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Bericht
Vom Zuſtande
des Teutſchen Reichs.
Durch
Severinum deMonzambano
Veronenſem

An ſeinen BruderLælium
Herrn zu Trezolani in lateiniſcher
Sprache abgegeben.
Jtzo durch einen liebhaber der Sachen
in eil verdeutſchet.

Anno 1667.
[]
Regiſter der Capiteln.Cap. Blat.
  • 1. Von dem Urſprung des Teutſchen
    Reichs. 1
  • 2. Von den Gliedern/ daraus itzo das
    Teutſche Reich beſtehet. 38
  • 3. Von dem Urſpꝛunge der Reichs Staͤn-
    de/ und duꝛch was mittel ſie zu dieſeꝛ
    macht gelanget. 80
  • 4. Von dem Haͤupte des Teutſchen
    Reichs/ wie auch der Wahl der
    Churfuͤrſten. 107
  • 5. Von der Gewalt des Kaͤyſers/ wel-
    che durch die Capitulation, geſetze
    und gewohnheiten des Reichs/ auch
    durch die Rechte der Staͤnde limi-
    ti
    ret iſt. 129
  • 6. Von der Form oder Art des Teut-
    ſchen Reichs. 208
  • 7. Von den Kraͤfften und Kranckheiten
    des Tentſchen Reichs. 237
  • 8. Von der Ratio ſtatus des Teutſchen
    Reichs. 277

[]

Zuſchrifft-BrieffMon-
zambano
an ſeinen Bruder
Lælium.


LJeber BruderLæli,Was
du durch unterſchiedliche Brief-
fe etliche mal von mir zu wiſſen
begehret/ nemlich die Urſachen/ ſo mich
bewogen/ eine ſo geraume zeit in Teutſch-
land herumb zu reyſen/ wil ich nun/ weil
ich faſt durch dein ſo ernſthafftiges noͤti-
gen mich nach Hauſe begeben muͤſſen/ dir
mit wenigem zu verſtehen geben.


Es iſt ſonſt bekand/ daß unſere nation
und Landsleute auff viel Reiſen und an-
dere Laͤnder zu beſuchen nicht groß ach-
ten/ weil ſie dafuͤr halten/ ihre ingenia
und Gemuͤther ſeyn von Natur gut und
geſchickt genug/ und daher von Außlaͤn-
A ijdiſchen
[]Zuſchrifft Brieff.
diſchen etwas zu lernen nicht benoͤtiget.
Ja daß auch die nationen ſo jenſeit den
Alpen oder Schweitzer Gebirgen woh-
nen/ alsbald/ wenn ſie nur uͤber das Ge-
birge Jtalien erblicket/ eine Klugheit
uͤberkommen zu haben vermeynen.


Aus was Urſachen aber ich mich uͤber
die Alpes begeben/ und uͤber verhoffen am
Bayriſchen Hofe eine zeitlang auffhal-
ten muͤſſen/ iſt dir nicht unbekand/ wo-
ſelbſt den unmuth der Zeit zu vertreiben/
ich etliche Buͤcher vor die hand genom-
men/ und ſonderlich ein und andern Au-
toren
der unſerigen/ ſo von dem Teut-
ſchen Kriege geſchrieben/ denen die Teut-
ſchen mehr Glauben zuſtellen als ihren
eigenen Landesleuten/ welche faſt gemei-
niglich partheyiſch/ oder Gefahr halber
die Warheit zu ſchreiben/ ſich ſchewen.
Daſſelbe Buch aber/ ſo ſie von jetzt er-
wehntem Kriege geſchrieben/ beſtehet in
viel groſſen weitlaͤufftigen Volumini-
bus,
und koͤnte fuͤglicher als das alte
Chaos, eine Wuſt und unaußgearbeitet
Werck
[]Zuſchrifft Brieff.
Werck genennet werden. Es muß dem/
der es lieſet/ billich wundern/ mit was
groſſer bemuͤhung ſie ihre Sachen ange-
gangen/ was fuͤr erſchreckliche Schlach-
ten und Blutſtuͤrtzungen vorgangen/ wie
es doch das Land ertragen koͤnnen/ zu deſ-
ſen Verderben nicht weniger die einhei-
miſche als außlaͤndiſche in die 30. Jahr
embſig gearbeitet Daher habe ich ein we-
nig genauer nachzuforſchen/ was dieſer
nation Kꝛaͤffte und Veꝛmuͤgen/ wie man-
cherley Art derſelben/ und durch was
Verbuͤndniß ein ſo groß weitſchweiffig
Corpus koͤnte zuſam̃en gehalten werden/
luſt bekommen. Worbey ich groͤſſere Ge-
dult gehabt/ als leichtlich bey einem Jta-
lieniſchen Gemuͤthe zu vermuthen. Ne-
ben dem/ daß ich umb erreichung meines
Zwecks die deutſche Sprache/ welche un-
ter den Europæiſchen wol die ſchwerſte/
zulernen mir vorgenommen/ bildete ich
mir auch ein/ ich koͤnte den Zuſtand
Teutſchlandes nicht eigentlich erkennen/
ich haͤtte dann aller dieſer nation ſchriff-
A iijten
[]Zuſchrifft Brieff.
ten/ ſo das jus publicum, wie ſie es nen-
nen/ verfaſſet/ durchgeleſen/ derhalben ich
nicht ohne ſonderliche begierde einen
Hoff Rath/ welcher eine zimliche Biblio-
Thec
ſolches ſchlages hatte/ angeſprochen
und gebeten/ er wolle mir etliche zu mei-
nem vorhaben dienliche Buͤcher leihen/
welcher/ damit er ſich gegen mir hoͤfflich
erzeigen/ auch zugleich den Vorrath ſei-
nar Buͤcher zu erkennen geben moͤchte/
durch zweene ſtarcke Kerel mir etliche
ſchwere trachten Buͤcher zubringen/ und
mein Gemach darmit alſo anfuͤllen ließ/
daß ich kaum zu ſitzen raum hatte/ und
gab mir daneben zu verſtehen/ ich ſolte
dieſes nur zum Fruͤhſtuͤck anffnehmen/
die rechte Mahlzeit ſolte bald folgen; da
bin ich erſchrocken/ als wenn ich im Gra-
ſe unverſehens eine Schlange angeruͤh-
ret/ und betaurete das groſſe Ungemach/
ſo ich mir ſelbſt freywillig uͤber den Hals
gezogen: Denn weil ich ſolche begierde
etwas zu lernen an mir vermercken lieſſe/
waͤre es nicht ruͤhmlich/ daß ich bald im
anfan-
[]Zuſchrifft Brieff.
anfang den Muth ſolte fallen laſſen/ doch
dauchte mir/ den Zuſtand eines andern
Regiments zu erforſchen nicht ein ſo
groß uͤbel zu ſeyn/ daß ich mir dadurch
ein ſolch Ungemach auffbuͤrden ſolte;
Alsich lange in Zweiffel ſtund/ fiel mir
eben ein/ daß ich vor zeiten bey einem ge-
lahrten Mann bey uns gehoͤꝛet hatte/ wie
die Teutſchen ſo eine unauffhoͤrliche boͤſe
Gewonheit haͤtten zu ſchreiben: aber die
wenigſten koͤnten etwas vorbringen/
welches wegen eines ſcharffſinnigen Ver-
ſtandes oder lieblichen Rede bey der Po-
litiſchen Welt Lob verdienen moͤchte/ da-
mit man gleichwol das gute Papier ver-
duͤrbe/ bringe der meiſte Hauffen/ die
hin und wieder geſamlete Stuͤcken in ein
ſchmirement oder Buch/ dabey wenig
Verſtand zu ſinden/ und werde vor keinen
Raub gehalten/ anderer Leute Schriff-
ten/ denen nnr an etlichen Orten ein klei-
ner Zuſatz geſchehen/ fuͤr ein new Werck
außzugeben; Endlich ſein etliche der
meynung/ ſie gehoͤren auch mit unter die
A iiijAuto-
[]Zuſchrifft Brieff.
Autores, weil ſil ein weitlaͤufftig ſcri-
ptum
in einen kurtzen Begriff/ oder ver-
meynte Tabellen dem Gedaͤchtniß (an
ſtupiditati
vielleicht dem dummen Ver-
ſtande) zu helffen/ gebracht haben/ und
zwar hoffete ich/ wenn ich einen Auto-
rem
verſtuͤnde/ ich auch die andern veꝛſte-
hen wuͤrde ‘weil bey den Scribenten, wie
gemeiniglich bey den Juriſten gleichſam
zum Geſetz worden/ daß einer von dem
andern auff guten glauben außſchreibe.
Als ich nun mich zu einer beſtaͤndigen
Gedult bequaͤmet/ habe ich anfangs ei-
nen weitlaͤufftigen uñ von vielen appro-
bir
ten Autorem durchzuleſen vor mir
genommen/ von welchem ich mir nicht
vergeblich eingebildet/ er wuͤrde nicht we-
niger alle/ ſo vor ihm geſchrieben/ haben
zuſammen getragen/ als die nachfolgende
bey ihm gethan. Was andern in die-
ſein Autore kunte Unmuth erwecken/
das kam mir/ ich weiß nicht wie/ vor/ als
eine erquickung. Denn ſo viel mehr Sa-
chen/ die nicht zum Werck dieneten/ hin-
ein
[]Zuſchrifft Brieff.
ein geflicket waren/ ſo viel ehe dauchte
mir/ daß ich zum ende kommen kunte,
Jm uͤbrigen/ wie ich die euſſerliche Ge-
ſtalt des Teutſchen Reichs gnugſamb
erkennete; alſo kam mir ſehr ungereimt
fuͤr/ daß/ weil er allenthalben eine bloͤde
wiſſenſchafft des juris civilis an ſich ſpuͤ-
ren lieſſe/ und was er irgend geleſen und
gehoͤret/ dahin ſamlete/ daſelbſt nichts
gefunden wuͤrde/ daß auch nur von einer
mittelmaͤſſigen Wiſſenſchafft der rech-
ten politiczeugen kunte. Denn wie ein
zimlicher Fleiß und kein Verſtand erfor-
dert wird/ die uͤbrigen Dinge anzumer-
cken/ alſo moͤchte man fuͤglich ſagen/ es
waͤren gleichſamb Eſel bey der Leyer/ die
ſich nuterſtehen ſo eines irregular und
ſonderlichen Regiments beſchreibung zu
verfaſſen/ und von den Geſchichten des
Vaterlandes und Politic keine wiſſen-
ſchafft haben. Nach dem ich derowegen
dieſes veꝛdrießliche leſen abzuwarten zeit
hatte/ und zugleich befand/ wie die mei-
ſten nur auff einer Seiten fiddelten/ nam
A vich
[]Zuſchrifft Brieff.
ich mir vor/ einen andern Weg zu gehen/
ließ die unnuͤtze naͤrriſche Buͤcher liegen/
und befragte mich bey erfahrnen Leuten
von denen Dingen/ woruͤber ich einigen
Zweiffel hatte/ aus welchem Vornehmen
ich nicht geringen Nutzen geſchoͤpffet: denn
uͤber dem/ daß ich viel/ was man vergeblich
in den Buͤchern ſuchet/ erfahren/ hat mir
auch dieſe curioſität ſolcher nation ge-
gen Außlaͤndern nicht ungemeine Freund-
lichkeit zu wege gebracht. Vornemlich ge-
fiel derſelben/ daß ſie bey mir keinen ſolchen
Verdruß ihres Zuſtandes und Weſens
verſpuͤrete/ wie ſich bey den meiſten Auß-
laͤndern findet/ und je vertraulicher und
freyer ich mit ihr umbgienge/ je freundli-
cher nahme ſie [m]ich an/ als einen nachfol-
ger ihrer Auffrichtigkeit/ welche ſie gern
von ſich wil geruͤhmet haben. So gar/ daß
ich endlich beſchloſſen/ dieſes Volcks aner-
botenen Gewogenheit laͤnger zu genieſſen.
Nach dem ich derowegen mein Geſchaͤffte
nach Wunſch zu Muͤnchen verrichtet hat-
te/ habe ich mich nacher Regensburg bege-
ben/
[]Zuſchrifft Brieff.
ben/ als wegen des neuentſtandenen
Schreckens des Tuͤrckiſchen Krieges vie-
le Fuͤrſten ſich daſelbſt hinveꝛſamlet hatten.
Hie kunte man aber leichte/ gleichſamb in
einem Blick die Beſchaffenheit des Teut-
ſchen Weſens/ und wie weitſchweiffig die
ſer Leib an einander hinge/ beſchawen. Da-
hat mir der Bayeriſche Freund den Weg
gebahnet/ daſ ich mit einem Manne bin be-
kand worden/ deßgleichen ich kaum in
Teutſchland geſehen/ welcher damals eine
vornehme Perſohn am Chur Mayntziſchen
Hofe und bey den meiſten Teutſchen in
groſſem Anſehen war. Dieſer hat mich mit
ſolcher freundlichkeit empfangen/ derglei-
chen ein frembder und unbekandter von
einem ſolchen/ deſſen Gunſt die Gelehrten
ten hin und wieder anch durch offentliche
ſchmeicheley zu ſuchen/ fuͤr zutraͤglich hiel-
ten/ ſchwerlich zu hoffen hatte/ und zwar
hat mir dieſes Mannes Gunſt nicht nur
zu Regenſpurg viel Freunde gemacht/ ſon-
dern er hat mir auch/ als ich ihm zu verſte-
hen gegeben/ wie ich geſonnen waͤre/ ein
theil
[]Zuſchrifft Brieff.
theil Teutſchlandes zu beſehen/ an unter-
ſchiedliche Hoͤfe recõmendation Brieffe/
durch welche ich ihnen ein angenehmer
Gaſt worden/ gegeben. Von dannen bin
ich mit gutem Winde den Donaw Strom
hinab nach Wien geſegelt/ woſelbſt etliche
meiner Landsleute/ weithe das Gluͤck ſehr
liebkoſett/ daß ich fuͤr keinen Fremden an-
geſehen wurde/ zu wege bra[ch]ten. Dar-
nach ſchickte es ſich gar gewuͤnſchet/ daß
ein Kaͤyſerlicher Miniſter, mit welchem
ich ſchon vorhin Freundſchafft gemacht/
an die Churfuͤrſten zu Sachſen und Bran-
denburg geſand wurde/ und ward ich
deſto lieber/ da er mich ſelber bat/ ſein Ge-
fehrte/ ſonderlich/ weil er davor hielte/ daß
die opinion der Jtaliaͤniſchen nuͤchterkeit/
daß ich nicht durch zu groſſer Freundlich-
keit verleitet/ im Wein erſoͤffe/ wol zu ſehen
wuͤrde. Denn ſonſten wird bey dieſem
Volcke fuͤr unanſtaͤndig gehalten ſeine Ge-
ſundheit ſolchen allgemeinen Wilkoms-
truͤncken vorzuziehen. Von Berlin rey-
ſete ich nach dem Fuͤrſtl. Braunſchweigi-
ſchen
[]Zuſchrifft Brieff.
ſchen Hoff/ woſelbſten mir unter andern
ſehr angenehm war/ mit einem Profeſſor
von der nechſten Academi unterredung
zu pflegen/ welchen ich ſchon vorhin zu Re-
genſpurg/ wegen der wiſſenſchafft von ſei-
nem Vaterland hoͤchlich hatte ruͤhmen ge-
hoͤret; der kam in den meiſten Sachen/
den Zuſtand Teutſchlandes betreffend/ mit
mir uͤberein/ und communicirte mir gut-
willig ſeint Scripta, die weit einen andern
genium als die vorgedachten/ hatten; Jn
welchen/ ob gleich viel klar genug geſetzet/
doch leicht zu ſehn war/ daß er auch nicht
wenig/ umb den Haß der groſſen/ und wie-
derbellen der unbeſcheidenen von ſich abzu-
leiten/ diſſimuliret. Von der Zeit an kam
mir erſt in Sinn dieſes auffs Papier zu ent-
werffen/ weil ich hoffete/ man moͤchte viel-
leicht die Wahrheit glimpflicher von einen
Fremden auffnehmen/ welcher als un-
partheyiſch weder Danck zuverdienen noch
Rache zu uͤben geſonnen. Als ich ſo weit
gekommen/ dauchte mir eine Faulheit zu
ſeyn/
[]Zuſchrifft Brieff.
ſeyn/ Niederland nicht zubeſehen/ in wel-
chem ich mich laͤnger haͤtte auffgehalten/
wo mich nicht dein gebietendes Schꝛeiben/
und zugleich meine Haußhaltung wieder
in das Vaterland zu ziehen bewogen.
Nach dem ich derowegen den Rheinſtrom
hinauff nacher Duſſeldorp gekommen bin
mit gleicher Hoͤfflichkeit als vorhin zu Neu-
burg empfangen worden/ wie mir auch zu
Bonna nicht minder wiederfahren. Bey
den Maͤyntziſchen daucht ich mich wenig
angenehm zu ſeyn/ weil ich durch unvor-
ſichtigkeit den vorgedachten Miniſter,
welchen ſie unterdeſſen/ weiß nicht war-
umb/ ſeines Ampts entſetztt/ ſo ſehr geruͤh-
met hatte. Zu Heidelberg/ ob ich gleich
ſehr eilete/ hielte mich auff die luſt und be-
gierde den Churfuͤrſten zu ſehen/ weil ich
ſchon laͤngſt von vielen gehoret/ daß ihm
an Verſtand und Weisheit kein Fuͤrſt in
Teutſchland gleichen ſoll; Und zwar/ ob
gleich die Fama ſeinen Ruhm gnugſamb
außbreitet/ dauchte mir doch/ er erfuͤlle ihn
der-
[]Zuſchrifft Brieff.
dermaſſen/ daß ichs unter die vornehmſte
Fruͤchte meiner deutſchen Reyſe achte/
daß ich demſelben Fuͤrſten auffgewartet/
und gegenwertig ſeine Gaben erkennen
koͤnnen. Es hat die luſt allhie zu verwei-
len gemachet/ daß ich zu Studgard nur
wenig Tage geblieben/ doch wird mich auch
nicht rewen/ daß ich daſelbſt geweſen-
Siheſtu nun lieber Bruder/ wie ich meine
Zeit bey den Teutſchen zugebracht/ und
daß es fuͤr ein hohes zu achten/ die Freund-
lichkeit dieſes auffrichtigen Volcks ſonder-
lich erkennet haben/ dem ich vor dißmahl
keinen andern Dienſt habe erweiſen koͤn-
nen/ als daß ich die Geſtalt ihres Reichs
mit lebendigen Farben abmahlete. Jch
lebe auch verſichert/ es werde dieſes Weꝛck-
lein meinen Landesleuten nicht unange-
nehm ſeyn/ weil ich das meiſte/ ſo ſie bey
außlaͤndiſchen Regimentern zu erforſchen
beliebung tragẽ/ in beliebter kuͤrtze beruͤhret
habe. Dir aber/ lieber Bruder/ hat mir
nur darumb gefallen diß Buͤchlein zu zu-
ſchrei-
[]Zuſchrifft Brieff.
ſchreiben/ daß ich den Verzug entſchuldi-
gen moͤchte/ welcher dir nicht wenig Be-
ſchwerung gemacht/ meine Geſchaͤffte
in meinem abweſen zu beobachten/ auch zu-
gleich offenbahr wuͤꝛde/ es waͤꝛe in Teutſch-
land was geweſen/ daran meine curioſi-
tät
ein nicht unbequaͤmes gnuͤgen gehabt.
Denn ſonſten ſeyn deine Meriten gegen
mir/ und die Vertrawlichkeit unter uns
viel groͤſſer/ als daß mit einem ſo ſchlechten
Zeugniß/ auch nur ein theil derſelben ſolle
zu erkennen gegeben werden.
Gehabe dich wol.


Bericht
[1]

Bericht vom Zuſtande
des Teutſchen Reichs.
Verfertiget
Durch
SeverinvonMonzambano
einem Veronenſer,
An ſeinen Bruder Lælium Herren zu
Trezolani.


Das erſte Capitel.
Von dem Urſprung des Teut-

ſchen Reichs.


§. 1.


ES hat ſich das groſſe Teutſch-
land vor zeiten gegen Morgen
biß an die Donaw/ und gegen
Mittag an den Rheinſtrom er-
ſtrecket. Gegen Sarmatien ſind faſt die
ſelben termini oder Graͤntzen geweſen/ die
Bauch
[2]Vom Zuſtand
auch noch ſeyn/ daß uͤbrige umbgibt die
groſſe See; das alſo zu der Zeit unter dem
wort Teutſchland auch begriffen wurden:
Dennem. Norwegen und Schweden biß
zu den Sinum Bodnicum; welche Theile
die meiſten der Alten mit dem Nahmen
Schonen belegen; was aber jenſeits ge-
dachten Sinus gelegen/ halte ich/ koͤñe nicht
fuͤglich zum alten Teutſchlande gerechnet
werden. Maſſen der Sprache unterſcheid
anßweiſet/ daß die jetzige Finnen eine gantz
andere nation ſeyn/ als die Schweden und
andere teutſche Voͤlcker/ und ſcheinet/ es
gehe das jenige/ was der Tacitus in dem
Buͤchlein von den Sitten der Teutſchen
ſchreibet/ nicht die Finnen/ ſondern die Lap-
laͤnder an/ welche auch noch faſt derglei-
chen Leben fuͤhren.


Es iſt aber der Warheit gemaͤß/ daß die
rechte Finnen unter den Æſtien begriffen
ſeyn. (Æſtii, iſt ein teutſches Volck/ ſo vor
des Cæſaris Zeit/ vom Rhein in Preuſſen
und Liffland gezogen iſt.) Und iſt kein wun-
der/
[3]des Tentſchen Reichs.
der/ daß der Tacitus von den jenigen weit
abgelegenẽ Voͤlckeꝛn/ deren Geruͤcht kaum
zujm gelanget/ wenig unteꝛſcheid gemacht-
Heut zu tage werdẽ dieſe Mitternaͤchtliche
Laͤnder abſonderlich regieret. Endiget ſich
demnach Teutſchland auf der ſeitẽ an dem
Baltiſchen Meer oder Oſtſee/ und ein groß
theil des Cherſoneſi Cimbricæ, ſo jetzt zu
Dennem. gehoͤret; Dieſes aber gleichſam
zu erſetzen/ hat Teutſchland ſeine Graͤntzen
uͤber die Donaw biß an Jtalien und Illy-
rien
fortgeſetzet/ und diſſeits des Rheins iſt
ihm auch ein guter Strich/ ſo vor Zeiten
zu den Frantzoͤſiſchen Niderlanden gehoͤ-
ret/ zugeleget.


§. 2.


Dieſes ſo groſſe Land haben vormahls
unterſchiedliche/ maͤchtige und freitbare
Voͤlcker bewohnet/ deren doch jegliche ih-
nen ſonderliche Staͤdte vnd von den an-
dern unterſchiedent Territoria machten/
außgenommen die einerley Urſprungs/
Sitten und Sprache waren/ und zwar
B ijgalt
[4]Vom Zuſtand
galt bey den meiſten die democratia, da
der gemeine Mann zum Regiment etwas
zu ſagen hat. Etliche hatten ihre Koͤnige/
welche aber faſt mehr nur zu rathen/ als zu
gebieten gehabt. Denn dieſe nation hat
niemals gaͤntzlich dienſtbar werden wollen.
Hat alſo diß alte Teutſchland nimmer ein
abſonderliches Reich/ eben wie unſer Jta-
lien/ Spanien/ Franckreich/ Britannien
und Griechenland (nemlich/ ehe und be-
vor dieſe Laͤnder von den Roͤmern be-
zwungen murden) gehabt/ welcher
Zuſtand aus dieſem erſten Uhrſprung
der Staͤdte/ dadurch die abgeſonderte
Familien allmehlich ein Corpus gewor-
den/ deſto klaͤrer zu ſehen war. Aber
ob gleich dieſen Alten ſolche autonomia
unter dem ſchein der Freyheit ſehr anmu-
thig vorkam/ muſten doch dieſe vielerley
regierungen durch ihre offt wiederholete
Kriege zu grunde gehen. Und machten ſich
dieſe ſonſt ſtreitbare Voͤlcker auch damit
der außlaͤndiſchen Einfaͤlle unterwuͤrffig/
daß ſie ihre Macht nicht durch eine gewiſſe
Re-
[5]des Tentſchen Reichs.
Regiments-art verbunden/ deñ die meiſten
machten keine verbuͤndniß wider die allge-
meine Gefahr/ ſondern vernamen als denn
erſt/ da ein jeder das ſeinige abſonderlich
behaupten wollen/ uñ ſie alſo nach dem ge-
meinen ſprichworte: dũ ſingnli pugnant
univerſi vincunt
,
uͤbern hauffen geworf-
fen worden/ wie gut die Einigkeit ſey.


§. 3.


Damit nun die Teutſchen von dieſem
Statu kaͤmen/ haben die Franci erſtlich Ur-
ſach gegeben/ welche nation, ob ſie von
den Teutſchen oder von den Gallis ihren
Urſprung habe/ nicht ſo leicht zu ſagen iſt-
Dennlob wir gleich zugeben/ daß die jent-
gen Voͤlcker/ ſo die Griechen unter dem
gemeinen Worte Celtæ begriffen/ als da
ſind die Illyrier, die Teutſchen/ die Galli,
die Spanier und Britanni gleichſam als
aus einem Brunn entſprungen/ ſo wird
doch niemand/ der ſich in der antiquitet
etwas umbgeſehen/ leugnen/ daß auch her-
nachmahls dieſe Voͤlcker an Sitten und
B iijSprachen
[6]Vom Zuſtand
Sprachen weit ſeyn unterſchieden gewe-
ſen.


Dieſen Zweyfel hat der unzeitige Hoch-
muth etlicher Galli verurſachet/ welche/
nach dem ſie in vergeß geſtellet/ daß vor
zeiten viel Frantzoͤſiſche Voͤlcker ihren Ur-
ſprung von ſich ſelbſt den Teutſchen zu zu-
ſchreiben/ und ſich von ihnen her zurech-
nen geſucht/ die Teutſchen fuͤr Uhrheber
des Francken Geſchlechts nicht erkennen
wollen. Dieſe geben demnach vor/ es ha-
be ſich vor Zeiten ein groſſes Volck aus
Franckreich uͤber dẽ Reinſtrom in Teutſch-
land begeben/ und den ſtrich Landes vom
Mainſtrom biß an den Hartzwald bewoh-
net/ welches nach vorbeygehung oder ein-
nehmung des Landes/ ſo zur rechten des
Rheinſtroms bey deſſen abſcheidung liget/
zu ruͤck uͤber den Rhein gangen/ und her-
nach ſein voriges Vaterland gleichſamb
wieder eingenommen/ ein theil aber dieſes
Volcks waͤre am Mayn geblieben/ und
haͤtte das umbliegende Land von ſich be-
nahmet/
[7]des Teutſchen Reichs.
nahmet. Dieſe meynung zu beſtetigen/ wer-
den angefuͤhret Livius lib. 5. c. 34. Cæſa[r]
de bel. Gal. lib. 6. Tacitus de morib.
Germ. c. 28
.


§. 4.


Hierauff koͤñen aber die Teutſchen nicht
ungereimt verſetzen/ daß der gedachten Roͤ-
mer Schrifften nicht gantz unwiderſprech-
lich ſeyn/ als welche ungewiß genug von
denen weit abgelegenen Sachen geſchrie-
ben/ von einem außlaͤndiſchen Volck/ deſſen
antiquiteten von keinem auffgezeichnet/
und das es nicht vermuthlich ſcheine/ weil
die Trebocci, Nemedes, Vangiones,
Treveri
und andere naͤher am Rhein woh-
nende Voͤlcker ſich des teutſchen Uꝛſpꝛungs
geruͤhmet/ daß die Frantzoſen das andere
Ufer inne gehabt. Und ob man ſchon zu-
gebe/ daß die Francken anfangs eine Co-
lonia
oder dahin verpflantzetes Volck der
Frantzoſen geweſen/ ſo iſt doch offenbahr/
daß die jenigen unter die Teutſchen zu-
rechnen/ welche ohngefehr 800. Jahr in
B iiijTeutſch-
[8]Vom Zuſtand
Teutſchland gewohnet/ an der Sprache
und Sitten von den andeꝛn Frantzoſen un-
terſchieden/ und ſich den Teutſchen gemaͤß
geſtellet haben; Dieſes iſt gewiß/ daß vor
den 300. Jahr nach Chriſti Geburt in den
Hiſtorien der Francken kaum gedacht wer-
de; daher entſtehet eine zwiefache Mey-
nung/ indem etliche dafuͤr halten/ daß die/ ſo
von dem Tacito Chauci genennet wer-
den/ den alten Nahmen durch das Wort
Francken verendert haben. Andere aber
meynen/ daß viel teutſche Voͤlcker/ odeꝛ eine
von ihnen zuſammen gelauffene Menge
durch dieſen Nahmen eine ſonderliche be-
gierde der Freyheit vorgewand. Denn
Francus bedeutet in teutſcher Sprache ei-
nen freyen Menſchen. Es wird auch das
Zeugniß der Koͤnige in Franckreich Fran-
cisci I
.
und Henrici II. herbey gebracht/
welche in Briffen an die Teutſchen Staͤn-
de bekennen/ daß ſie von den Teutſchen her-
ſtammen; Ob wol ein verſtaͤndiger leicht
mercket/ warumb bißweilen dergleichen
verwandſchafften geruͤhmet werden.


§. 5.
[9]des Teutſchen Reichs.

§. 5.


Deme ſey nun wie ihm wolle/ ſo haben
dieſe uͤber den Rhein zu den Ubiern paſſirte
Francken/ nachdem ſie den groͤſten theils
Franckreiches bezwungen/ und gleichſamb
ihren Siegeslauff gewendet zum andern
mahluͤber den Rhein gangen/ Teutſchland
und faſt alles was zwiſchen dem Main uñ
der Donau ruͤckwerts nach Thuͤringen hin
gelegen/ ihnen unterworffen.


Carolus M. aber/ als er vornemlich die
Sachſen und den Bayriſchen Koͤnig Tas-
Silonem
uͤberwunden/ hat das Franckiſche
Regiment weit uñ bꝛeit in Teutſchland ein-
gefuͤhret/ alſo/ dz er nicht allein den groͤſten
Theil Teutſchlandes unter ſeinem Gebiet
hatte/ ſondern auch dasjenige/ was damals
die Slavonier gegen dem Baltiſchen Meer
oder der OſtSee in Polen und biß an den
Weixel Strom beherſchet/ den es bezeugen
die Hiſtorien/ daß auch dieſe Voͤlcker dem
Carolo zinßbahꝛ woꝛden/ oder zum wenig-
ſten ſeine Mayeſtaͤt unterthaͤnigſt venerirt
haben.


B vDie-
[10]Vom Zuſtand

§. 6.


Dieſem Carolum bemuͤhen ſich die
Teutſchen auffs fleiſſigſte ihrer nation zu
zu ſchreiben/ als welcher gebohren iſt zu Jn-
gelheim/ einem Staͤdgen bey Maintz/
welches jetzo Chur Pfaltz zuſtehet; Ja
an einem alten monument in der Ab-
tey zu Fulde/ wird der Ort ſeiner Ge-
burt genennet: daß Land bey dem Fluß Un-
ſtrut/ dz iſt/ Thuͤringẽ/ dz er auch teutſch ge-
redet/ beweiſen die annoch bey den Teutſchẽ
gebraͤuchliche Namen der Monden/ welche
man ſeiner erfindung zuſchreibet. Deꝛowe-
gen/ weñ die Teutſchen mich als einẽ Frem-
den in ihrer Sachen zum Richter wehlen
wolten/ der ich ſonſtẽ den Frantzoſen zuge-
fallen in ihren Sachen nichts nachzulaſſen
gedencke/ wolte ich rahten daß ſie nur frey-
willig die prætenſion wegen den Caro-
lum renunciiren
ſolten/ vornemlich/ weil
es ihrem jetzigen Regiment im geringſten
keinen ſchaden bringen kan. Maſſen be-
kand iſt/ daß die Francken ihre Koͤnigl.
reſi-
[11]des Teutſchen Reichs.
reſidentz in Franckreich erwehlet/ auch
iſt auſſer zweiffel/ daß des Caroli Vater ein
Koͤnig der Francken geweſen und deſſen
Voꝛfahren im ſelben Reich der hoͤchſte Eh-
re genoſſen/ die Theile aber Teutſchlandes
jenſeits des Rheinſtroms die damahls zum
Reich der Francken gehoͤreten/ hielten ſie
nur als eine durch Krieg bezwungene Pro-
vintz. Ferner wird einer der jenigen nati-
on
zugerechnet/ deren ſein Vater iſt/ und
wo er den ihm vom Vater und deſſen Vor-
fahren nachgelaſſenen Erbſitz und Guͤter
hat. daß einer an einem andern Ort gebeh-
ren als wo ſein Vater gebohren iſt/ macht
ihn nicht alsbald zu einem andern Lands-
mann/ es ſey den das wir glaͤuben wolten/
der itzige Koͤnig in Schweden/ weñ er viel-
leicht in Preuſſen gebohren were unter die
Preuſſen und nicht die Schweden zu rech-
nen.


Der Theil Teutſchlandes jenſeits des
Rheins iſt auch nicht Franckeuland genen-
net worden ehe er unter dem Carolo zu
B vjder
[12]Vom Zuſtand
der Francken Reich kommen: Denn vor-
nemlich/ als deſſen nachkommen ihr Vaͤ-
terlich Reich getheilet/ wird von den Au-
toribus
der unterſcheid gebraucht/ unter
dem Lateiniſchen Francken gegen Abend/
und dem Teutſchen gegen Morgen/ wel-
ches iſt das groſſe Teutſchland/ jenſeits des
Rheinſtroms: Ob wol nach der Ottonem
zeiten dieſe benennung Teutſchlandes all-
maͤhlig auffgehoͤret.


Der jenige Zweyfel/ ſo aus des Caroli
Sprache herruͤhret/ kan folgender geſtalt
leichtlich auffgehaben werden. Nachdem
die Frantzoſen dem Roͤmiſchen Joch un-
terwuͤrffig worden/ haben ſie ſich auch all-
maͤhlig der Roͤmer Sprache angewehnet/
biß ſich endlich die alte Celtiſche Sprache
faſt gaͤntzlich verlohren; Ferner iſt auſſer
Zweyfel/ daß die in Franckreich gezogene
Francken nicht alsbald ihre teutſche Spra-
che vergeſſen: denn ſie haben die alten Gal-
los
nicht ſtracks erwuͤrget/ oder zum lande
hinaus getrieben/ ſondern nur ihre Regie-
rung
[13]des Teutſchen Reichs.
rung an ſich gebracht. Darauff iſts her-
nach geſchehen/ daß die geborne Francken
im Regiment hervor gezogen/ die uͤberwun-
dene alten Galli aber vorbey gangen wor-
den; Gleich wie aber/ wenn zweene Fluͤſſe
unterſchiedlicher Farben zuſam̃en flieſſen/
jeglicher ſeine Farbe eine zeitlang behaͤlt/
biß endlich allgemach der ſchwaͤchere von
dem ſtaͤrckeſten verſchlungen; Alſo haben
anfangs ſo wol die Francken als die Galli
eine zeitlang ihꝛe Sꝛpache behalten/ biß mit
der zeit aus beyden gleichſamb ein miſch-
maſch worden/ darinnen doch die Lateini-
ſche oberhand behalten/ deſſen Urſach leicht
zu erforſchen iſt. Denn ohne zweyffel ſind
der Gallier mehr geweſt als der Francken/
und kam den Galliern viel ſchwerer an die
teutſche Sprache zu lernen/ als den Fran-
cken die lateiniſche: Sintemahl ich ſelbſt
erfahren/ wie ſaur es den Außlaͤndern wird
die teutſche Sprache zu lernen. Darumb
wird auch bey den aͤltiſten Fraͤnckiſchen
Scribentẽ die gemeine lateiniſche Sprache
B vijdie
[14]Vom Zuſtand
die Baurſprache genennet/ weil nemlich
die Voruehmſten noch Deutſch/ die Bau-
ren aber und das gemeine Volck der alten
Gallier nichts als lateiniſch redeten. Alſo
findet man auch noch heut zu tage in Lieff-
und Curlaud wo die Teutſchen die vorige
Einwohner zu Bauren gemacht/ daß faſt
alle Edelleute und Buͤrger die Baurſpra-
che verſtehen/ die Bauren aber kaum das
zehende Wort vom Teutſchen begreiffen
koͤnnen Hat demnach Carolus die teut-
ſche Sprache gekund/ ſo wol/ weil ſie noch
in etwas bey den Francken gebraͤuchlich
war/ als auch/ weil vorhin die Francken ei-
nen groſſen theil Teutſchlandes/ und er
ſelbſt es faſt gantz inne gehabt/ und kunte
keiner bey der Francken Zeit mit den Teut-
ſchen umbgehen/ der nicht in der Mutter-
ſprache mit ihnen zu reden wuſte. Wer
aͤber allhie iñ acht nimpt/ daß von den mei-
ſten die Fragen/ ſo doch in ſich unterſchied-
lich/ untereinander confundiret werden/
der wird am richtigſten dieſen Streit bey-
legen:
[15]des Teutſchen Reichs.
legen: Deñ wenn gefraget wird/ ob der Ca-
rolus
von dẽ Galliern oder von den Teut-
ſchen ſein Geſchlecht herfuͤhre? Muß man
ohne zweyffel antworten/ daß er nicht von
den Galliern/ ſondern von den Teutſchen
oder Francken herkomme; wird aber ge-
fraget/ zu welchem Vaterlande er zu rech-
nen? ſo wird ſolches nicht Teutſchland/
ſondern Franckreich ſeyn/ und wird in die-
ſer betrachtung nicht ein Teutſcher/ ſondeꝛn
ein Gallus, oder vielmehr ein Franco
gallus
genennet. Jch beſorge/ ich moͤchte
dafuͤr angeſehen ſeyn/ als wenn ich den Le-
ſer einer einfalt beſchuldigte/ wenn ich mich
laͤnger in dieſer ſo klaren Sachen auffhiel-
te; Doch ſol mich nicht verdrieſſen/ den
Teutſchen ein gar bekandtes Exempel hin-
zu zu thun: Denn wenn man bey ihnen
einen Liefflaͤndiſchen Edelman antreffen/
und ſolchen fragen wuͤrde/ wo er her ſey?
ſo wuͤrde er antworten: Er waͤre ein Lieff-
laͤnder/ und nicht ein Teutſcher. Wuͤrde
man weiter fragẽ/ aus welchem Geſchlecht
er
[16]Vom Zuſtand
er geboren/ wuͤrde er ſagen: aus dem Teut-
ſchen/ und nicht aus dem Lettiſchen.


§. 7.


Dieſer Carolus hatte unterſchiedliche
Laͤnder unter ſich/ die er durch unterſchied-
liche Titel an ſich grbracht. Franckenland
hatte er als ſein Vaͤterlich Reich mit recht
geerbet. Denn ob man ſchon bey den al-
ten Francken lieſet/ daß bey wehlung eines
Koͤniges auch die Staͤnde und das gemei-
ue Volck etwas zu ſagen gehabt/ ſo halte ich
doch/ daß ſolches mehr geſchehen die So-
lenniteten
der Inauguration, und den
Gehorſam gegen dem newen Koͤnige/ als
eine freye Wahl zu beweiſen. Man iſt
auch von dem Geſchlecht nicht abgewi-
chen/ es waͤre denn durch Auffruhr/ oder/
weil der Erbe zum Reich gantz untuͤchtig
befunden.


Es hatte vorhin ein theil Teutſchlandes
zu dieſem Franckreich gehoͤret/ daß uͤbrige
hat auch der Carolus mit Krieg bezwun-
gen. Ob ihrer etliche in betrachtung ſei-
ner
[17]des Teutſchen Reichs.
ner Macht ſich ihm freywillig ergeben/ kan
man nicht eigentlich wiſſen. Auch hat er jm
das Reich der Longobarden in Jtalien
bothmeſſig gemache/ auff falſchem præ-
text
des Roͤm: Pabſts. Endlich iſt er mit
willen und conſens des Pabſts und Roͤ-
miſchen Volcks zum Roͤm. Kaͤyſer erweh-
let/ was er durch diſen Titel uͤberkommen/
ſol bald hernach geſagt werden.


§. 8.


Alſo iſt Teutſchland unter dem Carolo
ein theil des Reichs der Francken geweſen/
welches/ wie es ſcheinet/ abſolut genug ih-
rem Gebiet unterworffen/ und ſolches ha-
ben die Statthalter/ die weiſtens Fraͤncki-
ſchen Herkommens/ unter dem Titel der
Graffen und Marckgraffen/ nachdem es
in unterſchiedliche Provincien eingethei-
let/ adminiſtriret; Ob wol die Sachſen
ihre Freyheit etwas laͤnger behalten/ hat
ſie doch der Carolus nach langwierigem
Kriegt uͤberwunden/ zum Franckiſchen
recht geleget/ uñ gleichſamb zu einem Volck
mit
[18]Vom Zuſtand
mit den Francken gemacht/ Und damit er
dieſe wilde und der dienſtbarkeit unge-
wohnte nation deſto beſſer in ihren ſchran-
cken behalten mochte/ hat er Prieſter be-
ſtellet/ welche das Volck in der Chriſtlichen
Religion unterrichten/ und ihm fleiſſig zu
Gemuͤthe fuͤhren ſolten/ wie ſehr ſie den-
ſelbigen verbunden waͤren/ von welchem
ſie den Weg zur Seligkeit erlernet haͤtten/
daher hat Carolus viel Bißthuͤmer und
Abteyen in Teutſchland geſtifftet: Gleicher
geſtalt iſt Ludovicus Pius des Caroli
Sohn mit Teutſchland verfahren/ ohne das
der gedachten Statthalter Macht und Ge-
walt je mehꝛ und mehr zugenommen.


§. 9.


Hernach aber/ als dieſes Ludovici
Soͤhne ihr Vaͤterlich Reich unter ſich ge-
theilet (welches die vornehmſte Urſache ge-
weſen/ daß die Fraͤnckiſche Macht ge-
ſchwaͤchet/ und des Caroli Familia unter-
gangen) iſt Teutſchland von dem uͤbrigen
Leibe des Fraͤnckiſchen Reichs gleichſamb
abge-
[19]des Teutſchen Reichs.
abgeriſſen/ und hat einen ſonderlichen Koͤ-
nig Ludovicum des Pii Sohn/ bekom-
men; hernach iſt zu Teutſchland ein groß
theil der Frantzoͤſiſchen Niederlande gegen
dem Rhein/ faſt von lauter Teutſchen be-
wohnet/ hinzugethan/ welches Land von
dem Lothario, der auch des Ludov. Pii
Sohn geweſen/ Lotharingen genennet iſt/
ob wol jetzo nur ein klein ſtuckgen ſolchen
Reichs den Namen Lothringen behalten/
unter den verderblichen Kriegen/ dadurch
ſich des Caroli Nachkommen unter ein-
ander ſelbſt auffgerieben/ hat nicht allein
die Macht der Teutſchen Staͤnde gewal-
tig zugenommen/ ſondern des Caroli Ge-
ſchlecht iſt auch endlich gar druͤber verlo-
ſchen/ oder zum wenigſten von dem Reich
der Francken verſtoſſen/ (denn auch noch
heute die Pfaltzgraffen am Rhein und Her-
tzogen zu Lothringen von dem Carolo ihr
Geſchlecht herfuͤhren) und haben die Teut-
ſchen aus den Vornehmſten ihrer eigenen
nation Koͤnige erwehlet/ von welcher Zeit
an
[20]Vom Zuſtand
an Teutſchland ſein Weſen abſonderlich
und keine Gemeinſekafft mit Franckenland
mehr gehabt. Weil ferner dei Teutſche
Regierung mit dem gemeinen Namen das
Heil. Roͤmiſche Reich pfleget genennet zu
werden/ halte ich der Muͤhe werth ſeyn/
mit wenigem zu erforſchen/ wie Teutſch-
land dieſen Titul erſt erlanget/ was ihm da-
durch zugewachſen/ und mit was recht es
denſelben noch heutiges Tages fuͤhre.


Welches gruͤndlich zu vernehmen/ wir
den Zuſtand des alten Teutſchen Reichs
vor des Caroli Zeit mit weuigem beſehen
muͤſſen.


§. 10.


Wie deroweben das Roͤm: Volck/ nach
dem es den beſten Theil der Welt unter
ſein Joch gebracht/ endlich durch den Ehr-
geitz etlicher maͤchtigen Buͤrger in Buͤr-
gerliche Krige gerathen/ und daher unter
eines eintzigen Herrſchafft kommen/ iſt
bey jederman bekand. Gleich wie aber
Auguſtus der Uhrheber der Roͤmiſchen
Mo-
[21]des Teutſchen Reichs.
Monarchi durch huͤlffe der Soldaten das
Regiment erlanget/ alſo ſahe er auch bald/
daß ers durch dieſelben behalten muſte/
dannenhero/ ob er gleich in vielen Reichs
Geſchaͤfften dem Rath einigen ſchein ih-
rer Macht gelaſſen/ hat er doch die Kriegs
verwaltung vor ſich allein behalten/ und
ſolche unter dem Kaͤyſerlichen Titul merck-
lich von ſich ſpuͤren laſſen. Denn das mu-
ſte/ als ein ſonderlich Arcanum des Reichs
auffs fleiſſigſte verſchwiegen/ und vor den
gemeinen Knechten verholen ſeyn/ daß es
bey den Soldaten ſtunde Kaͤyſer zu erweh-
len und abzuſchaffen/ welches/ nach dem
es kund worden/ ſo wol das Kaͤyſerthum
ſelbſt/ als die Kaͤyſer in einen elendẽ Stand
geſetzet. Maſſen daſſelbe von vielen inner-
lichen Kriegen geſchwaͤchet hat leyden
muͤſſen/ daß ihm der geitzige und unruhige
Poͤbel nach eigener beliebung die aͤrgeſten
Unm̃enſchen auffbuͤrdete/ und hingegen
die beſten Regenten zum offtern unverant-
wortlicher weiſe vor der Zeit entzog. Die
Kaͤyſer
[22]Vom Zuſtand
Kaͤyſer kunten auch ihren Nachkommen
keine ſichere Hoffnung zur ſucceſſion
machen; und die unruhige Gemuͤther
kunten durch Gelt dazu kommen. War
demnach freylich die macht Kaͤyſer zu
wehlen bey den Soldaten (welches bey
allen Kriegs Monarchien zu geſchehen
pfleget/ oder wo ein ſtaͤrckes und waͤren-
des Kriegesheer an einem Ort gehalten
wird) der Rath und das gemeine Volck
waren nur ſchlechte und bloſſe Nahmen/
die nur angefuͤhret wurden/ den einfaͤlti-
gen Poͤbel zu beruͤcken/ als wenn ſie alle
mit ein ander ihren freywilligen con-
ſens
zu dieſer Herrſchafft gegeben. Wie
nun dieſes auff der Soldatiſchen Frey-
heit gegruͤndete Reich an ſich nicht daur-
hafftig war. Alſo haben auch der Con-
ſtantinus M
.
und Theodoſius deſſelben
untergang mercklich befodert. Jn dem
jener C. M. ſeine reſidentz zu Byzantz
verordnet/ und die maͤchtigſten Armeen
von dem Rheinſtrom ab und gegen Mor-
gen
[23]des Teutſchen Reichs.
gen gefuͤhret; Dieſer aber unter ſeinen
ungeſchlachten Soͤhnen das Reich ge-
theilet. Da ſind aus einem zwey Reiche
worden/ und ſolches zu keinem andern
Nutzen/ als daß das Occidentaliſche von
dem Orientaliſchen abgeriſſene Reich de-
ſto leichter den Barbarn zu theil wuͤrde:
denn bald [...]nach hat das Occidentali-
ſche Reich auffgehoͤret/ nach dem die
Stadt Rom von den Gothen eingenom-
men und verwuͤſtet/ welche auch die ande-
re Provincien vorher mit ebẽ dem Recht
verlohꝛen/ damit ſie ſolche gewonnen/ und
nunmehr ihrer Freyheit beraubet den
Gothen gehorſamen muͤſte.


§. 11.


Als hernach auch der Gothen Macht
in abnehmen kommen/ iſt die Stadt Rom
und ein groß theil Italiæ der Griechen
Herrſchafft unterworffen; Ob wol
Rom in anſehen ihrer vorigen Hoheit/
und weil ſie ſich fuͤr eine Mutter der
Stadt Conſtantinopel außgab/ vielmehr
als
[24]Vom Zuſtand
wie eine f0153;derirte oder gleichfreye/ als
eine bezwungene tractiret wurde. Die
groͤſte Gewalt im Reich kam doch in der
That den Griechen zu. Welche auch ſol-
the zu Rom/ und an andern Orten Italiæ,
ſo ihm unteꝛwuͤrffig/ duꝛch ihre Exarchen
veruͤbeten; Allgemach aber wurden die
Paͤbſte der Griechiſchen Herrſchafft uͤ-
berdruͤſſig/ weil ihre Exarchen allzu wol-
luͤſtig gelebet/ uñ etliche Griechiſche Kaͤy-
ſer wider die Bilder gewuͤtet hatten/ da
doch die Bilder fuͤr ein ſehr nuͤtzliches
Mittel gehalten wurden/ dem gemeinen
Voͤlcklein in euſſerlichen Gebraͤuchen die
Gottſeligkeit ein zupflantzen/ als welches
hoͤhere Sachen nicht begreiffen/ uñ durch
ein reines Hertz und ehrbar gefuͤhrtes Le-
ben einen gnaͤdigen Gott habenkan Aus
welchem die Prieſter wenig profit haben
kunten. Vielleicht war man auch der
meynung/ daß der Kirchen ein groß An-
ſehen zuwachſen wuͤrde/ wenn ihm der
Pabſt allmehlich das weltliche Reich be-
ſtetigte/
[25]des Teutſchen Reichs.
ſtaͤtigte/ welcher ſonſten das geiſtliche Re-
giment in der Welt hatte. Und ſchiene
warlich nicht wol zu erdulden ſeyn/ daß
der jenige eines Griechiſchen auch wol biß-
weilen Weibiſchen Kaͤyſers mancipio un-
terwuͤrffig leben muͤſte/ welchen Gott mit
ſolcher autorität zu ſeinem Stadthalter
auff Erden beſtellet haͤtte/ daß/ wenn er von
Kirchen Sachen muͤſſig/ auch bloſſe civil
Haͤndel tractiren moͤchte/ ja Gott ihm ſel-
bige auch gaͤntzlich aufftragen wuͤrde/ weñ
nicht bekand/ daß die Herren Geiſtliche
von Goͤttlchen Sachen ſo ſehr eingenom-
mene Pr0153;laten fuͤr den profan Geſchaͤff-
ten gar einen abſcheu truͤgen. Ob nnn wol
der weit abgelegene Grichiſche Kaͤyſer/ der
ohne das mit den heran kommenden Sa-
racenen
in Orient gnug zu thun hatte/
nicht zu fuͤrchten; So verurſachte doch die
Macht der Longobarden, ſo gewißlich
gantz Jtalien bedrohete/ und allbereit die
Vorſtaͤdte der Stadt Rom angriffe/ eint-
ges ſchrecken; Als der Pabſt dieſer Macht
Callein
[26]Vom Zuſtand
allein zu widerſtehen nicht gnug/ dauchte
ihm keine dem Roͤmiſchen Stuel kraͤftigere
Huͤlffe zu leiſten veꝛmoͤgend/ als die Koͤnige
der Francken/ welche dazu willig machte
der groſſe Nachruhm/ den jenigen von in-
jurien
zu befreyen/ durch welchen/ als auß
einem unerſchoͤpfflichen Brunn/ alle die
Chriſten erquickende Gnade GOttes auß
getheilet wuͤrde. Und zwar hatte ſich der
Pabſt umb den Pipinum und Carolum
wol verdient gemacht/ in dem er des Chil-
perici
Muͤnch Platte approbiret; wel-
che That ſie/ weiß nicht wie hoch/ hetten
halten ſollen/ weil ſonſt ihr gewiſſen leicht-
lich in zweiffel gerahten koͤnnen/ ob auch
ein Unterthan ſeinen Fuͤrſten mit recht
zum Muͤnch ſcheren lieſſe/ der nur dieſes
ſchine verſehen zu haben/ daß er einem
maͤchtigen Miniſtro mehr Macht verlie-
hen/ als dem Reich zutraͤglich waͤre. Und
dar in war ſonderlich das Gluͤck den Fran-
cken guͤnſtig/ daß ſie eine ſo angenehme ge-
legenheit bekamen unſer Jtalien zu uͤber-
fallen/
[27]des Teutſchen Reichs.
fallen/ welches die jenſeits den Alpen woh-
nende laͤngſt gerne beliebet.


§. 12.


Nach dem derowegen Carölus das je-
nige/ was vorhin die Longobardi in Jta-
lien gehabt/ ihm unterworffen/ hat ihn der
Pabſt/ (der auch gute Beute bekommen)
damit er ſich danckbar erwieſe/ und ins
kuͤnfftige einen beſtaͤndigen. Schutzherrn
haͤtte/ auf einwilligen des Poͤfels zum Kaͤy-
ſer vnd vermehrer des Reichs erklaͤret.


Was durch dieſen Titul der Carolus er-
langet/ iſt nicht ſo gar offenbahr. Es hatte
Rom ſchon laͤngſt auffgehoͤret ein Sitz des
alten Roͤmiſchen Reichs zu ſeyn: als nem-
lich zu erſt das Reich der Gothen und her-
nach die Orientaliſche Regierūg dazu kam.
Darumb kunte es damal dem Carolo von
den Roͤmern nicht conferiret weꝛden/ was
vorzeiten/ zum Occidentaliſchen Reich ge-
hoͤret hatte: den ſolches war ſchon laͤngſt
durch Krieges recht/ ceſſion oder verlaſ-
C ijſung
[28]Vom Zuſtand
ſung unter fremden Gebiet gerahten. Ja
auch Rom ſelber war nicht ihr eigen/ dar-
um kunten ſie ſich nicht einem andern er-
geben. Daher auch Carolus den Titul
nicht hat fuͤhren duͤffen/ ehe er ſich mit den
Grichiſchen Kaͤyſern daruͤber vertragen;
welche ſolches deſto leichter zugaben/ weil
es ihnen an Macht fehlete und ſie die Fran-
cken gern zu Freunden hatten/ damit ſie ih-
nen auch nicht Calabrien und was noch
vor andere bequeme Oerter die Griechen
inne hatten/ abnehmen, Darumb kan man
kaum anders ſagen/ als daß unter dieſem
herrlichen Kaͤyſers Titul/ bey wieder er-
langung des alten Roͤmiſchen Zuſtandes/
wiewol in anderm Abſehen/ der Ca-
rolus
zum oberſten Verthaͤidiger und
Beſchuͤtzer oder Advocaten des Roͤmi-
ſchen Stuels/ und der Guͤter ſo von des
Pabſtes einkunfft oder anderer freygebig-
keit demſelben zukommen moͤchten/ ſey ge-
macht worden.


