[][][][][[I]]

Geſchichte
und
Beſchreibung
von
Japan

Aus den Originalhandſchriften des Verfaſſers



Erſter Band.

Mit Kupfern und Charten.


Lemgo,: im Verlage der Meyerſchen Buchhandlung,1777.

[[II]][[III]]

Dem
Durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn
HERRN

FriederichII.
Landgrafen zu Heſſen, Fuͤrſten zu Hersfeld, Grafen zu Catzenelnbogen,
Dietz, Ziegenhain, Nidda, Schaumburg und Hanau u. ſ. w. Rittern des
Koͤnigl. Großbrittanniſchen Ordens vom blauen Hoſenbande, wie auch des
Koͤnigl. Preußiſchen Ordens vom ſchwarzen Adler u. ſ. w.
Meinem gnaͤdigſten Fuͤrſten und Herrn


[[IV]][[V]]
Durchlauchtigſter Landgraf,
Gnaͤdigſter Fuͤrſt und Herr!

Ew Hochfuͤrſtl. Durchlaucht werden gnaͤdigſt verzeihen,
daß ich es wage, Hoͤchſtderoſelben erhabnen Namen die-
ſem von mir herausgegebnem Werke vorzuſetzen. Der
ruhmwuͤrdigſte Eifer Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht fuͤr jede
Wiſſenſchaft und ſchoͤne Kunſt berechtigt mich zu der ermuntern-
den Hofnung, daß Ew. Hochfuͤrſtl. Durlaucht es gnaͤdigſt
aufnehmen werde, wenn ich es wage, Hoͤchſt Denenſelben in ehr-
erbietigſter Devotion ein Werk vorzulegen, das die intereſſan-
teſten Nachrichten von dem entfernteſten und oͤftlichſten Reiche
a 3Aſiens
[[VI]] Aſiens einſchlieſt. Es iſt ſchon lange als klaſſiſch in ſeiner
Art geſchaͤtzt, bisher aber nur in den Ueberſetzungen der Brit-
ten und Franzoſen geleſen worden, und erſcheint jetzt zum er-
ſtenmal in ſeiner deutſchen Urſprache.


Die Wiſſenſchaften duͤrfen zuverſichtlich den Schutz ei-
nes Fuͤrſten
hoffen, der ihr Kenner iſt. Aber keine
Wiſſenſchaft ſcheint gerechtern Anſpruch auf dieſen Schutz ma-
chen zu duͤrfen — als die Kentnis der Erde und des menſchli-
chen Geſchlechts. Das Studium der Menſchheit unter verſchie-
denen Himmelsſtrichen und unter immer neuen und wechſeln-
den Formen von Sitten, Aufklaͤrung, Politik und Reli-
gion — dies intereſſante Studium darf vielleicht hoffen, ei-
nige
[[VII]] nige Stunden der Muße zu fuͤllen, da Ew. Hochfuͤrſtl.
Durchlaucht ausruhen, von der unermuͤdeten Sorge fuͤr die
Wohlfahrt derer, die das Gluͤk haben, von Ew. Hochfuͤrſtl.
Durchlaucht regiert zu werden.


Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht haben die Gnade gehabt, auch
mich der Zahl dieſer Gluͤklichen beizugeſellen, und mich in hoͤchſt
Dero Dienſte aufzunehmen. Jch erkenne den Werth dieſer erha-
benen Gnade, und immer wird es mein eifrigſtes Beſtreben ſeyn,
des Namens von Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht getreuem Unter-
than wuͤrdig zu werden. Das dauerhafteſte hoͤchſte Wohler-
gehn Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht iſt der eifrigſte Wunſch, in
dem ich mich mit allen getreueſten Unterthanen vereinige; —
ein
[[VIII]] ein Wunſch, der mit dem fuͤr das groͤſte Gluͤk von Heſſen
gleichbedeutend iſt.


Jch empfehle mich ehrerbietigſt der Gnade und Huld
Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht und erſterbe in tiefſter Devotion
und unterthaͤnigſter Ehrfurcht.


Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
Meines gnaͤdigſten Fuͤrſten und Herrn

Caſſel, den 4ten Maͤrz
1777.

allerunterthaͤnigſter treugehorſaſter
Chriſtian Wilhelm Dohm.


Vor
[[IX]]

Vorrede
des Herausgebers
.


Dieſer erſte Theil des Kaͤmpferiſchen Werks wuͤrde fruͤher erſchie-
nen ſeyn, wenn das Publikum nicht die Verlagshandlung
ſo lange in Ungewisheit gelaſſen haͤtte, ob ſie ein Unterneh-
men, das ſo koſtbaren Aufwand foderte, werde wagen duͤrfen? Nach-
dem ſie hieruͤber beruhigt war, wolt und kont ich nicht meine ganze Zeit
dieſer Arbeit widmen. — Doch, ich denke, man wird nie klagen
duͤrfen, daß ein litterariſches Produkt zu lange in der Arbeit geweſen
ſey, wenn es nur haͤlt, was man ſich von ihm verſprochen hatte —
und dies darf ich von dem meinigen hoffen, da der erheblichſte Theil
deſſelben nicht der meinige iſt.


Man wird der Verlagshandlung die Gerechtigkeit wiederfahren
laſſen, daß ſie in Abſicht des Papiers und Druks Alles geleiſtet habe,
bwas
[[X]]Vorrede des Herausgebers.
was ſie die Praͤnumeranten zu fordern berechtigt hat. Die Kupfer
wird jeder, der die Vergleichung anſtellen kan, denen bey der engliſchen
ſowohl als franzoͤſiſchen Ueberſetzung voͤllig an die Seite ſetzen.


Der zweite Band wird nach meinem jetzigen typographiſchen
Ueberſchlage das vierte und fuͤnfte Buch, nebſt dem aus den
Amoenitatibus Exoticis uͤberſetzten Anhang enthalten, und
alſo das eigentliche Kaͤmpferiſche Werk ganz einſchließen.


Ueber Alles, was das Werk ſelbſt angeht, die Geſchichte deſſel-
ben, die Art meiner Herausgabe u. ſ. w. habe ich mich in der folgenden
Einleitung weitlaͤuftig genug erklaͤrt, und habe alſo hier nichts mehr dem
Leſer zu ſagen uͤbrig, als daß der zweite Band dem erſten in ſo kurzer
Zeit folgen ſolle, als es mir nur moͤglich ſeyn wird, die Ausarbeitung
deſſelben neben andern Arbeiten zu vollenden.


Caſſel, den 4ten Maͤrz 1777.
Dohm.



Jnhalt
[[XI]]

Jnhalt
des erſten Bandes
.



Einleitung des Herausgebers.
Vorrede des Verfaſſers.


  • Erſtes Buch.
    Welches die Reiſe von Batavia uͤber Siam nach Japan, und algemein hiſtoriſche-geogra-
    phiſche Nachrichten von Japan, zum Theil auch von Siam einſchlieſt.

    • Erſtes Kapitel.
      Reiſe von Batavia nach Siam, und Erzaͤhlung der merkwuͤrdigſten Vorfaͤlle waͤhrend unſers
      daſigen Aufenthalts.   Seite 3.
    • Zweites Kapitel.
      Der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes. Beſchreibung der Hauptſtadt und koͤniglichen Reſi-
      denz Judja.   S. 25.
    • Drittes Kapitel.
      Abreiſe des Verfaſſers von Judja — Beſchreibung des ſiamiſchen Hauptfluſſes Menam —
      Fernere Reiſe zur See. — Ankunft in Japan   S. 54.
    • Viertes Kapitel.
      Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.   S. 73.
    • Fuͤnftes Kapitel.
      Genauere Eintheilung des japaniſchen Reichs in große und kleine Herrſchaften, von Einkuͤnften
      und Regierung deſſelben uͤberhaupt.   S. 85.
    • Sechſtes Kapitel.
      Ueber den Urſprung der Japaner.   S. 97.
    • Siebentes Kapitel.
      Vom Urſprunge der Japaner nach ihren eignen fabelhaften Meinungen.   S. 111.
    • Achtes Kapitel.
      Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder und ihren Mineralien.   S. 118.
    • Neuntes Kapitel.
      Von der Fruchtbarkeit des Landes an Pflanzen.   S. 129.
    • Zehntes Kapitel.
      Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln, kriechenden und fliegenden Jnſekten des
      Landes.   S. 139.
    • Eilftes Kapitel.
      Von Fiſchen und Muſcheln.   S. 150.
  • Zweites Buch.
    Politiſche Verfaſſung des japaniſchen Reichs.

    Auszug aus den japaniſchen Annalen, vom Anfang ihrer Chronologie, bis zum Jahr
    Chriſti 1692.
    Erſtes
    [[XIII]]Jnhalt des erſten Bandes.
    • Erſtes Kapitel.
      Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer, welche in den japaniſchen Chroniken als die er-
      ſten Beherſcher des Reichs angegeben ſind.   S. 163.
    • Zweites Kapitel.
      Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen wahren Erbkaiſern des japaniſchen Reichs und der
      Chronologie ihrer Regierung   S. 173.
    • Drittes Kapitel.
      Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, und zuerſt derer, welche das japaniſche Reich von Anfang ih-
      rer Monarchie bis auf unſers Heilands Geburt regiert haben.   S. 184.
    • Viertes Kapitel.
      Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt Jeſu Chriſti gelebt und noch mit unbe-
      ſchraͤnkter Macht bis auf die Geburt des Joritomo geherſchet haben.   S. 196.
    • Fuͤnftes Kapitel.
      Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt Joritomo, des erſten weltlichen Kaiſers,
      bis auf unſere Zeiten gelebt haben.   S. 221.
    • Sechſtes Kapitel.
      Folge der Feldherrn oder weltlichen Monarchen, von dem Joritomo an, bis auf den jezt regie-
      renden Tſinajos.   S. 244.
  • Drittes Buch.
    Welches die Religionsverfaſſung, und Nachrichten von den verſchiednen religioͤſen und
    philoſophiſchen Secten enthaͤlt.

    • Erſtes Kapitel.
      Von den verſchiedenen Religionsparteien im japaniſchen Reiche uͤberhaupt, und beſonders von
      der Sinto.   S. 251.
    • Zweites Kapitel.
      Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.   S. 258.
    • Drittes Kapitel.
      Von den Rebi der Sinto d. i. ihren gluͤklichen und heiligen Tagen und der Feier derſelben.   S. 266.
    • Viertes Kapitel.
      Von der Sanga oder der heiligen Walfarth nach Jsje.   S. 278.
    • Fuͤnftes Kapitel.
      Von den Jammabos oder Bergprieſtern und andern religioͤſen Orden.   S. 285.
    • Sechſtes Kapitel.
      Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſchen heidniſchen Religion, und derſelben Stifter und Anhaͤn-
      gern. — Auch vom Confucius und ſeiner Lehre.   S. 295.
    • Siebentes Kapitel.
      Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſophen und Moraliſten.   S. 304.


Einlei-
[[XV]]

Einleitung
des Herausgebers
.



Leben des Verfaſſers. — Nachricht von ſeinen Schriften. — Plan
dieſes Werks.


I.


Engelbert Kaͤmpfer *) iſt 1651 den 16ten September in Lemgo, der Hauptſtadt der
Grafſchaft Lippe, gebohren. Sein Vater war Johan Kaͤmpfer, Prediger
bey der St. Nikolaikirche und Erbſaß zum Steinhofe bei Lieme. Er wurde, wie es
ſcheint, ziemlich fruͤh den Wiſſenſchaften beſtimt, und 1667 auf die Schule des benachbarten
Hameln geſchikt. Sein Trieb zu reiſen, der ihn durch ſein ganzes Leben begleitete, reizte
ſchon
[XVI]Einleitnng des Herausgebers.
ſchon jezt den ſiebenzehnjaͤhrigen Kaͤmpfer, eine kleine Reiſe nach Holland zu machen. Jm J.
1668 beſuchte er das Gymnaſium zu Luͤneburg, wo ihm beſonders der hiſtoriſche und philoſo-
phiſche Unterricht des Rectors Kettenbeils nuͤzlich wurde. 1670, als er Luͤneburg verlies,
machte er abermals eine Reiſe durch Meklenburg, Holſtein und uͤber Hamburg nach Luͤ-
beck,
wo er auf dem damals ſehr beruͤhmten Gymnaſium ſein Studiren, beſonders unter
Leitung des Profeſſor Nottelmans fortſezte. 1672 gieng er nach Danzig, diſputirte da-
ſelbſt unter dem Prof. Neufeldde majeſtatis diviſione, und reiſete dann uͤber Thorn
(wo er ſich auch einige Zeit auf hielt) im Jahr 1674 nach Crakau. Hier legte er ſich zwey
Jahre mit vielem Fleis auf die Philoſophie, auch erwarb er ſich hier die Kentnis mehrerer
Sprachen und der Geſchichte mehrerer Laͤnder, als man vor hundert Jahren zu ſtudiren
pflegte. Dieſe leztern Kentniſſe muͤſſen in der That Kaͤmpfern ſchon ziemlich fruͤh beſchaͤf-
tigt haben, da es ihm nachher ſo leicht wurde, ſo mancherley ganz fremde Sprachen zu ler-
nen, und mit ſo vielem Nutzen und feiner Beobachtung Laͤnder zu bereiſen, die damals noch
ſehr unvolſtaͤndig beſchrieben waren. Daß Kaͤmpfer auch ſchon jezt nicht blos auf der
Studierſtube, ſondern auch in Welt und Umgang ſich bildete, folgere ich daher, weil er
ſich hier in Crakau die Bekantſchaft des Reichsfuͤrſten Alexander Lubomirski und des
churfuͤrſtlich-brandenburgiſchen Geheimenraths und außerordentlichen Geſandtens zum pol-
niſchen Reichstage, Hrn. von Hoverbeek, zu erwerben wuſte. Wenn Maͤnner von ſo aus-
gezeichnetem Range einen Juͤngling von 24 Jahren ihrer Aufmerkſamkeit und naͤhern Zu-
trits werth finden; ſo mus dies gewis ein ſehr gutes Vorurtheil fuͤr den jungen Gelehrten ſo-
wohl als fuͤr den Bemerkungsgeiſt des Großen erwecken, wenn ihr fruͤheres Urtheil nachher
durch das ſpaͤtere des Publikums beſtaͤtigt wird.


Kaͤmpfer nahm in Crakau die Magiſterwuͤrde an, und reiſete ’dann durch einen
Theil von Polen und Preuſſen (wo er, beſonders in Danzig, wieder viele intereſſante Be-
kantſchaften mit Gelehrten und Maͤnnern von Geſchaͤften machte) nach Koͤnigsberg. Hier
blieb er vier Jahre, und erwarb ſich in denſelben beſonders die ſeltenen Kentniſſe in einem
Studium, das damals noch ziemlich unbekant war, — in der Naturgeſchichte, die ihm
nachmahls auf ſeinen Reiſen ſo wichtig wurde, und der er ſo intereſſante Bereicherungen zu-
ruͤk brachte.


Vorzuͤglich aber widmete ſich Kaͤmpfer in Koͤnigsberg der Arzneikunde.
Seine bisherige Uebung ſo verſchiedner Geiſtesfaͤhigkeiten kam ohne Zweifel dieſem Studium
treflich
*)
[XVII]Einleitung des Herausgebers.
treflich zu ſtatten; und Kaͤmpfer kam ſo wohl zubereitet zu demſelben, daß er natuͤrlich ſehr
geſchwinde und gluͤkliche Fortſchritte machen muſte. Jndes fand er es doch noch jezt nicht
gut, die hoͤchſte Wuͤrde in der Medicin anzunehmen, aus keinem andern Grunde, ver-
muthe ich, als weil Kaͤmpfer ſich noch nicht gern fuͤr ein gewiſſes Studium allein beſtim-
men, fuͤr eine gewiſſe Lebensart fixiren wolte. Alle ſeine Abſichten giengen nur darauf,
ſeine Kentniſſe zu vermehren und anſchauend zu machen; den Kreis ſeiner Begriffe zu er-
weitern; und nach einem ſo fleißigen Studium aus Buͤchern nun einmal aus Natur und
Menſchen zu ſtudiren — kurz, zu reiſen.


Die Neigung zu reiſen ſcheint in der That Kaͤmpfers herſchende geweſen zu ſeyn.
Sie entfernte ihn ſchon in fruͤher Jugend ſo weit von ſeinem Vaterlande; ſie trieb ihn im-
mer von einem Ort zum andern; ſie unterſchied ihn weſentlich von den gemeinen Koͤpfen,
welche die Wiſſenſchaften nicht um ihrer ſelbſt ſondern nur um des kleinen Verdienſtes willen
ſchaͤtzen, daß ſie durch dieſelben ſich naͤhren koͤnnen.


Noch wolte ſich Kaͤmpfer alſo nicht fuͤr eine gewiſſe Lebensart und einen gewiſſen Ort
beſchraͤnken laſſen. Aber er wolte jezt als ein vollendeter Mann (nahe am dreißigſten
Jahre) noch einmal ſeinen Geburtsort, ſeinen Vater und ſeinen Bruder, Joachim Kaͤmp-
fer
Doctor der Rechte, wieder ſehn, die er ſchon im 17ten Jahre verlaſſen hatte. Er
reißte alſo im Auguſt 1680 von Koͤnigsberg ab, und kam im October uͤber Luͤbeck in Lemgo
an, wo er ſich aber nur ſehr kurze Zeit aufgehalten zu haben ſcheint, da ich ſchon am Ende
dieſes Monats ihn wieder auf der Ruͤkreiſe in Bremen finde. Er gieng von da uͤber Ham-
burg
und Luͤbeck nach Koͤnigsberg zuruͤk, wo er ſich bis in den Julius 1681 auf hielt,
da er ſich nach Upſala begab.


Daß Kaͤmpfer ſo entfernte Akademien Crakau, Koͤnigsberg, Upſala den
naͤhern vaterlaͤndiſchen vorzog, — davon war wol der vornehmſte Grund ſeine ſchon ange-
fuͤhrte große Neigung zu reiſen, die immer — beſonders in den fruͤhern Jahren — mehr auf
das Entferntere als Nahe gerichtet zu ſeyn pflegt. Auf der Reiſe nach Deutſchland ſol er
indes doch auch deutſche Akademien beſucht haben; ich finde aber keine Spur, daß er daſelbſt
intereſſante Bekantſchaften gemacht haͤtte.


Jn Upſala machte er gleich anfangs die des beruͤhmten Olaus Rudbeck, der
gerade in dieſer Periode *) damit beſchaͤftigt war, den Urſprung aller Nationen aus
Schweden abzuleiten. Jch glaube behaupten zu koͤnnen, daß der Umgang dieſes Gelehr-
ten einen Einflus auf Kaͤmpfers Studien bewieſen habe, und daß dieſer, ohne Rudbeck,
vielleicht
[XVIII]Einleitung des Herausgebers.
vielleicht nicht daran gedacht haben wuͤrde, der Marſchroute der erſten Japaner vom ba-
byloniſchen Thurm
bis an die oͤſtlichſten Kuͤſten von Aſien nachzuſpuͤren.


Kaͤmpfer zeichnete ſich ſo ſehr durch ſeine Talente und Kentniſſe auf der ſchwedi-
ſchen Akademie aus, daß ſie auch in Stokholm ihm Goͤnner und Freunde und zwar an den
vornehmſten und wuͤrdigſten Maͤnnern des Reichs erworben. Unter dieſen war auch der
beruͤhmte Eſaias von Puffendorf, damals Koͤnigl. Geheimerrath und Kanzler der Her-
zogthuͤmer Bremen
und Verden. Dieſe Verbindungen waren es ohne Zweifel, die ihm
die Stelle eines Legationsſekretair bey einer an den ruſſiſchen und perſiſchen Hof beſtim-
ten Geſandtſchaft verſchaften, deren Zwek war, eine Handelsverbindung zwiſchen dem ſchwe-
diſchen und perſiſchen Hofe, und am zaariſchen Hofe, die Erlaubnis dieſes Handels und die
freie Durchpaſſirung der Waaren zu bewirken.


Dieſer Antrag muſte unſerm Kaͤmpfer natuͤrlich ſehr wilkommen ſeyn, da er ihm
eine reizende Befriedigung ſeiner Lieblingsneigung zeigte, und zugleich mit dem Verſprechen
des Koͤnigs ſelbſt verbunden war, daß er nach ſeiner Zuruͤkkunft in Schweden anſehnlich
belohnt, und die beſte Befoͤrderung, (wie er es gut faͤnde) entweder am Hofe oder bey der
Akademie zu Upſala erhalten ſolte.


Da die Hauptquelle, aus der ich hier Kaͤmpfers Leben weiter zu beſchreiben haͤtte,
in einem noch uͤbergebliebnen Briefe deſſelben an ſeinen ſchon erwaͤhnten Bruder Joachim
Kaͤmpfer
beſteht, ſo glaub ich, wird es meinen Leſern angenehmer ſeyn, wenn ich dieſen
Brief *) — ſtat ihn zu excerpiren — lieber ganz in ſeiner Urſprache und Ur-Orthographie
(als Probe des Kaͤmpferſchen Styls) mittheile:


S. T.Hochgeehrter hertzwehrteſter Herr Bruder!

So gegenwaͤrtiges Jhn in ſolchem Stande antrifft alß Monſ. Geſenius, welchen ich
ao. 1683 an Ruſſiſchen Grentzen rencontriret, berichten wollen, ſo dancke ich dem Himmel
vor Beſtaͤtigung meines Wunſches. Verlangt der Hr. Bruder Nachricht von meiner Reiſe
und Zuſtande, ſo berichte, daß ich den 20. Martii ſt. v. anni 1683 **) aus Stockholm
mit
[XIX]Einleitung des Herausgebers.
mit Koͤnigl. nach Perſien deſtinirten Preſenten abgeſchikt durch Aal ‒fin- und Inger-
manland den 3ten April zu Abo, den 21ten zu Wieburg, den 28ten zu Narva ange-
kommen, woſelbſt ich den Herrn Envoye, ſo meiner daſelbſt wartete, mit einer Suite von
30 Perſohnen angetroffen. Nach wenig Tagen reiſeten wir mit einander nach den Grentzen,
alwo wir, wegen geringen Verſehens, ſo in Vorſetzung des Koͤnigl. Perſiſchen dem Zaariſchen
titul beſtunde, mit der Abholung biß auf den 16 Junii illudiret und aufgehalten wurden.
Den 15. Junii ſind wir in Groß Novogorod, den 7. Julii in Moſco ſehr praͤchtig eingeholet.
Den 11. wurden wir zu oͤffentlicher Audientze und Handkuſſe beyder Zaarſchen Majeſtaͤten
mit faſt unglaublicher Pracht aufgeholet. Wie unſere affaires in verſchiedenen Confe-
rencen
nach Wunſch abgehandelt, ſind wir den 5ten ſeptemb. auf dem Stroom Moſco davon
gereiſet. Den 11ten haben wir den Fluß Occa bey Columna den 23ten die Wolga bey
Niſen*) erreichet, woſelbſt wir 1000 Haͤuſer in der Flammen gefunden: in Moſco ſind
Zeit unſers Verharrens derſelben uͤber 8000, **) in dreyen Feuersbruͤnſten in die Aſche ge-
leget. Den 1. Octobr. kahmen wir zu Caſan an, von wannen wir in einem Monat die
Tartareyen gluͤcklich gepaſſiret, da an einigen Oertern einen Tag vor, an andern nach Unß
Koſacken und Tartaren maͤchtig geſtreifft, Guͤter und Menſchen geraubt, und ihre Schiffe
verbrant: ſo daß wir den 1. Nov. in Aſtrakan angekommen, von dannen den 8ten
abgereiſet und den 12ten Unß auf Caſpiſche See begeben. Auf derſelben haben wir wegen
erſchroͤcklichen Sturms, nicht minder wegen ungeſchickten Fahrzeuges (ſo zwey Steure, und
alſo zwey Steur Maͤnner hatte, deren keiner dem andern ſubject noch ſeine Sprache ver-
ſtunde) nicht ohne Verluſt, groſſe Noth und Gefahr ausgeſtanden, und wehren ſchier der
Dagaſtaniſchen Tartarey zu Theil geworden, wenn nicht durch Gottes Barmherzigkeit eine
ploͤtzliche Veraͤnderung und Abwechſelung des Gewitters, ſo aus S. O. ſich ins N. W. ge-
wandt, Unß der gegenwaͤrtigen Noht entriſſen, und den 20. Nov. das Perſiſche Ufer
Niſabat ſehen, und den 22ten mit einer geſunden Suite von 40 Perſohnen erreichen laſſen,
alß wannehr ***) noch ſelben Abend ein Polniſcher Envoyé mit 20, und ein Ruſſiſcher
mit 40 Perſohnen angelandet. Nachdem wir alhie einige Wochen in Filz-huͤtten ausgeruhet
(die Landleute wohnen in dieſen Elyſiſchen Feldern in keinen andern Haͤuſern) ſind wir in Ge-
ſellſchaft beyder bemeldeten Envoyeen mit 100 Camehlen und 100 Pferden (ohne die Laſt-
thiere vor die Convoy) nacher Schameiſi der Reſidence des Mediſchen oder Schirwoo-
ni
ſchen Vice Roy zugereiſet, welche wir den 19. Decemb. erreicht einige Tage nach einem
Erdbeben, wovon wir noch die nachgebliebene Erdriſſe gefunden. Jn ſelbiger verweileten
wir bis der Chan unſere [Ankunfft] bey Hoffe angemeldet und Ordre wegen unſer tracta-
c 2ment
[XX]Einleitung des Herausgebers.
ment eingeholet. Alhier hab ich in weniger Zeit, die ich meinen curieuſen excurſibus
an umliegende Oerter entzogen, ſo viel verdienet, daß ich mit 100 rthl. an Gelde auf einem
geſchonkenen *) weiſen Pferde ſelbigen Preiſes in guter Curage abgereiſet, alß den 16 Ja-
nuar
1684. Den 19. paſſirten wir die Kuur, da, wo ſie ſchon mit dem Araxi vereini-
get, und wurden daſelbſt in die deſerte province Mochan, den 23 in Taliſz, den 31 in
die Chilaniſche beyde geſegnete ſchoͤne provincen praͤchtig eingeholet. Jn dieſem Zuge
hielten wir Unß allezeit zwiſchen dem Caucaſo und Caſpiſcher See; von welcher wir Unß
den 19. Febr. aus der Chilaniſchen Haupt-Stadt Reſt in die Pilas Hircaniæ wand-
ten, den 21. die Stadt Rudbar, den 1. Martii Caswin, den 12 Saba. den 15. Kom
erreichten, Staͤdte in der Province Arack oder Parthiä gelegen. Jn dieſer Letzten haben
wir Unß ſelbſt einquartiren und aufs beſte wir konten, accommodiren muͤſſen, weil der
ſeditieuſe Poͤbel ihren Magiſtrat hatte ausgejagt. Den 20 erhielten wir Caſſ jaan,
den 24. Netenſe und den 29. unſer erwuͤnſchtes Ziel und Koͤnigl. Reſidence Sephahuun
oder Iſphahaan. Obermeldete Envoyeen tardirten ſo lange auf der Reiſe, in welcher
Sie durch einen andern weg gefuͤhret wurden, daß Sie erſt der Polnſche einen, der Ruſ-
ſi
ſche zwey Monaten nach Unß angekommen. Den Koͤnig funden wir unter Gehorſam ei-
ner ungluͤcklichen Conſtellation, die Jhn dahin vermochte, daß Er ſich vor dem 30. Julii
in publico
nicht ſehen lieſſe, alß wannehr Sr. Majtaͤt dem gantzen Hoffe und Reichs-Gaͤ-
ſten bey einem banquet. (in welchen aus maſſiv guͤldenen Gefaͤſſen, auf 10 million**)
Goldes geſchaͤtzet, vor Menſchen und Pferde aufgeſchuͤſſelt wurde) Audience verliehen.
Bey dieſem actu wurden gedepechirt ein Frantzoͤſiſcher Geſandte, †) vom Papſte uͤber
die Hamadaniſche Chriſten alß Biſchoff geſetzt, welche doch Armeniſch, und das Ro-
mi
ſche Haupt nicht, weniger ſeine Apoſtel, erkennen wollen. Daher hatt man Jhm in
bemeldter Stadt (denn ſein Geſuch betraf nuhr dieſe materie) ſo viel in 3 monat zugetrie-
ben, daß der alte wackere Herr vor Hertzleid geſtorben. Ein Siamiſcher, welcher um
ein Kriegs Volk anhielte wieder ſeinen Nachbahren; ††) ſeine preſenten beſtunden in rar
Gevogel
[XXI]Einleitung des Herausgebers.
Gevogel und 120,000 an Wehrt geſchetzten Sineſchen und Japaniſchen Porcellein und
maſſiv ſilbernen und guͤldenen Manufacturen, von 300 Perſohnen aufgetragen. *) Ein
ander Ruſſiſcher Geſandter; **) auch Arabiſche, ***)Uſbequiſche, und von denen Johan-
ni
ter oder Sabeer Chriſten um Bagdad und dero Reichs-Vaſallen abgeſchickte. Jn die-
ſen und dreyen folgenden actibus welchen ich beygewohnet, comparirten auch folgende
Frembde und Botſchaffter. 3 Polniſche ****) noch ein ander angekommene, andere Uſbe-
qui
ſche, †)Calmuckiſche, Arabiſche, Georgianiſche, ††)Dagaſtaniſche, Cirkaſſiſche,
item ein hochteutſcher †††) Ertzbiſchoff uͤber die Roͤmiſch Catholiſche, um Eruan und
Naktſjucan mit Paͤpſt-und Kayſerlichen Creditiven. Dieſes und der Europæiſchen
Geſuch iſt nichtes anderß alß die ruptur mit dem Tuͤrckiſchen Kayſer. Sed ſurdo nar-
rant fabulas:
das unſere concernirte nuhr die Negotien; doch habe in formirung derer
propoſitionen, weilen die Inſtruction alles illimitiret gelaſſen, auch dieſes Verſuch hin-
zuthun duͤrffen, umb Unß der Congratulation wegen des Europæiſchen Sieges und unſe-
c 3rer
[XX]Einleitung des Herausgebers.
rer loͤblichen (doch vergeblichen) intention alhier *) zu Hoffe mit theilhaftig zu machen. **)
Nach viermahliger Audience, ſo allezeit auf einem banquet geſchiehet, iſt Unß unſere
Depeche im ausgange des Jahrs 1685. zugeſtanden. Alß wannehr ich (wiewohl dieſelbe
erſt im martio andern Jahrs erfolget) von unſerer Legation mich expediret und bey
Oſt-Indiſcher Compagnie unter einem ſchlechtem Titul, der mir aber am beſten zu mei-
nem deſſein dienen konte, in Dienſte getreten. Bin alſo den 21. Novembr. mit einer Geld
Kaffila in Dienſt von beſagter Compagnie von Iſphahan abgeſchickt, und den 4. Dec.
in Sjiras angekommen; nachdem ich die reliquien des alten Perſepolis, exciſas
marmoreas rupes,
die beruͤhmten von Zeit Ahaſveri nachgebliebene rudera, bey denen
die Aegyptiſchen ſollen wie Schatten zu vergleichen ſeyn, und was alles in beſagter Cham-
pagne
rares beſehen und zu papier gebracht. Den 20. bin ich in Laar, den 29. Decembr.
an den ormuſiſchen Haffen in Gamron von den Perſianern Bender-abaſſi genandt,
Gott ſey Danck wohl angelanget. Alhier bin ich wegen Changirung der aller ſauberſten
und geſundeſten Iſphahaniſchen Lufft mit dieſem allerheiſſeſten und ſchaͤdlichſten Climate
gantzen Aſiens [die Hitze iſt nicht ſo wohl der obliquitaͤt des Zodiaci in der die Sonne
ad tropicum verweilet, alß der eigenen Conſtitution des Grundes zuzuſchreiben, ſo tru-
cken, ſaltzig, ſulphuriſch, voller heiſſen und theils ſchaͤdlichen Baͤder und Arſenicaliſchen
exhalationen. Sechs Monate kan kein Menſch eine halbe Virtel ſtunde in einer Kam-
mer leben; Hunde und Menſchen werden alßdan in der Sonne mit Schwindel befangen
und fallen ploͤtzlich todt danieder. Die heiſſeſten Winde erſticken auch was ſie auf dem Felde
ergreiffen. Sechs Winter Monaten ſind ertraͤglich, und des Tages nicht heiſſer als unſere
Hundes Tage, des Nachts aber ob patentiam pororum ſo unertraͤglich und ſchaͤdlich
kalt, daß man ſich mehr dan in Schweden davor beſchuͤtzen muß. Ein bloß Meſſer ver-
roſtet in einer Nacht; ploͤtzlich wirds ſo extrem feucht, daß alles was die Lufft beruͤhrt, im
Waſſer
[XXIII]Einleitung des Herausgebers.
Waſſer genetzt zu ſeyn ſcheint; ein wenig darauff wirds ſo trucken, daß einem die Haut zu-
ſammen krumpfft. Die heiſſeſten Winde alhier, ſo ſie nicht feucht, machen das Waſſer
und alle liquida erkalten, ſo gar, daß es faſt untrinckbar, und an der Haut unleidlich
wird, und dieſes je heiſſer und trockner die Winde ſeyn, ſo offt wie eine Flamme brennen;
auch was in einer Kammer verſchloſſen, erkaltet alßdan, doch nicht ſo ſehr, alß was dieſer
Wind in offener Luft ergreiffet] bald nach meiner Ankunfft mit gefaͤhrlichen Krankheiten
befangen, und in febri maligna ohne Verſtand danieder gelegen. Nach 2 Monat habe
mich mit einer Waſſerſucht wieder aus dem Bett erhaben, dieſe darnach durch ein quarta-
nam
verlohren, und alſo durch gefaͤhrliche gradus nicht zu vorigen, ſondern denen Kraͤften
wieder gelanget ſo die Natur dieſes Climatis dem Menſchen zuſtehet. So viel die Hitz und
mein Dienſt zulaͤſſet, ergetze ich mich taͤglich in denen curioſeſten naturalibus, die, weil
kein φιλομȣσος dieſes Orts jemahls ſubſiſtiren koͤnnen, neglect, und meiner Muͤhe zu
einem premio uͤbergeblieben: bis die diſcrepantien zwiſchen Sr. Majt *) und der Edl.
Compagnie verglichen, alß wannehr ich meine retour uͤber die vornehmſten Oerter, wo-
ſelbſt die Compagnie negotiiret, vornehmen werde. Jndeß befehle ich Mhhln Bruder
in goͤttl. Beſchirmung, und verbleibe


Gamron
den 25. Novembr.
1687.

Mhhln Bruders
gehorſamſter und willigſter Diener
und Bruder
Engelbert Kæmpffer.

**)
Jn der Vorrede zu den Amoenitatibus exo-
ticis
giebt K. das Jahr 1682 an. Dies mus aber
ein Drukfehler ſeyn, weil ich aus ſeinem Stam-
buche weis, daß K. noch im Maͤrz 1683 in Stok-
holm war.
*)

Niſchnei-Novgorod.
**)
Jn der einen Copie ſteht 30,000.
***)

Wo auch
*)

geſchenktem
**)
10 Millionen iſt ſehr viel, ſcheint mir
unglaublich! Judes erzaͤhlt Kaͤmpfer in den Amoe-
nit. exot. p.
244, daß er uͤber 100 Schuͤſſeln gezaͤhlt
habe, deren jede ſo ſchwer war, daß ſie einen eig-
nen Traͤger forderte. Eine ausfuͤhrlichere Beſchrei-
bung der ganzen Audienz findet man in den Am.
Ex. p. 220 ſeq.
†)

Er hies Franciſcus Piquet, und war vom
Pabſt als Haupt der zu bekehrenden armeniſchen
Chriſten geſezt, unter dem Titel eines Biſchofs
von Babylon, und Vicarius Apoſtolicus in Perſide
S. Am. Ex. p. 238. Kaͤmpfer hat auch die naͤhere
Bekantſchaft dieſes Mannes gemacht.
††)
Den Koͤnig von Pegu. S. des Verfaſſers
Amoenitates exoticas, Faſc. 1, p. 238.
*)
Jn den Amoenit exot. l. c. giebt Kaͤm-
pfer den Werth etwas anders an, nemlich auf 200000
Unzen. Hier fehlt bey der Zahl 120,000 das Maaß.
Dort werden die Geſchenke auch von 400 Laſttraͤ-
gern gebracht.
**)
Ruſſiſche Geſandten waren damals faſt
beſtaͤndig am perſiſchen Hofe, um den Schah zu
einem Kriege gegen die Tuͤrken zu bewegen. Der,
von welchem K. hier redet, hieß Conſtantin Chri-
ſtophorowiß, ein Grieche, und Dolmetſcher der
griechiſchen Sprache am zariſchen Hofe. Kaͤmpfer
nent ihn einen ſehr gelehrteu Mann und ſeinen
Freund. Er hatte das Ungluͤk, von ſeinem Sekre-
tair mit langſamen Gifte getoͤdtet zu werden. Er
entdekte noch den Moͤrder und lies ihn am Tage
vor ſeinem Tode nebſt einem mitſchuldigen Knaben
in ſeinem Garten verbrennen. S. Am. ex. p. 239.
***)
Es waren zwey Geſandte eines arabiſchen
Stammes aus der Gegend von Bagdad, die des per-
ſiſchen Koͤnigs Schutz ſuchten, um vom tuͤrkiſchen
Reiche abzufallen. S. Am. ex. l. c.
****)
Jn den Amoenitatibus erwaͤhnt K. nur
zwey, von denen der eine abgieng, wie der andere
kam. Suski hies dieſer, Salomon Zquͤrski jener.
Beide waren Armenier. Jhr Geſuch war auch ein
Tuͤrkenkrieg.
†)
Die Usbecken ſchikten damahls ſehr haͤu-
fig Geſandte nach Perſien, deren Abſicht dem Vor-
geben nach blos dahin gieng, die Freundſchaft mit
dem Schah zu unterhalten. Jhr eigentlicher Zwek
aber war, fuͤr kleine Geſchenke, als Pferde, Kameele,
Felle, Rhabarber, groͤßere und wichtigere einzutau-
ſchen; ſich auf koͤnigliche Koſten naͤhren zu laſſen
und frei eingefuͤhrte Waaren mit großem Vortheil
zu verkauſen. S. Am. ex. l. c.
††)
Sind zum Mohammedismus uͤbergegan-
gene Chriſten, deren Vornehmſte dann die Ehre der
koͤniglichen Audienz genießen. S. Am. ex. l. c.
†††)
Jn den Amoenit. nent ihn K. einen Nie-
derlaͤnder. Er war ein Carmelitermoͤnch, P. Elias,
und Mann von ausuehmender Gelehrſamkeit.
*)

Dieſe Stelle iſt etwas dunkel. Mich duͤnkt
aber, K. wil ſagen, das Geſchaͤft der Geſandtſchaft
ſeines Hofes ſey zwar eigentlich nur| eine zu er-
richtende Handlung mit Perſien geweſen. Doch
habe er, (als Legationsſecretair) weil die Jnſtruk-
tion nur algemein war, auch gut gefunden, mit den
uͤbrigen europaͤiſchen Maͤchten (die Perſien gegen
die Tuͤrken aufbringen wolten) gemeine Sache zu
machen, um dadurch ſeinen Hof in den Augen
des perſiſchen auch mit an der Ehre der uͤber die
Tuͤrken ohnlaͤngſt erhaltenen Siege Theil nehmen
zu laſſen, und (dies war 1684) durch die gute Ab-
ſicht, auch bey den andern europaͤiſchen Hoͤfen den
ſchwediſchen beliebt zu machen.
**)
Es kann mein hochgeehrteſter Hr. Bruder
dieſelbe aus dem Briefe an Monſ. Avocat Wairin
leſen, welchen Brief ich offen laſſen wolle. Wie
geringen Einhalts derſelbe ſcheinet; ſo kann ich doch
nicht umhin, ihn meinem hochgeehrteſten Hr. Bru-
der auf Treu und Gewiſſen zu empfehlen, weilen
an guter Beſtellung nicht ſowohl meine Ehre als
gutes Gewiſſen beruhet.
*)
Dem Koͤnig von Perſien.

Dieſer kurze Brief iſt leider! die vornehmſte und faſt die einzige Quelle zu Kaͤmpfers
Leben in den Jahren 1683 bis 1687, und zur Geſchichte der ſo intereſſanten Reiſe, die er in
dieſer Zeit durch eine weite Strecke der wichtigſten und unbekanteſten Laͤnder vom bothni-
ſchen
bis an den perſiſchen Meerbuſen gemacht hat. Die Fruͤchte dieſer Reiſe liegen noch
im Muſeo Britannico zu London verborgen. Jch gebe ſie weiter unten genauer an, und
wil hier nur noch aus meinen uͤbrigen duͤftigen Quellen einige Zuſaͤtze zu Kaͤmpfers Briefe
machen.


Am zariſchen Hofe zu Moscau — der damals noch mehr einem aſiatiſchen als eu-
ropaͤiſchen glich, und wo Jwan und Peter, der erſt nachher der Große wurde, noch ge-
meinſchaftlich regierten, hielt ſich Kaͤmpfer zwey Monate auf, und hatte ohne Zweifel Ge-
legenheit, manche intereſſante Bemerkungen zu machen. Er erwarb ſich hier unter andern
auch
[XXIV]Einleitung des Herausgebers.
auch die Bekantſchaft des hollaͤndiſchen Geſandtens, Baron von Keller, und des zari-
ſchen Leibarzts von Blumentroſt, der nachher Praͤſident der ruſſiſchen Akademie der Wiſ-
ſenſchaften wurde. *)


Jn Aſtrakan lernte Kaͤmpfer einen georgianiſchen Prinzen kennen, und ſo wuſte
er immer an jedem Orte gerade die Menſchen bald zu finden, durch deren Umgang er ſei-
nen Kentniſſen Erweiterung geben konte.


Auch die ſtuͤrmiſche Farth uͤber das caſpiſche Meer nuͤzte Kaͤmpfer zu neuen Be-
merkungen uͤber daſſelbe, er berichtigte Jrthuͤmer, welche die bisherigen Reiſebeſchreiber ei-
ner vom andern copirten, weil es ihnen bequemer war, das Bekante zu bejahen, als das
Unbekante zu erforſchen. Daß Kaͤmpfer nicht ſo dachte, ſieht man aus dem Bericht, den
er in den Amoenitatibus exoticis p. 253. 262 von ſeinen Unterſuchungen uͤber das caſpi-
ſche Meer
liefert.


Jn Schamachie, wo die ſchwediſche Geſandtſchaft die Befehle des perſiſchen
Hofes
abwarten muſte, wurde Kaͤmpfer ſo ſehr gezwungen ſeine Arzneykentniſſe anzuwen-
den, und ſich damit, wie er ſelbſt ſagt, ein weiſſes Pferd und hundert Thaler zu verdienen, —
daß er ſich nur wegſchleichen konte, um die alte Stadt Baku und die beruͤhmte Halbinſel
Okesra,**) (wie er ſie nent) zu beſuchen. Kaͤmpfer hat die bekanten Merkwuͤrdigkeiten der
lezteren (das nie verloͤſchende Feuer — die Naphtaquellen — das Naphtafegefeuer
den Berg Jugtopa — die Salzſee) ſo genau beobachtet, daß ſeine Beſchreibungen derſel-
ben (in den Amoenit. exot. von p. 262-286) nicht nur damals, als ſie erſchienen, die
volſtaͤndigſten und richtigſten waren, ſondern dieſe Beiwoͤrter gewiſſer maaßen noch jezt
verdienen. Jn der That haben die folgenden Reiſebeſchreiber die Kaͤmpferiſchen Nachrichten
beinahe nur beſtaͤtigen und wenig Neues ihnen zuſetzen koͤnnen. Und wie ruhmvol iſt es
nicht fuͤr unſern Schriftſteller, wenn faſt hundert Jahre nach ihm ein Mann, der durch
die Volſtaͤndigkeit und Richtigkeit ſeiner eignen Nachrichten ſich ſo ſehr empfiehlt, ihm die-
ſes Zeugnis giebt. †)


Wie gut Kaͤmpfer ſeinen langen Aufenthalt am Hofe von Jspahan genuzt; —
wie vortreflich er die innere Verfaſſung deſſelben beobachtet habe, — davon ſind ſeine Nach-
richten von demſelben, die der erſte Faſciculus ſeiner Amoenit. exotic. enthaͤlt, die gel-
tendſten Beweiſe. Und gewis wuͤrde unſre Kentnis der Geographie, politiſchen und natuͤr-
lichen Geſchichte von Perſien um ein gutes Theil reichhaltiger und volſtaͤndiger ſeyn, wenn
ſeine
[XXV]Einleitung des Herausgebers.
ſeine Nachrichten von dieſem merkwuͤrdigen Lande noch kuͤnftig einmal aus den Schraͤnken
des Muſei Britannici ins Publikum gebracht werden ſolte. Gewis darf man ſich viel ver-
ſprechen, wenn ein Mann von Kaͤmpfers Wisbegierde einige Jahre durch ein Land beob-
achtet, das dieſer Wisbegierde ſo vielen Stof darbietet, — auch ſogar in dem Fal, wenn
das Land ſchon ſo gluͤklich iſt, einen Chardin zum Beſchreiber zu haben.


So ſehr auch Kaͤmpfers Unterſuchungen durch ſeine Krankheit, die ihm die pe-
ſtilentialiſche Atmosphaͤre von Bander-Abaſſi zuzog, aufgehalten wurden; ſo giebt doch
ſeine vortrefliche Beſchreibung der Palme Beweis genug, wie gut er ſeinen Aufenthalt am
perſiſchen Meerbuſen genuͤzt habe. Dieſe Beſchreibung fuͤlt den vierten Faſcikel der
Amoenitatum exoticarum allein aus, und iſt noch jetzt die beſte Beſchreibung des ſchoͤn-
ſten Baums der Welt, wie Kaͤmpfer die Palme nent.


Die Reiſen, welche dieſer ruhmwuͤrdige Mann in den Jahren 1688 und 1689 d. i.
von der Zeit, da er Gamron verlies, bis er in Batavia ankam, machte, ſchließen die
unbekanteſte Periode von Kaͤmpfers Geſchichte ein. Die wenigen Data, welche ich habe
finden koͤnnen, ſind folgende: Noch ehe Kaͤmpfer ſich in Dienſte der hollaͤndiſchen Kompag-
nie als Schifschirurgus (alſo mit einem geringern Charakter, als er nach ſeinen Kentniſſen
und Talenten haͤtte fordern koͤnnen,) begab, hatte er durch ſeine mediciniſche Praxis, zu der
im Morgenlande faſt alle reiſende Gelehrte gezwungen werden, ſo viel Geld erworben, daß
er eine Reiſe auf eigne Koſten durch noch mehrere aſiatiſche Laͤnder und beſonders uͤber Egyp-
ten
machen zu koͤnnen glaubte. Er wolte von da nach Jtalien gehn und die Doctorwuͤrde
annehmen, alsdann ſein uͤbriges Leben dem Dienſt ſeines Vaterlandes widmen, und ſeine
ſo muͤhſam geſamlete Materialien in Muße ausarbeiten. Aber ein ungluͤklicher Zufal be-
raubte ihn ſeines Vermoͤgens und noͤthigte ihn dies Vorhaben aufzugeben. Jch kan dieſen
Zufal nicht genauer beſtimmen; meine handſchriftliche Nachricht nent ihn: „ein durch Mis-
„gunſt angelegtes Uebel.‟


Die eine meiner Quellen (die Lebensbeſchreibung des Leichenpredigers) verſichert
zwar, daß Kaͤmpfer wirklich nach Egypten gereiſet ſey. Joͤcher und andre haben die-
ſes Vorgeben auch fortgepflanzt. Sie iſt aber ſicher falſch; nicht nur weil in der hand-
ſchriftlichen Nachricht derſelben gar nicht erwaͤhnt wird, und weil auch unter den Maſcpten
im Muſeo Britannico keines Egypten betriſt, da doch ſicher Kaͤmpfer ein ſo merkwuͤr-
diges Land nicht wuͤrde beſucht haben, ohne Beobachtungen zu machen, die des Aufzeich-
nens werth geweſen waͤren. Der Hauptgrund iſt, weil Kaͤmpfer ſelbſt in der Vorrede zu
den Amoenitatibus ſagt: cogito in Aegyptum, vocor in Georgiam archiater.


dBis
[XXVI]Einleitung des Herausgebers.

Bis nach Georgien alſo gieng Kaͤmpfers Reiſe ins feſte Land von Gamron aus
gewis, und meine handſchriftliche Nachricht ſagt, daß er einige Zeit als Leibmedikus des
Fuͤrſten zu Teflis ſich aufgehalten habe. Er genos hier ſehr viele Ehre, und erhielt das
Verſprechen der groͤſten Belohnungen, wenn er ſich hier auf immer fixiren wolte. Variis
conditionum oblationibus laceſſor,
ſagt er ſelbſt in der Vorrede zu den Amoenit.
Fuͤr das beſte Mittel ihn zu feſſeln hielt man — eine ſchoͤne Georgianerin. Aber Kaͤm-
pfer
kante die Staͤrke der Bande, mit denen man ihn anknuͤpfen wolte, ſo gut, daß er
ſeine Freiheit nur dadurch zu erhalten glaubte, wenn er ſich noch entfernte, ehe er gebunden
waͤre. Von den Mitteln entbloͤſt, auf eigne Koſten nach Europa zu reiſen, entſchied ihn
der Rath ſeines ehrwuͤrdigen Freundes des Kapuciners und koͤniglichen Dolmetſchers, Du
Mans
in Jſpahan, auf der hollaͤndiſchen Flotte, die eben bei der Jnſel Ormus lag,
Dienſte zu nehmen. Er fand auch hier die beſte Gelegenheit, ſeine nie auf hoͤrende Wisbegierde
zu befriedigen. Die Flotte, auf der er war, gieng faſt in allen Gegenden von Suͤdaſien
an Land, und ſo bekam Kaͤmpfer Gelegenheit, Arabien, die Kuͤſten des mogoliſchen
Reichs, Malabar,
die Jnſel Selan (Zeylon) zu ſehn. Jn welcher Zeit dieſe Reiſe
geſchah, kan ich nicht genau beſtimmen. Aus dem Stambuch des Verf. weis ich nur,
daß er im Jenner 1689 zu Cochin und im May zu Coylang auf der Kuͤſte Malabar
ſich befand.


Von Selan brachte ihn die Farth ſeiner Flotte an die Kuͤſten des bengaliſchen
Meerbuſens, und von da reiſete er weiter an der Jnſel Sumatra die Laͤnge herab nach Ba-
tavia
auf Java. Er kam hier im September 1689 an, und blieb bis in den May
des folgenden Jahrs. Er verwandte dieſe Zeit beſonders auf das Studium der Naturge-
ſchichte von Java. Auch dieſe Beweiſe ſeines nie ermuͤdeten Fleißes beſizt das Muſeum
Britannicum.


So wie gewoͤhnlich fand Kaͤmpfer auch hier bald den naͤhern Zutrit zu Maͤnnern
vom erſten Rang, ob dieſe gleich ſonſt in der Hauptſtadt des hollaͤndiſchen Jndiens durch
ein ſtolzes Gefuͤhl ihrer Wuͤrde den Fremden abzuſchrecken pflegen, und gewis nicht jeden
Chirurgus ihrer Schiffe ſo gut aufnehmen werden; aber nicht jeder Schifschirurgus iſt auch
ein Kaͤmpfer. Jhn wuͤrdigte beſonders der Generalſchazmeiſter, Johann Parve, ſeiner
beſondern Freundſchaft. Neben ihm ruͤhmt Kaͤmpfer die Gefaͤlligkeit des W. Lycochtons
eines Mitglieds des großen Raths von Jndien, und des Cornelius Outhoorns,
Bruder des General-Gouverneurs, der nachher als Geſandter die Reiſe mit ihm an den
japaniſchen Hof machte. Hier in Batavia nuͤzte ihm beſonders der reiche botaniſche Gar-
ten dieſes Mannes, ſo wie der eines Hrn. Mollers.


Kaͤmpfer machte noch eine botaniſche Exkurſion auf die nahgelegne Jnſel Eidam,
und trat endlich am 7ten May 1690 die Reiſe nach Siam an, wo er am 6ten Junius an-
kam.
[XXVII]Einleitung des Herausgebers.
kam. Dieſe Reiſe iſt im erſten Kapitel des erſten Buchs des Werks, das ich heraus-
gebe, vom Verfaſſer ſelbſt beſchrieben worden; und man lernt eben da, mit welchem For-
ſchungsgeiſte Kaͤmpfer die kurze Zeit von nicht einem vollen Monat nuͤzte, ſeine und des
europaͤiſchen Publikums Kentniſſe uͤber Siam zu erweitern.


Unmittelbar vor ſeiner Ankunft in dieſem Sitze des ſchaͤndlichſten Deſpotiſmus hat-
ten die beruͤhmten von den Vaͤtern der Geſelſchaft Jeſu angegebnen Geſandſchaften Lud-
wig XIV noch Demſelben Anlas zu ſehr ausfuͤhrlichen und genauen Beſchreibungen gegeben.
Die Tachard, Chaumont, Gervaiſe, Choiſy, Forbin und, — den ich zuerſt haͤtte
nennen ſollen — la Loubere ſind ihre Verfaſſer. Man haͤtte denken ſollen, daß nach ſo
vielen und fleißigen Unterſuchern einem Reiſenden, der unmittelbar nach ihnen kam, nichts
mehr wuͤrde uͤbrig gelaſſen ſeyn. Aber dieſer Reiſende war Kaͤmpfer — und er hat in vier
Wochen Manches geſehn, was ſeinen Vorgaͤngern, die Jahre dort zubrachten, entwiſcht
war. Seine Uebereinſtimmung mit dem Beſten derſelben iſt zugleich ein Beweis der Rich-
tigkeit ſeiner Nachrichten uͤberhaupt. Ueber die Zeitrechnung, Geſchichte, Religion und
Sitten der Siamer hat er beſonders viele erhebliche Bemerkungen geliefert; und von der
bekanten Revolution, welche die Franzoſen und den Conſtantin Phaulkon verbante, giebt
Kaͤmpfer verſchiedne ganz neue Nachrichten, welche von denen der franzoͤſiſchen Schrift-
ſteller etwas abweichen. Er verdient hierin ohne Zweifel mehr Glauben als dieſe, welche
aus Siam vertrieben waren, und alſo nicht ſo genaue Nachrichten liefern konten, als Kaͤm-
pfer,
der nach ihnen ſeine Nachrichten im Lande ſelbſt einzog.


Kaͤmpfer verlies Siam am 4ten Julii 1690. Seine Reiſe nach Japan, wo
er am 26ſten September ankam, iſt im dritten Kapitel des erſten Buchs dieſer Geſchichte
und Beſchreibung von Japan
umſtaͤndlich beſchrieben. Jch fuͤge demſelben noch einen
zweiten Brief unſers Kaͤmpfers an ſeinen Bruder Joachim Kaͤmpfer bey, der ſich da-
mals in Leiden als Doctor Juris aufhielt.


Hochgeehrteſter, herzwehrteſter Herr Bruder.

Meine Reiſe von Batavia habe durch guͤnſtigen Zulaß meiner Herrn Patronen daſelbſt
auf Siam genommen, und nachdem dieſen Hof und des Landes Gelegenheit zur Genuͤge beaͤu-
get, die Reiſe anhero genommen, die aber wegen der contrairen Nordoſtſaiſon nicht nur
ſehr lange, ſondern voller Gefahr und Jnkommodite geweſen, daß wir zwiſchen China und
Japan allein bey zwey Monat in Ungewitter und ſteter Gefahr zugebracht, woſelbſt Cajuͤt
d 2und
[XXVIII]Einleitung des Herausgebers.
und Ruder zerſchlagen, das Schif leck ꝛc. und iſt mein particulierer Schade nicht der ge-
ringſte geweſen, denn auſſerdem, daß ich durch ſchlechte kalte Schifskoſt, durch Angſt und
Ungemach zu einer gefaͤhrlichen Krankheit gediſponiret worden, die, ſo bald ich den 25ſten
September alhier angelandet, mit Veraͤnderung der Speiſe in eine Colik, und ſchweren
Jntrige der Zufaͤllen, wovon jetzo allererſt geneſe, ausgebrochen, ſo ſind auch meine wenige
Waaren, womit meine Depenſen pflege gut zu machen, durchs Salzwaſſer verdorben,
und durch dieſen ſelben Liqueur (welches mich alleine zu Herzen geht) das groͤſte Theil von
meinen Maſcptis Tartaricis et Perſicis, als ein ungeleimtes perſianiſches Papier, zu
Pap und Brey vergangen, die ich anders in ein Werk ſub Titulo: Hodeopericum
Ruſſo ‒ Tartarico ‒ Perſicum
zu digeriren, als ein erſter Theil meiner aſiatiſchen
Reiſen, mir, wie wohl an keinen nie geoffenbart, ſo feſt vorgenommen hatte, wovon ich
jetzo faſt ganz deſtitut und unvermoͤgend geworden. Meinen Phoenicem Perſicum,
wovon dem Hrn. Bruder den erſten Bogen uͤberſandt, habe keine Zeit gehabt abzuſchreiben,
mus bis zu meiner perſoͤnlichen Ueberkunft nachbleiben. Nach herzlichſter Begruͤſſung mei-
ner Gebruͤder, Fr. Mutter und Schweſtern verbleibe


Nagaſacki in Japan
1688.

Mhhln Bruders
ſchuldigſter Diener
Engelbert Kæmpffer.


Dieſe Jahrszahl 1688 iſt offenbar falſch, wie die bisher von mir mit zuverlaͤßig-
ſter Genauigkeit angegebne chronologiſche Data von der kaͤmpferiſchen Reiſe deutlich bewei-
ſen. Vielleicht hatte Kaͤmpfer das Datum unter dieſem Briefe vergeſſen und da ſezte
eine andre Hand aus Conjektur das Jahr 1688 hin, vermuthlich eben diejenige, welche auch
in der einen meiner Handſchriften 1690 in 88 verwandelte. (S. dieſes Werk p. 4 in der An-
merkung) Das noch vorhandne Stambuch beweiſt es deutlich, daß Kaͤmpfer nicht vor 1690
nach Japan kam, und dieſer Brief mus alſo zwiſchen 90-92 geſchrieben ſeyn.


Wie vortreflich Kaͤmpfer ſeinen zweyjaͤhrigen Aufenthalt in Japan genuzt habe,
davon darf ich nichts ſagen. Das Werk, das ich hier dem Leſer vorlege, iſt der redendſte
Beweis. Jch begnuͤge mich den Leſer nur an einen Umſtand zu erinnern, der Kaͤmpfers
Verdienſt noch ungemein erhoͤht. Jn einem Lande, wo jeder Fremde ein Gefangner iſt;
wo die Regierung mit der eiferſuͤchtigſten Wachſamkeit alle Schritte und Handlungen der
Auslaͤnder beobachtet; wo den Unterthanen der Umgang und die Verbindung mit dieſen bey
haͤrteſter Strafe unterſagt ſind; — in einem ſolchen Lande noch eine ſo volſtaͤndige und genaue
Beſchreibung deſſelben verfertigen: — gewis dazu gehoͤrt ein Grad von Wisgebierde, ein
Talent
[XXIX]Einleitung des Herausgebers.
Talent des Spaͤhens und Forſchens, die man nur bey den ſeltenen Menſchen findet, die
dazu gebohren wurden, die Kentniſſe des menſchlichen Geſchlechts von ſich ſelbſt zu erweitern.


Das fuͤnfte Buch dieſes Werks enthaͤlt Kaͤmpfers innere Reiſen in Japan. Er
verlies das oͤſtlichſte Reich von Aſien am 31ſten October 1692, und am Ende des Jenners
1693 finde ich ihn ſchon in Batavia. Er verweilte hier nicht lange, ſondern trat bald die
Ruͤkreiſe nach Europa auf dem gewoͤhnlichen Wege der hollaͤndiſchen Schiffe an. Jm Ju-
nius war er auf dem Vorgebuͤrge der guten Hofnung. Jm Anfang des Jahrs 1694
kam er in Holland an, und wurde im folgenden April zu LeydenM. D. Zur Jnaugural-
Diſputation gab er Decadem Obſeruationum Exoticarum, als die erſte Probe der
Schaͤtze, die er den Wiſſenſchaſten mitbrachte. Die Beobachtungen, welche Kaͤmpfer
hier lieferte, ſind hernach insgeſamt in ſeine Amoenitates exoticas eingeruͤkt. Hier iſt
das Verzeichnis derſelben:


  • 1) Agnus Scythicus, ſiue Fructus Borometz, ſteht im Faſc. 3. p. 505
    der Amoenit.
  • 2) Amarities Maris Caſpii, in dem Faſc. 2, p. 253 der Amoenit.
  • 3) Muminahi, ſive Mumia nativa| Perſica in dem Faſc. 3. p. 516 der
    Amoenit.
  • 4) Torpedo Sinus Perſici im Faſc. 3. p. 509 der Amoenit.
  • 5) Sanguis Draconis im Faſc. 3. p. 552 der Amoenit.
  • 6) Dracunculus Perſarum im Faſc. 3. p. 524 der Amoenit.
  • 7) Andrun, morbus regioni Malabaricae endemius \& communis; im
    Faſc. 3. p. 557 Amoenit.
  • 8) Perical, Morbus Malabaricus vernaculus; in Faſc. 3. p. 561 der
    Amoenit.
  • 9) Curatio Colicae per Acupuncturam, Japonibus uſitata, in Faſc. 3. p. 582 der Amoenit.
  • 10) De Moxa, in Faſc. 3. p. 588 der Amoenit.

Kaͤmpfer kehrte nun endlich in ſeine Vaterſtadt zuruͤk, und der damals regierende
Graf von der Lippe, Friedrich Adolph, ernante ihn zu ſeinem Leibmedikus,*) Dieſes
d 3Amt
[XXX]Einleitung des Herausgebers.
Amt und der Ruf von ſeiner großen Geſchiklichkeit erwarb ihm bald eine ſehr ausgebreitete
Praxis, nicht nach ſeiner Neigung, wie er in der Vorrede zu den Amoenitatibus verſi-
chert, weil die Geſchaͤfte des Arztes und des Hausvaters ihn zu ſehr von dem Lieblingsge-
ſchaͤfte ableiteten, das er ſeinen reifern Jahren vorbehalten hatte — nemlich der ruhigen
Verarbeitung deſſen, was er in der Bluͤthe des Lebens geſamlet hatte.


Um ſeine Arbeiten, und beſonders die oͤkonomiſche Verwaltung eines vaͤterlichen
Guts, (Steinhoff bey Lieme ohnweit Lemgo) einigermaßen zu erleichtern, verheirathete ſich
Kaͤmpfer noch im 49ſten Jahre mit der Tochter des Churfuͤrſtl. Braunſchweigiſch-Luͤnebur-
giſchen Hoffaktors, Wilfach zur Stolzenau. Seine Ehe war nicht gluͤklich. Sehr naif
ſagt Kaͤmpfers Neffe, er habe in dem Eheſtande gefunden, was er vorher auf der Reiſe
zwiſchen China und Japan erfahren. Der wahrſcheinlichſten Vermuthung nach war un-
ſer Kaͤmpfer, bey dieſen Stuͤrmen, die noch ſein Alter bewoͤlkten, nicht der ſchuldige Theil.
Er zeugte noch drey Kinder, die aber noch vor ihm ſtarben. Sein Tod ſcheint (nach einer
Anſpielung des Parentators) durch ſeine unartige Gattin befoͤrdert zu ſeyn. Er erfolgte,
nach oͤftern Anfaͤllen von Colik, in den leztern Jahren, am 2ten November 1716, da er ei-
nige Wochen uͤber ſein 65ſtes Jahr gelebt hatte.


Kaͤmpfer hatte auf ſeinen weiten Reiſen nicht nur ſeine Kentniſſe vermehrt, und
ſeinen Verſtand gebildet; ſondern auch ſeinem moraliſchen Charakter die Guͤte und Ausbil-
dung gegeben, die bey einem Manne von ſo edler Wißbegierde und geſunder Vernunft
allemal erwartet werden koͤnnen. Schon ſeine Schriften zeugen den redlichen, ehrlichen
und vorzuͤglich wahrheitsliebenden Mann, dem ſein Leben unter Menſchen von mancher-
ley Farbe und Denkart eine gefaͤllige Geſchwindigkeit gegeben hatte.


Auch die der Leichenpredigt angehaͤngte Biographie verſichert, daß Kaͤmpfer ſich
die algemeine Achtung ſeiner Landsleute erworben, und daß ſelbſt der Neid ſeiner habe ſcho-
nen muͤſſen. Er war, ſagt ſie, in der Converſation gegen Hoͤhere ehrerbietig, gegen
Alle dienſtfertig und leutſelig, gegen die Duͤrftigen mitleidig und huͤlfreich. Sein Haus
ſtand allen Nothleidenden, auch den Armen, Fremden, und Einheimiſchen immer offen.
Auch in der Beobachtung der aͤußern Religionspflichten bewies er ſich als einen guten Chri-
ſten. Er bediente ſich andaͤchtig des Heil. Abendmals, wohnte dem oͤffentlichen Gottes-
dienſte regelmaͤßig bey, und erſetzte ihn, wenn er durch Geſchaͤfte oder Krankheit gehindert
wurde, durch einen haͤuslichen. Auch wenn er geſund war, hielt er taͤglich mit ſeinem
Geſinde Baͤtſtunde.


Als Schriftſteller erſcheint Kaͤmpfer ganz vorzuͤglich in dem vortheilhafteſten
Lichte. Sicher iſt er einer der beſten ſeiner Zeit, — und einer der erſten in ſeiner Zunft.
Jch glaube hier nicht partheiiſch zu ſeyn, da einer der groͤſten Kenner von Reiſebeſchreibun-
gen
[XXXI]Einleitung des Herausgebers.
gen und der Mann, der vielleicht die meiſten Schriftſteller gegeneinander gewogen hat —
der Herr von Haller, — unſerm Kaͤmpfer keinen Reiſebeſchreiber vorſetzen wil. *)


Man mus dieſe Gattung von Schriftſtellern etwas genauer aus eignem kritiſchen
Gebrauch kennen, wenn man Kaͤmpfers Verdienſt ganz ſchaͤtzen wil. Man mus es wiſ-
ſen, mit welch einer Jgnoranz manche ihre Relſen (deren Beſchreibung ſie doch hernach
dem Publikum vorlegen) antreten, und dann Kaͤmpfern dagegen halten, der ſeine Rei-
ſen ſo wohl vorbereitet antrat, und es in Wiſſenſchaften und Sprachen, die auch bey den Ge-
lehrten ſeiner Zeit ſelten waren, ſo weit gebracht hatte. Man mus es wiſſen, mit wie
gutherziger Leichtglaͤubigkeit ſich manche Reiſende hintergehen laſſen, und welche Sucht
andre haben neue Maͤhren zu erzaͤhlen, um ihre Landsleute zum Staunen — uͤber die
Dinge, die nicht ſind — zu bringen; — um den Mann recht zu verehren, der mit der
aͤußerſten Sorgfalt ſeine Berichte einzog, ſeine Zeugen wohl abwog, nirgend das Wun-
derbare,
immer das Natuͤrliche ſuchte. Man kan Kaͤmpfer nicht leſen, ohne ſich uͤber-
zeugt zu fuͤhlen, daß er der gewiſſenhafteſte Freund der Warheit war; und ohne uͤber den
ſcharfen Blik und die Genauigkeit zu erſtaunen, mit der er Alles bis ins kleinſte Detail
(nach ſeinem eignen Ausdruk) beaͤugte.


Mit lichtvolſter Deutlichkeit ſtelt Kaͤmpfer ſeinem Leſer alles dar, was er beobach-
tete, und laͤſt ihn Alles bis auf Kleinigkeiten bemerken. Wenn es auf Unterſuchung der
Gruͤnde und Urſachen gewiſſer Dinge ankoͤmt, ſo zeigt Kaͤmpfer einen großen Scharfſin,
der mit einer vorzuͤglichen ſtarken Doſis von geſunder Vernunft verſezt iſt. Sehr oft habe
ich es bewundert, wie richtig der trefliche Mann von beiden geleitet wurde. Sein lateini-
ſcher Styl iſt ſo gut, daß ſogar eine Sage entſtanden iſt, Graͤvius habe Kaͤmpfers Hand-
ſchriften ins Lateiniſche uͤberſezt. Jch weis nicht, woher dieſe Behauptung entſtanden iſt; ſie
thut aber, wie ich gewis glaube, Kaͤmpfern Unrecht, denn es iſt nicht wahrſcheinlich, daß
Kaͤmpfer ſich ſchon 1694, wie er in Holland war, und den Graͤvius (wie ich aus ſeinem
Stambuche weis) freilich kennen lernte, von ihm ſeine Amoenitates exoticas (um nur
dieſe zu nennen) habe uͤberſetzen laſſen, da er ſie erſt 18 Jahre nachher herausgab. Noch un-
wahrſcheinlicher aber iſt es, daß Kaͤmpfer alle ſeine Schriften nachher zur Ueberſetzung
dem Graͤvius zugeſchikt haͤtte, da auch die Vorrede der Amoenitatum (die er ſich doch
ſchwerlich wird haben machen laſſen) von gleichem Styl mit dem Werke ſelbſt iſt. Kaͤm-
pfer hat auch auf ſeinen Reiſen ſchon einen großen Theil ſeiner Beobachtungen lateiniſch
nieder-
[XXXII]Einleitung des Herausgebers.
niedergeſchrieben, und die Falſchheit dieſer Beſchuldigung muͤſte alſo noch mehr offenbar wer-
den, wenn einmal ſeine im Muſeo Britannico befindliche Handſchriften bekant gemacht
wuͤrden. *)


Sein deutſcher Styl — nun freilich, der iſt, wie ihn ſein Jahrhundert mit ſich
brachte. Kaͤmpfer hatte den groͤſten Theil ſeines Lebens in fremden Laͤndern zugebracht, und
nach ſeiner Ruͤkkunft nicht Muße genug, ſeinen deutſchen Styl zu bilden, wozu ihm ohnedem
gute Muſter abgiengen. Praͤciſion und genaue Beſtimmung Alles deſſen, was der Ver-
faſſer ſagen wil, fehlt dieſem Styl zwar nicht. Aber oft iſt er verwickelt, undeutlich, durch
lange Zwiſchenſaͤtze verzerrt. Doch der Leſer kan ſchon aus den oben eingeruͤkten Kaͤmpferi-
ſchen Originalbriefen und den Proben, die ich noch weiter unten geben werde, ſelbſt
urtheilen.


Kaͤmpfers Kentniſſe beſchraͤnkten ſich nicht blos auf ſein eigentliches Fach, die
Medicin, zu der er, wie wir ſchon geſehn haben, erſt in reifen Jahren uͤbergieng; in der
er aber doch einen vorzuͤglichen Grad von Volkommenheit erreichte. Dies beweiſt nicht
nur ſeine gluͤkliche Praxis — ein oft zweideutiges Kenzeichen — die ihm in Georgien wie
in ſeinem Vaterlande ſo viel Beifal erwarb; ſondern vorzuͤglich ſeine wichtige Bereicherun-
gen verſchiedner Theile der Medicin, beſonders der materia medica. Jn der Natur-
geſchichte — ein damals noch wenig bearbeitetes Studium und fuͤr das unſre Akademien
noch keine Lehrſtuͤhle hatten — half Kaͤmpfer mit die Bahn brechen. Die meiſten Be-
ſchreibungen in den Amoenitatibus werden noch jetzt nach ſo vielen Entdeckungen neuerer
Zeiten von den Kennern als die beſten ihrer Art geſchaͤtzt; z. E. die Beſchreibung der
Palme, der Aſae foetidae, des Thees u. ſ. w. Auch die Naturgeſchichte von Japan
im erſten Buche dieſes Werks und die Beſchreibung der vielen japaniſchen Pflanzen im fuͤnf-
ten Faſcikel der Amoenitatum iſt Beweis von Kaͤmpfers Eifer und ruhmwuͤrdigen Be-
muͤhungen fuͤr dieſe Wiſſenſchaft.


Geſchichte uͤberhaupt ſcheint das Fach zu ſeyn, fuͤr das Kaͤmpfer geboren war.
Er hatte uͤberwiegende Wahrheitsliebe, unermuͤdeten Forſchgeiſt, ſcharfſinniges Urtheil und
Geduld. Die letztre dieſer Eigenſchaften machte ihn faͤhig, die japaniſchen Annalen, die
mit der ermuͤdendſten Trockenheit geſchrieben und vol der degoutanteſten Ungereimtheiten
waren, in einer Sprache, die er erſt zu erlernen hatte, zu leſen und zu excerpiren. Und
welch Verdienſt hat nicht Kaͤmpfer um die genauere Entwickelung des politiſchen Syſtems
von
[XXXIII]Einleitung des Herausgebers.
von Siam und Japan, auch von Perſien im erſten Faſcikel der Amoenitatum erwor-
ben. Wenn man es weis, mit welcher Gefahr in den orientaliſchen Reichen ſtatiſtiſche
Nachrichten geſamlet werden; ſo wird man kaum begreiſen, wie K. alles ſo genau und vol-
ſtaͤndig habe erfahren koͤnnen. Man ſehe, um ein Beiſpiel zu nehmen, nur einmal ſeine
Nachricht von den perſiſchen Einkuͤnften in den Amoenit. p. 90.


Wie faͤhig Kaͤmpfer auch in politiſchen Geſchaͤften war, beweiſt das Vertrauen
des ſchwediſchen Hofes, (wo damals beide Puffendorfe die Geſchaͤfte leiteten) ihn, einen
Fremden, bey einer ſo wichtigen Geſandſchaft zu gebrauchen.


Kaͤmpfers Wisbegierde war nach allen Seiten gerichtet. Jn Entwickelung der
verſchiednen religioͤſen und philoſophiſchen Syſteme von Aſien bewies er vorzuͤglich ſeinen
Unterſuchungsgeiſt. Das dritte Buch dieſer Geſchichte und ſeine ſchoͤne Nachrichten von
den Johannischriſten im Faſc. 2. p. 435 der Amoenit. zeigen, wie ſehr Kaͤmpfer von
allem Wiſſenswuͤrdigen ſich genau zu unterrichten bemuͤhte.


Jn allen ſeinen Studien wird er beſonders durch ſeine ausgebreitete Sprachkentnis
unterſtuͤtzt. Dieſe gieng weit uͤber den Kreis der meiſten Gelehrten. Kaͤmpfer verſtand
nicht nur die gelehrten Sprachen, die lateiniſche und griechiſche, ſondern auch die meiſten
der europaͤiſchen, die franzoͤſiſche, portugieſiſche, hollaͤndiſche, engliſche, ſchwediſche, pol-
niſche, ruſſiſche, und dann die meiſten der aſiatiſchen, die arabiſche, perſiſche, malayiſche,
mehrere indiſche, ſineſiſche und japaniſche. Die gruͤndliche Kentnis, welche ſich Kaͤmpfer
in letztrer erworben hatte, iſt Beweis genug, daß er dieſe Sprachen nicht blos fuͤr einen
voruͤbergehenden Gebrauch, als Reiſender; ſondern tiefer und als Gelehrter ſtudiert habe.


II.


Jch habe jetzt noch von Kaͤmpfers Schriften beſonders zu reden, und mus ſie
leider! in gedrukte und ungedrukte abtheilen.


Der ruhmwuͤrdige Mann trat ſeine weiten Reiſen mit dem feſten Vorſatz an, zu
beobachten, Natur und Menſchen zu ſtudieren, beſonders das Neue, und nicht genug unter-
ſuchte ſich zum Vorwurf zu waͤhlen, und das Reſultat dem Publikum mitzutheilen. Schon
in Nangaſacki dacht er ſich, wie wir oben in ſeinem eignem Briefe geſehn haben, die Titel
ſeiner kuͤnftigen Werke. Der Sturm zwiſchen Sina und Japan und die ſalzige See
verdarb einen Theil ſeiner ſchaͤtzbaren Handſchriften, und ſeine nachher gar zu beſchaͤftigende
Praxis zwang ihn, ſie faſt achtzehn Jahre in ſeinen Schraͤnken vergraben zu laſſen, wo ſie
ſchon anfiengen, wie er ſelbſt ſagt, von den Motten benagt zu werden, als Kaͤmpfer endlich
eeinige
[XXXIV]Einleitung des Herausgebers.
einige Muße bekam, ſie wieder hervorzuſuchen. Schon im Alter von ſechzig Jahren wolte
er doch noch gern ſeine gelehrten Schaͤtze ordnen und in mehrern Werken bekant machen. Nur
als eine Probe und einen Vorſchmak — der die Leſer nach Mehrern luͤſtern machen ſolte —
gab er 1712 ſeine beruͤhmten Amoenitates*) ein Werk, das wegen der Mannigfaltigkeit
des Jnhalts und der Gruͤndlichkeit der Behandlung in der That einen ungemein vortheil-
haften Begrif von den Kentniſſen machen muſte, die unſer Kaͤmpfer mit nach Europa ge-
bracht hatte. Er hat es in fuͤnf Faſciculos vertheilt. Der erſte enthaͤlt 16 Relationes
de aulae Perſicae ſtatu hodierno,
welche theils von dem damaligen perſiſchen Schah,
vornemlich aber von der ganzen Einrichtung des Jſpahaniſchen Hofes ungemein genaue und
unterrichtende Nachrichten geben. Der zweite Faſciculus enthaͤlt 14 Relationes et Ob-
ſervationes Hiſtorico ‒ Phyſicas de Rebus Variis.
Der beſtimte Jnhalt iſt
folgender:


  • 1) In mari Caſpio nullae voragines; ejusdem pelagi amarities.
  • 2) Okeſra, peninſula Mediae, naturae prodigiis conſpicua.
  • 3) Turris cornuta in Regia Perſarum urbe Iſphahano.
  • 4) Monumenta campi Perſepolitani, rupi inſculpta, quae vocant
    Nakſji Ruſtaam i. e. Simulacra Ruſtanica.
    **)
  • 5) Palatii Iſtachr ſive Perſepolitani rudera, vulgo Tjiehil menaar dicta.
  • 6) Antiquitatis monumenta in campo Sjubaſar novae Perſepolis.
  • 7) Sjeich Chodſja Hafes \& Sjeich Saadi Sjiraſi, illuſtrium Perſiae Poe-
    tarum, Sepulturae.
  • 8) Oenopoeia Sjiraſenſis.
  • 9) Memorabilia Montis Benna, in Perſidis Provincia Laar.
  • 10) Rudera Diluvii Moſaici in Perſia.

11) Sabii,
[XXXV]Einleitung des Herausgebers.
  • 11) Sabii, ſ. Chriſtiani S. Johannis Baptiſtae circa Tigridem \& fines
    Perſiae.
  • 12) Inveſtigatio Innocentiae per Crocodilos \& Ignem, apud Gentiles
    Orientes hodie uſitata.
  • 13) Chartopoeia Japonica.
  • 14) Regnum Japoniae optima ratione, ab egreſſu civium \& exterarum
    gentium ingreſſu \& communione clauſum.

Der dritte Faſcikel enthaͤlt Obſervationes Phyſico ‒ Medicas curioſas,
nemlich:


  • 1) Agnus ſcythicus ſeu fructus Borometz.
  • 2) Torpedo ſinus Perſici.
  • 3) Muminahi ſive Mumia nativa Perſica.
  • 4) Dracunculus Perſarum in littore ſinus Perſici.
  • 5) Hiſtoria Aſae foetidae.
  • 6) Djierenang ſive ſanguis Draconis ex fructibus palmae coniferae
    ſpinoſae elicitus,
  • 7) Andrum, ſive Hydrocele regioni Malabaricae endemia.
  • 8) Perical ſive Hyperſarcoſis ulceroſa pedum, Malabaricae genti
    vernacula.
  • 9) Tripudia Serpentum in India Orientali.
  • 10) Gemina Indorum antidota.
  • 11) Curatio colicae per acupuncturam.
  • 12) Mora, polychreſta cauteriorum materia.
  • 13) Theae Japonenſis hiſtoria.
  • 14) Ambra vindicata.
  • 15) Inebriantia Perſarum \& Indorum pharmaca.
  • 16) Ligaturae magicae Macaſſarorum.

Der vierte Faſciculus enthaͤlt blos Relationes botanico ‒ hiſtoricas de
Palma dactylifera in Perſide ereſcente;
und der fuͤnfte Catalagum plantarum
Japonicarum.


e 2Kaͤmpfer
[XXXVI]Einleitung des Herausgebers.

Kaͤmpfer hat dieſem Werke auch Abbildungen der Pflanzen und anderer Gegen-
ſtaͤnde beigefuͤgt, die er ſelbſt mit großem Fleis und Genauigkeit verfertigt hatte, die aber
durch die Schuld ſeiner ungeſchikten Kupferſtecher ſehr ſchlecht, und oft faſt ganz unkenbar, geſto-
chen ſind. Er klagt ſelbſt in der Vorrede daruͤber: Chalcographi rudes, ſagt er, \& mo-
roſi ingenii imagines mea manu accurate \& ad typum ſed diverſa magnitudine
delineatas, dum in decentem formam ex majori vel minori reducere debe-
bant, ita deformarunt, vt niſi ad illuſtrandas res omnino eſſent neceſſariae,
eas, velut libri dedecus repudiarem.


Den leztern Beinamen verdienen die meiſten dieſer Kupferſtiche allerdings. Die
Kaͤmpferiſchen Originalzeichnungen befinden ſich noch im Muſeo Britannico, und ich bin
uͤberzeugt, daß viele Gelehrte und beſonders die Kenner der Naturgeſchichte meinem Wun-
ſche beitreten werden, daß die Verlagshandlung dieſe Zeichnungen (die durch die wilfaͤhrige
Vermittelung der gelehrten und ruhmwuͤrdigen Aufſeher des Muſei Britannici zu dieſem
Zwek gewis zu erhalten waͤren) von neuen durch geſchikte Kuͤnftler ſtechen ließe, und ſie einer
neuen Ausgabe der Amoenitatum beifuͤgte. Gewis verdiente es ein ſo nuzbares und vor-
trefliches Werk auf dieſe Art noch einmal in Umlauf gebracht zu werden, und es wuͤrde an
aͤußerer Schoͤnheit wie an Brauchbarkeit ſehr gewinnen.


Kaͤmpfer ſchikt es indes — ſo vorzuͤglich es auch ſchon iſt — nur als einen Verlaͤu-
fer in die gelehrte Welt, die er, ſo wie beſonders auch die Buchhaͤndler, auf ſeine andern
noch groͤßern Werke dadurch aufmerkſam machen wolte. Folgende deroſelben nante er in
der Vorrede beſtimt, und bot ſie den Verlegern an.


1) Japoniam noſtri temporis, das er in Quart mit etwa 40 Kupferſtichen in
deutſcher Sprache herausgeben wolte. Das Journal des Sçavans wuͤnſchte bald nachher,
(Tom. 55, p. 471) daß Kaͤmpfer dies Werk in lateiniſcher Sprache herausgeben moͤchte,
damit es die Gelehrten aller Nationen von Europa leſen koͤnten.


Herbarii Trans ‒ Gangetici Specimen in Folio, in lateiniſcher Sprache mit
etwa fuͤnfhundert Kupferſtichen. Doch wolte er, ehe er dieſes Werk herausgaͤbe, noch
des beruͤhmten RumphHortum Ambonenlem abwarten, ne, ſezt der edelbeſcheidne
Mann hinzu, ab eo acta agam \& ſylvis inducere ligna videar.


Hodoeporicum tripartitum in Folio. Dieſem Werke wolte Kaͤmpfer ſoviel
Kupfer beifuͤgen, als nur irgend der Verleger zu wagen Muth haͤtte. Er uͤberlies es auch
deſſen Belieben, ob es in lateiniſcher, deutſcher oder hollaͤndiſcher Sprache erſcheinen ſolte?
Aus dieſem Werke waren die meiſten der in den Amoenitatibus gelieferten Proben entlehnt,
doch verſichert Kaͤmpfer ausdruͤklich, daß das Hauptwerk dadurch gar nicht arm gemacht
ſey.
[XXXVII]Einleitung des Herausgebers.
ſey. Es geſchehe dieſem nicht, ſagt er, quod ſolet hortis anguſtioribus, in quibus
avulſis paucis floſculis, caules ſaltem et folia remanent.


Dieſe Ankuͤndigung ſo ausnehmend wichtiger Werke muſte gewis das Publikum
ſehr luͤſtern machen; die Amoenitates lieferten ſo intereſſante Proben, fanden algemeinen
Beifal und erregten den Wunſch, daß die Hauptwerke auch noch erſcheinen moͤchten; —
aber doch wolte ſich keiner der Mittelsmaͤnner zeigen, die oft, wie es ſcheint, ihre Waare
weniger kennen, als irgend eine Art von Kaufleuten, oft aber auch zu partheiiſch von den
Gelehrten getadelt werden, wenn ſie ihre Kapitalien nicht ſo gern auf Werke, die zwar
Jahrhunderte uͤberleben, aber auch erſt in Jahrhunderten mit Vortheil verkauft werden, wen-
den wollen, als auf pieces du jour, die in einigen Meſſen abgehen und dan — ohne
Schaden des Verlegers — vergeſſen werden. — Die Groͤße der angebotnen Werke und die
Menge der Kupfer ſchrekte wahrſcheinlich ab, und Kaͤmpfer fand in den vier Jahren, die
er noch nach Erſcheinung der Amoenitatum lebte, keinen Verleger.


Seine Handſchriften blieben alſo in den Haͤnden ſeiner Erben, unter denen ſein
Brudersſohn Johann Herman KaͤmpferM. D. war. Dieſer, ſcheint es, hatte den
Gedanken, die Werke ſeines Oheims nicht vermodern zu laſſen; wenigſtens hat er die Ge-
ſchichte und Beſchreibung von Japan
ganz zum Druk abgeſchrieben, *) auch mit einer
Zuſchrift an den Koͤnig von Großbrittannien Georg II und deſſen Kronprinz begleitet. Was
ihn hinderte, ſeine Abſicht wirklich auszufuͤhren, weis ich nicht; wahrſcheinlich aber war der
Hauptgrund auch bei ihm, daß ein Verleger fehlte.


Jn England lebte damals Sir Hans Sloane, ein Mann, den ſeine Natural
Hiſtory of Jamaica
vielleicht nicht ſo beruͤhmt gemacht hat, als ſeine ausnehmende Wis-
begierde und ſeine Neigung, alle merkwuͤrdige Produkte der Natur und Kunſt und beſonders
auch wichtige ungedrukte Handſchriften zu ſammeln. Er hatte ſich auf den weſtindiſchen
Eylanden ein Vermoͤgen erworben, das ihn faͤhig machte, ſeine Neigung zu befriedigen. Bei
e 3einer
[XXXVIII]Einleitung des Herausgebers.
einer ſehr ausgebreiteten Correſpondenz entgieng ſeiner Aufmerkſamkeit nicht leicht ein der-
ſelben wuͤrdiger Gegenſtand, und ſo hatte Kaͤmpfer auch nicht umſonſt fuͤr ihn ſeiner Hand-
ſchriften in der Vorrede der Amoenitatum erwaͤhnt. Er trug dem Koͤnigl. Großbrittan-
niſchen Leibmedicus, D. Steigerthal, bei einer Reiſe nach Hannover auf, ſich in dem be-
nachbarten Lemgo nach den Kaͤmpferſchen Handſchriften zu erkundigen. Kaum hatte er
die angenehme Nachricht erhalten, daß Kaͤmpfers gelehrte Nachlaſſenſchaft zu haben waͤre,
ſo kaufte er alle (wie er glaubte) noch uͤbrige Papiere und Zeichnungen deſſelben fuͤr eine be-
traͤchtliche Summe Geldes an ſich. *)


Sloane wolte ſie zwar nicht in ſeiner litteraͤriſchen Schazkammer vergraben; er er-
munterte vielmehr einen gelehrten Schweitzer, Johann Caſpar Scheuchzer, der in Lon-
don als Arzt und Mitglied der Koͤnigl. Societaͤt der Wiſſenſchaften lebte, die Kaͤmpferſchen
Handſchriften nach und nach, freilich nicht in der Originalſprache, ſondern in einer engli-
ſchen Ueberſetzung bekant zu machen. Man fieng mit der Geſchichte von Japan an, die
1727 erſchien, **) und der bald nachher eine franzoͤſiſche von Des-Maizeaux folgte.


Nach Kaͤmpfers eignen oder nach den japaniſchen Zeichnungen, die K. mitgebracht
hatte, fuͤgte Scheuchzer ſeiner Ueberſetzung 45 Kupfertafeln bey, die auch zu der franzoͤſi-
ſchen nachgeſtochen wurden. Man muß geſtehn, daß Sloane ſeinen Mann ſehr gut aus-
gewaͤhlt hatte, dem er die Bekantmachung des Kaͤmpferiſchen Werks uͤbertrug. Scheuch-
zer gieng ganz in die Materie deſſelben ein, und ſeine Jntroduction iſt eine vortrefliche Ab-
handlung. Sie enthaͤlt eine faſt ganz volſtaͤndige Litteratur der Geſchichte und Geographie
von Japan, zu der Scheuchzer faſt alle Huͤlfsmittel in Sloane’s reichen Bibliothek vor-
fand. Die Ueberſetzung war, wie Scheuchzer ſelbſt geſteht, nicht leicht, da er nicht in ſei-
ner
[XXXIX]Einleitung des Herausgebers.
ner Mutterſprache uͤberſezte, und da ſein Original wirklich oft ſehr dunkel, verwickelt, eine Jdee
in die andre ſchraubend iſt. Doch hat der gelehrte Schweizer — ſoviel ich nach meinen
Handſchriften urtheilen kan — dieſe Schwierigkeiten meiſtens ſehr gut uͤberwunden, und des
Verf. Sin wohl getroffen; nur zuweilen verleitet ihn ſeine Abſicht, Alles recht deutlich und
klar zu machen, daß er mehr paraphraſirt als uͤberſezt, Kaͤmpfers Jdeen zu ſehr amplificirt,
eigne Beſtimmungen hinzuſezt u. ſ. w. Die franzoͤſiſche Ueberſetzung iſt, ſo weit ich ſie ver-
glichen habe, eine recht gute Kopie der engliſchen. Doch der Leſer ſol ſelbſt nachher aus
Proben von beiden urtheilen.


Kaͤmpfers Werk fand gleich anfangs bey ſeiner Erſcheinung in England, Frank-
reich, Holland und uͤberal ungemeinen Beifal. Man erkante es fuͤr eines der gruͤndlichſten,
genaueſten und richtigſten ſeiner Art. Die Neuheit der Materie und die große Armuth an
Nachrichten uͤber Japan gab ihm noch mehr Reize. Dieſe Achtung hat ſich immer erhal-
ten, und die groͤſten Gelehrten haben es fleißig gebraucht. Jch wil nur einen nennen, der
ſeine Beleſenheit in den Reiſebeſchreibungen ſo treflich genuͤzt hat, Montesquieu. Man
findet in ſeinem unſterblichen Werke den Namen des Lemgoer Gelehrten ſehr oft, — eine
Auktoritaͤt, die ihm Ehre bringt.


Der bekante Jeſuit Charlevoix, der bald, nachdem Kaͤmpfers Werk erſchienen
war, eine Hiſtoire \& Deſcription generale du Japon ſchrieb, und der, weil K. von
dem Betragen ſeiner Ordensbruͤder und Glaubensgenoſſen in Japan kein guͤnſtiges Zeugnis
ablegte, ihm ſehr ungeneigt iſt, und beſtaͤndig darauf ausgeht, Fehler bei ihm zu finden, —
dieſer Charlevoix geſteht doch, daß Kaͤmpfers Werk ſehr viele merkwuͤrdige Nachrichten
und Unterſuchungen uͤber den Urſprung der Japaner, die Beſchaffenheit des Landes und die
politiſche Verfaſſung deſſelben enthalte. Die Religionsſyſteme, ſezt er hinzu, habe nie-
mand beſſer als K. entwickelt, und ſein Werk liefre ſehr intereſſante Beſchreibungen,
eine ſehr genaue Naturgeſchichte und geographiſche Beſchreibung dieſer Jnſeln. Doch ſagt
er, ſey es noch nicht volſtaͤndig genug, und enthalte beinahe Alles, was in den vorher-
gehenden Werken uͤber Japan fehle, aber nicht alles dasjenige, was man in dieſen
finde.
Ein Tadel, der beinahe in ein Lob verwandelt werden koͤnte, wenigſtens bei Ken-
nern der Geſchichte dem Werke keinen Abbruch thun wuͤrde. Er iſt aber auch im Ganzen
nicht einmal gegruͤndet, weil Kaͤmpfer gewis ſehr oft ſeine Vorgaͤnger berichtigt, ob er ſie
gleich nicht allemal nent, und weitlaͤuftig widerlegt.


Ein ſo wichtiges Werk ihres Landsmanns konten indes die Deutſchen immer nur in
fremder Sprache leſen, und wie es ſchien, war das Original deſſelben auf immer unſerm Va-
terlande entwandt. Zwar hat der deutſche Ueberſetzer von Du Halde Beſchreibung des
Chineſiſchen Reichs
dieſem Werke auch eine Ueberſetzung der Kaͤmpferiſchen Beſchrei-
bung
[XL]Einleitung des Herausgebers.
bung von Japan angehaͤngt. Aber theils hat dieſe Arbeit ſchon das erhebliche Vorur-
theil wider ſich, daß ſie nur die Ueberſetzung einer Ueberſetzung eines deutſchen Originals
iſt, und alſo bei weitem uns nicht die Stelle des lezteren erſetzen kan, theils habe ich bei
Vergleichung dieſer und der engliſchen Ueberſetzung gefunden, daß jene ſehr uͤbereilt gearbei-
tet iſt, und ſehr oft den Sin des Scheuchzerſchen Kaͤmpfersverfehle. Die Urſachen, warum
dieſe Arbeit ſo ſchlecht geraten muſte, waren ohne Zweifel Buchhaͤndleriſche. Der Verle-
ger wolte Kaͤmpfers Werk dem Du Halde anhaͤngen, aber er wolte ihm nicht viel Plaz
geben. Er lies es daher, wie der Ueberſetzer ſelbſt in der Vorrede ſagt, mit aͤußerſter
Sparſamkeit enge zuſammendrucken. Und vermuthlich gab er auch dem Ueberſetzer einen
Wink mit dem Gedanken, nach eben der Oekonomie zu verfahren, die er bey den Lettern beob-
achtete. So wurden nun die Jdeen enge zuſammengeruͤkt, viele ganz verdraͤngt, oder
doch ſehr unkentlich, ſchief und falſch ausgedruͤkt; ſo wurden oft Epitheta, Zwiſchenſaͤtze
u. ſ. w. ausgelaſſen, und ſo entſtand eine Ueberſetzung, die — gegen das wahre Original
gehalten — ſchwerlich dieſen Namen verdient.


Jmmer blieb alſo noch der Wunſch, das Kaͤmpferiſche Werk in der deutſchen Ur-
ſchrift zu erhalten, die man nirgend anders als im Muſeo Britannico vermuthen konte.
Sie iſt auch wirklich noch daſelbſt vorhanden, aber nach der Verfaſſung des Jnſtituts nirgend
anders, als im Gebaͤude deſſelben zu gebrauchen. Scheuchzer hatte ausdruͤklich verſichert,
daß Sloane alle Kaͤmpferiſche Handſchriften gekauft habe, alſo konte man freilich nicht
leicht den Gedanken haben, daß vielleicht noch in Lemgo das Original der Beſchreibung
von Japan ſich finden moͤchte. Es war aber wirklich noch in zwei Handſchriften vorhanden,
die ein halbes Jahrhundert bei der einzigen lezten Erbin unſers Kaͤmpfers, einer Bruders-
tochter, verborgen lagen. Dieſe ſtarb im Jahr 1773; die Meierſche Buchhandlung kaufte
beide Handſchriften an ſich, und ſchikte ſie mir nach Berlin, da ich die mir angetragene
Herausgabe augenommen hatte. Hr. Oberconſiſtorialrath Buͤſching unterſuchte mit mir
beide Handſchriften, und kuͤndigte dieſe wichtige Entdeckung in ſeinen vortreflichen: Woͤ-
chentlichen Nachrichten,
(1773, S. 249) zuerſt dem Publikum mit aller der Waͤrme an,
die ihm ſein Eifer fuͤr die hiſtoriſchen Wiſſenſchaften eingeben muſte, und bewies, wie nuͤz-
lich die Bekantmachung des Kaͤmpferiſchen Werks nach dieſen Original-Handſchrif-
ten ſey.


Dieſen Namen darf ich ihnen kuͤhn und mit Wahrheit beilegen. Den Titel der
einen habe ich ſchon oben volſtaͤndig angegeben. Dieſe Handſchrift iſt eine Abſchrift des
Kaͤmpferiſchen Neffen, Johann Herman, „nach des Oheims, wie er ſelbſt ſagt, uͤberal
eignen wahren Handſchrift.‟ Die andre Handſchrift (die ich um ſie zu unterſcheiden, die
Handſchrift des Oheims, ſo wie die erſte Handſchrift des Neffen, nenne) hat kein Ti-
telblat,
[XLI]Einleitung des Herausgebers.
telblat, iſt aber Kaͤmpfers Originalhandſchrift. Nicht nur hat die ehemalige Beſitzerin ſie
immer dafuͤr ausgegeben; ſondern die oben eingeruͤkten Briefe aus Gamron und Naga-
ſacki
ſind noch im Original in Lemgo vorhanden, und da haben mehrere glaubwuͤrdige
Maͤnner (von denen ich nur den Verleger dieſes Werks Hrn. Rath Helwing nennen wil)
auf meine Bitte eine Vergleichung zwiſchen der Schrift der Briefe und meines Maſcpts
des Oheims angeſtelt und mich verſichert, daß beide von einerlei Hand gewis geſchrieben
waͤren. Einige Worte, die Kaͤmpfer in ſein Stambuch und andre Buͤcher geſchrieben hat,
ergeben eben dieſes. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Kaͤmpfer ein ſo wichtiges Werk
mehr als einmal ſchrieb, zu dem er manche einzelne Theile ſchon auf ſeinen Reiſen mehr oder
weniger ausgearbeitet hatte; — es kan alſo auch ſehr wohl ſeyn, daß das Maſcpt im Mu-
ſeo Britannico
wirklich auch von Kaͤmpfers Hand und vielleicht ſpaͤter und volkomner
geſchrieben iſt. Von meinem Maſcpt des Oheims bleibt dies in jedem Fal bewieſen.
Man ſieht demſelben auch ſchon an, daß es das Werk des Autors, nicht des Kopiſten iſt.
Manche Blaͤtter ſind in demſelben doppelt, manche fehlen, oft iſt drin corrigirt, weggeſtri-
chen, zugeſezt. Dagegen iſt das Maſcpt des Neffen ganz rein, ordentlich und fuͤr den
Druk geſchrieben. Beide Handſchriften ſtimmen meiſtens ganz genau mit einander uͤberein,
zuweilen iſt ein Wort oder auch wohl eine Periode verſchieden. Zuweilen fehlt auch wohl
in dem einen, was in dem andern ſteht. Eben ſo ſtimmen ſie auch mit der englichen Ueber-
ſetzung ziemlich zuſammen, wenn ich Scheuchzers ſchon angefuͤhrte oͤftere Ampflification
und Verſchiedenheiten in den nominibus propriis abrechne. Nur zuweilen fehlen groͤßre
oder kleinre Stellen in der engliſchen Ueberſetzung, die ſich in beiden oder der einen meiner
Handſchriften finden, und umgekehrt.


Um nun das Kaͤmpferiſche Werk jetzt dem Publikum in der erreichbarſten und
moͤglichſten Volkommenheit zu liefern, habe ich mir bey Herausgabe deſſelben folgende Ge-
ſetze gemacht.


1) Jch ſehe die vielleicht fruͤheſte und unvolkommenſte Originalhandſchrift Kaͤm-
pfers; — die zum Druk fertige getreue Abſchrift des Neffen, und die Scheuchzeriſche
Ueberſetzung
aus einer wahrſcheinlich gleichfals eigenhaͤndigen Handſchrift des Verfaſſers
als drey Quellen an, denen ich ihren Rang ohngefehr nach der Ordnung, wie ich ſie genant
habe, beſtimmen moͤchte.


2) Aus dieſen drei Quellen zuſammengenommen glaubte ich Kaͤmpfers Werk lie-
fern zu muͤſſen. Jch habe alſo die Handſchrift des Oheims zum Grunde gelegt, mit
ihr, Wort fuͤr Wort, die Handſchrift des Neffens und mit beiden Saz fuͤr Saz die
engliſche Ueberſetzung verglichen.


f3) Wenn
[XLII]Einleitung des Herausgebers.

3) Wenn ich Varianten meiner drei Quellen bekam, habe ich mich fuͤr die wahr-
ſcheinlichſte entſchieden und ſie in den Text aufgenommen, die andren aber in den Anmer-
kungen angezeigt. Nun waͤre es uͤberfluͤſſig und unnuͤtze Vergroͤſſerung des Werks geweſen,
wenn ich dies bei den bloßen Paraphraſen und Ampflificationen der Scheuchzerſchen Ueberſe-
tzung, die ſich faſt auf allen Seiten finden, haͤtte thun wollen. Jch habe alſo dem Leſer
nur in einigen Beiſpielen von denſelben einen Begrif gemacht.


4) Kaͤmpfers deutſcher Styl iſt von der Art, daß ihn in unſern Zeiten niemand
mit Vergnuͤgen leſen kan; der Verleger verlangte alſo, daß ich das Kaͤmpferiſche Werk
lesbar machen und ſeinen Styl moderniſiren moͤchte. Ein Wort, bey dem der ſtrenge
Hiſtoriker — der ſich an einige Beiſpiele der Franzoſen erinnert — ſchon uͤbel zu ahnden
pflegt. Jn der That fuͤrchtete ich ſelbſt anfangs die Vorwuͤrfe, die man meinem Kaͤmpfer
und mir machen moͤchte, ſo ſehr, daß ich den Verleger zu bewegen ſuchte, er moͤchte das
Werk ganz, wie es da waͤre, in ſeiner Urſprache abdrucken laſſen. Allein er bewies mir
ſehr gruͤndlich, daß er das Werk deswegen verlegte, weil er’s verkaufen wolle, daß
die ſtrengen Hiſtoriker ihm wenig Exemplare abnehmen wuͤrden, daß ſie alſo kein großes
Recht haͤtten, ihm Vorſchriften zu geben, daß ich ſo modernirfiren koͤnte, daß dieſe ſtren-
gen Herrn keinen Grund zu Beſchwerden haͤtten u. ſ. w. Jch empfand, daß der Verleger
am Ende mit großem Recht eine entſcheidende Stimme haben muͤſſe, und ich ſah am
Ende immer mehr ein, daß ſein Vorſchlag bey weitem der beſte ſey, um Kaͤmpfers Werk
recht nutzbar zu machen. Sein Styl iſt in der That an vielen Stellen nicht lesbar, und
ein großer Theil des Publikums, das viel Gutes daraus lernen koͤnte, wuͤrde das Werk
blos deswegen nicht zur Hand nehmen. Und warum koͤnte ich dieſen Styl nicht umſchaffen,
ohne doch irgend eine Kaͤmpferiſche Jdee verlohren gehn zu laſſen? Und wenn ich es thaͤte,
was haͤtten die Gelehrten zu klagen, oder vielmehr warum wolten ſie mit meiner Arbeit
nicht zufrieden ſeyn, und Kaͤmpfers Werk, ſo wie ich es ihnen vorlege, fuͤr das wahre Ori-
ginal anſehen?


Jch machte mir alſo die Regel: Mit ſtrengſter Gewiſſenhaftigkeit und mi-
krologiſcher Genauigkeit Kaͤmpfers Sin und Gedanken ganz ungeandert zu laſ-
ſen, ſchlechterdings nichts zuzuſetzen, nichts abzunehmen; aber auch dieſe unge-
aͤnderten Gedanken ſo leßbar und in einem ſo polirten Style zu liefern, als es
nur immer ohne Verletzung der hiſtoriſchen Treue geſchehn konte.


Wenn ich dieſe Regel ſtreng beobachtete, ſo glaubte ich Alles gethan zu haben, um
jede Claſſe von Gelehrten und Liebhabern, die Forderungen der Kritik und die des Jahrhun-
derts zugleich zu befriedigen.


Ob
[XLIII]Einleitung des Herausgebers.

Ob ich ſie beobachtet habe, daruͤber wil ich meine Leſer ſelbſt zu Richtern machen.
Jch lege ihnen hier Stellen aus beiden Handſchriften und meinem umgearbeiteten Text vor.
Jch waͤhle mehrere Stellen, und verſichre, daß es keine ausgeſuchte, ſondern ſolche ſind,
die ich von ohngefaͤhr aufſchlage.


Um den Leſer zugleich in den Stand zu ſetzen, die Scheuchzerſche Ueberſetzung ſo-
wohl mit den Kaͤmpferſchen Handſchriften, als mit meinem Text zu vergleichen, wil ich dieſe
auch beifuͤgen. Hier ſind dieſe Proben.


1) Vorrede des Verfaſſers.


Handſchrift des Oheims.Mein Text.
Teutſchland wurde noch von dem Aller-
Chriſtl.- und unchriſtlichſtem Feinde be-
unruhigt, wie die ſchwediſche Geſandſchaft,
wobey ich mich verhielt, von dem perſiſchen
Hoffe ihren Abſcheid bekam. Jch befunde
es meinem Gemuͤthe ertraͤglicher zu ſeyn,
eine noch fernere Reiſe, und alſo die pri-
uat-
und freywillige Unruhe anzugehn, als
meinem Vatterlande zu naͤhern, und mich
deſſen allgemeinem Uebel und gezwungenen
Kriegsraiſons zu unterwerffen. Nahme
Derohalben von unſerer Ambaſſade, (die
mihr die Ehre thaͤte, eine Meile auſſert
der Reſidenz zu begleiten) meinen Abſcheid
mit Vorſatz in Beſchauung andrer Laͤnder,
Voͤlker und Hoͤffe des fehrnern Aſiens noch
einige Jahre durchzubringen. Wie ich
nun jederzeit gewohnt, keine groſſe Wechſel
von Hauß zu ziehn, ſondern dieſelbe aus
meinem Schubſacke zu heben, ſo habe den-
ſelben auch dieſesmal durchgeſucht, und
darinn gefunden, womit ich mich bey froͤm-
den
Noch wurde Deutſchland von dem al-
lerchriſtliſten und unchriſtlichſten Feinde
zugleich beunruhigt, als die ſchwediſche Ge-
ſandſchaft, bey der ich in Dienſten ſtand,
am perſiſchen Hofe ihren Abſchied bekam.
Jch fand es daher rathſamer, noch eine
fernere Reiſe zu unternehmen, und mich
freiwilliger Unruhe auszuſetzen, als mich
meinem Vaterlande zu naͤhern, und mich
ſeinem algemeinen Uebel und vom Feinde
erzwungnen Kriegsbedingungen zu unter-
werfen. Jch nahm alſo von unſrer Ge-
ſandſchaft, (die mir die Ehre erwies, mich
noch eine Meile außerhalb der Stadt zu be-
gleiten) Abſchied, mit dem Vorſatz, noch
einige Jahre auf die Reiſe durch die Laͤn-
der des entferntern Aſiens und die Kentnis
noch mehrerer Voͤlker und Hoͤfe zu wenden.
Und ſo wie ich nun immer gewohnt war,
keine große Wechſel aus meinem Vaterlan-
de zu ziehn, ſondern ſie meiſtens in mei-
nem eignen Schubſak ſuchen muſte, ſo
f 2muſte
den Voͤlkern reichlich durchgebracht, auch
der in Jndien angetroffenen Illuſtren
Republick
Niederlaͤndiſcher Geſellſchafft
u. ſ. w.
muſte ich mich auch jetzt nur zu dieſem wen-
den, und fand darin auch reichlich dasje-
nige, womit ich bey fremden Nationen un-
terhalten, und jetzt auch u. ſ. w.
Handſchrift des Neffen.Scheuchzeriſcher Text.
Teutſchland wurde noch von dem Al-
lerchriſt- und Unchriſtlichſten Feinden beun-
ruhiget, wie die Suediſche Geſandſchaft,
wobey ich mich verhielte, von dem Perſi-
ſchen Hoffe ihren Abſcheid bekam. Jch
befunde es meinem Gemuͤthe ertraͤglicher zu
ſeyn eine noch ferner Reiſe und alſo die
priuat und freywillige Unruhe anzugehen,
als meinem Vaterlande zu naͤhern und mich
deſſen allgemeinem Uebel und angezwungnen
Kriegsraiſons zu unterwerffen. Nahme
Derohalben von unſrer Ambaſſade (die
mir die Ehre thaͤte, eine Meile außer der
Reſidence zu begleiten) meinen Abſcheid,
mit Vorſatz in Beſchauung anderer Laͤnder,
Voͤlker und Hoͤffe des fernern Aſiens noch
einige Jahre durchzubringen, wie ich nun
jederzeit gewohnt, keine greße Wechſel von
Hauſe zu ziehn, ſondern dieſelbe aus mei-
nem Schubſacke zu heben, ſo habe denſel-
ben auch dieſesmahl durchgeſucht und darin
gefunden, womit ich mich bey frembden
Voͤlkern reichlich durchgebracht, auch der
in Jndien angetroffenen Illuſtren Repu-
blick
Niederlaͤndiſcher Geſellſchafft u. ſ. w.
Germany wat as yet engaged in
war with the Ottoman Porte and the
moſt Chriſtian King when the Swe-
diſh Embaſſy, which I had the
honour to attend as Secretary was
diſmiſsd by the Perſian Court. It
agreed beſt with my Inclination to
undertake a farther Journey and I
choſe rather to lead the reſtleſs and
troubleſome life of a Traveller,
than by coming home to ſubject my-
ſelf to a ſhare in that train of cala-
mities my native Country was then
involved in. Therefore I took my
leave of the Ambaſſador and his re-
tinue (who did me the honour to
attend me a mile out of Iſpahan)
with a firm reſolution to ſpend ſo-
me years longer in ſeeing other
Eaſtern Courts, Countries and Na-
tions. I was never uſed to receive
large ſupplies of money from home;
’Twas by my own induſtry I had till
then ſupported myſelf, and the very
ſame means maintain’d me after-
wards, as long as I ſtaid abroad, and
enabled me to ſerve the Dutch Eaſt
India Company \&c.

2) Aus
[XLV]Einleitung des Herausgebers.

2) Aus dem ſechſten Kapitel des erſten Buchs.


Handſchrift des Oheims.Mein Text, pag. 101.
Es wird unſere Meynung bekraͤfftiget
durch das Gewicht der beiderſeits verſchiede-
nen Religionen, den ſo die Japaner von
den Sineſen ausgegangen, wurden ſie der-
ſelben geiſtliche Lehre und Gottesdienſt mit
ihnen in das ohnbewohnte neue Land mitge-
bracht und auf ihre Nachkommen fortge-
pflanzt haben. Nun befindet man aber,
daß die vaͤtterliche Religion der Japaner
(die ſie Sinto und ihre Goͤtzen Came nen-
nen) dieſem Reiche allein eigen ſeye, alſo
u. ſ. w.
Die ſo verſchiedne Religion beider Na-
tionen giebt unſrer Meinung noch ein ſehr
großes Gewicht. Waͤren die Japaner von
den Sineſen ausgegangen, ſo wuͤrden ſie
ohne Zweifel die Religionslehren und den
Goͤtzendienſt der letztren mit ſich in das
neue, unbewohnte Land uͤberbracht, und
auf ihre Nachkommen fortgepflanzt haben.
Nun iſt es aber außer allen Zweifel geſetzt,
daß die vaͤterliche alte Religion der Japa-
ner (die ſie Sinto und die Goͤtzen Came
nennen) ihnen allein eigen ſey, und daß
u. ſ. w.
Handſchrift des Neffen.Scheuchzeriſcher Text, pag. 85.
Es wird unſre Meynung bekraͤftiger
durch das Gewicht der beiderſeits verſchiede-
nen Religionen denn ſo die Japaner von
den Sineſen ausgegangen wurden ſie der-
ſelben geiſtliche Lehre und Gotterdienſt mit
ihnen in das ohnbewohnte neue Land mit-
gebracht und auf ihre Nachkommen fortge-
pflanzt haben. Nun befindet man aber
auſſer allen Zweifel, daß die vaͤterliche
Religion der Japaner (die ſie Sinto ſo
wie ihre Goͤtzen Came nennen) u. ſ. w.
Another argument againſt the
deſcent of the Japaneſe from the
Chineſe I could draw from the dif-
ference of the religion of both na-
tions. If the Japaneſe were a colo-
ny of the Chineſe, they would have
doubtleſs brought over from thence
into the uninhabited Iſlands of Ja-
pan the Religion and Worſhip of
their anceſtors and propagated the
ſame upon their poſterity. But this
appears quite otherwiſe. The old
and probably original religion of
the Japaneſe \&c.

f 33) Aus
[XLVI]Einleitung des Herausgebers.

3) Aus dem achten Kapitel des erſten Buchs.


Handſchrift des Oheims.Mein Text, pag. 118.
Es ruͤhmt ſich dieſes Reich eines ge-
ſunden Climats. Die Lufft aber iſt ſehr
ungeſtuͤem, durchgehends kalt und des
Winters mit vielem ſchnee beladen, doch
in den Hundestagen unertraͤglich heiß.
Der Himmel erzeiget ſich das ganze Jahr
durch mildreich in Bewaͤſſerung des Lan-
des, ſonderlich in den Monden Junius und
Julius, die bey ihnen dannenhero Sat-
ſuki,
d. i. Waſſermonden genannt wer-
den, doch helt der Regen nicht ſo continuir-
lich noch precis auf beſagte Zeiten, daß
man es einer Jndiſchen Saiſon verglei-
chen moͤchte, u. ſ. w.
Es ruͤhmt ſich dieſes Reich eines ge-
ſunden Climats. Die Luft aber iſt ſehr
ungeſtuͤm, durchgehends kalt und des
Winters mit vielem Schnee beladen, al-
lein doch in den Hundstagen unertraͤglich
heiß. Der Himmel iſt das ganze Jahr
durch mildreich in Bewaͤſſerung des Lan-
des, beſonders in den Monaten Junius
und Julius, welche bey ihnen deswegen
Satſuki, d. i. Waſſermonden genant wer-
den. Doch faͤlt der Regen nicht ſo anhal-
tend noch ſo genau auf beſagte Zeiten, daß
ich es einer irdiſchen Witterung u. ſ. w.
Handſchrift des Neffen.Scheuchzeriſcher Text, pag. 102.
Es ruͤhmt ſich dieſes Reich eines ge-
ſunden Climats. Die Luft aber iſt ſehr un-
geſtuͤhm, durchgehends kalt und des Win-
ters mit vielem Schnee beladen, doch in
den Hundestagen unertraͤglich heiß. Der
Himmel erzeiget ſich das ganze Jahr durch
mildreich in Bewaͤſſerung des Landes, ſon-
derlich in den Monden Junius und Ju-
lius, die bey ihnen dannenhero Satſucki
d. i. Waſſermonden genannt werden. Doch
haͤlt der Regen nicht ſo continuirlich und
precis u. ſ. w.
Japan boaſts of a happy and
healthful Climate. The Air is very
inconſtant and ſubject to frequent
changes, in the Winter loaded
with ſnow, and liable to ſharp Froſts,
in the Summer on the contrary,
particulary during the Dog ‒ days,
intolerably hot. It rains frequent-
ly throghout the whole year, but
with the greateſt profuſion in the
Months of June and July, which
are for this reaſon called Satſuki,
that is Watermonths \&c.

4) Aus
[XLVII]Einleitung des Herausgebers.

4) Aus dem erſten Kapitel des dritten Buchs.


Handſchrift des Oheims.Mein Text, pag. 251.
Wie unter allen aſiatiſchen Voͤlkern
und Heiden, alſo iſt unter dieſem Volke die
Freyheit des Glaubens, ſo lang er der welt-
lichen Regierung nicht ſchaͤdlich faͤllet, jeder-
zeit zugelaſſen worden. Wannenhero auſ-
ſer der einheimiſchen und in dieſem Lande
entſproſſenen Religion noch verſchiedene
andre ſtreitige Religionen alhier platz ge-
nommen haben. Man hat derſelben in
unſerm Seculo vier gezaͤhlt, die an Viel-
heit der Nachfolger eine der andern zu Zei-
ten die Wage gehalten; als Sinto, das iſt,
der Weg einheimiſcher Goͤtzen, u. ſ. w.
Die Freiheit der Religion und des
Glaubens iſt unter allen heidniſchen Voͤlkern
Aſiens zu allen Zeiten voͤllig frey und un-
beſchraͤnkt geweſen; ſo lange dieſe Frei-
heit nur nicht irgend nachtheilige Folgen fuͤr
den Staat befuͤrchten lies. So auch in
Japan. Daher iſt es verſchiednen fremden
Religionen ſehr leicht geworden, ſich neben
der von den aͤlteſten Zeiten her herſchenden
und (wie die Japaner behaupten) hier
entſproſſenen Religion einzudringen und in
dem Reiche auszubreiten. Man hat in
unſerm Jahrhundert beſonders vier Haupt-
religionspartheien u. ſ. w.
Handſchrift des Neffen.Scheuchzeriſcher Text, pag. 203.
Wie unter allen aſiatiſchen Heiden,
alſo iſt unter dieſem Volke die Freyheit des
Glaubens, ſo lange Er dem weltlichen
Regiment nicht ſchaͤdlich und nachtheilig
faͤllet, jederzeit zugelaſſen worden. Wan-
nenhero auſſer der einheimiſchen und in die-
ſem Lande entſproſſenen Religion, noch
verſchiedene andre ſtreitige Religionen al-
hier Platz genommen haben. Man hat
derſelben in unſerm Seculo 4 gezehlet, die
an Vielheit der Nachfolger eine der andern
zu Zeiten die Wage gehalten.
Liberty of Conſcience, ſo far as
it doth not interfere with the Intereſt
of the ſecular Government or affect
the peace and tranquillity of the Em-
pire, hath been at all times allowed
in Japan, as it is in moſt other coun-
tries of Aſia. Hence it is that fo-
reign religions were introduc’d with
eaſe and propagated with ſucceſs to
the great prejudice of that, which
was eſtabliſhd in the country from
remoteſt antiquity \&c.

Dieſe Proben werden hinreichen dem Leſer von meiner Manier in der Umarbeitung
der Kaͤmpferiſchen Handſchriften Begrif zu geben. Soviel wie moͤglich habe ich mich auf
die Worte meines Verfaſſers nicht verlaſſen, — und nie, ſchmeichle ich mir, bin ich ſeinem
Sin (wie er ſich nemlich aus allen drey Quellen ergab) untreu geworden.


Um
[XLVIII]Einleitung des Herausgebers.

Um auch noch von der franzoͤſiſchen Ueberſetzung Proben zu geben, wil ich die bei-
den zuletzt angefuͤhrten Stellen auch in dieſer herſetzen:


1) Aus Buch 1, Kap. 8.

Les Japonois ſe vantent de vivre ſous un clima heureux \& agréable.
Le tems y eſt neanmoins fort inconſtant \& ſujet à des frequens changemens;
l’hiver l’air eſt chargé de neige \& produit de grandes gelées; l’êté au contraire,
ſurtout durant les Jours caniculaires, il eſt d’une chaleur inſupportable. Il
pleut ſouvent pendant toute l’année, mais d’une maniere extraordinaire aux
mois de Juin \& de Juillet, qu’on appelle pour cette raiſon Satſuki ou les
Mois de l’Eau. Cependant il ſ’en faut bien, que la ſaiſon des pluyes, n’ait
au Japon cette regularité qu’on remarque dans les Contrées plus chaudes des
Indes Orientales \&c.

2) Aus Buch 3, Kap. 1.

La Liberté de Conſcience entant qu’elle ne deroge point aux interets
du Gouvernement civil \& ne trouble pas la paix \& la tranquillité de l’Etat,
a toujours été accordé dans le Japon, auſſi bien que dans la plupart des autres
Contrées de l’Aſie. De là vient, que les Religions etrangers ſ’y ſont intro-
duites avec tant de facilite, \& y ont fait de ſi grands progrés au préjudice
de l’ancienne religion, etablie dans le pays du temps immemorial. Depuis
un ſiecle il y a eu quatre Religions principales, \& qui ſe ſont diſtinguées pas
le nombre \&c. \&c.

Soviel von der Litteraͤrgeſchichte der Geſchichte und Beſchreibung von Japan
und meiner Art der Umarbeitung. Den Plan des Werks und meiner Zuſaͤtze gebe ich noch
unten an, wenn ich noch vorher von dem Schikſal der uͤbrigen Kaͤmpferiſchen Handſchrif-
ten geredet habe.


Dieſes war nicht ſo guͤnſtig wie das der japaniſchen Geſchichte. Dieſe ſo wich-
tige und mit ſo vielem Fleis, Muͤhe und Gefahr geſamlete Maſcpte liegen nun ſchon ſeit
ſechzig Jahren unter ſo vielen andern Schaͤtzen des Muſei Britannici verborgen. Zwar
hat Joͤcher ſchon vor geraumer Zeit unter den gedrukten Werken Kaͤmpfers, eine Be-
ſchreibung ſeiner Reiſen nach Moskau, Perſien und Oſtindien nebſt der Ruͤkreiſe
von Batavia nach Amſterdam
angefuͤhrt, die gleichfals J. C. Scheuchzer ins Engli-
ſche
[XLIX]Einleitung des Herausgebers.
ſche zu uͤberſetzen angefangen, und Cromwell Mortimer nach jenes Tode fortgeſezt haben
ſol. Er giebt auch ſehr zuverſichtlich das Jahr 1731 an, da ſie in London erſchienen waͤ-
ren. Dieſe Nachricht haben nachher mehrere Litteratoren Joͤchern auf Treu und Glauben
woͤrtlich nachgeſchrieben; Joͤcher ſelbſt aber hatte ſie wahrſcheinlich aus Niceron, deſſen
Werk ich jetzt nicht zur Hand habe und vergleichen kan. Der groͤſten Wahrſcheinlichkeit
nach aber iſt dieſes wichtige Kaͤmpferiſche Werk nie erſchienen. Nirgend habe ich eine Spur
von ſeiner Exiſtenz — und ſchon lange ſuch ich auf allen Straßen, wo dieſe Spur ſich fin-
den koͤnte — gefunden, die nicht, wie geſagt, mich ganz ſichtbar immer zu Joͤchern zu-
ruͤkgebracht haͤtte. Jn keinem Journal, deutſchen und auslaͤndiſchen, aus der angegebnen
Periode, finde ich dieſes Werks gedacht, und in litterariſchen Werken habe ich nie eine Er-
waͤhnung geleſen, die bewieſe, daß jemand das Buch vor Augen gehabt haͤtte. Vielmehr
reden alle Gelehrte — die Kaͤmpfern etwas mehr als von Hoͤrenſagen kennen, immer von
ſeiner Reiſebeſchreibung als von einem ungedrukten Werke. Jch wil nur einen der erſten
anfuͤhren, Hr. O. C. R. Buͤſching, der (S. woͤchentl. Nachrichten 1773, p. 239)
gleich anfangs, wie er die Nachricht erhielt, daß noch Kaͤmpferiſche Handſchriften vorhan-
den waͤren, wuͤnſchte: die wichtige Reiſebeſchreibung moͤchte unter denſelben ſeyn.
Und ſicher wuͤrde ein Mann, der die Litteratur ſeines Fachs ſo gut kent, es wiſſen, daß
dies Werk ſchon gedrukt waͤre.


Auch Hr. Planta fuͤhrt unter den noch ungedrukten Handſchriften Kaͤmpfers
dieſe Reiſebeſchreibung an.


Jch glaube alſo mit groͤſter Wahrſcheinlichkeit zu vermuthen, daß dieſe Reiſebe-
ſchreibung
noch bis jezt nicht gedrukt ſey, auch, meine ich, die Quellen entdekt zu haben,
aus der dieſe falſche Sage abgefloſſen ſeyn mag. Sloane wolte die Kaͤmpferiſche Rei-
ſebeſchreibung
gleichfals bekant| machen und durch Scheuchzer uͤberſetzen laſſen. Dieſer
mus auch wirklich die Arbeit angefangen haben und ein Cromwell Mortimer hat ſie nach
ſeinem Tode fortgeſezt. Dieſes wird im Journal des Sçavans, Anneé 1730 Novem-
bre, p.
418 angezeigt und zugleich gemeldet, daß das Werk auf Subſcription in zwei Fo-
liobaͤnden mit 50 Kupferſtichen im naͤchſten Winter erſcheinen werde. Wahrſcheinlich haben
Joͤcher oder Niceron und andre Litteratoren dieſe Anzeige vor Augen gehabt, und aus ihr
etwas zu voreilig die wirkliche Herausgabe der Kaͤmpferiſchen Reiſebeſchreibnng gefol-
gert. Das Jahr 1731 trift ſo genau zu, daß ich dieſe Vermuthung fuͤr die beſte Erklaͤrung
eines ſo falſchen Geruͤchts halten mus. Nichts koͤnte mir angenehmer ſeyn, als der Beweis,
daß meine Vermuthung falſch und Kaͤmpfers Reiſebeſchreibung in einer Scheuchzerſchen
und Mortimeriſchen Ueberſetzung vorhanden ſey. Die wichtigſten bisher noch ungenuzten
Bereicherungen fuͤr die Geographie und Geſchichte faſt aller aſiatiſchen Laͤnder waͤren ſicher
von dieſem Werke zu erwarten.


gAußer
[L]Einleitung des Herausgebers.

Außer dieſer wahrſcheinlich falſchen Sage von noch einem gedrukten Kaͤmpferiſchen
Werke hatte man bisher von allen hinterlaſſenen Handſchriften des ruhmwuͤrdigen Mannes
nur einen dunkeln Begrif, und die einzige zuverlaͤßige Nachricht war ſeine eigne ſchon oben
angefuͤhrte in der Vorrede zu den Amoenitatibus. Um doch wenigſtens die Titul von die-
ſen Handſchriften zu wiſſen, wandte ich mich an Hrn Planta, Aufſeher des Muſei Britan-
nici
in London, und fand an ihm einen eifrigen Freund der Litteratur, der mit der wilfaͤh-
rigſten Gefaͤlligkeit mir ein Verzeichnis der Kaͤmpferiſchen Manuſcripte mittheilte, die noch
jezt in der reichen brittiſchen Samlung auf behalten werden. Jch communicirte dieſes Ver-
zeichnis (wie ich es erhielt) ſeinem wichtigſten Theile nach Hrn O. C. R. Buͤſching,
der es dann (woͤchentl. Nachrichten 1775, p. 113 und f.) dem gelehrten Publikum be-
kant machte. Hr. Prof. Lichtenberg, der ſich damals in London auf hielt, war ſo guͤtig,
mir noch einige Zufaͤtze zu ſchicken, und nach ihnen kan ich alſo hier folgendes Verzeichnis
aller Kaͤmpferiſchen im Muſeo Britannico befindlichen Handſchriften vorlegen.


  • 1) Die Originalhandſchrift der Amoenitatum exoticarum in einem Foliobande.
    Hr. Buͤſching hat ſchon ganz richtig vermuthet, daß hier vielleicht noch mehr als in den
    fuͤnf gedrukten Faſcikeln und beſonders der ſechſte vorhanden ſeyn moͤchte, den Kaͤmpfer
    wegen der dazu gehoͤrenden Zeichnungen, fuͤr die er keinen guten Kupferſtecher hatte, nicht
    mittheilen konte.
  • 2) Perſiae Deſcriptio auf groß perſiſches Papier in einem Foliobande.
  • 3) Ein großer Folioband enthaͤlt folgende Stuͤcke, von Kaͤmpfer geſchrieben:
    • a) Iter Regis Abbas ad Koraſani Meſced cum diſtantiis locorum.
    • b) Apographon Litterarum Joannis Melman de rebus Tartarorum.
    • c) Excerpta ex Itinere Jenkinſonii.
    • d) Relationes variae de rebus Tartarorum.
    • e) Excerpta ex Diario Autoris Oct. 18. 1683 circa Foſſam Scyticam.
    • f) Res Moſcoviticae.
    • g) Obſervata varia miſcellanea de rebus Perſicis.
    • h) De hortis in et circa Iſpahanum.
    • i) Memoria inquirendorum in Perſia ſimplicium.
    • k) Diarium Itineris ad Okeſram, Mediae Peninſulam, ſuſcepti 1684.
    • Eine leicht anzuſtellende Vergleichung muͤſte zeigen, ob dieſes Tagebuch noch von
      der
      [LI]Einleitung des Herausgebers.
      der Relatione 2 de Okeſra, penincula Mediae im Faſc. 2 der Amoenit. exot.
      p. 262 \&c.
      verſchieden ſey?
    • l) Monumenta Campi Perſepolitani.
    • Auch dieſer Aufſaz muͤſte mit der Relat. 4 im Faſc. 2 der Amoenit. die eben
      den Titel fuͤhrt, verglichen werden.
    • m) Collectanea de Palma.
    • Dieſe ſind ohne Zweifel nun ſchon im vierten Faſcikel der Amoenit. von Kaͤm-
      pfern
      ſelbſt voͤllig verarbeitet.
  • 4) Iter Autoris ex Perſia in India ſuſceptum An. 1688.
  • Excerpta ex Abrahami Rogerii verborgen Heydenthom.
  • Notitiae Malabaricae.
  • Excerpta ex Lit. D. Jageri Batav: 1687, 25 Nov. — de Rebus Indicis.
  • Excerpta ex Lit. Ejuſd. ad G. E. Rumphium.
  • Inſtructions de la Compagnie des Indes Orientales au Gouverneur Ge-
    neral \& au Conſeil de Batavia.
  • Alphabeta \& Notitiae Siamicae.
  • Plantae in Inſula Edamo repertae.
  • Plantae ad Oſtium Siamenſe repertae.
  • Plantae Horti Dni. Directoris Generalis \& aliorum.
  • Excerpta ex diario Firandi in Japonia annis 1633 \& 1639.
  • Dieſe Excerpte ſind ohne Zweifel aus den Reiſejournals der hollaͤndiſchen Geſand-
    ten gemacht, und waͤren vorzuͤglich wichtig, weil gerade in die angezeigten Jahre die in-
    tereſſante Periode der Vertreibung der Portugieſen und Ausrottung des Chriſtenthums und
    Einrichtung des jetzigen hollaͤndiſchen Handels in Japan faͤlt.
  • De Moxa.
  • Dieſer Aufſaz iſt wiederum vermuthlich ſchon in dem Faſc. 3 der Amoenit.
    p.
    589 ꝛc. gedrukt.
  • Excerpta ex Epiſtolis Japonicis.
  • Miſcellanea de rebus Japonicis.

g 2Vor
[LII]Einleitung des Herausgebers.
  • Vor dieſem Bande befindet ſich eine Abbildung der wunderbaren Moſkowiti-
    ſchen Hand.
  • 5) Iter ad Bugum provinciae Laar in Junio 1686, una cum excurſu
    ad pagum Meiman \& reditu ad urbem Gamron.
  • Excurſus ad Disguum, Majo 1688.
  • 6) Excurſus Iſpahano ad Thermas Regis Abaſſi Junio 1684.
  • Sultani Ekberts in Iſpahanum introitus Januar 1688.
  • Excerpta ex diario Annorum 1684, 85, 86.
  • Iter Iſpahano Gamronum, Nov. 1685.
  • Excerpta ex Diario Joannis Cunaei a Direct. Generali ablegati ad Re-
    gem Perſiae an.
    1651.
  • Diarium Itineris Huberti de Laires in Perſiam 1666.
  • 7) Delineationes Plantarum Japonicarum manu Kaempferi.
  • Vermuthlich finden ſich unter dieſen noch mehrere, als ſchon dem Catalogo plan-
    tarum Japonicarum
    im Faſciculo quinto der Amoenitatum beigefuͤgt ſind.
  • 8) Deſcriptio Plantarum Japonicarum \& earundem Characteres Ja-
    ponici.
  • Auch dieſe waͤre mit dem eben erwaͤhnten fuͤnften Faſcikel der Amoenit. zu ver-
    gleichen.
  • Index in delineationem \& deſcriptionem contextus a J. C. Scheuchzer.
  • Deſcriptioni praefixae Icones aliquot Plantarum perſicarum.
  • 9) Engelb. Kaempferi Batavia Amſtelodamum reditus.
  • 10) Plantarum Perſicarum rudis tam delineatio quam deſcriptio Eng.
    Kaempferi, Iſpahani
    1685, auf perſiſchem Papier.
  • 11) Deſcriptio \& Delineatio plantarum Perſicarum circa Omruſium \&
    Gamronum, ab eod. Annis
    1687, 88. auf perſiſchem Papier.
  • Deſeriptio Torpedinis.
  • Jſt wahrſcheinlich eben die, welche ſich ſchon in dem Faſc. 3 der Amoenitatum
    p. 509 \&c.
    befindet.

  • 12) Lexicon Linguae Perſicae.
    nes, manu \& ſtudio Eng. Kaempferi.

  • Item grammaticae aliquot obſervatio-
    Charta Perſica.

13) No-
[LIII]Einleitung des Herausgebers.
  • 13) Notitiae Perſicae \& Miſcellanea varia ad Hiſtoriam Perſarum natu-
    ralem \& politicam ſpectantia.
  • Plantarum, materialium \& compoſitorum medicinalium catalogus,
    Arabico ‒ Perſico ‒ Turcico ‒ Latinus.
  • Excerpta ex tractatu Equitis Chardinii de Coronatione Regis Soly-
    manni tertii \& ex Ejuſd. Itinere Perſico.
  • 14) Diarium Itineris Kaempferi Batavia Siamum indeque Japoniam.
  • Dieſes Tagebuch verdiente mit dem erſten und dritten Kapiel des erſten Buchs
    der Geſchichte von Japan,
    welche eben dieſe Reiſe beſchreiben, verglichen zu werden.
  • 15) Miſcellanea varia ad Siamenſium Hiſtoriam naturalem \& Politi-
    cam ſpectantia.
  • 16) Inſcriptio laminae Martis a collo geſtatae ab Arabe penes Abi-
    cheora.
  • Miſcellanea Perſicae Hiſtoriae Politicae \& Naturalis.
  • Iter Engelberti Kaempferi Aſtracano per Mare Caſpium in Perſiam cum
    Relatione rerum Iſpahani tranſactarum.
  • Iter Ejuſd. ad Aulam Moſcoviticam indeque Aſtracanum. Ao. 1683.
  • 17) Several Mſſ. Writings of Dr. Kaempfer relating to the Perſian Lan-
    guage.
  • 18) Drawings of Perſian Habits, Animals and Some Towns.
  • 19) Delineatio Moſcoae, Oſcae, Wolgae Fluminum; It. Maris Ca-
    ſpii Littorum.
  • 20) Original Drawings of Dr. Engelb. Kaempfer Drawn by himſelfand
    corrected in his travels through Muſcovy, Perſia and the Eaſtindies.
  • Dieſes ſind ohne Zweifel die Zeichnungen, welche Kaͤmpfer ſeiner Reiſebeſchrei-
    bung beſtimt hatte.
  • 21) Medicinalia Javanenſia, excerpta ex horto Malabarico, manu
    Kaempferi.
  • Dies iſt das Verzeichnis, welches Hr. Planta im Merz 1775 die Guͤte hatte mir
    mitzutheilen; Hr. Lichtenberg beſchenkte mich bald nachher noch mit folgender Nachleſe.
  • 22) A chronological Table of the Japaneſe Emperors.

g 3Jſt
[LIV]Einleitung des Herausgebers.
  • Jſt vermuthlich entweder die Grundlage des zweiten Buchs dieſes Werks, oder
    auch nur das Verzeichnis der japaniſchen geiſtlichen Erbkaiſer, welches man auf der 61ſten
    Kupfertafel findet.
  • 23) Oſaccomonogattarri, d. i. ein Diſcurs uͤber die Begebenheiten von Oſacca
    Ein japaniſcher Tractat, den Kaͤmpfer uͤberſezt hat. (Vermuthlich ins Lateiniſche?)
    Scheuchzer meldet auch in ſeiner Introduction p. 48 davon, daß es ein weitlaͤuftiger Be-
    richt ſey von den innern Kriegen, welche in Japan nach dem Hintrit des Taikoſama,
    zwiſchen den Staatsraͤthen, die dieſer Monarch beſtelt hatte, und dem Ongoſchioſama, den
    er zum Vormund des Fide Jori ſeines einzigen Sohns und Erbens ernant hatte, ausbra-
    chen, und den Begebenheiten, welche auf dieſelben folgten.
  • 24) Extracta ex libello Japonico: Djunre no Jeng.
  • 25) The war of Arima, being the extract of a Japaneſe Treatiſe Si-
    maboraki
    , i. e. conflictus ſimabaricus.
  • Scheuchzer, der auch dieſes Werks erwaͤhnt (ſ. l. c.) ſagt, daß er Kaͤmpfer
    ganz uͤberſezt habe. Der Jnhalt deſſelben iſt die Rebellion der Chriſten zu Arima, die ſich
    37000 an der Zahl in das Schlos an dem Meerbuſen von Simabara fluͤchteten; die Be-
    lagerung und Uebergabe dieſes Schloſſes; die unvergleichbare Niedermetzelung der Belager-
    ten, und die gaͤnzliche Ausrottung der chriſtlichen Religion in Japan. Von gleichem Jn-
    halt iſt
  • 26) Of the Rebellion of the Chriſtians at Arima.
  • 27) Collectanea varia de Regno Siam.
  • 28) Journey from Nagaſacki to Jedo in 1669.
  • Wahrſcheinlich auch das Reiſebuch eines hollaͤndiſchen Geſandtens.
  • 29) Calendarium Japonicum ad annum 1688.
  • 30) Journey to court (vermuthlich auch den japaniſchen) in 84, 85, 86.
  • 31) Some Remarks relating to the Dutch Commerce.
  • 32) Loci communes containing miſcellaneous obſervations relating to
    the Empire of Japan.
  • 33) Collectaneorum Japonicorum Lib. 1 \& 2, containing many curious
    remarks and obſervations relating to the Japaneſe Empire, extractt of Japaneſe
    books \&c.

4) a Vo-
[LV]Einleitung des Herausgebers.
  • 34) a Vocabulary Japaneſe \& high german; the Japaneſe words being
    expreſſed in latin characters.
  • 35) Adverſaria, notitiae diverſae, Epiſtolae ab Engelb. Kaempfero pro
    ſe \& aliis exaratae.
  • 36) Epiſtolae aliquot Rev. P. Du Mans Capucini ad Engelb. Kaempfe-
    rum cum quibusdam ipſius (Kaempferi) ad alios litteris in India ſcriptis.
  • Dieſe leztren Briefe ſind ohne Zweifel diejenigen, welche Kaͤmpfer dem ſechſten
    Faſcikel der Amoenitatum exot. beſtimte, aber, weil er keinen guten Kupferſtecher fuͤr die
    dabey befindlichen Zeichnungen finden konte, nicht lieferte.

Und nun wird nicht ſchon dieſes lange Titelregiſter jedem Kenner der Menſchheits-
und Naturgeſchichte, der Geographie und der Sprachkunde ſehr reizend ſeyn, und wird es
ihm nicht den |Wunſch entlocken, daß dieſe vortreflichen Nachrichten doch nicht auf immer
vergraben bleiben moͤchten? — Dieſer Wunſch kan erfuͤlt werden, wenn das Publi-
kum nur wil.
Das brittiſche Muſeum ſucht keine Chre darin, Schaͤtze zu beſitzen, deren
Werth niemand kent, und ſeine gelehrten und erleuchteten Aufſeher ſind weit erhaben uͤber
die gewoͤhnliche Eitelkeit der gemeinen Koͤpfe unter ihren Collegen, die mit eiferſuͤchtigem
Neide — gleich den Verſchnittenen der Harams des Orients — ihre Handſchriften vor dem
Genus
bewahren. Hr. Planta — deſſen zuvorkommende Gefaͤlligkeit in dieſer ganzen
Angelegenheit ich nicht dankbar genug ruͤhmen kan — hat mich in den Stand geſezt, dem
deutſchen Publikum die beſten und genaueſten Kopien der Handſchriften ſo wie der
Zeichnungen
zu verſprechen, — ſobald nur das Publikum mit Ernſt erklaͤrt hat, daß es
die Originalwerke eines der ſchaͤtzbarſten Deutſchen nicht moͤchte vermodern laſſen. Und die
Verlagshandlung dieſes Werks erbietet ſich, die ſaͤmtlichen Kaͤmpferiſchen Werke aus
den Handſchriften des
Muſei Britannicigedrukt zu liefern, ſobald ſie nur weis —
daß ſie es ohne Schaden thun koͤnne.


Die wichtigſten unter dieſen Handſchriften ſind ohne Zweifel die Beſchreibung
von Perſien, das perſiſche und japaniſche Lexicon, die Nachrichten von Siam
und den uͤbrigen Theilen Jndiens
— und vorzuͤglich die Reiſcheſchreibung, die, wie
man ſchon bemerkt haben wird, ganz volſtaͤndig durch Rusland, Perſien, Jndien, Japan
und hernach wieder nach Holland zuruͤk, — vorhanden iſt.


Die Aufſaͤtze, welche von andern herruͤhren und von Kaͤmpfer nur copirt ſind, ſo
wie auch andre (dem Titel nach zu urtheilen) mindrer Wichtigkeit koͤnten vors erſte noch zu-
ruͤkbleiben.


Um
[LVI]Einleitung des Herausgebers.

Um uͤberhaupt nur zu verſuchen, ob dies Unternehmen ſich wohl hinreichende Un-
terſtuͤtzungen verſprechen duͤrfe? frag ich hiermit an, ob ich Hrn Planta und die uͤbrigen
gelehrten Aufſeher des Muſei Britannici erſuchen ſol, mir Jhrem guͤtigen Verſprechen ge-
maͤs Abſchriften zu beſorgen, nur vors erſte


  • 1) Von allen denjenigen Aufſaͤtzen, welche Japan angehn, welches, be-
    greift
    man wohl, das Werk, das ich hier dem Leſer vorlege, noch weit volſtaͤndiger ma-
    chen wuͤrde.
  • 2) Von allen Papieren und Zeichnungen, welche die Kaͤmpferiſche Reiſe-
    beſchreibung einſchließen.

Wer die Bekantmachung dieſer ſo wichtigen Werke wuͤnſcht, beliebe nur bey der
Verlagshandlung oder bey mir ſich als einen ſichern zuverlaͤßigen kuͤnftigen Kaͤufer dieſer
Werke anzugeben. Sobald die Zahl derſelben groß genug iſt, ſol ein Verzeichnis dieſer
ehrenvollen Befoͤrderer eines ſo wichtigen litterariſchen Unternehmens gedrukt werden,
ich werde mich alsdann auch noch genauer nach der Groͤße und Beſchaffenheit der Handſchriften
und Zeichnungen erkundigen; mit Zuziehung des Verlegers einen Koſtenanſchlag machen,
und ſobald ich dazu in Stand geſezt werde, oͤffentlich anzeigen, ob die Hofnung die Kaͤm-
pferiſchen Werke
zu erhalten zur Gewisheit erhoben oder vernichtet ſey? *) — Der vorge-
ſchlagne Weg, denk ich, iſt der beſte, dieſe Frage zuverlaͤßig beantwortet zu erhalten. Daß
der kuͤnftige Preis dieſer Werke mit gewiſſenhafteſter Billigkeit beſtimt und die erſten Be-
foͤrderer erhebliche Vortheile genießen werden, — verſteht ſich von ſelbſt.


III.


Jch kehre nun noch einmal zu der Geſchichte und Beſchreibung von Japan zu-
ruͤk,
von deren Jnhalt, ſo wie von dem, was ich ihr beizufuͤgen gedenke, ich jezt dem Leſer
noch Rechenſchaft zu geben habe.


Kaͤmpfer hat den reichen Jnhalt ſeines Werks in fuͤnf Buͤcher geordnet. Das
erſte enthaͤlt außer der Beſchreibung der Reiſe von Batavia nach Siam und von da nach
Japan Nachrichten von den damals noch ganz neuen intereſſanten Begebenheiten in Siam
und von der politiſchen und religioͤſen Verfaſſung dieſes Reichs. Ueber die Erheblichkeit
dieſer
[LVII]Einleitung des Herausgebers.
dieſer Nachrichten habe ich mich ſchon oben erklaͤrt; meine Anmerkungen zu dieſen Nach-
richten enthalten meiſtens Vergleichungen mit den franzoͤſiſchen Schriftſtellern, die wenige
Jahre vor K. in Siam waren.


Die Beſchreibung von Japan faͤngt Kaͤmpfer im vierten und fuͤnften Kapi-
tel
mit einer Geographie dieſes Reichs an, der man es anſehn wird, daß ſie auſſeror-
dentlich genau und volſtaͤndig iſt. An ihrer Zuverlaͤſſigkeit kan man auch wol nicht zweiflen,
da Kaͤmpfer hier einer japaniſchen Geographie, Sitzi Joſſu, die noch jetzt im Muſeo
Britannico
verwahrt wird, gefolgt iſt. Zur Erlaͤuterung dieſer Beſchreibung dient die bei-
gefuͤgte Charte.


Nach der Beſchreibung des Landes ſtelt Kaͤmpfer (Kap. VI) Unterſuchungen
uͤber den Urſprung ſeiner Bewohner an. Er hemuͤht ſich der Marſchroute nachzuſpuͤren,
welche die erſten Japaner vom babyloniſchen Thurm bis zu dem Meere, das ihre Jnſeln
vom feſten Lande Aſiens trent, genommen haben moͤchten. Dieſe Bemuͤhung wird frei-
lich in unſern Zeiten — da man es nicht mehr durchaus nothwendig haͤlt zu glauben, daß
alle Vorfahren des ganzen jetzigen Menſchengeſchlechts, zum Thurm von Babel Kalch ge-
tragen haben — nicht leicht jemand mehr uͤberzeugen. Aber man erinnere ſich an das
Jahrhundert unſers Verfaſſers, und wenn man ihn geleſen, wird man ihm die Gerechtig-
keit wiederfahren laſſen muͤſſen, daß er ſeine Behauptung ſcharfſinnig durchgefuͤhrt und durch
viele eingeſtreuete angenehme und richtige Bemerkungen noch immer leſenswuͤrdig gemacht
habe. Und dann iſt Kaͤmpfer ſo beſcheiden — was ſicher nicht alle Erfinder von Hypo-
theſen ſind — ſeine Vermuthungen nur fuͤr — Vermuthungen auszugeben. Ein Be-
weis ſeines Scharfſins wie ſeiner Gelehrſamkeit iſt es, daß er die Verwandſchaft und Aehn-
lichkeit der Sprachen fuͤr das ſicherſte und untruͤglichſte Mittel haͤlt, der Verwandſchaft und
dem Urſprunge der Nationen nachzuſpuͤren. So viel ich weis, hatte dieſe Jdee vor Kaͤm-
pfern
noch niemand gegeben, wenigſtens nicht angewandt. Daß Kaͤmpfer in derſelben
mit Leibnitz, der ſie in den Miſcellaneis Berolinenſibus T. 1. p. 1. \&c. aͤußerte, zuſam-
mentraf, macht ihm allerdings Ehre, indes zweifl ich, ob er ſie von ihm entlehnt habe, da
er ſie vermuthlich ſchon auf ſeinen Reiſen faßte. Und ſo haͤtte Kaͤmpfer das Verdienſt, hier
zuerſt einen Weg bemerkt zu haben, auf dem nachher mehrere Gelehrte mit ſo vielem Vor-
theil fuͤr die Geſchichtskunde fortgegangen ſind.


hNach
[LVIII]Einleitung des Herausgebers.

Nach feiner eignen Meinung ſetzt Kaͤmpfer (Kap. VII) die Behauptungen der
Japaner von ihrem Urſprunge und die aͤltere fabelhafte Geſchichte dieſer Nation
aus einander.


Der uͤbrige Theil des erſten Buchs enthaͤlt eine Naturgeſchichte von Japan. Man
wird Kaͤmpfers Beſchreibungen der natuͤrlichen Produkte gewis fuͤr genauer und richtiger
erkennen, als ſie zu ſeiner Zeit gewoͤhnlich waren. Sie werden durch die beigefuͤgten Ab-
bildungen erlaͤutert.


Das zweite Buch enthaͤlt die politiſche Verfaſſung und Geſchichte von Japan,
die Kaͤmpfer gleichfals ganz aus japaniſchen Annalen excerpirte, deren Geiſt und Ton
man auch noch in ſeinem Auszuge nicht vermiſſen wird. Deguignes hat in ſeinem be-
kanten Werke eine japaniſche Chronik (und dies iſt die einzige, die ſich in der koͤnigl. fran-
zoͤſiſchen Bibliothek befindet) excerpirt. Dieſe Nachrichten und die Kaͤmpferiſchen enthal-
ten alſo Alles, was man uͤber die japaniſche Geſchichte (oder vielmehr nur die Chronologie
und Kaiſerfolge) bisher zuverlaͤßiges in Europa weis. Um dies nun an einem Orte bei-
ſammen zu finden, habe ich mit meines Verfaſſers Nachrichten, die des Deguignes, und (wo
es noͤthig) auch der beſten ſineſiſchen Geſchichtsforſcher, als Martinius, Kircher, Cou-
plet
u. a. verglichen, und ihre Varianten fleißig angemerkt. Freilich betreffen dieſe Va-
rianten meiſtens nur Zahlen und Namen; und mancher Leſer wird vermuthlich den Kaͤm-
pferiſchen Text ſo wie meine Anmerkungen ſehr duͤrr und wenig unterhaltend finden. Sie
ſind auch in der That nicht zur Unterhaltung geſchrieben, und ich geſtehe, daß dieſer Theil
der Arbeit fuͤr mich ſelbſt nicht der angenehmſte geweſen iſt. Aber ich hoffe, der gelehrte
Geſchichtsforſcher wird es mir verdanken, daß ich ihm weitere Vergleichungen erſpart und
ihm Alles, was man uͤber die japaniſche Geſchichte zuverlaͤßig wiſſen kan, auf einigen
Bogen hier vorlege.


Das dritte Buch enthaͤlt die Religionsverfaſſung und Nachrichten von den ver-
chiednen religioͤſen und philoſophiſchen Sekten in Japan.


Dies Buch wird dem philoſophiſchen Freunde der Geſchichte beſonders intereſ-
ſant ſeyn. Es enthaͤlt die volſtaͤndigſten und deutlichſten Beſchreibungen von den religioͤſen
Handlungen, Feſten u. ſ. w. ſo wie die genaueſten Nachrichten von den religioͤſen Meinun-
gen der verſchiednen Religionspartheyen in Japan, wobey allemal aufs genaueſte unter-
ſchieden iſt, was von jeder beſondern Parthey gilt. Ueberhaupt wird man hier vorzuͤglich
die
[LIX]Einleitung des Herausgebers.
die Beſtimtheit und bis zu Kleinigkeiten ſich herablaſſende Deutlichkeit des Verfaſſers
bewundern.


Eben ſo intereſſant iſt das vierte Buch, welches zuerſt eine ſehr genaue Beſchrei-
bung von Nangaſacki liefert, dem einzigen Ort, wo ſeit Vertreibung der Portugieſen
die Fremden d. h. die Hollaͤnder und Sineſer ſich einſperren laſſen muͤſſen, und den alſo
auch Kaͤmpfer am genaueſten kennen lernte. Dieſe Beſchreibung giebt beſonders gute
Begriffe von den innern politiſchen Einrichtungen des Landes uͤberhaupt.


Hierauf (im fuͤnften Kapitel) folgen Nachrichten von dem ehemaligen Handel und
der Vertreibung der Portugieſen und Spanier aus Japan; und dann noch volſtaͤndiger
die Einrichtung des Handels der Hollaͤnder in Japan. Hier wird man die intereſſanteſten
ſtatiſtiſchen Nachrichten (und zwar in beſtimten Zahlen und Angaben) finden, die auch noch
immer die neueſten ſind, da ſeit Kaͤmpfern d. i. ſeit 1692 kein ihm aͤhnlicher Forſcher
nach Japan gekommen iſt, oder wenigſtens ſeine Berichte nur im Archiv der hollaͤndi-
ſchen oſtindiſchen Compagnie
niedergelegt hat. Dieſe beruͤhmte Geſelſchaft koͤnte hier
allein ſehr erhebliche Supplemente liefern; — aber ich zweifle ſehr, daß ſie ſich dazu ent-
ſchließen werde, wenn ſie gleich von einer genauern Kentnis ihres japaniſchen Handels we-
nig zu befuͤrchten haben moͤchte; — da die Konkurrenz der Nebenbuhler, ſo lange Japan
geſchloſſen bleibt, immer abgeſchnitten bleiben wird.


Nachrichten vom ſineſiſchen Handel nach Japan beſchließen das
vierte Buch.


Das fuͤnfte enthaͤlt die Beſchreibung der beiden Reiſen des Verfaſſers von
Nangaſacki nach dem japaniſchen Hofe und Reſidenz Jedo.
Dieſe iſt vol von ver-
miſchten wichtigen Bemerkungen uͤber Japan, ſeine Menſchen, mancherlei Einrichtungen,
den kaiſerlichen Hof, die Stadt Jedo u. ſ. w.


Dieſen fuͤnf Buͤchern wil ich noch (dem von verſchiednen Kennern geaͤuſſerten
Wunſch gemaͤs) die Japan betreffende Abhandlungen der Amoenitatum exoticarum
aus dem Lateiniſchen uͤberſetzt zuſetzen, und ihnen die dazu gehoͤrigen Kupfer beifuͤgen. Die
wichtigſten darunter ſind die Geſchichte des Thees, Beſchreibungen andrer japaniſchen
Pflanzen und eine politiſche Abhandlung uͤber die gaͤnzliche Verſchließung des japaniſchen
Reichs fuͤr alle Fremden, die nicht Hollaͤnder und Sineſer ſind.


h 2Wenn
[LX]Einleitung des Herausgebers.

