BUCHSCHMUCK VON BERTHOLD LÖFFLER
WIEN VND LEIPZIG:
1903
[]
SÄMTLICHE RECHTE VORBEHALTEN
K. U. K. HOFBUCHDRUCKER FR. WINIKER \& SCHICKARDT, BRÜNN
[[1]]
REIGEN
ZEHN DIALOGE
PERSONEN
- DIE DIRNE
- DER SOLDAT
- DAS STUBENMÄDCHEN
- DER JUNGE HERR
- DIE JUNGE FRAU
- DER EHEGATTE
- DAS SÜSSE MÄDEL
- DER DICHTER
- DIE SCHAUSPIELERIN
- DER GRAF
[[2]][[3]]
DIE DIRNE
UND DER SOLDAT
[[4]][[5]]
Komm, mein schöner Engel.
Willst du nicht mit mir kommen?
Ah, ich bin der schöne Engel?
Freilich, wer denn? Geh’, komm’ zu mir.
Ich wohn’ gleich in der Näh’.
Ich hab’ keine Zeit. Ich muß in die Kasern’!
[6]
In die Kasern’ kommst immer noch zurecht.
Bei mir is besser.
Das ist schon möglich.
Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann
kommen.
Lächerlich! Wachmann! Ich hab’ auch mein
Seiteng’wehr!
Geh’, komm’ mit.
Laß mich in Ruh’. Geld hab’ ich eh kein’s.
Ich brauch’ kein Geld.
Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du
nachher?
[7]
Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie
du, kann’s immer umsonst bei mir haben.
Du bist am End’ die, von der mir der Huber
erzählt hat. —
Ich kenn’ kein’ Huber nicht.
Du wirst schon die sein. Weißt — in dem
Kaffeehaus in der Schiffgassen — von
dort ist er mit dir z’ Haus gangen.
Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar
vielen z’ Haus gangen … oh! oh! —
Also geh’n wir, geh’n wir.
Was, jetzt hast’s eilig?
[8]
Na, worauf soll’n wir noch warten? Und
um Zehn muß ich in der Kasern’ sein.
Wie lang dienst denn schon?
Was geht denn das dich an? Wohnst weit?
Zehn Minuten zum geh’n.
Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.
Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen
gern’ hab’!
Mir nicht. Nein, ich geh’ nicht mit dir, es
ist mir zu weit.
Weißt was, komm’ morgen am Nachmittag.
[9]
Gut is. Gib mir deine Adresse.
Aber du kommst am End’ nicht.
Wenn ich dir’s sag’!
Du, weißt was — wenn’s dir zu weit ist
heut’ Abend zu mir — da … da …
die Donau).
Was ist das?
Da ist auch schön ruhig … jetzt kommt kein
Mensch.
Ah, das ist nicht das rechte.
Bei mir is immer das rechte. Geh’, bleib’
[10] jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen
noch ’s Leben haben.
So komm’ — aber g’schwind!
Gib obacht, da ist so dunkel. Wennst aus-
rutsch’st, liegst in der Donau.
Wär’ eh das Beste.
Pst, so wart’ nur ein bissel. Gleich kommen
wir zu einer Bank.
Kennst dich da gut aus.
So einen wie dich möcht’ ich zum Geliebten.
Ich tät’ dir zu viel eifern.
[11]
Das möcht’ ich dir schon abgewöhnen.
Ha —
Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich
ein Wachter her verirrt. Sollt man glauben,
daß wir da mitten in der Wienerstadt sind?
Daher komm’, daher.
Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da
ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.
Ah, du —
Halt dich nur fest an.
Hab kein’ Angst....
— — — — — — — — — — — — —
[12]
Auf der Bank wär’s schon besser gewesen.
Da oder da.... Na, krall’ aufi.
Was laufst denn so —
Ich muß in die Kasern’, ich komm’ eh schon
zu spät.
Geh’, du, wie heißt denn?
Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?
Ich heiß Leocadia.
Ha! — So an’ Namen hab’ ich auch noch
nie gehört.
[13]
Du!
Na, was willst denn?
Geh, ein Sechserl für’n Hausmeister gib
mir wenigstens! —
Ha!… Glaubst, ich bin deine Wurzen …
Servus! Leocadia …
Strizzi! Fallott! —
[[14]][[15]]
DER SOLDAT UND DAS
STUBENMÄDCHEN
[[16]][[17]]
Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln
Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus
dem Wurstelprater; auch die Klänge vom Fünfkreuzer-
tanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. Der
Soldat. Das Stubenmädchen.
Jetzt sagen S’ mir aber, warum S’ durchaus
schon haben fortgehen müssen.
Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz’
so gern’.
Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten
S’ mich so fest?
Reigen. 2
[18]
Wie heißen S’? Kathi?
Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.
Ich weiß, ich weiß schon .... Marie.
Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg’ so eine
Angst.
Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S’ Ihnen
nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!
Aber wohin kommen wir denn da? Da ist
ja kein Mensch mehr. Kommen S’, gehn
wir zurück! — Und so dunkel!
leuchtet).
’s wird schon lichter! Haha! O, du Schatzerl!
[19]
Ah, was machen S’ denn? Wenn ich das
gewußt hätt’!
Also der Teufel soll mich holen, wenn eine
heut’ beim Swoboda mollerter gewesen ist
als Sie, Fräul’n Marie.
Haben S’ denn bei allen so probiert?
Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt
man gar viel! Ha!
Aber mit der blonden mit dem schiefen
Gesicht haben S’ doch mehr ’tanzt als
mit mir.
Das ist eine alte Bekannte von einem
meinigen Freund.
2*
[20]
Von dem Korporal mit dem auf’drehten
Schnurrbart?
Ah nein, das ist der Zivilist gewesen,
wissen S’, der im Anfang am Tisch mit
mir g’sessen ist, der so heis’rig red’t.
Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker
Mensch.
Hat er Ihnen was ’tan? Dem möcht’ ich’s
zeigen! Was hat er Ihnen ’tan?
Oh nichts — ich hab nur geseh’n, wie er
mit die andern ist.
Sagen S’, Fräulein Marie ....
Sie werden mich verbrennen mit Ihrer
Zigarrn.
[21]
Pahdon! — Fräul’n Marie. Sagen wir uns Du.
Wir sein noch nicht so gute Bekannte. —
Es können sich gar viele nicht leiden und
sagen doch Du zueinander.
’s nächstemal, wenn wir … Aber, Herr
Franz —
Sie haben sich meinen Namen g’merkt?
Aber, Herr Franz ....
Sagen S’ Franz, Fräulein Marie.
So sein S’ nicht so keck — aber pst, wenn
wer kommen tät!
[22]
Und wenn schon einer kommen tät, man
sieht ja nicht zwei Schritt weit.
Aber um Gotteswillen, wohin kommen wir
denn da?
Sehn S’, da sind zwei g’rad wie mir.
Wo denn? Ich seh’ gar nichts.
Da … vor uns.
Warum sagen S’ denn: zwei wie mir? —
Na, ich mein’ halt, die haben sich auch gern’.
Aber geben S’ doch acht, was ist denn da,
jetzt wär’ ich beinah’ g’fallen.
[23]
Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.
Stoßen S’ doch nicht so, ich fall’ ja um.
Pst, nicht so laut.
Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. — Aber
was machen S’ denn … aber —
Da ist jetzt weit und breit keine Seel’.
So gehn wir zurück, wo Leut sein.
Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir
brauchen .... dazu .... haha.
Aber, Herr Franz, bitt’ Sie, um Gotteswillen,
[24] schaun S’, wenn ich das .... gewußt ....
oh .... oh .... komm! ....
— — — — — — — — — — — — — —
Herrgott noch einmal .... ah ....
.... Ich kann dein G’sicht gar nicht sehn.
A was — G’sicht .....
— — — — — — — — — — — — — —
Ja, Sie, Fräul’n Marie, da im Gras können
S’ nicht liegen bleiben.
Geh’, Franz, hilf mir.
Na, komm zugi.
Oh Gott, Franz.
[25]
Na ja, was ist denn mit dem Franz?
Du bist ein schlechter Mensch, Franz.
Ja, ja. Geh’, wart’ ein bissel.
Was laßt mich denn aus?
Na, die Virginier werd’ ich mir doch an-
zünden dürfen.
Es ist so dunkel.
Morgen früh ist schon wieder licht.
Sag’ wenigstens, hast mich gern’?
[26]
Na, das mußt doch g’spürt haben, Fräul’n
Marie, ha!
Wohin geh’n wir denn?
Na, zurück.
Geh’, bitt’ dich, nicht so schnell!
Na, was ist denn? Ich geh’ nicht gern’ in
der finstern.
Sag’, Franz, hast mich gern’?
Aber grad’ hab’ ich’s g’sagt, daß ich dich
gern’ hab’!
Geh’, willst mir nicht ein Pussel geben?
[27]
Da .... Hörst, — jetzt kann man schon
wieder die Musik hören.
Du möcht’st am End’ gar wieder tanzen
geh’n?
Na freilich, was denn?
Ja, Franz, schau, ich muß zu Haus geh’n.
Sie werden eh schon schimpfen, mei’ Frau
ist so eine .... die möcht’ am liebsten, man
ging gar nicht fort.
Na ja, geh’ halt zu Haus.
Ich hab’ halt ’dacht, Herr Franz, Sie werden
mich z’hausführen.
Z’hausführen? Ah!
[28]
Geh’n S’, es ist so traurig, allein z’haus
geh’n.
Wo wohnen S’ denn?
Es ist gar nicht so weit — in der Porzellan-
gasse.
So? Ja, da haben wir ja einen Weg ....
aber jetzt ist’s mir zu früh … jetzt wird
noch ’draht, heut hab’ ich über Zeit .....
vor zwölf brauch’ ich nicht in der Kasern’
zu sein. I’ geh’ noch tanzen.
Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die
Blonde mit dem schiefen Gesicht d’ran!
Ha! — Der ihr G’sicht ist gar nicht so
schief.
[29]
Oh Gott, sein die Männer schlecht. Was,
Sie machen’s sicher mit einer jeden so.
Das wär’ z’viel! —
Franz, bitt’ schön, heut’ nimmer, — heut’
bleiben S’ mit mir, schaun S’ —
Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd’
ich doch noch dürfen.
Ich tanz’ heut’ mit kein’ mehr!
Da ist er ja schon ..
Wer denn?
Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da
[30] sein. Noch immer spielen s’ das … tadarada
tadarada
.... Also wannst auf
mich warten willst, so führ’ ich dich z’haus
.... wenn nicht … Servas —
Ja, ich werd’ warten.
Wissen S’, Fräul’n Marie, ein Glas Bier
lassen’s Ihnen geben
dend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr
hochdeutsch:)
Mein Fräulein, darf ich bitten? —
[[31]]
DAS STUBENMÄDCHEN
UND DER JUNGE HERR
[[32]][[33]]
dem Lande. — Die Köchin hat Ausgang. — Das
Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den
Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem
Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins
Zimmer des jungen Herrn.
Der junge Herr liegt auf dem Divan, raucht, und liest
einen französischen Roman.
Bitt’ schön, junger Herr?
Ah ja, Marie, ah ja, ich hab’ geläutet, ja …
was hab’ ich nur … ja richtig, die Rouletten
lassen S’ herunter, Marie … Es ist kühler,
wenn die Rouletten unten sind .... ja ....
Rouletten herunter.)
Was machen S’ denn, Marie? Ah ja. Jetzt
sieht man aber gar nichts zum Lesen.
Reigen. 3
[34]
Der junge Herr ist halt immer so fleißig.
So, ist gut.
das Buch fallen, klingelt wieder).
Sie, Marie .... ja, was ich habe sagen
wollen .... ja .... ist vielleicht ein Cognac
zu Haus?
Ja, der wird eingesperrt sein.
Na, wer hat denn die Schlüssel?
Die Schlüssel hat die Lini.
[35]
Wer ist die Lini?
Die Köchin, Herr Alfred.
Na, so sagen S’ es halt der Lini.
Ja, die Lini hat heut Ausgang.
So .....
Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus
dem Kaffeehaus ....
Ah nein .... es ist so heiß genug. Ich
brauch keinen Cognac. Wissen S’, Marie,
bringen Sie mir ein Glas Wasser. Pst, Marie
— aber laufen lassen, daß es recht kalt ist. —
3*
[36]
sich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herr
schaut in die Luft. — Das Stubenmädchen dreht den
Hahn der Wasserleitung auf, läßt das Wasser laufen.
Während dem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht
sich die Hände, richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln.
Dann bringt sie dem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie
tritt zum Divan).
mädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihre Finger
berühren sich).
So, danke. — Na, was ist denn? — Geben
Sie acht; stellen Sie das Glas wieder auf
die Tasse ....
Wie spät ist’s denn? —
Fünf Uhr, junger Herr.
So, fünf Uhr. — Ist gut. —
sich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merkt
es und lächelt).
[37]
er plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück,
legt sich auf den Divan. Er versucht wieder zu lesen.
Nach ein paar Minuten klingelt er wieder).
das sie nicht zu verbergen sucht).
Sie, Marie, was ich Sie hab’ fragen wollen.
War heut’ Vormittag nicht der Doktor
Schüller da?
Nein, heut Vormittag war niemand da.
So, das ist merkwürdig. Also der Doktor
Schüller war nicht da? Kennen Sie über-
haupt den Doktor Schüller?
Freilich. Das ist der große Herr mit dem
schwarzen Vollbart.
Ja. War er vielleicht doch da?
[38]
Nein, es war niemand da, junger Herr.
Kommen Sie her, Marie.
Bitt’ schön.
Näher .... so .... ah .... ich hab’ nur
geglaubt .....
Was haben der junge Herr?
Geglaubt .... geglaubt hab’ ich — Nur
wegen Ihrer Blusen .... Was ist das für
eine .... Na, kommen S’ nur näher. Ich
beiß Sie ja nicht.
Was ist mit meiner Blusen? G’fallt sie dem
jungen Herrn nicht?
[39]
Stubenmädchen zu sich herabzieht).
Blau? Das ist ganz ein schönes Blau.
Sie sind sehr nett angezogen, Marie.
Aber junger Herr ....
Na, was ist denn? ....
Sachlich):
Sie haben eine schöne weiße Haut,
Marie.
Der junge Herr tut mir schmeicheln.
Das kann doch nicht weh’ tun.