Ob dieſe verthaͤtigung oder protection
die
[29]des Teutſchen Reichs.
die groͤſte Gewalt des Reiches gehabt/ wie
ſie von den Politicis beſchrieben wird/ dar-
an zweiffele ich ſehr/ und wolte vielmehr
dafuͤr halten/ daß nur in geſtalt eines
ungleichen Bundes der Roͤmiſche Stuel
und deſſen Guͤter dem Carolo ſeynd ad-
jungi
ret worden/ deſſen Geſetze vornem-
lich dieſe geweſen: daß der Carolus zwar
den Roͤmiſchen Stuel und deſſen Guͤter
wider alle Anlaͤuffe verthaͤtigen/ und wenn
innerlicher Auffruhr zum Schimpff oder
Schaden der Kirchen entſtehen wuͤrde/ ſol-
chen durch ſeine autorität beylegen ſoltes
Der Roͤmiſche Stuel hingegen ſolte des
CaroliMayeſtaͤt gebuͤhrlich vencriren/
und nichts Hauptſaͤchliches ohne ſeiner
autorität vornehmen/ worunter das vor-
nehmſte geweſen/ daß keiner ohne ſeinen
willen den Roͤmiſchen Stuel beſitzen ſolte.
Hieraus erhellet daß Rom von der zeit an
als eine abgeſonderte Stadt ihre decreta
gemacht/ und mit dem Reich der Francken
eigendlich zu reden nicht zu einem politia
C iijRegi-
[30]Vom Zuſtand
Regiment gedien; hernach auch/ daß Ca-
rolus
den Roͤmiſchen Stuel und was ihm
zugehoͤret/ nicht unter ſeine Unterthanen
gerechnet/ noch uͤber ſie geherrſchet/ welche
Herrſchafft beſtehet/ im Geſetz geben/ Zinß
aufflegen/ Obrigkeit ein ſetzen/ Recht ſpre-
chen/ und dergleichen. Daß iſt aber nicht
wider eines Verthaͤidigers oder Fuͤrſpre-
chers recht gehandelt/ daß man die durch
verbotene mittel eingedrungene Paͤbſte ab-
ſetze/ die jenigen/ ſo der Kirchen untergang
und euſſerſte beſchimpfung ſuchen/ wieder
zu rechte bringe/ oder die Roͤmer uñ andere
ſo ſich dem Pabſt wiederſetzen/ zu frieden
ſtelle. Gleich wie aber Carolus und et-
liche ſeiner nachkommen ihnen den Titul
elnes Kaͤyſers und Auguſti, gnugſamb ge-
fallen lieſſen/ ihnen auch deßwegẽ die Obeꝛ-
ſtelle vor andern Koͤnigen/ die nicht dawi-
der ſtritten/ zu eigneten. Alſo lieſet man
nicht/ ſo viel mir bewuſt/ daß das Francki-
ſche Reich unter dem Caroliniſchen Ge-
ſchlecht mit dem Titel des Roͤmiſchẽ Reichs
ſey beleget worden.


§. 13.
[31]des Teutſchen Reichs.

§. 13.


Als des Caroli Geſchlecht in abneh-
men kam/ haben die Teutſchen ſich auch
der Regierung der Francken entzogen/ und
ſind in Jtalien groſſe Auffruͤhre entſtan-
den/ in dem andere durch der Alten ruin
ihr newes auffnehmen geſucht. Als hie-
bey die Paͤbſte ihrem Zuſtand nicht gnug-
ſam traueten/ und der Teutſchen Koͤnig
Otto der I. nach dem er den Berengari-
um
uͤberwunden/ ihm das Reich Jtalien
unterwuͤrffig gemacht/ dauchte dem Pabſt
am rathſamſten ſeyn/ ihme gleicherweiſe
den Ottonem zum Verthaͤtiger anzuneh-
men/ wie vormahls den Carolum, und
zwar alſo/ daß nachmahts die beſchuͤtzung
des Roͤmiſchen Stuels mit dem Teutſchen
Reich gantz verbunden wuͤrde. Denn wer
das Reich uͤberkaͤme/ auch alsbald zu
dieſer protection gelangete. Es haben
auch viel der alten Teutſchen Koͤnige dieſes
recht gegen dem Roͤmiſchen Stuel tapffer
genung vertreten. Als unterdeſſen nicht
C iiijallein
[32]Vom Zuſtand
allein die Macht des Pabſtes/ ſondern auch
der Biſchoffe in Teutſchland ſehr zuge-
nommen/ begunten auch die Paͤbſte die-
ſer der Teutſchen protection uͤberdruͤſſig
zu werden: die Urſache war der allen Voͤl-
ckern ein gepflantzete abſcheu vor der auß-
laͤndiſchen beherrſchung/ und war unbillig/
daß die klug beruffene Jtaliener (denn
wenn wir nicht annehmen wolten/ wie die
Außlaͤndiſchen uns tituliren/ thaͤten wir
unrecht) ſolcher einfaͤltigen Teutſchen Ge-
waltthaͤtigem gebiet nachleben muͤſſen. Es
verdroß auch den Stathalter Chriſti/ laͤn-
ger gleichſam unter Vormuͤndern zu ſeyn/
als welcher laͤngſt verlangen trug jeder-
man Geſetze zu geben: damit er derowe-
gen dieſes Joch von ſeinem Halſe werffen
moͤchte/ brachte er es zu wege/ daß den Teut-
ſchen Koͤnigẽ bald in Jtaliẽ bald in Teuſch-
land was zu ſchaffen gemacht wuͤrde/ wor-
zu ihm die Biſchoͤffe tapffer behuͤlfflich wa-
ren: hernach wuͤrden ſie auch in den Bann
gethan/ fuͤr welchem man ſich zu der zeit
ſehr
[33]des Teutſchen Reichs.
ſehr fuͤrchtete. Alſo ſind endlich die Teut-
ſchen Koͤnige allmaͤhlig des Reichs Jtalien
uͤberdruͤſſig worden: haben ſich mit ihren
eigenem vergnuͤget/ und den Paͤbſten den
Roͤmiſchen Stuel nach ihrem willen ge-
laſſen/ welches ſie in ſo viel 100. Jahren
durch allerley Liſt/ und groſſe Unruhe in
Europâ geſucht hatten. Sie haben auch
lange die Roͤmiſche kroͤnung unterlaſſen/
wiewol ſie den alten Titul der Roͤm: Kaͤy-
ſer behalten: und bey antragung des Reichs
wird ihnen erſtlich die verthaͤdigung des
Roͤmiſchen Stuels anbefohlen/ wovon
ihn doch die proteſtirende Churfuͤrſten
loß ſprechen.


§. 14.


Woraus zu erſehen/ daß die jenigen gar
kindiſch irren/ die da meynen/ daß Teutſche
Reich ſey an des alten Roͤmiſchen Reichs
ſtelle kommen/ und werde das Roͤmiſche im
Teueſchen continuiret Dann das jenige
Reich/ das zu Rom ſeinen Sitz hatte/ war
ſchon laͤngſt verſtoͤret/ ehe Teutſchland als
C vein
[34]Vom Zuſtand
ein eigen Reich gehalten wuͤrde. Daß Roͤ-
miſche Reich aber/ ſo dem Carolo und
Ottoni conferiret(welches nichts an-
ders als eine Advocatia oder Schutz
des Roͤmiſchen Stuels) hat mit der zeit
dem Teutſchen Reich ſeinen Nahmen an-
geſchmieret/ ob gleich das Kirchen Gebiet
mit dem Teutſchen Reich niemals eine
Policey gemacht/ viel weniger der Caro-
lus
oder Otto ihre Reiche der Stade
Rom als dem Sitz oder Hauptſtadt des
Reichs unterworffen. Weil man meine-
te/ daß in dem Worte: Roͤmiſcher Kaͤyſer/
eine ſonderliche Herrligkeit waͤre/ wegen
der weitlaͤuftigkeit dieſes alten Reichs/ war
es gar gemein/ die Teutſchen Koͤnige al-
lein mit dieſem Titul zu belegen.


Worauff denn folgete/ daß auch Teutſch-
laud/ als mit einem anſehnlichern Namen/
das Roͤmiſche Reich genennet war. Den
unterſcheid aber des Roͤmiſchen und Teut-
ſchen Reichs giebet klaͤrlich zu veꝛſtehen die
unterſchiedliche Kꝛoͤnung uñ Cinweihung.
Und
[35]des Teutſchen Reichs.
Und ſetzen die letzten Kaͤyſer von dem Ma-
ximiliano
dem I. an/ nach dem Namen
des Roͤmiſchen Kaͤyſers/ außdruͤcklich den
Titul Koͤniges in Teutſchland. Ja es iſt
auch jetzo bey den Teutſchen ſehr gebraͤuch-
lich/ daß ſie ihre Politia das Roͤm. Reich
Teutſcher nation nennen/ welche redens-
art ihr doch ſelbſt ſcheinet zu wider zu ſeyn/
maſſen es offenbahr genug/ daß das jetzige
Teutſche Reich mit dem alten Roͤmiſchen
nicht einerley ſey. Doch behalten die Teut-
ſchen Koͤnige den einmahl auffgebrachten
Titul/ ob ſie gleich die Roͤmiſche Kroͤnung
laͤngſt unterlaſſen/ und ſich kaum das ge-
ringſte des rechts dieſer alten Advocatiæ
gebraucht haben: weil bey den Fuͤrſten ge-
mein iſt/ ehe das Land als den Titul abzu-
ſtehen. Solte wol nicht diß Recht mit der
zeit auffhoͤren/ der bloſſe Titul aber erhal-
ten/ und durch andere Gelegenheit wieder-
[umb gebraucht] werden?


§. 15.


Es iſt aber offenbahr/ daß Teutſchland
C vjvon
[36]Vom Zuſtand
von dem Titul des Roͤm. Kaͤyſers nicht al-
lein keinen Nutzen/ ſondern auch ſehr groſ-
ſen Schaden und Ungelegenheit habe.
Bey den Prieſtern iſt dieſes gemein/ daß
ſie allezeit bereit ſeyn zu nehmen/ nimmer
aber zu geben/ und da andere Clienten ih-
re Patronen mit Geſcheucken erweichen/
werden die Prieſter (ob ſie gleich clienten
ſeyn) unwillig/ und halten ihren Segen gar
hoch/ wo man ihnen nicht aus freyen ſtuͤ-
cken Geſchencke bringet. Jch bin faſt der
meynung/ daß die alten Fuͤrſteu die Geiſt-
lichen in Teutſchland darumb mit ſo groſ-
ſen Guͤtern begabet/ weil ſie davor gehal-
teñ/ es waͤrt ihnen ſonderlich von Gott be-
fohlen/ dieſen Orden reichlich zu verſorgen.
Wie viel hat es wol Teutſchland gekoſtet/
die Roͤmifche Krone zu erlangen? Wie
viel Gut und Blut haben die unterſchied-
liche Zuͤge in Jtalien/ die vom Pabſt erreg-
te Auffruͤhre zu ſtillen/ oder ihn wider ſeine
Rebellen zu beſchuͤtzen gekoſtet? Denn es
haben die Außlaͤndeꝛ/ ſo mit Jtalien zu thun
gehabt/
[37]des Teutſchen Reichs.
gehabt/ allzeit ſchlecht Gewinn davon ge-
trageu: ja daß wir die in unſerm Lande
eingewurtzelte Spanier bißher nicht ha-
ben vertreiben koͤnnen.


Endlich iſt kein Fuͤrſt oͤffter in den Bañ
gethan/ oder von den auffruͤhriſchen Pfaf-
fen mehr vexiret als die Teutſchen Kaͤyſer/
welches vornehmſte Uhrſachen geweſen:
entweder/ weil man dafuͤr hielte/ daß die/
ſo ſich mit dieſem Titul fuͤr andern hervor
thaͤten/ ihre Sachen vornemlich nach dem
Roͤmiſchen Stuel richten und anfiellen
muſten/ oder damit der Orden/ ſo niemand
uͤber ſich wolte herrſchen laſſen/ gleichſamb
das von Mutter Leib an verhaſte weltliche
Gebiet ableiten moͤchte: Wiewol ich die-
ſes ohne verletzung der Ehre des Roͤmi-
ſchen Stuels wil verſtanden haben/ als
deſſen Urtheil ich diß alles in tieffſter
Demuth unterwerffe.



C vijDas
[38]Vom Zuſtand

Das II. Capitel.
Von den Gliedern/ daraus

jetzo das Teutſche Reich beſtehet.


§. 1.


NAch dem derowegen die Teutſchen
Voͤlcker einmahl durch huͤlffe der
Francken unter einer Regierung
kommen/ hat man ſie allezeit fuͤr ein maͤch-
liges Corpus unter die Europæer gehal-
ten/ welches auch noch heute ſeine anſehn-
liche groͤſſe ſehen laͤſſet/ ob gleich ziemlicht
Theile unter andere Gebiethe gerathen/
oder ſich in ſonderliche Staͤdte abgeſon-
dert. Wie viel kurtzer ſich jetzo der Teut-
ſchen Gebiet erſtrecket/ als vor zeiten/ ſol-
ches hat Hermannus Conring, ein im
Zuſtand des Vaterlandes wolerfahrner
Mann/ in einem ſonderlichen Buch von
nen Graͤntzen des Teutſchen Reichs klar
und deutlich gewieſen. Wir haben uns
nur voꝛgenommen/ den gegenwertigen
Zuſtand deſſelben zu beruͤhren: Werden
dem-
[39]des Teutſchen Reichs.
demnach die vornehmſten Glieder dieſes
Reichs mit dem Titul der Reichsſtaͤnde be-
leget/ die nemlich eine Seſſion, wie ſie es
nennen/ und das Recht eine Stimme auff
dem Reichstage zu geben haben; wiewol
ihrer viel von andern außgenommen wer-
den/ als deren Recht/ dadurch ſie ſich fuͤr
unmittelbahre Staͤude außgeben/ andere
maͤchtigere Staͤnde in zweyffel ziehen/ und
auff dem Reichstage derſelben ſtelle betre-
ten/ welches dahin ſein abſehen hat/ daß
dieſe die andern unter ihre provincial
Staͤnde rechnen wollen.


Bey den Fuͤrſten muß man auch vor-
nemlich mercken/ daß ordentlich ein jeglich
Haus auff dem Reichstage ſeine gewiſſe
anzahl Stimmen habe: dann etliche haben
nur eine/ etliche zwo/ etliche drey/ etliche
viere/ etliche fuͤnffe. Ferner uͤberkompt
in etlichen Fuͤrſtenthuͤmern der erſtgebor-
ne das gantze Gebiet/ und muͤſſen die uͤbri-
gen mit einer gewiſſen Appennage oder
Abgifft zu frieden ſeyn. Jm uͤbrigen wer-
den
[40]Vom Zuſtand
den alle Bruͤder zueinem/ wiewol nicht all-
zett gleichem theil zugelaſſen. Wo das er-
ſte im gebrauch iſt/ da vertritt der erſtge-
borne alleine der andern ihre ſtelle; Wo
aber das letzte/ kan zwar ein jeglicher abſon-
derlich auff drn Reichstag kommen/ aber
fie duͤrffeu doch alle nur etne Stimme von
ſich gebeu/ woruͤber ſie unter einander ſich
vertragen muͤſſen.


§. 2.


Damit aber einer beweiſen moͤge/ er ge-
hoͤre anch unter die Staͤnde des Reichs/
wird ins gemein aus zweyen ſtuͤcken zur
gnuͤge erkand/ als daß er in der matricul
der ſtaͤnde eingeſchrieben ſey/ uñ daß erdie
collecten, ſo man dem Reiche zahlẽ muß/
in den offentlichen Landkaſten/ und nicht in
die Schatz Cammer eines andern von den
Staͤnden lege. Ob ſich ſchon einer allhie
gar wol auf ſeine poſſeſſion oder beſitzung
beruffen kan: Denn etliche gebẽn vor/ ſie
haben ihren theil aus irrthum in eines an-
dern Kaſten geleget; Andere hingen wol-
len/
[41]des Teutſchen Reichs.
len/ daß etliche nur nach dem gemeinen Ge-
brauch dem provincial vorbey zu dem
gemeinen Kuſten gangen/ nach dem ſich
ein jeglicher unter die Staͤnde zu ſeyn/ und
einen andeꝛn davon außzuſchlieſſen bemuͤ-
het. Es iſt aber noch keine matricul, da
nicht etwas zu wenig odeꝛ zu viel darin ſey/
uñ dabey nicht etliche einige Streitigkeiten
zu machen pflegen. Ob wol die jenige fuͤr
guͤltig gehalten wird/ ſo Anno 51. 56. und
66. des vorigen Seculi heraus gegeben.


Jch ſolte meynen/ die uhralte Matri-
cula,
welche viel unter die Reichs Staͤnde
rechnen/ ſo ſchon laͤngſt auff dem Reichs-
tage nichts zu ſagen gehabt/ waͤren viele
mehr im Regiſter/ deren die dazumahl auf
dem Reichstage zugegen geweſen/ als oͤf-
fentliche allgemeine Inſtrumenta, aus
welchen auff beyden ſeiten gewiſſe Gruͤnde
koͤnnen genom̃en werden. Aus dieſem un-
terſcheid der matrieula iſt klar zu ſchlieſ-
ſen/ daß vor alters keine gewiſſe Anzahl der
Staͤnde geweſen/ ſondern einem jeglichen
ſey
[42]Vom Zuſtand
ſey frey geſtanden/ auff den Reichstag zu
erſcheinen/ der nur einiges anſehen im Re-
giment/ entweder wegẽ ſeines Reichthums
oder Klugheit zu haben vermeynte. Die
geringere/ die fuͤr ihrem eigenen des ge-
meinen Weſens nicht abwarten kunten/
ſind allmaͤhlich von ihnen ſelber auſſen ge-
blieben; Eliche ſeyn [durch] die maͤchtigen
und groſſen außgeſchloſſen/ biß man zu der
jetzigen Zahl gekommen. Unſers vorha-
bens iſt es nicht/ eine gantze Matricul hie-
her zu ſetzen/ doch wird von noͤthen ſeyn/
die vornehmſte Staͤnde zu beruͤhren/ da-
mit man von der groͤſſe des gantzen Cor-
pur
urtheilen koͤnne.


§. 3.


Unter den weltlichen Fuͤrſten geben wir
der Öſterreichiſchen Familia die oͤberſtelle/
nicht ſo wol wegen ihꝛes alten herkom̃ens/
als wegen ihrem weitlaͤufftigem Gebiet/
und weil ſie die Kaͤyſerliche Hoheit in etli-
che hundert Jahren her genoſſen. Dieſe
Familia hat das ungewoͤhnliche gute
Gluͤck
[43]des Teutſchen Reichs.
Gluͤck ſehr groß gemacht. Rudolphus
war ein Graffe zu Habsburg/ welcher
in der Schweitz und deren Gegend/ nur
mittelinaͤſſige Guͤter/ ſeinem Stande
nach hatte/ gab aber dabey einen guten
Soldaten. Es war damahls zwiſchen
des Kaͤyſers Todt und deſſen Nachfolger
der Zuſtand Teutſchlandes in faſt 20.
Jahꝛen ſehr verworren geweſen/ verſam-
leten ſich demnach die vornehmſten Fuͤr-
ſten/ und wolten durch wehlung eines
Kaͤyſers dieſem uͤbel abhelffen. Werne-
rus
Churfuͤrſt zu Mayntz/ welchem Ru-
dolphus
vor dieſem auff der Reiſe uach
Rom von Straßburg biß an die Alpen
das Geleite gegeben hatte/ ſchlug dieſen
Rudolphum vor/ und ruͤhmete hoch ſeine
Weisheit und Großmuͤt higkeit/ welcher
auch bald die (Chnrfuͤrſten) von Coͤln
und Trier auff ſeine ſeite brachte: wor-
auff mit ſolcher affection zu dem Rudol-
pho der Manytziſche ſein abſehen gehabt/
wird der jenige unſchwer erachten/ wel-
cher
[40[44]]Vom Zuſtand
cher der 'Pfaffen ihre Natur' etwas ge-
nawer beſchawen wird. Nemlich er ver-
hoffete/ derjenige wuͤrde ihm verpflich-
tet werden/ welchen er aus einem gerin-
gen Stande und Geſchlecht erhoͤhete/ uñ
ihm eine ſolche Wolthat zu vergelten/
verurſachen wuͤrde. [Warumb] aber
keiner von den andern Fuͤrſten nach dieſer
Wuͤrde geſtanden/ moͤchte einem wun-
derlich vorkommen/ wo man nicht ſagen
wolte/ dz der verworne Zuſtand [Teutſch]-
landes etliche abgeſchrecket habe/ welchen
ſie zu recht zu bringen ſich nicht tꝛaueten/
[vielleicht] ſind auch etliche alters halben
fuͤr untuͤchtig gehalten/ eine ſolche Laſt
auff ſich zu laden. Haben demnach die
weltlichen Fuͤrſten den Biſchoͤffen bey-
fall gegeben/ doch alſo/ daß ſich der Chur-
fuͤrſt von Sachſen/ und der Burggraff
zu Nuͤrnberg mit des Rudolphi Toͤchter
[verheyrathet]/ welches auch der Hertzog
zu Bayern gethan/ der damahls bey die-
ſen
[45]des Teutſchen Reichs.
ſen Fuͤrſten war. Auff dieſe weiſe iſt als-
bald Rudolphus mit den voꝛnehmſten fa-
miliis
durch Schwaͤgerſchafft verbun-
den worden/ ſeinem newen Stande zu
Schutz und Ehren. Daß er hernach ſei-
ner Familiæ eine ſonderliche Erbſchafft
beſtellen moͤchte/ dazu iſt ihm die Kaͤyſer-
liche Wuͤrde kraͤfftig gnug geweſen.
Wenn ein Lehen erledigt/ wer war wol
naͤher als der Sohn/ deme es von newen
auffgetragen wuͤrde? Denn ihm ſelbſt
zu geben/ waͤre ſehr verhaſt geweſen: die-
ſer geſtalt hat er Oeſterreich/ Steyer-
marck/ Krain/ die Wendiſche Marck/ uñ
andere Laͤnder zu wege gebracht.


Zu dieſem iſt durch der andern Kaͤyſer
zulaſſen noch mehr hinzu kommen: wie
nemlich den Reichen offter was geſchen-
cket wird als den Armen. Solche reiche
Herren kunten nun leichte zu einer rei-
chen Heyrath gelangen; weil auch ne-
gen dem Reichthum die groſſe Wuͤrde
und hohes Anſehen bey den Jungfern in
Liebes
[46]Vom Zuſtand
Liebes Sachen viel zu gelten pfleget. Da
kunte auch der Sohn von einem harten
Vater erlangen/ daß er ihm einen herr-
lichen Titul vor andern Hertzogen bey-
legte; Und iſt doch die [Klugheit] der Oeſte-
reichiſchen allhie zu loben: Denn es war
ſehr verhaſt/ daß dieſe newe Familia auff
dem Reichstage die oberſtelle vor den Al-
ten einnehmen ſolte/ dennoch wolte ſie ih-
nen nicht weichen. Haben demnach die
jenigen/ ſo auff einer von den weltlichen
Fuͤrſten abgeſonderten Banck ſaſſen/ die
oberſteſie unter den geiſtlichen Fuͤrſten
eingenommen. Denn dieſe/ weil ſie ge-
meiniglich von geringerem Herkommen
zur Fuͤrſtlichen Wuͤrde gelangen/ wuͤr-
den ihnen leichtlich die Oberſtelle laſſen.
Wiewol ihnen dieſe Tugend nicht nube-
lohnet geblieben: maſſen ſie auff dieſe
weiſe in dem rath der Fuͤrſten/ daß Regi-
ment oder Directorium, wie ſie es nen-
nen/ eins umbs ander mit dem Ertz Bi-
ſchoff zu Saltzburg zu fuͤhren/ erhalten
haben;
[47]des Teutſchen Reichs.
haben; Dieſes aber kan ihnen ſo gar nicht
von einem verſtaͤndigen zum aͤrgeſten ge-
dentet werden/ daß ſie vielmehr fuͤr gantz
einfaͤltig zu achten/ wo ſie nicht bey guter
gelegenheit ihren Nutzen fleiſſig beobach-
tet haͤtten. Begreiffen alſo die Oeſter-
reichiſchen den meiſten theil Teutſchlan-
des/ ſo gegen Morgen lieget/ unter ihrem
Gebiet. Dazu kompt das Koͤnigreich
Ungern/ welches noch nicht gar mit erb-
recht zu Teutſchland gehoͤret/ und unter
andern darzu gedienet hat/ daß es gleich
als eine Paſtey wider der Tuͤrckeu einfall
den andern Oeſterreichiſchen Laͤndern
vorgebawet/ und die Teutſchen wegen
ſurcht des Tuͤrckiſchen Krieges umbs
Geld gebracht wurden.


§. 4.


Es iſt aber wol zu mercken/ daß die
Oeſterreichiſchen die Kaͤyſerliche Wuͤrde
in ihrer Familia ſo lang behalten/ nicht
allein daꝛumb/ weil kaum ein ander Haus
in Teutſchland zu finden/ welches auff
eigene
[48]Vom Zuſtand
eigene Koſten den Glantz ſolcher Hoheit
erhalten kan/ ſondern auch/ weil ſie ihre
Guͤter alſo georduet/ daß ſie gar leichte
ein ſonderlich Regiment beſtellen koͤnten/
wann es ſich zutruͤge/ daß ein anderer zur
Kaͤyſerlichen Hoheit erhabẽ wuͤrde. Deñ
ſie haben ſich mit ſolchen Privilegien
verſehen/ daß wenn ſie mit einem andern
Kaͤyſer nicht zu frieden waͤren/ ſie ſagen
koͤnten/ ſie haͤtten mit dem Teutſchen
Reich nichts zu ſchaffen/ ihre Laͤndereyen
machten ein abſonderlich territorium;
welches nicht allein das Corpus des
Reichs ſehr verſtuͤmpeln wuͤrde/ wenn
ein ſolch anſehnlich Theil davon abgeriſ-
ſen/ ſondern es wuͤrde auch andere glei-
ches vorzunehmen anreitzen/ die ſich nur
von ihren eigenen Guͤtern zu leben ge-
traueten. Ja/ wenn einmahl ein ſolch
Exempel eingeſuͤhret/ ſolten auch wol die
geringere ein gleiches zu thun begehren;
So wuͤrde endlich Teutſchland nach art
unſers Jtalien eingerichtet/ ob ſichs aber
auff
[49]des Teutſchen Reichs.
auff ſolche weiſe erhalten wuͤrde/ daran
zweiffele ich ſehr. Daß aber dieſes nicht
ohn gefehr erdichtet ſey/ wird der jenige
leichtlich mercken/ deme nur bekand iſt/ daß
das Koͤnigreich Boͤhmen mit dem uͤbrigen
Teutſchland faſt nichts zu thun habe/ als
in der Wahl des Kaͤyſers; oder wer die
meiſten Privilegia des Oeſterreichiſchen
Hauſes etwas genawer betrachten wird.
Ein weniges von dem Privilegio des Ca-
roli V
.
zu beruͤhren/ wird fuͤr dieſes mahl
genug ſeyn: Jm anfange dieſes Privi-
legii
verhelet er nicht die den Menſchen
ſonſt allgemeine begierde zum auffnehmen
und Wolfahrt der ſeinigen. Er wil darin/
daß Oeſterreich ein immerwaͤren des Lehen
ſeyn ſoll/ welches kein Kaͤyſer auffheben
duͤꝛffe; Er wil/ daß die Hertzogen von
Oeſterreich Reichs Raͤthe ſeyn ſollen/ ohne
welcher vorwiſſen nichts koͤnne beſchloſſen
werden; Er erklaͤret ſie und ihre Laͤn-
der frey von allen Beſchwerungen des
Reichs/ ob ſie’ gleich ihre beſchuͤtzung vom
DReich
[50]Vom Zuſtand
Reich haben. Jſt alſo Oeſterreich in fa-
vorablen
Sachen zwar/ nicht aber in ver-
haſten ein Glied des Reichs. Der Her-
tzog von Oeſterreich darff keine inveſtitur
auſſer ſeinem Lande ſuchen/ ſondern die ſol
ihm in demſelben auffgetragen werden.
Weil er ſich nemlich auſſer der bloſſen re-
cognition
des Lehẽ nicht geringer als das
Reich achten wil/ gleichſam als wenn man
ſelbſt ihn bitten muͤſſe/ daß er ein Vaſal
des Reichs genennet werde; Auch ſein
Wapen/ ſo er bey annehmung des Lehen
fuͤhret/ giebet gnugſamb zu verſtehen/ man
muͤſſe mit ihm als mit einem æquali oder
gleichem/ nicht aber als mit einem Unter-
thanen verfahren. Er kan auch auff
dem Reichstage erſcheinen wann er wil/
wo aber nicht/ iſt er dazu nicht verpflichtet.
Was er in ſeinem Gebiet gethan/ darff der
Kaͤyſer nicht endern. Dem Reich wird
nicht zugelaſſen/ ein Lehen in Oeſterreich
zu haben. Seine Unterthanen werden
vor keine außlaͤndiſche Gerichte gezogen/
und
[51]des Teutſchen Reichs.
und von ſeinem Urtheil kan man nicht wei-
ter provociren- Er darff ohne Gefahr ei-
nen/ der in den Bann gethan iſt/ wieder
auffnehmen/ doch alſo/ daß er dem Klaͤger/
wo er es begehret ſein Recht wiederfahren
laſſe; wer aber von einem Oeſterreichiſchen
proſcribiret oder verwieſen iſt/ wird von
keinem andern auch nirgends anders als
in Oeſterreich abſolviret Er leget ſeinem
Lande nach belieben newen Tribut auff/
und machet darin Graffen/ Freyherrn und
Edelleute/ welches man ſonſten in Teutſch-
land fuͤr ein Werck der hoͤchſten Herꝛſchaft
oder des Kaͤyſers haͤlt. Und damit es jeder-
man kund ſey/ daß er dem Reiche kein recht
uͤber ſeine Laͤnder laſſe/ iſts alſo gemacht
worden/ daß auch ſolche/ wenn keine Maͤñ-
liche Erbenverhanden/ an dem Weiblichen
Geſchlecht gelangen koͤñen/ und wo es auch
daran fehlete/ dem letzten beſitzer ſolche Laͤn-
der zu transportiren oder zu vermachen
an weme es ihm nur gefalle frey ſtuͤnde.
Mehr hievon zu ſagen iſt nicht von noͤten/
D ijdenn/
[52]Vom Zuſtand
denn dieſes kan denen/ ſo mitttelmaͤſſigen
Verſtandes/ genug ſeyn. Sein alſo die je-
nigẽ ſehr einfaͤltig geweſen/ welche nicht ge-
mercket den poſſen des Caroli V. der ſeine
Niderlande fuͤr ein theil des Reichs erklaͤ-
ret/ mit der praͤchtigen Verheiſſung/ daß
ſolche dem Reich ſo viel zahlen ſolten als
zwene Churfuͤrſten: Denn dieſes alles
wurde zum Tuͤrckiſchen Kriege/ und alſo zu
erhaltung der Oeſterreichiſchen Laͤnderey
angewand. Und weil die Tributs-Rech-
nungen zum Tuͤrckiſchen Kriege in Haͤn-
den der Oeſterreichiſchen geweſen/ wuͤrden
die Niderlaͤnder nicht eben ſo gar ſtrenge
exſeeutores gefunden habẽ/ wañ ſie gleich
ihren theil zu erlegen etwas traͤge geweſen.
Dz alſo ein Jtaliaͤner leichtlich hette glaͤubẽ
moͤgẽ/ Carolus V. habe nur mit ſeiner ver-
heiſſung den Teutſchen einẽ Muth machen
wollen/ daß ſie deſto williger das ihrige zu
anderer erhaltung heraus geben/ weil ſie
ſehen/ daß auch die Herren ſelbſt zu nutz
ihrer Erbſchafft einige Beſchwer auff ſich
neh-
[53]des Teutſchen Reichs.
nehmen; Wiewol auch vielleicht eine an-
dere Urſach geweſen/ damit nemlich ſeinem
Sohn Philippo, der nach dem Reich ſtun-
de/ nicht koͤnte vorgeworffen werden/ er
habe in Teutſchland keine Laͤnderey/ weil[e] [...]
Ferdinandus das Oeſterreichiſche Erb-
theil in Teutſchland ſchon erlanget.
Oder/ daß daher die Teutſchen ſich ver-
pflichtet hielten Huͤlffe zu ſchicken/ wo Nie-
derland von dem Koͤnige in Franckreich
angegriffen wuͤrde. Jetzo ſind nur zwo
Perſohnen Maͤnnliches Geſchlechts von
dieſem Hauſe verhanden/ nemlich der jetzi-
ge Kaͤyſer Leopoldus und Carolus Koͤ-
nig in Spanien/ daß dieſer letzte noch was
lange leben ſolte/ wird nur von wenigen ge-
hoffet; Dem andern aber habe ich viel
Teutſchen wuͤnſchen gehoͤret/ daß er viel
Soͤhne zeugen moͤchte/ weil ſie ſonſt be-
ſorgten/ es moͤchte der letzte eines ſo herr-
lichen Geſchlechts/ ihm ein gar zu koſtbar
Begraͤbniß erfordern.


D iijDie
[54]Vom Zuſtand

§. 5.


Die Faɯilia der Pfaltzgrafen am Rhein/
und der Bayriſchen Hertzogen wird an
Alterthum keiner andern was nachgeben/
und begreifft unter ſich einen weitlaͤuffti-
gen ſtrich Landes von den Alpgebirgen biß
an die Moſel/ und noch daruͤber zwey Her-
tzogthuͤmer an den Graͤntzen des Niderlan-
des; Sie wird in zwo Linien getheilet/ als
in die Rudolphiſche und Wilhelmiſche:
Dieſe hat fchon vor zeiten das Hertzog-
thum Bayren inne gehabt/ und iſt allezeit
ihres Vermoͤgens beruͤhmt geweſen. Jm
nechſten Kriege hat ſie die Churfuͤrſtliche
Wuͤrde an ſtat der Beute davon getragen/
und iſt die Oberpfaltz ihrem Verwandten
abgenommen. Es haben auch die Bayri-
ſchen faſt durch ein gantz Seculum das
Churfuͤrſtenthum Coͤln beſeſſen/ uͤber wel-
chem noch der jetzige das Bißtbum Luͤttich
und Hildesheim beherrſchet. Die Rudol-
phiſche Linie theilet ſich in unterſchiedliche
Zweige: Der vornehmſte dieſer Familia
iſt
[55]des Teutſchen Reichs.
iſt der Churfuͤrſt in der Pfaltz/ hat die unter
Pfaltz behalten/ eine fruchtbare Landſchaft/
und von den luſtigſten mit in Teutſchland.
Der Neuburgiſche Pfaltzgraff hat neben
dem Gebiet bey der Donaw/ die Hertzog-
thuͤmer Juͤlich und Berg Uber dem ſind
die Pfaltzgraffen von Sultzbach/ von Sim-
mern/ von Zweybruͤck/ von Bircken-
feld/ von Lautereck kleiner Laͤnder Herren.
Aus der Zweybruͤggiſchen iſt der Koͤnig in
Schweden Carolus Guſtavus entſproſ-
ſen/ welcher gezeuget hat Carolum den
jetzo regierenden wiewol noch minderjaͤh-
rigen Koͤnig/ welchem nach dem Osna-
bruͤggiſchem Frieden in Teutſchland zu-
kompt das Hertzogthum Bremen/ Verden
und Vor Pommern/ wie auch Stetin/ daß
Fuͤrſtenthum Ruͤgen/ und die Herrſchafft
Wißmar Es floriren heut zu tage in die-
ſer Familia ſonderlich beruͤhmte Herren.
Denn wie einetreffliche Gottesfurcht die
Bayeriſche commendiret; alſo macht den
Churfuͤrſten am Rhein bey ſeiner nation
D iiijgroß
[56]Vom Zuſtand
groß neben andern Tugenden ſeine ſonder-
bare Weisheit; Es wird auch der Neu-
burgiſche nicht weniger unter die kluͤgſten
Fuͤrſten Teutſchlandes gerechnet/ welchem
etliche die Pohlniſche Krone propheceyen
nicht ſo wol wegen der Schwaͤgerſchafft
mit dem Pohlniſchen Koͤnigl. Geſchlecht/
als weil er fuͤr der wuͤrdigſte gehalten wird.
Ja auch Printz Ruprecht wird nicht un-
billich ein ſchrecken zur See genennet.


§. 6.


Die Hertzogen zu Sachſen bewohnen
faſt das mitteltheil von Teutſchland/ nem-
lich Meiſſen/ Thuͤringen/ und ein zimlich
ſtuͤck bey der Elbe/ Ober Sachſen genant/
wie auch Ober-nnd Unter Laußnitz/ und in
Franckenland das Hertzogthum Koburg/
uñ die Graffſchaft Hennebeꝛg; Eine an etli-
chen oꝛten an Koꝛn/ an etlichen an metal rei-
che Landſchaft. Die Familia wird in zwo li-
nien getheilet in die Albertiniſche und Erne-
ſtiniſche; Aus jener iſt der Chuꝛfuͤrſt mit ſei-
nen dreyen Herrn Bruͤdern/ unter welchen
der
[57]des Teutſchen Reichs.
der erſte nechſt dem Chuꝛf. das Ertzbißthum
Magdeburg auff Lebens zeit hat; Aus die-
ſer/ der Erneſtiniſchen Linie iſt der Hertzog
zu Altenburg/ zu Gotha/ und die vier Wei-
marſche Herren Bruder/ und halte ich/ daß
keiner eine unfruchtbare Ehe gehabt.


§. 7.


Darauff kommen die Marggraffen zu
Brandenburg/ in welcher Familia der
Churfuͤrſt als der vornehmſte die weitlaͤuf-
tigſten Laͤndereyen hat. Neben Preuſſen/
welches jetzo nicht zum Roͤmiſchen Reich
gerechnet wird/ und der Churfuͤrſt wegen
des letzten Vertrags mit Pohlen/ als
Souverain beſitzet/ iſt ihm unterwuͤrffig
die Marck/ hinter Pommern/ daß Hertzog-
thum Croſſen in der Schleſien/ das Her-
tzogthum Cleve/ wie auch das Gebiet Maꝛck
und Ravensburg/ fuͤr den jenigen theil
Pommern/ welcher den Schweden einge-
reumet/ und ſonſten nach abgang der-Pom-
meriſchen Hertzogen Familia auf ihn haͤtte
kommen ſollen/ hat er als ein gleichgelten-
D vdes
[58]Vom Zuſtand
des empfangẽ die Bißthumber Halberſtat/
Minden und Camin/ und nach Abgang
Hertzogen Auguſti zu Sachſen das Crtz-
bißthumb Magdeburg/ welches alle groſſe
und fruchtbahre Laͤnder ſeyn/ doch mey-
nen etliche er habe an ſtatt derer lieber das
gantze Pommern behalten wollen.


Jch erinnere mich/ daß/ als ich neulich
aus Teutſchland wieder gen Padua kam/
und in einer Verſamblung etlicher Jtaliaͤ-
niſchen und Frantzoͤſiſchen Marggraffen
erzehlete/ der gedachte Churfuͤrſt koͤnne
durch ſein Gebieth 200. Teutſche Meilen
in die laͤnge reyſen/ daß er nicht einmahl
in einem fremden Territorio uͤber Nacht
bleiben duͤrffe; (ungeachtet das ſolches
Gebiet zwar an einem und anderm Orth/
durch kleine darzwiſchen-liegende Terri-
toria
zerriſſen) die meiſten der anwe-
ſenden Herren mir das den Reiſenden
gemeine Laſter beylegeten. Und haͤt-
ten mir meine Landsleute/ welche das Va-
terland/ weiß nicht warumb/ ſo ungern von
ſich
[59]des Teutſchen Reichs.
ſich laͤſſet/ nur ſchlechten Glauben beyge-
meſſen/ wo mir nicht ein alter Kriegs Of-
ficir
er/ der lange in Teutſchland gedienet/
welchen ich auch an des gedachten Fuͤrſten
Hoffe gekand/ waͤre zu huͤlffe gekommen:
Denn etliche ſchaͤmeten ſich/ daß bey uns
und in Franckreich viel mit dem Marg-
graffen Titul herein prangeten/ welche
kaum 200. jugera oder Feld Acker inne
hatten/ ſo gar war ihnen unbewuſt/ daß
zwiſchen den Teutſchen Marggraffen/ und
unſern Marquiſen ein ſolcher groſſer un-
terſcheid ſey.


Es ſind auch noch andere Branden-
burgiſche Marggraffen in Francken Land
welche/ wo mir recht iſt/ die alte erbſchafft
der Nuͤrnbergiſchen Burggraffen beſitzen/
und in die Culmbachiſche und Anſpachi-
ſche getheilet werden.


§. 8.


Auf die Churfuͤrſtliche folgen die andere
noch ruͤckſtellige Familien, und weiln mir
bekand/ daß etliche unter ihnen wegen der
D vjober-
[60]Vom Zuſtand
oberſtelle nicht einig ſeyn/ wil ich die Ord-
nung meiner erzehlung alſo veꝛſtanden ha-
ben/ damit nicht durch dieſe vergebliche
Streitigkeiten einig præjudiz verurſachet
werde. Die Hertzogen zu Braunſchweig
und Luͤneburg/ beſitzen die maͤchtigſten
Laͤndereyen in Nider-Sachſen/ und ſind
in zweene Zweige abgetheilet/ zu dem ei-
nen gehoͤret das Hertzogthum Braun-
ſchweig/ welches itzund ein alter Fuͤrſt re-
gieret; Daß Hertzogthum Luͤneburg haben
zwene Bruͤder unter ſich getheilet/ deren
der eine zu Zelle/ der andere zu Hannover
reſidiret. Der dritte Bruder hat ietzo daß
Bißthum Oßnabruͤg. Die Meckelnbur-
giſche Hertzogen beherſchen ein gut ſtuͤck
Landes von der Oft See biß an die Elbe.
Sie ſind heute zu Tage in zwo Lienien un-
terſchieden: in die Schweriniſche und
Guͤſtrowiſche. Der Wuͤrtenbergiſche Her-
tzog hat in Schwaben eine groſſe uñ maͤch-
tige Landſchafft; deſſen verwandten einer
hat an den euſſerſten Graͤntzen Teutſchlan-
des
[61]des Teutſchen Reichs.
des die Graffſchafft Mumpelgard. Die
Landgraffen zu Heſſen haben auch ein weit-
laͤnfftig Territorium, und werden in zwo
linien getheilet/ als in die Caſſelſche und
Darmſtaͤtiſche. Die Marggraffen von
Baden beſitzen einen langen ſtrich am rech-
ten Ufer des Rheinſtroms/ die gleicher ge-
ſtalt in zwo Linien abgeſondert werden/ in
die Durlachiſche und Badenſche/ davon
dieſe zu Baden ihren vornehmſten Sitz
hat. Die Hertzogen von Holſtein beherſchen
ein theil des Cimber Landes/ welches we-
gen der bequemen anſtoſſung des Meers
reich iſt. So viel von Holſtein zum Teut-
ſchen Reich gehoͤreti/ wird vom Koͤnige
in Dennemarck und dem Hertzogen zu
Gottorff regieret/ welcher letztere auch Bi-
ſchoff zu Luͤbeck iſt. Denn das Hertzog-
thum Schleßwig hat mit Teutſchland
nichts zu thun. Die Hertzogen zu Sach-
ſen Lauenburg haben in Nider Sachſen/
und die Fuͤrſten von Anhalt in Ober Sach-
ſen nur ein klein Gebiete.


D vijUnd
[62]Vom Zuſtand

§. 9.


Und das ſeyn die alten Fuͤrſten. Denn
die Hertzogen von Sophoyen und Lothrin-
gen/ ob ſie ſich ſchon zu etlichen Lehen vom
Teutſchen Reich bekennen/ auch deßwegen
eine ſtelle auff dem Reichstage bekleiden/
haben ſie doch ihre von Teutſchland faſt
abgeſonderte Gebꝛaͤuche und Regierungs-
art wegen der gelegenheit ihrer Laͤnder.
Ferdinandus der II. aber/ welcher/ wie et-
liche davor gehalten/ im Sinn hatte/ nach
dem die Macht der Fuͤrſten in eine Ord-
nung gebracht/ ihm eine abſolute Regie-
rung zu wege zu bringen/ hat auch zu dem
ende unter andern dieſes vorzunehmen an-
gefangen/ daß er etliche/ vornemlich ſo ihm
unterwuͤrffig/ zur Fuͤrſtl. Hoheit erhoben:
Denn durch dieſer Huͤlffe vermeynte er/ er
wolte die Stimmen der alten Fuͤrſten zum
wenigſten gleichen wo nit uͤbeꝛtreffend ma-
chen/ wañ etwan ein algemeiner Reichstag
muͤſte außgeſchrieben werden; wozu er ſon-
ſten wenig luſt hatte. Oder damit er er-
wieſe/
[63]des Teutſchen Reichs.
wieſe/ die alten Fuͤrſten ſolten ſich nur ihrer
Hoheit nicht ſo ſehr erheben/ weil es ihm
leicht ſeyn wuͤrde/ ſo viel ihm nur beliebete/
ihnen gleich zu machen. Und haͤtte ohne
zweyffel der alten Familien Hoheit Gefahr
gehabt/ wenn der Kaͤyſer ſo leichte haͤtte ne-
we territoria machen/ als Titul außthei-
len koͤnnen. Unter denen/ die auff dem
Reichstage eine Stelle/ wiewol andern
zum verdruß erhalten/ ſind/ ſo viel als mir
bewuſt/ die Fuͤrſten von Hohen Zollern/
von Eggenberg/ von Naſſau Hadamar/
und von Naſſau Dillenburg/ von Lobko-
witz/ von Salm/ von Dietrichſtein/ von
Aversberg/ von Piccolomini. Weil aber
des Ferdinandi Conſilia und Anſchlaͤge
keinen guten fortgang gehabt/ noch dieſer
newen Fuͤrſten Guͤter mit der alten ihrer
Macht einigerley weiſe zu vergleichen/ hat
man auch gemercket/ daß ſie wenig wider
die alten gehafftet/ ſondern bißweilen (wie
gemeiniglich zu geſchehen pfleget/ in dem
der alte Adel den newen nicht achtet)
von denſelben hoͤren muͤſſen/ ſie haͤtten
nichts
[64]Vom Zuſtand
nichts anders gewonnen/ als daß ſie aus
reichen Graffen waͤren arme Fuͤrſten ge-
worden; Gleich als wenn nicht ein jeg-
licher Adel einmahl waͤꝛe new geweſen/ oder
dieſe mit der zeit nicht koͤnten reicher wer-
den/ ob gleich der leichteſte Weg dazu ver-
ſchloſſen/ indem es dem Kaͤyſer nicht frey
ſtehet/ die ledige Lehen des Reichs/ die et-
was auff ſich haben/ wem er nur wil/ damit
zu belegen.


§. 10.


Die andere Ordnung der Fuͤrſten in
Teutſchland machen die Biſchoͤffe und
Abte. Ob gleich dieſe die Wahl der Thum-
herren offte aus dem gemeinen Adel- oder
Freyherr-nnd Graͤfflichen Wuͤrde zu ſol-
cher Hoheit bringet/ haben ſie doch auff
dem Reichstage und bey andern abhand-
lungen ſchier die Oberſtelle uͤber die Welt-
lichen. Nach dem nemlich das Gluͤck der
newen Prieſter von dem ſchlechten Zuſtan-
de der alten ſehr abgetreten/ wuͤrde es un-
gereimt ſeyn/ ſie mehr mit den alten Geſe-
tzen/
[65]des Teutſchen Reichs.
tzen/ ſo unſer Seligmocher dieſem Orden
zur Ehrbarkeit gegeben/ im Zaum hal-
ten wollen. Und ſolten vielleicht ſolche
Geſetze nur bey den alten Zeiten gelten.
Denn das war in der warheit laͤcherlich/
daß Fiſcher oder Weber aus groſſem Ehr-
geitz die oberſtelle begehren ſolten/ welche
ihren taͤglichen auffenthalt durch Hand-
arbeit verdienen/ oder aus der zuſammen
getragenen Steur ſuchen muͤſſen; Ob
aber wol in der gantzen Chriſtlichen Welt/
ſo weit die Catholiſchen gebraͤuche guͤltig/
die Prieſter in groſſem anſchen und gutem
wolſtande ſeyn/ haben ſie doch nirgends ſo
groſſe Macht uñ Reichthum als in Teutſch-
land; Man ſiehet auch daß an weitlaͤuffti-
gem gebiet/ und herrlicher Hoffſtat zwi-
ſchen ihrer viel und den Weltlichen Fuͤr-
ſten kein unterſcheid zu finden/ Sie haben
uͤber ihre Unterthanen gleiche Macht und
juriſdiction. Ja es haben auch etliche
mehr Luſt den Helm als den Biſchoffs
Hut zu tragen/ und ſeyn kraͤfftiger Krieg
anzu-
[66]Vom Zuſtand
anzurichten/ und ihr Vaterland ſampt deſ-
ſen Nachbarn in unruhe zu ſtuͤrtzen/ als die
Gottſeligkeit fort zu pflantzen; Doch ſind
heut zu Tage mehr als vorzeiten/ die ſich
nicht ſchaͤmen von den Geiſtlichen Orden
geweihet zu werden/ und ein oder zwey-
mahlim Jahr eine Proba ab zulegen/ wie
bequem ſie ſich bey der Meſſe als Geiſtliche
anſtellen koͤnnen. Weil aber vorzeiten
der Weltlichen Fuͤrſten Laͤnder uͤber-
traffen oder nur gleicheten/ haben ſie nicht
geringen ſchaden gelitten/ durch die refor-
mi
rung der Religion in einem groſſen
theil Teutſchlandes und durch den Weſt-
phaͤliſchen Frieden: Denn in dem Ober-
und Niederſaͤchſiſchen Kreyß haben die
Prieſter nur wenig nach behalten; und die
Fuͤrſten in Ober Tentſchland/ außgenom-
men der Wuͤrtenbergiſche/ eine ſchlechte
Beute; die Urſach mag vieleicht ſeyn/ daß
ſich die Sachſen weniger fuͤr dem Kaͤyſer
Carolo V. gefuͤrchtet/ als die/ bey welchen
er zugegen war/ und mit ſeinem Gebiet an-
grentzete;
[67]des Teutſchen Reichs.
graͤntzete; Es ſind auch in deſſem Strich
oder tractu der Prieſter Laͤnder mehr
zerſtreuet/ und durch der maͤchtigern Fuͤr-
ſten anlauff eingezogen. Jn Ober Teutſch-
land hatten ſie ſich naͤher an einander/ und
vornemlich am Rheinſtrom/ als an dem
luſtigſten Orte in Teutſchland zu wohnen
begeben/ wo nicht Chur Pfaltz dieſe ſeine
Ordnung getrennet/ welche ſie/ auch nur
darumb/ wie ich meyne/ etwas unfreund-
lich anſehen.


§. 11.


Sind derowegen die Geiſtlichen Fuͤr-
ſtenthuͤmer/ die noch nicht unter der Pro-
teſtiren
den gebiet kommen/ faſt dieſe: die
drey Ertz Bißthuͤmer/ Mayntz/ Trier/
und Coͤlln/ mit welchen auch die Chur-
fuͤrſtliche wuͤrde verknuͤpffet. Uber die-
ſen das Ertz Bißthum Saltzburg/ und
Veſont in Burgundien denn das Mag-
deburgiſche wird nun gantz Weltlich.
Die ſchlechte Bißthuͤmer ſeyn das Bam-
bergiſche/ das Wuͤrtzburgiſche/ dz Worm-
ſiſche/ daß Speyriſche/ daß Eichſtetiſche/
daß
[68]Vom Zuſtand
daß Straßburgiſche/ daß Koſtnitziſche/
daß Augſpurgiſche/ daß Hildesheimiſche/
daß Paderborniſche/ daß Freiſingiſche/
daß Regenſpurgiſche/ daß Paſſauiſche/
daß Tridentiniſche/ daß Brixiſche/ daß
Baſelſche/ daß Luͤttiſche/ daß Oßna-
bruͤggiſche/ dz Muͤnſterſche/ daß Curiſche.
Unter den Biſchoͤffen iſt der vornehmſte
der Oberſte Meiſter teutſches ordens.
Man muß aber mercken/ daß etliche heut
zu Tage zwey oder mehr Bißthuͤmer zu-
ſammen gezogen/ entweder darum/ weil
eines Bißthums einkuͤnffte nicht ſchienen
gnung zu ſeyn/ zur erhaltung der Fuͤrſt-
lichen Hoheit/ und Pracht/ oder/ damit
ſich ihre æmuli und nacheifferer deſto-
mehr vor ihnen zu fuͤrchten hetten. Daß
Bißthum Luͤbeck/ kan uͤber dem daß es
der Proteſtanten Religion angenom̃en/
fuͤr etwas ringer als ein Stuͤck des Erb-
theils der Holſteiniſchen Fuͤrſten geach-
tet werden. Unter die Aebte oder Præ-
laten
,
die eines Fuͤrſten Titul fuͤhren/ ſind
zu rech-
[69]des Teutſchen Reichs.
zu rechnen der zu Fulde/ zu Kempten/ zu
Elwang/ zu Murbach/ zu Luderin/ der
Meiſter S. Johannis Ordens/ der Abt
zu Bergtesgad/ zu Weiſſenburg/ zu Pru-
mien/ zu Stabel/ zu Corvey. Die uͤbri-
ge Prælaten, ſo keine Fuͤrſten ſeyn/ wer-
den in zwey Theile getheilet/ als in die
Schwaͤbiſche/ und Rheiniſche/ deren jeg-
liche eine Stimme auff dem Reichstage
hat; dieſe werden den Graffen an wuͤrde
gleich geſchaͤtzet.


§. 12.


Die Graffen und Freyherren haben
auch viel ein groͤſſer anſehen in Teutſch-
land/ als in andern Koͤnigreichen. Denn
ſie gebrauchen ſich faſt gleichen rechts
mit den Fuͤrſien/ und haben die meiſten
alten Graffſchafften zimlich groſſe Ter-
ritoria;
Da man offte an andern Or-
ten einen/ der ein maͤſſiges Vorwerck hat/
mit dem Titul eines Gꝛaffen herein pran-
gen ſiehet. Ob wol die theilung der Laͤn-
dereyen unter vielen Bruͤdern/ als ein
groſſes
[70]Vom Zuſtand
groſſes uͤbel vornehmer Haͤuſer welches
nicht als bey dem gemeinen Poͤbel unter
dem Nahmen der Billigkeit/ und Gott-
ſeligkeit entſchuldiget wird etlichen Fa-
milien
nicht geringen Schaden gethan.
Etlichen hat auch die nachlaͤſſige Sorge
der Erbſchafft und allzu groſſe Pracht
und verſchwendung geſchadet; heutiges
Tages haben dieſe Graffen auff dem
Reichstage vier Stimmen als die Wet-
terauiſchen die erſte; die Schwaͤbiſchen
die andere; die Fraͤnckiſchen die dritte/
und die Weſtphaͤliſchen die vierdte Von
denen mir was bewuſt ſind faſt dieſe:
Die Graffen von Naſſau/ von Olden-
burg/ von Fuͤrſtenberg/ von Hohenlohe/
von Hanau/ von Sain/ und Witgenſtein/
von Leiningẽ/ von Solins/ von Waldeck/
von Jſenburg/ von Stolberg/ von Wied/
von Mansfeld/ von Reuſſẽ/ von Ottingẽ/
von Montfort/ von Koͤnigseck/ von Fuͤg-
ger/ von Sultz/ von Kronberg/ von Sin-
tzendorff/ von Wallenſtein/ von Pappen.
heim/
[71]des Teutſchen Reichs.
heim/ von Caſtell/ von Loͤwenſtein/ von
Erbach/ von Limburg/ von Schwartzen-
burg/ von Bentheim/ von Oft Frießland/
(welcher jetzund einen Fuͤrſtl. Titul fuͤh-
ret) von Lippe/ die Wilt-uñ Rheingreffen/
der von Rantzow uñ vielleicht noch mehr/
welcher Anſehen wie mein ſtillſchweigen
nichts benehmen wird/ alſo iſt es auch
nicht meines Thuns geweſen/ die jetzt ge-
melte in einen richtige ordnung zu brin-
geu: Uber dieſen ſind in des Kaͤyſers
Erblaͤndern viel Graffen und Freyher-
ren/ oder die neulich zu dieſeꝛ ehre erhaben
worden/ welche/ weil ſie in andern Staͤn-
den leben/ auff dem Reichstage keine ſtel-
lehaben/ ſolche aber zu erzehlen iſt nicht
unſers vorhabens.


§. 13.


