurins und der
Choloidinſäure
.


Taurin †).


[326]Analytiſche Belege.
Choloidinſäure †).


Ich habe zu den Unterſuchungen von Demarçay Folgen-
des zu bemerken:


Der Stoff, den ich als Choleinſäure bezeichnet habe, iſt
die Galle ſelbſt, getrennt von den anorganiſchen Beſtand-
theilen (Salze u. ſ. w.), die ſie enthält; durch Bleieſſig, bei
Gegenwart von Ammoniak, treten alle ihre organiſchen Be-
ſtandtheile an Bleioxyd, indem ſie ſich damit zu einem un-
löslichen, harzartigen Niederſchlage verbinden; der mit dem
Bleioxyd verbundene Körper enthält allen Kohlenſtoff und
Stickſtoff der Galle. Was ich mit Choloidinſäure bezeichnet
habe, iſt die Subſtanz, welche man erhält, wenn die durch
Alkohol von den darin unlöslichen Stoffen befreite Galle
mit einem Uebermaße von Salzſäure im Sieden erhalten
wird. Dieſe Subſtanz enthält allen Kohlenſtoff und Waſſer-
ſtoff der Galle, bis auf diejenige Mengen dieſer Elemente,
welche in der Form von Taurin und Ammoniak ausgetreten
ſind. Die Cholinſäure enthält die Beſtandtheile der Galle,
von denen ſich die Elemente des kohlenſauren Ammoniaks
getrennt haben.


[327]Analytiſche Belege.

Dieſe drei Stoffe enthalten alſo die Producte der Me-
tamorphoſe der ganzen Galle, ihre Formeln drücken die An-
zahl der Elemente ihrer Beſtandtheile aus. Keiner davon
iſt in der Form, in der wir ihn gewinnen, fertig gebildet
in der Galle enthalten; ihre Elemente ſind in einer andern
Weiſe mit einander verbunden wie in der Galle, allein die
Art, wie ſie geordnet ſind, hat auf die Feſtſetzung ihres re-
lativen Verhältniſſes durch die Analyſe nicht den geringſten
Einfluß. In der Formel ſelbſt liegt demnach keine Hypo-
theſe, ſie iſt ein reiner Ausdruck der Analyſe. Aus wieviel
verſchiedenen Subſtanzen die Choleinſäure, Choloidinſäure
u. ſ. w. auch beſtehen mag, die relative Anzahl ihrer Ele-
mente zuſammengenommen wird durch die aufgefundene For-
mel ausgedrückt.


Die Unterſuchung der Producte, welche aus der Galle
durch die Einwirkung der Luft und chemiſcher Agentien her-
vorgebracht werden, können für pathologiſche Zuſtände von
Wichtigkeit werden, allein bis auf das allgemeine Verhalten
der Galle iſt die Kenntniß dieſer Producte dem Phyſiologen
völlig unnütz, es iſt eine Laſt, die ihm das Voranſchreiten
erſchwert. Von keinem einzigen der 38 oder 40 Stoffe, in
die man die Galle zerlegt hat, läßt ſich mit Gewißheit be-
haupten, daß er fertig gebildet darin enthalten iſt, von den
meiſten weiß man mit Beſtimmtheit, daß ſie Erzeugniſſe der
Materien ſind, die man darauf einwirken ließ.