O nein.
Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie
denn?
[40]
Oh, Herr Alfred ....
Und was Sie für nette Pantoffeln haben ....
.... Aber .... junger Herr .... wenn’s
draußen läut’ —
Wer wird denn jetzt läuten?
Aber junger Herr .... schaun S’ .... es
ist so licht ....
Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren.
Sie brauchen sich überhaupt vor nieman-
dem .... wenn man so hübsch ist. Ja,
meiner Seel’; Marie, Sie sind .... Wissen
Sie, Ihre Haare riechen sogar angenehm.
Herr Alfred ....
[41]
Machen Sie keine solchen Geschichten,
Marie .... ich hab’ Sie schon anders auch
geseh’n. Wie ich neulich in der Nacht nach
Haus gekommen bin, und mir Wasser ge-
holt hab’; da ist die Tür zu Ihrem Zimmer
offen gewesen .... na ....
Oh Gott, aber das hab ich gar nicht ge-
wußt, daß der Herr Alfred so schlimm sein
kann.
Da hab’ ich sehr viel gesehen .... das …
und das .... und das .... und —
Aber, Herr Alfred!
Komm, komm .... daher .... so, ja so …
Aber wenn jetzt wer läutet —
[42]
Jetzt hören Sie schon einmal auf .... macht
man höchstens nicht auf ....
— — — — — — — — — — — — — —
Donnerwetter .... Und was der Kerl für
einen Lärm macht. — Am End’ hat der
schon früher geläutet und wir haben’s nicht
gemerkt.
Oh, ich hab’ alleweil aufgepaßt.
Na, so schaun S’ endlich nach — durchs
Guckerl. —
Herr Alfred .... Sie sind aber .... nein
.... so schlimm.
Bitt’ Sie, schaun S’ jetzt nach ....
[43]
Der ist jedenfalls schon wieder weggangen.
Jetzt ist niemand mehr da. Vielleicht ist es
der Doktor Schüller gewesen.
Es ist gut.
— Sie, Marie, — ich geh’ jetzt ins Kaffeehaus.
Schon .... Herr Alfred.
Ich geh’ jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der
Doktor Schüller kommen sollte —
Der kommt heut’ nimmer.
[44]
Wenn der Doktor Schüller kommen sollte,
ich, ich .... ich bin — im Kaffeehaus. —
steckt sie ein und geht ab.)
[[45]]
DER JUNGE HERR
UND DIE JUNGE FRAU
[[46]][[47]]
einem Hause der Schwindgasse.
Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er
noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher an hat,
die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Neben-
zimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen
des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu
einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht.
Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers ver-
breitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge
des Bettes. — Der junge Herr besichtigt auch das Schlaf-
zimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat
und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von
Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat
durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den
kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen
riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt
sich auf das blausammtene Fauteuil, zündet sich eine
Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt
er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen
Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder ins
Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er
fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht
nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in
die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen
[48] Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse
mit einer Flasche Cognac und zwei Likörgläschen heraus,
stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem
Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen
nimmt. Er öffnet es und legt es zum Cognac; geht
wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und
Eßbesteke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine
glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein
Glas Cognac ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er
auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. — Vor
dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen,
richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen
Schnurrbart. — Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht.
Nichts regt sich. Dann zieht er die blauen Portièren, die
vor der Schlafzimmertür angebracht sind, zusammen. Es
klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann
setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als
die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt. —
hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die
linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige
Erregung bemeistern).
Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten
Handschuh einen Kuß. Er sagt leise:)
Ich danke Ihnen.
Alfred — Alfred!
[49]
Kommen Sie, gnädige Frau.... Kommen
Sie, Frau Emma....
Lassen Sie mich noch eine Weile — bitte....
oh bitte sehr, Alfred!
der Tür).
Wo bin ich denn eigentlich?
Bei mir.
Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.
Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes
Haus.
Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.
Reigen. 4
[50]
Bekannte?
Ich weiß nicht. Es ist möglich.
Pardon, gnädige Frau — aber Sie kennen
doch Ihre Bekannten.
Ich habe ja gar nichts gesehen.
Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde
waren, — sie können ja Sie nicht erkannt
haben. Ich selbst … wenn ich nicht wüßte,
daß Sie es sind .... dieser Schleier —.
Es sind zwei.
Wollen Sie nicht ein bischen näher? ....
Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!
[51]
Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen
gesagt: Fünf Minuten .... Nein, länger
nicht .... ich schwöre Ihnen —
Also den Schleier —
Es sind zwei.
Nun ja, beide Schleier — ich werde Sie
doch wenigstens sehen dürfen.
Haben Sie mich denn lieb, Alfred?
Emma — Sie fragen mich ....
Es ist hier so heiß.
Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an —
Sie werden sich wahrhaftig verkühlen.
4*
[52]
auf den Fauteuil).
Ich bin totmüd’.
Erlauben Sie:
die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite).
Was haben Sie?
So schön waren Sie noch nie.
Wieso?
Allein .... allein mit Ihnen — Emma —
nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen).
[53]
Und jetzt .... lassen Sie mich wieder gehen.
Was Sie von mir verlangt haben, hab’ ich
getan.
sinken).
Sie haben mir versprochen, brav zu sein.
Ja.
Man erstickt in diesem Zimmer.
Noch haben Sie Ihre Mantille an.
Legen Sie sie zu meinem Hut.
sie gleichfalls auf den Divan).
Und jetzt — adieu —
[54]
Emma —! — Emma! —
Die fünf Minuten sind längst vorbei.
Noch nicht eine! —
Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau,
wie spät es ist.
Es ist punkt viertel sieben.
Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester
sein.
Ihre Schwester können Sie oft sehen ....
Oh Gott, Alfred, warum haben Sie mich
dazu verleitet.
[55]
Weil ich Sie .... anbete, Emma.
Wie vielen haben Sie das schon gesagt?
Seit ich Sie gesehen, niemandem.
Was bin ich für eine leichtsinnige Person!
Wer mir das vorausgesagt hätte… noch
vor acht Tagen… noch gestern…
Und vorgestern haben Sie mir ja schon ver-
sprochen…
Sie haben mich so gequält. Aber ich habe
es nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge
— ich habe es nicht tun wollen… Gestern
war ich fest entschlossen… Wissen Sie,
daß ich Ihnen gestern Abends sogar einen
langen Brief geschrieben habe?
[56]
Ich habe keinen bekommen.
Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte
Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.
Es ist doch besser so.
Oh nein, es ist schändlich… von mir. Ich
begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred,
lassen Sie mich.
heißen Küssen).
So… halten Sie Ihr Wort…
Noch einen Kuß — noch einen.
Den letzten.
ihre Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.)
[57]
Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich
weiß jetzt erst, was Glück ist.
einen Arm leicht um ihren Nacken).
....oder vielmehr ich weiß jetzt erst, was
Glück sein könnte.
Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!
Nicht wahr — es ist hier gar nicht so un-
gemütlich… Und wir sind ja hier so sicher!
Es ist doch tausendmal schöner als diese
Rendezvous im Freien…
Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.
[58]
Ich werde auch daran immer mit tausend
Freuden denken. Für mich ist jede Minute,
die ich an Ihrer Seite verbringen durfte,
eine süße Erinnerung.
Erinnern Sie sich noch an den Industriellen-
ball?
Ob ich mich daran erinnere…? Da bin
ich ja während des Soupers neben Ihnen
gesessen, ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann
hat Champagner…
Ich wollte nur vom Champagner reden.
Sagen Sie, Emma, wollen Sie nicht ein
Glas Cognac trinken?
Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher
ein Glas Wasser.
[59]
Ja… Wo ist denn nur — ach ja…
schlägt die Portière zurück und geht ins Schlafzimmer).
Wasser und zwei Trinkgläsern).
Wo waren Sie denn?
Im… Nebenzimmer.
Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred —
und schwören Sie mir, daß Sie mir die
Wahrheit sagen werden.
Ich schwöre. —
War in diesen Räumen schon jemals eine
andere Frau?
[60]
Aber Emma — dieses Haus steht schon
zwanzig Jahre! —
Sie wissen, was ich meine, Alfred… Mit
Ihnen! Bei Ihnen!
Mit mir — hier — Emma! — Es ist nicht
schön, daß Sie an so etwas denken können.
Also Sie haben .... wie soll ich .... Aber
nein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es
ist besser, wenn ich nicht frage. Ich bin
ja selbst schuld. Alles rächt sich.
Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen
denn? Was rächt sich?
Nein, nein, nein, ich darf nicht zum Bewußt-
sein kommen… Sonst müßte ich vor Scham
in die Erde sinken.
[61]
schüttelt traurig den Kopf).
Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh’
Sie mir tun.
Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn
Sie sich schämen, hier zu sein — wenn ich
Ihnen also gleichgiltig bin — wenn Sie
nicht fühlen, daß Sie für mich alle Selig-
keit der Welt bedeuten — — so geh’n Sie
lieber. —
Ja, das werd’ ich auch tun.
Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie
nicht leben kann, daß ein Kuß auf Ihre
Hand für mich mehr bedeutet, als alle
Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der
ganzen Welt .... Emma, ich bin nicht wie
die anderen jungen Leute, die den Hof
machen können — ich bin vielleicht zu
naiv .... ich ....
[62]
Wenn Sie aber doch sind wie die anderen
jungen Leute?
Dann wären Sie heute nicht da — denn
Sie sind nicht wie die anderen Frauen.
Woher wissen Sie das?
nahe neben sie gesetzt).
Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich
weiß, Sie sind unglücklich.
Ja.
Das Leben ist so leer, so nichtig — und
dann, — so kurz — so entsetzlich kurz!
Es gibt nur ein Glück .... einen Menschen
finden, von dem man geliebt wird —
genommen, nimmt sie in den Mund).
[63]
Mir die Hälfte!
die sich zu verirren drohen).
Was tun Sie denn, Alfred .... Ist das Ihr
Versprechen.
Das Leben ist so kurz.
Aber das ist ja kein Grund —
Oh ja.
Schauen Sie Alfred, und Sie haben doch
versprochen, brav.... Und es ist so hell....
Komm’, komm’, du einzige, einzige ....
Was machen Sie denn?
[64]
Da d’rin ist es gar nicht hell.
Ist denn da noch ein Zimmer?
Ein schönes .... und ganz dunkel.
Bleiben wir doch lieber hier.
im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf).
Sie sind so .... oh Gott, was machen Sie
aus mir! — Alfred!
Ich bete dich an, Emma!
So wart’ doch, wart’ doch wenigstens ....
Geh’ .... ich ruf’ dich dann.
[65]
Laß mir dich — laß dir mich
sich)
.... laß .... mich — dir — helfen.
Du zerreißt mir ja alles.
Du hast kein Mieder an?
Ich trag’ nie ein Mieder. Die Odilon trägt
auch keines. Aber die Schuh’ kannst du
mir aufknöpfeln.
Oh mir ist kalt.
Gleich wird’s warm werden.
Glaubst du?
Reigen. 5
[66]
Das hätte sie nicht sagen sollen.
sich im Dunkel).
Komm, komm, komm!
Gleich — —
Es riecht hier so nach Veilchen.
Das bist du selbst .... Ja
du selbst.
Alfred .... Alfred!!!!
Emma ....
— — — — — — — — — — — — — —
Ich habe dich offenbar zu lieb .... ja ....
ich bin wie von Sinnen.
[67]
......
Die ganzen Tage über bin ich schon wie
verrückt. Ich hab es geahnt.
Mach’ dir nichts draus.
Oh gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbst-
verständlich, wenn man ....
Nicht .... nicht .... Du bist nervös. Be-
ruhige dich nur ....
Kennst du Stendhal?
Stendhal?
Die psychologie de l’amour.
5*
[68]
Nein, warum fragst du mich?
Da kommt eine Geschichte drin vor, die
sehr bezeichnend ist.
Was ist das für eine Geschichte?
Das ist eine ganze Gesellschaft von
Kavallerieoffizieren zusammen —
So.
Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern.
Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau,
die er am meisten, weißt du, am leiden-
schaftlichsten geliebt hat .... daß ihn die,
daß er die — also kurz und gut, daß es
jedem bei dieser Frau so gegangen ist, wie
jetzt mir.
[69]
Ja.
Das ist sehr charakteristisch.
Ja.
Es ist noch nicht aus. Ein einziger be-
hauptet .... es sei ihm in seinem ganzen
Leben noch nicht passiert, aber, setzt Stend-
hal hinzu — das war ein berüchtigter
Bramarbas.
So. —
Und doch verstimmt es einen, das ist das
Dumme, so gleichgiltig es eigentlich ist.
Freilich. Überhaupt weißt du .... du hast
mir ja versprochen, brav zu sein.
[70]
Geh’, nicht lachen, das bessert die Sache
nicht.
Aber nein, ich lache ja nicht. Das von
Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe
immer gedacht, daß nur bei älteren ....
oder bei sehr .... weißt du, bei Leuten,
die viel gelebt haben ....
Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichts
zu tun. Ich habe übrigens die hübscheste
Geschichte aus dem Stendhal ganz ver-
gessen. Da ist einer von den Kavallerie-
offizieren, der erzählt sogar, daß er drei
Nächte oder gar sechs .... ich weiß nicht
mehr, mit der Frau zusammen war, die er
durch Wochen hindurch verlangt hat —
desirée — verstehst du — und die haben
alle diese Nächte hindurch nichts getan als
vor Glück geweint .... beide ....
Beide?
[71]
Ja. Wundert dich das? Ich find’ das so
begreiflich — gerade wenn man sich liebt.
Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.
Gewiß .... das ist ja auch ein exceptio-
neller Fall.
Ah — ich dachte, Stendhal sagte, alle
Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Ge-
legenheit.
Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.
Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht
kindisch, Alfred!
Es macht nun einmal nervös .... Dabei
habe ich die Empfindung, daß du ununter-
[72] brochen daran denkst. Das geniert mich
erst recht.
Ich denke absolut nicht daran.
Oh ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß
du mich liebst.
Verlangst du noch mehr Beweise?
Siehst du … immer machst du dich lustig.
Wieso denn? Komm’, gib mir dein süßes
Kopferl.
Ach, das tut wohl.
Hast du mich lieb?
[73]
Oh, ich bin ja so glücklich.
Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.
Wieder, wieder. Ich hab dich ja so ge-
beten ....