Nechſt dieſen findet ſich auch in
Teutſchland eine groſſe anzahl Frey-
Staͤdte/ welche/ weil ſie keinem von den
Staͤnden/ ſondern dem Kaͤyſer und Reich
ohne mittel untergeben/ Reichs Staͤdte
genennet
[72]Vom Zuſtand
genennet werden. Auff dem Reichs-
tage machen ſie ein ſonderlich Collegi-
um
,
in welchem ſie in zwey theile (die
man ſonſt Baͤncke nennet) abgeſondert
werdẽ/ als in der Rheiniſchen uñ Schwaͤ-
biſchen Banck. Die vornehmſten unter
dieſen Staͤdten ſeyn: Nuͤrnberg Aug-
ſpurg/ Coͤllen/ Luͤbeck/ Ulm/ Straßburg/
Franckfurt/ Regensburg/ Achen. Die
mittelmaͤſſigen: Worms/ Speyer/ Col-
mar/ Memmingen/ Eßlingen/ Hall in
Schwaben/ Heilbrunn/ Lindau/ Goßlaꝛ/
Muͤlhauſen/ Northauſen. Die uͤbrigen
koͤnnen mehr ihre Freyheit als Reich-
thum ruͤhmen. Vor ein oder zwey hun-
dert Jahren waren dieſe Staͤdte ſehr
maͤchtig daß ſich auch die Fuͤrſten ſelbſt
dafuͤr ſcheueten; heutiges Tages iſt der
meiſten vermoͤgen geſchwaͤchet/ und ſind
etliche nicht unbillig der meinung/ daß ſie
endlich gar unter das Joch gebracht wer-
den. Auch die Biſchoͤffe draͤuen den je-
nigen klar genug/ in welchen ſie ihre
Thum-
[73]des Teutſchen Reichs.
Thum Kirchen haben. Es ſind auch et-
liche maͤchtige Staͤdte/ welche die Frey-
heit nicht mit ſo klaꝛem recht gebꝛauchen:
Denn auff Hamburg/ als der reicheſten
Stadt mit in gantz Teutſchland/ machen
die Hertzogen von Holſtein prætenſion,
ungeachtet es ſcheine/ als ob der Benach-
barten æmulation nicht zugeben werde/
daß der Koͤnig von Dennemarck ſo einen
fetten Biſſen uͤberkomme. Die Schwe-
den haben mit Bremen zu thun/ welche
meynen/ dieſes ihr Hertzogthum ſey nie-
mahls ohne ſolcher Stadt verſichert/ und
vielleicht aꝛgwohnen ſie nicht ungereimt/
daß die Stadt ihnen zu entgehen auf dem
Reichstage des 1641. [Jahrs] unter die
Freyſtaͤdte ſey auffgenommen/ weil ſie
ſchon dazumal merckte/ daß das Hertzog-
thum in der Schweden Haͤnde kommen
wuͤrde Die Stadt Braunſchweig ſchick-
te ſich nicht uͤbel zu dem Teeritorio der
Heꝛtzogen von Braunſchweig und Luͤne-
burg/ weil ſie den ſonſt wol aneinander
Ehaͤn-
[74]Vom Zuſtand
haͤngenden Leib zerſchneidet. Gleichfals
ſcheinet/ daß die gedachten Fuͤrſten nicht
leichi zugeben werden/ daß der Biſchoff zu
Hildesheim die Stadt Hildesheim unter-
druͤcke. Es iſt offenbahr/ daß der Bran-
denburgiſche Churfuͤrſt nicht wol zu frie-
den ſey mit der all zu groſſen Freyheit der
Staͤdte in ſeinem Gebiet/ daher auch viel-
leicht Magdeburg eine veraͤnderung zuge-
warten hat nach abgang Hertzogen Auguſti
zu Sachſen. Die Erfurter haben vor kur-
tzer Zeit ihre noch zweiffelhaffte Freyheit
verlohren/ welche wie ſie wegen ihrer thor-
und faulheit der Freyheit unwuͤrdig ge-
ſchienen/ alſo koͤnnen die verſtaͤndigen noch
nicht genugſam begreiffen/ warumb die
Sachſen ſolch Schloß Thuͤringer Landes
nicht vielmehr fuͤr ſich haben behalten wol-
len: Auch hat es den Hollaͤndern/ halte
ich/ ſchon gereuet/ daß ſie der Stadt Muͤn-
ſier keine Huͤlffe wider ihren Biſchoff ge-
leiſtet/ vornemlich weil es ſtatlich geweſen/
die Stadt/ welche gleiches vorgenom̃en/ uñ
ihre
[75]des Teutſchen Reichs.
ihre Freyheit auff die Waffen/ ſo ſie wider
den Fuͤrſten ergriffen/ geſetzet/ nicht verlaſ-
ſen.


§. 14.


Mit dem Ritter Oꝛden hat es in Teutſch-
land eine zweyfache beſchaffenheit: Denn
ein Theil gehoͤret ohne mittel zum Kaͤyſer
und Reich/ eines aber erkennet andere
Staͤnde fuͤr ſeine Herren; Die zur erſten
Claſſe gehoͤren/ pflegen ſich freye Edelleute
des Reichs/ und ingeſampt die unmittelba-
re und freye Reichs Edelleute zu nennen:
Dieſe werden nach den diſtricten und Or-
ten da ſie ihre Guͤter haben/ getheilet in die
Fraͤnckiſche/ Schwaͤbiſche und Rheini-
ſche/ deren jegliche wiederum in kleinere
Theile unterſchieden werden. Die haben
auß ihrem Orden gewiſſe Directores und
beyſitzer/ welche die Sachen/ ſo ihrem Ge-
meinen Nutzen betreffen/ in obacht neh-
men; Bißweilen halten ſie auch ihre Zu-
ſammenkunfften/ wenn etwas wichtiges
abzuhandeln vorfaͤlt; Zum Reichstage a-
ber werden ſie nicht beruffen/ welches ſie
E ijihnen
[76]Vom Zuſtand
ihnen fuͤr eine Favor außdeuten/ daß ſie
der dazu erfordeꝛten Unkoſten koͤnnen uͤbeꝛ-
hoben ſeyn/ und wuͤrde ihnen traun wenig
nuͤtzen/ eine oder zwo Stimmen daſelbſt zu
haben; Sonſt genieſſen ſie faſt gleicher
Freyheit und rechtens mit den andern
Staͤnden/ daß ihnen nichts als die Guͤter
mangeln den Fuͤrſten gleich zu ſeyn. Auch
haben ſie einen groſſen nutzen von den
Stifftern und Geiſtlichen Beneflcien, wo-
durch ſie leichte zur Fuͤrſtlichen Hoheit ge-
langen/ und alsdann die/ welche dazu ge-
kommen ihre Familien wol verſehen koͤn-
nen/ welches ſie unſerm heiligen Vater
dem Pabſt abgelernet/ als der wol weiß wie
lieblich und anmuͤhtig ſey/ die Fetten ein-
kuͤnſfte ohne einiger muͤhe in guter Ruhe
durchzubringen: Sie laſſen auch durch
ihre Vicarios in der Kirchen die Meſſe
ſingen/ damit ſie keine Heiſcherkeit ohn aus
dem vollſauffen zu fuͤrchten haben: Die
incommoditeten des unehlichen Stan-
des koͤnnen die ihnen zum Dienſt und
kauff-
[77]des Teutſchen Reichs.
kauffſtehende Maͤdgen leichtlich wegneh-
men: Denn ich habe noch keinen geſehen
der ſich umb des Himmelreichs willen
ſelbſt verſchnitten habe/ dañ ſie achten/
daß das donum continentiæ einem E-
delmann eben ſo ſchaͤndlich/ als es denn
Hunden und Pferden anſtehe. Von die-
ſen habe ich ſonſten viele klagende gehoͤ-
ret/ daß etliche Fuͤrſten ihrer Freyheit
mercklich nachſtelleten/ und daß ſie von
den Fuͤſten gantz ungnaͤdig angeſehen
wuͤrden/ weil ſie mitten in derſelben ter-
ritoriis
wohnen/ und doch ſo groſſe Frey-
heit haben; Ja es ſollen auch etliche Fuͤr-
ſten fuͤrgeben/ daß eine ſolche menge klei-
ner Koͤnige dem anſehen und macht groſ-
ſer Reichen wenig zutraͤglich ſey/ dann
wanu ein aͤuſſerlicher Krieg entſtehen
ſolte/ duͤrften ſie beeden Theilen zur Beu-
te fallen: Unterdeſſen werden die Edel-
leute ſich ihrer gewiſſen Freyheit umb ei-
ner ungewiſſengefahr willen nicht bege-
ben/ ebenweinig auch die andern Staͤnde
E iijleyden/
[78]Vom Zuſtand
leyden/ daß etlichen wenigen Fuͤrſten ein
ſolch theil zuwachſe; wo nicht etwa zu
einer gꝛoſſen veꝛaͤndeꝛung ſich gelegenheit
ereuge/ oder mit hinlauffender zeit durch
liſtige Fuͤndgen der gedachten Edelleu-
ten macht allgemach zu Grunde gehe.


§. 15.


Jch muß auch hie mit wenigem be-
ruͤhren/ daß dieſes groſſe Reich auff ſtiff-
tung Kaͤyſers Maximiliani des I. im
Jahr 1512. in zehen Landſchafften oder
Kreyſe/ wie man ſie ins gemein nennet/
getheilet worden/ als da ſind: der Oſter-
reichiſche/ der vier Churfuͤrſtẽ am Rhein/
der Ober-Rheiniſche/ der Schwaͤbiſche/
der Bayriſche/ der Fraͤnckiſche/ der Ober-
Saͤchſiſche/ der Nieder-Saͤchſiſche/ der
Weſt-phaͤliſche und Burgundiſche. Das
Koͤnigꝛeich Boͤhmen/ wie auch Schleſien
und Maͤhren gehoͤren zu kein e/ und ma-
chen auch keinen abſonderlichen Kreyß/
welches klaͤrlich zu tage leuchtet/ dann es
vielmehr wegen der Verbuͤndniß mit
Teutſch-
[79]des Teutſchen Reichs.
Teutſchland verknuͤpffet/ als daß es ein
Territorium oder Stand mit ihr wor-
den ſey


Die Glieder eines jeglichen Kreyſes
kan man hin und wieder in den gemeinen
Buͤchlein finden. Dieſe ein theilung hat
vornemlich dahin ſein abſehen/ daß da-
durch der allgemeine Landfriede deſto
beſſer erhalten/ und die Gerechtigkeit
wieder die halſtarrigen Staͤnde gehand-
habet werde. Zu was ende auch ein jeg-
licher Kreyß macht hat ihm einen Ober-
ſten uͤber die Krieges Sachen zu erweh-
len/ auch zuſammen kuͤnffte zuhalten/
welche durch den Kreyß Oberſten pflegen
außgeſchrieben zu werden/ auff welchen
zuſammenkuͤnfften/ neben andern zum
auffnehmen des Kreyſes gehoͤrigen auch
von Geld-Sachen gehandelt wird. Wie-
wol man nicht unbillig zweiffeln woͤchte/
ob nicht eben dieſe eintheilung zur tren-
nung Teutſchlandes gereiche/ in dem das
jenige/ was tinẽ Kreiß beſchwer machet/
E iiijdie
[80]Vom Zuſtand
die andern nicht ſo viel angehet. Und ſo
viel von den Theilen des Teutſchen
Reichs.


Das III. Capitel.
Võ dem urſpꝛunge der Reichs.

ſtaͤnde/ und durch was Mittel ſie zu
dieſer Macht gelanget.


§. 1.


DEn Zuſtand des Teutſchen Reichs
genau zu erlernen/ iſt vornemlich
vonnoͤthen/ daß man erforſche/
durch was Mittel die ſo genante Reichs-
ſtaͤnde zu ſolcher Macht gekom̃en. Denn
ohne dem wird es veꝛgeblich ſeyn nach Ur-
ſachen zu fragen/ warumb daſſelbe Reich
ſo eine ſonderliche Form oder G0259;ſtalt ha-
be. Weil aber ſolche Staͤnde entweder
weltliche Fuͤrſten und Graffen/ oder Bi-
ſchoͤffe oder Staͤdte ſeyn/ darumb wollen
wir kuͤrtzlich den Urſprung eines jeglichen
dieſer Theile abſonderlich ſuchen.


Die weltliche Fuͤrſten in Teutſch-
land
[81]des Teutſchen Reichs.
land fuͤhren entweder den Hertzogen oder
Graffen Titul mit einem zuſatz in ihrer
Sprache/ daß ſie Pfaltzgraffen/ Land-
graffen/ Marggraffen uñ Burggraffen
genennet werden. Denn ſo viel mir be-
wuſt/ fuͤhren nur die Fuͤrſten von Anhalt
neben den newgemachten Fuͤrſten den
bloſſen Titul eines Fuͤrſten; Ohne daß
etliche dieſen Fuͤrſten Titul unter ihren
andern Tituln haben. Alſo nennen ſich
die Oſterreichiſche Fuͤrſten von Schwa-
ben. Die Pommeriſche Hertzogen und
jetzige Koͤnige in Schweden titnliren ſich:
Fuͤrſten von Ruͤgen; die Landgraffen
von Heſſen fuͤhren auch den Titul/ von
Hirſchfeld ꝛc.


§. 2.


Waren demnach die Hertzogen bey
den alten Teutſchen vor dem Fraͤncki-
ſchen Reich Krieges Officirer, wie ſol-
ches das deutſche wort Heertzog deutlich
gnung außweiſet/ welche gemeiniglich in
betrachtung ihrer Tapfferkeit erwehlet
E vwur.
[82]Vom Zuſtand
wurden/ wenn eine Krieges Gefahr ver-
handen. Die welche zu Friedens zeiten
die Staͤdte gubernirten/ und auff den
Doͤrffern und Flecken Recht ſprachen/
wurden ins gemein aus dem Adel erweh-
let/ und Greven oder Graven geneñet/ im
lateiniſchen ſolte man es fuͤglicher Præ-
ſes
nennen/ wiewol das Wort Comes
demſelben vorgezogen wird. Denn von
des Conſtantini M. Zeit wurden dem
gemeinen Gebrauch nach die jenigen
Comites oder Graven genennet/ welche
zu Hoffe dieneten/ oder die Soldaten in
den Provincien regiereten/ oder auch
Recht zu ſprechen geſetzet waren. Die
Francken haben hernachmals/ nachdem
ſie Alemanniã uñ andere oͤrter Teutſch-
landes bezwungen/ nach der Roͤmer art
Hertzogen (Duces) das iſt Vorſteher
(Præſides) ſo wol in Friedes als Krie-
ges Geſchaͤfften den uͤberwundenen Pro-
vincien
vorgeſtellet/ welchen bißweilen
Graven/ daß Recht zu ſprechen/ zugele-
get
[83]des Teutſchen Reichs.
get ſeyn. Etliche Provincien wurden
auch allein der Graven Herrſchafft ohne
der Hertzogen Huͤlffe eingeraͤumet; doch
hatten dieſe keine andere Gewalt als ei-
ner rechtmeſſigen Obrigkeit zuſtehet.


Mit hinlauffender Zeit aber/ nachdem
dieſe Hertzogen auff Lebens zeit beſtellet/
und die Soͤhne gemeiniglich an der Vaͤ-
ter ſtelle geſetzet wuͤrden/ hat ſich zuge-
tragen/ daß/ weil ſie eine ſo herrliche Ge-
legenheit ihre eigene Macht zu beſtetigen
erlanget/ ſie allmaͤhlich angefangen ha-
ben/ ihrer Koͤnige Anſehen gering zu ach-
ten/ und die ihnen anvertraute Provin-
cien
fuͤr ihr Vaͤterlich Erbe zu rechnen/
Und kan doch den Monarchien kein ver-
derblicher Eintrag wiederfahren/ als
wenn ſolche verwaltungen erblich wer-
den/ vornemlich weñ ſie auch mit Kriegs-
ſachen zu thun haben/ habe mich alſo
kaum des lachens enthalten koͤnnen/ als
ich bey etlichen teutſchen Scribenten ge-
leſen/ daß dieſes als wenn es loͤblich und
E vjkluͤg-
[84]Vom Zuſtand
kluͤglich gethan waͤre/ verthaͤtiget wurde.
Es iſt zwar an einem Koͤnige zu loben/ daß
er ſeine trewe Diener herrlich und wol be-
lohnet; Wenn aber ein Herr alle ſeine
Knechte frey laſſen wolte/ muͤſte er endlich
ſelber/ halte ich/ die Schuhe putzen. Ein
Vater zwar laͤſſet ſich das jenige Gut mehr
angelegen ſeyn/ welches er weiß/ daß ers
auff ſeinen Sohn bringen werde; Je
bꝛuͤnſtiger er aber den Sohn liebet/ je mehr
bemuͤhet er ſich/ daß niemand anders an
ſolch Gut recht und anſpruch habe. Alſo
pflegen wir unſere eigene Sachen beſſer in
acht zu nehmen als fremde; Aber darumb
verehret ein guter Hausvater nicht als-
bald ſeinem Heursman das Lehen. Den
auffruͤhren der Vorſteher zuvor zu kom-
men/ hat man andere Mittel/ die nicht ſo
koſtbar ſeyn/ als daß man ihnen die ver-
waltung der Provincien erblich ertheile.
Das iſt aber eine groſſe thorheit/ die Ma-
jeſtaͤt der Herrſchafft daraus æſtimiren/
daß ſie viel unter ihr Gebiet habe/ die un-
geſtrafft
[85]des Teutſchen Reichs.
geſtrafft ihren Befehl verachten koͤnnen.
Mehr hievon zu ſagen/ wuͤꝛde nur ſchimpf-
lich ſeyn. Denn ſolcher Leute dummen
Verſtand zu beweiſen/ kan dieſes einige
gnug ſeyn/ daß ſie ſich nicht ſchaͤmen/ ihrer
Rechts gelehrten Buͤcher/ worinnen faſt
nicht das geringſte von der wiſſenſchafft
recht zu regieren enthalten/ den Jtaliaͤni-
ſchen/ Frantzoͤſiſchen und Spaniſchen
Scribenten entgen zu ſetzen.


§. 3.


Der Carolus M. aber/ als er ſeiner
Vorfahren Jrrthum gemercket/ hat die
meiſten Hertzogthuͤmer/ die etwas weit
umbgriffen/ auffgehoben/ die weitlaͤufftige
Provincien in mehr Theile getheilet/ und
ſolche den Graven zu regieren auffgetra-
gen. Unter welchen etliche den ſchlechten
Namen der Graffen behalten. Etliche ſind
Pallentzgraffen oder Pfaltzgraffen genen-
net worden/ Vorſteher des Koͤniglichen
Pallaſts/ und die am Koͤniglichem Hofe
Richter waren. Etliche wurden Land-
E vijgraffen
[86]Vom Zuſtand
graffen benahmet/ als wenn man ſagen
wolte: Graffen die einer gantzen Provintz
vorgeſtellet. Etliche hieſſen Marggraffen/
welche uͤber die Graͤntzen geſetzet waren/
umb den Feindlichen Einfall abzuwehren/
und Recht zu ſprechen. Zu letzt wurden
etliche Burggraffen genant/ das iſt/ Vor-
ſteher einer Koͤniglichen Burg. Und zwar
hat der Carolus dieſe Empter und Wuͤr-
de tapffern Leuten nicht immer oder erb-
lich uͤberlaſſen/ ſondern/ daß er freye Macht
haͤtte/ ſolche wieder zu nehmen/ und ande-
re damit zu belehnen/ doch iſt man nach
des Caroli Todt wiederumb auff die vo-
rige weiſe kom̃en/ alſo/ daß in dieſen Obrig-
keitsſtellen die Soͤhne faſt immer den Vaͤ-
tern ſ[u]ccediret/ zuderne ſeyn auch aus der
zuſammen wachſung etlicher Graffſchaff-
ten/ deßgleichen durch zulaſſung der Nach-
koͤmlinge Caroli etliche Hertzogthuͤmer
geſtifftet/ welche ein groß fluͤck Landes in
ſich begreiffen. Die Vorſteher derſelben
hielten menſchlichem Ehrgeitz nach fuͤr eine
faul-
[87]des Teutſchen Reichs.
faulheilt/ die gelegenheit ſeine eine Guͤter
zu vermehren nicht fleiſſig in acht zu neh-
men/ in dem/ der Fraͤnckiſchen Kaͤyſer An-
ſchen in abnehmen kam/ iſt ihre Macht
durch iñerliche Unruhe geſchwaͤchet. Vor-
nemlich hat ſich der Hertzog zu Sachſen
Otto/ des Henrici Aucupis Vater/ der ein
tapffer Volck unter ſich hatte/ ſo weit ge-
ſtaͤrcket/ daß es das anſehen hatte/ es man-
gele ihm nichts zur Koͤniglichen Regie-
rung/ als nur der Titul. Darnach als der
Kaͤyſer Conradus I. ſich veꝛgeblich bemuͤ-
het hatte/ deſſen Sohn Henricum zu recht
zu bringen/ hat er endlich/ als er ſterben
wollen/ den vornehmſten Staͤnden gera-
then/ ſie ſolten ihn zum Koͤnig machen/ als
der fuͤr rathſamer hielte/ dem jenigen das
freywillig zu geben/ was er ſelbſt mit Ge-
walt nehmen kunte/ oder damit er ſich
nicht von dem uͤbrigen Leibe Teutſchlandes
abſondern moͤchte. Doch ſind auch Fuͤr-
ſten/ die ihre Guͤter der Kayſer freygebig-
keit zuſchreiben/ deren Exempel vornem-
lich
[88]Vom Zuſtand
nemlich in der Ottonem Hiſtoria vor-
fallen.


Ob aber ſolche nach den Geſetzen einer
Monarchia gerichtet/ davon iſt jetzo nicht
zeit zu reden. Ferner haben die Fuͤrſten
das auffnehmen ihrer Macht beyzulegen
den ſchenckungen der Kaͤyſer/ den kauffun-
gen/ den Erbſchafften/ die nicht allein von
der verwandſchafft/ ſondern auch von der
verbuͤndniß der Succeſſion herruͤhren/
(die Teutſchen nennenſie Erb-verbruͤde-
rungẽ) wie noch ein ſolcher Bund zwiſchen
den maͤchtigen Saͤchſiſchen/ Branden-
burgiſchen und Heſſiſchen Haͤuſern ſtehet.
Durch einen ſolchen Bund iſt auch die
Graffſchafft Henneberg auff die Sachſen
kommen; Pommern auff den Branden-
burgiſchen/ ob gleich dieſer Bund nicht
beyde Theile angehe. Jſt alſo offenbahr/
daß durch ſolche Buͤndniſſen des Kaͤyſers
Gewalt/ ſo er uͤber die Laͤnder der Fuͤrſten/
als ein Herr des Lehns hat/ gaͤntzlich ver-
ſpottet werde. Endlich ſeyn auch unter-
ſchiede-
[89]des Teutſchen Reichs.
ſchiedenẽ Laͤnder bey unruhigen Zeiten mit
Gewalt von etlichen eingenommen.


§. 4.


Weil aber ohne verwirrung entweder
des gantzen Teutſchlandes/ oder zum we-
nigſten ohne untergang derer/ welche ſich
dawider legen/ die einmahl erworbene
Macht der Fuͤrſten nicht moͤchte geſchwaͤ-
chert werden/ dauchte den Koͤnigen beſſer
zu ſeyn/ vornemlich weil ſie auff keine ande-
re Weiſe zum Reich gelangen konten/ die
einmahl einhabende Guͤter mit der condi-
tion
zu confirmiren/ daß ſie hernach ihre
Laͤnder als Lehen vom Kaͤyſer recogno-
ſci
ren/ und ihme und dem Reich ſchweren
ſolten. Und daher iſt es kommen/ daß die
Fuͤrſtlichen Guͤter/ wie ſie auch erworben/
unter dem Lehen Titul ſind beſeſſen wor-
den; durch das Wort Vaſal iſt doch der
Macht und Hoheit der Fuͤrſten in Teutſch-
land wenig abgangen: Zwar weme ich
ein Lehen von dem meinigen aufftrage/
den kan ich mir zum vollkommenen/ wie-
wol
[90]Vom Zuſtand
wol geehꝛten Unterthanen machen/ und ſei-
ner poſſeſſion nach belieben Geſetze vor-
ſchreiben; Wer aber ſchon vorhin erwor-
bene Guͤter von einem andern als Lehen
recognoſciren wil/ von dem iſt zu halten/
daß er nichts anders thue/ als daß er ſich
dem jenigen/ welchen er fuͤr einen Herrn
des Lehens haͤlt/ als einen ungleich verbun-
denen zugeſelle/ und ſeine Mayeſt. unter-
thaͤnigſt zu verehren verpflichtet ſey. Nach
untergang aber des Caroliniſchen Ge-
ſchlechts war Teutſchland gantz frey wor-
den/ und hatten ihnen die meiſten von den
Vornehmſten weitlaͤufftige Laͤnder zu we-
ge gebracht. Nachdem es ihnen derowe-
gen gut dauchte einem von den vornehm-
ſten den Koͤniglichen Titul auffzutragen/
damit Teutſchland/ in ſolche kleine Staͤdte
getheilet/ nicht wieder in ſeinen vorigen Zu-
ſtand geriethe/ darf man gar nicht meynen/
die Vornehmſten haben ihre Guͤter weg-
werffen/ oder eines andern bloſſer Herr-
ſchafft unterwerffen wollen/ ſondern ihnen
viel-
[91]des Teutſchen Reichs.
vielmehr einen tapffern Beſchuͤtzer derſel-
ben ſuchen. Nachdem der Fuͤꝛſtliche Stand
einmahl eingefuͤhret und bekraͤfftiget war/
gebuͤhrete es ſich/ daß auch die jenige den
Alten gleicheten/ welche hernach die Kaͤy-
ſer freywillig mit dieſem Titul an der auß-
geſtorbenen Familiem ſtelle begabeten.
Daß dieſe Lehens verknuͤpffung/ wodurch
die Fuͤrſten mit dem Kaͤyſer verbunden
werden/ nichts anders mache/ als eine un-
gleiche Verbuͤndniß/ wird der jenige leicht-
lich mercken/ der in civil Sachen wol er-
fahren iſt: Denn das kan ſich an einem
Unterthanen nicht ſchicken/ daß er uͤber
ſeine Buͤrger das recht habe ſie zu toͤdten/
und leben zu laſſen/ daß er in ſeinem Lande
nach belieben Obrigkeit einſetze/ Buͤndniſ-
ſen mache/ allerhand Einkuͤnſſte nicht in
den Koͤniglichen Kaſten lege/ ſondern fuͤr
ſich behalte/ daß er endlich nichts thue/
ohne was ihm ſelber gut gedaucht; Daß
aber ein Bundgenoß/ der groͤblich wider
die Geſetze des Bundes geſuͤndiget/ von
den
[92]Vom Zuſtand
den andern koͤnne geſtrafft werden/ iſt aus
vielen alten und newen Exempeln bekand;
Der Kaͤyſer aber muß allein uͤber die Sa-
chen urtheilen/ dadurch ein Fuͤrſt umb ſein
Land zu kommen verdienet; Gleich wie er
den Grund der Gewalt der Fuͤrſten in
Teutſchland außrotten wolte; Alſo hielten
die jenigen/ die den Kaͤyſern/ ſo ſolches vor-
genommen/ hefftig widerſprochen/ fuͤr eine
Schande/ ihre Rechte durch eine nachlaͤſ-
ſige Ehrerbietung zu verlieren.


§. 5.


Was demnach in allen Reichen/ darin
die Obrigkeit der Unterthanen Macht zu
fuͤrchten hat/ zu geſchehen pfleget/ das iſt
von der zeit an viel klaͤrer in Teutſchland
geſchehen: Daß wenn ein Kaͤyſer von ihm
ſelber reich/ und herrlicher Tugenden we-
gen beruͤhmt war/ ihm auch die Fuͤrſten ge-
horcheten; die ſchwachen und unverſtaͤn-
digen aber faſt bitweiſe regierten. Und die
jenigen Kaͤyſer/ die ſich vorgenommen ha-
ben/ die ſo tieff eingewurtzelte Macht auß-
zurot-
[93]des Teutſchen Reichs.
zurotten/ und Teutſchland unter die Geſetze
einer wahren Monarchia zu bringen/ ha-
ben ihnen bißweilen ſelber das Verderben
uͤber den Hals gezogen/ ſind immer von ih-
rer Hoffnung betrogen/ und haben nichts
als ungemach fuͤr ſich und andere davon
getragen. Es haben auch die mit Liſt an-
greiffende wenig außgerichtet/ weil allzeit
auff der andern ſeite was erfunden wor-
den/ wodurch ſolch Vornehmen verhin-
dert wuͤrde. Und wenn ja etwas weg ge-
nommen/ iſt es durch ein ander Mittel wie-
der erſetzet. Alſo iſt jederman bekand/ wie
ungluͤcklich das Vornehmen des Caroli
V
.
im vorigen/ und des Ferdinandi II. in
dieſem Seculo außgelauffen. Etlicher Fuͤr-
ſten Macht aber hat ihr eigener uͤberfluß/
traͤgheit und verſchwendung ſehr verrin-
gert/ und weil ſie ihre Guͤter zu vermehren
oder zu erhalten keine Sorge truͤgen. Viel
Familien ſind auch deßwegẽ geſchwaͤchet/
daß ſie ihre Laͤnder in viel kleine ſtuͤckgen
unter ihre Verwandten getheilet haben.
Etliche
[94]Vom Zuſtand
Etliche haben auch neben ihrer eigenen
ſchuld die Buͤrgerlichen Kriege in Ungluͤck
geſtuͤrtzet.


§. 6.


Nun muß ich auch von den Biſchoͤffen
etwas hinzu thun. Jſt demnach bekand/
daß von anfang der Chriſtenheit Biſchoͤffe
aus den andern Geiſtlichen und Glaͤubi-
gen ſind gemacht und erwehlet worden.
Hernach/ umb das vierdte Seculum, als
auch die Fuͤrſten anfiengen Chriſten zu
werden/ iſt hin und wieder gebraͤuchlich
worden/ daß/ die in groſſem Anſehen dem
Regiment vorſtunden/ nicht leichte zuga-
ben/ daß einer ohne ihren conſens zum
Bißthum gelangete/ da ſie nemlich merck-
ten/ wie dienlich es zum gemeinen Frieden
waͤre/ daß gute und friedfertige Maͤnner
den geiſtlichen Stand verwalteten. Glei-
ches Recht haben anch die Fraͤnckiſchen
Koͤnige gebrauchet/ daß die jenigen in ih-
rem Reiche Biſchoͤffe wuͤrden/ welche ſie
ſelber beſtellet. Gleicher Macht haben ſich
auch
[95]des Teutſchen Reichs.
auch die Teutſchen Kaͤyſer bedienet biß an
den Henricum IV. welchen deßwegen der
Pabſt Gregorius VII. und deßen Nach-
folger ſchrecklich vexiret haben. Biß end-
lich ſein Sohn Henricus V. von ſo vielen
Auffruhren abgemattet/ im Jahr 1122.
auff dem Reichstage zu Worms ſich ſei-
nes Rechtens Biſchoͤffe zu machen und
einzufuͤhren begeben; welche inveſtitur
mit darreichung eines Rings und Stecken
verrichtet ward[:] Der Kaͤyſer hat die
Macht behalten/ dem erwehlten Biſchoffe
die regalien uñ Lehen des Reichs zu erthie-
len/ wobey er ihm auch das Scepter uͤber-
antwortet. Und iſt jederman bekand/ was
dieſes dem Kaͤyſer fuͤr Schaden gebracht.
Denn ob er wol uͤber die weltliche Fuͤrſten
wenig Macht gehabt/ haͤtte er doch leichte
deren Macht/ durch die dem Kaͤyſer ſon-
ſten unterworffene Prieſter/ gleichen oder
uͤberwinden koͤnnen. Ob aber wol in dem
Vertrag Henrici des V. mit dem Pabſt
außtruͤcklich geſetzet/ daß hernachmahls die
Wahl
[96]Vom Zuſtand
Wahl der Biſchoͤffe bey den Geiſtlichen
und dem gemeinen Volcke ſeyn ſolte; ha-
ben doch die Thum- oder Capituls-Herren
angefangen ihnen allein die Wahl beyzu-
meſſen/ da ohne zweiffel der Pabſt dazu
durch die Finger geſehen/ als welchem zu
ſeiner Sache dienlicher dauchte/ daß die
Wahl bey wenigen als bey vielen waͤre.
Endlich iſt es dahin kommen/ daß nun-
mehr von dem Capitul die confirmation
der erwehlten Biſchoͤffe von Rom muß
gefordert werden/ da ſie vorhin neben der
conſecration bey den Metropolitanen
geſtanden. Manfindet gar wenig Exempel/
daß die Paͤbſte in Teutſchland aus eigener
anthorität Biſchoͤffe geſetzet/ ich halte
auch gaͤntzlich dafuͤr/ da es geſchehen ſolte/
daß ein ſolcher von dem Capitul nicht an-
genommen wuͤrde.


§. 7.


Es haben aber die Biſchoͤffe in Teutſch-
land ihrer groſſen Guͤter wegen vornem-
lich den erſten Kaͤyſern zu dancken/ maſſen
zu der
[97]des Teutſchen Reichs.
zu der Zeit die Fuͤrſten ſehr eifferig in der
Gottesfurcht waren/ und je mehr einer an
die Prieſter ſpendirte/ je feſter vermeynte
er mit Gott verbunden zu ſeyn. Welche
meynung doch jetzo bey den meiſten veral-
tet/ indeme die meiſten dafuͤr halten/ die
Gottesfurcht werde bey den Prieſtern
durch gar zu groſſes Reichthum mehr ver-
hindert als erhalten. Es ſcheinet auch/ daß
viel Prieſter kuͤhn genug geweſen/ von den
frommen und einfaͤltigen Leuten das jeni-
ge zu fordern und zu begehren/ wodurch ſie
vermeynet/ daß ihre ſchwere Profeſſion
koͤnne erleichtert werden. Derowegen
ſind den Biſchoͤffen und Kirchen nicht al-
lein liegende Gruͤnde/ Zehenden und ande-
re Einkuͤnffte/ ſondern anch gantze Herr-
ſchafften/ Graffſchafften und Hertzogthuͤ-
mer verehret/ auch endlich ihnen das Fuͤr-
ſtenrecht hinzu geleget/ daß ſie alſo den welt-
lichen Fuͤrſten gleich wuͤrden. Ob wol die
meiſten zu der Ottonen Zeit und hernach
zur Fuͤrſtlichen Hoheit erhaben ſind/ haben
Fſie
[98]Vom Zuſtand
ſie doch nicht zugleich alle und auff einmal/
ſondern allmaͤhlich und zu verſchiedenen
Zeiten die Fuͤrſten-rechte empfangen. Da-
her kompt es/ daß auch noch etliche dieſe
Rechte nicht alle/ und etliche ſolche mit ei-
ner gẽwiſſen reſtriction haben. Sonſten
hat ihnen zu ſolchen groſſen Wuͤrden nicht
wenig geholffen/ daß mit der Zeit neben de[-]
nen vom Adeln auch Fuͤrſt- und Graͤffliche
Perſonen nach den geiſtlichen Emptern
geſtanden/ deßgleichen dann bey den erſten
noch faſt Barbariſchen Zeiten die allein
etlicher maſſen gelahrt waren/ ſo im geiſt-
lichen Stande lebeten/ da ſind bey zeiten
die Biſchoͤffe gen Hoffe zu rath gezogen
und den jenigen Emptern vorgeſtellet/ die
kein ungelehrter verwalten kan. Dahe[r]
fuͤhren auch noch die vornehmſte Præla[-]
ten
den Cantzlers Titul. Jch ſolte auch
meynen/ der Biſchoͤffen Guͤter waͤren nicht
wenig daher vermehret/ daß viel Fuͤrſten
und Edelleute ihre Guͤter oder ein the[il]
derſelben von den Biſchoͤffen fꝛeywillig a[lſ]
Lehen
[99]des Teutſchen Reichs.
Lehen haben erkennen wollen/ damit ihre
Seligkeit Gott dem HErrn deſto fleiſſiger
von den Geiſtlichen moͤchte vorgetragen
werden/ und wenn derſelben Familien
außgeſtorben/ kamen ihre Guͤter auff die
Bißthuͤmer. Wem iſt endlich nicht be-
kand/ welch ein groſſer Reichthum durch
ſchenckungen und Teſtamenten ſo wol der
Vornehmen als Layen den Geiſtlichen zu-
gewand? Weil ſie meyneten/ man muͤſte
die Flammen des Fegfewrs redimiren/
was es auch koſtenſolte/ fuͤr welche ſich die
Teutſche nation, welche ſonſten weder
Durſt noch Hitze leyden kan/ ſehr fuͤrchtete.


§. 8.


Hiemit haͤtten die Prieſter nun wol koͤn-
nen zu frieden ſeyn/ ob ſie gleich den Ehr-
und Geltgeitz nicht gaͤntzlich verſchworen;
Denn wie dieſe art Leute hefftig begehret/
uͤber andere zu herrſchen/ anderer Gewalt
aber uͤber ſich nicht gern zu leyden pfleget;
Alſo dauchte ihr diß einige an ihrer voll-
kom̃enen Gluͤckſeligkeit noch zu mangeln/
F ijdaß
[100]Vom Zuſtand
daß es bey dem Kaͤyſer ſtuͤnde/ ſo herrliche
Beneficien außzutheilen/ welchem ſie dero-
wegen ſondeꝛlich verbunden leben muͤſten.
Wenn es nicht umb die Ehrerbietung des
heiligen Ordens waͤre/ wolte ich die jeni-
gen die alleꝛ gottloſeſten nennen/ welche der
faſt unbedachtſamen Kaͤyſerlichen freyge-
bigkeit znm untergang der Kaͤyſerlichen
Hoheit gemißbrauchet haben/ wie es der
außgang beweiſet- Und halte den jenigen
der Freyheit nicht wuͤrdig/ der ſeinen Frey[-]
geber als einen Patron nicht ehren will
Endlich hat der Paͤbſtliche Bann und die
durch die Teutſche Prælaten angerichtet[e]
Lermen zu wege gebracht/ daß ſich die Prie-
ſter der Layen Gebiet entzogen. Haben
auch die Kaͤyſer nicht ehe zu frieden gelaſ-
ſen/ da meiſtentheils der Mayntziſche ihr
vorgaͤnger war/ welchem die uͤbrige Heerde
trewlich folgete/ biß es ihnen vergunt wor-
den/ vom Pabſt allein zu dependiren. Wo[-]
durch viele meynen/ daß Teutſche Regi-
ment habe ihm einen Unfall uͤber den Hals
gezo
[101]des Teutſchen Reichs.
gezogen/ daß ein theil derſelbigen/ welche
Teutſchen genennet werden/ den jenigen
fuͤr ihren Oberherrn erkennen/ der auſſer-
halb ihrem Regiment iſt. Es ſey denn/
daß wir glaͤuben wollen/ die Paͤbſte lieben
dieſe narion ſo hefftig/ daß ſie ihrer Selig-
keit nichts vorziehen; Und daß man beſſer
zu Rom ſehen koͤnne/ was Teutſchland zu-
traͤglich ſey/ als in Teutſchland ſelber.


§. 9.


Es iſt aber noch ruͤckſtellig/ daß wir auch
von den Freyſtaͤdten etwas hinzu thun.
Hatte demnach Teutſchland jenſeits dem
Rheinſtrom biß auff das fuͤnffte Seculum
nach Chriſti Geburt nur Flecken ohne
Mauren und zerſtrewete Gebaͤwde. Ja
biß auff das neunte Seculum wird bey den
Venedis oder Wenden nur einer oder an-
dern Stadt gedacht. Ob gleich in den Thei-
len diſſeits des Rheins/ ſo vormahls die
Roͤmer inne hatten/ zeitlich Staͤdte geba-
wet worden. Wie auch in dem tractu oder
Gegend zwiſchen der Donaw und den Alp-
F iijgebir-
[102]Vom Zuſtand
gebirgeu/ welcher hernach zu Teutſchland
kommen. Jene Alten aber hatten keine
Staͤdte/ theiis weil ſie die Baukunſt nicht
verſtuͤnden/ wie noch an vielen Orten in
Teutſchland zu ſehen/ theils wegen des un-
bendigen Volcks/ daß ſolche gleich als Ker-
cker ſcheuete/ zu deme auch weiln die Vor-
nehmſten ihre hoͤchſte Luſt nur im jagen
ſuchten. Auch verſtunden die jenigen nicht
gnugſamb den Nutzen der Staͤdte/ noch
verlangeten darnach/ welche der ſchlechten
Baurkoſt/ geringen Haus- und Vorraths
gewohnet/ des uͤberfluͤſſigen Reichthums
aber und Wollebens ungewohnet waren.
Hernach aber/ als ihre Gemuͤther durch
den Chriſtlichen Glauben gezaͤhmet/ haben
ſie auch ein ehrbarer Leben angefangen;
Allmaͤlich iſt die Luſt mehr und mehr zu ha-
ben/ und die andeꝛswoher eingefuͤhrte uͤber-
fluͤſſige Schlemmerey/ welche alle beyde
dann in den Staͤdten am meiſten getrieben
wergen/ dazu kommen. Auch die Fuͤrſten/
die zu ſolcher Macht geſtiegen/ legten ſich
umb
[103]des Teutſchen Reichs.
umb ihre Macht und Reichthum ſehen zu
laſſen auff das Staͤdte bawen/ und luden
die Bauren uñ Außlaͤnder mit verheiſſnug
groſſer Freyheiten daſelbſt hin zu woh nen/
voꝛnemlich/ als nach einfuͤhꝛung der Chriſt-
lichen religion die Dienſtbarkeit auffhoͤr-
te/ oder zum wenigſten gemiltert wurde/ da
zogen die Freygelaſſenen/ ſo keine Acker
hatten/ hauffenweiſe in die Staͤdt e umb
daſelbſt Handwercke oder Kauffmanſchaft
zu treiben. Es ſind auch wegen der Ungern
Einfall von dem Kaͤyſer Henrico Aucupe
viel Staͤdte in Sachſen gebawet oder befe-
ſtiget/ welcher den neunten Mann vom
Lande in die Stadt zu ziehen befohlen. Fer-
ner hat zu der Staͤdte auffnehmen gedie-
net ſonderlich die verbuͤndniſſen zur gemei-
nen beſchuͤtzung und fortſetzung der Com-
mercien.
Aus jenen iſt vornemlich zu ruͤh-
men/ welches die Staͤdte am Rhein im
Jahr 1255 gemacht/ zu welchem auch et-
liche Fuͤrſten haben wollen gerechnet wer-
den. Wegen der Commercien abſon.
F iiijderlich
[104]Vom Zuſtand
derlich zu Waſſer iſt der Hanſe Staͤdten
Verbuͤndniß auffgerichtet/ welche vor zei-
ten ſo ſtaꝛck und feſte geweſen/ daß ſich auch
die Koͤnige in Schweden/ Engelland und
Dennemarck dafuͤr geſchewet; Ob wol
dieſe Geſellſchafft nach dem 1500. Jahr
faſt gaͤntzlich eingangẽ/ ſo wol/ weil die klei-
nere Staͤdte/ da ſie ſahen/ daß die groſſen
den Gewinn allein hatten/ hin und wieder
abfielen: Als weil auch andere am groſſen
Meer oder Oft See wohnende Voͤlcker
nach der Haͤnſiſchen Exempel Handlun-
gen zu treiben angefangen/ als nemlich die
Flanderer und Hollaͤnder; Wie nun die-
ſer ihre Handthierung/ daß ſie einerley wa-
ren/ allein verkaufft/ auffgehoͤret/ alſo iſt
auch ihre Macht uͤbern hauffen gefallen.


§. 10.


Dieſem nach ob gleich anfangs die
Staͤdte gelinder tractiret wurden als die
Flecken/ waren ſie doch eben ſo wol unter
der Koͤnige und Koͤyſer Gewalt/ welche
auch die Graffen oder Koͤnigl. Geſandten
wie
[105]des Teutſchen Reichs.
wie man ſie nennet/ darin zu Richter beſtel-
let. Nachmahls ſind viele durch allzugroſ-
ſe freygebigkeit der Kaͤyſer in der Biſchoͤf-
fe/ viel in der Hertzogen und Graffen Ge-
walt gerathen/ die uͤbrigen ſind allein den
Kaͤyſern ohne Mittel unterworffen geblie-
ben. Umb das 12. Seculum aber haben
etliche derſelben/ nachdem einige auff ihren
Reichthum ſich veꝛlaſſen/ angefangen groͤſ-
ſere Freyheit zu gebrauchen/ weil die Kaͤy-
ſer/ ſo mit der innerlichen Unruhe zu thun
hatten/ oder neulich zu dieſer Hoheit erho-
ben/ ſie nicht kunten zum Gehorſam brin-
gen/ oder von ſich ſelbſt deren Gunſt und
Huͤlffe durch ertheilete Privilegien und
Freyheiten begehrten/ zum beyſtande wi-
der die halßſtarrigen Biſchoͤffe uñ Fuͤrſten.
Nechſt dieſem ſind auch die Advocaten
und Vorſteher des Reichs allmaͤhlich ab-
geſetzet. Als aber die nachfolgende Kaͤy-
ſer geſehen/ daß ſich die Biſchoͤffe ihrer
Macht wider ſie mißbrauchten/ haben ſie
den vornehmſten Staͤdten Privilegien
F vgege-
[106]Vom Zuſtand
gegeben/ und alſo der Biſchoͤffe Macht
entzogen. Nachdem auch der Hertzogen
von Schwaben Familia außgeſtorben/ ha-
ben viel ſonſt nur kleine Staͤdte deſſelben
Hertzogthums die gelegenheit ſich ihrer
Freyheit zu gebrauchen fleiſſig in acht ge-
nommen. Dieſe Freyheit haben doch ſol-
che Staͤdte nicht zugleich erhalten/ ſondern
einige/ wen es die Gelegenheit und Favor
der Kaͤyſer mitbrachte; daher kompts/ daß
ſie nicht alle gleiche Rechte haben/ und es
etlichen an den Fuͤꝛſten Rechten noch gaͤntz-
lich fehle. Endlich haben viele der Hertzo-
gen oder Biſchoͤffe das Recht/ ſo dem Kaͤy-
ſer uͤber die Staͤdte zugehoͤrete/ durch kauf-
fung/ vertauſchung odere andere Mittel
an ſich gebracht. Auch etlichẽ iſt es mit Ge-
walt abgenom̃en/ welches Unrecht der dar-
auff erfolgete Vertrag entſchuldigen muͤſ-
ſen; Denn viel/ weñ es ihnen an Gelt man-
gelte/ hielten das fuͤr das letzte Huͤlffsmit-
tel/ den reichen ihrer Unterthanen Freyheit
heit feil zu bieten; Oder/ wenn ſie ſahen/
daß
[107]des Teutſchen Reichs.
daß das jenige/ was ihnen zukam/ den
Staͤdten duꝛch Gewalt nicht koͤnte genom-
men werden/ haben ſie es fuͤr einen Gewiñ
geachtet/ nur ein weniges zu nehmen/ und
ſtille zu ſitzen.


Das IV. Capitel.
Von dem Haupte des Teut-
ſchen Reichs/ wie auch der Wahl

der Churfuͤrſten.


§. 1.


OB nun wol Teutſchland von ſo vie-
len Gliedern znſammen geſetzet/ de-
ren die meiſte ſehr maͤchtig/ iſt es
doch von des Caroli zeit an/ einem Haupte
(welches die Alten ſchlechter dinge einen
Koͤnig/ die nachfolger aber etwas hoͤher
einen Roͤmiſchen Kaͤyſer oder Cæfarem
genennet) unterworffen geweſen/ ohne/
daß etliche interregna dazwiſchen gekom-
men; Und dieſes Haupts wegen iſt Teutſch-
land den meiſten als ein einfaches Regi-
ment vorkommen. Wie ſolches Haupt
F vjnun
[108]Vom Zuſtand
nun erwehlet werde/ wollen wir hernach
ſehen. Es wird aber der Muͤhe werth ſeyn/
etwas weitlaͤuftiger von der Sache zu han-
deln/ damit man zugleich ſehe/ was fuͤr ein
groſſer unterſcheid zwiſchen der alten und
newen Wahl/ und welches der eigentliche
Urſprung der Churfuͤrſten ſey. Muß man
demnach bey dem Carolo M. und deſſen
Nachkommen das Roͤmiſche Reich und
das Fraͤnckiſche Reich mit unterſcheid be-
trachten. Jenes daß Roͤmiſche iſt dem Ca-
rolo
mit bewilligung des Roͤmiſchen
Volcks und des Padſtes/ als deſſen vor-
nehmſten Gliedes/ der ſonſten auch merck-
lich uͤber das Volck zu regieren trachtete/
auffgetragen worden/ und zwar/ wie es
das anſehen hat/ erblich; Alſo/ daß ſeine
nachfolgere nicht nach einer newen und
freyen Wahl/ ſondern nur nach der gemei-
nen einweihung ſind gekroͤnet worden.
Denn ob man zwar lieſet/ daß der Caro-
lus
ſeinen Sohn Ludovicum, und dieſer
den Lotharium zu gehuͤlffen des Reichs
ange-
[109]des Teutſchen Reichs.
angenommen haben/ ſo wird doch der da-
zu erfoderten newẽ bewilligung des Pabſts
und der Roͤmer nicht gedacht. Daß alte
Franckiſche Reich aber kan man weder
ein recht Erb Reich/ noch ein Wahl Reich
nennen/ ſondeꝛn das vermiſchter weiſe auff
die nachfolger kommen; Weil wir finden
daß die Koͤnige der Francken mit bewilli-
gung und zuruff ſo wol der vornehmſten
als des gantzen Volcks ſeyn erwehlet wor-
den/ doch alſo/ daß man nicht ohne erheb-
liche Urſachen von des verſtorbenen Koͤ-
niges Geſchlecht abgangen. Welche art
der ſucceſſion auch bißdaher in Pohlen
iſt in acht genommen. Wer aber hierauff
etwas genauer achtung giebet/ wird mer-
cken/ daß das Reich der Francken mehr nu-
tzen auß der ſucceſſio oder erb/ als aus der
Wahlart/ gehabt habe/ weiln es nemlich
ſcheinet/ daß dem Urheber dieſes Geſchlech-
tes mit dem bedinge das Reich auffgetra-
gen/ daß ers auch auff ſeine Nachkommen
braͤchte/ wo ſolche nicht fuͤr ſehr untuͤchtig
F vijvon
[110]Vom Zuſtand
von dem Volcke geachtet wuͤrden. Alſo
haben die Staͤnde und das gemeine Volck
durch dieſe bewilligung den Soͤhnen der
verſtorbenen Koͤnige nicht eben ein neues
Recht zum Rrich gegeben/ ſondern viel-
mehr erwieſen/ daß der Sohn des bey der
erſten aufftragung des Reichs zugeſtande-
nen Rechtens faͤhig- und tuͤchtig ſey. Als
nachmahls des Caroli Geſchlecht von der
Franckiſchen regierung kommen/ iſt das
Teutſche oder das gegen dem Morgen be-
legene Franckiſche Reich (wie es dazumal
genennet ward) auß freyer Wahl der
Staͤnde dem Hertzogen von Sachſen
Otto auffgetragen worden/ welcher/ nach
dem er ſein Alter vorgewand/ gerathen hat/
man ſolt Conradum Hertzogen in Fran-
cken zum Koͤnige in Teutſchland wehlen/
als welchen etliche fuͤr des Caroli Ver-
wandten hielten. Auff dieſen rath iſt gleich-
fals des Ottonis Sohn Henricus Au-
ceps
durch eine freye Wahlzum Reich er-
hoben/ welcher mit Teutſchland allein ver-
gnuͤget/
[111]des Teutſchen Reichs.
gnuͤget/ auch ohne des Pabſts begehren/
den Kaͤyſerlichen Titul angenommen
Deſſen Sohn Otto M. aber hat/ nach
dem er Jtalien bezwungen/ die Stadt Rom
und das Kirchengebiet alſo mit Teutſch-
land verbunden/ daß der jenige ohne einer
neuen Wahl Roͤmiſcher Kaͤyſer ſeyn ſolte/
welcher das Teutſche Reich uͤberkommen/
alſo daß die Kroͤnung des Pabſts nichts
mehr als eine gewoͤhnliche Ceremonie
ſeyn ſolte/ wiewol vor zeiten die Koͤnige in
Teutſchland den Kaͤyſerlichen Titul vor
ſolcher Kroͤnung nicht leichtlich gefuͤhret.
Mit der ſucceſſion aber in Teutſchland
iſt es faſt eben ſo beſchaffen geweſen/ als in
dem alten Fraͤnckiſchen Reich/ daß nem-
lich die Staͤnde und das gemeine Volck
nicht leichte von dem Koͤniglichen Ge-
ſchlecht abgiengen/ uñ das hat gewaͤret biß
auff Henricum IV. deſſen aufferziehung
und Gluͤck nicht fort gewolt/ daß auch die
Staͤnde des Teutſchen Reichs bewogen/
in deme der Pabſt tapffer zuſcheurete/ ſich
wieder
[112]Vom Zuſtand
wieder den Kaͤyſer zu ſetzen/ und ihn vom
Reich zu ſtoſſen/ darauff ſie eine verord-
nung gemachet/ daß kuͤnfftig der Sohn des
Koͤniges/ ob er gleich tuͤchtig ſey/ duꝛch eine
freywillige Wahl/ und nicht durch Erb-
ſchafft zum Reich kommen ſolte (wie die
Worte in der veroꝛdnung lauten) und von
der zeit an hat algemach die erbliche ſuc-
ceſſion
auffgehoͤret.


§. 2.


Dieſe alte Bewilligung und Wahl a-
ber iſt von dem gantzen Volcke geſchehen;
ob es wol auſſer zweyffel ſey/ daß der
Staͤnde/ als nemlich der Fuͤrſten/ Bi-
ſchoͤffe und Edelleute anſehen allhier am
meiſten gegolten. Nun aber von etli-
chen hundert Jahren her/ werden alle an-
dern außgeſchloſſen/ und ſind nur fieben/
und nach dem Oßnabruͤggiſchen Frieden
acht von den vornehmſten Fuͤrſten/ die
den Kaͤyſer erwehlen/ welche daher Chur-
fuͤrſten genennet werden/ als drey Geiſt-
liche/ der zu Mayntz/ Trier und Coͤln/ und
fuͤuff
[113]des Tentſchen Reichs.
fuͤnff Weltliche/ der Koͤnig in Boͤhmen/
die Hertzogen zu Bayren und Sachſen/
der Marggraff zu Brandenburg/ und
Pfaltzgraff am Rhein. zu welcher zeit
aber dieſe Fuͤrſten gedachtes recht uͤber
kom̃en/ kan man allerdings nicht wiſſen.
Zwar hat man in 200. und mehr Jah-
ren/ als vom 1250. ohngefehr biß an das
1500. Jahr ins gemein da vorgehalten/
daß der Kaͤyſer Otto III. und Papſt
Gregorius V. die ſieben Churfuͤrſten ein-
geſetzet haben/ und wollen etliche Autores
dem Kaͤyſer/ andere dem Pabſt das mei-
ſte darunter zneignen/ nach dem einjegli-
cher dieſer oder jener Parthey zugethan.
Dieſer meynung hat ſich zu erſt/ ſo viel
mir bewuſt/ unſer Landsman Onuphrius
Panvinius
in einem ſanderlichen Buͤch-
lein wiederſetzet/ welches tituliret wird:
De comitiis Imperatoris. Deme heut
zu tage die verſtaͤndigſten unter den Tent-
ſchen nachfolgen. Daß vornehmſte argu-
ment
und beweißthum iſt/ daß die jenige
verord-
[114]Vom Zuſtand
verordnung/ ſie mag von Kaͤyſer Otto
oder Pabſt Gregorius herruͤhren/ von
keinem biß anhero hat koͤnnen gefunden
werden/ und daß von derſelben all e Scri-
benten
biß auff des Friderici II. zeiten
in 240. jahren von Otto III. ſtilleſchwei-
gen: Denn der erſte/ ſo der Churfuͤrſten
gedencket/ iſt Martinus Polonus welcher
unter Friderico II. ohngefehr 250. Jahr
nach Ottonem III. gelebet hat/ deme auch
nicht eben allerdings in einer Sache/ die
ſich ſo lange vor ſeiner zeit zugetragen/ zu
mahlen er keine ſcheinbahre Zeugniſſen
hat/ zu glauben. Doch gedencket er auch
eben keiner verordnung/ krafft welcher die
Churfuͤrſten zu des Ottonis zeit haben
angefangen/ ſondern dieſes bekraͤfftiget
er nur/ daß nach deß Ottonis zeiten die
reichs officiales zu wehlen angefangen.
Welches in zweyerley verſtande kan zu-
gelaſſen werden/ entweder wil zu der zeit
die jenigen/ ſo vorhin die vornehmſten
Chargen zu hoffe bedienet/ die weitlaͤuff-
tigſten
[115]des Teutſchen Reichs.
tigſten Laͤnder einbekommen haben/ oder
weil dieſe Chargen damals immer denen
Fuͤrſten/ die weitleufftige Laͤnden beher-
ſcheten/ auffgetragẽ wurden/ welche doch
wie ſie vielleicht unter den andern ein ſon-
derbahres anſehen gehabt/ alſo wird kei-
ner leugnen/ der ſich inden antiquitæten
Teutſchlandes etwas umgeſehẽ/ daß uͤbeꝛ
dieſe ſieben auch andere Fuͤrſten zur
Wahl der Koͤnige zugelaſſen. Andere
ſchreiben Friderico II. die einſetzung der
Churfuͤrſten zu/ aber es wird nirgends ei-
nig monument ſolcher verordnung ge-
funden; Und iſt nicht vermuthlich daß
die andern Fuͤrſten ſo geſchwinde und
gerne von ihrem recht abgetreten.


