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Die
Elixiere des Teufels.

Nachgelaſſene Papiere
des Bruders Medardus
elnes Capuziners
.



Zweiter Theil.


Berlin,: 1816.
Bei Duncker und Humblot.
[][[1]]

Die Elixiere des Teufels.

Zweiter Band.

II. [ 2 ][[2]][[3]]

Erſter Abſchnitt.

Der Wendepunkt.


In weſſen Leben ging nicht einmal das wun¬
derbare, in tiefſter Bruſt bewahrte, Geheim¬
niß der Liebe auf! — Wer Du auch ſeyn
magſt, der Du kuͤnftig dieſe Blaͤtter lieſeſt,
rufe Dir jene hoͤchſte Sonnenzeit zuruͤck,
ſchaue noch einmal das holde Frauenbild,
das, der Geiſt der Liebe ſelbſt, Dir entgegen
trat. Da glaubteſt Du ja nur in ihr, Dich,
Dein hoͤheres Seyn zu erkennen. Weißt Du
noch, wie die rauſchenden Quellen, die fluͤ¬
ſternden Buͤſche; wie der koſende Abendwind
von ihr, von Deiner Liebe, ſo vernehmlich
[4] zu Dir ſprachen? Siehſt Du es noch, wie
die Blumen Dich mit hellen freundlichen Au¬
gen anblickten, Gruß und Kuß von ihr brin¬
gend? — Und ſie kam, ſie wollte Dein ſeyn
ganz und gar. Du umfingſt ſie voll gluͤhen¬
den Verlangens und wollteſt, losgeloͤſet von
der Erde, auflodern in inbruͤnſtiger Sehn¬
ſucht! — Aber das Myſterium blieb uner¬
fuͤllt, eine finſtre Macht zog ſtark und ge¬
waltig Dich zur Erde nieder, als Du Dich
aufſchwingen wollteſt mit ihr zu dem fernen
Jenſeits, das Dir verheißen. Noch ehe Du
zu hoffen wagteſt, hatteſt Du ſie verloren,
alle Stimmen, alle Toͤne waren verklungen,
und nur die hoffnungsloſe Klage des Einſa¬
men aͤchzte grauenvoll durch die duͤſtre Ein¬
oͤde. — Du, Fremder! Unbekannter! hat Dich
je ſolch nahmenloſer Schmerz zermalmt, ſo
ſtimme ein in den troſtloſen Jammer des er¬
grauten Moͤnchs, der in finſtrer Zelle der
Sonnenzeit ſeiner Liebe gedenkend, das harte
Lager mit blutigen Thraͤnen netzt, deſſen ban¬
[5] ge Todesſeufzer in ſtiller Nacht durch die
duͤſtren Kloſtergaͤnge hallen. — Aber auch
Du, Du mir im Innern verwandter, auch
Du glaubſt es, daß der Liebe hoͤchſte Seelig¬
keit, die Erfuͤllung des Geheimniſſes im Tode
aufgeht. — So verkuͤnden es uns die dunk¬
len weiſſagenden Stimmen, die aus jener,
keinem irrdiſchen Maaßſtab meßlichen Urzeit
zu uns heruͤbertoͤnen, und wie in den My¬
ſterien, die die Saͤuglinge der Natur feyer¬
ten, iſt uns ja auch der Tod, das Weyhfeſt
der Liebe! — —


Ein Blitz fuhr durch mein Innres, mein
Athem ſtockte, die Pulſe ſchlugen, krampf¬
haft zuckte das Herz, zerſpringen wollte die
Bruſt! — Hin zu ihr — hin zu ihr — ſie
an mich reiſſen in toller Liebeswuth! —
„Was widerſtrebſt Du, Unſeelige! der Macht,
die Dich unaufloͤslich an mich gekettet? Biſt
Du nicht mein! — mein immerdar?“ Doch
beſſer, wie damals, als ich Aurelien zum
erſtenmal im Schloſſe des Barons erblickte,
[6] hemmte ich den Ausbruch meiner wahnſin¬
nigen Leidenſchaft. Ueberdem waren aller
Augen auf Aurelien gerichtet, und ſo gelang
es mir, im Kreiſe gleichguͤltiger Menſchen
mich zu drehen und zu wenden, ohne daß ir¬
gend einer mich ſonderlich bemerkt oder gar
angeredet haͤtte, welches mir unertraͤglich ge¬
weſen ſeyn wuͤrde, da ich nur ſie, ſehen —
hoͤren — denken wollte. — —


Man ſage nicht, daß das einfache Haus¬
kleid das wahrhaft ſchoͤne Maͤdchen am be¬
ſten ziere, der Putz der Weiber uͤbt einen ge¬
heimnißvollen Zauber; dem wir nicht leicht
widerſtehen koͤnnen. In ihrer tiefſten Natur
mag es liegen, daß im Putz recht aus ihrem
Innern heraus, ſich alles ſchimmernder und
ſchoͤner entfaltet, wie Blumen nur dann vol¬
lendet ſich darſtellen, wenn ſie in uͤppiger
Fuͤlle in bunten glaͤnzenden Farben aufge¬
brochen. — Als Du die Geliebte zum erſten
mal geſchmuͤckt ſahſt, froͤſtelte da nicht ein
unerklaͤrlich Gefuͤhl Dir durch Nerv und
[7] Adern? — Sie kam Dir ſo fremd vor, aber
ſelbſt das gab ihr einen unnennbaren Reiz.
Wie durchbebten Dich Wonne und namen¬
loſe Luͤſternheit, wenn Du verſtohlen ihre
Hand druͤcken konnteſt! — Aurelien hatte ich
nie anders als im einfachen Hauskleide ge¬
ſehen, heute erſchien ſie, der Hofſitte gemaͤß,
in vollem Schmuck. — Wie ſchoͤn ſie war!
wie fuͤhlte ich mich bei ihrem Anblick von
unnennbarem Entzuͤcken, von ſuͤßer Wolluſt
durchſchauert! — Aber da wurde der Geiſt
des Boͤſen maͤchtig in mir und erhob ſeine
Stimme, der ich williges Ohr lieh. „Siehſt
Du es nun wohl, Medardus, ſo fluͤſterte es
mir zu: ſiehſt Du es nun wohl, wie Du
dem Geſchick gebieteſt, wie der Zufall, Dir
untergeordnet, nur die Faden geſchickt ver¬
ſchlingt, die Du ſelbſt geſponnen?“ — Es
gab in dem Cirkel des Hofes Frauen, die fuͤr
vollendet ſchoͤn geachtet werden konnten, aber
vor Aureliens, das Gemuͤth tief ergreifen¬
dem Liebreiz verblaßte alles wie in unſchein¬
[8] barer Farbe. Eine eigne Begeiſterung regte
die traͤgſten auf, ſelbſt den aͤlteren Maͤnnern
riß der Faden gewoͤhnlicher Hofconverſation,
wo es nur auf Woͤrter ankommt, denen von
außen her einiger Sinn anfliegt, jaͤhlings
ab und es war luſtig, wie jeder mit ſichtli¬
cher Quaal darnach rang, in Wort und Mie¬
ne recht ſonntagsmaͤßig vor der Fremden zu
erſcheinen. Aurelie nahm dieſe Huldigungen
mit niedergeſchlagenen Augen in holder An¬
muth hoch erroͤthend auf; aber als nun der
Fuͤrſt die aͤlteren Maͤnner um ſich ſammelte
und mancher bildſchoͤne Juͤngling ſich ſchuͤch¬
tern mit freundlichen Worten Aurelien nahte,
wurde ſie ſichtlich heitrer und unbefangener.
Vorzuͤglich gelang es einem Major von der
Leibgarde, ihre Aufmerkſamkeit auf ſich zu
ziehen, ſo daß ſie bald in lebhaftem Geſpraͤch
begriffen ſchienen. Ich kannte den Major
als entſchiedenen Liebling der Weiber. Er
wußte, mit geringem Aufwande harmlosſchei¬
nender Mittel, Sinn und Geiſt aufzuregen und
[9] zu umſtricken. Mit feinem Ohr auch den lei¬
ſeſten Anklang erlauſchend, ließ er ſchnell,
wie ein geſchickter Spieler, alle verwandte
Akkorde nach Willkuͤhr vibriren, ſo daß die
Getaͤuſchte in den fremden Toͤnen, nur ihre
eigne innere Muſik zu hoͤren glaubte. — Ich
ſtand nicht fern von Aurelien, ſie ſchien mich
nicht zu bemerken — ich wollte hin zu ihr,
aber wie mit eiſernen Banden gefeſſelt, ver¬
mochte ich nicht, mich von der Stelle zu
ruͤhren. — Noch einmal den Major ſcharf
anblickend, war es mir ploͤtzlich, als ſtehe
Viktorin bei Aurelien. Da lachte ich auf
im grimmigen Hohn: „Hey! — Hey! Du
Verruchter, haſt Du Dich im Teufelsgrun¬
de ſo weich gebettet, daß Du in toller
Brunſt trachten magſt nach der Buhlin des
Moͤnchs?“ —


Ich weiß nicht, ob ich dieſe Worte wirk¬
lich ſprach, aber ich hoͤrte mich ſelbſt lachen,
und fuhr auf wie aus tiefem Traum, als der
alte Hofmarſchall, ſanft meine Hand faſſend,
[10] frug: „Woruͤber erfreuen Sie Sich ſo, lie¬
ber Herr Leonard?“ — Eiskalt durchbebte es
mich!


Waren das nicht die Worte des from¬
men Bruders Cyrill, der mich eben ſo frug,
als er bei der Einkleidung mein freveliches
Laͤcheln bemerkte? — Kaum vermochte ich,
etwas unzuſammenhaͤngendes herzuſtammeln.
Ich fuͤhlte es, daß Aurelie nicht mehr in
meiner Naͤhe war, doch wagte ich es nicht,
aufzublicken, ich rannte fort durch die er¬
leuchteten Saͤle. Wohl mag mein ganzes
Weſen gar unheimlich erſchienen ſeyn; denn
ich bemerkte, wie mir Alles ſcheu auswich,
als ich die breite Haupttreppe mehr herab¬
ſprang, als herabſtieg.


Ich mied den Hof, denn Aurelien, ohne
Gefahr mein tiefſtes Geheimniß zu verra¬
then, wiederzuſehen, ſchien mir unmoͤglich.
Einſam lief ich durch Flur und Wald, nur
ſie denkend, nur ſie ſchauend. Feſter und
feſter wurde meine Ueberzeugung, daß ein
[11] dunkles Verhaͤngniß ihr Geſchick in das mei¬
nige verſchlungen habe, und daß das, was
mir manchmal als ſuͤndhafter Frevel erſchie¬
nen, nur die Erfuͤllung eines ewigen unab¬
aͤnderlichen Rathſchluſſes ſey. So mich er¬
muthigend lachte ich der Gefahr, die mir
dann drohen koͤnnte, wenn Aurelie in mir
Hermogens Moͤrder erkennen ſollte. Dies
duͤnkte mir jedoch uͤberdem hoͤchſt unwahr¬
ſcheinlich. — Wie erbaͤrmlich erſchienen mir
nun jene Juͤnglinge, die in eitlem Wahn ſich
um die bemuͤhten, die ſo ganz und gar mein
Eigen worden, daß ihr leiſeſter Lebenshauch
nur durch das Seyn in mir bedingt ſchien.
— Was ſind mir dieſe Grafen, dieſe Frei¬
herren, dieſe Kammerherren, dieſe Offiziere in
ihren bunten Roͤcken — in ihrem blinkenden
Golde, ihren ſchimmernden Orden, anders
als ohnmaͤchtige, geſchmuͤckte Inſektlein, die
ich, wird mir das Volk laͤſtig, mit kraͤftiger
Fauſt zermalme. — In der Kutte will ich
unter ſie treten, Aurelien braͤutlich geſchmuͤckt
[12] in meinen Armen, und dieſe ſtolze feind¬
liche Fuͤrſtin ſoll ſelbſt das Hochzeitslager
bereiten, dem ſiegenden Moͤnch, den ſie ver¬
achtet. — In ſolchen Gedanken arbeitend,
rief ich oft laut Aureliens Namen und lachte
und heulte wie ein Wahnſinniger. Aber bald
legte ſich der Sturm. Ich wurde ruhiger
und faͤhig, daruͤber Entſchluͤſſe zu faſſen, wie
ich nun mich Aurelien naͤhern wollte. —
Eben ſchlich ich eines Tages durch den Park,
nachſinnend, ob es rathſam ſey, die Abend¬
geſellſchaft zu beſuchen, die der Fuͤrſt anſa¬
gen laſſen, als man von hinten her auf mei¬
ne Schulter klopfte. Ich wandte mich um,
der Leibarzt ſtand vor mir. „Erlauben Sie
mir Ihren werthen Puls!“ fing er ſogleich
an, und griff, ſtarr mir ins Auge blickend
nach meinem Arm. „Was bedeutet das?
frug ich erſtaunt.“ Nicht viel, fuhr er fort:
es ſoll hier ſtill und heimlich einige Tollheit
umherſchleichen, die die Menſchen recht ban¬
ditenmaͤßig uͤberfaͤllt und ihnen eins verſetzt,
[13] daß ſie laut aufkreiſchen muͤſſen, klingt das
auch zuweilen nur wie ein unſinnig' Lachen.
Indeſſen kann alles auch nur ein Fantasma,
oder jener tolle Teufel nur ein gelindes Fie¬
ber mit ſteigender Hitze ſeyn, darum erlauben
Sie Ihren werthen Puls, Liebſter! — „Ich
verſichere Sie, mein Herr! daß ich von dem
Allen kein Wort verſtehe!“ So fiel ich ein,
aber der Leibarzt hatte meinen Arm gefaßt
und zaͤhlte den Puls mit zum Himmel ge¬
richtetem Blick — eins — zwei, drei. — Mir
war ſein wunderliches Betragen raͤthſelhaft,
ich drang in ihn, mir doch nur zu ſagen,
was er eigentlich wolle. „Sie wiſſen alſo
nicht, werther Herr Leonard, daß Sie neu¬
lich den ganzen Hof in Schrecken und Be¬
ſtuͤrzung geſetzt haben? — Die Oberhofmei¬
ſterin leidet bis dato an Kraͤmpfen, und der
Conſiſtorial-Praͤſident verſaͤumt die wichtig¬
ſten Seſſionen, weil es Ihnen beliebt hat,
uͤber ſeine podagriſchen Fuͤße wegzurennen,
ſo daß er, im Lehnſtuhl ſitzend, noch uͤber man¬
[14] nigfache Stiche betraͤchtlich bruͤllt! — das
geſchah nehmlich, als Sie, wie von einiger
Tollheit heimgeſucht, aus dem Saale ſtuͤrz¬
ten, nachdem Sie ohne merkliche Urſache ſo
aufgelacht hatten, daß Allen ein Grauſen an¬
kam und ſich die Haare ſtraͤubten!“ — In
dem Augenblick dachte ich an den Hofmar¬
ſchall und meinte, daß ich mich nun wohl
erinnere in Gedanken laut aufgelacht zu ha¬
ben, um ſo weniger koͤnne das aber von
ſolch' wunderlicher Wirkung geweſen ſeyn,
als der Hofmarſchall mich ja ganz ſanft ge¬
fragt haͤtte: woruͤber ich mich ſo erfreue?
„Ey, Ey! — fuhr der Leibarzt fort: das will
nichts bedeuten, der Hofmarſchall iſt ſolch
ein homo impavidus, der ſich aus dem Teu¬
fel ſelbſt nichts macht. Er blieb in ſeiner
ruhigen Dolcezza, obgleich erwaͤhnter Con¬
ſiſtorial-Praͤſident wirklich meinte, der Teu¬
fel habe aus Ihnen, mein Theurer! auf ſeine
Weiſe gelaͤchelt, und unſere ſchoͤne Aurelie
von ſolchem Grauſen und Entſetzen ergriffen
[15] wurde, daß alle Bemuͤhungen der Herrſchaft
ſie zu beruhigen, vergebens blieben, und ſie
bald die Geſellſchaft verlaſſen mußte, zur
Verzweiflung ſaͤmmtlicher Herren, denen ſicht¬
lich das Liebesfeuer aus den exaltirten Tou¬
pees dampfte! In dem Augenblick, als Sie,
werther Herr Leonard, ſo lieblich lachten, ſoll
Aurelie mit ſchneidendem in das Herz drin¬
genden Ton: Hermogen! gerufen haben.
Ey, ey! was mag das bedeuten? — Das
koͤnnten Sie vielleicht wiſſen — Sie ſind
uͤberhaupt ein lieber, luſtiger, kluger Mann,
Herr Leonard, und es iſt mir nicht unlieb,
das ich Ihnen Francesko's merkwuͤrdige Ge¬
ſchichte anvertraut habe, das muß recht lehr¬
reich fuͤr Sie werden!“ — Immer fort hielt
der Leibarzt meinen Arm feſt, und ſah mir
ſtarr in die Augen. — Ich weiß, ſagte ich,
mich ziemlich unſanft losmachend: ich weiß
ihre wunderliche Reden nicht zu deuten, mein
Herr, aber ich muß geſtehen, daß, als ich
Aurelien von den geſchmuͤckten Herren umla¬
[16] gert ſah, denen, wie Sie witzig bemerken,
das Liebesfeuer aus den exaltirten Toupees
dampfte, mir eine ſehr bittre Erinnerung
aus meinem fruͤheren Leben durch die Seele
fuhr, und daß ich, von recht grimmigem Hohn
uͤber mancher Menſchen thoͤrigt' Treiben er¬
griffen, unwillkuͤhrlich hell auflachen mußte.
Es thut mir leid, daß ich, ohne es zu wol¬
len, ſo viel Unheil angerichtet habe, und ich
buͤße dafuͤr, indem ich mich ſelbſt auf einige
Zeit vom Hofe verbanne. Mag mir die
Fuͤrſtin, mag mir Aurelie verzeihen. „Ey,
mein lieber Herr Leonard, verſetzte der Leib¬
arzt, man hat ja wohl wunderliche Anwand¬
lungen, denen man leicht widerſteht, wenn
man ſonſt nur reinen Herzens iſt. —“ Wer
darf ſich deſſen ruͤhmen hienieden? frug ich
dumpf in mich hinein. Der Leibarzt aͤnderte
ploͤtzlich Blick und Ton. „Sie ſcheinen mir,
ſprach er milde und ernſt: Sie ſcheinen mir
aber doch wirklich krank. — Sie ſehen blaß
und verſtoͤrt aus — Ihr Auge iſt eingefal¬
len[17] len und brennt ſeltſam in roͤthlicher Glut ...
Ihr Puls geht fieberhaft ... Ihre Sprache
klingt dumpf ... ſoll ich Ihnen etwas auf¬
ſchreiben? — „Gift!“ ſprach ich kaum vernehm¬
bar. — Ho ho! rief der Leibarzt, ſteht es ſo
mit Ihnen? Nun nun, ſtatt des Gifts das
niederſchlagende Mittel zerſtreuender Geſell¬
ſchaft. — Es kann aber auch ſeyn daß ...
Wunderlich iſt es aber doch ... vielleicht —
„Ich bitte Sie, mein Herr!“ rief ich
ganz erzuͤrnt: Ich bitte Sie mich nicht mit
abgebrochenen unverſtaͤndlichen Reden zu quaͤ¬
len, ſondern lieber geradezu Alles ...“ — Halt!
unterbrach mich der Leibarzt: halt ... es giebt
die wunderlichſten Taͤuſchungen, mein Herr
Leonard: beynahe iſt's mir gewiß, daß man
auf augenblicklichen Eindruck eine Hypotheſe
gebaut hat, die vielleicht in wenigen Minu¬
ten in Nichts zerfaͤllt. Dort kommt die Fuͤr¬
ſtin mit Aurelien, nuͤtzen Sie dieſes zufaͤllige
Zuſammentreffen, entſchuldigen Sie Ihr Be¬
tragen ... Eigentlich ... mein Gott! eigentlich
II. [ 2 ][18] haben Sie ja auch nur gelacht . . . freylich
auf etwas wunderliche Weiſe, wer kann aber
dafuͤr, daß ſchwachnervige Perſonen daruͤ¬
ber erſchrecken. Adieu! —


Der Leibarzt ſprang mit der ihm eignen
Behendigkeit davon. Die Fuͤrſtin kam mit
Aurelien den Gang herab.— Ich erbebte. —
Mit aller Gewalt raffte ich mich zuſammen.
Ich fuͤhlte nach des Leibarztes geheimnißvol¬
len Reden, daß es nun galt, mich auf der
Stelle zu behaupten. Keck trat ich den Kom¬
menden entgegen. Als Aurelie mich ins Au¬
ge faßte, ſank ſie mit einem dumpfen Schrei
wie todt zuſammen, ich wollte hinzu, mit
Abſcheu und Entſetzen winkte mich die Fuͤr¬
ſtin fort, laut um Huͤlfe rufend. Wie von
Furien und Teufeln gepeitſcht, rannte ich fort
durch den Park. Ich ſchloß mich in meine
Wohnung ein, und warf mich, vor Wuth
und Verzweiflung knirſchend, aufs Lager! —
Der Abend kam, die Nacht brach ein, da
hoͤrte ich die Hausthuͤre aufſchließen, mehre¬
[19] re Stimmen murmelten und fluͤſterten durch
einander, es wankte und tappte die Treppe
herauf — endlich pochte man an meine Thuͤ¬
re und befahl mir, im Namen der Obrigkeit,
aufzumachen. Ohne deutliches Bewußtſeyn,
was mir drohen koͤnne, glaubte ich zu fuͤh¬
len, daß ich nun verloren ſey. Rettung durch
Flucht — ſo dachte ich, und riß das Fenſter
auf. — Ich erblickte Bewaffnete vor dem Hau¬
ſe, von denen mich Einer ſogleich bemerkte.
Wohin? rief er mir zu, und in dem Augen¬
blick wurde die Thuͤre meines Schlafzimmers
geſprengt. Mehrere Maͤnner traten herein;
bei dem Leuchten der Laterne die einer von
ihnen trug, erkannte ich ſie fuͤr Polizeyſolda¬
ten. Man zeigte mir die Ordre des Crimi¬
nalgerichts, mich zu verhaften, vor; jeder
Widerſtand waͤre thoͤrigt geweſen. Man warf
mich in den Wagen, der vor dem Hauſe
hielt, und als ich, an den Ort, der meine Be¬
ſtimmung ſchien, angekommen, frug, wo ich
mich befaͤnde? ſo erhielt ich zur Antwort:
[20] in den Gefaͤngniſſen der obern Burg. Ich
wußte, daß man hier gefaͤhrliche Verbrecher
waͤhrend des Prozeſſes einſperre. Nicht lan¬
ge dauerte es, ſo wurde mein Bette gebracht,
und der Gefangenwaͤrter frug mich, ob ich
noch etwas zu meiner Bequemlichkeit wuͤn¬
ſche? Ich verneinte das, und blieb endlich al¬
lein. Die lange nachhallenden Tritte und das
Auf- und Zuſchließen vieler Thuͤren ließen
mich wahrnehmen, daß ich mich in einem
der innerſten Gefaͤngniſſe auf der Burg be¬
fand. Auf mir ſelbſt unerklaͤrliche Weiſe war
ich waͤhrend der ziemlich langen Fahrt ruhig
geworden, ja in einer Art Sinnesbetaͤubung
erblickte ich alle Bilder die mir voruͤbergin¬
gen nur in blaſſen halberloſchenen Farben.
Ich erlag nicht dem Schlaf, ſondern einer
Gedanken und Fantaſie laͤhmenden Ohnmacht.
Als ich am hellen Morgen erwachte, kam mir
nur nach und nach die Erinnerung deſſen,
was geſchehen und wo ich hingebracht wor¬
den. Die gewoͤlbte ganz zellenartige Kam¬
[21] mer wo ich lag, haͤtte mir kaum ein Gefaͤng¬
niß geſchienen, wenn nicht das kleine Fen¬
ſter ſtark mit Eiſenſtaͤben vergittert und ſo
hoch angebracht geweſen waͤre, daß ich es
nicht einmal mit ausgeſtreckter Hand errei¬
chen, viel weniger hinausſchauen konnte.
Nur wenige Sonnenſtrahlen fielen ſparſam
hinein; mich wandelte die Luſt an, die Um¬
gebungen meines Aufenthaltes zu erforſchen,
ich ruͤckte daher mein Bette heran und ſtellte
den Tiſch darauf. Eben wollte ich hinauf¬
klettern, als der Gefangenwaͤrter hereintrat
und uͤber mein Beginnen ſehr verwundert
ſchien. Er frug mich, was ich da mache,
ich erwiederte, daß ich nur hinausſchauen
wollen; ſchweigend trug er Tiſch, Bette und
den Stuhl fort und ſchloß mich ſogleich wie¬
der ein. Nicht eine [Stunde] hatte es ge¬
dauert, als er, von zwei andern Maͤnnern
begleitet, wieder erſchien und mich durch lan¬
ge Gaͤnge Trepp' auf, Trepp' ab fuͤhrte, bis
ich endlich in einen kleinen Saal eintrat, wo
[22] mich der Kriminalrichter erwartete. Ihm
zur Seite ſaß ein junger Mann, dem er in
der Folge Alles, was ich auf die an mich
gerichtete Fragen erwiedert hatte, laut in
die Feder diktirte. Meinen ehemaligen Ver¬
haͤltniſſen bei Hofe und der allgemeinen Ach¬
tung, die ich in der That ſo lange genoſſen
hatte, mochte ich die hoͤfliche Art danken,
mit der man mich behandelte, wiewohl ich
auch die Ueberzeugung darauf baute, daß nur
Vermuthungen, die hauptſaͤchlich auf Aure¬
liens ahnendes Gefuͤhl beruhen konnten, mei¬
ne Verhaftung veranlaßt hatten. Der Rich¬
ter forderte mich auf, meine bisherigen Le¬
bensverhaͤltniſſe genau anzugeben; ich bat
ihn, mir erſt die Urſache meiner ploͤtzlichen
Verhaftung zu ſagen, er erwiederte, daß ich
uͤber das mir Schuld gegebene Verbrechen
zu ſeiner Zeit genau genug vernommen wer¬
den ſolle. Jetzt komme es nur darauf an,
meinen ganzen Lebenslauf bis zur Ankunft
in der Reſidenz auf das genaueſte zu wiſſen,
[23] und er muͤſſe mich daran erinnern, daß es
dem Criminalgericht nicht an Mitteln fehlen
wuͤrde, auch dem kleinſten von mir angege¬
benen Umſtande nachzuſpuͤren, weshalb ich
denn ja der ſtrengſten Wahrheit treu bleiben
moͤge. Dieſe Ermahnung, die der Richter,
ein kleiner duͤrrer Mann mit fuchsrothen
Haaren, mit heiſerer, laͤcherlich quaͤckender
Stimme mir hielt, indem er die grauen Au¬
gen weit aufriß, fiel auf einen fruchtbaren
Boden; denn ich erinnerte mich nun daß ich
in meiner Erzaͤhlung den Faden genau ſo
aufgreifen und fortſpinnen muͤſſe, wie ich ihn
angelegt, als ich bei Hofe meinen Namen
und Geburtsort angab. Auch war es wohl
noͤthig, alles Auffallende vermeidend, meinen
Lebenslauf ins Alltaͤgliche, aber weit Entfern¬
te, Ungewiſſe zu ſpielen, ſo daß die weitern
Nachforſchungen dadurch auf jeden Fall weit
ausſehend und ſchwierig werden mußten. In
dem Augenblicke kam mir auch ein junger
Pole ins Gedaͤchtniß, mit dem ich auf dem
[24] Seminar in B. ſtudirte; ich beſchloß, ſeine
einfachen Lebensumſtaͤnde mir anzueignen.
So geruͤſtet, begann ich in folgender Art: „Es
„mag wohl ſeyn, daß man mich eines ſchwe¬
„ren Verbrechens beſchuldigt, ich habe indeſ¬
„ſen hier unter den Augen des Fuͤrſten und
„der ganzen Stadt gelebt, und es iſt waͤhrend
„der Zeit meines Aufenthaltes kein Verbre¬
„chen veruͤbt worden, fuͤr deſſen Urheber ich
„gehalten werden oder deſſen Theilnehmer
„ich ſeyn koͤnnte. Es muß alſo ein Fremder
„ſeyn, der mich eines in fruͤherer Zeit be¬
„gangenen Verbrechens anklagt, und da ich
„mich von aller Schuld voͤllig rein fuͤhle, ſo
„hat vielleicht nur eine ungluͤckliche Aehnlich¬
„keit die Vermuthung meiner Schuld erregt;
„um ſo haͤrter finde ich es aber, daß man
„mich leerer Vermuthungen und vorgefaßter
„Meinungen wegen, dem uͤberfuͤhrten Verbre¬
„cher gleich, in ein ſtrenges Criminal-Ge¬
„faͤngniß ſperrt. Warum ſtellt man mich nicht
„meinem leichtſinnigen, vielleicht boshaften
[25] „Anklaͤger unter die Augen? ... Gewiß iſt es
„am Ende ein alberner Thor, der ...“ Ge¬
mach, gemach Herr Leonard, quaͤckte der
Richter: menagiren Sie ſich, Sie koͤnnten
ſonſt garſtig anſtoßen gegen hohe Perſonen,
und die fremde Perſon, die Sie, mein Herr
Leonard, oder Herr ... (er biß ſich ſchnell in
die Lippen) erkannt hat, iſt auch weder leicht¬
ſinnig noch albern, ſondern ... Nun, und
dann haben wir gute Nachrichten aus der“ ...
Er nannte die Gegend, wo die Guͤter des
Barons F. lagen und Alles klaͤrte ſich dadurch
mir deutlich auf. Entſchieden war es, daß
Aurelie in mir den Moͤnch erkannt hatte, der
ihren Bruder ermordete. Dieſer Moͤnch war
ja aber Medardus, der beruͤhmte Canzelred¬
ner aus dem Capuzinerkloſter in B. Als die¬
ſen hatte ihn Reinhold erkannt und ſo hat¬
te er ſich auch ſelbſt kund gethan. Daß Fran¬
cesko der Vater jenes Medardus war, wu߬
te die Aebtiſſin, und ſo mußte meine Aehn¬
lichkeit mit ihm, die der Fuͤrſtin gleich An¬
[26] fangs ſo unheimlich worden, die Vermuthun¬
gen, welche die Fuͤrſtin und die Aebtiſſin
vielleicht ſchon brieflich unter ſich angeregt
hatten, beinahe zur Gewißheit erheben. Moͤg¬
lich war es auch, daß Nachrichten ſelbſt aus
dem Capuziner Kloſter in B. eingeholt worden;
daß man meine Spur genau verfolgt und ſo
die Identitaͤt meiner Perſon mit dem Moͤnch
Medardus feſtgeſtellt hatte. Alles dieſes
uͤberdachte ich ſchnell, und ſah die Gefahr
meiner Lage. Der Richter ſchwatzte noch
fort, und dies brachte nur Vortheil, denn es
fiel mir auch jetzt der lange vergebens ge¬
ſuchte Name des polniſchen Staͤdtchens ein,
das ich der alten Dame bei Hofe als mei¬
nen Geburtsort genannt hatte. Kaum endete
daher der Richter ſeinen Sermon mit der
barſchen Aeußerung, daß ich nun ohne wei¬
teres meinen bisherigen Lebenslauf erzaͤhlen
ſolle, als ich anfing: „Ich heiße eigentlich
„Leonard Krczynski und bin der einzige
„Sohn eines Edelmanns der ſein Guͤtchen
[27] „verkauft hatte und ſich in Kwiecziczewo
„aufhielt.“ Wie, was? — rief der Richter, in¬
dem er ſich vergebens bemuͤhte, meinen, ſo
wie den Nahmen meines angeblichen Ge¬
burtsorts, nachzuſprechen. Der Protokollfuͤh¬
rer wußte gar nicht, wie er die Woͤrter auf¬
ſchreiben ſollte; ich mußte beide Namen ſelbſt
einruͤcken, und fuhr dann fort: „Sie bemerken,
„mein Herr, wie ſchwer es der deutſchen
„Zunge wird, meinen Conſonantenreichen Na¬
„men nachzuſprechen und darin liegt die Ur¬
„ſache, warum ich ihn, ſo wie ich nach
„Deutſchland kam, wegwarf und mich bloß
„nach meinem Vornamen, Leonard, nannte.
„Uebrigens kann keines Menſchen Lebenslauf
„einfacher ſeyn, als der meinige. Mein Va¬
„ter, ſelbſt ziemlich unterrichtet, billigte mei¬
„nen entſchiedenen Hang zu den Wiſſenſchaf¬
„ten, und wollte mich eben nach Krakau zu ei¬
„nem ihm verwandten Geiſtlichen, Stanis¬
„law Krczynski ſchicken, als er ſtarb. Nie¬
„mand bekuͤmmerte ſich um mich, ich ver¬
[28] „kaufte die kleine Habe, zog einige Schul¬
„den ein, und begab mich wirklich mit dem
„ganzen mir von meinem Vater [hinterlaſſe¬
„nen]
Vermoͤgen nach Krakau, wo ich ei¬
„nige Jahre unter meines Verwandten Auf¬
„ſicht ſtudirte. Dann ging ich nach Danzig
„und nach Koͤnigsberg. Endlich trieb es mich,
„wie mit unwiderſtehlicher Gewalt, eine Reiſe
„nach dem Suͤden zu machen; ich hoffte, mich
„mit dem Reſt meines kleinen Vermoͤgens
„durchzubringen und dann eine Anſtellung
„bei irgend einer Univerſitaͤt zu finden, doch
„waͤre es mir hier beinahe ſchlimm ergan¬
„gen, wenn nicht ein betraͤchtlicher Gewinn
„an der Farobank des Fuͤrſten mich in den
„Stand geſetzt haͤtte, hier noch ganz gemaͤch¬
„lich zu verweilen und dann, wie ich es in
„Sinn hatte, meine Reiſe nach Italien fort¬
„zuſetzen. Irgend etwas Ausgezeichnetes,
„das werth waͤre, erzaͤhlt zu werden, hat
„ſich in meinem Leben gar nicht zugetragen.
„Doch muß ich wohl noch erwaͤhnen, daß
[29] „es mir leicht geweſen ſeyn wuͤrde, die Wahr¬
„heit meiner Angaben ganz unzweifelhaft
„nachzuweiſen, wenn nicht ein ganz beſon¬
„derer Zufall mich um meine Brieftaſche ge¬
„bracht haͤtte, worin mein Paß, meine Rei¬
„ſeroute und verſchiedene andere Scripturen
„befindlich waren, die jenem Zweck gedient
„haͤtten.“ — Der Richter fuhr ſichtlich auf,
er ſah mich ſcharf an, und frug mit beinahe
ſpoͤttiſchem Ton, welcher Zufall mich denn
außer Stande geſetzt haͤtte, mich, wie es
verlangt werden muͤßte, zu legitimiren. „Vor
„mehreren Monathen, ſo erzaͤhlte ich: be¬
„fand ich mich auf dem Wege hieher im Ge¬
„buͤrge. Die anmuthige Jahreszeit, ſo wie
„die herrliche romantiſche Gegend beſtimm¬
„ten mich, den Weg zu Fuße zu machen. Er¬
„muͤdet ſaß ich eines Tages in dem Wirths¬
„hauſe eines kleinen Doͤrfchens; ich hatte
„mir Erfriſchungen reichen laſſen und ein
„Blaͤttchen aus meiner Brieftaſche genom¬
„men, um irgend Etwas, das mir eingefallen
[30] „aufzuzeichnen; die Brieftaſche lag vor mir
„auf dem Tiſche. Bald darauf kam ein Rei¬
„ter daher geſprengt, deſſen ſonderbare Klei¬
„dung und verwildertes Anſehen meine Auf¬
„merkſamkeit erregte. Er trat ins Zimmer,
„forderte einen Trunk und ſetzte ſich, finſter
„und ſcheu mich anblickend, mir gegenuͤber
„an den Tiſch. Der Mann war mir unheim¬
„lich, ich trat daher ins Freie hinaus. Bald
„darauf kam auch der Reiter, bezahlte den
„Wirth und ſprengte, mich fluͤchtig gruͤßend,
„davon. Ich ſtand im Begriff, weiter zu ge¬
„hen, als ich mich der Brieftaſche erinnerte,
„die ich in der Stube auf dem Tiſche liegen
„laſſen; ich ging hinein und fand ſie noch auf
„dem alten Platz. Erſt des andern Tages, als ich
„die Brieftaſche hervorzog, entdeckte ich, daß
„es nicht die meinige war, ſondern daß ſie wahr¬
„ſcheinlich dem Fremden gehoͤrte, der gewiß aus
„Irrthum die meinige eingeſteckt hatte. Nur
„einige mir unverſtaͤndliche Notizen und
„mehrere an einen Grafen Viktorin gerich¬
[31] „tete Briefe befanden ſich darin. Dieſe Brief¬
„taſche nebſt dem Inhalt wird man noch un¬
„ter meinen Sachen finden; in der meinigen
„hatte ich, wie geſagt, meinen Paß, meine
„Reiſeroute und, wie mir jetzt eben einfaͤllt,
„ſogar meinen Taufſchein; um das Alles bin
„ich durch jene Verwechslung gekommen.“ —
Der Richter ließ ſich den Fremden, deſſen
ich erwaͤhnt, von Kopf bis zu Fuß beſchrei¬
ben, und ich ermangelte nicht, die Figur mit
aller nur moͤglichen Eigenthuͤmlichkeit aus
der Geſtalt des Grafen Viktorin und aus der
meinigen auf der Flucht aus dem Schloſſe
des Barons F. geſchickt zuſammenzufuͤgen.
Nicht aufhoͤren konnte der Richter, mich uͤber
die kleinſten Umſtaͤnde dieſer Begebenheit
auszufragen, und indem ich Alles befriedigend
beantwortete, ruͤndete ſich das Bild davon
ſo in meinem Innern, daß ich ſelbſt daran
glaubte, und keine Gefahr lief, mich in Wi¬
derſpruͤche zu verwickeln. Mit Recht konnte
ich es uͤbrigens wohl fuͤr einen gluͤcklichen
[32] Gedanken halten, wenn ich, den Beſitz jener
an den Grafen Viktorin gerichteten Briefe,
die in der That ſich noch im Portefeuille be¬
fanden, rechtfertigend, zugleich eine fingirte
Perſon einzuflechten ſuchte, die kuͤnftig, je
nachdem die Umſtaͤnde darauf hindeuteten,
den entflohenen Medardus oder den Grafen
Viktorin vorſtellen konnte[.] Dabei fiel mir
ein, daß vielleicht unter Euphemiens [Papie¬
ren]
ſich Briefe vorfanden, die uͤber Vikto¬
rins Plan, als Moͤnch im Schloſſe zu er¬
ſcheinen, Aufſchluß gaben, und daß dies aufs
neue den eigentlichen Hergang der Sache
verdunkeln und verwirren koͤnne. Meine
Fantaſie arbeitete fort indem der Richter
mich frug, und es entwickelten ſich mir im¬
mer neue Mittel, mich vor jeder Entdek¬
kung zu ſichern, ſo daß ich auf das aͤrgſte
gefaßt zu ſeyn glaubte. — Ich erwartete
nun, da uͤber mein Leben im Allgemeinen
Alles genug eroͤrtert ſchien, daß der Richter
dem mir angeſchuldigten Verbrechen naͤher
kommen[33] kommen wuͤrde, es war aber dem nicht ſo;
vielmehr frug er, warum ich habe aus dem
Gefaͤngniß entfliehen wollen? — Ich verſicherte,
daß mir dies nicht in den Sinn gekommen
ſey. Das Zeugniß des Gefangenwaͤrters, der
mich an das Fenſter hinaufkletternd angetrof¬
fen, ſchien aber wider mich zu ſprechen.
Der Richter drohte mir, daß ich nach einem
zweiten Verſuch angeſchloſſen werden ſolle.
Ich wurde in den Kerker zuruͤckgefuͤhrt. — Man
hatte mir das Bette genommen und ein Stroh¬
lager auf dem Boden bereitet, der Tiſch war
feſtgeſchraubt, ſtatt des Stuhles fand ich ei¬
ne ſehr niedrige Bank. Es vergingen drei
Tage, ohne daß man weiter nach mir frug,
ich ſah nur das muͤrriſche Geſicht eines al¬
ten Knechts, der mir das Eſſen brachte, und
Abends die Lampe anſteckte. Da ließ die ge¬
ſpannte Stimmung nach, in der es mir
war, als ſtehe ich im luſtigen Kampf auf
Leben und Tod, den ich wie ein wackrer
Streiter ausfechten werde. Ich fiel in ein
[ 5 ][34] truͤbes duͤſtres Hinbruͤten, Alles ſchien mir
gleichguͤltig, ſelbſt Aureliens Bild war ver¬
ſchwunden. Doch bald ruͤttelte ſich der Geiſt
wieder auf, aber nur um ſtaͤrker von dem un¬
heimlichen, krankhaften Gefuͤhl befangen zu
werden, das die Einſamkeit, die dumpfe Ker¬
kerluft erzeugt hatte, und dem ich nicht zu
widerſtehen vermochte. Ich konnte nicht mehr
ſchlafen. In den wunderlichen Reflexen, die
der duͤſtre flackernde Schein der Lampe an
Waͤnde und Decke warf, grinzten mich aller¬
lei verzerrte Geſichter an; ich loͤſchte die
Lampe aus, ich barg mich in die Strohkiſſen,
aber graͤßlicher toͤnte dann das dumpfe Stoͤh¬
nen, das Kettengeraſſel der Gefangenen durch
die grauenvolle Stille der Nacht. Oft war
es mir, als hoͤre ich Euphemiens — Vikto¬
rins Todesroͤcheln: „Bin ich denn Schuld
an euerm Verderben? war't ihr es nicht
ſelbſt, Verruchte! die ihr euch hingabt mei¬
nem raͤchenden Arm?“— So ſchrie ich laut
auf, aber dann ging ein langer, tief ausath¬
[35] mender Todesſeufzer durch die Gewoͤlbe, und
in wilder Verzweiflung heulte ich: „Du biſt
es Hermogen! ... nah iſt die Rache! ... Keine
Rettung mehr!“ — In der neunten Nacht
mochte es ſeyn, als ich, halb ohnmaͤchtig von
Grauen und Entſetzen, auf dem kalten Boden
des Gefaͤngniſſes ausgeſtreckt lag. Da ver¬
nahm ich deutlich unter mir ein leiſes, abge¬
meſſenes Klopfen. Ich horchte auf, das
Klopfen dauerte fort, und dazwiſchen lachte
es ſeltſamlich aus dem Boden hervor! —
Ich ſprang auf, und warf mich auf das
Strohlager, aber immer fort klopfte es, und
lachte und ſtoͤhnte dazwiſchen. — Endlich
rief es leiſe, leiſe, aber wie mit haͤßlicher, hei¬
ſerer, ſtammelnder Stimme hinter einander
fort: Med-ar-dus! Me-dar-dus!—Ein Eis¬
ſtrom goß ſich mir durch die Glieder! Ich
ermannte mich und rief: Wer da! Wer iſt
da? — Lauter lachte es nun, und ſtoͤhnte und
aͤchzte und klopfte und ſtammelte heiſer: Me¬
dar-dus ... Me-dar-dus! — Ich raffte mich
[36] auf vom Lager. „Wer Du auch biſt, der Du
hier tollen Spuk treibſt, ſtell Dich her ſicht¬
barlich vor meine Augen, daß ich dich ſchauen
mag, oder hoͤre auf mit Deinem wuͤſten Lachen
und Klopfen!“— So rief ich in die dicke Fin¬
ſterniß hinein, aber recht unter meinen Fuͤßen
klopfte es ſtaͤrker und ſtammelte: Hihihi ...
hihihi... Bruͤ-der-lein ... Bruͤ-der-lein ...
Me-dar-dus ... ich bin da ... bin da ... ma¬
mach auf ... auf... wir wo-wollen in den Wa-
Wald gehn... Wald gehn! — Jetzt toͤnte die
Stimme dunkel in meinem Innern wie be¬
kannt; ich hatte ſie ſchon ſonſt gehoͤrt, doch
nicht, wie mich es duͤnkte, ſo abgebrochen
und ſo ſtammelnd. Ja mit Entſetzen glaubte
ich, meinen eignen Sprachton zu vernehmen.
Unwillkuͤhrlich, als wollte ich verſuchen, ob
es dem ſo ſey, ſtammelte ich nach: Me-dar-
dus ... Me-dar-dus! Da lachte er wieder,
aber hoͤhniſch und grimmig, und rief: Bruͤ¬
der-lein ... Bruͤ-der-lein, haſt ... Du, Du mi¬
mich erkannt ... erkannt? ... ma-mach auf ...
[37] wir wo-wollen in den Wa-Wald ... in den
Wald! — „Armer Wahnſinniger, ſo ſprach
es dumpf und ſchauerlich aus mir heraus:
Armer Wahnſinniger, nicht aufmachen kann
ich Dir, nicht heraus mit Dir in den ſchoͤnen
Wald, in die herrliche freye Fruͤhlingsluft, die
draußen wehen mag; eingeſperrt im dumpfen
duͤſtern Kerker bin ich wie Du!“ — Da aͤchzte
es im troſtloſen Jammer, und immer leiſer
und unvernehmlicher wurde das Klopfen, bis
es endlich ganz ſchwieg; der Morgen brach
durch das Fenſter, die Schloͤſſer raſſelten,
und der Kerkermeiſter, den ich die ganze Zeit
uͤber nicht geſehen, trat herein. „Man hat,
fing er an: in dieſer Nacht allerlei Laͤrm in
Ihrem Zimmer gehoͤrt und lautes Sprechen.
Wie iſt es damit?“ — Ich habe die Gewohn¬
heit, erwiederte ich ſo ruhig, als es mir nur
moͤglich war: laut und ſtark im Schlafe zu
reden, und fuͤhrte ich auch im Wachen Selbſt¬
geſpraͤche, ſo glaube ich, daß mir dies wohl
erlaubt ſeyn wird. — „Wahrſcheinlich, fuhr der
[38] Kerkermeiſter fort: iſt Ihnen bekannt wor¬
den, daß jeder Verſuch zu entfliehen, jedes
Einverſtaͤndniß mit den Mitgefangenen hart
geahndet wird.“ — Ich betheuerte, nichts der¬
gleichen haͤtte ich vor. Ein paar Stunden
nachher fuͤhrte man mich hinauf zum Cri¬
minal Gericht. Nicht der Richter, der mich
zuerſt vernommen, ſondern ein anderer, ziem¬
lich junger Mann, dem ich auf den erſten
Blick anmerkte, daß er dem vorigen an Ge¬
wandtheit und eindringenden Sinn weit uͤber¬
legen ſeyn muͤſſe, trat freundlich auf mich
zu, und lud mich zum Sitzen ein. Noch ſteht
er mir gar lebendig vor Augen. Er war
fuͤr ſeine Jahre ziemlich unterſetzt, ſein Kopf
beinahe haarlos, er trug eine Brille. In
ſeinem ganzen Weſen lag ſo viel Guͤte und
Gemuͤthlichkeit, daß ich wohl fuͤhlte, gerade
deshalb muͤſſe jeder nicht ganz verſtockte Ver¬
brecher ihm ſchwer widerſtehen koͤnnen. Sei¬
ne Fragen warf er leicht, beinahe im Con¬
verſationston hin, aber ſie waren uͤberdacht
[39] und ſo praͤcis geſtellt, daß nur beſtimmte
Antworten erfolgen konnten. „Ich muß Sie
„zufoͤrderſt fragen, (ſo fing er an) ob alles
„das, was Sie uͤber Ihren Lebenslauf an¬
„gegeben haben, wirklich gegruͤndet iſt, oder
„ob bei reiflichem Nachdenken Ihnen nicht
„dieſer oder jener Umſtand einfiel, den Sie
„noch erwaͤhnen wollen?“


Ich habe Alles geſagt, was ich uͤber mein
einfaches Leben zu ſagen wußte.


„Haben Sie nie mit Geiſtlichen ... mit
„Moͤnchen Umgang gepflogen?“


Ja, in Krakau ... Danzig ... Frauen¬
burg ... Koͤnigsberg. Am letztern Ort mit
den Weltgeiſtlichen die bei der Kirche als
Pfarrer und Kapellan angeſtellt waren.


„Sie haben fruͤher nicht erwaͤhnt, daß
„Sie auch in Frauenburg geweſen ſind?“


Weil ich es nicht der Muͤhe werth hielt,
eines kurzen, wie mich duͤnkt achttaͤgigen Au¬
fenthalts dort, auf der Reiſe von Danzig nach
Koͤnigsberg, zu erwaͤhnen.


[40]

„Alſo in Kwiecziczewo ſind Sie gebohren?“


Dies frug der Richter ploͤtzlich in polniſcher
Sprache, und zwar in aͤcht polniſchem Dia¬
lekt, jedoch ebenfalls ganz leicht hin. Ich
wurde in der That einen Augenblick verwirrt,
raffte mich jedoch zuſammen, beſann mich auf
das wenige Polniſche, was ich von meinem
Freunde Krcszinski im Seminar gelernt hat¬
te, und antwortete:


Auf dem kleinen Gute meines Vaters
bei Kwiecziczewo.


„Wie hieß dieſes Gut?“


Krcziniewo, das Stammgut meiner Fa¬
milie.


„Sie ſprechen, fuͤr einen Nationalpolen,
„das Polniſche nicht ſonderlich aus. Auf¬
„richtig geſagt, in ziemlich deutſchem Dialekt.
„Wie kommt das?“


Schon ſeit vielen Jahren ſpreche ich nichts
als Deutſch. Ja ſelbſt ſchon in Krakau hat¬
te ich viel Umgang mit Deutſchen, die das
Polniſche von mir erlernen wollten; unver¬
[41] merkt mag ich ihren Dialekt mir angewoͤhnt
haben, wie man leicht provinzielle Ausſpra¬
che annimmt, und die beſſere, eigenthuͤmliche
daruͤber vergißt.


Der Richter blickte mich an, ein leiſes
Laͤcheln flog uͤber ſein Geſicht, dann wandte
er ſich zum Protokollfuͤhrer und diktirte ihm
leiſe etwas. Ich unterſchied deutlich die Wor¬
te: „ſichtlich in Verlegenheit“ und wollte
mich eben noch mehr uͤber mein ſchlechtes
Polniſch auslaſſen, als der Richter frug:


„Waren Sie niemals in B.?“


Niemals!


„Der Weg von Koͤnigsberg hieher kann
„Sie uͤber den Ort gefuͤhrt haben?“


Ich habe eine andere Straße eingeſchlagen.


„Haben Sie nie einen Moͤnch aus dem
„Capuzinerkloſter in B. kennen gelernt?“


Nein!


Der Richter klingelte, und gab dem her¬
eintretenden Gerichtsdiener leiſe einen Befehl.
Bald darauf oͤffnete ſich die Thuͤre, und wie
[42] durchbebten mich Schreck und Entſetzen, als
ich den Pater Cyrillus eintreten ſah. Der
Richter frug:


„Kennen Sie dieſen Mann?“


Nein! ... ich habe ihn fruͤher niemals
geſehen!


Da heftete Cyrillus den ſtarren Blick
auf mich, dann trat er naͤher; er ſchlug die
Haͤnde zuſammen, und rief laut, indem Thraͤ¬
nen ihm aus den Augen gewaltſam hervor¬
quollen: „Medardus, Bruder Medardus! ...
um Chriſtus willen, wie muß ich Dich wie¬
derfinden, im Verbrechen teufliſch frevelnd.
Bruder Medardus, gehe in Dich, bekenne,
bereue ... Gottes Langmuth iſt unendlich!“ —
Der Richter ſchien mit Cyrillus Rede unzufrie¬
den, er unterbrach ihn mit der Frage: „Er¬
„kennen Sie dieſen Mann fuͤr den Moͤnch
„Medardus aus den Capuzinerkloſter in B.?“


So wahr mir Chriſtus helfe zur Seelig¬
keit, erwiederte Cyrillus: ſo kann ich nicht
anders glauben, als daß dieſer Mann, traͤgt
[43] er auch weltliche Kleidung, jener Medardus
iſt, der im Capuzinerkloſter zu B. unter mei¬
nen Augen Noviz war und die Weihe empfing.
Doch hat Medardus das rothe Zeichen ei¬
nes Kreuzes an der linken Seite des Halſes,
und wenn dieſer Mann ... „Sie bemerken, un¬
terbrach der Richter den Moͤnch, ſich zu mir
wendend: daß man Sie fuͤr den Capuziner
Medardus aus dem Kloſter in B. haͤlt, und
daß man eben dieſen Medardus ſchwerer
Verbrechen halber angeklagt hat. Sind
Sie nicht dieſer Moͤnch, ſo wird es Ihnen
leicht werden, dies darzuthun; eben daß
jener Medardus ein beſonderes Abzeichen
am Halſe traͤgt, — welches Sie, ſind Ihre
Angaben richtig, nicht haben koͤnnen — giebt
Ihnen die beſte Gelegenheit dazu. Entbloͤßen
Sie Ihren Hals,“ — Es bedarf deſſen nicht,
erwiederte ich gefaßt, ein beſonderes Ver¬
haͤngniß ſcheint mir die treueſte Aehnlichkeit
mit jenem angeklagten, mir gaͤnzlich unbe¬
kannten, Moͤnch Medardus gegeben zu haben,
[44] denn ſelbſt ein rothes Kreuzzeichen trage ich
an der linken Seite des Halſes. — Es war
dem wirklich ſo, jene Verwundung am Halſe,
die mir das diamantne Kreuz der Aebtiſſin
zufuͤgte, hatte eine rothe kreuzfoͤrmige Narbe
hinterlaſſen, die die Zeit nicht vertilgen konn¬
te. „Entbloͤßen Sie Ihren Hals, wiederholte
der Richter.“ — Ich that es, da ſchrie Cyrillus
laut: „Heilige Mutter Gottes, es iſt es, es
iſt das rothe Kreuzzeichen! ... Medardus ...
Ach, Bruder Medardus, haſt Du denn ganz
entſagt dem ewigen Heil?“ — Weinend und
halb ohnmaͤchtig ſank er in einen Stuhl.
„Was erwiedern Sie auf die Behauptung die¬
ſes ehrwuͤrdigen Geiſtlichen,“ frug der Rich¬
ter. In dem Augenblick durchfuhr es mich
wie eine Blitzesflamme; alle Verzagtheit, die
mich zu uͤbermannen drohte, war von mir ge¬
wichen, ach, es war der Widerſacher ſelbſt,
der mir zufluͤſterte: Was vermoͤgen dieſe
Schwaͤchlinge gegen Dich Starken in Sinn
und Geiſt? ... Soll Aurelie denn nicht Dein
[45] werden? — Ich fuhr heraus beinahe in wildem,
hoͤnendem Trotz: „Dieſer Moͤnch da, der ohn¬
maͤchtig im Stuhle liegt, iſt ein ſchwachſin¬
niger, bloͤder Greis, der in toller Einbildung
mich fuͤr irgend einen verlaufenen Capuziner
ſeines Kloſters haͤlt, von dem ich vielleicht
eine fluͤchtige Aehnlichkeit trage.“ — Der Rich¬
ter war bis jetzt in ruhiger Faſſung geblieben,
ohne Blick und Ton zu aͤndern; zum erſten¬
mal verzog ſich nun ſein Geſicht zum fin¬
ſtern, durchbohrenden Ernſt, er ſtand auf und
blickte mir ſcharf ins Auge. Ich muß ge¬
ſtehen, ſelbſt das Funkeln ſeiner Glaͤſer hat¬
te fuͤr mich etwas Unertraͤgliches, Entſetzliches,
ich konnte nicht weiter reden; von innerer
verzweifelnder Wuth grimmig erfaßt, die ge¬
ballte Fauſt vor der Stirn, ſchrie ich laut
auf: Aurelie! — „Was ſoll das, was [bedeu¬
tet]
der Name? frug der Richter heftig.“ — Ein
dunkles Verhaͤngniß opfert mich dem ſchmach¬
vollen Tode, ſagte ich dumpf, aber ich bin
unſchuldig, gewiß ... ich bin ganz unſchuldig
[46] ... entlaſſen Sie mich ... haben Sie Mitlei¬
den ... ich fuͤhle es, daß Wahnſinn mir durch
Nerv und Adern zu toben beginnt ... entlaſ¬
ſen Sie mich! — Der Richter, wieder ganz
ruhig geworden, diktirte dem Protokollfuͤhrer
vieles, was ich nicht verſtand, endlich las er
mir eine Verhandlung vor, worin alles was er
gefragt und was ich geantwortet, ſo wie, was
ſich mit Cyrillus zugetragen hatte, verzeich¬
net war. Ich mußte meinen Namen unter¬
ſchreiben, dann forderte mich der Richter auf,
irgend etwas polniſch und deutſch aufzuzeich¬
nen, ich that es. Der Richter nahm das
deutſche Blatt, und gab es dem Pater Cyril¬
lus, der ſich unterdeſſen wieder erholt hatte,
mit der Frage in die Haͤnde: „Haben die¬
ſe Schriftzuͤge Aehnlichkeit mit der Hand,
die Ihr Kloſterbruder Medardus ſchrieb?“ —
Es iſt ganz genau ſeine Hand, bis auf die
kleinſten Eigenthuͤmlichkeiten, erwiederte Cy¬
rillus, und wandte ſich wieder zu mir. Er
wollte ſprechen, ein Blick des Richters wies
[47] ihn zur Ruhe. Der Richter ſah das von mir
geſchriebene polniſche Blatt ſehr aufmerk¬
ſam durch, dann ſtand er auf, trat dicht vor
mir hin, und ſagte mit ſehr ernſtem, entſchei¬
dendem Ton:


„Sie ſind kein Pole. Dieſe Schrift iſt
durchaus unrichtig, voller grammatiſcher und
orthographiſcher Fehler. Kein Nationalpole
ſchreibt ſo, waͤre er auch viel weniger wiſ¬
ſenſchaftlich ausgebildet, als Sie es ſind.“


Ich bin in Krcziniewo geboren, folg¬
lich allerdings ein Pole. Selbſt aber in
dem Fall, daß ich es nicht waͤre, daß geheim¬
nißvolle Umſtaͤnde mich zwaͤngen, Stand und
Namen zu verlaͤugnen, ſo wuͤrde ich deshalb
doch nicht der Capuziner Medardus ſeyn duͤr¬
fen, der aus dem Kloſter in B., wie ich glau¬
ben muß, entſprang.


