[][][][][][][]
Titan



Dritter Band.


Berlin,: 1802.
In der Buchhandlung des Commerzien-Raths
Matzdorff.
[][]

Inhalt des dritten Bandes.



Funfzehnte Jobelperiode.
67 – 72[.] Zykel.
  • Der Mann und das Weib.  Seite 1

Sechszehnte Jobelperiode.
73 – 76. Zykel.
  • Die Leiden einer Tochter.  — 83

[]
Siebzehnte Jobelperiode.
77 – 78. Zykel.
  • Fürſtliche Vermählungs-Terrizion — Li¬
    lars Illuminazion.  Seite 150

Achtzehnte Jobelperiode.
79 – 81. Zykel.
  • Gaſpards Brief — die Blumenbühler Kir¬
    che — die Sonnen- und Seelenfin¬
    ſterniß.  — 184

Neunzehnte Jobelperiode.
82 – 85. Zykel.
  • Schoppe's Troſtamt — Arkadien — Bou¬
    verots Portraitmahlerei.  — 216

Zwanzigſte Jobelperiode.
86 – 89. Zykel.
  • Gaſpards Brief — Trennungen.  — 250

[]
Ein und zwanzigſte Jobelperiode.
90 – 92. Zykel.
  • Die Leſeprobe der Liebe — Froulay's
    Furcht vor Glück — der betrogne Be¬
    trüger — Ehre der Sternwarte  Seite 300

Zwei und zwanzigſte Jobelperiode.
93 – 94. Zykel.
  • Schoppe's Herz — gefährliche Geiſter-
    Bekanntſchaften  — 337

Drei und zwanzigſte Jobelperiode.
95 – 96. Zykel.
  • Liane.  — 365

Vier und zwanzigſte Jobelperiode.
97 – 98. Zykel
  • Das Fieber — die Kur.  — 393

[]
Fünf und zwanzigſte Jobelperiode.
99 – 100. Zykel.
  • Der Traum — die Reiſe.  Seite 416.
[]

Funfzehnte Jobelperiode.

Der Mann und das Weib.


67. Zykel.

Vor der Bühne hab' ich die frohe Erfahrung
gemacht, daß ich an den Schmerzen, die darauf
ſofort nach dem Aufzuge des Vorhanges er¬
ſchienen, nur geringen Antheil, hingegen an
Freuden, die ſogleich hinter der Muſik auftra¬
ten mit ihrer eignen, den größten nahm; der
Menſch will mehr, daß die Klage, als daß die
Entzückung ſich motivire und entſchuldige.
Ohne Bedenken fang' ich daher einen dritten
Band mit Seeligkeiten an, die ohnehin das
vorhergehende Paar überflüſſig vorbereitete.


Titan III. A[2]

Jetzt in dieſer Minute muß unter allen
Adamsenkeln, welche ein freudiges Geſicht zum
Himmel aufhoben und ihm einen noch ſchönern
darauf nachſpiegelten, irgend einer geweſen
ſeyn, der den größten hatte, ein Allerſeeligſter. —
Ach freilich muß auch unter allen tragenden
Weſen auf dieſer Kugel, die unſer kurzer Lauf
zur Ebene macht, eines das unglücklichſte ge¬
weſen ſeyn und möge der Arme ſchon im
Schlafe liegen unter, nicht auf ſeinem ſteinigen
Wege. — Ob ichs gleich wünſchte, daß Albano
nicht jener Allerglücklichſte geweſen wäre —
damit es noch einen höheren Himmel über ſei¬
nem gäbe — ſo iſt doch wahrſcheinlich, daß er
am Morgen nach der heiligſten Nacht, im
jetzigen Traume vom reichſten Traume, tief in
den dreifachen Blüthen, der Jugend, der Natur
und der Zukunft ſtehend, den weiteſten Himmel
in ſich trug, den die enge Menſchenbruſt um¬
ſpannen kann.


Er ſah aus ſeinem Donnerhäuschen, die¬
ſem kleinen Tempel, an deſſen Wänden noch
der Schimmer der Göttinn ſtand, die ihm darin
ſichtbar geworden, auf die neugeſtalteten Berge
[3] und Gärten Lilars hinaus und es war ihm als
ſäh' er hinein in ſeine weiß und roth blühende,
mit Berg- und Fruchtgipfeln aufgeſchmückte
Zukunft, ein volles Paradies in die nackte Erde
gebauet. Er ſah ſich in ſeiner Zukunft nach
Freuden-Räubern um, die ſeinen Triumphwa¬
gen anfallen könnten; — er fand ſie Alle
ſichtbar zu ſchwach gegen ſeine Arme und Waf¬
fen. Er ſtellte Lianens Eltern und ſeinen eignen
Vater und das bisherige in der Luft arbei¬
tende Geiſter-Heer mitten auf ſeinen Weg
zur Geliebten hin; — in ſeinen Muskeln glüh¬
te überflüſſige Kraft, ſich leicht zu ihr durchzu¬
ſchlagen und ſie in ſein Leben mitzunehmen
durch Arbeit und Gewalt. „Ja, (ſagt' er,) ich
bin ganz glücklich und brauche nichts mehr,
kein Schickſal, nur mein und ihr Herz!“ Al¬
bano, möge dein böſer Genius dieſen gefähr¬
lichen Gedanken nicht gehöret haben, damit er
ihn nicht zur Nemeſis trage! O in dieſem wild¬
verwachſenen Leben iſt kein Schritt, ſogar in
den blühenden Luſtgängen, ganz ſicher, und
mitten in der Fülle dieſes Kunſtgartens erwar¬
tet dich ein fremder finſterer Giftbaum und
A 2[4] hauchet kalte Gifte in das Leben! — Daher
war es ſonſt beſſer, da die Menſchen noch de¬
müthig waren und zu Gott beteten in der gros¬
ſen Entzückung; denn neben dem Unendlichen
ſenkt ſich das feurige Auge und weinet, aber
nur aus Dankbarkeit.


Kein kleinliches Kalendermaas werde an
die ſchöne Ewigkeit gelegt, die er nun lebte,
da er die Geliebte jeden Abend, jeden Morgen
in ihrem Dörfchen ſah. Als Abendſtern gieng
ſie vor ſeinen Träumen, als Morgenſtern vor
ſeinem Tage her. Den Zwiſchenraum füllten
beide mit Briefen aus, die ſie einander ſelber
brachten. Wenn ſie Abends ſchieden, nicht weit
vom Wiederſehen, und dann in Norden unten
am Himmel ſchon die Roſenknoſpen-Zweige
hinliefen, die unter dem Menſchenſchlafe ſchnell
nach Oſten hinwuchſen, um mit tauſend aufge¬
blühten Roſen vom Himmel herabzuhängen,
eh' die Sonne wieder kam und die Liebe —
und wenn ſein Freund Karl Nachts bei ihm
blieb und er nach einer Stunde fragte, woher
das Licht komme, ob vom Morgen oder vom
Mond — und wenn er aufbrach, da noch
[5] Mond und Morgen in den thauenden Luſt¬
wäldern zuſammenſchienen, und wenn ihm der
Weg, vor einigen Stunden zurückgelegt, ganz
neu vorkam und die Abweſenheit zu lange,
(weil Amors Pfeil halb ein Sekundenzeiger iſt
der den Monatstag, und halb ein Monatszei¬
ger der die Sekunde weiſet, und weil in der
Nähe der Geliebten die kleinſte Abweſenheit
länger dauert als in ihrer Ferne die große) —
und wenn er ſie wieder fand: ſo war die Erde
ein Sonnenkörper, aus welchem Strahlen fuh¬
ren, ſein Herz ſtand in lauter Licht und wie
ein Menſch, der an einem Frühlingsmorgen
von dem Frühlingsmorgen träumt, ihn noch
heller um ſich findet, wenn er erwacht, ſo ſchlug
er nach dem ſeeligen Jugendtraum von der
Geliebten die Augen auf vor ihr und verlangte
den ſchönſten Traum nicht mehr.


Zuweilen ſahen ſie ſich, wenn der lange
Sommertag zu lang wurde, auf entfernten
Bergen, wo ſie der Abrede gemäß der Ernte
zuſahen; zuweilen kam Rabette allein nach
Lilar zum Bruder, damit er einiges von Lia¬
nen hörte. Wenn Liane ein Buch geleſen: laß
[6] ers nach; oft laß ers zuerſt und ſie zuletzt.
Was die ſchönſten, unſchuldigſten Seelen einan¬
der Göttliches zeigen können, wenn ſie ſich auf¬
thun, ein heiliges Herz, das noch heiliger, ein
glühendes, das noch glühender macht: das
zeigten ſie ſich. Albano wurde gegen alle
Weſen mild, und der Glanz einer höhern
Schönheit und Jugend füllte ſein Angeſicht.
Die ſchönen Gebiete der Natur oder ſeiner
Kindheit wurden durch die Liebe geſchmückt,
nicht dieſe durch jene; er war von dem blaſſen,
leiſen Mondwagen der Hofnung auf den rau¬
ſchenden, glänzenden Sonnenwagen der lebendi¬
gen Entzückung geſtiegen. Sogar auf den Ruder¬
ſchiffen hölzerner Wiſſenſchaften ſchlugen jetzt,
wie von Bacchus Wunderhand belebt, Maſte
und Taue zu Weinſtöcken und Trauben aus. —
Gieng er ins Froulayſche Haus: ſo kam er,
weil er voll Toleranz hineingieng, ohne Koſten
derſelben daraus zurück; der Miniſter, der, mit
einem Flore von heitern, blühenden Ideen auf
dem Geſichte, von Haarhaar zurückgekehrt, gab
ihm reizende Ausſichten auf den Jubel mit,
womit Stadt und Land das nahe Vermäh¬
[7] lungsfeſt des Fürſten und den Gewinn der
ſchönſten Braut begehen werde.


Und hatt' er nicht zu Allem noch ſeinen
Freund dazu? Nenn man ſo nahe vor der
Flamme der Freude ſteht, ſo flieht man zwar
Menſchen — weil ſie leicht zwiſchen uns und
die ſchöne Wärme treten —, aber man ſucht ſie
auch; ein herzlicher Freund iſt unſer Wunſch
und Glück, welcher den frohen Traum, worin
wir ſchlafen und ſprechen, leiſe weiter leitet,
ohne ihn fortzujagen. Karl ſpielte ſanft in des
Freundes Traum; er hätt' es aber auch ſchon
aus inniger Liebe gegen die Schweſter gethan.


In der That mit ſo viel Jugend — Som¬
merwetter — Unſchuld — Freiheit — ſchöner
Gegend — und hoher Liebe und Freundſchaft
läſſet ſich wohl ſchon unten auf der Erde et¬
was dem Ähnliches zuſammenſetzen, was man
oben im Himmel einen Himmel nennt; und
eine Himmelskarte, ein Elyſiums-Atlas, den
man davon mappirte, würde wol nicht anders
ausſehen als ſo: vorne ein langes Hirtenland
mit zerſtreueten Luſtſchlöſſern und Sommer¬
häuſern, — ein Philanthropiſtenwäldchen in der
[8] Mitte — die Thaborsberge oben mit Sennen —
lange Kampanerthäler — darauf der weite
Archipelagus mit Peters-Inſeln Inſeln — drüben die
Ufer eines neuen feſten Hirtenlandes ganz be¬
deckt mit Daphniſchen Hainen und Alcinous-
Gärten — dahinter wieder das weit hinein¬
laufende Arkadien u. ſ. w.


Alles was nun Albano von Philoſophie
und Stoiziſmus in ſich hatte — denn er hielt
das, was ihm der Arm aus den Wolken gab,
für Ausbeute des eignen — wandte er an, um
durch ſie ſeiner Entzückung das Maaß, das ſie
geben, zu nehmen. Mäßigen, ſagt' er, ſey nur
für Patienten und Zwerge; und alle jene be¬
kümmerten, gleichſchwebenden Temperaturiſten
und Taktmeſſer hätten, es ſey in der Ausbil¬
dung einer Freude oder eines Talents, mehr
ſich als der Welt genützt, hingegen ihre Anti¬
poden mehr der Welt als ſich *).


[9]

Er brachte ſich ſehr gute Grundſätze vor das
Auge; der Menſch, ſagt' er, iſt frei und ohne
Gränze nicht in dem, was er machen oder ge¬
nieſſen, ſondern in dem, was er entbehren will;
alles kann er, wenn er will, entbehren wol¬
len
. Ueberhaupt, fuhr er fort, hat man bloß
die Wahl, entweder immer oder nie zu fürch¬
*)[10] ten; denn dein Lebenszelt ſteht auf einer gela¬
denen Mine und rings umher halten die Stun¬
den ofne Geſchoſſe auf dich. — Nur das tau¬
ſendſte *) trift; und in jedem Fall fall' ich doch
lieber ſtehend als feig gebückt. Allein — be¬
ſchloß er, um ſogar ſich darüber zu entſchuldi¬
gen — iſt denn die Standhaftigkeit zu nichts
Beſſerm gemacht als zu einer Wundärztin und
Magd, und nicht vielmehr zu unſerer Muſe
und Göttin? denn ſie iſt ja nicht ein Gut, weil
[11] ſie ein verlornes entbehren hilft, ſondern ſie iſt
ſelber eines, und ein größeres als das erſetzte;
auch der Seeligſte muß ſie erwerben, ſogar
ohne Gelegenheit und Gabe von auſſen; ja es
iſt deſto beſſer, wenn ſie früher beſeſſen wird
als angewandt.


Zum Theil waren dieſe Täuſchungen oder
Rechtfertigungen Noth- und Schutzwehr gegen
den tragiſchen Roquairol, der jede Freude und
auch die ſeines Freundes mit düſtern Kon¬
*)[12] traſten heben wollte; zum Theil muß auf jene
ein edler Mann, der bisher ſich in den Schmerz
warf, ohne deſſen Tiefe zu meſſen und der im¬
mer ſeine Kraft, durch das Leben zu ſchwim¬
men, fühlen wollte, nothwendig gerathen, wenn
er innen wird, daß ſich der Schwerpunkt ſeiner
Seeligkeit und ſeiner Hölle verrückt, und aus
ſeinem Ich in ein fremdes begeben habe. „O
wenn ſie ſtürbe?“ fragt' er ſich. Er hatt' es
nicht gewohnt, vor irgend einem Tode ſo zu
erſchrecken wie vor dieſem. Daher faßte er die¬
ſe Diſteln der Phantaſie recht ſcharf in die
Hand, um ſie zu zerdrücken. Am Ende, da die
reine Landluft der Liebe und der Schäfertanz
in dieſem Arkadien immer mehr Roſen auf
Lianens Wangen brachten, ſo hörten ſeine Di¬
ſteln zu wachſen auf.


Allen übrigen Ottern des Lebens — ſobald
ſie nur keinen Durchgang durch Lianens Herz
ſich machen konnten — war er unzugänglich.
Um jeden Preis, — und ſollte er Alles verlaſ¬
ſen, entbehren, erzürnen, unternehmen — wollt'
er Lianen erkaufen. Die Schreckgeſpenſter, die
ihm aus zwei Häuſern, Froulays und Gaſpards,
[13] drohend entgegen liefen, ließ er heran und lö¬
ſete ſie auf: ſteht der Feind einmal da, dacht'
er, ſo bin ich ſeiner auch.


Oft ſtand er im Tartarus und fand in die¬
ſem Stillleben des Todes von erhobner Arbeit
Seelenſtille. Die Gegenwart nimmt ſchneller
unſern Wiederſchein als wir ihren an; auch
hier gewann er ſanfte, weite, das Leben lich¬
tende Hoffnungen und ſüße Thränen, die ihm
über Lianens Sterbe-Glauben entfloſſen, nicht
weil er die Wahrſcheinlichkeit, ſondern weil er
die Unwahrſcheinlichkeit deſſelben ſich dachte,
die durch Liebe und Freude und Geneſung täg¬
lich größer wurde.


Nur Ein Unglück gab's für ihn, woran jede
Waffe zerſprang, deſſen Möglichkeit er aber
für einen ſündigen Gedanken hielt, daß näm¬
lich er und Liane durch Schuld, Zeit oder Men¬
ſchen aufhören könnten, einander zu lieben;
hier, auf zwei Herzen vertrauend, trotzt' er kühn
der Zukunft: — O, wer ſagte nicht, wenn er im
Vertrauen auf eine warme Ewigkeit ſeine Ent¬
zückung ausdrückte: die Parze kann unſer Leben
zerſchneiden, aber ſie komme und öfne die
[14] Scheere gegen das Band unſerer Liebe? den
Tag darauf ſtand die Parze vor ihm und
drückte die Scheere zu.

68. Zykel.

Einſt kam Roquairol ganz ſpät, um Albano
mitzunehmen zur „Abendſtern-Partie“ auf der
Sennenhütte, die jener mit Rabetten verab¬
redet hatte. Der Hauptmann führte um die
warmen Quellen ſeiner Liebe und Freude gern
die Brunnenfaſſung ganz auserleſener Tage
und Umſtände; konnt' ers machen, ſo erklärte
er z. B. ſeine Liebe etwan an einem Geburts¬
tage — unter einer totalen Sonnenfinſterniß —
an einem Schalttag — in einem blühenden
Treibhaus im Winter — hinter dem Stuhl¬
ſchlitten auf dem Eiſe — oder in einem Gebein¬
haus; eben ſo zerfiel er mit andern gern an
bedeutenden Orten und Tagen, in dem Kirch¬
ſtuhle — in Frühlings- oder Wintersanfang —
in der Kuliſſe des Liebhabertheaters — auf ei¬
ner Brandſtätte — unweit des Tartarus oder
im Flötenthal. Albano aber war zu jung —
wie andere zu alt — um ſeine friſchen Gefühle
[15] erſt mit künſtlichen Stunden und Stellen zu
würzen; er machte lieber durch jene dieſe
ſchöner.


Mit ungeſtümer Freude flog Albano auf den
ungehoften Weg der Freude. Der geſtrige
Abend war ſo reich geweſen — die vier Para¬
dieſesflüſſe waren in Einer Katarakte vom
Himmel in ſein Herz geſtürzt — am heutigen
wollt' er in die ſtäubenden Wirbel deſſelben
ſpringen. — Schon der Abendhimmel war ſo
ſchön und rein und der Heſperus gieng mit
wachſendem Glanz ſeine helldämmernde Bahn
hinab.


Rabette wartete unten am Berge der Sen¬
nenhütte (des Schießhäuschens), um ihn unbe¬
merkt an die unvorbereitete Freundinn zu füh¬
ren, die im Fenſter, mit dem glänzenden Auge
am Heſperus ſinnend lag und an die vollen
glühenden Herbſtblumen dachte, welche nun in
ihrem Leben ſo ſpät und ſo nahe neben der
längſten Nacht aufgiengen. Sie war heute
über Manches trübe. Sie hatte überhaupt bis¬
her ihre Liebe mehr zu verdienen und zu recht¬
fertigen als zu genieſſen und zu vergrößern,
[16] und mehr mit ihr das fremde Herz als das
eigne zu beglücken geſucht. Wie ſehnte ſie ſich
unbeſchreiblich nach Thaten für Ihn — nur
Opfer waren ihr Thaten — und beneidete or¬
dentlich ihre Freundin, die für Karl jedesmal
doch ein — Getränk zu bereiten hatte! Da ſie
nichts weiter wußte, ſo drückte ſie ihren Dienſt¬
eifer durch größere töchterliche Liebe und An¬
näherung gegen Albanos Eltern und Schweſter
aus; und lernte ſogar ein wenig kochen, wel¬
ches ihr andere Miniſters-Töchter, die nichts
machen als Sallat und Thee, mit Nachſicht
und mit dem Gedanken verzeihen müſſen, daß
ſie in Lianens Falle auch nichts Anders machen
würden, ſondern eher ein Gericht mehr. Ja,
ſie hielt Rabette für tugendhafter, weil dieſe
mehr in die Breite und Länge thätiger ſeyn
konnte; Rabette hielt wieder Lianen für beſſer,
weil ſie lieber betete; den ähnlichen Irrthum
verdoppelten ſie über die Brüder, Rabetten
kam Karl ſanfter vor und Lianen Albano,
beiden nach Schlüſſen aus ihren gegenſeitigen
Berichten.


So[17]

So lang' ein Weib liebt, liebt es in Einem¬
fort — ein Mann hat dazwiſchen zu thun —;
Liane verwandelte Alles in ſein Bild und ſei¬
nen Rahmen; dieſer Berg, dieſes Stübchen,
dieſe für ihn einmal gefährliche Vogelſtange,
wurden die Paſtelſtifte zu ſeinem feſten Bilde.
Sie kam immer darauf zurück, daß er etwas
Beſſeres verdiene als ſie; denn die Liebe iſt De¬
muth; der Trauring prangt mit keinem Juwel.
Es rührte ſie, daß ihn ihr früher Tod betrübe.
Da ſah ſie noch das von Blattern erblindete
Mädchen, das er einmal unwiſſend ſich ans
Herz gedrückt*); und ſie fand ſich mit dem
Witze der Trauer auch darin der Blinden ähn¬
lich, nicht bloß in der gleichen obwohl kür¬
zern Nacht, die einmal der Schmerz über ihre
Augen geworfen.


So ſanft wie ihr Ebenbild, der Heſperus,
ſich in den Abendhorizont des Lebens eintau¬
chend, fand ſie ihr Geliebter. Sie konnte nie
ſogleich aus ihrem Herzen heraus in die über¬
Titan III. B[18] raſchende Gegenwart; ihre Wendungen waren
immer wie der Sonnenblume ihre nur langſam
und jede Empfindung lebte lange in ihrer
treuen Bruſt. Selten findet überhaupt der
Liebende den Empfang der Liebenden dem letz¬
ten Bilde ähnlich, das ihm der Abſchied mitge¬
geben; eine weibliche Seele ſoll — das begehrt
der Mann — völlig mit den Flügeln, Stür¬
men, Himmeln der letzten Minute wieder in
die nächſte brauſen. Aber von jeher empfieng
Liane ihren Freund ſcheu und ſanft, und an¬
ders als ſie geſchieden war; und zuweilen kam
dem Feuergeiſte dieſes zarte Warten, dieſes
langſame Heben des Augenlieds faſt wie ein
Umkehren in die alte Kälte vor.


Heute ergriff es den wärmern Grafen ſtärker
als ſonſt. Wie ein Paar fremde Kinder die mit¬
einander bekannt werden ſollen und ſich anlächeln
und anrühren, ſtanden beide freundlich und ver¬
legen nebeneinander. Sie erzählte, daß ſie von
ſeiner Schweſter ſich ſein Kindeswagſtück auf
dieſem Berge erzählen laſſen. Eine Geliebte
kennt keine ſchönere, reichhaltigere Geſchichte
als die ihres Freundes. „O da ſchon, (ſagt' er
[19] „bewegt,) blickt' ich nach Deinen Bergen! Dein
„Name iſt wie eine goldne Inſchrift an meine
„ganze Jugend geſchrieben. Ach Liane, haſt
„Du mich wol geliebt wie ich Dich, als Du
„mich noch nicht geſehen?“ —


„Gewiß nicht, Albano, (antwortete ſie,) viel
„ſpäter!“ Sie meinte aber ihre Blindheit, und
ſagte, er ſey ihr in dieſer Augendämmerung an
jenem Abend, wo er bei ihrem Vater aß, wie
ein alter nordiſcher Königsſohn, etwan wie
Olo *) vorgekommen, und ſie habe ihn wie ihren
B 2[20] Vater und Bruder ehrend gefürchtet. Ihre hohe
Achtung für die Männer waren die wenigſten
kaum zu errathen werth, geſchweige zu veran¬
laſſen. „Und als Du ſehen konnteſt?“ ſagte Alba¬
no. „Das ſagt' ich eben“ verſetzte ſie naiv. „Aber
„da Du meinen Bruder ſo liebteſt (fuhr ſie fort)
„und ſo gut warſt gegen Deine Schweſter: ſo
„wurd' ich freilich ganz beherzt, und bin und blei¬
„be nun Deine zweite Schweſter — Du haſt ohne¬
„hin eine verloren — Albano, glaube mir, ich
„weiß es, ich bin gewiß zu wenig, zumal für
„Dich, — aber ich habe Einen Troſt.“ —


Verwirrt von dieſer Miſchung von Heilig¬
keit und Kälte konnte er ſie nur heftig küſſen,
und mußte, ohne ſie zu widerlegen, ſogleich
fragen: welchen Troſt? — „Daß du einmal
„ganz glücklich wirſt“ ſagte ſie leiſe. „Lia¬
„ne, deutlicher!“ ſagt' er. Denn er verſtand
*)[21] nicht, daß ſie ihren Tod und Linda's Verkün¬
digung durch Geiſter meinte. „Ich meine, nach
„Einem Jahre (verſetzte ſie) nach den Prophe¬
„zeihungen.“ Er ſah ſie ſtumm, wild, rathend
und bänglich an Sie fiel ihm weinend ans
Herz und löſete plötzlich das Gedränge innerer
Seufzer: „bin ich denn dann nicht, (ſagte ſie
heftig,) geſtorben und ſeh' aus der Seellgkeit
zu, daß Du belohnet wirſt für Deine Liebe ge¬
gen Liane? Und das gewiß recht ſehr!“ —


Weine, zürne, leide, frohlocke und bewundere
immerhin, heftiger Jüngling! Aber Du faſſeſt
dieſe demüthige Seele doch nicht! — Hei¬
lige Demuth? einzige Tugend, die nicht vom
Menſchen ſondern von Gott geſchaffen wird!
Du biſt höher als Alles, was Du verbirgſt oder
nicht kennſt! Du himmliſcher Lichtſtrahl, wie
das irrdiſche Licht *) zeigſt du alle fremde Far¬
[22] ben und ſchwebſt unſichtbar ohne eine im Him¬
mel! Niemand entheilige Deine Unwiſſenheit
durch eine Belehrung! Sind Deine kleinen weis¬
ſen Blüthen gefallen: ſo kommen ſie nicht wie¬
der, und um Deine Früchte deckt dann nur die
Beſcheidenheit ihr Laub.


Schmerzhaft zertheilte ſich in Albano das
Herz in Widerſprüche, gleichſam in ſeines und
in Lianens Herz Sie war Nichts als die lau¬
tere Liebe und Demuth, und ihr Talentenglanz
war nur ein fremder Beſatz, wie Götterbilder
von weiſſem Marmor den bunten nur als Zier¬
rath haben; man konnte nichts thun als ſie
anbeten, ſogar auf ihren Irrwegen. Auf der
andern Seite hatte ſie neben weichen, bewegli¬
chen Gefühlen ſo feſte Meinungen und Irr¬
thümer, ſeine Beſcheidenheit bekriegte ſo vergeb¬
lich ihre Demuth, und ſein Anſehn ihren Gei¬
ſterwahn. Das feindſeelige Gefolge, das dieſer
nachſchleppte, ſah er ſo deutlich über alle Freu¬
den ihres Lebens herziehen. Sein ihm ewig
nachſtellender Argwohn, daß ſie ihn liebe, bloß
weil ſie nichts haſſe, und daß ſie immer eine
Schweſter ſtatt einer Liebhaberinn ſey, drang wie¬
[23] der gewaffnet auf ihn ein. So ſtritt hier
Alles gegeneinander, Wunſch, Pflicht, Glück
und Ort. Beide waren ſich neu und unbe¬
kannt aus Liebe; aber Liane errieth ſo we¬
nig als er. O wie zwei Menſchen, ähn¬
liche Weſen, einander fremd und ungleich wer¬
den, bloß weil eine Gottheit zwiſchen beiden
ſchwebt und beide anglänzt!


Etwas blieb in ihm unharmoniſch und unauf¬
gelöſet; er fühlt' es ſo ſehr, da die Sommer¬
nacht für höhere Entzückungen ſchimmerte als
er hatte — da der tief im Aether zitternde
Abendſtern der Sonne durch die Wolkenroſen
nachdrang, worunter ſie begraben war — da
die Aehrenfluren dufteten und nicht rauſchten,
und die zugeſchloſſenen Auen grünten und nicht
glühten — und da die Welt und jede Nachti¬
gal ſchlief, und da das Leben unten ein ſtiller
Kloſtergarten war, und nur oben die Sternbilder
als ſilberne Aetherharfen vor Frühlingswinden
ferner Erden zu zittern und zu tönen ſchienen.


Er muſte Liane morgen wiederſehen, um ſein
Herz auszuſtimmen. Rabette kam unendlich er¬
heitert mit ihrem Freunde vom Berge herauf,
[24] beide ſchienen von Scherzen und Lachen faſt
ermattet; denn Roquairol trieb Alles, ſogar
den Scherz, bis zur Pein hinauf. Er hatte den
Abendſtern, auf den er heute eingeladen, in ein
Treib- und Stammhaus luſtiger Einfälle und
Anſpielungen umgebauet. Anfangs wollt' er
nicht ſchon morgen mitkommen; aber endlich
ſagt' ers zu, da Rabette verſicherte, „ſie errathe
„den feinen Herrn recht gut, aber er ſolle doch
„ſie nur ſorgen laſſen.“


Als die Morgenröthe aufgieng, kam Albano
mit ihm wieder, aber die Gartenthüre am
„Herrſchaftsgarten“ war ſchon offen und Liane
ſchon in der Laube. Ein Akten-Heft, (ſo ſchien
es,) lag auf ihrem Schooß und ihre gefalteten
Hände daneben, ſie blickte mehr ſinnend gerade¬
hin als betend empor: doch empfing ſie ihren
Albano ſo mild- und fremdlächelnd, wie ein
Menſch einen ins Gebet hereintretenden Gaſt
grüßend anlächelt und dann weiter betet.
Der Graf hatte ſich bisher immer auf eine
Zurückgezogenheit des Empfangs rüſten müſſen.
Ein Mißverſtand, der ſchnell wieder kommt,
wirkt, ſo oft er auch gehoben ſey, immer wieder
[25] ſo irrend und neu, wie zum erſtenmale. Er
fühlte recht ſtark, daß ihn etwas Feſteres als
die erſte jungfräuliche Blödigkeit, womit ein
Mädchen für die blendende Sonne der Liebe
immer auſſer der Morgenröthe noch eine Däm¬
merung und für dieſe wieder eine erfinden will,
im feurigen Verſchmelzen ihrer Seelen ſtöre.


Er fragte, was ſie leſe; ſie ſtockte bedenkend;
ein ſchnell heranfliegender Gedanke ſchien ihr
Herz zu öffnen; ſie gab ihm das Buch und ſag¬
te, es ſey ein franzöſiſches Manuſkript, nämlich
geſchriebene Gebete — von ihrer Mutter vor meh¬
reren Jahren aufgeſetzt — welche ſie mehr rührten
als eigne Gedanken; aber noch immer blickte
durch das zartgewebte Geſicht ein Kloſterge¬
danke, der ihr Herz zu verlaſſen ſuchte. —
Was konnte Albano dieſer Herzens-Pſalmiſtin
vorwerfen, wer kann einer Sängerinn Antwort
geben? — Eine Betende ſteht wie eine Un¬
glückliche auf einer hohen, heiligen Stätte, die
unſere Arme nicht erreichen. — — Aber wie
ſchlecht müſſen die meiſten Gebete ſeyn, — da
ſie — obwohl früher als Reize bezaubernd
gleich dem Roſenkranz, der aus wohlriechenden
[26] Hölzern gemacht wird — ſpäter, im Alter nur
als Flecken und der Reliquie oder dem Todten¬
kopf ähnlich wirken, womit eben der Roſen¬
kranz aufhört! —


Ohne auf ſeine Frage zu warten, ſagte ſie
ihm auf einmal, was ſie unter ihrem Gebete
geſtöret habe; nämlich die Stelle in dieſem: o
mon dieu, fais que je sois toujours vraie et
sincére etc.
da ſie doch ihrer lieben Mutter
bisher ihre Liebe verſchwiegen habe. Sie ſetzte
dazu, ſie komme nun bald und dann werde ihr
das verſchloſſene Herz aufgethan. „Nein, (ſagt'
er faſt zornig). Du darfſt nicht. Dein Geheimniß
iſt auch meines.“ — Männer verhärtet oft das
in der Proſa, was ſie in der Poeſie erweicht,
z. B. weibliche Frömmigkeit und Offenherzig¬
keit.


Nun haßte Niemand mehr als er das Ein¬
greifen der elterlichen Schreib- und Zeige- und
Ohrfinger in ein Paar verknüpfte Hände; nicht
daß er etwan vom Miniſter Kriege oder Ne¬
benwerber befürchtete — er ſetzte eher offne
Arme und Freudenfeſte voraus — ſondern weil
[27] ſeinem befreieten und befreienden, großmüthi¬
gen Geiſte Nichts peinlicher widerſtand als die
widrige Erwägung, was nun auf dem Altar
der Liebe an das heilige Opferfeuer die Eltern
für ſchmutzigen Torf zur Feuerung nachlegen,
oder für Töpfe zum Kochen anſetzen könnten —
wie leicht dann ſogar poetiſche Eltern ſich oft
mit den Kindern verwandeln in proſaiſche oder
juriſtiſche, der Vater ſich ins Regierungs-, die
Mutter ins Kammerkollegium — wie wenig¬
ſtens dann die Hofluft leibeigen mache, ſo wie
nur der poetiſche Himmels-Aether frei — und
welche Perturbazionen ſeinem Heſperus von
dem anziehenden Weltkörper, vom alten Mi¬
niſter bevorſtänden, der bei der Liebe Nichts
unnützer fand als die Liebe und dem die hei¬
ligſten Empfindungen für Standesehen ſo
brauchbar ſchienen, wie für Predigtämter das
Hebräiſche, nämlich mehr im Examen als im
Dienſte. — So ſchlimm dacht' er von ſeinem
Schwiegervater, denn er kannte das Schlim¬
mere nicht.


Aber die gute Tochter dachte von ihrer
Mutter viel höher als ein Fremder, und ihr
[28] Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen.
Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬
der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬
nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten
Laune, hinzu) mögen lieber von als in der
Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. —
„Nein, (ſagte Liane entſchieden,) wenn mich
meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr
ſeyn.“ — „Gott! (rief Albano erſchrocken aus,)
wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch
ihm war freie Wahrheit der offne Helm des
Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬
achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe.


Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer
Flaſche, worin für den Hauptmann Thee-
Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether
war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu
Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬
ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart
gemeint und heute befriedigt. — „Wie kann
das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft
zu ihm,) ſich zum Knechte der Sinnen und Ein¬
geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬
gebunden genug durch die Körper-Bande und
[29] Du willſt noch Ketten durch die Ketten zie¬
hen?“ — Roquairol hatte darauf immer die¬
ſelbe Antwort: „Umgekehrt! Durch Körper be¬
„freie ich mich eben von Körpern, z. B. durch
„Wein von Blut. Sobald Du aus der Leib¬
„eigenſchaft der leiblichen Sinne nie heraus¬
„kannſt und all Dein Bewußtſeyn und Dein Den¬
„ken nur durch körperliche Dienſtbarkeit, die
„auf dem Grundſtück der Erde haftet, bei ih¬
„rem Adel bleiben: ſo ſeh' ich nicht ab, warum
„Du nicht dieſe Rebellen und Deſpoten recht zu
„Deinen Dienern brauchſt? — Warum ſoll ich
„den Körper nur ſchlimm auf mich wirken las¬
„ſen und nicht eben ſowohl vortheilhaft?„ —
Albano blieb dabei, das ſtille Licht der Ge¬
ſundheit ſey würdiger als die Mohnöl-Flamme
eines Opiums-Sklaven; und die körperliche
Kriegsgefangenſchaft, die unſer Geiſt mit der
ganzen menſchlichen Mannſchaft leide, ſey eh¬
renvoller als der perſönlich-krummſchlieſſende
Arreſt.


Indeß heute konnte nicht einmal das ſpiri¬
tuöſe geſchwefelte Theewaſſer eine gewiſſe Un¬
behaglichkelt aus Roquairol verwaſchen, den
[30] das Nachtwachen bleicher, wie den Grafen feu¬
riger gefärbt hatte. Es wollt' ihm nicht recht
gefallen, daß der Herrſchaftsgarten ganz in
den Rahmen eines mannshohen Bretterver¬
ſchlags eingezogen war, der weniger wie eine
Billardsbande den Augapfel nicht hinaus, als
wie eine Marktſchreierbude nichts hereinlaſſen
ſollte und der freilich keine andere Ausſicht ge¬
währte als die eigne Anſicht; eben ſo wenig
erhielt der Luſtgarten dadurch ſeinen Beifall,
daß die Raſenbänke in der Laube, wo ſie ſaßen,
noch nicht gemäht waren — daß auf allen
Beeten nur Einfaſſungsgewächſe des Kochflei¬
ſches wehten — daß noch nichts Reifes da hieng
als ein Paar Maulwürfe in ihren Hängſterbe¬
betten — daß an einer Kugelbahn, worauf
man in ein klingelndes Mittelloch kegelt, die
ſchräge Retour-Rinne die Kugeln leichter wie¬
der einwandern ließ als ſie über das Ackerland
der Bahn (wenn man ſie nicht warf) wegzu¬
bringen waren und daß nirgends Orangerie
zu ſehen war, ausgenommen einmal, da zum
Glücke die Gartenthüre offen ſtand, als eben
[31] auf einem Schiebekarren ein blühender Oran¬
geriekaſten nach Lilar vorüberfuhr.


Der Hauptmann brauchte dieſe Züge bloß
ſatiriſch vorzutragen, und damit die äuſſerlich
lachende Rabette innerlich zu verwunden —
weil Keine den Tadel ihrer körperlichen Abſenker
verträgt, es ſeyen nun Kinder, Kleider, Kuchen
oder Möbeln *) —: ſo konnten ſich ſeine Berg¬
höhen allmählig wieder entwölken, und Rabette
konnte noch ungemeiner fröhlich ſeyn.


Albano war in dieſer Tags-, gleichſam
Kindheits-Frühe und in dieſem Paradiesgärt¬
lein ſeiner Kinderjahre heimlich-froh — denn
[32] in der erſten Liebe kommt, wie in Shakeſpeare's
Stücken, nichts auf die bretterne Bühne ihres
Spieles an; — aber der heutige Nachwinter
der geſtrigen Erkältung wollte doch nicht
ſchmelzen. Die Morgenbläue wurde mit im¬
mer hellern Gold-Flocken gefüllt — er machte,
da der Garten wie kleine Städte nur zwei
Thore hatte, das obere und untere, wie eine
Aurora dieſes der Morgenſonne auf — der
Glanz quoll über das dampfende Grün her¬
ein — die unten ziehende Roſana faßte Blitze,
auf und warf ſie herüber — Albano ſchied
endlich voll Liebe und Seeligleit.


Aber die Liebe war größer als die See¬
ligkeit.

69. Zykel.

Fliegender Frühling! (ich meine die Liebe,
ſo wie man den Nachſommer einen fliegenden
Sommer nennt) Du eileſt ſelber über uns pfeil¬
ſchnell dahin, warum eilen Autoren wieder
über dich? — Du gleichſt der deutſchen Blü¬
thenzeit — die nie einen Blüthenmond lang
iſt —; wir leſen den ganzen Winter in Alma¬
nachen und Gleichniſſen viel von ihrer Herr¬
lich¬[33] lichkeit und ſchmachten; endlich hängt ſie dick
an den ſchwarzen Äſten ſechs Tage lang und
noch dazu unter kalten Maigüſſen, reiſſenden
Wonnemonds-Stürmen und unter dem Stumm¬
ſitzen aller halb - erfrornen Nachtigallen —
und dann, wenn man endlich in den Garten
hinauskommt, iſt ſchon der Fußſteig blüthenweiß
und der Baum höchſtens voll Grün; dann iſts
vorbei, bis wir wieder im Winter den Anfang
eines Mährchens herzerhoben hören: „Es war
„eben in der ſchönen Blüthezeit.“ — Eben ſo
ſeh' ich wenig Autoren am langen romanti¬
ſchen Seſſions- und Schreibetiſch rechts und
links für das Leſepult arbeiten, welche nach der
langen Vorrede zur Liebe nicht dieſe, ſobald
ſie wie ein Krieg erkläret iſt, ſofort ſchlöſſen;
— und wirklich giebts zur Liebe mehr Stu¬
fen als in ihr; alles Werden, z.B. der Früh¬
ling, die Jugend, der Morgen, das Lernen
geht vielfärbiger und geräumiger auseinander
als das feſte Seyn; aber iſt dieſes nicht wie¬
der ein Werden; nur ein höheres und jenes ein
Seyn, nur ein ſchnelleres? —


Albano wollte die fliegende, göttliche Zeit,
Titan III. C[34] wo das Herz unſer Gott iſt, ſchöner lenken,
ſie ſollte mehr empor als hinweg fliegen.
Er zürnte den andern Tag mit niemand als
mit ſich. Er riß ſich durch ſolche kleine und
doch eng-umſchnürende Schmerzen durch,
durch einen Zuſtand wie bei einem Erdbeben,
wo ein unſichtbarer Dunſt den verſtrickten,
ſchweren Fuß hält; ich will mich lieber auf
Bergen beregnen laſſen, ſagt' er, als in Thä¬
lern. Menſchen von Phantaſie ſöhnen ſich
leichter mit der ab- als anweſenden Geliebten
aus.


Nach einigen Tagen gieng er wieder nach
Blumenbühl, kurz vor Sonnenuntergang. Ein
brennendes Roth ſchnitt durch die Laubnacht.
Sein finſterer Holzweg wurd' ihm von den
darein hüpfenden Flammen zu einem verzau¬
berten gemacht. Er ſetzte ſeine beleuchtete Ge¬
genwart tief in eine künftige, ſchattige Vergan¬
genheit hinein. O, nach Jahren, dacht' er,
wenn Du wiederkommſt, wenn Alles vergangen
iſt und verändert — die Bäume gewachſen —
die Menſchen entwichen — und nur die Berge
und der Bach geblieben — da wirſt Du Dich ſee¬
[35] lig preiſen, daß Du einmal in dieſen Gängen
ſo oft zum ſchönſten Herzen reiſen durfteſt und
daß auf beiden Seiten die klingende und glän¬
zende Natur mit Deiner freudigen Seele mit¬
gieng, wie dem Kinde der Mond durch alle
Gaſſen nachzulaufen ſcheint. — Eine unge¬
wöhnliche Entzückung warf durch ſein ganzes
Weſen den langen, breiten Sonnenſtreif, die
fernſten Blumen ſeiner Phantaſie thaten ſich
auf, alle Töne giengen durch einen hellern
Aether und näher heran. Auch die Blumen
auſſer ihm dufteten ſtärker und der Glocken¬
ſchlag tönte näher; und beides ſagt Ungewit¬
ter an.


So innigfroh erſchien er — und zwar ohne
Roquairol, der überhaupt immer ſeltner kam
— vor der Geliebten oben in ſeinem Kind¬
heitsmuſeum, ihrem Gaſtzimmer, das jetzt der
gewöhnliche Spielplatz ſeiner Beſuche war.
In einem weiſſen Kleide mit ſchwarzem Be¬
ſatz, wie in ſchöner Halbtrauer, ſaß ſie am Zei¬
chentiſch mit ſchärfern Augen in ein Bild ver¬
tieft. Sie flog ihm ans Herz, aber um ihn
bald wieder vor die Geſtalt zu führen, an wel¬
C 2[36] cher ihres wie in Mutterarmen hieng. Sie
erzählte, heute ſey mit der Prinzeſſin ihre Mut¬
ter dageweſen und dieſe habe ſo viele Freude
über ihre geneſende Farbe gehabt, ſo unend¬
liche Güte gegen die glückliche Tochter. „Sie
„mußte ſich, (fuhr ſie fort,) von mir ein wenig
„zeichnen laſſen, damit ich ſie nur länger an¬
„ſehen und etwas von ihr dabehalten konnte.
„Jetzt zeichn' ich das Geſicht weiter aus, es iſt
„aber gar zu ſchlecht gerathen.“ Sie konnte
ihre Phantaſie weder vom Bilde, noch weniger
vom Urbilde loßwickeln. Freilich kann auf ei¬
nem töchterlichen Herzen — oder gar in ihm —
kein ſchöneres Medaillon hängen als das müt¬
terliche; aber Albano glaubte doch heute, das
Gehenke nehme eine zu breite Stelle ein.


Sie ſprach bloß von ihrer Mutter: „Ich ſündi¬
„ge gewiß (ſagte ſie) — ſie fragte mich ſo freund¬
„lich, ob Du oft kämſt, aber ich ſagte nur ja
„und weiter nichts. O, guter Albano, wie gern
„hätt' ich ihr die ganze Seele offen hinge¬
„geben!“


Er antwortete, die Mutter ſchiene nicht ſo
offen zu ſeyn, ſie wüßte vielleicht ſchon Alles
[37] durch den Lektor und den reinen Trank der
Liebe würden nun lauter fremde Körper trü¬
ben. Gegen Auguſti erklärt' er ſich ſehr ſtark,
aber Liane beſchützte ihn eben ſo ſtark. Durch
beides gewann der Falſchmünzer der Wahrheit,
nehmlich der Argwohn — der, daß ſie ihn wol
liebe wie ſie Alles liebe, da ſie an alles Gute
gleichſam lebendig anwachſe — unter Albano's
Empfindungen, die noch dazu heute ſo warm
und froh geweſen waren, immer mehr Präg¬
ſtempel und Umlauf.


Sie ahnete Nichts, ſondern ſie kam wieder
auf ihr Schweigen: „Warum thut mirs aber
„weh, (ſagte ſie,) wenn es recht iſt? — Meine
„Karoline, Geliebter, erſcheint mir auch nicht
„mehr und das iſt wahrhaftig nicht gut.“ —
Dieſes Geiſterweſen zog immer für ihn ſo ſchwül
und grau herauf, wie eben drauſſen das Gewit¬
tergewölke. Seine alte Erbitterung gegen die eig¬
nen Neckereien durch Luftaffen, die er nicht packen
konnte, gieng in eine gegen Lianens optiſchen
Selbſtbetrug über. Jener von Karolinen ge¬
ſchenkte Schleier, womit ſie ſich anfangs ſo
erhaben eingekleidet für das Kloſter der Gruft,
[38] dieſer Reiſeflor für die zweite Welt, war die¬
ſem Herkules längſt ein brennendes, mit Nes¬
ſus Giftblute getränktes, Gewand geworden,
daher ſie ihn nicht mehr vor ihm tragen dür¬
fen. Der Schluß, daß der Wahn des Todes
die Wahrheit deſſelben ſäe, und daß in der
herübergerückten tiefen Wolke ein Zufall den
ſchlagenden Funken des Todes leicht locke, fiel
wie eine Trauer in ſeine Liebesfeſte ein. So
ſind alle fremde Meerwunder der Phantaſie
(wie dieſer Sterbens-Wahn) nur in der Phan¬
taſie (im Roman), aber nicht im Leben er¬
wünſcht, auſſer einmal auf phantaſtiſchen Hö¬
hen; aber dann müſſen ſolche Schwanzſterne
ſich wie andere bald wieder aus unſerem Him¬
mel zurückziehen.


Er ſprach jetzt ſehr ernſt — von ſelbſtmörderi¬
ſchen Phantaſieen — von Lebenspflichten — von
eigenſinniger Verblendung gegen die ſchönſten
Zeichen ihrer Geneſung, zu denen er das Ver¬
ſchwinden der optiſchen Karoline ſo gut rech¬
nete wie das Blühen ihrer Farbe. — Sie hör¬
te ihn geduldig an; aber durch die Prinzeſſin,
die ihrer Liebe ungeachtet ihm ſelten erfreuliche
[39] Spuren nachgelaſſen, hatte heute ihre Phanta¬
ſie einen ganz andern Weg genommen, weit
vor ihrem Ich und ihrem Grabe vorbei. Sie
ſtand bloß vor Linda's Bild, von der ihr Ju¬
lienne dieſen Nachmittag ſchärfere Umriſſe als
ſonſt Mädchen von Mädchen geben — „es iſt
ein ſehr gutes Mädchen“ ſagt jedes von je¬
dem — anvertrauet hatte; Linda's männlicher
Muth, ihre warme Anhänglichkeit an Gaſpard
bei ihrer Verachtung des Männerhaufens, ihre
Unveränderlichkeit, ihr kühnes Fortſchreiten in
männlichem Wiſſen, ihre herrlichen, oft harten,
mehr körnigen als blumigen Briefe, und am
meiſten ihr vielleicht nahes Hieherkommen, nah¬
men ihr zartes Herz gewaltig ein. „Mein Albano
muß ſie haben“ dachte immer dieſes uneigen¬
nützige Gemüth und merkte, wenn die Prinzeſ¬
ſin die Abſicht demüthigender Vergleichungen
gehabt, ſie nicht, ſondern erfüllte ſie. Dabei
fand die Gute ſo viel höhere Schickung, — daß
z. B. ihr Bruder nun nicht mehr der Neben¬
buhler ihres Geliebten und ſeines Freundes
ſeyn — daß ſie ſelber ihren kräftigen Albano
vormalen könne der ſtolzen Romeiro, und daß
[40] ja, trotz alles Widerſtandes, doch alle Geiſter-
Weiſſagungen einander eingreifend faßten und
hielten. — — Das Alles ſagte ſie nun, weil ſie
nur ihre Schmerzen, nicht ihre Hoffnungen
verbarg, dem Grafen gar ins Geſicht.


Welchen knirſchenden Biß in ſein weichſtes
Leben that jetzt ein böſer Genius! — Dieſe
glühende, ungetheilte, nicht theilende Liebe hatt'
er, nicht ſie, — glaubt' er. Er war recht nahe
daran, ſein wie von einem Gewitterſchlag auf
einmal in die Höhe brennendes Weſen auch ſo
zu zeigen; nur die ſchuldloſe, weiſſe Stirn mit
frohen Roſen in den kleinen Locken, der kindlich¬
helle Aufblick des reinen, blauen Augenpaars
und das weiche Angeſicht, das ſchon bei einem
muſikaliſchen Fortiſſimo und bei jeder Heftig¬
keit im fremden Bewegen oder Lachen kränklich
durch das klopfende Herz erröthet, und ſein
verſchämter Haß der Leichtigkeit, mit der ein
Mann ſeine Allmacht und ſein Geſchlecht zum
Erſchrecken des zarteren mißbrauchen kann, hiel¬
ten ihn wie Schutzgeiſter ein und er ſagte bloß
in jenem edeln Zorne, der wie eine Rührung
klang: o Liane, Du biſt heute hart!


[41]

„Und ich bin ja ſo weich!“ ſagte die Un¬
ſchuldige. Beide waren bisher am Fenſter vor
dem aus Lilar herſchwellenden finſtern Gewit¬
ter geſtanden. Sie kehrte ſich ſchnell um —
denn ſie konnte ſeit ihrer Erblindung, wo eine
dunkle Wolke gegen ſie zu fliegen geſchienen,
keine mehr lange anſehen — und Albano's ho¬
he Geſtalt, mit dem ganzen glühendlebendigen
Geſicht und mit den Seelen-Augen ſtand
vom Abendlicht erhellet vor ihr. Sie legte mit
der ſpielenden Hand, die er frei ließ, ſein
dunkles Haar aus der trotzigen Stirn ſanfter
an die Seiten, ſtrich die gedrängte Augenbrah¬
me glatter und ſagte, als ſein Blick wie eine
Sonne ſtach, und ſein Mund ſich ernſt ſchloß:
„o freudig, freudig ſoll künftig einmal dies
ſchöne Angeſicht lächeln!“ Er lächelte, aber
ſchmerzlich. „Und dann will ich noch ſeeliger
ſeyn als heute!“ ſagte ſie, und erſchrak, denn
ein Blitz fuhr über ſein ernſtes Geſicht wie
über ein zackiges Gebürge und zeigte es wie das
des Kriegsgottes von Kriegsflammen erleuchtet.


Er ſchied ſchnell; ließ ſich nicht halten;
ſprach von Wetterkühlen, gieng ins Wetter
[42] hinaus und ließ Lianen in der Freude zurück,
daß ſie doch heute recht aus bloßer reiner Liebe
geſprochen habe. Aus dem letzten Hauſe des
Dorfs ſprang ihm Rabette entgegen; über ſein
Geſicht fielen die Wetterbäche der verhaltnen
Thränen herab; „was fehlt Dir, was weinſt
Du?“ rief ſie. „Du träumeſt“ rief er, und eilte
vor allen Dingen ins Ungewitter hinaus, das
ſich plötzlich wie ein Mantelfiſch erſtickend über
den ganzen Himmel hergeworfen hatte. Er
ſuchte ſich unter dem regnenden Blitzen zuerſt
die beſten Beweiſe zuſammen, daß Liane heilige
Reize, göttlichen Sinn, alle Tugenden habe, be¬
ſonders allgemeine Menſchenliebe, Mutterliebe,
Bruderliebe, Freundesliebe — nur aber nicht die
glühende Einzigen-Liebe, wenigſtens nicht gegen
ihn. Sie wird nur — er ſchlieſſet immer fort
— von der Gegenwart ſo gänzlich gefaſſet und
gefüllt, von meiner ſo gut als von der eines
Armbruchs des kleinen Pollux, welche ihr Him¬
mel und Erde verdeckt. — Darum wird ihr
der Untergang des Lebens ſo leicht, wie der ei¬
nes Sternchens und alle Scheidungen dabei. —
Darum ſtand ich ſo lange mit einer leidenden
[43] Bruſt voll Liebe neben ihr und ſie ſah nicht in
meine, weil ſie keine in der ihrigen fand. —
Und ſo iſts ſo bitter, wenn der Menſch, unter
den gemeinen Herzen der Erde verarmend,
durch das edelſte doch nichts wird als zum letz¬
tenmahl unglücklich.


Der Regen ziſchte durch die Blätter, das
Feuer ſchlug durch den Wald, und der wilde
Jäger des Sturms trieb ſeine unſinnige Jagd.
Das erfreuete ihn als eine kühlende Hand,
woran ein Freund ihn führte. Da er nicht
durch die Höhle ſondern auſſen am Bergrücken
zu ſeinem hohen Donnerhäuschen hinaufſtieg:
ſo ſah er eine dicke, graue Regennacht das grü¬
ne Lilar belaſten und aus dem gebognen Tar¬
tarus ruhte unter dem Blitz der erleuchtete
Sturm. Er fuhr zuſammen bei dem Eintritt
in ſein Häuschen vor einem Schrei, den ſeine
Aeolsharfe unter den Griffen des Windes that;
denn ſie hatte einſt, von der Abendſonne be¬
glänzt, ſeine junge Liebe ätheriſch wie Sterne
eingekleidet und war ihr mit allen Tönen nach¬
gefolgt, da ſie hinausgieng über das leidende
Leben.