Wenn ich mich von den Pflichten des Herausgebers werde entledigt haben, ſo denk
ich auch noch die des Berichtigers und Erweiterers des Kaͤmpferiſchen Werks zu erfuͤllen.
Dies war gleich anfangs, wie ich den Gedanken dieſer Arbeit faßte, mein Vorſaz, und er
iſt es auch noch jezt. Seine Ausfuͤhrung habe ich nun feſter und beſtimter entworfen, nach-
dem ich ſo gluͤklich geweſen bin, nicht nur die Beiſtimmung ſondern auch den Rath mehrerer
Kenner zu erhalten. Unter den oͤffentlichen Erinnerungen — die mir zu Geſicht gekom-
men — gehn beſonders die in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen Jahr 1774, p. 726
geaͤußerten tief und innig in meinen Plan ein. Beſonders hat mich dieſer vortrefliche Gelehrte
auf den Unterſchied zwiſchen ſyſtematiſcher Encyklopaͤdie und kritiſchem Magazin — den
ich mir vorher nicht ſo lebhaft dachte — aufmerkſam gemacht. Die genauern Unterſu-
chungen, zu denen er mich veranlaſt hat, haben mich gelehrt, daß die Schwierigkeiten, ein
Syſtem in einer Geſchichte aufzufuͤhren, wo tauſend Luͤcken und Maͤngel tauglicher Materia-
lien ſich finden, nicht uͤberwindlich ſind. Ein genaues, volſtaͤndiges und (ſoviel moͤglich)
kritiſches Magazin oder Enumeration aller unſrer Kentniſſe von Japan, — iſt Alles, was
die gelehrte Welt von dieſem ſo wie von allen andern Laͤndern Aſiens erwarten und wuͤnſchen
kan. Auf dieſes beſchraͤnke ich mich alſo — und ich glaube ein nuͤzliches Werk gethan zu
haben, wenn ich dieſes meinem Jdeal gemaͤs ausfuͤhre.


Die beſondern Theile dieſes Magazins werden folgende ſeyn:


  • 1) Ein Catalogue raiſonné aller Reiſebeſchreiber andrer Schriſtſteller uͤber Ja-
    pan
    vom Marko Polo an bis auf Georgi, der neuerlich ſehr unerwartet ganz friſche ja-
    paniſche Neuigkeiten gegeben hat. Jch werde mich bemuͤhn, hier ſoviel moͤglich den Werth
    und die Glaubwuͤrdigkeit eines jeden Schriftſtellers feſtzuſetzen, das ihm Eigenthuͤmliche aus-
    zeichnen, und den Fortſchrit unſrer Kentniſſe von Japan anſchaulich machen.
  • Die Kaͤmpferiſche Beſchreibung iſt ohne Zweifel die genaueſte und zuverlaͤßigſte
    von Japan. Aber ſie iſt bey weitem nicht volſtaͤndig; ſie enthaͤlt nicht Alles, was der Ge-
    ſchichtsforſcher uͤber Japan zu wiſſen wuͤnſchen moͤchte, und auch nicht Alles was man wiſ-
    ſen kan. Es war Kaͤmpfers Vorſaz auf neue Entdeckungen auszugehn, und in ſeine Be-
    ſchreibung nichts aufzunehmen, als was er ſelbſt als glaubwuͤrdiger Zeuge erzaͤhlen konte.
    Jch werde daher aus allen andern vorhandenen Nachrichten meines Schriftſtellers Luͤcken er-
    gaͤnzen, und eine Art von Kommentar zu ſeinem Werke liefern; und dabey auch meiſtens
    die Ordnung deſſelben beibehalten. Es folgt alſo
  • 2) Eine Nachleſe zu der Kaͤmpferiſchen Geographie von Japan, die ich ſo vol-
    ſtaͤndig zu machen ſuchen werde, als es meine Quellen erlauben. Eben dieſes gilt

3) Von
[LXI]Einleitung des Herausgebers.
  • 3) Von der Kaͤmpferiſchen Naturgeſchichte von Japan, wo ich aber (wie ich ſchon
    voraus ſehe) die duͤrftigſten Beitraͤge werde liefern koͤnnen.
  • 4) Fuͤr die politiſche Geſchichte habe ich ſchon beinahe alles in meinen Anmer-
    kungen zum zweiten Buche gethan, was hier die vorhandne Huͤlfsmittel zu thun erlaubten.
    Noch einige kritiſche Unterſuchungen uͤber die aͤltern Traditionen, die Glaubwuͤrdigkeit des
    Annaliſten, und der ganzen Geſchichte des oͤſtlichen Aſiens ſo wie uͤber das, was bisher
    vor, vom und nach Deguignes uͤber dieſe Dinge geſagt iſt, bleiben mir hier uͤbrig.
  • 5) Hierauf folgt eine reichere Nachleſe zu der Kaͤmpferiſchen Statiſtik von Ja-
    pan,
    an die ich die Geſchichte der fremden Nationen und ihres Handels in Japan, Si-
    neſer, Spanier, Portugieſen, Englaͤnder,
    und beſonders Hollaͤnder knuͤpfen werde.
  • 6) Eben ſo intereſſant (der Materie nach) aber auch vorzuͤglich mehrern Schwie-
    rigkeiten unterworfen werden meine Nachtraͤge und Unterſuchungen uͤber die verſchiednen und
    noch mit ſo manchen Dunkelheiten umhuͤlten Religionsſyſteme von Japan ſeyn.
  • Jch werde ſie in eben der Ordnung wie Kaͤmpfer zuerſt die Sinto, dann die
    Budsdo und die mehr philoſophiſchen als religioͤſen Sekten des Konfutius u. a. folgen
    laſſen. Den Beſchlus dieſes Reichs wird die von Kaͤmpfern nur kurz beruͤhrte Geſchichte
    des
    Chriſtenthums in Japan ſeyn. Dieſe Religion hat hier ohne Zweifel ungemein in-
    tereſſante Begebenheiten hervorgebracht, die beſonders den Charakter der Nation in ſchoͤner
    Entwickelung zeigen. Aber dieſe Geſchichte hat hier ihre eignen Schwierigkeiten, — ob-
    gleich der Jeſuit Charlevoix ſchon ſo wortreich uͤber ſie geſchrieben hat. Aber wenn ich
    den Wunderwerken des heil. Xaverius nicht auf das Zeugnis der ehrwuͤrdigen Vaͤter der
    erloſchenen Geſelſchaft Jeſu glaube; ſo darf ich doch auch nicht Alles fuͤr Wahrheit an-
    nehmen, was hollaͤndiſche und proteſtantiſche Schriftſteller von den Portugieſen in Japan
    erzaͤhlen. Und ſo entſteht eine ſehr unbequeme Lage des Geſchichtſchreibers, der von zuver-
    laͤßigen hiſtoriſchen Materialien verlaſſen, immer nur partheiiſche, widerſprechende Zeugen
    confrontiren, und ſich einem gewiſſen hiſtoriſchen Gefuͤhl und ſeinen pſychologiſchen Einſich-
    ten allein anvertrauen mus, um den wahren Gang der Begebenheiten, die Triebfedern der
    Handelnden u. ſ. w. zu dechiffriren.
  • 7) Endlich folgen noch Nachrichten uͤber Geſezgebung, Nationalcharakter, Wiſ-
    ſenſchaften, Sprache, Schriftarten, Kuͤnſte, Manufakturen, Gewerbe u. ſ. w. kurz uͤber
    die ganze Bildung der Menſchheit auf Japans Eylanden; — ſo gut ſich alle dieſe intereſſante
    Kentniſſe aus den vorhandnen Huͤlfsmitteln wollen herausklauben laſſen.

h 3Nach
[LXII]Einleitung des Herausgebers.

Nach dieſem Plan denk ich ein Magazin zu liefern, das alle unſre bisherigen
Kentniſſe von Japan einſchließt, das auch ihren Werth beſtimt und ſie ſyſtematiſch ordnet,
das alſo alle andre Werke wenigſtens den Dilettanten entbehrlich machen, und dem auch der
Kenner kuͤnftig ſeine Zuſaͤtze und Beytraͤge beilegen wuͤrde.


Jch habe ſchon viel zu dieſem Werke geſamlet, geordnet und gedacht; ich werde
ihm auch kuͤnftig die meiſten der Stunden widmen, die ich von Arbeiten, — welche mir
noch naͤher liegen — uͤbrig habe. Aber die Natur des Werks ſelbſt wird es ſchon jedem
Kenner begreiflich machen, daß ich jezt noch nicht die Meſſe angeben koͤnne, in der es er-
ſcheinen wird.


Jeder Rath und Belehrung fuͤr die Ausfuͤhrung meines Plans wird mir wilkom-
men ſeyn, und eben ſo dankbar werde ich alle Beitraͤge oder Fingerzeige auf verborgnere
Quellen annehmen, aus denen ich meinem Werke mehrere Volſtaͤndigkeit geben koͤnte. Be-
ſonders waͤren mir aͤltere und kleinere Schriften der Portugieſen und Jeſuiten, auch eben ſo
manche hollaͤndiſche in groͤßere Samlungen nicht ſchon eingeruͤkte Berichte, und vorzuͤglich
gute Nachrichten von dem Zuſtande der hollaͤndiſchen Handlung nach Japan in der
neuern Periode (d. i. von 1692 bis 1777.) Jch darf es mir erlauben, alle Beſitzer ſolcher
Nachrichten um die Communikation derſelben zu erſuchen, — da ich dieſe Bitte nicht ſowohl
fuͤr mich als fuͤr die Wiſſenſchaft und das Publikum thue.



Vorrede
[[LXIII]]
[figure]

Vorrede
des Verfaſſers
.


Noch wurde Deutſchland von dem allerchriſtlichſten und unchriſtlichſten
Feinde zugleich beunruhigt; als die ſchwediſche Geſandſchaft, bey der
ich in Dienſten ſtand, am perſiſchen Hofe ihren Abſchied bekam. Jch fand
es daher rathſamer noch eine fernere Reiſe zu unternehmen, und mich lieber freiwilliger
Unruhe auszuſetzen, als mich meinem Vaterlande zu naͤhern, und mich ſeinem
algemeinen Uebel und vom Feinde erzwungnen Kriegsbedingungen zu unterwer-
fen. Jch nahm alſo von unſrer Geſandſchaft (die mir die Ehre erwies, mich noch
eine Meile außerhalb der Stadt *) zu begleiten) Abſchied, mit dem Vorſatz
noch einige Jahre auf die Reiſe durch die Laͤnder des entferntern Aſiens und die
Kentnis noch mehrerer Voͤlker und Hoͤfe zu wenden. Und ſo wie ich nun immer
gewohnt
[LXIV]Vorrede des Verfaſſers.
gewohnt war keine große Wechſel aus meinem Vaterlande zu ziehn, ſondern ſie
meiſtens in meinem eignen Schubſack ſuchen muſte; ſo muſte ich mich auch jezt nur
zu dieſem wenden und fand dann auch reichlich dasjenige darin, *) womit ich
mich bey fremden Nationen unterhalten, und jezt auch der beruͤhmten Niederlaͤn-
diſchen Geſelſchaft, **) wiewohl unter einem ſchlechten Charakter, †) dienen
konte. Dieſer japhetiſche Spros (die Hollaͤnder) genießt vor allen andern eu-
ropaͤiſchen Nationen vorzuͤglich den Segen Abrahams,††) daß er in den Huͤt-
ten Sems wohnt und ſich der Knechtſchaft Chams bedient.


Jn der That hat dieſe Nation durch Gottes Schickung und ihre kluge-
und gluͤkliche Einrichtung jezt ihren Arm durch ganz Aſien bis an ſeine aͤußerſten
oͤſtlichen Graͤnzen ausgeſtrekt. Sie hat auch beſonders das Gluͤk, immer viele vor-
trefliche Maͤnner in Dienſten zu haben, durch die ſie ihre Beſitzungen und Anſtal-
ten in gutem Stande erhaͤlt.


Auch ich habe durch die preiswuͤrdige Leutſeligkeit und Erlaubnis dieſer
Compagnie mehrmalen meine Abſicht, fremde Laͤnder zu ſehn, erreicht, und bin
dann auch endlich an dem Hof des aͤußerſten japaniſchen Reichs. Den heuti-
gen Zuſtand deſſelben zu beſchreiben, und dieſes Werk vor meiner Reiſebeſchrei-
bung und andern Schriften zuerſt herauszugeben, habe ich neulich in meinen
Amoenitatibus exoticis verſprochen. Dieſes geſchieht dann hiemit, und ich kann
verſichern, daß ſowohl die Beſchreibungen und Nachrichten, als auch die beige-
fuͤgten Figuren, voͤllig der Wahrheit gemaͤs und ohne alle Uebertreibung oder
Hyper-
[LXV]Vorrede des Verfaſſers.
Hyperbel ſind. Die Figuren ſind zwar etwas unlieblich, aber doch wahr und
eigenhaͤndig. Die Beſchreibungen ſind manchmal abgebrochen und ſtuͤkweiſe;
aber doch nur, wenn ſie das Verborgne und Jnnere des Reichs betreffen. Daß
von dieſen Dingen ganz genaue und gruͤndliche Nachrichten fuͤr einen Fremdling
in allen Reichen nicht leicht und bey dem jetzigen Zuſtand in Japan vorzuͤglich
ſchwer zu erlangen ſind, begreift man leicht. Denn nachdem man hier die Roͤ-
miſchen Chriſten
ganz vertilgt; unſre (die hollaͤndiſchen) und ſineſiſchen Kauf-
leute eingeſpert; den Zugang und die Gemeinſchaft mit andern Voͤlkern abge-
ſchnitten, und die Graͤnzen des Reichs geſchloſſen ſind; — ſeit dieſer Zeit iſt auch
der Japaner Mund, Herz und Gemuͤth fuͤr uns fremde und eingeſperte Gaͤſte
ganz geſchloſſen. Beſonders werden noch Alle und Jede, die mit uns umgehn
und zu thun haben, durch Eid und Blutverſchreibung verpflichtet, von den An-
gelegenheiten ihres Vaterlandes, ihrer Religion, geheimen Staatsſachen und an-
dern ihnen genau angegebnen Dingen uns durchaus nichts mitzutheilen oder zu er-
oͤfnen. Und dieſe Verpflichtung wird noch dadurch deſto mehr geſchaͤrft, weil
Jeder durch eben die Eidesformul verbunden iſt, des andern Verraͤther zu ſeyn.
Und dieſer blutige Eid wird, um noch mehr Eindruk zu machen, jaͤhrlich von ih-
nen wiederholt. So ſieht es in Japan mit dem Credit der Fremden aus. Unſre
Hollaͤnder, die ſich hier des Handels wegen aufhalten, haben dies ſchon ſeit lan-
ger Zeit ſo befunden; und ſie halten es daher durchgehends fuͤr ſchlechterdings un-
moͤglich, irgend etwas von der Verfaſſung dieſes Landes zu erfahren, weil es
hiezu durchaus an Gelegenheit und Freiheit fehlt. Selbſt der Hr. Licentiat
Cleyer, der hier ehmals Reſident war, behauptet dies in ſeiner Epiſtola ad
Schaefferum.


Aber nein, lieber Leſer! ſo ſchwer wie es vorgeſtelt wird, und wie die ja-
paniſche Regierung von ihren Unterthanen fodert und durch alle moͤgliche Vorſicht
bewirken wil, — haͤlt es dann doch nicht, Nachrichten von der Verfaſſung in Ja-
ipan
[LXVI]Vorrede des Verfaſſers.
pan einzuziehn. Die Japaner ſind ausnehmend beherzt, herriſch und klug und
laſſen ſich durchaus nicht durch einen Eid binden, den ſie zu denen ihnen ſelbſt unbe-
kanten, und von ihnen nicht geglaubten Goͤttern und Geiſtern ſchwoͤren. Nur
allein die obrigkeitliche Strafe des Eidbruchs, wenn er verrathen wuͤrde, kan ſie
zuruͤkhalten. Und nun iſt dieſe Nation, ohngeachtet ihres Stolzes und kriegriſchen
Geiſtes, doch ausnehmend freundlich, umgaͤnglich und beſonders ſo neugierig,
als nur irgend eine Nation auf der Welt ſeyn kan. Beſonders ſind die Japaner
ſehr begierig, von den Geſchichten, Verfaſſungen, Kuͤnſten und Wiſſenſchaften
fremder Voͤlker etwas zu erfahren.


Da wir Hollaͤnder aber nur Kaufleute ſind, welche in Japan den unter-
ſten und veraͤchtlichſten Rang haben; da wir uͤberdem unter ihnen als verdaͤchtige
Gaͤſte angeſehn werden und beſtaͤndig im Verhaft leben; ſo mus man nothwendig
ſein ganzes Betragen ſo einrichten, daß man dem Stolz und Eigennuz der Japa-
ner ſchmeichelt und befriedigt; ihren Wuͤnſchen ſich gefaͤllig und zuvorkommend
bezeugt, wenn man dieſe ſo ſtolze Menſchenart ſich verbindlich machen, und et-
was von ihr erhalten wil. Dieſe Mittel habe ich angewandt und dadurch die
Vertraulichkeit unſrer Vorgeſezten und Dolmetſcher mir erworben. Dieſe Leute
beſuchten den Wohnplaz unſerer Nation Deſima und beſonders mein Haus taͤglich;
und ich bin ſo gluͤklich geweſen, mit ihnen in eine ſo genaue Verbindung zu kom-
men, als, glaube ich, noch kein Europaͤer, ſeit der jetzigen vieljaͤhrigen Einrich-
tung unſers Handels, ſich ruͤhmen kan.


Jch bezeugte mich nemlich von Anfang an ungemein wilfaͤhrig, dieſen vor-
nehmern Japanern mit meiner Profeſſion, der Arzneiwiſſenſchaft, und einem zwar
geringem Unterricht in der Aſtronomie und Matheſi nach ihrem Wunſch und ohne
Entgeld zu dienen; und (welches nicht zu vergeſſen) theilte ihnen dann auch ganz
cordial bey dieſem Unterricht beliebte europaͤiſche Liqueurs mit. Dies machte ſie
mir ſo gewogen, daß ich mit aller moͤglichen Freiheit und ganz genau und umſtaͤnd-
lich
[LXVII]Vorrede des Verfaſſers.
lich mich nach ihrer natuͤrlichen, geiſtlichen und weltlichen Geſchichte und nach Al-
lem, was ich wolte, mich erkundigen konte. Keiner weigerte ſich, mir nach ſei-
ner beſten Wiſſenſchaft Nachricht zu geben; auch ſelbſt von den verbotenſten Din-
gen, wenn ich nur mit einem allein war.


Dieſe von meinen Beſuchern taͤglich eingeſamlete Nachrichten haben mir
nun zwar ſehr viel genuͤzt; indes waren ſie doch nur Stuͤkwerke, und reichten alſo
zu einer volſtaͤndigen und genauen Beſchreibung des japaniſchen Reichs nicht hin.
Ein ungemeines Gluͤk war es alſo, daß ich an einem ſehr gelehrten Juͤngling ein
recht erwuͤnſchtes Werkzeug fand, zu meinem Zwek zu gelangen, und mich zu ei-
ner recht reichen Erndte japaniſcher Notitzen zu fuͤhren. Dieſer in der japaniſchen
und ſineſiſchen Schrift ſehr bewanderte zugleich aber auch nach andern Kentniſ-
ſen ungemein begierige Student von etwa 24 Jahren, wurde mir gleich bey mei-
ner Ankunft als ein Diener gegeben, um von mir in der Arzneikunſt etwas zu ler-
nen. Jch gebrauchte ihn auch bey den Krankheiten des Ottona d. i. des Re-
genten unſrer Jnſel,
als meinen Handlanger, und dieſer wurde von ihm treu-
lich bedient, und hatte daher auch die beſondre Gewogenheit, waͤhrend meines zwei-
jaͤhrigen Aufenthalts den jungen Menſchen beſtaͤndig bey mir zu laſſen; auch zu
erlauben, daß er zweimal mit mir nach dem Kaiſerlichen Hofe reißte. Jch hatte
daher das Vergnuͤgen mit ihm beinahe das ganze Reich in die Laͤnge viermahl
durchzureiſen; da ſonſt nie erlaubt wird, daß kundige und geſcheute Leute ſo lange
bey den Hollaͤndern bleiben.


Jch fieng nun gleich damit an, dieſem ſchlauen Kopfe die hollaͤndiſche
Sprache (ohne welche ich mit ihm nicht gut reden konte,) grammatiſch beizubrin-
gen. Jch war auch hierin ſo gluͤklich, daß er ſchon am Ende des erſten Jahrs dieſe
Sprache ſchreiben und ſo gut reden konte, als es noch nie ein japaniſcher Dolmet-
ſcher konte. Hernach unterrichtete ich ihn treulich in der Anatomie und uͤbrigen
Medicin; und gab ihm auch noch einen, nach meinem wenigen Vermoͤgen, ganz
i 2anſehn-
[LXVIII]Vorrede des Verfaſſers.
anſehnlichen jaͤhrlichen Lohn. Dagegen muſte er mir dan auch uͤber die Lage und
Beſchaffenheit des Landes, die Regierung und Verfaſſung, die Religion, Ge-
ſchichte, das haͤusliche Leben u. ſ. w. die genaueſten Eroͤfnungen machen und al-
lenthalben die beſten Nachrichten aufſuchen. Dies that er ſo wilfaͤhrig, daß ich
nie ein japaniſches Buch verlangt habe, das er mir nicht verſchaft, und erklaͤrt,
auch die wichtigſten Sachen uͤberſezt haͤtte. Und weil er nun vieles, was er nicht
wuſte, von andern erforſchen, auch manche Buͤcher leihen oder ankaufen muſte; ſo
habe ihn niemals, wenn er in dieſer Abſicht von mir gieng, ohne ſilbernen Schluͤſ-
ſel gelaſſen; auch fuͤr ſo gefaͤhrliche Bemuͤhungen noch beſonders belohnt.


So theuer, ſchwer und oft gefaͤhrlich mus ein Liebhaber bey jetziger Ver-
faſſung die Nachrichten von dieſem verſchloſſenen Reiche einſamlen; die ich hier
nun dem Leſer ohne ſeine Gefahr und Koſten vorlege. Friſtet mir Gott Leben
und Geſundheit, ſo werde ich auch noch meine andere, zwar |von der ſalzigen
See durchgeſpuͤlte und beinahe ganz verdorbne Schriften noch zu ergaͤnzen ſuchen
und was mir auf meinen zehnjaͤhrigen Reiſen durch Finnland, Reußen, Tar-
tarien, Perſien, Arabien,
die feſten und befloßnen Laͤnder Jndiens
denkwuͤrdiges vorgekommen, beſchreiben und dem Publikum mittheilen.



Engelbert
[][]
[figure]

Tab. VIII

[[1]]

Engelbert Kaͤmpfers
Geſchichte und Beſchreibung
von
Japan


Erſtes Buch
welches die Reiſe von Batavia uͤber Siam nach Japan, und algemeine hiſtoriſch-
geographiſche Nachrichten von Japan, zum Theil auch von
Siam einſchlieſt.


A
[[2]][[3]]
[figure]

Erſtes Kapitel.
Reiſe von Batavia nach Siam, und Erzaͤhlung
der merkwuͤrdigſten Vorfaͤlle waͤhrend unſers
daſigen Aufenthalts.



Veranlaſſung dieſer Reiſe.


Nachdem ich mich eine Zeitlang in Batavia auf der großen Jnſel Java, (der
Hauptſtadt der hollaͤndiſchen oſtindiſchen Compagnie in Jndien, und der Reſi-
denz ihres Generalgouverneurs) aufgehalten hatte; fand ich Gelegenheit, mit
einem im Hafen ſegelfertig liegenden Schiffe, genant der Waelſtrohm, die Reiſe nach Japan
zu machen, da mir die Stelle eines Arztes bei der hollaͤndiſchen Geſandſchaft angetragen
wurde, die jaͤhrlich an den japaniſchen Hof geſchikt werden mus. Ein Europaͤer, welcher
wuͤnſcht das japaniſche Reich zu betreten, die Pracht des kaiſerlichen Hofs zu ſehen, und
vor dem Kaiſer ſelbſt zu erſcheinen, kan jezt auf keinem andern Wege dieſen Wunſch be-
A 2friedigen,
[4]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
friedigen, als daß er ſich in Dienſt dieſer oſtindiſchen Geſelſchaft giebt. Denn nun ſchon
beinahe hundert Jahre iſt dieſes Reich allen europaͤiſchen Nationen verſchloſſen, außer den
Hollaͤndern, welche die Japaner fuͤr die aufrichtigſten aller Europaͤer, oder vielmehr aller
Fremden uͤberhaupt halten, und deswegen, wiewol unter ſehr ſtrenger Aufſicht, dulden, und ih-
nen auch erlauben, oder vielmehr als eine Pflicht von ihnen fodern, daß ſie jaͤhrlich durch
einen Reſidenten dem Kaiſer ihre Ehrerbietung bezeugen *).


Unſer Schif war beſtimt zuerſt nach Siam zu gehen, daſelbſt einen Theil ſeiner La-
dung zu verhandeln, und dagegen ſiamiſche Waren einzutauſchen. Jch hatte alſo Gele-
genheit, auch dieſes in ganz Aſien beruͤhmte und maͤchtige Reich zu ſehen.


Abfahrt von Batavia.


Den 7ten Mai 1690**) an einem Sontage fruͤh Morgens um ſechs Uhr begab ich
mich an Bord des Waelſtrohms. Wir huben ſogleich die Anker, und begaben uns
mit einem zwar gelinden, aber doch guͤnſtigen Winde unter Segel. Gegen Mittag er-
reichten wir die kleine Jnſel Eidam, die etliche Meilen von Batavia entfernt iſt, wo-
ſelbſt uns ein Schif von Sumatra begegnete, welches nach Sirabon ſegelte. Wir
ließen die Jnſel rechter Hand liegen, und ſegelten ohngefehr eine halbe Meile davon, bis
ſpaͤt in den Abend, da wir ſie hinter uns ließen.


Montags den 8ten Mai verloren wir das feſte Land von Java aus dem Geſicht,
nicht aber die benachbarten Jnſeln. Nachmittags wurde der Wind ſo ſtil, daß wir we-
nig weiter kamen, und gegen Abend auf 29 Faden Anker werfen muſten, damit uns der
hier ſo ſtarke Strom des Meers nicht zu weit weſtwaͤrts von unſerm Laufe wegriſſe. Etwa
eine halbe Meile von uns ſahn wir ein klein portugieſiſch Schif, mit ſineſiſchen Matroſen
beſezt, vor Anker liegen. Es lief einen Tag fruͤher, als wir, von Batavia aus, und fuͤhr-
te das Bild und den Namen des Apoſtels Paulus. Dies Schif war vor etwa fuͤnf Jah-
ren in Japan, obgleich allen Portugieſen bei Verluſt ihrer Schiffe und ihres Lebens un-
terſagt iſt, das Reich zu betreten. Es wird, hof ich, dem Leſer nicht unangenehm ſeyn,
wenn
[5]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
wenn ich hier die Urſache und die Geſchichte dieſer kuͤhnen Reiſe kurz erzaͤhle, ſo wie ich ſie
in Batavia von glaubwuͤrdigen Perſonen erfahren habe.


Ein japaniſches Fahrzeug wurde vor ohngefehr jezt (1690) ſechs Jahren durch einen
ſtarken Sturm von den Kuͤſten von Japan weggeriſſen, und nach vielem Ungemach end-
lich, ohne Land zu ſehn, nach Makao, einer beruͤhmten portugieſiſchen Handelsſtadt in Sina,
verſchlagen, wo es ſtrandete; doch ohne einen Man zu verlieren. Die Portugieſen koͤnnen
den Verluſt ihres ſo vortheilhaften ehemaligen Handels nach Japan noch nicht verſchmer-
zen, und die Regierung zu Makao ergrif alſo mit Vergnuͤgen dieſen guten Anlas, dem
japaniſchen Hofe gefaͤllig zu ſeyn, und hofte vielleicht gar dadurch ſeine Gnade und die ehe-
malige Handelsfreiheit wieder zu erhalten. Sie ließen alſo das Schif, nebſt zwoͤlf darauf
befindlichen Japanern, nicht nur grosmuͤthig wieder zuruͤkreiſen, ſondern gaben ihnen auch
zu mehrerer Sicherheit eins ihrer eigenen Schiffe zur Begleitung mit. Allein dies Unter-
nehmen bewies ſich ſehr ungluͤklich fuͤr die Portugieſen. Denn kaum waren beide Schiffe
in dem Hafen von Nangaſacki angelangt; ſo wurden alle Japaner ohne Unterſchied in ein
Gefaͤngnis gebracht, und die Portugieſen, ohne Erlaubnis ans Land zu treten, ſehr genau
und ſcharf auf ihrem Schiffe bewacht, damit der Vorfal von dem Gouverneur zu Nanga-
ſacki
an den kaiſerlichen Hof berichtet, und von da Befehl eingeholt werden koͤnte, was in
der Sache ferner vorgenommen werden ſolte. Die guten Portugieſen kamen in große Ge-
fahr, ihr Schif und ſogar ihr Leben zu verlieren. Aber theils die Laͤnge der Zeit, theils
die Fuͤrſprache des damaligen Reſidentens der hollaͤndiſchen oſtindiſchen Compagnie beſaͤnf-
tigte den Zorn des Hofes einigermaßen, und es wurde den Portugieſen erlaubt, nach Ma-
kao
zuruͤkzukehren, da man ihnen vorher auch Lebensmittel anbot, welche aber in nichts
mehr als Waſſer und Reis beſtanden. Eben ſo wurden auch endlich die ungluͤklichen Ja-
paner nach einem zweijaͤhrigen harten Gefaͤngnis wieder auf freien Fus geſezt, und jeder nach
der Provinz oder Stadt, wo er zu Hauſe gehoͤrte, unter ſicherm Geleit zuruͤkgeſchikt. Ei-
nige derſelben begegneten unſerm Geſandten, der von Jedo nach Nangaſacki zuruͤkreiſe-
te *). — Doch es iſt Zeit zu unſrer Reiſe zuruͤkzukehren.


A 3Ohn-
[6]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Ohngefehr um 1 Uhr nach Mitternacht lichteten wir unſre Anker, und erblikten den
9ten gegen Morgen die ſogenanten tauſend Eilande, etwa in der Entfernung von andert-
halb Meilen vor uns. Wir ſahn hier auch das hohe Land Lampon auf der Jnſel Suma-
tra, welche wir vor ſieben Monaten, als wir von Atſyn nach Batavia fuhren, ſo
lang zu unſerm großen Verdrus im Geſichte hatten. Der Wind war veraͤnderlich, mei-
ſtens aber Suͤd; ſo daß wir beinahe den halben Tag zubrachten, ehe wir die Jnſel Nor-
derwacht,
welche gerade vor uns lag, zur Seite bekommen konten. Nach Sonnenun-
tergang hatten wir weiter Suͤdwind, der wie ein gelinder Paſſatwind wehte; wir ſegelten
alſo die ganze Nacht und ruͤkten ziemlich fort.


Den 10ten war der Himmel ganz bewoͤlkt, und der Wind Oſt-Suͤd-Oſt. Wir
fuhren den ganzen Tag nordwaͤrts fort, ohne Land und Jnſeln zu ſehn, außer den hoͤchſten
Spitzen der ſumatriſchen Berge, die uns aber doch wegen truͤben Himmels nur ſehr un-
deutlich erſchienen. Gegen Abend ſpaͤt ließen wir unſre Anker auf ſechs Faden Tiefe fallen,
weil wir befuͤrchteten, dem Lande zu nahe zu kommen, welches wir des Abends von dem
Obermaſtbaum ziemlich deutlich bemerkten, und fuͤr die Jnſel Lucipara hielten, welche
gleich vor der Meerenge oder Straße von Banka liegt.


Den 11ten Morgens lichteten wir wieder unſre Anker, aber vergebens, weil ſich
ſchon ſehr bald der Wind wieder legte. Wir muſten alſo bis ohngefehr zwei Stunden nach
Sonnenuntergang ſtil liegen. Alsdann aber fuhren wir mit einem gelinden Suͤdwinde
nordwaͤrts zwiſchen der Jnſel Lucipara, welche uns rechts in der Entfernung von etwa an-
derthalb Meilen lag, und dem feſten waldichten Lande von Sumatra durch, nach der
Straße von Banka zu.


Jch wil hier uͤberhaupt bemerken, daß die ganze Reiſe von Batavia nach Siam
durch die vielen Jnſeln, Sandbaͤnke und verborgne Felſen ſehr gefaͤhrlich und muͤhſam
werde. Ein kluger Steurman mus ſich daher ſehr wohl in acht nehmen, daß er ſich nie-
malen zu weit von den Kuͤſten entferne, und ſobald ſich ein ſtarker Wind erhebt, welches
oft geſchieht, die Anker fallen laſſe, ſobald er nur Grund findet, weil ſonſt das Schif leicht
auf das Land oder verborgene Sandbaͤnke getrieben werden kan. Aus dieſem Grunde lie-
gen gemeiniglich die Schiffe auf dieſem Wege Nachts vor Anker, beſonders wenn man
des Abends zuvor Land geſehn, oder doch Merkmale hat, daß es nicht weit entfernt ſey. Der
gefaͤhrlichſte Theil des ganzen Wegs aber iſt die erwaͤhnte Straße oder Meerenge von
Banka,
welche durch die Jnſel dieſes Namens und die Kuͤſten von Sumatra gebildet
wird. Dieſe Kuͤſten ſind ganz eben, ohne Huͤgel und Berge, aber ſehr waldicht. Die
Jnſel Banka dagegen hat einen ganz unebnen und zerriſſenen Boden, der bald bergicht
und ſteinigt, bald niedrig und tief iſt. Die Erde iſt ſehr gruͤn, und, wie es ſcheint, un-
gemein fruchthar.


Alle
[7]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.

Alle Schiffe, welche nach der Oſtkuͤſte von Malacca nach Siam, Cambodia, Co-
chinſina, Sina und Japan gehn, muͤſſen dieſe Straße paſſiren. Die daran liegende
ſumatriſche Kuͤſte hat verſchiedene kleine Vorgebuͤrge, die ſich ziemlich ins Meer hinein
erſtrecken. Wir naͤherten uns dieſer Kuͤſte, ſo ſehr wir nur konten, bis auf eine halbe
Meile, weil man in dieſer Gegend allemal wenigſtens ſechs Faden Tiefe, und einen guten
ebnen Schlikgrund hat. Wir erreichten vor Abend das zweite Vorgebuͤrge, wo wir uns
die Nacht uͤber vor Anker legten und ſehr ſtarken Regen hatten.


Am 12ten des Morgens nach Aufgang der Sonne befanden wir uns nicht weit vom
dritten Vorgebuͤrge der ſumatriſchen Kuͤſte, wir hatten jezt das ebenerwaͤhnte portugieſi-
ſche Schif ſchon vor uns, da es bisher ſo weit hinter uns war, daß wir es kaum ſehn kon-
ten. Wir liefen immer an den Kuͤſten weg nach Nord-Nord-Weſt. Der Himmel war
ganz truͤbe und wolkicht, der Wind ſehr veraͤnderlich, doch meiſtens aus Suͤden. Die Kuͤ-
ſten von Sumatra und Banka hatten noch immer eben das Anſehn, das ich beim vori-
gen Tage beſchrieben habe. Nachmittags war uns der Wind ſo entgegen, daß wir einen
Theil unſrer Segel einnehmen, eine Zeitlang herumlaviren, und endlich unſre Anker fallen
laſſen muſten. Abends ſahn wir uͤber Sumatra Regen, mit Bliz und Donner begleitet.


Den 13ten brachten wir den ganzen Vormittag mit Laviren zu, weil uns der Wind
beſtaͤndig entgegen, der Himmel truͤbe und regnicht war. Nachmittags aber bekamen wir
Suͤd-Suͤdweſtwind, und kamen ziemlich fort, ſo daß wir gegen Abend ſchon am Aus-
gang der Straße waren, wo wir den Flus Palimbang zur Linken, und einen ſehr hohen
Berg, Monapin, der auf der aͤußerſten Spitze von Banka liegt, zur Rechten hatten.
Die Muͤndung des Fluſſes Palimbang, die etwa drei Viertel Meilen von uns entfernt
war, ſchien wenigſtens eine halbe Meile breit zu ſeyn. Ueber demſelben hin konten wir
kein Land ſehn, ich weis nicht, ob wegen der Breite des Fluſſes, oder wegen des einbre-
chenden Abends? Wir trieben mit unſerm Schif nach der ſumatriſchen Kuͤſte zu, bis auf
ſieben und einen halben Faden, um einer gefaͤhrlichen blinden Klippe, die Friedrich Hein-
rich
heiſt, auszuweichen. Noch vor vier Jahren ſtrandete auf derſelben ein hollaͤndiſches
nach Siam beſtimtes Schif, Prinz Wilhelm, von dem ſich aber doch die Leute in der
Schaluppe und dem Boote retteten.


Den 14ten Mai. Nachdem wir geſtern Abend gluͤklich aus der Straße von Ban-
ka
herausgekommen, und die ganze Nacht durch mit gutem gelinden Winde und hellem
Wetter fortgeſegelt waren; erblikten wir dieſen Morgen die ſogenante Poele Tutsju, d. i.
die ſieben Jnſeln oder auch ſieben Bruͤder vor uns. Wir richteten unſern Lauf ſo, daß
wir dieſe Eilande rechter Hand liegen ließen, und gegen Abend die Jnſel Puli Saya zu
Geſicht bekamen. Der Wind war uns den ganzen Tag uͤber guͤnſtig, das Wetter hel,
und ziemlich kuͤhle. Wir verloren noch heute die Kuͤſte von Sumatra aus dem Geſicht.


Wir
[8]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Wir ſegelten die ganze Nacht fort, und ſahen den 15ten Mai Morgens die erwaͤhn-
te Jnſel Puli Saya, nebſt einem hohen Berge auf derſelben ſchon ſehr weit hinter uns.
Gegen Mittag erreichten wir die Jnſel Puli Lingano und den Aequator. Der Him-
mel klaͤrte ſich auf, da es die vorige Nacht ſtark geregnet hatte. Nachmittags entſtand
etwas Windſtille, daß wir nicht beſonders weiter kamen. Um 4 Uhr erhub ſich ein ſtar-
ker Nord-Weſtwind, der uns ganz aus unſerm Wege verſchlug, und beinahe zwei Stun-
den wie ein Pfeil in dieſem unruhigen Waſſer fortris. Gegen Abend aber legte er ſich
etwas, und endlich wurde er ganz ſtille, ſo daß wir unſre Anker fallen ließen und endlich
ſtil lagen.


Den 16ten Mai ſezten wir gleich mit Aufgang der Sonne unſern Lauf bei ſehr ab-
wechſelndem und ſchwachem Winde fort, ſo daß wir bei Puli Lingano erſt Nachmittags
vorbei waren, und den ganzen Tag nur wenig Meilen weiter kamen. Abends warfen wir Anker.


Den 17ten Mai, zwei Stunden vor Tage, ſegelten wir mit gelindem guten Winde
bei klarem Himmel fort, bis Mittags, da ſich der Wind legte, und wir einem kleinen mit
Baͤumen bewachſenen Eiland zur Seite ſchwebten, ob uns gleich der Strom ſehr ſtark
von unſerm Wege ab nach Nord und Nord-Nord-Oſten fortris. Wir richteten unſre
Farth nordweſtlich, um wieder einige Jnſeln ins Geſicht zu bekommen. Wir ſahn aber
den ganzen Tag keine, außer der erwaͤhnten Jnſel. Wir kamen dabei auch ſo wenig fort,
daß wir gegen Abend auf 34 Faden Anker warfen. Doch lichteten wir ſchon um 10 Uhr
wieder, weil es kuͤhl wurde, und ſegelten weiter.


Den 18ten war der Wind den ganzen Tag ſehr abwechſelnd, bald gelind, bald ſtaͤr-
ker. Wir liefen immer Nordweſtwaͤrts, aber ohne Land zu ſehn. Wir faßten daher hier
den Entſchlus, die Jnſel Pauli Timon, auf welcher die Schiffe nach der Jnſtruktion
der Compagnie ſonſt landen muͤſſen, um Holz und Waſſer einzunehmen, diesmal vorbei
zu gehn, und mit dem Suͤdwind unſern Lauf gerade nordwaͤrts nach Siam zu richten.


Wir hatten die ganze folgende Nacht Suͤd und Suͤd-Suͤdweſtwind, mit welchem
wir gelinde fortſegelten, und den 19ten Morgens zuerſt linker Hand einen hohen Berg ſahn,
welchen zu erreichen wir Nordweſt gen Weſt anlegten, da wir hoften, daß es |die Jnſel
Polithingi ſeyn werde, die es auch war. Nachmittag kamen wir auch zu den uͤbrigen
kleinen Eilanden, Pauli Aur oder Oor und Pauli Piſang, welche, wie die vorige,
uns ebenfals linker Hand lagen. Der Wind gieng zwar ſtark nach Suͤden, doch kamen
wir noch Abends bei Pauli Oor vorbei; und


Den 20ten Morgens vor 8 Uhr warfen wir bei Pauli Timon Anker, welche uns
gegen Nordoſt gen Oſt lag. Jch begab mich mit einigen andern an Land, theils die Be-
ſchaffenheit und Natur der Jnſel uͤberhaupt etwas kennen zu lernen, theils und vornemlich
Pflanzen zu ſuchen, welches mir auf allen meinen Reiſen eine angelegene Sache iſt.


Die
[9]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.

Die Jnſel Pauli Timon iſt eine der groͤſten unter den Jnſeln, welche nicht
weit von den Kuͤſten von Malacca liegen. Sie gehoͤrt dem Koͤnig von Johor, welcher
in Siperka auf der Halbinſel Malacca reſidirt. Dieſer laͤſt die Jnſel durch zwei
Orankays regieren, auf jeder Seite der Jnſel einen Orankay, welches Wort in ma-
layiſcher Sprache einen Waldmenſchen bedeutet, d. i. einen Menſchen, der uͤber Waͤl-
der geſezt iſt. Die Einwohner ſind eine Art Banditen, welche die Jnſel ſchon von langer
Zeit her beſeſſen und ſich ſehr auf derſelben vermehrt haben. Ein Orankay, der vor
etlichen Jahren am Bord eines unſrer Schiffe war, behauptete, die Zahl der Einwohner
belaufe ſich auf 2000; man kan aber kaum die Haͤlfte glaubwuͤrdig annehmen. Dieſe Ein-
wohner leben hin und wieder zerſtreuet, in kleinen ſchlecht gebaueten Haͤuſern oder Huͤtten,
die nur aus einem Zimmer mit einem kleinen Fenſter und einer Thuͤr beſtehn. Die mei-
ſten ſind nicht uͤber fuͤnf bis ſechs Schritte lang, und zwei bis drei breit. Jnwendig geht
rings an der Wand her eine Bank, ſo hoch wie eine Tafel, und ſehr bequem zum Sitzen
und zum Liegen. Um das Haus ſtehn einige Pirangbaͤume. Denn obgleich die Einwoh-
ner an einem ſehr ſteilen und unebnen Gebirge wohnen; ſo ſuchen ſie doch gemeiniglich
ihre Wohnungen ſo anzulegen, daß wenigſtens auch etliche Schritte umher ein ebner
Plaz iſt.


Dieſe Menſchen ſind ziemlich belebt und nicht haͤslich, etwas ſchwaͤrzer als die
Japaner, und freilich auch der Linie naͤher als dieſe. Einige kamen mir, nach dem
Geſicht zu urtheilen, ſehr ungeſund vor. Sie ziehen, wie auch die Einwohner des feſten
Landes von Malacca und von Sumatra thun, die Barthare ſich ganz aus, daß ſie wie
alte Weiber ausſehn. Die meiſten ſind der mohammedaniſchen Religion zugethan, welche
ſich durch ganz Jndien ſehr weit verbreitet hat. Jhre Kleidung beſteht blos in einem
Tuche um die Schaamtheile, das aus einer Baumrinde ſehr grob gewirkt iſt. Eben ein
ſolches Tuch, in einen runden Kranz gewunden, tragen ſie um den Kopf; und einige
auch Huͤte von Gabbe Gabbe Blaͤttern geflochten. Gabbe Gabbe iſt ein Baum, aus
welchem die Jndier das Saga bereiten, deſſen ſie ſich ſtat des Brods bedienen.


Die Einwohner kamen mit kleinen Fahrzeugen zu uns an Bord, in welchen nur
eine Perſon ſitzen kan, und die ſo leicht ſind, daß ein Man ohne große Muͤhe ſie ans Land
tragen kan. Derjenige, welcher darin faͤhrt, ſezt ſich gerade in die Mitte des Fahrzeugs,
und leget ſeine Waaren hinter ſich. Das Ruder hat ohngefaͤhr Manslaͤnge, und iſt ſo
eingerichtet, daß man es in der Mitte anfaßt, und dann damit auf beiden Seiten des
Kahns eins ums andre mit beiden Enden rudert. Sie haben aber auch groͤßre Fahrzeuge,
in welchen vier Perſonen Raum haben, und mit denen ſie bis an die Kuͤſte von Malacca
uͤberfahren. Folgende Sachen brachten ſie uns an Bord: Mangos, von ſo ungemeiner
Groͤße, daß ich bisher dergleichen noch nicht geſehen hatte; Piſangs, auch groͤßer, als
Bich
[10]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
ich ſie bisher gekant hatte, beinahe anderthalb Spannen lang, eine Spanne im Umkreis
und etwas eckigt; ſehr große Smerſaks; kleine Limonen, Ananaſſe, Huͤner und eine be-
ſondre Art Steinboͤcke, von roͤthlicher Farbe, mit langen Haaren und langem wiederſtehen-
den Zahn auf jeder Seite. Von Manufakturen konten ſie uns nichts anbieten, als Pi-
ſangſaͤcke, dreimal uͤbereinander ſehr fein geflochten; kleine Matten auch von Piſang oder
von Gabbe Gabbe Blaͤttern, auch ſehr artig gemacht. Sie wolten fuͤr ihre Waaren kein
Geld annehmen, aber wol Reis, Eiſen, Hemde, Leinwand und dergleichen Sachen mehr.
Das Geld ſchienen ſie gar nicht zu kennen; da wir ihnen einige Stuͤcke vorwieſen, forder-
ten ſie von denſelben fuͤr eine Matte zehnmal mehr als ſie werth war. Dagegen bekamen
wir fuͤr ein Stuͤk grobe Leinwand, das vielleicht nur drei Stuͤber werth war, fuͤr zwei und
mehr Schilling Eswaren.


Die ganze Jnſel beſteht aus Felſen und ſteinigten hohen Gebirgen, die aber doch
an ſehr vielen Orten und (welches in der That ſonderbar iſt) oft da, wo wir kaum eine
Hand vol Erde entdecken konten, mit Buſchwerk und Baͤumen bewachſen ſind. Wir klim-
ten nicht ohne Muͤhe und Gefahr die felſichten Ufer hinan, um Waſſer zu ſuchen. Bei
dieſem Auf klimmen und Durchkriechen durch die Gebuͤſche, halfen uns nicht wenig die
Wurzeln der Baͤume, welche oben auf den Bergen wachſen. Denn von dieſen Wurzeln
waren manche zwei, drei und mehrere Daumen dik, die ſich 10 bis 20 Klaftern um die Hoͤ-
len in den Bergen winden und herunterlaſſen, um Grund zu ſuchen. An dieſen halfen
wir uns wie an Seilen hinauf. Zwiſchen den unter und durch einander gefallenen Felſen
und Steinen ſind einige kleine Seen von ſuͤßem Waſſer, welches an manchen Orten ſo kalt
war, daß ich mich einige Tage uͤbel befand, weil ich mich zum Vergnuͤgen darin gewaſchen
hatte. Wir fanden auch noch etwas hoͤher einen Flus, der waſſerreich genug war, um
zwei Muͤhlen zu treiben, und uͤber Stein und Felſen mit ſolchem Geraͤuſch herabfiel, daß
wir kaum mit einander reden konten. Das Waſſer dieſes Fluſſes iſt klar, ſehr kalt und
etwas bittern Geſchmaks. Die kurze Zeit, welche ich hier zubringen konte, erlaubte mir
nicht viel zu botaniſiren. Doch fand ich hier viele von denen Pflanzen wieder, die ich auf
der Jnſel Eidam, einige Meilen von Batavia, entdekt hatte. Zunaͤchſt am Ufer bemerk-
te ich folgende Baͤume und Gebuͤſche: Terum Lauk, eine nicht ſehr hohe Staude mit 2 bis
3 Zol langen und anderthalb Zol breiten Blaͤttern, die dik und faſt ganz undurchſichtig
waren, und einen Nerven hatten, der etwas unregelmaͤßig durch die Mitte lief. Die
Blume war gelb mit fuͤnf Blaͤttern, und hatte eine ſehr artige Sternfigur. Der Same
auch ſehr ſchoͤn, gruͤn, ſternfoͤrmig mit ſieben radiis. Gemeiniglich haͤngen 3, 4, bis 5
Samenkoͤrner beieinander, welche eine ſchoͤne Figur ausmachen.


Prije Laut, eine beerentragende Staude, welche etwas groͤßer als unſre Wa-
cholderbeeren, gruͤn und ſehr fleiſchigt ſind. Die Blaͤtter gezakt (ſerrata). Jch habe
der-
[11]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
dergleichen Pflanzen auch in Perſien um Gamron wachſen ſehn, und unter den perſianiſchen be-
ſchrieben. Maanbu. Dieſer Baum hatte viele ſtumpfe weiche Blaͤtter, keinen Nerven,
in der Mitte aber verſchiedene, welche an den aͤußerſten Enden zuſammenliefen. Jch hat-
te eben dieſen Baum ſchon auf der Jnſel Eidam bemerkt, wo ich aber nicht ſo gluͤklich
war, die Blume und Fruͤchte ſehen zu koͤnnen. Die Blume iſt ſehr merkwuͤrdig, und be-
ſteht aus fuͤnf Blumenblaͤttern, welche alle auf einer Seite in der Runde herum, und in
der Form eines halben Mondes oder halben Cirkels geordnet ſind. Gegen ihnen uͤber iſt
ein gekruͤmter Griffel (ſtylus) oben mit einem gruͤnen kleinen Kopfe bedekt. So bald
die Blumen abgefallen, folgen fuͤnf Beeren nach der Zahl der Blumenblaͤtter, die alle mit
einer fleiſchigten Subſtanz angefuͤlt ſind.


Papiniok hat weiße Blumen, den Bohnenblumen nicht unaͤhnlich, und drei
laͤnglichte Blaͤtter an einem Stiel, von denen aber das mittelſte etwas laͤnger und groͤßer
iſt, als die zwei uͤbrigen.


Ein andrer Baum, deſſen Namen ich nicht erfahren konte, hatte ſehr große,
weiche, nervichte und beinahe runde Blaͤtter, der Haſelnusſtaude nicht unaͤhnlich, doch
zwei bis dreimal groͤßer. Die Blume war weis, und hatte eine ungleiche Zahl Blumen-
blaͤtter, meiſtens ſieben oder neun. Die Frucht iſt ein Apfel, demjenigen nicht unaͤhnlich,
woraus die alten Weiber in Batavia eine Salbe zu machen pflegen, um die Haut der
Kinder nach den Maſern damit zu ſalben, wie ich dieſes an einem andern Orte beſchrie-
ben habe.


Unter den hieſigen Pflanzen war mir beſonders wegen ihrer Schoͤnheit noch eine
fleiſchfarbene Jris merkwuͤrdig. Sie hatte gelbe Striche und eine ſtachlichte Frucht, von
der Groͤße einer Muſkatennus. Sie beſteht aus drei Behaͤltniſſen, in deren jedem vier
ſchneeweiße, erbsfoͤrmige, runde Samenkoͤrner ſind.


Alle Schiffe, welche von Batavia nach Siam gehn, haben von der Compagnie
Befehl, wo moͤglich auf dieſer Jnſel Pauli Timon anzufahren, um ſich mit friſchem
Waſſer, Holz und Lebensmitteln zu verſorgen, wozu ſie ohngefaͤhr gerade in der Mitte
des Weges eine ſehr bequeme Lage hat. Man hat mir geſagt, daß die benachbarte Jn-
ſel Pauli Oor, nach ihrer natuͤrlichen Beſchaffenheit und Einwohnern, nicht ſehr von
Pauli Timon unterſchieden ſey, welches auch gar nicht unwahrſcheinlich iſt. Jch kan
aber daruͤber nichs gewiſſes ſagen, weil unſre Schiffe niemals oder ſehr ſelten auf Pauli
Oor
anlanden.


Dieſen Morgen hatten wir die Einwohner mit einem Schus zum Verkauf ihrer
Waaren eingeladen, und durch eben dieſes Zeichen wurden wir am Lande Abends um 5
Uhr wieder eingeladen an Bord zu kommen. Wir hatten uns den Tag uͤber im Gebuͤſch ſehr
vergnuͤgt, und unſer Leinenzeug durch unſre Bediente waſchen laſſen, da unterdeſſen das
B 2Schif
[12]Koͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Schif ſich hinlaͤnglich mit Waſſer verſehn hatte. Nach eingenommener Mahlzeit wunden
wir unſre Anker auf, und begaben uns um 6 Uhr unter Segel. Pauli Timon lag uns
des Morgens bei unſrer Ankunft in Nord-Oſt gen Oſt, wo es uns ganz ſchmal und en-
ge vorkam; bei der Abreife aber und in der Entfernung von etwa einer halben Meile, da
uns die Jnſel in Oſt-Nordoſt lag, zeigte ſie ſich ziemlich breiter, und ſchien ohngefaͤhr 4
Meilen lang und 2 Meilen breit zu ſeyn.


Den 21ten Mai Morgens hatten wir Pauli Timon ganz aus dem Geſichte ver-
loren, und ſahn die hohen Berge auf den Kuͤſten von Malacca weit vor uns liegen. Wir
richteten unſern Lauf nordweſtlich, und nach und nach etwas mehr gen Weſten, um uns
dem Lande ſchief und von der Seite zu naͤhern, welches wir denn auch des Abends nebſt
einigen Jnſeln voͤllig ins Geſicht bekamen. Der Wind war den ganzen Tag ſehr veraͤnder-
lich, das Wetter aber doch gut. Wir kamen in der Nacht gluͤklich neben den erwaͤhnten
Jnſeln vorbei, und befanden uns


Den 22ten Morgens nicht uͤber eine Meile von dem feſten Lande von Malacca,
von welchem wir unſern Weg weiter mit einem ſcharfen Landwinde nach Norden verfolgten.
Die Kuͤſte von Malacca, ſo wie ſie ſich hier zeigte, ſchien mir der Kuͤſte der Jnſel See-
lan
(Ceilon) nicht unaͤhnlich. Felſigte Ufer erheben ſich zu Huͤgeln und Bergen, hinter
welchen immer hoͤhere Berge hervorragen bis tief ins Land hinein. Alles iſt mit Baͤumen
und Buͤſchen ſchoͤn bewachſen, und giebt dem Auge eine ſehr angenehme Auſſicht. Wir
hatten dieſen ganzen Tag ſehr gutes Wetter, und befanden uns nach Sonnenuntergang
zwiſchen dem feſten Lande und den zwei Jnſeln Pauli Capas.


Es war die Nacht uͤber ſehr ſtille, ſo daß wir den 23ten Morgens dieſe beide
Eilande nur wenige Meilen hinter uns hatten. Wir ſegelten immer, wie geſtern, neben
der Kuͤſte fort, muſten aber Mittags, wegen ſcharfen und widrigen Windes, vor Anker
liegen. Das Land gab noch immer eben den Anblik, wie geſtern, nur daß das Ufer et-
was mehr ſandig und niedriger war. Wir verſuchten bald weiter zu ſegeln, muſten aber,
wegen ploͤzlich widrigen Windes, die Anker bei einer kleinen felſigten Jnſel, ohnweit des
feſten Landes, wieder fallen laſſen.


(Wegen dieſer haͤufigen widrigen Winde, und der hier gewoͤhnlichen, ploͤzlichen
und ſtarken, aber nicht lang anhaltenden Stuͤrme, iſt es eine Regel bei der Schiffarth
von Batavia nach Siam, ſich niemals weit vom Lande zu entfernen, damit man deſto
eher Anker werfen koͤnne, und wenigſtens nicht zuruͤkgeſchlagen werde, wenn man auch
nicht weiter koͤmt*).


Den 24ten Mai, etwa zwei Stunden vor Tage, ſegelten wir weiter, und kamen
nach einigen Stunden, einem Fluſſe und kleinem Orte auf der Halbinſel Malacca gegen-
uͤber,
[13]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
uͤber, den die Portugieſen auf ihren Charten Buſe, die Einwohner aber, welche insge-
ſamt Fiſcher ſind, Terchannu nennen. Er beſteht aus ohngefehr 50 Haͤuſern, die
laͤngſt dem Ufer liegen. Wir ſahn hier ein portugieſiſch Schif, mit einem Kreuz im wei-
ßen Felde in ſeiner Flagge vor Anker liegen, das, wie die Einwohner ſagten, von Ma-
kao
gekommen war. Es wird hier ſiamiſch und malayiſch geredt. Drei Fiſcher kamen
in einem ihrer Fahrzeuge zu uns an Bord, und gaben uns fuͤr ein ſchlechtes Tiſchtuch und
etwa einen halben Eimer Reis ſo viel Fiſche, daß wol 20 ausgehungerte Menſchen ſich dar-
an haͤtten ſaͤttigen koͤnnen. Unter denſelben waren Koͤnigsfiſche, den Hechten nicht unaͤhn-
lich und beinahe anderthalb Ellen lang; Pferdekoͤpfe, wie ſie die Hollaͤnder nennen, die ſonſt
auch Korkuades heißen; rothe Steinbraſſen, Salametten und Jakobus Evers. Ge-
gen Abend war es ſo ſtil, daß wir unſre Anker in der Gegend verſchiedner kleiner Jnſeln,
welche Redansinſeln heißen, fallen ließen. Einige unſrer Leute machten ſich ein Ver-
gnuͤgen mit Angeln, und fingen einen ſchoͤnen Meerſtern. Er beſtand aus neun Stralen,
deren jeder beinahe anderthalb Spannen lang war, ſo daß der ganze Stern von einem En-
de zum andern einen Durchmeſſer von voͤllig drei Spannen hatte. Die Oberflaͤche war
ſo rauh anzufaſſen, als wenn ſie ganz mit Schuppen beſezt waͤre. Der Mittelleib, der
zwei Zol Dicke hatte, war ein beſondrer erhabner ſchwarzer Stern mit neun kurzen Stra-
len. Jm Mittelpunkt war ein großes rundes Loch oder Maul, das zwei Reihen feiner
Faſern oder Fibern umgaben. Die großen Stralen waren viereckigt, fingersdik, liefen
gerade zu, hatten eine dunkelweiße Farbe, die nur oben durch queeruͤber laufende ſchwarze
Striche tygermaͤßig geflekt war. Beide Ecken waren hier bis zur aͤußerſten Spitze mit
einer Reihe kurzer Stacheln beſezt, die ſich nach der Laͤnge ſchließen. Die Unterflaͤche
dieſes Geſchoͤpfs war etwas ſanft anzufuͤhlen, von weißer Farbe, und jeder Stral an ſeinen
Ecken mit einer Reihe kleiner Fuͤße, wie ein indianiſcher Tauſendfus, beſezt, welche
durcheinander eine verwirte komiſche Bewegung machten. Der Mittelleib hatte eine maͤ-
ßige Hoͤlung, und von demſelben lief in jeden Stral eine Hoͤle hinunter. Die innere Sub-
ſtanz war weis, haͤrtlich und ſo ſproͤde, daß die Stralen mir unter den Haͤnden zerbrachen.


Den 25ten konten wir wegen des unbeſtaͤndigen Windes kaum ſechs Meilen zuruͤk-
legen. Die malacciſchen Ufer waren noch wie geſtern ziemlich niedrig, und wie wir aus
dem Rauch und einigen elenden Fiſcherkaͤnen ſchließen konten, bewohnt. Tief im Lande
zeigten ſich ſehr hohe Berge, deren verſchiedne in Dampf und Nebel verhuͤlt waren. Ge-
gen Abend erhub ſich ein ſehr ſtarker Landwind.


Den 26ten waͤhrte dieſer Wind bis Mittags fort, da er durch einen Sturm gelegt
wurde. Dies zwang uns auch anzulegen. Die Nacht uͤber fingen wir viel Fiſche.


Den 27ten ſegelten wir bei guͤnſtigem Landwinde und gutem Wetter weiter fort,
und bemerkten, daß das Land an einigen Orten gebrochen, an einigen ſehr niedrig,
B 3an
[14]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
an andern etwas hoͤher war, angenehme Huͤgel, und zwiſchen ihnen anmutige Thaͤler
hatte.


Den 28ten hatten wir beinahe das Vorgebuͤrge Patany erreicht, als der Wind
Nordweſt gen Weſt wurde, ſo daß wir bis Mittag nur laviren muſten, nicht viel weiter
kamen, und endlich gezwungen wurden, die Anker ganz fallen zu laſſen. Es kamen eini-
ge Fiſcher zu uns an Bord, und verkauften uns Fiſche, fuͤr welche ſie weiter nichts als
ein Tiſchtuch foderten. Unter andern fand ich unter dieſen Fiſchen auch den, welchen un-
ſre Matroſen Seekatze nennen. Dieſer Fiſch iſt ein wahres Jchthyothurion, da er weder
Graͤten noch Faſern wie andre Fiſche hat. Wir fanden ihn auch in Menge auf unſrer
Farth nach Japan, wo ich ihn daher umſtaͤndlicher beſchrieben habe.


Die Einwohner von Malacca ſowol auf dieſer als jener Seite der Halbinſel, und
eben ſo auch die auf den Jnſeln lieben uͤber alles Leinwand, die ſie gern fuͤr ihre Waa-
ren, welche meiſtens in Lebensmitteln beſtehn, zum großen Vortheil des Kaͤufers austau-
ſchen. Dieſe Einwohner ſind meiſtens Fiſcher und gute Schwimmer, die faſt ihr ganzes
Leben auf der See zubringen. Die Menſchen auf den nicobariſchen Eilanden, (welche
auf der andern Seite der Halbinſel, auf dem Wege von Malacca nach Bengalen liegen,)
ſollen, wie ich von verſchiednen Bothsleuten, die Augenzeugen waren, gehoͤrt habe, ſo tref-
liche Schwimmer ſeyn, daß ſie dem Schiffe im vollen Segeln nachſchwammen, und es er-
reichten, und dabei dann und wann aus dem Waſſer hervorſchoſſen. Sie haͤngen bei die-
ſem Schwimmen die Waaren, welche ſie verkaufen wollen, um den Hals, und beſonders
pflegt faſt ein jeder ein Stuͤk Ambra in dem Tuch, womit ſie die Schaam bedecken, ein-
gewunden mit ſich zu bringen, wofuͤr ſie denn Fiſchangeln und mancherlei kleine Waren,
am liebſten aber Leinwand eintauſchen. Sie bringen alles ſehr geſchwind an Bord, und
wenn ſie das Schif einmal erreicht haben, ſo klettern ſie mit ungemeiner Geſchwindigkeit an
jedem Orte des Schifs, wo ſie zuerſt ankommen, hinauf. Sie ſollen durchgehends ſehr
große, ſtarke Menſchen ſeyn, mit breitem Munde und großen Zaͤhnen. Wenn blos zum
Scherz geſchoſſen wurde, tauchten ſie alle unter Waſſer, kamen aber hernach wieder hervor
und kletterten das Schif hinan. Die Portugieſen kommen ſehr oft auf dieſe Jnſeln, um
den Einwohnern Ambra abzukaufen. Deswegen ſchrien dieſe auch unſern Schiffen, Am-
bra, Ambra zu, und winkten ihnen ans Land zu kommen. Sie haben ihre eigne Sprache,
verſtehn aber doch etwas malayiſch, portugieſiſch und hollaͤndiſch. Es iſt gewis, daß ſie
noch ganz wild ſind, und Europaͤer, die ihnen in die Haͤnde fallen, freſſen. Doch ſollen
ſie bei weitem nicht ſo grauſam ſeyn, als die Bewohner der Andemansinſeln, welche
nicht gar weit von den nicobariſchen, nach Bengalen zu, liegen. Die Brachmanen
behaupten, daß die Einwohner der Andemanseilande eingefleiſchte Teufel waͤren, daß die
Selen der verdamten Menſchen in ſie fahren, und daß ſie alle hinten einen fingerlangen
Schwanz
[15]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
Schwanz haben. Die Untiefe und verborgnen Klippen machen es ſchwer, dieſen Jnſeln
beizukommen. Diejenigen aber, welche ein Schifbruch oder Zufal hieher verſchlaͤgt, koͤn-
nen ſich nicht viel Gutes verſprechen.


Den 29ten Mai ſezten wir unſre Farth zwei Stunden vor Tage mit ſchwachem
Landwinde fort, und brachten die meiſte Zeit mit Laviren zu, bis wir endlich genoͤthiget
wurden, die Segel ganz einzuziehn, theils, weil wir faſt gar nicht weiter kamen, theils
auch weil wir einen Sturm aus Norden befuͤrchteten, wo der Himmel ganz mit ſchwarzen
Wolken bedecket war. Wir hatten uns bei dieſer Furcht ſo wenig betrogen, daß der
Sturm uns ſchon befiel, als wir noch mit dem Einziehn der Segel beſchaͤftiget waren.
Und obgleich dieſer Sturm nur zwei Stunden anhielt, ſo war uns doch der Wind noch im-
mer ſo ſehr entgegen, daß wir dieſen ganzen Tag und die folgende Nacht vor Anker lagen,
und nicht eher als den folgenden Morgen unter Segel gehn konten.


Jch kan mich nicht enthalten, hier die merkwuͤrdige Geſchichte des Schifbruchs
und der Erhaltung eines gebornen Japaners mitzutheilen, der ſich mit auf unſerm Schiffe
befand, und mir bei dieſer Gelegenheit ſeine Begebenheit erzaͤhlte. Dieſer Japaner hies
Hanjemon, war ein ſehr aufrichtiger, verſtaͤndiger Man, von Firando gebuͤrtig, und
hatte ſich nachher in Siam niedergelaſſen. Er verſtand die tunquinſche, kochinſiniſche,
ſineſiſche, ſiamiſche und malabariſche Sprachen. Jm Jahr 1682 unternahm er auf einer
großen ſiamiſchen Junke eine Reiſe von Siam nach Manilla auf den philippiniſchen Jn-
ſeln. Der Steurman war ein Portugieſe, die Manſchaft in der Junke betrug zuſammen
64 Perſonen. Ohngefehr zwei Meilen von einer ſehr niedrigen flachen Jnſel, (welche die
Portugieſen Viſia grande nennen) hatten ſie das Ungluͤk, auf einer verborgnen Klippe bei
gutem Wetter zu ſtranden. Der Steuerman war nebſt noch neun andern ſo gluͤklich, ſich in
dem gewoͤhnlichen kleinen Boot oder Schuyt zu retten. Sie kamen nach ſechs Tagen in
Tunquin an, und reiſeten von da wieder nach Siam zuruͤk. Viele andre wurden mit dem,
was ſie am erſten zu ihrer Rettung ergreifen konten, ſeewaͤrts eingetrieben, und da man
weiter nichts von ihnen erfahren hat, bleibt die Vermuthung, daß ſie alle oder wenig-
ſtens die meiſten ihr Leben auf eine elende Art verloren haben. Hanjeman und noch
dreizehn andre kamen gluͤklich auf der erwaͤhnten Jnſel an, die nur zwei Meilen von dem
Ort, wo ſie ſtrandeten, entfernt war. Dieſes Eiland Viſia grande gehoͤrt zu den Phi-
lippinen, liegt nicht weit von der großen Jnſel Lucon (Luzon) oder Manilla, iſt ſehr
flach und niedrig, ohne Gebuͤrge und Holz, nicht aber ohne Kraͤuter und Bambus, 357
Faden breit und 363 lang. Hanjeman und ſeine Gefaͤhrten fanden hier eine große
Menge Voͤgel, die ſo zahm waren, daß ſie ſich mit Haͤnden greifen ließen. Er bemerkte
nur vier verſchiedne Gattungen unter dieſen Voͤgeln, alle aber hatten große Schnaͤbel.
Diejenige Gattung, welche die Portugieſen Parginge nennen, und oben ſchwarz, unten
weis
[16]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
weis iſt, that ihnen beſonders gute Dienſte mit ihren Eiern, die ſo gros wie Huͤner- oder
Enteneier waren, und welche ſie das ganze Jahr durch genießen konten. Auf den Kuͤſten
fingen ſie große Schildkroͤten, die ihnen ſechs Monate im Jahr zur Abwechſelung mit den
Voͤgeln dienten. Unter den Pflanzen fanden ſie die große Wurzel Dracontium, welche in
Jndien gegeſſen wird, wenn der ſcharfe Saft ausgepreſt iſt. Sie fiengen auch hernach
Fiſche, nachdem ſie von angetriebnem Holz ein Floͤs verfertigt, und damit von dem Werk
des verungluͤkten Schifs Holz, Eiſen und zum Fiſchfang gehoͤrende Werkzeuge bei ſtillem
Wetter geholt hatten. Durch Reiben der Bambusrohre machten ſie Feuer*), und den
Abgang ihrer Kleider erſezten ſie durch die Haͤute und Federn der Voͤgel; die ſie, ſo gut
ſie vermochten, zuſammenfuͤgten. Anſtat der Toͤpfe dienten ihnen die großen indiſchen
Muſcheln, welche die Hollaͤnder Vader Noachs Schulpen nennen, welche aber nur die
Unbequemlichkeit hatten, daß ſie das Feuer nicht lange aushielten. Doch lehrte ihnen
noch der laͤngere Gebrauch, daß ſie, mit dem Blut der Voͤgel beſchmiert, viel feſter wuͤr-
den, und dann ziemlich lange das Feuer aushielten. Auf dieſe Art mangelte unſern Ver-
ſchlagnen bald nichts zu ihrem Lebensunterhalt, als Waſſer, welches ſie auf der Jnſel gar
nicht fanden. Sie gruben, um dieſem Mangel zu begegnen, Hoͤlen in die Erde, worin
ſie das Regenwaſſer ſamleten, und es hernach in ihren Toͤpfen, den erwaͤhnten Muſcheln,
verwahrten. Eben ſo ſorgfaͤltig ſamleten ſie alles Holz, das an die Jnſel angetrieben wur-
de, um ſich deſſelben gelegentlich zu bedienen. Auf dieſe Art lebten ſie auf der Jnſel acht
Jahre, und zweifelten gar nicht daran, daß ſie auf derſelben auch noch ihr Leben wuͤrden
beſchließen muͤſſen. Endlich aber wurden ſie ihrer Lebensart auf dieſer oͤden Jnſel ſo uͤber-
druͤſſig, und die Begierde, ihre Freunde und Bekante wieder zu ſehn, regte ſich ſo ſtark
bei ihnen, daß alle, welche noch am Leben waren, einmuͤthig ſich entſchloſſen, aus dem
geſamleten Holze ein Fahrzeug, oder um es richtiger auszudruͤcken, ein Ungeheuer von
Fahrzeug zu erbauen, und ſich mit demſelben dem ſtuͤrmiſchen Meer zu uͤberlaſſen. Lieber
wolten ſie ihr Leben ganz verlieren, als laͤnger auf eine Art zubringen, die ihnen ſo armſe-
lig und traurig vorkam. Drei von ihnen waren auf der Jnſel geſtorben, und eilf waren
alſo noch uͤbrig, welche ſich mit ihrem Fahrzeuge dem Meere uͤbergaben, und es darauf
ankommen ließen, wo ſie ihr gutes Gluͤk hinfuͤhren wuͤrde. Nachdem ſie 31 Tage herum-
getrieben waren, kamen ſie endlich in den Meerbuſen von Tunquin an die große Jnſel
Haynam, und zwar zu ihrem guten Gluͤk an die Kuͤſte gegen Canton uͤber, welche von
Sineſern bewohnt iſt, da die andre Seite der Jnſel, Cochinſina gegenuͤber, von einer
ſehr wilden Nation, (die man ſogar fuͤr Menſchenfreſſer haͤlt) bewohnt ſeyn ſol. Der
ſineſiſche Gouverneur der Jnſel nahm dieſe Ungluͤklichen ſehr guͤtig auf, verſah ſie mit Klei-
dern, und ſchikte ſie nach der beruͤhmten portugieſiſchen Handelsſtadt Makao, von wel-
chem
[17]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
chem Ort drei auf einem portugieſiſchen Schif nach Batavia kamen. Hanjemon reiſete
nun mit uns nach Siam, erfuhr aber zu ſeinem großen Verdrus, daß ſeine Frau, der
langen Abweſenheit ihres Mannes uͤberdruͤſſig, ſich an einen Portugieſen wieder verheira-
thet, und mit demſelben ſchon einen Sohn erzeugt habe.


Nach dieſer kurzen Digreſſion wollen wir unſern Lauf am 30ſten Mai fortſetzen,
der aber wenig betrug, weil wir wegen des widrigen Windes ſchon Nachmittags vor
Anker liegen muſten.


Den 31ten Mai fruͤh, als wir noch kaum eine Stunde fortgeſegelt hatten, wur-
den wir von einem ausnehmend heftigen Sturm ohne Regen ſo ploͤzlich ergriffen, daß wir
kaum die Segel einnehmen, und die Anker fallen laſſen konten. Unſre Fokſen oder Vor-
bramſtangen wurden ſogleich zerſplittert, und fielen theils ins Schif, theils uͤber Bord,
wobei zwei Menſchen, die vorne auf den Bramſtangen ſtanden, das Ungluͤk hatten, mit
uͤber Bord zu fallen. Der eine wurde bald mit Stangen und Seilen wieder gerettet,
weil er dicht neben dem Boot niederfiel. Der andre ergrif das Seil, womit das Boot an
das Schif gebunden war, und hielt ſich an demſelben doch ſo lange, (obgleich das Schif
wie ein Pfeil fortſchos,) bis er von zweien, die im Boot ſaßen, nicht ohne große Muͤhe
und Gefahr gerettet wurde. Beide ſchienen aͤußerlich an den Knochen unbeſchaͤdigt; der
eine aber klagte heftig uͤber Schmerzen in der Bruſt, ſo wie der andre in den Seiten. Es
war noch unſer Gluͤk, daß gerade die Vorderbramſtange brach, weil ſonſt die große Stan-
ge wuͤrde in gleiche Gefahr gekommen ſeyn. Kaum waren die Segel eingenommen, und
die Anker geworfen, ſo legte ſich auch ſchon der Sturm. Wir brachten aber den ganzen
noch uͤbrigen Tag mit Verfertigung einer neuen Stange zu.


Den 1ſten Junius wandte ſich der Wind gen Suͤd-Suͤdweſt, dann Suͤdweſt,
und wurde endlich ganz Suͤdwind. Wir ſuchten nun unſre Segel ſo gut als moͤglich zu ge-
brauchen, um das Schif einigermaßen im Gleichgewicht zu erhalten, da unſre Stange
noch nicht aufgeſezt war. Unſre Richtung war meiſtens weſtlich; Nachmittags wurde es
ſo ſtille, daß wir Anker werfen muſten. Wir fingen hier viele Fiſche; gegen Abend
waren unſre Stangen endlich voͤllig aufgeſezt, und wir bekamen nun einen guten forttrei-
benden Landwind, welcher nicht eher als den 2ten Jun. Mittags auf hoͤrte.


Heute und geſtern war das Land ganz flach und niedrig, das Wetter aber gut
und klar, nur gegen Abend um den Horizont etwas ſchwarz und wolkicht.


Nachdem wir die Nacht weiter fortgefahren, befanden wir uns den 3ten Jun. dem
ligoriſchen niedrigen Lande und einem Fluſſe gegenuͤber, der dort in die See laͤuft. Nicht
weit davon war die Kuͤſte wieder bergicht.


Den 4ten Jun. erreichten wir drei ziemlich große, in dieſem Meerbuſen unter
dem 10ten Gr. der Br. gelegne Jnſeln, die man noch zu den ligoriſchen Landen rechnet,
Cweil
[18]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
weil uns der Wind heute ſehr guͤnſtig war. Die erſte dieſer Jnſeln, welche auf den Char-
ten Puli Cornam heiſt, hatten wir des Morgens zur Seite; gegen Mittag erreichten
wir die Jnſel Puli Sancarii, die gerade unter dem 10ten Gr. der Br. liegt; gegen A-
bend ſahn wir auch die dritte Puli Bordia, zur Linken gegen W. S. W. Wir glaubten auch
damals ſchon das Land Kui zu erkennen. Die Nacht uͤber war der Wind ziemlich ſcharf, und
wir konten die Oberſegel nicht gebrauchen.


Den 8ten waren wir dem Lande Kui zur Seite. Es liegt ohngefehr in der Gegend, wo
auf den gewoͤhnlichen Charten eine Jnſel dicht am Lande und in der Muͤndung eines
Fluſſes gezeichnet iſt, der ſich dort in die See ergieſt. Das Wetter war heute ganz truͤbe
und dunkel mit Regen, nur dann und wann wehte ein guͤnſtiger Wind aus S. W. oder S. S. W.
auch wol ganz S. Wir richteten unſern Lauf immer laͤngſt dem Strande hin, der hier ganz rauh,
mit vielen hohen Bergen beſezt, und der Kuͤſte von Schweden nicht unaͤhnlich iſt. Auch hier
ſah ich in der See vor dem Lande viele rauhe, duͤrre, theils unbebauete, theils unbewohnte
Klippen und kleine Jnſeln, vor welchen ſich die Schiffer wohl in Acht nehmen muͤſſen, wel-
ches aber nicht leicht iſt, da von dieſen Klippen in unſern gewoͤhnlichen Seekarten gar keine
Erwaͤhnung vorkoͤmt. Jn der That wundre ich mich, daß ſowol hier als uͤberhaupt nicht
mehr Ungluͤksfaͤlle in der Schiffarth vorfallen, da unſre Seecharten ſo außerordentlich un-
richtig ſind, daß man ſich ſchlechterdings nicht auf ſie verlaſſen kan. — Wir bekamen
einige genauere Nachricht von dieſer Kuͤſte durch einen ſiamiſchen Kaufman, Monpron-
cena,
der des verſtorbnen Koͤnigs von Siam Faktor auf dieſer Jnſel war, bei den Un-
ruhen, (die ich im folgenden Kapitel erzaͤhlen werde,) von den Franzoſen ſeiner und ver-
ſchiedener koͤniglichen Guͤter beraubt, hernach aber von dem Gouverneur zu Paliakatta
wohl aufgenommen, bekleidet und nach Batavia geſchikt wurde. Dieſer Man nante die
groͤſte unter den erwehnten felſigten Jnſeln Samajotn. Er nante uns auch folgende Or-
te, welche an dieſer Kuͤſte oder auf den benachbarten Eilanden Kui oder Koi, bis zur
Muͤndung des Fluſſes Meinam in folgender Ordnung liegen ſollen. Die vielen Jnſelchen
und Klippen, welche dicht vor uns lagen, nante er zuſammen Pran oder Pranj; dann, ſagte
er, folge Czam oder Ceam, dann Putprich, dann Jſan, dann Mayaklon, dann
Tatzyn oder Satzyn, endlich die Muͤndung des Fluſſes Meinam, der in ſiamiſcher
Sprache Pagnam Taufia heiſt.


Den 6ten Jun. des Morgens waren wir etwas verſchlagen, und hatten zur Rech-
ten die kleinen Jnſeln bei dem Vorgebuͤrg Siam ohngefehr vier Meilen von uns. Zur Lin-
ken ſahn wir auch verſchiedne hohe Berge und Jnſeln, welche ich, weil ſie kaum zu erken-
nen waren, ſechs bis ſieben Meilen von uns entfernt hielte. Wir hatten ſonſt uns in unſrer
Rechnung etwas betrogen. Weil der Wind ziemlich heftig aus S. und S. W. gen W.
kam, ſo hatten wir in voriger Nacht die großen Segel eingezogen, aus Furcht, dem Lan-
de, das wir ſehr nahe vermutheten, zu nahe zu kommen, oder gar gegen daſſelbe anzufahren.


Ankunft
[19]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.

Ankunft in Siam.


Nachmittags kamen wir noch gluͤklich auf der Rhede von Siam an, und ließen
gegen Abend, nach der Abloͤſung von fuͤnf Kanonenſchuͤſſen, unſre Anker fallen, in einer
Gegend, wo die Muͤndung des Meinam gerade gegen Norden, drei Meilen von uns ent-
fernt war. Vor uns ſahn wir hier an beiden Ufern des Fluſſes niedrig gebuͤſchichtes Land,
zur Rechten Berge, zur Linken die See.


Den 7ten Jun. ſegelten wir in Geſelſchaft der Herren Gudward und van Lohn
mit gutem Winde auf die Muͤndung des Fluſſes zu, uͤber einen ſehr ſchlammichten Meer-
grund und verſchiedne Leimbaͤnke. Wir fanden in dieſer Gegend viele kleine Fiſcherkaͤhne,
nebſt verſchiednen Anzeigen der Tiefe fuͤr die Schiffe, welche zuweilen den Strom hinauf-
fahren. Hart an der Muͤndung deſſelben ſahn wir eine Menge ſineſiſche und andre Jun-
ken liegen, vor denen wir kaum unſre eignen Maſten ſehen konten. An der Muͤndung ſind
einige breite Landſpitzen, die aber aus bloßem Schlam beſtehn, und bei hohem Waſſer
voͤllig uͤberſchwemt werden. Zu beiden Seiten ſieht man auch einige Schanzen, auf die man
Kanonen pflanzen kan. Bei Gelegenheit der neulichen franzoͤſiſchen Unruhen hatte man an
verſchiednen Stellen des Fluſſes dergleichen Schanzen aufgeworfen. Wir kamen gegen Mit-
tag in unſrer Faktorei Amſterdam an, die eine Meile von der Muͤndung liegt, und wur-
den von dem daſelbſt reſidirenden Commandanten, der Core hies, und ein Schwede von
Geburt war, mit vieler Hoͤflichkeit empfangen.


Den 8ten Jun. verſuchte ich es, ſo wie ſchon vorigen Abend, im Walde herumzu-
gehn und ſiamiſche Kraͤuter zu ſuchen, welches immer eine Hauptbeſchaͤftigung fuͤr mich auf
allen meinen Reiſen war. Jch konte aber doch meine Wisbegierde hierin nicht hinlaͤnglich
befriedigen, weil ein großer Theil des Waldes unter Waſſer ſtand, und der uͤbrige durch
Tiger und andre wilde Thiere ſehr unſicher gemacht wurde. Jch fand nur verſchiedne Gat-
tungen Farnkraut, worunter auch verſchiedne europaͤiſche waren, einige gramina cype-
roidea,
eine ſehr ſchoͤne alcea fruteſcens, nebſt verſchiednen andern Pflanzen, welche
ich beſonders beſchrieben habe. Ein alter, der Kraͤuter ſehr kundiger Man, verſicherte
mich, daß der anacardus um Bankok ſehr haͤufig wachſe. — Unſre Schuyte wurde
heute wieder an Bord geſchikt, um vier Kiſten Geld von dort abzuholen.


Den 9ten Jun. giengen wir mit unſrer Schaluppe den Flus hinauf, und beluſtig-
ten uns mit Schießen der Affen, welche ſich in Menge am Ufer und auf den Baͤumen be-
finden. Abends ſpaͤt kamen wir die Feſtung Bankok vorbei, wo die von den Franzoſen
rechter Hand aufgefuͤhrte Schanze nunmehr zerſtoͤhrt war. Wir lagen hier einen guten
Theil der Nacht uͤber vor Anker.


Den 10ten ſezten wir unſre Reiſe noch vor Tage weiter fort. Das Ufer wurde
nun anmuthiger, und war nach und nach mehr mit Haͤuſern und Doͤrfern beſezt. Jch ha-
be die Namen der verſchiednen Orte in meiner Charte angezeigt, welche ich dieſesmal im
C 2Hin-
[20]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Hinauffahren vom Laufe des Fluſſes verfertigte, und nachher, als ich ihn herunter fuhr,
nochmals verbeſſerte. Gegen 10 Uhr erreichten wir eine kleine Jnſel im Fluſſe, auf der
viele Talapoins wohnten, und verſchiedne Tempel waren. Jch ſahe auch drei ſitzende
und einen ſtehenden großen Abgott, die mit ganz verguldeten Mandarinsmuͤtzen angethan
waren. Gegen 40 kleinere Goͤtzen ſtanden zu den Fuͤßen dieſer großen. Nach eingenom-
mener Mittagsmalzeit fuhren wir zwiſchen luſtigen, gruͤnen Ufern fort, und ließen vor
Einbruch der Nacht nur noch wenige Meilen von der Hauptſtadt Juthia unſre Anker fallen.


Ankunft in Juthia.


Den 11ten kamen wir noch vor 9 Uhr, da der Gottesdienſt angieng, (denn es
war Sontag) in unſrer unter Juthia gelegenen Faktorei gluͤklich an. Dieſen Abend
wurde dem Reſidenten angezeigt, daß er ſich morgen zu Hauſe halten muͤſſe, weil der Koͤ-
nig ausfahren wolle. Jn dieſem Fal mus in Siam Jederman ſich verkriechen; in Per-
ſien
doch nur, wenn das koͤnigliche Frauenzimmer ausfaͤhrt. Es herſcht alsdann die groͤ-
ſte Stille, und alle Fenſter ſind verſchloſſen. Wenn der Koͤnig oder ſeine Weiber einem
von ohngefehr auf dem Felde begegnen, ſo mus man mit dem Geſicht ſich ſogleich zur Er-
de niederwerfen, und dieſen erhabnen Perſonen aus Ehrerbietung den Hintern zeigen, bis
ſie mit ihrem ganzen Gefolge voruͤber ſind.


Begraͤbnis der Mutter des Berklam’s


Den 12ten, um 4 Uhr Nachmittags, wurde des Berklam’s oder oberſten Reichs-
kanzlers (der zugleich alle auswaͤrtige Geſchaͤfte beſorgt) Mutter verbrant und begraben.
Die Siamer haben aber die| Gewohnheit, auch ihre Ammen, Muͤtter, ſo wie diejenigen,
Bruͤder und Schweſter zu nennen, welche mit ihnen gleiche Bruͤſte geſogen haben. So
war dieſe Frau auch nicht des Berklam’s Mutter, ſondern ſeine Amme. Das Leichenbe-
graͤbnis vornehmer Perſonen in Siam iſt ausnehmend praͤchtig. Die Leiche wird zuerſt
in einem praͤchtigen, ſtark verguldeten Fahrzeuge mit Trommeln und Muſik nach dem Ver-
brennungsplatze uͤbergefuͤhrt. Sie liegt dann entweder in einem Sarg, oder ſizt in einem
kleinen Hauſe, ſo daß man ſie ſehen kan. Gemeiniglich ſtinkt aber dieſe Leiche ſchon ſehr,
weil zu der Einrichtung des Begaͤngniſſes viel Zeit erfordert wird, obgleich vornehme Per-
ſonen, wenn ſie gefaͤhrlich krank ſind, ſchon bei ihrem Leben daran arbeiten laſſen. Der
Sarg iſt ein laͤnglicht viereckigter Kaſten, unſern europaͤiſchen Saͤrgen nicht unaͤhnlich, ent-
weder verguldet oder mit Papier beklebt, das mit Gutta Gamba und Zin verguldet wird.
Er ſteht auf einer zwei bis drei Mans hoch erhabnen, verguldeten und gleichfals mit vielen Lei-
ſten, Saͤulen ꝛc. ſehr ſchoͤn ausgezierten Todtenbar. Das Fahrzeug, ſo die Leiche faͤhrt,
wird gemeiniglich von einem andern begleitet, das eine thurmweiſe erhabne Pyra-
mide hat. Vor und nach folgen viel andre kleinere Fahrzeuge, welche in der Mitte
eine von Bambusrohr verfertigte, mit guͤldnem Papier und Kronen ausgezierte Spi-
Tab. 1.
F.
2. 3.
tze tragen; die beigefuͤgte Figur wird den deutlichen Begrif davon machen. Dieſe ver-
ſchiedne
[]

[figure]

Tab. I.


[][21]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.
ſchiedne Fahrzeuge mit den darin angebrachten Pyramiden und andern Zierrathen liegen,
waͤhrend daß die Leiche verbrant wird, am Ufer des Fluſſes ſtille. Auf dieſe Art wird die
Leiche in Begleitung vieler Talapoins unter beſtaͤndiger Muſik nach dem Begraͤbnisorte
gebracht, daſelbſt |auf den Scheiterhaufen gelegt, und nebſt dem Sarge verbrant. Die
uͤbergebliebnen Gebeine und Aſche werden nach der Verbrennung geſamlet, und in die Erde
geſchart. Ueber denſelben wird dann, nach dem Stande und Vermoͤgen der Perſon, eine
koſtbare Pyramide aufgerichtet. Der Plaz, wo des Berklam’s Mutter begraben wurde,
war am Ufer zweier Arme des Stroms, der Stadt gegenuͤber, mit einer Reihe von klei-
nen Fahnen und andern Zierrathen ins Gevierte, wie eine Paliſſade umzogen. Mitten
auf dem Plaz ſtand ein mit vielen Saͤulen zierlich und koſtbar aufgerichteter, und mit ver-
guldetem Papier ganz uͤberklebter hoher Thurm mit zwei Pforten, gerade eine der andern
gegenuͤber. Unter dieſem Thurm wurde der Leichnam in einem koſtbaren Sarge verbrant,
und der Koͤnig, welcher die Verdienſte des Berklam’s ſehr ſchaͤzte, zuͤndete ſelbſt den
Scheiterhaufen, der aus ſehr ſeltnem Holz zuſammengeſezt war, zuerſt an. Auf einer
Seite dieſes Kirchhofes war auch noch ein beſondrer Plaz dazu eingerichtet, die Talapoins
zu bewirthen, nachdem ſie alle ihre Ceremonien verrichtet hatten. Man gieng durch eine
Pforte hinein, die mit vielen verguldeten Tuͤchern belegt war.


Audienz bei dem Berklam.


Einige Tage hernach hatte unſer Reſident, Herr van Hoorn, in Begleitung
noch zweier Maͤnner, die die ſiamiſche und andre aſiatiſche Sprachen ſehr gut verſtanden,
des Herrn Daniels und Hrn. Moſes Brokborde, eine feierliche, oͤffentliche Audienz bei
dem Berklam. Der Capitain unſers Schiffes, und meine Wenigkeit wurde auch noch
bei derſelben zugelaſſen. Die Urſache dieſer Audienz war, dem Berklam und dem Koͤnig
die Briefe und Geſchenke zu uͤbergeben, die wir mitgebracht hatten. Des Morgens zwi-
ſchen 7 und 9 Uhr am Tage der Audienz, kamen vier Operas oder Reichsraͤthe*) in un-
ſerer Faktorei zu uns. Einer derſelben hies Opera Tſijat, ein Hindoſtaner, jezt uͤber-
haupt der Mohren, d. i. der Mohammedaner; auch Sjabander des Koͤnigs, d. i. Zol-
meiſter uͤber alle einkommende Waaren. Er war nach der Landesmanier mit reichen Gold-
ſtuͤcken und einem Tulban bekleidet. Der andre war ein ſiamiſcher Mandarin, ein Herr
von 80 Jahren, und dann bemerkte ich noch einen Sineſer mit aufgewundnem Haupthaar,
uͤbrigens aber wie ein ſiamiſcher Mandarin gekleidet. Dieſe Herren wurden nebſt ihrem Ge-
folge auf unſrer Faktorei von dem Reſidenten mit Confituͤren und Brantewein bewirthet;
der Mohr aber und noch ein Siamer wolten nicht trinken. Jhre Prauen oder Fahrzeuge
waren ſehr artig und noch mehr praͤchtig, vor allen aber dasjenige, welches die Briefe fuͤr
C 3den
[22]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
den Koͤnig und den Berklam uͤberbringen ſolte. Es war in demſelben Niemand als der
Dolmetſcher. Der Geſtalt nach war dieſes Fahrzeug den andern nicht unaͤhnlich; nur groͤ-
ßer und der Vorder- und Hintertheil mehr erhaben. Aus dem nebenſtehenden Ku-
Tab. 1.
Fig.
4
pfer kan man ſich den beſten Begrif davon machen. Etwas ſonderbares bei
dieſer Prau war noch dieſes, daß alle Ruderknechte Hemde oder ungefutterte
Roͤcke von grobem Leinwand, und gelbe oder weiße platte Muͤtzen, ebenfals von
Leinwand trugen. Der Stuhl in dieſem Fahrzeuge war mit gruͤner, weißer und
gelber Leinwand uͤberzogen, und hatte zu jeder Seite eine Bank. Der Stuhl war
aber uͤber beide erhaben, nach der Sitte des Landes, da Perſonen vom hohen Range al-
lemal erhabener als andre ſitzen muͤſſen. Zu jeder Seite des Stuhls hatte man ein Schwert
und eine Stange befeſtigt, die mit Gold uͤberzogen und mit koſtbaren Steinen beſezt wa-
ren. Dies ſind Zeichen der hoͤchſten Gewalt, welche alle Mandarine bei feierlichen Gele-
genheiten ſich nachtragen laſſen. Dieſe Staatsſchwerter haben Klingen von Manslaͤnge,
daß man damit wie mit einer Senſe um ſich hauen kan.


Der Staatsſtuhl, von dem ich geredet habe, iſt aus verſchiednen Stuͤcken zu-
ſammengeſezt. Unten liegt die erſte Lage mit den Ruderbaͤnken volkommen gleich, etwa
eine Spanne hoch uͤber das Schifsbort erhaben. Sie iſt ohngefehr vier Schritte lang und
ſo breit als das Fahrzeug, mit Leiſt- und Schnizwerk kuͤnſtlich geziert. Mitten auf dieſer
erſten Lage liegt eine andre kleinere, aber etwas hoͤher erhaben und auf gleiche Art ausge-
ziert, beinahe viereckigt. Auf dieſer zweiten Lage ſteht ein vergoldeter vierfuͤßiger Stuhl,
uͤber welchen ein gebogener Himmel ausgeſpant iſt, der an beiden Seiten des Fahrzeugs uͤber das
Waſſer hervorragt, und mit zwei eiſernen Klammern feſtgemacht iſt. Dieſer Himmel iſt aus
Bambusrohr und Leder gemacht, inwendig ſchwarz, von außen aber entweder ganz vergul-
det oder auch nur mit einem breiten guldnen Strich auf ſchwarzem oder rothem Felde ringsher-
um geziert.


Wir fuhren nun in folgender Ordnung zur Audienz: Zuerſt Opera Tſijat, der
Mohr; dann die drei andere ſiamiſche und ſineſiſche Mandarine; dann die Prau mit den
Briefen an Seine Majeſtaͤt und den Berklam, welche zugleich in malayiſcher und hol-
laͤndiſcher Sprache geſchrieben waren. Sie wurden zuerſt in Gold durchwirkten Beuteln
verwahrt, und lagen in denſelben auf einer guͤldnen Schale, welche mit kuͤnſtlich durch-
wirktem Tuche bedekt, und nach Landesart in eine mit Perlmutter beſezte Pinangsbuͤchſe
gelegt war. So verwahrt wurden dieſe Briefe gerade in die Mitte des gehimmelten *)
Stuhls geſezt. Der Dolmetſcher und Ueberbringer ſas vor den Briefen auf einem Teppich.


Nach
[23]Erſt. Kap. Reiſe von Batavia nach Siam.

Nach der Prau mit den Briefen folgten wir in einem kleinern Fahrzeuge, das ei-
nen rothen Himmel hatte. Jn dieſer Ordnung fuhren wir der Laͤnge der Stadt nach den
Strom hinauf nach des Berklams Hauſe, woſelbſt dieſer erſte Miniſter oͤffentliche Au-
dienz giebt, und ſich in ſeiner ganzen Pracht und Herlichkeit ſehn laͤſt. Wir ſtiegen ohn-
weit dieſes Hauſes an Land, und machten den uͤbrigen Weg zu Fuße. Der Vorhof war
ſehr kothig, doch etwas beſſer als der Vorhof ſeines andern Hauſes, (denn dies war eigent-
lich nur Audienzſaal) wo wir vor einigen Tagen eine Privataudienz gehabt hatten. So-
gleich wie wir in dieſen Hof kamen, bemerkten wir zur linken Hand ein offen viereckigt
Haus, oder vielmehr eine ofne große Kammer ohne Mauern, mit Brettern belegt, und
mit vielen Menſchen angefuͤlt. Rechter Hand war ein Stal, in dem ein aufgepuzter gro-
ßer Elephant ſtand. Wir giengen aber gerade aus, eine ſteinere Treppe hinauf, zu dem ei-
gentlichen Audienzſaale, da wir zuvor, der Landesſitte gemaͤs, unſre Schuhe abgelegt hat-
ten. Dies Audienzhaus beſtand nur aus einem Zimmer, wie eine Kirche. Jnwendig
war es weis, aber wohl beſtaͤubt; und mit Spinwebe reichlich behangen. An jeder Seite
bemerkte ich ſieben viereckigte Saͤulen, auf denen das hoͤlzerne Oberſtrich ruhete, welches
bis in den dritten Theil des Dachs erhaben, und mit rothem Laubwerk ganz artig bemalt
war. Jede Saͤule war in der Mitte mit einer langen ſineſiſchen Kupferplate behangen.
Dem Raum zwiſchen den Saͤulen gerade gegenuͤber war in der Mauer ein langes Fenſter,
mit Schiebbrettern verſehn. Man kam durch zwei Thuͤren in den Saal hinein, und zwi-
ſchen dieſen war auch ein Fenſter. Jnwendig, laͤngſt den Pfeilern, war eine lange Stange
von Bambusrohr befeſtigt, und mit ſchlechtem weißen Tuch behangen. Hinter derſelben
ſaßen und lagen des Berklams Bediente, die keine Mandarins waren, ohne Ordnung
durcheinander. Vor der Bambusſtange ſaßen laͤngſt derſelben hin die Mandarine. Oben
an zur Rechten des Berklams Oja Tewijata, ein Mohr und Oberaufſeher der koͤnigli-
chen Elephanten; zur Linken Oja Pipat, oder Unter Berklam, beide mit goldnen
Borſetten vor ſich. Borſetten ſind kubiſche Buͤchſen von Pinang, und beſondre Gnaden-
zeichen des Koͤnigs, die er ſeinen Mandarins von hoͤherm Range zugleich mit ihrem Titel
ſchenkt; doch haͤlt man die Sache ſo wichtig, daß der Koͤnig niemals ein dergleichen Ge-
ſchenk macht, ohne vorher ſeine Aſtrologen um Rath zu fragen. Unter dieſen beiden vor-
nehmſten Mandarins ſaßen nun noch eine gute Anzahl andrer ſiamiſcher, ſineſiſcher und
mohriſcher Mandarine. Jch konte ihrer rechter Hand drei und zwanzig, und linker Hand
ein und zwanzig zaͤhlen, von welchen oben an ſieben waren, welche guͤldne, und etwa zwei,
welche ſilberne Borſetten vor ſich ſtehn hatten.


Unſre Briefe wurden nun mit dem Beutel, Becken und uͤbrigen Zierrathen auf
einen Stuhl niedergeſezt, etwa vier bis fuͤnf Schritte von dem Berklam. Wir ſezten uns
in der Mitte gerade zwiſchen beiden Reihen der Mandarine nieder; da uns dann ſogleich
vier
[24]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
vier erhabene Pinangbecken mit geſpiztem Betel und Pinangs, die mit Jesminen und
andern Blumen ganz uͤberſtreuet waren, vorgeſezt wurden. Der Berklam ſelbſt ſas
(ohne Zweifel weil er hier die Perſon des Koͤnigs vertrat) in einem zugemachten Zimmer
hinter einem bunten Tuch, das uͤber eine bambusne zwei bis drei Fus von dem Boden erhabene
Stange gelegt war; ſo daß man nur ſeinen Oberleib ſah. Vor ihm ſtanden zwei guͤldne
Schirme, an jeder Seite einer, ſo daß man nur den Obertheil ſeines Koͤrpers ſehn konte.
Hinter ihm lagen zwei guͤldne Dolche auf zwei Kuͤſſen, bei welchen zwei von den vorher-
erwaͤhnten Mandarinsſaͤbeln mit langen Stielen ſtunden. Noch weiter hinter ihm an der
Mauer waren zwei europaͤiſche Gemaͤlde uͤbereinander geſtelt, und dieſe Mauer war rings-
herum, nach der Landesweiſe, mit Blumwerk bemalt. Nachdem wir uns nun auf dieſe
Art alle geſezt hatten, lies der Berklam durch den Dolmetſcher unſern Reſidenten, Myn-
heer van Hoorn
befragen, wie ſich der Generalgouverneur unſrer oſtindiſchen Com-
pagnie befaͤnde? wie lange er ſchon in Jndien ſey? wie viel Truppen wir jezt zu Bata-
via
und Bantam unterhielten? welches von dieſen beiden das beſte Land waͤre? und auch,
wer der Schiffer und ich waͤren? nebſt verſchiednen Fragen der Art mehr. Nachdem
ſie hinlaͤnglich beantwortet waren, wurden die Beutel aufgeſchnitten, die Briefe herausge-
nommen, und, nachdem ſie verſchiednen der gegenwaͤrtigen Mandarins durch die Haͤnde
paſſirt waren, laut abgeleſen. Da der Dolmetſcher verſchiedne Ausdruͤcke in dem malayi-
ſchen Schreiben
nicht verſtand, muſten ſie ihm die Herrn, Moſes und Daniel, erklaͤren.
Nachdem die Audienz ohngefehr dreiviertel Stunden gewaͤhrt hatte, begaben wir uns von
dem Sohn des Berklams, der bisher hinter dem Stuhl ſeines Vaters geſeſſen hatte, be-
gleitet, durch ſein andres Haus nach unſrer Prau, die unter der Zeit dorthin gebracht
war, und fuhren dann nach der Mahlzeit ab, die ſchon unſrer wartete.


Es ereignete ſich uͤbrigens waͤhrend unſers Aufenthalts in Siam nichts Merkwuͤr-
diges; außer daß gegen Ende des Monats durch die ganze Stadt ein koͤniglicher Befehl
bekant gemacht wurde, daß Niemand in dem Fluſſe ſich waſchen oder baden ſolte. Die
Urſache dieſes Befehls, ſagte man mir, ſey, daß einige Tage hintereinander verſchiedne
Menſchen von giftigen Waſſerſchlangen gebiſſen, und ſogleich darauf geſtorben waͤren.
Dieſe Schlangen ſollen nicht uͤber eines Fingers lang, und nicht dicker, als ein Blutſauger
ſeyn, braun und blau von Farbe. Nur alle ſieben, zehn oder mehr Jahre ſtellen ſie ſich einmal in
dem Flus ein. Jch ſahe nach dieſem Vorbot doch verſchiedne, welche in ihren Fahrzeugen ſich
nur mit dem Waſſer abſpuͤlten; da die Siamer des Waſſers eben ſo wenig als die Fiſche
entbehren koͤnnen. Um ſie zu deſto beſſerer Befolgung des koͤniglichen Befehls zu verpflich-
ten, wurde noch verordnet, daß die hinterlasne Erben eines am Schlangenbis Geſtorbnen
achtzehn Taal Strafe bezahlen ſolten.


Zweites
[25]

Zweites Kapitel.
Der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.


Beſchreibung der Hauptſtadt und koͤniglichen
Reſidenz Judja.



Ehe ich in der Erzaͤhlung meiner Reiſe nach Japan weiter fortfahre, wil ich vorher
mit wenigen Worten beſchreiben, in welchem Zuſtande ich den Hof und das Reich
von Siam gefunden habe. Die ausfuͤhrlichere Abhandlung hievon behalt ich einem an-
dern Orte vor*).


Das Koͤnigreich Siam iſt das maͤchtigſte, und der dortige Hof der praͤchtigſte
unter allen ſchwarzen Nationen in ganz Aſien. Der jetzige Tſjaufa oder Koͤnig, der
Petratja heiſt, bemaͤchtigte ſich, bei Abſterben ſeines Vorfahren, des Pro Narees
Naraye Pintſjau
des Scepters, da er vorher alle diejenigen, welche ein naͤheres Recht
zur Thronfolge hatten, mit vielem Blutvergießen aus dem Wege raͤumte. Die Macht zu
dieſem Unternehmen konte ihm nicht fehlen, da ihn der vorige Koͤnig bei einer langwierigen
und fuͤr unheilbar erkanten Krankheit zu ſeinem Feldobriſten ernant, und die ganze Regie-
rung des Landes bis zu ſeiner Geneſung ihm anvertrauet hatte. Die entdekte Verſchwoͤ-
rung des Staatsminiſters Conſtantin Faulcon gegen die naͤchſten Kronerben gab ihm
Deinen
[26]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
einen ſehr paſſenden Vorwand zur Ausfuͤhrung ſeiner Abſichten. Dieſe Begebenheit, ſo
wie die Geſchichte des Verſchwoͤrers, ſind merkwuͤrdig genug, um hier in der Kuͤrze nicht
ohne Vergnuͤgen des Leſers erzaͤhlt zu werden.


Geſchichte des Conſtantin Phaulcon.


Conſtantin Faulcon (oder wie er ſich ſelbſt zu unterzeichnen pflegte, Phaul-
con
) war ein Grieche von Geburt, ein Man von großem Verſtande, ſehr ſchoͤnen Aeu-
ßerm, und einer vorzuͤglich angenehmen Beredſamkeit. Er hatte keine gelehrte Erziehung
genoſſen, ſondern ſeine juͤngern Jahre meiſtens auf der See unter verſchiednen Nationen
(beſonders aber unter Englaͤndern) zugebracht, deren Sprachen er daher auch ſehr gut wu-
ſte. Als engliſcher Schifsquartiermeiſter kam er zuerſt nach Siam, und bei Hofe in
Dienſt. Es wurden ihm anfangs geringe, dann hoͤhere Geſchaͤfte anvertrauet; er fuͤhrte
ſie mit ſo vieler Geſchiklichkeit aus, und bewies uͤberal einen ſo hellen und geſchwinden
Verſtand, daß er binnen neun Jahren ſich das groͤſte Vertrauen und Anſehn erwarb.
Es wurde ihm die Direktion der Finanzen des Reichs und der koͤniglichen Oekonomie uͤber-
geben; in allen, auch den ſchwierigſten Berathſchlagungen, gab ſein Urtheil allemal den
Ausſchlag; jeder bewarb ſich um ſeine Gunſt.


Dieſes Gluͤk ſuchte Faulcon durch Verbindung mit irgend einer auslaͤndiſchen
Nation feſter zu gruͤnden und noch zu erweitern; vielleicht (vermuthet man) hielt er es auch
nicht unmoͤglich, die koͤnigliche Wuͤrde ſelbſt zu erhalten. Zu dieſen ſeinen Abſichten,
glaubte er, ſchicke ſich keine Nation beſſer, als die franzoͤſiſche. Er brachte daher dem
Koͤnig die Meinung bei, daß er durch Huͤlfe dieſer Nation ſeine Unterthanen wuͤrde klug,
und ſein Reich bluͤhend und maͤchtig machen koͤnnen; eine ſiamiſche Geſandſchaft nach
Frankreich ſolte die Verbindung anfangen; dieſe wurde durch eine doppelte franzoͤſiſche er-
widert; und Jeſuiten, Kuͤnſtler und Soldaten fanden ſich in Menge ein. Um die fran-
zoͤſiſchen Beſitzungen zu ſichern, uͤbergab Faulcon dem General de Fargues (der mit
einigen hundert Soldaten heruͤbergekommen war) eine am großen Flus Meinam ſechs Mei-
len vom Seehafen gelegne Feſtung Bankok, die man als den Schluͤſſel des Reichs anſehn
kan. De Fargues legte von ſeinen heruͤbergebrachten und zum Theil auch hier angeworb-
nen Truppen eine gute Beſatzung hinein, und ſuchte den Ort auch durch neu angelegte
Werke noch feſter zu machen. Da ſich der Miniſter auf dieſe Art hinlaͤnglich geſichert
glaubte; ſo legte er ohne weitern Aufſchub mit dem franzoͤſiſchen General und einigen Man-
darinen
(denen er voͤllig trauen zu koͤnnen glaubte) eine Verſchwoͤrung an. Der Haupt-
zwek derſelben war, daß der Monpi Totſo, (des Koͤnigs angenommener Sohn und zu-
gleich auch deſſelben Schwiegerſohn,) der voͤllig eine Creatur des Faulcon und der Fran-
zoſen war, nach des Koͤnigs Tode (der wegen der zunehmenden Waſſerſucht nicht mehr
weit
[27]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand ſiamiſchen Hofes.
weit entfernt ſeyn konte,) den Thron beſteigen, vorher aber alle ihm entgegenſtehende Praͤ-
tendenten, nemlich zwei koͤnigliche Bruͤder, den Petratja nebſt ſeinen Soͤhnen und An-
haͤngern aus dem Wege raͤumen ſolte. Des Monpi Vater und Verwandten hielten zu
dieſer Abſicht ſchon 14000 Man hin und wieder im Lande bereit. Um ſie deſto ſicherer
auszufuͤhren, reiſete Faulcon insgeheim zum kranken Koͤnig, (der ſich damals nicht in
ſeiner Reſidenz Judja, ſondern 15 Meilen weiter nordwaͤrts, in der Stadt Livo aufhielt)
und uͤberredte ihn, daß er zu mehrerer Sicherheit ſeiner Perſon und des ganzen Hofes den
franzoͤſiſchen General mit einem Theil der Beſatzung moͤchte zu ſich kommen laſſen. Der
Koͤnig bewilligte alles, und de Fargues war ſchon auf dem Marſch, als ploͤzlich die gan-
ze Verſchwoͤrung durch den Sohn des Petratja ſebſt entdekt wurde. Dieſer Prinz befand
ſich von ohngefehr mit zwei koͤniglichen Conkubinen in einem Zimmer, welches dicht an
dasjenige ſties, wo die Verſchworne ihre blutige Berathſchlagungen hielten. Bloße Neu-
gierde trieb ihn an auf die Geſpraͤche zu lauſchen, ſo entdekte er das Geheimnis und ſaͤum-
te nicht, es ſeinem Vater, ſo wie dieſer dem Koͤnig, mitzutheilen. Petratja lies ſogleich
den Monpi, den Faulcon, die verſchwornen Mandarins und auch den Capitain von der
koͤniglichen Guarde nach Hofe kommen, und ſie, obgleich wider des Koͤnigs Willen, an
Kopf, Haͤnden und Fuͤßen ſchließen. Faulcon hatte ſich ſchon einige Zeit vom Hofe ent-
fernt gehalten, und nahm, als er jezt ſo ploͤzlich dahin eingeladen wurde, von ſeiner Fa-
milie ſehr ſchwermuͤthig Abſchied, der ihr Ungluͤk auch ſchon bald hernach dadurch ange-
zeigt wurde, als der ſilberne Seſſel, in dem ſich der Miniſter gemeiniglich tragen lies,
leer wieder zuruͤkgeſchikt wurde. Petratja lies auch nicht lange hernach die ſaͤmtlichen
Hausgenoſſen des Faulcon nach Hofe kommen, und ſie gleichfals in Feſſeln legen. Dies
alles geſchahe am 19ten Mai 1689. Zween Tage hernach lies Petratja dem Monpi, wider
Willen bes Koͤnigs, den Kopf abſchlagen, und warf ihn dem gefeſſelten Faulcon mit den
Worten: „Da ſiehe deinen Koͤnig“, zu den Fuͤßen. Dem ungluͤklichen kranken Koͤ-
nig gieng der fruͤhzeitige gewaltſame Tod ſeines ihm ſehr werthen Monpi ungemein zu
Herzen, und er befahl, daß der Koͤrper des Enthaupteten keinem fernern Spot ausgeſezt,
ſondern auf eine anſtaͤndige Art begraben werden ſolte, welches dann auch geſchahe. Des
Monpi Vater hielt ſich damals auf ſeinen Guͤtern zwiſchen Judja und Livo auf; Pe-
tratja
bemaͤchtigte ſich ſeiner mit Liſt, und zerſtreuete alle ſeine Anhaͤnger.


Noch vierzehn Tage nach des Monpi Tode quaͤlte man den Faulcon auf man-
nigfache Art, und lies ihn faſt vor Hunger ſterben. Ganz abgemattet wurde er endlich
eines Tages nach Sonnenuntergang auf einem ſchlechten Tragſeſſel (da man ihm vorher die
Bande abgenommen hatte) fortgebracht, zuerſt nach ſeinem Hauſe. Er ſolte hier nur alle
ſeine herliche Einrichtungen zerſtoͤrt, und ſeine Gemahlin gefeſſelt im Stalle liegen ſehen; dieſe
wolte ihn keines Abſchiednehmens wuͤrdigen, ſondern ſpie ihn mit Verachtung an, und er-
D 2laubte
[28]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
laubte ihm auch nicht, den noch einzig uͤbergebliebnen Sohn von vier Jahren zu kuͤſſen.
Der zweite Sohn war vor wenig Tagen geſtorben und lag noch unbegraben da.


Von dieſem traurigen Ort brachte man nun den ungluͤklichen Faulcon außer der
Stadt an den ordentlichen Gerichtplaz, wo man ihm, ob er ſich gleich ſtraͤubte, den Kopf
abhieb, und den Leichnam in zwei Stuͤcken zertrente. Man bedekte dieſe zwar mit ein
wenig Erde, aber die Hunde wuͤhlten ſie noch dieſelbe Nacht wieder auf, und verzehrten den
ganzen Koͤrper bis auf die Knochen. Sein Wappen, das aus zwei ſilbernen Kreuzen be-
ſtand; eine mit Gold beſchlagne Reliquie, die ihm der Pabſt geſchenkt hatte, und welche
er an der Bruſt zu tragen pflegte; den Ritterorden von St. Michael, womit ihn der al-
lerchriſtlichſte Koͤnig beehrt hatte, dieſe Koſtbarkeiten uͤbergab der ungluͤkliche Man einem
neben ihm ſtehenden Mandarin, und erſuchte ihn ſie ſeinem Sohn einzuhaͤndigen. Die-
ſem kan aber wenig damit gedient ſeyn, da ſeine Mutter jezt mit ihm vor den Thuͤren das
Brod betteln mus, und Niemand es wagt, fuͤr dieſe Elenden ein Fuͤrwort einzulegen.


Geſchichte der Franzoſen.


De Fargues, der von allem dieſen nichts wuſte, kam indes nach dem an ihm
ergangnen Aufgebot mit wenigen Truppen bei Hofe an, wo er aber alles ganz anders
fand, als er es erwartet hatte. Er wurde zwar dem aͤußern Anſehn nach ſehr gut empfan-
gen, und im Namen des Koͤnigs mit einer goldnen Piſangsdoſe beſchenkt, allein er mu-
ſte auch ſeine zwei Soͤhne und zwoͤlf Franzoſen als Geiſſeln hinterlaſſen, und dann ſogleich
wieder nach Bankok zuruͤkgehn, mit dem Verſprechen, dieſe Feſtung wieder in ſiamiſche
Haͤnde zu uͤberliefern. Es war aber nicht ſein Wille, dies Verſprechen zu erfuͤllen. Er
lies die Schiffer, die ihn den Flus heruntergebracht hatten, ins Gefaͤngnis werfen; von
ſeiner Feſtung auf die Siamer und ihre vorbeiſegelnde Schiffe mit Kanonen feuern, und
bemuͤhte ſich auf alle Weiſe, als ihr Feind zu handeln. Als ein Paar ſeiner Soldaten,
die aus dem Lande gebuͤrtig waren, ſich weigerten ſeinen Befehlen zu gehorchen, lies er
ſie ſogleich im Angeſicht der Siamer auf den Mauern der Feſtung auf haͤngen.


Durch dies Verfahren wuͤrde ſich gewis der franzoͤſiſche General eine blutige Ra-
che bereitet haben, wenn er ſich nicht bald beſſer beſonnen und ſein Betragen geaͤndert haͤt-
te. Schon fingen die Siamer an, einige Schanzen an dem Flus hinunter aufzuwerfen,
um dadurch dem de Fargues die Flucht abzuſchneiden; als dieſer einen andern Ton annahm,
ſeine vorige Handlungen zu entſchuldigen bat, und alle Schuld blos auf ſeine Leute ſchob,
die ihm nicht haͤtten gehorchen wollen. Er hielt zugleich um ein Schif an, mit dem er
nach Europa abreiſen wolte. Der hollaͤndiſche Reſident that ihm hierin die beſten
Dienſte; er ſtelte nemlich dem Hofe vor, man wuͤrde ſich nicht ruͤhmlicher raͤchen koͤnnen,
als
[29]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
als wenn man mit einer grosmuͤthigen Sanftmuth dem General verziehe, und ihm mit ſei-
nen Leuten abzuziehn erlaubte, welches dann auch bewilligt wurde.


Folgende merkwuͤrdige kleine Begebenheit verdient hiebei noch Erwaͤhnung. Die
vierzehn franzoͤſiſchen Geiſſeln zu Livo hatten Mittel gefunden zu entwiſchen; man ſezte
ihnen aber zu Pferde nach und holte ſie wieder ein. Der Landesſitte gemaͤs legte man ih-
nen, als man ſie zuruͤkbrachte, Stricke um den Hals. Dies erſchrekte einen dieſer Fran-
zoſen, der ein Jngenieur war, dermaßen, daß er ſogleich auf der Stelle tod blieb.


Es waren um dieſe Zeit zwei koͤnigliche Schiffe mit Franzoſen beſezt auf dem
Meer, welche den Kapern aufpaſſen ſolten, und deren Zuruͤkkunft man gerade jezt erwar-
tete. Dieſer wuͤnſchte die ſiamiſche Regierung ſich zu bemaͤchtigen, ehe ſie von dem
Bruch zwiſchen beiden Nationen Nachricht haͤtten. Dies gelang ihnen auch nach ihrem
Wunſch. De Fargues hatte in der Nacht eine Schaluppe ausgeſchikt, welche jenen
Schiffen die Neuigkeit uͤberbringen ſolte. Dieſe griffen die Siamer noch im Fluſſe (aber
an einem Ort, wo ſie die franzoͤſiſchen Kanonen nicht mehr erreichen konten) an, eroberten
und verbranten ſie, obgleich die franzoͤſiſche Manſchaft ſich ganz verzweifelt wehrte.


Alle andre Franzoſen, die ſich damals in Siam befanden, muſten die verraͤthe-
riſchen Abſichten des Faulcon und die unbeſonnene Auffuͤhrung ihres Generals ſehr hart mit
einem langwierigen und aͤußerſt unangenehmen Gefaͤngnis buͤßen. Auch der Metropoli-
tanbiſchof, Louis,
der ſich in dieſem anſehnlichen Charakter hier ſchon verſchiedne Jahre
aufgehalten hatte, war unter dieſer Zahl begriffen. Sein Pallaſt vor der Stadt wurde
gepluͤndert, und er ſelbſt nebſt den uͤbrigen Vaͤtern von der Geſelſchaft Jeſu, (deren,
denk ich, ſieben oder acht waren) wurden in den Hof der koͤniglichen Pakhaͤuſer in Ver-
haft gebracht. Jch habe daſelbſt den Herrn Metropolitan mit ſeiner ehrwuͤrdigen Geſel-
ſchaft noch in kleinen ſchlechten Haͤuſern von Schilf und Bambusrohr gefunden und mich
mit ihm unterhalten. Sie ertrugen ihr Leiden ſehr gelaſſen, und man mus beſonders
geſtehn, daß der Biſchof ein vortreflicher, gelehrter und gottesfuͤrchtiger Man war. Er
beſas beſonders eine ausnehmend gruͤndliche Kentnis der ſiamiſchen Religion, und der Spra-
che ihrer heiligen Buͤcher. Er hatte auch durch ſeine chriſtlichen Lehren und ſein Betragen,
wie ein andrer Paulus, ſeine heidniſche Waͤchter ſo eingenommen, daß ſie ihn als einen
heiligen Man Gottes verehrten. Drei andre Jeſuiten, die ſich zu Livo, dicht an dem
Tempel Wath Niak Pranj Waan niedergelaſſen hatten, unter dem Vorwande, daß
ſie die Pali (die Sprache der ſiamiſchen heiligen Buͤcher) von den Prieſtern erlernen wol-
ten, verſchwanden ploͤzlich, und man konte gar nicht erfahren, wo ſie geblieben waͤren?
Dieſe Jeſuiten hatten ganz das Aeußere der ſiamiſchen Prieſter angenommen. Sie ſcho-
ren ſich den Kopf, kleideten ſich und lebten voͤllig wie jene. — Mitten in dieſen Unruhen
lies Petratja die Hollaͤnder ſeiner Gewogenheit und ſeines Schutzes verſichern; ſie bitten,
D 3daß
[30]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
daß ſie ganz unbekuͤmmert ſeyn moͤchten. Zugleich ſchikte er Befehl nach Bankok, daß
dort alle unſre Schiffe und Fahrzeuge ganz unaufgehalten hin und her paſſiren ſolten.


Petratja’s Gluͤk; Tod des alten Koͤnigs.


Petratja bemaͤchtigte ſich bald hernach auch der beiden Bruͤder des Koͤnigs unter
dem Vorwande, daß ſie in Faulcons Verſchwoͤrung intereſſirt geweſen waͤren. Er lies
ſie außer der Stadt in einen nahe gelegnen Tempel bringen, und daſelbſt mit Pruͤgeln von
Sandelholz zu Tode ſchlagen. Eine Todesart, die man bei dergleichen Perſonen aus
Achtung fuͤr das koͤnigliche Blut zu erwaͤhlen pflegt. Und ſo hatte alſo der alte Koͤnig
den Schmerz, jezt ſeine Bruͤder auf eben die Art ſterben zu ſehen, wie er ehmals den 9ten
Oktob. 1656 ſeinen Oheim Pracitama Ratia hatte ums Leben bringen laſſen, der ſei-
nem Vater auf dem Throne gefolgt war, und damals ſchon in den dritten Monat regiert
hatte. Der Schmerz des Koͤnigs muſte noch dadurch vermehrt werden, daß er den Pe-
tratja
beſtaͤndig als ſeinen vertrauteſten Freund angeſehn hatte, der ſeiner Schweſter Sohn
war, deſſen Toͤchter und Schweſter der Koͤnig zu Conkubinen gebraucht hatte, und der
uͤberdem noch beſtaͤndig einen Abſcheu vor der ſchweren Buͤrde einer Krone bezeugt hatte
Nie haͤtte alſo der Koͤnig ſolche grauſame Abſichten bei ihm vermuthet, und ſeine Hand-
lungen waren ihm ganz unerwartet. Dieſer Schmerz endigte auch ſchon zwei Tage her-
nach ſein Leben, im 55ten Jahre ſeines Alters, und 32ten ſeiner friedlichen Regierung.
Er ſtarb den 11ten Jul. 1689, oder nach dem Soncarad (der ſiamiſchen Zeitrechnung)
im Jahr 2232.


Siamiſche Thronfolge.


So kam Petratja zur koͤniglichen Regierung und dadurch zu dem Titel eines Koͤ-
nigs
von Siam, Tanaſſarien, Sucketa und Poiſelucke; auch eines Schuzherrn
von Cambodia, Jehoor, Pattany und Queda.


Uralte ſiamiſche Grundgeſetze wollen, daß nach Abſterben des Koͤnigs deſſen Bru-
der, und nach deſſen Tode, oder wenn kein Bruder vorhanden, der aͤlteſte Sohn zur Re-
gierung kommen ſolle. Dieſe Verordnung iſt aber ſo oft uͤbertreten, und das Recht der
Thronfolge dadurch dermaßen verwirret, daß jezt nach dem Tode eines Koͤnigs allemal der-
jenige fuͤr den naͤchſten Erben ſich aufwirft, der unter allen koͤniglichen Verwandten der
maͤchtigſte iſt. Sehr ſelten koͤmt daher der wahre, rechtmaͤßige Thronfolger zur Regie-
rung, oder er kan ſich wenigſtens nicht dabei erhalten.


Aufruhr der Macaſſarn.


Dieſe Ungewisheit der Succeſſion giebt zuweilen auch ganz Fremden, und Leu-
ten, die nicht das mindeſte Recht fuͤr ſich haben, den Gedanken ein, nach der Krone zu ſtre-
ben.
[31]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
ben. Jch wil davon nur ein Paar der neueſten Beiſpiele angeben. Vor einigen Jah-
ren hatte ſich ein Prinz aus der koͤniglichen Familie von Macaſſar mit einigen ſeiner Lan-
desleute nach Siam gefluͤchtet, wo ihnen der Koͤnig dicht neben dem Camp der Malay-
en
*) einen Plaz zur Wohnung anwies, und ihnen eigenthuͤmlich einraͤumte. Dieſer
Prinz faßte nach einiger Zeit den Entſchlus mit Huͤlfe der benachbarten Malayen, ſeiner
mohammedaniſchen Religionsverwandten, die Hauptſtadt zu uͤberfallen, und ſich auf
den Thron zu ſchwingen. Allein dieſer Anſchlag wurde zu fruͤh verrathen, und nun der
Prinz, weil er zu ſtolz war, nach Hofe zu kommen und Abbitte zu thun, mit ſeinem ganzen
Anhange bis auf ſeinen Sohn von acht Jahren ausgerottet. Ein harter Kampf gieng
vorher, in welchem ſich die Macaſſarier verzweifelt wehrten, und noch viele Siamer ne-
ben ſich toͤdteten. Die Malayen bequemten ſich zur Abbitte, und wurden von dem zu
leutſeligen Koͤnig ohne alle Strafe begnadigt. Dies geſchahe 1637.


Noch ein andrer Aufruhr eines Prieſters.


Jm leztern Jahre (1689) wagte ein Pfaffe aus Peju, der den ſiamiſchen Hof
ſehr gut kante, und ehmals zu Judja in Verhaft geſeſſen hatte, einen aͤhnlichen An-
ſchlag. Er gab ſich auf dem platten Lande fuͤr des ohnlaͤngſt verſtorbnen Koͤnigs aͤlteſten
(von Petratja erſchlagnen) Bruder und alſo rechtmaͤßigen Reichserben aus. Er war ſo
gluͤk-
[32]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
gluͤklich, in kurzer Zeit auf 10,000 Man (aber meiſtens nur vom unbewehrten Poͤbel) zu-
ſammenzubringen; und als er erfuhr, der Kronprinz wuͤrde ſich an einem gewiſſen Orte
mit ſeinem Hofſtaat einfinden, um ſich zu divertiren, verbarg er ſich in der Gegend im
Walde, wo er glaubte, ſie recht vortheilhaft uͤberfallen zu koͤnnen. Denn, dacht er, ſogleich
in der erſten Verwirrung in die Stadt zu dringen, und den Koͤnig mit ſeiner Familie aus
dem Wege zu raͤumen. Allein die Sache nahm einen andern Ausgang; der Prinz erfuhr
die Gegenwart und Abſicht der Verſchwornen, lies ihnen ſein Silbergeraͤthe zur Beute,
und fluͤchtete mit Schrecken in die Stadt zum Koͤnige. Dieſer brachte ſogleich 12,000 Man
zuſammen und ſchikte ſie dem ungeordneten Haufen, der ſchon auf die Stadt zueilte, ent-
gegen. Dieſer unvermuthete Zuſtand brachte ihm ein ſolches Schrecken bei, daß er ſogleich
voller Verwirrung und Eil ſich mit der Flucht rettete. Daher wurden auch nur hundert von dieſen
Feinden getoͤdtet, und drei hundert gefangen genommen, denen der Sieger die Fusſohlen ver-
brennen lies, und ſie dadurch außer Stand ſezte, zu entwiſchen. Einige Tage hernach
fand man auch den aufruͤhriſchen Pfaffen unter einem Baume im Walde ſchlafen, wo er
nur einen Knaben bei ſich hatte. Er wurde daher mit leichter Muͤhe nach der Stadt ge-
bracht, und daſelbſt mit Hals und Bruſt an einen Pfahlgeſchloſſen. Nachdem er verſchiedne Tage
hier zum oͤffentlichen Schauſpiel geſtanden hatte, wurde ihm, da er noch lebte, der Bauch
aufgeſchnitten, und die Hunde herzugelaſſen, um die Gedaͤrme herauszureißen und zu ver-
ſchlingen.


Koͤniglicher Hofſtaat.


Der koͤnigliche Hof beſtand damals, als ich mich dort aufhielt, beſonders aus
folgenden vornehmen Staatsminiſtern:


  • 1) Peja Suruſak, der auch Peja Wanj-a und Fai Wanj hies, welchem
    der Koͤnig das Reichsoberfiskalamt, und z. B. alle Confiskationsſachen, alle Criminalge-
    richtsbarkeit, als den herbeſten Theil der koͤniglichen Macht, uͤberlaſſen hatte. Einige
    ſagen, er habe dies gethan, um dieſen Herrn verhaſt zu machen; andre, um ihm die
    Thronfolge zu ſichern.
  • 2) Peja Prah’ Klam (die Fremden pflegen gemeiniglich Berclam zu ſagen)
    der Reichskanzler und Direktor aller auswaͤrtigen Geſchaͤfte. Er war ein ſehr wohlgebilde-
    ter, anſehnlicher Man, deſſen gleichen ich unter dieſer ſchwarzen Art Menſchen, (die alle
    ſehr klein ſind, und wie halbe Meerkatzen ausſehn,) nicht mehr gefunden habe. Er be-
    wies auch einen ſehr geſchwinden Verſtand und eine lebhafte Munterkeit in allen ſeinen
    Handlungen. Er war vor wenigen Jahren als Geſandter in Frankreich geweſen, und wu-
    ſte uns von der Verfaſſung dieſes Landes, den Gegenden, Feſtungen u. ſ. w. die er geſehen
    hatte, viel zu erzaͤhlen. Auch ſein Audienzſaal war mit den Portraiten der koͤniglich fran-
    zoͤſi-
    [33]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
    zoͤſiſchen Familie und europaͤiſchen Landcharten reichlich behangen. Die uͤbrige Auszierung
    aber machten blos Staub und Spinwebe.
  • 3) Peja Wan, auch Tſjan Peja Taraman genant. Oberkammerherr, der
    die Aufſicht uͤber die koͤniglichen Gemaͤcher und Pallaͤſte hat.
  • 4) Peja Jummeraad, ein gelehrter Sineſer; Reichsdroſt und Oberrichter.
  • 5) Peja Polethe. Reichsrentmeiſter, hat die Aufſicht uͤber alle liegende Guͤ-
    ter, Laͤndereien u. ſ. w. und deren jaͤhrlichen Ertrag.
  • 6) Peja Tſakrii, Oberſtalmeiſter, hat die Aufſicht uͤber Elephanten und Pfer-
    de, auch die Beſorgung des zum Aufzuge noͤthigen Zeugs.
  • 7) Peja Klahom, Oberhofmeiſter, hat die Aufſicht uͤber alle koͤnigliche Be-
    diente, Luſtſchiffe und Hofmeublen.

Dieſe ſind die groͤſten Mandarins vom erſten Range und Oberbediente des Staats,
welche auch den großen Reichsrath ausmachen. Das Wort Mandarin iſt ein auslaͤndi-
ſches ſineſiſches Wort, deſſen ſich beſonders nur die Fremden bedienen. Jn Siam wird
es gemeiniglich durch Tſiankrue oder Tſiantſjam ausgedruͤkt*). Nach dieſen folgen nun
die Raͤthe und Hofbediente von geringerm Range, deren Zahl nicht beſtimt iſt. Un-
ter ihnen ſind beſonders folgende merkwuͤrdig:


Peja Tarreman, der Oberſte der Malayen; Opera Tſijat, Oberſter der
ſogenanten Mohren oder Mohammedaner; auch Sjabender oder Oberzoleinnehmer bei allen
einkommenden Waaren. Oja Pipat, ein Unterberklam und ehmaliger Hausgenoſſe
Faulcons, bei dem er ſich in der Kunſt, die Auslaͤnder zu betruͤgen, ſehr feſtgeſezt hat-
te; Oja Tewigata, Stalmeiſter der Elephanten, er war ein Mohammedaner aus Hin-
doſtan
und ein recht wackerer Man; Oja Tainam, Capitain von der Hofmiliz; Oja de
Tſju,
Capitain von der Landmacht.


Die Siamer haben gar keine erbliche Familiennamen, ſondern ſie erhalten blos
von andern, beſonders von ihren Obern ihre Namen. Die großen Herren nennet man
allemal nach ihrer Bedienung; und ſo ſind alle vorher angefuͤhrte Namen blos Benennun-
gen von der Wuͤrde, die dieſe Maͤnner bekleiden. Die Hoftitel ſtehen in folgendem Ran-
ge: 1) Peja und Oja iſt ein Prinz. 2) Opera, deren etwa vierzig oder auch mehr
bei Hofe und im Lande ſeyn moͤgen, ſind ohngefehr das, was bei uns Baronen**). O-
luang
[34]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
luang oder Luang ſind bloße Edelleute. Dieſen Titel pflegt der Koͤnig auch ſeinen Dol-
metſchern zu geben. 4) Okuun, Leute von hoher Familie. 5) Omuun, vornehme
Unterbediente. 6) Majulaks, Pagen und junge Edelleute. *)


Na-

**)


[35]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.

Name, Lage und Eintheilung von Siam.


Das ſiamiſche Reich wird von den eingebornen Muan Thal, d. i. das Land
Thai
*), und in ihren Buͤchern allemal mit dem Lobſpruche: Krom the Pramma Haa
Jkon,
(d. i. circuitus viſitationis Deorum; ein Umkreis des Beſuchs der Goͤtter)
genant. Die Malayen und Peguer nennen es Tzjam, wovon dann der Europaͤer
Siam entſtanden iſt. Ohngefehr in der Mitte oder gerade da, wo die Hauptſtadt ſteht,
hat es vierzehn Grad achtzehn Min. Nord. Br. und nach gemeinen Landcharten hundert und
acht und dreißig, nach den neulichen Beobachtungen der Jeſuiten aber hundert und zwan-
zig Gr. der Laͤnge. Seine Graͤnzen ſind gegen Oſten die Koͤnigreiche Tunkin, Coſjin-
ſina
und Cambodia; gegen Suͤden das Meer und die Laͤnder Malacca, wovon Ligoor,
Tanaſſeri
und andere kleine Herrſchaften der Koͤnig von Siam beſizt; gegen Weſten das
Koͤnigreich Pegu und gegen Norden Laos. Dies Land iſt in Verhaͤltnis ſeiner Groͤße
ſehr wenig bevoͤlkert, und meiſtens nur an den hohen Ufern der Fluͤſſe mit Menſchen be-
ſezt. Die vielen Felle von Hirſchen und wilden Buͤffeln, welche jaͤhrlich mit Schiffen
von hier weggefuͤhrt werden, ſind Beweiſe von den großen Waͤldern und Wildniſſen im
Lande. Man mus ſogar auf dieſe Thiere nur in den nahen Gegenden Jagd machen, und
kan ſie wegen der vielen Tiger und der Moraͤſte nicht bis in die Tiefe der Waͤlder
verfolgen.


Das Reich iſt in zwoͤlf große Provinzen vertheilt, deren jede von einem Oja oder
Prinzen nebſt verſchiedenen ihm untergeordneten Operas und andern Unterbedienten regiert
wird. Am Hofe iſt nun auch fuͤr jede Provinz ein Oja beſtimt, der die Regierung des
dortigen Stathalters beobachten mus.


Der leztverſtorbene Koͤnig fuͤgte den alten Reichsprovinzen noch eine dreizehnte bei,
Tſjanimai, welche er dem Reiche Laos abnahm; er wuͤrde wahrſcheinlich von dieſer
Seite ſein Reich noch mehr vergroͤßert haben, wenn nicht der breite und damals uͤbergetre-
tene Flus ſeinen Erorberungen ein Ziel geſezt haͤtte. Es wurde auch dieſe neue Provinz
nur wenige Jahre hernach dem ſiamiſchen Koͤnig wieder abgenommen, und hatte man al-
ſo durch einen ſo weiten und koſtbaren Feldzug weiter nichts gewonnen, als ein gegenſeiti-
ges Mistrauen unter beiden Voͤlkern geſtiftet, wodurch ihre bisherige Handlung unterbro-
chen und meiſtens den Cambodiern zugewandt wurde.


Beſchreibung von Laos.


Laos oder Lauland iſt unter uns ſo wenig bekant, weil es ganz von andern aſla-
E 2tiſchen
*)
[36]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
tiſchen Staaten umgeben iſt, daß es dem Leſer nicht unlieb ſeyn wird, wenn ich hier einige
Nachrichten, die ich von dieſem Lande habe erfahren koͤnnen, mittheile. Es liegt mit
Tunkin unter gleicher Nord. Br.; iſt ein großes, maͤchtiges Land; durch Waͤlder und Einoͤ-
den von den benachbarten Staaten abgeſondert. Die Reiſe von Judja dorthin fordert ei-
nen Monat Zeit; wegen der hohen Berge iſt ſie zu Lande, und wegen der vielen Klippen
und Felſen auf dem Fluſſe ſehr beſchwerlich. Man hatte daher die Prauen oder Fahr-
zeuge ſo erbauet, daß ſie zuſammengenommen und auf die Hoͤhen gebracht werden konten,
um auf dieſe Art die Waſſerreiſe fortzuſetzen.


Das Land iſt ſehr fruchtbar, meiſtens ein fetter Klei, und des Sommers ſo hart
und feſt, daß man darauf den Reis aus den Huͤlſen zu ſtoßen pflegt, wozu man ſonſt einen
hoͤlzernen Kum*) gebraucht. Laos bringt in Ueberflus den herlichſten Reis hervor, und
liefert an Cambodia den beſten Benzoin und Gummi Lakka, obgleich beides auch Pro-
dukte dieſes Landes ſind. Ueberdem giebt es noch den edelſten Muskus, auch einige edle
Steine, unter denen Rubinen und auch Perlen ſind, welche die Siamer Muk nennen.
Dies iſt nur deswegen wunderbar, weil ich gar nicht habe erfahren koͤnnen, daß hier im
Lande ein Salzſee ſey.


Die Religion koͤmt mit der von Siam meiſtens uͤberein, auch die Sprache und
Schrift ſind wenig verſchieden, nur koͤnnen die Einwohner von Laos kein L oder R aus-
ſprechen. Sie ſchreiben auf Blaͤtter wie Peguer und Malabaren. Auch die Siamer
pflegen ihre heilige Buͤcher darauf zu ſchreiben; buͤrgerliche Sachen aber auf ein grobes
Papier mit irdenen Schreibſtiften. Die von Laos ruͤhmen ſich, daß die Siamer von ih-
nen ſchreiben und die Sprache ihrer heiligen Buͤcher gelernt haͤtten.


Der Geſtalt nach ſind ſie den Sineſern ſehr aͤhnlich; doch ſind ſie gelber und
ſchmaͤler, uͤberhaupt aber eine weit ſchoͤnere Nation als die ſiamiſche. Jhre Ohren ſind
lang, wie bei den Peguern und andern Bewohnern dieſer Kuͤſte; die Maͤnner haben kei-
ne Zierrathen drin; die Frauen aber, ſo lange ſie nicht getrauet ſind, guͤldne Pfropfen.
Die Weiber laſſen ihre Beine von unten bis uͤber die Waden mit ſchwarzem Laubwerk (wie
die ſiamiſchen Braspindaten) umwinden, zum Zeichen der Religion und Maͤnlichkeit.


Es laͤuft ein Arm vom Ganges durch das Land, der ſich hernach in dem Flus
Cambodia verliert, und dieſen ſchif bar macht. Daher pflegen die Cambodier jaͤhrlich
mit ihren Prauen hier ihren Handel zu fuͤhren. Die vornehmſten Staͤdte ſind Landjam
und Tſjamaja. Das Land ſol ehemals dem Koͤnig von Siam einen jaͤhrlichen Tribut be-
zahlt haben. — Doch um uns nicht zu weit von unſerm eigentlichen Gegenſtande zu ent-
fernen, kehren wir zu der Hauptſtadt und koͤniglichen Reſidenz Judja oder Juthia wieder
zuruͤk,
[37]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſches Hofes.
zuruͤk, welche in andern Reiſebeſchreibungen vielleicht durch einen Drukfehler den falſchen
Namen Jndia bekommen hat*).


Beſchreibung von Judja.


Dieſe Stadt ſtand ehemals an dem weſtlichen Ufer des großen Fluſſes Menam,
von da ſie mit einer Jnſel in dieſem Fluſſe an ihre jetzige Stelle verſezt wurde. Dieſe Jn-
ſel hat ohngefehr die Figur eines platten Fußes, deſſen Ferſe nach Weſten gekehrt iſt,
und im Umfange zwei deutſche Meilen**). Die Gegend umher iſt, ſo weit man abſehen
kan, eben, und das Land niedrig und plat. Es iſt mit vielen Waſſergaͤngen aus dem gro-
ßen Fluſſe durchſchnitten, und dadurch in viele Jnſeln und Kaͤmpe zertheilt, ſo daß man
hier ohne Kahn nirgends weit fortkommen kan. Sie iſt mit einer Mauer von Bakſteinen
umgeben, welche an der Suͤd- und Nordſeite vier und ein halb Klafter hoch, ſchoͤn und
oben bedekt iſt, an den uͤbrigen aber ganz niedrig und verfallen war. Dieſe Mauer iſt
durch viele kleine Pforten durchgebrochen, durch die man an den Flus gelangen kan, und
inwendig mit einem hie und da anliegenden Walle oder Erdhaufen, auf welches man Ge-
ſchuͤz pflanzen kan, verſehen. Nach der Seite hin, wo der Strom hinabflieſt, hat ſie
noch verſchiedene kleine Bolwerke und ein großes, welche mit Geſchuͤz beſezt waren, um
feindliche Schiffe abzuhalten. Wider das Anſpuͤlen des Waſſers iſt ſie mit einem ſchmalen
Erdufer umgeben, auf welchem hin und wieder kleine Wohnhuͤtten gebauet ſind.
Verſchiedene breite Graben ſind aus dem Strome gerade durch die Stadt gezogen nach O-
ſten, Weſten, Norden und Suͤden, ſo daß man allenthalben in die Stadt hineinſchiffen,
und an den vornehmſten Haͤuſern und Hoͤfen anlegen kan, weil von dieſen wieder viele klei-
nere Canaͤle in jene Graben abgeleitet ſind. Die Gaſſen in der Stadt ſind gleichfals ganz
gerade angelegt; die meiſten ſind ziemlich breit, manche aber auch ſehr enge und alle aus-
nehmend kothig und ſchmutzig. Verſchiedene werden bei hohem Waſſer allemal
uͤberſchwemt.


Die Stadt iſt nach ihrer Groͤße nicht volkreich, und in einigen Theilen ſehr we-
nig bewohnt; in dem weſtlichen nemlich wegen der Entfernung, im ſuͤdlichen wegen
des moraſtigen Grundes, woruͤber man ſich durch uͤberliegende Bretter und ſchlurdige Bruͤ-
cken forthelfen mus. Jn dieſen Theilen der Stadt findet man hinter den Gaſſen leere Plaͤ-
tze und große Gaͤrten, in denen man aber die Natur allein Gaͤrtner ſeyn laͤſt. Allenthal-
ben iſt die Erde mit Gras, Buͤſchen und Baͤumen ins wilde bewachſen. Jn die beſte
E 3Gaſſe
[38]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Gaſſe koͤmt ſogleich beim Eintrit in die Stadt, ſie kruͤmt ſich gerade nach der Rich-
tung der Stadtmauern weſtwaͤrts. Man ſieht in derſelben die Haͤuſer des ehemaligen eng-
liſchen, hollaͤndiſchen und franzoͤſiſchen Reſidentens und auch des Faulcons. Die mitlere
Gaſſe, welche nordwaͤrts und gerade nach dem koͤniglichen Pallaſt laͤuft, iſt am meiſten
bewohnt, und mit Kuͤnſtlern, Handwerkern, Kraͤmern und Boutiquen ſtark beſezt. Jn
dieſen beiden Gaſſen ſieht man uͤber hundert ſehr kleine Haͤuſer der Sineſer, Hindoſtaner
und der ſogenanten Mohren. Sie ſind alle von Steinen, aber ganz auf einerlei Art ge-
bauet, acht Schrit lang, vier Schrit breit; haben zwei Stokwerk, aber nicht mehr als
drittehalb Klafter Hoͤhe. Sie ſind mit platten Dachſteinen gedekt, und mit unfoͤrmlich
breiten Thuͤren verſehn.


Die uͤbrigen Gaſſen ſind ſehr wenig bewohnt, und die gemeinen Buͤrgerhaͤuſer
gar ſchlechte Huͤtten von Brettern und Bambusrohr (ein holer Ried, zwei bis drei Span
dik) erbauet, und mit Gabbe Gabbe, (einem wilden in Suͤmpfen wachſenden Palm-
ſtrauch) bedekt. Die Mandarine (Raͤthe und Hofleute) wohnen in Hoͤfen und ſehr
ſchlechten Pallaͤſten, deren Boden kothig, die Zimmer ſchlurdig, und die Gebaͤude ſelbſt
zwar von Kalch und Steinen, aber doch ſehr einfaͤltig ſind. Die Boutiquen in der Stadt
ſind niedrig und ſchlecht, doch gerade und nach der Richtung der Gaſſe ziemlich abgemeſ-
ſen. Wegen der vielen Waſſergraben findet man der Bruͤcken eine große Menge. Die,
welche uͤber Hauptgraben gehen, ſind von Stein erbauet, mit Bruſtmauern verſehen und
ſehr ſchmal, (weil man hier gar keine Karren oder Wagen hat) in der Mitte hoch und
achzig Schrit lang. Die Bruͤcken uͤber die kleinern Canaͤle ſind von ſchlechter Bauart und
Tab. II.meiſt hoͤlzern. Man ſehe hievon die beigefuͤgte Figur.


Koͤnigliche Pallaͤſte.


Es befinden ſich in der Stadt drei koͤnigliche Pallaͤſte. Der neue Pallaſt, wel-
chen der vorige Koͤnig nordwaͤrts, etwa in der Mitte der Stadt, angelegt hat, ſchlieſt einen
großen viereckigen Plaz ein, hat verſchiedene Abtheilungen und mehrere Gebaͤude, welche
Tab. III
Fig. I.
nach ſineſiſcher Bauart mit vielfachen und zum Theil verguldeten Daͤchern und Altaͤren aus-
geſchmuͤkt ſind. Jn- und außerhalb den Mauern findet man lange Staͤlle, in denen eini-
ge hundert Elephanten in langen Reihen aufgepuzt neben einander ſtehen.


Nach den franzoͤſiſchen Troublen (wie man es hier zu nennen pflegte) darf man
nur durch einen Weg, und nicht anders als zu Fus in den Pallaſt gehen. Dieſer Weg iſt
gemeiniglich ſo kothig, daß man bis uͤber die Waden einſinkt, wenn man nicht auf den
uͤbergelegten Brettern ſich im Gleichgewicht zu erhalten weis. Ein gemeiner Mandarin
darf, wenn er in den Pallaſt geht, nicht mehr als einen Bedienten bei ſich haben, und der
Strom, welcher an der Schlosſeite vorbeiflieſt, darf nicht befahren werden. An allen
Thoren
[]

[figure]

Tab. II.


[][39]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
Thoren und Zugaͤngen ſchwaͤrmen viele nakte Kerls umher, welche auf ihrer kaſtanien-
braunen Haut mit ſchwarzen, wuͤrfelweiſe eingeaͤzten Figuren gemalt ſind. (Gerade wie
man am H. Grabe zu Jeruſalem die Bilder einaͤtzet) einige nur an den Armen, andere
uͤber den ganzen Leib, bis auf die, nach der Manier aller Siamer, mit einem Tuch be-
wundenen Lenden. Man nent ſie portugieſiſch bras pintades. Aus dieſen Leuten beſteht
die koͤnigliche Guarde oder Thorwache, und zum Theil geben ſie auch Ruderknechte ab.
Stat des ſcharfen Gewehrs iſt jeder von ihnen mit einem guten dicken Knittel verſehn.
Dieſe Kerls ſchweifen auch hin und wieder in und außer der Stadt als Muͤſſiggaͤnger
herum.


Das zweite Schlos wird gemeiniglich der vordere Pallaſt genant. Er liegt am
nordoͤſtlichen Ende und gleichſam auf einem Abſatze von der Stadt; er ſchlieſt auch einen
viereckigen Plaz, aber doch von weit kleinerm Umfange, als der erſte Pallaſt, ein. Er
war ehmals die Reſidenz der Koͤnige, und wird jezt (1690) von einem koͤniglichen Prin-
zen, der etwa zwanzig Jahr alt iſt, bewohnt.


Der dritte oder ſogenante hinterſte Pallaſt iſt noch kleiner; er liegt an der weſtli-
chen, meiſt unbewohnten Seite der Stadt, und wird jezt auch von einem Prinzen aus koͤ-
niglichem Gebluͤt bewohnt, welcher des Koͤnigs Leibelephanten fuͤhrt. Er ſizt dabei nicht,
wie ſonſt gewoͤhnlich, auf dem Halſe, ſondern liegt hinter dem Koͤnige auf den Lenden des Thiers,
und regiert es dann durch verſchiedne Zeichen, zu denen er abgerichtet iſt. Wegen dieſes
Bewohners nante man dies Gebaͤude auch den Pallaſt des koͤniglichen Elephantenbereiters.


Tempel.


Nach den koͤniglichen Pallaͤſten verdienen nun auch noch einige Kirchen und Schul-
gebaͤude bemerkt zu werden. Es giebt derſelben eine große Menge, und wie das ganze Land mit
Pfaffen und Moͤnchen ganz angefuͤlt iſt; ſo ſieht man auch in dieſer Stadt an allen Orten
Tempel, deren Hoͤfe zierlich mit den Gaſſen in gleicher Ordnung ſtehn, und mit vergulde-
ten Piramiden oder Saͤulen von verſchiedener Form beſezt ſind. Sie ſind nicht ſo gros
wie unſre Kirchen, aber an aͤußerer Schoͤnheit gehen ſie ihnen weit vor. Dieſe Schoͤnheit
beſteht beſonders in vielfach gebogenen kuͤnſtlichen Daͤchern, in verguldeten Giebeln, her-
vorſtehenden Saͤulen, Treppen und andern Zierrathen. Das innere iſt mit vielen Bil-
dern geſchmuͤkt, die aus Gyps, Harz, Oel und Haar theils in Lebensgroͤße, theils auch
in mehr als Lebensgroͤße verfertigt ſind, und deren mit ſchwarzem Firnis uͤberzogene Flaͤche
verguldet iſt. Sie ſind auf erhabenen Boden am Altar und an der Mauer herum in ver-
ſchiedenen Reihen geſtelt, haben die Beine uͤber einander geſchlagen, und ſind uͤbrigens
ganz nakt bis auf die mit einem dunkelgelben Schuͤrztuche bewundene Schaam. Ueber
die
[40]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
die linke Schulter haͤngt ihnen bis zum Nabel hinunter ein eng zuſammengefaltenes Tuch
von eben dieſer Farbe. Die Ohrlaͤplein ſind mit einem Ris durchloͤchert, und ſo lang, daß
ſie bis auf die Schulter reichen. Das Haupthaar iſt kraus, und die Scheitel hinauf zwei-
mal uͤber einander gebunden. Doch kan man nicht recht erkennen, ob es nicht vielmehr ei-
ne Muͤtze oder Zierrath ſeyn ſol? Die rechte Hand liegt auf dem rechten Knie, die linke
ruht im Schooße. Den mitlern und Oberplaz nimt in dieſer Lage ein Goͤtze von uͤber-
menſchlicher Groͤße ein, mit einem uͤberhangenden Himmel oder Krone, welcher den erſten
Lehrer oder Stifter ihrer Religion vorſtelt. Sie nennen ihn Prah, d. i. den Heiligen,
oder Prah Pudi Djan, d. i. den Heiligen von hoher Abkunft; oder auch mit einem be-
ſondern Namen Sammona Khodum, oder wie es die Peguer ausſprechen, Sammo-
na Khutama,
d. i. einen Menſchen ohne Affekten. Die Sineſer und Japaner nennen
ihn Sjaka oder Saka; die Zingaleſen*)Budhum oder Budha. Dieſer Prah fin-
det ſich in einigen Tempeln in ganz abentheurlicher Groͤße. Außer der Stadt in einem
peguſiſchen Tempel (Tſjan pnun tſim in peguſcher Sprache genant) ſizt einer ſtark
verguldet auf einem erhabenen Boden, der hundert und zwanzig Fus in der Laͤnge hat.
Die japaniſche Hauptſtadt Miako wird uns kuͤnftig noch mit einem andern bekant machen,
welcher dieſem an Groͤße und Schoͤnheit nicht nachgiebt. Die erwaͤhnte Lage des Goͤtzen
iſt gerade diejenige, in welcher er und nach ſeinem Muſter auch ſeine Anhaͤnger ſich
allemal zu ſtellen pflegten, wenn ſie goͤtlichen Dingen nachgruͤbelten, oder ſich im Enthu-
ſiasmus befanden. Auch noch jezt muͤſſen die Prieſter von dieſer Religionsparthei taͤglich
einige Stunden in dieſer Stellung niederſitzen, wenn ſie nach ihren Regeln im Enthuſias-
mus, im Nachſinnen und Andacht ſich uͤben. Sie gehen auch beſtaͤndig in der Kleidung
der Goͤtzen einher, nur haben ſie den Kopf ganz glat geſchoren. Das Geſicht ſchuͤtzen ſie
durch einen runden Sonnenwedel von Palmholz oder Blaͤttern vor der Hitze.


Neben den Tempeln wohnen dann die Moͤnche in ſehr ſchlechten Kloſterhaͤuſern,
und haben zur Seite ein oͤffentliches Prah Khdi oder Lehr- und Predigthaus. Es iſt ge-
meiniglich ein hoͤlzernes Gebaͤude von mitlerer Groͤße, den Tempeln nicht unaͤhnlich, an
den Dachraͤnden verguldet, mit Treppen von wenigen Stuffen; und mit vielen hoͤlzernen
Schauben ſtat der Fenſter, um bei oͤffentlicher Verſamlung in den Lehrſtunden die kuͤhle
Luft durchzulaſſen. Jnwendig halten zwei Reihen Pfeiler den Soͤller; und der Raum iſt
in verſchiedene Klaſſen und Baͤnke abgetheilt. Jn der Mitte ſteht ein kuͤnſtlich geſchnizter
und verguldeter Lehrſtuhl, einige Stuffen uͤber den Boden erhaben, und von eben der
Form, wie in unſern Kirchen. Auf dieſem Stuhle pflegt in gewiſſen Stunden ſich ein al-
tet Pfaf einzufinden, und ſeinen Zuhoͤrern (welche meiſtens aus Studenten oder jungen
Moͤn-
[]

[figure]

Tab. III.