§. 3.


Sind demnach die Teutſchen/ ſo umb
ihr Vaterland guten beſcheid wiſſen faſt
in der meinung/ daß ſchon vor Fridetici
II.
zeiten dieſe ſieben Fuͤrſten als Reichs
Bediente und ſehr beguͤterte Herren in
der Wahl der Kaͤyſer/ die andern allge-
mach
[116]Vom Zuſtand
mach am anſehen zu uͤbertreffen ange-
fangen; Nach des Friderici zeit aber/
als es in Teutſchland ſehr verworren
außſahe/ und ſich die andern umb die ge-
meine Reichsſachen wenig bekuͤm̃erten/
haben ſich dieſe allein daß Recht Kaͤyſer
zu waͤhlen beygemeſſen. Als nun dieſes
durch unterſchiedliche Actus zur gewohn-
heit worden/ iſt ſolche als eine offentliche
und beſtaͤndige verorgnung in der guͤlde-
nen Bulla, wie man es nennet/ abgefaſſet
worden. Darin die gantze art zu weh-
len und alle Macht der Churfuͤrſten ent-
halten iſt/ und von der zeit an/ haben dieſe
Fuͤrſten ihrem vorigen Titul den Chur-
fuͤrſtlichen zugeleget/ und ſind in groͤſſerm
Wehrt als die andern gehalten worden.


§. 4.


Ob derowegen wol ſcheinet/ dieſe Fuͤr-
ſien haben ihnen ſolch Ampt zu wehlen/
als Reichs Bediente/ angemaſſet; Sind
doch hernach dieſe aͤmpter eben ſo wol als
die Churfuͤrſtliche wuͤrde durch die guͤl-
dene
[117]des Teutſchen Reichs.
dene Bulla an gewiſſe Laͤnder verknuͤpf-
fet/ daß wer ſolche rechtmaͤſſiger weiſe be-
ſitzet/ eben dadurch Churfuͤrſt ſey. Und
zwar werden die Geiſtliche Churfuͤr-
ſten/ gleich wie die andern Biſchoͤffe in
Teutſchland/ durch die Wahl oder auff-
tragung eingeſetzet. Wobey zu mercken
daß obgleich ſonſten die Biſchoͤffe/ damit
ſie ihr Ampt rechtmaͤſſig und voͤllig ver-
richten koͤnnen/ des Pabſtes confirma-
tion
und eines Mantels/ der theur zu loͤ-
ſen/ beduͤrffen/ ſie dennoch/ auch vor der
Paͤbſtlichen confirmation, zur Kaͤyſers
Wahl gelaſſen werden/ da die Weltli-
chen Ehren ſtellen kein ſonderlich merck-
zeichen haben. Wenn aber die ſtelle va-
ciret
,
kan das Capitul des Churfuͤrſten
ſtelle nicht vertreten. Jn den Welt-
lichen Churfuͤrſtenthuͤmern iſt die jenige
ſucceſſions art gebraͤuchlich/ welche ſie
agnaticam nennen/ und zwar alſo/ daß
man weder die Churfuͤrſtliche wuͤrde/
noch die den Churfuͤrſtenthuͤmern abſon-
derlich
[18[118]]Vom Zuſtand
derlich zugelegte Laͤnder theilen muͤſſe;
Wenn man aber ein neu [Churfuͤrſten]-
thum anrichten wolte/ [oder] ſich jemand
eines verbrechens wegen ſolcher wuͤrde
enteuſſern muſte/ wird es ohne zweiffel
mit den andern geſetzen und gewohnhei-
ten des Reichs uͤbereinkommen/ daß al-
lein der Kaͤyſer auß eigener autorität
ohne der andern Staͤnde oder nur der
Churfuͤrſten bewilligung allhie nichts
anordne. Ob man wol in dem vorigen
und dieſem unſern ſeculo ein wiedriges
Exempel hat/ wieder welches doch einer
uñ ander proteſtiret/ daß doch der Kaͤy-
ſer/ welchem damahls der Mars uͤber die
maſſe guͤnſtig zu ſeyn ſchiene/ wenig ge-
achtet/ wobey eꝛ deñ ſokluͤglich gehandelt/
daß er die dem einen abgenommene Chur
fuͤrſtliche Wuͤrde dem Verwandt en auß
eben derſelben Familia auffgetragen/ da-
mit nicht allein die mißgunſt dieſer That
verringert/ ſondern auch die maͤchtigſten
Familien durch eine ſtetige æmulation
von
[119]des Teutſchen Reichs.
von einander getrennet werden/ und zu-
gleich das jenige theil welches der Kaͤyſer
ſelber zu Kraͤfften geholffen ihm [dafuͤr]
verbunden bleiben moͤchte. Es iſt lauch
dieſes nicht zuvergeſſen/ daß/ wenn die
Churfuͤrſten noch minder Jaͤhrig ſeyn/
derſelben Vormuͤnder auff der Kaͤyſer
Wahl ihre Stelle vertreten; Sie wer-
den aber muͤndig/ wenn ſie das achtzehen-
de Jahr erreichet.


§. 5.


Die Wahl wird faſt auff dieſe weiſe
vorgenommen/ der Maͤyntziſche thut es
innerhalb Mondes friſt/ von dem erſten
Tage an/ da er des Kaͤyſers Todterfah-
ren/ ſeinen Collegen zu wiſſen/ und be-
ruffet ſie zu der kuͤnfftigen Wahl/ wel-
che entweder ſelbſt/ oder durch ihre Ge-
ſanten ſich einſtellen. Wenn ſie zu
Franckfurt einziehen wollen/ iſt ihnen ei-
ne gewiſſe anzahl Reuter nemlich 200.
beſtellet/ welche zahl doch heute zu Tage
nicht ſo genau in acht genommen wird.
Jn
[120]Vom Zuſtand
Jn dem die Wahl vorgehet/ muͤſſen alle
frembden aus der Stadt weichen. Der
Actus der Wahl/ welche in der Sacriſtey
der Kirchen S. Bartholomæi Geſchicht/
wird mit einer Meſſe angefangen: Dar-
auff treten ſie vor den Altar [umb] zu
ſchweren/ daß ſie einen tuͤchtigen Kaͤyſer
erwehlen wollen; Der Maͤyntziſche als
des Collegii Decanus ſamlet die Stim-
men/ erſtlich fraget er den von Trier/ her-
nach den von Coͤllen und ſo weiter/ er
ſelber ſpricht endlich das Urtheil/ und die
meiſten Stimmen gelten fuͤr alle; Weil
aber jetzund acht ſeyn/ iſt noch nichts ge-
wiſſes beſchloſſen/ was man thun muͤſſe/
wenn es ſich zutruͤge/ daß die Stimmen
auff beede ſeiten gleich waͤren. Es iſt
dem Churfuͤrſten nicht verboten ihme ſelb-
ſten ſeine Stimme zu geben; die geſchehe-
ne Wahl pfleget auffgeſchrieben und mit
der Churfuͤrſten Siegel confirmiret zu
werden. Darnach treten ſie vor den Al-
tar/ woſelbſten der Maͤyntziſche den erwehl-
ten
[121]des Teutſchen Reichs.
ten Kaͤyſer vor der zuſammen beruffenen
Gemeine offentlich außruffet/ deme bald
hernach das Reich mit gewiſſem bedinge
anbefohlen wird/ doch alſo/ daß er allen
und jeden Churfuͤrſten ihre Privilegien
und Rechte alsbald confirmiren muͤſſe-
Zu der Kroͤnung iſt zwar nach der Guͤlde-
nen Bulla die Stadt Achen verordnet/ ob
gleich bißanhero/ an dem Orte wo die
Wahl vorgangen/ auch die inaugurati-
on
gemeiniglich gehalten worden. Und
weil dieſe Stadt in dem Coͤllniſchen Ge-
biete ligt/ hat ſchon vor langen Jahren her
der Churfuͤrſt von Coͤlln ſolches verrich-
tet; Uber welchem Recht der von Mayn [...]
mit ihm in Sreit gerathen/ welcher new-
lich/ wo mir recht/ alſo iſt beygeleget/ daß ſie
einer umb den andern die Kroͤnung ver-
richten ſollen/ an welchem Orte auch ſelbi-
ge gehalten wuͤrde. Andere hiebey ge-
braͤuchliche Ceremonien werden hin und
wieder bey den Teutſchen Scribenten ge-
funden.


GDaß
[122]Vom Zuſtand

§. 6.


Daß nun die Churfuͤrſten neben dem
Recht einen Kaͤyſer zu wehlen/ auch macht
haben denſelben/ wo er es verdienet/ abzu-
ſetzen/ wuͤrde vielleicht gar zu odios und
hart ſeyn/ ſolches mit einem offentlichen
und außdruͤcklichen Geſetze zu verordnen;
Daß ſie aber doch ſolche Macht veruͤbet/
iſt an dem Wenceslao des Caroli IV.
Sohn ſelbſten zu ſehen/ von welchem die
jenigen/ ſo den Churfuͤrſten ihꝛe Hoheit
mißgoͤnnen/ klar genug vorgeben/ er habe
die Guͤldene Bulla heraus gegeben/ und
die Churfuͤrſten mit groſſen Geſchencken
beleget/ damit er ſeinen Sohn ſolcher ge-
ſtalt zum Reich huͤlffe. Daß auch der
Henricus IV. moͤchte vom Reich ver-
ſtoſſen werden/ daꝛumb haben ſich auch an-
dere Fuͤrſten bemuͤhet. Und lieſet man
von dem Churfuͤrſten von Mayntz/ daß er
einem und andern Kaͤyſer/ der ihm etwaſ
zu wider gethan/ dieſes Recht die Kaͤyſer
abzuſetzen dreiſte genug vorgehalten haben


Es
[123]des Teutſchen Reichs.

§. 7.


Es haben auch die Churfuͤrſten noch
andere vornehme Rechte vor den andern:
Denn uͤber dem/ daß ſie ohne den andern
koͤnnen Zuſammenkuͤnffte halten/ und ſich
uͤber die vornehmſten Sachen berathſchla-
gen/ ſind ſie auch die hoͤchſten Reichs be-
dienten. Alſo ſeynd Ertz Cantzler der von
Mayntz durch Teutſchland/ der von Trier
durch Franckreich und das Koͤnigreich
Arres, (durch welche Worte nach den er-
fahrneſten Autoribus nicht das gantze
Franckreich/ ſondern was davon zum
Burgundiſchen Reich gehoͤret hat/ wel-
ches in dem eilfften Seculo zu Teutſchland
kommen/ verſtanden wird) der von Coͤlln
durch Jtalien/ ungeachtet heut zu Tage
ſolch Recht alleine dem erſten/ den andern
beyden nur der bloſſe Titul geblieben. Der
Koͤnig in Boͤhmen iſt Ertz Schencke/ und
reichet dem Kaͤyſer bey offentlicher Reichs
Hoffhaltung den erſten Becher. Der
Bayriſche iſt Ertz Truchſes/ und in der ſo-
G ijlennen
[124]Vom Zuſtand
lennen Proceſſion traͤgt er den Reichs
Apffel Der Saͤchſiſche iſt Eꝛtz Marſchalck/
und traͤget ein bloſſes Schwerdt vor dem
Kaͤyſer her. Der Brandenburgiſche iſt
Ertz Kaͤmmerer/ reichet dem Kaͤyſer Waſ-
ſer/ und traͤget in der Proceſſion das Sce-
pter. Der Pfaltzgraff am Rhein iſt Ertz-
Schatzmeiſter/ und wirfft bey abfuͤhrung
des gekroͤnten Koͤniges nach dem Pallaſt
unter das umbſtehende Volck guͤldene und
ſilberne Muͤntze. Ein jeglicher von den
Weltlichen hat in dieſen Geſchaͤfften ſeine
Vicarios, als der Boͤhme den Schencken
von Limburg; der Bayriſche den Truchſes
von Wallburg/ der Saͤchſiſche den Mar-
ſchalck von Papenheim/ der Brandenbur-
giſche den Graffen von Hohen Zollern/ der
Pfaͤltziſche den Graffen von Sintzendorff.
Es ſind auch noch andere Privilegien der
Churfuͤrſten in der Guͤldenen Bulla ver-
halten/ deren doch die meiſten die andern
Fuͤrſten auch genieſſen; ohne das von ih-
ren Gerichten nicht appelliret wird/ und
daß
[125]des Teutſchen Reichs.
daß ſie in der erneurung ihrer Lehen frey
ſeyn/ und was dergleichen mehr ſeyn moͤ-
gen.


§. 8.


Zwiſchen des Kaͤyſers Todt und deſſen
Nachfolger/ verwalten Chur Pfaltz und
Sachſen als Vicarii das Reich/ jener in
den Theilen am Rhein und in Schwaben/
und wo das Fraͤnckiſche Recht gebraͤuch-
lich; Dieſer wo die Saͤchſiſchen Rechte
guͤltig ſeyn; Doch iſt ihnen verboten die
Lehen der Fuͤrſten/ und welche durch die
Fahne pflegen conferiret werden/ jeman-
de zu ertheilen/ wie auch die Reichs Guͤter
zu entwenden oder zu verpfaͤnden. Son-
ſten pflegt das jenige/ was ſie in waͤrendem
ihrem Vicariat verrichtet/ von dem new-
erwehlten Kaͤyſer confirmiret zu werden.
Bey dem newligſten interregno, nach
des Ferdinandi III. Todt machte der
Churfuͤrſt in Bayern Churpfaltz dieſes Vi-
cariat
ſtrittig/ wobey Bayern dieſes inſon-
derheit in acht genommen/ daß er ſein Vor-
G iijnehmen
[126]Vom Zuſtand
nehmen auffs beſte diſſimuliret/ damit es
nicht fuͤr der Zeit gemercket/ und er dar-
umb gebracht werden moͤchte. Und als
ihm des Kaͤyſers Todt durch abgeordnete
Curirer angekuͤndiget war/ hat er ge-
ſchwinde allenthalben Brieffe verſchicket/
welche die annehmung des Vicariats an-
kuͤndigten. Auff welche die meiſten Staͤn-
de mit einer eilfaͤrtigen Gluͤckwuͤnſchung/
ehe ſie die Sache recht uͤbergeleget/ geant-
wortet haben/ und das iſt geſchehen/ ehe
faſt Chur Pfaltz etwas von des Kaͤyſers
Todt gewuſt/ welcher ſich nicht gerne wol-
len in ſein Recht greiffen laſſen/ ſondern
auch hin und wieder die ankuͤndigung ge-
than/ daß nicht ohne Klage uͤber das un-
recht/ ſo ihm von Bayern wiederfah-
ren/ er ſich nachmals der Gewalt als ein
Vicarius bedienen wolle; Und ob wol vie-
len Fuͤrſten verdroſſen/ daß ſie ihre Brieffe
an Chur Bayern geſand/ nicht wieder zu
ruͤck ziehen koͤnten; So iſt es doch/ wie es
gemeiniglich zu geſchehen pfleget/ daß auch
da-
[127]des Teutſchen Reichs.
damals keiner frem̃den Gezaͤncks ſich wol-
len thelhafftig machen. Nachmahls iſt die
Sache [z]u offentlichen Schrifften zwiſchen
beyden Theilen gekommen Und darff ſichs
keiner ein Wunder ſeyn laſſen/ daß Chur-
Bayern ſich unterſtanden/ ſolche Wuͤrde
an ſich zu bringen/ weiln er ſchon dazu-
mahl/ als es noch wol umb der Pfaͤltziſchen
Sachen ſtunde/ ſich nicht geſchewet/ vor-
zugeben/ daß Churfuͤrſtenthum gehoͤre
ihm/ ſich dabey auff ſeine eigene Macht
und der Oeſterreichiſchen Gunſt verlaſſen-
de. Sonſten hielte man doch dafuͤr/ daß [die]
Pfaͤltziſchen Scribenten/ den meiſten die
unpartheyiſch waren/ deutlich genug ge-
wieſen/ daß die Wuͤrde des Vicariats gar
kein theil oder anhang des Ertz Truchſes-
thumbs/ ſondern ein abſonderlich Recht
ſey/ welches der Pfaltzgraffſchaft am Rhein
allzeit zukomme/ wie auch Sachſen nicht
als ein Churfuͤrſt/ ſondern als ein Hertzog
in Sachſen das Vicariat Ampt verwaltet.
Doch weil die meiſten Bayern gewogen
G iiijwaren/
[128]Vom Zuſtand
waren/ wolten ihn auch die andern nicht
offentlich offendiren/ und damit nicht die
Gewonheit eingefuͤhret werde/ daß die
Fuͤrſten ihr unrecht bekennen muͤſen/ iſt
dieſe Sache bißanhero nicht entſchieden
worden.


§. 9.


Dem Kaͤyſer wird bißwalen ein Roͤ-
miſcher Koͤnig zu gegeben/ daß er als deſ-
ſen general Vicarius in ſeinem abweſen/
oder wenn er ſonſt verhindert/ daß Reich
verwalten, und wenn er endlich geſtorben/
odne weiterer Wahl ſuccediren moͤge.
Wenn ſolches geſchiehet/ ſo wird gemel-
niglich die Nothwendigkeit und Nutzen des
Regiments vorgewand. Die rechte Ur-
ſache pfleget aber wol zu ſeyn/ daß die Kaͤy-
ſere bey ihrem Leben ihre Soͤhne/ Bruͤder
oder nechſte Anverwandten deſto leichter
zum Reich erheben moͤgen/ maſſen ſie
dann/ als welche die hoͤchſte Gewalt in
Haͤnden haben/ gerne bey lebzeiten daꝛnach
ſtreben/ damit nach deren abſterben/ die
Nach-
[129]des Teutſchen Reichs.
Nachkommen/ welche zum ledigen Thron
frey auffgenommen werden/ ſich nicht mit
ſo harten bedingungen und Geſetzen duͤrf-
fen verknuͤpffen laſſen.


Das V. Capitel.
Von der Gewalt des Kaͤyſers/

welche durch die Capitulation, Geſetze
und Gewonheiten des Reichs/ auch duꝛch
die Rechte der Staͤnde limiti-
ret iſt.


§. 1.


DUrch was Gelegenheit die Teut-
ſchen Staͤnde in ein viel groͤſſer
auffnehmen kommen/ als ſich bey
einer Monarchia ſchicken wil/ davon iſt
ſchon oben meldung gethan; wie auch/
daß durch die auf ſie gebrachte freye Wahl
der Koͤnige ſie ſich bemuͤhet haben/ die ein-
mahl erworbene Guͤter wol zu erhalten/
wodurch eben den Koͤnigen die groſſe Ge-
walt nach belieben zu diſponiren benom-
men/ muͤſſen dazu in wichtigen Sachen der
G vStaͤnde
[130]Vom Zuſtand
Staͤnde bewilligung fordern/ bey welchen
mehr durch anſehen als Befehl etwas zu
erlangen. Ja es iſt vermuthlich/ daß die
Teutſchen Staͤnde vormahls in den Eid/
welcher faſt von allen Chriſtlichen Koͤni-
gen pfleget geleiſtet zu werden/ auch die
Clauſul haben eingeruͤcket/ daß der Koͤnig
aller und jeden Teutſchen Buͤrger Rechte/
wie auch die loͤbliche und im Reich ange-
nommene Gebraͤuche in acht nehmen wol-
le. Ob aber mit der Zeit deßwegen ſon-
derliche Geſetze hinzu gethan und verfaſſet
worden/ iſt nicht gnugſam am Tage. Denn
man vor den Carolum V. kein Exemplar
ſolcher Capitulation geſehen/ und ob
gleich einige moͤchten auffgewieſen wer-
den/ darff man ihnen nicht glauben/ daß
aber dem erwehlten Kaͤyſer in der Guͤlde-
nen Bulla alsbald befohlen/ alle Rechte/
Privilegien und Freyheiten der Chur-
fuͤrſten durch Brieff und Siegel zu be-
kraͤfftigen/ das ſcheinet den Churfuͤrſten
abſonderlich anzugehen/ und alſo etwas
von
[131]des Teutſchen Reichs.
von der Capitulation, die zur erhaltung
der Freyheit des gantzen Reichs dienlich/
unterſchieden zu ſeyn. Die Urſach aber
warumb die Churfuͤrſten den Carolum V.
mit ſolchen außdruͤcklichen und weitleuff-
tigen Geſetzen verbinden wollen/ iſt gewe-
ſen dieſes Fuͤrſten Macht/ bluͤhende Ju-
gend und hoher Geiſt/ welches ſein Sym-
bolum: Plus ultra
,
gnugſam zu verſtehen
gab; Und damit er nicht ſeiner weitlaͤuff-
tigen/ Vaͤterlichen Erbſchafft/ die Teut-
ſchen dadurch in eine andere Ordnung zu
bringen/ mißbrauchen/ auch wiſſen moͤchte/
er muͤſſe Teutſchland auff eine andere wei-
ſe/ als ſeine uͤbrige Laͤnder guberniren-
Dieſen nun einmahl angenommenen Ge-
brauch/ ob gleich die jetzt angezogene Urſa-
chen nicht eben allemahl eine ſolche Capi-
tulation
erforderten/ hat man doch her-
nach behalten.


§. 2.


Ferner ſind bißanhero dieſe Capitula-
tiones
dem Kaͤyſer von den Churfuͤrſten
G vjallein/
[132]Vom Zuſtand
allein/ ohne der andern Staͤnde Rath und
Zuthun voꝛgeſchrieben geweſen. Woruͤber
doch dieſe etliche mahl geklaget/ und iſt in
dem Weſtphaͤliſchen Frieden ſelbſt gedacht
worden/ daß auff dem nechſten Reichstage
von der entwerffung einer jmmerwaͤren-
den Capitulation ſolte gerathſchlaget
werden/ wodurch der Teutſchen art nach
die Sache doch nimmer zum Schluß/ ſon-
dern allezeit auff die lange Banck wird ge-
zogen werden. Jch hoͤrte zwar als ich zu
Regenſpurg war/ daß man ſchon ſolches
mit ernſt vorgenommen/ und ein zimlich
theil Papier verdorben. Die verſtaͤndig-
ſten aber halten dafuͤr/ daß ſich die Chur-
fuͤrſten keines Eingriffes zu fuͤrchten haͤt-
ten; maſſen es dem Kaͤyſer zutraͤglicher
waͤre/ daß die Churfuͤrſten die andere Fuͤr-
ſten uͤbertreffen: Denn dieſe/ als wenige/
koͤnne er leichter als alle Staͤnde auff ſeine
ſeite bringen/ und ihnen hergegen lieber
hinwiederumb etwas nachgeben/ zu deme
wuͤrden die auß dem Fuͤrſten Rath/ welche
aus
[133]des Teutſchen Reichs.
aus den Churfuͤrſtlichen Familien ent-
ſproſſen/ in dieſer Sachen nicht ſehr zuwi-
dern ſeyn; der andern Begehren ſey nicht
viel zu achten/ uͤber daß ſtimme es mit den
Sitten Teutſchandes nicht uͤberein/ einen
von ſeinem Recht/ wie er auch ſolches er-
langet/ durch Gewalt oder Verbuͤndniß
zu bringen! Sie thaten hinzu/ ob gleich
die uͤbrigen Staͤnde nicht unbillich begeh-
ren/ daß in der Capitulation eben ſo wol
auff ſie/ als auff die Churfuͤrſten moͤge ge-
ſehen werden; So koͤnne doch kaum eine
redens-art erdacht werden/ welche nicht
nachmahls bey veraͤnderung der Zeit zu
endern: und daß es ſchiene/ daß meiſte
waͤre in den vorigen Capitulationen hin-
zu gethan oder eingeflicket/ nach dem es
ſich bey gegenwertiger Zeit ſchicken wollen/
umb die jenige Ritzen/ dadurch die Kaͤyſer
zu entkommen ſich unterſtanden/ zu ver-
ſtopffen. Ferner wuͤrden die Churfuͤrſten
nicht ſchwer dazu zu bringen ſeyn/ daß ſie
auff der andern Staͤnde erinnerung in der
G vijCapi-
[134]Vom Zuſtand
Capitulation hinein ſetzten/ was zur be-
ſchuͤtzung ihrer Freyheit dienlich ſchiene.
Endlich waͤren die jenigen ſehr unbedacht-
ſamb/ welche den Churfuͤrſten uͤbel außdeu-
ten wolten/ daß ſie ſich ihres eigenen Nu-
tzens nicht mehr dann [anderer] annehmen
ſolten; gleichſamb/ als wenn ſie allein die
allen Menſchen gemeine inclination ab-
legen muͤſten. Andere vermutheten eine
andere Urſache/ warumb wegen der Capi-
tulation tracti
ret wuͤrde/ daß nemlich der
Kaͤyſer/ der ſonſt zum Reichstage ſchlechte
luſt hatte/ durch den Tuͤrckiſchen Krieg
waͤre bewogen worden/ die Staͤnde zuſam-
men zu ruffen/ indeme er verhoffet/ er wol-
le unter ſolchem ſchein eine groſſe Summa
Geldes von den Staͤnden bekommen. Sie
aber haben an ſtat des Geldes Soldaten
angeboten; weil nun ſolches den Kaͤyſer-
lichen Raͤthen ein ſchlechter Gewinn zu
ſeyn dauchte/ haben ſie fuͤr der rechten Zeit
mit dem Tuͤrcken einen Frieden gemacht/
alſo/ daß ſie jetzund faſt im Zweyfel ſtehen/
was
[135]des Teutſchen Reichs.
was fuͤr ein Reichsſchluß zu machen. Deñ
die materia von der huͤlffleiſtung zum
Tuͤrckiſchen Kriege/ mit welcher in den
meiſten alten Reichs Abſchieden ſchon gan-
tze ſeiten voll gemacht/ ſey nunmehr auffge-
hoben. Wann dann ſorgfaͤltige Leute doch
gerne wiſſen wollen/ was eine ſolche menge
Geſandten in ſo viel Jahren gethan/ und
zu was Nutzen des Vormittages der Spa-
niſche/ Nachmittage aber der Rheiniſche
und Moſel Wein getruncken ſey/ ſie frey
ſchweren koͤnten/ daß ihnen eine unauffloͤß-
liche materia/ woruͤber ſie ſich lange ver-
geblich bemuͤhet/ und nicht muͤſſig geweſen/
ſey auffgegeben worden/ daß ſie auch zu-
gleich die wiederholung der vergeblichen
Streitigkeiten/ nach dem ſie dieſelbige Sa-
chen biß auff den folgenden Reichstag
auffgeſchoben/ etlicher maſſen als ein Re-
ceß
des Reichs auffweiſen koͤnnen.


§. 3.


Dem ſey aber wie ihm wolle/ ſo ſcheinet
es doch als ein nuͤtzlicher Gebrauch zu ſeyn/
daß
[136]Vom Zuſtand
daß die Geſetze/ welche die Kaͤyſ. Macht be-
treffen/ in außdruͤcklichen und abſonder-
lichen Schrifften enthalten werden. Deñ
es gedeyet viel zum anſehen der Staͤnde/
daß weil ſie ſich nicht als andere Untertha-
nen der Monarchen gebieten laſſen/ man
nicht meyne/ ſie thun ſolches aus halſtar-
rigkeit/ oder durch eine bloſſe Gewonheit/
ſondern weil ſie den Kaͤyſer auff ſolche Ge-
ſetze angenommen haben. Sie nehmen
auch ihre Freyheit durch vorgeſetzte ſchran-
cken in acht/ welche der Kaͤyſer nicht uͤber-
ſchreiten darff. Auch wird auff dieſe weiſe
dem Kaͤyſer die Urſache zu klagen benom-
men/ daß er nicht nach anderer Monar-
chen
art die jenige gebrauchen koͤnne/ die
ſich mit vielen Wort-Complementen
ſeine demuͤtigſte Unterthanen nennen:
Denn im anfange der Capitulation be-
kennet er/ daß er auff dieſe Geſetze das
Reich angenommen/ und daruͤber mit den
Churfuͤrſten fuͤr ſich uñ den andern Staͤn-
den als durch einen Bund einig gewor-
den;
[137]des Teutſchen Reichs.
den; Solten ihm aber ſolche bedingungen
mißfallen/ duͤrffte er dieſe Wuͤrde nur ab-
ſchlagen/ oder den Churfuͤrſten weiſen/ daß
die beſagten Geſetze etwas unbilliges und
ungereimtes in ſich hielten/ welche ſolches
ohne zweyfel alsdenn gerne aͤndern wuͤr-
den. Wenn es dann nun dem Kaͤyſer ein-
mahl gefallen hat/ eine limitirte Macht
anzunehmen/ kan er keine vollkommene
und Koͤnigliche Gewalt uͤber die Staͤnde
mehr begehren; Daferne er aber ſolches
zu thun ſich unterſtehen wuͤrde/ duͤrffen ſie
die Staͤnde ihme ungeſtrafft widerſtehen:
Die veꝛſtaͤndigſten Teutſchen tragen daꝛan
keinen Zweyfel/ daß die Koͤnigliche Macht
nicht in gewiſſen Graͤntzen koͤnne einge-
ſchloſſen werden. Ja ich halte/ es werden
die ſcharffſinnigen Politici nicht laͤugnen/
daß auch eine Gewalt ſey/ welche dem
Haupte eines conf0153;derirten Leibes zu-
komme/ und doch gar weit von dem Koͤ-
niglichen und vollkommenen Gebiet un-
terſchieden ſey.


Sonſten
[138]Vom Zuſtand

§. 4.


Sonſten fludet man bey den meiſten
Teutſchen Scribenten, wenn ſie von der
Capitulation handeln/ entweder eine
ſchaͤndliche Luſt zu ſchmeicheln/ oder eine
groſſe unwiſſenheit der Politiſchen Wiſ-
ſenſchafft. Es hat einer unverſchaͤmter
weiſe ſagen duͤrffen/ daß durch die Capi-
tulation
der Kaͤyſerlichen Gewalt keine
termini geſetzet werden/ ſondern nur ge-
macht/ daß die Kraͤffte des Reichs durch
entwendungen/ verpfaͤndungen und der-
gleichen nicht in abnehmen kommen moͤ-
ge. Ekliche erkennen/ daß dadurch zwar
die Kaͤyſerliche Macht mit gewiſſen
Schrancken umbgeben werde/ und alſo
abſolut, aber nicht die hoͤchſte zu ſeyn
aufſhoͤre/ oder/ wie andern beliebt zu re-
den/ daß ſolche zwar der Vollkommen-
heit/ nicht aber der Hoheit etwas beneh-
me. Welches/ wie es im folgenden Capi-
tel ſol fleiſſiger examiniret werden/ alſo
iſt dieſes nur obenhin allhie zu erinneren/
daß
[139]des Teutſchen Reichs.
daß die jenige betrogen werden/ welche
meynen/ dieſer Streit werde durchaus
auffgehaben durch den unterſcheid zwi-
ſchen den Geſetzẽ/ welche von hoher Hand
gegeben/ als die/ ſo aus gewiſſen Vertraͤ-
gen herruͤhren/ und alſo verbinden. Zu
welcher letzten art ſie die Capitulation
rechnen. Denn daraus wird nur bewie-
ſen/ daß der Kaͤyſer den Staͤnden nicht
unterworffen ſey; nicht aber/ daß er ein
eigentlich ſo genantes Gebiet uͤber ſie ha-
be: Denn daß einer das hoͤchſte Gebiet
habe/ iſt nicht genug/ daß er keinen uͤber
ſich erkenne/ ſondern es wird erfodert/
daß die andern des Kaͤyſers Befehl ohne
weigerung und heraus forderung gehor-
chen muͤſſen. Viel weniger iſt das ge-
nug/ daß einer der hoͤchſte in betrachtung
ſeines Regiments ſey: Glẽich als wenn
in unſerm Regiment der Hertzog zu Ve-
nedig nicht der Hoͤchſte waͤre/ deme doch
niemand das hoͤchſte Gebiet hat zuſchrei-
ben duͤrffen: Denn uͤber dem/ daß in den
Ariſto-
[140]Vom Zuſtand
Ariſtocratiſchen und Democratiſchen
Regimentern eigentlich ſo genante Fuͤr-
ſten gefunden werden/ welche man fuͤg-
lich die Hoͤchſten in ihrem Regiment
nennen ſolte; Kan ſich auch in den ver-
ſamlungen der vereinigten ein maͤchtiger
finden/ und dem die vorſorge der gemei-
nen Wolfahrt ſonderlich anbefohlen ſey/
welcher zwar im ſelben Corpore fuͤglich
der Hoͤchſte mag genennet werden/ ob er
gleich uͤber ſeine veꝛeinigte kein eigentlich
Gebiet habe/ oder ſie als Unterthanen
nicht gebrauchen koͤnne; Aber ich halte/
es werde beſſer ſeyn/ zur gegenwaͤrtigen
Sache gleichſamb zu kommen/ und ab-
ſonderlich zu betrachten/ was dem Kaͤy-
ſer wegen der hoͤchſten Macht des Reichs
zukomme: Dann wo einer das nicht
weiß/ wird er gar naͤrriſch und verwegen
von der Teutſchen Regiment urtheilen.
Wir wollen aber hie vielmehr der Ord-
nung folgen/ welche mit der natur und
art des Reichs uͤberein kommt/ als in al-
lem den Reguln der civil wiſſenſchafft.


Wollen
[141]des Teutſchen Reichs.

§. 5.


Wollen demnach anfangẽ von der ver-
ordnung der Obrigkeiten/ welche in einem
jeglichen Regiment bey der hoͤchſtẽ Herr-
ſchafft ſtehet; welcher Herrſchafft/ wo
endlich die jenigẽ Dinge zugerechnet wer-
den/ welche von den Obrigkeiten anders
verrichtet worden/ iſt vonnoͤthen/ daß die
hoͤchſte Herrſchafft ihre Thaten exami-
ni
ren koͤnne/ und wo ſie etwas verſehen/
ſie vom Dienſt ſetzen/ oder auff andere
weiſe ſtraffen. Es iſt kein Zweyfel/ daß
dieſe Macht dem Kaͤyſer in ſeinen Erb-
laͤndern unverletzt zukomme; Aber von
dem uͤbrigen Reich wird ſolche ſtreitig ge-
macht. Wir haben zwar oben geſagt/
daß die Hertzogen nñ Graffen in Teutſch-
land eigentlich ſo genante Obrigkeiten
geweſen ſeyn; welches Wort ſie hente zu
Tage fuͤr die hoͤchſte injuria halten wer-
den/ und wird kein Fuͤrſt in Teutſchland
zugeben/ daß der Kaͤyſer durch das ſei-
nem Gebiet unterworffene Volck guber-
nire/
[142]Vom Zuſtand
nire/ oder/ daß ſeine Unterthanen dem
Kaͤyſer zugehoͤren; ob ſie gleich ſonſten
mit hoͤchſt hoͤfflichen/ Worten ihren de-
muͤtigſten Gehoꝛſam gegen demſelben be-
zeugen. Und ob gleich eine erbliche Obrig-
keit im Reich wol ſeyn koͤnne/ wird doch
das Reich uͤber ihn als ſeinen Diener/
das hoͤchſtr Recht unverletzt behalten.
Aus dem nachfolgenden wird die gantze
Sache klaͤrer werden; Kandemnach der
Kaͤyſer einem den Titnl eines Fuͤrſten
oder Graffen des heiligen Roͤm. Reichs
beylegen; aber das Recht eine Stimme
auff dem Reichstage zu haben/ kan er
ohne der andern Staͤnde bewilligung
nicht geben. Conf. artic. 44. capit. Leo-
poldinæ.
Und weil die jenigen ver geblich
den Fuͤrſten Titul fuͤhren/ ſo keine zu ſol-
cher Wuͤrde gehoͤrige Laͤnder haben/ iſt
in dem artic. 30. capit. Leopold. verſe-
hung gethan/ daß der Kaͤyſer dieſe novi-
tios
durch die vacirende Lehen nicht be-
reichern koͤnne. Es iſt vornemlich eine
zwie-
[143]des Teutſchen Reichs.
zwiefache Urſache dieſer Verordnung/
die eine/ damit nicht alle vacirende Lehen
durch das Haus Oeſterreich weggenom-
men wuͤrden/ welches ſchiene/ daß es ſich
oder die ihm unterwuͤrffig nicht veꝛgeſſen
werde/ nach dem ihm die Macht uͤberlaſ-
ſen/ mit ſolchen Lehen andere wieder zu be-
legen; Die andere/ daß endlich Teutſch-
land ſeinem Kaͤyſer etwas neben dem Ti-
tul zueignen koͤnne/ wodurch er die Unko-
ſten ſolcher Hoheit außſtehen moͤge; da-
mit nicht bey der Wahl vornemlich auff
die Guͤter geſehen werde; von ſeinen eige-
nen Laͤndern aber dem newgemachten
Fuͤrſten ein ſolchem Titul wuͤrdiges Erb-
theil zu zueignen/ und ſolches andeꝛn Fuͤr-
ſtenthuͤmern in Teutſchland gleich zu
machen/ halte ich/ werde die in der Ver-
nunfft gegruͤndete Freygebigkeit uͤber-
treffen. Einen frembden und von keinem
hoͤhern dependirenden Fuͤrſten unter die
andern in Teutſchland auffzunehmen/ iſt
dem Kaͤyſer kaum zugelaſſen; Wenn
aber
[144]Vom Zuſtand
aber ja einer ſeinen Zuſtand verringern
wolte/ wo ſolte der auff dem Reichstage
ſitzen? Denn der wird ſich ſchaͤmen unten
an zu ſitzen/ uñ die alten Fuͤrſten in Teutſch-
land werden keinem weichen/ es ſey denn
daß er ein Koͤnig ſey. Umb die außlaͤndi-
ſche Staͤdte in die Zahl der Reichs Staͤdte
in Teutſchland aufzunehmen/ wird es nicht
ſo groſſe ſchwirigkeit ſetzen; denn ſie ſind
nicht ſo Ehrgeitzig als die Fuͤrſten/ und koͤn-
te leichtlich von Buchhorn/ und derglei-
chen zierlichem Staͤdtigen erhalten wer-
den/ daß es duꝛch tapffere verthaͤtigung ſei-
nes Orts das auffnehmen des Teutſchen
Reichs nicht verhinderte. Daß ſich aber
eine Frey Stadt zu den Teutſchen geſellen
wolle/ ſcheinet kaum zu geſchehen/ ehe ein
oder ander von den umbliegenden Regi-
mentern zerſtoͤret werde; Von denen
Staͤdten aber in Teutſchland/ ſo jetzo den
Staͤnden unterworffen/ wird dem Kaͤyſẽr
nicht vergunt/ einige zur Kaͤyſerlichẽ Frey-
ſtadt zu machen.


Viel-
[145]des Teutſchen Reichs.

§. 6.


Vielweniger aber ſtehets allein bey dem
Kaͤyſer einem die Fuͤrſtliche Wuͤrde zu be-
nehmen/ oder jemand von den Staͤnden
auß ſeinen Laͤndeꝛn zu verſtoſſen/ auch nicht
einmahlwegen eines wider das Regiment
begangenen Laſters/ in einer groſſen Ubel-
that aber bedarff er nur der Churfuͤrſten
bewilligung/ ehe er den Verbrecher mit der
verweiſung beſtraffet. Vid. art. 28. capit.
Leopold.
Nemlich/ es hat ihnen gefal-
len zu verhuͤten/ daß nicht alsbald der jeni-
ge/ welcher ſich vielleicht in privat Sachen
des Kaͤyſers verſehen/ als ein Feind
des gemeinen Regiments geſtrafft wuͤrde.
Ja es erinnerten auch etliche Staͤnde ſehr
kluͤglich bey eben dieſem 28. artic. indent
die Capitulation zu Franckfurt gemacht
wurde/ daß außdruͤcklich ſolte hinein geſe-
tzet weꝛdẽ/ wie die exſecution des Urtheils
wider die verwieſenen nach den beſtetigten
Geſetzen geſchehen ſolle/ durch die Glieder
des Craͤyſes/ in welchem ſolche ſich auff-
hielten; Denn wenn der Kaͤyſer ſelbſt das
HUr-
[146]Vom Zuſtand
Urtheil vollziehen ſolte/ koͤnte geſchehen/
daß er der verwieſenen Laͤnder unter dem
ſchein der dadurch gemachten Unkoſten/
an ſich zoͤge/ und wuͤrde vielleicht anmu-
thig ſeyn/ ſo ſtrenge Urtheil zu faͤllen/ weñ
ſie zu des Richters Nutzen außſchluͤgen;
Sonſten kehret ſich der Kaͤyſer wenig dar-
an/ wie ein jeglicher von den Staͤnden ſei-
ne Unterthanen tractire/ ob er ſeine Schaͤf-
gen beſchere/ oder ihnen gar das Fell uͤber
die Ohren ziehe: Denn unter das vor-
nehmſte/ ſo er mit einem Eyde verſpricht/
iſt auch/ daß er einem jeglichen von den
Staͤnden ſeine Rechte und Privilegien
erhalten/ und in deren uͤbung keinem be-
ſchwerlich ſeyn wolle. Und thun ſich vor-
nemlich die Teutſchen Staͤnde mit dieſem
Rechte hervor/ daß ſie ihre Unterthanen
entwedr nach eigenem gutduͤncken/ oder
wie ſie mit ihnen ſind einig worden/ regie-
ren koͤnnen. Vid. art. 3, 7. 8. 9. capit.
Leopold.
Es iſt auch gar wenig/ was der
Kaͤyſer den Unterthanen der Staͤnde ohne
Mit
[147]des Teutſchen Reichs.
Mittel gebieten kan/ als daß er ſie Zeugniſ-
ſes oder Streitſachen halber auff fordern
koͤnne/ ohne einiger huͤlffe des Rechtens/ in
den citirungen/ die er unter ſeinem Nah-
men außgiebet; Die Unterthanen aber der
Staͤnde mit Geſchencken und Privile-
gien
zu belegen/ ſtehet dem Kaͤyſer frey;
doch alſo/ daß dem Recht der Staͤnde uͤber
ſie nichts abgehe. Ob wol die Kaͤyſerliche
Freygebigkeit faſt in den Tituln wider ſie
beſtehet.


§. 7.


Laſſe uns ferner ſehen/ was der Kaͤyſer
uͤber die Guͤter der Staͤnde zu gebieten ha-
be/ wie weit ſie nemlich zu erhaltung des
Regiments zu Friedens und Krieges zei-
ten contribuiren muͤſſen. So viel mir
bewuſt/ gehoͤren alle Zoͤlle/ außerhalb des
Kaͤyſers Laͤndern/ nur etliche wenig oͤrter
außgenommen/ den Staͤnden zu/ welche/
damit ſie nicht durch uͤbermaͤſſige verſtei-
gerung der Zoͤlle/ die Commercien unter-
druͤcken/ hat der Kaͤyſer zugeſagt/ er wolle
H ijſolches
[148]Vom Zuſtand
ſolches abwenden. art. 21, 22. 23. cap.
Leopold.
Es iſt ihm auch nicht vergoͤn-
net newe Zoͤlle in den Laͤndern der Staͤnde
auffzulegen. So etliche andere dem Kaͤy-
ſer ausdem Reich gegeben werden/ die ſind
nicht von groſſer Wichtigkeit/ oder kom̃en
auff die Cantzeley bediente/ welche vornem-
lich aus der ernewerung der Lehen groſſen
Gewinn haben. Vid. art. 17. cap. Leo-
pold.
Daß von dem Kaͤyſer Tribut an-
geſagt werde/ iſt den Teutſchen unerhoͤret;
Und pflegen die Staͤnde nichts gewiſſes
zur Nothdurfft des Regiments zu geben/
ohne was zur erhaltung der Kammer zu
Speyer verorduet wird/ wiewol auch die-
ſes wenige mit zimlichem Verdruß von
vielen gezahlet wird. Vor zeiten wenn der
Kaͤyſer gen Rom die Kron zu holen reyſe-
te/ muſten auch die Staͤnde 4000. Reuter
und 20000. Fußknechte bewehren und
unterhalten; Weil aber ſolche Roͤmiſchn
Zuͤge ſchon vorlaͤngſt auffgehoͤret/ dienen
die deßwegen gemachte Außſchreibun-
gen
[149]des Teutſchen Reichs.
gen darzu/ daß wenn man vielleicht etwas
auſſer der Ordnung conferiren muͤſſe/
man alsbald wiſſe/ was einem jeglichen
von den Staͤnden zukomme. Ob wol auch
bey dieſen uͤber die ungleiche außtheilung
von vielen geklaget wird/ indem etlicher
Guͤter mit der zeit ab/ etlicher aber zuge-
nommen. Zum Tuͤrckiſchen Kriege iſt den
Teutſchen ein groß Gelt aufferleget/ und
pfleget deſſelben Schrecken dem ein faͤltigen
Voͤlcklein ſo wol den Leib als den Beutel
leichter zu machen. Aber es iſt auch hier
den Staͤnden nichts durch ſtreng Ge-
bot abgefordert. Solches iſt auff dem
Reichstage oder durch die herumb ge-
ſchickte Geſandten alles erhalten worden/
und das ſo viel leichter/ weil dieſes etlichen
Fuͤrſten nuͤtzlich geweſen/ indem ſie ein
theil dieſes extraordinar Tributs vor ſich
behalten.


§. 8.


Nach dem die Macht des Reichs auff-
gehoben/ iſt nunmehr die Freyheit Krieg
H iijzu fuͤh-
[150]Vom Zuſtand
zu fuͤhren und Frieden zu halten enge ge-
nug eingeſchrencket. Es koͤnnen zwar die
Oeſterreichiſchen Erblaͤnder ein maͤchti-
ges Kriegesheer unterhalten/ daß ſie aber
auch ſehr wuͤrden außgeſchoͤpffet werden/
wenn ſie die Laſt allein tragen ſolten/ iſt
gnugſamb am Tage. Wo demnach die
Staͤnde nicht eben ſo wol zum Kriege/ als
zu den Unkoſten/ die ſie dazu anwenden
muͤſſen/ werden gewilliget haben/ kan ſich
der Kaͤyſer wenig ihrer Huͤlffe getroͤſten;
Und wie ſie ihn ſonſten/ wenn er von an-
dern angefeindet wird/ nicht zu verlaſſen
pflegen; Alſo leiſtet niemand einem/ der
von ſich ſelbſt andere bekrieget/ beyſtand/ es
ſey denn/ daß er mit de[m] Hauſe Oeſterreich
ſonderliche Verſtaͤndniß habe. Es iſt viel-
mehr den Staͤnden zutraͤglich zu verhin-
dern/ daß er keinen andern bekriege/ nicht
allein darumb/ weil durch ſolche Gelegen-
heit gantz Teutſchland in Unruhe kan geſe-
tzet werden/ ſondern auch/ weil ihnen der
Sieg des Kaͤyſers ſelbſt wenig angenehm
ſeyn
[151]des Teutſchen Reichs.
ſeyn wird/ in dem ſeine Macht zu ſehr da-
durch zunimpt/ welche ſie doch ihrer Frey-
heit ſchwer zu fallen vielleicht nicht unbil-
lich ſich befuͤrchten. Vid. art. 13. 14. \&
16. capit. Lcopold.
Wie auch die Macht
des Kaͤyſees bey den Veꝛbuͤndniſſen zu ma-
chen reſtringiret ſey/ lehret der 10. artic.
derſelben capitulation. Woſelbſt ich mich
nicht unbillich verwundere/ warumb dem
Kaͤyſer zwar unter einigem ſchein jemand
zu bekriegen/ oder mit Außlaͤndern Ver-
buͤnduiß zu machen/ verboten wird/ nur
ohne der Churfuͤrſten bewilligung; da
doch newlich bey uns gemeldet worden/
daß viel Fuͤrſten und Churfuͤrſten eine
Verbuͤndniß gemacht/ einen hauffen
diebiſcher Straſſenraͤuber zu ſich gezo-
gen/ und der Chur Pfaltz Laͤnder angegrif-
fen/ damit ſie etliche von ſeinen Rechten
die ihnen unangenehm waren/ uͤberkom-
men moͤchten/ und daß ſie bey dieſem Krie-
ge allein ſeyn zu frieden geweſen/ daß ſie
dem Kaͤyſer oben hin/ uñ nicht ohne Frech-
H iiijheit
[152]Vom Zuſtand
heit durch Brieffe zu verſtehen geben/ was
ihr Vorhaben war. Daß gleichsfals ein
anderer Biſchoff auff ſein eigen angeben
die ihm benachbarte Hollaͤnder bekrieget
habe/ durch welchen Krieg leichtlich ein
groß theil Teutſchlandes haͤtte koͤnnen ver-
unruhiget werdeu. Und dieſes iſt alles be-
gangen bey waͤrendem nñ bloß zu ſchawen-
dem Reichstage: Denn das iſt ſchon laͤngſt
zur gewonheit worden/ daß ſich etliche Fuͤr-
ſten mit dem Schweden und Frantzoſen
verbinden/ die ſich doch von langem her
als Feinde oder æmulos des Hauſes Oſter-
reich erwieſen haben.


§. 9.


Laſſt uns auch ſehen/ was der Kaͤyſer im
Geiſtlichen Stande zu ſagen hat: Denn
daß man allhie auch davon handeln muͤſſe/
geben Urſach/ die der newen Theologiæ
ergebene Politici, welche ſich nicht ſche-
wen/ daß Weltliche Regiment fuͤr ein theil
ſolcher Macht zu rechnen/ da man doch bey
den Catholiſchen gewiß dafuͤr haͤlt/ daß es
der
[153]des Teutſchen Reichs.
der Prieſter Guͤtern ſehr ſchaͤdlich ſey/
wo ihm einer neben ihnen in Geiſtlichen
Sachen einige Macht zu diſponiren an-
maſſet/ nnd wo die Layen mit dem Ruhm
der unter dem ſchutz lebenden und berei-
cherten Geiſtlichen nicht wollen zu frie-
den ſeyn.


Als deꝛowegen vormahls keine als Ca-
tholiſche Gebraͤuche in Teutſchland guͤl-
tig waren/ ohne daß Johan Huß einen
zimlichen anhang in Boͤhmen hatte/ und
die Juden hin und wieder gelitten wur-
den; hat Martinus Luther dem Pabſt
unverhofft groſſen Schaden gethan/ daß
ein von ſchlechten Urſachen herruͤhrender
Zanck ein groß theil Teutſchlanves von
dem Gehorſam des Roͤmiſchen Stuels
abwendig gemacht. Wo man die War-
heit ſagen darff/ hat Urſach gegeben/ daß
ein kleiner Funcke zu ſolcher Feursbrunſt
gedien/ ſo wol die ungelahrtheit der jeni-
gẽ/ ſo ſich dẽ Luthero erſt widerſetzet/ als
die unvorſichtige præcipitantz und uͤber-
H veilung
[154]Vom Zuſtand
eilung des Pabſtes Leonis X. Nemlich
es zancketen ſich zwey elende Bruͤdergen
unter einander/ deren es dem einen umb
die Gottesfurcht/ dem andern umb der
Prieſter Gewinn mehr zu thun zu ſeyn
ſchiene. Anfangs hielten ſie alle beyde des
Pabſts Anſehen in ehren; da haͤtte ſich
ein verſtaͤndiger Richter bey beeden Thei-
len ſchicken/ oder beeden bey zeiten ein ſtill
ſchweigen aufferlegen ſollen/ damit nicht
ſolcher Handel bey dem Poͤbel in arg-
wohn geriethe. Man haͤtte nicht ſo of-
fentlich mit den Kraͤmern halten ſollen/
daß man nicht meynen moͤchte/ man truͤ-
ge mehr ſorge fuͤr des Pabſtes Beutel/ als
fuͤr der Menſchen Seligkeit/ oder als weñ
er lieber Geld fuͤr die Suͤnde nemen wol-
te/ als dieſelbige verbieten. Und wuͤrde
den andachtloſen Leuten gelegenheit zu
argwohnen an die Hand gegeben/ als weñ
die Prieſter gleiches Wunſches waͤren
mit den Artzten und Wundaͤrtzten/ wel-
che von den Wunden und Kranckheiten
der
[155]des Teutſchen Reichs.
der Menſchen ihren Nutzen haben/ und
darff niemand glaͤuben/ daß ſie es ſo gut
mit ihnen meynen. Wenn das aber naͤr-
riſch und unverantwortlich gehandelt
war/ zum nachtheil der Kirchen recht zu
ſprechen/ haͤtten ſie den ſo eyferigen Men-
ſchen mit Geſchencken oder Verheiſſun-
gen erweichen ſollen/ damit er nicht den
Layen der Prieſter Joch vom Halſe zu
werffen anlaß geben moͤchte. Und weil
die meiſten durch Ehrgeitz oder Geſchen-
cken zu den geiſtlichen Emptern gelanget/
halte ich es waͤre ein groſſes Werck ge-
weſen/ einen Muͤnch mit Purpur zu klei-
den/ damit er ſich nicht umb die Roͤmi-
ſche Kirche ſo uͤbel veꝛdient machen moͤch-
te. Denn als dieſer Martinus merckte/
daß er bey den Prieſtern nichts billiges
erhalten wuͤrde/ hat er ſich die Layen auff
ſeine ſeite zu bringen bemuͤhet/ daher hat
er den Pabſt/ der ſich nun offentlich der
Sachen theilhafftig gemacht/ nicht fuͤr
einen Richter erkennen wollen/ und da-
H vjmit
[156]Vom Zuſtand
mit es ihm nicht an Patronen ermangeln
moͤchte/ hat er angefangen zu lehren/ daß
die vorſorge der Kirchen zu den Weltli-
chen Fuͤrſten/ oder die ihnen an Macht
gleich ſeyn/ gehoͤre/ und weil ſie ſehen/ daß
durch die Guͤter/ ſo die Vorfahren zu
gottſeligen Gebraͤuchen verordnet/ der
Geiſtlichen faulheit und ſchlemmerey er-
halten werde/ waͤre es billich/ daß ſolche
muͤſſige Thiere von ihrẽ Maſtkoben auß-
geſtoſſen wuͤrden. Dieſes iſt von vielen
mit groſſer begierde angenommen/ zum
theil weil das meiſte der Warheit aͤhn-
lich ſchiene/ zum theil auch/ weil ſie ver-
hofften/ ihre Einkuͤnffte wuͤrden dadurch
verbeſſert werden. Es war auch das Ge-
ruͤcht erſchollen/ die einfaͤltige Teutſchen
wuͤrden von den unſerigen vexiret/ indem
daß vor ihre Suͤnde gezahlte Gelt zum
Bretſpiel/ Schwelgerey/ oder den Geitz
der Paͤbſtlichen Freundſchafft zu erſaͤt-
tigen angewand wuͤrde. Es ward auch
das Sprichwort Martini V. wiederho-
let/
[157]des Teutſchen Reichs.
let/ welches einem Seelen Hirten trefflich
wol anſtehet; er moͤchte wuͤnſchen ein
Storch zu werden/ wenn nur die Teut-
ſchen in Froͤſche verwandelt wuͤrden Und
die den Roͤmern vorhin ſo tapffer wider-
ſtanden/ ſeufftzeten/ daß ſie die Religion
zu erhalten/ von einem ſchwachen Volck
gar Hew zu freſſen gezwungen wuͤrden.
Und ich weiß nicht/ wie viel auch dazu ge-
holffen die wiedereinfuͤhrung der freyen
Kunſte/ daß dieſe newe Lehre mit ſolcher
Luſt angenommen wuͤrde. Denn es iſt
bey den Gelehrten gemein/ daß ſie das je-
nige nicht leichte glaͤuben/ was der Ver-
nunfft zu wider ſcheinet.


§. 10.