[44]

70. Zykel.

Am Morgen darauf waren beide Gewitter
aufgelöſet in ein ſtilles Gewölke. — Und aus
den größeren Schmerzen wurden nur Irrthümer.
Wir Schwache! wenn das Schickſal uns bei
unſerer Scheinhinrichtung mit der Ruthe be¬
rührt, nicht mit dem Schwerte: ſo ſinken wir
ohnmächtig vom Stuhle und fühlen das Ster¬
ben noch weit ins Leben hinein! — Alle Fie¬
ber, ſo auch die geiſtigen, kühlt der neue, fri¬
ſche Morgen, ſo wie ſie alle der bange Abend
glühend ſchürt. Welcher von uns wickelte ſich
nicht an Abenden — dieſer eigentlichen Geiſter¬
ſtunde der Plage-, Haus- und Poltergeiſter —
in den Faden, den er ſelber ſpann, den er aber
für fremdes Fanggewebe hielt, immer enger
durch Entfliehen und Wenden ein, bis er am
Morgen ſeinen Schlieſſer vor ſich ſah, nämlich
ſich? —


Albano ſah auf dem ganzen geſtrigen
Kriegsſchauplatz nichts mehr ſtehen als eine
blaſſe, gute Geſtalt in Halbtrauer, welche nach
ihm mit unſchuldigen Mädchenaugen umher¬
blickte, und wornach er doch ewig hinüber
[45] ſah, wenn ſie auch mehr eine Braut Gottes als
die eines Menſchen blieb. Er fühlte jetzt frei¬
lich mehr, wie hoch ſeine Foderungen an wirk¬
liche Freunde ſtiegen, als ſonſt, wo er die höch¬
ſten an geträumte Weſen, die er immer gerade
in die jedesmalige Form ſeines Herzens goß,
nach Gefallen ſteigern konnte; und wie in ihm
ein niemand ſchonender Geiſt regiere, der jedem
fremden die Flügel nach ſeinen eignen ausdeh¬
nen wolle, weil er keine Eigenheit dulde außer
der kopirten. —


Er hatte bisher von allen ſeinen Geliebten
zu wenig Widerſtand erfahren wie Liane zu
viel; beides ſchadet dem Menſchen. Der gei¬
ſtige wie der phyſiſche wird ohne Widerſtand
der äuſſern Luft von der innern aufgeblaſen
und zerſprengt, und ohne Widerſtand der in¬
nern von der äuſſern zuſammengequetſcht; nur
das Gleichgewicht zwiſchen innerer Wehr und
äuſſerem Druck hält einen ſchönen Spielraum
für das Leben und ſein Bilden frei. — Män¬
ner dulden ohnehin — da nur die beſten an
den beſten Männern feſte, ſtarke Überzeugung
achten — dieſe an Weibern ſchwer und wollen
[46] Letztere nicht bloß zu ihrem Wiederſchein, ſon¬
dern auch zu ihrem Nachhall haben. Sie wol¬
len, mein' ich, nicht bloß die Mine, auch das
Wort bejahend.


Albano beſtrafte ſich mit einigen Tagen frei¬
williger Entfernung, bis die unreinen Wolken
aus ihm weggezogen wären, die den Sonnen¬
zeiger ſeines Innern verſchattet hatten. Bin
ich ganz heiter und gut, ſagt' er, ſo geh' ich
wieder zu ihr und irre nie mehr. Er irret
jetzt; iſt ein fremder, unheimlicher Halbton ein¬
mal zwiſchen alle Harmonieen zweier Weſen wie¬
derkehrend durchgedrungen, ſo ſchwillt er im¬
mer feindlicher an und übertäubt den Grund¬
ton und endigt Alles. Der Scheideton war
hier die Stärke der männlichen Tonart ne¬
ben der Stärke der weiblichen. Aber die
höchſte Liebe verwundet ſich am leichteſten am
kleinſten Unterſchied. O, dann, hilft es wenig,
wenn der Menſch zu ſich ſagt: ich will mich
ändern. Nur im ſchönſten, unverletzten En¬
thuſiasmus ſetzt er ſich es vor; aber eben
im verletzten, wo er kaum des Vorſatzes fähig
[47] wäre, ſoll er ſich zur Erfüllung deſſelben heben
und kann es ſchwer.


Der Graf gierig am Morgen wie gewöhn¬
lich in ſeine Hörſäle und Sprachzimmer der
Stadt. In den erſtern war es ihm ſchwer, nach
den Sternen der Wiſſenſchaften ſeine Inſtru¬
mente und Augen feſtzurichten und zu viſiren,
da er auf einem ſolchen Meere voll Bewegung
gieng. In den letztern fand er den Lektor käl¬
ter als ſonſt, den Bibliothekar wärmer, die
Hauswirthsleute aufgeblaſener. Er gieng zu
Roquairol, den er heute noch inniger liebte
und behandelte, um gleichſam der beleidigten
Schweſter genugzuthun. Karl ſagte ſogleich
mit ſeinem tragiſchen ſchnellen Aufreiſſen des
Vorhangs der Zukunft: „es ſey Alles ent¬
„deckt — — höchſt wahrſcheinlich!“ So oft Lie¬
bende ſehen, daß die ſeefahrende Welt ihre Ka¬
lypſo's Inſel — die doch frei auf der offnen
See daliegt — endlich in die Augen bekommt
und die Seegel darauf richtet: ſo verwundern
ſie ſich zum Verwundern. Hat denn irgend
ein Paradies ſo weite und niedrige Staketen —
[48] ſo daß jeder Vorbeigehende hineinſehen kann —
als ihres? —


Schon längſt hatten, erzählt' er, die Dok¬
tors Kinder immer etwas bei der Baumeiſte¬
rinn in Lilar zu holen, Blumen, Arzneigläſer
u. ſ. w.; gewiß als Seh- und Hörröhre Au¬
guſti's — dieſer ſey wieder der Operngucker ſei¬
ner Mutter — kurz ſein Vater ſey wenigſtens
bei der Griechin geſtern geweſen, hab' aber
zum Glück nur ein leeres Paquet *) von Ra¬
bette an ihn (Karln) gefunden, das er nach
den Freiheiten der miniſterialiſchen Kirche auf-
und zugemacht. „Warum zum Glück (ſagte
„Albano)? Ich werde meine Liebe vor der Welt
„rechtfertigen und ehren.“ — „Ich bezog es
„auf[49] „auf mich, (verſetzt' er,) denn nie war mein Va¬
„ter freundlicher gegen mich als ſeitdem er
„meine letzten Briefe erbrochen. Er iſt dieſen
„Nachmittag in Blumenbühl, und wol mehr
„meinet- als der Schweſter wegen.“


Albano fürchtete nicht, daß die Stadt Mi¬
nengänge unter ſein Kindheitsland hintreiben
könne, um etwa durch Eine Flamme die glück¬
ſeelige Inſel zu zerſprengen — durft' er nicht
ſeinem Werth und Muth und Lianens ihrem
trauen? — aber es ſchmerzte ihn jetzt, daß er
ſo unnütz der kindlichen Liane die Freude und
das Verdienſt einer kindlichen Offenherzigkeit
genommen. Wie ſehnt' er ſich nun nach dem
abbüßenden und belohnenden Augenblick des
erſten Wiederſehns, nach dem nächſten Mor¬
gen!


Er blieb bei ſeinem Freund wie bei einem
Troſte, und gieng erſt zurück, als die Abend¬
röthe in den Regenwolken umherfloß. — Als
er kam, fand er von Lianen ſchon einen Brief
von heute:


O, guter Albano! warum kamſt Du nicht?
Titan III. D[50] Wie viel hatt' ich Dir zu ſagen! Wie hab' ich
Freitags deinetwegen gezittert, als die wüthen¬
de Wolke Dich mit ihrem Donner verfolgte!
Du haſt mich zu ſehr vom Schmerz entwöhnt,
ſo fremd und ſchwer wird er mir nun. Ich
war den ganzen Abend untröſtlich, endlich fiel
mir Nachts noch dazu ein, daß Du wie von
Ahnungen beklommen geweſen und daß es
gern ins Donnerhäuschen ſchlage. Warum
biſt Du doch da? Ich ſtürzte heraus, und
kniete neben meinem Bette und flehte Gott an,
obgleich das Wetter längſt verzogen war, daß
er Dich möge erhalten haben. Lächle über
mein ſpätes Gebet; aber ich ſagte zu ihm, Du
wußteſt es ja, Allgütiger, daß ich beten würde.
Ich wurde auch getröſtet, da ich die Sterne
anſah, und der gebrochene Strahl der Wonne
zitterte in mir


Aber am Morgen machte mich Rabette
wieder traurig. Sie hat Dich auf dem We¬
ge weinen ſehen. Tauſendmal hab' ich unter¬
ſucht, ob ich daran Schuld habe. Sollt' es
daher kommen — denn ſie ſagts — daß ich
Dich mit meinen Sterbegedanken zu ſehr be¬
[51] trübe? Nie mehr ſollſt Du ſie hören, auch der
Schleier iſt eingeſchloſſen; aber ich berechnete
Dich nach meinem Bruder, dem, wie er ſelber
ſagt, das Todes-Dunkel eine Abenddämmerung
iſt, wo ihm die Geſtalten lieblicher werden.
— Wahrlich, ich bin ganz ſeelig — denn Du ſo¬
gar biſt es, und haſt doch ſo wenig an mir,
nur eine kleine Blume für Dein Herz, aber
ich habe Dich. Laſſe mir mein Grab, wie von
einem Berg kommt beſſere fruchtbare Erde da¬
von in mein Thal. O wie liebt man, Albano,
wenn Alles neben uns bricht und fällt und ver¬
raucht und wenn doch der Bund und Glanz
der Liebe unzerriſſen und feſt auf dem weg¬
flieſſenden Leben ſteht, wie ich oft bei Waſſer¬
fällen mit Rührung auf den zerſpringenden,
reiſſenden Fluthen einen Regenbogen unver¬
rückt und unverändert ſchweben ſah! — O, ich
wollte, die Nachtigallen ſängen noch, jetzt könnt'
ich mit ihnen ſingen; Deine Aeolsharfe, meine
Harmonika wünſcht' ich in meiner Hand. Mein
Vater war bei uns und heiterer und freund¬
licher gegen Alle als je. Sieh! ſogar er iſt
gut. Meine Eltern ſchicken gewiß kein Gewit¬
D 2[52] ter in unſer Roſenfeſt. Ich that ihm daher
leicht den Gefallen — vergieb es —, ihm zu
verſprechen, daß ich keine fremde Beſuche in ei¬
nem fremden Hauſe — weil es unſchicklich ſey,
ſagt' er — annehmen würde. Ich muß auf einige
Tage nach Hauſe wegen der fürſtlichen Ver¬
mählung; aber ich ſehe Dich bald. O vergieb!
Wenn mein Vater ſanft ſpricht, ſo kann meine
Seele unmöglich nein ſagen. — Lebe wohl,
mein Herrlicher!


L.


N. S. Bald fliegt wieder ein Blättchen auf
Deinen Berg. Sey nur in ewiger Freude!
O Gott! warum bin ich nicht mächtiger?
Welche Menſchen ſollteſt Du dann an Dei¬
nem Herzen haben! — Du Lieber!


Wie beſchämt' ihn dieſe vollblühende Liebe,
die es gar nie recht weiß, wenn ſie verkannt
wird und die keine andere Schuld vorausſetzt
als eigne! — Wie that ihm die gebotene
Entfernung jetzt nach der freiwilligen weh! —
[53] Er konnte ſie nun lieben als einen wehrenden
Engel vor dem Paradieſe, wie viel mehr als
einen gebenden in ihm! — Aber ſchwer iſts ei¬
nem Manne, fühlte der Jüngling, im weibli¬
chen Herzen, zumal in dieſem, Abſicht von In¬
ſtinkt, Ideen von Gefühlen, rein zu ſondern,
und an dieſem dunkeln, vollen Himmel alle
Sterne zu zählen und zu reihen. — Jede
Härte, jede unſcheinbare Knoſpe gieng zuletzt
als Blume auf; und ihr Werth breitete ſich
wie der Frühling ſtückweiſe aus; indeß ge¬
wöhnlich von andern Mädchen ein Reiſender,
der ſie beſucht, ſogleich beim erſten Abſchiede
abends eine kleine vollſtändige Blumenleſe al¬
ler ihrer Reize und Künſte fortnimmt, wie ein
Brocken-Paſſagier im Wirthshauſe einen nied¬
lichen Straus überkommt, aus den Moosarten
gebunden, welche der Berg trägt.


Er glaubte, ſie ſey nun bei den Eltern,
und folgte nicht als zerrender Knabe, ſondern
als einſtimmiger Mann dem Rieſen des Schick¬
ſals nach. Im Garten herrſchte Regenwetter,
die Ausſaat jedes ſtarken Gewitters, das immer
wie ein Krieg den Kriegsſchauplatz verdirbt.


[54]

Das verheiſſene Blättchen erſchien: „Sey
„nur froh. Wir ſehen uns ſehr, ſehr bald, und
„dann recht ſeelig. Vergieb mir! — ach, ich
„ſehne mich am meiſten.“ — L.


Jetzt empfand ers, welche Tage es waren,
die ſonſt — d. h. bloß vor einigen Tagen —
vor ihm wie göttliche Erſcheinungen vorüber¬
gezogen waren und die nun wieder heraufſtei¬
gen ſollten in Oſten als wiederkehrende Ster¬
ne! — Warum ſchneidet ſich erſt das verlorne
Gut wie ein ſcharfer Demant ſo tief ins Herz ?
Warum müſſen wir erſt etwas beweinet haben,
eh' wir es heiß bis zum Schmerze lieben? —


Albano warf Vergangenheit und Zukunft
von ſich weg, um nur ganz rein in der Gegen¬
wart zu wohnen, die ihm von Lianen ver¬
ſprochen worden.

71. Zykel.

Am Sonntags-Morgen, als der ganze
blaue Himmel offen ſtand und die Erde feſt¬
lich geſchmückt mit Perlen und Zweigen, klopfte
an Albano's Thüre ein leiſer Finger, der einer
weiblichen Hand gehören mußte. Liane trat ſo
[55] früh ſchon herein; Rabette und Karl riefen draus¬
ſen einen lauten Gruß. An ſeiner jauchzenden
Bruſt lag das ſchöne, vom Gehen blühende Mäd¬
chen mit ſeeligen, hellen Augen, eine friſch-bethau¬
ete Roſenknoſpe. Es war ſein ſchönſter Morgen,
er fühlte rein, daß Liane liebe. Als die Aeols¬
harfe einklang ſah ſie hin, erinnerte ſich errö¬
thend an den ſchönſten Bundes-Abend und
hörte ſtill zu, und trocknete das Auge, da ſie
es wieder auf Albano wandte. — Aber er
konnte in dieſen Tempel der Freude nicht ein¬
treten, ohne ſich gereinigt und geheiligt zu ha¬
ben durch Offenheit über ſeine neulichen Irr¬
thümer. Welcher ſüße Wettſtreit um Bekennen
und Vergeben, da Liane liebend erſchrak und
bekannte, daß ſie ihn neulich nicht errathen —
daß nur ſie die Schuldige ſey und daß ſie
jetzt ſchon beſſer ſprechen wolle. Sie konnte
ſich über die verdeckten Schmerzen, die ſie ihrem
Freund gemacht, gar nicht zufrieden geben. Wie
Mahagoni-Geräthe in keiner Temperatur
bricht, und keine Flecken annimmt und kein
Poliren bedarf: ſo iſt dieſes Herz, fühlte Al¬
bano; der ſich nun ſchwur, überall, auch wo er
[56] ſie nicht errathe, zu ſich zu ſagen: ſie hat
Recht.


Sie löſete ihm das Räthſel ihrer heutigen
Erſcheinung mit jenen freundlichen Minen, wel¬
che ein guter Menſch verdoppelt, wenn er et¬
was zu verſüßen hat; „ſie gehe nämlich heu¬
„te nach Peſtiz zurück — aber ſpät, erſt Abends,
„erſt um die Theezeit komme der Wagen und
„ihnen bleibe ein ganzer Tag; und ſie hoffe
„nicht, daß ihr Vater dieſen Umweg über Li¬
„lar für einen Bruch ihres Verſprechens neh¬
„men werde.“ Ein liebendes Mädchen wird un¬
bewußt kühner. — Darauf ſuchte ſie ihn
über die friedlichen Abſichten ihres Vaters recht
ruhig zu machen, und ſtellte ihm ſeine Strenge,
womit er ſich und andere der Konvenienz un¬
terwarf, als die Urſache ſeiner Verbote, ſo wie
ihrer Zurückberufung zum Vermählungsfeſte
vor. Albano, ſo nahe am letzten Schwure,
hielt ihn und ſagte: ſie hat Recht.


Der Hauptmann trat mit der rothwangi¬
gen Rabette herein, in deren Augen die Freude
blitzte. Das kleine Zimmer machte durch Enge
und Verwirrung die Luſt nicht kleiner. Karl,
[57] ſonſt ſo ſehr dem Veſuve ähnlich, der in den
erſten Morgenſtunden noch beſchneiet iſt, ſtand
ſchon mit einem warmen Gipfel da; er ſetzte
ſich ans Inſtrument und donnerte mit einem
aufgeſchlagnen Preſtiſſimo von Haydn — die¬
ſem rechten Stundenrufer jauchzender Stun¬
den — in die laute Gegenwart, und ſpielte
zur Verwunderung der Weiber das Schwerſte
ſo leicht vom Blatte, daß er mehr hinein- als
herausſpielte und Vieles (z. B. den Baß) im¬
mer ſelber ſetzte, indeß Albano mit faſt komi¬
ſcher Treue in der Muſik eben ſo ſehr die
Wahrheit wieder gab als in jeder Geſchichte,
die immer in Karls Munde wieder eine erlebte.
Der Morgen legte allen Seelen die Flügel
an, die der Mittag den Menſchen immer bin¬
det — daher die Aurora mit geflügelten Roſ¬
ſen fährt und der Tagsgott mit flügelloſen. —
„Aber wie ſind nun unſere ſieben Freudenſta¬
„zionen zu machen — (fragte Karl) denn der
„Tag liegt wie ein Gartenſaal mit lauter Luſt¬
„gängen nach allen Seiten vor uns offen“ —
„Karl, iſt es denn nicht einerlei wo ein Menſch
liebt?“ ſagte Albano. — Seeliger, deſſen Herz
[58] nichts braucht als noch eines, aber keinen
Park dazu, keine opera seria, keinen Mozart,
keinen Raphael, keine Mondsfinſterniß, nicht
einmal einen Mondſchein und keinen vorgeleſe¬
nen oder nachgeſpielten Roman!


„Zuerſt muß ich meine Chariton ſehen“ —
ſagte Liane. — „Die kann uns ja, (nahm ihr
„Bruder ſogleich auf,) unſer Eſſen in den gothi¬
„ſchen Tempel nachtragen.“ — Er wollte an
dieſem holden Tage im 12ten Jahrhundert es¬
ſen, und bei einem bänglichen, bunten Schei¬
benlicht und auf eckigem, ſchwerem, dickem Ge¬
räth und gleichſam dunkel unter der Erde der
oben grünenden Gegenwart mit blühenden Ge¬
ſichtern ſitzen; denn ſo überlud er die vollſten
Genüſſe noch mit äuſſern Kontraſten, und ge¬
noß jede frohe Gegenwart am meiſten in der na¬
hen Beleuchtung und Abſpieglung der geſchliff¬
nen Sichel, die ſie abmähte *). „Gott bewahre
[59] „und behüte, Freund!“ ſagte Rabette. Auch Al¬
bano fand die freundliche Griechin, ihre la¬
chenden Kinder und die nahen Roſenfelder bes¬
ſer dazu; und ſiegte mit Lianen. Vor dem be¬
laubten Häuschen liefen ihnen die Kinder entge¬
gen, Helene mit dem Schürzchen voll aufgeleſener
Orangenblüthen, weil ihr das Brechen verbo¬
ten war, und Pollux im letzten, leichten Ver¬
bande des gebrochnen Arms, deſſen Hand jetzt
mit der Rechten am hohlen Zuſammenfalten
und Platzen der Roſenblätter hatte arbeiten
müſſen. Beide berichteten ein: „die Mutter
„ſey noch nicht fertig und habe ſie zuerſt ange¬
„zogen.“ — Aber ſchon nett und einfach wie
zum Prieſterin-Tanze um den Altar froher
*)[60] Götter ſprang Chariton ihrer Liane entgegen
und paſſete die ſchnell angelegten Kleider nur
noch durch ein leichtes Rücken und Zucken gar
an. „Das iſt, (ſagte Roquairol, nachdem er
von Rabetten das nickende Ja ſehr leicht dazu
erhalten, weil ſie ſeine franzöſiſche Bitte um
daſſelbe nicht verſtanden,) meine Gemahlin ſeit
Geſtern —“ und er genoß ohne Umſtände das
Du-Recht, das ſie ſeit dem freundlichen Zu¬
ſpruche des Miniſters mit jungfräulichen Ah¬
nungen lieber annahm.


Da Liane freundlich vier Gäſte des Mit¬
tags bei Chariton anmeldete: ſo ſtanden in
den ſchwarzen Augen der Griechin Freuden¬
blitze und das kleine Geſicht mit italiäniſchen,
großen Augenbraunenbogen wurde ein feſt¬
ſtehendes Lächeln, das nicht Küchenverlegenheit
ſondern nur zungenloſe Freudigkeit war, welche
ihren weiſſen Zahnhalbzirkel noch weiter glän¬
zen ließ, da Karl vollends ſagte: „Du kannſt
„ihr ja helfen, Frau!“ „Das verſteht ſich!“ ſagte
Rabette ganz entzückt, weil ihr Herz weiter
keine andere Lippen hatte als ihre beiden
Hände, für welche es ſo viel war als wenn ſie
[61] von der geliebten gedrückt würden, wenn ſie
für ſie harte Arbeit angreifen durften. Ver¬
wünſchte ſie nicht ſo oft ihre unberedte, ſtockende
Kehle, wenn Roquairol vor ihr ſeine feurigen
Ströme brauſen ließ? — Jetzt, da er wieder
die Nähe mit künſtlichen, ſchattirenden Schei¬
dungen ausgeſchmückt hatte, drang er freilich
darauf, daß Chariton die expedirende Sekre¬
tarin bliebe und Rabette nur unterzeichnete.
Auch Liane wollte aus gleicher Weiblichkeit et¬
was für ihren Liebling ſchaffen; aber da ſie
als ein Mädchen von Stande nichts kochen
konnte, ſondern nur etwas backen, ſo wurd'
ihr — aber ungern von ihrem Freunde, der die
ſüße Geſtalt nirgendswo gern ſah als, wie an¬
dere Schmetterlinge, nur unter Blumen bei
ihm — zugeſtanden, ganz ſpät und zehn Mi¬
nutenlang mit den Augen und in ſeltenen Fäl¬
len mit den drei Schreibfingern an den Schnee¬
bällen mitzuarbeiten, welche das Deſſert be¬
ſchlieſſen ſollten.


Einen breitern Baldachin, oder einen ſchö¬
ner geſchnitzten Zepter und Apfel hatte noch
keine Küchen-Ballkönigin oder gar ſchönere
[62]dames d'atour, als Chariton; und Geſchirr
und Feuer wurden ganz dadurch verdunkelt.


Nun giengen die glücklichen Paare — und
die Kinder mit — hinaus in den freudigen
Tag, in den jugendlichen Garten, um wie
Wandelſterne mit ihren Monden einander bald
nahe, bald ferne, bald im Gegenſchein, bald in
der Zuſammenkunft zu ſtehen auf der himmli¬
ſchen Kreisbahn um dieſelbe Sonne. „Wir
wollen auf gerathewohl (ſagte Karl im Hafen,)
ausſchiffen und zuſehen ob wir uns nicht tref¬
fen.“ — Albano gieng mit Lianen den Kin¬
dern nach, die ſchon an den kleinen Häuſern
durch die Roſengänge hüpften, auf die Brücke
über den ſingenden Wald. Wem das Herz ſo
ruhig-ſeelig ſchlägt, der ſucht in der unſicht¬
baren Kirche keine ſichtbare — der ganze
Tempel der Natur iſt der Tempel der Liebe
und überall ſtehen Altäre und Kanzeln. Auf
dem glatt-niedergehenden Lebensſtrome ſteht der
Menſch ohne Ruder ſeelig in ſeinem Kahn und
regiert ihn nicht.


Dann lenkten die Kinder, eingedenk der
mütterlichen Auswanderungsverbote, auf der
[63] Brückenhöhe rechts hinüber zu den weſtlichen
Triumphbogen, und Helene lief bloß als zie¬
hende Führerin des Rekonvaleſcenten mit ſeiner
Hand recht unerwartet wild voraus. Albano
folgte den kleinen Lootsmännchen und Leit¬
hündchen ſo gern. Himmel! wenn ſie ſich ſo
auf der herrlichen Höhe umſahen und in den
reich ausgebreiteten Tag, und in ihre Augen
darauf: wie wölbten ſich die Bogen der Le¬
bensbrücke ſo frei und weit, und die Schiffe
flogen mit aufgeblaſenen Segeln und ſtolzen
Maſten hindurch! — Roſenbäume kletterten
an den Triumphbogen herauf, die Kinder lang¬
ten hinaus, knickten Roſen von ihrem Gipfel;
und trabten, den fremden Gehorſam verarbei¬
tend und erprobend, über vier Thore hinweg,
um von dem fünften in den glatten, blanken
See darunter zu ſchauen und in den „Zauber¬
wald“ hinabzuſteigen, wo die Kunſt wie die
Kinder ſpielte.


Aus dem Eingange des Waldes traten
Karl und Rabette heraus, um zu Chariton
über die Bogen zurückzugehen, jener zum Fla¬
ſchenkeller — er hatte etwas Leeres daraus in
[64] der Hand — dieſe ein wenig in die Küche.
Er gieng ſeelig wie auf Flügeln und ſagte:
das Leben fährt heute auf dem Wagengeſtirn
im Blauen dahin. Er kehrte aber um, um
vor ihnen die Plejaden aufgehen zu laſſen,
nämlich den ſogenannten „verkehrten Regen“,
der bloß fünf Minutenlang und eigentlich nur
bei Illuminazion ſteigt. Er führte Alle in den
Wunderwald durch ein im Mittagsſchlummer
liegendes Licht, das unter freien Bäumen glüh¬
te, deren weit-auseinanderſtehende Stämme
ſich nur die langen Zweige boten. Auf dem
Brennpunkt der maleriſchen Bahnen ließ er ſie
das Spiel des Regens erwarten. Die Kinder
ſprangen mit ihren Hofnungen nach und ſetz¬
ten ſich, vom Muthe der Erwachſenen gedeckt,
mit dieſen auf bezeichnete Götter- oder Kinder¬
ſitze, zwiſchen zwei kleinen, runden Seen.


Während Karl ſchnell im Zickzack, der hy¬
drauliſchen und mechaniſchen Maſchinerie we¬
gen, hin- und herlief — ohngefähr nach den
Punkten des Irrgartens in Verſailles —: ſo
konnten ſie den überall aufgehenden Zauber¬
wald durchfliegen — ein allmächtiger Arm der
auſſen[65] auſſen vorbeigehenden Roſana griff unter die
Blumen herein, und trug eine ſchwere, reiche
Welt — bald war das Waſſer ein feſter Spie¬
gel, bald eine gewundne, wellenſchlagende Ader,
bald eine Quelle, bald ein Blitz hinter Blu¬
men, oder ein ſchwarzes Auge hinter Blätter-
Schleiern — ſchmale Ufer, kurze Beete, Kin¬
dergärten, runde Inſeln, kleine Hügel und
Landzünglein wohnten dazwiſchen, ſie hielten
ihre bunten, blühenden Kinder auf dem Arm
und Schooß, und die blauen Augen der Ver¬
gißmeinnicht und die vollen Tulpenwangen und
die blaßwangigen Lilien ſpielten wie Geſchwiſter,
von Fremden geſchieden, beiſammen, aber Roſen
liefen durch Alle. Jetzt hörten die Menſchen
murmeln und rauſchen, die Seen neben ihnen
walleten; an einem abgerindeten, auf eine
Inſel eingepfählten Maienbaum fiengen oben
die gelben Tannennadeln zu tropfen an — von
den Hängebirken auf der Landzunge glitt ein
innerer Regen nieder — aus den beiden Seen
neben ihnen flogen Waſſerſtrahlen wie fliegende
Fiſche gen Himmel — Jetzt quoll es überall,
und Reihen von Quellen, dieſen Waſſer-Kin¬
Titan III. E[66] dern, ſpielten mit den Blumenkindern — Wie
Vögel flatterten Strahlen mit breiten Flügeln
aus den Lorbeerhecken und fielen in die Ro¬
ſengruppen nieder — an einem Hügel voll Ei¬
chen kroch eine Waſſerſchlange hinauf — krie¬
gend ſchoſſen aus allen Ufer-Mündungen bela¬
gernde Bogen an die Gipfel — Plötzlich fanden
ſich die überliſteten Zuſchauer mit Regenbogen
überwölbt, denn die Seen warfen ihre Waſſer
hoch über ſie hinüber, daß durch das Tropfen¬
gegitter die wankende Sonne brannte wie durch
eine zerſplitterte Juwelenwelt. — Die Kinder
ſchrieen erſchrocken. — Die aufgejagten Vögel
kreuzten durch den Regen — Nachtſchmetter¬
linge wurden niedergeworfen — die Turteltau¬
ben ſchüttelten ſich an die Erde gedrückt in den
Güſſen — Die Ufer und die Beete hielten ihre
blühenden Kleinen dem Himmel unter. — —


Nach fünf Minuten war Alles vorbei und
nur in allen Blumen und Augen zitterte der
naſſe Glanz und auf den Wellen die Sterne fort.
Die Kinder liefen dem Wunderthäter Karl
nach. „Vorbei draußen, (ſagte Albano,) aber
„nicht in uns. Ich bin heute recht ſtill-froh,
[67] „denn Du liebſt mich und auch die ganze
„Welt iſt freundlich. — Biſt Du auch glücklich,
„Liane?“ — Sie antwortete: „noch froher und
ich müßte vor Freude weinen, wenn ich es
ſagte.“ — Aber ſie weinte ſchon. „Sieh! die
Tropfen!“ ſagte ſie naiv, als er ſie anblickte,
und nahm ſeine vom Regenbogen angeſprützte
ſanft von ſeinen Wangen weg. Sein Mund be¬
rührte ihr heiliges, zärtliches Auge, aber das an¬
dere ſtand offen und ihr Herz und ihre Liebe
blickten ihn daraus an, und nie ſchwebte ihre
heilige Seele ihm näher.


Nach wenigen Minuten war auch dieſer
nach dem Himmel gekehrte Regen vorüber.
Sie giengen mitten über den freien Garten
den Morgen-Parthien und Thoren zu. Wie
lagen in der offnen Welt die Küſten der Za¬
kunft ſo hell vor ihnen mit dickem, hohem Grün,
und Nachtigallen flogen um die Ufer! — Die
Entzückung macht das männliche Herz weib¬
licher; die Stimme ſeiner vollen Bruſt redete
nur leiſe zu Lianen, auf deren ſeitwärts und
gen Himmel geneigten Angeſicht ein ſtilles,
frommes Danken lag, ſein feuriger Blick regte
E 2[68] ſich nur langſam und ruhte an der ſchönen
Welt, und er gieng ohne haſtiges Überſchrei¬
ten um die kleinſte Landſpitze. Die junge Nach¬
tigal wetzte den abgefütterten Schnabel am
Zweige und ſchüttelte ſich luſtig, die alte
ſang ein kurzes Wiegenlied und hüpfte mit
Tönen nach neuer Koſt — Und überall flogen
und ſchrieen die Kinder des Frühlings und ihre
Eltern durcheinander — Kleine, weiſſe Pfauen
liefen ungeputzt wie kleine Kinder im Graſe —
Seelig floß der Schwan zwiſchen ſeinen Wel¬
len mit dem weiſſen Bogen über den unterge¬
tauchten Augen, und ſeelig ſchwebte die glän¬
zende Tonmücke wie ein feſter Stern unverrückt in
den Lüften über einer fernen, blumigen Glocke.
— Die Schmetterlinge, fliegende Blumen, und
die Blumen, angekettete Schmetterlinge, ſuchten
und überdeckten einander und legten ihre bun¬
ten Flügel an Flügel — Und die Bienen tauſch¬
ten Blumen nur gegen Blüthen, und die Roſe,
die keine Dornen für ſie hat, nur gegen die
Linde. „Liane, (ſagte Alban,) wie lieb' ich
„heute durch Dich die ganze Welt, ich möchte
„den Blumen einen Kuß geben und in die vol¬
[69] „len Bäume mich drücken; ich könnte nicht dem
„langen Käfer da unten in den Weg treten.“
„Sollte man, (verſetzte ſie,) je anders fühlen?
„Wie kann ein Menſch, dacht' ich oft, der eine
„Mutter hat und ihre Liebe kennt, das Herz
„einer Thiermutter ſo kränken und zerreiſſen?
„Aber wir vergeben den Thieren, ſagt Spener,
„auch nicht einmal ihre Tugenden.“ — „Laß
„uns zu ihm“ ſagt' er.


Sie kamen auſſerhalb der Morgenthore
an dem Bergweg hinter dem Flötenthal oben
an dem mittagshellen Häuschen des alten Spe¬
ners an; aber da ſie ihn laut leſen und beten
hörten, giengen ſie lieber in großer Ferne vor¬
über, um ſeinen heiligen Himmel nicht ein¬
mal ihren Schatten zu werfen.


Sie ſchaueten ins ſchöne, ſtille Flötenthal
und wollten eben hinein; endlich ſprach es zu
ihnen mit Einer Flöte hinauf. Ihre Freunde
ſchienen drunten zu ſeyn. Die Flöte klagte
lange einſam und verlaſſen fort, keine Schwe¬
ſtern und keine Fontainen rauſchten darein.
Endlich keuchte neben der Flöte eine ſcheue, zit¬
ternde Singſtimme angeſtrengt daher. Es war
[70] hinter den langen Geſträuchen Rabette. Sie
rührte beide in die tiefſte Seele, weil die Arme
mit dem Arbeiten ihrer unbehülflichen Stimme
dem Geliebten das demüthige Opfer des Ge¬
horſams brachte. „O, mein Albano, (ſagte Lia¬
ne ſich entzückt an ihn ſchlingend,) welche Süs¬
ſigkeit, daß mein Bruder glücklich iſt und See¬
lenfrieden hat und durch Deine Schweſter!“ —
„Er verdient meinen, (ſagt' er bewegt,) aber wir
wollen ſie beide nicht ſtören, ſondern den alten
Weg zurückgehen.“ Denn Rabettens Töne
wurden oft zerſchnitten, aber es war ungewiß,
ob von Furcht — oder von Küſſen — oder von
Rührung.


Als ſie wieder durchs Morgenthor herein¬
traten: kam die Sängerin und Karl ihnen aus
der grünenden Pforte entgegen, beide verweint.
Karl, gewaltſam über lebendige Beete tretend
und mit irrenden Augen, griff nach beider
Hand mit ſeinen und ſagte: „das iſt doch ein¬
mal ein Tag auf der Regenwelt, der nicht wie
eine Nacht ausſieht — Bruder, aber wenn
man ſo innig ſeelig iſt und Sphären vernimmt,
ſo ſind's ſolche Töne, wie man einmal zum
[71] Zeichen hörte, daß vom Markus Antonius ſein
Schutzgott Herkules weiche.“ — So werden
die Freuden, wie andere Edelſteine, mechaniſche
Gifte, welche bloß in der Ferne glänzen, aber
berührt und verſchlungen uns zerſchneiden.
Aber Albano verſetzte lächelnd: „Da Du Dich
jetzt fürchteſt, Lieber, ſo haſt Du nichts zu fürch¬
ten; denn Du biſt nicht rein glücklich. Ich
aber fürchte leider nichts.“ — „Bravo! (ſagte
Karl) Nun geht in Eure Küche, Mädchen!“ Er
gieng in den ſogenannten „Tempel des Traums“,
drang aber bald in die verbotene Küche nach.


Albano beſuchte Lianens Frühlingsſtübchen,
Hier mahlt' er ſich jenen Glanz-Sonntag zu¬
rück, wo ihn Liane durch Lilar geführet und
er ließ die Vergangenheit in die Gegenwart
mildernd ſchimmern; aber dieſe überſtrahlte ſie.
Drauſſen im Garten ſtanden und glänzten,
ſo ſchien es ihm, die reinen Säulen ſeines Him¬
mels, die Träger ſeines Tempels, die Bäume;
und Alles was er hier neben ſich ſah, gehörte
wieder zu ſeinem Glück, Lianens Bücher und
Bilder und Blumen und jede kleine Zeichnung
von ihrer zarten Hand.


[72]

Endlich trat die Heilige der Rotunda ſel¬
ber — jungfräulich erröthend über dieſe Nähe
und über ſein Erröthen — herein, um ihn ins
kühle Eßzimmer hinabzuholen. Es war klein
und dämmernd, aber das Herz bedarf zu ſeinem
Himmel nicht viel Platz und nicht viel Sterne
daran, wenn nur der der Liebe aufgegangen.
Zu den Tiſchreden — wodurch erſt ein Eſſen
ein menſchliches wird — und zu den Scher¬
zen — den feinſten Zwiſchengerichten, dem
Streuzucker des Geſprächs — lieferten die Kin¬
der das Ihrige, zumal da ſie, unfähig, vom
verbotnen Du zum Sie zu ſteigen, immer Du-
Sie zugleich gebrauchten. Die hochrothe Cha¬
riton machte Auszüge aus Dians Briefen und
aus ihrer Lebensgeſchichte und aus den Wund¬
zetteln von Pollux Armbruch; ſie ſuchte die
Schneeballen zu ſchätzen, hörte ſchalkhaft-gläu¬
big auf den Hauptmann hin, der das ſcherz¬
hafte Ehe-Du gegen Rabette zu fünf Akten
verſpann und lächelte gern da, wo es verlangt
wurde. Am meiſten lief die Spielwelle aller
Seelen, Karl, fröhlich um; dieſer Jupiter, den
immer die Finſterniſſe ſo vieler Trabanten um¬
[73] flogen, konnte einen großen, heitern Glanz zei¬
gen, wenn er und man wollte. So oft Albano
wie vorhin nicht in ſein Trauerſpiel gieng, zog
er den Vorhang eines Luſtſpiels auf. Der gu¬
ten Rabette war ſein Anreden ſo viel wie ſein
Anſchauen, obwohl ſie nur das Letztere erwie¬
derte, um weder ins Du noch Sie zu fallen.
Albano, mit Ohren und Augen an Eine Seele
geknüpft, konnte mit den Lippen nicht viel
mehr hervorbringen als ein ſeeliges Lächeln;
einen Hymnus hätte er leichter gemacht als
ein Bonmot, ein Tiſchgebet leichter als eine
Tiſchrede.


Denn ſeine Liane war heute zu liebreich!
So vergnügt und ermunternd ſchauete das
ſüße Mädchen umher, mit ſo herzlichem Spiel
die geſprächige, neckende Wirthin machend,
daß ein Mann, der es ſah und an ihren feſten,
Sterbeglauben dachte, von dieſem Tanz um
das Grab mit Blumen auf dem Haupt, nur
deſto inniger gerühret wurde, wenn er auch
merkte — oder vielmehr eben darum —, daß
ſie hier mit dem Scherze ſelber Scherz treibe,
bloß um — nach ihrer neuen moraliſchen
[74] Trauerordnung — ihrem Geliebten jede Schei¬
de-Stunde zu verſüßen, ſowohl die nächſte als
die letzte. Aber das war ſchwer zu merken,
weil in weiblichen Seelen jedes Scheinen leicht
Wahrheit wird, nicht nur das trübe, auch das
frohe.


Wie wurde ihr Freund und jeder gute
Menſch ſo froh, weil die Heilige ſich ſelber ſee¬
lig ſprach! Und dann wurde wieder ſie es
mehr. So ſchlägt wie zwiſchen zwei Spiegeln,
der Glanz der Wonne zwiſchen theilnehmenden
Herzen in wachſender Vervielfältigung hin und
her und wird unabſehlig.

72. Zykel.

Die Stunde der Abfahrt rollte auf ſchnel¬
lern Rädern heran, mehrere Sternbilder der
Freude giengen unter als heraufkamen. So
grünen die blühenden Weingärten des Lebens
immer an einem bergigen Hinauf und Hinab,
nie in einer ruhigen Ebene. Die zwei Lieben¬
den brauchten jetzt Stille, keine Gänge. Sie
machten den nächſten, den ins Donnerhäus¬
chen. Sie traten in die wehende Veſper-Erde
[75] wie in ein neues Land; mitten im Tage wird
der Menſch aus Einem Traum nach dem an¬
dern wach und hat immer vergeſſen und ſieht
immer verneuet. In Albano ſtand der goldne
Seitenglanz der Freude noch unter der weg¬
rückenden Sonne; er ſagte ihr froh, wie oft er
ſie beſuchen würde bei ihren Eltern und wie er
dieſe gewiß befreundet zu finden hofte. Liane
mahlte alle ſeine Hofnungen noch als Tochter
und Liebende mit ihren aus. Aber jetzt ließ
ſie ihr vorhin leichtes Herz, das auf den Blu¬
men des Scherzes ſich wiegte, auf dem feſtern
Ernſt ausruhen.


Wenn im Menſchen Friede und Fülle iſt,
ſo will er nichts mehr genieſſen als ſich, jede
Bewegung, ſogar die körperliche, verſchüttet
den vollen Nektarkelch. — Sie eilten aus dem
lauten, regen Garten ins ſtille, dunkle Donner¬
häuschen. Aber da ſie, wie geſchieden von der
Welt, die um die Fenſter hellglänzend und ſich
entfernend hinauslag, in der kleinen Dämme¬
rung einſam nebeneinander ſtanden und ſich
anſahen — und da Albano's Seele war wie
ein ſonnentrunkenes Gebirge am Abend, licht,
[76] warm, feſt und ſchön, und Lianens Seele wie
die aufdringende Quelle am Gebirge, die hell¬
rein und kühl und verborgen dahin rinnt, und
nur vom Abendſtrahl berührt roſenroth glüht
— und da dieſe einzigen Seelen gerade ſich
fanden in der weiten uneinigen Erde: ſo durch¬
ſchauerte ſie eine gewaltſame Freude wie ein
Gebet, und ſie ſtürzten ſich ans Herz und glüh¬
ten weinend und ſchaueten ſich groß an in der
Umarmung; — und an der Aeolsharfe thaten
ſich ſchnell die Flügelthüren eines begeiſterten
Konzertſaales auf, und herausſchlagende Har¬
monieen wehten vorbei und ſchnell giengen die
Pforten wieder zu.


Sie ſetzten ſich ans luftige Morgenfenſter,
vor welchem die Blumenbühler Berge und Li¬
lars Hügel und Pfade im Sonnenglanze la¬
gen. Um ſie war der Abendſchatten und Alles
ſtill und die Aetherharfe athmete leiſe. Sie ſa¬
hen ſich nur an und freueten ſich ins Innerſte
hinein, daß ſie einander liebten und bewahr¬
ten. Wie entronnen blickten ſie, von dieſer
Burg beſchirmt, hinab in die rauſchende, beweg¬
liche Welt; unten blies der Wind die Mohn¬
[77] und Tulpen-Lohe breiter und in die ſchwere,
gelbe Ernte — Die Silperpappeln, ewigen
Mai-Schnee tragend, flatterten mit aufge¬
wühltem Glanz — ein Taubenflug rauſchte ein¬
tauchend ins Blau hinein — und drüben ſtan¬
den unter fliegenden Wolken die runden Tem¬
pel Gottes, die Berge, nebeneinander in Rei¬
hen und trugen bald Nächte bald Tage —
und der fromme Vater ſtand allein auf ſeiner
Höhe, und reichte ſeinem Rehe weiche Äſte.


„So bleiben wir!“ ſagte Albano und drück¬
te ihre liebe Hand mit ſeinen beiden an ſein
Herz, „Hier und dort! (ſagte ſie) — Albano,
„wie oft hab' ich gewünſcht, Du wäreſt zu¬
„gleich meine Freundin, damit ich mit Dir von
„Dir reden könnte. Wer weiß es auf der Er¬
„de, wie ich Dich achte als ich allein?“ —
„Hier und dort? — Liane, ich bin glücklicher
„als Du, denn ich allein glaube an unſer lan¬
ges Leben hier“ ſagte er auf einmal ver¬
ändert.


Welche Urſache es nun ſey — entweder
die, daß der Menſch gar nicht gewohnt iſt, in
einer von aller Zukunft und Vergangenheit
[78] abgelöſeten reinen Gegenwart glücklich zu ſeyn,
weil ſein innerer Himmel wie der phyſiſche im¬
mer gerade und nahe über ihm finſter-blau aus¬
ſieht, und erſt um den fernen Horizont herum
glänzend — oder daß es ein ſo zartes über¬
irrdiſches Glück giebt, was wie der Mondſchein
von jeder Wolke zu dunkel wird, indeß rohes
wie das Tageslicht die breiteſte verträgt —
oder daß Albano zu ſehr den Männern glich,
die immer in der Freude ihre Kräfte ſo ſtark
fühlen, daß ſie lieber den Göttertiſch umſtoßen
als ein Gericht und Himmelsbrod weniger
darauf ſehen wollen, lieber ganz unglücklich
ſeyn als nicht ganz glücklich; — genug er
konnte und wollte der Furcht und dem Verhül¬
len Nichts mehr ſchuldig ſeyn.


Daher als Liane ihn ſtatt zu beantworten
nur umarmte und ſchwieg, weil ſie den ganzen
Tag ihrem Verſprechen treu bleiben wollte, die
Feſttapeten ſchöner Tage mit keinem Trauer¬
tuche auszuſchlagen : ſo ſagte er, wie von einem
fremden Geiſte fortgeſtoßen, geradezu: „Du be¬
„antworteſt Nichts? — Nur Freuden, nicht Lei¬
„den, ſoll ich theilen? — Du haſt Deinen
[79] „Schleier nicht? — Mich willſt Du ſchonen
„wie einen Schwachen? Und Dich allein drückt
„Dein Todes-Glaube fort? — Liane, ich will
„auch Schmerzen haben und alle Deine, ſag'
„Alles!“ —


„Wahrlich, nur mein Verſprechen wollt'
„ich halten, (ſagte ſie,) und mehr nicht. Aber
„was ſoll ich denn zu Dir ſagen, Lieber?“ —


„Du ſtirbſt alſo gewiß nach einem Jahre,
„glaubſt Du, Abergläubige? — Himmliſche!“
ſagte er.


„Wofern es Gottes Wille ſo iſt, gewiß!
„(ſagte ſie) O mein guter Albano, was kann
„ich denn für meinen Glauben, der Dich auch
„ſo ſchmerzt?“ Und hier konnte ſie ihre Thrä¬
nen nicht mehr hindern und alle Kruzifixe der
Erinnerung regten ſich in der ſchönen Seele le¬
bendig und bluteten heftig.


„Gottes Wille? (fragt' er) — Eben ſo gut
„könnt' er jetzt einen Winter wie einen Eis¬
„berg in dieſen frohen Sommer ſtürzen — —
„Gott?“ wiederholt' er, ſah auf, kniete hin und
betete: o, Du allliebender Gott. . .


„Und Du ſtirbſt mir nicht!“ kehrt' er ſich
[80] wie zornig gegen ſie, zum Weiterbeten unfähig
vor dem Geſchrei ſeines Herzens, und mit
beiden Händen haſtig über ſein naſſes Geſicht
wegſtreifend — Nun betete er ſanfter-zitternd
fort: „Nein, Du Allliebender! Tödte nicht dieſes
„ſchöne, junge Leben! Laſſ' uns beiſammen,
„lang' und fromm!“


Sie kniete unwillkürlich neben ihn —
heute matter von Freuden und unbekannten in¬
nern Siegen, ſogar vom langen Gehen — deſto
heftiger angefallen von einer rührenden Wirk¬
lichkeit, da ſie von rührenden Phantaſien ver¬
wöhnt und erweicht war — und unſäglich lei¬
dend bei Albano's Schmerz — ſie konnte nicht
reden — wie unter einer ſchnell aufgeworfnen
Laſt bückte ſich ihr Haupt und Hals — und
ſo blickte ſie wie vom ganzen Leben ſchwer um¬
wölkt auf den Boden hin — der umfangende
Todesfluß rauſchte mit Einem Arm um ſie —
da ſah ſie, ohne aufzublicken, irgendwo ihre
Karoline im Brautkleide und mit dem weiſſen,
gold-punktirten Schleier ziehen, der ſich lang
über das Leben wegſchleppte, und ſie ſah es
deut¬[81] deutlich, wie die Geſtalt, da Albano um ihr
Leben bat, langſam hin und her ſchüttelte.


„Hör' auf zu beten! (rief ſie troſtlos) Du
„harte Erſcheinung, erhöre aber mich und ma¬
„che nur Ihn glücklich!“ betete ſie, aber ſie
ſah Nichts mehr; und ſie verbarg das von
Quaalen durchzogne Geſicht mit unausſprechli¬
cher Liebe an ſeiner Bruſt.


Hier rief ihr Bruder herauf, der Wagen
ſey da. Sie warf ein ſchnelles, dünnes Ja
hinab. „Trennen wir uns?“ fragte Albano;
der Feuerregen der Entzückung war nur als
ein finſterer Aſthenregen in ſeine offne Seele
zurückgefallen — und darum fuhr er ohne alle
Schranken ſeines Schmerzes fort: „ſo haben
wir uns zum letztenmal geſehen?“ und unter
dem geſchloſſenen Augenliede weinte ſein gutes
Auge.


„Nein, bei dem Allgütigen nein!“ ſagte
ſie und ſtand auf, um zu gehen. „Bleibe!“
ſagt' er und ſie blieb und umarmte ihn wieder.
„Aber begleite mich nicht!“ bat ſie. „Nicht!“
ſagt' er und hielt die Wegziehende lang' an
den Fingerſpitzen; es ſchmerzte ihn ſo ſehr, da
Titan III. F[82] er die auf dieſe ſtille Geſtalt getriebnen Leiden
anſah, daß dieſe weiſſen Schwingen der Un¬
ſchuld ſich an ſeinen Klippen und Berghörnern
voll Blut geſchlagen. Er zog ſie wieder an
ſich; eh' er ſie und ſein Heil entließ. Er ſah
ihr nach, wie ſie langſam an dem ſonnigen
Berg, unter den Zweigen ſich trocknend, hinun¬
terſchlich und geſenkt lauter heitere, blühende
Wege des Vormittags gieng. Er ſchauete aber
nicht nach, da ihr Wagen über den fröhlichen
Wald wegrollte; er ſtand am Morgenfenſter
und ſah ſeine Kindheits-Berge zittern, weil er
ſeine Augen zu trocknen vergaß.


[83]

Sechszehnte Jobelperiode.

Die Leiden einer Tochter.


73. Zykel.

Wolken wie die letzten beſtanden für Albano
weniger aus niederfallenden Tropfen als aus
niederſinkendem Staub. Sein Leben war noch
ein Treibhaus und ſtand daher nach der Son¬
nenſeite. Jeder Tag brachte eine neue Schutz¬
ſchrift für die ferne ſchöne Seele, bis ſie am
Ende gar keine mehr brauchte. Aber jedem Tage
gab er auch einen Ablaßbrief ihres Schweigens
mit; ſpäter wurden Anſtandsbriefe (Morato¬
rien) daraus; endlich als ſie immer gar Nichts
von ſich hören und leſen ließ: ſo fieng er an,
in den obigen Schutzſchriften wieder nachzuſe¬
hen und Manches darin auszuſtreichen.


F 2[84]

Eben ſo wenig fand er für ſich oder
für ein Blatt eine Treppe zu ihr. Sogar
der Hauptmann war ſeit einigen Tagen
nach Haarhaar verreiſet. Mit müden Hän¬
den hielt er den ſchweren, ausgetrunknen
Freudenbecher, der leer am ſchwerſten wiegt. —
Die wilden Hypotheſen, welche der Menſch in
einem ſolchen Falle durch ſich traben läſſet —
wie in dieſem, z. B. die von Lianens Krank¬
heit, Erkältung, Gefängniß, Abreiſe — ſind in
ihrem Wechſel und Werthe mit Nichts zu ver¬
gleichen als mit der eben ſo großen Wildheit
und Zahl der Plane, die er anwirbt und ab¬
dankt, z. B. den der Entführung, des Haſſes,
der Duelle, der Verzweiflung.


Die harte, feſtſtehende Zeit hatte keinen
Zeiger auf ihrem Zifferblatte. Er ſtand ſeinem
Schickſal ſo nahe wie der Menſch ſeinen Träu¬
men; ohne daß er beider Geſtalt erkennen oder
vorbereiten kann. Er gieng oft in die Stadt,
deren ſämmtliche Gaſſen durchritten, durch¬
laufen und durchfahren wurden, weil man die
Balken zum herrlichſten Throngerüſte zuſam¬
mentragen und nageln wollte, auf welchen ſich
[85] die fürſtliche Braut bei ihrem Eintrittskompli¬
mente im Lande, am weiteſten umſehen konnte;
aber er hörte nichts darin von der ſeinigen,
als daß ſie öfters mit dem Miniſter die Bilder¬
gallerie beſuche.


Dadurch ſchienen zwei ängſtlichen Hypothe¬
ſen, die ihrer Krankheit und ihres Hauskriegs,
die Stacheln auszufallen. Das Beſte, obwohl
Schwerſte war, geradezu den Miniſter wie
den Veſuv zu beſuchen, um da die ſchönſte
Ausſicht zu haben. Er beſuchte den Veſuvius.
In der That war dieſer Vulkan nie ſtiller und
grüner; er fragte nach Allem und ließ ſich über
Vieles heraus, was das Vermählungsfeſt un¬
mittelbar angieng; auch ſucht' er ſeine Hoff¬
nungen und Wünſche nicht zu verbergen, daß
der Graf die bewundernswürdige Braut be¬
willkommen helfen werde.


Am Ende mußte dieſer auch die ſeinigen
über die Weiber zu eröffnen wagen. Der Mi¬
niſter verſetzte ungemein heiter, daß beide das
„brave Fräulein von Wehrfritz“ eben nach
Blumenbühl zurückbrächten; und ließ ſich ſo¬
fort aufs Lob dieſer „unverdorbnen Natur“
[86] ein. Albano gieng bald, aber viel froher.
Auf ſeinem Wege brannten doch einige Gaſſen¬
laternen.


Aber am Morgen gerieth er in ein Win¬
kelgäßchen, wo keine einzige war; nämlich Ra¬
bette, das Rennthierchen, kam nach Lilar ge¬
laufen, wie geſtern nach Peſtiz — denn was
iſt für ein Landfräulein ein Meilenlauf anders
als eine gerade Allemande? — und ſchüttete
und ſchüttelte vor ihm ihr Herz bis auf die
Herzohren aus, woraus nichts herausfiel als
frohe Bilder, einige Himmel, ein vollſtändiger
Hochzeittag, ein Paar Schwiegereltern und eine
Hauptmännin. „Die Miniſters waren gegen
„mich ſo höflich geweſen, aber — nachher noch
„mehr gegen meine Eltern die Mutter — und
„ſie haben den Hauptmann ſo ſehr genannt
„und gelobt — kurz, ſie wiſſen freilich Alles,
„mein herrlicher, herzlieber Bruder!“ ſagte ſie,
— aber von Lianen wußte ſie dem herrlichen
Bruder Nichts zu bringen, außer ihren Ge¬
ſundheitspaß; ihr freudiges Auge hatte ſich
nach gar keiner dunkeln Gegend gewandt.
„Wir waren keine Minute allein, das machts,“
[87] ſetzte ſie dazu und kam wieder auf ihren Haupt¬
mann, den der Miniſter als Marſchkommiſſarius
der einrückenden Fürſtin auf die Haarhaarer
Straße verſendet habe, doch verwies ſie ihn auf
die Illuminazions-Nacht in Lilar, wo ſie und
Liane und beiderſeitige Eltern dabei zu ſeyn
ausgemacht hätten. Du gutes Geſchöpf! wer
gönnt Dir nicht den blitzenden Ring der Freu¬
de, den Du an Deiner braun und hart geſot¬
tenen Hand anſiehſt, und wer wünſchet nicht
gern, daß ſeine Steine nie ausfallen? —


Bald darauf flog dem Verlaſſenen der
Bruder der vergangnen Feſte an das Herz,
Karl. Er wiederholte beinahe Rabettens Aus¬
ſagen, obwohl nicht ihre Entzückung; er ſagte
— aber ohne ſonderliche Rührung —, daß der
Vater wirklich ihm den Bruderkuß mit einer
Kußhand durch mehrere Zimmer zuwerfe, ihn
ganz beſonders aus- und anzeichne und zu Ge¬
ſchäften freundlich verbrauche — und das Al¬
les bloß, ſeitdem er hinter die Liebe gegen Ra¬
bette und das ſtille Zunicken der Eltern ge¬
kommen ſey; denn vom Herzen zwar ſey bei
dem Vater die Rede nicht, aber doch von Ra¬
[88] bettens Weiberlehn, zumal da man ihm bei
der romantiſchen Wechſelreiterei ſeines Herzens
nicht trauen könne, ob er nicht ſonſt einmal
die Ärmſte bringe.