[] [...][41]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
Moͤnchen beſtehen) aus breiten Palmblaͤttern, auf welchen ſchwarze Schrift eingegraben
iſt, heilige Worte langſam und vernehmlich vorzuleſen. Die Zuhoͤrer ſchlagen bei einigen
Worten und Namen die Haͤnde uͤber der Stirne zuſammen, bezeugen aber uͤbrigens wenig
Andacht und Aufmerkſamkeit; denn ich beobachtete, daß einige Pinang ſchnitten, andere et-
was zu Pulver ſtoßten, oder in einem Gefaͤße Queckſilber mit dem milchigten Saft der
Pflanzen zerrieben, oder mit anderm Zeitvertreib ihre Haͤnde beſchaͤftigten. Bei dem Lehr-
ſtuhl und noch an andern Orten ſieht man auch den Goͤtzen Amida in einer Tarateblu-
me
(Faba Aegyptiaca, oder Nymphaea magna incarnata) aufrecht ſtehen. Man haͤlt
ihn fuͤr einen Vorſprecher verſtorbener Selen. Er iſt an verſchiedenen Orten mit papiernen
Blumen, Faͤhnlein, Sacriſteihaͤuſern, papiernen Kronen, und allerhand andern an
Bambusſtangen befeſtigten verguldeten Zierrathen behangen, deren ſie ſich bei Begraͤbnis-
proceſſionen bedienen. Vor dem Lehrſtuhl habe ich gemeiniglich bei ihrer Verſamlung eine
Maſchine von Bambusrohr ſtehn ſehn, die in Form eines Tiſches ſchlecht zuſammengeheftet,
mit einem Tuche bedeckt und mit gelben Tuͤchern (welche die Prieſter zu Kleidern und zu Be-
deckung ihrer Lenden gebrauchen) behangen und zum Schmuck mit Blumen beſteckt war.
Auf dieſe Maſchine waren verſchiedene Schuͤſſeln mit Reis, Piſang, Pinang, trockenen
Fiſchen, Limonen, Manger tanjer, und andern Landesfruͤchten geſtelt, welche, wie man
mir ſagte, dem Kloſter geopfert und verehrt waren. Mir begegnete einmal, wie ich eben
hineingieng, eine ſolche Maſchine auf der Treppe, welche man, da die Verſamlung geen-
diget war, wieder zuruͤkbringen wolte, und gerade, wie ſie neben mir war, zerbrach ſie,
durch das ſtarke Andringen der Leute und die Unvorſichtigkeit der Traͤger, daß auch alle
Schuͤſſeln und Speiſen auf die Erde fielen. Jch ſuchte mich nur bald zu entfernen, damit
der Poͤbel nicht mir die Schuld dieſes Ungluͤks beimefſen moͤchte.


Schwimmende Doͤrfer.


Außerhalb der Stadt liegen auch viele Doͤrfer und Vorſtaͤdte, von denen einige aus
Wohnſchiffen beſtehen, deren jedes mit zwei, drei und mehr Familien beſetzt iſt, die in die-
ſen Behaͤltniſſen oft ihren Ort verwechſeln, und an alle Orte, beſonders bei hohem Waſſer,
herumfahren und ihre Waaren verkaufen. Die gemeinen feſtſtehenden Doͤrfer ſind meiſt
von Bambusried, Brettern und ſchlechtem Zeuge erbauet. Einige ſtehn laͤngſt dem Ufer
auf klafterhohen Stelzen, damit das Waſſer, welches immer einige Monate das Land ganz
uͤberſchwemmet, unterweg fließen kan. Jedes Haus hat daher eine Treppe, deren manTab. III
fig.
4. 5.
6. 7.

ſich in der trockenen Jahrszeit bedienet, und einen Kahn, mit dem man bei hohem Waſſer
ausfaͤhrt.


Andre Doͤrfer ſtehn auf hoͤherm Boden und haben keine Treppen und Kaͤhne, weil
ſie der Ueberſchwemmung nicht unterworfen ſind. An dieſen erhabnern Orten findet man
Fauch
[42]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
auch Kloͤſter, Tempel, Brandplaͤtze, wo die Leichen eingeaͤſchert werden, und Hoͤfe, wo
die Knochen und die Aſche verbranter, vornehmer Leichen unter koſtbaren Piramiden eingeſenkt
werden. Jn einiger Entfernung von der Stadt nach Suͤden haben die Hollaͤnder am Ufer
des abſchießenden Stroms ihre Lage- und Pakhaͤuſer auf einem trockenen Boden praͤchtig und
bequem angelegt. Weiter hin an eben dieſem Flus befinden ſich noch die Colonien oder Doͤr-
fer der Japaner (welche die beſten Soldaten der vorigen Koͤnige waren) der Peguer und
Maleten. Auf der andern Seite des Fluſſes liegt ein Dorf von Portugieſen, die mit
ſchwarzen Weibern gezeugt ſind, und denn eine Europaͤiſche Dominicanerkirche St. Do-
mingo
mit drei portugieſiſchen Moͤnchen. Hinter derſelben liegt noch eine kleine Auguſtiner-
kirche, deren zwei Patres mit jenen in einem Schilfhauſe ganz friedlich leben. Unweit da-
von und noch in eben demſelben Campe liegt auch noch eine Jeſuiterkirche, welche nach ih-
rer Hauptkirche in Goa die St. Pauluskirche heiſt, die Herrn Jeſuiten lieben den
Apoſtel Paulus und nennen ſich nach ihm durch ganz Aſien lieber Pauliner als Jeſuiten.
Jhr Collegium beſtand damals aus zwei europaͤiſchen Moͤnchen und drei ſchwarzen Bruͤdern,
die aus Siam gebuͤrtig waren. Der Metropolitan hatte an der Suͤdweſtſeite der Stadt
am gegenuͤberliegenden Ufer des Fluſſes, wo aus derſelben der Arm Klam Nanja aus-
geht, einen Pallaſt von Steinen und auch eine anſehnliche Kirche erbauen laſſen, welche
aber damals ledig ſtanden, weil jener Biſchof ſich im Gefaͤngnis befand. Unſre Geiſtli-
che in Siam haben mich verſichert, daß in der Gegend von Judja allein drei tauſend und
ſechs hundert Chriſten uͤber ſieben Jahre waͤren, die alle zur heil. Communion gelaſſen
wuͤrden.


Die Piramide Pkahthon.


Jch wil nun noch in der Kuͤrze zwei merkwuͤrdige Orte beſchreiben, deren einer eine
halbe Meile außer der Stadt gegen Nordweſten in einem Camp liegt, wohin man nur zu
Waſſer kommen kan. Er ſchlieſt die beruͤhmte Piramide Pkahthon oder Pukathon ein,
welche die Siamer zum Gedaͤchtnis eines großen Sieges uͤber den Koͤnig von Pegu und
deſſen maͤchtiges Kriegesheer hier (auf dem Schlachtfelde) erbauet haben. Dieſer Sieg
war deſto merkwuͤrdiger, weil ſich die Siamer dadurch von der peguſchen Herſchaft losriſſen
Tab. IVund wieder in ihre alte Freiheit ſezten. Dieſe Piramide iſt ein praͤchtiges, etwa vierzig
oder mehr Klafter hohes maſſives Gebaͤude mit einem viereckigten Hofe, der mit einer
zierlichen niedrigen Mauer umgeben iſt. Sie beſteht eigentlich aus einem doppelten uͤberein-
anderſtehenden Gebaͤude. Das unterſte hat einen viereckigten Boden, und jede Seite deſ-
ſelben hundert und funfzehn Schritte; es reicht etwa zwoͤlf und mehr Klafter in die Hoͤhe.
Es hat auch an allen vier Seiten drei nach einander auf etliche Schritte hervorſtehende,
und bis zu dem Obergebaͤude aufgefuͤhrte Faͤcher oder Aufſaͤtze, wodurch es die Quadratfi-
gur
[]

[figure]

Tab. IV.


[][43]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
gur einigermaßen zu einer vielfoͤrmigen abaͤndert. Dieſes untere Gebaͤude enthaͤlt vier
uͤbereinander ſtehende und ſtets engere Lagen, jede mit einem Gange, der das ganze Ge-
baͤude umgiebt; neben welchen dann auch noch einige kleinere Abſaͤtze zu groͤßerm Schmuk
und Kunſt befindlich ſind. Dieſe Lagen ſind allenthalben mit hervorragenden großen Lei-
ſten, und die Gaͤnge (außer dem unterſten) mit Bruſtmauern und deren Ecken mit zier-
lichen Saͤulen beſezt. Der mitlere Aufſaz nach jeder Seite zeigt das Hauptgebaͤude und
endigt ſich in einem anſehnlichen ausgebildeten platten Giebel, und hat in der Mitte die
Treppe. Dieſe hat vier und ſiebenzig Stuffen, jede neun Zol hoch und vier Schritte lang,
bis man an das Obergebaͤude koͤmt. Dieſes (welches auch das zweite Gebaͤude heiſt) ruht
auf einem viereckigten, an jeder Seite ſechs und dreißig Schrit langen und fuͤnf Schrit
breiten Boden, deſſen Mitte zur Zierde ein wenig hervorſteht, der auch mit Bruſtmauern,
an jeder Ecke aber, ſo wie an den Seiten des Auftrits mit niedrigen Saͤulen beſezt iſt.
Von hier kan man nicht weiter hinaufſteigen.


Die Baſis dieſes Gebaͤudes hat acht Seiten, und jede Seite eilf Schritte. Die
Bauart koͤmt mit der des untern Gebaͤudes bis auf einige Faden Hoͤhe uͤberein. Auf die-
ſem ſteht nun ein zierlicher, vielfoͤrmiger, und in der Mitte mit kurzen Pfeilern durchbro-
chener Thurm, der alsdenn kugelweiſe (nemlich mit dreißig je kleiner und kleinern Ku-
geln) ſchmaler auf, und zulezt mit einer ziemlich langen und ſo ſchmalen Spitze in die Hoͤ-
he ſteigt, daß man ſich ſehr wundern mus, wie ſie ſchon ſo viele Jahre durch den Sturm-
winden hat widerſtehn koͤnnen. Die neben dieſer Piramide ſtehende Tempel und Tala-
poins-Collegia ſind mit beſondern Mauern von gebaknen Steinen zierlich umgeben. Die-
ſe Tempel ſind ſehr artig gebauet und haben allenthalben Pfeiler, die das Dach tragen.
Sie ſind in der Mitte mit einem vierfachen, und an beiden Seiten mit auf einander fol-
gendem zwei- und dreifachen Dache zur Pracht bedekt und vielfaͤltig geziert, wie das die
im Lande uͤbliche Architektur fordert. Beigefuͤgter Abris giebt von allem den deutlich-Tab. III
Fig.
1. 2

ſten Begrif.


Verſchiedene Gebaͤude.


Der andere Ort beſteht in zweien unweit der Stadt nach Suͤden dicht neben einan-
der liegenden Kirchhoͤfen, deren jeder mit Tempeln, Kloͤſtern, Kapellen und verſchiedenen Saͤu-
len oder Piramiden beſezt iſt. Ein Waſſergrabe trent ſie von einander, und jeder Kirch-
hof iſt mit einer beſondern Mauer zierlich umgeben. Um uns mit der Beſchreibung nicht
zu lange zu verweilen, habe ich hier den Grundris nebſt einigen der vornehmſten Theile ins
Große abgebildet. Auf dem erſten Hofe finden wir den ſogenanten Berklamstempel, ge-Tab. V
VI

zeichnet mit A. Er iſt eben derſelbe, von dem der ganze Ort den Namen und einen be-
ſondern Ruhm erhalten hat. Er iſt nicht nur uͤberhaupt ſehr ſchoͤn gebauet, ſondern die
F 2Ein-
[44]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Eingangsthuͤre iſt beſonders ein recht bewundernswuͤrdiges Kunſtſtuͤk, das geſchnizte Bilder
und Laubwerk vorſtelt. Die Bauart iſt der, des Tempels bei der Piramide Pkahthon
Tab. III
Fig.
2. 3
aͤhnlich, und ſind beide hier in einem Abriſſe vorgeſtelt. Zur Pracht iſt die Mitte des
Tempels mit vier gebogenen Daͤchern uͤbereinander bedekt, von denen das unterſte an jeder
Seite des Tempels wie ein Fluͤgel hervorſteht, und auf acht Pfeilern ruht. Wegen
Mangel der Fenſter iſt der innere Raum hier, wie faſt in allen Tempeln, ziemlich dunkel,
indem das Licht nur zur Thuͤr und einigen Mauerloͤchern hineindringt. Der Vorſaal iſt
erhaben; ſeine vielfache Daͤcher ruhn auf acht in zwei Reihen ſtehenden Pfeilern mit ver-
guldeten Kapitaͤlen. Die aͤußerſten Pfeiler werden durch ein rothgefaͤrbtes Gitter mit
einander vereinigt, um die Vorderſeite des Tempels oder vielmehr deſſen koſtbare Thuͤren
zu beſchuͤtzen. Man ſiehet dieſer Thuͤren drei Paar nebeneinander, deren jedes Paar aus
zwei Brettern beſteht, welche mit vielen durcheinander geflochtenen und mit Laub und
Blumen gezierten Ranken ſehr fein und kuͤnſtlich ausgearbeitet ſind. Man findet immer
drei Lagen von dieſen Zierrathen uͤbereinander, und hin und wieder ragen auch noch kleine
Bildniſſe von heidniſchen Goͤtzen in mannichfacher Geſtalt und Stellung hervor. Einige
haben vier Arme und Haͤnde, und in denſelben vielerlei Gewehr und Werkzeuge; alle ſehr
proportionirt ausgearbeitet und mit Gold und Farben geſchmuͤkt.


Neben dieſem Tempel ſteht ein kleines offenes Haͤuslein, von mir mit a bezeich-
net, mit einer in der Mitte hangenden Glocke, welche zwei Ellen lang iſt. Sie wird
Morgens und Abends mit einem Hammer angeſchlagen, um den Moͤnchen ein Zeichen zu
geben, daß ſie Gebet halten ſollen, welches ſie mit einer bebenden Choralſtimme thun, ge-
rade wie unſre Moͤnche den Pſalter ſingen.


B iſt ein dem vorigen gleichfoͤrmiger Tempel, doch hat er weniger Schmuk. Jm
Vorhauſe deſſelben ſieht man zwei offene Kammern mit Stukaturarbeit und verguldeten
kleinen Goͤtzen geziert. Das Eſtrich war ganz mit breiten Palmblaͤttern von ihrer Pali,
d. i. Bibel, bedekt. Denn ſie pflegen dieſelbe, wenn ſie zerriſſen und unbrauchbar gewor-
den iſt, hier als am heiligen Orte auf dieſe Art niederzulegen. Es befremdete mich hier
beſonders, daß ich noch nirgends, weder bei Brahmanen noch bei Sineſern in den Tem-
peln einige Thiere und monſtroͤſe Goͤtzen, ſondern keine andere als menſchliche Geſtalten,
ſtehend oder ſitzend angetroffen hatte. Doch aber ſahe ich wol bei den Thuͤren, Eingaͤngen
und Piramiden dergleichen Thiere. So befanden ſich beſonders in den Vorhoͤfen dieſer
beiden Tempel viele abſcheuliche Geſtalten und Nebengoͤtzen mit Teufelsgeſichtern.


C iſt eine Thurm hohe, von oben bis uͤber die Haͤlfte verguldete Pixamide; ſie
ſtehet auf ſteinernem hohen Grunde mit einer Allee ins Vierek umgeben. Die Spitze um-
faßt eine umgekehrte und weit abſtehende verguldete Krone, mit abhangenden verguldeten
Gloͤklein, welche vom Winde bewegt und gelaͤutet werden.


D iſt
[]
[figure]

Tab. V.


[][45]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.

D iſt ein hoͤlzernes Haͤuslein, worin ein bunter und gar ſchwerer Tragſtuhl be-
wahrt wird.


E eine gewoͤlhte Capelle mit einem dem Bachus aͤhnlichen dicken Goͤtzen, der
bei den Brahmanen Viccaswara heiſt. Er war ſtark verguldet, hatte uͤbermenſchliche
Groͤße, war mit ſeinem laͤchelnden Geſicht nach dem zulezt benanten Tempel gerichtet,
und oben und unten mit kleinen Goͤtterchens umgeben, wie man im Abris ſehen kan. VorTab. V
Fig.
2

ihm ſtand ein Gitter, auf welchem ich noch die Spuren abgebranter Wachslichter erkante.


F ein gleichfoͤrmiges Gewoͤlbe, ſtellet in der Mitte ſeiner innern Waͤnde eine in Stein
eingegrabene und verguldete Figur vor, gleichſam eines Fußes mit vier Zehen, die drei
Spannen lang und anderthalb breit ſind, woraus ſie ein großes Heiligthum machen. Un-
ter derſelben ruhten verſchiedene kleine Goͤtzen.


Die alhier befindliche Piramiden ſind gewiſſen Goͤtzen erbauet und gewidmet, fuͤh-
ren auch derſelben Namen, und haben gemeiniglich ein Behaͤltnis, wohin die Andaͤchtigen zum
Behuf der Prieſter ihre Opfer niederzulegen pflegen.


Der zweite Tempelhof war innerhalb ſeiner Mauern mit Gewaͤchs und Blumen-
toͤpfen beſezt. Es befanden ſich auch in demſelben verſchiedene Toopoobaͤume, die
man in Jndien Rawaſith und Bipel nent. Sie ſind Milch- oder Feigenbaͤume von der
Groͤße der Buchen, mit weiten Aeſten, glatten grauen Rinden, runden, lang zugeſpizten
Blaͤttern, und einer runden, unſchmakhaften Frucht, die nur den Fledermaͤuſen zur Spei-
ſe dient. Er wird bei allen indiſchen Nationen fuͤr heilig und ihren Goͤttern angenehm ge-
halten. Denn auch der heilige Sommona Khodum pflegte beſtaͤndig ſeinen Siz unter
dieſem Baume zu nehmen. Man pflanzt ihn daher gerne, wenn es Clima und Boden er-
laubt, bei den Tempeln. Eben eine ſolche Heiligkeit hat auch noch ein anderer milchtra-
gender Feigenbaum, der durch ſeine von den Aeſten abhangende Wurzeln, wenn ſie Erde
faſſen, neue Staͤmme ſezt, und ſich dadurch in die Weite ausbreitet. Seine Blaͤtter
ſind dem Lauro-Ceraſo gleichfoͤrmig, doch weit groͤßer. Er traͤgt aber, wie jener, ei-
ne den Fledermaͤuſen angenehme Frucht. Die Zingaleſen oder Ceylaner nennen ihn auch
Budhumgas, d. i. Budhumsbaum. Er iſt aber muͤhſam zu ziehen, und kan bei den
Tempeln, weil er ſich ſo weit verbreitet, nicht gut gepflanzt werden.


Dieſer andere Hof umfaſte auch noch zwei anſehnliche Tempel, von denen der erſte
an jeder vordern Thuͤre mit zwei wilden Maͤnnern, die Teufelskoͤpfe hatten, die hintereTab. V
Fig.
2

Thuͤr aber mit zwei in Lebensgroͤße abgebildeten Portugieſen beſezt war. Jn dieſem Tem-
pel wird jaͤhrlich ein großes Feſt gehalten. Es befanden ſich aber außerdem noch auf die-
ſem Hofe einige Capellen mit Goͤtzen, auch verſchiedene ſchoͤne, zum Theil ganz verguldete
Piramiden, von denen einige mit monſtroͤſen Figuren beſezt waren. Es wuͤrde zu weitlaͤuf-
tig werden, alle dieſe Sachen hier noch genauer zu beſchreiben; ich wil aber doch, um die
F 3Man-
[46]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
T. VI,
Fig.
1.
2. 3. 4.
5. 6. 7.
Mannigfaltigkeit in der Bauart zu beweiſen, hier von noch mehrern Tempeln und Hoͤfen
die Abbildung beifuͤgen, und damit dieſe Materie beſchließen.


Jch mus aber doch noch eines ſeltſamen Baums erwaͤhnen, den man auf dem
Wege aus der Stadt nach den Tempeln am Ufer findet, wenn man uͤber den Dam geht,
durch den der Suͤderarm des großen Fluſſes neulich geſchloſſen wurde. Dieſer Baum hat
die Groͤße eines Apfelbaums, ſchmale Blaͤtter, weite lange Aeſte, an deren aͤußerſten
und duͤnnen Zweigen Vogelneſter hiengen, welche von duͤnnem Graſe und Zeuge ſehr ſin-
reich geflochten waren, in der Geſtalt eines Beutels mit engem langen Halſe. Die Oef-
nung war nach Nordweſten gerichtet, damit die Suͤdwinde und Regen nicht eindringen kon-
ten. Jch habe auf einem Baume uͤber fuͤnfe dieſer Neſter gezaͤhlt, und ſie auf keinem an-
dern Baum wieder angetroffen. Die Voͤgel waren dunkelgelblich; ſie glichen einigermaßen den
Canarienvoͤgeln, und der Stimme nach den Sperlingen, deren es hier im Lande auch eine
große Menge giebt. Noch bemerkte ich an dem Baume die Sonderbarkeit, daß er allent-
halben viele monſtroͤſe Anſaͤtze oder ausgewachſene Knobben von verſchiedener Geſtalt hat-
te, deren ſich die Einwohner als einer Arznei bei gewiſſen Krankheiten zu bedienen
pflegen.


Religion der Siamer.


Die Religion der Siamer iſt die Lehre der Brahmanen, welche ſchon ſeit vielen
Jahrhunderten unter allen Nationen vom Flus Jndus bis an die aͤußerſten oͤſtlichen
Graͤnzen ſich verbreitet hat, außer daß am Hofe des Grosmoguls und in deſſen großen
Staͤdten, auf Sumatra, Java, Celebes und andern Jnſeln der Gegend die Religion
Mohammeds ſich eingedrungen und den Vorzug angemaßt hat. Ob nun gleich dieſe alge-
meine heidniſche Religion (zu der die nun bald verloſchene Lehre der Son - und Feueranbe-
tenden Perſer und Chaldaͤer nicht gehoͤrt) nur einen und denſelben Urſprung hat, ſo iſt ſie
doch nach den Sprachen, Sitten und Auslegungen verſchiedener Voͤlker in verſchiedene Se-
cten und Meinungen getheilt.


Den erſten Lehrer ihrer Religion ſtellen die Siamer in ihren Tempeln als einen ſi-
tzenden krauskoͤpfigen Mohren vor, von ungeheurer Groͤße, aus Ehrerbietung verguldet,
an jeder Seite mit einem ſeiner vornehmſten Gehuͤlfen, und vor und neben ſich mit ſeinen
uͤbrigen Apoſteln und Juͤngern umgeben, die leztern haben alle gleiche Farbe und Stellung.
Jn ihm, glauben ſie, nach der Lehre der Brahmanen, habe die Gotheit gewohnt, und
dieſes mit ſeinen Lehren, Leben und Offenbarungen bewieſen. Wiſtnu (durch welchen
ſie die Gotheit verſtehen) ſagen ſie, hattte ſchon in vielen hundert tauſend Jahren achtmal
in angenommener fleiſchlicher Geſtalt die Welt beſucht, und erſchien endlich zum neunten-
mal in der Perſon dieſes Caffern. Sie nennen ihn daher Prah pudi tſjau, d. i. der
Heilige von hohem Stamme, — Sammanu Khutama, d. i. den Menſchen ohne Af-
fekten,
[]

[figure]

Tab. VI.


[][47]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
fekten, — Prah bin tſjau, d. i. der Heilige, welcher iſt der Herr, oder auch nur
ſchlechtweg Prah, der Herr, auch Budha oder (wie ſie das Wort mit hottentottiſcher
Kehle und in einer Silbe auszuſprechen pflegen) P’húthàh. Die Singaleſen nennen ihn
Budhum, die Sineſer und Japaner Sacka oder Sjacka, auch wol nur Fotoye, d. i.
der Goͤtze, und mit einem Ehrennamen Si Tſun, d. i. der große Heilige.


Jch finde von der Geburt und dem Vaterlande dieſes Religionsſtifters bei den
verſchiedenen Nationen keine uͤbereinſtimmende Nachrichten. Die Siamer nennen ſein
Vaterland Lanka, d. i. Ceylon (Selan). Von da, ſagen ſie, ſey ihre Lehre zuerſt zu
ihnen heruͤbergebracht, und dann noch weiter durch die umliegende Laͤnder bis Sina und
Japan ausgebreitet worden. Auf den hohen Bergſpitzen der Jnſel Ceylon, welche die Eu-
ropaͤer Pico d’Adam nennen, behaupten ſie, waͤren noch jezt die Fusſtapfen ihres dort
hervorgeſproſſenen und zuvor geuͤbten Religionsweſens anzutreffen. Daher ſie auch dieſen
bei ihnen ſehr heilig gehaltenen Berg in ihren kosmographiſchen Tabellen als den Mittel-
punkt der Welt vorſtellen*).


Aber die Singaleſen ſelbſt widerſprechen dieſer ihrem Lande ſo ruͤhmlichen Meinung.
Sie nennen das Geburtsland des Heiligen Macca Desja, und verſtehen darunter das
Reich
[48]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Reich Siam, wie ſie dann auch der Siamer Pali oder Bibel, (welche die Peguer Mac-
catappaſa
nennen) in derer Khom oder Khomuttenſchrift ſich bedienen, und bekennen,
daß ſie dieſe von den Siamern bekommen haben.


Die Sineſer und Japaner geben fuͤr das Vaterland dieſes Heiligen und ſeiner
Offenbarung das Land Magatta an, welches ſie Tenſik Magatta Kokf, d. i. das
himmellaͤndiſche Magatta ausſprechen. Sie verſtehen darunter das feſte Land von Jn-
dien, und darunter alſo auch Pegu und Siam, und glauben, daß der Siacka der Sohn
eines Koͤnigs dieſer Lande geweſen ſey. So ſchieben dieſe Nationen immer eine der andern
die Geburt ihres Lehrers zu, wahrſcheinlich weil ein fremder Prophet immer am meiſten
geſchaͤzt wird.


Die gelehrten Brahmanen und Benjanen glauben dieſe Widerſpruͤche am beſten
zu vereinigen, wenn ſie behaupten, Budha habe weder Vater noch Mutter gehabt, und
geſtehen, daß ſie von ſeinem Vaterlande und Geburt nichts wiſſen. Sie malen ihn in
der Geſtalt eines Mannes mit vier Armen, und erzaͤhlen keine andere Wunder oder Legen-
den von ihm, als einen Beweis ſeiner ausnehmenden Froͤmmigkeit, daß er nemlich 26430
Jahre in einer Tarateblume ſitzend den hoͤchſten Gott lobe, nachdem er ſchon vor 21639
Jahren (von dieſem Jahre 1690 chriſtlicher Zeitrechnung angerechnet) ſich der Welt zuerſt
geoffenbaret und gezeigt habe. Die Siamer und andere orientaliſche Nationen wiſſen da-
gegen von der Geburt, dem Leben, Lehren und Wundern dieſes Prah oder Siacka gan-
ze Buͤcher vorzuzeigen.


Dieſe ſo verſchiedenen und mit einander ſtreitenden Berichte, welche ich in den
angezeigten Laͤndern gefunden habe, weis ich nicht beſſer zu vereinigen, als wenn ich folgen-
de Meinung annehme: Die Siamer und entferntere Oſtvoͤlker haben einen juͤngern Lehrer
mit dem Budha verwechſelt, wie in der griechiſchen und aegyptiſchen Geſchichte dergleichen
Verwirrung der Goͤtter und ihrer Namen ſehr gewoͤhnlich iſt. Der Prah oder Siacka
waͤre alſo nicht der vorherbenante Budha, noch vielweniger der Ram oder Rama, wie
Kircher in ſeiner Sina illuſtrata meint, da dieſer leztere viele hundert tauſend Jahre vor-
her gelebt hat. Er iſt vielmehr wahrſcheinlich ein juͤngerer Verfuͤhrer, der etwa fuͤnf hun-
dert Jahre vor Chriſti Geburt zuerſt in der Welt erſchienen iſt. Alle Umſtaͤnde beweiſen
auch, daß er kein Aſiate oder Jndianer, ſondern ein memphitiſcher, vermuthlich vorneh-
mer Prieſter und Mohre geweſen ſey, welcher nebſt ſeiner Cleriſey verjagt wurde, und als-
dann den aͤgyptiſchen Goͤtzendienſt nach Jndien uͤberbrachte und daſelbſt fortpflanzte. Jch
habe fuͤr dieſe Hypotheſe folgende Beweiſe:


Erſtlich die Aehnlichkeit dieſer aſiatiſchen Religion mit der alten aegyptiſchen in den
wichtigſten Theilen. So ſtelten die Aegypter ihre Goͤtter in der Geſtalt mancherlei Thiere
und menſchlicher Misgeburten vor, und eben ſo auch dieſe Nationen, obgleich ihre Nach-
barn,
[49]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
barn, die Chaldaͤer, Perſer u. ſ. w. die Himmelslichter, beſonders die Sonne und deſſen
Bild, das Feuer, goͤtlich verehrten. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die Jndianer eben
dieſer Religion beipflichteten, bis die jetzige bei ihnen aufkam. Denn da man nicht wol
glauben kan, daß dieſe kluge Voͤlker ohne alle Religion, wie die Hottentotten, ſolten gelebt
haben; ſo iſt es wol ſehr wahrſcheinlich, daß ſie die Sonne und uͤbrigen Geſtirne goͤtlich
verehrt haben, weil dieſe die aͤußern Sinne am ſtaͤrkſten ruͤhren, und den natuͤrlichen
Menſchenverſtand zur Bewunderung ihrer unbegreiflichen Eigenſchaften reizen. Man be-
merkt auch ſogar noch heutiges Tages Spuren dieſer alten chaldaͤiſchen Religion, der Ver-
ehrung nemlich der Sonne und Sterne, die zwar von ihren Prieſtern nicht gelehrt, aber
doch als ein guter Nebenglaube geduldet wird; gerade ſo, wie noch wol in chriſtlichen
Staaten alte heidniſche Gebraͤuche, z. B. die Feier des Bachus, nachgeblieben ſind.


Unter die wichtigſten Lehren der aegyptiſchen Religion gehoͤrt nun ohne Zweifel
die von der Verſetzung der Sele nach dem Tode in einen andern Leib; und dann die Ver-
ehrung der Kuͤhe, beſonders der H. Kuh zu Memphis, (bei ihnen Apis oder Serapis
genant) welche goͤtlich verehrt und von den Pfaffen bedient wurde. Dieſe beide Lehren
ſind den aſiatiſchen Heiden, ſonderlich denen an der Weſtſeite des Ganges, ſo heilig, daß
man nicht das geringſte und ſchaͤdlichſte Ungeziefer, weil man es von einer menſchlichen
Sele bewohnt glaubt, zu toͤdten wagt. Die Kuͤhe aber (deren Selen durch viele Wande-
rungen ſchon vergoͤttert ſind) werden bei ihnen mit großer Ehrerbietung gehandhabet und
bedienet. Jhr zu Aſche gebranter Koth wird als eine Salbe gebraucht, und ihr Urin als
Weihwaſſer. Jhrer ausgebildeten Figur iſt bei den vornehmſten Tempeln eine Capelle ge-
widmet, in der ſie taͤglich mit friſchen Blumen und wohlriechendem Oel begoſſen und ver-
ehrt wird. Man hat hiebei bemerkt, je naͤher dieſe Nationen nach Aegypten wohnen, de-
ſto groͤßern Eifer beweiſen ſie in dieſen beiden Stuͤcken; je weiter davon, deſto mehr laſſen
ſie darin nach, ſo daß auch ſogar die Pfaffen in Siam und andern entfernten Landen Kuͤ-
hefleiſch eſſen, wenn ſie nur die Ermordung dieſer Thiere nicht verurſachet, und nicht ihre
Einwilligung dazu gegeben haben.


Eben ſo wird auch die Wanderung der Selen hier nicht ſo heilig geglaubt, wie
in Hindoſtan unter den Benganen, und es koſtet an der Oſtſeite des Ganges jeder Floh
oder Muͤcke das Leben, wenn ſie den Einwohnern die bloße Haut angreift. Man trift
aber in dieſer aſiatiſchen Religion nicht nur die großen, ſondern auch die kleinern oder ſoge-
nanten Drekgoͤtter der Aegypter an, wiewol unter andern Namen und fabelhaften Umſtaͤn-
den, die man aber ſehr leicht unter einander uͤbereinſtimmend zeigen kan.


Zweitens iſt zu bemerken, daß vor drei und zwanzig Jahrhunderten, oder nach
der genaueſten Rechnung im Jahr 536 vor Chriſti Geburt, der perſiſche Tyran Camby-
ſes
die aegyptiſche Religion zerſtoͤrt, ihren Apim, (das Palladium ihrer Lehre) erwuͤrgt
Gund
[50]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
und die Pfaffen getoͤdtet habe. Da nun die Siamer ihre Soncarad oder geiſtliche Jahr-
rechnung von dem Tode ihres großen Heiligen anheben, und in dieſem 1690ſten Jahre
Chriſti ihr 2234ſtes ſchreiben; ſo faͤlt es in die Augen, daß dies ohngefehr auf jene Zeit
hinausgehe, und die Vermuthung wird alſo wahrſcheinlich, daß damals ein vornehmer
memphitiſcher Prieſter (den man Budha Sacka, d. i. den großen Heiligen nante) nach
Jndien gefluͤchtet ſey, und daſelbſt ſeiner Lehre ſo viel Beifal erworben habe, daß ſie ſich
bis in den entfernteſten Oſten ausgebreitet hat.


Drittens bezeugen auch die Caffernhaare des Heiligen, daß er kein Jndianer,
ſondern ein Afrikaner aus einem heißen Himmelsſtrich geweſen ſey. Denn unter dem in-
dianiſchen Himmel bekommen die ſchwarzen Einwohner keine krauſe Wolle, ſondern lange
oder auch etwas gekruͤlte ſchwarze Haare. Und obgleich die Siamer ihre Haare bis auf ei-
nes Fingers Laͤnge abzuſchneiden pflegen, ſo kan man doch aus dem wie Schweinsborſten
aufwaͤrts ſtehendem Reſt noch erkennen, daß ſie nicht wolligt und kraus ſind. Hieraus
folgt alſo auch, daß der Budha kein Siamer, ſondern ein Afrikaner ſey.


Charakter der Siamer. Jhre Geiſtliche.


Die Siamer ſind von Natur ein frommes, einfaͤltiges Volk, und beſonders fuͤh-
ren auch ihre Geiſtliche ein ſtrenges, ſitſames Leben, weil ſie in Unterdruͤckung und Ertoͤd-
tung ihrer Leidenſchaften, nach der Lehre und dem Muſter ihres Meiſters in dieſer Welt,
eine dem Himmel wohlgefaͤllige Volkommenheit und die ewige Belohnung ſuchen. Alle
Geiſtliche ſind unbeweibt, wohnen neben den Tempeln in Pfar - oder Kloſterhaͤuſern, ge-
hen nakt, außer daß ſie die Lenden mit einer dunkelgelben Schuͤrze bewunden haben. Auch
haͤngt ihnen von der linken Schulter ein ſchmal gefaltnes Tuch herab, deſſen Ende mit der
Lendenſchuͤrze befeſtigt iſt, welches Tuch ſie bei ſchlimmen Wetter uͤber die Schulter und
den ganzen Oberleib auszubreiten pflegen. Jhr Kopf iſt unbedekt und glat geſchoren,
und in der Hand halten ſie einen Wedel von Palmblaͤttern oder hoͤlzernen Spaͤnen.


Dieſe Geiſtliche haben verſchiedene Wuͤrden und Rangordnungen unter ſich.
Denn ſie beſtehen:


Erſtlich aus Juͤngern, die ſich Dſjauneen, d. i. Fratres, geiſtliche Studen-
ten nennen, wenn dieſe das zwanzigſte Jahr erreicht haben und in einem ſehr ſcharfen
Examen tuͤchtig befunden ſind, werden ſie bei einem großen Feſte zu Dſjaukus oder Pa-
tern erhoben. Die Peguer nennen ſie Talapoi; ein Name, der bei den Auslaͤndern zu-
erſt bekant geworden iſt. Daher nennen dieſe ohne Unterſchied alle Prieſter und Geiſtli-
che der ſymboliſchen Religion in Pegu, Siam, Cambodia, Parma, Laos, Tunkin und
Coſochintſina, Talapoyers.


Zwei-
[51]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.

Zweitens Dſjauku, gemeine Pfaffen oder Patres, welche ein oder mehr Klo-
ſterhaͤuſer bei gewiſſen Tempeln in Geſelſchaft bewohnen, und in denſelben uͤber ſich haben


Drittens einen Prior, welchen ſie Luang Wad, das Tempelhaupt, oder Sompan,
den Edlen, nennen.


Viertens dieſe Kloͤſter ſtehen in einer jeden Provinz unter einem Prah Khru,
als Biſchof oder Metropolitan. Ueber welchen und die ganze Cleriſei des Reichs nun
noch die Aufſicht fuͤhrt


Fuͤnftens der Prah Sankara als General und Erzbiſchof. Er wohnt in der
koͤniglichen Haupt- und Reſidenzſtadt Judja, und hat ein ſo großes Anſehen, daß ſich auch
der Koͤnig vor ihm buͤcket.


Der geiſtliche Stand iſt hier nicht, wie bei den Brahmanen, an ein beſonderes
Geſchlecht gebunden; ſondern es kan jeder ein Moͤnch werden, wer da wil und dazu gelan-
gen kan. Sogar einem Eheman iſt es nicht verwehrt, ſeine Frau zu verlaſſen und ins Klo-
ſter zu ziehen. Es giebt hier auch Nanktſji oder Baginen, welche nicht gelbe, ſon-
dern weiße Tuͤcher tragen. Sie haben ehemals mit den Pfaffen neben den Tempeln ge-
wohnt. Nachdem es ſich aber eine halbe Meile oberhalb Judja in einem Dorfe, wo die
Geiſtlichen von beidem Geſchlechte durcheinander wohnten, ereignete, daß dieſe Nonnen
eine nach der andern beſchwaͤngert wurden; ſo hat man ſie nachher von den Tempeln in ihre
eigne Haͤuſer verwieſen, um daſelbſt ihre Keuſchheit ſicherer zu bewahren. Der Tempel
des erwaͤhnten Orts heiſt noch jezt Wad Nanktſji, d. i. Nonnentempel. Aber hievon an
einem andern Orte ein mehrers.


(Die geiſtlichen Perſonen koͤnnen als Geiſtliche wegen Miſſethaten nicht geſtraft
werden. Es wird alſo vorher allemal die geiſtliche Kleidung ausgezogen, und dann werden
ſie wie Weltliche geſtraft: doch verfaͤhrt man immer mit ihnen, ihres ehmaligen geiſtlichen
Standes wegen, etwas gelinder. Sie werden ſehr oft wegen Capitalverbrechen, auf koͤ-
niglichen Befehl nur auf eine unbewohnte Jnſel, Coccatſjan verbant, wohin der Koͤnig
auch zuweilen ſeine Mandarins, wenn ſie in Ungnade gefallen ſind, zu relegiren pflegt *).


Siamiſche Zeitrechnung.


Die Soncarad oder Zeitrechnung der Siamer faͤngt mit dem Tode ihres großen
Abgotts Sammona Kuthama, oder Prah, oder Budha an, von welchem ſie im Jahr
1690, da ich in Siam war, 2234 Jahr zaͤhlten. Sie haben, wie die Sineſer Cyclos
von ſechzig Jahren, obgleich nur zwoͤlf Jahre eigentliche Namen haben, welche fuͤnfmal
G 2wie-
[52]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
wiederholt, den ganzen Cyclum von ſechzig Jahren ausmachen. Die Namen dieſer zwoͤlf
Jahre, wie mir in Siam berichtet iſt, ſind folgende:


  • 1) Pije Tſoelat, das Maͤuſejahr.
  • 2) Pije Tſaloe, oder Tſlu, oder Tſjalou, das Kuͤhejahr.
  • 3) Pije Kaen, das Tigerjahr.
  • 4) Pije To oder Tao, das Haſenjahr.
  • 5) Pije Marong oder Marono, das große Schlangenjahr.
  • 6) Pije Maceng oder Masceng, das kleine Schlangenjahr.
  • 7) Pije Mamia, das Pferdejahr.
  • 8) Pije Mame oder Mamij, das Boͤckejahr.
  • 9) Pije Wok, ſonſt Woak oder Wook, das Affenjahr.
  • 10) Pije Uka, das Huͤnerjahr.
  • 11) Pije Tſo, Tſjoo oder Tgjo, das Hundejahr.
  • 12) Pije Koen, das Schweinejahr.

Pije heiſt uͤberhaupt das Jahr. Jedes ſiamiſche Jahr iſt in zwoͤlf Mondmonate
abgetheilt, deren einige neun und zwanzig, andere dreißig Tage haben. Jedes dritte Jahr
beſteht aus dreizehn Monaten, weil alsdann einer zweimal gezaͤhlt wird. Ein Monat
heiſt in ſiamiſcher Sprache Duan. Die Namen der zwoͤlf Monate ſind folgende:


  • Duan Aey, der erſte Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Duan Gi oder Dzi, der zweite Monat von dreißig Tagen.
  • Duan Saem, der dritte Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Duan Sie, der vierte Monat von dreißig Tagen.
  • Duan Ha, der fuͤnſte Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Duan Hook, der ſechſte Monat von dreißig Tagen.
  • Duan Tſet oder Tſjiet, der ſiebende Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Duan Pet oder Pyt, der achte Monat von dreißig Tagen.
    • Dieſer achte Monat wird alle drei Jahr zweimal gezaͤhlt.
  • Duan Cau oder Kaau, der neunte Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Duan Sieb oder Sib, der zehnte Monat von dreißig Tagen.
  • Duan Sieb Eet, der eilfte Monat von neun und zwanzig Tagen.
  • Song Sieb Duan, der zwoͤlfte Monat von dreißig Tagen.

Dies ſind die zwoͤlf Monate des ſiamiſchen Jahrs, welche nur nach der Zahl
ihrer Ordnung gezaͤhlt werden. Denn Aey iſt eins, Gie zwei, Sieb zehn. Sieb eet
eilf u. ſ. w. Und ſo beſteht das ganze Jahr aus drei hundert vier und funfzig, und jedes
dritte Jahr aus drei hundert vier und achtzig Tagen. Die Tage des Neumonds werden
gezaͤhlt von dem Neumond bis zu dem Volmond, funfzehn Tage. Den erſten Tag nach
dem
[53]Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.
dem Volmond zaͤhlen ſie wiederum, und ſo fort bis zu dem Neumond. Dies iſt die Ur-
ſache, daß einige ihrer Monate dreißig, andere nur neun und zwanzig Tage haben.


Die ſiamiſche Woche beſteht aus ſieben Tagen, deren Namen ſind:


  • Dies ſolisWan atit, der Sonnentag.
  • Dies lunaeWan Tſan, des Mondestag.
  • Dies martisWan Ang Kaen, der Tag des Werks oder Arbeitens.
  • Dies mercuriiWan Poeth, der Tag der Zuſammenkunft.
  • Dies jovisWan Prahat, der Handtag.
  • Dies venerisWan Soek, der Ruhetag.
  • Dies ſaturniWan Sauw, der Tag des Anziehens oder Anholens,

weil er eine neue Woche an ſich zieht*).


Die Siamer pflegen gemeiniglich den erſten und funfzehnten Tag eines jeden
Monats, als den Anfang des Neu- und Volmonds zu feiern. Einige gehn auch zur Pa-
gode den lezten Tag des Viertelſcheins. Dieſer Feſttag koͤmt einigermaßen mit unſerm
Sontag uͤberein. Sie haben uͤberdem noch einige jaͤhrliche hohe Feſttage, als einen am
Anfange des neuen Jahrs, Sonkraan genant. Einer, der Kitimbak oder Ktimbak
genant wird, heiſt ſo viel als Proceſſion, an welchem (wie man mich berichtet hat) der
Koͤnig in einer ſiamiſchen von Menſchen gezogenen Caroſſe nach Napathat, einem be-
ruͤhmten Tempel geht, daſelbſt ſein Opfer zu verrichten. Ktinam wird das Feſt genant,
da der Koͤnig einmal im Jahre zu Waſſer mit einem ausnehmend praͤchtigen Gefolge
nach dem koſtbaren Tempel Banihim faͤhrt, daſelbſt zu opfern, und wie man glaubt,
das Waſſer zu ſchneiden. Zwei andere der jaͤhrlichen hohen Feſte der Siamer werden ge-
nant Sahutſjoan, d. i. Feſte der Elephantenwaſchung, an welchen, wie man ſagt, die-
ſen Thieren die Koͤpfe gewaſchen werden. Der Anfang aller Feſte heiſt bei den Siamern
Kaupoſa, der Beſchlus derſelben Oppoſa**).


G 3Drit-
[54]

Drittes Kapitel.
Abreiſe des Verfaſſers von Judja.


Beſchreibung des ſiamiſchen Hauptfluſſes Menam. —
Fernere Reiſe zur See. — Ankunft in Japan.



Reiſe von Judja bis zum Seehafen.


Den 4ten Jul. gegen Abend ſtieg ich mit dem Schiffer und andern Gefaͤhrten in ein
Boot, um den Flus Meinam hinunter nach dem Schiffe, welches zwei Tage-
reiſen von hier, und eine Meile von der Muͤndung des Fluſſes vor Anker lag, abzufahren.
Nachdem wir eine Meile zuruͤkgelegt hatten, kamen wir an den beruͤhmten Tempel Banj-
hiin,
welchen die Auslaͤnder die guͤldene Pagode nennen, wohin der Koͤnig jaͤhrlich mit
einem praͤchtigen Gefolge hinuͤberzufahren pflegt, und bei einer Opferung an die Pfaffen
ſeine Andacht haͤlt. Der gemeine Man nent dieſe Handlung Ktinam, d. i. Waſſer-
ſchnei-
**)
[55]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
ſchneidung, aus der irrigen Meinung, der Koͤnig thue mit dem Meſſer einen Schnit in
den Flus, und mache ihn dadurch ſinken. Es kan auch ſeyn, daß man ehemals dieſe Ce-
remonie beobachtet hat; jezt aber geht hier, außer der anſehnlichen Waſſerproceſſion,
nichts denkwuͤrdiges vor.


Den 5ten Jul. hatten wir wegen widrigen Wetters eine ſehr langſame Farth,
aber ich bekam dadurch Gelegenheit oft ans Land zu gehen, und mich mit Aufzeichnung
der daſelbſt befindlichen Kraͤuter zu beluſtigen.


Den 6ten Jul., da wir die ganze Nacht wegen verhinderter Farth ſehr wenig fort-
kamen, waren wir erſt des Morgens fruͤh vor Bankok. Die alte, auf einer Jnſel gele-
gene Feſtung fanden wir im guten Stande; aber die neue von den Franzoſen am oͤſtlichen
Ufer angelegte Schanze war ganz demolirt. Noch vor Abends erreichten wir das am Fluſ-
ſe eine Meile von der See liegende hollaͤndiſche Wohn- und Pakhaus Amſterdam genant.
Es iſt nach Landesart auf Pfaͤhlen von Bambus erbauet. Die angekauften Hirſch- und
Buͤffelfelle werden auf dem Speicher, das rothe Faͤrbeholz Faang, oder wie man es in
Japan nent, Tſjan pan, auf offenem Platze aufbewahrt, bis die Schiffe dieſe Waaren
abholen, und den groͤſten Theil jaͤhrlich nach Japan bringen. Man holt das Faͤrbeholz
aus dem Lande Coy oder Kui, welches auch dem Koͤnig von Siam gehoͤrt, bisweilen
auch von Bambiliſoi am kambodiſchen Ufer. Der Commandant dieſes Orts, Core,
war ein Corporal und ein geborner Schwede. Jch fand ihn ſehr betruͤbt uͤber den Tod ſei-
ner verlornen Katze Suri, welche er in dem Bauche einer getoͤdteten Schlange wiederge-
funden hatte. Er klagte auch, daß ihm eben dieſer Feind ſehr viel Schaden unter ſeinen
Huͤhnern gethan habe, da er ſich immer in den Winkeln des Hauſes verſtekt habe. Jch
mus bei dieſer Gelegenheit noch eines andern Raͤubers gedenken, welcher ſich bei meinem
Aufenthalt des Nachts unter dieſem Hauſe eingefunden hatte, in welchem ſieben von un-
ſerer Geſelſchaft ſchliefen. Es war ein Tiger, welcher den Zipfel einer Weſte erwiſchte,
der durch die Ritze des von geſpaltenem Bambus gemachten Eſtrichs abhieng, und ihn
ziemlich behende an ſich zog. Der Schreiber, dem die Weſte gehoͤrte, vermuthete einen
Dieb, rief die Schlafenden zu Huͤlfe, und ſuchte ſeinen Zipfel wieder loszureißen. Der
Tiger wolte aber ſeine Beute nicht fahren laſſen; und ſo hielt und zog einer gegen den
andern, bis Core, der ſolcher Diebe ſchon gewohnt war, durch einen Schus den Tiger
in die Flucht brachte.


Beſchreibung des ſiamiſchen Hauptfluſſes Menam.


Menam oder Meinam heiſt in ſiamiſcher Sprache eine Mutter der Feuchtigkei-
ten, und hat dieſer Strom ſeinen Namen von dem Ueberflus ſeines Waſſers, welches dem
ganzen Lande Nahrung giebt. Er iſt ſehr tief, ſchnelfließend, breiter als die Elbe, auch
der
[56]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
der einzige im ganzen Lande, außer daß er ſich einige Meilen unterhalb Judja in einige
Aeſte vertheilt. Die Einwohner geben von ſeinem Urſprung andere Nachrichten, als un-
ſere Landcharten. Sie leiten ihn eben ſo wie den bengaliſchen Ganges, von dem hohen
Waldgebuͤrge Jmaas ab. Er vertheile ſich auf demſelben, behaupten ſie, in verſchiedne
Aerme, welche durch Cambodia, Siam und Pegu ins Meer fallen. Und dieſe Stroͤme
ſollen ſowol unter ſich, als auch mit dem Ganges durch verſchiedene Sproſſen verknuͤpft
ſeyn. Einige wollen ſie ſogar fuͤr Aeſte und Abfluͤſſe dieſes großen Stroms halten, daß
man alſo, wenn man Luſt haͤtte die große Muͤhe zu uͤbernehmen, und durch Waͤlder und
Wildniſſe Fahrten zu ſuchen und zu oͤfnen, mit kleinen Fahrzeugen von Siam nach Ben-
galen kommen koͤnte. Jch gebe dieſe Sage fuͤr keine Wahrheit aus*), aber wol dasieni-
ge, was ich von der Beſchaffenheit des Fluſſes von Judja bis zur See ſagen werde, wel-
che ich auf dieſer Reiſe ſelbſt zu beobachten Zeit und Gelegenheit gehabt habe. Jch lege
Tab.
VII.
daher auch dem Liebhaber zu ſeinem Vergnuͤgen den Abris davon hier vor. Man findet
darauf des Fluſſes natuͤrlichen Lauf und alle Kruͤmmen, welche durch Huͤlfe eines großen
Compaſſes abgemeſſen ſind, die Vertheilungen und deren Ab- und Zufluͤſſe, die Lage der
Ufer, die anliegenden Waͤlder, Doͤrfer, Tempel, und die neulich wider die vernichtete
Flucht des franzoͤſiſchen Generals mit ſeinen Truppen aufgeworfene Schanzen.


Jch finde von dieſem Fluſſe nun noch folgende beſondere Umſtaͤnde zu bemerken:


Erſtlich, daß er, wie der Nil in Aegypten, obgleich zu einer gerade entgegengeſez-
ten Zeit, ſeine Ufer uͤberſteige, das Land uͤberſchwemme, und durch dieſe Bewaͤſſerung
fruchtbar mache. Mit dem Monat September, oder noch etwas fruͤher, (wenn die Son-
ne den Tropicum Cancri beſucht, und den Schnee auf den hohen Nordgebirgen zum
Schmelzen gebracht hat,) nimt dieſe Ueberſchwemmung ihren Anfang. Die alsdann ein-
tretende Regenzeit traͤgt hierzu nicht wenig bei; dieſe findet man allenthalben zwiſchen den
beiden Tropicis, wenn die Sonne den Zenith der Einwohner beruͤhrt. Jm Monat De-
cember nimt das Waſſer almaͤhlig wieder ab, und bezieht wieder die vorige Ufer ſeines
Stroms.


Zweitens, wenn man das Grundwaſſer des ganzen Landes — es ſey an welcher
Stelle und zu welcher Zeit es wolle — aufgraͤbt; ſo findet man allemal in einer Flaͤche


oder
[]
[figure]

Jab. VII.


[][57]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.

oder Horinzothal Linie mit dem Strom. Und doch koͤmt es immer eher hervor, und uͤber-
ſchwemt das flache Land, ehe der Strom ſo hoch waͤchſt, daß er uͤber ſeine Ufer trit.


Drittens, das Grundwaſſer iſt an allen Orten im Lande ſalpetriſch, nicht ſalzig,
und daher nicht trinkbar. Der Flus aber hat beſtaͤndig ein geſundes, ſuͤßes und trink-
bares (wiewol truͤbes) Waſſer.


Viertens. Obgleich alles Waſſer nach dem Meere, als einem von Natur niedri-
gen Orte ablaͤuft; ſo findet man doch die Ueberſchwemmung nicht ſowol in denen am Meere ge-
legenen Laͤndern, als oben und in der Mitte des Reichs.


Fuͤnftens, das Waſſer, welches die beſamete Felder uͤberſchwemt, befoͤrdert den
Wachsthum des Reißes ſo ungemein, daß der Halm beſtaͤndig mit dem Waſſer zunimt,
und die Aehren ſich uͤber die Flaͤche erheben. Wenn ſie reif ſind, ſchneiden ſie die Schnit-
ter ab, und erndten ſie mit Kaͤhnen ein. Das Stroh, welches oft von unglaublicher Laͤn-
ge iſt, uͤberlaſſen ſie dem Waſſer.


Sechſtens. Wenn das Waſſer abfaͤlt und vom platten Lande ſich wieder in ſeine
Ufer begiebt, pflegt man ein haͤufiges Sterben unter Menſchen und Vieh zu befuͤrchten.
Um dieſes zu verhuͤten, wird mit dem Anfange der Nordjahrszeit (ſo nent man die Zeit,
da die Nordwinde die Gewaͤſſer hinuntertreiben und den Abflus befoͤrdern,) durch das gan-
ze Reich ein Feſt gefeiert, um die verzehrenden Geiſter, welche nach abgelaufenem Waſ-
ſer zuruͤkbleiben, auszuſoͤhnen. Die Feier beſteht darin, daß man bei großen Tempeln,
am koͤniglichen Hofe und in den Haͤuſern der Vornehmen papierne Leuchten brennen, und
die Pfaffen in den Kloͤſtern gewiſſe Gebete abſingen laͤſt. Die Europaͤer haben die Be-
merkung gemacht, daß, wenn das Waſſer langſam fortgeht, und der Abflus nicht durch
ſtrenge Nordwinde, welche um dieſe Zeit gewaltig zu wehen pflegen, fortgeholfen und be-
ſchleunigt wird, daß alsdann der Schlam auf dem Lande liegen bleibe, und durch ſeinen
Geſtank das Sterben verurſache.


Die Ufer dieſes Fluſſes ſind niedrig und groͤſtentheils moraſtig; jedoch von der
Hauptſtadt Judja bis Bankok (welches etwa den dritten Theil des Wegs zum Meere
ausmacht) ziemlich bewohnt. Man ſieht zuweilen bewohnte Doͤrfer auf Pfaͤhlen ſtehn,
deren Haͤuſer wie Ziegenhuͤtten von ſchlechter Materie zuſammengeflochten ſind. Biswei-
len bemerkt man auch ſchoͤne Tempel und Wohnungen der Pfaffen, und eine Menge frucht-
und unfruchtbarer Baͤume. Von Bankok aber bis zum Hafen iſt alles mit Wildniſſen
und moraſtigen Waͤldern beſezt; auch aller Orten Bambus und Gabbe Gabbe (eine
Staude mit Palmſtraͤuchen) zu finden, welche beide Gewaͤchſe den Einwohnern die Ma-
terie reichen, aus der ſie auf dem Lande ihre Mauern, Daͤcher und Haͤuſer flechten.


Dreierlei Thiere geben den Reiſenden auf dieſem Fluſſe einen unterhaltenden An-
blik, beſonders auf dem Wege von Bankok bis zum Meere. Sie erſcheinen aber gemei-
Hnig-
[58]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
niglich erſt gegen Abend. Erſtlich findet er eine unglaubliche Menge Affen, ſchwaͤrzliche,
ſehr große, auch kleine, graue gemeine u. ſ. w., die auf den Baͤumen und auch auf dem
troknen Ufer muͤſſig und als voͤllig zahm herumſpatzieren, gegen Abend aber die hoͤchſten
Baͤume am Ufer beziehen. Sie ſind alsdann hier in ſo erſtaunender Menge, daß die
Baͤume ausſehn, als waͤren ſie mit Raben beſezt. Die Weiblein halten ihre Jungen an
den Bruͤſten feſt, und ſie ließen dieſelben nicht, wenn ſie auch herunter geſchoſſen wuͤrden.


Die Affen lieben dieſe Gegend beſonders wegen ihrer Nahrung, die ſie auf einem hier
haͤufig wachſenden großen Milchbaum mit eifoͤrmigen lichtgruͤnen Blaͤttern, Tjaak genant,
finden, deſſen Fruͤchte etwas zuſammengedrukt, im uͤbrigen an Groͤße und Geſtalt unſern
deutſchen Apfeln aͤhnlich und nur ſehr herben Geſchmaks ſind.


Einen zweiten ſehr angenehmen Anblik geben die Lichtmuͤcken, (cicindelae) wel-
che einige Baͤume am Ufer mit einer Menge, wie eine brennende Wolke, beziehn. Es
war mir beſonders hiebei merkwuͤrdig, daß die ganze Schaar dieſer Voͤgel, ſo viel ſich ihrer
auf einem Baume verbunden, und durch alle Aeſte deſſelben verbreitet |haben, alle zugleich
und in einem Augenblik ihr Licht verbergen und wieder von ſich geben, und dies mit einer
ſolchen Harmonie, als wenn der Baum ſelbſt in einer beſtaͤndigen Syſtole und Diaſtole
begriffen waͤre. Die dritte merkwuͤrdige Thierart ſind die gemeinen Muͤcken, welche ſich
bei Tage etwas ſparſamer, des Nachts aber wie Bienenſchwaͤrme auf dem Waſſer einfin-
den, daß man ſich ſchlechterdings vor ihnen nicht retten kan. Sie ſind weit groͤßer
als diejenigen, welche den Reiſenden in Rusland begleiten, und verletzen daher auch weit
peinlicher. Dieſe Gaͤſte machen die ganze Waſſerreiſe verdrieslich und toͤdten alles
Vergnuͤgen.


Den 7ten Jul. an einem Freitage fuhren wir mit anbrechendem Tage und gutem Nord-
winde ab, nahmen vom Fluſſe und ganzem Lande Abſchied, und erreichten um 8 Uhr un-
ſer Schif, welches zwei Meilen von der Muͤndung des Fluſſes auf ſechs Faden vor Anker
lag. Dieſer Hafen oder Rheede iſt das Ende eines Meerbuſens zwiſchen den ſiamiſchen und
kambodiſchen Laͤndern; hat einen thonichten, weichen Grund, und die Tiefe von fuͤnf,
ſechs Klaftern, etwas weniger oder mehr. Junken und unbeladene Schiffe koͤnnen durch
Huͤlfe der Ebbe und Fluth bis Bankok hinaufkommen. Jn der Muͤndung des Fluſſes
ſahe ich verſchiedene Junken und ſineſiſche Kaufſchiffe vor Anker liegen. Um den ſeichten
Grund zu vermeiden, waren hier hin und wieder Zeichen der Tiefe geſtekt. Jch bemerk-
te hier auch verſchiedene Stellaͤger der Fiſcher, welche hier ungemein reichen Fang haben,
beſonders an Roggen, aus deren Haͤuten die Japaner ausnehmend kuͤnſtliche Arbeit ma-
chen. Auch auf den hohen Gruͤnden, wo das ſuͤße Waſſer ſich mit dem Seewaſſer ver-
miſcht, pflegen die Fiſcher Pfaͤhle aufzuſtecken, und des folgenden Tages, wenn ſich die
See
[59]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
See zuruͤkzieht, wieder wegzunehmen, da ſich dann unterdes eine ſolche Menge Muſcheln
daran feſtgeſezt haben, daß funfzig Perſonen eine hinlaͤngliche Mahlzeit daran finden.


Wir fanden heute alle unſere Leute, Officiers ſowol als Gemeine, aus Eiferſucht
und allerlei Zaͤnkereien gegen einander ſehr aufgebracht, und in der groͤſten Verwirrung,
die beſonders dadurch vermehrt wurde, daß dieſe Leute aus Bosheit ſich im Lau (dem Brar-
tewein dieſes Landes) ganz tol ſoffen. Sie wieder in Ordnung zu bringen, war nicht
meine Sache; ich uͤberlies es unſerm Schiffer. Dieſer war ſonſt ein ſehr hoͤflicher, leut-
ſeliger Man (gewis eine nicht geringe Seltenheit unter hollaͤndiſchen Schiffern!) fand
aber doch fuͤr gut, hier die Verſoͤhnung damit anzufangen, daß er einige der Europaͤer in
eiſerne Feſſeln legte, womit er auch den folgenden Tag fortfuhr.


Den 8ten Jul., wie wir mit Einpacken der leztern Felle beſchaͤftigt waren, ka-
men zwei hollaͤndiſche Kauf bediente von Judja, um, der Gewohnheit nach, unſer Schifs-
volk zu muſtern. Wir ließen ſie den 11ten Jul. unter dreimaliger Loͤſung aus fuͤnf Kano-
nen mit ihren Schaluppen wieder von uns, da wir ſuͤdweſtlichen Landwind bekamen. Wir
gebrauchten dieſen Wind, um mit ſuͤdoͤſtlicher Fahrt die offene See zu erreichen, und als-
dann mit den ſuͤdlichen Paſſatwinden neben den kambodiſchen, kochinſineſiſchen und ſineſi-
ſchen Ufern nach Nord-Nordoſt zu ſegeln, und dann endlich einen japaniſchen Hafen
aufzuſuchen.


Man hat zwiſchen Malacca und Japan vier Monate im Jahre beſtaͤndigen Wind
aus Suͤden oder Suͤdweſten, welche Zeit man daher die Suͤd-oder Weſtſaiſon oder Mon-
ſon
nent. Dann wieder vier Monate aus Norden oder N. Oſten, welche man die Nord-
oder Oſtſaiſon nent. Zwiſchen dieſen beiden Perioden verlaufen etwa zwei Monate, da
der Wind beſtaͤndig abwechſelt, bis er ſich aus ſeiner vorigen in die gerade entgegengeſezte
Lage begeben und darin feſtgeſezt hat. Zuweilen geſchieht es wol, daß dieſe ſogenante
Paſſatwinde ſich einige Wochen fruͤher oder ſpaͤter einfinden, als man nach dem gewoͤhnli-
chen Laufe vermuthen konte. Die Schiffahrt hat allemal Nachtheil davon, wenn dies
geſchiehet.


Jn andern Gegenden von Jndien findet man eben dieſe Saiſons, nur wehen
dort, nach Verſchiedenheit der Lage der Laͤnder, Ufer und Meere die Winde mehr und be-
ſtaͤndiger aus Oſten und Weſten; daher ſagt man auch dort Oſt- und Weſtmonſons. Jn
ganz Jndien und dem oͤſtlichen Aſien muͤſſen alle Schiffahrten nach dieſen Winden berechnet
und eingerichtet werden.


Es war bei unſerer Abreiſe eben Suͤdweſtſaiſon, welche unſere Farth beguͤnſtigte.
Wir wunden daher mit friſchem Muth unſere beide Anker aus dem Grunde, aber verge-
bens; denn der Wind kam bald wieder aus Suͤden unſerer Fahrt entgegen. Wir muſten
alſo mit Laviren, Stilliegen, Anker winden und werfen bei veraͤnderlichem und bisweilen
H 2har-
[60]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
hartem Wetter viele Tage zubringen, und kamen wenig weiter. Es wuͤrde dem Leſer ver-
drieslich ſeyn, wenn ich alle Veraͤnderungen der Winde, des Wetters und unſerer Fahrt
von Stunde zu Stunde aus meinem Reiſebuche und meiner Charte daruͤber hier beſchreiben
wolte. Jch werde mich begnuͤgen, das Merkwuͤrdigſte auszuzeichnen.


Den 23ten Jul. Sontags, verließen wir die Kuͤſten von Siam, die Berge von
Kui und kamen zugleich aus dem Meerbuſen, da wir dann unſere Fahrt ſuͤdoͤſtlich richte-
ten. Den 26ten Jul. ſahen wir wenige Meilen von uns gegen O. N. O. eine lange nie-
drige Jnſel, Puli panjang, nach der wir unſern Curs richteten. — Den 27ten kamen
wir an die Jnſel Puli Ubi, welche aus hohen Bergen und verſchiedenen kleinen Jnſeln
zu beſtehen ſchien; wir ſegelten ſie auf vier Meilen an der linken Seite vorbei. — Den
28ſten hatten wir die große Jnſel Condon vor uns. Sie hat einen Hafen und ſuͤßes
Waſſer, aber keine Bewohner, und gehoͤrt nebſt den vorigen dem Koͤnige von Cambodia.
Wir ließen ſie rechter Hand drei Meilen von uns liegen. Wir erblikten bald darauf zur
Linken zwei Klippen, zwiſchen welchen wir nach Nordoſt durchfuhren. Dieſe Richtung aus
Suͤdweſten hatte der Wind bisher noch immer behalten. — Den 29ſten des Morgens
bemerkten wir, daß der Strom des Ufers von Cambodia uns ſchon ganz aus dem Geſicht
des Landes weggebracht hatte. Da wir uns bemuͤhten es wieder zu erreichen, und nord-
waͤrts ſteuerten, ſo fanden wir uns bei Tſjampa. Der Strom hatte uns ſo erſtaunend weit
nach Nord-Nordoſt gebracht, daß wir beſchloſſen die Nacht vor Anker zu liegen, weil
uns die Tiefe dieſer Gegenden unbekant war, ob wir gleich durch den Strom in unſerer
Fahrt weiter kamen. Wir ließen alſo, ſobald wir Grund fanden, das Anker fallen.


Den 31ſten Jul. hatten wir auf zwei bis drei Meilen von uns zur Seite einen
fuͤrchterlich hohen Bergwal, welcher den 1ſten und 2ten Auguſt etwas niedriger abfiel; wir
ſchiften unter demſelben weg, ohne Grund zu finden. Die Kuͤſte zeigte ſich uns jezt ſehr
unfruchtbar, kahl und rauh, und fiel bald gegen N. O. bald gegen Norden ab. Wir
kamen bei gutem Wetter und gelindem Winde immer weiter fort, und befanden uns am
Abend des 2ten Auguſts etwas die Eilande Puli Cambir de Terra vorbei, am Ende
des Landes Tſjampa und zur Seite des Reichs Cosjenſina, deſſen Ufer wir immer nach-
folgten. — Den 4ten Aug. ſahen wir die Jnſel Cantaon vor uns, welche wir Nach-
mittags hinter uns ließen. — Den 5ten Aug. ſezten wir unſern Lauf immer mit Suͤd-
und O. S. O. Winden nach N. N. O. fort, um uͤber die Bucht von Tunquin zu gelangen.


Den 6ten Aug. an einem Sontage, gab die Stille des Wetters und der See un-
ſern Matroſen Gelegenheit, nach gehaltenem oͤffentlichen Gebet zu fiſchen, welches auch
ſehr gut von Statten gieng. Einer bekam mit ſeinem Angel (woran ſtat der Lokſpeiſe nur
ein blinkendes Blech befeſtigt war) kurz nach einander zwei Hayen (tuberones) von mittel-
maͤßiger Groͤße, die man mit Huͤlfe einer Schlinge um den Leib auf das Schif zog. Man
fin-
[61]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
findet dieſen Fiſch ſehr haͤufig in allen indiſchen Meeren. Seine volkommene Laͤnge iſt
zehn bis zwoͤlf Fus; ſein Fleiſch hart und unlieblich. Man haͤlt ihn fuͤr den grauſamſten
Raͤuber und Menſchenfeind unter allen Seethieren, vor dem die Matroſen ſcheuen muͤſſen
ſich zu baden. Er heiſt daher auch ſchon bei dem Athenaͤus ἀνϑϱωπόφαγος, Menſchen-
freſſer. Er hat ein weites Maul, nicht oben am Kopfe, ſondern etwas tiefer herunter,
daher er ſich allemal herumbeugen mus, wenn er von oben Fras annimt. Jch habe be-
ſonders folgendes Merkwuͤrdige an ihm beobachtet. Erſtlich ein zur Seite anhangendes
fremdes Fiſchlein, welches ſich mit dem Maule ſo feſt ins Fleiſch angeſezt hatte, daß man
es nur mit einiger Gewalt abreißen konte. Die kundigen Matroſen nanten es einen Saͤu-
ger. Zweitens hatte dieſes Thier in ſeinem Bauche ſechs lebendige Jungen, anderthalb
Spannen lang. Man ſagt, daß dieſe Jungen, ſo lange ſie noch klein ſind, in den Bauch
ein- und auskriechen. Jch habe aber die Moͤglichkeit dieſer Sage bei einer geſchwinden
und nicht ſorgfaͤltigen Oefnung des Thiers nicht unterſuchen koͤnnen, da die Franzoſen mit
den Jungen zur Kuͤche eilten. Drittens fand ich in beiden hinten im Kopfe neben dem
Gehirn eine mit feiner Haut umgebene weiße Subſtanz, wie geſtoßene Krebsaugen, in
ziemlicher Menge. Man hub ſie ſehr ſorgfaͤltig auf, als ein bewaͤhrtes Mittel in Stein-
ſchmerzen und bei ſchweren Geburten.


Nicht lange hernach brachte ein anderer einen ſehr ſchoͤnen Meerſtern mit neun
langen Strahlen hervor, deſſen Mittelleib vier Zol, jeder Strahl beinahe anderthalb Span-
nen in der Laͤnge, und alſo das ganze Geſchoͤpf drei Span in ſeinem Umfang hatte. Die
Oberflaͤche war rauh anzufuͤhlen, als waͤre ſie mit Schuppen beſezt. Der Mittelleib, zwei
Zol dicke, praͤſentirte einen beſonders erhabenen ſchwarzen Stern, mit kurzen Strahlen.
Jm Mittelpunkt deſſelben war ein ziemlich großes, rundes Loch oder Maul, mit zwei Reihen
feiner Zaͤſerlein umgeben. Die großen Strahlen waren viereckigt, fingerdik, gerade und
ſpiz zulaufend, von dunkelweißer Farbe, und oben queerweiſe mit ſchwaͤrzlichen Strichen
wie ein Tiger gewoͤlket. Beide Reihen waren bis zur aͤußerſten Spitze mit einer dichten
Reihe kurzer Stacheln beſezt, die ſich nach der Laͤnge ſchloſſen. Die Unterflaͤche war etwas
ſanfter anzufuͤhlen, von Farbe weis, und jeder Strahl zur Seite mit einer Reihe kleiner
Fuͤße, wie ein indianiſches Tauſendbein beſezt, die durcheinander eine verwirte, kurzweili-
ge Bewegung machten. Der Mittelleib hatte eine maͤßige Hoͤlung, welche von demſelben
in jeden Strahl fortgieng. Die innere Subſtanz war weis und ſo haͤrtlich, daß mir die
Strahlen unter den Haͤnden zerbrachen.


Jch mus auch noch erinnern, daß uns heute und die vorhergehenden Tage in
dieſer Gegend eine Menge gewiſſer Seequalmen vorkamen, welche man mit Recht ichthi-
othuria
oder Fiſchqualmen nennen kan, weil ſie einigermaßen eine Fiſchgeſtalt haben, und
den Menſchen wie andere Fiſche zur Nahrung dienen. Die Hollaͤnder nennen ſie nach
H 3dem
[62]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
dem einheimiſchen Namen Seekatzen. Sie ſind vorn mit Spuhrruͤſſeln, etwa neun an
der Zahl, von verſchiedener Laͤnge verſehen, wie die Polypi marini. Der Bauch iſt ganz
leer, oben offen und kan aufgeblaſen werden. Jhr Fleiſch iſt durchſichtig, ohne Graten
und Zaſern. Man findet, wenn ich nicht irre, beim Bontio eine Abbildung nebſt der Be-
ſchreibung, zu welcher ich nur noch hinzuſetzen wil, daß man zwiſchen den Ruͤſſeln das Maul
mit einer Haut bedekt, und unter derſelben zwei uͤbereinander ſtehende ſchwarzbraune di-
cke krumme Zaͤhne findet, welche ſtark genug ſind, das haͤrteſte Objekt zu durchbrechen.


Den 7ten Auguſt. Nachdem wir bis jezt mit ſuͤdlichem und ſuͤdweſtlichem kuͤhlen
Winde unſere Fahrt immer nach Nordoſten fortgeſezt hatten, ohne irgend ein Land zu ſe-
hen; ſo fingen wir jezt an die Polhoͤhe mit Fleis zu nehmen, ſo oft es das Gewoͤlk nur erlauben
wolte. Wir fanden ſie den 8ten Auguſt 19 Gr. 21 Min., den 10ten 21 Gr. 4 Min., und
den 11ten 22 Gr. 13 Minuten.


Eben da wir dieſe leztere Hoͤhe erreicht hatten, bemerkten wir einige Gebuͤrge
von Fokjen, einer Provinz von Sina. Den 12ten Auguſt fruͤh Morgens befanden wir
uns nur zwei Meilen vom ſineſiſchen Ufer entfernt, wo die erwaͤhnten Berge auf hoͤrten,
und des Mittags an einer beruͤhmten Sandbank, von welcher die aus Sina und Japan
kommende Schiffe nach Batavia abgehen. Wir fanden hier eine Menge ſineſiſcher Fiſcher,
die ſehr beſchaͤftigt mit Fangen waren, und etwas weiter von uns zaͤhlte ich noch vier und
dreißig ihrer Kaͤhne. Vorher legte ſich eine von einer ſineſiſchen Junke abgeſchikte Praue
bei uns an Bord, und bot uns eine Parthie Tobak zum Verkauf an. Dieſen Abend ver-
aͤnderten wir unſern Lauf, um den Suͤderlamos aus dem Wege zu gehen, welche wir hier
nicht mehr fern glaubten. Dies ſind drei oder vier niedrige Klippen, welche die Carten unter
23 Gr. 10 Min. ſetzen. Am 13ten Auguſt Sontags, ſahen wir ſie zu unſerer Linken eine kleine
Meile von uns entfernt, und trieben bei ſtiller See und Luft vorbei. Des Abends fanden
wir an dieſer Seite eben dergleichen hervorſtehende Klippen, die wir gleichfals vorbeiſegel-
ten, und dann in Nordoſten gen Nord uns wandten. Jch erwaͤhne dieſer Jnſeln und Klip-
pen vornemlich deswegen, damit der Leſer von den vielen Gefaͤhrlichkeiten einer ſolchen Fahrt,
beſonders bei Nacht und im Sturme, ſich einen Begrif machen koͤnne. Jn der That war
die Langſamkeit unſerer Fahrt und die Veraͤnderlichkeit unſerer Richtung blos unſerer gro-
ßen Vorſicht beizumeſſen.


Den 14ten Auguſt kamen vier Fiſcher, wider die Gewohnheit dieſer Leute, mit
Hayen und Beggers an unſer Schif, welchen wir aber, wegen ſchlechter Waare, nicht
abkauften; ſondern blos fuͤr ihre Bemuͤhung ihnen ein Glas Brantewein reichten. Dieſe
Hoͤflichkeit reizte noch verſchiedene andere, zu uns heruͤber zu kommen, welche fuͤr ihre Fi-
ſche keinen Reis, auch keine Leinewand, ſondern blos Brantewein und Pfeffer verlangten.
Wir ſchloſſen hieraus, daß ſie recht duͤrftig ſeyn muͤſten. Gegen den Durſt fuͤhrten ſie An-
gu-
[63]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
gunen oder Waſſermelonen bei ſich. Sie trugen einen Strohhut, einen ſchwarzbraunen
Rok bis auf die Knie, mit einer Binde um den Leib. Sie machten viele naͤrriſche Spruͤn-
ge und ein Plaudergeraſe wie Malabaren. Die Polhoͤhe fanden wir heute 23 Gr. 58 Min.
an dem Orte, den die Charten unter 24 Gr. 10 Min. ſetzen. Unſere Fahrt gieng bei ſehr
ſtillem Wetter nach N. O. und N. gen O. Der Strom des Meers war uns vortheilhaft;
das Land niedrig, und hatte nur wenig Berge. Dieſen Abend befanden wir uns dem Fluſ-
ſe Kſjanſjo zur Seite.


Den 15ten Aug. blieb alles wie vorher, und auch das Land behielt ſeine geſtrige
Geſtalt. Eine ſineſiſche Jnſel ſahen wir heute bei Sonnenuntergang vor uns, und den
folgenden Morgen (am 16ten Aug.) hinter uns. Wir verließen nun die Kuͤſte von Sina
ganz, und richteten unſere Fahrt bei der bisherigen Luft und Wind in die offene See nach
Japan. Mittags befanden wir uns heute in der Hoͤhe von 25 Gr. 56 M., den 17ten im 27
Gr. 13 M., den 18ten im 28 Gr. 15 M. Heute nach dem Morgengebet wurde der Wind
ganz ſtille, kam aber bald hernach aus Nord gen Oſten, und Nordoſten. Die folgenden
Tage bis zum 25ſten Aug. war er ununterbrochen ſehr veraͤnderlich, bald hart, bald gelin-
de, bald ganz ſtille, faſt immer aber unſerer Fahrt voͤllig entgegen. Wir vermutheten
daher, daß der nordoͤſtliche Monſon diesmal fruͤher als gewoͤhnlich anfinge. Die Noth
lehrte uns nun, dem Mantel nach dem Winde zu haͤngen und die meiſte Zeit zu laviren.
Hiebei giebt es Muͤhe und Arbeit genug, aber ſchlechten Fortgang. Man pflegt gemeinig-
lich den einen Tag zu verlieren, was man den andern gewonnen hat. Daß auch wir die-
ſes Schikſal hatten, kan man ſchon aus den genommenen Hoͤhen abnehmen. Dieſe war
den 19ten Aug. 28 Gr. 2 M., den 20ſten 28 Gr. 42 Min, den 21ſten 28 Gr. 52 Min.,
den 22ſten 29 Gr. 1 Min., den 23ſten 29 Gr. 23 Min., den 24ſten konten wir die Hoͤ-
he nicht nehmen; den 25ſten 29 Gr. 34 Min. Wir fanden in dieſen Tagen nichts merk-
wuͤrdiges, außer daß ich um den 27ſten Grad eine auf der Flaͤche der See herum treibende
gelbgruͤne Materie bemerkte, welche ſich zwei Tage zeigte. Wir bemerkten hier endlich
eine Tiefe von funfzig Klaftern, und auf dem Grunde einen ſandigen Leimboden mit Meer-
kraut. Einige Tage ſezten ſich auch ſchwarze Voͤgel hin und wieder auf dem Schiffe nie-
der, welche ſich mit Haͤnden greifen ließen. Jch bemerkte einmal unter ihnen auch eine
Schneppe.


Heute, den 25ſten Aug. war die Luft todſtille und die Hitze ganz unertraͤglich.
Gegen Abend erhub ſich ein heftiger, kontrairer Wind aus O. N. O., der uns noͤthigte
nordwaͤrts anzulegen, und machte, daß wir unſre Nacht ſehr uͤbel zubrachten.


Den 26ſten Auguſt nahm der Sturm immer zu, und war mit Donner und Bliz ver-
miſcht. Da wir hier eine Untiefe von zwei und dreißig Klaftern fanden, ſo wandten wir uns
nach Suͤdoſten, und nach Suͤdoſt gen Oſt. Den 27ſten, Sontags, hielt der Sturm im-
mer
[64]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
mer an, aber aus Nordoſt gen Oſt. Wir fanden ſieben und dreißig Klaftern Tiefe, und
wandten uns gen Oſt-Suͤdoſt. Die Mittagsſonne zeigte uns die Hoͤhe von 29 Gr. 50
Min. Dieſen Abend um 9 Uhr flohe uns eine ſineſiſche Junke mit vollem Wind und Se-
geln vorbei, und ſuchte einen Hafen. Die Schiffer dieſer Kuͤſte wiſſen aus ſichern Zei-
chen, wenn ein gefaͤhrlicher Sturm bevorſteht; und pflegen dann zeitig genug in dem naͤch-
ſten Hafen Schuz zu ſuchen.


Den 28ſten Aug. nahm der Sturm ſo gewaltig zu, daß wir noch vor Abend genoͤ-
thigt waren, unſere Ruder anzubinden, und das Schif mit angezogenem großem Segel und Ba-
ſahn (oder Fokmaſt) treiben zu laſſen. Man hatte uns Cajan (eine Art von indiſchen
Wicken) und Reis in Waſſer geſotten, zur Mahlzeit auf die Erde geſezt. Aber das
Schif war beſtaͤndig in ſo heftiger Bewegung, daß nur zwei Steuerleute, welche die Schuͤſ-
ſel feſt hielten, in groͤſter Eil etwas zu ſich nehmen konten. Wir andern muſten auf den
Vieren davon kriechen, um uns auf dieſe Art nur zu retten. Wir fanden dieſen Abend
eine Tiefe von ſechs und funfzig Klaftern.


Den 29ſten Auguſt. Der Wind war waͤhrend der Nacht ein wuͤtender, heftiger
Sturm geworden; die Bewegung des Schifs war daher unertraͤglich, und man konte
ſchlechterdings nicht mehr aufrecht ſich halten. Man verſuchte dagegen das Ruder zu ge-
brauchen, aber die Nacht noͤthigte uns bald wieder beizulegen. Hierdurch war uns aber
wenig geholfen. Denn der Sturm ſties mit großen Wellen ſo gewaltig auf unſer Schif,
daß wir noch vor Tage die beigelegten und ſchon durchloͤcherten Segel wieder einnehmen,
das Ruder anbinden und unſer nackendes Schif der Diſcretion zweier wuͤtender Elemente
uͤberlaſſen muſten. Das Einnehmen der Segel gieng noch zu aller Verwunderung ſehr
gut von ſtatten, man hatte ſich aber auch gerade eines guͤklichen Augenbliks dazu bedienet.
Sturm und Wellen fuhren aber nun immer fort ſo ſehr zu wachſen, daß von dem grauſa-
men Wanken des Schifs alles uͤber einen Haufen zu fallen drohte. Die Krampen, wo-
mit die Kiſten befeſtigt ſind, ſprangen aus; die Stricke zerriſſen, und das Geraͤthe des
Schifs ſchwebte von einer Seite zur andern. Man beſchlos die Baſahne beizubringen,
aber ſie faßte noch in den Haͤnden der Matroſen Wind und zerris in Stuͤcken. Die Luft
war bei dieſem Zuſtand dunkel und vol Waſſer; ich weis nicht, ob allein vom Regen oder
von gebrochenen Seewellen, welche der Wind mit der Luft vermiſchte. Man konte nur ei-
ne halbe Schifslaͤnge weit ſehen, und bei dem Geraſſel der See, der Winde und des Schifs
ſchlechterdings keiner des andern Wort vernehmen. Die Wellen fielen wie Berge uͤber uns,
ſchlugen unaufhoͤrlich die Thuͤren auf, und durch die Gallerie in die Cajute, wo alles mit
Waſſer ganz angefuͤlt wurde. Auch fing endlich das Schif an zu rinnen und wurde der-
maßen lek, daß man das Waſſer mit Zubern (Beljen) austragen, und die bisher beſtaͤn-
dig gehende Pumpe noch durch eine andere unterſtuͤtzen muſte. Unter dieſem Laͤrmen ver-
nah-
[65]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
nahmen wir noch unauf hoͤrlich hinter dem Schiffe furchtbare Stoͤße, die alles zu zerſchmet-
tern drohten. Wir fanden nicht eher Zeit uns umzuſehen, als Nachmittags, da ſich der
Sturm in den Oſten wandte. Wir fanden nun die Ruderangeln abgebrochen, die Klam-
mern ausgeriſſen; — das Ruder ſchlepte nach. Ein neues und gefahrvolles Ungluͤk! Die
Ruderketten wurden nun zwar nach Moͤglichkeit angezogen, doch waͤhrte das Stoßen immer
fort, und zwar ſo arg, daß wir fuͤrchteten, das Schif werde in wenig Stunden zu
Grunde gehen. Jnzwiſchen trieben wir immer nach Suͤdweſten und Weſt-Suͤdweſten zu-
ruͤk, nach den fatalen ſineſiſchen Eilanden zu. Jn dieſem Zuſtande, da man an allen En-
den ſo viel zu rathen und zu helfen hatte, war noch dies ein beſonders trauriger Umſtand,
daß die Befehlshaber bei ihren Leuten kein Gehoͤr und Gehorſam fanden, weil jene ſowol
wie dieſe mit ſtarkem Getraͤnk ganz uͤberladen waren. Denn da kein Trinkwaſſer aus
dem Raume zu bekommen, und die einzige Speiſe abgeſottener Reis war; ſo muſte
man die Kraͤfte mit Arrak und Brantewein unterhalten, welches große Unordnung hervor-
brachte, und fuͤr den nuͤchternen Zuſchauer den Jammer noch ſehr vermehrte.


Nun brach die ſchreckensvolle Nacht an, welche indeſſen doch darin dem Tage noch
vorzuziehen war, daß ſie den Anblik des bevorſtehenden Untergangs bedekte. Das haͤrte-
ſte, was wir auszuſtehen hatten, beſtand in den grauſamen Stoͤßen, die das Schif von
ſeinem Ruder litte, wenn es von den Wellen aufgehoben und angetrieben wurde. Dieſem
Uebel etwa durch Aufziehen des Ruders oder andere Mittel abzuhelfen, wurden Zimmer-
leute und deren Gehuͤlfen, mit Hebebaͤumen, Axten, Stricken und allerlei Werkzeugen verſehen,
in die Cajuͤte gefuͤhrt. Sie banden Tiſch und Baͤnke los, brachen durch die Pforte des
Bodens in die untere Kammer, ließen ſich gebunden aus dem Cajuͤtefenſter hinaus, und
wandten alle Muͤhe an, dem Ruder zu helfen. Aber das wuͤtende Meer ſties ihnen ſo vie-
le hohe Wellen entgegen und uͤber den Leib, daß ſie ihr Unternehmen aufgeben muſten,
und ſich nas und verwirt davon machten, ohne ſich weiter umzuſehen. Da ſie nun die
losgebundenen Tiſche, Baͤnke und ihre Werkzeuge auf dem Boden liegen ließen; ſo gerie-
then dieſe dermaßen durch einander und in Verwirrung, daß alles in dieſer Kammer zer-
brochen wurde. Meine zwei mit Wein und Brantewein gefuͤlte Flaſchkeller, nebſt Thee-
keſſel und anderm Geraͤthe, hatten dabei eben dieſes Schikſal; und hatte ich ſelbſt mitten
unter dieſem entſezlichen Lermen und Durcheinanderwerfen genug zu thun, um nur einen
Augenblik zu finden, da ich mit meinem ſchwarzen Jungen herauskriechen und mich retten
konte. Draußen war man unterdes beſchaͤftigt, eine friſche Baſahn beizubringen, wor-
an man den ganzen Tag gebeſſert und gearbeitet hatte. Es muſte indes hiebei etwas ge-
wagt werden, wenn man nicht in der Nacht bei dem zunehmenden Schlingern alle Maſten ver-
lieren wolte. Gluͤklicherweiſe und wider aller Vermuthen wurde dieſe Sache in einem
JAu-
[66]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Augenblik zu Stande gebracht. Die Sonne war nun ſchon drei Stunden unterge-
gangen, und es blieb alſo weiter nichts bei der Sache zu thun uͤbrig, als fleißig zu pum-
pen und zu hoffen.


Den 30ſten Aug. fruͤh Morgens fing der Sturm und das Wuͤthen der See an ſich
zu brechen, da wir dann insgeſamt den blinden Segel, der ſtat eines Ruders dienen muſte,
hervorbrachten, und mit demſelben ſuͤdwaͤrts vor dem Winde weg, und alſo ohne ſehr gro-
ßes Schlingern abliefen. Wir wolten auch die Zimmerleute in Stand ſetzen, an Wieder-
herſtellung des Ruders zu arbeiten. Dies geſchahe dann auch mit friſchem Muth. Der
Zimmermeiſter wurde an einer Stelle feſte gebunden, hinuntergelaſſen, eine neue Ruder-
balke angeſezt, und kurz das ganze Werk ſchon auf Mittag voͤllig geendigt. Der Him-
mel klaͤrte ſich nun auf und erlaubte ſowol dem Koche wieder Feuer anzulegen, als unſern
Steuerleuten die Hoͤhe zu nehmen. Sie war 28 Gr. 31 Min.


Wir zogen nun in Gottes Namen unſere Segel wieder auf, und legten mit gutem
Wind nach Nordoſt an. Der 31ſte Auguſt brach mit lieblichem Sonnenſchein, wiewol
noch bei anhaltendem harten Winde, an, und ermunterte unſere Gemuͤther und ganz er-
ſtorbene Sinnen. Wir fuͤhlten uns aber nach dem fuͤnftaͤgigen Faſten und Ungemach ganz
ausnehmend entkraͤftet, und hatten beſonders eine unleidliche Empfindung von Hunger.
Es waͤre uns daher mit friſcher Koſt und einem guten Trunk ſehr gedient geweſen; aber
dazu war hier kein Rath. Denn unſer Schifsbuchhalter, der gewohnt war auf dem Lan-
de ſelten, und zu Waſſer niemals nuͤchtern zu ſeyn, hatte unſere ganze Proviſion von Ta-
felwein, die ihm der Schiffer anvertrauete, bis auf den lezten Tropfen verzehrt. Ein noch
auf bewahrtes fettes Schwein und Federvieh waren waͤhrend des Sturms umgekommen.
Unſer Koch konte uns alſo weiter nichts, als gekochten Reis, Cajan und altes Spek auftragen;
und wir muſten uns vorjezt hiemit nebſt der Hofnung begnuͤgen, daß wir bei der ſtillen
See bald wuͤrden friſche Fiſche fangen koͤnnen. Die erſte und muͤhſamſte Arbeit war heu-
te, das Seilwerk anzuziehen, welches durch Sturm und Schlingern ausgedehnt und ſo
ſchlap geworden war, daß es nicht laͤnger die Maſten anhalten konte. Andere bemuͤhten
ſich unterdes die Oefnung im Schiffe aufzuſuchen, welche doch damals noch nicht gefunden
wurde. Hernach wurden auch noch durchnezte ſeidene Packen und Felle aus dem Raume
auf den Oberboden gebracht; und auf dieſe Art fuhr man dieſen und die beiden folgenden
Tage mit Troknen der Waaren, der Kleider und Betzeuge fort. Unſer Lauf war noch N.
O. und nach N. N. O. mit Oſt und Oſt gen Nord Winde; die Hoͤhe Mittags 29 Gr. 20
Min. und Abends die Tiefe 43 Klaftern.


Den 1ſten September fanden wir eine Oefnung unter der Kuͤche; um ſelbige zu
ſtopfen, wurde das Schif einige Stunden uͤber die andere Seite gelegt. Andere Oefnun-
gen, um derentwillen wir noch ſtuͤndlich pumpen muſten, fand man noch nicht, wir urtheilten
da-
[67]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
daher, daß ſie nur uͤber dem Waſſer ſeyn muͤſten. Jch wil den Leſer mit genauer Erzaͤh-
lung der Abwechslung der Winde nicht laͤnger auf halten, ſondern nur uͤberhaupt berichten,
daß ſie immer ſehr veraͤnderlich und meiſtens uns entgegen blieben, bisweilen Raͤu-
mer. Wir muſten daher (nach dem Schifsausdruk) viel bei dem Winde ſegeln und lavi-
ren. Wir fanden Mittags 30 Gr. 9 Min. Hoͤhe, am Abend 23 Klaftern Tiefe.


Den 2ten September war die Hoͤhe 30 Gr. 20 Min., die Tiefe 90 Klaftern.


Den 3ten Septemb. die Hoͤhe 31 Gr. 26 Min., die Tiefe 26 Klaftern.


Den 4ten Septemb. konten wir wegen des Sturms keine Polhoͤhe nehmen. Der
Grund gab den ganzen Tag einen weißen Sand bei einer Tiefe von 25 bis 32 Klaftern.


Den 5ten Septemb. war Mittags die Hoͤhe 31 Gr. 15 Min., die Tiefe des A-
bends 26 Klaftern. Dieſen Abend ſchwammen verſchiedene Seeteufels (platte Fiſche von
haͤslicher Geſtalt, und 2 bis 3 Klafter Laͤnge) an unſerm Schiffe vorbei.


Den 6ten Septemb. war die Polhoͤhe 31 Min. 30 Gr. Dieſen Nachmittag uͤber-
fiel uns wieder ganz unvermuthet ein neues Ungluͤk, desgleichen wir im vorigen Sturm
nicht erfahren hatten. Wir ſegelten damals mit einem gelinden O. S. O. Winde nach
Suͤden, als wir ploͤzlich hinter uns im Norden einige Blitze, und bald darauf Wellen, die
bis an den Himmel reichten, erblikten, welche in der Eil uͤbereinander auf unſer Schif
zurolten, und daſſelbe in ſolche unordentliche und verwirte Bewegung ſezten, daß wir
daruͤber ganz ſinlos wurden, und gar nicht wuſten, was zu thun? was zu laſſen? —
Denn da vor uns die ſuͤdliche Monſonswellen unſerer Farth entgegen ſtunden, und das
Schif bei ſo gelinder, ſchwuͤlen Luft nicht fortſchießen ließen, ſo muſte die anrollende See
blos auf der Cajuͤte ihre Kraft brechen. Zwo Stunden nach Sonnenuntergang ſtuͤrzten
zwo himmelshohe Wellen kurz auf und nebeneinander von hinten uͤber das ganze Schif;
druͤkten daſſelbe mit allen auf dem Oberboden oder ſogenanten Ueberlauf ſtehenden Perſonen
(unter denen ich mich gleichfals befand) tief unter Waſſer, daß wir auch gewis glaubten, wir
wuͤrden nun den Augenblik in des Meers Abgrund verſinken. Dieſer Ueberfal war auch in
der That mit ſolchem Krachen und Geraſe begleitet, als wenn das ganze Hintertheil des Schifs
weggeriſſen und abgebrochen waͤre. Unſer alter Schiffer und der Oberſteuerman (die beide
ſchon uͤber ſechzig Jahre hatten) nebſt andern, die von fruͤher Jugend an zur See gedient hatten,
bekraͤftigten einmuͤthig, daß ſie dergleichen nie geſehen haͤtten. Man lief indeſſen ſogleich
zum Ruder und fand es, nicht ohne Verwunderung, noch im Angel und ganz unbeſchaͤ-
digt; nur Bretter und andere Sachen waren abgeriſſen. Die Pumpe wurde in Bewegung
gebracht, aber man bemerkte gar keine Oefnungen. Jn der Cajuͤte aber fand man alles
in einem ungemein ſchlechten Zuſtande. Fenſter, Rahmen, alles war eingeſchlagen, und
es mochte hoch oder niedrig ſtehen, mit Seewaſſer ganz begoſſen, ſogar unſern trunkenen
Buchhalter nicht ausgenommen, obgleich dieſer unter dem Soͤller am ſicherſten Orte
J 2ſchlief.
[68]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
ſchlief. Auf dem Boden ſtand alles knietief unter Waſſer, und das Geraͤthe trieb darin
herum. Man lies nun zwar dies ſchaͤdliche Salzwaſſer durch Oefnung der Thuͤren bald
abfließen, allein es war doch waͤhrend der kurzen Zeit ſchon in das Jnnerſte vieler Sachen
eingedrungen, wie ich ſolches mit eigenem großen Schaden und vielem Kummer an meinen
Papieren und Handſchriften habe erfahren muͤſſen. Noch einige hohe Wellen druͤkten nun
mit voller Macht gegen das Schif los, als ein ſtarker Wind aus Norden mit Regen und
Ungewitter hinter uns kam, und das Schif von dieſen ſchweren Wellen zwiſchen Suͤd und
Oſt wegtrieb; aber mit entſezlichem Schlingern, welches die ganze Nacht und auch den
folgenden 7ten September fortdauerte, wiewol heute ohne Sturm und bei leidlichem Wet-
ter, ſo daß wir nunmehr auch dieſe Gefahr durch goͤtliche Huͤlfe uͤberſtanden hatten.
Merkwuͤrdig iſt es noch, daß der Wind an dieſem Tage wieder den Lauf der Sonne am
ganzen Horizont herumtrieb. Wir fanden heute keine Polhoͤhe, aber eine Tiefe von 30
bis 40 Klaftern.


Den 8ten September war Mittags die Hoͤhe 31 Gr. 11 Min., des Abends die
Tiefe 42 Klafter. Die Wellen giengen heute noch ſehr ſtark, verurſachten großes Schlin-
gern des Schifs, und uns eine muͤhſame Nacht.


Den 9ten Septemb. war unſere Breite oder Polhoͤhe 31 Gr. 5 Min., der Bo-
den des Meers 42 bis 48 Klaftern.


Den 10ten September, Sontags, war die Hoͤhe 30 Gr. 20 Min. und kein Grund
zu finden. Dieſen Nachmittag uͤberfiel uns abermals ein gewaltiger Sturm aus Nor-
den. Wir waren genoͤthigt zu wenden, und um das verderbliche Schlingern zu maͤßigen, die
Unterſegel bei- und das Ruder feſtzubinden, und muſten nun uͤbrigens das Schif unter
Gottes Sorge forttreiben laſſen.


Den 11ten September, gegen Abend lies endlich dieſer Sturm nach, da er vier
und zwanzig Stunden gewuͤtet hatte; es wurde daher das große Maſtſegel beige-
fuͤgt und das Ruder wieder gebraucht. Mittags hatten wir 29 Gr. 55 Min. Polhoͤhe; des
Abends 60 Klaftern Tiefe. Dies war nun der dritte Sturm, den wir zwiſchen Sina und
Japan erfahren muſten, bei dem gleichfals durch die ſchlingernde Bewegung des Schifs
viel Geraͤthe verdorben wurde. Bei unſern Leuten ſchien unterdes durch die vielen Be-
ſchwerlichkeiten und Gefahren dieſer Reiſe ſich Verdrus und Widerwille zu erzeugen, be-
ſonders da wir bei den nunmehr unveraͤndert anhaltenden uns entgegenſtehenden Nordwin-
den alle Hofnung verloren, das Schif nach Japan zu bringen. Wir ließen es daher auch
den 12ten September bei gutem Wetter vor dem Winde weg in S. W. gen W. treiben.
Unſere Hoͤhe war dieſen Mittag 29 Gr. 30 Min., die Tiefe 62 Klaftern.


Den 13ten Septemb. fruͤh Morgens im Calfatern des Schifs bemerkte man,
daß die Steven, welche gleichſam die Rippen und Klammern an dem Schifskoͤrper ſind,
in
[69]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
in dem am 6ten September erlittenen Ueberfal los und locker geworden waren; welches
dann ſowol den Officiers als Gemeinen alle Luſt benahm, mit Laviren ferner anzuhalten.
Man hielt es vielmehr rathſam einen ſineſiſchen Hafen zu ſuchen, daſelbſt fuͤr einen Monat
Waſſer einzunehmen, und dann die Ruͤkreiſe nach Batavia anzutreten. Die Paſſagiers
und alle, die bei den Schifsraͤthen nur irgend etwas vermochten, ſuchten durch ihr Zure-
den dieſen Vorſchlag angelegentlich zu befoͤrdern. Er wuͤrde auch wahrſcheinlich geneh-
migt ſeyn, obgleich der im Bette und Trunkenheit begrabene Buchhalter ſeine Zuſtimm ung
nicht geben konte; haͤtte nicht noch endlich der Oberſteuerman einige Bedenklichkeiten da-
gegen eingebracht. Jch trug auch dazu bei, ſie zu beſtaͤrken. Denn ich hatte waͤhrend
dieſer Streitigkeit in einem mir von guter Hand mitgetheilten Tagebuch einer Reiſe nach
Japan nachgeſucht und gefunden, daß vor wenig Jahren noch in den leztern Tagen des
Septembers ein hollaͤndiſches Schif gluͤklich in Japan angekommen ſey. Jch gieng alſo
insgeheim zum Schiffer, und ſtelte ihm vor, daß die naſſen Felle in der heißen Luft zu
Batavia kein Jahr wuͤrden uͤberliegen koͤnnen, ohne verdorben zu werden, und daß man
dann dieſen Schaden, wegen ſeiner fruͤhzeitigen Ruͤkreiſe und Kleinmuͤthigkeit, ihm anrech-
nen wuͤrde. Jch zeigte ihm hiebei die Stelle meines Tagebuchs, welche er ſtutzend drei-
mal las, und dann beſchlos, den Vorſchlag der Ruͤkkehr fahren zu laſſen und keinen weitern
Widerſpruch anzuhoͤren.


Den 14ten Septemb. war die Polhoͤhe 29 Gr. 36 Min., des Abends die Mee-
restiefe 41 bis 46 Klaftern.


Den 15ten Septemb. war die Hoͤhe 29 Gr. 57 Min., die Tiefe 36 Klaftern.


Den 16ten Septemb. war die Polhoͤhe 30 Gr. 13 Min., die Tiefe 38 Klaftern.


Den 17ten Septemb. Sontags, konten wir die Hoͤhe nicht nehmen. Die Tiefe
war 47 Klaftern.


Den 18ten Septemb. erlaubte das Wetter gleichfals keine Hoͤhe zu nehmen; die
Tiefe war 34 Klaftern.


Den 19ten Septemb. war die Hoͤhe 30 Gr. 31 Min., die Tiefe des Abends
48 Klaftern.


Den 20ſten Septemb. die Hoͤhe 30 Gr. 36 Min., die Tiefe des Abends 58, die
Nacht 70 Klafter. Heute Vormittags trafen wir mit dem Wurfſpieße einen gelblich
blauen Delphin oder Dorades, ſechs Spannen lang, welcher ſehr ſchmakhaft war, und unſern
kranken Magen ungemein erquikte.


Den 21ten Septemb. erreichten wir die Hoͤhe von 31 Gr. 30 Min. Dies iſt nach
den gemeinen Seecharten die Breite von einer im japaniſchen Meer liegenden klippigen
Jnſel Matſima, welche als ein japaniſcher Hermes den Schiffern dient und von ihnen
aufgeſucht werden mus, wenn ſie nach oder aus Japan fahren. Wir ſahen ſie zwei
J 3Stun-
[70]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Stunden nach genommener Hoͤhe auf 9 bis 10 Meilen von uns entfernt im Nordoſten,
daher wir dann ſchloſſen, daß ſie noͤrdlicher liegen muͤſſe, als die Charten angeben, und
vermuthlich unter 32 Grad. Kurz vor Sonnenuntergang zeigte ſich dieſe laͤngſt gewuͤnſchte
Jnſel im Norden, nur fuͤnf Meilen von uns. Sechs Stunden hernach hatten wir ſie bei
hellem Mondſchein nur in der Entfernung einer Meile linker Hand von uns, und fanden,
daß ſie aus ſieben und mehr an einander liegenden ſpitzigen, rauhen, unbewachſenen und
mit Vogelkoth uͤberal beſchmizten Klippen beſtehe. Eben dies bemerkten wir auch zwei
Jahr hernach, da wir auf der Ruͤkreiſe nahe vorbei ſegelten. Dieſe Jnſel ſchien uns
auch eine uralte Reſidenz der Seemeven zu ſeyn, weil wir dieſe in großen Haufen auf der-
ſelben bemerkten. Das gute Gluͤk beſcherte uns in dieſer Gegend wieder einen ſchoͤnen Do-
rades; am Abend fanden wir auf 78 Klafter Tiefe einen ſandigen Modergrund.


Den 22ten Septemb. fruͤh Morgens, ſahen wir die Jnſel Matſima ſchon ſoweit
hinter uns, daß ſie faſt gar nicht mehr zu erkennen war. Nicht lange hernach wurden wir
eine nankinſche und noch zwei andere Junken gewahr, die, nach der Bauart zu urtheilen,
ſineſiſche waren, welche aus Japan kamen. Linker Hand ſahen wir hier die japaniſche
Jnſeln Gotho, welche von Ackerleuten bewohnt werden, und noch Vormittags fiel uns
das hohe Bergland vor Nagaſacki ins Geſicht. Bei Sonnenuntergang hatten wir end-
lich dieſen laͤngſt und ſehnlichſt gewuͤnſchten Hafen auf ſechs bis ſieben Meilen in N. O. gen
N. vor uns. Wir ſegelten mit nordweſtlichem kuͤhlen Winde darauf los, und gelangten
den 23ſten September um Mitternacht vor die Bay auf funfzig Faden Tiefe. Wegen vie-
ler uns unbekanter Klippen und Jnſeln durften wir uns nicht naͤher heran wagen. Der
Eingang der Bay iſt damit ganz beſezt und daher bei Nacht unmoͤglich zu treffen. Wir
lavirten demnach, bis der Morgen anbrach, da wir auf 43 Klaftern Tiefe Sandgrund fan-
den, und lenkten nunmehr zum Hafen. Aber der Wind wurde ploͤzlich ſo ſtil, daß wir
gar nicht weiter kommen konten. Wir kuͤndigten daher unſere Gegenwart mit fuͤnf Schuͤſ-
ſen an, die man auch zwei Meilen davon in der hollaͤndiſchen Reſidenz gehoͤrt hatte.
Nachmittags kamen dann auch einige von unſern Obern abgeſchikte hollaͤndiſche Kaufbedien-
te in vier Fahrzeugen zu uns mit einer Schaar nagaſackiſcher Hofjunker, Schreiber, Sol-
daten und einem japaniſchen Oberdolmetſcher begleitet. Jhre Abſicht war uns zu bewil-
kommen, und die mitgebrachten Briefſchaften uns abzufordern. Wir ließen ſie nach ei-
nigem Verweilen mit ſieben Schuͤſſen wieder von uns, und folgten ihnen nach, aber, we-
gen veraͤnderlichen Windes, nur ſehr langſam, bis unter den ſogenanten Papenberg im
Munde des Hafens und eine Meile von Nagaſacki. Wir wunden hier unſer Schif mit
Wurfankern ab, und weiter hinauf bis eine halbe Meile vor Nagaſacki. Hier ließen wir,
als im ſichern Hafen, Abends um 10 Uhr unſer Nachtanker fallen, und dankten Gott de-
muͤthigſt fuͤr den bisher geleiſteten gnaͤdigen Schuz.


Wir
[71]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.

Wir haben bis dieſe Zeit auf unſerm Schiffe weder Todte noch Kranke gehabt.
Nur der mehrmal erwaͤhnte Buchhalter wurde, weil man ihm keinen Arrak und Bran-
tewein mehr geben wolte, den Abend vor unſerer Landung mit einem Schlagflus befallen,
der ihm ploͤzlich Sprache und Verſtand, und nach einigen Stunden mit ſchreklichen
Krampfverzuckungen das Leben nahm. Dieſer Man hatte ſonſt ſehr viele Geſchiklichkeit,
und war der Sohn eines beruͤhmten Gottesgelehrten im Haag. Durch eine zu nachſehende
Erziehung aber war er ſchon fruͤh in Ausſchweifungen und wuͤſtes Leben verfallen.


So bald wir Anker geworfen hatten, fanden ſich ſchon zwei japaniſche Wachtſchif-
fe uns zur Seite; und fuhren die ganze Nacht fleißig rund um unſer Schif herum. Alle
ſineſiſche Junken, die heute ausgelaufen waren, wurden auch jede mit einem Wachtſchif-
fe in die offene See begleitet. Nicht weit von uns legte ſich die Flotte eines mit gewoͤhnli-
cher Pracht ausgereiſeten Herrn vor Anker. Es beſtand aus vierzig Fahrzeugen oder Luſt-
ſchiffen, die ohngefehr wie die Struven in Rusland erbauet waren, welche von Caſan nach
Moskau fahren. Dieſe kleine Flotte fiel ſehr ſchoͤn ins Auge, des Nachts mit vielen an-
gezuͤndeten Laternen, und des folgenden Morgens, wie ſie abfuhr, mit den halb weißen
und halbſchwarzen Segeln, welche zugleich aufgezogen wurden.


Den 24ſten Septemb. trieben wir die Haͤlfte des Weges fruͤh Morgens mit ei-
nem gelinden kuͤhlen Winde hinauf; hernach wurden wir mit zwanzig japaniſchen Ruder-
ſchuͤten, die ſich an einem vom Vordertheile des Schifs abreichenden Strik befeſtigten,
ferner hinauf bis auf zwei hundert Schritte von der Stadt und unſerer Wohnung hinauf-
gezogen. Der Hafen von Nagaſacki iſt mit hohen Bergen, Jnſeln und Klippen umſchloſ-
ſen, und wider alle Sturmwinde und wuͤtende Meerswellen durch die Natur ſelbſt geſichert.
Die Spitzen der umliegenden Berge ſind mit Wachthaͤuſern verſehen, in welchen die
Waͤchter alles beobachten koͤnnen, was auf der See vorfaͤlt, welches ſie dann der Regie-
rung zu Nagaſacki anzuzeigen haben. So hatten ſie ſchon vorgeſtern die Ankunft unſers
Schiffes angemeldet. Der Fus der Berge, welcher das Ufer ausmacht, iſt mit verſchie-
denen Rondelen nach der Waſſerflaͤche beſezt, auf welchen ich zwar zur Zierde rothe Sta-
cketen, aber kein Geſchuͤz wahrnahm. Außerdem findet man auch noch auf hohem Lande
unweit dem Ufer zu beiden Seiten eine anſehnliche hohe kaiſerliche Wache, wo man aber
ein Gewand vorgezogen hat, um zu verbergen, wie viel an Manſchaft und Stuͤcken vor-
handen ſey? Jm Vorbeigehen gruͤſten wir jede Wache mit zwoͤlf groben Stuͤcken, und wie
wir den angewieſenen Plaz erreicht hatten, ließen wir unſern Anker fallen, etwa drei hun-
dert Schrit von der Stadt, und eben ſo weit von dem hollaͤndiſchen Wohnort Deſima,
welches eine vor dem Ufer der Stadt aufgefuͤhrte, umſchloſſene kleine Jnſel iſt.


Hier-
[72]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Hierauf erſchienen bei uns ſogleich zwei Bugjoſen oder Hofjunker der Gouver-
neurs nebſt vielen Soldaten, Schreibern und Dolmetſchern, und ließen alle Angekomme-
ne, nach unſerer ihnen abgelieferten Schifsrolle, einen nach dem andern die Muſterung
paſſiren, beſchaueten einen jeden von Haupt bis Fus, und ſchrieben mit einem Pinſel ſei-
nen Namen, Alter und Bedienung auf ein Papier. Es wurden auch noch ſechs oder
mehr Perſonen, jeder beſonders, uͤber die Reiſe befragt, und eines jeden Antwort ſorgfaͤl-
tig aufgeſchrieben. Die vornehmſten Fragen waren: Woher und wann die Reiſe ange-
treten ſey? wie lange man auf derſelben zugebracht habe? ob man unterwegs hie oder da
gelandet? Wegen des verſtorbenen Buchhalters wurde auch nicht wenig gefragt, und die
Antwort gleichfals zu Papiere gebracht. Man beſahe ſeine Bruſt und bloße Haut, weil
man daſelbſt etwa ein Crucifix oder irgend ein Zeichen der paͤbſtlichen Religion zu finden
glaubte. Wir brachten es durch vieles Bitten dahin, daß die Leiche noch heute zur Beer-
digung abgeholt wurde; aber man wolte ſchlechterdings nicht zugeben, daß einer von uns
mitgienge und ſaͤhe, wo man den Verſtorbenen hinſcharte. Nach der Muſterung wurden
alle Winkel mit Soldaten und Schreibern beſezt, und das Schif mit aller Ladung von den
Japanern gleichſam in Beſiz genommen. Die Schaluppe und das Boot wurden heute
noch unſern Leuten zu noͤthiger Befeſtigung der Anker gelaſſen. Aber Piſtolen, Degen
und alles andere Schifsgewehr wurde uns weggenommen, und von ihnen in Verwahrung
gebracht, und den folgenden Morgen wurde auch das Pulver in Faͤſſer gepakt weggefuͤhrt.
Jn der That, haͤtte ich dieſes gewoͤhnliche Verfahren der Japaner nicht ſchon vorher ge-
wuſt; ſo wuͤrde ich ſicher geglaubt haben, wir waͤren in ein feindliches Land gekommen,
oder wuͤrden fuͤr Spions gehalten. Jch mus hier auch noch erwaͤhnen, daß ein jeder von
uns, ſobald wir das Land erblikten, ſeine Pſalmen und andere geiſtliche Buͤcher, nebſt al-
ler europaͤiſchen Muͤnze, auf hohen Befehl und nach altem Gebrauch, dem Schiffer uͤber-
liefern muſten, der dann alles mit eines jeden beigeſeztem Namen in ein alt Fas pakte,
und bis zur Abreiſe im Schiffe fuͤr den Japanern verborgen hielt. Den Abend unſerer
Ankunft wurden uns aus der hollaͤndiſchen Oekonomie allerlei Erfriſchungen geſchikt, als Huͤ-
ner, Eier, Schuppenfiſche, Rettiche, Ruͤben, Zwiebeln, friſche Jngbern, Pompunen,
Anguinen, Weisbrod und ein Faͤsgen Sacki oder japaniſches Reisbier.


Den 25ſten Septemb. fruͤh Morgens, kamen von Deſima beide Herren und Re-
ſidenten, oder Direktoren der hollaͤndiſchen Handlung auf unſer Schif. Dieſe beide Her-
ren waren Hr. Sweras der abgehende, und Butenheim, der antretende, welcher nur
neulich mit drei beladenen Schiffen von Batavia angekommen war. Nachdem man nun
das ganze Schifsvolk zuſammen gerufen hatte, laſen ſie uns die Befehle der Edlen Com-
pagnie und der Gouverneurs von Nagaſacki vor. Sie beſtanden vorzuͤglich darin, daß
ein
[73]Drit. Kap. Abreiſe des Verfaſſers von Judja.
ein Jeder ſich eingezogen, beſcheiden gegen die Eingebornen, und ihren Geſetzen und Lan-
desgebraͤuchen gemaͤs verhalten ſolle. Dies Plakat wurde, nachdem es verleſen war,
oͤffentlich im Schiffe, nach japaniſchem Gebrauche, angeheftet, und ſo einem Jeden vor
Augen geſtelt.


Nachmittags lies ich mich auf Deſima an Land ſetzen. Hierzu mus man ſich al-
lemal auf dem Schiffe mit einem neuen Pas an die Landwachten verſehn, und wenn man
wieder zuruͤkkoͤmt, von dieſer wieder einen an die Schifswachten mitbringen. Die geſtern
Abend genoſſene rohe Gartenfruͤchte verurſachten mir ſoviel Beſchwerde, daß ich von dem
mir noch unbekanten Orte wieder ans Schif zuruͤkkehren muſte.


Den folgenden 26ſten Sept. aber fuhr ich mit allen meinen Sachen nach Deſima
uͤber, und bezog daſelbſt das mir angewieſene Haus.



Viertes Kapitel.
Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln
und Lande.



Namen von Japan.


Dieſes Reich wird von den Europaͤern Japan genant, von ſeinen Einwohnern aber
mit verſchiednen andern Namen und Charactern bezeichnet. Unter denſelben iſt
in der gemeinen Sprache und Schrift der gebraͤuchlichſte, Nipón, welches ſie, nach ihrer
Mundart, des Wohlklangs wegen, oft Nifon, die Nankinſche aber und andre Suͤdſine-
ſer Sjippon
ausſprechen. Es heiſt nach dem Buchſtaben der Sonnen Feſte, weil Ni
das Feuer, oder in edlerer Bedeutung die Sonne, Pon aber eine Grundveſte bedeutet.


Unter den andern Namen, welche mehr in Schriften als im Diſcurs gebraucht wer-
den, ſind folgende die vornehmſten: Tenka, d. i. das unterhimliſche, nemlich Reich, als
wenn kein andres mehr exiſtirte. Der Kaiſer heiſt auch daher Tenka Sama d. i. der
Kunter-
[74]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
unterhimliſche Herr. Doch beehrt man izt auch andre Laͤnder mit gleichen Ausdruͤcken,
als to Sin Tenka, das ſineſiſche Reich, to Hollanda Tenka, das hollaͤndiſche Reich.
Fino Motto mit zwiſchengeſezter Praͤpoſition no oder von, iſt ohngefehr eben das, was
Nipon, und bedeutet den Grund oder die Wurzel der Sonne. Awadſi Sima iſt der
uralte Name und beſteht aus den Worten Awa, Schaum, Dſi, der Erdboden, Sima
eine Jnſel.
Die Bedeutung dieſes Namens iſt alſo eine erdene Schauminſel, und er
gruͤndet ſich auf folgende Tradition: Jm Anfang hat der erſte Geiſt oder Gott dies unter-
irdiſche Chaos mit einem Stabe umgeruͤhrt. Als er den Stab wieder herauszog, troͤpfelte
ein moderiger Schaum davon ab, und bildete die japaniſchen Jnſeln, welche das Alter-
thum, aus Unkunde andrer Laͤnder, fuͤr den ganzen Erdboden hielt, und ihnen von ihrem
Urſprunge dieſen Namen beilegte. Eine Jnſel des Reichs hat noch bis izt den Namen
behalten, und wird beſonders genant: D Sin Kokf oder Kami no Kuni, das iſt,
Goͤtterland. Denn Sin und Kami bedeuten die einheimiſchen Goͤtter, Kokf und
Kuni ein Land. — Akitſima, oder nach der gemeinen Ausſprache Akitſuſima iſt ein
uralter Name, deſſen ſich beſonders die Chronicken und alte Legenden in ihren Erzaͤhlungen
zu bedienen pflegen. — Fontſjo, der aͤchte Morgen, Sjo, alle, nemlich, japaniſche
Laͤnder. Jamatto,
welches auch beſonders eine gewiſſe Provinz dieſer Laͤnder bezeich-
net. Asjiwara oder Asjiwara Kokf. Qua oder Wâ. Andre Namen, die
nicht ſo haͤufig gebraucht werden, wil ich uͤbergehn.


Groͤße.


Die japaniſchen Jnſeln liegen zwiſchen dem 31ten und 42ten Grade Nord. Br.
und zwiſchen dem 157 Gr. und 175 Gr. 30 Min. oͤſtlicher Laͤnge, nach den ſineſiſchen Char-
ten,
welche die Hrn. Patres Societ. Jeſu aus vielen Beobachtungen verfertigt haben.
Jhre Richtung geht nach Nord-Oſt und Oſt-Nord. Oſt mit einer unregelmaͤßigen und
beinahe durchgehends ſchmalen und ungleichen Breite, von dem aͤußerſten Ende der Pro-
vinz Fiſen bis zu dem aͤußerſten Ende der Provinz Osju. Die Laͤnge betraͤgt in gerader
Linie 200 deutſche Meilen. Jn dieſer Berechnung ſind aber die weiter abgelegnen dem
japaniſchen Reiche unterworfene Jnſeln oder Kuͤſten nicht begriffen.


Eintheilung.


Das japaniſche Reich iſt ohngefehr eben ſo ein Land, wie das Grosbrittanniſche,
nur noch weit mehr und oͤftrer unterbrochen. So wie dieſes aus drei Koͤnigreichen be-
ſteht, ſo hat auch jenes drei große Jnſeln. Die groͤſte und vornehmſte derſelben hat den
Namen
[75]Viert. K. Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.
Namen des ganzen Reichs, Nipon; ſie liegt der Laͤnge nach von Abend nach Morgen,
und hat die Geſtalt eines Kinbackens, deſſen Kruͤmme nach Norden gewandt iſt. Die
zweite Jnſel liegt der erſten ſuͤdweſtlich, und iſt von derſelben durch eine Klipp- und inſel-
reiche Meerenge abgeſondert. Sie heiſt von der Lage Sai Kokf d. i. Veſtland, und
von der Zahl ihrer Provinzen Kjusju d. i. Neunland, und hat 148 deutſche, oder 140
japaniſche Meilen Laͤnge, und 40 bis 50 Breite. Die dritte iſt von den beiden erſten
gleichſam umgeben, hat beinahe eine viereckigte Figur und beſteht aus vier Fuͤrſtenthuͤ-
mern
oder Provinzen, und hat daher den Namen Sikokf d. i. Vierland.


Dieſe drei große Jnſeln ſind mit beinahe unzaͤhlbaren um und zwiſchen ihnen liegen-
den, fruchtbaren und unfruchtbaren Eylanden umgeben, die auch von großen und kleinen
Landesherrn bewohnt und beherſcht werden, wie ich im folgenden Kapitel noch genauer aus-
einander ſetzen werde.


Alle dieſe Lande ſind im Jahr 590 nach Chriſti Geburt von dem Erbkaiſer Sjus-
jun
in ſieben Hauptwege oder Diſtricte, im Jahr 681 aber vom Kaiſer Ten Mu noch
in 66 Provinzen eingetheilt worden, uͤber deren jede denn auch ein Fuͤrſt oder Stathalter
geſezt wurde. Zu dieſen kamen im vorigen Jahrhundert *) noch zwei Jnſuln, Jki und
Tſuſima, die man den Coreyern abgedrungen hatte; daß alſo nun das ganze Reich aus
acht und ſechzig Provinzen zuſammengeſezt war. Dieſe erſten Eintheilungen und Na-
men ſind zwar noch bis izt beibehalten, aber die abwechſelnden Begebenheiten der folgenden
Zeiten haben dieſe Lande in 604 kleinere Stuͤcke und Herſchaften zerriſſen.


Jn den erſten Jahrhunderten dieſer Monarchie beſas ein jeder Fuͤrſt ſein Land blos
durch die Gnade des Erbkaiſers. Da aber nachgehends in den kaiſerlichen Familien oͤftere
Succeſſionsſtreitigkeiten entſtanden; ſo geriethen auch die Fuͤrſten dadurch in viele Strei-
tigkeiten, da ſie ſich nemlich bald zu dieſer, bald zu jener Partei ſchlugen, und dabei auch
den Gebrauch feindlicher, bisher unbekanter Waffen einfuͤhrten. Jn dieſen Unruhen ſuchte
dann ein Jeder mit Gewalt ſich in dem Beſiz deſſen, was er einmal hatte, zu erhalten, und
wer nichts beſas, bemuͤhte ſich, etwas zu bekommen. Zugleich wurden die großen Erb-
laͤnder durch Apanagen und andre Zufaͤlle vertheilt, und die Erben ſuchten allemal die vaͤ-
terlichen Guͤter und Herſchaft uͤber Land und Leute zu behalten. Daher denn endlich die
angegebne Zahl kleiner Herſchaften erwachſen iſt. Die leztern Kaiſer, welche das Reich
durch die Waffen ſich unterwarfen, haben dieſe Eintheilung zu beſſerer Regierung und ge-
nauerer Ueberſicht der Einkuͤnfte nuͤzlich gehalten, und ſie daher nicht nur beibehalten, ſon-
dern noch jaͤhrlich immer neue und kleinere Theile, nach deſpotiſchem Gutfinden, gemacht.
K 2So
[76]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
So hat noch ohnlaͤngſt die Landſchaft Tſikuſen zwei Fuͤrſten, Janagawa und Kurume
bekommen, und der Herr von Tſukurgo hat einen Theil ſeines Fuͤrſtenthums an| den weit
abgelegnen Herrn von Jki Tſuſima abtreten muͤſſen, damit dieſer auch einen Fus auf dem
feſten Lande haͤtte.


Die Graͤnzen dieſes Reichs bieten faſt allenthalben dem Auge hohe und rauhe
Felſen, und werden von einer ſtuͤrmiſchen See umſchloſſen, die wegen klippigter Untiefen
nicht wohl zu befahren iſt, und faſt nirgends ohne Gefahr zu landen erlaubt, beſonders da
auch die Meerbuſen und Hafen entweder nicht bekant genug, oder untief und nur fuͤr leichte
Schiffe brauchbar ſind. Und ſo iſt alſo das japaniſche Reich durch die Natur ſelbſt zu einer
eignen kleinen Welt von allen Laͤndern abgeſondert, beveſtigt, und mit allen Beduͤrfniſſen
des Lebens ſo verſorgt, daß es ganz fuͤr ſich allein, ohne Huͤlfe andrer Nationen, be-
ſtehn kann.


Zu den benanten Provinzen kommen nun noch verſchiedne abgelegne Laͤnder, die
zwar nicht eigentlich zu dem japaniſchen Reiche gehoͤren, aber doch unter deſſelben Schuz
und einer gewiſſen Oberherſchaft ſtehn. Dieſe ſind: 1) die Jnſeln Rjuku, oder Liquejo,
welche ſich Unterthanen des Fuͤrſten von Satzuma, als ihres ehemaligen Ueberwinders,
nicht aber des japaniſchen Kaiſers nennen; 2) Tſjoſin, oder dritter und aͤußerſter Theil
der Halbinſel Corey, welchen der Kaiſer durch den Herrn von Jki Tſuſima regiert; und
3) die Jnſel Jeſo, welche er durch den Herrn von Matſumai, einem Gliede der großen
Provinz Osjiu, im Gehorſam erhaͤlt.


Erſtens die liqueiſchen Jnſeln, welche bei den Japanern Rjuku, und in un-
ſern Charten Liquejo heißen, ſind nicht mit den Jnſeln Leuconia oder den Philippinen zu
verwechſeln. Sie liegen gegen Suͤdweſt von dem erſten Lande Satzuma oder von der zu-
naͤchſt daran liegenden Jnſel Tana oder Tanagaſima, und beruͤhren nach unſrer Charte
beinahe den 26ten Gr. N. Br. Sie haben, nach der Japaner Bericht, einen ſo vortref-
lichen, fruchtbaren Boden, daß ſie jedes Jahr zweimal Reis tragen. Die Einwohner ſind
meiſtens Landbauer und die uͤbrigen Fiſcher. Sie ſollen ihre Zeit ſehr luſtig und froh ver-
leben, und ſogar ihr Seitenſpiel zum Pfluge mitbringen, um ſich mit demſelben und ihrem
aus Hirſe abgezognem gebrantem Waſſer bei der Arbeit zu erholen. Jhre Sprache bewei-
ſet, daß ſie aus Sina herſtammen, aus welchem Lande noch in dieſem Jahrhundert wegen
des tatariſchen Einbruchs viele Einwohner gefluͤchtet ſind, die ſich in verſchiednen Laͤn-
dern Jndiens und auch auf dieſen Jnſeln zahlreich niedergelaſſen haben. Dieſe ſind gute
Kaufleute und in der Schiffarth erfahren, ſie pflegen auch jaͤhrlich nach Satzuma zur
Handlung zu kommen. Dieſe Jnſeln ſind ſchon vor vielen Jahrhunderten durch die Waf-
fen dem Koͤnig von Satzuma unterworfen worden, der ſie durch ſeine Bugjos oder Com-
miſſaire,
[77]Viert. K. Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.
miſſaire, und ſtarke Kriegsmacht in Gehorſam erhaͤlt. Doch werden ſie wegen der weiten
Entfernung noch ſehr gelinde beherſcht. Denn ſie geben nur den fuͤnften Theil ihrer
Ackerfruͤchte, da die eigentlichen Reichsunterthanen zwei Drittheile entrichten muͤſſen.
Ueberdem aber ſchicken ſie noch jaͤhrlich ein Contributionsgeſchenk, zum Beweiſe ihrer
Unterthaͤnigkeit, an den tatariſchen Kaiſer in Sina ab. Sie ſollen auch, wie die
Tunkiner und Japaner, einen Dairi oder geiſtlichen Erbkoͤnig haben, der, wie ſie
angeben, aus einheimiſchem Goͤttergeſchlecht abſtamt. Er reſidirt auf der noͤrdlichſt
gelegnen Hauptinſel Jajama, unweit der Jnſel Oſjma von zweiter Groͤße.


Zweitens, Corey oder Coraͤa iſt eine von der Tatarei fuͤdwerts uͤber Sina
hervorragende Halbinſel, welche, nach den japaniſchen Nachrichten, ſchon ſeit uralten Zeiten in
drei verſchiedene Landſchaften getheilt war. Den aͤußerſten und gegen Japan hervorſtehen-
den Theil nennen die Japaner Tſjooſin; den mitlern eigentlich Corey, und den lezten,
der unmittelbar an die Tatarei graͤnzt, Fakkuſai; wiewol dieſe Namen oͤfters einer
vor dem andern gebraucht, und der ganzen Halbinſel beigelegt werden. Die Einwohner
ſind ſineſiſchen Urſprungs, haben aber oft mit den Tataren in Verbuͤndnis, oft unter
ihrer Botmaͤßigkeit geſtanden. Sie wurden zuerſt von dem Mikaddo Tſjun Ai bekriegt,
und von ſeiner Gemalin Dſingu (die ihres verſtorbnen Gemals Kriege in eigner Perſon
und in maͤnlicher Kleidung fortſezte) im Jahr 201 nach Chriſti Geburt unter japaniſche
Botmaͤßigkeit gebracht. Nach Verlauf einiger Zeit aber verbuͤndeten ſie ſich wieder mit
den Tataren, und waren von den Japanern ganz ungekraͤnkt, bis auf die Zeit des tapfern
Kaiſers Taiko. Dieſer las einmal in der Geſchichte des Reichs, daß dieſe Nation eh-
mals der ſeinigen zinsbar geweſen ſei, und wolte ſich dieſer alten Anſpruͤche zur Ausfuͤhrung
ſeines Vorhabens bedienen, welches, wie er ſagte, darin beſtand, daß er durch Corea ſich
einen Weg zu dem großen ſineſiſchen Reiche bahnen wolte, in der That aber blos darauf
ausging, daß er die Fuͤrſten und Haͤupter ſeines neuerworbnen Reichs an die Seite ſchaf-
fen, und deſto freiere Haͤnde zu Beveſtigung ſeines Throns haben wolte. Er ſchikte in die-
ſer Abſicht einen Geſandten an die Coreer ab, und verlangte die Bezeugung ihrer ihm
ſchuldigen Unterwuͤrfigkeit. Allein ſie toͤdteten dieſen Geſandten, und gaben dadurch dem
Taiko den Vorwand zu einem rechtmaͤßigen Kriege. Er lies daher ſeine Fuͤrſten das Land
mit einer großen Armee uͤberziehn, welche endlich in ſieben Jahren und mit großer Muͤhe
dieſe Coreer und ihre tatariſche Bundsgenoſſen uͤberwanden, und jene dahin brachten,
daß ſie ſich zu einer jaͤhrlichen Huldigung verpflichten muſten. Weiter aber wurde nichts
ausgerichtet, weil dieſer Kaiſer eben damals ſtarb. Der Kaiſer Jjejas lies ſie nur alle
drei Jahre zum Beweis der Unterwuͤrfigkeit mit einer Geſandſchaft am Hofe erſcheinen.
Sie haben ſich aber nachher immer almaͤhlig weiter mit den Tataren vereinigt, und die
K 3japa-
[78]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
japaniſche Beſatzung bis an die aͤußerſte Graͤnzen ihrer leztern Provinz verdrungen, wel-
che noch jezt wirklich die japaniſche Herſchaft erkent. Der Kaiſer iſt auch mit dieſer Be-
ſitzung der Graͤnzen von Coraͤa zur Sicherheit ſeiner eignen Lande zufrieden, und laͤſt die-
ſelben durch den Herrn von Tſuſima bewachen, welcher daſelbſt beſtaͤndig ein Commando von
60 Man unter einem Bugjo unterhaͤlt. Nur bei Veraͤnderung des Throns muͤſſen ſie
am Hofe erſcheinen, und dem neuen Kaiſer einen Eid der Treue ablegen.


Die coraͤiſche Kuͤſte iſt von der Jnſel Tſuſima und dieſe ebenfals von dem ſe-
ſten Lande Nipon 48 japaniſche Waſſermeilen, d. i. 16 deutſche Meilen entfernt. Jn
dem Zwiſchenmeere liegen viele Klippen und unbewohnte Jnſelchen, welche aber doch mit
japaniſchen Wachen ſehr gut beſezt ſind, um die vorbeifahrenden Schiffe zu unterſuchen,
die alle hier anlangen und ihre Waaren vorzeigen muͤſſen.


Tſjooſin liefert mancherlei getroknete Fiſche, beſonders auch den beſten Stokfiſch,
auch Walfiſche, ſeltne Kraͤuter und Blumen, kraͤftige Arzneipflanzen, und unter denſelben
vorzuͤglich die edle und koſtbare Wurzel Ninſin, die aber noch viel haͤufiger in dem Mittel-
lande Corey in Fakkuſai und der weiter entfernten tatariſchen Provinz Sjamſai waͤchſt,
außer welchen Graͤnzen ſie beinahe ganz kraftlos iſt. *) Sie liefert auch theure irdene Ge-
ſchirre, die fuͤr ſehr rar gehalten werden, und noch andere wenige Manufacturen aus den
tatariſchen Landen Jupy und Niuche, welche aber in Japan nicht eingefuͤhrt werden duͤr-
fen. Die Fahrzeuge der Einwohner ſind ſehr ſchlecht gebauet, und ihre Handlung iſt blos
auf Tſuſima eingeſchraͤnkt.


Drittens Jeſo oder Jeſogaſima iſt die aͤußerſte Jnſel gegen Norden, welche
die Japaner außer ihrem Reiche beſitzen. Sie iſt, wie man mich berichtet hat, von Jo-
rit
ómo, dem erſten Kubo oder weltlichem Kaiſer unterwuͤrfig gemacht, und dem Herrn
von Matſumai (einer naͤchſtgelegnen und nach Osju gehoͤrenden Jnſel) zur Oberaufſicht
uͤbergeben. Man wurde aber einige Zeit hernach hier der fremden Herſchaft uͤberdruͤſſig,
uͤberfiel die japaniſche Beſatzung und machte ſie voͤllig nieder. Der Landesherr ſchikte
hierauf ein anſehnliches Corps Fusvolk mit 300 Reutern heruͤber, um die Rebellen in Ord-
nung zu bringen. Allein der Herr von Jeſo bewies durch eine Geſandſchaft, die er nach
Matſumai ſchikte, daß er an dem ganzen Unterfangen unſchuldig ſey, und uͤberlieferte
zwanzig Aufruͤhrer, deren Haͤupter den am Jeſoiſchen Ufer auf Pfaͤlen gepflanzt wurden,
welches das Verbrechen voͤllig ausſoͤhnte.


Dieſe
[79]Viert. K. Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.

Dieſe Nation wird aber noch izt fuͤr ſehr halsſtarrig gehalten und daher ungemein
ſtrenge regiert. Sehr ſtarke Wachen, die man an dem ſuͤdlichſten Ufer angelegt hat, muͤſ-
ſen ſie im Gehorſam erhalten. Sie ſind auch verbunden alle Jahre eine Geſandſchaft an ih-
ren Herrn abzuſchicken, und eine jaͤhrliche Abgabe von einem Mangokf aufzubringen.


Die Jnſel liegt etwa unter 42 Gr. N. Br. gerade N. N. oͤſtlich uͤber denen von der
großen Provinz Osju hervorſtehenden zween Landſtrichen oder Vorgebuͤrgen Sugaar und
Taijaſacki, welche daſelbſt einen weiten Seebuſen einſchließen. Die Ueberfarth ſol eine
Tagereiſe fodern, aber wegen des ſchnellen Stroms, welcher bald nach Oſten, bald nach
Weſten flieſt, nur zu gewiſſen Jahrszeiten unternommen werden koͤnnen, obgleich die Jnſel
Jeſo in der groͤſten Weite nur 40 Waſſermeilen und an einigen Orten nur 5 bis 7 deutſche
Meilen vom feſten Lande entfernt iſt. Sie ſol an Groͤße der Jnſel Kjusju gleichen, aber
ſo ſehr mit Gebuͤſch und Waldung durchwachſen ſeyn, daß ſie dem japaniſchen Reiche
nichts von ihrem Ueberflus liefern kan, außer den beruͤhmten getrokneten Fiſch Kara Saki,
der wie ein Stokfiſch eingeweicht und getroknet wird, und einiges Pelz- oder Rauchwerk, deſ-
ſen aber die ſuͤdlichen Japaner nicht beduͤrfen.


Von der Figur der Jnſel habe ich mir aus den japaniſchen Charten, wegen der
ſehr abweichenden Abbildung, keinen Begrif machen koͤnnen. Jn einigen nemlich zieht
ſie ſich in eine Runde mit verſchiednen Buſen, in andern wird ſie mit vielen hervorragenden
und gebrochnen Landſtrichen vorgeſtelt, bei denen man aber nicht erkennen kan, ob es beſon-
dere Jnſeln ſind oder nicht? Jch vermuthe, daß das Land, welches Vrieſen entdekt hat,
auch ein Theil deſſelben ſey. Jch finde auch in einigen Charten den ſuͤdweſtlichen groͤßern
Theil mit Matſaki bezeichnet, aber ſo undeutlich und unbeſtimt, daß man ihn auch fuͤr
eine beſondere Jnſel halten koͤnte.


Der umliegenden etwas entfernten Jnſeln wil ich gar nicht erwaͤhnen, weil man
ſie ſchon auf der beigefuͤgten japaniſchen Charte ſehn kan. Die Bewohner derſelben wer-
den als ein rauhes, ſtarkes Volk beſchrieben, mit langem Haar und Bart. Sie ſollen im
Pfeil- und Bogenſchießen ſehr geuͤbt ſeyn; haben ſich meiſtens an der Meerkuͤſte niedergelaſ-
ſen, wo ſie ſich vom Fiſchfang ernaͤhren. Sie werden auch als aͤußerſt ſchmutzig und un-
reinlich beſchrieben, allein hierauf iſt nicht viel zu achten. Denn die bis zum Aberglauben
reinliche Japaner machen von den ſinlichen Hollaͤndern eben ſo ein Bild. Die Sprache
dieſer Menſchen ſol mit der coraͤiſchen Aenlichkeit haben.


Hinter dieſer Jnſel, weiter nordwaͤrts, liegt das feſte Land Oku Jeſo, d. i.
Ober- oder Hoch Jeſo. Dieß iſt das Land, von deſſen Exiſtenz unſre Erdbeſchreiber ſich
zwar verſichert halten, aber noch nicht wiſſen, ob es mit der Tatarei oder mit America
zuſammenhaͤnge? Sie koͤnnen daher auch die Fragen nicht beantworten, wo das Fretum
Ania-
[80]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Anianum, oder die Meerenge ſey, welche das Nordmeer mit dem indiſchen Meer ver-
bindet? Oder ob das Land Oku Jeſo vielleicht mit beiden Welttheilen zuſammenhaͤnge
und alſo gar keine Meerenge da ſey? Jch habe mich mit groͤſtem Fleis bemuͤhet, uͤber die
Beſchaffenheit dieſer nordiſchen Gewaͤſſer einige genauere Nachrichten einzuziehn, aber ich
habe nichts gewiſſes oder ſchreibwuͤrdiges daruͤber erfahren koͤnnen.


Jn Moskau und Aſtrakan habe ich verſchiedene Perſonen kennen gelernt, wel-
che auf ihrer ſineſiſchen Reiſe durch Sibirien und Kataya oder auch in einem vieljaͤhri-
gen Exilium in Sibirien verſchiedne, aber ungewiſſe Nachrichten hieruͤber eingeſamlet
hatten. Alle aber kamen darin zuſammen, die Tatarei ſey durch einen Jſthmum mit
einem nach Oſten gelegnen feſten Lande, das ſie fuͤr America hielten, verbunden; und
befinde ſich daſelbſt keine Oefnung zwiſchen dem indiſchen Ocean und dem Eismeer.
Eine grobe Charte von Sibirien, auf der keine Grade bezeichnet waren, die ein Verban-
ter daſelbſt in Holz ausgeſchnitten, und die Orte in ſlavoniſcher Sprache darauf geſezt
hatte, ſtelte einige von der entfernteſten Kuͤſte oſtwaͤrts ablaufende Vorgebuͤrge vor, deren
eines ſoweit fortſtrich, daß es von dem Rande der Charte abgeſchnitten wurde, und man
alſo ſeinen ganzen Lauf nicht ſehn konte. Der Man, welcher mir dieſe Charte communicirte,
glaubte nach der Auſſage der dortigen Tataren, daß dieſe Erdenge nach einem großen feſten
Lande zulaufe und mit demſelben zuſammenhaͤnge. Sie ſey aber, ſezte er hinzu, ſo bergicht,
klippenvol und rauh durchwachſen, daß man jezt gar nicht wuͤrde durchkommen koͤnnen, wenn
auch gleich die erſten Voͤlker hieruͤber ihren Weg nach America moͤchten genommen haben.
Dieſe Charte iſt die erſte und einzige, aus welcher der ruſſiſche Hof die Lage und Richtung
ſeiner Tatarei kennen gelernt hat. Der deutſche Canzler oder Jnſpector der moscoviti-
ſchen Apotheken, Hr. Winius, mein ſehr guter Freund, hat ſeine tatariſchen und ruſſi-
ſchen
Charten gleichfals nach dieſer Charte zuerſt entworfen, und hernach ſie aus vielen
Nachrichten vermehrt, und die Grade der Laͤnge und Breite beigefuͤgt. Er hatte hiebei be-
ſonders die Beobachtungen des gelehrten Hrn. Spitarius, des griechiſchen und lateiniſchen
Hofdolmetſchers, befolgt, welcher vom damaligen Zar als Ambaſſadeur nach Pequing geſchikt
war, und nach den geheimen Jnſtructionen ſeines wisbegierigen Herrn alle Muͤhe angewandt
hatte, uͤber dieſe Gegenden einige Entdeckungen zu machen. Er machte um das Jahr
1680 ſeine Hinreiſe ganz noͤrdlich, und ſeine Herreiſe ganz ſuͤdlich. Der Zufal fuͤgte es,
daß er am ruſſiſchen Hofe auch mein Dolmetſcher wurde, und ich dadurch ſo gluͤklich war,
ſeine Bekantſchaft zu machen. Allein er war ſo mistrauiſch und zuruͤkhaltend, daß ich nur
wenig von ihm lernen konte. Es hat aber nachher der hocherleuchtete Hr. Nicolaus Witſe,
J. U. D. und Buͤrgermeiſter zu Amſterdam, bei ſeiner lezteren Geſandſchaft an dem Zari-
ſchen Hofe, durch ſein vortrefliches Betragen und Leutſeligkeit den Grosfuͤrſten und alle wis-
begierige
[81]Viert. K. Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.
begierige Herrn des Hofes ſo ſehr eingenommen, daß man ihm alle Nachrichten von dieſen
Laͤndern, welche man dort hatte, uͤberliefert hat. Dies machte ihn dann auch faͤhig, die
große Tatarey und das ganze ruſſiſche Reich mit allen bisher unbekanten Fluͤſſen, Ge-
buͤrgen, Seen, Staͤdten und Provinzen, ſehr genau in eine Charte zu bringen und dieſe
der gelehrten Welt mitzutheilen. *) Hr. Jsbrand Jdes hat in ſeiner Reiſe nach Sina
auch dieſe Charte geliefert. **) Aber ob ſie gleich ſo genau und gut eingerichtet iſt, ſo fin-
det man doch die wahre Lage der ſibiriſchen Kuͤſten und des Landes Jeſo auf derſelben nicht
vorgeſtelt; und dieſe nordlichen Gegenden ſind alſo noch bis izt unbekant.


LEben
[82]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Eben ſo kennen auch die Japaner noch nicht die hinter Jeſogaſima liegenden und
von ihnen Oku Jeſo genanten Laͤnder; nur habe ich erfahren, daß ſie ihnen 300 japaniſche
Meilen
Laͤnge geben. Ein vor wenig Jahren dahin verſchlagener Schiffer berichtet, daß
er unter den rauhen Einwohnern einige mit ſeinen ſineſiſchen Zeugen bekleidet geſehn, und
daraus eine Verbindung dieſes Landes mit Doats oder der Tatarei, wenigſtens nur
eine geringe Entfernung gefolgert habe. Eine gleiche Nachricht brachte eine 1684 abge-
ſchikte ſineſiſche Junke nach einer drei monatlichen Reiſe zuruͤk. Ein viel gereiſeter und
erfahrner Schiffer, welcher an allen Orten um Japan herumgefahren war, wuſte mir auf
meine Frage nichts mehr als dieſes zu ſagen, daß der Strom zwiſchen Japan und Jeſo-
gaſima
beſtaͤndig abwechſelnd, bald nach Weſien, bald nach Oſten, hinter Jeſogaſima
aber niemals anders als Nordwaͤrts fließe. Er ſchlos daher, es muͤſſe bei Doats (der
Tatarei) nothwendig ein Durchgang in nordiſche See ſeyn. Vor wenig
Jahren wurde auch eine kaiſerliche Junke von der Oſtkuͤſte Japans aus-
geſchikt, welche zwiſchen 40 und 50 Grad viel ausſtehen muſte, und endlich oͤſtlich an
ein feſtes Land gerieth, das man fuͤr America haͤlt. Die Junke uͤberwinderte daſelbſt in
einem Seebuſen, und glaubte zu bemerken, daß das Land nach Nordweſten eine Richtung
habe. Man beſchlos nachher weiter keine Unterſuchungen in dieſen Gegenden anzuſtellen.
Jch habe verſchiedne japaniſche Charten uͤber dieſe Gegenden in Jedo bei Tſuſima No
Cami,
dem Nongaſackiſchen Gouverneur, auch in Symmios bei Oſacca und in ver-
ſchiedenen andern Tempeln geſehen. Dieſe zeigen vor der großen Tatarei hinter Jeſoga-
ſima
noch ein hervorſtehendes Land, das etwa 15 Grad der Laͤnge mehr nach Oſten liegt,
als das oͤſtliche Ufer Japans, und zwiſchen dieſem Lande und America nach einem geraͤu-
migen Meer. Jch bemerkte auch auf dieſem Lande mit Alphabeth Schriften noch folgende
Provinzen bezeichnet: Kaberſan, Orankai, Sitſji, Feriſan, Amariſi. Zwiſchen
den beiden leztern Provinzen ergos ſich ein großer Strom hinter Jeſo gegen Suͤdoſt in die
See. Aber ſo wie alle Charten der Japaner ſchlecht und nachlaͤſſig gemacht, und mit
keinen Graden der Laͤnge und Breite verſehen ſind, daher auch immer eine von der andern
abgehen; ſo kan man ſich auf dieſelben gar nicht verlaſſen, vorzuͤglich nicht auf diejenigen,
welche
**)
[83]Viert. K. Von der Groͤße und Lage der japaniſchen Jnſeln und Lande.
welche die Namen nur nach dem Gehoͤr mit Canne d. i. Alphabethſchrift, und nicht mit
Sin oder bedeutenden Charactern vorſtellen. Dies ſind nun alle Kentniſſe, welche ich
uͤber dieſe Laͤnder in Japan (dem ſie nordwaͤrts liegen) habe erfahren koͤnnen.*)


Ehe wir dieſe algemeine geographiſche Nachrichten ſchließen, muͤſſen wir noch zweier
Jnſeln erwaͤhnen, die von Osju Oſt- und Nordoſtwaͤrts etwa 150 Meilen entfernt ſind, aber
doch, wie die Japaner behaupten, zu ihrem Reiche gehoͤren. Sie haben ſehr ſchoͤne
Namen; die kleinſte, noͤrdlichſte und alſo entfernteſte heiſt Ginſima, d. i. Silberinſel;
die naͤhere, Kinſima, d. i. Goldinſel. Die Beſchaffenheit und Lage dieſer Eylande wird
vor den Auslaͤndern ſehr verborgen gehalten, und dies um deſto mehr, weil die viel verſpre-
chenden Namen ſchon lange die Luſt einer genauern Bekantſchaft bei den Europaͤern erzeugt
haben. Der Koͤnig von Spanien lies ſie ſchon 1620 durch einen erfahrnen Schiffer auf-
ſuchen, der ſie aber, weil ihm die Lage nicht genau bekant war, nicht finden konte. Dieſe
Jnſeln, behauptete der ſpaniſche Monarch, gehoͤrten ihm, weil ſie in der weſtlichen ihm vom
Pabſte zuerkanten Hemiſphaͤre laͤgen. Auch von Batavia aus hat man dieſelben 1639 mit
einem Schiffe und 1643 mit zwei Schiffen geſucht; den beiden lezteren war dabei auch die
Entdeckung der americaniſchen und tatariſchen Kuͤſten aufgetragen. Sie fanden aber nicht
nur die Jnſuln nicht, ſondern wie der Schiffer der Jacht Brecken in einem Hafen unter
40 Gr. N. Br. mit einigen Perſonen an Land gieng, wurden ſie ſogleich zu Gefangnen ge-
macht, gebunden nach Jedo gefuͤhrt, und ſo hart behandelt, als wenn ſie das ganze Reich
haͤtten verrathen wollen.


Jm Jahr 1675 entdekten die Japaner eine große Jnſel, durch eine von ihrer
Jnſel Fatſiſjo mit Sturm dahin verſchlagne Barke. Man vermuthet, daß ſie 300 Mei-
len oſtwaͤrts von Fatſiſjo entfernt ſey. Man hat auf derſelben keine Menſchen, aber ei-
nen guten Boden, Baͤche, fruchtbare Baͤume, und unter denſelben auch den Baum Ar-
L 2rak,
[84]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch. Viert. Kap. ꝛc.
rak, (wie die mitgebrachte Fruͤchte bewieſen) angetroffen. Man kan aber hieraus ſchlie-
ßen, daß dieſe Jnſel ſuͤdlicher liegen muͤſſe, als man angab; weil dieſe Baͤume nur in
heißen Laͤndern wachſen. Die Ufer lieferten eine unglaubliche Menge Fiſche, auch Krebſe,
2 bis 3 Klafter lang. Man gab dieſer Jnſel den Namen Buneſima, und legte ihr, weil
ſie unbewohnt iſt, den Character einer Jnſel ohne Menſchen bei.


Fatſiſjo oder Fatſiſjogaſima (d. i. die Jnſel von 80 Klaftern hoch) deſſen
wir ſchon erwaͤhnt haben, iſt eine weit in Suͤden entlegne japaniſche Jnſel. Sie liegt
unter gleichem Meridian mit Jedo, etwa 80 Waſſermeilen vom feſten Lande, mit dem
ſie durch viele auf einander folgende kleine Jnſeln gewiſſermaßen verbunden iſt. Sie iſt die
vornehmſte Jnſel, auf welche die in kaiſerliche Ungnade gefallene Großen des Reichs ver-
wieſen, und uͤber dem jaͤhen, klippigen Ufer, deſſen Hoͤhe der ganzen Jnſel den Namen
giebt, gefangen gehalten werden. Sie muͤſſen hier ihre Koſt mit Weben verdienen, und
dieſe muͤſſige und witzige Koͤpfe verfertigen hier die ſonderbarſten ſeidnen Stoffe des ganzen
Reichs, von denen einige ihnen von andern nicht koͤnnen und duͤrfen nachgemacht auch nicht
an einen Fremden verkauft oder auſſer Landes gefuͤhrt werden. So oft man in dieſe Jnſel
Proviant oder neue Gefangne bringt, mus das ganze Fahrzeug durch Seile mit Winden
hinaufgewunden und eben ſo wieder herabgelaſſen werden. Da die Jnſel ſchlechterdings
keinen andern Zugang hat, ſo iſt ſie alſo von der Natur hinlaͤnglich bewahrt und be-
feſtigt.



Fuͤnf-
[85]

Fuͤnftes Kapitel.
Genauere Eintheilung des japanjſchen Reichs in
große und kleine Herſchaften, von Einkuͤnften und Regie-
rung derſelben uͤberhaupt.



Wir wollen die Geographie von Japan nun noch genauer auseinanderſetzen, und
daher die Eintheilung dieſes Reichs in ſieben große Landſtriche oder Wege,
dieſer in 68 große Herſchaften oder Reichsprovinzen und dieſer in 604 kleiner Land-
ſchaften
oder Diſtrikte beſchrieben. Jch werde hiebei auch einer jeden Provinz Groͤße,
Lage, Fruchtbarkeit und jaͤhrliche Einkuͤnfte beruͤhren. Meine Quelle iſt eine in der Landes-
ſprache abgefaſte Beſchreibung von Japan, welche ihr Verfaſſer Sitzi Joſſu genant hat.
Aus dieſer habe ich alle hier folgende Nachrichten genommen.*)


Gokjnai, Gokinai, Goka, Kokf.


Ehe wir aber zu den ſieben großen Landſtrichen uͤbergehn, wil ich vorher nach der
Gokjnai oder Gokinai Goka Kokf erwaͤhnen. Dieſer japaniſche Nahme bedeutet die
fuͤnf Provinzen der kaiſerlichen Einkuͤnfte: und ſie haben ihn daher bekommen, weil ſie
von Alters her zu Unterhaltung des kaiſerlichen Hofes beſtimt geweſen ſind. Sie bringen
jaͤhrlich ein 148 Man und 1200 Kokf Reis. Alle Einkuͤnfte des Reichs werden nach die-
ſen beiden Maaßen des Reißes gerechnet. Ein Man iſt 10000 Kokf, ein Kokf 3000
Balgen oder Saͤcke von Reis. Dieſe fuͤnf Provinzen ſind folgende:


  • 1) Jamaſjro oder Sansju: Jſt ein großes, fruchtbares Land, von Suͤden bis
    Norden 100 japaniſche Meilen lang, hat in ſeinem Umfang viele beruͤhmte Orte und be-
    ſteht aus acht Landſchaften Otokuni, Kadono, Okongi, Kii, Udſi, Kuſſe, Sa-
    kanaka
    und Tſukugi.