Durch dieſe Gelegenheit iſt ein groß
theil der Gebraͤuche/ und welche dogma-
ta
den newen Lehrern uͤberfluͤſſig zu ſeyn
ſchienen/ bey vielen Teutſchen Voͤlckern
abkommen/ und ſind zugleich die Geiſt-
lichen hin und wiedeꝛ von den Geiſtlichen
Guͤtern verſtoſſen. Als den Einnehmern
H vijviel
[158]Vom Zuſtand
viel Streitigkeiten uͤber dieſe Guͤter bey
der Kammer gemacht wuͤrden/ und die
Kam̃er den Geiſtlichen geneigter zu ſeyn
ſchiene/ wolten die der newen Religion
zugethan/ welche man ſonſt die Proteſti-
rende nennet/ die juriſdiction der Kam-
mer nur in dieſem ſtuͤck nicht erkennen;
Denn ob gleich ſonſten die Geſetze vor al-
len dingen wollen/ daß den beꝛaubten das
jhrige wieder zugeſtellet werde; So wei-
gerten ſich doch die Proteſtirende nicht
ohne Urſach/ mit vorgeben/ man ſolte zu-
vor in einem gemeinen und rechtmaͤſſigen
Concilio oder andern oͤffentlichen Ver-
ſamlung auſſagen/ daß die verſtoſſene
Geiſtlichen die wahre Religion haben.
Wo dieſes nicht bewieſen wuͤrde/ welches
ſie ihnen einbildeten/ begehrten ſie unver-
ſchaͤmter weiſe die Guͤter zu genieſſen/
welche von den Vorfahren zum wahren
Gottesdienſt geweihet waren; Deñ weil
ſie allein durch rechtmaͤſſige Gruͤnde und
proteſtiren oder einwendungẽ nit ſicher
zu ſeyn
[159]des Teutſchen Reichs.
zu ſeyn vermeynten/ machen die meiſten
eine Verbuͤndniß/ welche ſie die Schmal-
kaldiſche nennen/ ſich der Gewalt/ ſo ihnen
wegen veraͤnderung der Religion gedre-
wet/ zuwider ſetzen. Darauff iſt es zum
Kriege gedyen/ und weil ſolcher auff der
Proteſtirenden ſeite keinen gluͤcklichen
fortgang gehabt/ indem der Churfuͤrſt zu
Sachſen und Landgꝛaff zu Heſſen gefan-
gen worden/ ſchien auch ihre Religion
zimlich zu wackeln. Biß durch des Mau-
ritii
zu Sachſen Waffen ihre Macht
wieder zu beſſern Kraͤfften kommen/ und
der Vertrag zu Paſſau gemacht wurde/
deſſen Puncten hin und wieder bey den
Teutſchen Scribenten zu finden ſeyn.


Nachmahls aber iſt auff dem Reichs-
tage/ ſo zu Augſpurg An. 1555. gehalten
fuͤr der Religion der Proteſtirenden herꝛ-
liche vorſehung gethan/ durch den Friedẽ/
welchen ſie den religions oder geiſtlichen
nennen/ der als ein offentliches Geſetz ge-
macht worden; Da hat man ſich vor-
nem-
[160]Vom Zuſtand
nemlich vereiniget/ daß die Parteyen un-
ter ſich wegen deꝛ religion einandeꝛ nicht
angreiffen/ ſich beleidigen/ oder ſolche zu
verſchweren mit Gewalt treiben ſolten.
So etliche geiſtliche Guͤter/ die keinem
von den unmittelbahren Staͤnden gehoͤ-
ret/ von den Weltlichen Staͤnden einge-
nommen waͤren/ wenn nur die Geiſtlichen
zur Zeit des Paſſawiſchen Vertrags/
oder mitlerweile ſolche nicht inne gehabt/
ſolten ſie ihren Beſitzern gelaſſen werden/
und ſolte doch deßwegen die Kammer den
Einnehmern kein Recht ſprechen. Der
Geiſtliche Gerichtszwanguͤber die Bunds-
genoſſen der Augſpurgiſchen Confeſſion
ſolle auffgeſchoben/ und ihnen in Geiſtli-
chen Sachen zu diſponiren freye Macht
gelaſſen werden. Keiner ſolle des andern
Unterthanen zu ſeiner Religiou ziehen/
noch ſie wegen der Religion zu beſchuͤtzen
ſich unterfangen. Den Unterthanen aber/
die nicht einerley Ceremonien mit ihrem
Oberherrn haͤtten/ ſolle verguͤnt ſeyn/ ihre
Guͤter
[161]des Teutſchen Reichs.
Guͤter zu verkauffen/ und anderswo hin
zu ziehen. Wo der Religions Streit durch
zulaͤſſige Mittel nicht beygeleget werde/ ſolle
dieſer Friede in Ewigkeit waͤren.


§. 11.


Man hat aber hefftig druͤber geſtritten/
daß den Catholiſchen Geiſtlichen verguͤn-
ſtiget wuͤrde bey annehmung der Augſpur-
giſchen Confeſſion, neben ihrer Wuͤrde
auch zugleich die geiſtliche Laͤnder zu behal-
ten. Und gaben die Proteſtirende embſig
vor/ es wuͤrde ihrer Religion zum groſſen
Schimpff gedeyen/ wenn man zwar der-
ſelben Profeſſion und Wuͤrde annehme/
die Guͤter aber abſtehen muͤſſe. Es wurde
vielen dadurch der zugang zu der reinen
Lehre verſperret. Die haͤtten gar nicht im
Sinn/ die geiſtlichen Laͤnder zu profan
Nutzen anzuwenden/ oder den Capituln
die freye Wahl zu benehmen. Weiln es
aber gnugſamb am Tage war/ daß durch
dieſe Freyheit die Catholiſche Religion
in Teutſchland in Gefahr gerathen wuͤrde/
haben
[162]Vom Zuſtand
haben ſich auch die Catholiſche Staͤnde ih-
nen eben ſo hart widerſetzet/ und auff des
K. Ferdinandi verguͤnſtigung erhalten/
daß auch dieſe Clauſul zu dem religions
Frieden zugethan wuͤrde. Si elericus ad
proteſtantium religionem transeat,
beneficia quæ habuit Eccleſiaſtica per-
dat, ſalvâ tamen exiſtimatione
.
Das
iſt: Wenn ein Geiſtlicher zu der Proteſti-
renden Religion tritt/ ſol er die geiſtliche
Beneficien, ſo er genoſſen/ abſtehen/ ſeinen
guten Namen aber behalten. Ob wol die
Proteſtirende zu der Zeit/ und etliche mahl
hernach/ vornemlich in der Coͤllniſchen
Sache/ uͤber dieſe Clauſul geklaget/ und
vorgewand haben/ daß ihnen ſelbige nicht
angehe.


§. 12.


Dieſer Friede aber hat alle ſtreitigkeiten/
ſo auß dem unterſcheid der Religion ent-
ſtanden/ nicht auffheben koͤnnen: Denn es
riſſen ſich auch die der neuen Religion zu-
gethan ſelbſt in zwey theile/ da die meiſten
zwar
[163]des Teutſchen Reichs.
zwar fchlechter Dinge bey den Worten der
Augsburgiſchen Confeſſion blieben/ an-
dere aber etliche Dogmata noch beſſer ab-
gefaſſet vorzuſtellen vermeinten. Und ob
wol den verſtaͤndigſten dieſe Sache nicht
werth zu ſeyn dauchte/ deßwegen einen
Buͤrgerlichen Krieg anzufangen/ ſeyn doch
die Gemuͤhter ſehr untereinander verbit-
tert/ durch die ungeſtuͤmigkeit der Prediger
und Fuͤndgen der Catholiſchen welchen
die mißhelligkeit der Wiederſacher zur Vi-
ctoria
ſehr dienlich ſeyn wuͤrde. Und als
die jenigen/ ſo weder dem Catholiſchen noch
dem Augſpurgiſchen glauben zugethan/ von
dem Religions Frieden außgeſchloſſen
waren/ bemuͤheten ſich die Catholiſchen
gar liſtig/ daß die jenigen/ ſo der Augſpur-
giſchen Confeſſion zu gethan/ meinen ſol-
ten/ esgienge ſolche den andeꝛn/ die da mein-
ten ſie haͤtten es beſſer getroffen/ gar nicht
an. Ob wol aber dieſe unterſchiedliche mahl
offentlich zeugeten/ Daß man jene wegen
einer uneinigkeit die nicht Hauptſaͤchlich
waͤre
[164]Vom Zuſtand
waͤre von dem Geiſtlichen Frieden nicht
abſondern ſolte/ hat doch der Prieſter Ey-
fer gemacht/ daß eine jegliche Parthey thre
eigene rationes und Sinnligkeiten haͤtte/
und zum Gemeinen beſten nicht viel an-
wandte. Ja wenn ein Theil von den Ca-
tholiſchen gedraͤnget wuͤrde/ daß ander der-
ſelben untergange heimlich zuſahe/ oder
auch huͤlffe darzu ſchickete. Es ſind auch
nachmals andere Urſachen der Zwietracht
entſtanden/ biß endlich in Boͤhmen das
Fewr angangen/ wodurch ſchier das gan-
tze Teutſchland in Brand gerathen Als in
ſolchem Kriege das Gluͤck anfangs dem
Kaͤyſer uͤber verhoffen guͤnſtig geweſen/
und er ſchon ein groß theil Teutſchlandes
bezwungen hatte/ laͤſſet er endlich im 29.
Jahr dieſes Seculi ein Gebot außgehen/
daß die jenige Geiſtliche Guͤter wieder ſol-
ten reſtituiret werden/ ſo nach dem Paſſa-
wiſchen Vertrage die Weltlichen einge-
nommen haͤtten. Die geheime Urſach
des Gebots war dieſe/ damit der Kaͤyſer
die
[165]des Teutſchen Reichs.
die Prieſter und andere Catholiſche Staͤn-
te auff ſeine Seite bringen/ und ihnen ein-
bilden moͤchte/ wie das jenige was er vor
haͤtte/ fuͤr der Religion, und nicht der
Staͤnde recht zu unterdruͤcken/ vorgenom-
men werde; Wenn er aber durch dieſer
Huͤlffe/ oder/ daß ſie ihm nur nicht zu wi-
der waͤren/ die Proteſtirende bezwungen
haͤtte/ waͤre es hernach leichte/ auch die
anderen nach ſeinen Willen zubringen.
Es iſt aber bekant/ was dieſes vornehmen
fuͤr einen Außſchlag gewonnen. Endlich
iſt in dem Oßnabruͤggiſchen Frieden we-
gen der Religion weitlaͤufftig Vorſe-
hung gethan/ in dem 5. Articul allwo der
Paſſawiſche Vertrag und Religions
Friede vom neuen bekraͤfftiget/ und auß-
druͤcklich geſetzet/ daß auch ſolcher die Re-
formirte,
oder Calviniſten/ wie man ſie
nennet/ angehe. Es iſt hinzu gethan/ daß
das jenige/ was nach dem 1. Januarij
des 1624. Jahrs in Geiſtlichen Sachen
wie auch in deren betrachtung in politi-
ſchen
[166]Vom Zuſtand
ſchen geaͤndert worden/ in den jenigen
Stand wieder ſolle geſetzet werden/ worin
es zu beſagter Zeit geweſen; daß alſo die
Geiſtliche Guͤter/ welche damals die Ca-
tholiſchen inne hatten/ und unterdeſſen von
den Proteſtirenden eingenommen/ ihnen
wieder ſollen zugeſtellet werden/ deßglei-
chen den Proteſtirenden/ was ihnen mit-
lerweile die Catholiſchen abgenommen.
Daß die proteſtircnde unmittelbahre
Geiſtliche Guͤter welche ſie zu bemelter
Zeit beſeſſen/ jmmer behalten ſollen; daß
das Recht die Religion zuaͤndern/ welches
vorhin den Staͤnden frey zu zuſtehen ſchie-
ne/ alſo ſolle eingezogen werden/ daß die
Unterthanen der Catholiſchen Staͤnde/ ſo
der Augſpurgiſchen Confeſſion zu ge-
than/ welche im Jahr 1624 die freye uͤ-
bung der Religion gehabt/ ſolche behalten
ſollen; die darin waͤren verhindert worden
wieder ſollen reſtituiret werden; Die ſol-
ches im gedachtem Jahre nicht gehabt/ ſol-
len ihr Gewiſſen frey haben/ aber doch ih-
ren
[167]des Teutſchen Reichs.
ren Gottesdienſt entweder in ihren Haͤu-
ſern/ oder in benachbaꝛten Oꝛten veꝛrichten.
Wo ſie aber der Herr des Territorii weg
zuziehen befiehlet/ ſol es ihnen frey ſtehen
die Guͤter zuverkauffen/ oder durch ihre
Diener ſolche zuverwalten. Etwas hat
auch der Kaͤyſer ſeinen Unterthanen den
Proteſtirenden Fuͤrſten zugefallen nach
gegeven. Uber dem iſt auch vorſehung ge-
than/ daß/ wo hernachmahls ein Fuͤrſt ſei-
ne Religion aͤndern wuͤrde/ es ihm unge-
ſtrafft frey ſtunde/ und auch Prieſter ſei-
ner Religion am Hoffe bey ſich haben
koͤnne; Seine Unterthanen aber ſoler zu
ſeiner Religion nicht mit Gewalt zwingen
ſondern bey der angenom̃en bleiben laſſen.
Ob es wol auch dieſen vergunt iſt ihres
Herren Glauben freywillig anzunehmen;
Uber dem iſt zu mercken/ daß dieſe Freyheit
der Religion gemacht ſey nach der art ei-
nes Bundes zwiſchen gleichen auffgerich-
tet/ und in welchem es der Kaͤyſer ſelbſt mit
der einen Parthey haͤlt; Daß auch weder
dem
[168]Vom Zuſtand
dem Kaͤyſer noch den andern Catholiſchen
Staͤnden/ ob ſie vielleicht gleich mehr ſeyn/
als die von der andern Parthey/ allhie et-
was zu aͤndern vergunt ſey. Es iſt aber
auch dieſes offenbahr/ daß es die Proteſti-
ren
de Staͤnde allhie beſſer haben als die
Catholiſche/ weil dieſe von dem Pabſte de-
pendi
ren; jene aber uͤber ihre Geiſtliche
guͤter uach eigenem belieben ſchalten und
walten moͤgen. So doch einige vorſorge der
Geiſtlichen Guͤter dem Weltlichen Regi-
ment durch die Decreta der Chriſtlichen
Religion angehen koͤnne/ iſt am Tage/
daß nur auff dieſe weiſe der Prieſter anſe-
hen verringert werde. add. artic. 1. \& 19.
capitul. Leopold
.


§. 13.


Wir kommen auff die Macht Geſetze
zu geben/ wem ſolche zukomme/ wird klaͤrer
erhaͤllen/ wenn wir verſtehen/ was Teutſch-
land fuͤr ein Recht gebrauche/ und wo ſol-
ches hergefuͤhret. Woſelbſten uns Her-
mannus Conring
in einem gelehrten
Tractat
[169]des Teutſchen Reichs.
Tractat, de origine juris Germanici,
den Weg gebahnet/ welchem wir allhie faſt
nachfolgen. Der jetzt geruͤhmte Conring
aber iſt etwas weitlaͤufftigtig in der wider-
legung der gemeinen meynung/ als wenn
das Roͤmiſche Recht auff befehl Lotharii
zu Sachſen umb das Jahr Chriſti 1130.
zugleich in Schulen und Cantzeleyen ſey
auffgenommen; Und weiſet/ daß die Ge-
richte in Teutſchlaud biß auff das 13. Se-
culum
nicht ſo wol aus dem geſchriebenen
Recht/ als aus den angenommenen Ge-
braͤuchen herruͤhren; oder daß ſie nach
froͤm̃- und billigkeit Recht geſprochen/ und
das zu privat Sachen keine gelahrte Rich-
ter erwehlet ſeyn/ ſondern die ſo wegen ih-
res alten Verſtandes/ Gottesfurcht und
Gerechtigkeit beruͤhmet waren/ da die mei-
ſten von dem gemeinen Volcke weder leſen
noch ſchreiben kunten. Ferner iſt im 13-
Seculo das jus canonicum oder geiſtli-
che Recht in Teutſchland eingeſchlichen/
und ſeyn darnach nicht allein die Geiſtliche
Jſon-
[170]Vom Zuſtand
ſondern auch weltliche Sachen geurtheilet
werden. Ob gleich viele von ihren alten
Gebraͤuchen nicht abzubringen waren.
Umb die Zeit ſind auch die alten Gebraͤuche
in Schrifften verfaſſet/ unter welchen fuͤr
die vornehmſten gehalten werden die Luͤ-
beckiſchen Geſetze/ und das Magdebur gi-
ſche Recht/ welches in Teutſcher Sprache
Weichbild genennet wird. Jmgleichen der
Spiegel des Saͤchßſchen und Schwaͤbi-
ſchen Rechts/ wie auch das Saͤchſiſche
und Schwaͤbiſche Lehen Recht. Und
dieſer Rechte hat ſich faſt Teutſchland im
13. und 14. Seculo gebrauchet. Jm 15.
Seculo iſt allgemach das Roͤmiſche Recht/
wie auch das Longobardiſche Lehen Recht
auffkommen/ da die Gelehrten/ welche ſich
bemuͤhet haben/ ihr Kunſtſtuͤcklein auff al-
lerley Weiſe zu erhaltẽ/ ſolches Recht zu der
Fuͤrſten Rechte gezogen/ dannenhero man
auch hin uñ wieder auf die Hohe Schulen
in Teutſchland ſolches zu lehrẽ angefangẽ/
nach dem Exempel/ wie es ſcheinet/ unſerer
Schu-
[171]des Teutſchen Reichs.
Schulen. Welche ſich demnach auff den
Schulen dieſes Rechtens befliſſen/ haben
eben daſſelbe Recht/ weñ ſie auf den Richt-
ſtuel erhoben worden/ allmaͤhlich in die
Cantzeley auffgenommen. Und iſt im Jahr
1495. vom K. Maximiliano I. verordnet/
daß in der Kam̃er zu Speyer aus dẽ Roͤm.
Geſetzen das Recht ſolte geſprochen wer-
den/ da doch die angenommene Gebraͤuche
und abſonderliche Stifftungen ieglicher
Orten in ihrem Anſehen verbleiben ſolten.
Jſt derowegen das Recht/ welches jetzund
in Teutſchland gebꝛaͤuchlich/ gleichſamb ein
miſchmaſch aus dem Roͤmiſchen/ Geiſt-
lichen/ alten Gebraͤuchen und Stifftungen
jeglicher Laͤnder und Staͤdte/ die faſt ſehr
von einander unterſchieden ſeyn. Und
dieſes wird ordentlich vor Gericht in acht
genommen/ daß/ wo eine Land oder Stadt
Stifftung verhanden/ ſolche zu erſt gelten
muß; Wenn aber dieſe nicht zu finden/ ge-
het man zu dem Roͤmiſchen Recht/ ſo weit
ſolches ins gemein angenommen iſt. Es
J ijhaben
[172]Vom Zuſtand
haben aber die Reichs Staͤnde dieſe Frey-
heit/ daß ſie in ihren Laͤndern/ was die civil
Sachen betrifft/ koͤnnen Geſetze geben/ die
von dem gemeinen Recht abgehen/ wie
auch andere zu ihren Nutzen dienliche
Stifftungen machen/ auch ohne des Kaͤy-
ſers Vorwiſſen/ wo ſie nur nichts dem Zu-
ſtande des gantzen Reichs zuwider in ſich
halten. Ob gleich viele gemacht haben/ daß
ihre Land Rechte durch den Kaͤyſer bekraͤff-
tiget werden; Ja ſie koͤnnen auch in cri-
minal
Sachen ſonderliche Geſetze geben/
denn es wird des K. Caroli V. Peinliche
Halsgerichts Ordnung in allem nicht in
acht genom̃en. Es haben auch die Staͤn-
de das Recht den ſchuͤldigen die Straffe zu-
erlaſſen. Wo etwas neues/ das alle ver-
binden ſoll/ beſchloſſen werden muß/ daß
kan nicht als auff dem Reichstage durch
aller bewilligung zugelaſſen werden/ und
wird eben ſo woll der Kaͤyſer als die Staͤn-
de dadurch verbunden. vid. art. 2. capi-
tul. Leopold
.


Die
[173]des Teutſchen Reichs.

§. 14.


Die Gerichte in Teutſchland ſind zu un-
terſchiedlichen Zeiten auch unterſchiedlich
geweſen. Und weil der gelobte Conring
ſehr artig hievon geſchrieben in einem
Tractat de judiciis Germanici lmperii,
von den Gerichten des Teutſchen Reichs/
wollen wir/ die Muͤhe zu verſparen/ daß
vornembſte außſuchen und hieher ſetzen.
Laſſt uns demnach erſt ſehen/ was unter
dem Carolo M. iſt gebraͤuchlich geweſen;
Die Streitigkeiten der Koͤniglichen Fa-
milia
ſo wol unter ſich als wider andere
wurden in der verſamlung der Staͤnde
und des Volcks geſchlichtet/ wie auch die
Sachen der Staͤnde[:] ſo von groſſer Wich-
tigkeit waren. Die geringere Streithaͤn-
del der Staͤnde wurden durch den Koͤnig
oder deſſen Geſandten (denn ſo wurden da-
mahls die jenige genennet/ die man heute
Commiſſarien, Viſitatores oder beſich-
tiger/ oder extraordinar Abgeſandten
nennen koͤnne) auffgehobẽn. Der andern
J iijStreit-
[174]Vom Zuſtand
Streitſachen beyzulegen/ waren in einem
jeglichen Dorff oder diſtrict Graffen oder
Richter/ welche aus dem Adel oder ehrba-
rem Poͤbel etliche außgeſonderte Schoͤp-
pen oder Beyſitzer umb ſich hatten/ vom
Koͤnige beſtellet/ die faͤlleten uͤber civil und
criminal Sachen das Urtheil. Die Graf-
fen hatten ferner/ weil die Doͤrffer ſo weit-
laͤufftig/ hin und wieder in den Flecken ihre
zugeordnete Vicarios oder nach ihrer
Sprache Schultheiſſen; Von welchen
man doch zu jenen provociren kunte.
Uber dem ſtꝛafften die Prieſter die boͤſe Sit-
ten der Chriſten nach dem geiſtlichẽ Recht.
Die Biſchoͤffe hatten uͤber die Geiſtlichen
und Muͤnche zu gebieten. Die Biſchoͤffe
wurden bey dem Metropolitano, oder
vor dem Synodo angegeben; Ob man
wol allmaͤhlich an den Roͤmiſchen Pabſt
wegen das anſehen ſolchen Stuels zu ap-
pelli
ren angefangen. Ja es wurden auch
der Layen ihre Sachen ohn unterſcheid den
Biſchoͤffen wegen ihrer vermeynten Hei-
lig-
[175]des Teutſchen Reichs.
ligkeit und Auffrichtigkeit auffgetragen.
Uber die Geiſtliche Guͤter duͤrfften nicht
die Geiſtlichen/ ſondern die Advocaten
oder Vice-Herren/ die ſonderlich vom
Koͤnige verordnet waren/ richten: daß alſo
die Geiſtliche Perſohnen dem Gerichte der
Cleriſey/ ihre Guͤter aber dem Gerichte
der gemeinen Advocaten unterworffen
waren. Von dieſen Richtern wurde ap-
pelli
rt ſo wol an die Koͤnigl. Geſandten/
welche zu gewiſſen Zeiten die Laͤnder durch
zogen/ als an den Koͤnigl. Pallaſt ſelbſt/
allwo der Koͤnig ſelber/ oder der Pfaltzgraff/
der auch die am Hoffe entſtandene Sa-
chen eroͤrtern muͤſte/ uͤber die appellirung
ſein Urtheil gab. Man duͤrffte aber nicht
leichtlich appelliren/ es ſey dann daß die
Graffen oder Geſandten/ die Gerechtig-
keit nicht handhaben wolten. Doch wuͤr-
de alles durch einen ſehr kurtzen und klaren
Proceß, wie auch wenig Audientzen ge-
endiget. Daß man alſo an dieſer Gerichts
Art nichts deſideriren koͤnne/ als daß die
J iiijGeiſt-
[176]Vom Zuſtand
Geiſtlichen an den Pabſt appelliren/ wel-
cher ob er wol ein heiliger Mann iſt/ doch
auſſerhalb Teutſchland ſeinen Sitz hat.


§. 15.


Hierin iſt mit der Zeit viel veraͤndert.
Die Koͤnigl. Sachen habẽ die Churfuͤrſten
nach heraus gebung der guͤldenẽ Bulla faſt
allein an ſich gezogen. Der Pabſt hat ihm
auch uͤber dieſelben ſo viel macht genom̃en/
daß er kein bedencken getragen ſie in den
Bann zu thun/ und nach dem ſie unter-
wuͤrffig gemacht/ vom Gehorſam frey zu-
ſprechen; Uber dem nennet er den Kaͤyſer
ſeinen Vaſall und das Reich ſein Lehen.
Wegen der Fuͤrſten Sachen iſt auß dem
alten dieſes geblieben/ daß ſie nim̃er dem Ur-
thel des Koͤnigs uͤberlaſſen/ ſondeꝛn dieſelbe
ſeyn in der verſamlung der Staͤnde durch
einen ſchlechten und kurtzen Proceß nach
recht uñ billigkeit geſchlichtet werden. Und
wann die Kaͤyſer vornemlich in dem nech-
ſten Seculo ihnen allein die Macht genom-
men uͤber die Fuͤrſtliche Lehen zu urthei-
len/
[177]des Teutſchen Reichs.
len/ haben die behertzte Staͤnde beſtaͤn-
dig widerſprochen. Und wenn keine
andere Zeugniſſe verhanden/ gibt das Ge-
baͤw des gantzen Reichs gnugſamb zu ver-
ſtehen/ daß ſolche wichtige Urtheil dem
Kaͤyſer allein nicht koͤnnen uͤberlaſſen wer-
den. Daß alſo die jenige offenbahre
Schmeichler ſeyn/ welche das den Teut-
ſchen ſo genante Fuͤrſten Recht ein vergeb-
liches Figment oder Tand haben nennen
duͤrffen. Doch iſt hernachmahls eingefuͤh-
ret/ daß die meiſten Fuͤrſtliche Familien
welchen auch die Freyſtaͤdte gefolget ihnen
Gerichte ihrem guͤtduͤncken nach verord-
net haben. Die Teutſchen nennen ſie in
ihrer Sprache Auſtræge. Deren Ur-
ſprung zu den letzten Zeiten Friderici II.
und dem groſſen interregno vermuthlich
gerechnet wird. Die mehr eine groſſe
Macht als eine gute Sache gehabt/ haben
offtermahl den Krieg zum Schiedsman
erwehlet. Daß auch von juͤngſter Zeit her
die Kaͤyſer und Fuͤrſten nicht ſelber die
J vSachen
[178]Vom Zuſtand
Sachen in Augenſchein genommen/ ſon-
dern auff ihre im Recht erfahrne Diener
verſchoben; Welches alſo geſchehen mu-
ſte/ nach dem an ſtat der einfaͤltigen Va-
terlandes Gebraͤuchen/ die verworrene
Paͤbſtliche und Roͤmiſche Geſetze gekom-
men/ welche den Fuͤrſten zu erlernen eine
groſſe Straffe zu ſeyn vorkom̃en wuͤrde.


§. 16.


Bey den Geiſtlichen iſt dieſes veraͤn-
dert/ daß die Sachen der Biſchoͤffe/ wel-
che die Perſonen angiengen/ mit der zeit
alle nacher Rom gezogẽ/ uñ deꝛ Metropo-
litanen
und Land-verſamlungen anſehen
hindan geſetzet ſeyn. Damit alle geiſtliche
Perſohnen dem Weltlichen Gericht ent-
zogen wuͤrden Welches bey den Prote-
ſti
renden veraͤndert/ bey den Catholiſchen
aber noch guͤltig iſt. Ob wol K. Caro-
lus V.
und etliche audeꝛe ohne des Pabſtes
Rath und bey deſſen zuſehen/ in der Re-
ligion
et was geordnet/ und an die Geiſtl.
Perſohnen Hand gelegethaben. Zur zeit
Fri-
[179]des Teutſchen Reichs.
Friderici II. und hernach haben ihnen
auch die meiſten Geiſtlichen eine freye
verwaltung ihrer Guͤter/ nach dem ſie die
Advocaten außgeſioſſen/ angemaſſet.
Es gehoͤren doch die Geiſtlichen Staͤnde
unter dem Reich in betrachtung ihrer Le-
hen und Regalien;, welcher ſie koͤnnen
verluſtig werden/ wo ſie ſich wider den
offentlichen Frieden und andere Geſetze
des Reichs groͤblich verſuͤndiget haben.
Die Muͤnche waren der Perſohn nach in
des Caroli M. Seculo unter der Biſchoͤffe
juriſdiction, derer nachmals etliche alte
Kloͤſter entnommen/ und ohne Mittel
dem Pabſt unterwoffen ſeyn. Diene-
wen Staͤnde/ ſo umb das 13. Seculum
und hernach entſtanden/ und ihren Land
und General Obrigkeiten unterwoꝛffen/
bekennen ſich nun allein zu dem Paͤbſtli-
chen Recht. Die verwaltung der Guͤter
war anfangs gemeiniglich den Advoca-
ten
anvertrawet/ welchen mit der Zeit et-
liche Kloͤſter abgenommen; Die meiſten
J vjſind
[180]Vom Zuſtand
ſind in ihrem alten Stande geblieben.
Etliche wenig ſind auch von den offent-
lichen Beſchwerungen frey gemacht.


§. 17.


Die Weltliche Sachen des gemeinen
Volcks wurden ſchon zu des Caroli M.
Zeit entweder vor den Biſchoffen/ die
nochmahls ihre Gericht weit außgebrei-
tet/ oder vor der Weltlichen Cantzley ver-
handelt. Da muſte man erſt zu den
Schoͤppen gehen/ welche vor alten Zeiten
in den Doͤrffern und Flecken verordnet
waren; Von dieſen gieng man zu den
Graffen/ deren Macht nachmals viel
Hertzoge und Biſchoͤffe angegriffen;
Von den Graffen kunte man provociren
an die Koͤnigl Geſandten/ und endlich an
dem Koͤnig ſelbſt/ welcher zu letzt am
Hoffe die Streitſachen ſchlichtete Denn
weil in dem 15. Seculo die appellirungen
wegen der Langweiligen proceſſen, und
Partitenmacher Schalckheit/ gar zu
haͤuffig wuͤrden/ iſt/ umb ſelbige deſto be-
quaͤmer
[181]des Teutſchen Reichs.
quaͤmer abzuſchaffen/ berathſchlaget
worden/ daß man einen geraumen und
ſtetigen Ort zum Gericht verordnen ſol-
te/ welcher endlich zu Speyer iſt beſtellet
worden. Wo zu ihm verurſachet/ nicht
allein weil faſt die Stelle des Kaͤyſerli-
chen Hoffes veraͤnderlich gemacht wuͤr-
de/ ſondern auch weil es ſchiene daß ein
ſolcher Hauffen Streitſachen am be-
quaͤmſten an einem abſonderlichen Orte
konten abgehandelt werden.


§. 18.


Mit den jtzigen Gerichten in Teutſch-
land iſt es alſo beſchaffen: Wenn eine
Privat Perſohn mit der andern Streit
anfangen wil/ gehet ſie erſtlich zu dem
Schultzen der Stadt oder des Fleckens/
da die andere wohnet/ es ſey den das die
andere priviligiret ſey. Darnach iſt in
allen Fuͤrſtenthuͤmern/ die mir bekand
ſeyn/ ein ober Gericht/ daß dem gantzen
Lande gemein iſt (ſie nennen es die Hoff-
oder Land Cantzeley) an welches man
appel-
[182]Vom Zuſtand
appelliret. Die meiſten Freyſtaͤdte a-
ber vollenden ihre jurisdiction in einer
inſtantz. Die dem gantzen Reich ge-
meine Gerichte ſeynd daß Speyriſche
Kammer- und das Kaͤyſerliche Hoffge-
richt. Es haben aber etliche Staͤnde
dieſes Recht/ daß ihre Unterthanen an
die gedachte Ober Gerichte gar nicht
appelliren koͤnnen; Als da ſeyn die Chur
fuͤrſten; Ob wol etliche den Geiſtlichen
einen zweyfel erregen wollen/ doch mehr
ob ſie ſolch Recht gebrauchen/ als ob ſie
es haben. Jmgleichen daß Hauß Oſter-
reich und der Koͤnig in Schweden wegen
der Teutſchen Provincien. vid. Inſtru-
mentum pacis Weſtphalicæ cap. X
. §
12. welcher zu Wißmar ein Gericht ver-
ordnet/ vor welchem die appellirungen/
die ſonſt nach Speyer oder dem Kaͤyſer-
lichen Hoff pflegen verleget zu werden/
ihre endſchafft gewinnen add. capitul.
Leopold. art
. 28. \& 27. Dieſes iſt aber
allen Staͤnden/ ſo viel mir bewuſt/ ge-
mein/
[183]des Teutſchen Reichs.
mein/ daß ſie von ſich nicht appelliren
laſſen/ wo nicht die Schaͤtzung der Strei-
ſachen eine gewiſſe ſumma Geldes uͤber-
treffe; welche ſumma doch an etlichen
Orten groͤſſer/ an etlichen kleiner iſt. Die
Criminal juriſdiction aber veruͤben
nicht allein die Reichs Staͤnde ohne ap-
pelli
rung/ ſondern auch etliche Freyſtaͤd-
te und die meiſten Edelleute.


§. 19.


Wenn die Staͤnde unter ihnen ſelbſt
Streithaͤndel haben/ gehen die meiſten
unter ihnen in der erſten inſtantz zu den
Schiedsleuten oder Auſtrægen. Deren
ſind etliche durch einen abſonderlichen
Vertrag der Staͤnde verordnet/ etliche
dependiren von der gemeinen diſpoſi-
tion
der offentlichen Geſetze. Jhr erſter
Urſprung iſt unbekant. Die jenigen
ſcheinen der Warheit am nechſten zu-
kommen/ welche ſie/ wie vorhin geſagt/
zu des Friderici II. Zeiten und das groſ-
ſe interregnum rechen. Alſo iſt derſel-
ben
[184]Vom Zuſtand
ben Urheber/ wie etliche wollen/ nicht der
Maximilianus I. ob er ihnen wol eine
neue Form oder Geſtalt gegeben/ welche
in der Kammer ordnung/ ſo im Jahr
1495. zu Worms beſchrieben/ zu finden
iſt. Auß unterſchiedlichen Orten der Au-
ſtrægen
, die daſelbſt erzehlet werden/ ſind
vornemlich zwo gebraͤuchlich/ daß entwe-
der der beklagte drey Fuͤrſten und andere
Staͤnde benenne/ anß welchen einer von
dem Klaͤger ſol erwehlet werden; oder
man ſol einen oder mehr Commiſſarien
von dem Kaͤyſer begehren. Es ſeyn doch
etliche Sachen/ die nicht zu den Auſtræ-
gen
gehoͤren/ ſondern alsbald vor der
Kammer oder Hoffgericht muͤſſen ge-
bracht werden/ welche hin und wieder in
den gemeinen Buͤchern gefunden werden.
Es haben aber die Auſtræge dieſe unbe-
quaͤmligkeiten bey ſich/ daß man davon
an das Kammer- und Hoffgericht appel-
li
ren koͤnne/ und alſo wenig ſtreitigkeiten
daſelbſt geſchlichtet werden; Und das
viel
[185]des Teutſchen Reichs.
viel unkoſten erfordert werden/ dadurch
der Fuͤrſten/ die da Schiedsleute ſeyn/
Commiſſarien muͤſſen beſchencket und
herrlich tractiret werden. Da kom̃t hin-
zu/ daß das Gericht der Auſtræge nur
ein halb oder ein gantz Jahr waͤren muͤſ-
ſe/ da es doch ein wunder in Teutſchland
ſein wuͤrde/ daß in ſolcher Zeit ein wichti-
ger Streithandel beygeleget werde.


§. 20.


Das Obergericht in Teutſchland iſt die
Kammer zu Speyer/ welche erſt auff be-
willigung der Staͤnde vom K. Maximi-
liano I
.
im Jahr 1495. eingeſetzet iſt.
Ob ſich wol dieſe in ihren Schluͤſſen und
Urtheilen allein des Kaͤyſers ruͤhmet/ ſo
ſeyn doch die jenigen beſſerer meynung/
welche vorgeben/ daß die Kammer nicht
von dem Kaͤyſer allein/ ſondern auch von
allen Staͤnden dependire/ und in deren
anſehen Recht ſpreche. Der Kaͤyſer ſe-
tzet uͤber dieſem Gericht einen Fuͤrſten/ oder
nur einen Graffen oder Freyherrn zum
Præ-
[186]Vom Zuſtand
Præſidenten. Jn dem Oßnabruͤggiſchen
Frieden iſt der Vertrag gemacht/ daß
nachmals unter dieſem vornehmſten Præ-
ſidenten,
welchen ſie den Richter der
Kammer nennen/ noch vier unter Præſi-
denten
von dem Kaͤyſer ſolten verordnet
werden/ und in allem 50. Beyſitzer/ deren
26. der Catholiſchen/ und 24. der Prote-
ſtiren
den Religion zugethan ſeyn ſollen:
damit nemlich die Proteſtiren de nicht zu
klagen/ als wenn ihnen das Recht moͤch-
te verhalten werden/ weil die Catho-
liſchen mehr Beyſitzer haben. Wiewol
heute zu Tage nicht einmahl der halbe theil
dieſer Zahl da ſey/ in dem die meiſten Fuͤr-
ſten die Beyſitzer zu verordnen/ nnd ihnen
ihre Beſoldung zu geben ſaͤumig; Weil
ſie die gebietende Urtheile ſolchen Gerichts/
ob es gleich ſelten uͤber ſeine Worte gehet/
faſt nicht hoͤren moͤgen. Wer umb dieſes
Gericht beſſern Beſcheid wiſſen wil/ der
muß vornemlich die Verordnung der
Kammer leſen/ welche den Reichs Abſchie-
den
[187]des Teutſchen Reichs.
den beygefuͤget iſt. Man ſagt ins gemein/
lites Spiræ dicuntur ſpirare, ſed nun-
quam exſpirare,
daß zu Speyer die
Streithaͤndel jmmer wehen/ aber nimmer
außwehen/ weſſen Urſach iſt ſo wol die
weitlaͤufftige Proceſſen, als die menge der
Sachen und wenigkeit der Beyſitzer/ aber
die vornehmſte/ daß gemeiniglich das Ver-
moͤgen fehlet/ die Urtheile außzuuͤben. Da-
her geben die jenigẽ ſo ſich auff ihre Macht
verlaſſen/ wenig darauf/ was die zu Speyer
beſchlieſſen. Und ſeynd eben dieſe ſo ver-
ſtaͤndig/ daß ſie ihr uͤbriges Anſehen nicht
wollen in Gefahr ſetzen/ nemlich Urtheile
zu faͤllen/ welche die Maͤchtige verlachen
wuͤrden. Es iſt aber gebraͤuchlich/ daß ſo
wol hier als vor andern Gerichten die
ſchwache Fliegen beſtricket werden. Umb
die Maͤngel der Kammer zu verbeſſern iſt
in dem Reichs Abſchiede des 1654. Jahrs
viel verordnet. Von der Kam̃er kan man
nicht appelliren/ ſo ſich aberjemand be-
ſchweret/ kan er eine reviſion hegehren/
welche
[188]Vom Zuſtand
welche doch/ ſo viel mir bewuſt/ noch in ei-
nem tieffen Schlaffe begriffen iſt.


§. 21.


Es iſt auch ein Gericht am Kaͤyſerlichen
Hofe/ welches ſich gleicher Macht mit der
Speyriſchen Kammer ruͤhmet/ alſo/ daß
die vor demſelben beruͤhrte Streitigkeiten/
zu dieſer nicht koͤñen gezogen werden/ noch
die vor jener beruͤhret zu dieſem. Deſſen
Geſetze hat erſtlich der Kaͤyſer Ferdinan-
dus
gegeben im Jahr 1549. K. Maximi-
lianus II
.
hat ſie vermehret/ K. Matthias
hat ſie gar ernewert im Jahr 1614. Es
iſt auch etwas durch K. Ferdinandum
III
.
auff dem Reichstage zu Regenſpurg
hinzu gethan im Jahr 1654. Vid. Inſtru-
mentum Pacis art. 5. §. 20. \& art. 41.
42. 43. capit. Leopold
.
Dieſes Gericht
dependiret biß hieher allein vom Kaͤyſer/
ob gleich deſſelben Beyſitzer Chur Mayntz
als einem Ertz Cantzler des Reichs/ mit ei-
nem Eyde verpflichtet ſeyn; Die Urſach/
waꝛumb dieſes Gericht angeordnet/ iſt nicht
ſchwer
[189]des Teutſchen Reichs.
ſchwer zu errathen. Nemlich es verdroß
die Oeſterreichiſchen/ daß ihr Hoff nichtfleiſ-
ſtg beſucht wuͤrde/ in deme man zu Speyer
uͤber die appellirungen urtheilete/ und die
Juſtitz ſuchte: Denn darin laͤſſet ſich am
meiſten die Majeſtaͤt der Herrſchafft ſehen/
daß die jenigen ihre Zuflucht zu ihr nemen/
die ſich bemuͤhen ihr Recht zu erlangen/
oder das Unrecht abzuwenden: Und wer
die Rechts Buͤcher erklaͤrẽ kan/ wird leicht-
lich von ſolcher Goͤttin erhalten/ daß ſie
nichts antworte/ was ſeinem Nutzen zu
wider ſey. Uber dem/ daß ferner die Spey-
riſche Kammer von dem gantzen Reich de-
pendirte
,
war ſie auch ein Rath/ welcher
weit vom Kaͤyſerl Hofe gelegen; Und weil
ſolcher bey ſeinem Rheinſtrom bliebe/ ſchie-
ne es/ er truͤge wenig Sorge/ wie es zugien-
ge/ wo die Donaw ihren Gang hat. Fer-
ner kunten die Streitigkeiten der Staͤnde/
wegen der veraͤnderten art des Rechts/
nicht ſo fuͤglich/ als vor zeiten auff dem
Reichstage abgeſchaffet werden. Wo der-
wegen
[190]Vom Zuſtand
wegen ſolche der Kaͤyſer an ſich allein zie-
hen koͤnte/ nachdem auch der privat Per-
ſohnen appellirungen angenom̃en/ danch-
te ihn/ daß ihm eine feſte Stuffe geſetzet
wuͤrde/ allmaͤhlich uͤber die Staͤnde Koͤnig-
liche Macht zu bekommen, Es fehlete auch
nicht an einem anmuthigen Schein ſolch
Gericht anzuſtellen: Denn warumb hatte
er in der Capirulation verſprochen/ daß
er allen die Gerechtigkeit handhaben wolle/
wenn ſie alle ihn vorbey nach Speyer lauf-
fen wuͤrden? Es kam hinzu/ daß er zuſag-
te/ es ſolle vor dieſem Gericht kein langſa-
mer Proceß gehalten werden. Daher war
es anmuthig/ daß man den Streit bald
zum ende bringen koͤnte/ wenn einer des
Kaͤyſers Gunſt verdienen moͤchte: Denn
die zu Speyer duͤrffen ſolche weitlaͤufftig-
keit nicht abſchaffen/ ob ſie gleich wolten/
auch in den klaͤrſten Sachen. Der jenige
wird die Natur dieſes Gerichts beſſer er-
gruͤnden/ welcher bedencken wird/ daß der
Rath am Kaͤyſerlichen Hoffe noch gehei-
mer
[191]des Teutſchen Reichs.
mer und heiliger ſey/ in welchem die hoͤch-
ſten Reichs Sachen vornemlich pflegen
verhandelt zu werden. Werden demnach
die ſtreitige Sachen erſt vor dem Hoffge-
richt geſchlichtet/ und wenn etliche Politici
druͤber gekommen/ werden ſie zum Kaͤyſer
uͤberſchicket mit vermelden/ was ihnen bey
dieſen Sachen duͤncke. Dann werden die
Sachen vom neuen in dem geheimen
Rath vorgeſtellet/ da nicht ſo woll die Urſa-
chen des Rechts als des Stats betrachtet
werden; Ob es nemlich dem Kaͤyſer zu-
traͤglich ſey/ daß ein ſolch Urtheil gefaͤllet
werde/ ob und wie fuͤglich die Exſecution
geſchehen koͤnne. Wo in dieſen einiger
Zweyfel vorgehet/ wird das Urtheil auff-
geſchoben; Das darff ich aber kaum glau-
ben/ daß die Beyſitzer dieſes Gerichts nicht
ſehr unwillig werden/ wenn die Partheyen
mit Geſchencken ihnen an die Hand gehen.
Ob wol vielen rathſamb beduͤncket/ ſich von
dieſem Argwohn zu befreyen/ wenn ſie ſich
ſchaͤmeten/ den ſtreitenden Partheyen an-
zuzei-
[192]Vom Zuſtand
zuzeigen/ weme es befohlen ſey/ ihre Sache
im Rath vorzubringen.


§. 22.


Mit der Exſecution der gedachten Ur-
theile in dieſen oberſten Gerichten wird faſt
alſo verfahren; Erſtlich wird der Parthey/
ſo die Sache verlohren/ anbefohlen/ bey
beſtraffung einer gewiſſen Marcken reines
Goldes/ welche theils dem Fiſco, theils
dem der die Sache gewonnen/ muͤſſen ge-
zahlet werden/ daß er dem Urtheil geher-
ſame; Wo er ſich wegern wird/ wird die
Straffe vermehret; Wo einer die Draͤw-
worte zu verachten fortfahren wird/ wird
er mit dem Bann oder Verweiſung ge-
ſtrafft/ und mit Kriegsmacht zum Gehor-
ſam gebracht. Und zwar ſo er einem von
den Staͤnden unterthan ſey/ wird demſel-
ben die Exſecution befohlen/ dem der ver-
urtheilte unterworffen. Wo der verur-
theilte aus der Zahl der Staͤnde ſeyn wuͤr-
de/ wird die Exſecution dem Kraͤys
Obriſten anbefohlen/ oder einem oder
dem
[193]des Teutſchen Reichs.
elnem oder dem andern von den Staͤnden
deſſelben Kraͤyſes/ deſſen Glied der verur-
theilte iſt. Wenn ein Kraͤyß nicht maͤch-
tig gnug iſt/ den verurtheilten zu bezwin-
gen/ wird die Sache zweyen oder drey be-
fohlen. Es gehen aber ſelten dergleichen
Exſecutiones vor; dann es gedeyet mehr
zu Teutſchlandes Nutzen und der Staͤn-
de Freyheit/ daß ſolche wichtige Streit-
haͤndel durch gewiſſe Schiedsleute beyge-
leget werden.


§. 23.


Wo endlich was vorfaͤlt/ das die Hoheit
des Regiments angehe/ davon darff der
Kaͤyſer nichts nach ſeinem Willen ſchlieſ-
ſen/ ſondern ein ſolches Werck muß auff
dem Reichstage oder in der verſamlung
aller Staͤnde vorgeſtellet und nach ihrer
bewilligung beſchloſſen werden. Vid. Ca-
pitol. Leopold. art. 39. ſub fin
.
Weil
hievon die Teutſchen Scribenten deutlich
gnug meldung thun/ wollen wir nur ein
weniges davon gedencken. Es ſtehet zwar
Kdem
[194]Vom Zuſtand
dem Kaͤyſer allein zn/ einen Reichstag an-
zukuͤndigen/ doch alſo/ daß der Churfuͤrſten
dewilligung auch uͤber deſſelben Ort und
Zeit/ entweder durch Brieffe/ oder durch
einen Geſandten muͤſſe erfordert werden.
Vid. art. 17. Capit, Leopold. Es koͤn-
nen auch die Churfuͤrſten den Kaͤyſer er-
innern umb einen Reichstag zu halten/
wenn es die Noth Teutſchlandes erfor-
dert. Weil aber derſelbe mit groſſem
Unkoſten der Staͤnde gehalten wird/ iſt
außdruͤcklich an dem gemelten Ort Capit
Leopold.
die vorſehung gethan/ daß ſie
der Kaͤyſer mit keinem unnoͤtigen Reichs-
tage beſchweren ſolle. Zur zeit des inter-
regni
koͤnnen die Reichs Vicarii, und bey
des Kaͤyſers abweſen der Roͤmiſche Koͤ-
nig/ wo einer verhanden/ einen Reichstag
ankuͤndigen. Die ankuͤndigung geſchicht
nicht durch ein offentlich allgemeines Ge-
bot/ ſondern durch einen geſchriebenẽ oder
gedruͤckten Brieff/ welcher einem jeglichen
von den Staͤnden muß eingehaͤndiget und
mit
[195]des Teutſchen Reichs.
mit ſolchen Worten verfaſſet werden/
die mehr eine freundliche einladung als
eine gebietende citirung mit ſich bringen.
Und dieſe ankuͤndigung gehet faſt ein halb
Jahr vor dem Reichstage vorher/ damit
die Staͤude in der ſtille/ die Sachen ſo dar-
auff ſollen abgehandelt werden/ uͤberlegen
koͤnnen.


§. 24.


Es kommt denen/ ſo die Teutſchen An-
tiquiteten
bekand ſeyn/ glaͤublich vor/ daß
vor zeiten alle Jahr ein Reichstag ſey ge-
halten worden/ welcher nicht laͤnger als ein
Monat gewaͤret. Heute zu Tage iſt nichts
gewiſſes beſchloſſen/ wie offt und lange der
Reichstag muͤſſe gehalten weꝛden/ ſondern
das wird alles nach der Nothdurfft des ge-
meinen Weſens berahmet/ zum wenigſten
ſolte es alſo geſchehen; Andere halten aber
dafuͤr/ dz es der Staͤnde Freyheit zutraͤglich
ſey/ wenn zu gewiſſer Zeit/ nemlich alle drey
Jahr ein Reichstag gehalten werde/ da
man doch die langſame verrichtung der
K ijGe-
[196]Vom Zuſtand
Geſchaͤffte wie auch die groſſe Unkoſten et-
was einziehen muͤſte. Ob wol etliche mey-
nen/ daß dieſe verzuͤgerung und unkoſten
dẽ Kaͤyſer Nutzen ſchaffe/ weiln die daduꝛch
uͤberdruͤſſig gemachte Staͤnde vor dem
Reichstage/ welcher ſonſt fuͤr ein kraͤfftig
Mittel/ die Freyheit zu erhalten/ gehalten
wird/ ei nen abſchew bekommen moͤchten.
Von dem Orte des Reichstags iſt zwar in
der guͤldenen Bulla veroꝛdnung gethan/ dz
der erſte zu Nuͤrnberg ſolle gehalten wer-
den; welches doch bißher nicht ſo gar ge-
naw in acht genommen worden; Und in
den Capitulationen wird nur eines be-
quaͤmen Orts/ der nicht außerhalb Teutſch-
land gelegen/ und zu welchem die Churfuͤr-
ſten gewilliget/ gedacht. Es hat ſich ſchon
vor laͤngſt eine freye Reichsſtadt hiezu ge-
brauchen laſſen/ deſſen Urſach nicht ſo gar
unbekand iſt. - Und ich halte die Fuͤrſten
wuͤrden ſich ſchwerlich einſtellen/ wenn ſie/
zum Exempel/ der Kaͤyſer nacher Wien
beruffen lieſſe.


Es
[197]des Teutſchen Reichs.

§. 25.


Es werden alle Reichsſtaͤnde/ und zwar
unter den Geiſtlichen auch die jenigen/ die
vom Pabſt noch nicht confirmiret und
mit dem Mantel außgeruͤſtet worden/ auff
den Reichstag beruffen. Wo eine Stelle
ledig iſt/ wird das Capitul beruffen. Die
beſitzer der Bißthuͤmer/ ſo die Augſpurgi-
ſche Religion angenommen hatten/ da ſie
vorhin weder beruffen noch zugelaſſen
wurden/ haben endlich in dem Oßnabruͤg-
giſchen Frieden eine ſonderliche Stelle be-
kommen. Bey den Weltlichen Fuͤrſten iſt
zu mercken/ daß fuͤr den minderjaͤhrigen
derſelben Vormuͤnder beruffen werden.
Es iſt auch der Warheit gemeß/ daß die/
welche ſchon muͤndig worden/ vor der be-
gehrten oder erhaltenen inveſtitur ſollen
beruffen und zugelaſſen werden/ ob wol die-
ſes Hertzogen Johan Friderich zu Wuͤr-
tenberg auff dem Reichstage zu Regens-
burg im Jahr 1608. iſt ſtrittig gemacht
worden. Wenn in einem Hauſe das Recht
K iijder
[198]Vom Zuſtand
der Erſt Geburt iſt angenommen/ wird der
Erſtgeborne allein beruffen; Wo aber die
Laͤnder getheilet/ wird ein jeglicher beruf-
fen/ der von ſeinem Theil abſonderlich in-
veſti
ret iſt. Welche ihre Laͤnder ungethei-
let beſitzen/ werden zwar alle beruffen/ ha-
ben aber nur eine Stimme. Die zum
Reichstage beꝛuffen ſind/ muͤſſen entweder
ſelbſt/ oder/ wo ihnen ſolches nicht gelegen/
durch ihre mit gnugſamer Vollmacht dazu
abgefertigte Geſandten erſcheinen; Wel-
che zu kommen verſaͤumet/ werden nichts
deſtoweniger daduꝛch veꝛbunden/ was von
den meiſten beſchloſſen worden. Der Koͤ-
nig in Boͤhmen darff aus einem ſonder-
lichen Privilegio zum Reichstage nicht
kommen/ es ſey dann daß ſolcher zu Nuͤrn-
berg oder zu Bamberg gehalten werde.
Dem Hauſe Oeſterreich wie auch den
Staͤnden des Burgundiſchen Kraͤyſes
ſtehet es frey zu kommen oder auſſen zu
bleiben. Die vergebliche gebraͤuche zu er
zehlen iſt nicht unſers vorhabens.


Was
[199]des Teutſchen Reichs.

§. 26.