Die Galle enthält Natron, allein ſie iſt eine Natronver-
bindung der merkwürdigſten Art; wenn wir ihre in Alkohol
[328]Analytiſche Belege.
löslichen organiſchen Beſtandtheile an Bleioxyd binden und
das Bleioxyd wieder davon ſcheiden, ſo haben wir einen
Körper (Choleinſäure), der mit Natron zuſammengebracht eine
der Galle dem Geſchmacke nach ähnliche Verbindung wieder bil-
det, allein es iſt keine Galle mehr; die Galle kann mit Pflanzen-
ſäuren, ja mit verdünnten Mineralſäuren, vermiſcht werden,
ohne Trübung, ohne einen Niederſchlag zu bilden, während die
ebenerwähnte Verbindung der Choleinſäure durch die ſchwäch-
ſten Säuren zerſetzt und alle Choleinſäure wieder abgeſchie-
den wird. Die Galle iſt demnach keineswegs als cholein-
ſaures Natron zu betrachten. In welchem Zuſtande, kann
man weiter fragen, iſt das Cholſterin, die Margarin- und
Talgſäure, die man darin nachweiſ’t, in der Galle enthalten?
Das Cholſterin iſt in Waſſer nicht löslich, mit Alkalien nicht
verſeifbar, die Verbindungen der genannten, fetten Säuren
mit Alkalien, wären ſie wirklich als Seifen in der Galle
enthalten, ſie müßten durch Säuren mit der größten Leich-
tigkeit abgeſchieden werden. Allein es erfolgt durch verdünnte
Säuren keine Abſcheidung von Margarin- oder Talgſäure.


Es iſt möglich, daß in neuen und wiederholten Unter-
ſuchungen Abweichungen in der procentiſchen Zuſammenſe-
tzung, von der in den analytiſchen Entwicklungen gegebenen
ſich herausſtellen werden, allein auf die Formel ſelbſt kann
dies nur von geringem Einfluß ſein; wenn das relative Ver-
hältniß des Kohlenſtoffs zum Stickſtoff ſich nicht ändert, ſo
werden ſich dieſe Abweichungen auf den Sauerſtoff und Waſ-
ſerſtoffgehalt beſchränken; man wird alsdann für die Ausein-
[329]Analytiſche Belege.
anderſetzungen in Formeln annehmen müſſen, daß mehr Waſ-
ſer oder mehr Sauerſtoff, oder weniger Waſſer und weniger
Sauerſtoff an der Metamorphoſe der Gebilde Antheil neh-
men, allein die Wahrheit der Entwicklungen ſelbſt wird
hierdurch nicht gefährdet.


Note 32. Seite 137.
Zuſammenſetzung der Cholinſäure †)



Note 33. S. 139.
Zuſammenſetzung der Hauptbeſtandtheile des
Harns der Menſchen und Thiere
.


Harnſäure.
[330]Analytiſche Belege.
Alloxan †).
Product der Oxydation der Harnſäure.


Harnſtoff.
Kryſtalliſirte Hippurſäure.
[331]Analytiſche Belege.
Allantoin †)


Harnoxyd †)


Cyſticoxyd †)


Das Cyſtic-Oxyd iſt durch ſeinen Schwefelgehalt ganz
beſonders ausgezeichnet vor allen anderen in der Harnblaſe
vorkommenden Concretionen. Es läßt ſich mit Beſtimmtheit
[332]Analytiſche Belege.
darthun, daß der Schwefel in dieſem Körper weder im oxy-
dirten Zuſtande noch in der Form einer Cyanverbindung ent-
halten iſt, und in dieſer Beziehung iſt die Bemerkung viel-
leicht nicht ohne Intereſſe, daß 4 Atome Cyſtic-Oxyd die
Elemente von Harnſäure, Benzoeſäure, Schwefelwaſſerſtoff
und Waſſer enthalten, lauter Subſtanzen, deren Erzeugbar-
keit im Thierorganismus keinem Zweifel unterliegt.