L 32) Ja-
[86]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
  • 2) Jamatto oder Wasju hat guten Boden, von Suͤden bis Norden auch etwa
    100 japaniſche Meilen. Ehmals waren noch mehr beruͤhmte Orte in dieſer Provinz als izt,
    doch ſind deren noch einige. Die 15 kleinern Landſchaften, in die ſie getheilt iſt, ſind:
    Soono Cami, Soono Simo, Feguri, Firoſe, Katzu Dſjau, Katſunge, Oku-
    no, Umi, Utz, Joſimo, Uda, Sikinoſimo, Sikino Cami, Takai Jdz, Tooitz,
    Jamma nobe.
  • 3) Kawatſji oder Kasju, hat die Figur eines Quadrats und die Laͤnge von zwei
    Tagereiſen, der Boden iſt mittelmaͤßig. Dieſe Provinz beſteht wieder aus folgenden funf-
    zehn kleinern Landſchaften: Niſtori, Jſikawa, Fukai Jz, Jaskabe, Ookake, Tu-
    kajat, Kawatz, Sarara Umbarada, Katanno, Wakaje, Sibu Kaja, Sick,
    Tunkokf, Tannan.
  • 4) Jdſumi oder Senſiu iſt ein großes Land, hat ſchlechten Boden von
    S. bis W. 100 Meile Laͤnge. Vorn iſt es mit einer großen See, hinten mit Bergen
    geſchloſſen, es iſt fiſchreich, bringt Buchweizen, Reis, Bohnen und andere Huͤlſenfruͤchte,
    aber von ſchlechter Art hervor. Es beſtehet aus 3 kleinern Landſchaften, oder Ootori,
    Jdſumi
    und Fino.
  • 5) Sitzu Tſinokuni Siſju, haͤlt 2½ Tagereiſen im Umkreis, und um-
    ſchließt an der Weſtſeiten einen Meerbuſen, die Suͤdſeite iſt warmen, die Nordſeite kalten
    Grundes; daher die Gokokf oder 5 vornehmſte Huͤlſenfruͤchte daſelbſt wohl gerathen, es
    giebt auch Fiſch und Salz und iſt uͤberhaupt ein ſehr gut Land, 13 kleinere Provinzen ſind
    Syjos oder Simijos, Kutatz, Fingaſſinai, Niſjinari, Jatſan, Simaſimo, Si-
    makami, Teſjima, Kawanobe, Muko, Jwara, Strima, Noſje.

Die VII Landſtriche ſind nun folgende:


  • I.Tookaido das iſt Oſt-Suͤderweg enthaͤlt 15 große Provinzen, oder Fuͤrſten-
    thuͤmer.
    • 1) Jga ſonſt Jſju genant, hat von Oſt und Suͤden das Meer und die Nordſeite
      beſchließt ein Gebirge, daher iſt es ein heißes Land, aber ſchlechten Grundes, es traͤgt Baͤu-
      me, Kraͤuter und Bambus. Seine 4 Provinzen ſind Aije, Jamanda, Jga Na-
      bari.
      2) Jſie oder Seſju hat von Suͤd bis Nord 3 Tagreiſen, viele kleine Berge, und ei-
      nen uͤber die Maaßen fruchtbaren Grund, es iſt groͤſtentheils mit dem Meer umgeben, und
      enthaͤlt 15 Landſchaften Quana, Aſaki, Suſuka, Jtſiſj, Aanki, Taato, Niſiki-
      ſima, Goſaſuma, Jnabe, Mye, Ano, Jtaka, Watakei, Jnotaki.
      3) Sima, oder
      Sisjo, wird im halben Tage in die Quer durchgereiſet, iſt ein ſehr ſchlechtes Land, giebt
      viele Auſtern, Schnecken und Muſcheln. Seine 3 Diſtrikten ſind Toosji, Ako und Ka-
      meſima. 4) Owari oder Bjsju iſt ein feſtes Land ohne See, eines ſehr fetten fruchtbaren
      Grun-
      [87]Fuͤnft. Kap. Genauere Eintheilung des japaniſchen Reichs ꝛc.
      Grundes, der ſeinen Saamen 1000faͤltig zuruͤkgiebt. Dieſe Provinz iſt in der That eines
      der fruchtbareſten Laͤnder im ganzen Reiche, und daher mit Doͤrfern erfuͤllet. Sie haͤlt von
      Suͤden bis Norden 3 Tagereiſen und hat 9 Provinzen: Amabe, Nakaſſima, Kaquuri,
      Niwa, Kaſungale, Jamada, Aitſi, Tſitta, Tooſji Noſſima.
      5) Nikawa oder
      Misjio iſt ein ſehr ſchlechtes und armes Land, mit vielen untiefen Fluͤſſen, daher auch die
      Gokokf in demſelben nicht reif werden. Es haͤlt von Oſt bis Weſt 1½ Tagereiſen, und in
      ſeinem Umfang acht kleinere Landſchaften, Awoumi, Kamo, Nukada, Batz, Fori
      Jana, Tſitarra, Akumi.
      6) Toojomi oder Jenſju, hat viele Berge, Fluͤſſe, kleine und
      große Doͤrfer, und iſt uͤberhaupt ein gut Land, welches die Einwohner mit 1000faͤltigen
      Fruͤchten erfreuet. Man rechnet ſeine Laͤnge von Oſt bis Weſt 2½ Tagreiſen, es beſtehet
      aus 14 Provinzen: Fammana, Futz, Fuuſa, Aratama, Nangakami, Nagaſimo,
      Sutz, Jammana, Kikoo, Faifara, Tojota, Jamaka, Sanno, Jwata.

      7) Surrunga oder Sjuſju hat viele Doͤrfer, platte Lander und Berge, iſt ziemlich gut Land,
      und von Oſt bis Weſt 2½ Tagreiſen lang. Seine 7 Provinzen ſind: Tſa, Maſiáſu, Udó
      Jlabe, Rofarra, Fuſji, Suringa. 8) Kai oder Kaiſju und Kooſju. Jſt mit
      Reisfeldern Ackerland und Wieſen, auch mit Pferden und Kuͤhen wohl verſehen, nicht
      minder mit einem großen Vorrath von Baͤumen und Holze, hat von Suͤd bis Nord uͤber
      2 Tagereiſen, und beſtehet aus 4 kleineren Landen als Jammanas Sſjro, Jaatzſiro,
      Coma, Tſur.
      9) Jdſu oder Tooſju eine lange Halbinſel, giebt Salz und mancherlei
      ſchmakhafte Fiſche, wird fuͤr ein ziemlich gut Land gehalten, das von Oſt bis Weſt uͤber
      eine Tagreiſe haͤlt; es iſt mit vielen hohen Bergen beſezt, hat dennoch viel Saͤeland, aber
      wenig Reisfelder. Seine 3 Landſchaften ſind: Takata, Njaka, und Kamo, welchen
      man die zwo Jnſuln, Ooſima und Firakaſima noch beizufuͤgen pflegt. 10) Sanjami
      oder Soosju. Jſt ſo groß, daß man ſie in 3 Tagen um oder quer durchreiſet; es iſt ein
      ziemlich ſchlecht Land, doch ohne Berge, giebt wenig Holz noch andere zum menſchlichen
      Leben noͤthige Sachen, außer Fiſche Schiltpadde und andere Seethiere. Die 8 kleinere Land-
      ſchaften ſind: Aſikarano Cami, Aſikarano Simú,Ooſimi, Juringi, Aiikoo, Takanji,
      Camakura, Mijura Jeſima.
      11) Muſaſi oder Busju. Dieſe Provinz hat 5½ Tage
      im Umkreis ohne Berge und Gebuͤſche, und iſt eines ſehr guten Grundes. Sie bringt Reis,
      Huͤlſen und viele Gartenfruͤchte und Kraͤuter hervor und beſteht aus 21 Provinzen, derer Na-
      men ſind: Kuraggi, Tſukuki, Tama, Tatſinbana, Kaikura, Jruma, Toſma,
      Fiiki, Jokomi, Saitama, Kodama, Tſibuſima, Fatara, Faſchawa, Naka,
      Kami, Adats, Tſitſubu, Jebara, Tojeſima, Ooſato.
      12) Awa oder Foolju,
      haͤlt von Suͤd bis Nord 1½ Tagereiſen; iſt ein mittelmaͤßiges Land, mit Bergen, Fluͤſſen,
      auch ebnem Reis- und Kornfeldern und vielen Doͤrfern verſehen. Die umliegende See giebt
      einen ſo großen Ueberflus an Fiſchen und Auſtern, daß die Aecker meiſtens mit denſelben,
      wenig
      [88]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
      wenig mit Miſt geduͤnget werden. Jhre 4 Landſchaften ſind: Fekuri, Awa, Aſaima,
      Nakaba.
      13) Kadſuſa oder Koosju, haͤlt von Suͤd bis Nord 3 Tagereiſen, iſt mittel-
      maͤßigen Grundes, doch mit vielen rauhen jaͤhen Bergen erfuͤllet. Die Einwohner ernaͤh-
      ren ſich viel mit Webereyen aus Cannib oder Leinwand. Sie hat| folgende 11 Laͤnder:
      Sſuſſu, Amaja, Jtſuwara, Umingami, Foika, Mooki, Jſſimi, Farinib,
      Nagara, Jamma Nobe, Muſſa.
      14) Simooſa oder Seosju ſol 3 Tagereiſen von
      Suͤd bis Nord, und einen mittelmaͤßigen Grund haben, welcher aber ſehr bergicht iſt,
      und ſeinen Einwohnern nicht viel Lebensmittel giebt, iſt aber dagegen reich an Voͤgeln und,
      vierfuͤßigen Thieren. Dieſer Provinz 12 Laͤnder ſind folgende: Kadoſſika, Tſibba,
      Jmba, Sooma, Saſjuma, Juuki, Tojoda, Kooſa, Unagami, Katori, Fan-
      nibu, Okanda.
      15) Fitats oder Sjoo Usju; jede Seite dieſer Provinz, ſchreibet mein
      japaniſcher Autor, haͤlt 4 Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig gut Land, liefert viel Seide; daher
      auch in dieſem Lande viele Seidenſtoffe gemacht werden, und es iſt hier großer Handel mit
      Vieh und Manufacturen, welche an andere Orte ausgefuͤhrt werden. Die 11 kleinern
      Provinzen ſind: Niibari, Makaije, Tſukumba, Kawats, Sſida, Umbaraki
      Namingata, Naka, Kuſſi, Taka,
      und Jengoko, das iſt Ferneland, ich weis nicht
      was vor eine Jnſel oder Land mein Autor hierunter verſtehet. Deiſe 15 große Fuͤrſtenthuͤ-
      mer oder Provinzen des Landſtriches Too Knido bringen insgeſamt ihren Beſitzern jaͤhrlich
      ein 494 Mankokfs.
  • IITooſando, das iſt, der Oſtbergweg, hat 8 Fuͤrſtenthuͤmer oder große
    Provinzen:
    • 1) Oomi oder Gosju; deſſen Umkreis haͤlt 3½ Tagereiſen; iſt ein ſehr gutes
      Land, mit Fluͤſſen, Bergen, auch mit fruchtbaren, ebnen Feldern verſehen, welche 1000-
      faͤltige Frucht (dies iſt eine gewoͤhnliche Art zu reden bei den Japanern) an Reis und aller-
      lei Getreide hervorbringen. Seine Hauptſtadt iſt Majaco, woſelbſt der gruͤne Fruͤhling
      ſich zeitiger einfindet, als anderer Orten. Oomi enthaͤlt 13 kleinere Landſchaften, welche
      ſind: Singa, Kurimotto, Jas, Camoo, Kanſacki, Juungami, Sakata,
      Jetz, das obere und untere Aſſai, Jmito, Takaſſ ima, Kooka, Jooſi, Jumi.
    • 2) Mino oder Djoſju haͤlt von Suͤd bis Nord 3 Tagereiſen, iſt mit Bergen
      und platten Feldern begabt, und ein ſehr gutes Land, welches Gokokf, Reis und allerhand
      Getreide in Ueberflus hervorbringet. Alhier werden auch viele Stoffen gemacht. Es
      haͤlt 18 Provinzen als Jſjintſu, Fufa, Awadſi, Jkenda, Oono, Mottos, Muſ-
      ſjiroda, Katakata, Atſumi, Kakumi, Jamman Gata, Muggi, Guundſjo,
      Camo, Kako, Tokki, Jenna, Taki.
    • 3) Fida oder Fisju, haͤlt von Suͤd bis Nord 2 Tagereiſen, iſt ein ſehr ſchlecht
      Land, mit Gokokf, Salz und Fleiſch wenig verſehn, hat viel niedrige Berge, liefert vieles
      Bau-
      [89]Fuͤnft. Kap. Genauere Eintheilung des japaniſchen Reichs ꝛc.
      Bau- und Brenholz, beſtehet aus vier Provinzen, als Ofarra, Maſjinda, Ammano
      und Araki.
    • 4) Sinano oder Sinsju, iſt von Suͤd bis Nord 5 Tagereiſen und ein kaltes
      Land, hat wenig Gras, daher auch wenig Vieh und Fleiſch, und weil es weit vom Meer
      entlegen, iſt auch Salz und Fiſche daſelbſt ſelten. Es hat aber doch einen mittelmaͤßig
      guten Grund, zeugt viel Maulbeerbaͤume, Seide und Lein, wovon hier gute Stoffe gewirkt
      werden. Es enthaͤlt 11 kleinere Provinzen: Midſutz, Takaii, Fanniſſina, Tſiſa-
      gatta, Sacku, Jna, Suwa, Tſikumma, Atſumi, Sara, Sjina.
    • 5) Koodſuke oder Dſjoſju, haͤlt von Oſt bis Weſt 4 Tagereiſen, iſt ein warm
      und ſehr gutes Land, zeugt viele Maulbeerbaͤume, und daher viele doch ſchlechte Seide,
      wovon die Stoffe daſelbſt gewirket werden. Es faſſet 14 folgende Landſchaften: Uſſui,
      Aaſſa, Sſik
      ánnu, Sſetta, Sai, Nitta, Katta Oka, Soora, Gumma
      Kanva, Tago, Midorino, Naba, Jamada.
    • 6) Simoodſuke oder Jasju, haͤlt von Oſt bis Weſt 3½ Tagreiſen, iſt mittelmaͤ-
      ßig gut Land, hat wenig Gebirge, hingegen fruchtbare Felder, Baͤume, Kraͤuter und
      Gras, giebt Getreide und Huͤlſenfruͤchte im Ueberflus. Es beſtehet aus 9 Provinzen,
      welche ſind: Askara, Janada, Aſo, Tſuga, Faka, Sawingava, Suwooja,
      Naſu, Makabe.
    • 7) Mutſu oder Oosju, haͤlt von Suͤd bis Nord 16 Tagereiſen; iſt ein uͤberaus
      gutes Land, und mit allen Lebensbeduͤrfniſſen wohl verſehen. Es ſtund vor dieſem mit
      Dewa unter einem Landesfuͤrſten, und hat folgende 55 Provinzen: Sjira, Kawa, Ku-
      rokawa, Juwaſi, Mijaki, Aitz, Nama, Oda, Aſaka, Adatz, Sibatta, Ka-
      rida, Tooda, Natori, Sinnobu, Kikkunda, Sibanne, Aſonuſa, Namingata,
      Twade Waga, Kawatz, Fitzungi, Takano, Wattari, Jamadſu Kuri, Oo-
      nato, Kami, Sſida, Kuri Wara, Jeſan, Jeki, Miſawa, Naga, Ooka,
      Tojone, Monowara, Ooſika, Gunki, Kaddono, Faſikanu, Tſungaru, Uda,
      Jku, Motojes, Jskawa, Taidſi, Sikamma, Jnaga, Siwa, Jwaſaki, Kim-
      bara, Kadſinda, Datte, Socka, Fei, Kiſen.
    • 8) Dewa oder Usju, haͤlt von Suͤd bis Nord 5 Tagereiſen, iſt ein an Baͤumen,
      Wieſen und Kraͤutern reiches dicht bewachſenes fruchtbares Land, und hat den Sommer fruͤh-
      zeitig. Es beſtehet in 12 Provinzen: Akumi, Kawanobe, Mura, Jama, Oitama,
      Ookatz, Firaka, Tangawa, Diwa, Akinda, Jauri, Senboku, Mogami,
      Jama Motta,
      dieſe 8 Fuͤrſtenthuͤmer tragen ihren Beſitzern nach alter Rechnung 563
      Mangokf, jetzo aber noch weit mehr ein.

MIII.Foku
[90]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
  • III.Foku Rokkudo, das iſt der Nordergrundweg, hat 7 Laͤnder:
    • 1) Wakaſa oder Sjackusju haͤlt von Suͤd bis Nord 1½ Tagereiſen, iſt mit Fi-
      ſchen und Schildpadden verſehen, weil es an die See graͤnzet, hat einen ſchlechten Grund,
      und zeugt in demſelben Eiſenerzt. Seine 3 Provinzen ſind: Oonibu, Ooi und
      Mikatta.
    • 2) Jetißen oder Jeetsju, haͤlt von Suͤden zu Norden 3 Tagereiſen: Die Suͤ-
      derſeite iſt mit Bergen umgeben, die Norderſeite iſt eben und hat viel großes Vieh. Es
      hat einen ſehr fruchtbaren guten Grund; giebt Cannib und Seiden, auch Gokokf in| Ueber-
      flus. Seine 12 Provinzen ſind: Tſuruga, Nibu, Jmadats, Aſjiba, Oono,
      Sakai, Kuroda, Jkingami, Takakida, Joosdſida, Sakagita, Naandſio.
    • 3) Kaga oder Kasju, haͤlt von Oſten bis Weſten 2½ Tagereiſen, iſt ein mittel-
      maͤßiges Land, traͤgt Gokokf ſo viel es ſelbſt bedarf. Man arbeitet alhier viel in ſeidnen
      Stoffen; auch wird hier der beſte Eſſig, Saki und Soja gemacht. Es hat folgende
      5 Provinzen: Jenne, Nomi, Jſikawa, Kanga und Kabocku.
    • 4) Noto oder Neosju, rechnet von Oſt bis Weſt 2½ Tagereiſen, iſt wie eine
      Halbinſel mit See umgeben, hat wenig gut Land, aber viel Eiſengruben; Gokokf wird
      daſelbſt ſpaͤte reif. Es hat 4 Provinzen, Bagui, Noto, Fukeeſund, Sſus.
    • 5) Jeetsju oder Jaes Sju, hat 3 Tagereiſen im Umkreis, und ziemlich guten
      Grund, traͤgt gut Bruͤckenholz, auch Gokokf. Hier verfertigt man allerhand Art irdene
      Gefaͤße, ſeine 4 Provinzen ſind: Tonámi, Jmidſu, Mebu, Niikawa.
    • 6) Jetſingo oder Jeesju, haͤlt 6 Tagereiſen im Umkreis, iſt ſehr gut Land,
      die Suͤderſeite bergigt. Es gibt Seide und Lein, auch Gokokf, aber von ſchlechter Art, und
      hat folgende 7 Provinzen: Kabiki, Kof, Miſſima, Jwoodſi, Kambara, Nutari
      und Jwafune.
    • 7) Sado oder Sasju, eine in der Nordſee gelegene Jnſel und Provinz, hat 3½
      Tagereiſen im Umkreis, traͤgt viel Holz, Gras und Gokokf, und hat einen Ueberflus an
      Waſſerthieren. Es beſtehet aus 3 Provinzen: Umo, Soota und Camo. Das jaͤhrliche
      Einkommen von dieſen 7 Fuͤrſtenthuͤmern wird gerechnet 243 Mangokf.
  • IV.Sanindo, iſt Bergnorder- oder kalter Weg, welches einſchließet 8 große
    Provinzen, deren
    • 1) Tanba oder Tansju 2 Tagereiſen in der Laͤnge hat; iſt ein mittelmaͤßiges Land,
      zeuget vielen Reis und mancherlei Art Huͤlſenfruͤchte, hat viel Brenholz, beſtehet aus 6
      Laͤndern: Kuwada, Funaii, Taki, Amada, Fingami, Akarunga.
    • 2) Tango oder Tansju, haͤlt von Suͤd bis Nord 1½ Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig
      gut Land, zeugt und verkauft Seiden und Lein ſehr wohlfeil, gibt Waſſerthiere in Ueberflus,
      und hat 5 Provinzen: Kaki, Joki, Tango, Katano, Kumano.
    • 3) Taſima oder Tansju, haͤlt von Oſt bis Weſt 2 Tagereifen, und iſt mittel-
      maͤßig gut Land, von der Natur eben ſo wie voriges begabt, und hat 8 Provinzen:
      Aſami, Jabu, Jdſu, Ketta, Kinnoſaki, Flangaka, Sitzumi, Mikkummi.
    • 4) Jnaba oder Jnsju, hat von Suͤd bis Weſt 2 Tagereiſen, iſt ein mittel-
      maͤßig gut Land, hat an der Nordſeite See, und niedriges Gebirge an der Suͤdſeite. Hier
      werden viel grobe ſeidene Stoffe gewirket. Es beſteht aus 7 Provinzen: Foomi, Ja-
      gami, Tſidſu-Oomi, Takaguſa, Ketta, Konno.
    • 5) Fooki oder Fakusju, haͤlt von Suͤd bis Nord 2½ Tagereiſen, iſt mittelmaͤ-
      ßig gut Land, zeugt viel Gokokf, Kannib und Seide, wovon man hier Stoffe wirket.
      Es hat 6 Provinzen: Kawamura, Kume, Jawata, Aneri, Oomi, Fino.
    • 6) Jdſumo oder Unſju, haͤlt von Oſt bis Weſt 2½ Tagereiſen, wird von der korei-
      ſchen See wie eine Halbinſel umgeben, iſt ſehr gut Land, traͤgt viele Arten fruchtbarer
      Baͤume, Gras und Kraͤuter durch einander, alhier werden grobe ſeidene Stoffe gewirket.
      Es hat 10 Provinzen, als Jju, Aſomi, Simane, Akiſika, Tattenni, Jadſumo,
      Kanto, Jjis, Aſinda, Oofara.
    • 7) Jwami oder Sekisju, haͤlt von Suͤd bis Nord 2 Tagereiſen; iſt mittel-
      maͤßig gut Land, zeuget viel Cannib und Salz, der Landesherr bekomt von den Bauren
      zweimal ſo viel wie andere Landesherren. Es hat 6 Provinzen: Tſikama, Naka, Oots,
      Mino,
      und Kanoas.
    • 8) Oki oder Anſju, eine Jnſel und Provinz in der See gegen Korey uͤbergele-
      gen, hat 2 Tagereiſen im Umkreis. Der Grund iſt ſehr ſchlecht, und traͤgt wenig
      Gokokf. Das jaͤhrliche Einkommen von dieſen 8 Provinzen belauft ſich insgeſamt auf 123
      Mangokf.
  • V.Sanjodo, das iſt Bergſuͤder- oder warmer Weg. Dieſer Landſtrich enthaͤlt
    folgende Provinzen oder Fuͤrſtenthuͤmer:
    • 1) Farima oder Banſju, haͤlt im Umkreis 3½ Tagereiſen, einen ſehr guten
      Grund und Ueberflus an Lebensmitteln. Man machet hier ſeidene Stoffe, Papier und
      allerlei Kleider. Es hat 14 Provinzen: Akas, Kata, Kamo, Jnami, Sikama, Jwo,
      Akato, Saijo, Sitz, Kanſaki, Taka, Mitzubo, Jſai
      und Jtto.
    • 2) Mimaſakka oder Sakuſiur, haͤlt von Oſt bis Weſt uͤber 3 Tagereiſen, iſt
      mittelmaͤßig gut Land, giebt ſeinen Einwohnern reichlich Kraͤuter, Fruͤchte, Speiſen und
      Kleider. Man hat hier nicht viel Winde. Es beſtehet in 7 folgenden Provinzen: Aida,
      Katzunda, Tomapiſi, Toma Figaſi, Khume, Ooba, Maſuma.
    • 3) Bidſen oder Bisju, haͤlt im Umkreis 3 Tagereiſen, iſt ein mittelmaͤßig
      gut Land, zeugt viel Seide, hat einen warmen Grund, daher Baͤume, Garten und Acker
      M 2ihre
      [92]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
      ihre Frucht zeitig hervorbringen. Es beſtehet aus 11 Provinzen: Koſuma, Waki,
      Jwanaſi, Ooku, Akaſaka, Kandatz, Minno, Ooas, Tſitaka, Tſingoſima,
      Kamoſima.
    • 4) Bitſju oder Fiſin, haͤlt von Oſt bis Weſt 1½ Tagereiſen, iſt ein ſehr gut
      Land, an Lebensbeduͤrfniſſen mit Ueberflus verſehen. Lein und Gokokf ſind alhier wohlfeil.
      Die 9 Provinzen ſind: Utz, Kaboja, Kaija, Simomitz, Aſangutz, Oda, Si-
      tzuki, Teta, Fanga, Saba-Roſima, Jorisma.
    • 5) Bingo oder Fisju, haͤlt von Suͤd bis Nord uͤber 2 Tagereiſen, iſt mittel-
      maͤßig gut Land, zeuget gar vielen Reis und Gokokf, welches daſelbſt auch fruͤher reif
      wird. Es hat 14 Provinzen, als: Abe, Futſitz, Kamiiſj, Aſuka, Numaſimi,
      Bonitz, Aſijda, Kooen, Mikami, Camidani, Mitſucki, Jeſſo, Sirra,
      Mijwara.
    • 6) Aki oder Geſju, haͤlt von Suͤd bis Nord 2½ Tagereiſen, iſt ſchlecht Land,
      hat viele doch abgelegene Berge; traͤgt viel Bauholz, am Meerufer wird Salz gemacht,
      Korn- und Huͤlſenfruͤchte wollen hier nicht wohl gerathen, hingegen geben Klippen, Huͤgel und
      Staͤmme eine Menge Morgeln, und allerhand delicate Schwaͤmme zur Speiſe. Es be-
      ſtehet aus 8 Provinzen: Numada, Takatta, Tojoda, Sada, Cammo, Sabaku,
      Aki, Takamija, Jtzu Kuſima,
      welcher lezte Name nur einen beruͤhmten Ort in dieſer
      Provinz bezeichnet, und Ehrenhalber beigefuͤgt wird.
    • 7) Suwo oder Seusju, haͤlt von Oſt bis Weſt 3 Tagereiſen, hat mittelmaͤßi-
      gen Grund, welcher uͤber die Maaße an Gras und Kraͤutern reich iſt. Es giebt hier ſo
      viel Waſſerthiere, beſonders derer, die mit Schild und Schuppen bekleidet ſind, als an kei-
      nem andern Orte des Reichs. Es hat 6 Provinzen: Ooſima, Kuka, Kumade, Tſimo,
      Sawa
      und Jooki.
    • 8) Nagata oder Tſjoju, haͤlt von Oſt bis Weſt 2½ Tagereiſen, iſt mittelmaͤ-
      ßig gut Land, die Suͤd und Weſtſeite beſchlieſt die wuͤſte See, die Nordſeite ein Gebuͤrge
      bringt Gokokf, Waſſerthiere und allerhand Lebensmittel, zweimal mehr als die Einwohner be-
      duͤrfen. Es hat 6 Provinzen: Alſa, Tojora, Mine, Ootz, Amu, Misjima. Das
      jaͤhrliche Einkommen von dieſen 8 Fuͤrſtenthuͤmern betraͤgt 270 Mangokf.
    • Dieſe beſchriebne 5 Landwege, nebſt deren Fuͤrſtenthuͤmern und kleineren Landſchaf-
      ten, liegen alle auf der großen Jnſel Nipon. Die zweite Jnſel, welche bei den Japa-
      nern Kiusju oder Weſtland, und Saikokf oder Neunland heiſt, liefert den
      ſogenanten

VI.Sai-
[93]Fuͤnft. Kap. Genauere Eintheilung des japaniſchen Reichs ꝛc.
  • VI.Saikaido, das iſt der Weſt-Strandweg, und auf demſelben folgende
    9 große Provinzen:
    • 1) Tſikudſen oder Sſjkuſiu, haͤlt von Suͤd nach Nord uͤber 4 Tagereiſen, iſt ein
      mittelmaͤßig gut Land, traͤgt viele Hirſe, alhier wird viel Porcelain gebacken. Es hat 25
      Provinzen: Sima, Kama, Jasſjika, Nóſima, Mikaſa, Monagatta, Onka,
      Muſiroda, Fonami, Sara, Naka, Caſſija, Siaka, Muſima, Jto, Musji-
      ro, Vutz, Kurande, Nokoſima, Sinotz, Kaſ
      ákura, Kamitz Kaſakura, Kokuf,
      Taſſaj.
    • 2) Tſikungo oder Tſikusju, haͤlt von Suͤd bis Nord 5 Tagereiſen, iſt mittelmaͤ-
      ßig gut Land, traͤgt viel Huͤlſenfruͤchte, giebt einen Ueberflus von Fiſchen und esbaren
      Meerſchulpen, man macht hier allerhand Fruͤchte ein, und noch andere ſuͤße Sachen wer-
      den von hieraus verſandt. Es hat 10 Provinzen: Mijwara, Mij, Jgra, Mi, Mike,
      Kandſima, Simodſima, Jama Kando, Jamma Seta, Takeno.
    • 3) Budſen oder Foosjo, haͤlt von Suͤd bis Nord 4 Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig
      gut Land. Hier wachſen viele Arzneikraͤuter, werden auch allerhand ſeidene Stoffen gewirket,
      von welchen der Landesherr ſeinen Theil zu ſeinen Einkommen zieht, welches man ſonſt aus
      den Fruͤchten giebt. Es hat 8 Provinzen: Tangawa, Sakku, Mijako, Nakatz, Tſui-
      ki, Kamitzki, Simotzki, Uſa.
    • 4) Bungo oder Fooſi, haͤlt 3 Tagereiſen in die Laͤnge, und iſt mittelmaͤßlg gut
      Land, zeugt Maulbeerbaͤume und Seide, Hanf, Gokokf und viele auslaͤndiſche Gewaͤchfe.
      Seine 8 Provinzen ſind: Fita, Kus, Nawori, Oono, Amabe, Oakata, Fai-
      jami, Kuniſaki.
    • 5) Fidſen oder Fiſju, haͤlt von Suͤd bis Nord 5 Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig
      gut Land, der Grund iſt fet, und giebt ſeine Saat hundertfaͤltig zuruͤk. Es hat einen Ueber-
      flus an Fiſchen und Voͤgeln, und werden viele Kleider gemacht, die 11 Provinzen:
      Kickii, Jabu, Mine, Ooki, Kanſoki, Saga, Maatſura, Kiſſima, Tuſitz,
      Kadſuraki, Takaku.
    • 6) Figo oder Fiſju, haͤlt 5 Tagereiſen im Umkreis, iſt mittelmaͤßig gut Land,
      hat viele Gebuͤſche, Bau-und Brandholz, auch Korn und Huͤlſenfruͤchte, wie auch Fi-
      ſche und Meerſchulpen zur Nothdurft. Es hat 14 Provinzen: Tamana, Jamaga,
      Jamamatto, Kikutz, Aſo, Takuma, Kuma, Aida, Maſiki, Ud
      ò,Jaadſiro,
      Koos, Amakuſa, Askta.
    • 7) Fiugo oder Aſisju, haͤlt 3 Tagereiſen im Umkreis, iſt etwas ſchlecht Land,
      zeugt gar wenig Maulberbaͤume, Hanf und Huͤlſenfruͤchte, weil es wenig platte Felder hat,
      aber viele arme Unterthanen. Es hat 5 Provinzen: Uski, Koju, Naka, Mijaſaki,
      Morokata.
    • 8) Ooſumi oder Gusju, haͤlt von Oſt bis Weſt 2 Tagereiſen, iſt ein mittelmaͤßig
      gut Land, klein, aber reich an Lebensmitteln, ſonderlich an Auſtern und allerhand andern
      Schulpen. Es wird hier viel Papier, auch ſo viel die Einwohner ſelbſt beduͤrfen, Stoffe zu
      Kleidern gemacht. Es hat 8 Provinzen: Ooſumi, Fiſingari, Kuwabara, Soo,
      Sjira, Kimotſuki, Komadſji, Kumagge,
      welchen man zum Ueberflus die gegen-
      uͤber liegende Jnſel Tanega Sima noch zuſetzt.
    • 9) Satzuma oder Satsju, haͤlt im Umkreis 2 Tagereiſen, iſt etwas ſchlechten
      Grundes, zeugt Maulbeerbaͤume, Hanf, macht gute aber wenige Kleider, liefert aber
      doch an andere Laͤnder auch einen groben Hanf. Es hat 14 Provinzen: Joſumi, Ta-
      kaki, Satzuma, Feki, Jſa, Ata, Kawanobe, Jene, Juumaki, Fire, Tani,
      Jamma, Okinokoſima, Koß Kiſima.
      Dieſe 9 Provinzen insgeſamt bringen jaͤhrlich
      ihren Erbherren oder Beſitzern ein 344 Mangokf.
    • Die zwiſchen beiden gelegene Jnſel der dritten Groͤße, bei ihnen ſonſt Sikokf oder
      Vierland genant, wird nebſt der gegen N. O. gelegenen Jnſel Awadſi, und der gegen
      Suͤden von Aſiipon hervorſtehenden veſten Landſchaft Kii wegen der ſuͤdlichen Lage
      genant.
  • VII.Nankaido, das heiſt der ſuͤder Seeweg. Es beſtehet derſelbe aus 6
    Provinzen:
    • 1) Kijnokumi oder Kisju, haͤlt von Suͤd bis Nord 4½ Tagereiſen, iſt ein
      ebenes gar ſchlechtes Land, an 3 Seiten mit See beſpuͤhlet. Es wollen keine Huͤlſenfruͤchte
      noch Getraide darauf wachſen; hat 7 Provinzen, als Jtò,Naka, Naguſa, Amabe,
      Arida, Fitaka, Mur
      ò.
    • 2) Awadſi oder Tanſju, hat eine Tagereiſe in die Laͤnge, und wenig gut Land,
      zeuget Kleider, und giebt Salz und Fiſch, nur zur Nothdurft, beſtehet aus 2 Provinzen:
      Tſinà und Mijwara, welchen man die angelegenen beruͤhmteſten Jnſeln beifuͤgt, als Muſ-
      ſima
      und Jeſima.
    • 3) Awa oder Asju, haͤlt 2 Tagereiſen im Umkreis, iſt mittelmaͤßig gut und etwas
      bergigt Land, mit Feder-und vierfuͤßigem Vieh wohl verſehen, giebt Fiſche und Meer-
      ſchulpen zur Nahrung in Ueberflus, hat 9 Provinzen: Mioſi, Ojen, Nafingaſi, Na-
      miſi, Katſura, Aſaka, Jtano, Awa
      und Mima.
    • 4) Sanuki oder Sanſju, haͤlt von Oſt bis Weſt 3 Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig
      gut Land, mit Fluͤſſen, Bergen, ebenen Feldern, Reis und allerhand Aeckern durch ein-
      ander wohl begabt, die Huͤlſenfruͤchte gerathen hier wohl, auch hat man Ueberflus an Fi-
      ſchen und Meerſchulpen. Aus dieſem Lande ſind in allen Zeitaltern viele beruͤhmte Leute
      entſproſſen. Es hat 11 Provinzen: Owutſi, Samingawa, Miki, Mino, Jamada,
      Kanda, Ano, Utari, Naka, Tado, Kako.
    • 5) Jjo oder Joſju, wird in 2 Tagen umgereiſt, iſt mittelmaͤßig Land, ganz
      eben und ohne Baͤume, reich an Reis-und Sandfeldern, zeugt auch Hanf, Maulbeer,
      Salz, Gras und Kraͤuter. Es hat 14 Provinzen: Nii, Sſuki, Kuwamira, Ootz
      Kaſafaja, Nooma, Tſik
      é,Otſumi, Kumè,Fukè,Jjo, Kita, Uwà,
      Umà.
    • 6) Toſa oder Toſju, haͤlt von Oſt bis Weſt 2 Tagereiſen, iſt mittelmaͤßig Land,
      giebt viele Huͤlſenfruͤchte, Holz und zum Lebensunterhalt noͤthige Sachen. Es hat 7 Pro-
      vinzen: Toſà,Agawa, Taka, Oka, Fata, Nana Oka, Katáſima, Kami;
      Das jaͤhrliche Einkommen aus dieſen 6 Fuͤrſtenthuͤmern betraͤgt die Summe von 140
      Mangokf.

Noch ſind uͤbrig, und bisher unbenant geblieben zwo im letzten coreyiſchen Kriege
dieſem Reich einverleibte Jnſeln oder Provinzen, welche mit einem Worte Jkithuſima
ausgeſprochen, und jetzo von einem beſondern Landesherrn regiert werden, da ſie im An-
fange dem Fuͤrſten von Satzuma untergeben waren.


Die erſte iſt Jki oder Jſju, haͤlt eine Tagereiſe im Umkreis, und 2 Provinzen,
als Jki und Jſjida.


Die andere Tſuſima oder Taisju, uͤbertrift die vorige etwas wenig an Groͤße,
und beſtehet aus 2 Provinzen, als Akata und Simo Akata, das iſt Ober und Unter
Akata.
Es giebt auf dieſen Jnſeln, von deren Grunde man wenig Ruͤhmens macht, viele
auslaͤndiſche Sachen zu ſehen, und viele Goͤtzenbilder anzubethen. Sie bringen beide ihrem
Herrn jaͤhrlich 3 Man und 5000 Kokf.


Alles Einkommen aus beſchriebnen VII Landſtrichen, oder denen acht und ſechzig
Provinzen betraͤgt jaͤhrlich 2257 Mangokfs.


Von der Regierung dieſes japaniſchen Reichs im Ganzen, ſo wie der einzelnen
Provinzen und kleinern Herrſchaften weitlaͤuftig zu reden, iſt hier nicht der Ort. Doch wil
ich ſo viel in der Kuͤrze davon anfuͤhren, als zur richtigern Einſicht in die folgende Geſchichte
noͤthig ſeyn moͤchte. Die Regierungsform, nach welcher der Kaiſer das ganze Reich, und
die untergeordnete Herrn einzelne Provinzen beherſchen, iſt ein ganz uneingeſchraͤnkter und
ungebundner Despotiſmus.


Der
[96]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Der jetzige Kubo oder weltliche Kaiſer heiſt Tſinajos. Er iſt im vierten Ge-
ſchlecht ein Nachkomme des Jjejas, erſten Kaiſers aus dieſer Familie, der ſich im An-
fang des ſechzehnten Jahrhunderts auf den Thron von Japan ſezte.


Tſinagos iſt ein kluger, gerechter und ſtrenger Herr. Er uͤbt, wie ſeine Vorfah-
ren, eine ganz unumſchraͤnkte Gewalt aus, und verfaͤhrt mit den Laͤndern ſeiner Fuͤrſten nach
ganz wilkuͤhrlichem Belieben. Er vertheilt, vertauſcht ſie, entſezt auch wol gar dieſe klei-
nen Regenten ihrer Wuͤrde, wie er es ihren Verdienſten oder dem Vortheil des Reichs ge-
maͤs findet, oder wenigſtens gemaͤs zu finden vorgiebt.


Die benanten Fuͤrſtenthuͤmer werden von ihren Erbfuͤrſten, die man Dai Mjo,
d. i. Hochbenamt oder große Landesherrn nent, beherſcht. Einigen derſelben hat in
vorigen Zeiten das Gluͤk der Waffen noch mehr Laͤnder gegeben. So beſizt der Fuͤrſt von
Satzuma auch die benachbarte beide Reichsprovinzen Oſymi und Fjuga, der Herr von
Canga, auch die angraͤnzende Provinz Rſoto. Dieſe beide Fuͤrſten werden daher auch fuͤr
die maͤchtigſten des Reichs gehalten.


Die Herren kleiner Landſchaften heißen Sjo Mjo oder Wohlbenamte, d. i. kleine
Landesherren. Jhre Beſitzungen ſind theils kleine Jnſeln, als Goto, Firando, Ama-
kuſa, Matſaki,
theils feſtes Land auf den drei großen Jnſeln. Sie werden im alge-
meinen Reichscataſter der 68. Provinzen, jede unter diejenige Provinz gebracht und ge-
zaͤhlt, in deren Umkreis ſie liegt. Dieſe Regenten ſind in den neuern Zeiten dem Deſpotiſ-
mus der Kaiſer ſo ſehr unterworfen worden, daß ſie auch nur ſechs Monat des Jahrs in
ihren Erblanden zubringen duͤrfen, und die andere Haͤlfte des Jahrs am Hofe bei ihrer Fa-
milie ſich aufhalten muͤſſen, welche daſelbſt beſtaͤndig, als Geiſel, bleibt.


Zu den kleinern Landſchaften gehoͤren auch noch kaiſerliche Damainguͤter. Dieſe
waren entweder von Anfang zu Unterhaltung des oberſten Monarchen beſtimt; oder ſie wer-
den nach und nach denen in Ungnade gefalnen Fuͤrſten abgenommen. Denn die Regie-
rungskunſt des kaiſerlichen Hofes hat es immer zum Zwek gehabt, durch Vertheilung der
groͤßern Herſchaften die Macht der Fuͤrſten zu brechen, um fuͤr derſelben ihren Thron zu
ſichern.


Die groͤßern unter dieſen Domainen werden durch Stathalter, welche Bugjo, d. i.
hohe Bevolmaͤchtigte, und die kleinern durch Rentmeiſter oder Amtmaͤnner, Daiquan
regiert. Die Einkuͤnfte dieſer Guͤter gehn unmittelbar in die kaiſerliche Kammer.



Sech-
[97]

Sechſtes Kapitel.
Ueber den Urſprung der Japaner.



Unſre meiſten Geographen haben ſich fuͤr die Meinung erklaͤrt, daß die Japaner von
den Sineſern herſtammen. Sie ſind dazu vorzuͤglich durch folgende zwei Geſchich-
ten veranlaßt, die ihnen unſre Reiſende aus dieſen Oſtgegenden uͤberbracht haben. Die
erſte dieſer Geſchichten iſt folgende: Es haben ſich einmal in Sina viele Familien wider
ihren Kaiſer verſchworen. Dieſe Verſchwoͤrung ſei aber zu fruͤh bekant geworden, und der
Kaiſer habe alle Schuldige ohne alle Gnade und Unterſchied hinrichten laſſen. Da man
aber nach und nach immer mehr Verſchworne entdekte, und des Bluvergießens muͤde wurde;
ſo habe ſich der Kaiſer entſchloſſen, die Strafe des Todes in die einer ewigen Verbannung
zu verwandeln. Man habe alſo die Verbrecher nach den damaligen rauhen und unbewohn-
ten japaniſchen Eylanden verbant, und dieſe waͤren alſo die Stamvaͤter der jetzigen zahlrei-
chen und maͤchtigen japaniſchen Nation geworden.


Die andre Geſchichte iſt folgende: Ein kaiſerlicher Leibarzt bildete ſeinem Herrn
ein, der eine große Neigung hatte ſich unſterblich zu machen, *) daß die Pflanzen, welche
zu einer ſolchen Arznei nothwendig waͤren, nirgend anders als auf den japaniſchen Jnſeln
von unbeflekten jungen Perſonen koͤnten geſucht werden. Er bat ſich alſo vom Kaiſer 300
reine Juͤnglinge und 300 reine Maͤdchen aus, mit denen er nach Japan uͤberfuhr. Die
Abſicht des ſchlauen Arztes war aber nur dieſe, ſich der Tirannei ſeines Herrn zu entziehen;
und er wurde alſo mit ſeiner friſchen Jugend der Stamvater der japaniſchen Nation.


Was die erſte dieſer Geſchichten betrift, ſo wird ſie ſine die \& conſule von den
unſrigen **) erzaͤhlt, und iſt von Linſchoot zuerſt unter die Schriftſteller gebracht. Da
aber
[88[98]]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
aber der angeblichen Verſchwoͤrung in keinem ſineſiſchen oder japaniſchen Schriftſteller er-
waͤhnt iſt, Linſchoot auch gar nicht angiebt, wo er ſie hergenommen habe; ſo iſt ſie
natuͤrlich blos fuͤr eine Fabel zu halten, die ſchlechterdings keinen Glauben verdient.


Die zweite Geſchichte wird hingegen von den Japanern ſelbſt gar nicht gelaͤugnet,
ſie zeigen noch jezt einen Ort in Khumano (d. i. das ſuͤdliche Ufer von Kunokuni und den
zunaͤchſt angraͤnzenden Landſchaften) wo dieſer Arzt mit ſeinen jungen Gaͤſten ſich ſol nieder-
gelaſſen haben. Man zeigt daſelbſt auch noch einen Ehrentempel, der ihm zum Gedaͤcht-
nis errichtet worden, weil er ihnen viele Wiſſenſchaften und buͤrgerliche Kuͤnſte uͤberbracht
habe. Jch finde in der japaniſchen Chronik keine andre Aufſuchung der Arznei der Un-
ſterblichkeit erwaͤhnt, als diejenige, welche der Kaiſer von Sina Si oder Sikwo oder
nach der gemeinen Ausſprache Sinoſikwo hat thun laſſen. Dieſer Kaiſer iſt einer von
den drei ſineſiſchen Nerons, welche unter den Namen Sinorko, Ketzuwo, und Thu-
wo
algemein bekant und verabſcheuet ſind. Er verband mit ſeiner Tirannei noch ganz un-
glaublichen Uebermuth und Pracht. Er lies z. B. einmal eine große See ausgraben und
dieſelbe ganz mit ſineſiſchem Bier anfuͤllen, auf dem er dann in ſtatlichen Fahrzeugen einher-
fuhr. So bauete er ſich auch ein praͤchtiges Schlos, das Konjacku hies, deſſen Eſtrich
mit Gold und Silber bedekt und ſo gros im Umfang war, daß wie der Kaiſer Kool, (der
ſeinen Enkel vom Throne ſties und dieſe ganze Familie ausrottete,) es anzuͤnden lies, noch
drei Monate, wie man ſagte, verfloſſen, da dieſes Schlos beſtaͤndig in der Aſche fortbrante.
Dieſe Geſchichte hat in Japan auch noch zu einem ewigen Sprichworte von vergaͤnglicher
Pracht Anlas gegeben.


Dieſer Sikwo nun wolte ſein herliches Leben nicht gern verlaſſen, ſondern lies
die Arznei der Unſterblichkeit an allen Orten aufſuchen. Solte aber nun auch unter eben
dieſem Kaiſer der Leibarzt in dieſer Abſicht mit ſeiner jungen Colonie nach Japan gekom-
men ſeyn; ſo mus man den Japanern billig zugeſtehn, daß er viel zu ſpaͤt gekommen ſey,
ihre Nation zu ſtiften. Denn ſie wurden damals ſchon von Koken, ihrem achten Mo-
narchen, beherſcht, in deſſen ſiebtem Regierungsjahr die erwaͤhnte Geſchichte aufgezeichnet iſt.
Dies iſt das Jahr 453 nach Sijn Mu, dem erſten japaniſchen Kaiſer, und das Jahr
209 vor Chriſti Geburt. Jn eben dem Jahre ſtarb auch noch der ſineſiſche Tiran im funf-
zigſten ſeines Alters.


Es iſt eine ganz unſtreitige Wahrheit, daß die Sprachen und deren Eigenthuͤm-
lichkeiten das ſicherſte und untruͤglichſte Mittel ſind, dem Urſprunge und den aͤlteſten Zuſam-
menfuͤgungen der verſchiednen Nationen nachzuſpuͤren. Man wird die Erfahrung hievon
ſehr leicht machen koͤnnen, wenn man bei verſchiednen Voͤlkern bis auf ihre erſte Entſtehung
zuruͤk geht. Bei den Pohlen, Boͤhmen und Ruſſen beweiſt ihre gemeinſchaftliche ſla-
voni-
[99]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.
voniſche Sprache, daß alle dieſe Voͤlker ſlaviſchen Urſprungs ſind. Bei den Jtaliaͤnern,
Spaniern
und Galliern kan man eben dieſes auf gleiche Art beweiſen. Die Hoch und
Niederdeutſchen, die Daͤnen und Schweden haben gleichen Urſprung, und ihre Spra-
chen kommen alle in der gothiſchen zuſammen. Man lehret auf eben die Art durch die
Sprachen, wenn verſchiedne Voͤlker zu einer Nation zuſammengefuͤgt ſind; oder wenn eine
ſchon beſtehende Nation durch uͤberwundne Voͤlker oder auswaͤrtige Colonien einen betraͤcht-
lichen Zuſaz erhalten hat. Man wird allenthalben finden, daß gerade in dem Verhaͤltnis
der Menge hinzugekommener Fremden auch fremde Worte in die alte Sprache eingedrun-
gen und darin naturaliſirt ſind. So findet man in der engliſchen Sprache die daͤniſche,
niederſaͤchſiſche
und altgalliſche; in der lateiniſchen die griechiſche; in der ſiebenbuͤrgi-
ſchen
die ungriſche und lateiniſche; in der Sprache von Semgallen die lettiſche, ſla-
voniſche
und lateiniſche.


Auf eben dem Wege, glaub ich, mus man nun auch die Entſtehung und Vermi-
ſchung der Voͤlker in andern Welttheilen erweiſen. Der portugieſiſche Geſchichtſchreiber
Johannes de Barros in ſeinen Decades und Flakourt in ſeiner Hiſtoire de Mada-
gascar
bezeugen, daß die Sprache auf dieſer großen afrikaniſchen Jnſel mit javaniſchen
und maleyiſchen Worten ganz angefuͤllt ſey. Dies hat ohne Zweifel den natuͤrlichen Grund,
daß vor 2000 Jahren die damals maͤchtigen Voͤlker Javaner und Maleyen große Hand-
lung nach Madagaskar trieben und ſich daſelbſt auch haͤufig niederließen. Jn Aſien fin-
det man auf der Halbinſel Crimm oder in Cherſoneſus Tartarica noch viele deutſche
Worte, und man giebt vor, daß ſie eine gothiſche Colonie 850 Jahr nach der Suͤndfluth
dahin gebracht habe. Der Herr von Busbeck, kaiſerl. Geſandter am otſhmanniſchen
Hofe
hat in ſeinem vierten Schreiben eine gute Anzahl dieſer Worte aufgezeichnet, und
ich habe mir noch mehr angemerkt. Eben ſo findet man auch in der javaniſchen, ſinga-
leſiſchen,
gemeinen malabariſchen und andern indiſchen Sprachen den Beweis, was
aus der Geſchichte ohnedem ſchon genug bekant iſt, daß dieſe Nationen beſtaͤndig durch Ueber-
winder und Ueberwundne, ausgeſandte Colonien u. ſ. w. unter einander vermiſcht ſind.


Wolte man nun die japaniſche Sprache durch alle ihre Worte und Eigenſchaften
nach der Strenge einer ſpaniſchen Jnquiſition unterſuchen; ſo wuͤrde man ſie von aller Ver-
mengung und Vermiſchung mit andern Sprachen ihrer Nachbarn, aus der man die Verwand-
ſchaft und den Urſprung der Nation muthmaßen koͤnte, ganz rein und frei finden. Nach-
barn der Japaner nenne ich diejenigen Sineſer, welche die an der See gelegnen Landſchaften
bewohnen und Japan mit ihren Schiffen beſuchen. Dieſe haben drei verſchiedne nach ih-
ren Hauptprovinzen benante Sprachen Nankin, Tſjaktſju und Foktſju, von welchen
allen aber kein Japaner ein Wort verſteht, auſſer etwa ſolche Benennungen von Dingen,
N 2welche
[100]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
welche die Sineſer zugleich mit den Sachen ſelbſt nach Japan uͤberbracht haben. Auf eben
die Art haben aber auch die Portugieſen die Worte pan, palma, botan, cappa, fras-
co, bidorn, tanta,
und noch einige andere in der japaniſchen Sprache zuruͤckgelaſſen.
Der hieher uͤbergeſezten Sineſer ſind auch niemals ſo viel geweſen, daß ſie die japaniſche
Sprache haͤtten ganz veraͤndern koͤnnen; ob ihrer gleich genug ſeyn mochten, um den Japa-
nern
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, auch ſogar die Kenntnis ihrer gelehrten Buͤcher und
Charactern mitzutheilen. Dieſer leztern bedienen dieſe und andere angraͤnzende Nationen
z. B. Coreyer, Tunquiner ſich jezt eben ſo als einer algemeinen Sprache, wie die Eu-
ropaͤer der lateiniſchen.


Dem angeblichen Urſprung der Japaner iſt auch noch die ganze eigenthuͤmliche
Natur und Conſtruction der japaniſchen Sprache ganz zuwider. Dieſe iſt von der ſine-
ſiſchen ſo ſehr verſchieden, daß, wenn die Japaner ſineſiſche Buͤcher entweder nach dem
Laut der Charactern oder ihrer gemeinen Sprache leſen, ſie allemal die Worte nicht nach der
Reihe, in der ſie geſtelt ſind, ſondern etwas verſezt vorbringen, und zuweilen einige Worte
anhaͤngen oder zwiſchenfuͤgen, damit der Sinn und die natuͤrliche Conſtruction ihrer Mut-
terſprache herauskommen. Sie pflegen daher die ſineſiſche Buͤcher gemeiniglich ſo nachzu-
drucken, daß ſie zu deſto ungehinderterer Leſung die Conſtructionsordnung durch beigefuͤgte
Zeichen andeuten. Jch kan hier auch noch die Bildung ihrer Zunge und anderer Sprach-
werkzeuge angeben, die ihnen die Natur ganz anders als den Sineſern gegeben hat. Die
japaniſche Sprache hat faſt immer einen reinen und deutlichen Laut, und die Silben pfle-
gen ſelten mehr als 2 oder 3 Buchſtaben zu haben; hingegen in der gemeinen ſineſiſchen
Sprache hoͤrt man beſtaͤndig einen vermengten Schal verſchiedener Conſonanten mit einem
gleichſam ſingenden Accent.


Gleiche Verſchiedenheiten findet man auch bei einzelnen Buchſtaben. Die Ja-
paner
koͤnnen das H nicht anders als mit einem F; die Sineſer aber weit deutlicher aus-
ſprechen. Die Japaner ſprechen die Buchſtaben R und D ſehr rein und deutlich, obgleich
im Anfang der Silben etwas durch die Kehle aus. Die Sineſer aber und vorzuͤglich die
Nankiner koͤnnen durchaus kein R oder D vorbringen, und diejenigen, welche in auswaͤr-
tigen Sprachen ſehr erfahren ſind, wiſſen dieſe Buchſtaben nicht anders als durch ein L
auszudruͤcken. Alles, was ich uͤber die Verſchiedenheit der japaniſchen und ſineſiſchen Spra-
che geſagt habe, laͤſt ſich auch auf die Sprachen von Corea und Jeſo anwenden. Es iſt
aber unnoͤthig dies hier weiter auszufuͤhren, da man noch niemals den Gedanken gehabt hat,
die Japaner aus jenen Laͤndern abzuleiten.


Die
[101]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.

Die ſo verſchiedne Religion beider Nationen giebt unſrer Meinung nach ein ſehr
großes Gewicht. Waͤren die Japaner von den Sineſern ausgegangen, ſo wuͤrden ſie ohne
Zweifel die Religionslehren und den Goͤtzendienſt der leztern mit ſich in das neue, unbe-
wohnte Land uͤberbracht und auf ihre Nachkommen fortgepflanzt haben. Nun iſt es aber
außer allen Zweifel geſezt, daß die vaͤterliche alte Religion der Japaner (die ſie Sinto
und die Goͤtzen Cami nennen) ihnen allein eigen ſey, und daß kein anders Volk in der
Welt dieſe japaniſche Goͤtzen kenne oder ihre religioͤſen Gebraͤuche angenommen habe. Die
Japaner haben auch eben ſo wenig irgend fremde Goͤtzen oder Religionslehren gekant, bis
im Jahr 66 nach Chriſti Geburt unter dem Kaiſer Synnin, der fremde Goͤtzendienſt des
Lehrers Sjaka oder Budſo durch Corey nach dieſen Jnſeln uͤberbracht wurde und daſelbſt
feſten Fuß ſetzte. Er wurde nachgehends durch viele aus Sina und andern Laͤndern hier
angekommene Lehrer unter der Nachſicht der gegen die Religion ziemlich gleichguͤltigen Erb-
kaiſer immer weiter durch das ganze Reich ausgebreitet. Allein dieſe neue Lehre war doch
gar nicht vermoͤgend, die alte Sinto aus den Herzen dieſer ſtandhaften Nation zu vertilgen.
Vielmehr je weiter die Budſosreligion ſich ausbreitete, deſto mehr bemuͤhten ſich die Prie-
ſter der alten Religion, ſie durch neue Tempel, Goͤtzen und Fabeln noch zu verſtaͤrken und
annehmlicher zu machen.


Jch koͤnte auch noch, um die falſche Herleitung der Japaner von den Sineſern zu
beweiſen, die uralten Buchſtaben und Charten beider Nationen anfuͤhren, welche unter ſich
nicht die mindeſte Aehnlichkeit haben. Die alte grobe gemeine Schrift der Japaner und
die einfaͤltigen Thierbilder der Sineſer beweiſen dies hinlaͤnglich genug.


Eben ſo ſehr ſind beide Nationen in ihrer ganzen Lebensart, im Eſſen, Trinken,
Schlafen, Kleidung, Haarſcheren, Gruͤßen, Sitzen, und andern buͤrgerlichen Gebraͤu-
chen von einander verſchieden. Die Gemuͤtsart beider Voͤlker iſt nicht weniger von einan-
der abweichend. Die Sineſer ſind friedſam, ruhig, beſcheiden, lieben ein ſitzendes,
ſpekulatives Leben, Argliſt und Wucher. Die Japaner hingegen ſind kriegeriſch, geneigt
zu Unternehmungen, Empoͤrung, Hofleben u. ſ. w. der Ehrſucht und jeder Gattung von
Ausſchweifung ergeben.


Aus allem, was wir bisher angefuͤhrt haben, laͤſt ſich nun die ſichere Folge ab-
leiten, daß die Japaner eine ſelbſtſtaͤndige originale Nation ſind. Dieſe muͤſte alſo ohne
Zweifel unmittelbar von den babyloniſchen Voͤlkern nach dieſen Jnſeln ausgezogen ſeyn; ob
es ſich gleich nicht beſtimmen laͤſt, wie lange ſie auf ihrer Reiſe dahin moͤgen zugebracht
haben. Es iſt aber ſehr wahrſcheinlich, daß ſie ſich unterwegens bei andern Voͤlkern nicht
lange aufgehalten oder wenigſtens mit denſelben ſich nicht vermiſcht haben, weil ſie ſonſt ihre
in der babyloniſchen Verwirrung erhaltene ſelbſtſtaͤndige Sprache nicht ohne den Zuſaz
N 3fremder
[102]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
fremder Worte wuͤrden haben erhalten koͤnnen. Dies ſucht man an den Sprachen aller
europaͤiſchen und auch der aſiatiſchen Voͤlker, welche an der Weſtſeite des Jndus woh-
nen. Man findet keine derſelben rein und ohne Zuſaz fremder Worte auch oft weit entleg-
ner Nationen. Hat alſo unſre japaniſche Nation dieſen aͤußerſten Winkel der Erde eben
ſo bald und gluͤklich, wie der Sineſer, Tunkiner und Siamer das ihnen von Gott beſtimte
Land aufgefunden und erreicht; ſo iſt zu vermuthen, daß ſie auf einen ſolchen Weg und
Landſtrich bei ihrer Wanderung muͤſſe gekommen ſeyn, der ſie grade und bald an die oͤſt-
lichſte Graͤnze von Aſien brachte und ihr daſelbſt dann den ferneren Weg zu dieſer großen
Jnſel vor Augen legte.


Um nun dieſem Wege einigermaßen nachzuſpuͤren, muß man ſich denken, Erſt-
lich, daß bei der erſten Volksvertheilung, unter denen in ihrer Sprache verwirten und in
ihrer Sprache uneinigen Menſchen natuͤrlicherweiſe ein eiferſuͤchtiges Beſtreben eintreten
muſte; da jeder Haufe nicht nur die beſten und nahrhafteſten Laͤnder zu erhalten ſuchte, ſondern
auch ſolche, die durch ihre Lage am Meer oder zwiſchen großen Fluͤſſen oder Gebuͤrgen ihnen
die ſicherſten ſchienen, um ſich in derſelben beſtaͤndigem und erblichem Beſitz zu erhalten.
Die etwas entlegnern Laͤnder ſchienen hierin auch einen Vorzug vor den naͤhern zu haben.
Aus dieſem lezterm Grunde kan man vermuthen, daß die am weitſten entlegne Laͤnder,
wenn ſie nur einen gemaͤßigten Himmelsſtrich hatten, wahrſcheinlich nicht zulezt ihre Be-
wohner erhielten. Dies findet dann auch bei Japan ſtat, welches zwiſchen 30 und 40 Grad
N. Br. liegt und alſo ein unvergleichliches Clima haben mus. Zweitens glaub ich, muß
man annehmen, daß dieſe landſuchende Menſchen beſonders ſolchen Wegen nachgeſpuͤrt
haben, die ihnen Nahrung fuͤr Menſchen und Vieh anboten. Und hier war nun das na-
tuͤrlichſte, dem Ufer fiſchreicher Seen beſonders aber großer Fluͤſſe entweder aufwaͤrts oder
abwaͤrts nachzugehn, weil dieſe den Menſchen ihre Fiſche zur Speiſe, ihre gruͤnen Ufer dem
Vieh zur Weide und beiden ihr Waſſer zum Getraͤnk anbieten. Wahrſcheinlich folgten
dieſe erſten Wanderer ſolchen Fluͤſſen ſo lange nach, bis ſie ein Land fanden, wie ſie es
wuͤnſchten und wo ſie ſich ſicher niederlaſſen und aufhalten konten.


Da nun die Menſchen nach der babyloniſchen Sprachverwirrung ſich in verſchiedne
Geſelſchaften vertheilten, und nach allen Seiten in die unbewohnte Welt hineinreiſeten, um
ſie zu bevoͤlkern, ſo war nichts natuͤrlicher, als daß ſehr zahlreiche Haufen von Menſchen
ſich nach den nordwaͤrts gelegnen fiſchreichen beiden Meeren, dem kaſpiſchen und dem ſchwar-
zen
wandten. Und ſo bekamen alſo die hyrkaniſchen Gruͤnde zwiſchen dem Kaukaſus
und kaſpiſchem Meere, als die anlockendſten Gegenden von ganz Perſien, zuerſt ihre Be-
wohner; auf dieſe folgten ohne Zweifel zuerſt die geſegneten Laͤnder zwiſchen den beiden Mee-
ren. Andre Haufen, die an dem Seeufer bis zu den Muͤndungen der beiden großen Fluͤſſe
Tanais
[103]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.
Tanais (Don) und Wolga fortzogen, wollen wir immer dieſen Fluͤſſen nachgehn laſ-
ſen, bis ſie ihren Auffenthaltsort werden gefunden haben. Wir haben es hier vornemlich
mit denen zu thun, die ſich an das oͤſtliche Ufer des kaſpiſchen Meers wandten. Einige
Haufen, die hier dem großen Flus Oxus oder Dſjehuun bis zu ſeiner Quelle nachgiengen,
kamen natuͤrlich in das Herz des herlichen und fruchtbaren Jndiens, und vermuthlich auch
ohne große Muͤhe bis an den Urſprung des großen Ganges. Hier durften ſie nur den
verſchiednen und ſich weit verbreitenden Armen dieſes Strohms nachgehn, um in Benga-
len, Pegu, Siam
und alle dieſe Laͤnder eher einzudringen, als wenn ſie die noch bis auf
den heutigen Tag wuͤſte und ungebahnte maharinniſche Gebirge haͤtten uͤberſteigen, oder
auch die duͤrren Sandwuͤſten Siftuun oder Sablistuun durchwandern muͤſſen, So
pflegt man noch jezt von Jspahan nach Candahar lieber uͤber Meſjhed 375 Meilen in
die Kruͤmme, als den geraden Weg von 250 Meilen durch die erwaͤhnten Wuͤſten
zu reiſen.


Ehe ich nun aber unſre nach Japan beſtimte Kolonie abfuͤhre, mus ich noch vor-
her erwaͤhnen, daß an der Oſtſeite des kaspiſchen Meers ſich gleich anfangs eine ſehr an-
ſehnliche Nation der jezt ſogenanten Tuͤrken und Yusbeken niedergelaſſen habe. Turk
heiſt ein Viehhirt, und Turkeſtaan ein Hirtenland; Yusbeck aber bedeutet hundert
Herrn,
daher Usbeck ein Land, das von vielen großen Herrn regiert wird. Dieſe beide
Voͤlker haben eine Natur, Character, Religion und Sprache und ſind daher ohne Zweifel
urſpruͤnglich auch nur ein Volk. Man kan daſſelbe mit gutem Recht eine Scheidung und
Trennung vieler Nationen, eine Mutter tapferer Helden, einen Stambaum großer Monar-
chen nennen. Dieſes Volk hat ſich von den Ufern des kaſpiſchen Meers bis an die Graͤn-
zen von Kitaija (Sina) zwiſchen dem 40 und 50 ſten Grad N. Br. weit ausgebreitet;
ſich in viele Heerden und republikaniſche Staaten vertheilt, und ſich allenthalben mit der Le-
bensart beſchaͤftigt, die mit dem Namen zuſammenſtimt. Von dieſen Tuͤrken oder
Turkmannen ſind nun ausgegangen die dageſtanſche und nagayiſche Tataren; die
tatariſche Einwohner des Reichs Caſan; hinter denſelben die boskariſche Tataren;
auch die Einwohner der Provinz Mogeſtaan in Perſien, und endlich die in dieſem Reiche
mit ſchwarzen Zelten umherziehende Hirten. Auch alle Kiſilbaſchen, d. i. die Edelleute
und vornehmſte Familien des perſiſchen Reichs ruͤhmen ſich durchgehends, daß ſie aus tur-
kiſtaniſchem Gebluͤt
abſtammen. Eben ſo mus man auch die krimmiſchen Tataren,
welche ſich am ſchwarzen Meere zwiſchen dem Dnieper und Don*) niedergelaſſen haben,
hieher
[104]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
hieher rechnen. Und endlich ſind noch eben dieſes Urſprungs diejenigen Haufen, welche der
große Sieger und Held Sinchis Chan (der nur nicht ſo beruͤhmt iſt, wie Alexander, weil
er nicht das Gluͤk hatte einen Plutarch oder Curtius zum Geſchichtſchreiber zu bekommen)
in einem Feldzuge nach Pohlen ausſandte, welche, da ihre Unternehmung ungluͤklich aus-
fiel, lieber dieſen damals noch unbewohnten Pontus zu ihrem Aufenthalt erwaͤhlen, als ohne
Ehre in ihr Vaterland zuruͤkkehren wolten. Jch erwaͤhne, um mich nicht zu weit zu ver-
lieren, vieler andern Colonien nicht, welche unter fremde Voͤlker in den angraͤnzenden und
beſonders nordlichen Landen gerathen ſind, und deren Geburt durch die fremden Namen,
die ſie jezt fuͤhren, laͤngſt in Vergeſſenheit gerathen ſeyn wuͤrde, wenn die noch uͤbrig geblie-
benen Worte der alten Mutterſprache das Gedaͤchtnis ihres Herkommens nicht noch immer
erhielten. So war der weltbekante Tamerlan ein usbekiſcher Skythe; und ſelbſt der
große Mogul, die ottomanniſchen Kaiſer und die ſophiſchen*)Koͤnige ſind dieſes
Geſchlechts.


Wir wollen uns auch nicht weiter um die Voͤlker bekuͤmmern, die den fiſchreichen
Flus Jaik hinaufgiengen, oder die die Quelle des großen Oby fanden, und an dieſem
Strohme hinunterwanderten. Wir kommen vielmehr unſrer Abſicht naͤher, und wenden
uns zu denen Voͤlkern, welche ſich in die oͤſtlichen Laͤnder begaben. Hier wollen wir auch
weiter nicht unterſuchen, welchen Weg die Sineſer dahin genommen haben moͤgen. Vom
kaſpiſchen Meer bis an die Graͤnzen ihres Reichs darf man nur ſechs Monate reiſen.
Juͤrgen Anderſon**) ſcheint wenigſtens mit ſeiner auf dieſem Wege 1647 unternomme-
nen Reiſe nicht laͤnger zugebracht zu haben. Zween tatariſche Kaufleute haben mir in
Aſtrakan folgende Beſchreibung ihrer nach Sina gemachten Reiſe gegeben.


Sie

*)


[105]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.

Sie fuhren zuerſt von Aſtrakan uͤber das kaſpiſche Meer (welches ſie 200 Mei-
len lang und 150 breit hielten) bis Seratſjik 15 Tage; von da zu Lande bis Urgenz, der
Reſidenz eines usbekiſchen Prinzen fuͤnf Tage; durch eine unbewohnte Wuͤſte bis Bochan
15 Tage. Von hier konte man die Reiſe auf zwei verſchiednen Wegen machen. Der
eine gieng uͤber Curga, und war damals unſicher. Der andre zog ſich durch ein benach-
bartes Land bis Taarkend 14 Tage; bis Oxiend 7 Tage. Von da bis Kaasker,
der Hauptſtadt in Turkeſtaan und dem vornehmſten Orte zwiſchen Buchara und Kattai
ohngefehr 20 Tage.*) Ferner bis zu der erſten Graͤnzſtadt vor Kattai Tſutſjick 30 Tage;
bis Hamtſjik 5 Tage; dann durch ein bevoͤlkertes Land bis an die Mauern von Kattai
oder Sina 60 Tage, und endlich bis zu der Hauptſtadt Cambalu oder Pekin 10 Tage.
Dieſe ganze Reiſe hatte alſo ſechs Monate gewaͤhrt.


Jn Jspahan lernte ich bei dem Geſandten eines kalmuckiſchen Prinzen an den
Kaiſer von Perſien einen kalmuckiſchen Kaufmann kennen, der die aus Sina mitge-
brachte Wurzel Tai Chuun, d. i. großes gelb oder Rhabarber in Jspahan verkaufte
und auch mir feilbot. Jch bat auch dieſen, daß er mir ſeine Reiſeroute von Mien Kiſi
Laag
bis zur ſineſiſchen großen Mauer mittheilen moͤchte, ſie war folgende: Von
Mien Kiſj Laag bis Dſjem 20 Tage; bis Yilgoas, wo man ein großes Waſſer paſ-
ſirt, 15 Tage; bis Torgai einige Tage; bis Milantſji 10 Tage; bis Loktan 10 Tage;
bis Tſjehrehſu 5 Tage; bis Jsjiel 10 Tage; bis Karlah 4 Tage; bis Bulane 6 Tage;
bis Karbo Katai 10 Tage; bis zur ſineſiſchen Mauer durch zum Theil duͤrre ungebahnte
Gegenden 9 Tage. Hier fand er an einigen Orten herumziehende Hirten, die unter ſchwar-
zen Zelten wohnten. — Mien Kiſi Laag heiſt 1000 Winter oder Ruheplaͤtze; es iſt eine
Jnſel am Oſtufer des kaſpiſchen Meers unter 45 Gr. N. Br. und die Reſidenz des Aiju-
keh,
oder des Fuͤrſten der daſigen Kalmucken. Dieſe haben die Turkmannen oder Tuͤr-
ken
aus dieſer Gegend und vom oͤſtlichen Ufer des kaſpiſchen Meers ganz weg-
getrieben.


Die erſten Sineſer, denk ich, haben wahrſcheinlich nicht einen ſo duͤrren Weg
gewaͤhlt, wo die Reiſenden ſehr oft Waſſer und Futter fuͤr das Vieh mit ſich fuͤhren muͤſ-
ſen. Sie nahmen vermuthlich eine weit ſuͤdlichere Route die Nordſeite des Gebirges
Jmaus vorbei, wo das Land fruchtbar und waſſerreich iſt, und wo ſie auch bald auf den
großen Flus Croceus oder deſſen Aerme ſtoßen muſten, und dadurch dann in das Herz von
Sina gebracht wurden.


OUm
[106]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Um nun endlich unſrer nach Japan beſtimten Colonie naͤher zu treten, ſo mache
ich mir von ihrer Reiſe ohngefehr folgende Jdeen. Wie ſie die N. O. Seite des kaſpiſchen
Meers oder die Gegend Mien Kiſj Laag erreichten, und die daſelbſt entſpringende Fluͤſſe
etwas hinaufgiengen; kamen ſie endlich in einen gras-und waſſerreichen Weg, der ſich
oͤſtlich hinabzog, und in welchem die großen Fluͤſſe Jrtiſj, Jeneſi, Silinga und Ar-
guun
ihren Urſprung nehmen. Hier fanden ſie es nun natuͤrlich rathſamer, dieſen mit einem
guͤtigen Himmelsſtrich geſegneten Weg nebſt ihrem Vieh zu verfolgen, als ſich rechter Hand
in die duͤrren und heißen Laͤnder der jetzigen Turkeſtaaner zu begeben, oder ſich linker
Hand in die kalten, nordlichen Gegenden zu wenden. Sie ließen alſo wahrſcheinlich durch
die benanten Fluͤſſe ſich von ihrem Wege nicht abbringen, ſondern uͤberließen es kuͤnftigen
Geſchlechtern ſie weiter zu verfolgen. So kamen ſie almaͤhlig an den See Arguun, der
Quelle des waſſerreichen Fluſſes dieſes Namens, der ſie hundert deutſche Meilen weiter an
den großen gerade nach Oſt oder Oſt-Suͤd-Oſt fließenden Strohm Amur brachte.
Dieſem giengen ſie dann in dieſer Richtung etwa noch 200 deutſche Meilen nach, da er ſie
dann endlich an das oͤſtlichſte Ufer Aſiens und in das gegen Japan hervorſtehende unbe-
wohnte Land Corey brachte.


Solten aber unſre Wanderer es ſich haben einkommen laſſen, den Flus Jeniſea
hinunter zu gehn; ſo haben ſie vermuthlich nach einer Reiſe von 150 deutſchen Meilen unter
55 Gr. N. Br. einen anderen vielleicht noch bequemern Weg bis zu dem Amurflus ange-
troffen, deſſen ſich die Ruſſen jezt mit vielem Vortheil auf ihren Reiſen nach Sina zu
bedienen pflegen. Man kan ſich hieruͤber am beſten aus der Charte von Rusland und der
Tatarei unterrichten, welche der gelehrte Polyhiſtor D. Nicolaus Witſen, Buͤrgermei-
ſter von Amſterdam, und oftmaliger Geſandter an großen Hoͤfen im Jahr 1687 zuerſt her-
ausgegeben, und ſich dadurch bei der gelehrten Welt ſo großen Ruhm erworben hat. Mich
duͤnkt, ein Mann, der auf dieſe Art die Kentnis der Welt erweitert, hat beinahe gleiches
Verdienſt mit den Entdeckern neuer Laͤnder. Nach dieſer Witſenſchen Charte hat auch
hernach Herr Jsbrand Jdes eine kleinere Charte entworfen, die er ſeiner neulich heraus-
gegebnen Reiſe nach Sina beigefuͤgt hat.


Nachdem wir unſre Kolonie nun einmal bis nach Korea gebracht haben, koͤnnen
wir ſie mit geringer Muͤhe und in einigen ſchlechten Kaͤhnen nach Japan und zwar zunaͤchſt
nach der hervorſtehenden Provinz Nagathe uͤberbringen. Denn man koͤmt durch die zwi-
ſchenliegende viele kleine Jnſelchens ſehr leicht auf die Eylande Tſuſima und Jki und von
lezterer auf das feſte Land Japan. Nichts iſt ohnedem natuͤrlicher, als daß dieſe von
Natur ſo ſtolze und kuͤhne Nation, die auf ihren Reiſen oft aus großen Seen ſich Nahrung
ſuchen muſte und derſelben alſo nicht ungewohnt war, auch hier ſich nicht ſcheuete bei ſtillem
Wetter
[107]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.
Wetter dies unbekante Meer mit ihren Fiſchkaͤhnen zu beſehen, und die Lage der benachbar-
ten Jnſeln auszukuͤnden. Und da ſie nun wider Vermuthen hier dieſes große Land fand,
ſo nahmen ſie es gerne zu ihrer Wohnung und feſtem Sitze an.


Solte Jemand glauben, man koͤnne die erſten Bevoͤlkerer von Japan durch die
oͤſtliche Tatarei und Jeſo leichter hieher bringen; ſo habe ich nichts dagegen, und glaube
wenigſtens annehmen zu koͤnnen, daß die amerikaniſchen Kolonien dieſen Weg genom-
men haben. Ohnedem bleibt nunmehr auch gewis, daß unſre nunmehr Angelandete ſich
nicht an dem naͤchſten Ufer ſogleich werden feſt niedergelaſſen haben. Sie folgten vielmehr
ihrer Gewonheit gemaͤs denſelben immer weiter nach, bis ſie endlich die aͤußerſten und ſuͤd-
lichſten Graͤnzen erreichten, und daſelbſt die ebne und fruchtbare Landſchaft Jsje antrafen.
Dieſe muſte nicht nur wegen ihrer ſanften Luft, ſondern auch wegen ihrer Abgelegenheit ſich
ihnen deſto mehr zur Wohnung empfehlen, da ſie hier ſich ſicherer als anderswo vor den
Nachſpuͤrungen andrer Haufen glauben konten, die noch Wohnungen aufſuchten. Jch
werde in dieſer Meinung noch dadurch beſtaͤrkt, daß die Japaner ſelbſt bis auf den heuti-
gen Tag die Provinz Jsje fuͤr die Wohnung ihrer erſten Eltern und Urvaͤter halten, und
ſie deswegen auch jaͤhrlich in heiligen Wahlfahrten beſuchen. Dies ſind alſo meine Ver-
muthungen uͤber den erſten Urſprung der japaniſchen Nation.


Wir werden ziemlich bei unſrer Materie bleiben, wenn wir hier nun auch noch et-
was uͤber den almaͤhligen Wachsthum dieſes Volks beifuͤgen. Es hat ſich ohne Zweifel
viele Jahre durch mit wilden Kraͤutern, Fiſchen, Schnecken u. ſ. w. ernaͤhrt, und dann ſowol
durch eigne Fortpflanzung, als auch viele aus Sina, Corey und andern umliegenden Laͤn-
dern hinzugekommene Fremde immer weiter vermehrt. Dies iſt daher wahrſcheinlich,
weil die japaniſchen Jahrbuͤcher in ſpaͤtern Zeiten und unter der Regierung ihrer Kaiſer
ſehr oft der gelehrten Sineſer erwaͤhnen, die ihnen Buͤcher und Wiſſenſchaften zugebracht
haben. Eine ſolche almaͤhlige Ueberkunft der Fremden erklaͤrt es dann aber auch ſehr gut,
daß ſo wenig fremde Worte in der japaniſchen Sprache ſich feſtgeſezt haben. Eine ſo
kleine Anzahl von Auslaͤndern konte natuͤrlich nicht Einflus genug aͤußern; ſondern wurde
durch die Menge der urſpruͤnglichen Bewohner gewiſſermaßen verſchlungen.


Noch muͤſſen wir bei der Bevoͤlkerung von Japan darauf rechnen, daß an die-
ſer mit der ungeſtuͤmſten See umgebnen kleinen Welt natuͤrlich ſehr oft verſchiedne Schiffe
antreiben und ſcheitern muſten, und daß die am Leben erhaltne dann faſt gezwungen waren,
bei den Einwohnern zu bleiben. So werden noch jezt faſt jedes Jahr durch Schifbruch
Leute an das japaniſche Ufer angetrieben, die man oft weder an der Geſtalt noch an der
Sprache erkennen kann; die auch ſelbſt von ihrem Vaterlande und erlittenem Unfalle nichts
zuſammenhaͤngendes vorzubringen wiſſen.


O 2Schon
[108]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Schon vor verſchiednen Jahrhunderten, fanden die Japaner, wie die Geſchichte
meldet, die an der Nordſeite Japans gelegne Jnſel Genkaiſima mit Oni oder ſchwar-
zen Teufeln
beſezt, die ſie beſtritten, vertilgten und das Land mit ihrer eignen Nation be-
ſezten. Ohne Zweifel waren dieſe Schwarze durch Sturm und Schifbruch an dieſe Jnſel
verſchlagen. Sie hatten lange ungebundne Haare, und man fand bei ihnen einen ſeltſamen
fremden Hausrath und unter denſelben auch europaͤiſche Filzhuͤte. Die Japaner hielten
ſie entweder wegen ihrer ſchwarzen Farbe aus Unwiſſenheit, — oder auch nach ihrer Art
alles fremde zu verachten, fuͤr Teufel. Sie pflegen nemlich ſehr oft alle andre Laͤnder der
Erde außer dem ihrigen Umikokf d. i. Teufelslande zu nennen. Jch glaube indeſſen
aus ihren langen Haaren, Filzhuͤten und andern Umſtaͤnden zu errathen, was dieſe Oni
fuͤr Landsleute waren, nemlich Maleyer. Denn dieſe zeichneten ſich vor allen andern altaſia-
tiſchen Voͤlkern durch lange Haare aus, und ſind auch die einzige Nation, welche in vorigen
Zeiten mit ihren Kaufſchiffen nach Oſten und Weſten, bis in die abgelegenſten Reiche von
Aſien und ſelbſt nach der afrikaniſchen Kuͤſte fuhr, und Handlung trieb. Jhr Koͤnig
hatte ſich daher den ſtolzen Titel: eines Herrn der Winde und Seen nach Oſten und
Weſten
beigelegt. Die weite Ausbreitung der maleyiſchen Nation wird auch dadurch be-
wieſen, daß noch jezt die Sprache derſelben in dem ganzen Aſien, ſoweit es von ſchwarzen
Nationon bewohnt wird, verbreitet, und noch mehr eine algemeine Sprache wie die fran-
zoͤſiſche in Europa iſt.


Die hohen Filzhuͤte aber, dle man bei den Oni fand, koͤnnen nirgend anders,
als in Europa, gemacht ſeyn. Schon von den aͤlteſten Zeiten her ſind ſie an den ſchwarzen
aſiatiſchen Hoͤfen von den hohen Bedienten als Zeichen ihrer Wuͤrde getragen, und werden
noch jezt von den Koͤnigen in Siam, Pegu, Cambodia aus eben der Abſicht an ihre
Lieblinge und Raͤthe verſchenkt. Sie wurden ehmals aus unſerm Welttheil bis Ormus
zu Land, und von da durch Maleyer, Armenier und andre ins Jnnere von Jndien ge-
bracht. Nachher brachten die Portugieſen die Filzhuͤte, (die in Europa jezt nicht mehr
gebraͤuchlich ſind) unmittelbar zur See in die indiſchen Lande. Nun hat es alſo leicht ge-
ſchehen koͤnnen, daß einige dieſer Huͤte den Geſtrandeten aus Genkaiſima in die Haͤnde
fielen, oder daß auch unter denſelben einige Vornehme waren, die ſie von ihren Koͤnigen
als Ehrenzeichen bekommen hatten und mit ſich fuͤhrten.


Noch ein zweites Beyſpiel einer durch Zufal geſchehenen Bevoͤlkerung erzaͤhlt die
japaniſche Geſchichte von einigen an der Suͤdſeite Japans gelegnen Jnſeln. Man fand
hier nemlich gleichfals ſchwarze Einwohner, die entweder von den Molucken oder maley-
iſchen
Kaufleuten und vermutlich durch Schifbruch hieher verſchlagen waren, und es ſich ge-
fallen ließen, dies neue durch das Gluͤck ihnen angewieſene Vaterland zu bewohnen.


Waͤh-
[109]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.

Waͤhrend meines Aufenthalts in dieſem Lande und kurz vor demſelben ſind ver-
ſchiedne unbekante Schiffe an der japaniſchen Kuͤſte geſtrandet. Es muſten in dieſem
Fal alle Perſonen, ſowol die am Leben blieben als die Todten, nebſt allem Schifsgeraͤth und
dem Boot, worin man die Ueberbliebnen gerettet hat, nach Nangaſacki als dem großen
Jnquiſitionsplatze gebracht werden. Die Guverneurs dieſer Stadt muͤſſen alsdenn die ungluͤkli-
chen auf das allerſchaͤrfſte und genaueſte, beſonders nach allen moͤglichen Umſtaͤnden der Stran-
dung verhoͤren. Um die Sprache und das Vaterland derſelben deſto beſſer ausforſchen zu
koͤnnen, werden auch die hollaͤndiſchen Reſidenten allemal zu dieſem Verhoͤr gezogen. Der
gegenwaͤrtige hatte die Gefaͤlligkeit auch meine Wenigkeit mit ſich zu nehmen.


Die Ueberbringung der Geſtrandeten geſchieht allemal auf Koſten des Landesherrn,
an deſſen Ufer ſie angeworfen werden; und zur Ehre des Kaiſers wird ſie mit einem koſt-
baren und pomphaften Aufzuge vorgenommen. Die merkwuͤrdigſten Beiſpiele ſolcher
Strandungen waͤhrend meines Aufenthalts in Japan ſind folgende: Eine Junke von
Manilhas mit Topaſen d. i. ſchwarzen Chriſten beſezt, ſtrandete an der Provinz Sa-
tzuma.
Viele waren in der See umgekommen, andre ließen am Ufer ihr Leben, drei ret-
teten es noch einige Zeit, und der lezte ſtarb hier zu Nangaſacki im Stadkerker von der
Arznei, die ihm die japaniſchen Aerzte gegeben hatten. Von einem andern an derſelben
Kuͤſte geſtrandeten kleinen Schiffe blieben drei ſchwarze Matroſen am Leben, die kein an-
der Wort als: Tobak, vorbringen konten. Sie wurden auf unſre Schiffe gebracht, damit
wir ſie nur aus dem Lande fuͤhren moͤgten. Noch ein Schif, das an dem Nordufer Japans
ohne Manſchaft angetrieben war, wurde hieher gebracht. Aus drei verdorbnen ſineſi-
ſchen
Charactern, die am Hintertheil eingegraben waren, und der ſeltſamen Bauart dieſes
Schifs ſchloſſen die Japaner, daß es von dem aͤußerſten Lande Jeſo angetrieben ſeyn
muͤſſe. Ein vor wenig Wochen an der Jnſel Rjuku zerſchmettertes Fahrzeug hinterlies
zwei Perſonen, die nach Satzuma und von da aus gewoͤhnlichem Reſpect fuͤr den Kaiſer
mit acht Convoiſchiffen, die dem Landesherrn einige 1000 Reichsthaler koſteten, nach Nan-
gaſacki
gebracht wurden. Sie waren große wohlgebildete Leute, nicht ſehr ſchwarz, den
Kopf auf polniſch geſchoren, ohne Bart, in jedem Ohr drei Loͤcher. Jhre ſitſamen Ge-
behrden, freyes, ofnes Geſicht, und zierliche Verbeugungen des Koͤrpers gaben zu erkennen,
daß ſie von vornehmen Stande ſeyn muſten. Und daß ſie einen geuͤbten, fertigen Verſtand
beſaßen, wurde dadurch bewieſen, daß ſie die großen und kleinen Jnſeln durch Niederle-
gung großer und kleiner Steine, nach ihrer Entfernung und Groͤße, auch mit Ausdruͤckung
der Nahmen, ungemein deutlich zu bezeichnen wuſten. Wahrſcheinlich aber moͤchten wohl
dieſe Kenzeichen eines guten Standes und Kopfes dieſen armen Menſchen ein ewiges Ge-
faͤngnis zuziehn. Jhre Geburtsinſel nanten ſie Patan.


O 3Darf
[110]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Darf man den Erzaͤhlungen der Japaner glauben, ſo iſt die noͤrdlichſte kleine
Jnſel Kubiteſima noch von einer nach der Geſtalt, der Sprache und den Sitten voͤllig
unbekanten Nation bewohnt, welche ſie Pygmaͤen, und nach dieſen auch die Jnſel be-
nennen. Es iſt aber ſchwerlich auszumachen, wie dieſe beſondere und ausgezeichnete Na-
tion hieher gerathen ſeyn mag. Jch wil nur noch dieſe Reihe von verſchlagnen Schiffen mit
dem erſten europaͤiſchen, das je in Japan geſehen iſt, beſchließen. Dies Schif war ein
portugieſiſches, das gar nicht die Abſicht hatte neue Laͤnder zu ſuchen, ſondern durch Sturm
an dieſe damals noch unbekante Kuͤſte verſchlagen wurde.


Ueberhaupt aber beweiſet die ſo große und ſichtbare Verſchiedenheit der Geſtalt der
Japaner in den verſchiednen Provinzen des Reichs ſchon ganz uͤberzeugend, daß in dem
erſten Stam dieſer Nation nach und nach verſchiedne fremde Zweige eingepfropft ſind.
Denn obgleich die Japaner im Ganzen (vorzuͤglich aber der gemeine Man auf Nipon)
kurze, ſtarke, ziemlich braune Menſchen ſind, dicke Augenlleder, und deswegen ſchmal-und
kleinſcheinende Augen*) auch ziemlich platte Naſen haben und meiſtens durch die Blattern
ſehr geſchaͤndet ſind; ſo findet man doch bei den edelſten und aͤlteſten Familien, den großen
Reichsfuͤrſten und hohen Beamten, gemeiniglich eine beſſere Geſtalt und eine hoͤhere, der eu-
ropaͤiſchen, mehr aͤhnliche Naſe. Die Landſchaften Satzuma, Ooſymi und Fjuga
bringen mittelmaͤßig große und ſtarke Menſchen hervor, von maͤnlicher Sprache und Weſen.
Von eben der Art ſind die Einwohner vieler nordlichen Provinzen, doch ſind ſie noch viel
rauher im Leben und Umgang. Die Osjuer beſonders ſind grauſam und unbarmherzig.
Die Einwohner auf Saikokf, beſonders in Fiſen, ſind kleine, zarte, ſchoͤne, und ſitſame
Leute. Die meiſten Bewohner der großen Jnſel Nipon, beſonders der oͤſtlichen Gegenden,
unterſcheiden ſich durch ihre muskuloͤſe kurze Natur, ihre ungemein dicke Koͤpfe und ziem-
lich fleiſchigte platte Naſen.


Um nun alles, was wir in dieſem Capitel weitlaͤuftig abgehandelt haben, kurz
zu wiederholen; ſo erhellet aus allem bisher ausgefuͤrten ohngefehr Folgendes: Wie bei
der Babiloniſchen Uneinigkeit die Gemuͤter und Sprachen verwirrt wurden, und die Grie-
chen, Gothen, Silaven und Celten nach Europa abreiſten; andre ſich durch Aſien ver-
theilten und ausbreiteten, wiederum einige bis in Amerika eindrangen: ſo begaben ſich auch
um eben dieſe Zeit die Japaner auf die Reiſe und kamen vermuthlich nach vieljaͤhriger
Wanderſchaft und ausgeſtandnem großen Ungemach endlich in dieſen aͤußerſten oͤſtlichen
Win-
[111]Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.
Winkel der Erde. Durch almaͤhligen Zuſaz aus fremden Landen und die zufaͤllige Ue-
berkunft vieler Auslaͤnder gediehen ſie nach und nach zu einem großen Volk, und lebten un-
ter poliarchiſcher Regierung nach der wuͤſten tatariſchen Hordenart viele Jahrhunderte durch,
bis ſie endlich einen algemeinen Koͤnig, nemlich den Dſin Mu Ten Oo uͤber ſich
erwaͤhlten.


Und ſo mus man alſo die Japaner nach ihrer Wurzel und erſtem Urſprunge fuͤr
eine ſelbſtſtaͤndige Nation halten, welche den Sineſern in Abſicht ihres Herkommens nichts
verdankt. Freilich haben die Japaner ihre Sittenlehre, Kuͤnſte und Wiſſenſchaften von
den Sineſern, wie die Roͤmer von den Griechen bekommen; allein nie nahmen ſie
weder von dieſer noch irgend einer andern Nation einen Ueberwinder oder Beherſcher an.



Siebentes Kapitel.
Vom Urſprung der Japaner nach ihren eignen fa-
belhaften Meinungen.



Die Japaner ſelbſt halten es fuͤr eine ihnen ſehr ſchimpfliche Meinung, wenn man
ſie aus dem Blute und Reiche der Sineſer oder irgend eines andern fremden Volks
ableiten wil. Sie wollen in ihrer eignen kleinen Welt entſproſſen ſeyn, doch nicht als Re-
genwuͤrmer und Maͤuſe aus der Erde, wie Diogenes, der Cyniker, den auf eben die Art ſtol-
zen Athenienſern vorwarſ; ſondern ſie erklaͤren ihre Entſtehung auf eine weit hoͤhere und
edlere Art. Sie leiten ſich nemlich aus dem Geſchlecht der Goͤtter und gleichſam aus der
Ewigkeit ab, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf. Doch behaupten ſie nicht, daß ſie ewig
da geweſen, ſondern daß ſie aus der erſten Bewegung des Chaos durch goͤtliche Kraft ent-
ſprungen waͤren. Sie geben, um dies begreiflich zu machen, zwei verſchiedne Genealogien
ihrer Gottheiten an.


Die
[112]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Die erſte iſt ein Geſchlecht himliſcher Geiſter und ganz unbefleiſchter Goͤtter, wel-
che eine ganz unbegreiflich und unbeſtimt lange Zeit die Welt, d. i. Japan regiert haben.
Die andre Genealogie beſteht aus einer Reihe irdiſcher Geiſter oder Menſchgoͤtter, welche
gleichfals die japaniſche Welt, einer nach dem andern, eine ſehr lange doch aber beſtimte und
gewiſſe Zeit regiert haben. Aus dieſen entſtand dann nun zulezt das Menſchengeſchlecht
japaniſcher Nation. Es wird der Muͤhe werth ſeyn, aus den Buͤchern der Japaner hier
dieſe Goͤttergeſchlechter deutlicher vorzulegen. Sie ſtellen die erſten Beherſcher der japani-
ſchen Welt
nicht mit eigentlichen, ſondern verbluͤmten Lobnamen vor, ohne weiter von ih-
rem Leben und Handlungen etwas zu beſchreiben, oder die Dauer ihrer Regierungszeit zu
beſtimmen. Sie folgen in dieſer Ordnung auf einander:


  • I.Ten D Sin Sitzi Dui: d. i. himliſcher Goͤtter ſieben Ge-
    ſchlechte.

Dieſe ſieben Geſchlechte ſind:


  • 1) Kuni to Ko Dat Sji no Mikotto.
  • 2) Kuni Sat Su Tſjino Mikotto.
  • 3) Tojo Kun Nu no Mikotto.

Dieſe drei Goͤtter ſind beſtaͤndig ohne Weiber geweſen. Aber die vier folgenden
haben durch Huͤlfe ihrer Gemalinnen, doch ohne Beiſchlaf, auf verborgene Weiſe ihre Nach
folger gezeugt, und ihr Geſchlecht fortgepflanzt.


  • 4) Utſji Ni no Mikotto.
    und ſeine Gemalin.
    Sufitſi Nino Mikotto.
  • 5) Oo Tono Tſi no Mikotto.
    Und ſeine Gemalin.
    Oo Toma Feno Mikotto
  • 6) Oo mo Tarno Mikotto.
    Und ſeine Gemalin.
    Ooſi Wote no Mikotto.
  • 7) Jſanagi no Mikotto.
    Und ſeine Gemalin.
    Jſanami no Mikotto.

Die
[113]Siebent. Kap. Vom Urſprung der Japaner ꝛc.

Die Japaner ſtellen dieſe ſieben Geſchlechter als bloße geiſtige Weſen, und ihre
Geſchichten wie Traͤume vor. Sie behaupten indes, daß ſie gewis und zuverlaͤſſig waͤren,
ob ſie gleich ohne alle Zeitbeſtimmung in ihren Geſchichtbuͤchern vorgetragen werden, und
unſerm Verſtand unbegreiflich ſind, ja als ganz unmoͤglich vorkommen.


Die zwei lezteren goͤtlichen Gatten Jſanagi nemlich und Jſanami werden von ih-
nen fuͤr die zwei erſten Erzeuger aller Einwohner der Welt gehalten; nicht zwar der großen
ihnen vor Alters ganz unbekanten, ſondern nur der kleinen Welt Nipon. Mikotto iſt
ein ehrerbietiger Beiname, der der monarchiſchen Herrlichkeit der erſten Goͤtter eigenthuͤm-
lich vorbehalten wird, ob er gleich zuweilen auch wol aus Ehrerbietung dem Namen der ur-
alten geringern Goͤtter beigefuͤgt wird.


Chriſtliche Japaner pflegen den Jſanagi und die Jſanami den Adam und Eva
von Japan zu nennen. Sie ſollen ihren Siz vornemlich in der Provinz Jsje gehabt ha-
ben. Doch weis man eben ſo wenig Nachricht von ihrem Tode und leztem Auffenthalt,
als von der Beſchaffenheit und den Umſtaͤnden ihrer Geburt zu geben.


Das einzige und zuverlaͤßige, was von dieſem praͤadamitiſchen Adam erzaͤhlt
wird, iſt dieſes, daß er zuerſt durch die Bewegungen des Vogels Sekire, oder gemeinig-
lich Jſitataki d. i. Steinſchlager (bei uns Zwickſteers) genant, veranlaſt ſey, ſeine
Gemalin auf eine fleiſchliche Weiſe zu erkennen, und in der Provinz Jsje zuerſt auf menſch-
liche Weiſe Soͤhne und Toͤchter, doch von halb goͤttlicher Art und von einem andern Ge-
ſchlechte als das ſeinige zu zeigen. Der aͤlteſte unter Jſanagi’s Soͤhnen wurde durch
das vaͤterliche Recht der Erſtgeburt, ſo wie es noch in der jetzigen erbkaiſerlichen Linie des
dritten menſchlichen Geſchlechts bis auf den heutigen Tag gebraͤuchlich iſt, ein Regent und
Vorſteher der andern.


  • II. Das zweite Geſchlecht der Gottmenſchen wird wegen fuͤnf Abkoͤmlinge oder
    Glieder genant:
    • Dſi Sin go Dai, d. i. irdiſcher Goͤtter fuͤnf Geſchlechte. Dieſe
      ſind folgende:
      • 1) Ten Sio Dai Dſin, oder nach der gemeinen Sprache, Ama Teru
        Oon Gami,
        welches nach den Charaktern, mit denen dieſer Name ausgedruͤkt wird, be-
        deutet, himmelſtralender großer Geiſt. Er iſt der aͤlteſte und allein fruchtbare Sohn,
        durch welchen dieſe unterhimliſche kleine Welt zuerſt mit Menſchen beſamt iſt; und zwar
        nicht mit ſchlechten und gemeinen, ſondern mit Menſchen von halbgoͤttlichem, und alſo viel
        edlerm und volkomnerm Weſen. Nachdem dieſe die Welt viele Millionen Jahre regiert
        Pund
        [114]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
        und bewohnt hatten, brachten ſie endlich eine neue Geburt, nemlich die jetzigen kurzlebenden
        Menſchen hervor.
      • Von des Ten Sjo Dai Dſin Blute ſtammen urſpruͤnglich alle Geſchlechter der japa-
        niſchen Nation
        her, weil ſeine Bruͤder ohne Erben abgegangen ſind. Auch noch die jetzi-
        gen japaniſchen Erbkaiſer, die es aber eigentlich nur dem Namen nach ſind, leiten ihre
        rechtmaͤßige Succeſſion und Herſchaft uͤber Japan von dem Ten Sjo Dai
        Dſin
        ab.
      • Die Tradition ſagt von ihm, daß er waͤhrend ſeiner Herſchaft durch maͤchtige
        Thaten, und, nachdem er ſich dem Geſicht der Welt entzogen hatte, durch kraͤftige Wunder
        genung bewieſen und geoffenbart habe, daß er der maͤchtigſte aller einheimiſchen Goͤtter Ja-
        pans, das Licht, die Kraft, das Vermoͤgen und Weſen in und uͤber der unterhimliſchen
        Natur ſey, und der es alſo verdiene als ein Gott verehret und angebetet zu werden. Man
        ſagte mir, daß ſo gar andre Religionsverwandten und auch die Philoſophen und Atheiſten
        Ehrerbietung fuͤr den Namen und das Grab dieſes erſten Religionsſtifters bezeugten. Der
        Ort, wo er ehmals wohnte, und wo noch jezt ſein Gedaͤchtnistempel iſt, wird von ſeinen
        Landsleuten jaͤhrlich mit einer heiligen Wahlfahrt beſucht. Auch faſt in jeder Provinz und
        großen Stadt iſt ihm zu Ehren ein Tempel erbauet, welcher von allen andern der Landesre-
        ligion gewidmeten Goͤtzentempeln am meiſten mit der groͤſten Demuth und mit der Hofnung,
        vielen irdiſchen Segen zu erhalten, beſucht wird.
      • Der Ehegatten dieſes Menſchgottes und der zunaͤchſt folgenden wird in den heili-
        gen Buͤchern gar nicht erwaͤhnt. Man legt ihm aber eine Regierung von einigen 100,000
        Jahren bei, nach welcher ihm zunaͤchſt ſein aͤlteſter Sohn folgte.
    • 2) Oo ſi Wonino Mikotto.
      Mit einem groͤßern Titel heiſt er:
      Mas ſai jafu Katz Katz fai jafi Ama ni Ooſi wo nino Mikotto.
      Dieſem folgte:
    • 3) Ni ni Ki no Mikotto.
      Oder mit mehr ruͤhmlichen Beiworten:
      Amat ſu Siko ſiko Fono Ni Niki no Mikotto.
      Dieſes Nachfolger war:
    • 4) De Mi no Mikotto.
      Oder laͤnger:
      Fiko foo foo Demino Mikotto.
      Der lezte dieſes langlebenden Geſchlechts endlich iſt

    5) Awa
    [115]Siebent. Kap. Vom Urſprung der Japaner ꝛc.
    • 5) Awa ſe Dſuno Mikotto.
      Oder mit volſtaͤndigerm Titel:
      Fuki Nagiſa Take Ugei Ja Kuſſa Fuki Awadſe Dſuno Micotto.
    • Seine Regierung beſchlieſt dieſe zweite und ſilberne Zeit der Menſchgoͤtter, von
      denen ich noch im erſten Kapitel des folgenden Buchs mit mehrerm reden werde.

Dies alſo ſind die beiden Goͤttergeſchlechter, aus denen die Japaner vorgeben ent-
ſproſſen zu ſeyn. Des erſten Geſchlechts erſter Geiſt, ſagen ſie, ſey in der erſten Bewegung
und Gaͤhrung des Chaos aus deſſen allerſubtileſten Kraft am erſten hervorgekommen. Her-
nach aber ſey aus dem vorhergehenden Geiſte allemal der nachfolgende auf eine verborgene
Weiſe, oder auch nach anderer Erklaͤrung durch die Bewegung und Kraft der himliſchen
und unterhimliſchen Elemente hervorgebracht und gezeugt worden, bis die beiden leztern
Jdeen endlich gleichſam in ein leibliches Weſen verwickelt worden, und den Anfang einer
fleiſchlichen Zeugung gemacht haͤtten. Hieraus entſtand das zweite Geſchlecht der Weſen,
die halb Goͤtter halb Menſchen waren. Dieſen waren indes die ihnen mitgetheilten goͤtlichen
Kraͤfte ſo nuͤzlich, daß ihr Leben das Ziel des jetzigen menſchlichen Lebens weit uͤberſchritt;
bis endlich der fuͤnfte und lezte dieſer Halbgoͤtter ein drittes Geſchlecht der jetzigen japa-
niſchen
Menſchen hervorbrachte.


Der Erſtgeburt aus dieſem Geſchlecht, welche aus Awaſedſun entſproſſen iſt,
in abſteigender Linie, und in deren Abgang dem naͤchſten Erben iſt, nach dem Glauben der
Japaner, ein uͤbermenſchliches Anſehn und die Herrſchaft uͤber alle Menſchen verliehn.
Dieſer Glaube wird durch den Nahmen Oo Dai d. i. die großen Geſchlechter ausgedruͤkt.
Die aus dieſem Geſchlecht abſtammenden heißen aber nun nicht mehr Mikotto, ſondern
mit einem ihrer Herrſchaft und ihrem Stamm eignen Nahmen, Mikaddo d. i. Kaiſer;
oder Ten Oo d. i. Himmelsfuͤrſt oder Tenſin d. i. Himmelskind oder Tee, Prinz;
auch fuͤhren ſie wohl zuweilen den Namen des ganzen kaiſerlichen Hofes Dairi.


Dies iſt alſo die Tradition der Japaner, die ihnen eben ſo theur iſt, und eben
ſo heilig und unſtreitig wahr von ihnen gehalten wird, als nur immer die Wahrheit der
bibliſchen Geſchichte von den Chriſten. Sie iſt indes ſo beſchaffen, daß ſie vor einem ein-
zigen Blik des geſunden Menſchenverſtandes von ſelbſt zerfaͤlt, und alſo gar keiner Wieder-
legung bedarf.


Vielleicht koͤnte jemand, um dieſe japaniſche Geſchichte mit unſrer gewoͤhnlichen zu
vereinigen, auf die Jdee kommen, daß vielleicht unter dem zwiefachen Goͤttergeſchlecht das
guͤldene und ſilberne Zeitalter, oder die erſten Menſchen vor und nach der Suͤndfluth ver-
P 2ſtanden
[116]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
ſtanden waͤren. Dies laͤſt ſich aber ſchwerlich annehmen, da die Geſchichte und Lebenszeit
dieſer Goͤtter ſehr weit uͤber die Erſchaffung der Welt hinausgeht, und alſo einen zu weiten
Strich in die Ewigkeit hineinlaͤuft.


Es ſcheint indeſſen bei dieſer ganzen Chronologie, daß die Japaner den Aegyp-
tern, Chaldaͤern, Brahmanen
und andern, die aus Ruͤhmſucht und Nacheiferung immer
ihre eigne Nation und Beherrſcher alt machten, nicht haben nachgeben, den Sineſern ih-
ren Nachbarn aber es haben zuvor thun wollen. Daher haben ſie den erdichteten Stifter
ihres Gefchlechts den Tenſio Dai Dſin dem erſten und erdichteten Stifter der Sineſer,
dem Sin Kwo Si (oder Tien Hoam Tſji nach ſineſiſcher Ausſprache) noch viele 1000
Jahre in ihren Chronologien vorgeſezt. Sie wolten ohne Zweifel beſonders dadurch der
Lehre, daß ſie von den Sineſern herſtamten, vorbeugen und verhuͤten, daß ihnen ihr Erz-
vater nicht genommen und zu einem Fremden gemacht wuͤrde. Zu noch groͤßerer Sicher-
heit haben ſie dennoch das noch aͤltere Stamregiſter der unkoͤrperlichen Goͤtter vorhergehn
laſſen, und dieſen ihre Entſtehung in dem Urſprunge und Erſchaffung aller Dinge angewieſen.
Hierdurch glaubten ſie ſich dann hinlaͤnglich zu einer ganz unabhaͤngigen, urſpruͤnglichen
Nation erhoben zu haben.


Jndes wiſſen die guten Leute doch nichts befriedigendes zu antworten, wenn man
ihnen einige Einwuͤrfe wider die Wahrheit ihrer angeblichen Geſchichte macht; z. E. wenn
man ſie nach der Urſache fraͤgt, warum doch Twa Dſedſuno, der lezte ihrer ſo großen
und volkomnen Menſchgoͤtter, ein ſo ſchwaches Geſchlecht der jetzigen kurzlebenden Menſchen
habe hervorbringen koͤnnen? Eben ſo wenig wiſſen ſie es zu erklaͤren, warum man vor ih-
rem erſten wuͤrklichen Kaiſer gar nichts von dem Zuſtande ihres Volks, ihres Landes und
ihrer Vorfahren beſchrieben finde? Dies hat in der That ſogar einige ihrer eignen Schrift-
ſteller bewogen, daß ſie dieſe japaniſche kleine Welt Ataraſy Kokf oder Sinkokf d. i.
Neuland nennen, als waͤre es zur Zeit dieſes erſten Kaiſers zuerſt entdekt und bevoͤlkert
worden.


Soviel iſt gewis, daß die Sineſer in dieſer Abſicht einen ſehr großen Vorzug vor
den Japanern haben. Der erſtern ihre Zeitrechnung geht auf mehr als 4000 Jahre von
jezt hinaus. Seit dieſer Zeit haben ſie beſtaͤndig ihre Geſchichte, Kaiſer, deren Alter und
Regierung nebſt vielen denkwuͤrdigen Reichsbegebenheiten aufgezeichnet. Jn Japan aber
hat man dieſes erſt 660 Jahr vor Chriſti Geburt, von der Zeit ihres erſten Odai oder
Mikaddo zu thun angefangen.


Da aber damals in dieſem Lande ſchon eine ſo maͤchtige Monarchie geſtiftet wurde,
da ſchon einige Menſchenalter hernach, nach dem Zeugnis ihrer Chroniken, hier große in-
nere
[117]Siebent. Kap. Vom Urſprung der Japaner ꝛc.
nere Kriege gefuͤhrt wurden; da die Japaner durch Hungersnoth auch oft viele 1000
Menſchen verlohren: ſo folgt daraus offenbar, daß ſie nicht damals zuerſt hier entſtanden
ſeyn koͤnnen, ſondern ſchon viele Jahrhunderte vorher in dieſem Lande gewohnt und eine
zahlreiche Nation ausgemacht haben muͤſſen. Man muͤſte ſonſt annehmen, daß ſie kurz
vorher ein andres großes Reich verlaſſen und dieſes Land bezogen haͤtten, oder auch ploͤzlich
wie Erdſchwaͤmme aus der Erde hervorgekommen waͤren. Beide Meinungen ſind, wie
man ſieht, laͤcherlich. *)


Die wahrſcheinlichere Meinung iſt vielmehr, daß die Japaner nach der Lage der
Landſchaften, welche durch Berge, Stroͤhme und Seen von einander getrennt ſind, in viele
Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich
der gluͤkliche japaniſche Ninus Dſin Mu Ten Oo durch Liſt, Gewalt, oder freye Wahl
der Herr der ganzen Nation wurde, und ſie unter einer monarchiſchen Regierungsform
vereinigte.


Seit dieſem ihrem erſten Monarchen beſchreiben die Japaner die Thaten und Be-
gebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der Dadſino
Mikotto
unter den himliſchen Goͤttern wie der Tendſjo Daioſjn unter den irdiſchen Goͤt-
tern, ſo iſt dieſer erſte Monarch Dſin Mu Ten Oo unter den Menſchen der erſte und
groͤſte. Jn ſeiner Familie iſt denn auch das Recht der kaiſerlichen Gewalt, die Ausuͤbung
nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, nebſt einem anbetenswuͤrdigen Anſehn erblich
geblieben bis zu dem jezt regierenden 114ten Mikaddo, dem Kin ſan Kwo tei.


Dieſe Herrſchaft hat alſo bis zu dem Jahre unſrer Zeitrechnung 1700 gewaͤhrt
2360 Jahre.



P 3Achtes
[118]

Achtes Kapitel.
Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder, und ihren
Mineralien.



Clima.


Es ruͤhmt ſich dieſes Reich eines geſunden Climas. Die Luft aber iſt ſehr ungeſtuͤm,
durchgehends kalt und des Winters mit vielem Schnee beladen; allein doch in den
Hundstagen unertraͤglich heiß. Der Himmel iſt das ganze Jahr durch mildreich in Be-
waͤſſerung des Landes, beſonders in den Monaten Junius und Julius; welche bei ihnen
deswegen Satſuki d. i. Waſſermonden genant werden. Doch faͤlt der Regen nicht ſo an-
haltend, noch ſo genau auf beſagte Zeiten, daß ich es einer indiſchen Witterung vergleichen
moͤgte. Auch Donnerwetter hoͤrt man hier nicht ſelten.


See; Strudel u. ſ. f.


Die umgrenzende See iſt vielen Sturmwinden unterworfen, mit vielen Klippen
ober und unter dem Waſſer beſezt, und deswegen gefaͤhrlich zu beſchiffen. Es giebt in
demſelben zween gefaͤhrliche, merkwuͤrdige Strudel. Der eine, Faiſaki genant, liegt unter
Amakuſa bei Simabari, und wird nur zwiſchen Ebbe und Fluth gemieden: weil alsdenn
derſelbe, da er vorhin mit der See in gleicher Flaͤche geſtanden, nach einigen gewaltſamen
Drehungen, ploͤzlich in eine Tiefe von funfzehn Klaftern (wenn man es glauben darf) einfaͤlt,
und die unwiſſende Fahrzeuge auf ſeinen Klippengrund herunter reiſt und zerſchmettert. Die
Stuͤcke ſollen einige Meilen davon oder auch gar nicht wieder hervorkommen. Der andere
Strudel, Narroto genant, liegt ohnweit Kinokuni bei der Provinz Awa; man heißet ihn des-
wegen
[119]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder ꝛc.
wegen Awano Narroto, d. i. das Geraͤuſch von Awa; weil nemlich das Waſſer mit großer
Gewalt und beſtaͤndigem Rauſchen ſich um ein klippichtes Jnſelgen drehet, und ſolches unauf-
hoͤrlich erſchuͤttert. Dieſer Strudel ſcheint ſehr fuͤrchterlich, wird aber nicht fuͤr gefaͤhrlich ge-
halten, weil man ſein erſchroͤkliches Geraͤuſch von ferne hoͤrt, und ihn deswegen leichter
vermeiden kan. Wegen dieſer bewundrungswurdigen Natur und Bewegung wird der
Narroto in ihren Uta, oder Liedern, und in nachdenklichen Reden ſehr oft angefuͤrt. Man
ſieht auch im japaniſchen Meer bisweilen Waſſerhoſen, die aus der See ſich erheben, und
uͤber das Land wegſtreichen. Man mahlet ſie ab wie einen Drachen mit einem Waſſer-
ſchwanze; und glaubt daß es ein Waſſerdrache ſey, der mit gewaltſamen Drehungen in
der Luft fahre, und nennt deswegen dieſe Wirbelwinde Tats Maki d. i. Drachenwirbel.


Boden.


Der japaniſche Boden iſt mehrentheils uneben, mager, felſigt und bergigt; aber
durch unverdroſſenen Fleis der Einwohner fruchtbar gemacht. Doch nicht ſo ſehr, daß er
ſeine Bewohner, ohne Beihuͤlfe desjenigen, was die See an Fiſchen, Muſcheln und man-
cherlei Seekraͤutern hergiebt, koͤnte Narung geben: wozu noch außerdem die nicht urbaren
Berge und ſteinigte Gruͤnde beitragen muͤſſen, durch Wurzel und wilde Kraͤuter; welche
aus Duͤrftigkeit ihre Vorfahren gelernt haben zu bereiten und eßbar zu machen. Bei die-
ſen Umſtaͤnden kan man wohl glauben, daß die Japaner bei ihrer maͤßigen Lebensart mit
allen nothwendigen Lebensbeduͤrfniſſen verſehen ſind; und daß dieſes aͤußerſt volkreiche Land
ohne die geringſte Huͤlfe aus fremden Laͤndern, als eine abgeſonderte kleine Welt, wohl
beſtehn kan, ſo lange die Unterthanen bei ihrem Ackerbau und Nahrung in Ruhe gelaſſen
werden.


Fluͤſſe.


Das Land iſt mit vielen ſuͤßen und waſſerreichen Stroͤmen verſehen, deren viele
wegen der hohen Gebirge, von welchen ſie herabſtuͤrzen, und der oftmahligen Plazregen ſo
ſchnel fließen, daß man nicht wohl heruͤber kommen kan. Die beruͤhmteſten derſelben ſind
folgende: 1) der gefaͤhrliche Ujingava oder Ujinflus. Er iſt ohne Bruͤcke; eine gute Viertel-
meile breit, und mus durchgewatet werden: er hat auf ſeinem Grunde große Triebſteine
und faͤlt mit einer großen Macht Waſſers wie ein Pfeil herab. Ohne kuͤndige dazu beſtelte
Fuͤhrer, deren fuͤnfe bei knietiefem Waſſer ein Pferd durchfuͤhren muͤſſen, kan man nicht
hindurch reiten. Wenn dieſe Fuͤhrer jemanden verlohren gehen laſſen, ſo koſtets ihnen ihr
Leben. 2) Der Oomifluß; er iſt deswegen beruͤhmt, weil er nach dem Zeugnis der Ja-
paniſchen Chroniken im Jahr 285 vor Chriſti Geburt in der Provinz, wovon er ſeinen Na-
men
[120]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
men fuͤhrt, auf einmal und in einer Nacht entſtanden iſt. 3) Der Askagana wird fuͤr
merkwuͤrdig gehalten, weil er die Tiefe ſeines Grundes ſtets veraͤndert: und dient daher
den Dichtern und Liebhabern zu allerlei Anſpielungen.


Erdbeben.


Der japaniſche Boden wird auch oft von Erdbeben erſchuͤttert; aber aus Gewohn-
heit daſelbſt ſo wenig geachtet, wie bey uns ein Donnerwetter. Das gemeine Volk ſagt: es
krieche wieder ein Walfiſch unter dem Lande her, und habe nichts zu bedeuten. Nicht ſelten
aber iſt die Erſchuͤtterung ſo heftig und anhaltend, daß davon die Gebaͤude, zum großen
Ruin der Staͤdte und mit Verluſt von vielen tauſend Menſchen, uͤber einander fallen. Ein
ſolches Ungluͤk hat ſich bei der Anweſenheit der Pater Ludwig Froes*) im Jahr 1586
(nach ſeiner Erzaͤhlung im Opere de rebus Japonicis collecto a Joh. Hayo) und auch
nach der Zeit einige mal zugetragen. Und noch im Jahr 1704 ſchrieb mir aus Batavia
ein Freund, der von Japan zuruͤkgekommen war, daß im vorigen Jahre daſelbſt ein ſo ſchrek-
liches Erdbeben geweſen ſey, daß die große Stadt Jedo, welche am mehreſten gelitten,
nebſt der kaiſerlichen Reſidenz, in Truͤmmern liege: wobei mehr als 200,000 **) Menſchen
durch den Ruin und durch zugleich entſtandene Feuersbruͤnſte, das Leben eingebuͤßet haͤt-
ten. Es iſt zu bewundern, daß einige einzelne Oerter in dieſem Reich niemals vom Erd-
beben erſchuͤttert worden. Man ſchreibt dieſes der Heiligkeit derer Oerter, und dem
Schuz des daſelbſt herſchenden Goͤtzen oder Geiſtes zu: andere raiſonniren, dieſe Oerter
ruheten auf der Grundveſte des unbeweglichen Erdcentrum. Unter beſagte Oerter werden
gezaͤhlt: die Jnſeln Gotho, die kleine Jnſel Sikuouſima, wo der erſte und vornehmſte
Bonzen Tempel erbauet iſt, der beruͤhmte mit Kloͤſtern beſezte Berg Kojaſan, und viel-
leicht noch wenige andere.


Schwefel, brennende Berge, heiße Quellen.


Der Reichthum des japaniſchen Bodens, worin er alle bekante Laͤnder der Welt uͤber-
trift, beſteht in vielerlei Mineralien: beſonders in den vornehmſten Metallen, Gold, Sil-
ber
[121]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder. ꝛc.
ber und Kupfer. Der Schwefel, die Mutter der Metalle, zeigt ſich an vielen Orten durch
rauchende Berge, Thaͤler, warme Baͤder, und wird auch ſelbſt in Subſtanz gefunden.
Um einige dieſer Oerter anzufuͤhren, wil ich von unſerer alten Niederlage Firando den An-
fang machen. Nicht weit davon liegt ein felſichtes Jnſelgen; eine von denen, welche we-
gen ihrer Menge den Namen Kiu Siu Kuſima, d. i. 99 Jnſeln fuͤhren, dieſe Jnſel, ſo
klein und geringe ſie auch iſt, brent doch ſeit vielen Jahrhunderten beſtaͤndig fort, ob ſie
gleich mitten in der See liegt. Auf einer andern Jnſel, welche Satzuma gegen uͤber liegt,
und von den Japanern mit dem portugieſiſchen Namen Fuogo und von den unſrigen
Vulkanus genant wurde, ſieht man gleichfals ein immerbrennendes Feuer. Figo zeigt
eine Gruft, welche vor dieſem gebrant, jezt aber aufgehoͤrt hat, nachdem ſie ihre Nahrung
verzehret. Jn derſelben Provinz befindet ſich auch ein Ort, Namens Aſo, woſelbſt der
beruͤhmte Tempel Aſa no Gongen, d. i. der eifrige Gott von Aſo, zu ſehen iſt. Bei die-
ſem Tempel ſteigt ſtets aus der Spitze des anliegenden Berges eine halbe Flamme empor;
welche aber doch mehr des Nachts als bei Tage ſichtbar iſt. Jm Lande Tſikuſen bei Ku-
ganoſſe brent ſeit undenklichen Jahren eine Grube: es iſt aber eine Steinkohlenmine, die
durch Unvorſichtigkeit eines Arbeiters in Brand gerathen iſt. Der beruͤhmte Berg Fuſi in
der Provinz Suruja, dem an Hoͤhe nur der canariſche Berg Teneriffa, an Geſtalt und
Schoͤnheit aber keiner in der ganzen Welt, wie ich glaube, zu vergleichen iſt, laͤſt aus der Hoͤhle
ſeines oben mit Schnee bedekten und ewig grauen Hauptes zuweilen einen Rauch, wie aus
einem Schornſtein, aufſteigen: wiewol ſein immerwaͤhrender Schnee oft einen falſchen
Rauch vorſtelt. Die Geſchichte meldet, daß er vordem aus ſeiner Hoͤhe gebrant habe, bis
er zur Seiten geborſten, geſprungen, und ſeine Flamme verloͤſcht ſey. Unſen, ein großer
unfoͤrmiger, breiter und nicht gar hoher Berg Simabara, iſt kahl, weis, ſchwefelicht und
gleichſam eine ausgebrante Maſſe, raucht wenig, doch habe ich ſeinen aufſteigenden Dampf
uͤber drei Meilen ſehen koͤnnen. Er hat an vielen Orten einen heißen Boden, welcher da-
bei los und loͤchericht iſt, daß man nicht ohne Furcht darauf gehn kan; ausgenommen we-
nige Oerter, wo einzelne Baͤume ſtehen. Es kan hier wegen des ſchwefelichten Geſtankes
kein Vogel leben: *) wenn es regnet, ſcheint der ganze Berg zu kochen: auf und um den-
ſelben ſieht man viele, ſo wol kalte als kochende heiße Waͤſſer und Quellen; und unter den-
ſelben ein großes feuerheißes Bad, welches die Kraft hat, das Ferment des ſpaniſchen Gif-
tes anzunehmen: wenn man nemlich wenige Tage nach einander ſich einige Augenblicke
hineinſezt, oder den Leib darin abſpuͤlt; zuvor aber mus der Kranke die Cur mit einem ge-
Qlin-
[122]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
lindern, einige Meilen davon gelegenen Bade, Obamma genant, angefangen haben: und
zugleich waͤhrend der ganzen Cur warme Speiſen genießen, den Leib warm halten, und
nach gebrauchtem Bade zum Nachſchwitzen ſich bedecken. Einige Feldſtraßen von dieſem
heißen Bade liegt ein Kloſter der Secte Tendai, welches jedem heißen Brunnen den Na-
men eines gewiſſen Purgatorii fuͤr dieſe oder jene Beamte und Handwerksleute beigelegt hat:
und zwar nach einiger Aehnlichkeit des Waſſers, Schaums, Geraͤuſches, Grundes u. ſ. f.
mit einer Profeſſion. So ſollen die betruͤglichen Bier oder Saki Brauer in der Tiefe
eines truͤben Brunnens wohnen: die Kuchen- oder Mange Becker in einem Brunnen, wel-
cher dergleichen weißen Schaum auswirft: die Zaͤnker in einem Brunnen, der mit unter-
irdiſchem tiefen Gelaͤut ſein Waſſer aufwirft u. ſ. f. welche Erzaͤhlungen einfaͤltige Leute an-
hoͤren, und den Moͤnchen dafuͤr Almoſen ertheilen.*) Dieſes iſt der Berg, wohin man
vor Zeiten die neuen Chriſten gefuͤhrt, und mit dem heißen Bade gepeinigt, um ſie wieder
zum Abfal zu bringen. Unter den warmen Baͤdern iſt, außer dem kurz zuvor beruͤhrten,
Obamma eines der heilſamſten und beruͤhmteſten; welches von jenen drei Meilen weſt-
waͤrts liegt. Es heilet vielerlei aͤußerliche und innerliche Gebrechen; und unter andern
auch durch Baden und Schwitzen die Franzoſen, welche aber oft nach kurzer Zeit wieder
aufbrechen, wie ich glaube, weil man weder die Cur dieſer Krankheit, noch den Gebrauch
der Baͤder recht verſteht. Figo hat verſchiedene warme Baͤder, bei welchen, wie man
ſagt, große Campherbaͤume ſtehen ſollen, die hohl und vol Waſſers ſind; das vornehmſte
und heilſamſte iſt ein ſuͤßes Bad an obbenantem Tempel Aſo. Jn Fiſen giebts ein waſ-
ſerreiches warmes Bad, im Dorfe Takijo; auch ein kleineres im Flecken Uruſinoi; beide
heilſam, wenn man ſie zu gebrauchen wuͤſte. Ueberhaupt habe ich in ganz Aſien angemerkt,
daß keine Baͤder laͤnger als drei oder ſehr ſelten und hoͤchſtens acht Tage gebraucht werden.
Und wenn denn hiernaͤchſt das Uebel wieder aufbricht, beſchuldigt man die Unwirkſamkeit
des Waſſers.


Den mehrſten Schwefel liefert das Land Satzuma, aus einer in ſeinem Gebiet
liegenden kleinen Jnſel, Namens Jwogaſima, d. i. Schwefelinſel, welche etwa vor 100
Jahren erſt entdekt worden. Denn da ſie in der Zeit wegen des vielen Dampfs und der wun-
derlichen Erſcheinungen fuͤr einen Wohnplaz der Teufel, und die Gebirge fuͤr unerſteiglich ge-
halten wurden, hat ſich ein gemeiner Mann erkuͤhnet, nach ausgebetener Freiheit, den Zu-
ſtand
[123]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder ꝛc.
ſtand dieſer Jnſel zu unterſuchen. Er beſtieg ſie mit funfzig Mann; fand aber weder Geiſt
noch Hoͤlle, ſondern auf ihrer Hoͤhe einen flachen ſo ſehr ſchwefelreichen Boden, daß, wo
man hintrat, Dampf hervorkam. Dieſer Boden bringt jezt fuͤr Schwefel ſeinem Beſitzer
uͤber zwanzig Kiſten Silber ein; und das Holz, welches am Ufer waͤchſt, traͤgt gleichfals
ſeinen Vortheil bei.


Das Land Simabara, beſonders die Gegend des oben bemeldeten warmen Ba-
des, bringt auch einen natuͤrlich reinen Schwefel hervor, welcher aber aus Ehrfurcht, den
daſelbſt herſchenden Geiſt zu erzuͤrnen, nicht geſamlet noch beruͤhrt wird; weit man gefun-
den, daß er denſelben nicht entbehren wolle. Mehrere andere Oerter nicht zu erwaͤhnen,
weil ſie mir nicht hinlaͤnglich bekant ſind.


Gold.


Gold liefern die Berge und Thaͤler verſchiedener Landſchaften. Es wird ſolches
theils aus ſeinem eignen Erz, theils aus gewiſſem Sande, und auch nicht weniges *) aus
dem Kupfer geſchieden und herausgebracht. Der Kaiſer uͤbet uͤber die Gold- und alle an-
dere Minen im Reiche die Macht aus, daß ſie ohne ſeinen Befehl und Erlaubnis nicht
duͤrfen geoͤfnet und bearbeitet werden. Wenn das Arbeiten erlaubt iſt, ſo bekoͤmt er zwei
Theile des Ertrags; und der Landesherr, als Beſitzer des Grundes, den dritten Theil. Doch
weis dieſe den Vortheil ſchon gleich zu machen.


Sador, eine noͤrdliche Provinzialinſel, giebt das reichſte Erz und feinſte Gold. Man
findet daſelbſt Adern, aus welchen ein Catti Erz ein bis zwei Tail Gold enthaͤlt. Doch
iſt mir auch berichtet, daß innerhalb einigen Jahren die Adern, ſo wol hier als auch in
andern Bergwerken, nicht ſehr eintraͤglich geweſen ſind; und daß dieſes zu der ſcharfen Auf-
ſicht und ſtrengen Einrichtung des auslaͤndiſchen Handels mit den Hollaͤndern und Chine-
ſern die vornehmſte Urſache gegeben habe. Man finder hieſelbſt auch einen goldreichen
Bergſand; welchen der Landesfuͤrſt gar wohl zu nutzen weis, ohne dem kaiſerlichen Hofe
davon Nachricht und Antheil zu geben. Surunga hat jederzeit das mehreſte Golderz ge-
liefert: **) und es wird auch daſelbſt von dem Kupfer geſchieden. Satzuma hat unter
andern eine Mine, von deſſen Erz ein Catti vier bis fuͤnf Tail Gold geben ſol. Es iſt
aber verboten hier zu brechen, weil man fuͤrchtet, es moͤgte deſſen nicht viel ſeyn, und es
auf folgende Zeiten aufhebt. Oomura hatte an dem Seebuſen zu Okus einen uͤberhangen-
Q 2den
[124]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
den Berg, welcher vor wenig Jahren einfiel, und in die See ſtuͤrzte. Man fand hierauf
einen ſo reichen Goldſand und Erz, wie mir glaubwuͤrdig erzaͤhlt wurde, welches die Haͤlfte
reines Goldes enthielt, aber durch Taucher aus der Tiefe herausgeholt werden muſte. Allein
dieſe Erndte waͤhrte nur wenig Jahre. Denn bald nachher trug es ſich zu, daß durch die
Macht der Wellen, die aus der ofnen ungeſtuͤmen See herdrangen, dieſer goldene Boden
Faden hoch mit Moder uͤberſchwemt und der unſchaͤzbare Reichthum verſchlungen wurde.
Arme, muͤſſige*) Leute ſamlen daſelbſt noch heutiges Tages am Ufer Sand; und erhalten
durch langes Spuͤlen einiges Gold; wiewol ſo wenig, daß ſie ſich davon nicht ernaͤhren koͤn-
nen. Jn Tſikungo beim Dorfe Foſſino befindet ſich eine Goldgrube, zwar voller Waſ-
ſer, doch hoch und ſo gelegen, daß man den Fels an der niedern Seite durchboren, und von
ſeinem Waſſer befreien kan; als man dieſes ins Werk zu ſtellen verſucht, iſt ploͤzlich ein er-
ſchroͤkliches Donner und Ungewitter entſtanden, welches die Arbeiter genoͤthiget, von ihrem
Vorhaben abzuſtehen, und alle Menſchen bewogen zu glauben, daß der Cami oder Gott
dieſes Bodens ſolches nicht zugeſtehen wolle. Aus Furcht fuͤr ſeinem Zorn hat man nach
der Zeit die Arbeit nicht wieder unternommen. Eben dieſes urtheilt man auch von einem
goldreichen Erzberge, auf der Jnſel Amakuſa: woſelbſt ein hervorquellendes Waſſer die
Minen angefuͤlt, alle Maſchinen ruinirt, und die Arbeiter zur Erhaltung ihres Lebens zum
Fliehen gebracht hat.


Silber.


Silber liefert die Landſchaft Bungo; in groͤßerer Menge ein unter den noͤrdlichen
großen Provinzen gelegner Ort, namens Kittami, wie auch andere Oerter, die mir nicht
recht bekant geworden ſind. Die nach Oſten von Japan gelegene Silber- und Goldreiche
Jnſeln Ginſima und Kinſima, deren im 4ten Cap. dieſes Buchs Erwehnung geſchehen iſt,
gehoͤren auch hieher, wenn anders ihr Name und Character nicht erdichtet iſt.


Kupfer.


Kupfer iſt das meiſte Metal dieſer Laͤnder; und wird jezt wuͤrklich gebrochen in der
Provinz Suruga, Atſingo, und Kyno Kuni. Leztere Provinz giebt das feinſte und
geſchmeidigſte in der ganzen Welt; Atſingo ein ſehr ſchlechtes; und muͤſſen deswegen zu
70 Catti, 30 Catti, von den Kiiſchen zugeſezt, und dadurch geſchmeidig gemacht werden.
Das Surugaſche iſt an ſich ohne Tadel, und zugleich ſehr goldreich: die Japaner wiſſen
aber
[125]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder ꝛc.
aber das Gold jezt beſſer davon zu ſcheiden als ehmals; woruͤber die Goldarbeiter und Brach-
manen der Kuͤſte Coromandel ſehr klagen. Satzuma hat gleichfals Kupfererz, und der
Kaiſer hat juͤngſt wieder erlaubt ſolches zu brechen. Das Kupfer wird alles in der Stadt
Sakai
raffinirt; und daſelbſt in anderthalb Spannen lang und fingerdicke Staͤbgen *) ge-
goſſen; welche in viereckigte Kiſten zu 1 Pikel oder 125 Pfund ſchwer eingepakt, 12 bis 13
Mas jeder Pikel an die Hollaͤnder verkauft, und von dieſen wieder in andere Laͤnder verfuͤhrt
und verhandelt werden. Noch ein anderes grobes Kupfer, in Form von runden Kuchen,
wird ebenfals ausgefuͤhrt; iſt aber in weit geringerm Preiſe.


Meſſing.


Meſſing iſt hier theurer als Kupfer; weil man hier keine Galmei findet, ſondern
dieſes in platten Kuchen aus Tunkin hieher gebracht und theur bezahlet wird.


Zin.


Zin giebt das Land Bungo; zwar wenig, doch ſo fein, daß es dem Silber gleicht.
Es wird aber dieſes Metal in dieſen Laͤndern wenig gebraucht.


Eiſenerz.


Eiſenerz wird allein, aber in Ueberflus gebrochen, wo die drei Provinzen Mimaſaka,
Bitſju
und Biſen an einander ſtoßen. Es wird auch daſelbſt gereiniget und in zwei ſpan-
nenlange Staͤbe gegoſſen: und ſo an die einlaͤndiſchen Kaufleute verhandelt und abgefuͤhrt.
Jch glaube, der Preis ſey dem Kupfer gleich: weil man die eiſernen Geraͤthe eben ſo theur
als die kupfernen oder meſſingenen bezahlt, und das Hausgeraͤth — Klammern an
Schiffen u. ſ. f. welches in andern Laͤndern Eiſen iſt, hier von Kupfer**) gemacht wird.
Man gießet hier aus einer eiſernen Materie ziemlich duͤnne Keſſel und Pfannen, weil man
zum Kochen kein Kupfergeſchirre gebraucht. Von dieſen Gefaͤßen werden die alten ſehr
hoch gehalten, weil ſie dieſelben nicht mehr wiſſen nachzumachen.


Steinkohlen.


Steinkohlen mangeln hier auch nicht; und werden in der Provinz Tſikuſen um
Kujanoſſe und verſchiedene noͤrdliche Laͤnder haͤufig gegraben. —


Q 3Salz.
[126]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Salz.


Salz wird an den Ufern der See vom Salzwaſſer gemacht; welches man uͤber
einen feinen und mit Rechen locker gemachten Sand ſpruͤtzet. Nachdem der Sand trocken
und der Proces verſchiedene mal wiederholt worden, wird derſelbe mit Seewaſſer trans-
colirt, die Lauge eingekocht, und das erhaltene Salz in beſchloſſenen irdenen Gefaͤßen durch
Calcination weis gemacht.


Agathen.


Agathen von ſchoͤner Farbe, deren einige einem ſchlechten Saphir, andere den
Carniolen gleichen, findet man auf dem Gebirge Tſigaar auf dem noͤrdlichſten und aͤußer-
ſten Lande Oſju, der Jnſel Jeſo gegenuͤber. *)


Perlen.


Perlen, die man hier Kainotamma nent, d. i. Juwelen von Muſcheln, werden
hin und wieder um Saikokf in verſchiednen Geſchlechtern von Auſtern und Seemuſcheln
gefunden; und koͤnnen von jedem frei geſamlet werden. Vor dieſem ſind ſie von den Einwoh-
nern nicht gebraucht noch geachtet worden, bis ſie den Preis von den Sineſern erlernt; wel-
che ſie jaͤhrlich fuͤr die Weiber ihres Landes erhandeln, deren groͤſte und koſtbareſte Pracht
in dieſem Juwel beſtehet. Die groͤßeſten und edelſten Perlen findet man in einer kleinen
platten auf beiden Seiten geſchloſſenen Muſchel oder Auſter, Namens Akoja. Sie iſt an
Form der perſiſchen nicht ungleich, kaum handebreit, duͤnne, außen ſchwarzglaͤnzend
und bruͤchig, inwendig unreif und Perlemutterglanzes. Dieſe Perlen aus der Muſchel
Akoja findet man allein um Satzuma und im Seebuſen Omra: ſie haben zuweilen das
Gewicht von 4 und 5 Condinen, und der Preis von 100 Colan. Satzuma ſcheint die
Seinigen an die riukuſchen Sineſen zu verkaufen; und Omra verhandelt jaͤhrlich fuͤr
3000 Tail an die Sineſen. Es iſt von den jetzigen Landesherren verboten, daß ſie nicht
mehr duͤrfen zur Speiſe eingeſamlet werden, wie vordem geſchahe.


Jch habe verborgener Weiſe und nicht ohne Muͤhe einige von dort abholen laſſen.
Es iſt ſehr wunderbar, (wenn es anders wahr iſt) daß man unter den groͤſten Perlen dieſes
Geſchlechts einige findet, welche die Eigenſchaft haben, daß, wenn ſie in einer Buͤchſe unter
einlaͤndiſcher Schminke (ein Pulver von der Muſchel Takaragai) verſchloſſen liegen, ſie
eine oder zwei junge Perlen anſetzen, welche nach drei Jahren, wenn ſie reif geworden, von
ſelkſt
[127]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder ꝛc.
ſelbſt abfallen. Wer eine ſolche Perle beſizt, laͤſſet ſie wegen der großen Seltenheit bei
ſeiner Familie und ſeinen Nachkommen zum Erbe. Awabi iſt eine laͤnglich runde, tiefe,
einfache, das iſt, an einer Seite offene Auſterſchale, von der Laͤnge einer Spanne, aber nicht
voͤllig ſo breit, mit Luftloͤchern ordentlich durchbohret, auswendig rauh und kalchicht und
zuweilen mit darauf ſitzenden Korallen und Muſcheln, inwendig des allerſchoͤnſten Perlen-
mutterglanzes, worauf oͤfters einige Erhabenheiten wie Perlen ſich zeigen, aber nicht ſo hoch
hervorragen wie in den perſiſchen Perlenmuttern. Sie werden nur wegen ihres vielen Flei-
ſches von den Tauchern geſucht, und von den Klippen, woran ſie ſich mit der ofnen Seite
feſtſetzen, mit einen Stos abgenommen. Eine andere Seemuſchel, deren Namen ich
nicht erfahren koͤnnen, giebt nicht ſelten Perlen, welche 6 Condinen ſchwer, aber gelb, un-
foͤrmig, und von geringem Werth ſind. Jm Fleiſche der Muſchel Tairaggi wird auch
bisweilen eine nicht untruͤgliche Perle gefunden. Man findet ſie im Arimaſchen Seebuſen,
zwiſchen Janagara und Jſafage; ſie gleichet einem Schilde, und hat eine etwas platte
dreieckigte laͤngliche Form; ſie iſt an den Seiten gekruͤmt, 1½ Spannen lang, und am Ende
beinahe eine Spanne breit, duͤnne, glat, durchſichtig wie ein polirtes Horn, aber
bruͤchig.


Naphta.


Naphta von roͤthlicher Farbe; bei den Japanern Tſut ſono abro, d. i. Erdroͤthe
genant, wird in einer Gegend der Landſcheft Jetſingo angetroffen, und aus derſelben da,
wo ſie ſtille ſteht, abgeſchoͤpft, und gleich Oel auf Lampen verbraucht.


Ambra.


Ambra wird bei Satzuma und Riuku, wiewol in geringer Menge gefunden;
haͤufiger an den Ufern Kumano, iſt die Suͤdſee bei Kii Jſje ꝛc., am meiſten aber in den
Gedaͤrmen eines Walfiſches, der um Japan gefangen, und Fiakfiro, d. i. 100 Klafter
von der Laͤnge ſeiner Gedaͤrme genant wird. Jn denſelben findet er ſich vergeſelſchaftet *)
mit kelchichten ſteinharten Exkrementen, welche ſich beſonders in den unterſten Gedaͤrmen
haͤufig ſehn laſſen, und beim Aufſchneiden zu erkennen geben, daß Ambra vorhanden ſey.
Der unflaͤtige Ort hat dieſem edlen Erdſafte den Namen gegeben, daß er nicht anders als
Kuſura no fu, d. i. Walfiſchdrek genant wird. Der Ambra, wenn er zuerſt aus dem
Grunde der See durch die Wellen abgeriſſen und aufs Ufer geſpuͤhlet, oder von den Wal-
fiſchen
[128]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
fiſchen verſchlukt wird, iſt weich, unfoͤrmig, plat, ſchleimig, faſt wie ein Kuhfladen, und
eines unangenehmen Geruchs. Alsdenn wird er oft von ſeinem Finder in einen runden
Bal, oder verſchiedene kleine Stuͤcke, in eine große Maſſe zuſammen gedruͤkt; wodurch er
dichter und ſchwerer wird. Andere wiſſen den friſchen Ambra mit Reishuͤlſenmehl zu durch-
kneten; wodurch ſeine Groͤße vermehrt wird, und der Schwarze eine hoͤhere Farbe erhaͤlt.
Es ladet aber dieſer Zuſaz die Wuͤrmer ein; und wird auch durch die nachgelaſſene Kohle
beim Abrauchen leicht erkant. Andere untermiſchen zu Pulver gemachte wohlriechende
Harze; welche aber durch den Geruch ihres Rauchs ſich zu erkennen geben. Beiderlei
Zuſaͤtze erkennen die Sineſer durch ein heißes Theewaſſer; wenn er nemlich fein daruͤber ge-
ſchabet, ſich nicht genugſam vertheilet. Ambra wird von den Einwohnern nicht anders
gebraucht, als wie ein Zuſaz zu andern wohlriechenden Sachen, um den fluͤchtigen Geruch,
wie ſie ſagen, anzuhalten. Er wuͤrde auch wohl wenig bei ihnen geachtet werden, wenn
nicht die Auslaͤnder durch theure Bezahlung ſie von dem Werth deſſelben unterrichtet haͤtten.
Einem jeden ſteht frei denſelben aufzuheben, wo er ihn findet, und als ſein Eigenthum zu
verkaufen. Bei unſerm Aufenthalt daſelbſt, hat man ein Stuͤk grauen Ambra von 140
Catti gehabt: als dieſes einzelen Perſonen zu kaufen nicht angeſtanden, iſt es zertheilt, und
in 60 bis 70 Tail ein Catti, an verſchiednen Perſonen verhandelt worden. Den ſchwaͤrz-
lichen Ambra habe ich daſelbſt zu 30 Tail eingekauft.


Seegewaͤchſe ꝛc.


Vielerlei Seegewaͤchſe, platte, nezweiſe durchgewachſene, ſteinigte und hornigte
Stauden, koralſteinerne Straͤuche, rare Anſaͤtze der Klippen, Hoͤrner, Muſcheln giebt die-
ſer Meergarten, welche den Amboiniſiſchen nicht viel weichen: ſie werden aber nichts geach-
tet; oder wenn den Fiſchern und Taucherinnen deren irgend etwas zufaͤllig in die Haͤnde
komt, ſetzen ſie es zum Opfer an das Ufer und an die Dorfcapelle ihres Patronen Jebis;
welcher der daſige Neptun iſt. —


Fremde Mineralien.


Jch wil jezt noch derer |Mineralien mit wenigem gedenken, welche das Land nicht
hervorbringt, und zum Theil doch gebraucht. Spiesglas und Salmiak werden hier weder
gefunden noch gebraucht. Quekſilber und Borax werden von den Sineſen eingefuͤhrt; wie-
wol mir von den lezteren zwei einlaͤndiſche natuͤrliche Sorten vorgekommen, die man aber,
weil ſie ſehr unrein ſind, nicht aufhebet. Den ſublimirten Merkurius verlangen einzelne
Japa-
[129]Acht. Kap. Von dem Clima der japaniſchen Laͤnder ꝛc.
Japaner ſehr von den ankommenden Fremden, und bezahlen ihn ſehr theuer. Sie brau-
chen es zum Merkurialwaſſer in freſſenden Schaͤden; und ich glaube auch, als ein ſicheres
Mittel zum Selbſtmord, wenn ihnen etwas begegnet, daß ſie ſich dazu entſchließen. Der
natuͤrliche Zinnober wird zum Arzneigebrauch, und der kuͤnſtliche zum Faͤrben aus Sina
eingefuͤhrt; darf aber nicht anders als an die Tſjuſa oder privilegirte Zinnoberkraͤmer ver-
kauft werden. Der natuͤrliche iſt ſehr fein; und einiger ſo theuer, daß er den Werth des
Silbers weit uͤberſteigt.



Neuntes Kapitel.
Von der Fruchtbarkeit des Landes an Pflanzen.



Der Boden bringt wegen des guͤtigen Climas, und des arbeitſamen Fleißes der Ein-
wohner viele wilde und fruchtbare Pflanzen hervor, die anfangs ohne Unterſcheid
nur zur Speiſe und zum Unterhalt des bloßen Lebens aus Noth gebraucht wurden: allein die
Scharfſinnigkeit hat die Einwohner in ſpaͤtern Zeiten auch gelehrt, dieſelben zur Wolluſt und
Pracht anzuwenden. Jn dieſem Kapitel wollen wir blos die nuͤzlichſten und gemeinſten
Pflanzen anfuͤhren; und verweiſen die Liebhaber der ſeltenen und unbekanten auf unſere
Amoenitates Exoticae, in welchen wir einen Anfang gemacht haben, dieſelben zu
beſchreiben.


Maulbeerbaum.


Der Maulbeerbaum verdient in der erſten Claſſe angefuͤhrt zu werden; denn ob-
gleich deſſen Fruͤchte, ſo wol weiße als braune, in dieſen Laͤndern unſchmakhaft ſind, und
von Menſchen nicht koͤnnen gegeſſen werden, ſo erſezt er doch durch ſeine Blaͤtter, als einer
Speiſe der Seidenwuͤrmer, dieſen Mangel. Man ſamlet in vielen nordlichen und andern
Provinzen, wo dieſer Baum waͤchſet, eine mittelmaͤßig gute Seide; und wirket aus der-
Rſelben
[130]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
ſelben in Staͤdten und Doͤrfern ſehr feſte, doch meiſtens grobe Stoffe. Die edelſten und
feinſten werden von den Verbanten auf der Jnſel Fatſiſjo gewebet; aber von feiner aus-
laͤndiſcher Seide. Unter das Geſchlecht des Maulbeerbaums gehoͤrt auch der Kadſi oder
Papierbaum.


Papierbaum.


Es iſt dies zwar ein wilder Baum, allein er wird wegen ſeiner Nuͤzlichkeit ln die
Felder verpflanzet, wo er mit unglaublichem Wachsthum ſeine Aeſte verbreitet und viele
Rinden liefert, aus welchen durch viele Muͤhe und Arbeit das Papier, und aus dieſem
Lunten, Stricke, Zeuge, Kleider und andere Sachen gemacht werden; wie zum Theil in
benanten Amoenitatibus ausgefuͤhrt worden.


Fernisbaum.


Fuͤr den edelſten Baum dieſer Laͤnder wird wol der Vruſj oder Fernisbaum ge-
halten; mit deſſen Milch*) das hoͤlzerne Hausgeraͤth und alles Tafelgeſchirre uͤberzogen
und verlakt wird: und deren ſich ſo wol der Arme als der Reiche, und ſelbſt der kaiſerliche
Hof bedient, wo man die verlakten Gefaͤße den ſilbernen und goldenen weit vorzieht. Eine
andere wilde Sorte, Faaſj genant, hat ſchmale Blaͤtter, waͤchſt durchgehends in Hecken
und Bergen, giebt aber wenige und ſchlechte Milch, und wird deswegen faſt nicht geſam-
let. Vorerwehnter Vruſj Baum iſt von einem beſondern und dieſem Lande eigenen Ge-
ſchlecht, und wil ſich faſt in keiner anderen als in der Provinz Jamatto zu dieſem Ge-
brauch anziehen laſſen; doch findet man ihn auch in Figo und hin und wieder in Tſikoku.
Jch habe gefunden, daß der indianiſche Fernisbaum von einem ganz andern Geſchlecht
und der wahre Anacardinusbaum ſey; bei den Siamern heiſt er Rakbaum, und giebt
an mehreren Orten Jndiens ſeine Fruͤchte, aber auf der Weſtſeite des Ganges keinen Saft;
es ſey nun aus Unwiſſenheit der Einwohner, oder der Beſchaffenheit des Bodens. Es
wird dieſer Fernis aus Siam und Cambodia durch ganz Jndien, auch ſelbſt in Japan
wohlfeil verkauft; und hieſelbſt nur zu ſchlechten Gefaͤßen oder zur Grundlage ihres einhei-
miſchen, ſeltnern und weit ſchoͤnern Ferniſſes gebraucht.


Lor-
[131]Neunt. Kap. Von der Fruchtbarkeit des Landes an Pflanzen.

Lorbeerbaͤume.


Lorbeerbaͤume giebt es hier von verſchiedener Art; derjenige, welcher rothe Beeren
traͤgt, iſt eine Cannelifera ſpuria: oder wenigſtens, wie es die Mukoſitaͤt bezeugt,
eine Caſſia lignea; deſſen Geſtalt, Figur und Subſtanz der Blaͤtter gar nicht von jenen
verſchieden iſt, wiewol die Rinde wenig von der Suͤßigkeit und Lieblichkeit des Canels,
mehr aber von dem aromatiſchen Geſchmak eines Coſti beſizt. Der Boden ſcheint dieſe
Unvolkommenheit allein zu verurſachen: denn ich habe gefunden, daß auch die malabariſche,
ſumatriſche und javaniſche Canelbaͤume, welche bis jezt vernachlaͤſſiget werden, dieſe
liebliche Schaͤrfe entweder in dem hohen Grad des ceylaniſchen Canels nicht beſitzen, oder
denſelben bald verlieren, oder auch gar wegen eines beigemiſchten Schleims des wahren
Canelgeſchlechts unwuͤrdig ſind: von welchem man ein liebliches koſtbares Oel fordert, wel-
ches aber keine Caſſia lignea hergiebt. Unter das Geſchlecht des Lorbeerbaums mit
ſchwarz purpurnen Beerchen gehoͤrt auch der Kus oder Campferbaum; aus deſſen Wurzeln
in der Jnſel Gotho, und noch vielmehr in der Provinz Satzuma der Campfer durch ein
gemeines Kochen von den Dorfleuten geſchieden und bereitet wird. Der Preis iſt ſehr
wohlfeil; und wird ein Catti des eingefuͤhrten borneiſchen Campfers, welcher zwiſchen den
Rinden, Aeſten und Spalten der niedergefaͤlten alten Staͤmme geſamlet wird, gegen 80
bis 100 Catti des japaniſchen Campfers vertauſcht.


Theebaum.


Tſja no ki, oder der Theebaum iſt eine unanſehnliche Staude, der man in die-
ſem engen Lande keinen andern Plaz vergoͤnnet, als die Raͤnder der Aecker, und andere zur
Beſamung unbequemer Oerter. Es iſt aber dennoch die nuzbarſte unter allen Pflanzen;
indem aus deſſen gebratenen groben Blaͤttern das taͤgliche Hausgetraͤnk abgekocht wird.
Die zarteſten und juͤngſten Blaͤtter aber werden, wenn ſie gebraten, gemalen, und mit
heißem Waſſer zu einer Suppe gemengt ſind, unter den Vornehmern den Gaͤſten als ein
gewoͤhnliches Ehrengetraͤnk und nach eingenommener Mahlzeit zum Abſchiedstrunk
dargereichet.


Sandſjo.


Sandſjo iſt ein ſtachlicher Baum von mittelmaͤßiger Groͤße, deſſen Huͤlſe und
Rinde als Pfeffer, und deſſen Blaͤtter als ein angenehmes Gewuͤrz gebraucht worden. Die
einlaͤndiſchen Riches dienen zu eben demſelben Gebrauch.


R 2Feigen.
[132]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Feigen. (Wenn es anders ein Feigenbaum darf genent werden.)


Es giebt dreierlei Arten von Feigen. Eine von dieſen, Kaki genant, wird in
großer Menge durch das ganze Reich gefunden. Der Baum iſt ungeſtaltet, wie ein al-
ter kurzer Apfelbaum; ſeine Blaͤtter ſind laͤnglicht oval und ohne Kerben; die Frucht
gleichet an Geſtalt einem roͤthlichen Apfel; an Fleiſch und Beſchaffenheit einer delikaten
Feige. Der Same iſt dem Kuͤrbisſamen aͤhnlich, aber hart und ſteinigt. Dieſer Baum
iſt einer der fruchtbarſten und nuͤzlichſten des ganzen Reichs. Die Frucht dient getroknet
Reichen und Armen zu einer delikaten Speiſe. Die Sineſer wiſſen ſie mit Zucker weit
beſſer einzumachen. Die zweite Sorte von Feigen iſt der gemeinen europaͤiſchen aͤhnlich, ſie
wachſen aber an einem Baum mit breiten, langen, rauhen, ungekerbten Blaͤttern. Die
dritte iſt die europaͤiſche, welche von den Portugieſen eingefuͤhret worden. Es giebt deren
wenige, ſie tragen aber große aufberſtende delikate Fruͤchte. Des Sycomori oder wilden
Feigenbaums, welcher hier haͤufig waͤchſt, wollen wir nicht gedenken, weil man ſeine
Fruͤchte nicht genießt.


Kaſtanienbaͤume.


Kaſtanienbaͤume giebt es hier im Ueberflus; und durchgehends mit viel groͤßeren
Fruͤchten, wie in Europa, die beſten und meiſten aber in der Provinz Tſikuſen.