Wenn ich dir sage, daß du nicht weinen
sollst…
Du hast gesagt: Auch noch zu weinen.
Du bist nervös, mein Schatz.
Das weiß ich.
Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir
[74] sogar lieb, daß es .... daß wir sozusagen
als gute Kameraden…
Schon wieder fangst du an.
Erinnerst du dich denn nicht! Das war
eines unserer ersten Gespräche. Gute Kame-
raden haben wir sein wollen; nichts weiter.
Oh, das war schön ..... das war bei meiner
Schwester, im Jänner auf dem großen Ball,
während der Quadrille .... Um Gottes-
willen, ich sollte ja längst fort sein ....
meine Schwester erwartet mich ja — was
werd’ ich ihr denn sagen ....... Adieu,
Alfred —
Emma —! so willst du mich verlassen!
Ja — so! —
Noch fünf Minuten ....
[75]
Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt
mir versprechen .... dich nicht zu rühren?
… Ja? … Ich will dir noch einen Kuß
zum Abschied geben ..... Pst .... ruhig
.... nicht rühren, hab ich gesagt, sonst steh
ich gleich auf, du mein süßer … süßer …
Emma .... meine ange........
— — — — — — — — — — — — — —
Mein Alfred —
Ah, bei dir ist der Himmel.
Aber jetzt muß ich wirklich fort.
Ach, laß deine Schwester warten.
Nach Haus muß ich. Für meine Schwester
[76] ist’s längst zu spät. Wie viel Uhr ist es
denn eigentlich?
Ja, wie soll ich das eruieren?
Du musst eben auf die Uhr sehen.
Meine Uhr ist in meinem Gilet.
So hol’ sie.
Acht.
Um Gotteswillen .... Rasch, Alfred, gib
mir meine Strümpfe. Was soll ich denn nur
sagen? Zu Hause wird man sicher schon
auf mich warten … acht Uhr ....
Wann seh’ ich dich denn wieder?
[77]
Nie.
Emma! Hast du mich denn nicht mehr
lieb?
Eben darum. Gib mir meine Schuhe.
Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.
In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich
bitt’ dich, rasch ....
Hier ist der Knöpfler.
Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.
Wieso?
[78]
Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich
fragt: Woher kommst du?
Von der Schwester.
Ja, wenn ich lügen könnte.
Na, du mußt es eben tun.
Alles für so einen Menschen. Ach, komm
her .... laß dich noch einmal küssen.
umarmt ihn.)
— Und jetzt — — laß mich allein,
geh’ ins andere Zimmer. Ich kann mich nicht
anziehen, wenn du dabei bist.
Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein Glas Cognac).
Alfred!
[79]
Mein Schatz.
Es ist doch besser, daß wir nicht geweint
haben.
Wie kann man so frivol reden? —
Wie wird das jetzt nur sein — wenn wir
uns zufällig wieder einmal in Gesellschaft
begegnen?
Zufällig — einmal .... Du bist ja morgen
sicher auch bei Lobheimers?
Ja Du auch?
Freilich. Darf ich dich um den Kotillion
bitten?
[80]
Oh, ich werde nicht hinkommen. Was glaubst
du denn? — Ich würde ja …
angekleidet in den Salon, nimmt eine Chokoladebäckerei)
in die Erde sinken.
Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.
Nein, nein .... ich sage ab; bestimmt —
Also übermorgen .... hier.
Was fällt dir ein?
Um sechs ....
Hier an der Ecke stehen Wagen, nicht
wahr? —
Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier
[81] um sechs. So sag’ doch ja, mein geliebter
Schatz.
.... Das besprechen wir morgen beim Ko-
tillion.
Mein Engel.
Nicht wieder meine Frisur ruinieren.
Also morgen bei Lobheimers und über-
morgen in meinen Armen.
Leb wohl ....
Und was wirst du — ihm heut sagen? —
Frag’ nicht .... frag’ nicht .... es ist zu
schrecklich. — Warum hab’ ich dich so
Reigen. 6
[82] lieb! — Adieu. — Wenn ich wieder Men-
schen auf der Stiege begegne, trifft mich
der Schlag. — Pah! —
sich auf den Divan. Er lächelt vor sich hin und sagt zu
sich selbst).
Also jetzt hab’ ich ein Verhältnis mit einer
anständigen Frau.
[[83]]
DIE JUNGE FRAU
UND DER EHEMANN
[[84]][[85]]
Es ist halb elf Uhr Nachts. Die Frau liegt zu Bette und
liest. Der Gatte tritt eben, im Schlafrock, ins Zimmer.
Du arbeitest nicht mehr?
Nein. Ich bin zu müde. Und außerdem …
Nun? —
Ich hab’ mich an meinem Schreibtisch plötz-
lich so einsam gefühlt. Ich habe Sehnsucht
nach dir bekommen.
Wirklich?
[86]
Lies heute nicht mehr. Du wirst dir die
Augen verderben.
Was hast du denn?
Nichts, mein Kind. Verliebt bin ich in dich!
Das weißt du ja!
Man könnte es manchmal fast vergessen.
Man muß es sogar manchmal vergessen.
Warum?
Weil die Ehe sonst etwas unvollkommenes
wäre. Sie würde .... wie soll ich nur
sagen .... sie würde ihre Heiligkeit ver-
lieren.
[87]
Oh ....
Glaube mir — es ist so .... Hätten wir
in den fünf Jahren, die wir jetzt miteinan-
der verheiratet sind, nicht manchmal ver-
gessen, daß wir ineinander verliebt sind —
wir wären es wohl gar nicht mehr.
Das ist mir zu hoch.
Die Sache ist einfach die: wir haben viel-
leicht schon zehn oder zwölf Liebschaften
miteinander gehabt ..... Kommt es dir
nicht auch so vor?
Ich hab’ nicht gezählt! —
Hätten wir gleich die erste bis zum Ende
durchgekostet, hätte ich mich von Anfang
an meiner Leidenschaft für dich willenlos
[88] hingegeben, es wäre uns gegangen wie den
Millionen von anderen Liebespaaren. Wir
wären fertig miteinander.
Ah .... so meinst du das?
Glaube mir — Emma — in den ersten
Tagen unserer Ehe hatte ich Angst, daß
es so kommen würde.
Ich auch.
Siehst du? Hab’ ich nicht recht gehabt?
Darum ist es gut, immer wieder für einige
Zeit nur in guter Freundschaft miteinander
hinzuleben.
Ach so.
Und so kommt es, daß wir immer wieder
[89] neue Flitterwochen miteinander durchleben
können, da ich es nie drauf ankommen
lasse, die Flitterwochen....
Zu Monaten auszudehnen.
Richtig.
Und jetzt ...... scheint also wieder
eine Freundschaftsperiode abgelaufen zu
sein —?
Es dürfte so sein.
Wenn es aber .... bei mir anders wäre.
Es ist bei dir nicht anders. Du bist ja das
klügste und entzückendste Wesen, das es
gibt. Ich bin sehr glücklich, daß ich dich
gefunden habe.
[90]
Das ist aber nett, wie du den Hof machen
kannst — von Zeit zu Zeit.
Für einen Mann, der sich ein bischen in
der Welt umgesehen hat — geh’, leg den
Kopf an meine Schulter — der sich in der
Welt umgesehen hat, bedeutet die Ehe
eigentlich etwas viel geheimnisvolleres als
für euch junge Mädchen aus guter Fami-
lie. Ihr tretet uns rein und .... wenigstens
bis zu einem gewissen Grad unwissend ent-
gegen, und darum habt ihr eigentlich einen
viel klareren Blick für das Wesen der Liebe
als wir.
Oh!
Gewiß. Denn wir sind ganz verwirrt und
unsicher geworden durch die vielfachen
Erlebnisse, die wir notgedrungen vor der
Ehe durchzumachen haben. Ihr hört ja
[91] viel und wißt zu viel und lest ja wohl
eigentlich auch zu viel, aber einen rechten
Begriff von dem, was wir Männer in der
Tat erleben, habt ihr ja doch nicht. Uns
wird das, was man so gemeinhin die Liebe
nennt, recht gründlich widerwärtig gemacht;
denn was sind das schließlich für Geschöpfe,
auf die wir angewiesen sind!
Ja, was sind das für Geschöpfe?
Sei froh, mein Kind, daß du nie einen
Einblick in diese Verhältnisse erhalten hast.
Es sind übrigens meist recht bedauernswerte
Wesen — werfen wir keinen Stein auf sie.
Bitt’ dich — dieses Mitleid — Das kommt
mir da gar nicht recht angebracht vor.
Sie verdienen es. Ihr, die ihr junge Mädchen
aus guter Familie wart, die ruhig unter Obhut
euerer Eltern auf den Ehrenmann warten
[92] konntet, der euch zur Ehe begehrt; — ihr
kennt ja das Elend nicht, das die meisten
von diesen armen Geschöpfen der Sünde
in die Arme treibt.
So verkaufen sich denn alle?
Das möchte ich nicht sagen. Ich mein’ ja
auch nicht nur das materielle Elend. Aber
es gibt auch — ich möchte sagen — ein
sittliches Elend; eine mangelhafte Auf-
fassung für das, was erlaubt, und insbe-
sondere für das, was edel ist.
Aber warum sind die zu bedauern? —.
Denen geht’s ja ganz gut?
Du hast sonderbare Ansichten, mein Kind.
Du darfst nicht vergessen, daß solche Wesen
von Natur aus bestimmt sind, immer tiefer
und tiefer zu fallen. Da gibt es kein Auf-
halten.
[93]
Offenbar fällt es sich ganz angenehm.
Wie kannst du so reden, Emma. Ich denke
doch, daß es gerade für euch, anständige
Frauen, nichts Widerwärtigeres geben kann,
als alle diejenigen, die es nicht sind.
Freilich, Karl, freilich. Ich hab’s ja auch nur
so gesagt. Geh’, erzähl’ weiter. Es ist so
nett, wenn du so red’st. Erzähl’ mir ’was.
Was denn? —
Nun, — von diesen Geschöpfen.
Was fällt dir denn ein?
Schau, ich hab’ dich schon früher, weißt
du, ganz im Anfang hab’ ich dich immer
[94] gebeten, du sollst mir aus deiner Jugend
’was erzählen.
Warum interessiert dich denn das?
Bist du denn nicht mein Mann? Und ist
das nicht geradezu eine Ungerechtigkeit,
daß ich von deiner Vergangenheit eigentlich
gar nichts weiß? —
Du wirst mich doch nicht für so ge-
schmacklos halten, daß ich — Genug,
Emma ...... das ist ja wie eine Ent-
weihung.
Und doch hast du .... wer weiß wie viel
andere Frauen gerade so in den Armen
gehalten, wie jetzt mich.
Sag’ doch nicht »Frauen«. Frau bist du.
[95]
Aber eine Frage mußt du mir beantworten
… sonst .... sonst .... ist’s nichts mit den
Flitterwochen.
Du hast eine Art, zu reden .... denk’ doch,
daß du Mutter bist .... daß unser Mäderl
da drin liegt…
Aber ich möcht’ auch einen Buben.
Emma!
Geh’, sei nicht so … freilich bin ich deine
Frau .... aber ich möchte auch ein bissel
.... deine Geliebte sein.
Möchtest du?....
Also — zuerst meine Frage.
[96]
Nun?
War .... eine verheiratete Frau — unter
ihnen?
Wieso? — wie meinst du das?
Du weißt schon.
Wie kommst du auf diese Frage?
Ich möchte wissen, ob es .... das heißt —
es gibt solche Frauen .... das weiß ich.
Aber ob du …
Kennst du eine solche Frau?
Ja, ich weiß das selber nicht.
[97]
Ist unter deinen Freundinen vielleicht eine
solche Frau?
Ja wie kann ich das mit Bestimmtheit
behaupten — oder verneinen?
Hat dir vielleicht einmal eine deiner
Freundinen .... Man spricht über gar
manches, wenn man so — die Frauen unter
sich — hat dir eine gestanden —?
Nein.
Hast du bei irgend einer deiner Freundinen
den Verdacht, daß sie ....
Verdacht ..... oh ..... Verdacht.
Es scheint.
Reigen. 7
[98]
Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ich
mir’s so überlege — ich trau’ es doch
keiner zu.
Keiner?
Von meinen Freundinen keiner.
Versprich mir etwas, Emma.
Nun.
Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst,
bei der du auch den leisesten Verdacht
hast, daß sie ...... kein ganz tadelloses
Leben führt.
Das muß ich dir erst versprechen?
[99]
Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchen
Frauen nicht suchen wirst. Aber der Zufall
könnte es fügen, daß du ..... Ja, es ist
sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen,
deren Ruf nicht der beste ist, die Gesell-
schaft von anständigen Frauen suchen, teils
um sich ein Relief zu geben, teils aus einem
gewissen.... wie soll ich sagen..... aus
einem gewissen Heimweh nach der Tugend.
So.
Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist,
was ich da gesagt habe. Heimweh nach
der Tugend. Denn, daß diese Frauen alle
eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst
du mir glauben.
Warum?
Du fragst, Emma? — Wie kannst du denn
7*
[100] nur fragen? — Stell’ dir doch vor, was
diese Frauen für eine Existenz führen!
Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll
Gefahren.
Ja freilich. Da hast du schon Recht.
Wahrhaftig — sie bezahlen das bischen
Glück ..... das bischen .....
Vergnügen.
Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf,
das Vergnügen zu nennen?
Nun, — etwas muß es doch sein —! Sonst
täten sie’s ja nicht.
Nichts ist es ..... ein Rausch.
[101]
Ein Rausch.
Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wie
immer — teuer bezahlt, das ist gewiß!
Also ..... du hast das einmal mitgemacht —
nicht wahr?
Ja, Emma. — Es ist meine traurigste Er-
innerung.
Wer ist’s? Sag’! Kenn’ ich sie?
Was fällt dir denn ein?
Ist’s lange her? War es sehr lang, bevor
du mich geheiratet hast?
Frag’ nicht. Ich bitt’ dich, frag’ nicht.
[102]
Aber Karl!
Sie ist tot.
Im Ernst?
Ja ..... es klingt fast lächerlich, aber ich
habe die Empfindung, daß alle diese Frauen
jung sterben.
Hast du sie sehr geliebt?
Lügnerinnen liebt man nicht.
Also warum ....
Ein Rausch ....
[103]
Also doch?