  • 1 At. Harnſäure . . . . C10N8H8 O6
  • 1 » Benzoeſäure . . . . C14 H10O3
  • 8 » Schwefelwaſſerſtoff . . H16 S8
  • 7 » Waſſer . . . . . . H14O7
  • 1 At. Cyſticoxyd = C24N8H48O16S8=4(C6N2H12O4S2)

Ein vortreffliches Mittel, um bei Harnſteinen die Gegen-
wart des Cyſticoxyds darzuthun iſt folgendes:


Man löſ’t den fraglichen Harnſtein in ſtarker Kalilauge
auf und ſetzt einige Tropfen eſſigſaures Bleioxyd hinzu, nicht
mehr als Bleioxyd in Auflöſung erhalten werden kann.
Beim Kochen dieſer Miſchung entſteht ein ſchwarzer Nieder-
ſchlag von Schwefelblei, der ihr das Anſehen von Dinte
giebt. Es entwickelt ſich hierbei eine reichliche Menge Am-
moniak; die alkaliſche Flüſſigkeit enthält unter anderen Pro-
ducten Oxalſäure.


[333]Analytiſche Belege.

Note 34. Seite 139.
Zuſammenſetzung der Oxalſäure, Oxalurſäure
und der Parabanſäure


Oxalſäure.
Oxalurſäure †).


Parabanſäure †).


[334]Analytiſche Belege.

Note 35. S 141.
Zuſammenſetzung des gebratenen Fleiſch’s.


  • (1) 0,307 Subſtanz gaben 0,584 Kohlenſäure und 0,206 Waſſerſtoff
  • (2) 0,255 » » 0,485 » » 0,181 »
  • (3) 0,179 » » 0,340 » » 0,125 »

Note 36. S. 144.


Die Formel C27H42N9O10 giebt nämlich in 100 Theilen:


  • C27 . . . . . 50,07
  • H42 . . . . . 6,35
  • N9 . . . . . 19,32
  • O10 . . . . . 24,26

Die Zuſammenſetzung des Leims ſ. Note 28.


Note 37. S. 158.
Zuſammenſetzung der Lithofellinſäure †)



[335]Analytiſche Belege.

Note 38. Seite 181.
Zuſammenſetzung des Solanins aus Kartoffel-
keimen
†).


  • Blanchet *
  • Kohlenſtoff . . . . 62,11
  • Waſſerſtoff . . . . 8,92
  • Stickſtoff . . . . 1,64
  • Sauerſtoff . . . . 27,33


Note 39. Seite 181.
Zuſammenſetzung des Picrotoxins †).


  • Francis *
  • Kohlenſtoff . . . . 60,26
  • Waſſerſtoff . . . . 5,70
  • Stickſtoff . . . . 1,30
  • Sauerſtoff . . . . 32,74


Note 40. Seite 181.
Zuſammenſetzung des Chinins.

[336]Analytiſche Belege.

Note 41. Seite 182.
Zuſammenſetzung des Morphins †).



Note 42. Seite 182
Zuſammenſetzung des Caffeins, Theins und
Guaranins †)
.



Note 43. Seite 182.


Zuſammenſetzung des Theobromins †).


[337]Analytiſche Belege.
Zuſammenſetzung des Aſparagins †).


22
[338]Ueber Verwandlung der

Ueber
Verwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure*).


Von
Wilhelm Keller
aus Grosheim.
(Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie.)


Schon in der früheren Ausgabe von Berzelius’ Lehr-
buch der Chemie (1831 Bd. IV. S. 376) hatte Herr Pro-
feſſor Wöhler die Vermuthung ausgeſprochen, daß die
Benzoeſäure bei der Verdauung wahrſcheinlich in Hippur-
[339]Benzoeſäure in Hippurſäure.
ſäure umgewandelt werde. Dieſe Vermuthung gründete ſich
auf einen Verſuch, den derſelbe über den Uebergang der
Benzoeſäure in den Harn angeſtellt hatte. Er fand in dem
Harne eines Hundes, der mit dem Futter ½ Drachme Ben-
zoeſäure gefreſſen hatte, eine in nadelförmigen Prismen kry-
ſtalliſirende Säure, die im Allgemeinen die Eigenſchaften der
Benzoeſäure hatte und die er auch für ſolche hielt (Tiede-
mann’s
Zeitſchrift für Phyſiologie Bd. I. S. 142). In-
deſſen waren dieſe Kryſtalle offenbar Hippurſäure, wie aus
der Angabe, daß ſie wie Salpeter ausgeſehen und bei der
Sublimation Kohle hinterlaſſen hätten, deutlich hervorgeht.
Allein die Hippurſäure war damals noch nicht entdeckt und
es iſt bekannt, daß ſie bis 1829, wo ſie zuerſt von Liebig
unterſchieden wurde, allgemein mit der Benzoeſäure verwech-
ſelt worden iſt.