„Ach Bruder Medardus, fiel Cyrillus ein:
ſchickte Dich unſer ehrwuͤrdiger Prior Leonar¬
dus nicht im Vertrauen auf Deine Treue und
Froͤmmigkeit nach Rom? ... Bruder Medar¬
[48] dus! um Chriſtus willen, verlaͤugne nicht
laͤnger auf gottloſe Weiſe den heiligen Stand,
dem Du entronnen.“


Ich bitte Sie, uns nicht zu unterbrechen,
ſagte der Richter, und fuhr dann, ſich zu mir
wendend, fort:


„Ich muß Ihnen bemerklich machen, wie
die unverdaͤchtige Ausſage dieſes ehrwuͤr¬
digen Herrn, die dringendſte Vermuthung
bewirkt, daß Sie wirklich der Medardus ſind,
fuͤr den man Sie haͤlt. Nicht verhelen mag
ich auch, daß man Ihnen mehrere Perſonen
entgegen ſtellen wird, die Sie fuͤr jenen
Moͤnch unzweifelhaft erkannt haben. Unter
dieſen Perſonen befindet ſich eine, die Sie,
treffen die Vermuthungen ein, ſchwer fuͤrch¬
ten muͤſſen. Ja ſelbſt unter Ihren eigenen
Sachen hat ſich Manches gefunden, was den
Verdacht wider Sie unterſtuͤzt. Endlich wer¬
den bald die Nachrichten uͤber Ihre vorgeb¬
liche Familienumſtaͤnde eingehen, um die man
die Gerichte in Poſen erſucht hat. ... Alles
dieſes[49] dieſes ſage ich Ihnen offner, als es mein
Amt gebietet, damit Sie ſich uͤberzeugen,
wie wenig ich auf irgend einen Kunſtgriff
rechne, Sie, haben jene Vermuthungen Grund,
zum Geſtaͤndniß der Wahrheit zu bringen.
Bereiten Sie Sich vor, wie Sie wollen; ſind
Sie wirklich jener angeklagte Medardus, ſo
glauben Sie, daß der Blick des Richters die
tiefſte Verhuͤllung bald durchdringen wird!;
Sie werden dann auch ſelbſt ſehr genau wiſ¬
ſen, welcher Verbrechen man Sie anklagt.
Sollten Sie dagegen wirklich der Leonard
von Krczinski ſeyn, fuͤr den Sie Sich aus¬
geben, und ein beſonderes Spiel der Natur
Sie, ſelbſt Ruͤckſichts beſonderer Abzeichen,
jenem Medardus aͤhnlich gemacht haben, ſo
werden Sie ſelbſt leicht Mittel finden, dies
klar nachzuweiſen. Sie ſchienen mir erſt in
einem ſehr exaltirten Zuſtande, ſchon deshalb
brach ich die Verhandlung ab, indeſſen woll¬
te ich Ihnen zugleich auch Raum geben
zum reiflichen Nachdenken. Nach dem was heu¬
II. [ 4 ][50] te geſchehen, kann es Ihnen an Stoff dazu
nicht fehlen.“


Sie halten alſo meine Angaben durchaus
fuͤr falſch? ... Sie ſehen in mir den verlau¬
fenen Moͤnch Medardus? — So frug ich; der
Richter ſagte mit einer leichten Verbeugung:
Adieu, Herr von Krczinski! und man brachte
mich in den Kerker zuruͤck.


Die Worte des Richters durchbohrten
mein Innres wie gluͤhende Stacheln. Alles
was ich vorgegeben, kam mir ſeicht und ab¬
geſchmackt vor. Daß die Perſon, der ich
entgegengeſtellt werden, und die ich ſo ſchwer
zu fuͤrchten haben ſollte, Aurelie ſeyn mußte,
war nur zu klar. Wie ſollt' ich das ertra¬
gen! Ich dachte nach, was unter meinen
Sachen wohl verdaͤchtig ſeyn koͤnne, da fiel
es mir ſchwer auf's Herz, daß ich noch aus
jener Zeit meines Aufenthaltes auf dem
Schloſſe des Barons von F. einen Ring mit
Euphemiens Namen beſaß, ſo wie, daß Vik¬
torins Felleiſen, das ich auf meiner Flucht
[51] mit mir genommen, noch mit dem Capuzi¬
ner-Strick war! — Ich hielt
mich fuͤr verloren! — Verzweifelnd rannte ich
den Kerker auf und ab. Da war es, als fluͤſterte,
als ziſchte es mir in die Ohren: Du Thor,
was verzagſt du? denkſt du nicht an Vikto¬
rin? — Laut rief ich: Ha! nicht verloren, ge¬
wonnen iſt das Spiel. Es arbeitete und
kochte in meinem Innern! — Schon fruͤher
hatte ich daran gedacht, daß unter Euphe¬
miens Papieren ſich wohl etwas gefunden
haben muͤſſe, was auf Viktorins Erſcheinen
auf dem Schloſſe als Moͤnch hindeute. Da¬
rauf mich ſtuͤtzend, wollte ich auf irgend eine
Weiſe ein Zuſammentreffen mit Viktorin, ja
ſelbſt mit dem Medardus fuͤr den man mich
hielt, vorgeben; jenes Abentheuer auf dem
Schloſſe, das ſo fuͤrchterlich endete, als von
Hoͤrenſagen erzaͤhlen, und mich ſelbſt, mei¬
ne Aehnlichkeit mit jenen Beiden, auf unſchaͤd¬
liche Weiſe geſchickt hinein verflechten. Der
kleinſte Umſtand mußte reiflich erwogen wer¬
[52] den; aufzuſchreiben beſchloß ich daher den
Roman, der mich retten ſollte! — Man [be¬
willigte]
mir die Schreibematerialien, die
ich forderte, um ſchriftlich noch manchen ver¬
ſchwiegenen Umſtand meines Lebens zu eroͤr¬
tern. Ich arbeitete mit Anſtrengung bis in
die Nacht hinein; im Schreiben erhizte ſich
meine Fantaſie, alles formte ſich wie eine
geruͤndete Dichtung, und feſter und feſter
ſpann ſich das Gewebe endloſer Luͤgen, wo¬
mit ich dem Richter die Wahrheit zu ver¬
ſchleiern hoffte.


Die Burgglocke hatte zwoͤlfe geſchlagen,
als ſich wieder leiſe und entfernt das Pochen
vernehmen ließ, das mich geſtern ſo verſtoͤrt
hatte. — Ich wollte nicht darauf achten, aber
immer lauter pochte es in abgemeſſenen Schlaͤ¬
gen, und dabei fing es wieder an, dazwiſchen
zu lachen und zu aͤchzen. — Stark auf dem
Tiſch ſchlagend, rief ich laut: Still ihr da
drunten! und glaubte mich ſo von dem Grau¬
en, das mich befing, zu ermuthigen; aber da
[53] lachte es gellend und ſchneidend durch das
Gewoͤlbe, und ſtammelte: Bruͤ-der-lein, Bruͤ¬
der-lein ... zu dir her-auf ... herauf ... ma-
mach auf ... mach auf! — Nun begann es dicht
neben mir im Fußboden zu ſchaben, zu raſſeln
und zu kratzen, und immer wieder lachte es und
aͤchzte; ſtaͤrker und immer ſtaͤrker wurde das Ge¬
raͤuſch, das Raſſeln, das Kratzen — dazwiſchen
dumpfdroͤhnende Schlaͤge wie das Fallen ſchwe¬
rer Maſſen. — Ich war aufgeſtanden, mit der
Lampe in der Hand. Da ruͤhrte es ſich un¬
ter meinem Fuß, ich ſchritt weiter und ſah,
wie an der Stelle, wo ich geſtanden, ſich
ein Stein des Pflaſters losbroͤckelte. Ich er¬
faßte ihn, und hob ihn mit leichter Muͤhe
vollends heraus. Ein duͤſtrer Schein brach
durch die Oeffnung, ein nackter Arm mit ei¬
nem blinkenden Meſſer in der Hand ſtreckte
ſich mir entgegen. Von tiefem Entſetzen durch¬
ſchauert bebte ich zuruͤck. Da ſtammelte es
von unten herauf: Bruͤ-der-lein! Bruͤ-der¬
lein, Medar-dus iſt da-da, herauf ... nimm,
[54] nimm! ... brich ... brich ... in den Wa-Wald
... in den Wald! — Schnell dachte ich Flucht
und Rettung; alles Grauen uͤberwunden, er¬
griff ich das Meſſer, das die Hand mir wil¬
lig ließ, und fing an, den Moͤrtel zwiſchen
den Steinen des Fußbodens aͤmſig wegzu¬
brechen. Der, der unten war, druͤckte wak¬
ker herauf. Vier, fuͤnf Steine lagen zur
Seite weggeſchleudert, da erhob ſich ploͤtzlich
ein nackter Menſch bis an die Huͤften aus
der Tiefe empor und ſtarrte mich geſpenſtiſch
an mit des Wahnſinns grinſendem, entſetzli¬
chem Gelaͤchter. Der volle Schein der Lam¬
pe fiel auf das Geſicht — ich erkannte mich
ſelbſt — mir vergingen die Sinne. — Ein
empfindlicher Schmerz an den Armen weckte
mich aus tiefer Ohnmacht! — hell war es
um mich her, der Kerkermeiſter ſtand mit
einer blendenden Leuchte vor mir, Kettenge¬
raſſel und Hammerſchlaͤge hallten durch das
Gewoͤlbe. Man war beſchaͤftigt, mich in Feſ¬
ſeln zu ſchmieden. Außer den Hand- und
[55] Fußſchellen wurde ich mittelſt eines Ringes
um den Leib und einer daran befeſtigten Ket¬
te an die Mauer gefeſſelt. „Nun wird es
der Herr wohl bleiben laſſen, an das Durch¬
brechen zu denken, ſagte der Kerkermeiſter.“ —
„Was hat denn der Kerl eigentlich gethan?“
frug ein Schmiedeknecht. „Ei, erwiederte der
Kerkermeiſter: weißt du denn das nicht, Joſt?
... die ganze Stadt iſt ja davon voll. 's iſt
ein verfluchter Capuziner, der drei Menſchen
ermordet hat. Sie haben's ſchon ganz her¬
aus. In wenigen Tagen haben wir große
Galla, da werden die Raͤder ſpielen.“ — Ich
hoͤrte nichts mehr, denn aufs neue entſchwan¬
den mir Sinn und Gedanken. Nur muͤhſam
erholte ich mich aus der Betaͤubung, finſter
blieb es, endlich brachen einige matte Streif¬
lichter des Tages herein in das niedrige,
kaum ſechs Fuß hohe Gewoͤlbe, in das, wie
ich jetzt zu meinem Entſetzen wahrnahm,
man mich aus meinem vorigen Kerker ge¬
bracht hatte. Mich duͤrſtete, ich griff nach
[56] dem Waſſer-Kruge, der neben mir ſtand,
feucht und kalt ſchluͤpfte es mir durch die
Hand, ich ſah eine aufgedunſene ſcheußliche
Kroͤte ſchwerfaͤllig davon huͤpfen. Voll Ekel
und Abſcheu ließ ich den Krug fahren. „Au¬
relie!“ ſtoͤhnte ich auf, in dem Gefuͤhl des
nahmenloſen Elends, das nun uͤber mich
hereingebrochen. „Und darum das armſeli¬
„ge Laͤugnen und Luͤgen vor Gericht? — alle
„gleißneriſchen Kuͤnſte des teufliſchen Heuch¬
„lers? — darum, um ein zerriſſenes, qualvol¬
„les Leben einige Stunden laͤnger zu friſten?
„Was willſt du, Wahnſinniger! Aurelien be¬
„ſitzen, die nur durch ein unerhoͤrtes Verbre¬
„chen Dein werden konnte? — denn immer¬
„dar, luͤgſt du auch der Welt deine Unſchuld
„vor, wuͤrde ſie in dir Hermogens verruch¬
„ten Moͤrder erkennen und dich tief verab¬
„ſcheuen. Elender, wahnwitziger Thor, wo
„ſind nun deine hochfliegenden Plaͤne, der
„Glaube an deine uͤberirdiſche Macht, wo¬
„mit du das Schickſal ſelbſt nach Willkuͤhr zu
[57] „lenken waͤhnteſt; nicht zu toͤdten vermagſt
„du den Wurm der an deinem Herzmark mit
„toͤdlichen Biſſen nagt, ſchmachvoll ver¬
„derben wirſt du in troſtloſem Jammer,
„wenn der Arm der Gerechtigkeit auch deiner
„ſchont.“ So, laut klagend, warf ich mich
auf das Stroh und fuͤhlte in dem Augenblick
einen Druck auf der Bruſt, der von einem
harten Koͤrper in der Buſentaſche meiner
Weſte herzuruͤhren ſchien. Ich faßte hinein,
und zog ein kleines Meſſer hervor. Nie hat¬
te ich, ſo lange ich im Kerker war, ein
Meſſer bei mir getragen, es mußte daher daſ¬
ſelbe ſeyn, das mir mein geſpenſtiſches Eben¬
bild herauf gereicht hatte. Muͤhſam ſtand
ich auf, und hielt das Meſſer in den ſtaͤrker
hereinbrechenden Lichtſtrahl. Ich erblickte
das ſilberne blinkende Heft. Unerforſchliches
Verhaͤngniß! es war daſſelbe Meſſer, womit
ich Hermogen getoͤdtet, und das ich ſeit eini¬
gen Wochen vermißt hatte. Aber nun ging
ploͤtzlich in meinem Innern, wunderbar leuch¬
[58] tend, Troſt und Rettung von der Schmach
auf. Die unbegreifliche Art wie ich das Meſ¬
ſer erhalten, war mir ein Fingerzeig der
ewigen Macht, wie ich meine Verbrechen
buͤßen, wie ich im Tode Aurelien verſoͤhnen
ſolle. Wie ein goͤttlicher Strahl im reinen
Feuer, durchgluͤhte mich nun die Liebe zu Au¬
relien, jede ſuͤndliche Begierde war von
mir gewichen. Es war mir, als ſaͤhe ich
ſie ſelbſt, wie damals, als ſie am Beichtſtuhl
in der Kirche des Capuzinerkloſters erſchien.
„Wohl liebe ich Dich, Medardus, aber Du
„verſtandeſt mich nicht! ... meine Liebe iſt
„der Tod!“ — ſo umſaͤuſelte und umfluͤſterte
mich Aureliens Stimme, und feſt ſtand mein
Entſchluß, dem Richter frei die merkwuͤrdige
Geſchichte meiner Verirrungen zu geſtehen,
und dann mir den Tod zu geben.


Der Kerkermeiſter trat herein und brach¬
te mir beſſere Speiſen, als ich ſonſt zu er¬
halten pflegte, ſo wie eine Flaſche Wein. —
„Vom Fuͤrſten ſo befohlen,“ ſprach er, indem
[59] er den Tiſch, den ihm ſein Knecht nachtrug,
deckte, und die Kette, die mich an die Wand
feſſelte, losſchloß. Ich bat ihn, dem Richter
zu ſagen, daß ich vernommen zu werden
wuͤnſche, weil ich vieles zu eroͤffnen haͤtte
was mir ſchwer auf dem Herzen liege. Er
verſprach, meinen Auftrag auszurichten, in¬
deſſen wartete ich vergebens, daß man mich
zum Verhoͤr abholen ſolle; Niemand ließ ſich
mehr ſehen, bis der Knecht, als es ſchon
ganz finſter worden, hereintrat und die am
Gewoͤlbe haͤngende Lampe anzuͤndete. In
meinem Innern war es ruhiger als jemals,
doch fuͤhlte ich mich ſehr erſchoͤpft, und ver¬
ſank bald in tiefen Schlaf. Da wurde ich
in einen langen, duͤſtern, gewoͤlbten Saal ge¬
fuͤhrt, in dem ich eine Reihe in ſchwarzen
Talaren gekleideter Geiſtlicher erblickte, die
der Wand entlang auf hohen Stuͤhlen ſaßen.
Vor ihnen, an einem mit blutrother Decke
behangenen Tiſch, ſaß der Richter, und neben
ihm ein Dominikaner im Ordenshabit. „Du
[60] biſt jetzt, ſprach der Richter mit feierlich er¬
habener Stimme: dem geiſtlichen Gericht uͤber¬
geben, da Du, verſtockter, frevelicher Moͤnch,
vergebens Deinen Stand und Namen ver¬
laͤugnet haſt. Franciskus, mit dem Kloſter-
Namen Medardus genannt, ſprich, welcher
Verbrechen biſt Du beziehen worden?“ — Ich
wollte Alles, was ich je ſuͤndhaftes und freve¬
liches begangen, offen eingeſtehen, aber zu
meinem Entſetzen war das, was ich ſprach,
durchaus nicht das, was ich dachte und ſa¬
gen wollte. Statt des ernſten, reuigen Be¬
kenntniſſes, verlor ich mich in ungereimte,
unzuſammenhaͤngende Reden. Da ſagte der
Dominikaner, rieſengroß vor mir daſtehend,
und mit graͤßlich funkelndem Blick mich durch¬
bohrend: „Auf die Folter mit Dir, Du hals¬
ſtarriger, verſtockter Moͤnch.“ Die ſeltſamen
Geſtalten rings umher erhoben ſich und ſtreck¬
ten ihre langen Arme nach mir aus, und rie¬
fen in heiſeren grauſigem Einklang: „Auf die
Folter mit ihm.“ Ich riß das Meſſer heraus
[61] und ſtieß nach meinem Herzen, aber der
Arm fuhr unwillkuͤrlich herauf! ich traf
den Hals und am Zeichen des Kreuzes ſprang
die Klinge wie in Glasſcherben, ohne mich
zu verwunden. Da ergriffen mich die Hen¬
kersknechte, und ſtießen mich hinab in ein tie¬
fes unterirdiſches Gewoͤlbe. Der Dominika¬
ner und der Richter ſtiegen mir nach. Noch
einmal forderte mich dieſer auf, zu geſtehen.
Nochmals ſtrengte ich mich an, aber in tol¬
lem Zwieſpalt ſtand Rede und Gedanke. —
Reuevoll, zerknirſcht von tiefer Schmach, be¬
kannte ich im Innern Alles — abgeſchmackt,
verwirrt, ſinnlos war, was der Mund aus¬
ſtieß. Auf den Wink des Dominikaners zo¬
gen mich die Henkersknechte nackt aus, ſchnuͤr¬
ten mir beide Arme uͤber den Ruͤcken zuſam¬
men, und hinaufgewunden fuͤhlte ich, wie die
ausgedehnten Gelenke knackend zerbroͤckeln
wollten. In heilloſem, wuͤthendem Schmerz
ſchrie ich laut auf, und erwachte. Der
Schmerz an den Haͤnden und Fuͤßen dauerte
[62] fort, er ruͤhrte von den ſchweren Ketten her,
die ich trug, doch empfand ich noch außer¬
dem einen Druck uͤber den Augen, die ich
nicht aufzuſchlagen vermochte. Endlich war
es, als wuͤrde ploͤtzlich eine Laſt mir von der
Stirn genommen, ich richtete mich ſchnell
empor, ein Dominikanermoͤnch ſtand vor mei¬
nem Strohlager. Mein Traum trat in das Le¬
ben, eiskalt rieſelte es mir durch die Adern. Un¬
beweglich, wie eine Bildſaͤule, mit uͤbereinander
geſchlagenen Armen ſtand der Moͤnch da, und
ſtarrte mich an mit den hohlen ſchwarzen Augen.
Ich erkannte den graͤßlichen Mahler, und fiel
halb ohnmaͤchtig auf mein Strohlager zu¬
ruͤck. — Vielleicht war es nur eine Taͤuſchung
der durch den Traum aufgeregten Sinne?
Ich ermannte mich, ich richtete mich auf,
aber unbeweglich ſtand der Moͤnch und ſtarrte
mich an mit den hohlen ſchwarzen Augen.
Da ſchrie ich in wahnſinniger Verzweiflung:
„Entſetzlicher [Menſch] ... hebe dich weg! ...
Nein! ... Kein Menſch, Du biſt der Wider¬
[63] ſacher ſelbſt, der mich ſtuͤrzen will in ewige
Verderbniß ... hebe dich weg, Verruchter!
hebe dich weg!“ — Armer, kurzſichtiger Thor,
ich bin nicht der, der Dich ganz unaufloͤslich
zu umſtricken ſtrebt mit ehernen Banden! —
der dich abwendig machen will dem heiligen
Werk zu dem Dich die ewige Macht berief.
— Medardus! — armer kurzſichtiger Thor!
— ſchreckbar, grauenvoll bin ich Dir erſchie¬
nen, wenn Du uͤber dem offenen Grabe ewi¬
ger Verdammniß leichtſinnig gaukelteſt. Ich
warnte Dich, aber Du haſt mich nicht verſtan¬
den! Auf! naͤhere Dich mir! der Moͤnch ſprach
alles dieſes im dumpfen Ton der tiefen, herz¬
zerſchneidendſten Klage; ſein Blick, mir ſonſt
ſo fuͤrchterlich, war ſanft und milde worden,
weicher die Form ſeines Geſichts. Eine un¬
beſchreibliche Wehmuth durchbebte mein In¬
nerſtes; wie ein Geſandter der ewigen Macht
mich aufzurichten, mich zu troͤſten im endlo¬
ſen Elend, erſchien mir der ſonſt ſo ſchreckli¬
che Mahler. — Ich ſtand auf vom Lager,
[64] ich trat ihm nahe, es war kein Fantom, ich
beruͤhrte ſein Kleid; ich kniete unwillkuͤhrlich
nieder, er legte die Hand auf mein Haupt,
wie mich ſeegnend. Da gingen in lichten
Farben herrliche Gebilde in mir auf. — Ach!
ich war in dem heiligen Walde! — ja es war
derſelbe Platz, wo, in fruͤher Kindheit, der
fremdartig gekleidete Pilger mir den wun¬
derbaren Knaben brachte. Ich wollte fort¬
ſchreiten, ich wollte hinein in die Kirche, die
ich dicht vor mir erblickte. Dort ſollte ich
(ſo war es mir) buͤßend und bereuend Ab¬
laß erhalten von ſchwerer Suͤnde. Aber
ich blieb regungslos — mein eignes Ich
konnte ich nicht erſchauen, nicht erfaſſen.
Da ſprach eine dumpfe, hohle Stimme:
der Gedanke iſt die That! — Die Traͤume ver¬
ſchwebten; es war der Maler, der jene Wor¬
te geſprochen. „Unbegreifliches Weſen, warſt
Du es denn ſelbſt? an jenem ungluͤcklichen
„Morgen in der Capuzinerkirche zu B.? in
„der Reichsſtadt, und nun?“ — Halt ein, un¬
ter[65] „terbrach mich der Mahler: ich war es, der
„uͤberall Dir nahe war, um Dich zu retten
„von Verderben und Schmach, aber Dein
„Sinn blieb verſchloſſen! Das Werk zu dem
„Du erkohren, mußt Du vollbringen zu Deinem
„eignen Heil.“ — Ach, rief ich voll Verzweif¬
„lung: warum hieltſt Du nicht meinen Arm
„zuruͤck, als ich in verruchtem Frevel je¬
„nen Juͤngling ... „Das war mir nicht ver¬
goͤnnt, fiel der Mahler ein: Frage nicht wei¬
ter! vermeſſen iſt es, vorgreifen zu wollen
dem, was die ewige Macht beſchloſſen. ...
Medardus! Du gehſt Deinem Ziel entgegen...
Morgen!“ — Ich erbebte in eiskaltem Schauer,
denn ich glaubte, den Mahler ganz zu verſte¬
hen. Er wußte und billigte den beſchloſſe¬
nen Selbſtmord. Der Mahler wankte mit
leiſem Tritt nach der Thuͤr des Kerkers.
„Wann, wann ſehe ich Dich wieder?“ — Am
Ziele! — rief er, ſich noch einmal nach
mir umwendend, feyerlich und ſtark, daß das
Gewoͤlbe droͤhnte — „Alſo Morgen?“ — Lei¬
II. [ 5 ][66] ſe drehte ſich die Thuͤre in den Angeln, der
Mahler war verſchwunden. —


So wie der helle Tag nur angebrochen,
erſchien der Kerkermeiſter mit ſeinen Knech¬
ten, die mir die Feſſeln von den wunden
Armen und Fuͤßen abloͤßten. Ich ſolle bald
zum Verhoͤr hinaufgefuͤhrt werden, hieß es.
Tief in mich gekehrt, mit dem Gedanken des
nahen Todes vertraut, ſchritt ich hinauf in
den Gerichtsſaal; mein Bekenntniß hatte ich
im Innern ſo geordnet, daß ich dem Richter
eine kurze, aber den kleinſten Umſtand mit
aufgreifende Erzaͤhlung zu machen hoffte.
Der Richter kam mir ſchnell entgegen, ich
mußte hoͤchſt entſtellt ausſehen, denn bei mei¬
nem Anblick verzog ſich ſchnell das freudige
Laͤcheln, das erſt auf ſeinem Geſicht ſchwebte,
zur Miene des tiefſten Mitleids. Er faßte
meine beiden Haͤnde und ſchob mich ſanft
in ſeinen Lehnſtuhl. Dann mich ſtarr an¬
ſchauend, ſagte er langſam und feierlich: „Herr
von Krcszinski! ich habe Ihnen frohes zu
[67] verkuͤnden! Sie ſind frei! die Unterſuchung
iſt auf Befehl des Fuͤrſten niedergeſchlagen
worden. Man hat Sie mit einer andern Per¬
ſon verwechſelt, woran Ihre ganz unglaubliche
Aehnlichkeit mit dieſer Perſon Schuld iſt.
Klar, ganz klar iſt Ihre Schuldloſigkeit dar¬
gethan! ... Sie ſind — Es ſchwirrte und
ſauſte und drehte ſich alles um mich her. —
Des Richters Geſtalt blinkte, hundertfach ver¬
vielfaͤltigt, durch den duͤſtern Nebel, Alles
ſchwand in dicker Finſterniß. — Ich fuͤhlte
endlich, daß man mir die Stirne mit ſtar¬
kem Waſſer rieb, und erholte mich aus dem
ohnmachtaͤhnlichen Zuſtande in den ich ver¬
ſunken. Der Richter las mir ein kurzes Pro¬
tokoll vor, welches ſagte, daß er mir die
Niederſchlagung des Prozeſſes bekannt ge¬
macht, und meine Entlaſſung aus dem Kerker
bewirkt habe. Ich unterſchrieb ſchweigend,
keines Wortes war ich maͤchtig. Ein unbe¬
ſchreibliches, mich im Innerſten vernichten¬
des Gefuͤhl ließ keine Freude aufkommen.


[68]

So wie mich der Richter mit recht in das
Herz dringender Gutmuͤthigkeit anblickte,
war es mir, als muͤſſe ich nun, da man an
meiner Unſchuld glaubte und mich frei laſ¬
ſen wollte, allen verruchten Frevel, den ich
begangen, frei geſtehen und dann mir das
Meſſer in das Herz ſtoßen. — Ich wollte re¬
den — der Richter ſchien meine Entfernung
zu wuͤnſchen. Ich ging nach der Thuͤre, da
kam er mir nach, und ſagte leiſe: „Nun habe
ich aufgehoͤrt Richter zu ſeyn; von dem er¬
ſten Augenblick, als ich Sie ſah, intereſſir¬
ten Sie mich auf das hoͤchſte. So ſehr, wie
(Sie werden dies ſelbſt zugeben muͤſſen) der
Schein wider Sie war, ſo wuͤnſchte ich doch
gleich, daß Sie in der That nicht der ab¬
ſcheuliche, verbrecheriſche Moͤnch ſeyn moͤch¬
ten, fuͤr den man Sie hielt. Jetzt darf ich
Ihnen zutraulich ſagen ... Sie ſind kein
Pole. Sie ſind nicht in Kwiecziczewo
geboren. Sie heißen nicht Leonard von
Krcszinski.“ — Mit Ruhe und Feſtigkeit ant¬
[69] wortete ich „Nein!“ — Und auch kein Geiſt¬
licher? — frug der Richter weiter indem er
die Augen niederſchlug, wahrſcheinlich um
mir den Blick des Inquiſitors zu erſparen.
Es wallte auf in meinem Innern. — So
hoͤren Sie denn, fuhr ich heraus — „Still,
„unterbrach mich der Richter: was ich gleich
„anfangs geglaubt und noch glaube, beſtaͤtigt
„ſich. Ich ſehe, daß hier raͤthſelhafte Um¬
„ſtaͤnde walten, und daß Sie ſelbſt mit ge¬
„wiſſen Perſonen des Hofes in ein geheim¬
„nißvolles Spiel des Schickſals verflochten
„ſind. Es iſt nicht mehr meines Berufs, tie¬
„fer einzudringen, und ich wuͤrde es fuͤr un¬
„ziemlichen Vorwitz halten, Ihnen irgend et¬
„was uͤber Ihre Perſon, uͤber Ihre wahr¬
„ſcheinlich ganz eigne Lebensverhaͤltniſſe ent¬
„locken zu wollen! — Doch, wie waͤre es,
„wenn Sie, Sich losreißend von allem
„Ihrer Ruhe Bedrohlichem, den Ort verlie¬
„ßen. Nach dem, was geſchehen, kann Ih¬
„nen ohnedies der Aufenthalt hier nicht
[70] „wohlthun.“ — So wie der Richter dieſes
ſprach, war es, als floͤhen alle finſtre
Schatten, die ſich druͤckend uͤber mich gelegt
hatten, ſchnell von hinnen. Das Leben war
wieder gewonnen, und die Lebensluſt ſtieg
durch Nerv und Adern gluͤhend in mir auf.
Aurelie! ſie dachte ich wieder, und ich ſollte
jetzt fort von dem Orte, fort von ihr? —
Tief ſeufzte ich auf: „Und ſie verlaſſen?“ —
Der Richter blickte mich im hoͤchſten Erſtau¬
nen an, und ſagte dann ſchnell: „Ach! jetzt
glaube ich klar zu ſehen! Der Himmel gebe,
Herr Leonard! daß eine ſehr ſchlimme Ah¬
nung, die mir eben jetzt recht deutlich wird,
nicht in Erfuͤllung gehen moͤge.“ — Alles hat¬
te ſich in meinem Innern anders geſtaltet.
Hin war alle Reue und wohl mochte es bei¬
nahe frevelnde Frechheit ſeyn, daß ich den Rich¬
ter mit erheuchelter Ruhe frug: „Und Sie hal¬
ten mich doch fuͤr ſchuldig?“ — „Erlauben Sie,
mein Herr! erwiederte der Richter ſehr ernſt:
daß ich meine Ueberzeugungen, die doch nur
[71] auf ein reges Gefuͤhl geſtuͤtzt ſcheinen, fuͤr
mich behalte. Es iſt ausgemittelt, nach be¬
ſter Form und Weiſe, daß Sie nicht der
Moͤnch Medardus ſeyn koͤnnen, da eben die¬
ſer Medardus ſich ſich hier befindet und von dem
Pater Cyrill, der ſich durch Ihre ganz ge¬
naue Aehnlichkeit taͤuſchen ließ, anerkannt
wurde, ja auch ſelbſt gar nicht laͤugnet, daß
er jener Capuziner ſey. Damit iſt nun Alles
geſchehen, was geſchehen konnte, um Sie von
jedem Verdacht zu reinigen, und um ſo mehr
muß ich glauben, daß Sie Sich frei von je¬
der Schuld fuͤhlen.“ — Ein Gerichtsdiener
rief in dieſem Augenblick den Richter ab und
ſo wurde ein Geſpraͤch unterbrochen, als es
eben begann mich zu peinigen.


Ich begab mich nach meiner Wohnung,
und fand alles ſo wieder; wie ich es verlaſ¬
ſen. Meine Papiere hatte man in Beſchlag
genommen, in ein Packet geſiegelt lagen ſie
auf meinem Schreibtiſche, nur Viktorins
Brieftaſche, Euphemiens Ring und den Ca¬
[72] puziner-Strick vermißte ich, meine Vermu¬
thungen im Gefaͤngniſſe waren daher richtig.
Nicht lange dauerte es, ſo erſchien ein fuͤrſt¬
licher Diener, der mit einem Handbillet des
Fuͤrſten mir eine goldene, mit koſtbaren
Steinen beſetzte Doſe [uͤberreichte]. „Es iſt
Ihnen uͤbel mitgeſpielt worden, Herr von
Krcszinski, ſchrieb der Fuͤrſt: aber weder ich
noch meine Gerichte ſind Schuld daran. Sie
ſind einem ſehr boͤſen Menſchen auf ganz
unglaubliche Weiſe aͤhnlich; alles iſt aber
nun zu Ihrem Beſten aufgeklaͤrt: Ich ſende
Ihnen ein Zeichen meines Wohlwollens und
hoffe, Sie bald zu ſehen.“ — Des Fuͤrſten
Gnade war mir eben ſo gleichguͤltig als ſein
Geſchenk; eine duͤſtre Traurigkeit, die geiſt¬
toͤdtend mein Inneres durchſchlich, war die
Folge des ſtrengen Gefaͤngniſſes; ich fuͤhlte,
daß mir koͤrperlich aufgeholfen werden muͤſſe,
und lieb war es mir daher, als der Leibarzt
erſchien. Das aͤrztliche war bald beſpro¬
chen. „Iſt es nicht, fing nun der Leibarzt
[73] an, eine beſondere Fuͤgung des Schickſals,
daß eben in dem Augenblick als man davon zu
uͤberzeugt ſeyn glaubt, daß Sie jener abſcheu¬
liche Moͤnch ſind, der in der Familie des
Barons von F. ſo viel Unheil anrichtete, die¬
ſer Moͤnch wirklich erſcheint, und Sie von
jedem Verdacht rettet?“


Ich muß verſichern, daß ich von den
naͤhern Umſtaͤnden, die meine Befreiung be¬
wirkten, nicht unterrichtet bin; nur im All¬
gemeinen ſagte mir der Richter, daß der Ca¬
puziner Medardus, dem man nachſpuͤrte,
und fuͤr den man mich hielt, ſich hier ein¬
gefunden habe.


„Nicht eingefunden hat er ſich, ſondern
hergebracht iſt er worden, feſtgebunden auf
einem Wagen, und ſeltſamer Weiſe zu der¬
ſelben Zeit, als Sie hergekommen waren.
Eben faͤllt mir ein, daß, als ich Ihnen einſt
jene wunderbaren Ereigniſſe erzaͤhlen wollte,
die ſich vor einiger Zeit an unſerm Hofe
zutrugen, ich gerade dann unterbrochen wur¬
[74] de, als ich auf den feindlichen Medardus,
Francesko's Sohn, und auf ſeine verruchte
That im Schloſſe des Barons von F. gekom¬
men war. Ich nehme den Faden der Be¬
gebenheit da wieder auf, wo er damals ab¬
riß. — Die Schweſter unſerer Fuͤrſtin, wie
Sie wiſſen, Aebtiſſin im Ciſterzienſer-Klo¬
ſter zu B. nahm einſt freundlich eine arme
Frau mit einem Kinde auf, die von der Pil¬
gerfahrt nach der heiligen Linde wiederkehrte.“


Die Frau war Francesko's Wittwe, und
der Knabe eben der Medardus.


„Ganz Recht, aber wie kommen Sie dazu,
dies zu wiſſen?“


Auf die ſeltſamſte Weiſe ſind mir die
geheimnißvollen Lebensumſtaͤnde des Capuzi¬
ners Medardus bekannt worden. Bis zu
dem Augenblick, als er aus dem Schloß des
Barons von F. entfloh, bin ich von dem,
was ſich dort zutrug, genau unterrichtet.


„Aber wie? ... von wem“ ...


[75]

Ein lebendiger Traum hat mir Alles
dargeſtellt.


„Sie ſcherzen?“


Keinesweges. Es iſt mir wirklich ſo,
als haͤtte ich traͤumend die Geſchichte eines
Ungluͤcklichen gehoͤrt, der, ein Spielwerk
dunkler Maͤchte, hin und her geſchleudert und
von Verbrechen zu Verbrechen getrieben
wurde. In dem ...tzer Forſt hatte mich auf
der Reiſe hierher der Poſtillon irre gefah¬
ren; ich kam in das Foͤrſterhaus, und dort...
„Ha! ich verſtehe Alles, dort trafen Sie
den Moͤnch an“ ...


So iſt es, er war wahnſinnig.
„Er ſcheint es nicht mehr zu ſeyn. Schon
damals hatte er lichte Stunden und vertrau¬
te Ihnen Alles?“ ...


Nicht gerade zu. In der Nacht
trat er, von meiner Ankunft im Foͤrſter¬
hauſe nicht unterrichtet, in mein Zimmer.
Ich, mit der treuen beiſpielloſen Aehnlich¬
keit, war ihm furchtbar. Er hielt mich
[76] fuͤr ſeinen Doppeltgaͤnger, deſſen Erſcheinung
ihm den Tod verkuͤnde. — Er ſtammelte —
ſtotterte Bekenntniſſe her — unwillkuͤrlich
uͤbermannte mich, von der Reiſe ermuͤdet,
der Schlaf; es war mir, als ſpreche der
Moͤnch nun ruhig und gefaßt weiter, und
ich weiß in der That jetzt nicht, wo und
wie der Traum eintrat. Es duͤnkt mich,
daß der Moͤnch behauptete, nicht er habe
Euphemie und Hermogen getoͤdtet, ſondern
beider Moͤrder, ſey der Graf Viktorin —


„Sonderbar, hoͤchſt ſonderbar, aber wa¬
rum verſchwiegen Sie das Alles dem Rich¬
ter?“


Wie konnte ich hoffen, daß der Richter
auch nur einiges Gewicht auf eine Erzaͤhlung
legen werde, die ihm ganz abentheuerlich
klingen mußte. Darf denn uͤberhaupt ein
erleuchtetes Criminalgericht an das Wunder¬
bare glauben?


„Wenigſtens haͤtten Sie aber doch gleich
ahnen, daß man Sie mit dem wahnſinnigen
[77] Moͤnch verwechsle und dieſen als den Capu¬
ziner Medardus bezeichnen ſollen?“


Freilich — und zwar nachdem mich ein
alter bloͤder Greis, ich glaube er heißt Cy¬
ryllus, durchaus fuͤr ſeinen Kloſterbruder
halten wollte. Es iſt mir nicht eingefallen,
daß der wahnſinnige Moͤnch eben der Me¬
dardus, und das Verbrechen, das er mir
bekannte, Gegenſtand des jetzigen Prozeſſes
ſeyn koͤnne. Aber, wie mir der Foͤrſter ſagte,
hatte er ihm niemals ſeinen Namen genannt
— wie kam man zur Entdeckung?


„Auf die einfachſte Weiſe. Der Moͤnch
hatte ſich, wie Sie wiſſen, einige Zeit bei
dem Foͤrſter aufgehalten; er ſchien geheilt,
aber aufs neue brach der Wahnſinn ſo ver¬
derblich aus, daß der Foͤrſter ſich genoͤthigt
ſah, ihn hierher zu ſchaffen, wo er in das
Irrenhaus eingeſperrt wurde. Dort ſaß er
Tag und Nacht mit ſtarrem Blick, ohne Re¬
gung, wie eine Bildſaͤule. Er ſprach kein
Wort und mußte gefuͤttert werden, da er
[78] keine Hand bewegte. Verſchiedene Mittel,
ihn aus der Starrſucht zu wecken, blieben
fruchtlos, zu den ſtaͤrkſten durfte man nicht
ſchreiten, ohne Gefahr ihn wieder in wilde
Raſerei zu ſtuͤrzen. Vor einigen Tagen kommt
des Foͤrſters aͤlteſter Sohn nach der Stadt,
er geht in das Irrenhaus um den Moͤnch
wieder zu ſehen. Ganz erfuͤllt von dem troſt¬
loſen Zuſtande des Ungluͤcklichen, tritt er aus
dem Hauſe, als eben der Pater Cyrillus
aus dem Capuzinerkloſter in B. voruͤberſchrei¬
tet. Den redet er an, und bittet ihn, den
ungluͤcklichen, hier eingeſperrten Kloſterbru¬
der zu beſuchen, da ihm Zuſpruch eines
Geiſtlichen ſeines Ordens vielleicht heilſam
ſeyn koͤnne. Als Cyrillus den Moͤnch erblickt,
faͤhrt er entſetzt zuruͤck. „Heilige Mutter
„Gottes! Medardus, ungluͤckſeliger Medar¬
„dus!“ So ruft Cyrillus, und in dem Augen¬
blick beleben ſich die ſtarren Augen des
Moͤnchs. Er ſteht auf, und faͤllt mit einem
dumpfen Schrei kraftlos zu Boden. — Cy¬
[79] rillus, mit den Uebrigen die bei dem Ereig¬
niß zugegen waren, geht ſofort zum Praͤſi¬
denten des Criminal-Gerichts, und zeigt Al¬
les an. Der Richter, dem die Unterſuchun¬
gen wider Sie uͤbertragen, begiebt ſich mit
Cyrillus nach dem Irrenhauſe; man findet
den Moͤnch ſehr matt, aber frei von allem
Wahnſinn. Er geſteht ein, daß er der Moͤnch
Medardus aus dem Capuzinerkloſter in B.
ſey. Cyrillus verſicherte ſeiner Seits, daß
Ihre unglaubliche Aehnlichkeit mit Medar¬
dus ihn getaͤuſcht habe. Nun bemerke er
wohl, wie Herr Leonard ſich in Sprache,
Blick, Gang und Stellung ſehr merklich
von dem Moͤnch Medardus, den er nun vor
ſich ſehe, unterſcheide. Man entdeckte auch
das bedeutende Kreuzeszeichen an der linken
Seite des Halſes, von dem in Ihrem Pro¬
zeß ſo viel Aufhebens gemacht worden iſt.
Nun wird der Moͤnch uͤber die Begebenheiten
auf dem Schloſſe des Barons von F. be¬
fragt. — „Ich bin ein abſcheuliger, verruch¬
[80] „ter Verbrecher, ſagt er mit matter, kaum ver¬
„nehmbarer Stimme: ich bereue tief, was ich
„gethan. — Ach ich ließ mich um mein Selbſt,
„um meine unſterbliche Seele betruͤgen! ...
„Man habe Mitleiden! ... man laſſe mir Zeit ...
„Alles ... alles will geſtehen.“ — Der Fuͤrſt,
unterrichtet, befiehlt ſofort den Prozeß wider
Sie aufzuheben und Sie der Haft zu ent¬
laſſen. Das iſt die Geſchichte Ihrer Befrei¬
ung. — Der Moͤnch iſt nach dem Criminal-
Gefaͤngniß gebracht worden.“


Und hat Alles geſtanden? Hat er Eu¬
phemien, Hermogen ermordet? wie iſt es mit
dem Grafen Viktorin? ...


„So viel wie ich weiß, faͤngt der eigent¬
liche Criminalprozeß wider den Moͤnch erſt
heute an. Was aber den Grafen Viktorin
betrifft, ſo ſcheint es, als wenn nun einmal
Alles was nur irgend mit jenen Ereigniſſen
an unſerm Hofe in Verbindung ſteht, dunkel
und unbegreiflich bleiben muͤſſe.“


Wie die Ereigniſſe auf dem Schloſſe
[81] des Barons von F. aber mit jener Kataſtro¬
phe an Ihrem Hofe ſich verbinden ſollen,
ſehe ich in der That nicht ein.


„Eigentlich meinte ich auch mehr die
ſpielenden Perſonen, als die Begebenheit.“


Ich verſtehe Sie nicht.


„Erinnern Sie Sich genau meiner Er¬
zaͤhlung jener Kataſtrophe, die dem Prinzen
den Tod brachte!“


Allerdings.


„Iſt es Ihnen dabei nicht voͤllig klar
worden, daß Francesko verbrecheriſch die
Italienerin liebte? daß er es war, der vor
dem Prinzen in die Brautkammer ſchlich,
und den Prinzen niederſtieß? — Viktorin iſt
die Frucht jener frevelichen Unthat. — Er
und Medardus ſind Soͤhne Eines Vaters.
Spurlos iſt Viktorin verſchwunden, Alles
Nachforſchen blieb vergebens.“


Der Moͤnch ſchleuderte ihn hinab in
den Teufels Grund. Fluch dem wahnſinni¬
gen Brudermoͤrder! —


II. [ 6 ][82]

Leiſe — leiſe ließ ſich in dem Augenblick,
als ich heftig dieſe Worte ausſties, jenes
Klopfen des geſpenſtiſchen Unholds aus dem
Kerker hoͤren. Vergebens ſuchte ich das
Grauſen zu bekaͤmpfen, welches mich ergriff.
Der Arzt ſchien ſo wenig das Klopfen als
meinen innern Kampf zu bemerken. Er fuhr
fort: „Was? ... Hat der Moͤnch Ihnen ge¬
ſtanden, daß auch Viktorin durch ſeine Hand
fiel?“


Ja! ... Wenigſtens ſchließe ich aus ſei¬
nen abgebrochenen Aeußerungen, halte ich
damit Viktorins Verſchwinden zuſammen,
daß ſich die Sache wirklich ſo verhaͤlt. Fluch
dem wahnſinnigen Brudermoͤrder! — Staͤrker
klopfte es, und ſtoͤhnte und aͤchzte; ein feines
Lachen, daß durch die Stube pfiff, klang wie
Medardus ... Medardus ... hi ... hi ... hi
hilf! — Der Arzt, ohne das zu bemerken,
fuhr fort:


„Ein beſonderes Geheimniß ſcheint noch
auf Francesko's Herkunft zu ruhen. Er iſt
[83] hoͤchſt wahrſcheinlich dem fuͤrſtlichen Hauſe
verwandt. So viel iſt gewiß, daß Euphe¬
mie die Tochter ...“


Mit einem entſetzlichen Schlage, daß die
Angeln zuſammen krachten, ſprang die Thuͤr
auf, ein ſchneidendes Gelaͤchter gellte herein.
„Ho ho ... ho ... ho Bruͤderlein, ſchrie ich
wahnſinnig auf: hoho ... hieher ... friſch
friſch, wenn du kaͤmpfen willſt mit mir ...
der Uhu macht Hochzeit; nun wollen wir
auf das Dach ſteigen und ringen mit einan¬
der, und wer den andern herabſtoͤßt, iſt Koͤ¬
nig und darf Blut trinken.“ — „Der Leibarzt
faßte mich in die Arme und rief: Was iſt
das? was iſt das? Sie ſind krank ... in
der That, gefaͤhrlich krank. Fort, fort, zu
Bette.“ — Aber ich ſtarrte nach der offnen
Thuͤre, ob mein ſcheuslicher Doppeltgaͤnger
nicht herein treten werde, doch ich erſchaute
nichts und erholte mich bald von dem wil¬
den Entſetzen, das mich gepackt hatte, mit
eiskalten Krallen. Der Leibarzt beſtand da¬
[84] rauf, daß ich kraͤnker ſey, als ich ſelbſt wohl
glauben moͤge, und ſchob alles auf den Ker¬
ker und die Gemuͤthsbewegung, die mir
uͤberhaupt der Prozeß verurſacht haben muͤſ¬
ſe. Ich brauchte ſeine Mittel, aber mehr
als ſeine Kunſt trug zu meiner ſchnellen Ge¬
neſung bei, daß das Klopfen ſich nicht mehr
hoͤren ließ, der furchtbare Doppeltgaͤnger
mich daher ganz verlaſſen zu haben ſchien.


Die Fruͤhlingsſonne warf eines Morgens
ihre goldnen Strahlen hell und freundlich in
mein Zimmer, ſuͤße Blumenduͤfte ſtroͤmten
durch das Fenſter; hinaus ins Freie trieb mich
ein unendlich Sehnen, und des Arztes Verbot
nicht achtend, lief ich fort in den Park. —
Da begruͤßten Baͤume und Buͤſche rauſchend
und fluͤſternd den von der Todeskrankheit Ge¬
neſenen. Ich athmete auf, wie aus langem
ſchwerem Traum erwacht, und tiefe Seuf¬
zer waren des Entzuͤckens unausſprechbare
Worte, die ich hineinhauchte in das Gejauch¬
[85] ze der Voͤgel, in das froͤhliche Sumſen und
Schwirren bunter Inſekten.


Ja! — ein ſchwerer Traum duͤnkte mir,
nicht nur die letzt vergangene Zeit, ſondern
mein ganzes Leben, ſeitdem ich das Kloſter
verlaſſen, als ich mich in einem von dunk¬
len Platanen beſchatteten Gange befand. —
Ich war im Garten der Capuziner zu B.
Aus dem fernen Gebuͤſch ragte ſchon das
hohe Kreuz hervor, an dem ich ſonſt oft
mit tiefer Inbrunſt flehte, um Kraft, aller
Verſuchung zu widerſtehen. — Das Kreuz
ſchien mir nun das Ziel zu ſeyn, wo ich
hinwallen muͤſſe, um, in den Staub niederge¬
worfen, zu bereuen und zu buͤßen den Fre¬
vel ſuͤndhafter Traͤume, die mir der Satan
vorgegaukelt; [und] ich ſchritt fort mit gefal¬
teten emporgehobenen Haͤnden, den Blick
nach dem Kreuz gerichtet. — Staͤrker und
ſtaͤrker zog der Luftſtrom — ich glaubte die
Hymnen der Bruͤder zu vernehmen, aber es
waren nur des Waldes wunderbare Klaͤnge,
[86] die der Wind, durch die Baͤume ſauſend, ge¬
weckt hatte, und der meinen Athem fort¬
riß, ſo daß ich bald erſchoͤpft ſtill ſtehen,
ja mich an einen nahen Baum feſt halten
mußte, um nicht nieder zu ſinken. Doch
hin zog es mich mit unwiderſtehlicher Ge¬
walt nach dem fernen Kreuz; ich nahm alle
meine Kraft zuſammen und wankte weiter
fort, aber nur bis an den Moosſitz dicht vor
dem Gebuͤſch konnte ich gelangen; alle Glie¬
der laͤhmte ploͤtzlich toͤdliche Ermattung; wie
ein ſchwacher Greis, ließ ich langſam mich
nieder und in dumpfem Stoͤhnen ſuchte ich
die gepreßte Bruſt zu erleichtern. — Es rauſch¬
te im Gange dicht neben mir ... Aurelie!
So wie der Gedanke mich durchblitzte, ſtand
ſie vor mir! — Thraͤnen inbruͤnſtiger Weh¬
muth quollen aus den Himmels-Augen, aber
durch die Thraͤnen funkelte ein zuͤndender
Strahl; es war der unbeſchreibliche Aus¬
druck der gluͤhendſten Sehnſucht, der Aure¬
lien fremd ſchien. Aber ſo flammte der Lie¬
[87] besblick jenes geheimnißvollen Weſens am
Beichtſtuhl, das ich oft in ſuͤßen Traͤumen
ſah. „Koͤnnen Sie mir jemals verzeihen!“
lispelte Aurelie. Da ſtuͤrzte ich wahnſinnig
vor namenloſem Entzuͤcken vor ihr hin, ich
ergriff ihre Haͤnde! — „Aurelie ... Aurelie
... fuͤr Marter! ... Tod!“ Ich fuͤhlte mich
ſanft emporgehoben — Aurelie ſank an mei¬
ne Bruſt, ich ſchwelgte in gluͤhenden
Kuͤſſen. Aufgeſchreckt durch ein nahes Ge¬
raͤuſch, wand ſie ſich endlich los aus meinen
Armen, ich durfte ſie nicht zuruͤckhalten.
„Erfuͤllt iſt all' mein Sehnen und Hoffen“
ſprach ſie leiſe, und in dem Augenblick ſah'
ich die Fuͤrſtin den Gang heraufkommen. Ich
trat hinein in das Gebuͤſch, und wurde nun
gewahr, daß ich wunderlicher Weiſe einen
duͤrren grauen Stamm fuͤr ein Cruzifix ge¬
halten.


Ich fuͤhlte keine Ermattung mehr, Aure¬
liens Kuͤße durchgluͤhten mich mit neuer Le¬
benskraft; es war mir, als ſey jetzt hell und
[88] herrlich das Geheimniß meines Seyns auf¬
gegangen. Ach, es war das wunderbare Ge¬
heimniß der Liebe, das ſich nun erſt in rein
ſtrahlender Glorie mir erſchloſſen. Ich ſtand
auf dem hoͤchſten Punkt des Lebens; abwaͤrts
mußte es ſich wenden, damit ein Geſchick er¬
fuͤllt werde, das die hoͤhere Macht beſchloſ¬
ſen. — Dieſe Zeit war es, die mich wie ein
Traum aus dem Himmel umfing, als ich
das aufzuzeichnen begann, was ſich nach Au¬
reliens Wiederſehen mit mir begab. Dich
Fremden, Unbekannten! der du einſt dieſe
Blaͤtter leſen wirſt, bat ich, du ſollteſt jene
hoͤchſte Sonnenzeit deines eigenen Lebens zu¬
ruͤckrufen, dann wuͤrdeſt du den troſtloſen
Jammer des in Reue und Buße ergrauten
Moͤnchs verſtehen und einſtimmen in ſeine
Klagen. Noch einmal bitte ich dich jetzt,
laß jene Zeit im Innern dir aufgehen, und
nicht darf ich dann dir's ſagen: wie Aure¬
liens Liebe mich und Alles um mich her ver¬
klaͤrte, wie reger und lebendiger mein Geiſt
[89] das Leben im Leben erſchaute und ergriff,
wie mich, den goͤttlich begeiſterten, die Freu¬
digkeit des Himmels erfuͤllte. Kein finſtrer
Gedanke ging durch meine Seele, Aureliens
Liebe hatte mich entſuͤndigt, ja! auf wunder¬
bare Weiſe keimte in mir die feſte Ueberzeu¬
gung auf, daß nicht ich jener ruchloſe Frev¬
ler auf dem Schloſſe des Barons von F. war,
der Euphemien — Hermogen erſchlug, ſon¬
dern, daß der wahnſinnige Moͤnch, den ich
im Foͤrſterhauſe traf, die That begangen.
Alles, was ich dem Leibarzt geſtand, ſchien
mir nicht Luͤge, ſondern der wahre geheim¬
nißvolle Hergang der Sache zu ſeyn, der
mir ſelbſt [unbegreiflich] blieb. — Der Fuͤrſt
hatte mich empfangen, wie einen Freund,
den man verloren glaubt und wiederfin¬
det; dies gab natuͤrlicher Weiſe den Ton an,
in den Alle einſtimmen mußten, nur die Fuͤr¬
ſtin, war ſie auch milder als ſonſt, blieb
ernſt und zuruͤckhaltend.


Aurelie gab ſich mir mit kindlicher Un¬
[90] befangenheit ganz hin, ihre Liebe war ihr
keine Schuld, die ſie der Welt verbergen
mußte, und eben ſo wenig vermochte ich,
auch nur im mindeſten das Gefuͤhl zu ver¬
hehlen, in dem allein ich nur lebte. Jeder
bemerkte mein Verhaͤltniß mit Aurelien, Nie¬
mand ſprach daruͤber, weil man in des Fuͤr¬
ſten Blicken las, daß er unſre Liebe, wo
nicht beguͤnſtigen, doch ſtillſchweigend dulden
wolle. So kam es, daß ich zwanglos Au¬
relien oͤfter, manchmal auch wohl ohne Zeu¬
gen ſah. — Ich ſchloß ſie in meine Arme,
ſie erwiederte meine Kuͤſſe, aber es fuͤhlend,
wie ſie erbebte in jungfraͤulicher Scheu, konn¬
te ich nicht Raum geben der ſuͤndlichen Be¬
gierde; jeder freveliche Gedanke erſtarb in
dem Schauer, der durch mein Innres glitt.
Sie ſchien keine Gefahr zu ahnen, wirklich
gab es fuͤr ſie keine, denn oft, wenn ſie im
einſamen Zimmer neben mir ſaß, wenn
maͤchtiger als je ihr Himmelsreiz ſtralte,
wenn wilder die Liebesglut in mir auf¬
[91] flammen wollte, blickte ſie mich an ſo un¬
beſchreiblich milde und keuſch, daß es mir
war, als vergoͤnne es der Himmel dem buͤ¬
ßenden Suͤnder, ſchon hier auf Erden der
Heiligen zu nahen. Ja, nicht Aurelie, die
heilige Roſalia ſelbſt war es, und ich ſtuͤrzte
zu ihren Fuͤßen und rief laut: O du, from¬
me, hohe Heilige, darf ſich denn irdiſche
Liebe zu dir, im Herzen regen? — Dann reichte
ſie mir die Hand und ſprach mit ſuͤßer mil¬
der Stimme: Ach keine hohe Heilige bin
ich, aber wohl recht fromm, und liebe dich
gar ſehr!


Ich hatte Aurelien mehrere Tage nicht
geſehen, ſie war mit der Fuͤrſtin auf ein
nahe gelegenes Luſtſchloß gegangen. Ich er¬
trug es nicht laͤnger, ich rannte hin. — Am
ſpaͤten Abend angekommen, traf ich im
Garten auf eine Kammerfrau, die mir Au¬
reliens Zimmer nachwies. Leiſe, leiſe oͤffne¬
te ich die Thuͤr — ich trat hinein — eine
ſchwuͤle Luft, ein wunderbarer Blumenge¬
[92] ruch wallte mir ſinnebetaͤubend entgegen. Er¬
innerungen ſtiegen in mir auf, wie dunkle
Traͤume! Iſt das nicht Aureliens Zimmer
auf dem Schloſſe des Barons, wo ich... So
wie ich dies dachte, war es, als erhoͤbe ſich
hinter mir eine finſtre Geſtalt, und: Hermo¬
gen! rief es in meinem Innern! Entſetzt
rannte ich vorwaͤrts, nur angelehnt war die
Thuͤre des Cabinets. Aurelie kniete, den
Ruͤcken mir zugekehrt vor einem Tabourett
auf dem ein aufgeſchlagenes Buch lag. Voll
ſcheuer Angſt blickte ich unwillkuͤhrlich zu¬
ruͤck — ich ſchaute nichts, da rief ich im hoͤch¬
ſten Entzuͤcken: Aurelie, Aurelie! — Sie
wandte ſich ſchnell um, aber noch ehe ſie auf¬
geſtanden, lag ich neben ihr und hatte ſie feſt
umſchlungen. Leonard! mein Geliebter! —
lispelte ſie leiſe. Da kochte und gaͤhrte in
meinem Innern raſende Begier, wildes, ſuͤn¬
diges Verlangen. Sie hing kraftlos in mei¬
nen Armen; die geneſtelten Haare waren auf¬
gegangen und fielen in uͤppigen Locken uͤber
[93] meine Schultern, der jugendliche Buſen quoll
hervor — ſie aͤchzte dumpf — ich kannte
mich ſelbſt nicht mehr! — Ich riß ſie em¬
por, ſie ſchien erkraͤftigt, eine fremde Glut
brannte in ihrem Auge, feuriger erwiederte
ſie meine wuͤthenden Kuͤſſe. Da rauſchte es
hinter uns wie ſtarker, maͤchtiger Fluͤgel¬
ſchlag; ein ſchneidender Ton, wie das Angſt¬
geſchrei des zum Tode Getroffenen, gellte durch
das Zimmer. — Hermogen! ſchrie Aurelie,
und ſank ohnmaͤchtig hin aus meinen Armen.
Von wildem Entſetzen erfaßt, rannte ich
fort! — Im Flur trat mir die Fuͤrſtin, von
einem Spaziergange heimkehrend, entgegen.
Sie blickte mich ernſt und ſtolz an, indem
ſie ſprach: „Es iſt mir in der That ſehr be¬
fremdlich, Sie hier zu ſehen, Herr Leon¬
ard!“ — Meine Verſtoͤrtheit im Augenblick
bemeiſternd, antwortete ich in beinahe be¬
ſtimmterem Ton, als es ziemlich ſeyn moch¬
te: daß man oft gegen große Anregungen
vergebens ankaͤmpfe, und daß oft das un¬
[94] ſchicklich ſcheinende fuͤr das Schicklichſte gel¬
ten koͤnne! — Als ich durch die finſtre Nacht
der Reſidenz zueilte, war es mir, als liefe
jemand neben mir her, und als fluͤſtere eine
Stimme: I ... Imm ... Immer bin ich bei
Di ... Dir ... Bruͤ ... Bruͤderlein ... Bruͤ¬
derlein Medardus! — Blickte ich um mich her,
ſo merkte ich wohl, daß das Fantom des
Doppeltgaͤngers nur in meiner Fantaſie ſpu¬
ke; aber nicht los konnte ich das entſetzliche
Bild werden, ja es war mir endlich, als
muͤſſe ich mit ihm ſprechen und ihm erzaͤh¬
len, daß ich wieder recht albern geweſen ſey,
und mich habe ſchrecken laſſen, von dem tol¬
len Hermogen; die heilige Roſalia ſollte
denn nun bald mein — ganz mein ſeyn, denn
dafuͤr waͤre ich Moͤnch und habe die Weihe
erhalten. Da lachte und ſtoͤhnte mein Dop¬
peltgaͤnger, wie er ſonſt gethan, und ſtotterte:
aber ſchn ... ſchnell ... ſchnell! — „Gedulde
dich nur, ſprach ich wieder: gedulde dich
nur, mein Junge! Alles wird gut werden.
[95] Den Hermogen habe ich nur nicht gut ge¬
troffen, er hat ſolch ein verdammtes Kreuz
am Halſe, wie wir beide, aber mein flinkes
Meſſerchen iſt noch ſcharf und ſpitzig!“ — Hi
... hi hi ... tri... triff gut ... triff gut! —
So verfluͤſterte des Doppeltgaͤngers Stimme
im Sauſen des Morgenwindes, der von dem
Feuerpurpur herſtrich, welches aufbrannte
im Oſten.