Mit einer ſeufzenden Bruſt, die gern mehr
einer erwartenden mitgebracht hätte, erzählte
Karl bloß, daß er Lianen geſund und ſtill, aber
keine Minute allein gefunden. Die Zuſam¬
menhaltung der fremden Dürftigkeit mit dem
eignen offnen, reichen Glück war — ſo glaubte
Albano — die ſchöne, zarte Urſache, warum
Karl mit ſo flüchtiger, kühler Freude über die
elterliche Einſegnung ſeines Seelenbundes weg¬
lief. O, wie liebt' er ihn jetzt! Könnt' er ihn je
mehr lieben, ſo thät' ers, wenn Liane gar ſeinem
Glück verlohren wäre, bloß um ſich und ihm
zu zeigen, daß die heilige Freundſchaft kein
drittes Herz begehre, um ein zweites zu lieben.


Dieſes Gewölke des Schweigens legte ſich
nun wochenlang und immer finſtrer um ſeine
ſchönſten Höhen feſt, und der Schuldloſe gieng un¬
ter dem Dunkel im Kreiſe von Widerſprüchen um¬
her. Wie mußte dieſer Jüngling ſich abarbei¬
[89] ten, wenn er bald dachte, daß die Eltern wol
gar eine Verwandtſchaft mit ihm ausſchlagen,
da er doch mehr ihre vergeſſen als vergelten
zu müſſen glaubte und daß ſie zwei Herzen der
politiſchen Herzloſigkeit opfern könnten — oder
wenn er auf die fromme Liane den Verdacht des
Weichens vor elterlichen Angriffen fallen ließ,
der noch aus der Vergangenheit Zufuhr durch
die Vermuthung erhielt, daß ſie ihn wol mehr
poetiſch und fromm und mehr mit Flügeln um¬
halſet als mit Armen und daß ſie überhaupt
an ſo lange Ergebungen gewöhnt, Opfer und
Neigungen kaum abſondern und jene für dieſe
halten könne — oder wenn er bald und am
öfterſten alle dieſe Waffenſpitzen gegen ſeine
eigne Bruſt kehrte und ſich fragte, warum er
in der Freundſchaft ein ſo feſtes Vertrauen
habe und in der Liebe ein ſo wankendes: Dann
führte ihn dieſer Vorwurf zu einem zweiten über
jeden vorigen, den er der guten Seele gemacht,
bloß um ſie nach der Proſelytenmacherei und
Reformirſucht, welche die Männer mehr an
ihren Weibern als Freunden üben, für ſeine
eigne Gußform einzuſchmelzen. Letzteres konnt'
[90] er rügen; wie Holberg *) bemerkt, daß die
Männer Landgüter nicht ſo gut erhalten als
die Weiber, weil jene mehr als dieſe ſie refor¬
miren wollen: aus demſelben Grunde verder¬
ben die Liebhaber auch die Weiber mehr als
dieſe jene.


Um nur aus dem langſamen Gerichtshof
der Zukunft ſchneller ſein Bluturtheil zu holen
oder ein ſchöneres Blatt, gieng er wieder ins
miniſterielle Haus. Er wurde vom Miniſter
wieder lächelnd und von der Mutter ernſt em¬
pfangen und — auf ſeine Frage — war Liane
nicht wohl auf. — Er legte dem alten, ſich jetzt
wärmer andrängenden, Schoppe, der ſeit eini¬
ger Zeit neben dem Skalpel des Doktors, wei¬
ter kein Herz ſtudirte als was auszuſpritzen
und zu präpariren war, eine kurze Frage über
des Doktors Beſuche beim Miniſter vor; wie
erſtaunt' er, da er vernahm, daß Niemand wei¬
ter aus dem Hauſe welche in jenem mache, da
[91] Liane ganz blühend in alle Zirkel fahre, als
bloß der Lektor häufigere!


Er begriff wohl, daß nur die Meduſen¬
köpfe der Eltern das weichſte Herz gegen ihn
verſteinern könnten; aber eben das fand er
nicht recht, er foderte keck, daß er von ihr
mehr als die Eltern geliebt werde; „nicht aus
Egoismus, (ſagt' er zu ſich,) nicht meinet- ſon¬
dern ihrentwegen“. Der Liebende will eine große,
unbeſchreibliche Liebe — von der er ſich immer
nur als den zufälligen und unwerthen Gegen¬
ſtand glaubt —, bloß um ſelber die höchſte zu
geben.


Sogar der ſchweigende Lektor, der ſonſt alle
neu aufgehende Lichter hinter Licht- und Ofenſchir¬
me ſtellte, theilte ungebeten dem Grafen die Neu¬
igkeit zu, Liane werde bei der kommenden Für¬
ſtin — etwas, Geſellſchaftsdame. Sein alter
eiferſüchtiger Argwohn über Auguſti's Wünſche
oder Verhältniſſe erlaubte ihm keine Antwort
darauf.


Jetzt ermannte ſich ſein Geiſt und er ſchrieb
geradezu an die Seele, die ihm gehörte; und
ſchickte dem Bruder das Blatt zur Übergabe. —
[92] Dieſer kam den Tag darauf; ſchien ihm aber noch
keine Antwort zu haben, weil er ſie ſonſt mit
dem erſten Gruß gegeben hätte. Karl führte ihn
an den Haarhaarer Hof, wo er neulich gewe¬
ſen, — ſagte, jeder Nerve da hätte Steifſtie¬
feln an und jedes Herz einen Reifrock — kam,
weiter preiſend auf die jüngſte, aber angefein¬
detſte Prinzeſſin, Idoine — erklärte, ſie beſitze
nach allen Vorzügen, z. B. der Heiligkeit, der
Güte, des entſchiednen Karakters, der ſich ſogar
auf dem Throne ſein eignes Loos und Leben
ausſucht, ferner der Liebenswürdigkeit, da ſo¬
gar die Niemand liebende Fürſtin-Braut an
ihrem Herzen hänge, noch den Vorzug der täu¬
ſchenden Ähnlichkeit mit Lianen.


„Hat dieſe nun mein Blatt?“ fragte Alba¬
no. Karl händigt' es ihm wieder ein: „Bei
„Gott! (ſagt' er feurig und doch doppelſinnig)
„ich konnt' es ihr jetzt nicht beibringen — Aber
„Bruder, kannſt Du nur eine Minute lang
„glauben, ſie bleibe nicht ewig die Deinigſte?“
— „Ich glaube gar Nichts. (ſagte Albano belei¬
„digt und zerriß ſein Blatt in Blättchen von
„der Größe der Buchſtaben darauf.) „Wollen
[93] „nur wir, (fuhr er mit gerührter Stimme fort)
„— bleiben wie wir ſind, feſt wie Eiſen und
„biegſam wie Eiſen aus Gluth.“ Der gerührte
Freund ſuchte folgenden Troſt hervor: „Er¬
„warte doch nur den Illuminazions-Abend *)
„— da ſpricht ſie mit Dir — ſie muß durch¬
„aus erſcheinen und Du ſollſt Dich wundern,
„in welcher Rolle und für wen.“ Er nickte
ſtumm; er ſetzte ſich ihre Rolle leicht aus ihrer
Ähnlichkeit mit Idoine und aus ihrem angeb¬
lichen Hofamte zuſammen; aber was half es
ſeinem Glück?


Mit der Umkehr ſeines Blättchens, das er
wider ſeinen Ehrgeiz abgeſchickt, kam dieſer
verſtärkt zurück. Nun war auf Albano's blu¬
tende Lippe ein heißes Siegel gedrückt; er hat¬
te nun Nichts für und vor ſich als die Zeit,
die jetzt ſein Gift wurde, und erſt ſpäter, wie
er hofte, ſeine Arzenei. Über ſein aufgerufe¬
nes Ehrgefühl wurde überhaupt Nichts Herr;
er konnte hinaufſehen zu einer Richtſtätte, auf
der Blut aufſprang, aber er konnte nicht an
[94] einen Pranger ſchauen, wo unter gift-ſchwerer,
tödtender Pein eigner und fremder Verachtung
ein niederblickendes, verworrenes Geſicht auf
die ſündige Bruſt hieng.


Karl näherte ſich zuweilen mit einigen Lich¬
tern dem langen, nächtlichen Räthſel; aber Al¬
bano, ſo ſehr er ſie wünſchte, machte ihn irre
durch Entgegentreten und ſuchte ihn nicht ein¬
mal auszuhören, geſchweige auszufragen. So
lag er auf harten, jugendlichen, ſtachlichten Ro¬
ſen — knoſpen, die eine einzige Stunde zu weichen
Roſen aufſchließen kann. Siege geben Siege —
— wie Niederlagen Niederlagen; er fand jetzt
gegen die Empfindungen, die ihn belagerten,
wenn nicht einen Entſatz, doch eine auf die
Ewigkeit verproviantirte Bergfeſtung in einer
— Sternwarte. Mit ganzer, feſtzuſammenge¬
faßter Seele warf er ſich auf die theoretiſche
Sternkunde, um nicht den Tag, und auf die
thätige, um nicht die Nacht zu ſehen. Die
Sternwarte ſtand zwar auf einem Zwiſchen¬
berge zwiſchen der Stadt und Blumenbühl und
deckte beide auf; aber er ſchickte ſeine Augen
[95] nur auf Sternbilder, nicht auf jene roſen¬
rothen Stellen der Erde aus, wo ſie jetzt aus
den kalten Blumenkelchen nur Waſſer ſtatt
Honig hätten ſaugen können. So gieng er
unter den Feſt-Zurüſtungen in Lilar dem lang¬
ſamen Abend, wo ihn die Gegenwart der
ſchönſten Seele entweder ſegnen oder zerſtören
ſollte, bewahrt entgegen, vergeblich von Zeit zu
Zeit zum fernen Telegraphen ſeines Schickſals
aufblickend, der ſich immer bewegte, ungewiß
ob friedlich oder kriegeriſch.

74. Zykel.

Die Siegel von den inrotulirten Akten
der bisherigen Geſchichte zur Einſicht abzuneh¬
men — oder die blinden Fenſter derſelben ab-
und die wahren aufreiſſen — oder ſo viele be¬
deckte Wege und Wagen aufdecken — oder
endlich die ganze Sache — — das ſind lauter
Metaphern — und die unähnlichſten dazu —,
welche zu Nichts dienen können als die lang'
erwartete Auflöſung, welche ſie beſchreiben wol¬
len, nur noch länger und verdrüßlicher aufzu¬
halten; vielmehr glaub' ich wird beſſer der
[96] ganze Kriegs- und Friedensetat im miniſteriellen
Pallaſte ſogleich frei entblößet wie folgt:


Herr von Froulay war, wie ſchon gedacht,
mit einem belle-vue im Geſicht und mit einem
mon-plaisir im Herzen (falls dieſe Wendungen
nicht mehr geſucht als ausgeſucht ſcheinen) von
Haarhaar nach Hauſe gekommen. Er ſagte
ſeiner Frau offen, was ihn bisher ſo lange
aufgehalten und bezaubert — die künftige Für¬
ſtin, die für ihn mehr als gewöhnliche Neigung
gefaſſet habe. Er warf ein volles, prahlendes
Licht auf ihren bereicherten Verſtand — weiter
lobt' er an Frauen Nichts *) —, ſo wie einen
ſchwachen Streifſchatten auf der Seinigen ihren;
und ſchätzte ſich glücklich mit der Eroberung
einer Perſon, deren feine, fortgeſetzte Koketterie
(ſagt' er,) er ſeines Orts als Muſter empfehlen
könne, und deren Neigung er, das verhehl'
er gar nicht, auf halbem Weg' erwidere,
aber[97] aber nur auf halbem, da der Herzog von
Lauzün *) ſo wahr behaupte: um die Liebe von
Prinzeſſinnen zu behalten, ſo halte man ſie nur
recht hart und kurz. Im alten Manne ſchieſſet
ſonach wie wir ſehen ganz ſpät — nicht un¬
gleich den friſchen Zähnen —, die oft Greiſe
erſt als Neunziger trieben — ein Liebhaber-
Herz unter dem Stern an; allein es iſt mehr
zu wünſchen als zu hoffen, er werde dabei ſon¬
derlich den Lächerlichen ſpielen. Denn da er
die ganze Woche das Steuerruder des Staats
entweder auf der Ruderbank, um es zu bewe¬
gen, oder auf der Schnitzbank hält, um es für
den Fürſten fein und leicht zuzuſchnitzen: ſo iſt
er Sonnabends ſo müde, daß ihn kein Virgil
und kein Gewitter bereden könnte, — und hätt'
er nicht mehr Schritte dahin als Virgils
Hexameter Füße oder Moſes Gebote — eine
Dido aus dem Sturm in die nächſte Höhle
zu begleiten. Er thuts nicht. Eben ſo frei wie
Titan III. G[98] von ſinnlicher Liebe bleibt er von ſentimentali¬
ſcher und weinerlicher, zumal da er beſorgt,
daß dieſe ihn am Ende in jene verflechte, weil
ſie wie ein Mollton eine ganz andere Tonleiter
hat rückwärts als hinaufwärtsſteigend. Das
Ironiſche und Stachliche am Mann machte
ihm wie andern Weltleuten jede Vermählung
— auch die der Seelen — am Ende ſo ſauer
als den Igeln die Stacheln die ihrige. Er
hebt alſo in Zukunft für die Fürſtin nur eine
kalte, politiſche, kokette, höfliche Liebe auf, wie
ſie wol ſelber hat und wie er braucht, um
weniger ſie als von ihr zu erobern, und zuerſt
den ganzen Fürſten. Ich verſpreche mir Welt-
Leſer, die hoffentlich keine Beleidigung für die¬
ſen in Froulays Neigung für jene finden; denn
ſobald nur einmal der Hofprediger die kopu¬
lirende Hand auf die Fürſtin gelegt, ſo hat
dieſer Haushofmeiſter gleichſam den Schnitt *)
[99] in die Pfauhenne gethan, und ſie kann dann
unangerührt abgehoben und an andern Orten
verſpeiſet werden.


Ich habe im zweiten Bande ſchon die Be¬
ſorgniß der Miniſterin mitgetheilt, daß der
Miniſter, wenn er (in dieſem) wiederkäme und
Liane nicht zu Hauſe fände, keifen würde;
aber wider Erwarten genehmigte er; ihr Ge¬
brauch des Dorfluft-Bads ſchlug recht in ſeine
Abſicht ein, ſie ins Dampfbad der Hofluft zu
treiben. Er ſagte der Mutter, es ſey ihm nicht
mißfällig, daß ſie ſich jetzt gar ausheile, da die
neue Fürſtin ſie zu ihrer Geſellſchaftsdame er¬
leſen werde auf ſein Wort. Er konnte nicht
drei Minuten einen Zepter oder ein Zepterlein
neben ſich liegen ſehen, ohne deſſen Polarität
für ſich zu probiren, und damit etwas entwe¬
der zu ziehen oder zu ſtoßen. Wie der be¬
rühmte Gottesgelehrte Spener — ein Vorfahr
des unſrigen — ſo ſchön täglich zu Gott drei¬
mal für ſeine Freunde bat: ſo findet man mit
ähnlicher Freude, daß der Hofmann bei ſeinem
Gotte, dem Fürſten, täglich ein wenig für ſeine
Freunde bittet und etwas haben will.


G 2[100]

Die Miniſterin, gegen ſeine wechſelnden
Plane nie im Entwerfen ſondern erſt im Aus¬
führen kriegend, vertrug ſich mit ſeinem neue¬
ſten leicht, weil er wenigſtens mit dem alten
der Bouverotiſchen Verlobung eher in keiner
helfenden Gemeinſchaft zu ſtehen ſchien. —


Eines Abends landete leider der fatale,
ängſtliche Lektor — der das kleinſte Viſiten¬
blatt an eine Fuldaiſche Geſchichtskarte an¬
klebte — vor ihr mit ſeinem Poſtſchiff an, und
ſtieg mit den Staats- und Reichsanzeigen von
ihren beiden Kindern unter beiden Armen —
unter jedem hatt' er eines — ans Land; und
doch warum fahr' ich über den Mann her?
Konnte ein Doppelroman, zumal im Freien
geſpielt, verborgner bleiben als ſonſt ein ein¬
facher? —


Ihr Erſtaunen kann nur mit dem größe¬
ren ihres Gemahls verglichen werden, der zu¬
fällig im dritten Zimmer ſein blechernes Ohr —
von Schropp aus Magdeburg —, um auf die
Bedienten zu horchen, eingeſchraubt hatte, und
der jetzt Manches vernahm. Doch hatte das
Doppel-Ohr von Auguſti's leiſen Hoflippen
[101] nur einzelne, lange, eigne Namen, wie Roquai¬
rol und Zeſara mit den weiten Maſchen ſeines
Nachtgarns aufgefiſcht. Kaum war der leiſe Lek¬
tor hinaus, ſo trat er mit dem Ohr in der Hand
froh ins Zimmer herein und foderte ihr einen
Bericht von den Berichten ab. Er hielt es un¬
ter ſeiner Würde, je ſeinen Argwohn — der
ſich auch in der freundlichſten und froheſten
Laune ſeine Argus-Ohren und Augen nicht zu¬
machen ließ — oder ſein Horchen nur mit einer
Sylbe oder Schamröthe zu verkleiſtern oder zu
decken; die ſchönen Lilien der ungefärbteſten
Unverſchämtheit waren ihm nicht aufgemalt,
ſondern eingebrannt. Die Miniſterin ergriff
ſogleich die weibliche Parthei, die Wahrheit zu
ſagen — zur Hälfte; nämlich die angenehme
von Roquairols gut aufgenommenen Annähe¬
rungen zum Wehrfritziſchen Hauſe, deſſen Land¬
gut und Landſchaftsdirektorat recht anpaſſend
dem Schwiegervater angegoſſen waren. Indeß
hatte dieſer in der Gattin Antlitz den Trauer¬
rand um dieſes frohe Notifikazionsſchreiben
viel zu klar und breit geſehen, um nicht nach
dem vortönenden Wort Zeſara, das ſein zart¬
[102] höriger Blech-Sucher auch mit aufgefaſſet,
obwohl vergeblich zu erkundigen; denn die
Mutter hatte ihre fromme Tochter zu lieb, um
ihr dieſen Wolf in ihr Eden nachzuhetzen; ſie
hoffte ſie daraus auf eine ſanftere Art durch
Gottesſtimme und Engel zu bringen; und um¬
gieng ſeine Frage.


Aber der Wolf rannte nun auf ſeiner Fähr¬
te weiter; er bekam Darmgicht — ſo wurde
dem Doktor Sphex geſagt — foderte von
dieſem ſchnelle Hülfe und auch einige Nachrich¬
ten von feinem Miethsmann, dem Grafen.
Herr und Madam Sphex waren ohnedies dem
aufgeblaſenen Jüngling ſo gram — durch
ihre ausgeſchickten vier Kinder, als enfans per¬
dus
in jedem Sinn als vier Gehörknochen je¬
der Stadt-Sage war viel von Blumenbühl
und Lilar auf Avisjachten heimzubringen. — —
Kurz die Gehörknochen griffen in fremde ſo
gut ein, daß Froulay in einigen Tagen im
Stande war, mit ſeiner Lilienſtirn bei der
Griechin nach einem Briefe an ſeinen Sohn zu
fragen, den er mitnehmen wolle.


Er fand einen, den er recht freudig er¬
[103] brach, ohne doch etwas von Albano's oder Lia¬
nens Hand darin zu finden, ausgenommen ei¬
nige dumme Anſpielungen Rabettens auf jenes
Paar, welche für den Miniſter ſo viel waren,
als hätt' er mit ſeinen ſcharfen Mauthners
Suchnadeln in Lianens Herz gebohrt und darin
auf das konterbande getroffen. Ohne langes,
knechtiſches Kopiren des vorigen Siegels, ſetzte
er das zweite auf den Brief und gieng erleuch¬
tet davon.


Wir können ihm alle nachfolgen, wenn
wir uns nur wenige Minuten zu ſeiner Recht¬
fertigung aufgehalten haben bei meinem
Schutz- und Stichblatt für das zweite
Briefſiegel in Staatsſachen.


Ob dem alten Froulay das Examinatorium
fremder Briefe als Miniſter oder als Vater
zuſtehe — wiewohl dieſer jenen, der Landes¬
vater jeden andern Vater und ſeinen eignen
dazu vorausſetzt — das will ich nicht entſcheiden,
auſſer durch die eben hergeſetzte Parentheſe.
Der Staat, der die Poſtpferde vor die Briefe
ſpannt, hat, ſcheint es, das Recht, dieſen nicht
ſowohl blinden als blind machenden Paſſagie¬
[104] ren genauer unter das geſchloſſene Siegel-Vi¬
ſier zu ſehen, um zu wiſſen, ob er nicht ſeinen
Feinden Pferde vorlege. Der Staat, ein immer
ziehender Lichtmagnet, will ja nur Licht in der
Sache, und beſonders Licht über alles Licht
überhaupt; er verlangt nur die Wahrheit ganz
nackt, ohne Couvert; Alles was durch ſeine
Thore reitet und fährt, ſoll nur, ſey es auch
in ein Couvert gekleidet, den rothen Mund
aufmachen und ſagen, was für Name und für
Geſchäfte. —


Da der gemeine Soldat ſeine Briefe vor¬
her ſeinem Offizier vorweiſen muß — der
Baſtillen-Garniſoniſt ſeine dem Gouverneur —
der Mönch ſeine dem Prior — der amerika¬
niſche Koloniſt ſeine dem Holländer *) (damit er
ſie verbrenne, wenn ſie über ihn klagen) —:
ſo kann wol kein Staatsmann, er mag nun
den Staat für eine Kaſerne — oder für eine
Engelsburg — oder für ein monasterium du¬
plex
— oder für eine europäiſche Beſitzung
[105] in Europa
anſehen, ihm das Recht abſpre¬
chen, ſich alle Briefe ſo offen zu erhalten wie
Fracht-, Adels-, Kauf- und Apoſtelbriefe es
ſind. Der einzige Fehler iſt bloß, daß er die
Briefe nicht eher vorbekommt als zugepicht und
zugeſperrt; das iſt unmoraliſch genug; denn
es nöthigt die Regierung, auf- und zuzuma¬
chen, — den Brief aus der Scheide zu ziehen
und in ſie zu ſtecken, wie der Koch mühſam
die Schnecke aus ihrer Schaale drehet und
dann, ſobald ſie vom Feuer weg iſt, in dieſe
wieder zurückgeſchoben aufſetzt.


Letzteres iſt der Punkt und Hauptwind,
der uns weiter zu führen hat. Denn ſo allge¬
mein es auch anerkannt, ſo wie Obſervanz ſey,
daß die Regierung aus demſelben Grunde, wor¬
aus ſie den letzten Willen öffnet, auch jeden vor¬
vorletzten, und endlich den erſten müſſe früher
entſiegeln können als der Erbe deſſelben — und
daß ein Fürſt noch viel leichter Diener-Briefe
in dieſelbe Entzifferungskanzlei (und in ihr
Vorzimmer, die Entſieglungskammer) müſſe
ziehen können, worin Fürſten- und Legaten-
Briefe aufgehen vor der Springwurzel —: ſo
[106] iſt doch das Korkziehen der Briefe — das Kop¬
pelſiegel — das Vikariatſiegel — das mühſame
Nachmachen des L. S. oder Loco Sigilli etwas
ſehr Verdrüßliches und beinahe Abſcheuliches;
aus dem Unrecht muß daher ein Recht ge¬
macht werden durch geſetzliche Wiederholung.


Etwas davon würde, hoff' ich, ſeyn, wenn
befohlen würde, die Briefe nur auf Stempel¬
papier zu ſchreiben; ein dazu eingeſetztes Schau-
und Stempelämtchen läſe dann vorher Alles
durch.


Oder man könnte die Pitſchafte, als Münz¬
ſtempel für Privatmünzen, nicht mehr zulaſſen.
Es ſchlüge ſich dann eine Siegel-Kammer mit
großen Rechten ins Mittel und verpetſchirte,
wie jetzt den Nachlaß der Verſtorbnen, als¬
dann der Lebendigen ihren.


Oder — was vielleicht vorzuziehen — eine
Brief-Zenſur müßte anfangen. Ungedruckte
Zeitungen, nouvelles à la main nämlich Briefe
können, weil ſie noch größere Geheimniſſe aus¬
tragen, nie eine größere Zenſurfreiheit fodern
als gedruckte Zeitungen genieſſen; beſonders
da jeder Brief jetzt ſo leicht ein umherrennen¬
[107] der Zirkelbrief wird. Ein Katalog verbotener
Briefe (index ex purgandarum) wäre dann für
den Korreſpondenten immer ein Wort.


Oder man vereide die Poſtmeiſter, daß ſie
treue Referendarien alles deſſen werden, was
ſie Wichtiges oder Bedenkliches in den Briefen
angetroffen, die ſie vor deren Abgang auf die
geiſtige Briefwage gelegt und mit der Hoff¬
nung wieder zugemacht, ſie nach dem Leibnizi¬
ſchen Prinzip des nichtzuunterſcheidenden Sie¬
gels weiter zu ſchicken.


Findet der Staat alle dieſe Wege, Briefe
zu leſen und zu ſchlieſſen, neu und hart: ſo mag
er auf ſeinem fortfahren, ſie aufzumachen.


Lachend flog Froulay zur Frau und be¬
theuerte, ihre Falſchheit gegen ihn ſey ihm gar
nichts Neues — ihren gegenwärtigen Plan,
bloß um dem H. v. Bouverot und ihm entge¬
gen zu arbeiten, verſteh' er ganz wohl — da¬
her habe Rabette herein, die Tochter hinaus
gemußt — inzwiſchen woll' er der Heuchlerin
und Betſchweſter und wer es ſey, zeigen, daß
ſie nicht bloß eine Mutter habe, ſondern auch
einen Vater. — „Sie muß ſogleich herein; je
[108]la feraidamer*), mais sans Vous et sans
Mr
. le Comte“, beſchloß er mit Anſpielung auf
die Hofdamenſtelle.


Aber die Miniſterin fieng — gemäß ihrer
harten Verachtung gegen ſeine Projekte und
Kräfte — mit jener Kälte, die jeden Warmen
mehr erbittert hätte als dieſen Kalten, an, ihm
zu ſagen, daß ſie Lianens und des Grafen Liebe
noch mehr mißbilligen und bekriegen müſſe als
er —daß ſie bloß im zu weit getriebenen und
ſonſt nie widerlegten Vertrauen auf Lianens
offne Seele lieber ihr als ſich geglaubt und ſie
bei ſo manchen Zeichen der Neigung Albano's,
nach Blumenbühl gelaſſen — Laß ſie aber ihm
ihr Wort hier gebe, mit gleichem Feuer gegen
den Grafen zu wirken wie gegen den deutſchen
Herrn, und daß ſie, ſo wie ſie Lianen kenne,
des ſchönſten leichten Erfolges faſt verſichert ſey.


Allerdings war ihm das unerwartet und —
[109] unglaublich, zumal nach dem vorigen Verſchwei¬
gen; nur die feinſte Männerſeele ſondert in der
weiblichen die zuſammenlaufenden Gränzen der
Selbſttäuſchung und der willkürlichen Täu¬
ſchung ab, der Schwäche und des Trugs, des
Zufalls und des Entſchluſſes; die Miniſterin
ohnehin gehörte unter die Weiber, die man
erſt lieben muß um ſie zu kennen, was ſich
ſonſt umkehret. Er akzeptirte auf der Einen
Seite gern das Bekenntniß der Beiſtimmung
und Mitwirkung — bloß um es künftig als
Waffe gegen ſie zu wenden —; konnt' aber
auf der andern ihr nicht verbergen, daß ſie
alſo wieder (ſo ſprach er ſtets) nach eignem
Geſtändniß über ihre Kinder aus Mangel an
Argwohn fehlgeſehen habe. Er behielt die Ge¬
wohnheit bei, auf eine offenherzige Seele, die
ihm ihre Lücken zeigte, durch dieſe Lücken, als
hab' er ſie ſelber gebrochen, gewaffnet einzu¬
dringen. Das Beichtkind, das vor ihm um
Vergebung knieete, drückt' er tiefer nieder,
und zog ſtatt des Löſeſchlüſſels den Hammer
des Geſetzes hervor.


Ich bin hier den Spaniern, die mich einſt
[110] aus ſchlechten Überſetzungen kennen lernen, und
der öſterreichiſchen goldnen Vlies-Ritterſchaft,
die vielleicht das Original im Nachdruck lieſet,
es ſchuldig, die Urſachen anzugeben, warum
nicht das Froulayſche Haus Freudenfeſte —
ſtatt Hoftrauer — anſagen ließ bei dieſer An¬
näherung ihres Ordensſohnes, eines ſpaniſchen
Großen, der oft einen deutſchen Fürſtenzepter
als Elle an ſich legt. — Denn jeder Spanier
muß ſich bisher darüber gewundert haben.


Ich antworte jeder Nazion. Die Frou¬
lays hatten gegen die Verbindung erſtlich Nichts
als die — Gewißheit der Trennung; da aus
demſelben Grunde, den mir die Vliesritter und
Spanier entgegengeſetzt, der alte Gaſpard de
Ceſara auf keine Weiſe eine Brücke zwiſchen
ſeinem Gotthard und der Jungfrau kann ſchla¬
gen laſſen. Zweitens konnte eben darum der
Miniſter dieſer romantiſchen Liebe eine viel äl¬
tere, weiſere, die er für den deutſchen Herrn
und deſſen Gelder und Liaisons trug, entgegen¬
ſtellen, ſo wie des Vliesritters alten Groll.
Drittens hatte die Miniſterin auſſer denſelben
Gründen — und auſſer einigen für den Lektor
[111] vielleicht — noch einen ganz entſcheidenden,
und der war: ſie konnte den Grafen nicht aus¬
ſtehen: nicht bloß allein darum, weil ſie eine
harte Ähnlichkeit zwiſchen ihm und ihrem Sohne
und ſogar Gemahle ausfand im Stolze, im
Aufbrauſen, in genialiſcher Wildheit gegen ar¬
me Eheweiber, im Mangel an religiöſer De¬
muth und Gläubigkeit, ſondern ſie konnte ihn
vorzüglich deshalb nicht gut ausſtehen, weil ſie
ihn nicht — leiden konnte. Wie das Syſtem der
Prädeſtinazion einige Menſchen zur Hölle ver¬
urtheilt, ſie mögen nachher den Himmel verdie¬
nen oder nicht: ſo nimmt eine Frau den Haß,
zu welchem ſie jemand einmal verdammte, nicht
wieder zurück, es mögen Land und Stadt,
Gott, die Jahre und der Perſon Tugenden da¬
gegen ſagen was ſie wollen.


Im Friedensſchluſſe des gewöhnlichen Zim¬
merkriegs wurden zwiſchen den Eheleuten die¬
ſe geheimen Artikel ausgemacht: der Graf
muß des Vaters und des Direktors wegen
mit höflichſter Achtung behandelt und bei Seite
geſchoben werden — und Liane ſanft und lang¬
ſam von Wehrfritzens Hauſe abgelöſet — die
[112] ganze Scheidung des Verlöbniſſes muß ohne
elterliche Einmiſchung bloß durch die abſprin¬
gende Tochter ſelber zu geſchehen ſcheinen —
und Alles ein Geheimniß bleiben. Froulay
hoffte, vor Lianens früherem Verlobten, dem teut¬
ſchen Herrn, den ganzen Zwiſchenakt geheim zu
halten, da er zumal jetzt im Auguſt mehr an
den Spieltiſchen der Bäder als zu Hauſe war.


So blieb es; und in dieſes kalte, ſchauer¬
liche Geklüft zog die freundliche Liane hinein,
als ſie an jenem lebenswarmen Sonntag das
ſeelige, offne Lilar verließ. Geläutert und ge¬
heiligt von der Freude — denn jeder Himmel
wurde ihr ein reinigendes Fegefeuer — kam
ſie edel an die Mutterbruſt, ohne den fremden
Ernſt des Empfangs zu merken vor eignem.
Ihr leichtes Geſtändniß der Gartengeſellſchaft
öffnete die harte Szene — faſt in der Kuliſſe.
Denn die Mutter, die anders anfangen woll¬
te, mußte ſogleich auf den Donnerwagen ſtei¬
gen, um gegen das unbegreifliche Vergeſſen
der weiblichen Schicklichkeit zu blitzen und zu
donnern; und doch hielt ſie die Donnerpferde
mitten im Laufe inne, um Lianen ſogleich, da der
Mi¬[113] Miniſter jede Minute kommen konnte, das
Verſchweigen der heutigen Gartengeſellſchaft
aufzulegen. Nun warf ſie den tiefſten Schlag¬
ſchatten auf ihre bisherige ſtumme Falſchheit
gegen eine Mutter; denn ſie verlegte die Säe-
und Blüthezeit dieſer Liebe eigenmächtig ſchon
in die Tage vor der Reiſe aufs Land. Wie
erſchrak die warme Seele über die Möglichkeit
einer ſolchen Liebloſigkeit! Sie führte ſo weit
ſie nur konnte die Mutter den reinen, lichten
Perlenbach ihrer Geſchichte und Liebe hinauf
und ſagte Alles, was wir wiſſen, aber ohne
ſehr zu befriedigen, weil ſie gerade die Haupt¬
ſache ausließ; denn aus Schonung gegen die
Mutter mußte ſie die erſcheinende Karoline,
die anfangs die Bilderſtürmerin ihrer Liebe
und dann die begeiſternde Muſe und Braut¬
führerin derſelben geweſen, mit dem Todten¬
ſchein der Zukunft in der Erzählung unſichtbar
bleiben laſſen. —


Sie hielt mit inbrünſtigem Druck die müt¬
terliche Hand unter immer frohern Verſicherun¬
gen, wie ſie ihr hab' immer Alles ſagen wollen;
ſie dachte hoffend, ſie brauche Nichts zu retten
Titan III. H[114] als ihr offnes Herz. O, Du haſt mehr zu
retten, Dein warmes, Dein ganzes und leben¬
diges! — Die Mutter tadelte nun ihr aus al¬
ter Gewohnheit halb glaubend, nichts weiter
als die ganze Sache, ihre Unſchicklichkeit, Un¬
möglichkeit, Tollheit. „O, gute Mutter, (ſagte
Liane bloß immer ſanft unter dem harten Ab¬
malen des künftigen Albano,) o, ſo iſt er nicht,
gewiß nicht!“ — Eben ſo ſanft ſah ſie über
das mit ſchwarzen Strichen vorgezeichnete Nein
Don Gaſpards weg, weil für ihren Glauben die
Erde nur ein im Aether hängender, blühender
Grabeshügel war: „ach, (ſagte ſie, ihre Erden-
Eile meinend,) unſere Liebe iſt ſo wichtig nicht.“
Die Mutter nahm dieſes Wort und den gan¬
zen ſanften Widerſtand für Vorſpiele des
leichten Siegs.


Jetzt gieng Albano's Schwiegervater her¬
ein, mit einer Heerpaucke, Sturmglocke, Feuer¬
trommel und Klapperſchlange im Gürtel, um
ſich damit vernehmlich zu machen. Zuerſt fragt'
er — er hatte vergeblich gehorcht — ganz er¬
boßet die Miniſterin, wohin ſie ſein Ohr ver¬
ſteckt habe — (es war das blecherne Koppelohr,
[115] worin ſich, wie in einem venezianiſchen Löwen¬
kopfe alle Geheimniſſe und Anklagen der gan¬
zen Dienerſchaft und Familie ſammleten) —
jetzt brauch' ers ein wenig, zumal ſeit den neue¬
ſten „Avanturen der frommen Tochter da!“ —
Die Siamer Ärzte fangen die Heilung eines
Patienten damit an, daß ſie ihn mit Füßen
treten, welches ſie Erweichen nennen. Auf ähn¬
liche Art erweichte Froulay gern zur moraliſchen
Vor-Kur; und begann daher ſich mit den ge¬
dachten Sprachmaſchinen im Gürtel, deutlich
zu erklären über umſchlagende Kinder — über
deren Ränke und Schliche — und über Lieb¬
ſchaften hinter Väterrücken — (ſo daß kein
Vater einen Band Liebesgedichte vorn mit der
Proſa-Vorrede begleiten kann) — verſah vie¬
les mit den ſtärkſten politiſchen Gründen, die
ſich alle auf ihn ſelber und ſeinen Nutzen be¬
zogen — und ſchloß mit einigem Verfluchen.


Liane hörte ihn ruhig und an ſolche, wie
am Gleicher täglich wiederkehrende Gewitter¬
güſſe ſchon gewohnt, ohne andere Bewegung
an, außer daß ſie oft das niederſchlagende Auge
zu, ihm bedauernd aufhob aus zärtlichem Mit¬
H 2[116] leiden mit dem väterlichen Mißvergnügen. In
der Stille wurd' er am lauteſten: „Sie ſorgen
„dafür, Madam, (ſagt' er,) daß ſie morgen
„Vormittags dem Grafen was ſie von ihm
„hat ſammt dem Abſchied ſchickt, und ihm ihr
„neues Amt als eine leichte Entſchuldigung
„notifizirt — Du wirſt Hofdame bei der re¬
„gierenden Fürſtin — ob Du gleich es nicht
„werth wareſt, daß ich für Dich arbeitete.“ —


„Das iſt hart“ rief Liane mit zerbrechen¬
dem Herzen an ihre Mutter fallend. Er glaub¬
te, ſie meine die Trennung von Albano, nicht
die von der Mutter; und fragte zornig: war¬
um? — „Vater, ich will ſo gern (ſagte ſie
und wandte nur ihr Angeſicht aus der Umar¬
mung) bei meiner Mutter ſterben!“ Er
lachte, aber die Miniſterin machte ſelber den
Flammen, die er noch wollte herausſchlagen
laſſen, die Höllenpforte zu, und verſicherte ihn,
es ſey genug, Liane werde gewiß ihren Eltern
gehorchen, und ſie ſelber wolle dafür Bürge
ſeyn. Der Geſetzprediger ſtieg ſeine Kanzel¬
treppe mit einem vernehmlichen Stoßgebet um
eine beſſere Bürgſchaft und unter dem Zurück¬
[117] rufen herab, ſein Ohr müſſe morgen her, und
ſoll' ers in allen Schränken ſelber ſuchen.


Die Mutter ſchwieg nun und ließ die
Tochter ſanft an ihrem Halſe weinen; beiden
war nach dieſer Seelen-Dürre der Trank der
Liebe Erfriſchung und Arzenei. Sie lieſſen ein¬
ander ausgeheitert aus den Armen los, aber
beide mit ganz irrenden Hoffnungen.

75. Zykel.

Ein harter, ſchwarzer Morgen! — Nur
der athmoſphäriſche drauſſen war dunkelblau,
nichts war ſtürmiſch und laut als etwan die
Bienenflüge im Lindendickigt, der Himmelsäther
ſchien über die ſteinernen Gaſſen hoch wegzu¬
flattern, um im hellen, offnen Lilar ſich tief in
alle Gipfel und Spitzen einzuſenken und blau
wie Pfauengefieder aus den Zweigen zu
ſchillern.


Liane fand auf ihrem Schreibtiſch ein Bil¬
let in Großquart gebrochen, worin der wie ein
Herz ewig arbeitende Miniſter ſchon am frü¬
hen Morgen eh' er für die einzelnen Regie¬
rungs- und Kammerräthe die zur Fruchtbarkeit
[118] nöthigen Strichgewitter aus den Akten aufge¬
zogen, auf die ſchauernde Tochter mit einem
kalten Morgenwolkenbruche niederzugehen ſuch¬
te. Im gedachten Dekretalbriefchen ſetzt' ers
auf anderthalb Bogen mehr auseinander, was
er geſtern gemeint — Scheidung auf der Stel¬
le — und bog ſechs Scheidungsgründe an, —
erſtlich ſein verſtimmtes Verhältniß mit dem
Vliesritter — zweitens ihre und des Grafen
Jugend — drittens die nahe Hofdamenſtelle
— viertens ſey ſie ſeine Tochter und dieſes das
erſte Opfer, auf welches ihr Vater für alle
ſeine bisherigen Anſpruch mache — fünftens
ſehe ſie an ſeinem nachſichtigen Ja zur Liebe
ihres Bruders, deſſen anſcheinende Beſſerung er
ihr zum Vorbilde vorhalte, daß er nur für das
Glück ſeiner Kinder lebe und ſorge — ſechstens
ſend' er ſie in die Feſtung * * * zu ſeinem
Bruder, dem Kommendanten, falls ſie wider¬
ſpenſtig ſey, um ſie zu entfernen, zu beſtrafen
und zu rechte zu bringen, und weder Weinen
noch Fußfallen, noch Mutter noch Hölle ſollen
ihn beugen; und er ſchenk' ihr drei Tage Zeit
zur Vernunft. —


[119]

Sie gab ſtumm mit naſſen Augen ihrer
bisherigen Tröſterin das ſchwere Blatt. Aber
aus dieſer wurde eine Richterin: „was willſt
Du thun?“ (ſagte die Miniſterin) — „Ich will
leiden, (ſagte Liane,) damit Er nicht leide; wie
könnt' ich ſo ſehr gegen Ihn ſündigen?“ — Die
Mutter nahm entweder im wirklichen alten
Wahne ihrer leichten Bekehrung, oder aus Ver¬
ſtellung jenen Er für den Vater und fragte:
„mich nennſt Du nicht?“ Liane erröthete über
die Vertauſchung und ſagte: „ach, ich Arme,
ich will ja nicht glücklich ſeyn, nur treu.“ —
Wie hatte ſie nicht in dieſer Nacht zwiſchen
bangen Kriegen aller ihrer innern Engel betend
gelebt und geweint! Eine ſo ſchuldloſe, von der
heiligen Freundin im Himmel eingeſegnete Lie¬
be — eine vom frühen Tode ſo ſehr abgekürz¬
te Treue — ein ſo feſter, mit hohem, fruchttra¬
gendem Gipfel gen Himmel wachſender Jüng¬
ling, den nicht einmal Geiſterſtimmen aus ſei¬
ner treuen Kindheitsliebe gegen ſie Unbedeu¬
tende ſchrecken oder locken konnten — der ewi¬
ge Unwille und Gram, den er über die erſte,
größte Lüge gegen ſein Herz empfinden würde
[120] — ihre kurze Durchgangsgerechtigkeit durchs
Leben und die nahe Wegſcheide, an der ſie
nicht Steine, ſondern Blumen auf die andern
Pilger zurückwerfen wollte — alle dieſe Ge¬
ſtalten nahmen ſie an der Einen Hand um ſie
von der Mutter wegzuziehen, die ihr mit den
Worten nachrief: ſieh wie Du undankbar von
mir gehſt und ich habe ſo lange für Dich er¬
tragen und gethan. Da zog Liane wieder aus
dem warm-dunkeln Roſenthal der Liebe in die
trockne, platte Erdfläche eines Lebens zurück,
worin ſich Nichts hebt als ihr letzter Hügel.
O, wie blickte ſie bittend zu den Sternen auf,
ob ſie ſich nicht als Augen ihrer Karoline reg¬
ten und ihr es ſagten, wie ſie ſich opfern ſoll¬
te, ob für den Geliebten oder für die Eltern;
allein, die Sterne ſtanden freundlich, kalt und
ſtill am feſten Himmel.


Aber als die Morgenſonne wieder ihr
Herz anſtrahlte, ſchlug es hoffend und von
neuem geſtärkt vom Entſchluß, für Albano heu¬
te recht viele Leiden zu erdulden, ach, ja erſt die
erſten; konnte Karoline, dachte ſie, eine Liebe
bejahen, der ich untreu ſeyn müßte? —


[121]

Kaum war ſie mit dem Morgengruß von
den Lippen der Mutter weg, ſo ſuchte dieſe,
aber ernſter als geſtern, die Wurzeln dieſes
feſten Herzens aus ſeinem fremden Boden zu
rücken durch den längern Gebrauch der geſtri¬
gen Blumenheber. Sie wurde in der verglei¬
chenden Anatomie zwiſchen Albano und Ro¬
quairol von der gleichen Stimme an bis zur
ähnlichen Taille immer ſchneidender, bis Liane
mit dem Mädchenwitz auf einmal fragte:
„aber warum darf denn mein Bruder Rabet¬
„ten lieben?“ — „quelle comparaison! (ſagte die
„Mutter) Biſt Du nichts Beſſers als Sie?“ —
„Sie thut eigentlich viel mehr als ich“ ſagte ſie
ganz aufrichtig. — „Stritteſt Du nie mit dem
wilden Zeſara?“ fragte die Mutter. — „Nie,
auſſer wenn ich Unrecht hatte,“ ſagte ſie un¬
ſchuldig.


Erſchrocken nahm die Mutter immer heller
wahr, daß ſie tiefere und ſtärkere Wurzeln als
leichte Blumen ſchlagen auszuziehen habe; ſie
ſammlete alle ihre mütterlichen Anziehungskräfte
und Hebemaſchinen auf Einen Punkt zum
Sturze der ſtillen, grünen Myrthe; ſie entdeckte
[122] ihr des Miniſters ſchwarzen Verlobungsplan mit
dem deutſchen Herrn, ihre bisherigen verſchwiege¬
nen Kriege und Seufzer darüber, ihren bisher zu¬
rückdrängenden Widerſtand und die neueſte väter¬
liche Kriegsliſt, ſie zur Feſtungsgefangnen bei ſei¬
nem Bruder zu machen und dadurch wahrſchein¬
lich den H. von Bouverot zum Feſtungsbelage¬
rer. — —


Für einige Leſer und Relikten aus dem
ſchwerfälligen, goldnen Zeitalter der Moral
wird hier die Anmerkung geſetzt und gedruckt:
daß eine beſondere kalte, nichts ſchonende, oft
grauſame und empörende Offenherzigkeit über
die nächſten Verwandten und über die zarteſten
Verhältniſſe in den höhern Ständen ſo ſehr zu
Hauſe iſt, daß auch die ſchönern Seelen —
worunter doch dieſe Mutter gehört — es gar
nicht anders wiſſen und machen.


„O, Du beſte Mutter!“ rief Liane erſchüt¬
tert, aber nicht vom Gedanken an die Klapper
und den Schlangenathem Bouverots oder an
deſſen Mordſprung nach ihrem Herzen — ſie
dachte ſo kaltblütig an ſein Verloben wie je¬
der Unſchuldige an ſein Sterben auf einem
[123] Blutgerüſte — ſondern vom Gedanken an das
lange Überbauen der mütterlichen Thränen,
der mütterlichen Liebesquellen, welche bisher
nährend tief unter ihren Blumen gefloſſen wa¬
ren; ſie warf ſich dankend zwiſchen dieſe hel¬
fenden Arme. Sie ſchloſſen ſich nicht um ſie,
weil die Miniſterin durch keine Woge und
Brandung ſchneller Aufwallungen weich und
locker auszuſpühlen war.


In dieſe Umfaſſung griff oder trat der Mini¬
ſter ein. „So!“ (ſagt' er ſchnell.) „Mein Ohr,
Madam, (fuhr er fort,) findet ſich unter den
Domeſtiken durchaus nicht wieder vor; das hab'
ich Ihnen zu ſagen.“ Denn er hatte ſich heu¬
te auf einen Geſetz-Sinai geſtellt und der an
deſſen Fuß verſammelten Dienerſchaft in die
Ohren gedonnert um ſeines zu erfragen, „weil
ich glauben muß, (hatt' er ihr geſagt,) daß
ihr mirs aus ſehr guten Gründen geſtoh¬
len habt.“ Dann war er als Hagelſchauer
wie ein Küchendampf bei windigem Wetter,
durch die einzelnen Dienerzimmer und Winkel
nach dem Ohr gezogen. — „Und Du?“ ſagt'
er halb-freundlich zu Liane. Sie küßte ſeine
[124] Fauſt, die er, wie der Pabſt den Fuß, allezeit
als den Lehn- und Lippenträger, Agenten und de
latere
Nunzius des Mundes den Küſſen ſchickte.


„Sie bleibt ungehorſam“ ſagte die ſtrenge
Frau. „So gleicht ſie Ihnen ein wenig“ ſagt'
er, weil der Mißtrauiſche die Umarmung für
eine Verſchwörung gegen ihn und ſeinen Bou¬
verot anſah. Nun barſt ſein Eis-Hekla und
flammte und floß — bald auf Tochter bald
auf Frau — erſtere ſey gar erbärmlich, ſagt'
er, und nur der Hauptmann etwas werth, den
er glücklicher Weiſe allein gebildet — errath'
Alles, hör' Alles, wenn man auch ſein Ohr¬
blech verborgen — es werde demnach, wie er
ſehe (er zeigte auf ſeinen entſiegelten Morgen¬
pſalm) zwiſchen beiden Kollegien kommunizirt
— aber Gott ſoll' ihn ſtrafen, wenn er nicht —
„Töchterchen, antwort' doch endlich!“ bat er.


„Mein Vater — (ſagte Liane, ſeit der Bou¬
verotiſchen Verbrüderung und der Mißhand¬
lung der Mutter ihr Herz mehr fühlend, das
aber nur verachten und nie haſſen konnte —)
meine Mutter hat mir heute und geſtern Alles
geſagt; aber ich habe doch Pflichten gegen den
[125] Grafen!“ Eine kühnere Lebhaftigkeit als die
Eltern ſonſt an ihr vermiſſet und gefunden
hatten, ſtrahlte unter dem aufgehobenen Auge.
„Ach, ich will ihm ja nur ſo lange treu verblei¬
ben als ich lebe“ ſagte ſie. „C'est bien peu,“
verſetzte der Miniſter, über die Keckheit erſtau¬
nend.


Liane hörte jetzt erſt ihr entflognes Wort
nach; da ergriff ſie, um die Vergangenheit und
ihre Mutter zu rechtfertigen, den ſchönen und
lächerlichen Entſchluß, den alten Herrn zu rüh¬
ren und zu bekehren durch ihre Geiſter- oder
Traumſeherei. Sie bat ihn um eine einſame
Unterredung und nachher — als ſie ſchwer ver¬
gönnet war — darin um ſein heiliges Ver¬
ſprechen, gegen die Mutter zu ſchweigen, weil
ſie fürchtete, dieſer Liebenden, die dem Ausſchla¬
gen nahe raſſelnden Uhrräder ihrer Sterbe¬
glocke zu zeigen. Der alte Herr konnte nur
mit einer komiſchen Mine — wobei er ausſah
wie einer, der in grimmiger Kälte lachen will
— hinlängliches Worthalten geloben, weil nie,
ſo viel er ſich entſinnen konnte, das Wort von
ihm, ſondern bloß oft er vom Wort gehalten
[126] wurde. In ſolchen Menſchen ſind Wort und
That dem theatraliſchen Donner und Blitze
ähnlich, welche beide, ſonſt im Himmel gleich¬
zeitig verbunden, auf der Bühne aus getrenn¬
ten Ecken und durch verſchiedne Arbeiter her¬
vorbrechen. Aber Liane ruhte nicht eher als
bis er ein wortfeſtes, offnes Geſicht — ein ge¬
maltes Fenſter — aufgetragen. Darauf fieng ſie
nach einem Fauſtkuß ihre Geiſtergeſchichte an.


Mit fortgeſetztem Ernſt, feſt zuſammenge¬
haltenen Muſkeln hörte er dem Unerhörten zu;
dann nahm er ſie, ohne ein Wort zu ſagen,
an der Hand, und führte ſie vor die Mutter
zurück, der er ſie mit einem langen Lob- und
Dankpſalm auf ihre glückliche Töchterſchule
überreichte; — „ſeine Knabenſchule mit Karl
ſey ihm wenigſtens nicht in dieſem Grade ge¬
glückt“ ſetzt' er hinzu. Zum Beweiſe theilt' er
ihr offenherzig — und alle Schmerzen Lianens
kaltblütig verarbeitend, wie der Faßbinder Zy¬
preſſenzweige zu Tonnenreifen — das Wenige
mit, was er zu verſchweigen verheiſſen, weil
er immer entweder ſich wegwarf, oder den an¬
dern, meiſtens beide. Liane ſaß hochroth, hei߬
[127] werdend, mit geſenkten Augen da, und bat
Gott um Erhaltung ihrer Kindesliebe gegen
den Vater.


Kein theilnehmendes Auge werde ferner
mit dem Eröffnen einer neuen Zeit gequält,
wo das Eis ſeiner Ironie brach und ein wü¬
thender Strom wurde, in welchen noch dazu
mütterliche Thränen des Zornes floſſen über ein
theueres Weſen und deſſen verderbliches, fieber¬
haftes Hineinträumen in den letzten Schlaf. —
Das Ziel und die Gefahr kopulirte faſt die Ehe¬
leute zum zweitenmal; wenn es glatteiſet, gehen
die Menſchen ſehr Arm in Arm. „Du haſt Nichts
nach Lilar geſchickt?“ — fragte der Vater.
„Ohne Ihre Erlaubniß, würd' ichs gewiß nicht
thun“ ſagte ſie, meinte aber ihre Briefe, nicht
Albano's ſeine. — Er benutzte den Mißverſtand
und ſagte: „Du haſt ſie ja aber“ — „Ich will
Alles gern thun und laſſen; (ſagte ſie,) aber nur
wenn der Graf einwilligt, damit ich ihm nicht
unredlich erſcheine; er hat mein heiliges Wort
auf meine Treue. „An dieſe milde Feſtigkeit,
an dieſen mit weichen Blumen überzognen Pe¬
tri Fels, ſtieß ſich der Vater am härteſten.
[128] Dazu war der Übertritt eines ſtolzen Liebha¬
bers von eignen Wünſchen zu den feindlichen,
geſetzt man hätte Lianen die Frage an den
Grafen erlaubt, ſo unmöglich auf der Einen
Seite, und das Geſuch um dieſe Veränderlich¬
keit, es mochte bewilligt oder abgeſchlagen wer¬
den, überhaupt ſo herunterſetzend auf der an¬
dern, daß die betroffne Miniſterin ſtolz auf¬
ſtand, wieder fragte: „iſt das Dein letztes Wort
an uns, Liane?“ — und als Liane weinend ant¬
wortete: „ich kann nicht anders, Gott ſey mir
gnädig!„ ſich zornig wegwandte an den Mini¬
ſter und ſagte: „thun Sie nun was Sie für
convénable halten, ich bin unſchuldig.“ —
„Nicht ſo ganz ma chere, aber gut! (ſagt' er.)
„Du bleibſt von Morgen an in Deinem Zim¬
mer bis Du Dich korrigirſt und unſers An¬
blicks würdiger biſt“ kündigte er hinausgehend
Lianen mit zwei auf ſie geworfenen Augen-
Salven an; worin meines Ermeſſens weit mehr
Reverberirfeuer — Plagegeiſter — ätzende,
freſſende Medicamente — Gehirn- und Her¬
zensbohrer verſprochen wurden als ſonſt ein
Menſch[129] Menſch gebend halten oder empfangend tra¬
gen kann.