Was auff dem Reichstage ſol berath-
ſchlaget und beſchloſſen werden/ wird von
dem Kaͤyſer oder deſſen Commiſſarien
vorgetragen. Darauff gehet man auff die
berathſchlagungen. Woſelbſten gefraget
wird/ ob man in dem berathſchlagen und
beſchlieſſen eben die Ordnung halten muͤſ-
ſe/ die in der vortragung der Sache iſt in
acht genommen? Oder/ ob man zu einem
andern Hauptſtuͤck der vorgetragenen Sa-
chen/ wenn die erſten noch nicht abgehan-
delt/ ſchreiten muͤſſe? Hier haben die Staͤn-
de zwar offte vorgegeben/ man duͤrffe nicht
ſo genaw an der Ordnung der Propoſi-
tion
verbunden ſeyn/ die Kaͤyſerlichen aber
ſind allzeit dawider geſtanden/ warumb ſie
ſolches gethan/ kan ein verſtaͤndiger leiche
merckẽ: Was nemlich dem Kaͤyſer zutraͤg-
lich geweſen/ iſt zu erſt vorgenommen/ was
dem gemeinen beſten angangẽ aber zu ruͤck
geſetzet worden. Wo demnach die Staͤnde
auch davon etwas uͤberlegen wollẽ/ muͤſſen
K iiijſie
[200]Vom Zuſtand
ſie notwendig dem Kaͤyſer erſt zu willẽ ſeyn;
welcher/ nach dem er ſeiuen Zweck erlanget/
ſich umb der Staͤnde Geſchaͤffte/ dem an-
ſehen nach/ nicht ſo ſehr bekuͤmmert hat.
Wenn es zum rathſchlagen kompt/ wer-
den die Staͤnde in drey Collegia unter-
ſchieden/ als der Churfuͤrſten/ der Fuͤrſten
und Staͤdte/ welche abſonderung man
meynet auff dem Reichstage zu Franckfurt
im Jahr 1589. angefangen zu haben. Jn
dem erſten hat der Mayntziſche das dire-
ctorium,
wie ſie es nennen; Jn dem an-
dern haben es die Oeſterreichiſchen und
der Saltzburgiſche einer umb den andern;
Jn dem dritten hat es die jenige Freyſtadt/
in welcher der Reichstag gehalten wird.
Die Fuͤrſten geben ihre Stimmen von
Mann zu Mann; Die Graffen und klei-
nere Prælaten Kraͤyßweiſe. Das groͤſte
Theil verbindet auch das geringſte/ ohne
zm dem religions Werck/ und wo die
Staͤnde nicht als ein Corpus, ſondern als
ſtreitende Partheyen betrachtet werden.
Es
[201]des Teutſchen Reichs.
Es iſt noch nicht entſchieden/ ob auch die-
ſes bey den Collecten gelten ſolle. Vide
Inſtrum. pacis art. 5. n
.
19. Jch halte/ es
koͤnne die Sache am fuͤglichſten durch ei-
nen unterſcheid geſchlichtet werden/ ob daß
jenige/ was geſam̃let wird/ zu des gantzen
Regiments Wolfahrt/ oder nur zu Ge-
fallen und ſonderlichem Nutzen des Kaͤy-
ſers gereiche. Was zu jener gehoͤret/ wird
kein ehrlicher Mann verhalten/ was aber
zu dieſem/ darin kan ein jeglicher ſeiner
freygebigkeit billich Maß ſetzen. Die art
und weiſe zu rathſchlagen iſt faſt dieſe;
Was dem Churfuͤrſtlichen Collegio gut
duͤncket/ wird dem Fuͤrſten Collegio com-
munici
ret; Dieſes gibt hinwierumb je-
nem ſeine mtynung zu verſtehen/ (das nen-
nen ſie referiren und correferiren) und
das ſo lange/ biß ſie miteinander einig wer-
den. Weñ das geſchehen/ geben dieſe beyde
dem Collegio der Staͤdte ihre meinung zu
vernehmen; Wenn auch dieſes darin ver-
williget/ wird dem Keyſer odeꝛ deſſen Com-
K vmiſſa-
[202]Vom Zuſtand
miſſarien die einhellige Meynung der
Staͤnde vorgetragen. Und wenn ſie die-
ſelbe gut heiſſen/ ſo iſt die Sache richtig.
Weñ ſie nun in den Collegien nicht kon-
ten uͤberein ſtim̃en/ werden die mißhellige
Stimmen dem Kaͤyſer vorgebracht/ wel-
cher ſich bemuͤhet/ die ſtreitende duꝛch eine
freundliche abhandlung/ nicht aber durch
Befehl zu vertragen. Gleicher geſtalt
auch/ wenn ihm was anders dabey duͤn-
cket/ wird die Sache ſo lange freundlich
uͤbergeleget/ biß er auch mit den Staͤn-
den/ oder ſie mit ihm einig werden. Da-
her die gebraͤuchliche Formula in den
Reichsabſchieden entſtanden: Dieſes iſt
zwiſchen dem Kaͤyſer und den Staͤn-
den einhellig abgehandelt. Bey dem
Collegio der Staͤdte iſt in acht zu neh-
men/ ob gleich ſolchem in dem Inſtrum,
Pacis artic
. 8.§. 4. ein Votum deciſi-
vum
zugeleget worden/ da vorhin die an-
dern darauff beſtunden/ daß es nur zu be-
rathſchlagungẽ ſolte zugelaſſen werden;
So
[203]des Teutſchen Reichs
So thun doch die beeden oberſten Col-
legia
dieſem nichts zu wiſſen/ ehe ſie mit-
einander uͤberein kommen; doch alſo/ daß
jene als das groͤſſere Theil ihre Schluͤſſe
mit Befehl dieſem wider ſeinen Willen
nicht auffbuͤrden koͤnnen/ ſondern wo es
anderer meynung iſt/ wird die Sache
vor dem Kaͤyſer gebracht/ biß man
auch allhier einig wird. Was nicht
kan beygeleget werden/ pfleget man biß
auff eine andere Zuſammenkunfft auff-
zuſchieben. Was dergeſtalt allen belie-
bet hat/ wird von dem Mayntziſchen Di-
rectorio
in eine rechtmaͤſſige Form eines
Abſchieds verfaſſet/ vom newen wieder
uͤber geſehen/ und nach der unterſchrei-
bung und verſiegelung offentlich heraus
gegeben.


§. 27.


Halte demnach dafuͤr/ daß es klar gnug
ſey/ was der Kaͤyſer wegen der vornehm-
ſten Stuͤcke deꝛ hoͤchſten Gewalt vor ſich
behalten. Doch ſind etliche Rechte/ die
K vjder
[204]Vom Zuſtand
der Kaͤyſer allein in Teutſchland veruͤben
darff/ unter welchen man rechnet
1. das jus primarïarum precum,
Krafft welcher der erwehlte Kaͤyſer in
einem jeglichen Collegio der Geiſtlichen
eine Perſohn zum geiſtlichen Beneficio
darſtellen kan. Welches Rechten ſich
doch nicht ſo wol der Kaͤyſer ſelbſt als die
Geiſtlichen ſchaͤmen ſolten/ welche/ da ſie
faſt alle das ihrige der freygebigkeit der
alten Kaͤyſer zuſchreiben/ ihm nicht mehr
als die erweiſung eines Beneficii in jeg-
lichem Collegio gelaſſen/ die zu deme nur
als eine Bitte guͤltig iſt. 2 Daß er al-
lerhand arten der Wuͤrde außtheilet.
vid. tamen art. 43. \& 44 capitul. Le-
opold.
3. Das die inveſtitur, belegung
der Fuͤrſtlichen Lehen/ und was durch die
Fahne pfleget bemercket zu werden/ von
ihm allein eꝛhaltẽ weꝛde 4. Daß er offent-
liche Schulen oder Academien auffrich-
tet. 5. daß er vergoͤnnet eine Stadt zu
bauen/ und was ſonſten ſchlechtere Dinge
mehr ſeyn.


Man
[205]des Teutſchen Reichs.

§. 28.


Man kan aber auch leichte darauß
vernehmen/ was den Staͤnden an der
hoͤchſten Gewalt noch mangele/ nemlich
an die meiſten unter ihnen das Recht ihre
Unterthanen auch am Leben zu ſtraffen;
Sie geben Geſetze die auch dem gemeinen
Recht zu wieder ſeyn; Sie haben die
Religions Freyheit; Sie nehmen alle
Einkuͤnffte ihrer Laͤnder zu ſich; Sie le-
gen Tribut auff; Sie machen unter ſich
und mit Außlaͤndiſchen Verbuͤndniſſe/
wenn ſie nur nicht dem Kaͤyſer oder dem
Reich zu wieder ſeyn. vid. inſtrum, pa-
cis art. 8. §. 2. \& capitul. Leopold. cap
.
6. \& 8. Welches Recht den mittelbah-
ren Buͤrgern des Reichs außdruͤcklich
benommen/ art. 9. capitul. Leopold.
Sie verthaͤtigen ſich mit Waffen/ oder
raͤchen das ihnen angethane Unrecht mit
Gewalt/ vornemlich wieder die Außlaͤn-
der. Sie bauen Feſtungen in ihren Laͤn
dern; Sie laſſen Muͤntze ſchlagen; Und
K vijwas
[206]Vom Zuſtand
was ſonſten zur regierung einer Land-
ſchafft von noͤthen. add. art. 33. 34. ca-
pitul. Leopold \& niſtrum. pacis artic
.
8 §. 2. zur ſonderlichen Wuͤrde der Chur-
fuͤrſten gehoͤret der 5. articul. capitul.
Leopold.
Und zwar veruͤben ſie dieſes al-
les auß ihrem Recht/ und nicht an ſtat
des Kaͤyſers. Und gehet nicht ſo wol ih-
rer Macht/ als die art ſolche zu haben an/
daß ſie ihre Laͤnder als Lehen vom Kaͤy-
ſer und Reich erkennen: Denn weil ſie
ſolche mit Erb Recht auff ihre Nachkom-
men bringen/ hat die inveſtitur vielmehr
die Macht eines gemeinen gebrauches/
als einer wahren belegung; Weil ſie nie-
mand/ der ſie zu rechter Zeit begehret/ kan
verwegert werden Der Eyd treu zu
ſeyn wird ohne verletzung eines jeglichen
Rechte verſtanden; deñ es iſt gemein/ daß
ſich auch Bunds genoſſen mit einem Eyde
verknuͤpffen. Zu deme iſt auch dieſes keine
ſo groſſe Laſt/ oder zeuget von einer unter
werffung/ daß ſie ſich auff dem Reichs-
tage
[207]des Teutſchen Reichs.
tage auf eigeue Unkoſten einſtellẽ muͤſſen:
Deñ das pfleget bey allen Zuſam̃enkunff-
ten der Bundsgenoſſen zu geſchehen Ebẽ
wenig kan auch daraus/ daß ſie zu des
Reichs Nothturfft beytragen/ etwas er-
zwungen werden. Endlich/ welches daß
haͤrteſte zu ſeyn ſcheinet/ dz einer von den
Staͤnden vor den Oberſten Gerichten
koͤñe zu Recht gezogen/ und ſo er groͤblich
wider das Reich geſuͤndiget/ verwieſen
und ſeiner Laͤnder beraubet werden/ iſt
auch nicht wieder die Natur der Ver-
buͤndniſſe: Denn bey den alten fallen
auch dergleichen Exempel vor in der Ver-
buͤndniſſe der Amphictyonum uñ Achæ-
er
in Griechenland; Und haben wir in
unſerm Seculo geſehen/ daß die vereinig-
te Niederlaͤnder die Stadt Groͤningen
mit einem Caſtel auff eine Zeit in Zaum
gehalten. Denn Teutſchen Staͤnden aber
iſt gnugſahme vorſehung gethan in art.
28. capitul. Leopold.
Daß aber der je-
nige/ welcher ſich den andern verwegent-
lich
[208]Vom Zuſtand
lich und Halßſtarriger Weiſe wieder-
ſetzet/ von ihnen geſteuret werde/ pfleget
auch in einer gleichen Geſelſchafft zu
geſchehen.


Das VI. Capitel.
Von der Form oder Art des
Teutſchen Reichs.


§. 1.


GLeich wie die Geſundheit und Ge-
ſchickligkeit ſo wol der Natuͤrli-
chen als kuͤnſtlichen Leiber auß der
fuͤglichen Harmonia und verknuͤpffung
der Theile unter ſich entſtehet; Alſo wer-
den auch die corpora moralia oder Ge-
ſellſchafften/ ſtarck oder ſchwach geſchaͤ-
tzet nach dem derſelben Theile wol oder
uͤbel unter ſich verknuͤpffet befunden wer-
den; Nach dem ſie eine ſchoͤne Geſtalt o-
der etwas unordentliches und ſcheußli-
ches an ſich haben. Es iſt aber auß dem
vorheꝛgehenden klar genug gewieſen/ daß
etwas in der Teutſchen Regiment/ weiß
nicht
[209]des Teutſchen Reichs.
nicht was verborgen ſey/ welches nicht zu-
gjebet daß man ſelbiges unter den ein-
fachen Formis oder Arten der Regimen-
ter zehle/ wie ſolche ins gemein von den
Politieis beſchrieben werden. Wir muͤſ-
ſen ſo viel genauer die eigendliche Form
dieſes Reichs erforſchen; Wie viel groͤ-
ber die meiſten Scribenten ſolcher nation
allhie theils auß unwiſſenheit der wahꝛen
civil Wiſſenſchafft/ theils weiln die mei-
ſten/ wenn etwa vieler meynungen ohne
Verſtand in ein Buch zuſammen getra-
gen/ daſſelbe als etwas newes ſo fort an-
nehmen/ geirret haben. Jch verheiſ-
ſe mir aber ſo viel leichter verzeihung we-
gen der etwas weitlaͤufftiger als zarten
Ohren auſtehet/ eingemiſchten ſchola-
ſti
ſchen ſubtilitäten/ wie viel ſchwerer es
iſt ohne dieſen von dem Zuſtande Teutſch-
landes ein gnuͤgliches Urtheil zu faͤllen.
Wie woll man bey den verſtaͤndigen nur
wenig Worte gebrauchen duͤrffte/ wo
man nicht der andern albere Theiding/
die von vielen gut geheiſſen/ weitlaͤuffti-
ger wiederlegen muͤſte.


Jſt
[210]Vom Zuſtand

§. 2.


Jſt demnach dabey/ wenn man jegliche
Theile oder Staͤnde des Reichs abſonder-
lich betrachtet/ wenig ſchwirigkeit. Denn
alle weltliche und geiſtliche Fuͤrſtenthuͤmer
(deren jene durch Erbſchafft/ dieſe durch
die Wahl conferiret werden) wie auch die
Graffſchafften ſind gleich den Monarchi-
en; doch mit dieſem unterſcheid/ daß an et-
lichen Orten der Fuͤrſten Macht abſolut,
an etlichen durch gewiſſe Pacten mit den
Staͤnden/ wie man ſie nennet/ oder mit
den Landſaſſen/ limitiret ſey. Etliche
Freyſtaͤdte aber werden ariſtocraticè (da
die Vornehmſten das Regiment fuͤhren)
regieret/ in welchen nemlich der Rath die
hoͤchſte Gewalt hat/ in welchem Recht die
vornehmſten Buͤrger durch der Raths-
herren Stimmen auffenommen werden/
und wo der Rath weder von dem gemei-
nen Poͤbel kan zum Gehorſam gebracht
werden/ noch von ſeiner verwaltung Re-
chenſchafft geben darff. An andern Or-
ten
[211]des Teutſchen Reichs.
ten gilt die Democratia, woſelbſten der
Rath durch der Zuͤnffte Stimm erſetzet
wird/ und de Zuͤnffte macht haben in den
Rath zu inquiriren.


§. 3.


Was aber dem gantzen Leibe Teutſch-
landes fuͤr eine Regiments Form muͤſſe
beygeleget werden/ daruͤber ſeynd die Scri-
benten
ſelbiger nation nicht einig/ wel-
ches ein gewiſſer Beweiß iſt eines ſehr ir-
regular
Regiments/ wie auch der unwiſ-
ſenheit der Scribenten, welche mit faſt
keiner oder einer gar geringen civil Wiſ-
ſenſchafft außgeruͤſtet ſich uͤber das jus
publicum,
wie ſie es nennen/ zu com-
menti
ren machen. Jch weiß nicht/ daß
ich noch jemand geſehen/ der ſelbigẽ Reich
dieformam democraticam beygemeſſen.
Doch ſind etliche/ ſo nur die jenigẽ Buͤrger
odeꝛ Staͤnde des Reichs neñen wollen/ wel-
che das Stim̃recht auf dem Reichstage ha-
ben/ die zweiffels ohne dem Ariſtoteli ge-
folget/ der denſelben einen civem oder
Buͤr-
[212]Vom Zuſtand
Buͤrger nennet/ welcher das Recht zu
rathſchlagen/ und eine Stimme in dem
Regiment zu geben hat. Wenn wir dieſes
annehmen/ wird traun das Teutſche Reich
eine democratia ſeyn/ als deſſen Buͤrger
allein die Staͤnde ſind/ welche alle und jeg-
liche freylich das Recht von dem Regiment
zu rathſchlagen und etwas zu beſchlieſſen
auff dem Reichstage haben. Dem Kaͤy-
ſer aber wird es als einem eigentlich ſo ge-
nanten Fuͤrſten zukommen. Der jenige
muß aber gar unbedachtſamb ſeyn/ der die-
ſe Ariſtoteliſche definition weiter als
auff die Buͤrger/ ſo in den Griechiſchen
democratien lebeten/ außdehnen wolle:
Denn wer wolte freyen Menſchen und
Hausvaͤtern die in einem Reich oder Ari-
ſtocratia
leben den Buͤrger Nahmen ver-
weigern/ ob gleich ſolche zu keinem theil des
Regiments gelaſſen werden? Oder wer
wolte ſagen/ daß in einem Reiche der Koͤ-
nig/ und in einer Ariſtocratia die Raths-
herren allein Buͤrger ſeyn.


Die
[213]des Teutſchen Reichs.

§. 4.


Die meiſten/ welche ihre vorereffliche ci-
cil
Wiſſenſchafft und eyferige Begierde
der Freyheit wollen an den Tag geben/ hal-
ten Teutſchland fuͤr eine wahre und lautere
Ariſtocratia, und geben ihre meynung
zu behaupten gar ſorgfaͤltig fuͤr: 1. Es
ſolte ſich einer aus dem euſſerlichen Anſe-
hen/ hoffertigen Tituln und Formuln, die
von nichts als einer Monarchia zeugen/
nicht bewegen laſſen/ deren ein groſſes theil
aus der eigenſchafft der Teutſchen Spra-
che/ die ſolche vergebliche Ehrentitul haͤuf-
fig von ſich wirfft/ herruͤhret; Etliche waͤ-
ren aus dem alten Regiment/ von welchem
das heutige weit abweichet/ uͤbergeblieben.
Denn die jenigen haͤtten die hoͤchſte Ge-
walt/ welche das Recht haben aus eigener
Macht in Hauptſachen etwas zu ſchlieſſen/
wie ſie auch endlich woͤchten genent wer-
den. 2. Es ſey der Natur der Ariſto-
eratien
nicht zuwider ein etwas vorneh-
mer und am anſehen die andern uͤbertref-
fendes
[214]Vom Zuſtand
fendes Haupt zu haben/ welches in der ver-
ſamlung der Vornehmſten gleichſamb des
Directoren und Præſidenten Stelle ver-
treten ſolle 3. Man muͤſſe einen unter-
ſcheid machen zwiſchen der Regiments-
Form ſelbſt und zwiſchen der art und weiſe
der adminiſtration oder verwaltung.
Welchen unterſcheid man alſo anfuͤhren
muß/ daß ſichs bißweilen zutraͤgt/ ob es
ſcheine/ ein Regiment begehre der jenigen
verwaltungsart nachzufolgen/ die aus der
Form eines andern Regiments entſtehet/
oder nur einig Zeichen derſelben vorwen-
de. Alſo/ weñ ein Koͤnig etwas von Reichs
Sachen vor dem gemeinen Volck oder
Rath braͤchte/ wird es zwar dorten das an-
ſehen haben einer Democratia, hier aber
einer Ariſtocratia; Und wird doch die
Regiments Form in der That Monarchi-
ca
ſeyn/ weil die verſamlung des Volcks
und der Rath als Raͤthe gebrauchet wer-
den/ und der Koͤnig nicht nothwendig von
ihnen dependiret. Hingegen/ wenn in ei-
ner
[215]des Teutſchen Reichs.
ner Democratia oder Arlſtocratia eine
hoͤhere Obrigkeit oder eigentiich ſo genan-
ter Fuͤrſt waͤre/ der allein und vornemlich
Recht haͤtte/ von den offentlichen Geſchaͤff-
ten zu referiren/ und die Geſetze und
Schluͤſſe zu vollfuͤhren/ und unter deſſen
Namen die Acta und Decreta publica
außgefertiget wuͤrden; So wird zwar ei-
niger ſchein der Monachia in der Regi-
ments verwaltung ſeyn/ die hoͤchſte Gewalt
aber wird in der That bey dem Volck/ oder
der verſamlung der Vornehmſten verblei-
ben. Es ſind zwar etliche/ welche dieſen
Unterſcheid vornemlich mit dem Beweiß
widerſtreiten/ daß weil die Form ſey ein an-
fang der Handlung/ dieſe freylich nicht an-
ders ſeyn koͤnne/ als es die Art der Form
zulaͤſſet. Nun ſey aber die Regiments-
Form gleichſamb der Bruñ/ aus welchem
die wirckungen ſolche zu verwalten hervor
flieſſen/ koͤnne derowegen nicht geſchehen/
daß die verwaltung von der Form ſelbſt
unterſchieden ſey. Darauff antworten et-
liche
[216]Vom Zuſtand
liche alſo/ daß ſie die verwaltung unter-
ſcheiden in die/ ſo unter ihrem eigenen/ und
die ſo unter eines frembden Nahmen ge-
ſchicht. Jene zwar geben ſie zu koͤnne von
der Regiments Form nicht unterſchieden
ſeyn/ Daß dieſe aber eine was andere Ge-
ſtalt haͤtte/ koͤnte nichts hindern. Und alſo
verhaͤlt ſich die Sache. Die unterſchiede-
ne Regiments Formen entſtehen aus dem
ſubjecto, bey welchem die hoͤchſte Gewalt
iſt/ nach dem ſolches entweder eine einige
Perſohn/ oder eine verſamlung iſt aus al-
len oder wenigen. Es iſt aber nichts dran
gelegen/ was dieſe hoͤchſte Gewalt fuͤr Die-
ner oder Exſecutores habe. Daß ich ge-
ſchweige/ daß Axioma, worauff dieſer Be-
weiß beruhet/ gelte nur in natuͤrlichen
Sachen/ werde aber bey den jenigen nicht
fuͤglich angefuͤhret/ die ihr Thun frey gu-
berni
ren moͤgen.


§. 5.


Ob vielleicht aber dieſes ſubtil gnug in
den Schulen koͤnne diſputiret werden/
wird
[217]des Teutſchen Reichs.
wird ſich doch niemand bereden laſſen/ daß
das Teutſche Reich eine Ariſtocratia ſey/
der die Politiſche Sachen etwas gena [...]
verſtehet; Denn zu einer Ariſtocratia
wird erfodert/ daß die hoͤchſte Gewalt bey
einem von den Staͤnden/ und jmmerwaͤ-
rendem Rath ſey/ der da berathſchlagen
und ſchlieſſen koͤnne von allen zum Reich
gehoͤrigen Geſchaͤfften/ da die vollfuͤhrung
der taͤglichen oder ſonderbahren Sachen
gewiſſen Obrigkeiten zugeleget/ welche dem
Rath von dem was vorgangen/ Rechen-
ſchafft geben muͤſſen; Ein ſolcher Rath
aber iſt in Teutſchland nicht zu finden.
Denn die Kammer zu Speyer und das
Kaͤyſerliche Hofgericht urtheilen nur uͤber
die appellationes. Der Reichstag aber
iſt gar nicht einem ſtetigen und jmmerwaͤ-
renden Rath zu vergleichen/ der uͤber alle
Geſchaͤffte/ ſo dem gantzen Regiment ange-
hen/ zu diſponiren macht haͤtte; als wel-
chen man nur ſonderlicher Urſachen we-
gen außzuſchreiben pfleget. Es iſt aber ſehr
Lein-
[218]Vom Zuſtand
einfaͤltig/ wenn man glaͤuben woltte/ daß
der Reichstag und das darauff die meiſten
Stimmen geltẽ eine unfehlbare anzeigung
ſey eines Ariſtocratiſchen Standes: Den̄
es iſt gnugſam̃bekand/ daß in vielen Koͤnig
reichen Reichstage gehalten werden/ auff
welchen man die Stimmen zehlet/ und koͤn-
nen zum Exempel gnug ſeyn die Koͤnig-
reiche Engelland/ Schweden/ Schottland
Was iſt aber gebraͤuchlicher/ als das zwi-
ſchen Bundsgenoſſen/ die durch eine ge-
nawe Veꝛbuͤndniß gleichſamb ein Leib wor-
den/ Zuſammenkuͤnffte oder gewiſſe Tage
zur gemeinen berathſchlagung gehalten
werden? Welche bey den Bundsgenoſ-
ſen eben ſo groß Anſehen haben als der
Reichstag bey den Reichs Staͤnden/ zum
Exempel koͤnnen aus den Alten die Geſell-
ſchafft der Amphictyonen und Achæer,
aus den heutigen die Schweitzer und ver-
einigte Niederlaͤnder angezogen werden.
Darnach iſt dieſes bey rechten Ariſtocra-
tien
der Gebrauch/ daß zwar niemand hoͤ-
her
[219]des Teutſchen Reichs.
her ſey als der gantze Rath/ doch ein jegli-
cher von den Rathsherren dem gantzen
Rath nicht weniger gehorſame/ als die an-
dern Buͤrger/ und eben ſo wol uͤber jene/ als
uͤber dieſe das Halsgericht veruͤbet werde;
welches gar weit von der Fꝛeyheit der Teut-
ſchen Staͤnde ab iſt; Alſo haben in den
Ariſtocratien die Vornehmſten ihr pri-
vat
Erbtheil/ welches der andern Buͤrger
Guͤter zum offtern weit uͤbertrifft/ und iſt
doch eben ſo wol dieſes Erbtheil der Raths-
Herren/ als was auſſer dem die uͤbrige
Buͤrgerſchafft beſitzet/ der hoͤchſten Herr-
ſchafft des gantzen Raths unterworffen/
und deſſen Geſetzen verpflichtet. Jn
Teutſchland aber/ wenn man außnimpt
was einem jeglichen von den Staͤnden an-
gehoͤret/ bleibet nichts uͤbrig/ daß allen an-
gehe. Und wuͤrde dem jenigen nicht wol-
gehen/ der bey ihnen ſagen wolte/ daß alle
Staͤnde uͤber eines jeglichen inſonderheit
Guͤter ſo viel Macht haͤtten/ als in der
Venediſchen Republicq der gantze Rath
L ijuͤber
[220]Vom Zuſtand
uͤber eines jeglichen Raths Herren Guͤter
hat: Denn daß ſie des Churfuͤrſten von
Mayntz Alberti Spruch anfuͤhren/ wel-
chen er vorgebracht/ als von der Wahl des
Caroli V. vor dem Franciſco gehandelt
ward/ daß dieſer zu einer Monarchia ge-
neigt ſey/ die Teutſchen Fuͤrſten aber wol-
len die Ariſtocratia behalten; Darauff iſt
leicht zu antworten: Denn von einem ſol-
chen Prælaten eine gruͤndliche civil Wiſ-
ſenſchafft zu fodern/ wuͤrde nicht wol ſie-
hen/ und der Verſtand ob er gleich mit un-
fuͤglichen Worten gegeben/ iſt er doch an
ſich deutlich/ nemlich/ wo den Teutſchen
Fuͤrſten ihr gegenwertiger Zuſtand lieb
waͤre/ ſolten ſie ſich fuͤr des Frantzoſen Ge-
biet huͤten/ welcher/ wie er ſich in ſeinem ei-
genen Reich bemuͤhet/ der Vornehmſten
Zuſtand nach den Geſetzen einer genawen
Monarchia einzurichtein/ auſſer Zweyfel
ein gleiches wider die Teutſche Fuͤrſten
verſuchen wuͤrde.


§. 6-


Es
[221]des Teutſchen Reichs.

Es iſt noch uͤbrig/ daß wir zu ſehen/ ob
das Teutſche Regiment koͤnne unter die
Monarhien gerechnet werden/ deren zwo
Claſſen ſeyn/ als die abſolut oder freye
und limitirre oder mit gewiſſen conditi-
nen
umbſchrenckte. Jn jenen hat der Koͤ-
nig allein/ oder wie er mag genennet wer-
den/ Macht von den wichtigſten Sachen
nach eigenem gutduͤncken zu ſchlieſſen. Jn
dieſen aber iſt der Koͤnig die Actus der
hoͤchſten Gewalt zu veruͤben/ an gewiſſen
Geſetzen gebunden: Welche dieſen unter-
ſcheid der Monarchien nicht genaw in
acht genommen/ haben in dieſer Materia
ſehr gefehlet; Jn dem ſie aus den Urſa-
chen/ wodurch dem Kaͤyſer die abſolut
oder freye Gewalt verſaget wird/ gemey-
net/ es werde ihm nicht einmahl eine limi-
tirte
gelaſſen. Ob wol der jenige/ ſo dem
Kaͤyſer eine freye Macht beymeſſen wil/
einer im Vaterlande geborner Ham̃el ſeyn
muͤſſe. So ſeyn doch die Beweißthuͤmer/
welche angefuͤhret werden koͤnnen/ mehr
L iijeines
[222]Vom Zuſtand
eines anpfeiffens als einer ernſthafftigen
Widerlegung werth. Es iſt eben ſo unge-
reimt/ daß man aus dem Geſichte Danie-
lis,
als aus den Buͤchern des Roͤmiſchen
Rechts/ die Gewalt des Teutſchen Kaͤy-
ſers beſchreiben wolle. Daß der Kaͤyſer
niemand als Gott und den Degen uͤber ſich
erkennet/ ſolches eignet ihm nicht mehr ein
freyes Gebiet uͤber die Teutſche Fuͤrſten zu/
als der Provintz Holland uͤber die uͤbrigen
ſechs/ dere freylich derſelbigen Ruhm fuͤg-
lich kan beygeleget werden. Die vergeb-
liche Titul (daß er nemlich von allen Staͤn-
den Allergnaͤdigſter Herr genennet wird/
dz ſie in den unteꝛſchreibungen der Brieffe
und ſonſten ihren Gehorſam weitlaͤufftig
zuſagen) hat die Natur des Seculi und
der ſtyl des Landes auffgebracht/ die faſt
nichts mehr vermoͤgen als andere Ehren-
worte/ von welchen auch ein jeglicher Faul-
lentzer weitlaͤufftig zu ſeyn pfleget. Auch iſt
nur ein vergebliches Wort-gelaut/ die voll-
kommenheit der Gewalt aus der Schrei-
ber
[223]des Teutſchen Reichs.
ber compliment- Brieffen abzunehmen.
Endlich ſchweren die Staͤnde dem Kaͤyſer
trew zu ſeyn/ doch ohne nachtheil ihrer
Freyheit und Rechte. Wie viel Macht ſie
ihm nun gelaſſen/ iſt ſchon droben gnug-
ſamb zu ſehen geweſen. Aber mehr hievon
zu reden wuͤrde ſich nicht ſchicken.


§. 7.


Die jenigen aber/ welche dem Kaͤyſer
eine Koͤnigliche und hoͤchſte/ doch nicht
freye ſondern mit gewiſſen Geſetzen umb-
ſchriebene Macht zueignen/ haben eine der
Warheit faſt am aͤhnlichſten Meynung/
welche man auch hoͤret/ daß ſie bey ſolchen
hin und wieder in den Schulen verthaͤti-
get werde; Dieſe hat erſtlich/ ſo viel uns
bewuſt/ als die Kriegsflam zwiſchen dem
Kaͤyſer und den Schweden in Teutſch-
land am hoͤchſten brandte/ einer unter dem
falſchen Namen Hippolithus â lapide,
zu beſtreiten ſich unteꝛnommen/ welcher/ ob
er wol viel hat/ daß niemand/ ohne der alle
Scham verſchworen/ leugnen kan/ iſt doch
L iiijeben
[224]Vom Zuſtand
eben ſo wol offenbahr/ daß er in vielem feh-
be/ und aus unverſoͤhnlichem Haß gegen
dem Hauſe Oeſterreich mit der andern
Parthey halte. Und ob wol dieſes Buch
verboten worden/ ſo iſt doch damit nichts
anders außgerichtet/ als daß die Gelehrten
es deſto theurer erkaufften und lieber laſen.
Wir haͤtten auch deſſen allhie nicht eben
gedacht/ wenn gedachtes Buch nicht eben
bey den meiſten in groſſem Werth zu ſeyn
ſchiene/ und man nicht befunden/ daß die/
ſo dawider geſchrieben/ vielmehr Poſſen ge-
trieben oder geſchmeichelt/ als ſeine Gruͤn-
de widerleget. Wie nun dieſer gar recht
dem Kaͤyſer die hoͤchſte und Koͤnigliche
Macht uͤber die Staͤnde abſpricht/ alſo iſt
er darin ſehr unbedachtſamb/ daß er ihn
den Staͤnden unterwirfft/ und demſelben/
der mit ſo viel Tituln herein pranget/ die
Wuͤrde einer bloſſen Obrigkeit gleichſamb
bittweiſe zulaͤſſet. Als wenn nothwendig
eine Ariſtocratia ſeyn muͤſſe/ wo keine
freye Monarchia zu finden; oder jemand
den
[225]des Teutſchen Reichs.
den jenigen gaͤntzlich fuͤr ſeinen Oberherrn
erkennen ſolte/ welchem er nach belieben
nicht zu gebieten hat. Wer dieſes nur wird
in acht nehmen/ der kan ohne Muͤhe ſeine
meiſten Gruͤnde uuguͤltig machen. Ob er
auch wol hin und wieder viel unnuͤtz Ge-
waͤſche hinein miſchet/ deſſen wir nur ein
weniges als zum uͤbeꝛfluß erzehlen wollen;
Er ſagt an einem Orte/ daß die Staͤnde die
Majeſtaͤt oder hoͤchſte Gewalt haben/ bey
welchen ſie auch zu finden/ wenn kein Kaͤy-
ſer iſt. Aber wer weiß nicht/ daß in allen
Koͤnigreichen zur zeit des interregni die
hoͤchſte Gewalt wieder auff das Volck/ oder
die ſolches repræſentiren/ als die Staͤnde
komme; welche ſie doch/ nach dem ein ne-
wer Koͤnig erwehlet/ nicht laͤnger behalten.
Es erkennet auch einer den jenigen nicht
alsbald vor ſeinen Oberherrn/ deme er ſich
Rechenſchafft zu geben anbeut; Anders
thut man deme Rechenſchafft/ vor welches
beſtraffung man ſich fuͤrchtet/ wo die Rech-
nung nicht beſtehen wird; Anders dem/
L vwelchem
[226]Vom Zuſtand
welchem einer wegen der Verbuͤndniß nur
verpflichtet iſt; Endlich demſelben anders/
deſſen guten Nahmen er in Ehren haͤlt.
Alſo befleiſſigen ſich die Koͤnige/ wenn ſie
Krieg anfahen wollen/ der gantzen Welt
davon gleichſamb Rechenſchafft zu geben.
Alſo thut ein Bundsgenoß dem andern/
ein Vormund ſeinem Waiſen von den
verrichteten Geſchaͤfften Rechnung. Uber
dem iſt derſelbe nicht alsbald hoͤher als der
ander/ oder hat uͤber ihn zu gebieten/ der
ihn von ſeinem Ampte ſetzen kan: Denn
es kan einer nur aus der Verbuͤndniß vie-
ler Leute gemeine Geſchaͤffte zu verrichten
vorgeſtellet ſeyn/ daß keinem ein eigentlich
ſo genantes Gebiet uͤber dem andern zu-
komme; welcher/ woferne man keine laͤnger
beliebung zu ihm traͤget/ auff keine andere
weiſe vom Ampte geſetzet/ und alſo der mit
ihm gemachte Contract aufgehoben wird/
als wenn er den fuͤrgeſchriebenen Geſetzen
kein gnuͤgen gethan. Man moͤchte zwar
wol zweiffeln/ daß zur zeit Henrici IV. und
Adol-
[227]des Teutſchen Reichs.
Adolphi Naſſovii alles nach dem Recht
ſey verhandelt worden/ wenn nicht bekand
waͤre/ daß die Ehrwuͤrdige Prælaten da-
mahls das beſte bey der Sachen gethan.
Was er von dem Reichstage weitlaͤufftig
diſputiret/ iſt zwar wahr/ wird aber ver-
geblich daß was er vorhaͤlt zu beweiſen an-
gefuͤhret: Denn gleich wie der Kaͤyſer den
Staͤnden wider ihren Willen nichts auff-
erlegen kan; Alſo halte ich ſey unerhoͤrt/
daß dieſe dem Kaͤyſer etwas wider ſeinen
Willen mit Befehl auffbuͤrden koͤnnen.
Die Churfuͤrſten ſchreiben zwar dem Kaͤy-
ſer in der Capitulation vor/ was er thun
nnd laſſen ſoll; nicht aber als aus Macht
einiges Gebiets uͤber ihn/ ſondern durch ei-
nen Contract, welcher ſo viel vermag/
daß/ wo er den Staͤnden etwas dawider
aufflegen wolle/ ſie ihm ungeſtrafft nicht
gehorchen duͤrffen. Denn dieſes iſt nicht
aus einer Gewalt/ welche den Staͤnden
uͤber den Kaͤyſer zukomme/ ſondern aus
der gemeinen Natur der Verbuͤndniſſe.
L vjFuͤg-
[228]Vom Zuſtand
Fuͤglicher koͤnte vorgewand werden/ was
aus der alten Gewonheit eingefuͤhret/ und
hernach durch die guͤldene Bulla bekraͤffti-
get iſt/ daß der Kaͤyſer/ wo er uͤber etliche
Sachen angefochtẽ wuͤꝛde/ vor dem Pfaltz-
graffen zu antworten ſchuldig ſey. Und iſt
bekand/ daß die drey geiſtliche Churfuͤrſten
dem Kaͤyſer Alberto I. angekuͤndiget/ daß
er vor dem Pfaltzgraffen Rudolpho zu
Recht ſeine Sache außfuͤhren ſolte; Wie-
wol einem ſo groſſen beklagten die Waffen
wider die Klaͤger als das Recht mehr be-
liebet; Und wiſſen wir nicht/ daß man nach
verfaſſung der guͤldenẽ Bulla von ſolchem
vor dem Pfaltzgraffen verhandeltem Ge-
richt geleſen habe. Der Urſprung dieſes
dem Pfaltzgraffen zuſtehenden Rechts iſt
ohne zweiffel aus dem Ampte hergeruͤhret/
welches er voralters als der Vornehmſte
des Koͤniglichen Hofes verwaltet hat:
Denn wie dieſer uͤber die andere Hoffleute
das Recht veruͤbete; Alſo/ wenn einer et-
was vom Koͤnige ſelbſt begehrte/ daruͤber
man
[229]des Teutſchen Reichs.
man Zweiffel hatte/ muſte der Pfaltzgraff
das Urtheil faͤllen/ welches der Koͤnig fuͤr
gut hielte/ nicht als wenn er ihn uͤber ſich
erkante/ ſondern weil nach erkanter Sache
des Klaͤgers der Koͤnig ſeine Pflicht er-
weiſen muͤſſe. Wie wir viele Fuͤrſten in
Teutſchland und andeꝛswo kennen/ die ſich
uͤber ungewiſſe Schuͤlde/ vor ihren eigenen
Gerichten pflegen beſprechen zu laſſen;
welche Gerichte doch den Fuͤrſten nicht
zwingen/ oder durch Straffe dazu treiben
koͤnnen/ wo ihn die Ehrerbietung gegen
dem Recht/ ſeinem Gewiſſen und offent-
lichem Geruͤchte nicht zur zahlung der
Schuld bringen wird. Jch halte aber/ die
Staͤnde ſeyn vergnuͤget/ daß ihnen vom
Keyſer nichts koͤnne befohlen werden/ was
ihnen mißfalle. Ein jeglicher verſtaͤndiger
wird von ihm ſelber ſolche verhaſte Frey-
heit/ als wann ſie ihrem Kaͤyſer gebieten
koͤnnen/ verachten.


§. 8.


Mit dem Hippolitho aber wuͤrde zwar
der
[230]Vom Zuſtand
der Kaͤyſer leichtlich zu recht kommen/ daß
er von ihm nicht unter die Unterthanen
gerechnet werde; Die jenigen halten aber
faͤſter an/ welche vorgeben es koͤnne beedes
dem Kaͤyſer eine Koͤnigliche Macht/ und
den Staͤnden die freyheit unter einem
Temperament beygeleget werden/ in dem
ſie Teutſchland unter die limitirte Koͤ-
nigreiche zehlen: Die von den vermiſchten
Regiments Formen ſchwaͤtzen/ koͤnnen
ſich auff keinerley weiſe herauß wickeln:
Dann uͤber dem/ daß einige vermiſchung
nichts als eine Mißgeburt des Regiments
hervor bringẽ kan/ kan auch keine art oder
ſpecies zu Teutſchen Regiment bequaͤmet
werden; in welcher weder die hoͤchſte Ge-
walt zugleich unzertheilet bey den meiſten
ſey/ noch die Theile derſelben Gewalt un-
ter verſchiedene Perſohnen oder Collegia
getheilet ſind. Ferner ſagen die erſten/ es
koͤnne alle daß jenige/ was dem Kaͤyſer
durch die Capitulation vorgeſchrieben
werde/ mit einem limitirten Koͤnigreich
beſte-
[231]des Teutſchen Reichs.
beſtehen/ als nemlich/ daß er nach den fun-
damental-
Geſetzen das Regiment ver-
walten/ und uͤber die Geſchaͤffte/ ſo die
Hauptſachen angiengen/ der Staͤnde be-
willigung erfordern muͤſſe; daß er keine
newe Geſetze ohne derſelben Vorwiſſen ge-
ben/ in geiſtlichen Sachen nichts aͤndern/
Frieden/ Krieg/ Verbuͤndniſſe nach der
Staͤnde gutduͤncken anfangen/ und der
Unteꝛthanen Streitigkeiten nicht als duꝛch
gewiſſe Gerichte auffheben koͤnne. Alſo/
daß die Staͤnde zugleich dem Reich und
dem Kaͤyſer trew zu ſeyn ſchweren/ koͤnne
auff dieſe weiſe erklaͤret werden/ daß ſie dem
Kaͤyſer gehorſamen wollen/ ſo weit er ſich
ihrer Huͤlffe und Guͤter zum gemeinen be-
ſten bedienen wil/ und wie es durch die Ge-
ſetze des Reichs beſchloſſen iſt; zugleich
auch/ daß ſie ſich gegen den uͤbrigen Ge-
richts Gliedern bequemen/ und als trewe
Mitbuͤrger erweiſen wollen. Es ſind aber
vornemlich zweyerley im wege/ war-
umb man Teutſchland nicht fuͤr ein limi-
tir-
[232]Vom Zuſtand
tirtes Reich halten koͤnne. 1. Ob gleich
der Koͤnig in der verwaltung eines
wahren Koͤnigreichs gewiſſen Geſetzen
nachleben muͤſſe/ gehet er doch in der That
allen Buͤrgern ſo weit vor/ daß niemand
ſeine Freyheit und Rechte mit des Koͤni-
ges Gewalt vergleichen duͤrffe/ und das alle
Vornehmſten nach des Koͤniges Willen
leben/ und ihm Rechenſchafft geben muͤſ-
ſen. Welches daß es in Teutſchland an-
ders beſchaffen/ iſt einem jeglichen bekand:
Denn es wird keiner von den Teutſchen
Staͤnden zugeben/ daß ſeine untergebene
Laͤnder mehr dem Kaͤyſer/ als ihme ange-
hoͤren/ oder daß er mehr auff des Kaͤyſers
als auff ſeinen eigenen Nutzen bey regie-
rung der Laͤnder ſchen muͤſſe. Ja ein jeg-
licher/ der ſich auf ſeine und ſeiner Bunds-
genoſſen Macht verlaͤſſet/ miſſet ihm ſo
viel bey/ daß er ſich auch nicht ſchewet/ ohn
des Kaͤyſers wiſſen andere Staͤnde oder
außlaͤndiſche Potentaten zu bekriegen/
Buͤndnuͤſſe und Alliancen ſo wol mit ein-
heimi-
[233]des Teutſchen Reichs.
heimiſchen als außlaͤndiſchen zu machen/
dem Kaͤyſer aber nur eine ſolche Ehrerbie-
tung/ welche man den Bildern vergeblich
zu thun pfleget/ erweiſet. Hernach hat ein
jeglicher Koͤnig/ ob er gleich limitiret/ die
die Freyheit/ daß die regierung und uͤbung
der Macht des gantzen Reichs endlich auff
ihn komme/ und daß ſolche Macht unter
ihm gleichſamb vereiniget werde/ daß ge-
meine beſte alſo fortzuſetzen/ daß es das an-
ſehen habe/ es werde von einem Menſchen
alles guberniret. Wer dieſes in Teutſch-
land ſehen kan/ muß Luchs Angen haben;
woſelbſten das Haupt und Koͤnig von dem
Reiche keine Einkuͤnffte hat/ ſondern von
ſeinem eigenem leben muß; wo kein ge-
meiner Schatz Kaſten/ keine offentliche
Soldateſca iſt/ ſondern ein jeglicher von
den Staͤnden ſich ſeiner Macht/ und Ein-
kuͤnfften ſeiner Laͤnder nach belieben ge-
brauchet; da ſie nur ein weniges zum all-
gemeinen beſten nach vielem anhalten zu-
ſammen tragen. Welches alles in vori-
gem
[234]Vom Zuſtand
gem Capitel weitlaͤuftiger außgefuͤhret/
und in der That ſelber klaͤrlich zu fin-
den iſt.


§. 9.


Jſt demnach nichts mehr uͤbrig/ als
daß wir ſagen Teutſchland ſey ein irre-
gulir corpus
uñ gleich einer Mißgeburt/
wenn es nach den Reguln der civil Wiſ-
ſenſchafft betrachtet wuͤrde; welches bey
verlauff der Zeit durch die unachtſahme
gutwilligkeit der Kaͤyſer/ ehrgeitz der Fuͤr-
ſten/ und Unruhe der Prieſter auß einem
ordentlichen Reich in ſo eine uͤbel zuge-
richtete Form geſtuͤrtzet/ daß es auch nicht
einmahl ein limitirtes Reich mehr iſt/
ob es gleich von auſſen alſo ſcheinet/ noch
auch eigentlich ein corpus oder zuſam-
menfuͤgung vieler verbundenen Staͤdte/
ſondern vielmehr etwas/ daß zwiſchen
dieſen beeden hingehet/ welches jmmer zu
einer verderblichen Unruhe und innerli-
chen auffwiegelungen anlaß giebet/ in
dem anff der einen ſeiten ſich der Kaͤyſer
bemuͤ-
[235]des Teutſchen Reichs.
bemuͤhet das Regiment nach Art eines
abſoluten Reichs an ſich zu ziehen/ auff
der andern die Staͤnde eine volkommene
Freyheit ſuchen. Gleich wie aber alle
außartungen dieſe Natur haben/ daß/
wenn ſie von ihrem anfange weit abge-
wichen/ mit ſchnellen lauff und gleichſam
freywillig zu ihrem untergang eylen/ zu
ihrer vorigen geſtalt aber ſchwerlich wie-
der koͤnnen gebracht werden; dann einen
Stein/ der einmahl an die haͤnge des Ber-
ges geſtoſſen/ kan man gar leichte auf die
ebene hinab weltzen/ aber nicht ohne groſ-
ſer Muͤhe wieder auff die Spitze des Ber-
ges bringen: Alſo kan Teutſchland ohne
groſſen Auffruͤhren und hoͤchſter confu-
ſion
zu einem rechtmaͤſſigen Reich nicht
wieder gebracht werden; zu einer zuſam-
menfuͤgung der veꝛeinigten gedeyet es von
ihm ſelber. Ja wenn man den Auff-
ſtand den der Kaͤyſer und die Staͤnde un-
tereinander haben auffhuͤbe/ wird ſchon
Teutſchland in der That ein corpus oder
zuſam-
[236]Vom Zuſtand
zuſammenfuͤgung der Bundsgenoſſen
ſeyn/ die mit einem ungleichen Bunde
verknuͤpffet/ darum weil die Staͤnde/ wie
ſie genennet werden/ den Kaͤyſer beſchei-
dentlich ehren und veneriren muͤſſen.
Ein Exempel iſt zu finden in der Geſell-
ſchafft der Freyſtaͤdte an dem Bunde
zwiſchen dem Roͤmiſchen Volck und den
Latinern/ ehe dieſe von jenem unterwuͤrf-
fig gemacht. Deßgleichen in der Krie-
geriſchen Geſellſchafft von der Herr-
ſchafft Agamemnonis in dem Kriegs-
heer der Griechen vor Tröja. Ob es wol
ſchier zugeſchehen pfleget/ daß wo derſel-
be/ ſo in dem Bunde der hoͤchſte iſt/ an
Macht weit hervor leuchtet/ die unter-
ſten Bundsgenoſſen allmaͤhlich als Un-
terthanen tractiretwerden; Koͤnnen de-
rowegen den Zuſtand Teutſchlandes am
fuͤglichſten bezeichnen/ daß er am nechſten
zu einer zuſammenfuͤgung vieler Staͤdte
komme/ in welcher gleichſamb ein
Fuͤrſt oder Obriſter des Bundes her-
vor
[237]des Teutſchen Reichs.
vor leuchte/ der mit Koͤniglichem anſehen
gezieret; Welches corpus doch von vie-
len erſchꝛecklichen Kranckheiten angefein-
det wird/ von welchen wir in folgendem
Capitel handeln wollen.


Das VII. Capitel.
Von den Kraͤfften und Kranck-
heiten des Teutſchen Reichs.


§. 1.


DJe Kraͤffte eines Regiments koͤn-
nen betrachtet werden entweder an
ſich/ oder nach dem ſie durch eine ordent-
liche Regiments Form fuͤglich moͤgen ge-
braucht werden. An ſich betrachtet be-
ſtehen ſie in Mannſchafft und in gewiſſen
Landes Mitteln. Was die Mannſchafft
betrifft/ ſo kan Teutſchland uͤber derer
Menge und Natur nicht wol klagen.
Es iſt von dem vornehmſten Adel eine ſo
groſſe Menge und Herrligkeit alt ſonſt
nirgends in der gantzen Welt. Des ge-
ringeren Adels iſt auch nicht mehr als
das
[238]Vom Zuſtand
das Land ertragen kan/ darff er alſo fuͤr
allzu groſſer Menge nicht eben unehrli-
che Handthierung treiben. Derer die
ſich dem ſtudieren ergeben/ ſind vieleicht
mehr als noͤtig/ und werden gemeiniglich
unter vielen Kraͤntztraͤgern wenig Ph0153;-
bi
gefunden. Kauff- und Handwercks-
Leute ſind uͤberfluͤſſig; Bauren giebt es
doch an etlichen Orten weniger/ als die
weitlaͤufftigkeit des Laudes erfordert/
weſſen Urſach iſt zum theil der 30. Jaͤh-
rige Krieg/ wodurch Teutſchland elendig-
lich verwuͤſtet/ zum theil/ weil die Bau-
ren der Natur ſeyn/ daß ſo bald ſie ein
wenig beguͤtert werdẽ/ ſie ihre Kinder laſ-
ſen ein Handwerck lernen/ dann ſie ſchaͤ-
tzen die/ welche in den Staͤdten wohnen/
gluͤckſeliger als ſich ſelbſten. Und ob ich
kaum traue das jemand ſey/ der die Zahl
der Staͤdte und Doͤrffer in Teutſchland
auffzuzeichnen angefangen/ ſo wird doch
der jenige von denen bey ſolcher nation
erfahrnen keiner Thorheit beſchuͤldiget
wer-
[239]des Teutſchen Reichs.
werden/ der da ſagen wird/ es koͤnne leicht-
lich ein Krieges Heer von 200000.
Mann auffgebracht werden/ wenn nur
auß jeglicher Stadt 5. und auß jeglichem
Dorffe 1. oder 2 Soldaten außgeſchrie-
ben wuͤrden. Zum beweiß kan dieſes hin-
zugethan werden: Daß gewiſſe Autores
an Staͤdte/ Flecken und Schloͤſſer 1957.
in den zehen Kraͤyſen zehlen/ außgenom-
men das Koͤnigreich Boͤhmen/ worin
nach dem Hagecio zu des Ferdinandi
I.
Zeit 102. Staͤdte/ 308. Flecken/ 258.
anſehnliche Schloͤſſer/ 171. Kloͤſter/
30363. Doͤrffer geweſen. Jn Schleſten
zehlen ſie 411. Staͤdte/ 863 Flecken/
51112. Doͤrffer; Jn Maͤhren 100.
Staͤdte 410. kleine Flecken 30360.
Doͤrffer. Abteyen und Kloͤſter zehlen
ſie vorzeiten/ ehe ſo eine groſſe Menge der-
ſelben von den Proteſtanten abgeſchaf-
fet 11024. Alſo ſchreibet man/ daß durch
des Ferdinandi II. Eyffer hundert mahl
hundert tauſend Menſchen zur Catholi-
ſchen
[240]Vom Zuſtand
ſchen Kirchen ſind beruffen worden. Die
nation ſelbſt iſt zu allen Zeiten ſtreitbahr
und zum Kriege begierig/ die faſt durch
gantz Europa ihr Blut zu kauff herumb
traͤget. Und ob es ihr an Hitzigkeit man-
gelt/ iſt ſie ſo viel beſtaͤndiger/ und koͤnnen
derſelben Gemuͤhter herrliche Diſcipli-
nen
faſſen. Sie iſt auch zu allerhand
Kuͤnſten geſchicket/ und welches viel zur
befeſtigung der Laͤnder machet/ iſt ſie zu
neuẽ Haͤndeln gaꝛ nicht geneigt/ kan auch
ein nicht zu hartes gebiet wol vertragen.


§. 2.


Unter dẽ Landes Mitteln wird das Land
ſelbſt eꝛſt geſetzet/ wie weitlaͤufftig ſolches
ſey/ wird der jenige leichtlich verſtehen/
welcher auß Caſſuben nacher Mumpel-
gard/ oder auß dem euſſerſten Holſtein
an die Graͤntze des Landes Krayn/ oder
von Luͤttig an die euſſerſte Graͤntzen
Schleſien gereiſet hat. Jn ſo einer groſ-
ſen Landſchafft ſind wenig Orte/ wenn
man die Alpgebirge außnimbt/ die nicht
etwas
[241]des Teutſchen Reichs.
etwas zur erhaltung des Menſchlichen Le-
bens tragen ſolten; Ferner iſt ein ſolcher
zuwachs derer zum Leben nothwendigen
Dinge/ daß ſie der außlaͤndiſchen nicht als
zum ſchlemmen und uͤberfluͤſſigen Wolluͤ-
ſten beduͤrffe. Die Bergwercke und etliche
Fluͤſſe geben zwar wenig Goldes/ und die
Edelgeſteine ſo Teutſchland zeuget/ werden
nicht ſo theur gehalten. Sonſten wird das
Silber an vielen Orten haͤuffig außgegra-
ben/ imgleichen Kupffer/ Zinn/ Bley/ Ei-
ſen/ Queckſtlber/ und ander Ertz von gerin-
germ Werth. So viel Saltz als die Ein-
wohner beduͤrffen/ geben ihnen die Brun-
nen hervor/ ob wol die oͤrter/ welchen das
Meer oder die Schiffreichen Fluͤſſe guͤn-
ſtig ſeyn/ ſich jetzt zum offtern des Saltzes
bedienen/ das aus Franckreich/ Portugal
oder Niederland gebracht wird. Es hat
allerley Korn und Fruͤchte/ Holtz/ und
was man zur Kleidung bedarff uͤberfluͤſſig/
wie auch Pferde/ gꝛoß und klein-Viehe/ und
Wild. Es mangelt auch Teutſchlande an
Mkeinem
[242]Vom Zuſtand
keinem Getraͤnck zur Trunckenheit dien-
lich; daß alſo Teutſchland in allem fuͤr eine
reiche Landſchafft koͤnne gehalten werden:
Denn uͤber dem/ daß es ſelbſten die mate-
ria
des Geldes zeuget/ bringet es faſt alles
hervor/ was zur nothdurfft uñ beluͤſtigung
bes Menſchlichen Lebens vonnoͤthen/ daß
nicht allein die Einwohner dran gnug ha-
den/ ſondern auch den Außlaͤndern davon
mittheilen koͤnnen. Und was es von an-
derswoher eingefuͤhrten Wahren gebrau-
chet/ uͤbertrifft entweder das jenige nicht/
was wieder außgefuͤhret wird/ oder es ſind
ſolche Wahren/ derer die Teutſchen leicht-
lich entbehren koͤnten/ wenn ſie ihre ſchwel-
gerey zu bezwingen/ oder ihre faulheit und
thorheit abzulegen wuͤſten; Denn wie
leicht koͤnten ſie mit ihꝛem Wein und Bier/
oder wenn dieſe zur Trunckenheit noch
nicht genug waͤren/ mit ihrem heiſſen
Brandwein zu frieden ſeyn/ und des Spa-
niſchen und Frantzen Weins entrathen?
Wie leichte koͤnten ſie ſich auch mit dem
aus
[243]des Teutſchen Reichs.
aus ihrer eigenen Wolle gemachtem Tuche
kleiden/ und den Spaniern/ Engellaͤndern
und Hollaͤndern das ihrige laſſen? Oder
wenn ſie luſt zu derer Schoͤnheit haͤtten/
ſolten die einheimiſche Handwercker ſelbi-
ge Kunſt beſſer außuͤben; Es waͤre auch
den Teutſchen nicht ſchwer unſerer Seide
zu entbehren; Oder/ wenn ſie ja was herr-
licher bekleidet einher gehen wolten/ ſo
wachſen in dem Landſtrich am Rheinſtrom
hauffen weiſe Maulbeer Baͤume/ wenn ſel-
bige Leute von ihrer eigenen traͤgheit ſo viel
erhalten koͤnten/ daß ſie neben den Wein-
bergen auch ſonſten was nuͤtzliches zu ba-
wen vornehmen/ ſo koͤnten ſie von dieſen
Baͤumen fuͤr die Seidenwuͤrme Nahrung
haben/ und von den unſerigen Seide zu
verfertigen lernen. Ferner wie man die-
ſes der einfalt des Volcks vielleicht muß
zu gute halten/ daß ſie meynen/ ſie werden
durch nachahmen der Frantzoͤſiſchen Klei-
der Moden artiger außſehen; Alſo iſt das
die groͤſte Thorheit/ daß ſie auch offte ge-
M ijring-
[244]Vom Zuſtand
ringfuͤgige oder garſtige Stoffe von den
Frantzoſen holen: Deñ bey ihnen ſind auch
nichtswuͤrdige Dinge/ wenn ſie nur von
Franckreich den Namen haben/ in groſſem
Werth. Daß aber die Frantzoͤſiſche Kuͤnſt-
ler die arten des Tuchs und Stoffes ſo ofte
aͤndern/ iſt nicht ſo wol eine Leichtfertigkeit/
als eine verſchlagene Klugheit: Denn auff
dieſe weiſe verhuͤten ſie/ daß auch die Teut-
ſchen Kuͤnſtler ſolches bey ihnẽ nicht nach-
thun: Wiewol die meiſten unter dieſen ſo
naͤrriſch ſind/ daß ſie meynen/ es ſey keine
ſo groſſe unbillichkeit/ von der einmahl an-
genom̃enen Weiſe abzutreten. Und halten
nicht/ daß ſie ihnẽ was beſſers machen muͤ-
ſten/ weil es ihren Vorfahren unbewuſt
geweſen. Endlich koͤnte auch Teutſchland
mit dem Gewuͤrtz/ Zucker/ und andern aus
beeden Jndien geholeten Sachen viel ſpar-
ſamer umbgehen/ wenn es ſeine Uppigkeit
im Zaum halten wolte.