Aepfelbaͤume.


Apfelbaͤume, wie es in Deutſchland oder Europa giebt, kent man
hier nicht.


Birnbaͤume.


Birnen giebt es in ziemlicher Menge, aber nur von einer Art, welche bei uns
Winterbirnen heißen, und koͤnnen roh nicht wohl genuzt werden. Sie ſind von ungemeiner
Groͤße, und durchgehends pfuͤndig, oder noch ſchwerer.


Walnuͤſſe u. ſ. f.


Den Walnusbaum findet man am haͤufigſten in den noͤrdlichſten Provinzen. Jn
derſelben waͤchſt auch ein hoher Taxus, Kaibaum genant, mit lang geformten Nuͤſſen, die
mit einer fleiſchigten Rinde, in Geſtalt und Groͤße einer Arack Frucht, umgeben ſind.
Dieſe auch gehuͤlſete Nuͤſſe haben zwar keinen angenehmen ſondern einen ſehr zuſammen-
ziehenden Geſchmak, beſonders, wenn ſie noch friſch ſind; ſie laxiren aber vermoͤge ihres
ſuͤßen
[133]Neunt. Kap. Von der Fruchtbarkeit der Laͤnder an Pflanzen.
ſuͤßen Oels, und werden wegen ihrer Arzneikraͤfte unter Confituren aufgetragen. Das
ausgepreſte Oel iſt beinahe wie Mandeloͤl, und wird zu Speiſen und Arzneien gebraucht.
Der Rauch dieſer Nuskerne, iſt die vornehmſte Jngredienz der allertheureſten und feinſten
japaniſchen Dinte. Eine andere Art Nuͤſſe, Ginau genant, von Geſtalt wie große Pi-
ſtacien, wachſen durch das ganze Reich auf einem ſchoͤnen, ungeheuer großen Baume mit
weiten adiantinen Blaͤttern, Namens Jtſjo no ki. Jhr Oel dient zu vielerlei Ge-
brauch. Man hat zwei fremde Arten von Eichbaͤumen: die Fruͤchte des groͤßeren werden
gekocht, und von gemeinen Leuten gegeſſen. — Der Nantſme oder Lotusbaum giebt in
dieſen Laͤndern eine geſunde wohlſchmeckende Frucht, und zwar groͤßer als ſie mir ſonſt jemals
vorgekommen iſt. Citronenbaum findet man hin und wieder in Gaͤrten, der Liebhaber von
ſonderbaren Gewaͤchſen aber doch wenig. Limonen und Pomeranzen wachſen hier haͤufig,
und von verſchiedener Art. Die edelſte Art nent man Mican, deren Figur und Groͤße
einem Borſtorferapfel gleichet, und welche einen ſehr angenehmen Geruch und weinſauren
Geſchmak haben. Kinkan iſt eine andere ſeltne Art, von der Groͤße und Figur einer Muſka-
tennus; ſie iſt uͤberaus ſauer, waͤchſet auf einer kleinen Staude, und wird in Speiſen und
Atſiaar gebraucht.


Trauben u. ſ. f.


Trauben werden hier ſelten reif, und deswegen wird der Weinſtok wenig ange-
bauet. Brombeeren und Himbeeren haben aber keinen angenehmen Geſchmak; Erdbeeren
aber ſind ganz ohne Geſchmak, und nicht esbar. Pfirſige, Aprikoſen und Pflaumen giebts
im Ueberflus; und unter dieſen lezten zwei fremde Arten, nemlich weiße und purpurfarbene,
tuberculirt wie Maulbeeren: dieſe werden mehrentheils zu Atſjar verbraucht. Kirſchen-
und Haberſchleenbaͤume, Kriekenbaͤume werden nur wegen ihrer ſchoͤnen Bluͤthen
unterhalten, welche durch die Cultur die Groͤße einer doppelten Roſe gewinnen, und in
ſolcher Menge hervor brechen, daß ſie den ganzen Baum wie ein blutiger Schnee bedecken.
Dieſe Baͤume geben allen Haus- und Tempelgarten die beſte Zierde: und blos zu dieſem
Endzwek werden auch mehrmals Aprikoſen und andere Pflaumenbaͤume unterhalten.


Tannen, Cypreſſen u. ſ. f.


Von Tannen und Cypreſſen giebts hier vielerlei Arten; und es ſind die gemeinſten
Baͤume der Waͤlder, aus welchen Haͤuſer, Bretter und Gefaͤße gemacht werden. Die
Aeſte und anderer Abfal dienen zu gemeinem Kuͤchenfeuer; das gemeine Volk aber braucht
hiezu die abfallenden Pienaͤpfel und Blaͤtter, welche ſie taͤglich zuſammen fegen, und mit
eben derſelben Muͤhe den Boden ſauber erhalten. Zum Zierath werden dieſe Baͤume in
R 3lange
[134]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
lange Reihen auf die Spitzen der Berge, und auf beide Seiten der Landſtraßen, Heer-
wege, gepflanzet. Man bemuͤhet ſich auch ſehr alle ſandige und wuͤſte Oerter mit
denſelben zu beſetzen. Es darf keine Tanne oder Cypreſſe gefaͤlt werden ohne Erlaubnis
der Obrigkeit des Orts, und mus alsdann ein junger Baum in deſſen Plaz geſezt werden.


Bambuſen iſt eine der gemeinſten Stauden, aus welchen vielerlei Haußgeraͤth,
als Waſſerrinnen, Waͤnde die man betuͤnchen wil, die feinſten Lunten, zierlich geflochtene
Koͤrbe, und andere Sachen gemacht werden. Eine Art derſelben ſchlieſt in der Provinz
Oomi*) lange knotige Wurzeln, die bei uns Rottang genant, und zu Handſtoͤcken uͤber-
bracht und gebraucht werden. So wohl Tannen als Bambuſen werden bei dieſer Nation
wegen ihres langen Lebens und ſteten Gruͤnens fuͤr ominoͤs oder gluͤklich gehalten. Man
braucht ſie deswegen zur Auszierung heiliger Oerter bei Feſt- und Feyerzeiten: und ſpielt
auf dieſelben an, in Gluͤkwuͤnſchungsreden, Verſen und Sinbildern: weil man nemlich
glaubt, daß die Bambuſen das Alter von etlichen hundert, und die gemeine Tanne, Matz-
noki
genant, von tauſend Jahren erreiche, und alsdenn ihre Aeſte und Blaͤtter niederwaͤrts
nach der Erde zuwende. Es ſind mir verſchiedene von unglaublichem Alter hin und wieder
gezeigt worden. Fi no ki und Suggi, zwei Arten des Cypreſſenbaums, geben ein leich-
tes, feſtes, ſchoͤnes, weißes Holz, welches kein Waſſer eintrinkt, und fuͤr gutes Cedernholz gelten
kan. Es iſt eine gewiſſe Zeit durch das ganze Reich verbothen dieſe Baͤume zu faͤllen; auch
nicht einmal zum Maſchinenbau, wo die kaiſerlichen Befehle vorgeſtellet werden. **) Es
wird aber den Verbothen dieſer Art, wo auf die Verbrechen keine Strafe geſezt iſt, wenig
nachgelebt. Kſa Maki oder ſtinkender Makibaum, Sſi no ki eine Art Eichbaͤume,
Jus no ki oder Eiſenbaum wegen ſeiner Haͤrte genant, ſind Baͤume von gemeinem Holz,
die man auch zum Hausbau brauchen kan. Tatz no ki, deſſen Holz von der Stadt Je-
ſeri
abgeholet wird, und die Wurzel des Campferbaums geben das rareſte geflamte Holz
zu Comptoiren und verlakten Kiſten.


Blumen.


Es giebt hier, in Vergleichung anderer Laͤnder, ungewoͤhnlich mancherlei wilde
Pflanzen von wunderſchoͤnen Blumen und Blaͤttern, womit ſie zu gewiſſen Zeiten die wuͤſten
Felder und Bergwaͤlder zieren; und welche ſie auch in die Gaͤrten verpflanzet, und durch die
Cultur
[135]Neunt. Kap. Von der Fruchtbarkeit der Laͤnder an Pflanzen.
Cultur zu mehrerer Volkommenheit gebracht haben. Die vornemſten derſelben ſind:
Tſubaki, eine große Staude mit Roſenblumen, welche ſich in Hecken und Waͤldern findet.
Durch Propfung entſtehen viele ſeltne Arten, und man hat bei dieſer namenreichen Nation,
wie man vorgiebt, 900 Namen ihrer Varietaͤten. Satſuki, eine lilientragende kleine
Staude, ſol mehr als 100 benante Varietaͤten haben; deren zwei wilde Arten, mit rothen und
fleiſchfarbenen Blumen, viele oͤde Felder und Huͤgel mit ihrer angenehmen Farbe bedecken.
Saka Nandſjo, eine Staude, traͤgt gleichfals eine lilienfoͤrmige Blume, aber weit groͤ-
ßer wie die vorige; es giebt ihrer dreyerley Arten, welche indeſſen nicht ſo gemein ſind wie
die vorigen.


Ahornu. ſ. f.


Momidſj, eine Art Ahorn, hat ihren Namen von dem Purpur ihrer Blaͤtter.
Es giebt derſelben zwo Varietaͤten, deren eine im Fruͤhling, die andere im Herbſt, eine
theils gelbe theils purpurrothe Farbe annehmen, und die Augen von ferne an ſich ziehn und
ergoͤtzen. Eben diſes thut auch der Faſjbaum, deſſen Blaͤtter im Herbſt gleichfals einen
rothen Purpur annehmen.


Matricaria, Lilien u. ſ. f.


Matricaria und Lilien ſind von verſchiedener und ungemeiner Varietaͤt. Mit je-
nen, welche durch die Cultur die Groͤße einer Roſe gewinnen, prangen die Gaͤrten; mit
dieſen das Gebirge.


Narciſſen, Jrides, Caryophillen und andere Blumen nicht zu erwaͤhnen, womit
die Natur zu gewiſſen Zeiten dieſes Land vor andern Laͤndern ausſchmuͤcket. Sie ſind
aber wie alle oben genante beinahe ohne Geruch; wie denn auch alle japaniſche Fruͤchte,
die Lieblichkeit des Geſchmaks der ſineſiſchen und indianiſchen nicht beſitzen.


Hanf und Baumwolle.


Hanf und Baumwolle werden, ſo viel es der Raum zulaͤſſet, auf ihren Aeckern
angebauet. Sjiro oder wilde Hanfneſſel waͤchſet an wuͤſten Orten haͤufig; und erſetzet
den Mangel des Flachſes und der Wolle *) weil man daraus vielerley, ſo wol feine als
grobe Zeuge webet.


Oele.


Oele zu vielerlei Gebrauch, preſſet man aus folgenden Samen: Kiri iſt ein
ungeheurer großer, doch ſeltner Baum; er hat Blaͤtter wie die Klette, traͤgt an einem langen
Stiele,
[136]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Stiele, Blumen der Digitalis aͤhnlich, und Samen wie eine Althaea. Das Blat
mit drei bebluͤmten Stielen iſt das Wapen des Mikaddo oder geiſtlichen Erbkaiſers.
Abraſin ein mittelmaͤßiger Baum, hat Blaͤtter wie der Platanus, Blumen wie einfache
Roſen, Saamen wie ein Ricinus; ich nenne ihn daher, Ricinus arboreus folio Alceae.
Aſa diracht Avicennae,
die vorbenante Tſubacki, Vruſj, Faſj, und Kaj no ki,
dann auch die Baumwollenſtaude und Kraut, beide Geſchlechter von Seſamo mit weißen
und ſchwarzen Saamen.


Unter dieſen wird nur das Oel vom Seſamo und Kai, aber doch ſelten und
ſpahrſam zur Speiſe gebraucht; weil man dieſelben in dieſen Laͤndern ohne Butter und Fett
zu bereiten weiß.


Getreide.


Getreide und Huͤlſenfruͤchte wie auch allerlei Gartenkraͤuter, geben nicht nur die
platten Felder, die man niemals zu Wieſen gebraucht, ſondern auch die ſteilen Gebirge
bis zu den hoͤchſten Spitzen, ja auch die ablaufenden Hoͤhlen und Winkel der ſteinigten
Klippen, und wo es nur immer Wurzel und Regenwaſſer faſſen kan. Der platte Grund
wird mit Ochſen gepfluͤget, die Hoͤhen aber mit Menſchenhaͤnden bearbeitet, und beides
wohl dreimahl im Jahr mit Menſchenmiſt geduͤnget und in ſeiner Fruchtbarkeit unterhalten.
Wer ſeinen Acker ein Jahr unbeſaͤet laͤſt, wird deſſelben nach hieſigen Landesrechten
verluſtig.


Gokokf.


Die vornehmſten und zum Unterhalt der Menſchen allernuͤtzlichſten Feldfruͤchte
werden mit dem Tittel Gokokf, das iſt fuͤnf Feldfruͤchte benennet. Nach derſelben ſparſamen
oder reichlichem Wachsthum, ſchaͤzt man die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit des Jahrs
und eines Ackers, und den Reichthum oder die Armuth des Beſitzers. Sie erſetzen in dieſem
Lande den Mangel des Fleiſches und ſind die Grundlagen der taͤglichen Mahlzeiten und der
Gaſtereyen. Dieſe Gokokf ſind folgende:


Reis.


1) Kome, oder Reis, von verſchiedenen Sorten. Die beſte hat ihres gleichen
nicht in ganz Aſien; ſie iſt ſchneeweis und ſaͤtiget ſo ſehr, daß ein Auslaͤnder wenig auf
einmahl davon genießen kan. Der Reis dient in Waſſer aufgekocht ſtatt des Brodes; von
dem jaͤhrlichen Ueberflus wird ein fettes Bier, Saki genant, gebrauet; doch nur zur Noth-
durft; und es darf weder mehr Reis noch Bier von den Fremden ausgefuͤhrt werden, als
die Obrigkeit erlaubet.


Gerſte.
[137]Neunt. Kap. Von der Fruchtbarkeit der Laͤnder an Pflanzen.

Gerſte.


2) Oo Muggi, das iſt großes Getreide, nemlich Gerſte, wird nur zum Futter
der Pferde und anderes Viehes, das Mehl aber zu Kuchen und verſchiedenen Speiſen ge-
braucht. Es giebt eine Art Gerſte, deren Aehren und Huͤlſen purpurfarbig ſind, welches
in den Feldern einen ſehr ſchoͤnen Anblik giebt.


Weitzen.


3) Koo Muggi, das iſt klein Getreide, nemlich Weitzen, welcher meines Wiſ-
ſens nicht anders als zu Mehlkuchen verbraucht wird, und ſehr wohlfeil iſt.


Daidsbohnen.


Daidſu, das iſt, Daidsbohnen; ſie ſind wie tuͤrkiſche Erbſen, wachſen aber wie
Lupinen. Dieſe Bohnen ſind nach dem Reiſe bei den Einwohnern in der hoͤchſten Achtung;
weil man aus ihrem Mehl die Midſu, das iſt, einen gewiſſen mehligten Pap macht, wel-
cher in Zubereitung der Speiſen den Plaz der Butter vertreten mus; und auch den Soeju,
welches ein Appetit machendes Embamma oder Uebergus iſt, der bei allen Mahlzeiten
aufgeſezt und außer Landes bis in Holland ausgefuͤhret wird. Die Bereitung derſelben
findet man in meinen Amoenitat. Exot. p. 839.


Sobohnen.


5) Adſuki oder Sodſu, das iſt Sobohnen, wachſen gleichfals wie Lupinen,
ſind aber ſchwarz und wie| Linſen oder indianiſcher Cajan; das Mehl mit Zucker vermiſcht
wird in Manſje gethan, und auch zu andern Kuchen verbraucht. Man pflegt ſonſt auch
unter dem Namen Gokokf uͤberhaupt folgende Feldfruͤchte zu begreifen: Awa oder india-
niſchen Fench; (Panicum indicum Tabernaemont.) Kibi, Hirſen oder Milium
vulgare noſtras;
Tye, oder Panicum vulgare juba minore, ſemine nigricante;
Maggi, das iſt, allerlei Getreide, und Mami, das iſt, allerlei Bohnen und Erbſen,
oder Huͤlſenfruͤchte.


Rettige u. ſ. f.


Es giebt durchs ganze Land Rettige von unglaublicher Groͤße, die wegen des Ue-
berfluſſes unter allen Feldfruͤchten zum Unterhalt des Lebens das meiſte beitragen muͤſſen.
Sie riechen und ſchmecken aber ſo ſtark nach dem menſchlichen Miſt, womit ſie geduͤnget
werden, daß wegen des Geſtanks keiner in Europa davon eſſen wuͤrde. Man genießet ſie
Sroh
[138]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
roh, kochet ſie friſch, und conſervirt ſie getroknet und eingeſalzen. Ruͤben, Moͤren, Kuͤr-
biſſe, Melonen, Angurien, Cucumern, Mala inſana, Fenchel, Daucus, und eine
einheimiſche Lactuca noſtras, ſind hier gemeine Feldgewaͤchſe, die bey uns in Gaͤrten
gezeuget werden. Paſtica hortenſis wird hier nicht gefunden, die Sylveſtris aber allent-
halben. Peterſilien, Kumpis,* Cichorien, lactuca noſtras, ſind jederzeit hier von den
Auslaͤndern gebauet worden, und wachſen vortreflich.


Wildwachſende Pflanzen.


Es geben auch die wuͤſten Waͤlder, Berge, Klippen, Moraͤſte und Seegruͤnde
viele ſo wohl bekante als unbekante Kraͤuter, deren junge Sproſſen, Blaͤtter, Fruͤchte,
Wurzeln, nicht nur dem Poͤbel zur taͤglichen Speiſe dienen, ſondern auch auf vornehmer
Leute Gaſtmahlen und Schmauſereien zu delikaten Gerichten zubereitet werden. Von
den Schwaͤmmen werden die mehreſten Arten genuzt; wodurch oͤfters Menſchen um ihr
Leben kommen. Eben dieſes traͤgt ſich auch durch andre giftige Kraͤuter zu, wenn ſie von
Unkundigen zur Speiſe eingeſamlet werden. Dem Dracunculo (Konjakf) weis man
durch Lauge ſeine Schaͤrfe zu benehmen, und einen ſuͤßen Pap oder Mehl daraus zu machen.
Eben dieſes geſchieht auch aus den Wurzeln der Warabi oder Filix, Ren oder Taraté
(Faba Aegyptiaca) und Kasne. Nachdem dieſe zerſtoßen, mit Waſſer macerirt und
abgeſeigt ſind, laſſen ſie ein feines Mehl zu Boden ſinken, das zu vielen Gerichten
gebraucht wird; und auch ſchon in Waſſer zerlaſſen, ſo gleich eine Mahlzeit giebt.


Seepflanzen.


Kein Seekraut iſt unter dem Meer zu finden, das von dieſer Nation nicht zur
Speiſe genommen wird. Es giebt derſelben vielerley Arten, welche von den Fiſchweibern,
die durch das ganze Reich hiezu abgerichtet ſind, aus der Tiefe von 20 bis 40 Faden her-
ausgehohlet, hiernaͤchſt gewaſchen, geſaͤubert, und in gewiſſe Sorten zerlegt werden; von wel-
chen jede nach ihrer Art zur Speiſe aufbehalten wird.



Zehntes
[139]

Zehntes Kapitel.
Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln, kriechenden
und fliegenden Jnſekten des Landes.



Erdichtete Thiere.


Zuerſt wollen wir unter den einheimiſchen Thieren einiger erdichteten Thiere erwaͤhnen;
welche die Japaner von den Sineſern angenommen, und blos in der Einbildung
und in den Schriften, aber nicht in der Natur gefunden werden.


Kirin.


Kirin iſt, wie man erzaͤhlt, ein vierfuͤßiges, an der Bruſt mit weichen hinter-
waͤrts gebognen Hoͤrnern, gefluͤgeltes ſchnelles Thier: einem Pferde an Leibe, einem Hir-
ſche an Fuͤßen und Klauen, und am Haupte beinahe einem Drachen nicht gar ungleich.
Es iſt von ſolcher Heiligkeit, daß es im Gehen ſich bemuͤhet, kein einziges Wuͤrmchen oder
Kraͤutgen zu kraͤnken, und wird durch beſondere Kraft des beſtirnten Himmels erzeugt,
zur Zeit wenn unter den Menſchen ein Seſin gebohren wird. Seſin aber iſt eine Perſon,
welche vor allen andern von der Natur mit einem durchdringenden Verſtande begabt
worden, wodurch er die Wahrheiten der Natur und goͤtlicher Dinge erforſcht, und unbe-
kante Sachen ausfindet. Fuͤr ſolche werden gehalten die ſineſiſchen Kaiſer Gio und Sjum,
als vortrefliche Regenten und Erfinder der Kraͤuter; Kooſj und Mooſj als ſineſiſche Phi-
loſophen; Sjaka in Jndien als ein Offenbarer goͤtlicher Sachen; Darma in Sina und
Sotoktais in Japan, als beruͤhmte Lichter im Leben und Lehren. (Tab. IX. Fig. I.
der ſineſiſche Kirin:Fig. II. der japaniſche Kirin.)


S 2Sungu.
[140]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Suugu.


Tab.
IX.
Fig.
3.

Dieſen fuͤgen ſie noch bei zwei andere Ungeheur: deren eins, Suugu genant,
einem Leoparden in allem gleichet, es traͤgt aber uͤber der Bruſt zwei Geweihe, welche hin-
terwaͤrts zu beiden Seiten wie Fluͤgel abſtehen.


Kaitſu.


Tab.
IX.
Fig.
4.

Das andere, Kaitſu oder Kaiſai genant, iſt einem Fuchs aͤhnlich, aber uͤber
der Bruſt mit abſtehenden Geweihen, auf dem Haupte mit einem Horn, und laͤngſt dem
Ruͤcken mit einer Reihe breiter Stacheln, wie ein Crocodil, verſehen.


Tats dria.


Tab.
IX.
Fig.
5.

Tats dria oder Dſja, ein gemeiner Drache, von welchem in ihren Goͤtter- und
Heldengeſchichten viele Maͤrchens vorkommen. Man glaubt, daß dieſe Drachen im Grunde
des Meers, als in ihrer eignen Welt, ſich auf halten. Man bildet ſie ab wie große
Schlangen, und vierfuͤßig, und ſchuppigt wie einen Crocodil; der Ruͤkgrad iſt der Laͤnge
nach mit Stacheln beſezt, das Haupt monſtroͤs und ſchreklich, und der Schwanz endigt ſich,
beim japaniſchen Drachen, in ein kurzes zweiſchneidiges Schwerdt. Die japaniſchen Kai-
ſer gebrauchen bisweilen auf ihrem Leibgeraͤth, als Saͤbeln, Meſſern und andern Sachen
zu ihrem Kenzeichen die Figur dieſes Drachens; deſſen rechter Fus ein rundes Kleinod oder
Perle faſſet. Jeder Fus hat aber nur drei Klauen, zum Unterſcheid des ſineſiſchen Hof-
drachens, welcher mit fuͤnf Klauen verſehen iſt.


Tats maki.


Tab.
IX.
Fig.
6.

Tats maki, ein Drache mit einem nachſchleppenden Waſſerſchwanze; von dem
ſie glauben, daß er aus dem Meere in die Luft auffahre, und die Waſſerdrehungen, bei uns
eine Waſſerhoſe genant, verurſache. Man ſieht dieſe Erſcheinungen oft auf dieſer wuͤſten
See, und ſie ziehen ſich aus derſelben bisweilen einen Strich uͤber das Land weg.


Foo.


Foo, ein vortreflich ſchoͤner und ſehr großer Paradiesvogel, dem Phoͤnix nicht
ungleich; er laͤſt ſich aus der Luft auf die Erde nieder, wenn ein hocherleuchteter Kaiſer,
oder ein anderer Seſin geboren wird. Dies wird bei dieſen Voͤlkern als eine reine Wahr-
heit geſchrieben und geglaubt. (Tab. IX. Fig. 7. der ſineſiſche, und Fig. 8. der japani-
ſche Foo.) Jezt wollen wir von den erdichteten Thieren zu den wirklichen uͤbergehen.


Vier-
[]

Tab. IX.

[figure]
[][141]Zehnt. Kap. Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln ꝛc.

Vierfuͤßige, wilde und zahme Thiere.


Mit vierfuͤßigen, wilden und zahmen Thieren ſind dieſe Laͤnder ſparſam verſehen.
Jene finden wenig unbewohnte Oerter, wo ſie ſich verbergen und vermehren koͤnten. Dieſe
werden mehrentheils nur zur Arbeit aufgezogen, und das Fleiſch von den Einlaͤndern we-
gen ihres pythagoriſchen, wiewol kaltſinnigen Glaubens, wenig genoſſen. Ueberdem wiſſen
auch dieſe Krauteſſer, in den engen Grenzen ihres volkreichen unfruchtbaren Landes, den
Boden vortheilhafter als zur Viehzucht anzuwenden.


Pferde.


Man findet hier Pferde, die zwar klein ſind, aber doch an Geſchiklichkeit oft den
perſiſchen nicht viel nachgeben. Man haͤlt ſie zum Staat, zum Reiten, Tragen und Pfluͤgen.
Die beſten kommen aus den Provinzen Osju und Satzuma; und eine gedrungene ſehr
kleine Art aus der Landſchaft Kai.


Ochſen.


Ochſen und Kuͤhe werden blos zum Pfluͤgen und Karrenziehen gebraucht. Milch
und Butter von ihnen zu ziehen, iſt hier eine unbekante Sache. Es giebt noch eine un-
geheuer lange grobe Art Buͤffelochſen, mit hohen Buckeln auf den Schultern, und von al-
len Farben: man bedient ſich ihrer blos in großen Staͤdten zum Karrenziehen.


Eſel, Mauleſel u. ſ. f.


Eſel, Mauleſel, Camele, und Elephanten kent man nicht; Schafe und Ziegen
ſind vor Zeiten von den Europaͤern nach Firando gebracht, woſelbſt man auch noch ihr Ge-
ſchlecht unterhaͤlt. Sie wuͤrden im ganzen Reiche gute Bergweide finden, und mit Nutzen
koͤnnen angezogen werden, wenn man die Wolle gebrauchte, oder das Fleiſch genießen
duͤrfte. Schweine findet man wenig; ſie ſind zuerſt aus Sina eingefuͤhrt, und werden
nur ſparſam von den Bauern in Fiſen angezogen: von ihnen ſelbſt aus Devotion wenig ge-
geſſen, und nur an die jaͤhrlich ankommenden Sineſer verkauft, welche ſich ihrer taͤglich be-
dienen, ob ſie gleich mit jenen einerlei Glauben haben.


Hunde.


Hunde findet man bei des jetzigen Kaiſers Regierung in dieſem Lande mehr als in
jedem andern. Sie liegen, zur großen Verhinderung der Vorbeigehenden, auf den Stra-
ßen umher, ohne einen Herrn zu haben. *) Es muͤſſen derſelben eine gewiſſe Anzahl von
S 3den
[142]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
den Buͤrgern jeder Gaſſe unterhalten und geſpeiſet, wenn ſie krank ſind, in einer auf jeder
Gaſſe errichteten Huͤtte verpfleget, wenn ſie geſtorben, auf die Berge getragen, und gleich
Menſchen beerdiget werden. Sie duͤrfen bei Lebensſtrafe von keinem Menſchen mishan-
delt oder getoͤdtet werden, als blos von dem Buͤttel; wenn ſie nemlich ſelbſt etwas verbro-
chen, und den Tod verdienet haben. Es iſt dieſes ſo angeordnet wegen eines Aberglau-
bens und Befehls des jetzigen Kaiſers, welcher, wie der roͤmiſche Kaiſer Auguſtus vor dem
Zeichen des Steinboks, vor dem Geſchlecht der Hunde eine beſondere Hochachtung hat, weil
er im Jahr des Hundezeichens geboren worden. Ein Buͤrger, der einen todten Hund zum
Grabe den Berg hinauf trug, ſchmaͤlte einſt aus Ungedult uͤber des Kaiſers Geburt. Sein
Nachbar hies ihn ſchweigen, und dem Himmel danken, daß der Kaiſer nicht im Pferdejahr
geboren waͤre; dann wuͤrden ſie noch mehr zu ſchleppen gehabt haben. —


Wind- und Waſſerhunde findet man hier nicht; man verſieht die Jagden, wo-
zu es ſchlechte Gelegenheit giebt, mit gemeinen Hunden.


Katzen.


Unter den Katzen giebt es eine Art, welche nur zur Zierde gehalten wird. Sie
haben große ſchwarze und gelbe Flecken auf weißem Grunde, und einen kurzen krummen
Schwanz, als wenn er mit Fleis gebrochen waͤre. *) Sie wollen gar nicht mauſen, laſſen
ſich aber gern von dem Frauenzimmer tragen und ſtreicheln.


Wilde Thiere, Hirſche, Haſen u. ſ. f.


An vierfuͤßigen wilden Thieren liefert das Land Hirſche, Haſen, und wilde
Schweine;
welche drei Geſchlechter zu gewiſſen Zeiten vielen Secten zu eſſen er-
laubt ſind. **)


Affen
[143]Zehnt. Kap. Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln ꝛc.

Affen ſind hier wenig; ſie ſind gelehrig, haben lichtbraune Haare, kurze
Schwaͤnze, und nakte rothe Geſichter und Hinterſten. Ein Landſtreicher lies bei meinem
Daſeyn einen Affen, von dem er vorgab, er ſei 106 Jahr alt, fuͤr Geld vielerlei Kuͤnſte
machen. Baͤren giebt es in den nordlichen Provinzen, aber wenig und von kleiner Art.
Tanuki iſt ein ſchwarzbraunes Thier, hat ein Maul wie ein Fuchs, und ſcheint wol eine
kleine Art von Woͤlfen zu ſeyn. Die wilden Hunde haben große weitgeſpaltene Schnau-
zen. Jtatz iſt ein roͤthliches Thier, wie ein Muncus, oder kleiner Jltis. Eine andere
groͤßere Art wird Tin genant. Sie halten ſich in Haͤuſern und unter Daͤchern auf, beinahe
wie zahm. Sie ſollen nicht allein Huͤhner, ſondern auch Fiſche fangen.


Ratten und Maͤuſe.


Ratten und Maͤuſe giebts uͤberfluͤſſig. Dieſe wiſſen ſie zahm zu machen, und
zu allerlei Kuͤnſten abzurichten, welches ein Vergnuͤgen und Zeitvertreib einiger armen Leute
iſt, beſonders in Oſacca, welche Stadt ein algemeiner Schauplaz des ganzen Reichs iſt,
wo man allerlei Seltenheiten und Spiele fuͤr Geld zu ſehen findet.


Fuͤchſe.


Fuͤchſe giebts gleichfals im Ueberflus. Die Japaner glauben, daß ſie mehren-
theils mit Teufeln beſelt ſind, und fuͤhren dieſelben und ihre Handlungen in geiſtlichen Hi-
ſtorien vielfaͤltig an. Die Jaͤger wiſſen aber dennoch recht wohl dieſen Teufeln das Fel uͤber
die Ohren zu ziehen; weil man die weiche Wolle zu Schreib- und Mahlpinſeln nicht entbeh-
ren kan. Man machet unter dem Teufel Kis oder Fuchs und Oni einen Unterſcheid,
wie in Schweden unter Faan und Dieblen.


Von Tiegern, Panthern, Loͤwen und andern reißenden Thieren iſt das Land
befreiet.


Weiße Ameiſen.


Unter dem ſchaͤdlichen Ungeziefer ſind die vornehmſten, die durch ganz Jndien ſo-
genanten weißen Ameiſen. Dies ſind ſchneeweiße zarte Wuͤrmchen; ſie leben in Haufen
wie Ameiſen, und gleichen ihnen auch an Groͤße und einigermaßen an Geſtalt; Bruſt und
Kopf iſt braͤunlich und hart. Von den Japanern werden ſie do Toos, das iſt Durch-
bohrer
genant, weil ſie alles, was ihnen vorkomt, außer Erz und Stein, in wenigen
Stunden durchfreſſen, und die koſtbareſten Waren in den Pakhaͤuſern der Kaufleute ver-
derben. Sie koͤnnen blos durch Unterſtreuung des gemeinen Salzes abgehalten werden.
Jhre Todfeinde ſind die ſchwaͤrzlichen oder wuͤrklichen Ameiſen; wo dieſe hinkommen, muͤſſen
jene
[144]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
jene weichen. Die freye Luft koͤnnen ſie weniger als die Maulwuͤrfe vertragen, und ſchuͤtzen
ſich gegen dieſelbe in zarten duͤnnen Laufgraͤben, welche ſie auf ihren Wegen immer voraus
ſetzen, und auf dem Boden ankleben; es iſt dies eine Subſtanz wie die Schoten der Erd-
weſpen. Jch habe von ihren ſchnellen und ſchaͤdlichen Zuͤgen viele Exempel gehoͤrt. Mir
iſt ſelbſt in der Feſtng Coijlang auf Malabar in dem Hauſe des Commendanten begegnet,
daß, da ich um Mitternacht von meinem Schreibtiſch aufſtand, mich ſchlafen zu legen, und
mit dem Morgen mich wieder hinſezte, ſo fand ich einen verſchloſſenen Laufgraben von der
Dicke eines Fingers. Dieſer war aus dem Eſtrich von unten durch die Laͤnge des Fußes
aufgebohret, reichte quer uͤber die unverlezte Tafelflaͤche, und weiter war noch die halbe Laͤnge
des gegen uͤber ſtehenden Fußes hinuntergebohret, woſelbſt das uͤbrige bis auf den Boden
mit einer runden Rinne ferner ablief. Viele glauben, daß ihre Exkremente die Urſache
einer ſo ſchnellen Durchbohrung ſind: ich finde dieſes nicht, wohl aber an ihrem Maule
vier hervorſtehende Zangen, womit ſie dieſes ausrichten koͤnnen.


Tauſendbeine.


Millepedes, gemeiniglich auf japaniſch Mukadde und nach ihrem Character
Goko genant, ſind nicht Aſelli oder Kellerſchaben, ſondern die in Jndien ſogenante
Tauſendbeine, beinahe einen Finger lang, ſchmahl, braͤunlich und an beiden Seiten befuͤßt.
Sie ſind in Jndien ſehr giftig, und ſchmerzt ihr Bis mehr als der Stich eines Scorpions.
Hier giebt es wenige, und ſie thun ſelten Schaden. Der Bis wird mit Speichel beſtrichen
und ſo geheilet. Die Eidexen, welche ſich hier aufhalten, ſind nur von gemeiner Art.


Schlangen.


Es giebt hier wenige Arten von Schlangen. Eine beruͤhmte Art unter denſelben
Firakutz und Fibakarri genant, hat eine gruͤne Farbe, einen platten Kopf und ſcharfe
Zaͤhne. Dieſe Schlange hat ihren Namen von der Tageslaͤnge; weil nemlich derjenige,
welcher von ihr gebiſſen wird, mit der Sonnen Untergang ſterben mus. Die Soldaten
ſind begierig nach ihrem Fleiſche, weil ihm die Kraft zugeſchrieben wird, daß der Genus
ſtreng und beherzt mache. Jn verſchloſſenen Toͤpfen *) calcinirt, giebt ſie ein beruͤhmtes
Pulver, Gawatſò genant, welches innerlich gegen verſchiedene Krankheiten gegeben wird.
Man ſagt, wenn dieſes Pulver unter den Tropfenfal eines Hauſes zerſtreuet wird, ſo ſol
es in weniger Zeit andere Schlangen hervorbringen. Dieſe Art iſt mir außerdem nirgend
als auf der Kuͤſte Coromandel bei den Brachmanen vorgekommen.


Jama-
[145]Zehnt. Kap. Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln ꝛc.

Jamakogath.


Eine ungemein große Schlange Jamakogath oder gebraͤuchlicher Uwabami, auch
Dſja, das iſt, Drache genant, haͤlt ſich in Bergen und Waͤſſern auf. Man trift ſie
ſelten an; wenn man ſie aber faͤngt, ſo laͤſſet man ſie fuͤr Geld ſehen.


Huͤhner.


An gefluͤgelten zahmen Thieren unterhaͤlt man Huͤhner und auch bisweilen
Enten. Sie werden aber aus Aberglauben ſelten gegeſſen, und duͤrfen nur von gewiſ-
ſen geringen Perſonen geſchlachtet werden. An Sterb- und Gedaͤchtnistagen eines Bluts-
verwandten mus einer einen Vogel oder anderes Thier zur Kuͤche ſchlachten. Jn den kai-
ſerlichen Sterb- und Gedaͤchtnisjahren, wie auch zu gewiſſen andern Zeiten, wenn es
ſeine Majeſtaͤt verbieten laͤſt, duͤrfen auch weder Huͤhner noch irgend andere lebendige
Thiere getoͤdtet, ja nicht einmahl auf Maͤrkten zum Verkauf ausgeſtelt werden. Der
Hahn erhaͤlt oͤfter und leichter Pardon als das Huhn, und ſteht bei den Religieuſen in
großer Achtung, weil er die Zeiten abzutheilen und die Abwechſelung des Wetters zu ver-
kuͤndigen weis.


Das wilde von Natur ſchuͤchterne Gefluͤgel, iſt in den Schranken dieſes ſo volk-
reichen Landes ſo zahm geworden, daß man viele Geſchlechter fuͤr haͤusliche Thiere
halten ſolte.


Kranig.


Der Tſuri oder Kranig iſt der vornehmſte, und ein kaiſerlich privilegirter Vogel
und darf nicht anders als auf Befehl fuͤr ſeine Majeſtaͤt allein geſchoſſen werden: es geſchieht
aber dennoch in Saikokf und andern vom Hofe entfernten Laͤndern. Dieſer Vogel ſo wohl
als die Schildkroͤte werden wegen ihres fabelhaften Alters und merkwuͤrdiger Geſchichten,
die man von ihnen erzaͤhlt, fuͤr die gluͤklichſten und gluͤkbedeutenſten Thiere gehalten, mit
deren Figuren eben ſo wie mit Tannen und Bambus die kaiſerlichen Gemaͤcher, und andere
gluͤklich gehaltene Oerter bemahlt ſind. Von Bauren und Fuhrleuten habe ich dieſen Vo-
gel nicht anders nennen hoͤren, als O Tſuri Sama, das iſt, großer Herr Kranig.
Man findet zweierlei Arten; die eine iſt ſchneeweis, und die andere grau oder aſchfarbig.


Reiher.


Von Sagi oder Reihern giebts verſchiedene Arten, welche an Farbe und Groͤße
ſehr unterſchieden ſind. Unter ihnen ſind folgende drei Arten die bekanteſten: Sjiro
Sagi,
der weiße Reiher, Goi Sagi, der graue, welche beide gemein ſind, und Awoi
Sagi,
der blaulichtgraue Reiher. Dieſer leztere hat beinahe die Groͤße eines Kranichs.


TWilde
[146]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Wilde Gaͤnſe.


Von wilden Gaͤnſen giebt es zwey Arten, von welchen jede Art ſich in Haufen
vereinigt. Die erſtere iſt ſchneeweis, mit pechſchwarzen Schlagfedern; die andere Art
iſt ganz grau oder aſchfarbig. Sie ſind in dieſen Laͤndern, und beſonders die grauen in
großer Menge, und auch ſo zahm, daß ſie nicht leicht vor einem Menſchen auffliegen und
voͤllig zahm ſcheinen. Sie thun den Aeckern großen Schaden, duͤrfen aber doch bei Lebens-
ſtrafe von keinem beleidigt werden, als von denen, welche die Freiheit ſelbige zu ſchießen an
gewiſſen Orten gepachtet haben. Die Bauren beziehen ihre Felder mit Linien oder Netzen,
um ſie vor dem Einfal der Gaͤnſe zu ſchuͤtzen. Es mag aber doch wenig helfen; denn ich
habe mit meinen Augen geſehen, daß ſie, nachdem ſie ſich niedergelaſſen, zur Seite
hineinbrachen. *)


Enten.


Enten findet man von verſchiedener Art, und eben ſo zahm, wie die Gaͤnſe.
Unter denſelben iſt eine Art, wovon das Maͤnchen Kin mod ſui eine ſo ſeltne Schoͤnheit hat,
Tab. X.
Fig.
3.
daß ich den gemalten nicht glauben koͤnnen, bis ſie mir haͤufig in der Natur vorgekommen
ſind. Sie prangen mit vielfarbigen, aber am Hals und Bauch mit rothen Federn; das
Haupt iſt mit einem dicken Federbuſch gekroͤnet, der Schwanz ſteht in die quer auf, und
die Fluͤgel uͤber den Ruͤcken empor.


Faſanen.


Faſanen ſind auch von ungemeiner Schoͤnheit. Ein großes Geſchlecht hat bunte,
goldfarbige, und uͤber den ganzen Leib glaͤnzende Federn; auch wie ein Pfau einen in gold-
blau wiederſcheinenden Schwanz, von der Laͤnge eines halben Mannes.


Feldhuͤhner.


Feldhuͤhner ſind die gemeinſten Voͤgel, welche nebſt Faſanen, Enten und Gaͤn-
ſen genuͤzt werden.


Feldtauben.


Man findet wilde Feldtauben, welche ſchwarzblaue Federn, aber keine Schoͤn-
heit haben. Man will ſie aus Vorſicht in keinen Wohnhaͤuſern dulden, weil man gefun-
den, daß durch Bruͤchung **) ihres Miſtes zuweilen Feuersbruͤnſte entſtanden ſind.
Stoͤrche
[147]Zehnt. Kap. Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln ꝛc.
Stoͤrche bleiben das ganze Jahr im Lande. Die beſten Falken werden in den noͤrdlichen
Provinzen gefangen, und mehr zum Staat als zur Jagd gehalten. Habichte findet man
hier haͤufig, und ſind wie durch ganz Jndien ſtolze Gaͤſte. *)Raben ſind ebenfals haͤu-
fig; ſie haben eine mittelmaͤßige Groͤße, und ſind zuerſt als Geſchenke aus Sina hieher ge-
bracht worden.


Elſter.


So iſt auch die Elſter**) zuerſt als ein ſeltner Vogel dem Kaiſer aus Corey
zugeſandt; ſie heiſt deswegen Corei garas, das iſt coreyiſcher Rabe; ſie hat aber ihr
Geſchlecht in dieſem Lande wenig fortgepflanzet.


Foken.


Europaͤiſche blaue Kraͤhen, Papageyen und andre indiſche Voͤgel werden hierTab. X.
Fig.
4.

nicht gefunden. Foken gemeiniglich Foto tenis genant, iſt ein ſehr ſeltner Nachtvogel,
der auf hohen Gaſtmalen als eine koͤſtliche Delikateſſe aufgeſezt wird; und deſſen kalcinirte
Aſche, in ſauern Saki gethan, dieſelbe wieder trinkbar macht.


Miſago.


Miſago oder Biſago iſt ein Seeraubvogel, wie ein Habicht oder Sperber, derTab. X.
Fig.
5.

an einer Klippe ſich eine Hoͤhle zu ſeinem Keller unterhaͤlt, ***) wo er ſeinen uͤbrigen Fiſch-
raub hineinlegt. Es iſt zu bewundern, daß dieſer, wie ein in Eſſig oder Salz eingeleg-
ter Fiſch, oder Atſjaar, nicht verdirbt; daher er Bitſago Suſj, das iſt, Biſago
atſjaar
genant wird: er iſt theuer und ſehr ſalzig. Wer einen ſolchen Keller weiß, ſteht
ſich wohl; er mus aber auf einmal nicht zu viel heraus nehmen.


Moͤven, Seeraben u. ſ. f.


Moͤven, Seeraben, und vielerlei kleine Voͤgel als Holz- und Waſſerſchne-
pfen, Schwalben, Sperlinge
und viele andere gemeine Voͤgel, ſind hier wie in Eu-
ropa vorhanden.


Lerche, Nachtigal.


Die Lerche ſingt viel treflicher als in Europa; die Nachtigal ſchlechter: und wenn
man zuweilen eine hat, die ungemein ſingt, wird ſie von vornehmen Liebhabern bisweilen
weit mehr als mit 20 Cobang bezahlt.


T 2Jnſek-
[148]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.

Jnſekteu.


Von fliegenden Jnſekten hat das Land Bienen, und daher auch Honig und
Wachs, wiewohl wenig, Hummeln, Weſpen, Fliegen, Muͤcken, Feuerfliegen,
Neyere, Kricken, Kaͤfer, Heuſchrecken
u. d. m. Dieſe hat es mit unſerm Vater-
lande gemein; allein noch außer dieſen finden ſich einige beſondere und merkwuͤrdige Arten.
So iſt unter den Mayvoͤgeln eine ungemein große Art, Jamma Tſjo, das iſt Berg-
papilien genant. Einige derſelben ſind ganz ſchwarz; andere mit rother, ſchwarzer und
andern Farben auf ihren gezakten Fluͤgeln außerordentlich ſchoͤn gezieret. Komuri iſt
eine ziemlich große, bunte, rauhe und harigte, ſchoͤne Nachtfliege: ſie hat mit der Fle-
dermaus einerlei Namen. Von Kaͤfern giebt es verſchiedene ſeltene Geſchlechter: unter
denſelben iſt ein ſchwarzglaͤnzender, groͤßer wie der Miſtkaͤfer, mit zwei krummen etwas ha-
kigten Hoͤrnern; deren groͤſtes, wie beim Rhinoceros, vorn uͤber die Naſe empor ſteht; das
kleinere iſt auf der Schulter, und mehr vorwaͤrts gebogen. Dieſe Kaͤfer ſind ſchlecht zu
Fus, halten ſich die mehrſte Zeit in der Erde auf, und ſind ſelten und nicht einmal
benant.


Sebi.


Ein gewiſſes Geſchlecht braune Kaͤfer, Sebi auch Semi genant, ergoͤtzen einen
Liebhaber der Natur mit verſchiedenen Merkwuͤrdigkeiten. Man findet ſie von dreierlei
Tab. X.
Fig. 6.
A. B.
Art und Groͤße. Die vornehmſten heißen Kuma ſebi, und gleichen an Groͤße und aͤußer-
licher Geſtalt unſern bei Sommerabend fliegenden Kaͤfern, ſie haben aber keine Werk-
zeuge zum Fliegen. Sie kriechen im Fruͤhſommer in der Nacht aus der Erde als ihrem
Winterlager hervor, und ſchließen ſich mit ihren ſcharfen rauhen Beinen an das Holz,
Blat, Strauch, oder was ſie ſonſt gefaſt haben, feſte an. Hiernaͤchſt reiſt die Schale
der Laͤnge des Ruͤckens nach auf, und es kriecht ein anderes Thier heraus, von Geſtalt wie
eine Biene, und groͤßer als ſein beſchließender Harniſch, das nach einem Stilſitzen von we-
nigen Stunden ſchnel davon fliehet. Dieſes Jnſekt, desgleichen beim Geßner unter
dem Namen Cicada vorgeſtelt wird, machet durch die Querſpalte ſeiner Bruſt, die es ſonſt
gleichſam mit einem Schilde verſchloſſen haͤlt, *) und zugleich durch Bewegung ſeiner vier
Fluͤgel ein ſcharfes unbegreiflich helles Getoͤſe, welches in einer weiten Entfernung in die
Ohren gelt, und das man eine Viertelmeile weit hoͤren kan. Die Berge und Buͤſche ſind
mit ihrem Geraͤuſch erfuͤlt; und ſie verlieren ſich erſt nach und nach in den Hundstagen.
Man ſagt, daß ſie alsdenn wieder in die Erde kriechen, und durch eine neue Verwandlung
wieder zu Kaͤfern werden ſolten; es iſt aber dieſes ungewis. Jhren gemeinen Namen
haben
[]

Tab. X.


[figure]

[][149]Zehnt. Kap. Von den vierfuͤßigen Thieren, Voͤgeln ꝛc.
haben ſie bekommen von ihrem Gelaut Semi oder Sebi, welches ſie vielmals nach einan-
der, erſt langſam, und nachher immer geſchwinder von ſich geben, bis ſie ihr Liedchen mit
einem Getoͤs, gleich einer ablaufenden Spille der Knopfmacher, beſchließen. Jhr Ge-
ſang faͤngt nach Sonnenaufgang an, und dauert nicht laͤnger als bis zum Mittag. DieTab. X.
Fig. 6.
C.D.E.

leren Huͤlſen (Exuvien) ſemi no muki gara genant, werden zum Arzneigebrauch einge
ſamlet, und ſind hier und durch Sina in den Apotheken zu kaufen. Eine andere Art die-
ſes Geſchlechts, welche viel kleiner iſt, und daher ko ſebi heiſt, komt einige Monate ſpaͤ-Tab. X.
Fig. 6.
F. G.
H. I.

ter zum Vorſchein, und zur Zeit, wenn jene abnehmen. Sie ſchreien blos vom Mittag
bis zum Abend, bis ſpaͤt in den Herbſt, mit beinahe gleichem doch viel leiſerm Laute, nach
welchem er auch von dem gemeinen Mann Tſuku Tſuku boo genant wird. Eine dritte
Art iſt dieſen an Groͤße und Eigenſchaften gleich, ausgenommen, daß ſie den ganzen TagTab. X.
Fig. 6.
K. L.

durch ſingt. Die Weibchen dieſer drei Arten ſind ſtumm, und haben eine verſchlosne Bruſt;
uͤbrigens aber eine gleiche Geſtalt und Groͤße, wie ihre Maͤnchen.


Spaniſche Fliegen.


Die Canthariden ſind an Farbe den ſpaniſchen gleich; allein runder und ſo
groß wie ein junger Kaͤfer. Jhr Gebrauch iſt hier unbekant. Außerdem giebt es ein
anderes Geſchlecht, Fan mio genant, welches uͤberaus kauſtiſch iſt, und daher fuͤr giftig
gehalten wird. Dieſe befinden ſich auf den Reisaͤhren; ſie ſind lang, ſchmal, und kleiner
wie die ſpaniſchen Fliegen; von Farbe blau und goldfaͤrbig, mit carmoiſinrothen FleckenTab. X.
Fig.
7.

und Strichen, und deswegen von ganz vorzuͤglicher Schoͤnheit.


Das ſchoͤnſte Jnſekt.


Das ſchoͤnſte von allen fliegenden Jnſekten, welches auch hier ſelten gefunden, und
von dem Frauenzimmer unter ihren Seltenheiten aufbewahrt wird, iſt eine ſchmale, halb-
fingerlange *) runde Nachtfliege; mit zwei Schlupfluͤgeln, und unter denſelben mit andern
durchſcheinenden verſehen, mit blauen und goldnen Strichen der Laͤnge nach gezieret, glaͤn-
zend wie ein Spiegel, und von ſo ausnehmender Schoͤnheit, daß man in einem paraboli-
ſchen Maͤrchen von demſelben erzaͤhlt, daß ſich alle des Nachts fliegende Jnſekten in daſ-
ſelbe verliebten. Es halte aber dieſelben dadurch ab, daß es ihnen befiehlt, erſt Feuer zu
hohlen, und ihnen verſpricht ſie nachher zu lieben. Dieſe Liebhaber fliegen alsdenn in
blinder Eile in die Kerze, und beſchaͤdigen ſich ſo ſehr, daß ſie das wiederkommen ver-
geſſen. Das Weibchen iſt nicht ſo ſchoͤn und glaͤnzend, ſondern beinahe aſchfarbig
und geflekt.


T 3Eilftes
[150]

Eilftes Kapitel.
Von Fiſchen und Muſcheln.



Seeproducte.


Das Waſſer giebt zum gemeinen Unterhalt der Japaner, wenn man den Reis ab-
rechnet, eben ſo viel oder noch mehr als das Land. Denn dieſes Meer iſt uͤber-
aus reich an Seekraͤutern, Fiſchen und Muſcheln; und unter dieſen iſt wenig oder nichts,
das nicht ihre erſten Vorfahren aus Armuth zur Speiſe gebraucht haͤtten; und welches nicht
in ſpaͤthen Zeiten und bei mehrerer Cultur zu Delikateſſen und zur Ueppigkeit ange-
wandt waͤre.


Fiſche und Muſcheln werden bei ihnen mit dem gemeinſchaftlichen Namen Kiokai
oder gewoͤhnlicher Jwokai benant. Jch werde von denſelben diejenigen, welche mir vorge-
kommen, obgleich die mehrſten von ihnen auch in unſern Waͤſſern gemein ſind, nach ihren
einlaͤndiſchen Namen bekant machen. Es wird dies eine Vorbereitung ſeyn, und dienen
ein| kuͤnftiges Capitel zu erlaͤutern, worin ich von den japaniſchen Speiſen und Kuͤchenwerk
handeln werde.


Walfiſche.


Unter allen Seegeſchoͤpfen iſt keines, das zur Saͤtigung des hungrigen Poͤbels mehr
beitraͤgt, als der Kudſira oder Walfiſch. Dieſer wird beinahe um ganz Japan gefan-
gen; aber am haͤufigſten im See Kumano, welcher die ſuͤdlichen Ufer der Jnſel Nipon
beſpuͤhlet: nach dieſen um die Jnſel Tſuſima und Gotho, und hiernaͤchſt an den Ufern
Omura und Nomo. Der Fang geſchieht durch Wurfpfeile, wie bei Groͤnland, aber
mit bequemeren Fahrzeugen; dieſe nemlich ſind klein, ſchmal, vorn ſpitzig, mit 10 Ruder-
knechten beſezt, und uͤberaus ſchnell. Ein reicher Fiſcher in Omura, Namens Gilaijo,
hat
[151]Eilft. Kap. Von Fiſchen und Muſcheln.
hat im Jahr 1680 eine neue Art erſunden die Walfiſche zu fangen; nemlich dieſelben mit
Netzen aus Stricken von der Dicke zweier Daumen zu uͤberziehen; und hierin iſt ihm bald
ein Bauer in Gotho, Jwonomo genant, gluͤklich nachgefolgt. Dies Thier ſol nemlich,
ſo bald es ſein Haupt beſtrikt fuͤhlt, nicht ſchwimmen koͤnnen, ſondern ſtil halten: und wird
alsdenn mit Wurfpfeilen auf gewoͤhnliche Art geſchoſſen und aufgebracht. Dieſe Art ſol
aber weitlaͤuftige Zurichtungen, und weit groͤßere Koſten erfordern als die gemeine. Denn
da die gemeine nicht uͤber zwanzig Kiſten Silber erfordert, ſo kan dieſe nicht unter zwanzig
Kiſten ausgefuͤhrt werden: ſie iſt aber dagegen viel groͤßer und vortheilhafter.


Verſchiedene Arten von Walfiſchen.


  • 1) Siebi iſt der vornehmſte und groͤſte. Es iſt ein ſehr dicker Fiſch, und giebt den
    mehrſten Thran; er hat auch das beſte und ein ſehr geſundes Fleiſch, dem die Arbeits-
    leute und Fiſcher, welche bei Tag und Nacht, und im kalten Wetter ſo viel Ungemach
    ausſtehen muͤſſen, die Erhaltung ihrer Geſundheit zuſchreiben.
  • 2) Awoſangi, gemeiniglich Kokadſura, das iſt kleiner Walfiſch genant, iſt
    kleiner als der Siebi; er hat ein aſchgraues Fel, und auch eine verſchiedene Geſtalt.
  • 3) Nagaſſ iſt ein 20 bis 30 klafterlanger Fiſch. Er kan 2 bis 3 Stunden unter
    Waſſer bleiben, und unter demſelben etliche Meilen fortſtreichen, da andere ſtets Luft ſchoͤ-
    pfen muͤſſen.
  • 4) Satoo Kudſura, oder der blinde Walfiſch. Dieſer Name ruͤhrt von der
    Figur einer Bijwa oder einlaͤndiſchen Laute her, worauf die Blinden in dieſem Lande zu
    ſpielen pflegen, und deren Figur auf dem Ruͤcken dieſes Walfiſches abgebildet iſt. Es iſt
    eine kleine Art; erlangt aber doch zuweilen die Laͤnge von 10 Klaftern. Sie findet ſich hier
    ſehr haͤufig, ihr Fleiſch aber iſt ungeſund; weil es, wie man ſagt, gar zu hitzig iſt, Ca-
    tharrhen, Kraͤtze und Kinderblattern verurſacht, und alte Gebrechen wieder erneuert. Wer
    dieſes Fleiſch kent, kauft es nicht; es wird aber, wie das Fleiſch aller andern Walfiſche,
    unter dem Namen des Walfiſches Siebi aufs Markt gebracht.
  • 5) Mako iſt nur 3 bis 4 Faden lang, und wird auch nicht groͤßer. Mako
    heiſt ſonſt auch jeder junge Walfiſch; aber hier iſt es ein eigener Nahme. Er wird um
    die oͤſtliche Seite von Japan, und am haͤufigſten bei Kino Kuni und Satzuma gefangen.
    Dieſe Art fuͤhrt gemeiniglich in den Gedaͤrmen Ambra: ſie giebt aber kein Thran als blos
    aus dem Kopfe.

6) Jwaſi
[152]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
  • 6) Jwaſi Kuſira, das iſt Sardeinfreſſer; dieſer hat Schwanz und Flosfedern
    wie ein gemeiner Fiſch. Wir haben ihn geſehen im Monath April, zwiſchen Caminoſeki
    und Siminoſeki; und es duͤnkt mir, es ſey der ſo genante Nordkaper.

Nutzung der Walfiſche.


Von allen dieſen Walfiſchen wird außer den breiten Huͤftbeinen gar nichts als
unbrauchbar weggeworfen. Die Haut, welche ſchwarz iſt, das Fleiſch, welches roth und
wie Kuhfleiſch ausſiehet, die Gedaͤrme, die man wegen ihrer Laͤnge Siakfiro, das iſt
100 Klafter nennt, und alle uͤbrige Eingeweide werden eingeſalzen, gekocht und genuͤzt.
Das Spek wird zu Thran oder Lampenoͤl ausgebrant, und deſſen Schroten, nachdem ſie
zum zweitenmal ausgebraten werden, gegeſſen. Die Graͤten ſind weis und knoͤrpelich,
und werden, wenn ſie noch friſch ſind, zur Speiſe gekocht; mehrentheils aber geſchabet, und
getroknet und ſo fuͤr die Kuͤche aufgehoben. Aus andern nerveuſen Theilen, ſo wol weißen
als gelben, werden grobe Saiten oder Schnarren gemacht, um Baumwolle damit zu be-
reiten; oder auch um ſie auf Jnſtrumenten zu gebrauchen. Der Abfal davon geht gar nicht
verlohren, ſondern findet auch einen Gebrauch in der Kuͤche. Die Flosfedern oder Fiſch-
bein werden zu den ſubtilen Gold- und Silbergewichten, die auch den Namen davon haben,
wie auch zu andern ſchwarzen Zierathen und mancherlei Manufacturen gebraucht.


Satſifoko.


Satſifoko iſt ein Fiſch gemeiniglich 2 bis 3, zuweilen 5 bis 6 Klafter lang. Er
hat zwei lange Zaͤhne, welche aus dem Maule aufwaͤrts hervorſtehen. Man ſtelt dieſelben
zuweilen auf die Giebel der Schloͤſſer und Tempel. Dieſer Fiſch ſol, wie die Fiſcher er-
zaͤhlen, ein liſtiger Feind der Walfiſche ſeyn; indem er ihnen in den Hals kriechen, die Zun-
ge ausfreſſen, und ſie ſo toͤdten ſol. Und beim Einkriechen, ſagen ſie, wiſſe er ſeinen
Kopf ſo zu beugen, daß ſeine Hoͤrner ihm keine Hindernis verurſachen.


Jruka.


Tab.
XI.
Fig.
1.

Jruka iſt der bekante Fiſch, der durch ganz Jndien Tennye genant wird.


Furube.


Tab.
XI.
Fig.
2.

Furube iſt ein Fiſch von gemeiner Groͤße; bei den Hollaͤndern in Jndien ein Aufbla-
ſer
genant, weil er ſich ſo dick wie eine große Kugel aufblaſen kan, wird fuͤr toͤdtend giftig ge-
halten. Es giebt derſelben im japaniſchen Meer drei Arten, und jede in großem Ueberflus.
Die erſte Suſume buku iſt klein, und wird daher wenig gegeſſen, die zweite Art heiſt
Mabuku, das iſt, der rechte und aͤchte Buku, bei den Japanern wird dieſer Fiſch fuͤr
die
[]

[figure]

Tab. XI.


[][153]Eilft. Kap. Von Fiſchen und Mulſcheln.
die groͤſte Delikateſſe des Meers gehalten; und von jedem genoſſen, nachdem der |Kopf,
Graͤthen und Eingeweide davon getrent, und auch dem Fleiſch durch behutſames und fleißi-
ges Abwaſchen alles Schaͤdliche benommen worden. Und dennoch ſterben oftmals Men-
ſchen davon; man giebt aber alsdenn die Schuld einer nachlaͤſſigen Reinigung. Von die-
ſem unabgeſpuͤhlten Fleiſch pflegen diejenigen, welche wegen unheilbarer Krankheit des Lebens
uͤberdruͤſſig ſind, ſich ein Todtenmal zuzurichten. Dem Nachbarn meines Dieners in Na-
gaſakin
ſchlugen allenthalben die ſpaniſchen Pocken aus, und es began ihm ſchon die Naſe
einzufallen. Er entſchlos ſich daher zu dieſer Mahlzeit; und kochte ſich von dem ungewaſche-
nen zerſtuͤkten Fleiſch ein Todtengericht. Er that, um das Gift noch fuͤrchterlicher und
wirkſamer zu machen, aus eignem Gutduͤnken noch Rus aus dem Strohdach mit hinein:
und legte ſich nach eingenommener Mahlzeit auf ſein Sterbebette. Worauf er, aͤngſtlich
mit dem Tode ringend, ſich beſtaͤndig erbrach, und einer Menge zaͤhen Schleims ſich ent-
ledigte; wodurch denn der Magen von dem friſchen eingenommenen Gifte, und die ganze
Natur von der eingewurzelten Krankheit gluͤklich befreiet wurde, und dieſer Man unver-
muthet ſeine Geſundheit wieder erlangte. — Vor einigen Jahren befanden ſich in derſelben
Stadt fuͤnf Perſonen nach einer Mahlzeit von dieſem Fiſch ſo uͤbel, daß ſie ploͤzlich ihre
Kraͤfte verlohren, in Ohnmacht, Raſerei und Blutbrechen verfielen, und innerhalb we-
nig Tagen ihr Leben endigten. — Man wil aber dennoch, ohngeachtet der Gefahr, ſich
dieſes Leckerbiſſens nicht enthalten. Jndeſſen iſt durchs ganze Reich den Soldaten verbothen,
von dieſem Fiſch zu eſſen. Und wenn einer davon ſtirbt, ſo iſt der Sohn der Nachfolge im
Amte ſeines Vaters verluſtig. Dieſer Fiſch wird viel theurer verkauft als andere gemeine
Fiſche; er mus aber friſch genoſſen werden.


Die dritte Art wird Kita makura, das iſt Nordkuͤſſen, ich weis nicht warum,
genant; und man nent auch ſo eine Perſon, die mit dem Haupt gegen Norden ſchlaͤft.
Dieſer Fiſch hat ein abſolut toͤdliches Gift, welches ihm durch kein Waſchen kan benommen
werden. Er wird wiſſentlich niemals zur Speiſe genommen, als von denen, die ſich ent-
leiben wollen.


Waſſerbauch.


Ein gewiſſer Fiſch, Waſſerbauch genant, iſt ſo lang wie ein zehnjaͤhriger Knabe,
und ohne Schuppen und Flosfedern. Er hat ein ungeheures Haupt, Maul und Bruſt;
einen großen duͤnnen Bauch wie ein Sak, welcher durchs Maul angefuͤlt eine große Men-
ge Waſſer faſſen kan; ſcharfe duͤnne Zaͤhne wie eine Schlange; faſt keine Gedaͤrme, und
ſehr kleine geringe Eingeweide. Unter ſeinem Bauche hat er zwei platte cartilagineuſe
Fuͤße mit Fingern, beinahe wie eine Kinderhand, womit er ſcheint auf dem Grunde des
Waſſers fortzukriechen. Alle ſeine Theile, nichts ausgenommen, dienen zur Speiſe.
UMan
[154]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Man faͤngt ihn zwiſchen Camokura und Jedo; an welchem lezteren Ort ich ihn habe zur
Kuͤche bringen ſehen.


Tai.


Tai, heiſt ein Fiſch, den die Hollaͤnder in Jndien Steinbraſſen nennen. Es
iſt der vornehmſte Fiſch in Japan; theils aus Aberglauben, weil er ihrem Goͤtzen Jebis ge-
heiligt iſt, und fuͤr ſehr gluͤklich gehalten wird; theils auch wegen ſeiner Schoͤnheit und
Glanzes unter dem Waſſer. Er iſt ſelten, gleicht an Geſtalt beinahe einem Karpfen,
und iſt von Farbe roth und weislich. Das Weibchen hat rothe Kieven. Bei großen
Gaſtmalen am Hofe wird das Stuͤk zur Unzeit gekauft, bisweilen zu 1000 Cobang
bezahlt. Es giebt noch eine ſchwaͤrzliche Art von dieſen Fiſchen, wegen ihrer Farbe Karo
da[i],
der ſchwarze Steinbraſſen genant; man haͤlt ſie aber fuͤr weit ſchlechter als die vorige
Art. Sie werden um Saikokf gefangen.


Suſuki, Funa, u. ſ. f.


Suſuki iſt ein ſogenanter Kahlkopf; (Tab. XI. Fig. 3.) Funa ein Fiſch, dem
Karpfen gleich, von dem man glaubt, daß er Arzneikraͤfte beſitze, und beſonders gegen
den Wurm. Nagos, eine andere laͤngere Art wie ein Karpfe. Mébaar ein Fiſch,
der uͤber ſeinen ganzen Leib blutroth iſt; von Groͤße und Geſtalt wie ein Karpfe oder Stein-
braſſen, und mit ſo ſehr hervorſtehenden Augen, daß der ganze Apfel aus ſeiner Grube her-
vorragt; es iſt ein ſchlechter Fiſch, eine Nahrung armer Leute, der haͤufig gefangen wird.
Koi, eine Art Barſch oder Karpfen, der bis 1½ Sakf lang iſt, wird in ſuͤßem Waſſer
Tab.
XI.
Fig.
4.
gefangen. Er ſezt ſich gegen die Waſſerfaͤlle und ſchwingt ſich hinauf; er iſt ſo ſtark, daß
er ſich zween Menſchen, die ihn gefaſt, aus den Haͤnden entreiſt. Er wird ſo wol friſch als
eingepoͤckelt in andere Provinzen verfuͤhrt. Jm Saifu oder Tenſiu Teiche oder See er-
langen einige die Laͤnge von 4 Sakf. Mar oder Maar ein Salm oder Lachs wird meiſt
in Fluͤſſen und ſuͤßen Meeren gefangen. Jto Jori ein Salmonat. Makuts ein Har-
der. Sawara ein Koͤnigsfiſch. Fjuwo (Tab. XI. Fig. 5.) ein Draatfiſch. Ara ein
durch ganz Jndien von den Hollaͤndern ſo genanter Jacob Evers. Kuſuna ein
Stumpfnaſe. Kamas ein Schnik oder Hecht. Suſuki ein Scharffiſch, aber lang
und ſchmal.


Adſi, von den Hollaͤndern Masbanker genant, wovon es verſchiedene Arten
giebt; die groͤſte, Oodſj, (Tab. XI. Fig. 6.) wird fuͤr die vornehmſte gehalten. Fuka
ein Kaye. Same oder Fuka ſame (Tab. XI. Fig. 7.) ein Rogge mit Perlenfel. Dieſes
Fel wird haͤufig aus Siam in Japan verfuͤhrt, weil es dort weit edler und ſchoͤner iſt.
Jei
[155]Eilft. Kap. Von den Fiſchen und Muſcheln.
Jei ein Ragfiſch; von dieſen giebt es eine Art, bei den Hollaͤndern Pijlſtaarts genant,
welche ein hornigtes Schwerdtgen am Schwanze haben. Die Japaner glauben, daß
dieſes wider den Schlangenbis gut ſey, wenn derſelbe damit beſtrichen wird; es mus aber
einem lebenden Fiſch abgenommen werden. Sie fuͤhren es zu dieſem Ende in ihrem Bu-
ſenſak unter andern Leibmedicamenten bei ſich. Come oder Jei Schollen. Karei eine
Butte. Bora gleichet einem Lachs; er hat ein weißes ſehr delikates Fleiſch, und wird
von den Auslaͤndern Songaats Fiſch genant, weil er im Songaats, das iſt, im erſten
japaniſchen Monat, gefangen wird. Sein Fleiſch wird wie Bremer Lachs geraͤuchert
und verfuͤhrt. Die aufgetroknete Krit, *)Karas ſummi genant, wird wie eine Stroh-
geige,
je zehn nach einander, an zwei Strohſtricke geheftet, und aus Nagaſaki, weil der
Fiſch in Nomo und hier herum gefangen wird, nach Jedo und in andre Provinzen Japans,
und auch von den Fremdlingen aus dem Lande verfuͤhrt. Karaſſumi von andern Fiſchen
wird wenig geachtet. Katſuwo: der beſte wird um Gotho gefangen; man zerſchneidet
das Fleiſch in vier Theile, kocht es im Dampf des Waſſers, troknet es auf und ſetzet es
hiernaͤchſt vor zum Trinken. Die Hollaͤnder fuͤhren es aus, unter dem falſchen unbekanten
Namen Comtlomaas. Mana gatſuwo, ein platter Fiſch wie eine Butte, mit einem
Auge in der Seite. Sake, vielleicht ein Cabliau; er wird wie ein Stokfiſch getroknet,
aus Jeſo in Japan gebracht: ſeinen Namen hat er vom Geruch, weil er nemlich wie das
Getraͤnk Sake riecht. Tara, eine Art Stokfiſch, komt aus den nordlichen Provinzen:
der beſte aus Tſjooſin; daher wird er Tſjooſin dara genant. Sajori, in Nagaſaki
ſuſuno Jwo
und von den Hollaͤndern Nadelfiſche (Tab. XI. Fig. 8.) genant, ſind ſpan-
nelang, duͤnne und haben lange ſpitzige Schnabel. Tobiwo, das iſt ein Springer, weil
er uͤber das Waſſer fliegt; er iſt ſelten laͤnger als ein Fus, und ſehr wohlſchmeckend; er wird
aber wenig gefangen. Jwas, Sardein. Kiſſugo, Spiering oder Sandſpiering. Jeſo,
von den Hollaͤndern vielleicht Sandkruper genant, iſt eine Art zwiſchen dem Aal und
Sandſpiering. Saba, Makrelen. Ai oder aino iwo, auf hollaͤndiſch Mode vis,
ſind ſpannelang, halten ſich im ſuͤßen Waſſer auf, und laufen ſehr ſchnel. Sjiroo iwo,
kleiner Stint oder Weisfiſch; **) er wird im Fruͤhling vor den Ausfluͤſſen der Stroͤme im
Meer gefangen. Kono ſjiro, von den Hollaͤndern ſah ſap genant, iſt eine Art Heringe,
welche den ſchwediſchen Stroͤmlingen nahe kommen. Kingjo, Goldfiſch; ein Fiſchgen
von der Laͤnge eines Fingers, roth und am Schwanze goldfarbig und glaͤnzend, und wenn
U 2er
[156]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
er noch jung iſt, ſchwaͤrzlich. Sie werden in Sina und Japan, und jezt auch in Jndien
in Waſſergefaͤßen unterhalten; und muͤſſen mit jungen Muͤcken, die noch ungefluͤgelt ſind,
gefuͤttert werden. Es giebt eine andre Art, welche ſilberfarbig iſt. Unagi, ein Aal.
Oo unagi, (Tab. XII. Fig 1.) eine andere Art großer Aele. Jaatzme unagi, das
iſt achtaugiger Aal, (Tab. XII. Fig. 2.) auf deutſch Neunauge. Do dſ joo, auf hol-
laͤndiſch ein Puytaal, (Tab. XII. Fig. 3.) iſt einen Finger lang, hat einen dicken Kopf
und haͤlt ſich in naſſen Reisaͤckern und Modderpfuͤtzen auf, wie in Deutſchland. Es giebt
zwei Arten, eine mit und die andere ohne Bart. Man erzaͤhlt, daß ſie auch durch Kunſt
hervorkommen ſollen, und zwar aus zerhaktem mit allerlei Unflat vermiſchtem Stroh; wenn
man nemlich daſſelbe zur Bruͤtung in freier Sonne mit Moder vermiſche. Fammo, bei
den Hollaͤndern Congeraal, (Tab. XII. Fig. 4.) iſt ſchmaler und groͤßer als ein Aal;
in der See aber doch wie ein Aal anzuſehen. —


Jka.


Jka, eine gemeine Seekatze, wird von den Sineſern und Japanern fuͤr ſelten
und fuͤr ein Leckerbisgen gehalten. (Tab. XII. Fig. 5. 6.) Die Fiſche laſſen ſich auch
leichter mit dem Fleiſche deſſelben angeln. Tako, eine Seekatze oder Seequalm mit langen
Schwaͤnzen oder Fuͤßen, (Tab. XII. Fig. 7.) an deren Enden ſich Cotyledones befin-
den, womit dies Thier ſich anheftet. Es wird friſch gekocht und auch aufgetroknet, und
zu gemeinen Savano oder Aufſaz angewandt. Kuraijge oder weißer Qualm, (Tab. XII.
Fig.
8.) iſt die gemeine Art und in allen Waaren befindlich, und durchſichtig, waͤſſerig
und unbrauchbar. Die andere Art findet ſich nicht allenthalben, iſt aber fleiſchicht und es-
bar, nachdem ſie von ihrer hitzigen Schaͤrfe befreiet und wohl bereitet worden. Die Be-
reitung geſchieht mit einer Beize von Alaun, womit ſie drei Tage hingeſezt, darnach ſo
lange gerieben und geſpuͤlt wird, bis ſie durchſichtig iſt; und alsdann wird ſie eingeſalzen
und zur Speiſe aufbewahrt. Die Haut wird vor der Beizung abgezogen und nach fleißi-
gem Abſpuͤlen getroknet und zur Kuͤche aufgehoben. Man findet dieſe Qualmen bisweilen
ſo gros, daß zwei Perſonen daran zu tragen haben.*) Dieſe Holothuria, wenn ſie be-
reitet und gekocht, ſind von derſelben Subſtanz, Farbe und Geſchmak, wie die ſo genanten
Vogelneſter, nidi alcyonum, welche auch ohne Zweifel aus keiner andern Materie als
aus dieſer zuſammen getragen werden, wie mir von ſineſiſchen Fiſchern berichtet iſt.


Tab.
XIII.
Fig. 1.
Tab.
XIII.
Fig.
2.

Námako, von den Hollaͤndern auf Batavia Kaffer Kuͤll genant, iſt wohl zu
eſſen. J mori, eine kleine giftige Waſſereidex, ſchwarz mit rothem Bauch.


Ta
[]

Tab. XII.


[figure]
[][157]Eilft. Kap. Von den Fiſchen und Muſcheln.

Ta kano makuri, das iſt, das Hauptkuͤſſen des Seequalms Tako, iſt der ge-
meine Seeſtern; er wird nicht gegeſſen.


Schildkroͤte.


Unter den geſchulpten Fiſchen mit Fuͤßen wird von den Japanern aus Aberglau-
ben, wegen des von ihnen geglaubten langen Lebens, fuͤr omineus und hoͤchſt edel gehalten,
der Ki oder Came, das iſt die Schildkroͤte. Eine gewiſſe Art von dieſen, von den ge-
lehrten Mooki, und von den gemeinen Leuten Mino game genant, die mit einem breitenTab.
XIII.
F.
3. 4.

Schwanz, gleich einem großen runden Bart verſehen iſt, ſieht man durch ganz Japan,
wenn nicht in der Natur, wenigſtens doch in vielen gluͤkbedeutenden emblematiſchen Figu-
ren, zum Zierath der Tempel, Altaͤre, kaiſerlicher und fuͤrſtlicher Saͤle. Von den uͤbri-
gen Arten ſind nachfolgende die gemeinſten: Jſi cane oder Sanke, das iſt Stein- undTab.
XIII.
Fig. 5.
Tab.
XIII.
Fig.
6.

Bergſchildkroͤte, weil man ſie zuweilen an ſolchen Orten findet. Jſo game oder Doo
game,
das iſt fiſchichte Schildkroͤte, weil ſie ſich ſtets im Waſſer bei Fiſchen aufhaͤlt. An
den oͤſtlichen und ſuͤdlichen Gegenden Japans findet ſich eine ſo große Schildkroͤte, daß ihr
Schild beinahe einen ganzen Menſchen bedekt.


Krebſe u. ſ. f.


Jebi, ſo werden allerlei Krebſe und Garnelen genant, ſo wol in ſuͤßen als ſalzi-
gen Waſſern. Unter dieſen ſind mir folgende Geſchlechter mit Namen bekant: Jebi ſako,
die gemeinen kleinen Krabben, welche die baltiſchen Ufer auch uͤberfluͤſſig liefern. Sako
heiſt allerlei kleines Gefiſche. Si Jebi, ſind wie gemeine Krebſe. Dakma Jebi, ſind
desgleichen, aber uͤber 10 Jahr ganz ſchwaͤrzlich, und werden in ſuͤßen Waſſern gefangen.
Kuruma Jebi, das iſt, Radgarnelen, wegen der Figur ihres Schwanzes ſo genant.
Umi Jebi, große Krabben oder Krebſe, von der Laͤnge eines Fußes. Sie werden ge-
kocht, dann zerſchnitten, und ſo zubereitet, oft als Sakana (Aufſaz von troknen Gerich-
ten) vorgeſezt. Man mus ſich in acht nehmen, daß man den ſchwarzen Schwanz davon
nicht mitiſſet; denn er verurſacht bisweilen Bauchſchmerzen und die Cholera.Siakava,
eine Krabbe mit breitem Schwanz, haͤlt ſich im Waſſer bei andern kleinen Fiſchen auf; ſie
hat wenig und im vollem Mond beinahe gar kein Fleiſch. So wie alle Teſtacea, ganz
entgegengeſezter Weiſe als in Europa, beim Neumond fleiſchichter und voller ſind. Eben
dieſes bemerkt man auch in dem uͤbrigen Jndien jenſeits des Ganges. Gemina oderTab.
XIII.
Fig.
7.

Koona, iſt eine Krabbe, die ſich in einem bunten Schneckenhauſe aufhaͤlt. Kani oder
Taſchenkrebs, iſt der gemeine europaͤiſche, der ſich in Fluͤſſen aufhaͤlt, wird mit dem alge-
meinen Geſchlechtsnamen benant; Kabuto gani oder Unkju iſt am Vordertheil ſeines Lei-Tab.
XIII.
Fig.
8.

U 3bes
[158]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
bes ſcharf, und mit einem ſtachlichten Schwerdtgen geſchnabelt; hinten rund und glatt.
Tab.
XIV.
Fig.
1.
Gadſame iſt eine Art von gemeiner Groͤße, deſſen oberſte Schale auf beiden Seiten ſcharf
zugeht; und auch hinten mit ein Paar Scheren, die aber kleiner ſind als die vordern, be-
wafnet iſt. Simagani, das iſt, geſtreifter Taſchenkrebs, ſo wol von Farbe als Sta-
Tab.
XIV.
Fig.
2.
cheln, mit welchen ſich die Schale allenthalben erhebt; nur die Hinterfuͤße ſind glat und
cylindriſch. Sie werden in der oͤſtlichen See, und auch im ſirigaiſchen Meerbuſen haͤu-
fig gefangen. Jch habe vom leztern Ort ein Glied vom Fuße aus einer Garkuͤche mitge-
bracht, welche an Groͤße und Figur eines Mannes Schienbein gleichet.


Muſcheln und Schnecken, von was fuͤr Geſchlecht oder Art ſie auch ſind, keine
ausgenommen, dienen hier alle zur Speiſe: roh, getroknet, eingeſalzen, friſch gekocht,
oder gebraten. Sie werden waͤhrend der Ebbe von dem Strande taͤglich aufgeſucht, auch
mit Netzen, und von Taͤuchern ans Land gebracht. Die gemeinſten und bekanteſten ſind
folgende:


Tab.
XIV.
Fig.
3.

Awabi; dieſe Muſcheln beſtehn nur aus einer einfachen oder einſeitigen Schale.
Sie haben die Groͤße wie eine mittelmaͤßige perſiſche Perlemutter; ſind aber nicht ſo flach.
Sie ſitzen tief unter der See, mit der ofnen Seite an den Klippen angeſchloſſen, und
werden von den Fiſchweibern, welche durchgehends *) Taucherinnen ſind, heraufgehohlt.
Dieſe fahren mit einem Spies oder langen Meſſer, womit ſie ſich wieder den Kaije ſchuͤ-
tzen koͤnnen, hinab; und wenn ſie eine Awabi antreffen, ſtoßen ſie dieſelbe ſchleunig, ehe
ſie ſichs verſiehet, mit einem Stos herunter: denn ſie ſaugt ſich ſonſt ſo feſte an die Klippen,
daß ſie durch keine Gewalt kan abgeriſſen werden. Dieſe Muſchel iſt mit einem großen
Stuͤk Fleiſch erfuͤlt, welches von Farbe gelblichweis, von Subſtanz ſehr zaͤhe und ohne
Fiebern iſt. Die Japaner ſagen, daß dies die vornehmſte Speiſe ihrer duͤrftigen Voreltern
geweſen ſey. Und deswegen ſetzen ſie auch auf jedem Gaſtmal, zum Gedaͤchtnis und
gluͤklicher Deutung, ein Gericht von demſelben auf. Es iſt auch ein gewoͤhnlicher hoͤflicher
Gebrauch geworden, ſowol unter geringen als vornehmen Perſonen, daß bei allen Ge-
ſchenken, es ſei Geld, Fruͤchte, Stoffe oder irgend etwas anders, eine Strenge dieſes
getrokneten Fleiſches beigelegt, oder wenigſtens ein Stuͤkgen davon uͤbergeklebt werde: wie
ſie ſagen, zu einem ehrerbietigen Gedaͤchtnis und Gluͤkszeichen. Die Bereitung des Flei-
ſches beſteht darin, daß mans in die Runde herum zu duͤnnen langen Riemen ſchneidet,
dieſelbe uͤber ein Bret ausſpant und ſo auftroknet.


Jn
[]

Tab. XIII.


[figure]
[][159]Eilft. Kap. Von den Fiſchen und Muſcheln.

Jn dieſer Muſchel wird bisweilen eine große Perle gefunden, welche aber unfoͤrmig,
gelblich, und bei den Japanern in keinem Werth iſt.


Tairagi iſt eine lange, platte, ſpizzulaufende, duͤnne, große Muſchel; ihrTab.
XIV.
Fig.
4.

Fleiſch iſt auf beiden Seiten mit einer ſtarken Sehne befeſtigt. Die beſte findet ſich im
Arimaiſchen Meerbuſen, und enthaͤlt daſelbſt bisweilen Perlen. Akoja iſt eine flache
Hornmuſchel, von der Groͤße einer Handbreit; auswendig ſchwaͤrzlich, ſchiefrigt, und
haͤslich; inwendig wie Perlenmutter. Die edelſte wird im Omaiſchen Seebuſen gefunden,
und giebt daſelbſt eine koſtbare Perle. Mirukai eine gemeine ſchwarze Muſchel, wie man
in Deutſchland in Fluͤſſen findet. Tamaguri, ſind Muſcheln von derſelben Form undTab.
XIV.
Fig.
5.

Groͤße, aber dik und ſehr glat; inwendig ſchneeweis und auswendig braͤunlich. Sie die-
nen dem muͤßigen Dairi oder Erbkaiſerlichen Hofe zum Spiel und Zeitvertreib, nachdem
ſie inwendig mit curieuſen Figuren bemalt worden ſind. Das Spiel beſteht darin, daß
man unter die anweſende Geſelſchaft| einen Naſch dieſer Muſcheln zum Grabbeln ausſchuͤtte.
Nachdem nun ein jeder ſeine Anzahl zu ſich genommen, gewinnet derjenige, der die mehrſten
Paare aufweiſen kan. Die zuſammengehoͤrende ſchließen jede mit Grundfugen von verſchie-
dener Figur in einander, und ſind daher leicht zu erkennen. Die mehrſten und ſchoͤnſten
werden auf den Ufern vor Quako geſammelt. Si dſimi, iſt eine kleine Muſchel, gleich
der Famaguri, doch duͤnner von Schalen, und wird im Modder gefunden. Kaki oder
Utſi kaki, Auſtern, ſind hier unfoͤrmig, rauh, ſteinigt, unter ſich ſelbſt und an den
Klippen zuſammen gewachſen. Es giebt eine große und kleine Art; die beſte und zugleich
große, findet ſich im Seebuſen Kamakura. Kiſa oder Akagai ſind auswendig weis,Tab.
XIV.
Fig.
6.

und mit tiefen gleich ablaufenden Gruben geziert; inwendig roth. Die Schalen verſieht
man mit einem Stiel und braucht ſie in der Kuͤche zum Schoͤpfen. Nakatagai, eine große
unfoͤrmige und geſtreifte ſchwarze Muſchel. Aſari, eine ſehr kleine, duͤnne, aſchfarbige, weiße
Muſchel. Te oder Ma tei (Tab. XIV. Fig. 7.) eine hole, duͤnne Muſchelpfeife, worin
ſich eine delikate Schnecke auf haͤlt. Umi Fake, eine andere beruͤhmte Muſchelroͤhre, iſt
ſpannelang, und ſo dik, daß man ſie zwiſchen Zeiger und Daumen beſchließen kan. Jhr
Fleiſch wird in Salz oder andere Tunke eingelegt, und zur Tafel aufgehoben. Dieſe Mu-
ſchel findet ſich allein um Tſjkungo; deſſen Herr den Fang jaͤhrlich ſo lange verbiethet, bis
er davon des Kaiſers Tafel verſehen hat. Takara gai, durch Jndien Kaners genant,Tab.
XIV.
Fig.
8.

werden aus den maldiviſchen und andern Jnſeln, in Bengalen, Pegu und Siam einge-
fuͤhrt; und daſelbſt als gemeine Land- und Scheidemuͤnz gebraucht. Die japaniſchen ſind
verſchiedner Art; die beſten bringt man aus Riuku, und macht eine weiße Schminke
daraus. Saſai iſt eine ziemlich wohlſchmeckende Seeſchnecke, in einem gewundenen,Tab.
XIV.
Fig.
9.

dicken, rauhen, ſtachlichten, gebuckelten weißen Hauſe: deſſen Eingang mit einem platten
dicken
[160]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch. ꝛc.
dicken, ſteinharten, gewundenen Schilde geſchloſſen wird; welches auswendig rauh und
wie ein Lapis Judaicus, aber doch ſchaͤrfer, inwendig aber glat und feſte angewachſen
iſt. Niſi, iſt eine Schnecke von derſelben Figur, auch wol etwas groͤßer; hat aber ein
weit ſchlechters Fleiſch wie die Saſai; ſie ſaugt ſich wie Awabi an die Klippen feſte.
Gemeine Leute bedienen ſich der Schalen, auf Strohkraͤnzgen feſtgeſtelt, zu Speitoͤpfen.
Tan Niſi, ſind Schnecken in gewundenen ſchwarzen Haͤuſergen von gemeiner Groͤße; ſie
werden ans dem Modder der Reisfelder zur Speiſe eingeſamlet: ihre Wohnung ſchließen
ſie mit einem ſteinigten Schilde. Bai, eine Schnecke mit einem gemein laͤnglichten, wei-
ßen Haͤußgen. Ras oder Mina, eine aͤhnliche, aber ſchwarz und viel kleiner. Beide
werden zur Zeit der Ebbe von dem entwaͤſſerten Seeſtrande anfgeſucht. Kabuto gai,
ein kleines rauhes Geſchlecht, oval und ungewunden. Sugai, eine ganz kleine gewun-
dene Muſchel.


Ende des erſten Buchs.



Politiſche
[]

Tab. XIV.

[figure]
[][[161]]

Politiſche Verfaſſung
des
japaniſchen Reichs
.

Auszug aus den japaniſchen Annalen, vom Anfang ihrer Chronologie
bis zum Jahr Chriſti 1692.

Zweites Buch.


X
[[162]][163]

Erſtes Kapitel.
Ramen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer, welche
in den japaniſchen Chroniken als die erſten Beherſcher
des Reichs angegeben ſind.



Um die Meinungen der Japaner uͤber den erſten Urſprung ihrer Nation, die ſie als
im Lande ſelbſt entſtanden angeben, und die verſchiedne Folgen ihrer Kaiſer deſto
begreiflicher zu machen, habe ich noͤthig gefunden, die ganze Geſchichte und Chro-
nologie von Japan in drei Epochen abzutheilen, die fabelhafte nemlich, die zweifelhafte
und die gewiſſe.


Die erſte und fabelhafte Epoche der japaniſchen Regierung gehet weit uͤber
die Schoͤpfung, wie ſie in der heiligen Schrift angeſezt iſt. Sie geben nemlich vor, daß
Japan eine lange Zeit unter der Regierung der ſieben himliſchen Geiſter oder unbe-
fleiſchten Goͤtter,
welche ſie nennen Ten Dſin Sitzi Dai, das iſt, der himliſchen
Goͤtter ſieben Geſchlechte,
deren jedes eine große Anzahl Jahre regierte, geſtanden habe.
Dieſe japaniſche Goͤtterhiſtorie iſt ſehr uͤberhaͤuft mit ſonderbaren und wunderbaren Bege-
benheiten und großen blutigen Kriegen, welche ihrem Vorgeben nach in dieſem erſten Al-
ter der japaniſchen Welt ſich ſollen zugetragen haben. Die zwei chronologiſchen Autoren,
welchen ich in Beſchreibung dieſer Hiſtorie gefolgt bin, erwaͤhnen nur ihrer Namen mit der
Nachricht, daß die drei erſten nicht beweibet, ſondern unverheirathet geweſen waͤren, die
vier lezteren aber haͤtten ein jeder ſeine Gemalin gehabt, welche zugleich Mitgenoſſen in ih-
X 2rer
[164]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
rer Regierung geweſen, daher auch derſelben Namen mit waͤren aufgezeichnet worden. Von
dieſer erſten Erbfolge der Goͤtter habe ich bereits Gelegenheit gehabt im ſiebenten Kapitel
des erſten Buchs weitlaͤuftiger zu reden, wohin ich alſo den geneigten Leſer verweiſe, und
nur hier wiederhole, daß der lezte von dieſer erſten Erbfolge Jſanagi Mikotto ſeine
Gemalin Jſanami Mikotto fleiſchlich erkant, und alſo ein ander Geſchlecht der Halbgoͤt-
ter oder Gottmenſchen gezeugt habe, wovon der erſte in der Regierung von Japan ge-
folget ſey.


Dieſer Halbgoͤtter ſind in der Zahl fuͤnf, welche heißen:


Dſi ſin Go Dai, das iſt: irdiſcher Goͤtter fuͤnf Herſcher, welche in folgen-
der Ordnung regieret haben.


  • 1) Ten ſio Dai dſin, aͤlteſter Sohn und Erbe von Jſanagi Mikotto, fuͤr
    deſſen und ſeiner Bruͤder und Nachkommen Andenken die Japoneſer jedesmal große Ehr-
    furcht bezeugen. Man ſagt, er habe 250,000 Jahre regieret. Sina ſoll waͤhrend ſeiner
    Regierung von Ten kwo Si, welchem auch eine lange und fabelhafte Regierung beigelegt
    wird, beherſchet ſeyn, und nach ihm ſollen drei Deſcendenten ſeines Geſchlechts die Her-
    ſchaft uͤber das Kaiſerthum Sina gehabt haben.
  • 2) Oo ſi wonino Mikotto, lebte und regierte in allem 300,000 Jahr. Zu
    ſeiner Zeit, wie auch unter der Regierung ſeines Nachfolgers bis zum Anfang der Regie-
    rung des vierten japaniſchen Dſi ſin, hat das Kaiſerthum Sina der Sat Teiki be-
    herſchet.
  • 3) Ni ni ki no Mikotto regierte 318,533 Jahr. Die ganze Zeit ſeiner Regie-
    rung war Sat Teiki Kaiſer von China.
  • 4) DéMi no Mikotto hat regieret 637,892 Jahr. China wurde zu der Zeit
    regieret durch den Kaiſer Katſura Kaki, welchem fuͤnf Prinzen von ſeiner Familie ge-
    folget ſind.
  • 5) Der fuͤnfte und lezte dieſer irdiſchen Halbgoͤtter war Awa ſe dſuno Mi-
    kotto;
    er regierte 836,042 Jahr, daß alſo die ganze Zeit der Regierung, worin dieſe irdi-
    ſche Halbgoͤtter das japaniſche Reich beherſchet haben, ſich belaͤuft auf 2, 342, 467 Jahr.
    Dieſes iſt alles, was die Japaner von dem alten Zuſtande und der Regierung ihres Reichs vor-
    zubringen wiſſen, woruͤber kluge Japaner ſelbſt ſehr empfindlich ſind, und es als eine Sache
    anſehen, die großem Zweifel und vieler Ungewisheit unterworfen iſt, wiewol ſie doch nicht
    alles ganz fabelhaft und erdichtet halten, weil alle, ohne Ausnahme, eine beſondere Hoch-
    achtung vor Jſanagi und deſſen Gemalin Jſanami, als Stamaͤltern ihres Volks, bezeu-
    gen, indem dieſe, wenn es erlaubt iſt ſo zu reden, ihr Adam und Eva ſind.

Die
[165]Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.

Die Rechte, welche das Geſchlecht der geiſtlichen Erbkaiſer in Japan zur
Krone und Regierung berufen, und welcher ſie ſich frei und ungehindert waͤhrend einer viele
Jahre fortdauernden Erbfolge erfreuet haben, ſind auf eine in gerader Linie von Ten ſio
Dai dſin
des Jſanagi erſtgebornem Sohn und Erben, und immer deſſen aͤlteſtem Sohn, und
ſo weiter herunter herruͤhrenden Abſtammung gegruͤndet. Es iſt daher kaum eine Stadt oder
Dorf im ganzen Kaiſerthum, worin nicht ein oder etliche Tempel zu ſeinem Andenken auf-
gerichtet waͤren, und wird beſonders ſeiner Reſidenz, dem Vorgeben nach in der Provinz
Jſje, ſolche Heiligkeit zugeſchrieben, daß zu gewiſſer Jahrszeit das Volk von allerlei Range,
Hohe und Niedrige, Reiche und Arme, dahin wie Pilgrimme walfahrten, wovon ich im
vierten Kapitel des dritten Buchs ausfuͤhrlicher reden werde.


Was die zweite und zweifelhafte Epoche betrift, ſo iſt wenig bekant von dem
Zuſtande dieſer Laͤnder und der Lebensart der Einwohner von Anfang der Schoͤpfung, da
nach der Beſchreibung des großen Geſezgebers Moſis das allerhoͤchſte Weſen dieſe unſere
Erdkugel aus nichts hervorgebracht hat, bis zur Zeit ihres erſten Monarchen Sin Mu
Ten Oo,
deſſen Regierung ſich im 660ten Jahre vor unſers Heilands Chriſti Geburt ſol
angefangen haben. Wenigſtens iſt wahrſcheinlich, daß ſie in dieſer langen Zeit, oben und
unten im Lande, wie die ſcytiſchen Einwohner der großen Tatarei noch heutiges Tages,
zerſtreuet in Horden, und von den uͤbrigen Voͤlkern der Welt durch ein felſichtes und unge-
ſtuͤmes Meer, ſo ihre Jnſuln umgiebt, ganz abgeſondert im Stande der Natur und
Freiheit ohne feſtgeſezte Regierungsform und ohne alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, ge-
lebt haben.


Das benachbarte Koͤnigreich oder Kaiſerthum China war damals bereits zu einer
betraͤchtlichen Macht und Aufklaͤrung angewachſen. Es bluͤhete in Kuͤnſten und Wiſſen-
ſchaften, welche auch nach Japan durch die Chineſer uͤberbracht wurden, und die Ja-
paner
verdanken es allerdings dieſen, daß ſie ſchon bei Zeiten cultivirt und civiliſirt
wurden.


Da ſie nun auch von dieſen ihren Nachbaren in den Grundſaͤtzen einer monarchi-
ſchen Regierung unterrichtet waren, ſo iſt wahrſcheinlich, daß ſie ſich mit deſtomehr Wil-
ligkeit unterworfen haben, als Sin Mu Ten Oo uͤber ſie zu regieren anfieng, inſonderheit
da dieſer Prinz von einer unter ihnen beliebten und heilig gehaltenen Familie entſproſſen war.
Zu eben dieſer Zeit, damit eine ſo anſehnliche Periode in ihren chronologiſchen Buͤchern
nicht leer bliebe, haben ſie die Luͤcke mit denen Namen der anſehnlichſten Monarchen ange-
fuͤllet, welche nach der von Katſura Kuki niedergelegten Regierung nebſt fuͤnf andern
von der Familie auf dem Thron von China geſeſſen haben ſollen.


X 3Der
[166]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Der erſte chineſiſche Kaiſer, von welchem in dieſem zweiten Alter Meldung ge-
ſchieht, iſt Fuki oder mit ſeinem ganzen Tittel Ta ko Fuki, welches die Chineſer Fohi
ausſprechen. Dieſer Fuͤrſt hatte nach einiger Bericht einen Schlangenleib, und nach an-
drer Meinung ein Schlangenhaupt und einen ſehr hohen Verſtand. Er entdekte die Be-
wegung der Himmel und die zwoͤlf himliſchen Zeichen, und theilete die Zeit in Monate und
Jahre ein; erfand viele nuͤzliche Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, welche er der Welt zum al-
gemeinen Nutzen der Menſchen mittheilte. Die Chineſer machen ihn zu ihrem erſten
Kaiſer und Grundleger ihrer Monarchie, und viele unter ihnen geben vor, daß ſie von deſ-
ſen Regierung bis auf gegenwaͤrtige Zeit eine ganz genaue und ununterbrochene Geſchichte
ihres Kaiſerthums aufweiſen koͤnnen, nebſt einer wahrhaften chronologiſchen Erbfolge ihrer
Kaiſer, welche vor dieſer Zeit ganz zweifel- und fabelhaft geweſen ſey. Der erwaͤhnte
Kaiſer ſol nach einem meiner japaniſchen Geſchichtſchreiber 20, 446 vor Symnu oder
21, 106 Jahr vor Chriſti Geburt, und alſo viele 1000 Jahre vor der Schopfung zu regie-
ren angefangen haben. Jhm gebuͤhrt aber eigentlich in dieſer andern Periode keine Stelle,
ſondern er ſolte billiger in die erſte und fabelhafte Zeit verſezt werden.*) Mein anderer
chronologiſcher Autor ſezt den Anfang ſeiner Regierung mit mehr Wahrſcheinlichkeit in das
2928te Jahr vor Symnu, welches iſt das 3588te vor Chriſti Geburt oder nach Petavio
das 396te Jahr nach der Schoͤpfung. Er hat nach einem Autor 110 und nach einem an-
dern 115 Jahr regiert. Da ich den leztern Autor in vielen Sachen weit accurater als den
erſten
[167]Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.
erſten gefunden, ſo habe ich demſelben zu folgen auch hier fuͤr beſſer gehalten.*) Der ehr-
wuͤrdige Pater Couplet ſezt in der Vorrede ſeiner chronologiſchen Tabellen**) den An-
fang der Regierung des Fohi in das 2953te Jahr vor Chriſti Geburt, welches unſers Hei-
landes Geburt 520 Jahr naͤher komt, und die Zeit iſt, in welcher Xinnum und die ſieben
Deſcendenten ſeiner Familie auf dem chineſiſchen Thron geſeſſen haben.***)


Der andere chineſiſche Kaiſer war Sin Noo, welches die Chineſer Xin Num
oder Sinnum ausſprechen, mit ſeinem voͤlligen Titel aber Jen Tai Sin Noo Si.
Einige Autoren fangen die chineſiſche Chronologie mit der Regierung dieſes Kaiſers an,
welcher zu der Regierung gelangte im Jahr vor Symnu 2549, welches iſt das Jahr vor
Chriſti Geburt 3209, oder nach des Petavii Zeitrechnung 775 Jahr nach der Schoͤpfung.
Dieſer durchlauchtige Prinz war dem aͤgyptiſchen Serapis gleich, da er die Menſchen im
Ackerbau und denen Kuͤnſten, welche unſer Leben zu erhalten dienen, unterrichtete, aus
welcher Urſach er von einigen mit einem Ochſenkopfe, von andern aber nur allein mit zwei
Hoͤrnern an ſeinem Vorderkopfe vorgeſtellet worden iſt. Er hat die Kraft und Eigenſchaft
einiger Pflanzen entdecket und hat dieſelbe der Welt in einem Tractat mitgetheilt, den er be-
ſonders an ſeine Unterthanen geſchrieben und gerichtet hat. Sein Bildnis wird unter
den Chineſern in ſehr hohem Werth gehalten; die Philoſophen und Naturkuͤndiger haben es
in
[168]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
in einem der beſten Gemaͤcher ihrer Haͤuſer aufgehangen, mit Laub oder einer Pflanze im
Munde, woran er riecht. Er regierte 140 Jahr und hat ſieben Nachkommen ſeines
Geſchlechts zu Nachfolgern im Reiche gehabt, alſo daß die Regierung in ſeiner Familie
520 Jahr gewaͤhret hat.*)


Nach der Abſetzung des lezten Kaiſers aus dieſem Hauſe kam Xin Num Kwo
Tai,
oder nach der chineſiſchen Redensart Hoam Ti, und mit ſeinem vollen Titel Hon
Tai Jun Hin Si,
**) zur Regierung. Die chineſiſche Geſchichtſchreiber glauben ein-
hellig, daß dieſer Prinz in China regiert habe, und diejenigen, welche die Wirklichkeit der
vorhergehenden Regierungen in Zweifel ziehen, fangen die Hiſtorie und Zeitrechnung des chi-
neſiſchen Kaiſerthums mit der Regierung des Hoam Ti an. Er machte den Anfang
ſeiner Regierung im Jahr vor Symnu 2029, oder vor Chriſti Geburt 2689, oder nach
dem P. Couplet (welchem Doct. Menzelius***) genau folget) 2697. Er war nur eilf
Jahr alt, als er zur Krone kam. Waͤhrend ſeiner Minderjaͤhrigkeit wurde daher das
Kaiſerthum von weiſen und klugen Raͤthen verwaltet, welche denn auch großen Fleis anwan-
ten den jungen Prinzen ſo zu erziehen, wie es einem großen Monarchen anſtaͤndig iſt, der
in allen nutzlichen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften billig unterrichtet ſeyn mus. Die Chineſer
geben
[169]Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.
geben es fuͤr eine gar nicht zu bezweiflende Wahrheit von dieſem Kaiſer aus, daß er die
Kunſt des Pulsfuͤhlens gewuſt, dieſelbe nemlich von ſeinen Lehrmeiſtern erlernet, und
nachmals ſie der Welt kund zu machen, befohlen habe. Er regierte 100*) und lebte
111 Jahr; es folgten ihm fuͤnf ſeines Geſchlechts in der Regierung nach, bey welchen das
Reich 313 Jahr geblieben iſt.**)


Unter den fuͤnf Prinzen, Hoam Tis Nachfolgern, war Tai Gio oder nach der
chineſiſchen Mundart Ti Gao,***) der allervortreflichſte. Er war ein großer Seſin, das
iſt, ein in verborgenen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften unvergleichlich erfahrner Man, und
dabey ein recht tugendhafter Fuͤrſt und Vater ſeines Landes. Sein Tod wurde uͤberal von
ſeinen Unterthanen beklagt, welche auf die Trauer faſt drei Jahr verwanten. Er kam
zur Regierung im Jahr vor Symnu 1697, vor Chriſti Geburt 2357,✝) regierte 73✝✝)
Yund
[170]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
und ſtarb unter der Regierung ſeines Nachfolgers*) im 118 Jahr ſeines Alters. Ob er
gleich zwoͤlf Kinder, nemlich zehn Soͤhne und zwei Toͤchter hatte, uͤberantwortete er doch
die Krone und Regierung ſeines Kaiſerthums einem ehrlichen und weiſen Hausvater, an
welchen er auch ſeine zwo Toͤchter vermaͤhlte.


Tei Sijun oder nach andrer Ausſprache Gu und nach chineſiſcher Ju Ti Sijun
oder Ju Ti Xun,**) war Ti Jaos Schwiegerſohn und Nachfolger, regierte 28 Jahr
mit Ti Jao und 30 Jahr alleine, in allem 61 Jahr.***) Mein Autor ſetzet den Anfang
ſeiner Regierung ins 1634te Jahr vor Symnu, welches das 2294te vor Chriſti Geburt
iſt.****) Waͤhrend ſeiner Regierung war eine große Suͤndfluht in China, welche viele
Provinzen uͤberſchwemte und eine große Anzahl Einwohner erſaͤufte. Das Land war an
einigen Orten noch einige Jahre unter Waſſer. Uu und mit ſeinem vollen Titel Ka-
tewu,
das iſt, Kaiſer Uu von dem Geſchlecht Ka, oder wie die Chineſer pronunciiren
Ju, von dem Geſchlechte Hia,✝) regierte 17 Jahr mit dem Kaiſer Tei Sjun, und 10
Jahr nach deſſen Tode in allem 27 Jahr.✝✝) Er wurde gekroͤnet im Jahr vor Symnu
1573 vor Chriſti Geburt 2233.✝✝✝) Dieſer Kaiſer lies Canaͤle und Fluͤſſe abſtechen, das
Waſſer nach der See abzufuͤhren, welches einen großen Theil von China unter der Regie-
rung des Kaiſers Yao uͤberſchwemte. Jn dieſer mittelmaͤßigen kuͤnſtlichen Tiefe erhuben
ſich
[171]Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.
ſich nun die Fluͤſſe, und das Land wurde von der Ueberſchwemmung befreiet. Uu lebte
gegen 100 Jahr,*) und hatte eilf aus ſeinem Geſchlechte zu Nachfolgern im Reiche, wel-
che 431 Jahr regierten, ſo daß die Krone bei dieſer Familie 458**) Jahre blieb. Der
lezte***) von dieſem Geſchlechte war wegen ſeiner ungemeinen Strenge beruͤchtigt. Denn
er regierte ſehr grauſam uͤber ſeine Unterthanen, und lebte mit ſolcher Verſchwendung, daß
er durch 2000 Man eine See graben und mit chineſiſchem Biere fuͤllen lies. Man ſagt
auch, daß er einen Thurm von Gold und Edelſteinen fuͤr eine ſeiner Maitreſſen erbauet habe.
Jm 52ten Jahr ſeines Alters✝) wurde er abgeſezt und verjagt.


Sioo Sei Too, das iſt Koͤnig Too von der Familie Sioo oder Koͤnig Tam
von der Familie Kſjam✝✝) kam zum Regiment vor Synmu 1106, vor Chriſti Geburt
1766,✝✝✝) als er 87 Jahr alt war. Er regierte 13 Jahr und ſtarb im 100ten Jahr ſeines
Alters. Unter ſeiner Regierung war eine große Hungersnoth in China, welche das Land
ſieben Jahr drukte, gleich der in Aegypten ſo merkwuͤrdigen Hungersnoth, davon in der heil.
Schrift Meldung geſchieht. Jhm folgten 27 Prinzen ſeines Geſchlechts in der Regierung
nach, welche in allem 631 Jahr regierten, ſo daß das Kaiſerthum bei dieſer Familie
644 Jahre✝✝✝✝) geblieben iſt. Der lezte dieſes Hauſes war ein großer Tiranne, aus wel-
Y 2cher
[172]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
cher Urſach die Fuͤrſten, ſeine Unterthanen, Krieg und Aufruhr wieder ihn erregten; da
ſie ihn ſehr in die Enge getrieben hatten, legte er Feuer in ſeinem Pallaſt an, und verbrante
ſich ſelbſt mit ſeiner Familie und allen ſeinen Hausgenoſſen, und hinterlies das Neich dem
Sieger. Siu no Bu O, das iſt Kaiſer Bu von der Familie Siu, oder nach chi-
neſiſcher Mundart Uu Vam, von der Familie Sjeu;*) er kam zur Krone 460 Jahr
vor Synmu und 1122**) vor Chriſti Geburt, regierte ſieben Jahr, und hatte 37 Nach-
folger in der Regierung von ſeinem Geſchlechte, bei welchem die Regierung den japaniſchen
Geſchichten zufolge 868***) Jahr geblieben, das iſt, bis auf das 255te Jahr✝) vor Chri-
ſti Geburt, und 206 Jahr nach Synmu. Unter Soowoo nach der Chineſer Ausſprache
Sjoo Vam✝✝) dem vierten Kaiſer von dieſer Familie im 22ten Jahr ſeiner Regierung,
welches war das Jahr vor Synmu 367, vor Chriſti Geburt 1027, am achten Tage des
vierten Monats, wurde der große Heidenprophet Sjaka in Jndien gebohren, welcher
von ſeinen unvergleichlichen Eigenſchaften nachher genant iſt Fo oder Fotoge, das iſt
Gott und bei den Chineſern Sitjun, das iſt, der Große und Volkommene. Seine
Lehre wurde von ſeinen Juͤngern zuerſt in einigen Gegenden von Oſtindien ausgebreitet.
Er ſtarb im 79ten Jahr ſeines Alters, im Jahr vor Synmu 289, vor Chriſti Ge-
burt
949.


Und dieſes iſt denn Alles, was ich von der zweiten zweifelhaften Zeitperiode der Ja-
paner
Bemerkenswuͤrdiges habe auffinden koͤnnen.



Zweites
[173]

Zweites Kapitel.
Algemeine Rachrichten von den geiſtlichen wahren
Erbkaiſern des japaniſchen Reichs und der Chronologie
ihrer Regierung.


Die dritte und lezte Periode der japaniſchen Monarchie, welche von ihren
Oo Dai Sin Oo, oder geiſtlichen erblichen Kaiſern handelt, faͤngt ſich mit
dem 660ten Jahr vor Chriſti Geburt an, welches iſt das 17te Jahr der Regierung des
chineſiſchen Kaiſers Kaiwo oder wie ihn die Chineſer ausſprechen Huivam,*) welches
der 17te Kaiſer von der Familie Sjeu iſt. Von der Zeit an bis auf das Jahr Chriſti
1693 ſind 114 geiſtliche Erbkaiſer von einer Familie nach einander auf dem Thron in Japan
gefolget; ſie ſelbſt bilden ſich uͤber die Maaßen viel auf dieſen Vorzug ein, da ſie, als der
aͤlteſte Zweig von dem Geſchlecht des Tenſjo Dai Sin, des heil. Stamvaters japani-
ſcher Nation,
in gerader Linie von ſeinem erſtgebohrnen Sohne herſtammen wollen. Jn
dieſer Abſicht iſt denenſelben auch eine ungemeine und mehr als menſchliche Ehrerbietung
von ihren Unterthanen und Landsleuten allemahl erwieſen worden. Allein ehe ich zu der
Geſchichte, ihrer Reichsfolge, ihrem Leben und Thaten uͤbergehe; wird es nicht uͤbel ſeyn,
einige vorlaͤufige Nachricht von ihren geheiligten Perſonen und Hofe zu geben, wie auch
von der Zeitrechnung, wornach die Reichsfolge der Kaiſer ausgerechnet werden mus,
etwas beizubringen.


Zuerſt mus hier angemerkt werden, daß dieſe geiſtlichen erblichen Monarchen, ob’ſie
gleich Erben des Throns und der Regierung ihrer edlen Vorfahren ſind, doch den Titel Mikotto
nicht geerbet haben, weil derſelbe Titel allein dem goͤtlichen und halbgoͤtlichen Weſen
der erſtern und andern regierenden Geſchlechter gewidmet iſt, ſondern nur Mikaddo, wel-
ches ein Diminutivum von Mikotto, genant werden, wie auch Dai und Oo und Kwo
Y 3und
[174]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
und Tai, welches alles einen Kaiſer, Prinzen und großen Herrn bedeutet. Sie wer-
den auch genennet Tenſin, das iſt, Soͤhne des Himmels, und dergleichen Art anderer
Titel ſind noch mehr ihnen beigelegt. Jn dem gemeinen Leben werden dieſelben auch oͤf-
ters Dairi genant, mit welchem Namen aber eigentlich ihr ganzer Hof angedeutet wird;
in eben der Abſicht wird der Erbkaiſer auch zuweilen genant Kintſjuſama, das iſt, Haupt
oder Herr des geiſtlichen Hofs. Wann er von ſich ſelbſt redet, nimt er den Titel Tſin
an, und wenn er ſiegelt, den Titel Maro.


Allein wir muͤſſen noch naͤher zu unſerm Zwecke kommen. Es iſt oben ſchon er-
waͤhnt, daß die Japaner bis zu dieſer Zeit ohne feſtgeſezte Regierungsform geweſen ſind,
weder monarchiſch noch anders, faſt nach Art der Patriarchen gelebt haben, wo die ver-
ſchiedene Familien unter dem Befehl und Aufſehen ihrer Vaͤter lebten, oder auch denen
Kluͤgſten unter ihnen gehorchten. Es war, ſage ich, ohngefehr um dieſe Zeit, daß ſie die
Regierung einem Fuͤrſten zu uͤbergeben beliebten; und es iſt daher nicht unwahrſcheinlich,
daß die Chineſer, welche von Zeit zu Zeit nach Japan kamen, da ſie ſelbſt unter einer
monarchiſchen Regierung bisher ſo angewachſen waren, nicht wenigen Antheil genommen
haben moͤgen, die Japaneſer zu uͤberreden, eben dergleichen monarchiſche Regierung vor
andern zu erwaͤhlen und vorzuziehen. Und dann konte gewis niemand einen beſſern Anſpruch
zu der hoͤchſten Gewalt und Anſehen haben, als ein Prinz, welcher von den erſtgebohrnen
Nachkommen der Familie des Tenſjo Dai Sin in gerader Linie abſtamte, und nach dem
wahren Geſez der Erſtgeburt den angebohrnen Titel eines Souverains zu haben ſchien, da-
her er auch zu dem Geſchlechte des erſten Regenten ihrer Nation gerechnet wurde, deſſen
Heiligkeit und Tugenden er inſonderheit geerbet hatte. Eben ſo werden auch bis auf den
heutigen Tag die von dieſem Hauſe abſtammende Prinzen, inſonderheit die, welche auf
dem Throne ſitzen, als an ſich ſelbſt ſehr heilige Perſonen und gleichwie gebohrne Paͤbſte
angeſehen. Um nun dieſe vortheilhafte Meinungen in den Gemuͤthern ihrer Unterthanen zu
unterhalten, ſind ſie genoͤthiget, eine ungemeine Sorgfalt vor ihre geheiligte Perſonen zu
haben, und ſolche Dinge vorzunehmen, welche, wenn man ſie nach den Gewohnheiten ande-
rer Voͤlker unterſuchet, laͤcherlich und ungereimt ſcheinen muͤſſen. Es wird nicht undienlich
ſeyn, einige wenige Beweiſe davon anzufuͤhren. Dieſer Heilige meinet, es wuͤrde ſeiner
Heiligkeit und Anſehen hoͤchſt nachtheilig ſeyn, wann er mit ſeinen Fuͤßen die Erde beruͤh-
rete, deswegen mus er auf Menſchenſchultern allenthalben hingetragen werden, wohin er
wil. So wil man auch durchaus nicht leiden, daß er ſeine geheiligte Perſon in die freie
Luſt wage, weil die Sonne nicht einmal wuͤrdig ſey, ſein Haupt zu beſcheinen. Ja ſogar
wird allen Theilen ſeines Leibes eine ſolche Heiligkeit zugeſchrieben, daß er weder ſein Haar,
noch ſeinen Bart, noch ſeine Naͤgel jemals abzuſchneiden ſich erkuͤhnt. Dem ohngeach-
tet aber, damit dieſe Dinge nicht zu ſchaͤndlich und unanſtaͤndig wachſen, ſchneidet man
die-
[175]Zweit. Kap. Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
dieſelben des Nachts ab, und wenn er ſich etwa beſudelt, machen ſie ihn in der Nacht rein,
wenn er im Schlafe iſt. Denn, ſagen die Japaner, was zu der Zeit von ſeinem Leibe
genommen werde, ſey von ihm geſtohlen, und ein ſolcher Diebſtahl ſey ſeiner Heiligkeit und
Wuͤrde nicht nachtheilig.


Jn alten Zeiten war der Dairi verbunden, alle Morgen etliche Stunden mit der
kaiſerlichen Krone auf dem Haupte wie eine Saͤule auf dem kaiſerlichen Throne zu ſitzen,
ohne Hand oder Fus, Haupt oder Augen oder ſonſt irgend einen Theil ſeines Leibes zu be-
wegen. Auf dieſe Weiſe, dachten ſie, koͤnne er Friede und Ruhe in ſeinem Kaiſerthum
bewahren; wenn er ſich aber ungluͤklicher Weiſe etwa hie oder dahin, zu einer oder andern
Seite wendete oder eine gute Weile auf einen Theil ſeiner Guͤter hinſah, ſo wurde davor ge-
halten, daß Krieg, Hunger, Feuer oder ander gros Ungluͤk zur Verwuͤſtung des Landes
bevorſtehe. Allein wie ſie nachher entdekten, daß die kaiſerliche Krone das Palladium ſey,
durch deren Unbeweglichkeit Friede im Kaiſerthum erhalten werden koͤnte, wurde ein Mittel
erdacht, ſeine kaiſerliche Perſon von dieſer beſchwerlichen und muͤhſamen Amtspflicht zu be-
freien, und ihm uͤberlaſſen, ſich ganz ungehindert der Eitelkeit und den Wolluͤſten zu erge-
ben. Die Krone wird alſo jezt alle Morgen einige Stunden ſtat ſeiner auf den
Thron geſezt.


Die Speiſen des Dairi muͤſſen jederzeit in neuen Toͤpfen zubereitet, und ihm in
neuen Schuͤſſeln aufgetragen werden, welche beiderlei Gefaͤße zwar recht ſauber und net,
aber nur aus gemeinem Thon und neuem Holze gemacht ſeyn, damit ſie ohne große Koſten
auf die Seite geleget oder zerbrochen werden koͤnnen. Gemeiniglich werden ſelbige zerbrochen
aus großer Sorge, daß ſie in eines Laien Haͤnde gerathen moͤgten, weil man feſt glaubt,
daß, wenn ein Laie ſich unterſtehen wuͤrde, ſeine Speiſen aus dieſen geheiligten Schuͤſſeln zu
eſſen, ſo wuͤrde davon ſein Mund und Kehle ſchwellen und inflammirt werden, derglei-
chen ſchlimme Wuͤrkung auch von des Dairi geheiligten Kleidern gefuͤrchtet wird, nemlich,
wenn ein Laie dieſelben ohne Erlaubnis oder ausdruͤklichen Befehl des Kaiſers anlegte, ſo
wuͤrden ſie Geſchwulſt und Pein in allen Theilen ſeines Leibes veranlaſſen.


Sobald durch den Tod eines Mikaddo der Thron erlediget iſt, wird derſelbe durch
die Miniſter dieſes geiſtlichen Hofes an des Abgeſtorbenen Stelle mit demjenigen beſetzet,
welchen ſie fuͤr den naͤchſten Erben halten, ohne Ruͤkſicht auf deſſen Jahre und Geſchlecht,
ob nemlich die Perſon maͤnlichen oder weiblichen Geſchlechts ſey? Dahero komt es, daß oͤf-
ters ganz junge Prinzen oder junge ohnverheiratete Prinzeſſinnen den Thron beſteigen; und
man hat alſo auch Beiſpiele, daß des verſtorbenen Kaiſers Witwe ihrem Man in der Re-
gierung nachgefolget iſt. Wenn verſchiedene Praͤtendenten zur Krone ſind, und nicht klar
am Tage liegt, welcher unter ihnen das naͤchſte Recht habe; wird der Streit auf eine lieb-
reiche
[176]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
reiche Weiſe nach der Billigkeit entſchieden, und die hoͤchſte Gewalt einem jeden von beiden
etliche Jahre nach einander uͤbergeben, nach dem naͤchſten Grad der Verwandſchaft mit dem
verſtorbenen Mikaddo. Zuweilen begeben ſich die Vaͤter der Regierung und goͤnnen ſolche
einem oder mehrern Kindern, damit ſie und ihre Mutter noch bey ihrer Lebzeit das Vergnuͤ-
gen haben moͤgen, dieſelben auf dem Thron zu ſehen, von welchem ſie vielleicht nach der
Eltern Tode waͤren ausgeſchloſſen worden. Alles dieſes geht bei Hofe in moͤglichſter Stille
zu, und mag ein Mikaddo ſterben oder die Regierung aufgeben, oder ein andrer an ſeine
Stelle geſezt werden, ſo geſchichts ohne die geringſte Unruhe, ſo daß niemand auſſer dem
Hof etwas davon erfaͤhret, bis die Sache geſchlichtet und geſchehen, wiewol es ſich zuwei-
len begiebt, daß diejenigen von der kaiſerlichen Familie, welche naͤher Recht zur Kronfolge
zu haben vermeinen, und ſich ausgeſchloſſen ſehn, ihr Recht durch die Macht der Waffen zu
behaupten ſuchen, und ſich bemuͤhen den Dairi abzuſetzen, von dem ſie die Meinung haben,
daß er unrechtmaͤßiger Weiſe den Thron beſitze. Daher entſtehen zuweilen in dem Reiche ſehr
nachtheilige Kriege und Mishelligkeiten; die Prinzen im Reiche nehmen alsdenn Parthei,
und werden dieſe Streitigkeiten niemals ohne gaͤnzlichen Untergang der einen ſtreitenden
Parthei geendigt, worauf denn eine grauſame Ausrottung ganzer Familien erfolgt.


Alle Hofbedienten des Dairi ſind von der Familie des Tenſjo Dai dſin, und
dieſe, weil ſie von einer ſo vornehmen und hohen Geburt, haben eine ganz ungemeine
Hochachtung fuͤr ſich ſelbſt, und praͤtendiren einen weit hoͤhern Grad der Hochachtung
und Ehrerbietigkeit von andern, als ein Laie irgend fodern kan. Ob ſie gleich alle von
einem Geſchlechte herſtammen; ſo breiten ſie ſich doch nach den Graden der Verwandſchaft
in verſchiedene Zweige aus, und ihrer ſind jetzo etliche 1000 an der Zahl. Einige wenige
werden mit Abteien und Prioreien in reichen Kloͤſtern verſehen, welche hin und wieder im
Reiche geſtiftet ſind; allein der groͤſte Theil bleibt bey Hofe, und iſt ſtets um des Dairi
geheiligte Perſon, von der ſie auch gaͤnzlich abhaͤngen, und ihren Schuz und Lebensunterhalt
haben, ein jeder nach der Wuͤrde und Amte, womit er verſehen iſt. Anjetzo bewilliget der
weltliche Kaiſer die nothwendigen Subſidiengelder zum Unterhalt des Dairi und ſeines
geiſtlichen Hofs. Er hat ihm zu dem Ende alle Einkuͤnfte der Stadt Miaco und aller
Pertinenzſtuͤcke derſelben angewieſen. Allein weil dieſelben zu wenig fallen, alle Ausgaben
zu beſtreiten; ſo iſt bewilliget worden, daß, was daran fehlet, aus des weltlichen Kaiſers
Kammergefaͤllen erſtattet werden ſol. Dieſe Portionen aber ſind ſo ſchmal zugeſchnitten,
und werden ſo ſchlecht bezahlet, daß der geiſtliche Hof ſchwerlich davon ſubſiſtiren und
uͤberhaupt die Figur ausmachen kan, welche er vorher machte, als der Dairi ſelbſt Meiſter
vom Reiche war, und mit allen deſſen Einkuͤnften nach eigenem Gefallen ſchalten und walten
konte. Jndeſſen und nichts deſto minder erhalten ſie ihre alte Hoheit und Anſehen, und
es kan recht mit Wahrheit von dieſem Hofe geſagt werden, daß bei ihm ſplendida miſe-
ria
[177]Zweit. Kap. Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
ria herſche. Die hohen Bedienten ſetzen ſich in Schuld und die niedrigen Bedienten,
deren Beſoldung zu ihrer Erhaltung nicht hinlaͤnglich iſt, muͤſſen arbeiten, um ihren Lebens-
unterhalt zu verdienen. Zu dem Ende machen und verkaufen ſie Koͤrbe von Stroh ge-
macht,*) wie auch Tiſche, Schuhe fuͤr Menſchen und Pferde und andre dergleichen Sa-
chen mehr.


Obgleich indeſſen die Einkuͤnfte des Mikaddo in Vergleichung voriger Zeiten jezt
in der That ſehr geringe ſind, ſo bemuͤhet er ſich dennoch, dieſelben unter eigener Aufſicht zu
haben, und ſo der Sorge fuͤr ſich ſelbſt deſto gewiſſer zu ſeyn, auch alles zu veranſtalten,
was ſein voriges Anſehen zu unterſtuͤtzen dienlich und zu ſeiner Schwelgerei und Verſchwen-
dung noͤthig iſt. Dieſer, als wenn es ein beſondrer Vorzug der Krone und hoͤchſten An-
ſehens waͤre, weis er wohl obzuliegen. Er freuet ſich daher, wenn er von dem weltlichen
Monarchen in Ruhe gelaſſen wird. Seine Schazkammer gewint auch noch ſehr dabei,
daß er das Recht hat, dem weltlichen Monarchen, denen Vornehmſten des Reichs und ih-
ren Kindern und Anverwandten mancherlei Ehrentitel zu bewilligen.


Er hat allemal zwoͤlf Weiber, welches eine uralte Gewohnheit ſeiner Vorgaͤnger
am Reich iſt. Eine von denſelben, als Mutter des Erbprinzen oder der Erbprinzeſſ in des
Reichs, hat den Titel der Kaiſerin. Es wuͤrde zu weitlaͤuftig fallen, alle anſehnliche
und praͤchtige Ceremonien zu beſchreiben, welche bei Vermaͤhlung des Dairi, Niederkunft
der Kaiſerin, Erwaͤhlung einer Saͤugamme fuͤr den Kronerben, und deſſen Erziehung be-
obachtet werden. Es iſt ſchon genug geſagt, wann man ſie gros und anſehnlich und faſt
unausſprechlich nennet. Es iſt auch allerdings der Muͤhe werth, dieſe Gelegenheiten
mit ſo herlichen Ceremonien zu feiern, wegen der Gluͤkſeligkeit des Kaiſerthums, die von
der Geburt des Erbprinzen gaͤnzlich abhaͤngt.


Es ſind verſchiedne anſehnliche Aemter, welche zu dieſem geiſtlichen Hofe gehoͤren,
deſſen Adel aus Perſonen von unterſchiednem Range und Eigenſchaften beſtehet. Der Mi-
kaddo
ſelbſt iſt aller Ehren Quel und Urſprung. Einige Aemter ſind an gewiſſe Titel ver-
knuͤpfet, dahingegen andre Ehrenaͤmter nur lediglich in bloßen Titeln beſtehen, welche oͤfters
an weltliche Perſonen, Fuͤrſten des Reichs und beruͤhmte Leute ausgetheilet werden. Die-
ſes geſchieht entweder auf Empfehlung des weltlichen Monarchen oder auf ihr eignes Ver-
langen, mit der Bedingung, daß eine große Summe Geldes davor bezahlet werde. Alle
Ehrenaͤmter und Titel ſind in ſechs Claſſen eingetheilt. Der Titel der erſten Claſſe iſt
Dai Seo Dai Sin. Die mit dieſem Titel beehrte Perſon wird ſo hoch und heilig gehal-
Zten,
[178]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
ten, daß die Japaner glauben, es komme derſelben Seele ſogleich nach ihrem Abſchiede
aus dem Leibe zu einem Gott oder Cami. Aus dieſer Urſache nimt der Mikaddo dieſen
Titel vor ſich ſelbſt, und uͤberlaͤſt ihn ſelten einem andern. Die Wuͤrde von Quanbuku
gehoͤrt gleichfals zu dieſer erſten Claſſe. Quanbuku iſt die andre Perſon dieſes geiſtli-
chen Hofs und des Dairi Vicekoͤnig und Premierminiſter in allen Regierungsſachen.
Dieſer Titel wird von dem weltlichen Monarchen angenommen, und deſſen muth-
maslichem Reichserben beigelegt; er iſt einerlei mit dem Quabacondono, deſſen
ſo viele Meldung in den Briefen der Jeſuiten Meldung geſchieht.


Die folgende drei Titel gehoͤren zum naͤchſtfolgenden Range, So Dai Sin,
U Dai Sin
und Nai Dai Sin. Sie werden niemals an mehr als drei Perſonen gege-
ben. Der Dai Nagon und Tſu Nagon macht den dritten Rang aus, und ſind dieſe
zwei Titel jedesmal mit gewiſſen Bedingungen verknuͤpfet. Die Titel aber, welche zum
vierten und fuͤnſten Range oder Claſſe gehoͤren, ſind Seo Nagon, Tſjunagon, Tſju-
ſeo, Seoſjo
und Sidſju. Allein dieſe Claſſen ſind ſehr zahlreich und wiederum in ver-
ſchiedne Ordnungen eingetheilt. Die Perſonen dieſer Claſſe werden gleichergeſtalt Tenſio
bito,
das iſt, himliſch Volk genant. Der ganze geiſtliche Hof aber nimt den Titel Kuge
an, der ſo viel als geiſtliche Herrn bedeutet, welches in der Abſicht geſchieht, um ſich
von dem Gege zu unterſcheiden, mit welchem Namen alle Layen und gemeine Leute ange-
deutet werden, welche nicht von ſo heiliger und hoher Herkunft ſind. Die Titels der ſech-
ſten und lezten Claſſe ſind Tai U, Goi, und viel mehrere Ehrentitel von niedrigerm Ge-
halt und Stuffen. So viel ihrer ſind, werden, wie ich bereits erwaͤhnt, mit ſolchen Eh-
rentiteln von dem Mikaddo angeſehen. Denn als die weltlichen Monarchen die Regie-
rung des Kaiſerthums an ſich riſſen, hat doch der Dairi dieſes anſehnliche Stuͤk der kaiſer-
lichen Vorrechte und Vorzuͤge mit dem allerhoͤchſten Anſehen vor ſich allein behalten,
daher muͤſſen alle Titel, welche die weltlichen Kaiſer ihren Guͤnſtlingen und Premiermini-
ſtern mittheilen wollen, von dem Mikaddo erlangt werden. Es ſind hauptſaͤchlich zwei
Titels, welche der weltliche Kaiſer mit Genehmhaltung des Dairi ſeinen vornehmſten Mi-
niſtern und Fuͤrſten des Reichs geben kann, Maqnandairo und Cami. Der erſte war
vor Alters erblich, und bedeutet ſo viel als einen Herzog oder Grafen, der andre bedeutet
einen Ritter. Es mus hiebei in acht genommen werden, daß der Charakter, welcher eine
vergoͤtterte Seele bedeutet, gleichfals Cami ausgeſprochen wird; doch alsdan mit einem
ganz unterſchiednen Verſtande von dem, welcher die ritterliche Wuͤrde ausdruͤkt. Alle
Goͤtter und Goͤtzenbilder des Landes aber haben uͤberhaupt den Namen Cami.


Der Hof traͤgt zu mehrerer Unterſcheidung von den weltlichen Leuten, welche er vor
ein geringes und unheiliges Geſchlecht achtet, eine beſondere Art der Kleidung, die unter den
Hof-
[179]Zweit. Kap. Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
Hofleuten in einigen Theilen ſo abwechſelt, daß eines jeden Wuͤrde daraus zu erkennen ſteht,
wie aus verſchiedenen beigefuͤgten Kupfern geſehn werden kan.*) Sie ſind angethan mit
weiten langen Hoſen, und uͤber dieſelbe mit einem umher weit abſtehenden, bei ihnen alſo
genanten Compliment- oder Ehrenkleide, woran ruͤklings ein abhangender Schweif nach-
ſchleppet. Die Platte des Haupts iſt gezieret mit einer gepapten und ſchwarz verlakten
Muͤtze von mancherlei wunderlichen Formen, nach eines jeden Stande, an welchen oͤfters
ein ſteifer Schleier von ſchwarzem Flor hinten, oder obenwaͤrts in die Ruͤnde aufgebunden
iſt, auch zuweilen ein runder Augenſchirm zur Seiten abſtehet, wie bei denen ſchuͤchternen
Kutſchpferden. Man traͤgt auch wol zuweilen einen von beiden Seiten des Halſes abhan-
genden Scherf oder breiten Band von verſchiedener Laͤnge, wobei auch Stand und Wuͤr-
den zu erkennen ſind, indem keiner befugt iſt gegen hohe Perſonen ſich tiefer zu buͤcken, als
bis die Enden des Bandes die Erde beruͤhren. Das Frauenzimmer traͤgt vor andern welt-
lichen Perſonen ihres Geſchlechts eine ausgezeichnete Kleidung und ſonderlich des Dairi
zwoͤlf Gemalinnen ungefutterte mit Gold bebluͤmte koſtbare Roͤcke, welche in viele breite
Falten gelegt, und ſo weit und lang ſind, daß ſie darin bequemer ſitzen als gehn
koͤnnen.


Die Wiſſenſchaften machen nebſt der Muſik die wichtigſte Beſchaͤftigung dieſes
Hofes aus. Beſonders hat auch das ſchoͤne Geſchlecht auf verſchiednen muſikaliſchen Jn-
ſtrumenten, in der Dichtkunſt und auch in hiſtoriſchen Wiſſenſchaften viele Kentnis und Ge-
ſchiklichkeit. Viele Hofleute uͤben ſich im Wetrennen, Balſpielen, Springen, Tanzen,
Taſchenſpielen und dergleichen. Alle Calender ſind zuerſt bei Hofe gemacht; vorjetzo aber
werden dieſelben von einem gelehrten Buͤrger in Miaco verfertiget: doch muͤſſen ſelbige bei
Hofe von gewiſſen dazu deputirten Perſonen unterſucht und gepruͤft, und hernach durch ihre
Sorge nach Jſje, einem hiezu beſtimten Orte, in die Druckerei geſandt werden. Jhre
Comoͤdien- und Tragoͤdienſpiele habe ich eben nicht unterſuchet. Da aber die Japaneſer
uͤberhaupt zu allerlei Luſtbarkeiten geneigt ſind, werden ſie es auch wol an dergleichen bei
Hofe nicht ermangeln laſſen, ſondern ihres geiſtlichen Standes Ernſt und Heiligkeit ohnge-
achtet zu ſolchem angenehmen Zeitvertreib willig ſeyn, und gern anſehnliche Geldſummen
darauf verwenden.


Vor dieſem, als der Dairi alleine Herr des Reichs war, reſidirte er mit ſeinem
Hofe bald in dieſer bald in einer andern Stadt oder Lande ſeines Kaiſerthums, und ver-
gnuͤgte ſich, dieſelben mit ſeiner heiligen Gegenwart zu beehren, daher es ſich ſelten fuͤgte,
Z 2daß
[180]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
daß zwei auf einander folgende Kaiſer eben denſelben Ort zu ihrem Auffenhalt erwaͤhlten,
bis zulezt auf dieſe Weiſe ihre Hofhaltung zu Miaco feſtgeſezt iſt. Sie haben den nord-
oͤſtlichen Theil dieſer großen Hauptſtadt in Beſiz, der wol den Namen einer beſondern Stadt
verdienet, nicht nur wegen ſeines großen Umfangs, vieler Straßen, Pallaͤſte, und andrer
in dieſem Bezirk gebaueten vielen Haͤuſer, ſondern auch weil das Schlos wirklich von
Miaco abgeſondert und gegen ploͤzliche Annaͤherungen eines unvermutheten Feindes mit Gra-
ben, Waͤllen, Mauren und Thoren wohl befeſtigt iſt. Der Mikaddo ſelbſt haͤlt ſich ohn-
gefehr in der Mitten auf, in einem weiten, ſehr geraͤumigen Pallaſt, welcher vor andern
an ſeinem hohen anſehnlichen Thurm zu erkennen iſt. Seine kaiſerliche Gemalin lebt mit
ihm in ſelbigem Pallaſte; die andern Weiber aber in einem zu allernaͤchſt angebaueten. Ein
wenig weiter ſind die Haͤuſer von des Dairi Betkammer und andrer Aemterbedienten, als
welche nur allein eine beſtaͤndige und unmittelbare Auſſicht auf des Dairi geheiligte Perſon
haben muͤſſen. Wenn ein Mikaddo abdanket, iſt ihm ein beſondrer Pallaſt angewieſen,
wie auch ſeiner Familie und Hofleuten, imgleichen dem Erbprinzen nebſt ſeiner Hof hal-
tung. Der Ueberreſt der Straßen und Haͤuſer iſt unter die Bedienten nach jedes Rang
und Wuͤrde vertheilt. Der weltliche Monarch haͤlt jedesmal eine Guarde von Bugjos und
Soldaten an des Dairi Hofe aus zaͤrtlicher Liebe und Sorgfalt fuͤr die Erhaltung deſſen
geheiligten Perſon, oder eigentlich, um ihn unter ſeiner Gewalt beſtaͤndig zu erhalten und
zu verhindern, daß er den Thron und das hoͤchſte Anſehen, welches er ihm genommen, nie-
mals wieder bekommen moͤge.


So viel von dem Dairi, ſeinem Hofe und Regierung uͤberhaupt. Nun iſt noch
uͤbrig, ehe ich zu der Hiſtorie und Erbfolge der geiſtlichen Kaiſer fortgehe, einige algemeine
Anmerkungen zum Grunde zu legen, wodurch die uns dabei uͤbliche Zeitrechnungen deutli-
cher gemacht werden koͤnnen. Die Japaner haben zwei Hauptaͤras oder Zeitrechnun-
gen.
Die erſte und gemeinſte faͤngt ſich mit der Regierung ihres erſten Kaiſers Symnu
im Jahr vor Chriſti Geburt 660 an; folglich war das Jahr Chriſti 3693, d. i. das 6te
Jahr der Nengo Genrokf, das 2353te nach Symnu. Dieſe Epoche wird in Japan
genant Nin O, welches, eigentlich zu reden, einen großen und maͤchtigen Herrn oder
Monarchen und in einem weit hoͤhern Verſtande den Allererſten bedeutet.


Die zweite in Japan gebrauchte Epoche heiſt Nengo, und iſt von den Chineſern,
um in der Zeitrechnung eine Gewisheit zu haben, erfunden worden, indem ſie dachten,
es wuͤrde ihre gemeine Zeitrechnung in Japan mit angenommen werden, welches aber nicht
ehe geſchehen iſt, bis unter der Regierung des 36ten Kaiſers, zu welcher Zeit ſie in Ja-
pan eingefuͤhret iſt. Die Nengo begreift nur einen Zeitlauf von wenig Jahren, gemeinig-
lich weniger denn 20, und ſelten hoͤher und uͤber dieſe Zahl. Von dem Kaiſer wird allemal
ver-
[181]Zweit. Kap. Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
verordnet, den Anfang einer Nengo unter einer Figur auszudruͤcken, welches dann gemei-
niglich zum Gedachtnis einiger merkwuͤrdigen Begebenheiten und Veraͤnderungen in der
Kirche und Regierung geſchieht. Da nun der Kaiſer allein die Macht hat, dieſelben an-
zuordnen, ſo kan er ſie auch ſo lange fortſetzen als es ihm beliebt. Die japaniſche Zahl*)
Nengo, welche den laufenden Tag und die Zeit meines Aufenthalts in Japan ausdruͤcket,
war das 6te Jahr, welches einfiel in das Jahr 1693, und wurde ausgeſprochen Genrokf,
welches bedeutet die Gluͤkſeligkeit der Natur und Kuͤnſte, womit ſie unter der Regie-
rung dieſes Mikaddo auf die verlangenswuͤrdige Glukſeligkeit eines Privatlebens geſehen
haben, welches des jetzigen Kaiſers Vater nach aufgegebener Regierung und niedergelegten
Krone zu fuͤhren beſchloß. Dieſe Zeitrechnung wird in ihren Calendern, Befehlen, Auf-
boten, Tagregiſter, Briefen und Schriften gebraucht. Jn ihren gedrukten Buͤchern,
hauptſaͤchlich in hiſtoriſchen und chronologiſchen, wird das laufende Jahr der Zeitrechnung
Nin O hinzugethan. Es iſt hiebei zu beobachten, daß allemal eine neue Nengo mit
einem neuen Jahre ſich anfaͤngt, ob ſie ſchon einige Monathe vorher angeordnet und befoh-
len worden. Es fuͤgt ſich alſo zuweilen, daß obſchon eine neue Nengo bereits angefan-
gen, dennoch die Jahre der vorhergehenden Nengo auf den Blaͤttern ihrer Buͤcher,
Schriften, Tagregiſter und ſonſten fortgeſezt werden, wovon meiner Meinung nach die
Urſache iſt, entweder daß das Volk ſich nicht gleich bequemen wil, das Merkmal des An-
fangs einer neuen Nengo auszudruͤcken, oder daß dieſer Anfang nicht zur Genuͤge bekant
iſt, welches in einem Reiche von ſo großem Umfang nichts unmoͤgliches iſt. Aus dieſer
Urſache wurden die Calender des erſten und andern Jahrs der Nengo Genrokf mit dem
5ten und 6ten Jahre der vorhergehenden Nengo Dſiokio gedrukt, welche damals ſchon
zu Ende gelaufen war. Jn dieſem Fal wird aber dafuͤr geſorgt, daß kein Jrthum oder
Verwirrung in ihrer Zeitrechnung durch eine ſolche Unachtſamkeit veranlaſt werde. Aus
dieſer Urſache geſchahe es, daß in dem naͤchſt darauf folgenden Calender das dritte Jahr
der Nengo Genrokf, welches war das 1690 Jahr nach Chriſti Geburt, gleichergeſtalt
darunter geſetzet wurde, ohne der zwei erſten im geringſten Meldung zu thun. Der Cha-
racter einer Nengo iſt zuſammen geſezt aus zwei, ſelten aus mehr Figuren, welche aus
einer hierzu beſonders verfertigten Tabelle muͤſſen genommen werden.


Es bleibt nun noch die dritte Epoche oder Zeitrechnung uͤbrig, welche gleich-
fals in der japaniſchen Chronologie ihren beſondern Nutzen hat. Dieſe beſtehet in Cyclis
Z 3oder
[182]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
oder Perioden von 60 Jahren, und ſind die Japaner hierin an die Chineſer gebun-
den. Dieſe 60 Jahr entſtehn durch eine Zuſammenfuͤgung der Jetta, welches die
Nahmen ihrer 12 himliſchen Zeichen ſind, mit den zehn Nahmen ihrer Elementen. Wenn
die Character der himliſchen Zeichen mit den unterſchiedenen Zeichen der zehn Elementen
oder dieſe mit den vorigen fuͤnfmal verbunden werden, ſo entſtehen daraus zuſammengeſezte
Figuren, deren jede ein Jahr bedeutet. Wenn die 60 Jahre zu Ende gelaufen, wird ein
neuer Cyclus wieder angefangen, welcher wieder durch alle dieſe Vereinigungen geht. Die
Japaner bedienen ſich dieſer Periode von 60 Jahren, um die merkwuͤrdigſten Begebenheiten
in der Kirche und im Staat anzudeuten. Dieſe Begebenheiten werden in ihren Geſchichten
allemal unter das laufende Jahr des Cyclus gebracht, gleichwie auch das Jahr unter den
zwei andern Epochen Nin O und Nengo, wodurch ſie alſo eine beſtaͤndige Uebereinſtim-
mung zwiſchen ihrer eignen Geſchichte und Zeitrechnung und der Chineſiſchen zu erhalten hoffen,
doch mit dieſem Unterſchied, daß die Chineſer in ihren Hiſtorien nicht nur das Jahr des Cyclus,
worin ſich dieſes oder jenes zugetragen, ſondern auch die Zahl des Cyclus allemal angeben, die
Japaneſer aber allein das Jahr anzeigen. Die Cycli der Japaner ſind nicht alle gezaͤhlt,
wovon die Urſach klar erhellen wird, wenn wir uns an den natuͤrlichen Stolz dieſes Volks
erinnern, da ſie in dieſer Sache ihren Nachbarn den Sineſern ſehr wuͤrden weichen muͤſſen,
welche eine Reihe vieler 100 auf einander folgender Cyclorum vor der wahren Grundlegung
der japaniſchen Monarchie aufweiſen koͤnnen.


Jch habe mir vorgenommen, in der folgenden Geſchichte der Thronfolge der geiſt-
lichen Erbkaiſer den Leſer nicht mit den verſchiedenen Epochen und Rechnungen zu verwir-
ren. Jndeſſen habe ich doch einige algemeine Nachrichten von denſelben merkwuͤrdig genug
gehalten, um ſie hier mitzutheilen.


Die Jetta oder japaniſchen zwoͤlf Himmelszeichen ſind:


  • 1) Ne, die Maus.
  • 2) Us, der Ochs oder die Kuh.
  • 3) Torra, der Tieger.
  • 4) On, der Haaſe.
  • 5) Tats, der Drache.
  • 6) Mi, die Schlange.

  • 7) Uma, das Pferd.
  • 8) Tſitſuſe,*) das Schaaf.
  • 9) Sar, die Meerkatze.
  • 10) Torri, der Hahn oder das Huhn.
  • 11) Jn, der Hund.
  • 12) J, der Eber.

Eben dieſelben Namen ſind in eben der Ordnung den zwoͤlf Stunden des natuͤr-
lichen Tages gegeben, und den zwoͤlf Theilen, die man einer jeden Stunde gegeben hat.
Auf
[183]Zweit. Kap. Algemeine Nachrichten von den geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
Auf dieſe Weiſe ſind die Japaner vermoͤgend mit großer Neuigkeit zu melden, nicht nur
an welchem Tage ſich die merkwuͤrdigſten Zufaͤlle begeben haben, ſondern auch zu welcher
Stunde und Zeit der Stunde dieſes oder jenes geſchehen ſey. Es iſt auch zu bemerken,
daß ſie den Tag, die Zeit zwiſchen Sonnenauf- und Niedergange zu nennen pflegen, und
dieſe Zeit in ſechs gleiche Stunden eintheilen, und ſo auch die Nacht von der Sonnen-
untergang bis zum Sonnenaufgang in ſechs andere Stunden. Daher koͤmt es, daß ihre
Stunden alle Tage in der Laͤnge ſehr unterſchieden, daß im Sommer die Tagesſtunden laͤnger
als die Nachtsſtunden, und im Gegentheil im Winter kuͤrzer ſind.


Was ihre Elemente betriſt; ſo ſind derſelben eigentlich nur fuͤnf, ſie haben aber
ihre Zahl auf zehn dadurch vergroͤßert, daß ſie einem jeden Element zween unterſchiedene
Nahmen und Kenzeichen gegeben haben, welches nothwendig war, um durch die fuͤnfmal
wiederholte Zuſammenfuͤgung dieſer zehn Zeichen der Elemente mit den 12 himliſchen Zei-
chen den Cyklum von 60 Jahren zu erhalten.


Die Namen ihrer zehn Elemente ſind folgende:


  • 1) Kino Je, Holz.
  • 2) Kino To, Holz.
  • 3) Fino Je, Feuer.
  • 4) Fino To, Feuer.
  • 5) Tſutsno Je, Erde.
  • 6) Tſutsno To, Erde.
  • 7) Kanno Je, Metal.
  • 8) Kanno To, Metal.
  • 9) Midsno, Je, Waſſer.
  • 10) Midsno To, Waſſer.

Jn der 15ten hiebei gefuͤgten Kupfertafel habe ich die Character der 12 himliſchenTab.
XV.

Zeichen, der 10 Elemente, und die Verbindung derſelben durch den ganzen Cyklus der
60 Jahre vorgeſtelt.


Der Anfang des japaniſchen Jahrs faͤlt zwiſchen dem Solſtitio hyemali, kuͤrze-
ſtem Tage, und Aequinoctio vernali, Fruͤhlings Anfang, ohngefehr den fuͤnften
Februar. Weil aber die Japaner ſehr aberglaͤubiſch in der Feier der Neumondsfeſttage
ſind; ſo fangen ſie daſſelbe gemeiniglich mit dem Neumond an, welcher unmittelbar vor
dem fuͤnften Februar hergehet oder auf denſelben folget. Das erſte Jahr der Nengo
Genrokf,
welches in dem Cyklo Tſutsno Je Tats genant iſt, das Jahr von Chriſti
Geburt 1688, fing den zweiten Februar an. Das andre der Genrokf, in dem Cyklo
Tſutsno To Mi, nach Chriſti Geburt 1689, den 21ten Januar. Das dritte der Genrokf
in dem Cyklo Kano Je Uma, Chriſti 1690, den 9ten Februar. Das vierte Genrokf
in
[184]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch. Zweit. Kap. ꝛc.
in dem Cyklo Kanoto Fitſuſe,*) 1691, am 21ten Januar. Das fuͤnfte der Genrokf
in dem Cyklo Midſno Je Sar, Chriſti 1692, den 17ten Febr. und das ſechſte Genrokf
in dem Cyklo, Midſno To Torri, das Jahr Chriſti 1693, den 5ten Febr- Die
Japaner haben allemal um das dritte Jahr**) ein Schaltjahr oder ſieben Schaltjahre in
neunzehn gemeinen Jahren.



Drittes Kapitel.
Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, und zuerſt derer,
welche das japaniſche Reich von Anfang ihrer Monarchie bis
auf unſers Heilandes Geburt regiert haben.



Ehe ich den Anfang der Hiſtorie der japaniſchen geiſtlichen Erbkaiſer und ihrer
Folge im Reiche vorſtelle, wird noͤthig ſeyn zu erinnern, daß in ihren hiſtoriſchen
und chronologiſchen Buͤchern jedesmahl eine neue Regierung mit dem Neuenjahre ihren
Anfang nimt, und wenn auch ein neuer Kaiſer, wie es oͤfters geſchieht, durch den Tod ſei-
nes Vorgaͤngers oder das Aufgeben der Regierung einige Monat vor Ausgang des Jahrs
zum Regiment gelangt, ſo wird doch aller Ueberreſt zu der Regierung ſeines Vorgaͤngers
gerechnet. Dieſes geſchieht, wie die Japaner vorgeben, um alle Verwirrung in ihren
chronologiſchen Tabellen zu vermeiden, doch wird in ihren hiſtoriſchen Anmerkungen jedesmal
des Monats und des Tags Erwaͤhnung gethan, in welchem ein jeder Mikaddo von dem
Throne
[]

Tab. XV.


[figure]

[][185]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
Throne Beſiz genommen hat. Jn Beſchreibung dieſer Geſchichte der japaniſchen Monar-
chie habe ich zwei in Japan geſchriebene und herausgegebene Chronologien zu Rathe gezo-
gen, worin gar wenig von dem Leben der Kaiſer, ihren Tugenden und Laſtern und politiſchen
Auffuͤhrung im Regiment gemeldet wird; weit genauer aber werden ihre Namen, Nach-
kommen, Geburt, Erbfolge, Zeit der Regierung, Namen der von ihnen angeordneten
Nengos, und wie viel Jahre ſelbige gewaͤhret, der Ort ihrer Reſidenz und dergleichen,
mit einigen merkwuͤrdigen Begebenheiten unter eines jeden Regierung bemerkt. Dieſe
merkwuͤrdigen Begebenheiten ſind aber auch von beſondrer Art, z. E. der Bau- und die Ein-
weihung anſehnlicher Sintos oder Budsdo Tempels; die Geburt und das Abſterben großer
Helden, anſehnlicher Prieſter und andrer beruͤhmten Perſonen; die Erhoͤhung und der Fal
groſſer Miniſters bey Hofe; Aufruͤhre, Kriege, Feuersbruͤnſte, Erſcheinungen der
Cometen und neuer zuvor nie geſehener Sterne, fremder Luftzeichen, Erdbeben, Hunger,
Landplagen und Hauptkrankheiten, die Ueberkunft neuer Goͤtzenbilder, Prieſter, Voͤlker
oder Sachen aus fremden Landen; Herausgebung gelehrter Buͤcher, Anordnung und Feier
der Feſttage zu Ehren ihrer Goͤtter, Heiligen und Helden; die Zeit, da etliche ihrer Goͤtzen-
bilder geſchnitzelt, geſtochen oder von einem Tempel zum andern gebracht ſind, mit den
Namen ihrer Verfertiger; die Erſcheinung ihrer Goͤtter und Geiſter, die wundervolle Ent-
deckung ihrer Goͤzenbilder, davon große Dinge und Wunder erzaͤhlt, und als in China ge-
ſchehen angegeben werden. Von allen dieſen und viel mehrern in dieſen zwei Chroniken
gemeldeten Dingen, habe ich nur einen Auszug desjenigen gemacht, was ich zu meinem
Vorhaben noͤthig und der Aufmerkſamkeit des Leſers nicht unwuͤrdig achtete.


Dai I.*)


Syn Mu und mit ſeinem voͤlligen Titel Syn Mu ten Oo, legte den Grund
A ader
[186]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
der japaniſchen Monarchie im 58ten Jahr des 35ten japaniſchen Cykli,*) da Teikwo
oder nach der chineſiſchen Ausſprache Hoyvam bereits in das 8te Jahr ſeiner Regierung
getreten war, in dem Jahr vor Chriſti Geburt 660, und ſeines Alters dem 78ten Jahre.
Er wurde vor der Zeit genennet Jwa Fikono Mikotto, und war der vierte und juͤngſte
von ſeinen Bruͤdern, welchen er in der Regierung vorgieng; (ſein Leben war eben nicht
merkwuͤrdig und ſeine Regierung ſonder Bewunderung, und es iſt die Grundlegung des
Kaiſerthums mit dem Titel Nin O, welches der Hoͤchſte unter allen Menſchen bedeu-
tet, von allen Scribenten Japans ihm einhellig, gleich einem Julius Caͤſar, beigeleget
worden.)**) Er civiliſirte die Einwohner Japans, welche damals Akitſuſſima genant
wur-
*)
[]

Tab XVI.


[figure]

[][187]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſern ꝛc.
wurden. Er fuͤhrte die Zeitrechnungen unter ihnen ein, theilte die Zeit in Jahre, Mo-
nate uud Tage, und machte eine gaͤnzliche Veraͤnderung in den Geſetzen und der
Landesregierung.