Die neuerlich publicirte Angabe von Ure*), daß er in
dem Harne eines Patienten, der Benzoeſäure eingenommen
hatte, wirklich Hippurſäure gefunden habe, brachte dieſes in
phyſiologiſcher Hinſicht ſo wichtige Verhalten wieder in Er-
innerung und gab zu den folgenden Verſuchen Veranlaſſung,
die ich auf den Vorſchlag des Herrn Profeſſors Wöhler
an mir ſelbſt angeſtellt habe. Seine Vermuthung iſt dadurch
unzweideutig beſtätigt worden.


Ich nahm Abends vor dem Schlafengehen mit Zucker-
ſyrup 2 Gramme (ungefähr 32 Gran) reine Benzoeſäure.
[340]Ueber Verwandlung der
In der Nacht gerieth ich in Schweiß, was wohl eine Wir-
kung dieſer Säure ſein mochte, da ich ſonſt nur ſehr ſchwer
in ſtärkere Transpiration komme. Eine andere Wirkung
konnte ich nicht wahrnehmen, ſelbſt als ich auch an den fol-
genden Tagen dieſelbe Doſis dreimal täglich zu mir nahm,
wo auch nicht einmal der Schweiß wieder eintrat.


Der am Morgen gelaſſene Harn reagirte ungewöhnlich
ſtark ſauer und zwar ſelbſt noch, nachdem er abgedampft
worden war und 12 Stunden lang geſtanden hatte. Er ſetzte
dabei nur das gewöhnliche Sediment von Erdſalzen ab. Als
er aber mit Salzſäure vermiſcht und ſtehen gelaſſen wurde,
bildeten ſich darin lange, prismatiſche, braungefärbte Kry-
ſtalle in großer Menge, die ſchon dem Anſehen nach nicht
für Benzoeſäure zu halten waren. Ein anderer Theil, der
durch Abdampfen bis zur Syrupsdicke concentrirt war, ver-
wandelte ſich beim Vermiſchen mit Salzſäure in ein Magma
von Kryſtallblättchen. Dieſe ſo erhaltene kryſtalliniſche Sub-
ſtanz wurde ausgepreßt, in ſiedendem Waſſer gelöſ’t, mit
Thierkohle behandelt und umkryſtalliſirt. Sie wurde dadurch
in farbloſen, zolllangen Prismen erhalten.


Dieſe Kryſtalle waren reine Hippurſäure. Beim Er-
hitzen ſchmolzen ſie leicht, bei etwas ſtärkerer Hitze verkohlte
ſich die Maſſe unter Entwicklung eines Geruchs nach Bitter-
mandelöl und unter Sublimation von Benzoeſäure. Um
jeden Zweifel zu beſeitigen, beſtimmte ich ihren Kohlenſtoff-
gehalt, 0,3 Grm. gaben 60,4 pCt. Kohlenſtoff. Nach der
Formel C18 H16 N2 O5 + aq. enthält die kryſtalliſirte Hip-
[341]Benzoeſäure in Hippurſäure.
purſäure 60,67 pCt. Kohlenſtoff, die kryſtalliſirte Benzoe-
ſäure dagegen enthält 69,10 pCt. Kohlenſtoff.