Armes Mädchen! Dein letzter Auguſt iſt
ſehr hart und kein Erntemonatstag! — Du
ſiehſt in die Zeit hinaus, wo Dein kleiner Sarg
ſteht, an welchem ein grauſamer Engel die
ſchönen, um ihn herumlaufenden, noch friſchen
Blumenſtücke der Liebe wegwiſcht, damit er
ganz weiß, ſo roſenweiß wie Deine Seele oder
Deine letzte Geſtalt herübergetragen werde' —


Dieſes Vertreiben von der Mutter in die
Einöde ihres Kloſterzimmers war ihr eben ſo
fürchterlich, nur nicht fürchterlicher als das
Zürnen derſelben, das ſie heute erſt zum drit¬
tenmal erlebte obwohl nicht verdiente. Es
war ihr als wenn nun nach der warmen Son¬
ne, auch noch gar das helle Abendroth unter
den Horizont geſunken wäre und es wurde
dunkel und kalt in der Welt. Sie blieb dieſen
ganzen, noch eingeräumten Tag bei der Mut¬
ter; gab aber nur Antworten, blickte freundlich
an, that Alles gern und behend und hatte —
da ſie jeden zuſamenrinnenden Thautropfen
ſchnell mit dem Zwergfinger aus den Augen¬
Titan III. I[130] winkeln ſchlug als ſey es Staub, weil ſie dach¬
te, Nachts kann ich weinen genug — ſehr
trockne Augen; und das Alles, um der belaſte¬
ten Mutter nicht zu neuer Laſt zu ſeyn. Aber
dieſe, wie Mütter ſo leicht, verwechſelte die
ſcheue liebende Stille mit dem Anbruche der
Verſtockung; und als Liane in unſchuldiger Ab¬
ſicht des Troſtes ſich Karolinens Bild aus Lilar
wollte bringen laſſen, galt auch dieſe Unſchuld
für Verhärtung und wurde mit einer elterli¬
chen geſtraft und erwiedert; nämlich mit der
Erlaubniß, zu ſchicken. Nur foderte die Mi¬
niſterin die franzöſiſchen Gebete von ihr zurück,
als ſey ſie nicht werth, dieſe ihrem jetzigen
Herzen unterzulegen. Nie iſt der Menſch klei¬
ner als wenn er ſtrafen und plagen will, ohne
zu wiſſen wie.


Da jeder der regiert, er ſitze auf einem
Lehr- oder Fürſtenſtuhl, oder wie Eltern auf
beiden, dem Fußbewohner deſſelben den vori¬
gen Gehorſam, ſobald er ihn einmal aus¬
ſetzt, nicht als Milderung ſeiner Schuld an¬
ſchreibt, ſondern als Vergrößerung: ſo that
es die Miniſterin [auch] gegen ihr von jeher ſo
[131] folgſames Kind. Sie haßte ihre reine Liebe,
die wie Aether, ohne Aſche, Rauch und Kohle
brannte, um deſto mehr, und hielt ſie für Scha¬
denfeuer, oder Feuerſchaden, beſonders da ihre
eigne bisher als faſt nie mehr ein vornehmes
Kaminſtück geweſen.


Liane ſtieg zuletzt, zu ſchwer zuſammen¬
gepreſſet, da jenſeits der Wandtapete der
heitere Tag, der ſchönſte Himmel blühte,
aufs welſche Dach hinauf. Sie ſah, wie die
Menſchen vergnügt von kleinen Luſtörtern,
weil die Erde ein großer war, zurück fuhren
und ritten; auf Lilars Stauden-Pfad wandel¬
ten die Spaziergänger ſeelig-langſam heim —
auf den Gaſſen wurde laut an den Feſt-Ge¬
rüſten und Himmelswagen für die Fürſtenbraut
gezimmert und die fertigen Räder wurden
prüfend gerollt — und überall hörte man die
Übungen der jungen Muſik, die erwachſen vor
ſie treten ſollte. Aber als Liane auf ſich blickte
und hier ihr Leben allein im dunkeln Gewande
ſtehen ſah — drüben das leere Haus des Ge¬
liebten — hier das ihrige, das auch leer für
ſie geworden — dieſe Stelle, die noch an eine
J 2[132] ſchönere, ſeltnere Abblüthe als des cereus ser¬
pens
erinnerte — und o! dieſe kalte Einſamkeit,
da ihr Herz heute zum erſtenmale ohne ein
Herz lebte; denn ihr Bruder, der Choriſt ihres
kurzen Freudengeſanges war verſchickt und Ju¬
lienne ſeit einiger Zeit ihr unbegreiflich unſicht¬
bar — nein, ſie konnte die ſchöne Sonne, die
ſo hell und weiß mit ihrem hohen Abendſterne
ſich tiefer wiegte, nicht niedergehen ſehen — oder
das frohe Abendchor des langen Tages anhö¬
ren, ſondern verließ die glänzende Höhe. O,
die fremde Freude ſtirbt im unbewohnten dun¬
keln Buſen, wo ſie keine Schweſter antrifft und
wird zum Geſpenſt darin! So deutet das ſchö¬
ne Grün, dieſe Frühlingsfarbe, ſo bald es eine
Wolke mahlt, nichts an als lange Näſſe.


Da ſie bald in die Freiſtatt des Tags, das
Schlafzimmer trat, wetterleuchtete drauſſen der
Himmel; o, warum jetzt, hartes Geſchick? —
Aber hier, vor dem Stillleben der Nacht, wenn
das Leben von ihrem Flor bezogen leiſer tönt,
— hier dürfen alle ihre Thränen fließen, die
ein ſchwerer Tag gekeltert hat. — Auf dem
Kopfkiſſen, als trüg' es den längſten Schlaf,
[133] ruhet dieſes verblutete Haupt ſanfter als an
der Bruſt, die ihm ſeine Thränen zankend nach¬
zählt; und es weinet ſanft nicht über, nur
um Geliebte.


Wie gewöhnlich wollte ſie ihre mütterli¬
chen Gebete aufſchlagen; als ſie erſchrocken dar¬
an dachte, daß man ſie ihr genommen. Da
bückte ſie heißweinend auf zu Gott und berei¬
tete allein aus dem zerbrochnen Herzen ihm
ein Gebet und nur Engel haben die Worte und
die Thränen gezählt.

76. Zykel.

Der Vater hatte die Zimmer-Gefangen¬
ſchaft zum ſtrafenden Merkmal ihres Neins
gemacht. Mit hohen Schmerzen ſprach ſie die¬
ſes ſtumme Nein, indem ſie freiwillig im Zim¬
mer blieb und dem Morgenkuß der Mutter
entſagte. Sie hatte in der Nacht oft das todte
Bild ihrer rathgebenden Karoline flammend
angeblickt aber kein Urbild, kein Fieberbild
war ihr erſchienen: kann ich länger zweifeln,
ſchloß ſie daraus, daß die göttliche Erſcheinung,
die das Ja zu meiner Liebe geſprochen, etwas
[134] Höheres als mein Geſchöpf geweſen, da ich ſie
ſonſt ihrem Bilde gegenüber müßte wieder bil¬
den können?


Sie hatte Albano's blühende Briefe in ih¬
rem Pulte und ſchloß es auf, um hinüberzu¬
ſehen aus ihrer Inſel in das entrückte Mor¬
genland der wärmern Zeit; aber ſie ſchloß es
wieder zu; ſie ſchämte ſich heimlich froh zu
ſeyn, da ihre Mutter traurig war, die in die
trüben Tage nicht einmal wie ſie aus ſchönen
kam.


Froulay ließ ſie nicht lange allein, ſondern
bald rufen; aber nicht um ſie zu verhören oder
loszuſprechen, ſondern um ſie — wozu freilich eine
ungeſchminkte Stirne und Backe gehörten, de¬
ren Fibern-Garn ſo ſchwer wie ſeine mit dem
türkiſchen Roth der Scham zu färben waren —
zu ſeiner Malerſprachmeiſterin zu voziren und
ſie in die fürſtliche Gallerie mitzunehmen, um
von ihr die Erklärung dieſer Titelkupfer (für
ihn) in dieſem Privat-Stummeninſtitut ſo gut
nachzulernen, daß er im Stande wäre — ſo
bald die Fürſtin ſie beſieht — etwas Beſſers
[135] als einen Stummen bei den Schönheiten der
Bilder und der bilderdieneriſchen Regentin
vorzuſtellen. Liane mußte ihm jedes gemalte
Glied mit dem dazu gehörigen Lobe oder Ta¬
del
in ſein ernſtes Gehirn nachprägen, ſammt
dem Namen des Meiſters. Wie erfreuet und
vollſtändig gab ſie dieſe Kallypädie ihrem
brummenden Maler-Kornuten, der nicht eine
einzige dankbare Mine als Schulgeld entrich¬
tete! —


Mittags erſt fand die Tochter die erſehnte
Mutter unter den Speiſebedienten ſehr ernſt
und traurig, ſie wagte ihr nicht den Mund,
nur die Hand zu küſſen, und ſchlug das
liebeſtrömende Auge nur ſcheu und wenig zu
ihr auf. Das Diner ſchien ein Leicheneſſen.
Nur der alte Herr, der auf einem Schlachtfeld
ſeine Hochzeitmenuet getanzt und ſeinen Ge¬
burtstag gefeiert hätte, war wohlgemuth und
bei Appetit und voll Salz. War Hauskampf,
ſo ſpeiſt' er gewöhnlich en famille und holte
ſich unter beiſſenden Tiſchreden, wie gemeine
Leute im Winter und in der Theuerung, ſchär¬
fere Eßluſt. Zanken ſtärkt und befeuert ſchon
[136] an ſich, wie Phyſiker ſich bloß dadurch elektri¬
ſiren können, daß ſie etwas peitſchen. *)


Lächerlich und doch ſchmerzlich war es,
daß die arme Liane, die den ganzen Tag einen
Kerker hüten ſollte, gerade heute immer daraus
gerufen wurde; dasmal wieder in den Wagen,
der das traurige Herz und das lächelnde Ge¬
ſicht vor lauter hellen Palläſten abſetzen ſollte.
Sie mußte mit den Eltern zur Prinzeſſin ge¬
hen und ſo glücklich ausſehen wie die waren,
die ſie auf dem trüben Wege zu beneiden fan¬
den. So blutet das Herz, das nicht weit vom
Thron geboren worden, immer nur hinter
dem Vorhang und lacht bloß, wenn er auf¬
geht; ſo wie eben dieſe Vornehmen ſonſt nur
in Geheim hingerichtet wurden. Der über ſeine
Vermählung lächerlich-laute Fürſt — der von
den Spieltiſchen oder Kaperbrettern zurückge¬
kehrte Bouverot, den jetzt Liane ſeit den neue¬
ſten Nachrichten nur ſchaudernd litt — und die
[137] Prinzeſſin ſelber, die ihre bisherige Entfernung
von ihr mit den zerſtreuenden Zurüſtungen zum
Feſte entſchuldigte, und die ganz fremd auf ein¬
mal über Liebe und Männer ſpottete — alle
dieſe Menſchen und Zufälle konnten nur einer
Liane, die ſo wenig errieth, ſo viel litt und ſo
gern ertrug, nicht die unerträglichſten ſcheinen.


Ach, was war unerträglich als die eiſerne
Unveränderlichkeit dieſer Verhältniſſe, die Fe¬
ſtigkeit eines ſolchen ewigen Bergſchnees? Nicht
die Größe, ſondern die Unbeſtimmtheit des
Schmerzes, nicht der Minotaurus des Laby¬
rinths, der Kellerfroſt, die Eckfelſen und Gru¬
ben deſſelben ziehen uns darin die Bruſt zu¬
ſammen, ſondern die lange Nacht und Win¬
dung ſeines Ausgangs. Sogar unter den
Körper-Krankheiten kommen uns daher unge¬
wohnte neue, deren letzter Augenblick über un¬
ſere Weiſſagung hinausliegt, drohender und
ſchwerer vor als wiederkehrende, die als nach¬
barliche Gränzfeinde uns immer anfallen und
in der Rüſtung finden.


So ſtand die ſtumme Liane im Gewölk,
als die frohlockende Rabette mit der Bruſt voll
[138] alter Freuden und neuer Hoffnung ins Haus
lief, dieſe Schweſter des heiligen, weggeriſſenen
Menſchen, die Bundsgenoſſin ſo glänzender
Tage. Sie wurde ehrend aufgenommen und
immer von einer Ehrenwache, der Miniſterin,
begleitet, weil ſie ja eine Geſandtin des Gra¬
fen eben ſo gut ſeyn konnte als eine Wahlher¬
rin ihres Sohnes. Die Liſtige ſuchte einige ein¬
ſame Augenblicke mit Lianen durch das kühne
Betteln um deren Begleitung nach Blumen¬
bühl zu erhaſchen; die Begleitung wurde auch
zugeſtanden und ſogar der Mutter ihre dazu¬
gethan. Liane fuhr den Weg nach Blumen¬
bühl, über den noch blühenden Gottesacker ein¬
geſenkter Tage. Welcher Thränenſtrom arbei¬
tete in ihrer Bruſt herauf, da ſie von der
noch glücklichen Rabette ſchied! —


Dieſe hatte unſchuldiger Weiſe dem Hauſe
einen der größten Zankäpfel für das Abend¬
eſſen dagelaſſen, den je der Miniſter für die
Fruchtſchaale mit ſeinem Apfelpflücker ſich ge¬
holet hatte; daher ſoupirt' er wieder en fa¬
mille
. Rabetten war nämlich ein dummes
Wort über das ſonntägige Beiſammenſeyn in
[139] Lilar entfahren; „davon, (ſagte Froulay ganz
freundlich) haſt Du uns ja kein Wort merken
laſſen, Tochter.“ — „Der Mutter ſogleich!“ (ver¬
ſetzte ſie zu ſchnell), „Ich nähme auch gern Antheil
„an Deinen Luſtbarkeiten“ (ſagt' er, Grimm
verſparend). Ganz aufgeräumt ſetzte ſich die¬
ſer Flößknecht ſo vieler Thränen und abgehaue¬
ner Blüthenzweige, die er darauf hinabſchwim¬
men ließ, an die Abendtafel. Nach ſeinem
Verſtärkungsohr fragt' er zuerſt Bediente und
Familie. Darauf gieng er ins Franzöſiſche
über — wiewohl die Tellerwechsler eine grobe
Überſetzung davon für ſich, eine versio inter
linearis
auf ſeinem Geſichte fanden —, um zu
berichten, der vornehme Graf ſey dageweſen,
und habe nach Mutter und Tochter gefragt.
„Mit Recht verlangt' er Euch beide (fuhr
der moraliſche Glacier fort, der gern das
warme Eſſen kühlte) Ihr verſchweigt immer,
wie ich heute wieder hörte, gemeinſchaftlich
gegen mich; aber warum ſoll ich Euch denn
noch trauen?“ Er haßte jede Lüge von Herzen,
die er nicht ſagte; ſo hielt er ſich ernſtlich für
moraliſch, uneigennützig und ſanft bloß darum,
[140] weil er auf das Alles bei dem Andern unerbitt¬
lich drang. Mit den reichlichen Brennneſſeln
der Perſiflage — auch botaniſche kommen in kal¬
tem und ſteinigem Boden am beſten fort —
überdeckte er alle ſeine auf- und zugehenden Hum¬
merſcheeren, wie wir Bachkrebſe in Neſſeln faſſen,
und nahm zuerſt ſein weiches Kind zwiſchen
die Scheeren. Das ſanfte, ergebene Lächeln
deſſelben nahm er für Verachtung und Bosheit
— — Wie kommt dieſe Sanfte erklärlicher
Weiſe zu ſeinem Vaternamen, wenn man nicht
die alte Hypotheſe annimmt, daß Kinder ge¬
wohnlich dem am ähnlichſten werden, wornach
ſich die ſchwangere Mutter vergeblich ſehnte,
welches hier ein ſanfter Gatte war? — Dann
griff er, aber heftiger die Mutter an, um bei
ſeinem Mißtrauen ſie mit der Tochter zu ent¬
zweien, ja um vielleicht dieſe durch die mütter¬
lichen Leiden zu kindlichen Opfern und Ent¬
ſchlüſſen zu peinigen. Ganz frei erklärt' er
ſich — denn der Egoiſt trifft die meiſten Ego¬
iſten an, wie die Liebe und Liane nur Liebe
und keine Selbſtliebe — gegen den Egoiſmus
um und neben ſich und verbarg es nicht, wie
[141] ſehr er Beide immer Egoiſtinnen (wie die al¬
ten Heiden die Chriſten Atheiſten) innerlich
ſchelte.


Die Miniſterin, gewohnt mit dem Miniſter
in keiner Ehe weniger zu leben als in der der
Seelen — wie Voltaire die Freundſchaft defi¬
nirt — ſagte blos zu Lianen: Für wen leid'
ich ſo? — Ach ich weiß es, antwortete Sie de¬
müthig. Und ſo entließ er Beide voll tiefſter
Leiden und dachte nachher an ſeine Geſchäfte.


Dieſer allſeitige Jammer wurde durch et¬
was größer, was ihn hätte kleiner machen ſol¬
len. Der Miniſter ärgerte ſich, daß er täglich
den Geſchmack der Weiber mitten im Zorne
zu Rathe ziehen mußte über ſein — Äußeres.
Er wollte am Vermählungsfeſte — ſeiner Ge¬
liebten wegen — ein wahrer Paradiesvogel,
ein Paradeur, eine Venus à belles Vesses ſeyn.
Von jeher macht' er gern die Doppelrolle des
Staats- und Hofmanns und wollte, um Stolz
und Eitelkeit zuſammen zu kaufen zu einem
Diogenes-Ariſtipp verwachſen. — Aber etwas
davon war nicht Eitelkeit, ſondern der männliche
Plagegeiſt der Ordnungs- und Rechtshaberei
[142] wollte nicht aus ihm fahren. Er war im Stan¬
de, die Kleidergeißel, womit der Bediente we¬
nige Stäubchen im Staatsrocke ſitzen laſſen,
gegen die Livree ſelber in Schwung zu ſetzen;
noch gefährlicher wars — weil er zwiſchen zwei
Spiegeln ſaß, dem Friſeur und dem großen
Spiegel im Ofenſchirm —, auf ſeine eigne
Wolle den Staub recht aufzutragen; und am
ſchwerſten wurd' er vom Putze ſeiner Kinder be¬
friedigt. — Liane als Zeichnerin mußte ihm nun
jetzt die rechte Farbe eines neuen Überbalgs
vorſchlagen — Sachets oder Riechſäcke ließ er
füllen und mit dieſen die Schubſäcke — und ei¬
nen Moſchuspflanzen-Topf in ſein Fenſter ſtel¬
len, nicht weil er die Blätter zum Riechen (das
erwartete er von ſeinen Fingern) ſondern weil
er ſie zum Einölen für dieſe durch Reiben brau¬
chen wollte — Patentpomade für Fäuſte und
engliſches gepreßtes Zier-Papier auch für dieſe
(wenn ſie eine Billetdour-Feder anſetzen woll¬
ten) und andere Nippes erregten weniger Auf¬
merkſamkeit als der Schnupftabak, den er ſich
anſchaffte, aber nicht für die Naſe, ſondern für
die Lippen, um ſolche roth zu reiben. — In
[143] der That, vor mancher luſtigen Haut hätt' er ſich
ganz lächerlich gemacht, wenn ſie in Geheim ihn
aus ſeinem Souvenir die Haarzange und mit
dieſer aus ſeinen Augenbraunen da, wo der
Sattel des Lebens wie auf einem Pferde das
Haar weiß gedrückt hatte, letzteres hätte auszie¬
hen ſehen; und nur der Miniſter ſelber konnte
ernſthaft dabei ausſehen, wenn er vor dem
Spiegel die feinern Weiſen zu lächeln durchlä¬
chelte — die beſte hielt er feſt — oder wenn
er die leichtern Würfe anprobirte, womit man
ſich aufs Kanapee bringt — wie oft mußt' er
ſich werfen! — und wenn er überhaupt an ſich
arbeitete.


Zum Glück für die Mutter kam der gute
Lektor; aus der Hand dieſes alten Freundes
hatte ſie ſo oft wenn nicht eine Himmelsleiter,
doch eine Grubenleiter, um darauf aus dem Ab¬
grund zu ſteigen, genommen; hoffend brachte
ſie jetzt alle ihre Noth vor ihn. Er verſprach
einige Hülfe unter der Bedingung, mit Lianen
allein auf ihrem Zimmer zu ſprechen. Er gieng
zu ihr und erklärte zart ſeine Wiſſenſchaft und
ihre Lage.


[144]

Wie erröthete das kindliche Mädchen über
die ſcharfen Tagsſtrahlen, welche die duftende
Nachtviole ihrer Liebe trafen! Aber ihr Kind¬
heitsfreund ſprach ſanft an dieſes geſchlagne
Herz — und von ſeiner gleichen Liebe gegen
ſie und ihren Freund — von dem Temperamen¬
te des Vaters — und von der Nothwendigkeit
bedachtſamer Maaßregeln — und ſagte, die
beſte ſey es, wenn ſie ihm heilig gelobe, dem
elterlichen Wunſche, den Grafen ſtrenge zu mei¬
den, nur ſo lange nachzugeben bis er von des¬
ſen Vater, den er als Begleiter des Sohnes
längſt über das neue Verhältniß benachrichti¬
gen und fragen müſſen, das Ja oder Nein da¬
zu erhalten; ſey es ein Nein, — was er aber nicht
verbürge — ſo müſſe Albano das Räthſel lö¬
ſen; ſey es ein Ja, ſo ſteh' er ſelber für das zweite
ihrer Eltern; zugleich müſſ' er aber auf ihr fe¬
ſteſtes Schweigen gegen dieſe über ſein Anfra¬
gen, wodurch ſie ſich vielleicht kompromittirt
finden könnten, Anſpruch machen. Damit wur¬
zelte er nur noch tiefer in ihr Vertrauen ein.


Sie fragte zitternd wie lange die Antwort
verziehe. „Sechs, acht, eilf Tage nach der Ver¬
mählung[145] mählung höchſtens!“ ſagt' er rechnend. — Ja,
guter Auguſti!— „Ach, wir leiden ja Alle“ ſag¬
te ſie und ſetzte vertraulich und aus weinender
Bruſt hinzu: „es geht Ihm aber wohl?“ —
„Er iſt fleißig“ verſetzt' er.


So brachte er ſie, mit zwei Geheimniſſen
beladen und für jetzt eine Interims-Abſonde¬
rung bejahend, zur Mutter zurück; aber die¬
ſe zahlte nur dem Lektor den Lohn eines
freundlichen Blickes aus. Er verlangte indeß
— nach ſeiner Karthäuſer-Manier — keinen
andern als das gütigſte Schweigen gegen den
Miniſter über ſeine Einmiſchung, da dieſer ſein
Verdienſt dabei etwan für größer halten könnte
als es wäre.


Dem Miniſter wurde die achttägige Beſſe¬
rung und Enthaltung angeſagt. Er glaubte —
ſich Mißtrauen in die Frau vorbehaltend —
doch weiter in Feindes Land einzudringen mit
ſeinen Waffen; auch ließ er ſich die neue Friſt
und Lianens Entkerkerung mit darum gefallen,
um ſeine Tochter bei dem Vermählungsfeſt blü¬
hend und geſund als eine glänzende Pfauhenne
an ſeine Geliebte und vor ſich herzutreiben.


Titan III. K[146]

Roquairol kam jetzt von dieſer zurück; und
ſtrahlte ein Paar Wolken im Hauſe mit ſchö¬
nem, hellem Morgenrothe voll. Er überbrachte
dem Vater Nachrichten und Grüße von der Für¬
ſtin. Lianen brachte er das Echo jener geliebten
Stimme mit, die einmal zu ihrem Himmel ge¬
ſagt hatte: er werde!; ach die letzte Melodie un¬
ter den Mißtönen der uneinigen Zeit. Er er¬
rieth leicht — denn er erfuhr Wenig von der ihn
vernachläſſigenden Mutter und Nichts von der
Tochter — wie Alles ſtehe. Als er vollends Al¬
bano's Blatt an dieſe ihr am dämmernden Abend
in den Arbeitsbeutel ſchieben wollte und ſie mit
einem Ach der Liebe ſagte: „nein, es iſt wider mein
Wort — aber künftig etwann, Karl!“ —: ſo
ſah er „mit brauſendem Ingrimm ſeine Schwe¬
ſter im offnen Charons Kahn zum Tartarus al¬
ler Leiden ſchiffen“ wie er ſagte. An den Freund
dacht' er weniger als an die Schweſter. Der
freundliche, ſchmeichelnde Miniſter — er ſchenkte
zum Beweis dem Hauptmann einen Sattel von
Werth — belichtete ihm den Beſuch Rabettens
und gab Winke über Verlobung und derglei¬
chen; Karl ſagte keck: er ſchiebe all ſein Glück
[147] hinaus, ſo lange ſeine liebe Schweſter keines vor¬
ausſehe. Um den alten Herrn wieder mehr für Li¬
anen einzunehmen, führt' er ihn für das Vermäh¬
lungsfeſt auf eine romantiſche Invenzion, die
Froulay nicht ahnete, als er ſchon ganz dicht
an ihr ſtand: nämlich Idoine, (die Schweſter der
Braut,) war Lianen auffallend ähnlich. Die Für¬
ſtin liebte ſie unausſprechlich, ſahe ſie aber nur
ſelten, weil ſie ihres ſtarken, einmal zu einer
Thron-Ehe nein ſagenden Karakters wegen auf
einem von ihr ſelber gebaueten und regierten
Dorfe wohnte, höflich vom Hofe verbannt. Er
legte nun dem Vater die poetiſche Frage vor, ob
Liane nicht in der Illuminazionsnacht einige Mi¬
nuten lang im Traum-Tempel, der ganz zu
dieſem ſchönen Truge paſſe, die Fürſtin mit dem
Wiederſchein ihrer geliebten Schweſter erfreuen
könne.


Entweder machte den Miniſter die Liebe ge¬
gen die Fürſtin kühner, oder der Wunſch trunk¬
ner, Liane als Hofdame glänzend einzuführen:
genug er fand in der Idee Verſtand. Wenn
Etwas für den Separatfrieden, den er mit dem
Sohne gemacht, den Taback in die Friedens¬
K 2[148] pfeife hergab: ſo war es dieſes Rollenblatt. Er
eilte ſogleich zum Fürſten und zur Prinzeſſin
mit der Bitte um ſeine Erlaubniß und um ih¬
re Theilnahme; — darauf, als er beides hatte,
zu ſeinem Oreſt Bouverot und ſagte „il m'est ve¬
nu une idée trés singulière qui peut-être
l'est trop; cependant le prince l'a approuvée
etc
.“ — und endlich zu Lianen, um doch auch
dieſe nicht zu vergeſſen.


Der Hauptmann hatte ſchon früher ſie zu
bereden geſucht. Die Mutter war gegen dieſe
Nachſpielerei aus Selbſtbewußtſeyn und Liane
aus Demuth; eine ſolche Repräſentazion kam
dieſer eine zu große Anmaßung vor. Aber zu¬
letzt gab ſie nach, bloß weil die ſchweſterliche Liebe
der Fürſtin ihr ſo groß und unerreichbar geſchie¬
nen, gleich als pflegte ſie nicht eine ähnliche in
ihrem Herzen; ſo fand ſie immer nur das Spie¬
gelbild, nie ſich ſchön, wie der Aſtronom denſel¬
ben Abend, mit ſeinem rothen Glanze und Nacht¬
ſchatten zauberiſcher und erhabener findet, wenn
er ihn im Monde antrifft, als wenn er auf der
Erde mitten darin ſteht. Vielleicht lag noch ei¬
ne ganz dunkle Süßigkeit, nämlich eine ſchwie¬
[149] gertöchterliche, in Lianens Liebe für die Fürſten-
Braut; weil dieſe einmal des Ritter Gaſpards
ſeine hatte werden ſollen. Die Weiber achten
Verwandtſchaft mehr als wir, daher auch ihr
Ahnenſtolz immer einige Ahnen älter wird als
unſerer.


So bereitete ſie denn das gepreßte Herz zu
den leichten Spielen des glänzenden Feſtes vor,
das die künftigen Zykel gleichſam am Neujahrs¬
feſt einer neuen Jobelperiode geben.


[150]

Siebzehnte Jobelperiode.

Fürſtliche Vermählungs-Terrizion — Lilars Illu¬
minazion.


77. Zykel.

Welche allgemeine Landfreude konnte jetzt von
Einem Gränzwappen zum andern acht Tage
lang jauchzen! Denn ſo lange war die Land¬
trauer ſuſpendirt — die Glocken läuteten zu
etwas Beſſerem als zum Grabe es war wie¬
der Muſik erlaubt allen Spieluhren und Spiel¬
leuten — alle Theater wären geöffnet worden,
wäre eines da geweſen, oder der Hof verſchlos¬
ſen der beſtändig ſpielte — und man konnte
höhern Orts acht Tage ohne ſchwarzen Rand
gehen und dekretiren — — Nachher nach dem
erfriſchenden Zwiſchenakt, wo man das Or¬
[151] cheſter, Punſch und Kuchen genoß, ſollte wieder
aufgeräumter ans Weinen und Trauerſpielen
gegangen werden.


Der Fürſt ritt am Morgen der langweili¬
gen Einholungs-Wagenfahrt über die Gränze
voraus mit Bouverot und Albano; alle drei
als die einzigen im Lande unabhängigen, bei
dem Feſte nicht intereſſirten Leute. Der arme
Luigi! Ich hab' es ſchon im erſten Band des
Titans ſehr deutlich geſagt, daß der fürſtliche
Bräutigam, der heute die Decke beſchlägt, bloß
ein Landes-Vater ſeyn kann, keiner für das
Haus; unter ſeinem Fürſten-Himmel iſt wie
auf der erſten Schachfelder-Gaſſe Alles zu ma¬
chen und zu regeneriren, Offiziere, ſelber die
Schachköniginn, aber der Schach nicht. Es wä¬
re zu wünſchen — da der Umſtand das Feſt
ins Lächerliche ſchattirt —, der Bräutigam
könnte manchen ihn auslachenden alten Fami¬
lien — die es ſo oft ſelber im heraldiſchen und
mediziniſchen Sinne zugleich ſind — zur Be¬
ſchämung nur einige Dutzend von den Prinzen
um den Traualtar geſtellet zeigen, die er in
Kalabrien, Wallis, Aſturien, in der Dauphiné
[—I52—] — ganz Europa war ihm eine — ſitzen laſſen,
kurz in ſo vielen aktiven Erbländern, d. h.
in den Erbinnen, nicht Erbſchaften fremder Prin¬
zen; — könnt' er das, ſo würd' er vergnügter
in die heutigen Glückwünſche drein ſchauen,
weil ſchon einige Dutzende Erfüllungen dar¬
neben ſtänden und zuhorchten. Aber wie das
Bette des Marquis von Exeter in London, das
3000 Pfund koſtet, die Marquiſin in einen
Thron verwandeln kann: ſo muß das die Für¬
ſtin auch thun, ohne es wie dieſe rückwärts ver¬
wandeln zu können.


Ich will ihn daher auf dem heutigen Tanz¬
platz der Freude gar nicht als Bräutigam ſon¬
dern immer — ſo wie man Krone ſagt ohne ge¬
kröntes Haupt— bloß als Bräutigamsrock auf¬
ſtellen und vorführen, um ihn nicht lächerlich
zu machen. — Albano ritt mit einer Bruſt voll
Zorn, Verachtung und Bedauern neben dieſem
Opferthiere der ſchwarzen Staatskunſt her und
begriff bloß nicht, wie Luigi nicht den deutſchen
Herrn, dieſe gemiethete Art und dieſen Wurzel¬
heber ſeines Stammbäumleins, mit Einem Fer¬
ſenſtoße weit von ſich wegſchlage. Guter Jüng¬
[153] ling! ein Fürſt macht ſich leichter von Men¬
ſchen loß, die er liebt, als von ſolchen, die er
recht lange haſſet, denn ſeine Furcht iſt ſtärker
als ſeine Liebe. —


Der großherzige, nie eng- immer weitbrü¬
ſtige Jüngling fand heute in ſeiner feierlichen,
ſchmerzlichen Stimmung alles Tragiſche, Edle
und Unedle größer als es war. Er zeigte zwar
nur ein feuriges Auge und heiteres Angeſicht,
weil er zu jung und ſchamhaft war, perſönli¬
chen Schmerz prunkend auszulegen; aber un¬
ter dem Auge, das ſich nach der hohen Wetter¬
ſcheide richtete, an der heute ſein dunkles Gewöl¬
ke auseinandergehen oder zu ihm herunterkom¬
men ſollte, brannte der Tropfe. Der heutige
Abend, in den er ſo oft hineingeſehen als in ei¬
ne Hölle, und eben ſo oft als in einen Him¬
mel, ſtand jetzt als ein verworrenes Mittelding
von beiden ſo nahe, und doch hart an ihm! —
Ein Gewimmel verwandter Gefühle begleitete
ihn zu der (nach ſeiner Meinung unglücklichen)
Braut ſeines — Vaters und dieſes Fürſten.


Eine Viertels-Meile jenſeits Hohenflies
fuhr ſchon ihr — Gibbon voraus, bekannt bei
[154] allen Naturforſchern — nicht bei den Politikern
— durch die langen Arme, welche bekanntlich
dieſer Molucken-Beſitzer und Affe trägt. Wo
iſt mein Gibbon, fragte die Fürſtin gewöhnlich,
(geſetzt, daß ſie auch den engliſchen Namensvet¬
ter, den Geſchichtsſchreiber mit langen Nägeln
und kurzen Sätzen gegen die Chriſten, in der
Hand hatte,) denn ſie verlangte ihren Lang¬
arm.


Endlich kam ſie, daher geſprengt — im Fe¬
derbuſch — im Reitrock — auf dem ſchönſten
Engländer — eine große majeſtätiſche Geſtalt,
die unbekümmert um ihr, obwohl mit Verwand¬
ten befrachtetes Cour-Gefolge lieber der blau¬
en Morgenſonne hinter einem aufſteigenden
Pferd- und Schwanenhals hatte entgegen ſchau¬
en wollen. Sie gab dem Bräutigamsrock an¬
ſtändig Gruß und Kuß, aber weder gerührt,
noch verſtellt, noch verlegen, ſondern recht frei
und frank und froh, zu weit über die Lächerlich¬
keit ihres genealogiſchen Mißverhältniſſes er¬
haben, ja ſogar über jedes nothdürftige oder
gebotene. In ihrem ſonſt ſchön gebauten—mehr
[155] als ſchön gezeichneten — Geſichte war bloß ihre
Naſe es nicht, ſondern eckig geſchnitten und der
regierenden Wochentäglichkeit mehr Knochen als
Knorpel entgegenſetzend. Bei den Weibern be¬
deuten ausgezeichnete, regelloſe Naſen, z. B.
mit tiefem Wurzel-Einſchnitt, oder mit konka¬
ven oder konvexen Biegungen, oder mit Facet¬
ten am Knopfe u. ſ. w. weit mehr für das Ta¬
lent als bei den Männern; und — wenige
ausgenommen, die ich ſelber geſehen — mußte
immer die Schönheit Etwas dem Genie aufop¬
fern, obwohl nicht ſo viel als nachher das frem¬
de ihrer, wie wir Männer ſämmtlich wol lei¬
der gethan.


Der Graf wurd' ihr vom Fürſten vorge¬
ſtellt; aber ſie hatt' ihn — ob ſie gleich von
ihm gehöret und ſeinen Vater ſo lange geſehen
hatte — nicht gekannt, ſondern eher dem Bräu¬
tigamsrock ähnlich gefunden. Dem Rocke konnte
— oder ſollte — dieſe blühende Ähnlichkeit
nicht anders als ſchmeicheln. Die Ähnlichkeit
erklärt den ſchönen Antheil ganz, den ſie jetzt
an Beiden nehmen mußte, weil zu einer Ähn¬
lichkeit immer ein Paar Menſchen gehören.


[156]

Sie ſprach mit dem Sohne ohne alle Ver¬
legenheit über den, von ihr und ihrem Hofe
mit einem (Blumen-) Korbe beſchenkten Vließ-
Ritter und rühmte deſſen Kenntniſſe der Kunſt.
„Die Kunſt (ſagte ſie) macht am Ende alle
„Länder gleich und angenehm. Sobald ſie nur
„da iſt, denkt man an weiter Nichts. In Dres¬
„den in der innern Gallerie glaubt' ich recht ei¬
gentlich, ich wäre im fröhlichen Italien. Ja,
„wenn man dahin käme, würde man ſogar Ita¬
„lien vergeſſen über Alles was man da hat.“
Albano antwortete: „ich weiß, ich werde mich
„auch einmal im Moſt der Kunſt berauſchen
„und durch ſie glühen, aber für jetzt iſt ſie bloß
„ein ſchöner, blühender Weinberg für mich, des¬
„ſen Kräfte ich gewiß voraus weiß, ohne ſie
„noch zu fühlen.“ — Die Fürſtin gewann ſo
ſehr ſeine Achtung, daß er ihr, als der Fürſt ei¬
nige Schritte ferner am Fenſter die heranſchwel¬
lende Fluth des Peſtizer Gefolges beſah, die
Frage that, wie ihrem Kunſtſinn bei den deut¬
ſchen Zeremonien ihres Standes zu Muthe wer¬
de: „ſagen Sie mir, (ſagte ſie leicht,) welcher
„Stand unter uns nicht eben ſo viele hat, und
[157] „wo nicht überall Prieſter und Advokaten mit¬
„ſpielen? — Sehen Sie einmal die Hochzeiten
„der Reichsſtädter an. Die Deutſchen ſind hier
„nicht beſſer und ſchlimmer als jede Nazion, alte
„und neue, wilde und polirte. Denken Sie
„an Ludwig XIV. Der Menſch iſt einmal ſo;
„aber ich acht' ihn freilich nicht darum.“


Der Fürſt erinnerte nun an die Stunde
des Einzugs; und die Fürſtin rief zu ihrem An¬
zuge für den Einzug mehr Putzjungfern und
Putzkäſtchen zuſammen als Albano nach ihren
Worten oder wir nach ihren Naſenknorpeln —
die geiſtige Flügelknochen ſchienen — hätten er¬
warten ſollen. Ihre eiligen Leute folgten ihr
mit mehr Furchtſamkeit als Verehrung des Stan¬
des oder Werthes; und einige, die zuweilen aus
dem Putzzimmer vorbeiliefen, hatten niederge¬
ſchlagene Geſichter.


Endlich erſchien ſie wieder, aber viel ſchö¬
ner. Es muß doch dem männlichſten Weib mehr
reizende Weiblichkeit als wir denken, zugehö¬
ren, da dieſes durch den weiblichen Putz gewin¬
net, wodurch der weiblichſte Mann nur verlöh¬
re. „Der Stand (ſagte ſie zu Albano, eine
[158] „große Offenherzigkeit in Meinungen zeigend,
„die leicht mit einer eben ſo großen Verſchwie¬
„genheit in Empfindungen beſteht) drückt
„und beſchränkt eine große Seele oft weniger
„als das Geſchlecht.“ — Daß ſie ſich eine gros¬
ſe Seele nannte, mußte den Grafen frappiren,
weil er jetzt das erſte Beiſpiel — ein anderer
Mann kennt unzählige Beiſpiele — vor ſich ſah,
daß ausgezeichnete Weiber ſich geradezu und weit
mehr ſelber loben als ausgezeichnete Männer.


Man brach auf; an einer Gränz-Brücke,
zugleich wie der Buchdrucker-Hyphen das Tren¬
nungs- und Verbindungszeichen beider Fürſten¬
thümer, hielt ſchon das halbe Hohenflies zu
Wagen und Pferd, weil es nicht weiter heran¬
konnte, bevor eine umgelehnte Kröpel-Fuhre mit
Dorf-Komödianten wieder aufs vierte Rad ge¬
hoben war und der mythologiſche Hausrath,
den ſie in Händen hatten, aufgepackt. Als
aber die Fürſtin mit Gewalt auf die Brü¬
cke fuhr, verkehrten ſich plötzlich die Paſſagiere
und Auflader in Muſen, Muſengötter, Liebes¬
götter und einen hübſchen Hymen und ſetzten,
im theatraliſchen Ornat und Apparat, die um¬
[159] rungene Braut unter poetiſches Waſſer, den
Krieg der andern Götter gegen den Jungfern¬
räuber Hymen vortragend. Der Muſenſohn,
der die Sache verſifizirt hatte, agirte ſelber
mit als Muſenvater. Ich darf ſagen, daß dieſe
eigne Erfindung des Miniſters recht gut auf¬
genommen wurde ſowohl von Haarhaar als
Hohenflies.


Froulay trat geſchmückt und gepudert, als
ſtreckte er ſich auf dem Paradebette zwiſchen
Trauergueridons aus, vor ſie als Sprecher des Lan¬
des hin, das ſeinen frohen Theil an ihrer Ver¬
mählung mit dem Bräutigamsrocke zu bezeugen
wünſchte. Die Fürſtin kürzte und ſchnitt alles
Feſtlügen mit einer feinen Damens-Scheere ab.


Froulay hatt' unter andern Wagen auch ei¬
nen mit mehrern überall her verſchriebnen Trom¬
petern und Paukern mitgebracht, auf welchem
ſcherzeshalber Schoppe mit ſtand, der darum
nicht oft aus großen Aufzügen der Menſchen
wegblieb, wie er ſagte, weil die Menſchen nie
lächerlicher ausſähen als wenn ſie etwas in
Maſſa und Menge thäten. Um Salz in die
Feier zu bringen, ſtellt' er auf ſeinem Wagen
[160] die Hypotheſe auf, das Alles thue man bloß, um
die Braut aus der beſten Meinung wieder da¬
hin zu treiben wo ſie hergekommen, theils um
ihr die Vexir- und Bühnen-Ehe zu erſparen,
theils um dem Lande den neuen Hofſtaat. Ihr
Ohr ſoll nur — nahm er an, als die auf die
umſtehenden Hügel aufgefahrnen Kanonen ſich
mit ſeinem trompetenden Donnerwagen verei¬
nigten und 3 Poſtmeiſter mit funfzehn Poſtil¬
lionen dazu und darein ſtießen, welche nicht
umſonſt mit ihren beſten Hörnern und Lungen¬
flügeln aufgeſeſſen waren — ihr Ohr ſoll ſehr
gehänſelt und ſie daran durch einen ſolchen
Willkomm etwan zurückgezogen werden, daher
man ſogar leere Slaatswagen mitſchickt zum
Raſſeln, ſo wie im Anſpachiſchen der Landmann
die Hirſche bloß durch fürchterliches Schreien,
ohne Gewehr und Hund, von ſeiner Saat ver¬
trieb. *) Wie Schiffe in Nebeln durch Later¬
nen[161] nen und Trommeln, ſo wollen Staaten ſich
durch Erleuchtung und Schießen auseinander¬
halten.


Sie fährt doch wie ich ſehe weiter — ſagt
er unterwegs, wo er zuweilen ſelber den Dop¬
pellauter der Pauke in die Hände nahm mit
Nutzen — und wir müſſen Alle ſonach nach;
aber vielleicht iſt das Ohr ſchon todt und ihr
iſt nur noch am Auge beizukommen. Sehr er¬
freueten ihn in dieſer Hoffnung die ſcheckigen
Uniformen ſämmtlicher Beamten und die Feder¬
lappen der Hoflivreen, — jetzt kommt noch, weis¬
ſagt' er freudig, gar der goldflitterne Ehrenbo¬
gen mit Vaſen und Pfeiffern, durch den ſie ge¬
rade durch muß und ſcheucht man denn nicht
Spatzen mit Goldblechen und Selzerkrügen aus
Kirſchenbäumen? —


O (dacht er, als ſie durch war), wenn je¬
ner gothiſche Wütherich ſich durch den entge¬
genkommenden Bittzug des Pabſtes von dem
plündernden Einmarſch ins heilige Rom rück¬
wärts lenken laſſen: ſo ſchlägts gewiß durch,
daß ihr in der Vorſtadt die Waiſenkinder mit
ihrem Waiſenvater bittend entgegentreten —
Titan III. L[162] dann die Schulmeiſter mit ihren Pagerien —
dann die Gymnaſium und Univerſität — was
doch nur erſt Gefechte mit Vorpoſten ſind
denn das Thor iſt mit Infanterie beſetzt, der
ganze Markt mit der wehrhaften Bürgerſchaft
— die Hauptkirche wird von der Geiſtlichkeit,
das Rathaus vom Magiſtrat bewacht — alle
bereit, wenn ſie nicht umkehrt, ihr in gewiſſer
Entfernung als Schaarwachen und Obſerva¬
zionschöre nachzuziehen — und halten ſich nicht
am Schloßthore 7 Brautpaare als 7 Bitten
und Bußpſalme auf und tragen ihr auf einem
Laſterſtein von Atlas ein fatales Pereat-Kar¬
men, *)von mir ſelber verfaſſet, ein Dekret vom
19. Juny entgegen, des Effekts ganz ungewiß? —


[163]

Recht! ſagt' er, als der ganze Zug zu ei¬
ner leichtern Überſicht für die in den Schlo߬
fenſtern liegende Herrſchaft zum zweitenmale den
Schloßhof durchreiſete — die verdoppelte Do¬
ſis ſoll durchgreifen. Schoppens Hoffnungen
nahmen am wenigſten ab, als gar oben —
weil Galla war — man ſich lange verborgen
und verſchwiegen hielt und endlich der Fürſt
als Sieger, aber müde von Hofkavaliers her¬
abgebracht wurde in die Kapelle, um öffentlich
für den Zurückzug der feindlichen Macht zu
danken; ja als bald darauf auch die Braut
nachdrang, aber von Kammerherren an den Ar¬
men zurückgehalten, ſogar an der Schleppe von
ihren Hofdamen zurückgezogen: ſo konnte der
Bibliothekar leicht ohne Sorgen bleiben.


Albano's bewegte, wallende Seele ſpielte
die verworrene Hof-Welt noch wilder und un¬
förmlicher zurück als ſie war. Er hörte es, wie
die fürſtlichen Vettern, ſogar der künftige Thron-
und Stuhlfolger, dem Vetter Luigi Glück zur
Geſundheit, Vermählung und nächſten Zukunft
wünſchten, ob ſie gleich durch ihren Freund
Bouverot — ein lebendiges Sukzeſſionspulver
L 2[164] — ihm von dieſen drei Dingen hatten ſo viel
nehmen laſſen, daß ſie ihm eben ihre kaltblüti¬
ge Verwandtin als die Kronwache ihrer nahen
Thronfolge zugeben konnten. Er hörte dieſelben
Hochzeitgeſänge von allen Hof-Peſtizern, die
wie ein Muſkel, ein beſonderes Beſtreben äu¬
ßerten, ſich kurz zu machen. Er ſah, wie der
Fürſt — obwohl mit dem Gefühle, bald in ſei¬
ner Fett- oder Waſſerſucht zu erſaufen — alle
Lügen leicht und kalt und ſchadenfroh dahin¬
nahm — — O, müſſen nicht die Fürſten, dacht'
er, ſelber lügen, weil ſie ewig belogen, ſelber
ſchmeicheln lernen, weil ſie immer geſchmeichelt
werden? — Er ſelber konnte ſichs nicht abge¬
winnen, nur den kleinſten Scherf eines lügen¬
den Glückwunſches in den allgemeinen Lügen-
Fiskus zu werfen.


Die Fürſtin warf dem Grafen — ſo oft
es gieng und faſt öfter — zwei Blicke oder Wor¬
te zu; denn dieſer Blühende erinnerte unter den
Thron-Küſtenbewohnern, von denen man leich¬
ter ein Echo als eine Antwort hört, allein an
ſeinen kräftigen Vater. Der Hauptmann brach¬
te einige mal — weil er gleich allen Schwär¬
[165] mern wie die Schaben und Grillen die Wärme
liebte und das Licht floh und weil ihn alle
Menſchen von bloßem Verſtande drückten —
den Tadel zu Albano, daß die Fürſtin ihm mit
ihrem kalten witzigen Verſtande mißfalle; aber
der Graf konnte — aus Achtung für die väter¬
liche Geliebte und aus Haß gegen ihre Opfer¬
prieſter und Schächter — ein Weſen nur bedau¬
ern, das vielleicht jetzt haſſen muß, weil ſeine
größte Liebe untergieng. Wie viele edle Wei¬
ber, die es ſonſt für höher hielten, zu bewun¬
dern als bewundert zu werden, wurden kräf¬
tig, kenntnißreich beinahe groß, aber unglücklich
und kokett und kalt, weil ſie nur ein Paar Ar¬
me fanden, aber kein Herz dazu, und weil ihre
heiße hingegebne Seele kein Ebenbild antraf,
womit eine Frau gerade ein unähnliches meint,
nämlich ein höheres Bild! Der Baum mit den
erfrornen Blüthen ſteht dann im Herbſte hoch,
breit, grün und friſch und dunkel vom Laube
da, aber mit leeren Zweigen ohne Früchte.


Endlich kam man aus den ſchwülen Spei¬
ſeſälen in den friſchen Lilars-Abend ins Freie
und zur Freiheit. Halb zürnend, halb liebes¬
[166] trunken gieng Albano einer verhangnen Stun¬
de entgegen, in welcher ſo manches Räthſel und
ſein theuerſtes ſich löſen ſollte. Was ſieht der
Menſch vor ſich, wenn er endlich mit dem Fa¬
den in der Hand aus der Irrhöhle heraustritt?
Nichts als die offnen Eingänge in andere La¬
byrinthe und bloß die Wahl darunter iſt ſein
Wunſch.

78. Zykel.

Am ſchönſten Abende, als der Himmel bis
auf den Boden aller Sterne durchſichtig war,
ließ der Fürſt die müde Verſammlung, nach Lilar
fahren, um beſſer mit ſeinen beiden Unſichtbar¬
keiten, mit der Illuminazion und mit Lianens
Rolle, zu trügen. Wie ſchlug dem redlichen Alba¬
no das weiche Herz banger und ſanfter, als
er unter dem Herabrollen von der Waldbrücke
ins wartende Volksgetümmel ſich dachte: Sie
iſt auch dieſen Weg in das Lilar gegangen, das
ihr ſonſt ſo lieb geweſen. Sein ganzes Ideen¬
reich wurde ein Abendregen vor der Sonne,
deſſen Eine Hälfte vor der Sonne glänzend zit¬
tert und deſſen andere grau verſchwindet. Ach,
[167] vor Lianen hatt' es ohne Sonnenſchein gereg¬
net, als ſie heute verborgen bloß in den Tem¬
pel des Traums herüberfuhr, um nur ein
geliebtes Weſen zu ſpielen, aber keines zu ſeyn.


Noch brannte keine Lampe. Albano blickte
in jede grüne Vertiefung nach ſeinem Engel
des Lichts. Sogar der Fürſt ſelber, der die
plötzliche Peterskuppel-Entzündung noch mit
ſeinen Winken zurückhielt, ſah dem a Höfen
ſo ſeltenen Vergnügen entgegen, zweifach zu
überraſchen. Die Fürſtin hatte dem Miniſter
die Verlegenheit der Lüge oder Antwort er¬
ſpart, denn ſie hatte gar nicht nach der künfti¬
gen Hofdame Liane gefragt, gleich dieſer gan¬
zen ſtarken Weiberklaſſe gegen ihr Geſchlecht
gleichgültig, aber deſto feſter an einer Auser¬
wählten hangend. Albano erblickte im treiben¬
den, verdunkelten Getümmel ſeine Pflegeeltern
und Rabette, aber in dieſem Taumel des Bo¬
dens und der Seele konnt' er wie andere ſeine
Augen nur auf den ſelber verhangnen Vorhang
richten, hinter dem er mehr als alle Andere zu
finden und zu verlieren hatte. Doch in Ju¬
gendjahren hängt kein ſchwarzer, nur ein bun¬
[168] ter herab und an allen ihren Schmerzen ſind
noch Hoffnungen!


Das Volk wartete auf den Glanz und auf
die Muſik. Der Fürſt führte endlich ſeine
Braut dem Tempel des Traumes entgegen;
Karl, heute blind gegen, nicht für ſeine Rabet¬
te, nahm den brennenden Grafen mit. Am äus¬
ſern Tempel ließ ſich Nichts errathen, was ſei¬
nem magiſchen Namen entſprach; bloß die Fen¬
ſter giengen vom Dache dieſes Pavillons bis
auf den Boden nieder und waren ſtatt von
Rahmen und Fenſterſteinen, in Zweige und
Blätter gefaſſet. Aber als die Fürſtin durch
eine Glas-Thüre eingetreten war, ſchien ihr
der Pavillon verſchwunden; man ſtand, ſchien
es, auf einem einſamen von einigen Baumſtäm¬
men bewachten freien Platz, welchen alle Per¬
ſpektiven des Gartens durchkreuzten. Wunder¬
bar wie von ſpielenden Träumen, waren Li¬
lars Gegenden untereinandergeworfen und die
entgegengeſetzten zuſammengerückt — neben dem
Berg mit dem Donnerhäuschen ſtand der mit
dem Altare und hart neben dem Zauberwald
bäumte ſich der hohe, ſchwarze Tartarus auf —
[169] Ferne und Nähe verſchlangen ſich ineinander
— ein friſcher Regenbogen von Gartenfarben
und ein entfärbter Nebenregenbogen liefen ne¬
beneinander fort, wie im Erwachen der Schat¬
ten des Traumbilds noch ſichtbar vor der bli¬
tzenden Gegenwart entläuft. Indeß die Für¬
ſtin noch in das träumeriſche Blendwerk ver¬
ſank: *) ſo trat wie aus der Luft Liane durch
eine gläſerne Seiten-Thüre in Idoinens Lieb¬
lingsanzug, im weiſſen Kleide mit Silberblumen
und in ungeſchmücktem Haar mit einem Schlei¬
er, der nur angeſteckt an der linken Seite lang
niederfloß, wankend hervor und lispelte, als
die Fürſtin getäuſcht Idoine! ausrief, zitternd
und kaum hörbar:„je ne suis qu'un songe.“ —
**) Sie ſollte mehr ſagen und eine Blume rei¬
[170] chen; aber als die bewegte Fürſtin fortrief:
soeur cherie! und ſie heftig in die Arme ſchloß
ſo vergaß ſie Alles und weinte nur ihr Herz
an einem andern Herzen aus, weil ihr das
fremde, vergebliche Schmachten nach einer Schwe¬
ſter ſo rührend war. — Albano ſtand nahe an
der erhebenden Szene; der Verband von allen
Wunden wurd' ihm abgeriſſen und ihr Blut
floß warm aus allen nieder. O, nie war ſie
oder irgend eine Geſtalt ſo ätheriſch-ſchön, ſo
himmliſch blühend und ſo demüthig geweſen! —


Als ſie die Augen aus der Umarmung auf¬
hob, fielen ſie auf Albano's bleiches Geſicht.
Es war bleich nicht vor Krankheit ſondern vor
Bewegung, Sie fuhr zuckend zurück, umarmte
die Fürſten wieder; der bleiche Menſch hatte
ihr bewegtes Herz in Eine Thräne nach der
andern zerriſſen; aber beide grüßten ſich nicht —
und ſo fieng ihr Abend an.


Während der Täuſchung und Umarmung
waren auf einen Wink des Fürſten alle Zweige
und Thore des Gartens in einen glänzenden
Brand geſteckt— alle Waſſerwerke des Zauber¬
waldes flatterten mit goldnen Flügeln aufge¬
[171] ſchreckt hoch empor — im umgekehrten Regen
ſpielte eine weiſſe, grüne, goldne und finſtere
Welt und die Waſſer und die Flammenſtrahlen
flogen wie Silber- und Goldfaſanen muthwil¬
lig gegeneinander an. — Und der Glanz des
brennenden Edens umfieng den Tempel des
Traums und der Wiederſchein legte ſich in ſein
inneres grünes Laubwerk vergoldend.


Liane trat an der Hand der ehrenden Für¬
ſtin mit niedergeſchlagnen, verſchämten Augen
in die helle, rege Sonnenſtadt heraus, ins Ge¬
tümmel der Muſik und der frohen Zuſchauer.
Auf Albano ſchoß die ſtürmiſche Gegenwart wie
ein Strom; die entgegengeſetzten verworrenen
Rollen vor entgegengeſetzten Menſchen — der
Freudenglanz des Abends — und die nächtli¬
che Verwirrung in ſeiner Bruſt machten ſeinen
feſten Gang durch dieſen Abend ſchwer.