Jn dem 59ten Jahre ſeiner Regierung, welches war das 601te Jahr vor Chriſti
Geburt und 346te nach dem Tode des Sjaka, am 14ten Tage des neunten Monden iſt in
China in der Landſchaft Sokokf der große Weltweiſe Rooſi gebohren, welcher 81 Jahr
alt und ſchon grau war, als ſeine Mutter mit ihm niederkam, deswegen er auch Rooſi,
das iſt, Altkind genant worden, weil das Wort zuſammengeſezt iſt, von Roo, alt, und
Si, Kind. Man ſagt, daß des Kaſſoboſats, eines Gehuͤlfen und Schuͤlers des
Sjaka Sele in ihn gefahren ſey, obgleich ſeine Lehre ganz unterſchieden von der des Kaſſo-
bats
war. Sjaka lehrete ſeine Nachfolger der Selen Unſterblichkeit; die Belohnung
unſerer Thaten im zukuͤnftigen Leben, und wie nothwendig die Ausuͤbung der Tugend in
dieſem Leben einem jeden ſey, welcher einen gluͤkſeligen Zuſtand in dem kuͤnftigen verlange.
Rooſi im Gegentheil leugnete gaͤnzlich dieſe wichtige Glaubenslehre, und behauptete, daß
alle unſere Gluͤkſeligkeit in einem langen und wolluͤſtigen Leben beſtehe. Dieſen Grund-
ſaͤtzen gemaͤs wolte er auch eine algemeine Medicin durch die Alchymie ausfuͤndig machen,
wodurch man der Menſchen Leben verlaͤngern, obſchon nicht unſterblich machen koͤnte.
Dergleichen Verſuche ſind auch nachher durch ſeine Juͤnger und die Anhaͤnger ſeiner Secte
geſchehen, aber mit eben ſo gutem Erfolg als unſere europaͤiſche Weltweiſen in ihrem
Suchen nach dem Stein der Weiſen ſich ruͤhmen koͤnnen. Er lebte 84 Jahr.


Ohngefehr um dieſe Zeit im Jahr vor Chriſti Geburt*) ſind die auswaͤrtigen
Goͤtzenbilder zuerſt nach Japan gebracht und in Khumano verehret worden.


A a 2Synmu

**)


[188]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Synmu regierte 79 Jahr, und als er den Thron ſeinen Nachkommen verſichert
hatte, ſtarb er im 157ten Jahr*) ſeines Alters. Mit ſeiner Regierung faͤngt ſich die ja-
paniſche Zeitrechnung Nin O an.


Dai II.


Sui Sei**)Synmus dritter Sohn, folgte ſeinem Vater im 80ten Jahre
nach Synmu im 580ten***) vor Chriſti Geburt und 51ten Jahre ſeines Alters.


Jm 30ten Jahre ſeiner Regierung, 399ten Jahr nach dem Tode des Sjaka,
und 551ten Jahr†) vor unſers Heilands Geburt am 4ten Tage des 11ten Mondens wurde
in China und zwar in der Provinz Rokokf††) gebohren der weltweiſe und beruͤhmte Lehrer
Kooſi, nach der chineſiſchen Mundart Cumfuſu, welcher von unſern europaͤiſchen Scri-
benten Confucius genant wird. Die chineſiſchen Schriftſteller melden, daß zur Zeit ſei-
ner Geburt eine Muſik im Himmel ſey gehoͤret worden, daß die Sterne naͤher zur Erden
herunter gekommen, und als das Kind gewaſchen worden, waͤren zween Drachen, auf das
Kind
[189]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
Kind merkend, zugegen geweſen; die Natur habe ſeinen Vorkopf etwas vorausſtehend
gemacht, und mit Finnen verſehen, wie bey dem Kaiſer Syuͤm, ſein Angeſicht ſey dem
des Kaiſers Gio aͤhnlich geweſen, und kurz zu ſagen, es ſollen alle Merkmale eines kuͤnf-
tigen Seſin, das iſt einer Perſon von ungemeinem Verſtande und hoher Gelehr-
ſamkeit
an ihm ſich gezeigt haben. Seine aͤuſſerliche Leibesgeſtalt nahm an edelm und
majeſtaͤtiſchem Anſehen mit den Jahren zu; dann er war neun Sak und ſechs Sun hoch.
Seine Schriften und hauptſaͤchlich diejenigen, welche die Moralphiloſophie angehn, ſind
in Europa nicht unbekant. Durch dieſe Schriften, worin er alle ſeine Gelehrſamkeit zum
algemeinen Nutzen der Menſchen angewandt hat, wie auch durch ſein tugendhaftes und
exemplariſches Leben, und durch die große Anzahl ſeiner Schuͤler, deren niemals unter
3000 geweſen ſeyn ſollen, hat er eine ſolche Stuffe des Ruhms und der Hochachtung in ſeinem
eignen Lande, wie auch in Japan erworben, daß nach ſeinem Tode ihm zum Gedaͤchtnis
Ehrentempel aufgerichtet ſind, worin er mit demuͤtiger Ehrfurcht ja ſogar goͤtlicher Anbetung
bis auf den heutigen Tag verehret wird. Er ſtarb im 74ten Jahr ſeines Alters.*)Sui
Sei
aber regierte 33 und lebte 84 Jahr.


Dai III.


Sein Sohn Annei**) folgte ihm im Jahr nach Synmu 113 vor Chriſti Ge-
burt 548.***) Jm 32ſten Jahre ſeiner Regierung, und im 516 vor Chriſto
wurde in China in der Provinz Rokokf gebohren, Ganquai, ein ſehr gelehr-
ter Man und anſehnlicher Juͤnger des Confucius. Es wird von ihm als merkwuͤrdig
erzaͤhlt, daß er im 18ten Jahr ſeines Alters volkommen grau geworden und wie ein alter
Man ausgeſehen habe. Er lebte 32 Jahr, und man glaubt, daß die Sele des Quoſo-
boſats
in ihn gefahren ſey. Annei regierte 38 und lebte 57 Jahr.


Dai IV.


Sein zweiter Sohn J Toku†) folgte ihm im Jahr nach Synmu 151 und im
511ten vor Chriſti Geburt, im 44ten Jahr ſeines Alters. Jm 4ten Jahr ſeines Reichs
verruͤkte er ſeinen Hof und Reſidenz nach Keitz, wo er ſtarb, nach einer 35jaͤhrigen Regierung
im 77ten Jahr††) ſeines Alters.


A a 3Dai V.
[190]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Dai V.


Deſſen Sohn Koſio*) folgte ihm nach im Jahr nach |Synmu 186 und 476
vor Chriſti Geburt, da er alt war 33 Jahr. Jn dem 5ten Jahr ſeiner Regierung ent-
ſtund ein Krieg zwiſchen den Landſchaften Jetz und Go, welches der erſte Krieg iſt, deſſen
in der japaniſchen Geſchichte erwaͤhnt wird. Er regierte beinahe 83 Jahr und ſtarb im
115ten Jahr ſeines Alters.


Dai VI.


Deſſen anderer Sohn Koan**) ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu 269, vor
Chriſti Geburt 392***) und im 36ten Jahr ſeines Alters. Er verlegte ſeine Reſidenz nach
Muro in Farima, und einige Jahre hernach nach Khuroda. Unter ſeiner Regierung
erſchien ein Comet in China, und war eine ſolche Sonnenfinſternis in Japan, daß der Tag
nach ihrer Redensart ploͤzlich in eine finſtere Nacht verwandelt wurde. Er regierete 101
Jahr und lebte 137 Jahr.


Dai VII.


Deſſen aͤlteſter Sohn Korei****) ſonſt auch Koſii genant, folgete ihm im Jahr
nach Synmu 371, vor Chriſti Geburt 290,†) und im 53ten Jahr ſeines Alters. Jm
6ten Jahr ſeiner Regierung, welches war das Jahr vor Chriſti Geburt 284, entſtand die
See und der Flus Oomi in der Landſchaft dieſes Namens ploͤzlich in einer Nacht. Jm
33ten Jahre ſeiner Regierung vor Chriſti Geburt 257 lebte in China der große Tyran
Sinofikwo. Jm 46ten Jahre ſeiner Regierung vor Chriſti Geburt 244 wurde das Kai-
ſerthum Japan zuerſt in 36 Landſchaften eingetheilet. Er regierte 76 Jahr und lebte
128 Jahr.


Dai VIII.


Deſſen Sohn Kookin††) folgete ihm im Jahr nach Synmu 447 vor Chriſti Ge-
burt 214†††) im 60ten Jahr ſeines Alters. Er verlegte ſeine Hofhaltung und Reſidenz
nach Karutz. Ohngefehr um dieſe Zeit regierte in China, Sikwo oder Sino Siko,††††)
aus
[191]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
aus dem Geſchlechte Cin, der ein beruͤhmter Prinz ſowol in den chineſiſchen als japaniſchen
Geſchichten iſt; er war wegen ſeiner Verſchwendung und Pracht auch ſehr beruͤchtigt, und
wurde ſeiner Grauſamkeit und tyranniſchen Regierung halber uͤber alle Maaße gefuͤrchtet.
Er kam auf den chineſiſchen Thron im 246ten Jahr vor Chriſti Geburt, und ſtarb nach
37jaͤhriger Regierung im 50ten Jahr ſeines Alters. Von den vielen Exempeln ſeiner
Verſchwendung und grauſamen Regierung, deren in meinen japaniſchen Quellen Meldung
geſchieht, wil ich nur wenige anfuͤhren. Er lies einmal eine große See ausgraben mit
chineſiſchem Reisbiere fuͤllen, und dann mit ſeinen Maitreſſen ganz nakt in Booten ſich uͤber-
fahren. Er bauete auch die beruͤhmte chineſiſche Mauer 300*) deutſche Meilen lang, um
da-
††††)
[192]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
dadurch ſein Reich gegen die Einbruͤche der Tataren zu ſichern. Er ſandte 300 junge Mans-
und eben ſo viel junge Weibsleute jenſeit der See unter dem Commando eines Arztes,
welcher nebſt den uͤbrigen Aerzten ihn dazu beredete, mit dem Befehl, die beſten Pflanzen
und andere zur Bereitung einer algemeinen Medicin dienliche Sachen aufzuſuchen, und ihm
zu uͤberbringen, weil er nach dieſer Arznei großes Verlangen hatte. Dieſer Arzt ſezte mit
ſeiner Colonie nach Japan uͤber, lies ſich daſelbſt nieder, aber ohne die Abſicht, ſich jemals
wieder zuruͤk nach China zu begeben. Er bauete den beruͤhmten Pallaſt Kanjoku, wel-
ches ſo viel heiſt als ein großes dem Himmel gleiches Haus. Die Eſtriche deſſelben
wurden mit Gold*) und Silber uͤberzogen und der ganze Pallaſt ſo praͤchtig geraͤumig und
anſehnlich, daß er hernach zum Sprichwort geworden iſt. Er wurde aber angeſtekt, und
in die Aſche gelegt im Jahr vor Chriſti Geburt 205 auf Befehl des Kool,**) welcher ſich
gegen die Familie der Cin auflehnte, und nachdem er den Kaiſer Syſe, Sikwos Nach-
folger,
getoͤdtet, ſich ſelbſt auf deſſen Thron ſezte. Die japaniſchen und chineſiſchen
Geſchichten***) melden, daß der Pallaſt drei Monat lang gebrant habe, ehe er gaͤnzlich in
die
*)
[193]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
die Aſchen geleget wurde, woraus deſſen Groͤße und weiter Umfang kan abgenommen werden.
Er war aͤußerſt grauſam in Anſehung ſeiner Unterthanen, deren geringſte aus Unbedacht-
ſamkeit begangenen Fehler er mit der groͤſten Pein zu beſtrafen pflegte. Jn dieſer Abſicht
wird er auch als der erſte der drei beruͤchtigten chineſiſchen Neronen angefuͤhrt. Es ſind
dieſe Sinoſiko, Katſuwo, und Tſuwo, deren fuͤrchterliches Andenken immerwaͤhrend
iſt. Krokin regierte 56 und lebte 116 Jahr.


Dai IX.


Jhm ſuccedirte ſein Sohn Kaikwo oder Quo,*) im Jahr nach Synmu 504,
vor Chriſti Geburt 151,**) im 52ten Jahr ſeines Alters. Er verſezte in dem 3ten Jahr
ſeiner Regierung ſeinen Hofhalt und Reſidenz nach Jſagawa. Jm 17ten Jahr ſeiner
Regierung, vor Chriſti Geburt 140, ereigneten ſich drei heftige Erdbeben in China, und
das folgende Jahr erſchien der Mond in Purpurfarbener Geſtalt. Jm 19ten Jahr ſeiner
Regierung, vor Chriſti Geburt im 138ten, hat die erſte Nengo in China angefangen
unter dem damaligeu Kaiſer Koo Bu, nicht lange nach ſeiner Beſteigung des Throns.
Nengo iſt eine beſondere Epoche, welche gemeiniglich von einem merkwuͤrdigen Zufal
angehoben und mit zweien Charactern ausgedrukt wird; ſie iſt in keine gewiſſe Anzahl Jahre
eingeſchraͤnkt, ſondern dauret nur ſo lange es dem Kaiſer beliebig iſt.***) Der Character
dieſer erſten Nengo war Kenken. Er regierte 59 Jahr und ſtarb zu Jſagawa,
111 Jahr alt.


Dai X.


Deſſen Sohn Siunſin oder Siuſin†) ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu
564, im 97ten††) vor Chriſti Geburt und 52ten ſeines Alters. Jm 4ten Jahre ſeiner
Regierung und 93ten Jahre vor Chriſti Geburt verlegte er ſeine Hofhaltung und Reſidenz
nach Siki. Jm 7ten Jahre ſeiner Regierung und im 90ten vor Chriſti Geburt war ein
großes Sterben in Japan. Jm 11ten ſeiner Regierung und 86ten vor Chriſti Geburt
wurde der Titel und das Amt des Seoguͤn zu allererſt aufgerichtet und beſtund im Direc-
torio von allen Kriegsſachen und dem Obercommando uͤber die Armee, im Fal eines Kriegs
B boder
[194]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
oder Aufruhrs. Der Kaiſer gab dieſen Titel einem ſeiner Soͤhne. Jm 19ten Jahr ſei-
nes Reichs und 78ten vor Chriſti Geburt wurden die erſte Fune, d. i. Kauffarthei und
Kriegsſchiffe in Japan erbauet und aufgerichtet. Jm 68ten Jahr ſeiner Regierung wur-
den zwei Monde in Oſten geſehen. Siuſin regierte 68 Jahr und lebte 119 Jahr.


Dai XI.


Synin, deſſen dritter Sohn folgte ihm im Jahr nach Synmu 632, vor Chriſti
Geburt 29, und im 41ten ſeines Alters. Jn dem erſten Jahre ſeines Reichs hatte man
ſpaͤt im Herbſt reife Pfirſchen in China. Jm 36ten Jahre ſeines Reichs regnete es Ster-
ne vom Himmel in Japan. Jm 14ten Jahre ſeines Reichs am klaren und hellen Tage
entſtund urploͤzlich in China ein heftig Donnern und Blitzen; Cometen, und feurige Drachen
und ungemeine Luftzeichen erſchienen in der Luft, und es regnete Feuer vom Himmel. Jm
60ten Jahr ſeiner Regierung ſiengen ſie in Japan an zu beſſerer Beſtellung der Reisfelder
Teiche zu machen, und das Waſſer in Graben einzuſchließen. Jm 65ten Jahr ſeiner Re-
gierung im 7ten Monat wurde vieles Volk in China vom Bliz und Hagel getoͤdtet; auf
welches Ungewitter ein ſolcher Hunger erfolgte, daß ſich das Volk einander ſelbſt toͤdtete und
auffras. Jm 88ten Jahre wurde ein Ros mit auſſerordentlichem Schweife aus Jndien in
Japan uͤberbracht, welches 1000 Meilen in einem Jahre*) laufen konte. Ein Wettlauf
zwiſchen dieſem und dem beruͤhmten Pferde des Ali wuͤrde ein luſtiger Anblik ſeyn. Jm
95ten Jahr ſeiner Regierung kam Bupo, ſonſt Kobotus genant, aus Jndien nach Japan
und brachte auf einem weißen Pferde die Kio oder das Buch vom Gottesdienſt und
ſeiner Lehre mit heruͤber. Jhm wurde nachgehends ein Tempel aufgerichtet, Fakuboſj
oder der weiße Pferdetempel genant. Eben zu der Zeit iſt der auslaͤndiſche heidniſche
Goͤtzendienſt der Chineſer und anderer Voͤlker hier ausgebreitet worden, und die Zahl der
Tempel und Goͤtzenhaͤuſer mehr und mehr angewachſen. Die Regierung dieſes Kaiſers iſt
eine der laͤngſten von denen, welche auf dem japaniſchen Thron geſeſſen haben, denn er
regierte 98 und lebte 139 Jahr.**) Jch mus nicht vergeſſen vor dem Schlus dieſes Ka-
pitels zu melden, daß im 29ten Jahr der Regierung dieſes Kaiſers, welches war das
661te Jahr nach Synmu, das 6te und lezte Jahr des chineſiſchen Kaiſers Ai, von den
Chi-
[195]Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
Chineſern genant Hiao n Gaiti, welcher damals bereits geſtorben war, und zum Nach-
folger hatte den Kaiſer Hiao Pim Ti, im 2ten Jahre ſeiner lezten Nengo, Chriſtus
der Welt Heiland gebohren, und im 66ten Jahre der Regierung Sy nin, welches war
das 9te Jahr der Regierung des chineſiſchen Kaiſers Kwoo Bu, gekreuziget und wieder
von den Todten auferſtanden ſey, indem ich zum Grunde ſetze, daß deſſen Tod ſich im
33ten Jahre ſeines Alters begeben habe.*)



B b 2Viertes
[196]

Viertes Kapitel.
Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt
Jeſu Chriſti gelebt und noch mit unbeſchraͤnkter Macht bis auf
die Geburt des Joritomo geherſchet haben.



Dai XII.


Keikoo,*) des Synins dritter Sohn, folgte ſeinem Vater in der Regierung im
731ten Jahre nach Synmu, im 71ſten Jahre unſers Heilandes Geburt und im
84ten ſeines Alters. Jn dem 23ten Jahre ſeiner Regierung entſtund eine neue Jnſel nahe
an Japan aus dem Abgrunde des Meers; ſie wurde Tſikubaſima genant, und dem
Nebis, welcher der Japaner Neptunus iſt, gewidmet. Drei Jahre hernach wurde
ein Mia oder Tempel, Takajanomia genant, auf beſagtem Eylande dem Nebis zu Eh-
ren erbauet, und eine gnugſame Anzahl Bonzen oder Prieſter dazu verordnet, Gottesdienſt
darin zu pflegen. Dieſer Tempel wurde in folgenden Zeiten recht beruͤhmt und reich, und
man ſagt, daß das Eyland ſelbſt allezeit frei vom Erdbeben geweſen ſey. Er regierte 60
und lebte 143**) Jahr.


Dai XIII.


Sei Muu,***) deſſen 4ter Sohn folgete ihm in der Regierung nach Synmu 791,
nach Chriſti Geburt 131†) und im 49ten Jahr ſeines Alters. Er verlegte ſeinen Sitz
und
[197]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch. Viert. Kap. ꝛc.
und Hofhaltung nach Sigga in die Provinz Oomi. Jn dem 6ten Jahre ſeiner Regie-
rung ſezte er die Graͤnzen aller Laͤnder ſeines Kaiſerthums feſt. Er regierete 60 und lebte
108 Jahr.


Dai XIV.


Tſiuu Ai,*) der andere Sohn der Schweſter des Sei Muu, welche mit Ja-
matta Dakino Mikotto
vermaͤhlet war, und ein Enkel des Keko, ſuccedirte in der
Regierung im Jahr nach Synmu 852, nach Chriſti Geburt 192 **) und im 44ten ſeines
Alters. Er bahnte ſich den Weg zum Thron durch den Mord des Kumaſi Uſomu
Kuno Mikotto.
Er regierte 9 Jahr, und ſtarb im 52ten Jahr ſeines Alters.


Dai XV.


Singukogu oder Dſin Guukwoo Guu,***) folgete auf ihn nach Synmu 861,
nach Chriſti Geburt 201†) und im 30ten Jahre ihres Alters. Sie war des verſtorbe-
nen Kaiſers Wittwe und zur Nachfolge berechtiget, weil ſie im fuͤnften Grad mit dem
Kaiſer Keikoo verwant war. Sie fieng einen Krieg an gegen Corea, und ſezte gleich
im Anfang mit einer ſtarken Armee uͤber, welche ſie in eigner Perſon kommandirte; allein
da ſie ſich in einem fremden Lande ſchwanger befand, eilte ſie wieder nach Japan, wo ſie
ins Kindbette (in Tſihuſen in der Landſchaft Mikaſſa, woſelbſt ſie auch reſidirte) kam
mit einem Sohn, der in ſeinen jungen Jahren Wakono Ooſi genant wurde, als er aber
zu Jahren und zum Thron gelangte, den Namen Ooſin Ten Oo erhielte, nach ſeinem
Tode aber Jawatta Fatzman genant wurde, welches bedeutet Mars von Jamatta.
Er iſt wegen ſeiner heldenmuͤthigen und tugendhaften Verrichtungen unter die Goͤtter des
Landes gerechnet. Sie reſidirte in Tſikuſen, verlegte aber oͤfters ihre Hofhaltung von
einem Ort ihres Landes zum andern, und ſtarb endlich nach einer ruhmwuͤrdigen 17jaͤhrigen
Regierung im 100ten Jahre ihres Alters, und wurde nach ihrem Tode unter die Goͤttinnen
des Landes gerechnet mit dem Namen Kaſſino Dai Mioſin. Waͤhrend der Regierung
dieſer Kaiſerin wurde China durch Erdbeben, Diebſtaͤhle, Aufruͤhrer und andres Ungluͤk
verwuͤſtet.


Dai XVI.


Ooſin oder Wooſin††) ihr einziger Sohn, ſuccedirte ihr im Jahr nach Synmu
930, nach Chriſti Geburt 270 und im 71ten Jahr ſeines Alters. Er war ein großer Fuͤrſt
B b 3in
[198]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
in Friedens-und Kriegszeiten und ein treuer Vater ſeines Vaterlandes, welches er mit
großer Gnade und Klugheit regierte. Er ſtarb im 113ten Jahre ſeines Alters und wurde
nach ſeinem Tode | mit dem goͤtlichen Titel von Fatzman beehret, welches ſo viel heiſt
als der japoniſche Mars und ein Bruder von Ten Sio Dai Sin.


Dai XVII.


Nintoku ſein 4ter Sohn folgte ihm in der Regierung im Jahr nach Synmu 973,
nach Chriſti Geburt 313, und im 24ten Jahre ſeines Alters. Jm 68ten Jahre ſeiner
Regierung wurde in Fida ein monſtreuſes Kind mit zwei Angeſichtern, vier Armen und vier
Fuͤßen gebohren. Er war ein guter und tugendhafter Fuͤrſt, ſehr geliebt von ſeinen Un-
terthanen, welchen er die Auflage zu verſchiedenen Zeiten erlies. Er regierte 87 und
lebte 170*) Jahr. Jn Tſinokuni iſt ein Tempel zu ſeinem Gedaͤchtnis errichtet, welcher
genant wird Naniwa Takakuno Mia Korefirano Dai Mio Dſin.


Dai XVIII.


Sein aͤlteſter Sohn Ritſiu folgte ihm in der Regierung nach Synmu 1060, nach
Chriſti Geburt 400 und im 72ten Jahr ſeines Alters. Er reſidirte zu Koas in
der Landſchaft Jamatta. Er regierte 6 Jahr, und ſtarb im 78ten Jahr ſei-
nes Alters.


Dai XIX.


Fan Sei ſein juͤngerer Bruder und zweiter Sohn des Ninkoku, folgte auf ihn
im Jahr nach Synmu 1066, nach Chriſti Geburt 406, und im 55ten ſeines Al-
ters. Er reſidirte zu Siwagaki in der Provinz Kaawaats, regierte 6 und lebte
63 Jahr.


Dai XX.


Jnkoo,**) des Fan Seis juͤngſter Bruder und des Nintoku juͤngſter Sohn,
folgte auf ſeinen Bruder im Jahr nach Synmu 1074, nach Chriſtl Geburt 414, und im
39ten Jahre ſeines Alters. Er reſidirte zu Aſka in Jamatto. Er uͤberſante einen Me-
dicum deſſelben Landes nach China, um fuͤr ſeine Geſundheit Sorge zu tragen. Er regierte
40 Jahr und ſtarb im 80ten ſeines Alters.


Dai XXI.
[199]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai XXI


Ankoo,*) des Jnkioo Sohn, folgte ſeinem Vater in dem Jahre nach Synmu
1114 nach Chriſti Geburt 454 und im 54ten Jahr ſeines Alters. Er reſidirte in Jamotto.
Seine Regierung war nur kurz, denn im 3ten Jahre nach ſeiner Ankunft auf den Thron
rebellirte Maijuwa, nahm ihn gefangen und toͤdtete ihn in dem 56ten Jahr ſei-
nes Alters.


Dai XXII.


Jun Riaku**) des Ankoo juͤngerer Bruder und fuͤnfter Sohn des Jnkioo folgt
ihm nach in der Regierung im Jahr nach Synmu 1117 nach Chriſti Geburt 457.


Es wird von dieſem Kaiſer geſagt, daß er grau gebohren ſey, daher ſichs gefuͤget,
daß einige Schriftſteller deſſen Ankunft auf den Thron in ſein Alter ſetzen, welches aber mit
der Zeitrechnung und dem Alter der Kaiſer ſeiner Vorfahren nicht uͤbereinkoͤmt. Er raͤchte
ſeines Brudern Tod an Maijuwa, oder wie einige ihn nennen Maijuwano o ſin, wel-
chen er toͤdtete. Jm 17ten Jahre ſeiner Regierung vermaͤhlte er ſich mit der Prinzeſſ in
Wakaki, declarirte ſie zur Kaiſerin, und machte zur ſelbigen Zeit ein Geſez, welches
immer waͤhrt, und darin beſtehet, daß die Kinder der Gemahlin des Dairi, welche zur
Kaiſerin ernant iſt, als rechtmaͤßige Erben der Krone anerkant werden ſolten. Jn dem 19
ten Jahre ſeiner Regierung wurden die erſten Putjes in Japan gepraͤgt von einer Sinka.***)
Er regierte 23 Jahr. Wie lang er aber gelebt, iſt ungewis.


Dai XXIII.


Deſſen zweiter Sohn Se Ne†) ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu 1140, nach
Chriſti Geburt 480, und im 37ten Jahr ſeines Alters. Er regierte nur 5 Jahr und
lebte 42.


Dai XXIV.


Gen Soo,††) des Kaiſers Ritſiuu Enkel ſuccedirte dem Se Ke im Jahr
nach Synmu 1145, nach Chriſti Geburt 458, im 46ten Jahr ſeines Alters. Er regierte
3 Jahr, dankte ab, lebte 85 Jahr.


Dai XXV.
[200]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Dai XXV.


Sein Bruder Ninken*) folgte ihm im Jahr nach Synmu 1148, nach Chriſti
Geburt 488, und im 41ten Jahr ſeines Alters. Er regierte 11 Jahr, und lebte 51.


Dai XXVI.


Sein Sohn Buretz ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu 1159 und Chriſti Ge-
burt 499. Er war ein grauſamer barbariſcher Fuͤrſt, fand großes Vergnuͤgen im unver-
mutheten Abhauen der Koͤpfe ſeiner Unterthanen. Er rizte denen ſchwangern Weibern
mit ſeinen eignen grauſamen Haͤnden die Baͤuche auf. Bei dieſer Gelegenheit ſol, nach
hiſtoriſchem Bericht, Feuer vom Himmel gefallen ſeyn, und der Kaiſer, um ſich dagegen zu
verwahren, hat einen beſondern Plaz ganz mit Steinen uͤberziehen und bepflaſtern laſſen.
Er gab aber noch mehr andere Beweiſe ſeiner ungemeinen und unerhoͤrten Grauſamkeit an
den Tag. Er ſchnit dem Volke die Naͤgel von Haͤnden und Fuͤßen ab, und lies zufolge
eines japaniſchen Autors Spaden daraus machen und die Wurzeln damit aufgraben. Er
marterte auch einige durch das Ausraufen der Haare an allen ihren Leibestheilen. Andere
befahl er an die Gipfel hoher Baͤume zu haͤngen, und lies dann mit Pfeilen nach ihnen
ſchießen, oder die Baͤume abſaͤgen oder ſchuͤtteln, daß ſie herunter fallen muſten, woran
er großes Vergnuͤgen ſpuͤren lies, und daſſelbe mit herzlichem Gelaͤchter merklich machte. Auf
ſolche grauſame Art regierte er 8 Jahr. Wie lang er gelebt, und wie er geſtorben? iſt
nicht gemeldet.


Dai XXVII.


Kei Tei**) folgte ihm in der Regierung nach im Jahr nach Synmu 1167, nach
Chriſti Geburt im 507ten und 54ten Jahre ſeines Alters. Er war Kaiſers Ooſins Ur-
enkel, gebohren von der Prinzeſſ in Fkoaruſi, welche dieſes Kaiſers Nichte war. Er
reſidirte zu Tſutſuki in der Provinz Jamaſiiro, von da er ſeine Hofhaltung nach Foto-
guami
in ſelbiger Provinz verlegte. Jm 12ten Jahre ſeines Reichs, welches das Jahr
Chriſti 519, kam der Darma ein großer, heiliger und beruͤhmter Heidenprophet, welcher
war der 3te Sohn des indianiſchen Koͤnigs Kosjuwo und der 28te Erbfolger auf dem heil.
Stuhle des Sjaka, nach China von Seitenſiku, das iſt, aus dem weſtlichen Himmels-
lande,
wodurch das feſte Land von Jndien verſtanden wird, weil es China gegen Abend
liegt. Kei Tei ſtarb nach einer 17jaͤhrigen ruhmwuͤrdigen Regierung im 81ten ſeines
Alters, und wurde von jederman betrauret. Sein Nachfolger vergoͤtterte ihn in Jetſijſin
und verehrete ihn mit dem goͤtlichen Titel Aſkano Dai Mio Sin.


Dai XXVIII.
[201]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai XXVIII.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen Sohn An kan*) im Jahr nach Synmu 1194,
und nach Chriſti Geburt 534, und im 69ten Jahre ſeines Alters. Er reſidirte in Ja-
matto, und ſtarb nach einer kurzen Regierung von zwei Jahren. Er wurde drei Jahre
nach ſeinem Tode gleichfals vergoͤttert, und als ein Beſchuͤtzer der Landſchaft Jamatto,
unter dem Namen Kimbo Senno Gongin, angerufen.


Dai XXIX.


Senkwa,**) ſein juͤngerer Bruder, wurde ſein Nachfolger im Jahr nach Synmu
1196, und Chriſti 536,†) nachdem er bereits 70 Jahr alt war. Er verlegte ſeine Hof hal-
tung und Siz an einen andern Ort in ſelbigem Lande. Er regierte nur vier Jahr, und
ſtarb, da er zuvor ſeinen Bruder vergoͤttert und fuͤr einen Schuzgott von Jamatto ausge-
rufen hatte.


Dai XXX.


Kin Mei oder nach zierlicher Ausrede Kim Me,††) zweiter Sohn des Kaiſers
Kei Tei, folgte ſeinem Bruder im Jahr nach Synmu 1200, nach Chriſti Geburt 440,
im 32ten Jahr ſeines Alters. Er reſidirte in der kleinen Landſchaft Skinnokori. Er
war ein frommer Fuͤrſt und gegen ſeine Unterthanen ſehr gnaͤdig, auch dem auswaͤrtigen
Goͤtterdienſt der Budsdo ungemein ergeben, daher dieſer Aberglaube unter ſeiner Regie-
rung mit großem Fortgang durch Japan ausgebreitet wurde, zumal da auch der Kaiſer
ſelbſt unterſchiedliche Tempel denen auslaͤndiſchen Goͤtzenbildern erbauen und ſogar das Goͤ-
tzenbild Buds oder Fotoge in Fakkuſai, das iſt, in China ausſchnitzen lies. Mein
japaniſcher Autor ſchreibt etwa 1000 Jahr hernach, daß in Tſiutenſiku, das iſt, in dem
mitlern Teuſiko, wodurch das Land der Malabaren und die Kuͤſte Coromandel in Jn-
dien
zu verſtehen iſt, ein vortreflicher Fotoke, genant Mokuren, ein Schuͤler des Sjaka
entſtanden ſey; auch daß etwa um ſelbige Zeit die Lehrer des Jambadan Gonno Niorai,
das iſt, von Amida, dem großen Gott und Patron der abgeſchiedenen Seelen, nach
China oder Fakkuſai uͤberbracht worden, und zugleich auch in denen benachbarten Laͤndern
ausgebreitet ſey. Dieſe Lehre, faͤhrt der Autor fort, offenbarte ſich nun ſelbſt in Tſino-
kuni
oder Japan an einem Orte Naniwa genant, alwo das Goͤtzenbild Amida an dem
C cEin-
[202]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Eingange eines Pond, mit guͤldenen Strahlen umgeben, ſich ſehen lies. Es wiſſe kein
Menſch, wie dieſes Bild daſelbſt hingekommen ſey; der damalige fromme Kaiſer habe
zum Andenken ſolcher Begebenheit die erſte Nengo in Japan angeordnet, und Konquo
genant. Das Goͤtzenbild ſelbſt ſey von Tonda Joſijmitz, einem herzhaften und frommen
Fuͤrſten, in die Provinz Sinano eingefuͤhret und in den Tempel Sinquoſi geſezt, woſelbſt
es nachher unter dem Namen Sinquoſi Norai, das iſt, der Norai oder Amida von
Sinquoſi,
viele Wunderwerke verrichtete, welche dieſen Tempel in dem ganzen Kaiſerthum
beruͤhmt gemacht haben. So weit mein japaniſcher Autor. Kin Mei regierte 32 und
lebte 63 Jahr.


Dai XXXI.


Jhm folgte in der Regierung ſein andrer Sohn Fitatzu oder Fintatz*) im Jahr
nach Synmu 1232, nach Chriſti Geburt 572. Mein Autor thut keine Meldung von ſei-
nem Alter, ſondern ſchreibt nur von folgenden merkwuͤrdigen Begebenheiten, die ſich unter
ſeiner Regierung zugetragen haben:


Jn dem 3ten Jahre ſeiner Regierung, am erſten Tage des erſten Monahts wurde
dem kaiſerlichen Hofe gebohren Sotoktais ein großer Apoſtel der Japaneſer. Vor deſ-
ſen Geburt begaben ſich verſchiedene merkwuͤrdige Umſtaͤnde. Seine Mutter ſahe ſich in
der Nacht im Traum mit himliſchen gleich der Sonnen helglaͤnzenden Strahlen umgeben,
und hoͤrete dabei folgende Worte, an ſie gerichtet, ausſprechen: „Jch der heilige Gu-
ſoboſatz muß wieder gebohren werden, die Welt zu lehren, und derohalben komme
ich herab in deinen Leib einzugehen.‟
Und darauf beim Erwachen fand ſie ſich ſchwan-
ger, und hoͤrete nach acht Monaten das Kind deutlich in ihrem Leibe reden, im 12ten
Monat aber wurde ſie nicht allein ohne die geringſte Pein, ſondern auch mit großer Luſt und
Vergnuͤgen von einem Sohn entbunden, welcher damals Fatſiſino und nach ſeinem Tode
Tais oder Sotoktais genant wurde. Es lies dieſes Kind fruͤhzeitige Kenzeichen ſonder-
baren Verſtandes und großer Froͤmmigkeit von ſich blicken, und Andacht und Gebet waren
ſein groͤſtes Vergnuͤgen auch in ſeinen noch zarten Kinderjahren. Als er nur vier Jahr alt und
im eifrigen Gebet begriffen war, wurden die Gebeine und Reliquien des laͤngſt verbranten
großen Sjaka auf eine wunderbare Weiſe in ſeine Haͤnde geliefert.


Der Goͤtzendienſt nahm uͤberal unter dieſes Kaiſers Regierung in Japan ſehr zu,
und kamen aus unterſchiedenen Landen eine Menge Goͤtzenbilder, Bildſchnitzer und Pfaffen
uͤber die See alhier an. Jn dem 6ten Jahre ſeiner Regierung wurde ein Edikt publicirt,
welches
[203]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
welches befahl, daß an ſechs unterſchiedenen Tagen jeglichen Monats alle lebendige Creaturen,
in welchem Zuſtande ſie auch ſeyn moͤgten, ſolten in Freiheit geſezt werden, und diejenigen
Unterthanen, welche kein lebendiges haͤtten, thaͤten wohl, wenn ſie dieſerhalb nur etwas
kauften, damit ſie die Gelegenheit und Zeit nicht verſaͤumen moͤgten, an dieſen Tagen
oͤffentliche Proben ihrer Dankbarkeit und Erkentlichkeit gegen dieſe Creaturen abzulegen.
Jm 14ten Jahre ſeiner Regierung verurſachte einer, Nahmens Moria, ein großer Geg-
ner und geſchworner Feind des Sotoktais, große Unruhe und Religionsuneinigkeiten in
dem Kaiſerthum, weil er aus toͤdlichem Has gegen alle Fotoye und Goͤtzenbilder des Lan-
des dieſelben, wo ſie nur zu bekommen waren, aus den Tempeln raubte und verbrante.
Es wurde ihm aber innerhalb zweien Jahren wieder vergolten, indem ſeine Feinde ihm auf Leib
und Leben nachſtelten, und endlich gefangen erhielten, da er dann ſein verwegenes Vorneh-
men mit dem Leben bezahlen muſte. Es wird hiebey noch gemeldet, daß aus der verbran-
ten Goͤtzenbilderaſche |in einer Grube ein ſehr ploͤzliches und erſchrekliches Donnerwetter
mit großem Blitzen und Regen entſtanden ſey. Er regierte 14 Jahr, wie lang er aber
gelebt? iſt nicht bekant.


Dai XXXII.


Er hatte zum Nachfolger Joo Mei*) ſeinen 4ten Sohn, in dem Jahre nach
Synmu 124, nach Chriſti Geburt 586.


Mein Autor ſchweigt alhier gaͤnzlich ſtil ſowol von dieſes Kaiſers als einiger ſeiner
Succeſſoren Alter. Unter ſeiner Regierung wurde Moria geſchlagen und getoͤdtet, und der
Tempel Sakatatina in der kleinen Provinz Tamatſukuri zum Andenken dieſer Begeben-
heiten erbauet. Er regierte zwei Jahr.


Dai XXXIII.


Siu Siun ſein Bruder ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu 1248 und Chriſti
588. Jm 3ten Jahre ſeiner Regierung im 7ten Monat wurde das Kaiſerthum Japan
zuerſt in ſieben große Laͤnder eingetheilet, und genant Goki Sitzi Do, welche Eintheilung,
wovon ich genauere Nachricht im 5ten Kap. des erſten Buchs gegeben, noch immer fortdau-
ert, und in allen japaniſchen Landcharten in acht genommen wird. Er regierte 5 Jahr
und ſtarb.


Dai XXXIV.


Suiko oder Syko**) des Kaiſers Kim Me zweite Tochter und des Kaiſers
Fitats hinterlaſſene Witwe folgte dem Siu Sium auf dem Throne im Jahr nach Synmu
C c 21253,
[204]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
1253, nach| Chriſti Geburt 593. Jm 5ten Jahre ihrer Regierung kam ein fremder Prinz
von Fakuſai an ihrem Hofe an, blos in der Abſicht ſeinen ſchuldigen Reſpect gegen den
Sotoktais abzulegen. Jm 6ten Jahre ihrer Regierung wurde eine Dohle*) und ein
Pfau von jenſeit des Meers her, zu einem Geſchenk fuͤr die Kaiſerin uͤberbracht. Es dau-
ret dieſe Gattung Voͤgel noch jezt fort, und beſonders das ſich ſtark vermehrte Kraͤhenge-
ſchlecht, welches anjezt großen Schaden verurſacht. Jm 7ten Jahre ihrer Regierung
wurde ganz Japan vom Erdbeben auf erſchrekliche Weiſe erſchuͤttert, und eine ſehr große
Menge Gebaͤude niedergeworfen und verſchlungen. Das naͤchſte Jahr darauf fiel Feuer
vom Himmel und nach demſelben eine ſolche Menge Regen, daß viele Staͤdte unter Waſ-
ſer geſetzet wurden. Jn dem 10ten Jahre wurde ein geiſtlich Buch, genant Rekkotoſo,
aus Fakkuſai uͤberbracht. Jn dem 12ten Jahre lies die Kaiſerin eine Saͤule des Sjaka
aus Kupfer gießen. Dieſe Statuͤe wurde hernach geſchmolzen, um Geld daraus zu praͤgen,
und eine andere von Gips oder Thon an deren Stelle geſezt. Jn demſelben Jahre wurde
zu allererſt Gold aus Japan in Corea uͤberbracht. Jn dem 21ten Jahre ihrer Regierung
iſt, dem Bericht nach, der Darma dem Sotoktais erſchienen in der Landſchaft Jamatta
am Gebirge Katta Joha. Man ſezt noch hinzu, daß dieſe beiden ex tempore einer
auf den andern Verſe gemacht haͤtten. Jm 28ten Jahre ihrer Regierung am 22ten Tage
des 2ten Monden ſtarb Sotoktais im 49ten Jahre ſeines Alters. Jm 35ten Jahre ih-
res Reichs wurde ein Schwarm fremder Fliegen im Lande bemerkt, welche mit ihrem gro-
ßen Sauſen und Schwaͤrmen vielen Schaden verurſachten. Suiko ſtarb im 36ten Jahre
ihrer Regierung,


Dai XXXV.


Dſiome,**) des Kaiſers Fitatz Enkel, folgte ihr nach in der Regierung im Jahr
1289 nach Synmu und 629 nach Chriſti Geburt. Er reſidirte in Jamatto. Jm 3ten
Jahr ſeiner Regierung am erſten Tage des erſten Monden wurde der große andaͤchtige
Gienno Gioſa gebohren; ein Stifter des geiſtlichen Ordens der japaniſchen Einſiedler
oder Jammabos, das iſt, Bergpfaffen, welche in den Gebuͤrgen, Holzungen und
Wuͤſten wohnen, davon unten im dritten Buch im 5ten Kap. ein Mehrers. Eben daſſelbe
Jahr erſchien ein Comet. Jm 12ten Jahre ſeiner Regierung am 7ten Tage des andern
Mondens wurde ein Stern im Monde bemerkt. Er regierte 12 Jahr.


Dai XXXVI.


Kwoogoku†) ſeine kaiſerliche Gemahlin und Kaiſer Fitatz an Kindes ſtat ange-
nommene Tochter folgte ihm im Jahr nach Synmu 1302, nach Chriſti Geburt 642. Jn
dem
[205]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
dem andern Jahr ihrer Regierung wurden fuͤnf unterſchiedene Farben in der Luft bemerkt.
Eben daſſelbe Jahr im 4ten Monden, fiel eine große Menge Hagel. Sie regierte 3 Jahr.


Dai XXXVII.


Koo Toku*) ihr juͤngerer Bruder folgte ihr im Jahr nach Synmu 1305 und
nach Chriſti Geburt 645. Er verlies Miako ſeine Reſidenz, und verlegte ſeinen Hof-
ſtat nach Nagora Tojoſaki. Er war der erſte, welcher ſeine Miniſters und andre Be-
dienten mit Titeln und verſchiednen Merkmalen, um ſie in ihrem Rang und Bedienung zu
diſtinguiren, beehrte. Er regulirte auch, auf welche Weiſe denen Civilbedienten außer
dem Hofe Reſpect erwieſen werden ſolte. Die Jahre waren bisher von der Epoche Nin O
gerechnet, nemlich vom Anfang der Regierung des Synmu, dem Grundleger der japa-
niſchen Monarchie;
er aber machte kuͤrzere Perioden, Nengo genant, welches noch jezt
im Gebrauch iſt. Sie wurde von ihm durch ſein ganzes Kaiſerthum publicirt, und in
acht zu nehmen befohlen. Dieſe Nengo aber waren nicht ſeine eigene Erfindung, ſon-
dern von den Chineſern erlernt. Sie ſind ſchon einige 100 Jahre fruͤher bey denen Chine-
ſern im Gebrauch geweſen, indem ſie von dem chineſiſchem Kaiſer Koo Bu, bey dem
Anfang ſeiner Regierung, ohngefehr 140 Jahr vor unſers Heilands Geburt, erfunden
worden. Sie ſind, wie ich ſchon oben gemeldet, aus zweien Characteren zuſammengeſezt
und gemeiniglich von einer merkwuͤrdigen Begebenheit datiret. Da es lediglich auf des
Kaiſers Willen und Belieben ankomt, die Nengos anzufangen und zu bezeichnen, ſo kan
er ſie auch dauren laſſen, ſo lange er wil. Dies geſchiehet auch gemeiniglich, bis daß einige
merkwuͤrdige Veraͤnderung im Kirchen- und Policeiweſen dem Kaiſer einigen Anlas zur
neuen Nengo giebt. Jn ihren Briefen, Rechnungen, Calendern und andern Buͤchern
wie auch im taͤglichen Umgange werden dieſe Nengo’s gemeiniglich gebraucht, indem es
ein viel leichterer und kuͤrzrer Weg zu rechnen iſt. Jn Jahrbuͤchern, Geſchichten und an-
dern gedrukten Buͤchern iſt das Jahr der Nin O beigefuͤgt. Die erſte Nengo war Fa-
kutſij
und fieng mit dem 6ten Jahre der Regierung dieſes Kaiſers an, welches war das
1310te Jahr nach Synmu, und das 650te nach Chriſti Geburt. Sie waͤhrte 22 Jahr,
nemlich bis auf das erſte Jahr der Regierung Ten Mu. Koo Toku regierte 10 Jahr.


Dai XXXVIII.


Si Me**) des Kwoo Gokus Tochter, eine unverheirathete Prinzeſſin, ſuc-
cedirte ihrer Mutter Bruder im Jahr nach Synmu 1315 und nach Chriſti Geburt 645.†)
C c 3Sie
[206]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Sie verlegte ihren Hofſtat und Reſidenz nach Tonga in Jamatto, und im lezten Jahre
ihrer Regierung nach Aſakura. Sie regierte 7 Jahr, unter welcher Zeit ihres Onkels
erſte Nengo fortdauerte.


Dai XXXIX.


Tentſii,*) des Dſiome Sohn und der Kaiſerin Kwoo Gokus, Jtoku,**)
ſuccedirte der Sime im Jahr nach Synmu 1322 und nach Chriſti Geburt 662. Jtoku
heiſt ſoviel als Vetter, Vaters- oder Muttersbruders oder Schweſterſoͤhne. Jn dem 4ten
Jahre ſeiner Regierung wurde der beruhmte Tempel See Guanſi gebauet, und deſſen
vornehmſtes Goͤtzenbild von dem beruͤhmten Meiſter Kaſſiga geſchnitzelt, welcher Meiſter
ſeiner unvergleichlichen Geſchiklichkeit halber, die er in dergleichen Arbeit gehabt, nach ſei-
nem Tode unter die Heiligen gezaͤhlet worden iſt. Jn dem 6ten Jahre ſeiner Regierung
verlegte er ſeinen Hof und Wohnung nach Siga, in der Provinz Ootz. Jn dem 10ten
Jahre ſeiner Regierung wurde ein wunderbarer Hirſch mit acht Laͤufen in der Landſchaft Tſi-
kugo geſehen. Er regierte 10 Jahr.


Dai XL.


Ten Mu, ſein juͤngerer Bruder, folgte ihm im Jahr nach Synmu 1332, und
nach Chriſto 672. Es geſchahe nicht ohne große Unruhe und Gefahr, daß ſich dieſer Kai-
ſer bey dem Beſiz des Throns erhielte, welcher ihm von ſeinem juͤngſten Bruder Oto Mo
No Ooſi,
ſtreitig gemacht wurde, indem derſelbe ſein Recht zu der Krone durch die Macht
der Waffen zu erhalten und zu dem Ende an die Spitze einer zahlreichen Armee ſich zu ſtel-
len beſchlos. Allein es wurde dieſer ungluͤkliche Praͤtendent binnen fuͤnf Monaten ſo voͤl-
lig geſchlagen, daß er aus Verzweiflung ihm ſelbſt den Bauch aufſchnit. Sein Koͤrper
wurde ehrlich begraben in dem Tempel Okamotto, |in der Landſchaft Jamatto gelegen,
welches im November Monat der Regierung ſeines Bruders geſchahe. Zum Andenken
dieſes Siegs ſtiftete Ten Mu die Nengo Fakwo, welche 14 Jahr daurete bis auf den
Anfang der dritten Nengo Siuwu. Jm 2ten Jahre ſeines Reichs wurde der beruͤhmte
Tempel Midera gebauet; und zugleich das heil. Buch Jſſaikio, welches eine Art vom
Gebetbuche iſt, aus China uͤberbracht. Jm 3ten Jahre ſeiner Regierung wurde Silber
aus Tſuſſima uͤberbracht, alwo ſie ſelbiges zu graben und zu verarbeiten den Anfang mach-
ten.
[207]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
ten. Jm 4ten Jahre ſeines Reichs am 4ten Tage des 4ten Monden wurde die erſte
Matſuri zu Nara und Tatza gefeiert, welchem Exempel hernach andre unterſchiedliche
Oerter des Kaiſerthums gefolgt ſind. Matſuri iſt ein großer Feſttag, welcher einem Goͤ-
tzen, und beſonderm Patron und Schuzherrn eines Orts zu Ehren, mit aller erſinlichen
Pracht und Anſehen, mit feierlichen Proceſſionen, praͤchtigen Schauſpielen, Taͤnzen, muſi-
caliſchen Concerten und andern Luſtbarkeiten gefeiert wird. Jm ſiebenten Jahr ſeines Reichs,
im 6ten Monden fiel Hagel, ſo dik, wie die Pfirſchen. Jm 8ten Jahre hatten ſie reife
Pfirſchen zu Jkedamura ſchon in dem erſten Monat, welcher unſer Februarius iſt. Eben
daſſelbe Jahr am 3ten Tage des 11ten Monden ſchien die Luft ganz helle gegen Oſten, und
war zulezt einer Flamme gleich. Jm 9ten Jahre wurde der Gebrauch der Silbermuͤnze
verboten, und an deren Stat kupferne Sennis gepraͤgt, von denen Auslaͤndern Putjes
genant. Um dieſe Zeit wurde das Kaiſerthum Japan in 66 Landſchaften getheilt. Die
Jnſeln Jki und Tſuſſima, welche vordem zu Corea gehoͤrten, ſind nachher erobert und
mit dem Kaiſerthum Japan in dem vorhergehenden Jahrhundert verknuͤpft worden, ſo
daß nun in Allem 68 Provinzen gezaͤhlt werden. Jm 13ten Jahre ſeines Reichs am 14ten
Tag des 10ten Monden entſtund ein heftiges Erdbeben. Jm 14ten Jahre ſeiner Regie-
rung wurde eine neue Nengo, genant Suiwu, angeordnet, welche aber nur ein Jahr
dauerte. Jn eben demſelben Jahr ſtarb der Kaiſer am 9ten Tage des 9ten Monden, und
wurde durch deſſen Tod neue Unruhe an dieſem geiſtlichen Hofe, wegen der Erbfolge von
Ootzno Oſi erwecket.


Dai XLI.


Dſito*) des Kaiſers Temnus kaiſerliche Gemalin und Nichte folgte ihrem Ehe-
gemal und Mutter-Bruder, ohngeachtet der Anſpruͤche des Ootzno Oſi, im Jahr nach
Synmu 1347, nach Chriſti Geburt 687. Sie reſidirte zu Fuſiwara in Jamatto.
Jm 6ten Jahre ihrer Regierung wurde das erſte Sakki oder Reisbier in Jekiſinocori,
in der Landſchaft Oomi gebrauet. Sie regierte 10 Jahr.


Dai XLII.


Jhr ſuccedirte Mon mu**) des Temnu’s Enkel im Jahr nach Synmu 1357,
und Chriſti 697. Gleich nach ſeiner Ankunft fieng er eine neue Nengo an, welche Gen
hies, und vier Jahr dauerte, nachher ſtiftete er noch die Nengos Tenpo von drei, und
Keewuum von vier Jahren, die aber wenig gebraucht ſind. Er war der erſte, welcher
Tſiaps
[208]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Tſiaps, oder Petſchafte, beſondere Waffen und Kriegskleider in jeder Landſchaft anord-
nete, welches im 8ten Jahr ſeiner Regierung geſchah. Jn dem 9ten Jahre verordnete er
ein viereckichtes Maas, von den Japanern genant Seo oder Maas, von den Hollaͤndern
aber Ganten, von welchen drei accurat vier Pfund Reis enthalten nach deutſchem Gewicht.
Es war von Holz gemacht, und wurde als ein Muſter in alle Landſchaften des Kaiſerthums
verſandt, damit es von der Zeit an ein kaiſerliches Maas waͤre, nach dem der Reis und
andres Korn ſolten ausgemeſſen werden. Er regierte eilf Jahr.


Dai XLIII.


Genmei*) des Kaiſers Tentſii Tochter folgte ihm Kraft ihres Erbrechts im
Jahre nach Synmu 1368, und Chriſti Geburt 708. Sie reſidirte zu Nara, und ſtiftete
eine neue Nengo Wat To, welche ſieben Jahre waͤhrte bis zu der Nengo Reiki. Jm
erſten Jahre ihrer Regierung lies ſie goldne und ſilberne Muͤnzen praͤgen, aber das naͤchſt-
folgende Jahr wurden die leztern wieder verworfen. Jn ſelbigem Jahre wurde Abenoka-
mar,
ein Prinz vom kaiſerlichen Gebluͤte, geboren, welcher in denen japaniſchen Geſchichten
ſehr beruͤhmt iſt. Jm 3ten Jahre ihrer Regierung wurde der beruͤhmte Tempel Koobo-
kuſi
gebauet, woſelbſt ein Goͤtzenbild des Sjaka, von einem aus Kupfer und Gold ver-
miſchten Metal durch den großen Meiſter Taiſoquan gegeſſen, aufgerichtet iſt. Jm 6ten
Jahr ihrer Regierung beſtaͤtigte ſie die Namen aller Laͤnder, Staͤdte und Doͤrfer durch das
ganze Reich, und lies dieſelben in die oͤffentlichen Regiſter bringen. Sie regierte
ſieben Jahr.


Dai XLIV.


Genſioo,**) des Kaiſers Temnu Enkelin von ſeinem Sohn, folgte im Reiche, in
dem Jahre nach Synmu 1375 und nach Chriſti Geburt 715, im 9ten Monate. Dieſe
Kaiſerin verordnete die Nengos Reiki von zwei, und Jooro von ſieben Jahren. Jhre
Regierung iſt inſonderheit beruͤhmt durch die wunderbare Erſcheinungen der Goͤtter Khu-
mano Gongin, Amida, Jakuſi, Senſju, Quamwon
und Biſſammonten, die
in verſchiednen Theilen des Kaiſerthums ſich ereigneten. Jm 5ten Jahre ihrer Regierung
machte ſie neue Verordnungen in Anſehung der Weiberkleidung. Sie regierte 9 Jahr,
und trat die Krone an ihres Bruders Sohn ab. Sie lebte 25 Jahr, nachdem ſie ſich der
Regierung begeben hatte, und ſtarb im 48ten Jahr ihres Alters, im Jahr nach Synmu
1408 in dem 4ten Monden.


XLV.
[209]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai XLV


Sioomu*) kam zum Regiment durch die Abdankung ſeiner Vorgaͤngerin, nach
Synmu 1384, und nach Chriſti Geburt 724. Zuerſt reſidirte er zu Nara, von da er
ſich nach Naniwa vier Jahr vor ſeinem Tode begab. Er ordnete die Nengo Sinki an,
im erſten Jahr ſeines Reichs. Die japaniſchen Geſchichte melden, daß die See an den
Kuͤſten Kuͤ fuͤnf Tage nach einander roth wie Blut ausgeſehn habe, worauf das folgende
Jahr erſchrekliche Sturmwinde, große Duͤrre und Brandkorn, zufoͤrderſt in der Landſchaft
Gokokf ſich zeigte, wodurch dann auch eine große Theurung und Hungersnoth hervorge-
bracht wurde. Jn dem 13ten Jahre ſeiner Regierung waren die Kinderblattern in allen
Theilen des Kaiſerthums ſehr toͤdtlich. Die japaniſchen Aerzte theilen die Kinderblattern
in drei Arten ein; was wir eigentlich die Kinderpocken nennen, wird von ihnen Fooſo, die
andre Art Faſika, welches die Maſern, die dritte Art aber Kare genant, wodurch die
eitrigen Blattern verſtanden werden. Sie halten davor, daß ſehr viel in der Cur daran
gelegen ſey, die Patienten, welche mit den Blattern befallen ſind, in rothes Tuch einzuwi-
ckeln. Wann eins von des Kaiſers Kindern mit Blattern behaftet iſt, wird nicht allein
das Gemach und Bette mit rothem Tuche uͤberzogen, ſondern es muͤſſen auch alle Perſonen,
welche denen Patienten nahe kommen, in großen weiten Roͤcken von rother Farbe gekleidet,
einhergehen. Die großen Pocken ſind in Japan auch nicht unbekant, und werden Namba-
niaſſa,
das iſt, portugieſiſche Krankheit genant. Jm 16ten Jahre ſeiner Regierung
fiengen ſie an in Japan Numeries (Nonnenkloͤſter) zu bauen. Jm 20ten Jahre wurde
der große Tempel Daibods gebauet. Sioomu regierte in allem 25 Jahr.


Dai XLVI.


Kooken**) ſeine Tochter ſuccedirte ihm ein Jahr nach Synmu 1409 und im Jahr
nach Chriſti Geburt 749, am andern Tage des 7ten Monden. Ob ſie verheirathet geweſen
oder nicht? iſt in meinen Quellen nicht zu finden geweſen. Mit ihrer Regierung fieng ſich
die Nengo Tempe Seofo oder Fooſi an, welche acht Jahr dauerte bis an die Nengo
Tempe Singo. Jm erſten Jahre ihrer Regierung wurde zuerſt Gold ausgegraben in
Oſio und der Kaiſerin praͤſentirt; denn dieſes Metal war bisher aus China in Japan
uͤberbracht worden. Jm 4ten Jahre ihrer Regierung bauete ſie den Tempel Toodaiſi,
D dzufolge
[210]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
zufolge eines von dem leztem Kaiſer ihrem Vater gethanen Geluͤbdes, welches er durch den
Tod gehindert wurde, in Erfuͤllung zu bringen.


Bey der Einweihung dieſes Tempels rief eine Perſon, Gioguͤ mit Namen, in
ihrem Gebete den Beiſtand des Barramoas, eines anſehnlichen Goͤtzen in dem weſtlichen
Theil Jndiens nach Japan zu rechnen an, worauf dieſer Goͤtze dem Gebet zufolge auf eine
wundervolle Weiſe ſogleich uͤberkam, und in ſelbigem Augenblik ihr erſchien. Um dieſelbe
Zeit wurde Jſia Jamma gebauet. Jm 9ten Jahre ihrer Regierung fieng ſie eine neue
Nengo an, genant Tempe Singo, welche den uͤbrigen Theil ihrer Regierung, wie auch
die Regierung ihres Nachfolgers im Reiche, in allem acht Jahr waͤhrte. Sie regierte
zehn Jahr.


Dai XLVII.


Fai Tai,*) war ihr Nachfolger, des Kaiſers Temnu Urenkel, und das 7te
Kind Tonneri Sin O, im Jahr nach Synmu 1419, nach Chriſti Geburt 759. Unter
ſeiner Regierung iſt nichts Merkwuͤrdiges vorgegangen, außer | daß er im 3ten Jahr ſeiner
Regierung ſeinen Hofſtat und Wohnung nach Fora in Oomi verlegte; im 4ten Jahre
aber nach Tairanokio und im 6ten Jahre nach Fairo, in der Landſchaft Awadſi. Er
regierte ſechs Jahr.


Dai XLVIII.


Seo Toku,**) die Kaiſerin, Kookens aͤlteſte Tochter, folgte ihm im Jahr
nach Synmu 1425, nach Chriſti Geburt 765. Sie fieng mit ihrer Regierung eine neue
Nengo an, welche ſie nante Sinkoke Un, und waͤhrte zwei Jahr |bis zur Nengo Fooke,
welche drei Jahr daurete. Unter ihrer Regierung wurde Kiamar geboren, welcher nach-
her ein recht anſehnlicher Kuge oder großer Hoſman wurde. Sie regierte fuͤnf Jahr.


Dai XLIX.


Koonin,***) des Ten Tſiis Kindeskind, folgte ihr im Jahr nach Synmu
1430, nach Chriſti Geburt 770. Mit ſeiner Regierung ſieng ſich die Nengo Fooki an,
welche eilf Jahr daurete. Jm 2ten Jahr ſeiner Regierung entſtund ein unausſprechlich
erſchrekliches Gewitter mit Donnern und Blitzen. Es regnete Feuer vom Himmel, und
die Luft wurde mit grauſamen Getoͤſe erfuͤllet. Dtr Kaiſer verordnete um dieſer Urſachen
willen
[211]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
willen Matſuris, oder daß feierliche Feſttage und Proceſſionen in allen Theilen ſeines
Kaiſerthums ſolten gefeiert und gehalten werden, um die erzuͤrnten Jakuſi oder die boͤſen
Geiſter,
welche die Herſchaft uͤber die Luft haben, zu verſoͤhnen. Jn dem 5ten Jahre
ſeiner Regierung iſt geboren Kobotais ein anſehnlicher Prieſter und großer Heiliger unter
den Japaneſen. Jn dem 8ten Jahre ſeiner Regierung troknete der Flus Fuju Uſingava
gaͤnzlich aus. Jm 10ten Jahre ſtarb in China Abeno Nakemar, ein in den japaniſchen
Geſchichten ſehr beruͤhmter Mann; auch in ſelbigem 10ten Jahre kam ein erſchrekliches Feuer
in Miaco aus, wodurch alle Tempel dieſer Stadt in die Aſche gelegt wurden. Jm
11ten Jahre verordnete er eine neue Nengo, welche nur ein Jahr daurete. Er regierte
in Allem zwoͤlf Jahre.


Dai L.


Sein Nachfolger war ſein Sohn Kwan Mu*) im Jahr nach Synmu 1442,
nach Chriſti Geburt 782 und im 46ten ſeines Alters. Gleich nach ſeiner Ankunft auf den
Thron fieng er eine neue Nengo an, genant Jenriaku, welche 24 Jahre dauerte. Jm
3ten Jahr| ſeiner Regierung verlegte er ſeinen Hofſtat und Wohnung nach Nagajoka in
Jamaſijro, und im 11ten Jahre hernach nach Fejanſſoo. Jn dem 6ten Jahr ſeines
Reichs kam ein fremdes Volk,**) aber nicht aus China, ſondern aus einem etwas entlege-
nen Lande, Japan auf feindliche Weiſe zu uͤberfallen. Die Japaneſer thaten was ſie
konten, um ſich von denſelben zu befreien, allein ihr Widerſtand war zu ſchwach, weil der
feindliche Verluſt jedesmal durch neu angeworbene Voͤlker wieder erſetzet wurde. Neun
Jahr nach ihrer Ankunft wurde Tamabar ein beruͤhmter tapferer General mit gutem
Gluͤcke wider ſie geſchikt, denn er brachte ſie ganz herunter und erſchlug ihren Troji oder
General en Chef. Sie hielten inzwiſchen noch einige Zeit aus, und wurden nicht gaͤnz-
lich geſchlagen bis aufs Jahr nach Synmu 1466, und alſo achtzehn Jahr nach ihrer erſten
Ankunft. Quamnu regierte 24 Jahr, und ſtarb 70 Jahr alt.


Dai LI.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen aͤlteſten Sohn Fai Dſio***) im Jahr nach
Synmu 1496, nach Chriſti Geburt 806. Unter ſeiner Regierung iſt nichts Merkwuͤrdi-
D d 2ges
[212]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
ges vorgegangen, ſondern nur eine neue Nengo mit ihr angefangen, welche Taito genant
wurde, und vier Jahr waͤhrte. Er regierte vier Jahr und ſtarb.


Dai LII.


Jhm ſuccedirte ſein juͤngerer Bruder Sa-Ga,*) des Kwan-mu zweiter
Sohn im Jahr nach Synmu 1470, und nach Chriſti Geburt 810. Gleich nach ſeiner
Ankunft auf den Thron fieng er die Nengo Koonin an, welche bis an ſeinen Tod dauerte,
eine Zeit von vierzehn Jahren, in welcher nichts Merkwuͤrdiges ſich begeben hat, außer, daß
an verſchiedenen Orten des Kaiſerthums einige ſtatliche Sſin oder Mijas und Budſuſſi
oder Tira, das iſt, Tempel der Goͤtter des Landes und der fremden Goͤtzenbilder, erbauet
wurden. Er regierte vierzehn Jahr.


Dai LIII.


Jhm folgete ſein juͤngerer Bruder Siun wa**) in der Regierung nach. Er
war Kaiſers Kwanmu oder Quanmu dritter Sohn, als man ſchrieb nach Synmu 1484,
und nach Chriſti Geburt 824. Er folgte denen Gewonheiten ſeiner Vorgaͤnger in der Re-
gierung nach, und ordnete eine neue Nengo an, gleich nach ſeiner Ankunft auf den Thron,
und nante dieſelbe Ten Tſio; ſie dauerte eilf Jahr. Jm andern Jahre ſeiner Regie-
rung, bemerkt mein Autor, ſey Uraſima aus Foreiſan nach Japan zuruͤkgekehret im
348ten Jahre ſeines Alters. Er hatte die ganze Zeit unter Waſſer gelebet, in Geſelſchaft
mit denen Waſſergoͤttern, wo, wie ſie glauben, alte Menſchen nicht grau werden. Siunwa
regierte zehn Jahr.


Dai LIV.


Ninmio***) folgte ihm im Jahr nach Synmu 1494, nach Chriſti Geburt 834.
Dieſer Kaiſer war des Saga zweiter Sohn, und Siun-was ſein Oi oder der Enkel
ſeines Bruders. Jm erſten Jahre ſeines Reichs verordnete er die Nengo Sioa, welche
vierzehn Jahr dauerte, worauf der Nengo Kaſſoo folgte, welche drei Jahr dauerte. Er
regierte ſiebzehn Jahr.


Dai LV.
[213]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai LV.


Montoku oder Bontoku*) ſein erſtgeborner Sohn folgte ihm im Jahr nach
Synmu 1511, nach Chriſti Geburt 851. Nach ſeiner Ankunft auf den Thron verordnete
er die Nengo Ninſiu, welche drei Jahr dauerte, auf welche folgten die Nengo Saije
und Tenjan, wovon die erſte drei Jahr und die zweite zwei Jahr dauerte. Jm vierten
Jahre ſeiner Regierung entſtunden verſchiedene heftige Erdbeben in Japan. Von einem
derſelben |am fuͤnften Tage des fuͤnften Monden wurde das Haupt des großen Daibutz
oder Goͤtzenbildes Sjaka in ſeinen Tempel zu Miaco herunter geworfen. Montoku
regierte acht Jahr.


Dai LVI.


Jhm folgte ſein vierter Sohn Seiwa**) im Jahr nach Synmu 1519, nach
Chriſti Geburt 859. Nach ſeiner Ankunft auf den Thron folgte er ſeinen Vorgaͤngern in
Errichtung einer neuen Nengo, welche Toquan genant wurde, und achtzehn Jahr dauerte.
Jm fuͤnften Jahre der Regierung dieſes Kaiſers wurden die Buͤcher des beruͤhmten chineſi-
ſchen Weltweiſen Confucius zuerſt, rein und wohl geſchrieben, an Hof gebracht. Jm
neunten Jahre ſeiner Regierung wurde in Jamatto geboren Jſie, die Tochter des Tſike
Kugii,
eines Prinzen von kaiſerlichem Gebluͤte. Dieſe Dame wurde hernachmals ſehr be-
ruͤhmt wegen ihrer ungemeinen Gelehrſamkeit, von welcher ſie der Welt einige Proben gab,
indem ſie ein Buch ſchrieb, welches bis auf den heutigen Tag in Japan ſohr hoch geſchaͤzt
wird. Seiwa regierte achtzehn Jahr, und trat die Krone an ſeinen Sohn ab. Er ſtarb
vier Jahr nach ſeiner Abdankung am achten Tage des fuͤnften Monden.


Dai LVII.


Jo Sei***) des Seiwas aͤlteſter Sohn war nur neun Jahr alt, als der Vater
die Krone an Jhn abtrat, im Jahr nach Synmu 1537, und nach Chriſti Geburt 877.
Mit ſeiner Geburt fieng ſich auch eine neue Nengo an, welche acht Jahr daurete, und
Genjwa genant wurde. Jn dem dritten Jahr ſeiner Regierung erſchienen zwei Sonnen
in China. Die Krone war dieſem Kaiſer eine ſo große Laſt, daß er in kurzer Zeit die
Sinne verlor. Aus dieſer Urſach hielt es der Quanbuku, wie er genant wird, oder
der Premierminiſter, welcher die erſte Perſon nach dem Kaiſer iſt, noͤthig, ihn abzuſetzen,
welches auch geſchah, nachdem er acht Jahr regiert hatte.


D d 3LVIII.
[214]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Dai LVIII.


Kooko*) Kaiſers Nimius zweiter Sohn und Montokus juͤngerer Bruder wurde
an ſeine Stelle geſezt im Jahr nach Synmu 1545, nach Chriſti Geburt 885. Jm erſten
Jahre ſeines Reichs im ſiebenten Monat regnete es Steine und Sand, welches am aller-
meiſten alle Weitzenaͤhren verderbte. Mit ſeiner Regierung fieng ſich die Nengo Ninwa
an, welche vier Jahr waͤhrte. Er regierte nur drei Jahr.


Dai LIX.


Jhm folgte ſein dritter Sohn Uda,**) im Jahr nach Synmu 1548, und nach
Chriſti Geburt 888. Er verordnete in dem andern Jahre ſeiner Regierung eine neue
Nengo, Quanpe genant, welche neun Jahr daurte. Eben in dem Jahre fiel den gan-
zen Sommer ſehr viel Regen ein, von welchem und den darauf folgenden großen Waſſerflu-
then das Korn auf dem Felde viel Schaden lit zum großen Nachtheil der Erndte. Er
regierte zehn Jahr.


Dai LX.


Sein aͤlteſter Sohn Dai Go***) folgte ihm im Jahr nach Synmu 1558, nach
Chriſti Geburt 898. Die von dieſem Kaiſer angeordnete Nengo’s ſind Sootai von drei
Jahren, anfangs ſeiner Regierung aber Jengi von 22 und Tentsjo von 8 Jahren. Jm
erſten Jahre ſeines Reichs, am dritten Tage des ſechſten Monden, wurde es ploͤzlich ſo fin-
ſter, wahrſcheinlich von einer Totalfinſternis, daß man einander nicht ſehen konte. Jm
andern Jahr ſtarb Somme Douno, welche zum Kiſſaki, das iſt, zum hoͤchſten Weibe,
erklaͤrt war. Dieſes iſt der Titel, welcher des Dairi Gemalinnen gegeben wird, wenn
ſie Kaiſerin und Mutter des vermuthlichen Kronerben ſind. Jm 16ten Jahre, am zweiten
Tage des fuͤnften Monden, brach ein Feuer aus zu Miaco in der kaiſerlichen Reſidenz,
welches 617 Haͤuſer verzehrte. Jm 26ten Jahre wurde ein Haſe mit acht Laͤufen aus der
Landſchaft Jamatto nach Hofe geſandt. Er regierte in Allem 33 Jahr.


Dai LXI.


Er hatte zum Nachfolger Siuſaku†) ſein zwoͤlftes Kind, im Jahr nach Synmu
1591, und Chriſti 931. Dieſer Kaiſer verordnete zwei Nengo’s, eine Seotei im Anfang
ſeiner
[215]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
ſeiner Regierung, welche Nengo ſieben, und demnaͤchſt eine andere Tenkei genant, welche
bis an ſeinen Tod waͤhrte. Jm zweiten Jahre ſeiner Regierung empoͤrete ſich wider ihn
Maſſakaddo ein Prinz von kaiſerlichem Gebluͤte, und einer von den vornehmſten Maͤnnern
bey Hofe. Dieſe Empoͤrung konte nicht eher unterdruͤkt werden als ſieben Jahr hernach,
da Maſſakaddo getoͤdtet wurde. Jm dritten Jahre ſeiner Regierung, am 27ten Tage
des ſiebenten Mondens, entſtund ein heftiges Erdbeben, und ein anderes im ſiebenten Jahr,
am 15ten Tage des vierten Mondens. Waͤhrend ſeiner Regierung wurde Japan ſehr be-
unruhiget mit ſtarkem Donner, Gewitter und Blitzen, wodurch verſchiedene Tempel und
heilige Haͤuſer angezuͤndet und in die Aſche gelegt wurden. Jnſonderheit im lezten 13ten
Jahre ſeines Reichs waren die Gewitter faſt uͤberal in allen Landſchaften des Kaiſerthums.
Er regierte 16 Jahr.


Dai LXII.


Jhm folgte in der Regierung Murakami*) des Kaiſers Dai Go 14tes Kind
im Jahr nach Synmu 1607, und Chriſto 947. Dieſer Kaiſer fieng nach ſeiner Ankunft
auf dem Thron ſogleich eine neue Nengo an, Tenriaku genant, welche zehn Jahr fortlief.
Auf ſie folgten die Nengo’s Tentoku von vier, Oowa von drei, und Koofu von vierjaͤhri-
ger Dauer. Jm 14ten Jahre ſeines Reichs wurde eine Art von Kirchenverſamlung oder
Concilium bey Hofe, in dem großen Saal Seiro Deen, uͤber die Religionsſachen gehal-
ten. Es muſten dabei die Haͤupter der unterſchiedenen Secten, welche damals in Japan
bluͤhten, gegenwaͤrtig ſeyn. Murakami regierte 21 Jahr.


Dai LXIII.


Sein Nachfolger war Renſei**) oder nach einem andern Autor Reiſen, ſein
zweiter Sohn, welcher zur Krone kam im 61ten Jahr ſeines Alters, nach Synmu 1628, und
Chriſti 968. Er regierte nur zwei Jahr, welche Zeit uͤber die Nengo Auwa daurte, in
der ſeine Regierung ſich angefangen hat.


Dai LXIV.


Jemvo oder wie es andere ausſprechen Jen Jo,***) ſein juͤngerer Bruder und
Kaiſers Murakami fuͤnfter Sohn folgte im 1630ten Jahr nach Synmu, und 970ten nach
Chriſto.
[216]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Chriſto. Die Nengos unter ſeiner Regierung waren Tenrok von drei Jahren, welche
anfing mit ſeiner Ankunft zum Thron, Teijen gleichfals von drei Jahren, Taiquan von
zwei Jahren, Tengen von fuͤnf Jahren und zulezt Jeiquan von zwei Jahren. Er regierte
in Allem funfzehn Jahr.


Dai LXV.


Quaſſan oder Kwaſſan*) des Kaiſers Renſei erſter Sohn und Jemvos En-
kel ſuccedirte ihm im Jahr nach Synmu 1645, und nach Chriſti Geburt 985, im 17ten
Jahre ſeines Alters. Er machte bey ſeiner Ankunft zur Krone eine neue Nengo, welche
Gemva genant wurde, und nur zwei Jahr daurte.


Jm zweiten Jahre ſeiner Regierung und zugleich im zweiten beſagter Nengo uͤber-
fiel ihn ein ſo ploͤzliches Verlangen zur Einſamkeit und Kloſterleben, daß er ſeinen Pallaſt
ganz vor ſich allein bey Nachtzeit verlies, und ſich in das Kloſter Quanſi retirirte, wo-
ſelbſt er ſich gleich andern Moͤnchen beſcheren lies, und den Namen Nigugakf Foogu
annahm. Jn dieſem Kloſter lebte er 22 Jahr, und ſtarb im 41ten Jahr.


Dai LXVI.


Jtſi Dſio,**) Kaiſers Jenwo Sohn und lezten Kaiſers Vetter folgte ihm, da er
ins Kloſter gegangen, in der Regierung nach, im Jahr nach Synmu 1647, nach Chriſto
987. Die unter ſeiner Regierung geſtiftete Nengos ſind Jejen von zwei, Jengen von
ein, Soorak von fuͤnf, Tſio Toku von vier, Tſiofo von fuͤnf, und Quanko von
acht Jahren. Seine Regierung war beruͤhmt durch einige anſehnliche und gelehrte Maͤn-
ner, welche damals bey Hofe in Anſehen waren. Jm achten Jahre ſeines Reichs war
uͤberal ein groß Sterben in Japan. Er regierte 25 Jahr.


Dai LXVII.


Sein Nachfolger war Sandſio,***) Kaiſers Renſei zweiter Sohn, im Jahr
nach Synmu 1672, nach Chriſti Geburt 1012. Er verordnete die Nengo Dſio A, wel-
che fuͤnf Jahr daurte. Jm 3ten Jahr ſeiner Regierung brante ſeine Reſidenz ab, der-
gleichen ein Jahr hernach einem großem Theile derſelben abermals wiederfuhr. Er regierte
fuͤnf Jahr, und ſtarb 51 Jahr alt


Dai LXVIII.
[217]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai LXVIII.


Er hatte zum Nachfolger Goidſidſio oder Go Jdſi Dſio,*) das iſt, Jtſi Dſio
der zweite und der andere Sohn des Jtſi Dſio des erſten. Er kam zur Krone im Jahr
nach Synmu 1677, nach Chriſti Geburt 1017, und im 9ten ſeines Alters. Die von
dieſem Kaiſer angeordnete Nengos ſind Quanin von vier Jahren; fing ſich an mit ſeiner
Regierung, Tſijan von drei Jahren, Manſju von vier und Tſiooquan von 9 Jahren.
Jm erſten Jahr ſeiner Regierung erhielte Sai Sin zuerſt Erlaubnis vom Kaiſer, in
einer Khuruma oder bedekten Chaiſe herumgefuͤhret zu werden: es wurde die Chaiſe von
zwei Ochſen gezogen, und ſie gefiel einem jeden ſo ſehr, daß der ganze geiſtliche Hof in
kurzem ſeinem Exempel nachfolgte. Jn ſelbigem Jahre, am 22ten Tage des 7ten Mon-
den, war ein heftig Ungewitter, welches vielen Schaden verurſachte. Jn ſelbigem Mo-
nat wurden zwei Monde in China geſehen. Jm 6ten Jahre ſeiner Regierung war die
Jeki oder Plage**) recht fatal uͤberal im ganzen Reiche. Jm 12ten Jahre ſeiner Regie-
rung, im 4ten Monat, welcher mit unſerm Junio uͤbereinkomt, fiel eine große Menge
Schnee, welcher die Erde vier Sak und fuͤnf Sun hoch, das iſt ohngefehr 4½ Fus, be-
dekte. Jm 19ten Jahr ſeines Reichs, am 9ten Tage des 8ten Monden war abermals
ein ſehr heftiger Sturm. Er regierte in Allem 20 Jahr.


Dai LXIX.


Goſiuſaku, das iſt Siuſaku***) der zweite, ſein juͤngerer Bruder, wurde ſein
Reichsnachfolger nach Synmu 1697, nach Chriſti Geburt 1037, und im 28ten ſeines
Alters. Die von ihm angeordnete Nengos ſind Tſioraku von drei, Tſiokiu von vier,
und Quantoku von zwei Jahren. Jm 5ten Jahre ſeiner Regierung am erſten Tage des
erſten Monats begab ſich ein ſtarkes Erdbeben. Er regierte neun Jahr und ſtarb 37
Jahr alt.


Dai LXX.


Jhm ſuccedirte ſein aͤlteſter Sohn Go Rei Sen,****) oder Rei Sen der zweite
im Jahr nach Synmu 1706, nach Chriſti Geburt 1046, und im 17ten Jahr ſeines Alters.
Die
[218]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Die unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos ſind Jeiſo von ſieben, Tenki von fuͤnf,
Feiko von ſieben, und Tſioku von vier Jahren. Jm 13ten Jahre ſeines Reichs empoͤrte
ſich Joori Jje wider den Kaiſer in der Landſchaft Oſiu, welche die Rebellen fuͤnf Jahr
behaupteten. Aber der Jori Joſj, Kronfeldherr und General en Chef aller kaiſerlichen
Truppen ſchlug dieſelben unter zwei ihrer tapferſten Generalen, Abino Gadato und Ta-
kano Munto.
Dieſe Rebellion iſt weitlaͤuftig beſchrieben in einem Buche Oſju Gaſ-
ſen
oder die Kriege von Oſju. Er regierte 32 Jahr und ſtarb 40 Jahr alt.


Dai LXXI.


Er hatte zum Nachfolger Go San Oſio*) oder Sandſio den zweiten ſeinen
juͤngeren Bruder und des Goſiuſaku zweiten Sohn, im Jahr nach Synmu 1729, nach
Chriſti Geburt 1069. Er ordnete die Nengo Jenkui an, welche fuͤnf Jahr continuirte.
Er regierte nur vier Jahr und ſtarb im 40ten Jahr ſeines Alters.


Dai LXXII.


Sein Nachſolger war Siirakawa**) ſein aͤlteſter Sohn, im Jahr nach Syn-
mu 1733, und Chriſti 1073. Die von ihm geordnete Nengos ſind Seofo von drei Jahren,
welche anfing im zweiten Jahre ſeiner Regierung, Seoriaku von vier, Jefeo und Ootoku
jede von drei Jahren. Jm 9ten Jahre ſeines Reichs war der Sommer uͤber die Maa-
ßen trocken, welches dem Korn auf dem Felde ſehr viel Schaden that. Er regierte
14 Jahr.


Dai LXXIII.


Jhm folgte ſein zweiter Sohn Forikawa***) im Jahr nach Synmu 1747, nach
Chriſti Geburt 1087. Die unter dieſer Regierung angeordnete Nengos ſind Quanſi von
ſieben Jahren, fing ſich an gleich nach ſeiner Ankunft zum Throne, Kaſſoo von zwei,
Jetſio von einem, Sootoku von zwei, Kooa von fuͤnf, Tſiooſi und Kaſſio eine jede von
zwei Jahren. Er regierte in Allem 21 Jahr und ſtarb 30 Jahr alt.


Dai
[219]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.

Dai LXXIV.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen aͤlteſten Sohn To Ba,*) im Jahre nach
Synmu 1768, nach Chriſti Geburt 1108. Dieſes Kaiſers Nengos waren Tennin von
zwei, und Foan von vier Jahren. Jm erſten Jahre ſeiner Regierung wurde ein ſtar-
kes Getoͤſe, als vom Paukenſchlagen einige Tage nach einander gehoͤret. Jm andern Jahre
der Nengo Foan, als im 14ten ſeines Reichs wurde Kijomori ein Prinz vom Gebluͤte
gebohren, welcher in den japaniſchen Hiſtorien ſehr beruͤhmt iſt. Er nahm den Titel eines
Dairi oder Kaiſers an, und machte ihm ſelbſt eine Hofhaltung von ſeinen Anhaͤngern,
nach Art des Dairi ſeiner Hofhaltung. Allein er war nicht maͤchtig genug, dieſen Ti-
tel und Wuͤrde zu behaupten, und wurde gezwungen in das beruͤhmte Kloſter Madira
an dem Berge Jeſan zu fliehen, woſelbſt ihn die Moͤnche wider den kaiſerlichen Hof
und ſeine von Feki commandirte Feinde beſchuͤzten. Er lies ſich ſogleich daſelbſt beſcheren
um ein Moͤnch zu werden, und nahm den Namen Siookai an. Er lebte in dieſem Klo-
ſter 14 Jahr, und ſtarb im 60ten Jahr ſeines Alters, nach Synmu 1841, am vierten
Tage des vierten Monden an einem boͤſen hitzigen Fieber, wovon er ſo entzuͤndet und roth
wurde, als wenn er ganz im Feuer geweſen waͤre. Eine gerechte Strafe, wie mein japa-
niſcher Autor es ausleget, fuͤr ſeine kuͤhne Auflehnung gegen ſeinen rechtmaͤßigen Souverain.
Toba regierte 16 Jahr.


Dai LXXV.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen aͤlteſten Sohn Sintoku,**) im Jahr nach Synmu
1784, nach Chriſti Geburt 1124. Die von dieſem Kaiſer angeordnete Nengos ſind Tentſi
von ſieben, Tentſio von ein, Tſioos von drei, Fojen von ſechs, und Seitſi von einem
Jahre. Er regierte 18 Jahr. Unter ſeiner Regierung wurde die Stadt Kamakura
gebauet.


Dai LXXVI.


Er hatte ſeinen juͤngern Bruder Konjei***) zum Nachfolger, welcher Kaiſers
Toba aͤchter Sohn war, im Jahr nach Synmu 1802 und Chriſti Geburt 1142. Seine
angeordnete Nengos ſind Kootſie von zwei, Tenjo von einem, Kivan von ſechs, Nimpa
von drei, und Kijſu von zwei Jahren. Unter dieſem Kaiſer lebte Jorimaſſa ein Prinz
vom kaiſerlichen Gebluͤte, und ein andrer japaniſcher Herkules. Durch den Beiſtand
des Fatzman, welcher den Japoneſern Mars iſt, toͤdtete er mit ſeinen Pfeilen den hoͤlli-
E e 2ſchen
[220]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
ſchen Drachen Nuge, welcher einen Kopf hatte als eine Merkatze, die Geſtalt einer
Schlangen, und eines Tiegers Leib und Klauen. Dieſes ungeheure Thier hielt ſich in
des Mikaddo eigenem Pallaſte auf, und war ſowohl deſſen geheiligter Perſon als ganzem
Hofe zufoͤrderſt bey Nachtzeit recht fuͤrchterlich, indem es ſie erſchrekte und aus dem
Schlafe ſtoͤhrte. Dieſer Jorimaſſa wurde 27 Jahr hernach in denen buͤrgerlichen Krie-
gen zwiſchen vier der maͤchtigſten Familien des Kaiſerthums, inſonderheit den Feki und
Gendſii, von ſeinen Feinden gefangen genommen, und mit ſeinem ganzen Geſchlechte aus-
gerottet. Dieſer lange und blutige Krieg, welcher das Kaiſerthum viele Jahre verwuͤ-
ſtete, hat bis zur gaͤnzlichen Unterdruͤckung des Fehi und ſeines Anhanges und bis an den
Tod dieſes Prinzen gewaͤhrt, welcher ihr Anfuͤhrer war, und welchen die Gendſii mit ſei-
ner ganzen Familie toͤdteten. Er iſt weitlaͤuftig und voͤllig beſchrieben in einem Buche,
das betitelt iſt: Fekinowonogatari, das iſt, Nachricht von dem, was ſich in den
Kriegen mit Feki begeben hat.


Jm 6ten Jahre ſeiner Regierung am 22ten Tage des 7ten Mondens erſchien
ein Comet. Jm 10ten Jahre ſeines Reichs, welches das 4te der Nengo Kivan iſt, wurde
bey Hofe gebohren Joritomo, der erſte große Seogun, d. i. Krongeneral oder weltliche
Feldherr.
Die folgenden buͤrgerlichen Kriege, welche das japaniſche Reich verwuͤſteten,
und gleichſam in Stuͤcken zerriſſen, gaben ihm eine bequeme Gelegenheit zum Anwachs
ſeiner Macht, ſo daß die japaniſchen Chroniken einhellig melden, er ſey der erſte von denen
nun regierenden weltlichen Monarchen geweſen. Es war ohngefehr um dieſe Zeit, daß
das hoͤchſte Anſehen des Dairi oder geiſtlichen Erbkaiſers, welche bishero ohnumſchraͤnkt
geweſen war, nunmehro auf die Neige zu kommen anfing. Die Fuͤrſten dieſes Kaiſer-
thums, welche nebſt ihren Unterthanen wenigen Genus und Freude durch des Dairi Re-
gierung hatten, wurden von Hochmuth, Eiferſucht und Misgunſt angetrieben; ſie verlie-
ßen ſtuffenweiſe die Pflicht und Verbindlichkeit, womit ſie ihrem Souverain verpflichtet
waren, und maaßten ſich abſoluter Gewalt in der Regierung ihrer Hrrrſchaften und Fuͤrſten-
thuͤmer an, traten in Allianzen zu ihrer eignen Beſchuͤtzung, und fingen einer wider den
andern Krieg an, um das ihnen wuͤrklich zugefuͤgte oder in der Einbildung erlittene Unrecht
zu raͤchen. Jn dieſer Verfaſſung der Sachen wurde Joritomo von dem Kaiſer zum
Generaliſſimo und zum Heerfuͤhrer einer zahlreichen Armee beſtelt, mit der unumſchraͤnk-
ten Gewalt, die Streitigkeiten beizulegen, und die Kriege zwiſchen den Reichsfuͤrſten zu
endigen. Es iſt aber eine bekante und durch die Erfahrung aller Zeiten beſtaͤtigte Maxi-
me, daß die mit Gewalt verſehene Leute gar ſelten bemuͤhet ſind, bey ſolchen Gelegenhei-
ten die Unruhen wirklich zu zertheilen, welches die Geſchichte des Joritomo auch beweiſet,
der bei einer ſo ſchoͤnen und bequemen ihm in die Haͤnde geſpielten Gelegenheit mit denen
ſtreiten-
[221]Viert. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt ꝛc.
ſtreitenden Partheien gemeinſchaftliche Sache machte, und dadurch ſein eigen Jntereſſe
empor zu bringen ſuchte. Dieſes wuchs auch ſo ſehr, und ſeine Gewalt nahm dermaßen
zu, daß er ſich nicht nur unumſchraͤnkte Macht in Entſcheidung aller weltlichen Haͤndel des
Kaiſerthums anmaßete, ſondern auch ſeinem Nachfolger einen maͤchtigen Vormund zu
beſtellen wagte. Hierdurch bekam die Gewalt der geiſtlichen Erbkaiſer einen toͤdlichen
Streich, welches der Ungehorſam und die Streitigkeiten der Fuͤrſten verurſachte, und durch
den Joritomo und deſſen Nachfolger vollendet wurde, als welche dem Dairi ſeine Macht
faſt gaͤnzlich entzogen, ohne doch die Vorurtheile ihrer hoͤchſten Wuͤrde, Ranges, Hei-
ligkeit und einige andere Rechte und Vorzuͤge zu vermindern, welche nicht eigentlich zu der
Regierung eines weltlichen Kaiſerthums gehoͤren, wovon wir ein mehrers im folgenden
Kapitel melden werden. Konje regierte 14 Jahr.



Fuͤnftes Kapitel.
Folge der geiſtlichen Erbkaiſer, welche nach der Geburt
Joritomo, des erſten weltlichen Kaiſers, bis auf unſere Zeiten
gelebt haben.



Dai LXXVII.


Kon Je hatte zum Nachfolger ſeinen aͤltern Bruder Goſiirakawa*) oder Siira-
kawa
den zweiten, des Kaiſers To Bas vierter Sohn, im Jahr nach Synmu
1816, nach Chriſti Geburt 1156. Nach ſeiner Beſteigung des Throns verordnete er die
Nengo Foogien, welche drei Jahr daurte. Jn dem erſten Jahr ſeiner Regierung am
11ten Tage des 7ten Monats empoͤrte ſich Jſi Jn gegen den Kaiſer. Dieſer Aufruhr
E e 3ver-
[222]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
verurſachte einen blutigen und landverderblichen Krieg, welcher von der Zeit ſeines An-
fangs Foogienno midarri, d. i. die Verwuͤſtung der Zeit Foogien, genant wird.
Er iſt unter dieſem Namen weitlaͤuftig in den japaniſchen Geſchichten beſchrieben. Jm
3ten Jahre ſeiner Regierung im 8ten Monat war ein heftig Erdbeben. Nach einer kurzen
Regierung von drei Jahren dankte er von der Krone ab, zum Vortheil ſeines Sohns.
Zwoͤlf Jahr hernach trat er in einen geiſtlichen Orden, lies ſich ſcheren, und nahm den Na-
men Jooſſin an. Er ſtarb im 43 Jahr ſeines Alters.


Dai LXXVIII.


Nidſioo,*)Goſiirakawas aͤlteſter Sohn, war 16 Jahr alt, als ſich der Vater
des Regiments begab, im Jahr nach Synmu 1819, nach Chriſti Geburt 1159. Die
unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos ſind Feitſi von einem Jahr, Jeriaku gleich-
fals von einem, Ooſo von zwei, Tſioquan von zwei, und Jeeman von einem Jahr. Jm
erſten Jahre ſeiner Regierung rebellirten wider den Kaiſer die zwei große Generals Nobu
Jori
und Joſitomo, des Joritomo Vater, beide Prinzen vom Gebluͤte. Dieſe Em-
poͤrung und der dadurch verurſachte Krieg werden von der Zeit, da ſie angefangen und in
der Hiſtorie beſchrieben ſind, genant Feitſi no Midarri oder die Verwuͤſtung zur Zeit
Feitſi.
Zwei Jahr hernach wurde Joſitomo geſchlagen in der Landſchaft Owari; ſein
Sohn Joritomo aber darauf nach Joſu verbant. Jm fuͤnften Jahr ſeiner Regierung
und im erſten der Nengo Tſioquan brachte ein armes Weib drei Kinder zur Welt, deren
jedes zwei Koͤpfe und vier Fuͤße hatte. Er regierte ſieben Jahr und ſtarb im 23ten Jahr
ſeines Alters.


Dai | LXXIX.


Jhm ſuccedirte ſein aͤlteſter Sohn Roku Dſioo,**) im Jahr nach Synmu 1826,
nach Chriſto 1166. Er verordnete die Nengo Ninjani, welche drei Jahr waͤhrte. Er
regierte nur drei Jahr, und ſtarb im 13ten Jahr ſeines Alters.


Dai LXXX.


Sein Nachfolger Takakura,***) des Kaiſers Goſjirakawas dritter Sohn, im
Jahr nach Synmu 1829, und nach Chriſti Geburt 1169. Er war vermaͤhlt mit einer Toch-
ter Kijomori, deſſen oben unter Kaiſers Toba Regierung gedacht iſt. Er verordnete
die
[223]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
die Nengos Kavoo von zwei, Sioun von vier, Angen von zwei, und Dſjiſſo von vier
Jahren. Jm dritten Jahre ſeines Reichs wurde ſein Vater geſchoren und zum Moͤnch
gemacht mit Annehmung des Namens Jooſſin. Jm vierten Jahr ſeines Reichs am
23ten Tag des erſten Monats wurde ein großer Theil der Hauptſtadt und Reſidenz des Kai-
ſers in die Aſche gelegt. Jm ſiebenten Jahre waren uͤberal im ganzen Kaiſerthum die Kin-
derpocken toͤdtlich. Jm eilften Jahr verlegte der Kaiſer ſeine Hofhaltung und Reſidenz
nach Kuwara. Jm zwoͤlften Jahre ſeines Reichs und im lezten der Nengo Dſiiſſo wur-
den in der Provinz Jſju die Feinde des Joritomo und zugleich der Jorimaſſa mit ſeiner
ganzen Familie erſchlagen. Er regierte zwoͤlf Jahr, und ſtarb 21 Jahr alt.


Dai LXXXI.


Sein aͤlteſter Sohn An Toku*) geboren von Kiomori Tochter, folgte ihm
in der Regierung nach, im Jahr nach Synmu 1841, und Chriſti Geburt 1181. Er ver-
ordnete die Nengos Joowa von einem, und Siuje von zwei Jahren. Jm erſten Jahre ſei-
ner Regierung war eine große Hungersnoth in Japan, welche von Unfruchtbarkeit des
Korns und denen immerfort daurenden Kriegen herruͤhrte. Eben daſſelbige Jahr verſtarb
Kijomori des Kaiſers Grosvater auf oben gemeldete Weiſe. Jn demſelbigen Jahre ver-
lies der General Kadſuwara die Parthei der Feki und gieng zu Joritomo uͤber, welcher
damals Tiojenoſki hies. Dieſer Kadſuwara war von gar geringer Herkunft; allein
durch ſeine Herzhaftigkeit und heldenmuͤthige Thaten erhub er ſich ſelbſt zu einem der anſehn-
lichſten Fuͤrſten des Kaiſerthums. Jn demſelbigen Jahre wurde Jori Jje, des Joritomo
Sohn und Nachfolger in dem Commando bey der Armee und der weltlichen Regierung
gebohren.


Nach einer kurzen Regierung von drei Jahren wurde Antoku gezwungen ſich der
Krone zu begeben.


Dai LXXXII.


Er hatte zum Nachfolger Gotoba**) oder Toba den zweiten, des Kaiſers Ta-
kakuras
4ter Sohn, im Jahr nach Synmu 1844, nach Chriſti Geburt 1184. Er
verordnete die Nengos Genriaku von einem, Buanitz von fuͤnf, und Kenkiu von neun
Jahren. Jm erſten Jahre ſeiner Regierung ſtarb Joosnaga ein großer General, von
deſſen heldenmuͤthigen Verrichtungen zum oͤftern in denen Geſchichten von den Kriegen mit
den
[224]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
den Fekis Meldung geſchieht. Jm 3ten Jahre ſeiner Regierung ertrunk ſein Vorgaͤnger
Antoku, indem er von ſeinen Feinden verfolget wurde, ungluͤklicherweiſe in der Weſtſee.
Er wurde nach ſeinem Tode Antokuten O genant, und hatte nach dem Verzicht auf die
Krone, den Namen Sen Tei angenommen. Ohngefehr um dieſe Zeit ſtarb Joſinoga,
des Joritomo Schwiegerſohn. Jm 6ten Jahre ſeiner Regierung wurde Joſitzne ein
anderer ſehr anſehnlicher General getoͤdtet und bald darauf der Fidefira, der etwa Gene-
ral Lieutenant war, mit ſeinem ganzen Geſchlechte ausgerottet. Jm 11ten Jahre ſeiner
Regierung begab ſich Joritomo an den Hof des Mikaddo, ihm ſeinen Reſpect zu bezeu-
gen, da er dann mit dem Titel Sei Seogun beehret wurde, welcher Titel hernach jedes-
mahl einem Feldherrn und weltlichen Monarchen gegeben worden iſt. Jn dem 14ten
Jahre ſeines Reichs wurde ein Pferd mit neun Fuͤßen aus der Jnſel Awadſi nach Hofe dem
Kaiſer zum Praͤſente gebracht. Er regierte 15 Jahr, und trat ſeinem aͤlteſten Sohne die
Krone ab. Er ſtarb 60 Jahr alt.


Dai LXXXIII.


Tſutſi Mikaddo,*)Mikaddo iſt hier des Kaiſers Name, war nur drei Jahr
alt, als er zur Krone kam, durch die Abdankung ſeines Vaters, im Jahre nach Synmu
1859, nach Chriſti Geburt 1199. Die unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos ſind
Seotzi von zwei, Kennin von drei, Genkin von zwei, Kenje von einem, und Soojen
von vier Jahren. Jm erſten Jahre ſeiner Regierung ſtarb Joritomo, Krongeneral oder
Feldherr und erſter weltlicher Monarch. Sein Sohn Jori Jje folgte ihm in dem Commando
bey der Armee, und wurde fuͤnf Jahr nach ſeines Vaters Tode von dem Dairi mit dem
Titel Sei Seogun beehret. Er wurde zwei Jahre hernach erſchlagen. Tſutſi Mikaddo
regierte 12 Jahr und trat die Krone an ſeinen juͤngern Bruder ab. Er lebte 37 Jahr.


Dai LXXXIV.


Sintoku**) ſein juͤngerer Bruder und Kaiſer, Gotobas 3ter Sohn, folgte ihm
im Jahr nach Synmu 1871, nach Chriſti Geburt 1211. Die unter ſeiner Regierung an-
geordnete Nengos ſind Genriaku von zwei, Genpo von ſechs, und Seokiu von drei
Jahren. Jm 4ten Jahre ſeiner Regierung und im andern der Nengo Genpo ſtarb Foo-
nen Seonin,
Stifter der Secte Seodoſiu. Jm 6ten Jahre ſeiner Regierung und im
4ten
[225]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
4ten der Nengo wurden die erſten Funes oder Kriegsleute in Japan aufgerichtet auf Befehl
des Sonnetomo, des Joritomo 2ten Sohnes, welcher ſich durch Gewalt der Waffen
bey der erblichen Folge in den Bedienungen ſeines Vaters und Bruders zu vertheidigen
ſuchte. Jm 9ten Jahre ſeiner Regierung am 22ten Tage des andern Monats, branten
die zwei anſehnliche Tempel Kiomidz und Giwon ab. Er regierte 11 Jahr und lebte 46,
trat die Krone ab, an


Dai LXXXV.


Go Forikawa*) oder Forikawa den zweiten, des Kaiſers Takakuras Enkel
im Jahr nach Synmu 1882, nach Chriſti Geburt 1222. Die unter ſeiner Regierung an-
geordnete Nengos waren Teewo von zwei, Gen Jn von einem, Koraku von zwei, An Te
von zwei, Quanki von drei, und Tenjei von einem Jahr. Jm erſten Jahr ſeines Reichs
und erſten der Nengo Teewo, am erſten Tage des andern Monats wurde in der Land-
ſchaft Awa gebohren Nitſiiren ein beruͤhmter heidniſcher Pfaffe und Stifter einer beſondern
Secte. Dieſer Go Forikawa regierte 11 und lebte 24 Jahr.


Dai LXXXVI.


Si Dſio**) ſein aͤlteſter Sohn folgte ihm, da er nur fuͤnf Jahr alt war, im
Jahr nach Synmu 1893, nach Chriſti Geburt 1233. Die unter ſeiner Regierung beſtimte
Nengos waren Tempoko von einem, Bunriaku von einem, Kaſſiuku von drei, Riaknin
von einem, Jengo von einem, und Nintzi von drei Jahren. Jm 7ten Jahre ſeiner Regierung
kam der Seogun oder Krongeneral Joritzne, welcher damals zu Kamakura Seogun
reſidirte, nach dem Hofe zu Miaco, um dem Kaiſer ſeinen gebuͤhrenden Reſpect zu erwei-
ſen. Er regierte 10 und lebte 15 Jahr.


Dai LXXXVII.


Go Saga***) oder Saga der 2te, Kaiſers Tſutſi Mikaddo zweiter Sohn,
ſuccedirte im Jahr nach Synmu 1903, und nach Chriſti Geburt 1243. Er verordnete
die Nengo Quan Jun, welche vier Jahre daurte. Er ſtarb nach einer kurzen Regie-
rung von vier Jahren im 53ten Jahre ſeines Alters.


F fDai
[226]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Dai LXXXVIII.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen andern Sohn Go Fikakuſa*) oder Fikakuſa
den 2ten, im Jahr nach Synmu 1907, nach Chriſti Geburt 1247. Er verordnete die
Nengos Quantſi von zwei, Footſi von zwei, Gentſio von ſechs, Kooſan, Sooka
und Sooguan jede von einem Jahr. Jm 11ten Jahre ſeiner Regierung am 23ten Tage
des andern Monden war ein ſehr heftiges Erdbeben. Er dankte ab nach 13jaͤhriger Regie-
rung und lebte 60 Jahr.


Dai LXXXIX.


Kame Jamma**) des leztern Kaiſers juͤngerer Bruder kam zur Krone, weil
jener ſie abgeleget hatte, im Jahr nach Synmu 1920, nach Chriſti Geburt 1260. Die
unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos waren Bunwo von einem, Kotſio von drei,
und Bunje von eilf Jahren. Jm 5ten Jahre ſeines Reichs am 21ten Tage des 11ten
Monats ſtarb Sinram, ein Haupt der Secte Jkosju, welcher vorher ein Schuͤler des
Foonin Seonin, des Stifters der Seodſju Secte war. Jm 7ten Jahre ſeiner Re-
gierung erſchien ein großer Comet, welcher auch in China geſehen iſt. Jm 9ten Jahre
am 8ten Tage des 5ten Monats wurden zwei Sonnen geſehen, und am 10ten und 11ten
Tage des andern Monats drei Monden. Jm 15 und lezten Jahre ſeiner Regierung nahm
Mune Taka Krongeneral und Premierminiſter in weltlichen Haͤndeln ſeine Wohnung
in der Stadt Kamakura. Er regierte 15 Jahr und trat die Krone ab an ſeinen aͤlteſten
Sohn. Er lebte 32 Jahr nach niedergelegter Regierung, und ſtarb im 57ten ſeines Alters
und im 5ten des Kaiſers Gonidſio.


Dai XC.


Gonda ſuccedirte ſeinem Vater auf dem Thron im Jahr nach Synmu 1935 und
nach Chriſti Geburt 1275. Die unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos waren Gentſi
von zwei, Kentſi von vier, Kooan von vier, und Sioo von drei Jahren. Einige
Autoren erwaͤhnen zwei Nengos, als Gentſi von drei, und Kooan von zehn Jahren.
Jm 9ten Jahre ſeiner Regierung am 21ten Tage des 5ten Monats erſchien der tatariſche
General Mooko auf den Kuͤſten von Japan mit einer Flotte von 4000 Segeln und
240,000 Mann. Der damals regierende tartariſche Kaiſer Sijſu†) hatte das Kai-
ſerthum
[227]Funft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
ſerthum China ohngefehr um das Jahr Chriſti 1270 erobert, und ſandte dieſen General,
um auf eben dieſe Art das Kaiſerthum Japan unter ſein Joch zu bringen. Allein dieſer
Kriegszug fiel gar ungluͤklich aus, denn die Goͤtter des Landes, als Beſchuͤtzer des japani-
ſchen Kaiſerthums, wenn man den japaniſchen Hiſtorikern glauben darf, wurden durch den
von den Tartaren bewieſenen Muthwillen ſo ſehr erbittert, daß ſie am erſten Tage des 7ten
Monden einen heſtigen und erſchreklichen Sturm erregten, welcher dieſe ganze unuͤberwind-
lich gehaltene Flotte, gaͤnzlich zerſtreuete. Mooko ſelbſt kam in den Wellen um,
und nur wenige ſeiner Mannſchaften hatten das Gluͤk, ihr Leben mit der Flucht zu retten.
Von dieſem Kriegszuge iſt ein mehrers in der Reiſe des Marcus Paulus zu finden, wel-
cher edle Venetianer ſich damals ſelbſt in China aufhielt, und an dem Hofe des gemelde-
ten tatariſchen Kaiſers Sijſu eine Zeitlang zubrachte.*) Jm 10ten Jahre ſeiner Regie-
F f 2rung,
†)
[228]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
rung, am 13ten Tage des 10ten Monats ſtarb obgemeldeter Nitſiirin in der Landſchaft
Muſtaſi. Die Anfaͤnger der Secte Fokeſiu pflegen noch jaͤhrlich ein Feſt zum Anden-
ken ſeines Todestages zu feiern. Es regierte dieſer Gonda 13 Jahr und lebte 58.


Dai XCI.


Sein Nachfolger war Fuſimi*) des Gofikakufas anderer Sohn und alſo
Gondas Vetter, im Jahr nach Synmu 1948, und nach Chriſti Geburt 1288. Die
unter ſeiner Regierung angeordnete Nengos waren Soowo von fuͤnf und Jenin von ſechs
Jahren. Jm erſten Jahre ſeiner Regierung, am dritten Tage des dritten Monats wurde
ſein Sohn und Nachfolger gebohren, welchem er nach einer eilfjaͤhrigen Regierung den
Thron abtrat. Er lebte 53 Jahr.


Dai XCII.


Go Fuſimi oder Fuſimi**) der zweite, folgte ſeinem Vater im Jahr nach
Synmu 1959 nach Chriſti Geburt 1299, im zwoͤlften Jahre ſeines Alters. Er verordnete
eine
*)
[229]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
eine neue Nengo, welche Seoan genant wurde und drei Jahre daurte, bis er den Thron
verlies. Er lebte 35 Jahr nach Niederlegung der Krone und ſtarb 48 Jahr alt im Jahr
nach Synmu 1997 nach Chriſti Geburt 1337.


Dai XCIII.


Er trat die Regierung ab an Go Nidſio*) oder Nidſio den zweiten, des
Kaiſers Goudas aͤlteſten Sohn, im Jahr nach Synmu 1962 nach Chriſti Geburt 1302.
Dieſer Kaiſer beſtimte die Nengos Kagen von vier, und Tokuds von zwei Jahren. Jm
fuͤnften Jahre ſeiner Regierung, im achten Monat, begab ſich ein heftiges Erdbeben,
daſſelbe Jahr iſt auch merkwuͤrdig wegen des Todes des Kame Jamma und der Geburt
des Takaudſi, welcher hernach Feldherr und weltlicher Monarch wurde. Er regierte
ſechs Jahr und trat die Krone ab, an


Dai XCIV.


Fannaſonno**) des Kaiſers Go Fuſimi juͤngern Bruder und Fuſimi andern
Sohn, im Jahr nach Synmu 1968, nach Chriſti Geburt 1308. Die unter ſeiner Re-
gierung angeordnete Nengos waren Jenke von drei, Ootſio von einem, Sooa von
zwei, und Bun O von fuͤnf Jahren. Er regierte eilf Jahr und trat die Krone ab an
Go Daigo, Go Nidſio juͤngern Bruder und Goudas andern Sohn.


Dai XCV.


Go Daigo***) oder Daigo der zweite, kam zum Thron im Jahre nach Synmu
1979, nach Chriſti Geburt 1313. Er beſtimte die Nengos Genwo von zwei, Genko
von drei, Seotſiu von zwei, Karaku von drei, Gentoku von zwei und Genko von
einem Jahr. Jm leztern Jahre ſeiner Regierung wurde viel Blut vergoſſen durch die
einheimiſche und buͤrgerliche Kriege, welche damals das Kaiſerthum verwuͤſteten, und
beſchrieben ſind in dem Buche, Teifeki. Er regierte dreizehn Jahr und trat die Krone ab
an ſeinen Nachfolger Kwo Gien, Go Fuſimi aͤlteſten Sohn.


F f 3Dai
[230]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

Dai XCVI.


Kwo Gien oder Koo Gien*) kam zur Regierung im Jahre nach Synmu
1992, nach Chriſti Geburt 1333. Er beſtimte die Nengo Seoke, welche zwei Jahr
daurte. Jm andern Jahre ſeines Reichs kam Takadſi, damaliger Feldherr und welt-
licher Monarch nach Hofe, um ſeinen ſchuldigen Reſpect dem Mikaddo zu bezeugen. Jn
ſelbigem Jahre legte Takakoku, ein bekanter General, Hand an ſich ſelbſt, und rizte
ſeinen Bauch auf. Dieſer Kwo Gien trat nach einer kurzen Regierung die Krone wie-
der an ſeinen Vorgaͤnger im Reiche ab, lebte demnaͤchſt 32 Jahr und ſtarb im Jahr nach
Synmu 2026, nach Chriſti Geburt 1364.


Go Daigo nahm |derowegen die Krone wieder an im Jahr nach Synmu 1994,
nach Chriſti Geburt 1334. Er ordnete damals an die Nengos Kemmu und Jenken,
jede von zwei Jahren. Jm dritten Jahre ſeiner andern Regierung ſtarb der lezte Kaiſer
Go Fuſimi und der beruͤhmte General Kuſnekimaka Sugge. Daſſelbige Jahr im
achten Monat wurde Japan vom heftigen Erdbeben erſchuͤttert. Er regierte dieſes zweite
mal nur drei Jahr.


Dai XCVII.


Sein Nachfolger war Quo Mio,**)Quo Giens juͤngerer Bruder und
Kaiſers Go Fuſimi vierter Sohn, im Jahr nach Synmu 1997, nach Chriſti Geburt
1337. Die Nengo Jenken, welche von ſeinem Vorgaͤnger beſtimt war, daurte das erſte
Jahr ſeiner Regierung, welche vier Jahr waͤhrte. Jm zweiten Jahre ſeiner Regierung
wurde der Feldherr Takaudſi von ihm mit dem durchlauchtigen Titel Sei Dai Seogun
beehret. Meine beiden japaniſchen Autoren ſind unterſchiedner Meinung in Abſicht der
Laͤnge der Regierung dieſes Kaiſers. Einige geben vor, daß er nur zwoͤlf Jahr***) regiert,
andere aber wollen behaupten, daß er nach einer kurzen Regierung von zwei Jahren zum
Nachfolger gehabt habe.


Go Murakami oder Murakami†) den zweiten, des Kaiſers Go Daigos
ſiebentes Kind, im Jahre nach Synmu 1999, und nach Chriſti Geburt 1339. Dieſer
Kaiſer hat demnach in der Liſte der Mikaddos keine gewiſſe ihm zugeſchriebene Zahl. Die
Nengo Riakwo wurde in den drei erſten Jahren ſeiner |Regierung fortgefuͤhrt, wobei man
die
[231]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
die Zeit zum Grunde ſezte, da er auf den japaniſchen Thron gekommen war. Dieſer
Nengo Riakwo folgten die Nengos Kooje von drei und Tewa von vier Jahren. Wenn
gleich Verſchiedne Japan waͤhrend der verſchiednen Nengos beherſchet haben moͤgen; ſo be-
haupten doch meine Autoren einſtimmig, daß nach der Nengo Tewa Siukwo auf den
Thron gekommen ſey.


Dai XCVIII.


Siukwo*) war Kaiſers Koo Giens aͤlteſter Sohn, fieng ſeine Regierung
an im Jahre nach Synmu 2009, nach Chriſti Geburt 1349. Jm erſten Jahre ſeines
Reichs finde ich nicht, daß eine Nengo waͤre verordnet worden, denn die Nengo Quano
fieng ſich mit dem andern Jahre an, und wurde zwei Jahr fortgeſetzet. Jm erſten Jahre
ſeiner Regierung wurde im Kriege erſchlagen Siidſo Nawatto. Dieſer Siukwo
regierte drei Jahr.


Dai XCIX.


Jhm folgte Gokwoo Gen**) oder Kwoogen der zweite, ſein juͤngerer Bruder,
im Jahr nach Synmu 2012, und nach Chriſto 1352. Dieſes Kaiſers verordnete Nengos
waͤhrend ſeiner Regierung ſind folgende, Bunjwa von vier, Jenbun von fuͤnf, Kooan
von einem, Teeidſi von ſechs und Ooan von ſieben Jahren. Dieſe lezte Nengo wurde
fortgeſetzet waͤhrend der drei erſten Jahren ſeines Nachfolgers. Jm dritten Jahre ſeiner
Regierung kam Joſiiſaki, Feldherr, des Takaudſi dritter Sohn an Hof. Jm vierten
Jahr ſeines Reichs wurde Takaudſi ſelbſt von dem Kaiſer in die Landſchaft Oomi geſandt,
um die Streitigkeiten beizulegen, welche in dieſem Theile des Kaiſerthums entſtanden wa-
ren. Jm achten Jahre ſeines Reichs ſtarb Takaudſi am 29ten Tage des vierten
Monats. Sein Sohn Jooſiſaki folgte ihm in ſeinen Aemtern nach und erhielt in ſelbigem
Jahre von dem Kaiſer den Titel Sei Dai Seogun. Jm eilften Jahre ſeiner Regie-
rung wurde der neue Krongeneral nach Oomi geſandt, um die kaiſerliche Armee zu kom-
mandiren. Jm 18ten Jahr ſeines Reichs wurde Jooſimitz des Jooſiſaki Sohn zum
Krongeneral oder Feldherrn gemacht und mit dem Titel Sei Dai Seogu beehret. Go-
kwoo Gen
regierte zwanzig Jahr.


Dai C.


Er hatte zum Nachfolger Go Jenju***) ſeinen aͤlteſten Sohn im Jahre nach
Synmu 2032, nach Chriſti Geburt 1372. Die lezte von ſeines Vaters Nengos wurde
in
[232]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
in die drei erſten Jahre ſeiner Regeierung fortgeſezt. Jm 4ten Jahre verordnete er die
Nengo Kooraku, welche vier Jahr waͤhrte, und darauf folgten die Nengos Sei Toku
von zwei, und Koowa von drei Jahren, welche lezte noch im erſten Jahre ſeines Nach-
folgers continuirte. Jm 8ten Jahre ſeines Reichs war große Hungersnoth in Japan,
es erſchien auch ein Comet. Er regierte eilf Jahr.


Dai CI.


Sein aͤlteſter Sohn Gokomatz*) wurde an ſeine Stat Kaiſer im Jahr nach
Synmu 2043, nach Chriſti Geburt 1383, und im dritten der Nengo Koowo. Die
unter ſeiner Regierung beſtimte Nengos waren: Sitoku von drei Jahren, die ſich anfieng
im zweiten Jahre ſeines Reichs, Kakei von zwei, Jkoo O von einem, Meetoku von
vier, und Oo Jei von vier und dreißig Jahren. Jm neunten Jahre ſeiner Regierung
war Krieg in der Provinz Udſii. Jm 14ten Jahre am 17ten Tage des 11ten Monats
wurde der beruͤhmte Tempel Kenninſi in die Aſche gelegt. Jm 20ten Jahre erſchien ein
Comet gegen Aufgang, worauf folgenden Sommer und Herbſt eine große Trockene erfolgte,
daß auch daher der Mangel an Waſſer entſtand; den naͤchſtfolgenden Winter aber waren
viele heftige Erdbeben. Jm 22ten Jahre ſeiner Regierung fieng zu Naſno in der Provinz
Simotsky ein Berg an zu brennen, auch Steine und Aſche auszuwerfen; die Flamme
aber legte ſich bald. Jm 25ten Jahr war der Herbſt feucht, welches an verſchiednen Or-
ten des Kaiſerthums einige Ueberſchwemmungen verurſachte, worauf ſtuͤrmiſches Wetter
und Erdbeben erfolgte. Er regierte dreißig Jahr, und hatte ſeinen Sohn


Dai CII.


Seokwo**) zum Nachfolger im Jahr nach Synmu 2073 nach Chriſti Geburt
1413, im 20ten der Nengo Oojei. Dieſe Nengo Oojei wurde in den erſten funfzehn Jah-
ren ſeiner Regierung fortgeſezt, da alsdenn eine neue beſtimt und genant wurde Seootſio,
welche ein Jahr daurte. Jm vierten Jahr ſeines Reichs rebellirte Uje Suggi, das iſt,
aus der Familie Suggi, wider den Kaiſer. Jm neunten Jahr am zwoͤlften Tage des
zehnten Monats ſtarb Joſimatz, damaliger Krongeneral und Feldherr, und hatte Joſiinobu
in ſeinem Titel und Aemtern zum Nachfolger. Daſſelbe Jahr am 27ten Tage des ſieben-
ten Monats ſtarb der Kaiſer ſelbſt, nachdem er ſechzehn Jahre regiert hatte.


Dai CIII.
[233]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.

Dai CIII.


An ſeiner Stat ward Kaiſer ſein Sohn Jofunna So,*) im Jahr nach Synmu
2089, nach Chriſti Geburt 1429. Die unter ſeiner Regierung beſtimte Nengos waren
Jeiko von zwoͤlf, Kakitz von drei, Bunjan von fuͤnf, Fotoku von fuͤnf, Koſio von zwei,
Tſioorok von drei, und Quaniſio von ſechs Jahren. Jm erſten Jahr ſeiner Regierung
am fuͤnften Tag des achten Monats erſchien ein langer und erſchreklicher Komet, und ein
anderer im dritten Monat des eilften Jahrs. Jm 16ten Jahre wurde Joſiimaſſa mit
dem Titel eines Sei Seogum beehret. Jm 18ten Jahre wurde des Kaiſers Pallaſt in
die Aſche gelegt. Waͤhrend der ſieben lezten Jahre ſeiner Regierung ſind viele fremde wun-
derbare Luftzeichen von den japaniſchen Geſchichtſchreibern bemerkt worden, worauf Hun-
ger, Peſtilenz und großes Sterben im ganzen Kaiſerthum erfolgte. Er regierte ſechs
und dreißig Jahr.


Dai CIV.


Gofunna So hatte zum Nachfolger ſeinen Sohn Go Tſutſi Mikaddo oder
Tſutſi Mikaddo**) den zweiten, im Jahre nach Synmu 2125, nach Chriſti Geburt
1465. Die von dieſem Kaiſer angeordnete Nengos waren Bunſio von einem Jahr, fing
ſich an im zweiten ſeiner Regierung; Onin von zwei, Fumjo von achtzehn, Tſiooko von
zwei, Jentoku von drei und Me O von neun Jahren. Jm erſten Jahre ſeiner Regie-
rung im zweiten Monat erſchien ein Komet, deſſen Schwanz drei Bleiwuͤrfe lang zu ſeyn
ſchien. Jm andern Jahre waren verſchiedene Erdbeben, inſonderheit am 29ten Tage des
12ten Monats; auch war in demſelbigen Jahre eine ſolche Hungersnoth in China, daß
ſich das Volk einer den andern toͤdtete und auffras. Das dritte Jahr war ſehr ungluͤk-
lich fuͤr Japan, und mit allerlei Unruhen und innerlichen Kriegen angefuͤllet. Dieſe große
Verwuͤſtung ſing ſich den ſechſten Tag des fuͤnften Monats an. Jm fuͤnften Jahr am
zehnten Tage des neunten Monats erſchien ein andrer Komet mit einem Schwanz von einem
Bleiwurf in der Laͤnge. Jm ſiebenten Jahre war uͤberal im ganzen Kaiſerthum ein großes
Sterben. Jn ſelbigem Jahre am erſten Tage des 12ten Monats erſchien ein andrer Ko-
met, breiter als einer der vorher bemerkten, mit einem ſtraßenlangen Schwanze, wie mein
Autor es ausdruͤkt. Jm neunten Jahre ſtarb Foſſokawa Katsmotto, ein großer und
ſeiner ſonderbaren Herzhaftigkeit und guten Kriegsverrichtungen wegen ungemein beruͤhmter
G gGeneral,
[234]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
General, weswegen er auch nach ſeinem Tode mit dem Titel Riu Ans, wie der Jooſnavo
mit dem Titel Sei Seogun, beehret wurde. Jm eilften Jahre am ſechſten Tage des
achten Monats ſtuͤrmte es gewaltig, und liefen die Waſſer um Amagaſaki in der Landſchaft
Setz dergeſtalt in die Hoͤhe, daß ein großer Theil des Landes uͤberſchwemt wurde, und viele
Leute davon ertrunken. Jm 25ten Jahre am 26ten des dritten Monats ſtarb Joſiinavo,
Krongeneral,
des Joſiimoſſa Sohn, er hatte beſonders auch den Titel von Sei Seo-
gun,
und mit ſeinem Vater das Commando im Felde und der Verwaltung der weltlichen
Sachen des Kaiſerthums. Das naͤchſte Jahr, welches das 1490te nach Chriſti Geburt war,
ſtarb Joſiimaſſa durch eigne Handanlegung, und wurde ſehr betrauret. Jm 29ten Jahre
wurde Joſiiſimmy mit dem Titel von Sei Dai Seogun beehret, worauf er bald wieder
zuruͤkkehrete nach ſeiner Armee in Jaſiiro. Jm 30ten Jahre am 7ten Tage des 8ten Mo-
nats begab ſich ein abermaliges heftiges Erdbeben. Er regierte in Allem 36, und lebte
59 Jahr.


Dai CV.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen Sohn Kaſiuwabara,*) im Jahre nach Synmu
2161, nach Chriſti Geburt 1501. Die unter ſeiner Regierung verordnete Nengos waren
Bunki von drei, Jeeſeo von ſiebzehn, und Teije von ſieben Jahren, welche im erſten
Jahre der Regierung ſeines Nachfolgers fortgeſezt wurden. Jm vierten Jahre ſeines
Reichs war ein großer Hunger in Japan, und im 16ten Jahre abermals. Jm ſechſten
Jahre im ſiebenten Monat erſchien ein Komet. Jm achten Jahre wurde der Titel von
Sei Seogun und das Obercommando bey der Armee an Joſitanne gegeben. Das zehnte
Jahr war wegen des Kriegs und Erdbebens fuͤr Japan ſehr ungluͤklich. Jm zwoͤlften Jahr
im fuͤnften Monat begab ſich Joſitanne nach Hof, um die ſchuldige Pflicht dem Kaiſer zu
erweiſen. Er regierte 26 Jahr.


Dai CVI.


Sein Sohn Gonora**) ward Kaiſer an ſeine Stat im 2187ten Jahr nach
Synmu, und 1527ten nach Chriſti Geburt. Die lezte Nengo ſeines Vaters daurte das
erſte Jahr ſeiner Regierung, nach welcher er die Nengos Koraku von vier, Tembun
von 23 und Koodſi von drei Jahren anſtimte. Nicht gar lang nach ſeiner Ankunft auf den
Thron ruͤſtete man zwiſchen Foſſokawa und Kadſuragawa ſich zum Kriege. Der erſte
von dieſen beiden Prinzen raͤumte nach zwei Jahren ſich ſelbſt aus dem Wege, indem er
mit
[235]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
mit ſonderbarer Herzhaftigkeit und getroſtem Muthe ſich den Bauch aufſchnit, welches bey
dieſen Heiden ſehr bewundert und hochgehalten wird. Waͤhrend dieſes Kaiſers Regierung
wurde Japan zweimal mit Peſtilenz und großem Sterben geplagt, und dreimal durch auſ-
ſerordentliches regnigtes Wetter, wodurch die Waſſer hoch anliefen, an einigen Orten des
Landes uͤberſchwemt; wobey ein ſolcher heftiger und algemeiner Sturm eintrat, daß viele
anſehnliche Gebaͤude nebſt einem Theil des kaiſerlichen Pallaſtes herunter geſtuͤrzet wurden.
Jm fuͤnften Jahre am 29ten Tage des ſechſten Monats erſchien ein Komet, und ein andrer
wiederum im zwoͤlften Monat des zwoͤlften Jahrs. Jm ſiebenten Jahre am achten Tage
des zehnten Monats wurde eine Mondfinſternis angemerkt. Jm 21ten Jahr, am 17ten
Tage des andern Monats empfieng Joſi Tir vom Kaiſer den Titel von Sei Dai Seo-
gun,
mit dem Commando bey der Armee. Achtzehn Jahr nachher raͤumte ſich dieſer
Joſi Tir ſelbſt aus dem Wege, indem er ſich den Bauch aufſchnit. Jm 24ten Jahre
am vierten Tage des fuͤnften Monats ſtarb der Feldherr und weltliche Monarch Joſii Far.
Der Gonora regierte 31 Jahr.


Dai CVII.


Jhm folgte ſein Sohn Ookimatz*) im Jahr nach Synmu 2218, nach Chriſti
Geburt 1558. Die unter ſeiner Regierung verordnete Nengos waren Jeekoku von zwoͤlf,
Genki von drei, und Jenſoo von neunzehn Jahren, welche leztere die erſten fuͤnf Jahre
unter der Regierung ſeines Nachfolgers fortgeſezt wurde. Jm erſten Jahre ſeiner Regie-
rung war eine große Hungersnoth in Japan nach einem vorhergehenden unerhoͤrt troknem
Sommer. Jm achten Jahr legte Joſii Tir, damaliger Krongeneral und weltlicher Mo-
narch Hand an ſich ſelbſt, wie ſchon oben gemeldet iſt. Jm eilften Jahre wurde Joſii
Fira
zum Krongeneral verordnet, und vom Kaiſer mit dem Titel Sei Seogun beehret.
Jm 16ten Jahre iſt als etwas Merkwuͤrdiges angezeichnet, daß eine Schildkroͤte mit zwei
Koͤpfen in einer Quelle ſey gefangen worden. Jn ſelbigem Jahre am dritten Tage des
vierten Monats legten einige Mordbrenner Feuer an Kamio, das iſt den Obertheil der
Stadt Miaco (der Untertheil heiſt Mio) woſelbſt der Kaiſer damals ſelbſt reſidirte, und
wurde deſſen groͤſter Theil in die Aſche gelegt. Jm 20ten Jahre am 29ten Tage des neun-
ten Monats erſchien ein großer Komet, welcher ſich laͤnger ſehen lies als die lezt vorherge-
henden. Jm 21ten Jahr war es ſehr nas, und ein großer Theil des Landes wurde am zwoͤlf-
ten Tage des fuͤnften Monats unter Waſſer geſezt. Jm 23ten Jahre waren viele Seuchen
und Sterben uͤberal im ganzen Kaiſerthum. Jm 25ten Jahre am zweiten Tage des ſech-
G g 2ſten
[236]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
ſten Monats wurden der Krongeneral oder weltliche Monarch Nobunanga und ſein aͤl-
teſter Sohn zu Miaco erſchlagen. Jm 26ten Jahre kamen einige Abgeſandten von den
Jnſeln Riuku nach Hof. Jm 28ten Jahre, welches war das Jahr Chriſti 1585 am ſie-
benten Monat, wurde Fide Jos, welcher nachher den Namen Taiko oder Taikoſama
annahm, von dem Kaiſer mit dem Titel Quanbuku beehret, und mit dem Commando
der Armee und Regierung der weltlichen Affairen des Kaiſerthums verſehen. Quanbuku
iſt die erſte Perſon nach dem Dairi, und Kraft dieſes Titels Vicekoͤnig in der Reichsver-
waltung. Dieſer Taiko war von geringem Herkommen, und kam durch ſeine Tugenden
und Verdienſte zu dieſer hoͤchſten Ehrenſtuffe. Er war eigentlich zu reden der abſolute welt-
liche Monarch von Japan, nemlichder Erſte, welcher ſich die unumſchraͤnkte Regierung des
Kaiſerthums anmaßte, wovon die geiſtlichen Erbkaiſer bisher noch einigen Antheil fuͤr ſich be-
halten hatten. Seit der Zeit aber, daß die weltlichen Kaiſer fortfuhren, von denen geiſt-
lichen Kaiſern ganz unabhaͤngig zu ſeyn, iſt dieſen, beynahe nur ein Schatten von ihrem
vorigen Anſehen uͤbrig gelaſſen mit wenigen nicht viel bedeutenden Vorzuͤgen ihres Ranges,
Heiligkeit, und des Rechts Ehrentitel zu vergeben und auszutheilen. Jn eben demſelben
28ten Jahre am 29ten Tage des eilften Monats entſtund ein heftiges Erdbeben, welches
verſchiedene mal, doch mit ſchwaͤchern Stoͤßen das Jahr hindurch wieder anſezte. Jm
29ten Jahr ſeiner Regierung trat er die Krone an ſeinen Enkel ab, und ſtarb im ſiebenten
Jahr hernach.


Dai CVIII.


Go Joſei*) Kaiſers Ookimatz Enkel und aͤlteſter Sohn des Erbprinzen Jookwo,
welcher das Jahr vorher ſtarb am ſiebenten Tage des eilften Monats, kam zur Krone im
Jahr nach Synmu 2247, und nach Chriſti Geburt 1587. Die lezte von ſeines Grosva-
ters Nengos wurde in die fuͤnf erſten Jahre ſeiner Regierung fortgeſezt, nach welcher die
folgenden verordnet wurden, Bunroku von vier, Keitsjo von neunzehn Jahren, welche
aber drei Jahr nach ſeinem Tode continuirte. Jm dritten Jahre ſeiner Regierung wurde
Fidetſugi, ein Enkel des weltlichen Monarchen Taiko, von welchem er zu ſeinem Nachfol-
ger ernant war, ob er ſchon nachher in Ungnade fiel, und befehliget wurde ſich ſelbſt den
Bauch aufzuſchneiden, ein ſo grauſuͤmer und blutgieriger Fuͤrſt, daß er auch den Fodoſio
in der Landſchaft Sagami erſchlug, und ſein ganzes Geſchlecht ausrottete, nach denen in
Japan uͤblichen Kriegsgrundſaͤtzen, welche befehlen die rechte Urſache des Uebels auf einmal
auszurotten und zu vertilgen. Jm fuͤnften Jahre wurde der Titel Quanbuku an beſag-
ten
[237]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
ten Fide Tſugi gegeben. Jm ſechſten Jahr, welches war das Jahr Chriſti 1592, er-
klaͤrte Taiko den Krieg wider die Coreer, und ſandte eine zahlreiche Armee gegen dieſelben
aus, unter dem Vorwand, daß er geſonnen ſey, durch die Eroberung dieſer Halbinſel, ſich
den Weg zu der Eroberung des Kaiſerthums China ſelbſt zu bahnen. Dieſer Krieg waͤh-
rete ſieben Jahr. Es hatte aber Taiko ein ganz ander Abſehen. Denn er lies in aller
Eile und mit allem Ernſte, waͤhrend dieſer Zeit, um ſeine kaiſerliche Wohnung, nach
Anzahl ſeiner abweſenden Fuͤrſten, ſo viel koͤſtliche Pallaͤſte erbauen und wohl befeſtigen,
und |demnaͤchſt ſeiner Fuͤrſten Gemalinnen, Kinder und Anverwandten nebſt ihren Leibbe-
dienten zu ſich holen, und als Geißel fuͤrſtlicher Treue in die neu erbauten Pallaͤſte hineinſe-
tzen; da indeſſen ſeine aus Corea wiederkommende Landesfuͤrſten, auch wider Willen, glau-
ben muſten, daß ſolches aus hoher kaiſerlicher Gnade und Hulde gegen ſeine Fuͤrſten und
deren Familie geſchehen ſey, da es doch in der That zu Verhuͤtung aller Unruhe im Reiche,
und zu Befeſtigung ſeines Kaiſerthums, geſchehen war.


Jm ſiebenten Jahre der Regierung Gojoſei ſtarb Ookimatz, des Kaiſers Groß-
vater und Vorgaͤnger im Reiche. Jm eilften Jahre wurde Jejias, ein großer Favorit
oder Guͤnſtling des Taiko und ſein Premierſtaatsminiſter von dem Kaiſer mit dem Titel
von Nai Dai Sin beehret. Deſſelbigen Jahrs am zwoͤlften Tage des ſiebenten Monats
waren verſchiedene heftige Erdbeben, deren Erſchuͤtterung mit einiger Abwech-
ſelung einen ganzen Monat fortdauerte. Um dieſelbe Zeit regnete es Haare von vier bis
fuͤnf Zol lang an verſchiedenen Orten des Kaiſerthums. Ein ſolches Phaͤnomen wird oft
in dieſer Geſchichte erwaͤhnt. Jm zwoͤlften Jahr, welches war das Jahr nach Synmu
2255, nach Chriſti Geburt 1598, am 18ten Tage des achten Monats, nahm Fide Joſi
den Namen Taiko an, welches einen großen Herrn bedeutet. Dieſer große Monarch
ſtarb aber noch daſſelbige Jahr, am ſechzehnten December unſrer Rechnung fruͤhmorgens;
die weltliche Regierung ſeinem einigen Sohn Fide Jori hinterlaſſend, welchen er der
Sorge und Erziehung des Jejas uͤberlies. Jm 14ten Jahre rebellirte Joſiida Tſibba,
welcher eine hohe Bedienung an Fide Joris Hofe hatte, wieder den Kaiſer. Die Re-
bellen aber wurden ſogleich geſchlagen, und ihr Haupt mit ſeinem ganzen Geſchlechte aus-
gerottet. Jm 17ten Jahre wurde der Titel Sei Dai Seogun, welcher dem Krongene-
ral gehoͤret, an Jejas, den Viceroy, Oberhofmeiſter uud Vormund des Erbprinzens
Fide Jori, Taikos’ einzigen Sohns, verliehen. Daſſelbe Jahr wurde auch Fide Jori
ſelbſt mit dem Titel Nai Dai Sin, beehret. Jm 19ten Jahre wurde der Titel Sei
Dai Seogun
an Fide Tadda des Krongenerals Jejas Sohn gegeben. Daſſelbige
Jahr begab ſich ein recht auſſerordentliches Wunder am 15ten Tage des 12ten Monats,
denn es kam in einer Nacht ein Berg hervor aus der See, nahe bei dem felſichten Eylan-
G g 3de
[238]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
de Fatſiſio, wohin die Großen am Hofe des weltlichen Monarchen verbannet werden,
wenn ſie in Ungnade gefallen ſind. Jm 21ten Jahre, welches das Jahr nach Chriſti
Geburt 1608 iſt, kam ein Ambaſſadeur vom chineſiſchen Kaiſer zu Suruga an, um den welt-
lichen Monarchen von Japan zu complimentiren. Jm 23ten Jahre lies Jejas ein feſtes
Kaſtel in der Landſchaft Owari erbauen. Jm 24ten Jahre wurden die Jnſeln Riuku von
dem Fuͤrſten von Satzuma angefallen und erobert, daher ſie nachgehends immer, als
zum japaniſchen Kaiſerthum gehoͤrig, angeſehen ſind. Go Joſei regierte in Allem fuͤnf
und zwanzig Jahr, und hatte zum Nachfolger ſeinen Sohn.


Dai CIX.


Dai Seokwu Tei*) im Jahr nach Synmu 2272, und nach Chriſti Geburt
1612. Jm vierten Jahr ſeiner Regierung verordnete er die Nengo Geniwa von neun
Jahren, auf welche die Nengo Quan Je folgte von zwanzig Jahren, welche den uͤbrigen
Theil ſeiner Regierung und die ganze Zeit der Regierung der Kaiſerin ſeiner Nachfolgerin
daurte. Jm andern Jahre ſeines Reichs wurde wiederum bemerkt, daß an verſchiednen
Orten des Kaiſerthums, vornemlich aber zur Herbſtzeit, Haare herunter gefallen ſind.
Jm dritten Jahre am 25ten Tage des 10ten Monats war ein ſehr ſtarkes Erdbeben. Eben
daſſelbe Jahr wurde Fide Jori des leztern weltlichen Kaiſers einziger Sohn und Erbe in
dem Kaſtel Oſacca von Jejas belagert, welcher ſein Hofmeiſter und Schwiegervater war.
Die Veſtung wurde im vierten Jahre am ſiebenten Tage des fuͤnften Monats uͤbergeben.
Allein der Prinz lies den Pallaſt, worin er ſich mit den meiſten ſeiner getreueſten Anhaͤn-
ger retiriret hatte, mit Feuer anſtecken, da er rathſamer hielt, durch die Flammen umzu-
kommen, als in die Haͤnde eines ſiegenden Feindes zu fallen, welcher ihm ſo nahe angieng.
Jm fuͤnften Jahr am ſiebzehnten Tage des vierten Monats ſtarb Jejas ſelbſt in voͤlligem
ruhigem Beſiz des weltlichen Throns, welchen er, ſtat ſeines Pflegeſohns, beſtiegen hatte
und denſelben nun ſeinem eigenem Sohne hinterlies. Dieſer Jejas war der erſte Kaiſer
von der jetzo regierenden Familie. Er wurde zu Nicquo begraben, und nach Landes Ge-
wohnheit unter die Goͤtter gerechnet mit dem Namen Gongenſama. Jm achten Jahre,
welches war das Jahr Chriſti 1619, erſchien ein recht merkwuͤrdiger Comet. Jm zehnten
Jahre wurde der geiſtliche Kaiſer bey großer Pracht und Herrlichkeit mit des weltlichen
Monarchen Fide Tadas Tochter vermaͤhlt. Jm zwoͤlften Jahre begab ſich Jemitz, Fide
Tadas
Sohn, nach Miaco, um dem geiſtlichen Kaiſer die Cour zu machen, von wel-
chem
[239]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
chem er den Titel Sei Dai Seogun erlangte. Jm achtzehnten Jahre trat er die Krone
an ſeine Tochter ab. Er lebte funfzig Jahr nach niedergelegter Krone, und ſtarb im 90ten
Jahre ſeines Alters und achten der Nengo Tempe am achten Tage des achten Monats,
ſpaͤt im Herbſte, als nach dem Ausdruk meines| Autors die Baͤume albereits ihr Laub ver-
lohren hatten.


Dai CX.


Nio Te oder Seo Te, das iſt, Madame Mikaddo oder nach andern, Fo-
nin,
*) des lezten Kaiſers Tochter, kam zur Krone im Jahr nach Synmu 2290, nach
Chriſti Geburt 1630. Die lezte ihres Vaters Nengo wurde unter ihrer ganzen Regierung
fortgeſetzet. Jm dritten Jahre ihrer Regierung am 24ten Tage des erſten Monats
ſtarb der weltliche Monarch Fide Tada. Er wurde nach ſeinem Tode, wie es Landes
Gewohnheit iſt, vergoͤttert und Teitokuin genant. Jm fuͤnften Jahre begab ſich der welt-
liche Monarch Jiemitz, Fide Tadas Sohn, an des Dairi Hof. Jm ſiebenten Jahr
im zehnten Monat wurde den Chineſern abermals erlaubt in Japan zu kommen und ihre
Handlung, welche ihnen einige Zeit zuvor verboten war, wieder daſelbſt zu treiben. Der
Anfang der beruͤchtigten Rebellion der Chriſten zu Simabara, in der Landſchaft Fiſen,
faͤlt ohngefehr in den eilften Monat des achten Jahrs, welches das Jahr Chriſti 1637 iſt.
Jm neunten Jahr im zweiten Monat am zwoͤlften April 1638 wurden 37,000 Chriſten auf einen
Tag erſchlagen. Durch dieſe grauſame That iſt der Aufruhr geendiget und zugleich die chriſtliche
Religion aus Japan gaͤnzlich vertilget worden. Jm zwoͤlften Jahre und nach Chriſti
Geburt 1641, am fuͤnften Tage des achten Monats wurde Jietzna, ein Vater der nun re-
gierenden weltlichen Monarchen geboren. Eben daſſelbe Jahr war ein großer Hunger und
Sterben in Japan, vom Anfang des Fruͤhlings bis zum folgenden Herbſt. Dieſe Kaiſe-
rin regierte 14 Jahr, und trat die Krone ab an ihren juͤngern Bruder.


Dai CXI.


Gokwomia**) insgemein Goto Mio genant, der lezten Kaiſerin juͤngerer Bru-
der, ſuccedirte ſeiner Schweſter im Jahr nach Synmu 2303, nach Chriſti Geburt 1643, am
ſiebenten Tage des neunten Monats, nahm aber den voͤlligen Titel von Mikaddo, nebſt
dem Beſiz vom Throne nicht eher als bis am fuͤnften Tage des eilften Monats an. Die unter
ſeiner Regierung verordnete Nengos waren Seofo von vier, Kejan von vier und Seoo
von
[240]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
von drei Jahren. Jm dritten Jahre ſeiner Regierung am 23ten Tage des vierten Mo-
nats wurde der Titel Seonai Dai Nagon an den weltlichen Monarchen Jietzna gegeben.
Jm eilften Jahre am zwoͤlften Tage des achten Monats kam ein Feuer aus in des Dairi
Pallaſte, wodurch ein großer Theil deſſelben mit verſchiedenen benachbarten Tempeln und
Gebaͤuden verzehrt wurde. Jn eben dem Jahre wurden etliche junge Fraͤuleins von zwoͤlf
bis vierzehn Jahren ins Gefaͤngnis geleget, weil man Argwohn ſchoͤpfte, daß ſie Feuer an
des Dairi Pallaſt und an einigen andern Orten in der Stadt Miaco angeleget haͤtten.
Jm eilften Jahre am ſechſten Tage des ſiebenten Monats kam aus China alhier der große
Heidenlehrer Jngen an. Die Abſicht ſeiner Ueberkunft war dahin gerichtet, das Volk
zum Goͤtzendienſte ſeiner Landsleute zu bekehren, und wo moͤglich, die damals im Kaiſer-
thum Japan bluͤhende viele Secten zu vereinigen und ihnen allen ein redliches Herz beizu-
bringen. Daſſelbe Jahr am 20ten Tage des neunten Monats ſtarb der Mikaddo, und
wurde mit großer Pracht in dem Tempel von Sen Ouſi begraben, am 15ten Tage des
folgenden zehnten Monats.


Dai CXII.


Er hatte zum Nachfolger ſeinen juͤngern Bruder Sinin*) im Jahre nach
Synmu 2314, und nach Chriſti Geburt 1654. Die unter ſeiner Regierung beſtimte Nen-
gos waren Meiriku und Bantſi, jede von drei Jahren, und Seowo oder nach Andern
Quan bun von zwoͤlf Jahren, welche lezte fortgefezt wurde bis ins eilfte Jahr der Re-
gierung ſeines Nachfolgers. Einige Autoren geben vor, daß die Chineſer im erſten Jahre
der Regierung dieſes Kaiſers wieder Erlaubnis bekommen haͤtten, ihre Handlung in Japan
zu erneuern. Jm dritten Jahre ſeiner Regierung, welches nach Chriſti Geburt 1657 war,
am dreizehnten Tage des erſten Monats kam in Jedo, der Reſidenz des kaiſerlichen Monar-
chen, ein erſchrekliches Feuer aus, welches drei Tage mit großer Heftigkeit wuͤtete, und den
groͤſten Theil dieſer edlen Hauptſtadt in die Aſche legte. Es hat von dieſem Feuer mehrere
Nachricht gegeben Herr Wagener, Ambaſſadeur der oſtindiſchen Compagnie an den
Kaiſer von Japan,
welcher damals ſelbſt zu Jedo war, wie mit mehrerem gemeldet iſt in
des Montanus merkwuͤrdigen Geſandſchaften an den Kaiſer von Japan,p 370.**)
Jm
[241]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
Jm fuͤnften Jahr fing man allererſt die Rakujo oder Pilgrimſchaften nach den 33 Tem-
peln des Quanwon an, welche ſeit der Zeit von vielem andaͤchtigem Volke beiderlei Ge-
ſchlechts angeſtellet worden ſind. Jm ſiebenten Jahr wurde wiederum ein großer Theil
von der Reſidenz des geiſtlichen Kaiſers in die Aſche gelegt. Jm achten Jahr am erſten
Tage des fuͤnften Monats war ein heftiges Erdbeben, wodurch in der Landſchaft Oomi
an dem Fluſſe Katzira ein Berg verſank und der Erden gleich wurde, ohne die geringſte
Spur zu hinterlaſſen, daß er vormals da geweſen. Er regierte acht Jahr.


Dai CXIII.


Sein juͤngerer Bruder Kinſen oder Tei Sen, oder mit ſeinem voͤlligen Titel
Kinſeokwo Tei,*) des Kaiſers Daiſeokwo Teis juͤngſter Sohn, ſuccedirte ihm im
Jahr nach Synmu 2323, und nach Chriſti Geburt 1663. Die lezte Nengo ſeines Bru-
ders wurde die erſten zehn Jahre unter ſeiner Regierung fortgeſezt, darauf er denn die Nengo
Jempo beſtimte, welche acht Jahr daurte, auf welche ferner folgten die Nengos Tenwa
von drei, und Dſiokio von vier Jahren. Jm dritten Jahre ſeines Reichs im ſechſten
Monat wurde auf beſondern Befehl ein Jnquiſitionshof in allen Staͤdten und Doͤrfern des
ganzen Kaiſerthums aufgerichtet. Die Verrichtung dieſes Hofs war, zu unterſuchen, zu
was Religion, Glauben oder Secte eine jede Familie oder ein jedes beſonderes Glied derſel-
ben ſich bekenne. Dieſe Unterſuchung iſt nur einige Jahre angeſtelt, ohne gewiſſe beſtimte
Zeit, gemeiniglich aber einige Tage oder Wochen; nach derſelben wurden die Bilder unſers
gebenedeyten Heilandes und der Jungfrau Maria nebſt dem Kreuze von einer jeden
Familie zu einem uͤberzeugenden Beweis ihres gegen die chriſtliche Religion tragenden Haſ-
ſes mit Fuͤßen getreten. Jm vierten Jahr im vierten Monat befahl der Kaiſer die
Juſja Fuſe oder den Zweig der Secte Fokeſju auszurotten, mit dem Befehl an alle ſeine
Unterthanen, derſelben kuͤnftig nicht mehr anzuhangen. Die Nachfolger dieſer Secte heg-
ten ſolche laͤcherliche Meinungen von ihrer Reinigkeit und Heiligkeit ſo weit, daß ſie fuͤrch-
teten, der Umgang mit andern Menſchen wuͤrde ſie beflecken und unrein machen. Jm
ſechſten Jahre am erſten Tage des zweiten Monats und die 45 folgenden Tage erlitte die
Stadt
**)
H h
[242]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
Stadt Jedo viel vom Feuer, welches vorſezlicher Weiſe angeleget zu ſeyn ſchien. Die
boshafte Abſicht war leicht zu merken, weil das Feuer am meiſten auf die Pakhaͤuſer der
Kaufleute, und die Oerter, wo Soldaten einquartirt lagen, ſtuͤrmte.


Jm ſiebenten Jahr, als ein großer Hunger von einer im verhergehenden Jahre
geweſenen unerhoͤrten Trokne veranlaſt wurde, befahl der Kaiſer, daß, von dem 20ten
Tage des erſten Monats anzurechnen, einhundert Tage nach einander gekochter Reis an
allen Orten des Kaiſerthums Japan, auf ſeine Koſten, unter die Armen ſolte ausgethei-
let werden. Jm achten Jahr hatte man zu Oſacca und in verſchiednen andern an der
See gelegenen Provinzen ſehr ſtarke Ungewitter, worauf Ueberſchwemmungen und ein gro-
ßes Sterben unter Menſchen und Vieh erfolgte. Jm neunten Jahr im vierten Mo-
nat, als ſie den Flus reinigten, welcher Oſacca vorbeifließet, fanden ſie eine
große Menge Goldes und Silbers, welches wahrſcheinlicher Weiſe in denen
ehemaligen buͤrgerlichen Kriegen darin mus verſenkt ſeyn. Jm eilften Jahr,
am neunten Tage des fuͤnften Monats, kam ein Feuer an des Dairi
Hofe aus, welches mit ſolcher Heftigkeit brante, daß dadurch ein großer Theil der Stadt
Miaco in die Aſche gelegt wurde, und weil es ſich ungluͤklicherweiſe fuͤgte, daß unter an-
dern Gebaͤuden verſchiedene oͤffentliche Kornhaͤuſer von dem Feuer verzehrt wurden, befahl
der Kaiſer ſeinen Unterthanen zum Troſt und Gefallen, daß drei Kokus Reis einer jeden
Familie gegeben oder geliehen werden ſolten, wenn ſie deſſen benoͤthiget ſeyn moͤgte, wel-
ches oͤfters zur Zeit der Hungersnoth von dem Kaiſer zu geſchehenpfleget. Jm 12ten Jahr
im zweiten Monat wurde |auf beſondern Befehl des Kaiſers ein religieuſer Unterſuchungshof
in der Hauptſtadt Miaco gehalten; woraus erhelte, daß in denen 1850 Straßen dieſer
Stadt ſich damals befanden 1050 von der Religion des Ten Dai, 10070 von der Secte
Singou,
5402 von Foſſo, 11, 016 von Sen, 122, 044 von Seodo, 9912 von Ri,
81, 586 von Jocke, 41, 586 von Nis Fonguans, 80, 112 von Figas Fonguans,
7406 von Takata Monto, 8306 von Buckwoo, 21080 von Dainembuds, 6073 von
der Secte Jammabos; das iſt in Allem 405, 643, des Dairi Hof nicht mit gerechnet.
Hierunter waren vom maͤnlichen Geſchlecht 182, 070, vom weiblichen aber 223, 573.
Daſſelbige Jahr am dritten Tage des vierten Monats ſtarb in dem beruͤchtigten Kloſter
Obaku der oben erwaͤhnte chineſiſche Miſſionarius Jngen im 82ten Jahre ſeines Al-
ters. Den folgenden Monat darauf litte die Saat auf dem Felde vielen Schaden von
Regen und Hagel, wodurch großer Hunger veranlaſt wurde, und der Kaiſer neue Ordre
ausſtelte, daß in denen vornehmſten Staͤdten der Reis unter die Armen ausgetheilt werden
ſolte. Jm 18ten Jahre und achten der Nengo Jenpo, am achten Tage des fuͤnften Mo-
nats, 1680 den 24ten Junii ſtarb der weltliche Monarch Jietzna. Er wurde nach ſei-
nem
[243]Fuͤnft. K. Folge der geiſtl. Erbk. welche nach der Geburt Joritomo ꝛc.
nem Tode der Gewohnheit nach unter die Goͤtter gerechnet, und Gen Ju in den genant.
Jm 19ten Jahr im fuͤnften Monat wurde der praͤchtige Titel von Sei Dai Seoguu Nai
Dai Sin Sioni i ukonjeno Taiſo
dem neu regierenden weltlichen Monarchen Tſina-
jos
gegeben, welcher ein juͤngerer Bruder von Genjuin und Jjeteru oder Daijoin ſein
dritter Sohn war. Jm 20ten Jahre, und im andern der Nengo Tenwa, Chriſti 1682,
war wiederum eine große Hungers- und Sterbensnoth in und um Miaco. Jm 12ten
Monat ſelbigen Jahrs am 28ten Tage entſtund ein großes Feuer in Jedo, welches den
beſten Theil dieſer Stadt in die Aſche legte. Jm 21ten Jahr, welches das dritte der Nen-
go Tenwa war, ſtarb Tokumatz, des jezt regierenden weltlichen Monarchen einziger Sohn
und Erbprinz, durch deſſen Tod das Reich in eine algemeine Betruͤbnis verſezt wurde, alſo,
daß in drei Jahren kein muſikaliſches Jnſtrument geruͤhret, noch einige Art Freudenbezeu-
gungen gemacht werden durften. Daſſelbe Jahr am achten Tage des 12ten Monats hatte
die Stadt Jedo wiederum Feuerſchaden. Dieſer Kaiſer regierte vier und zwanzig Jahr
und trat die Krone ab an ſeinen Sohn.


Dai CXIV.


Kinſen oder Kinſeokwo Tei*) hat gleichen Nahmen mit ſeinem Vater, wel-
chem er ſuccedirte im Jahr nach Synmu 2347 und nach Chriſti Geburt 1687. Jm zwei-
ten Jahre ſeiner Regierung verordnete er die Nengo Genroku. Das fuͤnfte Jahr derſel-
bigen war das Jahr nach Chriſti Geburt 1692, als ich ſelbſt in Japan war, welches Jahr
in dem Cyklo von ſechzig Jahren den Namen Midſno Je Sar traͤgt.


