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Cura fugit Multo diluiturque mero.
[[I]]
Spaziergang nach Syrakus

im Jahre 1802.


[figure]

Veritatem sequi et colere, tueri justitiam, æque omnibus
bene velle ac facere, nil extimescere.


Braunschweig und Leipzig..
1803.
[[II]][[III]]
Lieber Leser,

Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich
hier erzähle; und ich thue das, weil einige
Männer von Beurtheilung glaubten, es werde
vielleicht Vielen nicht unangenehm, und Man¬
chen sogar nützlich seyn. Vielleicht waren diese
Männer der Meinung, ich würde es anders und
besser machen: darüber kann ich, in der Sa¬
che, nur an meine eigene individuelle Ueber¬
zeugung appelliren; so gern ich auch eingeste¬
hen will, daſs sie hier und da Recht haben
mögen, was die Form betrifft.


Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst
es werden; und ist nicht das eine und wird
nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu
glauben, daſs die Schuld nicht an mir liegt.
Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts
neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst.
[IV] Aber es wird doch meistens entweder gar nicht
oder nur sehr leise gesagt: und mich däucht
es ist doch nothwendig, daſs es nun nach und
nach auch laut und fest und deutlich gesagt
werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trin¬
ken wollen. Bey dieser Kindernahrung möchte
man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne
starke Speise wird aber kein Mann im Einzel¬
nen, werden keine Männer im Allgemeinen:
das hält im Moralischen wie im Physischen.
Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der
Anmaſslichkeit gefallen seyn sollte. Aber es
ist schwer, es ist sogar ohne Verrath der Sa¬
che unmöglich, bey gewissen Gegenständen die
schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse
das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung,
und bin zufrieden, daſs ich das Wahre und
Gute wollte.


Es ist eine sehr alte Bemerkung, daſs fast
jeder Schriftsteller in seinen Büchern nur sein
Ich schreibt. Das kann nicht anders seyn und
soll wohl nicht anders seyn; wenn sich nur je¬
der vorher in gutes Licht und reine Stimmung
setzt. Ich bin mir bewuſst, daſs ich lieber das
Gute sehe und mich darüber freue, als das
[V] Böse finde und darüber zürne: aber die Freude
bleibt still, und der Zorn wird laut.


In Romanen hat man uns nun lange ge¬
nug alte nicht mehr geläugnete Wahrheiten
dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausend
mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist
der Anfang: aber immer nur Milchspeise der
Kinder. Wir sollten doch endlich auch Män¬
ner werden und beginnen die Sachen ernsthaft
geschichtsmäſsig zu nehmen, ohne Vorurtheil
und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht.
Oerter, Personen, Namen, Umstände sollten
immer bey den Thatsachen als Belege seyn,
damit alles so viel als [möglich] aktenmäſsig
würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz
allein das Magazin unsers Guten und Schlim¬
men.


Die Sache hat allerdings ihre Schwierig¬
keit. Wagt man sich an ein altes Vorurtheil
des Kultus, so ist man noch jetzt ein Gottlo¬
ser; sondirt man etwas näher ein politisches
und spricht über Malversationen, so wird man
stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: und
beydes weiſs man sodann sehr leicht mit Böse¬
wicht synonym zu machen. Wer den Stempel
[VI] hat schlägt die Münze. Wer für sich noch et¬
was hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner
nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man
sollte nie sagen, die Fürsten oder ihre Minister
sind schlecht, wie man es so oft hört und
liest; sondern, hier handelt dieser Fürst un¬
gerecht, widersprechend, grausam; und hier
handelt dieser Minister als isolirter Plusma¬
cher und Volkspeiniger. Dergleichen Persona¬
litäten sind nothwendige heilsame Wagstücke
für die Menschheit, und wenn sie von allen
Regierungen als Pasquille gebrandmarkt wür¬
den. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten,
guten und schlechten. Die Sklaven haben Ty¬
rannen gemacht, der Blödsinn und Eigennutz
haben die Privilegien erschaffen, und Schwach¬
heit und Leidenschaft verewigen beydes. So¬
bald die Könige den Muth haben werden sich
zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, wer¬
den sie ihre eigene Sicherheit gründen und
das Glück ihrer Völker durch Freyheit noth¬
wendig machen. Aber dazu gehört mehr als
Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muſs
es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und
Entschlossenheit erlaubt seyn zu glauben und
[VII] zu sagen, daſs alter Sauerteig alter Sauerteig
sey.


Man findet es vielleicht sonderbar, daſs
ein Mann, der zwey mal gegen die Freyheit zu
Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Ent¬
räthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal
hat mich gestoſsen. Ich bin nicht hartnäckig
genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen
Millionen durchsetzen zu wollen: aber ich ha¬
be Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen
und ihren Ersten und Letzten nicht zu ver¬
läugnen.


Einige Männer, deren Namen die Nation
mit Achtung nennt, haben mich aufgefodert et¬
was öffentlich über mein Leben und meine
successive Bildung zu sagen: ich kann mich
aber nicht dazu entschlieſsen. In meiner Ju¬
gend war es der Kampf eines jungen Menschen
mit seinen Umständen und seinen Inkonsequen¬
zen; als ich Mann ward, waren meine Ver¬
flechtungen zuweilen so sonderbarer Art, daſs
ich nicht immer ihre Erinnerung mit Vergnü¬
gen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein
Thor, um durch sein Beyspiel einige längst be¬
kannte Wahrheiten eindringlicher zu machen?
[VIII] Als ich als ein junger Mensch von achtzehn
Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬
demie in die Welt hinein lief, fand man bey
Untersuchung, daſs ich keinen Schulfreund er¬
stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬
setzt und keine Schulden hinterlassen, daſs ich
sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag
vor der Verschwindung noch bezahlt hatte;
und man konnte nun den Grund der Entfer¬
nung durchaus nicht entdecken und hielt mich
für melancholisch verirrt, und lieſs mich sogar
in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬
lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬
zen. Daſs ein Student den Tag vorher ehe er
durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein
starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse
den Philantropen die Betrachtung über diesen
Schluſs, der eine sehr schlimme Meinung von
der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem
Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn,
wenn ich ihm sage, daſs die Gesinnungen, die
ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬
gender Erzählung geäuſsert habe, schon damals
alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich
mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬
[IX] sche auf und davon ging. Was sollte ein Dorf¬
pfarrer mit diesen Gährungen? Bey einem Kos¬
mopoliten können sie auf einem festen Grunde
von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken.
Der Sturm wird bey mir nie so hoch, daſs er
mich von der Base, auf welcher ich als ver¬
nünftiger rechtlicher Mann stehen muſs, her¬
unterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in
den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte
Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz
freye Entschluſs von einiger Bedeutung.


Man hat mich getadelt, daſs ich unstet
und flüchtig sey: man that mir Unrecht. Die
Umstände trieben mich, und es hielt mich keine
höhere Pflicht. Daſs ich einige Jahre über
dem Druck von Klopstocks Oden und Messia¬
de saſs, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache.
Man wirft mir vor, daſs ich kein Amt suche.
Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich;
und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich
nicht auf lächerlichen Stolz gründen, daſs ich
glaube, der Staat müsse Männer suchen für
seine Aemter. Es ist mir also lieb, daſs ich
Ursache habe zu denken, es müssen in meinem
Vaterlande dreyſsig tausend Geschicktere und
[X] Bessere seyn als ich. Wäre ich Minister, ich
würde höchst wahrscheinlich selten einem Man¬
ne ein Amt geben, der es suchte. Das wer¬
den Viele für Grille halten; ich nicht. Wenn
ich Isolierter nicht strenge nach meinen Grund¬
sätzen handeln will, wer soll es sonst?


Man hat es gemiſsbilligt, daſs ich den Rus¬
sischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch
Zufall hin, und durch Zufall weg. Ich bin
schlecht belohnt worden; das ist wahrschein¬
lich auch Zufall: und ich bin noch zu gesund
an Leib und Seele, um mir darüber eine Sup¬
pe verderben zu lassen, In der wichtigsten
Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grod¬
no und Warschau die deutsche und französi¬
sche diplomatische Korrespondanz zwischen dem
General Igelström, Pototzky, Möllendorf und
den andern preuſsischen und russischen Gene¬
ralen besorgt, weil eben kein anderer Offizier
im Hauptquartier war, der so viel mit der Fe¬
der arbeiten konnte. — Sie sind noch nicht
verpflichtet, sagte Igelström zu mir, als er mir
den ersten Brief von Möllendorf gab, Sie ha¬
ben noch nicht geschworen. Der ehrliche
Mann, antwortete ich, kennt und thut seine
[XI] Pflicht ohne Eid, und der Schurke wird da¬
durch nicht gehalten. — Man hat alten Staabs¬
offizieren Dinge von groſser Bedeutung abge¬
nommen und sie mir übergeben, als Möllen¬
dorf noch die Piliza zur Gränze forderte, und
als man nachher russisch die Dietinen in Polen
nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete.
Igelström, Friesel und ich waren einige Zeit
die Einzigen, die von dem ganzen Plane unter¬
richtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und
Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Ka¬
nonenschuſs unter meinem Fenster fiel: und
mich däucht, daſs ich dann auch als Soldat
meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich
gleich während des langen Feuers kartätschen¬
sicher zuweilen in einer Mauernische neben
den Grenadieren saſs und in meinem Taschen¬
homer blätterte. Zu den russischen Arbeiten
hatte der General Dutzende; zu den deutschen
und französischen, die der Lage der Sachen
nach nicht unwichtig seyn konnten, niemand
als mich: das wird Igelström selbst, Apraxin,
Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der
Franzose Sion ankam, waren die wichtigsten
Geschäfte schon gethan. Dafür wurde mir
[XII] denn dann und wann ein Geiger vorgezogen,
der einem der Subows etwas vorgespielt hatte.
Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhn¬
lich. Ich hatte das Schicksal gefangen zu wer¬
den. Der General Igelström schickte mich
nach Beendigung der ganzen Geschichte mit ei¬
nem schwer verwundeten jungen Manne, der
mein Freund und dessen Vater der seinige war,
nach Italien, damit der Kranke dort die Bäder
in Pisa brauchen sollte. Wir konnten nicht
hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten.
Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an
dem Tage zurück auf meinem Posten seyn,
den Paul in seiner Ukase bestimmt hatte, und
wurde aus wenig Dienst geschlossen. Man hat
in Ruſsland wenig schöne Humanität bey dem
Anblick auf das flache Land. Schon vorher
hen, ich halb entschlossen nicht zurückzuge¬
hen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab
mir auf meine sehr freymüthige Vorstellung
an ihn selbst, da ich durchaus keinen Dienst¬
fehler gemacht hatte, endlich der förmlichen
ehrenvollen Abschied, den mir der General
Pahlen zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit
[XIII] in Ruſsland, Offizieren, die einige Dienste ge¬
leistet haben, ihren Gehalt zu lassen; ich er¬
hielt nichts. Das war vielleicht so Geist der
Periode, und es würde Schwachheit von mir
seyn mich darüber zu ärgern. Wenn ich jetzt
etwas in Anregung bringen wollte, würde
man die Sache für längst antiquirt halten und
der Sinn des Resultats würde heiſsen: Wir Lö¬
wen haben gejagt. — Ich will mir den Nach¬
satz ersparen. Wenn ich nicht einige Kennt¬
nisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genüg¬
samkeit hätte, könnte ich den Rock des Kaisers
um ein Stückchen Brot im deutschen Vater¬
lande umher tragen.


Ich habe mich in meinem Leben nie er¬
niedriget, um etwas zu bitten das ich nicht
verdient hatte; und ich will auch nicht ein¬
mal immer bitten, was ich verdiente. Es
sind in der Welt viele Mittel ehrlich zu le¬
ben: und wenn keines mehr ist, finden sich
doch einige, nicht mehr zu leben. Wer
nach reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan
hat, darf sich am Ende, wenn ihn die
Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten.
[XIV] Auf Billigung der Menschen muſs man nicht
rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen
und brauchen morgen den Ostracismus für
den nehmlichen Mann und für die nehmliche
That.


Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre
gelebt habe und dann nichts mehr zu thun
finde, kann es wohl noch eine kleine Aus¬
flucht werden, die Winkel meines Gedächt¬
nisses aufzustäuben, und meine Geschichte zur
Epanorthose der Jüngern hervor zu suchen.
Jetzt will ich leben, und gut und ruhig le¬
ben, so gut und ruhig man ohne einen Pfen¬
nig Vorrath leben kann. Es wird gewiſs ge¬
hen wie es bisher gegangen ist: denn ich ha¬
be keine Ansprüche, keine Furcht und keine
Hoffnung.


Was ich hier in meiner Reiseerzählung
gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sich¬
ten wissen. Ich stehe für alles was ich selbst
gesehen habe, in so fern ich meinen Ansich¬
ten und Einsichten trauen darf: und ich ha¬
be nichts vorgetragen, was ich nicht von
ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt
[XV] gehört hätte. Wenn ich über politische Din¬
ge etwas freymüthig und warm gewesen bin,
so glaube ich, daſs diese Freymüthigkeit und
Wärme dem Manne ziemt; sie mag nun eini¬
gen gefallen oder nicht. Ich bin übrigens ein
so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem
ganzen Meiſsnischen Kreise kaum einen Thor¬
schreiber hat. Manches ist jetzt weiter gedie¬
hen und gekommen, wie es wohl zu sehen
war, ohne eben besser geworden zu seyn.
Machte ich die Ronde jetzt, ich würde
wahrscheinlich mehr zu erzählen haben, und
Belege zu meinen vorigen Meinungen geben
können.


Freylich möchte ich gern ein Buch ge¬
macht haben, das auch ästhetischen Werth
zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit
würde durch ängstliche Glättung zu sehr lei¬
den. Niemand kann die Sachen und sich
selbst besser geben, als beyde de sind. Ich fühle
sehr wohl, daſs diese Bogen keine Lektüre
für Toiletten seyn können. Dazu müſste vie¬
les heraus und vieles hinein, und vieles
müſste anders seyn. Wenn aber hier und da
[XVI] ein guter, unbefangener, rechtlicher, entschlos¬
sener Mann einige Gedanken für sich und an¬
dere brauchen kann, so soll mir die Erinne¬
rung Freude machen.



Seume.

[[1]]

Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir
gingen. Eine Karavane guter gemüthlicher Leutchen
gab uns das Geleite bis über die Berge des Mulden¬
thals, und Freund Groſsmann sprach mit Freund
Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin,
wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt
suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich
Sankt Georgens groſsem Lindwurm gegen über und
betete mein Reisegebet, daſs der Himmel mir geben
möchte billige freundliche Wirthe und höfliche Thor¬
schreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück
auf dem andern Wege wieder in mein Land; daſs er
mich behüten möchte vor den Händen der monarchi¬
schen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit
gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System
in die Nase heften, wie der Samojete seinen Thie¬
ren den Ring.


Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die
schon Melanchthon so lieblich fand, daſs er dort zu
leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell
alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen
hatte: Mühe und Verdruſs sind leicht vergessen. Dort
1[2] stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen, und
am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedeley, wo
wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plau¬
derten und ernteten, und Kartoffeln aſsen und Pfir¬
schen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer
umher, und der Fluſs wand sich gekrümmt durch die
Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und
kein Eichbaum unbekannt war.


Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir
nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der
Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch ein¬
mahl sah ich links nach der neuen Mühle auf die
gröſste Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohen¬
städt so oft zur Gränze unserer Aussicht über die Thä¬
ler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straſse
nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing
man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete
uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte
uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie
von Göthens Liede — Kennst du das Land? — unter
den wärmsten Wünschen weiter nach Meiſsen, wo
wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir
uns doch die freundlichen Bekannten an der südlichen
Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe rollte
majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab.
Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder
hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem
Fluſse an den alten Scharfenberg romantisch hinauf.
Das Wetter war den achten December so schwül, daſs
es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus
der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.


[3]

Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen,
wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬
nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬
suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in
Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬
ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬
kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem
Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was
in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬
chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es
wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche
Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich
kann nicht sagen, daſs Dresden dieſsmahl eine Aus¬
nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter
bey Meiſsen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬
lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daſs man
alle fünf Minuten auf eins stöſst, das den Staupbesen
verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit
scheint: Du kannst denken, daſs weder dieser noch
jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend
eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen
Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke
der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬
lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer
Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬
pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬
gesinde der Groſsen zu Hause, das sich oft dadurch
für die Miſshandlungen schadlos zu halten sucht, die
es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren
erfahren muſs. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen;
aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,
[4] die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heiſst oft
nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet;
so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist.
Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt
ist; es ist ein groſses Glück, wenn sein Geist nicht
knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr
als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬
hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.


Eben komme ich aus dem Theater, wo man
Groſsmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die
Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel.
Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬
wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬
busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, daſs
man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬
heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn
war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten
Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬
leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es
war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬
keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der
liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe
nicht ein, warum man den Fürsten in einen König
verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬
mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daſs
es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war.
Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten
machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind
nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man
hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und
der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten
[5] muſs eher durch solche Winkelzüge beleidiget werden.
Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur
eine oder zwey Uebereilungen zur Last gelegt, und
davon ist keine in diesem Stücke berührt. Daſs man
die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre weg¬
wischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber
ich sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden
Thorheiten und Gebrechen der Adelskaste nicht mit
Freymüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geiſsel
des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen.
Wenn es nicht mehr trifft, ist es nicht mehr nöthig;
daſs es aber noch nöthig ist, zeigt die ängstliche Be¬
hutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüng¬
sten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.


Christ, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt
und richtig, und seine Aktion war genau, gemessen,
ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt.
Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer ge¬
wöhnlichen Theatergrazie und an einigen Stellen mit
ungewöhnlicher sehr glücklicher Kunst. Madam Och¬
senheimer fängt an eine ziemlich gute Soubrette zu
werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes
viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht
zu seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wils¬
dorf. Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hat¬
ten, der erste als Philipp, der zweyte als Wunderlich,
ein ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner
gewöhnlichen barocken Laune und muſste gefallen;
aber Bösenberg that einen beleidigenden Miſsgriff, der
ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann.
Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen stande¬
[6]bene bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs ober¬
sächsische Aussprache hinzu, die so gern das Weiche
hart und das Harte weich macht, und die noch dazu
hier sehr markiert zu seyn schien. Der halblateinische
Theil des Publikums lachte heillos, und mir kam es
als eine Ungezogenheit der ersten Gröſse vor. Die
übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch Drewitz
machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht
machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stall¬
knecht, und arbeitete oder vielmehr pfuschte zur gro¬
ſsen Belustigung aller Militäre, die um mich her im
Parket saſsen. Der Fehler war nicht so wohl sein ei¬
gen, als des Direktoriums, das ihn zum Major ge¬
macht hatte. Non omnia possumus omnes; er macht
den Becker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke
recht gut.


Man hatte uns bange gemacht, wir würden
Schwierigkeiten wegen Oestreichischer Pässe haben;
aber ich muſs die Humanität der Gesandschaft rüh¬
men. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr
gütig auf, und fertigte, da er unsere Wünsche bald
abzureisen vernahm, mit groſser Freundlichkeit so¬
gleich selbst aus; und in einigen Stunden erhielten
wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unter¬
schrieben, durch alle Kaiserliche Länder.


Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit
in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll
ich Laie im Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht,
weil ich dazu noch einmahl hätte Schuhe anziehen
müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den
Inspektor das erste Mahl nicht traf; und das übrige
[7] nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts;
ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen
und beschreiben.


Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬
sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau
gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬
fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte
ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt
kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes
Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung.
Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬
ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene
blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬
gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was
Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬
che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen,
unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber
Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser
schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir
noch manches von Warschau, wo wir beyde in der
groſsen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte
fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust
von fünftausend Dukaten erlitten, und muſste wäh¬
rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬
ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬
ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬
schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln
durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬
schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬
lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur
Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬
[8] wirkte und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab,
bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst
denken, daſs unser Freund Schnorr sich mit Enthu¬
siasmus an den Mann anschloſs; und die Herzlichkeit,
mit der sich beyde einander öffneten, machte bey¬
den Ehre.


Heute früh wurde ich durch den Donner der
Kanonen geweckt und erfuhr beym Aufstehen, daſs
dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht
der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm,
als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten. Die
Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder
seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des
Friedens. Dadurch werden ihre Verdienste gewiſs er¬
höht, und ihr Muth wird doch nicht mehr problema¬
tisch, als ob sie Schlachten gewännen.


Du weiſst, daſs Schreibseligkeit eben nicht meine
Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen
sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig als
zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben
wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in meinem
Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Frag¬
menten vorlieb, aus denen am Ende doch unser gan¬
zes Leben besteht. In Dresden miſsfiel mir noch zu¬
letzt gar sehr, daſs man zur Bequemlichkeit der An¬
kömmlinge und Fremden noch nicht die Straſsen und
[9] Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeyar¬
tikel, an den man schon vor zehn Jahren in kleinen
Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat, und der
die Topographie auſserordentlich erleichtert: und To¬
pographie erleichtert wieder Geschäfte.


Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die
Mengsche Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird
Dir besser erzählen, von welchem Werth sie ist, und
Küttner hat es, meines Wissens, schon sehr gut ge¬
than. Du weiſst, daſs ich hier ziemlich Idiot bin und
mich nicht, in das Heiligthum der Göttin wage; ob
ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beyspiel
über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken
habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit sei¬
ner Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich
auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo
sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier
intressierten mich eine Menge Köpfe am meisten, die
ich gröſsten Theils für römische hielt. Küttners
Wunsch fiel mir dabey ein, daſs der Churfürst diese
Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr komplet¬
tieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens
zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur
zwey Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu se¬
hen ist. Einige Verordnungen die Kunst betreffend
sind mir barock genug vorgekommen. Kein Künstler,
zum Beyspiel, darf auf der Galerie ein Stück ganz
fertig kopieren, wie man mich versichert hat. Dieſs
zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. Es wäre für die
Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn Kopien
groſser Meister von dort kämen, die man mit den
[10] Originalen verwechseln könnte. Auch darf kein Ma¬
ler länger als die bestimmten zwey Stunden oben ar¬
beiten, welches für die Kopisten in Oehl eine Zeit ist,
in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber
das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuwei¬
len bis zur Ungezogenheit treiben; und es soll vor kur¬
zem ein nahmhafter Maler unsers deutschen Vater¬
landes seine Pinsel auf einem der schönsten Originale
abgewischt haben um die Farben zu versuchen. Da
würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock sich
in der Faust geregt haben.


Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die
mit ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Ge¬
dächtniſs ist wie ein Sieb; aber mich däucht, es war
die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich
nicht irre, sehr eklektisch. Es war bey der Vorstel¬
lung kein einziger schlechter Sänger und Akteur; aber
nach meiner Meinung auch kein einziger vortrefflicher,
so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die
Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich mich fast
in jedem Fache eines bessern Subjekts unwillkührlich
erinnerte.


In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Sieg¬
fried, den du als den Verfasser von Siama und Galmori
kennest und der uns mit einigen Bekannten an die
Gränze brachte. Nun gieng es in die Höhe; und so
mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war
es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon
Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden
hinter Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab
und hörte bey Auſsig wieder ganz auf.


[11]

Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den
auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholi¬
cität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegen¬
theil muſs ich sagen, es gefiel mir alles auſserordent¬
lich wohl. Unser Wirthshaus in Peterswalde war so
gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur
immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den
Paſs bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war
nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich
und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir
Griesgram. Man müſste eine sehr verstimmte unästhe¬
tische Seele haben, wenn man nicht lieber ein jun¬
ges, hübsches, freundliches Gesicht sähe, als ein altes,
häſsliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Sil¬
bermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwey
Marienbildern hing, so reitzend unbefangen in Ord¬
nung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung
recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer
Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so enthu¬
siastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr be¬
kehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen woll¬
te. Ueberdieſs ist der böhmischdeutsche Dialekt bis
Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte
nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebir¬
gische in Sachsen.


Der Weg von Peterswalde nach Auſsig ist rauh,
aber schön; von Auſsig, wo man wieder an die Elbe
kommt, romantisch wild, links und rechts an dem
Fluſse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und
Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisci¬
plin unserer sächsischen Landesleute ins Ohr, die in
[12] dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier
alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige
hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze
Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer.
Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen,
so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬
sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬
schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge,
und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist
schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬
den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin,
einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn
scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine
kleine Sammlung guter Bücher an, und lieſs mir von
ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen
hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig
möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes
geben.


Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben
Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr
früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und
saſsen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬
nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen
durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬
len muſsten; welches ich für einen Eyerkuchen in
Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war
[13] es in Peterswalde verhältniſsmäſsig billiger und besser.
Der Wirth zur goldenen Rose in Budin hatte ein gutes
Haus von auſsen und ein schlechtes von innen. Eine
Suppe von Kaldauen, altes dürres Rindfleisch und eine
sehr zähe lederne Brate von einer Gans, die noch
mit eine Retterin des Kapitols gewesen seyn mochte;
noch schlechter waren die Betten: aber am schlechte¬
sten war der Preis. Die schlechten Sachen waren un¬
geheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet
war. Aber Muſs ist ein Bretnagel, heiſst das Sprich¬
wort: er ist der Einzige in Budin, und mich däucht,
schon Küttner hat gehörig sein Lob gesungen. Uebri¬
gens lasse ich die Qualität der Wirthshäuser mich we¬
nig anfechten. Das beste ist mir nicht zu gut, und
mit dem schlechtesten weiſs ich noch fertig zu wer¬
den. Ich denke, es ist noch lange nicht so schlimm
als auf einem englischen Transportschiffe, wo man
uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im
Zelte, oder auf der Brandwache, wo ich Stein
zum Kopfkissen nahm, sanft schlief und das Donner¬
wetter ruhig über mir wegziehen lieſs.


In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet
von Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten
und hier und da zur Verschönerung wahrscheinlich
etwas dazu logen. Einige Oestreichische Soldaten,
Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der
französischen Gefangenschaft gewesen waren, und ei¬
nige Sachsen von dem Kontingent machten eine er¬
bauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang
und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Beson¬
ders machte einer der Soldaten eine so gräuliche Be¬
[14] schreibung von den Läusen im Felde und in der Ge¬
fangenschaft, daſs wir andern fast die Phthiriase davon
hätten bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur
eine drollige Reminiscenz meiner ersten Seefahrt nach
Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich säuber¬
lich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum
Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche
Menge bekamen, daſs sie das Tauwerk zu zerfressen
drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter andern
toll genug, wie er und seine Cameraden in Iglau neu¬
lich einige Soldaten, in einem Streit wegen der Mäd¬
chen, gar furchtbar zusammen geprügelt hätten.
Where there is a quarrel, there is always a lady in
the case
, dachte ich; gilt auch bey der Oestreichischen
Bagage. Ein Soldat meinte, daſs die Fuhrknechte
denn doch etwas sehr miſsliches und ungebührliches
unternommen hätten, sich an den Vertheidigern des
Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen
am Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte
der Fuhrknecht, es waren ja nur Legioner. Das ist
etwas anders, erwiederte der Soldat beruhigt; das wa¬
ren nur Studenten und Kaufmannsjungen, die den
dritten Marsch um das Butterbrot weinten wie die
Hellerhuren; die kann man schon mit einer tüchtigen
Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu
vertreiben.


In Prag registrierte uns eine Art von Thorschrei¬
ber gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte
unsere Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium.
Die Herren der Polizey waren gegen alle Gewohnheit
der Klasse in andern Ländern die Höflichkeit selbst,
[15] den andern Morgen war in zehn Minuten alles abge¬
than, und wir hatten unsern Bescheid bis Wien. Un¬
sere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück,
da man noch kurz vorher Fremden mit Gesandschafts¬
pässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.


Das Theater hier ist polizeymäſsig richtig und nicht
ohne Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab,
war schlecht, die Gesellschaft arbeitete nicht gut, und
das Ballet ging nicht viel besser als das Stück. Der
Gegenstand des letztern, das wilde Mädchen, war von
dem Komponisten sehr gut ausgeführt; und es war
Schade, daſs in der Vorstellung weder Charakter noch
Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unter¬
nehmer der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl
der deutschen als der italiänischen. Die deutsche habe
ich höchst mittelmäſsig gefunden, und die italiänische
soll noch einige Grade schlechter seyn, die wir doch
sonst in Leipzig bey ihm sehr gut besetzt und wohl
geordnet fanden. Heute wurde Hamlet gegeben, und
Du kannst Dir vorstellen, daſs ich nicht Lust hatte
einen meiner Lieblinge gemiſshandelt zu sehen.


Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuers¬
gefahr gewesen war und man den Schaden ausbauet;
und das wird länger dauern, als ich zu warten geson¬
nen bin. Der Bibliothekar, Rath Unger, der um Li¬
teratur und Aufklärung viel Verdienste und gegen
Fremde groſse Gefälligkeit hat, würde indessen un¬
streitig die Güte gehabt haben uns die gelehrten Schä¬
tze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hät¬
ten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyſsigjährigen
Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch
[16] Einverständniſs mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬
schen Gewölbe ausfindig zu machen wuſsten, um die
versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die
Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
die Bibliothek wieder auſserordentlich gewonnen; aber
die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬
durch für die Literatur gröſserer Gefahr ausgesetzt,
weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen.
Der letzte Vorfall hat die Besorgniſs bestätigt und er¬
höht. Ein Glück war es, daſs eben damahls mehr als
vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬
sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die
liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu
den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.


Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und
finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach
der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin
fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬
schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der
alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse
hat, eine eigene Art von Genuſs; und das silberne
Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den
Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es
betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser
Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daſs die
Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige
Fürsten golden und für [die] ganze übrige Menschheit
sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl,
gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬
bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.
[17] Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
wollte.


Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner
ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬
len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag,
sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch
eine groſse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter
den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬
leranz selbst sind.


Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬
men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬
trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬
den, da der Boden rund umher auſserordentlich
fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung
wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und
waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man
drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und
die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬
chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an
dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten
wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich
sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬
drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch
ist, machen die Städte oft den Anhang des groſsen
und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien
hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬
zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon
ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in

2[18] Rücksicht der Franzosen Recht hatte, ist eine an¬
dere Frage: ab er in seiner Freude bey der furchtba¬
ren Krise des Vaterlandes lag ein groſser Sinn, der
wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch
vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die
verlornen Schlachten.


Die Leute jagen uns hier Angst ein, daſs rund
umher in der Gegend Räuber und Mörder streifen.
Das könnten sie nun wohl bleiben lassen; denn
fort müssen wir. In Leutmeritz sollen über hundert
sitzen, und in Prag nicht viel weniger. Die Auflö¬
sung der militärischen Korps ist immer von solchen
Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen
gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und ver¬
lasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten
Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch
einige Zoll in die Rippen nachstoſsen kann. Freund
Schnorr wird auch das seinige thun, und so müssen
es schon drey gut bewaffnete entschlossene Kerle seyn,
die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als ob
wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob
wir das wenige das wir tragen so leicht hergeben
würden[.]


Wir nahmen den Segen unsrer Freunde mit uns
und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts
gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts
[19] erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir
Schinken oder Wurst oder beydes zugleich aſsen, kann
Dir ziemlich gleichgültig seyn.


Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen,
als wir durch Kolin und durch die Gegend des
Schlachtfelds gingen. Daun wuſste alle seine Schlach¬
ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen,
und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige
Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau
nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine
zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von
Kolin bis Czaſslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬
züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬
nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaſslau ge¬
währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬
wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬
fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es
wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht
und richtig kann man nach allen Gegenden hinab
streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der
Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht.
Nicht weit von Kolin aſs ich zu Mittage in einem
Wirthshause an der Straſse, ohne mich eben viel um
die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in
einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne
einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der
Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des groſsen fin¬
stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬
gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit,
ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und
mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin
[20] saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und
trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬
chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit
Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand
hier und da in der Entfernung nur einiges aus der
Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du
weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die
Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich
nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe
wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der
Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬
ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte,
mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre
eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war
nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte
mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht
nennen; am ähnlichsten war es der Russischen
Balalaika.


Mich däucht, schon andere haben angemerkt,
daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬
fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine
unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen,
Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl
in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach
der Gränze.


Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als
die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon
zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch
essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns,
daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden
würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so
[21] schlecht erfüllt. Wir gingen in zwey, die eben keine
sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube
erhalten: die Officiere, hieſs es, haben auf dem Durch¬
marsche alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der
Fall seyn; denn alles ging von der Armee nach Hause:
deſswegen die sichern Wege. Im dritten legte ich
miſsmüthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch,
und quartierte mich ein ohne ein Wort zu sagen. Der
Wirth war ein Kleckser und nennte sich einen Maler,
und seine Mutter ein Muster von einem alten, häſsli¬
chen, keifischen Weibe, das schon seit vierzig Jahren
aus der sechsten Bitte in die siebente getreten war.
Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashänd¬
ler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von
denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu han¬
deln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte
sich sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen
Pfifferling zu bekümmern: und zur Nacht schichtete
man uns mit den Hebräern so enge auf das Stroh,
daſs ich auf dem brittischen Transport nach Kolumbia
kaum drückender eingelegt war. Solche Abende und
Nächte muſsten schon mit eingerechnet werden, als
ich zu Hause den Reisesack schnallte.


In Iglau habe ich bey meinem Durchmarsch
nichts gesehen, als den groſsen schönen hellen Markt,
dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser ma¬
chen als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das
ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziem¬
lich in der Mitte des Markts steht ein herrliches Drey-
faltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph
dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig
[22] wie die Barbarey. Einige feine Artikel waren zer¬
spalten und bekleckst; aber die conceptio immaculata
und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave
Maria zum Trost der Gläubigen noch fest und wohl
erhalten. Es soll bey Iglau schon ein recht guter
Wein wachsen; er muſs aber nicht in Menge kommen;
denn ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten
gesehen. Eine halbe Stunde dieſseits Iglau stehen an
der Gränze zwey Pyramiden nicht weit von einander,
welche im Jahr 1750 unter Maria Theresia von den
böhmischen und mährischen Ständen errichtet worden
sind. Die Inschriften sind ächtes neudiplomatisches
Latein, und schon ziemlich verloschen; so daſs man
in hundert Jahren wohl schwerlich mehr etwas davon
wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhn¬
lich, zum ewigen Gedächtniſs gesetzt. In Mähren
scheint mir durchaus noch mehr Liberalität und Bon¬
hommie zu herrschen als in Böhmen.


Im Städchen Stannern müssen beträchtliche Wol¬
lenmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit die¬
sen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mü¬
tzen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu
auſserordentlich niedrigen Preisen zum Verkauf herum.
Ein gutes bequemes Wirthshaus, das erste, das wir
seitdem wir aus Prag sind trafen, hatte den Ort gleich
etwas mehr in Kredit bey uns gesetzt. Wenn man
nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fuſse trotzig vor
sich hin stapelt, muſs man sich sehr oft sehr huronisch
behelfen. Meine gröſste Furcht ist indessen vor der
etwas ekeln Einquartierung gewisser weiſser schwarz
besattelter Thierchen, die in Polen vorzüglich gedei¬
[23] hen und auch in Italien nicht selten seyn sollen.
Uebrigens ist es mir ziemlich einerley, ob ich mich
auf Eyderdunen oder Bohnenstroh wälze: Sed quam
misere ista animalcula excruciare possint, apud nautas
expertus sum
; darum haben ihnen auch vermuthlich
die Griechen den verderblichen Nahmen gegeben.


Hier in Znaym muſste ich zum ersten Mahl Wein
trinken, weil der Göttertrank der Germanen in Wal¬
halla nicht mehr zu finden war. Der Wein war das
Maſs für vier und zwanzig Kreuzer sehr gut, wie mich
Schnorr versicherte; denn ich verstehe nichts davon
und trinke den besten Burgunder mit Wasser wie den
schlechtesten Potzdamer. Hier möchte ich wohl woh¬
nen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend,
selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stöſst
die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf den andern,
vorzüglich nach Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr
malerisch durch die Menge Weingärten, die alle an
sanften Abhängen hin gepflanzt sind. Die beyden
Klöster an den beyden Enden der Stadt sind, wie die
meisten Mönchsitze, treffliche Plätze. Das eine nach
der Oestreichischen Seite hat Joseph der Zweyte unter
andern mit eingezogen. Die Gebäude desselben sind
so stattlich, daſs man sie für die Wohnung keines
kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege diente das
Kloster zu verschiedenen Behufen; bald zum Magazin,
bald zum Aufenthalt für Gefangene: jetzt steht es leer.


Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht
zwey Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer
schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine rö¬
mischen Ruinen studieren will, wandelte ich meines
[24] Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich
höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier
verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬
feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre
daſs die Ruine von einem Domherrn erklärt worden
ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse
sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit
den groſsen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er
überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬
gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬
sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und
Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder
Sinn noch Stimme haben.


Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe
ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege
merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit
den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden
verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬
throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬
tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn
muſs, gilt für Chauſsee.


Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier
ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen.
Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten
Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut
sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬
merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da
ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und
achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner
weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen
war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬
[25] mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬
keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte,
und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch
die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der
Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen
wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier
Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld
und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der
alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit
schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬
frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.


Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in
Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau
schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten.
An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬
halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich
armer Teufel wurde hier in bester Form für einen
Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter
Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen!
Aber man muſste doch den casum in terminis gehabt
haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt,
meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein
Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und
mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬
sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬
den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an
das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich.
[26]I must needs have the face of a smuggler. Meine
Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen,
und dazu muſste ich einen goldnen Dukaten eventuelle
Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesün¬
digt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wuſste und
zu wissen gar nicht gehalten bin. „Du sollst kein
versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.“
Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen.
Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl
einsah, daſs ich weder mit Brüſsler Kanten handelte
noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe
nach drey Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe,
als daſs man mir für den schönen vollwichtigen Duka¬
ten, nach der Kaisertaxe von welcher kein Kaufmann
in der Residenz mehr etwas weiſs, neue blecherne
Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freund¬
lich und höflich her, an der Barriere, auf der Post,
und auf der Polizey. Wider alles Vermuthen beküm¬
merte man sich um uns nun mit keiner Sylbe weiter,
als daſs man unsere Pässe dort behielt und sagte, bey
der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald
ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wieder er¬
halten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern
und meine Personalität vorzustellen. Die Herren wa¬
ren alle sehr freundschaftlich, und honorierten die
Zettelchen mit wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir
hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen,
denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier
zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem Werth
und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.


Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne
[27] Stunde wahren Genusses. Der Mann hat mich mit sei¬
nen Gesinnungen und seiner Handelsweise sehr inte¬
ressiert. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte da¬
her seine offene Ungezwungenheit desto besser bemer¬
ken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein
gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen.
Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange
Weile hat, für den ist keine Rettung. Er hatte so
eben seinen Achilles bey dem Leichnam des Patroklus
vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer
gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch
einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du
kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem
Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der
junge Held in Lebensgröſse bey dem Todten, der bis
an die Brust neben ihm sichtbar ist, scheint sich so
eben von seinem tiefesten Schmerz zu erholen und
Rache zu beschlieſsen. Die Figur ist ganz nackt, und
scheint mir ein Meisterstück der Färbung und Zeich¬
nung; aber der Kopf ist göttlich. Du weiſst, ich bin
nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im An¬
schauen sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten
könnte, würde ich mit der himlisch jugendlichen
Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der
Held, der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht
mehr der Jüngling, den Ulysses unter den Töchtern
Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon
gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken
der Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir
der Kopf noch zu viel aus dem Gynäceum zu haben.
Mich däucht, der Mann sollte schon etwas vollende¬
[28] ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit
vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern,
und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst.
Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man
Erstaunen und Furcht liest.


Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der
Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine
Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und
Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daſs er vor Angst
einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen
können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis
auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm
dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬
ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬
gabe erhalten. Es wäre werth, daſs Göschen mit sei¬
nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und
Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich
entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber
die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬
fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte.
Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬
schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬
tan gräſslich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬
züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel
nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die
Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des
Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und
sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht.
Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬
mann der Römer gleicht Einem, der in seinem
Schrecken es noch zeigt, daſs er zu dem alten Kapitol
[29] gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬
stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen
wollen, weil ich mich mit der Personificierung der
Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal
noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬
pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht
genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬
chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten
Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬
sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere
Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des
alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen
hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬
wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische.
Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde
hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre
Arbeit finden, und Füger für die seinige.


Ich muſs Dir noch über zwey Stücke von Füger
etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen
Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst.
Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der
Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬
keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für
Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten
Genuſs hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬
mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey
Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist
Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und
der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man
muſs das Ganze mit Einem Blicke umfassen können,
um die Gröſse der Wirkung zu haben, die der Künst¬
[30] ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus
einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬
guren; aber es ist keine müſsig: sie gehören alle zur
Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist
richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis
zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und
groſs. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muſs
gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war
eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich
erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder
wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger
als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter
Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung
und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬
den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin,
als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müſste
ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬
ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.


Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine
Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem
Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der
künftigen Momente nur einen Augenblick da steht.
Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬
lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius
Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬
schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst
hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬
bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht
mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬
ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬
schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬
[31] nam beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung
schwebte selten der Seele eines Dichters vor: nimm
nun noch die Vollendung und Zartheit der Figuren
und das Pathos des Augenblicks dazu. Es ist eine der
schönsten Kompostionen aus der Seele eines Künslers,
den der Genius der hohen und schönen Humanität
belebte. Ich würde nieder knien und anbeten, wenn
ich die Römer nicht besser kennte. Du weiſst aber
schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart.
Als Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Ruſs¬
land leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft,
als unter dem Palladium der römischen Freyheit. Be¬
schuldige mich nicht zu schnell eines Paradoxons.
Wehe den neuen Galliern, wenn sie die altrömische
Freyheit ihrer Nation oder gar ihren Nachbarn auf¬
dringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen!
Aber wo gerathe ich hin?


Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich
höre, für den Herzog Albert von Sachsen-Teschen,
arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias erscheint,
um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern.
Da es in die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas
kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, sehr kühn: aber
Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken auszu¬
führen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht
der groſse Künstler, daſs er einige seiner herrlichsten
Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen
hat. Nun wünschte ich auch David einige Stunden so
nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe es
soll mir gelingen.


Während der vierzehn Tage, die ich hier hause¬
[32] te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles
Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener
klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich
denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle
und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum
bonum; Danubius
, qui dat nubes; und dergleichen
mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬
tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer,
Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen
wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬
ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬
nister wieder packen müssen.


Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir
nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬
tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das
männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche;
aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt
über die andern so sehr empor, daſs er durch seine
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬
dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm
nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück;
zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist.
Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe
Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬
macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬
delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so
viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann,
wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs
hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind
[33] allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬
raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr
festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬
che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden.
Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;
aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so
haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird
mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬
mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der
weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten
Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬
lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬
haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre
Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden
könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin;
aber nicht für dieses Fach.


Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser.
Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬
strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬
herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs
es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich
begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit
so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können.
Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn,
bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie
können.


Ich, meines Theils, will keine Helden,

Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,

Sogleich den Mangel ihrer Kraft

Im ersten Tone quiekend melden,

3[34]
Und ihre lächerliche Wuth

Im Schwindel durch die Fistelhöhen

Von ihrem Brett herunter krähen,

Wie Meister Hahns gekappte Brut.

Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht

Wie die Taranteltänze hasse,

So setze mich des Himmels Strafgericht

Mit ihm in Eine Klasse.

Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an
der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut
hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor
mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann
kennt sein Publikum und weiſs ihm zu geben was ihm
schmeckt. Sein groſser Vorzug ist Lokalität, deren er
sich oft mit einer Freymüthigkeit bedient, die ihm
selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht.
Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarr¬
heiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört,
die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen,
ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung
über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke
scheint er im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst
gemacht zu haben; und ich muſs bekennen, daſs mir
seine barocke Personalität als Tyroler Wastel ungemei¬
nes Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von
feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu neh¬
men, daſs sie zuweilen zu ihm und Kasperle heraus¬
fahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer
lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhält¬
niſsmäſsig weit besser, als jene für die Burg. Die Klei¬
[35] dung ist an der Wien meistens ordentlicher und ge¬
schmackvoller, als die verunglückte Pracht dort am
Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch
manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug machen. So
lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen
tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und
der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er
auch Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl
vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke
wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren
Grad von Bildung erfodern, muſs der Versuch aller¬
dings immer sehr schlecht ausfallen. Aber hier wird
er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: dawi¬
der ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann
nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst
wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das
Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mi¬
mischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kas¬
perle und Schikaneder mögen ihre subordinirten Zwe¬
cke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationalthea¬
ter ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem er¬
sten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines
groſsen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu
machen.


Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie
ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich
däucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient, als
die meisten, die dazu erhoben werden. Er soll über¬
dieſs das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter
Haushalter zu seyn.


Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in
[36] Wien fast nichts geäuſsert, und Du kannst vielleicht
Monate lang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein
einziges Propos hörst, das auf Politik Bezug hätte; so
sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Or¬
thodoxie im Staate wie in der Kirche. Es ist überall
eine so andächtige Stille auf den Kaffehäusern, als ob
das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu ath¬
men wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu
enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich
hin zu sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freund¬
liche Weisung von Bekannten, die mich vor den Un¬
sichtbaren warnten. In wie fern sie Recht hatten,
weiſs ich nicht; aber so viel behaupte ich, daſs die
Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren
brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene Sorg¬
losigkeit fast einen Streich. Du weiſst, daſs ich durch¬
aus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens
das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber
die Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut
halte zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als viel¬
leicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als
ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begeg¬
net mir wohl, daſs ich, ohne eben irgend etwas zu den¬
ken, eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke,
einige Takte unwillkührlich durch die Zähne brumme.
Dieſs geschah einmahl, freylich sehr am unrechten
Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer
auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die
guten Leute als für mich: denn ich hatte weiter kei¬
nen Gedanken, als daſs mir die Musik der Takte ge¬
fiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.


[37]

Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬
ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause,
der auf die übergroſse Aengstlichkeit in der Residenz
Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬
litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey
der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt,
recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten
ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬
lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm
sehr miſsbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann
brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut
hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit:
„Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬
dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier
nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine
groſse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das
Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden?
Ich habe so etwas gehört, daſs man überall lauern
läſst: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey!
Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden
und lustig seyn.“ Du hättest die Gesichter der Gesell¬
schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬
ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten,
andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaſs:
aber niemand schloſs sich an den alten Haudegen an.
Ich werde machen, sagte dieser, daſs ich wieder zur
Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.


Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬
gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre
Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem
Feinde gefürchtet haben: aber desto gröſser war die
[38] allgemeine Besorgniſs vor den Unordnungen der zu¬
rückgeworfenen Armee. Damahls fing Bonaparte eben
an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussich¬
ten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise
den Oestreichern groſse Angst und groſse Verwirrun¬
gen erspart.


Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhal¬
ten, sich es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leu¬
ten gleich am Schedel anzusehen, was sie darin haben.
Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf
Materialismus führe.


Man sieht auch hier in der Residenz nichts als
Papier und schlechtes Geld. Die Manege mit schlech¬
tem Gelde ist bekannt; man führt daran, so lange es
geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste
Mittel die Armuth zu decken, so lange der Kredit
hält. Aber nach meiner Meinung ist für den
Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts un¬
gerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere
Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privi¬
legien und Immunitäten, die freylich eine Sottise des
öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast
durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die
Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben
wie sie wollen, gehören meistens zu den Reichen,
oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die Interessen
werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die
meistens von den Aermeren bestritten werden. Ein
beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die Wohlthä¬
tigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen,
weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder
[39] unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die
Krankheiten ein groſses Gut für die Menschheit, weil
sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren.
Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen
können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher
unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vie¬
les Nachdenken, daſs durch die Staatsschulden die
Aermern gezwungen sind, auſser der alten Last, noch
den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen
oder nicht. „Bey Steuerkataster, auf allgemeine
Gerechtigkeit gegründet, wäre es anders. Aber jetzt
haben die Reichen die Steuerscheine und die Armen
zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bey
einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden.
Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen
auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen?
Und das ist doch das Facit jeder Staatsschuld. Jede
Staatsschuld ist eine Krücke, und Krücken sind nur
für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, sie hier weiter
zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf Humes
Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand
bekannt ist.


Sonderbar war es, daſs man in dem letzten Jahre
des Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffen¬
platz machen wollte; das Schlimmste, was die Regie¬
rung für ihre Sache thun konnte. Wenn damahls die
Franzosen den Frieden nicht eben so nöthig hatten wie
die Deutschen, oder wenn Bonaparte andere Absich¬
ten hatte, als er nachher zeigte, so war das Unglück
für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte
man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war be¬
[40] kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬
nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf
dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬
kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daſs
es nicht dahin kommen würde; aber eben deſswegen
waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man
hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬
nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart
ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er
ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬
ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist
manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daſs
die Kapitale so viel Einfluſs auf das Ganze haben.


Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich,
wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬
mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu
groſs ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir
von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬
rück kommt als ich.


Ich darf rühmen, daſs ich in Wien überall mit
einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden
bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬
lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der
Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit
gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬
tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬
liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem
Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im
Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da
ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine
Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er
[41] hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der
Hand, als ich eintrat.


„Währ üfs Aehr?“ fragte er mich mit einem
stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬
ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬
vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und
die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben
mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre
Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬
zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie
mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬
men, indem ich auf den Paſs zeigte.


„Wu will Aehr hünn?“


Steht im Passe: nach Italien.


„Italien üſs gruhſs.“


Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.


„Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Ge¬
süendel härümmer.“


Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬
schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte
leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens
acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬
rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von
Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung
mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich
in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem
er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte
ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch
belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den
polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um
ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.


[42]

„Wu wüll Aehr weiter hünn?“


Vorzüglich nach Sicilien.


Er glotzte von neuem, und fragte:


„Wafs wüll Aehr da machchen?“


Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬
sagt, daſs ich bloſs spazieren gehen wollte, um mir das
Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über
dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬
sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich
gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey
irgend einem Bedlam entlaufen.


Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.


Weiſs der Himmel was er denken mochte; er sah
mich an und sah auf den Paſs und sah mich wieder
an, und schrieb sodann etwas auf den Paſs, welches,
wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬
nes andern war.


„Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬
halten.“


Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem
ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme
hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch
einmahl, gab mir den Paſs, und ich ging.


Man hat mir den Namen des Mannes genannt
und gesagt, daſs dieses durchaus sein Charakter sey,
und daſs er bey dem Kaiser in gar groſsem Vertrauen
und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den
Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit
ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge
seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬
hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu
[43] haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich ver¬
gessen, erinnere mich aber noch so viel, daſs er, nicht
zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Prä¬
sident der italiänischen Kanzley war. Ist das der Vor¬
schmack von Italien? dachte ich; das fängt erbau¬
lich an.


Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die
Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war
der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich
wurde so viel Euer Gnohden gescholten, daſs meine
Bescheidenheit weder ein noch aus wuſste, und erhielt
sogleich einen groſsen Realbogen voll Latein in ziem¬
lich gutem Stil, worin ich allen Ober- und Unteroffi¬
zianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar nach¬
drücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsi¬
dent etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der
nehmlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich
angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe
stand gratis und man foderte mir zwey Gulden ab,
die ich auch, trotz der sonderbaren Hermenevtik des
Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war,
daſs ich dem Uebermaſs der Grobheit und Höflichkeit
zugleich entging.


Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekann¬
ten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Sieben¬
sachen zusammen und wandelte mit meinem neuen
kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes
[44] die Straſse nach Steyermark. Schnorr hatte als Haus¬
vater billig Bedenken getragen, den Gang nach Hespe¬
rien weiter mit mir zu machen. Man hatte die Ge¬
fahr, die wohl ziemlich groſs war, von allen Seiten
noch mehr vergröſsert; und was ich als einzelnes iso¬
liertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre
für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Kom¬
me ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es
ist Feyerabend: aber bey ihm wäre die Sache nicht
so leicht abgethan. Er begleitete mich den zehnten
Januar, an einem schönen hellen kalten Morgen eine
Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches Monu¬
ment, und übergab mich meinem guten Genius. Un¬
sere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch
und hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.


Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts im¬
mer gröſser wurden, dachte so wenig als möglich, denn
viel denken ist, zumahl in einer solchen Stimmung
und bey einer solchen Unternehmung, sehr unbequem,
und setzte gemächlich einen Fuſs vor den andern im¬
mer weiter fort. Als die Nacht einbrach blieb ich in
einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So
wie ich in die groſse Wirthsstube trat fand ich sie voll
Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Remi¬
niscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts we¬
gen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaks¬
dampf und Kleinbierwitz leben muſste, hielten mich,
daſs ich nicht sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich
in einen Winkel am Ofen, und lieſs ungefähr dreyſsig
Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben,
daſs mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten,
[45] andere sangen, andere disputierten in allen Sprachen
der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuſs. Da
entstand Streit im Ernst und die Handfestesten schie¬
nen schon im Begriff, sich einander die Argumenta ad
hominem
mit den Fäusten zu applicieren, da fing ein
alter Kerl an in der entferntesten Ecke der groſsen
gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu bla¬
sen, und alles ward auf einmahl friedlich und lachte.
Bey dem dritten und vierten Takte ward es still; bey
dem sechsten faſsten ein Paar Grenadiere einander un¬
ter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball ver¬
mehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man
ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin,
und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotän¬
zer auf und tanzten steyerisch, dann kosakisch, und
dann den ausgelassensten ungezogensten Kordax, daſs
die Mädchen davon liefen und selbst der Sakpfeifer
aufhörte. Dann ging die Scene von vorn an. Man
spielte und trank, und fluchte und zankte und drohte
mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der
Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein
wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus groſsen
Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; alles
ward ein volles, groſses, furchtbar bacchantisches Chor.
Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die
linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte
Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich
ein herrliches Thronbette fand und gewiſs wie ein
Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den
Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt
worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden,
[46] überall das sicherste bey militärischer Regierung, und
hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreu¬
zer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen
hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton vermuthe¬
te, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr
Schicht, und es ward ruhig.


Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen al¬
ten Mann bey seinem Weine sitzen, der den Kopf
über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner
schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die
Einquartierung und klagte ganz leise, daſs sie der Ge¬
gend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf
Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen
war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft
sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der
Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach
Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bey Neu¬
stadt und Neukirchen war so schön und hell, daſs ich
mich im Januar hätte hinein werfen mögen. Schönes
Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und über¬
all wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte
und trank. Du muſst wissen, daſs ich noch nicht so
ganz diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu
trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine
Flasche von Resine gebrauche, die reinlich ist, fest
hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stun¬
de von Schottwien fängt die Gegend an herrlich zu
werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf einer
Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das Ganze
hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Auſsig
und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluſs
[47] kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich
und sehr malerisch gruppiert. Das Städtchen Schott¬
wien liegt an dem kleinen Flüſschen Wien zwischen
furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine ein¬
zige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen
am Eingange und Ausgange.


Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und
fing heute zu Mittage merklich an zu thauen, und
jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das
Wasser schieſst von den Dächern und der kleine Fluſs
rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt
der Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen
Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der Horaz
schmeckt mir, das heiſst, viele seiner Verse; denn der
Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich
zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, ne¬
ben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist
vielleicht schwer zu entscheiden, wer von beyden den
Anstand und die Sitten mehr ins Auge schlägt, ob
Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber ein
wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum Vor¬
theil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder
gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, daſs
es ihm gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt
sich darin: bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer
Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber
bey ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache
noch feiner und kitzelt sich; Juvenal nennt sie wie sie
ist, aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.


Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her,
in welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend
[48] an, die, wie ich erinnere, schon andere mit den
schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird
es aber auf den steyermärkischen Wegen werden, vor
denen mir schon in Wien selbst Eingeborene bange
machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur
Muth, damit kommt man auch in der Hölle durch.
Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen lan¬
gen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem
letzten Orte mehr und mehr zusammen schlieſsen, be¬
gegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen.
Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine sehr
gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und
klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren
Leute, welche die Straſsen unsicher gemacht hatten.
Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken
weniger da; und diese werden gewiſs nicht so bald
wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege
überall wurde erzählt, daſs man die Preſsburger Post
angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den
Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau, nicht
weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das
waren aber gewiſs Leute, die vorher gehörig rekognos¬
ciert hatten, daſs die Post beträchtliche Summen führ¬
te, die sich auch wirklich zusammen über hundert
und dreyſsig tausend Gulden belaufen haben sollen.
Bey mir ist nicht viel zu rekognoscieren; mein Homer
und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in
Versuchung bringen.

[[49]]

Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte
des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering
ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte
der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir
hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg,
und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief
ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu
weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬
fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun
ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬
men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬
ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie
kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit
Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen
war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬
zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬
neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten
Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht,
und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert.
Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen
fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor
Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die
Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen
Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen
Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir
vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der
Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬
ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen
4[50] Schluchten die Wien herab; und auf der zweyten Hälfte
der Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den
Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben so die
Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht
schöner Bach. Bey Mürzzuschlag treibt sie fast alle
hundert Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab
nach Krieglach, wo sie gröſser wird, nun schon ei¬
nen ansehnlichen Fluſs bildet, und nur mit Kosten ge¬
braucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie
zu sehen, mit welcher man das kleine Wässerchen
zu seinen Behufen zu leiten und zu gebrauchen weiſs;
und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind
auſserordentlich lieblich, und machen auch unter dem
Schnee mit ihren fleiſsigen Gruppen ein schönes
Winterbild.


Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen
mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie
nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern
hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen
wäre irgend einen Pastor aufzusuchen: und ich war
herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der
abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr
gewöhnliches, daſs man einem Gaste, wenn er die
Zeche bezahlt hat und abzieht, glückliche Reise
wünscht, und man denkt nicht viel dabey: aber Du
kannst nicht glauben, wie angenehm es ist, wenn es
in einer solchen Lage, im Januar wenn der Sturm
den Schnee' gegen die Felsen jagt, mit Theilnahme
von einem artigen hübschen Mädchen geschieht, zu¬
mahl wenn man den Kopf voll Räuber und Marodeurs hat.

[[51]]

Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die
Stadt und die Leute gefallen mir. Du weiſst, daſs
der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬
nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬
blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr
behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬
sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und
den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den
ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber
an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey
ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist
ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen
zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden.
Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muſs die er¬
ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich
zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich
däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis
jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und
bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen
wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬
ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet
ihr ein gutes Wirthshaus.


An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in
einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und
bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that
meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weiſst, daſs
ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus
den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich
[52] auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬
billige Forderung, daſs alle Richter als Richter sie ha¬
ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem
eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬
ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen
können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern
wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen
Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬
hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein
Taschenbuch über die Billigkeit.


Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:

Für ihn ist das Gesetz von Eisen,

Und seine Pflichten sind von Stein,

Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.
Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand

Dem Bruder für die kleine Spende,

Und schlinge freundlicher das Band,

Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.
Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit

Der göttergleichen Heldentugend,

Die sich der Welt zum Opfer weiht;

Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.
Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,

Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;

Doch Milde nur und Güte bringt

Ins leere Haus den Harrenden die Freude.
[53]
Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht

Den groſsen Trost gemeiner Seelen;

Mit dem olympischen Geschlecht

Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.

Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich,
das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen
alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht
bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬
ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die
Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬
tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muſs der Mensch
gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der
Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig
seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter,
sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die
erste groſse göttliche Kardinaltugend, welche die
Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬
tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬
her Justinian lehren lieſs. Jeder unbefangene Ge¬
schichtsforscher weiſs, was die Zehnmänner waren,
was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬
gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette
der heiligen Theodora annehmen muſste. Nicht die
Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend
Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie
ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum
Probeschuſs tödten könnte. An der Seine erschien vor
einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬
ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es
folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich
[54] Nebeltage. Es war ein Phantom. Wenn Du Gerech¬
tigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du sehr; die Gesetze
sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor gehen. Du
kannst hier, wie in manchem unserer Institute, schlie¬
ſsen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit;
je mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere
Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer
bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich;
denn die Gewalthaber begreifen wohl, daſs ohne diese
durchaus nichts bestehen kann, daſs sie sich ohne die¬
selbe selbst auflösen: aber desto schlimmer sieht es
mit der öffentlichen aus; und mich däucht, wir wer¬
den wohl noch einige platonische Jahre warten müssen,
ehe es sich damit in der That bessert, so oft es sich
auch ändern mag. Dazu ist die Erziehung des Men¬
schengeschlechts noch zu wenig gemacht, und diejeni¬
gen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse sie
nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So
bald Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und
Glück: sie ist die einzige Tugend, die uns fehlt.
Wir haben Billigkeit, Groſsmuth, Menschenliebe,
Gnade, Erbarmung genug im Einzelnen, bloſs weil
wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die
Gnade verderbt alles, im Staate und in der Kirche.
Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit;
die Gnade gehört bloſs für Verbrecher; und meistens
sind die Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer
den Begriff der Gnade zuerst ins bürgerliche Leben
und an die Thronen der Fürsten getragen hat, soll
verdammt seyn von bloſser Gnade zu leben: vermuth¬
lich war er ein Mensch, der mit Gerechtigkeit nichts
[55] fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter,
rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und
wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es
ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn
man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber
Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in
Gräz?


Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir
hier nicht alle herschreiben kann, lief ich immer an
der Mürz hinunter, kam in Brüg an die Murr und
pilgerte an dem Flusse hinab. Schon zu Neukirchen
waren mir eine Menge Wagen begegnet, die leer zu
seyn schienen und doch auſserordentlich schwer gingen.
Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und ent¬
deckte nun, daſs sie Kanonen führten, die sie höchst
wahrscheinlich von Gräz und noch weiter von der ita¬
liänischen Armee brachten und deren Lavetten ver¬
muthlich verbraucht waren. Vor Einem Wagen zogen
oft sechzehn Pferde, und der Wagen waren mehr als
hundert. Für mich hatten sie den Vortheil, daſs sie
Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung;
und Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt
immer gern: denn im Allgemeinen darf man anneh¬
men, diese sind ehrliche Leute; die Schlechten behält
man in der Garnison und läſst sie nicht mit Gewehr
im Lande herum ziehen.


Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den
vierzehnten zu Mittage in Gräz, heiſst im Januar im¬
mer ehrlich zu Fuſse gegangen. Die Thäler am Flusse
herunter sind fast alle romantisch schön, die Berge
von beträchtlicher Höhe. Noch eine Meile von Brüg,
[56] gleich an dem Ufer der Mürz, steht ein schönes Land¬
haus; auf der einen Seite desselben siehst Du auf der
Gartenmauer Pomona mit ihrem ganzen Gefolge in
sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf der andern
die Musik mit den meisten Instrumenten nach der
Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend.
Das Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possier¬
lich angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns
fehlte der Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziem¬
lich beschneyt war, konnte man nicht entdecken, ob
er abgeschlagen war oder ob man sie absichtlich ohne
Kopf hingestellt hatte. Die Oerter in der Gegend ha¬
ben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.


Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann,
mit dem ich eine Meile ging, über den Schaden, den
die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus den Ber¬
gen herab kämen. Der Schnee ward hoch und die
Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, bloſs weil
der Ort für mich einen vaterländischen Namen hatte.
Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf
der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich
mit einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus
der Provinz nach Gräz zum Examen ging und der
mich durch seine drolligen Schilderungen der öffentli¬
chen Verhältnisse in Steyermark, für das schlechte
Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für
die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war, und
lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm
ging ich vollends hierher.


Gräz ist eine der schönsten groſsen Gegenden, die
ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge¬
[57] ben die herrlichsten Aussichten, und müssen in der
schönen Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das
Schloſ[s], auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man
sehr weit; und von demselben hat man rund umher
den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch
Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich
gruppiert ist. Als ich oben in das Schloſsthor trat,
stand ein Korporal dort und pfiff mit groſser Andacht
eines der besten Stücke aus der Oper die Krakauer,
welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Re¬
volution in Warschau war. Da ich die Oper dort ge¬
nossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst mit¬
gemacht hatte, so kannst Du denken, daſs diese Mu¬
sik hier in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben
diese Melodie hatte mich oft so sehr beschäftigt, daſs
ich manchmahl in Versuchung gewesen war, für mich
selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich
das Polnische nicht sonderlich verstehe. Die Gefäng¬
nisse des Schlosses sind jetzt voll Verbrecher, die mir
mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das Spital, gleich
unten am Schloſsberge, ist von Joseph dem Zweyten,
ein stattliches Gebäude; und das neue sehr geschmack¬
volle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt lateinischen
Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner spricht
schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich
habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab
eine neue Bearbeitung des alten Stücks der Teufel
ist los
. Der Text hält freylich, wie in den meisten
Opern keine Kritik. Schade daſs man nicht in dem
Tone fortgefahren ist, den Weiſse angeschlagen hatte.
Es hätten eine Menge zu niedriger Redensarten ausge¬
[58] merzt werden sollen. Die Musik war eklektisch und
gab Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon
mehr italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser,
als ich ihn seit Guardasonis schöner Periode irgend
wo gehört habe. Das Personale ist ziemlich gut be¬
setzt, und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich
als in Dresden und Wien. Das einzige was mir miſs¬
fiel waren die Furien und Teufel, welche durchaus
aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.