Die Fürſtin zog ihn bald in ihren Wirbeln
weiter; Lianen ließ ſie nicht von ſich. Der
Miniſter färbte und ſteifte mit alten Galante¬
rien den erotiſchen Sklaven auf; aber jedem
ſchien er, da die Fürſtin den Kredit nach dem
Tode des Fürſten beſtimmt, nur die Sitte der
[172] Miniſter nachzumachen, deren Geiſt gern vom
Vater und Dauphin — filioque — zugleich
ausgeht, um ſich nicht zwiſchen ſondern auf
zwei Fürſten-Stühle zu ſetzen. Sie ſchien in¬
deß ſeit ſeiner Maſchinerie mit Lianen, ihn ſtol¬
zer aufzunehmen. Hinlänglich beglückte ihn
das Glück der Tochter wie ſeinen Schwieger¬
ſohn Bouverot die Nähe derſelben genug und
das Schelmen-Paar lag tief und ganz in Blu¬
men weidend. Albano errieth weiter Nichts als
daß ſogar ein kalter Drache, ein Seelen-Uran¬
gutang die Reize dieſes Engels dunkel ſpüre.


Die Miniſterin und der Lektor theilten ſich
leicht wechſelnd in die Bewachung Lianens vor
jedem Worte — Albano's. Die Fürſtin ließ ſich
durch die funkelnden Luſtgänge, durch den in
naſſen Blitzen ſtehenden Zauberwald und zu¬
letzt an das Donnerhäuschen führen, um den
brennenden Garten aus allen Punkten in ihr
mahleriſches Auge zu nehmen; Liane und Al¬
bano begleiteten ſie durch alle Gänge ihres
welken, kahlen Arkadiens und hielten ihre zer¬
trümmerten Herzen ſtumm und feſt zuſammen.
Sie gab, treu ihrem Wort gegen die Eltern,
[173] ihm keinen wärmern Blick und Anklang wie
jedem, aber auch keinen kältern; denn ihre
Seele wollte ja nicht quälen, ſondern nur lei¬
den und gehorchen. Er machte — glaubt' er
— alle Blicke und Laute ſanft; auch rächte ſich
der edle Menſch durch keinen Schein der Kälte
oder gar einer untreuen Befreundung mit der
fürſtlichen Kron- und Herzenswerberin.


Die Fürſtin fieng an, ihm unverſtändlich
zu werden. Man kam vom Romantiſchen auf
Roman, dann auf die Frage, warum er die Ehe
nicht mahle; „weil er, (verſetzte ſie,) ohne den
„Amor nicht ſeyn kann.“ — „Und die Ehe?“ —
fragte unhöflich Albano. — „Nicht ohne einen
„Freund; (ſagte ſie,) aber Amor iſt ein Gott,
nec deus intersit nisi dignus vindice nodus
inciderit*) — —“ ſetzte ſie dazu, weil ſie La¬
tein der Dichter wegen gelernt hatte.


Bouverot ſagte den Vers gar aus, um den
Sinn doppelſinnig zu machen:
[174] „— nec quarta loqui persona laboret*)


Niemand verſtand das Letztere als der Lek¬
tor und die Fürſtin.


„Warum ſind an jenem Hauſe, (fragte ſie,)
„keine Lampen, wer wohnt da?“ Sie meinte
Speners Haus. Liane beantwortete nur das
Letztere und ſchloß das warme Bild mit den
Worten: „er lebt für die Unſterblichkeit.“ „Was
ſchreibt er?“ fragte die mißverſtehende Fürſtin;
und Liane mußte eine chriſtliche Erklärung ge¬
ben, worüber die Ungläubige lächelte. Es er¬
hob ſich ſogar für und gegen den ewigen Schlaf
ein Streit, der nicht viel weniger Zeit wegnahm
als ſie brauchten, um das Donnerhäuschen zu
umkreiſen. Die Fürſtin fieng an: „wir würden
gegen unſern täglichen Schlaf eben ſo viel,
wenn er nicht da wäre, einzuwenden wiſſen
wie gegen den ewigen.“ — „Noch mehr aber
gegen das Erwachen daraus,“ griff Albano ein
und kürzte die Religionsunruhen ab.


[175]

Die Fürſtin kam auf den ihr durch die lan¬
ge Trauer über ihren verſtorbnen Schwieger¬
vater auffallenden Spener wieder nachfragend
zurück; und Liane, des mütterliche Beifalls
gewiß, ergoß ſich in einen Strom der Rede und
Rührung — ihren Augen war einer verboten
—, der ein erhabenes Bild ihres Lehrers vor¬
übertrug. Wie erſchütterte die Erhabenheit die¬
ſer ſo weichen, zarten Seele ihren Freund! So
richten ſich im blaſſen, kleinen Mond und Abend¬
ſterne höhere Gebürge als auf der größern Er¬
de auf! — „Sie war auch einmal für dich be¬
geiſtert, aber nun nicht mehr“ ſagte Albano zu
ſich, und blieb hinter Allen zurück, weil ſeine
Seele ſchon längſt voll Schmerzen war und weil
ihm jetzt die Fürſtin zu mißfallen anfieng.


Er ſtellte ſich allein und ſah dem rauſchen¬
den, leuchtenden Waffentanze der Freude zu. Die
Kinder liefen beglänzt durch den Lärm und im
hellgrünen Laub. Die Töne ſchwebten zu Ei¬
nem Kranze ineinandergeſchlungen, hoch in
ihrem Äther über den lauten Menſchen feſt und
ſangen ihnen ihre Himmelslieder herab. Nur
in mir, ſagt' er ſich, wälzen die Töne und die
[176] Lichter den Schmerz hin und her, in niemand
weiter, in Ihr gar nicht; ſie hat für Alle das
alte erfreuende Liebesherz mitgebracht, für mich
nicht; ſie hat bisher nicht gelitten, ſie blüht ge¬
neſen. Er bedachte aber nicht, daß ja auch ſei¬
ne Kämpfe keinen Tropfen Waſſer in das dunk¬
le Roth ſeiner Jugend gegoſſen; in Lianen konn¬
ten Wunden aus ſolchen Kämpfen nur wie jene
der geritzten Aphrodite die weißen Roſen zu
rothen färben.


Aber er nahm ſich vor, ein Mann zu blei¬
ben vor ſo vielen Augen und die Entſcheidung
und Lianens Einſamkeit abzuwarten. Er wech¬
ſelte daher mit ſeinen Pflege-Verwandten aus
Blumenbühl mehrere verſtändige Worte; —
er ſagte zu Rabetten: „nicht wahr, es gefällt
Dir; —“ er ſchreckte ohne Willen den um einige
neue Geſichter aus Haarhaar ſchwebenden
Hauptmann mit der nichtsmeinenden Frage auf:
„warum läſſeſt Du meine Schweſter ſo allein?“ —


Aber ſo oft er hinüber ſah zu Lianen, die
heute in ihrem langen Schleier als die einzige
ohne ſchwere dicke Galla-Hülfe gleichſam als
eine junge, athmende, weiche Geſtalt unter ſtei¬
nernen[177] nernen angeſtrichnen Statuen gieng, ſo ver¬
ſchämt-beſchämend, wie eine Zitternadel glän¬
zend und bebend, ſo oft wälzten ſich Flammen-
Klumpen in ihm los. Die Leidenſchaft wirft
uns, wie die Epilepſie oft ihre Elenden, gerade
an gefährliche Stellen des Lebens, an Ufer und
Klüfte hin. Er lehnte den Kopf an einen
Baum ein wenig gebückt; da kam Karl aus
ſeinen Freuden-Walzern daher und fragte ihn
erſchrocken, was ihn ſo erzürne; denn das Nie¬
derbücken hatte auf ſein ſtraffes, markiges Ge¬
ſicht düſtere, wilde Schatten geworfen; „nichts“
ſagt' er und das Geſicht leuchtete mild, da ers
emporhob. Jetzt kam auch die unbedachtſame
Rabette, und wollte ihn in die Freude ziehen
und ſagte: „Dir fehlt was!“ — „Du,“ verſetzt'
er und ſah ſie ſehr zornig an.


„Geh in den finſtern Eichenhain an Gas¬
pards Felſen! (rief ſein Herz,) Dein Vater
beugte ſich nie; ſey ſein Sohn!“ Er ſchritt durch
die Glanz-Welt darauf hin; aber als er in¬
nen in der Finſterniß mit dem Kopfe am Fel¬
ſen lehnte und die Töne neckend hereinſpielten
und er ſich dachte, wie er eine ſo edle Seele
Titan III. M[178] geliebet hätte, o wie ſehr; ſo war es als ſag'
etwas in ihm, „jetzt haſt Du Deinen erſten
Schmerz
auf der Welt!“


Wie bei dem Erdbeben Thüren ſpringen und
Glocken ſchlagen: ſo riß bei dem Gedanken: er¬
ſter Schmerz, ſeine Seele auseinander und har¬
te Thränen ſchlugen nieder. Aber er wunderte
ſich, daß er ſich weinen hörte und trocknete
erzürnt das Geſicht am kalten Mooſe ab.


Schwächer, nicht härter trat er in das zau¬
beriſche mit glimmenden Edelſteinen beworfene
Land heraus und unter die trunkener entgegen¬
hüpfenden Töne, die die Seele wegreißen und
aufheben und auf Höhen ſtellen wollten, damit
ſie in weite Frühlinge des Lebens hinunter¬
ſchauete! Hier auf dieſem ſonſt ſeeligen Boden
ſah er die zerriſſene, zertretene Perlenſchnur ſei¬
ner künftigen Tage liegen. „O, wie wir an die¬
ſem Abende hätten ſeelig ſeyn können“ dacht' er
und ſah ins helle Laubhüttenfeſt, in das ver¬
goldete aber lebendige Laubwerk — in den grü¬
nen umherirrenden Widerſchein, vom Nacht¬
winde gewiegt — und in das Lauffeuer bren¬
[179] nender Gebüſche in den fließenden Waſſern —
auf den bogigen Triumphthoren ſtanden Lichter
wie herabgezogne Himmelswagen — und hin¬
ter ihm die ſchwarze Kloſtermauer des Tarta¬
rus, der erhaben in ſeinen Gipfeln nur einzelne
Lichtchen zeigte — und drüben die ſtillen, ſchla¬
fenden Berge in der Nacht und hier das laute
Leben der Menſchen, mit den Nachtſchmetter¬
lingen um die Lampen ſpielend! —


So erſchaft ſich in uns das Feuer ſelber
den Sturmwind, der es noch höher jagt. Ne¬
ben ihm liefen die Töne und ſagten ihm jeden
Gedanken, den er tödten wollte. Wie der
Menſch ſich ſelber ſieht, ſo hört er ſich ſelber
oft vor dem Tone.


Jetzt gieng Liane in einiger Ferne von
der Menge mit Auguſti. „Ich will mit ihr re¬
den, ſo iſts aus.“ ſagt' er zu ſich. Als er ne¬
ben ihr kämpfend und ringend gieng: merkt'
er wohl, daß ſie wieder unter fremde Zuhörer
zurückwollte. „Liane, was hab' ich Dir denn
gethan?“ ſagte er mit dem Seelentone eines
zärtlichen Herzens, bitter des Lektors Gegen¬
wart und Kräfte verachtend. „Verlangen Sie
M 2[180] nur heute keine Antwort, lieber Graf“ ſagte ſie
zurückkehrend und nahm eilig Auguſti's Arm;
aber er merkte nicht, daß ſie es that, um nicht
zu ſinken. Hier warf er auf dieſen einen Flam¬
menblick, hoffend, beleidigt und dann gerächt
zu werden — verließ ſie haſtig und ſtumm —
den ſüßeſten Liebes-Wein hatte ein heiſſer
Strahl zu Eſſig geſchärft — und er verlief ſich
ohn' es zu wiſſen, in den Traum-Tempel.


Er gieng darin auf und ab, murmelte je
ne suis qu'un songe
; wurde aber bald vom
Haſſe der mitlaufenden Spiegel-Ichs hinaus¬
getrieben in den Tartarus, und von dem nach¬
fliegenden ewigen Frühling der Töne, der ihm
jetzt neben dem umhergeackerten Blumenbeete
des Lebens ſo unerträglich war.


Im Tartarus fand er alle Anſtalten des
Schreckens ſehr kleinlich und lächerlich. Da ka¬
men ihm unweit des Katakombenganges Ro¬
quairol und Rabette entgegen. Roquairols
flammendes Geſicht erloſch und Rabetten ihres
kehrte ſich rückwärts, da Albano heftig gegen
ſie hinſchritt und durch die Erinnerung gleichzei¬
tiger Himmel mehr erbittert und durch das An¬
[181] wehen in ſeine glühenden Ruinen aufflammend,
den Hauptmann anpackte: „Biſt Du ein Freund?
— Biſt Du kein Teufel? — — Du haſt mich
auf dieſen Abend verwieſen; nie, nie red' ein
Wort mehr von ihm!“ — Beide zitterten be¬
ſtürzt und entfärbt; Albano ſchrieb das Er¬
bleichen und Abwenden, ohne weiter nachzuden¬
ken, ihrem Antheile an ſeiner Marter zu. Wel¬
che verwirrende, feindſeelige Nacht!


Er ſchweifte immer weiter, ihn peinigte
das nachleckende Freudenfeuer der Töne un¬
ſäglich — lügende entgegenflatternde Tropikvögel
der ſchönern wärmern Zone waren ſie ihm —
„Ich will ja bloß in mein Bette, ſobald es nur
ſtill wird drinnen!“ — Er war eine halbe Mei¬
le weit, als das Lilarſche Tönen ihm noch im¬
mer nachzog; er drückte grimmig die Ohren
zu, aber Lilar ſpielte darin noch fort — da
merkte er, daß er nur ſich höre. Aber immer
war ihm als müßte ſich das luſtige Geklingle
wie im Don Juan, auflöſen in das Zetergetöne
vor Geiſtern.


Fürchterlich ſpitz lief ihm die Allee der künf¬
tigen Tage zu, da er nun aus ihnen den Mond
[182] ſeines Himmels der ſchon über ſein kindiſches
Herz und über die Blumenbühler Pfade ge¬
leuchtet, herausriß. Der blühende, hüpfende
Genius ſeiner Vergangenheit ſchlich ungeſehen,
den Freudenkranz bloß in der Hand, hinter ihm
weg, indeß er mit dem vor ihm gehenden
ſchwarzen Engel der Zukunft kämpfte, der ihm
nachſchleppte durch brauſende Waldungen —
durch ſchläfrige Dörfer — durch naſſe, trie¬
fende Thäler. — Endlich ſah Albano gen Him¬
mel unter die ewigen, unzähligen Sterne, zu
dem hängenden Blüthen-Garten Gottes: „ich
ſchäme mich vor Euch nicht, ſagt' er, weil ich
auf dieſer Kugel weine und gepreſſet bin vor
Eurer Unermeßlichkeit — droben ſteht Ihr alle
weit auseinander — und auf allen großen Welten
hat jeder arme Geiſt doch nur eine kleine Stel¬
le unter ſeinen Füßen, wo er glücklich oder
elend wird. — Iſt nur dieſe Nacht vorbei und
ich ins Bette: morgen bin ich gewiß ein Mann
und feſt!“


Plötzlich hört' er mehrmals einen faſt er¬
bitterten Klage-Schrei. Endlich erblickt' er ne¬
ben einem Fluſſe ausgeſtreckte weiße Ärmel oder
[183] Arme; er gieng an die weibliche Geſtalt: „ich
bin leider Gottes blind, ſagte ſie; ich war auch
mit bei der Illuminazion und bin irre gelau¬
fen — ich kenne ſonſt Weg und Steg, drüben
liegt unſer Dorf, ich höre den Hirtenhund —
aber ich kann den Steg übers Waſſer nicht
finden.“ Es war die erwachſene Blinde von
der Sennenhütte. „Gehts noch luſtig da zu?“
fragt' er unter dem Führen. „Alles aus“ ſag¬
te ſie. Am Roſana-Stege ließ ſie ſich aus Ei¬
telkeit nicht weiter zurechtweiſen.


Er kehrte durch die ſchönen ſchon vom Mor¬
gen thauenden Gebüſche auf eine Höhe vor Lilar
— Alles war ſtill drunten — wenige zerſtreuete
Lampen flackerten im Flötenthal, und noch am
Tartarus das Paar wie Todes-Tygeraugen —
er gieng in das leere Land hinunter über das
ſtumme, platte Grab hinweg — ſeinen finſtern,
ſinkend-ſteigenden Höhlengang hinauf — und
in ſein Bette hinein. „Morgen!“ ſagt' er kräf¬
tig und meinte ſeine Standhaftigkeit. —


[184]

Achtzehnte Jobelperiode.

Gaſpards Brief — die Blumenbühler Kirche — die
Sonnen- und Seelenfinſterniß.


79. Zykel.

Wenn in der vorigen Nacht ein feindſeeliger
fremder Geiſt die Menſchen hinter Augenbin¬
den hart widereinander und auseinander jag¬
te: ſo wird er am Morgen darauf, wenn er
auf einer kalten Wolke ſein Schlachtfeld mit
funkelnden Augen überblickte, faſt gelächelt ha¬
ben über alle die Freuden und Ernten, die rings
um ihn darniederliegen.


In Blumenbühl drückt Rabette in einſa¬
men Ecken gewaltſam ihre Hände mit zittern¬
den Armen ineinander und haucht die Kalk¬
wand an, um die Thränen-Röthe wegzuwa¬
[185] ſchen. — Aus Lilar kommt düſter Albano, blickt
die Erde, ſtatt der Menſchen an und auf der
Sternwarte begierig den Himmel und ſucht kei¬
nen Freund — Roquairol treibt Pferde und
Reiter zuſammen und macht ſich auſſer Lands
einen luſtigen, trunknen Abend — Auguſti ſchüt¬
telt den Kopf über Briefe aus Spanien und
ſinnt verdrüßlich aber tief nach — Liane lehnt
in einem Schlafſeſſel, zerknickt mit dem gegen
die Schulter fallenden Angeſicht, worauf Nichts
mehr blüht als die Unſchuld — der Vater
ſchreitet rothbraun auf und ab, ſie antwortet
nur ſchwach, indem ſie die gefalteten Hände
von Zeit zu Zeit ein Wenig hebt — — Vor
dem Nachtgeiſt auf der Wolke geht die Men¬
ſchen-Zeit ſchnell, als ein dahinfliegendes Flü¬
gel-Paar ohne Schnabel und Schweif; der
Geiſt hat die ferne Woche neben ſich, wo Al¬
bano Nachts auf der Sternwarte ſieht, daß in
der Blumenbühler Kirche ein Altarlicht brennt,
daß Liane darin mit aufgehobnen Händen
knieet und daß ein alter Mann die ſeinigen auf
ihre heitere, glänzende Stirn auflegt, die ſich
mit thränenloſen Augen gen Himmel richtet.


[186]

Der Geiſt ſieht tiefer in die Monate hin¬
ab, vor Luſt kreiſet er ſich um ſich und grinzet
über alle umliegenden Wohn- und Luſtörter der
Menſchen; oft lacht er um alle ſeine offnen
Höllenzähne herum, nur zuweilen knirſcht er ſie
bedeckt unter dem Lippenfleiſch. . .


Seht weg — denn auch das ſieht und will
es — und tretet herab von dem winterlichen
Geſpenſt unter die warmen Menſchen und auf
die feſte Wirklichkeit, wo die fliegende Zeit wie
die fliegende Erde auf ruhenden Wurzeln zu
liegen und wo nur die Ewigkeit wie die Son¬
ne zu kommen ſcheint.


Albano's Wunde, die ſeinen ganzen innern
Menſchen durchſchnitt, könnt ihr am beſten am
Verbande meſſen, den er um ſie zu bringen
ſuchte. Aus dem Troſte und Selbſt-Truge wird
unſer Schmerz errathen. Am Morgen ließ er
die Schmerzen durcheinanderreden und lag
ſtill vor ihrem Leichengeſchrei als die Leiche; dann
ſtand er auf und ſagte ſo zu ſich:“ nur eines
von beiden iſt möglich, entweder ſie iſt mir noch
getreu und nur die Eltern zwingen ſie jetzt —
dann muß man dieſe wieder bezwingen und da
[187] iſt gar Nichts zu jammern — oder ſie iſt mir,
aus irgend einer Schwäche etwan gegen die
wüthigen und geliebten Eltern nicht mehr treu,
oder aus Kälte gegen mich, oder aus Religio¬
ſität, Irrthum und ſo weiter: dann ſeh' ich (fuhr
er fort und ſuchte die beiden Füße tiefer und fe¬
ſter in den Boden einzutreten, ohne doch einen
Widerhalt zu haben) weiter Nichts zu thun als
Nichts, nicht ein plärrender Säugling, ein äch¬
zender Siechling, ſondern ein eiſerner Mann zu
ſeyn — nicht blutig zu weinen über ein vergang¬
nes Herz, über die tiefe Todesaſche auf allen
Feldern und Pflanzungen meiner Jugend und
über meinen ungeheuern — Schmerz.“ So be¬
thört' er ſich und hielt das Bedürfniß des Tro¬
ſtes für die Gegenwart deſſelben.


Jeden Abend beſuchte er die Sternwarte
außer der Stadt auf der Blumenbühler Höhe.
Er fand den alten, einſamen, magern, ewig
rechnenden weib- und kinderloſen Sternwärtel
immer freundlich und unbefangen wie ein Kind,
nichts fragend nach Kriegszeitungen, Mode¬
journalen und Poeſieen; und nirgends für ſein
Vergnügen Geld ausgebend auſſer auf der Poſt
[188] an Bode und Zach. Aber funkelnd blickte das
alte Auge unter den ſparſamen Augenbraunen
in den Himmel und poetiſch erhob ſich ihm
Herz und Zunge, wenn er von der höchſten irr¬
diſchen Stelle, dem lichten Himmel über der
ſchwarzen, tiefen Erde, ſprach — von dem un¬
überſehlichen Welt-Meer ohne Ufer, worein der
Geiſt, der vergeblich überfliegen will, ermüdet
ſinke und deſſen Ebbe und Fluth nur der Un¬
endliche ſehe unten an ſeinem Throne — und
von der Hoffnung auf den Sternenhimmel nach
dem Tode, den dann keine Erdſcheibe wie jetzt
durchſchneide ſondern der ſich um ſich ſelber oh¬
ne Anfang und Ende wölbe.


Wenn Sokrates den ſtolzen Alzibiades durch
die Erdkarte verkleinerte: ſo muß, wenn die
Himmelskarte dieſe ſelber vernichtet, unſer Stolz
und Schmerz auf ihr noch mehr erröthen. Al¬
bano ſchämte ſich, an ſich zu denken, wenn er
aufſah in die ungeheuere aufſteigende Nacht
über ihm, worin Tage und Morgenröthen ſte¬
hen und ziehen. — Er erhob ſich und ſeinen
Lehrer, wenn er davon ſprach, wie jetzt droben
in der Unermeßlichkeit Frühlinge und Paradie¬
[189] ſe junger Welten und donnernde Sonnen und
zuſammenbrennende Erden durcheinanderflie¬
gen und wir ſtehen hier unten als Taube un¬
ter dem erhabnen Orkan und der brauſende
Gewitterguß zeigt ſich uns in dieſer Ferne nur
als ein ſtiller, ſtehender weißer Regenbogen auf
der Nacht. —


So oft Albano's großes Auge vom Him¬
mel kam, fand es die Erde heller und leichter.
Endlich aber kam die Nacht, die der feindſeelige
Geiſt ſchon ſo lange erlebt. Es war ſchon
ſehr ſpät und der Himmel ganz heiter, die Ne¬
belflecken drangen ſich als höhere Martkflecken
näher heran, der Himmel ſchien mehr weiß als
blau, Albano dachte an die verborgne Gelieb¬
te, die neben ihm den Himmel und ihn noch
mehr heiligen würde durch ihr Herz voll unauf¬
hörlicher Gebete: als er plötzlich durch das nie¬
derſinkende Sternrohr in der Blumenbühler
Kirche Licht erblickte — die Fürſtengruft offen
— Lianen am Altare knieend mit aufgehobnen
Händen — und einen alten Mann neben ihr,
ſie gleichſam einſegnend — — Fürchterlich ſtan¬
den die Kerzenflammen und Lianens Geſicht
[190] und Arme nach der Tiefe umgeſtürzt, weil das
Sternrohr Alles umgekehrt erſcheinen ließ.


Albano bat ſchaudernd den Aſtronomen,
dahin zu ſchauen. Auch dieſer ſah die Erſchei¬
nungen, ihm aber namenloſe. „Es ſind wohl
Leute in der Kirche“ ſagt' er gleichgültig. Aber
Albano ſtürzte hinab — kaum konnt' ihm der
verwunderte Aſtronom die Einladung auf die
morgendliche totale Sonnenfinſterniß nachrufen
— und rannte auf Blumenbühl zu. Wie ſich
ſein Herz unter dem Rennen und am meiſten
in Vertiefungen, worin er die erleuchtete Kir¬
che verlohr, abarbeitete, das bleibt verhüllt, weil
es ſich ihm ſelber verhüllte unter ſeinem Sturm.
Endlich ſah er die weiße Kirche vor ſich, aber
die Kirchenfenſter waren ohne alles Licht. Er
klopfte hart an die eiſerne Kirch-Thüre und
rief: „aufgemacht!“ er hörte nur den Nachhall in
der leeren Kirche und nichts weiter.


So gieng er mit der ſtürmenden Vergan¬
genheit in ſeiner Bruſt durch die ſchlafende
Nacht zurück — die Erde war ihm eine Gei¬
ſterinſel, die Geiſterinſeln waren ihm Erden —
[191] ſein Weſen, ſeine Stadt Gottes brannte ab,
fühlt' er.


Sie lag am Morgen noch in völliger Gluth,
als der Lektor zu ihm kam und ihm die unbe¬
greifliche Bitte von Lianen brachte, daß ſie ihn
gegen die Mittagszeit allein in Lilar zu ſpre¬
chen wünſche. Er wurde dieſesmal nicht gegen
den verdächtigen Boten erzürnt und ſagte voll
Verwunderung „Ja.“ Mit welchen kühnen, aben¬
theuerlichen Formen ſteigt unſer Lebens-Ge¬
wölke den Himmel hinan, eh' es verſchwindet! —

80. Zykel.

Laſſet uns zu Lianen gehen, wo die Räth¬
ſel wohnen! — Am Morgen nach der erleuch¬
teten Nacht fühlte ſie erſt die grauſame An¬
ſpannung nach, womit ſie ihren Eltern das
Verſprechen des Schweigens gehalten; mit auf¬
gelöſeten Kräften ſank ſie darnieder, aber auch
mit feuriger erneueter Treue. „Womit (ſagte
„ſie ſich immerfort,) hatt' es denn dieſer edle
„Menſch verdient, daß ich ihm ſeinen ganzen
„Abend voll Schmerzen machte? — Wie oft
[192] „ſah er mich bittend und richtend an! — O,
„hätt' ich Dein ſchönes Haupt halten dürfen da
„Du es ſchwer an die rauhe Fichten-Rinde
„lehnteſt!“ — Was ſie in der ſchweren Mit¬
ternacht am wehmüthigſten gemacht, war ſein
ſtummes Verſchwinden geweſen; wie oft hatte
ſie nach ſeinem auſſen mit Lampen erleuchte¬
ten Donnerhäuschen hinaufgeſehen, wo innen
nur Finſterniß am Fenſter lag! Jetzt fühlte
ſie wie nah' er ihrer Seele wohne; und ſie
weinte den ganzen Morgen über die Nacht und
der Strahl der Liebe ſtach ſie immer heißer, ſo
wie Brennſpiegel die Sonne ſtärker vor uns
legen wenn ſie gerade nach Regen niederblickt.
Die Mutter wurd' ihr heute für das opfernde
worthaltende Geſtern durch zurückkommende, ver¬
trauende Liebe dankbar; — obwohl der Vater
mit Nichts; da man bei ihm ſo wenig wie bei den
ältern Lutheranern durch gute Werke ſeelig wurde,
ſondern nur durch den Mangel derſelben ver¬
dammt — aber eben jetzt, wo die Eltern aus
der Nacht die neueſten Hoffnungen der Entſa¬
gung geſchöpfet hatten, konnte die Tochter kei¬
ner einzigen ſchmeicheln.


Wie[193]

Wie oft dachte ſie an Gaſpards Brief! —
Iſt er ein abgedrückter Pfeil, der mit der Wun¬
de an der Gift-Spitze, auf dem langſamen Weg
von Spanien nach Deutſchland iſt, oder das
freundliche Licht eines nie geſehenen Fixſternes,
das erſt auf der weiten Bahn zu uns herunter¬
geht? —


Auguſti hatte aber den Brief ſchon vor der
Illuminazionsnacht erhalten, allein nur Urſa¬
chen gefunden, ihn nicht zu übergeben. Hier
iſt er:


„Ich muß Ihre Ängſtlichkeit ſehr ſchätzen,
„ohne ſie anzunehmen. Albano's Liebe für das
„F. v. Fr., an dem ich ſchon ſonſt ſo zu ſagen
„eine gewiſſe Virtuoſität in der Tugend recht
„gern bemerkte, ſtellet uns und ihn gegen den
„Einfluß der Geiſter-Maſchinerie und gegen
„anderweitige Verbindungen ſicher, die für ſei¬
„ne Studien und ſein warmes Blut wohl be¬
„denklicher wären. Nur muß man dergleichen
„Jugend-Spiele ihrem eignen Gange überlas¬
„ſen. Hält er an ihr zu feſt: ſo mag er zuſe¬
„hen wie ſich die Sache entwickelt. Warum
„ſollen wir ihm dieſe Freude noch verkürzen, da
Titan III. N[194] „Sie mir ohnehin leider die Kränklichkeit des
„ſchönen Weſens klagen? Im Spätherbſte ſeh'
„ich ihn. Seine kräftige, brave Natur wird
„wohl zu entrathen wiſſen. Verſichern Sie das
„Froulayſche Haus meiner beſten Geſinnun¬
„gen.“ G. d. C.


Der Lektor hätte gern dieſes Papier in die
Papiermühle geworfen, da ſo wenig daran
„oſtenſible“ war. Zwar Gaſpards mörderiſch
geſchliffne Ironie über Lianens Kränklichkeit
blieb, wenn er ihr das Schreiben zeigte, für die¬
ſe argloſe Friedensfürſtin in der Scheide; —
auch der Nordwind des Egoismus, der das Blatt
durchſtach, wurde von der Liebenden, da er
doch für Albano's frohe Lebensfahrt ein gün¬
ſtiger Seitenwind war, nicht gefühlt oder ge¬
achtet; — aber eben darum; denn ſie konnte
Gaſpards verdecktes Nein für ein Ja anſehen
und ſich gerade in das Seil tödtlich verwirren,
woran der Freund ſie aus ihrem ſteilen Abgrund
ziehen wollen.


Indeß der Brief mußte übergeben werden
— aber er thats mit langen, ſcheuen Weigerun¬
gen, die ihr gleichſam den Schleier von dem
[195] bedeckten Nein wegziehen ſollten. Sie las ihn
furchtſam, lächelte weinend bei der mörderi¬
ſchen Ironie und ſagte ſanft: ja wohl! — Der
Lektor hatte ſchon eine halbe Hoffnung im Au¬
ge. — „Wenn der Ritter (ſagte ſie,) ſo denkt,
„darf ichs denn weniger? Nein, guter Albano,
„nun bleib' ich Dir treu! Mein Leben iſt ſo
„kurz, darum ſey es ihm ſo lange erfreulich und
„gewidmet als ich vermag.“


Sie dankte dem Lektor ſo warm und froh
für den Pfeil aus Spanien, daß dieſer unfä¬
hig war, hart genug zu ſeyn, um deſſen ſchwarz
vergiftetes Ende in das ſchöne Herz zu ſtoßen.
Sie bat ihn, zu ſeiner Schonung nicht bei ihrer
feſten Erklärung gegen ihren Vater zu ſeyn,
lieber höchſtens zu ihrer und der mütterlichen
die ihrige gegen die Mutter zu übernehmen.
Er willigte blos in — beides, ſtatt in eines.


Die ſanfte Geſtalt trat ruhig vor ihren Va¬
ter hin und brachte, vor keinem Blitz und Don¬
ner zuſammenfahrend, ihre Erklärung zu Ende,
daß ſie ihre gemißbilligte Liebe hart bereue, daß
ſie alle Strafen tragen, und Alles opfern, Alles
hier und bei der Fürſtin thun und laſſen wolle
N 2[196] wie „cher père“ fodern würde, daß ſie aber
länger nicht den ſchuldloſen Grafen v. Zeſara
beleidigen dürfe durch den Schein des pflicht¬
widrigſten Abfalls. Auf dieſe Anrede konnte
der Miniſter — der ſich durch das bisherige
folgſame Enthalten ſehr von labenden Erwartun¬
gen hatte heben laſſen — unten auf dem Boden
ausgeſtreckt, von ſeinem tarpejiſchen Felſen da¬
hin geworfen, keinen weitern Laut von ſich geben
als dieſen: „Imbécille! Du heirathest den H. v. Bou¬
verot — er malt Dich morgen —Du ſitzeſt ihm.“
Er zog ſie mit harter Hand und drei entſetz¬
lich langen Schritten zur Miniſterin: „ſie bleibt
„(ſagt' er,) in ihrem Zimmer bewacht, niemand
„darf zu ihr auſſer mein Schwiegerſohn, — er
will die Imbecille mahlen en miniature.“ —
„Geh, Imbécille!“ ſagte er auſſer ſich. Ihr gänz¬
licher Mangel an weiblicher Verſchlagenheit
hatte wirklich für den Staatsmann eine Decke
über ihr tiefes, ſcharfes Auge gezogen; ein ge¬
rader Menſch und Verſtand gleicht einer gera¬
den Allee, die nur halb ſo groß erſcheint als
eine auf krummen Wegen laufende.


Der Lektor, der nie für einen beſondern
[197] Liebhaber ehelicher Luſttreffen wollte angeſehen
ſeyn, hatte ſich ſchon fortgemacht. Der dreiſſig¬
jährige Krieg der Gatten — nur wenige Jahre
fehlten daran — gewann Leben und Zufuhr.
Der alte Ehemann verbreitete über ſein Geſicht
jenes zuckende Lächeln, das bei einigen Men¬
ſchen der Zuckung des Korkholzes ähnlicht, wel¬
che das Anbeiſſen des Fiſches anſagt. Er frag¬
te, ob er nun wohl Unrecht gehabt, weder der
Tochter noch der Mutter — die er beide eines
partheigängeriſchen Einverſtändniſſes gegen ihn
beſchuldigte — zu trauen; und verſicherte nun,
nach ſolchen Proben wären ihm weder ſtrenge¬
re Maaßregeln zu verargen noch ein gerades
Losgehen auf ſein Ziel und mit dem Sitzen,
um das ihn der deutſche Herr ſchon zweimal
gebeten, höb' er an. Die Miniſterin ſchwieg
zu Lianens Strafe über ein ſo übergroßes Ge¬
ſchenk an Bouverot wie ein Miniaturbild iſt.


Die zarte Tochter, gedrängt und zerquetſcht
zwiſchen ſteinernen, zuſchreitenden Statuen, ſtell¬
le der Mutter vor, ſie ſey unmöglich im Stan¬
de, ein ſo langes männliches Anblicken auszu¬
halten, und am wenigſten von H. v. Bouve¬
[198] rot, deſſen Blicke oft wie Stiche in ihre Seele
führen. Hierauf antwortete und retorquirte
in der Mutter-Namen der Vater dadurch, daß
er einen Seſſel an den Sekretair hinzog und
auf der Stelle den deutſchen Herrn auf Mor¬
gen einlud zum Malen. Dann wurde Liane
mit einem Worte fortgeſchickt, das ſogar aus
dieſer weichen Blume den Blitz eines kurzen
Haſſes zog.


Das Reichsfriedensprotokol lag jetzt vor
beiden Gatten aufgeſchlagen; und es fehlte
blos an jemand, der diktirte, als die Mini¬
ſterin aufſtand und ſagte: „Sie ſollen mich
mehr achten lernen.“


Sie ließ anſpannen und fuhr zum Hof¬
prediger Spener. Sie kannte Lianens Achtung
für ihn und ſeine Allmacht über ihr frommes
Gemüth. Sogar ihr ſelber imponirt' er noch.
Aus jener frühern theologiſchen Zeit, wo noch
der lutheriſche Beichtvater näher an dem ka¬
tholiſchen regierte, hatt' er durch die Kraft und
Großmuth ſeines Karakters einen Hirtenſtab,
der vom Biſchofsſtabe ſich blos im beſſern Hol¬
ze unterſchied, herübergebracht. Sie mußt' ihm
[199] Lianens Verhältniſſe zweimal erzählen; der feu¬
rige, erzürnte Greis konnte eine Liebe gar nicht
faſſen und glauben, die ſich ſogar vor ſeinen
alten Augen ſollte fortgeſponnen haben ohne
ſein Wiſſen. „Ihro Excellenz (antwortete er end¬
„lich,) haben freilich gefehlet, daß Sie mir dieſe
„importante Begebenheit erſt heute mittheilen.
„Wie leicht würd' ich Alles durch Gotteshülfe
„zu einem geſegneten Ausgang geleitet haben!
„Es iſt aber Nichts verlohren. Senden Ihro
„Excellenz das Fräulein noch dieſe Nacht zu
„mir, aber allein, ohne Sie; das muß geſche¬
„hen; dann ſteh' ich für das Übrige!“


Einwendungen und Bedenklichkeiten wür¬
den blos den Ehrgeiz und Zorn des Greiſes —
welche Beide unter dem Eis ſeiner Haare fort
arbeiteten — entzündet haben; ſie ſagte ihm al¬
ſo vertrauend Alles zu mit jenem Gehorſam,
den ſie auch auf Lianen vererbet hatte.


Recht hoffend nahm Liane den Befehl der
Nachtreiſe zum guten, frommen Vater auf. Sie
fuhr bloß mit ihrem ergebenen Mädchen ab.
Mit tiefbewegter Seele erſchien ſie vor ihrem
Beichtvater. Sie eröfnete ſich ihm wie einem
[200] Gott; er entſchied eben ſo. Welch ein Anblick
für ein anderes, weniger ſtolzes Auge als das
Spenerſche wäre dieſe demüthige, aber gefaßte
Heilige geweſen, deren Herz immer wie der Son¬
nenſtrahl, am ſchönſten in der Zerſpaltung er¬
ſchien! —


Aber hier geht die Geſchichte in Schleiern!
Der Greis befahl ihrem Mädchen zurückzublei¬
ben und nahm ſie allein in das ſtumme Blu¬
menbühl hinüber. Er ſchloß ihr die Kirche auf,
zündete noch eine Kerze auf dem Altare an,
damit das wüſte Dunkel ihrem ſcheuen Auge
nichts vorſpiele, und vollendete, was die Eltern
nicht konnten.


Wie er es erzwang, daß ſie auf ewig ih¬
rem Albano entſagte, wird von der großen
Sphinx des Eides, den ſie ihm ſchwur, bewacht
und bedeckt. — Nur der ferne Menſch, der
die ſchöne Seele verlohr, hatte auf der Stern¬
warte von den Sennen auf die hellen Kirchen¬
fenſter geblickt, und hinter ihnen zerrüttende
Erſcheinungen gefunden, ohne zu wiſſen daß ſie
wahr wären und ſein Leben entſchieden.


Sie gieng kalt über die Auen und Berge
[201] der alten Tage die geleuchtet hatten wieder in
die Wohnung des Greiſes zurück, der ſie mit
größerer Ehrerbietung entließ als er ſie aufge¬
nommen. Auf dem Nachtweg war ſie ſtumm
und in ſich geſenkt gegen ihr Mädchen. Die
Eltern erwarteten ſie noch, die Mutter blickte
bang' in die Nacht und in die Zukunft. End¬
lich rollte der lebendige Wagen in den Hof.
Groß und mächtig wie eine unſchuldig Hinge¬
richtete wieder vor dem Zergliederer auflebt und,
ihn für den höhern Richter achtend, entfeſſelt
und freudig ſpricht, ſo trat ſie vor die Eltern;
wie der kalte Marmor einer Göttergeſtalt, ſtand
ſie bleich, thränenlos, kalt und ruhig da. Sie
wußte und wollt' es nicht, aber ſie gieng hoch
über das Leben, ſogar über die kindliche Liebe
— ſie konnte die Mutter nicht ſo inbrünſtig
küſſen wie ſonſt — ſie ſtellte ſich unerſchrocken
vor den polternden Vater und ſagte dann oh¬
ne Thräne, ohne Bewegung, ohne Röthe und
mit ſanfter Stimme: „Ich habe heute vor Gott
„meiner Liebe entſagt. Der fromme Vater hat
„mich überzeugt.“ — „Und hatte der Mann
beſſere Gründe dazu in petto als ich?“ ſagte
[202] Froulay. — „Ja, (ſagte ſie,) aber ich habe im
„Tempel geſchworen zu ſchweigen, bis Alles die
„Zeit entdeckt. — Nun bitt' ich Sie nur bei dem
„Allgerechten, mir es zu erlauben, daß ich Ihm
„ſeine Briefe perſönlich wiedergebe und ihm es
„ſage, daß ich aufhöre die Seinige zu ſeyn, aber
„nicht aus Wankelmuth, ſondern aus Pflicht;
„— das bitt' ich, liebe Eltern. — Dann wallte
„Gott weiter und ich werde Ihnen in Nichts
„mehr ungehorſam ſeyn.“


Der elende Vater durch dieſen Sieg auf¬
geblähter, wollte ihr noch die letzte Bitte des
ſterbenden Herzens ſauer machen und ließ ſo¬
gar Argwohn über die Abſicht der Zuſammen¬
kunft blicken; aber die Mutter, in ihrer ſchö¬
nen Seele von der ſchönſten ergriffen, trat eif¬
rig und verachtend dazwiſchen und bejahte es
eigenmächtig. Auch ſchien Liane das Vater-
Nein wenig zu bemerken. Als er fort war, riß
die Mutter die ſtille Geſtalt ſeelig-weinend an
ſich; aber Liane weinte doch nicht ſo leicht an
ihr, wie ſonſt, aus Liebe, es ſey, daß ihr Herz
zu erhaben ſtand oder daß es eben ſo langſam
in die alte Lage wiederkam, als es aus ihr
[203] wich. „Habe Dank, Tochter, (ſagte die Mutter,)
ich werde Dir nun das Leben froher machen.“
— „Es war froh genug. Ich ſollte ſterben; dar¬
„um mußt' ich lieben“ ſagte ſie. — So gieng
ſie lächelnd in die Arme des Schlafes mit hart¬
klopfendem Herzen. Aber im Traume kam es
ihr vor, ſie ſinke ohnmächtig dahin, verliere die
Mutter und ringe ſich aus dem fliegenden To¬
de bange wieder auf und weine dann froh, daß
ſie wieder lebe. Darüber erwachte ſie, und die
frohen durch den Traum ſanft abgelöſeten
Tropfen floſſen aus den offnen Augen fort
und erweichten wie Thauwind das ſtarre
Leben. —


Ihr großen oder ſeeligen Geiſter über uns!
Wenn der Menſch hier unter den armen Wol¬
ken des Lebens ſein Glück wegwirft, weil er es
kleiner achtet als ſein Herz: dann iſt er ſo ſee¬
lig und ſo groß wie Ihr. Und wir ſind Alle
einer heiligern Erde werth, weil uns der An¬
blick des Opfers erhebt, und nicht niederdrückt
und weil wir glühende Thränen vergießen,
nicht aus Mitleiden, ſondern aus der innerſten,
heiligſten Liebe und Freude. —

[204]

81. Zykel.

Warm und glänzend trat die Sonne, die
heute wie die Unglückliche verfinſtert werden
ſollte, ihren Morgen an. Liane erwachte zum
Begräbniß-Tage ihrer Liebe nicht mit der ge¬
ſtrigen Stärke, ſondern weich und matt aber
heiterer durch die Ausſicht in die Wiederkehr
der friedlichen Zeit. Die Mutter, obwohl ſel¬
ber kränklich, drückte ſie ſchon frühe an ihr Herz,
um den Puls des theuerſten zu prüfen. — Lia¬
ne blickt' ihr liebreich und ſehnſüchtig recht lange
mit naſſem Auge ins naſſe und ſchwieg: „Was
willſt Du?“ — fragte die Mutter. — „Mut¬
ter, liebe mich jetzt mehr, da ich allein bin;“ ſag¬
te ſie. Dann band ſie vor der Mutter alle
Briefe Albano's zuſammen, ohne ſie zu leſen,
den ausgenommen, worin er ihren Bruder um
ſeine Liebe bittet. Sie ſcherzte gegen die Mut¬
ter, wie das Schickſal es mit uns wie arme
Eltern mit ihren Kindern machte, die ihnen an¬
fangs helle, bunte Gewänder angäben, weil die¬
ſe leichter in dunkle umzufärben wären.


Die Mutter ſuchte allmählig ihre Geiſter¬
phantaſien, gleichſam das Todes-Moos, das
[205] an ihrem jungen, grünen Leben ſauge, von ihr
abzunehmen: „Du ſiehſt, (ſagte ſie,) wie Dein En¬
„gel irren kann, da er Deine Liebe billigte, die
„Du nun mißbilligſt.“ Aber ſie hatte eine Ant¬
wort: „nein, der fromme Vater ſagte, ſie ſey
recht geweſen bis da er mir das Geheimniß
ſagte und die Bibel ſage, man müſſe Alles ver¬
laſſen der Liebe wegen.“ — So ſteigt denn die¬
ſes arme Geſchöpf, wie man vom Paradiesvo¬
gel ſagt, ſo lange im Himmel gerade empor,
bis es todt herunterfällt.


Sie zeigte der Mutter faſt eine fieberhafte
Heiterkeit, einen Sonnenſchein am letzten Tage
des Jahres. Sie ſagte, wie es ſie erquicke, daß
ſie nun mit ihrer lieben Mutter von ihren vo¬
rigen ſchönen Tagen frei reden dürfe — ſie mal¬
te ihr Albano's glühendes, großes Herz und
wie er die Opfer verdiene, und die „Perlen¬
ſtunden“ die ſie zuſammengelebt. „Im Grunde
„iſt (ſagte ſie heiter aber ſo daß dem Zuhörer
[„]Thränen ankamen,) ja nichts davon vorbei,
„Erinnerungen dauern länger als Gegenwart,
„wie ich Blüthen viele Jahre konſerviret habe,
„aber keine Früchte.“ Ja, es giebt zarte weib¬
[206] liche Seelen, die ſich nur in den Blüthen des
Weingartens der Freude berauſchen, wie ande¬
re erſt in den Beeren des Weinbergs. Des Lek¬
tors Billet kam an mit der Nachricht, daß Al¬
bano ſie in Lilar erwarte.


Jetzt da die Stunde der Zuſammenkunft
ſo dicht anrückte, wurd' ihr immer banger; „wenn
„ich ihn nur überreden kann, (ſagte ſie,) daß ich
„als ein rechtſchaffenes Mädchen gehandelt ha¬
„be.“ Ehe ſie ihr Morgenzimmer gegen den
Trauerwagen vertauſchte, legte ſie darin Alles
zum Zeichnen zurecht, wenn ſie wiederkäme; ſie
habe, ſagte ſie, einen ſehr böſen Traum gehabt,
aber ſie hoffe, er treffe nicht ein.


Sie ſtieg mit ihrem Arbeitskörbchen worin
die Briefe lagen, am Arme, in den Wagen, den
man aufmachen mußte, weil ſeine ſchwüle Luft
ſie drückte. Aber die Schwüle athmete ihr Geiſt,
und alles Schöne, was ihr begegnete, würd'
ihr heute zur betäubenden Giftblume. Sie fa߬
te und drückte furchtſam immer die Hand der
Mutter, weil ſie jeder Schrei, jede ſchnell vor¬
überlaufende Geſtalt, wie ein Sturmvogel rau¬
ſchend überflatterte; ein Ausrufer ſchnitt mit
[207] ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten
nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und
ſein Diener mit dem Krankenkelch für den
Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬
gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie
mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und
beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬
ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten.


Der Himmel war blau und doch merkten
beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange
dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬
ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über
die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren,
wo an allen Zweigen die alten Brautkleider
einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬
te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬
„tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“ *)
„Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“
ſagte die Mutter. — „Überall hin — in den Traum¬
tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf
den Thoren,“ ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige
ſey mit Dir, und ſprich nicht lange“ ſagte die
[208] weinende Mutter, als ſie von ihr in den Tem¬
pel gieng, in deſſen Spiegeln ſie der Trennung
der unſchuldigen Menſchen zuſchauen konnte.


Albano kam langſam oben in den Gängen
daher, er hatte ſein Auge von Thränen rein
gemacht und ſein Herz von Stürmen. O, wie
hatt' er bisher wie ein lang umhergetriebner
Seefahrer in ſeine dunklen Wolken hineingeſe¬
hen um zwiſchen ihren Nebelſpitzen die Berg¬
ſpitze eines feſten grünen Landes auszufinden!
— daß er heute ſo viel, nämlich Alles verlieren
ſollte, ſo weit waren ſeine traurigſten Schlüſſe
nicht gegangen; ja er bewahrte ſo viel Ruhe,
daß er oben den kleinen nachtanzenden Pollux
nicht bedrohend ſondern beſchenkend zurück¬
ſchaffte.


Endlich ſtand er mit zuckenden Lippen vor
der geliebten ſchönen Geſtalt, die kindlich, bleich,
zitternd und das Arbeitskörbchen bewachend
ihn ein wenig anblickte und dann mit ihren nie¬
derfallenden Augen kämpfte. Da ſchmolz ſein
Herz; die Fluth der alten Liebe rauſchte hoch
in ſein Leben zurück. „Liane, (ſagt' er im ſanfte¬
ſten Ton und ſeine Augen tropften,) biſt Du noch
meine[209] meine Liane? Ich bin noch wie ſonſt; und
Du haſt Dich auch nicht verändert?“ — Aber ſie
konnte nicht Nein ſagen. In die Pulsader ih¬
res Lebens wurde geſchnitten und Thränen
ſprangen auf ſtatt Blut. Seine gute Geſtalt,
ſeine bekannte Bruder-Stimme ſtanden wie¬
der ſo nahe an ihr und ſeine Hand hielt
ihre wieder und doch war Alles vorbei, ein heis¬
ſer Sonnenblick ſtreifte über ihr voriges, blu¬
miges Gartenleben und zeigt' es wehmüthig
erleuchtet, aber es lag fern von ihr. „Laß
„uns (fuhr er fort,) jetzt ſtark ſeyn in dieſem ſon¬
„derbaren Wiederſehen — ſage mir recht kurz
„Alles, warum Du bisher ſo ſchwiegeſt und ſo
„thateſt — ich habe Nichts zu ſagen — dann
„ſey Alles vergeſſen.“ — Er hatte unbewußt ih¬
re Hand erhoben, aber die Hand drückte ſich
nieder und zitterte dabei. „Zitterſt Du oder
ich?“ — ſagt' er. „Ich, Albano, (ſagte ſie,)
„aber nicht aus Schuld; ich bin treu, o Gott,
„ich bin treu bis in den Tod.“ — Er ſah ſie
irrend an: „Ihnen, Ihnen bin ichs, aber
„Alles iſt vorbei“ rief ſie verwirrt und verwir¬
rend. „Nein — (ſetzte ſie gebietend dazu, als er
Titan III. O[210] zufällig mit ihr aus der Perſpektive des Traum-
Tempels gehen wollte —) „nein, meine Mutter
„will uns ſehen, dort aus dem Traumtempel.“


Er wurde roth über die mütterliche Wache,
ſein Auge blitzte in ihres wider das „Ihnen“
und die heiſſen Blicke wollten aus ihrem be¬
wegten Geſicht das aufhaltende Räthſel ziehen.
Die Noth gebot Kraft; ſie fieng an.


„Hier — (ſtammelte ſie und konnte zitternd
das Körbchen kaum aufbringen —) Ihre Briefe
an mich!“ Er nahm ſie ſanft. „Ich hab' Ih¬
„nen entſagt, (fuhr ſie fort,) meine Eltern ſind
„nicht Schuld wenn ſie gleich unſere Liebe nicht
„wollten — ein Geheimniß betrift bloß Sie
„und ihr Glück — das hat mich bezwungen,
„daß ich von Ihnen ſchied und von jeder Freu¬
de.“ — — „Ihre Briefe wollen Sie auch“
— — ſagt' er. „Meine Eltern — —“ ſagte
ſie. „Das Geheimniß über mich“ — — ſagt'
er. — „Ein Schwur bindet mich“ — ſagte ſie.
— „Heute Nachts in der Kirche zu Blumenbühl
vor dem Prieſter“ — fragt' er. Sie deckte ih¬
re Hand auf die Augen und nickte langſam.


[211]

„O Gott!“ (rief er laut weinend.) — „Das
„iſts mit dem Leben und der Freude und aller
„Treue? — ſo? — Wie habt ihr gelogen (er
„ſah ſeine Briefe an) von ewiger Treue und
„Liebe. — Wen habt ihr denn gemeint, ihr
„hölliſchen Lügner?“ Er warf ſie weg. Liane
wollte ſie aufheben, er trat ſtark darauf und
ſah die Erſchrockene bitter an; — nun gerieth er
in Sturm und goß wie ein Schöpfrad unter dem
Gieſſen ſchöpfend ſeine brauſende, leidende Bruſt
aus und hörte grauſam gar nicht auf mit den
Gemälden ſeiner Liebe, ihrer Schwäche, ihrer
Kälte, ſeines Schmerzes, ihrer vorigen Eide und
ihres jetzigen meineidigen über ſein geheimni߬
volles Glück, das er ja nicht wolle. Ihr Schwei¬
gen trieb ihn wilder um. Ihre ſchnelles hefti¬
ges Athmen hört' er nicht.


„Quäle Dich nicht. Es iſt nun Alles un¬
möglich“ antwortete ſie bittend. „O, (ſagt' er
„zornig,) die Änderung will ich nicht wieder än¬
„dern; denn der Lektor und der Pfaffe würden
„wieder das ändern!“ Er gerieth nun in die
männliche Verſtockung und Herzens-Starrſucht;
O 2[212] der Strom der Liebe hieng als ein gefrorner
zackiger Waſſerfall über den Felſen.


„Ich dachte nicht, daß Du ſo hart wäreſt“
ſagte ſie und lächelte fremd. „Noch härter bin
ich, (ſagt' er) — ich rede wie Du handelſt.“ —
„Hör' auf, hör' auf, Albano — es wird mir
„ſo finſter — o, zu meiner Mutter will ich gleich“
rief ſie plötzlich; die zwei alten, ſchwarzen Spin¬
nen, vom Schickſal herabgelaſſen, ſtanden wie¬
der über ihren ſchönen Augen und überzogen
ſie, ämſig-ſpinnend, immer dichter; und über
die goldnen Streifen des Lebens wuchs ſchon
grauer Schimmel her.


„Es iſt die Sonnenfinſterniß“ ſagt' er, das
Erblinden der matt glänzenden Sichel des Son¬
nenviertels zuſchreibend. Er ſah oben im blau¬
en Himmel den Mond-Klumpen wie einen Lei¬
chenſtein in die reine Sonne geworfen — nicht
einmal recht ſchattige, ſondern entnervte Schat¬
ten lebten im ungewiſſen grauen, Lichte — die
Vögel flatterten ſcheu umher— kalte Schauder
ſpielten wie Geiſter der Mittagsſtunde im klei¬
nen, matten Scheine, der weder Sonnen- noch
[213] Mondlicht war. Dunkel, dunkel lag dem Jüng¬
ling das Leben vor, im langen ſchwarzmar¬
mornen Säulengang der Jahre ſchritten die
Schmerzen als Pantherthiere heran und wurden
hell gefleckt unter den weglaufenden Sonnenbli¬
cken der Vergangenheit.