So lange ich das Einnehmen der Benzoeſäure fortſetzte,
konnte ich aus dem Harne mit Leichtigkeit und in Menge
Hippurſäure darſtellen, und da die Benzoeſäure ſo ohne al-
len Nachtheil für die Geſundheit zu ſein ſcheint, ſo wäre
es leicht, ſich auf dieſe Weiſe größere Mengen von Hippur-
ſäure zu verſchaffen. Man könnte ſich dazu eine Perſon
halten, die Wochen lang dieſe Fabrication fortſetzen müßte.


Es war wichtig, den Harn, welcher Hippurſäure enthielt,
auf ſeine beiden normalen Hauptbeſtandtheile, den Harnſtoff
und die Harnſäure, zu unterſuchen. Sie waren beide darin
enthalten, und, dem Anſchein nach, in keiner andern Quan-
tität, als im normalen Harn.


Als der durch Abdampfen concentrirte Harn, aus dem
durch Salzſäure die Hippurſäure geſchieden war, mit Sal-
peterſäure vermiſcht wurde, ſetzte er eine große Menge ſal-
peterſauren Harnſtoff ab. Schon vorher hatte er ein
pulveriges Sediment fallen laſſen, deſſen Auflöſung in Sal-
peterſäure bei dem Abdampfen auf Porzellan die bekannte,
purpurrothe Reaction der Harnſäure gab. Dieſe Beobach-
tung widerſpricht der Angabe von Ure, und es iſt daher
wohl etwas zu voreilig, wenn er die Benzoeſäure als Mit-
tel gegen die aus Harnſäure beſtehenden Gicht- und Harn-Con-
cretionen empfiehlt; er ſcheint ſich vorzuſtellen, daß die Harn-
ſäure zur Umwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure ver-
wendet werde. Da er ſeine Beobachtung an dem Harn ei-
[342]Ueber Verwandlung der Benzoeſäure in Hippurſäure.
ner Arthritiſchen machte, ſo iſt anzunehmen, daß dieſer Harn
auch ohne den innern Gebrauch der Benzoeſäure keine Harn-
ſäure enthalten haben würde. — Uebrigens iſt es klar,
daß die Hippurſäure, da ſie ſich erſt nach Zuſatz einer
Säure abſcheidet, an eine Baſis gebunden, im Harne ent-
halten iſt.


[]

Appendix A Druckfehler.


  • Seite 61 Zeite 5 v. o. anſtatt venoͤſem ſetze arteriellem.
  • 〃 65 〃 12 v. o. anſtatt Pferd leſe man Ochſe.