Sprich nicht mehr davon ich bitt’ dich. Alles
das ist lang vorbei. Geliebt hab’ ich nur
eine — das bist du. Man liebt nur, wo
Reinheit und Wahrheit ist.
Karl!
Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich in
solchen Armen. Warum hab’ ich dich nicht
schon als Kind gekannt? Ich glaube, dann
hätt’ ich andere Frauen überhaupt nicht
angesehen.
Karl!
Und schön bist du! . . . . schön! . . . . Oh
komm’ . . . .
— — — — — — — — — — — — —
[104]
Weißt du, woran ich heute denken muß?
Woran, mein Schatz?
An . . . . an . . . . an Venedig.
Die erste Nacht . . . .
Ja . . . . so . . . .
Was denn —? So sag’s doch!
So lieb hast du mich heut’.
Ja, so lieb.
Ah . . . . Wenn du immer . . . .
[105]
Wie?
Mein Karl!
Was meintest du? Wenn ich immer . . . .
Nun ja.
Nun, was wär’ denn, wenn ich immer …?
Dann wüßt’ ich eben immer, daß du mich
lieb hast.
Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Man
ist nicht immer der liebende Mann, man muß
auch zuweilen hinaus ins feindliche Leben,
muß kämpfen und streben! Das vergiß nie,
mein Kind! Alles hat seine Zeit in der
Ehe — das ist eben das Schöne. Es gibt
[106] nicht viele, die sich noch nach fünf Jahren
an — ihr Venedig erinnern.
Freilich!
Und jetzt . . . . gute Nacht, mein Kind.
Gute Nacht!
[[107]]
DER GATTE UND DAS
SÜSSE MÄDEL
[[108]][[109]]
Eleganz. Der Gasofen brennt. —
Der Gatte. Das süße Mädel.
Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen;
Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern ein
ungarischer weißer Wein.
der Ecke des Divans).
löffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den
sie mit Behagen schlürft).
Schmeckt’s?
Oh!
Willst du noch eins?
[110]
Nein, ich hab’ so schon zu viel gegessen.
Du hast keinen Wein mehr.
Nein . . . . aber schaun’ S’, ich laß ihn ja
eh stehen.
Schon wieder sagst du Sie.
So? — Ja wissen S’, man gewöhnt sich halt
so schwer.
Weißt du.
Was denn?
Weißt du, sollst du sagen; nicht wissen S’.
— Komm setz’ dich zu mir.
[111]
Gleich . . . . bin noch nicht fertig.
umarmt daß süße Mädel, indem er ihren Kopf zu sich
wendet).
Na, was ist denn?
Einen Kuß möcht’ ich haben.
Sie sind . . . . oh pardon, du bist ein kecker
Mensch.
Jetzt fällt dir das ein?
Ah nein, eingefallen ist es mir schon
früher . . . . schon auf der Gassen. — Sie
müssen —
Du mußt.
[112]
Du mußt dir eigentlich was schönes von
mir denken.
Warum denn?
Daß ich gleich so mit Ihnen ins chambre
separée gegangen bin.
Na, gleich kann man doch nicht sagen.
Aber Sie können halt so schön bitten.
Findest du?
Und schließlich, was ist denn dabei?
Freilich.
[113]
Ob man spazieren geht oder —
Zum spazieren gehen ist es auch viel zu kalt.
Natürlich ist zu kalt gewesen.
Aber da ist es angenehm warm; was?
Mädel und zieht sie an seine Seite.)
Na.
Jetzt sag’ einmal . . . . Du hast mich schon
früher bemerkt gehabt, was?
Natürlich. Schon in der Singerstraßen.
Nicht heut, mein’ ich. Auch vorgestern und
Reigen. 8
[114] vorvorgestern, wie ich dir nachgegangen
bin.
Mir geh’n gar viele nach.
Das kann ich mir denken. Aber ob du mich
bemerkt hast.
Wissen S’ . . . . ah . . . . weißt, was mir
neulich passiert ist? Da ist mir der Mann
von meiner Cousine nachg’stiegen in der
Dunkeln und hat mich nicht ’kennt.
Hat er dich angesprochen?
Aber was glaubst denn? Meinst, es ist jeder
so keck wie du?
Aber es kommt doch vor.
Natürlich kommt’s vor.
[115]
Na, was machst du da?
Na, nichts — Keine Antwort geb’ ich halt.
Hm . . . . mir hast du aber eine Antwort
gegeben.
Na sind S’ vielleicht bös’?
Deine Lippen schmecken nach dem Obers-
schaum.
Oh, die sind von Natur aus süß.
Das haben dir schon viele gesagt?
Viele!! Was du dir wieder einbildest!
8*
[116]
Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben den
Mund da schon geküßt?
Was fragst mich denn? Du möcht’st mir’s
ja doch nicht glauben, wenn ich dir’s sag’!
Warum denn nicht?
Rat’ einmal.
Na, sagen wir, — aber du darfst nicht bös’
sein?
Warum sollt’ ich denn bös’ sein?
Also ich schätze . . . . zwanzig.
Na — warum nicht gleich hundert?
[117]
Ja, ich hab’ eben geraten.
Da hast du aber nicht gut geraten.
Also zehn.
Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden
läßt und gleich mitgeht ins chambre separée!
Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf der
Straßen herumläuft oder in einem Zimmer
sitzt . . . . Wir sind doch da in einem Gast-
haus. Jeden Moment kann der Kellner her-
einkommen — da ist doch wirklich gar
nichts dran . . . .
Das hab’ ich mir eben auch gedacht.
Warst du schon einmal in einem chambre
separée?
[118]
Also, wenn ich die Wahrheit sagen soll: ja.
Siehst du, das g’fallt mir, daß du doch
wenigstens aufrichtig bist.
Aber nicht so — wie du dir’s wieder denkst.
Mit einer Freundin und ihrem Bräutigam
bin ich im chambre separée gewesen, heuer
im Fasching einmal.
Es wär’ ja auch kein Malheur, wenn du ein-
mal — mit deinem Geliebten —
Natürlich wär’s kein Malheur. Aber ich hab’
kein’ Geliebten.
Na geh’.
Meiner Seel’, ich hab’ keinen.
[119]
Aber du wirst mir doch nicht einreden
wollen, daß ich . . . .
Was denn? . . . . Ich hab’ halt keinen —
schon seit mehr als einem halben Jahr.
Ah so . . . . Aber vorher? Wer war’s denn?
Was sind S’ denn gar so neugierig?
Ich bin neugierig, weil ich dich lieb hab’.
Is wahr?
Freilich. Das mußt du doch merken. Erzähl’
mir also.
Was soll ich dir denn erzählen?
[120]
So laß dich doch nicht so lang bitten. Wer’s
gewesen ist, möcht ich wissen.
Na ein Mann halt.
Also — also — wer war’s?
Ein bissel ähnlich hat er dir gesehen.
So.
Wenn du ihm nicht so ähnlich schauen
tät’st —
Was wär’ dann?
Na also frag’ nicht, wennst schon siehst,
daß. . . .
[121]
Also darum hast du dich von mir anreden
lassen.
Na also ja.
Jetzt weiß ich wirklich nicht, soll ich mich
freuen oder soll ich mich ärgern.
Na, ich an deiner Stell’ tät’ mich freuen.
Na ja.
Und auch im Reden erinnerst du mich so
an ihn . . . . und wie du einen anschaust . . . .
Was ist er denn gewesen?
Nein, die Augen —
[122]
Wie hat er denn geheißen?
Nein, schau mich nicht so an, ich bitt’ dich.
Warum gehst du fort von mir?
Es wird Zeit zum Z’haus’geh’n.
Später.
Nein, ich muß wirklich schon zuhaus’ gehen.
Was glaubst denn, was die Mutter sagen
wird.
Du wohnst bei deiner Mutter?
[123]
Natürlich wohn’ ich bei meiner Mutter. Was
hast denn geglaubt?
So — bei der Mutter. Wohnst du allein
mit ihr?
Ja freilich allein! Fünf sind wir! Zwei Buben
und noch zwei Mädeln.
So setz’ dich doch nicht so weit fort von
mir. Bist du die älteste?
Nein, ich bin die zweite. Zuerst kommt die
Kathi; die ist im G’schäft, in einer Blumen-
handlung, dann komm’ ich.
Wo bist du?
Na ich bin z’haus’.
[124]
Immer?
Es muß doch eine z’haus’ sein.
Freilich. Ja, — und was sagst du denn
eigentlich deiner Mutter, wenn du — so
spät nach Haus’ kommst?
Das ist ja so eine Seltenheit.
Also heut’ zum Beispiel. Deine Mutter fragt
dich doch?
Natürlich fragt s’ mich. Da kann ich Obacht
geben so viel ich will — wenn ich nach
Haus’ komm’, wacht s’ auf.
Also was sagst du ihr da?
[125]
Na, im Theater werd’ ich halt gewesen sein.
Und glaubt sie das?
Na, warum soll s’ mir denn nicht glauben?
Ich geh’ ja oft ins Theater. Erst am Sonn-
tag war ich in der Oper mit meiner Freundin
und ihrem Bräutigam und mein’ älter’n
Bruder.
Woher habt ihr denn da die Karten?
Aber, mein Bruder ist ja Friseur:
Ja, die Friseure . . . . . . ah, wahrscheinlich
Theaterfriseur.
Was fragst mich denn so aus?
[126]
Es interessiert mich halt. Und was ist denn
der andere Bruder?
Der geht noch in die Schul’. Der will ein
Lehrer werden. Nein. . . . so ’was!
Und dann hast du noch eine kleine Schwester?
Ja, die ist noch ein Fratz, aber auf die muß
man schon heut’ so aufpassen. Hast du denn
eine Idee, wie die Mädeln in der Schule
verdorben werden! Was glaubst! Neulich
hab’ ich sie bei einem Rendezvous erwischt.
Was?
Ja! mit einem Buben von der Schul vis-à-vis
ist sie Abends um halber acht in der Strozzi-
gasse spazieren gegangen. So ein Fratz!
[127]
Und, was hast du da gemacht?
Na, Schläg’ hat s’ kriegt!
So streng bist du?
Na, wer soll’s denn sein? Die ältere ist im
G’schäft, die Mutter tut nichts als raunzen;
— kommt immer alles auf mich.
Herrgott, bist du lieb!
licher.)
Du erinnerst mich auch an wen.
So — an wen denn?
An keine bestimmte . . . . an die Zeit . . . .
na, halt an meine Jugend. Geh, trink’, mein
Kind!
[128]
Ja, wie alt bist du denn? . . . . Du . . . .
ja … ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.
Karl.
Ist’s möglich! Karl heißt du?
Er hat auch Karl geheißen?
Nein, das ist aber schon das reine Wunder …
das ist ja — nein die Augen . . . . Das
G’schau . . . .
Und wer er war — hast du mir noch immer
nicht gesagt.
Ein schlechter Mensch ist er gewesen —
das ist g’wiß, sonst hätt’ er mich nicht sitzen
lassen,
[129]
Hast ihn sehr gern g’habt?
Freilich hab’ ich ihn gern g’habt?
Ich weiß, was er war, Lieutenant.
Nein, bei Militär war er nicht. Sie haben
ihn nicht genommen. Sein Vater hat ein
Haus in der . . . . aber was brauchst du
das zu wissen?
Du hast eigentlich graue Augen, anfangs
hab’ ich gemeint sie sind schwarz.
Na sind s’ dir vielleicht nicht schön genug?
Nein nein — das vertrag’ ich schon gar
Reigen. 9
[130] nicht . . . . oh bitt’ dich — oh Gott . . . .
nein, laß mich aufsteh’n . . . . nur für einen
Moment — bitt’ dich.
Oh nein.
Aber ich bitt’ dich, Karl . . . .
Wie alt bist du? — achtzehn, was?
Neunzehn vorbei.
Neunzehn . . . . und ich —
Du bist dreißig . . . .
Und einige drüber. — Reden wir nicht
davon.
[131]
Er war auch schon zweiundreißig, wie ich
ihn kennen gelernt hab’.
Wie lang ist das her?
Ich weiß nimmer . . . . Du, in dem Wein
muß ’was d’rin gewesen sein.
Ja, warum denn?
Ich bin ganz . . . . weißt — mir dreht sich
alles.
So halt’ dich fest an mich. So . . . .
sie an sich und wird immer zärtlicher, sie wehrt kaum ab.)
Ich werd’ dir ’was sagen, mein Schatz, wir
könnten jetzt wirklich geh’n.
Ja . . . . nach Haus.
9*
[132]
Nicht g’rad’ nach Haus . . . . .
Was meinst denn? … Oh nein, oh nein …
ich geh’ nirgends hin, was fallt dir denn ein —
Also hör’ mich nur an, mein Kind, das
nächste Mal, wenn wir uns treffen, weißt
du, da richten wir uns das so ein, daß …
Schoß.)
Das ist angenehm, oh, das ist an-
genehm.
Was machst denn?
. . . .
Du in dem Wein muß ’was drin gewesen
sein — so schläfrig . . . . du, was g’schieht
denn, wenn ich nimmer aufsteh’n kann?
Aber, aber, schau, aber Karl . . . . und
wenn wer hereinkommt . . . . ich bitt’ dich . . . .
der Kellner.
Da . . . . kommt sein Lebtag . . . . kein
Kellner . . . . herein . . . .
— — — — — — — — — — — —
[133]
der Divanecke).
dem er sich eine Zigarette angezündet).
Wer weiß, was das eigentlich für eine Person
ist — Donnerwetter . . . . So schnell . . . .
War nicht sehr vorsichtig von mir . . . .
Hm . . . .
In dem Wein muß ’was d’rin gewesen sein.
Ja warum denn?
Sonst . . . .
Warum schiebst du denn alles auf den
Wein? . . . .
[134]
Wo bist denn? Warum bist denn so weit?
Komm’ doch zu mir.
Jetzt sag’ mir, ob du mich wirklich gern hast.
Das weißt du doch . . . .
Freilich.
Weißt . . . . es ist doch . . . . Geh,[] sag’
mir die Wahrheit, was war in dem Wein?
Ja, glaubst du ich bin ein . . . . ich bin ein
Giftmischer?
Ja, schau, ich versteh’s halt nicht. Ich bin
doch nicht so . . . . Wir kennen uns doch
erst seit . . . . Du, ich bin nicht so . . . .