Die Namen dieſer 114 geiſtlichen Erbkaiſer von Japan, wie ich ſie aus einer ja-
paniſchen Chronik genommen habe, nebſt den Charactern, mit denen ſie in der gelehrten
chineſiſchen Sprache gedrukt werden, findet man in der 16ten Tafel in Kupfer geſtochen.

Tab.
XVI.


H h 2Sechſtes
[244]

Sechſtes Kapitel.
Folge der Feldherren oder weltlichen Monarchen,
von dem Joritomo an, bis auf den jezt regierenden
Tſinajos.



I.


Joritomo,*) der erſte Feldherr und weltliche Monarch, war gebohren unter der
Regierung des LXXVIDairi, im Jahr nach Chriſti Geburt 1154. Er regierte
zwanzig Jahr.


II.


Jori i Je, Joritom’s Sohn, regierte fuͤnf Jahr.


III.


Sannetomo, Joritom’s zweiter Sohn, regierte ſiebenzehn Jahr.


IV.


Joritzne, ein Sohn Quan Baku Dooka, regierte achtzehn Jahr.


V.
[245]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch. Sechſt. Kap. ꝛc.

V.


Joriſane oder Joriſſuga, Joritznes Sohn, regierte acht Jahr.


VI.


Mune Taka Sinno oder Soo Son Sinno, ein Sohn des geiſtlichen Erb-
kaiſers Sagga des zweiten, regierte funfzehn Jahr.


VII.


Korejas Sinno, der aͤlteſte Sohn Mune Takas, regierte vier und zwanzig
Jahr.


VIII.


Kiume Sinno oder Sanno Ooſi, des geiſtlichen Erbkaiſers Tikakuſa des zwei-
ten dritter Sohn, regierte zwanzig Jahr.


IX.


Mori Kuni Sinno, ſein Sohn, regierte fuͤnf und zwanzig Jahr.


X.


Sonun Sinno oder Somunn Sinno, Daigo des zweiten zweiter Sohn,
regierte zwei Jahr.


XI.


Nari Joſi Simi Oo, Daigo des zweiten, vierter Sohn, regierte drei Jahr.


XII.


Taka Udſi, ein Sohn von Aſkago Sannokino Cami Nago Udſi, regierte
fuͤnf und fwanzig Jahr.


XIII.


Joſi Jaki, Takudſi dritter Sohn, regierte zwanzig Jahr.


XIV.


Joſimitz, des Joſi Jaki Sohn, regierte vierzig Jahr.


H h 3XV.
[249[246]]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.

XV.


Joſi Motſi, des Takamitz Sohn, regierte ein und zwanzig Jahr.


XVI.


Joſi Kaſſu, des Joſi Motſi Sohn, regierte unter und mit ſeinem Vater.


XVII.


Joſi Nori, des Joſimitz Sohn, regierte 14 Jahr.


XVIII.


Joſikatz, des Joſi Nori aͤlteſter Sohn, regierte drei Jahr.


XIX.


Joſi Maſſa, Joſi Novis zweiter Sohn, regierte 49 Jahr.


XX.


Joſinavo regierte unter und mit ſeinem Vater Joſimaſſa.


XXI.


Joſi Tanne, des Joſinavo Bruder, regierte achtzehn Jahr.


XXII.


Joſi Symmi, Joſi Tannes Sohn, regierte vierzehn Jahr.


XXIII.


Joſifar, Joſi Symmis Sohn, regierte dreißig Jahr.


XXIV.


Joſi Tir, Joſifars Sohn, regierte ſechzehn Jahr.


XXV.


Joſitaira oder Tira, Joſi Tirs Sohn, regierte vier Jahr.


XXVI.


Joſi Aki, Joſi Tairas Sohn, regierte fuͤnf Jahr.


XXVII.
[247]Sechſt. K. Folge der Feldherren oder weltlichen Monarchen ꝛc.

XXVII.


Nobbenaga oder Nobunaga Ondano Danſio Tairas zweiter Sohn, re-
gierte zehn Jahr.


XXVIII.


Fide Nobu, Nobu Todas Sohn, regierte drei Jahr.


XXIX.


Fide Joſi, hernach Taiko genant und Taiko Sama. Dieſer beruͤhmte
Monarch war eines Bauren Sohn, und in ſeinen jungen Jahren ein Kellermeiſter bey
einem Edelmann. Allein durch ſeine Herzhaftigkeit und Verdienſte ſchwung er ſich empor,
und gelangte zum kaiſerlichen Thron von Japan. Er brachte alle Landſchaften Japans,
welche damals wie jezt getheilet und von beſondern Fuͤrſten regiert wurden, unter ſeine
Gewalt und Souverainetaͤt, und er iſt alſo der erſte abſolute weltliche Monarch geworden.
Er wurde der Landesgewohnheit zufolge nach ſeinem Tode unter die Goͤtter gerechnet, und
von dem Dairi mit dem goͤtlichen Titel Tojokuni Daimioſin beehret. Sein Tempel,
worinnen ſeine Aſche beigeſezt, ſtehet zu Miaco, er iſt aber meiſt eingegangen, nachdem
das Kaiſerthum an eine andere Familie gekommen iſt.


XXX.


Fide Tſugu, ſonſt auch Quabacundano, welcher ein Sohn Joo in Jziro und
des Taikoſama Enkel war, regierte unter ſeinem Vetter, wiewol nur eine kurze Zeit.


XXXI.


Fide Jori, des Taikoſama Sohn, war noch minderjaͤhrig, als ſein Vater
ſtarb, und wurde daher der Sorgfalt und Vormundſchaft des Jjejas Sama, eines ſeiner
Favoriten und vornehmſten Staatsraths, dergeſtalt vertrauet, daß er mit einem foͤrmlichen
Eide, der mit ſeinem eignem Blute unterzeichnet war, bekraͤftigen muſte, daß er, ſo
bald der junge Prinz majoren oder voljaͤhrig geworden waͤre, die Regierung und das Kai-
ſerthum in deſſelben Haͤnde liefern wolte. Auf dieſe Bedingungen wurde des Jejas Toch-
ter an den Erbprinzen verheirathet, welcher das Kaiſerthum als Vormund und Schwieger-
vater, aber doch unter dem Titel eines Kaiſers vierzehn Jahr verwaltete.


XXXII.


Jejaſſama, ſonſt auch Ongoſio und Daifuſama genant, uſurpirte den Thron
des Fide Jori ſeines Schwiegerſohns. Er verliehe der hollaͤndiſchen oſtindiſchen Com-
pagnie
[248]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch. Sechſt. K. ꝛc.
pagnie eine freie Handlung auf Japan im Jahr nach Chriſti Geburt 1611. Er wurde
Landesgewohnheit halber nach ſeinem Tode vergoͤttert und Gongenſama genant. Er liegt
begraben zu Niko nahe bei Miaco, dem Begraͤbnisorte dieſes Geſchlechts. Er regierte
in allem vierzehn Jahr, die Jahre ſeiner Regentenſchaft mitgerechnet, wiewohl einige
Autoren wollen, daß er nur vier oder fuͤnf Jahr regieret und 17 (70)*) alt geweſen ſey,
da er zum Beſiz des Throns gelangte.


XXXIII.


Fide Tada, Jjejaſſamas dritter Sohn, welcher nach ſeinem Tode Taito-
konni
oder Taitakuinſama genant wurde, erneuerte die Freiheiten, welche ſein Vater
den Hollaͤndern verliehen hatte, im Jahr 1616 oder 1617. Er regierte achtzehn Jahr.


XXXIV


Jjetiruko, ſonſt auch Jjemitzo des Fidetata Sohn, welcher nach ſeinem Tode
genant wurde Daijoinſama oder Tajoinſama, regierte ein und zwanzig Jahr.


XXXV.


Jjetzeeako, ſein Sohn, welcher nach ſeinem Tode genant wurde Ginjoinſama
oder Genjuinſama regierte dreißig Jahr und ſtarb den vierten Junii 1680.


XXXVI.


Tſinajoſiko oder Tſiijnaioſiko, auch Tſijnaſoſama oder mit ſeinem voͤlligen
Titel, welchen er erſt kuͤrzlich von dem Dairi bekommen hat, Sei Dai Seogun, Nai
Dai Siniukonjeno Tai So
iſt der jezt in Japan regierende Monarch; er iſt zwoͤlf oder
dreizehn Jahr auf dem Thron geweſen, und folgte ſeinem Bruder. Er war drei und vier-
zig Jahr alt, als ich mich in Japan befand, im Jahr 1692.


Ende des zweiten Buchs.



[[249]]

Engelbert Kaͤmpfers
Geſchichte und Beſchreibung
von
Japan

Drittes Buch.

Welches die Religionsverfaſſung, und Nachrichten von den verſchiednen religioͤſen
und philoſophiſchen Sekten enthaͤlt.


J i
[[250]][251]

Erſtes Kapitel.
Von den verſchiednen Religionspartheyen im japa-
niſchen Reiche uͤberhaupt; und beſonders von der Sinto.



Die Freiheit der Religion und des Glaubens iſt unter allen heidniſchen Voͤlkern
Aſiens zu allen Zeiten voͤllig frey und unbeſchraͤnkt geweſen; ſo lange dieſe
Freiheit nur nicht irgend nachtheilige Folgen fuͤr den Staat befuͤrchten lies. So
auch in Japan. Daher iſt es verſchiednen fremden Religionen ſehr leicht geworden, ſich
neben der von den aͤlteſten Zeiten her herſchenden und (wie die Japaner behaupten) hier
entſproſſenen Religion, einzudringen und in dem Reiche auszubreiten.


Man hat in unſerm Jahrhundert (dem ſiebzehnten) beſonders vier Hauptreli-
gionspartheyen gezaͤhlt, die in Abſicht der Zahl ihrer Anhaͤnger ohngefehr ſich gleich ſeyn moͤ-
gen, nemlich:


  • 1) Sinto, das heiſt, der Weg oder die Verehrung einheimiſcher
    Goͤtzen.
  • 2) Budsdo, das heiſt, der Weg oder die Verehrung auslaͤndiſcher,
    von Sina und Siam heruͤbergebrachter Goͤtzen.
  • 3) Sjuto, die Lehre der Sittenlehrer und Philoſophen.
  • 4) Deivus oder Kiriſtando, welches Gottes und Chriſti Weg be-
    deutet.

J i 2Die
[252]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Die chriſtliche Religion iſt durch den gewis lobenswuͤrdigen, ganz auſſerordent-
lichen Eifer der ſpaniſchen und portugieſiſchen Miſſionaren, und vorzuͤglich auch der
Jeſuiten, vom Jahre 1549 an (da 1543 Japan zuerſt entdekt war) bis 1625 oder bey-
nahe 1630 mit einem außerordentlich gluͤklichen Fortgange durch das ganze Reich ausge-
breitet worden. Das Chriſtenthum hat in dieſer Periode auch die Prinzen und Vornehm-
ſten des Landes in allen Provinzen mit unter ſeine Anhaͤnger gezaͤhlt; und wahrſcheinlich
wuͤrde es bei dieſem ſo gluͤklichen Anfange ſich bald uͤber ganz Japan ausgebreitet haben,
wenn nicht die ehrſuͤchtigen Abſichten und unruhvollen Unternehmungen der Miſſionaren
(die weltliche und geiſtliche Belohnung ihrer Arbeiten zugleich verlangten) ſich den gerech-
ten Zorn der hoͤchſten Majeſtaͤt des Reichs zugezogen, und dadurch eine Verfolgung uͤber die
neuen Chriſten veranlaſt haͤtten, die an unmenſchlicher Grauſamkeit in der ganzen Geſchichte
nicht ihres Gleichen hat. Dadurch iſt dann aber auch der chriſtliche Glaube bis auf die lezte
Sproſſe vertilget, und es iſt endlich ſo weit gekommen, daß die bloße Erwaͤhnung des theu-
ren Namens unſers Heilandes mit Kreuz und Schwerd beſtraft wird.


Die jezt bei den Japanern bluͤhende und zugelaſſene drei Hauptreligionen oder
Sekten werden bei ihnen kurz Sin, Budz, und Sju genant. Die leztre kan man im
eigentlichen Sinne nicht einmal eine Religion nennen;*) ſondern nur den Budſ- und Kame-
Glauben.**) Der dritte Theil beider Glaubensgenoſſen beſteht aber in der That (nicht nach
dem aͤußern Scheine, den die Landesgeſetze nothwendig machen) aus unglaͤubigen und wahr-
haften Atheiſten.***)


Nicht eben wegen der Menge der Anhaͤnger, ſondern dem Range nach wird fuͤr
die vornehmſte Religion gehalten:


Die Sinto, Sinsju.


Noch ein andrer Name dieſer Religion iſt Kami Mitſj d. i. einheimiſcher
Goͤtzen Glaube. Sin
und Kami heiſt ein einheimiſches Goͤtzenbild; To oder Mitſ,
der Weg, Methode; Sju der Glaube, Religion; Sinsja oder Sinto Sja, oder in
der mehrern Zahl, Sinsju, die Perſonen, ſo dieſen Weg befolgen. Dieſe Religion be-
trift
[253]Von den verſchiednen Religionspartheyen im japaniſchen Reiche ꝛc.
trift mehr das zeitliche Wohlſeyn und Gluͤk, als den Zuſtand der Seele nach dem Tode, ob
ſie gleich die Unſterblichkeit und einen ewigen guten oder boͤſen Zuſtand der Seele zugeſteht.
Doch ſind freilich die Begriffe von dieſem Zuſtande ſehr dunkel und unvolſtaͤndig.


Die Anhaͤnger dieſer Sekte haben ihre Verehrung vorzuͤglich denjenigen Gotthei-
ten geweiht, von denen ſie glauben, daß ſie in der Regierung dieſer Welt Macht beweiſen
koͤnnen. Jedem derſelben haben ſie ein beſondres Geſchaͤft, wie in einer ariſtokratiſchen
Verfaſſung, beigelegt. Sie nehmen nun zwar auch einen unendlichen Gott in den unendli-
chen Himmeln an, und laſſen in dem ſichtbaren himliſchen Firmament noch andre hohe
Goͤtter wohnen; aber dieſe werden gar nicht verehrt und angerufen, weil die Japaner glau-
ben, daß ſolche hohe Weſen, die ſo weit uͤber uns erhaben ſind, ſich wenig um unſre kleine
Angelegenheiten bekuͤmmern koͤnnen. Nur in den gewoͤhnlichen Eidesformeln kommen die
Namen dieſer Goͤtter vor, und es wird bei denſelben geſchworen. Verehrung und Anbe-
tung aber erhalten nur diejenigen Goͤtter, welche Laͤnder, Elemente, Thiere, Waſſer und an-
dere Dinge regieren, und die zeitlich ſchaden oder nuͤtzen koͤnnen. Und in der Verehrung die-
ſer Art von Goͤttern ſind die Japaner ſehr eifrig, weil ſie durch dieſelbe ihr Herz zu reini-
gen und durch Zuthun dieſer Weſen eine ewige Gluͤkſeligkeit zu erhalten hoffen.


Dieſe Religion Sinto ſcheint nun eben ſo alt zu ſeyn, als die japaniſche Nation
ſelbſt. Als die erſten Menſchen hier aus Babylon ankamen, ſo verlor ſich wahrſcheinli-
cher Weiſe ſehr bald bei ihnen die Tradition von der bibliſchen Geſchichte und dem wahren
Gottesdienſt, da ſie der Grundſprache beraubt, und auf einer wuͤſten langen Reiſe verwildert
waren. Jhre Haͤupter und Fuͤhrer aus derſelben wurden daher ſehr natuͤrlich von ihnen
hoch und werth gehalten, und nach und nach dieſe, ſo wie auch andre tapfre Helden, weiſe
und ruhmwuͤrdige Maͤnner vergoͤttert, und zu Kami (d. i. unſterblichen und ewig zu
ehrenden Seelen
) erhoben. Zur Verehrung ihres unſterblichen Namens wurden Mia
d. i. lebendiger Seelen Haus errichtet. Nach dem natuͤrlichen Triebe der Menſchen, uͤber-
natuͤrliche Weſen anzubeten, und aus Mangel beſſerer Offenbarung ſtieg dieſe Verehrung
immer weiter und machte, daß die Kami endlich zu Goͤttern gediehen. Es wurde auch
nach und nach religioͤſe Pflicht fuͤr jeden rechtſchaffenen Biedermann, in den Tempeln dieſer
Goͤtter an ihren gewoͤhnlichen Gedaͤchtnis- und Feſttagen, oder wenn er ſonſt vorbeigieng
(wenn er nur nicht durch Unreinigkeit abgehalten wurde) ſeine Andacht zu verrichten und ſie
durch demuthvolles Verneigen und Knien an den Tag zu legen. Doch geſchieht dieſes jezt
faſt nur allein von den Anhaͤngern dieſer Sekte Sinto.


Der Aberglaube gieng hierin endlich ſo weit, daß auch jeder Mikaddo oder geiſt-
licher Erbkaiſer,
(der in gerader Linie von jenen Goͤttern abſtammen ſol,) ſobald er den
Thron ſeiner Vorfahren beſteigt, ſogleich fuͤr einen lebendigen und großen Kame oder
J i 3Goͤtzen
[254]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
Goͤtzen gehalten wird, und eine ſolche Heiligkeit erhaͤlt, daß kein Gege (ein veraͤchtlich,
hundiſches Wort, womit dieſer heilige Hof alle andre Menſchen bezeichnet, die Perſonen
ſeines Standes aber mit dem Namen Kuge unterſcheidet) ſich zu ihm nahen oder ihn nur
anſehn darf. Man behauptet ſogar ferner, daß von dem Vicario dieſes Gottes die unbe-
fleiſchten
oder entleibten Goͤtter zur Aufſicht und beſondern Sorge fuͤr dieſe und jene Orte
(doch auf eine unſichtbare Weiſe) angeſtelt worden;*) und daß eben dieſe Goͤtter den Mi-
kaddo
jaͤhrlich beſuchen und den ganzen zehnten Monat unſichtbar bei ihm bleiben muͤſſen.
Jn dieſen Monat fallen daher auch gar keine Feſttage und er hat bei den Japanern den
Namen Kami natſuki, d. i. ein Monat ſonder Goͤtter, weil dieſe alsdenn nicht in ih-
ren Tempeln ſind, ſondern ſich am Hofe beim Mikaddo aufhalten.


Dieſer japaniſche Pabſt oder vielmehr lebendiger Gott hat auch das Recht, andre
zu canoniſiren und zu Goͤttern zu erheben, wenn er durch Erſcheinungen nach dem Tode
oder andre Wunder dazu veranlaſt wird. Er giebt ihnen alsdann ein großes Lob und legt
ihnen einen hohen Namen bei, und er ſelbſt oder jemand ſonſt erbauet dem neuen Gott einen
Mia. Befinden ſich nun deſſen Anbeter gut bei ſeinem Dienſt, oder werden Wunder
ruchtbar; ſo werden auch in andern Provinzen Tempel fuͤr dieſen Gott erbauet. Und ſo
nimt alſo die Zahl der Goͤtter und ihrer Tempel immer von einem Jahrhundert zum
andern zu.


Dieſen geiftlichen Erbkaiſern und den unter ihrer Regierung ſich jedesmal zur goͤtt-
lichen Wuͤrde verdient gemachten Heiligen, gehet nun aber noch vor und iſt weit uͤber ſie er-
haben ein Geſchlecht von ſieben ſucceſſive uͤber andre Geiſter herſchenden himliſchen
Goͤttern,
welche heißen: Tenſin Sitzi Dai, d. i. himliſcher Goͤtter ſieben Geſchlecht.
Man glaubt von ihnen, daß ſie lange vorher, ehe noch Menſchen, Erd und Himmel wa-
ren, in den uralten Sonnenzeiten, dieſe unterhimliſche japaniſche Welt (denn von andern
Laͤndern wuſten ſie damals nicht) viele Legionen**)Jahre hindurch zugleich bewohnt
haͤtten.


Der lezte in dieſer Goͤtterfolge war Jſanagi; dieſer wurde durch die nachgeahmte
Bewegung des Vogels Jſi Tadacki oder Quikſterts***) veranlaſt, ſeine Gemahlin Jſa-
nami
fleiſchlich zu erkennen, und brachte durch natuͤrliche Zeugung ein anders Geſchlecht
dieſer japaniſchen Weltbeherſcher von weit geringeren Weſen hervor, welches von der Zahl
ſeiner
[255]Von den verſchiednen Religionspartheyen im japaniſchen Reiche ꝛc.
ſeiner Deſcendenz: Oſi Sin Godai d. i. irdiſcher Goͤtter fuͤnf Herrſcher genant
wird.


Unter dieſen Menfchgoͤttern haben nun einige Geſchlechter wunderlich hausgehalten,
Kriege und ſeltſame Ebentheur ausgefuͤhrt, mit andern Gottmenſchen, Drachen und mon-
ſtroͤſen Helden ſich vermiſcht, und einer um den andern ſich verdient gemacht; ſo daß zum
Gedaͤchtnis ihrer veruͤbten ruͤhmlichen Thaten viele Oerter des Reichs ihren Namen bekom-
men haben, auch vielen beſondre Mias aufgerichtet ſind. Man hat ſogar auch viele Ge-
wehre
und andere Reliquien aus dieſer zweiten oder ſilbernen Zeit aufbehalten, und man
iſt ſo weit gegangen, dieſe Dinge fuͤr beſeelt, der goͤttlichen Ehre wuͤrdig zu halten, und
hat ihren Selen, eben wie den Goͤttern ſelbſt, beſondere Mias errichtet.


Von dergleichen luͤgenhaften monſtroͤſen Erfindungen und altweiberiſchen Fabeln iſt
die ganze Sintotheologie vol, und blos aus ihnen zuſammengeſezt. Die Anhaͤnger derſel-
ben ſchaͤmen ſich auch ihrer Lehre ſelbſt, und offenbaren dergleichen Geſchichtgens ſelten einem
Fremden oder der Budzoſecte Ergebnem, aus Furcht ſich zum Gelaͤchter und Spot
zu machen.


*) Nach dieſer zweiten und ſilbernen Zeit laſſen die Japaner |dann die dritte an-
fangen, in welcher allemal der erſtgebohrne Sohn in gleicher Linie die ungebundne geiſt-
und weltliche Macht, Autoritaͤt und Heiligkeit geerbt hat bis zur Zeit des Joritomo, die
eingebildete goͤttliche Autoritaͤt aber noch bis auf den heutigen Tag beibehalten hat.**)


Dieſe Religion haͤngt mit dem politiſchen Leben dadurch genau zuſammen, daß ſie
faſt nur in aͤußern buͤrgerlichen Gebraͤuchen beſteht. Sie unterhaͤlt auch keine Lehrer oder
Prieſter, ſondern nur weltliche, verheirathete und in der Goͤttergeſchichte ganz ungelehrte
Tempelbediente. Nur zuweilen lehren und predigen die Sinto Sja, beſonders die Canuſj,
bei ihren Tempeln. So war zu meiner Zeit ein von Miaco heruͤbergekomner Canuſj,
der im Tenſitempel und hernach in der Suwo Mia, taͤglich uͤber einen Tractat oder
Gebet: Makatto mi no tarrai oder Makatto mi tarrai, eine erklaͤrende Rede hielt,
die aber blos ein Gewebe von unſinnigen Fabeln und Geſchichten der Goͤtter und Helden war.


Dieſe Leute lehren auch wol ihre Theologie, aber ſehr geheimnisvol. Die lezte
und wichtigſte Materie iſt die vom Anfang aller Dinge. Dieſe wird nicht eher erklaͤrt,
bis der Kandidat mit eidlicher Handſchriſt und feinem untergeſezten Siegel verſprochen hat,
daß
[256]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
daß er dieſe Lehre nicht den unverſtaͤndigen und unglaͤubigen Laien mittheilen und profaniren
wolle. Der Originaltert aus ihrem Buche: O Daiki, der dieſe myſterioͤſe Lehre enthaͤlt,
iſt folgender: Kai fakuno faſine Dſjuſio fuſo Tatojeba Ju Jono Sui ſoni ukunga
Gatoſj Teutſjino Utſjini itſi batſu wo ſeoſu Katals Jozeno gotoſj; fenquas
ſte ſinto nar kuni toko Datſno mikotto to goos.
Dieſe Worte bedeuten: Jm An-
fang der Oefnung aller Dinge trieb ein Chaos, wie Fiſche aus Vergnuͤgen auf
dem Waſſer treiben. Aus dem Chaos entſtund dadurch ein Ding, der Figur
nach wie ein Dornſproſſe, beweglich und transformabel, welches eine Sele oder
Geiſt wurde. Dieſer wird genant Kuni toko Datſno Mikotto.


Ein Ottona gab mir hievon folgende Erklaͤrung: Jm Anfang war ein Chaos
oder eine Vermiſchung der fuͤnf Elemente, Konton genant; vor dieſer aber war eine
Ki, d. i. Kraft, Dampf oder Geiſt. Jn der Konton ſchwebten oder wurden durch die
Ki hervorgebracht die vorhin erwaͤhnte Tenſin Sitzi Dai; man mus ſich vorſtellen, daß
dieſe wie Traͤume drin ſchwebten. Endlich entſtanden dann Dſi ſin godai, als volkom-
nere Subſtanzen, zuerſt der Tenſjo Dai Sin, welcher Japan gemacht hat und deſſen
Stifter iſt.


Der vorhin erwaͤhnte Ki iſt Anima Univerſi oder der algemeine Weltgeiſt,
wohin aller Verſtorbenen reine Seelen ſogleich hinfahren, die unreinen aber ſich aufhalten,
wie ein Waſſer, das durch viele Umwege und Anſtoͤße truͤbe wird. Jn dieſem algemei-
nen Weltgeiſt
hoͤrt das Ego ſum oder haec individualis perſona auf, wie in einer
Vermiſchung der Waſſer im Meere. Eben ſo wie eine auf dem Berge ſtehende See ihre
eigene Benennung hat, ſo lange ſie auf dem Berge bleibt, wenn ſie aber herab ins Meer
flieſt und von demſelben verſchlungen wird, nicht mehr kan der vorige Bergſee genant
werden.


Dieſe Ki aber bedeutet: 1) das alleredelſte Weſen der Goͤtter, 2) die
Selen der Menſchen
und 3) die Selen der Thiere. Dem allerſubtilſten Lichterweſen
der Goͤtter wird kein beſonderer Ort angewieſen; auſſer dem Tenſjo Dai Sin, welcher
in dem Herzen einer Gutes denkenden reinen Seele ſeyn ſol. Die reinen Weſen oder See-
len ſind aber von den unreinen Weſen oder Seelen ganz abgeſondert und unterſchieden.


Wir haben einmal einen Ottona im Gebet angetroffen, einige Matten lang ab-
gewandt*) gegen die Fuda der Ofarrai, die mit der Ueberſchrift ihres Tenſio Dai
Sin
[257]Von den verſchiednen Religionspartheyen im japaniſchen Reiche ꝛc.
Sin bezeichnet iſt. Er war uͤber ſeinem Kleide noch angethan mit einem Ju Daſſicki,*)
welches kreuzweiſe uͤber die Schulter und Bruſt und unter den Armen wieder um die Bruſt
oder Leib vorn geknuͤpft oder gebunden war. Mit der rechten Hand rieb er Dinte auf dem
Steine mit phantaſtiſchen Geberden, wodurch er den Einflus ſeines Schreibens intendirte
und ſich deſſelben verſicherte.


Es giebt auch freiwillige Buͤßer in dieſer Religion. Dieſe laufen ganz nackt und blos
in Japan herum, um Froſt und Kaͤlte zu erdulden, und dadurch ein leibliches oder himli-
ſches Gut und das ewige Leben zu erlangen. Doch wird dieſe Buͤßung von den Came nicht
gelehrt und verlangt, ſondern hat ſich erſt nach Einfuͤhrung der Budſdoſecte unter dem ge-
meinen Mann eingeſchlichen. Die Budſin ſelbſt uͤben ſie nur als einfaͤltige Synkretiſten
nach dem ovidianiſchen Grundſaz: Saepe premente uno fert Deus alter opem,
oder nach dem bekanten: Flectere ſi nequeo ſuperos, Acheronta movebo.**)


Zweites

K k
[258]

Zweites Kapitel.
Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und
Goͤtterdienſt.



Die Sinsju (ſo heißen die Anhaͤnger der Sintoreligion) nennen ihre Goͤtzenhaͤuſer
Mia, welches heiſt, Gedaͤchtnishaͤuſer oder Fana der Roͤmer, oder auch Jas-
jiro
und Sja oder Sinsſia, welches aber eigentlich den ganzen Umfang oder Hof der
Mia mit allen dazu gehoͤrenden Gebaͤuden bedeutet. Jhre Goͤtter nennen ſie Sin und Came,
welches eigentlich ſo viel als Seele oder Geiſt bedeutet, denen ſie noch die Beiwoͤrter geben
Mioſin d. i. durchlauchtig, heilig; und Gengen, d. i. gerecht, ſtrenge. Andere
Religionsgenoſſen pflegen ihre Kloͤſter, Bet -und Goͤtzenhaͤuſer, Si Sja, Tira, und
ihre Goͤtzen ſelbſt Fotoye zu nennen. Alle Arten von auslaͤndiſchen Nebengoͤttern heißen
Boſatz oder Buds.


Die Mia ſind eben ſo, wie die Tempel andrer Religionsverwandten, allemal in
den angenehmſten Gegenden des Landes, ſelten innerhalb und gemeiniglich auſſer den be-
wohnten Orten, Flecken und Staͤdten angelegt. Von dem Heerwege dieſer Orte fuͤhrt dann
eine gerade, ebne Breite und mit inlaͤndiſchen Cypresbaͤumen beſezte Allee zu der Mia
oder deren Hof (area), der oͤfters mit vielen andern Gebaͤuden und Tempeln verſehen iſt.
Die Allee iſt aber allemal auf die Vorderſeite der vornehmſten Mia gerichtet.


Dieſe Tempel liegen entweder in einem ſchattigen Luſtwaͤldchen, oder am Abhange
eines gruͤnen Huͤgels. Eine anſehnliche ſteinerne Treppe fuͤhrt hinan. Wo ſich die Tem-
pelallee von der Heerſtraaße trent, ſteht allemahl (zur Unterſcheidung von gemeinen Wegen)
eine anſehnliche weite Ehrenpforte, die einen beſondern Nahmen hat: Torii. Sie iſt
ſehr einfach gebauet, und beſtehet blos aus ſteinernen oder hoͤlzernen Pfoſten, oben mit
dop-
[259]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Zweit. Kap. ꝛc.
doppelten Querbalken aus gleicher Materie, deren oberſter zur Pracht eingebogen iſt und
zu beiden Seiten hervorragt. Zwiſchen dieſen ſteht eine ſteinerne Tafel, welche in guͤldnen
Characteren den Namen des Tempels darſtelt. Eben eine ſolche ſteinerne Pfortpfoſte ſteht
oͤfters auch noch vor der Mia oder deſſen Vorhofsmauer. Unweit der Mia ſteht zuweilen
ein ſteinerner Waſchkuͤbel, worin ſich die Anbeter reinigen koͤnnen; und ganz zunaͤchſt an derTab.
XVII.
Fig. A.

Mia findet man einen großen hoͤlzernen Armenkaſten.


Die Mia ſelbſt iſt gar kein praͤchtiges Gebaͤude; ſondern ſchlecht, ſimpel und nur
von Holz, oͤfters nur ein kleines viereckiges Haͤuslein, doch von ſchoͤnen, ſtarken Balken
erbauet. Sie hat gemeiniglich wenig uͤber zwei bis drei Mannshoͤhen, zwei oder mehr Klaf-
ter ins Quadrat, iſt eine Elle oder etwas mehr uͤber die Erde erhaben, und gemeiniglich mit
einem ſchmalen hoͤheren Eſtrich umgeben. Das ganze Gebaͤude ruht auf Pfaͤhlen und
man mus eine oder mehr Treppen hinanſteigen. Die Vorderſeite beſteht aus zwei Gitterthuͤ-
ren, durch die man hineinſchauen und ſeine Ehrfurcht bezeugen kan. Dieſe Thuͤren blei-
ben beſtaͤndig geſchloſſen, und oft findet man gar nicht einmal Huͤter und Bediente bei
denſelben.


Manche Mias ſind weitlaͤuftiger gebauet, mit einer Antichambre und Neben-
zimmern verſehn, in denen dann die Tempelhuͤter dem Came zu Ehren in ihrem heiligen
Gewand ausgeſchmuͤckt ſitzen. Aber allemal ſind die Mias gegittert und durchſichtig, und
der Eſtrich iſt mit Matten belegt. An drei Seiten, nehmlich von hinten und zu beiden
Seiten, iſt der Tempel gemeiniglich mit Brettern verſchloſſen. Das Dach iſt mit Steinen
oder Schindeln bedekt, es ſtehet gemeiniglich uͤber das umgebende Eſtrich hervor und zeich-
net ſich von andern Gebaͤuden durch verſchiedne Faͤcher und Verdoppelungen der zierlich her-
vorragenden Balken aus, worin uͤberhaupt die groͤſte Pracht in allen Tempeln dieſer Laͤnder
beſteht. Oben ſchlieſt das Dach zuweilen ein nach der Laͤnge uͤbergefuͤgter Balken, hinter
welchem man noch einen andern in die Queer uͤberlegt. Dies geſchieht zum Andenken des
erſten Tempels Jsje, der zwar ſchlecht, aber doch ſo ſcharfſinnig und faſt unnachahmlich in
einander gefuͤgt war, daß blos durch das Gewicht dieſer verſchiednen Balken das ganze Ge-
baͤude feſt erhalten wurde.


Ueber dem Thuͤrgitter des Tempels haͤngt zuweilen eine platte weite Glocke, auf
welcher mit einem daneben haͤngenden breiten und eingeknuͤpften Bande von dem Baͤtenden
ein Gelaͤut erregt wird. Doch iſt dieſes eine neue, von den Budſdo angenommene Ge-
wohnheit, die bei den Alten nicht gebraͤuchlich, auch noch jezt nicht in allen Mias einge-
fuͤhrt iſt.


Jnwendig im Tempel haͤngt etwas weißes, in kleine Stuͤcken zerſchnittenes Papier
herum, welches die Reinigkeit des Orts anzeigen ſol. Jn der Mitte ſieht man oft einen
K k 2runden
[260]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
runden Spiegel, in dem der Beſucher ſeine Maͤngel und Flecken ſehn und ſich dabei erin-
nern ſol, daß die Flecken und Tuͤcke ſeines Herzens gleichſals den Goͤttern hier vorgeſtelt
werden. Selten hat man den Came des Tempels in einem ausgeſchnittenen Goͤtzenbilde
vorgeſtelt; und man bewahrt uͤberhaupt kein Bild in den Tempeln auf, wenn es nicht durch
ſein Alter, veruͤbte Wunder oder auch durch die Heiligkeit ſeines Schnitzers dazu beſonders
gewuͤrdigt iſt. Man haͤlt in dieſem Fal ein ſolches Bild in der Mitte und am oberſten
Ende des Tempels in einem Hinterkaͤmmerlein verborgen, das Fongu oder aͤchter Tem-
pel
heiſt. Der Anbaͤter darf nur die Thuͤr des Fongu begruͤßen, welches vor dem Tem-
pel oder in deſſen Vorzimmer zu geſchehen pflegt, das daher Faiden d. i. Reverenzhaus
genant wird. Denn Fai heiſt eine Reverenz, welche auf indianiſche Art mit zuſammen-
gefalteten erhabenen Haͤnden und Beugung der Knie abgelegt wird. Zur genaueren Beſich-
tigung des Bildes aber wird Niemand zugelaſſen, als an dem großen Gedaͤchtnis-und To-
destage des Heiligen, der nur alle hundert Jahre gefeiert wird.


Auf eben dem hohen Verwahrungsorte werden dann auch alle noch vorhandne Reli-
quien von Gebeinen, Kleidern, Saͤbeln, oder miraculoͤſer Handarbeit des Gottes aufbe-
wahrt. — Die vornehmſte Mia jedes Orts hat allemahl ein oder mehrere Mikoſi, d. i.
kleine vier-ſechs-oder achteckige Tempelchens (ſacella) die lakirt, und mit verguͤldeten
Leiſten, Spiegeln, Papier und allerlei andern Zierrathen ausgeſchmuͤkt ſind. Sie ruhen
auf zwei Stangen, auf welchen ſie am Jennitz d. i. am heiligſten Tage der Mia in einer
Proceſſion der Cannuſj (vornehmſten Tempelbedienten) zu der Matſuri d. i. der jaͤhrlichen
Goͤtzenfeier getragen und aufgefuͤhrt werden. Jn dieſem Tempel haͤngt auch weißes in
Riemen zerſchnittenes Papier. Die in dem Fongu auf bewahrte heilige Reliquien werden
auch zuweilen in dieſen kleinen Tempeln feierlich herumgefuͤhrt. Sie werden alsdenn von
dem vornehmſten Cannuſj deſſelben Tempels aus dem heiligſten Tempel der Mia wegge-
nommen, und auf dem Ruͤcken mit beiden Haͤnden in die Mikokf getragen und ruͤcklings
hineingeſezt. Bei dieſer Uebertragung mus jeder andre Laie abtreten, damit die heiligen
Geraͤthe nicht durch den unſaubern Blick ſuͤndiger Augen beflekt werden moͤgen.


Eine Mia iſt allemal von auſſen und in ihrer großen Antichambre, wenn dieſe of-
fen gehalten wird, oder ſonſt in einem beſondern Vorzimmer, mit vielerlei Bildern, aus-
geſchnizten Saͤbeln, Modellen von Schiffen und mehr dergleichen Zierrathen behangen,
deren Betrachtung denen muͤßigen Zuſchauern und Anbaͤtern an den Feſttagen zum Zeitver-
treib dienet. Dieſe Zierrathen heiſſen Jemma, und ſind meiſtens freiwillige Gaben an-
daͤchtiger Herzen oder Bezahlungen der Geluͤbde, welche bedraͤngte Perſonen in ihrem An-
liegen, Krankheit und Ungluͤk fuͤr ſich ſelbſt und andre gethan haben. Dieſe Jemma die-
nen
[]

[figure]

Tab: XVII.


[][261]Zweit. K. Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.
nen alſo zugleich zum Schmuk und zum Ruhm des kraͤftigen und helfenden Gottes. Die
Boſetz oder Budſdo haben auch dieſe Gewohnheit.


Dieſe Mia’s und Goͤtzen werden nicht von geiſtlichen Pfaffen, ſondern von welt-
lichen, beweibten Perſonen bedient, welche Negi, Cannuſj und Sjannin heiſſen. Sie
werden theils von dem Vermaͤchtniſſe des Miaſtifters, theils von dem jaͤhrlichen Zuſchus
des Mikaddo*) und von den freiwilligen Gaben der Anbeter unterhalten. Wenn dieſe
Tempelbediente ausgehn, oder in ihrem Dienſt begriffen ſind, gehn ſie eben wie die Hofleute
des Mikaddo gekleidet, nemlich in weiten, weißen, gelben oder auch zuweilen andersfar-
bigen Chorroͤcken, die ſie uͤber ihren weltlichen Habit angethan haben. Jhr Kopf iſt, au-
ßer am Bart, ungeſchoren. Die Scheitel bedekt eine laͤngliche, vorn etwas uͤberſtehende,
ſchifsfoͤrmige, ſteife, ſchwarz lakirte Muͤtze, welche unter dem Halſe nach Unterſchied eines
jeden Standes, und nachdem der Geiſtliche ſich weniger oder tiefer zu buͤcken hat, mit einer
laͤngern oder kuͤrzern Schnur und anhangenden Schnur gebunden iſt. Die Obern haben
ihr Haar noch unter einem andern zierlichen ſchwarzen Flor zuſammengebunden, in welchem
1½ Spannen langes und zwei Daumen breites geſtreiftes Laͤpgen, nach dem Unterſchied des
vom Mikaddo ertheilten Titels, mehr oder weniger aufſteht oder gebogen niederhaͤngt.


Alle Tempelbediente ſtehen mittelbar unter der Herrſchaft des Mikaddo. Nur
ihre buͤrgerliche Streitigkeiten gehoͤren bei dieſen, ſo wie bei allen andern Geiſtlichen, fuͤr zwei
Dſi Sja Bugjo oder kaiſerliche Tempelrichter, die vom weltlichen Monarchen beſtelt
werden. Dieſe Mia-Bediente ſind durchgehends ausnehmend hochmuͤthig, halten ſich von
weit hoͤherer Abkunft als alle andere Geiſtliche, und gehn, wenn ſie nicht im Dienſt der
Mia ſind, in weltlichen Kleidern mit zween Saͤbeln, wie die Edlen des Landes. Sie ent-
halten ſich ſehr ſorgfaͤltig von allem Umgange mit weltlichen und gemeinen Leuten, auch
halten ſie ſogar die Prieſter andrer Sekten fuͤr unrein, und wollen ſich durch ihre Heiligkeit
und Reinigkeit von ihnen auszeichnen, und durch eine ſolche Zuruͤkhaltung ihre Goͤtter und
Theologie erheben, und im vorzuͤglichen Anſehn erhalten. Jch mus geſtehn, daß dieſes
allerdings ganz klug von ihnen ausgedacht iſt, weil ſie nun, unter dem Vorwand einer hei-
ligen Enthaltſamkeit, ihre Unwiſſenheit und den ſchlechten Gehalt ihrer elenden und einfaͤlti-
gen Glaubenslehren verbergen koͤnnen, und nicht Gefahr laufen, in Geſpraͤchen mit verſtaͤn-
digern Menſchen ſich ſelbſt und ihre Lehre zu proſtituiren.


K k 3Jn
[262]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Jn der That ſcheint mir dieſe uralte und vaͤterliche Religion der Japaner ganz aus-
nehmend ſimpel und einfaͤltig, da ſie gar keine heilige Buͤcher und Traditionen hat, welche
außer den abentheuerlichen und abgeſchmakten Geſchichten ihrer Goͤtter und Helden, auch
noch irgend etwas von der Regierung der Goͤtter oder dem Zuſtande der Seelen nach dieſem
Leben zu erzaͤhlen wuͤſte, uͤber welche wichtige Dinge doch faſt alle andre Religionen in der
Welt ihre Anhaͤnger zu unterrichten und zu beruhigen geſucht haben. Es war alſo ganz
natuͤrlich, als die auslaͤndiſche oder Budsdo Religion heruͤber kam, daß die Sinto haͤufig
von ihren Anhaͤngern verlaſſen wurde, welche der neuen Lehre zufielen. Es entſtand auch
hiedurch ein Zwieſpalt in der Sinto ſelbſt, die ſich endlich in zwei Sekten endigte.


Die erſte derſelben heiſt Juitz, und beſteht aus Orthodoxen, welche die uralte
ererbte Glaubens-und Lebenslehre ihrer Vaͤter ſtrenge beibehalten, und kein Haarbreit von
der alten Finſternis abweichen. Dieſer ſind aber ſo wenig, daß die Canuſj ſelbſt den groͤ-
ſten Theil der Anhaͤnger dieſer Sekte ausmachen. Die von der andern Sekte, Riobu ge-
nant, ſind Synkretiſten, welche, um mehreres Licht in ihren Glauben zu bringen und das
Heil ihrer Seele auf jeden Fal zu ſichern, ein Gemiſch von der alten und neuen Religion
ausgedacht haben. Dieſes beſteht ohngefehr darin: die Seele des Amida (der Seligma-
cher aller Budſeiſten, auf dem der Glaube aller Sekten von der Budſdoreligion beruht)
hat den vornehmſten und groͤſten Gott, den Tenſ jo Dai ſin, den Kern des Lichts und der
Sonne bewohnt. Die Cami ſind Beherſcher aller Dinge, die in dem Tenka oder der un-
terhimliſchen Welt enthalten ſind. Der hoͤhere Himmel aber iſt den Seelen zugeeignet.


Die meiſten Sintoiſten bekennen ſich zu dieſem Synkretismus der Sekte
Riobu. Auch ſelbſt der Dairi d. i. der ganze Hof des mikaddoſchen Geſchlechts ſcheint
ſich dahin zu neigen, und iſt ohne Zweifel genug uͤberzeugt, wie falſch ihre Religion und das
Vorgeben der heiligen Perſon des Regenten ſey. Ja, dieſe Gleichguͤltigkeit des geiſtlichen
Hofes geht ſoweit, daß ſogar die erzbiſchoͤfliche und zwei biſchoͤfliche Stellen der Sekte
Jkosju (der reichſten und angeſehenſten Sekte der Budsdoer) mit Perſonen aus der kai-
ſerlichen Familie beſezt ſind.


Der jezt regierende weltliche Kaiſer behaͤlt die Religionsgebraͤuche bei, und legt
jaͤhrlich ſeine Devotionsbezeugungen ab, zwar nicht wie ehmals in eigner Perſon, ſondern
durch eine Geſandſchaft an Sr. Heiligkeit den Mikaddo; in eigner Perſon aber an die
Goͤtzen und Tempel ſeiner Vorfahren. Bei allem dieſem hat er aber doch auch zu meiner
Zeit dem ſineſiſchen Philoſophen Koosju oder Confucius (der, wie Sokrates, ſeine
Philoſophie vornemlich zum Dienſt der Regenten vom Himmel herab gezogen haben ſol)
zwei koſtbare Mia’s nach ſintoſcher Sitte errichtet. Zugleich hoͤrt eben dieſer Monarch
auch
[263]Zweit. K. Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.
auch viel auf die budsdoſche Sekte Sodosju, in welcher er ein groͤßerer Eifer iſt, als
ein erleuchteter Regent billig fuͤr irgend eine Religionsparthey ſeyn ſolte.


Noch iſt bemerkenswerth, daß beinahe Alle, welche dieſer Religion Sinto zuge-
than ſind (und ſo auch viele Sjutosju) in ihrer Todesſtunde ihre Seele der Vorſorge der
Budsdopfaffen uͤbergeben, das Namanda uͤber ſich ſiegen, und ihren Koͤrper nach der
Weiſe dieſer Sekte verbrennen oder begraben laſſen.


Die Anhaͤnger der Sinto glauben keine Wanderung der Seelen nach dem Tode,
wie andre Heiden. Doch aber enthalten ſie ſich ſorgfaͤltig vom Toͤdten und Genießen der vol-
komnern Thiere, und pflegen beſonders alle diejenigen, welche dem Menſchen in dieſem Le-
ben Dienſte thun, nicht zu ſchlachten, welches ſie fuͤr ein Werk der Unbarmherzigkeit und
grauſamſten Undankbarkeit halten.


Die Sintoiſten glauben ferner, daß die Seelen der Frommen unmittelbar nach
dem Tode in den hoͤchſten der drei und dreißig Himmel oder Wohnplaͤtze der Goͤtter, (wel-
cher Takama no Farra d. i. erhabene und uͤberhimliſche Felder heiße) verſezt werden;
von welchem die Boͤſen zur Strafe und Reinigung eine Zeitlang entfernt bleiben muͤſſen.
Es ſcheint mir, daß ſie unter Takama no Farra nicht ſowohl einen Ort als einen Stand
der Seligkeit
verſtehn. Außer dieſem Elyſium aber giebt es, nach der Sinto, gar keine
Art von Hoͤlle, cimmeriſche Finſternis, und ungluͤklichen Zuſtand der Verſtorbenen. Dieſe
Lehre kent auch gar keinen Teufel, außer daß von einigen der Fuchs dafuͤr angenommen
wird, welcher in dieſem Lande noch mehr Poſſen angerichtet hat, als beim Aeſopus. Man
haͤlt ihn fuͤr ein ſehr gefaͤhrlich Thier, und glaubt, daß er manche Menſchen (gerade wie bei
den Chriſten der Teufel) beſitze. Man glaubt auch, daß die abgeſchiednen Seelen der boͤ-
ſen Menſchen in Fuͤchſe verwandelt werden, welche von den Prieſtern Ma, d. i. boͤſe Gei-
ſter
genant werden.


Die Hauptpuncte des ſintoſchen Gottesdienſtes, durch deren Erfuͤllung ſie ih-
ren Goͤttern zu dienen, und in jene elyſiſche Felder zu kommen, oder vielmehr (als Leute die
wenige Begriffe von der Unſterblichkeit der Seele haben) den zeitlichen Segen der Goͤtter
in dieſem Leben zu erlangen hoffen, — dieſe Hauptpuncte ſind: erſtlich, eine Reinigkeit
des Herzens.
Zweitens eine religioͤſe Enthaltung von allem dem, was den Menſchen ent-
heiligt. Drittens, Feyer der Feſte und Tempeltage. Viertens, Beſuchung der heiligen
Staͤdte Jsje, welchen noch von einigen als ein opus ſupererogationis hinzugefuͤgt wird,
fuͤnftens, das Caſteyen des Leibes.


Der erſte Punkt die Reinigkeit des Herzens erfodert dasjenige zu thun und zu
unterlaſſen, was das Geſez der Natur und die weltliche Obrigkeit (die als irdiſche Gottheit
anzu-
[264]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
anzuſehn iſt) zu thun und zu unterlaſſen vorſchreiben. Außer dieſem Geſez von der aͤußern
Reinigkeit haben weder die Goͤtter noch die geiſtlichen Lehrer ihnen Gebote oder Verbote ge-
geben. Daher ſcheint es, muͤſſe den Sintoiſten alle Art von Wolluſt und Ueppigkeit voͤllig
erlaubt ſeyn, da ſie durch keine Art von goͤttlicher Strafe zuruͤkgehalten werden; und das
Geſez der Natur iſt auch nicht ſo maͤchtig in ihnen, daß es ſie allein in den Wegen der Tu-
gend ohne hoͤhere Kraft und Belohnung ſolte erhalten koͤnnen.*) Die weltliche Obrigkeit
hat daher die Gelindigkeit der Goͤtter durch aͤußerſt harte Strafen erſetzen muͤſſen, mit denen
jezt alle Arten von Verbrechen belegt ſind. Man hat aber bei ihrer Feſtſetzung meiſtens
nur politiſche Grundſaͤtze befolgt. Die innerliche Reinigkeit der Japaner wird alſo nur
nach der Beobachtung dieſer Geſetze der Obrigkeit und der des Lichts der Natur geſchaͤzt.


Die aͤuſſerliche Reinigkeit erfordert eine Strenge Enthaltung von Blut, vom
Fleiſcheſſen und von Leichen. Wer ſich mit einem dieſer Dinge verunreinigt, darf vor der
Ausloͤſchung dieſer Unreinigkeit keine heilige Staͤtte beſuchen, oder vor den Goͤttern erſchei-
nen. Wer ſich mit ſeinem eignen oder fremden Blute beflekt, iſt ſieben Tage lang Fusjo,
d. i.
er darf in ſieben Tagen vor keine Goͤtter treten. Wenn einer an einer Mia bauet,
und ſich dabei bis aufs Blut beſchaͤdigt; ſo iſt er mit Ungluͤk behaftet, und ſo unrein, daß
er an einem ſo heiligen Gebaͤude ferner nicht arbeiten darf. Wenn ſich ein ſolcher Unfal
bei der Erbauung oder Ausbeſſerung eines der Tempel von Tenſio Daiſin in Jsie ereig-
net; ſo wird dadurch das ganze Gebaͤude entweihet und mus nothwendig wieder abgenom-
men werden. Eine Frau, die ihre monathliche Reinigung hat, darf ſich keiner Mia naͤ-
hern. Man erzaͤhlt auch als eine zuverlaͤſſige Sache, daß auf der heiligen Walfarth nach
Jsie den Weibern ihre Zeit allemal ausbliebe. Vermuthlich iſt dies wirklich zuweilen
eine
[265]Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.
eine Folge der ſo langwierigen und muͤhſamen Reiſe geweſen, nach oͤfter aber erdichtet, um
eine ſolche Walfarth nicht umſonſt gemacht zu haben.


Das Fleiſch von vierfuͤßigen Thieren, (nur das von Hirſchen ausgenommen)
kan ohne große Entheiligung nicht genoſſen werden. Wer davon ißt, wird auf dreißig
Tage Fusjo.
Wer zweifuͤßiges oder gefiedertes Wild ißt (auſſer Waſſervoͤgel, wilde
Huͤhner und den Kranich) mus ſich eine japaniſche Stunde, d. i. zwei europaͤiſche,
Fusjo halten. Wer ein Thier toͤdtet, einer Hinrichtung beiwohnt, bey einem Sterben-
den gegenwaͤrtig iſt, oder in ein Haus trit, worin ſich eine Leiche befindet, iſt fuͤr den
Tag, da dies geſchehn, Fusjo oder unrein. Unter allen Dingen aber, die den Men-
ſchen verunreinigen, iſt nichts aͤrgers, als der Tod der Eltern oder naher Verwanten. Die
Unreinigkeit dieſes Ereigniſſes verbreitet ſich durch die ganze Familie, und iſt nach den
Graden der Verwandſchaft ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, nach welchen die Zeit und Dauer der
Unreinigkeit in ihren Buͤchern ſehr weitlaͤuſtig und genau berechnet iſt.


Dies ſind die vornehmſten Arten der aͤußern Unreinigkeit, welche die Goͤtter haſ-
ſen, und welche die Folge (noch außer der Trauer) haben, daß ſie die Menſchen unfaͤhig
machen vor dem Angeſicht der Goͤtter zu erſcheinen. Gewiſſenhafte Menſchen, die nach
dem Ruf einer ſpiegelreinen Heiligkeit ſich beſtreben, bilden ſich ein, daß ſie auch noch auf
andere Art, nemlich durch Theilnehmung an fremder Unreinigkeit, ſelbſt beflekt werden.


Dieſe Theilnehmung geſchieht, wenn ſie die Augen, die unreine Dinge ſehn; den
Mund, der davon ſpricht, und die Ohren, die davon reden hoͤrten, erblicken. Dieſe drei
Wege der Suͤnde und Verunreinigung werden vorgeſtelt durch das Sinbild von drei Affen,
welche zu den Fuͤßen des Dſiſo oder eines andern tugendhaften Goͤtzens ſitzen, und von de-
nen der eine mit ſeinen Vorderfuͤßen den Mund, der andere die Augen, der dritte die Oh-
ren bedekt. Dies Sinbild iſt von den Budſdo entlehnt, in deren Tempeln man es haufig
ſieht. Wir finden es auch oft an den Heerſtraßen.


Jch kante zu Nangaſacki einen Man, der ſich einer ſo großen aͤußern Heiligkeit
beflis, daß er ſein Haus allemal ſaͤubern und mit Salz und Waſſer von oben bis unten
beſprengen lies, ſo bald er einen Beſuch von jemand erhielt, den er auch nur im Verdacht
hatte, daß er Fusjo ſeyn moͤchte. Kluge Japaner aber hielten ihn fuͤr einen Heuchler,
und eben wegen der ſo uͤbertriebnen Reinigkeit fuͤr keinen rechtſchaffenen Menſchen.



L lDrittes
[266]

Drittes Kapitel.
Von den Rebi der Sinto, d. i. ihren gluͤklichen und
heiligen Tagen und der Feyer derſelben.



Der dritte weſentliche Theil der Sintoreligion iſt die Feier ihrer heiligen Tage, welche
genant wird Majiru, und beſteht in der Beſuchung der Tempel oder Mia’s der
Goͤtter und verſtorbnen großen Maͤnner. Dieſe kan zu jeder Zeit, mus aber allemal an
denen ordentlichen, ſo genanten Gluͤks-oder heiligen Tagen geſchehn, wenn es nicht anders
eine der beſchriebnen Unreinigkeiten, die den Goͤttern ein Greuel ſind, verhindert. Sehr
ſcrupuleuſe Perſonen rechnen auch zu dieſen den Goͤttern misfaͤlligen Beſchaffenheiten alle
ungluͤkliche Vorfaͤlle, oder ſolche, die nur einigermaßen das Gemuͤth der Menſchen betruͤbt
machen. Sie glauben nehmlich, daß die Goͤtter in dem unterbrochnen Zuſtande der Freude
und Gluͤkſeligkeit, worin ſie ſich befinden, wuͤrden geſtoͤrt werden, wenn ihnen ihre Anbaͤ-
ter ſolche Herzen zeigen, die durch Flecken des Kummers und der Traurigkeit verunreini-
get ſind.


Die gewoͤhnlichſte Verehrung der Goͤtter geſchieht nun auf folgende Weiſe. Der
fromme Anbaͤter mus zufoͤrderſt ſeinen Leib recht waſchen und reinigen, alsdenn ein ſauberes
Kleid (nach jedes Vermoͤgen) anthun, und es noch mit einem Kami Sjimo (d. i. Cere-
moniel-oder Gallarok) uͤberziehn. Alsdann geht er mit feierlicher, ernſter Mine nach
dem Tempelhofe, und zuerſt zu dem daſelbſt ſtehenden ſteinernen Waſſerfaſſe, aus dem er
mit dem beiliegenden Gefaͤs Waſſer ſchoͤpfet, und nach Belieben ſeine Haͤnde noch einmal
waͤſcht. Nun erſt trit er mit ehrerbietigen Geberden und ganz niedergeſchlagnen Augen auf
den| erhabnen Eſtrich oder die Gallerie vor dem Tempel, wendet ſich gegen den großen
Spiegel deſſelben, kniet nieder, und beugt mit vieler Demut ſein Haupt langſam zur Erde
nieder.
[267]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Drit. Kap. ꝛc.
nieder. Dann verrichtet er noch knieend ein kurzes Gebet aus eigner Fantaſie und nach
ſeinem beſondern Anliegen, oder ſpricht auch ein Takamano faro Kami Todo Mari, wirft
einige Putjes zum Opfer oder Almoſen durchs Gitter oder in die nebenſtehende Kiſte, und
macht mit drei Schlaͤgen ein Gelaͤut auf der vorhangenden Glocke, um dadurch den Goͤtzen
aufzumuntern, weil die Goͤtter große Liebhaber von dergleichen Schal ſind. Nach dieſen
Verrichtungen geht der Anbeter zu Hauſe, und bringt die uͤbrige Zeit des Tages mit Spazie-
ren, Gaſtmalen uud und allerlei Beluſtigungen hin. Dieſe einfaͤltige und ſimple Art der
Verehrung (welche auch nach Bewandnis der Umſtaͤnde zu andern Zeiten ohne feierliche
Kleider geſchehn kan) beweiſet nur ein jeder einem oder mehrern Goͤttern, nachdem er Nei-
gung hat, auf dieſen oder jenen Gott ein beſonders Vertrauen ſezt, oder auch nach dem ſein
Stand und Profeſſion gewiſſe Goͤtter zu Patronen hat, oder man von ihnen beſondern Bei-
ſtand und Huͤlfe ſich verſprechen kann. Aeußerliche Ceremonien und Gebraͤuche, Roſen-
kraͤnze u. d. gl. ſind hier gar nicht gebraͤuchlich; — auch nicht gewiſſe Gebetformeln. Es
iſt jedem erlaubt ſein Anliegen in eignen Worten nach ſeiner Phantaſie vorzutragen; und
viele halten auch dies einmuͤthig, weil die Goͤtter ihre Herzen offen, und alle Wuͤnſche und
Anliegen in denſelben ſo deutlich und offenbar ſchauen koͤnnen, wie ſie ihre eigne Geſtalt in
den Spiegeln des Tempels ſchauen. Eben ſo iſt auch ſowol zur Feyer der ordentlichen Feſte
als der Gedaͤchtnistage der verſtorbnen Verwandten gar nicht noͤthig, daß ſie ein Faſten
oder andere Zubereitung beobachten. Es iſt ihnen vielmehr erlaubt, ſogar an dem Sterb-
tage ihrer Eltern eben die Speiſen und Getraͤnke zu ſich zu nehmen, deren ſie ſich ſonſt er-
laubter Weiſe bedienen.


Die Feyertage der Sinto ſind eigentlich keine geiſtliche Feſte, ſondern vielmehr
nur buͤrgerliche Compliments-oder Galatage. Sie heißen daher auch Reibi d. i. Viſiten-
tage,
und man pflegt an denſelben nicht nur die Mia oder Tempel des Tenſ jo Daiſin
und andrer Goͤtter und Verſtorbenen, ſondern auch beſonders ſeine Obern und Freunde zu
beſuchen und ihnen mit einem Gluͤkwunſch und Complimente ſeine Achtung zu bezeugen.


An dieſen Tagen werden auch allemal die Gaſtmale, die Hochzeiten, die Audien-
zen, und uͤberhaupt alle oͤffentliche und Privatzuſammenkuͤnfte angeſtelt, die nur irgend Luſt
und Freude zum Zwek haben, weil man glaubt, daß dieſes den Goͤttern beſonders wohlge-
faͤllig ſey. Alle dieſe Reibi ſind unbeweglich auf gewiſſe Tage feſtgeſezt, ſowol die monat-
lichen
als die jaͤhrlichen.


Der monatlichen ſind drei. Der erſte heiſt Tſitatz und iſt allemal der erſte Tag
jedes Monats. Er kan mit weit mehr Recht blos ein buͤrgerlicher Complimententag, als
ein geiſtlicher Feſttag, genant werden. Man geht an dieſem Tage von fruͤhem Morgen
L l 2an
[268]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
an immer herum, um ſeinen Bekanten und Freunden, und beſonders den Obern ein Compli-
ment zu machen, das man Medito nent, d. i. ein Gluͤkwunſch wegen des verfloſſenen Mo-
nats. Die uͤbrige Zeit dieſes Tags bringt man in Tempeln oder an andern angenehmen
Orten zu, beſonders an ſolchen, die mit ſchoͤnen Spaziergaͤngen verſehn ſind. Einige pfle-
gen ſich hier dann auch mit einem beſondern, dieſem Lande eignen Getraͤnk, Socano, oder
bey dem Frauenzimmer zu vergnuͤgen. Dieſe Feyer wird auch als ein vaͤterlicher politiſcher
Landesgebrauch nicht nur von den Anhaͤngern dieſer Sekte Sinto, ſondern auch von jedem
ehrlichen Biedermann, was fuͤr einer Religion er auch zugethan ſeyn mag, beobachtet.


Der zweite monatliche Feyertag iſt der funfzehnte, oder der Tag des Vol-
monds. An dieſem Tage werden die Goͤtter mehr als die Obern und Freunde beſucht.


Der dritte monatliche Feyertag iſt der acht und zwanzigſte oder der Tag des
finſtern Mondes. Dieſer ſteht in weit geringerer Achtung als die vorigen, daher werden
auch an demſelben die Tempel von den Sinto’s nicht ſo haͤufig beſucht. Die Budsdo
pflegen ihn mehr zu ehren, als die Sinto, weil es bei ihnen ein ordentlicher Feſttag iſt,
den ſie dem Amida zu Ehren feyern.


Der jaͤhrlichen Rebi ſind fuͤnf. Man nent ſie Sekf d. i. Feſte und nach ihrer
Zahl Go Sekf d. i. fuͤnf Feſte. Sie ſind nach der Ungleichheit der Monate und Tage
(die man deswegen fuͤr die ungluͤklichſten haͤlt) vertheilt, und man hat auch von derſelben
ihre Namen entlehnt. Dieſe ſind folgende:


  • 1) Soguats oder das Neujahrfeſt, oder der erſte Tag des erſten
    Monats.
  • 2) Sanguats Sannitz, oder der dritte Tag des dritten Monats.
  • 3) Goguatz Gonitz oder der fuͤnfte Tag des fuͤnften Monats.
  • 4) Sitſiguatz Fanuka, oder der ſiebente Tag des ſiebenten Monats.
  • 5) Kuguatz Kunitz, oder der neunte Tag des neunten Monats.

Dieſe Feſte ſind wiederum eigentlich blos politiſch und zur algemeinen Freude be-
ſtimt. Eben weil man dieſe Tage wegen ihrer Ungleichheit fuͤr beſonders ungluͤklich und
den Menſchen hoͤchſtſchaͤdlich hielt, hat die Weisheit der Vorfahren dieſe freudigen Feſte
gerade auf ſie verlegt, um dadurch die Cami oder Goͤtter zu beluſtigen und ungluͤkliche
Schikſale abzuwenden. Sie ſind alſo nicht eigentlich zum Dienſt der Goͤtter, ſondern zur
beſondern Froͤhlichkeit beſtimt, und werden daher auch von den Anhaͤngern aller Secten,
nicht blos von den Sinto gefeyert.


Um
[269]Drit. Kap. Von den Rebi der Sinto ꝛc.

Um dieſe Feſte aber nun noch genauer zu betrachten, muͤſſen wir mit dem So-
guatz
oder Neujahrstage anfangen, der durch ganz Japan mit der groͤſten Feyerlichkeit
und mehr als alle andre Feſttage gefeyert wird. Das Hauptgeſchaͤft an demſelben beſteht
darin, daß ſich alle Menſchen durch einander beſuchen, und wegen gluͤklichen Antrits des
neuen Jahrs gratuliren; ferner daß ſie eſſen, trinken und die Tempel beſuchen, welches
einige aus Religion, die meiſten aber blos des Vergnuͤgens wegen thun. Am fruͤhen Mor-
gen macht ſich jeder, wer nur irgend kan, auf, begiebt ſich, aufs beſte geſchmuͤkt, in die Haͤu-
ſer ſeiner Obern und Freunde, und ſagt ſein Medito oder Gluͤkwunſch mit tiefer Vernei-
gung des Koͤrpers. Dabey praͤſentirt er jedem eine Schachtel mit zwei oder drei Faͤchern
(Wehern,) und auf welche ein plat Stuͤk von getroknetem Fleiſch der Muſchel Awabi,*)
als ein Zeichen des Wohlſtands und Gluͤks, geklebt iſt. Man pflegt dieſes auch mit ſeinem
Namen zu beſchreiben, um in Abweſenheit des Freundes den Abgeber bekant zu machen.
Jn vornehmen Haͤuſern pflegt auch allemal im Vorſal ein Schreiber die Geſchenke und Com-
plimente anzunehmen und zum Bericht an ſeine Herſchaft aufzuzeichnen.


Wenn der Morgen auf dieſe Art zugebracht und hie und da mit einem ausgebrach-
ten Gluͤkwunſch der Grund zu den folgenden Freuden gelegt iſt, ſo wird nun der uͤbrige Theil
des Tags mit einem herlichen Schmauſe bey den Vornehmſten der Familie zugebracht. Und
dann waͤhrt das Schwaͤrmen und Complimentiren noch die drei naͤchſten Tage ununterbro-
chen fort; das Traktiren aber einen ganzen Monat. Jn den erſten Tagen mus alles in
Freude und Ueberflus ſchwimmen, und jeder aufs praͤchtigſte und beſte gekleidet ſeyn. Auch
der aͤrmſte Tageloͤhner unterlaͤſt nicht ein Kamiſjno mit einem Saͤbel zu miethen, um dieſe
Comoͤdie mitzuſpielen. Nur wenige verrichten auch ihre Andacht in den Tempeln, am mei-
ſten aber in dem des Tenſjo Dai Sin.


Noch ein beſonderer aberglaͤubiſcher Gebrauch wird an dieſem, ſo wie an allen an-
dern Feſten der Japaner beobachtet. Man pflegt nemlich in den Haͤuſern und Tempeln
ſelbſt etwas zum Trinken auszugeben, welches Amaſakki d. i. ſuͤße Sakki genant wird.
Sowol Kuge, als andre freygebige Buͤrger, die ſich in dieſer Abſicht in die Tempel ver-
fuͤgen, pflegen es auszuſchenken. Dies Getraͤnk wird des Tags vorher auf folgende Art
gemacht. Man nimt ein Maas erkalteten gekochten Reis, ein Maas oder etwas mehr (doch
zuviel macht zu ſuͤß) Koſi; gieſt Waſſer druͤber und laͤſt die Nacht oder Tag und Nacht an
einem warmen Orte in Gaͤhrung kommen. Dann iſts fertig, und wird nun getrunken. Auch
L l 3dies
[270]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
dies ſol zum Andenken der vorigen alten Zeit geſchehn, da man es nicht beſſer zu machen
gewuſt. Das Getraͤnk iſt ſehr ſtark und verurſacht ſtarke Diarrheen, wenn man zuviel
davon zu ſich nimt. An den großen Feſttagen pflegt man auch wol nur das Duͤnne abzu-
ſchoͤpfen, und das Dicke nebenbey zu eſſen.*)


Das zweite Feſt Sanguatz Sanitz. An dieſem pflegt ein jeder nach abgelegtem
ordinaͤren Beſuch bei ſeinen Verwandten, Freunden und Obern ſich Vergnuͤgen zu machen,
ſo wie es alsdann die Fruͤhlingszeit erlaubt. Pflaumen-Kirſch-und Aprikoſenbaͤume ſind
alsdann in voller Bluͤthe, und pflegen ſich in einen Regen von den ſchoͤnſten Blumen zu er-
gießen. Dieſe haben die ſchoͤnſten Farben und uͤberziehen alle Baͤume wie fleiſchfarbige kleine
Roſen; jeder Menſch wird dadurch zum Spazierengehn eingeladen. Man pflegt auch be-
ſonders in dieſen Tagen, aus Liebe und zum gluͤklichen Gedeyen der Toͤchter, ein Gaſtmal
und Luſtbarkeiten fuͤr die Familie anzuſtellen. Man ſchmuͤkt eine Kammer aus mit Pup-
pen, die mehr als 1000**) Thaler an Werth haben, und den Staat des Dairi (d. i. des
geiſtlichen Erbkaiſers oder Pabſtes) mit Fina Kuge-Perſonen abbilden, jeder Perſon
wird auch eine kleine Tafel mit japaniſcher Koſt vorgeſezt, worunter ſich beſonders Reisku-
chen mit jungen Artemiſia gebacken befinden. Futſu Motzi oder Artemiſiakuchen iſt
der Name derſelben. Die Blaͤtter werden erſtlich eine Nacht geweicht und ausgedruͤkt,
hernach geſtoßen und mit warmen, halbgekochten dicken Reis vermiſcht und wieder zerſtoßen,
hernach noch einmal mit gekochtem und grob zerriebenem Reis durch einander geknetet. Mit
dieſen Kuchen pflegen die Toͤchter, oder wenn dieſe noch unmuͤndig, ihre Eltern die ankom-
menden Fremden nebſt einer Schale Sacki zu bewirthen. Folgende Geſchichte ſol zu
dieſer Gewonheit Anlas gegeben haben: Ein reicher Mann an dem Flus Rju Sa Gawa
(d. i. Vogelrevier) hatte eine Tochter Bunsjo, welche mit ihrem Ehemann (der Sym-
mios Dai Mioſin
hies) keine Kinder bekommen konte. Sie rief deshalb die Cami an,
wurde ſchwanger und gebar fuͤnfhundert Eyer. Das arme Weib erſchrak hieruͤber ſehr,
und aus Furcht, daß aus den Eyern boͤſe Thiere hervorkommen moͤchten, legte ſie dieſelben
in einen Kaſten, den ſie mit den Worten: Fosjaroo uͤberſchrieb und hernach in den Flus
Rju Sa Gawa warf. Ein alter Fiſcher fand den Kaſten in einer entferntern Gegend
des Strohms, oͤfnete ihn und trug die Eyer zu Hauſe. Sein Weib aber urtheilete, es
muͤſte nichts vorzuͤgliches in dieſen Eyern ſeyn, weil man ſie gewis nicht ohne Urſache wuͤrde
weggeworfen haben, und rieth alſo ihrem Mann, daß er ſie wieder eben dahin bringen
moͤgte, wo er ſie hergenommen hatte. Er aber antwortete: Wir ſind beide alt und
muͤſſen
[271]Drit. Kap. Von den Rebi der Sinto ꝛc.
muͤſſen bald ſterben. Was liegt dran, was heraus koͤmt, las uns doch ſehn.
Sie bruͤteten alſo die Eyer nach indianiſcher Manier in einem Ofen zwiſchen Kuͤſſen und
heißem Sande aus; brachen ſie alsdann auf und fanden Kinder drin. Dieſe fuͤnfhundert
fielen aber den armen Leuten ſchwer zu ernaͤhren. Sie nahmen daher folia Artemiſiae
mit Reis vermiſcht und klein zerſtoßen, und zogen mit dieſer Koſt die Kinder auf. Die-
ſer Unterhalt reichte aber doch nicht zu, und ſie muſten ſich deswegen aufs Rauben legen.
Jhre Pflegeeltern ſchikten ſie in dieſer Abſicht den Flus hinauf, um einen Mann, der wegen
ſeines großen Reichthums ſehr beruͤhmt war, zu berauben. Ohne ihr wiſſen war dies ge-
rade das Haus der Mutter dieſer Kinder. Ein Bedienter fraͤgt ſie an der Thuͤre: wie ſie
heißen?
worauf ſie antworten: ſie haͤtten keinen Namen, waͤren aus fuͤnfhundert Eyern
hervorgekommen, und muͤſten jezt aus Armuth herumwandern; — man ſolte ihnen Lebens-
mittel geben, ſo wolten ſie weiter gehn. Die Frau des Hauſes laͤſt ſich nun erkundigen,
was das Kaͤſtgen fuͤr eine Aufſchrift gehabt habe? und erfaͤhrt: Fosjoroo. Hieran er-
kante ſie nun, daß es ihre eigne lieben Kinder waren, die ſie dann auch als ſolche mit vieler
Freude aufnahm, und ihnen ein großes Gaſtmal aufrichtete, bey welchem ſie jedem Kinde
Sokana mit einem Pfirſichblatte zutrank. Daher ruͤhrt es, warum allemal am dritten
Tage des dritten Monats das Pfirſichfeſt gehalten wird. Der Pfirſichzweig wird an dem-
ſelben uͤber den Keſſel gelegt, und darin die Futſu Motzi d. i. Kuchen von Artemiſia
und Reis
gebacken auf die Art, wie ich ſchon vorhin erwaͤhnt habe. Die Mutter der
fuͤnfhundert Kinder hat hernach den Namen Benſeiten erhalten, unter welchem ſie unter die
Goͤtter aufgenommen iſt. Die fuͤnfhundert Kinder warten ihr auch noch im Himmel auf,
und ſie wird als eine Goͤttin des Reichs angebetet.


Der dritte jaͤhrliche Feſttag iſt Goguatz Gonitz oder der fuͤnfte Tag des fuͤnf-
ten Monats,
der auch Tango no Seku heiſt. Es iſt ein Feſt von eben der Art wie
das vorige, an dem man ſich unter einander, meiſtens aber uͤber das Gluͤk der Knaben,
vergnuͤgt, welche dann auch hier, wie allenthalben, die Gelegenheit zu allerlei Beluſtigun-
gen und Spielen nicht verabſaͤumen. Jn Nagaſacki beluſtigt man ſich beſonders an
dieſem Feſte und den folgenden Tagen mit Luſtfahrten in der Bay und im Hafen nach ſine-
ſiſchem Gebrauch, wobey man ſich einander ein freudiges Peirung zuruft. Der Rand
der Daͤcher und die Thuͤren werden mit Seotu d. i.Calamo aromatico und Futs d. i.
Artemiſia behangen. Die an dieſem Tage geſamlete Artemiſia giebt (wie man glaubt)
nach drei bis vier Jahren die beſte und kraͤftigſte Mokarn. Die Kuchen werden an die-
ſem Feſte von weichem und ſehr zaͤhem Reis gebacken; in Waſen Gras oder Schilfrohr
gekocht, und Tſumaki genant.


Das
[272]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Das Zurufen des Worts Peirung gruͤndet ſich auf folgende Geſchichte. Jn der
Gegend Takaſaga oder Teywan befand ſich ein inſulariſches Reich Maurigaſima, deſſen
Koͤnig Peiruun im Traum Befehl erhielt, auf das vor dem Tempel ſtehende Goͤtzenbild
recht wohl acht zu geben, und, ſo bald er bemerkte, daß deſſelben Geſicht roth gefaͤrbt
wuͤrde, ſich in moͤglichſter Eil, weil es alsdenn hohe Zeit ſeyn wuͤrde, zu retten. Da
fand ſich nun ein liſtiger Kopf, der nicht glauben konte, daß dieſes Bild, das von Holz
mit Haͤnden gemacht war, durch ſich ſelbſt ſolte ſeine Farbe verlieren koͤnnen. Er kam alſo
dem Wunder zu Huͤlfe und beſchmierte, um das Volk zu ſchrecken, das Geſicht des
Goͤtzen mit rother Farbe. Der glaͤubige Koͤnig erſchrak nun ſehr, und flohe mit allen ſeinen
Unterthanen in Kaͤhnen und mit aͤngſtlichem Geſchrei davon. Hierauf aber zeigte ſich die
Strafe der Goͤtter. Denn der Thaͤter mit ſeinen Angehoͤrigen und einigen andern zuruͤkge-
bliebnen Unglaͤubigen verſanken nebſt dem ganzen Reich. Die Leute von Foktſ ju haben
nun dieſes Feſt Peirun in Nangaſacki zu feiern angefangen. Anfangs iſt es nur unter
den Knaben, nachher aber auch unter Erwachſenen gefeiert worden. Andere erzaͤhlen,
dieſe Geſchichte von den Loͤwen, welche zur Zierde vor dem Goͤtzen ſtanden, und von denen
man (nicht durch Offenbarung an den Koͤnig, ſondern weil er in ihren Kigaki*) ſtand)
geglaubt haͤtte, daß der Jnſel Untergang bevorſtuͤnde ſo bald der Loͤwen Augen gelb wuͤrde.
Und da habe dann der Karo oder Regent des koͤniglichen Hofes die Falſchheit dieſer Weiſ-
ſagung an den Tag bringen wollen, und die Augen der Loͤwen gefaͤrbt, welches aber die
Flucht des Koͤnigs und den Untergang des Reichs bewirkt habe.**)


Bei niedrigem Waſſer ſol in der Gegend dieſer Jnſel noch hie und da Land hervor-
ſtehn, und ehmahls ſollen an dieſem Orte viele Schiffe untergegangen ſeyn. Dieſe Jnſel
hatte die beſte Porzellainerde, die in der Welt jemahls geweſen und gebrant iſt, und bei
niedrigem Waſſer pflegt man noch Taͤucher hinabzulaſſen, welche Porzellaingefaͤße, die an
die Klippen angewachſen ſind, abbrechen und heraufziehen. Dieſe Gefaͤße ſind etwas
gruͤn, aͤußerſt fein und die allerſeltenſten, die man nur irgend haben kan. Zum Beweis der
Aecht-
[273]Drit. Kap. Von den Rebi der Sinto ꝛc.
Aechtheit pflegt man immer noch einige Schulpen daran ſitzen zu laſſen. Dieſe Gefaͤße ſind
von vielerlei Art und FaÇon, meiſtens aber haben ſie einen engen Hals und Mundloch.
Sie werden blos gebraucht, um darin den Thee zu verwahren. Wenn er ein, zwei oder
drei Jahre in dieſen Gefaͤßen aufbehalten iſt, ſo gewinnet er immer mehr an Kraft und inne-
rer Tugend. Auch der, welcher ſeine Kraft verlohren hat, bekomt ſie hierin wieder. Der
Thee, welchen der Kaiſer trinkt, wird immer nur in dieſen Gefaͤßen auf bewahrt.


Die Einwohner von Foktſ ju (einer ſineſiſchen Provinz unweit der ehemaligen
Jnſel Maurigaſima) bringen jaͤhrlich einige dieſer aufgetauchten Gefaͤße nach Japan, die
ſchlechteſten derſelben werden mit zwanzig, die beſſern mit ein oder zweihundert, und die
beſten und herlichſten mit drei bis fuͤnftauſend Tael bezahlt. Die leztren kauft nur der
Kaiſer. Sie heißen Maatſubo, von Ma, aͤcht und Tſubo, welches uͤberhaupt ein
ſteinernes Gefaͤß oder Topf bedeutet. Man pflegt allemal dadurch, daß man ſie einige
Tage in heißem Waſſer kocht, zu probiren, ob ſie einen Bruch oder gefliktes Loch haben.
Selten ſind ſie davon frei, und die Verkaͤufer wiſſen dieſe Fehler ſo kuͤnſtlich zu verbergen,
daß man es auch mit dem allerſchaͤrfſten Auge nicht entdecken kan. Fuͤr das Flicken dieſer
Toͤpfe giebt man zwanzig Tael, auch wol etwas mehr oder weniger.


Das vierte jaͤhrliche Feſt heiſt Sitſiguatz Nanuka, oder gewoͤhnlicher Ta-
nabatta
oder auch Sif Seki, weil der Charakter dieſes Feſtes auf verſchiedne Art
kan geleſen werden. So heiſt es auch Tamonu wo Seku, d. i. Huͤlfsfeſt. Außer
den gewoͤhnlichen Feſtluſtbarkeiten machen auch die Schulknaben ſich einen Zeitvertreib an
dieſem Feſte, daß ſie hohe Bambusrohre aufrichten und pflanzen, und dieſelben mit Ver-
ſen und andern Proben ihrer in Schulen gemachten Fortſchritte behangen oder bekleben.
Außerdem iſt dieſes Feſt auch der Gedaͤchtnistag einer himliſchen Eheſtandsgeſchichte. Zwei
Eheleute nemlich (der Mann heiſt Jnkai, die Frau Tanabatta,) ſind durch einen himli-
ſchen Strom Amano Gava d. i. die Milchſtraße von einander getrennet. Nur in der
Nacht des ſiebten Tags des ſiebten Monats kommen ſie zum Beiſchlaf zuſammen. Jm
Fal dieſe Zuſammenkunft geſchieht, ſo folgt allemal ein theures Jahr; wird ſie aber ver-
hindert, ſo iſt es ein Zeichen eines fruchtbaren Jahres. Wenn es nur ein wenig regnet,
ſo koͤnnen die verliebten Eheleute ſich nicht vereinigen, daher die Japaner bis an den fruͤhen
Morgen des andern Tages zu wachen und den Regentropfen mit Verlangen entgegen zu
ſehn pflegen.*)


Das fuͤnfte und lezte der großen jaͤhrlichen Feſte iſt Kunitz oder Kuguatz Koko-
noka,
d. i. der neunte Tag des neunten Monats. Außer den Gaſtmalen und Belu-
ſtigun-
M m
[274]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
ſtigungen, die uͤberhaupt (wie ich ſchon erinnert habe) das Weſentliche der Sinto’sfeſte
ausmachen, fodert dies Feſt noch einen außerordentlichen cordialen Trunk. Alles mus im
Ueberflus vorhanden und alle eß-und trinkbare Dinge Allen gemein ſeyn. Die Nachbarn
beſonders traktiren ſich in dieſen Tagen der Reihe nach herum. Auch darf nicht einmal ein
Fremder oder ganz Unbekanter unbewirthet voruͤbergehn. Kurz, dieſes Feſt hat die groͤſte
Aehnlichkeit mit den Bacchanalien der Roͤmer.


Jn Nagaſacki faͤlt auch noch gluͤklicher Weiſe auf eben dieſen Tag der Gedaͤcht-
nistag ihres heiligen Jaͤgers und Gottes Suwa ein, den man mit mancherley Freudensbe-
zeugungen, als mit Tanzen, Drommeten, Proceſſionen u. ſ. w. zu begehn pflegt. Alles
dieſes pflegen ſie Matſuri d. i. Opfer oder Matſura d. i. opfern zu nennen; und das
Volk wird durch dieſe Feierlichkeiten oft ſo lange an den oͤffentlichen Orten aufgehalten, daß
es ſogar ſein Schmauſen vergiſt und ſtat Praſſens an dieſem Tage hungert.


Zu dieſen fuͤnf Hauptfeſten koͤmt nun noch ein ſechſtes (das man auch oft fuͤr das
fuͤnfte zaͤhlt, wenn man nemlich das erſte weglaͤſt, vergiſt und nicht anfuͤhrt) welches heiſt
Fas Saku d. i. der erſte Tag des achten Monats. Denn Fas heiſt acht, Saku
aber, nach einer gewiſſen Ausſprache des Charakters, der erſte Tag. Es wird daher auch
Czitatz oder Saku Sitz genant, auch Tanno mono ſeku d. i. Huͤlfsfeſt. Denn Tan-
nomo
heiſt Huͤlfe und Gegenhuͤlfe unter einander; Seku, Feſt. Dies iſt ein Gratula-
tions-und Freundſchaftsfeſt, an dem man beſonders die Obrigkeit und andre gute Freunde
zu begluͤkwuͤnſchen pflegt.*)


Außer dieſen Hauptfeſten giebt es nun noch eine Menge andrer, die aber nur par-
tikulaͤr ſind, und daher weniger geachtet werden. Dies ſind die Feſte der beſondern Goͤtter,
welche nur an den Orten, die ihrem beſondern Schutze untergeben ſind, mit einer vorzuͤgli-
chen Feierlichkeit pflegen begangen zu werden. Jch wil hier nur von den merkwuͤrdigſten
derſelben einige Nachricht geben. Einige derſelben ſind nicht eben von den aͤlteſten Zeiten
her uͤblich, ſondern vom juͤngern Dato, auch nicht gerade den hoͤchſten und vornehmſten
Goͤttern gewidmet. Sie ſind vielmehr gemeiniglich fuͤr diejenigen geſtiftet, welche durch
vorzuͤgliche Eigenſchaften und Verdienſte, auch durch Wunder, Erſcheinungen und beſondre
Huͤlfe ihre vorzuͤgliche Kraft und ihren Antheil an der Regierung der Welt bewieſen haben.
Denn die himliſche Regierungsform iſt ihrer Meinung nach, ſo wie ihre irdiſche, meiſtens
ariſtokratiſch.


Die
[275]Drit. Kap. Von den Rebi der Sinto ꝛc.

Die wichtigſten dieſer Feſte ſind nun folgende:


  • 1) Das Feſt des Tenſjo Dai Sin, des oberſten japaniſchen Gottes und Pa-
    trons vom ganzen Reiche, welches durchs ganze Land mit einem algemeinen Feſttage, (der
    auf den 16ten Tag des neunten Monats faͤlt) begangen wird. Man pflegt an demſelben
    in allen Staͤdten ein oͤffentliches Schauſpiel mit pomphaften Proceſſionen (welches Matſuri
    heiſt) in Gegenwart des Goͤtzenbildes und ſeiner Prieſter anzuſtellen. Außer dieſem ordent-
    lichen Matſuri pflegt man noch jaͤhrlich in allen Staͤdten und Flecken ein aͤhnliches demje-
    nigen Gott zu feiern, deſſen beſonderm Schuz und Obhut jeder Ort uͤbergeben iſt.
  • Dem Tenſjo Dai Sin wird außer dieſem großen jaͤhrlichen Feſte noch allemal
    der 16te, 21ſte, und 26ſte jedes Monats geheiliget, jedoch mit wenigern Feierlichkeiten.
  • 2) Dem Suwa iſt der neunte Tag jedes Monats gewidmet. Der gemeine
    Mann pflegt noch den 19ten und 29ſten, wegen der darin enthaltenen Zahl 9, beizufuͤgen.
    Alle ſeine Verehrer*) pflegen ihm an dieſen Tagen in den Tempeln ihre beſondre Ehrerbie-
    tung zu bezeugen.
  • Am neunten Tage des ſechſten Monats wird ihm zu Ehren ein jaͤhrliches Feſt mit
    mehr Feierlichkeit und Pracht als die monatlichen Tage gefeiert. Die Cannuſj des Tem-
    pels laſſen an dieſem Tage alle Anbeter ihres Gottes durch ein Bambusrohr kriechen, das
    wie ein Tonnenband geflochten und mit weißer Leinwand umwunden iſt. Dies geſchieht
    zur Erinnerung einer gewiſſen Begebenheit des Heiligen in ſeinem Leben.
  • Zu Nagaſacki wird ihm das groͤßeſte und ſolenneſte Feſt am 9ten Tage des 9ten
    Monats gefeiert. Die Einwohner dieſer Stadt ſind die gebohrnen Clienten des Suwa
    und ſie bringen daher ihm zu Ehren drei Tage mit Freuden, Proceſſionen und oͤffentlichen
    Taͤnzen d. i. Matſuri, zu.
  • 3) Der Tenſin hat zwei jaͤhrliche Feſte, eines am 25ſten des 2ten Monats, ſein
    Sterbefeſt, und eines am 25ſten des 8ten Monats, ſein Geburtsfeſt. Das leztere iſt das
    groͤſte Feſt und wird an allen Orten mit heiligen Walfarten gefeiert. Tenſin iſt ohne Zu-
    thun leiblicher Eltern geboren, und hat nicht lange gelebt.
  • Sein vornehmſter Tempel iſt in Tſikuſen, wo er geſtorben iſt, und wo ein ihm zu Ehren
    gepflanzter Baum vertrocknet iſt, der daher genant wird: Oimats Dai Mioſin d. i. hinter-
    folgender Baum.
    Der Pflaumbaum, ſo noch daſelbſt ſteht und wegen Alters hohl iſt, heiſt To-
    bime
    oder Tobiume d. i. ſpringender Pflaumbaum.**) Er hat auch noch einen Haupttem-
    M m 2pel
    [276]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
    pel zu Saif, dem Orte ſeiner Verbannung, und in Miaco, wo er ſich mit vielen Wundern geof-
    fenbaret hat. Jeden Monat am 25ſten feiern ihm noch ſeine Anhaͤnger ein beſondres Feſt.
  • 4) Dem Fatzman, Bruder des Tenſjo Dai Sin, wird jaͤhrlich am 25ſten
    des 8ten Monats ein Feſt gefeiert. Sein Haupttempel iſt Uſa Fatzman in Busjen oder
    Bungo. Sein Monatsfeſt faͤlt auf den 15ten jedes Monats.
  • 5) Das Feſt des Moriſaki Dai Gongen faͤlt auf den 18ten Tag des 3ten
    Monats.
  • 6) Simios Dai Mioſin.
  • 7) Sitenno.
  • 8) Gotſitemo oder Giwon. Deſſen Feſt wird in Nangaſacki am 15ten des
    ſechſten Monats gefeiert. Sein monatliches Feſt trift mit dem des Fatzman zuſammen,
    wird aber wenig geachtet.
  • 9) Jnari Dai Mioſin iſt der große heilige Abgott der Fuͤchſe, wie auch der
    Reistraͤger. Sein Feſt faͤlt auf den achten Tag des eilften Monats, und ſein beſonderes
    Feſt allemal auf den achten jedes Monats.
  • 10) Jdſumo no O Jeſjro, oder O Jeſjro aus der Provinz Jdſumo.
    Er iſt von dem Orden Dſi Dſju Godai, und wird mit großer Verehrung angebetet.
    Eine der groͤſten ſeiner vielen großen Thaten iſt, daß er einen gefaͤhrlichen, ſchreklichen
    Drachen toͤdtete. Er ſol in Takamano farro ſein Schwerd verloren haben. Jm Leben
    hies er auch Osjuwo ni no Mikatto.
  • 11) Kaſſiga Dai Mioſin. Sie war Kaiſerin von Japan, und hies im Leben
    auch Singukega.
  • 12) Benſaiten. Dieſes Feſt faͤlt auf den ſiebten Tag des achten Monats. Die
    Geſchichte dieſer Goͤttin hab ich ſchon oben erzaͤhlt.
  • 13) Kumano Gongen.
  • 14) Naniwa Takakuno Mia Kokfirano Dai Mioſin; war der ſiebzehnte
    japaniſche Kaiſer, und hies in ſeinem Leben Nintocku.
  • 15) Askano Dai Mioſin; war der 27ſte Kaiſer von Japan, und hies in ſei-
    nem Leben Kei Tei.
  • 16) Kimbo Senno Gogin, hies in ſeinem Leben Ankan, und war der 28ſte
    Kaiſer von Japan.

Die Kaufleute pflegen noch beſonders die vier folgenden Gottheiten des Reich-
thums und der Gluͤkſeligkeit zu verehren und anzubeten.


1) Je-
[277]Drit. Kap. Von den Rebi der Sinto ꝛc.
  • 1) Jehiſu, ein Bruder des Tenſjo Dai Sin, von dem er aber auf eine un-
    bewohnte Jnſel verbant wurde. Man erzaͤhlt von ihm, daß er zwei oder drei Tage unter
    Waſſer leben konte. Er iſt der Neptun des Landes, und der Schuzgott aller Fiſcher und
    Seeleute. Sie ſtellen ihn auf einem Felſen ſitzend vor, mit einer Angel in der einen Hand,
    und dem beruͤhmten Fiſch Tai oder Steenbraſſem in der andern.
  • 2) Daikoku. Dieſem ſchreibt man die beſondre Macht zu, daß er aus jedem
    Orte, wo er mit ſeinem Hammer dran ſchlaͤgt, Alles, deſſen er bedarf, herausbringen
    koͤnne, z. E. Reis, Kleidung, Geld u. ſ. w. Er wird gemeiniglich vorgeſtelt, daß er auf
    einem Fas Reis ſizt mit dem gluͤklichen Hammer in ſeiner Rechten und einem Sak vor ihm,
    in den er dasjenige einpakt, was er ausgeklopft hat.
  • 3) Toſſitoku heiſt auch bey einigen Kurokuſi. Dieſen verehrt man beſonders
    am Anfang des Jahrs, um durch ſeinen Beiſtand Gluͤk und Heil in allen Unternehmun-
    gen zu erlangen. Er wird gemeiniglich in ein langes Gewand gekleidet, mit langen Er-
    meln, einem langen Bart, einem gewaltig monſtroͤſen Vorderkopf und einer Schwinge in
    ſeiner rechten Hand vorgeſtelt. Man ſehe die Abbildungen dieſer drei Goͤtter auf der achten
    Tafel der Charte von Japan.
  • 4) Fottei, der auch bey einigen Miroku heiſt, wird mit einem erſtaunend dicken
    Bauche vorgeſtelt. Seine Anbeter erwarten von ihm, außer andern guten Dingen, vor-
    zuͤglich Geſundheit, Reichthum, und Kinder.*)

Dies ſind die vorrehmſten und groͤſten Goͤtter der Sinto’s. Außer ihnen giebt
es aber noch eine Menge andrer Heiligen vom zweiten Range, welchen in einem gewiſſen Lande,
einer Stadt oder einem Dorfe wegen ihrer Verdienſte und großen Handlungen beſondre
Feſttage gefeiert werden. Dieſe ſind aber gemeiniglich wenig andern unter ihren Landsleu-
ten bekant. Sie ſind auch nicht vom Mikaddo canoniſirt, und mit einem Okurina be-
legt, welches einen vorzuͤglichen Titel und Wuͤrde bedeutet, den man den Goͤttern und Hei-
ligen zu geben pflegt.


Dieſes ohngefehr iſt es, was ich als ein aufmerkſamer und ſorgfaͤltiger Reiſender
von der uralten, vaͤterlichen Religion der Japaner habe erfahren koͤnnen. Eine genauere
und ausfuͤhrliche Beſchreibung findet man in den beiden japaniſchen Geſchichtbuͤchern: Nip-
pon Odaiki,
(welches eine hiſtoriſche und chronologiſche Erzaͤhlung von den Kinsju d. i.
großen Maͤnnern und derſelben Thaten iſt,) und in Sin Daiki d. i. der Geſchichte
der vornehmſten Goͤtter.


M m 3Viertes

[278]

Viertes Kapitel.
Von der Sanga oder der heiligen Walfarth
nach Jsje.



Die Japaner ſind den Walfarten ſehr zugethan. Sie haben verſchiedne und nach
verſchiednen Orten. Die erſte und vornehmſte geht nach Jsje. Die zweite iſt
ein Beſuch der drei und dreißig vornehmſten Quannontempel des Reichs. Die dritte iſt ein
Beſuch einiger der vornehmſten Sin (Came) oder Fotoye (Buds) Tempel, die ſich
durch Wunder und ihren Anbaͤtern bewieſene Huͤlfe durchs ganze Reich am beruͤhmteſten
gemacht haben. Dieſe ſind beſonders ſolgende: Nicko tira d. i. Sonnenglanztempel in
der Provinz Osju; die Tempel von Fatzman an verſchiednen Orten; die Tempel des
Lehrers und Gottes Jakuſj und ſo noch mehrere Originaltempel eines vorzuͤglichen Heiligen,
oder uͤberhaupt alle, die eines jeden Andacht und Neigung vorzuͤglich auswaͤhlt. Ein aͤchter
und orthodoxer Sintoiſt beſucht nur die Tempel ſeiner Lehre und Saif in Tſikuſen, wo
Tenſin geſtorben iſt.


Die zweite Walfart iſt keiner von beiden Religionen eigen, ſondern wird von den
Anhaͤngern beider Parteien nur als ein recht guter und ſicherer Nebenweg zur ewigen Wal-
fart und Seligkeit angeſehn.


Die dritte Art der Walfart wird gleichfals von Sintoiſten und Budsdoiſten,
von jeder Partei zu ihren Goͤttern, oder von den meiſten (die Synkretiſten ſind) zu beiden
angeſtelt.


Sanga oder Sangu iſt nach dem Buchſtaben ſoviel als Aufgang oder Erhe-
bung zum Tempel.
Man verſteht unter demſelben nur den hoͤchſten Tempel ihres großen
Gottes Tenſjo Dai Sin oder Tenſjo Ko Daiſin, welches nach dem Buchſtaben heiſt:
des
[279]Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje.
des himliſchen erbkaiſerlichen Geſchlechts großer Gott. Sie nennen ihn auch Dai-
ſingu
d. i. der Gedaͤchtnistempel des großen Gottes. Dai nemlich heiſt groß, Sin eben
das, was Kami, nemlich, Geiſtgott — unſterbliche Sele; Gu in dieſer Verbindung ſo
viel als Mia d. i. Ehren- und Gedaͤchtnistempel. Der gemeine Mann nent ihn Jsje
Mia,
von dem Namen der Stadt, in der ſich dieſer Tempel beſindet. Auch die ganze
Provinz fuͤhrt dieſen Namen, und man glaubt, daß ſie durch die Geburt, das Leben und
Sterben des großen Gottes auf eine ganz beſondre Art geheiligt ſey.


Jch kan nach dem Bericht derer, die dieſen Tempel geſehn, von demſelben folgende
Beſchreibung machen. Er liegt in einer Ebne, iſt von Holz niedrig und ſchlecht gebauet,
und mit einem ſehr niedrigen Stroh-oder Heudach bedekt. Man giebt ſich ungemeine
Muͤhe, ihn in ſeinem erſten ſchlechten Originalſtande immer zu erhalten, damit er ein blei-
bendes Denkmahl ſey von der Armuth der erſten Einwohner dieſes Landes, oder wie die Ja-
paner ſagen, der erſten Menſchen. Jn dieſem Tempel ſieht man nichts weiter als in der
Mitte deſſelben einen großen, runden und nach Landes Weiſe von Metall gegoſſenen und ge-
ſchliffenen Spiegel, und hie und da ein wenig zerſchnittenes Papier, das an den Waͤnden
umher haͤngt. Durch den Spiegel wil man die Alwiſſenheit und Klahrheit dieſes Gottes,
durch das Papier die Reinigkeit und Sauberkeit des Orts anzeigen, zugleich denen, die
zum Gebaͤt kommen, anrathen, mit einer gleichen Reinigkeit des Koͤrpers und des Herzens
zu erſcheinen. Dieſer große Tempel iſt mit mehr denn hundert kleinen Capellen der gerin-
gern Goͤtter beſezt, die aber nur der Geſtalt nach Tempeln aͤhnlich und meiſtens ſo klein
ſind, daß niemand hereintreten oder darin ſitzen kan, doch hat jede dieſer Capellen einen
Canuſj zum Waͤchter. Jn der Gegend derſelben wohnen nun auch noch Schaaren der
Nege oder Tempelherrn, oder (wie ſie ſich auch zu nennen pflegen) der Taije d. i. Bot-
ſchafter und Evangeliſten, die zur Beherbergung der Pilgrimme und andrer Reiſenden
weite Haͤuſer und Wohnungen unterhalten. Unweit davon iſt die Stadt oder Flecken, der
von dem heiligen Ort eben den Namen Jsje fuͤhrt, und meiſtens gleichfals aus
Wirthshaͤuſern beſteht, und von Druckern, Papiermachern, Buchbindern, Schreinern und
andern Arbeitsleuten, die der heilige Kram nothwendig macht, bewohnt iſt.


Jeder Orthodore Sinsja iſt verpflichtet, dieſen heilgen Ort jaͤhrlich oder wenigſtens
einmahl in ſeinem Leben zu beſuchen. Ja eigentlich iſt jeder Patriot, wes Glaubens und
Secte er auch ſeyn mag, verbunden, dieſes oͤffentliche Merkmaal ſeiner Verehrung und Dank-
barkeit gegen den Stifter und Nationalgott ſeines Landes an den Tag zu legen. Man kan
auch von dieſer geiſtlichen Walfahrt gewis erwarten, daß man dadurch von ſeinen Suͤnden
gereinigt und abgewaſchen, und eines gluͤklichen Zuſtandes nach dieſem Leben gewis theil-
haſtig werde. Die Einfalt des unwiſſendern Poͤbels erwartet nicht nur dieſe Vortheile, ſon-
dern
[280]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
dern beſonders leiblichen Segen an Geſundheit, Speiſe, Trank, Geld, Kleidung, und
Kindern. Zur Bekraͤftigung des Glaubens wird einem jeden Beſucher von den Taije oder
Canuſj eine Ofarai d. i. eine große Reinigung (Purifikation) gegeben. Dieſe kann
auch jeder, der durch ſeine Bedienung, Krankheit oder Alter abgehalten wird, ſie perſoͤn-
lich zu erwerben, jaͤhrlich durch einen andren an ſich kaufen. Außer den Sinsju beſuchen
auch viele Budsdoiſten, welche den Namen rechtſchaffener Patrioten verlangen, dieſen
Tempel ihres Stifters ein oder mehrmahl im Leben. Auch viele, die nicht hin walfahrten,
erkaufen ſich doch jaͤhrlich die Ablaszettel oder Ofarrai von Jsje. Es wird jaͤhrlich eine
große Menge derſelben in alle Theile des Reichs verſandt. Ofarrai koͤmt her von Farrai,
abfegen, ſaͤubern, reinigen.


Dieſe geiſtliche Walfahrt wird zu allen Zeiten des Jahrs, wegen des bequemen
Wetters aber vorzuͤglich in den drei erſten Monaten des Jahrs Merz, April, May an-
geſtelt. Leute alles Standes unternehmen ſie, reiche und arme, alte und junge, Manns-
und Weibsperſonen, doch kommen die Herren vom hoͤchſten Stande ſelten in eigner Perſon.


Der Kaiſer beſucht dieſen Ort in einer jaͤhrlichen ordentlichen Geſandſchaft, welche
allemal im erſten Monat zugleich mit der Geſandſchaft an den Dairi abgeht. Andre Fuͤr-
ſten und Landesherren halten es eben ſo. Die Reichen reiſen auf eigne Koſten, und wie es
ihnen bequem faͤlt, auch mit einem ihrem Stande angemeſſenen Gefolge. Die meiſten aber,
welches die Armen ſind, gehen zu Fuß und behelfen ſich mit Betteln. Sie tragen eine auf-
gerolte Strohmatte auf dem Roͤcken, die ſie zur Nachtdecke gebrauchen, den Reiſeſtab in der
Hand und im Guͤrtel einen Waſſerſchoͤpfer, in welchen ſie auch die Almoſen mit Entbloͤ-
ßung des Haupts nach europaͤiſcher Betler Manier aufnehmen. Sie ſind mit einem von
geſpaltenen Bimſen geflochtenen weiten und leichten Reiſehut bedekt, welcher ſo wie der
Waſſerſchoͤpfer mit ihrem eignen Namen und denn ihres Geburts-und Aufenthaltsorts be-
ſchrieben iſt. Dies geſchieht aus Vorſicht auf den Fal, wenn ſie umkommen ſolten und
todt gefunden werden, damit man alsdenn wiſſe wer ſie ſind, und wohin ſie gehoͤren. An-
dere, die einiges Vermoͤgen beſitzen, ſind uͤber ihre Kleider noch mit einem kurzen weißen
Rok ohne Ermel angethan, und die beſagten Namen ſind auf die Bruſt und Ruͤcken deſſel-
ben abgedrukt. Von deſſen Pilgrimmen ſieht man taͤglich viele hundert auf den Landſtra-
ßen. Es iſt unglaublich, was fuͤr eine Menge blos aus der kaiſerlichen Reſidenzſtadt Jedo
und dem Lande Osju jaͤhrlich ausgehen. Viele Kinder entlaufen ihren Eltern, um dieſe
Baͤtfahrt mit zu machen. Dies wuͤrde noch oͤfterer geſchehen, wenn man nicht an den mei-
ſten Orten zum Geſez gemacht haͤtte, daß niemand ohne Pas dieſe Reiſe machen ſolte.
Diejenigen, welche von Jsje zuruͤk kommen, haben an den mitgebrachten Ofarrai einen ſehr
guͤltigen Paszettel.


Sobald
[481[281]]Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje.

Sobald ein Baͤtfahrer aufgebrochen iſt, ziehen die Seinigen uͤber die Hausthuͤr ein
Strohſeil, an dem einiges zerſchnittenes weißes Papier herabhaͤngt, als ein Zeichen der
groͤſten Reinigkeit und zur Warnung fuͤr jeden Unreinen, und beſonders fuͤr diejenigen, welche
unter einem großen Jmi oder Jma (als z. E. die durch den Tod ihrer Eltern verunreinigt
ſind) liegen. Dieſe duͤrfen nicht in ein ſolches Haus hineingehen, weil man bemerkt hat,
daß allemal, wenn ein ſolcher Unreiner in des Pilgrims Haus kam, dieſer viel Ungluͤk und
Wiedrigkeit auszuſtehen hatte, und im Schlaf von boͤſen Traͤumen angefochten wurde.
Ein kleines und ſchlechtes Jmi wird nicht ſonderlich geachtet und bringt eben keinen Scha-
den. Dieſe Kenzeichen der Reinigkeit werden auch oͤfters uͤber die Alleen, die zu Mias
fuͤhren, ausgeſpant.


Dieſe Walfahrt macht auch eine mehr als gewoͤhnliche Enthaltſamkeit nothwen-
dig. Der Pilgrim mus ſo wohl auf dem Hin-als Herwege vom Beiſchlaf auch mit ſei-
nem eignen Weibe ſich enthalten. Denn, obgleich weder die Goͤtter, noch die ganze Na-
tion den Beiſchlaf fuͤr unheilig oder unrein halten, ſo wil man doch bemerkt haben, daß die-
jenigen, welche ſich waͤhrend dieſer heiligen Handlung vermiſchen, ſo feſt an einander kleben,
daß ſie nicht anders als durch kraͤftige Ceremonien der Jammabos d. i. Bergpfaffen oder
anderer maͤchtigen Budsdoprieſter von einander gerathen koͤnnen. Man glaubt dies ganz
feſt, und behauptet, daß jaͤhrlich hievon mehrere Exempel vorfielen.


Ein Fusjo oder Unreiner darf dieſe Reiſe gar nicht unternehmen, weil er ſonſt un-
fehlbar die Sinbatz d. i. die Rache der Goͤtter ſich und den Seinigen zuziehen wuͤrde. Ein
Sjukin oder Prieſter von der Buds Religion kan ſchlechterdings niemalen an dieſen heili-
gen Orten erſcheinen, weil er unreine Geſchaͤfte, nemlich mit ſterbenden Leuten und mit Be-
ſtellung der Leichen, zu thun hat.


Wenn nun ein Pilgrim nach Jsje gekommen iſt, (dieſem erwuͤnſchten Ziel ſeiner
Reiſe, wo taͤglich eine große Menge und an einigen Tagen viele Tauſend ankommen) ſo be-
giebt er ſich zu einem oder dem andern Canuſj, ſeinem Bekanten, von dem er ſich jaͤhr-
lich mit Ablas verſorgt. Er legt bey demſelben ſeinen Gruß mit den gewoͤhnlichen buͤr-
gerlichen Ceremonien ab, der Canuſj ſiehet ihn oder laͤſt ihn durch ſeinen Diener nebſt an-
dern, die ſich gleichfals bei ihm gemeldet, dieſen und den folgenden Tag herum fuͤhren, die
verſchiedenen Tempel zeigen, wobey ihnen die Namen und Thaten der Goͤtter, zu deren Ehre
ſie erbauet worden, mit kurzen Worten erzaͤhlet werden. Endlich trit er mit ihnen vor den
Mittel-und Haupttempel des Tenſjo Dai ſin und laͤſt ſie in tiefſter Demuth niederknien
und auf der Stirn liegend, ihr Anliegen um Geſundheit oder andere Guͤter vorbringen.


Nach vollendeter Proceſſion werden die Pilgrimme dieſen und (fals die Andacht ſie
laͤnger verweilt) noch einige folgende Tage von den Canuſj bewirthet, auch, wenn ihnen
N nihr
[282]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
ihr Vermoͤgen nicht erlaubt, die oͤffentlichen Herbergen zu beſuchen, die Nacht bei ihnen be-
herbergt. Doch muͤſſen die Pilgrimme dafuͤr zur Dankbarkeit eine Verehrung machen,
die oft nur in einem Theil des Erbettelten beſteht, aber doch nicht abgeſchlagen wird.


Nach verrichteter Andacht reicht der Canuſj jedem einen Ablas oder Ofarrai.
Dies iſt ein kleines viereckigtes Schaͤchtelgen, hat die Laͤnge eines Wehers*) oder 1½ Spanne,
2 Zol breit und 1½ Daum dik. Es iſt von tannenen ſehr feinen Brettergens zuſammengeſezt,
und inwendig mit duͤnnen Stoͤkgen von demſelben Holz und derſelben Laͤnge, die mit Rie-
men von ſauberm Papier umwunden ſind, angefuͤlt. Sie wollen durch dieſe ſchlechte Waare,
die auch nur mit ſchlechtem Gelde bezahlt wird, die den Goͤttern wohlgefaͤllige Tugenden der
Demuth und Reinigkeit anpreiſen. Die Vorderſeite dieſer Schachtel iſt mit einem gedruk-
ten Papier beklebt, auf welchem mit einem anſehnlichen großen Charakter der Name die-
ſes Tempels Dai Singu (Gu heiſt oft ſo viel als Goͤtter, z. E. Fatzman Gu) d. i.
großen Gottes Tempel abgedrukt ſteht. Am Ende deſſelben ſteht der Name des Can-
nuſj, der dieſe Ofarrai (denn es ſind ihrer ſehr viele, die dieſen Handel treiben) ausgege-
ben hat, mit dem Beiſaz Daiju oder Taiju d. i. Botſchafter oder Evangeliſt. Ein Eh-
renname, den ſich die Miasbedienten gemeiniglich beizulegen pflegen.


Die Pilgrimme empfangen dieſe Ofarrai mit groͤſter Ehrerbietung. Diejenigen,
die zu Fuß wandern, heſten dieſelbige, um ſie vor dem Regen zu verwahren, unter ihren
Reiſehut uͤber die Stirne, und beveſtigen auf der andern Seite ein andres Strohbuͤndel
gleiches Gewichts. Diejenigen, welche ihre Reiſen zu Pferde machen, koͤnnen es beſſer
verbergen. Sind die Pilgrimme nun endlich wieder zu Hauſe angekommen, ſo bewahren
ſie dieſes merkwuͤrdige Heiligthum mit großer Ehrerbietung. Und obgleich nach Verlauf
eines Jahrs ſeine Wunderkraft ſehr verraucht; ſo wird ihm doch allemal in einem andern
ſaubern Zimmer ein ausgezeichneter Plaz angewieſen. Die Ofarrais pflegen gemeinig-
lich Mannes hoch an einem Leiſten nach der Reihe der Jahre aufgehangen zu werden. Jn
einigen Haͤuſern verſchiedner Staͤdte aber giebt man ihnen die Vorderſeite des Hauſes
unter dem Vordach. Arme Leute, die keine ſo geraͤumige Wohnungen haben, wiſſen dieſe
Heiligthuͤmer nicht beſſer als in einem holen Baum ihres Hinterhauſes zu logiren. Eben
ſo pflegt man es auch mit den Ofarrais der Verſtorbnen zu halten, oder wenn man auf
den Landſtraßen verlohrne Ofarrais findet, ſo ſtelt man ſie in den naͤchſten Baum.


Um auch diejenigen, welche nicht nach Jsje reiſen koͤnnen oder wollen, und doch
dieſe heilige Waare verlangen, mit derſelben zu verſorgen; ſo werden jaͤhrlich große Packen
und Kiſten mit dieſen Waaren angefuͤlt, in alle Laͤnder, Staͤdte und Doͤrfer von Japan
abge-
[283]Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje.
abgeſandt. Es ſind hiezu eigne Emiſſarien beſtelt, die ihre Reiſe allemal ſo einrichten,
daß ſie in den vornehmſten Orten um die Zeit des Songuatz d. i. des Neujahrfeſtes an-
langen. Denn da dies das Feſt der feierlichſten Reinigung iſt, ſo findet dieſe Reinigungs-
ware alsdenn gerade den beſten und geſchwindeſten Abſaz. Sie pflegen alsdan auch neue
Kalender mitzubringen, die nur der Mikaddo machen und nur im Jſie abdrucken laͤſt. Vor
beide Stuͤcke (ein Ofarrai und Almanach) pflegt man ein Maas oder Jtzebo zu bezahlen; zu-
weilen auch wohl etwas mehr, nach jedes Vermoͤgen und Belieben. Wer dieſe Waaren
einmal annimt, wird jaͤhrlich damit beladen, und bekoͤmt folgendes Jahr wiederum drei
Dinge, nemlich: 1) Einen Empfangſchein oder Dankcompliment an den Kaͤufer; 2) ein
neues Offarrai; 3) einen neuen Kalender. Auch wenn er reichlich giebt und die Ueber-
bringer beſchenkt, erhaͤlt er auch noch eine Sakkantge d. i. eine hoͤlzerne gefirniſte
Trinkſchaale.


Die Jnſchrift Dai Singu hat jederman in ſeinem Hauſe aufgeſtelt oder ange-
klebt. Die Jkosju aber wollen nicht ſo gern dran, ſondern laſſen ſich mit der Jnſchrift
des Amida begnuͤgen. Dieſe Jkosju laſſen nicht gern andre Goͤtzen bey ihrer Andacht zu,
da ſie vorgeben, daß der einzige Amida voͤllig genug und hinlaͤnglich ſey, und man mehrerer
Goͤtter nicht beduͤrfe.


Folgende Nachrichten von dem gegenwaͤrtigen Zuſtande und der Lage der Tempel
zu Jsje ſind aus dem Jtznobe, einem japaniſchen Autor, genommen. Es giebt beſonders
zwei dieſer Tempel zu Jsje, die etwa zwoͤlf Straßen lang von einander entfernt ſind. Sie
haben keine Gum oder Glocken, ſind beide ſchlecht, nicht hoch, ohne die geringſte Ver-
letzung der Haut*) erbauet, und mit Heu bedekt. Der innere Plaz, auf dem die Can-
nuſj
ſitzen zur Ehre des Tenſjo Daiſin, als Tempelbediente, iſt etwa ſechs Matten weit.
Hinter dieſen beiden Kapellen oder Faiden d. i. Reverenzhaͤuſern iſt auf einem etwas hoͤherm
Grunde die kleine aͤchte und wahre Kapelle des Gottes angelegt d. i. Fongu. Dieſe iſt mit
Abſicht etwas hoͤher angelegt, wie die andern Tempel, eben ſo wie der des Suwa inTab.
XVIII.

Nangaſacki. Jch liefre eine Abbildung dieſer Tempel zu Jsje auf der achtzehnten Tafel,
die ich von einer japaniſchen Zeichnung kopirt habe. Jm Jnneren ſind dieſe Tempel nur
mit Spiegeln und zerſchnittenem weißen Papier behangen.


Die erſte Mia heiſt Geku. Sie hat viele Cannuſj und 80 Maſſia oder gerin-
gere Kapellen (deren Goͤtter von geringerm Anſehn und Wuͤrdeſind,) um ſich herum. Jede
dieſer Kapellen iſt vier Matten groß, und mit einem Cannuſj-Huͤter und Almoſeneinneh-
N n 2mer
[284]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Viert. Kap. ꝛc.
mer verſehen. Dieſer ſamlet indes die frommen Gaben fuͤr ſich ſelbſt. Hinten iſt noch
ein kleines Kapelchen zur Wohnung des Geiſtes.


Die zweite Mia liegt etwa zwoͤlf Straßen weiter ab, und heiſt Naiku. Sie
hat 40 Maſſia mit den dazu gehoͤrenden Huͤtern oder Cannuſj. Dieſe haben einen ſon-
derbaren Namen, nemlich Mia Dſuſume d. i. Tempelſperlinge.


Wenn man dieſe Tempel beſehn wil, ſo pflegen vorſichtige Leute folgende Regeln
vorzuſchreiben und zu beobachten. Aus der Stadt Jsje gehn ſie zuerſt in den vorbeifließen-
den Strohm Mijangawa, der an der Seite von Jsje Mia die Stadt vorbeiflieſt, um
ſich darin rein und tapfer abzuſpuͤlen und zu waſchen. Nach dieſer Saͤuberung geht man
die Wohnungen der Cannuſj und andrer Kaufleute Haͤuſer, die etwa drei oder vier Stra-
ßen vom Strom entfernt ſind, durch oder vorbey. Alsdan wandert man weiter fort auf
ſandigem Boden bis zur Geku Mia und legt daſelbſt, ſeinen Gruß ab. Alsdan wendet
man ſich Rechts um die Maſſia zu beſuchen, und koͤmt alſo auf dieſe Art im Zirkel wieder
auf ſeinen erſten Plaz zuruͤk.


Alsdenn bricht man von neuem zu dem andern Tempel des Tenſjo Daiſin, Naiku
auf, macht nach hier abgelegtem Gruß dieſelbe Wanderung, und begruͤſt die andern Mias.
Von hier verfuͤgt man ſich Bergwaͤrts etwa funfzehn Straßen hinauf zu einem nahe an dem
hohen Seeufer gelegnen Berg, und der auf demſelben befindlichen kleinen Hoͤle: Amano
Watta;
d. i. Himmelsufer die etwa zwanzig Jkin von der See entfernt iſt. Jn dieſer
Hoͤle verbarg ſich einmal der große Tenſio Daiſin, und entzog durch dieſe Abſonderung
der Welt und allen andern Geſtirnen das Licht, wodurch er deutlich bewies, daß er der
Herr des Lichts, und der vornehmſte aller Goͤtter ſey. Dieſe Hoͤle iſt etwa 1½ Matten
groß, und enthaͤlt eine Kapelle, worin ein Came verehrt wird, der auf einer Kuh ſizt und
Dai nitz no rai, d. i. große Sonnengeſtalt genant wird. Es wohnen hier auch einige
Cannuſj in zween Haͤuſern uͤber dem hohen Seeufer. Der Anbaͤter ſtiftet ſich dadurch ein
Gedaͤchtnis, daß er ein Sagipflaͤnzchen fuͤr einige Putjespflanzen laͤſt. Man ſieht von
dieſem hohen Ufer auf 1½ Meilen eine große Jnſel, welche zur Zeit des Tenſjo Daiſin ſol
entſtanden ſeyn.


Dies ſind die merkwuͤrdigſten Dinge, die man in Jsje ſehn kan. Neugierige
Liebhaber pflegen dann noch wol rechter Hand einige Meilen Landwaͤrts ein zu gehn, um
einen praͤchtigen Budsdotempel, Aſamadaki genant, zu ſehn. Sie begruͤßen hier einen
Quanwon, genant Kokuſo Boſatz, und kehren endlich wieder in den Flecken Jsje zuruͤk.



Fuͤnftes
[]
[figure]

Tab. XVIII.


[][285]

Fuͤnftes Kapitel.
Von den Jammabos oder Bergprieſtern und andern
religioͤſen Orden.



Die aberglaͤubiſchen Japaner haben eben ſoviel Neigung religioͤſe Geluͤbde zu thun,
als nach heiligen Orten zu walfarten. Diejenigen, welche eine ſchnelle ungehin-
derte Ueberfart nach den himliſchen Feldern oder einen beſondern Vorzug in denſelben zu er-
halten wuͤnſchen, thun Geluͤbde, wodurch ſie ſich in den Orden gewiſſer Einſiedler begeben,
die in der Landesſprache Jammabos heißen. Andre, die gewiſſe beſondre Anliegen haben,
ſuchen ſich dadurch eines guten Ausgangs zu verſichern, daß ſie ſich durch ein Geluͤbde ge-
wiſſe Bußen und Poͤnitenzen oder fuͤr eine feſtgeſezte Zeit gewiſſe Beſuchungen von Tempeln
auflegen.


Jammabo heiſt, (welches aber durch den Charakter dieſes Worts nicht ganz aus-
gedruͤkt wird,) ein Bergſoldate. Dieſer Name koͤmt daher, weil dieſe Art Prieſter nach
der urſpruͤnglichen Stiftung verbunden iſt, im noͤthigen Fal fuͤr die vaͤterlichen Goͤtter und
Laͤnder zu ſtreiten. Sie ſind eigentlich devote Eremiten, die um des Ewigen willen dies
zeitliche Wohlleben verachten,*) und beſonders ihren Leib mit Erſteigung heiliger Berge und
oftmaligem Abwaſchen in kaltem Waſſer kaſteien. Die Reichen unter dieſen Moͤnchen
wohnen in eignen Haͤuſern; die Armen kreuzen und betteln auf den Wegen herum, beſon-
ders in der Landſchaft Syriga und in der Gegend des hohen Bergs Fuſi, welchen ſie alle-
mal im ſechſten Monat, zur Poͤnitenz, erſteigen. Andre laſſen ſich zur Bedienung der
N n 3Mia’s
[286]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
Mia’s gebrauchen, welche aber gemeiniglich von ſo armer Stiftung ſind, daß ſie kaum einen
unterhalten koͤnnen.


Der erſte Stifter und Lehrer dieſes Ordens ſol ſchon beinahe vor 1100*) Jahren
gelebt haben. Er heiſt Gjenno Gjoſſa. Von ſeiner Geburt, Eltern oder andern Ver-
wandten hat man niemals etwas gewuſt; auch iſt er ohne Nachkommen zu hinterlaſſen ge-
ſtorben. Dies iſt der erſte Eremit, der zu Caſteyung ſeines Leibes die Wildniſſe durchkreuzte,
und dadurch viele Wege und Gegenden dieſes Reichs entdekt und ausgekundſchaftet hat. Seine
fromme Buͤßung brachte alſo dem Lande einigen Vortheil.


Die Nachfolger dieſes Heiligen haben ſich nachher in zwei Sekten oder Orden ge-
theilt. Toſanfa iſt der Name der einen Parthei. Dieſe hat es ſich zum Geſez gemacht,
einen ganz ausnehmend ſteilen Berg Fikooſan, der in der Provinz Buſen recht zwiſchen
dieſer und der Provinz Tſikuſen liegt, jaͤhrlich einmahl zu erſteigen. Dieſe Erſteigung
waͤhret etliche Tage und iſt mit groͤſter Gefahr verbunden, auch von der Art, daß, wenn
ſich jemand ohne beſondere Bereitung oder Fusjo d. i. unrein daran wagt, ſo wird er ſo-
gleich vom Fuchſe (d. i. dem Teufel) beſeſſen, und wird raſend toll.


Der andre Orden heiſt Fonſafa. Dieſe Anhaͤnger von dieſem machen jaͤhrlich
ihre Walfahrt zu dem Grabe ihres Stifters auf einem Berge in der Provinz Joſtſijno, der
wegen ſeiner Hoͤhe: Omine d. i. der große Berggipfel genant wird. Es ſol auf ſeiner
Spitze ganz ausnehmend kalt ſeyn, und die ungemeine Steile macht ihn nicht minder, wie
den erſten, gefaͤhrlich zu erſteigen. Ein Beſucher, deſſen Koͤrper und Herz noch nicht ge-
nug gereinigt iſt, hat gewis zu erwarten, daß er den Berg herabſtuͤrzt und zerſchmettert
wird, — oder wenn dieſes nicht geſchieht, ſo mus er ſein Vergehn durch Krankheit oder
andre ſchwere Plagen waͤhrend ſeines ganzen Lebens buͤßen.


Dieſe Walfahrten muͤſſen die Anhaͤnger dieſer Orden jaͤhrlich einmal thun, und
ſich vorher durch Enthaltung vom Beiſchlaf, von verbotenen Speiſen, und alles deſſen, was
verunreinigt, wohl vorbereiten. Sie muͤſſen ſich auch einige Zeit zuvor oͤfters abwaſchen
und reinigen und im Heraufſteigen weiter nichts als rauhe Wurzeln und Blaͤtter, die am
Berge wachſen, eſſen.


Nach gluͤklich vollendeter Walfahrt verfuͤgt ſich jeder zu dem Praͤlaten ſeines Or-
dens, der in Miaco wohnt, und macht ihm ein Geſchenk, das er, wenn er arm iſt, er-
betteln
[287]Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
betteln mus. Er empfaͤngt dafuͤr von dieſem Praͤlaten einen hoͤhern Titul und Rang, der
dann auch beſſere Kleider mit ſich bringt, nach denen ihn ſeine Ordensbruͤder zu verehren
wiſſen. Dies geht Alles ohngefehr nach eben den Stuffen, die in der Geſelſchaft der Blin-
den
uͤblich ſind, von denen ich noch am Ende dieſes Capitels reden werde.


Die Glieder dieſer religioͤſen Orden tragen gewoͤhnlich die ordentliche Kleidung der
Laien, nur mit einigem zugeſeztem Schmuk und Zierrath, von deren jedes einen beſondern
Namen, eigene Bedeutung, und auch hiſtoriſche Erklaͤrung ſeines Urſprungs hat.


Hie folgen dieſe Zierrathen genauer beſchrieben:


Wakiſaſi, oder Hauer (Schwerd) des Fudo, eines Guͤrtels, worin er linker
Hand ſtekt. Er iſt etwas kuͤrzer wie Kabanna, doch hat er unten auch eine platte
Scheide.


Sakkudſio, ein Staͤblein Gottes Dſjſo, oben mit einem kupfernen Beſchlag,
woran vier gleichfals kupferne Ringe beveſtigt ſind. Sie machen damit in ihren Gebaͤten
bey Erwaͤhnung gewiſſer Worte ein Gelaͤut.


Foranokai, ein Schulp-Horn, gewunden wie ein Schneckenhaus, iſt weis und
glat mit rothen Flecken, zierlichen Strichen, und von der Natur wohl ausgearbeitet. Es
hat eine ſolche Groͤße und Umfang, daß ein halb Maas Waſſer hinein geht. Es haͤngt ih-
nen zur Seite vom Guͤrtel herab, und hat vorn ein Loch, deſſen man ſich zum Blaſen be-
dient, wenn der Prieſter von Reiſenden ein Almoſen begehrt. Der Ton, den er damit
giebt, iſt nicht viel lieblicher, als aus dem Horn eines Kuhhirten. Dieſe Schulpen werden
auf einigen von der See abgeſpuͤhlten Gebirgen um Arrai gefunden.


Dſuſu Kake, ein Guͤrtel um den Hals, geflochten wie ein Tragband, und mit
einigen Quaſten beſezt, die nach eines jeden verſchiednem Range verſchiedne Figuren und
Veraͤnderung haben.


Fokin, eine Muͤtze, oder vielmehr ein Schmuk, den ſie vorne auf der Stirne
tragen. Doch komt dieſer nur einigen zu.


Oji, ein Beutel oder Saͤklein, das hinten auf der Schulter angebunden iſt, und
in welchem ein Buch, Geld und einige Kleider getragen werden.


Jatzuwono Warandſje iſt der Name der gemeinen Strohſchuhe, mit denen man
reiſen kan und die ſehr bequem ſind, die Poͤnitenzberge zu beſteigen. Sie ſind, um ihnen
noch mehr Heiligkeit zu geben, mit Nerven aus den Stielen ihrer heiligſten Blume Tarate
durchflochten.


Jza
[288]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Jza Takano Dſjuſu, ihr Roſenkranz, der aus rauhen Kuͤgelchen zuſammenge-
ſezt iſt. Dieſe Erfindung koͤmt aber auch nicht vom Stifter her, ſondern die Prieſter ha-
ben ſie in ſpaͤter Zeit aus eigner Bewegung angenommen. Eine Abbildung dieſes Roſenkran-
zes findet man auf der achten Tafel, der Charte von Japan, zur Seite. Kongo
Dſuje,
ein dicker Stab, deſſen ſie ſich ſehr bequem bedienen, wenn ſie den Berg Omine
heranſteigen.


Die Vornehmſten unter den Jammabos tragen ihr Haupthaar hinterwaͤrts abge-
ſtrichen, und kurz abgeſchnitten. Die vom ſchlechten Range aber binden es unabgeſchnitten
hinten zuſammen. Viele laſſen ſich die Haare ganz wegſcheeren, welches auch beſonders
die Neulinge und Kinder in dieſer Sekte thun, zur Nachahmung der Budsdoprieſter,
welche dieſe Gewonheit zuerſt eingefuͤhrt haben.


Dieſe ſintoiſchen Eremiten ſind jezt von der ſtrengen und rauhen Lebensart ihrer
Vorfahren weit abgewichen. Dieſe folgten nach dem Beyſpiel ihres Stifters und den von
ihm feſtgeſezten Regeln. Sie lebten blos von Wurzeln und Kraͤutern, die ſie in Buͤſchen
und Bergen aufſuchten, und brachten ihr Leben mit beſtaͤndigem Wandern, mit Abwaſchen
in kaltem Waſſer, mit Reinigen und Kaſteyen des Leibs zu. Jezt ſind ſie von dieſer
Strenge ihres urſpruͤnglichen Geluͤbdes weit abgewichen, und haben neben den vaͤterlichen
Goͤttern auch noch einige andere von den Budsdo (die nemlich fuͤr die kraͤftigſten und wun-
dervolſten von ihnen gehalten wurden) in ihrer Theologie mit aufgenommen. Bald darauf
fiengen ſie auch an, ſich mit beſondern magiſchen Kuͤnſten abzugeben. Sie gaben nemlich
vor, daß ſie durch gewiſſe Ceremonien und kraͤftige Worte die Gewalt der einheimiſchen und
auslaͤndiſchen (Sinto’s und Budsdo) Goͤtter gebrauchen, boͤſe Geiſter beſchaͤmen und ver-
zagen, verborgene Dinge erforſchen und viele andere uͤbernatuͤrliche Dinge auswirken koͤnten.
Zu dieſen laſſen ſie ſich durchs ganze Reich gebrauchen. Sie zeigen Diebe und geſtohlne
Sachen an, ſie ſagen den Ausgang zweifelhafter Dinge vorher, ſie legen die Traͤume aus,
ſie heilen Krankheiten, wenn ſie alle Aerzte aufgegeben haben, ſie weiſen die thaͤter begang-
ner Verbrechen an, ſie entdecken die Schuld oder Unſchuld eines Beſchuldigten und was
dergleichen Wunder mehr ſind.


Jhre Verfahrungsart bey einigen derſelben zu erzaͤhlen halt ich nicht unwichtig.
Bey Krankheiten verhalten ſie ſich ohngefehr auf folgende Art. Der Kranke mus zuerſt dem
Jammabo eine genaue und volſtaͤndige Nachricht von ſeinem Uebel geben. Dieſer be-
ſchreibt es alsdann mit beſondern Charactern, die ein Verhaͤltnis zu der Conſtitution und
dem Zuſtande des Kranken haben. Das Stuͤk Papier, auf dem dieſe Beſchreibung ſteht,
legt er vor den Goͤtzen, und macht dabey ſeine beſondern Ceremonien, deren Kraft alsdenn
in das Papier ſich hineinzieht.


Der
[289]Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.

Der Jammabo verfertigt alsdann aus dieſem Papier Pillen, von denen der Pa-
tient alle Morgen eine niederſchlucken und Waſſer dazu trinken mus, welches aber gleich-
fals mit gewiſſen geheimnisvollen Ceremonien und gegen die Weltgegend gewandt, die der
Prieſter angiebt, mus geſchoͤpft werden. Dieſe Charakterenpillen heißen Goof. Jn
jeder Krankheit mus noch auf beſondre Art verfahren werden. Selten nimt man zu dieſem
geheimnisvollen Mittel ſeine Zuflucht, außer in den allergefaͤhrlichſten Krankheiten, wenn
ſchon alle Hofnung von natuͤrlichen Mitteln aufgegeben iſt.


Die Entdeckung der Schuld oder Unſchuld ſolcher Perſonen, die im Verdacht ei-
nes Verbrechens ſind, geſchieht theils durch das Ausſprechen gewiſſer heiligen und beſtim-
ten Worte, theils und vorzuͤglich durch die Gegenwart eines in rothen Flammen ſitzenden
Goͤtzens Fudo. Dieſe Probe wird aber nur insgeheim und meiſtens nur bey Bedienten,
nicht aber gerichtlich vorgenommen, wie bey den Siamern, den Brachmanen und andern
Heiden die Waſſerprobe uͤblich iſt, die auch wol unter uns Chriſten bey der Hexenbrennerey
gebraucht wird. Sie geſchieht entweder nur durch eine Art von Beſchwoͤrung, oder durch
die Feuerprobe, oder durch das Trinken von Khumano no Goo. Wenn das erſte, oder
das bloße Beſchwoͤren ſich kraftlos beweiſt; ſo verſucht man es mit der Feuerprobe. Man
macht nemlich ein Kohlfeuer in der Laͤnge einer Klafter, durch welches die beſchuldigte
Perſon dreimal durchgehn mus. Bleibt ſie alsdan ganz unbeſchaͤdigt, ſo wird ſie fuͤr un-
bezweifelt unſchuldig erkant.


Das Trinken von Khumano no goo iſt ein Beweis der Unſchuld und auch das
Mittel, das Bekaͤntnis von einem fuͤr ſchuldig ſchon Erkanten herauszubringen. Goo iſt ein
Papier, das mit verſchiednen Charaktern beſchrieben, mit einigen ſchwarzen Voͤgeln z. E.
Raben, beſezt, und mit den Petſchafts der Jammabos bekraͤftigt iſt. Der Aberglaube
macht von dieſem heiligen Papier mancherlei Gebrauch, unter andern pflegt man es an die
Hauspfoſten zu kleben, um boͤſe Geiſter abzuwehren. Dieſe Papiere werden von den
Jammabos aller Art verfertigt, aber die kraͤftigſten kommen aus Khumano, daher der
Name. Von dieſem Papier wird ein abgeriſſenes Stuͤk dem Beſchuldigten in Waſſer zu
trinken gegeben, welcher dann dadurch ſo grauſam gequaͤlt wird, daß er ſich nicht anders,
als durch ein aufrichtiges Bekaͤntnis, fals er ſchuldig iſt, helfen kan.


Die Jammabos koͤnnen noch viel mehr Dinge mit dieſem wunderbaren Papier machen.
Sie behandeln damit gluͤende Kohlen und Eiſen, ohne ſich die mindeſte Verletzung zu zu ziehn;
ſie loͤſchen das ſtaͤrkſte Feuer damit aus; ſie machen kalt Waſſer ſiedend, und ſiedendes kalt;
ſie wiſſen den Saͤbel eines tollen Menſchen in ſeiner Scheide ſo zu beveſtigen, daß er ihn
nicht heraus bringen kan; ſie pariren damit den ſtaͤrkſten Hieben aus, u. ſ. w. Alles dieſes
machen ſie entweder durch Verblendung ihrer Zuſchauer, oder es ſind wirkliche Geheimniſſe
O oder
[290]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
der Natur. Sie nennen dies Alles Jnmaſſa d. i. Beſchwoͤrungsſchlagen. Es beſteht
vornemlich darin, daß ſie unter dem Murmeln gewiſſer Formeln mit Haͤnden und Fingern
gewiſſe Figuren eines Tiegers, Krokodils und andrer gewaltigen Thiere in einem Augenblik
vorſtellen und wieder in andre verwandeln. Hiemit und mit Veraͤnderungen und verſchied-
nen Erhebungen der Stimme fahren ſie ſo lange fort und dringen mit Kreuzhieben (wie ſie
es nennen) auf ihr Objekt ein, bis ſie alle Hinderniſſe uͤberwunden und den gewuͤnſchten
Zwek erreicht haben.


Jhre vornehmſte, wichtigſte und geheimnisvolſte Beſchwoͤrung iſt, wenn ſie mit
beiden Haͤnden und zuſammengeflochtenen Fingern die Si Tenno oder die vier kraͤftigſten
und wunderbarſten Goͤtter des drei und dreißigſten oder lezten Himmels vorſtellen.
Die Figur ihrer Finger iſt alsdan ſo eingerichtet, daß die beiden Mittelfinger einer gegen
den andern meiſt perpendikulaͤr gerade in die Hoͤhe gerichtet ſind. Die beiden Nebenfinger
faſſen ſich durchkreuzend ſo einander an, daß ſie gerade die vier Seiten der Welt und damit
auch einen der vier Goͤtter bezeichnen, welche von den Jammabos genant werden: Tam-
monden, Dſigackten, Sosjoden
und Kamokten. Die beiden gerade emporſtehenden
Mittelfinger dienen auch zugleich zu einem Perſpektiv, durch welches die Jammabos die
Geiſter und Krankheiten unterſuchen, und den Kitz oder den Fuchs und die Ma d. i. die
boͤſen Geiſter oder Teufel im Leibe der Menſchen ſehn und unterſcheiden koͤnnen; und
wornach ſie alsdan beurtheilen, welches die kraͤftigſten Mittel ſind, wodurch er am beſten
koͤnne vertrieben werden?


Dieſe Figur der beiden Mittelfinger bedeutet aber auch noch Fudo Miowo d. i.
den heiligen großen Fudo. Dieſer war ein Jjosja, oder ein maͤchtiger Buͤßer in die-
ſem Orden, der unter andern Plagen, mit denen er ſich taͤglich kaſteiete, auch ſich unver-
ſehrt in der Feuersflamme brante. Durch deſſen Kraft glauben die Jammabos nicht nur
die Kraft des Feuers aufzuhalten, ſondern auch zu beherſchen, und ſich deſſelben zu ihren
Zwecken zu bedienen. Sie pflegen vor dem Goͤtzenbild dieſes Fudo ein Laͤmpgen mit Oel,
das aus einer ſchwarzen giftigen Eidexe gemacht iſt, anzuzuͤnden. Jmori*) iſt der Name
dieſer Eidexe, ſie hat einen rothen Bauch und haͤlt ſich im Waſſer auf.


Die Jammabos machen zwar aus ihren Beſchwoͤrungen und Zaubereien gewoͤhn-
lich ein ſehr großes Geheimnis. Jndes uͤberlaſſen ſie dieſelben doch auch Andern gegen gute
Belohnung, wie die Gaukler ihre Taſchenſpielereien zu lehren pflegen, doch unter der Be-
dingung einer ſtrengen Verſchwiegenheit. Die Nachrichten, die ich in dieſem Kapitel mit-
getheilt, habe ich von einem jungen dieſer Dinge wohlkundigen Japaner erhalten, der mein
Schuͤler
[291]Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
Schuͤler in Phyſik und Chirurgie war. Dieſer war auch vorher bey dieſen Profeſſoren der
Zauberey in die Schule gegangen. Ehe er zu den Geheimniſſen zugelaſſen wurde, muſte
er vorher eine ſechstaͤgige Probe ausſtehn. Er durfte waͤhrend derſelben nichts genießen,
was gelebt hatte, und muſte ſich nur mit Kraͤutern und Reis behelfen. Ferner muſte er ſich
taͤglich ſiebenmal in kaltem Waſſer abwaſchen, auch 780 mal auf den Knien und Ferſen
niederſitzen und ſich wieder aufrichten, zugleich auch beide Haͤnde zuſammengeſchloſſen uͤber
das Haupt empor heben. Dies leztere Auf-und Niederſitzen war ihm das haͤrteſte. Denn
wenn er ſich zwei bis dreihundert mal auf und nieder gerichtet hatte, war ihm der Schweis
den Ruͤcken hinab gelaufen, und er fand ſich ſo ermuͤdet, daß er in den lezten Tagen ſeinen
Meiſtern gern entlaufen waͤre, wenn er nicht als ein junger, ſtarker und geſunder Menſch
mehr aus Scham als aus Liebe zur Kunſt und den Geheimniſſen doch die Probe ausge-
halten haͤtte.*)


„Soweit von den Jammabos. Es giebt nun außer denſelben noch eine Menge
„religioͤſer Geſelſchaften und Orden in dieſem Lande. Eine eben ſo ausfuͤhrliche Nachricht
„von denſelben wuͤrde dies Kapitel zu ſehr anſchwellen. Die aberglaͤubiſche Verehrung,
„welche die Geiſtlichen vom Poͤbel erhalten, die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des
„geiſtlichen Standes haben die Zahl praͤchtiger Tempel, reicher Kloͤſter und geiſtlicher Haͤu-
„ſer, in denen unter dem Schein einer religioͤſen Entfernung von der Welt ſich die Moͤnche
„blos einem wolluͤſtigen, muͤßigen Leben uͤberlaſſen, — bis zum Erſtaunen vermehrt. Es
„giebt aber auch einige Geſelſchaften, die nicht durchaus geiſtlich und nicht blos auf Moͤnche
„beſchraͤnkt ſind. Sie ſind vermiſchter Natur und haben einen Zuſaz von Weltlichkeit.
O o 2„Unter
[292]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
„Unter mehrern dieſer Art iſt beſonders die Geſelſchaft der Blinden unſrer Betrachtung
„nicht unwerth. Dies iſt eine ſehr alte und zahlreiche Geſelſchaft, die aus Perſonen von
„allen Staͤnden und Metier beſteht. Urſpruͤnglich machten ſie alle ein Corps aus: nach-
„her aber zertheilten ſie ſich in zwei verſchiedne Geſelſchaften, von denen die eine Feekiſado
„oder die blinden Fekis, die andre aber Buſſetz Sago oder die blinden Buſſetz heiſt.
„Es wird nicht unnuͤz ſeyn den Urſprung und die Verfaſſung von beiden etwas zu erklaͤren.
„Die Buſſetz Sado mus zuerſt betrachtet werden, weil ſie vom aͤltſten Urſprung iſt.
„Dieſe Geſelſchaft beſteht jezt meiſtens aus Geiſtlichen, deren Regeln und Gebraͤuche von
„denen der Jammabos nicht ſehr abweichen. Der Stifter war Sennimar der dritte
„(oder nach Andern der vierte) Sohn des Kaiſers Jengino Mikaddo. Er war ein
„Juͤngling von ganz ausnehmender Schoͤnheit, und deswegen von Allen, die ihm nahe ka-
„men, ganz ausnehmend geliebt. Auch eine Prinzeſſin vom kaiſerlichen Stam empfand
„eine ausnehmende Liebe fuͤr ihn. Jhre Schoͤnheit und Tugend wurden bald eben ſo un-
„widerſtehliche Reize fuͤr den jungen Prinzen, als ſeine vortreflichen Eigenſchaften fuͤr ſie.
„Einige Zeit genoſſen die gluͤklichen Liebhaber alles Vergnuͤgen der gegenſeitigen Liebe und
„Freundſchaft, als ploͤzlich der Tod der Prinzeſſin es unterbrach. Sennimar nahm die-
„ſes ſo ſehr zu Herzen, daß er vor Kummer endlich ſogar ſein Geſicht verlohr. Um nun
„das Andenken ſeiner ſo zaͤrtlich Geliebten zu erhalten und der Nachwelt zu melden, was
„fuͤr eine gluͤkliche Wirkung ſein unverſtelter Kummer bey ihm hervorgebracht habe, beſchlos
„er, mit ſeines Vaters Erlaubnis und unter kaiſerlichem Privilegium eine Geſelſchaft zu
„errichten, in welche niemand aufgenommen werden ſolte, der nicht das Ungluͤk haͤtte,
„durch Geburt oder Zufal blind zu ſeyn. Dieſe Abſicht wurde bald in Ausfuͤhrung ge-
„bracht. Die neu errichtete Geſelſchaft hatte einen ungemein gluͤklichen und bluͤhenden
„Fortgang, und erwarb ſich großen Ruhm am Hofe und im ganzen Reich. Einige Jahr-
„hunderte hindurch blieb dieſe Geſelſchaft immer unter ſich wohl vereinigt, bis endlich eine
„neue Geſelſchaft der Feki Blinden entſtand, welche in kurzer Zeit ſolche Vorzuͤge vor
„der erſtern bekam, daß ſich die groͤſten Maͤnner des Reichs, die das Ungluͤk hatten, blind
„zu ſeyn, in dieſelbe begaben. Die andre verlohr dadurch viel von ihrem Anſehn, und
„wurde auch in der Zahl ſehr herabgeſetzt, und beſteht jezt nur allein aus geiſtlichen Perſo-
„nen, die Feki Blinden ſind ſeit ihrer Entſtehung im ununterbrochnen Beſiz aller der
„Achtung und des Anſehns geblieben, welche die Buſſatz vorher beſaßen. Ja je mehr ſie
„zahlreich wurden, deſto mehr haben ſie auch immer an Anſehn zugenommen. Sie ſind
„zuerſt in den buͤrgerlichen Kriegen zwiſchen den Fekis und Gendzi’s*) entſtanden, die
„beide
[293]Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
„beide um das Reich kaͤmpften. Ganze Baͤnde ſind uͤber die langen und blutigen Strei-
„tigkeiten dieſer ehmals ſo beruͤhmten und maͤchtigen Parteien und uͤber das mannichfache
„Elend, das ſie im Reiche verbreitet haben, geſchrieben worden. Da die Sache des Feki
„und ſeiner Anhaͤnger dem damals regierenden Dairi gerechter ſchien, als die der Gendzi;
„ſo fand er ſich in ſeinem Gewiſſen verbunden ſie zu unterſtuͤtzen, welches er auch mit ſo vie-
„lem Nachdruk that, daß Gendzi und ſeine Partei voͤllig geſchlagen, und faſt ganz vertilgt
„wurde. Wie aber das gute Gluͤk gemeiniglich von Stolz und Ehrgeiz begleitet iſt; ſo ver-
„gaß auch der Feki bald ſeine Verbindlichkeit gegen den Dairi, und betrug ſich mit ſoviel
„Stolz und Undankbarkeit, daß dieſer beſchlos, die faſt ganz geſunkne Partei der Gendzi
„wieder zu heben. Er verſprach ihnen alle Arten von Beiſtand, wenn ſie noch einmal alle
„ihre Kraͤfte zuſammenfaſſen und gegen den Feki und ſeine Partei zu Felde ziehn wolte.‟


„Nun wurde das Schikſal bald geaͤndert, die Gendzis lieferten eine Schlacht,
„worin ſie einen ganz entſcheidenden Sieg erhielten. Feki ſelbſt wurde bey Simonoſaki
„geſchlagen. Seine ganze Armee faſt blieb auf dem Platz, und nur wenige entkamen.
„Unter dieſen war auch Kakekigo, ein wegen ſeiner Tapferkeit und uͤbernatuͤrlichen Staͤrke
„ſehr beruͤhmter General. Man glaubte, daß er dieſe beſondre Staͤrke vom Quanwon
„erhalten habe, wegen ſeiner vorzuͤglichen Verehrung dieſes Gottes. Dieſer General ent-
„wiſchte in einem kleinen Boot. Joritomo, General der Gendzis, ein ſehr entſchloſſe-
„ner Krieger, wuſte wohl, wie wichtig es fuͤr ſeine Partei ſey, ſich der Perſon des Kakekigo
„zu bemaͤchtigen; da er ohne dieſes ſeinen Sieg noch immer fuͤr unvolſtaͤndig hielt, ſo lies
„er ihn verfolgen und gefangen nehmen. Jndes begegnete er ihm ſehr guͤtig, wie er vor
„ihn gebracht wurde. Er erzeigte ihm alle die Achtung, die ſein Rang und Charakter fo-
„derten, und ſchraͤnkte ihn ſo wenig ein, daß Kakekigo verſchiedenemal Gelegenheit fand
„zu entwiſchen, aber allemal wieder gefangen wurde. Der edelmuͤthige Joritomo hatte
„gar nicht die Abſicht ſeinen Feind und Gefangnen ums Leben zu bringen. Vielmehr ſetzte
„er einen ſolchen Werth auf ſeine Freundſchaft, daß er ſich dieſelbe fuͤr jeden Preis zu er-
„kaufen vornahm. Als er ihm eines Tags ſehr hart zuſetzte in ſeine Dienſte zu treten, auf
„welche Bedingungen es ihm ſelbſt gefiele; gab ihm der gefangne Feldherr folgende ent-
„ſchloſſene Antwort:‟ „Jch bin einmal der getreue Diener eines guͤtigen Herrn
„geweſen. Nun er todt iſt, ſol ſich auch kein andrer meiner Treue und Freund.
„ſchaft ruͤhmen koͤnnen. Jch geſtehe, daß ich dir große Verbindlichkeit ſchuldig
„bin. Jch verdanke ſogar mein Leben blos deiner Gnade. Und doch fuͤhle ich
„mein Ungluͤk ſo ſehr, daß ich meine Augen nicht auf dich richten kan, ohne den
„Wunſch zu empfinden, dir den Kopf abzuhauen und dadurch meinen Herrn
„und mich zu raͤchen. Dieſe dir gefaͤhrlichen Werkzeuge, meine Augen, alſo

O o 3„wil
[294]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
„wil ich dir uͤbergeben, als das einzige Zeichen meiner Dankbarkeit, das mein un-
„gluͤklicher Zuſtand mir erlaubt, dir fuͤr ein ſo großmuͤthiges Betragen an-
„zubieten.‟


„So ſprach Er, riß ſich beide Augen aus, und praͤſentirte ſie auf einem Teller
„dem Joritomo, gleich jenem kuͤhnen Roͤmer, der im Angeſicht des Porſenna auf dem
„Altar ſeine Rechte ſelbſt verbrante. Joritomo erſtaunte uͤber ſo viel Großmuth und
„Entſchloſſenheit, und ſezte den gefangnen General ſogleich in Freiheit. Dieſer begab ſich
„nun in die Provinz Fjuga, wo er auf der Bywa, einem in Japan uͤblichen beſondern
„muſikaliſchen Jnſtrument ſpielen lernte. Er errichtete zugleich die Geſelſchaft der Feki
„Blinden,
und wurde der erſte Kengio oder das Haupt derſelben.‟


„Dieſe Nachricht geben die japaniſchen Geſchichtſchreiber von der urſpruͤnglichen
„Einrichtung dieſer Geſelſchaft, welche nachher immer zahlreicher geworden iſt, und nun-
„mehr aus Perſonen von jedem Stande und Lebensart beſteht. Sie ſcheren ſich das Haupt
„eben wie die Buſſe-Sado oder die geiſtlichen Blinden. Da ſie aber uͤbrigens weltliche
„Perſonen bleiben, ſo tragen ſie auch weltliche Kleider, die aber doch von der gewoͤhnlichen
„Kleidung der Japaner ſich auszeichnen, auch unter ihnen ſelbſt nach eines jeden Rang
„und Wuͤrde ſehr verſchieden ſind. Sie leben nicht vom Almoſen, ſondern ſie ſuchen, nach
„ihren verſchiednen Faͤhigkeiten, ſich ſelbſt ihren Unterhalt zu gewinnen, und waͤhlen ver-
„ſchiedne Beſchaͤftigungen, die mit ihrem ungluͤklichen Zuſtande beſtehn koͤnnen. Einige
„legen ſich auf Muſik, und uͤben dieſelbe an den Hoͤfen der Fuͤrſten und großen Herrn, oder
„bei feyerlichen Gelegenheiten, Feſten, Proceſſionen u. ſ. w. aus. Wer einmal als Mit-
„glied dieſer Geſelſchaft aufgenommen iſt, mus es auch waͤhrend ſeines ganzen Lebens blei-
„ben. Sie ſind durchs ganze Reich zerſtreuet, ihr General aber reſidirt immer in Miaco,
„wo auch die Caſſe der Geſelſchaft iſt. Dieſer General heiſt Oſiokf, und der Dairi hat
„ihm 4300 Tails zu ſeinem Unterhalt ausgeſezt. Er regiert die ganze Geſelſchaft, und hat
„zehn Raͤthe zu Gehuͤlfen, die Siu Ro heißen, welches ſoviel ohngefehr als der engliſche
Alderman bedeutet, unter denen er, der General, ſelbſt der aͤlteſte iſt. Sie reſidiren
„alle in Miaco, und haben in Verbindung mit dem General Macht uͤber Leben und Tod,
„nur mit dieſer Einſchraͤnkung, daß niemand durch ſie hingerichtet werden kan, wenn ihr Aus-
„ſpruch nicht gebilligt und durch den oberſten Richter in Miaco unterzeichnet iſt. Dieſer
„Rath beſtimt oft die untern Bedienten, die in verſchiednen Provinzen reſidiren. Einige
„derſelben heißen Kengio d. i. Provinzialvaͤter, da jeder in ſeinem Bezirk ohngefehr das iſt,
„was der General fuͤr die ganze Geſelſchaft. Anfangs fuͤhrte nur der Stifter den Namen
Kengio. Da aber die Geſelſchaft in der Folge der Zeit immer zahlreicher wurde, ſo wurde
„es noͤthig gefunden, die Regierung zu aͤndern, und einen Gerichtshof feſtzuſetzen, der uͤber
„die
[295]Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
„die Kengios regieren ſolte. Jeder dieſer Kengio hat ſeine Koto’s, wie man ſie nennt,
„um ihm zu rathen und beyzuſtehn. Zu Nagaſacki iſt ein Kengio und zwei Koto’s, unter
„deren Befehl alle Blinden der Stadt und umliegenden Gegend ſtehn. Die Kengio’s
„und Koto’s haben noch verſchiedne Bediente unter ſich, die Sjibun heißen, und wieder
„einer dem andern ſubordinirt ſind. Sie unterſcheiden ſich vom Haufen der gemeinen Blin-
„den dadurch, daß ſie lange Hoſen tragen. Da es verſchiedne Stuffen von Rang und
„Titel unter ihnen giebt; ſo muͤſſen ſie ſich alle fuͤnf Jahre einen neuen Quan d. i. einen
„neuen und hoͤhern Titel von ihrem Kengio fuͤr 20 bis 50 Tails kaufen. Wenn ſie dieſes
„verſaͤumen, oder zu bezahlen nicht im Stande ſind, werden ſie in einen geringern Rang
„herabgeſezt. Der große Haufe aller Blinden fuͤhrt einen algemeinen Namen Mukwan.
„Dieſe tragen keine Hoſen, und ſind in vier Quans d. i. Claſſen, Rangordnungen, vertheilt.
„Die von der vierten und lezten Claſſe ſind faͤhig Sjibuns zu werden, von welcher Wuͤrde
„ſie dann nach und nach zur Stelle eines Koto, Kengio u. ſ. w. hinaufſteigen. Oft
„hebt ſie Geld und Gunſt geſchwinder, als gewoͤhnlich.‟



Sechſtes Kapitel.
Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſchen heidni-
ſchen Religion, und derſelben Stifter und Anhaͤngern. —
Auch vom Confuzius und ſeiner Lehre.