[][][][]
Notes
*)
In Beziehung auf den wahren Vorgang verweiſe ich auf die Be-
trachtung des Stoffwechſels in dem Körper der Carnivoren (ſ. im
Folgenden).
*)
In dieſer Haushaltung wurden im Monat verbraucht 151 Pfd. Schwarz-
brod, 70 Pfd. Weißbrod, 132 Pfd. Fleiſch, 19 Pfd. Zucker, 15,9 Pfd.
Butter, 57 Maaß Milch, der Kohlenſtoff der Gemüſe und Kartoffeln,
des Wildprets, Geflügels und Weins für die Excremente angeſchlagen.
*)
Ueber die Bildung des Wachſes aus Honig bei den Bienen ſiehe Anhang.
*)
In Beziehung auf das Verſtändniß der Formeln ſiehe die Einlei-
tung zum Anhang.
*)
Die Erfahrung von Tiedemann und L. Gmelin, welche Gänſe mit
gekochtem Eiweiß nicht am Leben erhalten konnten, erklärt ſich leicht,
wenn man erwägt, daß ein körnerfreſſendes Thier in der Subſtanz
ſeiner umgeſetzten Organe, wenn ihm überdies Bewegung mangelt,
nicht Kohlenſtoff genug zum Reſpirationsproceß vorfindet. Zwei
Pfunde Eiweiß enthalten nur 7 Loth Kohlenſtoff, von denen in dem
letzten Produkt des Stoffwechſels der vierte Theil und zwar in der
Form von Harnſäure wieder abgeht.
*)
Ueber die Verwandlung dieſer und der folgenden Formeln in Pro-
cente ſiehe Anhang.
*)
Die hier als P und S angeführten Phosphor- und Schwefelmengen
*)
drücken nicht Atomgewichte aus, ſondern bezeichnen nur die relativen
durch die Analyſe gefundenen Verhältniſſe.
*)
Die Formel, welche Mulder angenommen hat, C52 H80 N16 O20
giebt in der berechneten procentiſchen Zuſammenſetzung zu wenig
Stickſtoff.
*)
Das Vorkommen des harnſauren Ammoniaks in dem Harnſtein von ei-
nem Hunde, der von Laſſaigne unterſucht wurde, muß bezweifelt werden,
wenn er ihn nicht eigenhändig aus der Blaſe des Hundes genommen hat.
*)
Die Analyſe der aus dem Harn beim Zuſatz von Salzſäure ſich
abſcheidenden Kryſtalle iſt nicht gemacht worden. Ure’s Angabe, daß in
Salpeterſäure aufgelöſ’te Hippurſäure beim Zuſatz von Ammoniak ſich
röthet, iſt übrigens falſch, ſie beweiſ’t, daß die von ihm erhaltenen Kry-
ſtalle Harnſäure enthielten.
*)
Es wäre von großem Intereſſe, die Wirkung des Alloxaus auf
den menſchlichen Körper zu unterſuchen; zwei bis drei Drachmen im
kryſtalliſirten Zuſtande Kaninchen gegeben, gaben keine ſchädlichen Wirkungen
zu erkennen. Beim Menſchen ſchien eine ſtarke Doſis nur auf die Urin-
ſecretion von Einfluß zu ſein. Bei gewiſſen Krankheiten der Leber dürfte
das Alloxan eins der wichtigſten Arzneimittel abgeben.
*)
Dieſe Betrachtung oder Vergleichung hat zu einer neuen und ge-
naueren Unterſuchung des Picrotoxins geführt und Herr Francis hat
einen bis jetzt überſehenen Stickſtoffgehalt darin unzweifelhaft darge-
than und ſeine Menge beſtimmt.
*)
Das Muſeum zu Genf übergab eine große Portion Weingeiſt, der
zur Aufbewahrung von Thieren (Fiſchen) gedient hatte, an Herrn
Leroyer, Apotheker, der ſeine Reinigung übernahm. Er deſtillirte den-
ſelben über ein Gemenge von Chlorcalcium mit gebranntem Kalk und
dampfte den Rückſtand an der Luft über Feuer ab. Sobald die
Maſſe eine gewiſſe Conſiſtenz und eine höhere Temperatur angenom-
men hatte, entwickelte ſich eine außerordentliche Menge entzündliches
Phosphorwaſſerſtoffgas (DumasV. 267.)
*)
Die Hände eines Mannes, welcher mit einem Seile 30 Pfund 100
Fuß hoch hebt, legen einen Weg von 100 Fuß zurück, während ſeine
Muskelthätigkeit einem Widerſtand (Druck) von 30 Pfunden das Gleich-
gewicht hält. Wäre die von dem Manne anwendbare Kraft nicht
größer, als um dem Druck von dreißig Pfunden das Gleichgewicht