In einer Prolepse muſs ich Dir, nicht ganz zur
Ehre unserer Mitbürger, sagen, daſs ich auf meiner
ganzen Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus
gesehen habe, als bey uns in Leipzig. Hier in Oest¬
reich und durch ganz Italien und auch in Frankreich
sind überall gehörige bequeme Vorzimmer am Ein¬
gange, und die meisten haben Kaffeehäuser von meh¬
rern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut
haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem
schlechten Winkel ziemlich schlecht bedient, und für
Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun
gerade diese Scene oder diesen Akt nicht sehen wol¬
len, ist gar nicht gesorgt. An Feuersgefahr scheint
man eben so wenig gedacht zu haben, und sperrt das
Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und
Ausflucht zusammen.


Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches
Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser
deutsch als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz
haben. Das ist nun so überall sein Geist, etwas grö¬
ber oder feiner; ausgenommen vielleicht in groſsen
Städten und groſsen Residenzen, wo sich die Menschen
[59] etwas mehr an einander schleifen und abglätten.
Längs der Mürz und der Murr herunter giebt es links
und rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem
Himmel sey Dank, immer mehr und mehr in Rui¬
nen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das Ro¬
mantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier
war, spricht man so wohl hier als in Wien noch mit
Enthusiasmus. An der Wirthstafel erzählten einige
Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den
Abenteuern die es dabey gäbe. Ich glaubte immer,
diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in Polen
und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier
in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen
Jahrgang schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren
wurde eine Bärin erlegt, die Junge hatte, und auf ei¬
nen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die
Jungen der Fährte der todten Mutter und setzten sich
vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo sie
sich endlich ruhig fangen lieſsen. Die Gärten und
der Lindenberg waren verschneyt, so daſs ich diese
Vergnügungsörter nur von weitem sah.



Hier mache ich, wenn Du erlaubst, wieder eine
Pause und lasse meine Hemden waschen und meine
Stiefeln besohlen.


Von Gräz aus war es sehr kalt und ward immer
kälter. Die erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen,
einem ganz hübschen Städtchen das seinem Namen
[60] Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied
nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht
warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg
ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬
zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz
hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem
Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬
gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es
für mich, daſs die Leute hier überall links und
rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich
keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte
nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das
Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬
rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬
was aus der Analogie mit dem Russischen verstand.
Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daſs man
sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und
nennen sich deſswegen die Slawen, die Berühmten,
ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die groſse
Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden
sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬
gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die
Böhmen finden keine groſse Schwierigkeit. Ich selbst
erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Ruſs¬
land zurück kam und einen alten russischen Grenadier
als Bedienten mit mir hatte, daſs er mir in der Lausitz
in der Gegend von Lübben sagte: „Aber, mein Gott,
wir sind ja hier noch ganz in Ruſsland; hier spricht
man ja noch gut russisch.“ So viel Aehnlichkeit ha¬
ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬
sischen bis zum wendischen und krainischen.


[61]

Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler
Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und
dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬
gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen
Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬
stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der
Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.


In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬
lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬
den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬
ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne
Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn
ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es
wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬
schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬
volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich,
daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich
auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so
zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der
Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer
recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war:
denn die steyermärkischen und krainerischen Winter
halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬
züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das
Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an
den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs
ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse,
und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es
mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn,
als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde
und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich
[62] Besinnung, daſs ich errieth, ich schlief in einem neu
geweiſsten Zimmer, das man auf mein Verlangen ge¬
waltig geheitzt hatte. Als ich mich aufzurichten ver¬
suchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich kraftlos und
dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das Bewuſst¬
seyn. Als es helle ward erwachte ich wieder, sam¬
melte so viel Kraft das Fenster zu öffnen, mich anzu¬
ziehen, in der Eile das Zimmer zu verlassen, hinun¬
ter zu taumeln und unten etwas Wein und Brot zu
bestellen. Hier kam der zweyte Paroxysmus; ich sank
am Tische hin in einen namenlosen Zustand, wie in
einen lichtleeren Abgrund, wo Finsterniſs hinter mir
zuschloſs. So viel erinnere ich mich noch; ich dach¬
te, das ist der Tod, und war ruhig; sie werden mich
schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte
ich wieder unter dem entsetzlichsten Schweiſse, der
mich aber mit jedem Augenblicke leichter ins Leben
zurück brachte. Der ganze Körper war naſs, die Haare
waren wie getaucht, und auf den Händen standen
groſse Tropfen bis vorn an die Nägel der Finger. Nie¬
mand war in dem Zimmer; der Schweiſs brachte mir
nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprech¬
licher Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück;
nun suchte ich mich zu ermannen und nahm etwas
Wein und Brot. Die Luft, dachte ich, ist die beste
Arzney, und auf alle Fälle stirbt man besser in dem
freyen Elemente, als in der engen Kajüte. So nahm
ich meinen Tornister mit groſser Anstrengung auf die
Schulter und ging oder wankte vielmehr nur; aber
mit jedem Schritte ward ich leichter und stärker und
in einer halben Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir
[63] gleich Kleid, Hut, Haar und Bart und das ganze Ge¬
sicht schwer bereift war und der ganze Kerl wie
schlechte verschossene Silberarbeit aussah; denn es fiel
ein entsetzlicher kalter Nebel. Nach zwey Stunden
frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich
je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte
mich der verdammte Kalk beynahe etwas früher als
nöthig ist aus der Welt gefördert. Doch vielleicht
kam mir dieses auch nur so gefährlich vor, weil ich
keiner Phänomene von Krankheit, Ohnmacht und so
weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde ich da¬
durch für die Zukunft und ich visitierte nun allemahl
erst die Wände eines geheitzten Zimmers, ehe ich
mich ruhig einquartierte.


Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am
Berge eine Pyramide mit einem Postament von schwar¬
zem Marmor, auf dem die Unterwerfungsakte der
Krainer an Karl den Sechsten eingegraben ist: Se sub¬
strauerunt
, heiſst es mit klassisch diplomatischer De¬
muth. Eine Viertelstunde weiter hin ist links ein anderes
neueres Monument, wie es mir schien zur Ehre eines
Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war
sehr kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und
der Weg war auch wieder in übeln Umständen, ob¬
gleich beydes höchstens nur von Karl dem Sechsten.


Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt
Oswald an, ob ich gleich recht gut zu Mittage geges¬
sen hatte; denn der Zufall mochte mich doch etwas
geschwächt haben. Der Wirth, zu dem man mich
hier wies, war ein Muster von Grobheit und hat die
Ehre der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise
[64] zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der
Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.
Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat,
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die
ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken
und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht
für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬
che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬
cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald
zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür,
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung
[65] nehmen, und Börse und Paſs und Taschenbuch dazu.
Er sagte mir ängstlich, der Herr wäre aufgebracht,
und es würde wohl bey dem bleiben was er gesagt
hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. „Ist
der Herr noch nicht fort?“ Aber, Lieber es ist ganz
Nacht; ich bin sehr müde und es ist sehr kalt. „Geht
mich nichts an.“ Es ist kein anderes Wirthshaus in
der Nähe. „Wird schon eins finden.“ Auch wieder
ein solches? „Nur nicht räsonniert und Marsch fort!“
Hier ist mein Paſs aus der Wiener Staatskanzley. „Ey,
was! rief er grimmig wüthend, und ohne mit Respekt
zu sagen, ich sch..... auf den Quark.“ Was war
zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kom¬
men lassen; denn da hätte ich trotz meinem schwer¬
bezwingten Knotenstock Schläge bekommen für die Hu¬
manität, quantum satis, und noch etwas mehr. Der
Mensch schien Kaiser und Papst in Sankt Oswald in
Einer Person zu seyn. Ich nahm ganz leise meinen
Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das nicht
ein erbaulicher sehr ästhetischer Dialog?


Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah,
weiter nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirths¬
haus, die Post, ich glaube die Pfarre, und einige
kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich
durch ganz Deutschland nicht das beste Zutrauen in
Rücksicht der Humanität und Höflichkeit: das ist ein
Resultat meiner Erfahrung als ich mit Extrapost reiste;
nun denke Dir, wenn ein Kerl in dem Habersack kä¬
me! Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche
haben, und zehren wie ein reicher Erbe; das wäre
wider Polizey und die Ehre des Hauses. Zu dem
5[66] Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher
überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬
ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich
gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, daſs er
seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt
ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬
ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo
man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und
mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl
einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast,
wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬
nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬
gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir
erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬
dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen
traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬
lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet
und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte
wieder ab. Da saſsen drey Mädchen, von denen aber
keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬
nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein
gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬
schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch
radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und
ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh daſs
man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬
streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb,
bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische
Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch
nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬
ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in
[67] Kurland und Liefland findet. Gleiche Ursachen brin¬
gen gleiche Wirkungen.


Bey Popetsch steht rechts von der Post oben auf
der Anhöhe ein stattliches Haus und hinter demselben
zieht sich am Berge eine herrliche Parthie von Eich¬
bäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume
dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange
in dem Leipziger Rosenthale sah. Im Prater in Wien
sind sie nicht zahlreich; dort in der Donaugegend sind
die Pappeln und Weiden vorzüglich.


Nicht weit von Laybach fallen die Save und Lay¬
bach zusammen; und über die Save ist eine groſse höl¬
zerne Brücke. Die Lage des Laybacher Schlosses hat
von fern viel Aehnlichkeit mit dem Gräzer; und auch
die Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beyden Sei¬
ten des Flusses, eben so wie Gräz an der Murr. Die
Brücken machen hier wie in Gräz die besten Markt¬
plätze, da sie sehr bequem auf beyden Seiten mit
Kaufmannsläden besetzt sind, eine groſse Annehmlich¬
keit für Fremde. Das Komödienhaus ist zwar nicht
so gut als in Gräz, aber doch immer sehr anständig;
und auch hier sind am Eingange links und rechts
Kaffee- und Billardzimmer.


Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der ab¬
wechselnd hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zu¬
weilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst
spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und sei¬
ne ganze Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der
Domaratiussischen in Gräz aus. Man sprach hier von
einem Stück in Knittelversen, das alles, was Schiller
und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll.
[68] Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬
berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu
seyn, als er ein mittelmäſsiger Schauspieler ist. Doch
ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und
hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich
überwunden haben: und Herr Schantroch soll als
Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut
zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren
Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch
sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬
ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬
men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬
feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in
Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz
artig und verhältniſsmäſsig anständiger als das berühmte
Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob
man zur Finsterniſs verdammt wäre. Du siehst, daſs
man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬
landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre
genug macht.


Einige Barone aus der Provinz, die in meiner
Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬
chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬
terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und
Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus:
und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬
rer, daſs alles noch ein groſses, grobes, verworrenes
Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬
ckung und alter Sklaverey.


Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬
zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muſs wohl
[69] sehr übertrieben seyn. Alle Eingeborene, mit denen
ich gesprochen habe, reden mit Achtung von ihnen,
und sagen, sie haben weit mehr von ihren eigenen
Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr
Entschuldigung, als man ihnen vieilleicht gönnen will.
Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterli¬
che Lage solcher Leute vor, wenn sie zumahl in
kleine Partheyen geworfen werden. Der Feind sitzt
im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen
nicht wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse,
keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie ums Le¬
ben überall wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt
man ihnen nichts oder wenig; und die Bedürfnisse
Vieler sind groſs. Natürlich sind die Halbgebildeten
nicht immer im Stande, sich in den Gränzen der Be¬
sonnenheit zu halten. Die Einen wollen nichts geben,
die Andern nehmen mehr als sie nothwendig brauchen.
Daſs dieses so ziemlich der Fall war, beweist der Er¬
folg. Es wurden einige hundert eingefangen und auf
das Schloſs zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordent¬
lich und ruhig und sagten: Wir wollen weiter nichts
als Essen; wir konnten doch nicht verhungern.


Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterli¬
che Dinge erzählte und sagte, es habe Laybach ganz
zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen
und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiu¬
me, Triest und Görz soll man es stärker gespürt ha¬
ben; doch hat es auch dort sehr wenig Schaden ge¬
than. Die Transporte kommen auf der Save von Un¬
garn herauf bis in die Gegend der Stadt und werden
von hier zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen
[70] die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort
stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich
von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.


Zwischen der Save und der Laybach, wo beyde
Flüsse sich vereinigen, soll in den Berggegenden ein
groſser Strich Marschland liegen, an den die Regie¬
rung schon groſse Summen ohne Erfolg gewendet hat.
Eine Anzahl Holländer, denen man in Unternehmun¬
gen dieser Art wohl am meisten trauen darf, hat sich
erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend
brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine ge¬
wisse Zeit frey von Abgaben zu bleiben. Aber die
Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen; aus welchen
Gründen, kann man nicht wohl begreifen: und so
bleibt der Landstrich öde und leer, und das Wasser
thut immer mehr Schaden.



Von Laybach aus geht es nun allmählich immer aus¬
wärts, und man hat die hohe Bergspitze des Loibels
rechts hinter sich. Bey Oberlaybach, einem ziemlich
kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den Ber¬
gen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem
Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern.
Von hier geht es immer höher bis nach Loitsch und
so fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in
einer kleinen Ebene ziemlich tief zwischen den rund
umher emporsteigenden Bergen liegt. Der Weg von
Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich viel Kul¬
[71] tur; aber von da wird er wild und rauh, und man
trifft auſser den Stationen bis nach Adlersberg wenig
Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser vielen
Unfug gemacht. Es dringt überall aus den Bergen
hervor, und hat das ganze schöne Thal zu einer au¬
ſserordentlichen Höhe überschwemmt, so daſs die Ei¬
chen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen.
Dieses war noch nicht ganz fest gefroren, und man
setzte auf mehrern Fahrzeugen beständig über nach
Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser Jahrszeit;
aber dieses Mahl war die Fluth auſserordentlich hoch.
Die Hälfte von Planina auf der andern Seite des Thals
stand unter Wasser. Vorzüglich soll die Fluth auch
mit vermehrt werden durch den Bach von Adlersberg,
der dort bey der Schloſshöhle sich in die Felsen stürzt,
so einige Meilen unter der Erde fortschieſst und hier
in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.


Von Planina aus windet sich der Weg in einer
langen Schneckenlinie den groſsen Berg hinan, und
giebt in mehrern Punkten rückwärts sehr schöne Par¬
thien, wie auch schon, wenn ich nicht irre, Herr
Küttner bemerkt hat. Mich däucht, daſs man ohne
groſsen Aufwand die Straſse in ziemlich gerader Linie
hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen
Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehr¬
liche Krainer hatten es hier und da schon mit ihren
kleinen Wagen gethan, und zu Fuſse konnte man
schon überall mit Bequemlichkeit durchschneiden. Die
Herrschaft Adlersberg liegt oben auf der gröſsten Hö¬
he, und ist nur von noch höheren Bergspitzen umge¬
ben. Der Schloſsberg ist bey weitem nicht der höch¬
[72] ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche
die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt
sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluſs, der
bey der Grotte am Schloſsberge nahe bey der Mühle,
wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich
wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und
es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der
mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von
der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und
führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den
tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine
starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der
Mensch wuſste sodann nicht mehr wo er war, und
suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu
orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde
durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬
walde, und keine Grotte. Du begreifst, daſs es mir
etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬
starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu
kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich
beruhigte aber, daſs ich von dem öffentlichen Kaffee¬
hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬
gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie
ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloſs¬
berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der
Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese
entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir
nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben
Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬
mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel,
rund umher mit groſsen Felsenstücken umgeben und
[73] mit dem dichtesten Schwarzwalde bewachsen. Hier
zündeten wir in dem Gewölbe halb am Tage die Fa¬
ckel an und gingen in die Höhle hinein, ungefähr
eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, sehr
abschüssig immer bergab. Beym Hinabsteigen hörte
ich links in einer ungeheuern Tiefe einen Strom rau¬
schen, welches vermuthlich das Wasser ist, das bey
der Stadt in den Felsen fällt und bey Planina wieder
heraus dringt. Wir stiegen nicht ohne Gefahr noch
einige hundert Schritte weiter über ungeheuere einge¬
stürzte Felsenstücke immer bergab, und mein Führer
sagte mir, weiter würde er nicht gehen, er wisse nun
keinen Weg mehr und die Fackel würde sonst nicht
den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der be¬
ste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich
in der groſsen Tiefe und vermuthlich in der Nähe
von Dünsten nur mit Mühe; wir stiegen also wieder
heraus und förderten uns bald zu Tage. Nun fand
mein Begleiter den Weg rückwärts nach der Stadt sehr
leicht. Unterwegs erzählte er mir von allen den vor¬
nehmen und groſsen Personagen, die die Höhlen ge¬
sehen hätten. Diese entferntere sähen nur wenige;
und unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den
Prinzen Konstantin von Ruſsland. Mein Führer hatte
den kürzesten Weg nehmen wollen und hatte mich
unbemerkt auf die hohen Felsen über der Höhle am
Schlosse gebracht, wo wir wie die Gemsen hingen
und mit Gefahr hinunter klettern muſsten, wenn wir
nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen
wollten. Einige Untenstehende riefen uns und zeigten
uns die Pfade, auf denen es möglich war hinunter zu
[74] kommen. Nun standen wir am Eingange der andern
Grotte, wo sich der Fluſs in den Felsen hineinstürzt.
Der Fluſs nimmt sodann die Richtung ein wenig
links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade
fort rechts. In einiger Entfernung vom Eingange er¬
weitert sich das Gewölbe, es wird sehr hoch und breit,
man hört links den Fluſs wieder herauschen, und
bald kommt man auf eine natürliche Felsenbrücke
über denselben mitten unter dem Gewölbe. Hier thut
die Flamme der Fackeln eine furchtbar schöne Wir¬
kung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht
über sich und rund um sich die Nacht des hohen brei¬
ten Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohn¬
heit einige Bund Stroh auf den Felsenwänden der
Brücke anzuzünden, und hatten dieſsmahl sehr reich¬
lich zugetragen. Die magische Beleuchtung der gan¬
zen unterirdischen Brückenregion mit ihrem schauer¬
lichen Felsengewölbe, den grotesken Felsenwänden und
dem unten im Abgrunde rauschenden Strom macht
einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewuſst
bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt
man ihn von der Brücke hinab in den Strom, und so
sieht man ihn unten in der Tiefe auf dem Wasser¬
bette noch einige Augenblicke fortglühen. Die plötz¬
lich aufsteigende weite Flammenhelle und die schnell
zurückkehrende Finsterniſs, wo man bey dem schwa¬
chen Fackellichte nur einige Schritte sieht, macht ei¬
nen überraschenden Kontrast. Es hatten sich einige
gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die Gele¬
genheit mitnehmen das schöne Schauspiel in der
Grotte wieder zu sehen, dabey ihre Geschichten aus¬
[75] zukramen und noch einige Groschen zu verdienen.
Bis hierher sind die Franzosen gekommen, sagten sie,
als wir auf der Brücke standen; aber weiter wagten
sie sich nicht. Warum nicht? fragte ich. Die Kerle
zogen ein wichtiges Gesicht beym Fackelschein und
suchten den Muth der Franzmänner verdächtig zu ma¬
chen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursa¬
chen haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht
zahlreich genug, hatten drauſsen nicht gehörige Maſs¬
regeln genommen und besorgten in der groſsen Tiefe
der Höhle irgend ein unterirdisches Abenteuer kriege¬
rischer Natur. Auſserdem ist nichts zu fürchten. Ich
ging nun links am Flusse jenseit der Brücke ungefähr
noch einige hundert Schritte weiter fort; dann aber
muſsten wir anfangen mit Lebensgefahr über die Fel¬
sen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es
sey unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich
nun eben nicht: aber es war Schwierigkeit und Ge¬
fahr; ich wollte den Weg im Sonnenlichte weiter und
wir krochen und wandelten zurück. Die Bielshöhle
bey Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und die be¬
nachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so
groſse Parthien aufzuweisen; aber sie haben nichts
ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten
und der Fluſs und die Brücke in der letztern sind.
Die Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, gro¬
tesker und schöner als hier. Zum Beweiſs daſs dieser
Fluſs das bey Planina wieder heraus strömende Wasser
sey, erzählte man mir, man habe vor einiger Zeit
hier bey dem Einsturz ungefähr eine Metze Korke
[76] hinein geworfen, und diese seyen dort in der Berg¬
schlucht wieder zum Vorschein gekommen.


Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen
Bergspitze gegen über und zittere vor Frost bis man
mein Zimmer heitzt. Die Höhle zu Burg, einem Gute
des Grafen Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Es thut
mir leid; sie ist wie bekannt vorzüglich. Mein Wirth
in Adlersberg erzählte mir abenteuerliche Dinge da¬
von. Sie soll von dort vier Stunden bis nach Wippach
gegangen seyn, sey aber jetzt durch ein Erdbeben sehr
verschüttet. Küttner hat sie gesehen und den Eingang
abgebildet. Das Land ist rund umher voll von der¬
gleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines
Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Land¬
mann Weitzen auf einem schönen Feldstriche am Ab¬
hange eines Berges und erntete sehr reichlich; als er
für das künftige Jahr bestellen wollte, schoſs der ganze
Acker gegen zehn Klafter tief herab, und es fand
sich daſs ein unterirdischer Fluſs unter demselben hin¬
gegangen war, und den Grund so ausgewaschen hatte,
daſs er einstürzen muſste. Auch soll in einem See
unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art von
Eydechsen hausen, von der man erst seit kurzem den
Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe.
Vor einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Kroko¬
dil geschossen haben. Das alles lasse ich indessen auf
der Erzählung des Herrn Merk in Laybach beruhen,
der mir jedoch ein sehr wahrhafter unterrichteter
Mann zu seyn scheint.

[[77]]

Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemer¬
kungen meiner Freunde durchaus keine merkantilische
Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl nicht
viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In
Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die,
wenn ich mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt.
Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirthschaft,
und ich befand mich bey ihnen leidlich genug. Zuerst
waren sie etwas barsch und behandelten mich wie
man einen gewöhnlichen Tornistermann zu behandeln
pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit
hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich
höflich und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesell¬
schafter traf ich einen katholischen Feldprediger, der
von Triest war, bey den Oestreichern einige Zeit in
Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bey
den Mädchen gar gemächlich in Kantonnierung zu
liegen schien. Eine von den Schwestern war noch ein
ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl
einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erin¬
nern können. Die erste Bekanntschaft mit den drey
Personagen, ich nennte sie gerne Grazien wenn ich
nicht historisch zu gewissenhaft wäre, machte ich drol¬
lig genug in der Küche, wo sie sich alle drey auf
Stühlen oben auf dem groſsen Herde um ein ziemlich
starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des hintern
Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der
ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, daſs
[78] alle drey aus vollem Halse lachten. Das war nun ein
Jargon von Deutsch, Italiänisch und Krainerisch, von
jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, und
ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich
mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer,
wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds
meinen Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine
Notiz von mir, belugte mich sodann etwas neugierig
und fuhr fort. Der geistliche Herr gewann mir bald
Rede ab und sprach erst rein italiänisch, radbrechte
dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchs¬
latein. Da es hier darauf ankam, kannst Du denken,
daſs ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den
Filz machte, und der Mann faſste bald eine gar ge¬
waltige Affektion zu mir, als ich glücklich genug ei¬
nige Dinge aus dem Griechischen zitierte, die er nur
halb verstand. Nun empfahl er mich auch den schö¬
nen Wirthinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die
Ehre ihn zum Tischgesellschafter zu erhalten. Die
Mädchen staunten über unsere Gelehrsamkeit und
hätten leicht zu viel Respekt bekommen können, wenn
nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine
tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. Natürlich
erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen lieſs,
selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so
laut und gründlich beurtheilt, muſs ihn übersehen
können.


Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle ge¬
kommen, nicht sehr müde gewesen wäre und nicht
den folgenden Morgen ziemlich früh fort gewollt hät¬
te, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen
[79] Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen.
Aber ich eilte zur Ruhe und lieſs die Leutchen lär¬
men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort
wollte, fand ich in dem ganzen, groſsen, nicht übel
eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die
Thüren waren nur von innen verriegelt und also für
mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär
so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch
das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht miſsbrau¬
chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige
Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine
Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬
wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬
schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬
sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem
Bette und entschuldigte sich freundlich, daſs noch nie¬
mand im Hause wach sey. Weiſs der Himmel, ob
ich armes Menschenkind nicht in groſse Verlegenheit
würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬
tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend
der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬
tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;
ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬
pel hinaus.


Du muſst wissen, daſs ich entweder gar nicht
frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden
gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit
diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine
Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬
mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬
de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,
[80] der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht
und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine
die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬
spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch
kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente
Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind
fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen,
fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein
Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬
len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste
Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine
gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht
ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein
anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war
zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬
wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane
von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger
Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu
finden: das war für einen durstigen Fuſsgänger das
verdrieſslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬
chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte,
so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von
Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir
immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte
hinüber schieſsen können. Von Schottwien bis Pre¬
wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬
sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur
noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In
Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier
dieſseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es
[81] ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm,
daſs überall Thüren und Fenster offen stehen.


Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬
ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm
genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muſs viel Ver¬
gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht
hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und
fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬
den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬
nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬
genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter
geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach,
und nur für kleine Fahrzeuge: die gröſsern und alle
Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der
Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint.
Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr
viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in
sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen
vielleicht auch für groſse Schiffe anfahrbar macht.


An den Bergen rund herum hat man hinauf und
herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬
gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren
Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬
nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden.
Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und
finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See
abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat,
mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem
so genannten groſsen Gasthofe, einem Hause von ge¬
waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬
kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬
6[82] det wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem
Hafen, und vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in
welchem das Unglück geschah. Die Geschichte ist
hier schon ziemlich vergessen.


Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel,
der in Triest den Sprachmeister für die Italiäner
deutsch und für die Deutschen italiänisch macht. Die
Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine
lehrreiche angenehme Unterhaltung gewähren, wenn
sie gut erzählt würden. Von Leipzig und Halle nach
Polen, von Polen nach Wien, von Wien nach Lay¬
bach, von Laybach nach Triest, und überall in genia¬
lischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum
Wein hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zu¬
letzt genöthigt, seine Stelle in Laybach aufzugeben,
wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war.
Er hat durch seine mannigfaltigen verflochtenen Schick¬
sale ein gewisses barockes Unterhaltungstalent gewon¬
nen, das den Mann nicht ohne Theilnahme läſst.
Per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus
Tergestum
, sagte er mit vieler Drolerie, damit uns
hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. Wir gin¬
gen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab
nicht finden. Niemand wuſste etwas davon.


Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht
irre ist sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt
und wirklich prächtig, ganz neu und in einem guten
Stil gebaut. Eine ganz eigene recht traurige Klage der
Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Hu¬
manität bekümmern sie sich um die übrige Welt und
ihre Drangsale kein Jota und wünschen nur, daſs ih¬
[83] nen der Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihli¬
chen Krieg bescheren möchte; dann sollte ihr Triest
eine Stadt werden, die mit den besten in Reihe und
Glied treten könnte. Dabey haben die guten kauf¬
männischen Seelen gar nichts arges; schlagt euch todt,
nur bezahlt vorher unsere Sardellen und türkischen
Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste, das
ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern
gab man auf demselben Theodoro Re di Corsica, wel¬
ches ein Lieblingsstück der Triester zu seyn scheint.
Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto in Ve¬
nedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich,
wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf
Unkosten der Herren von Sankt Markus sind, so etwas
nicht ausgezeichnet haben wollten. Man sang recht
gut, und durchaus besser als in Wien. Vorzüglich
zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Toch¬
ter des Wirths und der Kammerherr des Theodor. Die
Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleu¬
ten genommen und ein Fremder muſs sich auf ihre
Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm
seyn mag. Die Herren haben die Logen gekauft, be¬
zahlen aber noch jederzeit die Entree; eine eigene
Art des Geldstolzes. Der Patriotismus könnte wohl
eine etwas humanere Art finden die Kunst zu unter¬
stützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache
haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr
wenig dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich
zuerst den betäubenden Lärm in den italiänischen
Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu Rendes¬
vous, zu Konversationen, zur Börse, und wer weiſs
[84] wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still
angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens
nicht viel Genuſs haben; und die Schauspieler rächen
oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬
was eigenes war mir im Hause, daſs das Parterre
überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte
mich hinwenden wo ich wollte.


Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt,
als sie hörten, ich wolle zu Fuſse von Triest über die
Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich
nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber
ich lieſs mich nicht irre machen und wandelte wieder
den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen groſsen
Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬
den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge,
wieder auf die Heerstraſse. Ich besuchte die Höhlen
von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt
verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniſs doch
nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die
Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur
sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen
so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬
fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬
ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist,
wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung
und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬
sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem
[85] Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluſs aus
der Erde hervor, der vermuthlich auch Höhlen bil¬
det. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiſs Virgils
Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, daſs ich
nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der
Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Thal zwi¬
schen Santa Croce und Montefalkone macht noch jetzt
der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am
Meere stand vermuthlich der Heroentempel im Haine,
und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Tima¬
vus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von
der geraden Straſse nach Venedig ab über die Berge
hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke
Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über
die Berge hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind,
hat man die schönsten Weinthäler. Der Wein wird
hier schon nach italiänischer Weise behandelt, hängt
an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend
etwas nachhilft, schöne Gruppierungen.


Von Görz nach Gradiska sind die Berge links
ziemlich sanft und man hat die groſsen Höhen in be¬
trächtlicher Entfernung rechts: und wenn man über
Gradiska nach Palma Nuova heraus kommt, ist man
ganz in der schönen Fläche des ehemahligen venetia¬
nischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See
und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen.
Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Mei¬
len; aber Oestreichische Offiziere versicherten mich,
es seyen gute sieben Meilen; und ich fand Ursache
der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine
venetianische Gränzfestung, und nun hausen die Kai¬
[86] serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen
Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht
ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird.
Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er
kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.


In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten
Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte
mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen,
ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬
gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang
mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬
kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬
ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬
lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬
keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam,
eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich
im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine
stand eine östreichische Wache, die mich examinierte.
Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes
Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes
Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein
trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner
Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern,
als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen
sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier
seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der
lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬
ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser
Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten
wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich;
du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬
[87] den. Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da
ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trink¬
geld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein
für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde
Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quar¬
tier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der
Sergeant ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das
sah ich auch selbst ein. Er machte auch Dienst¬
schwierigkeiten, die ich als ein alter Kriegsknecht sehr
bald begriff. Ich überlieſs Brot und Wein dem Ue¬
berbringer und verlangte, man solle mich auf die
Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand
ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhaben¬
den meinen Fall und schloſs mit der Meinung, daſs
ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch
auf der Hauptwache seyn. Die Herren lärmten, fluch¬
ten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so;
die Welschen schlugen die Deutschen todt nach Noten,
wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor.
Gut. Dieser foderte meinen Paſs, fand ihn richtig,
revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden
Morgen bey der Polizey melden‚ die ihn auch unter¬
schreiben müsse, und machte einige Knasterbemer¬
kungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung,
an der ich gar nicht zweifelte. Das ist alles recht gut,
sagte ich; aber ich kann kein Quartier finden. Ach
das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt, meinte
ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nie¬
der, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen
und schickte den Gefreyten mit mir und meinem
Tornister alla nave. Der Gefreyte wies mich ins
[88] Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es
sey durchaus kein Zimmer mehr leer; es sey alles be¬
setzt. Ich that groſs und bot viel Geld; aber es half
nichts. Sie sollten es für den vierten Theil haben,
antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau;
aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist
spät; ich bin müde und es ist drauſsen kalt. Die Ita¬
liänerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald,
nur ganz höflich. Ich gehe nicht, sagte ich, wenn
man mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich
wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab man.
Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte
und foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und
lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich
würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Her¬
ren sagte lachend; Warten Sie, vielleicht bin ich noch
so glücklich Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist
eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so,
wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich
habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging ei¬
nige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus,
hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier.
Zimmer und Bette waren herrlich. Nun wollte ich
essen; da war nichts zu haben. Ma Signore; sagte die
Wirthin, questa casa non è locanda; non si mangia
qui.
Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht und
war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum trot¬
tiert; ich konnte mich nicht entschlieſsen spät in der
Finsterniſs noch einmahl auszugehen. Der Officier war
fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir
ohne Abendessen freundlich Felicissima notte: ich ging
[89] ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern
Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die
Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn
Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies
mich hier hin und dort hin, und ich fand sie
nirgends.


Der Henker hohl' Euch mit der Polizey!

Es ist doch alles lauter Hudeley.

So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir
eine Semmel und einige Aepfel in die Tasche, ging
nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein
Quartier, stekte meinen Paſs ohne die Polizey wieder
in die Brieftasche und reiste zum Thore hinaus. Das
war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber,
denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus
finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu
Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann
ein Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen
Regimente war, kam zu Fuſse mit ihrem kleinen Jun¬
gen von ungefähr zwey Jahren von Livorno und ging
nach Gräz. Du weiſst ich liebe schöne reinliche Kin¬
der in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe
fing so eben an etwas von der Sprache seines Vaters
und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stam¬
meln und hatte sein groſses Wesen mit und auf mei¬
nem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eyer¬
kuchen und zweyerley Fische aus dem Tagliamento,
gesotten und gebraten. Du siehst, dabey war kein
Fleisch; das war also an meinem Geburtstage gefastet
nach den besen Regeln der Kirche.


[90]

Der Weg zwischen Triest und Venedig ist auſser¬
ordentlich wasserreich; sehr viele groſse und kleine
Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter
denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬
sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich
über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬
cken eines groſsen ehrenfesten Charons, der seine lan¬
gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der
Fluſs war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬
cher Zeit die Methode Fuſsgänger überzusetzen. Sein
Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie
wild er seyn muſs, wenn er das Bergwasser herab
wälzt. Wenn die Bäche groſs sind, mag die Reise
hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬
aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬
menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬
ser so schön und hell, daſs ich überall trinke: denn
für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬
that und den Werth davon zu empfinden, muſst Du
dich von den Engländern einmahl nach Amerika
transportieren lassen, wo man in dem stinkenden
Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase
zuhalten muſs, wenn man es durch ein Tuch geschla¬
gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man
die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden
Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in
den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre
[hatte] dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬
ren zu helfen.


In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬
liche Mummerey von Gassenmaskerade, muſste bey
[91] gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und vväre
übel gefahren, wenn mich ein kleines niedliches
Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig mit Kasta¬
nien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche
einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich
wohl eine halbe Stunde angenehm beschäftigen kann.
Von Udine bis Pordenone ist viel dürres Land; doch
findet man mit unter auch sehr schöne Weinpflanzun¬
gen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Ge¬
schichte von Udine gesehen hast, eben nicht in dem
besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein Un¬
glück für mich, daſs man mich meistens für einen
Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein
französischer Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich
sage und wiederhohle, ich sey ein Deutscher; so will
man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich
müsse ein französischer Offizier seyn, der das Land
umher durchzieht, werde ich oft recht gut bewirthet.
Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also
doch so ungewöhnlich nicht seyn. Signore è Francese,
ma non volete dirlo; Fate bene, fate bene
: sagte man
mir mit sehr freundlichem Gesichte. Alles kommt
freylich auf den Partheygeist an, der hier eben so
mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die
Franzosen; aber die Meisten scheinen es doch nicht
gern zu sehen, daſs sie nicht mehr hier sind.


In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute,
die von Venedig kamen und den Weg nach Triest zu
Fuſse machen wollten, den ich eben gekommen war.
Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es
gehe recht gut und es sey mir keine Gefahr aufgesto¬
[92] ſsen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬
dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt.
Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬
sellschaft einführte, ein groſser Philosoph, ungarischer
Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion
zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die
Revolution und brachte Anspielungen und indirekte
Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens
verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem
Paſs zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die
Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie
aber glauben, daſs es nöthig ist, so führen Sie mich
vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte
ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das
wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend
Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische
und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So
bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir
Freunde, und er war sogleich von meiner politischen
Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu
meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬
ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an
den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬
neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den
Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬
nem Schatze hervorgoſs.


Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬
nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten,
und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines
Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre
bringen wollte. Mit der Bedingung, daſs ich gleich
[93] abginge, lieſs ich mir die Sache gefallen: denn ich
wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um
den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬
tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬
ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten
Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein
Fuhrwerk zeigte; so daſs ich nicht wuſste was ich den¬
ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte
noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬
lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬
reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano
aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬
häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso
ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten.
Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬
chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar
artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald
in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem
die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar
nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen,
daſs sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären.
Bloſs der unreine Nasenton der Tyrolerin miſsfiel mir;
und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches
in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬
trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daſs
ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬
stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬
hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine
überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich
von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur
durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache
[94] und einige Sarkasmen, die ich ganz trocken hinwarf.
In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in
ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen
mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem
schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesell¬
schaft von Venetianern, die noch diesen Abend über¬
setzen wollte und schloſs mich an. Wir ruderten den
Kanal hinunter. Die Andern waren alle Einheimische
und hatten weiter nichts nöthig als dieses zu sagen;
aber ich Fremdling muſste einige Zeit auf der Wache
warten, bis der Offiziant meinen Paſs gehörig regi¬
striert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen Pas¬
sierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung,
mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden.
Das foderte etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und
kein Tachygraph war; und meine Gesellschafter waren
über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab
sich bald. Man fragte mich, als ich zurück kam, mit
vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich sey? wohin
ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich höch¬
lich als man hörte, daſs ich zu Fuſse allein einen
Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte.
Der Abend war schön, und ehe wir es uns versahen,
kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natür¬
lich weiter nichts als die magische Erscheinung sah.
Ein junger Mann von Conegliano, mit dem ich wäh¬
rend der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert hatte, be¬
gleitete mich durch eine groſse Menge enge Gäſschen
in den Gasthof The Queen of England; und da hier
alles besetzt war zum goldnen Stern, nicht weit vom
[95] Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung ziemlich
gutes Quatier und artige Bewirthung fand.


Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre,
kam ich in Venedig an, und lief gleich den Morgen
darauf mit einem alten abgedankten Bootsmann, der
von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikani¬
schen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt
den Lohnbedienten machen muſste, in der Stadt her¬
um; sah mehr als zwanzig Kirchen in einigen Stun¬
den, von der Kathedrale des heiligen Markus herab
bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherr¬
scherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Ken¬
ner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was
da ist und was da war. Aber das alles ist Dir wahr¬
scheinlich schon aus Büchern bekannt; und ich würde
mir vielleicht weder mit der Aufzählung noch mit
dem Urtheil groſse Ehre erwerben. Der Pallast der
Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist
mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des Markuspla¬
tzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs
Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George
hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, wel¬
che die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erwei¬
tern. Die Parthie des Rialto hat meine Erwartung
nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch
so wie er noch jetzt ist, übertroffen.


Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier
liegen, eine sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle.
So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete
man mit zehn tausend Mann Venedig; wenn man
nehmlich im Anfange energisch und sodann klug und
[96] human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt
die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem
Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬
hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich
leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬
nige Mahl den groſsen Kanal auf und abgefahren ist,
hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges
mehr; man müſste denn gern Kirchen besuchen, die
hier wirklich sehr schön sind.


Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und
Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne
in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬
fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬
stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der
Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig
seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬
gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und
ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬
derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen
von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬
lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu
finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬
legt, ein kleines hölzernes Gefäſs vor sich stehen ha¬
ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi
werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müſste
ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner
Empfindung Bankerott machen.


Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬
ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am
Hafen, die einen Kreis um sich her schlieſsen lassen
und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle
[97] sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬
benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich
mit solchem Feuer reden, daſs man sie wirklich ei¬
nige Mahl mit groſsem Vergnügen hört. Du kannst
Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬
drigend das Handwerk seyn muſs. Eine Menge Leute
von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete,
saſsen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und
warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬
ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬
melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme:
Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬
der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige
Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten
Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und
die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬
sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen
wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!


Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬
licher als in der Stadt; aber eben deſswegen sind dort
nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen
darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die
Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬
ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas
schöne Natur genieſsen. Die Kirche ist mit Orangerie
besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der
See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese,
nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬
ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬
hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich
die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬
7[98] gewählt wurde, und wo auch noch sein Bildniſs ist,
das bey den Venetianern von gemeinem Schlage in
auſserordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat
sein mögliches gethan, die Draperie recht schön zu
machen. Die Kirche selbst ist ein gar stattliches Ge¬
bäude, und wie ich schon oben gesagt habe, mit
Batterien umgeben.


Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen
höfliche, billige, freundschaftliche Leute, und ich
habe von Vielen Artigkeiten genossen, die ich in mei¬
nem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten kön¬
nen. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor
einigen Tagen auf dem Markusplatze. Man hatte
mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die
Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich kei¬
nen andern im Tornister tragen wollte,) an den öf¬
fentlichen Orten der Stadt herum laufen sehen, und
doch gesehen, daſs ich mit einem Lohnbedienten lief
und Liren verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden
Abend sein Geld, wenn ich ihn nicht mehr brauchte;
dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell
war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der
Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, daſs
ich bey der Abzahlung des Menschen eine ziemliche
Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte,
und legten sich, als der Bediente fort war und ich
allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freund¬
lich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und
sie thaten das nehmliche. Man gruppierte sich um uns
herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe
zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit
[99] ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.
Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬
gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬
ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬
nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich
in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬
niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar.
Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so
schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich
heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut
Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza
und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬
tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬
schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen
Geschöpfchen ihren Weg gingen.


Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬
tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse
den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als
ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider,
die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich
in Unordnung und meinen Huth herab geworfen.
Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens
nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts
heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬
derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬
zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich
angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den
Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da
erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs,
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man
habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem
[100] Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt.
Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer
weiſs was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.


Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬
genstande, von Canovas Hebe. Ich weiſs nicht, ob
Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon
kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬
schen. Fast glaube ich nun, daſs die Neuen die Al¬
ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke
des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem
Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen
Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬
nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer
nach dem groſsen Kanal, angewiesen. Ich will, ich
darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte
weissagen, daſs sie die Angebetete der Künstler und ihre
Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin
noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen
von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle
veneres cupidinesque.


Ich stand von süſsem Rausche trunken,

Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,

Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,

Die hold auf mich herunter sah,

Und meine Seele war in Funken:

Hier thronte mehr als Amathusia.

Ich war der Sterblichkeit entflogen,

Und meine stillen Blicke sogen

Aus ihrem Blick Ambrosia

Und Nektar in dem Göttersaale;

[101]
Ich wuſste nicht, wie mir geschah:

Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,

Vermessen griff' ich nach der Schale,

Mit welcher sie die Gottheit reicht,

Und wagte taumelnd jetzt vielleicht

Selbst dem Alciden Holm zu sagen,

Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. —

Du denkst wohl, daſs mich das marmorne Mäd¬
chen etwas auſser mich gebracht hat; und so mag es
allerdings seyn. Der Italiäner betrachtete meine An¬
dacht eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin.
Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise be¬
zahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin
ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die
ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen
habe; und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale
höher steigen zu können. Ich muſs Canovas Hände
küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich
höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäſs, die goldene
Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiſs
nicht bestochen; ich habe bloſs die Göttin angebetet,
auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel
liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der
Gestalt und Glieder und des Gewandes will ich nicht
eingehen; das mögen die Geweiheten thun. Alles ist
des Ganzen würdig.


In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein
schöner Gypsabguſs von des Künstlers Psyche. Sie ist
auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll
von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden.
[102] In dem Zimmer, wo der Abguſs der Psyche steht, sind
rund an den Wänden Reliefs in Gyps von Canovas
übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des Sokrates durch
seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte den
Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie.
Der Tod des Priamus nach Virgil. Der Tanz der
Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beyden
tanzenden Figuren vortrefflich sind: und die opfern¬
den Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung
der Hekuba. Alles ist eines groſsen und weisen Künst¬
lers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines
Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr
übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt,
nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für
meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn
dieses auch ist, so wird seine Seele gewiſs es erst zu
diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer
begeistert.


Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze
ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu
sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die
nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gal¬
lier bewachen sollen. Sonderbar; wenn ich nicht irre,
erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den
Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnli¬
chen Schätzen. Die Venetianer lieſsen ihren Verbün¬
deten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt
kommen die Herren und holen die Pferde nach.
Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein
Fest auf dem adriatischen Meere feyerte? Die Britten
gingen seit geraumer Zeit schon etwas willkührlich
[203 ] und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um;
und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und
ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬
nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach
und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur
Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬
cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn
dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und
von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.


Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der
Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden
muſste. Ich bin überhaupt kein groſser Wälscher, und
der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht
geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬
tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in
ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der
fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er
würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl
deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non
son asino ferino
, antwortete der feine Mann, per rug¬
gire tedesco
. Das waren, glaubte ich, seine Worte,
die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬
schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten
über den Witz, und ich, um zu zeigen daſs ich wider
sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬
den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant,
Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui

sache la langue de votre Souverain. Das machte den
Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch
fort sich zu erkundigen, sagte mir, daſs mein Paſs aus¬
gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich
[104] erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis,
wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese
Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher
scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie
zu ändern.


Morgen will ich über Padua am Adria hinab wan¬
deln und mich so viel als möglich dem Meere nahe
halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels
komme und mich an den Aetna hinüber bugsieren
lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn
unter Ankona bey Loretto endigt die Poststraſse; und
durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht gar weg¬
sam und wirthlich seyn: sed non sine dis animosus
infans
. Ich weiſs, daſs mich Deine freundschaftlichen
Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst,
daſs meine Seele oft bey meinen Freunden und also
auch bey Dir ist.


Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die
Nacht war ich angekommen, die Nacht fuhr ich mit
der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft war ziem¬
lich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen
Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht
sehr günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua
von acht Uhr des Abends bis den andern Mittag. Der
Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm seyn;
aber das Wasser hatte bekanntlich die Straſsen durch
ganz Oberitalien so fürchterlich zugerichtet, daſs es
[105] ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht
sehr, daſs ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬
schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie
wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich.
Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie
die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬
chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬
zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter
ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu
hoffen, daſs wir in dreyſsig oder vierzig Jahren zu
Fuſse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬
tete bloſs kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬
esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe
sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬
sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes
Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten
darauf zu wenden, die Straſse von Mestre nach Vene¬
dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin
gestellt seyn.


Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬
te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬
ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬
cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne
ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall
herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und
wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller
Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig
ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬
che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen
zu mir und lieſsen sich mit Gewalt nicht abweisen;
sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten
[106] mir alle ihre Wunder mit viel Salbung; und ich hatte
die Ehre dreye zu bezahlen. Sodann ging ich das
Monument des Livius aufzusuchen, von welchem alle
meine drey Führer nichts wuſsten. Er muſs in seiner
Vaterstadt jetzt so auſserordentlich berühmt nicht seyn:
denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach
der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius
noch von seinem Monumente erzählen; und doch
sprachen zwey davon geläufig genug französisch. End¬
lich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadt¬
hause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem un¬
geheuren Saale des Stadthauses neugierig herum, und
redete einen Mann mit einem ziemlich literärischen
Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italiänisch,
er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es
nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey
ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er
wies mich hierauf an einen Andern, der mit einem
Buch in einer Ecke saſs. Dieser stand auf und zeigte
mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem
Eingange einer Expedition. Du kennst ihn unstreitig
mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daſs
die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses An¬
denken errichtet haben. Das neue prächtige Monu¬
ment, das der ehemalige venetianische Senat und das
Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht,
weil es zu entfernt war und ich diesen Abend noch
nach Battaglia patrollieren wollte. Als ich ging, sagte
mir der Paduaner sehr artig: Gratias tibi habemus pro
tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum
multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud
[107] exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames
ac nobis faveas
. Der Mann sagte dieses mit einer
Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬
keit, die ihm sehr wohl anstand.


Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬
pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬
stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so
groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig
Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule
aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen
alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬
vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich
Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also
wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage,
daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den
übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man
vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬
dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke
knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in
meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen
Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬
dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬
mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬
schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die
Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬
zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind
verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust
erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs
er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey.
Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener
Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,
[108] wie alle seine Mitbürger, die es bey den letzten Unru¬
hen in Rom unter dem Triumvirat thätig genug ge¬
zeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie.
August selbst, dem die römische Schmeicheley schänd¬
licher Weise einen so schönen Namen gab, nannte
ihn mit einer sehr feinen Tyrannenmäſsigung nur ei¬
nen Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun
Meister; man kennt die Folge der erbaulichen Sub¬
jekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn
sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der
Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich,
daſs die Cäsarn nicht absichtlich ein Werk, wie die
Geschichte des Livius war, zu Lichte werden geför¬
dert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des
Tacitus sehr wahrscheinlich, daſs man alles gethan
hat sie zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo
der aristokratisch römische Geist überhaupt und die
Tyranney der Cäsarischen Familie insbesondere mit
sehr grellen Farben gezeichnet seyn muſste. Dieses
waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der
Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläufiges
Werk, und nicht jeder war im Stande sich dasselbe
kopieren zu lassen. Alle fanden es also wahrschein¬
lich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse ge¬
mäſs, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen
von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herr¬
scher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten.
Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im ei¬
gentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen als
vernichtet worden: und als man anfing ihn ins Ara¬
bische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so
[109] verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich
mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬
stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬
tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬
kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬
scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen,
daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl
bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der
seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern
und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre,
soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen
von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem
Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der
gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten
in Gefahr bin.


Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz
ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬
vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so
schön als die andere von Treviso nach Mestre: die
Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬
ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr
schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬
all war der Segen des Himmels mit Verschwendung
über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in
den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich
war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von
Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬
nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene
hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas
Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel
zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
[110] nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬
lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige
Bissen schlechte Polenta, und ich muſste damit und
mit meinem Schluk Wein weiter gehen.


Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in
das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des
Flusses, der meinen Paſs mit aller Schwerfälligkeit
der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte
mir bange, daſs ich dieſseits bey dem französischen
Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde.
Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬
theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der
mir den Paſs, nach einem flüchtigen Blick auf mich
und auf den Paſs, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬
rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung,
daſs er nicht unterschriebe. Vous n' en avés pas be¬
soin; sagte er: Vous venés de l' autre coté?Je
viens de Vienne
, et je m' en vais par Ferrare à Anco¬
ne
. — N'importe; versetzte er; allés toujours. Bon
voyage
! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen
die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des
Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl.
Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für
mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬
ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬
scheinung, daſs es mir kaum einfiel, ich sey schon
in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in
Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich
gleich überall starke französische Besatzungen fand.
Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze
der groſse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
[111] Spitze, und gegen über in dem groſsen Kaffeehause
war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬
zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬
denheit überlieſsen. Aber alles war sehr anständig
und ohne Lärm.


Ich muſs Dir bekennen, daſs mir dieses heitere
kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in
Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daſs ich sel¬
ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch
eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬
haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das
Wasser hatte hier überall auſserordentlichen Schaden
gethan, wie Du gewiſs schon aus den öffentlichen
Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬
genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen
und links und rechts groſse Verwüstungen angerichtet.
Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬
men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder
in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende
Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬
neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit
dem Unheil zu, das die Flüsse und groſsen Kanäle
hier sehr oft anrichten müssen. Da die Straſse ganz
abscheulich war, lieſs ich mich bis Ponte di Lagos¬
curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬
derknechten für eine Strecke von drey Stunden die
kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬
ſses schönes majestätisches Wasser, und die heitere
helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links
und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war,
als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben
[112] ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer
oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun
die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus
scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.


Wenn man an einem hellen kalten Abende zu
Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser
gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine
Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬
genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di
Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem
fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten
Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich
und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum.
Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die
Straſsen sind lang und breit und hell. Es fehlt der
ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬
schen. Französische Soldaten sah man überall genug,
aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬
bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬
heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale
und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier
wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬
nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬
steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die
Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬
derholte mit Nachdruck einige Mahl, daſs durchaus
kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, daſs alles
durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬
ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden
sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das
Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den
[113] Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische
Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von
Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein
metallenes sehr schön gearbeitetes Dintenfaſs, an dem
noch eine Feder war. Ohne eben die Authenticität sehr
kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Di¬
thyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas in¬
spirationsfähiger wäre. So viel muſs ich sagen, die
Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich
gesehen habe.


Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr
gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun,
Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst
daraus, daſs ich gewöhnlich nicht faste, wie an mei¬
nem Geburtstage zu Udine, und daſs die Leipziger
Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exem¬
pel nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich.
Ich hatte gelesen von den groſsen gefährlichen Morä¬
sten zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzäh¬
lungen bestätigten es und sagten weislich noch mehr;
so daſs ich nicht ungern mit einem Vetturino handel¬
te, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich
aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren
schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon in
Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben:
denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Ve¬
rona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daſs ich
nach Bologna wollte, verlor kein Einziger ein Wort
weiter, als daſs sie alle etwas von Teufelsweg durch
die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten wa¬
ren ein cisalpinischer Kriegskommissär, und eine Da¬
8[114] me von Cento, die ihren Mann in der Revolution ver¬
loren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht,
und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht
zuweilen eine der schlimmsten Strecken zu Fuſse ge¬
gangen waren. Einige Stunden von Ferrara aus ging
es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die
Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung neh¬
men; die billigen Bauern foderten aber für zwey
Stunden nicht mehr als acht und zwanzig Liren für
zwey Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der
arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich und ich
rieth ihm selbst gar kein Gebot auf die unverschämte
Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit der
furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde
weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus
und arbeiteten uns zu Fuſse durch, und es ward mit
dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein
Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das
andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle
beyde und wälzten sich ermattet in dem schlammigen
thonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das
ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in
concreto
. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf;
aber der Wagen saſs fest. Nun stelle Dir die ganz be¬
kothete Personalität deines Freundes vor, wie ich mit
der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine
Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und
heben und schieben half, daſs die Dame und der
Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es
ging, und nach drey Versuchen machte ich den Fuhr¬
mann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu
[115] denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den
Kommissär durch die engen schweren Passagen zu
bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und so
geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen
und Verschlägen und an den Gräben, daſs ich ihnen
von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar groſse
Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuſse
voraus über den italiänischen Rhein, einen ziemlich
ansehnlichen Fluſs, gesetzt hatten, in einem ganz ar¬
tigen Wirthshause zu Malalbergho einquartiert und uns
in die Pantoffeln geworfen, als unser Fuhrmann an¬
kam und uns durchaus noch acht italiänische Meilen
weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und
die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte
der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder
in den Wagen und lieſsen uns weiter ziehen. Nun
trat eine andere Furcht ein; der Dame und dem
Kriegskommissär, drollig genug an Italiänern, ward
bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien
überhaupt mit seinem Muth nicht viel zur Befreyung
seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir ward
zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern son¬
dern vor Straſsenräubern, für welche die Straſse zwi¬
schen tiefen breiten Kanälen ordentlich geeignet schien;
indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein gu¬
ter Prädestinatianer meinen Muth und gehe getrost
vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir glücklich
auf unserer Station, einem isolierten, ziemlich groſsen
und guten Gasthof an, der, wenn ich mich nicht irre,
Althee hieſs und von dem ich Dir weiter nichts zu
sagen weiſs, als daſs man mir einen Wein gab, der
[116] dem Champagner ähnlich war und also meinen Bey¬
fall hatte. Bey diesem Weine und der guten Mahl¬
zeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in sei¬
nem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun frey¬
lich nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich
nach einer solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.


Den andern Mittag langten wir hier in der alten
päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder
nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm
man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden
dem Kommissär, der aus der Gegend von Parma war,
und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten
muſste. Auf der Polizey, wo ich den Paſs signieren
lassen muſste, war man eben so artig und höflich als
an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich über¬
all eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schwei¬
nerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettig¬
keit der Italiäner überhaupt kein groſses Lob geben
kann, so haben die Leute in Bologna den gröſsten
Schmutz aufzuweisen. Auſser dem Stolz auf ihr altes
Felsine, behaupten die Bologneser noch, daſs ihre
Stadt so groſs sey wie Rom. Daran thun sie nun frey¬
lich etwas zu viel; wenn man aber auf den Thurm
steigt und sich rings umher umschaut, so wird man
den Raum doch groſs genug finden, um in eine
solche Versuchung zu gerathen, zumahl wenn man
etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran
stoſsenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts
und den groſsen schönen Kaufmannshallen links, macht
keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demsel¬
ben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine
[117] Verdienste; nur Schade, daſs der arme Gott hier so
wenig von seinem Elemente hat, daſs er wohl kaum
den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu
trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses
ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht
sehr demüthig in einem sehr spieſsbürgerlichen Auf¬
zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬
feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in groſsen
Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬
gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner
in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.


Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil
man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬
wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬
tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt
so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬
gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da
Ruffi
, und fand es für eine so kleine Unternehmung
allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute
bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen
Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten
können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬
schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬
lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert
wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf
Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬
leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die
Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war
für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬
spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur
ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück
[118] gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich
vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch
keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder
Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem
Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach
dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch
gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es
waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬
ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt,
und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man
gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch
glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas,
so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte
das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬
gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien
der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten.
Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und
sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und
Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬
diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er
konnte es gar nicht zusammen reimen, daſs ich nicht
wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die
Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich
halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬
fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem
Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen
und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore
hinaus.

[[119]]

Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege
in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬
gend immer nach Rimini herunter. Bloſs von Bologn
bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.
Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt
waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In
Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich
kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken,
wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬
hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und
zog in bunten Gruppen in den Straſsen herum. Nur
hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬
ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu.
Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬
was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬
dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht
auf dem Rücken, ein groſser schwerer Knotenstock in
der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des
Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich
mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche
Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬
haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;
einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬
lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich
trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬
kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬
becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut
als Helm hätte brauchen können; und ein anderes
[120] Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem
Attribut der Klystierspritze Gebrauch zu machen.
Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola
vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer Schwen¬
kung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch
nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas
aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück
muſs ich Dir sagen, daſs mein Bart wirklich über drey
Tage lang war und daſs ich von den dortigen rothen
Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in ei¬
ner Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zer¬
streute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleide¬
ter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof
fragte, brachte mich durch einige Straſsen in die Höl¬
le, Nummer Fünfe. Das war nun freylich kein er¬
baulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und
wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmahl
durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirths¬
haus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der
Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte,
wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und nun
muſs ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit wider¬
fahren lassen, daſs sie sich, so weit es ihr Charakter
erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein
entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drey
verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französi¬
schen und italiänischen, anredete, verlieſs mich mit
seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige fran¬
zösische Officiere mich von ihm retteten und mit mir
in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause
war der beste Tummelplatz der Maskierten, die in
[121] hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppierungen mit
und ohne Musik auf und nieder liefen. Ein siedend
heiſser politischer Imolait schloſs sich an mich an und
führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände
sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es
in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der
Wahrheit gemäſs, ganz ruhig. On les a bien forcé à
coups de bayonettes à être en repos
; sagte er. Appa¬
remment
; sagte ich. — C'est toujours la meilleure ma¬
niere de disposer les gens à se conformer à la rai¬
son
. — Mais oui, entgegnete ich, après en avoir es¬
sayé les autres
; pourvù toute fois, qu' il y ait de la
raison et de la justice au fond de l'affaire
Est¬
ce que vous en doutes pour la notre
? — On ne peut
pas repondre à cela en deux mots
. Nun wollte er eine
Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich
entschuldigte mich mit meiner alten Formel: Quand
on commence
, il faut toujours commencer par le com¬
mencement
; da würde sich denn ergeben das alte Iliacos
intra muros peccatur et extra
. Der Abend rief mich
zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht
freundschaftlich indem er meinte: Wenn es auf uns
beyde angekommen wäre, würde wohl kein Krieg
entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für mich
auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die
Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang
recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein
Bischof sich zum Papst bilden kann?


In Faenza sah ich die erste französische Wachpa¬
rade, und in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts
zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst
[122] reichliche Unterhaltung für ihre Liebslingsfächer. Aber
ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog
gerades Weges ins Wirthshaus, das Hotel de Naples.
Auf mein ltaliänisch war man nicht auſserordentlich
höflich, vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war.
Ne pourrai je pas parler au maitre de la maison?
fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister
abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und alles
war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte
so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder
da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem
Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen,
und sie schienen sich hinter mir über mich mit lau¬
tem Gelächter etwas zu erlustigen. Qu'est ce qu'il
y a là, Messieurs?
fragte ich mit einer enrhumierten
rauhen Stimme. Niente, Signore, war die Antwort;
und alles trat still in eine bescheidnere Entfernung.
In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten kön¬
nen. Ich fand in dem Hotel de Naples zwey Kauf¬
leute und drey Schiffer; der Kellner war ein joviali¬
scher Mensch; man begrüſste mich in einer Minute
zehn Mahl mit dem Prädikate cittadino, gab mir den
Ehrenplatz und fütterte mich à qui mieux mit den be¬
sten Gerichten. Es machte keinen Unterschied als
man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so sehr be¬
stimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung.
Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stür¬
misch war, um den Kamin her, machten einen trau¬
lichen freundlichen Familienzirkel und tändelten mit
einem kleinen allerliebsten Jungen, der wie ein Toast
[123] der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den
Knien des Andern ging.


Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten
Forum Pompilii, und die Trümmer einer Brücke, wel¬
che auch alt zu seyn scheint. Ich sah von allem sehr
wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke
gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das
bey den Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann
aber nur in dieser Gegend seyn. Das fürchterlich
schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch
nur von Forli gekommen war und also nicht mehr
als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von
dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit
aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein
ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt.
Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber
eine Stunde zusammen geplaudert hatten, ich in ei¬
nem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war,
um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen,
und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen um¬
quartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn
heraus versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung:
Man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von
der Munizipalität logiert würde: nun pflegte die Mu¬
nizipalität seit geraumer Zeit für die zugeschickten Gä¬
ste gar nichts mehr zu bezahlen; man könnte es also
nicht übel deuten, daſs sie auf diese Weise so wohlfeil
als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galan¬
tuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient werden.
Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause
waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als
[124] man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein
Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir
von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine
Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daſs es
Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel
eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬
blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr
gute Bewirthung auſserordentlich billig. Cesena ist
übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬
gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬
schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬
rige Figur. Pius der Sechste muſs für seine Vaterstadt
nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬
cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬
dienstlosen Nepoten.


Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über
den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige
Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am
Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die
sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern,
als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück
kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es
ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie
mehr Liebe oder Haſs verdienen. Ich erinnere mich,
daſs es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬
mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke,
den die Geschichte aufstelle. Die Aeuſserung hätte mir
fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬
gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬
tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar
ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr
[125] seyd werth, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und
liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu
haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen
wollte, den Junius Brutus durchaus zu vertheidigen.
Also hier gingen wir beyde über den Rubikon, Cäsar
und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einan¬
der gemein, als daſs wir — nach Rimini gingen.


In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von
Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu
zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten
Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz
miſstrauisch, schaute nach meinem Huthe und da er
rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein An¬
sehen etwas grimmig und er schickte mich mit der
höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war
der Revers von Cesena. So gehts zu Revolutionszei¬
ten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt, dort
beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.


In Rimini schlief ich gewiſs ruhiger, als der mäch¬
tige Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag.
Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf
dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius
von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch
ein Papst Paul, ich weiſs nicht welcher, hat hier ein
Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern
von Rimini bauen lieſs. Eine Wasserleitung halte ich
überall für eins der wichtigsten Werke und für eine
der gröſsten Wohlthaten; und hier in Italien ist es
doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohl¬
thätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast verge¬
ben, daſs er Papst ist. Auf dem andern Platze stand
[126] der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union
des Fran
çois et des Cisalpins. Aber welche Union!
das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.


Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer
Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬
auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬
blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine
kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn
sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun
gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer
hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini
den Meister gespielt; deſswegen gingen die rechtgläu¬
bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika
und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬
men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬
be, die ganze Geschichte auf einer groſsen Marmor¬
platte über dem Portal der Kirche zu Katholika:
ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬
schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.
In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll
päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich
müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo
ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr
wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein
Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein
Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er
mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz
seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes
mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬
tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley
Wein. Das war von nun an oft der Fall, daſs der
[127] Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬
sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand
leistete. Er klagte mir ganz leise, daſs die gottlosen
Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit
weggenommen haben. Als ich den andern Morgen
im Kaffeehause saſs und mein Frühstück verzehrte,
liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe,
bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte.
Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox,
der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoſsge¬
betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens
fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war
sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so
entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬
dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich
bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬
teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben.


Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die
Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬
fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich,
wie die fremden Karthager sich hier verirrten und
den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus
ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen
kommen, ein gar schmutziger Fluſs, und hat eben so
wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man
wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg
zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll.
Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬
schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht
gegenwärtig war. So viel ist gewiſs, daſs sie hier in
[128] der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Poly¬
bius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht
schwer seyn, den Platz genau aufzusuchen. Da ich
aber wahrscheinlich nicht in Italie kommandieren
werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert.
Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen
Konsuln selig!


Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine
Lage: vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gär¬
ten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich
hatte hier das Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht
zu sehen, wo die Hunde ziemlich hoch geworfen wur¬
den und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb
Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc hien. Das Prototyp
der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter
bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit
des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und
die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche
Anhöhen, mit jungen Weitzen und Oehlbäumen ge¬
schmückt. Vor Ankona blühten den neunzehnten Fe¬
bruar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge
rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und
Oehl und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Ha¬
fen von Ankona mag für die Alten auſserordentlich
gut gewesen seyn; für die Neuern ist er es nicht mehr
in dem Grade: und wenn nicht der Molo viel weiter
hinaus geführt worden wäre, würde er wenig mehr
brauchbar seyn. Es können nur wenig groſse Schiffe
sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange
des alten Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans
von weiſsem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern
[129] hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt an ziem¬
lich zu verwittern, und man muſs schon sehr ziffern,
wenn man den Sinn heraus haben will. Es müſste
denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen
der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen
des Van Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten
sehr demüthig da. Ganz am Ende des Molo steht ein
Wachthurm, und vor demselben standen einige Piecen
Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen
bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren
bloſs den Eingang von der Seite von Loretto. Am
Thurme stand eine französische Wache, deren man in
der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die
Besatzung ziemlich stark ist. Est ce qu'il est permis de
monter la tour pour voir la contrée?
fragte ich. Non;
war die Antwort: ich muſste also zurückgehen und
die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aus¬
sicht theilweise haben wollte, die ich hier ganz hätte
haben können. Es mag freylich wohl der beste mili¬
tärische Augenpunkt seyn. Das Seelazareth an dem
andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto
und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schö¬
nes Gebäude ganz im Meere, so daſs eine Brücke
hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schö¬
ner bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Ho¬
fe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge und ein
ziemlich groſses Waarenhaus. Auch das Militärspital
auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges Gebäude.
Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung
hebt sich nur sehr langsam durch die Maſsregel des
römischen Hofes, daſs man Ankona zu einem Frey¬
9[130] hafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt
steht die alte Kathedralkirche, wo auſser dem unver¬
weslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapi¬
talheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen
sind. Man findet dort eine schöne prächtige, funkel¬
nagelneue Inskription, daſs Pius der Sechste auf sei¬
ner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener ge¬
segnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heili¬
gen in Augenschein genommen, bewundert und von
neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des
Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks
und der Stände der Mark Ankona in der glänzenden
marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden.
O sancta!


Die Börse ist ein groſser, schöner, gewölbter Saal
mitten in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten
Gemählden und Statüen, welche moralische und bür¬
gerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von
Perugino seyn, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht
für so alt gehalten.


Im Theater gab man die alte Posse, der lustige
Schuster, gar nicht übel; und das italiänische Talent
zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit
und Anstand zeigte sich hier sehr vortheilhaft. Ich
kann nicht umhin, Dir hier einige Worte über un¬
sere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen.
Es wäre wohl zu wünschen, daſs sie etwas von der
Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten.
Das ist bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schma¬
tzen auf den Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn
man glaubt, daſs dieses eine schöne ästhetische Wir¬
[131] kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬
nigstens für mich muſs ich bekennen, daſs mir nichts
langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬
lichkeitsscene. Ein Kuſs ist alles, und ein Kuſs ist
nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so
seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den
Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft
wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er
vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiſs
die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung
schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner
weiſs durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr
zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht
sich, daſs seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬
rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist
das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem
Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer
Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als
ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬
nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch
der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir
durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl
wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt,
die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬
cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man
zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen
sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf
das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht
übel, daſs ich da in dramaturgischen Eifer gerathe:
es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und
Anstand vernachlässigt.


[132]

Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort ge¬
funden, wo es so theuer wäre wie in Ankona; selbst
nicht das theure Triest. Ich habe hier täglich im
Wirthshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen,
und war für dieses Geld schlecht genug bewirthet.
Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die
Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zu
Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem
Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür
wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend
mit Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewal¬
tige Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie
bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine
Auberge in der Nacht nicht leicht wieder zu finden
glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und
unterhielt mich mit seinen Impertinenzen; und dafür
muſste ich ihm die Entree bezahlen und zwey Paolo
Nachschuſs für die Nachtstunden. Die Barbiere brin¬
gen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehr¬
ling, der das Becken trägt und das Bartscheren von
dem groſsen Meister lernen soll. Nun ist das Becken
zwar in der That so geräumig, daſs man bequem ei¬
nige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wun¬
dert sich nicht mehr so sehr, daſs die erhitzte Phan¬
tasie Don Quischotts so etwas für einen Helm ansah.
Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der
Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ord¬
nung gelegt hat und fodert etwas della bona mano,
della bona grazia, und macht zu einer Kleinigkeit
kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich
bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und
[133] wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die
Bequemlichkeit der Kapuziner halten.


Die Leute klagten über Noth und hielten bey hel¬
lem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmumme¬
reyen, daſs die Franzosen die Polizeywache verdoppeln
muſsten, damit das Volk einander nur nicht todt trat,
so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn
eben so possierliche Auftritte, wie in Imola. Vorzüg¬
lich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Ge¬
sellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbey zog,
ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten
Thieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben
hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den
Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld
ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durch¬
wischten und mit den soliden Fuhrleuten in ernst¬
hafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben
und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links
und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger
klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art;
aber vorzüglich gingen freundschaftliche zärtliche Ka¬
nonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man
in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort
zum Verkauf trug. Mich däucht, man hätte nachher
wohl zehen Scheffel sammeln können. Freylich lesen
den andern Tag die Armen auf, was nicht im Koth
zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt
man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr när¬
risch lustige Art Almosen auszutheilen.


Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet
und man trifft daselbst immer sehr angenehme unter¬
[134] haltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen.
Eine sonderbare Erscheinung muſs die Belagerung der
Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle
Nationen von Europa, Oestreicher, Engländer, Russen,
Italiäner und Türken gegen die neuen Gallier schlu¬
gen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren
endlich doch darin behaupteten, und die nun bloſs
durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer Machthaber
daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiſs in jeder
Rücksicht einer der interessantesten militärischen Po¬
sten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste
am ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lau¬
tete mein Paſs von Wien aus, weil der höfliche Prä¬
sident der italiänischen Kanzley ihn durchaus nicht
weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir
gar keine Schwierigkeit mir einen Paſs zu geben, wo¬
hin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen
besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Da¬
wider lieſs sich nun freylich kein mathematischer Be¬
weis führen: ich machte den guten freundschaftlichen
Leuten aber deutlich, daſs meine Art zu reisen am
Ende doch wohl noch die sicherste sey. Wer würde
Reichthümer in meinem Reisesacke suchen? Mein
Aufzug war nicht versprechend; und um nichts schlägt
man doch nirgends die Leute todt.

[[135]]

Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom.
Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans
Gewissen, daſs es Tollkühnheit gewesen wäre, von
dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und
Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬
schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause
betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬
den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele.
Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout
François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont
des sauvages sans entrailles
; sagte man mir. Das
klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke
noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François,
et on Vous coupera la gorge sans pitié
; hieſs es.
Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu
thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬
nen Besuch, lieſs meinen Knotenstock von dem Sa¬
kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬
guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen
Beichtstühle, lieſs mir für einige Paolo ein halbes Du¬
tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige
gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen
getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬
nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen
Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der
Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬
[136] mahl und zur schrecklichen Warnung an den Ulmen
aufgehängt: aber ich habe die Gabe zuweilen etwas
dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirk¬
lich bin; und so bin ich glücklich auf dem Kapitole
angelangt.


Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich,
abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle
mit schönem Getreide und Obst und Oehlbäumen be¬
setzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch
etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung die mir in
der Mitte des Februars bey Ankona ziemlich auffiel;
und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die
Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.


Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern
geplagt gewesen, daſs ich auf der Straſse den dritten
Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto über¬
raschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto,
wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher
ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brücken¬
steine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler De¬
ferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz
leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche
Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem
Kleide und an seiner Miene, daſs er wohl bessere
Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein klei¬
nes Silberstück. Das setzte ihn in die gröſste Verle¬
genheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge
zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen
und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem
Mann erst etwas näher ins Auge und fand so viel feine
Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daſs ich mich
[137] über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬
ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du
wirst mir zugeben, daſs solche Erscheinungen, die
kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls
abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬
sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte
Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬
chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten,
daſs sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬
siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser,
als es dort gestanden haben würde, wo es auch den
Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube
auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen
dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬
setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬
lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der
heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber
die hiesigen Frommen groſse Klagelieder und Verwün¬
schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬
ſsen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey
nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel
aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf
einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬
ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und
man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel
Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer
[138] diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.


Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich
die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬
ab, durch die schönen Thäler weiter und immer
nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬
liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬
canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine
solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata
und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte
mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich
polizeymäſsig die Freyheit meinen Paſs zu beschauen.
Der Mann war übrigens recht höflich und artig und
schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬
re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde,
daſs mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken
Glauben durch ihre Gutmüthigkeit auſserordentlich
werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von
Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus
dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬
schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬
wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück
ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste
beste Wirthshaus an der Straſse zu halten. Die Ge¬
gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen
fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links
nach Abruzzo ab, und ich gerieth in groſse Versuchung
mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen.
Bloſs mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück.
[139] Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein
Miſstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬
baſs. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu
werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬
tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück
fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel.
Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch
noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber
der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon
viel Weg gemacht, war warm und trank in groſsen
Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬
liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt.
Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich
die Kaupone verlieſs, war es als schwebte ich davon,
und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die
Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich
machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut
vorkamen. Schade, daſs ich nicht Zeit und Stimmung
hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬
stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine
übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬
trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin
schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab.
Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬
lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬
lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte:
Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat
er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich
mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und
meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase
bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich
[140] gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den
diktatorischen Bescheid: Jo sono pedone e non voglio
andare a cavallo sul asino
. Die Leute sahen mich an
und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen
Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und
lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder;
ich glaube fast, daſs im gleichen Falle die Deutschen
gelacht hätten.


In Tolentino gings gut, und ich lieſs mich über¬
reden von hier aus durch die Apenninen, denen man
nichts gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um
nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente
den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hüb¬
scher Fluſs, hat auch etwas besseres Wasser als die
übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen
den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu sei¬
nem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See
kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus
den hohen Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte
einen Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermie¬
ther kam mit der Entschuldigung: es sey jetzt eben
keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. Das
war nun nicht erbaulich: Aergerniſs hätte mich aber
nur mehr aufgehalten; ich faſste also Geduld und lieſs
mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schro¬
ten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hin¬
aus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italiä¬
nisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wur¬
den bald ziemlich enge und wild, und hier und da
aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht
die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren
[141] Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten
Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr
ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬
freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen
nach Foligno. Serrevalle ist ein groſses langes Dorf
in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluſs,
nicht weit von der gröſsten Höhe des Apennins; und
ich wunderte mich, daſs man hier so gut und so
wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito,
einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es
bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬
det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬
hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie
Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬
stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬
thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬
theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey
der Bezahlung mit Resignation an seine Groſsmuth.
Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬
ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
müſste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬
fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬
schen leben hülfe.


Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie,
wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so
schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬
der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat
über eine sehr reiche Gegend eine der gröſsten Aus¬
sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in
einem sich nach und nach erweiternden Thale die
[142] Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten
in ltalien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl,
zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann
Oehlbäume und haben am Fuſse üppige Weingärten.
Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende
Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Bor¬
ghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll
man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis
nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen se¬
hen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziem¬
lich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher An¬
blick. Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentli¬
ches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in
das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit ma¬
gischen Wolken überzogen liegt das alte finstere Fo¬
ligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens ruht.
Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die
gewiſs in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links
hinunter weideten ehemahls die vom Klitumnus weiſs¬
gefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren
Opfern in die Hauptstadt holten; und tief tief weiter
hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor
dessen Thoren das vom Thrasymen siegreich herab¬
stürzende Heer Hannibals zum ersten Mahl von einer
Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde.
In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen
Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen ha¬
ben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und
mich däucht mit Geschmack. Man hatte mich in die
Post einquartiert, wo man mich zwar ziemlich gut
bewirthete, aber ungeheuer bezahlen lieſs. Eine Be¬
[143] wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf
der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt
hatte, muſste ich hier in dem Lande des Segens mit
sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdieſs mit
Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich dieſs
durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬
pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬
lich, daſs ich auch dafür dankte; denn er hatte mir
vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht
sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute,
nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬
der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoſs. Hier
kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus
vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬
weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich
noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
enthusiastisch davon sprach. Groſse Haine und viele
Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die
Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und
trank durstig mit groſsen Zügen aus der stärksten
Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und
da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬
mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen.
Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt
hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige
Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber
nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬
san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger
zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog
[144] einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun
von mir wissen, wie man nach dem Frieden die end¬
liche Ausgleichung machen würde, und wie besonders
der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabey
bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit kei¬
ner Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig,
das überlieſse ich denen, interesset.


Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungspro¬
jekten; denn es ist fast immer viel Empörendes dabey.
Ein Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du
kannst Dir nichts Anmaſslicheres, Verwegeneres,
Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den
Russichen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern
der hoffnungsvollen Spröſslinge der groſsen Familien,
die die nächste Anwartschaft auf Aemter im Civil und
bey der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur
wenig seinen Kameraden vorging, äuſserte in War¬
schau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch
Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu
bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich
über die zweite Theilung in Polen zufrieden stellen
wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major
bey der Armee und also kein Troſsbube war, meinte
ganz naiv und unbefangen, da gäbe es ja noch Chur¬
fürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein Freund
stand bey den Excellenzen, deren einige die morali¬
sche Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich
trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige
Ausdruck. So geht es hier und da.


Der Jäger verlieſs mich nach einem halben
Stündchen Kosen, und ich verlieſs den Klitumnus.
[145] In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade durch
das Thor hinein, durch welches Hannibal laut der
Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun
Ursache gehabt zu bedauern, daſs ich das Empfeh¬
lungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht
angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl
eine halbe Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gast¬
haus finden konnte. Endlich führte man mich doch
in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen
Zeche eben so gut bewirthete. Das ist ein groſses,
altes, dunkles, häſsliches, jämmerliches Loch, das Spo¬
leto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in
Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute
hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie
das böse Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner
Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deſswe¬
gen habe ich mich auf keinen Deut um ihre Alter¬
thümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche
Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und
Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und
überdieſs in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben
keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man
Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:


HANNIBAL
CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS
INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,
AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,
INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.


10[146]

So ist die Ueberschrift. Ich weiſs nicht ob es die
Worte des Livius sind; mich däucht, bey diesem lau¬
tet es etwas anders. Die Sache hat indeſs nach den
alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiſs ich
nicht ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie
vielen Veränderungen ist die Stadt nicht seit den pu¬
nischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch ist es
eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht.
Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt
dürfte sich wohl schwerlich ein französisches Bataillon
zurückwerfen lassen.


Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen
war, ich sey nun den Apennin durchwandelt: aber
das ganze Thal des Klitumnus mit den Städten Foligno
und Spoleto liegt in den Bergen; von Spoleto bis Terni
ist der furchtbarste Theil desselben; und hier war ich
wieder zu Fuſse ganz allein. Den Morgen als ich
Spoleto verlieſs, sah ich links an dem Felsen noch
das alte gothische Schloſs, wo sich wackere Kerle viel¬
leicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen kön¬
nen, ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey
und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich
einkehrte unterhielt man mich überall mit Räuberge¬
schichten und Mordthaten, um mir einen Maulesel
mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich war nun
einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg
immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll der Jupi¬
ter Summanus einen Tempel gehabt haben. Er ist
wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste
Berg; denn sonst giebt es in der Kette viel höhere
Parthien. Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch
[147] nicht so wild und furchtbar als der Weg abwärts und
weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen
kaum hundert Schritte breit, rechts und links sind
hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag
nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Wald¬
strömen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem
ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur
einige Häuser und ein halbes Dutzend in Stetturn, dessen
Name schon einen engen Paſs anzeigt. Hier und da
sind noch einige isolierte Wohnungen, die eben nicht
freundlich aussehen, und viele alte verlassene Gebäu¬
de, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tra¬
gen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind
bis zu einer groſsen Höhe mit finstern wilden Lorber¬
büschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande
zu ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe
Dir, es war mir sehr wohl als sich einige italiänische
Meilen vor Terni das Thal wieder weiterte und ich
mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und unter
mir schöne friedliche Oehlwälder erblickte, unter de¬
nen der junge Weitzen grünte. Das Thal der Nera
öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor mir.
Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an
den Felsenklüften empor, und der Frühling schien in
den ersten Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Ge¬
walt zu arbeiten.


Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in
Terni an. Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die
Ehre ein Deutscher zu seyn, fütterte mich auf gut
östreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein
Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange vielleicht
[148] besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen
Maler halten und glauben, daſs dieses zur Weihe
gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich
den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens
nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe
ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem
ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen
Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich
fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen
Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬
schlossen, ich lieſs mich aber nicht abweisen und ging
zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm,
bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich
sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die
Kirche weisen lieſs. Der Mann hatte in seinem Sinne
Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt
weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern
bloſs der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬
chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das
Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und
dafür gesorgt, daſs in den Sonnentempel keine Sonne
mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert
und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger
für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem
Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger
auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.


Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon
durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬
kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬
hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das
war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬
[149] chen, und es wehte ein lauer Wind, der nur in der
Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand
schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren
Schlucht der Nera hoch in der Atmosphäre einen gan¬
zen hellen herrlich glühenden und einen gröſsern dun¬
keln Bogen im Staube des Falles. Ich saſs gegenüber
auf dem Felsen und vergaſs einige Minuten alles was
die Welt sonst groſses und schönes haben mag. Etwas
gröſseres und schöneres von Menschenhänden hat sie
schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke,
halb Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.


Hier hat vielleicht der groſse Mann gesessen

Und dem Entwurfe nachgedacht,

Der seinen Namen ewig macht;

Hat hier das Riesenwerk gemessen,

Das gröſste, welches je des Menschen Geist vollbracht.

Es war ein göttlicher Gedanke,

Und staunend steht die kleine Nachwelt da

An ihres Wirkens enger Schranke

Und glaubet kaum, daſs es geschah.

Wie schwebte mit dem Regenbogen,

Als durch die tiefe Marmorkluft

Hinab die ersten Donnerwogen

Wild schäumend in den Abgrund flogen,

Des Mannes Seele durch die Luft!

So eine selige Minute

Wiegt einen ganzen Lebenslauf

Alltäglichen Genusses auf;

Sie knüpft das Groſse an das Gute.

[150]
Es schlachte nun der zürnende Pelide

Die Opfer um des Freundes Grab;

Es zehre sich der Philippide,

Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;

Es weine Cäsar, stolz und eitel,

Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;

Es mache sich Oktavian,

Das Muster schleichender Tyrannen,

Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,

Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:

Die Motten zehren an dem Rufe,

Den ihre Ohnmacht sich erwarb,

Und jedes Sekulum verdarb

An ihrem Tempel eine Stufe.

Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,

Und segnend färbt der Sonnenstrahl

Des Mannes Monument im Thal,

Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.

Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,

Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:

Wer so ein Schöpfer werden könnte!

Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwi¬
schen den hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde
im Umkreise eine schöne Ebene, die voll ungehauener
Oehlbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon
den Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur
fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern Kriege
eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie schlu¬
gen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Fel¬
[151] senweg hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit
gewöhnlicher Besinnung es wagen konnten, sie weiter
zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und bezahl¬
ten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist
traurig für die Humanität, daſs man sich mit Tiger¬
wuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehl¬
baums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte be¬
schuldiget werde, ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld
würde mir immer ein Heiligthum seyn; und ich
könnte mich gleich zur Kartätsche gegen denjenigen
stellen, der beydes zerstört. Die Sonne ging unter
als ich den schönen Olivenwald herab kam, und kaum
konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veil¬
chen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege
blühen.


Es war zu spät noch die Reste des Theaters in
den Gärten des Bischofs zu sehen, und den andern
Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von
Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön.
Die Brücke bey Borghetto über die Tiber ist zwar ein
sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für
drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur
gegen die Reste des alten ponte rotto bey Narni über
die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen,
die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische
bey Ankona. Der schönste ist wohl der Wasserfall
des Velino, der oben für die ganze Gegend von Rieti
schon über zwey tausend Jahre eine Wohlthat ist, weil
er sie vor Ueberschwemmungen schützt. Ich bekenne,
daſs ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesen¬
werke wären, keine sonderliche Stimmung habe.


[152]

Eine halbe Stunde von Narni läſst man die Nera
rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort,
immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so
graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬
teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in
seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬
sieht, stand bey den Alten billig in groſsem Ansehen,
und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬
tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus
und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬
tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬
gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem
Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein
Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den
Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich
keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht
Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres
oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬
chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen
wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich
stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter
Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen
allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬
zugewinnen suchte. Er war ein starker heiſser Poli¬
tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge
und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen
nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die
Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬
hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten
Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬
[153] lien von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in
Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn;
und er muſste etwas Zutrauen zu mir gewonnen ha¬
ben, daſs er mich ohne Zurückhaltung so tief in seine
Seele sehen lieſs. Er kannte die heutigen Staatsver¬
hältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten Ge¬
schichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz
schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach
skoptisch vom Papste und schlecht von den Franzosen;
besonders hatte sein Haſs den General Murat recht
herzlich gefaſst, von dessen schamlosen Erpressungen
er zähneknirschend sprach und der schon durch sei¬
nen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm verloren
hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der
erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff,
und meinte, daſs sein Vaterland auch jetzt noch ihn
verdiene, so tief es auch gesunken sey. Wir schüt¬
telten einander freundschaftlich die Hände, und ich
ging mit der folgenden Morgendämmerung den Berg
hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt vorbey,
auf die Tiber zu.


Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kir¬
chenstaate zu reisen. Jenseits der Berge vor und hin¬
ter Ankona, bey Foligno und Spoleto und Terni und
Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und
in den Bergen waren die Scenen romantisch groſs und
zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaſs leicht
die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber
und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Be¬
völkerung wird noch dünner und die Kultur mit je¬
dem Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für
[154] das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von
Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spa¬
zieren führte und von Kamill so brav unter den Ru¬
thenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. Es
ist angenehm genug, nach einer eingebildeten mili¬
tärischen Topographie sich hier den wirklich schönen
Zug als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht
ganz der Idee, welche die Geschichte davon giebt.
Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben,
die von Natur unzugänglich sind. Der Anblick flöſste
mir gleich Respekt ein, und ohne an Cluver zu den¬
ken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwie¬
sen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Fe¬
stung hierher. Von Borghetto her führt eine alte
Brücke über eine wilde romantische Felsenschlucht,
und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine
neue Brücke gebaut, welche das beste ist, was ich
noch von ihm gesehen habe. Es ist übrigens gar er¬
baulich, in welchem pompösen Stil diese Dinge in
Aufschriften erzählt werden: solche ampullae et ses¬
quipedalia verba scheinen recht in der Seele der heu¬
tigen Römlinge zu liegen. Die alten Römer thaten
und lieſsen reden, und diese reden und lassen thun.
Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher viele
erhabene Bogen gefunden, welche in einer angeschwol¬
lenen Sprache weiter nichts sagten, als daſs Pius der
Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück
eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten
einen solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus
trennt sich die Straſse; die alte flaminische geht über
Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der
[155] Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi
und Monterosi, wo sie in die Straſse von Florenz
fällt. Ich dachte mit dem alten Sprichwort: Nun
gehen alle Straſsen nach Rom; und hielt mich halb
unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte
Weg kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich
den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit mei¬
nen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten
in einem andern Lande schlimmer als bey uns in
Sachsen.


Erlaube mir über die Straſsen im Allgemeinen
eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration.
Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und
Wegegeld abgefodert wird und er sich kaum aus dem
Koth heraus winden kann um dieses Geld zu bezahlen.
Die Straſsen sind einer der ersten Polizeyartikel, an
den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und We¬
gegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn,
wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlich¬
keit entspringt, für die Straſsen zu sorgen; und die
Unterthanen sind nur dann zum Zuschuſs verpflichtet,
wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der
Staat hat unbezweifelt die Befugniſs, die Natur und
Zweckmäſsigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller
Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und
auf rechtliche Verwendung zu dringen. Das giebt sich
aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn
gleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht,
welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist,
das die Vernunft ersinnen konnte; so sehr es auch ein
Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bey den
[156] Straſsen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein,
ohne deren Abstellung man durchaus auch mit gro¬
ſsen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich
seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge
das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob keine
Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig
wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu bewei¬
sen, daſs die Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der
schweren Wagen, die beste festeste Chaussee in kurzer
Zeit durchaus verderben muſs. Ist einmahl der Ein¬
schnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen
und klopfen und rammeln, so viel man will, man
gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten
Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das
Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu ma¬
chen, so ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so
geht es nach und nach mit mehrern; bis die ganze
Straſse ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn
aber der Weg nur einiger Maſsen in Ordnung ist und
durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden
hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entste¬
hen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die
Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige
Veränderung des Drucks die Straſse bessern. Man
würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn
man ohne Unterlaſs mit dem Rammel beständig auf
die nehmliche Stelle schlagen wollte. Durch das
Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig
ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den
Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks
gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bö¬
[157] sen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen
hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Maſsre¬
geln genommen ihn zu verhüten. Aber ich muſs ma¬
chen, daſs ich nach Rom komme.


Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen
ein sehr richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere
Spaziergänger als ich begegneten mir mit ihren groſsen
Knotenstöcken bey Nepi, vermuthlich um ihre Felder
zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde.
Signore è tedesco e va a Roma; sagte mir einer der
Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häu¬
fig diese Straſse machen; denn ich hatte noch keine
Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu ver¬
rathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben
sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es
gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es
ist sehr angenehm, wenn man sich bey dem ersten
Anblick so ziemlich gewiſs in einer fremden Gegend
orientieren kann. Nach meiner Rechnung muſste der
mir links liegende Berg durchaus der Soracte seyn,
obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich
so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen
Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benen¬
nung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch
hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, daſs ich
nicht links die alte flaminische Straſse gehalten hat¬
te; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon
von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen,
und wäre immer längs der Tiber hinunter gewandelt.
Der Berg steht von dieser Seite ganz isoliert; das
wuſste ich aus einigen Anmerkungen über den Horaz,
[158] und deſswegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine
Distanz von Rom bekannt war. Hinten schlieſst er
sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin.
Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die
Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will
mir doch einmahl ein recht schulmeisterlich herme¬
nevtisches Ansehen geben, und Dir hierbey eine prag¬
matische Bemerkung machen. Vielleicht weiſst Du
sie schon; thut nichts; eine gute Sache kann man
zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee
des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schlie¬
ſsen. Der Sorakte hat, weil er mit der groſsen Berg¬
kette der Apenninen verglichen, doch nicht auſseror-
dentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt,
nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch sei¬
nen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen,
wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich
zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde
ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben da¬
mahls in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloſs die
Spitze des beschneyten Sorakte sehr malerisch grup¬
piert vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz
keine kleine Ehre, daſs ich mich mit einem seiner
Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine
Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade,
daſs die Musen gerade an ihn so viel verschwendet
haben.


Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn
die Leute hier etwas fleiſsiger seyn wollten: aber je
näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man
die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie
[159] Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein
Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging,
mit solchem Ungestüm an, daſs ich mich nothwendig
in seinen Wagen setzen muſste, wo ich einen stattlich
gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und ei¬
nen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte.
Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite
gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füſsen
gehörig in Ordnung, und pflanzte mich Barbaren ne¬
ben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark
und ich ihn nur oben hin; nach einigen Minuten fing
das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich in der
neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema
waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr
guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine
Pistolenholfter sähe. Ganz spaſshaft ist es freylich
nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine sol¬
che Furcht ist doch sehr possierlich und lächerlich.
Diese Angst hielt bey dem Mann an bis wir an die
Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und
nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch
dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patron¬
taschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich
zurück mit der Bitte: Qualche cosa della bona grazia
pella guardia.
So so; das fängt gut an: ich muſste
wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun
vor dem groſsen Obelisken und ich überlegte, nach
welcher von den drey groſsen Straſsen ich auf gut
Glück hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen
Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso ge¬
nommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad
[160] mich fragte wo ich wohnen würde? Das weiſs ich
nicht, sagte ich; ich muſs ein Wirthshaus suchen. Er
bot mir an mich mit in sein Haus zu nehmen. Er
habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey ihm
so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich
sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens
keine Schurkerey darin, dachte, hier oder da ist ei¬
nerley, setzte mich wieder nieder und lieſs mich mit
fort ziehen. Man brachte mich, dem heiligen Fran¬
ziskus mit den Stigmen gegen über, in den Pallast
Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister
zu seyn scheint.


So bin ich denn also unwidersprechlich hier an der
gelben Tiber, und zwar in keinem der letzten Häuser.
Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für mich
und mehr Aufmerksamkeit als mir lieb ist: denn ich
merke, daſs ich hier viel theurer leben werde, als in
irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute,
die den römischen Rommel etwas verstehen, auch
schon erklärt haben. Ich habe meine Addressen auf¬
gesucht. Uhden und Fernow empfingen mich mit
Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst
die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber
sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der
Fall bey literärischen Männern ist. Ich bin also schon
kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbst¬
ständigen, originellen und etwas barocken Reinhart
[161] sah ich gleich den zweyten Tag, und mehrere andere
deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter joviali¬
scher Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat,
und der eine eigene Gabe besitzt im Deutschen und
Französischen mit der lebendigsten Mimik zu erzählen.


Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief
hatte, nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein
Anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen;
nach meinem Begriff läſst sich kein Mensch herab,
wenn er mit Menschen spricht: und wenn irgend ein
so genannter Groſser in seinem Charakter noch Her¬
ablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht auf
dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine An¬
rede französisch zu machen, da ich mir im Italiäni¬
schen nicht Wendung genug zutraute, mit einem sol¬
chen Manne eine zusammenhängende Unterredung zu
halten. Er antwortete mir in der nehmlichen Spra¬
che; aber kaum hörte er, daſs ich Latein wuſste, so
fuhr er für einen Kardinal drollig genug lateinisch fort,
das Lob dieser Sprache zu machen, durch welche die
Nationen so fest zusammen hangen. Haec est illa
lingua
, setzte er hinzu, quae nobis peperit at¬
que Virgilios. Et Tiberios et Nerones, hätte ich fast
unwillkührlich durch die Zähne gemurmelt. Ein Wort
gab das andere, ich muſste ihm einiges von meiner
Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von mei¬
nem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit
vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und faſste mich
im Ausbruch der Jovialität nicht allein beym Kopf son¬
dern sogar bey den Ohren. Ein alter militärischer
General seiner Heiligkeit stand dabey, und es wurde
11[162] ein herzliches Trio gelacht, wo ich so bescheiden als
möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daſs
man in Rom mehr Mönchsgenerale als Kriegsgenerale
antrifft. Beyde spielen mit Kanonen, und es wäre
nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am
besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaub¬
niſs ohne Einschränkung immer zu dem Kardinal zu
kommen, welches für einen Pilger, wie ich bin,
keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte,
ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und des
Weges weiter wandeln, billigte aber meine Gründe
lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor dem Ein¬
tritt der heiſsen Jahrszeit meinen Spaziergang nach
Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich län¬
ger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung
nach Veletri an, um dort freyeren Eintritt in das Fa¬
milienkabinett zu haben, worüber ich mich einiger
Maſsen wunderte. Aber man hat Schwierigkeiten mit
den Franzosen gehabt und Einige fürchteten sogar, die
Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen
lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht;
aber es ist doch begreiflich, daſs dadurch etwas Furcht¬
samkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebri¬
gens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüg¬
lich Kabinette und Gallerien zu sehen und tröste mich
leicht mit meiner Laienphilosophie.


Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freun¬
de, Reinhart und Fernow. Es ist überall wohlthätig,
wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn sie
sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Ge¬
fühl eine eigene Magie schöner Humanität. Canova
[163] hat eine zweyte Hebe für die Pariser gearbeitet, die
mir aber mit den Veränderungen die er gemacht hat
und die er doch wohl für Verbesserungen halten muſs,
nicht sowohl gefällt wie die venezianische. Du kennst
meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mich,
dem Urtheil und dem Geschmack der Franzosen ge¬
schmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Bat¬
terie eher folgen wollte, als in der Kritik über reine
Weiblichkeit. Es bleibt an allen ihren schönen Wei¬
bern immer noch etwas von dem Charakter aus dem
alten Palais Royal zurück. Er hat auch zwey Fechter
nach dem Pausanias gemacht, die nach langer Ermü¬
dung zur Entscheidung einander freyen Stoſs geben.
Der Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor
die Stirne erhalten, — dieses ist der Moment — und
reiſst sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner
mit der Faust auf einem Griff das Eingeweide aus.
Sie gelten für Muster der Anatomie und des Aus¬
drucks. Da sie keine nahe Beziehung auf reine schöne
Humanität haben, konnten sie mich nicht so sehr be¬
schäftigen: denn Furcht und Grimm sind Leidenschaf¬
ten, von denen ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus
dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich weise Dich
auf ihn. Demaxenus heiſst, glaube ich, der eine Fechter.


In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen
nach Terracina und sodann weiter nach Süden gehen;
damit ich vor der ganz heiſsen Jahrszeit, wenns glückt,
wieder zurück komme. Miſsglückt es, denn man
spricht gar wunderlich, so mögen die Barbaren mich
auf ihrer Seele haben. Ich will mich nicht durch
Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter Haus¬
[164] genosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe
ich post varios casus Dich wieder zu sehen.


Du siehst, daſs ich aus den Sümpfen heraus bin.
Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom hat einge¬
troffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast
Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen
über, überlieſs es meiner Groſsmuth, die seinige zu
belohnen. Das heiſst nun die Leute meistens am
unrechten Flecke angefaſst. Ich griff mich indessen
an, so viel ich konnte, und gab für drey Tage Woh¬
nung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich aus¬
wärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für
ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein
flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung,
sondern begleitete mich noch gefällig bis Sankt Jo¬
hann vom Lateran, wo er mir am Thore seine Ad¬
dresse gab, damit ich ihn bey meiner Rückkunft fin¬
den möchte. Er mochte die Rechnung gezogen und
überlegt haben, daſs einen ganzen Monat verhältniſs¬
mäſsig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das
war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte
sich in die Länge nicht so groſsmüthig behandeln las¬
sen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun
durch die weitläufigen halb verfallenen Gärten der
Stadt und durch die ganz wüste Gegend vor derselben
nach Albano hinüber.


Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter
[165] den Ruinen der alten Wasserleitungen, die vom Berge
herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin,
suchte sich rund umher zu orientieren, und schloſs
sich, als ich näher kam, an mich an. Er war ein
Franzose, der sich in Veletri schon lange häuslich nie¬
dergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt
heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst
angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und
den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund um¬
her mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach
den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzo¬
sen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die In¬
surgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten
deſswegen nach der Weise der Revolutionäre angefan¬
gen höchst grausam zu verfahren: aber die Franzosen
trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die
Enge; und nun fehlte es wieder nicht an Gewalthä¬
tigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist
rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen
halten muſs; denn der Geruch ist entsetzlich und
muſs in der heiſsen Sommerperiode kaum erträglich
seyn. In einer Peripherie von mehrern hundert
Schritten keimt deſswegen kein Gräschen, obgleich
übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.


Die Albaner bilden sich ein, daſs ihre Stadt das
alte Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf
Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will.
Die Antiquare haben zwar gezeigt, daſs das nicht seyn
könne, und daſs die alte Stadt laut der Geschichte
an der andern Seite des Sees am Fuſse des Berges
müsse gelegen haben: aber drey oder vier Millien,
[166] danken die Albaner, machen keinen groſsen Unter¬
schied; und es ist wenigstens niemand in der Gegend,
der ein näheres Recht auf Alba longa hätte als sie.
Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die
jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn aus
einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des
Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es
nun freylich um das Monument der Kuriatier miſslich
aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und wel¬
ches mir überhaupt ein ziemlich gothisches Ansehen
hat. Nach der Geschichte sind alle, die drey Kuria¬
tier wie die beyden Horatier, unten vor der Stadt
Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch
ihre Monumente standen: indessen läſst sich wohl den¬
ken, daſs die neuen Albaner aus altem Patriotismus
ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmahl
errichteten, als unten die alten verfallen waren. We¬
nigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den
drey Spitzen sonst sollte aufgeführt seyn. Ein Kastell
zur Vertheidigung des Weges wäre das Einzige, wozu
man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die
Gestalt.


In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey de¬
nen er einkehrte, und ich lieſs mich auf die Post
bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald ich
abgelegt hatte, trat ein artiger junger Mann zu mir
ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler
Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm
wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin
und her, und namentlich an das Monument, von des¬
sen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich über¬
[167] zeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache
nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit
der neuen Welt. Er sprach französisch und englisch
mit vieler Geläufigkeit, weil er in beyden Ländern
einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche Er¬
scheinung unter den Italiänern. Je m'appelle Prince,
sagte er, mais je ne le suis pas; indessen hatten ihn
die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug be¬
handelt, alle seine Oehlbäume umgehauen, und ihm
auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweytau¬
send Piastern verursacht. Die Wahrheit daran lasse
ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann
zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in
seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hun¬
dert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem
Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in
den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Ei¬
che sollte von seltener Schönheit seyn, und sie ist
auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir
haben bey uns in Deutschland an vielen Orten gröſsere
und schönere.


Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charak¬
teristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine
Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dich¬
ter und Deklamator in der Stadt bekannt und soll
wirklich unter diesen Rubricken viel Verdienst haben.
Er muſs indessen ein sehr sonderbarer Bukoliker und
Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat er den
schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen
lassen, und in dem Ueberreste läſst er die Schweine
so wild herum laufen, als ob er sich ganz allein von
[168] der Mastung nähren wolle. Darüber sind nun beson¬
ders die Maler und Zeichner so entrüstet, daſs sie
den Mann förmlich in Verdammniſs gesetzt haben;
ich weiſs nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die
Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten
in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit
und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht,
wenn man aus der Oede Roms kommt, einen sonder¬
baren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser
Gegend haben den Ruhm vorzüglich gute Banditen
zu seyn.


Von Albano ging ich den andern Morgen über
eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel
von Rom nach Brundisi gedenkt, nach Gensano und
Veletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute
von Gensano sind mir als die fleiſsigsten und sittigsten
im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben
wirklich ihr Fleckchen Land so gut bearbeitet, daſs
sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die
Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem
lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine
See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel,
giebt der Gegend noch das Interesse der mythologi¬
schen Geschichte.


Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht
mein gestriger sondern ein anderer, der bey der Con¬
deischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von
Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten Ge¬
neral Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem
er Anstellung hoffte. In zwey Minuten waren wir be¬
kannt und musterten die Armeen durch ganz Europa.
[169] Nach seinen Briefen muſste er ein sehr braver Offizier
gewesen seyn, der selbst bey Perugia ein Detachement
kommandierte; und ich habe ihn als einen ehrlichen
Mann kennen lernen. Wir aſsen zusammen in Veletri
und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in
die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der
Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir
übernachten; aber das Wirthshaus hatte die schlechte¬
ste Miene von der Welt, und die päpstlichen Drajoner
trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Uebrigens fiel
mir ein, daſs dieses vermuthlich der Ort war, wo Ho¬
raz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch
andere traurige Abenteuer hatte, daſs auch der Apo¬
stel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn
in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das
war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zu¬
mahl da es noch hoch am Tage war, noch eine Sta¬
tion weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier
kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein
groſses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist,
um, wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu
erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte.
Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen,
dann wieder die Neapolitaner, und die Streiter des
heiligen Vaters zur Gesellschaft: das ist nun so römi¬
sche Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett,
und die Leute sahen nicht auſserordentlich freundlich
aus. Der Wirth war abwesend; es waren viel Fremde
da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar
der Auswurf aus Rom flüchtet, kein groſses Zutrauen
einflöſsen können. Die alte gutmüthige Haushälterin
[170] gab uns eine groſse Decke; wir verrammelten unsere
Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens
nicht ohne Lärm herein kommen könnte, legten uns
beyde, der französische Oberstlieutenant und ich, in
die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere
Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut
uns die Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche
schlafen lieſsen. Den Morgen darauf war das Wetter
fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg
noch verdrieſslicher: vorzüglich fluchte der Franzose
nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke
durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat. Es konn¬
te indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmä¬
ſsig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich
in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und
wollte den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man
naſs ist, muſs man laufen; ich lieſs ihn ruhen, und
versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu
warten.


Die letzte Station vor Terracina war für mich
die abenteuerlichste. Die alte appische Straſse geht
links etwas oben an den Bergen hin und macht da¬
durch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen woll¬
ten dem Elemente zum Trotz klüger seyn, und zogen
sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht
schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war
groſs, ich hatte den Abweg links über eine alte Brü¬
cke nicht gemerkt und ging die groſse gerade Linie
immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor
Wasser, das rechts aus der See hereingetreten war und
links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch
[171] den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein
zweyter und ein dritter noch gröſserer. Es war dabey
ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwan¬
zig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde
auf der Straſse bis über den Gürtel im Wasser, und
wuſste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl
waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich
in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume,
die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten
mir Muth vorwärts. Endlich war ich glücklich durch
die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen
den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vortheil
meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war,
ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der
Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu
meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es
war wirklich, als ob die alte Generalhexe eben einen
Hauptproceſs machte, und ich konnte froh seyn, daſs
ich noch so gut mit einem bischen Schmutz davon
gekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale,
einem groſsen stattlichen Hause an dem Heerwege vor
der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoscierte ich
oben den Ort auf dem weiſsen Felsen, wie ihn Horaz
nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen
Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die In¬
seln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte
mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels
und um den neuen Pallast des Papstes, sondern wei¬
dete mich an der unter mir liegenden schönen Gegend,
den herrlichen Orangengärten, die ich hier zuerst
ganz im Freyen ausgezeichnet schön fand, und der
[172] üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palm¬
bäume traf ich hier schon, da in Rom nur ein einzi¬
ger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum ge¬
zeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrli¬
che Allee der schönsten und gröſsten Aprikosenbäume
in die Stadt.


Mein Franzose kam, und es fand sich, daſs der
arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich
muſste ihn also doch nach Neapel hinüber transpor¬
tieren helfen. Zu Abend traf ich ein Paar ziemlich
reiche Mayländer, die mit schöner Equipage von Nea¬
pel kamen, und wir aſsen zusammen. Die Herren
waren ganz verblüfft zu hören, daſs ich von Leipzig
nach Agrigent tornistern wollte, bloſs um an dem süd¬
lichen Ufer Siciliens etwas herumzuschlendern und et¬
wa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort
zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und an¬
genehm, und die Norditaliäner schienen die schöne
Neapel quouis modo, literärisch, ästhetisch und phy¬
sisch genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich
hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.


Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur
verlieſsen, der Wind stark und die Brandung hoch¬
stürmend, so daſs ich am Strande eingenetzt war, ehe
ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch
an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs
hatte mein französischer Reisekamerad Zwist mit der
[173] Wache, die ihn nicht recht gern wollte passieren las¬
sen. Meinen Paſs vom Kardinal Ruffo besah man
bloſs, schrieb meinen Namen aus, und ich war abge¬
fertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche
aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an
den Minister und zwang die Wache durch etwas Im¬
pertinenz in Respekt, die von ihrer Seite auch wohl
etwas über die Instruktion gegangen seyn mochte. In
Fondi, wo wir zu Mittage aſsen, trafen wir ziemlich
viel Militär, unter dem mehrere Deutsche waren. Die
Stadt selbst liegt, wie es der Name zeigt, in einem
der angenehmsten Thäler, nicht sehr weit vom Meere.
Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd furcht¬
bar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare
Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich,
links an den Bergen noch die Ueberreste von der
Ville des Nerva zu sehen seyn; ich hielt mich aber
an die Orangengärten, und vergaſs darüber den Kai¬
ser, die alten Stadtmauern, den See, den heiligen
Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch ei¬
nige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen
den Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des
Weges stand in einem engen Felsenpasse eine Batterie
aus dem vorigen Kriege, wo die Franzosen tüchtig zu¬
rückgeworfen wurden. Sie suchten sich aber einen
andern Weg über die hohen Berge, ein Einfall von
dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten träumen
lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht;
man thut besser zu glauben, daſs die Feinde alle Gem¬
senjäger sind, und in einer Entfernung von sechs
deutschen Meilen ist es nie unmöglich, daſs sie die
[174] Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf
Dach Kajeta.


Itri war von den Franzosen häſslich mitgenom¬
men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und
Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich
nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen.
Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es
standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren
Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant,
jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre
that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein
Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich muſste ihm
also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf
konnte er nicht fort, weil seine Füſse nicht mehr in
baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben.
Er suchte mich überdieſs zu überreden, ich möchte
mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den
Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich
nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter
nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in
Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬
mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen
Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬
zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein
Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin
war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in
der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und
den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen
hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,
[175] und mein Kamerad zechte unten noch eins mit dem
Herrn Fähnrich Kommandanten, der wieder gekom¬
men war, und kam mir sodann nach. Er war etwas
über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte
noch eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wil¬
den Kerl nach dem andern ankommen und sehr laut
werden. Die Anzahl mochte wohl bis zehen oder
zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich, daſs es
über unsere Personalitäten geradezu herging und daſs
man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisi¬
tion hielt. Sono cattive gente, hieſs es in einem ho¬
hen Ton einmahl über das andere; und man that den
Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner
Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du
kannst denken, daſs mir nicht sonderlich lieblich da¬
bey zu Muthe ward. Man schlägt hier zum Anfang
gleich die Leute todt, und macht sodann nachher —
eben weiter keinen Proceſs. Die alte Dame, unsere
Wirthin, nahm sich unser mit einem exemplarischen
Muth an, sprach und schrie was sie konnte, und be¬
hauptete daſs wir ehrliche Leute wären; der Komman¬
dant hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man
dem Kommandanten selbst in der Politik gerade nicht
viel gutes zu zutrauen. Der Himmel weiſs, wie es
noch möchte geworden seyn. Ich zog ganz stille Rock
und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz und
mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte
Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen.
„Meine Herren, sagte ich so stark und bestimmt als
ich konnte, ich bin ein fremder Reisender; ich däch¬
te, im Wirthshause wo ich hezahle dürfte ich zur
[176] Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen
verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin
Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und
Ruhe und als ordentliche brave Leute ab.“ Es ward
stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich
oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that;
und nach und nach schlichen sie alle fort. Spaſshaft
ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne
Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.


Den andern Morgen wandelte ich also allein zwi¬
schen den Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die
Amme ist durch dieses Etablissement ihres Namens
fast berühmter geworden, als ihr frommer Milchsohn.
Warum war ich nun nicht gestern noch bis hierher
gegangen? Hier fand ich ein groſses, schönes, ziem¬
lich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen Eyern und
frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem
Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früch¬
ten ein vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir
stand ein Zitronengarten in der schönsten Gluth der
Früchte; und links und rechts übersah ich die Bucht
von der Spitze des Vorgebirges rund herum bis hinü¬
ber nach Ischia und Procida. Es ist das köstlichste
Dessert in der Entfernung von einigen hundert Meilen,
wenn wir uns durch die Erinnerung irgend eines klei¬
nen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere
Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen
Stelle hatte vor mehreren Jahren Friedrich Schulz
gesessen und Fische und Früchte gegessen, und mich
aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola
auf das klassische Land umher schauen würde. Jetzt
[177] ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und
der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬
ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine
Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬
nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er
machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.


Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬
gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der
Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis
an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich
däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des
Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen.
Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,
und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬
piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in
Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich
ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als
er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht
von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht
dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬
stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl
als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er
gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich
Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬
glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben
oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im
Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod
hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬
gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt,
deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,
12[178] Dort unten lag Minturnä; dort, stelle ich mir vor,
stand das Haus, wo der Cimbrer mit dem Schwerte
kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder seiner
Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwin¬
der ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die
Glieder jagte. „Mensch, wagst du es, den Kajus Ma¬
rius zu morden?“ Weiter hinab rechts ist die
Sumpfgegend, wo nach der Flucht der erste Mann
der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe verbarg, bis
er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich setzte
unter diesen Gedanken über den Garigliano, und
merkte kaum, daſs ich dieſseits von einer Menge
Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und
ihre Thiere zum Dienst anboten. Da half kein De¬
monstrieren, sie machten die Kleinigkeit der Foderung
noch kleiner und setzten mich halb mit Gewalt auf
ein lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in
Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen Karavane
weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten
ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte
nichts dawider haben. Ein Junge von ungefähr drey¬
zehn Jahren hatte sich einige Millien weiter herab an¬
geschlossen, der in der Residenz sein Glück versuchen
wollte, weil seine Stiefmutter zu Hause den Kredit
ihres Namens etwas zu strenge behauptete. Beyde lie¬
fen neben her. Es wurde bald alles durchfragt, und
der Junge muſste etwas weitläufig seine Geschichte er¬
zählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit wahr¬
haft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Ge¬
fahr vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that die¬
ses mit einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit
[179] einer Behutsamkeit im Vortrage, die mir den alten
Mann sehr werth machten. Wäre ich Sultan gewesen,
ich hätte den Eseltreiber zum Mufti gemacht, und es
würde gut gegangen seyn. Diese schöne bedachstame
Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu
wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Ge¬
sellschaft durch seinen Verstand und seinen heitern
Ernst ein ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor
Sessa schieden wir; ich setzte mich von dem Esel
wieder auf meine Füſse. Er gab dem jungen Men¬
schen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich griff na¬
türlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas
tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Ka¬
labrese begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht,
auf die Post, als das beste Wirthshaus. Der Junge
ging weiter.


Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf
nach Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkei¬
ten hat und ehemahls eine Hauptstadt der Volsker
war. Der Weg von der Post hinunter und in die
Stadt hinauf ist angenehm genug; und die Lage des
Orts ist herrlich mit den schönsten Aussichten, rechts
nach Kajeta und links über die Niedrigung weg nach
dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkir¬
che stand und einen heiligen Johannes, der enthaup¬
tet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht
einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die
den schönen Mann auf dem Bilde mit ihren Blicken
festhielten; trat mein alter Eseltreiber, der auf der
andern Seite herauf gekommen war, zu mir, mich zu
begrüſsen. Er hatte mich vielleicht wegen einiger
[180] Aeuſserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich
die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben
hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er
mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich
wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend
mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich
däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten,
sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig
zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr
bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann
Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem
Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬
schau die alte kommandierende Excellenz unter den
Arm faſste, in dem Zimmer herum führte und mir
in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins
Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige
sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬
gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten,
die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit
der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht
hatten. Der einzige Beweis, daſs die Leute doch
noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist,
daſs sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude
ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie.
Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht
nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende
Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An
der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht
man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und
nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬
tung. Der Fluſs selbst, der nicht sehr breit ist, muſs
[181] doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er
ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir,
daſs, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬
wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer
viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬
selben weiden groſse Heerden Büffel.


Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch
Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬
sen nicht stehen. Es ist bloſs die klassische Neugierde
ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst
seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich
ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie
bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser
halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir
den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen
entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬
stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬
sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz
machten. Jeder Windstoſs durch das Gesträuch er¬
schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die
Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem
Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines
Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher
Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein
Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er
sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten
und von denen er [erschreckliche] Dinge erzählte. Als
ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er,
män wüſste nicht, woher sie kämen und wohin sie
gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten
und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬
[182] gen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und ver¬
schwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach
seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen
von Abbruzzo. Ich habe nun freylich zur Schande
der Regierung gefunden, daſs der Mensch ziemlich
Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll,
daſs ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen
mit seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt ge¬
schlagen werden sollte, so wollte ich mich doch we¬
nigstens vorher weiter nicht beunruhigen. Das kam
dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder
sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich
nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen;
und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus
der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Ent¬
schluſs, als ich mich auf der Straſse von einem Vettu¬
rino bereden lieſs, mich einzusetzen und mich bis
nach Kapua bringen zu lassen. Als wir in Kapua an¬
kamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren,
und wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwar¬
ten, damit er meinen Paſs ratifizieren möchte. End¬
lich bestürmte ich den Capitaine de jour so viel, daſs
er mir den Paſs ohne Vidierung zurück gab, und
dem Offizier von dem Thore Befehl schickte, er solle
mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme ver¬
antworten.


Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta ge¬
hen; dazu war mein Kalabrese durchaus nicht zu brin¬
gen: er meinte, das wäre der sichere Tod; da wim¬
melte es von Mariohlen. Ich gab dem Schuft einige
Karlin; lieſs ihn rechts nach Aversa forttrollen, um
[183] dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu
erzählen, und schlug mich links nach Altkapua. Ei¬
nige ehrsame Bürger aus der Festung Neukapua, die
ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des
Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas Ge¬
fahr, werde aber immer übertrieben, und man habe
nun doch schon seit einigen Wochen nichts gehört.
Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländi¬
schen Gegend anzunehmen. Wo ehmahls Kapua war,
steht jetzt, glaube ich, der Flecken Sankt Martin, un¬
gefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die unten
am Vulturnus in einer bessern militärischen Position
angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lust¬
parthie für die Bürger der neuen Stadt, so sehr be¬
hauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht bekannt¬
lich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus
den Zeiten der Römer und also verhältniſsmäſsig neu
ist, welches die Antiquare hinlänglich kennen, auf die
ich Dich verweise. Ich ging durch die Trümmern
eines Thors, das vermuthlich das nehmliche ist, durch
welches Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wie¬
der heraus trug, lieſs nach kurzer Beschauung das Thea¬
ter links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta
fort. Es stehen dort an der Straſse links und rechts
nicht weit von einander ein Paar Monumente, die
vermuthlich römische Begräbnisse sind, und von de¬
nen eines wenigstens in sehr gutem Stil gearbeitet zu
seyn scheint.


Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des
Schlosses in Kaserta anzufangen, die Du hier und da
gewiſs weit genauer und besser finden kannst. Der
[184] erste Anblick ist groſs und wirklich imponierend. Der
Garten links, die schönen Pflanzungen rechts, der
prächtige Schloſsplatz und die Gebände rund umher,
alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge gefesselt
von der Ansicht durch das groſse Thor, welche durch
das ganze Schloſs und die Gärten bis weit hinaus auf
die Berge geht, über welche man die berühmte Was¬
serleitung herüber gebracht hat. Diese schöne reiche
Kunstkaskade schlieſst den Grund der Parthie. Man
wird selten irgendwo so etwas magisches finden. Du
weiſst, daſs auch hier die Franken etwas willkührlich
gehaust haben: jetzt ist der Kronprinz und seine Sar¬
dinische Majestät hier.


Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich
ein Fuſsgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich
hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her,
die mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten;
und alle wunderten sich, daſs ich den Räubern noch
nicht in die Hände gefallen wäre. Humane Theil¬
nahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen
andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit
die Stadt zu besehen; dieſs war aber zur Auffassung
eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern
Morgen, als ich abgehen wollte, arretierte mich wie¬
der ein Vetturino an der Ecke des Marktes: Volete
andare in carozza, Signore
? — Ma si, si, sagte ich,
se partite presto presto. — Questo momento; fauo¬
rissa montare. Ich stieg ein und setzte mich neben
einen stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch
zwey andere und wir rollten zum Thore hinaus.


Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa¬
[185] nien, das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese
erhoben hat, für das die römischen Soldaten ihr Ka¬
pitol vergessen wollten. Es ist wahr, der Strich zwi¬
schen Aversa, Kapua, Kaserta, Nola und Neapel,
zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen
Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist
von allem was ich in der alten und neuen Welt bis
jetzt noch gesehen habe der schönste Platz, wo die
Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten Verschwendung
ausgegossen hat. Jeder Fuſstritt trieft von Segen. Du
pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit
[schwelgerisch] breit und hoch empor; Du hängst einen
Weinstock daran und er wird stark wie ein Stamm,
und seine Reben laufen weitausgreifend durch die
Krone der Ulme; der Oehlbaum steht mit bescheide¬
ner Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge;
die Feige schwillt üppig unter dem groſsen Blatte am
gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale
die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Wei¬
tzen, nickt die Bohne, in reicher lieblicher Mischung.
Der Arbeiter erntet dreyfach auf dem nehmlichen Bo¬
den in Fülle, Obst und Wein und Weitzen; und alles
ist üppige ewig jugendliche Kraft. Unter diesen magi¬
schen Abwechselungen kamen wir in einigen Stunden
in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein
Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion ge¬
nommen zu haben, war ehemahls einige Monathe in
Wien und Prag gewesen, wuſste einige Dutzend Wör¬
ter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit
selbst. Er war aus dem königlichen Hause, und mich
wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst Höflichkeit in
[186] der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten
Tugenden der Hausofficianten der Groſsen gehört. In
Neapel brachte er mich in einem eigenen Wagen in
das Haus eines seiner Bekannten an dem Thore von
Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht hatte,
an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist
wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten
Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfrem¬
der eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis
man sich selbst etwas orientieren kann.


Du muſst und wirst von mir nicht erwarten, daſs
ich Dir eine topische, statistische, literarische oder
vollständig kosmische Beschreibung von den Städten
gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist
mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisen¬
den von Profession oder aus den Fächern besonderer
Wissenschaften gewiſs besser bekommen. Ich erzähle
Dir nur freundschaftlich, was ich sehe, was mich
vielleicht beschäftigt und wie es mir geht. Meine
Wohnung ist hier auf Mont Oliveto. Wie der Ort zu
dem Namen des Oehlberges kommt weiſs ich nicht;
er ist aber einer der besten Straſsen der Stadt, nicht
weit von Toledo, mit welchem er sich oben vereini¬
get. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, die
sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen
zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe
Ursache zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die
[187] Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬
dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen
jetzt hier die gröſste Anzahl aus.


Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬
nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬
dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der
Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich
viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar
für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬
gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge,
daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man
weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus
und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬
sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬
nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit,
und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬
mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann
ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er
schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste
oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die
stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das
Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom.
Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt;
Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale
haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬
dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses
ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey
den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
[188] eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische
Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone,
der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war.
Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo
di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬
der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz
gewiſs gethan haben, und ich war unterdessen mit
meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte.
Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen
noch Skelette, und zuweilen ganze groſse Haufen von
Knochen, wie man sagte, von der Zeit der groſsen
Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬
sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano,
weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬
ten, daſs man dort sehr wenig zu sehen habe und es
nun ganz ausgemacht sey, daſs das Ganze weiter nichts
als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach
zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen.
Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.


Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster
in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche,
wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben
werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten
Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend
so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬
ter Genuese, der ein groſser Hermenevte in der Kir¬
chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬
heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine
Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬
nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬
sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬
[189] kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬
sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschlieſslich
mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses
thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬
der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war
selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen
pflegt. Dominikus war ein groſser starker energischer
Kerl, ungefähr wie der Moſes des Michel Angelo in
Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬
rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente
zu gebrauchen wuſste. Nun sollen auch die heiligen
Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬
ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den
brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer
geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬
perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste
Waffe, welches ein Bratspieſs war, und stieſs damit so
grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daſs
er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬
hin geschickt hätte. Indeſs der Patient kam davon,
und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die
Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität
mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe,
wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt,
und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬
sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote
nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein
guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen,
als daſs ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬
tises on nous donne à digerer! Chacun les prend à sa
façon.


[190]

Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die um¬
ständliche Beschreibung mag Dir ein Anderer machen.
Es ist ein romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich
bin geneigt zu glauben, der Dichter sey hier begraben
gewesen, die Urne mag nun hingekommen seyn, wo¬
hin sie wolle. Das Gebäudchen ist wohl nichts an¬
ders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange der
Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in
der schönen Gegend. Ich weiſs nicht, warum man
sich nun mit allem Fleiſs bemüht, den Mann auf die
andere Seite der Stadt zu begraben, wo er nicht halb
so schön liegt, wenn auch der Vesuv nicht sein Nach¬
bar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber die ganze Be¬
hauptung, daſs er dort drüben liege, beruht doch wohl
nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begra¬
ben worden. Das ist er aber auch, wenn er hier
liegt; denn der Berg ist gerade gegen über: in eini¬
gen Stunden war er dort, wenn er zu Lande ging,
und setzte er sich in ein Boot, so ging es noch schnel¬
ler. Die Entfernung eines solchen Nachbars, wie Ve¬
suv ist, wird nicht eben so genau genommen. Alle
übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt.
Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die
vorzüglichsten Niederlagen der römischen Groſsen, vor¬
nehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des
Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokra¬
tors und ein Freund des Dichters; nach dieser Gegend
lagen Puteoli und Bajä und Cumä, der Avernus und
Misene, die Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen;
diese Gegend war überhaupt der Spielraum seiner lieb¬
sten Phantasie. Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,
[191] und wahrscheinlich ist er hier begraben. Danat, der
es, wenn ich nicht irre, zuerst erzählt, konnte wohl
noch sichere Nachrichten haben, konnte davon Augen¬
zeuge gewesen seyn, daſs das Monument noch ganz
und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache,
diesem Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übri¬
gen zu geben, und dieses ist der Ort seiner Angabe;
zwey Steine von der Stadt, an dem Wege nach Pu¬
teoli, nicht weit von dem Eingange in die Grotte.
Ich will nun auch einmal glauben; man hat für man¬
chen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glau¬
be ich, daſs dieses Maros Grab sey. Den Lorber
suchst Du nun umsonst; die gottlosen Afterverehrer
haben ihn so lange bezupft, daſs kein Blättchen mehr
davon zu sehen ist. Ich nahm mir die Mühe hinauf
zu steigen und fand nichts als einige wild verschlun¬
gene Kräuter. Der Gärtner beklagte sich, daſs die gott¬
losen vandalischen Franzosen ihm den allerletzten
Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben. Dichter
müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre
doch wohl etwas in die Welt erschollen, daſs der Lor¬
ber von dem Lateiner neuerdings auf einen Gallier
übergegangen sey. Vielleicht schlägt er dort am
Grabe des Mantuaners wieder aus. Man sollte we¬
nigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel das seini¬
ge beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den
Rath.


Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit
davon in der Servitenkirche war, verfolgte mich ein
trauriger Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienſtfer¬
tigkeit mir die Antiquitäten erklären zu wollen, daſs
[192] er durchaus nicht eher von meiner Seite ging, bis ich
ihm einige kleine Silberstücke gab, die er sehr höflich
und dankbar annahm. Ich habe mich nicht enthalten
können bey dieser Gelegenheit wahres Mitleid mit dem
groſsen Cicero zu haben, daſs sein Name hier ſo er¬
bärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen sind
die Plagen der Reisenden, und immer ist einer un¬
wissender und abenteuerlicher als der andere. Den
vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der
mir auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duz¬
zend von Horazens Oden rezitirte und nach seiner
Weise kommentirte.