[135] meiner Seel’ und Gott, — wenn du das von
mir glauben tät’st —
Ja — was machst du dir denn da für Sorgen.
Ich glaub’ gar nichts schlechtes von dir. Ich
glaub’ halt, daß du mich lieb hast.
Ja . . . .
Schließlich, wenn zwei junge Leut’ allein in
einem Zimmer sind, und nachtmahlen und
trinken Wein . . . . es braucht gar nichts
d’rin zu sein in dem Wein.
Ich hab’s ja auch nur so g’sagt.
Ja warum denn?
Ich hab’ mich halt g’schämt.
[136]
Das ist lächerlich. Dazu liegt gar kein Grund
vor. Umsomehr als ich dich an deinen ersten
Geliebten erinnere.
Ja.
An den ersten.
Na ja . . . .
Jetzt möcht’ es mich interessieren, wer die
anderen waren.
Niemand.
Das ist ja nicht wahr, das kann ja nicht
wahr sein.
[137]
Geh’ bitt’ dich, sekier’ mich nicht. —
Willst eine Zigarette?
Nein, ich dank’ schön.
Weißt du, wie spät es ist?
Na?
Halb zwölf.
So!
Na . . . . und die Mutter? Die ist es gewöhnt,
was?
[138]
Willst mich wirklich schon z’haus schicken?
Ja, du hast doch früher selbst —
Geh’, du bist aber wie ausgewechselt. Was
hab’ ich dir denn getan?
Aber Kind, was hast du denn, was fällt dir
denn ein?
Und es ist nur dein G’schau gewesen, meiner
Seel’, sonst hätt’st du lang . . . . haben mich
schon viele gebeten, ich soll mit ihnen ins
chambre separée gehen.
Na, willst du . . . . bald wieder mit mir hieher
. . . . oder auch wo anders —
Weiß nicht.
[139]
Was heißt das wieder: Du weißt nicht.
Na, wenn du mich erst fragst?
Also wann? Ich möcht’ dich nur vor allem
aufklären, daß ich nicht in Wien lebe. Ich
komm’ nur von Zeit zu Zeit auf ein paar
Tage her.
Ah geh’, du bist kein Wiener?
Wiener bin ich schon. Aber ich lebe jetzt
in der Nähe . . . .
Wo denn?
Ach Gott, das ist ja egal.
Na, fürcht’ dich nicht, ich komm’ nicht hin.
[140]
Oh Gott, wenn es dir Spaß macht, kannst
du auch hinkommen. Ich lebe in Graz.
Im Ernst?
Na ja, was wundert dich denn daran?
Du bist verheiratet, wie?
Ja, wie kommst du darauf?
Mir ist halt so vorgekommen.
Und das würde dich gar nicht genieren?
Na, lieber ist mir schon, du bist ledig. —
Aber du bist ja doch verheiratet! —
[141]
Ja, sag’ mir nur, wie kommst du denn da
darauf?
Wenn einer sagt, er lebt nicht in Wien und
hat nicht immer Zeit —
Das ist doch nicht so unwahrscheinlich.
Ich glaub’s nicht.
Und da möchtest du dir gar kein Gewissen
machen, daß du einen Ehemann zur Untreue
verführst?
Ah was, deine Frau macht’s sicher nicht
anders als du.
Du, das verbiet’ ich mir. Solche Bemer-
kungen —
[142]
Du hast ja keine Frau, hab’ ich geglaubt.
Ob ich eine hab’ oder nicht — man macht
keine solche Bemerkungen.
Karl, na Karl, was ist denn? Bist bös’?
Schau, ich hab’s ja wirklich nicht gewußt,
daß du verheiratet bist. Ich hab’ ja nur so
g’redt. Geh’ komm’ und sei wieder gut.
Ihr seid wirklich sonderbare Geschöpfe,
ihr . . . . Weiber.
Seite.)
Geh’ . . . . . nicht . . . . . es ist auch schon so
spät. —
Also jetzt hör’ mir einmal zu. Reden wir
[143] einmal im Ernst miteinander. Ich möcht’
dich wieder sehen, öfter wiedersehen.
Is wahr?
Aber dazu ist notwendig . . . . also verlassen
muß ich mich auf dich können. Aufpassen
kann ich nicht auf Dich.
Ah, ich pass’ schon selber auf mich auf.
Du bist . . . . na also, unerfahren kann man
ja nicht sagen — aber jung bist du — und
— die Männer sind im allgemeinen ein
gewissenloses Volk.
Oh jeh!
Ich mein’ das nicht nur in moralischer Hinsicht.
— Na, du verstehst mich sicher. —
[144]
Ja, sag’ mir, was glaubst du denn eigentlich
von mir?
Also — wenn du mich lieb haben willst —
nur mich — so können wir’s uns schon ein-
richten — wenn ich auch für gewöhnlich
in Graz wohne. Da wo jeden Moment wer
hereinkommen kann, ist es ja doch nicht
das rechte.
Das nächste Mal … werden wir wo anders
zusammen sein, ja?
Ja.
Wo wir ganz ungestört sind.
Ja.
[145]
Das andere besprechen wir im Nachhaus-
fahren.
Kellner . . . .
die Rechnung!
[[146]][[147]]
DAS SÜSSE MÄDEL
UND DER DICHTER
[[148]][[149]]
gerichtet. Vorhänge, welche das Zimmer halbdunkel
machen. Rote Stores. Großer Schreibtisch, auf dem
Papiere und Bücher herumliegen. Ein Pianino an der Wand.
Das süße Mädel. Der Dichter.
Sie kommen eben zusammen herein. Der Dichter schließt zu.
So, mein Schatz
Ah! Da ist aber schön! Nur sehen tut man
nichts!
Deine Augen müssen sich an das Halb-
dunkel gewöhnen. — Diese süßen Augen
Dazu werden die süßen Augen aber nicht
Zeit genug haben.
[150]
Warum denn?
Weil ich nur eine Minuten dableib’.
Den Hut leg’ ab, ja?
Wegen der einen Minuten?
legt den Hut fort).
Und die Mantille —
Was willst denn? — Ich muß ja gleich
wieder fortgehen.
Aber du mußt dich doch ausruh’n! Wir sind
ja drei Stunden gegangen.
Wir sind gefahren.
[151]
Ja nach Haus — aber in Weidling am Bach
sind wir doch drei volle Stunden herumge-
laufen. Also setz’ dich nur schön nieder,
mein Kind . . . . wohin du willst; — hier
an den Schreibtisch; — aber nein, das ist
nicht bequem. Setz’ dich auf den Divan. —
So.
Bist du sehr müd’, so
kannst du dich auch hinlegen. So.
auf den Divan.)
Da das Kopferl auf den Polster.
Aber ich bin ja gar nicht müd’!
Das glaubst du nur. So — und wenn du
schläfrig bist, kannst du auch schlafen. Ich
werde ganz still sein. Übrigens kann ich dir
ein Schlummerlied vorspielen . . . . . von
mir . . . .
Von dir?
Ja.
[152]
Ich hab’ ’glaubt, Robert, du bist ein Doktor.
Wieso? Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich
Schriftsteller bin.
Die Schriftsteller sind doch alle Dokters.
Nein; nicht alle. Ich z. B. nicht. Aber wie
kommst du jetzt darauf.
Na, weil du sagst, das Stück, was du da
spielen tust, ist von dir.
Ja … vielleicht ist es auch nicht von mir.
Das ist ja ganz egal. Was? Überhaupt wer’s
gemacht hat, das ist immer egal. Nur schön
muß es sein — nicht wahr?
Freilich . . . . schön muß es sein — das ist
die Hauptsach’! —
[153]
Weißt du, wie ich das gemeint hab’?
Was denn?
Na, was ich eben gesagt hab’.
Na freilich.
Kein Wort hast du verstanden.
Geh’, ich bin doch nicht so dumm.
Freilich bist du so dumm. Aber gerade
darum hab’ ich dich lieb. Ah, das ist so schön,
wenn ihr dumm seid. Ich mein’ in der Art
wie du.
Geh’, was schimpfst denn?
[154]
Engel, kleiner. Nicht wahr, es liegt sich gut
auf dem weichen, persischen Teppich?
Oh ja. Geh’, willst nicht weiter Klavier
spielen?
Nein, ich bin schon lieber da bei dir.
Geh’, willst nicht lieber Licht machen?
Oh nein . . . . Diese Dämmerung tut ja so
wohl. Wir waren heute den ganzen Tag
wie in Sonnenstrahlen gebadet. Jetzt sind
wir sozusagen aus dem Bad gestiegen und
schlagen . . . . die Dämmerung wie einen
Badmantel
ah nein — das muß anders
gesagt werden . . . . Findest du nicht?
Weiß nicht.
[155]
Göttlich, diese Dummheit!
und schreibt ein paar Worte hinein.)
Was machst denn?
Was schreibst dir denn auf?
Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel . . . . so . . . .
Nichts . . . . Jetzt
sag’ einmal, mein Schatz, möchtest du nicht
etwas essen oder trinken?
Durst hab’ ich eigentlich keinen. Aber
Appetit.
Hm . . . . mir wär’ lieber, du hättest Durst.
Cognac hab’ ich nämlich zu Haus, aber
Essen müßte ich erst holen.
Kannst nichts holen lassen?
[156]
Das ist schwer, meine Bedienerin ist jetzt
nicht mehr da — na wart’ — ich geh’ schon
selber . . . . was magst du denn?
Aber es zahlt sich ja wirklich nimmer aus,
ich muß ja so wie so zu Haus.
Kind, da von ist keine Rede. Aber ich werd’
dir ’was sagen: wenn wir weggeh’n, geh’n
wir zusammen wohin nachtmahlen.
Oh nein. Dazu hab’ ich keine Zeit. Und
dann, wohin sollen wir denn? Es könnt’ uns
ja ’wer Bekannter seh’n.
Hast du denn gar so viel Bekannte?
Es braucht uns ja nur Einer zu seh’n, ist’s
Malheur schon fertig.
[157]
Was ist denn das für ein Malheur?
Na, was glaubst, wenn die Mutter ’was hört . . . .
Wir können ja doch irgend wohin gehen,
wo uns niemand sieht, es gibt ja Gasthäuser
mit einzelnen Zimmern.
Ja, beim Souper im chambre separée!
Warst du schon einmal in einem chambre
separée?
Wenn ich die Wahrheit sagen soll — ja.
Wer war der Glückliche?
Oh das ist nicht, wie du meinst . . . . ich
[158] war mit meiner Freundin und ihrem Bräu-
tigam. Die haben mich mitgenommen.
So. Und das soll ich dir am End’ glauben?
Brauchst mir ja nicht zu glauben!
Bist du jetzt rot geworden? Man sieht nichts
mehr! Ich kann deine Züge nicht mehr aus-
nehmen.
Aber auch so erkenn’ ich dich.
Na, pass’ nur auf, daß du mich mit keiner
andern verwechselst.
Es ist seltsam, ich kann mich nicht mehr
erinnern, wie du aussiehst.
Dank’ schön!
[159]
Du, das ist beinah’ unheimlich, ich kann
mir dich nicht vorstellen — In einem ge-
wissen Sinne hab’ ich dich schon vergessen
— Wenn ich mich auch nicht mehr an den
Klang deiner Stimme erinnern könnte . . . .
was wärst du da eigentlich? — Nah und
fern zugleich . . . . unheimlich.
Geh’, was redst denn —?
Nichts, mein Engel, nichts. Wo sind deine
Lippen . . . .
Willst nicht lieber Licht machen?
Nein . . . .
Sag’, ob du
mich lieb hast.
Sehr . . . . oh sehr!
[160]
Hast du schon irgendwen so lieb gehabt
wie mich?
Ich hab’ dir ja schon gesagt nein.
Aber . . . .
Das ist ja mein Bräutigam gewesen.
Es wär’ mir lieber, du würdest jetzt nicht
an ihn denken.
Geh’ … was machst denn … schau …
Wir können uns jetzt auch vorstellen, daß
wir in einem Schloß in Indien sind.
Dort sind s’ gewiß nicht so schlimm wie du.
[161]
Wie blöd! Göttlich — Ah wenn du ahntest,
was du für mich bist . . . .
Na?
Stoß’ mich doch nicht immer weg; ich tu’
dir ja nichts — vorläufig.
Du, das Mieder tut mir weh.
Zieh’s aus.
Ja. Aber du darfst deswegen nicht schlimm
werden.
Nein.
Dunkelheit ihr Mieder aus).
Reigen. 11
[162]
Sag’, interessiert’s dich’s denn gar nicht, wie
ich mit dem Zunamen heiß’?
Ja, wie heißt du denn?
Ich werd’ dir lieber nicht sagen, wie ich
heiß’, sondern wie ich mich nenne.
Was ist denn da für ein Unterschied?
Na, wie ich mich als Schriftsteller nenne.
Ah, du schreibst nicht unter deinem wirk-
lichen Namen?
Ah . . . . geh! . . . . nicht.
[163]
Was einem da für ein Duft entgegensteigt.
Wie süß.
Du zerreißt ja mein Hemd.
Weg . . . . weg . . . . alles das ist über-
flüssig.
Aber Robert!
Und jetzt komm’ in unser indisches Schloß.
Sag’ mir zuerst, ob du mich wirklich lieb
hast.
Aber ich bete dich ja an.
Ich bete dich ja an, mein Schatz, mein Früh-
ling … mein …
11*
[164]
Robert . . . . Robert . . . .
— — — — — — — — — — — — — —
Das war überirdische Seligkeit . . . . Ich
nenne mich . . . .
Robert, oh mein Robert!
Ich nenne mich Biebitz.
Warum nennst du dich Biebitz?
Ich heiße nicht Biebitz — ich nenne mich
so . . . . nun, kennst du den Namen viel-
leicht nicht?
Nein.
[165]
Du kennst den Namen Biebitz nicht? Ah
— göttlich! Wirklich? Du sagst es nur, daß
du ihn nicht kennst, nicht wahr?
Meiner Seel’, ich hab’ ihn nie gehört!
Gehst du denn nie ins Theater?
Oh ja — ich war erst neulich mit einem —
weißt, mit dem Onkel von meiner Freundin
und meiner Freundin sind wir in der Oper
gewesen bei der Cavalleria.
Hm, also ins Burgtheater gehst du nie.
Da krieg ich nie Karten geschenkt.