Eben war ich in meiner Wohnung an¬
gekommen, als ich zum Fuͤrſten beſchieden
wurde. Der Fuͤrſt kam mir ſehr freundlich
entgegen. „In der That, Herr Leonard!
fing er an: Sie haben Sich meine Zuneigung
im hohen Grade erworben; nicht verhehlen
kann ichs Ihnen, daß mein Wohlwollen
fuͤr Sie wahre Freundſchaft geworden iſt.
Ich moͤchte Sie nicht verlieren, ich moͤchte
Sie gluͤcklich ſehen. Ueberdem iſt man Ih¬
nen fuͤr das was Sie gelitten haben, alle
nur moͤgliche Entſchaͤdigung zu gewaͤhren
ſchuldig. Wiſſen Sie wohl, Herr Leonard!
[96] wer Ihren boͤſen Prozeß einzig und allein
veranlaßte? wer ſie anklagte?“


Nein, gnaͤdigſter Herr!


„Baroneſſe Aurelie! ... Sie erſtaunen?
Ja ja, Baroneſſe Aurelie, mein Herr Leon¬
ard, die hat Sie (er lachte laut auf) die
hat Sie fuͤr einen Capuziner gehalten! —
Nun bei Gott! ſind Sie ein Capuziner, ſo
ſind Sie der liebenswuͤrdigſte, den je ein
menſchliches Auge ſah! — Sagen Sie auf¬
richtig, Herr Leonard, ſind Sie wirklich ſo
e n Stuͤck von Kloſtergeiſtlichen?“ —


Gnaͤdigſter Herr, ich weiß nicht, welch
ein boͤſes Verhaͤngniß mich immer zu dem
Moͤnch machen will, der ...


„Nun nun! — ich bin kein Inquiſitor!
— fatal waͤr's doch wenn ein geiſtliches Ge¬
luͤbde Sie baͤnde. — Zur Sache! — moͤchten
Sie nicht fuͤr das Unheil, das Baroneſſe
Aurelie Ihnen zufuͤgte, Rache nehmen?“ —


In welches Menſchen Bruſt koͤnnte
ein[97] ein Gedanke der Art gegen das holde Him¬
melsbild aufkommen?


„Sie lieben Aurelien?“


Dies frug der Fuͤrſt, mir ernſt und ſcharf
ins Auge blickend. Ich ſchwieg, indem ich
die Hand auf die Bruſt legte. Der Fuͤrſt
fuhr weiter fort:


„Ich weiß es, Sie haben Aurelien ge¬
liebt, ſeit dem Augenblick, als ſie mit der
Fuͤrſtin hier zum erſtenmal in den Saal
trat. — Sie werden wieder geliebt, und zwar
mit einem Feuer, das ich der ſanften Aure¬
lie nicht zugetraut haͤtte. Sie lebt nur in
Ihnen, die Fuͤrſtin hat mir Alles geſagt.
Glauben ſie wohl, daß nach Ihrer Verhaf¬
tung Aurelie ſich einer ganz troſtloſen, ver¬
zweifelten Stimmung uͤberließ, die ſie auf
das Krankenbett warf und dem Tode nahe
brachte? Aurelie hielt Sie damals fuͤr den
Moͤrder ihres Bruders, um ſo unerklaͤrlicher
war uns ihr Schmerz. Schon damals wur¬
den Sie geliebt. Nun, Herr Leonard, oder
II. [ 7 ][98] vielmehr Herr von Krezinski, Sie ſind von
Adel, ich fixire Sie bei Hofe auf eine Art,
die Ihnen angenehm ſeyn ſoll. Sie heira¬
then Aurelien. — In einigen Tagen feiern
wir die Verlobung, ich ſelbſt werde die
Stelle des Brautvaters vertreten.“ — Stumm,
von den widerſprechendſten Gefuͤhlen zerriſ¬
ſen ſtand ich da. — „Adieu, Herr Leonard!“
rief der Fuͤrſt und verſchwand, mir freund¬
lich zuwinkend, aus dem Zimmer.


Aurelie mein Weib! — Das Weib eines
verbrecheriſchen Moͤnchs! Nein! ſo wollen
es die dunklen Maͤchte nicht, mag auch uͤber
die Arme verhaͤngt ſeyn, was da will! —
Dieſer Gedanke erhob ſich in mir, ſiegend
uͤber alles, was ſich dagegen auflehnen moch¬
te. Irgend ein Entſchluß, das fuͤhlte ich,
mußte auf der Stelle gefaßt werden, aber
vergebens ſann ich auf Mittel, mich ſchmerz¬
los von Aurelien zu trennen. Der Gedanke
ſie nicht wieder zu ſehen, war mir unertraͤg¬
lich, aber daß ſie mein Weib werden ſollte,
[99] das erfuͤllte mich mit einem mir ſelbſt uner¬
klaͤrlichen Abſcheu. Deutlich ging in mir die
Ahnung auf, daß, wenn der verbrecheriſche
Moͤnch vor dem Altar des Herrn ſtehen
werde, um mit heiligen Geluͤbden freveliches
Spiel zu treiben, jenes fremden Mahlers
Geſtalt, aber nicht milde troͤſtend wie im
Gefaͤngniß, ſondern Rache und Verderben
furchtbar verkuͤndend, wie bei Francesko's
Trauung, erſcheinen, und mich ſtuͤrzen wer¬
de in namenloſe Schmach, in zeitliches,
ewiges Elend. Aber dann vernahm ich tief
im Innern eine dunkle Stimme: „und doch
muß Aurelie dein ſeyn! Schwachſinniger
Thor, wie gedenkſt du zu aͤndern das, was
uͤber euch verhaͤngt iſt.“ Und dann rief es
wiederum: „Nieder — nieder wirf dich in
den Staub! — Verblendeter, du frevelſt! —
nie kann ſie dein werden; es iſt die heilige
Roſalia ſelbſt, die du zu umfangen gedenkſt
in irrdiſcher Liebe.“ So im Zwieſpalt grau¬
ſer Maͤchte hin und hergetrieben, vermochte
[100] ich nicht zu denken, nicht zu ahnen, was
ich thun muͤſſe, um dem Verderben zu ent¬
rinnen, das mir uͤberall zu drohen ſchien.
Voruͤber war jene begeiſterte Stimmung, in
der mein ganzes Leben, mein verhaͤngnißvol¬
ler Aufenthalt auf dem Schloſſe des Barons
von F. mir nur ein ſchwerer Traum ſchien.
In duͤſtrer Verzagtheit ſah ich in mir nur
den gemeinen Luͤſtling und Verbrecher. Al¬
les, was ich dem Richter, dem Leibarzt ge¬
ſagt, war nun nichts, als alberne, ſchlecht
erfundene Luͤge, nicht eine innere Stimme,
hatte geſprochen, wie ich ſonſt mich ſelbſt
uͤberreden wollte.


Tief in mich gekehrt, nichts außer mir
bemerkend und vernehmend, ſchlich ich uͤber
die Straße. Der laute Zuruf des Kutſchers,
das Geraſſel des Wagens weckte mich, ſchnell
ſprang ich zur Seite. Der Wagen der Fuͤr¬
ſtin rollte voruͤber, der Leibarzt buͤckte ſich
aus dem Schlage und winkte mir freundlich
zu; ich folgte ihm nach ſeiner Wohnung.
[101] Er ſprang heraus und zog mich mit den
Worten: „Eben komme ich von Aurelien, ich
habe Ihnen manches zu ſagen!“ herauf in
ſein Zimmer. „Ei, Ei, fing er an: Sie
Heftiger, Unbeſonnener! was haben Sie an¬
gefangen. Aurelien ſind Sie erſchienen ploͤtz¬
lich, wie ein Geſpenſt, und das arme nerven¬
ſchwache Weſen iſt daruͤber erkrankt!“ — Der
Arzt bemerkte mein Erbleichen. „Nun nun,
fuhr er fort: arg iſt es eben nicht, ſie geht
wieder im Garten umher und kehrt Morgen
mit der Fuͤrſtin nach der Reſidenz zuruͤck.
Von Ihnen, lieber Leonard! ſprach Aurelie
viel, ſie empfindet herzliche Sehnſucht Sie
wieder zu ſehen, und ſich zu entſchuldigen.
Sie glaubt, Ihnen albern und thoͤrigt erſchie¬
nen zu ſeyn.“


Ich wußte, dachte ich daran, was auf
dem Luſtſchloſſe vorgegangen, Aureliens Aeu¬
ßerung nicht zu deuten.


Der Arzt ſchien von dem, was der
Fuͤrſt mit mir im Sinn hatte, unterrichtet,
[102] er gab mir dies nicht undeutlich zu verſte¬
hen, und mittelſt ſeiner hellen Lebendigkeit,
die Alles um ihn her ergriff, gelang es ihm
bald, mich aus der duͤſtern Stimmung zu
reißen, ſo daß unſer Geſpraͤch ſich heiter
wandte. Er beſchrieb noch einmal, wie er
Aurelien getroffen, die, dem Kinde gleich,
das ſich nicht von ſchweren Traum erho¬
len kann, mit halbgeſchloſſenen, in Thraͤ¬
nen laͤchelnden Augen auf dem Ruhbette, das
Koͤpfchen in die Hand geſtuͤtzt, gelegen, und
ihm ihre krankhafte Viſionen geklagt habe.
Er wiederholte ihre Worte, die durch leiſe
Seufzer unterbrochene Stimme des ſchuͤchter¬
nen Maͤdchens nachahmend, und wußte, in¬
dem er manche ihrer Klagen neckiſch genug
ſtellte, das anmuthige Bild durch einige kek¬
ke ironiſche Lichtblicke ſo zu heben, daß es
gar heiter und lebendig vor mir aufging.
Dazu kam, daß er im Contraſt die gravi¬
taͤtiſche Fuͤrſtin hinſtellte, welches mich nicht
wenig ergoͤtzte. „Haben Sie wohl gedacht,
[103] fing er endlich an: Haben Sie wohl gedacht,
als ſie in die Reſidenz einzogen, daß Ihnen
ſo viel wunderliches hier geſchehen wuͤrde?
Erſt das tolle Mißverſtaͤndniß, das Sie in
die Haͤnde des Criminal- Gerichts brachte,
und dann das wahrhaft beneidenswerthe
Gluͤck, das Ihnen der fuͤrſtliche Freund be¬
reitet!“


Ich muß in der That geſtehen, daß
gleich anfangs der freundliche Empfang des
Fuͤrſten mir wohl that; doch fuͤhle ich, wie
ſehr ich jetzt in ſeiner, in aller Achtung bei
Hofe geſtiegen bin, das habe ich gewiß meinem
erlittenen Unrecht zu verdanken.


„Nicht ſowohl dem, als einem andern
ganz kleinen Umſtande, den Sie wohl erra¬
then koͤnnen.“


Keinesweges.


„Zwar nennt man Sie, weil Sie es ſo
wollen, ſchlechtweg Herr Leonard, wie vor¬
her, jeder weiß aber jetzt, daß Sie von Adel
[104] ſind, da die Nachrichten, die man aus Po¬
ſen erhalten hat, ihre Angaben beſtaͤtigten.“


Wie kann das aber auf den Fuͤrſten,
auf die Achtung, die ich im Zirkel des Ho¬
fes genieße, von Einfluß ſeyn? Als mich der
Fuͤrſt kennen lernte und mich einlud, im Zir¬
kel des Hofes zu erſcheinen, wandte ich ein,
daß ich nur von buͤrgerlicher Abkunft ſei, da
ſagte mir der Fuͤrſt, daß die Wiſſenſchaft
mich adle und faͤhig mache, in ſeiner Umge¬
bung zu erſcheinen.


„Er haͤlt es wirklich ſo, coquettirend mit
aufgeklaͤrtem Sinn fuͤr Wiſſenſchaft und
Kunſt. Sie werden im Zirkel des Hofes
manchen buͤrgerlichen Gelehrten und Kuͤnſtler
bemerkt haben, aber die Feinfuͤhlenden unter
dieſen, denen Leichtigkeit des innern Seyns
abgeht, die ſich nicht in heitrer Ironie auf
den hohen Standpunkt ſtellen koͤnnen, der
ſie uͤber das Ganze erhebt, ſieht man nur
ſelten, ſie bleiben auch wohl ganz aus. Bei
dem beſten Willen, ſich recht vorurtheilsfrei
[105] zu zeigen, miſcht ſich in das Betragen des
Adlichen gegen den Buͤrger ein gewiſſes Et¬
was, das wie Herablaſſung, Duldung des
eigentlich unziemlichen ausſieht; das leidet
kein Mann, der im gerechten Stolz wohl
fuͤhlt, wie in adlicher Geſellſchaft oft nur er
es iſt, der ſich herablaſſen und dulden muß,
das geiſtig Gemeine und Abgeſchmackte. Sie
ſind ſelbſt von Adel, Herr Leonard, aber wie
ich hoͤre ganz geiſtlich und wiſſenſchaftlich er¬
zogen. Daher mag es kommen, daß Sie
der erſte Adliche ſind, an dem ich ſelbſt im
Zirkel des Hofes unter Adlichen auch jetzt
nichts adliches, im ſchlimmen Sinn genom¬
men, verſpuͤrt habe. Sie koͤnnten glauben,
ich ſpraͤche da, als Buͤrgerlicher, vorgefaßte
Meinungen aus, oder mir ſei perſoͤnlich et¬
was begegnet, das ein Vorurtheil erweckt
habe, dem iſt aber nicht ſo. Ich gehoͤre nun
einmal zu einer der Claſſen, die Ausnahms¬
weiſe nicht blos tolerirt, ſondern wirklich
gehegt und gepflegt werden. Aerzte und
[106] Beichtvaͤter ſind regierende Herren — Herr¬
ſcher uͤber Leib und Seele, mithin allemal
von gutem Adel. Sollten denn auch nicht
Indigeſtion und ewige Verdammniß den Cour¬
faͤhigſten etwas weniges incommodiren koͤn¬
nen? Von Beichtvaͤtern gilt das aber nur
bei den katholiſchen. Die proteſtantiſchen
Prediger, wenigſtens auf dem Lande, ſind
nur Hausoffizianten, die, nachdem ſie der
gnaͤdigen Herrſchaft das Gewiſſen geruͤhrt,
am unterſten Ende des Tiſches ſich in De¬
muth an Braten und Wein erlaben. Mag es
ſchwer ſeyn, ein eingewurzeltes Vorurtheil
abzulegen, aber es fehlt auch meiſtentheils
an gutem Willen, da mancher Adlicher ah¬
nen mag, daß nur als ſolcher er eine Stel¬
lung im Leben behaupten koͤnne, zu der ihm
ſonſt nichts in der Welt ein Recht giebt.
Der Ahnen- und Adelſtolz iſt in unſerer, al¬
les immer mehr vergeiſtigenden Zeit, eine
hoͤchſt ſeltſame, beinahe laͤcherliche Erſchei¬
nung. — Vom Ritterthum, von Krieg und
[107] Waffen ausgehend, bildet ſich eine Kaſte,
die ausſchließlich die andern Staͤnde ſchuͤtzt,
und das ſubordinirte Verhaͤltniß des Beſchuͤtz¬
ten gegen den Schutzherrn erzeugt ſich von
ſelbſt. Mag der Gelehrte ſeine Wiſſenſchaft,
der Kuͤnſtler ſeine Kunſt, der Handwerker,
der Kaufmann ſein Gewerbe ruͤhmen, ſiehe
ſagt der Ritter, da kommt ein ungebehrdi¬
ger Feind, dem ihr, des Krieges unerfahrne,
nicht zu widerſtehen vermoͤget, aber ich
Waffengeuͤbter ſtelle mich mit meinem Schlacht¬
ſchwert vor euch hin, und was mein Spiel,
was meine Freude iſt, rettet Euer Leben,
Euer Hab und Gut. — Doch immer mehr
ſchwindet die rohe Gewalt von der Erde, immer
mehr treibt und ſchafft der Geiſt, und immer
mehr enthuͤllt ſich ſeine Alles uͤberwaͤltigende
Kraft. Bald wird man gewahr, daß eine ſtarke
Fauſt, ein Harniſch, ein maͤchtig geſchwun¬
genes Schwert nicht hinreichen das zu be¬
ſiegen, was der Geiſt will; ſelbſt Krieg und
Waffenuͤbung unterwerfen ſich dem geiſtigen
[108] Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr
und mehr auf ſich ſelbſt geſtellt, aus ſeinem
innern geiſtigen Vermoͤgen muß er das ſchoͤ¬
pfen, womit er, giebt der Staat ihm auch
irgend einen blendenden aͤußern Glanz,
ſich der Welt geltend machen muß. Auf
das entgegengeſetzte Prinzip ſtuͤtzt ſich der
aus dem Ritterthum hervorgehende Ahnen¬
ſtolz, der nur in dem Satz ſeinen Grund
findet: meine Voreltern waren Helden, al¬
ſo bin ich dito ein Held. Je hoͤher das hin¬
aufgeht, deſto beſſer; denn kann man das
leicht abſehen, wo einem Großpapa der Hel¬
denſinn kommen, und ihm der Adel ver¬
liehen worden, ſo traut man dem, wie
allem Wunderbaren, das zu nahe liegt, nicht
recht. Alles bezieht ſich wieder auf [Helden¬
muth]
und koͤrperliche Kraft. Starke, ro¬
buſte Eltern haben wenigſtens in der Regel
eben dergleichen Kinder, und eben ſo vererbt
ſich kriegeriſcher Sinn und Muth. Die Rit¬
terkaſte rein zu erhalten, war daher wohl
[109] Erforderniß jener alten Ritterzeit, und kein
geringes Verdienſt fuͤr ein altſtaͤmmiges Fraͤu¬
lein, einen Junker zu gebaͤren, zu dem die
arme buͤrgerliche Welt flehte: Bitte, friß
uns nicht, ſondern ſchuͤtze uns vor andern
Junkern; mit dem geiſtigen Vermoͤgen iſt
es nicht ſo. Sehr weiſe Vaͤter erzielen oft
dumme Soͤhnchen, und es moͤchte, eben weil
die Zeit dem phyſiſchen Riterthum das pſy¬
chiſche untergeſchoben hat, Ruͤckſichts des
Beweiſes angeerbten Adels aͤngſtlicher ſeyn,
von Leibnitz abzuſtammen, als von Amadis
von Gallien oder ſonſt einem uralten Ritter
der Tafelrunde. In der einmal beſtimmten
Richtung ſchreitet der Geiſt der Zeit vor¬
waͤrts, und die Lage des ahnenſtolzen Adels
verſchlimmert ſich merklich; daher denn auch
wohl jenes taktloſe, aus Anerkennung des
Verdienſtes und widerlicher Herablaſſung ge¬
miſchte Benehmen gegen, der Welt und dem
Staat hoch geltende Buͤrgerliche, das Erzeug¬
niß eines dunkeln, verzagten Gefuͤhls ſeyn
[110] mag, in dem ſie ahnen, daß vor den Augen
der Weiſen, der veraltete Tand laͤngſt ver¬
jaͤhrter Zeit abfaͤllt, und die laͤcherliche Bloͤ¬
ße ſich ihnen frei darſtellt. Dank ſei es dem
Himmel, viele Adliche, Maͤnner und Frauen,
erkennen den Geiſt der Zeit und ſchwingen
ſich auf im herrlichen Fluge zu der Lebens¬
hoͤhe, die ihnen Wiſſenſchaft und Kunſt dar¬
bieten; dieſe werden die wahren Geiſterban¬
ner jenes Unholds ſeyn.“


Des Leibarztes Geſpraͤch hatte mich in
ein fremdes Gebiet gefuͤhrt. Niemals war
es mir eingefallen, uͤber den Adel und uͤber
ſein Verhaͤltniß zum Buͤrger zu reflektiren.
Wohl mochte der Leibarzt nicht ahnen, daß
ich ehedem eben zu der zweiten Claſſe gehoͤrt
hatte, die, nach ſeiner Behauptung, der Stolz
des Adels nicht trifft. — War ich denn nicht
in den vornehmſten adlichen Haͤuſern zu B.,
der hochgeachtete, hochverehrte Beichtiger?
— Weiter nachſinnend erkannte ich, wie ich
ſelbſt aufs neue mein Schickſal verſchlun¬
[111] gen hatte, indem aus dem Namen, Kwie¬
cziczewo, den ich jener alten Dame bei Ho¬
fe nannte, mein Adel entſprang und ſo dem
Fuͤrſten der Gedanke einkam, mich mit Aure¬
lien zu vermaͤhlen. —


Die Fuͤrſtin war zuruͤckgekommen. Ich
eilte zu Aurelien. Sie empfing mich mit
holder jungfraͤulicher Verſchaͤmtheit; ich
ſchloß ſie in meine Arme und glaubte
in dem Augenblick daran, daß ſie mein
Weib werden koͤnne. Aurelie war wei¬
cher, hingebender als ſonſt. Ihr Auge
hing voll Thraͤnen, und der Ton, indem
ſie ſprach, war wemuͤthige Bitte, ſo wie
wenn im Gemuͤth des ſchmollenden Kindes
ſich der Zorn bricht, in dem es geſuͤndigt.
— Ich durfte an meinen Beſuch im Luſt¬
ſchloß der Fuͤrſtin denken, lebhaft drang ich
darauf, alles zu erfahren; ich beſchwor Au¬
relien mir zu vertrauen, was ſie damals
ſo erſchrecken konnte. — Sie ſchwieg, ſie
[112] ſchlug die Augen nieder, aber ſo wie mich
ſelbſt der Gedanke meines graͤßlichen Dop¬
peltgaͤngers ſtaͤrker erfaßte, ſchrie ich auf:
„Aurelie! um aller Heiligen willen, welche
ſchreckliche Geſtalt erblickteſt Du hinter uns!“
Sie ſah mich voll Verwunderung an, immer
ſtarrer und ſtarrer wurde ihr Blick, dann
ſprang ſie ploͤtzlich auf, als wolle ſie fliehen,
doch blieb ſie und ſchluchzte, beide Haͤnde
vor die Augen gedruͤckt: „Nein, nein, nein —
er iſt es ja nicht!“ — Ich erfaßte ſie ſanft,
erſchoͤpft ließ ſie ſich nieder. „Wer, wer iſt
es nicht? — frug ich heftig, wohl Alles ah¬
nend, was in ihrem Innern ſich entfalten
mochte.“ — Ach, mein Freund, mein Geliebter,
ſprach ſie leiſe und wemuͤthig: wuͤrdeſt Du
mich nicht fuͤr eine wahnſinnige Schwaͤrmerin
halten, wenn ich Alles ... Alles ... dir ſagen
ſollte, was mich immer wieder ſo verſtoͤrt
im vollen Gluͤck der reinſten Liebe? — Ein
grauenvoller Traum geht durch mein Leben,
er ſtellte ſich mit ſeinen entſetzlichen Bildern
zwiſchen[113] zwiſchen uns, als ich Dich zum erſtenmale
ſah; wie mit kalten Todesſchwingen wehte
er mich an, als du ſo ploͤtzlich eintratſt in
mein Zimmer auf dem Luſtſchloß der Fuͤrſtin.
Wiſſe, ſo wie Du damals, kniete einſt ne¬
ben mir ein verruchter Moͤnch, und wollte
heiliges Gebet mißbrauchen zum graͤßlichen
Frevel. Er wurde, als er, wie ein wildes
Thier liſtig auf ſeine Beute lauernd, mich
umſchlich, der Moͤrder meines Bruders! Ach
und Du! ... Deine Zuͤge? ... Deine Spra¬
che ... jenes Bild! laß mich ſchweigen,
o laß mich ſchweigen.“ Aurelie bog ſich
zuruͤck; in halbliegender Stellung lehnte
ſie, den Kopf auf die Hand geſtuͤzt, in
die Ecke des Sophas, uͤppiger traten die
ſchwellenden Umriſſe des jugendlichen Koͤrpers
hervor. Ich ſtand vor ihr, das luͤſterne Au¬
ge ſchwelgte in dem unendlichen Liebreiz,
aber mit der Luſt kaͤmpfte der teufliſche
Hohn, der in mir rief: Du Ungluͤckſelige,
Du dem Satan erkaufte, biſt du ihm denn
II. [ 8 ][114] entflohen, dem Moͤnch, der dich im Gebet
zur Suͤnde verlockte? Nun biſt du ſeine
Braut ... ſeine Braut! — In dem Augenblick
war jene Liebe zu Aurelien, die ein Him¬
melsſtrahl zu entzuͤnden ſchien, als dem Ge¬
faͤngniß, dem Tode entronnen, ich ſie im Park
wiederſah, aus meinem Innern verſchwun¬
den, und der Gedanke: daß ihr Verderben
meines Lebens glaͤnzendſter Lichtpunkt ſeyn
koͤnne, erfuͤllte mich ganz und gar. — Man
rief Aurelien zur Fuͤrſtin. Klar wurde es
mir, daß Aureliens Leben gewiſſe mir noch
unbekannte Beziehungen auf mich ſelbſt ha¬
ben muͤſſe; und doch fand ich keinen Weg dies
zu erfahren, da Aurelie alles Bittens uner¬
achtet, jene einzelne hingeworfene Aeußer¬
ungen nicht naͤher deuten wollte. Der Zu¬
fall enthuͤllte mir das, was ſie zu verſchwei¬
gen gedachte. — Eines Tages befand ich
mich in dem Zimmer des Hofbeamten, dem
es oblag, alle Privatbriefe des Fuͤrſten und
der dem Hofe Angehoͤrigen zur Poſt zu be¬
[115] foͤrdern. Er war eben abweſend, als Aure¬
liens Maͤdchen mit einem ſtarken Briefe hin¬
eintrat, und ihn auf den Tiſch zu den uͤbri¬
gen, die ſchon dort befindlich, legte. Ein
fluͤchtiger Blick uͤberzeugte mich, daß die
Aufſchrift an die Aebtiſſin, der Fuͤrſtin
Schweſter, von Aureliens Hand war. Die
Ahnung, alles noch nicht erforſchte ſey darin
enthalten, durchflog mich mit Blitzesſchnelle;
noch ehe der Beamte zuruͤckgekehrt, war ich
fort mit dem Briefe Aureliens.


Du Moͤnch, oder im weltlichen Treiben
Befangener, der Du aus meinem Leben Leh¬
re und Warnung zu ſchoͤpfen trachteſt, lies
die Blaͤtter die ich hier einſchalte, lies die
Geſtaͤndniſſe des frommen, reinen Maͤdchens,
von den bittern Thraͤnen des reuigen, hoff¬
nungsloſen Suͤnders benezt. Moͤge das from¬
me Gemuͤth dir aufgehen, wie leuchtender
Troſt in der Zeit der Suͤnde und des Fre¬
vels.


[116]

Aurelie an die Aebtißin des Ciſter¬
zienſer Nonnenkloſters zu
....


Meine theure gute Mutter! mit welchen
Worten ſoll ich Dir's denn verkuͤnden, daß
dein Kind gluͤcklich iſt, daß endlich die grauſe
Geſtalt, die, wie ein ſchrecklich drohendes Ge¬
ſpenſt, alle Bluͤthen abſtreifend, alle Hof¬
nungen zerſtoͤrend in mein Leben trat, ge¬
bannt wurde, durch der Liebe goͤttlichen Zau¬
ber. Aber nun faͤllt es mir recht ſchwer
aufs Herz, daß wenn Du meines ungluͤckli¬
chen Bruders, meines Vaters, den der
Gram toͤdtete, gedachteſt und mich aufrichte¬
teſt in meinem troſtloſen Jammer — daß ich
dann Dir nicht, wie in heiliger Beichte, mein
Innres ganz aufſchloß. Doch ich vermag
ja auch nun erſt das duͤſtre Geheimniß aus¬
zuſprechen das tief in meiner Bruſt verbor¬
gen lag. Es iſt, als wenn eine boͤſe un¬
heimliche Macht mir mein hoͤchſtes Lebens¬
gluͤck recht truͤgeriſch wie ein grauſiges
Schreckbild vorgaukelte. Ich ſollte wie auf
[117] einem wogenden Meer hin und her ſchwan¬
ken und vielleicht rettungslos untergehen.
Doch der Himmel half, wie durch ein Wun¬
der, in dem Augenblick, als ich im Begriff
ſtand, unnennbar elend zu werden. — Ich
muß zuruͤckgehen in meine fruͤhe Kinderzeit,
um Alles, Alles zu ſagen, denn ſchon da¬
mals wurde der Keim in mein Innres gelegt,
der ſo lange Zeit hindurch verderblich fort¬
wucherte. Erſt drei oder vier Jahre war
ich alt, als ich einſt, in der ſchoͤnſten Fruͤh¬
lingszeit, im Garten unſeres Schloſſes mit
Hermogen ſpielte. Wir pfluͤckten allerlei
Blumen, und Hermogen, ſonſt eben nicht da¬
zu aufgelegt, ließ es ſich gefallen, mir Kraͤn¬
ze zu flechten, in die ich mich putzte. Nun wol¬
len wir zur Mutter gehen, ſprach ich als ich
mich uͤber und uͤber mit Blumen behaͤngt hat¬
te; da ſprang aber Hermogen haſtig auf, und
rief mit wilder Stimme: Laß uns nur hier
bleiben, klein Ding! die Mutter iſt im
blauen Cabinet und ſpricht mit dem Teufel!
[118] — Ich wußte gar nicht, was er damit ſagen
wollte, aber dennoch erſtarrte ich vor Schreck,
und fing endlich an jaͤmmerlich zu weinen.
„Dumme Schweſter, was heulſt Du, rief
Hermogen, Mutter ſpricht alle Tage mit
dem Teufel, er thut ihr nichts!“ Ich fuͤrch¬
tete mich vor Hermogen, weil er ſo finſter
vor ſich hin blickte, ſo rauh ſprach, und
ſchwieg ſtille. Die Mutter war damals ſchon
ſehr kraͤnklich, ſie wurde oft von fuͤrchterli¬
chen Kraͤmpfen ergriffen, die in einen todt¬
aͤhnlichen Zuſtand uͤbergingen. Wir, ich
und Hermogen, wurden dann fortgebracht.
Ich hoͤrte nicht auf zu klagen, aber Hermo¬
gen ſprach dumpf in ſich hinein: „der Teufel
hat's ihr angethan!“ So wurde in meinem
kindiſchen Gemuͤth der Gedanke erweckt, die
Mutter habe Gemeinſchaft mit einem boͤſen
haͤßlichen Geſpenſt, denn anders dachte ich
mir nicht den Teufel, da ich mit den Lehren
der Kirche noch unbekannt war. Eines Ta¬
ges hatte man mich allein gelaſſen, mir wur¬
[119] de ganz unheimlich zu Muthe, und vor Schreck
vermochte ich nicht zu fliehen, als ich wahr¬
nahm, daß ich eben in dem blauen Cabinet
mich befand, wo nach Hermogens Behaup¬
tung, die Mutter mit dem Teufel ſprechen
ſollte. Die Thuͤre ging auf, die Mutter
trat leichenblaß herein und vor eine leere
Wand hin. Sie rief mit dumpfer tief kla¬
gender Stimme: Francesko, Francesko! Da
rauſchte und regte es ſich hinter der Wand,
ſie ſchob ſich aus einander und das lebensgroße
Bild eines ſchoͤnen, in einem violetten Man¬
tel wunderbar gekleideten Mannes wurde
ſichtbar. Die Geſtalt, das Geſicht dieſes
Mannes machte einen unbeſchreiblichen Ein¬
druck auf mich, ich jauchzte auf vor Freude;
die Mutter umblickend, wurde nun erſt mich
gewahr und rief heftig: Was willſt Du hier
Aurelie? — wer hat Dich hieher gebracht? —
Die Mutter, ſonſt ſo ſanft und guͤtig, war
erzuͤrnter, als ich ſie je geſehen. Ich glaub¬
te daran Schuld zu ſeyn. „Ach, ſtammelte
[120] ich unter vielen Thraͤnen, ſie haben mich
hier allein gelaſſen, ich wollte ja nicht hier
bleiben. Aber als ich wahrnahm, daß das
Bild verſchwunden, da rief ich: Ach das
ſchoͤne Bild, wo iſt das ſchoͤne Bild! —
Die Mutter hob mich in die Hoͤhe, kuͤßte
und herzte mich und ſprach: „Du biſt mein
gutes, liebes Kind, aber das Bild darf nie¬
mand ſehen, auch iſt es nun auf immer fort!“
Niemand vertraute ich, was mir widerfah¬
ren, nur zu Hermogen ſprach ich einmal:
Hoͤre! die Mutter ſpricht nicht mit dem Teu¬
fel, ſondern mit einem ſchoͤnen Mann, aber
der iſt nur ein Bild, und ſpringt aus der
Wand, wenn Mutter ihn ruft. Da ſah Her¬
mogen ſtarr vor ſich hin und murmelte: „Der
Teufel kann ausſehen wie er will, ſagt der
Herr Pater, aber der Mutter thut er doch
nichts.“ — Mich uͤberfiel ein Grauen, und
ich bat Hermogen flehentlich, doch ja nicht
wieder von dem Teufel zu ſprechen. Wir
gingen nach der Hauptſtadt, das Bild ver¬
[121] lor ſich aus meinem Gedaͤchtniß und wurde
ſelbſt dann nicht wieder lebendig, als wir
nach dem Tode der guten Mutter auf das
Land zuruͤckgekehrt waren. Der Fluͤgel des
Schloſſes, in welchem jenes blaue Cabinet
gelegen, blieb unbewohnt; es waren die
Zimmer meiner Mutter, die der Vater nicht
betreten konnte, ohne die ſchmerzlichſten Er¬
innerungen in ſich aufzuregen. Eine Repa¬
ratur des Gebaͤudes machte es endlich noͤthig
die Zimmer zu oͤffnen; ich trat in das blaue
Cabinet, als die Arbeiter eben beſchaͤftiget
waren, den Fußboden aufzureißen. So
wie einer von ihnen eine Tafel in der Mit¬
te des Zimmers emporhob, rauſchte es hin¬
ter der Wand, ſie ſchob ſich aus einander,
und das lebensgroße Bild des Unbekannten
wurde ſichtbar. Man entdeckte die Feder im
Fußboden, welche, angedruͤckt, eine Maſchi¬
ne hinter der Wand in Bewegung ſetzte, die
ein Feld des Tafelwerks, womit die Wand
bekleidet, aus einander ſchob. Nun gedachte
[122] ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinder¬
jahre, meine Mutter ſtand wieder vor mir,
ich vergoß heiße Thraͤnen, aber nicht weg¬
wenden konnte ich den Blick von dem frem¬
den herrlichen Mann, der mich mit leben¬
dig ſtrahlenden Augen anſchaute. Man hatte
wahrſcheinlich meinem Vater gleich gemeldet
was ſich zugetragen, er trat herein, als ich
noch vor dem Bilde ſtand. Nur einen Blick
hatte er darauf geworfen, als er, von Entſe¬
tzen ergriffen, ſtehen blieb und dumpf in
ſich hineinmurmelte: Francesko, Francesko!
Darauf wandte er ſich raſch zu den Arbei¬
tern, und befahl mit ſtarker Stimme: „Man
breche ſogleich das Bild aus der Wand, rol¬
le es auf und uͤbergebe es Reinhold.“ Es
war mir, als ſolle ich den ſchoͤnen herrli¬
chen Mann, der in ſeinem wunderbaren Ge¬
wande mir, wie ein hoher Geiſterfuͤrſt vor¬
kam, niemals wiederſehen, und doch hielt
mich eine unuͤberwindliche Scheu zuruͤck,
den Vater zu bitten, das Bild ja nicht ver¬
[123] nichten zu laſſen. In wenigen Tagen ver¬
ſchwand jedoch der Eindruck, den der Auf¬
tritt mit dem Bilde auf mich gemacht hatte,
ſpurlos aus meinem Innern. — Ich war
ſchon vierzehn Jahr alt worden, und noch
ein wildes, unbeſonnenes Ding, ſo daß ich
ſonderbar genug gegen den ernſten feierlichen
Hermogen abſtach und der Vater oft ſagte, daß
wenn Hermogen mehr ein ſtilles Maͤdchen ſchie¬
ne, ich ein recht ausgelaſſener Knabe ſey. Das
ſollte ſich bald aͤndern. Hermogen fing an,
mit Leidenſchaft und Kraft ritterliche Uebun¬
gen zu treiben. Er lebte nur in Kampf
und Schlacht, ſeine ganze Seele war davon
erfuͤllt, und da es eben Krieg, geben ſollte,
lag er dem Vater an, ihn nur gleich Dien¬
ſte nehmen zu laſſen. Mich uͤberfiel dagegen
eben zu der Zeit eine ſolch unerklaͤrliche
Stimmung, die ich nicht zu deuten wußte,
und die bald mein ganzes Weſen verſtoͤrte.
Ein ſeltſames Uebelbefinden ſchien aus der
Seele zu kommen, und alle Lebenspulſe ge¬
[124] waltſam zu ergreifen. Ich war oft der
Ohnmacht nahe, dann kamen allerlei wun¬
derliche Bilder und Traͤume, und es war
mir, als ſolle ich einen glaͤnzenden Himmel
voll Seligkeit und Wonne erſchauen und
koͤnne nur, wie ein ſchlaftrunknes Kind, die
Augen nicht oͤffnen. Ohne zu wiſſen, wa¬
rum? konnte ich oft bis zum Tode betruͤbt,
oft ausgelaſſen froͤhlich ſeyn. Bei dem ge¬
ringſten Anlaß ſtuͤrzten mir die Thraͤnen
aus den Augen, eine unerklaͤrliche Sehnſucht
ſtieg oft bis zu koͤrperlichem Schmerz, ſo
daß alle Glieder krampfhaft zuckten. Der
Vater bemerkte meinen Zuſtand, ſchrieb ihn
uͤberreizten Nerven zu und ſuchte die Huͤlfe
des Arztes, der allerlei Mittel verordnete die
ohne Wirkung blieben. Ich weiß ſelbſt nicht
wie es kam, urploͤtzlich erſchien mir das ver¬
geſſene Bild jenes unbekannten Mannes ſo
lebhaft, daß es mir war, als ſtehe es vor
mir, Blicke des Mitleids auf mich gerichtet.
„Ach! — ſoll ich denn ſterben? — was iſt
[125] es, das mich ſo unausſprechlich quaͤlt?“ So
rief ich dem Traumbilde entgegen, da laͤchel¬
te der Unbekannte und antwortete: Du liebſt
mich, Aurelie; das iſt deine Qual, aber kannſt
Du die Geluͤbde des Gottgeweihten brechen?
— Zu meinem Erſtaunen wurde ich nun ge¬
wahr, daß der Unbekannte das Ordenskleid
der Capuziner trug. — Ich raffte mich mit
aller Gewalt auf, um nur aus dem traͤume¬
riſchen Zuſtande zu erwachen. Es gelang
mir. Feſt war ich uͤberzeugt, daß je¬
ner Moͤnch nur ein loſes truͤgeriſches Spiel
meiner Einbildung geweſen und doch ahnte
ich nur zu deutlich, daß das Geheimniß der
Liebe ſich mir erſchloſſen hatte. Ja! — ich liebte
den Unbekannten mit aller Staͤrke des erwachten
Gefuͤhls, mit aller Leidenſchaft und Inbrunſt de¬
ren das jugendliche Herz faͤhig. In jenen Au¬
genblicken traͤumeriſchen Hinbruͤtens, als ich
den Unbekannten zu ſehen glaubte, ſchien
mein Uebelbefinden den hoͤchſten Punkt er¬
reicht zu haben, ich wurde zuſehends woh¬
[126] ler, indem meine Nervenſchwaͤche nachließ,
und nur das ſtete ſtarre Feſthalten jenes Bil¬
des, die fantaſtiſche Liebe zu einem Weſen,
das nur in mir lebte, gab mir das Anſehen
einer Traͤumerin. Ich war fuͤr Alles ver¬
ſtummt, ich ſaß in der Geſellſchaft ohne
mich zu regen, und indem ich, mit meinem
Ideal beſchaͤftigt, nicht darauf achtete, was
man ſprach, gab ich oft verkehrte Antwor¬
ten, ſo daß man mich fuͤr ein einfaͤltig Ding
achten mochte. In meines Bruders Zimmer
ſah ich ein fremdes Buch auf dem Tiſche
liegen; ich ſchlug es auf, es war ein aus
dem Engliſchen uͤberſetzter Roman: Der
Moͤnch! — Mit eiskaltem Schauer durchbeb¬
te mich der Gedanke, daß der unbekannte
Geliebte ein Moͤnch ſey. Nie hatte ich ge¬
ahnt, daß die Liebe zu einem Gottgeweihten
ſuͤndlich ſeyn koͤnne, nun kamen mir ploͤtzlich
die Worte des Traumbildes ein: Kannſt du
die Geluͤbde des Gottgeweihten brechen? — und
nun erſt verwundeten ſie, mit ſchwerem Ge¬
[127] wicht in mein Innres fallend, mich tief.
Es war mir, als koͤnne jenes Buch mir
manchen Aufſchluß geben. Ich nahm es
mit mir, ich fing an zu leſen, die wunder¬
bare Geſchichte riß mich hin, aber als der
erſte Mord geſchehen, als immer verruchter
der graͤßliche Moͤnch frevelt, als er endlich
ins Buͤndniß tritt mit dem Boͤſen, da er¬
griff mich namenloſes Entſetzen, denn ich
gedachte jener Worte Hermogens: Die
Mutter ſpricht mit dem Teufel! Nun glaubte
ich, ſo wie jener Moͤnch im Roman, ſey der
Unbekannte ein dem Boͤſen Verkaufter, der
mich verlocken wolle. Und doch konnte ich
nicht gebieten der Liebe zu dem Moͤnch, der
in mir lebte. Nun erſt wußte ich, daß es
frevelhafte Liebe gebe, mein Abſcheu dage¬
gen kaͤmpfte mit dem Gefuͤhl, das meine
Bruſt erfuͤllte, und dieſer Kampf machte mich
auf eigne Weiſe reizbar. Oft bemeiſterte ſich
meiner, in der Naͤhe eines Mannes ein un¬
heimliches Gefuͤhl, weil es mir ploͤtzlich war,
[128] als ſey es der Moͤnch, der nun mich erfaſſen
und fortreißen werde ins Verderben. Rein¬
hold kam von einer Reiſe zuruͤck, und erzaͤhlte
viel von einem Capuziner Medardus, der als
Canzelredner weit und breit beruͤhmt ſey
und den er ſelbſt in . . .r mit Verwunderung
gehoͤrt habe. Ich dachte an den Moͤnch
im Roman und es uͤberfiel mich eine ſeltſa¬
me Ahnung, daß das geliebte und gefuͤrchtete
Traumbild jener Medardus ſeyn koͤnne. Der
Gedanke war mir ſchrecklich, ſelbſt wußte ich
nicht, warum? und mein Zuſtand wurde in
der That peinlicher [und] verſtoͤrter, als ich
es zu ertragen vermochte. Ich ſchwamm in
einem Meer von Ahnungen und Traͤumen.
Aber vergebens ſuchte ich das Bild des
Moͤnchs aus meinem Innern zu verbannen;
ich ungluͤckliches Kind konnte nicht widerſte¬
hen der ſuͤndigen Liebe zu dem Gottgeweih¬
ten. — Ein Geiſtlicher beſuchte einſt, wie er es
wohl manchmal zu thun pflegte, den Vater.
Er ließ ſich weitlaͤuftig uͤber die mannichfa¬
chen[129] chen Verſuchungen des Teufels aus und
mancher Funke fiel in meine Seele, indem
der Geiſtliche den troſtloſen Zuſtand des jungen
Gemuͤths beſchrieb, in das ſich der Boͤſe den
Weg bahnen wolle und worin er nur ſchwaches
Widerſtreben faͤnde. Mein Vater fuͤgte man¬
ches hinzu, als ob er von mir rede. Nur
unbegraͤnzte Zuverſicht, ſagte endlich der
Geiſtliche, nur unwandelbares Vertrauen,
nicht ſowohl zu befreundeten Menſchen, als
zur Religion und ihren Dienern, koͤnne Ret¬
tung bringen. Dies merkwuͤrdige Geſpraͤch
beſtimmte mich, den Troſt der Kirche zu ſu¬
chen, und meine Bruſt, durch reuiges Geſtaͤnd¬
niß in heiliger Beichte, zu erleichtern. Am
fruͤhen Morgen des andern Tages wollte ich,
da wir uns eben in der Reſidenz befanden,
in die dicht neben unſerm Hauſe gelegene
Kloſterkirche gehen. Es war eine qualvolle,
entſetzliche Nacht, die ich zu uͤberſtehen hat¬
te. Abſcheuliche, freveliche Bilder, wie ich
ſie nie geſehen, nie gedacht, umgaukelten
II. [ 9 ][130] mich, aber dann mitten drunter ſtand der
Moͤnch da, mir die Hand wie zur Rettung bie¬
tend und rief: Sprich es nur aus, daß Du
mich liebſt, und frei biſt Du aller Noth. Da
mußt' ich unwillkuͤhrlich rufen: Ja Medardus,
ich liebe Dich ! — und verſchwunden waren die
Geiſter der Hoͤlle! Endlich ſtand ich auf, klei¬
dete mich an, und ging nach der Kloſterkirche.


Das Morgenlicht brach eben in farbigen
Strahlen durch die bunten Fenſter, ein Lay¬
enbruder reinigte, die Gaͤnge. Unfern der
Seitenpforte, wo ich hineingetreten, ſtand
ein der heiligen Roſalia geweihter Altar,
dort hielt ich ein kurzes Gebet, und ſchritt
dann auf den Beichtſtuhl zu, in dem ich ei¬
nen Moͤnch erblickte. Hilf, heiliger Him¬
mel! — es war Medardus! Kein Zweifel
blieb uͤbrig, eine hoͤhere Macht ſagte es mir.
Da ergriff mich wahnſinnige Angſt und Lie¬
be, aber ich fuͤhlte, daß nur ſtandhafter Muth
mich retten koͤnne. Ich beichtete ihm ſelbſt
meine ſuͤndliche Liebe zu dem Gottgeweihten,
[131] ja mehr als das! ... Ewiger Gott! in dem
Augenblicke war es mir, als haͤtte ich ſchon
oft in troſtloſer Verzweiflung den heiligen
Banden, die den Geliebten feſſelten, geflucht,
und auch das beichtete ich. „Du ſelbſt, Du
ſelbſt, Medardus, biſt es, den ich ſo unaus¬
ſprechlich liebe.“ Das waren die letzten
Worte, die ich zu ſprechen vermochte, aber
nun floß lindernder Troſt der Kirche, wie
des Himmels Balſam, von den Lippen des
Moͤnchs, der mir ploͤtzlich nicht mehr Medar¬
dus ſchien. Bald darauf nahm mich ein al¬
ter ehrwuͤrdiger Pilger in ſeine Arme und
fuͤhrte mich langſamen Schrittes durch die
Gaͤnge der Kirche zur Hauptpforte hinaus.
Er ſprach hochheilige, herrliche Worte, aber ich
mußte entſchlummern wie ein unter ſanften,
ſuͤßen Toͤnen eingewiegtes Kind. Ich verlor
das Bewußtſeyn. Als ich erwachte, lag ich
angekleidet auf dem Sopha meines Zimmers.
„Gott und den Heiligen Lob und Dank, die
Criſis iſt voruͤber, ſie erholt ſich!“ rief eine
[132] Stimme. Es war der Arzt, der dieſe Worte
zu meinem Vater ſprach. Man ſagte mir,
daß man mich des Morgens in einem er¬
ſtarrten, todtaͤhnlichen Zuſtande gefunden
und einen Nervenſchlag befuͤrchtet habe.
Du ſiehſt, meine liebe, fromme Mutter, daß
meine Beichte bei dem Moͤnch Medardus
nur ein lebhafter Traum in einem uͤberreizten
Zuſtande war, aber die heilige Roſalia, zu
der ich oft flehte, und deren Bildniß ich ja
auch im Traum anrief, hat mir wohl al¬
les ſo erſcheinen laſſen, damit ich errettet
werden moͤge aus den Schlingen, die mir
der argliſtige Boͤſe gelegt. Verſchwunden
war aus meinem Innern die wahnſinnige
Liebe zu dem Trugbilde im Moͤnchsgewand.
Ich erholte mich ganz: und trat nun erſt hei¬
ter und unbefangen in das Leben ein. —
Aber, gerechter Gott, noch einmal ſollte
mich jener verhaßte Moͤnch auf entſetzliche
Weiſe bis zum Tode treffen. Fuͤr eben jenen
Medardus, dem ich im Traum gebeichtet,
[133] erkannte ich augenblicklich den Moͤnch, der
ſich auf unſerm Schloſſe eingefunden. „Das
iſt der Teufel, mit dem die Mutter geſpro¬
chen, huͤte Dich, huͤte Dich! — er ſtellt Dir
nach!“ ſo rief der ungluͤckliche Hermogen im¬
mer in mich hinein. Ach, es haͤtte dieſer
Warnung nicht bedurft. Von dem erſten
Moment an, als mich der Moͤnch mit vor
frevelicher Begier funkelnden Augen anblick¬
te, und dann in geheuchelter Verzuͤckung die
heilige Roſalia anrief, war er mir unheim¬
lich und entſetzlich. Du weißt alles fuͤrch¬
terliche, was ſich darauf begab, meine gute
liebe Mutter. Ach aber, muß ich es nicht
Dir auch geſtehen, daß der Moͤnch mir deſto
gefaͤhrlicher war, als ſich tief in meinem
Innerſten ein Gefuͤhl re te, dem gleich als
zuerſt der Gedanke der Suͤnde in mir ent¬
ſtand und als ich ankaͤmpfen mußte gegen die
Verlockung des Boͤſen? Es gab Augenblicke,
in denen ich Verblendete den heuchleriſchen
frommen Reden des Moͤnchs traute, ja in
[134] denen es mir war, als ſtrahle aus ſeinem
Innern der Funke des Himmels, der mich
zur reinen uͤberirrdiſchen Liebe entzuͤnden
koͤnne. Aber dann wußte er mit verruchter
Liſt, ſelbſt in begeiſterter Andacht, eine Glut
anzufachen, die aus der Hoͤlle kam. Wie
den mich bewachenden Schutzengel ſandten
mir dann die Heiligen, zu denen ich inbruͤn¬
ſtig flehte, den Bruder. — Denke dir, liebe
Mutter, mein Entſetzen, als hier, bald nach¬
dem ich zum erſtenmal bei Hofe erſchienen,
ein Mann auf mich zutrat, den ich auf den
erſten Blick fuͤr den Moͤnch Medardus zu
erkennen glaubte, unerachtet er weltlich ge¬
kleidet ging. Ich wurde ohnmaͤchtig, als ich
ihn ſah. In den Armen der Fuͤrſtin erwacht,
rief ich laut: Er iſt es, er iſt es, der Moͤr¬
der meines Bruders. — „Ja er iſt es, ſprach
die Fuͤrſtin: der verkappte Moͤnch Medardus
der dem Kloſter entſprang; die auffallende
Aehnlichkeit mit ſeinem Vater Francesco ...“
Hilf, heiliger Himmel, indem ich dieſen Na¬
[135] men ſchreibe, rinnen eiskalte Schauer mir
durch alle Glieder. Jenes Bild meiner Mut¬
ter war Francesco ... das truͤgeriſche Moͤnchs¬
gebilde, das mich quaͤlte, hatte ganz ſeine
Zuͤge! — Medardus, ihn erkannte ich als
jenes Gebilde in dem wunderbaren Traum
der Beichte. Medardus iſt Francesco's Sohn,
Franz, den du, meine gute Mutter, ſo fromm
erziehen ließeſt und der in Suͤnde und Fre¬
vel gerieth. Welche Verbindung hatte meine
Mutter mit jenem Francesco, daß ſie ſein
Bild heimlich aufbewahrte, und bei ſeinem
Anblick ſich dem Andenken einer ſeeligen Zeit
zu uͤberlaſſen ſchien? — Wie kam es, daß
in dieſem Bilde Hermogen den Teufel ſah,
und daß es den Grund legte zu meiner ſon¬
derbaren Verirrung? Ich verſinke in Ahnun¬
gen und Zweifel. — Heiliger Gott, bin ich
denn entronnen der boͤſen Macht, die mich
umſtrickt hielt? — Nein, ich kann nicht wei¬
ter ſchreiben, mir iſt, als wuͤrd' ich von
dunkler Nacht befangen und kein Hoffnungs¬
[136] ſtern leuchte, mir freundlich den Weg zei¬
gend, den ich wandeln ſoll!