Ich versuchte es an dem Fuſse des Posilippo an
dem Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es
war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine Stun¬
de zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das
Ufer bestand hier und da aus schroffen Felsen. Hier
stehen in einer Entfernung von ungefähr einer Vier¬
telstunde zwey alte Gebäude, die man für Schlösser der
Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr be¬
rüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind
ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer
hinein, und es lieſse sich sehr gut zeigen, wozu dieses
und jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen bey¬
den alten leeren Gebäuden liegt das niedliche Caſino
des Ritters Hamilton, wo er beständig den Veſuv vor
Augen hatte; und man thut ihm vielleicht nicht ganz
Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner Vergnügun¬
gen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der
schönen Königin schlieſst, die von der bösen Geschichte
doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als
[193] sie war. Ich war genöthigt wieder zurück zu gehen,
und nicht weit von der Villa reale nahmen mich eine
Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze
hinaus rudern wollten. Es schien mir zu spät zu seyn,
deſswegen wollte ich nichts hören. Aber man griff
mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die
See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm
hing, und auf mich mit einer Miene, als ob man sa¬
gen wollte, das wird dich abhalten. Dieser Methode
war nicht zu widerstehen, ich bezahlte die Gefahr so¬
gleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit
meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst
herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch mehrere
Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin.
Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der
Sturm heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber
und die Wogen machten rechts eine furchtbare Bran¬
dung; das Wasser füllte reichlich das Boot, und der
Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis
zu der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen
Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht mög¬
lich: wir muſsten, als wir einige hundert Schritte vor
dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere
Zuflucht in ein einsames Haus nehmen, wohin man
in der schönen Zeit von der Stadt aus zuweilen Was¬
serparthien macht, wo es aber jetzt traurig genug aus¬
sah. Indessen fütterte uns doch der Wirth mit Mak¬
karoni und gutem Käſe. Nicht weit von hier, nahe
an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus
sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern
eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen
13[194] und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt.
Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬
lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr-,
scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es
ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen
Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen
kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten
des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen
Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter
die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen,
von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.


Nicht weit von der Landspitze und von dem
Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬
ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen
und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an
dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der
Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich
manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬
tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und
vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern
können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der
wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes
Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese
Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den
Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit
Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬
nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne
Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬
niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind,
die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich
die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
[195] ächt kardinalisch gepriesen wird. Ich weiſs nicht, ob
man nicht vielleicht mit dem brittischen Klagemann
sagen sollte: A bitter change, feverer for fevere! Es ist
jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich
werfen könnte.


Mein Genuese bat mich um alles in der Welt,
ihn nicht wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war
sehr zufrieden, einen andern Weg nach der Stadt zu¬
rück zu kehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und
wir gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Nea¬
pel. Diese Promenade muſst du durchaus machen,
wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der
schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen
kann. Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von
Neapel und Bajä rechts und links im Gesicht, genieſst
sodann die schöne Uebersicht auf die Parthie jenseit
des Berges nach Puzzuoli, welche die Neapolitaner
mit ihrer verkehrten Zunge nur Kianura oder die
Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier Mil¬
lien des herrlichsten Weges in der Gegend von Vir¬
gils Grabe wieder herunter auf die Straſse. Der Spa¬
ziergang ist freylich etwas wild, aber desto schöner.


Man ſagte mir, die Regierung habe wollen eine
Straſse rund um den Posilippo herum auf der andern
Seite nach Puzzuoli führen, so daſs man nicht nöthig
hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Ge¬
gend jenseits derselben zu fahren, sondern immer am
Meere bliebe. Das würde in der That einer der herr¬
lichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde ist
gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regie¬
rung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und
[196] Polizey besorgte; das andere würde sich nach und
nach schon machen.


Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der
darunter liegenden Karthause für die schönste Parthie
gehalten; und sie ist es auch für alle, die sich nicht
weiter auf den Vesuv oder zu den Kamaldulensern be¬
mühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang; auf
die Karthause, den unser schlesische Landsmann, Herr
Benkowitz, schon für eine groſse Unternehmung hält,
auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich
Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und
Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote sehr
leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey
den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man
muſs vorher dazu die Erlaubniſs haben. Man sieht in
der Karthause fast eben so viel, nur hat man nicht
das Vergnügen zehen oder zwanzig Klaftern höher zu
stehen. Die Karthause hat der König ausgeräumt und
sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur
noch ein einziger Mönch da, der den Ort in Aufsicht
hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Ge¬
mälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht
ganz vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der
Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.


Um die schönste Aussicht zu haben muſst Du zu
den Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der
Revolution etwas decimiert worden, haben aber den
Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die
Vorstadt Fraskati und einige Dörfer immer bergauf
und verliert sich in etwas wilde Gegenden. Weil man
nicht hinauf fahren kann, wird die Parthie nicht von
[197] sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Ge¬
nuese und ich, in den Feigengärten und Kastanien¬
wäldern, und ich muſste dem alten Kerl noch mit
meiner Topographie im Orientieren helfen. Das är¬
gerte mich gar nicht; denn wir trafen in der wilden
Gegend einige recht hübsche Parthien nach allen Sei¬
ten. Es gab Stellen, wo man bis nach Kajeta hinü¬
ber sehen konnte. Da wir uns verspätet hatten, muſs¬
ten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum
Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit
nehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten
Wege an dem Berge über dem Agnano hin in das
Kloster. Es ist dort nichts zu genieſsen als die Aus¬
sicht; die Kirche hat nichts merkwürdiges. Ein Layen¬
bruder führte mich mit vieler Höflichkeit durch alle
ihre Herrlichkeiten, und endlich an eine ausspringende
Felsenspitze des Gartens unter einige perennierende Ei¬
chen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien
ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es
fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe
Theil von Elmo, Belvedere und einige andere Stück¬
chen sind sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze
schöne magische klassische Land unter Einem Blick.
Portici, das auf der Lava der Stadt des Herkules steht,
der sich empor thürmende Vesuv mit dem Somma,
Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, Massa,
Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, der
ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der
Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner
See und hinter ihm versteckt der Avernus, die Solfa¬
tara, bey heiterm Wetter die Berge von Kumä, der
[198] Gaurus und weiter hin die beschneyten Apenninen;
unten der Agnano mit der Hundsgrotte, deren Ein¬
gang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der
neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge,
ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue
Städte, Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest
Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest.
Tief tief in der Ferne sieht man noch Ponza und ei¬
nige kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder
das beste gewählt. Freund, wenn Du einmal hörst,
daſs ich unbegreiflich verschwunden bin, so bringe
mit unter Deine Muthmaſsungen, daſs ich vielleicht
der schönsten Natur die gröſste Sottise zum Opfer ge¬
bracht habe und hier unter den Anachoreten hause.
Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und et¬
was von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristo¬
phanes, Lucian und Juvenal; so könnte man wohl in
den Kastanienwäldern leben und das Biſschen Vernunft
bey sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall
wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern,
wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey ihnen
oben zu bleiben.


Jetzt schlieſse ich und schreibe Dir vermuthlich
noch einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrion
zurückkomme; denn eben muſs ich zu Schiffe nach
Palermo.

[[199]]

Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum
Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬
tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es
war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund
umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma
glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die
herrliche Königsstadt lag in einem groſsen groſsen Am¬
phitheater hinter uns in den magischen Strahlen.
Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte
sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬
genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem
Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine
Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬
litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬
wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist
ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine
Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf
dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur
Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬
ling einige Jahre das Menschengeschlecht miſshandelte;
aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und
für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben
die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieſs war es
fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher
hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen,
weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der
Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief
gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬
sten Schritt auf dem Verdeck, daſs ich schon ein alter
Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die
[200] Leute lauter Oel aſsen, wollte sich der Kapitän mit
dem Essen für mich nicht befassen; ich hatte also auf
acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst und Schinken
für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen
Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber ge¬
gen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch
hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs
und dreyſsig Stunden, in den Hafen von Palermo
hinein geleyert. Das war eine ziemlich gute Fahrt.
Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf
geladen und ungefähr vierzig groſse Musketons fertig,
um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kom¬
men sollte. Denn Du muſst wissen, der Unfug ist
jetzt so groſs, und die neapolitanische Marine ist jetzt
so schlecht, daſs sie zuweilen bis vor Kapri und sogar
bis vor die Stadt kommen, um zu sehen, ob sie etwa
Geschäfte machen können; wie sich die Spielkaper in
den deutschen Bädern ausdrücken. Daſs ist nun frey¬
lich eine Schande für die Regierung; aber die Regie¬
rung hat dergleichen Schandflecke mehr.


Wir kamen hier ich weiſs nicht zu welchem Fe¬
ste an, wo in der Stadt so viel geschossen wurde, daſs
ich die Garnison wenigstens für zehen tausend Mann
stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des
Feuerns gesehen. Sie gehört zur Frömmigkeit und ist
drollig genug. Man hat eine ungeheure Menge klei¬
ner Mörser, die man in der Reihe nach einander ge¬
laden hinstellt; absatzweise stehen etwas gröſsere, die
wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, daſs,
wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmäs¬
sig schnell die ganze Front hinunter greift und am
[201] Ende mit einigen groſsen Stücken schlieſst. Von wei¬
tem klingt es wie etwas groſses; und am Ende besorgt
es ein einziger alter lahmer Konstabel. Unser Haupt¬
mann von der Aurora lieſs sich mit seiner Artillerie
stark hören.


Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unter¬
schied alle Ankommende müssen, mit vieler Artig¬
keit behandelt, und man lieſs mich sogleich gehen,
wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolita¬
ner, noch warten muſsten. Mein erster Gang, nach¬
dem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause
untergebracht hatte, war zu dem königlichen Biblio¬
thekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem
Sekretär der Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte
dieses wirklich sehr ehrwürdigen Mannes danke ich
meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab
mir durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer
von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syra¬
kus, Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek
ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht,
und mit alten sicilianischen Alterthümern sehr ge¬
schmackvoll ausgemalt worden, so daſs man hier mit
einem Blick alles vorzügliche übersehen kann. Es fin¬
den sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von
Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher
vorgekommen als Sankt Markus in Venedig. Eine Sel¬
tenheit ist der chinesische Konfuzius mit der lateini¬
schen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren Mis¬
sionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten
hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als
Orangen gegessen, das Theater der heiligen Cecilia ge¬
[202] sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬
delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬
grino gewesen.


Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht
möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu
reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die
ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬
wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen.
Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten,
lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬
gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuſs
nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu
schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬
gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den
Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier
so drollig vor, daſs ich die Feder ergriff und ihn un¬
vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬
bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben
und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬
ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch
Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬
lich daran gekommen. Also wie folget:


Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein an¬

dres

Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge.

Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es

zu finden.

Dieses weiſst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als

Liebling,
[203]
Als vorzüglicher Liebling der helikonischen Schwestern.

Also lebte bey uns einst leidlich der alte Cyklope

Polyphemus, als heiſs er in Galateen entbrannt war.

Nicht mit Versen liebt' er und Aepfeln und zierlichen

Locken,

Sondern mit völliger Wuth, und hielt alles andre für Tand

nur.

Oft oft kamen die Schafe von selbst zurück von der Weide

Zu der Hürd', und der Hirt saſs einsam und sang Galateen

Bis zum Abend vom Morgen schmelzend im Riedgras am

Ufer,

Mit der schmerzlichen schmerzlichen Wunde tief in dem

Herzen,

Von der cyprischen Göttin, die ihm in die Leber den Pfeil

warf.

Aber er fand das Mittel; er setzte sich hoch auf den Felsen,

Schaute hinaus in das Meer und hob zum Gesange die

Stimme:

Ach Galatea, Du Schöne, warum verwirfst Du mein Flehen?

Weiſser bist Du als frischer Käse und zärter als Lämmer,

Stolzer als Kälber, und herber als vor der Reife die Traube.

Also erscheinest Du mir, wenn der süſse Schlaf mich be¬

schleichet;

Also gehst Du von mir, wenn der süſse Schlaf mich ver¬

lässet;

Fliehest vor mir, wie ein Schaf, das den Wolf den grauen

erblickte.

Mädchen, die Liebe zu Dir schlich damals zuerst in das Herz

mir,
[204]
Als mit meiner Mutter Du kamst Hyacinthen zu sammeln

Auf dem Hügel, und ich die blumigen Pfade Dich führte.

Seitdem schau ich immer Dich an, und kann es bis jetzt nun,

Kann es nicht lassen; doch kümmert es, beym Himmel, Dich

gar nichts.

Ach ich weiſs wohl, liebliches Mädchen, warum Du mich

fliehest:

Weil sich über die ganze Stirne mir zottig die Braue,

Von dem Ohre zum Ohre gespannt, die einzige lang zieht,

Nur ein Auge mir leuchtet und breit mir die Nase zum

Mund hängt.

Aber doch so wie ich bin hab' ich tausend weidende Schafe,

Und ich trinke von ihnen die süſseste Milch, die ich melke:

Auch geht mir der Käse nicht aus im Sommer, im Herbst

nicht,

Nicht im spätesten Winter; die Körbe über den Rand voll.

Auch kann ich pfeifen, so schön wie keiner der andern Cy¬

klopen,

Wenn, Goldäpfelchen, Dich und mich, den Getreuen, ich

singe

Oft in der Tiefe der Nacht. Ich füttre elf Hirsche mit

Jungen,

Alle für Dich, und für Dich vier junge zierliche Bären.

Komm, ach komm nur zu mir; Du findest der Schätze viel

mehr noch.

Laſs Du die bläulichen Wogen nur rauschen am Felsenge¬

stade;

Süſser schläfst Du bey mir gewiſs die Nacht in der Grotte.

Lorber hab' ich daselbst und schlanke leichte Cypressen,
[205]
Dunkeln Epheu zur Laube und süſs befruchteten Weinstock;

Frisches Wasser, das mir der dicht bewaldete Aetna

Von dem weiſsesten Schnee zum Göttertranke herabschickt.

Sprich, wer wollte dagegen die Wogen des Meeres erwählen?

Und bin ich ja für Dich, mein liebliches Mädchen, zu zottig,

Ey so haben wir eichenes Holz und glühende Kohlen;

Und von Dir vertrag ich, daſs Du die Seele mir ausbrennst,

Und, was am liebsten und werthesten mir ist, das einzige

Auge.

Ach warum ward ich nicht ein Triton mit Flössen zum

Schwimmen?

Und ich tauchte hinab, Dir das schöne Händchen zu küssen,

Wenn Du den Mund mir versagst, und brächte Dir Lilien¬

kränze,

Oder den weichesten Mohn mit glühenden klatschenden Blät¬

tern.

Aber andre blühen im Sommer und andre im Spatjahr,

Daſs ich Dir nicht alle zugleich zu bringen vermöchte.

Aber ich lerne gewiſs, ich lerne, o Mädchen noch schwim¬

men,

Kommt nur ein fremder Schiffer zu uns hieher mit dem Fahr¬

zeug,

Daſs ich doch sehe, wie lieblich es sich bey euch unten dort

wohnet.

Komm, Galatea, herauf, und bist Du bey mir so vergiſs dann,

Wie ich hier sitzend am Felsen, zurück nach Hause zu keh¬

ren:

Komm und wohne bey mir und hilf mir weiden und mel¬

ken,
[206]
Hilf mir mit bitterem Lab die neuen Käse bereiten.

Ach die Mutter nur ist mein Unglück, und sie nur verklag'

ich;

Denn sie redet bey Dir für mich kein freundliches Wört¬

chen,

Und sieht doch von Tage zu Tage mich magerer werden.

Sagen will ich ihr nun, wie Kopf und Füſse mir beben,

Daſs auch sie sich betrübe, da ich vor Schmerzen vergehe.

O Cyklope, Cyklope, wo ist Dein Verstand hingeflogen?

Gingest du hin und flöchtest Dir Körbe und mähetest Gras

Dir,

Deine Lämmer zu füttern, das wäre fürwahr doch geſcheidter.

Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den

Flüchtling?

Und Du findest Galateen; auch wohl eine schönere Andre.

Mädchen die Menge rufen mir zu zum Scherze die Nacht

durch;

Alle kichern mir nach; so will ich denn ihnen nur folgen:

Denn ich bin auf der Welt doch wohl auch warlich ein

Kerl noch.

Also weidete Polyphemus und sang von der Liebe,

Und es ward ihm leichter als hätt' er Schätze vergeudet.

Ist es nicht Schade, daſs wir das zärtliche Liebes¬
briefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von
dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wur¬
de, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die sici¬
lischen Felsen machen alle eine ganz eigene idyllische
Erscheinung; und wenn ich mir so einen verliebten
[207] Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬
genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit,
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬
liche Mittel.


Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬
de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine
Hexe oder sein Erntefest bringe.


Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
[208] versehen. Ich wollte nehmlich von Palermo über Tra¬
pani, Alcamo und Sciakka gehen, um in Segeste und
Selinunt die Alterthümer zu sehen, die noch dort sind.
Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich
recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre
doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich
wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen Offi¬
zier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen,
mit dem ich ein langes und breites darüber sprach;
und dieser hatte die Güte mir einen Mauleseltreiber
aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun
denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner
Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade
an den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in
gröſster Andacht, in welcher ich meine Orangen nach
und nach aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir
einfällt, daſs ich doch zu weit links von der See ab¬
komme. Der Eseltreiber versicherte mich aber sehr
ehrlich, das sey der rechte gewöhnliche Weg nach Agri¬
gent. Ich bin wieder einige Millien zufrieden. End¬
lich kommen wir bei Bei Frati an, und ich finde mich
zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und er¬
klärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, daſs
sich der Eseltreiber dem Henker um meine Promena¬
de bekümmert hatte, und mit mir gerade den alten
römischen Weg durch die Insel geritten war. Was
war zu thun? Rechts einlenken? Da war eine ganze
Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand wollte
den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte
nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Paler¬
mo zurück und den andern Weg zu machen. Das
[209] war meiner Börse zu viel; ich entschloſs mich also
mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten,
und die erycinische Göttin andern zu überlassen, die
vielleicht auch ihren Werth besser zu würdigen ver¬
stehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die Baga¬
rie den Weg nach Termini, und stachen dann erst
rechts ab. Die Parthien sind angenehm und könnten
noch angenehmer seyn, wenn die Leute etwas fleiſsi¬
ger wären. So wie man sich von der Hauptstadt ent¬
fernt, wird es ziemlich wild. Wir kamen durch einige
ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der Abfall der
Kultur und des äuſserlichen Wohlstandes war ziemlich
grell. Alles war weit theurer, als in der Hauptstadt,
nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte
und von denen ich mein Magazin nicht leer werden
lieſs. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf
der Anhöhe ein altes Schloſs liegen, das man Torre di
Diana nannte, und wo die Saracenen mit den Chri¬
sten viel Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war
mir noch zu zeitig bey den schönen Brüdern zu blei¬
ben, zumal da das Wirthshaus gerade zu der Revers
des Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien
weiter an ein anderes. Hier war auch nicht ein Stück¬
chen Brot, auch nicht einmal Makkaronen zu haben.
Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber und
noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte,
fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war
es auch wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt
Joseph nicht weit von einem Fluſse ankamen, dessen
Namen ich vergessen habe.


Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber
14[210] aus allen Theilen der Insel, und doch wenigstens Mak¬
karonen. Aus Vorsicht hatte ich für mich in Paler¬
mo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je
gesehen und gegessen habe. Hier war es mir eine
Wohlthat, und ich selbst konnte damit den Wohlthäter
machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein
Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das we¬
nige Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist
das nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine
Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte mei¬
nen Unwillen kaum bergen.


Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der
Makkaronen. Die Eseltreiber hatten mir abgelauert,
daſs ich wohl ihre Alterthümer mit besuchen wollte,
wie sich denn dieses in Sicilien einem Fremden sehr
leicht abmerken läſst. Da erhob sich ein Zwist unter
den edelmüthigen Hippophorben über die Vorzüge ih¬
rer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der
Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und
die Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber
von Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein
Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der
Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte —
nichts. Ihr könnt euch auch groſs machen, sagte der
Treiber von Katanien zu dem Treiber von Alcamo,
mit eurem Margarethentempelchen, der nicht einmal
euer ist, und fing an auch die Alterthümer seiner Va¬
terstadt, als der ältesten Universität der Erde, heraus
zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergaſs der
in ihrem Theater geredet habe. Du muſst wissen,
Margarethe heiſst bey den Siciliern durchaus ein gefäl¬
[211] liges feiles Mädchen: das war für die Mutter des from¬
men Mannes der Aeneide kein sonderlicher Weih¬
rauch. Ohne mein Erinnern siehst Du hieraus, daſ[s]
die sicilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare
sind, ob sie die Sache gleich nicht immer auſseror
dentlich genau nehmen: denn der Agrigentiner rech¬
nete den benachbarten Makaluba zu den Alterthümern
seiner Vaterstadt, ohne daſs seine Gegner protestier¬
ten; und hätte der Streit länger gedauert, so hätte der
Katanier vielleicht den Aetna auch mit aufgezählt.


Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumar¬
ren, einen heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wet¬
ter. Nie habe ich eine solche Armuth gesehen, und
nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken kön¬
nen. Die Insel sieht im Innern furchtbar aus. Hier
und da sind einige Stellen bebaut; aber das Ganze ist
eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich
gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause durch¬
aus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler ka¬
men in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen
welche die römischen auf der Treppe des spanischen
Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht,
sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends
nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an
der Thüre. Erst küſste man das Brot, das ich gab,
und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um
mich her über den reichen Boden, und hätte in die¬
sem Augenblicke alle sicilische Barone und Aebte mit
den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche stel¬
len können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in
Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei¬
[212] len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die
Quelle ist so vernachlässiget, daſs mir der Wein sehr
willkommen war. Ich muſste hier für ein Paar junge
Tauben, das einzige was man finden konnte, acht
Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde,
bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen
mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
beste war hier ein groſser schöner herrlicher Orangen¬
garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so
viel ich Lust hatte, ohne daſs es die Rechnung ver¬
mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬
den Früchte von der Gröſse einer kleinen Melone
fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an
einem Felsen, und Kampo franco von der andern
Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und
die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor
denen ich keinen Fuſs vor die Thür setzen kann:
denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬
schen leerte und mich ihnen gleich machte.


Der Fluſs ohne Brücke, über den ich in einem
Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬
zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald
diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬
lich groſs; und das letzte Mahl kamen zwey starke
cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den
Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs
Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬
gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen,
und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬
dienst recht groſs zu machen: ich hätte gerade zu
Fuſse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer
[113 ] daran gewesen, als am Ende der pontinischen Süm¬
pfe vor Terracina. Ihre Foderung war unverschämt,
und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie
lieber willig geben, damit sie nicht bösartig würden.
Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen,
jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder
gerade zu mit dem Knittel in eine andere Welt zu
liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen
Kleinigkeiten nicht weiter. Der Fluſs geht nun rechts
durch die Gebirge in die See. Ich habe seinen ei¬
gentlichen Namen nicht gefaſst; man nannte ihn bald
so bald anders, nach der Gegend; am häufigsten nann¬
ten ihn die Einwohner Fiume di San Pietro. Von nun
an war die Gegend bis hierher nach Agrigent abwech¬
selnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich
bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts
von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.


Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder viel¬
mehr das Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz un¬
beträchtlich, und sein Umfang ungefähr eine kleine
Viertelstunde. Rund umher sind in einer Entfernung
von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, so daſs ich
die vulkanische Erscheinung Anfangs für Quellwasser
von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen,
aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die
Höhe des Orts ist verhältniſsmäſsig doch zu groſs, und
es giebt rund umher tiefere Gegenden, die auch wirk¬
lich Wasser halten. Am wenigsten lieſse sich seine
periodische Wuth erklären. Wo ich hinauf stieg fand
ich einen einzelnen drey Ellen hohen Kegel aus einer
Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben eine
[214] Oeffnung hatte, aus welcher die Masse immer heraus
quoll und herab floſs und so den Kegel vergröſserte.
Auf der Höhe des Hügels waren sechs gröſsere Oeff¬
nungen, aus denen beständig die Masse hervor drang;
ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssi¬
ger war. Ich stieſs in einige meinen Knotenstock
gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich
aber nur die Seiten berührte war der Boden hart. In
der Mitte und ziemlich auf der gröſsten Höhe dessel¬
ben war die gröſste Oeffnung, zu der ich aber nicht
kommen konnte, weil der Boden nicht trug und ich
befürchten muſste zu versinken. Zuweilen, wenn es
anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch
zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich
sah der Oeffnungen rund umher, gröſsere und kleine¬
re, ungefähr dreyſsig. Einige waren so klein, daſs sie
nur ganz kleine Bläschen in Ringelchen ausstieſsen,
und ich konnte meinen Stock nur mit Widerstand et¬
was hinein zwingen. Die Ausbrüche und die Regen¬
stürme ändern das Ansehen des Makaluba beständig;
er ist daher noch etwas wandelbarer als seine gröſsern
Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer Entfer¬
nung von ungefähr zwey Stunden auf einer beträchtli¬
chen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich
hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna
heiſst. Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe
liegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte,
vor drey Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der
Zwergberg anfing inwendig gewaltig zu brummen und
zu lärmen. Es ist aber dieſsmahl bey dem Brummen
geblieben. Von dem Diminutiv -Vulkan bis hierher
[215] sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich
rauhe Gegend über mehrere Berge,


Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine ge¬
waltig starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als
ich das Haus betrachtete, ob es mir anstehen und ob
ich hier bleiben würde, kam ein sehr dienstfertiger
Cicerone, der mich wahrscheinlich zu einem seiner
Bekannten bringen wollte. Ehe ich mirs versah,
schoſs ein junger starker Kerl aus einer Art von Küche
heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den höflichen
Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der Gur¬
gel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäu¬
sten aus allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum
Frieden so gut ich konnte, und er lieſs den armen
Teufel endlich los, der auch sogleich abmarschierte.
Ich sagte dem Fausthelden so glimpflich als möglich,
daſs ich diese Art von Willkommen etwas zu hand¬
greiflich fände; da trat er ganz friedlich und sanft vor
mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine Mut¬
ter geschimpft; das könne und werde er aber nicht
leiden. Nun machte man mir ein Zimmer bereit;
und so schlecht es auch war, so zeigten die Leute
doch allen guten Willen: und damit ist ein ehrlicher
Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich den Ritter Ca¬
nella, den Onkel meines militärischen Freundes in
Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde
waren sehr artig und freundschaftlich, und der Ritter
besuchte mich sogar in meinem Gasthause. Raimon¬
di, welcher Direktor der dortigen Schule ist, führte
mich in die alte gothische Kathedrale, wo ich den an¬
tiken Taufstein sah und das akustische Kunststück
[216] nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬
schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden
gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬
mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht,
geht der Schall oben an dem Bogen hin und man
hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat
man den Ort deſswegen verschlossen, weil man auf
diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte
Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist
aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und
ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, daſs Dor¬
ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus auſser¬
ordentlich richtig gezeichnet hat.


Canella gab mir einen Brief an den Marchese
Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬
ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo
saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,

sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider
welche sich eben so wenig einwenden lieſs, als wider
die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was
ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬
ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein
Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte
das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬
stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den
folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und
ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der
alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über
die Vergänglichkeit aller weltlichen Gröſse helfen? Ich
sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters¬
[217] tempels, und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel
des Herkules, wie nehmlich die Antiquare glauben;
denn ich wage nicht etwas zu bestimmen. Die Trüm¬
mern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern Karu¬
ben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön
und groſs gesehen habe. Sodann gingen wir weiter
hinauf zu dem fast ganzen Tempel der Konkordia.
Das Wetter war frisch und sehr windig. Ich stieg
durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer
folgte, und lief dann oben auf dem steinernen Gebälke
durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin
und her, daſs der Agrigentiner, der doch ein Maule¬
seltreiber war, vor Angst blaſs ward, an der Celle blieb
und sich niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten
auf dem Gesimms, bot den Winden Trotz, nahm Brot
und Braten und Orangen aus der Tasche und hielt
ein Frühstück, das gewiſs Scipio auf den Trümmern
von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich konnte
mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht er¬
wehren, als ich über die Stelle des alten groſsen rei¬
chen Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger
Bürger unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und
jedem die üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlän¬
gelt sich der kleine Akragas, der der Stadt den Namen
gab, hinunter in die See; und dort oben am Berge,
wo jetzt kaum noch eine Trümmer steht, schlugen die
Karthager, und das Schicksal der Stadt wurde nur
durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie
des feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt
die Stadt steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil
der Akropolis. Nun ging ich noch etwas weiter hin¬
[218] auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übri¬
gen Resten, unter denen man mehrere Tage sehr
eparnorthotisch hin und her wandeln könnte. Die sy¬
stematischen Reisenden mögen Dir das übrige sagen;
ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der jetzige
König hat einige Stücke wieder hinauf auf den Kon¬
kordientempel schaffen lassen und dafür die schöne
alte Front mit der pompösen Inschrift entstellt: Ferdi¬
nandus IV. Rex Restaurauit. Ich hätte den Giebel
herunter werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit
stand.


Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel ste¬
hen nicht weit von den alten Mauern, in deren soli¬
dem Felsen eine Menge Aushöhlungen sind, aus denen
man nicht recht weiſs was man machen soll. Einige
halten sie für Gräber. Mir kommt es wahrscheinli¬
cher vor, daſs es Schlafstellen für die Wache sind,
eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur
aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen.
Diese Mauern, so niedrig sie auch gegen die hohen
Berge umher liegen, sind doch als Felsen beträchtlich
genug, daſs man von der See aus die Stadt das hohe
Akragas nennen konnte; und noch jetzt würden unsere
Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben
eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht
ohne Grund geschehen, daſs man die schönsten Tem¬
pel der Mauer so nahe baute. Sie waren das Heilig¬
thum der Stadt; ihre Nähe beym Angriff muſste an¬
feuern, wo, die Bürger wirklich augenscheinlich pro
aris et focis
schlugen. Auch der Tempel des Herku¬
les muſs unten nicht weit von der Mauer gestanden
[219] haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und
stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬
stützte; eben deſswegen setzte man vermuthlich dorthin
den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬
nern: eben deſswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬
pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst
die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was
ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen
soll, weiſs ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen
ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu
werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬
eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
Kischt' è il lempiò di San Gregoli; Kischta Madonna
è antica:
und wer es nicht glauben will, anathema sit.
Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion
genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt
er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie
reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster
und ihre Bewohner nur ϰατ̕ αντιφϱασιν της ϰαλοϰαγαϑιας;
ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬
port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom:
Ich wollte es wären Schweinställe! Weiſs der Himmel,
was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si,
Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' è la
cosa
. Er rechnete es mir hoch an, daſs er italiänisch
sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit
denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam
ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so
ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade
erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von
[220] hier nach Alcamo hinab in dem Gebirge, wo die Leute
griechisch sprächen oder gar türkisch, so daſs man sie
gar nicht verstehen könnte, wie das oft der Fall zu
Girgenti auf dem Markte wäre. Hier führte er eine
Menge Wörter an, die ich leider wieder vergessen
habe. Non sono cosi boni latini, come noi autri,
sagte er. Du siehst der Mensch hat Ehre im Leibe.


Den musikalischen Talenten und der musikali¬
schen Neigung der Italiäner kann ich bis jetzt eben
keine groſsen Lobsprüche machen. Ich habe von
Triest bis hierher, auf dem Lande und in den Städ¬
ten, auch noch keine einzige Melodie gehört, die mich
beschäftigt hätte, welches doch in andern Ländern
manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch
von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus
Agrigent, der eine Art Liebesliedchen sang und sehr
emphatisch drollig genug immer wiederholte ; Kischta
nutte, kischta nutte in verru, iu verru. (Questa notte
io verro.)


Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier
italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg da¬
hin ist sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen
und Mandelgärten. Hier und da sind sie mit Zäunen
von Aloen besetzt, die in Sicilien zu einer auſseror¬
dentlichen Gröſse wachsen; noch häufiger aber mit
indischen Feigen, die erst im September reif werden
und von denen ich das Stück, so selten sind sie jetzt,
in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen muſste,
da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karu¬
ben oder Johannisbrotbäume gewinnen hier einen
Umfang, von dem wir bey uns gar keine Begriffe ha¬
[221] haben. Sie sind so haufig, daſs in einigen Gegenden
des südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet
wird. Der Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich
von Karl dem Fünften gebaut. Bonaparte lag einige
Tage hier und auf der Rhede, als er nach Aegypten
ging: und damahls kamen auch einige Franzosen hin¬
auf in die Stadt, wo gar keine Garnison liegt. Sie
müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn
der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu
von ihnen. Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona,
und keiner der besten. Nicht weit davon sind eine
Menge unterirdische Getreidebehälter, weil von Agri¬
gent sehr viel ausgeführt wird. Die politische Stim¬
mung durch ganz Sicilien ist gar sonderbar, und ich
behalte mir vor Dir an einem andern Orte noch ei¬
nige Worte darüber zu sagen.

[[222]]

Dieſs ist also das Ziel meines Spazierganges, und
nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wie¬
der nach Hause.


Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so
kurz als möglich das Umständliche berichten. Das
Reisen zu Maulesel ward mir doch ziemlich kostbar.
Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel
nicht weniger als eine Unze täglich, etwas mehr als
einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich ihn
selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Dieſs
war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt
kostete, zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich
handelte also mit einem Mauleseltreiber, er sollte
mich zu Fuſse auf einer Ronde um die Insel beglei¬
ten; dafür sollte er mit mir ordentlich leben, so gut
man in Sicilien leben kann, und ich wollte ihm täg¬
lich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gul¬
den, geben: dabey könnte er doch zusammen während
der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben.
Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen
voraus, um für die eine einige Bedürfnisse auf die
Reise anzuschaffen und die zweyte unterdessen seiner
alten Mutter zu lassen. Er kaufte mir einen Haber¬
sack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit dem
Futter umhängt, that meine zwey Bücher, mein Hem¬
de mit den übrigen Quinquaillerien und etwas Pro¬
viant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Mei¬
nen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht

[223] zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo
gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und
Liebhaber, daſs man mir einige Mahl sagte, man
würde mich bloſs meines Tornisters wegen todt
schlagen.


Ich muſs hier noch eine Bekanntschaft nachholen,
die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬
mer aſs, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir
herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen
gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie
es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter.
Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen
Wirthshause, bat um die Erlaubniſs sein Essen zu mir
zu bringen, und wir aſsen zusammen. Es fand sich,
daſs er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen
Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬
müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬
telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬
gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬
ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor
über Tische auf seine Frage, daſs ich ein Ketzer war.
Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬
bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der
Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬
gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich
so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in
Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und muſste,
nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede
Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen
haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und
[224] italiänisch trotz einem Bootsknecht: aber er konnte
durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst
glauben und ohne Mönche leben könne. Dabey hatte
er ziemliche Studien aus der römischen Legende.
Doch entschloſs er sich mit mir fort zu essen, fragte
aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas
Gutmüthigkeit und einem Schein von Vernunft; aber
er donnerte doch halb spaſshaft das Verdammungsur¬
theil über uns alle her: Siete tutti minchioni, siete
come le bestie
. Das nenne ich mir Logik! Indessen,
lieber Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel
in der Welt, in jure canonico, civili et publico, die
uns für Sterling verkauft wird. Uebrigens trug der
Mann viel Sorge für mich, schloſs sich brüderlich an
mich an, und meinte ich ginge groſsen Gefahren ent¬
gegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich ab¬
ging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab
ihm für mich seine Addresse in Palermo und lieſs
mich Ketzer doch unter dem Schutze aller Heiligen
ziehen.


So zog ich denn mit meinem neuen Achates den
Berg hinunter, über den kleinen Fluſs hinweg nach
dem Monte chiaro hin, auf Palma zu, welches die
hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger
Mensch, der in Syrakus einen Handel machen wollte,
gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das
nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle
Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma
traf ich einige meiner Bekannten, die Antiquare von
Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempel¬
chen von Segeste zankten. Diese Herren staunten
[225] über meine Verwegenheit, daſs ich zu Fuſse weiter
reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich
auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬
gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten;
er aſs so viel Paste, daſs ich über seine Capacität er¬
staunte. Indeſs ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬
lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann.
Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es
wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber
kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing
die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬
schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm
den Sermon zu halten, warum er so viel von dem
Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe.
Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬
kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt,
daſs er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine
halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart
darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer.
Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz
und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun?
Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so
derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬
vernünftigen Fraſs gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬
nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬
manne, überlieſs ihn seinen Heiligen und ging weiter.
Es war mir lieb, daſs ich ihn so gut versorgt sah; ich
hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um
den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher
erfahren, daſs er sich erholt hat. Wenn er gestorben
wäre, wäre es gewiſs zum Wunder bloſs darum gewe¬
15[226] sen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge
Tauben gegessen hatte, nicht wegen seines bestiali¬
schen Makkaronenfraſses. Ich habe vernünftige Aerzte
in Italien darüber sprechen hören, daſs jährlich in der
Fasten eine Menge Menschen an der verdammten
Paste sich zu Tode kleistern; denn der gemeine Mann
hat die ganze lange Zeit über fast nichts anders als
Makkaronen mit Oehl.


Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an
der Küste hin, bald das Meer im Auge, bald etwas
weiter links in das Land hinein, nachdem mich der
Weg trug. Bey Palma ist wieder schöne herrliche
Gegend, mit abwechselnden Hügeln und Thälern, die
alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt sind.
Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als
die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und
wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die
von Malta nicht ausgenommen, deren man eine Men¬
ge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich in Ali¬
kata an, wo ich vor der Stadt zwey sehr wohlgeklei¬
dete Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine
Rasenbank einluden und in zehen Minuten mir meine
ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen zusam¬
men in die Stadt, ich halte sie für die beste, die ich
nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen
habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich
gut; ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Fran¬
gipani, an den ich empfohlen war, beschwerlich zu
fallen. Indessen gab ich doch meinen Brief ab, und
er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem ziemlich
groſsen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesell¬
[227] schaft fand. Man nöthigte mich, mit den Damen et¬
was französisch und mit den geistlichen Herren, deren
einige zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als
man sich zum Spiel setzte — c'est partout comme chés
nous
— und ich daran nicht Theil nehmen wollte
noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt anrühre, em¬
pfahl ich mich und befand mich in meinem Wirths¬
hause einsam recht wohl. In der schönen Abenddäm¬
merung machte ich noch einen Spaziergang an dem
Strande und sah der Fischerey zu. Die hiesige Rhede
muſs für die Schiffe nicht viel werth seyn, so viel
ich von der Lage mit einem Ueberblick urtheilen
kann. Gleich vor Alikata, von Palma her, liegt ein
sich am Meere herziehender Berg, der von den Ge¬
lehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehal¬
ten wird. Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen
Himera, denn der nördliche flieſst bey Termini, ist
ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phala¬
rius heiſst: und diese beyden Berge paradieren in den
karthagischen Kriegen. Der Eknomos soll nach der
Erklärung Einiger seinen Namen davon haben, weil
der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen
Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber
mehr auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir er¬
laubst eine Konjektur zu machen, so will ich anneh¬
men, daſs der Eknomos deswegen so genannt worden
sey, weil er ganz allein, isoliert, von der ganzen übri¬
gen Bergkette rund herum abgesondert liegt: die an¬
dern Berge hängen in einem groſsen Amphitheater
alle zusammen. Der griechische Name, däucht mich,
könne dieſs bedeuten: εϰ τȣ νομȣ των αλλων οϱων ϰειται
[228] γεωᴧοφος. Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit
schönen Oelgärten und mehreren Landhäusern be¬
setzt, und giebt der Gegend ein sehr freundliches An¬
sehen. Links ist an dem Himera hinauf eine schöne
groſse Ebene mit Weitzenfeldern; eine der besten die
ich je gesehen habe. Alikata ist der erste Ort, wo ich
in Sicilien billig behandelt wurde.


Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und
vorzüglich hier in Alikata, wo man sagte, daſs die
achtzehn Millien von hier nach Terra nuova die
schlimmsten in der ganzen Insel wären. Sono cattive
gente, hieſs es; und cattive war der ewige Euphemis¬
mus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber
und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahr¬
scheinlich nur meine armselige Figur gerettet. Ich
wandelte gutes Muthes am Strande hin, las Muscheln
und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte
mit meinen Gedanken tausend Cirkumherumschweife
und blieb bey der schönen Idee stehen, daſs ich hier
nun vermuthlich in die geloischen Felder käme: da
sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde
auf mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maul¬
esels oder Esels ist mir in Sicilien immer lieber als
eines Pferdes. Mir ward etwas unreimisch, und ich
nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vor¬
bey zu gehen. Das litten sie aber nicht, ob sie es
gleich auch mit ziemlichem Ernst thaten. Sie waren
alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht
sich von selbst. Ich grüſste nicht ganz ohne Arg¬
wohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob
ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve¬
[229] hemenz auf mich zu, faſste mich beym Kragen und
riſs mich so heftig herum, daſs das Schisma noch an
meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? — Ein
Reisender. — Wo wollt Ihr hin? — Nach Syrakus. —
Warum reitet Ihr nicht? — Es ist mir zu theuer; ich
habe nicht Geld genug dazu. — Einer meiner Freun¬
de in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge ge¬
zeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er
sagte, doch sagen könnte, ich habe mich in Rom ma¬
len lassen. Ich schicke Dir die Zeichnung zur Er¬
bauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitel¬
keit nicht beschuldigen, daſs sie sich ins beste Licht
gesetzt hat. Man riſs meinen Sack auf und fand frey¬
lich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher,
ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren
Käse und einige Orangen. Man besah mich aufmerk¬
sam von der Ferse bis zur Scheitel. — Ihr habt also
kein Geld zum Reiten? — Ich kann so viel nicht be¬
zahlen. — Meine Figur und mein Sack schienen ihnen
hierüber ein gleichlautendes Dokument zu seyn. Man
nahm das weiſse Buch, in welches ich einige Bemer¬
kungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu
erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte
es, und Einer, der etwas Ansehen über die beyden
Andern zu haben schien, machte Miene es einzustek¬
ken. Ich sagte etwas betroffen: Aber das ist mein
Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine
Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner
Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, gab mir
das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm
Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das
[230] Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich
gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen
Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬
ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu
thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬
reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬
gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weiſst,
hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man
ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil
man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft.
Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so
unbefangen als möglich antwortete. — An wen seyd
Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Lando¬
lina. — Den kenne ich; sagte Einer. — Ihr seyd also
arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuſse?
Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr
das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬
standen: da ich aber, auſser ein wenig Schach, durch¬
aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬
wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher
und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die
Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe,
welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬
rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk
steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein
gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬
zaubern können, welche Nummern gewinnen werden.
Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was
war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬
cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war
also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem
[231] ungefähr noch sieben und zwanzig Unzen in Gold lie¬
gen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch un¬
ter dem linken Arm und wurde also nicht bemerkt.
Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine
Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Si¬
cilien sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche
trägt in Unteritalien zur Schande der Juſtiz und Poli¬
zey jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so thaten
sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen:
und das ist an der südlichen Küste von Sicilien fast
eben so schlecht, als wenn bey uns in feiner Gesell¬
schaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegentheil
thut. Ich denke immer, meine anscheinende Armse¬
ligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen
hätten mir den Hals brechen können.


Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaft¬
lich angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren
unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es ein¬
zuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man
lud mich ein mich dort ein wenig niederzusetzen und
auszuruhen; ich war wirklich müde und that es. Neu¬
gierigere Leute als in Sicilien habe ich nirgends gefun¬
den; aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Guther¬
zigkeit. Was schlecht ist kommt alles auf Rechnung
der Regierung und Religionsverfassung. Man fragte
mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder
nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen.
Und doch bin ich überzeugt, das war immer noch
die sicherste Art, da ich allein war.


In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein
Zimmer, worin kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl
[232] war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt
kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬
fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet
war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬
chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da
wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das
Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬
ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir
stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche
lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬
lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬
men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach
dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daſs ich ein
Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und
endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren,
Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬
ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu
halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und
so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬
zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der
Mann im Matrosenkleide sagte, ich müſste Franzose
seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das
konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr
schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr
penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich
auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen;
ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin,
mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo
ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst
von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich
mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬
[233] gens etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo
ich bezahle; es ist warm und ich bin müde. Das
sagte ich italiänisch so gut ich konnte, damit es alle
verstehen möchten; einer der Herren bat mich höf¬
lich um Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu
geben; die Neugierigen verloren sich, und nach eini¬
gen Minuten war ich wieder allein auf meiner Hafer¬
spreu. Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefi¬
schen sehr gut gefastet hatte, brachte man mir Heu[,]
und ein gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab
mir zur Decke einen groſsen Schafpelz, welcher mir
lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.


Den andern Morgen ging ich über den Fluſs Gela
und durch ein herrliches Thal nach Santa Maria di
Niscemi hinauf. Dieses Thal mit den Parthien an dem
Flusse links und rechts hinauf machte vermuthlich
die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn
auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra nuo¬
va steht, so lag es doch gewiſs nicht weit davon, und
höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach
dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste
von Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das
Thal ist auch noch jetzt in der äuſsersten Vernachläs¬
sigung sehr schön, und es läſst sich begreifen, daſs es
ehemals bey der Industrie der Griechen ein Zaubergar¬
ten mag gewesen seyn. Hier in Niscemi ist es wahr¬
scheinlich, wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger
Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.


Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und
von dort nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien
nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reist, so bleibt
[234] man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar
immer in der Insel; aber man kommt nicht immer
geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen
in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen,
kann man eigentlich gar nicht sagen, daſs in Sicilien
Wege sind. Es sind bloſs Mauleseltriften, die sich oft
so verlieren, daſs man mit ganzer Aufmerksamkeit
den Hufen nachspüren muſs. Der König selbst kann
in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal,
Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬
gen gehen: will er weiter, so muſs seine Majestät sich
gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬
esel zu besteigen. Das läſst er denn wohl bleiben,
und deſswegen geht es auch noch etwas schlechter als
gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr
selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach
Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬
der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als
ich in einen ziemlich groſsen Wald perennierender Ei¬
chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in
Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich
nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem
ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze
nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in
den Thälern und groſse zahlreiche Heerden. Um Cal¬
tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten;
man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬
che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat
rund umher schöne angränzende Thäler, und es
herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬
benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe
[235] mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem
Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aſs
und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬
all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬
getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte
nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare
Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer
Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬
richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen.
Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht;
Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬
niſsmäſsig sehr billig.


Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging
aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬
zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬
gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬
geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner
Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬
nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von
Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen,
Miſsgeburten aufschlug. Wieland läſst den geächteten
Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniſs
über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk
treiben; aber er thut es besser und genialischer als der
Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬
kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone
herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬
ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle
ginge; und es geht in ein Elysium. Schade daſs die
exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬
nutzt und genieſst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
[236] Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört
und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will,
da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen,
er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬
von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee
der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬
len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat.
Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit,
oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer
Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.


Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der
überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus
Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, groſse,
schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist.
Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬
gen Bergketten, die es einschlieſsen und von Noto und
Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über
stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten
Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬
säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬
sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen
des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu
Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen
Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes
zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken;
aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich
zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe
in seiner ganzen furchtbaren Gröſse vor mir. Kata¬
nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man
es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen
alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht
[237] haben würde, auf die jungen wilden Hyacinthen nie¬
der und genoſs eine Viertelstunde eine der schönsten
und herrlichsten Scenen der Natur. Das war wieder
Belohnung und ich dachte nicht weiter an die Schnapp¬
hähne und das Examen von Terra nuova. Ich würde
rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele
Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen
gehauen seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren
und der müſsigen Neugierde in einer sehr wilden Ge¬
gend nicht so viel Zeit opfern. Ich verirrte mich aber¬
mals und kam anstatt nach Syrakus nach Lentini. Es
war mir nicht unlieb die alte Stadt zu sehen, die zur
Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielt.
Sie ist in dem Miſskredit der schlechten Luft, weſs¬
wegen auf einer gröſsern Anhöhe Karl der Fünfte,
däucht mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von
der schlechten Luft; aber freylich kann man vom
Ende des März keinen Schluſs auf das Ende des July
machen. Der See giebt der Gegend ein heiteres la¬
chendes Ansehen, und diese würde sich sehr bald sehr
gesund machen lassen, wenn man fleiſsiger wäre. Um
die Stadt herum ist alles ein wahrer Orangengarten;
und Du kannst denken, daſs ich mit den Hesperiden
nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht
hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es
gefallen in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank
werden, so sind sie wahrscheinlich selbst Schuld dar¬
an, nach allem was ich davon sehe. Ich war nun
zwey mal irre gegangen, und hielt es daher doch für
gut einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien und
wir machten bald den Handel, da ich nicht viel mer¬
[238] kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬
schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe
voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und
meinte, wenn er mir nicht traute, so müſsten wir
theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen.
Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch
drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬
plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu
seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich
schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem
Schnappsack allein.


Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in
den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen
und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬
rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war
schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren
einige Stunden nichts als Wildniſs, wo rund umher
Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬
der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der
ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz
dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die
einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann
nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬
sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬
gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meiſsen
bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬
gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können.
Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der
Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬
sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz
[239] aus Seewasser, zu welcher Operation man einen gros¬
sen Strich todtes Erdreich brauchte. Nirgends habe ich
so schwelgerische Vegetation gesehen, als in dieser Ge¬
gend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben,
und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber.
Von der Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und
es würde eine förmliche Belagerung dazu gehören ihn
zu nehmen. Von der Seeseite scheint das nicht zu
seyn. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wol¬
len nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht viel kleiner
als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus. Ich
wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen
Paſs besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit
vieler Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus
meinem Passe, Don Juan getauft, welchen Namen ich
sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze Insel
bey allen Mauleseltreibern durch Ueberlieferung be¬
hielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann, was er
seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten
weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem
berühmten syrakusischen Muskatensekt, den endlich
dieser Herr wohl gut haben muſs, und mit englischem
Ale und Biskuit. Das Ale war gut und das Biskuit
besser, und über den Wein habe ich keine Stimme.
Mir war er zu stark und zu süſs. Ein Perukenma¬
cher, der in dem Hause des Stadthauptmanns war,
führte mich gerade in sein eigenes Haus, bewirthete
mich ziemlich gut und lieſs mich noch besser bezah¬
len. Dafür wurde ich aber so viel beexcellenzt, als
ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der den groſsen
päbstlichen Ablaſs auf hundert Jahre herum trüge.
[240] Man erzählte mir, daſs vor einigen Monaten ein Deut¬
scher mit seiner Frau aus Malta durch Sturm hier ein¬
zulaufen genöthigt worden sey, und, da er keinen Paſs
gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben müssen, bis
man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche Gui¬
gnons können eintreten.


Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu
irren, nahm ich nun endlich einen Maulesel mit ei¬
nem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine
groſse Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zu¬
rück zu machen. So lange ich mich in der Gegend
von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut;
aber so wie wir Syrakus näher kamen, ward es im¬
mer wüster und leerer. Der Aetna, der über die an¬
dern Berge hervor ragte, rauchte in der schönen Mor¬
genluft. Der Mauleseltreiber hatte mir zum Führer
einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, sobald wir
heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen
kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit
mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte.
Diese Thiere hören auf nichts als diesen Stachel, der
ihnen statt aller übrigen Treibmittel am Halse appli¬
ziert wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief
der kleine Mephistophiles hinter mir: Pungite, Don
Juan
, sempre pungite. Siehst Du, so kurz und leicht
ist die Weisheit der Mauleseltreiber und der Politiker.
Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu seyn.
Wie der Hals des Staats sich bey dem Stachel befindet,
was kümmert das die Herren? Wenn es nur geht
oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer er¬
zählte mir hier und da Geschichten von Todtschlagen,
[241] so wie wir an den Bergen hinritten. Rechts lieſsen
wir die Stadt Melitta liegen, die auf einer Anhöhe des
Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung
macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Mil¬
lien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle,
wo der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oel¬
bäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegen über.
Nun trifft man schon hier und da Trümmern, die
zwar noch nicht in dem Bezirk der alten Stadt selbst,
aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien
weiter hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer
des Dionysius herauf, und befand mich nun in der
ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von ma¬
gern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und
elenden Häusern ist. Als ich in der Gegend der alten
Neapolis zwischen den Felsengräbern war, dankte ich
meinen Führer ab und spazierte nun zu Fuſse weiter
fort. Der Bube war gescheidt genug mir einen Gulden
über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging ich
durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger,
ohne daſs man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich
nicht weiter gefragt worden. Das war doch noch eine
artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität.
Den Spaziergänger läſst man gehen.

[[242]]

Heute will ich fröhlich fröhlich seyn,

Keine Weise, keine Sitte hören;

Will mich walzen und vor Freude schreyn:

Und der König soll mir das nicht wehren.

So singt Asmus den ersten May in Wansbeck; so kann
ich ja wohl vier Wochen früher den ersten April in
Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich gleich vor ei¬
nigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe ersoffen
oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich
auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethu¬
se sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so
stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir
also ein Biſschen Unordnung.


So wie ich zum Thore herein war und eine Stra¬
ſse herauf schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack
hielt keine groſse Peripherie, und ich konnte ihn mit
seinem Inhalt leicht in den Taschen bergen — so rief
mir ein Mann aus einer Bude zu: Vous etes etran¬
ger, Monsieur, et Vous cherchés une auberge
? — Vous
l'avés touché, Monsieur!
sagte ich. Aiés la bonté d'en¬
trer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur de
Vous servir
. Ich trat ein. Der Mann war ein Hutma¬
cher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jah¬
ren ansäſsig in Syrakus. Er begleitete mich in ein
ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina
nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenig¬
[243] stens das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, daſs
mein Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein
Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu ma¬
chen. Ich traf Landolina das erste Mahl nicht; er
war auf einem Landgute. In einer Fes[t]ung kann ich
doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht
einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nehmlich
an den groſsen, oder an den Meerbusen: denn der
kleine auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu
hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel auch Aga¬
thokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich
ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über
das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abthei¬
lung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag
nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon
ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich
nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der
Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte
groſse Beute in Utika, und war den dritten Abend
wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort
war, von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Li¬
vius Bescheid geben; wer kann alles behalten? Du
siehst doch, daſs ich, wenn ich sonst nur ein ächter
Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdparthie
des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen
könnte.


Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr
wild aus, und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur
eines Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpf¬
gegend hielt mich auf; sonst wäre ich wohl noch et¬
was weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich
[244] mich ein Viertelstündchen an die zwey Säulen, die
für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olym¬
pius gelten. Hier lieſs Dionysius dem Gott den golde¬
nen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den
Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein
wollener schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der
Herr war ein ganz eigener Haushofmeister, welches er
auch an dem Barte des Apollo zeigte. Als ich wieder
über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach
Neapolis herauf zu schneiden und so einen etwas an¬
dern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand hoch
nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte
den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka!
Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der
Charte in der Hand gehen. Ehe ich mirs versah war
ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen und kam
immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukeh¬
ren um keinen zu groſsen Umweg zu machen; und da
fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch
etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und
ich fürchtete man möchte das Thor schlieſsen; wo
man denn eben so unerbittlich ist als in Hamburg.
Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiſs
in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den
Weg, und kam so eben vor Thorschluſs herein. Mein
Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause warte¬
te, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir
nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit,
als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere
gejagt. Einer der Herrn verläuft sich auf einem klei¬
nen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber
[245] nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme
hinein. Er kann sich nicht heraus bringen, ruft um¬
sonst, und feuert mit seinem Gewehr um Hülfe: dar¬
auf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach
vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten
mit Stricken herausziehen. Laſs Dir es also nicht
einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren ge¬
hest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu
gehen: bleib hübsch auf dem Wege, sonst kommst
Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.


Eben komme ich von einem Spazierritt mit Lan¬
dolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusia¬
stische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich
habe es an mir erfahren. Er ist einige Mahl mit
wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit
herum geritten und gegangen. Du weiſst, daſs er Rit¬
ter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in
meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch
einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man
ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch
meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen.
Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir un¬
sere Pferde lieſsen und nach den äuſsersten Festungs¬
werken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuſse gin¬
gen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du
vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden
kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die
ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du
bey Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie
[246] bey ihm, Landolina gehören. Wir waren schon weit
umher gestiegen, und setzten uns hier auf eine der
höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund
um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stünd¬
chen für eines der schönsten die ich genossen habe,
wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte,
die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze
übersah man die ganze groſse ungeheure Fläche der
ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb
als Wildniſs da liegt. Rechts hinunter zog sich die
alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Ha¬
fen: links hinab ging bis ans Meer die gegen vier
Millien lange berühmte neuere Mauer, welche Dio¬
nysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen
lieſs. Von beyden sieht man noch den Gang durch
die Trümmern, und hier und da noch mächtige
Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel,
die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der
Gröſse des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum
das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in
dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter
hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund
um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons
crinitus
, wo die Athenienser bey der unglücklichen
Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten
rechts an der alten Mauer, welche die Herren von
Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timo¬
leon, wo man bey der kleinen Mühle noch die Trüm¬
mer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein,
drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Ha¬
fens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem
[247] Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte: dort stand
er im Lager und wagte es lange nicht weiter zu ge¬
hen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der
Auſsenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links
hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Ver¬
räther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter
hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits
eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang,
sitzen mögen mit dem Thucydides und Diodor in der
Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das wichtigste,
was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben:
und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie
Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde ei¬
ne angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden.
Die Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die
Neuern haben an Solidität und Gröſse schwerlich etwas
ähnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit
von der Stadt lägen, würden sie derselben von un¬
endlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es
durch die Lage bloſs sehr feste Auſsenwerke, deren
Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg ge¬
zeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts
von der Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre
Anzahl war vermuthlich zu geringe und sie hatten kei¬
nen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer dran¬
gen durch die groſse Linie links. Wäre diese Linie
kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die
Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre
vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht
gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in
der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.


[248]

Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner
Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir
könnten das Vergnügen theilen, so würde es gröſser
werden. Mein eigenes Exemplar hatte ich, um ganz
leicht zu seyn, mit in Palermo gelassen, bat mir ihn
also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler
Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm
Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Ge¬
schenk von Stroth an Münter, und von Münter an
Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse.
Der Ideengang hat etwas magisches. — Sey nur ru¬
hig, ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabey und meine
Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner
Uebersetzung geplagt werden.


Auch heute komme ich von einem Spaziergang
mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe,
in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interes¬
santeste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare
sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas
unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen
des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage
genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem
Hafen, und besteht jetzt meistens aus Gärten und ei¬
nem offenen Platze gleich vor dem jetzigen einzigen
Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina
das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier
und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu
Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen
Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen
schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter
rechts hinauf ist das alte groſse griechische Theater,
[249] fast rund herum in Felsen gehauen. Rechts wo der
natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war
etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten
gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Al¬
ter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich
zu lesen. Es läſst sich viel dawider sagen, und sie be¬
weist wohl weiter nichts als die Existenz einer Köni¬
gin Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden
sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt.
Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; ver¬
muthlich brachte sie ehemahls auch das Wasser hin¬
ein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so
daſs ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der In¬
schrift floſs, die etwas mit Gesträuchen überwachsen
war. Landolina gerieth darüber billig in heftigen Un¬
willen, schalt den Müller und lieſs es auf der Stelle
abändern. Gegen über steht eine Kapelle an dem Or¬
te, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden ha¬
ben will. Wir fanden freylich nichts mehr; aber es
ist doch schon ein eigenes Gefühl, daſs wir es finden
würden, wenn es noch da wäre, und daſs vermuth¬
lich in dieser kleinen Peripherie der groſse Mann be¬
graben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbniſs¬
weg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche
von Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden,
wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der
kleinen und gröſsern Begräbniſskammern beschreiben
wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu
dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch ge¬
nug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne
Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,
[250] das man am Eingange zerreiſst, macht ein betäuben¬
des Geräusch, und wenn man stark in die Hand
klatscht, giebt es einen Knall wie einen Büchsenschuſs,
nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze
Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir
vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich
Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben
kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten,
wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht,
und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas
schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die
lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe ich,
wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingru¬
ben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Me¬
thode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem
Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, lieſse
sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu
seyn scheint; aber daſs er es zu einem Gefängnisse
habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit.
Cicero nennt es ein schreckliches Carcer. Hin und
wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der
Höhe und an dem Boden, und auch einige durchge¬
brochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn
mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen
anzuschlieſsen. Wer kann darüber etwas bestimmen?
Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehe¬
mahls für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt.
Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hin¬
auf oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin
also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze
für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt habe. Die¬
[251] ses Behältniſs hat durch Erdbeben gelitten; an der
tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen
Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬
gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt;
die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬
stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läſst
sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine
Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen
verdeckten Gang in das Gefängniſs geführt, durch wel¬
che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬
her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht
loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬
macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor
einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬
dern in das obere kleine Behältniſs bringen lassen und
eine Menge Experimente gemacht; man höre aber
nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.


Die Spieſsbürger von Syrakus lassen sich aber den
hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern
Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey
einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬
gefähr so: „Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬
sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬
zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem
sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben
nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daſs
man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben
haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬
[252] gestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern
können. Man sagt, Dionysius habe hier in dieser Ge¬
gend der Stadt keinen Pallast gehabt. Zugegeben daſs
dieses wahr sey, so war dieses desto besser für ihn
allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen.
Er konnte deſswegen bey wichtigen Vorfällen sich im¬
mer die Mühe geben von Epipolä hierher zu kommen
und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und
Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den be¬
quemen sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich
nicht, daſs er drauſsen in Epipolä noch mehrere Ge¬
fängnisse mag gehabt haben: man hatte in Paris weit
mehrere, als wir hier in Syrakus.“ Ich überlasse es
den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu
widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu
gethan. Mich däucht, für einen Bürger von Syrakus
schlieſst er nicht ganz übel.


In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben
die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die
Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vor¬
züglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt.
Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wah¬
ren Feerey gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tie¬
fe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen
einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer
hat verschlieſsen lassen. Von oben kann man das
ganze kleine magische Etablissement übersehen, das
aus den niedlichsten Parthien von inländischen und
ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die
Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüthe,
und ich war überrascht hier den vaterländischen Baum
[253] zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht weiter
gesehen habe. Er braucht hier in dem heiſseren Him¬
melsstrich den Schatten der Tiefe. Das vorzüglichste
was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war
ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht
ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das
Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irde¬
nen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über
deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahr¬
scheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war
es ein Bad, und der Eigenthümer hielt dieses für ein
Mittel es trocken zu halten; da diese Röhren vermuth¬
lich Luft von auſsen empfingen und die Feuchtigkeit
der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die
innere Einrichtung sind für diese Vermuthung des
Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für
Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut
erhalten ist, daſs, wenn man wollte, sie mit wenig
Mühe in Gang gesetzt werden könnte.


Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend
des kleinen Marmorhafens, sind die Latomien,
die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse für die
Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich
bin einige Mahl ziemlich lange darin herum gewan¬
delt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin an¬
gelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn würde.
Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Be¬
huf gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Ge¬
fahr zehn tausend ganz sicher bewachen. Der Ge¬
brauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch
nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt haben;
[254] dieses war nun das gröſste und fürchterlichste. Die
Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und
bedauerten, daſs die Engländer schon die besten alle
aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber
nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür er¬
halten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich der¬
gleichen Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man
einen ähnlichen Gang, wie das Ohr des Dionysius;
er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man ver¬
muthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich
fand. Man kann stundenlang hier herum spazieren,
und findet immer wieder irgend etwas groteskes und
abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat.
Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so er¬
hält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man
vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem
Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier
an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, daſs viele
Gefangene sich aus der traurigen Lage bloſs durch ei¬
nige Verse des Euripides zogen: und mich däucht, ein
schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.