Fremde Goͤtter werden in Japan Buds oder Fotoke genant, um ſie von den Sin
und Kame zu unterſcheiden, die von Alters her im Lande verehrt wurden. Die
Charaktere, womit dieſe Worte geſchrieben werden, ſind auch von den Charakteren der Sin
und Kame ganz verſchieden.


Budsdo heiſt im buchſtaͤblichen Sin des Worts: Goͤtzenweg,idolorum
cultus,
d. i. der Glaube, der Weg und die Manier dieſe fremden Goͤtzen anzubaͤten, und
durch
[296]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
durch ſie die ewige Wohlfahrt zu erlangen. Dies Wort wird von den Sineſern auch
Buddah und von den Japanern auch Budsda geleſen, aber ſelten ſo ausgeſprochen.


Der erſte Stam dieſer Religion iſt nirgend anders als bei den indiſchen Brah-
manen
zu finden. Dieſer ihre Lehre hat gleich dem indiſchen Feigenbaum von ihren weit
verbreiteten Aeſten und Zweigen immer neue Wurzeln abgelaſſen und fortgefuͤhrt, bis ſie
endlich auch die aͤußerſten Graͤnzen des Oſtens erreicht und erfuͤllt hat.


Der Stifter und erſte Urheber dieſer Heiden, von dem ſie und ihre Religion auch
den Namen zu fuͤhren ſcheinen, iſt, meiner Meinung nach, eben der, welcher bey den
Brahmanen, Budſa heiſt, und den ſie fuͤr einen großen Theil der Gottheit des Wiſt-
thnu
halten. Dieſe ſol in ſeiner Perſon und Namen ſich zum neuntenmal*) mit Fleiſch
bekleidet haben, und auf dieſer Erden erſchienen ſeyn. Er wird von denen Sineſern und
Japanern Buds und Sjaka genant, obgleich jener Name durch den Gebrauch ein ganz
algemeines Wort geworden iſt, mit dem man alle auslaͤndiſche Goͤtzen, und andre heilige
Maͤnner und Lehrer benahmt.


Der Sjaka heiſt**) bey den gemeinen Siamern auch Prah Pudi Dſau d. i.
der heilige Herr und bey den Gelehrten in ihrer Pali- oder Bibelſprache Sammana Kho-
dum
oder auf Peguſiſch Sammana Khutama. Sein Vaterland war Magatta
Kokf
d. i. Makatta, eine Provinz im Lande Tenſiko, welches nach dem Buchſtaben be-
deutet: Himmelsland. Die Japaner verſtehn unter dieſem Namen beſonders und eigent-
lich Zeilon, die Kuͤſten Malabar und Coromandel, und uͤberhaupt alles feſte Land und
alle Jnſeln von Aſien, (die ehemals waren oder noch jezt exiſtiren) welche ſchwarze Bewoh-
ner haben. Hieher gehoͤren alſo Malacca, Pegu, Siam, Java, Sumatra, u. ſ. w.


Er wurde gebohren am 8ten Tage des 4ten Monats im 26ten Jahre der Regie-
rung des japaniſchen Kaiſers Soowo, des vierten Succeſſors des hier ſo beruͤhmten Suno
Buo.
Dies iſt das Jahr 1029 vor der Geburt unſers Heilandes nach der Rechnung der
Siamer. Jm J. Chriſti 1690, wie ich in Siam war, zaͤhlte man 2232 Jahr nach ihrem
Budſa, und wenn dieſer alſo der Sjaka waͤre, ſo wuͤrden nur 542 Jahre zwiſchen ſeiner
und Chriſti Geburt ſeyn. Nach der Japaner Rechnung faͤlt das Geburtsjahr dieſes gro-
ßen Religionsſtifters in 1027 vor Chriſto. Seinen Vater nennen ſie einen Koͤnig in dem
erwaͤhn-
[297]Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
erwaͤhnten Makatta Kokf, einem Reiche des Landes Tenſikf, welches meiner Vermu-
thung nach Zeilon iſt, obgleich der gemeine Mann in Japan auch Siam pflegt Ma-
katta Kokf
zu nennen.


Als Sjaka neunzehn Jahr alt war, verließ er ſeinen Pallaſt, ſeine Gemahlin
und einen einzigen Sohn, und machte ſich zum Schuͤler eines beruͤhmten Eremitens oder
Pilgrims Arara Sennin, der auf der Hoͤhe des Berges Dandokf, in der Provinz Dan-
daktſju,
am Fluſſe Batto Daiga wohnte. Unter der ſtrengen Anfuͤhrung dieſes Heiligen
brachte er neun und vierzig Jahre lang in ununterbrochner Betrachtung himliſcher und geiſtiger
Dinge zu. Er befand ſich dabey beſtaͤndig in derjenigen Lage des Koͤrpers, die zwar an
ſich ſehr unbequem, aber zu geiſtlichen Betrachtungen beſonders vortheilhaft gehalten wird.
Dies iſt eine Art zu ſitzen, da die Fuͤße unnatuͤrlich uͤber einander liegen, und gleichſam in
einander geflochten ſind, die Haͤnde aber im Schooß gefalten ruhn, doch ſo, daß die Dau-
men, aufgehoben, mit den Spitzen gegen einander anſtoßen. Die Wirkung dieſer Lage des
Koͤrpers ſol ſeyn, daß die Gedanken allem Jrdiſchen mit groͤſter Kraft entzogen werden, und
daß der Koͤrper gleichſam ſinloß iſt, und durch keine aͤußere Gegenſtaͤnde geruͤhrt wird.
Dieſer tiefe Enthuſiasmus, worin ſich alsdenn der Betrachter befindet, heiſt bey ihnen
Safen, und die in demſelben ausgefundne Wahrheit oder erhaltne Offenbahrung Satori.
Dieſe war bey dem heiligen Sjaka ſo vorzuͤglich, daß er die Lage und innere Beſchaffen-
heiten vom Himmel und Hoͤlle, den Zuſtand der entleibten Seelen, ihre metempſychoſiſche
Verwandlungen, den Weg zur Seligkeit, die Regierung der Goͤtter und eine Menge an-
derer uͤbernatuͤrlichen Dinge dadurch ganz deutlich und genau ausforſchte. Dieſe theilte er
dann ſeinen Schuͤlern mit, die ſich, um derſelben theilhaftig zu werden, in großer Zahl zu
ſeiner Zucht und Lehre begaben, und eben ſo eine ſtrenge Lebensart, wie Er, fuͤhrten.


Sjaka wurde 79 Jahr alt, und ſtarb am 15ten Tage des 2ten Monats, im 950ſten
Jahre vor unſers Seligmachers Geburt.*)


Die weſentlichſten ſeiner Lehren ſind folgende:


  • 1.
    Die Seelen der Menſchen und der Thiere ſind unſterblich. Beide ſind gleiches
    Weſens, und nur in dieſer Welt dadurch unterſchieden, daß ſie mit verſchiednen Werkzeu-
    gen verſehn, und in verſchiedne Koͤrper placirt ſind.

P p2.
[298]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
  • 2.
    Die Seelen der Menſchen empfangen nach dem Tode ihren Lohn, den ſie in ihrem
    Leben und durch ihre Handlungen verdient haben, in Orten der Seligkeit oder des Elends.
  • 3.
    Der Ort der Seligkeit heiſt Gokurakf d. i. ewige Froͤhligkeit. Er iſt nach
    dem verſchiedenen Verdienſt der Goͤtter und Seelen in viele Claſſen abgetheilt, die an
    Herrlichkeit und Freude ſehr verſchieden, doch durchaus ſo damit erfuͤlt ſind, daß jeder ſei-
    nen Ort fuͤr den beſten haͤlt, und ihn nicht mit einem andern zu verwechſeln Luſt hat, ſondern
    nur wuͤnſcht, ſeiner Seligkeit ewig zu genießen.
  • 4.
    Der hoͤchſte und oberſte Regierer dieſer Himmel iſt der Gott Amida, deſſen Lehre
    erſt kurz nach der Himmelfahrt Chriſti von den Brachmanen eingefuͤhrt iſt. Dieſer Vater
    der Seligen und algemeine Patron aller Geiſter. Er iſt der wahre Mittler der Menſchen,
    welche durch Anrufung ſeines heiligen Namens Ablas und Vergebung ihrer Schuld erhal-
    ten, und zu der Seligkeit gelangen.
  • Der dem Amida wohlgefaͤllige und der einige Weg zur Seligkeit zu gelangen, ſol
    ein tugendhaftes Leben ſeyn, welches in der Vermeidung Alles deſſen beſteht, das Amida
    als ſuͤndlich verboten hat.

Alle dieſe Verbote ſind in fuͤnf Hauptſtuͤcken begriffen, die Gokai d. i. fuͤnf
Warnungen
genant werden, und die jeder einfaͤltige, aberglaͤubige Menſch als die be-
ſtaͤndige Richtſchnur ſeines Lebens immer vor Augen haben ſol.


Dieſe Gebote ſind folgende:


  • 1.
    Se Seo, das Verbot nichts zu toͤdten, was Leben in ſich hat.
  • 2.
    Tſu To, das Verbot nicht zu ſtehlen.
  • 3.
    Sjajin, das Verbot nicht zu huren.
  • 4.
    Mogo, das Verbot nicht zu luͤgen.

5.
[299]Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
  • 5.
    Onsju, das Verbot keine ſtarke Getraͤnke zu ſich zu nehmen. Dieſes
    leztre iſt von dem Saka beſonders als das erſte und vornehmſte Gebot an ſeine
    Schuͤler recommandirt worden.

Auf dieſe vornehmſte und algemeine Regeln folgen nun die Sikkai, d. i. zehn
Erinnerungen,
welche aber blos in genauerer Vertheilung der vorigen fuͤnf Gebote und
deren Anwendung auf beſondre Faͤlle beſtehn.


Aus dieſen ſind nun noch immer mehr Abtheilungen fuͤr gelehrtere und tugendhaf-
tere Menſchen gemacht, und daraus iſt eine immer genauere Specifikation beſondrer Tugen-
den und Untugenden (nach der Einrichtung einer ordentlichen Ethik) entſtanden, und dieſe
ſind immer mehr in Claſſen und zu hoͤherer Anzahl gebracht worden, bis daraus endlich
entſtanden:


Go Fiak Kai d. i. fuͤnfhundert Warnungen. Zu dieſen verbinden ſich allein
die Geiſtlichen, die einen ganz vorzuͤglichen Rang der Seligkeit zu erlangen ſuchen. Dieſe
beobachten eine ſo ſtrenge und ſo genau abgetheilte Diaͤt; eine ſolche Bezwingung aller Af-
fekten und eine ſo ausnehmende Enthaltſamkeit, daß auch nur wenige Prieſter zur hoͤch-
ſten Volkommenheit in Beobachtung aller dieſer ſtrengen Regeln gelangen koͤnnen.


Ein jeder, (er ſey geiſtlichen oder weltlichen Standes) wer durch ein ſuͤndliches Le-
ben ſich des Himmels und ſeiner Freuden unfaͤhig gemacht hat, der empfaͤngt ſeinen Lohn in
einem hoͤlliſchen Lande, Dſigokf genant, doch allemal nur auf eine gewiſſe nach Verhaͤltnis
beſtimte Zeit. Dieſe japaniſche Hoͤlle iſt auch in verſchiedne Claſſen der Pein und der
Plagen eingetheilt, damit ein Jeder nach Verſchiedenheit ſeiner Suͤnde, Alters, Gewerbe
und Verbrechen moͤge koͤnnen geſtraft werden. Ueber dieſes Reich der Miſſethaͤter und
Verbrecher hat die oberſte Aufſicht der Jemma, oder gemeiniglich mit einem hinzugefuͤg-
ten majeſtaͤtiſchen Character, Jemma O genant, welchen Hoͤllenrichter die Brahma-
ner, Siamer, Sineſer
mit eben dieſem Character ausdruͤcken.


Zur Erleichterung der hoͤlliſchen Plagen und Verkuͤrzung der Periode der Ver-
damnis, in welcher ſich die Seelen der Verſtorbnen befinden, koͤnnen die Andachtsuͤbungen
und guten Werke der nachgebliebnen Verwandten und Freunde ſehr vieles beitragen; das
Meiſte aber die Vorbitten der Prieſter. Dieſe muͤſſen an den Gott Amida gerichtet wer-
den, welcher dann durch ſeine Vorſprache bey dem oberſten Richter der hoͤlliſchen Juſtiz
es dahin vermittelt, daß er von der Strenge ſeiner Geſetze etwas nachlaͤſt, die Verdamten
ſo gelinde, wie moͤglich, behandelt, und ſie, ſobald es ſich thun laͤſt, wieder in dieſe Welt
zuruͤkkehren laͤſt.


P p 2Wenn
[300]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Wenn nun die Seelen der Verdamten eine Zeitlang in dieſen Gefaͤngniſſen der
Finſternis geweſen ſind, und ihre Suͤnden genug gebuͤſt haben; ſo werden ſie durch das
gerechte Urtheil des Jemma O wieder in die Welt geſchikt, um von neuem Koͤrper, und
zwar nicht der Menſchen, ſondern der Thiere zu bewohnen. Es werden hiezu auch allemal
ſolche Thiere ausgewaͤhlt, welche eine gewiſſe Aehnlichkeit mit ihrem vorigen ſuͤndlichen Le-
ben und Verbrechen haben; als Schlangen, Kroͤten, Jnſekten, Fiſche, Voͤgel oder haͤs-
liche und verachtete vierfuͤßige Thiere. Wenn ſie ſich in dieſen Leibern eine gewiſſe Zeit
aufgehalten haben; ſo gehen ſie wieder in volkomnere und beſſere Thiere uͤber, bis ſie end-
lich wieder als Menſchen geboren werden. Nun koͤmt es wieder auf das Verhalten dieſer
Seelen an, ob ſie zur ewigen Seeligkeit gelangen werden, oder durch Suͤnde ſo verfallen,
daß ſie den ungluͤklichen Zirkel noch einmal durchlaufen muͤſſen?


Sjaka hatte, (wie ich ſchon geſagt habe) eine große Menge Schuͤler, unter de-
nen verſchiedne gelehrte und heilige Maͤnner waren, die zur immer weitern Ausbreitung
dieſer Lehre Vieles gethan haben, und immer neue Nachfolger und Eiferer nachzogen, bis
endlich ganz Aſien und auch dieſer entfernteſte Oſten mit der neuen Lehre angefuͤlt war.


Fuͤr die Vornehmſten dieſer Lehrer haͤlt man Annan und Kasja, oder wie ſie
mit Hinzuſetzung ihres Titels geſchrieben werden, Annan Sonsja und Kasja Sonsja.
Dieſe haben die muͤndlichen Lehren des Sjaka, und was ſie unter ſeinen nachgelaßnen
Baumblaͤttern als Maſcpte fanden, in ein Buch zuſammengefaſt, welches ſeiner Sau-
berkeit wegen, und da man es mit der heiligen Tarate-Blume vergleicht, — Foke
Kio d. i. ſchoͤner Blumen Buch
genant wird. Dies iſt die algemeine Bibel aller Lehren
und Religionen am oͤſtlichen Ufer des Ganges. Dieſe Samler haben ſich dadurch auch
die Ehre erworben, daß ſie neben dem Sjaka verehrt, und ihre Bilder in den Tempeln
und auf den Altaͤren neben des Bild des großen Lehrers, der eine zur Linken, der andre zur
Rechten, geſtelt ſind.


Ehe dieſe neue Religion ſich durch Sina und Korea bis nach den japaniſchen
Eylanden
verbreitete, behalf man ſich hier mit der einheimiſchen und urſpruͤnglichen
Sinsju oder Camereligion, in welcher der hauptſaͤchlichſte und weſentlichſte Weg der
Seligkeit blos in der Walfart zu ihrem Tenſjo Daiſin in Jsje beſtand, denen nachher
nur noch einige apokryphiſche Fabeln der aͤlteſten Goͤtterzeiten, die Verehrung verſchiedner
Cametempel und religioͤſe Feſte zugeſezt wurden, welches Alles dann ſich mit der zuneh-
menden Politur in Kuͤnſten und Wiſſenſchaften nach den Zeiten des| Symmo Tenno
d. i. dem Jahr 662 vor Chriſto auch immer vermehrte. Vorher hatten dieſe Laͤnder
(Sina und Japan) nur eine ſimple und einfaͤltige Tugendlehre, die ſie von ihrem Tee Gjo
d. i. Kaiſer Gjo
(der nach ihrer Chronologie 2359 Jahr vor Chriſti Geburt regierte) und
deſſen
[301]Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
deſſen Nachfolger Tee Sjuͤn*) d. i. Kaiſer Sjuͤn bekommen haben. Dieſer war ein
volſtaͤndiger, wohldenkender und moraliſch lebender Bauer, den der Kaiſer Gjo ſeinen zwoͤlf
Kindern (von denen zwei Toͤchter und zehn Soͤhne waren) vorzog und ihm die Regierung
des Reichs auftrug.


Dieſe beiden großen Kaiſer waren die erſten Seſin, wodurch im eigentlichen Sin
ſolche Philoſophen verſtanden werden, die ohne fremde Huͤlfe allein durch eigne Bemuͤhung
die Weisheit und Wahrheit ausfinden. Es iſt ein Misbrauch dieſes edlen Worts, wenn
man es nachher auch den erſten Theologen beigelegt hat.


Erſt viele Jahrhunderte nachher entſtand die erſte einheimiſche Theologie des gro-
ßen Lehrers Roos. Jn Sokokf d. i. in der Provinz So, den 14ten Tag des neunten
Monats im 346ſten Jahre nach Sjaka, oder im 603ten vor Chriſti Geburt wurde Roos
geboren. Er hat 81 Jahre im Mutterleibe zugebracht, kam daher als ein greishaarigt
Kind zur Welt und erhielt den Namen Rooſi d. i. Altkind. Nach ſeiner Geburt lebte
er noch 84 Jahre. Jn ihm (glaubt man) wohnte durch die Metempſychoſe der Kaſſo
Boſatz
d. i. der Gott oder heilige Kaſſo, welcher des Saka aͤlteſter Schuͤler war. Da-
her konte es denn dieſem erleuchteten Geiſte natuͤrlich nicht ſehr ſchwer werden, von der Na-
tur und Beſchaffenheit der Goͤtter und Geiſter Vieles zu offenbaren, und das neugierige
und zur Bewunderung ſo geneigte Volk mit der unerhoͤrten neuen Lehre von uͤbernatuͤrlichen
Dingen an ſich zu ziehn.**)


Dieſe Lehre wurde gleich anfangs und noch in ihrem erſten Wachsthum wunder-
thaͤtig unterſtuͤzt, durch die ſcharfſinnige Weltweisheit eines unvergleichlichen Seſin, des
Kooſj, deſſen Geburt in das 399ſte Jahr nach Saka und in das 53ſte nach der Geburt
des Roos (der alſo damals noch am Leben war) einfaͤlt. Dieſe Geburt geſchah am vierten
Tage des eilften Monats,***) nicht ohne beſondre Merkmaale eines durchlauchtigen Ver-
ſtandes und eines kuͤnftigen Seſin. Denn man fand an ſeinem Haupte einige Mahlzeichen,
die auch der Kaiſer Gjo hatte; und die Figur ſeiner Stirn war eben wie bey dem Kaiſer
Sjuͤn. Wie er geboren wurde, hoͤrte man im Himmel Muſik; und der erſten Abwaſchung
dieſes Kindes wohnten zwei Drachen bey. Seine Groͤße war neun Sako, neun Sun;
ſeine Geſtalt anſehnlich und nach der Groͤße ſeines Verſtandes proportionirt.


Alle Fabeln abgerechnet, die ſich in die Geſchichte des Konfuzius (wie wir Eu-
ropaͤer ihn nennen) eingeſchlichen haben; ſo bleibt doch ſoviel gewis und ausgemacht, daß
P p 3er
[302]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
er von ganz ungemeinem Verſtande und der vortreflichſte Philoſoph war, der dieſe oͤſtlichen
Laͤnder noch bis auf den heutigen Tag erleuchtet.


Seine Buͤcher und Lehren werden in denſelben noch jezt*) ſo werth gehalten, als
wenn ſie Confuzius (wie ehemals Sokrates ſeine Weisheit) vom Himmel geholt haͤtte.
Die Landesregenten in Japan bauen und unterhalten ſeinem Gedaͤchtnis Ehrentempel. Der
jetzige Kaiſer hat zu meiner Zeit noch zwei in Jedo erbauet. Als er die lezte in eigener
Perſon beſuchte, hielt er an ſeine Reichsraͤthe und Hofbedienten eine Rede, worin er die
großen Eigenſchaften dieſes Philoſophen erhob und ſeine Regierungsgrundſaͤtze anpries. Sein
Bild nimt allemal den ehrenvolſten Plaz in den Haͤuſern der Philoſophen ein, und ſein Name
wird von den Gelehrten nie ohne die groͤſte Ehrfurcht ausgeſprochen.


Es war nicht zu bewundern, daß die natuͤrlichen und vernunftmaͤßigen Lehren und
Vorſchriften des weiſen Confuzius, die uͤbernatuͤrlichen und ungereimten Chimaͤren und
gezwungne Leibesſtellungen des Roos und ſeiner Nachfolger bald niederriſſen und einen
gewaltigen Zulauf von Anhaͤngern aus allen Theilen des Reichs erhielten. Er ſtarb im
73ſten**) Jahre ſeines Alters, und hinterlies viele erleuchtete Schuͤler und neue Lehrer,
welche die Wiſſenſchaft und Weisheit, die ſie aus ſeinem Munde erhalten hatten, in Schrif-
ten verfaſten, und zugleich muͤndlich ausbreiteten. Dieſe Lehre wird dann auch noch bis
auf den heutigen Tag unverfaͤlſcht beibehalten, und als eine Hauptregel des Lebens unter
dem Namen Sju oder Sjudo d. i. philoſophiſcher Weg oder die Vorſchrift des Le-
bens
befolgt. Auch andre, die ſich zur Budsdo Lehre und andern fremden Religionen be-
kennen, leſen und benutzen doch dieſe Schriften in der Policey, Sittenlehre und Natur-
kunde, und verehren ſie ohngefehr auf die Art, wie die Chriſten die Lehrſchriften der Grie-
chen und Roͤmer.


Waͤhrend daß die Philoſophie und gefaͤllige Lehre des Confuzius nun in China
bluͤhte, und durch nachbarliche Kommunikation auch zu den Japanern uͤbergieng, wurden
die Lande Laos und Siam nebſt allem andern umliegenden ſowol feſten Lande als den Jnſeln
ganz mit der Lehre des Sjaka angefuͤlt. Jm Jahr nach Chriſto 63 kamen die erſten Lehrer
und
[303]Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
und Apoſtel dieſes Glaubens nach Japan heruͤber, und erhielten einen Tempel, der nach
den japaniſchen Schriftſtellern, Fakubaſi d. i. weißen Pferdes Tempel genant wurde,
und auch noch jezt dieſen Namen fuͤhrt. Er koͤmt daher, weil das Kio oder die Bibel der
Sjaka-Glaͤubigen auf einem weißen Pferde aus Weſtindien*) uͤberbracht wurde. Es
ſcheinet aber, daß dieſe neuen Lehrer damals wegen der mit vollem Glanze ſcheinenden Phi-
loſophie des Confuzius wenig Eingang finden konten, bis endlich im Jahr 518 nach Chriſti
Geburt ein großer Heiliger, Darma, der 33ſte nach Sjaka folgende Lehrer dieſer Re-
ligion aus Sei Tenſikv nach Sina uͤberkam. Dieſer errichtete hier ſeinen Lehrſtuhl, und
das vor ihm hergehende Geruͤcht von ſeiner großen Wuͤrde und Heiligkeit, ſein ſtrenges Le-
ben, ſeine eifrige und ganz ausnehmend beharliche Andacht, verſchaften ihm bald eine
ausnehmend große Menge Zuhoͤrer und Anhaͤnger. Der Eifer ſeiner Andacht gieng ſogar
ſo weit, daß er ſich ſelbſt die Augenlieder abſchnit, weil dieſe ihn im enthuſiaſtiſchen Nach-
ſinnen gehindert und in den Schlaf gezogen hatten. Er gewan das Volk beſonders durch
ſeine angenehme und troſtreiche Lehre von der Unſterblichkeit der Seelen und ewiger Beloh-
nung, welche durch den Dienſt ſeiner neuen Goͤtter gewis zu erlangen ſeyn ſolten.


Dieſer Goͤtzendienſt breitete ſich alſo auch ſehr bald aus Sina in Fackuſai (der Name
von Korea, nach einer ſeiner drei Hauptprovinzen) wo 543 Jahre nach Chriſto das erſte
Buds- oder Goͤtzenbild dem Sjaka zu Ehren aufgerichtet wurde. Japan, deſſen Ein-
wohner damals durch die alte einheimiſche Lehre und die des ſineſiſchen Weiſen getheilt wa-
ren, konte nun auch dieſer neuen Religion nicht lange unkundig bleiben, die ſich durch die
benachbarten Nationen bald einſchlich und viele Anhaͤnger erhielt. Jm Jahr Chriſti 550
wurde das erſte Bukkio oder Goͤtzenbuch nach Japan uͤberbracht und bekant gemacht.


Jm J. 568 hat ein geſchnizter Goͤtze, der eine authentiſche Figur des Amida vor-
ſtelte, und vor wenig Jahren aus dem Mitteltheile Tenſiko oder Jodieos in Fakuſaj er-
ſchien, ſich auch in der Provinz Tſinokami mit mirakuloͤſen| goldnen Strahlen geoffenbart, und
dadurch große Achtung in den Herzen der Menſchen erhalten. Jm Lande Sinano wurde ihm
bald hernach ein Tempel erbauet, der Senquoſi heiſt, und welcher noch heutiges Tags fuͤr
den
[304]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Sechſt. Kap. ꝛc.
den vornehmſten und groͤſten dieſer Provinz gehalten wird. Japan wurde um dieſe Zeit
von dem geiſtlichen Erbkaiſer Kimmei regiert, der dieſer fremden Lehre nicht ungeneigt war,
ſondern ihre erſten Wurzeln tiefen Grund faſſen ließ. Dieſer hat auch zuerſt angefangen
die Zeit in Nengos zu vertheilen, und hat dieſem Jahr der Erbauung des beſagten Tempels
den Namen Conguo gegeben.



Siebentes Kapitel.
Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſophen und
Moraliſten.



Dſjuto, Sjuto, Sju heiſt nach dem Wortverſtand der Weg oder die Methode
der Weltweiſen. Sjudo Sja,
oder, in der mehrern Zahl, Sjudo Sju iſt
die Benennung der Philoſophen. Dieſe haben eigentlich gar keine Religion, ſondern ſie ſu-
chen ihre Volkommenheit und ihr hoͤchſtes Gut blos in der Zufriedenheit des Gemuͤths, die
ſie durch ein tugendhaftes und unſtraͤfliches Leben zu erlangen ſuchen. Sie fuͤhren daher ei-
nen vortreflichen Wandel, und glauben, nach dem Licht der geſunden Vernunft, keine andere
als zeitliche Belohnung von Tugend und Laſter, die in den natuͤrlichen Folgen der Hand-
lungen beſtehn. Sie ſagen, man muͤſſe die Tugend nothwendig lieben, weil uns die Na-
tur zu einem guten Leben, als Menſchen, und um uns von den unvernuͤnftigen Thieren zu
unterſcheiden, habe gebohren werden laſſen.


Derjenige, welcher zuerſt die Tugend als das hoͤchſte Gut lehrte, und alſo fuͤr den
erſten Stifter dieſer Sekte mus gehalten werden, war ohne Zweifel Confuzius, der vom
5ten Jahre dieſer Genrokf (d. i. dem Zahr Chriſti 1692) anzurechnen, vor 2243 Jahren
lebte. Sein Buch Sjoogokf d. i. Lebensvorſchrift that der entgegenſtehenden da-
mals bluͤhenden Religion der Roos großen Abbruch. Moos, einer der Schuͤler des
Confuzius, hat nachher das meiſte beygetragen, dieſe Lehre immer mehr auszubreiten und
fort-
[305]Siebent. K. Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſophen ꝛc.
fortzupflanzen. Er hat auf ſeinen Reiſen durch ganz Sina und dieſes Reich ſeine Si Sjo
oder vier Buͤcher von der Philoſophie algemein bekant gemacht; und bis jezt fehlt es ihm
in allen Reichen, wo nur der Charakter ſeiner Schriften verſtanden wird, nicht an vielen
Nachfolgern.


Die Moralphiloſophie dieſer Lehrer beſteht in fuͤnf Artickeln, die Go, Seo oder
oft auch Tſine genant werden. Es ſind folgende: Dſin, Gi, Re, Tſi, und Sin.


Dſin bedeutet menſchliche Sitten, ein der menſchlichen Natur anſtaͤndiges Leben,
und lehret die Ethick oder Sittenlehre; daher bedeutet Dſin Sja ſoviel als ein tugend-
hafter Mann.


Gi bezeichnet die Gewalt uͤber ſich ſelbſt und die Herrſchaft uͤber ſeine Affekten.
Die aus rechtmaͤßigen Urſachen ſich entleiben, werden dahero auch fuͤr tapfer gehalten; eben
ſo diejenigen, welche ſich ſtandhaft foltern und martern laſſen, um ihre Freunde, denen ſie
einmal die Verſchwiegenheit verſprochen, nicht zu verrahten. Beide gehoͤren auch unter
dieſe Regel. Sonſt heiſt Gi auch Recht und Gerechtigkeit pflegen.


Re oder Rei bedeutet eine gehoͤrige Converſation; aͤußerlicher Umgang und Com-
plimente nach jedes Rang und Stande; auch Hoͤflichkeit und buͤrgerlicher Umgang.


Tſi iſt politiſche Klugheit, Philoſophia practica, daher heiſt Tſi ſja ein pra-
ctiſcher Philoſoph, der den rechten Weg weiſet und geht.


Sin handelt vom Gewiſſen, von der Aufrichtigkeit des Herzens und von der Ge-
rechtigkeit.


Sie nehmen keine Metempſychoſe an, ſondern eine animam Univerſi, eine
algemeine Kraft dieſer ganzen Welt, die eines jeden Menſchen abſterbende Seele, wie das
Meer alle Gewaͤſſer wieder aufnimt, und ohne Unterſchied in der Generation der Dinge
wieder von ſich giebt. Dieſes Weſen (Naturam Univerſi, Animam Mundi wie
man es nennen wil) vermiſchen ſie mit der Gottheit, und legen ihm offenbar die Attributa
primi Entis
bey. Jm gemeinen Leben, bey Gluͤks- und Ungluͤksfaͤllen bedienen ſie ſich
auch oft des Worts: Ten, Himmel, Natur; danken z. E. fuͤr ihre Speiſen dieſem
Ten u. ſ. w. Jch habe auch mit einigen Philoſophen mich uͤber dieſe Materie unterredet,
welche wol einen Intellectum oder Ens incorporeum perfectum als Directorem
mundi natum,
aber nicht als Autorem zugaben. Sie behaupteten, dieſer ſey der herr-
lichſte effectus Naturae aus Jn Jo, d. i. ex actione Coeli \& paſſione Terrae,
als den principiis generationis \& corruptionis entſtanden. Und ſo nehmen ſie auch
noch andre effectus Naturae und Kraͤfte als Geiſter an. Sie glauben, daß die Welt
Q qewig,
[306]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
ewig, und Menſchen und Vieh aus Jn Jo des Himmels und den fuͤnf Elementen hervor-
gekommen ſind.


Dieſe Philoſophen halten zwar nichts von Tempeln und Goͤttern; doch feiern ſie aus
politiſchen Gruͤnden und nach altem Gebrauche das Gedaͤchtnis ihrer verſtorbenen Freunde
eben ſo, wie die Budsdo und Sinsja. Sie nennen dies Go Bio Sio d. i. Gedaͤcht-
nistafelplaz
oder der beſte Plaz in ihrem Erbe; und feiern es beſonders mit Vorſetzung
der Speiſen von allerley geſchlachtetem rohem oder gekochtem Vieh, mit Anzuͤndung der Ker-
zen, und Buͤckung bis zur Erde, da ſie die Verſtorbnen als Lebendige verehren und com-
plimentiren. Dieſe Gedaͤchtnistage begehn ſie erſtlich alle ſieben Tage, hernach jeden Monat
und endlich jedes Jahr mit einem feierlichen Todtenmahl, zu dem ſie auch die Verwandten
der großen Maͤnner einladen. Man mus ſich auch dazu drey Tage vorher durch Enthal-
tung vom Beiſchlaf und allen ſuͤndlichen Dingen auch durch Reinigung des Koͤrpers und
Anlegung ſchoͤner Kleider wohl bereiten und geſchikt machen. Man kan dieſes alles als
die Folge eines dankbaren und gutgeſinten Herzens nicht tadeln; auch iſt der Selbſtmord
bey ihnen nur in einem Falle erlaubt, der einem Manne, welcher ein tugendvolles Leben
fuͤhrt, nicht leicht begegnen wird, nemlich, wenn man dadurch einer ſchaͤndlichen That
oder einem ſiegenden Feinde zuvorkoͤmt. Jn dieſem Fal aber wird der Selbſtmord als eine
tapfere und ruhmvolle Handlung empfohlen.


Die Todten verbrennen ſie nicht, ſondern laſſen ihre Leichen drey Tage uͤber der
Erde ſtehn, in Todtenkaſten, wie unſre europaͤiſchen Saͤrge. Sie ſind darin plat auf den
Ruͤcken gelegt, mit dem Kopf etwas hoch zuruͤkgelehnt. Zur Erhaltung des Leichnams
werden einige Spezereien und wohlriechende Kraͤuter beigelegt; auch dem Verſtorbnen zu
Ehren einige Lichter angezuͤndet.


Dieſe atheiſtiſchen Weltweiſen wollen keine heidniſche Feier zugeben, keine Reli-
gionspflichten ihren Abgoͤttern leiſten, außer die, welche der Wohlſtand und die buͤrgerliche
Hoͤflichkeit nothwendig macht. Sie begnuͤgen ſich, nach der Lehre eines Seneka, oder
nach unſerm Dekalogus, tugendhaft zu leben, gutes zu thun und ein ehrliches Gewiſſen zu
haben. Sie haben ſogar wohl die zum Feuer und Kreuz verdamte Chriſtenlehre beguͤnſtigt;
und ſie ſind deswegen immer in Verdacht. Nach Verbannung des Chriſtenthums hat man
daher das Geſez gemacht, daß ſie in ihren Haͤuſern einen Abgott oder deſſen Character auf-
ſetzen und ankleben muͤſſen, welches ganz wider ihren Willen geſchieht. Auch muͤſſen ſie
dieſe Goͤtter mit vorgeſeztem Rauchfas und Blumentoͤpfen verehren. Es pflegt gemeinig-
lich das Bild des Quanwons oder Amida’s zu ſeyn, welchem ſie nach Landesſitte hinter
dem Feuerheerde ſeinen Plaz anweiſen. An oͤffentlichen Orten, ihren Schulen und Akade-
mien haben ſie aus eignem Belieben das Bild des Confutius aufgeſtelt; und ſo auch wohl
in
[307]Siebent. K. Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſohen ꝛc.
in ihren eignen Haͤuſern das Bioſſu der Eltern, oder den Charakter gelehrter Maͤnner.
Doch regieren dies Alles jezt die Prieſter, unter deren Joch dieſe Philoſophen ſich beugen
muͤſſen. Ehemals wurden die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter dieſer Sekte mit großem
Eifer getrieben, und fanden hier faſt ihren einzigen Zufluchtsort. Sie war auch damals
ungemein zahlreich; jezt aber vermindert ſie ſich von Jahr zu Jahr, da dieſe Philoſophen
verdaͤchtig geworden und mit in die grauſame Verfolgung der Chriſten gezogen ſind. Jhre
Moralbuͤcher ſind dadurch auch verſchrieen, und werden nicht ohne Furcht geleſen; da ſie
vormals bey allen Glaubensgenoſſen dieſes Landes in ſo großem Anſehn ſtanden, wie bei uns
die Schriften eines Plato, Seneka und andrer heidniſchen Philoſophen.


Vor etwa dreißig Jahren lebte ein Fuͤrſt von Biſen und Jnaba, der ein vortref-
licher Sjudo Sja und Goͤnner der Wiſſenſchaften dieſer Sekte und ihres ſtoiſchen Lebens-
wandels war. Er ſuchte ſie in ſeine Lande wieder einzufuͤhren, und von neuen zu beleben.
Er ſtiftete in dieſer Abſicht eine Akademie, zu der er von allen Orten gelehrte Maͤnner als
Lehrer berief, und ſie mit reichlichem Unterhalt verſah. Der vortrefliche Fuͤrſt erreichte ſei-
nen Zwek. Das Volk wurde mehr erleuchtet, gebrauchte nach dem Muſter ſeiner Gro-
ßen ſeine eigne Vernunft, und wolte den unbegreiflichen Revelationen und Erzaͤhlungen
von Wundern u. dgl. nicht mehr glauben. Es hatte auch nun nicht mehr Luſt dem Poͤbel
unwiſſender Pfaffen, die meiſtens von Almoſen leben, ſo reichlichen Unterhalt wie bisher
zu geben. Dieſe (von denen das ganze Reich allenthalben wimmelt) kamen daher in ſehr
traurige Umſtaͤnde, und waͤren beinahe vor Hunger in dieſem philoſophiſchem Lande geſtorben.
Aber ſowohl der Mikaddo als der weltliche Kaiſer nahm dieſes ſehr uͤbel auf, und wolten
den edeldenkenden Patrioten ſeiner Erblande entſetzen. Dieſer trat aber die Regierung
an ſeinen Sohn ab, und kam durch dieſe kluge Vorſicht den Folgen der Kaiſerlichen Ungnade
und dem Fal ſeiner Familie zuvor. Dieſer Sohn, der noch jezt (1692) regiert, beweiſt
durch ſeinen ſtoiſchen Lebenswandel, daß auch er noch die vaͤterliche Denkungsart beibehal-
ten habe. Jch wil eine kleine Geſchichte von demſelben anfuͤhren, die zu meiner Zeit vor-
fiel. Sie gehoͤrt zwar nicht zu dieſer Materie, kan aber doch bey dem Beſchlus derſelben
den Leſer vergnuͤgen.


An dem großen Feſt Soaguatz, oder dem Neujahrstage, finden ſich nach Lan-
desgebrauch alle Cavalliers und Damen, mit koſtbaren Kleidern geſchmuͤkt, am Hofe die-
ſes Fuͤrſten ein, der ſie dann zu einem großen Gaſtmahl zog. Unter andern Geſchenken,
die an dieſem Tage dem Fuͤrſten gemacht wurden, befanden ſich auch ein paar ungemein
Q q 2ſchoͤne
[308]Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Siebent. K. ꝛc.
ſchoͤne Pfauen. Jederman lobte die große Schoͤnheit und Seltenheit dieſer auslaͤndiſchen
Voͤgel. Der Fuͤrſt warf die Frage auf, welcher von beiden wol der ſchoͤnſte ſey, der
maͤnnliche oder der weibliche Vogel? Die Mannsperſonen hatten zuviel Politeſſe, daß ſie
nicht einmuthig haͤtten behaupten ſollen, das Weibchen ſey das ſchoͤnſte; die Damen waren
dagegen ſo erkentlich, dem Maͤnchen den Vorzug zu geben. Jhr ſagt die Wahrheit,
fiel ihnen der Fuͤrſt ein, die Natur ſelbſt wil den Mann beſſer gekleidet haben, und mein
Verſtand begreift nicht, wie ein Weib verlangen koͤnne, ſtolzer und praͤchtiger einherzugehn
wie ihr Mann, der ihr doch Alles verdienen und erwerben muß. Eine trefliche Neujahrs-
lection von einem heidniſchen Fuͤrſten.


Ende des dritten Buchs.



Verzeichnis
[309]

Appendix A Verzeichnis der Kupfertafeln
zu dieſem erſten Bande.

Welches auch eine Anweiſung fuͤr den Buchbinder enthaͤlt.


  • Tab. I. Figur 1. Ein Meerſtern mit neun Strahlen, der an der Kuͤſte von Malacca gefangen
    wurde, und pag. 13 beſchrieben iſt. Fig. 2 und 3. zwey ſiamiſche Fahrzeuge, wie ſie die
    Siamer bey ihren Leichbegaͤngniſſen gebrauchen, beſchrieben p. 20. Fig. 4. das Boot,
    auf welchem die Briefe fuͤr den Koͤnig von Siam und den Berklam uͤberbracht wurden, be-
    ſchrieben p. 22.

Jſt nebenp. 20 zu binden.


  • Tab. II. Ein Grundris von Judia, der Haupt- und Reſidenzſtadt von Siam, beſchrieben p. 38.
    A.
    iſt der koͤnigl. Pallaſt. B Der Pallaſt des koͤniglichen Prinzen. C. Der Pallaſt des Auf-
    ſehers uͤber die koͤnigl. Elephanten. D Die Kirche und der Pallaſt des Metropolitanbi-
    ſchofs Louis. E. Die Hoͤfe vom Tempel des Berklams. F. Das ehmalige Haus des
    Conſtantin Faulcon. G. Das Lager der Hollaͤnder. H. Das Lager der Portugieſen.
    I. Das Lager der Arrackbrauer. K. Das Lager der Japaner, Peguaner und Malayen.
    L. Ein Arm des Fluſſes, der nach der Pyramide Pukathon laͤuft. M. Ein Arm des
    Fluſſes Klang Namja. N. Arm des Fluſſes Pakauſan. O. Arm des Fluſſes Klang
    Patnam Bija. P. P. Der große Fluß Menam. Q. Das Lager der Sineſer.
    R. Das Lager der Cochinſineſer. S. Umzaͤunung fuͤr die Elephanten.

Zu binden beyp. 38.


  • Tab. III. Figur I. Grundris des p. 38 beſchriebenen Pallaſts des Koͤnigs von Siam, worin A des lez-
    ten Koͤnigs Pallaſt mit dem Audienzſaale. B. Der alte koͤnigliche Pallaſt. C. Der Spei-
    ſeſaal. ddd Verſchiedne Tempel, eee u. ſ. w. verſchiedene Schilderhaͤusgen. f. Das
    Haus, worin man des Koͤnigs Silbergeſchirr, nebſt dem koͤnigl. Schmuk u. ſ. w. aufbe-
    wahrt. g. Des Koͤnigs Garderobe. h. Staͤlle fuͤr die Elephanten. ii. Zwey Haͤu-
    ſer, wo die Mandarine die Staatsberathſchlagungen anſtellen. k. Die Wohnung der
    koͤnigl. Aerzte. l. Das Sekretariatshaus. m. Das koͤnigl. Zeughaus. nn. Zwey
    Brunnen fuͤr die Elephanten und Pferde. o. Die koͤnigl. Schatzkammer. P. Ein
    großer Platz zum Wettrennen. Q. Das Serail. R. Der Hof der weißen Elephan-
    ten. S. Gaͤrten. — — — — — Dieſe Striche bezeichnen den Weg,
    auf dem die franzoͤſiſchen Geſandten zur Audienz gefuͤhrt wurden. Fig. 2. zu p. 43.
    Ein ſiamiſcher Tempel. Fig. 3. Die Vorderſeite eben dieſes Tempels. Fig. 4. 5. 6.
    Die beſtaͤndig bewohnten Kaͤhne oder ſchwimmenden Doͤrfer der Siamer, beſchrieb. p. 41.
    Fig. 7. Das Ufer des Fluſſes Menam.

Zu binden nebenp. 41.


Q q 3Tab. IV.
[310]Verzeichnis der Kupfertafeln zu dieſem erſten Bande.
  • Tab. IV. Fig 1. Die Pyramide Pkahton, bey Judia, beſchrieben p. 42. Fig. 2. Die Baſis
    dieſer Pyramide.
  • Tab. V. Fig. 1. Die zwey Hoͤfe von Berklams Tempel mit ihren verſchiednen Pyramiden
    u. ſ. w. beſchrieben 43-45. Fig. 2. Ein großes Goͤtzenbild mit einigen kleinern, das
    in einer der Kapellen bey dem Berklamstempel ſteht. Fig. 3. Ein Stein, der bey den
    Siamern ſehr heilig gehalten wird. Fig. 4. Monſtroͤſe Goͤtzen im Vorhofe des Ber-
    klamstempel, beſchrieben p. 45.

Jſt zu binden nebenp. 45


  • Tab. VI. Fig. 1. Eine große Pyramide im zweiten Hofe von Berklamstempel. Sie iſt von
    oben bis an die mit dem Buchſtaben a bezeichnete Stelle uͤberguͤldet. Fig. 2. 3. Zwey
    Pyramiden, wie ſie die Siamer gemeiniglich um ihre Tempel und an andre heilige Orte
    zu ſtellen pflegen. Sie ſcheinen oben geſpalten. Fig. 4. Eine Pyramide Pra-tſiebi, -
    oder der guten Goͤtter. Fig. 5. Eine Pyramide Pra Pian. Fig. 6. Eine Art von al-
    ter, mit einem Topf, der an feſtlichen Tagen mit Blumen, den Goͤttern zum Opfer ge-
    fuͤlt zu werden pflegt. Fig. 7. Ein ofnes Haus, mit einer drin haͤngenden Glocke.

Jſt zu binden nebenp. 46


  • Tab. VII. Mappa Meinam Fluvii zu p. 56.
  • Tab. VIII. Algemeine Charte des japaniſchen Reichs dem Titel des erſten Buchs gegenuͤber zu
    binden. Zu einer nuͤzlichen Zierde dienen einige Nebenzeichnungen, die Scheuchzer hin-
    zugefuͤgt hat, und deren Bedeutung man aus ihren Ueberſchriften erſieht. Bey der Ab-
    bildung von Kamtſchatka ſteht, daß ſie ex recentiſſima Imperii Ruſſici Mappa entlehnt
    ſey. Hier mus man ſich erinnern, daß dies 1727 geſchrieben iſt.
  • Tab. IX. Japaniſche Thiere und Voͤgel, beſchr. p. 139 und 140.
  • Tab. X. Japaniſche Voͤgel und Jnſekten, zu binden neben p. 149.
  • Tab. XI. Japaniſche Fiſche, zu binden neben p. 152.
  • Tab. XII. Verſchiedene Arten von Aalen und Seekatzen, zu binden neben p. 156.
  • Tab. XIII. Verſchiedne Arten von Krebſen und Schildkroͤten, neben p. 158 zu binden.
  • Tab. XIV. Noch verſchiedne Arten von Krebſen, neben p. 160 zu binden.

Nach Scheuchzers Bemerkung ſind alle dieſe Zeichnungen von Tab. IX -- XIV von japani-
ſchen und ſineſiſchen Originalen kopirt, welche ſich jetzt im Muſeo Britannico befinden;
nur Fig. 6 und 7 auf der Tab. X und A auf Tab. XIV ausgenommen.


  • Tab. XV. Die Ueberſchriften zeigen den Jnhalt; iſt neben p. 183 zu binden.
  • Tab. XVI. I und II Die fuͤnf japaniſchen Halbgoͤtter, welche p. 164 erklaͤrt ſind, in dem ge-
    lehrten Charakter ausgedruͤkt. III. Die Namen aller japaniſchen geiſtlichen Erbkaiſer
    von Sin Mu bis Kinſen.V. Die Titel der geiſtlichen Erbkaiſer.

Jſt zu binden neben p. 185.


  • Tab. XVII.Matſuſſina ein Sintostempel; A das Torij oder Thor des Tempels.

Zu binden neben p. 259.


  • Tab. XVIII. Der Tempel des Tenſjo Daiſin zu Jsje.

Neben p. 283 zu binden.


Ende des erſten Bandes.


[[311]]

Appendix B Beim Verleger dieſes Werks ſind dieſe Oſter-Meſſe folgende neue
Buͤcher fertig worden:


  • Arioſts wuͤthender Roland, gr. 8.
  • Bibliothek der neueſten deutſchen Litteratur 11ter Band, gr. 8.
  • Dohm, Chriſt. Wilh. Materialien zur Statiſtick und der neueſten Staatengeſchichte, erſte Lie-
    ferung, gr. 8.
  • Frorieps, J. F. Bibliothek der theologiſchen Wiſſenſchaften, 2ten Bandes 3ter Theil, 8
    Lemgo in der Meyerſchen Buchhandlung.
  • Haͤſelers, J. Friedr. Anfangsgruͤnde der Arithmetik, Algeber, Geometrie und Trigonometrie zum
    eignem Unterrichte, vorzuͤglich fuͤr Hauslehrer und Gelehrte, welche dieſe Wiſſenſchaften nicht
    zur Hauptbeſchaͤftigung machen, 2ter Theil, 8
  • Heinemanns, Joh. Wilh. gekroͤnte Abhandlung uͤber die Feuerloͤſchungsanſtalten in den Staͤdten und
    auf Doͤrfern, 8 in Commiſſion.
  • Kaͤmpfers, Engelbert Geſchichte und Beſchreibung von Japan, erſter Band mit Kupfern und
    Charten, gr. 4*)
  • Lebensgeſchichte, Johann Jakob Moſers von ihm ſelbſt beſchrieben, 3 Theile, 8 dritte, ſtark vermehrte
    und fortgeſetzte Auflage, 8
  • Lobethans, Friedr. Georg Aug. catechetiſche Unterweiſung in den vornehmſten Rechtsmaterien, und
    einigen andern Lehren, die ſich damit verbinden laſſen, zum Gebrauche der Unterthanen Teutſch-
    lands, 8

Muſeum
[[312]]
  • Muſeum criticum, continens praeſertim varias lectiones, obſervationes ad Auctores veteres grae-
    cos \& latinos. Collegit \& edidit D. F. Stoſch. Vol. II. Faſc. I. 8
  • Der Philoſtraten Werke, 2ter und letzter Band, welcher die Biographie der Sophiſten und die Bil-
    dergallerie zu Neapel enthaͤlt. Aus dem Griechiſchen uͤberſetzt von Dav. Chr. Seybold, gr. 8
  • Retzii, Andr. Jvh. Anfangsgruͤnde der Apothekerkunſt ins Deutſche uͤberſetzt, von Heinr. Chr. Eber-
    maier, 8
  • Schleicher, Franz Carl, Einleitung in die Hydroſtatik, 8
  • Der Schwaͤtzer von Jſaak Bickerſtaf, aus dem Engliſchen, 2 Baͤndchens, 8
  • Des Strabo algemeine Erdbeſchreibung, 3ter Band oder Aſien, aus dem Griechiſchen uͤberſetzt und
    mit Anmerkungen verſehn von Abr. Jakob Penzel, gr. 8
  • Thyme, Georg Gottfried, auserleſene zweifelhafte Rechtsfaͤlle mit den Hauptſtuͤcken der daruͤber ge-
    fuͤhrten Proceſſe und ihrer rechtlichen Entſcheidung, 1ſten Bandes 1ſte Abtheilung, 4
  • Introduction complette à la nouvelle Grammaire pratique par I. G. Kleine, 8
  • Magazin à l’uſage des deux nations \& des deux ſexes, avec un eſſai de Chreſtomathie par I. G.
    Kleine 8


[[313]][[314]][[315]][[316]][[317]]
Notes
*)

Die Quellen, nach denen ich dieſe kleine
Biographie ausgearbeitet habe, beſtehn in eini-
gen handſchriftlichen Nachrichten, die ſich bey mei-
nen Manuſcripten befinden, und vermuthlich von des
Verfaſſers Brudersſohn, dem Johan Herman
Kaͤmpfer, herruͤhren; in den bey Kaͤmpfers Leichen-
predigt befindlichen Perſonalien und aus einigen
Stellen der eignen Werke des Mannes. Aus ſo
duͤrftigen Quellen — begreift man wohl — kont
ich auch nur ein ſo duͤrftiges Leben ſchreiben, wie
man
*)
man hier findet. Einige Data habe ich auch noch
aus einem ſogenanten Stambuche berichtigen koͤn-
nen, das Kaͤmpfer auf allen ſeinen Reiſen mit ſich
fuͤhrte. Dieſes Buch hat wegen der darin befind-
lichen kleinen Aufſaͤtze in vielen der aſiatiſchen Spra-
chen und Schriftarten einen großen Werth, und
findet ſich jetzt im Beſiz meines wuͤrdigen Freun-
des, des Hrn. D. M. Barkhauſens in Lemgo.
*)
Der erſte Theil ſeiner Atlantica kam 1679, der zweite 1689 heraus.
*)

Das Original dieſes Briefs wird in der
Schulbibliothek in Lemgo aufbewahrt. Jch habe
eine Abſchrift deſſelben und noch eine andere von
K. Brudersſohn genommene Copie vor mir. Jm
Muſeo Brittannico mus ſich dieſer Brief auch fin-
den. Denn Scheuchzer liefert einen Auszug deſſel-
ben in ſeiner der engliſchen Ueberſetzung vorgeſetz-
ten Lebensbeſchreibung des Verfaſſers.
*)

S. des beruͤhmten ruſſiſchen Staatsraths
Hr. Muͤllers Samlung ruſſiſcher Geſchichten,
Th. VII, 10.
**)

Der gewoͤhnliche Name iſt Apſcheron.
†)
S. J. G. Gmelins Reiſe durch Rusland
Th. 3 an mehrern Orten.
*)

Ohne Zweifel war Kaͤmpfer der erſte, der
eben dieſe Stelle zugleich bey einem Fuͤrſten von
Georgien und einem Grafen von der Lippe ver-
waltet hat.
*)

Nulli peregrinatorum ſecundum nent ihn der
große Mann und ſezt hinzu: Immenſam pulcher-
rimarum adnotationum vim in eo itinere collegit,
ipſe delineandi peritus, ad omnem laborem impi-
ger, neque ſibi parcens, quoties veri detegendi
ſpes erat. V. Bibliotheca Botanica T. 2, p. 23.
*)

Der Hauptbeweis iſt, daß K. in der Vor-
rede der Amoenit. ſelbſt ſeinen Styl entſchuldigt,
und beſonders mit dem Grunde, daß er meiſtens
auf Reiſen habe ſchreiben muͤſſen. So eine Ent-
ſchuldigung bey fremder Arbeit waͤre eine Unver-
ſchaͤmtheit, deren K. nicht faͤhig iſt.
*)

Der volſtaͤndige Titel derſelben iſt: Amoe-
nitatum exoticarum Politico ‒ Phyſico ‒ Medicarum,
Faſciculi V, quibus continentur variae Relationes,
Obſervationes et Deſcriptiones Rerum Perſicarum
et ulterioris Aſiae, multa attentione, in peregrina-
tionibus per univerſum Orientem collectae ab Au-
ctore Engelberto Kaempfero, D. Lemgoviae Ty-
pis et Impenſis H. W. Meyeri, Aulae Lippiacae
Typographi. 1712. 4. 912. pag.
ohne Vorrede
und Regiſter.
**)
Die Benennung koͤmt von Ruſtaam, einem
beruͤhmten fabelhaften Held, — Simſon oder
Herkules der Guebern.
*)

Der weitlaͤuftige Titel, den er dem Werke
gab, iſt folgender: Hiſtorie von Japan, enthaltend
des merkwuͤrdigen vorigen alten und jetzigen neuen
Staats und Regierung dieſes Reichs als eigentliche
wahrhafte Beſchreibung der fuͤrnehmſten Tempeln,
Pallaͤſten, Caſtellen, Staͤdten und andern Gebaͤu-
den; nicht weniger der Metallen, Mineralien,
Baͤume, Pflanzen, Thiere, Voͤgel und Fiſche ꝛc.
wie auch Chronologie geiſt- und weltlicher Kaiſer,
und der Einwohner erſten Urſprung, Gottesdienſte,
Gewohnheiten und Handwerker, ſo Jn-als Aus-
laͤnder, den Kaufhandel der Hollaͤnder und Chi-
neſen, nebſt einer Beſchreibung vom Koͤnigreich
Siam in Hochteutſch beſchrieben, und mit Figuren
verſehen von Engelbert KAEMPFERR, M.
D.
und Graͤfl. Lipp. Leibmedico, und nach deſſen
uͤberal eignen wahren Handſchrift zum Druk befoͤr-
dert von Johan Hermann Kaͤmpfer M. D.
*)

Nach Sloanes Tode entſtand 1753 aus ſei-
ner Samlung, wie bekant, das Muſeum Brittanni-
cum,
in welches alſo auch die Kaͤmpferſchen Hand-
ſchriften uͤbergiengen.
**)
Der volſtaͤndige Titel iſt: The Hiſtory of
Japan giving an Account of the antient and pre-
ſent State and Government of the Empire of its
Temples, Caſtles, and other Buildings; of its Me-
tals, Minerals, Trees, Plants, Animals, Birds and
Fiſhes; of the Chronology and Succeſſion of the Em-
perots Eccleſiaſtical and ſecular, of the original
Deſcent, Religions, Cuſtoms and Manufactures of
the Natives and of their Trade and Commerce with
the Dutch and Chineſe. Together with a Deſcrip-
tion of the Kingdom of Siam. Written in High
Dutch by Engelb. Kaempfer M. D. Phyſician to the
Dutch Embaſſy to the Emperors Court, and trans-
lated from his Original Manuſcript, never before
printed by J. G. Scheuchzer F. R. S. and a Member
of the College of Phyſicians, London, with the
Life of the Author and an Introduction Illuſtrated
with many Copperplates.
*)

Jch erſuche alle kuͤnftige Recenſenten dieſes
Werks meiue Frage ihrem Publikum bekant zu ma
chen und dieſe gute Sache uͤberhaupt — vor-
ausgeſezt, daß ſie ihnen eine gute ſcheint —
nach beſtem Vermoͤgen zu befoͤrdern.
*)
Jspahan.
*)
Kaͤmpfer verſteht hierunter die mediei-
niſche und chirurgiſche Praxis.
**)
Der oſtindiſchen Compagnie.
†)
Als Schifschirurgus.
††)
K. verirt ſich ein wenig. Er wil ſa-
gen: Noahs, der indes wohl wenig an die
Hollaͤnder denken mochte, als er Japhet mit
den Huͤtten ſeines einen Bruders und mit der
Sklaverey des andern beſegnete. Doch paſſen
die Beſitzungen der hollaͤndiſchen Compagnie
in Aſien und ihre Negerſklaven hier ganz
artig.
*)

„Jhre Reverenz abzulegen‟, ſagt eigentlich
Kaͤmpfer: das fuͤnfte Buch giebt umſtaͤndlichere
Nachricht von dieſer jaͤhrlichen Geſandſchaft.
**)
Hier ſind ich ſchon die erſte Variante, und
in der That keine ganz unerhebliche, zwiſchen mei-
nem Manuſcript und der engliſchen Ueberſetzung.
Dieſe hat 1690, jene zwar beide 1688, aber in
derjenigen Handſchrift, welche ich die des Oheims
nenne, kan man deutlich ſehn, daß 90 in 88 ver-
wandelt iſt. Warum und von wem dies geſchehn
iſt, weis ich nicht, und eben ſo wenig, wie un-
ter dem in die Vorrede eingeruͤkten Brief von Kaͤm-
pfer aus Nangaſacki das Jahr 88 geſezt iſt? Jch
glaube aus der Vergleichung aller Umſtaͤnde der
Kaͤmpferiſchen Reiſe und allen mir bekanten Datis
gewis behaupten zu koͤnnen, daß er im J. 1690
von Batavia abgereiſet ſey. Ein Beweis, der
entſcheidet, iſt das noch vorhandene Stambuch
des Verfaſſers, worin am 19ten Mai 1689 zu
Coylang auf der Kuͤſte Malabar Jemand ſich ein-
gezeichnet hat.
*)

Charlevoix erzaͤhlt dieſe Geſchichte etwas an-
ders. (Hiſt. Gener. du Japon; Tom. VII, p. 307.)
Daß man in Makao wirklich ſich geſchmeichelt ha-
de, durch die hoͤfliche Aufnahme und Zuruͤkſendung
der ſchifbruͤchigen Japaner die Gunſt des Hofes
wieder zu gewinnen, ſagt er auch und ſezt noch
hinzu, daß Jederman dieſer ſchmeichelhaften Hof-
nung wegen willig beigetragen habe, ein Schif
zu der Ruͤkreiſe auszuruͤſten, weil das japaniſche
ganz unbrauchbar geweſen ſey. Aber in Abſicht
der unhoͤflichen Aufnahme der dienſtwilligen Por-
tugieſen in Nangaſacki geht er vom Kaͤmpfer ab.
Man dankte ihnen, ſagt Charlevoix, hoͤflich genug
fuͤr ihre Grosmuth, aber man gab ihnen zugleich
den Rath, daß ſie kuͤnftig, wenn etwa ein aͤhnli-
cher Znfal ihnen wieder Japaner in die Haͤnde
bringen ſolte, ſich nie die Muͤhe geben moͤchten, ſie
ſelbſt wieder zuruͤkzubringen.
*)
Dieſe Stelle ſehlt in der engliſchen Ueberſetzung.
*)
Dieſe Art Feuer zu machen iſt in Jndien uͤberhaupt ſehr gewoͤhnlich.
*)
Mandarins vom zweiten Range.
*)

Jſt dies gehimmelt nicht ein ſo artiges,
ausdruͤckendes Wort, daß ich es mit gutem Recht
aus meinen alten Handſchriften beibehalten konte?
*)
Dieſen andern Ort hofte Kaͤmpfer ohne
Zweifel in den Schriften zu finden, die er noch
beſonders uͤber Siam bekant zu machen vorhatte.
Unter den Manuſcripten, die ſich noch im Muſeo
Britannico
befinden, und von deren Exiſtenz ich
durch Hrn. Planta’s Guͤte belehrt bin, finde ich
auch: Miſcellanea varia ad Siamenſium hiſtoriam
naturalem \& politicam ſpectantia
und Alphabetha \&
Notitiae Siamicae.
Vielleicht enthaͤlt auch noch
eine andre ausfuͤhrlichere Beſchreibung der Reiſe
von Batavia nach Siam, die dort verwahrt
wird, (Diarium Itineris Batauia Siamum indeque
Japoniam
) noch mehr Nachrichten uͤber Siam,
als hier unſer Text.
*)

Die Plaͤtze von der Gegend Judja, wel-
che mit den Wohnungen der verſchiednen fremden
Nationen, der Malayer, Sineſer, Japaner, Por-
tugieſen, Hollaͤnder u. ſ. w. beſezt ſind, heißen
Camps; ohne Zweifel aus dem Grunde, weil
dieſe Wohnungen mehr wie Zelte als Haͤuſer ge-
bauet ſind. Dies beſtaͤtigt die Behauptung des
Hrn. von Pauws, daß die Bauart der ſineſiſchen
Staͤdte und Haͤuſer von der Einrichtung eines La-
gers oder Zeltes copirt ſey. S. Recherches phi-
loſophiques ſur les Egyptiens \& les Chinois. T. II.
p. 14.
Und dieſe Manier zu bauen triſt bei allen
Nationen zu, die aus dem nomadiſchen Hirtenle-
ben in ein geſitteters uͤbergiengen, und ohngefehr
auf der Graͤnze zwiſchen beiden ſtehen blieben. —
Hier in Siam koͤmt nun bei verſchiednen der frem-
den Nationen noch der Grund hinzu, daß ihr
Aufenthalt nicht dauerhaft und ſicher genug iſt,
um andre als lageraͤhnliche Wohnungen zu erwaͤh-
len. Doch darf man nicht denken, dies ſey die ein-
zige Urſache, weil verſchiedne der erwaͤhnten Na-
tionen ſchon Jahrhunderte auf dieſe Art zu woh-
nen pflegen. Und uͤberdem iſt die Bauart der Sia-
mer ſelbſt volkommen dieſelbe. Loubere (S. De-
ſcription du Royaume de Siam T. I. p. 86. \&c.
)
giebt ſehr artige Nachrichten von derſelben. Drei-
hundert Haͤuſer, ſagt er, die abgebrant waren,
wurden in zwei Tagen wieder gebauet. — Dem
Koͤnig hinderten einmal drei Haͤuſer die Auſſicht,
und in weniger als einer Stunde konten ſie die
Einwohner mit allen darin befindlichen Meublen
wegnehmen. — Man begreift leicht, daß ſich die-
ſes nur von Wohnungen ſagen laͤſt, die mehr Zel-
te als Haͤuſer ſind; und ſo verhaͤlt es ſich in der
That mit den ſiamiſchen.
*)

Loubere und Navarette glauben, daß die
Portugieſen das Wort Mandarin von ihrem Man-
dar, befehlen, abgeleitet haͤtten.
**)
Dieſe Beſtimmung haben meine beiden
Handſchriften. Scheuchzer aber laͤſt Kaͤmpfern ſa-
gen, Opera ſey ſo viel als unſer Herzog oder Graf-
Hier iſt nun ſchon unentſchieden, ob dies Unſer
von einem deutſchen, engliſchen oder franzoͤſiſchen
Herzog oder Grafen zu verſtehn ſey? Ueberhaupt
aber ſind dieſe Vergleichungen aſiatiſcher und eu-
Eropaͤiſcher
*)

Scheuchzer hat bei dieſen Namen kleine
Verſchiedenheiten. Die Luang heißen bei ihm
Lung; die Okuun, Okucen; die Omuun, Omucen;
die Majulaks, Majalaks. Jch wil bei dieſer Ge-
legenheit hier noch die Angaben des Loubere her-
ſetzen, der uns die zuverlaͤſſigſte Beſchreibung von
Siam gegeben hat. Alle Siamer, ſagt dieſer
Schriftſteller, ſind verbunden, ſechs Monate im
Jahre fuͤr den Koͤnig entweder im Kriege oder
in andern Arbeiten zu dienen. Alle Untertha-
nen ſind zu dieſer Abſicht ſehr genau enrollirt,
und in verſchiedne Banden vertheilt. Jede dieſer
Banden hat ihren Chef. der uͤber einzelne Per-
ſonen genaue Aufſicht halten, und ſie, ſo oft es
verlangt wird, zum Dienſt des Koͤnigs liefern
mus. Dieſe Chefs heißen Nai, und nachdem ſie
uͤber mehr oder weniger zahlreiche Banden geſezt
ſind, iſt ihr Rang verſchieden. Der Stand eines
Nai, der niemals in Familien erblich iſt, giebt
allein den Adel. Denn auch die oben angefuͤhrten
Hof- und Staatsbedienten ſind allemal Nai. Lou-
bere macht zwar ſieben verſchiedne Rangordnun-
gen der Nais; allein er geht doch faſt nur in den
Namen von Kaͤmpfer etwas ab. Seine Klaſſen
ſind folgende: 1) Pa-ya (ohne Zweifel unſers
Verfaſſers Peja) das man gleichfals unrichtig
durch Prinz uͤberſezt hat, weil zuweilen wol koͤ-
nigliche Prinzen ihrer Aemter wegen den Titel
Paya gefuͤhrt haben. 2) Oc-ja, Kaͤmpfers Oja.
3) Oc-pra, Kaͤmpfers Opera. 4) Oc-Luang,
Kaͤmpfers O-Luang. 5) Oc-Counne, Kaͤmpfers
Okuun. 6) Oc-Meuing, Kaͤmpfers Omuun. 7)
Oc-Pan. Dieſen hat K. nicht, und zwar ganz na-
tuͤrlich, weil Loubere hinzuſezt, daß dieſer Rang
und Titel ſchon zu ſeiner Zeit gar nicht mehr ge-
woͤhnlich war. — Das vorgeſezte Wort Oc be-
deutet Chef, Herr. Der Koͤnig giebt daher Nie-
mand dieſen. Titel, und wenn man von abweſen-
den Perſonen ſpricht, denen er zukoͤmt, pflegt
man ihn wol wegzulaſſen. Die andern Worte be-
deuten wahrſcheinlich Zahlen, welche die verſchie-
dene Groͤße (aber faſt nie die wahre) der Banden,
uͤber die ein Nai geſezt iſt, angeben. Von Pan
und
**)
ropaͤiſcher Titel und Wuͤrden allemal aͤußerſt wil-
kuͤhrlich und unbeſtimt; weil wegen der Verſchie-
denheit der Regierungsformen, die Staͤnde in Eu-
ropa und Aſien gar keinen gemeinſchaftlichen Mas-
ſtab haben, dem man ſie anpaſſen koͤnte. Kaͤmpfer
wolte durch ſeine Vergleichung ohne Zweifel nur
ohngefehr die Folge und den Abſtand der verſchie-
denen Rangordnungen in Siam angeben; und da-
zu kan man ſie immer gebrauchen. Viele Reiſebe-
ſchreiber aber gehen hierin zu weit, und es iſt
immer beſſer, die europaͤiſchen Begriffe ganz zu ent-
fernen, wenn man ſich richtige Vorſtellungen ma-
chen wil. Denn in der That iſt es eben ſo unpaſ-
ſend, einen ſtamiſchen Opera gerade zu einem deut-
ſchen, engliſchen u. ſ. w. Baron oder Grafen zu
machen, als wenn man etwa unter den verſchiede-
nen Gattungen der ſtamiſchen Geiſtlichen gerade
unſern Superintendenten, oder unter den Civil-
bedienten einen Man ſuchen wolte, den man un-
ſerm Hofrath gegenuͤberſtellen koͤnte. — Man
hat, ohne dergleichen ungereimte Vergleichungen,
welche zuerſt von den portugieſiſchen und ſpaniſchen
Schriftſtellern gemacht ſind, ſchon einen hinrei-
chend deutlichen Begrif, wenn man weis, daß in
Siam kein erblicher, ſondern blos durch die Wuͤr-
den des Staats erworbner Adel ſey, und daß
unter den verſchiednen Stuffen dieſes Adels die
Operas die zweite einnehmen.
*)

Loubere (l. c. p. 16) hat Meuang Tai;
und ſagt, daß Meuang Reich, und Tai im ſiamk-
ſchen Frei heiße. Und ſo nent alſo das Volk,
welches jezt den entſezlichſten Deſpotismus dul-
det, ſich ſelbſt das Reich der Freien!
*)
und Meuing wuſte es Loubere gewis, daß ſie
1000 und 10000 bedeuten. S. Delcription du
Siam Tom. I. p. 239. \&c.
*)
Baktrog.
*)

Der ſiamiſche Name dieſer Stadt iſt Si-
yo-Thi-ja. Die Sineſer haben hieraus zuerſt
Odiaa und Juthia gemacht. Einige europaͤiſche
Schriftſteller pflegen ſie auch wol von dem Lan-
desnamen Siam zu nennen. Man behauptet,
daß ſie im funfzehuten Jahrhundert unſrer Zeit-
rechnung erbauet ſey. S. Gervaiſe Hiſt. du Ro-
yaume de Siam p. 42.
und Loubere T. I. p. 17.
**)

Der P. Gervaiſe giebt der Jnſel einen Um-
fang von ſieben und der Stadt von zwei franzoͤ-
ſiſchen Meilen, den koͤniglichen Pallaſt mit ein-
geſchloſſen.
*)
Oder Singaleſen ſind die urſpruͤnglichen Einwohner der Jnſel Selam (Ceylon).
*)

Die Menge der Gegenſtaͤnde, welche man
auf und neben der Jnſel Selan mit dem Namen
Budſo belegt findet, macht es in der That nicht
unwahrſcheinlich, daß dieſer große Religionsſtifter
aus dieſer Gegend zuerſt ausgegangen ſey, oder
ſich wenigſtens dort ſehr thaͤtig bewieſen habe;
ob man gleich ſchwerlich durch alle die widerſpre-
chende Nachrichten der verſchiedenen Nationen und
der Schriftſteller, die ſich recht und unrecht ver-
ſtanden, ſich zu einer Entſcheidung wird durch-
arbeiten koͤnnen, ob der Budhum vom feſten
Lande nach der Jnſel, oder von dieſer nach jenes
uͤbergieng?
Die Jndier haben auf Selan einen Budſos-
berg, ein Budſosgrab und eine Budſosbruͤcke.
Unter der leztern verſtehen ſie die Reihe von Jn-
ſelchens und Sandbaͤnken, welche von der Jnſel
nach dem feſten Lande der Kuͤſte Koromandel geht,
und die, wie die Singaleſen behaupten, Budhum
hervorbrachte, da er vom feſten Lande nach Se-
lan kam, und ſelbſt ſeine Lehren ausbreitete.
Als die Portugieſen nach Jndien kamen, fanden
ſie es ſehr analogiſch, dieſe Orte, die einmal mit
heiligen Namen beehrt waren, der indiſchen Tra-
dition zu entreißen, und ſie fuͤr die ihrige zu
weihen. So entſtand ein Adamsberg, Adams-
grab, Adamsbruͤcke; — einige Fabeln dazu wur-
den bald erſonnen; — Selan ward fuͤr das Pa-
radies erklaͤrt u. ſ. w. Dieſe Namen wurden
nach und nach ſo gelaͤufig, daß man ſich ſchon
uͤberredte, ſie waͤren uralt unter den Eingebornen,
und es finde ſich alſo ſchon unter dieſen die Tra-
dition von Adam. Baldaͤus (ſ. Beſchryving van
Malabar en Coromandel p.
153) verſichert dieſes
wirklich. Nun hatte zwar Kaͤmpfer in der Stelle
des Textes und auch wol beilaͤufig andere, die
wahren einlaͤndiſchen Namen dieſer heiligen Orte
angezeigt; aber man hatte es uͤberſehen, und es
iſt daher wichtig, daß Hr. Miſſionarius Gerike
noch neuerlich (in ſeiner Seereiſe von London nach
Ceylon, 1773, p. 67) dem Jrthum widerſprochen
und uns belehrt hat, daß die Eingebornen von
Jndien nichts von Adam wiſſen, und es ſich auch
nie haben einfallen laſſen, ihre heiligen Orte nach
ihm zu benennen.
*)

Dieſe Stelle fehlt ganz in dem Manu-
ſcript des Neffen. Aber das Manuſcript des
Oheims und Scheuchzer haben ſie.
*)

Loubere, der glaubwuͤrdigſte Schriftſteller
uͤber Siam, ſtimt in allem dieſem ganz genau mit
Kaͤmpfer uͤberein S. T. 2, p. 59. Die kleinen
Verſchiedenheiten der Namen, welche man daſelbſt
findet, ruͤhren blos daher, daß Loubere ein Fran-
zoſe, und Kaͤmpfer ein Deutſcher war. Um die
Jahre der fuͤnf kleinern Cyklen von zwoͤlf Jah-
ren, welche den großen Jahrkreis von ſechzig aus-
machen, zu unterſcheiden, glaubt Loubere, einige
Verſchiedenheiten in dem Datiren bemerkt zu
haben.
**)
Hier hat Scheuchzer noch eine Stelle uͤber
die Muͤnzen in Siam, die ich in meinen beiden
Manuſcripten nicht finde. Sie iſt dieſe:
„Jch mus nun noch von den in Siam gelten-
den Muͤnzen reden. Tſiani, oder wie die Frem-
den ſagen, Katti, iſt eine Silbermuͤnze und wiegt
drittehalb Pfund oder zwanzig Tails oder funfzig
Reichs-
**)
Reichsthaler, d. i. er iſt noch zweimal ſo |viel werth,
als die zu| Batavia und in Japan curſirende Kat-
tis. Die Siamer nennen den Tail Tamluni,
man ſchlaͤgt ſie aber nicht in dieſem Reiche. Er gilt
vier Maas oder dreißig hollaͤndiſche Stuͤbers.
Jeder Maas, oder wie die Siamer ſagen, Sli-
ni oder Sling, gilt zwei Fuangs. Jeder Fuang,
den die Siamer Phuani nennen, gilt zwei Siam-
pais; ein Siampai oder Sapai zwei Puininis.
Ein Puini enthaͤlt eine unbeſtimte Zahl von Bi-
jas, eine ſehr kleine Muͤnze, die wir Cowers
nennen, und die eigentlich eine kleine weiße oder
gelbliche Muſchel iſt, von eben der Art, wie die
Concha Veneris, von der ich ſchon ſonſt geredet
habe. Dieſe Muſcheln haben einen ſehr verſchie-
denen Werth. Man kan fuͤr einen Pujang fuͤnf
hundert bis acht hundert kaufen. Man bringt ſie
in unzaͤhliger Menge von den Maldiven. Alle
Silbermuͤnze in Siam wird aus hollaͤndiſchen
Thalern gemacht, die man blos zu dieſer Abſicht
in Holland ſchlaͤgt. Die hollaͤndiſche oſtindiſche
Compagnie bringt ſie heruͤber, und rechnet den
Thaler ohngefehr zu vier Gulden, oder die eng-
liſche Krone zu ſieben Schilling‟.
Jch zweifle gar nicht, daß dieſe Stelle vom
Kaͤmpfer herruͤhre, und alſo noch jezt in der
Handſchrift des brittiſchen Muſeums ſich finden
muͤſſe.
*)

Ein jeſuitiſcher Miſſionar, le Clerc, wil die
Falſchheit dieſer Sage — die man ſchon ziemlich
muthmaßen kan — erfahren haben. Er fuhr den
Menam hinauf bis an die Graͤnzen von Laos,
und fand ihn daſelbſt ſehr ſchmal, und die Einwoh-
ner verſicherten ihn, daß man nur noch drei Ta-
gereiſen weiter gehen duͤrfte, ſo faͤnde man den
Menam als ein kleines Baͤchlein, das dort aus einem
Berge hervorkaͤme. S. Journal ou Suite de Voya-
ge de Siam, fait en 1685 \& 1686 par Mr. L. D. C.
[...] Amſterdam 1687. p.
291.
*)

Jm ſechszehnten nemlich von Taiko-Sama,
der von 1585 bis 1598 regierte.
*)

Jn des Verfaſſets Amoenit. exotic. p. 818
findet man eine genauere botaniſche Beſchreibung
dieſer Pflanze, nebſt einer Abbildung derſelben,
die ich auch noch in dieſem Werke liefern werde.
*)

Witſens Werk, deſſen der Verf. mit Recht
mehrmalen ſo ruͤhmlich erwaͤhnt, hat izt durch
ſeine ſehr große Seltenheit ein neues Verdienſt,
fuͤr die Buͤcherliebhaber wenigſtens — bekom-
men. Jch habe die zweite Ausgabe deſſelben (wel-
che die hieſige Univerſitaͤtsbibliothek beſizt) vor
mir, deren Titel iſt: Noord en Oooſt Tartarye
ofte bonding Ontwerp van cenige dier Landen
en Volkere, welke voormals bekant ziyn geweſt.
Beneffens verſcheide tot noch toe onbekande en
meſt nooit vorheer beſchrievene Tarterſche en
Nabuurige Geweſten, Landſtreken, Steden, Rivie-
ren en Planzen in de Noorder ek Ooſterlycke
Gedeelten van Aſia en Europa. Door Nicolaes Wit-
ſen.
Amſterdam by Halma.
1705. 2 Baͤnde in
Fol. Dieſe Ausgabe iſt ſehr ſchoͤn und ſauber ge-
drukt, und hat alle zum Werke gehoͤrende Kupfer
und Charten.
Zur Geſchichte der Erdbeſchreibung und der
Menſchheitskunde iſt dies Werk unentbehrlich und
ſo ſehr unſre Kentnis von den Gegenden, die Wit-
ſen beſchreibt, auch izt berichtigt, erweitert und
alſo geaͤndert iſt; ſo enthaͤlt ſein Werk doch noch
immer ſehr viele wichtige und erhebliche Nach-
richten. Da aber dieſe in einem Bnche --- das
in Holland wol fuͤr 100 Ducaten verkauft ſeyn
ſol — nicht Jedem zur Hand ſeyn koͤnnen;
ſo wuͤnſcht ich, daß uns Jemand — der der
Sache kundig genug waͤre, um das Bekante vom
Unbekanten, das Wichtige vom Unwichtigen gehoͤ-
rig zu ſcheiden — einen brauchbaren Auszug
aus dieſem Werke lieferte. Brauchbar wuͤrde er
ſeyn, wenn der Epitomator Alles das aufnaͤhme,
was Witſen eigen — und was er zuerſt hat ---
und von dem, was ihm mit andern Geographen
ſeiner Zeit gemein iſt, nur das auswaͤhlte, wo die
neuern Kentniſſe ſehr merklich und intereſſant ab-
weichen, um ſo den Fortſchrit unſrer Geographie
anſchaulich zu machen. Zum leztern Zwek waͤr
es nothwendig, daß auch die zwar jezt unrichtigen
Charten und ein Theil der Kupfer nicht ausgelaſ-
ſen wuͤrden. — Vielleicht ſteht dieſer Wunſch
hier nicht am unrechten Orte, und reizt einen Le-
ſer zum Ausfuͤhren; wenigſtens iſt in unſrer Zeit,
da ſo Viele muͤßig am litterariſchen Markt ſtehn
und ſich Arbeit wuͤnſchen, ein Fingerzeig auf nuz-
bare Beſchaͤftigung, bei guter Gelegenheit ange-
bracht, nicht unnuͤz.
**)
Jsbrand Jdes war Geſandter der ruſſi-
ſchen Zaren Jwan und Peter 1. an den Kaiſer
von Sina. Er machte die Reiſe nach dieſem da-
mals
**)
mals noch ſehr wenig bekanten Reiche zu Lande
durch noch unbekantere Theile von Rusland und
der Tatarei, im Jahr 1692. Witſen hat die Be-
ſchreibung derſelben in hollaͤndiſcher Sprache her-
ausgegeben; nach welcher 1706 eine engliſche Ueber-
ſetzung gemacht iſt, welche ich vor mir habe. Er
hat ſich der Witſenſchen Charte, wie er ſelbſt
ſagt, auf ſeiner Reiſe beſtaͤndig bedient und ſie
mit der Natur verglichen. Diejenige, welche er
liefert, iſt daher nicht, wie man aus Kaͤmpfers
Worten ſchließen koͤnte, blos ein Nachdruk der
Witſenſchen. Sie weicht vielmehr oft von der-
ſelben ab, da ſie Jsbrand Jdes durchaus nach ſei-
nen eignen Beybachtungen berichtigt hat.
*)

Alle dieſe Nachrichten des Verfaſſers vom
Lande Jeſo und dem ganzen noͤrdlichen Theil des
orientaliſchen Meers beweiſen ſeine große und
tuͤhmliche Bemuͤhungen, uͤber dieſe damals ſo un-
bekante Gegenden neue Entdeckungen zu machen.
Jndeſſen haben die Nachrichten unſrer Zeit alle
ſeine Vorſtellungen ſehr erheblicher und mannich-
facher Berichtigungen beduͤrftig gemacht. Ein Le-
ſer, der mit den ſchaͤzbaren Schriften der Herrn
Muͤller und Engel bekant iſt, wird| ſie ihnen ſchon
von ſelbſt geben koͤnnen. Wenigſtens hab ich hier
durch kleinere Anmerkungen einer genauern Un-
terſuchung uͤber dieſen Theil der japaniſchen Geo-
graphie und uͤber den almaͤhligen Fortſchrit unſrer
Kentniſſe von dieſem Theil der Erde nicht vor-
greifen wollen. Jch behalte dieſe Unterſuchung
meinen Zuſaͤtzen vor.
*)

Kaͤmpfer brachte dieſe japaniſche Geogra-
phie mit ſich nach Euyopa; Sloane kaufte ſie von
ſeinen Erben und ſie findet ſich jezt im brittiſchen
Muſeum.
*)
Die gewoͤhnliche und eigenthuͤmliche Thorheit faſt aller Kaiſer von Sina.
**)
D. i. den Hollaͤndern.
*)

Das eine meiner Maſcpte (nemlich das des
Oheims) hat hier Donau, und Scheuchzer hat in
dem feinigen auch ſo geleſen. Es iſt aber ohne
Zweifel ein Schreibfehler, da die krimmiſchen Ta-
taren
*)

Dies Wort iſt in meinen beiden Hand-
ſchriften etwas undeutlich geſchrieben; vermuthlich
fand es Scheuchzer in der ſeinigen eben ſo, und
machte daher einen King of ſopra daraus. Jch
glaube aber mit gutem Recht anzunehmen, daß
Kaͤmpfer hier keine andre Monarchen als die So-
phis von Perſien im Sinne hatte, weil ich ſchon
anders woher weis, daß K. dieſes Koͤnigsgeſchlecht
von den Turkmannen ableitete, und alſo auch
ganz natuͤrlich hier an daſſelbe ſich erinnern muſte.
S. KaempferiAmoenitates Exoticae, Faſc. 1. pag. 12.
**)
nicht Jagen Andaſen, wie die engliſche
Ueberſetzung hat.
*)
taren nicht an der linken ſondern an der rechten
Seite des Dnepr’s, alſo zwiſchen dieſem letztern
Fluſſe und dem Don wohnen. Doch mus dieſes
weder Scheuchzern| noch dem franzoͤſiſchen Ueberſe-
tzer eingefallen ſeyn, weil ſie beide ohne Anftand die
Donau beibehalten haben.
*)
Jn der Handſchrift, die Scheuchzer vor ſich hatte, war dieſe Zahl ausgelaſſen.
*)

Doch ſind die Augen der Japaner noch bei
weitem nicht ſo klein als die der Sineſer, bei wel-
chen die Kleinheit der Augen beſonders auf-
faͤlt.
*)

Die engliſche Ueberſetzung giebt hier den
Werth dieſer beiden Meinungen etwas dentlicher
und beſtimter an. Die eine, ſagt ſie, ſey laͤcher-
lich, die andre unwahrſcheinlich. Und in der That
iſt auch die Behauptung, daß die Japaner aus ei-
nem fremden Lande gekommen waͤren, nicht gerade
laͤcherlich, ob ſie zwar wohl etwas unwahrſchein-
lich ſeyn mag, und keine beweiſende Gruͤnde fuͤr
ſich hat.
*)

Ludovicus a Froes war ein jeſuitiſcher
Miſſionar. Jn der angefuͤhrten Samlung des
Hayus findet man ſeine Briefe. Man hat auch
von ihm eine Brevis Japaniae Inſulae deſcriptio
Col. Agrip. 1582. 8.
**)

Das Mſcpt. des Oheims und Scheuch-
zers haben dieſe Zahl; das Mſcpt. des Neffen aber
nur 20,000.
*)
Jn der engliſchen Ueberſetzung: „daß auf viele Meilen umher kein Vogel zu ſehen iſt.‟
*)

Jn der engliſchen Ueberſetzung. Auf dieſe
Weiſe betruͤgen ſie den blinden und aberglaͤubi-
ſchen Poͤbel; und erprefſen von ihm große Sum-
men Geldes, indem ſie ihn glauben machen,
daß durch ihre Vorbitten und Gebaͤte ſie von
dieſen Folterplaͤtzen nach dem Tode befreit wer-
den koͤnten.
*)

Jn der engliſchen Ueberſetzung: „Eine ge-
tinge Quantitaͤt.‟
**)

Jn der engliſchen Ueberſetzung. Nach den
Goldminen von Sado ſind die Minen von Su-
runga immer fuͤr die reichſten gehalten.
*)

Jn der engliſchen Ueberſetzung fehlt das
Wort, muͤſſige; und gleich darauf ſteht, daß ſie
(die Goldſucher) kaum dadurch ihren Lebensun-
terhalt erwerben koͤnnen.‟
*)

Jn der engliſ. Ueberſetzung: „Cylinder.‟
**)

Jn der engliſ. Ueberſetzung: „Kupfer oder
Meſſing‟ und gleich darauf ſtat Kupfergeſchirre,
„meſſingene Pfannen.‟
*)
Jn der engliſ. Ueberſetzung: „der Landſchaft Jedo gegen uͤber.‟
*)
Jn der engl. Ueberſetzung iſt noch der Zuſaz, „wie ich beobachtet habe.‟
*)

Jn der engliſ. Ueberſetzung: „Es giebt ei-
nen milchichten Saft, womit die Japaner alles ihr
Hausgeraͤth, Tiſche, und hoͤlzerne Schuͤſſeln uͤber-
firniſſen; und dies vom Kaiſer hernnter bis zum
aͤrmſten Bauer‟
*)

Dieſer Name iſt aus der eugliſ. Ueberſe-
tzung genommen, weil er in beiden Mſcpt. fehlt.
**)

Jn der engliſ. Ueberſetzung fehlt dies lezte;
und ſtat des folgenden ſteht dieſe Stelle: „Allein
man achtet wenig auf die Verordnungen dieſer
Art, beſonders in den Provinzen, die von Hofe
entfernt ſind, wofern nicht eine ſehr ſtrenge
Strafe auf die Uebertretung geſezt iſt.‟
*)
Jn der engliſ. Ueberſetzung: „den Mangel des Hanfes und der Baumwolle.‟
*
Jn der engliſchen Ueberſetzung: „Cummin.‟
*)
Jn der engliſ. Ueberſetzung: Sie haben in der That Herrn u. ſ. f.
*)

Jn der engl. Ueberſetzung: Sie haben ei-
nen ſehr kurzen Schwanz, als wenn derſelbe vor-
ſezlich abgehauen waͤre.
**)

Jn der engliſ. Ueberſetzung iſt noch fol-
gende Stelle, die in beiden Mſcpt. fehlt: „Die
Jnſel Mijoſima oder Akino Mijoſtma, (ſo genant
von der Nachbarſchaft der Jnſel Aki) iſt wegen ei-
ner beſondern Zucht von Hirſchen beruͤhmt; von
welchen man ſagt, daß ſie ſehr zahm ſeyn ſollen.
Es iſt gegen die Landesgeſetze dieſelben zu jagen,
oder zu toͤdten. Das Landvolk iſt aufmerkſam,
ihre todten Koͤrper von ihren Haͤuſern und Fel-
dern zu entfernen. Denn Kraft eines andern
Geſetzes, hat der Gouverneur der Jnſel die Ge-
walt, denjenigen, vor deſſen Thuͤr, oder auf deſſen
Boden der Leichnam gefunden iſt, auf einige Tage
zur Arbeit bei die Tempel oder bei oͤffentliche
Anſtalten zu verdammen.‟
*)
Jn der engl. Ueberſ. „Dieſe Schlange in irdenen, hermetiſch verſiegelten Toͤpfen, calcinirt u. ſ. f.‟
*)

Jn der engliſchen Ueberſetzung: „denn ſie
fliegen uͤber die Netze.‟
**)

Dies iſt Kaͤmpfers eigner Ausdruk; Scheuch-
zer hat es uͤberſezt, that their dung upon removal
is very apt to take fire.
*)

Kaͤmpfers Ausdruk, den ich nicht habe weg-
moderniſiren moͤgen.
**)

Jm Original findet ſich das niederſaͤchſiſche
Wort Exter. Der engliſche Ueberſetzer ſagt blos:
„ein anderer ſeltener Vogel, u. ſ. f.‟
***)

Jn der engliſ. Ueberſetzung: „Er macht ſich
eine Hoͤhle in einem Felſen auf der Kuͤſte.‟
*)

Jn der Beſchreibung dieſes Jnſekts, deſſen
Geſangs u. ſ. f. weicht die engliſ. Ueberſetzung
ſehr ab; und wie es aus dem Zuſammenhang offen-
bar zu erhellen ſcheint, ſehr unrichtig.
*)
Jn der engliſ. Ueberſetzung: „Eine Fingerlange.‟
*)

Jn der engl. Ueberſetzung: „Dieſe, und
uͤberhaupt alle eingepoͤkelte Fiſche, heiſt man Ka-
raſumi.‟
**)

Jn der engl. Ueberſetzung: „Die Hol
laͤnder nennen dieſen Fiſch kleiner Stint, oder
auch Weisfiſch.‟
*)
Jn der engl. Ueberſetzung: „daß zwei Menſchen ſie kaum aufheben koͤnnen.‟
*)
Jn der engliſchen Ueberſetzung: „welche die beſten Taͤucherinnen im Lande ſind.‟
*)

Kaͤmpfer hat hier gerade eben das geur-
theilt, was nach ihm die beſten Unterſucher der
ſineſiſchen Geſchichte behauptet haben. Herr De-
guignes -- dieſer beinahe einzige unter den euro-
paͤiſchen Gelehrten, der zu ſineſiſchen Quellen Zu-
gang gehabt hat, ſagt: „Es iſt uumoͤglich zu be-
ſtimmen, zu welcher Zeit Fohi gelebt und regiert
habe. Die chineſiſchen Geſchichtſchreiber ſind hier-
in ſehr ungleicher Meiunng. Und ich glaube
nicht, daß die hiſtoriſche Gewisheit bis auf ſeine
Zeiten herausgehn kan, da die Chineſer ſelbſt ſie
nur von des Yao Zeit her behaupten.‟ S. ſeine
algemeine Geſchichte der Hunnen ꝛc. nach der deut-
ſchen Ueberſetzung p. 4. Hr. Hofrath Gatterer
trit eben dieſer Meinung bei, ſ. ſein Handbuch der
Univerſalhiſtorie, p. 26. Auch der Pater du Halde
behauptet, daß nach den beſten ſineſiſchen Geſchicht-
ſchreibern die Zeit des Fohi ſchlechterdings nicht
zu beſtimmen ſey; ſ. Deſcription de l’Empire de
la Chine T. I. p.
260. Auch Couplet ſelbſt trent
doch den Fohi und Xin-Num von der fuͤr wahr
gehaltnen Geſchichte; ob er gleich, wie wir ſo-
gleich ſehn werden, dreiſt genug iſt, den Regie-
rungsanhang des Fohi genau anzuſetzen, doch ohne
Gruͤnde anzugeben. Kircher erwaͤhnt einmal bei-
laͤufig, (S. China illuſtrata Part. VI. c. I. p. 225)
daß ſeiner Meinung nach Fohi ohngefehr 300 Jahre
nach der Suͤndfluht die Buchſtaben der Sineſer
erfunden habe. Allein auch er giebt keine Gruͤnde.
Martin Martinius (in ſeiner ſinicae Hiſtoriae De-
cas 1. 1658. 4. p.
11) ſezt den Regierungsanfang
des Fohi ins Jahr vor Chriſto 2952; Couplet folgt
ihm hierin.
*)

Deguignes ſagt, einige gaͤben ihm 110, an-
dre 101 Regierungsjahre. Martinius, Couplet und
Menzel nehmen 115 an.
**)
Der Titel dieſes Werks iſt: Tabula Chro-
nologica Monarchiae Sinicae juxta Cyclos Anno-
rum LX. ab anno ante Chriſtum 2952 ad annum
poſt Chriſtum 1683. Auctore R. P. Philippi Con-
plet.
ſoc. Jeſu. Pariſiis
1686. Es pflegt gemeinig-
lich dem bekanten Confucius des Couplet ange-
haͤngt zu ſeyn. Ein nicht betraͤchtliches Verſehn
iſt es, daß Kaͤmpfer ſagt: Dieſer Jeſuite ſetze den
Anfang der ſineſiſchen Geſchichte ins Jahr vor
Chriſto 2953. Es iſt 2952. S. die Praefat. gleich
Anfangs p. 1.
***)

Deguignes laͤſt nach dem Fohi noch funf-
zehn Perſonen aus ſeiner Familie nachfolgen,
welche -- nach ſeinen Quellen --- zuſammen 17,788
Jahre regiert haben. Jhre ſineſiſch en Namen ſind:
  • Niuͤ-vaſhi, welche von einigen fuͤr des
    Fohi Gemalin gehalten wird.
    • Kung-kung-ſhi
    • Ta-Ting-ſhi
    • Pe-hoang-ſhi
    • Tſhong-yang-ſhi
    • Lie-lo-ſhi
    • Li-lien-ſhi
    • Hao-ſiuͤ-ſhi
    • Tſuͤn-liuͤ-ſhi
    • Hoen-tuͤn-ſhi
    • Hao-tſ hing-ſhi
    • Tſhu-ſiong-ſhi
    • Ko-tien-ſhi
    • Yn-kuam-ſhi
    • Vu-kuai-ſhi

Menzel ſagt auch, daß funfzehn Familien
aus dem Geſchlecht des Fohi gefolgt waͤren, welche
zuſammen 1360 Jahre regiert haͤtten.
*)

Couplet ſagt, Xinnum’s Familie habe
380 Jahr regiert, und Deguignes ſezt ſie nur auf
306. Die ſieben Nachfolger -- von denen aber viele
ſineſiſche Annalen gar nicht wiſſen -- heißen bei
ihm:
  • Tilin-kuͤei — regiert 80 Jahr
  • Ti-tſhing — regiert 60 Jahr
  • Ti-ming — regiert 49 Jahr
  • Ti-ſiuen — regiert 45 Jahr
  • Telat — regiert 48 Jahr
  • Tili — regiert 42 Jahr
  • Ti-yuͤkang — regiert 55 Jahr

Dieſe Regenten ſind allemal der Vater auf
den Sohn gefolgt. -- Menzel ſtimt in den Jahren und
der Folge mit Deguignes voͤllig zuſammen; nur fehlt
bey ihm der Tili. Die von ihm angefuͤhrten ſechs
uͤbrigen ſollen zuſammen regiert haben 337 Jahr.
Der Xinnum ſelbſt heiſt nach ſineſiſcher Ausſpra-
che bei Deguignes: Yen-ti-Schinnong-ſhi. Bey
du Halde und andern heiſt er blos Schin-nong,
oder Chin-nong.
**)
Deguignes nent ihn -- Hoamti-yeu-hiung-
ſhi; bey du Halde und andern heiſt er Hoangti.
Dies Wort bedeutet gelber Kaiſer oder Kaiſer von
der Erde.
***)
Jn ſeiner Chronologie der chineſiſchen Kai-
ſer, Berlin 1696 4. Dieſer churbrandenburgi-
ſche Leibmedikus machte mit dem Andreas Muͤller
am Ende des lezten Jahrhunderts das Studium
der ſineſiſchen Litteratur und Geſchichte ſehr rege
in Deutſchland. Menzels Buch verdient es, mei-
ner Einſicht nach, auch jezt (da wir freilich durch
Deguignes die ſineſiſche Geſchichte geuauer und beſ-
ſer kennen) noch immer verglichen zu werden, da
er alle ſeine Nachrichten aus einer ſineſiſchen
Quelle (einem Lehrbuche der Geſchichte fuͤr die Ju-
gend) gezogen hat.
*)

Nach Deguignes 110 Jahr. Die andern
Quellen ſtimmen mit Kaͤmpfers Angabe zuſammen.
**)

Nach Deguignes und Couplet hat Hoamti
25 Soͤhue hinterlaſſen, von denen (wie der leztre
Schriftſteller angiebt) in drei kaiſerlichen Familien
85 Kaiſer abſtammen, die zuſammen 2457 Jahr
regiert haben. Die fuͤnf zunaͤchſt folgende Prinzen
heißen nach Deguignes die Uti d. i. die fuͤnf Kai-
ſer, die aber verſchieden gerechnet werden. Jhre
Regierungszeit laͤſt ſich nicht zuverlaͤſſig beſtimmen,
da ſie von verſchiednen ſineſiſchen Annalen verſchie-
den angegeben wird. Die Regenten vor dem Yao
ſind folgende:
  • 1) Schao Hao-kien-tien-ſhi (nach Deguig-
    nes) Xao-Hao (nach Martinius, Couplet und
    Menzel) Chao-Hao (nach du Halde) regierte 84 Jahr
    und ward 100 Jahr alt.
  • 2) Tſhuen-Hio-kao-yang-ſhi (nach Degui-
    gnes) Chuen-Hio (nach Couplet, Martinius und
    Menzel) Tſhuen-Hio (nach du Halde) regiert
    nach der gewoͤhnlichen Quelle des Deguignes 70,
    nach der alten ſineſiſchen Chronik Tſu-ſhu und
    nach den uͤbrigen Quellen 78 Jahr, lebt 105 Jahr.
  • 3) Ti-ko-kao-ſin-ſhi (nach Deguignes) Ti
    Co, (nach Couplet und du Halde) regiert nach ei-
    ner Angabe des Deguignes und nach Couplet,
    Martinius und Menzel 70, nach einer andern An-
    gabe 75, nach der Tſuſhu 63 Jahr.

Ti-tſ hi oder Kin (nach Deguignes) Chi (nach
Menzel Tſ hi (nach du Halde) fehlt bei Couplet.
Er regierte 5, nach der Tſuſ hu 9 Jahr, wurde
wegen ſeiner Wolluͤſte abgeſezt, und wird daher
nicht in der Reihe der Uti mitgerechnet. Jhm
folgte ſein Bruder Yao.
***)

Bei Deguignes Ti-Yao-tao-Tang-ſhi
bei Couplet, du Halde und gewoͤhnlich Yao.
✝)
Auch Martinius und du Halde nehmen dieſes Jahr
an; Couplet aber 2397. Deguignes giebt das Regie-
rungsjahr des Yao nicht genau an; da daſſelbe
aber in das 41 Jahr des ſechſten ſineſiſchen Cy-
clus geſezt wird, und dieſes in das 2357te Jahr
vor Chriſto (nach deguigniſcher Rechnung faͤlt;) ſo
ſehe ich, daß dieſer Geſchichtsforſcher hier voͤllig mit
Kaͤmpfer zuſammenſtimt.
✝✝)
Yao’s Regierung hat nach dem Tſu-ſhu
und einigen andern deguigniſchen Quellen und dem
Menzel 100, nach andern 98, nach Martinius 90,
nach Couplet und du Halde gleichfals 100 Jahre.
*)

Dies iſt nicht ganz richtig geſagt, da Yao
die Regierung niemals niedergelegt, ſondern nur
den Schuͤn zu ſeinem Mitregenten erwaͤhlt, und
mit ihm 28 Jahre gemeinſchaftlich regiert hat.
Dies iſt wenigſtens die hergebrachte Geſchichte:
und wir werden ſogleich ſehn, daß auch Kaͤmpfer
ſie angenommen hat.
**)
Nach Deguigues Ti-Schuͤn-yau-yu-ſhi;
nach Couplet Xun oder Yu, nach du Halde und
gewoͤhnlich Chuͤn oder Schuͤn.
***)

Da 28 und 30 nur 58 macht, ſo iſt hier
wahrſcheinlich ein Schreibfehler in meinen Hand-
ſchriften; Scheuchzer hat richtiger, ſtat 30, 33. De-
guignes und Couplet ſetzen die Regierung |des
Schuͤn auf 50 Jahre an; der leztre giebt ausdruͤk-
lich an, daß dieſes nur von der Alleinherſchaft des
Schuͤn zu verſtehn ſey. Eben ſo du Halde. Mar-
tinius hat gleichfals 33 Jahre fuͤr die Alleinher-
ſchaft des Schuͤn, und Menzel 61 fuͤr die ganze
Regierung.
****)

Bei Couplet iſt hier wieder die obige Ver-
ſchiedenheit; nach ihm 2277 Jahr vor Chriſto;
nach Martinius 2258.
✝)

Bei Deguignes heiſt er Ti-Yu; bei
Menzel, Couplet und du Halde Yu. Man lei-
tet ihn vom Hoamti ab. S. die genealogiſche
Tabelle uͤber das Geſchlecht des Hoamti hinter der
Tabul. Chronolog. des Couplet.
✝✝)

Nach der Tſu-ſhu hat er nur 8 Jahr,
nach anderer Angeben Menzel, Martinius und Cou-
plet aber 10 Jahr allein regiert.
✝✝✝)

Nach Deguignes und Martinius’ 2207;
nach Couplet 2217. Du Halde folgt von nun an
immer dem Couplet; nur faͤngt er ſeine Zeitrech-
nung erſt mit dem Yao an. Menzel folgt ihm
gleichfals und faͤngt, wie Couplet, ſeine Zeitrech-
nung mit dem Hoamti an.
*)

Eben ſo geben auch Deguignes Menzel
und Couplet des Yuͤ Alter an.
**)
Nach Deguignes regierte das Geſchlecht
des Yuͤ oder die Dynaſtie der Hia 440 Jahr;
nach einer Berechnung der verſchiednen Jahre
koͤmt aber dieſe Zahl nicht heraus, und Deguig-
nes ſagt ſelbſt, daß er fuͤr thre Richtigkeit nicht
ſtehn koͤnne. Andre nehmen 471, andre 432, du
Halde und Menzel aber mit meinem Autor 458
Jahre an. Die Zahl der Kaiſer ans der Dynaſtie
der Hio geht auch von der gewoͤhnlich angenom-
menen ab. S. Deguignes algemeine Geſchichte
der Hunnen p. 9. u. ſ, w.
***)

Dies iſt der Ti-kuei oder Kie, er lebte,
nach Deguignes 1767, nach Martinius 1818, nach
Couplet 1858 Jahr vor Chriſti Geburt.
✝)

Wahrſcheinlich hat hier Kaͤmpfer an ſtat
Alters, Regierung ſchreiben wollen. Denn ſowol
Deguignes, als alle andre Quellen ſtimmen darin
zuſammen, daß Kie 53 oder 52 Jahre regiert
habe.
✝✝)

Bei Deguignes und gewoͤhnlich heiſt er
Tſhingtang, und die Dynaſtie, deren Stifter er
wurde, die der Scham oder Schang.
✝✝✝)

Es iſt merkwuͤrdig, daß Kaͤmpfers Chro-
nologie hier wieder ſo genau mit der deguigniſchen
und der des Martinius zutrift. Nach der lezten
fieng Tam’s Regierung 1766, nach der erſtern 1767
Jahr vor Chriſto an. Menzel hat 1797, welche
Angabe er vom Couplet entlehnt hat.
✝✝✝✝)

Deguignes rechnet 646 Jahre, aber auch
ohne ſeiner Rechnung ſicher zu trauen; Couplet
(und nach ihm Menzel) ſtimt Kaͤmpfern in 644
bei. Andre nehmen 600, oder auch 496 Jahr.
*)

Der deguigniſche Name dieſes Kaiſers iſt
Vu-vam oder Ven-Wam, und der Dynaſtie Tſ heu,
oder bei Herr Gatterer Tſhehu.
**)
Dies ſtimt wieder genau mit Deguignes
und Martinius uͤberein. Couplet und Menzel
haben 1137.
***)

Nach Deguignes 863, und nach Herrn Gat-
terers Berichtigung dieſer Rechnung 866, nach
Couplet 873.
✝)
Nach Deguignes 258, und nach Gatterer
256; nach Couplet und Menzel 249, nach Mar-
tinius 425.
✝✝)
Nach Deguignes Tſhao-Vam.
*)
Bei Deguignes und Couplet Hoei-wam.
*)
S. unten das erſte Kap. des fuͤnften Buchs.
*)
Dieſe Kupfer befinden ſich nicht bei der engliſchen Ueberſetzung; und wird ihrer auch in der
ſelben gar nicht erwaͤhnt.
*)

Der engliſche Ueberſetzer druͤkt dies etwas
anders aus. „Der japaniſche Charakter, ſagt er,
welcher die Nengo und das Jahr, da ich mich in
Japan befand, ausdruͤkt, heißet Genrokf.‟ d. i.
u. ſ. w.
*)
Auf der Kupfertafel ſteht unrichtig Fitſuſe.
*)
Mus nach der Kupfertafel heißen Kanno
ito Tſutsſeo.
**)

Um das zweite oder dritte Jahr, ſagt die
engliſche Ueberſetzung, welches auch freilich genauer
iſt, weil in 19 Jahren nur ſechs Schaltjahre ſeyn
koͤnnten, wenn nur jedes dritte Jahr ein Schalt-
jahr waͤre.
*)

Die hier folgenden Nachrichten unſers
Kaͤmpfers, nebſt denen, welche Deguignes (in der
alg. Geſch. der Hunnen S. 196 ꝛc.) liefert, ſind die
einzigen Quellen einer volſtaͤndigen japaniſchen
Geſchichte, die wir bisher in Europa erhalten ha-
ben. Doch Geſchichte iſt freilich ein zu wuͤrdiger
Name fuͤr dieſes magere Gerippe von bloßen Na-
men, Zahlen, und meiſtens abgeſchmakten und fa-
belhaften Ereigniſſen. Jndes behaͤlt es, ſo duͤrre
trocken und unamuͤſant fuͤr die meiſten Leſer es
auch ſeyn mag, ſeinen ſehr guten Werth, nur frei-
lich als ein Gerippe. Wir lernen hier die volſtaͤndige
und richtige Folge der japaniſchen Regenten, die
durch beinahe 24 Jahrhunderte ununterbrochen fort-
laͤuft, welches gewis fuͤr den wahrheitſuchenden
Geſchichtforſcher ein ziemlich ungewohnter und da-
her merkwuͤrdiger Anblik ſeyn mus. Wir werden
mit der Genauigkeit ihrer Chronologie, mit dem
Geſchmak
*)
Nach Deguignes Berechnung iſt das Jahr
660 vor Chriſti Geburt das 58ſte des 34ſten ſine-
ſiſchen Cyklus. Eben dieſe Angabe hat auch Cou-
plet, obgleich Charlevoix ſagt, daß dieſer Schrift-
ſteller hier mit Kaͤmpfern uͤbereinſtimme. Du
Halde (der, wie bekant, ſeine Cyklos erſt mit Yao
anfaͤngt) hat daher hier erſt den 28ſten, in deſſen
58ſtem Jahr er den Anfang der Regierung des
Synmu ſezt. Dieſer heiſt bei Deguignes Sſin-
Bu-ten-Oo. Die beiden leztren Sylben bezeich-
nen den kaiſerlichen Titel himliſch erhaben. Si-
neſiſch heiſt er Schin-vu.
**)
Jch habe dieſe etwas undeutliche und ge-
wiſſermaßen widerſprechende Periode, die mit | ( )
bezeichnet iſt, unveraͤndert aus meinen Handſchrif-
ten hergeſetzet, um in dem Sin des Verfaſſers
nichts zu aͤndern. Jch mus aber geſtehn, daß ich
hier einen Fehler meiner Maſcpte vermuthe, und
es wahrſcheinlicher halte, Kaͤmpfer habe hier
ſagen wollen, „daß Synmu’s Bruder ihm in der
Regierung vorgegangen, ein eben nicht merkwuͤrdi-
ges
*)
Geſchmak ihrer Annaliſten bekant; wir finden un-
ter vielen unerheblichen doch auch manchmal erheb-
liche Fakta; und wir erhalten hier endlich wenig-
ſtens Fachwerk, in das unſere Nachkommen einmal
(wann die Verbindung zwiſchen Japan und Europa
wiederhergeſtelt werden ſolte) eine wichtigere und
reichere japaniſche Geſchichte eintragen koͤnnen. ---
Kaͤmpfer verdient daher allerdings fuͤr dieſe Aus-
zuͤge japaniſcher Annalen großen Dank; und ſo
ſehr auch der P. Charlevoix (der doch ſo oft nur
K. uͤberſezt hat) bemuͤht iſt, Kaͤmpfers Verdienſt
herabzuſetzen; ſo kan er ihm doch dieſes nicht ab-
ſprechen, daß er hier, als der erſte, volſtaͤndige und ge-
naue Nachrichten von der aͤltern japaniſchen Ge-
ſchichte geliefert habe; um die ſich die Vaͤter der
Geſelſchaft Jeſu in weit vortheilhaftern Umſtaͤn-
den nie bekuͤmmert, weil ſie lieber Fabeln und
Wunder zu eigner Ehre erdichten, als die der Ja-
paner aus alten Chroniken zuſammen ſuchen
mogten.
Jn der koͤnigl. franzoͤſiſchen Bibliothek befin-
det ſich nur eine einzige Chronik von Japan, wel-
che Deguignes excerpirt hat. Jch werde die Ab-
weichungen in Namen und Zahlen anmerken, auch
merkliche Verſchiedenheiten, die ich bei Couplet
und andern finde, anzeigen, damit ſo der Leſer hier
Alles vor ſich habe, was unter uns uͤber die japa-
niſche Kaiſerfolge bekant worden. Auch die ſine-
ſiſchen Namen der Kaiſer fuͤge ich bei, damit man
ſie an andern Orten erkennen koͤnne.
*)

Hier fehlt die Zahl in meinen Handſchrif-
ten; die engliſche Ueberſetzung hat aber 600, wel-
che auch allerdings die richtige zu ſeyn ſcheint.
Jn der franzoͤſiſchen Ueberſetzung dieſes Werks ſteht
durch einen Drukfehler 660. Der genaue und ſehr
aufmerkſame Charlevoix (welcher nur dieſe Ueber-
ſetzung vor ſich hatte,) vermuthete ſchon darin ei-
nen Drukfehler, weil Kaͤmpfer dieſe Begebenheit
als gleichguͤltig mit der Geſchichte des Rooſi er-
zaͤhlt. Er hatte Recht hierin, und dies Jahr 600
ſtimt nun genau mit dem Geburtsjahr des Rooſi
601 uͤberein,
**)
ges Leben, eine Regierung ſonder Bewunderung
gefuͤhrt haͤtte ꝛc.‟ So hat es Scheuchzer ent-
weder in ſeiner Urſchrift gefunden oder dieſe Stelle
ſo veraͤndert. Sie heiſt bey ihm: He was the
fourth and youngeſt of his Brothers, who pro-
ceeded him in the Government, but liv’d ſo in-
conſiderable a time and reign’d in ſuch an ob-
ſcure manner, that the Foundation of the Empire,
with the Title of Nin O, that is, the ſuperior of
all Men,
is by all Japaneſe Writers unanimously
attributed to him, as to their Julius Caeſar.
*)
Einige Nachrichten, bemerkt Deguignes,
geben ihm nur 127 Jahre.
**)
Bei Deguignes Sſuͤi-Sei; ſineſiſch Sui-
tſim.
***)
Deguignes, 582.
†)

Charlevoix (ſ. Hiſtoire du Japon, T. I.
p.
141) ſagt, daß Couplet das 47ſte Jahr des 36ſten
Cyklus, welches das Jahr 597 vor Chriſto ſey, fuͤr
des Conſucius Geburtsjahr angebe; daß aber die-
ſer Jrthum nur ein Jahr ausmachen. Wenn
man hier nicht wenigſtens zwei Drukfehler oder
auch einen ſonderbaren Grad von Jgnoranz, oder
Fluͤchtigkeit oder Widerſprechungsſucht bey dem Je-
uiten annehmen wil, ſo begreife ich nicht, was
Charlevoix habe ſagen wollen. Das 47ſte Jahr
des 36ſten Cyklus iſt nicht das Jahr 597, ſondern
551 vor Chriſti Geburt; Couplet giebt eben ſo
ausdruͤklich, wie Kaͤmpfer, das J. 551 und den
11ten Monat dieſes Jahrs (nur nicht den vierten,
ſondern den 13ten Tag) fuͤr Confucius Geburts-
zeit an. S. Couplets Confucius p. CXVII in
vita Confucii.
Soviel ich weis und mich habe um-
ſehn koͤnnen, iſt auch noch nirgends irgend ein
andres Jahr als 551 genant; und ein ſo merkwuͤr-
diges Datum, (als die Geburt des ſineſiſchen Wei-
ſen iſt,) haͤtte doch billig wohl einem Manne ge-
laͤufiger ſeyn ſollen, der, wie es ſcheint, ſeinen
Couplet immer aufgeſchlagen hatte, und der es
unternahm eine Hiſtoire et Deſcription generals
du Japon
zu ſchreiben! —
††)
Hier geht unſer Verfaſſer von allen an-
dern bisher bekanten Nachrichten ab, die aus Sina
und alſo der Quelle naͤher abſtammen; ich wil es
daher nicht unternehmen, ihn hier gegen Charle-
voix’s Tadel zu rechtfertigen. Hier iſt die ge-
naueſte Angabe von Confucius Geburtsort aus
dem Couplet: natalem habuit ſedem in Regno
Lu,
quod regnum hodie Xantum
(gewoͤhnlicher
Schantong) dicitur, in pago çeuye territorii
Cham pim, quod ad civitatem Kio feu pertinet;
haec autem civitas paret urbi rekcheu dictae.
---
Martinius giebt gleichfals die Provinz Schang-
tong an. S. Hiſt. Sinenſ. L. IV. p. 232.
*)
Charlevoix wirſt hier K. vor, er habe
Confucius im 77ten Jahre ſterben laſſen; welches
aber falſch iſt, und nur des Jeſuiten Fluͤchtigkeit
beweiſt. Sogar in der franzoͤſiſchen Ueberſetzung
wie in der engliſchen ſteht 74.
**)
Er heiſt bei Deguignes auch An-nei;
ſineſiſch aber Gan-nim.
***)
Nach Deguignes 549.
†)
Sineſiſch Y-te.
††)
Deguignes, 78.
*)
Bei Deguignes, Kao-ſſeo; ſineſiſch Hiao-
tſchao.
**)
Bei Deguignes, Kaoan; ſineſiſch Hiao-
gan.
***)
Bei Deguignes, 393.
****)
Bei Deguignes, Kao-rei; ſineſiſch Hiao-
ling.
†)
Deguignes, 291.
††)
Deguignes, Kaoken; ſineſiſch Hiao-yuͤen.
†††)
Deguignes, 215.
††††)
Charlevoix ſagt, daß dieſer Kaiſer we-
der bei Couplet noch bei Martinius vorkomme.
Und er moͤchte gern hiemit Kaͤmpfern die Beſchuldigung
aufladen, daß er ein erdichtetes, uͤbrigens aber
ſehr
*)
Tſhing-vang bauete dieſe Mauer nicht
zuerſt, ſondern er verband nur die verſchiednen An-
lagen von Mauern, welche die kleinen, von ihm
uͤberwundnen Koͤnige lange vorher gegen die Ein-
faͤlle der Tataren gemacht hatten. Daß dieſe Mauer
aber bei weitem nicht den gewoͤhnlichen Begriffen
in Europa von derſelben entſpreche, oder vielmehr
wahrſcheinlich gar nicht die heutige chineſiſche Mauer
ſey, wird ſchon dadurch hinlaͤnglich bewieſen, daß
Marko Polo im 13ten Jahrhundert mit der ganzen
Armee des Kublaikhaus nach China kommen, und
wieder zuruͤkreiſen konte, ohne von der chineſiſchen
Mauer etwas geſehn oder nur gehoͤrt zu haben.
Dieſe Bemerkung, duͤnkt mich, iſt entſcheidend,
wenn gleich einige Gelehrte ſich aͤngſtlich bemuͤht
haben, einen Weg auszufinden, wie Marko Polo
haͤtte nach China kommen koͤnnen, ohne von der
großen Mauer etwas zu ſehen. S. Kircheri Sina
illuſtrata, p.
90. und Martinii Atlas Sin. p. 74.
Jn einem Buche, das vermuthlich allen meinen
Leſern zur Hand iſt, ſind noch neuerlich ſo ſcharf-
ſinnige, und, meiner Ueberzeugung nach, gegruͤn-
dete Bemerkungen uͤber dieſe beruͤhmte Mauer
gemacht, daß ich es beſſer halte, dahin (S. Ke
cherche’
††††)
ſehr merkwuͤrdiges Weſen, in die ſineſiſche Ge-
ſchichte hineingebracht und dadurch alſo ſeine Nach-
richten uͤberhaupt verdaͤchtig gemacht habe. Der
gute Mann haͤtte aber bey einer nur einigermaßen
aufmerkſamen Vergleichung der angefuͤhrten Schrift-
ſteller leicht wahrnehmen koͤnnen, daß eben der Kai-
ſer, den Kaͤmpfer nach japaniſchen Annalen Sikwo
nent, bey Couplet Xi- hoamti und bey Martinius
Chingus oder Xius heiße. Nach jenem fieng er
ſeine Regierung 237, nach dieſem 246 Jahre vor
Chriſto an. Deguignes nent ihn Tſhing-vang
und ſezt ihn ins J. 246. Dieſer Gelehrte ſucht
ihn gegen die Beſchuldigungen der Grauſamkeit
und Tyrannei zu rechtfertigen, die ihm von un-
ſerm Schriftſteller und andern gemacht werden, ---
wie mich duͤnkt, aber nicht mit Ueberzeugung eines
aufmerkſamen Leſers. So lange man die von ihm
erzaͤhlte Handlungen als wahr annimt; (und dies
thut Deguignes) ſo kan man auch wol nicht laͤug-
nen, daß Tſhing-vang ein wahrer ſineſiſcher Nero
war; und meiner Einſicht nach, behandelt der
hochachtungswuͤrdige Herr Hofrath Gatterer den
Tſhing-vang viel zu guͤtig, wenn er (ſ. ſein Hand-
buch der Univerſalhiſtorie Th. 2. p. 60) die Aeuße-
rungen ſeiner ſo unmenſchlichen, barbariſchen, die
Aufklaͤrung der Nation haſſenden (dies beweiſt der
Buͤcherbrand) Tyrannei mit der manchmal freilich
auch deſpotiſchen und grauſamen Haͤrte Peters des
Großen von Rusland vergleicht.
*)
Der aͤußerſt aufmerkſame und beſonders fuͤr
Kaͤmpfers Fehler ſcharſſichtige Charlevoix bemerkt
mit Recht, daß unſer Verfaſſer ſich hier wider-
ſpreche, da nach ſeinen eignen Nachrichten das
Gold erſt weit ſpaͤter in Japan eingefuͤhrt iſt;
wir werden aber ſogleich ſehn, daß hier ein Ver-
ſehn vorgegangen ſey — und dieſer Pallaſt
nothwendig nicht in Japan, ſondern in Sina geweſen
ſeyn muͤſſe.
**)

Dieſer Kool mag nun, (wie es mir wahr-
ſcheinlich iſt) der Lieu-pang des Deguignes, ſo
wie der Syſe des Deguignes Tſe-ing ſeyn; (eine
Unterſuchung die nicht hieher gehoͤrt) ſo iſt doch
ſoviel unleugbar, daß der Pallaſt, von dem hier
Kaͤmpfer redet, unmoͤglich von dem uͤberhaupt fa-
belhaften Arzt, der die Colonie uͤberbrachte, in Ja-
pan angelegt ſeyn koͤnne; ſondern daß er noth-
wendig in Sina, und wahrſcheinlich vom Sikwo,
(der ſo viele praͤchtige Gebaͤude errichtete) erbauet
ſey. Denn wie haͤtte anders der Zerſtoͤrer der
Dynaſtie der Ein (der nie nach Japan kam,) dieſen
Pallaſt verbrennen koͤnnen? — Der Fehler iſt
indes meinen Maſcpten mit der engliſchen Ueberſe-
tzung gemein; es laͤſt ſich alſo nicht entſcheiden,
ob er in einem Verſehn Kaͤmpfers und deſſen, der
ihm die japaniſchen Annalen dolmetſchte, oder in
dieſen Annalen ſelbſt ſeinen Grund habe? —
***)
Auch dieſe Erwaͤhnung der ſineſiſchen Ge-
ſchichten macht den oben angefuͤhrten Fehler wahr-
ſcheinlich. Denn die ſineſiſchen Annalen erwaͤhnen
niemals andrer, als in Sina vorgefallener Bege-
benheiten; die japaniſchen hingegen bereichern ſich
bekantermaßen mit allen merkwuͤrdigen Ereigniſſen
von Sina.
*)
cherches ſur les Egyptiens \& les Chinois T. 2.
p. 87 \&c.
) zu verweiſen, als hier noch mehrers
uͤber einen Gegenſtand zu ſagen, der fuͤr meinen
Verfaſſer doch nur epiſodiſch iſt. Nur dies wil
ich noch anfuͤhren, daß die jetzige Truͤmmer der
großen Mauer bey weitem nicht 300 deutſche Mei-
len Laͤnge haben, wenn auch, wie ich nicht zweifle,
K. in ſeinen japaniſchen Annalen dieſe Laͤnge
fuͤr die Mauer des Sinokwo angegeben fand.
Pauw hat die jetzige auf weniger als 160 franzoͤ-
ſiſche Meilen herabgeſezt.
*)
Kai-kuͤo nach Deguignes; ſineſiſch Hiao-
vuͤen.
**)
Deguignes 158.
***)

Kaͤmpfer hat uns ſchon oben |eine ge-
nauere Definition der Nengo gegeben. Jch habe
mich aber nicht berechkigt gehalten, dieſe und aͤhn-
liche Wiederholungen wegzuſtreichen.
†)
Sſuͤuͤ-ſin nach Degnignes; ſineſiſch Tſong-
ſ hin.
††)
Deguignes 98.
*)

Dies iſt nur eine Kleinigkeit gegen die
engliſche Ueberſetzung. Dieſe laͤſt das wunderbare
Pferd in einem Tage 1000 Meilen laufen. Die
Lesart meiner Handſchriſten iſt in der That zu na-
tuͤrlich, daß ich jenes nicht fuͤr einen Schreibfehler
halten ſolte.
**)
Nach Deguignes regierte er doch nur 68,
und lebte 120 Jahr,
*)

Jn dieſer Verechnung mus irgendwo ein
Fehler ſeyn. Denn, wenn Chriſtus 33 Jahr alt
wurde; ſo muſte er im 63ſten des Synin ſterben,
wenn er im 29ſten geboren wurde; oder er war
im 33ſten geboren, wenn er im 66ſten ſtarb.
Sonſt wird von allen Schriftſtellern (Couplet,
Martinius, Menzel, Deguignes) das Geburtsjahr
Chriſti in das erſte-Jahr des Hiao-Pimti aus der
Dynaſtie der Si-Han geſezt. Nach der algemei-
nen ſineſiſchen Zeitrechnung iſt es das 88ſte Jahr
des 45ſten Cyklus.
Uebrigens mus ich geſtehn, daß, wenn ich die
Epochen und Abtheilungen in der japaniſchen Ge-
ſchichte zu machen haͤtte, ich ſie nicht von der Ge-
burt Chriſti entlehnen wuͤrde, da dieſe Begeben-
heit nicht den mindeſten Einflus in die Geſchichte
der japaniſchen geiſtlichen Erbkaiſer bewieſen hat.
Man moͤchte dann allenfals wie der Pater Mar-
tinius die Dinge anſehn, der eine ſehr natuͤrliche
Verbindung zwiſchen der Geburt Chriſti und der
ſineſiſchen Geſchichte darin findet, daß der ſineſiſche
Kaiſer den Namen Pangus (oder Pam) d. i.
friedfertig eben zu der Zeit annahm, da der wahre
Fuͤrſt des Friedens in die Welt kam. Eine Ver-
bindung, die in der That im Kopfe eines Jeſui-
ten eben ſo natuͤrlich war, als ſie Jedes andern
Menſchenverſtande laͤcherlich ſcheinen mus. S. Mar-
tinii Hiſt. Sin. L. IX. p.
361.
*)
Dai-kei-Kaoo nach Deguignes; ſineſiſch
Tai-king-hang.
**)
Degnignes 140.
***)
Dai-Sſei-Mu nach Deguignes; ſine-
ſiſch, Tai-Tſhing-wu.
†)
Deguignes, 131.
*)
Tſuͤi-Ti; ſineſiſch Tſhong-gnai.
**)
Deguignes, 191.
***)
Sſiu-koo-oo, nach Deguignes; ſineſiſch
Shing-kuͤng.
†)
Deguignes, 200.
††)
Oo-ſſin auch bei Deguignes; ſineſiſch
Jngſ hin.
*)
Nach Deguignes, 110,
**)
Jnkio; ſineſiſch Yuͤnkuͤng. Die Sineſer nennen ihn auch Tſan.
*)
Ankao bey Deguignes, ſineſiſch Gankam.
**)
Yuͤuͤ-Rijasuͤ bey Deguignes; ſineſiſch
Yuͤmliuͤ.
***)

So finde ich dieſe Stelle in meinen Hand-
ſchriften, und es laͤſt ſich nicht genau daraus ab-
nehmen, ob Sinka eine Perſon war. Scheuchzer
hat es ſo verſtanden, und ſagt, „die Putjes waͤ-
ren von einem Sinka gepraͤgt worden.‟
†)
Sſei-nei nach Deguignes; ſineſiſch Tſching-
ning.
††)
Ken-Sſoo nach Deguignes; ſineſiſch Hient-
ſong.
*)
Sineſiſch Gin-Hien.
**)
Sineſiſch Ki-ti.
*)
Sineſiſch, Gan-kan.
**)
Sſen-kuͤo bey Deguignes; ſineſiſch
Siuͤen-Hoa.
†)
Deguignes, 535.
††)
Sineſiſch, Kin-Mim.
*)
Sineſiſch, Minta.
*)
Sineſiſch Yuͤm-min.
**)
SSiuͤ-ſſi-yuͤn; ſineſiſch Tſing-ſjim.
*)
Oder Kraͤhe.
**)
Sſijo-Mei nach Deguignes; ſineſiſch Siuͤmim.
†)
Kuͤoo-Kijoku; ſineſiſch Hoamkin.
*)
Kao-tokuͤ; ſineſiſch Hiao-te.
**)
Tſimei, nach Deguignes; ſineſiſch Tſimim.
†)

Dies Jahr ſteht ſowol in meinen Hand-
ſchriſten als in der engliſchen Ueberſetzung. Es
mus aber, wie man leicht gewahr wird, 655 ſeyn.
Deguignes hat 653.
*)
Sineſiſch Tient-ſhi.
**)

Charlevoix ſagt, der Tentſji waͤre der
Sohn eines Jtoku der vorhergehenden Kaiſerin
geweſen; nach K. war er ſelbſt ihr Jtoku.
*)
Bey Deguignes Dſitoo; ſineſiſch Schitong.
**)
Bey Deguignes Man-buͤ; ſineſiſch Ven-vu.
*)
Bey Deguignes Ken-Mei, ſineſiſch
Yuͤen-min.
**)
Bey Deguignes Ken-Sſijao; ſineſiſch
Yuͤen-Tſhing.
*)
Bey Deguignes Sſijao-buͤ; ſineſiſch
Schimvu.
**)
Nach Deguignes Kao-ken; ſineſiſch
Hiao-kien.
*)
Sineſiſch Jenlu-Fiti.
**)
Sineſiſch Tſhuͤng-te.
***)
Bey Deguignes Kuͤoo-Nin; ſineſiſch
Kuͤam-gin.
*)
Bey Deguignes Kuͤou-Buͤ; ſineſiſch
Huͤon-vu.
**)

Unter dieſem fremden Volke kann man
wol nichts anders verſtehn als eine tatariſche
Horde. Etwas fruͤher (um 770) fielen auf aͤhn-
liche Art 200,000 Tataren Sina an.
***)
Bey Deguignes Fei-Sſei; ſineſiſch
Pim-tſhing.
*)
Bey Deguignes Sſa-ka; ſineſiſch
Tſeuͤ-gno.
**)

Bey Deguignes Sſjuͤn-wan; ſineſiſch
Giuͤnho.
***)
Bey Deguignes Nim-mei; ſineſiſch
Giu-mim.
*)
Bey Deguignes auch Mon-toku; ſineſiſch
Vente.
**)
Sineſiſch Tſimho.
***)
Bey Deguignes Jao-Sſei; ſineſiſch
Yam-tſhing.
*)
Bey Deguignes Kuͤoo-Kao; ſineſiſch
Kuͤam-Hiao.
**)
Sineſiſch Yuͤ-to.
***)
Bey Deguignes Daiko; ſineſiſch Te-hu.
†)
Bey Deguignes Sſiuͤn-Sjakuͤ; ſineſiſch
Tſhu-Tſio.
*)
Sineſiſch, Fuͤng-tſchang.
**)
Bey Deguignes Rei-ſſin; ſineſiſch,
Ling-tſuͤen-yuͤen.
***)
Bey Deguignes Yen-yuͤo; ſineſiſch
Yuͤn-yuͤm-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Kuͤ-aſſen; ſineſiſch Hoa-
ſhan-puͤen.
**)
Sineſiſch Ye-tiao-Yuͤen.
***)
Sineſiſch San-tiao-Yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-itſi-Dſio; ſineſiſch
Heu-ye-tioo-yuͤen.
**)
Scheuchzer hat unter dieſer Plage die
Peſt verſtanden, welches ich doch nicht fuͤr unaus-
gemacht halte.
***)
Bey Deguignes Ko-Sſijuͤ-Sſijakuͤ;
ſineſiſch Heu-tſhutſio-yuͤen.
****)
Bey Deguignes Ko-rei-ſſen; ſineſiſch
Heu-ling-tſiuͤen-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-ſſan-Dſin; ſineſiſch
Heu-ſan-tiao-yuͤen.
**)

Bey Deguignes Sſi-ra-kafa; ſineſiſch
Peho-yuͤen.
***)
Bey Deguignes Fori-kafa; ſineſiſch
Kuͤ-ho-yuͤen.
*)
Sineſiſch U-gui-yuͤen.
**)

Bey Deguignes Sſio-tokuͤ; ſineſiſch
Tſong-te-yuͤen.
***)
Sineſiſch Kin-goei-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-Sſira-kafa; ſineſiſch Heu-peho-yuͤen.
*)
Sineſiſch Ulh-tia-yuͤen.
**)
Sineſiſch Lo-tiao-yuͤen.
***)
Sineſiſch Kao-tſang-yuͤen.
*)
Sineſiſch Gante.
**)
Bey Deguignes Ko-toba; ſineſiſch Heu-u-yuͤ-yuͤen.
*)
Sineſiſch Tuͤ-yuͤ-muͤen-yuͤen.
**)
Sineſiſch Schuͤn-te-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-Fori-kafa; ſineſiſch
Heu-ku-hoyuͤen.
**)
Sineſiſch Suͤ-tiao-yuͤen.
***)
Bey Deguignes, Ko-ſſaka; ſineſiſch
Heu-tſeu-geo-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ka-fika-kuͤſſa; ſineſiſch
Heu-ſhin-tſao-yuͤen.
**)
Sineſiſch, Kuei-ſchan-yuͤen.
†)
Dieſer Sijſuͤ heiſt bey Deguignes Schitſuͤ;
ſein mogoliſcher und unter uus bekanterer Name
aber iſt Kublai-Khan. Er war der Sohn des
Tuli-
*)

Die bekanteſte Ausgabe dieſes beruͤhmten
und ungemein ſchaͤzbaren Reiſebeſchreibers des
13ten Jahrhunderts iſt diejenige, welche Andreas
Muͤller 1671 beſorgt hat. Er liefert den Marco
Polo in derſelben nach einer alten lateiniſchen
Ueberſetzung (die zuerſt allein und hernach in des
Hutichius Novo Orbe bekant gemacht war,) welche
er mit einer Handſchrift der koͤniglichen Bibliothek
in Berlin verglichen hatte. Man wuſte aber laͤngſt,
daß der venetianiſche Reiſebeſchreiber in dieſer al-
ten Ueberſetzung — und ſo auch in Muͤllers
Ausgabe — ſehr verſtelt ſey, und daß man den
wahren Marco Polo nirgend anders als in des
Ramuſio Navigatione \& Viaggi vol. 2. p. 50 \&c.
ſuchen duͤrfe. Dieſer nuͤzliche Samler hat daſelbſt
eine italiaͤniſche Ueberſetzung aus den aͤlteſten latei-
niſchen Handſchriften geliefert, in der Marco Polo
ganz ein neues Anſehn gewint. Noch neuerlich
hat der beruͤhmte Hr. Leſſing an den vorzuͤg-
lichen Werth des Ramuſio mit der ihm gewoͤhnli-
chen Energie wieder erinnert, und ihm neue Be-
ſtaͤtigung aus einer lateiniſchen Handſchrift gege-
ben, welche ſich in der Bibliothek zu Wolfenbuͤt-
tel befindet. Nach den Proben, die Hr. Leſſing
mittheilt, verlohnte es allerdings der Muͤhe, den
Marco Polo nach dieſer Handſchrift verbeſſert von
neuem herauszugeben. Nur muͤſte derjenige, der
ſich um dieſen Schriftſteller noch einmal verdient
machen wolte, auch nicht die alte franzoͤſiſche Ueber-
ſetzung deſſelben vergeſſen, die ſich in der Biblio-
thek zu Bern befindet, und die der gelehrte Herr
Sinner ſchon vor einigen Jahren angezeigt hat.
Dieſe ſcheint von ſo vorzuͤglichem Werth zu ſeyn,
daß ich mich wundere, wie Hr. Leſſing (der doch
ſonſt eben Nichts zu vergeſſen pflegt, was zur Sache
gehoͤrt) an dieſelbe ſich gar nicht erinnert hat.
Dieſe Ueberſetzung iſt ſchon 1307 gemacht aus
einer Handſchrift, die Marco Polo einem Thybault
Seigneur de Cepoy
ſelbſt gegeben hat, und die
la premiere Copie de ſon dit livre puis qu’il eut
fait
heiſt. Die Auszuͤge, welche Herr Sinner aus
den erſten 85 Kapiteln mittheilt, ſind ſehr erheb-
lich
†)
Tuli-Khan und Enkel des beruͤhmten Dſ hen-
gis-khan; der Stifter der mogoliſchen Dynaſtie
der Yuͤen, die uͤber Sina von 1276 bis 1368
herſchte. Er ſtarb 1294. Bey Couplet heiſt Ku-
blai Khan Xicuͤ und ſtirbt im 31ſten Jahre des
67ſten ſineſiſchen Cyklus, welches mit dem Jahr
1294 zutrift.
*)
Bey Deguignes Fuͤſſi-mi; ſineſiſch Heu-
yuͤ-to-yuͤen.
**)
Bey Deguignes Ko-Fuͤſſi-mi; ſineſiſch
Heu-fu-tien-yuͤen.
*)
lich (S. Catalogus Codicum Mſſ. Biblioth. Bernen-
ſis, T. 2. 1770. 8. p. 419-456)
und es iſt aller-
dings vermuthlich, daß eine Ueberſetzung vom Jahr
1307 und von einem Zeitgenoſſen des M. P. der
Urſchrift naͤher kommen muͤſſe, als die von 1553,
welche Ramuſio aus mehrern lateiniſchen Hand-
ſchriften von unbekantem, wahrſcheinlich aber ver-
ſchiednem Werthe verfertigte. Wie ſie ſich aber
gegen die lateiniſche Handſchrift zu Wolfenbuͤttel
verhalte? laͤſt ſich nicht beſtimmen, ſo lange beide
nicht gedrukt ſind.
Dieſes aber mus noch geſchehn, und dann die
Berniſche und Wolfenbuͤttelſche Handſchrift mit
dem Ramuſio (und auch mit Muͤller) verglichen
werden; — wenn wir anders jemals einen aͤch-
ten Marco Polo bekommen ſollen, auf den man
mit Zuverlaͤßigkeit ſich berufen kan. Und dies,
denklich, waͤre dann doch wol noͤthig bei einem
Schriftſteller, der fuͤr ſo manche Data der Ge-
ſchichte und aͤltern Geographie von Aſien unſere
einzige Quelle iſt; — und fuͤr eine ganze Pe-
riode der einzige Zeuge, den man neben einem
Deguignes abhoͤren kan! —
Jch werde in den Zuſaͤtzen zu dieſem Werke
Marco Polo’s Nachrichten von Japan und von
Kublai Khans Unternehmungen, und auch noch
manches Andre, — was ich uͤber dieſen Schrift-
ſteller zu ſagen habe — beybringen. Vielleicht
erhalte ich auch noch unterdeſſen von dem wilfaͤh-
rigen Eifer fuͤr die Wiffenſchaften — der die
Bibliothekaren von Bern und Wolfenbuͤttel belebt --
eine Abſchrift dieſer Stellen aus ihren Handſchrif-
ten. Alsdann liefre ich ſie nach dieſen, nach dem
Ramuſio und nach dem Andreas Muͤller und alſo
eine Probe, wie eine kritiſche Ausgabe des Marco
Polo noch zu veranſtalten waͤre.
*)
Sineſiſch Heu-Ulh-tiao-yuͤen.
**)
Sineſiſch Hoa-yuͤen-yuͤen.
***)
Sineſiſch Heu-ti-yu.
*)
Kuͤoo-Juͤn bey Deguignes; ſineſiſch
Kuͤam-yen yuͤen.
**)
Bey Deguignes Kuͤoo-mei; ſineſiſch Kuͤam-
mim-yuͤen.
***)
Dieſe Angabe finde ich auch bey De-
guignes.
†)
Deguignes hat ihn nicht.
*)
Bey Deguignes Siuͤuͤ-kioo; ſineſiſch
Tſoug-kuͤam-yuͤen.
**)

Bey Deguignes Ko-kuͤyo-yuͤn; ſineſiſch
Heu-kuͤam-yen-yuͤen.
***)
Bey Deguignes Lo-Jen-Yuͤo; ſine-
ſiſch Heu-yuͤn-yuͤm-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-komats; ſineſiſch
Heu-ſiao-yuͤm-yuͤen.
**)
Sſeo-Kuͤoo bey Deguignes; ſineſiſch
Tſhing-kuͤam-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-Fanna-Sonno; ſine-
ſiſch Hen-hoa-yuͤen-yuͤen.
**)
Sineſiſch Heu-tu-yuͤ. muͤen-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-kaſſiſa-bara; ſineſiſch
Heu-pe-yuͤen-yuͤen.
**)
Sineſiſch Heu-nai-lang-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ofo-kimatz; ſineſiſch Tſhing-tſin-tim-yuͤen.
*)
Bey Deguignes Ko-Jao-ſſei; ſineſiſch Heu-yam-tſhim.
*)
Bey Deguignes Sſeo-kuͤo; ſineſiſch Yuͤm-uei-yuͤen.
*)
Sineſiſch Puͤen-yuͤen.
**)
Bey Deguignes Ko-kuͤo-mei; ſineſiſch Heu-kuͤam-mim.
*)
Beuͤ |Deguignes Ko-ſſei; ſineſiſch Heu-
ſi-yuͤen.
**)

Man findet dieſe Beſchreibung in der hol-
laͤndiſchen Ausgabe des Montanus von 1669 —
die ich vor mir habe — p. 381 u. ſ. w. nebſt
einer Abbildung der Feuersbrunſt. Gewis iſt ſie
eine der ſchreklichſten, welche die Geſchichte |aller
Zeiten und Laͤnder aufbehalten hat. Unglaublich
viel
*)
Bey Deguignes Kin-Sſijao; ſineſiſch
Kin-ſham-hoam-ti.
**)
viel Menſchen kamen theils durch das Feuer ſelbſt,
theils durch das Gedraͤnge um. Nur in einer
Gaſſe zaͤhlt Wagener 3000 Leichen, und die Japa-
ner geben die Zahl aller Umgekommenen uͤber
100,000 an.
*)
Bey Deguignes wie der vorige Kin-Sſijao; und ſineſiſch auch Kin-ſ hin-hiamti.
*)
Die Namen der Seoguͤn hat Deguignes ungeaͤndert aus unſerm Verfaſſer beybehalten.
*)
So haben meine Handſchriften dieſe Zahl, Scheuchzer aber nur 70.
*)
Dieſe Bemerkung befindet ſich nur in dem
Maſcpt. des Neffen. Jn der engliſchen Ueberſe-
tzung, ſo wie im Maſcpte des Oheims, fehlt dieſer
Abſatz ganz.
**)
Sie iſt vielmehr eine philoſophiſche
Sette.
***)
Jch ſchreibe bald Budz, bald Bndſ,
Kame odet Kami, — nicht aus Unachtſam-
keit; ſondern weil ich meinem Autor, der
auch ſo abwechſelt, hierin getreu nachfolgen
wolte.
*)
Dieſe Stelle befindet ſich nur in dem
Maſcpte des Oheims, und fehlt in dem des Nef-
fen, ſo wie in der engliſchen Ueberſetzung.
**)
Millions hat die engliſche Ueberſetzung.
***)
Dies Wort findet ſich nur in der Hand-
ſchrift des Neffen; in der des Oheims ſteht: Jſt
Tadakki oder — in der engliſchen Ueberſe-
tzung auch blos der japaniſche Name.
*)
Dieſe Periode beſindet ſich nur im Maſcpte
des Neffen.
**)

Man ſieht wohl, daß hier Kaͤmpfer nur
kurz wiederholt, was er ſchon oben im ſiebenten
Kapitel des erſten Buchs und im erſten Kapitel des
zweiten Buchs ausfuͤhrlicher abgehandelt hat.
*)

Jch habe dieſe Stelle unveraͤndert aus dem
Original beibehalten, da ſie mir nicht recht
deutlich iſt.
*)
Ju Daſſ iki iſt eine gewundne Schnur, wel-
che diejenigen anlegen, die heilige Sachen erklaͤ-
ren oder predigen. Taſſ iki iſt ein Band, womit
gemeiniglich die Ermel kreuzweiſe durch und auf-
gebunden werden, damit ſie in der Arbeit nicht
hindern. K.
**)
Die fuͤnf leztern Abſaͤtze fehlen ganz
in der engliſchen Ueberſetzung und befinden ſich
nur im Maſcpte des Neffen.
*)

Mikaddo heiſt nach dem [Buchſtaben] die
hohe Pforte. Denu Mi iſt ſoviel wie On, goo,
Oo, gio, welche einzelne Worte insgeſamt nur eine
Bedeutung haben, nemlich, weit, hoch, groß, an-
ſehnlich, auch unſer, Hoͤchſt, Grosmaͤchtigſt, Durch-
lauchtigſt ausdruͤcken. Kaddo iſt ſoviel als mon,
eine Pſorte. K.
*)

Scheuchzer mus hier ſein Original ganz
falſch verſtanden haben, da er K. hier gerade das
Gegentheil von dem ſagen laͤſt, was ich in meinen
beiden Handſchriften einſtimmig finde. Nach ihm
iſt das Geſez der Natur ſtark genug in den Sin-
toiſten, ſie vor zu großen Ausſchweifungen zu be-
wahren. Hier iſt die ganze Stelle in Scheuch-
zers ſehr umſchreibender Ueberſetzung: Hence it
would be but natural to think, that they ſhould
abandon themſelves to all manner of voluptuouſneſſ
aud ſinful pleaſures and allow themſelves without
reſtraint, whatever can gratify their wiſhes and de-
ſires, as being free from fear of acting contrary to
the will of the gods, and little apprehenfive of
the effects of their anger aud diſpleaſure. And theis
perhaps would be the miſetable caſe of a nation
in this condition, were it not for a more powerſul
ruler within their hearts, natural reaſon, wich here
exerts itſelf with full force, and is of itſelf capable
enough to reſtrain from indulging their vices, and to
win over to the dominion of virtue all thoſe, that
will but haarken to its dictates.
— Man ſieht
ſchon, daß die Natur der Sache ſelbſt mehr fuͤr die
Leſeart meiner Maſcpte ſpricht.
*)

Der Verfaſſer hat ſchon oben (S. 158) von
dieſer Muſchel geredt. Scheuchzer’s Ueberſetzung
ſezt noch hinzu, daß dieſe Muſchel beſonders an die
Frugalitaͤt und Armuth der Vorfahren erinnern
ſolle, die meiſtens von dieſer Muſchel lebten.
*)
Dieſer ganze Abſaz fehlt in der engliſchen
Ueberſetzung.
**)
Scheuchzer ſagt viel unbeſtimter; to a con-
ſiderable value.
*)
Ki oder Kigaki heiſt Geiſtſchrift, oder
Fnndationsſchrift, zum Gedaͤchtnis des Stifters
vom Tempel und deſſen Goͤtzens; und worin man
Nachricht findet, — wie? auf was Art? durch
welche Mittel? und zu welcher Zeit? die Stiftung
geſchehn iſt. K.
**)

Der Berfaſſer hat eben dieſe Geſchichte
beinahe auf gleiche Art in den Amoenitatibus Exo-
ticis Faſc. III. Obſ.
13. §. 8. erzaͤhlt, und ſie wird da-
her weiter unten in dieſem Werke noch einmal
vorkommen. Scheuchzer hat ſie hier ganz wegge-
laſſen, welchem Beiſpiel ich aber nicht gefolgt bin,
weil dieſe Geſchichte hier gerade am rechten Orte
fteht, von Kaͤmpfer in beiden Stellen etwas ab-
weichend erzaͤhlt wird, und weil ſie ſich in meinen
beiden Handſchriften findet und alſo nach K. Ab-
ſicht hier hat ſtehen ſollen.
*)
Jn der engl. Ueberſ. fehlt dieſe „himliſche Eheſtandsgeſchichte‟ ganz.
*)
Dieſer Abſatz fehlt in Scheuchzers Ueberſetzung.
*)
Die engliſche Ueberſetzung ſagt, „beſon-
ders die Liebhaber der Jagd.‟
**)
Dieſe Stelle fehlt in der engliſchen Ueber-
ſetzung.
*)

Dieſe ganze Stelle fehlt in meinen Hand-
ſchriften und befindet ſich nur in der engliſchen
Ueberſetzung, aus der ich ſie uͤbergetragen
habe.
*)
Wahrſcheinlich Faͤchers.
*)

Nemlich die Arbeiter haben ſich auf keine
Art bey Erbauung dieſer heiligen Gebaͤude
verlezt.
*)

Die engliſche Ueberſetzung ſagt hier viel
wortreicher: „Die das Zeitliche verlaſſen um des
Geiſtlichen und Ewigen willen, die ein bequemes
und gluͤkliches Leben fuͤr ein hartes und beſchwer-
liches, Vergnuͤgen fuͤr Schmerzen eintauſchen wol-
len.‟ So weitlaͤuftig paraphraſirt Scheuchzer
meiſtens Kaͤmpfers kurzen Geſchichtstou.
*)

So hat |das Maſcpt des Neffen und die
engliſche Ueberſetzung; hingegen das Maſcpt des
Oheims 11000. Eine Variante von Jahrhunder-
ten und Jahrtauſenden, die aber freilich in der
aͤltſten japaniſchen Geſchichte nicht ſehr befrem-
dend iſt.
*)
Jn Scheuchzers Ueberſetzung ſteht Jnari.
*)

Hier ſindet ſich eine große Luͤcke in meinen
Handſchriften. Beide ſchließen hier das fuͤnfte
Kapitel, und Alles folgende findet ſich blos in der
engliſchen Ueberſetzung. Da ich aber nicht zweiflen
kan, daß es auch von K. herruͤhre|, und da es an
ſich nicht unwichtig iſt, ſo habe ich kein Bedenken
getragen, es in meinen Text einzuruͤcken. Wie es
zugeht, daß dieſe Stelle in meinen beiden Hand-
ſchriften fehlt? begreif ich nicht. Jch werde mich
bemuͤhen, ſie, wo moͤglich, noch aus der Origi-
nalhandſchrift im Muſeo Britannico zu erhalten,
und alsdenn, wenn es der Muͤhe werth ſeyn ſolte,
dem Leſer im zweiten Theile dieſes Werks mit-
heilen. Denn ich glaube vermuthen zu duͤrfen,
daß Scheuchzer hier nach ſeiner Gewonheit Vieles zu-
geſetzt und erweitert hat. Zudem verdient eine
ſo ſonderbare Societaͤt von Blinden wohl, daß
man die Erzaͤhlung davon etwas kritiſch unterſucht.
Die ſchon oben vorgenommene Erwaͤhnung dieſer
Blinden (die ſich in beiden Handſchriſten befindet)
iſt indes Beweis genug, daß die Stelle uͤberhaupt
von Kaͤmpfer herruͤhrt. Jch habe ſie alſo in den
Text aufgenommen, aber durch “unterſchieden.
Das Uebrige dieſes Kapitels iſt zwar in meinen
beiden Maſcpten und Scheuchzer ganz gleichfoͤr-
mig; nur findet ſich im Maſcpt des Neffen eine
andre Ordnung als im Maſcpt des Oheims und
im Scheuchzer. Jch habe die leztere beibehalten.
*)

Feki und Gendzi ſind ein paar maͤchtige
Familien des Reichs, wie Kaͤmpfer ſchon oben
(S. 220) erwaͤhnt hat.
*)
Jm Maſcpt des Neffen ſteht zum vierten-
mal; ich folge aber dem Maſcpt des Oheims und
der engliſchen Ueberſetzung, die beide: zum neun-
tenmal, haben.
**)

Kaͤmpfer hat dieſes ſchon oben S. 46
u. ſ. w. erzaͤhlt, Doch ſind auch die Namen etwas
anders geſchrieben. Eine kleine Verſchiedenheit,
uͤber die ſich der Leſer bey ſiamiſchen und peguſi-
ſchen Namen nicht wundern wird.
*)

Jch mus uͤber dieſen Sjaka (von dem man
ſo widerſprechende Berichte hat) nochmals auf das
verweiſen, was K. ſchen oben (beſonders S. 48)
von ihm geſagt hat. Eine genauere Unterſuchung
uͤber ſeine Geſchichte und Lehre behalt ich meinen
Zuſaͤtzen vor.
*)
Der Verſaſſer hat von dieſen beiden Kai-
ſern ſchon oben (S. 169) Mehrers beigebracht.
Dort heiſt nur der Kaiſer Gjo, Tai Gio.
**)
Man vergleiche oben S. 187.
***)
Hier fehlt das Jahr, nemlich 551 vor
Chriſto. Siehe oben S. 188.
*)
Der engliſche Ueberſetzer fuͤgt hinzu: „nun
„ſchon ſeit 200 Jahren‟ ein Zuſaz, der ſehr unge-
reimt ſeyn wuͤrde, wenn er nicht ein Schreibfeh-
ler waͤre. Der franzoͤſiſche Ueberſetzer hat ihn da-
fuͤr angenommen, und mit Recht in 2000 verwan-
delt. Jn meinen Handſchriften findet ſich gar keine
Erwaͤhnung der Zeit.
**)
Eine Kleinigkeit, die bemerkt zu wer-
den |verdient, iſts, daß Kaͤmpfer oben (S. 189)
und Andre den Confuzius im 74ſten Jahre ſterben
laſſen.
*)

Scheuchzer hat dies Wort weggelaſſen,
vielleicht weil er es fuͤr einen Fehler hielt. Es
findet ſich aber in meinen beiden Mſcpten und un-
ſer Verfaſſer wil damit ohne Zweifel kein andres
Land, als das von ihm oft genug als das Vater-
land der Lehre des Sjaka angegebne Jndien an
der Oſtſeite des Ganges bezeichnen, das den Ja-
panern weſtlich iſt, und alſo hier natuͤrlich Weſt-
indien genant wird. Eine ſogleich folgende Stel-
le beweiſt dies noch mehr.
*)
Nachricht. Außer dem Vorſchus zu 5 Rthlr in Golde wird nach nunmehr gemachtem Ueber-
ſchlage wegen der Kupfer bey Auslieferung des 2ten und lezten Bandes dieſes Werks wenig oder
vielleicht gar nichts nachgezahlet werden.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Geschichte und Beschreibung von Japan. Geschichte und Beschreibung von Japan. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bn0x.0