(Einige Tage ſpaͤter.)
Nein! Keine finſtere Zweifel ſollen mir
die hellen Sonnentage verduͤſtern, die mir
aufgegangen ſind. Der ehrwuͤrdige Pater
Cyrillus hat dir, meine theure Mutter, wie
ich weiß, ſchon ausfuͤhrlich berichtet, welch
eine ſchlimme Wendung der Prozeß Leonards
nahm, den meine Uebereilung den boͤſen
Criminalgerichten in die Haͤnde gab. Daß
der wirkliche Medardus eingefangen wurde,
daß ſein vielleicht verſtellter Wahnſinn bald
ganz nachließ, daß er ſeine Frevelthaten ein¬
geſtand, daß er ſeine gerechte Strafe erwar¬
tet und ... doch nicht weiter, denn nur zu
ſehr wuͤrde das ſchmachvolle Schickſal des
Verbrechers, der als Knabe Dir ſo theuer
war, dein Herz verwunden. — Der merk¬
wuͤrdige Prozeß war das einzige Geſpraͤch
bei Hofe. Man hielt Leonard fuͤr einen ver¬
ſchmizten, hartnaͤckigen Verbrecher, weil er
[137] alles laͤugnete. — Gott im Himmel! — Dolch¬
ſtiche waren mir manche Reden, denn auf
wunderbare Weiſe ſprach eine Stimme
in mir: er iſt unſchuldig und das wird klar
werden, wie der Tag. — Ich empfand das
tiefſte Mitleid mit ihm, geſtehen mußte ich
es mir ſelbſt, daß mir ſein Bild, rief
ich es mir wieder zuruͤck, Regungen erweckte,
die ich nicht mißdeuten konnte. Ja! — ich
liebte ihn ſchon unausſprechlich, als er der
Welt noch ein frevelicher Verbrecher ſchien.
Ein Wunder mußte ihn und mich retten,
denn ich ſtarb, ſo wie Leonard durch die
Hand des Henkers fiel. Er iſt ſchuldlos,
er liebt mich, und bald iſt er ganz mein.
So geht eine dunkle Ahnung aus fruͤhen
Kindesjahren, die mir eine feindliche Macht
argliſtig zu vertruͤben ſuchte, herrlich, herrlich
auf in regen wonnigem Leben. O gieb mir, gieb
dem Geliebten Deinen Segen, Du fromme
Mutter! — Ach koͤnnte Dein gluͤckliches Kind
nur ihre volle Himmelsluſt recht ausweinen
[138] an Deinem Herzen! — Leonard gleicht ganz
jenem Francesko, nur ſcheint er groͤßer, auch
unterſcheidet ihn ein gewiſſer charakteriſtiſcher
Zug, der ſeiner Nation eigen, Du weißt
daß er ein Pole iſt) von Francesko und dem
Moͤnch Medardus ſehr merklich. Albern war
es wohl uͤberhaupt, den geiſtreichen, gewand¬
ten, herrlichen Leonard auch nur einen Au¬
genblick fuͤr einen entlaufenen Moͤnch anzu¬
ſehen. Aber ſo ſtark iſt noch der fuͤrchterli¬
che Eindruck jener graͤßlichen Szenen auf
unſerm Schloſſe, daß oft, tritt Leonard un¬
vermuthet zu mir herein und blickt mich
an mit ſeinem ſtrahlenden Auge, das, ach
nur zu ſehr jenem Medardus gleicht, mich
unwillkuͤhrliches Grauſen befaͤllt und ich
Gefahr laufe durch mein kindiſches We¬
ſen, den Geliebten zu verletzen. Mir iſt,
als wuͤrde erſt des Prieſters Seegen die fin¬
ſtere Geſtalten bannen, die noch jetzt recht
feindlich manchen Wolkenſchatten in mein
Leben werfen. Schließe mich und den Ge¬
[139] liebten in Dein frommes Gebet, meine
theure Mutter! — Der Fuͤrſt wuͤnſcht, daß
die Vermaͤhlung bald vor ſich gehe; den Tag
ſchreibe ich Dir, damit Du Deines Kindes
gedenken moͤgeſt, in ihres Lebens feierlicher,
verhaͤngnißvoller Stunde ꝛc.“


Immer und immer wieder las ich Au¬
reliens Blaͤtter. Es war, als wenn der
Geiſt des Himmels, der daraus hervorleuch¬
tete, in mein Inneres dringe und vor ſeinem
reinen Strahl alle ſuͤndliche freveliche Gluth
verloͤſche. Bei Aureliens Anblick uͤberfiel mich
heilige Scheu, ich wagte es nicht mehr, ſie
ſtuͤrmiſch zu liebkoſen, wie ſonſt. Aurelie
bemerkte mein veraͤndertes Betragen, ich ge¬
ſtand ihr reuig den Raub des Briefes an
die Aebtiſſin; ich entſchuldigte ihn mit ei¬
nem unerklaͤrlichen Drange, dem ich, wie
der Gewalt einer unſichtbaren hoͤheren Macht,
nicht widerſtehen koͤnnen, ich behauptete, daß
eben jene hoͤhere, auf mich einwirkende
Macht, mir jene Viſion am Beichtſtuhle
[140] habe kund thun wollen, um mir zu zeigen,
wie unſere innigſte Verbindung ihr ewiger
Rathſchluß ſey. „Ja, Du frommes Himmels¬
kind, ſprach ich: Auch mir ging einſt ein
wunderbarer Traum auf, indem Du mir
Deine Liebe geſtandeſt, aber ich war ein un¬
gluͤcklicher vom Geſchick zermalmter Moͤnch
deſſen Bruſt tauſend Qualen der Hoͤlle zer¬
riſſen. — Dich — Dich liebte ich mit nah¬
menloſer Inbrunſt, doch Frevel, doppelter,
verruchter Frevel war meine Liebe, denn ich
war ja ein Moͤnch, und Du die heilige Ro¬
ſalia.“ Erſchrocken fuhr Aurelie auf. „Um
Gott, ſprach ſie: Um Gott, es geht ein tie¬
fes unerforſchliches Geheimniß durch unſer
Leben; ach, Leonard, laß uns nie an dem
Schleier ruͤhren, der es umhuͤllt, wer weiß,
was grauenvolles entſetzliches dahinter ver¬
borgen. Laß uns fromm ſeyn, und feſt an
einander halten in treuer Liebe, ſo widerſte¬
hen wir der dunkeln Macht, deren Geiſter
uns vielleicht feindlich bedrohen. Daß Du
[141] meinen Brief laſeſt, das mußte ſo ſeyn;
ach! ich ſelbſt haͤtte Dir Alles erſchließen
ſollen, kein Geheimniß darf unter uns wal¬
ten. Und doch iſt es mir, als kaͤmpfteſt Du
mit manchem, was fruͤher recht verderblich
eintrat in Dein Leben und was Du nicht ver¬
moͤchteſt, uͤber die Lippen zu bringen vor
unrechter Scheu! — Sey aufrichtig, Leonard?
— Ach wie wird ein freimuͤthiges Geſtaͤnd¬
niß Deine Bruſt erleichtern, und heller unſere
Liebe ſtrahlen?“ — Wohl fuͤhlte ich bei die¬
ſen Worten Aureliens recht marternd, wie
der Geiſt des Truges in mir wohne, und
wie ich nur noch vor wenigen Augenblicken
das fromme Kind recht frevelich getaͤuſcht;
und dies Gefuͤhl regte ſich ſtaͤrker und ſtaͤr¬
ker auf in wunderbarer Weiſe, ich mußte Au¬
relien Alles — alles entdecken und doch ih¬
re Liebe gewinnen „Aurelie — Du meine
Heilige, — die mich rettet von ...“ In dem
Augenblick trat die Fuͤrſtin herein, ihr An¬
blick warf mich ploͤtzlich zuruͤck in die Hoͤlle,
[142] voll Hohn und Gedanken des Verderbens.
Sie mußte mich jetzt dulden, ich blieb, und
ſtellte mich als Aureliens Braͤutigam kuͤhn
und keck ihr entgegen. Ueberhaupt war ich
nur frei von allen boͤſen Gedanken, wenn
ich mit Aurelien allein mich befand; dann
ging mir aber auch die Seligkeit des Him¬
mels auf. Jetzt erſt wuͤnſchte ich lebhaft
meine Vermaͤhlung mit Aurelien. — In ei¬
ner Nacht ſtand lebhaft meine Mutter vor
mir, ich wollte ihre Hand ergreifen, und
wurde gewahr, daß es nur Duft ſey, der
ſich geſtaltet. Weshalb dieſe alberne Taͤu¬
ſchung, rief ich erzuͤrnt; da floſſen helle
Thraͤnen aus meiner Mutter Augen, die
wurden aber zu ſilbernen, hellblinken¬
den Sternen, aus denen leuchtende Tropfen
fielen, und um mein Haupt kreiſten, als
wollten ſie einen Heiligenſchein bilden,
doch immer zerriß eine ſchwarze fuͤrchterliche
Fauſt den Kreis. „Du, den ich rein von je¬
der Unthat geboren, ſprach meine Mutter
[143] mit ſanfter Stimme: iſt denn deine Kraft
gebrochen, daß du nicht zu widerſtehen ver¬
magſt den Verlockungen des Satans? —
Jetzt kann ich erſt Dein Innres durchſchau¬
en, denn mir iſt die Laſt des Irrdiſchen ent¬
nommen! — Erhebe dich Franciskus! ich
will dich ſchmuͤcken mit Baͤndern und Blu¬
men, denn es iſt der Tag des heiligen
Bernardus gekommen und du ſollſt wie¬
der ein frommer Knabe ſeyn!“ — Da war
es mir, als muͤſſe ich wie ſonſt einen Hym¬
nus anſtimmen zum Lobe des Heiligen, aber
entſetzlich tobte es dazwiſchen, mein Geſang
wurde ein wildes Geheul, und ſchwarze
Schleier rauſchten herab, zwiſchen mir und
der Geſtalt meiner Mutter. — Mehrere Ta¬
ge nach dieſer Viſion begegnete mir der Cri¬
minalrichter auf der Straße. Er trat freund¬
lich auf mich zu. „Wiſſen Sie ſchon, fing er
an: daß der Prozeß des Capuziners [Medar¬
dus]
wieder zweifelhaft worden? Das [Urteil]
das ihm hoͤchſt wahrſcheinlich den Tod zuer¬
[144] kannt haͤtte, ſollte ſchon abgefaßt werden,
als er aufs neue Spuren des Wahnſinns
zeigte. Das Criminalgericht erhielt nem¬
lich die Nachricht von dem Tode ſeiner Mut¬
ter; ich machte es ihm bekannt, da lachte
er wild auf und rief mit einer Stimme, die
ſelbſt dem ſtandhafteſten Gemuͤth Entſetzen
erregen konnte: „Ha ha ha! — die Prinzeſſin
von ... (er nannte die Gemahlin des ermor¬
deten Bruders unſers Fuͤrſten) iſt laͤngſt ge¬
ſtorben!“ — Es iſt jetzt eine neue aͤrztliche
Unterſuchung verfuͤgt, man glaubt jedoch,
daß der Wahnſinn des Moͤnchs verſtellt ſey.
— Ich ließ mir Tag und Stunde des Todes
meiner Mutter ſagen! ſie war mir in dem¬
ſelben Momente als ſie ſtarb erſchienen, und
tief eindringend in Sinn und Gemuͤth, war
nun auch die nur zu ſehr vergeſſene Mutter
die Mittlerin zwiſchen mir und der reinen
Himmelsſeele, die mein werden ſollte. Mil¬
der und weicher geworden, ſchien ich nun
erſt Aureliens liebe ganz zu verſtehen, ich
mochte[145] mochte ſie wie eine mich beſchirmende Heili¬
ge kaum verlaſſen, und mein duͤſteres Ge¬
heimniß wurde, indem ſie nicht mehr deshalb
in mich drang, nun ein mir ſelbſt unerforſch¬
liches, von hoͤheren Maͤchten verhaͤngtes, Er¬
eigniß. — Der von dem Fuͤrſten beſtimmte
Tag der Vermaͤhlung war gekommen. Au¬
relie wollte in erſter Fruͤhe vor dem Altar
der heiligen Roſalia, in der nahe gelegenen
Kloſterkirche, getraut ſeyn. Wachend, und nach
langer Zeit zum erſtenmal inbruͤnſtig betend,
brachte ich die Nacht zu. Ach! ich Verblen¬
deter fuͤhlte nicht, daß das Gebet, womit
ich mich zur Suͤnde ruͤſtete, hoͤlliſcher Fre¬
vel ſey! — Als ich zu Aurelien eintrat, kam
ſie mir, weißgekleidet, und mit duftenden Ro¬
ſen geſchmuͤckt, in holder Engelsſchoͤnheit ent¬
gegen. Ihr Gewand, ſo wie ihr Haarſchmuck,
hatte etwas ſonderbar alterthuͤmliches, eine
dunkle Erinnerung ging in mir auf, aber
von tiefen Schauer fuͤhlte ich mich durchbebt,
als ploͤtzlich lebhaft das Bild des Altars, an
II. [ 10 ][146] dem wir getraut werden ſollten, mir vor
Augen ſtand. Das Bild ſtellte das Marty¬
rium der heiligen Roſalia vor, und gerade
ſo wie Aurelie, war ſie gekleidet. — Schwer
wurde es mir, den grauſigen Eindruck den
dies auf mich machte, zu verbergen. Au¬
relie gab mir, mit einem Blick, aus dem
ein ganzer Himmel voll Liebe und Selig¬
keit ſtralte, die Hand, ich zog ſie an meine
Bruſt, und mit dem Kuß des reinſten Ent¬
zuͤckens, durchdrang mich aufs neue das deut¬
liche Gefuͤhl, daß nur durch Aurelie meine
Seele errettet werden koͤnne. Ein fuͤrſtli¬
cher Bedienter meldete, daß die Herrſchaft
bereit ſey, uns zu empfangen. Aurelie zog
ſchnell die Handſchuhe an, ich nahm ihren
Arm, da bemerkte das Kammermaͤdchen,
daß das Haar in Unordnung gekommen ſey,
ſie ſprang fort um Nadeln zu holen. Wir
warteten an der Thuͤre, der Aufenthalt
ſchien Aurelien unangenehm. In dem Au¬
genblick entſtand ein dumpfes Geraͤuſch auf
[147] der Straße, hohle Stimmen riefen durch ein¬
ander, und das droͤhnende Geraſſel eines
ſchweren langſam rollenden Wagens lies ſich
vernehmen. Ich eilte ans Fenſter! — Da
ſtand eben vor dem Pallaſt der vom Hen¬
kersknecht gefuͤhrte Leiterwagen, auf dem der
Moͤnch ruͤckwaͤrts ſaß, vor ihm ein Capuzi¬
ner, laut und eifrig mit ihm betend. Er
war entſtellt von der Blaͤße der Todesangſt
und dem ſtruppigen Bart — doch waren die
Zuͤge des graͤßlichen Doppeltgaͤngers mir
nur zu kenntlich. — So wie der Wagen, au¬
genblicklich gehemmt durch die andraͤngende
Volksmaſſe, wieder fortrollte, warf er den
ſtieren entſetzlichen Blick der funkelnden Au¬
gen zu mir herauf, und lachte und heulte her¬
auf: „Braͤutigam, Braͤutigam! . komm
komm aufs Dach ... aufs Dach ... da wollen
wir ringen mit einander, und wer den an¬
dern herabſtoͤßt iſt Koͤnig und darf Blut
trinken!“ Ich ſchrie auf: „entſetzlicher Menſch
... was Du was willſt Du von mir.“
[148] — Aurelie umfaßte mich mit beiden Armen,
ſie riß mich mit Gewalt vom Fenſter, ru¬
fend: „Um Gott und der heiligen Jungfrau
willen ... Sie fuͤhren den Medardus ...
den Moͤrder meines Bruders, zum Tode ...
Leonard ... Leonard!“ — Da wurden die Gei¬
ſter der Hoͤlle in mir wach, und baͤumten
ſich auf mit der Gewalt die ihnen verlie¬
hen uͤber den frevelnden verruchten Suͤnder.
— Ich erfaßte Aurelien mit grimmer Wuth,
daß ſie zuſammen zuckte: „Ha ha ha ... Wahn¬
ſinniges, thoͤriges Weib ... ich ... ich, dein
Buhle, Dein Braͤutigam, bin der Medardus
... bin Deines Bruders Moͤrder ... Du,
Braut des Moͤnchs, willſt Verderben herab¬
winſeln uͤber Deinen Braͤutigam? Ho ho
ho! ... ich bin Koͤnig ... ich trinke dein
Blut!“ — Das Mordmeſſer riß ich heraus —
ich ſtieß nach Aurelien, die ich zu Boden fal¬
len laſſen — ein Blutſtrom ſprang hervor
uͤber meine Hand. — Ich ſtuͤrzte die Trep¬
pen hinab, durch das Volk hin zum Wagen,
[149] ich riß den Moͤnch herab, und warf ihn zu
Boden; da wurde ich feſtgepackt, wuͤthend
ſtieß ich mit dem Meſſer um mich herum —
ich wurde frei — ich ſprang fort — man
drang auf mich ein, ich fuͤhlte mich in der
Seite durch einen Stich verwundet, aber
das Meſſer in der rechten Hand, und mit der
linken kraͤftige Fauſtſchlaͤge austheilend, ar¬
beitete ich mich durch bis an die nahe Mauer
des Parks, die ich mit einem fuͤrchterlichen
Satz uͤberſprang. „Mord ... Mord ... Hal¬
tet ... haltet den Moͤrder!“ riefen Stimmen
hinter mir her, ich hoͤrte es raſſeln, man
wollte das verſchloſſene Thor des Parks
ſprengen, unaufhaltſam rannte ich fort. Ich
kam an den breiten Graben, der den Park
von dem dicht dabei gelegenen Walde trenn¬
te, ein maͤchtiger Sprung — ich war hinuͤ¬
ber, und immer fort und fort rannte ich durch
den Wald, bis ich erſchoͤpft unter einem
Baume niederſank. Es war ſchon finſtre
Nacht worden, als ich, wie aus tiefer Be¬
[150] taͤubung, erwachte. Nur der Gedanke, zu
fliehen, wie ein gehetztes Thier, ſtand feſt
in meiner Seele. Ich ſtand auf, aber kaum
war ich einige Schritte fort, als, aus dem
Gebuͤſch hervorrauſchend, ein Menſch auf
meinen Ruͤcken ſprang, und mich mit den
Armen umhalste. Vergebens verſuchte ich,
ihn abzuſchuͤtteln — ich warf mich nieder,
ich druͤckte mich hinterruͤcks an die Baͤume,
alles umſonſt. Der Menſch kicherte und
lachte hoͤhniſch; da brach der Mond hellleuch¬
tend durch die ſchwarzen Tannen, und das
todtenbleiche, graͤßliche Geſicht des Moͤnchs —
des vermeintlichen Medardus, des Doppelt¬
gaͤngers, ſtarrte mich an mit dem graͤßlichen
Blick, wie von dem Wagen herauf. — „Hi
... hi ... hi ... Bruͤderlein ... Bruͤderlein,
immer immer bin ich bei Dir ... laſſe Dich
nicht ... laſſe ... Dich nicht ... Kann nicht
lau .. laufen ... wie Du ... mußt mich tra¬
... tragen ... Komme vom Ga ... Galgen
... haben mich raͤ ... raͤdern wollen ... hi
[151] hi ...“ So lachte und heulte das grauſe Ge¬
ſpenſt, indem ich, von wildem Entſetzen ge¬
kraͤftigt, hoch empor ſprang wie ein von der
Rieſenſchlange eingeſchnuͤrter Tiger! — Ich
raſte gegen Baum- und Felsſtuͤcke, um ihn
wo nicht zu toͤdten, doch wenigſtens hart zu
verwunden, daß er mich zu laſſen genoͤthigt
ſeyn ſollte. Dann lachte er ſtaͤrker und mich
nur traf jaͤher Schmerz; ich verſuchte ſeine un¬
ter meinem Kinn feſtgeknoteten Haͤnde loszu¬
winden, aber die Gurgel einzudruͤcken drohte
mir des Ungethuͤmes Gewalt. Endlich, nach
tollem Raſen, fiel er ploͤtzlich herab, aber
kaum war ich einige Schritte fortgerannt,
als er von neuem auf meinem Ruͤcken ſaß,
kichernd und lachend, und jene entſetzliche
Worte ſtammelnd! — Aufs neue jene An¬
ſtrengungen wilder Wuth — aufs neue be¬
freit! — aufs neue umhalst von dem fuͤrch¬
terlichen Geſpenſt. — Es iſt mir nicht moͤg¬
lich, deutlich anzugeben, wie lange ich, von
dem Doppeltgaͤnger verfolgt, durch finſtre
[152] Waͤlder floh, es iſt mir ſo, als muͤſſe das
Monate hindurch, ohne daß ich Speiſe und
Trank genoß, gedauert haben. Nur eines
lichten Augenblicks erinnere ich mich lebhaft,
nach welchem ich in gaͤnzlich bewußtloſen
Zuſtand verfiel. Eben war es mir gegluͤckt,
meinen Doppellgaͤnger abzuwerfen, als ein
heller Sonnenſtral, und mit ihm ein hol¬
des anmuthiges Toͤnen den Wald durchdrang.
Ich unterſchied eine Kloſterglocke die zur
Fruͤhmette laͤutete. „Du haſt Aurelie er¬
mordet!“ Der Gedanke erfaßte mich mit
des Todes eiskalten Armen, und ich ſank be¬
wuſtlos nieder.

[[153]]

Zweiter Abſchnitt.

Die Buße.


Eine ſanfte Waͤrme glitt durch mein Inne¬
res. Dann fuͤhlte ich es in allen Adern ſelt¬
ſam arbeiten und prickeln; dies Gefuͤhl wur¬
de zu Gedanken, doch war mein Ich hun¬
dertfach zertheilt. Jeder Theil hatte im eig¬
nen Regen eignes Bewußtſeyn des Lebens und
umſonſt gebot das Haupt den Gliedern, die
wie untreue Vaſallen ſich nicht ſammeln moch¬
ten unter ſeiner Herrſchaft. Nun fingen die
Gedanken der einzelnen Theile an ſich zu
drehen, wie leuchtende Punkte, immer ſchnel¬
ler und ſchneller, ſo daß ſie einen Feuerkreis
[154] bildeten, der wurde kleiner, ſo wie die Schnel¬
ligkeit wuchs, daß er zuletzt nur eine ſtill¬
ſtehende Feuerkugel ſchien. Aus der ſchoſ¬
ſen rothgluͤhende Stralen und bewegten ſich
im farbigten Flammenſpiel. „Das ſind [mei¬
ne]
Glieder, die ſich regen, jetzt erwache ich!“
So dachte ich deutlich, aber in dem Augen¬
blick durchzuckte mich ein jaͤher Schmerz,
helle Glockentoͤne ſchlugen an mein Ohr.
„Fliehen, weiter fort! — weiter fort!“ rief ich
laut, wollte mich ſchnell aufraffen, fiel aber
entkraͤftet zuruͤck. Jetzt erſt vermochte ich die Au¬
gen zu oͤffnen. Die Glockentoͤne dauerten fort
— ich glaubte noch im Walde zu ſeyn, aber
wie erſtaunte ich, als ich die Gegenſtaͤnde
rings umher, als ich mich ſelbſt betrachtete.
In dem Ordenshabit der Capuziner lag ich,
in einem hohen einfachen Zimmer, auf einer
wohlgepolſterten Matratze ausgeſtreckt. Ein
Paar Rohrſtuͤhle, ein kleiner Tiſch und ein
aͤrmliches Bett waren die einzigen Gegen¬
ſtaͤnde, die ſich noch im Zimmer befanden.
[155] Es wurde mir klar, daß mein bewuſtloſer
Zuſtand eine Zeitlang gedauert haben, und
daß ich in demſelben auf dieſe oder jene Wei¬
ſe in ein Kloſter gebracht ſeyn mußte, das
Kranke aufnehme. Vielleicht war meine Klei¬
dung zerriſſen, und man gab mir vorlaͤufig
eine Kutte. Der Gefahr, ſo ſchien es mir,
war ich entronnen. Dieſe Vorſtellungen be¬
ruhigten mich ganz, und ich beſchloß abzu¬
warten, was ſich weiter zutragen wuͤrde,
da ich vorausſetzen konnte, daß man bald
nach dem Kranken ſehen wuͤrde. Ich fuͤhlte
mich ſehr matt, ſonſt aber ganz ſchmerzlos.
Nur einige Minuten hatte ich ſo, zum voll¬
kommenen Bewußtſeyn erwacht, gelegen, als
ich Tritte vernahm, die ſich wie auf einem
langen Gange naͤherten. Man ſchloß meine
Thuͤre auf und ich erblickte zwei Maͤnner,
von denen einer buͤrgerlich gekleidet war,
der andere aber den Ordenshabit der barm¬
herzigen Bruͤder trug. Sie traten ſchwei¬
gend auf mich zu, der buͤrgerlich gekleidete
[156] ſah mir ſcharf in die Augen und ſchien ſehr
verwundert. „Ich bin wieder zu mir ſelbſt
gekommen, mein Herr, fing ich mit matter
Stimme an: dem Himmel ſey es gedankt,
der mich zum leben erweckt hat — wo be¬
finde ich mich aber? wie bin ich hergekom¬
men?“ — Ohne mir zu antworten wandte
ſich der buͤrgerlich gekleidete zu dem Geiſtli¬
chen, und ſprach auf italiaͤniſch: „Das iſt in
der That erſtaunenswuͤrdig, der Blick iſt
ganz geaͤndert, die Sprache rein, nur matt
... es muß eine beſondere Criſis eingetreten
ſeyn.“ — „Mir ſcheint, erwiederte der Geiſtli¬
che: mir ſcheint, als wenn die Heilung nicht
mehr zweifelhaft ſeyn koͤnne.“ Das kommt,
fuhr der buͤrgerlich gekleidete fort: das kommt
darauf an, wie er ſich in den naͤchſten Ta¬
gen haͤlt. Verſtehen Sie nicht ſo viel deutſch
um mit ihm zu ſprechen? „Leider nein, antwor¬
tete der Geiſtliche.“ — Ich verſtehe und ſpreche
italiaͤniſch, fiel ich ein; Sagen Sie mir, wo
bin ich, wie bin ich hergekommen? — Der
[157] buͤrgerlich gekleidete, wie ich wohl merken
konnte, ein Arzt, ſchien freudig verwundert.
„Ah, rief er aus: ah das iſt gut. Ihr befin¬
det Euch, ehrwuͤrdiger Herr! an einem Or¬
te, wo man nur fuͤr Euer Wohl auf alle moͤgli¬
che Weiſe ſorgt. Ihr wurdet vor drei Mo¬
naten in einem ſehr bedenklichen! Zuſtande
hergebracht. Ihr wart ſehr krank, aber
durch unſere Sorgfalt und Pflege ſcheint ihr
Euch auf dem Wege der Geneſung zu befin¬
den. Haben wir das Gluͤck, Euch ganz zu
heilen, ſo koͤnnt ihr ruhig Eure Straße fort¬
wandeln, denn wie ich hoͤre, wollt ihr nach
Rom?“ — Bin ich denn, frug ich weiter, in
der Kleidung die ich trage zu Euch gekom¬
men? — „Freilich, erwiederte der Arzt, aber laßt
das Fragen, beunruhigt Euch nur nicht, al¬
les ſollt Ihr erfahren, die Sorge fuͤr Eure
Geſundheit iſt jetzt das vornehmlichſte.“ Er
faßte meinen Puls, der Geiſtliche hatte un¬
terdeſſen eine Taſſe herbeigebracht, die er
mir darreichte. „Trinkt, ſprach der Arzt: und
[158] ſagt mir dann, wofuͤr ihr das Getraͤnk hal¬
tet.“ — Es iſt, erwiederte ich, nachdem ich ge¬
trunken: es iſt eine gar kraͤftig zubereite¬
te Fleiſchbruͤhe. — Der Arzt laͤchelte zufrieden
und rief dem Geiſtlichen zu: „Gut ſehr gut!“
— Beide verließen mich. Nun war meine
Vermuthung, wie ich glaubte, richtig. Ich
befand mich in einem oͤffentlichen Kranken¬
hauſe. Man pflegte mich mit ſtaͤrkenden
Nahrungsmitteln und kraͤftiger Arzenei, ſo
daß ich nach drei Tagen im Stande war,
aufzuſtehen. Der Geiſtliche oͤffnete ein Fenſter,
eine warme herrliche Luft, wie ich ſie nie
geathmet, ſtroͤmte herein, ein Garten ſchloß
ſich an das Gebaͤude, herrliche fremde Baͤu¬
me gruͤnten und bluͤhten, Weinlaub rankte
ſich uͤppig an der Mauer empor, vor allem
aber war mir der dunkelblaue duftige Him¬
mel eine Erſcheinung aus ferner Zauberwelt.
„Wo bin ich denn, rief ich voll Entzuͤcken
aus, haben mich die Heiligen gewuͤrdigt, in
einem Himmelslande zu wohnen?“ Der
[159] Geiſtliche laͤchelte wohlbehaglich, indem er
ſprach; „Ihr ſeyd in Italien, mein Bruder!
in Italien!“ — Meine Verwunderung wuchs
bis zum hoͤchſten Grade, ich drang in den
Geiſtlichen, mir genau die Umſtaͤnde meines
Eintritts in dies Haus zu ſagen, er wies
mich an den Doktor. Der ſagte mir endlich,
daß vor drei Monaten mich ein wunderli¬
cher Menſch hergebracht und gebeten habe
mich aufzunehmen; ich befaͤnde mich nem¬
lich in einem Krankenhauſe, das von barm¬
herzigen Bruͤdern verwaltet werde. So wie
ich mich mehr und mehr erkraͤftigte, bemerk¬
te ich, daß beide, der Arzt und der Geiſtli¬
che, ſich in mannigfache Geſpraͤche mit mir
einließen und mir vorzuͤglich [Gelegenheit] ga¬
ben, lange hintereinander zu erzaͤhlen. Mei¬
ne ausgebreiteten Kenntniſſe in den verſchie¬
denſten Faͤchern des Wiſſens gaben mir rei¬
chen Stoff dazu, und der Arzt lag mir an,
manches nieder zu ſchreiben, welches er dann
in meiner Gegenwart las und ſehr zufrieden
[160] ſchien. Doch fiel es mir oft ſeltſamlich auf,
daß er, ſtatt meine Arbeit ſelbſt zu loben,
immer nur ſagte: „In der That ... das geht
gut ... ich habe mich nicht getaͤuſcht! ...
wunderbar... wunderbar!“ Ich durfte nur
zu gewiſſen Stunden in den Garten hinab,
wo ich manchmal grauſig entſtellte, todten¬
blaſſe, bis zum Geripp ausgetrocknete Men¬
ſchen, von barmherzigen Bruͤdern geleitet, er¬
blickte. Einmal begegnete mir, als ich
ſchon im Begriff ſtand, in das Haus zuruͤck
zu kehren, ein langer, hagerer Mann, in ei¬
nem ſeltſamen erdgelben Mantel, der wurde
von zwei Geiſtlichen bei den Armen gefuͤhrt,
und nach jedem Schritt machte er einen poſ¬
ſirlichen Sprung, und pfiff dazu mit durch¬
dringender Stimme. Erſtaunt, blieb ich ſte¬
hen, doch der Geiſtliche, der mich begleitete,
zog mich ſchnell fort, indem er ſprach:
„Kommt, kommt, lieber Bruder Medardus!
das iſt nichts fuͤr Euch.“— Um Gott, rief ich
aus: woher wißt Ihr meinen Nahmen? — Die
Hef¬[161] Heftigkeit, womit ich dieſe Worte ausſtieß,
ſchien meinen Begleiter zu beunruhigen. „Ei,
ſprach er: wie ſollten wir denn Euern Nah¬
men nicht wiſſen? Der Mann, der Euch
herbrachte, nannte ihn ja ausdruͤcklich, und
ihr ſeyd eingetragen in die Regiſter des Hau¬
ſes: Medardus, Bruder des Capuzinerklo¬
ſters zu B.“ — Eiskalt bebte es mir durch die
Glieder. Aber mochte der Unbekannte, der
mich in das Krankenhaus gebracht hatte,
ſeyn wer er wollte, mochte er eingeweiht
ſeyn in mein entſetzliches Geheimniß: er
konnte nicht Boͤſes wollen, denn er hatte ja
freundlich fuͤr mich geſorgt, und ich war ja
frei. —


Ich lag im offnen Fenſter und ath¬
mete in vollen Zuͤgen die herrliche, warme
Luft ein, die durch Mark und Adern ſtroͤmend
neues Leben in mir entzuͤndete, als ich eine
kleine, duͤrre Figur, ein ſpitzes Huͤtchen auf
dem Kopfe, und in einen aͤrmlichen erbliche¬
nen Ueberrock gekleidet, den Hauptgang nach
II. [ 11 ][162] dem Hauſe herauf mehr huͤpfen und trip¬
peln als gehen ſah. Als er mich erblickte
ſchwenkte er den Hut in der Luft und warf
mir Kußhaͤndchen zu. Das Maͤnnlein hatte
etwas bekanntes, doch konnte ich die Ge¬
ſichtszuͤge nicht deutlich erkennen, und er ver¬
ſchwand unter den Baͤumen, ehe ich mit mir
einig worden, wer es wohl ſeyn moͤge.
Doch nicht lange dauerte es, ſo klopfte es
an meine Thuͤre, ich oͤffnete, und dieſelbe
Figur, die ich im Garten geſehen, trat her¬
ein. „Schoͤnfeld, rief ich voll Verwunder¬
ung: Schoͤnfeld, wie kommen Sie her, um
des Himmels willen?“ — Es war jener
naͤrriſche Friſeur aus der Handelsſtadt, der
mich damals rettete aus großer Gefahr. „Ach
— ach ach! ſeufzte er, indem ſich ſein Ge¬
ſicht auf komiſche Weiſe weinerlich verzog:
wie ſoll ich denn herkommen, ehrwuͤrdiger
Herr! wie ſoll ich denn herkommen anders,
als geworfen — geſchleudert, von dem boͤſen
Verhaͤngniß, das alle Genies verfolgt! Eines
[163] Mordes wegen mußte ich fliehen ...“ „Eines
Mordes wegen?“ unterbrach ich ihn heftig.
„Ja eines Mordes wegen, fuhr er fort:
ich hatte im Zorn den linken Backenbart des
juͤngſten Commerzienrathes in der Stadt
getoͤdtet, und dem rechten gefaͤhrliche Wun¬
den beigebracht.“ — „Ich bitte Sie, unterbrach
ich ihn aufs neue, laſſen Sie die Poſſen, ſeyn
Sie einmal vernuͤnftig und erzaͤhlen Sie im
Zuſammenhange, oder verlaſſen Sie mich.“ —
„Ey, lieber Bruder Medardus, fing er ploͤtzlich
ſehr ernſt an; Du willſt mich fortſchicken, nun
Du geneſen, und mußteſt mich doch in Deiner
Naͤhe leiden, als Du krank da lagſt und ich
Dein Stubenkammerad war und in jenem
Bette ſchlief.“ — „Was heißt das, rief ich be¬
ſtuͤrzt aus, wie kommen Sie auf den Na¬
men Medardus?“ — „Schauen Sie, ſprach er
laͤchelnd: den rechten Zipfel ihrer Kutte ge¬
faͤlligſt an.“ Ich that es, und erſtarrte vor
Schreck und Erſtaunen, denn ich fand, daß
der Name Medardus hineingenaͤht war, ſo
[164] wie mich bei, genauerer Unterſuchung, un¬
truͤgliche Kennzeichen wahrnehmen ließen, daß
ich ganz unbezweifelt dieſelbe Kutte trug,
die ich auf der Flucht aus dem Schloſſe des
Barons von F. in einen holen Baum ver¬
borgen hatte. Schoͤnfeld bemerkte meine in¬
nere Bewegung, er laͤchelte ganz ſeltſam; den
Zeigefinger an die Naſe gelegt, ſich auf den Fu߬
ſpitzen erhebend, ſchaute er mir ins Auge; ich
blieb ſprachlos, da fing er leiſe und bedaͤch¬
tig an: „Ew. Ehrwuͤrden wundern ſich merk¬
lich, uͤber das ſchoͤne Kleid, das ihnen an¬
gelegt worden es ſcheint Ihnen uͤberall wun¬
derbar anzuſtehen und zu paſſen, beſſer als
jenes nußbraune Kleid mit ſchnoͤden beſpon¬
nenen Knoͤpfen, das mein ernſthafter ver¬
nuͤnftiger Damon Ihnen anlegte ... Ich ...
ich ... der verkannte, verbannte Pietro Bel¬
campo war es, der Eure Bloͤße deckte mit
dieſem Kleide. Bruder Medardus! Ihr wart
nicht im ſonderlichſten Zuſtande, denn als
Ueberrock — Spenzer — engliſchen Frack
[165] trugt Ihr ſimpler Weiſe Eure eigne Haut,
und an ſchickliche Friſur war nicht zu den¬
ken, da Ihr, eingreifend in meine Kunſt, Eu¬
ern Karakalla mit dem zehnzahnigten Kamm,
der Euch an die Fauſte gewachſen, ſelbſt be¬
ſorgtet.“ — Laßt die Narrheiten, fuhr ich auf:
Laßt die Narrheiten, Schoͤnfeld ..., Pietro
Belcampo heiße ich, unterbrach er mich in
vollem Zorne: ja Pietro Belcampo, hier in
Italien, und Du magſt es nur wiſſe[n], Me¬
dardus, ich ſelbſt, ich ſelbſt bin die Narrheit,
die iſt uͤberall hinter Dir her, um Dei¬
ner Vernunft beizuſtehen, und Du magſt
es nun einſehen oder nicht, in der Narr¬
heit findeſt Du nur Dein Heil, denn
Deine Vernunft iſt ein hoͤchſt miſerables
Ding, und kann ſich nicht aufrecht erhal¬
ten, ſie taumelt hin und her wie ein ge¬
brechliches Kind, und muß mit der Narr¬
heit in Compagnie treten, die hilft ihr
auf und weiß den richtigen Weg zu finden
[166] nach der Heimath — das iſt das Tollhaus,
da ſind wir beide richtig angelangt, mein
Bruͤderchen Medardus.“ — Ich ſchauderte zu¬
ſammen, ich dachte an die Geſtalten, die
ich geſehen; an den ſpringenden Mann im
erdgelben Mantel, und konnte nicht zweifeln,
daß Schoͤnfeld in ſeinem Wahnſinn mir die
Wahrheit ſagte. „Ja, mein Bruͤderchen Me¬
dardus, fuͤhr Schoͤnfeld mit erhobener Stim¬
me und heftig geſtikulirend fort: Ja, mein
liebes Bruͤderchen. Die Narrheit erſcheint
auf Erden, wie die wahre Geiſterkoͤnigin.
Die Vernunft iſt nur ein traͤger Statthalter,
der ſich nie darum kuͤmmert, was außer
den Graͤnzen des Reichs vorgeht, der nur
aus Langerweile auf dem Paradeplatz die
Soldaten exerzieren laͤßt, die koͤnnen nachher
keinen ordentlichen Schuß thun, wenn der
Feind eindringt von Außen. Aber die Narr¬
heit, die wahre Koͤnigin des Volks zieht ein mit
Pauken und Trompeten: huſſa huſſa! — hin¬
ter ihr her Jubel — Jubel — Die Vaſal¬
[167] len erheben ſich von den Plaͤtzen, wo ſie die
Vernunft einſperrte, und wollen nicht mehr
ſtehen, ſitzen und liegen wie der pedantiſche
Hofmeiſter es will; der ſieht die Nummern
durch und ſpricht: Seht, die Narrheit hat
mir meine beſten Eleven entruͤckt — fort¬
geruͤckt — verruͤckt — ja ſie ſind verruͤckt
worden. Das iſt ein Wortſpiel, Bruͤderlein
Medardus — ein Wortſpiel iſt ein gluͤhendes
Lockeneiſen in der Hand der Narrheit, womit
ſie Gedanken kruͤmmt.“ — Noch einmal, fiel
ich dem albernen Schoͤnfeld in die Rede,
noch einmal bitte ich Euch, das unſinnige
Geſchwaͤtz zu laſſen, wenn Ihr es vermoͤget,
und mir zu ſagen, wie Ihr hergekommen
ſeyd, und was Ihr von mir und von dem
Kleide wißt, das ich trage. — Ich hatte ihn
mit dieſen Worten bei beiden Haͤnden ge¬
faßt und in einen Stuhl gedruͤckt. Er ſchien
ſich zu beſinnen, indem er die Augen nieder¬
ſchlug und tief Athem ſchoͤpfte. „Ich habe
Ihnen, fing er dann mit leiſer matter Stim¬
[168] me an: Ich habe Ihnen das Leben zum
zweitenmal gerettet, ich war es ja, der
Ihrer Flucht aus der Handelsſtadt behuͤlflich
war, ich war es wiederum, der Sie her¬
brachte.“ — Aber um Gott, um der Heiligen
willen, wo fanden Sie mich? — So rief ich
laut aus, indem ich ihn losließ, doch in dem
Augenblick ſprang er auf, und ſchrie mit fun¬
kelnden Augen: „Ey, Bruder Medardus, haͤtt'
ich Dich nicht, klein und ſchwach, wie ich
bin, auf meinen Schultern fortgeſchleppt,
Du laͤgſt mit zerſchmetterten Gliedern auf
dem Rade.“ — Ich erbebte — wie vernichtet
ſank ich in den Stuhl, die Thuͤre oͤffnete
ſich, und haſtig trat der mich pflegende Geiſt¬
liche herein. „Wie kommt Ihr hieher? wer
hat Euch erlaubt, dies Zimmer zu betreten?“
So fuhr er auf Belcampo los, dem ſtuͤrzten
aber die Thraͤnen aus den Augen und er
ſprach mit flehender Stimme: „Ach, mein ehr¬
wuͤrdiger Herr! nicht laͤnger konnte ich dem
Drange widerſtehen meinen Freund zu ſpre¬
[169] chen, den, ich dringender Todesgefahr ent¬
riſſen!“ Ich ermannte mich. Sagt mir, mein
lieber Bruder! ſprach ich zu dem Geiſtlichen:
hat mich dieſer Mann wirklich hergebracht?
— Er ſtockte. — Ich weiß jetzt, wo ich mich
befinde, fuhr ich fort: ich kann vermuthen,
daß ich im ſchrecklichſten Zuſtande war, den
es giebt, aber Ihr merkt, daß ich vollkommen
geneſen, und ſo darf ich wohl nun alles er¬
fahren, was man mir bis jetzt abſichtlich ver¬
ſchweigen mochte, weil man mich fuͤr zu
reizbar hielt. „So iſt es in der That, ant¬
wortete der Geiſtliche: Dieſer Mann brachte
Euch, es moͤgen ungefaͤhr drei bis vierte¬
halb Monate her ſeyn, in unſere Anſtalt.
Er hatte Euch, wie er erzaͤhlte, fuͤr todt in
dem Walde, der vier Meilen von hier das
....ſche von unſerm Gebiet ſcheidet, gefunden,
und Euch fuͤr den ihm fruͤher bekannten Ca¬
puziner-Moͤnch Medardus aus dem Kloſter
zu B. erkannt, der auf einer Reiſe nach
Rom durch den Ort kam, wo er ſonſt wohn¬
[170] te. Ihr befandet Euch in einem vollkom¬
men apathiſchen Zuſtande. Ihr gingt, wenn
man Euch fuͤhrte, Ihr bliebt ſtehen, wenn
man Euch losließ, Ihr ſetztet, Ihr legtet Euch
nieder, wenn man Euch die Richtung gab.
Speiſe und Trank mußte man Euch einfloͤßen.
Nur dumpfe, unverſtaͤndliche Laute vermoch¬
tet Ihr auszuſtoßen, Euer Blick ſchien ohne
alle Sehkraft. Belcampo verließ Euch nicht,
ſondern war Euer treuer Waͤrter. Nach
vier Wochen fielt Ihr in die ſchrecklichſte Ra¬
ſerei, man war genoͤthiget, Euch in eins der
dazu beſtimmten abgelegenen Gemaͤcher zu
bringen. Ihr waret dem wilden Thier gleich
— doch nicht naͤher mag ich Euch einen Zu¬
ſtand ſchildern, deſſen Erinnerung Euch
vielleicht zu ſchmerzlich ſeyn wuͤrde. Nach
vier Wochen kehrte ploͤtzlich jener apathiſche
Zuſtand wieder, der in eine vollkommene
Starrſucht uͤberging, aus der Ihr geneſen er¬
wachtet.“ — Schoͤnfeld hatte ſich waͤhrend die¬
ſer Erzaͤhlung des Geiſtlichen geſetzt, und,
[171] wie in tiefes Nachdenken verſunken, den
Kopf in die Hand geſtuͤzt. „Ja, fing er an:
ich weiß recht gut, daß ich zuweilen ein
aberwitziger Narr bin, aber die Luft im
Tollhauſe, vernuͤnftigen Leuten verderblich,
hat gar gut auf mich gewirkt. Ich fange
an, uͤber mich ſelbſt zu raͤſoniren, und das
iſt kein uͤbles Zeichen. Exiſtire ich uͤber¬
haupt nur durch mein eignes Bewußtſeyn, ſo
kommt es nur darauf an, daß dies Bewußt¬
ſeyn dem Bewußten die Hanswurſtjacke aus¬
ziehe, und ich ſelbſt ſtehe da als ſolider Gent¬
leman. — O Gott! — iſt aber ein genialer
Friſeur nicht ſchon an und vor ſich ſelbſt
ein geſetzter Haſenfuß? — Haſenfuͤßigkeit
ſchuͤtzt vor allem Wahnſinn, und ich kann
Euch verſichern, Ehrwuͤrdiger Herr! daß ich
auch bei Nordnordweſt einen Kirchthurm
von einem Leuchtenpfahl genau zu unterſchei¬
den vermag.“ — Iſt dem wirklich ſo, ſprach
ich: ſo beweiſen Sie es dadurch, daß Sie
mir ruhig den Hergang der Sache erzaͤhlen,
[172] wie Sie mich fanden, und wie Sie mich
herbrachten. „Das will ich thun, erwieder¬
te Schoͤnfeld: unerachtet der geiſtliche Herr
hier ein gar beſorgliches Geſicht ſchneidet;
erlaube aber, Bruder Medardus, daß ich
Dich, als meinen Schuͤtzling, mit dem
vertraulichen Du anrede. — Der fremde
Mahler war den andern Morgen, nachdem
Du in der Nacht entflohen, auch mit ſeiner
Gemaͤhldeſammlung auf unbegreifliche Weiſe
verſchwunden. So ſehr die Sache uͤberhaupt
Anfangs Aufſehen erregt hatte, ſo bald war
ſie doch im Strome neuer Begebenheiten un¬
tergegangen. Nur als der Mord auf dem
Schloſſe des Barons F. bekannt wurde; als
die . .ſche Gerichte durch Steckbriefe den
Moͤnch Medardus aus dem Capuzinerkloſter
zu B. verfolgten, da erinnerte man ſich da¬
ran, daß der Mahler die ganze Geſchichte
im Weinhauſe erzaͤhlt und in Dir den Bruder
Medardus erkannt hatte. Der Wirth des
Hotels wo Du gewohnt hatteſt, beſtaͤtigte
[173] die Vermuthung, daß ich deiner Flucht foͤr¬
derlich geweſen war. Man wurde auf mich
aufmerkſam, man wollte mich ins Gefaͤng¬
niß ſetzen. Leicht war mir der Entſchluß,
dem elenden Leben das ſchon laͤngſt mich zu
Boden gedruͤckt hatte, zu entfliehen. Ich be¬
ſchloß, nach Italien zu gehen, wo es Abba¬
tes und Friſuren giebt. Auf meinem Wege
dahin ſah ich Dich in der Reſidenz des Fuͤr¬
ſten von *** Man ſprach von Deiner Ver¬
maͤhlung mit Aurelien und von der Hinrich¬
tung des Moͤnchs Medardus. Ich ſah auch
dieſen Moͤnch — Nun! — dem ſey wie ihm
wolle, halte Dich nun einmal fuͤr den
wahren Medardus. Ich ſtellte mich Dir in
den Weg, Du bemerkteſt mich nicht, und ich
verließ die Reſidenz, um meine Straße wei¬
ter zu verfolgen Nach langer Reiſe ruͤſtete
ich mich einſt in fruͤhſter Morgendaͤmmerung,
den Wald zu durchwandern, der in duͤſtrer
Schwaͤrze vor mir lag. Eben brachen die
erſten Stralen der Morgenſonne hervor,
[174] als es in dem dicken Gebuͤſch rauſchte, und
ein Menſch mit zerzauſtem Kopfhaar und
Bart, aber in zierlicher Kleidung, bei mir
voruͤberſprang. Sein Blick war wild und
verſtoͤrt, im Augenblick war er mir aus dem
Geſicht verſchwunden. Ich ſchritt weiter
fort, doch wie entſetzte ich mich, als ich dicht
vor mir eine nackte menſchliche Figur, aus¬
geſtreckt auf dem Boden, erblickte. Ich
glaubte, es ſey ein Mord geſchehen, und
der Fliehende ſey der Moͤrder. Ich buͤckte
mich herab zu dem Nackten, erkannte Dich
und wurde gewahr, daß Du leiſe athmeteſt.
Dicht bei Dir lag die Moͤnchskutte, die Du
jetzt traͤgſt mit vieler Muͤhe kleidete ich Dich
darin, und ſchleppte Dich weiter fort. End¬
lich erwachteſt Du aus tiefer Ohnmacht, Du
bliebſt aber in dem Zuſtande, wie ihn Dir
der ehrwuͤrdige Herr hier erſt beſchrieben.
Es koſtete keine geringe Anſtrengung, Dich
fortzuſchaffen, und ſo kam es, daß ich erſt
am Abende eine Schenke erreichte, die mit¬
[175] ten im Walde liegt. Wie ſchlaftrunken ließ
ich Dich auf einem Raſenplatze zuruͤck, und
ging hinein um Speiſe und Trank zu holen.
In der Schenke ſaßen ***ſche Dragoner,
die ſollten, wie die Wirthin ſagte, einem
Moͤnch bis an die Graͤnze nachſpuͤren, der
auf unbegreifliche Weiſe in dem Augenblicke
entflohen ſey, als er ſchwerer Verbrechen
halber in *** haͤtte hingerichtet werden ſol¬
len. Ein Geheimniß war es mir, wie Du
aus der Reſidenz in den Wald kamſt, aber
die Ueberzeugung, Du ſeyſt eben der Me¬
dardus, den man ſuche, hieß mich alle
Sorgfalt anwenden, Dich der Gefahr, in der
Du mir zu ſchweben ſchienſt, zu entreißen.
Durch Schleichwege ſchaffte ich Dich fort,
uͤber die Graͤnze, und kam endlich mit Dir
in dies Haus, wo man Dich und auch mich
aufnahm, da ich erklaͤrte, mich von Dir
nicht trennen zu wollen. Hier warſt Du
ſicher, denn in keiner Art haͤtte man den
aufgenommenen Kranken fremden Gerichten
[176] ausgeliefert. Mit Deinen fuͤnf Sinnen war
es nicht ſonderlich beſtellt, als ich hier im
Zimmer bei Dir wohnte, und Dich pflegte.
Auch die Bewegung Deiner Gliedmaßen war
nicht zu ruͤhmen, Noverre und Veſtris haͤt¬
ten Dich tief verachtet, denn Dein Kopf
hing auf die Bruſt, und wollte man Dich ge¬
rade aufrichten, ſo ſtuͤlpteſt Du um, wie
ein mißrathner Kegel. Auch mit der Red¬
nergabe ging es hoͤchſt traurig, denn Du
warſt verdammt einſilbig, und ſagteſt in
aufgeraͤumten Stunden nur „Hu hu! und
Me ... me ...“ woraus Dein Wollen und
Denken nicht ſonderlich zu vernehmen, und
beinahe zu glauben, beides ſey Dir untreu
worden und vagabondire auf ſeine eigene
Hand oder ſeinen eignen Fuß. Endlich wur¬
deſt Du mit einem Mal uͤberaus luſtig, Du
ſprangſt hoch in die luͤfte, bruͤllteſt vor lau¬
ter Entzuͤcken und riſſeſt Dir die Kutte vom
Leibe um frei zu ſeyn, von jeder Naturbe¬
ſchraͤnkenden Feſſel — Dein Appetit ...,Hal¬
ten[177] ten Sie ein, Schoͤnfeld, unterbrach ich den
entſetzlichen Witzling: Halten Sie ein! Man
hat mich ſchon von dem fuͤrchterlichen Zu¬
ſtande, in den ich verſunken unterrichtet.
Dank ſey es der ewigen Langmuth und Gna¬
de des Herrn, Dank ſey es der Fuͤrſprache
der Gebenedeiten und der Heiligen, daß ich
errettet worden bin! — „Ey, ehrwuͤrdiger
Herr! fuhr Schoͤnfeld fort: was haben Sie
denn nun davon! ich meine von der beſonde¬
ren Geiſtesfunktion, die man Bewuſtſeyn
nennt, und die nichts anders iſt, als die
verfluchte Thaͤtigkeit eines verdammten Thor¬
einnehmers — Acciſeoffizianten — Oberkon¬
trollaſſiſtenten, der ſein heilloſes Comtoir im
Oberſtuͤbchen aufgeſchlagen hat, und zu aller
Waare, die hinaus will! ſagt: hey ... hey ...
die Ausfuhr iſt verboten ... im Lande, im
Lande bleibts. — Die ſchoͤnſten Juwelen
werden wie ſchnoͤde Saatkoͤrner in die Er¬
de geſteckt, und was emporſchießt, ſind hoͤch¬
ſtens Runkelruͤben, aus denen die Praxis mit
II. [ 12 ][178] tauſendcentner ſchwerem Gewicht eine Vier¬
tel Unze uͤbelſchmeckenden Zucker preßt. ... Hey
hey ... und doch ſollte jene Ausfuhr einen
Handelsverkehr begruͤnden mit der herrlichen
Gottesſtadt, da droben, wo alles ſtolz und
herrlich iſt. — Gott im Himmel! Herr! Al¬
len meinen theuer erkauften Puder à la Ma¬
réchal
oder à la Pompadour, oder à la reine
de Golconde
haͤtte ich in den Fluß gewor¬
fen, wo er am tiefſten iſt, haͤtte ich nur we¬
nigſtens durch Tranſito-Handel ein Quent¬
lein Sonnenſtaͤubchen von dort her bekom¬
men koͤnnen, um die Peruͤcken hoͤchſt gebilde¬
ter Profeſſoren und Schulkollegen zu pudern,
zuvoͤrderſt aber meine eigne! — Was ſage
ich? haͤtte mein Damon Ihnen, ehrwuͤrdig¬
ſter aller ehrwuͤrdigen Moͤnche, ſtatt des floh¬
farbnen Fracks einen Sonnenmatin umhaͤn¬
gen koͤnnen, in dem die reichen, uͤbermuͤthi¬
gen Buͤrger der Gottesſtadt zu Stuhle gehen,
wahrhaftig es waͤre, was Anſtand und Wuͤr¬
de betrifft, alles anders gekommen; aber ſo
[179] hielt Sie die Welt fuͤr einen gemeinen gle¬
bae adscriptus
und der Teufel fuͤr Ihren
Cousin germain.“ — Schoͤnfeld war aufge¬
ſtanden und ging, oder huͤpfte vielmehr, ſtark
geſtikulirend und tolle Geſichter ſchneidend,
von einer Ecke des Zimmers zur andern. Er
war im vollen Zuge, wie gewoͤhnlich, ſich in
der Narrheit durch die Narrheit zu entzuͤn¬
den, ich faßte ihn daher bei beiden Haͤnden,
und ſprach: „Willſt Du Dich denn durchaus
ſtatt meiner hier einbuͤrgern? Iſt es Dir
denn nicht moͤglich, nach einer Minute ver¬
ſtaͤndigen Ernſtes das Poſſenhafte zu laſſen?“
Er laͤchelte auf ſeltſame Weiſe und ſagte:
„Iſt wirklich alles ſo albern, was ich ſpreche,
wenn mir der Geiſt kommt?“ — Das iſt ja
eben das Ungluͤck, erwiederte ich: daß Deinen
Fratzen oft tiefer Sinn zum Grunde liegt,
aber Du vertroͤdelſt und verbraͤmſt alles mit
ſolch buntem Zeuge, daß ein guter, in aͤchter
Farbe gehaltener Gedanke, laͤcherlich und un¬
ſcheinbar wird, wie ein, mit ſcheckigen Fetzen
[180] behaͤngtes Kleid. — Du kannſt, wie ein
Betrunkener, nicht auf gerader Schnur ge¬
hen, Du ſpringſt hinuͤber und heruͤber —
Deine Richtung iſt ſchief! — „Was iſt Rich¬
tung, unterbrach mich Schoͤnfeld leiſe, und
fortlaͤchelnd mit bitterſuͤßer Miene. Was iſt
Richtung, ehrwuͤrdiger Capuziner? Richtung
ſetzt ein Ziel voraus, nach dem wir unſere
Richtung nehmen. Sind Sie ihres Ziels
gewiß, theurer Moͤnch? — fuͤrchten Sie
nicht, daß Sie bisweilen zu wenig Katzenhirn
zu ſich genommen, ſtatt deſſen aber im Wirths¬
hauſe neben der gezogenen Schnur zuviel ſpiri¬
tuoͤſes genoſſen, und nun wie ein ſchwindli¬
cher Thurmdecker zwei Ziele ſehn, ohne zu
wiſſen, welches das rechte? — Ueberdem,
Capuziner! vergieb es meinem Stande, daß
ich das Poſſenhafte als eine angenehme Bei¬
miſchung, ſpaniſchen Pfeffer zum Blumen¬
kohl, in mir trage. Ohne das iſt ein Haar¬
kuͤnſtler, eine erbaͤrmliche Figur, ein armſe¬
liger Dummkopf, der das Privilegium in
[181] der Taſche traͤgt, ohne es zu nutzen zu ſei¬
ner Luſt und Freude.“ Der Geiſtliche hatte
bald mich, bald den grimaßirenden Schoͤnfeld
mit Aufmerkſamkeit betrachtet; er verſtand,
da wir deutſch ſprachen, kein Wort; jetzt un¬
terbrach er unſer Geſpraͤch. „Verzeihet, mei¬
ne Herren! wenn es meine Pflicht heiſcht,
eine Unterredung zu enden, die euch beiden
unmoͤglich wohl thun kann. Ihr ſeyd, mein
Bruder, noch zu ſehr geſchwaͤcht, um von
Dingen, die wahrſcheinlich aus Euerm fruͤ¬
hern Leben ſchmerzhafte Erinnerungen auf¬
regen, ſo anhaltend fortzuſprechen; Ihr koͤn¬
net ja nach und nach von Euerm Freunde
alles erfahren, denn wenn Ihr auch ganz ge¬
neſen unſere Anſtalt verlaſſet, ſo wird Euch
doch wohl Euer Freund weiter geleiten. Zu¬
dem habt Ihr (er wandte ſich zu Schoͤnfeld)
eine Art des Vortrags, die ganz dazu geeig¬
net iſt, Alles das, wovon Ihr ſprecht, dem
Zuhoͤrer lebendig vor Augen zu bringen. In
Deutſchland muß man Euch fuͤr toll halten,
[182] und ſelbſt bei uns wuͤrdet Ihr fuͤr einen gu¬
ten Buffone gelten. Ihr koͤnnt auf dem ko¬
miſchen Theater Euer Gluͤck machen.“ Schoͤn¬
feld ſtarrte den Geiſtlichen mit weit aufge¬
riſſenen Augen an, dann erhob er ſich auf
den Fußſpitzen, ſchlug die Haͤnde uͤber den
Kopf zuſammen und rief auf italiaͤniſch:
„Geiſterſtimme! ... Schickſalsſtimme, du haſt
aus dem Munde dieſes ehrwuͤrdigen Herrn
zu mir geſprochen! ... Belcampo . . Belcam¬
po ... ſo konnteſt Du Deinen wahrhaften
Beruf verkennen ... es iſt entſchieden!“ —
Damit ſprang er zur Thuͤre hinaus. Den
andern Morgen trat er reiſefertig zu mir
herein. „Du biſt, mein lieber Bruder Me¬
dardus, ſprach er: nunmehr ganz geneſen,
Du bedarfſt meines Beiſtandes nicht mehr,
ich ziehe fort, wohin mich mein innerſter
Beruf leitet ... Lebe wohl! ... doch erlaube,
daß ich zum letztenmal meine Kunſt, die
mir nun wie ein ſchnoͤdes Gewerbe vor¬
kommt, an Dir uͤbe.“ Er zog Meſſer, Schee¬
[183] re und Kamm hervor, und brachte unter tau¬
ſend Grimaſſen und poſſenhaften Reden
meine Tonſur und meinen Bart in Ordnung.
Der Menſch war mir, trotz der Treue, die
er mir bewieſen, unheimlich worden, ich
war froh als er geſchieden. Der Arzt hat¬
te mir ſtaͤrkender Arzney ziemlich aufge¬
holfen; meine Farbe war friſcher worden,
und durch immer laͤngere Spaziergaͤnge ge¬
wann ich meine Kraͤfte wieder. Ich war
uͤberzeugt, eine Fußreiſe aushalten zu koͤn¬
nen, und verließ ein Haus, das dem Geiſtes¬
kranken wohlthaͤtig, dem Geſunden aber un¬
heimlich und grauenvoll ſeyn mußte. Man
hatte mir die Abſicht untergeſchoben, nach
Rom zu pilgern, ich beſchloß, dieſes wirklich
zu thun, und ſo wandelte ich fort auf der
Straße, die, als dorthin fuͤhrend, mir be¬
zeichnet worden war. Unerachtet mein Geiſt
vollkommen geneſen, war ich mir doch ſelbſt
eines gefuͤhlloſen Zuſtandes bewußt, der uͤber
jedes im Innern aufkeimende Bild einen duͤ¬
[184] ſtern Flor warf, ſo daß alles farblos, grau
in grau erſchien. Ohne alle deutliche Erin¬
nerung des Vergangenen, beſchaͤftigte mich
die Sorge fuͤr den Augenblick ganz und gar.
Ich ſah in die Ferne, um den Ort zu er¬
ſpaͤhen, wo ich wuͤrde einſprechen koͤnnen, um
mir Speiſe oder Nachtquartier zu erbetteln,
und war recht innig froh, wenn Andaͤchtige
meinen Bettelſack und meine Flaſche gut ge¬
fuͤllt hatten, wofuͤr ich meine Gebete mecha¬
niſch herplapperte. Ich war ſelbſt im Geiſt
zum gewoͤhnlichen ſtupiden Bettelmoͤnch her¬
abgeſunken. So kam ich endlich an das gro¬
ße Capuzinerkloſter, das, wenige Stunden
von Rom, nur von Wirtſchaftsgebaͤuden
umgeben, einzeln da liegt. Dort mußte man
den Ordensbruder aufnehmen, und ich gedach¬
te, mich in voller Gemaͤchlichkeit recht aus¬
zupflegen. Ich gab vor, daß, nachdem das
Kloſter in Deutſchland, worin ich mich ſonſt
befand, aufgehoben worden, ich fortgepilgert
ſey, und in irgend ein anderes Kloſter mei¬
[185] neines Ordens einzutreten wuͤnſche. Mit der
Freundlichkeit, die den italiaͤniſchen Moͤn¬
chen eigen, bewirthete man mich reichlich,
und der Prior erklaͤrte, daß, in ſofern mich
nicht vielleicht die Erfuͤllung eines Geluͤbdes
weiter zu pilgern noͤthige, ich als Fremder
ſo lange im Kloſter bleiben koͤnne, als es
mir anſtehen wuͤrde. Es war Vesperzeit,
die Moͤnche gingen in den Chor, und ich trat
in die Kirche. Der kuͤhne, herrliche Bau des
Schiffs ſetzte mich nicht wenig in Verwun¬
derung, aber mein zur Erde gebeugter Geiſt
konnte ſich nicht erheben, wie es ſonſt ge¬
ſchah, ſeit der Zeit, als ich, ein kaum er¬
wachtes Kind, die Kirche der heiligen Linde
geſchaut hatte. Nachdem ich mein Gebet am
Hochaltar verrichtet, ſchritt ich durch die
Seitengaͤnge, die Altargemaͤlde betrachtend,
welche, wie gewoͤhnlich, die Martyrien der
Heiligen, denen ſie geweiht, darſtellten.
Endlich trat ich in eine Seitenkapelle, deren
Altar von den, durch die bunten Fenſterſchei¬
[186] ben brechenden Sonnenſtralen magiſch be¬
leuchtet wurde. Ich wollte das Gemaͤlde
betrachten, ich ſtieg die Stufen hinauf. —
Die heilige Roſalia — das verhaͤngnißvolle
Altarblatt meines Kloſters — Ach! — Aure¬
lien erblickte ich! Mein ganzes Leben — mei¬
ne tauſendfachen Frevel — meine Miſſetha¬
ten — Hermogens — Aureliens Mord —
Alles — alles nur ein entſetzlicher Gedanke,
und der durchfuhr wie ein ſpitzes, gluͤhendes
Eiſen mein Gehirn. — Meine Bruſt — Adern
und Fibern zerriſſen im wilden Schmerz der
grauſamſten Folter! — Kein lindernder Tod!
— Ich warf mich nieder — ich zerriß in ra¬
ſender Verzweiflung mein Gewand — ich
heulte auf im troſtloſen Jammer, daß es
weit in der Kirche nachhallte: „Ich bin ver¬
flucht, ich bin verflucht! — Keine Gnade
— kein Troſt mehr, hier und dort! — Zur
Hoͤlle — zur Hoͤlle — ewige Verdammniß
uͤber mich verruchten Suͤnder beſchloſſen!“ —
Man hob mich auf — die Moͤnche waren in
[187] der Capelle, vor mir ſtand der Prior, ein
hoher ehrwuͤrdiger Greis. Er ſchaute mich
an mit unbeſchreiblich mildem Ernſt, er
faßte meine Haͤnde, und es war, als halte
ein Heiliger, von himmliſchem Mitleid erfuͤllt,
den Verlornen in den Luͤften uͤber dem
Flammenpfuhl feſt, in dem er hinabſtuͤrzen
wollte. „Du biſt krank, mein Bruder! ſprach
der Prior, wir wollen Dich in das Kloſter
bringen, da magſt Du Dich erholen.“ Ich
kuͤßte ſeine Haͤnde, ſein Kleid, ich konnte
nicht ſprechen, nur tiefe angſtvolle Seufzer
verriethen den fuͤrchterlichen, zerriſſenen Zu¬
ſtand meiner Seele. — Man fuͤhrte mich in
das Refektorium, auf einen Wink des Priors
entfernten ſich die Moͤnche, ich blieb mit
ihm allein. „Du ſcheinſt, mein Bruder!
fing er an: von ſchwerer Suͤnde belaſtet,
denn nur die tiefſte, troſtloſeſte Reue uͤber
eine entſetzliche That kann ſich ſo gebehrden.
Doch groß iſt die Langmuth des Herrn, ſtark
und kraͤftig iſt die Fuͤrſprache der Heiligen, faße
[188] Vertrauen — Du ſollſt mir beichten und
es wird Dir, wenn Du buͤßeſt, Troſt der
Kirche werden!“ In dem Augenblick ſchien es
mir, als ſey der Prior jener alte Pilger
aus der heiligen Linde, und nur der ſey das
einzige Weſen, auf der ganzen weiten Erde,
dem ich mein Leben voller Suͤnde und Fre¬
vel offenbaren muͤſſe. Noch war ich keines
Wortes maͤchtig, ich warf mich vor dem
Greiſe nieder in den Staub. „Ich gehe in
die Capelle des Kloſters“ ſprach er, mit feier¬
lichem Ton, und ſchritt von dannen. — Ich
war gefaßt — ich eilte ihm nach, er ſaß im
Beichtſtuhl, und ich that augenblicklich, wo¬
zu mich der Geiſt unwiderſtehlich trieb; ich
beichtete Alles — Alles! — Schrecklich war
die Buße, die mir der Prior auflegte. Ver¬
ſtoßen von der Kirche, wie ein Ausſaͤtziger
verbannt aus den Verſammlungen der Bruͤ¬
der, lag ich in den Todtengewoͤlben des Klo¬
ſters, mein Leben kaͤrglich friſtend durch un¬
ſchmackhafte in Waſſer gekochte Kraͤuter,
[189] mich geißelnd und peinigend mit Marterin¬
ſtrumenten, die die ſinnreichſte Grauſamkeit
erfunden, und meine Stimme erhebend nur
zur eigenen Anklage, zum zerknirſchten Ge¬
bet um Rettung aus der Hoͤlle, deren Flam¬
men ſchon in mir loderten. Aber wenn das
Blut aus hundert Wunden rann, wenn der
Schmerz in hundert giftigen Scorpionſtichen
brannte und dann endlich die Natur erlag, bis
der Schlaf ſie, wie ein ohnmaͤchtiges Kind, ſchuͤz¬
zend mit ſeinen Armen umfing, dann ſtiegen
feindliche Traumbilder empor, die mir neue
Todesmarter bereiteten. — Mein ganzes Le¬
ben geſtaltete ſich auf entſetzliche Weiſe. Ich
ſah Euphemien, wie ſie in uͤppiger Schoͤn¬
heit mir nahte, aber laut ſchrie ich auf:
„Was willſt Du von mir, Verruchte! Nein,
die Hoͤlle hat keinen Theil an mir.“ Da
ſchlug ſie ihr Gewand aus einander, und
die Schauer der Verdammniß ergriffen mich.
Zum Gerippe eingedorrt war ihr Leib, aber
in dem Gerippe wanden ſich unzaͤhlige
[190] Schlangen durch einander und ſtreckten ihre
Haͤupter, ihre rothgluͤhenden Zungen mir
entgegen. „Laß ab von mir! ... Deine
Schlangen ſtechen hinein in die wunde Bruſt
... ſie wollen ſich maͤſten von meinem Herz¬
blut ... aber dann ſterbe ich ... dann ſterbe
ich ... der entreißt mich Deiner Rache.“
So ſchrie ich auf, da heulte die Geſtalt: —
„Meine Schlangen koͤnnen ſich naͤhren von
Deinem Herzblut ... aber das fuͤhlſt Du nicht,
denn das iſt nicht Deine Qual — Deine
Qual iſt in Dir, und toͤdtet Dich nicht, denn
Du lebſt in ihr. Deine Qual iſt der Ge¬
danke des Frevels und der iſt ewig!“ — Der
blutende Hermogen ſtieg auf, aber vor ihm
floh Euphemie und er rauſchte voruͤber, auf
die Halswunde deutend, die die Geſtalt des
Kreuzes hatte. Ich wollte beten, da begann
ein ſinnverwirrendes Fluͤſtern und Rauſchen.
Menſchen, die ich ſonſt geſehen, erſchienen
zu tollen Fratzen verunſtaltet. — Koͤpfe kro¬
chen mit Heuſchreckenbeinen, die ihnen an
[191] die Ohren gewachſen, umher und lachten
mich haͤmiſch an — ſeltſames Gefluͤgel —
Raben mit Menſchengeſichtern rauſchten in
der Luft — Ich erkannte den Conzertmeiſter
aus B. mit ſeiner Schweſter, die drehte ſich
in wildem Walzer, und der Bruder ſpielte
dazu auf, aber auf der eigenen Bruſt ſtrei¬
chend, die zur Geige worden. — Belcampo,
mit einem haͤßlichen Eidexengeſicht, auf einem
ekelhaften gefluͤgelten Wurm ſitzend, fuhr auf
mich ein, er wollte meinen Bart kaͤmmen,
mit eiſernem gluͤhendem Kamm — aber es
gelang ihm nicht. — Toller und toller wird
das Gewirre, ſeltſamer, abentheuerlicher
werden die Geſtalten, von der kleinſten Amei¬
ſe mit tanzenden Menſchenfuͤßchen bis zum
langgedehnten Roßgerippe mit funkelnden
Augen, deſſen Haut zur Schabracke worden,
auf der ein Reuter mit leuchtendem Eulen¬
kopfe ſitzt. — Ein bodenloſer Becher iſt ſein
Leibharniſch — ein umgeſtuͤlpter Trichter
ſein Helm! — Der Spaß der Hoͤlle iſt em¬
[192] porgeſtiegen. Ich hoͤre mich lachen, aber
dies Lachen zerſchneidet die Bruſt, und bren¬
nender wird der Schmerz und heftiger blu¬
ten alle Wunden. — Die Geſtalt eines Wei¬
bes leuchtet hervor, das Geſindel weicht —
ſie tritt auf mich zu! — Ach es iſt Aurelie!
„Ich lebe, und bin nun ganz Dein!“ ſpricht
die Geſtalt. — Da wird der Frevel in mir
wach. — Raſend vor wilder Begier um¬
ſchlinge ich ſie mit meinen Armen. — Alle
Ohnmacht iſt von mir gewichen, aber da
legt es ſich gluͤhend an meine Bruſt — rau¬
he Borſten zerkratzen meine Augen, und der
Satan lacht gellend auf! Nun biſt Du ganz
mein! — Mit dem Schrei des Entſetzens
erwache ich, und bald fließt mein Blut in
Stroͤmen von den Hieben der Stachelpeitſche,
mit der ich mich in troſtloſer Verzweiflung
zuͤchtige. Denn ſelbſt die Frevel des Traums,
jeder ſuͤndliche Gedanke fordert doppelte Bu¬
ße. — Endlich war die Zeit, die der Prior
zur ſtrengſten Buße beſtimmt hatte, verſtri¬
chen[193] chen und ich ſtieg empor aus dem Todtengewoͤlbe,
um in dem Kloſter ſelbſt, aber in abgeſon¬
derter Zelle, entfernt von den Bruͤdern,
die nun mir auferlegten Bußuͤbungen vor¬
zunehmen. Dann, immer in geringern Gra¬
den der Buße, wurde mir der Eintritt in
die Kirche und in den Chor der Bruͤder er¬
laubt. Doch mir ſelbſt genuͤgte nicht dieſe
letzte Art der Buße, die nur in taͤglicher ge¬
woͤhnlicher Geißelung beſtehen ſollte. Ich
wies ſtandhaft jede beſſere Koſt zuruͤck, die
man mir reichen wollte, ganze Tage lag ich
ausgeſtreckt auf dem kalten Marmorboden
vor dem Bilde der heiligen Roſalia, und
marterte mich in einſamer Zelle ſelbſt auf
die grauſamſte Weiſe, denn durch aͤußere Qua¬
len gedachte ich die innere graͤßliche Marter
zu uͤbertaͤuben. Es war vergebens, immer
kehrten jene Geſtalten, von dem Gedanken
erzeugt, wieder, und dem Satan ſelbſt war
ich preisgegeben, daß er mich hoͤhnend fol¬
tere und verlocke zur Suͤnde. Meine ſtrenge
II. [ 13 ][194] Buße, die unerhoͤrte Weiſe, wie ich ſie voll¬
zog, erregte die Aufmerkſamkeit der Moͤn¬
che. Sie betrachteten mich mit ehrfurchtsvoller
Scheu, und ich hoͤrte es ſogar unter ihnen
fluͤſtern: Das iſt ein Heiliger! Dies Wort
war mir entſetzlich, denn nur zu lebhaft er¬
innerte es mich an jenen graͤßlichen Augen¬
blick in der Capuzinerkirche zu B., als ich
dem mich anſtarrenden Maler in vermeſſe¬
nem Wahnſinn entgegen rief: ich bin der hei¬
lige Antonius! — Die letzte, von dem Prior
beſtimmte Zeit der Buße war endlich auch
verfloſſen, ohne daß ich davon abließ, mich
zu martern, unerachtet meine Natur der
Qual zu erliegen ſchien. Meine Augen
waren erloſchen, mein wunder Koͤrper ein
blutendes Gerippe, und es kam dahin,
daß wenn ich Stundenlang am Boden gele¬
gen, ich ohne Huͤlfe Anderer nicht aufzuſte¬
hen vermochte. Der Prior ließ mich in ſein
Sprachzimmer bringen. „Fuͤhlſt Du, mein
Bruder! fing er an, durch die ſtrenge Bu¬
[195] ße Dein Inneres erleichtert? iſt Troſt des
Himmels Dir worden?“ — Nein, ehrwuͤrdiger
Herr, erwiederte ich in dumpfer Verzweiflung.
„Indem ich Dir, fuhr der Prior mit erhoͤhter
Stimme fort: Indem ich Dir, mein Bru¬
der! da Du mir eine Reihe entſetzlicher Tha¬
ten gebeichtet hatteſt, die ſtrengſte Buße auf¬
legte, genuͤgte ich den Geſetzen der Kirche,
welche wollen, daß der Uebelthaͤter, den der
Arm der Gerechtigkeit nicht erreichte und der
reuig dem Diener des Herrn ſeine Verbrechen
bekannte, auch durch aͤußere Handlungen die
Wahrheit ſeiner Reue kund thue. Er ſoll
den Geiſt ganz dem himmliſchen zuwenden,
und doch das Fleiſch peinigen, damit die irr¬
diſche Marter jede teufliſche Luſt der Untha¬
ten aufwaͤge. Doch glaube ich, und mir
ſtimmen beruͤhmte Kirchenlehrer bei, daß die
entſetzlichſten Qualen, die ſich der Buͤßende
zufuͤgt, dem Gewicht ſeiner Suͤnden auch
nicht ein Quentlein entnehmen, ſobald er
darauf ſeine Zuverſicht ſtuͤzt und der Gnade
[190 [196]] des Ewigen deshalb ſich wuͤrdig duͤnckt.
Keiner menſchlichen Vernunft erforſchlich iſt
es, wie der Ewige unſere Thaten mißt, ver¬
loren iſt der, der, iſt er auch von wirklichem
Frevel rein, vermeſſen glaubt, den Himmel
zu erſtuͤrmen durch aͤußeres Frommthun, und
der Buͤßende, welcher nach der Bußuͤbung
ſeinen Frevel vertilgt glaubt, beweiſet, daß
ſeine innere Reue nicht wahrhaft iſt. Du,
lieber Bruder Medardus, empfindeſt noch kei¬
ne Troͤſtung, das beweiſet die Wahrhaftig¬
keit Deiner Reue, unterlaſſe jetzt, ich will
es, alle Geißelungen, nimm beſſere Speiſe
zu Dir, und fliehe nicht mehr den Umgang
der Bruͤder. — Wiſſe, daß Dein geheimni߬
volles Leben mir in allen ſeinen wunderbar¬
ſten Verſchlingungen beſſer bekannt worden,
als Dir ſelbſt. — Ein Verhaͤngniß, dem Du
nicht entrinnen konnteſt, gab dem Satan
Macht uͤber Dich, und indem Du frevelteſt,
warſt Du nur ſein Werkzeug. Waͤhne aber
nicht, daß Du deshalb weniger ſuͤndig vor
[197] den Augen des Herrn erſchieneſt, denn Dir
war die Kraft gegeben, im ruͤſtigen Kampf
den Satan zu bezwingen. In weſſen Men¬
ſchen Herz ſtuͤrmt nicht der Boͤſe, und wi¬
derſtrebt dem Guten; aber ohne dieſen Kampf
gaͤb' es keine Tugend, denn dieſe iſt nur der
Sieg des guten Prinzips uͤber das boͤſe,
ſo wie aus dem umgekehrten die Suͤnde ent¬
ſpringt. — Wiſſe fuͤrs erſte, daß Du Dich
eines Verbrechens anklagſt, welches Du nur
im Willen vollbrachteſt. — Aurelie lebt, in
wildem Wahnſinn verletzteſt Du Dich ſelbſt,
das Blut Deiner eigenen Wunde war es,
was uͤber deine Hand floß ... Aurelie lebt ...
ich weiß es.“