In dem heutigen Syrakus oder dem alten Insel¬
chen Ortygia ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als
der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese
Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die
alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten
und sonderbarsten, die es vielleicht giebt. Wenn sie
auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch
gewiſs von dem festen Lande der Insel; und schon
dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas
da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Er¬
[255] höhung nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe
bey Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung
über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehr¬
samkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peri¬
pherie der griechischen und lateinischen Literatur von
den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusam¬
men getragen hat. In Sicilien und Italien dankt nie¬
mand für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen
Länder von Europa zu wünschen, daſs sie bekannter wür¬
de. Vielleicht läſst er sie noch in Florenz drucken.
Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im
Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer
Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem
Wasser des Alpheus Analogie haben, und die viel¬
leicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie
quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt
zuweilen ganz weg, so daſs man trocken tief in die
Höhle hinein gehen kann; und dieses zu einer Zeit,
wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterbe¬
rechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Som¬
mersprossen, welches selbst Landolina zu glauben
schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem
Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen
von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre
Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die
Fabel gemacht: das Andenken des vaterländischen
Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Verände¬
rung mit der Quelle findet man, däucht mich, noch
in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchst
wahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist
das Wasser süſs geblieben, heiſst es. Ich fand eine
[256] Menge Wäscherinnen an der reichen schönen Quelle.
Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht
mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich stieg
so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hoh¬
len Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber
es schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste
Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung
mit dem Meere muſs also durch die neueste Verände¬
rung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles
Wasser auf der kleinen Insel hat die nehmliche Be¬
schaffenheit, und gehört wahrscheinlich durchaus zu
der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi
ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich be¬
quemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von
der nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es et¬
was salziger: das mag vielleicht von der groſsen Tiefe
und dem beständig verschlossenen Raum herkommen.
Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches
man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr mög¬
lich; es läſst sich gegen die Vermuthung nichts sagen.
Aber kann es nicht eben so wohl ein gewöhnlicher
Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn?
Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der
Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen.
Man weiſs die Insel machte bey den alten Tyrannen
die Hauptfestung der Stadt aus. Man hatte auſser der
Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne
Quelle lag dicht am Meere und war sehr bekannt.
Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder
zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen
Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn
[257] vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich
will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben
so wenig hartnäckig behaupten.


Als ich hier in der Kirche saſs, die eben ausge¬
bessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft
erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu
mir, der ein Franzose von Geburt und schon über
zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach
recht gut deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen
durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn
man diesen Mann von der Regierung und der Kir¬
chendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer
vom Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mö¬
gen. Alles bestätigte seine Erzählung, und Unzufrie¬
denheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter
des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht
der römischen Kirche, nach seiner Aussage, ein Gräuel,
wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthum
nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art
ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird
mit einem kleinen Ablaſsgelde in Ordnung gebracht
und fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz,
wo sich der Klerus für eine kleine Belohnung sehr
leicht zum Unterhändler her giebt, wenn er nicht
Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in sei¬
ner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch
oder sonstigen Geislichen, und die ehrsamste sprödeste
Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach
den Altar gegen über davon wie von Dingen, die je¬
dermann wisse, und nannte mir mit groſser Freymü¬
thigkeit zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich
17[258] gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Thatsa¬
che, und überlasse Dir die Glossen.


Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Luci¬
lie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach
der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem
sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche
gemacht. Das Ganze ist verbaut, so daſs nur noch
von innen und auſsen der griechische Säulengang
sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen Stil
schön und groſs, sticht aber gegen die alte griechische
Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.


Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung
eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Ka¬
thedralkirche singt und nicht mehr als sechzig Piaster
jährlich hat, war mein Gast in der Auberge, weil er
sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl
zu seyn schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte
ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zuthu¬
lichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen ei¬
gentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel
ganz unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne
seine Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber
gerieth das entmannte Bild so in Wuth, daſs er mit
dem Messer auf den Geiger zuschoſs und ihn erstochen
haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht
sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte
die Aergerniſs durchaus nicht verdauen und entfernte
sich.


Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus
dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Dom¬
herrn gelten, und die ich also wohl eben so verdienst¬
[259] los verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem
Flusse gekauft und halb mit gefischt. Ich fuhr nehm¬
lich heute nach Mittage mit meinem Franzosen über
den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu su¬
chen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald
in einer solchen Menge, daſs wir das Boot kaum
durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte
ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir muſsten
fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück.
Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müs¬
sen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch
eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen woll¬
ten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durch¬
aus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel
für meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben
zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt
aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte
hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus selbst
essen, und ich würde sie weder dem Bischof, noch
dem Statthalter, noch dem König selbst geben, wenn
er sie nicht durch Grenadiere nehmen lieſse. Die
Leute beguckten mich und lieſsen mich abziehen. Ue¬
ber das Papier selbst und des Landolina Art es zu zu¬
bereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich
glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze,
zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvoll¬
ständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist aber
zu unwichtig. Unser schlechtes Lumpenpapier ist im¬
mer noch besser als das beste Papier, das ich von der
Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir
können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar
[260] des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das
Interesse des Alterthums.


Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mitthei¬
len, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft,
und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina
selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach ei¬
nem Spaziergange in dem alten griechischen Theater
saſsen und ausruhten. Landolina machte mit einer
Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute,
ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine
ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über
eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach sei¬
ner Weise interpretierte. Einige hielten sie für ein
Grab eines Kindes irgend einer alten vornehmen Fa¬
milie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so
problematisch waren, wie die Sache, welche sie bewei¬
sen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das
bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, daſs man
über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkun¬
digte sich und hörte, wovon die Rede war. Das kann
ich Ihnen leicht erklären, hob er an; vor ungefähr
zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine
Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern
Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine
mehr daraus. Die Archäologen lachten über die bün¬
dige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange
sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar
geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manch¬
mal, setzte Landolina sehr launig hinzu.


Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich we¬
sentlich von denen zu Neapel. Was beyde ursprüng¬
[261] lich gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu be¬
stimmen; aber daſs beyde in der Folge zu Begräbniſs¬
plätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syra¬
kusischen lieſse sich vielleicht aus dem Bau mehr be¬
haupten, daſs sie ursprünglich dazu gehauen wurden.
Der groſse Unterschied der neapolitanischen und syra¬
kusischen besteht darin, daſs in den neapolitanischen
die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, und hier
in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort
sind unten die gröſsern und dann an der Wand her¬
auf die kleinern Behälter; hier sind vorn die gröſsern
und dann weiter hin in die Felsenwand hinein die
kleinern: so daſs in Neapel das Dreyeck der Lage an
der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts
niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer
und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiſs
nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein avtopti¬
scher Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel
lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand
hinauf, unten die gröſseren und aufwärts immer klei¬
nere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn gröſsere
und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den
einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem
Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen
gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens
nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier
eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten
Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der ein¬
zige Bewohner der Kirche und der Katakomben;
Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner und
Layenbruder zugleich. Das erste Mal, als wir kamen,
[262] war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬
bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm
in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬
rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬
giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug.
Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬
thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er
nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit
dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬
sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬
türlich die groſse Tour nicht aushalten. Der Mönch
mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die
Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in
angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben.
So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein
ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen
und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach
dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen
dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten
wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht
das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von
Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch
Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und
schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬
schiedenen Abtheilungen der Katakomben läſst sich
wohl nicht viel sagen ; denn sie sind wahrscheinlich
meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe
ich auch nichts machen können: das ist indessen kein
Beweis, daſs es andere nicht besser verstehen. Die
Leute fabeln hier, daſs diese Katakomhen bis nach Ka¬
[263] tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort
auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben
so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle
versichert, daſs sie sich bis nach Goſslar erstrecke.


Der Sommer muſs hier zuweilen schon fürchter¬
lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬
wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬
cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen
Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne,
die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der
Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn:
man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬
dorret, daſs man es sogleich zu Asche reiben könne.
Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel,
der hier zuweilen falle, sey so groſs und scharf, daſs
er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die
zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬
cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬
deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen
und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten
Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus
gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für
die Jugend, denen so etwas eine sehr groſse Erschei¬
nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
Gipfeln ferner Berge.


Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬
fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts
zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬
revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben.
Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als
[264] ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬
ryalus saſs, der würdige patriotisch eifernde Mann
über das groſse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬
blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte:
Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf
das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe
während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬
nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬
funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus
von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels
und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von
Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬
lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze
Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und
dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬
gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner
sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man
bey der groſsen Bevölkerung Korn nach Rom, und die
Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt
gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬
de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬
nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht
Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf
die Regierung und den Minister in Neapel schreiben?
Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬
des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die
Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen.
Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx,
des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte
von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran
wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬
[265] genden, geben reichlich, wenn man fleiſsig ist. Sici¬
lien ist ein Land des Fleiſses, der Arbeit und der Aus¬
dauer. Man will jetzt aber nur da bauen, wo man
fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind freylich
wenig groſse Striche hier, die so schwelgerisch frucht¬
bar wären wie das Kampanerthal: aber es könnte viel
schönes Paradies geschaffen werden.


Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer
der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein
Fort auf Plemmyrium und eines auf Ortygia hat, so
kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen
die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen
Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel zu
bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich
recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anek¬
dote, die mir unglaublich vorkam, aber sie wurde
verschieden im Publikum hier und da wiederholt.
Der Gouverneur, um ja durchaus auſser Stande zu
seyn schnell zu handeln, läſst alle Kaliber der Kugeln
durch einander werfen und die Munition in Unord¬
nung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg
nach Aegypten und es war weder Gefecht noch Erge¬
ben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein sanftes
seliges Ende aus allem Verdruſs. Wenn die Franzosen
ihren Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil
zu gehen vorher die Insel anzugreifen; mit zehn tau¬
send Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewönlichen
Energie genommen und mit gehöriger Klugheit auch
behauptet. Freylich wären dazu andere Maaſsregeln
nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur
Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er¬
[266] griffen haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach
Syrakus. Bloſs im vorigen Kriege war es ein Zu¬
fluchtsort gegen die Stürme: und dabey hat die Stadt
wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden
vermindert sich die Anzahl der Ankommenden bestän¬
dig wieder.


Noch etwas literarisches muſs ich Dir doch aus
dem südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glau¬
best ich sey ganz und gar unter die Analphabeten ge¬
treten. Landolina läſst jetzt in Florenz eine Abhand¬
lung drucken, in welcher er beweist, daſs der heutige
berühmte Syrakuser Muskatenwein der οιυος πολλιος
oder πολιος der Alten sey. Die klassischen Hauptstel¬
len darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous
im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im
sechs hundert und zehnten Vers. Im Homer heiſst
es, daſs an den Weinstöcken reife Trauben und grü¬
nende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber
sich unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina.
Sie dürfen nur die Sache wörtlich nehmen und zu
uns nach Syrakus kommen, so können sie sich bey
der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des
July leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube
hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daſs sie
reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher
Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zu¬
nächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag
er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem wein¬
gelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abac¬
cheveten. Er hat mir noch manche nicht unange¬
[267] nehme philologische Bemerkung über manche griechi¬
sche Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne
in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahr¬
scheinlich auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse
kann man freylich manches etwas besser sehen, als an
der Leine. Uebrigens sagte er noch, daſs Homer, der,
nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urtheilen,
durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, vielleicht
nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, weil
er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik
gegen die Insel äuſsere.

[[268]]

Du siehst, ich bin nun auf der Rückkehr zu Dir.
Syrakus oder vielleicht schon Agrigent war das süd¬
lichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt
ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen
Führer hierher. Man kann die Reise in einem Som¬
mertage sehr bequem machen; und wenn man recht
gut beritten ist, recht früh aufbricht und sich nicht
sehr viel umsieht, kann man wohl Augusta noch mit
nehmen. Die Maulesel machen einen barbarisch star¬
ken Schritt, und das Pungite, Don Juan, pungite!
wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher war¬
mer Regenmorgen, als ich Syrakus verlieſs; der Him¬
mel hellte sich auf, als ich aus der Festung war, und
die Nachtigallen sangen wetteifernd in den Feigengär¬
ten und Mandelbäumen so schön, wie ich ihnen in Si¬
cilien gar nicht zugetraut hätte, da sie sich noch nicht
sonderlich hatten hören lassen. Ich ging wieder vor
der Feigenquelle vorbey und durch einen Strich der
schönen herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor
derselben und nach derselben war es wüste; ununter¬
brochen wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des
Simäthus. In einem Wirthshause am Fuſse der Ber¬
ge, ungefähr, ungefähr noch zehn Millien von Kata¬
nien, wo ich essen wollte und wenigstens Makkaro¬
nen suchte, gab der Wirth skoptisch zur Antwort: In
Katanien sind Makkaronen; hier ist nichts. Der
Mensch hatte die trotzige murrsinnige Physionomie
der gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht
seine Schuld war, und gewann nicht eher eine etwas
[269] freundliche Miene, als bis ich seinen Kindern von
meinem schönen Brote aus Syrakus gab; dann holte
er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete Oliven. In
der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlizh
groſs, das man auf die Felder umher auf den Reis
leitete. Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter
wohl nicht recht geschickt lenken mochte, fiel in eine
morastige Lache des Flusses, und bekam meine halbe
Personalität unter sich. Mein linker Fuſs, der wegen
einer alten Kontusion nicht viel vertragen kann, wur¬
de gequetscht und etwas verrenkt und ich kam lahm
hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr unidyllischen
schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus
sterben können: doch zürne ich deſswegen dem Flusse
nicht: denn er ist doch der einzige Fluſs, der diesen
Namen auf der Insel verdient, und durchaus der
gröſste, wenn gleich einige den Salzfluſs bey Alikata
oder gar den Himera bey Termini gröſser machen.
Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluſs, und die an¬
dern sind nur Waldströme, die sich freylich zuweilen
mit vieler Gewalt von den Gebirgen herabwälzen mö¬
gen, wie ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe.
Das dauert aber gewöhnlich nur einige Tage; dann
kann man wieder zu Fuſs durch ihr Bette gehen.
Nicht weit diesseit des Simäthus, über den hier eine
ziemlich gute Fähre geht, führte mich mein unkundi¬
ger Eseltreiber in Büsche und Moräste hinein, daſs
weder ich, noch er, noch der Esel weiter wuſsten.
Mein Schmutz und mein Schmerz am Fuſse hatten
mich etwas grämlich gemacht, so daſs ich im Aerger
dem Jungen mit der Ruthe einige Schläge über das
[270] Kollet gab. Er fing an jämmerlich zu schreyen; wir
erholten uns beyde und er sagte mir sodann mit vie¬
ler Mauleseltreiberweisheit, das sey sehr unklug von
mir gewesen, daſs ich so wenig Geduld gehabt habe;
ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er
ehrlich sey; aber ich sey doch immer in seiner Ge¬
walt. Avis dem Leser, der Junge hatte Recht, und
ich schämte mich meiner Uebereilung; wir versöhn¬
ten uns und ritten philosophisch weiter. Die fernere
Nachbarschaft von Katanien ist, für Katanien, schlecht
genug gebaut; die ganze Gegend des Simäthus könnte
und sollte etwas besser bearbeitet seyn. In der Nähe
der Stadt fängt die Kultur ſchöner an. Ich lieſs an
dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen
und spazierte oder hinkte die Straſse hinab, wendete
mich an die erste Physionomie, die mir gefiel und die
mich auch in den Elephanten sehr gut unterbrachte.
Für den beschädigten Fuſs gab mir ein Arzt bey dem
Professor Gambino Muskatennuſsöl, und es ward so¬
gleich besser, und jetzt marschiere ich schon wieder
ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich
will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuſs
vertreten hat.


Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahl¬
zeit auf, mein Freund; und ich glaube fast, es wäre
die beste in meinem Leben gewesen, wenn nur eini¬
ge Freunde wie Du aus dem Vaterlande mit mir ge¬
wesen wären. Aber mein Tischgeselle war ein hie¬
siger Geistlicher, eben die Physionomie, die ich auf
der Straſse zum Führer bekam. Der Mann ist indes¬
sen für einen sicilischen Theologen vernünftig genug,
[271] und hat mir eben ich weiſs nicht wie klassisch bewie¬
sen, daſs Katanien das Vaterland der Flöhe sey. Mei¬
ne Mahlzeit, Freund, war ganz vom Aetna, bis auf
die Fische, welche aus der See an seinem Fuſse wa¬
ren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die Fei¬
gen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fuſse und
von der Seite des Berges. Ich bin Willens ihn auf
alle Weise zu genieſsen; deſswegen bin ich hergekom¬
men; und wohl nicht absichtlich um das Unwesen
der Regierung und der Möncherey zu sehen. In Ka¬
tanien ist es wohl von ganz Sicilien und vielleicht von
ganz Italien noch am hellsten und vernünftigsten; das
hat Biskaris und einige seiner Freunde gemacht, durch
welche etwas griechischer Geist wieder aufgelebt ist.
Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und Flor,
der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn
spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht
bey den Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier
fängt man wenigstens an, das Unglück des Vaterlan¬
des, die Unordnungen und Malversationen aller Art,
die schrecklichen Wirkungen der Unterdrückung und
des dummen Aberglaubens recht lebhaft zu fühlen.
Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in den
Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre,
das sie dem Staate verursachen, so könnte der gräſs¬
liche Druckfehler doch vielleicht noch Verzeihung fin¬
den. Aber — mein Gott, wer wird ein Wort über
die Mönche verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner
Zeit ihrer schon wieder eben so thätig annehmen, wie
der Uebrigen, da sie mit ihnen zu seinem Systeme
gehören. Es entfuhr mir aus kosmopolitischem In¬
[272] grimm hier in einer Gesellschaft, daſs ich sagte: Les
moines avec leur cortege sont les morpions de l'huma¬
nité
. Die Sentenz wurde mit lautem Beyfall aufge¬
nommen, und auf manchen vorübergehenden Kutten¬
träger angewendet. Du begreifst, daſs man schon
ziemlich liberal seyn muſs, um so etwas nur zu ver¬
tragen: freylich verträgt man es nicht überall; aber
die Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Unge¬
ziefer des Staats. Die Franzosen haben in der ganzen
Insel keine geringe Parthey; und diese nimmt es Bo¬
noparte sehr übel, daſs er nach Aegypten ging und
nicht vorher kam und sie nahm, welches nach ihrer
Meinung etwas leichtes gewesen wäre. Muth, Klug¬
heit, allgemeine Gerechtigkeit und Humanität, von
welchen Eigenschaften er wenigstens die erste Hälfte
besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache ge¬
macht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien
für den Krieg gewesen wäre; wenn es auch nicht
mehr so wichtig ist, als in den karthagischen Kriegen
oder unter, den Normännern. Alle vernünftige Insu¬
laner sind völlig überzeugt, daſs sie bey dem nächsten
Kriege, an dem Neapel nur entfernt Antheil nimmt,
die Beute der Engländer oder Franzosen seyn werden;
und ich gab ihnen mit voller Ueberlegung den Trost,
daſs sie sich im Ganzen auf keinen Fall verschlim¬
mern könnten, so sehr auch einzelne Städte leiden
möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und
sich also nicht zu fürchten.


Es würde zu weitläufig werden, wenn ich anfan¬
gen wollte, Dir nur etwas systematisch über Lite¬
ratur und Antiquitäten zu schreiben. Andere haben
[273] das besser vor mir gethan, als ich es könnte. Es hat
sich wesentlich nichts geändert. Der thätige Geist des
alten Biscaris scheint nicht ganz auf seinem Nachfolger
übergegangen zu seyn; obgleich auch dieser noch im¬
mer die nehmliche Humanität zeigt. Das Kabinet ist
wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich
im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren ei¬
nige sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein
Torso fast von der nehmlichen Gestalt, wie der jetzi¬
ge Pariser, und den Einige diesem fast gleich schätzen,
und eine Büste der Ceres, die beste die ich gesehen
habe. Es sind mehrere Statüen der Venus da; aber
keine einzige, die mir gefallen hätte. Unter den klei¬
nen Bronzen zeichneten sich für mich aus, ein Atlas
der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und ein
Herkules. Es sind auch noch einige andere von vor¬
treflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr be¬
trächtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter
denen viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische
Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zei¬
ten der römischen Kaiser zu seyn scheinen. Manches
gehört wohl auf keine Weise in eine solche Samm¬
lung, vorzüglich nicht die Gewehre, welche wenig In¬
teresse für Künstler und Kenner haben: einzelne Anek¬
doten müſsten denn die Stücke merkwürdig machen.
Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo
Ulyſs und Diomed die Pferde des Rhösus bringen.


Das Uebrige findet man besser und geordneter
bey dem Ritter Gioeni, dessen Fach ausschlieſslich die
Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte
Siciliens. Man findet bey ihm alle vulkanische Pro¬
18[274] dukte des Aetna, des Vesuv und der liparischen In¬
seln, und es ist ein Vergnügen die Resultate eines an¬
haltenden Fleiſses hier zusammen zu sehen. Hier
sind alle sicilischen Steine, von denen die Marmorar¬
ten vorzüglich schön sind. Bey Landolina und Bisca¬
ris und Gioeni sind Tische, die aus allen sicilischen
Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der Muscheln
findet man wohl selten so schön und so reich als bey
dem letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die
verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle
aus Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wuſste
wohl, daſs man in Sicilien Bernstein findet, aber ich
wuſste nicht daſs er so schön und groſs angetroffen
wird: und ich habe aus der Ostsee keine so schönen
Farben und Schattierungen davon gesehen. Die Arbei¬
ten waren sehr niedlich und geschmackvoll. In der
neuern Chemie und Physik muſs man indessen nicht
sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es wurde zu¬
fällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft war
nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man
gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stim¬
me über die spezifische Schwere des Metalles zu. End¬
lich muſste unser Landsmann Bergmann den Zwist
entscheiden, und ich war wirklich seinem Ausspruche
am nächsten gekommen. Der Ritter und sein Bruder
sind Männer von vieler Humanität und unermüdetem
Eifer für die Wissenschaft.


Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsge¬
bäude einer theologischen Doktorkreation beyzuwohnen.
Der Saal ist groſs und schön und hell. Rund herum
sind einige groſse Männer des Alterthums nicht übel
[275] abgemahlt, von denen einige Katanier waren; nehm¬
lich Charondas und Stesichorus; auch Cicero hatte für
seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu seyn; so¬
dann der Syrakusier Archimed. Theokrit war den
frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht
hier. Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte
in ziemlich gutem Latein die Lobrede der Stadt und
der Akademie Katanien. Der Promotor hielt sodann
der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war,
und die ich ihm bloſs der guten Sprache wegen nur
in Sicilien noch verzeihe. Nun, dachte ich, wird die
Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man so¬
gar, da die Versammlung nicht zahlreich war, dem
Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber
das war schon alles inter privatos parietes mit dem
Examen abgemacht: man gab dem Kandidaten den
Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort. Die
Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut ge¬
wählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein
freundlicher verständiger Mann. Er zeigte mir eine
erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln an¬
fing, und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt
habe.


In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch
welche eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch
flieſst, war die Luft so übel, daſs der Professor Gam¬
bino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine
Brust war etwas stärker; aber ich machte doch, daſs
ich wieder heraus kam. Sie werden selten besucht.
Auch in den dreyfachen Korridoren des Theaters et¬
was weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum:
[276] von hier hat der Prinz Biscaris seine besten Schätze
gezogen. Auch hier ist ein Aquedukt des Amenanus,
aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes
Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist.
Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die
Oberaufsicht, und kein Eigenthümer darf ohne ihre
Erlaubniſs einen Stein regen.


Das Kloster und die Kirche der reichen Benedik¬
tiner sind so gut als man eine schlechte Sache machen
kann. Die Kirche gilt für die gröſste in ganz Sicilien
und ist noch nicht ausgebaut; an der Faſsade fehlt
noch viel. Sie mag dessen ungeachtet wohl die schön¬
ste seyn. Die Gemälde in derselben sind nicht ohne
Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des Mo¬
realese, werden billig geschätzt. Am meisten thut
man sich auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr
zwanzig Jahren von Don Donato del Piano gebauet
worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bey
Palermo gebaut; aber diese hier soll, wie die Katanier
behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte die
wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Frem¬
de nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu las¬
sen; und ich glaube selbst in Rom keine bessere ge¬
hört zu haben. Schwerlich findet man eine gröſsere
Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige kleine
Spielwerke für die Mönche sind freylich dabey, die
durchaus alle Instrumente in einem einzigen haben
wollen: aber das Echo ist wirklich ein Meisterstück;
ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört.
Die Abenddämmerung in der groſsen schönen Kirche,
und dann die feyerlich schaurige Beleuchtung wirkten
[277] mit. Die Bibliothek und das Kabinet der Benedikti¬
ner sind ansehnlich genug, und könnten bey den Ein¬
künften des Klosters noch weit besser seyn. Im Mu¬
seum finden sich einige hübsche Stücke von Guido
Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere
griechische Inschriften sind an den Wänden umher.
Eine auf einer Marmortafel ist so gelehrt, daſs sie, wie
man sagte, auch die gelehrtesten Antiquare in Italien
nicht haben erklären können: auch Viskonti nicht.
Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach
diesem athletischen Triarier. Doch kam es mir vor,
als ob sie in einem späteren griechischen Stile das
Märterthum der heiligen Agatha enthielte. Wenn Du
nach Katanien zu den Benediktinern kommst, magst
Du dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirthete
man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit mit den
Actis eruditorum, die in einer Klosterbibliothek in Ka¬
tanien auch wirklich eine Seltenheit seyn mögen. Die
Byzantiner waren alle mit Caute in Verwahrung ge¬
setzt, und werden nicht jedem gegeben. einen einen,
sehr groſsen Schatz zeigte man mir eine auſserordent¬
lich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin,
und verschüttete die gute Meinung der Herren fast
durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daſs
der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man
sah mich an; ich war also genöthigt zu zeigen, daſs
er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch
geschrieben habe. Die guten Leute waren verlegen
und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und
ihre Mienen sagten, daſs solche Schätze nicht für Pro¬
fane wären. Der Pater Sekretär, ein feiner gebildeter
[278] Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches
Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬
der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte,
daſs ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen
zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche
Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen:
es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in
der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬
auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬
phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬
wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären
und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich lieſs
mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja
nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬
schen Winter erlebt zu haben.


Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte,
und steht im Kredit, daſs es damit viel gutes thut.
Das heiſst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬
zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde
dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht
will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬
ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬
tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.


Eine schöne Promenade ist der Garten dieses
nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬
ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts
und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und
das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder
geben dem Ganzen das Ansehen einer groſsen mäch¬
tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben
dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬
[279] nikus einen kleinen botanischen Garten, wo er schon
die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält.
Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prin¬
zen Biscaris in der nehmlichen Gegend. Als er ihn
anlegte, hielt man es für eine Spielerey; aber er hat ge¬
zeigt, was Fleiſs mit Anhaltsamkeit und etwas Auf¬
wand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die
Pflanzung grünt und blüht mit Wein und Feigen und
Orangen und den schönsten Blumen aller Art. Der
Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und
ich legte mehrere Blumen in mein Taschenbuch für
meine Freunde im Vaterlande.


Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablisse¬
ment für Manufakturen gemacht: und ob dieses Eta¬
blissement gleich noch nicht weit gediehen ist, so ist
doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel ge¬
wonnen. In der Kathedrale hängt in einer Kapelle
ein schrecklich treues Gemälde, ungefähr sechs Fuſs
im Quadrat, von der letzten groſsen Eruption des Ber¬
ges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein
ächter Künstler sollte es nehmen und ihm in einer
neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch
Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes
Stück werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte
dann vielleicht nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte
Raphael arbeiten sollen; da war mehr als sein Brand.


Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus
den Lavaschichten heraus flieſst steht noch etwas von
der alten Mauer Kat niens, ungefähr in gleicher Ent¬
fernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge
rechts, der dort weiter in die See hinein sich empor
[280] gethürmt hat. An dem Molo hat man schon lange
mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber die See
wird gewaltiger seyn als die Arbeit. Wenn links ein
Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den Wogen¬
sturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher
Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der
ich nichts wuſste, hat schon meine Meinung bestätigt,
und einige verständige Leute pflichteten mir bey. Ka¬
tanien wird sich wohl müssen mit einer leidlichen
Rhede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der
Aetna, der groſse Bauer und Zerstörer, einen Hafen
bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins Meer
schieſsen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig. Es
fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straſse Fer¬
dinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her,
ist die Hauptstraſse: eine andere, die ihr etwas auf¬
wärts parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Ka¬
tanien so fort arbeitet, macht es sich nach einem gros¬
sen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffent¬
liche Monumente sind von der Kommune aus eige¬
nen Kräften bestritten, und es sind derselben nicht
wenig: des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es
ist der lieblichste Ort, den ich in Sicilien gesehen ha¬
be, und übrigens sehr wenig mit der Regierung in
Kollision; so daſs viel gutes zu erwarten ist. Die Da¬
zwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau
meistens das natürliche Gedeihen der freyen Industrie.

[[281]]

Ich muſs mich etwas fassen, daſs ich Dich den Weg
über den Berg und Taormina hierher mit mir nicht
gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich Ge¬
duld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar
schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in
Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand
und der sich als einen sehr guten Hodegeten ankün¬
digte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann
mit einem Thiere, der mit mir die Fahrt bestehen
sollte. Ich packte meinen Sack voll Orangen und ritt
nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken durch¬
ritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiſs ich nicht
mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen
Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen
Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt
denn sie haben rund umher weite Distrikte von Wein¬
bergen. Bey den Mönchen gilt selten das Sprichwort,
im Weine ist Wahrheit; sondern im Weine ist Schlau¬
heit. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich
die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen, je
gröſser das Kloster, desto gröſser die Sottise. Die
Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonse¬
quente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen
Lage sehr gut fühlen und die Kutte durchzuschauen
wissen: diese waren freundlich und höflich. Der
Layenbruder hier im Sande war etwas grämelnd und
murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, be¬
trachtete ihn und sagte mir ganz trocken: Der Abt,
[282] mein Vorgesetzter, hat ihn nicht unterschrieben; er
geht mich also nichts an. Das ist schlimm für mich,
sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll ich nun thun?
fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er besann
sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen
auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und
ich machte natürlich gar keine Umstände, weil
ich ziemlich hungrig war. Wir setzten uns und über
Tische ward mein Wirth freundlicher. Mein Maule¬
sel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte
Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesi¬
chert. Man meldete, daſs eine fremde sehr vornehme
Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg
steigen wollte: das war mir lieb. Wir aſsen dreyer¬
ley Fische. Denke Dir, ein Layenbruder der Bene¬
diktiner in der höchsten Wohnung am Aetna zur Fa¬
sten dreyerley Fische! Denn über diesem Kloster sind
nur noch einige Häuser links hinüber, und weiter
nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die alte
Geiſshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern
Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der
uns trinken half. Dieser schien ein etwas besseres
Stück von Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den
Brief aus der Tasche und lieſs ihn den andern vorle¬
sen: da ergab sich mir denn erst, daſs der Herr
Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte. Der Brief
lautete ungefähr, daſs der Pater Sekretär ihm im Na¬
men und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deut¬
schen reisenden Herrn, der von dem Minister sehr
empfohlen wäre, nach Würden bestens zu bewirthen.
Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die
[283] Rede. Der Bruder erzählte mir seine Reisen und sei¬
ne Schicksale, und daſs ihn der Papst kenne. Bald
kam er auf meine Ketzerey und segnete sich. Er lieſs
sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch et¬
was angelegener seyn, als der palermitanische Steuer¬
revisor in Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch:
er muſste mich mit seinem besten Futter in die Hölle
gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er brauch¬
te, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte
doch einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen
auf dem Berge schon viele umgekommen; nun könnte
ich, wenn ich auch todt gefunden würde, nicht ein¬
mahl christlich begraben werden. Das war nun frey¬
lich ein triftiges Argument; denn bey diesen Herren
ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so
sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich
im ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach
dem Tode einen Stock hinlegen, damit er die Hunde
wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den Kopf
und — trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer
bestellt, der theuer genug war, und auf alle Fälle al¬
les in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft
nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung ge¬
troffen worden war, wurde gemeldet, daſs die Englän¬
der nicht kommen würden, sondern in Nikolosi blie¬
ben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt
und betete etwas unsanft, wie Elisa der Bärenprophet,
über einige seiner Feinde unten in Katanien und oben
in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über
auf die Monti rossi, die sich bey der letzten groſsen
Eruption gebildet haben, vermuthlich von der Farbe
[284] den Namen tragen und von ihren Gipfeln eine herrli¬
che Aussicht geben. Man hat eine starke Viertelstunde
nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch
jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der hier aus¬
brach, alles umwälzte und zernichtete, einen groſsen
Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich
als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich
weiſs wohl, daſs Stollberg anderer Meinung ist; aber
ich habe es hier so von vielen Einwohnern gehört,
unter denen auch manche ziemlich unterrichtete Män¬
ner waren. Als ich herunter stieg, begegnete ich zwey
Engländern von der Parthie aus Nikolosi, die den nehm¬
lichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer wa¬
ren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Mal¬
ta, die von Neapel kamen und unterwegs den Berg
mit sehen wollten; ein Major, ein Hauptmann und
drey Lieutenants. Sie freuten sich noch einen zur
Parthie zu bekommen, und ich holte flugs meinen
Sack vom Mönche und zog herunter zu den Englän¬
dern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher
mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte
ein finsteres Gesicht, murrte etwas durch die Zähne,
vermuthlich einige Flüche über uns Ketzer alle: ich
dankte und ging.


Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein
Freund, unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hat¬
ten den Wirth vom goldenen Löwen aus Katanien mit¬
gebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir
ein Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder
und schliefen nicht viel. Die Herren erzählten ihre
Abenteuer, militärische und galante, von der Themse
[285] und vom Nil, und bald traf die Kritik einen General
bald ein Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand
ihrer Reminiscenzen eine gewisse originelle Trompe¬
tersfrau, die sie nach allen Prädikamenten zur Königin
ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen Mitternacht
kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze Ka¬
ravane zu Maulesel; sechs Signori Forestieri, zwey Füh¬
rer mit Laternen und ein Proviantträger. Es war,
wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitter¬
nacht, oder den siebenten des Morgens. Den vorigen
Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend
ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie
wir aus dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey
meinem Mönch in Sankt Nicolas del bosco ove della
rena
vorbey Es war frisch und ward bald kalt, und
dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm.
Dann deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann
sangen wir God save the king, nach Händel, und
Birtannia, rule the waves, und andere englischpatrio¬
tische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. We are al¬
ready pretty high
, sagte der Eine; it is a bitter nip¬
ping cald
, der Andere. Methinks, hear the dogstar bark,
and Mars meets Venus in the dark
; fuhr ein Dritter
fort. Is that not smoke there? fragte ein subalterner
Myops; I believe I see already old Nock smoking his
pipe. But, my dear
, sagte der Major, You are pur¬
blind upon your starboard eye; it is an oaktree
. So
war es; das gab Gelächter, und wir ritten weiter.
Bald kamen wir aus der bebauten Region in die wal¬
dige, und gingen nun unter den Eichen immer berg¬
auf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der Gegend
[286] der Geiſshöhle an, die aber jetzt auſser Uebung kommt.
Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo
die Fremden eintreten und sich bey einem Feuer
wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und
ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es
nicht besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch
besser als nichts und vermuthlich bequemer als die
Höhle. Hier blieben wir eine kleine Halbestunde, be¬
stiegen wieder unsere Maulthiere und ritten nunmehr
aus der waldigen Region in den Schnee hinein. Un¬
gefähr eine Viertelstunde über dem Hause und der
Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee
fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her
hier und da neu und alt lag. Wir muſsten nun ab¬
steigen und unsere Maulthiere hier lassen. Der Schnee
ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwer¬
lich. Unsere Führer riethen uns nur langsam zu ge¬
hen, und sie hatten Recht: aber die Herren ruhten
zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht Recht.
Methinks I smell the morning air, sagte der Major,
und fuhr ganz drollig fort, als ein junger Lieutenant
durch den hohlen Schnee auf ein Lavastück fiel und
über den Fuſs klagte: Alack, what dangers do inviron
the man that meddles with cold iron!
Die Kälte des
Morgens ward schneidend und die Engländer, die
wohl in Aegypten und Malta eine solche Parthie nicht
gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen.
Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so genann¬
ten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben glü¬
hend über die Berge von Kalabrien herauf und ver¬
goldete was wir von der Meerenge sehen konnten, die
[287] ganze See und den Taurus zu unsern Füſsen. Ganz
rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken; um de¬
sto magischer war die Scene. Hinter uns lag noch
alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da Nebel¬
gestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben?
Nimm deinen Benda, und laſs auf silbernem Flügel
dem Mädchen auf Naxos die Sonne aufgehen: und
wenn Du nicht Etwas von unserm Vergnügen hast,
so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns Titan
auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter:
es konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief
wehklagend und hoch aufschreyend um die Trümmern
herum; denn er hatte die Finger erfroren. Wir hal¬
fen mit Schnee und rieben und wuschen, und arbei¬
teten uns endlich zu dem Gipfel des Berges hinauf.
Mich däucht, man müſste bis zum Philosophenthurm
reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh:
aber die Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich
deſswegen nicht von der Kavalkade seyn. Von hier
aus kann man nicht mehr gehen; man muſs steigen,
und zuweilen klettern, und zuweilen klimmen. Es
scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten Spitze
zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit.
Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von
dergleichen Zeug nichts trinke, aſs ich von Zeit zu
Zeit eine Apfelsine aus der Tasche. Sie waren ziem¬
lich gefroren; aber ich habe nie so etwas köstliches
genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte, denn
der Appetit war stark, stillte ich den Durst mit Schnee,
arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre der deut¬
schen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande
[288] der groſsen ungeheuern Schlucht, in welcher der Kra¬
ter liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der
Major, dann der zweyte Führer, dann die ganze klei¬
ne Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen
Fingern. Hier standen und saſsen und lagen wir, halb
in dem Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes einge¬
hüllt und keiner sprach ein Wort und jeder staunte
in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es in
dunkeln und weiſslichen Wolken dumpf und wüthend
herauftobte. — Endlich sagte der Major, indem er
sich mit einem tiefen Athemzuge Luft machte: Now
it is indeed worth a young man's
while to mount and
see it; for such a sight is not to be met with in the
parks of old England
. Mehr kannst Du von einem
ächten Britten nicht erwarten, dessen patriotische Seele
ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch
bewirthet.


Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im
Umfange, lag vor uns, wir standen alle auf einer
ziemlich schmalen Felsenwand, und bückten uns über
eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebzig Klaf¬
tern hinaus. Einige legten sich nieder, um sich auf
der grausen Höhe vor Schwindel zu sichern. In die¬
ser Schlucht lag tief der Krater, der seine Stürme aus
dem Abgrunde nach der entgegengesetzten Seite hin¬
über warf. Der Wind kam von der Morgensonne und
wir standen noch ziemlich sicher vor dem Dampfe;
nur daſs hier und da etwas durch die Felsenspalten
heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor
den ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinun¬
ter ganz nahe an den Rand des eigentlichen Schlun¬
[289] des zu kommen. Bloſs von der Seite von Taormina,
wo eine sehr groſse Vertiefung ausgeht, muſs man
hinein steigen können, wenn man Zeit und Muth ge¬
nug hat, die Gefahr zu bestehen: denn eine kleine
Veränderung des Windes kann tödtlich werden, und
man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man wohl
unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte
ich drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Ge¬
gend ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl
die Ehre erwerben unten gewesen zu seyn, wenn es
der Wind erlaubte. Man müſste aber mit viel gröſse¬
rer Schwierigkeit von Taormina hinauf steigen.


Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen
etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rund umher.
Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch
auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen
das ganze groſse schöne herrliche Eiland unter uns,
vor uns liegen, wenigstens den schönsten Theil des¬
selben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze
Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit al¬
len Städten und Flecken und Flüssen, war wie in ma¬
gischen Duft gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der
Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche
lang lang hinab in das Meer, und man übersah mit
Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der
See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch
die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daſs die
Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner
für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach
Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die
Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels,
19[290] der doch fast unbewölkt war, hinderten mich weiter
zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen; und mich
däucht, man kann es von hier nicht sehen: es liegt
zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge
müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht
sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Lipa¬
ren sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nach¬
dem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten, und
das erste Staunen sich zu etwas Ruhe setzte, sagte der
Major nach englischer Sitte: Now be sure, we needs
must give a shout at the top down the gulf;
und so
stimmten wir denn drey Mahl ein mächtiges Freuden¬
geschrey an, daſs die Höhlen des furchtbaren Riesen
wiederhallten, und die Führer uns warnten, wir möch¬
ten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten
wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas ver¬
ändertem Mythus: la casa del diavolo und das Echo
in den Klüften la sua risposta.


Der Umfang des kleinen tief unten liegenden
Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn.
Es kochte und brauste, und wüthete und tobte und
stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweyten
Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müſste
vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser
zweyte Schlund müſste auf der andern Seite der Fel¬
sen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den
Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch
hier waren wir nicht ganz vom Rauche frey; die rothe
Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbän¬
dern war ganz schwarzgrau geworden; mein blauer
Rock hatte seine Farbe nicht merklich geändert.


[291]

Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit
Schnee gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze
war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden.
Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschie¬
denen Farben, den ich für todten Schwefel hielt. Er
war heiſs und wir konnten unsere Füſse darin wärmen.
Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf
die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach
Katanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bey Ni¬
kolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze
groſse ausgestorbene Familie des alten lebendigen Va¬
ters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewi¬
gem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche unge¬
heuere Werkstatt muſs er haben! Der letzte groſse
Ausbruch war fast drey deutsche Meilen vom Gipfel
hinab bey Nikolosi. Wenn er wieder durchbrechen
sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo
nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint. Die
Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne
doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser
Herabsteigen war vielleicht noch belohnender als der
Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philoso¬
phenthurm war viel Behutsamkeit nöthig. Hier war
nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten
unser Frühstück. Die Engländer griffen zur Rumfla¬
sche und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und
dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziem¬
lich hart gefroren, aber der heiſse Hunger thaute es
bald auf. Indem wir aſsen, genossen wir das schönste
Schauspiel, das vielleicht das Auge eines Menschen
genieſsen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und
[292] nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige klei¬
ne lichte Wolken. Die Sonne stand schon ziemlich
hoch an der Küste Kalabriens; die See war glänzend.
Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleck¬
chen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie
Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich
was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grö¬
ſser, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich
aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee
kann eine solche Farbenglut und solchen Wechsel ha¬
ben, als die Nebel von Moment zu Moment annah¬
men. Es schoſs in die Höhe und glich einem Walde
mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Ge¬
stalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner
und heller, und die Sonne schien in einem noch
ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das
schnell die ganze nördliche Küste deckte und das wir
tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing an die
Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag
das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem
unnennbaren Halblichte, so daſs wir nur noch den
See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Die¬
ses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes
an der Nordostseite, war das Werk einer kleinen Vier¬
telstunde. Ich werde eine so geschmückte Scene wahr¬
scheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie
ist nur hier zu treffen und auch hier sehr selten; die
Führer priesen uns und sogar sich selbst deſswegen
glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten
dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen
wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war
[293] in undurchdringlichem Nebel gehüllt, und wir selbst
schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen ge¬
macht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee
hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer
halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch
unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder
vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewit¬
ter zog neben uns her nach Katanien zu, und wir
kamen in weniger als der Hälfte Zeit wieder in das
Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das
Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen
durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise ei¬
ne eigene Vorkehrung getroffen. Weiſs der Himmel,
wer es ihnen mag gerathen haben: die meinige war
besser. Sie kamen in Nikolosi in Stiefeln an, setzten
sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zo¬
gen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich
denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten,
schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten.
Der Aufzug lieſs sonderbar genug; sie sahen mit den
groſsen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus,
wie samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem
gewöhnlichen Reisezeug mit gewöhnlichen baumwolle¬
nen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hin¬
aufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen;
herabwärts ging es über die Schuhe und die Unter¬
strümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie na¬
türlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam
und fest ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts ge¬
holfen. Mir fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich
hatte Einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge¬
[294] habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an
das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er
vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und
hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird
er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du
kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬
ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey
Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste
stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man
Hände und Füſse. Nun ritten wir noch immer mit
dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi
hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der
Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬
mäſsg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die
Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬
nes Weges hierher nach Taormina.


Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit
so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine
Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬
phischen Verzeichniſs wurde er hier beträchtlich höher
angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die
mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬
sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬
ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere
Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das
Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬
peau blanc et la pipe à la bouche. — Der Schnee
soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬
lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬
stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt
ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬
[295] cilien oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte
Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch
unten an der südlichen Küste gefunden. Mir scheint
es überhaupt, daſs man jetzt anfängt, die alten Namen
wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich
den Fluſs unten nie anders als Simäthus nennen hören.


Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der
Aetna von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut be¬
baut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Ei¬
chen, die jetzt noch alle kahl standen; und nicht weit
von der Geiſshöhle oder dem jetzigen Hause von Pa¬
terno, hört die Vegetation auf. Wir fanden von dort
an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute Region
giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten
mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieb¬
lichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern
Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blü¬
hen in goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die
Granate, dann der Oehlbaum, dann die Feige, dann
nur der Weinstock und die Kastanie; und dann nur
noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuſse triffst Du alles
dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen
Palmen dazu.


Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir
mein Führer, nur auf Einem Punkte, den alten gro¬
ſsen berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum
kann ich sagen, daſs ich ihn gesehen habe; ich wollte
ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht
muſste ich in einem kleinen elenden Dörfchen blei¬
ben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schön¬
sten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser
[296] Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem
hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste
Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten.
Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬
hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit
weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst
wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat
es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut
als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬
bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren
zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten,
und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das
neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch
hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten
von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches
noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬
men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es
also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬
ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina
hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬
mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus
unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke
Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬
treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬
haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar
nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und
ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich
schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬
[297] derte wieder allein zu Fuſse weiter: denn an der See
hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht ver¬
fehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir
dort den Cicerone machte, wollte mir eine Order an
den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter
ihm stehenden Korporal, mit geben, daſs er mir das
Schloſs auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte
ihm aber mit der Entschuldigung, daſs ich nicht Zeit
haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taor¬
mina ist etwas halsbrechend, und hat einige schöne,
gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte
aus angeführten Ursachen nur zwey kleine Stunden,
bis ich das Theater gesehen und Fische und Oliven
mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche
alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus ei¬
nige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht ver¬
lieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen,
nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute.
Auf die Frage, wie weit ich noch zum nächsten Orte
habe, erhielt ich die Antwort: Saruhn incuhra cin¬
quuh migliah
; welches jeder ohne Noten verste¬
hen wird.


Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte,
der, glaube ich, Giumarrinese hieſs, und noch acht¬
zehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad
nach einem ziemlich warmen Tage that mir recht
wohl; und die frischen Sardellen gleich aus der See
waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut sich
hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht,
daſs man sie in Palermo nicht so schön haben kann.
Einige Millien vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise,
[298] welches mir ordentlich eine Wohlthat war; denn seit
Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syra¬
kus kann man nur eine Viertelstunde an der See bis
an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine geistli¬
che Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den
Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf,
war alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefun¬
den hatte.

[[299]]

In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige
sehr gut gearbeitete Brunnen, mit pompösen lateini¬
schen Inschriften, worin ein Brunnen mit Recht als
eine groſse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade,
daſs sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch
eine furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe
Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick
zeigt, was das Ganze muſs gewesen seyn; und ich
glaube wirklich, die Messinesen haben Recht gehabt,
wenn sie sagten: es sey in der Welt nicht so etwas
prächtiges mehr gewesen, als ihre Faſsade an dem Ha¬
fen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und
ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das
Schicksal scheint hier eine schreckliche Erinnerung an
unsere Ohnmacht gegeben zu haben: Das könnt ihr
mit Macht und angestrengtem Fleiſs in Jahrhunder¬
ten; und das kann ich in einem Momente! Die Mo¬
numente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits
und diesseits wurde zerrüttet! — Nur die Heiligenni¬
schen an den Enden werden wieder aufgebaut und
Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut ein¬
zutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft
und sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekom¬
men durchaus nicht mehr als zwey Stockwerke, um
bey künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter
ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat
selbst in den furchtbaren Erdbeben überall wenig ge¬
litten.


[300]

Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von
denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬
lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden,
und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich
däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint
seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬
men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich
die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du
kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf
ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬
beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg
nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft
werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine groſse
feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die
ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen
Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest.
Mich wundert nicht, daſs die Palmen in Sicilien nicht
besser fortkommen und immer seltener werden, wenn
man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬
dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den
Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen
schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬
sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen
wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬
kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau
und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer
besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür
Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik
hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann
kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬
deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg
[301] aus und segnete das Volk und es ging selig nach
Hause. Die Kathedrale hat in ihrem Bau nichts merk¬
würdiges als die Säulen, die aus dem alten Neptunus¬
tempel am Pharus sind. Der groſse, prächtige Altar
war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wun¬
der der Arbeit und des Reichthums. Man machte mir
Hoffnung, daſs ich ihn würde sehen können, und
nahm es ziemlich übel, daſs mir die Sache so gleich¬
gültig schien.


Man sagt, die Hafenseite liege deſswegen noch so
ganz in Trümmern, weil die Regierung sie durchaus
eben so schön nach dem alten Plan aufgebaut wissen
wolle, und die Bürger sie nur mit dem übrigen
gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen gesonnen seyen.
Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von sehr un¬
terrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein Ge¬
rücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten
soliden Verstand der Bürger, und die Unkunde und
Marotte der Regierung. Die Statue des jetzigen Kö¬
nigs, Ferdinand des vierten, hat man noch 1792 mit¬
ten unter die Trümmern gesetzt. Wenn hier der gute
Herr nicht seinen lethargischen Schnupfen verliert, so
kann ihm kein Anticyra helfen. Was die Leute bey
der Aufstellung der Statue eben hier mögen gedacht
haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder eine
solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient.
Die Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man
aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier
englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten
über die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ih¬
nen die Lage derselben vorkommen. Es sind schöne
[302] herrliche Schiffe, und so oft ich etwas von der engli¬
schen Flotte gesehen habe, habe ich unwillkührlich
den übermüthigen Insulanern ihr stolzes Britannia,
rule the waves verziehen; eben so wie dem Pariser
Didot sein Excudebam, wenn ich die Arbeit selbst be¬
trachtete.


Von der Wasserseite möchte es immer etwas ko¬
sten, Messina anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta
her, würde man so ziemlich gleich gegen gleich fech¬
ten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war
hier an einen Präpositus in einem Kloster empfohlen,
der viel Güte und Freundlichkeit aber ziemlich wenig
Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten
Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muſs. Er
begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und
wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte
schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die
Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen An¬
höhe ist reich an Freskogemälden und Marmorarbeit:
aber was mir wichtiger ist als dieses, sie giebt von ih¬
rer Faſsade links und rechts die schönste Aussicht über
die Stadt und den Meerbusen; und mit einem guten
Glase muſs man hier sehen können, was gegen über
am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen ge¬
schieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patri¬
ciers der Stadt, steht als neuestes Alterthum ein Stück
einer alten Säule mit Inschrift, das vor einiger Zeit
gefunden worden ist. Sie hat auf einem Brunnen
gestanden, und man behauptet, ihre Inschrift sey grie¬
chisch; aber niemand ist da, der sie erklären könnte.
Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so konnte ich
[303] doch nicht einmal heraus bringen, ob es nur griechi¬
chische Lettern waren. Vielleicht ist es altes phönizi¬
sches Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins
der ältesten Monumente. Schrift und Marmor haben
sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen
haben. Das Stück ist, so viel ich weiſs, noch nicht
bekannt, und wird sorgfältig aufgehoben. Ich em¬
pfehle es Männern, die gelehrter sind als ich; da es
doch vielleicht für irgend einen Punkt der Geschichte
nicht unwichtig ist.


Die Herren des Klosters luden mich ein zum
Fasttage bey ihnen zu essen. Dieses ist die einzige
Mahlzeit, die ich in Italien bey Italiänern genossen ha¬
be; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren
habe ich viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu es¬
sen. Das ist nun so die italiänische Weise, die ich
weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand
nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche
die Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir
den Ehrenplatz und war sehr artig und ich sollte dank¬
bar seyn: aber erst für Humanität — magis amica ve¬
ritas
. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muſs
sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an
einem sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang
kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem Kohl¬
raby; sodann kamen Makkaronen mit Käse; sodann
eine Pastete von Sardellen, Oliven, Kapern und star¬
ken aromatischen Kräutern; ferner ein Kompott von
Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige groſse
herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die
beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor¬
[304] trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬
sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬
stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot,
war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬
tum satis superque
. Vor allen habe ich die Kastanien
nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden.
Nun frage ich Dich, heiſst das nicht, mit diesen Fasten
einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde
in den Leib jagen? Bey dieser Diät muſs man frey¬
lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft
verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am
Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die
Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das
nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag.
Meine fuſswandelnde Person war wohl nicht so wich¬
tig, daſs man deſswegen eine Aenderung in der Klo¬
sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich
oben in dem unausgebauten Kloster herum, und
zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬
zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom
Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll
nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase
mag gesessen haben, weiſs ich nicht; die Herren zeig¬
ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬
ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem
Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte
der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch
schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬
lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daſs
der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint
bloſs für Mönche pragmatisch.


[305]

Die Festung zu sehen, muſs man Erla[u][b]niſs ha¬
ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich
nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬
he, daſs man mit zwey tausend braven Grenadieren
ohne Erlaubniſs hinein gehen könnte. Alles ist nur
auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen
hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter,
wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen
habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und
Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus
dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist
hier und in Palermo die einzige Promenade, und für
den Menschen, der Menschen studieren will, gewiſs
eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬
stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon
in der Stadt selbst wohnt eine groſse Verschiedenheit,
und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬
sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem
ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬
denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes
Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬
enge herab. Ich weiſs nicht, ob es durch Sturm oder
irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in
Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬
len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬
menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen
Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬
ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬
sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in
dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und
20[306] brachtern alles ohne Verlust in den Hafen. In diesem
Momente ärgerte ich mich fast, daſs ich nicht reich
war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben:
aber ein zweyter Augenblick gab mir Besinnung; es
war so schöner. Das brave bunte Gewimmel war
mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glück¬
lich, daſs ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging,
Wurde ich an einer Heiligennische per la santa verg
ne um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann for¬
schend an und er fuhr fort: Date nella vostra idea,
date pure; sara bene impiegato. Der Mensch verstand
wenigstens den Menschen, wenn er ihn auch betrü¬
gen sollte; ich gab.

[[307]]

Hier bin ich wieder von der Runde zurück. Der
letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlich¬
ste, aber er hat auch viel belohnendes. Die Berge
hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben wor¬
den; ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem
Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den al¬
ten Messeniern, der eisernen Tyranney der Spartaner,
der muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle
und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartun¬
gen und Erholungen, die Seele voll von diesen Ge¬
danken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg
herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey
so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf
einer weitausgehenden Landzunge macht von fern ei¬
nen hübschen Anblick, und das Land umher scheint
nicht übel gebaut zu seyn. Auch diese Gegend hat
viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor
sahe ich zum ersten Mal wieder grüne vaterländische
Eichen und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus
den Schluchten. Mir ward auf einmal so heimisch
wohl dabey, daſs ich hier hätte bleiben mögen. Es
geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald.
Bey Barcellana, wie man den Ort nannte, sah ich das
schönste Thal in ganz Sicilien; und andere sind,
däucht mich, schon vor mir dieser Meinung gewesen.
Es ist ein reitzendes Gemische von Früchten aller Art,
Orangen und Oel, Feigen und Wein, Bohnen und
Weitzen; und die anschlieſsenden Berge sind nicht zu
[308] hoch und rauh, sondern ihre Gipfel sind noch mit
schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferde¬
stall zu finden; wir ritten also von einem Ort zum
andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht.
Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder we¬
nigſtens seinen Namen, einem dort geschlossenen Ver¬
gleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines
Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht.
Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetz¬
lich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch ei¬
nige Fische und Eyer erhalten. Es hatten sich zwey
Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen
und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein
Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlaf¬
stelle: diese war auf einem steinernen Absatze neben
der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu
den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche
Sorge für mich und gab mir seine Kaputze: und man
begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen
können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare
Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen
Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien
eine Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran
gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen
soll, so habe ich Talent zum Kapuziner, denn ich
schlief gut. Den ersten Tag machten wir funfzig Mil¬
lien.


In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr
angenehmen Lage, wollten wir die zweyte Nacht blei¬
ben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu seyn:
aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere
[309] Millien weiter bis Aque dolci, wo der schöne Name
das beste war, wie vor Agrigent in Fontana fredda.
Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der
Insel, groſs und stark und rauh und furchtbar. Hier,
glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey wirklich in
einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von
Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr
in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein
vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. An¬
derwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig und wohl¬
wollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht
weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle,
in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war
aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit
solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen her¬
um zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg.
Ich muſste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und
als ich bemerkte, daſs ich für Bett und Zimmer zu¬
sammen in Palermo nur drey bezahlte, sagte mir der
Riese von Wirth ganz skoptisch: Freylich; aber dafür
sind Sie auch eben jetzt nicht in Palermo und be¬
kommen doch ein Bett. Der Grund war in Sicilien
so unrecht nicht.


Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte,
mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen
wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es muſste
oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme
waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft
den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer
der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem
hätte nehmen können, so riesenhaft war er selbst und
[310] so groſs und zackig der wilde Stamm, den er als
Stock führte, machte die Gefahr noch gröſser. Die Ge¬
sellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es wa¬
gen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und
noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts.
Die Insulaner sind an groſse Flüsse nicht gewöhnt.
Man machte viele Kreuze und betete Stoſsgebetchen
an alle Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuſs
ins Wasser setzen lieſs; und dankte dann vorzüglich
der heiligen Maria für die Errettung. An einem sol¬
chen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer,
ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren
und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen
abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und
stand mir nicht an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich
würde reiten, er möchte machen was er wollte. In
der Angst für sein Thier und seine Seele schloſs er
sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und be¬
tete; und ich leitete und schlug und spornte den Maul¬
esel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben Hei¬
ligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder
Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel,
sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, faſste
aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem mei¬
nigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolier¬
ten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch
wieder vergessen habe. Ich hätte sollen beständig ei¬
nen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter
hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und
es schneyte und graupelte bis über einen Fuſs hoch.
Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und
[311] vielleicht zuweilen gar gefährlich für Leute, die nicht
an das Element gewöhnt sind und nicht Muth haben.
Einmal verdankte ich aber dem groſsen Wasser eine
schöne Scene. Der Fluſs war, nach der Meinung mei¬
nes Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und
er ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine
Brücke wuſste. Der Weg war zwar lang und ich ward
etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das ei¬
nen so schönen groſsen Orangenwald hielt, wie ich
ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte.
Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Lei¬
denschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen
überall haben so viel er nur fassen konnte: aber mei¬
ne Augen wollten auch zehren, und diese brauchten
mehr zur Sättigung und lieſsen dann gern alles hän¬
gen und liegen.


Endlich kamen wir in Cefalu an. Für groſse
Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der
Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der ei¬
ner der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die lipa¬
rischen Inseln immer rechts gehabt; nun verschwan¬
den sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist
es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an
etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reiſs¬
felder. Bey Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe,
blühende Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahl¬
reich aufbrachen. Ich hätte dem Pfleger die Hände
küssen mögen; es waren die ersten, die ich in ganz
Unteritalien und Sicilien sah. Die Leute sind schänd¬
liche Verräther an der schönen Natur.


In Termini erholte ich mich; hier findet man
[312] wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬
ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles
mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey
mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬
mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein
seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine
Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müſste,
und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬
nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬
wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr
mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung
etwas stiefmütterlich.


Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung
über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit
meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluſs
hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬
ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬
tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre
geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬
be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele
in die meinige herüber hallte.


Trauer der Ceres.
Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet,

Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,

Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus ver¬

gaſsen!

Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,
[313]
Daſs sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer ver¬

gehe!

Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,

Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Auge beym Jammer

des Anblicks.

Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen seligen Kinder

Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,

Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?

Ach wo find' ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,

Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter?

Die mit Reichthum und Macht die hohe Karthago bedrohten,

Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jung¬

fraun,

Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,

Daſs die Olympier selbst mit Neid und Schelsucht herabsahn?

Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen

Thoren,

Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,

Durch die reichen Gefilde, die ich mit Garben bedeckte.

Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings

Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das

Schlachtwort

Für die Sache der Freyheit und für des Vaterlands Sache.

Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,

Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.

Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sah,

War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.

Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du ge¬

fallen,
[314]
Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares

Elend!

Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,

Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,

Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.

Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes

Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas

Mächtig durch die Gebirge, und schufen den Felsen zum

Tanzsaal

Gegenüber des Aetna ewigem Feuerhaupte.

Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden

Volkes,

Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Antlitz,

Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blöſse behangen.

Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören

Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,

Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fi¬

scher.

Finster lauscht jetzt Miſstraun tief in den Furchen der

Stirne;

Stumm und einsam schleicht es daher, und tönet die Seele

Unwillkührlich einen Gesang, so klingt er wie Todesangst.

Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,

Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimath.

Wildniſs starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,

Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.

Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen

Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewoh¬

ner;
[315]
Als besäſs es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,

Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche

Traube;

Ünd noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.

Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne

Daſs sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer ver¬

gehe.

Von Termini aus kann der König wieder fahren.
Indessen hätte der Minister, der den Weg gebaut hat,
ihn mit weniger Kosten vermuthlich besser und dauer¬
hafter machen können. Die Wasserableitung ist nicht
sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von aus¬
sen noch einige sublime Grotesken des sublim grotes¬
ken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem To¬
de nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte
weder Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Un¬
geheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige
Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend
umher beygetragen hat, so will ich ihm die Miſshand¬
lung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht
auſserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die
ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo
zu, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in
Sicilien sehen kann, wenn es gleich keine der schön¬
sten und reichsten ist.


Mir war es wirklich nicht wohl, als ich wieder
in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich
nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Ein¬
zug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bey dem
[316] hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es
holte uns eine Sänfte irgend eines Bischofs, vermuth¬
lich des Bischofs von Cefalu, ein. Sie war überall mit
Schellen behangen und wurde nach der Gewohnheit
von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die von
einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die
Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz
haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich ha¬
be es in Sicilien durchaus gemerkt, daſs die vorneh¬
men Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter
dicker satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hin¬
ein, fing an barock daraus zu diakonieren und mit
groſsen Grimassen den Segen zu spenden. Die Schel¬
len klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht
und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe
der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog
die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schel¬
lengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig
hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartier der
Stadt machen können; in Palermo lachten bloſs zwey
Visitatoren.

[[317]]

Mein alter Wirth hier schickte mich zu einem
neuen, seinem Freunde, weil sein Haus voll war.
Ich war hier eben so gut wie dort und noch etwas
billiger; und hatte überdieſs die Aussicht auf den Ha¬
fen. Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von
Seehund, welcher den Maro mit einigen andern Ka¬
meraden hält. Die Zeit wird mir aber so wenig lang,
daſs ich nur selten die alten Knaster aus dem Felle
nehme.


Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am
Hafen, auf welchen die Palermitaner etwas zu halten
scheinen, wo aber auſser einigen Quinquaillerien,
nicht viel zu haben ist. Man hat wenigstens dabey
die Gelegenheit, fast die ganze galante Welt von Pa¬
lermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Es sind
hier mehr schöne Wagen als in Messina, oh dort
gleich im Allgemeinen mehr Wohlstand zu herrschen
scheint. Es herrscht hier, wie fast an allen Höfen,
Verschwendung und Armuth. In Messina ist man in
Gefahr von den Wagen etwas gerädert zu werden;
aber hier hat man für die Fuſsgänger am Strande ei¬
gene Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst
Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen.
Noch einmahl habe ich die Promenade auf den Monte
Pellegrino gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pil¬
ger wäre. Mich lockte bloſs die Aussicht, wie wohl
auch manchen andern Pilger bloſs irgend eine Aus¬
sicht locken mag. Das Wetter war mir wieder nicht
[318] günstig; ich lieſs mich indessen nicht abhalten, und
stieg bis ziemlich auf den höchsten Gipfel des Felsen¬
bergs hinauf. Wo das Kloster steht ist ein Absatz von
etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr gutes Ge¬
treide hält. Ich ging hinaus bis an die äuſserste Spi¬
tze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia stehet mit
ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die
Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und
mir wenig Platz gelassen. Alles war voll, und Stirn
und Wange und Busen des heiligen Rosenmädchens
waren beschrieben; es blieb mir nichts übrig als ihr
meinen Namen auf die Nasenspitze zu setzen. Viel¬
leicht dachte jeder durch die Aufsetzung seines Na¬
mens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze
ist wenigstens durch den meinigen nicht verdorben
worden: und dieses ist das einzige Mal, daſs ich auf
der ganzen Wandlung meinen Namen geschrieben ha¬
be, wenn mich nicht die Polizey dazu nöthigte.