Ich werde dir nächstens eine Karte schicken.
[166]
Oh ja! aber nicht vergessen! Zu ’was Lustigem
aber.
Ja . . . . . lustig . . . . . zu ’was Traurigem willst
du nicht geh’n?
Nicht gern.
Auch wenn’s ein Stück von mir ist?
Geh’ — ein Stück von dir? Du schreibst
für’s Theater?
Erlaube, ich will nur Licht machen. Ich
habe dich noch nicht gesehen, seit du
meine Geliebte bist. — Engel!
Kerze an.)
Geh’, ich schäm’ mich ja. Gib mir wenigstens
eine Decke.
[167]
Später!
sie lang.)
Geh’, Robert!
Du bist schön, du bist die Schönheit, du
bist vielleicht sogar die Natur, du bist die
heilige Einfalt.
Oh weh, du tropfst mich ja an! Schau, was
gibst denn nicht acht!
Du bist das, was ich seit lange gesucht
habe. Du liebst nur mich, du würdest mich
auch lieben, wenn ich Schnittwarencommis
wäre. Das tut wohl. Ich will dir gestehen,
daß ich einen gewissen Verdacht bis zu
diesem Moment nicht losgeworden bin. Sag’
ehrlich, hast du nicht geahnt, daß ich
Biebitz bin?
[168]
Aber geh’, ich weiß gar nicht, was du von
mir willst. Ich kenn’ ja gar kein’ Biebitz.
Was ist der Ruhm! Nein, vergiß, was ich
gesagt habe, vergiß sogar den Namen, den
ich dir gesagt hab’. Robert bin ich und
will ich für dich bleiben. Ich hab’ auch nur
gescherzt.
Ich bin ja nicht Schrift-
steller, ich bin Commis und am Abend spiel’
ich bei Volkssängern Klavier.
Ja, jetzt kenn’ ich mich aber nicht mehr
aus . . . . . . nein, und wie du einen nur an-
schaust. Ja, was ist denn, ja was hast
denn?
Es ist sehr sonderbar — was mir beinah’
noch nie passiert ist, mein Schatz, mir sind
die Tränen nah. Du ergreifst mich tief. Wir
wollen zusammen bleiben, ja? Wir werden
einander sehr lieb haben.
[169]
Du, ist das wahr mit den Volkssängern?
Ja, aber frag’ nicht weiter. Wenn du mich
lieb hast, frag’ überhaupt nichts. Sag’, kannst
du dich auf ein paar Wochen ganz frei machen?
Wieso ganz frei?
Nun, vom Hause weg?
Aber!! Wie kann ich das! Was möcht’ die
Mutter sagen? Und dann, ohne mich ging’
ja alles schief zu Haus.
Ich hatte es mir schön vorgestellt, mit dir
zusammen, allein mit dir, irgendwo in der
Einsamkeit draußen, im Wald, in der Natur
ein paar Wochen zu leben. Natur . . . . in der
Natur. Und dann, eines Tages Adieu — von
einander gehen, ohne zu wissen, wohin.
[170]
Jetzt redst schon vom Adieusagen! Und
ich hab’ gemeint, daß du mich so gern hast.
Gerade darum —
auf die Stirn.)
Du süßes Geschöpf!
Geh’, halt mich fest, mir ist so kalt.
Es wird Zeit sein, daß du dich anklei-
dest. Warte, ich zünde dir noch ein paar
Kerzen an.
Nicht herschauen.
Nein.
Sag’ mir, mein Kind, bist
du glücklich?
Wie meinst das?
[171]
Ich mein’ im allgemeinen, ob du glücklich bist?
Es könnt’ schon besser gehen.
Du mißverstehst mich. Von deinen häus-
lichen Verhältnissen hast du mir ja schon
genug erzählt. Ich weiß, daß du keine
Prinzessin bist. Ich mein’, wenn du von
alledem absiehst, wenn du dich einfach leben
spürst. Spürst du dich überhaupt leben?
Geh’, hast kein’ Kamm?
Kamm, betrachtet das süße Mädel).
Herrgott, siehst du so entzückend aus!
Na . . . . nicht!
Geh’, bleib’ noch da, bleib’ da, ich hol’ ’was
zum Nachtmahl und . . . .
[172]
Aber es ist ja schon viel zu spät.
Es ist noch nicht neun.
Na, sei so gut, da muß ich mich aber tummeln.
Wann werden wir uns denn wiedersehen?
Na, wann willst mich denn wiedersehen?
Morgen.
Was ist denn morgen für ein Tag?
Samstag.
Oh da kann ich nicht, da muß ich mit meiner
kleinen Schwester zum Vormund.
[173]
Also Sonntag . . . . hm . . . . Sonntag . . . .
am Sonntag . . . . jetzt werd’ ich dir ’was
erklären. — Ich bin nicht Biebitz, aber
Biebitz ist mein Freund. Ich werd’ dir ihn
einmal vorstellen. Aber Sonntag ist das
Stück von Biebitz; ich werd’ dir eine Karte
schicken und werde dich dann vom Theater
abholen. Du wirst mir sagen, wie dir das
Stück gefallen hat; ja?
Jetzt, die G’schicht’ mit dem Biebitz — da
bin ich schon ganz blöd.
Völlig werd’ ich dich erst kennen, wenn ich
weiß, was du bei diesem Stück empfunden
hast.
So …, ich bin fertig.
Komm’, mein Schatz!
[[175]]
DER DICHTER UND DIE
SCHAUSPIELERIN
[[176]][[177]]
Es ist ein Frühlingsabend; über den Wiesen und Hügeln
liegt der Mond; die Fenster stehen offen.
Große Stille.
Der Dichter und die Schauspielerin treten ein; wie sie
hereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in der
Hand hält.
Oh . . . .
Was ist denn?
Das Licht. — Aber wir brauchen keins.
Schau’, es ist ganz hell. Wunderbar!
mit gefalteten Händen).
Was hast du denn?
Reigen. 12
[178]
Was machst du denn?
Siehst du nicht, daß ich bete? —
Glaubst du an Gott?
Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.
Ach so!
Komm’ doch zu mir, knie dich neben mich
hin. Kannst wirklich auch einmal beten.
Wird dir keine Perle aus der Krone fallen.
Wüstling! —
Und weißt du auch,
zu wem ich gebetet habe?
[179]
Zu Gott, nehm’ ich an.
Jawohl! zu dir hab’ ich gebetet.
Warum hast du denn da zum Fenster hinaus-
geschaut?
Sag’ mir lieber, wo du mich da hingeschleppt
hast, Verführer!
Aber Kind, das war ja deine Idee. Du
wolltest ja auf’s Land — und gerade hieher.
Nun, hab’ ich nicht recht gehabt?
Gewiß; es ist ja entzückend hier. Wenn
man bedenkt, zwei Stunden von Wien —
und die völlige Einsamkeit. Und was für
eine Gegend!
12*
[180]
Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten,
wenn du zufällig Talent hättest.
Warst du hier schon einmal?
Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab’ ich
jahrelang gelebt!
Mit wem?
Nun, mit Fritz natürlich.
Ach so!
Den Mann hab’ ich wohl angebetet! —
Das hast du mir bereits erzählt.
[181]
Ich bitte — ich kann auch wieder gehen,
wenn ich dich langweile!
Du mich langweilen? . . . . Du ahnst ja gar
nicht, was du für mich bedeutest . . . . Du
bist eine Welt für sich . . . . Du bist das
Göttliche, du bist das Genie . . . . Du bist . . . .
Du bist eigentlich die heilige Einfalt . . . .
Ja, Du . . . . Aber du solltest jetzt nicht von
Fritz reden.
Das war wohl eine Verirrung! Na! —
Es ist schön, daß du das einsiehst.
Komm, her, gib mir einen Kuß!
Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht
sagen! Leb’ wohl, mein Schatz!
[182]
Wie meinst du das?
Nun, ich werde mich schlafen legen!
Ja, — das schon, aber was das gute Nacht
sagen anbelangt . . . . Wo soll denn ich
übernachten?
Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesem
Haus.
Die anderen haben aber keinen Reiz für
mich. Jetzt werd’ ich übrigens Licht machen,
meinst du nicht?
Ja.
kästchen steht).
Was für ein hübsches Zimmer . . . . und
[183] fromm sind die Leute hier. Lauter Heiligen-
bilder . . . . Es wäre interessant, eine Zeit
unter diesen Menschen zu verbringen . . . .
doch eine andre Welt. Wir wissen eigent-
lich so wenig von den andern.
Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber
diese Tasche vom Tisch herüber.
Hier, meine Einzige!
gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen).
Was ist das?
Das ist die Madonna.
Die hast du immer mit?
Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh’,
Robert!
[184]
Aber was sind das für Scherze? Soll ich
dir nicht helfen?
Nein, du sollst jetzt geh’n.
Und wann soll ich wiederkommen?
In zehn Minuten.
Auf Wiedersehen!
Wo willst du denn hin?
Ich werde vor dem Fenster auf und ab-
gehen. Ich liebe es sehr, nachts im Freien
herumzuspazieren. Meine besten Gedanken
kommen mir so. Und gar in deiner Nähe, von
deiner Sehnsucht sozusagen umhaucht . . . .
in deiner Kunst webend.
[185]
Du redest wie ein Idiot . . . .
Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen
würden . . . . wie ein Dichter.
Nun geh’ endlich. Aber fang’ mir kein Ver-
hältnis mit der Kellnerin an. —
über die Holztreppe hinuntergeht und hört jetzt seine
Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sie ausge-
kleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da; sie
ruft flüsternd hinunter).
Komm’!
unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht
hat; er sperrt ab).
So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und
mir ’was erzählen.
[186]
Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist
dir nicht kalt?
Oh nein!
Was soll ich dir denn erzählen?
Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?
Ich bin es ja leider noch nicht.
Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.
Das kann ich mir denken.
Und was glaubst du, wen?
[187]
Ja Kind, davon kann ich keine Ahnung
haben.
Nun, rate.
Warte . . . . Na, deinen Direktor.
Mein Lieber, ich bin keine Choristin.
Nun, ich dachte nur.
Rate noch einmal.
Also du betrügst deinen Kollegen … Benno —
Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keine
Frauen . . . . weißt du das nicht? Der Mann
hat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!
[188]
Ist das möglich! —
So gib mir lieber einen Kuß!
Aber was tust du denn?
So quäl’ mich doch nicht so.
Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlag
machen. Leg’ dich zu mir ins Bett.
Angenommen!
Komm’ schnell, komm’ schnell!
Ja . . . . wenn es nach mir gegangen wäre,
wär’ ich schon längst . . . . Hörst du . . . .
[189]
Was denn?
Draußen zirpen die Grillen.
Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier
gibt es ja keine Grillen.
Aber du hörst sie doch.
Nun’ so komm, endlich!
Da bin ich.
So, jetzt bleib’ schön ruhig liegen . . . . .
Pst . . . . . nicht rühren.
Ja, was fällt dir denn ein?
[190]
Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mit
mir haben?
Das dürfte dir doch bereits klar sein.
Nun, das möchte wohl mancher . . . .
Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daß
in diesem Moment ich die meisten Chancen
habe.
So komm’, meine Grille! Ich werde dich
von nun an Grille nennen.
Schön . . . .
Nun, wen betrüg’ ich?
[191]
Wen? . . . . Vielleicht mich . . . .
Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.
Oder einen..... den du selbst nie gesehen
..... einen, den du nicht kennst, einen —
der für dich bestimmt ist und den du nie
finden kannst....
Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.
.... Ist es nicht sonderbar,.... auch du —
und man sollte doch glauben. — Aber nein,
es hieße dir dein bestes rauben, wollte man
dir.... komm’, komm’ — — komm’ —
— — — — — — — — — — — — — —
Das ist doch schöner, als in blödsinnigen
Stücken spielen.... was meinst du?
[192]
Nun, ich mein’, es ist gut, daß du doch
zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.
Du arroganter Hund meinst gewiß wieder
das deine?
Jawohl!
Das ist wohl ein herrliches Stück!
Nun also!
Ja, du bist ein großes Genie, Robert!
Bei dieser Gelegenheit könntest du mir
übrigens sagen, warum du vorgestern ab-
gesagt hast. Es hat dir doch absolut gar
nichts gefehlt.
[193]
Nun, ich wollte dich ärgern.
Ja warum denn? Was hab’ ich dir denn
getan?
Arrogant bist du gewesen.
Wieso?
Alle im Theater finden es.
So.
Aber ich hab’ ihnen gesagt: Der Mann hat
wohl ein Recht, arrogant zu sein.
Und was haben die anderen geantwortet?
Reigen. 13
[194]
Was sollen mir denn die Leute antworten?
Ich rede ja mit keinem.
Ach so.
Sie möchten mich am liebsten alle vergiften.
Aber das wird ihnen nicht gelingen.
Denke jetzt nicht an die anderen Menschen.
Freue dich lieber, daß wir hier sind und
sage mir, daß du mich lieb hast.
Verlangst du noch weitere Beweise?
Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.
Das ist aber großartig! Was willst du denn
noch?
[195]
Wie vielen hast du es schon auf diese Art
beweisen wollen..... hast du alle geliebt?
Oh nein. Geliebt hab’ ich nur einen.
Mein....
Fritz.
Ich heiße Robert. Was bin denn ich für
dich, wenn du jetzt an Fritz denkst?
Du bist eine Laune.
Gut, daß ich es weiß.
Nun sag’, bist du nicht stolz?
13*
[196]
Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?
Ich denke, daß du wohl einen Grund dazu
hast.
Ach deswegen.
Jawohl, deswegen, meine blasse Grille! —
Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen
sie noch?
Ununterbrochen. Hörst du’s denn nicht?
Freilich hör’ ich. Aber das sind Frösche,
mein Kind.
Du irrst Dich; die quaken.
[197]
Gewiß quaken sie.
Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.
Du bist wohl das eigensinnigste, was mir
je untergekommen ist. Gib mir einen Kuß,
mein Frosch!
Bitte sehr, nenn’ mich nicht so. Das macht
mich direkt nervös.
Nun, wie soll ich dich nennen.
Ich hab’ doch einen Namen: Robert.
Ach, das ist zu dumm.
Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen,
wie ich heiße.
[198]
Also Robert, gib mir einen Kuß . . . Ah!
Bist du jetzt zufrieden, Frosch?
Hahahaha.
Würdest du mir erlauben, mir eine Zigarette
anzuzünden?