Ich ſtuͤrzte auf die Knie, ich hob meine
Haͤnde betend empor, tiefe Seufzer entflohen
der Bruſt, Thraͤnen quollen aus den Augen!
— „Wiſſe ferner, fuhr der Prior fort, daß
jener alte fremde Mahler, von dem Du in
der Beichte geſprochen, ſchon ſo lange, als
ich denken kann, zuweilen unſer Kloſter be¬
[198] ſucht hat und vielleicht bald wieder eintref¬
fen wird. Er hat ein Buch mir in Verwah¬
rung gegeben, welches verſchiedene Zeichnun¬
gen, vorzuͤglich aber eine Geſchichte enthaͤlt,
der er jedesmahl, wenn er bei uns einſprach,
einige Zeilen zuſetzte. — Er hat mir nicht
verboten, das Buch jemanden in die Haͤnde
zu geben, und um ſo mehr will ich es Dir
anvertrauen, als dies meine heiligſte Pflicht
iſt. Den Zuſammenhang Deiner eignen,
ſeltſamen Schickſale, die Dich bald in eine
hoͤhere Welt wunderbarer Viſionen, bald
in das gemeinſte Leben verſetzten, wirſt Du
erfahren. Man ſagt, das Wunderbare ſey
von der Erde verſchwunden, ich glaube nicht
daran. Die Wunder ſind geblieben, denn
wenn wir ſelbſt das wunderbarſte von dem
wir taͤglich umgeben, deshalb nicht mehr ſo
nennen wollen, weil wir einer Reihe von
Erſcheinungen die Regel der cykliſchen Wie¬
derkehr abgelauert haben, ſo faͤhrt doch oft
durch jenen Kreis ein Phaͤnomen, das all'
[199] unſre Klugheit zu Schanden macht, und
an das wir, weil wir es nicht zu erfaſſen
vermoͤgen, in ſtumpfſinniger Verſtocktheit
nicht glauben. Hartnaͤckig laͤugnen wir dem
innern Auge deshalb die Erſcheinung ab,
weil ſie zu durchſichtig war, um ſich auf der
rauhen Flaͤche des aͤußern Auges abzuſpie¬
geln. — Jenen ſeltſamen Mahler rechne ich
zu den außerordentlichen Erſcheinungen, die
jeder erlauerten Regel ſpotten; ich bin zwei¬
felhaft, ob ſeine koͤrperliche Erſcheinung das
iſt, was wir wahr nennen. So viel iſt
gewiß, daß niemand die gewoͤhnlichen Funk¬
tionen des Lebens bei ihm bemerkt hat. Auch
ſah ich ihn niemals ſchreiben oder zeichnen,
unerachtet im Buch, worin er nur zu leſen
ſchien, jedesmahl, wenn er bei uns geweſen,
mehr Blaͤtter als vorher beſchrieben waren.
Seltſam iſt es auch, daß mir Alles im Bu¬
che nur verworrenes Gekritzel, undeutliche
Skizze eines fantaſtiſchen Mahlers zu ſeyn
ſchien, und nur dann erſt erkennbar und
[200] lesbar [wurde], als Du, mein lieber Bruder
Medardus! mir gebeichtet hatteſt. — Nicht
naͤher darf ich mich daruͤber auslaſſen, was
ich Ruͤckſichts des Mahlers ahne und glaube.
Du ſelbſt wirſt es errathen, oder vielmehr
das Geheimniß wird ſich Dir von ſelbſt
aufthun. Gehe, erkraͤftige Dich, und fuͤhlſt
Du Dich, wie ich glaube, daß es in weni¬
gen Tagen geſchehen wird, im Geiſte auf¬
gerichtet, ſo erhaͤltſt Du von mir des frem¬
den Mahlers wunderbares Buch.“ —


Ich that nach dem Willen des Priors,
ich aß mit den Bruͤdern, ich unterließ die
Kaſteiungen und beſchraͤnkte mich auf inbruͤn¬
ſtiges Gebet an den Altaͤren der Heiligen.
Blutete auch meine Herzenswunde fort, wur¬
de auch nicht milder der Schmerz, der aus
dem Innern heraus mich durchbohrte, ſo ver¬
ließen mich doch die entſetzlichen Traumbil¬
der, und oft, wenn ich, zum Tode matt,
auf dem harten Lager ſchlaflos lag, umwehte
es mich, wie mit Engelsfittigen, und ich ſah
[201] die holde Geſtalt der lebenden Aurelie, die,
himmliſches Mitleiden im Auge voll Thraͤ¬
nen, ſich uͤber mich hinbeugte. Sie ſtreckte
die Hand, wie mich beſchirmend aus, uͤber
mein Haupt, da ſenkten ſich meine Augen¬
lieder, und ein ſanfter erquickender Schlum¬
mer goß neue Lebenskraft in meine Adern.
Als der Prior bemerkte, daß mein Geiſt wie¬
der einige Spannung gewonnen, gab er mir
des Mahlers Buch, und ermahnte mich, es auf¬
merkſam in ſeiner Zelle zu leſen. — Ich ſchlug
es auf, und das erſte, was mir ins Auge fiel,
waren die in Umriſſen angedeuteten und dann in
Licht und Schatten ausgefuͤhrten Zeichnungen
der Fresko-Gemaͤhlde in der heiligen Linde.
Nicht das mindeſte Erſtaunen, nicht die mindeſte
Begierde, ſchnell das Raͤthſel zu loͤſen, regte
ſich in mir auf. Nein! — es gab kein Raͤth¬
ſel fuͤr mich, laͤngſt wußte ich ja Alles, was
in dieſem Mahlerbuch aufbewahrt worden.
Das, was der Mahler auf den letzten Seiten
des Buchs in kleiner, kaum lesbarer bunt
[202] gefaͤrbter Schrift zuſammen getragen hatte,
waren meine Traͤume, meine Ahnungen, nur
deutlich, beſtimmt in ſcharfen Zuͤgen darge¬
ſtellt, wie ich es niemals zu thun vermochte.


Eingeſchaltete Anmerkung des
Herausgebers.

Bruder Medardus faͤhrt hier, ohne ſich
weiter auf das, was er im Mahlerbuche
fand, einzulaſſen, in ſeiner Erzaͤhlung fort,
wie er Abſchied nahm von dem in ſeine
Geheimniſſe eingeweihten Prior und von den
freundlichen Bruͤdern, und wie er nach Rom
pilgerte, und uͤberall, in Sankt Peter, in
St. Sebaſtian und Laurenz, in St. Giova¬
ni a Laterano, in Sankta Maria Maggiore,
u. ſ. w. an allen Altaͤren kniete und bete¬
te, wie er ſelbſt des Pabſtes Aufmerkſamkeit
erregte, und endlich in einen Geruch der
Heiligkeit kam, der ihn — da er jetzt wirklich
ein reuiger Suͤnder worden, und wohl fuͤhl¬
te, daß er nichts mehr als das ſey — von Rom
[203] vertrieb. Wir, ich meine Dich und mich,
mein guͤnſtiger Leſer! wiſſen aber viel zu we¬
nig deutliches von den Ahnungen und Traͤu¬
men des Bruders Medardus, als daß wir,
ohne zu leſen, was der Mahler aufgeſchrie¬
ben, auch nur im mindeſten das Band zu¬
ſammen zu knuͤpfen vermoͤchten, welches die
verworren aus einander laufenden Faͤden der
Geſchichte des Medardus, wie in einen Kno¬
ten einigt. Ein beſſeres Gleichniß uͤbrigens
iſt es, daß uns der Fokus fehlt, aus dem die
verſchiedenen bunten Strahlen brachen. Das
Manuſkript des ſeligen Capuziners war in
altes vergelbtes Pergament eingeſchlagen, und
Dies Pergament mit kleiner, beinahe un¬
leſerlicher Schrift beſchrieben, die, da ſich
darin eine ganz ſeltſame Hand kund that,
meine Neugierde nicht wenig reizte. Nach
vieler Muͤhe gelang es mir, Buchſtaben und
Worte zu entziffern, und wie erſtaunte ich,
als es mir klar wurde, daß es jene im Mah¬
lerbuch aufgezeichnete Geſchichte ſey, von
[204] der Medardus ſpricht. Im alten Italiaͤniſch iſt
ſie beinahe Chronikenartig und ſehr aphoriſtiſch
geſchrieben. Der ſeltſame Ton klingt im deut¬
ſchen nur rauh und dumpf, wie ein geſprun¬
genes Glas, doch war es noͤthig zum Ver¬
ſtaͤndniß des Ganzen hier die Ueberſetzung
einzuſchalten; dies thue ich, nachdem ich
nur noch folgendes wehmuͤthigſt bemerkt.
Die fuͤrſtliche Familie, aus der jener oft ge¬
nannte Francesko abſtammte, lebt noch in
Italien, und eben ſo leben noch die Nach¬
koͤmmlinge des Fuͤrſten, in deſſen Reſidenz
ſich Medardus aufhielt. Unmoͤglich war es
daher, die Namen zu nennen, und unbe¬
huͤlflicher, ungeſchickter iſt Niemand auf der
ganzen Welt, als derjenige, der Dir, guͤn¬
ſtiger Leſer, dies Buch in die Haͤnde giebt,
wenn er Nahmen erdenken ſoll, da, wo
ſchon wirkliche, und zwar ſchoͤn und romantiſch
toͤnende, vorhanden ſind, wie es hier der Fall
war. Bezeichneter Herausgeber gedachte ſich
ſehr gut mit dem: der Fuͤrſt, der Baron
[205] u. ſ. w. herauszuhelfen, nun aber der alte
Mahler die geheimnißvollſten, verwickeltſten
Familienverhaͤltniſſe ins Klare ſtellt, ſieht er
wohl ein, daß er mit den allgemeinen Be¬
zeichnungen nicht vermag ganz verſtaͤndlich
zu werden. Er muͤßte den einfachen Chro¬
niken-Choral des Mahlers mit allerlei Er¬
klaͤrungen und Zurechtweiſungen, wie mit
krauſen Figuren, verſchnoͤrkeln und verbraͤ¬
men. — Ich trete in die Perſon des Her¬
ausgebers, und bitte Dich, guͤnſtiger Leſer!
Du wolleſt, ehe Du weiter lieſeſt, folgendes
Dir guͤtigſt merken. Camillo, Fuͤrſt von P.,
tritt als Stammvater Familie auf, aus
der Francesko, des Medardus Vater, ſtammt.
Theodor, Fuͤrſt von W., iſt der Vater des
Fuͤrſten Alexander von W., an deſſen Hofe
ſich Medardus aufhielt. Sein Bruder Al¬
bert, Fuͤrſt von W., vermaͤhlte ſich mit der
italiaͤniſchen Prinzeſſin Giazinta B. Die Fa¬
milie des Barons F. im Gebuͤrge iſt bekannt,
und nur zu bemerken, daß die Baroneſſe von
[206] F. aus Italien abſtammte, denn ſie war die
Tochter des Grafen Pietro S., eines Soh¬
nes des Grafen Filippo S. Alles wird ſich
lieber Leſer, nun klaͤrlich darthun, wenn Du
dieſe wenigen Vornahmen und Buchſtaben
im Sinn behaͤltſt. Es folgt nunmehr, ſtatt
der Fortſetzung der Geſchichte,

das Pergamentblatt des alten
Mahlers.

— — — Und es begab ſich, daß die Re¬
publik Genua, hart bedraͤngt von den algieri¬
ſchen Corſaren, ſich an den großen Seehelden
Camillo, Fuͤrſten von P., wandte, daß er
mit vier wohl ausgeruͤſteten und bemannten
Galeonen einen Streifzug gegen die verwe¬
genen Raͤuber unternehmen moͤge. Camillo,
nach ruhmvollen Thaten duͤrſtend, ſchrieb ſo¬
fort an ſeinen aͤlteſten Sohn Francesko, daß
er kommen moͤge, in des Vaters Abweſen¬
heit das Land zu regieren. Francesko uͤbte
in Leonardo da Vinci's Schule die Mahlerei,
[207] und der Geiſt der Kunſt hatte ſich ſeiner ſo
ganz und gar bemaͤchtigt, daß er nichts an¬
ders denken konnte. Daher hielt er auch die
Kunſt hoͤher, als alle Ehre und Pracht auf
Erden, und alles uͤbrige Thun und Treiben
der Menſchen erſchien ihm als ein klaͤgliches
Bemuͤhen um eitlen Tand. Er konnte von
der Kunſt und von dem Meiſter, der ſchon
hoch in den Jahren war, nicht laſſen, und
ſchrieb daher dem Vater zuruͤck, daß er
wohl den Pinſel, aber nicht den Szepter zu
fuͤhren verſtehe, und bei Leonardo bleiben
wolle. Da war der alte ſtolze Fuͤrſt Camil¬
lo hoch erzuͤrnt, ſchalt den Sohn einen un¬
wuͤrdigen Thoren, und ſchickte vertraute Die¬
ner ab, die den Sohn zuruͤckbringen ſollten.
Als nun aber Francesko ſtandhaft verwei¬
gerte, zuruͤckzukehren, als er erklaͤrte,
daß ein Fuͤrſt, von allem Glanz des Throns
umſtralt, ihm nur ein elendiglich Weſen duͤn¬
ke gegen einen tuͤchtigen Mahler, und daß
die groͤßten Kriegesthaten nur ein grauſames
[208] irdiſches Spiel waren, dagegen die Schoͤ¬
pfung des Mahlers, die reine Abſpiegelung
des ihm inwohnenden goͤttlichen Geiſtes ſey,
da ergrimmte der Seeheld Camillo und ſchwur,
daß er den Francesko verſtoßen und ſeinem
juͤngern Bruder Zenobio die Nachfolge zu¬
ſichern wolle. Francesko war damit gar zufrie¬
den, ja er trat in einer Urkunde ſeinem juͤngern
Bruder die Nachfolge auf den fuͤrſtlichen Thron
mit aller Form und Feierlichkeit ab, und ſo be¬
gab es ſich, daß, als der alte Fuͤrſt Camillo
in einem harten blutigen Kampfe mit den
Algierern ſein Leben verloren hatte, Zeno¬
bio zur Regierung kam, Francesko dagegen,
ſeinen fuͤrſtlichen Stand und Namen ver¬
laͤugnend, ein Mahler wurde, und von einem
kleinen Jahrgehalt, den ihm der regierende
Bruder ausgeſetzt, kuͤmmerlich genug lebte.
Francesko war ſonſt ein ſtolzer, uͤbermuͤthi¬
ger Juͤngling geweſen, nur der alte Leo¬
nardo zaͤhmte ſeinen wilden Sinn, und als
Francesko dem fuͤrſtlichen Stand entſagt
hatte,[209] hatte, wurde er Leonardo's frommer, treuer
Sohn. Er half dem Alten manch' wichti¬
ges großes Werk vollenden, und es geſchah,
daß der Schuͤler, ſich hinaufſchwingend zu der
Hoͤhe des Meiſters, beruͤhmt wurde, und man¬
ches Altarblatt fuͤr Kirchen und Kloͤſter ma¬
len mußte. Der alte Leonardo ſtand ihm
treulich bei mit Rath und That, bis er denn
endlich im hohen Alter ſtarb. Da brach, wie
ein lange muͤhſam unterdruͤcktes Feuer, in
dem Juͤngling Francesko wieder der Stolz
und Uebermuth hervor. Er hielt ſich fuͤr
den groͤßten Maler ſeiner Zeit und die er¬
reichte Kunſtvollkommenheit mit ſeinem Stan¬
de paarend, nannte er ſich ſelbſt den fuͤrſtli¬
chen Maler. Von dem alten Leonardo ſprach
er veraͤchtlich, und ſchuf, abweichend von
dem frommen, einfachen Styl, ſich eine neue
Manier, die mit der Ueppigkeit der Geſtal¬
ten und dem prahlenden Farbenglanz die
Augen der Menge verblendete, deren uͤber¬
triebene Lobſpruͤche ihn immer eitler und uͤber¬
II. [ 14 ][210] muͤthiger machten. Es geſchah, daß er zu
Rom unter wilde ausſchweifende Juͤnglinge
gerieth, und wie er nun in Allem der erſte
und vorzuͤglichſte zu ſeyn begehrte, ſo war
er bald im wilden Sturm des Laſters der
ruͤſtigſte Segler. Ganz von der falſchen truͤ¬
geriſchen Pracht des Heidenthums verfuͤhrt,
bildeten die Juͤnglinge, an deren Spitze Fran¬
cesko ſtand, einen geheimen Bund, in dem
ſie, das Chriſtenthum auf freveliche Weiſe
verſpottend, die Gebraͤuche der alten Grie¬
chen nachahmten und mit frechen Dirnen
verruchte ſuͤndhafte Feſte feierten. Es wa¬
ren Maler, aber noch mehr Bildhauer unter
ihnen, die wollten nur von der antikiſchen
Kunſt etwas wiſſen und verlachten Alles, was
neue Kuͤnſtler, von dem heiligen Chriſtenthum
entzuͤndet, zur Glorie deſſelben erfunden und
herrlich ausgefuͤhrt hatten. Francesko mal¬
te in unheiliger Begeiſterung viele Bilder
aus der luͤgenhaften Fabelwelt. Keiner als er
vermochte, die buhleriſche Ueppigkeit der weib¬
[211] lichen Geſtalten ſo wahrhaft darzuſtellen, in¬
dem er von lebenden Modellen die Carnation,
von den alten Marmorbildern aber Form
und Bildung entnahm. Statt, wie ſonſt, in
den Kirchen und Kloͤſtern ſich an den herr¬
lichen Bildern der alten frommen Meiſter zu
erbauen, und ſie mit kuͤnſtleriſcher Andacht
aufzunehmen in ſein Inneres, zeichnete er
aͤmſig die Geſtalten der luͤgneriſchen Heiden¬
goͤtter nach. Von keiner Geſtalt war er aber
ſo ganz und gar durchdrungen, als von ei¬
nem beruͤhmten Venusbilde, das er ſtets in
Gedanken trug. Das Jahrgehalt, was Ze¬
nobio dem Bruder ausgeſetzt hatte, blieb ein¬
mal laͤnger als gewoͤhnlich aus, und ſo kam
es, daß Francesko bei ſeinem wilden Leben,
das ihm allen Verdienſt ſchnell hinweg raffte,
und das er doch nicht laſſen wollte, in arge
Geldnoth gerieth. Da gedachte er, daß vor
langer Zeit ihm ein Capuzinerkloſter aufge¬
tragen hatte, fuͤr einen hohen Preis das
Bild der heiligen Roſalia zu malen, und er
[212] beſchloß, das Werk, das er aus Abſcheu
gegen alle chriſtliche Heiligen nicht unterneh¬
men wollte, nun ſchnell zu vollenden um
das Geld zu erhalten. Er gedachte die Heili¬
ge nackt, und in Form und Bildung des Ge¬
ſichts jenem Venusbilde gleich, darzuſtellen.
Der Entwurf gerieth uͤber die Maaßen wohl,
und die frevelichen Juͤnglinge prieſen hoch
Francesko's verruchten Einfall, den frommen
Moͤnchen, ſtatt der chriſtlichen Heiligen, ein
heidniſches Goͤtzenbild in die Kirche zu ſtel¬
len. Aber wie Francesko zu malen begann,
ſiehe, da geſtaltete ſich alles anders, als er
es in Sinn und Gedanken getragen, und ein
maͤchtigerer Geiſt uͤberwaͤltigte den Geiſt der
ſchnoͤden Luͤge der ihn beherrſcht hatte. Das
Geſicht eines Engels aus dem hohen Him¬
melreiche fing an, aus duͤſtern Nebeln her¬
vor zu daͤmmern; aber als wie von ſcheuer
Angſt, das Heilige zu verletzen und dann
dem Strafgericht des Herrn zu erliegen, er¬
griffen, wagte Francesko nicht, das Geſicht
[213] zu vollenden, und um den nackt gezeichneten
Koͤrper legten in anmuthigen Falten ſich zuͤch¬
tige Gewaͤnder, ein dunkelrothes Kleid und
ein azurblauer Mantel. Die Capuzinermoͤn¬
che hatten in dem Schreiben an den Maler
Francesko nur des Bildes der heiligen Ro¬
ſalia gedacht, ohne weiter zu beſtimmen, ob
dabei nicht eine denkwuͤrdige Geſchichte ihres
Lebens der Vorwurf des Malers ſeyn ſolle,
und eben daher hatte Francesko auch nur
in der Mitte des Blatts die Geſtalt der Hei¬
ligen entworfen; aber nun mahlte er, vom
Geiſte getrieben, allerlei Figuren rings um¬
her, die ſich wunderbarlich zuſammenfuͤgten,
um das Martyrium der Heiligen darzuſtellen.
Francesko war in ſein Bild ganz und gar
verſunken, oder vielmehr das Bild war ſelbſt
der maͤchtige Geiſt worden, der ihn mit ſtar¬
ken Armen umfaßte und emporhielt uͤber
das freveliche Weltleben, das er bisher ge¬
trieben. Nicht zu vollenden vermochte er
aber das Geſicht der Heiligen, und das wur¬
[214] de ihm zu einer hoͤlliſchen Qual, die, wie
mit ſpitzen Stacheln, in ſein inneres Gemuͤth
bohrte. Er gedachte nicht mehr des Venus¬
bildes, wohl aber war es ihm, als ſaͤhe er
den alten Meiſter Leonardo, der ihn anblick¬
te mit klaͤglicher Geberde, und ganz aͤngſt¬
lich und ſchmerzlich ſprach: Ach, ich wollte
Dir wohl helfen, aber ich darf es nicht, Du
mußt erſt entſagen allem ſuͤndhaften Streben,
und in tiefer Reue und Demuth die Fuͤr¬
bitte der Heiligen erflehen, gegen die Du
gefrevelt haſt. — Die Juͤnglinge, welche
Francesko ſo lange geflohen, ſuchten ihn auf
in ſeiner Werkſtatt und fanden ihn, wie ei¬
nen ohnmaͤchtigen Kranken, ausgeſtreckt auf
ſeinem Lager liegen. Da aber Francesko ih¬
nen ſeine Noth klagte, wie er, als ha¬
be ein boͤſer Geiſt ſeine Kraft gebrochen,
nicht das Bild der heiligen Roſalia fertig zu
machen vermoͤge, da lachten ſie alle auf und
ſprachen: „ey mein Bruder, wie biſt Du
denn mit einem mahl ſo krank worden? —
[215] Laßt uns dem Aeskulap und der freundlichen
Hygeia ein Weinopfer bringen, damit jener
Schwache dort geneſe!“ Es wurde Syraku¬
ſer Wein gebracht, womit die Juͤnglinge die
Trinkſchaalen fuͤllten, und, vor dem unvollen¬
deten Bilde den heidniſchen Goͤttern Libatio¬
nen darbringend, ausgoſſen. Aber als ſie
dann wacker zu zechen begannen, und dem
Francesko Wein darboten, da wollte dieſer
nicht trinken, und nicht Theil nehmen, an
dem Gelage der wilden Bruͤder, unerachtet
ſie Frau Venus hoch leben ließen! Da ſprach
einer unter ihnen: „Der thoͤrigte Maler da
iſt wohl wirklich in ſeinen Gedanken und
Gliedmaßen krank, und ich muß nur einen
Doktor herbeiholen.“ Er warf ſeinen Man¬
tel um, ſteckte ſeinen Stoßdegen an und
ſchritt zur Thuͤre hinaus. Es hatte aber nur
wenige Augenblicke gedauert, als er wieder
hereintrat und ſagte: „Ey ſeht doch nur, ich
bin ja ſelbſt ſchon der Arzt, der jenen
Siechling dort heilen will.“ Der Juͤngling,
[216] der gewiß einem alten Arzt in Gang und
Stellung recht aͤhnlich zu ſeyn begehrte, trip¬
pelte mit gekruͤmmten Knien einher, und
hatte ſein jugendliches Geſicht ſeltſamlich
in Runzeln und Falten verzogen, ſo daß er
anzuſehen war, wie ein alter recht haͤßlicher
Mann, und die Juͤnglinge ſehr lachten und
riefen: „Ey ſeht doch, was der Doktor fuͤr
gelehrte Geſichter zu ſchneiden vermag!“ Der
Doktor naͤherte ſich dem kranken Francesko,
und ſprach mit rauher Stimme und verhoͤh¬
nendem Ton: „Ey, Du armer Geſelle, ich muß
Dich wohl aufrichten aus truͤbſeliger Ohn¬
macht! — Ey, Du erbaͤrmlicher Geſelle, wie
ſiehſt Du doch ſo blaß und krank aus, der
Frau Venus wirſt Du ſo nicht gefallen! —
Kann ſeyn, daß Donna Roſalia ſich Deiner
annehmen wird, wenn Du geſundet! — Du
ohnmaͤchtiger Geſelle, nippe von meiner
Wunder-Arzeney. Da Du Heilige malen
willſt, wird Dich mein Trank wohl zu er¬
kraͤftigen vermoͤgen, es iſt Wein aus dem
[217] Keller des heiligen Antonias.“ Der angebli¬
che Doktor hatte eine Flaſche unter dem
Mantel hervorgezogen, die er jetzt oͤffnete.
Es ſtieg ein ſeltſamlicher Duft aus der Fla¬
ſche, der die Juͤnglinge betaͤubte, ſo daß ſie,
wie von Schlaͤfrigkeit uͤbernommen, in die
Seſſel ſanken und die Augen ſchloſſen. Aber
Francesko riß in wilder Wuth, verhoͤhnt zu
ſeyn als ein ohnmaͤchtiger Schwaͤchling, die
Flaſche dem Doktor aus den Haͤnden und
trank in vollen Zuͤgen. „Wohl bekomm Dir's“
rief der Juͤngling, der nun wieder ſein ju¬
gendliches Geſicht und ſeinen kraͤftigen Gang
angenommen hatte. Dann rief er die an¬
dern Juͤnglinge aus dem Schlafe auf, wo¬
rin ſie verſunken, und ſie taumelten mit ihm
die Treppe hinab. — So wie der Berg Ve¬
ſuv in wildem Brauſen verzehrende Flam¬
men ausſpruͤht, ſo tobte es jetzt in Feuer¬
ſtroͤmen heraus aus Francesko's Innern. Al¬
le heidniſche Geſchichten, die er jemals ge¬
malt, ſah er vor Augen, als ob ſie leben¬
[218] dig worden, und er rief mit gewaltiger
Stimme: „Auch Du mußt kommen, meine
geliebte Goͤttin, Du mußt leben und mein
ſeyn, oder ich weihe mich den unterirdiſchen
Goͤttern!“ Da erblickte er Frau Venus, dicht
vor dem Bilde ſtehend, und ihm freundlich
zuwinkend. Er ſprang auf von ſeinem La¬
ger, und begann an dem Kopfe der heiligen
Roſalia zu malen, weil er nun der Frau
Venus reizendes Angeſicht ganz getreulich
abzukonterfeyen gedachte. Es war ihm ſo,
als koͤnne der feſte Wille nicht gebieten der
Hand, denn immer glitt der Pinſel ab von
den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen
Roſalia eingehuͤllt war, und ſtrich unwill¬
kuͤrlich an den Haͤuptern der barbariſchen
Maͤnner, von denen ſie umgeben. Und doch
kam das himmliſche Antlitz der Heiligen im¬
mer ſichtbarlicher zum Vorſchein, und blick¬
te den Francesko ploͤtzlich mit ſolchen leben¬
digſtralenden Augen an, daß er, wie von
einem herabfahrenden Blitze toͤdtlich getrof¬
[219] fen, zu Boden ſtuͤrzte. Als er wieder nur
etwas weniges ſeiner Sinnen maͤchtig wor¬
den, richtete er ſich muͤhſam in die Hoͤhe,
er wagte jedoch nicht, nach dem Bilde, das
ihm ſo ſchrecklich worden, hinzublicken, ſon¬
dern ſchlich mit geſenktem Haupte nach dem
Tiſche, auf dem des Doktors Weinflaſche
ſtand, aus der er einen tuͤchtigen Zug that.
Da war Francesko wieder ganz erkraͤftigt,
er ſchaute nach ſeinem Bilde, es ſtand, bis
auf den letzten Pinſelſtrich vollendet, vor ihm,
und nicht das Antlitz der heiligen Roſalia,
ſondern das geliebte Venusbild lachte ihn
mit uͤppigem Liebesblicke an. In demſelben
Augenblick wurde Francesko von wilden fre¬
velichen Trieben entzuͤndet. Er heulte vor
wahnſinniger Begier, er gedachte des heid¬
niſchen Bildhauers Pygmalion, deſſen Ge¬
ſchichte er gemalt, und flehte ſo wie er zur
Frau Venus, daß ſie ſeinem Bilde Leben
einhauchen moͤge. Bald war es ihm auch,
als finge das Bild an ſich zu regen, doch
[220] als er es in ſeine Arme faſſen wollte, ſah
er wohl, daß es todte Leinewand geblieben.
Dann zerraufte er ſein Haar und gebehrdete
ſich wie einer, der von dem Satan beſeſſen.
Schon zwei Tage und zwei Naͤchte hatte es
Francesko ſo getrieben; am dritten Tag, als
er, wie eine erſtarrte Bildſaͤule, vor dem
Bilde ſtand, ging die Thuͤre ſeines Gemachs
auf, und es rauſchte hinter ihm wie mit weib¬
lichen Gewaͤndern. Er drehte ſich um und
erblickte ein Weib, das er fuͤr das Original
ſeines Bildes erkannte. Es waͤren ihm ſchier
die Sinne vergangen, als er das Bild, wel¬
ches er aus ſeinen innerſten Gedanken nach
einem Marmorbilde erſchaffen, nun lebendig
vor ſich in aller nur erdenklichen Schoͤnheit
erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein
Grauſen an, wenn er das Gemaͤlde anſah,
das nun wie eine getreuliche Abſpiegelung des
fremden Weibes erſchien. Es geſchah ihm dasje¬
nige was die wunderbarliche Erſcheinung eines
Geiſtes zu bewirken pflegt, die Zunge war
[221] ihm gebunden, und er fiel lautlos vor der
Fremden auf die K ee und hob die Haͤnde
wie anbetend zu ihr empor. Das fremde
Weib richtete ihn aber laͤchelnd auf und ſag¬
te ihm, daß ſie ihn ſchon damals, als er in
der Malerſchule des alten Leonardo da Vin¬
ci geweſen, als ein kleines Maͤdchen oftmals
geſehen und eine unſaͤgliche Liebe zu ihm ge¬
faßt habe. Eltern und Verwandte habe ſie
nun verlaſſen, und ſey allein nach Rom ge¬
wandert, um ihn wiederzufinden, da eine in
ihrem Innern ertoͤnende Stimme ihr geſagt
habe, daß er ſie ſehr liebe und ſie aus lau¬
ter Sehnſucht und Begierde abkonterfeyt ha¬
be, was denn, wie ſie jetzt ſehe, auch wirk¬
lich wahr ſey. Francesko merkte nun, daß
ein geheimnißvolles Seelenverſtaͤndniß mit
dem fremden Weibe obgewaltet, und daß
dieſes Verſtaͤndniß das wunderbare Bild und
ſeine wahnſinnige Liebe zu demſelben ge¬
ſchaffen hatte. Er umarmte das Weib voll
inbruͤnſtiger Liebe, und wollte ſie ſogleich
[222] nach der Kirche fuͤhren, damit ein Prieſter
ſie durch das heilige Sakrament der Ehe auf
ewig binde. Dafuͤr ſchien ſich das Weib
aber zu entſetzen, und ſie ſprach: „Ey, mein
geliebter Francesko, biſt Du denn nicht ein
wackrer Kuͤnſtler, der ſich nicht feſſeln laͤßt
von den Banden der chriſtlichen Kirche? Biſt
Du nicht mit Leib und Seele dem freudigen
friſchen Alterthum und ſeinen dem Leben
freundlichen Goͤttern zugewandt? Was geht
unſer Buͤndniß die traurigen Prieſter an,
die in duͤſtern Hallen ihr Leben in hoffnungs¬
loſer Klage verjammern; Laß uns heiter
und hell das Feſt unſerer Liebe feiern. Fran¬
cesko wurde von dieſen Reden des Weibes
verfuͤhrt, und ſo geſchah es, daß er mit den
von ſuͤndigem, frevelichem Leichtſinn befan¬
genen Juͤnglingen, die ſich ſeine Freunde
nannten, noch an demſelben Abende ſein
Hochzeitsfeſt mit dem fremden Weibe nach
heidniſchen Gebraͤuchen beging. Es fand
ſich, daß das Weib eine Kiſte mit Kleinodien
[223] und baarem Gelde mitgebracht hatte, und
Francesko lebte mit ihr, in ſuͤndlichen Ge¬
nuͤſſen ſchwelgend, und ſeiner Kunſt entſagend,
lange Zeit hindurch. Das Weib fuͤhlte ſich
ſchwanger und bluͤhte nun erſt immer herrlicher
und herrlicher in leuchtender Schoͤnheit auf, ſie
ſchien ganz und gar das erweckte Venusbild,
und Francesko vermochte kaum, die uͤppige
Luſt ſeines Lebens zu ertragen. Ein dumpfes
angſtvolles Stoͤhnen weckte in einer Nacht
den Francesko aus dem Schlafe; als er er¬
ſchrocken aufſprang und mit der Leuchte in
der Hand nach ſeinem Weibe ſah, hatte ſie
ihm ein Knaͤblein geboren. Schnell mußten
die Diener eilen, um Wehmutter und Arzt
herbeizurufen. Francesko nahm das Kind
von dem Schooße der Mutter, aber in dem¬
ſelben Augenblick ſtieß das Weib einen ent¬
ſetzlichen, durchdringenden Schrei aus und
kruͤmmte ſich, wie von gewaltigen Faͤuſten
gepackt, zuſammen. Die Wehmutter kam mit
ihrer Dienerin, ihr folgte der Arzt; als ſie
[224] nun aber dem Weibe Huͤlfe leiſten wollten,
ſchauderten ſie entſetzt zuruͤck, denn das Weib
war zum Tode erſtarrt, Hals und Bruſt durch
blaue, garſtige Flecke verunſtaltet, und ſtatt
des jungen ſchoͤnen Geſichts erblickten ſie ein
graͤßlich verzerrtes runzliches Geſicht mit off¬
nen heraus ſtarrenden Augen. Auf das Geſchrei,
das die beiden Weiber erhoben, liefen die
Nachbarsleute herzu, man hatte von jeher
von dem fremden Weibe allerlei ſeltſames ge¬
ſprochen; die uͤppige Lebensart, die ſie mit
Francesko fuͤhrte, war Allen ein Greuel ge¬
weſen, und es ſtand daran, daß man ihr
ſuͤndhaftes Beiſammenſeyn ohne prieſterliche
Einſegnung, den geiſtlichen Gerichten anzei¬
gen wollte. Nun, als ſie die graͤßlich ent¬
ſtellte Todte ſahen, war es Allen gewiß, daß
ſie im Buͤndniß mit dem Teufel gelebt, der
ſich jetzt ihrer bemaͤchtigt habe. Ihre Schoͤn¬
heit war nur ein luͤgneriſches Trugbild ver¬
dammter Zauberei geweſen. Alle Leute die
gekommen, flohen erſchreckt von dannen, kei¬
ner[225] ner mochte die Todte anruͤhren. Francesko
wußte nun wohl, mit wem er es zu thun
gehabt hatte, und es bemaͤchtigte ſich ſei¬
ner eine entſetzliche Angſt. Alle ſeine Fre¬
vel ſtanden ihm vor Augen, und das Straf¬
gericht des Herrn begann ſchon hier auf Er¬
den, da die Flammen der Hoͤlle in ſeinem
Innern aufloderten.


Des andern Tages kam ein Abgeordne¬
ter des geiſtlichen Gerichts, mit den Haͤſchern,
und wollte den Francesko verhaften, da er¬
wachte aber ſein Muth und ſtolzer Sinn,
er ergriff ſeinen Stoßdegen, machte ſich Platz
und entrann. Eine gute Strecke von Rom
fand er eine Hoͤhle, in die er ſich ermuͤdet
und ermattet verbarg. Ohne ſich deſſen
deutlich bewußt zu ſeyn, hatte er das neuge¬
borne Knaͤblein in den Mantel gewickelt
und mit ſich genommen. Voll wilden In¬
grimms wollte er das, von dem teufliſchen
Weibe ihm geborne Kind an den Steinen
zerſchmettern, aber indem er es in die Hoͤhe
II. [ 15 ][226] hob, ſtieß es klaͤgliche bittende Toͤne aus,
und es wandelte ihn tiefes Mitleid an, er
legte das Knaͤblein auf weiches Moos, und
troͤpfelte ihm den Saft einer Pommeranze
ein, die er bei ſich getragen. Francesko
hatte, gleich einem buͤßenden Einſiedler, meh¬
rere Wochen in der Hoͤhle zugebracht, und
ſich abwendend von dem ſuͤndlichen Fre¬
vel, in dem er gelebt, inbruͤnſtig zu den
Heiligen gebetet. Aber vor allen Andern rief
er die von ihm ſchwer beleidigte Roſalia an,
daß ſie vor dem Throne des Herrn ſeine Fuͤr¬
ſprecherin ſeyn moͤge. Eines Abends lag
Francesko, in der Wildniß betend, auf
den Knien, und ſchaute in die Sonne, wel¬
che ſich tauchte in das Meer, das in Weſten
ſeine rothen Flammenwellen emporſchlug.
Aber, ſo wie die Flammen verblaßten im
grauen Abendnebel, gewahrte Francesko in den
Luͤften einen leuchtenden Roſenſchimmer, der
ſich bald zu geſtalten begann. Von Engeln um¬
geben ſah Francesko die heilige Roſalia, wie ſie
[227] auf einer Wolke kniete, und ein ſanftes Saͤuſeln
und Rauſchen ſprach die Worte: „Herr, ver¬
gieb dem Menſchen, der in ſeiner Schwachheit
und Ohnmacht nicht zu widerſtehen vermoch¬
te, den Lockungen des Satans.“ Da zuckten
Blitze durch den Roſenſchimmer, und ein dum¬
pfer Donner ging droͤhnend durch das Gewoͤlbe
des Himmels: „Welcher ſuͤndige Menſch hat
gleich dieſem gefrevelt! Nicht Gnade, nicht
Ruhe im Grabe ſoll er finden, ſo lange der
Stamm, den ſein Verbrechen erzeugte, fort¬
wuchert, in frevelicher Suͤnde!“ — — Fran¬
cesko ſank nieder in den Staub, denn er
wußte wohl, daß nun ſein Urtheil geſpro¬
chen, und ein entſetzliches [Verhaͤngniß] ihn
troſtlos umhertreiben werde. Er floh, ohne
des Knaͤbleins in der Hoͤhle zu gedenken, von
dannen, und lebte, da er nicht mehr zu ma¬
len vermochte, im tiefen, jammervollen
Elend. Manchmal kam es ihm in den Sinn,
als muͤſſe er zur Glorie der chriſtlichen Reli¬
gion, herrliche Gemaͤlde ausfuͤhren, und
[228] er dachte große Stuͤcke in der Zeichnung und
Faͤrbung aus, die die heiligen Geſchichten
der Jungfrau und der heiligen Roſalia dar¬
ſtellen ſollten; aber wie konnte er ſolche
Malerei beginnen, da er keinen Skudo be¬
ſaß, um Leinwand und Farben zu kaufen,
und nur von duͤrftigen Almoſen, an den Kir¬
chenthuͤren geſpendet, ſein qualvolles Leben
durchbrachte. Da begab es ſich, daß als er
einſt in einer Kirche, die leere Wand [anſtar¬
rend]
, in Gedanken malte, zwei in Schleier
gehuͤllte Frauen auf ihn zu traten, von de¬
nen eine mit holder Engelsſtimme ſprach: „In
dem fernen Preußen iſt der Jungfrau Maria,
da wo die Engel des Herrn ihr Bildniß auf
einen Lindenbaum niederſetzten, eine Kirche
erbaut worden, die noch des Schmuckes der
Malerei entbehrt. Ziehe hin, die Ausuͤbung
Deiner Kunſt ſey Dir heilige Andacht, und
Deine zerriſſene Seele wird gelabt werden
mit himmliſchem Troſt.“ — Als Francesko
aufblickte zu den Frauen, gewahrte er, wie
[229] ſie in ſanftleuchtenden Strahlen zerfloſſen,
und ein Lilien- und Roſenduft die Kirche
durchſtroͤmte. Nun wußte Francesko wer die
Frauen waren und wollte den andern Mor¬
gen ſeine Pilgerfahrt beginnen. Aber noch
am Abende deſſelben Tages fand ihn, nach
vielem Muͤhen, ein Diener Zenobio's auf,
der ihm ein zweijaͤhriges Gehalt auszahlte,
und ihn einlud an den Hof ſeines Herrn.
Doch nur eine geringe Summe behielt Fran¬
cesko, das uͤbrige theilte er aus an die Ar¬
men, und machte ſich auf nach dem fernen
Preußen. Der Weg fuͤhrte ihn uͤber Rom,
und er kam in das nicht ferne davon gelege¬
ne Capuzinerkloſter, fuͤr welches er die hei¬
lige Roſalia gemalt hatte. Er ſah auch
das Bild in den Altar eingefugt, doch be¬
merkte er, bei naͤherer Betrachtung, daß es
nur eine Copie ſeines Gemaͤldes war. Das
Original hatten, wie er erfuhr, die Moͤnche
nicht behalten moͤgen, wegen der ſonderba¬
ren Geruͤchte, die man von dem entflohenen
[230] Maler verbreitete, aus deſſen Nachlaß ſie
das Bild bekommen, ſondern daſſelbe nach
genommener Copie, an das Capuzinerkloſter
in B. verkauft. Nach beſchwerlicher Pilger¬
fahrt langte Francesko in dem Kloſter der
heiligen Linde in Oſtpreußen an, und erfuͤllte
den Befehl, den ihm die heilige Jungfrau
ſelbſt gegeben. Er malte die Kirche ſo
wunderbarlich aus, daß er wohl einſah, wie
der Geiſt der Gnade in ihm zu wirken be¬
ginne. Troſt des Himmels floß in ſeine Seele.


Es begab ſich, daß der Graf Filippo S.
auf der Jagd in einer abgelegenen wilden
Gegend von einem boͤſen Unwetter uͤberfallen
wurde. Der Sturm heulte durch die Kluͤfte,
der Regen goß in Stroͤmen herab, als ſolle
in einer neuen Suͤndfluth Menſch und Thier
untergehen; da fand Graf Filippo eine Hoͤh¬
le, in die er ſich, ſammt ſeinem Pferde, das
er muͤhſam hineinzog, rettete. Schwarzes
Gewoͤlk hatte ſich uͤber den ganzen Horizont
[231] gelegt, daher war es, zumal in der Hoͤhle,
ſo finſter, daß Graf Filippo nichts unter¬
ſcheiden und nicht entdecken konnte, was
dicht neben ihm ſo raſchle und rauſche. Er
war voll Bangigkeit, daß wohl ein wildes
Thier in der Hoͤhle verborgen ſeyn koͤnne, und
zog ſein Schwert, um jeden Angriff abzu¬
wehren. Als aber das Unwetter voruͤber,
und die Sonnenſtralen in die Hoͤhle fielen,
gewahrte er zu ſeinem Erſtaunen, daß neben
ihn auf einem Blaͤtterlager ein nacktes Knaͤb¬
lein lag und ihn mit hellen funkelnden Au¬
gen anſchaute. Neben ihm ſtand ein Becher
von Elfenbein, in dem der Graf Filippo
noch einige Tropfen duftenden Weines fand,
die das Knaͤblein begierig einſog. Der Graf
ließ ſein Horn ertoͤnen, nach und nach ſam¬
melten ſich ſeine Leute, die hierhin, dorthin
gefluͤchtet waren, und man wartete auf des
Grafen B[ef]ehl, ob ſich nicht derjenige, der
das Kind in die Hoͤhle gelegt, einfinden wuͤr¬
de, es abzuholen. Als nun aber die Nacht
[232] einzubrechen begann, da ſprach der Graf Fi¬
lippo: „Ich kann das Knaͤblein nicht huͤlflos
liegen laſſen, ſondern will es mit mir neh¬
men, und daß ich dies gethan, uͤberall be¬
kannt machen laſſen, damit es die Eltern,
oder ſonſt einer, der es in die Hoͤhle legte,
von mir abfordern kann.“ Es geſchah ſo;
aber Wochen, Monate und Jahre vergingen,
ohne daß ſich jemand gemeldet haͤtte. Der
Graf hatte dem Fuͤndling in heiliger Taufe
den Namen Francesko geben laſſen. Der
Knabe wuchs heran und wurde an Geſtalt
und Geiſt ein wunderbarer Juͤngling, den
der Graf, ſeiner ſeltenen Gaben wegen wie
ſeinen Sohn liebte, und ihm, da er kinder¬
los war, ſein ganzes Vermoͤgen zuzuwen¬
den gedachte. Schon fuͤnf und zwanzig Jahre
war Francesko alt worden, als der Graf
Filippo in thoͤrichter Liebe zu einem armen
bildſchoͤnen Fraͤulein entbrannte, und ſie hei¬
rathete, unerachtet ſie blutjung, er aber
ſchon ſehr hoch in Jahren war. Francesko
[233] wurde alsbald von ſuͤndhafter Begier nach
dem Beſitze der Graͤfin erfaßt, und unerach¬
tet ſie gar fromm und tugendhaft war, und
nicht die geſchworene Treue verletzen wollte,
gelang es ihm doch endlich nach hartem Kam¬
pfe, ſie durch teufliſche Kuͤnſte zu verſtricken,
ſo daß ſie ſich der frevelichen Luſt uͤberließ,
und er ſeinen Wohlthaͤter mit ſchwarzem
Undank und Verrath lohnte. Die beiden
Kinder, Graf Pietro und Graͤfin Angiola
die der greiſe Filippo in vollem Entzuͤcken
der Vaterfreude an ſein Herz druͤckte, waren
die Fruͤchte des Frevels, der ihm, ſo wie
der Welt, auf ewig verborgen blieb.


Von innerm Geiſte getrieben, trat ich
zu meinem Bruder Zenobio und ſprach: „ich
habe dem Throne entſagt, und ſelbſt
dann, wenn Du kinderlos vor mir ſterben
ſollteſt, will ich ein armer Maler bleiben
und mein Leben in ſtiller Andacht, die Kunſt
[234] uͤbend, hinbringen. Doch nicht fremdem
Staat ſoll unſer Laͤndlein anheim fallen.
Jener Francesko, den der Graf Filippo S.
erzogen, iſt mein Sohn. Ich war es, der
auf wilder Flucht ihn in der Hoͤhle zuruͤckließ
wo ihn der Graf fand. Auf dem elfen¬
beinernen Becher der bei ihm ſtand, iſt un¬
ſer Wappen geſchnitzt, doch noch mehr als
das ſchuͤtzt des Juͤnglings Bildung, die ihn
als aus unſerer Familie abſtammend, getreu¬
lich bezeichnet, vor jedem Irrthum. Nimm,
mein Bruder Zenobio! den Juͤngling als Dei¬
nen Sohn auf, und er ſey Dein Nachfolger!“
— Zenobio's Zweifel, ob der Juͤngling
Francesko in rechtmaͤßiger Ehe erzeugt ſey,
wurden durch die von dem Pabſt ſanktionir¬
te Adoptionsurkunde, die ich auswirkte, ge¬
hoben, und ſo geſchah es, daß meines Soh¬
nes ſuͤndhaftes, ehebrecheriſches Leben ende¬
te und er bald in rechtmaͤßiger Ehe einen
Sohn erzeugte, den er Paolo Francesko
nannte. — Gewuchert hat der verbrecheri¬
[235] ſche Stamm auf verbrecheriſche Weiſe. Doch,
kann meines Sohnes Reue nicht ſeine Fre¬
vel ſuͤhnen? Ich ſtand vor ihm, wie das
Strafgericht des Herrn, denn ſein Innerſtes
lag vor mir offen und klar, und was der
Welt verborgen, das ſagte mir der Geiſt, der
maͤchtig und maͤchtiger wird in mir, und
mich emporhebt uͤber den brauſenden Wel¬
len des Lebens, daß ich hinabzuſchauen ver¬
mag in die Tiefe, ohne daß dieſer Blick
mich hinabzieht zum Tode.