Zwischen diesem isolierten Felsen und der höhe¬
ren Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das
sich von der Stadt immer enger bis an die See vor¬
zieht. Es ist reichlich gesegnet und der Fleiſs könnte
noch mehr gewinnen. Hier muſs nach der Topogra¬
phie das Städchen Hykkara gelegen haben, aus wel¬
chem Micias die schöne Lais holte und nach Griechen¬
land brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen
Hofmannischen Augen den Eryx bey Trapani, und
knüpfte in vielen schnellen Uebergängen Wieland,
Aristipp, und die erycinische Göttin zusammen. Weiſs
der Himmel wie ich in diesem Thema auf den Hudi¬
bras kam; die Ideenverbindung mag wohl etwas
[319] schnell und gesetzlos gewesen seyn, und ich halte es
nicht für wichtig genug sie wieder aufzusuchen. Ich
guckte hin nach Trapani und sang oder murmelte
nach einer beliebten Melodie aus Mozarts Zauberflöte
die schönen harmonischen Verse von Butler, die ich
immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehal¬
ten habe. Sie paſsten vortreflich zur Melodie des Vo¬
gelfängers. Also ich brummte:


So learned Taliacotius from

The brawny part of porters bum

Cut supplemental noses, which

Would last as long as parent breech;

And as the date of Knock was out,

Off dropt the sympathetic snout.

Ich hatte in meinem musikalischen Enthusiasmus
nicht auf den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte
ich die letzte Zeile gesungen und wollte die erste wie¬
der anfangen, so fiel ich auf die Nase, welches mir
selbst auf dem Aetna nicht begegnet war, wo doch die
Landsleute Butlers in ihren Strümpfen alle sehr oft
zu Falle kamen. Hatte vielleicht die Göttin von
Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen wol¬
len; die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das
Herz, dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehe¬
mals etwas enge gewesen; jetzt war ihm längst wieder
leicht. Ich hatte aus Gewohnheit noch ein kleines
niedliches Madonnenbildchen an einer seidenen Schnur
am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der Ka¬
tholicität erworben hatte. Das Original hatte mich
[320] königlich betrogen. Jetzt nahm ich es unwillkührlich
von der linken Seite, nach welcher sich das Idolchen
immer neigte, schloſs unwillkührlich das Glas auf,
nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus und er¬
schrak, als ich es heftig unwillkührlich in zehen Stü¬
cke zersplittert zwischen dem Daumen hielt. War das
lauter Rache Rosaliens und der vom Eryx? Mögen
sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt die
Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag ver¬
zeihen: er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt.
Einige Minuten hielt mich Phantasus noch mit Weh¬
muth am Original; ich saſs auf einem Felsenstücke
des Erkta und sah es im Geist an der Spree im gol¬
denen Wagen rollen. Rolle zu; und so flogen die
Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hin¬
unter. Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprun¬
gen; noch jetzt dem Original. Aber ich stieg nun ru¬
hig den Schneckengang nach der Königsstadt hinab;
die röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieb¬
lich mir vor den Augen. Ich vergaſs das Gemälde;
möge es dem Original wohl gehen!


Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet,
und wurde zu Hause gräſslich bewillkommt. Aber da
muſs ich Dir noch mehreres erzählen, ehe Du dieses
gehörig verstehest. Du erinnerst dich des guten Steuer¬
revisors, der sich in Agrigent meiner so freundschaft¬
lich annahm, daſs er fast die Menschheit streitig
machte. Kaum hatte ich in meinem Wirthshause die
erste Nacht ausgeschlafen, als mein Steuerrevisor zu
mir herein trat. Das that mir nun recht wohl; denn
wer freut sich nicht, daſs sich jemand um ihn beküm¬
[321] mert? Er erzählte mir, er sey meinetwegen in gro¬
ſsem Schrecken gewesen, als der Eseltreiber zurück
gekommen, habe geglaubt, ich werde nun sicher um¬
kommen, da ich allein ohne Waffen in der Insel her¬
um laufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein Begleiter,
sagte er mir zum Trost, sey völlig von der Paste wie¬
der genesen, und er habe die zwey Unzen bis auf den
Abzug einiger Kleinigkeiten ihm wieder herausgeben
müssen. Gut, dachte ich; also wieder zwey Unzen ge¬
rettet; ich kann sie brauchen. Sogleich nach seiner
Ankunft in Palermo habe er sich nach meinem Wirths¬
hause erkundigt und es bald erfahren. Nun sey er seit
acht Tagen täglich da gewesen, um nachzufragen,
Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und sey
sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein
zu ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir nun
nicht ganz recht; denn ich wäre lieber geblieben wo
ich war. Indessen der Mann bat so freundlich, war
so besorgt gewesen; ich packte also ein, und lieſs hin¬
tragen. Er wohnte vor dem Thore nach Montreale.
Wir aſsen, und seine Frau, eine heiſse zelotische nicht
unfeine Sicilianerin, fing nun meine Bekehrung an.
Das Examen ging über Tische und zum Dessert von
Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen
bis auf die unbefleckte Empfängniſs. Das letzte war
das Allerheiligste, von dem ich nichts wuſste. Die
gute Frau hätte, wie es schien, lieber ihre eigene
Keuschheit in Gefahr gesetzt, als das geringste von der
Jungferschaft Mariens aufgegeben. Man sprach mit
aller Wärme und Salbung, mich zu überzeugen; aber
vergebens. Man fing nun an mir Aussichten zu eröff¬
21[322] nen: ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wä¬
re, als ich bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten
haben, wo man sie doch am liebsten hat. Don Juan‚
fate vi cristiano
, et state qui in Sicilia. — Ma lo so¬
no
. — Ma non siete cattoliso. — Ma sono bene co¬
si
; non si puo meglio. Die Frau aſs im Eifer Bonbon
und trank Wein und ward heftig, und da ich denn
trocken halsstarrig fort blieb, rief sie in heiliger
Wuth aus, indem sie den Teller von sich stieſs: Ma
vol altri voi siete tutti baroni f-t-ti
. Ueber diese Nai¬
vetät erschrak ich, und wäre jetzt für zwey Unzen
gern zurück in mein Wirthshaus gewesen. Nach Ti¬
sche ging ich zu Rosalien, wie ich Dir erzählte. Ich
glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut ge¬
merkt zu haben und irrte mich doch; ich kam in ein
unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, wo hier Don
Filippo wohne, als ein Kerl ladro, briccone, furfante
heraus schrie und wüthend mit dem Messer auf mich
zu stürzte. Ich hob so schnell ich konnte die Eisen¬
zwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell
zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinun¬
ter. Die Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne
Nachbarschaft, dachte ich, und ging in mein altes
Gasthaus. Dort war ich sehr willkommen. Ich hatte
mich eben zu Bette gelegt, als der Herr Steuerrevisor
kam und mich aufsuchte. Er war meinetwegen in
Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer und
sagte, daſs ich in einer solchen Nachbarschaft nicht
wohnen möchte; er lieſs aber nicht nach bis ich ihm
versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen, denn
diesen Abend war ich nicht wieder aus dem Bette zu
[323] bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr
früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich
ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬
dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur
im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn
wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr
sehr gut zu veranstalten wuſste, hatte er immer etwas
zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬
lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬
durch sehr theuer. Ich muſste Geld haben von dem
Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte
bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht
recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller
meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu
sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung,
und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬
reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬
sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas
enrhümiert hatte, muſste ich bey dem schlechten Wet¬
ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier
erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine
Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der
Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬
treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬
der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen,
wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey
diesen trockenen Worten eine Kälte, daſs ich im Wa¬
gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬
lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen
wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie
gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,
[324] der so groſsen unglücklichen Appetit an der Paste hat¬
te. Ueberdieſs war ich mit vielem in Auslage, und es
war mir sehr lieb, als der Kapitän an Bord rufen lieſs.
Er begleitete mich bis ans Wasser im Wagen mit sei¬
nen kleinen Mädchen, die in der That allerliebst
niedliche Geschöpfchen waren. Beym Abschied in
meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Ge¬
schenk für diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch
die Börse und gab ihm schweigend das Goldstück hin.
Er hatte mir es sehr verübelt, daſs ich mir auf dem
Paketboote ein Zimmer für mich genommen und mich
an die Tafel des Kapitäns verdungen hatte. Das war
nach seiner Meinung Verschwendung, und ich hätte
für das Viertel der Summe mich unter die Takelage
des Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher
Wirth, der Herr Steuerrevisor! Der Wind blieb wi¬
drig, wir fuhren nicht ab, und ich zog lieber wieder
hinaus ins Wirthshaus: gleich suchte er mich wieder
auf und wollte mich wieder zu sich haben. Der
Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und weg¬
geworfen unverschämt, und ich muſste noch bey eini¬
gen Parthien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich
recht bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn,
zu benehmen, aſs ich in der Auberge unbefangen mit
groſsem Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne
ihn einzuladen oder für ihn zu bestellen. Nun
wünschte er mir gute Reise, und ich sah ihn nicht
wieder, den Herrn Steuerrevisor Don Filippo — —
seinen Geschlechtsnamen will ich vergessen. Sterzin¬
ger, mit dem ich nachher noch sprach, kannte ihn
und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte
[325] und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er
zu seiner jetzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse
ihm meine Unzen zur Besserung bekommen!


Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der
Flora am Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu
hat es gezeichnet und ein Palermitaner es nach dem
Riſs aufgeführt. Die Sicilianer sind mit der Ausfüh¬
rung aber nicht mit der Idee zufrieden. Wo man
rechts und links, auf der Insel und dem festen Lan¬
de, noch so viele schöne Monumente griechischer
Kunst hat, ist man freylich etwas schwierig. Die Säu¬
len sind nicht rein und oben und unten verziert. Der
Saal ist nach der Anlage des Linneischen in Schwe¬
den, und vielleicht einer der prächtigsten dieser Art.
Rund umher stehen die Büsten der groſsen Männer
des Fachs in Nischen, von Theophrast bis zu Büffon.
Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre ange¬
than, sein Gesicht unter einem andern alten Namen
mit darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art
von Belohnung.


Der alte Cassero oder Carso, in allen italiänischen
Städten von Bedeutung die Hauptstraſse, hat jetzt sei¬
nen Namen verändert und heiſst Toledo nach der
Hauptstraſse von Neapel; vermuthlich dem anwesen¬
den Hofe eine Schmeicheley zu machen. Uebrigens
muſs der Hof eben nicht auſserordentlich geliebt seyn;
denn ich habe oft gehört, daſs man nie so schlechtes
Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier Jahre,
so lange der Hof hier sey.


Die Polizey scheint hier nicht sehr genau zu
seyn, oder berechnet Dinge nicht, die es doch wohl
[326] verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer
breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es
war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten,
und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer.
Die Schauspieler arbeiteten gräſslich schön, und der
Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich
wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im
Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen,
wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬
mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf
öffentlichen Plätzen unter dem gröſsten Zulauf gegeben
zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und
schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben
doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬
gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬
den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer
noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch
mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen
Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen
aus; ein Kerl schoſs blutig an mir vorbey, und ein
anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬
melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer
erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die
Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob
sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬
tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬
serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien
und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man
sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen.
Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten
religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie
[327] erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬
anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann
urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte
mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬
keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund.
Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬
mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste
Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert
hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine
Besorgniſs. Man speiste mich indessen leidlich und
machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬
sche, so daſs alle Schieſsgewehre und Dolche in ei¬
nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte
mich auch darauf aufmerksam, daſs ich bewaffnet wä¬
re, und ich schlief nun ziemlich ruhig.


Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬
men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich
war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen
durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren
wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste
Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das
Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man
bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so
wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen.
Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse
konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬
gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am
Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung
auf die Insel, daſs die Sicilianer nun ihre Göttin un¬
ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬
thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬
[328] achtet. Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch
aufgestoſsen. Der Kaiser Karl der Fünfte hat um Si¬
cilien groſse Verdienste, und sein Andenken ist billig
den Insulanern ehrwürdig. Ueberall findet man noch
Arbeiten von ihm, die seinen thätigen Geist bezeich¬
nen, und die jetzt vernachlässigt und vergessen wer¬
den. Die Wachthürme rund umher, die er nach sei¬
ner afrikanischen Unternehmung aufführen lieſs, zei¬
gen von seinem Muth und der damaligen Kraft der
Insel. Seine Bildsäule steht also in Palermo fast mit¬
ten in der Stadt am Toledo auf einem freyen Platze;
aber mit einem Bombast, der nicht in der Natur des
Mannes lag. Er hat in der Inschrift eine lange Reihe
Beynamen, und heiſst unter andern, vermuthlich we¬
gen der Mühlberger Schlacht, auch der Sachse und
Hesse. Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz,
dessen Enkomiast ich übrigens nicht ganz unbedingt
werden möchte, nicht wegen der Ehrenberger Klause
den Oestreicher und Spanier nennen? Sein Sieg war
bedeutend genug und die Folge des Tages für die Pro¬
testanten auf immer wichtig.

[[329]]

Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und
her, und fast schon den ganzen Tag tanzen wir hier
vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und
zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, wel¬
ches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von
Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns
aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten
wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nah im
Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Ter¬
mini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das an¬
dere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere
Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen,
um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem
Paketboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig
Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir
saſsen lange zwischen Ustika und den liparischen In¬
seln, und ich las, weiſs der Himmel wie ich eben hier
auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die
Georgika Virgils, die ich hier besser genoſs als jemals.
Nur wollte mir die Schluſsfabel von dem Bienenvater
nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher
gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht
kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologi¬
schen Vaterlande waren, ein groſses Stück in die Ae¬
neis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schön¬
heiten im 4. Buche die Beschreibung des Atlas wieder
nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist, dünkt
mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro
[330] nicht zutrauen sollte. Da ich eben nicht viel zu thun
habe, will ich Dir die Stelle ein wenig vorschulmei¬
stern. Merkur kommt von seinem Herrn Vater auf
der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse, heis¬
sen, wie sie in meinem Buche stehen:

jamque volans apicem et latera ardua cernit

Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;

Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris

Piniferum caput et vento pulsatur et imbre:

Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento

Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.

Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch:
aber er bringt auf den obersten Scheitel Sturm und
Regen, läſst Schnee auf die Schultern fallen, Flüsse
aus dem Kinn strömen und weiter unten den Bart
von Eis starren. Das ist nun alles ziemlich umge¬
kehrt, wenn ich meinem biſschen Erfahrung glaube.
Ich weiſs nicht was Heyne aus der Stelle gemacht hat.
So weit oben werden überdieſs wohl schwerlich noch
Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Lieb¬
ling zu vertheidigen; ich selbst bleibe hier mit meiner
Hermenevtik etwas stecken. Wer in seinem Leben
keine hohen Berge gesehen und bestiegen hat, nimmt
so etwas freylich nicht genau. Schade um die schönen
Verse.


Diese Nacht begegneten uns viele französische
Schiffe, die ihre Landsleute von Tarent holen wollen.
Alles ist ungeduldig bald am Lande zu seyn; aber
[331] Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬
geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht
gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld
ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich
habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische
und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe;
wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬
sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer
Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein
Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten
seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit:
aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬
sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt
bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der
Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die
schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬
tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬
sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten,
dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬
hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es
ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind
bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen
meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung,
nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬
der und schlafe.

[[332]]

Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger
Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten
uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minu¬
ten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone
und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoli¬
veto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand.
Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund
von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem
andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag kei¬
nen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte,
daſs ich viel zu Fuſse herum lief und laufen wollte,
ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als ge¬
wöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Be¬
quemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anek¬
doten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen;
dann wollte ich keinen haben.


Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe
auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegwei¬
sern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag
genommen. Ich lieſs mir gern gefallen mich in dem
Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die al¬
ten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus an¬
dern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschrei¬
bung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des
Serapistempels anatomierte, wir würden deſswegen in
unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich
aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll,
weiſs ich nicht: die Meinung der Antiquare, daſs es
[333] ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht ein¬
leuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig,
die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser her¬
vorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde
ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke
halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist
nicht so groſs, daſs es einem Menschen, wie das Stie¬
felchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich
zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts
noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem
Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bil¬
den; der Umweg war also etwas gröſser als jetzt. Zum
Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern we¬
der Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinet¬
wegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lu¬
kriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr
viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser
als ein groſser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch
den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man
ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den
Averner, zusammen verbunden hatte, um den Juli¬
schen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulka¬
nische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang
zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und
der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirk¬
lich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Ein¬
gange hin und sah rechts gegen über den alten Tem¬
pel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein
Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des
neuen Berges stehen blieb, die ohne groſse Erschütte¬
rung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte.
[334] Man kann nichts romaneskeres haben, als den kleinen
Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die
Grotte, zumal wenn man den Kopf voll Fabel hat.
Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in
dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das
Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzäh¬
lung nach diesem Orte gearbeitet; denn das Facilis
descensus Averni
scheint wörtlich hier weggenommen
zu seyn. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an
ein etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich
voll Wasser war. Hier muſste ich mich auf den Rük¬
ken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts
und links fand ich hier einen langen Katalog von Neu¬
gierigen aller Nationen. Mein Name steht oben auf
dem Erkta, wo die Karthager so brav und lange schlu¬
gen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit ge¬
nug. So ganz allein mit einem Wildfremden in die¬
ser Höhle herum zu schleichen, mein Freund, macht
doch etwas unheimisch.


Ein Schauerchen fuhr mir beym Fackelschein

Im Heiligthum durch das Gebein;

Das Wasser ging mir in der Höhle

Des Mütterchens bis an die Seele.

Mir ward so ernst und feyerlich,

Und voll von Ehrfurcht setzt' ich mich

An einem dreyfach dunkeln Flecke

Auf einen Stein in einer Ecke.

Mein Führer lieſs mir eben etwas Zeit

Mit seiner Stromgelehrsamkeit,

[335]
Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:

Da hab' ich denn in aller Stille

Die alte kumische Sibylle

Für Dich und mich um Rath gefragt;

Sie hat mir aber — nichts gesagt.

Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,

Und glaube, sie hat wohl gethan.

Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein
Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung
drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande
putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece
— —
Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen
ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬
tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie
nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein
wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier,
daſs aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬
rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬
tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und
war vielleicht weiter nichts als der jetzige groſse Gang,
der nach dem Avernus und also nach Kumä offen
und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist.
Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬
den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬
leicht durch die schöne romantische Lage der Berge
und Seen und einige Felsenspalten veranlaſst; aber
vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel
schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und
die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so
[336] daſs der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens
ist.


Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter
und sah die ehemaligen Thermen des Nero. Solltest
Du glauben, daſs ich nicht im Stande war hinunter
zu steigen? Ich hatte mich ausgezogen und versuchte
es zwey Mal. Der Dampf trieb mir aber auf den
vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts ging, einen
so entsetzlichen Schweiſs aus, daſs ich umkehrte. Ich
lieſs den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine vor¬
nehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen,
müssen den Schwitzkasten besser vertragen können als
ich: das Experiment war mir zu heiſs. Ob die alten
Gebäude, die am Strande hinstehen, Tempel oder Bä¬
der gewesen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sie
gehören augenscheinlich zu Bajä und zu Bajä waren
viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl
nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey
Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und
das Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte
Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden,
es mag gehören wem es will. Die Arbeit ist gut und
die Wandverzierungen sind sehr niedlich und ge¬
schmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen Bernstein
von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Lo¬
che in der Mitte, durch welches ein Drath oder Ring
gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen,
ob es alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn
mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe
Agrippine umgekommen seyn soll, werden, hart unter
dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmern ge¬
[337] zeigt. Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen.
Was die Piscine und die Felsengänge oder die soge¬
nannten Gefängnisse des Nero mögen gewesen seyn,
darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife
nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römi¬
schen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren, zu
Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind gräſs¬
lich und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle da¬
gegen: wie denn alles Grausame bey den Römern
schrecklicher und scheuſslicher war, als bey den Grie¬
chen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr
einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf
die Spitze des Vorgebirges und bis hinab an die ely¬
seischen Felder und das todte Meer sind schöne Pflan¬
zungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von
dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem
hohen Felsen dieses Namens schlieſst. Gegen über
liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man er¬
zählte, daſs die Engländer im vorigen Kriege von dort
herüber nach Baulä geschossen haben. Das ist aber
doch nicht wohl möglich; es muſs aus den Schiffen
auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen
seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, daſs
ich neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine
Recension von Gmelins Blättern von dieser Gegend
gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das
Mare morto und der Avernus eine und die nehmliche
See wären; eine Unbestimmtheit, die man doch in
den Propyläen nicht antreffen sollte.


Ich lieſs mich von Misene gern über den Meer¬
busen hinüber nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et¬
22[338] was spät aber mit desto besserm Appetit eine herrli¬
che Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist we¬
gen seiner Schönheiten berühmt; aber überall, wohin
man blickt, findet man nur Trümmern, Zerstörungen
der Zeit, der Barbarey und der Erdrevolutionen, als
ob sich alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schänd¬
lichsten Despotie zu zernichten und nur die Reize der
Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt
ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man
sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier ha¬
be ehemals der Falerner Berg gestanden und sey in
den verschiedenen Erdrevolutionen mit verschüttet
worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Faler¬
ner, der allerdings besser seyn soll, als der ächte Fa¬
lerner bey Sessa auf der andern Seite des Gaurus. Ei¬
ne sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich
weiſs nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat.
Kapri sieht von hier, und noch mehr von der Spitze
des Posilippo und Nisida aus, wie der Kopf eines un¬
geheuern Krokodils, das seinen Rachen nach Surrent
dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, so
oft ich dahin sah; und sie giebt der Tiberiade einen
abscheulichen Stempel[.]


Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht
durch ein üppig reiches Thal an dem Posilippo hin.
Die Gegend ist aber als sehr ungesund bekannt, we¬
gen der Solfatara und des Agnano, die links in der
Nähe liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt
rechts vor Dir; alles ist geschlossen und nirgends eine
Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht etwas ban¬
ge vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du;
[339] denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den
Berg hin. Dieſs ist die berühmte Grotte. Vermuth¬
lich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den
man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht
auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so ei¬
nen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Nea¬
pel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey
einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der
Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es
ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Ar¬
beit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit
der Römer muſs das Werk nicht unternommen wor¬
den seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas da¬
von aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese
Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der
Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behält¬
niſs eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich ei¬
ner Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt
man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann
und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und dar¬
aus die Gegend unsicher machen!


Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch
von Pästum komme, muſs ich vom Anfange anfan¬
gen, wenn Du nur einigermaſsen mit mir promenie¬
ren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich
über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach
Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es
doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdieſs
drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach
Pompeji unerträglich; meine Fuſssohlen hatten durch
langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die
[340] den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich
lieſs mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste
Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen.
Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien,
ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich
um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer
zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da
war; ob ich gleich nicht läugnen kann, daſs Fleiſs
und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte
machen können.


In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich
die Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter
fahren. Ich wandelte also in der Stadt herum, und
bald faſste mich ein Geistlicher bey der Krause, der
mir alle Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die
Kathedrale mit ihren Wundern war das erste. Das
Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke ge¬
arbeitet, lieſse sich wirklich auch in Rom noch sehen.
Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten Erzbi¬
schöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten
gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs
aus Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung
neuer Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste
sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch
aus Pästum geholt hat. Man führte mich auch in das
Adyton der Krypte des Schutzpatrons, welches Mat¬
thäus ist. Hier stand die statua biformis des Heili¬
gen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey die¬
ser Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die
der Apostel zum Heile der Stadt gegen die Saracenen
gethan hatte. Es läſst sich wohl begreifen, wie das
[341] zuging, und wie irgend ein Spruch von ihm und der
Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, daſs die Ungläu¬
bigen abziehen muſsten. Und nach der alten Rechts¬
regel, quod quis per alium — kommt ihm dann die
Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den
Herren gar trefflich zu amalgamieren: die Plattköpfe
haben es gar nicht nöthig, die nehmen es starkgläubig
geradezu. Im Hintergrund der Krypte stehen noch
ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich ver¬
gessen habe, deren Blut aber noch beständig floſs. Ich
hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen;
ich wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels.
Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger,
der mir vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und
von allen Seiten in den schönsten Beleuchtungen
zeigte: er drückte mir stillschweigend die Hand als
ich fort ging. Nun brachte man mich noch mit Ge¬
walt in eine andere Kirche, wo eine schöne Kreuzi¬
gung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, son¬
dern ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger
Phantasie konnte man wohl so etwas heraus oder viel¬
mehr hineinbringen; und die Wunder überlasse ich
den Gläubigen. Einige wunderten sich, daſs ich doch
gar nichts aufschriebe, wie andere Reisende; und einer
der jungen Herren, die mich begleiteten, sagte zu
meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich unter¬
richtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem
eine groſse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein
Hauptführer, der sich, glaube ich, einen Kastellan des
Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus; das gab
ich: sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das
[342] gab ich auch. Schadet niemand und hilft wohl; man
muſs die Gläubigen stärken, lautet das Schibolet, das
Göthens Reincke der Fuchs von seiner Frau Mutter
bekommt. Dann bat er sich etwas für seine Mühe
aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht
und zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm
hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich
einen Korporal nannte, und von dem ich eben so
wenig wuſste, wie er zur Gesellschaft noch wie er in
den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber ent¬
stand Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien.
Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, daſs der
Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte
mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey
ein Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete bey¬
den ganz leise, daſs ich das nehmliche glaube und es
wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.


Mein Freund, Du suchest in Salerne

Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;

Denn zeigt er sich auch nur von ferne,

So eilen Kutten und Kaputzen,

Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,

Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.

Da löscht man des Verstandes Zunder,

Und mischt mit Pfaffenwitz, des Widersinnes Plunder,

Zum Trost der Schurkerey, zum Wunder:

Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmei¬
chelt,

Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,

[343]
Kniet hin und betet, geht und meuchelt;

Gewiſs, Vergebung seiner Sünden

Beym nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.

Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muſs es
Dir nur gestehen, daſs ich den Artikel von der Ver¬
gebung der Sünden für einen der verderblichsten
halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angebli¬
chen Troste der Schwachköpfe nur hat erfinden kön¬
nen. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus, den
man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedan¬
ke, daſs Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit
allen seinen bösen und guten Werken hingehen müs¬
sen, wohin ihm seine Natur führt. Eine miſsverstan¬
dene Humanität hat den Irrthum zum Unglück des
Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt: und
nun wickeln sich die Theologen so fein als möglich in
Distinktionen herum, welche die Sache durchaus nicht
besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt in
Ewigkeit gefehit; es läſst sich keine einzige Folge ei¬
ner einzigen That aus der Kette der Dinge heraus reis¬
sen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Na¬
tur selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll
sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern
suchen. Der Begriff der Verzeihung hindert meistens
das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich
davon zu berzeugen. Soll vielleicht dieser Trost gros¬
sen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle Schurken,
die sich nicht bessern können, die von Beichte zu
Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger
werden; diese sollen zum Heile der Menschheit ver¬
[344] zweifeln. Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die
Verzweiflung der Bösewichter ist Wohlthat für die
Welt; sie ist das Opfer, das der Tugend und der Gött¬
lichkeit unserer Natur gebracht wird. Verzweifle, wer
sich nicht bessern hann; die Vergebung der Sünden
kann ich nicht begreifen: sie ist ein Widerspruch, ge¬
hört zu den Gängelbändern der geistlichen Empirik,
damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur
die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche
Gnade im gröſsten Umfange und Unfuge regiert; kein
rechtlicher Mann ist dort seiner Existenz sicher. Die
Geschichte belegt.


Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer,
der mir sehr problematisch aussah. Er machte mich
dadurch aufmerksam, daſs ich bey ihm auſserordent¬
lich sicher sey, weil er alles schlechte Gesindel als
freundliche Bekannten grüſste und meinte, in seiner
Gesellschaft könne mir nichts geschehen. Das begriff
ich und war ziemlich ruhig, obgleich nicht wegen sei¬
ner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt
übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit,
mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich
ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch
diesen Abend ab, und blieben die Nacht an der Stra¬
ſse in einem einzelnen Wirthshause, wo sich der Weg
nach Pästum rechts von der Landstraſse nach Eboli
und Kalabrien trennt. Diese Landstraſse geht von
hier aus nur ungefähr noch vierzig Millien; dann
fängt sie an sicilianisch zu werden und ist nur für
Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der Him¬
mel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich
[345] wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als
gewöhnlich.


Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen

Mir links und rechts in einem Zauberchor

Den Vorgeschmack des Himmels vor,

Und laue leise Weste trugen

Mich im Genuſs für Aug' und Ohr

Durch Gras wie Korn und Korn wie Rohr.

Balsamisch schickte jede Blume

Mir üppig ihren Wohlgeruch,

Der Göttin um uns her zum Ruhme,

Aus Florens groſsem Heiligthume;

Und rund umher las ich das schöne Buch

Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.

Die goldnen Hesperiden schwollen

Am Wege hin in freundlicher Magie,

Und Mandeln, Wein und Feigen quollen

Am Lebenstrahl des Segen vollen

In stillversteckter Eurhythmie;

Und Klee wie Wald begränzte sie.

Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,

Und fühlte schon voraus die Wonne,

Mit Pästums Rosen in der Hand,

An eines Tempels hohen Stufen,

Wo Maro einst begeistert stand,

Die Muse Maros anzurufen.

Die Tempel stiegen, groſs und hehr,

Mir aus der ferne schon entgegen,
[346]
Da ward die Gegend menschenleer

Und öd' und öder um mich her,

Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.

Da stand ich einsam an dem Thore

Und an dem hohen Säulengang,

Wo ehmals dem entzückten Ohre

Ein voller Zug in vollem Chore

Das hohe Lob der Gottheit sang.

Verwüstung herrschet um die Mauer,

Wo einst die Glücklichen gewohnt,

Und mit geheimen tiefem Schauer

Sah ich umher und sahe nichts verschont;

Und meine Freude ward nun Trauer.

Umsonst blickt Titan hier so milde,

Umsonst bekrönet er im Jahr

Zwey Mal mit Ernte die Gefilde;

Du suchst von allem, was einst war,

Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar

Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,

Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,

Um den verschütteten Altar.

Nur hier und da im hohen Grase wallt,

Den Menschensinn noch greller anzustoſsen,

Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.

Freund, denke Dir die Seelenlosen,

In Pastum blühen keine Rosen.

Ich gebe Dir zu, daſs in diesen Versen wenig
Poesie ist; aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit.
[347] Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging
die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey
bekannten groſsen alten Gebäude, die Wohnung des
Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes
elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerli¬
ches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich
suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für
Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk
mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose
finden. In der ganzen Gegend rund umher, versi¬
cherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durch¬
suchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen
Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose.
Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte
über das Piakulum an der heiligen Natur. Der
Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wä¬
ren noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten
sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine er¬
bärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich,
daſs die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten
der Erde berühmt gewesen, daſs er sie nicht muſste
abreiſsen lassen, daſs er nachpflanzen sollte, daſs es
sein Vortheil seyn würde, daſs jeder Fremde gern et¬
was für eine pästische Rose bezahlte; daſs ich, zum
Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn
ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders
leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien
er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige
Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu
denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daſs
[348] man künftig in Pästum wieder Rosen findet: wenig¬
stens will ich hiermit alle bitten, die nehmlichen Er¬
innerungen eindringlich zu wiederholen, bis es
fruchtet.


Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht.
Ich setzte mich an einem Rest von Altar hin, der in
einem derselben noch zu finden ist, und ruhte eine
Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen.
Wenn einer ihrer Geister zurück käme und mich Hy¬
perboreer unter den letzten Trümmern seiner Vater¬
stadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich bin
nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute
für gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in
Agrigent. Man muſs sehr elastisch steigen, oder man
ist in Gefahr sich einen Bruch zu schreiten. Daſs ei¬
ner von den Tempeln dem Neptun gehöre, beruht
wahrscheinlich auf dem Umstand daſs er der vorzüg¬
liche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines der
Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die
gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über
einander gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein
Bulevterion gewesen seyn? Denn es läſst sich nicht
wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer
Palästra dienen sollte. Vielleicht war es auch Bulev¬
terion und Palästra zugleich; unten dieses, oben jenes.
Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch
eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor kurzem ge¬
funden seyn muſs, weil ich ihn noch von niemand
angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein ge¬
wöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus
der lateinischen Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch
[349] überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die
Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin
hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist
noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden
übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor
nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptur¬
sache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich
in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Was¬
ser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und
fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern,
die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen
kommt Salzwasser. Das süſse Wasser muſste weit und
mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation recht¬
fertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist ei¬
ner der schönsten und der traurigsten. Als ich auf
dem Rückwege zu Fuſse etwas voraus ging, lag auf
den Aesten eines Feigenbaums eine groſse Schlange
geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker
als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr
Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um
mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust
ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir
ein, daſs Virgil atros colubros anführt, die er eben
nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte
zu seyn.


Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey
sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen
Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien
von Salerne an der Straſse angehalten, und ein Offi¬
zier nicht mit der besten Physionomie setzte sich ge¬
radezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apo¬
[350] logie über ein solches Betragen zu machen, und wir
fuhren weiter. Ich hörte, daſs mein Fuhrmann vor¬
her sagte: E un signore Inglese: das half aber nichts;
der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posten ge¬
faſst hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen
Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so
verblüfft, daſs ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der
Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen
Höflichkeit. Das ist noch etwas stärker als die Imper¬
tinenz der deutschen Militäre hier und da gegen die
sogenannten Philister, die doch auch zuweilen syste¬
matisch ungezogen genug ist. Als ich gegen Abend in
der Stadt spazieren ging, redete mich ein Zweyter an:
Sie sind ein Engländer? — Nein. — Aber ein Rus¬
se? — Nein. — Doch ein Pole? — Auch nicht. —
Was sind sie denn für ein Landsmann? — Ich bin
ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind ein Fremder
und erlauben mir, daſs ich Sie etwas begleite. —
Sehr gern; es wird m [...] angenehm seyn. Ich sah
mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich,
ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man
Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben:
er führte mich und ich aſs tüchtig, in der Vorausse¬
tzung ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen
müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu seyn.
Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirthin, es
sey alles schon berichtigt. Das war ein schöner Ge¬
gensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden. Er
begleitete mich noch in verschiedene Parthien der
Stadt, besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man
eine der schönsten Aussichten über den ganzen Meer¬
[351] busen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht ent¬
halten, dem jungen artigen Manne das schlimme Be¬
tragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht
gesonnen, sagte ich, mich in[] der Fremde in Hän¬
del einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offi¬
zieres wüſste und einige Tage hier bliebe, würde ich
doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in
der Disciplin gut heiſse. Der junge Mann fing nun
eine groſse lange Klage über viele Dinge an, die ich
ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem
Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah
und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umge¬
bracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich
sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen
werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für wenig¬
stens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt
werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die
Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung,
sagte er ganz leise, — braucht ihn. Hier faſste es
mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft
gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn
ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung
aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und
mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist
das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger
umgeht! Kann man sich eine gröſsere Summe von
Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt
wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich
zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwor¬
tete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordina¬
tionsfehlers, und morgen früh kommt er los. — Wie¬
[352] der ein hübsches Stückchen von der Vergebung der
Sünde. Die Amnestie des Königs hat die Armen und
die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er
nahm die Banditen auf, sie waren brav wie ihr Name
sagt, er belohnte sie königlich, gab Aemter und Eh¬
renstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk als
Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in
der Residenz erzählt, auf den Straſsen und in Pro¬
vinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen
und Ort und Umstände dabey genannt.


Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah
was die andern auch gesehen haben, und lief in den
aufgegrabenen Gassen und den zu Tage geförderten
Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch
ziemlich enge. Die Stadt muſs bey dem allen präch¬
tig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts
netter und geschmackvoller denken als das kleine
Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und
die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Pro¬
scenium ist als ob sie nur vor wenigen Jahren ge¬
macht wäre. Die Franzosen haben wieder einen be¬
trächtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen viel
gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris
ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu
nehmen was ihm am nächsten liegt, und die Regie¬
rung schweigt wahrscheinlich mit berechneter Klug¬
heit. Es ist etwas mehr als unartig, daſs die alten
schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst
sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese
kleine Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vor¬
züglich waren dabey einige französische Generale, von
[351 ] denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey
der Sibylle ist es etwas anders.


Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Ka¬
serta und ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese
hörten, daſs ich von Portici aus auf den Berg wollte,
thaten sie den Vorschlag Parthie zu machen. Ich
hatte nichts dagegen; wir mietheten Esel und ritten.
Was vorher zu sehen war geschah; die Dame konnte,
als wir absteigen muſsten, zu Fuſse nicht weit fort
und blieb zurück; und ich war so ungalant mich
nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte
sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die Oeff¬
nung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom
über Torre del Greco hinunter gebrochen war, wollte
der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein
Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die
Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte
ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er
wollte; ich würde hinauf steigen. Doch nicht allein?
meinte er. Ganz allein, sagte ich, wenn niemand
mit mir geht; und ich stapelte immer rasch den Sand¬
berg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist
eine Arbeit, die schwerer ist als auf den Aetna zu ge¬
hen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand.
Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetz¬
lich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts,
als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft
und drückend heiſs. Endlich kam ich oben an dem
Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weiſst,
eingestürzt, der Berg ein beträchtliches niedriger, und
es ist gar keine eigentliche gröſsere Oeffnung mehr
23[352 ] da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch
die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinun¬
ter gehen. Die Franzosen, welche es zuerst thaten,
wenigstens so viel man weiſs, haben viel Rotomon¬
tade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von
der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der
herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind
von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich
selbst hatte den rechten Weg nicht gefaſst, weil ich
eine andere kleinere Oeffnung untersuchen wollte, aus
welcher auch noch etwas Dampf kam und zuweilen
auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun
zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch
ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht
seyn, als die gewöhnliche. Während mein Führer und
der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich
um. Die Aussicht ist fast die nehmliche, wie bey den
Kamaldulensern: ich würde jene noch vorziehen, ob¬
gleich diese gröſser ist. Nur die Stadt und die ganze
Parthie von Posilippo hat man hier besser. Nie hatte
ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden als im Her¬
aufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige Wölk¬
chen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es
ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es
sehr schnell. Ich hatte schon Durst als die Reise auf¬
wärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Was¬
ser. Ein artiges liebliches Mädchen brachte uns end¬
lich aus einem der obersten Weinberge ein groſses vol¬
les Gefäſs. So durstig ich auch war, war mir doch
das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und
wenn ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde
[353 ] den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne
Führer noch oft besuchen. In einem groſsen Sommer¬
hause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete
uns die Dame und hatte unterdessen Thränen Christi
bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber
als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des er¬
sten wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.


Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici
ankamen, und wir wollten noch in der letzten Abend¬
dämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Por¬
tici war ich ziemlich unglücklich. Das erste Mal war
es nicht offen und ich sah bloſs das Schloſs und die
Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, ei¬
nige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus
dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges
enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch
einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von
Herkulanum: die Statuen selbst sind in der Lava zu¬
sammen geschmolzen. So viel ich von den Köpfen
urtheilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben,
und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür
hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine
ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort ge¬
sehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und
den Ort wo die bronzenen geschmolzen waren. Be¬
kanntlich ist es hier viel schwerer zu graben als in
Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschen¬
regen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten
auf der Oberfläche; hier steht die Stadt darauf: denn
Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und
fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine
[354 ] Kirche. Die Dame von Kaserta gab mir beym Ab¬
schied am Toledo ihre Addresse; ich hatte aber nicht
Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.


Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein
Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische
Nachbarschaft vielleicht ein gröſseres Interesse, als
irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den
ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die
ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte ge¬
nieſsen können. Ich setzte mich im Geist wieder hin¬
auf und überschaute rund umher das schöne blühende
magische Land. Die wichtigsten Scenen der Einbil¬
dungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt
gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den
Vulkan.


Vom Schedel des Verderbers sieht

Mein Auge weit hinab durch Flächen,

Auf welchen er in Feuerbächen

Verwüstend sich durch das Gebiet

Der reich geschmückten Schöpfung zieht.

Wo steht der Nachbar ohne Grausen,

Wenn zur Zerstörung angefacht

Aus seinem Schlund der Mitternacht

Ihm hoch die Eingeweide brausen?

Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,

Und sie im Streit der Elemente,

Als ob des Erdballs Achse brennte,

Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?

Der Riese macht mit seinem Hauche

[355 ]
Die schönste Hesperidenflur

Zur dürrsten Wüste der Natur,

Wenn er aus seinem Flammenbauche

Mit rother Glut und schwarzem Rauche

Die Stoffe durch die Wolken hebt,

Und meilenweit was Leben trinket,

Wo die Zerstörung niedersinket,

In eine Lavanacht begräbt.

Parthenope und Pausilype bebt,

Wenn tief in des Verwüsters Adern

Die [Feuerfluthen] furchtbar hadern;

Und was im Meer und an der Sonne lebt

Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,

Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken

Er kocht am Meere links und rechts,

Bis nach Surrent und bis zu Baja's Tannen,

Wo er die Bäder des Tyrannen

Aus der Verwandschaft des Geschlechts,

Indem er weit umher verheeret,

Mit seinem tiefsten Feuer nähret.

Er macht die Berge schnell zu Seen,

Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,

Und rauchend zeigen seine Bahn,

So weit die schärfsten Augen gehen,

Die Inseln in dem Ozean.

Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet

Daſs er nicht einst in allgemeiner Wuth

Noch fürchterlich mit seiner Fluth

Den ganzen Golf zusammen schüttet?

[356 ]
Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,

Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde

Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde

Mit seinen Lavaschichten füllt?

Hier brach schon oft aus seinem Herde

Herauf hinab des Todes Flammenmeer,

Und machte siedend rund umher

Das Land zum gröſsten Grab der Erde.

Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein.
Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines
solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft
sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es
zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was
mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv kräuselt blos
zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein
Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vor¬
bedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er
Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv
waren zuweilen groſse Bäume gewachsen. Bey seinem
künftigen Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici,
eben da wo oben der Heilige Januarius steht um den
Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt
seyn; denn dort ist nach dem äuſsern Anschein jetzt
die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas
gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbän¬
diger hierher setzte.


Die Russen in Neapel machen eine sonderbare
Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil
man ganz laut sagt, daſs er sich auf seine eigenen
[357 ] Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so
ist es ganz gewiſs seine eigene Schuld; denn ich halte
die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Na¬
tionen, so wie überhaupt die Italiäner. Was ich hier
und da schlimmes sagen muſs, betrifft nur die Regie¬
rung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und
das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr
metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder er¬
kannt haben. Du weiſst daſs ich die Schulmeisterey
in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche
bezweckt: aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls
Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav wer¬
den sie immer bleiben; das ist im Charakter der Na¬
tion: aber Paul hätte das Gute behalten und das Bes¬
sere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daſs sie
besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten,
und fertiger die Waffen handhabten; aber desto
schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militä¬
risch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen an¬
dern Bocksbeuteleyen kassiert hatte, geben den Kerlen
ein Ansehen von ganz possierlicher Unbehülflichkeit.
Potemkin hatte freylich wohl manches gethan, was
nichts werth war; aber diese Ordonanz bey der Armee
war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit
zu einseitig. Uebrigens werden hier die Russischen
Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer
Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende
Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur
unangenehme Ausnahmen; denn man läſst im Ganzen
der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtig¬
keit widerfahren.


[358 ]

Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig
gemiſshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise
beschimpft: es fehlt wenig daſs er nicht des Patronats
völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius
sehr auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem so¬
gar durch Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die
Januariusfarce wieder glücklich von Statten gegangen,
und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich
habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also
nicht dabey gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter
meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde er¬
zählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger
jungen Weiber und ihrer heiſsen Andacht, ehe das
Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen
ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war.
Womit kann man den Menschen nicht noch hinhal¬
ten, wenn man ihm einmal seine Urbefugnisse ge¬
nommen hat.

[[359]]

Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen
Kirche, aber nicht in ihrem Schooſse. Wie Schade
das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Ka¬
tholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt
in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute et¬
was leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Mei¬
ner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemei¬
nen Gerechtigkeit, der Freyheit und Humanität; und
der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Pri¬
vilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte,
wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bo¬
napartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung
sinken laſſen. Dank sey es der Frömmeley und dem
Mamelukengeist des groſsen französischen Bannerherrn,
die Römer haben nun wieder Ueberfluſs an Kirchen,
Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten
wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo
sum
— sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen,
was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden
meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.


Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den
Agnano und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien
hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht
nehmen: allein im May, dachte ich, hat so ein Spa¬
ziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war
drückend schwül, und über der Solfatara und dem
Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles
ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das
[360 ] Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter
setzen. Nachdem ich ungefähr ein Stündchen am See
herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte,
ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und
schwer, und ich eilte daſs ich durch die Bergschlucht
wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares
Gefühl, als ob sich alle flüſsigen Theile mischten und
die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von
der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück,
und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Mü¬
digkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in
meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich
nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posi¬
lippo aſs, daſs ich mir an einer eben nicht harten
Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen
locker biſs. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten
dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon
Verzicht auf meine drey Vorderzähne. Aber Verände¬
rung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf
einen wieder ziemlich fest gemacht; und dieser wird
sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht,
nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.


Von Rom nach Neapel war ich zu Fuſse gegan¬
gen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit
wegen mit dem Neapolitanischen Kourier. Noch die
Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den
Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attella¬
nischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre
Geschichte, daſs eben die Räuber vom Berge herunter
gekommen wären und einen armen Teufel um sech¬
zig Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich
[361 ] mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn
Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte.
Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen
sehr groſsen Gefallen an meinem Seehundstornister
bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir
bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn
nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch
einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und
jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt
nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit
sich zurück? Durch die Pontinen ging es dieſsmal die
Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der
Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam
aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht
hätte den Hals brechen können.


Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu lau¬
fen, wo ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist
eine schöne Waldgegend, durch welche die Straſse
geht. Oben am Berge bat der Postillion, wir möchten
aussteigen, weil er vermuthlich den Hemmschuh ein¬
legen wollte und am Wagen etwas zu hämmern hatte.
Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen,
und ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg
hinunter in den Wald hinein, und dachte wie
ich Freund Reinhart in Aricia überraschen würde, der
jetzt daselbst seyn wollte. Ungefähr sieben Minuten
mochte ich so fort gewandelt seyn, da stürzten links
aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu. Ihre Both¬
schaft erklärte sich sogleich. Einer faſste mich bey
der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle;
der andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf
[362 ] die Brust; die beyden übrigen blieben dispositions¬
mäſsig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen
Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwill¬
kührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so nehmt denn
ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte ei¬
ner eine doppelt gräſsliche Pantomime mit Gesicht
und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man
würde stoſsen und schieſsen, sobald ich noch eine
Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie
mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den
Westentaschen, welches beydes zusammen sich viel¬
leicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich
mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche,
und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwen¬
kung Willigkeit einzuflöſsen. Ich machte mich bloſs
so schwer als möglich, da weiter thätiger Widerstand
zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriſs
mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuth¬
lich wollte man mich dort im Busche gemächlich
durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun,
was man für gut finden würde. Sind die Herren
sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das
nicht, so geben sie einen Schuſs oder Stich, und die
Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente,
denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute,
hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch
Stimmen von unten: sie lieſsen mich also los und nah¬
men die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft
meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr
saſs, wie in Sicilien, tief, und das Taschentuch stak
unter dem Arme in einem Rocksacke: beydes wurde
[363 ] also in der Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle
sahen gräſslich aus wie ihr Handwerk; keiner war,
nach meiner Taxe, unter zwanzig und keiner über
dreiſsig. Sie hatten sich gemalt und trugen falsche
Bärte; ein Beweiſs, daſs sie aus der Gegend waren und
Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia
nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch
leicht in der schönen klassischen Gegend bleiben kön¬
nen. Dort spielt ein Theil der Aeneide, und nach
aller Topographie bezahlten daselbst Lausus und Eu¬
ryalus ihre jugendliche Unbesonnenheit: nicht eben,
daſs sie gingen, sondern daſs sie unterwegs so alberne
Streiche machten, die kein preuſsischer Rekrut machen
würde. Wer wird einen schön polierten glänzenden
Helm aufsetzen, um versteckt zu bleiben? Herr Virgil
hat sie bloſs der schönen Episode wegen so ganz un¬
überlegt handeln lassen.


Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nach¬
richt, daſs zwey von den Schurken, die mich in dem
Walde geplündert hätten, erwischt wären, und daſs
ich vielleicht noch das Vergnügen haben würde sie
hängen zu sehen. Dawider habe ich weiter nichts,
als daſs es bey der jetzigen ungeheuern Unordnung
der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier et¬
was von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in
Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt
werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom
enthält. Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage,
daſs fast alles darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der
Mann kann auf alle Fälle kompetenter Beurtheiler
seyn; denn er ist lange hier, ist ein freyer, unbefan¬
[364 ] gener, kenntniſsvoller Mann, bey dem Herz und Kopf
gehörig im Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird
wieder in ihrer gröſsten Ausdehnung eingeführt; und
was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst
Du berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter
mit Strenge wieder in Besitz, die eingezogenen Kir¬
chen werden wieder geheiligt, und alle Prälaten be¬
haupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da
mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert
sich darum, daſs das Volk hungert? Die Straſsen sind
nicht allein mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler
sterben wirklich daselbst vor Hunger und Elend. Ich
weiſs, daſs bey meinem Hierseyn an einem Tage fünf
bis sechs Personen vor Hunger gestorben sind. Ich
selbst habe Einige niederfallen und sterben sehen.
Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der Ausdruck
ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit. Jedes
Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit
dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig
eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächti¬
ger gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus
dem gläubigen Gedränge ein Fünkchen Vernunft in
dem dumpfen Gemurmel, daſs man so viel Lärm und
Kosten mit einem Todten mache und die Lebendigen
im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die Kloake
der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als
jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Poli¬
zey; auf dem Lande noch weniger als in der Stadt:
und wenn die Menschheit nicht noch tiefer gesunken
ist, als sie wirklich liegt, so kommt es bloſs daher,
weil man das Göttliche in der Natur durch die gröſste
[365 ] Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken,
mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop
sich hier [umsieht]. Ich hatte mich mit einer bittern
Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen
wollte. Nil valent apud Vos leges, nil justitia, nil
boni mores
; saginantur sacerdotes, perit plebs, caecutit
populus
; vilipenditur quodcunque est homini sanctum
honestas
, modestia, omnis virtus. Infimus et improbis¬
simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬
bundus incedit
, furatur, rapit, trucidat, jugulat, in¬
cendia miscet
. Haec est illa religio scilicet, auctoris
ignominia
, rationis opprobrium, qua Vos homines liberos
et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬
mini
. So g[o]hr es, und ich versichere Dich, Freund,
es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch
ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte
ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬
chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man
wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist
nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie
die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht.
Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz
und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil
ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies
hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬
rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen
Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬
ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬
keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬
taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren.
Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich
[366 ] nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel
wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium
nicht mehr in Auslage seyn.


Ich will das Betragen der Franzosen hier und in
ganz Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch daſs
sie die Sache wieder aufgegeben haben, ist die Mensch¬
heit in unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiſs
was darüber gesagt werden kann, und von wie vielen
Seiten alles betrachtet werden muſs: aber wenn man
schlecht angefangen hat so hat man noch schlechter
geendiget; das Zeugniſs wird mit Zähneknirschen jeder
rechtliche Römer und Neapolitaner geben. Geschichte
kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren unbeding¬
ten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste
Anarchie entstanden. Die Heerstraſsen sind voll Räu¬
ber; die niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaff¬
net im Lande herum. Bloſs während meiner kurzen
Anwesenheit in Rom sind drey Kourier geplündert
und fünf Dragoner von der Eskorte erschossen worden.
Niemand wagt es etwas mehr mit der Post zu geben.
Der französische General lieſs wegen vieler Ungebühr
ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den
Tod bestimmt und lieſs eine Anzahl Verbrecher vor
dem Volksthore wirklich niederschieſsen. Die Härte
war Wohlthat; nun war Sicherheit. Jetzt trägt jeder¬
mann wieder seinen Dolch und braucht ihn. Die
Kardinäle sind immer noch in dem schändlichen Kre¬
dit als Beschützer der Verbrecher. Man erzählt jetzt
noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen, daſs
sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen las¬
sen. Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho¬
[367 ] liken ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser
Rücksicht die Metropolis. Jetzt sind durch die Revo¬
lution fast alle öffentliche Armenfonds wie ausgeplün¬
dert, und die Noth ist vor der Ernte unter der ganz
armen Klasse schrecklich. In ganz Marino und Albano
ist keine öffentliche Schule, also keine Sorge für Er¬
ziehung; in Rom ist sie schlecht. Der Kirchenstaat ist
eine Oede rund um Rom herum, deſswegen erlaubt
aber kein Güterbesitzer, daſs man auf seinem Grunde
arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen.
Wenn er nicht geradezu hungert, was gehn ihn die
Hefen des Romulus an. Die Möncherey kommt wieder
in ihren grassesten Flor, und man erzählt sich wieder
neue Bubenstücke der Kuttenträger, die der Schande
der finstersten Zeiten gleich kommen. Man sagt wohl,
Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das
heiſst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der
Italiäner ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine
Regenten sind Mönche oder Mönchsknechte; die mei¬
sten sind Väter ohne Kinder: das ist Erklärung genug.
Ueberdieſs ist es der Sitz der Vergebung der Sünde.


Ich will nur machen, daſs ich hinauskomme,
sonst denkst Du, daſs ich beiſsig und bösartig gewor¬
den bin. Die Parthien rund herum sind ohne mich
bekannt genug: ich habe die meisten, allein und in
Gesellschaft, in der schönsten Jahrszeit genossen. Man
kann hier seyn und sich wohl befinden, nur muſs
man die Humanität zu Hause lassen. Mit Uhden habe
ich die Parthien von Marino, Grottaferrata, Fraskati
und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten Mo¬
numente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser
24[368 ] aus demselben durch den Berg in die Ebene hinab
läſst, und der, wenn ich nicht irre, noch aus den
Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner Entste¬
hung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so
durch den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott
von Delphi den Ausspruch der Mathematiker nicht be¬
stätigt hätte, wären die Römer schwerlich an die Ar¬
beit gegangen. Das ganze Werk steht noch jetzt in
seiner alten herrlichen ursprünglichen Gröſse da und
erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, daſs Kluver,
ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter,
sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze
Kanal noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend
Jahren. Mich däucht zu Kluvers Rechtfertigung muſs
man annehmen, daſs der Eingang eben damals ver¬
schüttet war, welches sich periodenweise leicht denken
läſst; und der Antiquar untersuchte nicht näher. Der
Eingang ist ein sehr romantischer Platz und der Ge¬
genstand der Zeichner: vorzüglich wirkt die alte peren¬
nirende Eiche an demselben. Das Schloſs Gandolfo
oben auf dem Berge ist eine der schönsten Aussichten
in der ganzen schönen Gegend. Hier zeigte man mir
im Promenieren einen Priester, der in einem Gefecht
mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen
hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden
Kirche! Wehe der Humanität, wenn sie die trium¬
phierende wird. Wer auf Hadrian eine Lobrede schrei¬
ben will, muſs nicht hierher gehen, und die Ueber¬
reste seiner Ville sehen: man sieht noch ganz den
Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die
Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan
[369 ] hat Monumente besserer Bedeutung hinterlassen. Wo
bey Fraskati wahrscheinlich des groſsen Tullius Tusku¬
lum gestanden hat, sieht man jetzt sehr analog —
eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr philosophisch;
nur würde Thucydides hier schwerlich de natura deo¬
rum geschrieben haben. Der schönste Ort von allen
antiken Gebäuden, die ich noch gesehen habe, ist un¬
streitig die Ville des Mecän in Tivoli. Man kann an¬
nehmen, daſs der Schmeichler Horaz hier mehrere
seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewal¬
tigen Mann, neben und unter dem er hier hauste.
Man wollte mich unten am Flusse jenseits in ein
Haus führen, wo noch Horazens Bad zu sehen seyn
soll; aber ich hatte nicht Lust: es fiel mir seine Cani¬
dia ein. Virgil war ein feinerer Mann und ein besse¬
rer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen
und um die Kaskade und die Grotte und um die
Kaskadellen. Wenn ich Dir die Kaskadellen von un¬
serm Reinhart mit bringen könnte, das würde für
Dich noch Beute aus Hesperien seyn: ich bin nur
Laie.


Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht
anfangen. Die Franzosen haben allerdings vieles fort¬
geschafft; aber der Abgang wird bey dem groſsen
Reichthum doch nicht sehr vermiſst. Ueberdieſs haben
sie mit wahrem Ehrgefühl kein Privateigenthum ange¬
tastet. Einigen ihrer vehementesten Gegner haben sie
gedroht; doch ist es bey den Drohungen geblieben:
und die Privatsammlungen sind bekanntlich zahlreich
und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die Zeit¬
umstände von ihren Besitzern zersplittert worden; vor¬
[370 ] züglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den
Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloſs
der Fechter und der Silen daselbst haben einen so
klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris
geschafften Stücke nicht haben. Die gröſste Sottise,
die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist daſs
sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für
einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt
fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung aus¬
kramte, muſs vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt
haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Kna¬
benstatue mit der Bulle, die man für einen jungen
Britannikus hält. Sey es wer man wolle, es ist ein
römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nä¬
hert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und An¬
muth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser
Art mehr gefunden.


In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit
vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo
da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna
von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann
Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre
für das Original von Leukade gesprungen: das kann
die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat
die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine
Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und
ich genoſs in der Träumerey über den Kopf die schö¬
nen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als
ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser
sagte mir, ich habe Recht; es sey nun ausgemacht,
daſs es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sey. Ich
[371 ] freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los
wäre.


Auf dem Kapitol vermiſste ich den schönen Bru¬
tus. Dieser ist nach Paris gewandelt, hieſs es. Was
soll Brutus in Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine
Posse gewesen, und jetzt ist es eine Blasphemie. Dort
wachsen die Cäsarn wie die Fliegenschwämme. Noch
sah ich die alte hetrurische Wölfin, die bey Cäsars To¬
de vom Blitz beschädigt worden seyn soll. Die Sel¬
tenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem Thur¬
me des Kapitols übersah ich mit einem Blick das gan¬
ze groſse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freun¬
de machte mir ein Geschenk mit einer Rhapsodie
über die Peterskirche; ich gab ihm dafür eine über
das Kapitol zurück. Ich schicke sie Dir hier, weil ich
glauben darf, daſs Dir vielleicht die Ansicht einiges
Vergnügen machen kann.


Du zürnst, daſs dort mit breitem Angesichte

Das Dunstphantom des Aberglaubens glotzt

Und jedem Feuereifer trotzt,

Der aus der Finsterniſs zum Lichte

Uns führen will; Du zürnst den Bübereyen,

Dem Frevel und dem frechen Spott,

Mit dem der Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott

Zum Unsinn macht; den feilen Schurkereyen,

Und der Harpye der Mönchereyen,

Dem häſslichsten Gespenst, das dem Kozyt entkroch,

Das aus dem Schlamm der Dummheit noch

Am Leitseil der Betrügereyen

[372 ]
Zehn tausend hier zehn tausend dort ins Joch,

Dem willig sich die Opferthiere weihen,

Zum Grabe der Vernunft berückt,

Und dann mit Hohn und Litaneyen

Aus seiner Mastung niederblickt:

Du zürnst, daſs man noch jetzt die Götzen meiſselt,

Und mit dem Geist der Mitternacht

Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geiſselt,

Und die Moral zur feilen Dirne macht,

Bey der man sich zum Sybariten kr uselt

Und Recht und Menschenwerth verlacht.
Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!

Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung

Und Kraft und Muth zur Besserung;

Indessen lau mit seichtem Hirne

Der Schachmaschienenmensch nach den Figuren schielt,

Und von dem Busen seiner Dirne

Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.
Geh hin und lies, fast ist es unsre Schande,

Es scheint es war das Schicksal Roms

In Geyerflug von Land zu Lande

Zu ziehn; es schlug die Erde rund in Bande,

Und wechselt nur den Sitz des Doms.

Was einst der Halbbarbar ins Joch mit Eisen sandte,

Beherrschet nun der Hierofante

Mit dem Betruge des Diploms.

Jetzt thürmet sich am alten Vatikane

[373 ]
Des Aberglaubens Burg empor,

In deren dumpfigem Arkane

Sich längst schon die Vernunft verlor,

Und wo man mit geweihtem Ohr

Und Nebelhirn zur neuen Fahne

Des alten Unsinns gläubig schwor.

Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spotte

Mit dem er Menschensinn verhöhnt;

Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,

Einst hier die Burg des Donnergottes,

Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:

Und war bestimmt, aus welchem Schlunde

Des Wahnsinns stygischer Betrug

Der armen Welt die gröſste Wunde

Zur ewigen Erinnrung schlug?
Hier herrschten eisern die Katonen

Mit einem Ungeheur von Recht

Und stempelten das menschliche Geschlecht

Despotisch nur zu ihren Frohnen;

Als wäre von Natur vor ihnen Jeder Knecht,

Den Zevs von seinem Kapitole

Mit dem Gefolge der Idole

Sich nicht zum Lieblingssohn erkohr;

Und desto mehr, je mehr er kühn empor

Mit seines Wesens Urkraft strebte

Und sklavisch nicht, wie vor dem Sturm das Rohr,

Beym Zorn der Herrn der Erde bebte.

Nur wer von einem Räuber stammte,

[374 ]
Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,

Bepanzert mit dem dicksten Erz,

Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,

Und alle Andern wie Verdammte

Zur tiefsten Knechtschaft von sich stieſs

Und den Beweis in seinem Schwerte wies; —

Nur der gelangte zu der Ehre

Ein Mann zu seyn im groſsen Würgerheere.
Oft treibt Verzweiflung zu dem Berge,

Dem Heiligen, dem Retter in der Noth,

Wenn blutig des Bedrückers Scherge

Mit Fesseln, Beil und Ruthen droht:

Und, was erstaunt jetzt kaum die Nachwelt glaubet

Dem gröſsten Theil der Nation,

Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet

Der Blutgeist selbst die Rechte der Person,

Und setzt ihn mit dem Vieh der Erde

Zum Spott der Macht in eine Heerde.

Der Wüstling warf dann in der Wuth

Für ein zerbrochnes Glas mit wahrer Römerseele

Den Knecht in die Muränenhöhle,

Und fütterte mit dessen Blut

Auf seine schwelgerischen Tische

Die seltnen weitgereisten Fische:

Und für die Kleinigkeit der Sklavenstrafe lieſs

Mit Zorn der schlauste der Tyrannen,

Den seine Welt Augustus hieſs,

Zehn Tage lang den Herrn von sich verbannen.

[375 ]
Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies

Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;

Was ihre Zehner kühn ersannen,

Durch die man frech die Menschheit von sich stieſs.
Wer zählet die Proskriptionen,

Die der Triumvir niederschrieb,

In denen er durch Henker ohne Schonen

Die Bande von einander hieb,

Die das Palladium der Menschlichkeit zu retten

Uns brüderlich zusammen ketten.

Durch sie ward Latium in allen Hainen roth

Bis in die Grotten der Najaden,

Und mit dem Grimm des Schrecklichen beladen,

Des Fluchs der Erde, gingen in den Tod

An Einem Tage Myriaden:

Und gegen Sullas Henkergeist

Ist zu der neuen Zeiten Ehre,

Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,

Ein Genius der mild und menschlich heiſst.
Man würgte stolz, und hatte man

Mit Spott und Hohn die Unthat frech gethan,

So stieg man hier auf diesen Hügel

Und heiligte den Schreckenstag,

Der unter seiner Schande Siegel

Nun in der Weltgeschichte lag.

Man schickte, ohne zu erröthen,

Den Liktor mit dem Beil und lieſs

[376 ]
Im Kerker den Gefangnen tödten,

Der in der Schlacht als Held sich wies,

Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte

Und nicht sie zu besiegen wagte.
Dort gegen über setzten sich

Die Cásarn auf dem Palatine,

Wo noch die Trümmer fürchterlich

Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene

Auch aus dem Schutte der Ruine,

Wie in der Vorwelt Eisenzeit,

Mit Ohnmacht nur Gehorsam noch gebeut.