§. 3.


Es fehlet auch Teutſchland nicht an
Mit
[245]des Teutſchen Reichs.
Mitteln/ dadurch es anderer Leute Guͤter
durch Huͤlffe der Commercien an ſich
bringen koͤnne. Dazu wird eꝛfodert eine be-
quaͤme Gelegenheit zu den Außlaͤndern zu
gehen/ und ſolche wieder einzunehmen/ wie
auch/ daß die einheimiſchen uͤberley haben/
was ſie den außlaͤndern zufuͤhren koͤnnen.
Die Staͤdte ſo an der Oft See oder Bal-
thiſchen Meere liegen/ haben eine ſehr be-
quaͤme Gelegenheit die Commercien zu
treiben; welche aber an die Schiffreichen
Fluͤſſe liegen/ haben wegen der groſſen Zoͤlle
eine etwas ſchlechtere. Zu Lande die Wah-
ren zu verfuͤhren/ bringet ſchlechten Ge-
winn. Die Wahren ſo aus Teutſchland
gefuͤhret werden/ ſind ſchier nachfolgende:
Eiſen und allerhand daraus gemachte
Werckzeuge/ Bley/ Queckſilber/ Wein/
Bier/ Brandtewein/ Getreyde/ Wolle/
grob Wollen Tuch/ allerhand Wollin und
Leinen Stoff/ Pferde/ Schaffe/ und was
dergleichen mehr ſeyn mag. Doch leugne
ich nicht/ daß in etlichen Laͤndern Europæ
M iijmehr
[246]Vom Zuſtand
mehr Geld als in Teutſchland zu finden
ſey/ weſſen unteꝛſchiedliche Urſachen zu ſeyn
ſcheinen; Denn kein Wunder iſt es/ daß
die jenige Landſchafft zum theil außge-
ſchoͤpffet ſey/ in welcher der Mars gantzer
30. Jahr gehauſet/ und die nicht allein der
einheimiſchen/ ſondern auch der außlaͤndi-
ſchen Soldaten Beute geweſen; Darnach
ſind auch Laͤnder in Europâ, die eine viel
bequaͤmeꝛe Gelegenheit haben mit den Auß-
laͤndeꝛn Cõmercien zu tꝛeiben/ als Teutſch-
land: Denn es ſind nur wenig Staͤdte in
Teutſchland/ die an deꝛ See liegen; Da hin-
gegen dieſe Engelland/ Jtalien/ Spanien/
Portugal/ Franckreich und Niederland
mehr guͤnſtig iſt. Man findet uͤber dem Laͤn-
der/ die ihnen andere unterworffen haben/
und alſo deren Guͤter und Macht in einem
anblick gleichſamb repræſentiren/ als da
ſind: Spanien/ Portugal/ Engelland;
Teutſchland beſitzet nichts auſſer ſich. Es
pfleget auch etlichen der Glantz und groͤſſe
der vornehmſten Staͤdte in einigen Koͤnig-
reichen/
[247]des Teutſchen Reichs.
reichen/ varin ſich der groͤſte Reichthum
verſamlet/ in den Augen zu liegen. Alſo
faͤllen viele unerfahrne aus Pariß von dem
gantzen Franckreich/ oder aus Lunden allein
und Liſabon von Engelland und Portugal
das Urtheil. Daß aber der Teutſchen Reich-
thum in einem ſo groſſen Lande zerſtrewet
iſt/ machet ihm ein ſchlechter Anſehen. Es
wird auch ein groſſer hauffen Geldes duꝛch
der Teutſchen Thorheit an die Außlaͤnder
gebracht/ in dem ſie von ihnen Wahre neh-
men/ die ſie entweder bey ſich haben/ oder
deren ſie leichte gar entbehren koͤnnen;
Jch weiß nicht/ ob man auch dieſes hinzu
thun ſoll/ daß durch die Reyſen der Teut-
ſchen Jugend viel Geld an die Fremde aus
dem Vaterlande gezogen werde. Denn ob
es vielleicht nuͤtzlich ſey/ daß die etwas rau-
he Teutſche Art durch die converſation
mit den Außlaͤndern gemaͤſſiget werde/ ſo
ſind doch die jenigen billich außlachens
oder mitleidens werth/ welche aus unſerm
Welſchlande nichts als etliche beluſtigun-
M iiijgen
[248]Vom Zuſtand
gen der Laſter/ ſo bey denen jenſeits den Alp-
gebirgen ungebraͤuchlich/ und unbekandte
Fluͤche nach Hauſe bringen. Es laͤſſet auch
Franckreich die meiſten reyſende mit kei-
nen andern Kuͤnſten von ſich/ als daß ſie
hernach deſto garſtiger ſchwelgen/ und die
gradus der Veneriſchen reudigkeit gemei-
niglich aus eigener erfahrung zu erzehlen
wiſſen. Etliche/ die einen Verdruß ha-
ben im Vaterlande duꝛch viel umbſchweif-
fe zu den vergeblichen Schul Tituln zu ge-
langen/ halten es doch fuͤr einen Gewinn/
daß ſie in Jtalien und Franckreich gewe-
ſen. Denn bey uns kan man mit geringe-
rer Schande und Unkoſten eines Doctors
Titul neben der unwiſſenheit erlangen/ und
alſo mit ſich nacher Hauſe bringen; wie-
wol auch bey ihnen bißweilen aus einem
genugſam groben Holtze dergleichen Mer-
curii
geſchneittelt werden.


§. 4.


Weil aber niemand ſtarck oder ſchwach
kan genennet werden/ wo er nicht mit an-
dern
[249]des Teutſchen Reichs.
dern verglichen wird; Muß man auch
ferner ſehen/ was die Kraͤffte Teutſchlan-
des gegen den benachbarten fuͤr eine be-
ſchaffenheit haben. Graͤntzet demnach
Teutſchland an einer Seite an daß Tuͤr-
ckiſche Reich in der Steyermarck/ wie
auch an Ungern und Croatien/ welche bil-
lig als deſſelben Paſteyen koͤñen gehalten
werden/ iſt derowegen Teutſchlande viel
daran gelegen/ daß dieſe unbeſchaͤdigt
bleiben. Dahero offenbahr iſt/ daß ob
gleich der Tuͤrck auß ſeinen weitlaͤuffti-
gen Laͤndern ein weit groͤſſer einkommen
an Geld habe/ und vielleicht mit einer viel
groͤſſern Menge Leute daß Feld fuͤllen
koͤnne/ es doch ſcheine/ Teutſchland habe
ſich fuͤr ihm der Orten her wenig zu fuͤrch-
ten. Denn er beruͤhret Teutſchland nur
mit dem euſſerſten Rande ſeines Reichs/
da ſolches als ein Keil zugeſpitzet wird/
und zwar weit von der vornehmſten Re-
ſidentz
des Reichs; Alſo daß nicht ohne
groſſer beſchwerligkeit die Ungriſchen
M vKriege
[250]Vom Zuſtand
Kriege von den Tuͤrcken gefuͤhret wer-
den: Denn uͤber dem/ daß die Tuͤrckiſche
Soldaten den wolgeuͤbten Teutſchen
nicht baſtand ſeyn/ muͤſſen ſie auch mit
groſſer Muͤhe auß Aſia gehen/ ſind der
rauhen Lufft wenig gewohnet/ und koͤn-
nen die Kaͤlte nicht vertragen. Und nach
dem alle Macht an den aͤuſſerſten Graͤn-
tzen des Reichs verſamlet/ pflegen die
widrigen Theile gegen Perſten hoffaͤr-
tig zu werden. Vnd wenn die benach-
barten Laͤnder Servia, Bulgaria und das
Tuͤrckiſche Ungarn ſelbſt eine ſo groſſe
menge nicht erhalten kan/ muß man zu
Lande von weiten her mit groſſer Muͤhe
den Proviant zufuͤhren/ weilen ſich die
Donau zu groſſem auffnehmen Teutſch-
landes gegen Morgen ergieſſet. Und
hat Teutſchland faſt niemals uͤber das
vierdte theil ſeiner Macht/ welche gemei-
niglich unter der Obriſten traͤgheit oder
uneinigkeit auch an Zucht und Geld
mangel gehabt/ wider den Tuͤrcken ge-
fuͤhret;
[251]des Teutſchen Reichs.
fuͤhret; doch findet man mehr Sieges zei-
chen bey den Teutſchen von den Tuͤrckan/
als bey dieſen von jenen. Es iſt aber der
Tuͤrcken Nahmen bey dem gemeinen
Mann erſchrecklich worden/ ſo wol we-
gen ihrer gꝛauſamẽ Sitten/ als wegen der
Oeſterreichſchen Liſt/ welche durch dieſes
ſchrecken die Beutel außleeren; Da auch
der Prieſter geſchrey und luſt zu weiſſa-
gen dazu kommen; Weilen ihnen auch
daran gelegen/ daß der gemeine Poͤfel in
Furcht ſtehe.


§. 5.


Jtalien iſt wedeꝛ an Volck noch Reich-
thum Teutſchlande gleich/ und weil es in
viele Theile zerriſſen/ andern Gewalt an
zu thun untuͤchtig. Ja wir haben dar-
an genung/ daß die Teutſchen Kaͤyſer
ihr altes Recht an Jtalien nicht zu er-
neuern ſuchen; vornemlich weil es bey
dieſer boͤſen Zeit daß anſehen hat/ daß die
ehrerbietung des Paͤbſtlichen Bannes/
welcher ihnen vor zeiten zum offtern
M vjſchreck-
[252]Vom Zuſtand
ſchrecklich geweſen/ nun gaͤntzlich ab-
kommen. Es darff ſich auch Pohlen in
keinerley weiſe mit Teutſchland verglei-
chen/ weil die beſchaffenheit des Pohl-
niſchen Regiments erfordert/ vielmehr
das ſeine zu erhalten/ als frembde Sa-
chen zubegehren; Welche beſcheidenheit
auch den Teutſchen ihre Regiments be-
ſchaffenheit lehret/ dahero ſich faſt keine
gelegenheit/ welche dieſe beede nationes
durch Krieg an einander bringen koͤnne/
findet/ es ſey den daß ſich vieleicht einer
von den Teutſchen Fuͤrſten mit den in-
nerlichen Pohlniſchen ſtreitigkeiten ver-
mengen wuͤrde. Die Daͤnen haben biß-
her nicht einmahl Hamburg bezwingen
koͤnnen/ ich geſchweige daß ſie wiedeꝛ gantz
Teutſchland etwas zu Hoffen haͤtten/
wenn ſich nur ihre Nachbarn die Schwe-
den regen/ ſind ſie furchtſahm. Umb En-
gelland/ ſo weit es an der See graͤntzet/
bekuͤmmern ſich die Teutſchen wenig;
Und wie ſich jenes vergeblich zu Laude
begeben
[253]des Teutſchen Reichs.
begeben wuͤrde/ alſo haben dieſe keine
Seemacht/ die mit der Engliſchen ver-
glichen etwas auff ſich haben koͤnne. Die
veꝛeinigte Niderlaͤnder weder wollẽ noch
koͤnnen wider Teutſchland etwas vor-
nehmen; Denn ſie als Waſſer Thiere
ſind auch nicht zum Land Kriege ge-
ſchickt/ und ob ſie gleich Gelt uͤbrig haben/
iſt es doch ihꝛer Fꝛeyheit nicht zutraͤglich/
ein groſſes Kriegesheer zu Lande zu hal-
ten/ ſind demnach zu frieden/ wenn die
Teutſchen die Staͤdte/ welche ſie beſetzt
haben/ umb ihre Graͤntzen wieder die
Spanier zu befaͤſtigen/ nicht mit Gewalt
ſuchen wieder zunehmen. Die Theile des
Spaniſchen Reichs/ welche an Teutſch-
land graͤntzen/ koͤnnen auff keinerley wei-
ſe mit ihr verglichen werden. Ferner iſt
Spanien ſelbſt weit abgelegen/ von Leu-
ten entbloͤſſet/ und nicht einmahl tuͤchtig
das kleine Koͤnigreich Portugal zu be-
zwingen. Ja auch Carolus V. der in
Spanien bey deſſelben gutem Wolſtande
M vijregierte/
[254]Vom Zuſtand
regierte/ und ſich auff die Oſterreichiſche
Laͤnder/ wie auch Kaͤyſerliches anſehen
verließ/ hat ſich vergeblich bemuͤhet daß
uͤbrige Teutſchland zu unterdruͤcken.
Schweden/ ob man ihm wol die neulich
erworbene Teutſche Provincien zu leget/
iſt doch beedes an Volck und Reichthum
weit geringer als das uͤbrige Teutſch-
land: Denn daß etliche einfaͤltige Leute
wegen des Volckes zweiffeln/ dazu ſind
ſie bewogen theils auß dem alten Worte
vagina gentium, Zu Teutſch der Voͤl-
cker ſcheide/ theils auß dem gluͤcklichen
fortgang der Schweden in dem neulich-
ſten Kriege; wie ſolcher beſchaffen/ iſt
verſtaͤndigen Leuten nicht unbekand.
Nemlich es ſind in 18. Jahren nicht
uͤber 70000. Soldaten auß Schweden
ſelbſt geſand/ deren viel wiederuͤmb ins
Vaterland gekehret; Da doch in waͤ-
rendem dieſem Kriege ſelten unter
100000. Teutſchen/ auch offtmahls druͤ-
ber in Waffen geweſen; Die Urſach aber
ſolches
[255]des Teutſchen Reichs.
ſolches fortganges war der Teutſchen Un-
einigkeit/ die bequaͤme Gelegenheit/ und
daß die von den Oeſterreichiſchen bedren-
gete Proteſtanten den Koͤnig Guſtavum
als eine vom Himmel geſchickte Huͤlffe
auffnahmen. Wegen des jetzo wol flori-
renden Frantzoͤſiſchen Reichs kan man am
fuͤglichſten zweiffelen; Jedoch aber/ wenn
eines jeglichen Macht an ſich/ ohne Nu-
tzen oder Schaden/ betrachtet wird/ deren
jener Franckreich aus ſeiner ordentlichen
Monarchia, dieſer Teutſchland aus der
auffgeloͤſeten Regiments Form entſtehet/
wird man fuͤr Teutſchland ſprechen muͤſ-
ſen: Denn es iſt Teutſchland beedes viel
weitlaͤufftiger als Franckreich/ und ob es
ihm ſchon an Fruchtbarkeit gleichet/ ſeyn
doch die unterirrdiſche Guͤter Teutſchlan-
des viel groͤſſer; Franckreich iſt auch nicht
ſo ſtarck an Volck/ und das die Teutſche
Soldaten den Fꝛantzoͤſiſchen nichts nach
geben/ iſt mit vielen Proben bewieſen.
Wegen des Reichthums am Gelde kan
mans
[256]Vom Zuſtand
mans nicht ſo gewiſſe ſagen: Denn wir ha-
ben traun nicht ohne verwunderung gehoͤ-
ret/ welch einen hauffen Goldes der jetzige
Koͤnig in wenig Jahren beydes aus ſeinem
Jaͤhrlichen Einkom̃en/ und dann fuͤrnem-
lich daraus/ daß er die alten Schwaͤm-
me außdruͤcket/ zuſammen getragen. Doch
muß man zugleich betrachten/ daß der ge-
meine Poͤbel in Franckreich viel haͤrter
durch Tribut und Zoͤlle außgeſogen werde/
als in Teutſchland/ und daß daſelbſt alle
Guͤter des Reichs gleichſamb in einen
Bach zuſammen flieſſen/ wie groß aber die
unter ſo vielen Fuͤrſten getheilete Ein-
kuͤnffte Teutſchlandes ſeyn/ kan man ſo
klaͤrlich nicht ſehen.


§. 6.


Ob aber gleich Teutſchland einem jeg-
lichen Koͤnigreiche vorgehet/ moͤchte man
doch dencken/ wie es werden wuͤrde/ wenn
viele mit geſampter Macht daſſelbe angrif-
fen? Hier muß man anfangs in acht neh-
men/ daß etlicher Gelegenheit nicht zugebe/
daß
[257]des Teutſchen Reichs.
daß ſie ſich zugleich wider Teutſchland ſe-
tzen; Etlicher Macht ſey auch nicht ſo gꝛoß/
daß ſie etwas gegen Teutſchland zu bedeu-
ten habe; Auch hernach die andern nicht
zugeben wuͤrden/ daß einer oder ander
Teutſchland unteꝛdꝛuͤcke/ und einen ſolchen
Reichthum uͤberkomme/ duꝛch deſſen Huͤlf-
fe er leichte dem gantzen Europæ Geſetze
vorſchreiben koͤnne; Und wuͤrde alſo nie-
mahls an Leuten fehlen/ die ſich Teutſch-
land zu erhalten bemuͤhen wuͤrden. Sind
derowegen nur drey/ welche als Fuͤrſten
oder Haͤupter der Verbuͤndniſſe ſich be-
duͤncken laſſen/ daß ſie Teutſchland wol
koͤnnen angreiffen; Als der Tuͤrck/ daß
Haus Oeſterreich/ und der Frantzoß. Es
iſt nicht vermuthlich/ daß einiger von den
Teutſchen Fuͤrſten es offentlich mit dem
Tuͤrcken halte/ auch nicht der Frantzoß ſel-
ber: Denn der Bund/ welchen der Fran-
tzoß in dem vorigen Seculo mit den Tuͤr-
cken gemacht/ hatte dahin ſein abſehen/ daß
dadurch des Caroli Macht/ welche dem
Fran-
[258]Vom Zuſtand
Frantzoſen damahls beſchwerlich fiel/ ge-
hemmet wuͤrde. Vor einem ſolchen Bun-
de aber/ darin man ſich vereinge/ Teutſch-
land anzugreiffen und zu bezwingen/ hat
man ſich nicht zu fuͤrchten/ weil es beedes
gottloß und naͤrriſch ſeyn wuͤrde/ dieſen
Barbaren ſo ſehr zu Willen zu ſeyn/ wel-
che alle Chriſten mit gleichem Haß verfol-
gen. Sondern wie es Franckreich zutraͤg-
licher iſt/ daß Teutſchland lieber bey dem
gegenwertigen Stande gelaſſen werde/ als
daß ein groß Theil deſſelben in der Tuͤr-
cken Haͤnde falle; Alſo ſehen auch die Tuͤr-
cken lieber/ daß der Zuſtand Teutſchlandes
ungeſtalt/ und andere anzugreiffen untuͤch-
tig gelaſſen/ als daß es mit Franckreich ver-
einiget zu einer Monarchia eingerichtet
werde: Denn wenn ſich dieſe beeden Koͤ-
nigreiche auff guten Glauben miteinander
vereinigten/ muͤſte der Tuͤrck fuͤr ſeinem
Conſtantinopel Sorge tragen. Es wird
keiner von den benachbarten wuͤnſchen/
daß das Haus Oeſterreich das uͤbrige
Teutſch-
[259]des Teutſchen Reichs.
Teutſchland als ein Koͤnig beherrſche; und
halte ich/ es wuͤrde keiner ſo thoͤricht ſeyn/
der dieſem Vornehmen wolle zu huͤlffe
kommen. Ja/ wie es die Spanier mit dem
Hauſe Oeſterreich halten; alſo werden ſich
dieſem die Frantzoſen/ Schweden und ver-
einigte Niderlaͤnder ſo viel williger wider-
ſetzen/ weil ſie den Teutſchen niemahls ver-
geblich Huͤiffe geleiſtet. Es ſcheinet auch/
der Pabſt ſey allhte den Oeſterreichiſchen
nicht gar zu guͤnſtig; Denn ob es wol ihm
als dem Oberſten Hirten ruͤhmlich ſeyn
wuͤrde/ ſo viel Millionen irrender Schaͤff-
gen zur Kirchen zu ruffen/ duͤncket ihm
doch/ wenn es gleich mit vieler Seelen
Schaden geſchehen ſolte/ zu machen/ daß
nicht Teutſchland oder Spanien/ ſich
auf ihre all zu gꝛoſſe Macht verlaſſend/ uͤber
Jtalien ihnen etwas anmaſſen. Wo
endlich der Frantzoß wider Teutſchland et-
was vornehmen wuͤrde/ wird er gleicher
geſtalt die Spanier/ Engellaͤnder/ Jtaliaͤ-
ner und vereinigte Niederlaͤnder zu offent-
lichen
[260]Vom Zuſtand
lichen Feinden haben. Deren bieſe/ weiß
nicht aus was aberglauben/ des alten
Sprichwoꝛts eingedenck zu ſeyn ſcheinen:
Man koͤñe den Frantzoſen wol zum Freun-
de/ aber nicht zum Nachbarn haben. Die
Daͤnen ſolten ſich vielleicht nicht ſo ſehr
ſchewen/ ſich unter der Frantzoſen Schutz
zu ergeben/ wenn ihnen nur dadurch die
vor den veꝛhaſten Schweden ſtetige Fuꝛcht
koͤnte benommen werden. An der Schwe-
den Verbuͤndniß ſcheinet viel gelegen zu
ſeyn/ vornemlich/ wenn ſie einen ſtreitba-
ren Koͤnig haben. Es haben aber die ver-
ſtaͤndigen ſchon laͤngſt gemercket/ daß zwar
die Frantzoſen ſich der Schweden Huͤlffe
nicht umbſonſt bedienen wollen/ ſondern
alſo/ daß was dadurch erworben/ allein zu
ihres Reichs Auffnehmen gereichen ſoll.
Dieſes aber iſt dem Frantzoſen gar nicht
zu Kopffe/ daß die Schweden mit dem
Frantzoͤſiſchen Gelde ihre eigene Macht
ſo weit fortſetzen/ und alſo hernach leicht-
lich der Frantzoſen Freundſchafft entbeh-
ren
[261]des Teutſchen Reichs.
ren koͤñen; Hingegen halten es die Schwe-
den fuͤr eine Thorheit/ ſich mehr umb der
Frantzoſen als umb ihren eigenen Nutzen
zu bemuͤhen: Sie ſind auch nicht ſo dum/
daß ſie nicht ſehen ſolten/ weñ der Frantzoß
Teutſchland uͤberkommen ſolte/ daß er
eben ſo wol den Schweden als andern be-
nachbarten Geſetze geben wuͤrde. Daher
iſt auch unter dieſen Voͤlckern die Freund-
ſchafft eine zeitlang was laulicht geweſen/
und iſt dem Frantzoſen ein bequaͤmer Mit-
tel vorkommen/ nemlich/ ihm etliche Fuͤr-
ſten in Teutſchland/ vornemlich die am
Rheinſtrom wohnen/ durch Verbuͤndniß/
und wie man ſagt/ Jaͤhrliche ſubſidien
Gelder anhaͤngig zu machen/ ſich umb
Teutſchland ſehr bekuͤmmert zu erzeigen/
ſich ſehr bemuͤhen/ der Fuͤrſten Streitig-
keiten beyzulegen/ ſich denen ſo ihn umb
Gelt und Volck bitten/ willig zu erweiſen/
ſich endlich alſo anzuſtellen/ daß die/ ſo
Huͤlffe beduͤrffen/ verſtehen moͤgen/ daß
ſie eine gewiſſere Huͤlffe von der Freund-
ſchafft
[262]Vom Zuſtand
ſchafft mit Franckreich/ als vom Kaͤyſer
und den Geſetzen des Reichs zu hoffen
haͤtten. Der nicht mercken ſolte/ daß auff
dieſe weiſe der Weg zum untergang der
Teutſchen Freyheit gebahnet werde/ muͤſte
zimlich dum ſeyn/ vornemlich wenn es ſich
zutruͤge/ daß in Oeſterreich keine Maͤnn-
liche Erben waͤren.


§. 7.


Dieſes weitlaͤufftige Teutſche Reich aber/
welches/ wenn es zum rechtmaͤſſigen Reich
gemacht/ dem gantzen Europa wuͤrde er-
ſchrecklich ſeyn/ wird durch innerliche
Kranckheiten und Trennungen alſo ge-
ſchwaͤchet/ dz es kaum ſich ſelbſt verthaͤtigẽ
kan; Die vornehmſte Urſach dieſes Ubels
kompt her aus der unfuͤglichen und uͤbel
geordneten zuſammenſetzung des Regi-
ments. Weil eine groſſe menge Leute nicht
ſtaͤrcker iſt/ als ein einiger Menſch/ ſo lange
ein jeglicher vor ſich allein ſorget. Alle
Macht kompt her auß der zuſammenhal-
tung. Und da viel in einem natuͤrlichen
Leib
[263]des Teutſchen Reichs.
Leib nicht koͤñen zuſammen wachſen/ wird
doch vieler Macht vereiniget/ in dem ſie
von einem Rath gleich als von einer Seele
regieret wird. Wie viel feſter und fuͤglicher
dieſe Vereinigung iſt/ ſo viel ſtaͤrcker wird
die Geſellſchafft; Auff die weit voneinan-
derſtehung und uͤbele zuſammenfuͤgung
der Glieder folgen nothwendig Schwach-
und Kranckheiten. Die vollkommeſte und
daurhafftigſte Vereinigung ſiehet man in
einem wolgeordneten Koͤnigreich. Denn
die Ariſtocratien, uͤber dem daß ſie kaum
fuͤglich beſtehen koͤnnen/ ohne wo eines
Regiments vornehmſte Macht auff eine
Stadt geſamlet wird/ ſind von Natur ge-
braͤchlicher als die Monarchien: Maſſen
die Durchlaͤuchtigſte Venetianiſche Reſ-
publ:
unter die Wunderwercke zu rech-
nen iſt. Die aus vielen Staͤdten durch
Verbuͤndniß zuſammengefuͤgte Syſtema-
ta
haͤngen vielloſer aneinander/ und koͤn-
nen leichter verunruhiget oder getrennet
werden. Damit ſie aber doch einige Staͤr-
cke
[264]Vom Zuſtand
cke haben/ iſt vornemlich vonnoͤthen/ daß
die verbundene Staͤdte eine Regiments
Form haben/ und an Macht einander
nicht ſehr ungleich ſeyn/ und daß aus die-
ſer verbindung eine jegliche gleichen Nu-
tzen habe. Darnach daß ſie aus reiffem
Rath und vorhin wol gefaſten Geſetzen
zu einer Geſellſchafft werden. Denn
welche unbedachtſam̃ und als mit einem
ungeſtuͤm zu einer Geſellſchafft lauffen/
ehe ſie mit fleiß den kuͤnfftigen Zuſtand
betrachtet und geordnet haben/ koͤnnen
hernachmachls keinen zierlichen Coͤrper
formiren/ gleich als ein Schneider/ wel-
cher ein ſchoͤn Kleid machen/ uñ das Tuch
in ſtuͤcken ſchneiden wolte/ ehe er wuͤſte/
ob er ein Frawen oder Manns Kleid ma-
chen muͤſſe Man hat auch dieſes ſchon
laͤngſt gemercket/ daß kaum jemahls die
Monarchien mit den Freyſtaͤdten/ auch
nur auff eine Zeit mit gutem Glauben
verbuͤndig worden/ ich geſchweige denn/
daß ſie tuͤchtig ſeyn/ ſolten/ eine ſtetige
Ver-
[265]des Teutſchen Reichs.
Verbuͤndniß zu halten/ in dem die Fuͤrſten
die Freyheit des Poͤbels/ und der Poͤbel der
Fuͤrſten Hochmuth nicht leyden wollen.
Ferner iſt die Menſchliche Natur ſo ver-
kehꝛt/ daß ſie den jenigen der mit ihꝛ gleiches
Recht hat/ kaum wol anſehen koͤnne/ weñ
ſie mercket daß er ihr an Macht nicht gleich
iſt. Und wer vernimbt/ daß ihm entweder
nichts/ oder nur ein kleines Theil vom ge-
meinen Nutzen gelaſſen werde/ der weigert
ſich die gemeine Beſchwerungen mit
zu tragen.


§. 8.


Es iſt aber Teutſchland fuͤr ſo viel
ſchwaͤcher zu halten/ daß in demſelben die
jenige Kranckheiten verſamlet gefunden
werden/ die ſo wol auß einem uͤbel formir-
ten Reich/ als auß einem unordentlichen
Syſtemate der verbundenen Staͤdte ent-
ſtehen. Ja dieſe iſt eine von den gefaͤhr-
ligſten Kranckheiten/ daß ſich Teutſchland
zu keiner von dieſen Regiments arten ge-
nau ſchicke. Die euſſerliche geſtalt und ver-
Ngebliches
[266]Vom Zuſtand
gebliches anſehen zeuget von einem Koͤ-
nigreich; Vor zeiten war auch der Koͤnig
in der that/ was er genennet ward. Her-
nach iſt deſſen Anſehen verringert/ und nach
dem die Staͤnde zu groͤſſern Reichthum
und Freyheit kommen/ kaum ein Schatten
der Koͤniglichen Regierung uͤberblieben/
dergleichen man faſt bey denen ſiehet/ die
einem Coͤrper etlicher Bundsgenoſſen als
Hertzogen vorſtehen. Dahero wird des
Teutſchen Reichs Coͤrper in eine ſehr
ſchaͤdliche convulſion zertheilet/ in dem
der Kaͤyſer und die Staͤnde von einander
gehen/ und jener gleich als nach langer
Zeit durch allerhand Kuͤnſte zur Koͤnig-
lichen Macht eilet/ dieſe aber ſich die ein-
mahl erworbene Guͤter fleiſſig zu verthaͤti-
gen bemuͤhen. Woraus nothwendig ein
immerwaͤrender Argwohn/ Mißtrawen/
und heimliche Nachſtellungen entſtehen
muͤſſen/ welche des andern Auffnehmen
verhindern/ oder ihre Macht ſchwaͤchen.
Welches auch machet/ daß dieſer ſonſt ſo
ſtarcke
[267]des Teutſchen Reichs.
ſtarcke Coͤrper die Außlaͤnder anzufallen/
und etwas zu erwerben als untuͤchtig er-
funden werde/ weil die Staͤnde nicht ger-
ne ſchen/ daß dem Kaͤyſer ein groͤſſer Ver-
moͤgen/ nach deme ſolches nicht gleich un-
ter alle mag getheilet werden/ zuwachſe.
Wie ungereimt wuͤrde demnach auch nur
dieſes ſeyn/ daß ſich der Kopff wider die
Glieder gleichſamb in Partheyen geben
wolte. Ferner entſtehen aus unterſchied-
lichen Urſachen auch unter den Staͤnden
ſelbſt mancherley Trennungen/ welche ma-
chen/ daß auch Teutſchland nicht einmahl
ein fuͤglich Syſtema der Bundsgenoſſen
ſeyn kan. Die Staͤnde ſelbſt haben eine
ungleiche Regiments Form/ und ſind uͤbe[r]
untereinander geordnet/ indem unter den
Fuͤrſten hin und wieder Freyſtaͤdte zu fin-
den. Weiln die Staͤdte gemeiniglich we-
gen der Commercien floriren/ machen ſie
ihnen durch ihren Reichthum die Fuͤrſten
mißguͤnſtig/ vornemlich wenn ein theil ſol-
ches Reichthums aus ihren Laͤndern da-
N ijhin
[268]Vom Zuſtand
hin gefloſſen. Und kan man nicht in abre-
de ſeyn/ daß etliche Staͤdte gleich als eine
Miltz auffgeſchwollen/ und der benachbar-
ten Fuͤrſten Laͤnder mager worden. Es iſt
auch des Adels weiſe/ daß er den gemeinen
Mann verachte/ welcher doch zum offtern
durch ſein Geld ihm nicht weniger ſelbſt
gefaͤllet/ als ihm jener durch ſeine Einbil-
dungen und außgeſchoͤpffte Laͤnder. End-
lich ſehen etliche dieſe Staͤdte an/ als wel-
che ihnen die Herrſchafft auffruͤcken/ und
befinden/ daß man uͤber die unterwerffung
wegen der benachbarten Freyheit ungedul-
tig ſey. Daher kommt mißgunſt/ verach-
tung/ uͤberfall/ argwohn und heimliche
nachſtellung. Welches alles doch ſchaͤrf-
fer und offentlicher voꝛgehet unter den Bi-
ſchoffen/ und den jenigen Staͤdten/ in wel-
chen ſie ihre Thumkirchen haben. Wie-
wol auch die Fuͤrſten auff dem Reichstage
ſelbſt keinen ſchlechten Verdruß wider das
Collegium der Staͤdte von ſich ſpuͤren
laſſen/ da hingegen der Keyſer den Staͤdten
guͤn-
[269]des Teutſchen Reichs.
guͤnſtig iſt/ als bey welchen er mercket/ daß
ſein Anſehen mehr gelte/ als bey den andern
Staͤnden. Es ſind auch die weltliche und
geiſtliche Fuͤrſten einander nicht zu ſehr ge-
wogen. Dieſen giebet in einer Claſſe den
vorzug vor jenen die Heiligkeit des Ampts/
und weil ohne zweiffel die Gottſeligkeit
reichlicher durch eine kahle Platte als einen
unbeſchornen Scheitel durchdringet; wo-
her ſie auch vor zeiten bey den Barbari-
ſchen Seculis im gemeinen Regiment groß
Anſehen hatten; Jch weiß aber nicht/ wie
es den Weltlichen ſo verdrießlich vorkom̃t/
die andern/ ſo gemeiniglich aus dem gerin-
gen Adel geſchwinde in gleicher oder hoͤhe-
rer Ehre als ſie/ geſetzet/ und die Gnade
Gottes vorſchreibende/ anzuſehen. Vor-
nemlich weil ſie ſolche Wuͤrde auff ihre
Nachkommen nicht fortſetzen koͤnnen/ dañ
ihr Geſchlecht bleibet in doch der Beſchaf-
fenheit wie es vor geweſen/ beſtehen; Ohne
das viel Biſchoͤffe/ nach dem Exempel un-
ſers heiligen Vaters/ ihre Vewandten
N iijdurch
[270]Vom Zuſtand
durch die geiſtliche Beneficien und ſchen-
ckungen herrlich gnug zu verſorgen pfle-
gen. Hingegen haben auch die Geiſtlichen/
warumb ſie billich auff die Weltlichen zuͤr-
nen/ weil ſolche nemlich ihrem Schmer-
bauche ſchaͤdlich ſeyn/ wovon drunten her-
nach mit mehrem. Es glebet auch nicht
wenig gelegenheit zur trennung der Staͤn-
de die groſſe ungleichheit der Guͤter. Daher
es denn ferner wegen der verderbten
Menſchlichen Natur kompt/ daß die maͤch-
tigen die ſchwaͤchere verachten/ und ſolche
unterzudruͤcken begehren/ da hergegen die-
ſe zu argwohnen und zu klagen geneigt
ſeyn/ und bißweilen die gleichheit ihrer
Freyheit mit unmuth zu verſtehen geben.
Es iſt aber auch die Hoheit der Churfuͤr-
ſten fuͤr den andern Fuͤrſten keine geringe
Urſache der Streitigkeit/ in dem dieſe eine
ſolche Herrligkeit nicht wol vertragen/ und
vorgeben/ daß ſie wider die Billigkeit miß-
brauchet werde; Jene aber fuͤr ihr Recht
und Anſehen tapffer ſtreiten.


Es
[271]des Teutſchen Reichs.

§. 9.


Es waren noch nicht der Kranckheiten
genug/ wo nicht die Religion, welche ſon-
ſten die Gemuͤther auffs genauſte zu ver-
binden pfleget/ Teutſchland in Theile zer-
riſſen/ und hefftig beſchaͤdiget. Und ent-
ſtehet die Urſach ſolches Widerwillens
nicht allein aus den unterſchiedlichen mey-
nungen/ uñ weil es den Prieſtern gebraͤuch-
lich/ daß ſie denen/ die anderer meynung
ſeyn/ den Himmel abſprechen; Sondern
weil die Catholiſchen Prieſter eines guten
theils ihrer Guͤter durch die Proteſtan-
ten
verluͤſtig worden/ welche wieder zu er-
langen ſie Tag und Nacht angetrieben
werden. Da jene fuͤr eine faulheit hielten/
daß jenige wieder loß zu geben/ was ſie ein-
mahl eingenommen. Ja es finden ſich et-
liche/ die ins gemein dafuͤr halten/ daß der
Prieſter allzu groſſe Guͤter dem Regiment
ſehr beſchwerlich fallen/ vornemlich weil
die Pfaffen und Muͤnche von einem an-
dern Haupte außerhalb des Teutſchen Re-
N iiijgiments
[272]Vom Zuſtand
giments dependiren/ das niemahls die
Teutſchen auffrichtig liebet/ und welches
wuͤnſchen ſolte/ daß alle Weltlichen umb-
kaͤmen/ wenn es nur ſeinem Anhange wol
ergienge. Denn es iſt offenbahr/ daß auff
dieſe weiſe gleichſamb ein ſonderbarer Sta-
tus
mitten im Regiment gegruͤndet werde/
und alſo das Regiment zweene Koͤpffe be-
komme; welches die meiſten/ ſo ihr Vater-
land mehr als die Roͤmiſche Kirche lieben/
fuͤr einen gemeinen Schaden achten; Es
iſt auch dieſes nicht weniger ſchaͤdlich/ daß
etliche der Teutſchen Staͤnde nicht allein
unter ſich/ ſondern auch mit den Außlaͤn-
dern ſonderliche Verbuͤndniſſe machen
duͤrffen/ und daß ſo viel ſicherer/ weil es in
dem Osnabruͤggiſchen Friedenſchluß auß-
druͤcklich zugelaſſen. Welches nicht nur
die Teutſche Fuͤrſten in Partheyen tren-
net/ ſondern auch den vereinigten Außlaͤn-
dern das Vermoͤgen giebet/ Teutſchland
nach ihrem belieben zu maͤſſigen/ und end-
lich bey guter Gelegenheit durch der
Bunds-
[273]des Teutſchen Reichs.
Bundsgenoſſen Huͤlffe ſich allen zu wider-
ſetzen; vornemlich weil ſolche Buͤndniſſe
mit den Außlaͤndern nicht allein wider an-
dere Außlaͤnder (welches etlicher maſſen
zu dulden waͤre) ſondern auch wider eines
Reichs Glieder geſucht werden. Von der
Gerechtigkeit hoͤret man auch in Teutſch-
land wenig; Denn wenn unter den Staͤn-
den eine Streitſache entſtehet (welches bey
ſolcher menge/ und unteꝛmiſchung der Ter-
ritorien
offte geſchiehet) und man fuͤr der
Kammer kompt/ hat man endlich nach
verlauff eines Seculi der Streitigkeiten
endſchafft zu hoffen. Wer ihm zum Hoff-
gericht durch Gunſt und Gaben Bahn
machet/ darff ſich nicht beſorgen/ daß ihm
die Thuͤr verſperret werde. Es fehlet auch
nicht an denen/ die da meynen/ es erinnere
ſich ſolches Gericht allzu ſehr des Orts/
wo es ſeine Wohnung auffgeſchlagen.
Daher beſtehet das Recht in Teutſchland
faſt in den Waffen/ und wer der ſtaͤrckſte
iſt/ gewinnet auch die Sache/ und ſchewet
N vſich
[274]Vom Zuſtand
ſich nicht/ ihm ſelber die Exſecution zu
thun. Endlich zeuget auch dieſes von einer
ſo ſchwachen Geſellſchafft/ daß Teutſch-
land weder einen gemeinen Kaſten noch
Kriegesheer hat/ wodurch er aller Auß-
laͤnder Anfaͤlle abtreiben/ oder eine und an-
dere Landſchafft erwerben kan/ aus deren
Einkuͤnfften hernacher die gemeine Un-
koſten des Regiments gehalten wer-
den koͤnnen. Und wieviel beſſer wuͤrde es
ſeyn/ daß Teutſchland die jenigen Frieden-
haſſer/ die faſt durch gantz Europa ihr Blut
feil bieten/ zu ihrem eigenen Nutzen an-
wendete.


§. 10.


Es hat auch ein jeglicher von den Staͤn-
den nicht wenig æmulation und ſtreitig-
keit wider den andern/ welche auch die
Macht des gantzen Leibes zimlich ſchwaͤ-
chen. Wir haben genug/ wenn wir nur
die vornehmſten allhier beruͤhren. Es ſind
alle Fuͤrſten dem Hauſe Oeſterreich miß-
guͤnſtig/ und darauff argwoͤhniſch/ weil
ſolches
[275]des Teutſchen Reichs.
ſolches den Kaͤyſerlichen Thron und groſſe
Macht ſo lange beſitzet. Zwiſchen dem
Pfaͤltziſchen und Baͤyriſchen Hauſe iſt uͤber
dem alten Haß ein Streit uͤber das Reichs
Vicariat entſtanden/ den ich nicht weiß
wie er wird beygeleget werden/ weil ſich je-
nes auff ſein Recht/ dieſes aber auff ſeine
Macht verlaͤſſet. Bey dem Hauſe Sach-
ſen neidet die Erneſtiniſche Linie die Al-
bertini
ſche/ weil das Churfuͤrſtenthumb
von dieſer auff jene gebracht. Der Chur-
fuͤrſt von Brandenburg kan niemahls auff
gutem Glauben das von den Schweden
entnommene beſte Theil in Pommern ver-
geſſen. Auff Chur-Pfaltz ſind laͤngſt etliche
Benachbarte unwillig geweſen wegen ein
und ander Recht/ das er in ihren Laͤndern
hat/ weswegen ſie newlich zun Waffen ge-
griffen. Jch halte auch kaum/ daß der je-
nige Streit gar vergeſſen ſey/ welcher we-
gen des Marpurgiſchen Fuͤrſtenthumbs
bey der Heſſiſchen Familia geweſen.
Und iſt der Friede wegen der Guͤliſchen
N vjLaͤn-
[276]Vom Zuſtand
Laͤnder zwiſchen dem Churfuͤrſten von
Brandenburg und dem Neuburgiſchen
Pfaltzgraffen nicht zu trauen. Wer wil
die kleinere Streitigkeiten alle erzehlen. Ja
es macht auch der vergeblich Streit we-
gen der præcedentz etliche Fuͤrſten unter-
einander gehaͤſſig. Eine ſolche groſſe men-
ge der Kranckheiten iſt Urſach/ daß man
den ſehr verdrießlichen Proceß vornem-
lich in civil Sachen/ wodurch auch das
klareſte Recht in vielen Jahren kan auff-
gehalten werden/ unter die geringere Feh-
ler zehlen muß. Es bringet auch der Muͤn-
tze unterſcheid in Teutſchland den Com-
mercien
und der privat Leute Erbſchaff-
ten groſſen Schaden/ ob man wol ſonſten
der Pfennige beſcheidenheit ruͤhmen muß/
daß ſie die ſchamhafftigkeit ihrer gering fuͤ-
gigkeit mit der Farbe ſelbſt mercklich anzel-
gen. Daß endlich etliche Fuͤrſten nur dem
ſchlemmen und der Jagt ergeben ſeyn/ und
ſich entweder nichts oder gar wenig umb
die privat Sachen bekuͤmmern/ ſolches iſt
den
[277]des Teutſchen Reichs.
den laſterhafftigen Menſchen und nicht
dem Regiment zu zuſchceiben/ und ſolch
Ubel findet man auch in andern Land-
ſchafften.


Das VIII. Capitel.
Võder
Ratio Statusdes Teut-
ſchen Reichs.


§. 1.


MJt was Kranckheiten Teutſchland
behafftet/ halte ich/ ſey klaͤrlich zu
Tage geleget; Von den Artzneyen ſol
eben ſo viel geſagt werden/ welches doch
einer außlaͤndiſchen Perſohn und reyſen-
den nicht anzugehen ſcheinen koͤnne/ wo
nicht die Teutſchen ſo freundlich waͤren/
daß ſie ſich mehr uͤber Fremde/ als uͤber
ihre eigene Sachen zu verwundern pfle-
gen. Und hoffe ich/ es werden die verſtaͤn-
digen eines unpartheyiſchen Menſchen
auffrichtiger freyredenheit leichtlich ver-
zeihen/ der nach ſeines Vaterlaudes Wol-
ſtande nichts mehr wuͤnſchet/ als daß die-
ſes
[278]Vom Zuſtand
ſes auffrichtige Volck herrlich floriren
moͤge: Ehe ich aber unſere meynung her-
vor bringe/ halte ich der Muͤhe werth zu
ſeyn/ mit wenigem die Artzueyen zu beſe-
hen/ die der obẽ citirte Hippolithus â la-
pide
dem krancken Teutſchlande vorle-
get: Denn ſolche/ ob ſich gleich viel druͤ-
ber verwundert/ weiß nicht wie ſo uͤbel
temperirt uns allzeit voꝛkommen ſeyn.


§. 2.


Giebet demnach ſolcher erſtlich ſechs
Geſetze/ welche ihm rationes ſtatus zu
nennen beliebet hat/ ſo in einer ſolchen
Regiments Foꝛm/ wie er Teutſchlande
antichtet/ muͤſſen in acht genommen wer-
den/ nemlich in einer Ariſtocratia, allwo
das hoͤchſte Regiment bey den Vornehm-
ſten/ und der Schatten der Koͤniglichen
Macht bey den Fuͤrſten iſt. Setzet dem-
nach 1. daß man ſich der Einigkeit be-
fleiſſigen/ und der Auffruͤhren enthalten
muͤſſe. 2. Daß die Kaͤyſerliche Wuͤrde
nicht zu lange bey einer Familia bleiben
ſolle/
[279]des Teutſchen Reichs.
ſolle/ damit ſie nicht luſt bekomme durch
zu langem Gebrauch des Tituls ei-
ne beſtaͤndige Herrſchafft zu ergreiffen.
3, Ob gleich das Fuͤrſtenthum/ mit der
Macht zuregieren und zum gemeinen
Nutzen/ und vereinigung des Regiments
alle zu moderiren verknuͤpffet wuͤrde;
muͤſten doch die Staͤnde allzeit das Re-
giment fuͤhren/ und die Macht von den
Hauptſachen zu ſchlieſſen auff dem
Reichstage veruͤbet werden/ welcher
deßwegen offte zu halten. Man muͤſſe
nur einen jmmerwaͤrenden Rath weh-
len/ wie im anfange des vorigen Seculi
das Regiment war. 4. Daß nur der
ſchein der Majeſtaͤt dem Kaͤyſer gelaſ-
ſen/ die Macht aber und Rechte ſelbſt dem
Regiment behalten werden. 5. Daß
der Reichsſtaͤnde Leben/ Gut und Geruͤcht
nicht des Kaͤyſers Willen allein unter-
worffen ſey. 6. Daß der Krieg und feſte
oͤrter deſſelben Macht allein nicht ſolten
anvertrawet werden. Hernach iſt er
darin
[280]Vom Zuſtand
darin weitlaͤufftig zu beweiſen/ es waͤren
ſolche Geſetze ſo wol vom Kaͤyſer als von
etlichen Staͤnden nicht ohne hefftiger
verſolgung des Hauſes Oeſterreich und
etlicher Churfuͤrſten auff mancherley
weiſe uͤbertreten worden. Denn ob gleich
dieſe Geſetze nicht gaͤntzlich zu verachten/
weil doch ſchon oben erwieſen/ Teutſch-
land ſey keine Ariſtocratia, iſt man ver-
geblich der meynung/ daß die Wolfahrt
Teutſchlandes in dieſen Geſetzen allein
beſtehe.


§. 3.


Darauff ſchreibet er ſechs Artzneyen
vor/ dadurch die Kranckheiten Teutſch-
landes muͤſſen geheilet werden: Vors
erſte ruͤhmet er die befleiſſigung der Ei-
nigkeit/ und eine allgemeine vergeſſung
und abſchaffung aller Beſchweꝛligkeiten/
wodurch der Haß untereinander erhal-
ten wird; Und daß man nicht wegen
der Religion unterſcheid von einander
gehe/ doch deßwegen die allgemeine Wol-
fahrt
[281]des Teutſchen Reichs.
fahrt verhindert werde. Dieſe Gelegen-
heit giebet denen in den Schulen genug-
ſame gelegenheit an die Hand von der
Catheder zu declamiren; Kan aber
zum Nutzen des Teutſchen Regiments
alsdenn erſt appliciret werden/ wenn al-
le Teutſche Staͤnde klug zu werden/ und
ihre Gemuͤths meynungen nach den Phi-
loſophi
ſchen Geſetzen genaw einzurich-
ten anfangen; Darnach wil er/ man
ſolle das Haus Oeſterreich außrotten/
und deſſen Guͤter in den Fiſcum legen:
Das heiſt aber einen Hencker und nicht
einen Medicum agiren; Als wenn man
der jenigen ſtracks außrotten ſolte/ deme
etwas uͤberfluͤſſige Guͤter zugefallen; A-
ber wenn wir dieſem harten Schluß ge-
horſahmen/ wer wil die Axt anlegen eine
ſo viel Landes unter ſich begreiffende
Macht außzurotten/ daran dem gantzen
Europa, daß ſie einem oder zweyen nicht
zu wachſe/ gelegen iſt? Ein theil der
Teutſchen Staͤnde iſt dieſem Hauſe ge-
neiget;
[282]Vom Zuſtand
neiget; viele haſſen es nicht; Die uͤbrigen
koͤnnen ſolche Macht nicht umbſtoſſen.
Muͤſſen demnach gehuͤlffen nehmen/ wen
aber anders als die Frantzoſen und
Schweden? denn als Hippolithus der-
gleichen ſchriebe/ waren dieſe zum fleiſſig-
ſten darauff bedacht/ und ruͤhmeten mit
groſſem zufall bey den unerfahrnen/ daß
die von den Oeſterreichiſchen unterge-
druͤckte Teutſche Freyheit durch ſie vin-
dici
ret werde. Es wuͤrde aber unhoͤff-
lich ſeyn eine ſolche Muͤhe vergebens von
ihnen zu begehren; Und warkein Rent-
meiſter zu finden/ der die Beute ſo reli-
gios
in den Fiſcum braͤchte; Es ſind viel-
mehr nicht unebene Leute der meinung/
daß wenn es den Feinden des Hauſes
Oſterreich nach ihrem Wunſch ergienge/
die Reichsſtaͤnde das alte Froͤſche ge-
quack wieder einfuͤhren wuͤrden/ welche
an ſtatt des Balcken den Storch zum
Koͤnige bekommen. Nach dem das
Hauß Oſterreich auß dem Wege geraͤu-
met/
[283]des Teutſchen Reichs.
met/ wil er doch daß es Teutſchland nicht
an einem Haupt ermangele. Wil dem-
nach man ſolle einen andern Kaͤyſer weh-
len/ deme er auß ſeinen locis communi-
bus
eine herrliche Geſellſchafft der Tu-
genden beyleget; Aber daß er nur mit
dem vergeblichen Titul herfuͤr leuchte/
und ohne Koͤniglicher Macht des Dire-
ctoris
und Obrigkeits ſtelle verwalte.
Ein ſolcher Vorſteher oder Director aber
kan in einem Ariſtocratiſchen Regiment
gebrauchet werden/ da die vornehmſten
in einer Stadt wohnen. Man haͤtte
ja leichter ſagen koͤnnen/ daß Teutſchland
keines Kaͤyſers beduͤrffe. Wie viel Macht
aber der Hippolithus ſeinem Kaͤyſer ab-
ſpricht/ ſo vielmehr Einkuͤnffte ſcheinet es
wolle er ihm zulegen. Nun wuͤrde es
ſchaͤndlich ſtehen/ daß ein ſolcher groſſer
Fuͤrſt Mangel leyden ſolte/ darumb wer-
den der Oſterreichiſchen Laͤnder zur Erb-
ſchafft des Reichs verordnet/ und wenn
dieſe vielleicht nicht genug waͤren/ muͤſſen
die
[284]Vom Zuſtand
die Churfuͤrſten das jenige wieder geben/
was ihnen vom Carolo IV. geſchenckt
oder bekraͤfftiget worden. Es ſcheinet
aber der jenige muͤſſe die Menſchliche
Natur nicht verſtehen/ welcher meinet
daß ſich ein ſo beguͤterter Herr mit gute
von ſolcher kleinen Macht ſolte um̃ſchꝛen-
cken laſſen; Auch wuͤrden die Churfuͤrſten
nach dem untergange des Hauſes Oſter-
reich das jenige was ſie durch dtey und
mehr Secula in gutem Frieden beſeſſen
nicht ſo leichte wieder geben. Zu deme
ſeyn ſie zu dum das zu begreiffen/ was
ihnen ihre Beicht Vaͤtet von der wie-
der zuſtellung der mit Unrecht erwor-
benen Guͤter ſchwaͤtzen; Auch haben die
Churfuͤrſten wol was ſie den andern
Fuͤrſten wieder ſagen koͤnnen: Denn ich
halte es wuͤrden viele zu geringen Baur-
huͤtten ihre Zuflucht nehmen muͤſſen/ weñ
ſie von allen zuwachſungen ſo aberglau-
biſche Rechenſchafft geben ſolten. Dar-
umb wirds am billigſten ſeyn/ das ein jeg-
licher
[285]des Teutſchen Reichs.
licher das jenige was er lange beſeſſen/
auch nachmals behalte. Vors vierdte
vermahnet Hippolithus man muͤſſe ver-
trauen unter den Staͤnden wieder ein-
fuͤhren/ das mißtrauen aber außrotten/
welches geſchehen koͤnne/ wenn die Be-
ſchwerungen/ derer die meiſten aus dem
Religions Streit entſtanden/ auff beeden
ſeiten durch eine freundliche beylegung aus
dem mittel gethan wuͤrden; Weil aber eben
dieſes in der erſten Artzney begriffen/ was
were es denn von noͤhten eine ſonderliche
Buͤchſe damit anzufuͤllen? Was endlich
davon zu halten ſey/ daß man ein Regiment
anſtellen/ einen Reichstag wichtiger Ge-
ſchaͤffte wegen außſchreiben/ denn Hoffraht
abſchaffen/ imgleichen ein ſtetiges Kreiges-
Heer halten/ und einen Krieges Kaſten
anſtifften muͤſſe/ zu welches erhaltung die
Annatæ zu gebrauchen/ wird das bald
nachfolgende anzeigen.


§. 4.