Francesko's Entfernung brachte der Graͤ¬
fin S. den Tod, denn nun erſt erwachte ſie
zum Bewußtſeyn der Suͤnde, und nicht uͤber¬
ſtehen konnte ſie den Kampf der Liebe zum
Verbrecher, und der Reue uͤber das, was
ſie begangen. Graf Filippo wurde neunzig
Jahr alt, dann ſtarb er als ein kindiſcher
Greis. Sein vermeintlicher Sohn Pietro
zog mit ſeiner Schweſter Angiola an den
[236] Hof Francesko's, der dem Zenobio gefolgt
war. Durch glaͤnzende Feſte wurde Paolo
Francesko's Verlobung mit Vittoria, Fuͤrſtin
von M., gefeiert, als aber Pietro die Braut
in voller Schoͤnheit erblickte, wurde er in
heftiger Liebe entzuͤndet, und ohne der Ge¬
fahr zu achten, bewarb er ſich um Vitto¬
ria's Gunſt. Doch Paolo Francesko's Blik¬
ken entging Pietro's Beſtreben, da er ſelbſt
in ſeine Schweſter Angiola heftig entbrannt
war, die all' ſein Bemuͤhen kalt zuruͤckwies.
Vittoria entfernte ſich von dem Hofe um,
wie ſie vorgab, noch vor ihrer Heirath in
ſtiller Einſamkeit ein heiliges Geluͤbde zu
erfuͤllen. Erſt nach Ablauf eines Jahres
kehrte ſie zuruͤck, die Hochzeit ſollte vor ſich
gehen, und gleich nach derſelben wollte
Graf Pietro mit ſeiner Schweſter Angiola
nach ſeiner Vaterſtadt zuruͤckkehren. Paolo
Francesko's Liebe zur Angiola war durch
ihr ſtetes, ſtandhaftes Widerſtreben, immer
mehr entflammt worden, und artete jetzt aus
[237] in die wuͤthende Begier des wilden Thie¬
res, die er nur durch den Gedanken des Ge¬
nuſſes zu bezaͤhmen vermochte. — So ge¬
ſchah es, daß er durch den ſchaͤndlichſten
Verrath am Hochzeitstage ehe er in die
Brautkammer ging, Angiola in ihrem Schlaf¬
zimmer uͤberfiel, und ohne daß ſie zur Be¬
ſinnung kam, denn Opiate hatte ſie beim
Hochzeitmal bekommen, ſeine freveliche Luſt
befriedigte. Als Angiola durch die verruch¬
te That dem Tode nahe gebracht wurde,
da geſtand der von Gewiſſensbiſſen gefol¬
terte Paolo Francesko ein, was er be¬
gangen. Im erſten Aufbrauſen des Zorns,
wollte Pietro den Verraͤther niederſtoßen,
aber gelaͤhmt ſank ſein Arm nieder, da er
daran dachte, daß ſeine Rache der That
vorangegangen. Die kleine Giazinta, Fuͤr¬
ſtin von B., allgemein fuͤr die Tochter der
Schweſter Vittoria's geltend, war die Frucht
des geheimen Verſtaͤndniſſes, das Pietro mit
Paolo Francesko's Braut unterhalten hatte.
[238] Pietro ging mit Angiola nach Deutſchland,
wo ſie einen Sohn gebar, den man Franz
nannte und ſorgfaͤltig erziehen ließ. Die
ſchuldloſe Angiola troͤſtete ſich endlich uͤber
den entſetzlichen Frevel, und bluͤhte wieder
auf in gar herrlicher Anmuth und Schoͤn¬
heit. So kam es, daß der Fuͤrſt Theodor
von W. eine gar heftige Liebe zu ihr faßte,
die ſie aus tiefer Seele erwiederte. Sie
wurde in kurzer Zeit ſeine Gemalin, und
Graf Pietro vermaͤlte ſich zu gleicher Zeit
mit einem teutſchen Fraͤulein, mit der er
eine Tochter erzeugte, ſo wie Angiola dem
Fuͤrſten zwei Soͤhne gebar. Wohl konnte
ſich die fromme Angiola ganz rein im Ge¬
wiſſen fuͤhlen, und doch verſank ſie oft in
duͤſteres Nachdenken, wenn ihr, wie ein boͤ¬
ſer Traum, Paolo Francesko's verruchte That
in den Sinn kam, ja es war ihr oft ſo zu
Muthe, als ſey ſelbſt die bewußtlos began¬
gene Suͤnde ſtrafbar, und wuͤrde geraͤcht
werden an ihr und ihren Nachkommen. Selbſt
[239] die Beichte und vollſtaͤndige Abſolution konn¬
te ſie nicht beruhigen. Wie eine himmli¬
ſche Eingebung kam ihr nach langer Qual
der Gedanke, daß ſie alles ihrem Gemal ent¬
decken muͤſſe. Unerachtet ſie wohl ſich des
ſchweren Kampfes verſah, den ihr das Ge¬
ſtaͤndniß des von dem Boͤſewicht Paolo Fran¬
cesko veruͤbten Frevels koſten wuͤrde, ſo ge¬
lobte ſie ſich doch feierlich, den ſchweren
Schritt zu wagen, und ſie hielt, was ſie ge¬
lobt hatte. Mit Entſetzen vernahm Fuͤrſt
Theodor die verruchte That, ſein Inneres
wurde heftig erſchuͤttert, und der tiefe In¬
grimm ſchien ſelbſt der ſchuldloſen Gemalin
bedrohlich zu werden. So geſchah es, daß
ſie einige Monate auf einem entfernten
Schloß zubrachte; waͤhrend der Zeit bekaͤmpf¬
te der Fuͤrſt die bittern Empfindungen, die
ihn quaͤlten, und es kam ſo weit, daß er
nicht allein verſoͤhnt der Gemalin die Hand
bot, ſondern auch, ohne das ſie es wußte,
fuͤr Franzens Erziehung ſorgte. Nach dem
[240] Tode des Fuͤrſten und ſeiner Gemalin, wu߬
te nur Graf Pietro und der junge Fuͤrſt
Alexander von W. um das Geheimniß von
Franzens Geburt. Keiner der Nachkoͤmmlin¬
ge des Malers wurde jenem Francesko, den
Graf Filippo erzog, ſo ganz und gar aͤhn¬
lich an Geiſt und Bildung als dieſer Franz.
Ein wunderbarer Juͤngling vom hoͤheren
Geiſte belebt, feurig und raſch in Gedanken
und That. Mag des Vaters, mag des Ahn¬
herrn Suͤnde nicht auf ihm laſten, mag er
widerſtehen den boͤſen Verlockungen des Sa¬
tans. Ehe Fuͤrſt Theodor ſtarb, reiſeten ſei¬
ne beiden Soͤhne Alexander und Johann
nach dem ſchoͤnen Welſchland, doch nicht ſo¬
wohl offenbare Uneinigkeit, als verſchiedene
Neigung, verſchiedenes Streben war die Ur¬
ſache, daß die beiden Bruͤder ſich in Rom
trennten. Alexander, kam an Paolo Fran¬
cesko's Hof, und faßte ſolche Liebe zu Paolos
juͤngſter mit Vittoria erzeugten Tochter, daß
er ſich ihr zu vermaͤlen gedachte. Fuͤrſt Theo¬
dor[241] dor wies indeſſen mit einem Abſcheu, der
dem Fuͤrſten Alexander unerklaͤrlich war, die
Verbindung zuruͤck, und ſo kam es, daß erſt
nach Theodors Tode Fuͤrſt Alexander ſich
mit Paolo Francesko's Tochter vermaͤlte.
Prinz Johann hatte auf dem Heimwege ſei¬
nen Bruder Franz kennen gelernt, und fand
an dem Juͤnglinge, deſſen nahe Verwandt¬
ſchaft mit ihm er nicht ahnte, ſolches Beha¬
gen, daß er ſich nicht mehr von ihm trennen
mochte. Franz war die Urſache, daß der
Prinz, ſtatt heimzukehren nach der Reſidenz
des Bruders, nach Italien zuruͤckging. Das
ewige unerforſchliche Verhaͤngniß wollte es,
daß Beide, Prinz Johann und Franz, Vit¬
torias und Pietro's Tochter Giazinta ſahen,
und Beide in heftiger Liebe zu ihr entbrann¬
ten. — Das Verbrechen keimt, wer vermag
zu widerſtehen den dunkeln Maͤchten.


II. [ 16 ][242]

Wohl waren die Suͤnden und Frevel mei¬
ner Jugend entſetzlich, aber durch die Fuͤr¬
ſprache der Gebenedeiten und der heiligen
Roſalia bin ich errettet vom ewigen Verder¬
ben, und es iſt mir vergoͤnnt, die Qualen
der Verdammniß zu erdulden hier auf Er¬
den, bis der verbrecheriſche Stamm verdor¬
ret iſt und keine Fruͤchte mehr traͤgt. Ueber
geiſtige Kraͤfte gebietend druͤckt mich die Laſt
des irdiſchen nieder, und das Geheimniß der
duͤſtern Zukunft ahnend, blendet mich der
truͤgeriſche Farbenglanz des Lebens, und das
bloͤde Auge verwirrt ſich in zerfließenden
Bildern, ohne daß es die wahre innere Ge¬
ſtaltung zu erkennen vermag! — Ich erblicke
oft den Faden, den die dunkle Macht, ſich
auflehnend gegen das Heil meiner Seele,
fortſpinnt, und glaube thoͤrigt ihn erfaſſen,
ihn zerreißen zu koͤnnen. Aber dulden ſoll
ich, und glaͤubig und fromm in fortwaͤhren¬
der reuiger Buße die Marter ertragen, die
mir auferlegt worden um meine Miſſethaten
[243] zu ſuͤhnen. Ich habe den Prinzen und
Franz von Giazinta weggeſcheucht, aber der
Satan iſt geſchaͤftig, dem Franz das Verder¬
ben zu bereiten, dem er nicht entgehen
wird. — Franz kam mit dem Prinzen an
den Ort, wo ſich Graf Pietro mit ſeiner
Gemalin und ſeiner Tochter Aurelie, die
eben funfzehn Jahr alt worden, aufhielt.
So wie der verbrecheriſche Vater Paolo
Francesko in wilder Begier entbrannte, als
er Angiola ſah, ſo loderte das Feuer verbo¬
tener Luſt auf in dem Sohn, als er das hol¬
de Kind Aurelie erblickte. Durch allerlei
teufliſche Kuͤnſte der Verfuͤhrung wußte er
die fromme kaum erbluͤhte Aurelie zu um¬
ſtricken, daß ſie mit ganzer Seele ihm ſich
ergab, und ſie hatte geſuͤndigt, ehe der Ge¬
danke der Suͤnde aufgegangen in ihrem In¬
nern. Als die That nicht mehr verſchwie¬
gen bleiben konnte, da warf er ſich, wie voll
Verzweiflung uͤber das, was er begangen,
der Mutter zu Fuͤßen und geſtand alles.
[244] Graf Pietro, unerachtet ſelbſt in Suͤnde und
Frevel befangen, haͤtte Franz und Aurelie
ermordet. Die Mutter ließ den Franz ihren
gerechten Zorn fuͤhlen, indem ſie ihn mit
der Drohung, die verruchte That dem Gra¬
fen Pietro zu entdecken, auf immer aus ih¬
ren und der verfuͤhrten Tochter Augen ver¬
bannte. Es gelang der Graͤfin die Tochter
den Augen des Grafen Pietro zu entziehen,
und ſie gebar an entfernten Orten ein Toͤch¬
terlein. Aber Franz konnte nicht laſſen von
Aurelien, er erfuhr ihren Aufenthalt, eilte
hin und trat in das Zimmer, als eben die
Graͤfin, verlaſſen vom Hausgeſinde, neben
dem Bette der Tochter ſaß und das Toͤchter¬
lein, das erſt acht Tage alt worden, auf
dem Schooße hielt. Die Graͤfin ſtand voller
Schreck und Entſetzen uͤber den unvermuthe¬
ten Anblick des Boͤſewichts auf, und gebot
ihm, das Zimmer zu verlaſſen. „Fort ... fort
ſonſt biſt Du verloren; Graf Pietro weiß,
was Du Verruchter begonnen!“ So rief ſie,
[245] um dem Franz Furcht einzujagen, und draͤngte
ihn nach der Thuͤre; da uͤbermannte den
Franz wilde, teufliſche Wuth, er riß der
Graͤfin das Kind vom Arme, verſetzte ihr
einen Fauſtſchlag vor die Bruſt, daß ſie
ruͤcklings niederſtuͤrzte und rannte fort. Als
Aurelie aus tiefer Ohnmacht erwachte, war die
Mutter nicht mehr am Leben, die tiefe Kopf¬
wunde (ſie war auf einen mit Eiſen beſchla¬
genen Kaſten geſtuͤrzt) hatte ſie getoͤdtet.
Franz hatte im Sinn, das Kind zu ermor¬
den, er wickelte es in Tuͤcher, lief am fin¬
ſtern Abend die Treppe hinab und wollte
eben zum Hauſe hinaus, als er ein dumpfes
Wimmern vernahm, das aus einem Zimmer
des Erdgeſchoßes zu kommen ſchien. Unwill¬
kuͤhrlich blieb er ſtehen, horchte und ſchlich
endlich jenem Zimmer naͤher. In dem Au¬
genblick trat eine Frau, welche er fuͤr die
Kinderwaͤrterin der Baroneſſe von S., in de¬
ren Hauſe er wohnte, erkannte, unter klaͤgli¬
chem Jammern heraus. Franz frug, wes¬
[246] halb ſie ſich ſo gebehrde; „Ach Herr, ſagte
die Frau: mein Ungluͤck iſt gewiß, ſo eben
ſaß die kleine Euphemie auf meinem Schoße
und juchzte und lachte, aber mit einemmal
laͤßt ſie das Koͤpfchen ſinken und iſt todt. —
Blaue Flecken hat ſie auf der Stirn, und
ſo wird man mir Schuld geben, daß ich ſie
habe fallen laſſen!“ — Schnell trat Franz
hinein, und als er das todte Kind erblickte,
gewahrte er, wie das Verhaͤngniß das Leben
ſeines Kindes wollte, denn es war mit der
todten Euphemie auf wunderbare Weiſe
gleich gebildet und geſtaltet. Die Waͤrterin,
vielleicht nicht ſo unſchuldig an dem Tode
des Kindes als ſie vorgab, und beſtochen
durch Franzens reichliches Geſchenk, ließ ſich
den Tauſch gefallen; Franz wickelte nun das
todte Kind in die Tuͤcher und warf es in
den Strom. Aureliens Kind wurde als
die Tochter der Baroneſſe von S., Euphe¬
mie mit Namen, erzogen und der Welt blieb
das Geheimniß ihrer Geburt verborgen.
[247] Die Unſelige wurde nicht durch das Sakra¬
ment der heiligen Taufe in den Schoß der
Kirche aufgenommen, denn getauft war ſchon
das Kind, deſſen Tod ihr Leben erhielt. Au¬
relie hat ſich nach mehreren Jahren mit dem
Baron von F. vermaͤhlt; zwei Kinder, Her¬
mogen und Aurelie ſind die Frucht dieſer
Vermaͤlung.


Die ewige Macht des Himmels hatte es
mir vergoͤnnt, daß als der Prinz mit Fran¬
cesko (ſo nannte er den Franz auf italiaͤni¬
ſche Weiſe) nach der Reſidenzſtadt des fuͤrſtli¬
chen Bruders zu gehen gedachte, ich zu ihnen
treten und mitziehen durfte. Mit kraͤftigem
Arm wollte ich den ſchwankenden Francesko
erfaſſen, wenn er ſich dem Abgrunde nahte,
der ſich vor ihm aufgethan. Thoͤrigtes Be¬
ginnen des ohnmaͤchtigen Suͤnders, der noch
nicht Gnade gefunden vor dem Throne des
Herrn! — Francesko ermordete den Bruder
[248] nachdem er an Giazinta verruchten Frevel
geuͤbt! Francesko's Sohn iſt der unſelige
Knabe, den der Fuͤrſt unter dem Namen des
Grafen Viktorin erziehen laͤßt. Der Moͤrder
Francesko gedachte ſich zu vermaͤlen mit
der frommen Schweſter der Fuͤrſtin, aber
ich vermochte dem Frevel vorzubeugen in
dem Augenblick, als er begangen werden
ſollte an heiliger Staͤtte.


Wohl bedurfte es des tiefen Elends in
das Franz verſank — nachdem er, gefoltert
von dem Gedanken nie abzubuͤßender Suͤnde,
entflohen — um ihn zur Reue zu wenden.
Von Gram und Krankheit gebeugt kam er
auf der Flucht zu einem Landmann, der ihn
freundlich aufnahm. Des Landmanns Toch¬
ter, eine fromme, ſtille Jungfrau, faßte
wunderbare Liebe zu dem Fremden, und
pflegte ihn ſorglich. So geſchah es, daß
als Francesko geneſen, er der Jungfrau Lie¬
[249] be erwiederte, und ſie wurden durch das
heilige Sakrament der Ehe vereinigt. Es
gelang ihm durch ſeine Klugheit und Wiſſen¬
ſchaft ſich aufzuſchwingen und des Vaters
nicht geringen Nachlaß reichlich zu vermeh¬
ren, ſo daß er viel irdiſchen Wohlſtand ge¬
noß. Aber unſicher und eitel iſt das Gluͤck
des mit Gott nicht verſoͤhnten Suͤnders.
Franz ſank zuruͤck in die bitterſte Armuth
und toͤdtend war ſein Elend, denn er fuͤhlte,
wie Geiſt und Koͤrper hinſchwanden in kraͤn¬
kelnder Siechheit. Sein Leben wurde eine
fortwaͤhrende Bußuͤbung. Endlich ſandte
ihm der Himmel einen Stral des Troſtes. —
Er ſoll pilgern nach der heiligen Linde und
dort wird ihm die Geburt eines Sohnes
die Gnade des Herrn verkuͤnden.


In dem Walde, der das Kloſter zur hei¬
ligen Linde umſchließt, trat ich zu der be¬
draͤngten Mutter, als ſie uͤber dem neuge¬
[250] bornen vaterloſen Knaͤblein weinte, und er¬
quickte ſie mit Worten des Troſtes. —


Wunderbar geht die Gnade des Herrn
auf, dem Kinde, das geboren wird in dem
ſeegensreichen Heiligthum der Gebenedeiten!
Oftmals begiebt es ſich, daß das Jeſuskind¬
lein ſichtbarlich zu ihm tritt und fruͤh in dem
kindiſchen Gemuͤth den Funken der Liebe ent¬
zuͤndet. —


Die Mutter hat in heiliger Taufe dem
Knaben des Vaters Namen, Franz, geben
laſſen! — Wirſt Du es denn ſeyn, Franzis¬
kus, der, an heiliger Staͤtte geboren, durch
frommen Wandel den verbrecheriſchen Ahn¬
herrn entſuͤndigt und ihm Ruhe ſchafft im
Grabe? Fern von der Welt und ihren ver¬
fuͤhreriſchen Lockungen, ſoll der Knabe ſich
ganz dem himmliſchen zuwenden. Er ſoll
geiſtlich werden. So hat es der heilige Mann,
der wunderbaren Troſt in meine Seele goß,
der Mutter verkuͤndet, und es mag wohl die
Prophezeihung der Gnade ſeyn, die mich
[251] mit wundervoller Klarheit erleuchtet, ſo daß
ich in meinem Innern das lebendige Bild
der Zukunft zu erſchauen vermeine.


Ich ſehe den Juͤngling den Todeskampf
ſtreiten mit der finſtern Macht, die auf ihn
eindringt mit furchtbarer Waffe! — Er faͤllt,
doch ein goͤttlich Weib erhebt uͤber ſein
Haupt die Siegeskrone! — Es iſt die heili¬
ge Roſalia ſelbſt, die ihn errettet! — So
oft es mir die ewige Macht des Himmels
vergoͤnnt, will ich dem Knaben, dem Juͤng¬
linge, dem Mann nahe ſeyn und ihn ſchuͤz¬
zen, wie es die mir verliehene Kraft ver¬
mag. — Er wird ſeyn wie —

Anmerkung des Herausgebers.

Hier wird, guͤnſtiger Leſer! die halb er¬
loſchene Schrift des alten Malers ſo undeut¬
lich, daß weiter etwas zu entziffern, ganz
unmoͤglich iſt. Wir kehren zu dem Manu¬
ſkript des merkwuͤrdigen Capuziners Medar¬
dus zuruͤck.

[[252]]

Dritter Abſchnitt.

Die Ruͤckkehr in das Kloſter.


Es war ſo weit gekommen, daß uͤberall,
wo ich mich in den Straßen von Rom blik¬
ken ließ, Einzelne aus dem Volk ſtill ſtan¬
den, und in gebeugter, demuͤthiger Stellung
um meinen Seegen baten. Mocht' es ſeyn,
daß meine ſtrenge Bußuͤbungen, die ich fort¬
ſetzte, ſchon Aufſehen erregten, aber gewiß
war es, daß meine fremdartige, wunderliche
Erſcheinung den lebhaften fantaſtiſchen Roͤ¬
mern bald zu einer Legende werden mußte,
und daß ſie mich vielleicht, ohne daß ich es
[253] ahnte, zu dem Helden irgend eines frommen
Maͤhrchens erhoben hatten. Oft weckten mich
bange [Seufzer] und das Gemurmel leiſer
Gebete aus tiefer Betrachtung, in die ich,
auf den Stufen des Altars liegend, verſun¬
ken, und ich bemerkte dann, wie rings um
mich her Andaͤchtige knieten, und meine Fuͤr¬
bitte zu erflehen ſchienen. So wie in jenem
Capuzinerkloſter, hoͤrte ich hinter mir rufen:
il Santo! — und ſchmerzhafte Dolchſtiche
fuhren durch meine Bruſt. Ich wollte Rom
verlaſſen, doch wie erſchrak ich, als der
Prior des Kloſters, in dem ich mich aufhielt,
mir ankuͤndigte, daß der Pabſt mich haͤtte zu
ſich gebieten laſſen. Duͤſtre Ahnungen ſtie¬
gen in mir auf, daß vielleicht aufs neue
die boͤſe Macht in feindlichen Verkettungen
mich feſtzubannen trachte, indeſſen faßte ich
Muth und ging zur beſtimmten Stunde nach
dem Vatikan. Der Pabſt, ein wohlgebildeter
Mann, noch in den Jahren der vollen Kraft,
empfing mich auf einem reich, verzierten
[254] Lehnſtuhl ſitzend. Zwei wunderſchoͤne geiſt¬
lich gekleidete Knaben bedienten ihn mit
Eiswaſſer und durchfaͤchelten das Zimmer,
mit Reiherbuͤſchen, um, da der Tag uͤber¬
heiß war, die Kuͤhle zu erhalten. Demuͤthig
trat ich auf ihn zu und machte die gewoͤhn¬
liche Kniebeugung. Er ſah mich ſcharf an,
der Blick hatte aber etwas gutmuͤthiges und
ſtatt des ſtrengen Ernſtes, der ſonſt, wie ich
aus der Ferne wahrzunehmen geglaubt, auf
ſeinem Geſicht ruhte, ging ein ſanftes Laͤ¬
cheln durch alle Zuͤge. Er frug, woher ich
kaͤme, was mich nach Rom gebracht — kurz
das gewoͤhnlichſte uͤber meine perſoͤnliche Ver¬
haͤltniſſe, und ſtand dann auf, indem er ſprach:
„Ich ließ Euch rufen, weil man mir von Eu¬
rer ſeltenen Froͤmmigkeit erzaͤhlt. — Warum,
Moͤnch Medardus, treibſt Du Deine Andachts¬
uͤbungen oͤffentlich vor dem Volk in den be¬
ſuchteſten Kirchen? — Gedenkſt Du zu erſchei¬
nen als ein Heiliger des Herrn und angebe¬
tet zu werden von dem fanatiſchen Poͤbel,
[255] ſo greife in Deine Bruſt und forſche wohl,
wie der innerſte Gedanke beſchaffen, der Dich
ſo zu handeln treibt. — Biſt Du nicht rein
vor dem Herrn und vor mir, ſeinem Statt¬
halter, ſo nimmſt Du bald ein ſchmaͤhliches
Ende, Moͤnch Medardus!“ — Dieſe Worte
ſprach der Pabſt mit ſtarker, durchdringen¬
der Stimme, und wie treffende Blitze fun¬
kelte es aus ſeinen Augen. Nach langer Zeit
zum erſtenmal fuͤhlte ich mich nicht der Suͤn¬
de ſchuldig, der ich angeklagt wurde, und ſo
mußte es wohl kommen, daß ich nicht allein
meine Faſſung behielt, ſondern auch von
dem Gedanken, daß meine Buße aus wah¬
rer innerer Zerknirſchung hervorgegangen,
erhoben wurde, und wie ein Begeiſterter
zu ſprechen vermochte: „Ihr hochheiliger
Statthalter des Herrn, wohl iſt Euch die
Kraft verliehen, in mein Inneres zu ſchauen;
wohl moͤgt Ihr es wiſſen, daß Centnerſchwer
mich die unſaͤgliche Laſt meiner Suͤnden zu
Boden druͤckt, aber eben ſo werdet Ihr die
[256] Wahrheit meiner Reue erkennen. Fern von
mir iſt der Gedanke ſchnoͤder Heuchelei, fern
von mir jede ehrgeizige Abſicht, das Volk
zu taͤuſchen auf verruchte Weiſe. — Ver¬
goͤnnt es dem buͤßenden Moͤnche, o hochhei¬
liger Herr! daß er in kurzen Worten ſein
verbrecheriſches Leben, aber auch das, was
er in der tiefſten Reue und Zerknirſchung
begonnen, Euch enthuͤlle!“ — So fing ich an,
und erzaͤhlte nun, ohne Namen zu nen¬
nen und ſo gedraͤngt als moͤglich, meinen
ganzen Lebenslauf. Aufmerkſamer und auf¬
merkſamer wurde der Pabſt. Er ſetzte ſich
in den Lehnſtuhl, und ſtuͤtzte den Kopf in
die Hand; er ſah zur Erde nieder, dann fuhr
er ploͤtzlich in die Hoͤhe; die Haͤnde uͤber
einander geſchlagen und mit dem rechten Fuß
ausſchreitend, als wolle er auf mich zutre¬
ten, ſtarrte er mich an mit gluͤhenden Au¬
gen. Als ich geendet, ſetzte er ſich aufs neue.
„Eure Geſchichte, Moͤnch Medardus! fing
er an: iſt die verwunderlichſte die ich je¬
mals[257] mals vernommen. — Glaubt Ihr an die of¬
fenbare ſichtliche Einwirkung einer boͤſen
Macht, die die Kirche Teufel nennt?“ —
Ich wollte antworten, der Pabſt fuhr fort:
„Glaubt Ihr, daß der Wein, den Ihr aus
der Reliquienkammer ſtahlt und austranket,
Euch zu den Freveln trieb, die ihr begin¬
get?“ — „Wie ein von giftiger Duͤnſten ge¬
ſchwaͤngertes Waſſer gab er Kraft dem boͤſen
Keim, der in mir ruhete, daß er fortzuwu¬
chern vermochte!“ — Als ich dies erwiedert,
ſchwieg der Pabſt einige Augenblicke, dann
fuhr er mit ernſtem in ſich gekehrtem Blick
fort: „Wie, wenn die Natur die Regel des
koͤrperlichen Organism auch im geiſtigen be¬
folgte, daß gleicher Keim nur gleiches zu
gebaͤhren vermag? ... Wenn Neigung und
Wollen, — wie die Kraft, die im Kern ver¬
ſchloſſen, des hervorſchießenden Baumes Blaͤt¬
ter wieder gruͤn faͤrbt — ſich fortpflanzte von
Vaͤtern zu Vaͤtern, alle Willkuͤhr aufhebend?
... Es giebt Familien von Moͤrdern, von
II. [ 17 ][258] Raͤubern! ... Das waͤre die Erbſuͤnde, des
frevelhaften Geſchlechts ewiger, durch kein
Suͤhnopfer vertilgbarer Fluch!“ — „Muß der
vom Suͤnder geborne wieder ſuͤndigen, ver¬
moͤge des vererbten Organism, dann giebt
es keine Suͤnde,“ ſo unterbrach ich den
Pabſt. „Doch! ſprach er: der ewige Geiſt
ſchuf einen Rieſen, der jenes blinde Thier,
das in uns wuͤthet, zu baͤndigen und in Feſ¬
ſeln zu ſchlagen vermag. Bewußtſeyn heißt
dieſer Rieſe, aus deſſen Kampf mit dem
Thier ſich die Spontaneitaͤt erzeugt. Des
Rieſen Sieg iſt die Tugend, der Sieg des
Thieres, die Suͤnde.“ Der Pabſt ſchwieg ei¬
nige Augenblicke, dann heiterte ſein Blick
ſich auf, und er ſprach mit ſanfter Stimme:
„Glaubt Ihr, Moͤnch Medardus, daß es fuͤr
den Statthalter des Herrn ſchicklich ſey,
mit Euch uͤber Tugend und Suͤnde zu ver¬
nuͤnfteln?“ — „Ihr habt hochheiliger Herr,
erwiederte ich: Euern Diener gewuͤrdigt Eu¬
re tiefe Anſicht des menſchlichen Seyns zu
[259] vernehmen, und wohl mag es Euch ziemen
uͤber den Kampf zu ſprechen, den Ihr laͤngſt,
herrlich und glorreich ſiegend, geendet.“ —
„Du haſt eine gute Meinung von mir, Bruder
Medardus, ſprach der Pabſt: oder glaubſt
Du, daß die Tiara der Lorbeer ſey, der
mich als Helden und Sieger der Welt ver¬
kuͤndet?“ — „Es iſt, ſprach ich: wohl etwas
großes, Koͤnig ſeyn und herrſchen uͤber ein
Volk. So im Leben hochgeſtellt, mag alles
rings umher naͤher zuſammengeruͤckt in jedem
Verhaͤltniß commenſurabler erſcheinen, und
eben durch die hohe Stellung ſich die wun¬
derbare Kraft des Ueberſchauens entwickeln,
die, wie eine hoͤhere Weihe, ſich kund thut
im gebornen Fuͤrſten.“—„Du meinſt, fiel der
Pabſt ein, daß ſelbſt den Fuͤrſten, die ſchwach
an Verſtande und Willen, doch eine gewiſſe
wunderliche Sagazitaͤt beiwohne, die fuͤglich
fuͤr Weisheit geltend, der Menge zu imponi¬
ren vermag. Aber wie gehoͤrt das hieher?“—
„Ich wollte, fuhr ich fort: von der Weihe
[260] der Fuͤrſten reden, deren Reich von dieſer
Welt iſt, und dann von der heiligen, goͤttli¬
chen Weihe des Statthalters des Herrn. Auf
geheimnißvolle Weiſe erleuchtet der Geiſt des
Herrn die im Conklave verſchloſſenen hohen
Prieſter. Getrennt, in einzelnen Gemaͤchern
frommer Betrachtung hingegeben, befruchtet
der Strahl des Himmels das nach der Offenba¬
rung ſich ſehnende Gemuͤth, und ein Name er¬
ſchallt, wie ein, die ewige Macht lobpreiſender
Hymnus, von den begeiſterten Lippen. — Nur
kund gethan in irrdiſcher Sprache wird der
Beſchluß der ewigen Macht, die ſich ihren
wuͤrdigen Statthalter auf Erden erkor, und
ſo, hochheiliger Herr! iſt Eure Krone, im drei¬
fachen Ringe das Myſterium Eures Herrn, des
Herrn der Welten, verkuͤndend, in der That der
Lorbeer, der Euch als Helden und Sieger
darſtellt. — Nicht von dieſer Welt iſt Euer
Reich, und doch ſeyd Ihr berufen zu herr¬
ſchen uͤber alle Reiche dieſer Erde, die Glieder
der unſichtbaren Kirche ſammelnd unter der
[261] Fahne des Herrn! — Das weltliche Reich,
das Euch beſchieden, iſt nur Euer in himm¬
liſcher Pracht bluͤhender Thron.“ — „Das
giebſt Du zu, unterbrach mich der Pabſt, —
das giebſt Du zu, Bruder Medardus, daß ich
Urſache habe, mit dieſem mir beſchiedenen
Thron zufrieden zu ſeyn. Wohl iſt meine
bluͤhende Roma geſchmuͤckt mit himmliſcher
Pracht, das wirſt Du auch wohl fuͤhlen,
Bruder Medardus! haſt Du Deinen Blick
nicht ganz dem Irdiſchen verſchloſſen. ...
Doch das glaub' ich nicht ... Du biſt ein wack¬
rer Redner und haſt mir zum Sinn geſpro¬
chen. ... Wir werden uns, merk ich, naͤher
verſtaͤndigen! ... Bleibe hier! ... In einigen
Tagen biſt Du vielleicht Prior, und ſpaͤter
koͤnnt' ich Dich wohl gar zu meinem Beicht¬
vater erwaͤhlen. ... Gehe ... gebaͤhrde Dich
weniger naͤrriſch in den Kirchen, zum [Heil¬
gen]
ſchwingſt Du Dich nun einmal nicht hin¬
auf — der Kalender iſt vollzaͤhlig. Gehe.“ —
Des Pabſtes letzte Worte verwunderten mich
[262] eben ſo, wie ſein ganzes Betragen uͤber¬
haupt, das ganz dem Bilde widerſprach, wie
es ſonſt von dem Hoͤchſten der chriſtlichen
Gemeinde, dem die Macht gegeben zu bin¬
den und zu loͤſen, in meinem Innern aufge¬
gangen war. Es war mir nicht zweifelhaft,
daß er alles, was ich von der hohen Goͤtt¬
lichkeit ſeines Berufs geſprochen, fuͤr eine
leere liſtige Schmeichelei gehalten hatte. Er
ging von der Idee aus, daß ich mich hatte
zum Heiligen aufſchwingen wollen, und daß
ich, da er mir aus beſondern Gruͤnden den
Weg dazu verſperren mußte, nun geſonnen
war, mir auf andere Weiſe Anſehn und
Einfluß zu verſchaffen. Auf dieſes wollte er
wieder aus beſonderen mir unbekannten Gruͤn¬
den eingehen.


Ich beſchloß, — ohne daran zu denken, daß
ich ja, ehe der Pabſt mich rufen ließ, Rom
hatte verlaſſen wollen — meine Andachtsuͤbun¬
gen fortzuſetzen. Doch nur zu ſehr im In¬
nern fuͤhlte ich mich bewegt, um wie ſonſt
[263] mein Gemuͤth ganz dem himmliſchen zuwen¬
den zu koͤnnen. Unwillkuͤhrlich dachte ich ſelbſt
im Gebet an mein fruͤheres Leben; erblaßt
war das Bild meiner Suͤnden und nur das
Glaͤnzende der Laufbahn, die ich als Lieb¬
ling eines Fuͤrſten begonnen, als Beichtiger
des Pabſtes fortſetzen, und wer weiß auf
welcher Hoͤhe enden werde, ſtand grell leuch¬
tend vor meines Geiſtes Augen. So kam
es, daß ich, nicht weil es der Pabſt verbo¬
ten, [ſondern] unwillkuͤrlich meine Andachtsuͤbun¬
gen einſtellte, und ſtatt deſſen in den Stra¬
ßen von Rom umherſchlenderte. Als ich ei¬
nes Tages uͤber den ſpaniſchen Platz ging,
war ein Haufen Volks um den Kaſten eines
Puppenſpielers verſammelt. Ich vernahm
Pulcinells komiſches Gequaͤke und das wie¬
hernde Gelaͤchter der Menge. Der erſte Akt
war geendet, man bereitete ſich auf den
zweiten vor. Die kleine Decke flog auf, der
junge David erſchien mit ſeiner Schleuder
und dem Sack voll Kieſelſteinen. Unter poſ¬
[264] ſierlichen Bewegungen verſprach er, daß nun¬
mehr der ungeſchlachte Rieſe Goliath ganz
gewiß erſchlagen und Iſrael errettet werden
ſolle. Es ließ ſich ein dumpfes Rauſchen
und Brummen hoͤren. Der Rieſe Goliath
ſtieg empor mit einem ungeheuern Kopfe. —
Wie erſtaunte ich, als ich auf den erſten
Blick in dem Goliathskopf den naͤrriſchen
Belcampo erkannte. Dicht unter dem Kopf
hatte er mittelſt einer beſondern Vorrichtung
einen kleinen Koͤrper mit Aermchen und
Beinchen angebracht, ſeine eigenen Schul¬
tern und Aerme aber durch eine Drappe¬
rie verſteckt, die wie Goliaths breit gefalte¬
ter Mantel anzuſehen war. Goliath hielt,
mit den ſeltſamſten Grimaſſen und groteskem
Schuͤtteln des Zwergleibes, eine ſtolze Rede,
die David nur zuweilen durch ein feines
Kickern unterbrach. Das Volk lachte un¬
maͤßig, und ich ſelbſt, wunderlich angeſprochen
von der neuen fabelhaften Erſcheinung Bel¬
campo's, ließ mich fortreißen und brach aus
[265] in das laͤngſt ungewohnte Lachen der innern
kindiſchen Luſt. — Ach wie oft war ſonſt
mein Lachen nur der convulſiviſche Krampf
der innern herzzerreißenden Qual. Dem
Kampf mit dem Rieſen ging eine lange Dis¬
putation voraus, und David bewies uͤberaus
kuͤnſtlich und gelehrt, warum er den furcht¬
baren Gegner todt ſchmeißen muͤſſe und wer¬
de. Belcampo ließ alle Muskeln ſeines Ge¬
ſichts wie kniſternde Lauffeuer ſpielen und da¬
bei ſchlugen die Rieſenaͤrmchen nach dem
kleiner als kleinen David, der geſchickt un¬
terzuducken wußte und dann hie und da, ja
ſelbſt aus Goliaths eigner Mantelfalte zum
Vorſchein kam. Endlich [flog] der Kieſel an
Goliaths Haupt, er ſank hin und die Decke
fiel. Ich lachte immer mehr, durch Bel¬
campo's tollen Genius gereizt, uͤberlaut,
da klopfte jemand leiſe auf meine Schulter.
Ein Abbate ſtand neben mir. „Es freut
mich, fing er an: daß ihr, mein Ehrwuͤr¬
diger Herr, nicht die Luſt am Irdiſchen ver¬
[266] loren habt. Beinahe traute ich Euch, nach¬
dem ich Eure merkwuͤrdige Andachtsuͤbungen
geſehen, nicht mehr zu, daß Ihr uͤber ſolche
Thorheiten zu lachen vermoͤchtet.“ Es war
mir ſo, als der Abbate dieſes ſprach, als
muͤßte ich mich meiner Luſtigkeit ſchaͤmen,
und unwillkuͤrlich ſprach ich, was ich gleich
darauf ſchwer bereute geſprochen zu haben.
„Glaubt mir, mein Herr Abbate, ſagte ich,
daß dem, der in dem bunteſten Wogenſpiel
des Lebens ein ruͤſtiger Schwimmer war, nie
die Kraft gebricht, aus dunkler Fluth aufzu¬
tauchen und muthig ſein Haupt zu erheben.“
Der Abbate ſah mich mit blitzenden Augen
an. „Ey, ſprach er: wie habt Ihr das Bild
ſo gut erfunden und ausgefuͤhrt. Ich glaube
Euch jetzt zu kennen ganz undgar, und bewun¬
dere Euch aus tiefſtem Grunde meiner Seele.“


Ich weiß nicht, mein Herr! wie ein ar¬
mer buͤßender Moͤnch Eure Bewunderung zu
erregen vermochte!


„Vortrefflich, Ehrwuͤrdigſter! — Ihr
[267] fallt zuruͤck in Eure Rolle! — Ihr ſeyd des
Pabſtes Liebling?“


Dem hochheiligen Statthalter des Herrn
hat es gefallen, mich ſeines Blicks zu wuͤr¬
digen. — Ich habe ihn verehrt im Staube,
wie es der Wuͤrde, die ihm die ewige Macht
verlieh, als ſie himmliſch reine Tugend be¬
waͤhrt fand in ſeinem Innern, geziemt.


„Nun, Du ganz wuͤrdiger Vaſall an dem
Thron des dreifach gekroͤnten, Du wirſt tapfer
thun, was deines Amtes iſt! — Aber glaube
mir, der jetzige Statthalter des Herrn iſt
ein Kleinod der Tugend gegen Alexander
den ſechſten, und da magſt Du Dich viel¬
leicht doch verrechnet haben! — Doch —
ſpiele deine Rolle — ausgeſpielt iſt bald,
was munter und luſtig begann. — Lebt wohl,
mein ſehr ehrwuͤrdiger Herr!“


Mit gellendem Hohngelaͤchter ſprang
der Abbate von dannen, erſtarrt blieb ich
ſtehen. Hielt ich ſeine letzte Aeußerung mit
meinen eignen Bemerkungen uͤber den Pabſt
[268] zuſammen, ſo mußte es mir wohl klar auf¬
gehen, daß er keinesweges der nach dem
Kampf mit dem Thier gekroͤnte Sieger war,
fuͤr den ich ihn gehalten, und eben ſo mußte
ich auf entſetzliche Weiſe mich uͤberzeugen,
daß, wenigſtens dem eingeweihten Theil des
Publikums, meine Buße als ein heuchleri¬
ſches Beſtreben erſchienen war, mich auf dieſe
oder jene Weiſe aufzuſchwingen. Verwun¬
det bis tief in das Innerſte, kehrte ich
in mein Kloſter zuruͤck und betete inbruͤn¬
ſtig in der einſamen Kirche. Da fiel es mir
wie Schuppen von den Augen, und ich er¬
kannte bald die Verſuchung der finſtern
Macht, die mich aufs neue zu verſtricken ge¬
trachtet hatte, aber auch zugleich meine ſuͤndi¬
ge Schwachheit und die Strafe des Himmels.
— Nur ſchnelle Flucht konnte mich retten,
und ich beſchloß mit dem fruͤheſten Mor¬
gen mich auf den Weg zu machen. Schon
war beinahe die Nacht eingebrochen, als
die Hausglocke des Kloſters ſtark angezogen
[269] wurde. Bald darauf trat der Bruder Pfoͤrt¬
ner in meine Zelle und berichtete, daß ein
ſeltſam gekleideter Mann durchaus begehre
mich zu ſprechen. Ich ging nach dem Sprach¬
zimmer, es war Belcampo der nach ſeiner
tollen Weiſe auf mich zuſprang, bei beiden
Armen mich packte, und mich ſchnell in ei¬
nen Winkel zog. „Medardus, fing er leiſe
und eilig an: Medardus, Du magſt es nun
anſtellen wie Du willſt um Dich zu verderben,
die Narrheit iſt hinter Dir her auf den Fluͤ¬
geln des Weſtwindes — Suͤdwindes oder
auch Suͤd Suͤdweſt — oder ſonſt, und packt
Dich, ragt auch nur noch ein Zipfel deiner
Kutte hervor aus dem Abgrunde, und zieht
Dich herauf — O Medardus, erkenne das —
erkenne was Freundſchaft iſt, erkenne was Lie¬
be vermag, glaube an David und Jonathan,
liebſter Capuziner!“ — „Ich habe Sie als Go¬
liath bewundert, fiel ich dem Schwaͤtzer in die
Rede, aber ſagen Sie mir ſchnell, worauf es
ankommt — was Sie zu mir hertreibt?“ —


[270]

„Was mich hertreibt? ſprach Belcampo:
was mich hertreibt? — Wahnſinnige Liebe zu
einem Capuziner dem ich einſt den Kopf zu¬
rechtſetzte, der umherwarf mit blutiggoldenen
Dukaten — der Umgang hatte mit ſcheußlichen
Revenants — der, nachdem er was weniges
gemordet hatte — die Schoͤnſte der Welt hei¬
rathen wollte, buͤrgerlicher oder vielmehr ad¬
licher Weiſe.“ — „Halt ein, rief ich: halt
ein, Du grauenhafter Narr! Gebuͤßt habe ich
ſchwer, was Du mir vorwirfſt im frevelichen
Muthwillen.“ — „O Herr, fuhr Belcampo
fort, noch iſt die Stelle ſo empfindlich, wo
Euch die feindliche Macht tiefe Wunden
ſchlug? — Ey, ſo iſt Eure Heilung noch
nicht vollbracht. — Nun ich will ſanft und
ruhig ſeyn, wie ein frommes Kind, ich
will mich bezaͤhmen, ich will nicht mehr
ſpringen, weder koͤrperlich noch geiſtig und
Euch, geliebter Capuziner, blos ſagen, daß
ich Euch hauptſaͤchlich Eurer ſublimen Toll¬
heit halber, ſo zaͤrtlich liebe, und da es uͤber¬
[271] haupt nuͤtzlich iſt, daß jedes tolle Prinzip ſo
lange lebe und gedeihe auf Erden als nur
immer moͤglich, ſo rette ich Dich aus jeder
Todesgefahr, in die Du muthwilliger Weiſe
Dich begiebſt. In meinem Puppenkaſten habe
ich ein Geſpraͤch belauſcht das Dich betrifft.
Der Papſt will dich zum Prior des hieſigen
Capuzinerkloſters und zu ſeinem Beichtiger
erheben. Fliehe ſchnell, ſchnell fort von Rom,
denn Dolche lauern auf Dich. Ich kenne
den Bravo, der dich ins Himmelreich ſpe¬
diren ſoll. Du biſt dem Dominikaner, der
jetzt des Papſtes Beichtiger iſt, und ſeinem
Anhange im Wege. — Morgen darfſt Du
nicht mehr hier ſeyn.“ — Dieſe neue Bege¬
benheit konnte ich gar gut mit den Aeußer¬
ungen des unbekannten Abbate's zuſammen¬
raͤumen; ſo betroffen war ich, daß ich kaum
bemerkte, wie der poſſierliche Belcampo mich
einmal uͤber das andere an das Herz druͤckte
und endlich mit ſeinen gewoͤhnlichen ſeltſa¬
[272] men Grimaſſen und Spruͤngen Abſchied
nahm. —


Mitternacht mochte voruͤber ſeyn, als
ich die aͤußere Pforte des Kloſters oͤffnen und
einen Wagen dumpf uͤber das Pflaſter des
Hofes hereinrollen hoͤrte. Bald darauf kam
es den Gang herauf; man klopfte an meine
Zelle, ich oͤffnete und erblickte den Pater
Guardian, dem ein tief vermummter Mann
mit einer Fackel folgte. „Bruder Medardus,
ſprach der Guardian: ein Sterbender ver¬
langt in der Todesnoth Euern geiſtlichen
Zuſpruch und die letzte Oelung. Thut, was
Eures Amtes iſt, und folgt dieſem Mann,
der Euch dort hinfuͤhren wird, wo man Eu¬
rer bedarf.“ — Mich uͤberlief ein kalter Schau¬
er, die Ahnung daß man mich zum To¬
de fuͤhren wolle, regte ſich in mir auf;
doch durfte ich mich nicht weigern, und folg¬
te daher dem Vermummten, der den Schlag
des Wagens oͤffnete, und mich noͤthigte ein¬
zuſteigen. Im Wagen fand ich zwei Maͤn¬
ner[273] ner die mich in ihre Mitte nahmen. Ich
frug, wo man mich hinfuͤhren wolle? —
wer gerade von mir Zuſpruch und letzte
Oelung verlange? — Keine Antwort! In
tiefem Schweigen ging es fort durch mehrere
Straßen. Ich glaubte an dem Klange wahr¬
zunehmen, daß wir ſchon außerhalb Rom
waren, doch bald vernahm ich deutlich,
daß wir durch ein Thor und dann wieder
durch gepflaſterte Straßen fuhren. Endlich
hielt der Wagen, und ſchnell wurden mir
die Haͤnde gebunden und eine dicke Kap¬
pe fiel uͤber mein Geſicht. „Euch ſoll nichts
Boͤſes widerfahren, ſprach eine rauhe
Stimme, nur ſchweigen muͤßt Ihr uͤber
alles, was Ihr ſehen und hoͤren werdet,
ſonſt iſt Euer augenblicklicher Tod gewiß.“
— Man hob mich aus dem Wagen, Schloͤſ¬
ſer klirrten, und ein Thor droͤhnte auf
in ſchweren ungefuͤgigen Angeln. Man
fuͤhrte mich durch lange Gaͤnge und endlich
II. [ 18 ][274] Treppen hinab — tiefer und tiefer. Der
Schall der Tritte uͤberzeugte mich, daß
wir uns in Gewoͤlben befanden deren Be¬
ſtimmung der durchdringende Todtengeruch
verrieth. Endlich ſtand man ſtill — die Haͤn¬
de wurden mir losgebunden, die Kappe mir
vom Kopfe gezogen. Ich befand mich in ei¬
nem geraͤumigen, von einer Ampel ſchwach
beleuchteten Gewoͤlbe, ein ſchwarz vermumm¬
ter Mann, wahrſcheinlich derſelbe, der mich
hergefuͤhrt hatte, ſtand neben mir, rings
umher ſaßen auf niedrigen Baͤnken Domini¬
kanermoͤnche. Der grauenhafte Traum, den
ich einſt in dem Kerker traͤumte, kam mir
in den Sinn, ich hielt meinen qualvollen Tod
fuͤr gewiß, doch blieb ich gefaßt und betete
inbruͤnſtig im Stillen, nicht um Rettung,
ſondern um ein ſeliges Ende. Nach eini¬
gen Minuten duͤſtern ahnungsvollen Schwei¬
gens trat einer der Moͤnche auf mich zu, und
ſprach mit dumpfer Stimme: „Wir haben ei¬
nen Eurer Ordensbruͤder gerichtet, Medar¬
[275] dus! das Urtheil ſoll vollſtreckt werden. Von
Euch, einem heiligen Manne, erwartet er
Abſolution und Zuſpruch im Tode! — Geht
und thut was Eures Amts iſt.“ Der Ver¬
mummte, welcher neben mir ſtand, faßte mich
unter den Arm und fuͤhrte mich weiter fort,
durch einen engen Gang in ein kleines Ge¬
woͤlbe. Hier lag, in einem Winkel, auf dem
Strohlager ein bleiches, abgezehrtes, mit Lum¬
pen behaͤngtes Geripp. Der Vermummte ſetzte
die Lampe, die er mitgebracht, auf dem ſtei¬
nernen Tiſch in der Mitte des Gewoͤlbes,
und entfernte ſich. Ich nahte mich dem Ge¬
fangenen, er drehte ſich muͤhſam nach mir
um? ich erſtarrte, als ich die ehrwuͤrdigen
Zuͤge des frommen Cyrillus erkannte. Ein
himmliſches verklaͤrtes Laͤcheln uͤberflog ſein
Geſicht. „So haben mich, fing er mit
matter Stimme an, die entſetzlichen Diener
der Hoͤlle, welche hier hauſen, doch nicht
getaͤuſcht. Durch ſie erfuhr ich, daß Du,
mein lieber Bruder Medardus, Dich in Rom
[276] befaͤndeſt, und als ich mich ſo ſehnte nach
Dir, weil ich großes Unrecht an Dir ver¬
uͤbt habe, da verſprachen Sie mir, ſie woll¬
ten Dich zu mir fuͤhren in der Todesſtunde.
Die iſt nun wohl gekommen und ſie haben
Wort gehalten.“ Ich kniete nieder bei dem
frommen ehrwuͤrdigen Greis, ich beſchwor
ihn, mir nur vor allen Dingen zu ſagen, wie
es moͤglich geweſen ſey, ihn einzukerkern,
ihn zum Tode zu verdammen. „Mein lieber
Bruder Medardus, ſprach Cyrill: erſt nach¬
dem ich reuig bekannt, wie ſuͤndlich ich aus
Irrthum an Dir gehandelt, erſt wenn Du
mich mit Gott verſoͤhnt, darf ich von mei¬
nem Elende, von meinem irdiſchen Unter¬
gange zu Dir reden! — Du weißt, daß ich,
und mit mir unſer Kloſter, Dich fuͤr den ver¬
ruchteſten Suͤnder gehalten; die ungeheuer¬
ſten Frevel hatteſt Du (ſo glaubten wir) auf
Dein Haupt geladen, und ausgeſtoßen hatten
wir Dich aus aller Gemeinſchaft. Und doch
war es nur ein verhaͤngnißvoller Augenblick,
[277] in dem der Teufel Dir die Schlinge uͤber
den Hals warf und dich fortriß von der hei¬
ligen Staͤtte in das ſuͤndliche Weltleben.
Dich um Deinen Namen, um Dein Kleid,
um Deine Geſtalt betruͤgend, beging ein teuf¬
liſcher Heuchler jene Unthaten, die Dir bei¬
nahe den ſchmachvollen Tod des Moͤrders
zugezogen haͤtten. Die ewige Macht hat es
auf wunderbare Weiſe offenbart, daß Du
zwar leichtſinnig ſuͤndigteſt, indem Dein
Trachten darauf ausging, Dein Geluͤbde zu
brechen, daß Du aber rein biſt von jenen ent¬
ſetzlichen Freveln. Kehre zuruͤck in unſer Klo¬
ſter, Leonardus, die Bruͤder werden Dich, den
verloren Geglaubten, mit Liebe und Freudig¬
keit aufnehmen. — O Medardus ...“ — Der
Greis, von Schwaͤche uͤbermannt, ſank in
eine tiefe Ohnmacht. Ich widerſtand der
Spannung, die ſeine Worte, welche eine
neue wunderbare Begebenheit zu verkuͤnden
ſchienen, in mir erregt hatten, und nur an
ihn, an das Heil ſeiner Seele denkend,
[278] ſuchte ich, von allen andern Huͤlfsmitteln
entbloͤßt, ihn dadurch ins Leben zuruͤckzuru¬
fen, daß ich langſam und leiſe Kopf und
Bruſt mit meiner rechten Hand anſtrich, ei¬
ne in unſern Kloͤſtern uͤbliche Art, Todtkran¬
ke aus der Ohnmacht zu wecken. Cyrillus
erholte ſich bald, und beichtete mir, er der
Fromme, dem frevelichen Suͤnder! — Aber
es war, als wuͤrde, indem ich den Greis,
deſſen hoͤchſte Vergehen nur in Zweifel be¬
ſtanden, die ihm hie und da aufgeſtoßen, ab¬
ſolvirte, von der hohen ewigen Macht, ein
Geiſt des Himmels in mir entzuͤndet, und
als ſey ich nur das Werkzeug, das koͤrperge¬
wordene Organ, deſſen ſich jene Macht be¬
diene, um ſchon hienieden zu dem noch nicht
entbundenen Menſchen menſchlich zu reden.
Cyrillus hob den andachtsvollen Blick zum
Himmel, und ſprach: „O, mein Bruder Me¬
dardus, wie haben mich Deine Worte er¬
quickt! — Froh gehe ich dem Tode entgegen,
den mir verruchte Boͤſewichter bereitet! Ich
[279] falle, ein Opfer der graͤßlichſten Falſchheit
und Suͤnde die den Thron des dreifach Ge¬
kroͤnten umgiebt.“ — Ich vernahm dumpfe
Tritte, die naͤher und naͤher kamen, die
Schluͤſſel raſſelten im Schloß der Thuͤre.
Cyrillus raffte ſich mit Gewalt empor, er¬
faßte meine Hand und rief mir ins Ohr:
„Kehre in unſer Kloſter zuruͤck — Leonardus
iſt von allem unterrichtet, er weiß, wie ich
ſterbe — beſchwoͤre ihn, uͤber meinen Tod
zu ſchweigen. — Wie bald haͤtte mich ermat¬
teten Greis auch ſonſt der Tod ereilt — Le¬
be wohl, mein Bruder! — Bete fuͤr das
Heil meiner Seele! — Ich werde bei Euch
ſeyn, wenn ihr im Kloſter mein Todtenamt
haltet. Gelobe mir, daß Du hier uͤber alles
was Du erfahren, ſchweigen willſt, denn Du
fuͤhrſt nur Dein Verderben herbei, und ver¬
wickelſt unſer Kloſter in tauſend ſchlimme
Haͤndel!“ — Ich that es, Vermummte waren
hereingetreten, ſie hoben den Greis aus
dem Bette und ſchleppten ihn, der vor Mat¬
[280] tigkeit nicht fortzuſchreiten vermochte, durch
den Gang nach dem Gewoͤlbe, in dem ich
fruͤher geweſen. Auf den Wink der [Vermumm¬
ten]
war ich gefolgt, die Dominikaner hatten
einen Kreis geſchloſſen, in den man den
Greis brachte und auf ein Haͤufchen Erde,
das man in der Mitte aufgeſchuͤttet, nieder¬
knien hieß. Man hatte ihm ein Kruzifix in
die Hand gegeben. Ich war, weil ich es
meines Amts hielt, mit in den Kreis getre¬
ten und betete laut. Ein Dominikaner er¬
griff mich beim Arm und zog mich bei Sei¬
te. In dem Augenblicke ſah ich in der
Hand eines Vermummten, der hinterwaͤrts
in den Kreis getreten, ein Schwert blitzen
und Cyrillus blutiges Haupt rollte zu mei¬
nen Fuͤßen hin. — Ich ſank bewußtlos nie¬
der. Als ich wieder zu mir ſelbſt kam, be¬
fand ich[] mich in einem kleinen zellenarti¬
gen Zimmer. Ein Dominikaner trat auf
mich zu und ſprach mit haͤmiſchem Laͤcheln:
„Ihr ſeyd wohl recht erſchrocken, mein Bru¬
[281] der, und ſolltet doch billig Euch erfreuen, da
Ihr mit eignen Augen ein ſchoͤnes Marti¬
rium angeſchaut habt. So muß man ja
wohl es nennen, wenn ein Bruder aus Eu¬
erm Kloſter den verdienten Tod empfaͤngt,
denn Ihr ſeyd wohl Alle ſammt und ſon¬
ders Heilige?“ — „Nicht Heilige ſind wir,
ſprach ich, aber in unſerm Kloſter wurde
noch nie ein Unſchuldiger ermordet! — Ent¬
laßt mich — ich habe mein Amt vollbracht
mit Freudigkeit! — Der Geiſt des Verklaͤr¬
ten wird mir nahe ſeyn, wenn ich fallen
ſollte in die Haͤnde verruchter Moͤrder!“ —
„Ich zweifle gar nicht, ſprach der Dominika¬
ner: daß der ſelige Bruder Cyrillus Euch in
dergleichen Faͤllen beizuſtehen im Stande
ſeyn wird, wollet aber doch, lieber Bruder!
ſeine Hinrichtung nicht etwa einen Mord
nennen? — Schwer hatte ſich Cyrillus ver¬
ſuͤndigt an dem Statthalter des Herrn, und
dieſer ſelbſt war es, der ſeinen Tod befahl.
— Doch er muß Euch ja wohl alles gebeich¬
[282] tet haben, unnuͤtz iſt es daher, mit Euch da¬
ruͤber zu ſprechen, nehmt lieber dieſes zur
Staͤrkung und Erfriſchung, ihr ſeht ganz
blaß und verſtoͤrt aus.“ Mit dieſen Worten
reichte mir der Dominikaner einen kriſtalle¬
nen Pokal in dem ein dunkelrother ſtark duf¬
tender Wein ſchaͤumte. Ich weiß nicht, wel¬
che Ahnung mich durchblitzte, als ich den
Pokal an den Mund brachte. — Doch war
es gewiß, daß ich denſelben Wein roch, den
mir einſt Euphemie in jener verhaͤngnißvol¬
len Nacht kredenzte und unwillkuͤrlich, ohne
deutlichen Gedanken, goß ich ihn aus in den
linken Aermel meines Habits, indem ich,
wie von der Ampel geblendet, die linke Hand
vor die Augen hielt. „Wohl bekomm' es
Euch,“ rief der Dominikaner indem er mich
ſchnell zur Thuͤre hinausſchob. — Man warf
mich in den Wagen, der zu meiner Bewun¬
derung leer war, und zog mit mir von dan¬
nen. Die Schrecken der Nacht, die geiſti¬
ge Anſpannung, der tiefe Schmerz uͤber den
[283] ungluͤcklichen Cyrill warfen mich in einen
betaͤubten Zuſtand, ſo daß ich mich ohne zu
widerſtehen hingab, als man mich aus dem
Wagen heraus riß und ziemlich unſanft
auf den Boden fallen ließ. Der Morgen
brach an, und ich ſah mich an der Pforte
des Capuzinerkloſters liegen, deſſen Glocke
ich, als ich mich aufgerichtet hatte, anzog.
Der Pfoͤrtner erſchrack uͤber mein bleiches,
verſtoͤrtes Anſehen und mochte dem Prior
die Art, wie ich zuruͤckgekommen, gemeldet
haben, denn gleich nach der Fruͤhmeſſe trat
dieſer mit beſorglichem Blick in meine Zelle.
Auf ſein Fragen erwiederte ich nur im All¬
gemeinen, daß der Tod deſſen, den ich ab¬
ſolviren muͤſſen, zu graͤßlich geweſen ſey um
mich nicht im Innerſten aufzuregen, aber
bald konnte ich vor dem wuͤthenden Schmerz,
den ich am linken Arme empfand, nicht wei¬
ter reden, ich ſchrie laut auf. Der Wund¬
arzt des Kloſters kam, man riß mir den feſt
an dem Fleiſch klebenden Ermel herab, und
[284] fand den ganzen Arm wie von einer aͤtzen¬
den Materie zerfleiſcht und zerfreſſen. — „Ich
habe Wein trinken ſollen — ich habe ihn in
den Aermel gegoſſen,“ ſtoͤhnte ich, ohnmaͤch¬
tig von der entſetzlichen Qual! — „Aetzen¬
des Gift war in dem Weine,“ rief der Wund¬
arzt, und eilte, Mittel anzuwenden, die we¬
nigſtens bald den wuͤthenden Schmerz linder¬
ten. Es gelang der Geſchicklichkeit des Wund¬
arztes und der ſorglichen Pflege, die mir
der Prior angedeihen ließ, den Arm, der
erſt abgenommen werden ſollte, zu retten,
aber bis auf den Knochen dorrte das Fleiſch
ein und alle Kraft der Bewegung hatte der
feindliche Schierlingstrank gebrochen. „Ich
ſehe nur zu deutlich, ſprach der Prior, was
es mit jener Begebenheit, die Euch um Euern
Arm brachte, fuͤr eine Bewandniß hat. Der
fromme Bruder Cyrillus verſchwand aus un¬
ſerm Kloſter und aus Rom auf unbegreifliche
Weiſe, und auch Ihr, lieber Bruder Medar¬
dus! werdet auf dieſelbe Weiſe verloren
[285] gehen, wenn Ihr Rom nicht alsbald verlaſ¬
ſet. Auf verſchiedene verdaͤchtigte Weiſe er¬
kundigte man ſich nach Euch, waͤhrend der
Zeit als Ihr krank lagt, und nur meiner
Wachſamkeit und der Einigkeit der frommge¬
ſinnten Bruͤder moͤget Ihr es verdanken, daß
Euch der Mord nicht bis in Eure Zelle ver¬
folgte. So wie Ihr uͤberhaupt mir ein verwun¬
derlicher Mann zu ſeyn ſcheint, den uͤberall
verhaͤngnißvolle Bande umſchlingen, ſo ſeyd
Ihr auch ſeit der kurzen Zeit Eures Aufent¬
halts in Rom gewiß wider Euern Willen
viel zu merkwuͤrdig geworden, als daß es ge¬
wiſſen Perſonen nicht wuͤnſchenswerth ſeyn
ſollte, Euch aus dem Wege zu raͤumen. Kehrt
zuruͤck in Euer Vaterland, in Euer Kloſter!
— Friede ſey mit Euch!“ —