Dort herrschten, hebt man kühn den Schleyer,

Im Wechsel nur Tyrann und Ungeheuer;

Dort grub der Schmeichler freche Zunft

Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;

Dort starben Recht und Zucht und Ehre,

Dort betete man einst Sejan,

Narciſs und sein Gelichter an,

Wenn die Neronen und Tibere

Nur schel auf ihre Sklaven sahn,

Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,

Die Qual und Tod mit einem Wink geboten.
Dort ragt der Schandfleck hoch empor,

Wo, wenn des Scheusals Wille heischte,

Des Tigers Zahn ein Menschenherz zerfleischte,

Und wo der Sklaven grelles Chor

Dem Blutspektakel Beyfall kreischte,

[377 ]
Und keinen Zug des Sterbenden verlor;

Wo zu des Römerpöbels Freude

Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,

Der mit dem Dolch im Eingeweide

Und Grimm im Antlitz starb.
Von auſsen Raub und Sklaverey von innen,

Bey Kato wie bey Seneka,

Stehst Du noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,

Und stellst sie auf des Ruhmes Zinnen?

Vergleiche was durch sie geschah,

Von dem Sabiner bis zum Gothen,

Die Kapitolier bedrohten

Die Menschheit mehr als Attila,

Trotz allen preisenden Zeloten.

Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh

Für Einen Titus schreibest Du

Stets zehn Domitiane nieder.

Behüte Gott nur uns und unsre Brüder

Vor diesem blutigen Geschlecht,

Vor Römerfreyheit und vor Römerrecht!

Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht wieder.

In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke
die Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die
nehmliche ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen
wurde. Dieses kann auch vielleicht so wahrscheinlich
gemacht werden, als solche Sachen es leiden. Die Sta¬
tue hat sonst nichts Merkwürdiges und ist artistisch
[378 ] von keinem groſsen Werth. Unter dieser Statue soll¬
ten alle Revolutionäre mit wahren hellen gemäſsigten
Philanthropen zwölf Mitternächte Rath halten, ehe sie
einen Schritt wagten. Was rein gut oder schlecht in
dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der Ge¬
sammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher
die Menschheit jetzt stehet.


Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen
Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern
das enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das un¬
selige Schisma wieder heben könnte, das über ihrem
Bau in der christlichen Welt entstanden ist. Etwas
mehr gesunde Moral und Mäſsigung hätte damals die
Päbste mit Hülfe des abergläubischen Enthusiasmus zu
Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit kommt
nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen
oder verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist
als ob man der stillen Gröſse der alten Kunst mit
diesem herkulischen Bau habe Hohn sprechen wollen.
Du kennst das Pantheon als den schönsten Tempel
des Alterthums. Stelle Dir vor, verhältniſsmäs¬
sgein ungeheuern Raum, als die Area des Heiligen¬
tempels, zu einer groſsen Höhe aufgeführt, und oben
das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast
Du die Peterskirche. Das Riesenmäſsige hat man er¬
reicht. Wir saſsen in dem Knopfe der Kuppel unser
drey, und übersahen die gefallene Roma. Diese Kir¬
che wird einst mit ihrer Kolonnade die gröſste Ruine
von Rom, so wie Rom vielleicht die gröſste Ruine
der Welt ist.


In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich
[379 ] nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische
Kapelle. Beyde sind so bekannt, daſs ich es kaum
wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer
soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in
zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und
hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren
und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Si¬
byllen haben eben so herrliche Gruppierungen und
sind eben so voll Kraft und Seele.


Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang ge¬
standen und mich immer wieder hingewendet. Nach
diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug
thun. So muſs Sokrates gewesen seyn, wie dieser
hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pytha¬
goras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes
mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht
der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und
Würde dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vor¬
zimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu
seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste
des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurück beben,
wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaſs
sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdie¬
ner des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat.
Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben
als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo
mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an
der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger
Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher als das
Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts anta¬
sten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen:
[380 ] und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen
was sie wollen. Ich müſste Dir von Rom allein ein
Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger
schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.


Zum Schluſs schicke ich Dir eine ganz funkelna¬
gelneue Art von Centauren, von der Schöpfung eines
unserer Landsleute. Aber ich muſs Dir die Schö¬
pfungsgeschichte erzählen, damit Du das Werk ver¬
stehst.


Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher
Britte auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gespro¬
chen, durch ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der
weder als Lord eine Ehre der Nation noch als Bischof
eine Zierde der Kirche von England genannt werden
kann. Dieser Herr hat bey der Impertinenz des Reich¬
thums die Marotte den Kenner und Gönner in der
Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und
zwar so unglücklich, daſs seine Urtheile in Italien hier
und da bey Verständigen fast für Verdammung gel¬
ten. Vorzüglich haſst er Raphael und zieht bey jeder
Gelegenheit seine deos minorum gentium auf dessen Un¬
kosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es ge¬
ben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht
manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittel¬
mäſsigkeit stempelt. Viele lassen sich vieles von dem
reichen Britten gefallen, der selten in den Gränzen
der feinern Humanität bleiben soll. Für einen solchen
hielt er nun auch unsern Landsmann; dieser aber war
nicht geschmeidig genug sein Klient zu werden. Er
lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud ihn oft in
sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen Unge¬
[381 ] zogenheiten gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen
Knechtsgeist. Einmal bat er ihn zu Tische. Der
Künstler fand eine angesehene Gesellschaft von Frem¬
den und Römern, welcher er von dem Lord mit vie¬
lem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopo¬
lit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. Jakobiner
pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu nennen,
der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der
gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen läſst
Unbefungnisse in den Menschen zu finden, die er be¬
haupten muſs, wenn er Menschenwerth haben will.
Dem Künstler muſste dieser Ton miſsfallen, und ein
Fremder suchte ihn durch Höflichkeit aus der peinli¬
chen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Va¬
terlande fragte. Ey was, fiel der Lord polternd ein,
es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein Univer¬
salmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, My¬
lord, versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland,
dessen ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein
Vaterland soll sich auch meiner nicht schämen: Sono
Prussiano. Man sprach italiänisch. Prussiano? Prus¬
siano? sagte der Wirth: Ma mi pare che siete ruffiano.
Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man
zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler
machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte
den Lord keines Blicks und verlieſs das Zimmer und
das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eignes
Zimmer schrieb er in gerechter Empfindlichkeit ihm
ungefähr folgenden Brief:


[382 ]

„Mylord,


„Ganz Europa weiſs, daſs Sie ein alter Geck sind,
an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur
dreyſsig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre
ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie
sie Leute von Ehre zu fordern berechtiget sind. Aber
davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann,
wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Ver¬
mögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie
sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen,
meine Verachtung.“


Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über
die Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt
seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte
das Blatt, das ich Dir gebe. Das lang gestreckte Schwein,
die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbro¬
chenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der
Krummstab, der groſse antike Weinkrug, der an dem
Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf
und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahr¬
heit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe läſst noch
kein Mädchen ruhig.

Auch seines Lebens letzten Rest

Beschäftigt noch Lucinde;

Wenn ihn die Sünde schon verläſst,

Verläſst er nicht die Sünde.

Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren
Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herum lief,
und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwe¬
[383 ] gen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder
Bänder noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach
der gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute
Miene macht: Il s'est venge en homme de genie. Die
Zeichnung bekam ich, und ich trage kein Bedenken
sie Dir mitzutheilen. *)

[[384]]

Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu
Fuſse; im Wagen so weit ich muſste, zu so weit
ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts
in Rom auf der Straſse von Florenz Kouriere geplün¬
dert, Soldaten erschossen und groſse Summen geraubt.
Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten,
wenn man nicht geradezu ein Bettler war, und sich
durch das cantabit vacuus sichern konnte. Ich fuhr
also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ron¬
ciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den
Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aus¬
sicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herr¬
lich. Man sieht hinüber nach Nepi und Civitacastella¬
na, bis fast nach Otrikoli, und weiter hin in die noch
beschneyten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräusel¬
ten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Ti¬
ber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch
nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fuſse
voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begeg¬
nete uns eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung,
die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane
deutscher Künstler war, welche nach Paris von Rom
gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell,
und ich konnte mich nicht erkundigen.


Du kannst denken, daſs ich auf Thümmels Em¬
pfehlung in Montefiaskone den Estest nicht vergaſs.
Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch
hatte ich nicht bischöfliches Blut: zwey Flaschen trank
[385 ] ich den Manen unsers Landsmannes. Ich brauchte
mich nicht hinein zu bemühen in die Stadt, deren An¬
blick auch sehr wenig einladendes hatte: der Wirth er¬
zählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn,
und machte mir mit der Landsmannschaft ein Kom¬
pliment. Es war gut, daſs ich nicht hier bleiben konn¬
te; ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe ge¬
worden. Aus dem Munde des Wirths lautete die
Grabschrift: Est est est, et propter nimium est dominus
Fuggerus hic mortuus est
. Ob nun der Herr Bischof,
der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige
Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln
Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den
geistlichen Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem
Wagen her, nach Bolsena zu, am See hin nach Sankt
Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die
ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Daſs un¬
ten Altlorenzo so auſserordentlich ungesund seyn soll,
kann ich nicht begreifen. Daran scheint nur die In¬
dolenz der Einwohner Schuld zu seyn.


Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier
die Geschichte von einem Komplott in Neapel. Mu¬
rat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe, soll
die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Ent¬
deckung der ganzen Unternehmung sehr fein überre¬
det und sodann die ganze Liste dem Minister über¬
reicht haben. Weiſs der Himmel wie viel daran ist!
Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon
in Rom wurde davon gesprochen, und der König von
Sardinien war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man
laut sagte aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und
[386 ] wohnte im Pallast Kolonna. Die neapolitanische Re¬
gierung hatte dabey in ihrem Ingrimm ihre gewöhn¬
liche alte unüberlegte Strenge gebraucht. In Monte¬
fiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und zwan¬
zig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewalti¬
ger Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren
zurück gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist
diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein ver¬
fluchtes Land gewesen. Die Republikaner und De¬
mokraten sind alle Bösewichter. Nun, da Bonaparte
wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und
mein Alter in Ruhe genieſsen. Der Mann sagte die¬
ses alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur
Uebersetzer.


Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne
Parthie und ist für den Kirchenstaat eine nicht unbe¬
trächtliche Stadt. Was das für eine närrische Benen¬
nung der Oerter ist, sagte ein Engländer, Aquapen¬
dente und Montefiaskone; es muſs heiſsen Montepen¬
dente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an der
Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier ge¬
plündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey
umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige
Geruch des Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus
dem Wirthshause zu gehen. Er ist der nehmliche
Herr, der zur Zeit Josephs des Zweyten päbstlicher Le¬
gat in den Niederlanden war, und daselbst allem Gu¬
ten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in der Revo¬
lution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft
ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der
Franzosen den Glauben gewonnen haben, daſs sie
[387 ] auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige
Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der
Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im
Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und
führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiter¬
haufen. Einige muthige vernünftige Männer baten
den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit
die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Ener¬
gie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zu¬
muthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen
wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit le¬
bendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause
zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohl¬
gefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch
Humanität.


Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher
Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird
die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von
Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die
schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die
Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat,
wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche
fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
Rom. Der allgemeine groſse Wohlstand, der durch
die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt
worden war, wird indeſs nicht sogleich vertilgt. Hier
sind Segen und Fleiſs zusammen. Der neue König
wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht exi¬
stierend an: bloſs der römische Hof gewinnt durch
seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der
Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn,
[388 ] das durch den Willen des heiligen Vaters und das An¬
sehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst den¬
ken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
schwach man die am Arno halten muſs, daſs man ei¬
ne solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daſs sie mit
dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und
rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die gröſste An¬
zahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungs¬
süchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jen¬
seit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jez¬
zige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der Kö¬
nig ist nicht gemacht ihn zu vergröſsern: das hat man
sehr wohl gewuſst, sonst hätte man ihn nicht zum
Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
Anekdote sehr laut herum, daſs er in seinem Privat¬
theater den Balordo vortrefflich macht, und niemand
wundert sich darüber.


Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bo¬
napartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn
doch wohl etwas näher kennen muſs, soll darüber
ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Fein¬
heit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papst¬
wahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola
Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand
und den individuellen Charakter des korsischen Fran¬
zosen lieſs sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spie¬
len. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Ge¬
bot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem
frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab;
und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In
[389 ] eine eigene Verlegenheit kamen indessen die Herren
mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die
Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch
kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe
ich gefürchtet, daſs sie das heilige Wunderbild weg¬
führen würden; deſswegen habe ichs verborgen und
ein anderes dafür hingestellt: hier ist das ächte. Die¬
ses wird nun den Gläubigen zur Verehrung hingesetzt,
ohne daſs man in Rom sogleich etwas davon erfährt. —
Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um
die Aechtheit des einen und des andern wenig be¬
kümmert. — Nun unterhandelt man in Rom über
das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue
zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen
soll. Nun fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist
so schlecht wie das andere, und beyde thun natürlich
Wunder in die Wette.


Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste
in Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe
und die besten Bilder; doch hat die Gallerie immer
noch sehr interessante Sachen, vorzüglich für die Deut¬
schen. Mit der Mediceischen Venus ist es mir sonder¬
bar genug gegangen. Ich wünschte vorzüglich auf
meiner Pilgerschaft auch dieses Wunderbild zu sehen,
und es ist mir nicht gelungen. In Palermo habe ich
mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause gegessen,
wo oben die Schätze unter Schloſs und Siegel und
Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen.
Der Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war,
hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge,
würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel
[390 ] wuſste man öffentlich gar nicht recht, wo sie waren:
denn man hatte absichtlich ausgesprengt, das Schiff,
welches alles von Livorno nach Portici und weiter
nach Palermo schaffen sollte, sey zu Grunde gegangen,
um die Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen.
Es steht aber zu befürchten, sie werden eine gute
Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft
nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe,
keiner hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner
Meinung, wohl keine himmlische Venus, sondern ein
gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden viel¬
leicht mehr reitzen als beschwichtigen kann. Mir
kommt es vor, ein Künstler hat seine schöne Geliebte
zu einer Anadyomene gemacht; das Werk ist ihm
ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber
die Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung ha¬
ben, einig, daſs es die gewöhnlichste ist, in welche
sich die Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen
Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu
haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives
Beyspiel davon, das ich Dir ganz schlicht erzählen
will. Der Russische Hauptmann Graf Dessessarts —
Gott tröste seine Seele, er ist wie ich höre an dem
Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht
gerathen habe — er und ich, wir gingen einst in
Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort fanden
sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein,
und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von un¬
gefähr sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um
wahrscheinlich auch gelegenheitlich zu sehen ob Ge¬
schäfte zu machen wären. Wir waren beyde etwas
[391 ] zu ernsthaft. Das arme artige Geschöpfchen dauert
mich, sagte der Graf; aber der Franzose konnte doch
seinen Charakter nicht ganz verläugnen. Je voudrais
pourtant la voir toute entiere
, sagte er, und machte
ihr den Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen
War verlegen und bekannte, daſs sie für einen Duka¬
ten in der letzten Instanz gefällig seyn würde; aber
zur Schau wollte sie sich nicht verstehen. Mein Ka¬
merad verstand seine Logik, brachte mit feiner Schmei¬
cheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab endlich für
die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr
Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in
die nehmliche Stellung. Voilà la coquine de Medicis!
sagte der Graf. Es war ein gemeines pohlnisches
Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ih¬
ren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte;
eine Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den
Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal
ist mir bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Poh¬
lin eingefallen und meine Konjunktur kam zurück;
und mancher Künstler war nicht übel Willens meiner
Meinung beyzutreten. Urania könnte in der Glorie
ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an
diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken
könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.


Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine un¬
nütze Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht
leidet durch die Aufstellung des ganz Nackten an öf¬
fentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vol¬
lendung brauchen, muſs es brauchen: aber mich
däucht, daſs Sokrates sodann seine Grazien mit Recht
[392 ] bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser
Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur
hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas über das
Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in
Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob
mir gleich die Feigenblätter noch weniger gefallen.
Empörend aber ist es für Geschmack und Feinheit des
Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der
schönsten Gegend das häſslichste Bild der Aphrodite
Pandemos mit den häſslichsten Attributen zuweilen
aufgestellt sieht. Das heiſst die Sittenlosigkeit auf der
Straſse predigen; und bloſs ein tiefes Gefühl für Frey¬
heit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schänd¬
lichen Miſsgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe
des Flusses zu stürzen.


Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte
ich nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Biblio¬
thek der Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach
die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger
in der Kirche Santa Croce die Monumente einiger
groſsen Männer aufzusuchen, die sich zu Bürgern des
ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts
ist vorn das Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter
auf der nehmlichen Seite Machiavellis, und links der
Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl kaum ein Plätz¬
chen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer na¬
he beysammen.


Für den Antiquar und den Gelehrten ist von un¬
serer Nation jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann,
der preuſsische Geheime Rath Baron von Schellers¬
heim, ein Mann von offenem rechtlichen Charakter
[393 ] und vielen feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen
erlaubt, seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft
mehr zu opfern als ein anderer. Er besitzt vielleicht
mehr antike Schätze, als irgend ein anderer Privat¬
mann. Was ich bey ihm gesehen habe, war vorzüg¬
lich, eine komplette alte römische Toilette von Silber;
ein groſses altes silbernes ziemlich kubisches Gefäſs,
welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und
Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf
den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis
zur Nachhauseführung die Scenen der römischen Hoch¬
zeitgebräuche abgebildet. Dieses ist vielleicht das
gröſste silberne Monument der alten Kunst, das man
noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der
vier Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz,
Antiochia und Alexandria, welche die Konsuln oder
vielleicht auch die andern kurrulischen Magistraturen
an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten.
Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt er ei¬
nige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit Stirn¬
stücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine
geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von sel¬
tenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen;
mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die
ganze Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis
Augustulus. Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke.
Du siehst daſs dieses eine Liebhaberey nicht für jeder¬
mann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständli¬
cher, weil es Dich vielleicht interessiert und Du es
noch nicht in Büchern findest: denn seine Sammlung
ist noch nicht alt.


[394 ]

Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den
Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug,
und Du erwartest gewiſs nicht, daſs ich als Spazier¬
gänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten auffüh¬
re. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne
Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit.
Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die Amalfi¬
schen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas
bey mir in Kredit gesetzt, daſs sie diesen Kodex nicht
genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf
dem alten Schlosse einer Akademie der Georgophilen
bey. Hier hielt man eine Vorlesung über die vortheil¬
hafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation,
und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu
einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte
man einige seltene neue Naturprodukte. Neben mei¬
nem Zimmer im Bären wohnte eine französische Fa¬
milie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese
betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbro¬
chen so inbrünstig und laut, daſs mir über der An¬
dacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre,
überall das Religionswesen wieder Mode; und in
Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode be¬
handelt zu werden.


Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wie¬
der an einen Vetturino verdungen und fand im Wa¬
gen einen französischen Chirurgus, der von der Armee
aus Unteritalien kam, und eine italiänische Dame mit
ihrem kleinen Sohn auf dem Schoſse; und endlich
kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit
einem furchtbar groſsen Säbel, der in Handelsgeschäf¬
[395 ] ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau
von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier
war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬
nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb
Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬
ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬
schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬
sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte
er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬
sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit
dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬
lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit
dem jungen Bacchus. Die Leutchen muſsten das nehm¬
liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und
der Junge war gern bey mir.


Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten
bis fast auf die gröſste Höhe. Du kannst denken, daſs
ich viel zu Fuſse ging; der Franzose leistete mir dann
zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬
sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬
misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen
Kreuze, welche bedeuten, daſs man hier jemand todt
geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber
Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬
auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine
Allee von Kreuzen seyn. Ich muſs Dir bekennen,
daſs ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬
rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel?
Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬
chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um
[396 ] alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur
knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese
subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der
Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit,
Groſsmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld
und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth
zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In
der alten griechischen [und] römischen Moral findet
man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein
Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium
der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst
doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch phi¬
losophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun;
aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler
ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, daſs
durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben
Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens wegge¬
nommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So
schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch et¬
was besser vor. Christus hat gewiſs seiner Religion
keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie
nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen
hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an
allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der
Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu
untersuchen und zu finden, daſs keine Konsequenz da¬
rin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und
das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet
ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.


Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen
Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
[397 ] Felsen lag und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun
hatten wir von den Oelbäumen Abschied genommen;
auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu
finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf der
Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man
kommt nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles
gewinnt diesseit des Bergs schon eine etwas mehr nörd¬
liche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bo¬
logna hatte eine groſse Freude mich glücklich wieder
zu sehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als
man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der Schwei¬
zer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffee¬
häuser als in die Museen. Ein pohlnischer Haupt¬
mann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand,
sich selbst einige Grade avanciert und hier geheirathet
hatte, schloſs sich geflissentlich an uns an und freute sich
mit Deutschen deutsch zu plaudern: denn er war lange
kaiserlicher Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte,
er sey in seinem Leben kein Republikaner gewesen,
das lieſs sich von einem pohlnischen Edelmann sehr
leicht denken, und er sey nun froh, daſs die H—e
von Freyheit nach und nach wieder abgeschaft werde.
Man hatte eben das Wappen über dem Generalzoll¬
hause geändert, und anstatt der Freyheit die Gerech¬
tigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die
wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur
behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerech¬
tigkeiten. Sodann erhob er die Tapferkeit und die
Kriegszucht der Pohlen, von der ich selbst Beweise
hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.


Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna
[398 ] noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die
Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groſs, aber
köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci,
Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Eh¬
ren in Rom unter den besten stehen. Das schönste
Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Ar¬
beit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die
Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner recht¬
fertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Ha¬
gar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus
gefaſst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern,
nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbe¬
tet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebie¬
tendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da
steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher
Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese
kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische
Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre
vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen
Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheil¬
haft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht
wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch
als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota
desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so
vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Bey¬
spielen und Vorschriften, daſs ich oft mit vieler Ue¬
berlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich
vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit be¬
hüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht,
wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das
Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und
[399 ] Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit
stempeln.


Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬
der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬
fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend
geplündert worden; der General lieſs sie arretieren
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
26[400 ] Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen
das Geld zu ersetzen, und man lieſs die Fremden zie¬
hen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge
und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit.


In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein
Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte
und ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder
einen preuſsischen Paſs zu sehen, den ich mir von
dem preuſsischen Residenten in Rom hatte geben las¬
sen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für
den besten hielt.


Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und
einen oder zwey Tage dort ausruhen und Bodoni se¬
hen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre,
wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde.
Am Thore wurde ich den achten Juny mit vieler
Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem Ge¬
freyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte
die Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten
Mal begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die
gutaussehenden Kaffeehäuser und saſs schon im Geist
bey einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen
Marsch gehabt. Die Parmesaner saſsen gemüthlich dort
und schienen viel Bonhommie zu präsentieren; nur
hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes Ge¬
sicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der
Offizier meinen Paſs, rief einen andern Gefreyten
und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich
sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und
hoffte schon auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Au¬
gusta in Sicilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lan¬
[401 ] ge; ich fragte und erfuhr, ich müſste zum Thore hin¬
aus, ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war
mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte
die Grenadiere so entsetzlich schön gepudert sah.
Die Kerle trugen hinten Merleons, so groſs wie das
Kattegat. Ich foderte, man sollte mich zum Kom¬
mandanten bringen. Ma, mio caro, non posso mica;
sagte er. Ich drang darauf. Ma, mio caro, non sa¬
pete il servizio; questo, non posso mica. Ich alter
Kriegsknecht muſste mir die Sottise gefallen lassen.
Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte
Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den Of¬
fizier, indem ich ihm meinen Paſs wies, ob das eine
humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behan¬
deln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und
berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal
zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte
hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die
Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberale¬
res Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hin¬
schicken; der Offizier war unschlüssig: Ma, mio caro,
non possiamo mica, sagte der Gefreyte von der Haupt¬
wache, der noch dabey stand. Der Offizier sagte mir,
er könne mir jetzt nicht helfen, ich könne morgen
wieder herein kommen und dann thun was ich wolle.
Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus.
Der Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von
Parma und den Parmesanern geben können: Ma, mio
caro
, non possono mica. Aergerlich und halb lachend
ging ich in ein Wirthshaus eine gute Strecke vor dem
Thore. Das nenne ich mir eine aufmerksame besorg¬
[402 ] liche Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen
lassen, ein reines feines Hemd angezogen, mich ge¬
putzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute
zwischen Alikata und Terranuova, und ihre nicht
problematischen Landsleute zwischen Gensano und Ari¬
cia hatten zwar bey ihrer braven Visitation einige
Schismen in Rock und Weste gebracht; aber dessen
ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Ge¬
sellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich
zog einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich
zehn Louisdor Kaution zu machen, und im Passe war
ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man gestat¬
tete mir kein Quartier in der Stadt. Und nun denkst
Du, daſs ich den andern Morgen hinein ging und
mich des fernern erkundigte? Das lieſs ich hübsch
bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde,
komme ich nicht wieder: diese Ehre erhalten die Par¬
mesaner nicht. Ich aſs gut und schlief gut, und
schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza
ein. Man merkte, daſs die Leute hier in Parma noch
orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer Nachbarn
angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele Dolche
und Schieſsgewehre, wie bey den ächten Italiänern
jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herr¬
lich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie
sie in der Nähe eines so konfiscierten Orts noch einen
Ton anschlagen konnten. Aber sie schlugen fort und
endlich vergaſs ich das Eis, den Käse, Bodoni und
Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom
ein herrliches Gemälde von dem Uebergange über den
Fluſs aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler
[403 ] war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbei¬
tet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht.
Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr
leer und öde, aber der Fluſs macht schöne Parthien.


In Lodi aſs ich wohl ruhiger zu Mittage als Bo¬
naparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm er¬
warb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo
man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen
traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht
je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pom¬
peji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name
daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: we¬
nigstens wird das hier auf einem Marmor am Rath¬
hause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein
sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren
Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf
dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das
Maſs nahm.


Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz,
und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo
die Ziteronen blühn. In Rom sagt man, daſs das
Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr
beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter ge¬
worfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
vielleicht mit dem Münster in Straſsburg um den Vor¬
zug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht
auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen
Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier
und dort, wie Du weiſst, alles nach dem Willen des
korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre
vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint
[404 ] hier der goldenen Freyheit nicht durchaus auſseror¬
dentlich hold zu seyn. Einer meiner Bekannten be¬
gleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern
auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen
Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische
der geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut
auf den Schultern hangend. Er gilt für eine gräſslich
schöne Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete
ihn einige Minuten: das sind wir, sagte er endlich;
die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser
Elend sehen können. Die Franzosen machen eine
schöne Parade vor dem Pallast der Republik: nur wird
es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu er¬
kennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte
weitläufige Schloſs vor der Stadt wird sehr verengt
und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht: jetzt
ist dort noch alles wüste und leer.


Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte
Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem
Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer,
und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand
ist, war während der Revolution, wie man sagt, eini¬
ge Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige
Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt gezeichnet und
Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich,
der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey
euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und
urtheilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal.
Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Origi¬
nal noch weit lieber als der Stich, so schön auch die¬
ser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkührlich bey
[405 ] der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem
gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen
dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich
sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen
Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler
den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er
die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kon¬
trast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht
verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit
sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister,
der einen groſsen Streich wagt: er rechnete für die
Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist
Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonne¬
ner. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er
glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich
möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund
auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht
nur darum nicht, vveil ich nicht so viel Glauben habe
als er. — Jetzt muſs man auf einer Leiter hinunter
steigen in den Saal, der untere Eingang ist ver¬
mauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dum¬
pfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch an¬
dere üble Behandlung.


Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Paler¬
mo wieder das erste Theater. In Neapel brachte
mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Ta¬
ge nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird.
Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht se¬
hen. In Rom machten mir meine Freunde eine
so schlimme Schilderung von dem dortigen Thea¬
terwesen, daſs ich gar nicht Lust bekam eins zu su¬
[406 ] chen. Man sagt, das Haus sey hier eben so groſs,
als das groſse in Neapel. Der Gesang war nicht aus¬
gezeichnet und für das groſse Haus zu schwach. Man
erzählte mir hier eine Anekdote von der Strinasacchi,
die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie
hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas ähn¬
liches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daſs weder
unser Miſsfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging
als die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr
nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Thea¬
ter gegeben. Bey ihrer ersten Erscheinung erschrak
hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und ge¬
rieth so in Unwillen, daſs man sie durchaus nicht
wollte singen lassen. Der Direktor muſste erscheinen
und es sich als eine groſse Gefälligkeit für sich selbst
erbitten, daſs man ihr nur eine einzige Scene erlaubte,
dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte.
Die Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt
und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus
über: und nach Endigung des Stücks spannte man die
Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen
groſsen Theil der Stadt nach Hause. Es wäre eine
psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige
Bekenntniſs der Weiber zu hören, ob sie das zweyte
für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat
keine Stimme mehr über die Sache.


Das Ballet war schottisch und sehr militärisch.
Man arbeitete mit einer groſsen Menge Gewehr und
sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf
dem groſsen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war
aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man
[407 ] hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhn¬
licher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele ar¬
beitet. Ich habe nie wieder so gute Pantomime gese¬
hen als in Warschau aus der Schule des Königs Ponia¬
towsky. An ihm ist ein groſser Balletmeister verloren
gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.


In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an
den General Dombrowsky erhalten und er nahm mich
mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordi¬
scher Gastfreyheit auf die ganze Zeit meines Hierseyns
an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern
von Pohlen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Mal
in Suworows Hauptquartiere gesehen; und er hatte von
seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch
sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die
die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du
findest bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht
an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein
sehr freyer strenger Beurtheiler militärischer Zeich¬
nungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich
nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne
Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen groſser
Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph,
der sehr alt und charakteristisch ist und auf den er
viel hält. Eine Anekdote aus diesem nur geendigten
Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm seyn.
Dombrowsky liebt Schillers dreyſsigjährigen Krieg und
trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey
Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten
das Buch lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich
das Leben gerettet Ich habe das durchschlagene Exem¬
[408 ] plar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde
zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus
dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir la¬
chend, Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht
auch Schuld an der Gefahr: denn die Kugel hat eine
Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort, die
Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten:
das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen
haben nie für Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen
wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr
unwiederbringlich verloren ist. Das gab etwas Sich¬
tung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre
voraus zu sehen gewesen, daſs für Pohlen keine Ret¬
tung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer
noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der
furchtbaren Tripleallianz bloſs stellen, um ein Zwitter¬
ding von Republik wieder zu etablieren, an deren
Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Die
Eifersucht zwischen den groſsen mächtigen Nachbarn
ist wahrscheinlich und ihnen vortheilhaft. Wenn die
Pohlen noch unter einem einzigen Herrn wären, so
lieſse sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung
denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, und
thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt
war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu
kommen. Ich weiſs selbst, daſs ich als russischer Of¬
fizier in Posen vor der Hauptwache vor den preuſsi¬
schen Kanonen von einem Dutzend junger Pohlen be¬
lagert wurde, die mirs nahe ans Herz legten, daſs
doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte
ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so wollten
[409 ] sie die Preuſsen zurückschlagen. Sie brachten eine
Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische
Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren ver¬
bargen sie gewiſs. Sie dachten unstreitig, bleiben wir
beysammen, so können wir durch irgend eine Kon¬
junktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der
General fand die Schluſsfolge ziemlich bündig, sagte
aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav
und edel.


Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Orga¬
nisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daſs man
die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte,
Der Mangel im Kriege muſs in Italien zuweilen hoch
gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, daſs einmal
die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier
Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird
gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch
drolliger Vertraulichkeit geäuſsert. So sagten die Fran¬
zosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins;
ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se
battent comme les lions
. Die Pohlnischen Offiziere
konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug
ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und
ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht
durchdrangen, waren gewiſs alle Mal ihre Anführer
Schuld daran. Es wurde behauptet, daſs das Pohlni¬
sche Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno
ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es
hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die
[410 ] ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienst¬
lich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzu¬
schaffen suche, welches man auch hier und da zu
merken scheint. Auch werden die Unruhen dort viel¬
leicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl
sonst die französische Energie vermöchte.


Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich
mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen
war; und in den Muſsenstunden lese ich mit viel Ge¬
nuſs Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte.
Die ersten Tage hatte man mich im Wirthshause mit
einem gewissen Miſstrauen wie einen gewöhnlichen
Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich zum Ge¬
neral ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige
Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und
vorzüglich wohl da ich einige schwere Goldstücke
wechseln lieſs, ward das ganze Haus vom Prinzipal
bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch
muſs ich Dir bemerken, daſs ich in Mailand von ganz
Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber
gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenom¬
men. Ich urtheile nach den Promenaden, die hier
sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier
im Hause hatte ich nun vermuthlich, wie in Italien
oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gel¬
ten, den man nach seiner Weise behandeln müsse.
Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft protestieren
so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten,
so war Signor Inglese und Eccellenza; und man mach¬
te die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch
nach verjüngtem Maſsstabe in Mailand denken. Die
[411 ] Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag
Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las
wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls;
da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull
stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬
derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬
ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch
als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda
qualche cosa?
fragte sie in lieblich lispelndem Ton,
indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬
len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie
etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte
sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬
geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und
war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu
sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere
Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte
ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬
schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas
näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬
ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte,
ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund;
und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬
frieden zum General.

[[412]]

Nun bin ich bey den Helvetiern und fast wieder im
deutschen Vaterlande, und bereite mich in einigen Ta¬
gen einen kleinen Abstecher zu den Galliern zu ma¬
chen. Viel Erbauliches wird nach allen Aspekten dort
jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören seyn: in¬
dessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch
an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder
fest sitze möchte es etwas schwer halten.


Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und
ging diesen Tag herüber nach Sesto am Ticino, den
ich nicht für so beträchtlich gehalten hätte als ich ihn
fand. In der Gegend von Mailand war schon eine
Menge Getreide geerntet und alles war in voller Ar¬
beit; und als ich über den Berg herüber kam, fing
das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schos¬
sen: das ist merklicher Kontrast. Die gröſste Wohl¬
that war mir nun wieder das schöne Wasser, das ich
überall fand. Von Mailand hatte ich die beschneyten
Alpen mit Vergnügen gesehen und nun nahte ich mich
ihnen mit jedem Schritte, und kam bald selbst hinein.
Von Sesto aus fuhr ich auf dem Ticino und dem La¬
go maggiore herauf, bloſs um die schöne Gegend zu
genieſsen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus Un¬
teritalien und Sicilien und gab mir also keine groſse
Mühe die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen,
da mein Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag
mehr und also wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich
sah also bey Varone links an der Anhöhe den gigan¬
[413 ] tischen heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und
fuhr dann sowohl bey der schönen Insel als bey der
Mutterinsel vorbey. Man hätte mir höchst wahrschein¬
lich dort nur Orangengärten gezeigt, die ich in Unter¬
italien besser gesehen habe, und hätte mir gesagt, hier
hat Joseph, hier Maria Theresia und hier Bonaparte
geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum so
wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem
Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette
schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey
Roſsbach. Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zu¬
weilen auſserordentlich groſs, und wo die Gegend vor
den rauheren Winden geschützt wird, findet man hier
Früchte, die man in der ganzen Lombardey umsonst
sucht. Es sind hier noch recht schöne Oelbäume, die
man diesseit der Apenninen nur selten findet, und so¬
gar indische Feigen in der freyen Luft. Ich schlief
am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin
hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwi¬
schen rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den
Gang an dem Flusse herauf über Belinzona an, der
mich nach einigen Tagen über den Gotthardt herüber
brachte. Zwey Tage ging ich am Flusse immer berg¬
auf. Die Hitze war unten in der Schlucht ziemlich
drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube
zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der
mir besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, ob¬
gleich für mich weiter nichts da war als Kirschen.
Den ersten Abend blieb ich in einem kleinen Orte,
dessen Name mir entfallen ist. Der Ticin stürzte un¬
ter meinem Fenster durch die Felsen hinunter, gegen-
[414 ] über lag am Abhange ein Kloster, und hinter demsel¬
ben erhob sich eine furchtbar hohe Alpe in schroffen
Felsenmassen, deren Scheitel jetzt fast zu Johannis mit
Schnee bedeckt war. Die Bewirthung war besser, als
ich sie in diesen Klüften erwartet hätte; vorzüglich
waren die Forellen aus dem Ticin köstlich. Die Leute
schienen viel ursprüngliche Güte zu haben. Mein gröſs¬
ter Genuſs waren hier die Alpenquellen, vor denen
ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken,
wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den
Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts
und rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt
schmolz eben der Schnee auf den Höhen der Berge,
und oft hatte ich vier bis sechs Wasserfälle vor den
Augen, die sich von den nackten Häuptern der Alpen
in hundert Brechungen herab stürzten, und von de¬
nen der kleinste doch eine sehr starke Wassersäule
gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere Par¬
thien als die Reuſs auf der deutschen; und nichts
muſs überraschender seyn, als hier hinauf und dort
hinunter zu steigen. Ayrolles war mein zweytes
Nachtlager. Hier sprach man im Hause deutsch, italiä¬
nisch und französisch fast gleich fertig, und der Wirth
machte mit seiner Familie einen sehr artigen Zirkel,
in dem ich sogleich heimisch war. Suworow hatte
einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten beyde
einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusias¬
mus für den alten General, und rühmte vorzüglich
seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht
vielen etwas sonderbar und verdächtig vorkommen
wird. Aber ich sehe nicht ein, was den Wirth in
[415 ] Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine
Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworovv war nicht
der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre an¬
gethan hatte bey ihm zu seyn: er zeichnete sie alle,
wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allge¬
mein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück ge¬
habt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu
gelten, und ich suchte nun seinen wahren Charakter
zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihn
zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem
häſslichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und
nun wird zugeschlagen. Ich weiſs sehr wohl, daſs das
ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenhei¬
ten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag
und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mür¬
rischer Geck von einem weggeworfenen Charakter ge¬
wesen; und der war er doch gewiſs nicht. Sonderbar¬
keit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war
er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und
jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen
ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen,
in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten
sich befand. Weder sein eigener Monarch noch der
östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrie¬
den. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art
und ohne Rücksicht der Person gesprochen. Er war
alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens
entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umstän¬
den sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten ei¬
niger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm
zur Last gelegt; und er selbst war freylich nicht der
27[416 ] Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des
Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen kön¬
nen. Seines Werths sich bewuſst, fest rechtlicher Mann,
aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenhei¬
ten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten
aussahen; war äuſserst strenge gegen sich und dann
auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach
skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie
war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so ta¬
delhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch
in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charak¬
ter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit.
Er soll in Prag eine schmutzige Filzerey gezeigt haben,
weggefahren seyn ohne einen Kreuzer zu bezahlen,
und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen
haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art
aufbewahrt. Dieſs ist nun gewiſs wieder ein barockes
Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem
Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich
diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, wür¬
de ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächer¬
lichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muſs
auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist,
und ich bin fest überzeugt, daſs Suworow durchaus
ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er
auch eine starke Dose Excentricität hatte und mit der
Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man
seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen
brauchte. Du weiſst, daſs ich dem Manne durchaus
nichts zu danken habe und kannst also in meinen
Aeuſserungen nichts als meine ehrliche Meinung fin¬
[417 ] den. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen,
die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwür¬
digkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer
Suworow, wenn auch alles wahr war, was von ihm
erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität
gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf seinen
morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tau¬
senden nieder kartätschen lieſs.


Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit
gehabt hätte nur noch sechs Tausend Mann über den
Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die
Schlacht eben so fürchterlich gegen die Franzosen aus¬
gefallen, wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen,
mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe,
gestehen das nehmliche ein und sagen, bloſs die Ent¬
fernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen
Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres
Glücks gewesen; und sie bekennen, daſs sie im gan¬
zen Kriege meistens nur die Fehler der Gegner gewon¬
nen haben. Hier in Zürich habe ich rund umher
mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und
man giebt ihnen überall das Zeugniſs einer guten Auf¬
führung, die man doch anderwärts als abscheulich ge¬
schildert hat. Das thut Partheygeist. Man beklagt sich
weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg zu
führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muſs, da
sie selten Magazine bey sich haben und zusammen
treiben was möglich ist. Das geht einmal und zwey¬
mal; das drittemal muſs es gefährlich werden; welches
die Schlauköpfe sehr wohl wissen. Sie berechnen nur
klug; Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck.
[418 ] Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und
nicht der ganzen Nation zuzurechnen.


Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und dies¬
seit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den
Deutschen. Zwey Tage war ich beständig bergauf ge¬
gangen; Du kannst also denken, daſs der Ort schon
auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind
Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von
den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich
schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches
Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen.
Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln,
und rollte sodann furchtbar durch das Thal hinunter
durch das ich herauf gekommen war. Ein solches
Echo hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.


In dem Wirthshause zu Ayrolles saſs ein armer
Teufel, der sich leise beklagte, daſs seine Börse ihm
keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daſs ich ihm
zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaff¬
te; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daſs
es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe
hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schnei¬
der aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua ge¬
hen wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber
überall so viel von der Theuerung und der Unsicher¬
heit in Italien, daſs er lieber wieder zurück über die
Alpen wollte, und erbot sich mir meinen Reisesack
zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Ent¬
schlieſsungen durchaus keinen Einfluſs haben, er müſste
seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt
meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
[419 ] wieder zurück, und ich trug kein Bedenken, ihn mei¬
nen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also
den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny rüstig
den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr
schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern
Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch
weiter hinauf vor dem Schneegestöber durchaus nichts
sehen; links und rechts blickten die beschneyten Gipfel
aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter.
Nach zwey starken Stunden hatten wir uns auf die
obere Fläche hinauf gearbeitet, wo das Kloster und
das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege
geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und
der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufge¬
schichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder herge¬
stellt und man hat schon wieder leidliche Bequemlich¬
keit. Es muſs eine herkulische Arbeit gewesen seyn
hier nur kleine Artilleriestücke herauf zu bringen,
und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten
möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege
sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die Brust
durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen
würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor
den Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es
ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus die¬
sem Kriege ein neues Phänomen, daſs man ihn hier
zuerst über Wolken und Ungewitter herauf trug: coe¬
lum ipsum petimus stultitia
. Das Wasser auf der ober¬
sten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang,
denn es gieſst sich rund umher die Ausbeute des Re¬
gens und Schnee von den höchsten Felsen in den See,
[420 ] aus dem sodann die Flüsse nach mehrern Seiten hin¬
abrauschen. Es müſste das gröſste Vergnügen seyn,
einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen
zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat
nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine
Füſse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder um¬
gürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluch¬
ten stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern,
von denen die Flüsse nach allen Meeren herabrauschen,
und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrah¬
len. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache
des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die
Veränderung so schnell, daſs in einer Viertelstunde
manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Re¬
gen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon
wieder durch die Schluchten drängten. Als ich oben
gefrühstückt hatte ging ich nun auf der deutschen Seite
über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die
Teufelsbrücken herab. Denke Dir das Teufelswetter
zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum
einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen
konnte, und Du wirst finden, daſs es eine Teufels¬
parthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz
nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward
das Wetter heiter und freundlich, und nur einige
Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren
noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der
Berge weiſs. Mein Schneider von Konstanz erzählte
mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben
der beste war, wovon aber der Mensch keine Ahn¬
dung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An¬
[421 ] fang mit dem Bekenntniſs, daſs er in seinem ganzen
Leben nicht gearbeitet habe und nun in seinem acht
und vierzigsten Jahre nicht anfangen werde. — So so,
das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan? —
Ich habe gedient. — Besser arbeiten als dienen. —
Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da
war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den
Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Bou¬
lewards besser als seine Hölle und hatte alle Weinhäu¬
ser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte ver¬
sucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen,
dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in
Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr
orthodox über die Franzosen, die ihm seine Kloster¬
glückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zer¬
störten. Jetzt machte er Miene mit mir wieder nach
Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beyfall über
seine ewige unstete Landläuferey nicht zu erkennen,
und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl
besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu
halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da
wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber
bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen.
Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzün¬
det wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht
schön aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die
Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie er¬
lauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser
sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und
konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuſs fin¬
den, daſs wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den
[422 ] Gürtel auf der Straſse im Wasser waden muſsten. Es
war kein Ausweg. Gehts nicht, so schwimmt man,
dachte ich; und mein Schneider tornisterte hinter mir
her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach
Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo
Tell den Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von
der Abfahrt stürzt rechts ein Wasserfall von sehr ho¬
hen Felsen herab, nicht weit von Tells Kapelle, und
man erzählte mir, daſs oben in den Alpen ein be¬
trächtlicher See von dem Wasser der noch höhern
Berge wäre, der hier herab flösse. Schade daſs man
nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von
unten aus schon sehr romantisch, und oben muſs
man eine der herrlichsten Aussichten nach der Reuſs
und den Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt,
und Du findest sie in den meisten Schweizerreisen. In
dem seligen Republikchen Gersau frühstückten wir,
und die Herren beklagten sich bitter, daſs ihnen die
Franzosen ihre geliebte Autonomie genommen hatten.
Die ganze Fahrt auf dem Wasser herab bis nach Lu¬
zern ist eine der schönsten; links und rechts liegen
die kleinen Kantone und höher die Schneealpen, in
welche man zuweilen weit weit hineinsieht. Der Pi¬
latusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vor¬
hof der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im
Wirthshause unter der guten Gesellschaft einige Freun¬
de von Johannes Müller, die mit vieler Wärme von
ihm sprachen. Nachdem ich die Brücken und den
Fluſs beschaut hatte, ging ich zum General Pfeiffer
um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist
bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie
[423 ] wohl einige glauben. Der Mann hat mit Liebe viel
schöne Jahre seines Lebens daran gearbeitet, und mit
einer Genauigkeit, wie vielleicht nur wenig militärische
Charten gemacht werden. Die Franzosen haben das
auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte Ge¬
neral zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wuſs¬
te durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten
Willen des Greises so zu gewinnen, daſs er sich als
seinen Schüler ansehen konnte. Die Schule hat ihm
genützt; und es wird allgemein nicht ohne Grund be¬
hauptet, er würde den Krieg in den Bergen nicht so
vortheilhaft gemacht haben ohne des Alten Unterricht.
Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist Schade, daſs ihn
die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu vollenden.
Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen ge¬
setzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden ge¬
schlagen, die man durchaus für unzugänglich hielt.
Die Feinde haben Wege gemacht, die nur ihre Gem¬
senjäger vorher machten; vorzüglich die Russen und
die Franzosen. Man hat sich auf einmal überzeugt,
daſs die Schweiz bisher vorzüglich nur durch die Ei¬
fersucht der groſsen Nachbarn ihr politisches Daseyn
hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden
in das Murter Thal, die man nur für Steinböcke
gangbar hielt. Die Katholicität scheint in Luzern sehr
gemäſsigt und freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste
für mich war noch, daſs mir der Kellner im Gasthofe
erzählte, man habe hier im See zwey und dreyſsig
Sorten Forellen, so daſs man also bey der kleinsten
Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. Dieje¬
nigen welche man mir gab hätten einen Apicius in
[424 ] Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn
Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten,
wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden
solltest.


Von Luzern lieſs ich mich auf dem Wasser wie¬
der zurück rudern, durch die Bucht links, ging über
den kleinen Bergrücken herab an den Zuger See, setzte
mich wieder ein und lieſs mich nach Zug bringen.
Wäre ich etwas frömmer gewesen, so wäre ich zur
heiligen Mutter von Einsiedel gegangen. Auf dem
Bergrücken zwischen diesen beyden Seen steht die be¬
kannte andere Kapelle Tells mit der schönen Poesie.
Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich fürch¬
te, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer
noch die Alten wären, würden sie sich doch in diesen
Konjunkturen schwerlich retten. Man nimmt die
gröſseren fruchtbaren Kantons und läſst die Alpenjäger
jagen und hungern; sie werden schon kommen und
bitten. Bloſs die Eifersucht gegen Oestreich gab der
Schweiz Existenz und Dauer.


Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst
wieder auf den Rücken. Der Schneider sah einige
Minuten verblüfft, brummte und bemerkte sodann,
ich müsse doch sehr furchtsam seyn, daſs ich ihm
meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle. Ich machte
ihm begreiflich, daſs hier zwischen Zug und Zürich
gar nichts zu fürchten sey, daſs mich allenfalls mein
Knotenstock gegen ihn schütze, daſs ich ihm aber keine
Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft
sey mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast
unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah¬
[425 ] len. Nun erzählte ich ihm, daſs ich in Luzern für
meine eigene Rechnung vier und dreyſsig Batzen und
für die seinige sechs und dreyſsig bezahlt habe; das
konveniere mir nicht. Er entschuldigte sich, er habe
einen Landsmann gefunden und mit ihm etwas ge¬
trunken, und der Wirth habe zu viel angeschrieben.
Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu viel getrun¬
ken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir
das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahr¬
scheinlich vorkommt: aber, mein Freund, Er hat
wahrscheinlich der Landsleute viele von Neapel bis
Paris; ich zahle gern eine Suppe und ein Stück Fleisch
und einige Groschen, aber ich lasse mich nur Einmal
so grob mitnehmen. Er verlieſs mich indessen doch
nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf und
herab, setzten uns unten in ein Boot und lieſsen uns
über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem
Sünder einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn
laufen lieſs. Er wird indessen beydes schon oft um¬
sonst bekommen haben.


Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen
Freunden und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich
nicht noch etwas links abgehen wollte. In Zürich
möchte ich wohl leben: das Oertliche hat mir selten
anderwärts so wohl gefallen. Ich trug einen Brief aus
Rom zu Madam Geſsner, der Wittwe des liebenswür¬
digen Dichters, und ging von ihr hinaus an das Mo¬
nument, das die patriotische Freundschaft dem ersten
Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem
Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätz¬
chen ist idyllisch schön und ganz in dem Geiste des
[426 ] Mannes, den man ehren wollte; und der Künstler,
sein Landsmann, hat die edle Einfalt nicht verfehlt,
welche hier erfordert wurde. Akazien, Platanen, Sil¬
berpappeln und Trauerweiden umgeben den heiligen
Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die Schlacht¬
gegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen,
wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten.
Ich verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in
vielen Büchern vielleicht besser findest. Eine eigene
Erscheinung war es mir hier, daſs bey Vidierung des
Passes zwey Batzen bezahlt werden muſsten. Ich möchte
wohl wissen wie man dieses mit liberaler Humanität
oder nur mit Rechtlichkeit in Uebereinstimmung
wollte.


Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über
meinen Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen.
Du hast aus meiner Erzählung gesehen, daſs es jetzt
wirklich traurig dort aussieht; vielleicht trauriger als
es je war. Ich bin gewissenhaft gewesen und jedes
Wort ist Wahrheit, so weit man historische Wahrheit
verbürgen kann. Daſs Brydone in Sicilien gewesen
ist, bezweifelt niemand; aber viele haben vieles gegen
seine schönen Erzählungen. So viel weiſs ich, daſs in
Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und Syra¬
kus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Bar¬
thels ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfah¬
ren. Mehrere Augen, die ich hier nicht aufzählen
kann, haben ihre Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist,
daſs er seiner poetischen Phantasie zu viel Spielraum
gab. Die Besten über die Insel von den Neuern sind
wohl Barthels und Münter. Dorville habe ich fast
[427 ] durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem
Fluge habe bemerken können.


Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten
Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio
nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für ge¬
fährlicher als einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich
nach Rom reiste, war sechszehnmal geplündert worden
und dankte es nur seiner völligen Resignation, daſs er
noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann
dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre
auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die
wir von Paris während der Revolution gehört haben,
sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel aufzu¬
weisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach
thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabre¬
sen in Neapel zehnfach abscheulich sublimiert. Man
hat im eigentlichsten Sinne die Menschen lebendig ge¬
braten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde ge¬
zwungen davon zu essen; der andern schändlichen Ab¬
scheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter
durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit ei¬
ner Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen
und Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer
die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine
ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht
zu viel Miſsbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst
unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo gesche¬
hen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da
gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt
Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Ex¬
gemahlin Hamiltons, lieſsen im Namen der Regierung
[428 ] die Kapitulation kassieren, und die Henker hatten volle
Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig
ist niederreiſsen. Man nennt den Namen des Admirals
und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu
und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In
Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist
begreiflich. Bildung ist nicht, und das Biſschen Chri¬
stenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der
Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Re¬
volution; die Halbwilden trauten und wurden verra¬
then. Ruffo kam im Namen des Königs und versprach;
die Betrogenen folgten und wütheten unter ihm bis
zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt.
Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger betro¬
gen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie
weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann
kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im
ganzen Königreich und der Insel zusammen sind jetzt
kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben
einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold wird
noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen den¬
ken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast
überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gese¬
hen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der
Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten
Patrioten schreyen über Verrätherey der Franzosen und
knirschen die Zähne über die Regierung. Mäſsigung
und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wie¬
der reformieren und behaupten, sagte mir ein eben
nicht zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute
[429 ] wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um
sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses
Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal
die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬
zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem
Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey
ihrer gänzlichen Vernachläſsigung noch alle Mittel, die
Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo
rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo
weise Mäſsigung frommen würde. In Sicilien treibt
das Feudalsystem in den gräſslichsten Gestalten das
Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬
sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuſs
lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬
arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet
die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe
ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬
pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit
etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter
andern wurde ein groſser schöner Maulesel ausgeschifft;
das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt
umher. Kischt' è il primo minischtro, sagte ein Kerl
aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein
lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister
nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er
ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn.
Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich
mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬
nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und
Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte
ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
[430 ] nichts einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde
Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man
sagt in Neapel auf allen Straſsen ganz laut, der Mini¬
ster verkaufe als Halbbritte die Nation an die Englän¬
der. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die
öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade
der Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und
Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind em¬
pörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen
Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Kö¬
nige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als
Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal ver¬
urtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante
Frau appellierte an den König, und ihre Freunde
brachten es so weit, daſs sie zur endlichen Entschei¬
dung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde.
Der König war dort in ihrer Gesellschaft nach der
Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Straf¬
prediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Nea¬
pel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie erzählte
das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste.
Das ist verhältniſsmäſsig eben so schlimm als die ein¬
gesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen
und Umstände und den ganzen Prozeſs wiederholt
genannt.


Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen war¬
ten, und dabey soll man Jagdparthien geben, die über
50000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General
Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200000
Thaler belief. Ich weiſs nicht wer mehr indigniert,
ob der König oder Murat? Jener handelt nicht als Kö¬
[431 ] nig und dieser nicht als Republikaner. Anders that
Fabricius. Die Räuber streifen aus einer Provinz in
die andere, und plündern und morden, o ne daſs die
Juſtiz weiter darnach fragt. Man läſst die Leute so
gut und so schlecht seyn als sie wollen; nun sind der
Schlechten fast immer mehr als der Guten, zumal bey
solchen Vernachlässigungen: so ist die Unordnung
leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes hilft dem
Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und
Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung
keine Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen
Reiche keine militärische Patrouille gesehen, aber Hau¬
fen Bewaffnete bis zu fünf und zwanzig. Diese sollen
Polizey seyn; aber sie tragen kein Abzeichen, sind
nicht zu finden, und alle ehrliche Leute fürchten sich
vor ihnen.


Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen
bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Re¬
gierung, zu welcher alle Anhänger des Königs und
des Ministers gehören: die Parthey des Kronprinzen,
von dem man sich ohne vielen Grund etwas besseres
verspricht: und die Parthey der Malkontenten, die
keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben, und glau¬
ben, keine Veränderung könne schlimmer werden.
Die letzte scheint die stärkste zu seyn, weiſs aber nun,
da sie von den Franzosen gänzlich verlassen worden
ist, in der Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichts¬
punkt nehmen soll.


In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der
Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des
Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon
28[432 ] folgen, so weit sie sich mit beyden vertragen können.
Die Mönche glänzen von Fett und segnen ihren Hei¬
land Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt, oder
flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder
fromme Eselsgeduld hat. Es wird schon besser wer¬
den, so viel es das System leidet.


In Hetrurien weiſs man sich vor Erstaunen über
alle die Veränderungen zu Hause und auswärts noch
nicht zu fassen. Die Meisten, da die Menschen nun
doch einmal beherrscht seyn müssen, wünschen sich
das sanfte östreichische Joch, wie es unter Leopold
war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch wohl
laut über die Anmaſslichkeit des römischen Hofes und
die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen Po¬
lypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits
der Berge.


Die italische Republik windet sich, trotz den Ei¬
genmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen
ihrer Herren Nachbarn, nach und nach aus der tau¬
sendjährigen Lethargie. Hier war an einigen Orten
viel vorgearbeitet: aber auch das alte Päpstliche erholt
sich und wird etwas humaner. Das Päpstliche dies¬
seits der Apenninen scheint indessen nie so tief gesun¬
ken zu seyn, als in der Nähe des Heiligthums. Alles
liegt noch im Werden und in der Krise. Die groſsen
Städte klagen über Verlust, aber das platte Land hebt
sich doch merklich. Das läſst sich wieder sehr leicht
erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das
Land verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch
noch kosmisch gut ist.


Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita¬
[433 ] lien gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche
Zeugniſs auch wohl in Deutschland nicht versagen
kann. Man erzählt Beyspiele von Aufopferung und
Edelmuth, die dem humanen Zuhörer auſserordentlich
wohl thun, und seine sympathetische Natur für den
Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen zeigt. Ein¬
zelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen oft
grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat
als Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich
däucht der Augenschein bestätigt die Beschuldigung:
er wird bey einem groſsen Aufwand reich. Ich habe
eine ewige Regel, deren Richtigkeit ich mir nicht ab¬
streiten lasse. Wer in dem Dienst des Staats reich
wird, kann kein Mann von edelm Charakter seyn. Je¬
der Staat besoldet seine Diener nur so, daſs sie anstän¬
dig leben und höchstens einen Sichherheitspfennig
sparen können: aber zum Reichthum kann es auf ei¬
ne ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es giebt
nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum
Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige
wenige Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdie¬
ner zugleich Handelsmann, so hört er eben dadurch
auf einem wichtigen Posten gut vorzustehen. Die
Kommissäre haben einmal das unselige Privilegium
die Nationen zu betrügen, weil man ihnen unmöglich
alles genau durchschauen kann; und die französischen
sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben. Revoltie¬
rend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, daſs
viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen
reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Cha¬
rakter für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer¬
[434 ] de zahlen lieſsen und doch allein gingen und knicke¬
risch nur zwey nahmen, und das Geld für die übri¬
gen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum
noch Brot hatte, muſste bey dergleichen Gelegenhei¬
ten exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen
bringen, um den fremden so genannten republikani¬
schen Wohlthäter zu bezahlen. Das nenne ich Völker¬
beglückung! Man muſs bekennen, daſs die Franzosen
selbst über diese Schändlichkeit fluchten; aber sie ge¬
schahe doch oft. Wo Murat als General kommandirt,
fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine Nation
von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So
viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Solda¬
ten und Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin man¬
che Meile in ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie
alle gesittet, artig, bescheiden und sehr unterrichtet ge¬
funden. Sie urtheilten meistens mit Bündigkeit und
Bestimmtheit und äuſserten durchaus ein so feines Ge¬
fühl, daſs es mir immer ein Vergnügen war, solche
Gesellschaft zu treffen. Das alte vornehme Zotenreis¬
sen im Fluchen ist sehr selten geworden, und sie spre¬
chen über militärische Dispositionen mit einer solchen
Klugheit und zugleich mit einem solchen Subordina¬
tionsgeist, daſs sich nur ein schlechter Offizier andere
Soldaten wünschen könnte.


In Ansehung des Physischen ist ein Gang von
Triest nach Syrakus und zurück an den Zürcher See,
wenn er auch nur flüchtig ist, mit vielen angenehmen
Erscheinungen verbunden. Auf der Insel ist das lieb¬
lichste Gemisch des Reichthums aller Naturprodukte,
so viel man ohne Anstrengung gewinnen kann; Oran¬
[435 ] gen aller Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische
und gemeine, Kastanien, Wein, Weitzen, Reiſs. Bey
Neapel werden die indischen Feigen, die Karuben und
Pahnen schon selten; diesseits der Pontinen die Oran¬
gen; diesseits der Apenninen Oel und Feigen. Die
südliche Seite des Bergs von Florenz aus hat noch die
herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen nach
Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind Kasta¬
nienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig
an Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr
nördlich. Ein einziger Weinstock macht noch eine
groſse Laube, und auf einem einzigen Maulbeerbaume
hingen zuweilen sechs Mädchen, welche Blätter pflück¬
ten: aber ein Oelbaum ist schon eine Seltenheit. Die
südlichen Seiten der Alpenberge geben durch ihre La¬
ge hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs,
und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten,
Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, in¬
dische Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch
Kastanien die Menge und sehr schöne und groſse Bäu¬
me, und bis Ayrolles wächst gutes Getreide. Dann
hört nach und nach die Vegetation auf. An der Reuſs
diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe sie
wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als
Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide.
Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder
nur höchst selten, und der Nuſsbaum nimmt ihre
Stelle ein. Weiter herab ist alles vaterländisch.

[[436]]

Von Zürich hierher ist ein hübsches Stück Weges,
und ich schreibe Dir davon so wenig als möglich, weil
alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde begleiteten
mich den 24sten Juny ein Stündchen von Zürich aus,
und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter.
Bey Eglisau begrüſste ich das erste Mal den herrlichen
Rhein und ging von da nach Schafhausen, bloſs um
den Fall zu sehen. Er hat an Masse freylich weit
mehr als der Velino; aber ich wäre sehr verlegen, wel¬
chen ich die gröſste malerische Schönheit zugestehen
sollte. Dort ist die Natur noch gröſser als hier und
der Sturz noch weit furchtbarer. Mich däucht, ich
habe gehört, ein Engländer habe versucht den Fall
herunter zu fahren: und ich glaube, die Donquischot¬
terie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der Fluſs
voll ist. Bey kleinem Wasser würde man unfehlbar
zerschmettert. Nur müſste die Seite von Laufen ge¬
wählt werden; denn die von Schafhausen würde
ziemlich gewisser Tod seyn. Ich sage nicht, daſs man
nicht auf der Unternehmung umkommen könne: aber
gesetzt ich würde auf der Seite von Laufen oben ver¬
folgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich kein Be¬
denken tragen mich in einem guten Boot den Fall
hinab zu wagen und würde meine Rettung nicht ganz
unwahrscheinlich finden. In der Krone in Schafhau¬
sen war sehr gute Gesellschaft von Kaufleuten, Kom¬
missären und Engländern.


Den 25sten stach ich in das Breisgau herüber.
[437 ] Laufenburg, wo ich die Nacht blieb, ist ein ärmlicher
Ort, wo der Rhein einen zweyten kleinern nicht so
gefährlichen Fall bildet: doch ist auch dieser Schuſs
zwischen den Felsen sehr malerisch. Weiter hin ste¬
hen in den Dörfern noch Franzosen bis zum Austrag
der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung
über den Druck von allen Seiten. Bloſs unsere gerin¬
ge Anzahl verhindert uns, sagte man mir laut, ge¬
waltsame Mittel zu unserer Befreyung zu versuchen.
Die Franzosen müssen hier sehr schlechte abscheuliche
Mannszucht halten: denn ich habe wiederholt erzählen
hören, daſs sie durchreisende Weiber mit Gewalt hin¬
auf in den Wald zur Miſshandlung schleppen. An
den eingebohrnen wagen sie sich nicht zu vergreifen,
weil sie unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstän¬
de daraus was wolle: diese Unordnungen fürchten sie
doch. Jeder Einquartierte muſs täglich zwey Pfund
Brot, ein Pfund Fleisch und eine Flasche Wein erhal¬
ten. Seit einiger Zeit müssen die Wirthe für den
Wein zehn Kreuzer täglich bezahlen: dafür werden
dem Soldaten Kittel angeschafft. Da ist denn doch
die groſse Nation verächtlich klein. Das ist heute den
26sten Juny unseres Jahres 1802; und der Komman¬
dant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er
kann: ich sage was ich vielfältig gehört habe.


Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus
schön, und besonders bey Rheinfelden. In Basel am
Thore lud man mich zum Kriegsdienst der Spanier
ein, die hier für junges Volk von allen Nationen
freye Werbung hatten, aufgenommen die Franzosen
und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich
[438 ] gleich die Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn
es zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine
Patrone beiſsen und mit schlagen könne. Im Wilden
Manne war die Gesellschaft an des Wirthstafel ziem¬
lich zahlreich und sehr artig. Der französische Kom¬
mandant, zu dem ich wegen meines Passes ging, war
freundlich und höflich. Der preuſsische Paſs war in
Mailand revidiert worden, und der General Charpen¬
tier hatte daselbst bloſs darauf geschrieben, daſs er
durch die Schweiz nach Paris gültig sey. In Basel
wies man mich damit an den ersten Gränzposten, un¬
gefähr noch eine Stunde vor der Stadt. Als ich dort
ankam, sahe der Offizier nur flüchtig hinein, gab ihn
zurück und sagte: Vous etes bien en regle. Bon voya¬
ge!
und seitdem bin ich nirgends mehr darnach ge¬
fragt worden. So wie ich in das französische Gebiet
trat, war alles merklich wohlfeiler und man war
durchaus höflicher und billiger. In einem Dorfe nicht
weit von Belfort hielt ich eine herrliche Mittagsmahl¬
zeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, Braten,
zweyerley Desert und gutem Wein und zahlte dafür
dreyſsig Sols. Dafür hätte ich jenseit der Alpen we¬
nigstens dreymal so viel bezahlen müssen. Den nehm¬
lichen Abend, vier Meilen von Basel, zahlte ich für
ein recht gutes Quartier mit Zehrung nur sechs und
vierzig Sols. So ging es verhältniſsmäſsig immer fort;
und auch nicht viel theurer ist es in Paris. Mir thut
die Humanität und das allgemeine Wohlbefinden bes¬
ser als der wohlfeile Preis. Man spricht dort noch et¬
was deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich
beyde Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das
[439 ] Dorf war ziemlich groſs und als ich gegen Abend noch
einen Gang an den Gärten und Wiesen hin machte,
hörte ich in der Ferne an einem kleinen buschigen
Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir
in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam
hörte ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu ei¬
nem deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von
Matthison hielt. Die Sängerinnen waren drey Mäd¬
chen, die man wohl in der schönen Abendröthe für
Grazien hätte nehmen können. Die Zuhörer mehrten
sich und ich war so heimisch, als ob ich an den Ufern
der Saale gesessen hätte.


Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach
Dijon herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln;
überall sahe man Fleiſs und zuweilen auch Wohlstand.
Wenigstens war nirgends der drückende Mangel und
die exorbitante Theurung, die man jenseits der Alpen
fand: und doch hatte hier die Revolution gewüthet
und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein
Waffenplatz als eine Festung. Wenigstens würde bey
einer Belagerung die Stadt bald zu Grunde gehen und
der Ort sich kaum halten. In Auxonne wurden alle
Festungswerke niedergerissen, und jedermann ging
und ritt und fuhr ungehindert und ungefragt aus und
ein. Das fand ich selbst gegen die Schweiz sehr libe¬
ral. Einen Abend blieb ich in Genlis, dem Gute der
bekannten Schriftstellerin. Die Besitzung ist sehr nett,
aber sehr bescheiden; und die Dame wird trotz allem
was ihre Feinde von ihr sagen hier sehr geliebt.


Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und
rund um die Stadt einen ziemlich angenehmen Spa¬
[440 ] ziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolu¬
tion vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig
war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht,
wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten
scheinen königlich zu seyn. Mein Wirth, der sehr höf¬
lich mit mir herum lief, erzählte mir in langen Kla¬
gen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und
die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so
viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in
den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die
Sache hat freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur
das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und
der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings
bey keiner vernünftigern Einrichtung gewinnen. Alle
groſse Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und In¬
dustrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen
durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die
Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche
Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzeh¬
ren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Peters¬
thore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belusti¬
gungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.


Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiſs
ward, mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort
mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mit¬
telstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhaf¬
ter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem
Boulevardkoffer der Hebe einen Tempel aufgeführt, der
der franzö ischen Kunst eben keine Ehre macht. Die
Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung
gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten
[441 ] ächt französischen Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in
die Gartenlaube und hielt mir bey Gelegenheit der Be¬
zahlung einen langen Unterricht über den Geldkurs,
und gab mir Warnungen, damit ich als Fremder mit
der Münze nicht betrogen würde; welches indessen zur
Ehre der Nation nur sehr selten geschehen ist. In Ita¬
lien war der Fall häufiger, und auch in der Schweiz.


Die Gesellschaft in der Diligence war besser als
der einsylbige Kourier von Dijon. Ein alter General
von der alten Regierung, ein fremder Edelmann aus
der Schweiz, ein Landpfarrer der zugleich Mediciner
war, ein Kaufmann ehmals Adjutant des General Le¬
courbe, ein Gelehrter von Auxerres, der vorzüglich in
der Oekonomie stark zu seyn schien und einige ande¬
re Unbekannte machten eine sehr bunte Konversation.
Ich saſs zwischen dem Geistlichen und dem Gelehrten
im Fond, und vor mir der General auf dem Mittel¬
sitze. Der General hatte ehemals in Domingo kom¬
mandiert, wäre fast bey seiner Rückkehr in Brest
guillottiniert worden, und nur die Intervention vieler
angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner po¬
litischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste
Zeugniſs gaben. Der Geistliche war ausgewandert ge¬
wesen und hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze
gelebt, war aber mit vieler Klugheit zu rechter Zeit
zurückgekommen und hatte seitdem nach dem Winde
laviert. Jetzt zeigte er nun wieder mehr seinen ei¬
gentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen Kennt¬
nissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung
mit dem ehemaligen Groſsen; also allerdings kein Platt¬
kopf, sondern ein Spitzkopf.


[442 ]

Er erzählte, als ob das so seyn müſste, eine Men¬
ge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in sei¬
nem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht
salbungsreich waren. So war er bey Sens einmal als
falscher Bischof gereist und hatte falsche Offizialien ge¬
halten, und man hatte sich fast todt gelacht als er den
Spaſs entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chor¬
schüler gesehen, daſs ein Bauer seinem Beichtvater ei¬
nen groſsen schönen Karpfen brachte und ihn unter¬
dessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der
Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte
seine groſse Freude, als der absolvierte Bauer kam und
in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetz¬
ten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des
geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren
hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich.
Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten
französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein
Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern und war
als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein
Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet,
er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun,
seyd Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beicht¬
vater. — Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt. —
Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen:
was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. — Dieser
geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt
und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke ge¬
kämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche Ver¬
weis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter
mit der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen
[443 ] Herrn plötzlich auf, es müsse eine ganz eigene Käm¬
merey seyn. Die Vorhergehenden hielten in der Kir¬
che noch etwas Andacht; écoutés donc, Messieurs les
perruquiers
, ruft er ihnen zu, venés encore un peu ici;
il y a encore à peigner. Was hat das für eine Bewandt¬
niſs mit der Perücke? Nun erklärte denn das beich¬
tende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne Heuscho¬
ber drauſsen auf der Wiese stehen, und sie gingen zu¬
weilen mit dem Rechen hinaus und zögen rund her¬
um bedächtig herunter, daſs es niemand merkte: das
nennten sie des Kanzlers Perücke kämmen. Die neue
Manier die Perücke zu behandeln wurde also nun
scharf gerügt, untersagt und schwer verpönt.


Nung fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu
erzählen, was die heiligen Reliquien hier und da in
der Nachbarschaft von Paris wieder für Wunder thäten,
und dem Himmel zu danken, daſs man endlich wie¬
der anfange an die allerheiligste Religion zu denken
und sie nun wieder wagen dürfe, ihr Haupt empor zu
heben. Er erzählte wenigstens ein halbes Dutzend
ganz nagelneue Wunder, von denen ich natürlich
keins behalten habe. Er selbst hatte mit heiſsem heili¬
gen Eifer un abregé precis sur la verité de la religion
chrétienne
geschrieben, so hieſs glaube ich der Titel,
und das Buch dem Kardinal Kaprara zugeschickt. Nach
dem Tone zu urtheilen, kann ich mir die Gründe
denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, ein
schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufge¬
muntert, in seinem Eifer muthig fort zu fahren. Ei¬
nen komplettern Beweis für die Wahrheit in dem Bu¬
che kann man nun füglich nicht verlangen, als das
Urtheil und den Stempel des Kardinals Kaprara.


[444 ]

Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die
Ceremonien und Feyerlichkeiten des Hofs beschrieben
und nicht ganz leise hingedeutet, daſs man die glück¬
liche Rückkehr derselben bald hoffe. Der geistliche
Herr, der den Sprecher machte und wirklich gut sprach,
erhob nun vorzüglich die Mätressen der Könige von
Frankreich, von der schönen Gabriele bis zur Pompa¬
dour und weiter herunter. Es wurde dabey das Eh¬
rengesetz der Galanterie nicht vergessen: Les rois ne
font que des princes, les princes font des nobles et les
nobles des roturiers
. Er behauptete aus gar nicht un¬
scheinbaren Gründen, daſs alle diese Damen sehr gut¬
müthige Geschöpfe gewesen, und ich bin selbst der
Meinung, daſs sie dem Reiche weit weniger Schaden
zugefügt haben als die Minister und die Könige selbst,
deren Schwachheiten gegen beyde oft unerhört waren.
Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr
orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte
hatte er weiter nichts, als daſs er zu schnell gehe, daſs
man aber von dem groſsen Manne noch nicht urthei¬
len dürfe. Da hatte ich denn freylich gesündigt; denn
ich hatte nun leider einmal geurtheilt. Das Urtheil
über öffentliche Männer, es mag wahr oder falsch
seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu spät. Mit from¬
mer Andacht meinte er noch, que Bonaparte seroit le
plus grand homme de l'univers et de toute l'histoire,
s'il mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le throne
.
Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem ge¬
heimen Rath machen. Das alles wurde ohne viele
Vorsicht öffentlich in der Diligence geäuſsert: Du siehst,
daſs sich die Fahne sehr gedreht hat. Man sagte laut,
[445 ] daſs die Mehrheit den König wünsche, und ihre Zucht¬
meister mögen ihnen wohl den Wunsch ausgepreſst
haben. Die Generale nannte man nur les mangeurs
de la republique,
und das ohne Zweifel mit Recht.


Unter diesen und andern Ventilationen kamen
wir den 6sten July in Paris an, wo man mich in das
Hotel du Nord in der Straſse Quincampoi brachte, wo,
wie ich höre, der berüchtigte Law ehemals sein We¬
sen oder Unwesen trieb. Das war mir zu entfernt
von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein er¬
ster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen. Ich fand
mit der Addresse sogleich sein Haus und hörte zu
meinem groſsen Leidwesen, daſs er vor sieben Tagen
schon abgereist war. Seine Stube war noch leer, der
Kolonnade des Louvers gegen über; ich zog also we¬
nigstens in seine Stube: und aus dieser schreibe ich
Dir, in der Hoffnung Dich bald selbst wieder zu se¬
hen; denn meine Börse wird mich bald genug erin¬
nern die väterlichen Laren zu suchen.

[[446]]

Es würde anmaſslich seyn, wenn ich Dir eine groſse
Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon
jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen
kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬
gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon
wieder fertig abzusegeln.


Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬
genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen
meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬
troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel
Lust mich so genannten groſsen Männern zu nahen.
Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist
des Willkommens selten gewiſs; trifft sie vielleicht sel¬
ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen
gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte.
Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm,
wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man
ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig.
Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem
berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬
chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen
Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen;
und man bedenkt nicht, daſs das Buch die Quintes¬
senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und daſs die
gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬
burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,
[447 ] und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuwei
len glückliche Geister, deren mündlicher extemporä
rer Vortrag besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber
dieses kann nicht zur Regel dienen.


Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe
zu finden hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man
hatte ihm meinen Namen genannt und er nahm mich
sehr freundlich auf; und ich bin, so wie ich ihn nun
kenne, versichert, ich würde auch ohne dieſs freund¬
lich aufgenommen worden seyn. Millin ist für die
Fremden, die in literarischer Absicht Paris besuchen,
eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine groſse Peri¬
pherie von Kenntnissen, die ächte französische Heiterkeit,
selbst eine schöne Büchersammlung in vielen Fächern
und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität.
Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen
Zimmern zu arbeiten und sich seines Raths zu bedie¬
nen. Ich habe ihn oft und immer gleich jovialisch
und gefällig gesehen. Auf der Nationalbibliothek
herrscht eine musterhafte Ordnung und eine beyspiel¬
lose Gefälligkeit gegen Fremde. Daſs in der öffent¬
lichen Gerechtigkeit groſse Lücken sind, ist bekannt,
und daſs ihre gepriesene Freiheit täglich preſshafter
wird, leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst
ein Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte
hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit
allen Russischen Goldmünzen gemacht: der Werth
muſs beträchtlich gewesen seyn. Diese lagen mit den
übrigen Schätzen im Vatikan. Die Franzosen nahmen
sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen Schätzen
zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deſs¬
29[448 ] wegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon;
ich fragte darnach. — Sie sind nicht da. — Aber
sie sollten da seyn. — Freylich. — Wer hat denn
die Besorgung gehabt? — Man schwieg. — Der
Kommissär muſs doch bekannt seyn. Man antwortete
nicht. — Warum untersucht man die Sache nicht? —
Man zuckte die Schultern. — Aber das ist ja nichts
als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache
der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen
befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, sagte
man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet
seyn müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen
übergehen; wer will es wagen? — Wagen, wagen!
brummte ich; so so, das ist schöne Gerechtigkeit,
schöne Freyheit. Meine Worte und mein Ton setzten
die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien,
ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der nur
so eine Aeuſserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit
ist, ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist
keine Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der
Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr sucht an¬
dere zu verwirren.


In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel In¬
länder und Ausländer, und unter andern auch Doktor
Hager an seinem chinesischen Werke. Ich lieſs mir
den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben,
um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin
aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer
dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von
Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht
und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstich¬
[449 ] sammlung hängt an den Fenstern herum eine gezeich¬
nete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesine;
aber sie gewährt kein auſserordentlich groſses Vergnü¬
gen, wenn man das Original noch in ganz frischem
Andenken hat.


Mein erster Gang, als ich ins Museum im Lou¬
ver kam, war zum Laokoon. Ich hatte in Dresden
in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in
Florenz bey der schönen Kopie des Biondelli einen
Zweifel aufgefangen, den man mir dort nicht lösen
konnte. Man sagte mir, es sey so im Original; und
das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte
den alten groſsen Künstler eines Fehlers. Die Sache
war, das linke Bein, um welches sich an der Wade
mit groſser Gewalt die Schlange windet, war im Ab¬
guſs und in der Marmorkopie gar nicht eingedrückt.
Ich weiſs wohl, daſs die groſse Anstrengung der Mus¬
keln einen tiefen Eindruck verhindern muſs: aber
eine solche Bestie, wie diese Schlange war und auf
dem Kunstwerk ist, muſste mit ihrer ganzen Kraft der
Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich ma¬
chen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen
Blick. Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so
auch die Schlange; man hatte die Stücke zusammen
gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der Wade unter
der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar.
Beym Abguſs und der Kopie scheint man darauf nicht
geachtet zu haben und hat die Wade im Druck der
Schlange so natürlich gemacht, als ob sie durch einen
seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das
Deiner Untersuchung und Beurtheilung; mir kommt
[450 ] es vor, als ob die so verschönerte Wade deſswegen
nicht schöner wäre.


Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie
ich höre, zum Nero dem Sieger machen. Klassische
Stellen hat man wohl für sich, daſs Nero in dieser
Gestalt existiert haben könne; es kommt darauf an,
daſs man beweise, er sey es wirklich. Es wäre Scha¬
de um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn sei¬
ne Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt
haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als
einige seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey,
die hohen Werth haben. Unter der Gesellschaft steht
ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen
in seiner Schule gemacht haben soll. Wie könnte
ich Dir den Reichthum beschreiben, den die Franken
hergebracht haben! Ich wollte nur, die Mediceerin
wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen
könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige Ge¬
schichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer;
und vor allen den beyden Brutus, die man links am
Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, wel¬
ches im Ganzen nicht der Fall ist: denn die mei¬
sten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der Belvede¬
rische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem
Saale auf und ab gewandelt und habe links und rechts
die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder
zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zu¬
rück. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daſs ich
lieber Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter
den Idealen finde ich mehr Portraite und Geschichte,
als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.


[451 ]

Die Gemäldesammlung oben ist verhältniſsmäſsig
noch reicher und kostbarer als der Antikensaal unten:
ber die Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch
ehlerhafter. Wenig Stücke, ausgenommen der groſse
Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von
Foligno war bey Madonna Bonaparte, und die Trans¬
figuration war verschlossen unter den Händen der Re¬
stauratoren: ich habe sie also nicht gesehen. Dafür
war ich glücklich den Saal der Zeichnungen offen zu
treffen. Wie sehr bedauerte ich, daſs Schnorr nicht
mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen
Element gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch
wohl auf alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Ra¬
phaels von seiner Schule, mich däucht, fast so groſs
wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich nachher
im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderun¬
gen gemacht. Ich genoſs und lieſs die Andern gelehrt
vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates und
Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah
ich auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte
Mengsische Vase mit der doppelten griechischen Auf¬
schrift zeichnet sich auch durch Schönheit vor den
meisten übrigen aus. Daſs die eine Inschrift Δεπας
heiſst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die
Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjek¬
tur des Gegenstandes; denn man könnte aus den Zü¬
gen eben so gut Κοϱαϰας als Πεπαυσο machen. Die
Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch
nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine
Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluſs
darüber.


[452 ]

Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber
in Paris so viel problematisches über seinen Charakter,
daſs mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein ein¬
ziges Mal in seinem kleinen Garten am Louver, und
sein Anblick lud mich nicht ein, Versuche zu machen
ihm näher zu kommen. Das that mir leid; denn ich
finde in dem Manne sonst vieles was mich hingezogen
hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von
dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künst¬
ler auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für
uns alle. Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das
Attelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte
steht, ein herrliches Trauerstück. Mann nennt es hier
nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie
man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der
jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht
des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten.
Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte
Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers;
er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieſs ist
nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks.
Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, so viel
ich weiſs, nach der Geschichte nicht darauf seyn.
Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabine¬
rinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36
Sols Entre gezeigt werden. Ich weiſs nicht ob David
es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die
Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich
habe nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es
[453 ] thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele
leid, daſs die Kunst hier so sehr merkantilisch ist.
Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬
zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬
ler bin.


In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um
mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit
Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah
man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬
mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine
Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr
unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für
zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte
er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
ehemaligen Zimmern des Königs dreyſsig Sols; dafür
war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter,
und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir
die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten
das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬
rere Kuriositäten, muſs aber freylich viel verlieren,
wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten
in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in
dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der
Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬
unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert,
daſs man es nach Abschlieſsung des Konkordats noch
nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch
sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die
Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬
zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter,
die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬
[454 ] ziehung interessant sind. Der Garten und vorzüglich
die Orangerie wird in guter Ordnung gehalten. Sie
ist schön, und es ist wohl wahrscheinlich, was man
sagt, daſs Bäume dabey sind, die schon unter Hein¬
rich dem Vierten hier gestanden haben. Die Parthien
nach Trianon hinüber sind noch eben so schön, als
sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche
unstreitig von allen am meisten durch die Revolution
verloren haben und bey denen das monarchische We¬
sen vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich,
daſs der Hof wieder hierher kommen werde, damit
sie doch nicht gänzlich zu Grunde gehen. Das ist ge¬
radezu ihre Sprache und ihr Ausdruck; und sie haben
wohl daran nicht Unrecht. Wenn sie vom Groſskon¬
sul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen Hof; und
wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt,
ist er absoluter und despotischer als irgend ein König von
Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglück¬
lichen Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.


Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den
Korsen, der der groſsen Nation mit zehnfachem Wucher
zurück giebt, was die groſse Nation seine kleine seit
langer Zeit hatte empfinden lassen. Es war der vier¬
zehnte July und ein groſses Volksfest, wo der ganze
Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh
hielt er groſse Parade auf dem Hofe der Tuilerien,
wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der
Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher
Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frank¬
reich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein
Korps von den schönsten Männern, die man an Ei¬
[455 ] nem Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir
in den französischen Soldaten, ich mag sie besehen
wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Euro¬
pa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer
Sache und ihren hohen Enthusiasmus als durch ihre
Kriegskunst geschlagen worden. Die taktische Methode
des Tiraillierens, die aber nur der Ueberlegene an
Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch gethan.
Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber schweigen,
da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann
sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser
als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem
Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen;
und das will ich denn mit Offenheit thun. Ich bin
keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der
Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit. Neid und Her¬
absetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich nehme
immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner
ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt,
und habe seinen Muth, seinen Scharfblick, seine mili¬
tärische und politische Gröſse nie verkannt. Proble¬
matisch ist er in seinem Charakter immer gewesen,
und ist es jetzt mehr als jemals, wenn man ihn nicht
verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo
ihn Desaix Tod aus den republikanischen Gränzen
heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen
handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne
eines Republikaners gethan.


Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines
Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris
thut, dachte ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn
[456 ] nicht, daſs er das Direktorium stürzte: es war keine
Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung
der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten
können. Ich tadle ihn nicht, daſs er so viel als mög¬
lich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für
sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der
Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel
diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt
an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan,
sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören
sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, son¬
dern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er
that, war mit herrlich berechneter Klugheit vor¬
wärts für ihn, und für die Republik rückwärts.
Land gewinnen heiſst nicht die Republik befestigen.
Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er
athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht,
wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem
Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das
Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt
der gröſste Mann der Weltgeschichte zu werden: er
hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte
sich herab mit den übrigen Groſsen auf gleichen Fuſs.
Er ist gröſser als die Dionyse und Kromwelle; aber er
ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren
Ruhm. Daſs er nicht sah, daſs die Konstitution die
neue Republik zertrümmern würde und dem Despo¬
tismus die Wege wieder bahnen, das läſst sich von
seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Ab¬
sichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider
[457 ] das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat.
Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die
Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu,
daſs die Dauer der römischen Magistraturen von Ei¬
nem Jahre zu kurz war, zumal bey der Unbestimmt¬
heit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die
Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war
zu lang. Der letzte Stoſs war, daſs der alte Konsul
wieder gewählt werden konnte. Ein Mann, der zehn
Jahre lang eine fast gränzenlose Gewalt in den Hän¬
den gehabt hat, müſste ein Blödsinniger oder schon
ein öffentlicher verächtlicher Bösewicht seyn, wenn er
nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen,
und sodann nicht Mittel die Wahl zum Vortheil seiner
Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mö¬
gen und dürfen in einer Republik lebenslänglich seyn;
wenn es aber die groſsen sind, geht der Weg zur
Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht
geglaubt, daſs es so schnell gehen würde; aber auch
dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte
man glauben, die Franzosen seyen zur Despotie ge¬
macht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie ha¬
ben während der ganzen Revolution viel republikani¬
sche Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus,
zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber selten
republikanischen Sinn und Geist, und noch nie repub¬
likanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da
einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten;
aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese
Staatsveränderung freylich Ideen in Umlauf gekommen
und furchtbar bis zur Wuth gepredigt worden, die
[458 ] man sich vorher nur sehr leise sagte, und die so leicht
nicht wieder zu vertilgen seyn werden: aber die halbe
oder falsche Aufklärung dieser Ideen und der Miſs¬
brauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern
die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Repub¬
lik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar
weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man
keine haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt ge¬
schehen ist. Mir thut das leid; ich habe vorher ganz
ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt
und gehofft, daſs aus dem wild gährenden Chaos end¬
lich noch etwas vernünftiges hervortauchen würde.
Seitdem Bonaparte die Freyheit entschieden wieder zu
Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob ich Republika¬
ner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daſs
eine groſse Republik nicht dauern könne. Wir haben
an der römischen das Gegentheil gesehen, die doch,
trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug orga¬
nisiert war. Ich halte dafür, daſs in einer wohlgeord¬
neten Republik am meisten Menschenwürde, Men¬
schenwerth, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine
Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung
weiter zu führen würde wenig frommen und hier nicht
der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das Grab der
Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt
sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerech¬
tigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland
hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in et¬
was Theil an manchen Privilegien nehmen lassen, da¬
mit der Begriff nicht so leicht unbefangen aus einan¬
der gesetzt werde, und die Beleuchtung Publicität ge¬
[459 ] winne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien
mit einem einzigen Machtstreich zertrümmert und
glaubt nun genug gethan zu haben. Aber sie werden
sich schon wieder einschleichen und festsetzen, und
man arbeitete selbst dadurch für sie, daſs man auf der
Gegenseite ohne Schonung stürmte, und zu weit ging.
Die Republik der Fische ist durch die freye Fische¬
rey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz skoptisch
in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der Poli¬
zey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel
im Lande allerhand Jagd. Muſs man denn bey Ab¬
stellung der Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd
frey geben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff?
Sie kann nicht frey seyn. In jedem wohlgeordneten
Staate ist sie nur ein Recht der Eigenthümer; und
nur der Eigenthümer kann die Befugniſs haben das
Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den
Proceſs gegen den Nachbar, der es zum Schaden sei¬
ner Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in
Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst
wieder machen; denn man hat keine Vorkehrungen
dagegen getroffen. Nach meiner Ueberzeugung ist die
Grundlage der Freyheit und Gerechtigkeit in einem
Staate, daſs der Staat durchaus nur reine Besitzungen
giebt und sichert und dafür reine Pflichten fordert.
Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsver¬
hältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller Art
aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Ge¬
setz, das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts
zu seyn scheint: dieses ist aber nicht weiter, als in so
fern gar niemand ein Eigenthumsrecht zum Nachtheil
[460 ] des Staats haben kann und darf. Niemand darf nehm¬
lich die Erlaubuiſs haben seine Grundstücke mit La¬
sten zu verkaufen oder auf immer zu vergeben, son¬
dern muſs sie durchaus rein veräuſsern. Nur durch
dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems
der Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse,
alle Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen,
alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses
ist der Weg zum Lehnssystem, und dieses der
Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Skla¬
verey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln Grund¬
stücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre
Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind
wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen.
Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daſs er sie
nicht durch sich und seine Familie verwalten oder
durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann; so
hat er für den Staat in jeder Rücksicht zu viel; er ist
ihm zu reich. Er mag dann verkaufen, aber rein
verkaufen und ohne Bedingung, so theuer als er will.
Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der Bürger
kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate:
und Bürger ist jeder, der nur einen Fuſs Landes be¬
sitzt. In detrimentum reipublicae finden keine Besi¬
tzungen Statt. Es versteht sich von selbst, daſs dann
alle Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht wer¬
den; und die erste Realimmunität ist der erste Schritt
zur Despotie. So lange unsere Staaten nicht nach die¬
sen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht
allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse,
nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich
[461 ] ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grund¬
stücke untersagte; die Folge ist voraus zu sehen.


Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung
auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur
Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allge¬
mein gefühlt: aber niemand hat die Macht dem All¬
mächtigen zu widerstehen, der den Bayonetten befiehlt.
Die Bayonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit
ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben
nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen
vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch
wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit gethan.
Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht
wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so
schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie
vorher stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte
System wurde auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich
erinnere mich, daſs vor einiger Zeit ein Emigrant in
Deutschland, der übrigens nicht Schuld daran war daſs
die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daſs
nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze
stehe: das übrige werde sich schon machen. Der Mann
muſs in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele
gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu
machen. Man sagt, Kaprara habe schon auf Wieder¬
herstellung der Klöster angetragen, sey aber von Bona¬
parte zurück gewiesen worden. Bonaparte müſste nicht
der kluge Mann seyn, der er ist, wenn er ohne Noth
solche Sprünge machen wollte, oder mehr gäbe, als er
zu seinem Behufe muſs. Es ist das Glück des Adels
und der Geistlichkeit, daſs sie mit Modificationen, in
[462 ] seine Zwecke gehören. Wenns Noth thut, wird sich
schon alles geben. Daſs die Katholicität in Frankreich
noch vielen Anhang, theils aus Ueberzeugung, theils
aus Gemächlichkeit, theils aus Politik hat, beweist das
Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katho¬
licismus zur Staatsreligion, das heiſst zur herrschenden
gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fort
geht, daſs man in hundert Jahren das Bekehrungsge¬
schäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde
durch die Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht
überrascht; es war seine Konsequenz: er war bey der
Osterceremonie der nehmliche, welcher er in Aegypten
war, wo er sein Manifest anfing: Im Namen des ein¬
zigen Gottes, der keinen Sohn hat! Er dachte, mundus
vult
ergo —; aber das Sprichwort ist wahr;
und es wäre zu wünschen gewesen, daſs er nicht so
gedacht hätte. Il est un peu singe, mais il est comme
il faut;
sagte der geistliche Herr im Postwagen. Er
ist dadurch von seiner Gröſse herab gestiegen. Man
sagt, er habe sogar die Fahnen weihen wollen, sey
aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon
abgehalten worden, die doch anfingen die Dose etwas
zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Pe¬
tersburg entschieden republikanische Maſsregeln nimmt,
gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regie¬
rung verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Ge¬
gentheil muſs aus dem nehmlichen Grunde seit zehn
Jahren in Frankreich gelten: man müſste denn in der
Berechnung etwas höher gehen; welches aber sodann
jedem Revolutionär in utramque partem zu Statten
kommen würde.


[463 ]

Jetzt lebt er einsam und miſstrauisch, mehr als je
ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine
Wachparade; der Konsul hält alle Monate nur eine ein¬
zige. Er erscheint selten und immer nur mit einer
starken Wache, und soll im Schauspiel in seiner Loge
Reverbers nach allen Seiten haben, die ihm alles zei¬
gen ohne daſs ihn jemand sieht. Bey andern Maſs¬
regeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige
Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein
Name würde in der Weltgeschichte die Gröſse aller an¬
dern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten
oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür
thut er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Ver¬
zicht. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein
böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte
so gern einmal einen wahrhaft groſsen Mann rein ver¬
ehren; das kann ich nun hier nicht.


Man sagt sich hier und da still und leise mehrere
Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage
an des ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über
seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkor¬
dat und die Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn
ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zim¬
mer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen
wollte, und ihm dabey bedeutend sagte: Citoyen, vous
entr
és ici dans la chambre d'un tyran: antwortete er
mit schnellem Scharfsinn: S'il avoit été tyran, il le
serait encore
: Eine furchtbare Wahrheit aus seinem
Munde. Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre
bey einigen seiner Schritte, er möchte bedenken; er¬
wiederte er: Le peuple n'est rien pour qui le sait me¬
30[464 ] ner. Dem Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey
jeder Gelegenheit als einen flachen sehr subalternen
Kopf darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skop¬
tisch gesagt haben: Si j'avois été roi en 1790, je le
serois encore; et si j'avois dit alors la messe, j'en fe¬
rois encore de même
. Ich sage Dir, was man hier und
da bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut
zu reden wagt es niemand, weil seine lettres de cachet
eben so sicher nach Bicetre führen als unter den Kö¬
nigen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das
lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr
unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein
angesehener und von der Nation allgemein geachteter
Mann war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzu¬
tasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey
alles sehr gut, aber jetzt nur noch etwas zu früh. Je¬
dermann der etwas weiter blickte, behauptete, es sey
leider etwas zu spät. Das Gesetzgebende Korps nennt
man hier die Versammlung, durch welche er Gesetze
giebt. Als sein Kommissär, ich glaube Reding, mit
dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsulats
nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand; son¬
dern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er
bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen
Fingern geknackt und gesagt haben: Ah je saurai les
attraper
. Das hat er gehalten. Er schmiedete schnell,
weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen
und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen
seyn. Ueber die Stimmung werden sonderbare Anek¬
doten erzählt; aber sie ist geschehen.


Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen,
[465 ]le premier consul, le grand consul, le consul vorzugs¬
weise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil
der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ih¬
rer wird weiter nicht gedacht, als in der Form der
öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man
ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daſs
es nicht Ernst wird. Auch heiſst er ziemlich öffentlich
empereur des Gaules, vielleicht die schicklichste Benen¬
nung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch
zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf Cäsar
folgte August, und so weiter.


Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloſs
ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze
vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge
Menschen zusammen gedrängt stand. Die ganze Na¬
tionalmusik führte es aus, und that es mit Kunst und
Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir
nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen
feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte.
Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orche¬
ster und vielleicht die erste Versammlung der Erde
hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon
waren alle hohe Magistraturen der Republik, wie sie
noch heiſst, in ihrem Staatsaufzuge, und von den
fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang
eine solche Ehre gab. Der erste Konsul lieſs sich ei¬
nigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. End¬
lich fingen einige der Vordern an zu klatschen; es
folgte aber nur ein kleiner Theil der Menge. Der
Platz hielt vielleicht über hundert Tausend, und kaum
der hundertste Theil gab die Ehrenbezeugung. Der
[466 ] Enthusiasmus war also nicht so allgemein, als man
für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen.
Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem,
was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und man
sprach hier und da davon, daſs die republikanischen
Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreif¬
lich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern
als die Republik selbst.


Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht
wieder anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will;
und dazu habe ich weder Lust noch Zeit noch Kennt¬
niſs. Die bunte Scene wandelt sich alle Tage und ist
alle Tage interessant. Bloſs der Garten der Tuilerien
mit den elysäischen Feldern, welcher die Hauptpro¬
menade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, ge¬
währt täglich eine unendliche Verschiedenheit. Die
Preſsfreyheit ist hier verhältniſsmäſsig eingeschränkter
als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der
Tartuffe jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl
verdammen als damals und Moliere könnte wieder sa¬
gen: Monsieur président ne veut pas, qu'on le joue.
Die Dekaden sind durch das Konkordat und der Ein¬
führung der römischen Religion nothwendig geradezu
wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rech¬
net man in Paris fast überall wieder nach dem alten
Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen
Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden
in den Provinzen in Frankreich hier und da strenger
gehalten als in Italien. In Italien konnte ich fast über¬
all essen nach Belieben; in Dijon muſste ich einige¬
mal, sogar an der Wirthstafel, zur Fasten mit der
[467 ] Gesellschaft Froschragout essen: es war kein anderes
Fleisch da. Mir war es einerley, ich esse gern Frösche;
aber diese Mahlzeit ist doch sonst nicht jedermanns
Sache. So ging mirs noch mehrere Mal auf der Reise.
In Paris nimmt man freylich noch keine Notiz davon;
aber man that es auch ehemals nicht. Die alten Na¬
men der Oerter und Gassen treten nach und nach
alle wieder ein, und eine republikanische Charte von der
Stadt ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen
sich, als ob sie die neuen Namen gar nicht wüſsten;
so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann glupisch
an, als ich in die rue de la loi wollte, wieſs mich aber
sehr höflich weiter, als ich sie rue de Richelieu nannte.
Das Pantheon heiſst wieder die heilige Genoveve, und
wird höchst wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik
vollendet werden. Ob sich alles so sanft wieder ma¬
chen wird, weiſs der Himmel. Man scheint jetzt von
allen Seiten mit gehörigen Modifikationen darauf hin¬
zuarbeiten. Die wieder eingewanderten und wieder
eingesetzten Geistlichen treten schon überall von neuem
mit ihren Anmaſslichkeiten hervor und finden Eng¬
brüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie
man erzählt, hier und da die Absolution, wenn man
die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben
will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikani¬
sche Gerechtigkeit seyn: aber der Miſsbrauch kann weit
führen. Man erzählt viele Beyspiele, daſs die franzö¬
sischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen ge¬
statten. Laſst nur erst die Geistlichkeit in die Justiz
greifen, so seyd ihr verloren. Vor einigen Tagen las
ich eine ziemlich sonderbare Abhandlung in einem
[468 ] öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwi¬
schen dem französischen und englischen Nationalcha¬
rakter zog. Man blieb ungewiſs, ob das Ganze Ernst
oder Ironie war. Er lieſs den Britten wirklich den
Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
Nation durchaus nur die schöne Humanität und den
Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste
halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig.
Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sey
eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen;
und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast
geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat
Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt
wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als
durch jede andere Mode der Herren von der Seine.


Die Polizey ist im Allgemeinen auſserordentlich
liberal, wenn man sich nur nicht beygehen läſst, sich
mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch.
Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen,
panem et circenses. Wenn ich in irgend einer groſsen
Stadt zu leben mich entschlieſsen könnte, so würde
ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine
andere Nation dafür gesorgt, daſs man in der Haupt¬
stadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg,
der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und
mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne
Ausflucht, die man durchaus in keiner andern groſsen
Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgen¬
promenaden war die Wachparade der Invaliden zu se¬
hen; in meinem Leben ist mir nichts rührender ge¬
[469 ] wesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein ein¬
ziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehren¬
volle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner
Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und
Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füſse so fest
und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glau¬
ben vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit ge¬
fochten zu haben und verstümmelt zu seyn.


Morgen will ich zu Fuſse fort, und bin eben bloſs
aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewe¬
sen: denn man weiſs doch nicht, welche Schwierig¬
keiten man in der Provinz haben kann. Meine Lands¬
leute und Bekannten hatte mir gleich beym Eintritt
in die Stadt gesagt, ich müſste mich mit meinem
Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist
die Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern,
wenn sie will; ich weiſs nichts von ihrem Wesen.
Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach mei¬
nem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere.
Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übri¬
gens kein Wort, daſs ich etwas zu thun hätte. Wenn
mich die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich
schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der
Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen.
Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will,
ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden
Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besahe
mich und den Paſs und sagte sehr freundlich, ohne
ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie
[470 ] reisen so ab, wenn Sie wollen. — Der Paſs war noch
der Preuſsische von Rom aus. — Wenn Sie ihn allen¬
falls vom Grafen Luchesini wollen vidieren lassen, das
können Sie thun; aber nöthig ists nicht. Ich dankte
ihm und ging. In dergleichen Fällen thue ich nicht
gern mehr als ich muſs; ich ging also nicht zu dem
Gesandten.

[[471]]

Den Himmel sey Dank, nun bin ich wieder diesseit
des Rheins im Vaterlande. Ich werde Dir über mei¬
nen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen ha¬
ben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als
eine Poststraſse in Deutschland.


Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und
schlief in Meaux. Der Weg ist angenehm und volk¬
reich, wenn gleich nicht malerisch; und die Bewir¬
thung ist überall ziemlich gut, freundlich und billig.
Wenn ich zwischen Rom und Paris eine Vergleichung
ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der Literatur und
des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber in Rück¬
sicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst
nur das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen,
um zu sehen wie viel für Humanität und Umgang
dort zu haben ist; für Wissenschaft ist fast nicht mehr.
Alte Geschichte und alles was sich darauf bezieht ist
das einzige, was man dort an Ort und Stelle gründ¬
lich und geschmackvoll studieren kann. In Paris sind
die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen für
jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, we¬
nigstens zuweilen eine Promenade durch die Säle zu
machen, die Fächer zu besehen, die Raritätenkasten
zu begucken und einige Kupferstiche zu beschauen.
Wer sie benutzen will findet in allen Zweigen Reich¬
thümer; und alles wird mit Gefälligkeit gereicht. In
Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange ich
dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in Ita¬
[472 ] lien, und es ist vielleicht kein Unglück, daſs sie etwas
geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.


Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler
und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich
würde mich keine Minute besinnen und für das erste
entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher
eine hübsche Sammlung, und haben nun die Haupt¬
werke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch ha¬
ben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In
Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der
reicher wäre als Paris; aber die ersten Meisterwerke
der gröſsten Künstler, die lauter Freskostücke sind,
konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen,
die Stanzen, die Kapelle, die Farnesine, Grottaferrata
und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die
Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reich¬
thum ihres Geistes niedergelegt haben, muſsten unan¬
getastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören
wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als
eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche
vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen
sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten
Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist
nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferde¬
kennern so viel Lärm machen werden, als sie unter
den Künstlern oder vielmehr unter den Antiqua¬
ren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel
auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und
die beyden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici
würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den
sie haben, ist, daſs sie vielleicht die einzigen Tethrip¬
[473 ] pen sind, die wir noch übrig haben: und auch dazu
fehlt ihnen noch viel. Schlecht sind sie nicht und man
sieht sie immer mit Vergnügen; aber für die schöne
Arbeit sollten es schönere Pferde seyn. Man hat ihnen
die gallischen Hähne zu Wächtern gegeben. Gegen das
Kapitol haben diese nicht nöthig zu krähen, wie die
Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie nur sonst
die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.


Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche
Sammlungen, die vatikanische und kapitolinische, in
Kontribution gesetzt. Es ist kein Privateigenthum an¬
gegriffen worden. Die Privatsammlungen machen
aber in Rom vielleicht den gröſsten Theil aus. In der
Villa Borghese steht alles wie es war; und der Fechter
und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an
klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die
schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten
Borghese und auf dem Kapitol und sonst hier und da.
Sarkophagen, freylich sehr untergeordnete Kunstwerke,
und Badegefäſse sind in Rom noch in groſser Menge
von ausgesuchter Schönheit: in Paris sind von den
letztern nur zwey ärmliche Stücke, die man in Rom
kaum aufstellen würde. Uebrigens ist die Gegend um
Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die Natur
hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtra¬
gen kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und
Tivoli nach Paris gebracht und alles schön genug ein¬
gerichtet: aber Fraskati und Tivoli selbst werden für
den Maler dort bleiben, wenn man auch alles um¬
her zerstört. Der Fall, die Grotte, die Kaskadellen
und die magischen Berge können nicht verrückt wer¬
[474 ] den, und stehen noch jetzt, wie vor zwey tausend
Jahren, mit dem ganzen Zauber des Alterthums. Das
Haus des Mecän verfällt, wie die Häuser des Flakkus
und Katullus; man zieht keine Musen mehr aus ihrem
Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend
Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Alba¬
ner See, kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der
Gelehrte gehe nach Paris; der Künstler wird zur Voll¬
endung immer noch nach Rom gehen, wenn er gleich
für sein Fach auch hier an der Seine jetzt zehnmal
mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen Raphaele
und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen
der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie
ins Vatikan.


Füger und David scheinen mir indessen jetzt die
einzigen groſsen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner
haben, so viel ich weiſs, keinen Mann, den sie diesen
beyden an die Seite stellen können. Dafür haben die
andern keinen Canova. Ein groſser Verlust für die Kunst
ist Drouais Tod, und es giebt nicht gemeine Kritiker, die
seinen Marius allen Arbeiten seines Lehrers vorziehen.


Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und
ohne weitern Unterricht schlug ich die Straſse rechts
ein, war aber dieſsmal nicht dem besten Genius ge¬
folgt. Sie war sehr öde und unfruchtbar, die Dörfer
waren dünn und mager, und es ward nicht eher wie¬
der konfortabel, bis die Straſsen bey Chalons wieder
zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen groſsen
Strich von Champagne, und die schönen Rephühner¬
augen in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest
in Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das
[475 ] man mir dort in den Wirthshäusern unter dem Na¬
men Champagner gab, kann ich nicht empfehlen. Ei¬
nige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht an ei¬
nem Ort der Pogny heiſst, und der seinem Namen
nach vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tra¬
gisch das Nonplusultra seiner Züge machte. Dann
übernachtete ich in Longchamp, dann in Ligne en
Barrois. In Nancy, wo ich Vormittags ankam, besah
ich Nachmittags das Schloſs und die Gärten, welche
jetzt einen angenehmen öffentlichen Spaziergang ge¬
währen und ziemlich gut unterhalten werden. Hier
hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute
Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit ei¬
nem Briefe von Paris besuchte, macht seinem hollän¬
dischen Namen durch wahre Philanthropie Ehre, ob
er gleich weder deutsch noch holländisch spricht. Er
ist Millins Pflegevater und spricht mit vieler Zärtlich¬
keit von ihm, so wie dieser oft mit kindlicher Dank¬
barkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet war
mit der deutschen Literatur und besonders mit dem
Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutsch¬
land sehr gut bekannt und schätzte die Genauigkeit
und Gründlichkeit der deutschen Untersuchungen.


Von da ging ich über Toul immer nach Straſs¬
burg herauf. Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf
den Wirthshausschildern in französischer und deutscher
Sprache zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen
toll genug aussieht. Bey Zabern ist die Gegend unge¬
wöhnlich schön und es muſs in den Bergen hinauf
romantische Parthien geben. Da ich den letzten Abend
noch gern nach Straſsburg wollte, nahm ich die letzte
[476 ] Station Extrapost und lieſs mich in die Stadt Lion
bringen. Das Wetter ward mir zu heiſs und ich wollte
den andern Morgen mit der Diligence nach Mainz
fahren: aber des alten wackern Oberlins Höflichkeit
und einige neue angenehme Bekanntschaften hielten
mich noch einige Tage länger bis zur nächsten Ab¬
fahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er
hatte die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Un¬
ter den bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weib¬
licher Satyr aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war.
Die Seltenheit solcher Exemplare erhöht vielleicht den
Werth. Der alte verstorbene Hermann hatte auf der
Bibliothek die Stücke der verstümmelten Statüen vom
Münster und sarkastischen Inschriften auf die vandali¬
schen Zerstörer aufbewahrt, wo Rühl und einige an¬
dere sich nicht über ihre Enkomien freuen würden.
Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft
über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner
Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen
Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die
neuen Einrichtungen der Regierung von Baden. Es
ist schon sehr viel wieder aufgebaut. Daſs ich mich
etwas auf dem Münster umsah, brauche ich Dir wohl
nicht zu sagen. Man hat eine herrliche Aussicht auf
die ganze groſse schöne reiche Gegend und den ma¬
jestätischen Fluſs hinauf und hinab. Es wäre vielleicht
schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder
diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden
Gebäude sind wohl auf alle Fälle die gröſsten Monu¬
mente gothischer Baukunst. Als ich in der Thomas¬
kirche das schlechtgedachte und schön gearbeitete Mo¬
[477 ] nument des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete,
kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich
wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen
käme, und ich muſste ihnen von der Geschichte des
Helden so viel erzählen als ich wuſste, um sie mit
sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizey
wunderte man sich, daſs mein Paſs nirgends unter¬
schrieben war und ich wunderte mich mit und er¬
zählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris
und von Paris bis Straſsburg; da gab man mir auch
hier das Papier ohne Unterschrift zurück.


Nun fuhren wir über Weiſsenburg, Landau, Worms
und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Ge¬
wohnheit lief ich bey dem Wechsel der Pferde in
Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges ge¬
macht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tie¬
fer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonder¬
baren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht
ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein
und richtig deutsch zu sprechen; desto schnurriger
muſste es mir vorkommen, daſs ich dort wegen eben
dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich
saſs unter einem Nuſsbaum und aſs Obst, als sich ein
Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. Ich
fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligen¬
ce hier nothwendig vorbey muſste; er bejahte dieses.
Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in sei¬
ner lieblichen Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn
rähsen nachcher Mähnz? — Ich reise nach Mainz;
aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er daſs ich
ein Jude sey? — Wähl der Härr okkeroht sprücht wü¬
[478 ] ain Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kom¬
pliment über meine Sprache gemacht; aber ein solches
war nicht darunter.


Von der Gegend von Weiſsenburg kann ich mili¬
tärisch nichts sagen, da es noch ziemlich finster war,
als wir dort durchgingen. Landau ist weiter nichts
als Festung, und alles was in der Stadt steht, scheint
bloſs auf diesen einzigen Zweck Beziehung zu haben.
Wir kamen in Mainz gegen Morgen an und man
schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich
höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man
noch mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als
an irgend einem andern Orte. Der Krieg hat verhält¬
niſsmäſsig weniger geschadet. Ich hielt mich nur ei¬
nen Tag auf um einige Männer zu sehen, an die ich
von Oberlin Addresse hatte. Auch unser Bergrath
Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich hö¬
re, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in
hohem Ansehen.


Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen
Diligence durch einen der schönsten Striche Deutsch¬
lands hierher.


Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man
mich oft mit ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus
der Hauptstadt, und nahm die Nachrichten immer
mit verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich
vorzüglich die Bemerkung über den Konsul wieder¬
holen: Mais pourtant il n'est pas aimé; besonders von
Militären. Das ist begreiflich. Es giebt Regimenter
und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die
doch auch für die Republik brave Männer gewesen
[479 ] sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern
zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das
Ansehen gewinnt. Il fait diablement des choses, ce
petit caporal d' Italie; cela va loin!
sagte man; und
ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war,
bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck:
Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit. In
der Gegend von Straſsburg habe ich hier und da ge¬
hört, daſs man bey seinem Namen knirscht und be¬
hauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder
ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte.
Was ein einziger Mann wieder einfahren kann, ist
wohl eigentlich nicht abgeschafft. Man wollte in der
ersten Konstitution dein König keine ausländische Frau
erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden
Abentheurer zum König, der willkührlicher mit uns
verfährt als je ein Bourbonide: wer ihm miſsfällt ist
Verbrecher und ihm miſsfällt jeder, der selbständige
Freiheit und Vernunft athmet. Er weiſs sich vortreff¬
lich die ehemalige Wuth und den Haſs der Partheyen
zu Nutze zu machen.


Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von
der Republik und den öffentlichen Geschäften, sondern
klagte nur über den Druck und die Malversation der
Kommissäre, und jammerte über die neue Freiheit.
Den Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir,
sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine grausamere
Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch
die neun Zehntheile eine groſse Hyperbel sind. Ein
Zeichen, daſs die Regierung wenig nach vernünftigen
Grundsätzen verfährt, ist nach meiner Meinung im¬
31[480 ] mer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt
ausschlieſslich den Bürger von dem Krieger zu tren¬
nen. In Frankreich macht der Soldat wieder alles,
und was ein General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt.
Die nächsten Militäre nach dem Konsul bezeichnen ih¬
ren Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der
allgemeine Liebling der Nation ist Moreau, und der
Mann verdient ohne Zweifel die groſse stille Verehrung
seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in
Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst
seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose Rechtlich¬
keit, seine Mäſsigung und Humanität gepriesen hätte.
Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der Ehrenle¬
gion zu werden, die so eben errichtet werden soll,
und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und
für die Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man
thut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffent¬
lichen System in Kollision zu setzen; aber seine Un¬
zufriedenheit wird überall ziemlich laut erzählt. Seine
Partisane, die weniger Mäſsigung haben, als er selbst,
wünschten ihn hier und da laut am Ruder und sagten
nur Moreau grand consul; zogen aber die Worte so
sonderbar, daſs es klang wie Mort au grand consul.
Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, hinter welche
sich die Partheysucht versteckt.


In der Postkutsche von Mainz hierher war ein
Gewimmel von Menschen und einige segneten sich
wirklich ganz laut, daſs sie aus der vermaledeyten Frei¬
heit einmal heraus wären, in der man sie blutig so
sklavisch behandle. Dieſs waren ihre eigenen Aus¬
drücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen Ver¬
[481 ] mögen noch jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor
Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spazier¬
gängers der Gegend, wie es schien, den Berg herauf.
Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von der ersten
muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegen¬
heit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu hal¬
ten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Mi¬
sogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer
bleiben würde: denn alles Uebertriebene hält nicht
lange. Er nahm sein Beyspiel nicht bloſs von den
Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, und muſste
tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Ge¬
schlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem
Kolorit ein Gemälde, gegen welches Juvenals lassata
viris
noch eine Vestalin war; und ich war froh, als
mich der Wagen auf der Ebene wieder einholte und
ich wieder einsteigen konnte. Du weiſst, ich habe
eben nicht Ursache geflissentlich den Enkomiasten der
Damen zu machen; indessen muſs man ihnen doch
die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daſs sie — nicht
schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer
Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sotti¬
sen unseres Geschlechts.


Frankfurt muſs dem Anschein nach durch den
Krieg weit mehr gewonnen als verloren haben. Der
Verlust war öffentlich und momentan; der Gewinn
ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist
überall Wohlstand und Vorrath; man bauet und bes¬
sert und erweitert von allen Seiten: und die ganze Ge¬
gend rund umher ist wie ein Paradies; besonders
nach Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien
[482 ] zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit
messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.


Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten
genug von der Messe mitbringen. Ich besuchte nur
einige alte Bekannte und machte einige neue. Wenn
ich ein Kerl mit der Börse à mon aise wäre, würde
ich vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wäh¬
len. Es ist eine Mittelstadt, die gerade genug Genuſs
des Lebens giebt für Leib und Seele, um nicht zu fa¬
sten und sich nicht zu übersättigen. Im Fall eines
Kriegs mit den Franzosen liegt es freylich schlimm:
die Herren können alle Nächte eine Promenade von
Mainz herüber machen, den Morgen hier zum Früh¬
stück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.


Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich
den alten Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den
Vater des kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war
ehemals Minister in den Niederlanden; und nie habe
ich einen Mann von öffentlichem Charakter gesehen,
zu dem ich in so kurzer Zeit ein so groſses reines Zu¬
trauen gefaſst hätte: so sehr trägt sein Gesicht und
sein Benehmen den Abdruck der festen Rechtlichkeit
mit der feinsten Humanität.

[[483]]

Meine Ronde ist vollendet und ich bin wieder bey
unsern väterlichen Laren an der Pleiſse. Von Frank¬
furt aus ging ich über Bergen in Gesellschaft nach
dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein freund¬
liches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin
haben unsere Landsleute gezeigt, daſs sie nicht Schuld
an den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau
ging ich vorbey und hielt mich immer die Straſse
nach Fulda herein. Die Hitze des vorzüglich heiſsen
Sommers drückte mich zwar ziemlich, aber ich nahm
mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und war
die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern zufrieden.
Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht
gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen
Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar
und der Durst war brennend, und auf meiner ganzen
Wanderung habe ich vielleicht keine so groſse Wohl¬
that genoſsen, als da ich sodann links an der Straſse
eine schöne Quelle fand. Leute welche einen guten
Flaschenkeller im englischen Wagen haben, haben da¬
von keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen
nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie
nicht so fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe die¬
ses und jenes versucht. In Hünefeld war Schieſsen,
[484 ] die Gesellschaft der Honoratioren speiste in meinem
Wirthshause, und ich hatte das Vergnügen die Musik
so gut zu hören, als man sie wahrscheinlich in der
Gegend und aus Fulda hatte auftreiben können. Wenn
auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, thut
nichts; sie können das Gute noch nicht ganz verder¬
ben, eben so wenig als man es in der Welt durch
Verkehrtheit und Unvernunft ganz ausrotten kann.


In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des
alten Landgrafen in Beschlag genommen und nach
Ziegenhain und Kassel und von da nach Amerika ge¬
liefert. Jetzt sollen dergleichen Gewaltthätigkeiten ab¬
gestellt seyn. Doch möchte ich den fürstlichen Be¬
kehrungen nicht zu viel trauen; sie sind nicht siche¬
rer als die Demagogischen. Es wäre unbegreiflich,
wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört will¬
kührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum
Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet
und förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn
es nicht durch einen Blick ins Innere erklärt würde.
Die Landstände wurden selten gefragt, und konnten
dann fast keine Stimme haben. Der Adel ist nicht
reich und abhängig vom Hofe. Die Minister und Ge¬
nerale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu Willen zu
leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder
hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder
seine Verwandten. Die groſsen Offiziere gewan¬
nen Geld und Ehre, die kleinen Unterstützung und
Beförderung. Die Uebrigen litten den Schlag. Das
Volk selbst ist bis zum Uebermaſs treu und brav.
[485 ] Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegs¬
geist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird
müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem
tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klas¬
siker gelesen zu haben, daſs die Katten lange vor
Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in
Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden
Verbindungen aufgegeben.


Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu
meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth
verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu ha¬
ben waren, mich hinüber zu schaffen, lieſs sich die
Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen
und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das
nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich
setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich
zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg
hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem
Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dör¬
fer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr
vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht ein¬
leuchten wollte, war, daſs man überall so viel herrli¬
ches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses
Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen
gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes
Beyspiel, daſs der Mensch ein Thier der Gewohnheit
ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hun¬
dert Jahre Land genug bat, mag man die Pflan¬
ze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber
bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oe¬
[486 ] konomie mehr merkantilisch als patriotisch berech¬
net.


Ich lieſs mich den andern Morgen meinem Freun¬
de ohne meinen Namen als einen Bekannten melden,
der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neun¬
zehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch
waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall
unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit
hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte
vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und ein¬
gegraben. Ich wuſste vor wem ich stand und konnte
also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dor¬
tigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte
mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungs¬
schreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger
hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem
Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer
Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den
Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Die¬
ses war wieder eine der schönsten Minuten mei¬
nes Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und sei¬
nen Freunden, und genoſs, so weit mir meine ernstere
Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Ge¬
sellschaft.


Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich
durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man
sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand.
Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bon¬
hommie des Charakters, daſs ich viele Gesichter fand,
denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse
[487 ] hätte anvertrauen wollen, um sie an einem bezeichne¬
ten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wieder gefunden
haben würde. Ich habe in diesem Ländchen weni¬
ger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du kannst al¬
so glauben, daſs ich nicht aus Gefälligkeit rede. So
oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hoch¬
achtung und Verehrung gegen den Herzog gefaſst
Um einen Fürsten zu sehen braucht man nicht eben
seine Schlösser zu besuchen, oder gar die Gnade zu
genieſsen ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man
da am wenigsten von ihm. Seine Städte und Dörfer und
Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft;
vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regie¬
rung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel
Gutes und Schlimmes unverdienter Weise angerechnet
werden. Wo das Bier schlecht und theuer und das
Brot theuer und schlecht ist, wo ich die Dörfer ver¬
fallen und elend und doch die Visitatoren nach dem
Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als möglich
meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität
sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn
man viel spricht und wenig thut.


Schon in Paris hatte ich gehört die Preuſsen wä¬
ren in Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie
noch nicht hier fand. Diese Saumseligkeit ist sonst
ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist. Fast
sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe
einen pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte
mich ein heimlicher Aerger, daſs ich ein Sachse bin.
Ich hielt mir lange Betrachtungen über die Groſsmuth
[488 ] und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften;
ich verglich den Verlust des Königs mit seinem Ge¬
winn; ich überdachte die alten, rechtlichen Ansprü¬
che, die Sachsen wirklich noch machen konnte und
machen muſste. Wenn Sachsen eine Macht von hun¬
dert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche
Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles
seyn was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich.
Mich däucht, daſs man in Dresden doch wohl etwas
lebendigere wirksamere Maſsregeln hätte nehmen kön¬
nen und sollen. Es war voraus zu sehen. Die Leipzi¬
ger werden die Folgen spüren. Freylich wird man
vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig
thun; aber man hat doch nun die Kneipzange von
beyden Seiten in den Händen, und kann sicher das
festina lente spielen. Politisch muſs man immer den¬
ken, was geschehen kann wird geschehen. Der ge¬
genwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem
künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von
Berlin in diesen Verhältnissen zu Dresden solche Re¬
sultate nicht erwartet.


In Weimar freute ich mich einige Männer wie¬
der zu sehen, die das ganze Vaterland ehrt. Der Pa¬
triarch Wieland und der wirklich wackere Böttiger em¬
pfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück.
Die Herzogin Mutter hatte die Güte, mit vieler Theil¬
nahme sich nach ihren Freunden diesseit und jenseit
der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen
Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. Jeder¬
mann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdig¬
ste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.


[489 ]

Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen
nach Nauenburg herüber wandelte, begegnete mir ein
Preuſsisches Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn
man in dem nehmlichen Rocke mit der nehmlichen
Chaussüre über Wien und Rom nach Syrakus und
über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich et¬
was unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche
Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den
Fremden zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben.
Die Soldaten waren ordonanzmäſsig artig genug; aber
einige Offiziere geruhten sich mit meiner Personalität
ein Späſschen zu machen. Ich ging natürlich den
Fuſssteg am Busche hin und der Heereszug zog den
Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden
in einem etwas ausgezeichneten pommerischen Dia¬
lekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm
nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der
dort geht? Der andere antwortete zu meiner Bezeich¬
nung: Er wird wohl gehen und das Handwerk be¬
grüſsen. Nein, hörte ich eine andere Stimme, ich
weiſs nicht was es für ein närrischer Kerl seyn mag;
ich habe ihn gestern bey der Herzogin im Garten si¬
tzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins Pommeri¬
sche, wenn Du finden willst, daſs es mir ziemlich
schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmaſsgeb¬
lich, die Herren hätten ihre Untersuchung und Beur¬
theilung über mich etwas höflicher doch wohl einige
Minuten sparen können, bis ich sie nicht mehr hörte.
Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein Preu¬
ſsischer Offizier nicht viel Umstände. Ob das recht
[490 ] und human ist, wäre freylich etwas näher zu be¬
stimmen.


Meiner alten guten Mutter in Posern bey Wei¬
ſsenfels war meine Erscheinung überraschend. Man
hatte ihr den Vorfall mit den Banditen schon erzählt,
und Du kannst glauben, daſs sie meinetwegen etwas
besorgt war, da sie als orthodoxe Anhängerin
Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von
dem Papst und seinen Anordnungen hat. Sie
erlaubte durchaus nicht, daſs ich zu Fuſse wei¬
ter ging, sondern lieſs mich bedächtlich in den
Wagen packen und hierher an die Pleiſsenburg
bringen. Du kannst Dir vorstellen, daſs ich
froh war meine hiesigen Freunde wieder zu
sehen. Schnorr war der erste den ich auf¬
suchte, und das enthusiastische Menschenkind
warf komisch den Pinsel weg, zog das beste
seiner drolligen Gesichter und machte einen prak¬
tischen Kommentar auf Horazens Stelle, daſs
man bey der Rückkehr eines Freundes von den
Cyklopen wohl ein Biſschen närrisch seyn könne.


Morgen gehe ich nach Grimme und Hohen¬
städt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs
Göttern. Mich däucht, daſs ich nun einige Wo¬
chen ehrlich lungern kann. Wer in neun Mo¬
naten meistens zu Fuſse eine solche Wanderung
macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem
Podagra. Zum Lobe meines Schuhmachers, des
mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, muſs
ich Dir noch sagen, daſs ich in den nehmli¬
[491 ] chen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen
bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und
daſs diese noch das Ansehen haben, in bauli¬
chem Wesen noch eine solche Wanderung mit
zu machen.


Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir
plaudern; von manchen mehr als ich geschrie¬
ben habe, von manchem weniger.


[][]

Appendix B Wichtigere Druckfehler.


Seite 13. Zeile 5. lese man braten. 40, 13. hat. 48, 1.
wie ich mich. 53, 2. Troſs. 65, 4. v. u. mit dem. 70, 18.
aufwärts. 76, 5. zu Lueg. 103, 21. glaube ich. 121, 14.
doutés. 145, 17. auch. 147, 8. Strettura. 163, 8. v. u. De¬
moxenus. 177, 5. Keiner. 183, 9. v. u. du jour. 184, 4.
v. u. favorisca. 186, 4. vor dem Thor in das Haus eines sei¬
ner Bekannten am Toledo. 190, 8. v. u. Niederlassungen.
191, 1. Donat. 198, 2. v. u. Trinakrien. 201, 11. v. u. allen.
205, 8. werthsten. 206, 11. findst. 240, 1. v. u. Todtschlä¬
gen. 244, 11. noch. 266, 1. v. u. Abacchevten. 272, 8.
v. u. Überzeugung. 307, 6. v. u. Barcellona. 313, 3. v. u.
sahe. 315, 4. v. u. recht. 318, 7. v. u. Micias. 320, 5.
v. u. daſs er mir fast. 322, 5. cattolico. ibid. 11. voi. 325,
11. v. u. Corso. 352. 2. Armee. 353, 9. wir rollten. 354,
6. doch vielleicht. 362. 2. v. u. Taschenbuch. 373, 12. Wer.
375, 3. gewannen. 378, 10. v. u. verhältniſsmäſsigen. 381,
10. Urbefugnisse. 384, 7. v. u. von Paris nach Rom. 401, 5.
Merletons. 403, 11. v. u. sagte. 410, 3. v. u. war ich im¬
mer. 411, 7. Hetärenkünste. 415, 8. nur. 417, 13. v. u.
nur durch die. 426, 5. v. u. Rügen. 440, 4. v. u. Boule¬
wardskoffee. 441, 2. v. u. den. 450, 12. v. u. die beyden.
466, 10. v. u. und die Einführung. 476, 14. mit sarkastischen.
484, 6. doch. 489, 2. Naumburg.


Die übrigen kleinern Fehler der Officin in Interpunktion,
Grammatik und Orthographie wird der gütige Leser leicht selbst
auffinden und verbessern.


Jupiters goldner Mantel in Syrakus ist ein Irrthum des Ver.
fassers.



[][][][]
Notes
*)
Nach reiflicher Ueberlegung trage ich auch kein Be¬
denken das Ganze hier mit drucken zu lassen. Mich über so¬
genannte Personalitäten zu erklären, wäre hier zu weitläufig.
Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und jenseits. Für sol¬
che Delinquenten ist keine Strafe als die öffentliche Meinung:
und warum soll die öffentliche Meinung nicht — öffentlich
seyn und öffentlich dokumentiert werden? Die Parthien sind
der Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun
wohl keine Besserung zu erwarten; aber Andere sollen nicht
so werden wie er ist: deſswegen wird es erzählt.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn17.0