„Das paſſet ja recht für heute, (fuhr er
„fort,) eine ſolche ſchnelle Nacht ohne Abendrö¬
„the — Lilar muß heute zugedeckt werden —
„blick hinauf zum Mond, wie er ſich ſchwarz
„über die Sonne gewälzt hat, ſonſt war er auch
„unſer Freund — O, mach' es noch finſterer,
„ganz Nacht!“ —


„Albano ſchone, ich bin unſchuldig und ich
„bin blind — wo iſt der Tempel und die Mut¬
„ter?“ rief ſie jammernd; die Spinnen hatten
die naſſen Augen voll Thränen zugewebt.


„Bei dem Teufel; es iſt die Sonnenfinſter¬
niß“ ſagt' er, und ſchauete in das blind herum¬
irrende bange Geſicht und errieth Alles; aber
er konnte nicht weinen, er konnte nicht tröſten.
Der ſchwarze Tyger des grauſamſten Schmer¬
zes hieng an ſeine Bruſt geklammert und er
[214] trug ihn fort. „Nein, nein, (ſagte Liane,) ich
bin blind und bin auch unſchuldig.“


Der frohe, beſchenkte Pollux hatte einen bet¬
telnden Stummen nachgeführt, der mit der läu¬
tenden Stummenglocke folgte: „der ſtumme
Mann kann nur nichts ſagen“ ſagte Pollux. —
Liane rief: „Mutter, Mutter! Mein Traum
kommt, das Todtenglöcklein läutet.“


Die Miniſterin ſtürzte heraus. „Ihre Toch¬
„ter, (ſagte Albano,) iſt wieder blind, und Gott
„ſtrafe den Vater und die Mutter und wer
„daran Schuld iſt, am Elend.“ — „Was giebt es?“
rief der ſchnell heraustretende Spener, der vor¬
hin das Zuſammenwandeln geſehen und zur
Mutter gekommen war. „Eine Unglückliche,
„Euer Werk auch!“ verſetzte Albano.


„Lebe wohl, unglückliche Liane!“ ſagt' er
und wollte ſcheiden; ſtand aber und nachdem er
das gefolterte ſchöne Geſicht, das mit den blin¬
den Augen weinte, ſtarr angeblickt, rief er:
„Entſetzlich!“ und gieng.


Lange lag er oben im Donnerhäuschen
auf den Armen mit den Augen und als er ſich
[215] endlich ſpät, ohne zu wiſſen wo er ſey, wie aus
einem Traume aufrichtete: ſah er die ganze
Landſchaft von einem heitern Tage beleuchtet,
die Sonne glänzte unverhüllt und warm im
reinen Blau und der verſchloſſene Wagen mit
der Blinden rollte ſchnell über die Brücke des
Waldes. Da ſank Albano wieder auf die Ar¬
me darnieder.


[216]

Neunzehnte Jobelperiode.

Schoppe's Troſtamt — Arkadien — Bouverots Por¬
traitmahlerei.


82. Zykel.

Da Albano nun ohne Liebe und Hoffnung lebte
— da er den Angelſtern ſeines Lebens als eine
Sternſchnuppe in ſeine todtenſtille Wüſte hatte fal¬
len ſehen — da jede ſeiner Handlungen jetzt einen
Skorpionenſtachel ausſtreckte und jede Erinne¬
rung, und er Lianens Briefe zurückſandte, Li¬
lar verließ, das Haus des Doktors, den Lektor,
Lianens Verwandte und den frommen Vater —
da er ſein allmählig bleich werdendes Geſicht
nur auf Bücher und nach Sternen richtete: ſo
mußten Menſchen, die keinen höhern Schmerz
kennen als den eigennützigen, glauben, ſeine
[217] Bruſt werde von Nichts gedrückt als vom Schut¬
te der zertrümmerten Luftſchlöſſer ſeiner Hoff
nung und Jugendliebe. Aber er war edler un¬
glücklich und troſtlos, er wars, weil er zum er¬
ſtenmal einen Menſchen und den beſten elend
gemacht — ſeine Geliebte blind; — in dieſe
Vertiefung ſeines Herzens floſſen alle benach¬
barten Quellen des Leidens zuſammen. Die
kleinſten bunten Scherben ſeines Glückstopfes
wurden gleichſam von neuem zerſchlagen, wenn
er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme,
obwohl täglich auf das Waſſerhäuschen vor die
heilenden Fontainen geſtellt, doch immer ohne
Lichtſchein zurückgebracht werde und daß ſie
jetzt auf dieſer Raub-Erde nichts weiter fürch¬
te und bejammere, als daß der Tod vielleicht
die Augen ſchließe, ehe ſie noch einmal die Mut¬
ter angeſehen.


O die Wunde des Gewiſſens wird keine
Narbe und die Zeit kühlt ſie nicht mit ihrem
Flügel, ſondern hält ſie bloß offen mit ihrer
Senſe. Albano rief ſich Lianens bitteres Fle¬
hen um Schonung zurück und da tröſtete es ihn
nicht, daß er unter jener Sonnenfinſterniß nicht
[218] thre Augen aufopfern wollen, ſondern nur ihr
Herz. Im Brenn und Vergrößerungsſpiegel
des Erfolges zeigt uns das Schickſal das leich¬
te, ſpielende Gewürme unſeres Innern als er¬
wachſene und bewaffnete Erynnen und Schlan¬
gen. Wie viele Sünden gehen wie nächtliche
Räuber ungeſehen und mit ſanften Minen durch
uns, weil ſie, wie ihre Schweſtern in Träumen,
ſich nicht aus dem Kreiſe der Bruſt verlaufen
und nichts Fremdes anzufallen und zu würgen
bekommen. — Die ſchöne Seele entdeckt leicht
im Zufall eine Schuld; nur jene harten Him¬
mels- und Erd-Stürmer, vor deren Siegeswa¬
gen vorher eine Wagenburg voll Wunden und
Leichen auffährt, nämlich die Väter des Krie¬
ges — welches in der ganzen Geſchichte öfter
die Miniſter waren als die Fürſten — nur die¬
ſe können ruhig alle Vulkane der Erde anzün¬
den und alle ihre Lavaſtröme kommen laſſen,
blos um — Ausſichten zu haben. Sie düngen
elyſiſche Felder zum Schlachtfeld, um darin ei¬
nen Roſenſtock für eine Geliebte röther zu ziehen.


Das Erſte was Albano that, als er in des
Doktors Hauſe ankam, war daß er darauszog
[219] in die ferne Thalſtadt hinab, um weder den
verdächtigen Lektor zu ſehen, noch weniger den
boshaften Doktor Spher über das Rezidiv der
Blindheit täglich zu hören. Nur der treue
Schoppe zog mit, zumal da er durch ein zweck¬
mäßiges Betragen ſich unter der Sphexiſchen
Familie ſelber hatte eine Oppoſizionsparthei zu
bilden gewußt, die ihn nicht mehr im Hauſe
litt. Die bibliothekariſche Wärme hatte mit des
Lektors Kälte ſehr gegen den Grafen zugenom¬
men — und aus gleichen Gründen; das kecke
Ausziehen nach Lilar und die leidenſchaftliche
Wildheit hatten ihn näher an Albano's Seite
geſchloſſen: „ich dachte anfangs, (ſagte Schop¬
„pe,) der junge Mann laſſe ſich zu Nichts an als
„zu einem ältlichen, als ich ihn ſo in die Schu¬
„le ſchreiten ſah. Ich hielt oft den Mann im
„Mond, wo es bekanntlich aus Mangel an
„Durſt und Dunſtkreis nichts einzuſchenken giebt,
„für einen größern Trinker als ihn. Aber end¬
„lich greift er aus. Ein Jüngling muß nicht
„wie der alte Spener, Alles in der Vogelper¬
„ſpektive, von oben herab darſtellen. Er muß
„anfangs wie Inzipienten in Schreib- und Mah¬
[220] „lerſtuben alle Züge ein wenig zu groß ma¬
„chen, weil ſich die kleinen geben. Es giebt
„Donnerpferde, aber keine Donnereſel und Don¬
„nerſchafe, wie doch die Hofmeiſter und Lektores
„gern hätten und gern vor ſich hertrieben, die
„wie die Billard-Marqueurs kein offnes Feuer
„in der Pfeife leiden ſondern nur eines unter
„dem Deckel.“ —


Jetzt lebte Albano einſam unter den Bü¬
chern. Der Bruder Lianens kam ſelten und
eiskalt zu ihm; und ſchwieg über die Leidende,
ob er gleich immer um dieſe blieb. Da er ſel¬
ber das erſte Gewebe zu dieſer Blindheit ein¬
mal geſponnen: ſo mußt' er, zumal bei ſeiner
ungeſchminkten Feuerliebe für ſeine Schweſter,
den ordentlich haſſen, der es wieder über ſie
hereingezogen — glaubte Albano und ertrug
es gern zur Strafe. Deſto öfter ließ ſich der
Hauptmann zum deutſchen Herrn hinziehen, bei
dem er jetzt wider Erwarten gewann. Es iſt
die Frage — nämlich keine —, ob nicht ſeine
Fähigkeit und Neigung, ſich mit den unähn¬
lichſten Menſchen zu verflechten, bloße Kälte
[221] gegen alle Herzen iſt, die er Alle nur bereiſet,
weil er keines bewohnt.


Auch Rabette ſchrieb dem Grafen mehrere
Klage-Zettel über den weichenden Hauptmann;
in einem ſagt ſie ſogar: „könnt' ich Dich nur ſe¬
„hen, um einmal jemand zu haben, der mich
„weinen ließe, denn das Lachen kenn' ich ſchon
„ſeit geraumer Zeit nicht mehr.“ Der gute
Albano zeichnete auch dieſes Entweichen in ſein
Sündenregiſter ein, gleichſam als Enkel ſeiner
Teufelskinder.


Die Fürſtin vermocht' ihn zuweilen aus
der Einſamkeit zu locken, wenn ſie ihre leiſe
Lockpfeife an die ſchönen Lippen legte. Sie
ſchien des Vaters wegen, wahren Antheil am
trüben Sohn zu nehmen, der zwar keine Schmer¬
zen, aber auch keine Freuden zeigte. Auch das
Mann-Weib, das mehr gehelmte als gehaubte,
rückt gern unter das kranke Haupt das Ruhekiſſen
und unter das ohnmächtige als Lehne den Arm;
und tröſtet gern und zart, oft zärter als das
zu weibliche. Faſt täglich beſuchte ſie ihre künf¬
tige Hofdame und Geſichts-Schweſter bei dem
Miniſter und konnte daher dem Geliebten Alles
[222] ſagen. Indem ſie that als wiſſe ſie nichts von
Albano's Verhältniſſen zur Blinden — ſchon
das Verſtellen verräth zarte Schonung gegen
zwei Menſchen auf einmal, ſagte Albano —:
ſo konnte ſie ihm frei alle Krankenzettel der ſchö¬
nen Dulderin geben, ſo wie die Gutachten über
ſie überhaupt. Nach der Sitte der Kraftwei¬
ber ließ ſie ihr alle lobende Gerechtigkeit ohne
weibiſch-kleinlichen Abzug angedeihen; und
wünſchte Nichts ſo ſehr als ihre Herſtellung
und künftige Gegenwart.


„Ich bin fähig für ein ungemeines Weib
„Alles zu thun, ſo wie Alles gegen ein gemei¬
„nes“ ſagte ſie und fragte ihn, ob ihm ſchon
ſein Vater über ihren Plan mit Lianen ge¬
ſchrieben. Er verneint' es; und bat ſie darum;
aber ſie verwieß ihn auf den väterlichen Brief,
der bald kommen müſſe. Sie tadelte blos Li¬
anens Neigung, immer Fantaiſie-Blumen in
ihr Leben zu ſticken und nannte Sie eine reine
Barokperle.


Aber aus allen dieſen Unterhaltungen kehr¬
te Albano nur betäubter zu Schoppe zurück;
er hörte nur Wort-Troſt, und das Todes-Ur¬
[223] theil, daß die geduldige Seele, der er die Schö¬
pfung geſtohlen, noch immer eingemauert ſey in
die tiefſte Höhle des Lebens, neben welcher blos
die tiefere des Grabes hell und offen liegt. Je¬
des ſanfte, lindernde, ihm von den Wiſſenſchaf¬
ten oder Menſchen geſchenkte warme Lüftchen
gieng über jene kalte Höhle und wurde für ihn
ein ſcharfer Nord. O, hätt' er ſie aus ſeinen
ſinkenden Armen entlaſſen müſſen unter ſchöne
Tage, in ein langes, ewiges Paradies und ſie
hätte ihn trunken vergeſſen: das hätt' er auch
vergeſſen können; aber daß er ſie hingeſtoßen
in ein kaltes Schattenreich und daß ſie ſich ſei¬
ner erinnern muß aus Schmerz — — nur das
mußt' er ſich immer erinnern.


Schoppe wußte gegen alle dieſe Noth kein
„Pflaſter als (nach ſeinem ſchönen Wortſpiel)
„das Steinpflaſter,“ nämlich eine Flugreiſe.
Wenigſtens, ſchloß er, hören auſſer Lands die
Fragen über das Befinden und die giftigen Sor¬
gen über das Antworten auf; und bei der Re¬
tour finde man viel Schmerz erſpart oder gar
allen gehoben.


[224]

Albano gehorchte ſeinem letzten Freund;
und ſie reiſeten ins Fürſtenthum Haarhaar ab.

83. Zykel.

Wer denkt, daß Schoppe unterwegs für
Albano ein fliegendes Feldlazareth des Troſtes —
ein antispasmoticum — eine Struviſche Noth-
und Hülfstafel — eine gepülverte Fuchslunge
gegen die Hektik des Herzens u. ſ. w. geweſen
und daß er auf jedem Meilenſtein eine Troſt¬
predigt gehalten, wer das denkt, den lacht er
aus.


„Was thut es denn, (ſagt' er,) wenn das
„Unglück den jungen Menſchen derb durchknä¬
„tet? — Das nächſtemal er den Schmerz,
„der ihn jetzt in der Gewalt hat, in der ſeini¬
„gen haben. Wer nichts getragen, lernt nichts
„ertragen.“ Was das Weinen anlangt, ſo war
er als ein Stoiker, wohl am wenigſten davon
ein Feind; Epiktet, Antonin, Kato und mehr
ſolche weniger aus Eis als Eiſen gebildete Män¬
ner, ſagt' er ſo oft, hätten ſehr gern dem Leibe
dergleichen letzte Öhlungen des Schmerzes ein¬
geräumt, falls nur der Geiſt darhinter ſich tro¬
cken[225] cken erhalten hätte. Es iſt ächte Troſtloſigkeit,
ſagt' er, Troſt zu wünſchen und anzunehmen;
warum will man denn nicht einmal den Schmerz
rein durchdauern ohne alle Arzenei?


Allein ſeine Anſicht und ſein Leben wurde
ohne ſein Zielen, über den Grafen mächtig, den
alles Große nur vergrößerte wie es Andere
verkleinert. Schoppe ſaß als ein Kato auf
Ruinen, aber freilich auf den größten; wenn
der Weiſe die Barometerröhre am Äquator ſeyn
muß, in der ſelber der Tornado wenig verſchiebt,
ſo war er dergleichen. Zufällig riß er in einem
Wirthshauſe dem Grafen durch den hamburgi¬
ſchen unpartheiiſchen Korreſpondenten, den er
da vorfand, die verklebten Flügel auf. Schop¬
pe las zwei weite Schlachten daraus vor, wor¬
in wie durch einen Erdfall Länder ſtatt der
Häuſer verſanken und deren Wunden und Thrä¬
nen nur der böſe Genius der Erde konnte wis¬
ſen wollen; darauf verlas er — nach den Tod¬
tenmärſchen ganzer Generazionen und nach den
aufgeriſſenen Kratern der Menſchheit — mit
fortgeſetztem Ernſte die Intelligenz-Anzeigen,
wo einer allein auf ein unbekanntes Gräblein
Titan III. P[226] ſteigt und der Welt, die ihm ſonſt kondoliert,
anſagt und betheuert: „Fürchterlich war der
„Schlag, der unſer Kind von 5 Wochen“ —
oder: „Im bitterſten Schmerz, den je“ oder:
„beſtürzt über den Verluſt unſers ein und acht¬
„zigjährigen Vaters ꝛc.“


Schoppe ſagte, das ſprech' er für recht,
denn jede Noth, ſelber die allgemeine, hauſe
doch nur in Einer Bruſt; und läg' er ſelber
auf einem rothen Schlachtfelde voll gefällter
Garben, ſo würd' er ſich darunter aufſetzen, falls
er könnte, und an die Umliegenden eine kurze
Trauerrede über ſeine Schußwunde halten; ſo
habe Galvani bemerkt, daß ein Froſch, der in
elektriſchen Verbindungen ſtehe, ſo oft zucke, als
der Donner über der Erde nachrolle.


Bei dieſem Satze blieb er auch im Freien.
Er führt' es tadelnd an, daß Matthiſon es als
eine reiſebeſchreibende Notiz annotire, wie man
im jetzigen Avenches in der Schweiz an den
Stellen der von den Römern zermalmten helveti¬
ſchen Hauptſtadt Aventicum in den dünnern Strei¬
fen des Graſes den Abriß der Straßen und
Mauern finden könne; indeß ja offenbar die¬
[227] ſelben ſtereographiſchen Projekzionen der Ver¬
gangenheit überall lägen auf jeder Wieſe —
jeder Berg ſey das Ufer einer verſchwemmten Vor¬
zeit — jede Stelle hienieden ſey ja 6000 Jahre
alt und Reliquie — Alles ſey Gottesacker und
Ruine auf der Erde — beſonders die Erde ſel¬
ber; „Himmel, (fuhr er fort,) was iſt überhaupt
„nicht ſchon vergangen, Völker — Fixſterne —
„weibliche Tugend — die beſten Paradieſe —
„viele Gerechtſame — alle Rezenſionen — die
„Ewigkeit a parte ante — und jetzt eben mei¬
„ne ſchwache Beſchreibung davon?“ — „Wenn
„nun das Leben ein ſolches Nichtigkeits-Spiel
„iſt, ſo muß man lieber der Kartenmahler
„als der Kartenkönig ſeyn wollen.“


Ein kräftiger, ſtolzer Menſch — wie Alba¬
no — wird dann ſchwerlich mitten unter drei¬
ßigjährigen Kriegen — jüngſten Tagen — wan¬
dernden Völkern — verſtäubenden Sonnen
ſein Kleid ausziehen und ſich oder dem Univer¬
ſum die zerriſſene Ader vorzeigen, die auf ſei¬
ner Bruſt ausblutet.


So ſtand es, als beide Abends eine halb¬
offne Waldhöhe erſtiegen, von der ſie ein wun¬
P 2[228] derbares Glorien-Land unter ſich ſahen, ſo
freundlich und ausländiſch als ſey es übrig ge¬
blieben aus einer Zeit, da noch dir ganze Erde
warm war und ein immer grünes Morgenland
— es ſchien, ſo weit ſie vor den Bäumen und
vor der Abendſonne ſehen konnten, ein aus
der zuſammentretenden Berg Ecke unabſehlich
nach Weſten auseinanderlaufendes Thal zu ſeyn
— eine vor der Sonne mit den breiten Flü¬
geln umſchlagende buntgemahlte Windmühle ver¬
wirrte das Auge, das das Gedränge von Abend-
Lichtern, Gärten, Schaafen und Kindern ſon¬
dern wollte — an beiden Abhängen hüteten
weißgekleidete Kinder mit lang nachflatternden
grünen Hutbändern — eine geſteckte Schweize¬
rei gieng im Wieſengrün am dunkeln Bach —
auf einem hochgewölbten Heuwagen fuhr eine
wie zum Hochzeitmahle gekleidete Bäuerin und
nebenher giengen Landleute im Sonntagsputz
— die Sonne trat hinter eine Säulen-Reihe
von runden Laubeichen, dieſen deutſchen Frei¬
heits-Bäumen und Tempel-Pfeilern — und ſie
ſchwebten verklärt und vergrößert hoch im gold¬
nen Blaue aufgezogen. — Jetzt ſahen die betroff¬
[229] nen Wanderer das nahe beſchattete holländiſche
Dorf unten, — wie aus zierlichen, bemahlten Gar¬
tenhäuſern zuſammengerückt, mit einem Linden-
Zirkel in der Mitte und einem jungen, blühenden
Jäger nicht weit davon, oder eine Amazone,
die mit der einen Hand ihren Hut voll Zweige
abnahm und mit der andern den Balken-Arm
mit dem Eimer über den Born hoch aufſteigen ließ.


„Mein Freund, (fragte Schoppe einen ih¬
nen mit Bothenblech und Ranzen nachkommen¬
den Amtsbothen,) wie nennt Er das Dorf?“ —
„Arkadien,“ verſetzt' er. — „Aber ohne alles dich¬
„teriſche Weißglühen und Kulminiren geſpro¬
„chen, mein poetiſcher Freund, wie ſchreibt ſich
„eigentlich die Ortſchaft unten?“ fragte Schop¬
pe wieder. Verdrüßlich antwortete der Amts¬
bothe: „Arkadien, ſag' ich, wenn Ers nicht be¬
halten kann — es iſt ein altes Kammergut,
„unſere Prinzeſſin Idone (Idoine) hält ſich da
„auf Jahr aus Jahr ein für beſtändig — und
„macht da Alles nach eignem Plaiſir, was will
„man mehr?“ — — „Iſt er in Arkadien?“
— „Nein, in Saubügel“ antwortete der Bothe
ſehr laut, ſchon fünf Schritte weiter vorn, zurück.


[230]

Der Bibliothekar, der ſeinen Freund bei
der Bothenrede in großer Bewegung ſah, that
ihm freudig die Frage, ob ſie ein beſſeres Nacht¬
quartier hätten treffen können als dieſes, aus¬
genommen dieſes ſelber im Maimond. Aber
wie erſtaunt' er vor Albano's Zurückſturz in
die Vorhölle, die das Gewiſſen und ſeine Liebe
anzündeten! Idoinens täuſchende Ähnlichkeit mit
Lianen war plötzlich vor ihn gezogen: „Weißt
„Du, (ſagt' er in der Erſchütterung durch den
„Abendzauber heftiger fortbebend) worin Ido¬
„ine Ihr unähnlich iſt?“ — Sie kann ſehen,
ſetzt' er ſelber dazu, denn ſie hat mich noch nicht
geſehen. O vergieb, vergieb, feſter Mann, ich
bin wahrlich nicht immer ſo — Sie ſtirbt jetzt
oder irgend ein Unglück zieht ihr nahe; wie ein
Dampf vor der Feuersbrunſt ſteigts düſter und
in langen Wolken in meiner Seele auf — „ich
muß durchaus zurück.“


„Glauben Sie mir, (ſagte Schoppe,) ich werde
„Ihnen einmal Alles ſagen, was ich jetzt denke —
„gegenwärtig aber will ich Sie ſchonen.“ Auch
das verfieng Nichts, er kehrte um; aber am gan¬
zen andern Reiſetag blieb ſein Leidenskelch, den
[231] Schoppe ſo glänzend geſcheuert hatte, naß und
ſchwarz angelaufen. Sie konnten erſt Abends
ankommen, da ein Zauberrauch von Zwielicht,
Mondlicht, Dampf, Dunſt und Wolkenroth die
Stadt fremder machte. Albano's Adlerauge
theilte den Rauch entzwei und er — entlief.
Die blinde Liane allein ſah er auf dem hohen
welſchen Dache gegen die Statuen laufen oder
zum Abgrund hin. Wild ohn' einen Laut rannt'
er durch die tiefern Gaſſen — verlohr den ver¬
baueten Pallaſt und lief grimmiger — er glaub¬
te, er finde ſie auf dem Steinpflaſter zertrüm¬
mert — er ſieht die weiſſen Statuen wieder, ſie
hält eine umſchlungen, und der alte Gärtner
des cereus serpens ſteht mit dem Hute auf dem
Kopfe vor ihr. — Als er endlich ganz unten
am Pallaſte ankam, ſtand oben ein fremdes
Mädchen bei ihr, und unten ſahen zuſammen¬
gelaufne Weiber hinauf, einander fragend:
Gott, was giebt es denn. — Liane blickte (wie
es ſchien) an den Himmel, worin nur einige
Sterne brannten, und dann lange in den Mond,
und darauf herunter auf die Menſchen; aber
ſogleich trat ſie von den Statuen zurück. Der
[232] Gärtner kam aus dem Hofe und ſagte vorüber¬
gehend ſeiner fragenden Frau: Sie ſieht. — „O,
guter Mann, (ſagte Albano,) was ſagt Er?“ —
„Gehen Sie nur hinauf!“ verſetzt' er und ſchritt
ämſig weiter. Jetzt kam Bouverot zu Fuße —
Albano trat ihm mit einem kurzen Verbeugen
und Gruße in den Weg — Bouverot ſah ihn
ein Wenig an: „ich habe nicht die Ehre, Sie zu
kennen“ ſagt' er wild und eilte davon.

84. Zykel.

Schauet nun die blinde Liane näher an!


Von dem Tage an, wo ſie zerſtöret heim¬
geführet wurde von der Mutter, fieng ſich un¬
ter ihrer Sonnenfinſterniß mit Verweilen ein
kühleres, ruhendes Leben für ſie an. Die Erde
hatte ſich verändert, ihre Pflichten gegen dieſe
ſchienen ihr abgethan — der Silberblick der Ju¬
gend wie ein Menſchenblick nun erblindet, ihre
kurzen Freuden, dieſe kleinen Maienblümchen,
ſchon unter dem Morgenſtern abgepflückt —
ihr erſter Geliebter leider wie die Mutter es
weiſſagte, nicht ſo fromm und zart als ſie ge¬
dacht, ſondern ſehr männlich, rauh und wild
[233] wie ihr Vater — die Zeit und Zukunft ver¬
tilgt, und die künftigen Tage daraus für ſie
nur eine blind gemahlte Jubelpforte, die Men¬
ſchenhände nicht öffnen, und durch welche ſie
nicht mehr dringen kann, auſſer mit der ent¬
bundnen Seele, wenn dieſe den trägen Schlepp-
Mantel des Körpers auf die Erde zurückge¬
worfen.


Ihr Herz klammerte ſich jetzt — wie Al¬
bano dem männlichen — noch mehr dem weib¬
lichen an, das zarter und ohne die Fiber der
Leidenſchaften ſchlug; ſo wie die Kompasnadel
ſich als eine gewundne Lilie zeigt, ſo die Tu¬
gend ſich ihr als weibliche Schönheit.


Ihre Mutter wich nicht von ihrem Blin¬
den-Stuhl, ſie las ihr vor, ſogar die franzö¬
ſiſchen Gebete und hielt ſie tröſtend aufrecht;
und ſie wurde leicht getröſtet, denn ſie ſah nicht
das bekümmerte Geſicht der Mutter und hörte
nur die ruhige Stimme. Julienne warf ſeit dem
Begräbniß der erſten Liebe eine alle Kruſte ab
und ein friſches Feuer für die Freundin gieng aus
dem Herzen auf: „ich habe nicht redlich an Dir ge¬
handelt“ ſagte ſie einmal; da erklärten ſie ſich
[234] verborgen einander und dann reiheten ſich ihre
Seelen wie Blumen-Blätter zu Einem ſüßen
Kelche zuſammen. Die Fürſtinn ſprach ernſt über
Wiſſenſchaften und gewann ſogar die Mutter,
der ſie in männlicher Geſellſchaft weniger ge¬
fallen. Abends vor dem Einſchlafen flog noch
wie aus dem Freudenhimmel Karoline in ihr
Schattenreich herab; und wuchs täglich an
Glanz und Farbe, ſprach aber nicht mehr; und
Liane entſchlummerte ſanft, indem ſie einander
anblickten.


Zuweilen fuhr der Schmerz an ſie herüber,
daß ſie vielleicht ihre theuern Geſtalten, zumal
ihre Mutter nie mehr ſehe; dann war ihr als ſey
ſie ſelber unſichtbar und wandle ſchon allein im
dunkeln, tiefen Gange zur zweiten Welt und hö¬
re die Freundinnen an der Pforte weit hinter
ſich ihr nachrufen — Da liebte ſie zärtlich wie
aus dem Tode herüber und freuete ſich auf das
große Wiederſehen. Spener beſuchte ſeine Schü¬
lerin täglich; ſeine männliche Stimme voll Stär¬
kung und Troſt war in ihrem Dunkel die Abend¬
gebetglocke, die den Wanderer aus der düſtern
Waldung wieder zu froheren Lichtern führt.
[235] So wurde ihr heiliges Herz noch heiliger em¬
porgezogen und die dunkeln Paſſionsblumen
der Schmerzen ſchloſſen ſich in der lauen Au¬
gen-Nacht ſchlafend zu. Wie anders ſind die
Leiden des Sünders als die des Frommen! Je¬
ne ſind eine Mondsfinſterniß, durch welche die
ſchwarze Nacht noch wilder und ſchwärzer wird;
dieſe ſind eine Sonnenfinſterniß, die den heis¬
ſen Tag abkühlt und romantiſch beſchattet und
worin die Nachtigallen zu ſchlagen anfangen.


Auf dieſem Wege bewahrte Liane mitten
unter fremden Seufzern um ſie und im Gewit¬
ter um ſie her, eine ruhige, geneſende Bruſt; ſo
zieht oft das zarte, weiße Gewölke anfangs zer¬
riſſen und gejagt, aber zuletzt geründet und
langſam durch den Himmel, wenn unten der
Sturm noch über die Erde ſchweift und Alles be¬
wegt und zerreiſſet. Aber, gute Liane, alle 32
Winde, ſie mögen ſchöne Tage zu oder wegwe¬
hen, halten länger an, als die Windſtille der
Ruhe!

85. Zykel.

Der Miniſter hatte, als ſie aus Lilar mit
getödteten Augen heimgekommen, in ſein rechtes
[236] eine Hölle, ins linke ein Fegefeuer gelegt; —
denn ſo ſehr belogen hatt' ihn noch kein Geſchick;
nämlich ſo ſehr gebracht um alle ſeine Projekte
und Proſpekte, um das Hofdamenamt der Toch¬
ter, dieſen Vorſteckring am Finger der Fürſtin,
und endlich um jeden Fang ſeines doppelt ge¬
webten Geſpinnſtes.


Unſäglich wehrte ſich der Mann vor dem
Löffel, worin ihm das Schickſal das Pulver
vorhielt, auf welches er die verſchluckten De¬
mante ſeiner Plane ſollte fahren laſſen; er hielt
die ſtärkſten Sermone — ſo hieß er, wie Ho¬
raz, ſeine Satyren — gegen „ſeine Weiber“;
er war ein Kriegsgott, ein Höllengott, ein Thier,
ein Unthier, ein Satan, Alles — er war im
Stande, jetzt Alles zu unternehmen — aber was
halfs? —


Viel, als gerade der deutſche Herr ihn in
dieſer moraliſchen Stimmung betraf. Solcher
trug kein Bedenken, das väterliche Verſprechen
der Tochter für die Miniatur-Mahlerei wieder
aufzufriſchen und in Anſpruch zu nehmen; er
war übrigens allwiſſend und ſchien unwiſſend.
Für die Sitz-Szene hatt' Blinden er eig¬
[237] ne romantiſche Verwicklungen nach den Noti¬
zen zugeſchnitten, die er aus dem Hauptmann
gelockt. Seine Kunſt-Liebe gegen Lianens Ge¬
ſtalt hatte bisher wenig gelitten, und ſein lang¬
ſames An- und Umſchleichen war ſeiner Vipern-
Kälte und ſeiner weltmänniſchen Kraft gemäß.
Der alte Vater — der im Leben wie in einem
Reichsanzeiger immer einen Compagnon mit 60,
80 Tauſend Thaler zu ſeiner Handlung ſuchte —
bezeugte ſich nichts Weniger als abgeneigt. Die¬
ſe zwei Falken auf Einer Stange, von Einem
Falkenmeiſter, dem Teufel abgerichtet, verſtan¬
den und vertrugen ſich gut. Der deutſche Herr
gab zu erkennen, ihr Miniaturbild ſey bei ihrer
frappanten Ähnlichkeit mit Idoine, die wie ſie
niemals ſitzen wollen, zu manchem Scherze bei
der Fürſtin behülflich, aber noch mehr ſeiner
„Flamme“ für Liane unentbehrlich, und jetzt in
ihrer Blindheit könne man ſie ja zeichnen ohne
ihr Wiſſen — und er werde unter das Bild
ſchreiben la belle aveugle oder ſo etwas. Der
alte Miniſter goutirte wie geſagt den Gedan¬
ken ganz. Wie die welſchen Sängerinnen eine
ſogenannte Mutter ſtatt eines Paſſes auf ih¬
[238] ren Reiſen führen, ſo hielt er ſich für einen ſol¬
chen ſogenannten Vater; er dachte: mit dem
Mädchen wirds ohnehin wenig mehr, es liegt
als todtes Kapital da und verzinſet ſich ſchlecht;
ich kann den angeöhrten Pathenpfennig, den
der deutſche Herr bei ſeinem Gevatterſtand mir
als dem Vater anbietet wie dem Kinde den
Namen, in die Taſche ſtecken.


Das Schelmen-Duplikat wurde in ſeinem
Schuſſe und Fluſſe bloß durch einen Floßrechen
aufgehalten, der ihnen den Raub aus den
Hechtzähnen zu ziehen drohte; eine alte, keifen¬
de, aber ſeelentreue Kammerjungfer aus Nürn¬
berg war der Rechen; dieſe wäre nicht von Lia¬
nen und nicht zum Schweigen zu bringen ge¬
weſen. Bouverot freilich, ein Robespierre und
Würgengel ſeiner Dienerſchaft, hätte an Frou¬
lay's Stelle die Nürnbergerin ein Paar Tage
vorher von einem Diener mit einigen kompli¬
zirten Frakturen verſehen und dann auf die
Gaſſe werfen laſſen; aber der Miniſter — ſein
Herz war weich — konnte das nicht; Alles, was
ihm möglich war, das war: er berief ſie auf
ſein Zimmer — hielt ihr es vor, daß ſie ihm
[239] ſein Ohr aus Magdeburg geſtohlen — blieb
mit dem anweſenden Gehör taub gegen jede
Einwendung, aber nicht gegen jede Unhöf¬
lichkeit — und fand ſich endlich gar ge¬
nöthigt, die diebiſche Grobianin Knall und Fall
aus dem Dienſt zu jagen. Bei jeder Nachfolge¬
rinn hatte als einer neuen, Geld Gewicht, wußt' er.


Er wollte darauf die Fürſtin um eine Ein¬
ladung für ſich und die Miniſterin zu Thée und
Souper bitten — den Miniaturmaler beſtellen
— das neue Kammermädchen belehren — und
Alles recht anlegen.


Zwei Tyger höhlten, nach der Legende, dem
Apoſtel Paulus das Grab; ſo ſcharret hier unſer
paar an einem für eine Heilige, um ſo mehr,
da ich ſonſt nicht abſehe, wozu — wenn nichts
gemacht werden ſoll als ein Bild — ſo viele
Umſtände. Aber den Vater könnt' ich faſt ent¬
ſchuldigen; erſtlich ſagte er ausdrücklich zum
deutſchen Herrn, die Zofe könne ſeiner Meinung
nach im Zimmer oder im anſtoßenden paſſen,
falls etwan die Pazientin Etwas haben wolle —
zweitens hatte der ſonſt weiche Mann von ſei¬
nem miniſterialiſchen Verkehr mit der Juſtiz
[240] einen gewiſſen Kies angeſetzt, eine gewiſſe Grau¬
ſamkeit angenommen, welche der hinter der
Binde und als Areopag ohne den Anblick der
Schmerzen urthelnden Themis um ſo natürli¬
cher iſt, da ſchon Diderot *) behauptet, daß
Blinde grauſamer wären — und drittens war
wohl niemand mehr bereit, ſein Kind, das er
wie ſonſt angeblich Juden und Hexen Chri¬
ſtenkinder, kreuzigte um wie jene mit dem Blu¬
te Etwas zu thun, tiefer zu betrauern, falls es
ſtürbe, als er, da ohnehin die Eltern und über¬
haupt die Menſchen zwar leicht das Unglück
derer, die ihnen nahe liegen, aber ſchwer de¬
ren Verluſt verſchmerzen, ſo wie wir bei dem
noch näher liegenden Haar nicht das Brennen
und Schneiden, aber ſchmerzlich das Ausreiſſen
deſſelben verſpüren — und viertens hatte Frou¬
lay immer das Unglück, daß Gedanken, die in
ſeinem Kopfe eine leidliche, unſchuldige Farbe
hatten, gleich dem Hornſilber oder der guten
Dinte auf der Stelle ſchwarz wurden, wenn
ſie ans Licht traten.


Sonſt[241]

Sonſt — und von dieſen Milderungen ab¬
geſehen — ſteckt wohl Manches in ſeiner Hand¬
lung, was ich nicht vertheidige.


Der Abend erſchien. Die Miniſterin gieng
am ehelichen Arme an den Hof. — Die neue
Kammerjungfer hatte als Brautführerin Bou¬
verots ſchon vor drei Tagen die nöthigſten An¬
ſtalten gemacht, oder Spitzbübereien — ſie hat¬
te ihm Lianens Briefe an Albano ſehr leicht,
da die Mutter aus Gewohnheit ein gegenwär¬
tiges Auge für ein ſehendes hielt, vorleihen und
er ſich daraus die hiſtoriſchen Züge oder Farben-
Tuſche abholen können, womit er ſich bei einer
Erkennung auf dem Theater vor der Blinden
den Anſtrich ihres Helden, nämlich Albano's,
geben konnte — mit Roquairol hatt' er oft ge¬
nug geſpielt, um deſſen Stimme, mithin Alba¬
no's ſeine in der Gewalt zu haben.


Mich dünkt, ſeine Rüſttage vor dem Feſt¬
abend waren zweckmäßig hingebracht.


Er konnte, da kleine Reſidenzen früher Thée
trinken, ſchon ſo früh erſcheinen als ein Mini¬
aturmaler im September durchaus muß. Als
Titan III. O.[242] er die ſtille Geſtalt im Sorgeſtuhl erblickte,
mit den entfärbten Blumenkelchen der Wangen,
aber feſter gewurzelt in jedem Entſchluß, eine
kälter gebietende Heilige: ſo ſtieg in ihm die
aus ihren Briefen zugleich geſogne Erbitterung
und Entzündung miteinander höher — nur in ſol¬
chen Bruſthöhlen, zugleich mit Metall- und mit
Darmſaiten, mit Härte und Wolluſt, beſpannt,
iſt ein ſolcher Bund von Luſt und Galle denk¬
lich. Bouverots ganze Vergangenheit und Le¬
bens Geſchichtbücher müßten — wie die von
Herodot den 9 Muſen — ſo den 3 Parzen, je¬
der eines, zugeeignet werden.


Er ſchlich ins Fenſter, ſetzte ſich und ſein
Farben-Käſtchen hin haſtig fieng zu punk¬
tiren an. Unterdeſſen ließ ſich Liane von ih¬
rem ſehr gebildeten, beleſenen Kammermädchen
aus dem zweiten Bande der oeuvres spirituel¬
les
von Fenelon vorleſen. Zefiſio'n rührte der
Erzbiſchof gar nicht — was er etwa von rei¬
ner Liebe (sur le pur amour de Dieu) ver¬
nahm, ſetzt' er zu unreiner durch Anwendungen
um und ließ ſich teufliſch entzünden durch das
[243] Göttliche — was übrigens rührend war in
Lianens Bezug, ließ er an ſeinen Ort geſtellt,
da er jetzt zu mahlen hatte. Häßlich leckten ſei¬
ne vielfarbigen Panther-Augen gleich rothen, ſchar¬
fen Tyger-Zungen über das ſüße, weiche Antlitz! —
„Liebe Juſta, hör' auf, das Leſen wird Dir ſau¬
„er, Du athmeſt ſo kurz!“ ſagte ſie endlich, weil
ſie den Portraitmahler athmen hörte. Es war
für ihn kein Opfer, ſondern ein Vor-Genuß,
ein ſüßer Imbis, den Kuß dieſer zarten, kleinen
Hand und Lippe und die ganze Schauſtellung
ſeines brennenden Herzens hinauszuſetzen bis
er ihren Abriß mit den Gift-Tinten auf das
weiſſe Elfenbein durch die ſchnelle Dupfma¬
ſchine ſeiner Hand abpunktiret ſah.


Endlich hatt' er ſie Bunt auf Weiß. „Gut,
„liebe Juſta, (ſagte ſie,) die Gebetglocke läutet,
„Du kannſt Nichts mehr ſehen. — Führe mich
„lieber zum Inſtrument.“ — nehmlich zur Har¬
monika. Sie thats. Bouverot gab Juſten einen
Scheide-Wink — ſie thats wieder. Der gelbe
Gartenkanker lief nun auf die zarte, weiſſe Blu¬
me zu. — Der Kanker hörte ihren Abend¬
Q 2[244] Choral nicht ohne Vergnügen und das betende
Aufſchlagen ihrer zerſtörten Augen ſchien ihm
eine recht mahleriſche Idee, die der true Pain¬
ter
*) dem Elfenbein-Stück einzuverleiben be¬
ſchloß, wenns gehen würde.


„Schöne Göttin!“ rief er plötzlich mit Al¬
bano's geſtohlner Stimme unter jene heiligen
Töne, die einmal Albano in einer frohern Stun¬
de, aber edler unterbrochen hatte. Sie horchte
erſchrocken auf, aber ungläubig an ihr Ohr in
dieſer Nacht. Das Staunen mißfiel dem Pro¬
ſpektmahler — denn ihr Geſicht war ſein Pro¬
ſpekt— ganz und gar nicht; „erinnere Dich an
dieſe Harmonika im Donnerhäuschen.“ Er ver¬
wechſelte es mit dem Waſſerhäuschen. — „Sie
hier, Graf? — Juſta! wo biſt Du?“ rief ſie
ängſtlich. — „Juſta, kommen Sie her!“ rief
er dazu nach. Das Mädchen folgte ſeiner Stim¬
me und ſeinem — Auge. „Gnädiges Fräulein?“
fragte ſie. Aber jetzt hatte Liane nicht den
[245] Muth, ſie um die Pforte und das Einlaßbillet
des Grafen zu fragen. Mit dem Liebhaber fran¬
zöſiſch zu ſprechen, gieng nicht, da es die Jung¬
fer verſtand; daher verbot man auch in Wien
in den Revoluzionsjahren einſichtig dieſe Spra¬
che, weil ſie ſo zuverläſſig eine gewiſſe Gleich¬
heit
— die Freiheit folgt — zwiſchen dem
Adel und der Dienerſchaft peſtartig ausbreitet.


Boshaft und freudig erinnerte Bouverot,
dem ſie jetzt über den Grafen ein brauchbares
Mißtrauen zu verrathen ſchien, das ſeiner Ka¬
raktermaſke einen freiern Spielraum anwies,
die Sinnende an ihre Befehle für Juſta; ſie
mußte ſie nun Licht holen laſſen.


„Infidele, (fieng er darauf an,) ich habe alle
Hinderniſſe überwunden, um mich Ihnen zu
Füßen zu werfen und Ihre Vergebung zu er¬
flehen. Je m'en flatte à tort peut-être,
mais je l'ose (fuhr er fort heftiger durch ſie ge¬
macht) — O Cruelle! de grace, pourquoi ces
régards, ces mouvements?
Je suits ton Al¬
ban et il t'aime encor
Pense à Blumen¬
bühl, ce séjour charmant
Ingrate, j'esperois
[246] de te trouver un peu plus réconnaiſsante
. —
Sonviens-toi de ce que tu m'a promis
(ſagt' er, um ſie auszufragen) quand tu me
preſsas contre ton sein divin
. . . .“


Eine reine Seele ſpiegelt, ohne ſich zu be¬
flecken, die unreine ab und fühlt unwiſſend die
quälende Nähe, ſo wie Tauben, ſagt man, ſich
in reinem Gewäſſer baden, um darin die Bil¬
der der ſchwebenden Raubvögel zu ſehen. Der
kurze Athem, der wankende Sprachton, jedes
Wort und ein unerklärliches Etwas trieben das
ſchreckliche Geſpenſt nahe vor ihre Seele, den
Argwohn, es ſey Albano nicht. Sie fuhr auf:
„wer ſind Sie? Gott, Sie ſind der Graf nicht.
Juſta, Juſta!“ — — wär' es ſonſt, (ver¬
ſetzt' er kalt,) der ſich meinen Nahmen geben
dürfte?“ Ohje voudrais que je ne le fuſse
pas
. Vous m'avés écrit, que l'esperance est
la l'une de la vie
Ah, ma Iune s'est couchée;


Hier faßte er die Hand dieſer verfinſterten,
mit einem Drachen kämpfenden Sonne. — Da
entdeckten ihr ſeine weggenagten Fingernägel
[247] und die dürren Finger und ein vorbeiſtreifen¬
des Berühren ſeines Ordenskreuzes den wahren
Nahmen. Sie riß ſich ſchreiend loß und lief
weg, ohne zu ſehen wohin, und gerieth wieder an
ſeine Hand. Er riß ihre heftig an die magern
heißen Lefzen hinauf: „ja ich bin es, (ſagt' er,)
und liebe Sie mehr als Ihr Graf mit ſeiner
étourderie.“


„Sie ſind ſchlecht und gottlos gegen ein blin¬
des Mädchen — was wollen Sie? — Juſta!
hilft mir denn niemand? — Ach, du guter Gott,
gieb mir meine Augen! (rief ſie fliehend unwis¬
ſend wohin und eingeholt.) Bouverot! Du bö¬
ſer Geiſt!“ rief ſie abwehrend an Orten, wo
er nicht war. Er, wie das Schießpulver, küh¬
lend auf der Zunge und ſengend und zerſchmet¬
ternd, wenn ihn die Gier zündete, ſtellte ſich in
einiger Schlag-Weite von ihr, warf ein Mah¬
ler-Auge auf das reizende Wallen und Beu¬
gen ihres aufgeſtürmten Blumenflors und ſag¬
te ruhig mit jener Milde, die der ätzenden
und freſſenden Milch der Schwämme ähnlich
iſt:“ nur ruhig, Schönſte! Ich bin es noch; und
was hälf' Ihnen Alles, Kind?“ —


[248]

Taumelnd vom Schlangenhauch der Angſt
fieng die irre Natur zu ſingen an, aber lauter
Anfänge. „Freude, ſchöner Götterfunken.“ —
„Ich bin ein deutſches Mädchen“ — ſie lief
herum und ſang wieder: „Kennſt du das Land.“
— „Du böſer Geiſt!“ —


Jetzt bäumte ſich die damit geſchmeichelte
Rieſenſchlange auf ihren kalten Ringen mit zü¬
ckender Zunge in die Höhe, um hinzuſchieſſen
und zu umflechten: „mon coeur (ſagte die Schlan¬
ge, die immer in der Leidenſchaft franzöſiſch
ſprach,) vole sur cette bouche qui enchante tous
les sens
.“ — „Mutter! (rief ſie) — Karoline! —
O Gott, laſſe mich ſehen, O Gott meine Au¬
gen.“ — Da gab der Allliebende ſie ihr wie¬
der; die Quaal der Natur, die lauten Anſtal¬
ten des Begräbniſſes öffneten der Scheinleiche
wieder das Auge.


Wie behend entflog ſie aus der Marter¬
kammer! Das getäuſchte Raubthier rechnete
auf Blindheit und Verirrung fort. Aber da
Bouverot ſah, daß ſie leicht die Treppe zum
welſchen Dache hinaufſtürze: ſo ſchickte er bloß
[249] das herbeilaufende Mädchen ihr nach, damit
ſie keinen Schaden nehme; und hielt jetzt wie¬
der die bisherige Blindheit für Verſtellung. Er
ſelber holte aus dem Zimmer den Miniatur-
Riß ab und ſchleppte ſich wie ein hungriges,
verwundetes Ungeheuer verdrüßlich und lang¬
ſam aus dem Hauſe hinaus.


[250]

Zwanzigſte Jobelperiode.

Gaſpards Brief — Trennungen.


86. Zykel.

Sie ſieht wieder“ rief Karl im Freudenrau¬
ſche am Morgen darauf dem Grafen zu, ohne
ſich um alle kalte Verhältniſſe der letzten Zeit
zu bekümmern; und war ganz der Alte. Seine
Feindſchaft war hinfälliger als ſeine Liebe, denn
jene wohnte bei ihm auf dem Eiſe, das bald
zerfloß, dieſe auf dem Flüſſigen, worauf er im¬
mer ſchiffte. Erröthend fragte Albano, wer der
Augenarzt geweſen. „Gutgemeinter Schreck
„(ſagt' er) —; der deutſche Herr that als wollt'
„er ſie mahlen, als meine Eltern auf Verabre¬
„dung nicht da waren — oder mahlt’ er ſie
[251] „wirklich — ich weiß jetzt Alles nur verwirrt —
„auf einmal hörte ſie eine fremde Mannsſtim¬
„me und Schreck und Furcht wirkten natürlich
„wie elektriſche Schläge.“ Obgleich der Haupt¬
mann alle Stimmen nur verworren unten auf
dem Meersboden in ſein fluthendes Meer hin¬
unterhörte: ſo hatt' er doch diesmal richtig ge¬
hört; denn Liane hatte von ihrer Mutter das
Zuhüllen der Martergeſchichte errungen, um ih¬
rem Bruder den Anlaß zu entziehen, ihr ſeine
Liebe durch einen Zweikampf mit ihrem Wider¬
ſacher zu beweiſen.


Albano behielt viele Fragen über die dunk¬
le Geſchichte in ſeiner Bruſt; und brach das Ge¬
ſpräch durch ſeine Reiſebeſchreibung ab.


Nach einigen Tagen hört' er, daß Liane
mit ihrer Mutter die Stadt verlaſſe und ein
über Blumenbühl liegendes Bergſchloß einer
alten einſamen Edelwittwe beziehe. Auf dem
reinen Lande ſollte wieder Licht in ihr Leben
einfallen und die mütterliche Hand ſollte deſſen
nachdunkelnde Farben neu übermahlen. Der
Miniſter, der wie ſonſt alte Menſchen und alte
Haare ſchwer zu kräuſeln und zu formen war,
[252] wurde in der letztern tiefen Fallgrube des Schick¬
ſals ganz muthlos angetroffen, ſo daß er Lia¬
nen, die auch darin gefangen war, nicht auf¬
fraß, ſondern ſie ziehen ließ. Die ganze Ge¬
ſchichte wurde vor dem Publikum wie die Mau¬
er eines Parks ſehr verdeckt und umblümt.
Nur der Lektor wußte ſie ganz, aber er konnte
ſchwelgen. Er foderte im Nahmen der Mutter
vom deutſchen Herrn das Miniaturbild zurück;
dieſer gab an deſſen Statt kalte, leere Lügen;
doch konnte Auguſti, von Mutter und Tochter
gebeten, ſich beherrſchen und die Ausfoderung,
womit er für alles Rache nehmen wollte, ihnen
opfern.


Unſern Freund traf jetzt, ſeitdem ſein Ge¬
wiſſen über den Zufall des Erfolgs beſänftigt
war, der Schmerz über ſeine leere Gegenwart
neu und unvermiſcht; die theuerſte Seele gieng
ihn nichts mehr an; ſeine Stunden wurden
nicht mehr harmoniſch vom Glockenſpiel der
Dichtkunſt und Liebe ausgeſchlagen ſondern
einförmig von der Thurmuhr der Alltäglichkeit.
Daher flüchtete er ſich zu Männern und zur
Freundſchaft, gleichſam unter die neben dem
[253] Schutthaufen des Brandes noch grünenden Bäu¬
me; Weiber floh er, weil ſie ihn wie fremde
Kinder eine Mutter, die ihres verlohren, zu
ſchmerzlich erinnerten. Wie heiter geht dage¬
gen ein Simultanliebhaber, der nur Allerſeelen-
und Allerheiligenfeſte feiert, ordentlich neuge¬
bohren umher, wenn er ſich endlich aus einem
faſſenden Herzen glücklich ausgehenkt und er
nun alle weibliche Geſtalten wieder mit der An¬
ſicht eingelößter Güter überzählen kann! Schon
das Gefühl dieſer Freiheit kann ihn ermuntern,
ſich öfter, um es wieder zu ſchmecken, einem
weiblichen Herzen als Gefangnen zu überliefern.


Albano verlief ſich an Roquairols und
Schoppens Händen in wilde Männerfeſte —
die das Sphären-Echo der Freude auf der
Heerpauke vortragen wollen —; es waren nach
den Roſenfeſten nur die Dornenfeſte. So giebt
es ein Verzweifeln, das ſich mit Schwelgen
hilft; wie z. B. in der Peſt zu Athen — oder
in der Erwartung des jüngſten Tages — oder
in der Erwartung des Robespierriſchen Schlacht-
Meſſers. Der Hauptmann gieng tiefer in ſei¬
ne alte Verworrenheit und Wildniß zurück und
[254] zog ſo weit er konnte, den unſchuldigen Jüng¬
ling in ſeine Volksfeſte mit ſogenannten Mu¬
ſenſöhnen, in ſeine immerwährende Weinleſe
und auf ſeine Freuden-Werbplätze nach, gleich¬
ſam als hab' er ſeinetwegen nöthig, den Freund
ein Wenig zu ſich herabzubringen.


Albano bildete ſich ein, mit dieſen Dythi¬
ramben ſey ſeine weinende Seele ganz einge¬
ſungen und er wiegte ſie nur noch ein wenig
fort. Indeß wurden, wiewohl ers nicht einge¬
ſtehen wollte, ſeine jungen Roſenwangen ſo
bleich wie eine Stirn und das Geſicht fiel wie
eine Taſte unter der zerſprungnen Saite ein.
Es war rührend und hart zugleich, wenn er
lachend unter ſeinen Freunden und deren Freun¬
den ſaß mit einem entfärbten Geſicht — mit
höhern, ſchärfern Knochen der Augen und der
Naſe — mit einem wildern Auge, das aus ei¬
ner dunklern Knochentiefe loderte. Vor Muſik,
zumal Roquairols ſeiner, worin das leiden¬
ſchaftliche Wogen und Werfen unſers Schiffs
mit dem tonkünſtleriſchen abgenützten Wechſel
des Dämpfers und Donners zu lebendig arbei¬
tete, entfloh ſein Ohr und Herz wie vor einer
[255] aufreibenden Sirene. Der abgebrochne Lan¬
zenſplitter der Wunde zog in ſeinem ganzen
Weſen nagend herum. O, wie in den Kinder¬
jahren, wenn ihm die Roſen-Wolke am Him¬
mel gerade auf dem Berge aufzuliegen und ſo
leicht zu ergreifen ſchien, das herrliche Gewölk
weit in den Himmel zurückfuhr, ſobald er den
Berg erſtiegen hatte: ſo ſtand jetzt die Aurora
des Lebens und Geiſtes, die er nahe faſſen wol¬
len, ſo hoch und ferne droben über ſeiner Hand
im Blau. Mühſam erreicht der Menſch die
Alpe der idealiſchen Liebe, noch mühſamer und
gefährlicher iſt — wie von andern Alpen —
das Herabſteigen von ihr.