Ich fuͤhlte wohl, daß, ſo lange ich mich
in Rom befaͤnde, mein Leben in ſteter Ge¬
fahr bleiben muͤſſe, aber zu dem peinigen¬
den Andenken an alle begangene Frevel, das
die ſtrengſte Buße nicht zu vertilgen vermocht
[286] hatte, geſellte ſich der koͤrperliche empfindli¬
che Schmerz des abwelkenden Armes, und
ſo achtete ich ein qualvolles ſieches Daſeyn
nicht, das ich durch einen ſchnell mir gege¬
benen Tod wie eine druͤckende Buͤrde fahren
laſſen konnte. Immer mehr gewoͤhnte ich mich
an den Gedanken, eines gewaltſamen Todes
zu ſterben, und er erſchien mir bald ſogar
als ein glorreiches durch meine ſtrenge Bu¬
ße erworbenes Maͤrtirerthum. Ich ſah mich
ſelbſt, wie ich zu den Pforten des Kloſters
hinausſchritt, und wie eine finſtre Geſtalt
mich ſchnell mit einem Dolch durchbohrte.
Das Volk verſammelte ſich um den blutigen
Leichnam — „Medardus — der fromme buͤ¬
ßende Medardus iſt ermordet!“ — So rief
man durch die Straßen und dichter und dich¬
ter draͤngten ſich die Menſchen, laut wehkla¬
gend um den Entſeelten. — Weiber knieten
nieder und trockneten mit weißen Tuͤchern
die Wunde, aus der das Blut hervorquoll.
Da ſieht Eine das Kreuz an meinem Halſe,
[287] laut ſchreit ſie auf: Er iſt ein Maͤrtirer, ein
Heiliger — ſeht hier das Zeichen des Herrn,
das er am Halſe traͤgt, — da wirft ſich Al¬
les auf die Knie. — Gluͤcklich, der den Koͤr¬
per des Heiligen beruͤhren, der nur ſein
Gewand erfaſſen kann! — ſchnell iſt eine
Bahre gebracht, der Koͤrper hinaufgelegt,
mit Blumen bekraͤnzt, und im Triumphzuge
unter lautem Geſang und Gebet tragen ihn
Juͤnglinge nach St. Peter! — So arbeitete
meine [Fantaſie] ein Gemaͤlde aus, das meine
Verherrlichung hienieden mit lebendigen Far¬
ben darſtellte, und nicht gedenkend, nicht ah¬
nend, wie der boͤſe Geiſt des ſuͤndlichen Stol¬
zes mich auf neue Weiſe zu verlocken trach¬
te, beſchloß ich, nach meiner voͤlligen Gene¬
ſung in Rom zu bleiben, meine bisherige
Lebensweiſe fortzuſetzen, und ſo entweder
glorreich zu ſterben oder, durch den Papſt
meinen Feinden entriſſen, emporzuſteigen zu
hohen Wuͤrde der Kirche. — Meine ſtarke
lebenskraͤftige Natur ließ mich endlich den
[288] namenloſen Schmerz ertragen, und wider¬
ſtand der Einwirkung des hoͤlliſchen Safts
der von außen her mein Inneres zerruͤtten
wollte. Der Arzt verſprach meine baldige
Herſtellung, und in der That empfand ich
nur in den Augenblicken jenes Delirirens, das
dem Einſchlafen vorher zu gehen pflegt, fie¬
berhafte Anfaͤlle, die mit kalten Schauern
und fliegender Hitze wechſelten. Gerade in
dieſen Augenblicken war es, als ich, ganz
erfuͤllt von dem Bilde meines Martiriums,
mich ſelbſt, wie es ſchon oft geſchehen, durch
einen Dolchſtich in der Bruſt ermordet ſchau¬
te. Doch, ſtatt daß ich mich ſonſt gewoͤhn¬
lich auf dem ſpaniſchen Platz niedergeſtreckt
und bald von einer Menge Volks, die meine
Heiligſprechung verbreitete, umgeben ſah,
lag ich einſam in einem Laubgange des Klo¬
ſtergartens in B. — Statt des Blutes quoll
ein ekelhafter farbloſer Saft aus der weit
aufklaffenden Wunde und eine Stimme ſprach:
Iſt das Blut vom Maͤrtirer vergoſſen? —
Doch[289] Doch ich will das unreine Waſſer klaͤren
und faͤrben, und dann wird das Feuer, wel¬
ches uͤber das Licht geſiegt, ihn kroͤnen! Ich
war es, der dies geſprochen, als ich mich
aber von meinem todten Selbſt getrennt
fuͤhlte, merkte ich wohl, daß ich der weſen¬
loſe Gedanke meines Ichs ſey, und bald er¬
kannte ich mich als das im Aether ſchwim¬
mende Roth. Ich ſchwang mich auf zu den
leuchtenden Bergſpitzen — ich wollte einziehn
durch das Thor goldner Morgenwolken in die
heimathliche Burg, aber Blitze durchkreuz¬
ten, gleich im Feuer auflodernden Schlangen,
das Gewoͤlbe des Himmels, und ich ſank
herab, ein feuchter, farbloſer Nebel. Ich
ich, ſprach der Gedanke, ich bin es, der Eure
Blumen — Euer Blut faͤrbt — Blumen und
Blut ſind Euer Hochzeitſchmuck, den ich be¬
reite! — So wie ich tiefer und tiefer nie¬
derfiel, erblickte ich die Leiche mit weitauf¬
klaffender Wunde in der Bruſt, aus der je¬
nes unreine Waſſer in Stroͤmen floß. Mein
II. [ 19 ][290] Hauch ſollte das Waſſer umwandeln in Blut,
doch geſchah es nicht, die Leiche richtete ſich
auf und ſtarrte mich an mit hohlen graͤßli¬
chen Augen und heulte wie der Nordwind
in tiefer Kluft: Verblendeter, thoͤrichter Ge¬
danke, kein Kampf zwiſchen Licht und Feuer,
aber das Licht iſt die Feuertaufe durch das
Roth, das Du zu vergiften trachteſt — Die
Leiche ſank nieder; alle Blumen auf der Flur
neigten verwelkt ihre Haͤupter, Menſchen,
bleichen Geſpenſtern aͤhnlich, warfen ſich zur
Erde und ein tauſendſtimmiger troſtloſer Jam¬
mer ſtieg in die Luͤfte: O Herr, Herr! iſt ſo un¬
ermeßlich die Laſt unſrer Suͤnde, daß Du Macht
giebſt dem Feinde unſeres Blutes Suͤhnopfer zu
ertoͤdten? Staͤrker und ſtaͤrker, wie des Mee¬
res brauſende Welle, ſchwoll die Klage! —
der Gedanke wollte zerſtaͤuben in dem gewal¬
tigen Ton des troſtloſen Jammers, da wurde
ich wie durch einen elektriſchen Schlag em¬
porgeriſſen aus dem Traum. Die Thurm¬
glocke des Kloſters ſchlug zwoͤlfe, ein blen¬
[291] dendes Licht fiel aus den Fenſtern der Kirche
in meine Zelle. „Die Todten richten ſich auf
aus den Graͤbern und halten Gottesdienſt.“
So ſprach es in meinem Innern und ich be¬
gann zu beten. Da vernahm ich ein leiſes
klopfen. Ich glaubte, irgend ein Moͤnch wolle
zu mir herein, aber mit tiefem Entſetzen hoͤrte
ich bald jenes grauenvolle Kichern und Lachen
meines geſpenſtiſchen Doppelgaͤngers, und es
rief neckend und hoͤhnend: — „Bruͤderchen ...
Bruͤderchen ... Nun bin ich wieder bei Dir ...
die Wunde blutet ... die Wunde blutet ... roth
... roth ... Komm mit mir, Bruͤderchen Medar¬
dus, Komm mit mir!“ — Ich wollte aufſprin¬
gen vom Lager, aber das Grauſen hatte ſeine
Eisdecke uͤber mich geworfen und jede Be¬
wegung die ich verſuchte, wurde zum innern
Krampf, der die Muskeln zerſchnitt. Nur
der Gedanke blieb und war inbruͤnſtiges
Gebet: daß ich errettet werden moͤge von
den dunklen Maͤchten, die aus der offenen
Hoͤllenpforte auf mich eindrangen. Es ge¬
[292] ſchah, daß ich mein Gebet, nur im Innern
gedacht, laut und vernehmlich hoͤrte, wie es
Herr wurde uͤber das Klopfen und Kichern
und unheimliche Geſchwaͤtz des furchtbaren
Doppeltgaͤngers, aber zuletzt ſich verlor in
ein ſeltſames Summen, wie wenn der Suͤd¬
wind Schwaͤrme feindlicher Inſekten geweckt
hat, die giftige Saugruͤſſel anſetzen an die
bluͤhende Saat. Zu jener troſtloſen Klage
der Menſchen wurde das Summen, und mei¬
ne Seele frug, iſt das nicht der weiſſagen¬
de Traum, der ſich auf deine blutende Wun¬
de heilend und troͤſtend legen will? — In
dem Augenblicke brach der Purpurſchimmer
des Abendroths durch den duͤſtern farbloſen
Nebel, aber in ihm erhob ſich eine hohe
Geſtalt. — Es war Chriſtus, aus jeder ſei¬
ner Wunden perlte ein Tropfen Bluts und
wiedergegeben war der Erde das Roth, und
der Menſchen Jammer wurde ein jauchzen¬
der Hymnus, denn das Roth war die Gna¬
de des Herrn die uͤber ihnen aufgegangen!
[293] Nur Medardus Blut floß noch farblos aus
der Wunde, und er flehte inbruͤnſtig: Soll
auf der ganzen weiten Erde ich, ich allein
nur troſtlos der ewigen Qual der Verdamm¬
ten preisgegeben [bleiben]? da regte es ſich
in den Buͤſchen — eine Roſe, von himmli¬
ſcher Gluth hoch gefaͤrbt, ſtreckte ihr Haupt
empor und ſchaute den Medardus an mit
engliſch mildem Laͤcheln, und ſuͤßer Duft
umfing ihn, und der Duft war das wunder¬
bare Leuchten des reinſten Fruͤhlingsaͤthers.
„Nicht das Feuer hat geſiegt, kein Kampf
zwiſchen Licht und Feuer. — Feuer iſt das
Wort, das den Suͤndigen erleuchtet.“ — Es
war, als haͤtte die Roſe dieſe Worte geſpro¬
chen, aber die Roſe war ein holdes Frauen¬
bild. — In weißem Gewande, Roſen in das
dunkle Haar geflochten, trat ſie mir entge¬
gen. — Aurelie, ſchrie ich auf, aus dem Trau¬
me erwachend; ein wunderbarer Roſengeruch
erfuͤllte die Zelle und fuͤr Taͤuſchung meiner
aufgeregten Sinne mußt' ich es wohl halten,
[294] als ich deutlich Aureliens Geſtalt wahrzu¬
nehmen glaubte, wie ſie mich mit ernſten
Blicken anſchaute und dann in den Strahlen
des Morgens, die in die Zelle fielen, zu ver¬
duften ſchien. — Nun erkannte ich die Ver¬
ſuchung des Teufels und meine ſuͤndige
Schwachheit. Ich eilte herab und betete
inbruͤnſtig am Altar der heiligen Roſalia. —
Keine Kaſteiung, — keine Buße im Sinn
des Kloſters, aber als die Mittagsſonne ſenk¬
recht ihre Strahlen herabſchoß, war ich ſchon
mehrere Stunden von Rom entfernt. —
Nicht nur Cyrillus Mahnung, ſondern eine
innere unwiderſtehliche Sehnſucht nach der
Heimath, trieb mich fort auf demſelben
Pfade, den ich bis nach Rom durchwandert.
Ohne es zu wollen hatte ich, indem ich mei¬
nem, Beruf entfliehen wollte, den geradeſten
Weg nach dem mir von dem Prior Leonar¬
dus beſtimmten Ziel genommen. —


Ich vermied die Reſidenz des Fuͤrſten,
nicht weil ich fuͤrchtete, erkannt zu werden
[295] und aufs neue dem Criminalgericht in die
Haͤnde zu fallen, aber wie konnte ich ohne
herzzerreißende Erinnerung den Ort betreten,
wo ich in frevelnder Verkehrtheit nach einem
irdiſchen Gluͤck zu trachten mich vermaß, dem
ich Gottgeweihter ja entſagt hatte — ach, wo
ich, dem ewigen reinen Geiſt der Liebe abge¬
wandt, fuͤr des Lebens hoͤchſten Lichtpunkt,
in dem das ſinnliche und uͤberſinnliche in ei¬
ner
Flamme auflodert, den Moment der Be¬
friedigung des irdiſchen Triebes nahm: wo
mir die rege Fuͤlle des Lebens, genaͤhrt von
ſeinem eigenen uͤppigen Reichthum, als das
Prinzip erſchien, das ſich kraͤftig auflehnen
muͤſſe gegen jenes Aufſtreben nach dem Himm¬
liſchen, das ich nur unnatuͤrliche Selbſtver¬
laͤugnung nennen konnte! — Aber noch mehr!
— tief im Innern fuͤhlte ich, trotz der Er¬
kraͤftigung, die mir durch unſtraͤflichen Wan¬
del, durch anhaltende ſchwere Buße werden
ſollte, die Ohnmacht, einen Kampf glorreich
zu beſtehen, zu dem mich jene dunkle, grauen¬
[296] volle Macht, deren Einwirkung ich nur zu
oft, zu ſchreckbar gefuͤhlt, unverſehends auf¬
reizen koͤnne. — Aurelien wiederſehen! —
vielleicht in voller Anmuth und Schoͤnheit
prangend! — Konnt' ich das ertragen, ohne
uͤbermannt zu werden von dem Geiſt des
Boͤſen, der wohl noch mit den Flammen der
Hoͤlle mein Blut aufkochte, daß es ziſchend
und gaͤhrend durch die Adern ſtroͤmte. —
Wie oft erſchien mir Aureliens Geſtalt, aber
wie oft regten ſich dabei Gefuͤhle in meinem
Innerſten, deren Suͤndhaftigkeit ich erkannte
und mit aller Kraft des Willens vernichtete.
Nur in dem Bewußtſeyn alles deſſen, wor¬
aus die hellſte Aufmerkſamkeit auf mich ſelbſt
hervorging und dem Gefuͤhl meiner Ohnmacht,
die mich den Kampf vermeiden hieß, glaubte
ich die Wahrhaftigkeit meiner Buße zu er¬
kennen, und troͤſtend war die Ueberzeugung,
daß wenigſtens der hoͤlliſche Geiſt des Stol¬
zes, die Vermeſſenheit es aufzunehmen mit
den dunklen Maͤchten, mich verlaſſen habe.
[297] Bald war ich im Gebirge, und eines Mor¬
gens tauchte aus dem Nebel des vor mir
liegenden Thals ein Schloß auf, das ich naͤ¬
her ſchreitend wohl erkannte. Ich war auf
dem Gute des Barons von F. Die Anlagen
des Parks waren verwildert, die Gaͤnge ver¬
wachſen und mit Unkraut bedeckt; auf dem
ſonſt ſo ſchoͤnen Raſenplatz vor dem Schloſſe
weidete in dem hohen Graſe Vieh — die
Fenſter des Schloſſes hin und wieder zerbro¬
chen — der Aufgang verfallen. — Keine
menſchliche Seele ließ ſich blicken. — Stumm
und ſtarr ſtand ich da in grauenvoller Ein¬
ſamkeit. Ein leiſes Stoͤhnen drang aus ei¬
nem noch ziemlich erhaltenen Boskett, und ich
wurde einen alten eisgrauen Mann gewahr,
der in dem Boskett ſaß, und mich, unerach¬
tet ich ihm nahe genug war, nicht wahrzu¬
nehmen ſchien. Als ich mich noch mehr
naͤherte, vernahm ich die Worte: „Tod —
tod ſind ſie alle, die ich liebte! — Ach Au¬
relie! Aurelie — auch Du! — die letzte! —
[298] todt — todt fuͤr dieſe Welt!“ Ich erkann¬
te den alten Reinhold — eingewurzelt blieb
ich ſtehen. — „Aurelie todt? Nein, nein
du irrſt Alter, Die hat die ewige Macht
beſchuͤtzt vor dem Meſſer des frevelichen Moͤr¬
ders.“ — So ſprach ich, da fuhr der Alte
wie vom Blitz getroffen zuſammen, und rief
laut: „Wer iſt hier? — wer iſt hier? Leo¬
pold! — Leopold!“ — Ein Knabe ſprang her¬
bei; als er mich erblickte, neigte er ſich tief
und gruͤßte: Laudetur Jesus Christus! — „In
omnia saecula saeculorum
“ erwiederte ich, da
raffte der Alte ſich auf und rief noch ſtaͤrker:
Wer iſt hier? — wer iſt hier? — Nun ſah
ich, daß der Alte blind war. — „Ein ehrwuͤr¬
diger Herr, ſprach der Knabe: ein Geiſtli¬
cher vom Orden der Capuziner iſt hier.“ Da
war es, als erfaſſe den Alten tiefes Grauen
und Entſetzen, und er ſchrie: „Fort — fort —
Knabe fuͤhre mich fort — hinein — hinein
— verſchließ' die Thuͤren — Peter ſoll Wa¬
che halten — fort, fort, hinein.“ Der Alte
[299] nahm alle Kraft zuſammen, die ihm geblie¬
ben, um vor mir zu fliehen, wie vor dem
reißenden Thier. Verwundert, erſchrocken
ſah mich der Knabe an, doch der Alte, ſtatt
ſich von ihm fuͤhren zu laſſen, riß ihn fort,
und bald waren ſie durch die Thuͤre ver¬
ſchwunden, die, wie ich hoͤrte, feſt verſchloſ¬
ſen wurde. — Schnell floh ich fort von dem
Schauplatz meiner hoͤchſten Frevel, die bei
dieſem Auftritt lebendiger als jemals vor mir
ſich wiedergeſtalteten, und bald befand ich
mich in dem tiefſten Dickigt. Ermuͤdet ſetzte
ich mich an den Fuß eines Baumes in das
Moos nieder; unweit davon war ein kleiner
Huͤgel aufgeſchuͤttet auf welchem ein Kreuz
ſtand. Als ich aus dem Schlaf, in dem ich
vor Ermattung geſunken, erwachte, ſaß ein
alter Bauer neben mir, der alsbald, da er
mich ermuntert ſah, ehrerbietig ſeine Muͤtze
abzog und im Ton der vollſten ehrlichſten
Gutmuͤthigkeit ſprach: „Ey ihr ſeyd wohl weit
her gewandert, ehrwuͤrdiger Herr! und recht
[300] muͤde geworden, denn ſonſt waͤret Ihr hier
an dem ſchauerlichen Plaͤtzchen nicht in ſolch
tiefen Schlaf geſunken. Oder Ihr wiſſet
vielleicht gar nicht, was es mit dieſem Or¬
te hier fuͤr eine Bewandniß hat?“ — Ich ver¬
ſicherte, daß ich als fremder, von Ita¬
lien hereinwandernder Pilger durchaus nicht
von dem, was hier vorgefallen unterrichtet
ſey. „Es geht, ſprach der Bauer: Euch
und Euere Ordensbruͤder ganz beſonders
an, und ich muß geſtehen, als ich Euch ſo
ſanft ſchlafend fand, ſetzte ich mich her,
um jede etwanige Gefahr von Euch abzu¬
wenden Vor mehrern Jahren ſoll hier ein
Capuziner ermordet worden ſeyn. So viel
iſt gewiß, daß ein Capuziner zu der Zeit
durch unſer Dorf kam, und nachdem er uͤber¬
nachtet, dem Gebuͤrge zuwanderte. An dem¬
ſelben Tage ging mein Nachbar den tiefen
Thalweg, unterhalb des Teufelsgrundes, hin¬
ab, und hoͤrte mit einemmahl ein fernes durch¬
dringendes Geſchrei, welches ganz abſonder¬
[301] lich in den Luͤften verklang. Er will ſogar,
was mir aber unmoͤglich ſcheint, eine Ge¬
ſtalt von der Bergſpitze herab in den Ab¬
grund ſtuͤrzen geſehen haben. So viel iſt
gewiß, daß wir Alle im Dorfe, ohne zu wiſ¬
ſen warum, glaubten, der Capuziner koͤnne
wohl herabgeſtuͤrzt ſeyn, und daß Mehrere
von uns hingingen und, ſoweit es nur moͤglich
war, ohne das Leben aufs Spiel zu ſetzen, hin¬
ab ſtiegen, um wenigſtens die Leiche des un¬
gluͤcklichen Menſchen zu finden. Wir konnten
aber nichts entdecken und lachten den Nachbar
tuͤchtig aus, als er einmal in der mondhel¬
len Nacht auf dem Thalwege heimkehrend,
ganz voll Todesſchrecken einen nackten Men¬
ſchen aus dem Teufelsgrunde wollte empor¬
ſteigen geſehen haben. Das war nun pure
Einbildung; aber ſpaͤter erfuhr man denn
wohl, daß der Capuziner, Gott weiß warum,
hier von einem vornehmen Mann ermordet,
und der Leichnam in den Teufelsgrund [ge¬
ſchleudert]
worden ſey. Hier auf dieſem Fleck
[302] muß der Mord geſchehen ſeyn, davon bin
ich uͤberzeugt, denn ſeht einmal, ehrwuͤrdi¬
ger Herr! hier ſitze ich einſt, und ſchaue ſo
in Gedanken da den holen Baum neben uns
an. Mit einemmal iſt es mir, als hinge ein
Stuͤck dunkelbraunes Tuch zur Spalte her¬
aus. Ich ſpringe auf, ich gehe hin, und
ziehe einen ganz neuen Capuzinerhabit her¬
aus. An dem einen Ermel klebte etwas Blut
und in einem Zipfel war der Nahme Medar¬
dus hineingezeichnet. Ich dachte, arm wie
ich bin, ein gutes Werk zu thun, wenn ich
den Habit verkaufe und fuͤr das daraus geloͤ¬
ſte Geld dem armen ehrwuͤrdigen Herrn, der
hier ermordet, ohne ſich zum Tode vorzube¬
reiten und ſeine Rechnung zu machen, Meſ¬
ſen leſen ließe. So geſchah es denn, daß
ich das Kleid nach der Stadt trug, aber kein
Troͤdler wollte es kaufen, und ein Capuzi¬
nerkloſter gab es nicht am Orte; endlich kam
ein Mann, ſeiner Kleidung nach wars wohl
ein Jaͤger oder ein Foͤrſter, der ſagte, er
[303] brauche gerade ſolch einen Capuzinerrock und
bezahlte mir meinen Fund reichlich. Nun
ließ ich von unſerm Herrn Pfarrer eine
tuͤchtige Meſſe leſen und ſetzte, da im Teu¬
felsgrunde kein Kreuz anzubringen, hier eins
hin zum Zeichen des ſchmaͤlichen Todes des
Herrn Capuziners. Aber der ſeelige Herr
muß etwas viel uͤber die Schnur gehauen
haben, denn er ſoll hier noch zuweilen her¬
umſpucken und ſo hat des Herrn Pfarrers
Meſſe nicht viel geholfen. Darum bitte ich
Euch, ehrwuͤrdiger Herr, ſeyd Ihr geſund
heimgekehrt von Eurer Reiſe, ſo haltet ein
Amt fuͤr das Heil der Seele Eures Ordens¬
bruders Medardus. Verſprecht mir das!“ —
„Ihr ſeid im Irrthum, mein guter Freund!
ſprach ich, der Capuziner Medardus, der vor
mehrern Jahren auf der Reiſe nach Italien
durch Euer Dorf zog, iſt nicht ermordet Noch
bedarf es keiner Seelenmeſſe fuͤr ihn, er lebt
und kann noch arbeiten fuͤr ſein ewiges
Heil! — Ich bin ſelbſt Medardus!“ —


[304]

Mit dieſen Worten ſchlug ich meine Kutte
aus einander und zeigte ihm den in den
Zipfel geſtickten Namen Medardus. Kaum
hatte der Bauer den Namen erblickt, als er
erbleichte und mich voll Entſetzen anſtarrte.
Dann ſprang er jaͤhlings auf und lief laut
ſchreiend in den Wald hinein. Es war klar,
daß er mich fuͤr das umgehende Geſpenſt des
ermordeten Medardus hielt, und vergeblich
wuͤrde mein Beſtreben geweſen ſeyn, ihm den
Irrthum zu benehmen. — Die Abgeſchieden¬
heit, die Stille des Orts nur von dem dum¬
pfen Brauſen des nicht fernen Waldſtroms
unterbrochen, war auch ganz dazu geeignet,
grauenvolle Bilder aufzuregen; ich dachte an
meinen graͤßlichen Doppeltgaͤnger, und, ange¬
ſteckt von dem Entſetzen des Bauers, fuͤhlte
ich mich im Innerſten erbeben, da es mir
war, als wuͤrde er aus dieſem, aus jenem
finſtern Buſch hervortreten. — Mich erman¬
nend ſchritt ich weiter fort, und erſt dann,
als mich die grauſige Idee des Geſpenſtes,
mei¬[305] meines Ichs, fuͤr das mich der Bauer gehal¬
ten, verlaſſen, dachte ich daran, daß mir
nun ja erklaͤrt worden ſey, wie der wahnſin¬
nige Moͤnch zu dem Capuzinerrock gekom¬
men, den er mir auf der Flucht zuruͤckließ
und den ich unbezweifelt fuͤr den meinigen
erkannte. Der Foͤrſter, bei dem er ſich auf¬
hielt, und den er um ein neues Kleid ange¬
ſprochen, hatte ihn in der Stadt von dem
Bauer gekauft. Wie die verhaͤngnißvolle
Begebenheit am Teufelsgrunde auf merkwuͤr¬
dige Weiſe verſtuͤmmelt worden, das fiel tief
in meine Seele, denn ich ſah wohl, wie alle
Umſtaͤnde ſich vereinigen mußten, um jene
Unheilbringende Verwechslung mit Viktorin
herbeizufuͤhren. Sehr wichtig ſchien mir
des furchtſamen Nachbars wunderbare Vi¬
ſion, und ich ſah mit Zuverſicht noch deutli¬
cherer Aufklaͤrung entgegen, ohne zu ahnen,
wo und wie ich ſie erhalten wuͤrde.


Endlich, nach raſtloſer Wanderung, meh¬
rere Wochen hindurch, nahte ich mich der
II. [ 20 ][306] Heimath; mit klopfendem Herzen ſah ich
die Thuͤrme des Ciſterzienſernonnenkloſters
vor mir aufſteigen. Ich kam in das Dorf,
auf den freien Platz vor der Kloſterkirche.
Ein Hymnus, von Maͤnnerſtimmen geſungen,
klang aus der Ferne heruͤber. — Ein Kreuz
wurde ſichtbar — Moͤnche, paarweiſe wie
in Prozeſſion fortſchreitend, hinter ihm. —
Ach — ich erkannte meine Ordensbruͤder, den
greiſen Leonardus von einem jungen, mir un¬
bekannten Bruder gefuͤhrt, an ihrer Spitze.
— Ohne mich zu bemerken ſchritten ſie ſin¬
gend bei mir voruͤber und hinein durch die
geoͤffnete Kloſterpforte. Bald darauf zogen
auf gleiche Weiſe die Dominikaner und Fran¬
ziskaner aus B. herbei, feſt verſchloſſene
Kutſchen fuhren hinein in den Kloſterhof, es
waren die Klaren Nonnen aus B. Alles ließ
mich wahrnehmen, daß irgend ein außeror¬
dentliches Feſt gefeiert werden ſolle. Die
Kirchenthuͤren ſtanden weit offen, ich trat
hinein, und bemerkte, wie alles ſorgfaͤltig ge¬
[307] kehrt und geſaͤubert wurde. — Man ſchmuͤck¬
te den Hochaltar und die Nebenaltaͤre mit
Blumengewinden, und ein Kirchendiener
ſprach viel von friſch aufgebluͤhten Roſen,
die durchaus Morgen in aller Fruͤhe herbei¬
geſchafft werden muͤßten, weil die Frau Aeb¬
tiſſin ausdruͤcklich befohlen habe, daß mit
Roſen der Hochaltar verziert werden ſolle. —
Entſchloſſen, nun gleich zu den Bruͤdern zu
treten, ging ich, nachdem ich mich durch kraͤf¬
tiges Gebet geſtaͤrkt, in das Kloſter und frug
nach dem Prior Leonardus; die Pfoͤrtnerin
fuͤhrte mich in einen Saal, Leonardus ſaß
im Lehnſtuhl, von den Bruͤdern umgeben;
laut weinend, im Innerſten zerknirſcht, kei¬
nes Wortes maͤchtig, ſtuͤrzte ich zu ſeinen
Fuͤßen. „Medardus!“ — ſchrie er auf, und
ein dumpfes Gemurmel lief durch die Reihe
der Bruͤder: „Medardus — Bruder Medardus
iſt endlich wieder da!“ — Man hob mich auf,
— die Bruͤder druͤckten mich an ihre Bruſt:
„Dank den himmliſchen Maͤchten, daß Du
[308] errettet biſt aus den Schlingen der argliſti¬
gen Welt — aber erzaͤhle — erzaͤhle, mein
Bruder“ — ſo riefen die Moͤnche durch ein¬
ander. Der Prior erhob ſich, und auf ſeinen
Wink folgte ich ihm in das Zimmer, welches
ihm gewoͤhnlich bei dem Beſuch des Klo¬
ſters zum Aufenthalt diente. „Medardus,
fing er an: Du haſt auf freveliche Weiſe
Dein Geluͤbde gebrochen; Du haſt, indem Du,
anſtatt die Dir gegebenen Auftraͤge auszurich¬
ten, ſchaͤndlich entflohſt, das Kloſter auf die
unwuͤrdigſte Weiſe betrogen. — Einmauern
koͤnnte ich Dich laſſen, wollte ich verfahren
nach der Strenge des Kloſtergeſetzes!“ —
„Richtet mich, mein ehrwuͤrdiger Vater, er¬
wiederte ich: richtet mich, wie das Geſetz
es will: ach! mit Freuden werfe ich die Buͤr¬
de eines elenden qualvollen Lebens ab! —
Ich fuͤhl' es wohl, daß die ſtrengſte Buße
der ich mich unterwarf, mir keinen Troſt
hienieden geben konnte!“ — „Ermanne Dich,
fuhr Leonardus fort: der Prior hat mit Dir
[309] geſprochen, jetzt kann der Freund, der Va¬
ter mit Dir reden! — Auf wunderbare Weiſe
biſt du errettet worden vom Tode, der Dir
in Rom drohte. — Nur Cyrillus fiel als
Opfer ...“ — „Ihr wißt alſo?“ frug ich voll
Staunen. „Alles, erwiederte der Prior: Ich
weiß, daß Du dem Armen beiſtandeſt in der
letzten Todesnoth, und daß man Dich mit
dem vergifteten Wein, den man Dir zum
Labetrunk darbot, zu ermorden gedachte.
Wahrſcheinlich haſt Du, bewacht von den
Argusaugen der Moͤnche, doch Gelegenheit
gefunden, den Wein ganz zu verſchuͤtten,
denn trankſt Du nur einen Tropfen, ſo warſt
Du hin, in Zeit von zehn Minuten.“ — „O,
ſchaut her, rief ich und zeigte, den Ermel der
Kutte aufſtreifend, dem Prior meinen bis
auf den Knochen eingeſchrumpften Arm, in¬
dem ich erzaͤhlte, wie ich, Boͤſes ahnend, den
Wein in den Ermel gegoſſen.“ Leonardus
ſchauerte zuruͤck vor dem haͤßlichen Anblick
des mumienartigen Gliedes, und ſprach dumpf
[310] in ſich hinein: „Gebuͤßt haſt Du, der Du fre¬
velteſt auf jedigliche Weiſe; aber Cyrillus
— Du frommer Greis!“ — Ich ſagte dem
Prior: daß mir die eigentliche Urſache der
heimlichen Hinrichtung des armen Cyrillus
unbekannt geblieben. „Vielleicht, ſprach der
Prior, hatteſt Du daſſelbe Schickſal, wenn
Du, wie Cyrillus als Bevollmaͤchtigter unſe¬
res Kloſters auftratſt. Du weißt, daß die
Anſpruͤche unſers Kloſters Einkuͤnfte des
Cardinals ***, die er auf unrechtmaͤßige Wei¬
ſe zieht, vernichten; dies war die Urſache,
warum der Cardinal mit des Pabſtes Beicht¬
vater, den er bis jetzt angefeindet, ploͤtzlich
Freundſchaft ſchloß, und ſo ſich in dem Domi¬
nikaner einen kraͤftigen Gegner gewann, den
er dem Cyrillus entgegen ſtellen konnte.
Der ſchlaue Moͤnch fand bald die Art aus,
wie Cyrill geſtuͤrzt werden konnte. Er
fuͤhrte ihn ſelbſt ein bei dem Pabſt, und wu߬
te dieſem den fremden Capuziner ſo darzuſtel¬
len, daß der Pabſt ihn wie eine merkwuͤr¬
[311] dige Erſcheinung bei ſich aufnahm, und Cy¬
rillus in die Reihe der Geiſtlichen trat, von
denen er umgeben. Cyrillus mußte nun bald
gewahr werden, wie der Statthalter des
Herrn nur zu ſehr ſein Reich in dieſer Welt
und ihren Luͤſten ſuche und finde; wie er ei¬
ner heuchleriſchen Brut zum Spielwerk die¬
ne, die ihn trotz des kraͤftigen Geiſtes, der ſonſt
ihm einwohnte, den ſie aber durch die ver¬
worfenſten Mittel zu beugen wußte, zwiſchen
Himmel und Hoͤlle herumwerfe. Der from¬
me Mann, das war vorauszuſehen, nahm
großes Aergerniß daran, und fuͤhlte ſich be¬
rufen, durch feurige Reden, wie der Geiſt
ſie ihm eingab, den Pabſt im Innerſten zu
erſchuͤttern und ſeinen Geiſt von dem Irdi¬
ſchen abzulenken. Der Pabſt, wie verweich¬
lichte Gemuͤther pflegen, wurde in der That
von des frommen Greiſes Worten ergriffen,
und eben in dieſem erregten Zuſtande wurde
es dem Dominikaner leicht, auf geſchickte
Weiſe nach und nach den Schlag vorzuberei¬
[312] ten, der den armen Cyrillus treffen ſollte.
Er berichtete dem Pabſt, daß es auf nichts
geringeres abgeſehen ſey, als auf eine heim¬
liche Verſchwoͤrung, die ihn der Kirche als
unwuͤrdig der dreifachen Krone darſtellen
ſollte; Cyrillus habe den Auftrag, ihn dahin
zu bringen, daß er irgend eine oͤffentliche
Bußuͤbung vornehme, welche dann als
Signal des foͤrmlichen, unter den Cardinaͤlen
gaͤhrenden Aufſtandes dienen wuͤrde. Jetzt
fand der Pabſt in den ſalbungsvollen Reden
unſeres Bruders die verſteckte Abſicht leicht
heraus, der Alte wurde ihm tief verhaßt,
und um nur irgend einen auffallenden Schritt
zu vermeiden, litt er ihn noch in ſeiner Naͤ¬
he. Als Cyrillus wieder einmal Gelegen¬
heit fand, zu dem Pabſt ohne Zeugen zu
ſprechen, ſagte er geradezu, daß der, der
den Luͤſten der Welt nicht ganz entſage, der
nicht einen wahrhaft heiligen Wandel fuͤhre,
ein unwuͤrdiger Statthalter des Herrn, und
der Kirche eine Schmach und Verdammniß
[313] bringende Laſt ſey, von der ſie ſich befreien
muͤſſe. Bald darauf, und zwar nachdem man
Cyrillus aus den innern Kammern des Pab¬
ſtes treten geſehen, fand man das Eiswaſſer,
welches der Pabſt zu trinken pflegte, vergif¬
tet. Daß Cyrillus unſchuldig war, darf ich
Dir, der Du den frommen Greis gekannt
haſt, nicht verſichern. Doch uͤberzeugt war
der Pabſt von ſeiner Schuld, und der Befehl,
den fremden Moͤnch bei den Dominikanern
heimlich hinzurichten, die Folge davon. Du
warſt in Rom eine auffallende Erſcheinung;
die Art, wie Du Dich gegen den Pabſt aͤu¬
ßerteſt, vorzuͤglich die Erzaͤhlung Deines Le¬
benslaufs, ließ ihn eine gewiſſe geiſtige Ver¬
wandſchaft zwiſchen ihm und Dir finden; er
glaubte, ſich mit Dir zu einem hoͤhern Stand¬
punkte erheben und in ſuͤndhaftem Vernuͤnf¬
teln uͤber alle Tugend und Religion recht er¬
laben und erkraͤftigen zu koͤnnen, um, wie
ich wohl ſagen mag, mit rechter Begeiſter¬
ung fuͤr die Suͤnde zu ſuͤndigen. Deine
[314] Bußuͤbungen waren ihm nur ein recht klug
angelegtes heuchleriſches Beſtreben, zum hoͤ¬
heren Zweck zu gelangen. Er bewunderte
Dich und ſonnte ſich in den glaͤnzenden, lob¬
preiſenden Reden, die Du ihm hielſt. So kam
es, daß Du, ehe der Dominikaner es ahnte, Dich
erhobſt und der Rotte gefaͤhrlicher wurdeſt, als
es Cyrillus jemals werden konnte. — Du merkſt,
Medardus! daß ich von Deinem Beginnen in
Rom genau unterrichtet bin; daß ich jedes Wort
weiß, welches Du mit dem Papſt ſprachſt,
und darin liegt weiter nichts geheimnißvol¬
les, wenn ich Dir ſage, daß das Kloſter in
der Naͤhe Sr. Heiligkeit einen Freund hat,
der mir genau alles berichtete. Selbſt als
Du mit dem Papſt allein zu ſeyn glaubteſt,
war er nahe genug um jedes Wort zu ver¬
ſtehen. — Als Du in dem Capuzinerkloſter,
deſſen Prior mir nahe verwandt iſt, Deine
ſtrenge Bußuͤbungen begannſt, hielt ich Dei¬
ne Reue fuͤr aͤcht. Es war auch wohl dem
ſo, aber in Rom erfaßte Dich der boͤſe Geiſt
[315] des ſuͤndhaften Hochmuths, dem Du bei uns
erlagſt, aufs neue. Warum klagteſt Du Dich
gegen den Pabſt Verbrechen an, die Du
niemals begingſt? — Warſt Du denn je¬
mals auf dem Schloſſe des Barons von F.?“
— „Ach! mein ehrwuͤrdiger Vater, rief ich
von innerm Schmerz zermalmt: das war ja
der Ort meiner entſetzlichſten Frevel! — Das
iſt aber die haͤrteſte Strafe der ewigen un¬
erforſchlichen Macht, daß ich auf Erden nicht
gereinigt erſcheinen ſoll von der Suͤnde, die
ich in wahnſinniger Verblendung beging? —
Auch Euch, mein Ehrwuͤrdiger Vater, bin
ich ein ſuͤndiger Heuchler?“ — „In der That,
fuhr der Prior fort: bin ich jetzt, da ich
Dich ſehe und ſpreche, beinahe uͤberzeugt,
daß Du, nach Deiner Buße, der Luͤge nicht
mehr faͤhig warſt, dann aber waltet noch ein
mir bis jetzt unerklaͤrliches Geheimniß ob.
Bald nach Deiner Flucht aus der Reſidenz
(der Himmel wollte den Frevel nicht, den Du
zu begehen im Begriff ſtandeſt, er errettete
[316] die fromme Aurelie) bald nach Deiner
Flucht ſage ich, und nachdem der Moͤnch,
den ſelbſt Cyrillus fuͤr Dich hielt wie durch
ein Wunder ſich gerettet hatte, wurde es be¬
kannt, daß nicht Du, ſondern der als Capu¬
ziner verkappte Graf Viktorin auf dem Schloſ¬
ſe des Barons geweſen war. Briefe, die ſich
in Euphemiens Nachlaß fanden, hatten dies
zwar ſchon fruͤher kund gethan, man hielt
aber Euphemien ſelbſt fuͤr getaͤuſcht, da Rein¬
hold verſicherte, er habe Dich zu genau ge¬
kannt um ſelbſt bei Deiner treueſten Aehn¬
lichkeit mit Viktorin getaͤuſcht zu werden.
Euphemiens Verblendung blieb unbegreiflich.
Da erſchien ploͤtzlich der Reitknecht des Gra¬
fen, und erzaͤhlte, wie der Graf, der ſeit
Monaten im Gebuͤrge einſam gelebt, und
ſich den Bart wachſen laſſen, ihm in dem
Walde und zwar bei dem ſogenannten Teu¬
felsgrunde ploͤtzlich als Capuziner gekleidet
erſchienen ſey. Obgleich er nicht gewußt,
wo der Graf die Kleider hergenommen, ſo
[317] ſey ihm doch die Verkleidung weiter nicht
aufgefallen, da er von dem Anſchlage des
Grafen, im Schloſſe des Barons in Moͤnchs¬
habit zu erſcheinen, denſelben ein ganzes
Jahr zu tragen und ſo auch wohl noch hoͤ¬
here Dinge auszufuͤhren, unterrichtet gewe¬
ſen. Geahnt habe er wohl, wo der Graf
zum Capuzinerrock gekommen ſey, da er den
Tag vorher geſagt, wie er einen Capuziner
im Dorfe geſehen, und von ihm, wandere er
durch den Wald, ſeinen Rock auf dieſe oder
jene Weiſe zu bekommen hoffe. Geſehen ha¬
be er den Capuziner nicht, wohl aber einen
Schrei gehoͤrt; bald darauf ſey auch im Dorf
von einem im Walde ermordeten Capuziner
die Rede geweſen. Zu genau habe er ſeinen
Herrn gekannt, zu viel mit ihm noch auf
der Flucht aus dem Schloſſe geſprochen, als
daß hier eine Verwechſelung ſtatt finden
koͤnne. — Dieſe Ausſage des Reitknechts ent¬
kraͤftete Reinholds Meinung, und nur Vikto¬
rins gaͤnzliches Verſchwinden blieb unbegreif¬
[318] lich. Die Fuͤrſtin ſtellte die Hypotheſe auf,
daß der vorgebliche Herr von Krczynſki aus
Kwiecziczewo eben der Graf Viktorin gewe¬
ſen ſey, und ſtuͤtzte ſich auf ſeine merkwuͤrdi¬
ge, ganz auffallende Aehnlichkeit mit Fran¬
cesko, an deſſen Schuld laͤngſt Niemand zwei¬
felte, ſo wie auf die Motion die ihr jedes¬
mal ſein Anblick verurſacht habe. Viele
traten ihr bei und wollten, im Grunde ge¬
nommen, viel graͤflichen Anſtand an jenem
Abentheurer bemerkt haben, den man laͤcher¬
licher Weiſe fuͤr einen verkappten Moͤnch ge¬
halten. Die Erzaͤhlung des Foͤrſters von
dem wahnſinnigen Moͤnch, der im Walde
hauſete und zuletzt von ihm aufgenommen
wurde, fand nun auch ihren Zuſammenhang
mit der Unthat Viktorins, ſobald man nur
einige Umſtaͤnde als wahr vorausſetzte. —
Ein Bruder des Kloſters, in dem Medar¬
dus geweſen, hatte den wahnſinnigen Moͤnch
ausdruͤcklich fuͤr den Medardus erkannt, er
mußte es alſo wohl ſeyn. Viktorin hatte
[319] ihn in den Abgrund geſtuͤrzt; durch irgend
einen Zufall, der gar nicht unerhoͤrt ſeyn
durfte, wurde er errettet. Aus der Betaͤu¬
bung erwacht, aber ſchwer am Kopfe ver¬
wundet, gelang es ihm, aus dem Grabe her¬
aufzukriechen. Der Schmerz der Wunde,
Hunger und Durſt machten ihn wahnſinnig —
raſend! — So lief er durch das Gebuͤrge,
vielleicht von einem mitleidigen Bauer hin
und wieder geſpeiſet und mit Lumpen behan¬
gen, bis er in die Gegend der Foͤrſterwoh¬
nung kam. Zwei Dinge bleiben hier aber
unerklaͤrbar, nemlich wie Medardus eine
ſolche Strecke aus dem Gebuͤrge laufen konn¬
te, ohne angehalten zu werden, und wie er,
ſelbſt in den von Aerzten bezeugten Augen¬
blicken des vollkommenſten ruhigſten Bewußt¬
ſeins, ſich zu Unthaten bekennen konnte, die er
nie begangen. Die, welche die Wahrſcheinlich¬
keit jenes Zuſammenhangs der Sache verthei¬
digten, bemerkten, daß man ja von den Schick¬
ſalen des aus dem Teufelsgrunde erretteten
[320] Medardus gar nichts wiſſe; es ſey ja moͤg¬
lich, daß ſein Wahnſinn erſt ausgebrochen,
als er auf der Pilgerreiſe in der Gegend der
Foͤrſterwohnung ſich befand. Was aber das
Zugeſtaͤndniß der Verbrechen, deren er be¬
ſchuldigt, belange, ſo ſey eben daraus abzu¬
nehmen, daß er niemals geheilt geweſen, ſon¬
dern anſcheinend bei Verſtande, doch immer
wahnſinnig geblieben waͤre. Daß er die ihm
angeſchuldigten Mordthaten wirklich began¬
gen, dieſer Gedanke habe ſich zur fixen Idee
umgeſtaltet. — Der Criminalrichter, auf
deſſen Sagazitaͤt man ſehr baute, ſprach,
als man ihn um ſeine Meinung frug: Der
vorgebliche Herr von Krczynski war kein
Pole und auch kein Graf, der Graf Vikto¬
rin gewiß nicht, aber unſchuldig auch keines¬
weges — der Moͤnch blieb wahnſinnig und
unzurechnungsfaͤhig in jedem Fall, deshalb
das Criminalgericht auch nur auf ſeine
Einſperrung als Sicherheitsmaßregel erken¬
nen konnte. — Dieſes Urtheil durfte der
Fuͤrſt[321] Fuͤrſt nicht hoͤren, denn er war es allein,
der, tief ergriffen von den Freveln auf dem
Schloſſe des Barons, jene von dem Criminal¬
gericht in Vorſchlag gebrachte Einſperrung
in die Strafe des Schwerts umwandelte. —
Wie aber Alles in dieſem elenden vergaͤngli¬
chen Leben, ſey es Begebenheit oder That,
noch ſo ungeheuer im erſten Augenblick er¬
ſcheinend, ſehr bald Glanz und Farbe ver¬
liert, ſo geſchah es auch, daß das, was in
der Reſidenz und vorzuͤglich am Hofe Schau¬
er und Entſetzen erregt hatte, herabſank bis
zur aͤrgerlichen Klatſcherei. Jene Hypotheſe,
daß Aureliens entflohener Braͤutigam, Graf
Viktorin geweſen, brachte die Geſchichte der
Italiaͤnerin in friſches Andenken, ſelbſt die
fruͤher nicht Unterrichteten wurden von denen,
die nun nicht mehr ſchweigen zu duͤrfen
glaubten, aufgeklaͤrt, und jeder, der den Me¬
dardus geſehen, fand es natuͤrlich, daß ſeine
Geſichtszuͤge vollkommen denen des Grafen
Viktorin glichen, da ſie Soͤhne eines Vaters
II. [ 22 ][322] waren. Der Leibarzt war uͤberzeugt, daß
die Sache ſich ſo verhalten mußte und ſprach
zum Fuͤrſten: Wir wollen froh ſeyn, gnaͤdig¬
ſter Herr! daß beide unheimliche Geſellen
fort ſind, und es bei der erſten vergeblich ge¬
bliebenen Verfolgung bewenden laſſen. — Die¬
ſer Meinung trat der Fuͤrſt aus dem Grun¬
de ſeines Herzens bei, denn er fuͤhlte wohl,
wie der doppelte Medardus ihn von einem
Mißgriff zum andern verleitet hatte. Die
Sache wird geheimnißvoll bleiben, ſagte der
Fuͤrſt: wir wollen nicht mehr an dem Schleier
zupfen, den ein wunderbares Geſchick wohl¬
thaͤtig daruͤber geworfen hat. — Nur Aure¬
lie ...“ — „Aurelie, unterbrach ich den Prior
mit Heftigkeit: um Gott, mein ehrwuͤrdiger
Vater, ſagt mir, wie ward es mit Aure¬
lien?“ —„Ey, Bruder Medardus, ſprach der
Prior ſanft laͤchelnd: noch iſt das gefaͤhrliche
Feuer in Deinem Innern nicht verdampft?
— noch lodert die Flamme empor bei leiſer
Beruͤhrung? — So biſt Du noch nicht frei
[323] von den ſuͤndlichen Trieben, denen Du Dich
hingabſt. — Und ich ſoll der Wahrheit Dei¬
ner Buße trauen; ich ſoll uͤberzeugt ſeyn,
daß der Geiſt der Luͤge Dich ganz verlaſſen?
— Wiſſe, Medardus, daß ich Deine Reue
fuͤr wahrhaft nur dann anerkennen wuͤrde,
wenn Du jene Frevel, deren Du Dich an¬
klagſt, wirklich begingſt. Denn nur in die¬
ſem Fall koͤnnt' ich glauben, daß jene Un¬
thaten ſo Dein Inneres zerruͤtteten daß Du,
meiner Lehren, alles deſſen, was ich Dir
uͤber aͤußere und innere Buße ſagte, un¬
eingedenk, wie der Schiffbruͤchige nach
dem leichten unſichern Brett, nach jenen truͤ¬
geriſchen Mitteln Dein Verbrechen zu ſuͤhnen
haſchteſt, die Dich nicht allein einen, verwor¬
fenen Pabſt, ſondern jedem wahrhaft from¬
men Mann als einen eitlen Gaukler erſchei¬
nen ließen. — Sage, Medardus! war Deine
Andacht, Deine Erhebung zu der ewigen
Macht ganz makellos, wenn Du Aurelien
gedenken mußteſt?“ — Ich ſchlug, im In¬
[324] nern vernichtet, die Augen nieder. — „Du
biſt aufrichtig, Medardus, fuhr der Prior
fort, Dein Schweigen ſagt mir Alles. — Ich
wußte mit der vollſten Ueberzeugung, daß
Du es warſt, der in der Reſidenz die Rolle
eines polniſchen Edelmanns ſpielte und die
Baroneſſe Aurelie heirathen wollte. Ich hatte
den Weg, den Du genommen, ziemlich ge¬
nau verfolgt, ein ſeltſamer Menſch (er nannte
ſich den Haarkuͤnſtler Belcampo) den Du zu¬
letzt in Rom ſahſt, gab mir Nachrichten; ich
war uͤberzeugt, daß Du auf verruchte Wei¬
ſe Hermogen und Euphemien mordeteſt, und
um ſo graͤßlicher war es mir, daß Du Au¬
relien ſo in Teufelsbanden verſtricken woll¬
teſt. Ich haͤtte Dich verderben koͤnnen, doch
weit entfernt, mich zum Raͤcheramt erkoren
zu glauben, uͤberließ ich Dich und Dein Schick¬
ſal der ewigen Macht des Himmels. Du
biſt erhalten worden auf wunderbare Weiſe
und ſchon dieſes uͤberzeugt mich, daß Dein
irdiſcher Untergang noch nicht beſchloſſen
[325] war. — Hoͤre, welches beſonderen Umſtan¬
des halber ich ſpaͤter glauben mußte, daß es
in der That Graf Viktorin war, der als
Capuziner auf dem Schloſſe des Barons von
F. erſchien! — Nicht gar zu lange iſt es
her, als Bruder Sebaſtianus der Pfoͤrtner,
durch ein Aechzen und Stoͤhnen, das den
Seufzern eines Sterbenden glich, geweckt
wurde. Der Morgen war ſchon angebro¬
chen, er ſtand auf, oͤffnete die Kloſter¬
pforte und fand einen Menſchen, der dicht
vor derſelben, halb erſtarrt vor Kaͤlte, lag
und muͤhſam die Worte herausbrachte: er ſey
Medardus, der aus unſerm Kloſter entflohe¬
ne Moͤnch. — Sebaſtianus meldete mir ganz er¬
ſchrocken, was ſich unten zugetragen; ich ſtieg
mit den Bruͤdern hinab, wir brachten den
ohnmaͤchtigen Mann in das Refektorium.
Trotz des bis zum Grauſen entſtellten Ge¬
ſichts des Mannes, glaubten wir doch Deine
Zuͤge zu erkennen, und Mehrere meinten, daß
wohl nur die veraͤnderte Tracht den wohlbe¬
[326] kannten Medardus ſo fremdartig darſtelle.
Er hatte Bart und Tonſur, dazu aber eine
weltliche Kleidung, die zwar ganz verdorben
und zerriſſen war, der man aber noch die
urſpruͤngliche Zierlichkeit anſah. Er trug
ſeidene Struͤmpfe, auf einem Schuhe noch eine
goldene Schnalle, eine weiße Atlasweſte ...“ —
„Einen kaſtanienbraunen Rock von dem fein¬
ſten Tuch, fiel ich ein, zierlich genaͤhte Waͤ¬
ſche — einen einfachen goldenen Ring am
Finger.“ — „Allerdings, ſprach Leonardus er¬
ſtaunt: aber wie kannſt Du ...“ — „Ach, es war
ja der Anzug, wie ich ihn an jenem verhaͤng¬
nißvollen Hochzeittage trug! — Der Dop¬
peltgaͤnger ſtand mir vor Augen. — Nein es
war nicht der weſenloſe entſetzliche Teufel
des Wahnſinns, der hinter mir herrannte,
der, wie ein mich bis ins Innerſte zerflei¬
ſchendes Unthier, aufhockte auf meinen Schul¬
tern; es war der entflohene wahnſinnige
Moͤnch, der mich verfolgte, der endlich, als
ich in tiefer Ohnmacht da lag, meine Klei¬
[327] der nahm und mir die Kutte uͤberwarf. Er
war es, der an der Kloſterpforte lag, mich
— mich ſelbſt auf ſchauderhafte Weiſe dar¬
ſtellend!“ — Ich bat den Prior nur fortzu¬
fahren in ſeiner Erzaͤhlung, da die Ahnung
der Wahrheit, wie es ſich mit mir auf die
wunderbarſte, geheimnißvollſte Weiſe zuge¬
tragen, in mir aufdaͤmmere. — „Nicht lange
dauerte es, erzaͤhlte der Prior weiter, als
ſich bei dem Manne die deutlichſten unzwei¬
felhafteſten Spuren des unheilbaren Wahn¬
ſinns zeigten, und unerachtet, wie geſagt,
die Zuͤge ſeines Geſichts den Deinigen auf
das genaueſte glichen, unerachtet er fortwaͤh¬
rend rief: Ich bin Medardus der entlaufene
Moͤnch, ich will Buße thun bei Euch — ſo
war doch bald jeder von uns uͤberzeugt, daß
es fixe Idee des Fremden ſey, ſich fuͤr Dich
zu halten. Wir zogen ihm das Kleid der
Capuziner an, wir fuͤhrten ihn in die Kir¬
che, er mußte die gewoͤhnlichen Andachtsuͤbun¬
gen vornehmen, und wie er dies zu thun
[328] ſich bemuͤhte, merkten wir bald, daß er nie¬
mals in einem Kloſter geweſen ſeyn koͤnne.
Es mußte mir wohl die Idee kommen: wie,
wenn dies der aus der Reſidenz entſprungene
Moͤnch, wie wenn dieſer Moͤnch Viktorin
waͤre? — Die Geſchichte, die der Wahnſinni¬
ge ehemals dem Foͤrſter aufgetiſcht hatte,
war mir bekannt worden, indeſſen fand ich,
daß alle Umſtaͤnde, das Auffinden und Aus¬
trinken des Teufelselixiers, die Viſion in
dem Kerker, kurz der ganze Aufenthalt im
Kloſter, wohl die, durch Deine auf ſeltſame
pſychiſche Weiſe einwirkende Individualitaͤt,
erzeugte Ausgeburt des erkrankten Geiſtes
ſeyn koͤnne. Merkwuͤrdig war es in dieſer
Hinſicht, daß der Moͤnch in boͤſen Augen¬
blicken immer geſchrieen hatte, er ſey Graf
und gebietender Herr! — Ich beſchloß, den
fremden Mann der Irrenanſtalt zu St. Ge¬
treu zu uͤbergeben, weil ich hoffen durfte,
daß, waͤre Wiederherſtellung moͤglich, ſie ge¬
wiß dem Direktor jener Anſtalt, einem in
[329] jede Abnormitaͤt des menſchlichen Organis¬
mus tief eindringenden, genialen Aerzte, ge¬
lingen werde. Des Fremden Geneſen mußte
das geheimnißvolle Spiel der unbekannten
Maͤchte wenigſtens zum Theil enthuͤllen. —
Es kam nicht dazu. In der dritten Nacht
weckte mich die Glocke, die, wie Du weißt,
augezogen wird, ſobald jemand im Kranken¬
zimmer meines Beiſtandes bedarf. Ich trat
hinein, man ſagte mir, der Fremde habe eif¬
rig nach mir verlangt und es ſcheine, als habe
ihn der Wahnſinn gaͤnzlich verlaſſen, wahr¬
ſcheinlich wolle er beichten; denn er ſey ſo
ſchwach, daß er die Nacht wohl nicht uͤber¬
leben werde. Verzeiht, fing der Fremde an:
als ich ihm mit frommen Worten zugeſpro¬
chen, verzeiht, ehrwuͤrdiger Herr, daß ich
Euch taͤuſchen zu wollen mich vermaß. Ich
bin nicht der Moͤnch Medardus, der Euerm
Kloſter entfloh. Den Grafen Viktorin ſeht
ihr vor Euch ... Fuͤrſt ſollte er heißen, denn
aus fuͤrſtlichem Hauſe iſt er entſproſſen, und
[330] ich rathe Euch, dies zu beachten, da ſonſt
mein Zorn Euch treffen koͤnnte. — Sey er
auch Fuͤrſt, erwiederte ich, ſo waͤre dies in
unſern Mauern, und in ſeiner jetzigen Lage,
ohne alle Bedeutung und es ſchiene mir beſſer
zu ſeyn, wenn er ſich abwende von dem Ir¬
diſchen, und in Demuth erwarte, was die
ewige Macht uͤber ihn verhaͤngt habe. —
Er ſah mich ſtarr an, ihm ſchienen die Sin¬
ne zu vergehen, man gab ihm ſtaͤrkende
Tropfen, er erholte ſich bald und ſprach:
Es iſt mir ſo, als muͤſſe ich bald ſterben und
vorher mein Herz erleichtern. Ihr habt
Macht uͤber mich, denn ſo ſehr ihr Euch auch
verſtellen moͤget, merke ich doch wohl, daß
Ihr der heilige Antonius ſeyd und am beſten
wiſſet, was fuͤr Unheil Eure Elixiere ange¬
richtet. Ich hatte wohl Großes im Sinne,
als ich beſchloß, mich als ein geiſtlicher Herr
darzuſtellen mit großem Barte und brauner
Kutte. Aber als ich ſo recht mit mir zu Ra¬
the ging, war es, als traͤten die heimlichſten
[331] Gedanken aus meinem Innern heraus und
verpuppten ſich zu einem koͤrperlichen Weſen,
das recht graulich doch mein Ich war. Dies
zweite Ich hatte grimmige Kraft und ſchleu¬
derte mich, als aus dem ſchwarzen Geſtein
des tiefen Abgrundes, zwiſchen ſprudelndem
ſchaͤumigen Gewaͤſſer, die Prinzeſſin ſchnee¬
weis hervortrat, hinab. Die Prinzeſſin fing
mich auf in ihren Armen und wuſch meine
Wunden aus, daß ich bald keinen Schmerz
mehr fuͤhlte. Moͤnch war ich nun freilich
geworden, aber das Ich meiner Gedanken
war ſtaͤrker, und trieb mich, daß ich die Prin¬
zeſſin die mich errettet und die ich ſehr lieb¬
te, ſammt ihrem Bruder ermorden mußte.
Man warf mich in den Kerker, aber Ihr
wißt ſelbſt, heiliger Antonius, auf welche
Weiſe Ihr, nachdem ich Euern verfluchten
Trank geſoffen, mich entfuͤhrtet, durch die
Luͤfte. Der gruͤne Waldkoͤnig nahm mich
ſchlecht auf, unerachtet er doch meine Fuͤrſt¬
lichkeit kannte; das Ich meiner Gedanken
[332] erſchien bei ihm und ruͤckte mir allerlei haͤ߬
liches vor, und wollte, weil wir doch alles
zuſammen gethan, in Gemeinſchaft mit mir
bleiben. Das geſchah auch, aber bald, als
wir davon liefen, weil man uns den Kopf
abſchlagen wollte, haben wir uns doch ent¬
zweit. Als das laͤcherliche Ich indeſſen im¬
mer und ewig genaͤhrt ſeyn wollte von mei¬
nem Gedanken, ſchmiß ich es nieder, pruͤgelte
es derb ab und nahm ihm ſeinen Rock. —
So weit waren die Reden des Ungluͤcklichen
einigermaßen verſtaͤndlich, dann verlor er ſich
in das unſinnige alberne Gewaͤſch des hoͤchſten
Wahnſinns. Eine Stunde ſpaͤter, als das
Fruͤhamt eingelaͤutet wurde, fuhr er mit einem
durchdringenden entſetzlichen Schrei auf, und
ſank, wie es uns ſchien, todt nieder. Ich
ließ ihn nach der Todtenkammer bringen, er
ſollte in unſerm Garten an geweihter Staͤtte
begraben werden, Du kannſt Dir aber wohl
unſer Erſtaunen, unſern Schreck denken, als
die Leiche, da wir ſie hinaustragen und ein¬
[333] ſargen wollten, ſpurlos verſchwunden war.
Alles Nachforſchen blieb vergebens, und ich
mußte darauf verzichten, jemals naͤhe¬
res, verſtaͤndlicheres uͤber den raͤthſelhaften
Zuſammenhang der Begebenheiten in die
Du mit dem Grafen verwickelt wurdeſt,
zu erfahren. Indeſſen, hielt ich alle mir
uͤber die Vorfaͤlle im Schloß bekannt ge¬
wordenen Umſtaͤnde mit jenen verworrenen,
durch Wahnſinn entſtellten Reden zuſam¬
men, ſo konnte ich kaum daran zweifeln, daß
der Verſtorbene wirklich Graf Viktorin
war. Er hatte, wie der Reitknecht andeute¬
te, irgend einen pilgernden Capuziner im
Gebuͤrge ermordet und ihm das Kleid genom¬
men, um ſeinen Anſchlag im Schloſſe des
Barons auszufuͤhren. Wie er vielleicht es
gar nicht im Sinn hatte, endete der begon¬
nene Frevel mit dem Morde Euphemiens
und Hermogens. Vielleicht war er ſchon
wahnſinnig, wie Reinhold behauptet, oder
er wurde es dann auf der Flucht, gequaͤlt
[334] von Gewiſſensbiſſen. Das Kleid, welches
er trug und die Ermordung des Moͤnchs,
geſtaltete ſich in ihm zur fixen Idee, daß er
wirklich ein Moͤnch, und ſein Ich zerſpaltet
ſey in zwei ſich feindliche Weſen. Nur die
Periode von der Flucht aus dem Schloſſe bis
zur Ankunft bei dem Foͤrſter, bleibt dunkel,
ſo wie es unerklaͤrlich iſt, wie ſich die Er¬
zaͤhlung von ſeinem Aufenthalt im Kloſter
und der Ort ſeiner Rettung aus dem Kerker
in ihm bildete. Daß aͤußere Motive ſtatt
finden mußten, leidet gar keinen Zweifel,
aber hoͤchſt merkwuͤrdig iſt es, daß dieſe
Erzaͤhlung Dein Schickſal, wiewohl ver¬
ſtuͤmmelt, darſtellt. Nur die Zeit der Ankunft
des Moͤnchs bei dem Foͤrſter, wie dieſer ſie
angiebt, will gar nicht mit Reinholds An¬
gabe des Tages wann Viktorin aus dem
Schloſſe entfloh, zuſammenſtimmen. Nach der
Behauptung des Foͤrſters mußte ſich der
wahnſinnige Viktorin gleich haben im Wal¬
de blicken laſſen, nachdem er auf dem Schloſſe
[335] des Barons angekommen.“ — „Haltet ein, un¬
terbrach ich den Prior: Haltet ein, mein
ehrwuͤrdiger Vater, jede Hoffnung, der Laſt
meiner Suͤnden unerachtet, nach der Lang¬
muth des Herrn, noch Gnade und ewige
Seeligkeit zu erringen, ſoll aus meiner Seele
ſchwinden; in troſtloſer Verzweiflung, mich
ſelbſt und mein Leben verfluchend, will ich
ſterben, wenn ich nicht in tiefſter Reue und
Zerknirſchung Euch alles, was ſich mit mir
begab, ſeitdem ich das Kloſter verließ, ge¬
treulich offenbaren will, wie ich es in heili¬
ger Beichte that.“ Der Prior gerieth in das
hoͤchſte Erſtaunen, als ich ihm nun mein gan¬
zes Leben mit aller nur moͤglichen Umſtaͤnd¬
lichkeit enthuͤllte. — „Ich muß Dir glauben,
ſprach der Prior, als ich geendet, ich muß
Dir glauben, Bruder Medardus, denn alle
Zeichen wahrer Reue entdeckte ich, als Du re¬
deteſt. — Wer vermag das Geheimniß zu
enthuͤllen, das die geiſtige Verwandſchaft
zweier Bruͤder, Soͤhne eines verbrecheri¬
[336] ſchen Vaters, und ſelbſt in Verbrechen be¬
fangen, bildete. — Es iſt gewiß, daß Vikto¬
rin auf wunderbare Weiſe errettet wurde aus
dem Abgrunde, in den Du ihn ſtuͤrzteſt, daß
er der wahnſinnige Moͤnch war, den der
Foͤrſter aufnahm, der Dich als Dein Dop¬
peltgaͤnger verfolgte und hier im Kloſter
ſtarb. Er diente der dunkeln Macht, die in
Dein Leben eingriff nur zum Spiel, — nicht
Dein Genoſſe war er, nur das untergeord¬
nete Weſen, welches Dir in den Weg geſtellt
wurde, damit das lichte Ziel, das ſich Dir
vielleicht aufthun konnte, Deinem Blick ver¬
huͤllt bleibe. Ach, Bruder Medardus, noch
geht der Teufel raſtlos auf Erden umher,
und bietet den Menſchen ſeine Elixiere dar!
— Wer hat dieſes oder jenes ſeiner hoͤlli¬
ſchen Getraͤnke nicht einmal ſchmackhaft ge¬
funden; aber das iſt der Wille des Himmels,
daß der Menſch, der boͤſen Wirkung des au¬
genblicklichen Leichtſinns ſich bewußt werde,
und aus dieſem klaren Bewußtſeyn die Kraft
ſchoͤpfe[337] ſchoͤpfe, ihr zu widerſtehen. Dann offen¬
bart ſich die Macht des Herrn, daß, ſo wie
das Leben der Natur durch das Gift, das
ſittlich gute Prinzip in ihr erſt durch das
Boͤſe bedingt wird. — Ich darf zu Dir ſo
ſprechen, Medardus! da ich weiß, daß Du
mich nicht mißverſteheſt. Gehe jetzt zu den
Bruͤdern.“ —