zu halten, ſo würde er nicht vermögend ſein, das Gewicht zu der an-
gegebenen Höhe zu heben.
*)
Ann. de Chim. et de phys. T. LXX. p. 136.
*)
Ann. de Chim. et de phys. T. LXX. p. 136.
†)
Aus Ferdinand Wilhelm Gundlach’s Naturgeſchichte der Bienen,
S. 15. ff. Caſſel 1842 bei Bohne. — Wir kennen keinen ſchöneren
und überzeugenderen Beweis der Fettbildung aus Zucker, als den
folgenden, aus der Beobachtung entnommenen, Proceß der Wachs-
bildung bei den Bienen.
*)
Zu den Beweiſen, welche Ure für die Umwandlung der Benzoeſäure
in Hippurſäure im menſchlichen Körper angegeben hat, ſind durch
Herrn Keller einige ganz entſcheidende gekommen, die ich ihrer
phyſiologiſchen Wichtigkeit wegen dieſem Buche beigebe. Die Ver-
ſuche des Herrn Keller ſind in dem Laboratorium des Herrn Prof.
Wöhler in Göttingen angeſtellt worden; ſie ſetzen die Thatſache
außer allen Zweifel, daß ein in der Nahrung genoſſener ſtickſtofffreier
Körper an dem Act der Umſetzung der thieriſchen Gebilde und an
der Bildung eines Secretes durch ſeine Beſtandtheile Antheil neh-
men kann. Dieſe Thatſache verbreitet auf die Wirkung der meiſten
Arzneimittel ein unzweideutiges Licht, und wenn ſich der Einfluß
des Caffeins auf die Bildung des Harnſtoffs oder der Harnſäure
in einer ähnlichen Weiſe nachweiſen läßt, ſo iſt damit der Schlüſſel
zu der Wirkung des Chinins und der anderen organiſchen Baſen ge-
geben. J. L.
*)
Pharmac. Centralblatt No. 46, aus Prov. med. and. surg. Journ. 1841.
Notes
†)
Annal. der Chemie u. Pharm. Bd. XXVIII. S. 74 u. Bd. XL.
S. 33 u. 36.
†)
Ann. der Chem. u. Pharm. Bd. XL. S. 66. u. Bd. XXXIX. S. 291.
†)
Ann. der Chem. u. Pharm. Bd. XXXIX. S. 291 und Bd. XL.
S. 8 u. 67.
††)
Die Analyſe des Pflanzencaſeins ſiehe in der vorhergehenden Note.
†)
Die in den Analyſen von Strecker und Ortigoſa verwendete
Stärke wurde in dem Laboratorium zu Gießen aus den Samen, Knol-
len und Früchten dargeſtellt.
†)
Ann. de Chim. et de Phys. T. LXXI. p. 130.
†)
Ann. de Chim. et de Phys. T. LXXI. p. 129.
†)
Poggend. Annal. Bd. XX. S. 375 u. ſ. f.
†)
Ann. der Pharm. Bd XIV. S. 142 u. Bd. XXVII. S. 319.
†)
Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XL. S. 36 u. 67.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 284 u. 293.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 287 u. 292.
†)
Ebendaſ. S. 289 u. S. 293.
†)
Ebendaſelbſt Bd. XXVII. S. 295.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 260.
†)
Ann. der Pharm. Bd. XXVI. S. 215.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 344.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVII. S. 200.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 289.
†)
Ebendaſelbſt S. 286.
†)
Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XXXIX. S. 242. Bd. XLI. S. 154.
†)
Annal. der Pharm. Bd V. S. 150.
†)
In einer andern Analyſe erhielt Francis 0,75 pCt. Stickſtoff. Das
zu den Analyſen verwandte Picrotoxin war theilweiſe aus der Fabrik
des Herrn Merck in Darmſtadt, theils von Herrn Francis darge-
ſtellt; es war vollkommen weiß und ſchön kryſtalliſirt. — Regnault
fand bekanntlich keinen Stickſtoff in dem Picrotoxin.
†)
Annal. der Pharm. Bd. XXVI. S. 23.
†)
Annal. d. Pharm. Bd. I. S. 17, Bd. XXV. S. 63 u. Bd. XXVI. S. 95.
†)
Annal. der Chem. u. Pharm. Bd. XLI. S. 125
†)
Annal. der Pharm. Bd. VII. S. 146.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Liebig, Justus von. Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bn2c.0