Nun were noch wol uͤbrig/ daß auch wir
unſere
[286]Vom Zuſtand
unſere Apotheter Buͤchſen auffthaͤten/ ob
darin etwas moͤchte gefunden werden/ wel-
ches dem am Fieber liegenden Teutſchlan-
de nach dem Maul waͤre; Es iſt aber ge-
wiß/ daß angebotene Braten ſtincken; Und
werden zweiffels ohne keine verſtaͤndige
Leute fuͤr rathſamb halten/ von ſich ſelbſt
zu andern Krancken zu gehen; Weil die
Zornſuͤchtige Krancken hefftig auff die
Medicos, die ſonſten das beſte rathen/ und
umb Geld gedinget ſeyn/ zu ſchelten pfle-
gen. Ja es ſind auch die jenigen von den
verſtaͤndigen auß zulachen/ welche ſich in ih-
rem privat Lebẽ nicht ſchewen/ denen ſo im
Regiment ſitzen/ aus Ehrgeitz Geſetze vorzu-
ſchreiben. Die aber in civil Wiſſenſchafft
erfahꝛen/ koͤnnen leichte/ nach eꝛkaͤntniß der
kranckheit des Regiments/ Artzneyen findẽ.
Damit aber diß Wercklein nicht ohne ende
zu ſeyn ſcheine/ wird es gnug ſeyn/ nur ein
weniges hinzu zu thun. Wolte demnach
meynen/ dz man als einfundament halten
muͤſſe/ weiln die uͤbele beſchaffenheit des
Teut-
[287]des Teutſchen Reichs.
Teutſchen Stats alſo gleichſamb verhartet/
dz Teutſchland nicht ohne umbkehrung des
gantzen Regiments nach den Geſetzen eines
rechtmaͤſſigen Reichs koͤnne reformiret
werden. Es dienen aber einem ſolchen
Stat am beſten die jenige remedia, welche
denen Republiquen, ſo aus der vereini-
gung vieler Bunds genoſſen zuſammen ge-
wachſen/ und den Teutſchen am nechſten
beykommen/ von den Politicis fuͤrgeſchrie-
ben/ darunter dann mit begriffen/ daß ſie
fuͤr allen dingen ſich bemuͤhẽ muͤſſen/ mehr
ihre eigene Sachen zu verthaͤtigen/ als
frembde zu gewinnen. Die innerliche Ei-
nigkeit allhie zu behalten/ koſtet groſſe Muͤ-
he/ und dazu iſt hoͤchſtnoͤtig/ daß einem jeg-
lichen ſein Recht bleibe/ und keinem zuge-
laſſen weꝛde/ daß er einen ſchwachen unter-
druͤcken koͤnne/ daß alſo alle gleiche Frey-
heit und Sicherheit/ ob ſie ſchon ungleiche
Guͤter haben. Die alten prætenſionen
muͤſſen ewig verſchwiegen bleiben/ und wie
es jeglicher beſitzet/ muſt ers hernach be-
halten.
[288]Vom Zuſtand
halten. Die newe Streitigkeiten muͤſten
nach gutduͤncken der andern Bundsge-
noſſen/ die weder heucheln noch haſſen/ ge-
ſchlichtet werden. Wer ſich an deren Ur-
theil nicht wolte vergnuͤgen laſſen/ muͤſte
von allen geſtrafft werden. Und ſo die ſol-
cher geſtalt untereinander vereinigte ja ei-
nen Fuͤrſten zu ihrem Oberhaupt anneh-
men wolten/ muͤſten ſie wol zu ſehen/ daß er
nicht nach der Herrſchafft ſtreben koͤnne;
Darzu dienet abſonderlich/ daß die Solda-
ten und feſte oͤꝛter von ſeinem Willen nicht
dependiren: Man muͤſte ihn auch nicht
allein mit gewiſſen und genawen Geſetzen
umbſchrencken/ ſondern ihm auch einen
jmmerwaͤrenden Rath/ der die vereinigten
Staͤnde repræſentire, zulegen/ deme die
taͤglichen Geſchaͤffte/ ſo das gantze Regi-
ment angehen/ nach dem erſt alle Staͤnde
ihre meynung davon gegeben/ außzurich-
ten anbefohlen weꝛden koͤnten. Vor dieſem
Rath muͤſte man alles/ was die außlaͤnder
mit dem Regiment zu thun haben/ bringen/
woſelb-
[289]des Teutſchen Reichs.
woſelbſten es erſtlich examiniret/ hernach
vor einem jeglichen Bundsgenoſſen ge-
bꝛacht/ und endlich ein allgemeiner Schluß
colligiret werden koͤnte. Von dieſem muͤ-
ſten auch/ wenn wichtige Sachen vorkom-
men auſſer der Ordnung Zuſammenkuͤnff-
te der Bundsgenoſſen angekuͤndiget wer-
den; und damit ſolches deſto leichter und
ohne groſſe Unkoſten geſchehen koͤñe/ muſte
man eine gewiſſe Art vorſchreiben: Denn
es iſt kaum zu glaͤuben/ daß die Oeflerreichi-
ſchen einen ſolchen Rath umb ſich leiden
ſolten/ in dem ſich ihre Macht zu keiner
Buͤrgerlichen art bringen laͤſſet. Und wer-
den doch die Teutſchen Staͤnde nicht zuge-
ben/ daß/ ſo lange Maͤnnliche Erben von
dieſem Hauſe uͤbrig ſeyn/ die Kaͤyſerliche
Wuͤrde auff jemand anders verleget wer-
de. Muͤſte man derowegen beſcheidentlich
bitten/ daß ſie mit ihren erworbenen Guͤ-
tern zu frieden ſeyn/ und uͤber die Staͤnde
keine Herrſchafft begehren wolten; weñ
aber etwas zu der Staͤnd præjuditz vor-
Ogenom-
[290]Vom Zuſtand
genommen werde/ muͤſten ſie tapffer und
mit geſampter Macht Widerſtand thun.
Vornemlich muͤſte verhuͤtet werden/ daß
nicht etliche wenig entwedeꝛ unter ſich oder
mit den Staͤnden Buͤndniſſe machten/ die
einigem Gliede Teutſchlandes zuwider[.]
Wo ſolche aber wider andere giengen/ muͤ-
ſte man zu ſehen/ daß nicht Teutſchland
durch dieſe Gelegenheit in Krieg geriethe.
Man muͤſte aber inſonderheit Verſehung
thun/ daß ſich die Außlaͤnder nicht in die
Teutſchen Haͤndel miſchten/ noch das
geringſte theil mehr von Teutſchland ab-
zoͤgen. Auch muͤſte man abwenden/ daß
nicht ein maͤchtiger und ſeine Graͤntzen zu
erweitern begieriger Feind eine und andere
der benachbarten Landſchafften wegnem[e] [...]
daher auch die Seuche in Teuſchland ein-
ſchleichen koͤnte. Wenn man mercket/ daß
dergleichen vorgeno[m]en wird/ muſte man
ſich bey zeiten zur defenſion ſchicken/ und
derjenigen/ denen auch daran gelegẽ/ Ver-
buͤndniß ſuchen/ damit nicht gewiſſe Koͤnig-
reiche
[291]des Teutſchen Reichs.
reiche gar zu maͤchtig wuͤrden. Ferner ſo
lange Teutſchland nur das ſeinige verthaͤ-
tigen darff/ wuͤrde nicht ſo groß von noͤ-
then ſeyn ein ſtetiges und ſonderlich groſ-
ſes Krieges Heer zu halten; doch muͤſte
man bey zeiten eine außſchꝛeibung machen/
wie viel ein jeglicher/ wenn es noͤthig/ ſen-
den ſolle. Auff was weiſe aber auch zur
Friedens zeit mit geringem Koſten eine
Krieges Macht zu halten/ die/ wenn es die
Noth erheiſchen wuͤtde/ alsbald eine Armee
machen koͤnne/ moͤchten die Teutſchen/ wo
mir recht/ von den benacharten Schweden
am beſten lernen koͤnnen.


§. 5.


Es wuͤrde gar leicht ſeyn/ dieſes alles/
und was ſonſten die Wolfahrt Teutſchlan-
des erfordert/ zu erkennen und znm Nutzen
anzuwenden/ wennnur die/ ſo im Regi-
ment ſitzen/ wol geſinnet waͤren; Weil aber
die meiſten den unterſcheid der Religion
unter die vornehmſten Urſachen zehlen/
warumb Teutſchland alſo zerriſſen/ halte
O ijich/
[292]Vom Zuſtand
ich/ es werde ſich bey dieſem Wercklein wol
ſchicken/ mit wenigem zu ſagen/ was etliche
vornehme Leute uͤber dieſen Handel in mei-
ner gegenwart diſputiret haben. Denn
ich bin in Theologiſchen Sachen nicht ſo
viel geuͤbet/ daß ich von mir ſelbſt uͤber der-
gleichen ein Urtheil faͤllen koͤnne/ zu dem[e]
halte ich werde es fuͤr ein geringers verſe-
hen zu achten ſeyn/ anderer Leute meynung
zu erzehlen/ als ſeine eigene an den Tag zu
geben/ vornemlich/ weil ich mich dem Ur-
theil der allerheiligſten Mutter der Catho-
liſchen Kirchen demuͤtigſt unterwerffe[.]
Als ich derowegen zu Coͤlln am Rhein bey
dem Hochwuͤrdigſten und Durchlaͤuchti-
gen Apoſtoliſchen Nuncio, welchen ich
neben etlichen andern/ meinen Gehorſam
zu bezeugen/ beſuchet hatte/ unter andern
Reden voꝛgebracht/ ich koͤnne die Urſachen
noch nicht gnugſam begreiffen/ warum[b]
die Religion ſo gꝛoſſe Uneinigkeit in Teutſch-
land angerichtet/ da in dem vereinigten Ni-
derlande/ wohin ich vor kurtzen verreiſt
gewe-
[293]des Teutſchen Reichs.
geweſen/ dergleichen nicht gefunden wer-
de; woſelbſten man doch die groͤſte Frey-
heit habe zu glaͤuben und nicht zu glaͤuben/
was einem beliebet. Denn da waͤre ein
jeglicher auff ſeinen Gewinn und Geſchaͤff-
te bedacht/ und kuͤmmere ſich wenig umb
eines andern Religion. Da fieng ein gar
vornehmer Mann/ der ſich lange zeit zu
Hoffe auffgehalten/ nun aber zur hoͤchſten
Ruhe begeben/ nach dem er den Nuncium
umb verzeihung gebeten/ alſo an: Weil die-
ſer reyſende der jenigen Sache/ die meine
Gedancken lange verunruhiget/ auff die
Bahne gebracht/ wil ich jetzo/ nach deme ich
nicht allein willige Zuhoͤrer/ ſondern auch
an euch verſtaͤndige Leute/ ohn deren gegen-
wart ich meine meynung zu behaupten mir
kaum getrawe/ zu habẽ vermercke/ was mir
endlich der Warheit am aͤhnlichſten fuͤr-
kommen/ beybringen. Darauff hat er et-
was weitlaͤufftig erzehlet/ wie nemlich das
Chriſtenthumb von anfang durch ſo viel
Ketzereyen/ derer die meiſten mit der Zeit
O iijvon
[294]Vom Zuſtand
von ihnen ſelbſt verſchwunden/ von einan-
der getrennet. Es koͤnne aber kaum eine
Spaltung erdacht werden/ welche die Kir-
che hefftiger zertheilet/ und welche nicht al-
lein etliche privat Perſonen/ ſondern auch
gantze Koͤnigreiche angegriffen/ als zu wel-
cher in dem vorigen Seculo etliche wenig
Doctores in Teutſchland Urſache gege-
ben. Man hat mit groſſem Verſtande/ wie
auch abſchewlichem Haß widereinander
geſtritten/ und ſey doch noch keine Hoff-
nung/ daß ſolche ſchreckliche Uneinigkeit
koͤune beygeleget werden. Er ſey jetzo nicht
vorhabens/ die verborgene Urſachen der
Verhaͤngniſſe zu erforſchen. Was aber
die Vernunfft von Menſchlichen Sachen
zu unterſuchen an die Hand gebe/ wolte er
ſeinem Orden gemaͤß fuͤrbringen.


§. 6.


Erhellet demnach/ ſprach er/ daß die
Menſchen vornemlich durch zwey Dinge/
als durch verachtung und entwendung
des Nutzens hefftig gereitzet werden; wir
reden aber nicht von der jenigen Verach-
tung/
[295]des Teutſchen Reichs.
tung/ wodurch jemandes guter Nahm und
Leumuth eigentlich verletzet wird/ ſondern
welche ihm ein jeglicheꝛ Hirnwuͤtiger aus
eines andern nicht mit ihnen einſtim̃enden
Meynung ertichtet: Denn an dieſer Seu-
che liegen gemeiniglich die Menſchen da-
nider. Da iſt nicht allein verhaſt daß man
dawider ſtreitet/ ſondern auch/ daß man
darin nicht bewilliget: Denn wer mit ei-
nem nicht uͤbereinſtimmet/ den haͤlt man
dafuͤr/ daß er ihn heimlich eines jrthums
bſchuldige; Und wer in vielen einer gar
anderen Meynung iſt/ der wird dem anſe-
hen nach fuͤr einen Narren gehalten. Fer-
ner plaget auch dieſe Kranckheit ſehr die
Calmeuſer/ die in dem Schuelſtaube erzo-
gen/ und ihren einſahmen Speculationi-
bus
nachhaͤngen. Dieſer ihr Hauptfeind
iſt alsbald der jenige welcher ihre Meinung
nicht hoch oder fuͤr ein Oraculum haͤlt.
Und haben vorzeiten die Roͤmer und
Carthaginenſer mit keinem groͤſſern Ey-
fer umb die Herrſchafft der Welt geſtrie-
O iiijten/
[296]Vom Zuſtand
ten/ als offtermals etliche Gelehrten uͤber
die Syllaben und andere geringe Sachen.
Einen gleichen/ wo nicht groͤſſern Eyſer
erweiſen die Prieſteꝛ/ (denn der Nuncius
hatte ihm die Warheit frey zuſagen gewin-
cket) dann weil einjeglicher meinet/ daß ihm
Gott ſonderlich gewogen ſey/ ſo wird der
jenigt/ welcher von ihrer Meynung abge-
het/ neben der unbilligkeit des verachteten
anſehens/ auch der gotloſigkeit beſchuldi-
get/ als wenn er/ nemlich auß verachtung
der Himmliſchen Wahrheit/ oder auß
Profan halſtarrigkeit/ damit es nicht
ſcheine er habe von andern etwas gelernet/
von ſeinem auch wol offentlichem Jrthum
nicht abtreten wolle. Und iſt traun zuver
wundern/ daß die jenigen/ welche andern
die vertraͤgliche Sanffemuhe der Chriſtli-
chen Religon ein predigen ſollen/ ſolche
von den rauhen affecten eingenommene
Gemuͤhter haben. Oder es weiſe mir ei-
ner bey welcher Art Leute mehr Ehr- und
Geld geitz/ Mißgunſt/ Jachzorn und Hals-
ſtarrig-
[297]des Teutſchen Reichs.
ſtarrigkeit gefunden werde/ und die ein-
jeglicher ſich und das ſeine ſo groß ma-
chet/ daß der/ welcher das gegentheil zu
halten ſich unterſiehen wird/ alsbald dem
Helliſchen Feur zuerkant werde/ da ſie
auch nicht einmahl Gott die Macht laſ-
ſen/ ſolch Urtheil unguͤltig zu machen.
Daß es aber einem verdreuſt/ daß ſein
Nutzen durch andere weg genommen
wird/ iſt der Vernunfft nicht ſo ſehr zu-
wieder.


§. 7.


Die Urſachen aber der Uneinigkeit deſto
gruͤndlicher zuverſtehen/ muß man auch
gleichſamb die Natur der dreyen Religi-
onen,
welchen in Teutſchland offent-
liche Freyheit gelaſſen wird/ betrachten.
Wie kuͤnſtlich zwar einjegliche ihre
Schluͤſſe auß der Heil. Schrifft bewei-
ſet/ wollen wir nicht nachforſchen/ dann
wir ſolche nur zu unſerer eigenen Gottſe-
ligkeit gebrauchen. Und ſeyferne von unß
der alleꝛheiligſten Mutter der Kirche eine
O vſolche
[298]Vom Zuſtand
ſolche Boßheit zu zuſchreiben/ daß ſie uns
die wir ihr ſo einen groſſen Gehorſahm
erweiſen/ einen verderblichen Jrrthum
auffbuͤrden wolle. Doch iſt es billig/
daß wir zuſehen/ wie weit ſich der Weg
zur Seligkeit/ welchen zu weiſen ſich die
Prieſter bemuͤhen/ bey unſerer Politie
ſchicke: Denn ich halte nicht daß Gott
der Herr die ſtille des Buͤrgerlichen Le-
bens durch ſeinen Dienſt verunruhigen
wollen. Damit ich derowegen von denen/
die von unſerer Catholiſchen Kirchen ab-
getreten/ den Anfang mache/ habe ich
traun in der Lutheraner Religion nichts
mercken koͤnnen/ daß den Principiis der
politiſchen Lehre zu wieder waͤre: Die
Macht in Geiſtlichem Sachen iſt den
Fuͤrſten beygeleget; Der Prieſter Guͤter
ſind zu groſſem auffnehmen des Regi-
ments (wie ſcheel ihr auch außſehet) ver-
ringert; Dem gemeinen Mann iſt ein-
gebunden/ daß ſie die Obrigkeit/ als einen
der auff Erden Gottes Staͤlle vertrit/
ehren
[299]des Teutſchen Reichs.
ehren ſollen. Endlich wird die Summa
und der Einhalt der guten Wercke auff
deme/ was einem ehrlichen Mañe wol an-
ſtehet/ geſtellet. Und iſt nicht uneben das
man etliche euſſerliche und anſehnliche
Ceremonien des offentlichen Gottes
Dienſtes behalten/ umb dadurch die Ge-
muͤhter der einfaͤltigẽ/ welche die betrach-
der bloſen gotſeligkeit faſt nicht begreif-
fen koͤnnen zu gewinnen. Gleich wie nun
die Religions geheimniſſe nicht nach dem
ſeltzamen aberglauben eingerichtet ſeyn;
Alſo ſcheinet es wol zu ſtehen/ nur von
dem ſubtilen Menſchlichen Verſtande
eine Weißheit/ und goͤtliche Macht/ zu
erhalten/ daß man glaube/ es koͤnne
von dieſer etwas hoͤhers geleiſtet werden/
als was jener zu ergruͤnden erlaubet.
Ja auch die gꝛobheit ſelber/ welche etliche
ſchimpfflich halten/ hilffet die Meynung
der auffrichtigkeit zu wege zu bringen.
Wie ſich demnach keine Religion umb
die Teutſchen Fuͤrſten beſſer kunte ver-
O vjdient
[300]Vom Zuſtand
dient machen; Alſo ſcheinet auch unter
allen faſt keine dem Monarchiſchen E-
ſtat
bequaͤmlicher zu ſeyn. Uud zwar/
wo nicht der reſpect der andern Laͤnder
den Carolum V. gewehret/ koͤnte der
Teutſche Kaͤyſer einer groſſen Einfalt
beſchuldiget werden/ daß/ nachdem er von
den Fuͤrſten und etlichen Staͤdten den
Anfang gemacht/ er ſolche gelegenheit
durch die Geiſtliche Guͤter die Erbſchafft
des Reichs zu bereichern/ verſaͤumet ha-
be; Jn dem ihn die Fuͤrſten leichte zu ei-
nem Theil der Beute zulaſſen wuͤrden/
und daß gemeine Volck ſolchen neuen
Lehrern ſehr geneigt war. Was die Cal-
viniſche Religion, wie man ſie nennet/
betrifft/ iſt ſie von der vorigen wenig
unterſchieden/ ohne daß ſie alle reli-
quien
der Catholiſchen gebraͤuche mit
dem Staube außwerffen wollen/ und
die neuen Dogmata etwas ſubtiler/
als von den Lutheranern geſchehen/
auß-
[301]des Teutſchen Reichs.
außarbeiten. Deren beedes ſich bey dem
gemeinen Volcke nicht wol ſchicket. denn
ſolches erſtarret faſt daruͤber/ daß der
gautze Gottesdienſt nur zum Predigen
und wenigem Singen gebracht ſey; und
wenn es umb die Geiſtliche Sachen ſorg-
faͤltig zu ſeyn/ fuͤr eiue Tugend gehalten
wird/ bekom̃t einjeglicher verkehrter Kopf
Luſt viel zu verneuern/ wo bey ſich auch
eine unuͤberwindliche halſtarrigkeit fin-
det die einmahl angenommene Meynung
zu verthaͤtigen. Ja etliche ſind gar auff
eine Thorheit gerahten/ und haben fuͤr
eine Suͤnde gehalten etwas lange und
zierliche Haar zu zeugen. Dieſem nechſt
haben die verſtaͤndigen laͤngſt gemercket/
daß/ die Natur dieſer Religion zur de-
mocrati
ſchen Freyheit geneigt ſey: Deñ
nach dem einmahl das gemeine Volck in
geiſtlichen Sachen/ wie auch von den Sit-
ten zu urtheilen/ zur Stimme zu gelaſſen
ſchiene es unbillig zu ſeyn/ daß ein Fuͤrſt
in den politiſchen Haͤuptſachen etwas
O vijbe-
[302]Vom Zuſtand
beſchlieſſen koͤnne. Waruͤmb ferner dieſe
neue Religionen, ſo ein groß Theil
Teutſchlandes eingenommen/ durch ih-
ren zwiſpalt unter ſich der allgemeinen
Wiederſacher Macht geſtaͤrcket haben/
ſehen die Verſtaͤndigen keine andere Ur-
ſache/ als die/ davon wir itzo ſagten/ der
Prieſter halſtarrigkeit/ ſo wolihre Lehre
als guten Nahmen zu beſchuͤtzen; wel-
chem ſie viele abzugehen vermeinen/ wenn
ſie denen/ die klaͤrere Sachen lehren/ und
maͤſſigere rahten/ daß geringſte nachge-
ben ſollen: Denn es wird umb keinen
nuͤtzen geſtreiten/ weil ihnen beederſeits
gleich viel daran gelegen iſt/ daß ſie nicht
wieder unter die Roͤmiſche Kirche ge-
bracht werden. Weil man demnach von
den Prieſiern nicht erhalten kan/ daß ſie
den Nutzen des Regiments ihrer hals-
ſtarrigkeit vorſetzen/ gebuͤhrete es den
Fuͤrſten ſolche Uneinigkeit ein wenig
auff zuheben/ nicht zwar durch gewalt,
ſahme Mittel/ wodurch die Mißhellig-
keiten
[303]des Teutſchen Reichs.
keiten mehr erreget als geſtillet werden/
ſondern durch einen gelindern Weg/ und
gleichſamb uͤberquere: Denn wenn die
Fuͤrſten bey annehmung der Diener nicht
mehr auff die Secten/ ſondern auff die
Gaben des Gemuͤhts und des Verſtan-
des ſehen/ wenn die Buͤrger einer jegli-
chen Religion zu gethangleich gehalten
werden/ wenn den Prieſtern ſolche ſtrei-
tigkeiten auff der Cantzel zu treiben/ und
mit harten Worten das andere Theil
anzugreiffen/ verboten wird/ weñ endlich
auff den Hohen Schulen keine Lehrer/ als
beſcheidene und kluge Maͤnner gelitten
wuͤrden/ ſo zweiffele ich nicht/ es wuͤrden
ſolche ſtreitigkeiten innerhalb wenig Ja-
ren von ſich ſelbſt auffhoͤren. Aber ich
halte der jenige werde ſich umb die heilige
Roͤmiſche Kirche nicht wol verdient
machen/ der ſolchen Leuten guten rath an
die Hand geben wird.


§. 8.


Es hat aber unſere Catholiſche Reli-
gion
[304]Vom Zuſtand
gion eine gantz andere Natur/ als dieſe
neuen: Denn dieſe zwar wollen das die
Prieſter der Obrigkeit und des Volcks
Dieuer ſeyn ſollen/ daß nach dem die
Menſchen alhie in guten Sitten unter-
wieſen/ ſie nach dem Tode zur ewigen Se-
ligkeit gelangen moͤgen. Die Catholi-
ſche Religion bekuͤmmert ſich nicht ſo
ſehr/ daß die Leute from gemacht werden/
als das der Prieſter Guͤter/ macht und
anſehen wachſen und zunehmen moͤgen.
Und habe ich mich traun ſchan laͤnſt uͤber
die Thorheit unſerer Prieſter verwun-
dert/ daß ſie ihnen die ſtreitigkeiten/ ſo ſie
mit den Ketzern (wie ſie ſie nennen) ha-
ben/ aus heiliger Schrifft zu entſcheiden
vorgenom̃men; Weil viel eine beſſere und
klaͤrere art verhandẽ die gewißheit der Ma-
themati
ſchen demonſtrationen zu be-
ſchreiben: Denn nach dem dieſes princi-
pium
, deſſen ich gedacht/ bekraͤfftiget und
zu gelaſſen/ daß der Catholiſchen Religion
Zweck und Ziel ſey/ daß der Prieſter Guͤter
und
[305]des Teutſchen Reichs.
und anſehen groß ſeyn moͤgen/ wuͤrden die
Wiederſacher nicht klug ſeyn/ wenn ſie mit
einem einigen Woͤrtgen ſolche dogmata
mehr beſtreiten wolten/ wodurch ein ſol-
cher hauffen Papier bißher vergeblich ver-
brauchet worden. Zum Exempel wollen
wir nur eines und ander hinzu thun: Es
wird der heiligen Schrifft eine Tunckel-
heit zu geſchrieben/ und werden die Layen
von ſolcher zu leſen abgehalten/ damit die
Prieſter allein das Recht ſelbige außzule-
gen behalten/ noch die Layen etwas darauß
ſuchen moͤchten/ welches den Prieſtern
nicht zutraͤglich ſeyn wuͤrde. Da muͤſſen
die Satzungen hinzu kommen/ daß wenn
vieleicht in heiliger Schrifft etwas außge-
laſſen waͤre/ daß zu dieſem abſehen dienlich/
ſolches fuͤglich koͤnte erſetzet werden. Es iſt
ietzo die gantze Religion mit ſo viel cere-
monien
angefuͤllet/ daß durch deren glantz
und anzahl das gemeine Volck uͤberhaͤuf-
fet/ und gleichſamb erſtarret/ der rechten
Gotſeligkeit nicht nach dencken kan. Die
ver-
[306]Vom Zuſtand
vergebung der Suͤnden Gott allein zu
laſſen brachte keinen gewinn; Darumb iſt
ſolche Macht den Prieſtern beygeleget/ wel-
che ſich dieſes zutraͤglichen Rechts nicht
uͤberfluͤffig gebrauchen/ noch mit der ge-
meinen bekaͤntniß und einem kleinen ge
ſchenck/ ſo von des confitenten freygebig-
keit dependiret/ zu frieden ſeyn wolten.
Es wird eine gar genaue herſagung aller
undiglicher Suͤnden erfordert/ da derſel-
bigen Taxt in der Prieſter belieben ſtehet.
Wo allhir der Suͤnder Reich/ iſt ein ge-
wiſſer gewinn verhanden wenn gleich auch
die Suͤnde umſonſt vergeben waͤre t Deñ
weꝛ wolte nicht gegen einem ſo gutthaͤtigen
Vater einige freygebigkeit erweiſen? Ge-
gen den armen darff man ſicherer ſeine
autorität veruͤben. Und was fuͤr eine
hohe Sache iſt es aller Menſchen heimlig-
keiten zu wiſſen? Oder wer wolte nicht den
Schiedsmann ſeines Hertzen in Ehren
halten? Ferner iſt nichts bequemer den
gewinn und das anſehen der Prieſter zu-
befor-
[307]des Teutſchen Reichs.
befordern als die Meſſe: Denn wer wolte
einem der ſo ein heilſahmes Werck ver-
richtet/ die belohnung verwegern? Oder
wer wolte die jenigen Leute nicht hoch hal-
ten/ welche ein ſolch ehrwuͤrdiges Opffer
mit ihrem muͤrmeln koͤnnen zu wege brin-
gen; Daß den Layen der gebrauch des
Kelchs mit recht benommen ſey/ muß man
eyferig verthaͤtigen/ damit es das anſehen
habe/ die Prieſter haben in keiner Sachen
gefehlet. Und iſt nicht vergeblich die Zahl
der Sacramenten vormehret/ damit die
Leute deſto oͤffter der Prieſter bedoͤrffen.
Und welch einen Gewinn bringet auch nur
dieſes den geiſtlichen Gerichten/ daß alle
Ehſachen nur unter dem Schein/ weil
der Ehſtand ein Sacrament ſey/ dahin ge-
zogen werden: denn ohne das ſchiene es/
daß die Ehlichen eben ſo wol die Natur
des Ehſtandes verſtehen koͤnten. Wie das
verdienſt der guten Wercke die ſchein hei-
lige Gotſeligkeit der Leute ſehr befordert;
Alſo/ weil ſolche faſt durch die jenigen
Dinge
[308]Vom Zuſtand
Dinge beſchrieben werden/ welche die
Prieſter bereichern/ kan es ſich bey dem
uͤbrigen Syſtemate Theologiæ gar wol
ſchicken. Jch halte auch es ſey das Fege-
fewr zu keinem andern Ende angezuͤndet/
als das die jenigen/ welche ſonſt der Todt
frey gemacht/ dennoch mit Tribut koͤnten
belaͤſtiget werden. Gleich wie die anruf-
fung der Heiligen den Glantz der Religi-
on
nicht wenig vermehret; Alſo muͤſſen
auch dieſelben der Prieſter anſehen Ehren/
welche durch deren Huͤlffe im Himmel
groß zu werden gedencken. Mehr hievon
bey denen die guten beſcheid drumb wiſſen
zuſagen/ were nur verdrießlich/ und wer
ſolches genauer zu erforſchen zeit hat/ wird
auch das uͤbrige nach dieſer Art befinden.
Wie iſt ferner der Prieſter Regiment ſo
kuͤnſtlich zuſammen geſetzt/ wie genau iſt
alles mit einander verknuͤpffet! daß man
mir Warheit ſagen darf/ es ſey von anfang
der Welt kein Corpus beſſer diſponiret
oder auff ſo feſtem Grunde geſetzt geweſen;
Nun
[309]des Teutſchen Reichs.
Nun erſt nach dem beſten Monarchiſchen
Regiment eingerichtet. Der vornehmſte
Prieſter ſelbſt hat mit Gott gleiches anſe-
hen/ iſt GOttes Stadthalter/ kan nicht ir-
ren und ertheilet nach belieben ohn einiges
widerſprechen den Schluͤſſel des Himmels
und der Hellen; Denn das man in den
beſſern Zeiten meynete/ der Richter aller
Koͤnigreiche koͤnne die Koͤnige von ihrem
Thron ab- oder darauff ſetzen/ haben ſolches
die neuen Lehrer als eine ſehr verhaſte Sa-
che beruͤchtiget. Und weil die Mayt. ſol-
ches Fuͤrſtenthumbs in der meynung der
heiligkeit beſtehet/ wird es durch die Wahl
auffgetragen/ auff daß/ wenn zum offtern
der Koͤnigliche Erbe aus der art ſchlaͤget/
die ſtelle keinem/ als der ihrer wehrt/ und
keine affecten der jugend bey ſich befindet/
offen ſtehe/ und damit er mehr nach der
Kirchen/ als nach ſeiner Familia nutzen
trachten moͤchte. Wegen eben dieſer Ur-
ſachen iſt allen Gliedern dieſes Regiments
der unehliche Stand angekuͤndiget/ damit
ſie
[310]Vom Zuſtand
ſie ſich nicht in betrachtung ihres privat
Weſens anders warum bekuͤmmerten.
Was iſt ferner fuͤr eine menge und unter-
ſcheid der Staͤnde! damit deſtomehr wuͤr-
den/ die uͤber die Kirchen Sachen wach-
ſam weren/ und der Layen Guͤter an ſich
zu ziehen das Netz außwuͤrffen. Und ge-
neuſt doch keiner von den Fuͤrſten einen
ſolchen zugethanen gehorſahm ſeiner Un-
terſaſſen; Und weil es unter ihnen an æmu-
lation
nicht ermangelt/ weiß doch der
Pabſt ſolche/ daß ſie nicht zum ſchaden des
Rigiments außſchlagen/ gar weißlich zu
maͤſſigen. Denn es iſt bekand daß die alten
Staͤnde der neuen Jeſuitiſchen Geſel-
ſchafft nicht geneigt ſeyn/ weil man mey-
net/ daß ihrer autorität viel dadurch ab-
gangen ſey: Denn nach dem es das anſe-
hen hatte daß der alten Muͤnche einfaͤltige
heiligkeit des neuen Seculi Muthwillen
nicht konte in Zaum halten/ iſt zu groſſem
Nutzen der Kirchen dieſe heilige Geſell-
ſchafft auff kommen/ welche die hinfallende
Sachen
[311]des Teutſchen Reichs.
Sachen gluͤcklich wieder zum Stande ge-
bracht hat/ indem ſie die Jugend unterrich-
tet/ und durch die confeſſion und zugleich
verſchmitzter converſation aller Men-
ſchen heimligkeiten erforſchet. Alſo daß
viele der meynung ſeyn'ts koͤnne das mei-
ſie was bey dem Hiob im geheimen ver-
ſtande von dem Leviathon geſagt wird/ auff
das geiſtliche Regiment gezogen werden.
Ohne zweiffel wird aber einer die Religi-
on
fuͤr die beſte halten/ welche beedes ihre
Cultores oder zu gethane mit groſſem
Reichthum und Ehre anfuͤllet/ und mit
kraͤfftigen Mitteln außgeruͤſtet/ ihre Schaͤf-
gen zu gleich zu beſcheren und im gehor-
ſahm zu behalten. Jch halte doch das aus
dieſen klar ſey; Wie auff einer gar naͤrri-
ſchen Weiſe bißher die Catholiſchen und
neuen Doctores mit einander geſtritten.
Denn die unſrigen zwar haben geruffen/
daß wan dieſe unter die Ketzer gezehlete
mit Feur und Schwerd außtilgen/ und ih
nen keine Hoffnung zur auffrichtigen Ver-
ſoͤhnung
[312]Vom Zuſtand
ſoͤhnung machen ſolle. Daher haben die-
ſelbigen ihre Wolfahrt auffs beſte beſtellen
koͤnnen/ und nach dem ſie einmal die Layen
mit der unrechten Meynung von der Ca-
tholiſchen Prieſter heiligkeit eingenom-
men/ war es leichte/ nach auffweiſung die-
ſer Guͤter ihnen ſolche zu Schutzherren
zu machen. Were man aber bey zeiten
klug geweſen/ haͤtte es nicht an Mittel ge-
fehlet/ die Layen/ ſo die wiedrigen Theile
angenommen/ zu ermiltern; Und wuͤrde
ſich das Saͤchſiſche Bruͤdergen ehr durch
aufferagung eines fetten Beneficii, mit
dem Pabſte verſoͤhnet haben/ als durch
außlaſſung des Banns/ deſſen Macht von
der langen Reiſe/ und boͤſem Wetter faſt
ſeine Krafft verlohren. Hingegen muß
man ſich uͤber die Einfalt der neuen Lehrer
verwundern/ daß ſie ſich nicht ſcheuen den
unſrigen zu rathen/ ihre gelegenheit und
Reichthum zu verlaſſen/ und auff ihre Sei-
te zutreten/ daß ſie daſelbſt ein verachtetes
Voͤlcklein ſeyn/ welches ſich mit dem Hun-
ger
[313]des Teutſchen Reichs.
ger braff herum ſchlagen muͤſte: denn es
gehoͤrte mehr verſtandes dazu/ daß ſie das
Volck durch die Freyheit/ und die Fuͤrſten
durch anreitzung des Gewins zu ſich locken
moͤchten. Ob es wol nachmals/ nach dem
einmahl der erſte Anfal ermuͤdet/ und die
unſrigen nach der unverſehenen Niederla-
ge ihre Voͤlcker beſſer angeordnet/ gnug-
ſahm zu ſehen geweſen/ daß die [unſrigen]
ihre Sachen beſſer in acht genommen als
die andern: denn ſo viel mir bewuſt/ iſt in
dem gegenwaͤrtigen Seculo kein Fuͤrſt
mehr zu ihnen getreten; Da doch die Ca-
tholiſche Kirche etliche in ihren Schoß be-
kommen. Als er mehr ſagen wolte/ iſt ihm
der Nuncius mit dieſen Worten in die
Rede gefallen: Du haſt uns deine erfah-
rung in Theologiſchen Sachen zur gnuͤ-
ge bewieſen/ und wuͤrde es dir nicht an Zu-
hoͤrer mangeln/ weñ du dergleichen offent-
lich zu lehren anfangen wolteſt; Ob ich
wol bekenne das die Novitii oder Neulin-
ge ſolches nicht ſo leichte begꝛeiffen werden;
PUnd
[314]Vom Zuſtand
Und es wuͤrde auch unbillig ſeyn/ daß du/
(er ſahe mich an) innerhalb eines Stuͤnd-
gen zu den geheimniſſen gelaſſen werdeſt/
von deren erkaͤntniß ſich ſo viel tauſend
verſchlagene Leute mit groſſer bekuͤmmer-
niß den Poͤfel abzuhalten bemuͤhen.


§. 9.


Dieſes/ welches in gegenwart des Nun-
cii Apoſtoliei
zimlich frey vorgebracht/
hat mir/ nicht ohne Ruhm der auffrichtig-
keit/ einen Muht gemacht/ daß ich mich
nachmals weniger ſcheuete offenhertzigen
Leuten zu zuhoͤren. Und nicht lange her-
nach habe ich einen Mann/ der umb ſein
Vaterland guten beſcheid wuſte/ und von
der neuen Religion keinen groſſen abſcheu
zu haben ſchiene/ angetroffen; Jch muß
aber/ wenn ich ſolches erzehle/ deſto fleiſſi-
ger umb verzeihung bitten/ damit nicht je-
mand meine/ es werde dieſes alles von mir
gut geheiſſen/ derohalben hat ſelbiger/ nach
dem er meiner neulichen Rede gedacht/ et-
was weitlaͤufftig angefangen/ daß in einem
wol-
[315]des Teutſchen Reichs.
wolbeſtalteẽ Regiment freylich gewiſſe Per-
ſohnen/ den Gottes dienſt offentlich abzu-
warten/ ſeyn muͤſſen/ welche auch ehrlich
muͤſſen unterhalten werden; Es gezieme
ſich auch daß offentlich Kirchen gebauet
werden/ dere zierligkeit der Religion ein
aͤuſſerlich auſehen mache/ und das gemeine
Volck zur andacht bringe. Jch halte aber
nicht dafuͤr/ ſprach er/ daß ein verſtaͤndi-
ger in abrede ſeyn wird/ daß die Perſoh-
nen/ welche zum Religions dienſt nichts
conferiren, mit recht nicht koͤnnen Geiſt-
liche genennet werden/ und das die Guͤter
ſo zu deren Unterhalt angewand werden/
nicht zu den Geiſtlichen gehoͤren. Jn
Teutſchland iſt ferner ſo wol durch frey-
gebigkeit der Kaͤyſer und Fuͤrſten/ als
durch andacht der privat Perſohnen der
Prieſter Orden mit ſo groſſen Guͤtern ge-
haͤuffet/ daß ihnen nur das helffte/ wo nicht
das groͤſte Theil Teutſchlandes zugehoͤret/
dergleichen Exempel bey allen andern Voͤl-
ckern unerhoͤret iſt. Die Fruͤchte aber ſol-
P ijcher
[316]Vom Zuſtand
cher Guͤter zuverzehren hat ſich eine groſſe
menge muͤſſiger Leute gemachet; Welches
weder mit dem Geiſtlichen noch Weltli-
chen rechten gnugſahm uͤberein ſtimmet.
Die heilige Schrifft wil das die Prieſter
ehrlich ſollen unterhalten/ und den Ochſen
die da dreſchen das Maul nicht verbunden
werden. Und giebet den jenigen nicht den
Prieſter Nahmen/ die mit dem Heiligen
Predigampt nichts zu thun haben; Ja ſie
nimpt auch weder die Perſohnen noch die
geiſtlichen Guͤter auß von der inſpection
der hoͤchſten Gewalt im Regiment/ daß
ſie von ſolcher zur Wolfahrt des gemeinen
beſten nicht ſollen regieret werden. Daß
aber ein allzu groſſer hauffen geiſtlicher
Guͤter dem Regiment nicht zutraͤglich ſey/
haben unſere Venetianer gnugſahm ge-
mercket/ welche/ da ſich der Pabſt vergeb-
lich dawieder geleget/ derſelben auffneh-
men gehindert; Es muͤſſen nemlich die
Staͤdte gleichſam die Schwindſucht be-
kommen/ wo die Leute/ ſo ein ander Haͤupt
auſſer
[317]des Teutſchen Reichs.
auſſer dem Regiment erkennen/ und vor-
geben/ ſie ſind nach dem Goͤttlichen Recht
von den allgemeinen beſchwerungen be-
freyet/ ein ſolches Reichthum an ſich zie-
hen. Uber die zahl der Biſchoͤffe kan zwar
Teutſchland nicht klagen: Denn ſolche iſt
viel ringer/ als die weite des Landes/ wenn
ihnen das Geiſtliche Ampt zu verwalten
belieben moͤchte/ erfordert. Aber worzu
ſollen ihre ſo groſſe Guͤter? Sprichſtu/ ſie
ſeyn zugleich Reichs Fuͤrſten/ und nehmen
ein Theil der Regiments Sorge auff ſich;
Laſt ſie den abſtehen von dem geiſtlichen
Biſchoffs Titul/ welches Ampt ſie wegen
der Weltlichen Geſchaͤfften nicht abwar-
ten koͤnnen. Und ſie wolten doch nur
nichts anders genennet werden/ als was
ſie ſeyn. Denn ich halte es werde die
Chriſtliche Religion keinen ſchaden neh-
men/ wenn gleich einer von den Teutſchen
Biſchoͤffen in einem Jahre eine oder an-
dere Meſſe nicht halten wuͤrde/ da er mit
einem hoffertigen Geleit umbgeben iſt/
P iijund
[318]Vom Zuſtand
und den erſten fortpflantzern der Chriſtli-
chen Religion ihre Armuth auffruͤcket.
Alſo mag ſich traun der Mayntziſche ſeines
Gebiets freuen/ daß er die Wuͤrde eines
Cantzlers in Teutſchland erhalten koͤnne;
Die Urſach iſt aber nicht zu finden/ war-
umb man ihm einen Geiſtlichen Sitz bey-
legen muͤſſe/ da andere Fuͤrſten/ die ihnen
das gemeine beſten eben ſo wol angelegen
ſeyn laſſen/ mit einem gemeinen Sitz zu
frieden ſeyn. Was ſol ich ferner von den
Thumhoͤltzern ſagen/ daraus die Biſchoͤf-
fe gezimmert werden? Weil ihr Weſen in
Geiſtlichen Sachen nicht viel gilt/ ſchaͤmen
ſie ſich nicht/ ſich irregulire Thumher-
ren zu nennen/ und damit ſie ihr eigene
Kehle ſchonen/ laſſen ſie durch ihre Vi-
carios
die Kirchen voll ſchreyen. Unter
denen/ die mit Weltlichen geſchaͤfften nicht
zuthun haben/ ſind etliche inutilia ter-
ræ pondera
oder gantz nichts taugliche
Leute/ die nur dem Bauch und Geilheit
dienen. Die ſo Weltliche. Sachen ver-
richten/
[319]des Teutſchen Reichs.
richten/ warumb werden die Geiſtlich ge-
nennet/ oder warumb mißbrauchen ſie die
Geiſtlichen Guͤter? Was ſol ich auch von
dem groſſen Reichthum der Kloͤſter/ und
der unzehlbaren menge der beſchornen/
welche die Kloͤſter inne haben/ ſagen? Es
were zwar freylich zutraͤglich/ daß man
Collegia habe/ worin die Jugend ſo in
Geiſt-als Weltlichen Sachen moͤchte un-
terrichtet werden; Und wolte nicht dawie-
der ſagen daß ſolche Collegia tieffſinnigen
Leuten zu ihren Speculationibus dienen
koͤnten/ da die Fruͤchte/ ſo dem Gemeinen
beſten aus dieſer Ingeniis zuwachſen kun-
ten/ durch die ungeſtuͤmigkeit des Weltli-
chen Lebens weg genommen werden. Weñ
man ihnen aber einen ruhigẽ Winckel ver-
ſchaffet/ koͤnnen ſie auch ſelbſt uͤber ihren
zarten Verſtand/ der ihnen zur ſtraffe gege-
ben/ nicht klagen/ und erlegen manchmahl
mit groſſem Wucher/ was von dem ge-
meinen beſten auff ſie gewaud. Beederley
Art aber wird am beſten mit maͤſſigen
P iiijKoſten
[320]Vom Zuſtand
Koſten erhalten/ die uͤberfluͤſſigen Fettig-
keit verhindert gleichſam die Krafft und
den Fleiß. Sonſten ſiehet man kei-
ne Urſach warum die verzweiffelte Leute/
oder die auß verdruß der Arbeit in der
Kutte ungeſtalt einherzugehen luſt haben/
mit ihrem abſcheulichen boͤlcken die Tem-
pel zu erfuͤllen/ oder mit einer ſehr kalten
Andacht die wiederholete Gebergen dem
lieben Gott nach den Corallen zu zuzehlen/
offentlich muͤſſen gemaͤſtet werden. Dieſes
halten etliche fuͤr das vornehmſte Argu-
ment
Geiſtliche Guͤter zuſammen zu brin-
gen/ daß dadurch den voꝛnehmen und Ade-
lichen Familien auch koͤnte gedienet wer-
den: Denn in dem dieſelbigen/ welche der
Familia beſchwerlich zu ſeyn ſcheinen/ zu
geiſtlichen Beneficien befordert werden/
wird die Theilung der Erbſchafft verboten/
und kan das Reichthum und Glantz der
Familien beſſer erhalten werden; Ja es
kan auch vermehret werden/ nach dem ſol-
che/ die ſich ſonſten daheime mit der Ar-
muth
[321]des Teutſchen Reichs.
muth haͤtten plagen muͤſſen/ zu groſſer
Wuͤrde kommen. Und bekenne ich daß
ihr die Roͤmiſche Kirche auch nur durch
dieſe Urſache die Gunſt der vornehmen
Familien koͤnne zu wege bringen. Denn
wie es vieleicht eine herrliche Sache ſeyn
wuͤrde/ daß der glantz der Adelichen Fami-
lien
moͤchte erhalten werden; Alſo haben
zweiffels ohne die jenigen/ von welchen die
geiſtliche Guͤter hergekommen/ ihnen nicht
einmahl traͤumen laſſen/ ſolchen Glantz da-
durch fort zu ſetzen; Und koͤnnen wir an
dieſer end Urſach nichts geiſtliches finden.
Ja wenn die nachkommen ein ehrlich Ge-
muͤth haben/ finden ſie beedes zu Krieges
und Friedens Zeit mittel dadurch ſie bee-
des Reichthum und einen guten Nahmen
erlangen koͤnnen; Wo ſie aber weder da-
heime noch im Kriege was taugen/ ſolten
ſie wiſſen es waͤre eine gar verhaſte beloh-
nung der Faulheit den unterhalt offentlich
als in einem Speißhauſe zu empfangen;
Wo ſie noch verſetzen wuͤrden/ es werde
nur
[322]Vom Zuſtand
nur auff dieſe weiſe verhindert/ daß nicht
die allzu groſſe anzahl der Edelleute wegen
der Armuth endlich verachtet wuͤrdẽ: Ant-
worten wir/ wo der Adel etwas zeuget das
ſeines Nahmens wuͤrdig iſt/ bringet die
menge derſelben Oꝛden und dem gemeinen
beſten keinen ſchaden; Weil es der Tugend
an einem Stande oder belohnung niemals
fehlen wird. Wo ſie aber befuͤrchten/ ſie/
welche aͤrger als ihre vorfahren/ moͤchten
laſterhafftigere Kinder zeugen/ unterlaſſen
ſie gar recht/ in dem ſie ſich des Ehſtandes
enthalten/ die Welt mit faulen betriegern
zu fuͤllen. Man kan ſich aber auch auſſer-
halb den geiſtlichen Staͤnden der Weiber
enthalten. Oder wo ohne Huren die geil-
heit nicht zu ſtillen/ weiß ich nicht wie es ſo
erbaͤrmlich ſcheinet/ daß die guten alten/ in
dem ſie gemeinet ſie wuͤrden ihrer Seele
wol rahten/ wenn ſie dem Regiment oder
ihꝛen Eꝛben etwas entzoͤgen/ den mit ſchwaꝛ-
tzen Decken behaͤngten Haͤngſten Futter
verſchaffet haben.


Weil
[323]des Teutſchen Reichs.

§. 10.


Weil nun dem alſo iſt/ halte ich werden
die proteſtirende Fuͤrſten leichtlich ihre
Sache vor Gott und allen verſtaͤndigen
verthaͤdigen koͤnnen/ daß/ da ſie die uͤbrigen
theile der hoͤchſten Herrſchafft in ihren
Laͤnder veruͤbeten/ ſie ihnen auch die Sor-
ge der geiſtlichen Sachen angemaſſet ha-
ben/ nur welche diß temperament in acht
genommen/ daß das jenige/ welches vor-
mahls nur zu fauler Leute maſtung an-
gewand/ hernach zu deren nutzen gerei-
chen ſolte welche in der That der Kirchen
dienen/ oder die Jugend zur Gottesfurcht
und guten Kuͤnſten erziehen; was uͤber
dem/ ſo zum gemeinen beſten verordnet/
war uͤberblieben. Wenn ſolchen der
Kaͤyſer und andere Catholiſche Fuͤrſten
nachgefolget waͤren/ wuͤrde eine groſſe Ur-
ſach der Kranckheiten dem Leibe Teutſch-
landes zugleich benommen ſeyn. Und
kunte der heilige Vater nicht ſo gar un-
willig werden/ es ſey den daß er ſich offent-
lich
[324]Vom Zuſtand
lich als einen Patron der Laſter erweiſen
wolte. Und waͤre nicht eben noͤtig den
Catholiſchen glauben zuverſchweren/ ob
gleich die Prieſter und deren Guͤter etwas
genauer zum gemeinen nutzen gezogen
wuͤrden. Denn auch die alten Chriſten/
welche noch die armuth zur geſellin der
Gottſeligkeit hatten/ und ehe man etwas
von den Privilegien des Roͤmiſchẽ Stuels
wuſte/ waren eines glaubens mit eben der-
ſelben Roͤmiſchen Kirchen. Die groͤſte
ſchwirigkeit iſt etlichen vorkommen bey
den noch uͤbrigen Fuͤrſtenthuͤmern/ denn
da giebet die beſchaffenheit des Teutſchen
Regiments nicht zu/ daß ſolche dem
Kaͤyſer oder den andern Fuͤrſten zu wach-
ſen. Es erhellet aber leichte/ was der
kraͤnckliche Zuſtand Teutſchlandes leyden
moͤge/ welchen eine jegliche aͤnderung
mit groſſen Auffruͤhren zerruͤtten kan. Es
bleiben demnach ſelbige Biſchoͤffe/ und ge-
nieſſen ſolcher fetten Laͤnder; wenn ſie ſich
nur erinnern/ daß ſie Teutſchland zugehoͤrẽ/
und
[325]des Teutſchen Reichs.
und deſſelben Fuͤrſten ſeyn/ welche auch
noch Teutſchland mehr als Rom lieben
muͤſſen. Aber ſie laſſen auch auff gutem
glauben daß verlangen nach dem jenigen/
was einmal verlohren/ fahren/ damit ſie nit
vieleicht/ in dem ſie ſich jenes wieder zukrie-
gen bemuͤhẽ/ auch zugleich um bdas gegen-
waͤrtige kommen moͤchten/ ſie wollen nur
auff hoͤren das Vaterland weiter in un-
ruhe zuſetzen. Es ſcheinet zwar/ daß es im
vorigen Seculo leichte geweſen/ die Biß-
thuͤmer in eine andere Form zu bringen/
wo nicht des Churfuͤrſten zu Coͤlln vor-
nehmen zu ruͤck gangen/ oder wenn auch
andere Biſchoͤffe gleiches vorzunehmen
Luſt gehabt haͤtten. Und durffte man
traun/ nach dem einmahl die ehrer bietung
des Roͤmiſchen Stuels hindangeſetzet/ ſel-
bige Bißthuͤmer in erbliche Fuͤrſtenthuͤmer
verwandeln/ da gleichsfals die Prebenden
an die Thumherrn muͤſten ſeyn verleget
worden; Oder/ wo dieſes nicht rathſahm
ſchient/ koͤnten auch nachmals ſolche Wuͤr-
Qden
[326]Vom Zuſtand
den durch die Wahl conferiret werden:
Denn es ſind auch die Proteſtirende nicht
ſo eines dummen Verſtandes/ daß ſie nicht
dieſe Guͤter zu eben den nutzen anwenden
koͤnnen/ zu welchen ſie von den Catholi-
ſchen verordnet. Und es wuͤrde Teutſch-
land zu ſeiner Ruhe zutraͤglicher ſeyn/ daß
ſich alle zu dieſer neuen Religion begeben/
als daß es durch den unterſcheid des glau-
bens ſich von einander getrennet; Wenn
aber Teutſchland dz faule Vieh die Muͤnche
und zum boͤſen geſchaͤfftige Ieſuiter aus
purgiren koͤnte/ wuͤrde es zugleich ſehr
verſchlagene Spionen oder Kundſchaffer
von ſich abwenden/ und die Guͤter ſo dieſe
durchbringen/ weren wol allein gnug ein
Kriegsheer zu halten/ dafuͤr ſich alle Be-
nachbarte zu fuͤrchten haͤtten. Jn dem ich
einen hievon reden hoͤre/ dachte ich ſchon
laͤngſt/ daß der Catholiſchen Kirchen Guͤ-
ter in Teutſchland gefahr ſtuͤnden/ wo mir
nicht beygefallen were/ daß die privat Per-
ſohnen vergebens ſcheinbahre Anſchlaͤge
erſinnen
[327]des Teutſchen Reichs.
erſinnen/ und in ihrem Hauſe tapffern
Muth faſſen/ ſo lange die jenige ihre Guͤter
nicht wiſſen/ welche das geburts Gluͤck/ ſo
geneigter iſt Reichthum ohne verdienſt zu
ſchencken/ als die Weißheit/ zum Regiment
erhoben. Dieſes habe ich unter dem Rei-
ſen von dem Teutſchen Reich in acht ge-
nommen/ und auffſchreiben wollen/ wel-
ches als von der Auffrichtigkeit herruͤh-
rend/ wo es bey den verſtaͤndigen kein Lob
nur eine entſchuldigung ver-
dienen wird.


Appendix A Errata.


Pag 3. l. 8 deleatur ſo/ l. ſeq lege gehoͤ-
ret jetzt zu Dennem p. 9. l. 3. l. theil p. 11.
l. 4, l.
hoͤchſten p. 12. l. 8. l. Ottonen
p. 18. l. 15. l.
mehr. p. 28. l. 3. l. kunte.
l. 5. l. duͤrffen p. 29. l ult. l. politiſchen.
p 31 l. 17. l. daß wer. p. 37. l. 2. pro
ja. l ohne. p. 38. l. 17. pro nen. l. den.
p. 41. l. 3. l. Kaſten l. 15. 16. pro viele
mehr
[[328]] mehr im l. vielmehr ein. p. 42. l. 14. l.
corpus. p. 44. l. 6. l.
ihn. p. 46. l. 13. l.
oberſtelle. p. 66. l. 10. l. ihre Guͤter dee
Weltlichen \&c: p. 78. l. 19. l. keinem. p.
87. l. 1. pro
eine l. eigene. p. 88. l. 1. l.
Otto
nen. p. 96. l. 16. l. eingeſetzet. p.
104. l. 15. l.
waaren. p. 114. l. 21. pro
wil 1. weil. p. 170. l. 2. l. worden p. 176.
l. 19. l.
worden. p. 205. l. 4. del. an. l.
die meiſten unter ihnen haben daß Recht ꝛc.
p. 222. l. 11. l. derſelbige. p. 237 l. 19.
pro
alt l. als. p. 262. l. 10. l. Koͤnigreich.
p. 274. l. 5. l. es. l. 13. pro ihrem l. ſei-
nem. p. 276. l. 18. l. ihres geringen
Wehrts. p. 280. l. ult. pro doch l. noch.
p. 281. l. 8. l. gemuͤhts neigungen l. 15.
l.
den jenigen. p. 287. l. 22. l. muͤſten.


ENDE.



[[329]][[330]][[331]][[332]][[333]][[334]][[335]][[336]]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Bericht Vom Zustande des Teutschen Reichs. Bericht Vom Zustande des Teutschen Reichs. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn1f.0