Eines Tages kam Chariton in die Stadt,
bloß um ihm endlich einen Brief ihres Man¬
nes — denn Dian machte wie alle Künſtler
leichter und lieber ein Kunſtwerk als einen Brief
— zu überbringen, worin er ſich freuete, daß
er Albano ſo bald ſehen würde. „Er kommt alſo
wieder?“ fragte der Graf. Sie rief betrübt aus:
„Bei Leibe! — Ja das! — Nach ſeinem vori¬
gen Schreiben bleibt er noch ſein Jahr.“ —
„So verſteh' ich ihn nicht,“ ſagte Albano.


[256]

Er wurde an demſelben Abend auf herku¬
laniſche Bilderbücher — die mit Charitons
Brief Eine Poſt genommen hatten — von der
Fürſtin eingeladen. Sie trat ihm mit jener er¬
heiterten Liebesmine entgegen, welche man vor
einem aufſpannt, der vor uns ſogleich wie wir
hoffen, ſeinen gränzenloſen Dank aus dem Her¬
zen ziehen wird. Aber er hatte Nichts daraus
zu ziehen. Sie fragte endlich betroffen, ob er
heute keine Briefe aus Spanien erhalten. Sie
vergaß, daß die Poſt gegen kein Haus höflich
und eilig iſt als gegen das Fürſtenhaus. Da
aber ſein Brief ſchon gewiß in ſeinem Zimmer
lag: ſo erlaubte ſie ſich, die Rolle der Zeit zu
nehmen, welche Alles an den Tag bringt und
ſagte, was im Briefe ſtehe, „daß ſie nehmlich im
„Herbſte eine kleine Kunſtreiſe nach Rom un¬
„ternehme, auf der ſie ſein Vater begleiten wer¬
„de und Er dieſen, wenn Er wolle; das ſey das
„ganze Geheimniß.“ — Es war das halbe;
denn ſie ſetzte bald darauf hinzu, daß ſie der
beſten Zeichnerin in der Stadt am liebſten die
Freude dieſer Reiſe zuwende, ſobald dieſe nur
geneſe — Lianen.


Wie[257]

Wie plötzlich das ganze Herz freudig er¬
leuchtet wird, nach einem langen finſtern Re¬
gentage endlich Abends die Sonne ſich unter
dem ſchweren Waſſer ein goldnes, offnes Abend¬
thor wölbt, darin rein-glänzend wie in einer
Roſenlaube vor der wiederſcheinenden Erde ſteht,
ihr einen ſchönern Tag anſagt und dann mit
warmen Blicken verſchwindet aus der offnen
Roſenlaube: ſo war es unſerem Albano.


Der ſchöne Tag war noch nicht da, aber
der ſchöne Abend. Er ließ die herkulaniſchen
Bilder unter ihrem Schutt und eilte ſo ſchnell
als es die Dankbarkeit vergönnte, zum Blatte
des Vaters zurück, der ſo ſelten eines gab.


Es war dieſes da:


„Liebſter Albano! Meine Geſchäfte und
meine Geſundheit ſind endlich in ſolcher Ord¬
nung, daß ich meinen Plan bequem ausführen
kann, den ich mit der Fürſtin vorhabe, eine
kleine Kunſtreiſe nach Rom noch im Herbſte zu
machen, zu der ich Dich einlade und im Oktober
ſelber abhole. Die übrige Reiſegeſellſchaft wird
Dir nicht mißfallen, da ſie aus lauter tüchtigen
Kunſtkennern beſteht, H. v. Bouverot, H. Kunſt¬
Titan III. R[258] rath Fraiſchdörfer, H. Bibliothekar Schoppe
(wenn er will). Leider muß H. v. Auguſti als
Lektor zurückbleiben. Dein Lehrer in Rom
(Dian) erwartet Dich mit vieler Sehnſucht. Man
hat mir geſchrieben, daß Du die neue Hofdame
der guten Fürſtin, Fräul. v. Fr., deren ich mich
als einer ſehr braven Zeichnerin entſinne, be¬
ſonders begünſtigeſt. Es wird Dich daher in¬
tereſſiren, daß die Fürſtin ſie auch mitnimmt,
zumal da ihr wie ich höre, eine Geſundheitsrei¬
ſe ſo nöthig iſt wie mir. — Im Frühling, der
ohnehin nicht die ſchönſte Jahreszeit in Italien
iſt, kehreſt Du wieder zu Deinen Studien nach
Deutſchland zurück. — Noch Etwas im Ver¬
trauen, mein Beſter! Man hat meiner Mündel,
der Gräfin von Romeiro, deine Geiſter-Viſio¬
nen aus Peſtiz unverhohlen mitgetheilt. Da ſie
nun den Herbſt und den Winter während mei¬
ner Abweſenheit bei ihrer Freundin, der Prin¬
zeſſin Julienne zubringt und noch dazu eher
ankommt als ich: ſo laſſe Dich es nicht frappi¬
ren, daß ſie Deiner Bekanntſchaft ausweicht,
weil ſich ihr weiblicher und ihr perſönlicher
Stolz durch den gaukleriſchen Gebrauch ihres
[259] Namens gekränkt und gerade zur Widerlegung
der Gaukler recht aufgefodert findet. In der
That konnte man — wenn die Spielerei an¬
ders einen ernſthaftern Zweck hat — wohl kein
ſchlechteres Mittel dazu erwählen. — Du wirſt
thun, was die Ehre gebietet und ob ſie gleich
meine Mündel iſt, ſie nicht zudringlich aufſu¬
chen. Alles bleibt unter uns. Adio!


G. v. C.“


Dieſe Ausſichten — die erhebende, neben
dem Vater ſo lange zu ſeyn — die heilende,
aus dieſer tiefen Aſche herauszuwaten in ein
freieres, leichteres Land — die ſchmeichelnde, daß
das kranke, geplagte Herz im Bergſchloſſe viel¬
leicht in Zitronen- und Lorbeerwäldern Freude
und Geneſung wieder finde, auch wohl wieder
gebe — dieſe Ausſichten waren, was die Freu¬
den der Menſchen ſind, ſehr ſchöne Spazier¬
gänge im Hofe des Gefängniſſes.


Auf dieſem frohen Spaziergange ſtörte ihn
bald das Bild der kommenden Linda — aber
nicht ſeinet- ſondern ſeiner armen Schweſter
und ſeines Freundes wegen. Wie feindſeelig muß
R 2[260] dieſes fremde Irrlicht, dacht' er, in den nächt¬
lichen Kampf aller gegen einander rennenden
Verhältniſſe hüpfen! Roquairol ſchien ohnehin
die zu heftig liebende Rabette mit ihren einſa¬
men Wünſchen allein zu laſſen; ſie ſchickte wö¬
chentlich ihre durch einen Einſchluß an Albano
— ſonſt wars umgekehrt — briefliche Seufzer
und Thränen, die er alle kalt einſteckte, ohne
von ihnen oder der Verlaſſenen zu ſprechen.


Albano — im Stillen Lianen und Rabetten
abwägend — beklagte ſelber das ungleiche Loos
ſeines übereilten Freundes, über deſſen Son¬
nenpferde nur eine Amazone und Titanide, aber
nicht ein gutes Landmädchen den Zügel wer¬
fen konnte und deſſen Pſyches- und Donnerwa¬
gen ihm zu gut ſchien zu einem bloßen eheli¬
chen Poſt- oder Kinderwagen. Erwürgend wird
ſich Alles durcheinanderſchlingen, dacht' er, wenn
er am Traualtar mit Rabetten kniend zufällig
aufſieht und unter den Zuſchauerinnen die un¬
vergeßliche hohe Braut ſeiner ganzen Jugend
findet und laut das entſagende Ja ausſtam¬
meln muß!
[261] Er war daher zweifelhaft, ob er ihm den
Inhalt des Briefs entdecken dürfe, aber doch
nicht lange; „ſoll ich dem Freund (ſagt' er,) ver¬
„hehlen und vorgaukeln? Darf ich ihn als
„ſchwach vorausſetzen und die Beſchleunigung
„der Verhältniſſe ſcheuen, die doch mit Ihr
„kommen?“ —


Sobald Karl zu ihm kam, ſagt' er ihm zu¬
erſt die Abreiſe und ſogar die Bitte um deſſen
Mitreiſe; bewegt von der erſten Trennung ſei¬
nes Jugendfreundes. Der Hauptmann — des¬
ſen Herz immer den Sangboden der Phantaſie
zum Anklang brauchte — war auf der Stelle
nicht vermögend, beträchtliche Empfindungen
über den Abſchied zu haben und zu mahlen.
Da gab ihm Albano — über die Lippe konnt'
ers nicht bringen — den ganzen Brief.


Unter dem Leſen wurde Roquairols gan¬
zes Geſicht häßlich, ſogar in des Freundes Au¬
ge. — Er ſchleuderte dann ein ſo flammendes
Zornauge gegen Albano, daß dieſer es erwi¬
derte unwillkührlich und unwiſſend. „O, wahrlich,
ich verſteh' Alles (ſagte Karl). So mußt' es ſich
löſen. Warte nur bis Morgen!“ Alle Mus¬
[262] keln an ihm waren rege, alle Züge irre, Alles
bewegt, ſo wie im heftigen Gewitter kleine
Wölkchen umeinander wirbeln. Albano wollte
ihn fragen und halten. „Morgen, morgen!“
rief er und ſtürmte davon.

87. Zykel.

Am Morgen erhielt Albano einen ſonder¬
baren Brief von Roquairol, zu deſſen Ver¬
ſtändniß einige Nachrichten von ſeinem Ver¬
hältniß mit Rabetten vorausſtehen müſſen.


Nichts iſt ſchwerer, wenn man ſeinen Freund
recht liebt, als deſſen Schweſter kaum anzuſe¬
hen. Nichts iſt leichter — nur das Umgekehr¬
te ausgenommen — als nach der Entzauberung
durch Stadtherzen die Bezauberung durch Land¬
herzen. Nichts iſt einem Simultanliebhaber,
der Alle liebt, natürlicher als die Liebe gegen
Eine darunter. Es braucht nicht erwieſen zu
werden, daß der Hauptmann in allen drei Fäl¬
len auf einmal geweſen, da er zum erſtenmale
zu Rabetten ſagte, ſie habe ſein ſogenanntes
Herz. Sie hätte freilich die Hamädryade in
einem ſolchen Giftbaum, durch deſſen Saft ſo
[263] viele Amors Pfeile vergiftet wurden, nicht ſo
nahe anbeten ſollen; aber ſie und ihre meiſten
Schweſtern werden von den männlichen Vor¬
zügen gegen den männlichen Mißbrauch davon
verblendet.


Anfangs gieng Manches gut; die reine Un¬
schuld ſeiner Schweſter und ſeines Freundes
warf ein fremdes Zauberlicht auf den widerna¬
türlichen Bund. Das Vorzüglichſte war, daß
er als Konzertmeiſter ſeiner Liebe wenig mehr
von Rabetten bedurfte als die — Ohren; Lieben
war bei ihm Sprechen und Handlungen ſah er
bloß für die Zeichnung unſerer Seele, Worte
aber für die Farben an. Es giebt eine doppel¬
te Liebe, die der Empfindung, und die des Ge¬
genſtandes. — Jene iſt mehr die männliche,
ſie will den Genuß ihres eignen Daſeyns, der
fremde Gegenſtand iſt ihr nur der mikroſkopi¬
ſche Objekt- oder Subjekt-Träger,
worauf ſie ihr Ich vergrößert erblickt; ſie kann
daher leicht die Gegenſtände wechſeln laſſen,
wenn nur die Flamme, in die ſie als Brennſtoff
geworfen werden, hoch fortlodert; und durch
Thaten, die immer lang, langweilig und be¬
[264] ſchwerlich ſind, genießet ſie ſich weniger als
durch Worte, die ſie zugleich mahlen und meh¬
ren. Hingegen die Liebe des Gegenſtandes ge¬
nießet und begehret Nichts als das Glück des¬
ſelben, (ſo iſt meiſtens die weibliche und elter¬
liche,) und nur Handlungen und Opfer thun
ihr Genüge und wohl; ſie liebt, um zu beglü¬
cken, wenn jene nur beglückt, um zu lieben.


Roquairol hatte ſich längſt der Liebe der
Empfindung gewidmet. Daher mußt' er ſo
viel Worte machen. Überhaupt wurde ſein
Herz erſt durch den Transport über die Zunge
und Lippe recht feurig und trinkbar; am Rhein¬
fall wär' er nicht von der beſten nämlich ge¬
rührteſten Laune geweſen, bloß weil er zum Lo¬
be deſſelben — da der Fluß Alles überdonnert
— Nichts hätte vorbringen können, vor erha¬
benem Lärm.


Sein Roman mit Rabetten nach der Lie¬
bes-Erklärung war in verſchiedene Kapitel ab¬
getheilt.


Das erſte Kapitel bei ihr verſüßte er ſich
dadurch, daß ſie ihm neu war und zuhörte und
bewundernd gehorchte. Er ſchilderte ihr darin
[265] große Stücke von der ſchönen Natur ab, miſch¬
te einige nähere Rührungen dazu und küßte
ſie darauf; ſo daß ſie ſeine Lippen wirklich in
zwei Geſtalten genoß, in der redenden und in der
handelnden; von ihr wollt' er wie geſagt nur
ein Paar offne Ohren. In dieſem Kapitel
nahm er noch einige Möglichkeit ihrer — Hei¬
rath an; die Männer vermengen ſo leicht den
Reiz einer neuen Liebe mit dem Werth und
der Dauer derſelben.


Er machte ſich an ſein zweites Kapitel und
ſchwamm darin ſeelig in den Thränen, aus de¬
nen er es zu ſchreiben ſuchte. In der That ge¬
währte ihm dieſe Augenluſt mehr wahre Freu¬
de als faſt die beſten Kapitel. Wenn er ſo ne¬
ben ihr ſaß und trank — denn wie ein todtes
Fürſten-Herz begrub er gern ſein lebendes in
Kelche — und nun anfieng zu mahlen ſein Leben,
beſonders ſeinen Tod, und ſeine Leiden und
Irrthümer vorher und ſeinen Selbſt- und Kna¬
benmord auf der Redoute und ſeine weggeſto¬
ßene Liebe für Linda: wer war da mehr zu
Thränen bewegt als er ſelber? — Niemand
als Rabette, deren Augen — durch ihren Va¬
[266] ter und Bruder ſo wenig mit Männerthränen
bekannt geworden als mit Elephanten-, Hirſch-
und Krokodilsthränen — deſto reicher in ſeine
Trauer und Liebe, aber nicht ſo ſüß als bitter
überſtrömten. Das goß wieder neues Oel in
ſeine Flamme und Lampe, bis er am Ende wie
jener Schüler des Hexenmeiſters von Göthe die
Beſen, welche Waſſer zutrugen, nicht mehr re¬
gieren konnte. Poetiſche Naturen haben eine
mitleidige; gleich der Juſtiz beſolden ſie neben
der Folterbank einen Wundarzt, der die ge¬
brochnen Glieder ſogleich wieder ordnet, ja ſo¬
gar vorher die Stellen der Quetſchungen re¬
gulirt.


Der Mann ſollte nie ſeinetwegen, ausge¬
nommen vor Entzückung, weinen. Aber Dich¬
ter und alle Leute von vieler Phantaſie ſind
Zauberer, welche — gerade als Widerſpiele
der verbrannten Zauberinnen — leichter wei¬
nen, obwohl mehr vor Bildern als vor dem
rohen, wunden Unglück ſelber, um die armen
Zauberinnen auf die ſchlimmſte Waſſerprobe
zu ſetzen. Trauet nicht! Auf dem Machinel¬
[267] len-Giftbaum werden die Regentropfen giftig,
die von ſeinen Blättern rollen.


Indeß muß es nie verſchwiegen werden,
daß der Hauptmann in dieſem zweiten Kapitel
ſeinen Entſchluß beſtärkte, die gute und ſo wei¬
che Rabette wirklich zu — ehelichen; „du weißt,
(ſagt' er zu ſich,) was im Ganzen an den Wei¬
bern iſt, ein Paar Mängel auf oder ab thun
wenig; deine männliche Narrheit, ſie wie die
Zins- und Deputatthiere ohne Fehl zu fodern,
iſt doch wohl vorüber, Freund.“ —


Jetzt ſetzt' er ſich hin, um zu ſeinem drit¬
ten Kapitel einzutunken worin er ſpaßte. Sei¬
ne Lippen-Allmacht über das zuhorchende Herz
erquickt' ihn dermaßen, daß er häufige Verſu¬
che machte, ob ſie ſich nicht halb todt lachen
könnte. Weiber nehmen in der Liebe aus Schwä¬
che und Feuer das Lachkraut am leichteſten;
ſie halten den komiſchen Heldendichter noch mehr
für ihren Helden, — und beweiſen damit die
Unſchuld ihres Auslachens. Aber Roquairol
liebte die Lachende weniger.


In ſeinem vierten Kapitel — oder Sek¬
tor, oder Hundspoſttag, oder Zettelkaſten, oder
[268] wie ich ſonſt (lächerlich genug) ſtatt der Zykel
abtheile — in ſeiner vierten Jobelperiode ſag'
ich, hielt' es, ſo zu ſagen, härter mit ihm. Ra¬
bette würd' es endlich gewohnt und ſatt, daß
er immer abſtieg und den zwiſchen den Rädern
hängenden Theertopf der Thränendrüſe auf¬
machte, um den Trauerwagen zu theeren. Tie¬
fes Rühren und Bewegen wurd' ihm täglich
ſauerer gemacht und vergället, er mußte immer
längere und grellere Trauerſpiele geben. Da
fieng er an zu merken, daß die Zunge des
Landmädchens nicht eben die größte Landſchafts¬
mahlerin, Seelenmahlerin und Silhouettrice ſey
und daß ſie zu ihm wenig mehr zu ſagen wiſ¬
ſe als: Du mein Herz! Er machte deshalb im
vierten Kapitel ſeltnere Beſuche; das half wie¬
der viel, aber kurz. Glücklicher Weiſe gehörte
die halbe Meile von Peſtiz nach Blumenbühl
zu Rabettens Schönheitslinien und Strahlen
in der Stadt, in Einer Straße oder gar unter
Einem Dache wär' er zu kalt geblieben vor
Nähe.


Die natürlichſte Folge aus einem ſolchen
Kapitel iſt das fünfte, oder das Wechſelkapitel,
[269] das einige Flammen noch durch den immer
ſchnellern Wechſel von Vorwürfen und Ver¬
ſöhnungen aufbläſet, ſo daß beide ſich wie elek¬
triſche Körper kleine, wechſelnd anziehen und
abſtoßen. Zuweilen trank er Nichts und fuhr
ſie bloß an, zuweilen nahm er ſein Glas und
ſagte zu ihr: Ich bin der Teufel, Du der En¬
gel. Den größten Stoß gab ſeiner Liebe ſein
Vater durch den Beifall, den er ihr wider Ver¬
hoffen ſchenkte. Dem Hauptmann war gänz¬
lich ſo als begeh' er die Silberhochzeit, wenn
er einmal die goldne feiere. Im Dienſte der
Liebesgöttin wird man leichter kahl als grau;
er war ſchon gegen die Silberbraut moraliſch-
kahl. Zum Glücke trieb er kurz vor dem Flam¬
menſonntag in Lilar *) alle Vernachläſſigungen
und Sünden ſo weit, daß er am Sonntag im
Stande war, ſie zu verfluchen; nur nach Zür¬
nen und Sündigen konnt' er leichter lieben und
beten, wie der kriechende Springkäfer ſich nur
aufſchnellt, auf den Rücken gekehrt. Es iſt wohl
[270] wenigen Leſern aus jenem Sonntag entfallen,
wenigſtens entgangen — daß Roquairol Mor¬
gens mit Rabetten im Flötenthale geſeſſen
— daß Rabette da beklommen und einſam ge¬
ſungen — und daß er aufgelöſet ſeinem von
der Liebe verherrlichten Freunde aufgeſtoßen.
Die Thal-Sache iſt natürlich: nach ſo langem
Kühl- (nicht Kalt-) Sinn — an dieſem luftigen,
freien Otaheiti-Tage — bei ſo Vielem was
er in den Händen hatte (eine fremde —
und eine Flaſche.) — neben ihrem Herzen ſo
warm und doch ſo ruhig wie die Sonne dro¬
ben — neben der einſamen Waiſen-Flöte, die
er rufen ließ — und bei ſeinem herzlichſten
Wunſche, von einem ſolchen Tage und Himmel
etwas zu profitiren — — da ſah er ſich or¬
dentlich genöthigt, wahre Rührung vorzuholen,
über ſeine Vergangenheit ſich auszulaſſen (er
glich den alten Sprachen, die nach Herder vie¬
le Präterita und kein Präſens haben) — ja
über ſeinen Tod (auch ein Bruchſtück der Ver¬
gangenheit) — und dann wie auf einem Him¬
melswege weiter zu gehen. Freilich gieng er
nicht weit; er ließ wieder ſein H. Januars Blut
[271] flüſſig werden, nämlich ſeine Augen, und alſo
vorher ſein eignes und foderte dann der ent¬
zückten, im ſchönſten Himmel umhergeſchleuder¬
ten Seele nichts Geringeres ab als — da ſie
vor dem zugeworfnen Schnupftuch verſtummte
wie der Kanarienvogel unter dem übergeworf¬
nen — ein ſchwaches Singen. Rabette konnte
nicht ſingen, ſie ſagte es, ſie weigerte ſich, ſie
ſang endlich; aber ſie dachte unter dem leeren
Singen an Nichts weiter als an ihn und ſein
wildes, naſſes Geſicht.


Das ſchlimmſte Kapitel unter allen, die er
in ſeinen Roman brachte, iſt wohl das ſechste,
das er in der Illuminazionsnacht in Lilar nie¬
derſchrieb. Anfangs hatt' er die ſtumme, glanz¬
loſe Zuſchauerin einſam ſtehen laſſen, indem er
hinter dem Venuswagen voll fremder Göttinnen
nachlief und aufſprang. Allmählig kroch Eine
Freude nach der andern herzu und gab ihm den
Tarantelbiß, dem ein krankes Toben folgte.
Da Mäßigkeit eine wahre ſtärkende Arzenei
des Lebens iſt: ſo nahm er zu dieſer kräftigen
Arzenei, um ſie nicht in immer ſtärkern Doſen
brauchen zu müſſen, ungemein ſelten die Zu¬
[272] flucht und gewöhnte ſich durchaus nicht an ſie.
Endlich erſchienen an ihm wie am ſineſiſchen
Porzellan *) die Geſtalten durch Füllen; er trat
mitleidend und liebend zu Rabetten und glaub¬
te mit ihr, gegen ſie weich oder gut zu ſeyn, da
ers bloß gegen Alle war.


Er wollte ſie aus dem feindlichen Augen-
Heer entführen, um bei ihr den Kuß zu ſuchen,
dem das Verbot und die Entbehrung wieder
den Honig gab; aber ſie weigerte ſich, weil da,
wo das [Auge] aufhört, der Verdacht anfängt,
als er zum Unglück die Blinde aus Blumen¬
bühl anſichtig wurde und zur ſcheinbaren Wa¬
che Rabettens rufen konnte, um dieſe aus der
Verſuchung unter Menſchen in die Verſuchung
in der Wüſte zu führen. Sie ungeſtüm-lie¬
bend an ſich drückend wie nie — daß die ar¬
me, dieſen Abend ſo verlaſſene Seele über die
Wie¬[273] Wiederkehr aller ihrer Freuden weinte — und
zu ihr redend wie ein Engel, der wie keiner
handelt, gelangt' er mit ihr im ſtillen Tartarus,
wo alles blind und ſtumm war, unwillkührlich an.


Rabette hatte die Blinde nicht entlaſſen;
aber als ſie in den Katakombengang eingien¬
gen der nur zwei Perſonen faſſet, wenn nicht
die dritte im Waſſer ſchleichen will, wurde die
augenloſe Magd an die Pforte geſtellt, um ſo¬
mehr da er ſich nicht gern von einer überflüs¬
ſigen Zuhörerin wollte hemmen laſſen. Und
was war denn mitten im Guckkaſten des Gra¬
bes auch zu ſcheuen?


Drinnen ſprach er über die überall ausge¬
ſtreckten Zeigefinger des Todes „und daß ſie
hinwieſen, das Leben, ſo dumm es auch ſey, nicht
noch dümmer zu machen, ſondern luſtig.“ Er
ſetzte ſich mit ihr liebkoſend — wie der Würg¬
engel unſichtbar neben dem blühenden Kinde
ſitzt, das im alten Gemäuer ſpielt und dem er
den ſchwarzen Skorpion in die zarten Händ¬
chen drückt —; es war die Stelle, wo er mit
Albano, gegenüber dem Gerippe mit der Äols¬
harfe, in der erſten Bundesnacht geſeſſen, als
Titan III. S[274] ihm der Freund die Entſagung Linda's beſchwor.
Seine Zunge ſtrömte wie ſein Auge — Er war
weich wie nach dem Volksglauben Leichen weich
ſind, denen Traurende nachſterben — Er warf
Feuer-Kränze in Rabettens Herz, aber ſie hat¬
te nicht wie er Wortſtröme zum Löſchen — ſie
konnte nur ſeufzen, nur umarmen; und die
Männer verſündigen ſich am leichteſten aus
Langerweile an guten, aber langweiligen Her¬
zen — Schneller ſprangen Lachen und Weinen,
Tod und Scherz, Liebe und Frechheit ineinan¬
der über; das moraliſche Gift macht die Zun¬
ge ſo leicht als phyſiſches ſie ſchwer — Die
Arme! die jungfräuliche Seele iſt eine reife
Roſe, aus der, ſobald Ein Blatt gezogen iſt,
leicht alle gepaarte nachfallen; ſeine wilden Küſ¬
ſe brachen die erſten Blätter aus — Dann ſan¬
ken andere — Umſonſt wehet der gute Genius
fromme Töne aus der Harfe des Todes und
rauſchet zürnend im Orkus-Fluſſe der Kata¬
kombe herauf— Umſonſt!— Der ſchwärzeſte En¬
gel, der gern foltert, aber lieber Unſchuldige als
Schuldige, hat ſchon vom Himmel den Stern der
Liebe geriſſen um ihn als Mordbrand in die
[275] Höhle zu tragen. Der Wehrloſen enges, armes
Lebens-Gärtchen, worin nur wenig wächſt, ſteht
auf dem langen Minengang, der unter Roquai¬
rols ausgedehnten Luſtlagern wegläuft; und
der ſchwärzeſte Engel hat die Minen-Lunte
ſchon angeſteckt — Feurig friſſet der gierige
Punkt ſich weiter. Noch ſteht ihr Gärtchen voll
Sonnenſchein und ſeine Blumen wiegen ſich —
der Funke nagt ein wenig am ſchwarzen Pul¬
ver, plötzlich reiſſet er einen ungeheuern Flam¬
men-Rachen auf — Und das grüne Gärtchen
taumelt, zerſprengt, zerſtäubt, in ſchwarzen
Schollen aus der Luft herab an ganz fernen
Stellen — Und das Leben der Armen iſt Dampf
und Gruft. — —


Aber Roquairols ausgebreiteten, weiten und
zuſammengewurzelten Luſt-Parks widerſtanden
dem Erdſtoße viel kräftiger. — Beide traten
dann betrübt — denn dem Hauptmann war
eine kleine Laube aufgeſchleudert — aus dem
Minirgange heraus, trafen aber die Blinde
nicht mehr an, die ſuchend ſich verlaufen hatte,
ſondern ſtießen nur dem umherirrenden Alba¬
no auf, der ſehr trauerte und tobte, ob er
S 2[276] gleich dieſen Abend Nichts verlohren hatte als —
Freuden.


Laſſet uns die Betrogne und ihre Mit-
Millionen mit einigen Worten vor einen mil¬
den Richter führen! — Nicht Das allein wird
dieſer Richter wiegen, daß ſie, vom Blüthenſtau¬
be eines rauchenden Freuden-Frühlings betäubt,
ſtumm-erſtickt mit dem jungfräulichen Schleier,
erlegen dem Sturm der Phantaſie — da Wei¬
ber um ſo leichter vor der fremden und poeti¬
ſchen fallen, je ſeltner ihre eigne weht und ih¬
nen das Feſtſtehen angewöhnt — den Lohn ei¬
nes ganzen jungfräulichen Lebens ſterben ließ:
ſondern Das mildert am ſtärkſten das Urtheil,
daß ſie Liebe im Herzen trug. Warum erkennt
es denn das Männer-Geſchlecht nicht, daß die
Liebende in der Stunde der Liebe ja Nichts wei¬
ter thun will als Alles für den Geliebten, daß
die Frau für die Liebe alle Kräfte, gegen ſie
ſo kleine hat und daß ſie mit derſelben Seele
und in derſelben Minute eben ſo leicht ihr Le¬
ben hingäbe als ihre Tugend? — Und daß
nur der fodernde und nehmende Theil ſchlecht
ſey, beſonnen und ſelbſtſüchtig?


[277]

Das letzte oder ſiebente Kapitel ſeines Räu¬
berromans iſt ſehr kurz und widerſprechend.
Den dritten Tag beſucht' er ſie in ihrem Gar¬
ten, war zärtlich, vernünftig, nüchtern, zu¬
rückhaltend als wär' er ein Ehemann. Da er
ſie voll Kummer fand, den ſie doch nur halb
ausſprach: ſo kam er aus Angſt für ihre Ge¬
ſundheit mehrmals wieder; und als dieſe nicht
im Geringſten gelitten, blieb er — weg. Ge¬
gen Albano war er während beſagter Angſt
demüthig; und nach derſelben wie ſonſt, aber
nicht lange. Denn als ſeine Schweſter, die er
vielleicht unter allen Menſchen am reinſten liebte,
durch Albano's Wildheit erblindete: warf er, eben
wegen der Ähnlichkeit der Schuld, auf dieſen ei¬
nen wahren Haß und etwas Ähnliches auf alle des¬
ſen Verwandte. Rabette bekam jetzt Nichts wei¬
ter von ihm als — Briefe und Entſchuldigun¬
gen, kurze Gemählde ſeiner wilden Natur, die
freien Spiel-Raum haben müſſe und die einer
fremden angeheftet, dieſe bloß eben ſo ſehr mit
der Kette zerſchlagen und drücken müſſe als
ſich ſelber. Alle Einwürfe Rabettens wußt' er
ſo gut zu heben, da ſie nur in Worten, und
[278] nicht in Minen und Thränen beſtanden, daß
er am Ende ſelber einſah, er habe Recht; und
der von dieſem ſtürzenden, glatten Maienbaum
erſchlagnen Maiblume blieb faſt Nichts übrig
als das rechte letzte Wort, nämlich die ſtumme
Lippe, die es dem Mörder nicht erſt meldet,
daß er das Herz getroffen und zerſtöret habe.

88. Zykel.

Hier iſt Roquairols Brief an Albano:
„Einmal muß es geſchehen, wir müſſen uns ſe¬
hen wie wir ſind und dann haſſen, wenn es ſeyn
muß. Ich mache Deine Schweſter unglücklich,
Du meine und mich dazu; das hebt ſich auf ge¬
genſeitig. Du verzerreſt Dich aus meinem En¬
gel immer heftiger zu meinem Würgengel. Wür¬
ge mich denn, aber ich packe Dich auch.


Jetzt ſieh mich an, ich ziehe meine Maſke
ab, ich habe konvulſiviſche Bewegungen auf
dem Geſicht, wie Leute, die genoſſenen Gift über¬
ſtanden! Ich habe mich in Gift betrunken, ich
habe die Giftkugel, die Erdkugel verſchluckt.
Frei heraus! Ich jauchze nicht mehr, ich glau¬
be Nichts mehr, ich jammere nicht einmal recht
tapfer. Ausgehöhlt, verkohlt vom phantaſti¬
[279] ſchen Feuer iſt mein Baum. Wenn ſo zuwei¬
len die Eingeweidewürmer des Ichs, Erbo¬
ßung, Entzückung, Liebe und dergleichen wie¬
der herum kriechen und nagen, und einer
den andern friſſet: ſo ſeh' ich vom Ich her¬
unter ihnen zu; wie Polypen zerſchneide und
verkehr' ich ſie, ſtecke ſie ineinander. Dann ſeh'
ich wieder dem Zuſehen zu und da das ins
Unendliche geht, was hat man denn von Al¬
lem? Wenn Andere einen Glaubens-Idealis¬
mus haben, ſo hab' ich einen Herzens-Idealis¬
mus, und jeder, der alle Empfindungen oft auf
dem Theater, dem Papier und dem Erdboden
durchgemacht, iſt ſo. Wozu dients? — Wenn
du jetzt ſtürbeſt, ſag' ich mir oft, ſo wäre ja
Alles, da alle Radien des Lebens in den kleinen
Punkt eines Augenblicks zuſammenlaufen, weg¬
gewiſcht, unſichtbar; mir iſt dann, als wär' ich
Nichts geweſen. Oft ſeh' ich die Berge und
Flüſſe und den Boden um mich an und mir iſt,
als könnten ſie jeden Augenblick auseinander
flattern und verrauchen und ich mit. Das
künftige Leben, da das anweſende kaum eines
iſt, und Alles, was daran hängt, gehört unter
[280] die Entzückungen, denen man zuſieht; zumal
unter einer, in der Liebe.


Da Du ſo leicht jede Verſchiedenheit von Dir
für Entkräftung hältſt: ſo ſag' ich Dir gerade
heraus: ſteige nur weiter, knäte Dich nur mehr
durch, hebe nur den Kopf aus den heißen Wo¬
gen der Gefühle höher, dann wirſt Du Dich nicht
mehr in ſie zerlaufen, ſondern ſie allein verwal¬
ten laſſen. Es giebt einen kalten, kecken Geiſt im
Menſchen, den Nichts etwas angeht, nicht einmal
die Tugend; denn er wählt ſie erſt und er iſt
ihr Schöpfer, nicht ihr Geſchöpf. Ich erlebte
einmal auf dem Meer einen Sturm, wo das
ganze Waſſer ſich wüthend und zackig und
ſchäumend aufriß und durcheinanderwarf, in¬
deß oben die ſtille Sonne zuſah; — ſo wer¬
de! Das Herz iſt der Sturm, der Himmel das
Ich.


Glaubſt Du, daß die Romanen- und Tra¬
gödienſchreiber, nämlich die Genies darunter,
die Alles, Gottheit und Menſchheit, tauſendmal
durch- und nachgeäfft haben, anders ſind als
ich? Was ſie — und die Weltleute noch
reel erhält, iſt der Hunger nach Geld und nach
[281] Lob; dieſer freſſende Magenſaft iſt der thieri¬
ſche Leim, der hüpfende Punkt in der weichen
Fluß-Welt und Fließ-Welt. — Die Affen ſind
Genies unter dem Vieh; und die Genies ſind
— nicht bloß vor höhern Weſen, wie Pope von
Newton ſagt — ſondern auch hier unten Affen,
im äſthetiſchen Nachmachen, in der Herzloſig¬
keit, Boßheit, Schadenfreude, Wolluſt und —
Luſtigkeit.


Letztere und Vorletztere beding' ich mir aus.
Gegen die Longueurs im Lebens-Buche, das
kein Menſch verſteht, giebts Nichts als einige
luſtige Stellen, an die ich nicht mehr denke, ſo¬
bald ich ſie geleſen. Um nur wegzukommen
über das höckerige, kalte Leben, will ich doch
mir lieber Roſenkelche als Dornenreiſer unter¬
ſtreuen. Die Freude iſt ſchon Etwas werth, weil
ſie Etwas verdrängt, eh' man ſich mit ſchwerem
Haupte niederlegt ins Nichts.


So bin ich; ſo war ich; da ſah ich Dich
und wollte Dein Du werden — aber es geht
nicht, denn ich kann nicht zurück, aber Du vor¬
wärts, Du wirſt mein Ich einmal — und da
wollt' ich Deine Schweſter lieben! Sie ver¬
[282] zeihe es mir! Hier trinke reinen Wein! Ich
weiß am beſten, wie weit es mit den Weibern
geht — wie ihre Liebe beglückt und beraubt —
wie jede Liebe ſich gleich anderem Feuer an viel
beſſerem Holze entzündet als ernährt
und wie überall der Teufel Alles holt, was er
bringt. — —


O, warum kann denn keine Frau nur ſo¬
weit und nicht weiter lieben als man haben
will? Gar keine? — Meinetwegen; überall wol¬
len ſchlaffe Prediger uns von jeder vergängli¬
chen Luſt abhalten durch die nachfahrende Un¬
luſt. Iſt denn die Unluſt nicht auch vergäng¬
lich? — Rabette meint' es gut mit mir, aus
demſelben Grunde des Wunſches, warum ichs
mit ihr und mir ſo meinte. Aber, weiß es denn
Jemand, welche Fegfeuer-Stunden man mit
einem fremden Herzen durchwatet, das voll iſt,
ohne zu füllen und deſſen Liebe man am Ende
haſſet— vor welchem, aber nicht mit welchem
man weint und nie über Gleiches und dem
man ſich jede Rührung zu enthüllen ſcheuet, aus
Furcht, ſie in Nahrung der Liebe verwandelt
zu ſehen — aus deſſen Zorn man den größern
[283] Zorn und aus deſſen Liebe man den kleinern
ſaugt? — Und nun vollends auf immer in die¬
ſe Peinlichkeit die heitern Verhältniſſe einge¬
ſchraubt, die uns ſonſt über die peinlichen em¬
porhalten ſollen — auf immer das lang ge¬
wünſchte Götter-Glück des Lebens in einen
platten Schein und Kupferſtich verkehrt, — das
Herz in eine Bruſt und Larve — das Mark des
Daſeyns in ſpitze Knochen — Und doch bei al¬
len Vorwürfen der Kälte nur ans Schweigen
gekettet, unſchuldig und ſtumm auf die Folter
gebunden — und Das eben ohne Ende! —


Nein, lieber den Wahnſinn her, den man
aus dem Tempel der Liebe ſowohl wie der Eu¬
meniden holt! Lieber recht unglücklich-entbrannt,
ohne Hoffnung, ohne Laut, bis zur Bleichheit
und Wuth als ſo geliebt-nicht liebend! — Wer
einmal in dieſer Hölle brannte, Albano, der —
fährt immerfort in ſie; das iſt das neue Un¬
glück. Verſchmerz' ich nicht das Leben und den
Tod und die Wunden und Stacheln vorher und
bin gewiß nicht ſchwach? — Doch bin ich nicht
im Stande, einer empfindſamen Rede — oder
Klavierphantaſie — oder Vorleſung oder Vor¬
[284] ſingung Einhalt zu thun, und wenn mir der
Schmerz in Perſon eine von allen Göttern unter¬
ſchriebne Drohung vorhielte, daß eine Zuhörerin,
die ich nicht leiden kann, ſogleich darauf meine
Liebhaberinn würde und daraus meine Ge¬
liebte und Hölle.


Die Griechen gaben dem Amor und dem
Tode dieſelbe Geſtalt, Schönheit und Fackel;
für mich iſts eine Mordfackel, aber ich liebe
den Tod und darum den Amor. Längſt war
mir mein Leben eine tragiſche Muſe; gern geb'
ich dem Dolche einer Muſe die Bruſt; eine
Wunde iſt faſt ein halbes Herz. —


Höre weiter! Rabette hat eine ſchöne Na¬
tur und folgt ihr, aber meine iſt für ſie eine
Wolke mit leerer, vergänglicher Bildung und
Geſtalt; ſie verſteht mich nicht. Könnte ſie es,
ſo vergebe ſie mir am erſten. O, ich habe ſie
wohl mißhandelt, als wäre ich ein Schickſal und
ſie ich. Zürne, aber höre. In der Illumina¬
zionsnacht führte ihre Sehnſucht und meine
Leerheit im Feuerregen der Freude uns wärmer
aneinander — unter den glattgepanzerten und
mattgeſchliffnen Hofgeſichtern blühte ihr aufrich¬
[285] tiges ſo ſchön und ſo lebendig, wie ein friſches
Kind auf der Bühne und am Hofe — Wir ge¬
riethen in den Tartarus — Wir ſaßen an der
Stelle, wo Du mir Deinen Verzicht auf Linda
geſchworen — In meinen Sinnen glühte der
Wein, in ihren das Herz — O, warum hat ſie,
wenn man ſpricht und ſtrömt, keine andere
Worte als Küſſe und macht einen ſinnlich aus
Langweile — und zwingt zum Sprechen ihrer
Sprache? — Meine wahnſinnige Kühnheit, die
mir die Phantaſie und der Rauſch einhauchen
und die ich kommen ſehe und doch erwarte, er¬
griff mich und trieb mich wie einen Nachtwand¬
ler. — Aber immer iſt Etwas in mir hellblicken¬
des, das ſelber das Zuggarn des Wahnſinns
ſtrickt, über mich wirft und mich verhüllt darin
führt. — So ſieh mich in jener Nacht mit dem
brennenden Netz um das Haupt, der Todten¬
bach murmelt zu mir, das Skelet greift durch
die Harfe — Aber umſchlungen, vergittert, ver¬
dunkelt, geblendet vom Feuer-Geflechte der Luſt
acht' ich weder Vernichtung noch Himmel noch
Dich und jenen Abend, ſondern ich ſchlinge Al¬
les durcheinander und ins Geflechte — Und ſo
[286] ſank die Unſchuld Deiner Schweſter ins Grab
und ich ſtand aufrecht auf dem Königsſarg und
gieng mit hinunter.


Ich verlohr Nichts — in mir iſt keine Un¬
ſchuld — ich gewann Nichts — ich haſſe die
Sinnenluſt; — der ſchwarze Schatte, den ei¬
nige Reue nennen, fuhr breit hinter den weg¬
gelaufenen bunten Luftbildern der Zauberlater¬
ne nach; aber iſt das Schwarze weniger op¬
tiſch als das Bunte?


Verdamme Deine arme Schweſter nicht; ſie
iſt jetzt unglücklicher als ich, denn ſie war glück¬
licher; aber ihre Seele iſt unſchuldig geblieben.
Bewahrt lag ihre Unſchuld in ihrem Herzen
wie ein Kern in der ſteinigen Pfirſichſchaale;
der Kern ſelber zerſprengte in der nährenden,
warmen Erde ſeinen Panzer und drängte ſich
grünend ans Licht.


Ich beſuchte ſie nachher. Alle ihre Seelen¬
ſchmerzen giengen in mich über; zu allen Tha¬
ten und Opfern für ſie fühlt' ich mich leicht;
aber zu keinen Empfindungen. Macht was
Ihr wollt, Du und mein Vater, ich werde mich
in dieſem dummen Stoppel-Leben, wo man in
[287] der Freiheit ſo wenig erntet, nicht vollends in
das enge dreißigjährige Gehege der Ehe ban¬
nen. Bei Gott! für den erbärmlichen erpreßten
Sinnen-Rauſch hab' ich ſchon bisher und un¬
ter ihm mehr ausgeſtanden als er werth iſt.


Nicht Das, was ich geſtern bei Dir geleſen,
giebt mir dieſen Entſchluß — das frage Rabet¬
ten über ihn — und meine Freimüthigkeit ge¬
gen Dich iſt ein willkührliches Opfer, da die My¬
ſterie unter zweien hätte ohne mich eine bleiben
können: ſondern ich will nicht von Dir verkannt
ſeyn, gerade von Dir, der Du, bei ſo wenigen
Reflexen deines Innern, ſo leicht nachtheilig
vergleichſt und nicht merkſt, daß Du meine
Schweſter in Lilar gerade ſo, nur mit geiſti¬
gern Armen, opferteſt und ihre Augen und
Freuden in den Orkus warfſt. Ich tadle Dich
nicht; das Schickſal macht den Mann zum Un¬
ter-Schickſal des Weibes. Die Leidenſchaften
ſind poetiſche Freiheiten, die ſich die moraliſche
nimmt. Du hielteſt mich doch nicht für zu gut,
ich bin Alles, wofür du mich nahmeſt, nur aber
noch mehr dazu; und das Mehr-Dazu fehlt
Dir noch ſelber.


[288]

O, wie fliegt mein Leben ſchneller, ſeit ich
weiß, daß Sie*) kommt! Das Schickſal, das
ſo oft Gewicht und Räder ſpielt und den Per¬
pendikel des Lebens mit eigner Hand auswirft,
hebt den meinigen aus und alle Räder rollen
der ſeeligen Stunde unbändig entgegen. Sie
iſt meine erſte, meine reinſte Liebe; vor ihr riß
ich alle meine blühenden Jahre aus und warf
ſie ihr hin auf ihren Weg als Blumen; für
Sie opfer' ich, wag' ich, thu' ich Alles, wenn
Sie kommt. O, wer in der leeren Schaum-
und Gaukel-Liebe Nichts fürchtet, was ſollte
der in der rechten, lebendigen Sonnen-Liebe
ſcheuen oder weigern? — Du Engel, du Würg¬
engel, Du flogſt herein in mein kahles, ebenes Le¬
ben. Du fliehſt und erſcheinſt, bald hier, bald da,
auf allen meinen Steigen und Auen, o verweile
nur ſo lange bis ich vor Deinen Füßen mir mein
Grab aufgewühlet habe, während Du zu mir
herunterſaheſt! —


Albano, ich ſchaue die Zukunft und greif'
ihr[289] ihr vor; ich ſehe recht deutlich das lange über
den ganzen Strom geſpannte Netz, das Dich
faſſen, ſchnüren und würgen ſoll; Dein Vater
und noch Andere ziehen darin Euch beide ein¬
ander zu, Gott weiß warum. — Darum, kommt
Sie jetzt und dein Reiſen iſt nur Schein. —
Meine arme Schweſter iſt bald beſiegt, näm¬
lich ermordet; beſonders da man dazu bei ih¬
rem Geiſterglauben keine andere Stimme braucht
als jene körperloſe, die über dem alten Für¬
ſtenherzen dem Deinigen die Gränze anwies!


Welche Lichter in der Zukunft, die zwiſchen
finſtern Verhältniſſen und Gebüſchen, in Mord-
Winkeln brennen! — Wie es ſey, ich trete in
die Höhlen hinein; ich danke Gott, daß das
ohnmächtige, kalt-ſchwitzende Leben wieder
einen Herzſchlag, eine Leidenſchaft gewinnt; und
dann oder jetzt thue gegen mich, der ich ſicher
und verſteckt und unredlich handeln konnte, was
Du magſt. Schlage Dich heut oder morgen mit
mir. Es ſoll mich freuen, wenn Du mich in
den längſten Schlaf auf den Rücken bringſt.
O, das Opium des Lebens macht nur Anfangs
lebhaft, dann ſchläfrig, o ſo ſchläfrig! Gern
Titan III. T[290] will ich nicht mehr lieben, wenn ich ſterben
kann. Und ſo ohne ein Wort weiter, haſſe oder
liebe mich, leb' aber wohl!


Dein Freund
oder Dein Feind.“

89. Zykel.

„Mein Feind!“ rief Albano. Der zweite
heiſſe Schmerz ſchlug vom Himmel in ſein Le¬
ben ein und der Wetterſtrahl brannte grimmig
wieder hinauf. Als ein herzloſer Rumpf der
vorigen Freundſchaft war ihm Roquairol vor
die Füße geworfen; und er fühlte den erſten
Haß. Dieſe Giftmiſchung von ſinnlicher und
geiſtiger Schwelgerei, dieſer Gährbottich von
Sinnenhefe und Herzens-Schaum — dieſer Ver¬
trag von Liebes- und Mordluſt und gegen das¬
ſelbe ſchuldloſe Herz — dieſer geiſtige Selbſt¬
mord des Gemüths, der nur ein luftiges, um¬
herſchweifendes, ſich wechſelnd verkörperndes Ge¬
ſpenſt übrig ließ, auf das kein Verlaß mehr
bleibt und das ein tapferer Mann ſchon zu
haſſen anfängt, weil er dieſen weichen Gift-Ne¬
bel nicht packen und bekämpfen kann — das
[291] Alles erſchien dem Grafen, der ohne die
Übergänge und Mitteltinten der Gewohnheit
und Phantaſie aus dem vorigen Lichte der
Freundſchaft in dieſe Abenddämmerung gefüh¬
ret wurde, noch ſchwärzer als es war. Neben
die flache Wunde, die ſein Familienſtolz in der
gemißhandelten Schweſter empfieng, kam die
tiefe giftige, daß Roquairol ihn mit ſich und
Lianens Zerſtörung mit Rabettens ihrer ver¬
glich. „Böſewicht!“ knirſchte er; auch die klein¬
ſte Ähnlichkeit ſchien ihm eine Verläumdung.


Allerdings hatte Roquairol an ihm ſich
verrechnet und ſeine poetiſche Selbſt-Verdamm¬
niß zu ſehr auf Rechnung eines poetiſchen Rich¬
terſpruchs aufgeſetzt. Wie man im Geräuſche
unwiſſend lauter ſpricht, ſo wußte er, wenn die
Phantaſie mit ihren Katarakten um ihn brauſ¬
te, nicht recht was er rief und wie ſtark. Da
er oft doch weniger Schwärze an ſich fand als
er ſchilderte: ſo ſetzt' er voraus, der Andere fin¬
de dann ſogar noch weniger als er ſelber. Auch
hatt' er im poetiſchen und ſündigen Taumel
ſich am Ende das moraliſche Zifferblatt ſelber
beweglich gemacht, daß es mit dem Zeiger
T 2[292] gieng; in dieſer Verwirrung wurd' ihm nicht
gezeigt, wo Unſchuld war.


Hätt' er vorausgeſehen, daß ſeine briefli¬
chen Beichten in feindlichern Winkeln an- und
abprallen würden als einſtmals ſeine mündli¬
chen: er hätte ſie anders gerichtet.


Vor Erſchütterung konnte Albano nicht ſo¬
gleich den kurzen Scheidebrief — keinen Fehde¬
brief — an den Verlohrnen ſchreiben, ſondern
zögerte in der Gewißheit, daß der Hauptmann
nicht ſelber komme — als er kam. Denn Zö¬
gern vertrug er nicht; körperliche und geiſtige
Wunden nahm er als theatraliſche auf; zu ſehr
gewohnt, Menſchen zu gewinnen, verwand ers
zu leicht, Menſchen zu verlieren. — Eine ſchreck¬
liche Erſcheinung für Albano; nur der aufge¬
ſtellte lange Sarg des getödteten Lieblings! —
Daß nun über dieſes kräftig-knochige Geſicht,
ſonſt die Veſte ihrer Seelen, die Furchen des
Unkrauts ſich krümmten, daß dieſer Mund, den
die Freundſchaft ſo oft auf ſeinen gelegt, ein
Peſt-Krebs, eine deckende Roſe des Zun¬
genſkorpions für die trauend-annahende
[293] gute Rabette geweſen, Das zu ſehen und zu den¬
ken war reiner Schmerz. —


Kaum hörbar war Gruß und Dank; ſtumm
giengen ſie auf und ab, nicht neben-ſondern
wider einander. Albano ſuchte ſeinen Zorn in
die Gewalt zu bekommen, um Nichts als die
Worte zu ſagen: gehe von mir und laſſe mich
Deiner vergeſſen. Er wollte Lianen im Bruder
ſchonen, der ihn das Opfermeſſer derſelben ge¬
ſcholten; ungerechte Vorwürfe erhalten uns in
der nächſten Zukunft beſſer, weil wir ſie zu kei¬
nen gerechten wollen werden laſſen. — „Offen
„bin ich, ſiehſt Du — (fieng Roquairol gemäs¬
„ſigt an, weil ſeine Wallungen halb vertropft
„und verſchrieben waren) — ſey es auch und
„antworte dem Brief.“ — „Ich war Dein
Freund — nun nicht mehr“ ſagte Albano er¬
ſtickt. — „Dir hab' ich doch Nichts gethan“
verſetzte jener.


„Himmel! Laß mich nicht Viel reden (ſagte
„Albano). Meine elende Schweſter — Meine
„Unſchuld an der Gräfin Kommen — Meine
„elende, verworfne Schweſter — — O Gott!
[294] „empör' mich nicht — Ich achte Dich nicht mehr
„und da geh!“ —


„So ſchlage Dich!“ ſagte der Hauptmann,
halb ſeelen-, halb wein-trunken. „Nein! (ſag¬
te Albano laut-einathmend wie zum Seufzer
des Zorns) Dir iſt Nichts heilig, nicht ein¬
mal ein Leben!“ Dieſer Zögling des Todes
warf den eignen Lebenstagen und Freuden und
Planen ſo leicht alle fremde nach in die Gruft;
das meinte Albano und dachte nur an die kran¬
ke, ſo leicht an fremden Wunden ſterbende Lia¬
ne, die Liebe war (ſtatt der Freundſchaft)
wie ein milderndes Weib vor ſeine aufgebrachte
Seele gegangen; aber der Feind verſtand ihn
falſch.


„Du mußt, (ſpottete wild der Hauptmann,)
„Deines ſoll mir theuer ſeyn!“ —


„Himmel und Hölle! ich meinte ein beſſe¬
„res (ſagt' er) — Verläumder, gegen Deine
„Schweſter hab' ich nicht ſo gehandelt wie Du
„gegen meine — ich habe ſie nicht elend ma¬
„chen wollen, ich bin nicht wie Du! — Und ich
„ſchlage mich nicht; ich ſchone ſie, nicht Dich.“ —
Aber der Höllenfluß des Zorns, den er durch
[295] Liane in flaches Land hatte leiten und ſeichter
machen wollen, ſchwoll davon wie unter Zau¬
berhand auf, weil Roquairols Lüge ihres Hin¬
opferns dabei ſo nahe lag.


„Du fürchteſt Dich“ ſagte der erbitterte Ro¬
quairol und nahm doch zwei Degen von der
Wand. „Ich achte Dich nicht — und ſchlage
mich nicht“ — ſagte Albano, ihn und ſich mehr
reizend, da er doch ſich bezwingen wollte.


Da trat Schoppe herein; „er fürchtet ſich“
wiederholte jener gewaffnet. Albano gab er¬
röthend mit drei brennenden Worten die Ge¬
ſchichte. „Ein Wenig müſſet Ihr Euch vor mir
ſchlagen!“ rief der Bibliothekar voll alten Haß
gegen Roquairols poetiſches Blend- und Gau¬
kel-Herz. Albano lechzend nach kaltem Stahl,
griff unwillkührlich darnach. Der Kampf be¬
gann. Albano fiel nicht an, aber immer wü¬
thender wehrt' er ſich; und wie er ſo den zor¬
nigen Affen des vorigen Freundes, mit dem
Dolch in der Hand ſah, der aus den blühen¬
den Beeten der ſchönſten Tage ausgeackert war
und in welchen er mit ſeinen Wunden getreten;
und wie der Hauptmann mit wachſendem Stur¬
[296] me auf ihn fruchtlos einblitzte: ſo ſah er auf
dem grimmigen Geſicht den dunkeln Höllenſchat¬
ten wieder ſtehen, der darauf geſtanden und ge¬
ſpielet als er unter ſich die ſträubende Rabette
erwürgte; — die Aufziehbrücke der Geſichter,
worauf ſonſt beide Seelen zuſammenkamen,
ſtand hoch, auseinandergeriſſen in die Luft.
Glühender blickte Albano, zorntrunkner griff er
den Währwolf der verſchlungnen Freundſchaft
an — plötzlich hieb er ihm wie eine Tatze das
Gewehr ab: als Schoppe vom ungleichen Scho¬
nen und Fechten entflammt, mit Rabettens Nah¬
men die Rache rufen wollte und ſchrie: „Die
Schweſter, Albano!“ —


Aber Albano verſtand darunter Karls
Schweſter — und ſchleuderte das Eine Schwerdt
dem andern nach und Feuertropfen ſtanden in
ſeinem Auge und verzogen unförmlich das feind¬
liche Geſicht vor ihm. „Albano!“ ſagte zorn¬
erſchöpft Roquairol, auf den weinenden Regen¬
bogen des Friedens bauend; „Albano?“ fragt'
er und gab ihm die Hand. „Lebe froh, aber
geh, noch bin ich unſchuldig, geh'!“ verſetzte Al¬
bano, der hart das Gewitter des erſten Zorns
[297] über ſich fühlte, das zwiſchen ſeine Gebürge
eingeſenkt, fortſchlug. „Ins Teufels Namen
„geht! Am Ende werd' ich auch angeſteckt“
fuhr Schoppe dazwiſchen. „In ſolchem Nahmen
„geht man gern!“ ſagte der Hauptmann, dem
in Schoppens Gegenwart immer die Zungen¬
muſkeln erfroren und gieng ſchweigend; aber
Albano ſah ihn längſt nicht mehr an, weil er
keine fremde Erniedrigung vertrug, ſondern,
wie jede ſtarke Seele, mit der gebückten Menſch¬
heit zugleich ſich ſelber niedergebogen empfand,
ſo wie große Thronen keine Knechts-Abzeichen
in ihrer Nähe dulden*).