Gib mir auch eine.
nimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.
Du hast mir übrigens noch kein Wort über
meine gestrige Leistung gesagt.
Über welche Leistung?
Nun.
Ach so. Ich war nicht im Theater.
[199]
Du beliebst wohl zu scherzen.
Durchaus nicht. Nachdem du vorgestern
abgesagt hast, habe ich angenommen, daß
du auch gestern noch nicht im Vollbesitze
deiner Kräfte sein würdest und da hab’ ich
lieber verzichtet.
Du hast wohl viel versäumt.
So.
Es war sensationell. Die Menschen sind blaß
geworden.
Hast du das deutlich bemerkt?
Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie
eine Göttin.
[200]
Hm! . . . . . Und vorgestern noch so
krank.
Jawohl; ich war es auch. Und weißt du
warum? Vor Sehnsucht nach dir.
Früher hast du mir erzählt, du wolltest mich
ärgern und hast darum abgesagt.
Aber was weißt du von meiner Liebe zu
dir. Dich läßt das ja alles kalt. Und ich
bin schon Nächtelang im Fieber gelegen.
vierzig Grad!
Für eine Laune ist das ziemlich hoch.
Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe
zu dir und du nennst es Laune —?!
[201]
Und Fritz . . . .?
Fritz? . . . . . Rede mir nicht von diesen
Galeerensträfling! —
[[202]][[203]]
DIE SCHAUSPIELERIN
UND DER GRAF
[[204]][[205]]
gerichtet. Es ist zwölf Uhr mittags; die Rouleaux sind
noch herunter gelassen; auf dem Nachtkästchen brennt
eine Kerze, die Schauspielerin liegt noch in ihrem Himmel-
bett. Auf der Decke liegen zahlreiche Zeitungen.
Der Graf tritt ein in der Uniform eines Dragonerrittmeisters.
Er bleibt an der Tür stehen. —
Ah, Herr Graf.
Die Frau Mama hat mir erlaubt, sonst wär’
ich nicht —
Bitte, treten Sie nur näher.
Küß’ die Hand. Pardon — wenn man von
der Straßen hereinkommt . . . . ich seh’
[206] nämlich noch rein gar nichts. So . . . . da
wären wir ja
Küß die Hand.
Nehmen Sie Platz, Herr Graf.
Frau Mama sagte mir, Fräulein sind un-
päßlich . . . . Wird doch hoffentlich nichts
ernstes sein.
Nichts ernstes? Ich bin dem Tode nahe
gewesen!
Um Gotteswillen, wie ist denn das mög-
lich?
Es ist jedenfalls sehr freundlich, daß Sie
sich zu mir bemühen.
Dem Tode nahe! Und gestern Abend haben
Sie noch gespielt wie eine Göttin.
[207]
Es war wohl ein großer Triumph.
Kolossal! . . . . Die Leute waren auch alle
hingerissen. Und von mir will ich gar nicht
reden.
Ich danke für die schönen Blumen.
Aber bitt’ Sie Fräulein.
Blumenkorb weisend, der auf einem kleinen Tischchen
auf dem Fenster steht).
Hier stehen sie.
Sie sind gestern förmlich überschüttet worden
mit Blumen und Kränzen.
Das liegt noch alles in meiner Garderobe.
Nur Ihren Korb habe ich mit nach Hause
gebracht.
[208]
Das ist lieb von Ihnen.
Aber Fräulein.
Erschrecken Sie nicht, Herr Graf, das ver-
pflichtet Sie zu gar nichts.
Sie sind ein sonderbares Wesen .... rätsel-
haft könnte man fast sagen. —
Das Fräulein Birken ist wohl leichter auf-
zulösen.
Ja die kleine Birken ist kein Problem, ob-
zwar . . . . ich kenne sie ja auch nur ober-
flächlich.
Ha!
[209]
Sie können mir’s glauben. Aber Sie sind
ein Problem. Danach hab’ ich immer Sehn-
sucht gehabt. Es ist mir eigentlich ein
großer Genuß entgangen, dadurch, daß ich
Sie gestern . . . . das erste Mal spielen
gesehen habe.
Ist das möglich?
Ja. Schauen Sie, Fräulein, es ist so schwer
mit dem Theater. Ich bin gewöhnt, spät
zu dinieren . . . . . also wenn man dann
hinkommt, ist’s beste vorbei. Ist’s nicht
wahr?
So werden Sie eben von jetzt an früher
essen.
Ja, ich hab’ auch schon daran gedacht.
Oder gar nicht. Es ist ja wirklich kein Ver-
gnügen, das Dinieren.
Reigen. 14
[210]
Was kennen Sie jugendlicher Greis eigent-
lich noch für ein Vergnügen?
Das frag’ ich mich selber manchmal! Aber
ein Greis bin ich nicht. Es muß einen
anderen Grund haben.
Glauben Sie?
Ja. Der Lulu sagt beispielsweise, ich bin
ein Philosoph. Wissen Sie, Fräulein, er
meint, ich denk’ zu viel nach.
Ja . . . . denken, das ist das Unglück.
Ich hab’ zu viel Zeit, d’rum denk’ ich nach.
Bitt’ Sie, Fräulen, schauen S’, ich hab’ mir
gedacht, wenn s’ mich nach Wien trans-
ferieren, wird’s besser. Da gibt’s Zerstreuung,
[211] Anregung. Aber es ist im Grund doch
nicht anders als da oben.
Wo ist denn das da oben?
Na, da unten, wissen S’ Fräulein, in Ungarn,
in die Nester, wo ich meistens in Garnison
war.
Ja, was haben Sie denn in Ungarn gemacht?
Na, wie ich sag’, Fräulein, Dienst.
Ja warum sind Sie denn so lang in Ungarn
geblieben?
Ja, das kommt so.
Da muß man ja wahnsinnig werden.
14*
[212]
Warum denn? Zu tun hat man eigentlich
mehr wie da. Wissen S’ Fräulein, Rekruten
ausbilden, Remonten reiten . . . . und dann
ist’s nicht so arg mit der Gegend, wie man
sagt. Es ist schon ganz was schönes, die
Tiefebene — und so ein Sonnenuntergang,
es ist schade, daß ich kein Maler bin, ich
hab’ mir manchmal gedacht, wenn ich ein
Maler wär’, tät’ ich’s malen. Einen haben
wir gehabt beim Regiment, einen jungen
Splany, der hat’s können. — Aber was er-
zähl’ ich Ihnen da für fade G’schichten,
Fräulein.
Oh bitte, ich amüsiere mich königlich.
Wissen S’ Fräulein, mit Ihnen kann man
plaudern, das hat mir der Lulu schon g’sagt,
und das ist’s, was man selten find’t.
Nun freilich, in Ungarn.
[213]
Aber in Wien grad’ so! Die Menschen sind
überall dieselben; da wo mehr sind, ist halt
das Gedräng’ größer, das ist der ganze
Unterschied. Sagen S’ Fräulein, haben Sie
die Menschen eigentlich gern?
Gern —?? Ich hasse sie! Ich kann keine
seh’n! Ich seh’ auch nie jemanden. Ich bin
immer allein, dieses Haus betritt niemand.
Seh’n S’, das hab’ ich mir gedacht, daß Sie
eigentlich eine Menschenfeindin sind. Bei
der Kunst muß das oft vorkommen. Wenn
man so in den höheren Regionen .... na,
Sie haben ’s gut, Sie wissen doch wenigstens,
warum Sie leben!
Wer sagt Ihnen das? Ich habe keine Ahnung,
wozu ich lebe!
Ich bitt’ Sie, Fräulein, — berühmt — gefeiert —
[214]
Ist das vielleicht ein Glück?
Glück? Bitt’ Sie Fräulein, Glück giebt’s
nicht. Überhaupt gerade die Sachen, von
denen am meisten g’redt wird, giebt’s nicht…
z. B. Liebe. Das ist auch so ’was.
Da haben Sie wohl recht.
Genuß .... Rausch .... also gut, da läßt
sich nichts sagen .... das ist ’was sicheres.
Jetzt genieße ich, . . . . gut, weiß ich, ich
genieß’. Oder ich bin berauscht, schön. Das
ist auch sicher. Und ist’s vorbei, so ist es
halt vorbei.
Es ist vorbei!
Aber sobald man sich nicht, wie soll ich
mich denn ausdrücken, sobald man sich
nicht dem Moment hingiebt, also an später
[215] denkt oder an früher . . . . na, ist es doch
gleich aus. Später . . . . ist traurig . . . .
früher ist ungewiß .... mit einem Wort ....
man wird nur konfus. Hab’ ich nicht recht?
Sie haben wohl den Sinn erfaßt.
Und sehen S’, Fräulein, wenn einem das
einmal klar geworden ist, ist’s ganz egal,
ob man in Wien lebt oder in der Pußta
oder in Steinamanger. Schaun S’ zum Bei-
spiel . . . . wo darf ich denn die Kappen
hinlegen? So, ich dank’ schön . . . . wovon
haben wir denn nur gesprochen?
Von Steinamanger.
Richtig. Also wie ich sag’, der Unterschied
ist nicht groß. Ob ich am Abend im
Kasino sitz’ oder im Klub, ist doch alles
eins.
[216]
Und wie verhält sich denn das mit der
Liebe?
Wenn man d’ran glaubt, ist immer eine da,
die einen gern’ hat.
Zum Beispiel das Fräulein Birken.
Ich weiß wirklich nicht, Fräulein, warum
Sie immer auf die kleine Birken zu reden
kommen.
Das ist doch Ihre Geliebte.
Wer sagt denn das?
Jeder Mensch weiß das.
[217]
Nur ich nicht, es ist merkwürdig.
Sie haben doch ihretwegen ein Duell ge-
habt!
Vielleicht bin ich sogar tot geschossen worden
und hab’s gar nicht bemerkt.
Nun, Herr Graf, Sie sind ein Ehrenmann.
Setzen Sie sich näher.
Bin so frei.
Hierher
durch die Haare).
Ich hab’ gewußt, daß Sie
heute kommen werden!
Wieso denn?
[218]
Ich hab’ es bereits gestern im Theater
gewußt.
Haben Sie mich denn von der Bühne aus
gesehen?
Aber Mann! Haben Sie denn nicht bemerkt,
daß ich nur für Sie spiele?
Wie ist das denn möglich?
Ich bin ja so geflogen, wie ich Sie in der
ersten Reihe sitzen sah!
Geflogen? Meinetwegen? Ich hab’ keine
Ahnung gehabt, daß Sie mich bemerken!
Sie können einen auch mit Ihrer Vornehm-
heit zur Verzweiflung bringen.
[219]
Ja Fräulein . . . .
„Ja Fräulein“! … So schnallen Sie doch
wenigstens Ihren Säbel ab!
Wenn es erlaubt ist.
ans Bett).
Und gib mir endlich einen Kuß.
Dich hätte ich auch lieber nie erblicken
sollen.
Es ist doch besser so! —
Herr Graf, Sie sind ein Poseur!
[220]
Ich — warum denn?
Was glauben Sie, wie glücklich wär’ mancher,
wenn er an Ihrer Stelle sein dürfte!
Ich bin sehr glücklich.
Nun, ich dachte, es gibt kein Glück. Wie
schaust du mich denn an? Ich glaube Sie
haben Angst vor mir, Herr Graf!
Ich sag’s ja, Fräulein, Sie sind ein Problem.
Ach laß’ du mich in Frieden mit der Philo-
sophie . . . . komm’ zu mir. Und jetzt bitt’
mich um irgend ’was . . . . du kannst alles
haben, was du willst. Du bist zu schön.
Also ich bitte um die Erlaubnis
[221] küssend),
daß ich heute abends wiederkommen
darf.
Heut Abend . . . . ich spiele ja.
Nach dem Theater.
Um was anderes bittest du nicht?
Um alles andere werde ich nach dem Theater
bitten.
Da kannst du lange bitten, du elender
Poseur.
Ja schauen Sie, oder schau, wir sind doch
bis jetzt so aufrichtig miteinander gewesen …
Ich fände das alles viel schöner am Abend
nach dem Theater … gemütlicher als jetzt,
[222] wo … ich hab’ immer so die Empfindung,
als könnte die Thür aufgeh’n . . . .
Die geht nicht von außen auf.
Schau’ ich find’, man soll sich nicht leicht-
sinnig von vornherein ’was verderben, was
möglicherweise sehr schön sein könnte.
Möglicherweise! . . . .
In der Früh’, wenn ich die Wahrheit sagen
soll, find’ ich die Liebe gräßlich.
Nun — du bist wohl das irrsinnigste, was
mir je vorgekommen ist!
Ich red’ ja nicht von beliebigen Frauen-
zimmern . . . . schließlich im allgemeinen
ist’s ja egal. Aber Frauen wie du … nein,
[223] du kannst mich hundertmal einen Narren
heißen. Aber Frauen wie du . . . . nimmt
man nicht vor dem Frühstück zu sich. Und
so . . . . weißt . . . . so . . . .
Gott, was bist du süß!
Siehst du das ein, was ich g’sagt hab’, nicht
wahr. Ich stell mir das so vor —
Nun, wie stellst du dir das vor?
Ich denk’ mir . . . . . ich wart’ nach dem
Theater auf dich in ein’ Wagen, dann fahren
wir zusammen also irgendwohin soupieren —
Ich bin nicht das Fräulein Birken.
Das hab’ ich ja nicht gesagt. Ich find’ nur,
zu allem g’hört Stimmung. Ich komm’ immer
[224] erst beim Souper in Stimmung. Das ist dann
das schönste, wenn man so vom Souper
zusamm’ nach Haus fahrt, dann . . . .
Was ist dann?
Also dann … liegt das in der Entwicklung
der Dinge.
Setz’ dich doch näher. Näher.
Ich muß schon sagen, aus den Polstern
kommt so ein … Reseda ist das — nicht?
Es ist sehr heiß hier, findest du nicht?
Oh, Herr Graf, das ist ja gegen Ihr Pro-
gramm.
[225]
Wer sagt denn das? Ich hab’ kein Programm.
Es ist wirklich heiß.
Findest du? Und so dunkel, wie wenn’s
Abend wär’ . . . . .
Es ist
Abend . . . . es ist Nacht . . . . Mach’ die
Augen zu, wenn’s dir zu licht ist. Komm! …
Komm! . . . .