In dem Augenblick erfaßte mich, wie ein
jaͤher alle Nerven und Pulſe durchzuckender
Schmerz, die Sehnſucht der hoͤchſten Liebe;
Aurelie — ach Aurelie! rief ich laut. Der
Prior ſtand auf und ſprach in ſehr ernſtem
Ton: „Du haſt wahrſcheinlich die Zuberei¬
tungen zu einem großen Feſte in dem Kloſter
bemerkt? — Aurelie wird morgen eingeklei¬
det und erhaͤlt den Kloſternamen Roſalia.“ —
Erſtarrt — lautlos blieb ich vor dem Prior
ſtehen. „Gehe zu den Bruͤdern“ rief er bei¬
nahe zornig, und ohne deutliches Bewußtſeyn
ſtieg ich hinab in das Refektorium, wo die
Bruͤder verſammelt waren. Man beſtuͤrmte
II. [ 22 ][338] mich aufs neue mit Fragen, aber nicht faͤhig
war ich, auch nur ein einziges Wort uͤber
mein Leben zu ſagen; alle Bilder der Ver¬
gangenheit verdunkelten ſich in mir, und
nur Aureliens Lichtgeſtalt trat mir glaͤnzend
entgegen. Unter dem Vorwande einer An¬
dachtsuͤbung verließ ich die Bruͤder und be¬
gab mich nach der Kapelle, die an dem aͤu¬
ßerſten Ende des weitlaͤuftigen Kloſtergartens
lag. Hier wollte ich beten, aber das klein¬
ſte Geraͤuſch, das linde Saͤuſeln des Laub¬
ganges riß mich empor aus frommer Be¬
trachtung. — Sie iſt es ... Sie kommt ...
ich werde ſie wiederſehen — ſo rief es in
mir, und mein Herz bebte vor Angſt und
Entzuͤcken. Es war mir, als hoͤre ich ein
leiſes Geſpraͤch. Ich raffte mich auf, ich trat
aus der Capelle, und ſiehe, langſamen Schrit¬
tes, nicht fern von mir, wandelten zwei Non¬
nen, in ihrer Mitte eine Novize. — Ach es
war gewiß Aurelie — mich uͤberfiel ein
krampfhaftes Zittern — mein Athem ſtockte —
[339] ich wollte vorſchreiten, aber keines Schrit¬
tes maͤchtig ſank ich zu Boden. Die Non¬
nen, mit ihnen die Novize, verſchwanden
im Gebuͤſch. Welch ein Tag! — welch eine
Nacht! Immer nur Aurelie und Aurelie —
Kein anderes Bild — Kein anderer Gedanke
fand Raum in meinem Innern. —


So wie die erſten Stralen des Mor¬
gens aufgingen, verkuͤndigten die Glocken
des Kloſters das Feſt der Einkleidung Au¬
reliens, und bald darauf verſammelten ſich
die Bruͤder in einem großen Saal; die Aeb¬
tiſſin trat, von zwei Schweſtern begleitet,
herein. — Unbeſchreiblich iſt das Gefuͤhl,
das mich durchdrang als ich die widerſah,
die meinen Vater ſo innig liebte, und un¬
erachtet er durch Frevelthaten ein Buͤndniß,
das ihm das hoͤchſte Erdengluͤck erwerben
mußte, gewaltſam zerriß, doch die Neigung,
die ihr Gluͤck zerſtoͤrt hatte, auf den Sohn
uͤbertrug. Zur Tugend, zur Froͤmmigkeit
wollte ſie dieſen Sohn aufziehen, aber dem
[340] Vater gleich, haͤufte er Frevel auf Frevel und
vernichtete ſo jede Hoffnung der frommen
Pflegemutter, die in der Tugend des Sohnes
Troſt fuͤr des ſuͤndigen Vaters Verderbniß
finden wollte. — Niedergeſenkten Hauptes,
den Blick zur Erde gerichtet, hoͤrte ich die
kurze Rede an, worin die Aebtiſſin nochmals
der verſammelten Geiſtlichkeit Aureliens Ein¬
tritt in das Kloſter anzeigte, und ſie auffor¬
derte, eifrig zu beten, in dem entſcheidenden
Augenblick des Geluͤbdes, damit der Erbfeind
nicht Macht haben moͤge, ſinneverwirrendes
Spiel zu treiben, zur Qual der frommen
Jungfrau. „Schwer, ſprach die Aebtiſſin:
ſchwer waren die Pruͤfungen, die die Jung¬
frau zu uͤberſtehen hatte. Der Feind wollte
ſie verlocken zum Boͤſen, und alles was die
Liſt der Hoͤlle vermag, wandte er an, ſie
zu bethoͤren, daß ſie, ohne Boͤſes zu ahnen, ſuͤn¬
dige und dann aus dem Traum erwachend un¬
tergehe in Schmach und Verzweiflung. Doch
die ewige Macht beſchuͤtzte das Himmelskind,
[341] und mag denn der Feind auch noch heute es
verſuchen ihr verderblich zu nahen, ihr Sieg
uͤber ihn wird deſto glorreicher ſeyn. Betet —
betet, meine Bruͤder, nicht darum, daß die Chri¬
ſtusbraut nicht wanke, denn feſt und ſtandhaft
iſt ihr dem Himmliſchen ganz zugewandter
Sinn, ſondern daß kein irdiſches Unheil die
fromme Handlung unterbreche. — Eine Bang¬
igkeit hat ſich meines Gemuͤths bemaͤchtigt,
der ich nicht zu widerſtehen vermag!“ —


Es war klar, daß die Aebtiſſin mich —
mich allein den Teufel der Verſuchung nann¬
te, daß ſie meine Ankunft mit der Einklei¬
dung Aureliens in Bezug, daß ſie vielleicht
in mir die Abſicht irgend einer Greuelthat
vorausſetzte. Das Gefuͤhl der Wahrheit mei¬
ner Reue, meiner Buße, der Ueberzeugung,
daß mein Sinn geaͤndert worden, richtete
mich empor. Die Aebtiſſin wuͤrdigte mich
nicht eines Blickes; tief im Innerſten ge¬
kraͤnkt, regte ſich in mir jener bittere, verhoͤh¬
nende Haß, wie ich ihn ſonſt in der Reſi¬
[342] denz bei dem Anblick der Fuͤrſtin gefuͤhlt,
und ſtatt daß ich, ehe die Aebtiſſin jene
Worte ſprach, mich haͤtte vor ihr niederwer¬
fen moͤgen in den Staub, wollte ich keck und
kuͤhn vor ſie hintreten und ſprechen: warſt
Du denn immer ſolch ein uͤberirdiſches Weib,
daß die Luſt der Erde Dir nicht aufging? ...
Als Du meinen Vater ſahſt, verwahrteſt
Du denn immer Dich ſo, daß der Gedanke der
Suͤnde nicht Raum fand? ... Ey ſage doch,
ob ſelbſt dann, als ſchon die Inful und der
Stab dich ſchmuͤckten, in unbewachten Augen¬
blicken meines Vaters Bild, nicht Sehnſucht
nach irdiſcher Luſt in Dir aufregte? ... Was
empfandeſt Du denn, Stolze! als Du den
Sohn des Geliebten an Dein Herz druͤckteſt,
und den Namen des Verlorenen, war er
gleich ein frevelicher Suͤnder, ſo ſchmerzvoll
riefſt? — Haſt Du jemals gekaͤmpft mit der
dunklen Macht wie ich? — Kannſt Du Dich
eines wahren Sieges erfreuen, wenn kein
harter Kampf vorherging? — Fuͤhlſt Du
[343] Dich ſelbſt ſo ſtark, daß Du den verachteſt,
der dem maͤchtigſten Feinde erlag und ſich
dennoch erhob in tiefer Reue und Buße? —
Die ploͤtzliche Aenderung meiner Gedanken,
die Umwandlung des Buͤßenden in den,
der ſtolz auf den beſtandenen Kampf feſt
einſchreitet in das wiedergewonnene Leben,
muß ſelbſt im Aeußern ſichtlich geweſen ſeyn.
Denn der neben mir ſtehende Bruder frug:
„Was iſt Dir, Medardus, warum wirfſt Du
ſolche ſonderbare zuͤrnende Blicke auf die
hochheilige Frau?“ — „Ja, erwiederte ich
halblaut: wohl mag es eine hochheilige Frau
ſeyn, denn ſie ſtand immer ſo hoch, daß das
Profane ſie nicht erreichen konnte, doch kommt
ſie mir jetzt nicht ſowohl wie eine chriſtli¬
che, ſondern wie eine heidniſche Prieſterin
vor, die ſich bereitet, mit gezuͤcktem Meſſer
das Menſchenopfer zu vollbringen.“ Ich
weiß ſelbſt nicht, wie ich dazu kam, die letzten
Worte, die außer meiner Ideenreihe lagen,
zu ſprechen, aber mit ihnen draͤngten ſich
[344] im buntem Gewirr Bilder durcheinander, die
nur im Entſetzlichſten ſich zu einen ſchienen.
— Aurelie ſollte auf immer die Welt verlaſ¬
ſen, ſie ſollte, wie ich, durch ein Geluͤbde,
das mir jetzt nur die Ausgeburt des religioͤ¬
ſen Wahnſinns ſchien, dem Irdiſchen entſa¬
gen? — So wie ehemals, als ich, dem Sa¬
tan verkauft, in Suͤnde und Frevel den hoͤch¬
ſten ſtralendſten Lichtpunkt des Lebens zu
ſchauen waͤhnte, dachte ich jetzt daran, daß
beide, ich und Aurelie, im Leben, ſey es auch
nur durch den einzigen Moment des hoͤchſten
irdiſchen Genuſſes, vereint und dann als der
unterirdiſchen Macht Geweihte ſterben muͤßten.
— Ja, wie ein graͤßlicher Unhold, wie der
Satan ſelbſt, ging der Gedanke des Mordes
mir durch die Seele! — Ach, ich Verblende¬
ter gewahrte nicht, daß in dem Moment, als
ich der Aebtiſſin Worte auf mich deutete,
ich Preis gegeben war, der vielleicht haͤrte¬
ſten Pruͤfung, das der Satan Macht bekom¬
men uͤber mich, und mich verlocken wollte
[345] zu dem Entſetzlichſten, das ich noch began¬
gen! Der Bruder, zu dem ich geſprochen ſah
mich erſchrocken an: „Um Jeſus und der hei¬
ligen Jungfrau willen, was ſagt ihr da!“
ſo ſprach er; ich ſchaute nach der Aebtiſſin,
die im Begriff ſtand, den Saal zu verlaſſen,
ihr Blick fiel auf mich, todtenbleich ſtarrte
ſie mich an, ſie wankte, die Nonnen mußten
ſie unterſtuͤtzen. Es war mir, als lisple ſie
die Worte: „O all' ihr Heiligen, meine Ah¬
nung.“ Bald darauf wurde der Prior Leo¬
nardus zu ihr gerufen. Schon laͤuteten aufs
neue alle Glocken des Kloſters, und dazwi¬
ſchen toͤnten die donnernden Toͤne der Or¬
gel, die Weihgeſaͤnge der im Chor verſam¬
melten Schweſtern, durch die Luͤfte, als
der Prior wieder in den Saal trat. Nun
begaben ſich die Bruͤder der verſchiedenen
Orden in feierlichem Zuge nach der Kirche,
die von Menſchen beinahe ſo uͤberfuͤllt war,
als ſonſt am Tage des heiligen Bernardus.
An einer Seite des mit duftenden Roſen
[346] geſchmuͤckten Hochaltars waren erhoͤhte Sitze
fuͤr die Geiſtlichkeit angebracht, der Tribune
gegenuͤber, auf welcher die Capelle des Bi¬
ſchoffs die Muſik des Amts, welches er ſelbſt
hielt, ausfuͤhrte. Leonardus rief mich an
ſeine Seite, und ich bemerkte, daß er aͤngſtlich
auf mich wachte; die kleinſte Bewegung er¬
regte ſeine Aufmerkſamkeit; er hielt mich an,
fortwaͤhrend aus meinem Brevier zu beten.
Die Klaren Nonnen verſammelten ſich in dem
mit einem niedrigen Gitter eingeſchloſſenen
Platz dicht vor dem Hochaltar, der entſchei¬
dende Augenblick kam; aus dem Innern des
Kloſters, durch die Gitterthuͤre hinter dem Al¬
tar, fuͤhrten die Ciſterzienſer Nonnen Aure¬
lien herbei. — Ein Gefluͤſter rauſchte durch
die Menge, als ſie ſichtbar worden, die Or¬
gel ſchwieg und der einfache Hymnus der
Nonnen erklang in wunderbaren tief ins
Innerſte dringenden Akkorden. Noch hatte
ich keinen Blick aufgeſchlagen; von einer
furchtbaren Angſt ergriffen, zuckte ich krampf¬
[347] haft zuſammen, ſo daß mein Brevier zur Er¬
de fiel. Ich buͤckte mich darnach, es aufzu¬
heben, aber ein ploͤtzlicher Schwindel haͤtte
mich von dem hohen Sitz herabgeſtuͤrzt,
wenn Leonardus mich nicht faßte und feſt¬
hielt. „Was iſt Dir, Medardus, ſprach der
Prior leiſe: Du befindeſt Dich in ſeltſamer
Bewegung, widerſtehe dem boͤſen Feinde
der Dich treibt.“ Ich faßte mich mit aller
Gewalt zuſammen, ich ſchaute auf, und er¬
blickte Aurelien, vor dem Hochaltar knieend.
O Herr des Himmels, in hoher Schoͤn¬
heit und Anmuth ſtralte ſie mehr als je!
Sie war braͤutlich — ach! eben ſo wie an
jenem verhaͤngnißvollen Tage, da ſie mein
werden ſollte, gekleidet. Bluͤhende Myrthen
und Roſen im kuͤnſtlich geflochtenen Haar.
Die Andacht, das Feierliche des Moments,
hatte ihre Wangen hoͤher gefaͤrbt, und in
dem zum Himmel gerichteten Blick lag der
volle Ausdruck himmliſcher Luſt. Was wa¬
ren jene Augenblicke, als ich Aurelien zum
[348] erſtenmal, als ich ſie am Hofe des Fuͤrſten
ſah, gegen dieſes Wiederſehen. Raſender
als jemals flammte in mir die Gluth der
Liebe — der wilden Begier auf — O Gott —
o, all' ihr Heiligen! laßt mich nicht wahnſinnig
werden, nur nicht wahnſinnig — rettet mich,
rettet mich von dieſer Pein der Hoͤlle — Nur
nicht wahnſinnig laßt mich werden — denn das
Entſetzliche muß ich ſonſt thun, und meine See¬
le Preis geben der ewigen Verdammniß! — So
betete ich im Innern, denn ich fuͤhlte, wie im¬
mer mehr und mehr der boͤſe Geiſt uͤber mich
Herr werden wollte. — Es war mir als habe
Aurelie Theil an dem Frevel, den ich nur be¬
ging, als ſey das Geluͤbde, das ſie zu leiſten ge¬
dachte, in ihren Gedanken nur der feierliche
Schwur, vor dem Altar des Herrn mein zu
ſeyn. — Nicht die Chriſtusbraut, des Moͤnchs
der ſein Geluͤbde brach verbrecheriſches Weib
ſah ich in ihr. — Sie mit aller Inbrunſt der
wuͤthenden Begier umarmen und dann ihr den
Tod geben — der Gedanke erfaßte mich un¬
[349] widerſtehlich. Der boͤſe Geiſt trieb mich
wilder und wilder — ſchon wollte ich ſchreien:
„Haltet ein, verblendete Thoren! nicht die
von irdiſchem Triebe reine Jungfrau, die
Braut des Moͤnchs wollt ihr erheben zur
Himmelsbraut!“ — mich hinabſtuͤrzen unter
die Nonnen, ſie herausreißen — ich faßte
in die Kutte, ich ſuchte nach dem Meſſer,
da war die Ceremonie ſo weit gediehen, daß
Aurelie anfing das Geluͤbde zu ſprechen. —
Als ich ihre Stimme hoͤrte, war es als braͤ¬
che milder Mondesglanz durch die ſchwarzen,
von wildem Sturm gejagten Wetterwolken.
Licht wurde es in mir, und ich erkannte
den boͤſen Geiſt, dem ich mit aller Gewalt
widerſtand. — Jedes Wort Aureliens gab
mir neue Kraft, und im heißen Kampf wurde
ich bald Sieger. Entflohen war jeder ſchwar¬
ze Gedanke des Frevels, jede Regung der
irdiſchen Begier. — Aurelie war die fromme
Himmelsbraut, deren Gebet mich retten konn¬
te von ewiger Schmach und Verderbniß. —
[350] Ihr Geluͤbde war mein Troſt, meine Hoff¬
nung, und hell ging in mir die Heiterkeit des
Himmels auf. Leonardus, den ich nun erſt
wieder bemerkte, ſchien die Aenderung in
meinem Innern wahrzunehmen, denn mit
ſanfter Stimme ſprach er: „Du haſt dem
Feinde widerſtanden, mein Sohn! das war
wohl die letzte ſchwere Pruͤfung die Dir die
ewige Macht auferlegt!“ —


Das Geluͤbde war geſprochen; waͤhrend
eines Wechſelgeſanges den die Klaren Schwe¬
ſtern anſtimmten, wollte man Aurelien das
Nonnengewand anlegen. Schon hatte man die
Myrthen und Roſen aus dem Haar geflochten,
ſchon ſtand man im Begriff die herabwallen¬
den Locken abzuſchneiden, als ein Getuͤmmel
in der Kirche entſtand — ich ſah, wie die
Menſchen aus einander gedraͤngt und zu Boden
geworfen wurden; — naͤher und naͤher wir¬
belte der Tumult. — Mit raſender Gebaͤhr¬
de, — mit wildem, entſetzlichen Blick draͤng¬
te ſich ein halbnackter Menſch, (die Lumpen
[351] eines Capuzinerrocks hingen ihm um den
Leib,) alles um ſich her mit geballten Faͤu¬
ſten niederſtoßend durch die Menge. — Ich
erkannte meinen graͤßlichen Doppeltgaͤnger,
aber in demſelben Moment, als ich, Entſetzli¬
ches ahnend, hinabſpringen und mich ihm ent¬
gegen werfen wollte, hatte der wahnſinnige
Unhold die Gallerie die den Platz des Hoch¬
altars einſchloß, uͤberſprungen. Die Nonnen
ſtaͤubten ſchreiend aus einander; die Aebtiſ¬
ſin hatte Aurelien feſt in ihre Arme einge¬
ſchloſſen. — „Ha ha ha! — kreiſchte der Ra¬
ſende mit gellender Stimme: wollt ihr mir
die Prinzeſſin rauben! — Ha ha ha! — die
Prinzeſſin iſt mein Braͤutchen, mein Braͤut¬
chen“ — und damit riß er Aurelien empor,
und ſtieß ihr das Meſſer, das er hochge¬
ſchwungen in die Hand hielt, bis an das
Heft in die Bruſt, daß des Blutes Spring¬
quell hoch emporſpritzte. „Juchhe — Juch
Juch — nun hab' ich mein Braͤutchen, nun
hab' ich die Prinzeſſin gewonnen!“ — So ſchrie
[352] der Raſende auf, und ſprang hinter den Hoch¬
altar, durch die Gitterthuͤre fort in die Klo¬
ſtergaͤnge. Voll Entſetzen kreiſchten die Non¬
nen auf. — „Mord — Mord am Altar des
Herrn,“ ſchrie das Volk, nach dem Hochaltar
ſtuͤrmend. „Beſetzt die Ausgaͤnge des Klo¬
ſters, daß der Moͤrder nicht entkomme, rief
Leonardus mit lauter Stimme, und das
Volk ſtuͤrzte hinaus und wer von den Moͤn¬
chen ruͤſtig war, ergriff die im Winkel ſte¬
henden Prozeſſionsſtaͤbe und ſetzte dem Un¬
hold nach durch die Gaͤnge des Kloſters. Al¬
les war die That eines Augenblicks; bald
kniete ich neben Aurelien, die Nonnen hat¬
ten mit weißen Tuͤchern die Wunde, ſo gut
es gehen wollte, verbunden, und ſtanden der
ohnmaͤchtigen Aebtiſſin bei. Eine ſtarke Stim¬
me ſprach neben mir: Sancta Rosalia ora pro
nobis
, und alle die noch in der Kirche geblie¬
ben, riefen laut: „Ein Mirakel — ein Mirakel
ja ſie iſt eine Maͤrtyrin. — Sancta Rosalia
ora pro nobis
— Ich ſchaute auf. — Der alte
Ma¬[353] Maler ſtand neben mir, aber ernſt und mild,
ſo wie er mir im Kerker [erſchien]. — Kein ir¬
diſcher Schmerz uͤber Aureliens Tod, kein Ent¬
ſetzen uͤber die Erſcheinung des Malers konnte
mich faſſen, denn in meiner Seele daͤmmerte
es auf, wie nun die raͤthſelhaften Schlingen,
die die [dunkle] Macht geknuͤpft, ſich loͤſten.


Mirakel, Mirakel ſchrie das Volk immer
fort: Seht ihr wohl den alten Mann im vio¬
letten Mantel? — der iſt aus dem Bilde des
Hochaltars herabgeſtiegen — ich habe es geſe¬
hen — ich auch, ich auch — riefen mehrere [Stim¬
men]
durch einander und nun ſtuͤrzte Alles auf
die Knie nieder und das verworrene Getuͤmmel
verbrauſte und ging uͤber in ein von heftigem
Schluchzen und Weinen unterbrochenes Ge¬
murmel des Gebets. Die Aebtiſſin erwachte
aus der Ohnmacht, und ſprach mit dem herz¬
zerſchneidenden Ton des tiefen, gewaltigen
Schmerzes: „Aurelie! — mein Kind! — mei¬
ne fromme Tochter! — ewiger Gott — es
iſt Dein Rathſchluß!“ — Man hatte eine
II. [ 23 ][354] mit Polſtern und Decken belegte Bahre her¬
beigebracht. Als man Aurelien hinaufhob,
ſeufzte ſie tief und ſchlug die Augen auf.
Der Maler ſtand hinter ihrem Haupte, auf
das er ſeine Hand gelegt. Er war anzuſe¬
hen wie ein maͤchtiger Heiliger, und Alle,
ſelbſt die Aebtiſſin, ſchienen von wunderba¬
rer ſcheuer Ehrfurcht durchdrungen. — Ich
kniete beinahe dicht an der Seite der Bahre.
Aureliens Blick fiel auf mich, da erfaßte
mich tiefer Jammer uͤber der Heiligen ſchmerz¬
liches Maͤrtirerthum. Keines Wortes maͤch¬
tig, war es nur ein dumpfer Schrei, den ich
ausſtieß. Da ſprach Aurelie ſanft und leiſe:
„Was klageſt Du uͤber die, welche von der
ewigen Macht des Himmels gewuͤrdigt wur¬
de von der Erde zu ſcheiden, in dem Augenblick
als ſie die Nichtigkeit alles irdiſchen erkannt,
als die unendliche Sehnſucht nach dem Reich
der ewigen Freude und Seligkeit ihre Bruſt
erfuͤllte?“ — Ich war aufgeſtanden, ich
war dicht an die Bahre getreten. „Aurelie,
[355] ſprach ich: — heilige Jungfrau! Nur einen
einzigen Augenblick ſenke Deinen Blick her¬
ab aus den hohen Regionen, ſonſt muß ich
vergehen, in — meine Seele, mein innerſtes
Gemuͤth zerruͤttenden, verderbenden Zweifeln.
— Aurelie! verachteſt Du den Frevler der,
wie der boͤſe Feind ſelbſt, in Dein Leben trat?
— Ach! ſchwer hat er gebuͤßt — aber er
weiß es wohl, daß alle Buße ſeiner Suͤnden
Maaß nicht mindert — Aurelie! biſt Du ver¬
ſoͤhnt im Tode?“ — Wie von Engelsſitti¬
gen beruͤhrt, laͤchelte Aurelie und ſchloß die
Augen. „O, — Heiland der Welt — heili¬
ge Jungfrau — ſo bleibe ich zuruͤck, ohne
Troſt der Verzweiflung hingegeben, O Ret¬
tung! — Rettung von hoͤlliſchem Verderben!“
So betete ich inbruͤnſtig, da ſchlug Aurelie
noch einmal die Augen auf und ſprach: „Me¬
dardus — nachgegeben haſt Du der boͤſen
Macht! aber blieb ich denn rein von der
Suͤnde, als ich irdiſches Gluͤck zu erlangen
hoffte in meiner verbrecheriſchen Liebe? —
[356] Ein beſonderer Rathſchluß des Ewigen, hatte
uns beſtimmt, ſchwere Verbrechen unſeres
frevelichen Stammes zu ſuͤhnen, und ſo ver¬
einigte uns das Band der Liebe, die nur
uͤber den Sternen thront und die nichts ge¬
mein hat, mit irdiſcher Luſt. Aber dem li¬
ſtigen Feinde gelang es, die tiefe Bedeutung
unſerer Liebe uns zu verhuͤllen, ja uns auf
entſetzliche Weiſe zu verlocken, daß wir das
himmliſche nur deuten konnten auf irdiſche
Weiſe. — Ach! war ich es denn nicht, die
Dir ihre Liebe bekannte im Beichtſtuhl, aber
ſtatt den Gedanken der ewigen Liebe in Dir
zu entzuͤnden, die hoͤlliſche Gluth der Luſt in
Dir entflammte, welche Du, da ſie Dich ver¬
zehren wollte, durch Verbrechen zu loͤſchen
gedachteſt? Faſſe Muth, Medardus! der wahn¬
ſinnige Thor, den der boͤſe Feind verlockt
hat zu glauben, er ſey Du, und muͤſſe voll¬
bringen was Du begonnen, war das Werk¬
zeug des Himmels, durch das ſein Rath¬
ſchluß vollendet wurde. — Faſſe Muth, Me¬
[357] dardus — ...“ Aurelie, die das letzte
ſchon mit geſchloſſenen Augen und hoͤrbarer
Anſtrengung geſprochen, wurde ohnmaͤchtig,
doch der Tod konnte ſie noch nicht erfaſſen.
„Hat Sie Euch gebeichtet, ehrwuͤrdiger
Herr? hat Sie Euch gebeichtet?“ ſo frugen
mich neugierig die Nonnen. „Mit nichten, er¬
wiederte ich: nicht ich, ſie hat meine Seele
mit himmliſchen Troſt erfuͤllt.“ — „Wohl Dir,
Medardus, bald iſt Deine Pruͤfungszeit be¬
endet — und wohl mir dann!“ Es war der
Maler, der dieſe Worte ſprach. Ich trat
auf ihn zu: „So verlaßt mich nicht, wunder¬
barer Mann.“ — Ich weiß ſelbſt nicht, wie
meine Sinne, indem ich weiter ſprechen woll¬
te, auf ſeltſame Weiſe betaͤubt worden; ich
gerieth in einen Zuſtand zwiſchen Wachen
und Traͤumen, aus dem mich ein lautes
Rufen und Schreien erweckte. Ich ſah den
Maler nicht mehr. Bauern — Buͤrgersleute
— Soldaten waren in die Kirche gedrungen
und verlangten durchaus, daß ihnen erlaubt
[358] werden ſolle, das ganze Kloſter zu durchſu¬
chen, um den Moͤrder Aureliens, der noch im
Kloſter ſeyn muͤſſe, aufzufinden. Die Aeb¬
tiſſin, mit Recht Unordnungen befuͤrchtend,
verweigerte dies, aber ihres Anſehens uner¬
achtet vermochte ſie nicht die erhitzten Gemuͤ¬
ther zu beſchwichtigen. Man warf ihr vor,
daß ſie aus kleinlicher Furcht den Moͤrder
verhehle, weil er ein Moͤnch ſey, und immer
heftiger tobend ſchien das Volk ſich zum
Stuͤrmen des Kloſters aufzuregen. Da beſtieg
Leonardus die Kanzel und ſagte dem Volk nach
einigen kraͤftigen Worten uͤber die Entweih¬
ung heiliger Staͤtten, daß der Moͤrder keines¬
weges ein Moͤnch, ſondern ein Wahnſinni¬
ger ſey, den er im Kloſter zur Pflege aufge¬
nommen, den er, als er todt geſchienen, im
Ordenshabit nach der Todtenkammer brin¬
gen laſſen, der aber aus dem todtaͤhnlichen
Zuſtande erwacht und entſprungen ſey. Waͤ¬
re er noch im Kloſter, ſo wuͤrden es ihm
die getroffenen Maaßregeln unmoͤglich ma¬
[359] chen, zu entſpringen. Das Volk beruhigte
ſich, und verlangte nur, daß Aurelie nicht
durch die Gaͤnge, ſondern uͤber den Hof in
feierlicher Prozeſſion nach dem Kloſter ge¬
bracht werden ſolle. Dies geſchah. Die
verſchuͤchterten Nonnen hoben die Bahre auf,
die man mit Roſen bekraͤnzt hatte. Auch
Aurelie war, wie vorher, mit Myrthen und
Roſen geſchmuͤckt. Dicht hinter der Bahre,
uͤber welche vier Nonnen den Baldachin tru¬
gen, ſchritt die Aebtiſſin von zwei Nonnen,
unterſtuͤtzt, die uͤbrigen folgten mit den Klaren¬
ſchweſtern, dann die Bruͤder der verſchie¬
denen Orden, ihnen ſchloß ſich das Volk
an, und ſo bewegte ſich der Zug durch die
Kirche. Die Schweſter, welche die Orgel
ſpielte, mußte ſich auf den Chor bege¬
ben haben, denn ſo wie der Zug in der
Mitte der Kirche war, ertoͤnten dumpf und
ſchauerlich tiefe Orgeltoͤne vom Chor herab.
Aber ſiehe, da richtete ſich Aurelie lang¬
ſam auf, und erhob die Haͤnde betend zum
[360] Himmel, und aufs neue ſtuͤrzte alles Volk
auf die Knie nieder und rief: Sancta Rosalia,
ora pro nobis. — So wurde das wahr,
was ich, als ich Aurelien zum erſtenmahl
ſah, in ſataniſcher Verblendung nur frevelich
heuchelnd verkuͤndet.


Als die Nonnen in dem untern Saal
des Kloſters die Bahre niederſetzten, als
Schweſtern und Bruͤder betend im Kreis
umherſtanden, ſank Aurelie mit einem tiefen
Seufzer der Aebtiſſin, die neben ihr kniete,
in die Arme. — Sie war todt! — Das
Volk wich nicht von der Kloſterpforte, und
als nun die Glocken den irdiſchen Untergang
der frommen Jungfrau verkuͤndeten, brach
Alles aus in Schluchzen und Jammergeſchrei.
— Viele thaten das [Geluͤbde], bis zu Aure¬
liens Exequien in dem Dorf zu bleiben, und
erſt nach demſelben in die Heimath zuruͤck¬
zufahren, waͤhrend der Zeit aber ſtrenge zu
faſten. Das Geruͤcht von der entſetzlichen
Unthat, und von dem Martirium der Braut
[361] des Himmels, verbreitete ſich ſchnell, und ſo
geſchah es, daß Aureliens Exequien, die nach
vier Tagen begangen wurden, einem hohen
die Verklaͤrung einer Heiligen feiernden Ju¬
belfeſt glichen. Denn ſchon Tages vorher
war die Wieſe vor dem Kloſter, wie ſonſt
am Bernardustage, mit Menſchen bedeckt,
die, ſich auf den Boden lagernd, den Mor¬
gen erwarteten. Nur ſtatt des frohen Ge¬
tuͤmmels hoͤrte man fromme Seufzer und ein
dumpfes Murmeln. — Von Mund zu Mund
ging die Erzaͤhlung von der entſetzlichen
That am Hochaltar der Kirche, und brach
einmal eine laute Stimme hervor, ſo ge¬
ſchah es in Verwuͤnſchungen des Moͤrders,
der ſpurlos verſchwunden blieb. —


Von tieferer Einwirkung auf das Heil
meiner Seele, waren wohl dieſe vier Tage,
die ich meiſtens einſam in der Capelle des
Gartens zubrachte, als die lange ſtrenge
Buße im Capuzinerkloſter bei Rom. Aure¬
liens letzte Worte hatten mir das Geheimniß
[362] meiner Suͤnden erſchloſſen und ich erkannte,
daß ich, ausgeruͤſtet mit aller Kraft der Tu¬
gend und Froͤmmigkeit, doch wie ein muthlo¬
ſer Feigling dem Satan, der den verbreche¬
riſchen Stamm zu hegen trachtete, daß er fort
und fort gedeihe, nicht zu widerſtehen ver¬
mochte. Gering war der Keim des Boͤſen
in mir, als ich des Conzertmeiſters Schwe¬
ſter ſah, als der freveliche Stolz in mir er¬
wachte, aber da ſpielte mir der Satan jenes
Elixier in die Haͤnde, das mein Blut wie
ein verdammtes Gift, in Gaͤhrung ſetzte.
Nicht achtete ich des unbekannten Malers,
des Priors, der Aebtiſſin ernſte Mahnung. —
Aureliens Erſcheinung am Beichtſtuhl vollen¬
dete den Verbrecher. Wie eine phyſiſche
Krankheit von jenem Gift erzeugt, brach die
Suͤnde hervor. Wie konnte der dem Satan
Ergebene das Band erkennen, das die Macht
des Himmels als Symbol der ewigen Liebe
um mich und Aurelien geſchlungen? — Scha¬
denfroh feſſelte mich der Satan an einen
[363] Verruchten, in deſſen Seyn mein Ich ein¬
dringen, ſo wie er geiſtig auf mich einwir¬
ken mußte. Seinen ſcheinbaren Tod, viel¬
leicht das leere Blendwerk des Teufels,
mußte ich mir zuſchreiben. Die That mach¬
te mich vertraut mit dem Gedanken des Mor¬
des, der dem teufliſchen Trug folgte. So
war der in verruchter Suͤnde erzeugte Bru¬
der das vom Teufel beſeelte Prinzip, das
mich in die abſcheulichſten Frevel ſtuͤrzte
und mich mit den graͤßlichſten Qualen um¬
hertrieb. Bis dahin, als Aurelie nach dem
Rathſchluß der ewigen Macht ihr Geluͤbde
ſprach, war mein Innres nicht rein von der
Suͤnde; bis dahin hatte der Feind Macht
uͤber mich, aber die wunderbare innere Ru¬
he, die wie von oben herabſtralende Hei¬
terkeit, die uͤber mich kam, als Aurelie die
letzten Worte geſprochen, uͤberzeugte mich,
daß Aureliens Tod die Verheißung der Suͤh¬
ne ſey. — Als in dem feierlichen Requiem der
Chor die Worte ſang: Confutatis maledictis
[364] flammis acribus addictis
, fuͤhlte ich mich er¬
beben, aber bei dem Voca me cum bene¬
dictis
war es mir, als ſaͤhe ich in himmli¬
ſcher Sonnenklarheit Aurelien, wie ſie erſt
auf mich niederblickte und dann ihr von ei¬
nem ſtralenden Sternenringe umgebenes
Haupt zum hoͤchſten Weſen erhob, um fuͤr
das ewige Heil meiner Seele zu bitten! —
Oro supplex et acclinis cor contritum quasi
cinis!
— Niederſank ich in den Staub,
aber wie wenig glich mein inneres Gefuͤhl,
mein demuͤthiges Flehen, jener leidenſchaftli¬
chen Zerknirſchung, jenen grauſamen wilden
Bußuͤbungen im Kapuzinerkloſter. Erſt jetzt
war mein Geiſt faͤhig, das Wahre von dem
Falſchen zu unterſcheiden, und bei dieſem
klaren Bewußtſeyn mußte jede neue Pruͤfung
des Feindes wirkungslos bleiben. Nicht Au¬
reliens Tod, ſondern nur die als graͤßlich
und entſetzlich erſcheinende Art deſſelben hat¬
te mich in den erſten Augenblicken ſo tief
erſchuͤttert; aber wie bald erkannte ich, daß
[365] die Gunſt der ewigen Macht ſie das hoͤchſte
beſtehen ließ! — Das Martyrium der gepruͤf¬
ten, entſuͤndigten Chriſtusbraut! — War ſie
denn fuͤr mich untergegangen? Nein! jetzt
erſt, nachdem ſie der Erde voller Qual ent¬
ruͤckt, wurde ſie mir der reine Stral der
ewigen Liebe, der in meiner Bruſt aufgluͤhte.
Ja! Aureliens Tod war das Weihfeſt jener
Liebe, die, wie Aurelie ſprach, nur uͤber
den Sternen thront, und nichts gemein hat
mit dem Irdiſchen. — Dieſe Gedanken erho¬
ben mich uͤber mein Irdiſches Selbſt, und,
ſo waren wohl jene Tage im Ciſterzienſer¬
kloſter die wahrhaft ſeligſten meines Lebens.


Nach der Exportation welche am folgen¬
den Morgen ſtatt fand, wollte Leonardus
mit den Bruͤdern nach der Stadt zuruͤckkeh¬
ren; die Aebtiſſin ließ mich, als ſchon der
Zug beginnen ſollte, zu ſich rufen. Ich fand
ſie allein in ihrem Zimmer, ſie war in der
hoͤchſten Bewegung, die Thraͤnen ſtuͤrzten
ihr aus den Augen. „Alles — alles weiß
[366] ich jetzt, mein Sohn Medardus! Ja ich nen¬
ne Dich ſo wieder, denn uͤberſtanden haſt
Du die Pruͤfungen, die uͤber Dich Ungluͤck¬
lichen, Bedauernswuͤrdigen ergingen! Ach,
Medardus, nur ſie, nur ſie, die am Thro¬
ne Gottes unſere Fuͤrſprecherin ſeyn mag,
iſt rein von der Suͤnde. Stand ich nicht am
Rande des Abgrundes, als ich, von dem Ge¬
danken an irdiſche Luſt erfuͤllt, dem Moͤrder
mich verkaufen wollte? — Und doch! —
Sohn Medardus! — verbrecheriſche Thraͤnen
hab' ich geweint, in einſamer Zelle, Deines
Vaters gedenkend! — Gehe, Sohn Medar¬
dus! Jeder Zweifel, daß ich vielleicht, zur
mir ſelbſt anzurechnenden Schuld in Dir den
frevelichſten Suͤnder erzog, iſt aus meiner
Seele verſchwunden.“ —


Leonardus, der gewiß der Aebtiſſin al¬
les enthuͤllt hatte, was ihr aus meinem Le¬
ben noch unbekannt geblieben, bewies mir
durch ſein Betragen, daß auch er mir ver¬
ziehen und dem Hoͤchſten anheim geſtellt
hatte,[367] hatte, wie ich vor ſeinem Richterſtuhl beſte¬
hen werde. Die alte Ordnung des Kloſters
war geblieben, und ich trat in die Reihe der
Bruͤder ein, wie ſonſt. Leonardus ſprach ei¬
nes Tages zu mir: „ich moͤchte Dir, Bruder
Medardus wohl noch eine Bußuͤbung aufge¬
ben.“ Demuͤthig frug ich, worin ſie beſtehen
ſolle. „Du magſt, erwiederte der Prior, die
Geſchichte Deines Lebens genau aufſchreiben.
Keiner der merkwuͤrdigen Vorfaͤlle, auch
ſelbſt der unbedeutenderen, vorzuͤglich nichts
was Dir im bunten Weltleben wiederfuhr,
darfſt Du auslaſſen. Die Fantaſie wird
Dich wirklich in die Welt zuruͤckfuͤhren, Du
wirſt alles grauenvolle, poſſenhafte, ſchauer¬
liche und luſtige noch einmal fuͤhlen, ja es
iſt moͤglich, daß Du im Moment Aurelien
anders, nicht als die Nonne Roſalia, die
das Maͤrtirium beſtand, erblickſt; aber hat
der Geiſt des Boͤſen Dich ganz verlaſſen,
haſt Du Dich ganz vom Irdiſchen abge¬
wendet, ſo wirſt Du, wie ein hoͤheres Prin¬
II. [ 24 ][368] zip uͤber alles ſchweben, und ſo wird je¬
ner Eindruck keine Spur hinterlaſſen.“ Ich
that wie der Prior geboten. Ach! — wohl
geſchah es ſo, wie er es ausgeſprochen! —
Schmerz und Wonne, Grauen und Luſt —
Entſetzen und Entzuͤcken ſtuͤrmten in meinem
Innern, als ich mein Leben ſchrieb. — Du,
der Du einſt dieſe Blaͤtter lieſeſt, ich ſprach
zu Dir von der Liebe hoͤchſter Sonnenzeit,
als Aureliens Bild mir im regen Leben auf¬
ging! — Es giebt hoͤheres als irdiſche Luſt,
die meiſtens nur Verderben bereitet dem
leichtſinnigen, bloͤdſinnigen Menſchen, und
das iſt jene hoͤchſte Sonnenzeit, wenn fern
von dem Gedanken frevelicher Begier die Ge¬
liebte wie ein Himmelsſtral, alles hoͤhere,
alles, was aus dem Reich der Liebe ſeegens¬
voll herabkommt auf den armen Menſchen,
in Deiner Bruſt entzuͤndet. — Dieſer Ge¬
danke hat mich erquickt, wenn bei der Erin¬
nerung an die herrlichſten Momente, die mir
die Welt gab, heiße Thraͤnen den Augen
entſtuͤrzten und alle laͤngſt verharrſchte Wun¬
den aufs neue bluteten.


[369]

Ich weiß, daß vielleicht noch im Tode
der Widerſacher Macht haben wird, den ſuͤn¬
digen Moͤnch zu quaͤlen, aber ſtandhaft ja mit
inbruͤnſtiger Sehnſucht erwarte ich den Augen¬
blick, der mich der Erde entruͤckt, denn es iſt der
Augenblick der Erfuͤllung alles deſſen, was
mir Aurelie, ach! die heilige Roſalia ſelbſt,
im Tode verheißen. Bitte — bitte fuͤr mich,
o heilige Jungfrau in der dunklen Stunde,
daß die Macht der Hoͤlle, der ich ſo oft er¬
legen, nicht mich bezwinge und hinabreiße
in den Pfuhl ewiger Verderbniß!


Nachtrag des Paters Spiridion,
Bibliothekar des Capuziner¬
kloſters zu B
.

In der Nacht vom dritten auf den vierten
September des Jahres 17 . . hat ſich viel
wunderbares in unſerm Kloſter ereignet. Es
mochte wohl um Mitternacht ſeyn, als ich
in der, neben der meinigen liegenden, Zelle
des Bruders Medardus ein ſeltſames Kichern
und Lachen, und waͤhrend deſſen ein dum¬
pfes klaͤgliches Aechzen vernahm. Mir war
es, als hoͤre ich deutlich von einer ſehr haͤ߬
[370] lichen, widerwaͤrtigen Stimme die Worte
ſprechen: „Komm mit mir, Bruͤderchen Me¬
dardus, wir wollen die Braut ſuchen.“ Ich
ſtand auf, und wollte mich zum Bruder
Medardus begeben, da uͤberfiel mich aber
ein beſonderes Grauen, ſo daß ich, wie von
dem Froſt eines Fiebers ganz gewaltig durch
alle Glieder geſchuͤttelt wurde; ich ging dem¬
nach, ſtatt in des Medardus Zelle, zum
Prior Leonardus, weckte ihn nicht ohne
Muͤhe, und erzaͤhlte ihm, was ich vernom¬
men. Der Prior erſchrak ſehr, ſprang auf
und ſagte, ich ſolle geweihte Kerzen holen
und wir wollten uns beide dann zum Bru¬
der Medardus begeben. Ich that, wie mir
geheißen, zuͤndete die Kerzen an der Lampe
des Mutter-Gottesbildes auf dem Gange an,
und wir ſtiegen die Treppe hinauf. So ſehr
wir aber auch horchen mochten, die abſcheu¬
lige Stimme, die ich vernommen, ließ ſich
nicht wieder hoͤren. Statt deſſen hoͤrten wir
leiſe liebliche Glockenklaͤnge, und es war
ſo, als verbreite ſich ein feiner Roſenduft.
Wir traten naͤher, da oͤffnete ſich die Thuͤre
[371] der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann,
mit weißem krauſen Bart, in einem violetten
Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬
ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann
ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die
Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬
hin kein Fremder eindringen konnte; aber
Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne
ein Wort zu ſagen. „Die Stunde der Er¬
fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬
ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand
in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬
keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte
die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬
ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner
Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach
Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim
Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle
des Bruders Medardus treten. Das ge¬
ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder,
der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬
den, im Sterben, der Tod hatte ihm die
Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was
weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich
[372] weckte die Bruͤder, indem ich die Glocke ſtark
anzog und mit lauter Stimme rief: „Steht
auf! — ſteht auf! — Der Bruder Medardus
liegt im Tode!“ Sie ſtanden auch wirklich auf,
ſo daß nicht ein einziger fehlte, als wir mit
angebrannten Kerzen uns zu dem ſterbenden
Bruder begaben. Alle, auch ich, der ich
dem Grauen endlich widerſtanden, uͤberlie¬
ßen uns vieler Betruͤbniß. Wir trugen den
Bruder Medardus auf einer Bahre nach der
Kloſterkirche, und ſetzten ihn vor dem Hoch¬
altar nieder. Da erholte er ſich zu unſerm
Erſtaunen und fing an zu ſprechen, ſo daß
Leonardus ſelbſt, ſogleich nach vollendeter
Beichte und Abſolution, die letzte Oelung vor¬
nahm. Nachher begaben wir uns, waͤhrend
Leonardus unten blieb und immerfort mit dem
Bruder Medardus redete, in den Chor und
ſangen die gewoͤhnlichen Todtengeſaͤnge fuͤr
das Heil der Seele des ſterbenden Bruders.
Gerade als die Glocke des Kloſters den an¬
dern Tag, naͤmlich am fuͤnften September
des Jahres 17 . . Mittags zwoͤlfe ſchlug,
verſchied Bruder Medardus in des Priors
[373] Armen. Wir bemerkten, daß es Tag und
Stunde war, in der voriges Jahr die Non¬
ne Roſalia auf entſetzliche Weiſe, gleich nach¬
dem ſie das Geluͤbde abgelegt, ermordet wur¬
de. Bei dem Requiem und der Exportation
hat ſich noch folgendes ereignet. Bei dem Re¬
quiem naͤmlich verbreitete ſich ein ſehr ſtarker
Roſenduft, und wir bemerkten, daß an dem
ſchoͤnen Bilde der heiligen Roſalia, das von ei¬
nem ſehr alten unbekannten italiaͤniſchen Maler
verfertigt ſeyn ſoll, und das unſer Kloſter von
den Capuzinern in der Gegend von Rom fuͤr
erklekliches Geld erkaufte, ſo daß ſie nur ei¬
ne Copie des Bildes behielten, ein Strauß
der ſchoͤnſten, in dieſer Jahreszeit ſeltenen
Roſen befeſtigt war. Der Bruder Pfoͤrtner
ſagte, daß am fruͤhen Morgen ein zerlump¬
ter, ſehr elend ausſehender Bettler, von uns
unbemerkt, hinaufgeſtiegen und den Strauß
an das Bild geheftet habe. Derſelbe Bettler
fand ſich bei der Exportation ein und draͤng¬
te ſich unter die Bruͤder. Wir wollten ihn
zuruͤckweiſen, als aber der Prior Leonardus
ihn ſcharf angeblickt hatte, befahl er, ihn
[374] unter uns zu leiden. Er nahm ihn als Lay¬
enbruder im Kloſter auf; wir nannten ihn
Bruder Peter, da er im Leben Peter Schoͤn¬
feld geheißen, und goͤnnten ihm den ſtolzen
Namen, weil er uͤberaus ſtill und gutmuͤ¬
thig war, wenig ſprach und nur zuweilen
ſehr poſſirlich lachte, welches, da es gar
nichts ſuͤndliches hatte, uns ſehr ergoͤtzte. Der
Prior Leonardus ſprach einmal: des Peters
Licht ſey im Dampf der Narrheit verloͤſcht,
in die ſich in ſeinem Innern die Ironie des
Lebens umgeſtaltet. Wir verſtanden Alle nicht,
was der gelehrte Leonardus damit ſagen
wollte, merkten aber wohl, daß er mit dem
Layenbruder Peter laͤngſt bekannt ſeyn muͤſſe.
So habe ich den Blaͤttern, die des Bruders
Medardi Leben enthalten ſollen, die ich aber
nicht geleſen, die Umſtaͤnde ſeines Todes ſehr
genau und nicht ohne Muͤhe ad majorem dei
gloriam
hinzugefuͤgt. Friede und Ruhe dem
entſchlafenen Bruder Medardus, der Herr des
Himmels laſſe ihn dereinſt froͤlich auferſtehen
und nehme ihn auf in den Chor heiliger Maͤn¬
ner, da er ſehr fromm geſtorben.

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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Die Elixiere des Teufels. Die Elixiere des Teufels. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn16.0