— — — — — — — — — — — — —
Nun, wie ist das jetzt mit der Stimmung,
du Poseur?
Du bist ein kleiner Teufel.
Was ist das für ein Ausdruck?
Reigen. 15
[226]
Na, also ein Engel.
Und du hättest Schauspieler werden sollen!
Wahrhaftig! Du kennst die Frauen! Und
weißt du, was ich jetzt tun werde?
Nun?
Ich werde dir sagen, daß ich dich nie wieder-
sehen will.
Warum denn?
Nein, nein. Du bist mir zu gefährlich! Du
machst ja ein Weib toll. Jetzt stehst du
plötzlich vor mir, als wär’ nichts gescheh’n.
Aber . . . . .
[227]
Ich bitte sich zu erinnern, Herr Graf, ich
bin soeben Ihre Geliebte gewesen.
Ich werd’s nie vergessen!
Und wie ist das mit heute Abend?
Wie meinst du das?
Nun — du wolltest mich ja nach dem
Theater erwarten?
Ja, also gut, zum Beispiel übermorgen.
Was heißt das, übermorgen? Es war doch
von heute die Rede.
Das hätte keinen rechten Sinn.
15*
[228]
Du Greis!
Du verstehst mich nicht recht. Ich mein’
das mehr, was, wie soll ich mich ausdrücken,
was die Seele anbelangt.
Was geht mich deine Seele an?
Glaub’ mir, sie gehört mit dazu. Ich halte
das für eine falsche Ansicht, daß man das
so voneinander trennen kann.
Laß mich mit deiner Philosophie in Frieden.
Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.
Aus Büchern lernt man ja doch nie.
Das ist wohl wahr! Drum sollst du mich
heut’ Abend erwarten. Wegen der Seele
werden wir uns schon einigen, du Schurke!
[229]
Also wenn du erlaubst, so werde ich mit
meinem Wagen . . . . .
Hier in meiner Wohnung wirst du mich
erwarten —
. . . . . Nach dem Theater.
Natürlich.
Was machst du denn da?
Ich denke, es ist Zeit, daß ich geh’. Für
einen Anstandsbesuch bin ich doch eigentlich
schon ein bissel lang’ geblieben.
Nun, heut abend soll es kein Anstands-
besuch werden.
[230]
Glaubst du?
Dafür laß nur mich sorgen. Und jetzt gieb
mir noch einen Kuß, mein kleiner Philosoph.
So, du Verführer, du . . . . süßes Kind, du
Seelenverkäufer, Du Iltis . . . . du . . . .
heftig von sich.)
Herr Graf, es war mir eine
große Ehre!
Ich küß’ die Hand, Fräulein!
Auf Wiederschaun’.
Adieu, Steinamanger!
[[231]]
DER GRAF
UND DIE DIRNE
[[232]][[233]]
Ein ärmliches Zimmer; einfenstrig, die gelblich-schmutzigen
Rouletten sind heruntergelassen. Verschlissene grünliche
Vorhänge. Eine Kommode, auf der ein paar Photographien
stehen und ein auffallend geschmackloser, billiger Damen-
hut liegt. Hinter dem Spiegel billige japanische Fächer.
Auf dem Tisch, der mit einem rötlichen Schutztuch über-
zogen ist, steht eine Petroleumlampe, die schwach brenzlich
brennt; papierener, gelber Lampenschirm, daneben ein
Krug, in dem ein Rest von Bier ist, und ein halb geleertes
Glas. Auf dem Boden neben dem Bett liegen unordentlich
Frauenkleider, als wenn sie eben rasch abgeworfen worden
wären. Im Bett liegt schlafend die Dirne; sie atmet ruhig.
— Auf dem Divan, völlig angekleidet, liegt der Graf, im
Drapp-Überzieher; der Hut liegt zu Häupten des Divans
auf dem Boden.
bleibt sitzen, schaut um sich).
Ja, wie bin ich denn . . . . Ah so . . . . Also
bin ich richtig mit dem Frauenzimmer nach
Haus . . . .
Da
liegt s’ ja . . . . Was einem noch alles in
meinem Alter passieren kann. Ich hab’ keine
[234] Idee, haben s’ mich da heraufgetragen?
Nein . . . . ich hab’ ja geseh’n — ich komm
in das Zimmer . . . . ja . . . . da bin ich noch
wach gewesen oder wach worden . . . .
oder . . . . oder ist vielleicht nur, daß mich
das Zimmer an was erinnert? . . . . Meiner
Seel’, na ja . . . . gestern hab’ ich’s halt
g’seh’n . . . .
was! gestern, vor
ein paar Stunden — Aber ich hab’s g’wußt,
daß ’was passieren muß . . . . . ich hab’s
g’spürt . . . . wie ich ang’fangen hab’ zu
trinken gestern, hab’ ich’s g’spürt, daß . . . .
Und was ist denn passiert? . . . . . Also
nichts . . . . . Oder ist was . . . . .? Meiner
Seel . . . . seit . . . . also seit zehn Jahren ist
mir so ’was nicht vor’kommen, daß ich nicht
weiß . . . . Also kurz und gut, ich war halt
b’soffen. Wenn ich nur wüßt’, von wann
an . . . . Also das weiß ich noch ganz genau,
wie ich in das Hurenkaffeehaus hinein bin
mit dem Lulu und . . . . nein, nein . . . . vom
Sacher sind wir ja noch weg’gangen . . . .
und dann auf dem Weg ist schon . . . . Ja
richtig, ich bin ja in meinem Wagen g’fahren
mit’m Lulu . . . . Was zerbrich ich mir denn
viel den Kopf. Ist ja egal. Schau’n wir,
[235] daß wir weiterkommen.
wackelt.)
Oh!
Die hat
halt einen g’sunden Schlaf. Ich weiß zwar
von gar nix — aber ich werd’ ihr ’s Geld
aufs Nachtkastel legen . . . . und Servus . . . .
Wenn man
nicht wüßt’, was sie ist!
Ich
hab’ viel kennt, die haben nicht einmal im
Schlafen so tugendhaft ausg’seh’n. Meiner
Seel’ . . . . also der Lulu möcht’ wieder sagen,
ich philosophier’, aber es ist wahr, der
Schlaf macht auch schon gleich, kommt mir
vor; — wie der Herr Bruder, also der
Tod . . . . Hm, ich möcht’ nur wissen, ob . . . .
Nein, daran müßt’ ich mich ja erinnern . . . .
Nein, nein, ich bin gleich da auf den Divan
herg’fallen . . . . und nichts is g’schehn . . . .
Es ist unglaublich, wie sich manchmal alle
Weiber ähnlich schauen . . . . Na geh’n wir.
Ja richtig.
tasche und ist eben daran eine Banknote heraus-
zunehmen.)
Na . . . . wer ist denn in aller Früh —?
Servus, Bubi!
[236]
Guten Morgen. Hast gut g’schlafen?
Ah, komm her. Pussi geben.
Ich hab’ grad’ fortgehen wollen . . . .
Fortgeh’n?
Es ist wirklich die höchste Zeit.
So willst du fortgeh’n?
So . . . .
Na, Servus; kommst halt ein anderesmal.
Ja, grüß dich Gott. Na, willst nicht das
Handerl geben?
[237]
es, lacht).
Wie einer Prinzessin. Übrigens, wenn man
nur . . . .
Was schaust mich denn so an?
Wenn man nur das Kopferl sieht, wie
jetzt . . . . beim Aufwachen sieht doch eine
jede unschuldig aus . . . . meiner Seel, alles
mögliche könnt’ man sich einbilden, wenn’s
nicht so nach Petroleum stinken möcht’ . . . .
Ja, mit der Lampen ist immer ein G’frett.
Wie alt bist denn eigentlich?
Na, was glaubst?
[238]
Vierundzwanzig.
Ja freilich.
Bist schon älter?
Ins zwanzigste geh’ i.
Und wie lang bist du schon . . . .
Bei dem G’schäft bin i ein Jahr!
Da hast du aber früh ang’fangen.
Besser zu früh als zu spät.
Sag’ mir einmal, bist du eigentlich glücklich?
[239]
Was?
Also ich mein’, geht’s dir gut?
Oh, mir geht’s alleweil gut.
So . . . . Sag’, ist dir noch nie eing’fallen,
daß du was anderes werden könntest?
Was soll i denn werden?
Also . . . . Du bist doch wirklich ein hüb-
sches Mädel. Du könntest doch z. B. einen
Geliebten haben.
Meinst vielleicht, ich hab’ kein?
Ja, das weiß ich — ich mein’ aber einen,
[240] weißt einen, der dich aushalt, daß du
nicht mit einem jeden zu geh’n brauchst.
I geh’ auch nicht mit ein’ jeden. Gott sei
Dank, das hab’ i net notwendig, ich such’
mir s’ schon aus.
Im nächsten Monat zieh’n wir in die Stadt,
in die Spiegelgasse.
Wir? Wer denn?
Na, die Frau, und die paar anderen Mädeln,
die noch da wohnen.
Da wohnen noch solche —
Da daneben . . . . hörst net . . . . das ist die
Milli, die auch im Kaffeehaus g’wesen ist.
[241]
Da schnarcht wer.
Das ist schon die Milli, die schnarcht jetzt
weiter ’n ganzen Tag bis um zehn auf d’
Nacht. Dann steht s’ auf und geht ins
Kaffeehaus.
Das ist doch ein schauderhaftes Leben.
Freilich. Die Frau gift’ sich auch genug.
Ich bin schon um zwölfe Mittag immer auf
der Gassen.
Was machst denn um zwölf auf der Gassen?
Was werd’ ich denn machen? Auf den
Strich geh’ ich halt.
Ah so . . . . natürlich . . . .
Reigen 16
[242] die Brieftasche heraus, legt ihr eine Banknote auf das
Nachtkastel.)
Adieu!
Gehst schon . . . . Servus . . . . Komm bald
wieder.
Du, sag’ einmal, dir ist schon alles egal —
was?
Was?
Ich mein’, dir macht’s gar keine Freud’ mehr.
Ein’ Schlaf hab’ ich.
Dir ist alles eins ob einer jung ist oder alt
oder ob einer . . . .
Was fragst denn?
[243]
. . . . Also
meiner
Seel’, jetzt weiß ich, an wen du mich er-
innerst, das ist . . . .
Schau i wem gleich?
Unglaublich, unglaublich, jetzt bitt’ ich dich
aber sehr, red’ gar nichts, eine Minute
wenigstens …
ganz dasselbe
G’sicht, ganz dasselbe G’sicht.
plötzlich auf die Augen).
Na . . . .
Meiner Seel’, es ist schad’, daß du . . . .
nichts and’res bist . . . . Du könnt’st ja dein
Glück machen!
Du bist g’rad wie der Franz.
16*
[244]
Wer ist Franz?
Na der Kellner von unser’m Kaffeehaus . . . .
Wieso bin ich grad’ so wie der Franz?
Der sagt auch alleweil, ich könnt’ mein
Glück machen und ich soll ihn heiraten.
Warum tust du’s nicht?
Ich dank’ schön . . . . ich möcht’ nicht hei-
raten, nein, um keinen Preis. Später einmal
vielleicht.
Die Augen . . . . ganz die Augen … Der
Lulu möcht’ sicher sagen, ich bin ein Narr —
aber ich will dir noch einmal die Augen
[245] küssen . . . . so . . . . und jetzt grüß dich
Gott, jetzt geh’ ich.
Servus . . . .
Du … sag’ … wundert dich das gar nicht …
Was denn?
Daß ich nichts von dir will.
Es gibt viel Männer, die in der Früh nicht
aufgelegt sind.
Na ja …
Zu dumm, daß ich will,
sie soll sich wundern … Also Servus …
Eigentlich ärger’ ich mich.
Ich weiß doch, daß es solchen Frauen-
zimmern nur aufs Geld ankommt … was
sag’ ich — solchen … es ist schön … daß
[246] sie sich wenigstens nicht verstellt, das sollte
einen eher freuen … Du — weißt, ich komm
nächstens wieder zu dir.
Gut.
Wann bist du immer zu Haus?
Ich bin immer zu Haus. Brauchst nur nach
der Leocadia zu fragen.
Leokadia . . . . Schön — Also grüß dich
Gott.
Ich hab’ doch noch immer
den Wein im Kopf. Also das ist doch das
Höchste … ich bin bei so einer und hab’
nichts getan, als ihr die Augen geküßt,
weil sie mich an wen erinnert hat …
Du, Leokadie, passiert
dir das öfter, daß man so weggeht von dir?
Wie denn?
[247]
So wie ich?
In der Früh?
Nein . . . . ob schon manchmal wer bei dir
war, — und nichts von dir wollen hat?
Nein, das ist mir noch nie g’scheh’n.
Also, was meinst denn? Glaubst, du g’fallst
mir nicht?
Warum soll ich dir denn nicht g’fallen?
Bei der Nacht hab’ ich dir schon g’fallen.
Du g’fallst mir auch jetzt.
Aber bei der Nacht hab’ ich dir besser g’fallen.
[248]
Warum glaubst du das?
Na, was fragst denn so dumm?
Bei der Nacht … ja, sag’, bin ich denn
nicht gleich am Divan hing’fallen?
Na freilich … mit mir zusammen.
Mit dir?
Ja, weißt denn du das nimmer?
Ich hab’ . . . . . wir sind zusammen . . . . . .
ja . . . .
Aber gleich bist eing’schlafen.
[249]
Gleich bin ich … So … Also so war
das! …
Ja, Bubi. Du mußt aber ein’ ordentlichen
Rausch g’habt haben, daß dich nimmer
erinnerst.
So … — Und doch. . . . es ist eine entfernte
Ähnlichkeit … Servus…
Was ist
denn los?
Das Stubenmäd’l ist schon auf. Geh’, gib
ihr was beim Hinausgeh’n. Das Tor ist auch
offen, ersparst den Hausmeister.
Ja.
Also … Es wär’ doch
schön gewesen, wenn ich sie nur auf die
Augen geküßt hätt’. Das wäre beinahe ein
Abenteuer gewesen … Es war mir halt
nicht bestimmt.
die Thür.)
Ah — da haben S’… Gute Nacht. —
[250]
Guten Morgen.
Ja freilich … guten Morgen … guten
Morgen.
[[251]][[252]]
Appendix A
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Reigen. Reigen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmzw.0