Schoppe fieng nun an, ihn an ſeine frü¬
heſten Weiſſagungen über Roquairol zu erin¬
nern und ſich das große Propheten-Quartett zu
nennen — deſſen unheilbare Mund- und Her¬
zensfäule zu rügen — deſſen theatraliſche Fe¬
ſtigkeit mit dem römiſchen Marmor und Por¬
phyr zu vergleichen, der außen eine Stein-Rin¬
[298] de habe, innen aber nur Holz *) — anzumer¬
ken, deſſen innere Beſitzung heiße wie die des
deutſchen Ordens, nur eine Zunge — und
überhaupt ſo heftig gegen alle Selbſt-Zerſe¬
tzung durch Phantaſie, gegen alle poetiſche Welt¬
verachtung ſich zu erklären, daß ein Anderer
als Albano wohl eben den Eifer für einen
Schutz gegen das leiſe Gefühl einer Ähnlichkeit
nehmen konnte. — —


Schoppe hoffte ſehr, Albano hör' ihm glau¬
bend zu und werde zürnen, lachen und ant¬
worten; aber er wurde ernſter und ſtiller; —
er ſah den rechtſchaffenen Bibliothekar an —
und fiel ihm heftig und ſtumm an den Hals
— und trocknete ſchnell das ſchwere Auge. O,
es iſt ein finſterer Trauertag, der Begräbni߬
tag der Freundſchaft, wo das ausgeſetzte, ver¬
waiſete Herz allein heimgeht und es ſieht die
Todeseule vom Todtenbette derſelben ſchreiend
über die ganze Schöpfung fliegen.


Albano hatte anfangs noch heute nach Blu¬
[299] menbühl gehen und ſeine verlaſſene Schweſter
auf das Trauergerüſte der Wahrheit führen
wollen; aber jetzt war ſein Herz nicht ſtark ge¬
nug dazu, ſeine eignen Worte an die Schwe¬
ſter zu ertragen oder ihre Thränen ohne Maaß
und ohne Tröſter.


[300]

Ein und zwanzigſte Jobelperiode.

Die Leſeprobe der Liebe — Froulay's Furcht vor
Glück — der betrogne Betrüger — Ehre der
Sternwarte.


90. Zykel.

Seit dem vertilgten Bunde und ſeit Gaſpards
Briefe war Albano's Auge nach der ſchönſten
Ruine der Zeit — wenn man die Erde ſelber
ausnimmt, — nach Italien gerichtet und ſein
verletzter Blick hielt an dieſem neuen Portale
ſeines Lebens feſt, das ihn vor das Schönſte
und Größte, was Natur und Menſchen ſchaffen
können, führen ſollte. Wie thaten ihm die Feu¬
er-Berge und Roma's-Ruinen und ihr war¬
mer, blaugoldner Himmel ſchon ihren Glanz
auf, wenn er die leidende Liane vor ſie führte
[301] und die frommen Augen erquickt die Höhen
maßen!— Ein Menſch, der mit der Geliebten
nach Italien reiſet, hat dadurch, eben weil er
Eines von beiden entbehren könnte, beide ver¬
doppelt. Und Albano hoffte dieſe Seeligkeit,
da alle Zeugniſſe, die ihm über Lianens Gene¬
ſung begegneten, dieſe verſprachen. Den D.
Sphex — der Einzige, der für ſie eine Grube
öffnete und darin die Todtenglocke goß und
jedem ſchwur, mit den Blättern falle ſie — ſah
er nicht mehr. Er wollte indeß — ſagt' er ſich
— bei der ganzen Mitreiſe nur ihr Glück, gar
nicht ihre Liebe. So ſah er ſich immer in ſei¬
nem Selbſt-Spiegel, nämlich nur verſchleiert;
ſo hielt er ſich oft für zu hart, wiewohl er es
ſo wenig war; ſo hielt er ſich für den Sieger
über ſein Herz, als ſein ſchönes Angeſicht ſchon
kranke, blaſſe Farben trug.


Die Gegenwart ſtand noch dunkel über
ihm, aber ihre benachbarten Zeiten, die Zu¬
kunft und Vergangenheit lagen voll Licht. Wel¬
che Reiſe, worauf eine Geliebte, ein Vater, ein
Freund, eine Freundin ſchon unterwegs die
[302] Merkwürdigkeiten ſind, zu welchen andere erſt
ziehen! —


Die Fürſtin war die Freundin. Seit Gas¬
pards Briefen an ſie und an ihn, ſeit der Hoff¬
nung einer längern und nähern Gegenwart,
überwältigte ſie alles Gewölke um ſich her im¬
mer glücklicher, um den Freund nur aus einem
blauen Himmel anzulachen und anzuleuchten.
Sie allein am Hofe ſchien den barſchen Jüng¬
ling, deſſen ſtolze Offenheit ſo oft gegen den
verdeckten Hof-Stolz und beſonders gegen den
offnen des Fürſten anrennte, mild und recht zu
nehmen; ſie allein ſchien — da Nichts ſeltener
in und von Zirkeln, errathen wird als ſchöne
Empfindſamkeit, zumal von höfiſchen, zumal
die männliche — ſanft die ſeinige auszuſpähen
und theilend fortzuwärmen. Sie allein ehrte
ihn mit jener ſtrengen, bedeutenden Achtung,
die ſo ſelten die Menſchen geben ſo wie faſſen
können, weil ſie immer nur Liebe und Leiden¬
ſchaft nöthig haben, um — Recht zu geben,
unfähig, anders als bei Kometen-Licht, bei
Kriegsflammen und bei Freudenfeuern die beſte
Hand zu leſen. Alles was er war, ſetzte ſie
[303] bei ihm blos voraus; ſeine Vorzüge waren nur
ihre Foderungen und ſeine Schutzbriefe; ſie
machte ſeine Individualität weder zu ihrem
Muſter noch zu ihrem Wiederſchein, beide wa¬
ren Mahler, keine Gemählde. Er hörte zwar
oft, daß ſie männlich-ſtrenge ſey, zumal
als Befehlshaberin, aber doch nicht, daß ſie
weiblich-grauſam werde. Für das gewöhnliche
Höflings-Gewürme, das ſich auf ſeinen Wurm-
Ringen nur durch Kriechen Höhen giebt, war
ſie abſtoßend und marternd; ob ſie gleich als
Neu-Gekommene, hätte ein neugebohrnes Kind
ſeyn ſollen, das den ältern Kindern Roſinen
mitbringt. Am Sonntage, wo an Höfen, wie
in Berlin auf der Bühne, immer geiſtige Volks¬
ſtücke aufgeführet werden, war ſie unter den
Sonntagskindern, die mehr Geiſter ſehen als
haben, ein Montagskind, das ſich einen zu fin¬
den wünſcht, der — ſey er immer nicht geadelt
— doch ein Original von der Kopie zu unter¬
ſcheiden weiß ſowohl am eigenen Ich als im
— Bilderkabinet. Deswegen dankten viele Her¬
ren und noch mehr Damen Gott, wenn ſie
ihr Nichts zu ſagen brauchten als: Gott befohlen!


[304]

Auf dieſe Weiſe erſchien ſie dem Grafen, ſei¬
nes Vaters täglich werther. Wie in einen warmen
Sonnenſchein des Frühlings trat er zum erſten¬
mal in den ſchmeichelnden Zauberkreis der weib¬
lichen Freundſchaft, die auch hier der Liebe zwei
Schwingen goß und formte aus den Wachs¬
zellen des genoſſenen Honigs; es war aber bei
ihm die Liebe gegen Liane, der die Freundin
am leichteſten Flügel nach Italien geben konn¬
te. Er fühlte, daß bald eine Stunde der über¬
fließenden Achtung ſchlagen werde, wo er ihr
den hoch ummauerten Kloſtergarten ſeiner vo¬
rigen Liebe vertrauend öffnen könnte. Denn
ſie machte ihm ſo oft Raum, ihr nahe zu ſeyn,
als es nur der enge Bezirk eines Thrones und
die alles verrathende hohe Lage deſſelben ver¬
gönnen wollten. Aber Etwas ſtörte, bewachte
bekriegte beide, eine wie es ſchien nebenbuhle¬
riſche Nachbarin. Es war die ſonderbare Ju¬
lienne, die immer, wenn es angieng, aus ihrer
Loge auf die Bühne der Fürſtin trat und das
Spiel verwirrte. Häufig kam ſie ihm nach; ei¬
nigemale hatt' er von ihr Einladungen bekom¬
men, wenn gerade die der Fürſtin nachfolgten,
denen[305] denen alſo jene wie es ſchien hatte zuvorkom¬
men ſollen. Was wollte ſie? — Wollte ſie
von einem Jüngling, den ſie ſo oft durch ihre
Männer-Verachtung und durch ihr zorniges,
blitzſchnelles Funkenſchlagen aufgebracht, etwan
Liebe, vielleicht bloß weil er ihr freundliches
Anblicken immer ſo warm erwiedert hatte ge¬
gen eine ſo theure — Freundin ſeiner Gelieb¬
ten? — Oder wollte ſie von ihm nur Haß ge¬
gen die geehrte Fürſtin, und zwar aus Neid
und gewöhnlicher Weiber-Ähnlichkeit mit dem
Elfenbein, deſſen weiſſe Farbe ſo leicht zur
gelben wird und das nur durch das Erwär¬
men wieder die ſchöne bekommt? —


Dieſe Fragen wurden mehr wiederholt als
beantwortet von einem Abende, wo er und Ju¬
lienne bei der Fürſtin waren. Eine gute Vor¬
leſung ſollte von Göthe's Taſſo die Gemälde-
Ausſtellung geben. Schöne Kunſt und nichts als
Kunſt war für die Fürſtin die Paſſauer-Kunſt
gegen Hof- und Lebens-Wunden; und über¬
haupt war ihr das Weltgebäude nur ein vollſtän¬
diges Bilder- und Pembrokiſches Kabinet und
Antikenkabinet. — Die Leſerollen wurden von der
Titan III. U[306] Direktrice, der Fürſtin, ſo vertheilt, daß ſie ſel¬
ber die Fürſtin bekam — Julienne die vertrau¬
te Leonore — Albano den Dichter Taſſo — ein
jungwangiger Kammerherr den Herzog — und
Froulay Alphonſo. Dieſer Letztere — der Kunſt¬
ſtücke Kunſtwerken vorzuziehen wußte und die
fürſtliche Kammer jeder Kunſtkammer — ſtand
wider ſein Herz zum Einfahren in den Muſen¬
berg fertig da, von der Fürſtin mit dem Berg¬
habit dazu angethan. So täglich mehr in die
poetiſche Mode eingezwängt ſah er freilich aus
wie ſonſt eine Mißgeburt, die abſichtlich mit
angebohrnen Pluderhoſen, Kopfputzen und der¬
gleichen auf die Welt trat, um den modiſchen
Weltlauf ſo zu verdammen wie ein Kaſſel'ſcher
Gaſſenkehrer.


Albano las mit äußerer und innerer Gluth
— nicht gegen die leſende ſondern gegen die
vorgeleſene Fürſtin, aus Angewohnheit ſeines
unter dem Leben fortglühenden Herzens — und
die Fürſtin las die Rolle ihrer Rolle freilich
ſehr gut. Ihr artiſtiſches Gefühl ſagte ihr es
— auch ohne Einblaſen des zärtlichen —, daß
in Göthe's Taſſo — der ſich meiſtens zum ita¬
[307] lieniſchen Taſſo verhält wie das himmliſche Je¬
ruſalem zum befreiten — die Fürſtin faſt die
der Fürſtinnen iſt; nie gieng der Muſen- und
Sonnengott ſchöner durch das Sternbild der
Jungfrau als hier. Nie wurde die verſchleierte
Liebe glänzender entſchleiert.


Der Miniſter las den auf Taſſo und Al¬
bano einzankenden Kraft-Proſaiker Alphonſo ſo
gut weg wie ein reitender Trompeter die feſten
Noten auf ſeinem Ärmel; in der That, er fand
den Mann ganz verſtändig.


Die Prinzeſſin mochte im allgemeinen poe¬
tiſchen Konzert ungefähr einige Viertelſtunden
mit der Ripienſtimme mitgeſprochen haben als
ſie plötzlich den ſchönen Band von Göthe's
Werken, der dreimal da war, lebhaft hinwarf
und mit ihrem Ungeſtüm ſagte: „eine dumme
Rolle. Ich mag ſie nicht!“ Alle Welt ſchwieg;
die Fürſtin ſah ſie bedeutend an; die Prinzes¬
ſin dieſe noch bedeutender, und gieng hinaus,
ohne wieder zu kommen. Eine Hofdame las
gelaſſen fort.


Für die meiſten Anweſenden war dieſes
Zwiſchen-Schauſpiel eigentlich das intereſſante¬
U 2[308] ſte; und ſie dachten ihm unter dem Leſen des
Letztern gern weiter nach. Die Fürſtin, wel¬
che längſt geglaubt, jene liebe den Grafen,
freuete ſich über die Unbeſonnenheit ihrer Geg¬
nerin. Albano, ob ihm gleich ihr warmes Au¬
ge von jeher aufgefallen war, erklärte ſich das
Entweichen aus dem Unmuth über die Subor¬
dinazion ihrer Leſe-Rolle und überhaupt aus
der Unverträglichkeit beider Frauen. Denn da
Julienne auf eigne Koſten die Fürſtin vernach¬
läſſigte und ihre Meinung wenig zudeckte: ſo
erſchien auch die der Fürſtin unwillkührlich; ſo¬
bald eine Perſon ihren Haß entblößet, ſo kann
die zweite ſchwer den ihrigen verſtecken vor der
dritten.


Als Albano nach Hauſe kam, fand er fol¬
gendes Blatt auf ſeinem Tiſch:


„Die F. — lockt Dich. Sie liebt Dich. Mit
éclat ſendet ſie nächſtens den M. — zurück, um
ihrer Tugend rélief zu geben und Dir zu im¬
poniren. Fliehe ſie! — Ich liebe Dich, aber
anders und ewig.


Nous nous verrons
un jour
, mon frère.“


[309]

Wer ſchriebs? — Nicht einmal über das
Entrée-Billet dieſes Fehde-Billets konnte der
Bediente Rechnung ablegen. Wer ſchriebs? —
Julienne; dahin liefen wenigſtens alle Wege
des Wahrſcheinlichen zuſammen; nur lagen dann
rund um ihn Wunder. Bedeutend war die
franzöſiſche Unterſchrift, die gerade unter dem
Bilde ſeiner Schweſter, das ihm der Vater auf
Isola bella*) gegeben, ebenfalls ſtand; aber Zu¬
fall war möglich. Er unterſuchte jetzt dieſe
neue Silberader ſeines Dianen-Stammbaums
auf dem Probierſtein ſeiner ganzen Geſchichte.
Seine Mutter und Juliennens ihre waren mit
ſeinem Vater in Einem Jahre nach Italien ge¬
gangen; beide waren ungewöhnliche Weiber
und Freundinnen geweſen und von beiden ſein
Vater der Freund. Die Möglichkeit eines ver¬
hüllten Fehltritts ſeines Vaters war da. Eben
ſo leicht konnten Juliennen die Spuren dieſes
Irrwegs gewieſen ſeyn. Dann würde ferner
aus ihrer Schweſterliebe Licht auf ihren ganzen
[310] bisherigen Wendelgang fallen: ihr liebender
Antheil an Albano, ihr warmer Blick, ihr Lie¬
bes- Wettrennen mit der Fürſtin — ihr Brief¬
wechſel mit ſeinem Vater — ihr Anwerben des
Grafen für die Romeiro, das ſie eben ſo wie
es ſchien erhitzte gegen die Fürſtin als erkälte¬
te gegen Lianen — am meiſten die Sonderbar¬
keit ihrer Liebe gegen ihn, die ſich nie weiter
und offner entwickelte, Alles dieſes gab Anſchein,
daß es nur ein verwandtes Schweſterblut ſey,
was ſo oft auf ihren runden Wangen loderte,
wenn ſie ihn zu lange unbewußt angeſchauet. Er
machte nach dieſem Schritt ſogleich den Sprung;
er vermuthete nun auch, daß ſie allein ihrer
Linda zu Liebe ihn mit dem Zauberſpiegel des
Geiſter-Weſens zu blenden geſucht.


Was das Verhältniß der Fürſtin gegen den
Miniſter anlangt, ſo war ihm jedes Wort dar¬
über eine Lüge. Er ließ ſich eben ſo ſchwer ei¬
ne gute Meinung von andern nehmen als ei¬
ne ſchlimme. Gewöhnliche Menſchen geben
leicht die gute dahin und halten die ſchlimme
feſt; weichere werden leicht verſöhnt und ſchwer
entzweiet. Er war beiden ungleich. Bisher hatt'
[311] er ſich der Fürſtin Freundſchaft mit dem Mi¬
niſter, ihre Landes-Viſitazionsreiſen mit ihm
und dergleichen ſo leicht aus ihrer männlichen
Klugſicht und Vorſicht abgeleitet, welche über
das künftige Erb-Land ihres Bruders zugleich
Wache halten und Aufſchluß haben wollte; und
bei dieſer Wahrſcheinlichkeit, da der Miniſter
ſich in die verwandten Rollen eines Zizerone
und Aufſehers gleich ſehr ſchickte, beharrte
er noch.


Die Woche darauf führte eine Begebenheit
herbei, welche ein größeres Licht in das dunkle
Billet zu werfen ſchien.

91. Zykel.

Die verſprochene Begebenheit hat wieder
in ältern Begebenheiten ihre Wurzel, die ſich
zwiſchen der Fürſtin und dem Miniſter zuge¬
tragen; dieſe ſchick' ich hier voraus.


Der Miniſter war ſehr bald von ſeinem
Freund Bouverot, der mit ſeiner klebrigen Spechts-
Zunge das Gewürm aller Geheimniſſe ungeſehen
aus allen mürben Thron-Ritzen leckte, mit einem
Verzeichniß alles deſſen, was die Fürſtin von
[312] Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬
ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt
wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber,
ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu
den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die
ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und
nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine
der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem
die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es
war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und
wollte es nie wie ein todtes Kapital in der
Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und
umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb
anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und
heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬
te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und
kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬
lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬
ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo
er anlangen würde in der Laube — Es war
ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was
es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu
Blicken, von dieſen zum Händekuß, dann zum
Mundkuß gelangte, worauf er ſich im Wiſthon¬
[313] ſchen Kometenſchweif ihres Ellen- und Meilen¬
langen Haars wie in einer Vogel-Schneuß, wo
aber die Schlinge auch die Beere war, dermas¬
ſen verſtrickte, verhaftete und krummſchloß, daß
er wußte, wie viel Uhr es geſchlagen hatte auf
ſeiner Repetiruhr — Aber dann gerade, wenn
alle Wolken vom Himmel gefallen ſchienen,
fiel er ſelber wie aus beiden in einen Korb von
ihr — Das war der ſchlimme Punkt. — In
der That, deutſche Prinzen aus den älteſten
Häuſern, die ſonſt Alles verſucht hatten, ſahen
ſich unmoraliſch, ja lächerlich gemacht und wu߬
ten gar nicht, was ſie dabei denken ſollten —
Denn die Fürſtin wunderte ſich öffentlich über
ſolche Scheuſale, gab aller Welt eine Kopie von
ihrem Fehdebrief, zeigte aller Welt die Röthe
und Höhe ihres Truthennen-Halſes — und ließ
einen ſolchen altfürſtlichen Verſucher oder wers
war, nie mehr vor ihr ſtolzes Angeſicht.


Da Prinzen (in ſolchen Fällen) wiſſen was
ſie wollen: ſo breiteten ſie freilich aus, ſie wiſſe
nicht was ſie wolle; und oft erſt lange nach
einem Erb-Prinz kam der appanagirte Bru¬
der deſſelben Hofes, und ſpäter der legitimirte.
[314] Gleichwohl blieb daſſelbe; nämlich ſie blieb dem
ſphäriſchen Hohlſpiegel gleich, der zwar das,
was nahe an ihm ſteht, groß und aufgerichtet
hinter ſich mahlt, es aber, ſobald es gar in ſei¬
nen Brennpunkt tritt, unſichtbar, und dann
darüber hinaus, ganz verkleinert und umge¬
ſtürzt in die Lüfte hängt. Ihre Liebe war ein
Fieber der Schwäche, bei welchem Darwin, Wei¬
kard und andere Brownianer durch Reizmit¬
tel
z. B. Wein einen langſamern Puls er¬
ſchaffen und eben daraus die Kur verheißen.
Soweit Bouverot an den Miniſter! —


Aber dem Miniſter geſchah damit ein un¬
ſäglicher Gefallen. Denn Prinzen-Sünden ſchlu¬
gen gar nicht in ſein Brodſtudium ein. Als
ſie ſich daher für die Nähe ſeines Verſtandes
und ſeiner kräftigen Phyſiognomie entſchieden
und ihn zum Miniſter ihrer innerſten Angele¬
genheiten in Haarhaar berufen hatte: ſo wars
in ihm feierlich niedergelegt und beſchworen, nie¬
mals, ſie mochte immer die Güte ſelber ſeyn, ihr Eh¬
renräuber zu werden aus ihrem Strohwittwer.
Anfangs kam er wie alle Vorgänger leicht mit
bloßen, reinen Gefühlen und Diſkurſen davon; es
[315] wurde noch Nichts von ihm begehrt, als daß
er zuweilen unverſehends einen geheimen Blick
voll liebender Zartheit auf ſie hinſchieße; auch
mußt' er ſich ſehnen. Jenen ſchoß er hin; Seh¬
nen trieb er auch auf; — und ſo ſtand er ſich
für ein ſolches Liebes-Glück noch glücklich genug.


Aber dabei blieb es nicht. Kaum war ihr
Albano erſchienen: ſo wurde der Stachelgürtel
und das Härenhemd des reinen Miniſters un¬
verhältnißmäßig rauher und ſtechender gemacht
und die ſtärkſten Foderungen nämlich Gaben
verdoppelt, damit der arme Joſeph ſchneller
ihre Ehre anfiele und dadurch in ſeinen Unter¬
gang rennte, der des Grafen Köder werden
ſollte. Jetzt war er ſchon ſo weit herabge¬
bracht, daß er in ihrem Flughaar für ihn gif¬
tiges Raupenhaar webte und knöppelte — er
mußte Seufzer-Seifenblaſen aus ſeiner Pfeife
auftreiben — er mußte öfter auſſer ſich ſeyn, ja
ſogar (wollt' er ſich nicht als einen heuchleri¬
ſchen Schuft fortgejagt ſehen) halb-ſinnlich wer¬
den, obwohl noch dezent genug. Inzwiſchen
zu einer Verſuchung war er vom Teufel ſelber
nicht zu verſuchen. Wenn er nur daran dach¬
[316] te, grauſend, daß der kleinſte Fehltritt ihn von
ſeinem Miniſters-Poſten werfen könne: ſo ließ
er ſich eben ſo gut pfählen und viertheilen als
bezaubern. Für einen Dritten, nicht für beide
— dieſe litten — wärs vielleicht ein Feſt gewe¬
ſen, wahrzunehmen, wie ſie (wenn ich ein zu
niedriges Gleichniß brauchen darf) einem Paar
übereinander gezogner ſeidner Strümpfe glichen,
welche für und durcheinander, wenn man ſie
ausgezogen *) in gewiſſer Ferne hält, ſich äthe¬
riſch aufblaſen und füllen, ſogleich aber platt
und matt zuſammenfallen, wenn ſie einander
berühren.


[317]

In die Länge fiels freilich dem alten Staats¬
mann läſtig, der tanzenden Pagerie der Liebes¬
götter als ihr Oberälteſter vorzuſpringen, in
Cypripors Triumphwagen eingeſpannt — ei¬
nen Blumenkranz auf der Staatsperücke — in
den Augen zwei Vauklüſens Quellen — die
Bruſthöhle eine verſchüttete Dido's Höhle —
im Knopfloch den Pfeil im Herzen oder das
Herz am Pfeile tragend — und auf das Kapi¬
tol fahrend, um da nach römiſcher Sitte nicht
ſowohl zu opfern als geopfert zu werden. —
— Es fächelte Nichts als die Blech-Käſten, die
ihm zu Hauſe die Regierungs- und Kammer¬
boten hinſetzten, den ſchachpatten Mann wie¬
der friſch und kühl der ein ſchachmatter werden
wollte.


Er las mit ihr den Katul, ſie mit ihm die
beſſern Gemälde aus des Fürſten Kabinet; es
wurde ihm erlaubt, ſie durch ſeine Latinität für
ihre artiſtiſchen Gaben zu belohnen — aber er
blieb doch wie er war.


Wenn Weiber etwas durchſetzen wollen, ſo
werden ſie, ſobald die Hinderniſſe immer wie¬
derkehren, am Ende blind und wild und wa¬
[318] gen Alles. Die Reiſe nach Italien rückte ſo na¬
he; noch immer wollte der Miniſter ſeine Hoch¬
achtung für die Geliebte nicht fahren laſſen
— wiewohl eben aus ihrem eignen Motive der
Abreiſe, mit deren Nähe er ſich zur frohen Er¬
tragung eines ſo kurzen Feuers ermunterte —;
ihre Heftigkeit für den Grafen nahm durch des¬
ſen Ruhe zu, weil Kälte ſtarke Liebe ſtärkt, ſo
wie phyſiſche Kälte Starke kräftiger, und Schwa¬
che kränker macht —; Froulay, als ein alter
Mann, war wie es ſchien, fähig ein ganzes
Sekulum lang ſo auf das Ziel loszuſchleichen,
ohne einen einzigen unentbehrlichen Sprung zu
zu thun, da Alte wie Schiffe immer langſamer
gehen, je länger ſie giengen, und aus einerlei
Grund, weil beide durch den Anſatz von Un¬
rath, Muſcheln und dergleichen ſchwerfälliger
geworden — — Kurz die Fürſtin fragte am
Ende nach Nichts, ſondern es gieng ſo:


Der Fürſt war verreiſet, die Fürſtin zu
Gevatter gebeten aufs Land. Der Schloßvogt
auf einem ihrer Landſchlöſſer, der ſchon im Jah¬
re vorher den Miniſter gebeten, hatte ſich nicht
entblödet, ſich an dieſem Treppen-Strick mit
[319] ſeinem Deſzendenten unter dem Arm noch wei¬
ter herauf zu machen und oben auf dem Throne,
ihr, der Fürſtin ſelber ſein Landeskindlein in
die Arme zu legen. Gern laſſen ſich Fürſten
herunter — an dünnen Raupenfaden — (wie
hinauf); ſie ſchätzen das gute dumme Volk und
wollen die armen Kriech- und Zwergbohnen —
denn ſie wiſſen wohl, wie wenig daran iſt —
dadurch etwas heben und ſo zu ſagen ſtängeln
und ſtiefeln, durch das Fürſtenſtuhl-Bein. Der
Miniſter war als ſogenannter „Altgevatter“
ohnedies invitirt. Der Herbſttag war heller,
lauterer Frühling, und die Herbſtnacht ſtand
unter einem glänzenden Vollmond. Höfe wün¬
ſchen ſich ſo ſehr auf das Land, in die Idyllen
murmelnder Quellen, rauſchender Gipfel und
blökender Schweizereien und Pächter hinein; —
Höfe — d. h. Hofleute, Hofdamen und dienen¬
de Kammerherrnſtäbe und andere — ſehnen ſich
ſo ſehr unter Menſchen; wie Thiere der De¬
zember-Hunger, ſo treibt ſie ein edler vom Thron-
Gebirge in die platten Ebenen herab; nicht daß
ſie die Langweile flöhen, ſondern ſie begehren
nur eine andere, da ihre Kurzweile eben in der
[320] Abkürzung und Abwechslung ihrer Langweile
beſteht.


Kaum hatte der Hof ſeine erſte Sehnſucht
nach dem Volke, mit welchem er eine halbe
Viertelſtunde auf vertraulichem, dialogiſchem Fuß
lebte, geſtillt: ſo kam er wieder zu ſich ſelber
und zerſtreuete ſich in den fürſtlichen Garten,
um die Sehnſucht nach der Natur in nicht kür¬
zerer Zeit zu befriedigen. Eine Zeugin der Tauf¬
zeugin verſprach an der Fürſtin und des Kin¬
des Statt Chriſtenthum. Dieſe ſelber knüpfte
den Miniſter wie einen Kammerherrn an ſich.
Der Altgevatter ſah in einen verdammt langen
Abend hinaus, worin er ihre Prozeſſionsfahne
würde herumtragen müſſen. Zum Genuß des
Abends war Konzert, und zum Genuſſe des
Konzerts Spiel arrangirt; und zum Genuſſe
des Letztern hatte ſich die Fürſtin mit Froulay
allein geſetzt, um unter dem allgemeinen Spie¬
len der Inſtrumente und Karten ungehört mit
ihm zu reden. Plötzlich wurden die zwei Pfun¬
de, die in ſeiner Bruſt aufgehangen waren —
denn mehr wiegt nach den Anatomen kein Herz
— um zwei Zentner ſchwerer, als ſie ihn fragte,
ob[321] ob er ſtandhaft ſey, vertrauen und für ſie wa¬
gen könne. Er ſchwur, ſchon als Fürſtin dürfe
ſie jede Aufopferung und Verehrung von ſei¬
nem Doppeltpfünder erwarten. Sie fuhr fort:
ſie hab' ihm heute wichtige Dinge über ſich und
den Fürſten anzuvertrauen; ſie wolle, wenn die
Foule fort wäre, mit ihm allein ſprechen; er
brauche bloß von der Gartenſeite die kleine
Treppe herauf an die Thür des Bibliothekzim¬
mers zu gehen; dieſe ſey aufgeſchloſſen; am po¬
etiſchen Bücherſchrank ſey links in der Wand
eine Springfeder, deren Druck ihm die Tape¬
tenthüre des Zimmers öffne, wo er ſie erwarten
ſollte.


Sogleich ſtand ſie auf, das Ja voraus¬
ſetzend. Wie es jetzt in den beiden Pfunden
ſeines 64löthigen Herzens hergieng, kann bloß
ſeinen Todfeinden ein Vergnügen, es zu erfah¬
ren ſeyn. So viel lag mit langen, dicken, ſtei¬
nernen Buchſtaben wie auf einem Epitaphium
geſchrieben ihm vor, daß nach wenig Stunden,
wenn die andern Herren, ſonſt noch größere
Sünder als er, ruhig in den ſchönen, den Schlo߬
hof formirenden Dienerhäuſern ſchnarchen
Titan III. X[322] dürften, daß dann für ihn ſchuldloſen Schelm
bald die Wolfs- nämlich die Schäferſtunde
ſchlagen werde, wo er auf der blumigſten Aue
unter das Schächter-Meſſer knieen müſſe. Aber
er that ſich — zornig, daß ſein Glaube an weib¬
liche und fürſtliche Frechheit wahr rede — ſtille
Schwüre aller Art, daß er, ſetze man ihm auch
zu wie den größten Heiligen und Weltweiſen,
doch wirthſchaften wolle wie beide, z. B. wie
der alte Zeno und Franz.


Die Fürſtin ſuchte ihn den ganzen Abend
weniger als ſonſt. Endlich empfahl er ſich mit
dem ganzen Hof, aber mit der Ausſicht, nicht
wie dieſer unter Seiden-Matrazen ſondern
unter kalte Lauben zu ſchleichen. Er rückte auch,
ſeiner gewiß, auf der Treppe an — machte das
Bibliothekzimmer auf — fand die Springfeder
ließ ſie ſpringen und trat durch die Tape¬
tenthüre in das fürſtliche — Schlafgemach. „Es
iſt alſo gewiß“ — ſagt' er und fluchte in ſei¬
nem Innern herum wie er wollte, unter dem
Liebesbrief-Beſchwerer ganz breit zerdrückt hin¬
liegend. Im Seitenzimmer linker Hand hört'
er ſie ſchon und eine Kammerfrau, die ausklei¬
[323] dete. Rechts klaffte die Thüre eines zweiten,
aber erleuchteten Zimmers. Er ſtand lang' im
Zweifel, ſollt' er in daſſelbe treten, oder unter
dem Lichtſchirm des dunkeln Ortes verbleiben.
Endlich griff er zum Schirm der Nacht.


Während ſeines Paſſens und ihres Häu¬
tens hielt er Leſeprobe oder Probekomödie ſei¬
ner Rolle; jetzt kam er mit ſich überein, im
Nothfalle — und falls man ihn zu ſehr pous¬
ſirte — um ſo mehr, da der Ort mehr gegen
ſie ſpräche als gegen ihn ſelber, indem jeder
fragen müßte, ob er wohl ſonſt würde herge¬
kommen ſeyn — in einem ſolchen Nothfalle,
wo nur die Wahl zwiſchen Satyre und Satyr
bliebe, ſich auf der Stelle umzuſetzen in einen
ehrerbietigen — Faun.


Schnell ſchritt die Fürſtin herein, aber ge¬
gen das helle Zimmer hin: „ich brauche Dich
nicht mehr“ rief ſie der Kammerfrau zurück.
Diable! (ſchrie ſie im Schlafzimmer, den lan¬
gen Miniſter erſehend) wer ſteht da? — Hanne,
Licht!“ — „Ciel! (fuhr ſie ihn erkennend fort,
aber franzöſiſch, weil Hanne keines verſtand) —
Mais Monsieur! — Me voilà donc compromi¬
X 2[324]se! — Quelle méprise! — Vous vous êtes trom¬
pé de chambres! — Pardonnés, Monsieur que
je sauve les déhors de mon sexe et de mon
rang. Comment avés-vous pu
— —“ Sie ſag¬
te Alles, vielleicht um die deutſche Zeugin zu blen¬
den, mit zornigem Akzente. Der Altgevatter
— der ſich nach allen bisherigen Genüſſen ſo
fühlte wie ein Hahn, der viele lebendige Käfer
verſchluckte und dem ſie nun im geängſtigten
Kropfe Lebensgefahr drohen — ſchwieg nicht,
ſondern verſetzte deutſch, indem er die Tapeten¬
thüre aufmachte, er habe eben wie ſie befohlen
die Bücher aus der Bibliothek in das helle Zim¬
mer gelegt und ſey im Herweg begriffen ge¬
weſen. Er gieng ſogleich durch die Tapete hin¬
durch, ſie aber konnte vor Schrecken ſchwer ſich
erhalten, ließ am Morgen den Arzt kommen und
ſchickte ihr Gefolge zurück. Froulay, — ſo ſehr,
er ihre Romane den ſpaniſchen ähnlich fand,
worunter nach Fiſchers Behauptung, die beſten
die Gauner-Romane ſind — wußte zuletzt
ſelber nicht, woran er war.


Die Kammerfrau mußte mit dem Gelübde
des Schweigens Profeß thun, das ſie hielt ſo
[325] ſtreng ſie konnte, aber nicht ſtrenger. Am Mor¬
gen ſtiegen wenige vor ihren eignen Hausthü¬
ren ab, die meiſten vor fremden, um die Neu¬
igkeit auszuſchiffen ſammt dem Verbote der Für¬
ſtin, die Sache éclatant zu machen, weils ſonſt
der Fürſt erführe.


War je das vornehme Peſtiz in Maſſa
glücklich: ſo wars an dieſem Morgen. Nichts
fehlte der allgemeinen Freude als eine Kammer¬
frau, die nur ſo viel franzöſiſch verſtanden hät¬
te wie ein Jagdhund.

92. Zykel.

Albano vernahm das Gerücht, der Mini¬
ſter war ihm längſt als eine kalte Seelen-Lei¬
che verunreinigend erſchienen; jetzt haßt' er ihn
noch mehr als quälenden, blutſaugenden Tod¬
ten. Für die Fürſtin ſtand ihm bisher ſein Herz.
Sie war ihm ein blauer Tag-Himmel, worin
Andern nur eine heiſſe Sonne blitzt, woran er
aber aus dem Geheimniß der Freundſchaft und
der Seelentiefe ſanfte Sternbilder gefunden.
Allein jetzt ſeit dem Gerüchte, das wie die Zau¬
berer neben Moſes, Ruß in ihren Himmel
[326] warf, ſtand ſie für ihn unter neuen Lichtern
glänzend. Der Haß, den er ſchon von Natur
d. h. aus Stolz gegen jedes Gerücht hatte, weil
es beherrſcht und nicht zu beherrſchen iſt, wirkte
mit friſchem Feuer in ihm; er entſchloß ſich,
eben weil Liane die Tochter entweder ihres Erb¬
feindes oder ihres Liebhabers und weil die Für¬
ſtin deren Nebenbuhlerin ſeyn ſoll, auf ſein
Herz und das davon erkannte frei zu wagen
und gerade jetzt der Fürſtin ſeine Bitte um Ver¬
mittlung für Lianens Mitreiſe, d. h. für ſei¬
nen Himmel, offen zu vertrauen.


Am Morgen darauf kam der Fürſt zurück
— die Prinzeſſin ließ ſogleich anſpannen —
gegen Abend kam ſie mit einem Wagen mehr
in die Stadt. Das Gerücht durchlief alle Spiel¬
tiſche, die ſpaniſche Gräfin Romeiro ſey im
Schloſſe angelangt. Gerüchte ſind wie Poly¬
pen; das Verwunden und Zerſtören verviel¬
facht ſie; nur das Ineinanderſtecken macht ei¬
nen aus zweien; — das Gerücht von Linda's
Ankunft ſchlang das Gerücht von Froulay's
Ehrenraub in ſich.


[327]

Aber Albano! — Wie die Entdeckung ei¬
ner neuen Welt, kehrte dieſe ſeine alte um. Linda,
dieſer ausländiſche Tropikvogel, flog ſeinem na¬
hen Vater voraus, der wie ein reiches Land
vor ihm aus der Ferne aufſtieg — Der Boden,
wo er ſo viel Dornen und Blumen gefunden,
ſank bald hinter ſeinem Rücken mit allen Schä¬
tzen und Tagen ein. — Nur Liane darf nicht
mit verſchwinden; dieſe Muſe ſeiner Jugend
muß er mit ins Land der Jugend ziehen.
Durch dieſe gewöhnlichen Zauberkünſte des Her¬
zens war von Linda's Nähe eine unüberwind¬
liche Sehnſucht nach Lianen in ihm wach ge¬
worden.


Er war nun entſchieden, die Fürſtin an ihr
früheres Verſprechen, den Lebensbalſam einer
ſüdlichen Reiſe auf Lianens kranke Nerven zu
gießen, zu mahnen und durch ſie noch früh ge¬
nug, eh' die Verwirrung des drängenden Au¬
genblickes etwas vereitele, die Miniſterin zu be¬
ſtimmen und zu gewinnen, welche wie alle Hof¬
menſchen gewiß ſchwer einem fürſtlichen Wun¬
ſche und einer Glücks-Perſpektive widerſtehen
werde.


[328]

Blieb aber Liane zurück aus eigner oder
fremder Schuld: ſo war es ſein Vorſatz und
Schwur, vor keiner Gewalt, ſelber der väterli¬
chen nicht, aus dem Vaterland der ewigen
Braut zu weichen, ſondern einzuwurzeln vor
ihrem Kranken-Kloſter bis ſie daraus entweder
frei und heiter wieder in das offne Leben geht
oder dunkel-eingeſchleiert ſich ins finſtere Non¬
nen-Chor der Todten verbirgt. O, wieder zu
kommen, ſie im romantiſchen Boden der alten
Zeit zu ſuchen, und ſie nirgends zu finden als
hinter dem Sprach-Gitter der Erbgruft — die¬
ſen Gedanken hielt ſein Herz nicht aus.


Die Fürſtin führte ihm ſelber die Gelegen¬
heit ſeiner Bitte zu; ſie ſchickte ihm zu einer
aſtronomiſchen Partie auf der Sternwarte eine
Einladung durch ihre treue Hofdame Halter¬
mann: „Ich ſoll Ihnen bloß Folgendes wört¬
„lich ſchreiben (ſchreibt dieſe): Kommen Sie
„heute auch aufs Obſervatorium, ich und mei¬
„ne gute Haltermann gehen dahin.“ Dieſe
Haltermann, ein Fräulein von wenigen Reizen
und Geiſtesſchwungfedern, aber vielen Glau¬
benslehren und frühzeitigen Runzeln, hieng der
[329] Fürſtin ſchon ſeit Jahren unauflößlich an, Alles
verſchweigend und alle ihre „Stelldicheine“
(Rendès Vous) begünſtigend, bloß weil ſie ſag¬
te: meine Fürſtin iſt rein wie Gold und nur
wenige kennen ſie wie ich.


Günſtiger konnte Albano's Wunſche kein
Zufall kommen. Er ſtand am früheſten auf
der ſchönen Sternwarte mitten in der lieblichen
Nacht. Es war einige Tage nach dem Voll¬
mond; ſeine glänzende Welt verſchloß ſich noch
hinter die Erde, aber das angelaſſene Spring¬
waſſer ſeiner Strahlen hob ſich in Anſätzen her¬
auf. Auf allen Bergſpitzen ſchimmerte ſchon
ein blaſſes Licht, als falle der ferne Morgen
überirrdiſcher Welten auf ſie. Durch die Thäler
ſtreckte ſich noch das lichtſcheue ſchwarze Er¬
denthier der Nacht aus und bäumte ſich auf
gegen die Berge. Das Bergſchloß Lianens war
unſichtbar und zeigte wie ein Welt-Stern nur
ein Licht. Plötzlich war der Herbſtpurpur auf
allen Gipfeln um das Schloß vom Monde ſil¬
bern bethauet und es regnete leuchtend an den
weiſſen Wänden und in die weiſſen Gänge des
Gartens nieder — endlich lag ein fremder blas¬
[330] ſer Morgen, durch alle Lauben dämmernd, im
Garten, gleichſam das zarte Leuchten eines ho¬
hen, ganz reinen Geiſtes, der nur in der heili¬
gen ſtillen Nacht die tiefe Erde betritt und da
Nichts ſucht als die reine, ſtille Liane. —


Als Albano blickte und träumte und ſich
ſehnte, kam die Fürſtin mit ihrer Haltermann
herauf.


Der Profeſſor brach ſich vor Verehrung
gegen ſie faſt entzwei, und ließ den Fix-Son¬
nen keinen aſtrologiſchen Einfluß auf ſein gera¬
des Stehen zu. — Albano und die Fürſtin
fanden ſich mit einem Gewinnſt gegenſeitiger
Wärme wieder. Aber die erſte Frage der Für¬
ſtin war: ob er die ſpaniſche Gräfin geſehen.
Gleichgültig ſagt' er, von der Prinzeſſin ſey er
ſeit ihrer Ankunft eingeladen worden, ſey aber
nicht gekommen. „Ma belle-soeur bewundert
ſie am meiſten (fuhr die Fürſtin fort), aber ſie
iſts ein wenig werth. Sie iſt majeſtätiſch ge¬
bauet, länger als ich, und ſchön, zumal ihr Kopf,
ihr Auge und Haar. Doch iſt ſie mehr plaſtiſch
als mahleriſch ſchön, eher einer Juno oder Mi¬
nerva ähnlich als einer Madonna. Aber ſie
[331] hat Eigenheiten. Sie verträgt ſich mit keinen
Frauen, auſſer den ſchlichten und blindguten;
daher ihre Kammerfrauen für ſie leben und
ſterben. Die Männer hält ſie für ſchlecht und
ſagt, ſie würde ſich verachten, wenn ſie je die
Frau oder Sklavin eines Mannes würde; aber
ſie ſucht ſie der Kenntniſſe wegen. Dem Für¬
ſten hat ſie ohne Noth, wenn ſie auch Recht
hatte, Bitterkeiten geſagt. Er lacht darüber
und ſagt, ſie liebe ohnehin Nichts, nicht einmal
Kinder und Schooßhunde. Sie müſſen ſie ſe¬
hen. Sie lieſet Viel, ſie lebt bloß mit der Prin¬
zeſſin und ſcheint es, nach ihrem Putze zu ſchlies¬
ſen, wenigſtens an unſerem Hofe auf keine Er¬
oberungen anzulegen.“


Albano ſagte, manche dieſer Züge wären
ja herrlich, und brach kurz ab. Während des
Geſprächs hatte der Profeſſor fleißig Alles recht
geſtellt und feſtgeſchraubt und war jetzt des
Anfangs gewärtig. Er bemerkte die helle ſom¬
merlaue Nacht — gieng mit einigen Einleitun¬
gen in den Mond voraus, um die ſechs Augen
auf die beträchtlichſten Mondsflecken zu lenken
— ſchattete vorläufig einige Schatten droben
[332] ab — führte an den Krater Bernoulli („ich be¬
diene mich Schröterſcher Namen“ ſagt' er) —
das höchſte Gebirge Dörfel („es beſteht freilich
aus drei Höhen“ ſagt' er) — den Landgrafen
von Heſſenkaſſel („den Berg Horeb aber nennt
ihn Hevel“ ſagt' er) den Montblanc — die Rin¬
gebürge überhaupt und ſchloß mit der liſtigen
Verſicherung, es gebreche freilich der Warte
noch ſehr an Inſtrumenten.


Die Haltermann ſehnte ſich unbeſchreiblich
nach dem Landgrafen von Heſſenkaſſel im Mond
und trachtete nach dem Sehrohr. „Es iſt nur
ein Flecken im Planeten, mein Kind!“ ſagte
die Fürſtin. — „Und ſo iſts wohl mit dem
Montblanc droben auch nichts?“ fragte ſie ge¬
täuſcht. Die Fürſtin nickte und ſchauete ins
Sternrohr; der magiſche Mond hieng als ein
Stück Tag-Welt dicht am Glaſe: „Wie vergeht
ſein ſchönes blaſſes Licht und ſeine ganze Ma¬
gie in der Nähe! Als wenn Zukunft Gegen¬
wart wird!“ ſagte ſie zum Erſtaunen des Pro¬
feſſors, der aus dem Weltkörper gerade erſt in
der Nähe etwas machte. Sie erſucht' ihn um
[333] den Ring des Saturns. „Es ſind eigentlich
zwei, Ihro Durchlaucht; aber der Sternwarte
fehlet zur Zeit noch ein Inſtrument es zu ſe¬
hen“ ſagt' er und zielte wieder nach Vorſchuß.


Albano ſah rund umher ſeine Lebensgärten
glänzen vom warmen Schimmer eines Nach¬
frühlings; und ſein Inneres erbebte ſüß und
ſchmerzlich. Er nahm einen Kometenſucher und
flog unter den Geſtirnen umher, nach Blumen¬
bühl, in die Stadt, auf die Berge, nur nicht
auf das weiſſe Schloß mit dem erleuchteten
Eckzimmer und dem kleinen Garten; das gan¬
ze Herz kehrte vor Scham und Liebe um vor
der Thür des Paradieſes.


Jetzt gieng die Haltermann auf einen Wink
zum Aufbruch mit dem Sternſeher voraus hin¬
ab, um der Fürſtin einen zeugenloſen, freien
Augenblick zuzuwenden. Albano ſtand edel im
Mondſchimmer vor ihr, ſein Auge war glän¬
zend, ſeine Züge gerührt; ſie faßte ſeine Hand
und ſagte: „wir mißverſtehen einander gewiß
nicht, Graf!“ Er drückte die ihrige und ſeine
Augen quollen voll. „Nein, Fürſtin! (ſagt' er
[334] „ſanft,) Sie geben mir Ihre Freundſchaft. Ich
„verdiene ſie nicht, wenn ich ihr nicht ganz ver¬
„traue. Ich geb' Ihnen jetzt die Probe mei¬
„nes offnen Vertrauens. Sie kennen vielleicht
„die Geſchichte meines Glücks und meines Ver¬
„luſts; Sie kennen den Miniſter.“ — „Leider,
leider! (ſagte ſie) auch Ihre harte Geſchichte,
edler Mann, wurde mir bekannt.“


„Nein, (verſetzt' er heftig,) ich war härter
als mein Schickſal, ich quälte ein unſchuldiges
Herz, ich machte eine gehorſame Tochter elend,
krank und blind. — Aber ich habe ſie ver¬
lohren (fuhr er mit ſteigender Rührung fort
und kehrte ſich ſeitwärts, um Lianens ſchim¬
mernde Wohn-Höhe nicht zu ſehen) und er¬
trag' es wie ich kann, aber ohne heimliche We¬
ge zum Wiederbeſitz — Nur das Opfer darf
dort drüben nicht gar verbluten bei der harten,
engherzigen Mutter. — O, die Honigtropfen der
Freuden, Sie und Italiens Himmel könnten ſie
wohl heilen — Sie ſtirbt, wenn ſie bleibt, und
ich bleibe, um zuzuſehen — Freundin! o, wie
groß iſt meine Bitte!“ —


[335]

„Sie ſey Ihnen gern gewährt! Übermorgen
fahr' ich zur Mutter und Tochter und beſtim¬
me dieſe gewiß für die Reiſe, in ſofern es von
mir abhängt. Aber ich thu' es — um auch
offen zu ſeyn — bloß aus ächter Freundſchaft
für Sie; denn das Fräulein gefällt mir nicht
ganz mit ihrem Myſtiziſmus und liebt gewiß
nicht wie Sie; ſie thut Alles für die Menſchen
bloß aus Liebe zu Gott; und das lieb' ich
nicht.“ —


„Ach, ſo dacht' ich ſonſt auch; aber wen
„ſoll die Göttliche ſonſt lieben als Gott“ ſagt'
er in ſich und die Nacht verſunken und für die
Fürſtin zu hyperboliſch — ſein ſchimmerndes
Auge hieng feſt am weißen Bergſchloß und
Frühlinge wehten vom Monde herab auf dem
beglänzten Wege ſeiner Augen hin und her; und
der ſchöne Jüngling weinte und drückte heftig
der Fürſtin Hand, aber er wußte beides nicht.
Sie ehrte ſein Herz und ſtört' es nicht.


Endlich kamen Beide die hohe Treppe her¬
unter, wo ſie der Aſtronom freudig erwartete
und beiden geſtand, wie ſehr ihn, frei zu re¬
[336] den, ihre Anhänglichkeit und Achtung für die
Sternkunde nicht nur erfreue, ſondern auch
ermuntere.


„Übermorgen gewiß!“ mit dieſen Worten
ſchied die Fürſtin, um dem ſinnenden, vollen
Jüngling Troſt und Träume mitzugeben.


Zwei¬[337]

Zwei und zwanzigſte Jobelperiode.

Schoppe's Herz — gefährliche Geiſter-Bekannt¬
ſchaften.


93. Zykel.

Jetzt war Albano wieder auf die Irions-Rä¬
der der Uhr geflochten. Die Fahrt und Ant¬
wort der Fürſtin ſollte plötzlich Lichter in der
dunkeln weiten Höhle aufſtecken, in der er ſo
lange gegangen war, ohne zu wiſſen, ob ſie
fürchterliche Bildungen und giftige Thiere ver¬
ſchließe oder ob ſie mit glänzenden Bogen und
unterirdiſchen Säulenhallen ſich wölbe und fül¬
le. Über Lianens Zuſtand hatten bisher zwei
Hände, Auguſti's und der Miniſterin, den Schlei¬
er feſtgehalten; beides waren Menſchen, die
Titan, III. Y[338] ungern auf die Frage antworteten, wie befin¬
den Sie ſich. Aber auf der Fürſtin ließ er nun
ſeine ganze Seele ruhen, ſeit dem aſtronomi¬
ſchen Abende; von welchem er jetzt kaum be¬
griff, wie er da gegen eine Freundin ſo viel
und mehr von ſeiner Liebe ſprechen können als
je gegen einen Freund. Allein ungern ſpricht
der Mann vor einem Manne ſeine Empfindung
aus und gern vor einem Weibe, ein Weib aber
am liebſten vor einem Weibe. Indeß hielt ihn
die Fürſtin durch die feinſte Schmeichelei, die
es giebt, durch entſchiednes ſtilles Achten in
Banden; dem wörtlichen Lobe war er eben ſo
gram und gewachſen, als dem thätigen ge¬
wogen und zinsbar.


Bis zur Ankunft der Entſcheidung verlief
eine verworrene Zeit; wie ein Menſch, der in
der Nacht reiſet, hört' er Stimmen und ſah
Lichter, und ihrer feindlichen oder freundlichen
Bedeutung fehlte ein Morgen. — Rabette lag
krank und verblutete am matten Herzen; denn
nicht er hatte aus ihm den blutſtillenden Dolch,
nämlich Karls Liebe, herausgezogen, ſondern
[339] dieſer ſelber war ihm zuvorgekommen mit bit¬
ter-ſüßen Thränen über die bitterſten.


Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬
eingedrücktem Hut und grimmig-ſtechendem Blick
ohne Gruß. — Überall hört' er, daß jener um¬
ſonſt Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬
gere und berenne; dieſes und Lianens Krank¬
ſeyn machte den tropiſchen Wilden gleichſam
zum wilderwachſenen Knaben aus einem Wald.
Auch in der jetzigen Abſonderung — auf der
Wahlſtatt des Freundes — hielt es Albano
für eine Wunde des Menſchen, daß Karl
nicht von ihm vorausſetzte — denn dieſem Man¬
gel ſchrieb er den Gaſſen-Grimm zu —, er
werde die Gräfin nicht zu ſehen ſuchen.


Sogar im Bibliothekar ſchien ſeit einigen
Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieſer aber
gieng, ſeit es ihm in deſſen Tiefen immer lich¬
ter geworden und er hinter deſſen komiſche Lar¬
ve hineingeſehen bis zum redlichen Auge und
liebevollen Mund, — ſein Herz ſo nahe an,
zumal nach ſo vielen Trennungen. Denn auch
der Lektor hielt ſich nach ſeiner Gewohnheit,
um keines Menſchen oder gar abtrünnigen
Y 2[340] Freundes Liebe zu werben, von ihm geſchieden;
was denſelben Jüngling kränkte, der es inner¬
lich billigte.


Seit einigen Tagen war nämlich Schoppe
in eine andre Tonart umgeſetzt, und ſein eigner
Reſtant und Nachſommer geworden. Es fieng
damit an, daß er an einem elenden Heulied
den ganzen halben Tag auf dem Waldhorn
verbließ; den übrigen halben verſang er daran
mündlich. Statt zu leſen und zu ſchreiben gieng
er in der Stadt und Stube auf und ab. Al¬
les was er ſonſt ſchnell abmachte, Laufen, Ver¬
ſchlingen des Eſſens, Sprechen, Rauchen, Be¬
fehlen, Auffahren, das gieng jetzt mit Klöppeln
zwiſchen den Füßen und ſtand faſt. Sein lang¬
ſames Auffahren und ſein zarter, leiſer Schritt
konnten Kennern ſeiner Vorzeit lächerlich vor¬
kommen. Seinen großen, herrlichen Wolf-Hund,
von dem er ſich täglich zehnmal mit den Vor¬
der-Pfoten umhalſen ließ und deſſen am Felle
aufgezogne Bruſt er ſo gern auf ſeine drückte,
wenn er mit ihm ein Langiſches- und Konſiſtorial-
Colloquium hielt, vernachläſſigte er in dem Gra¬
de, daß der Hund attent wurde und nicht wu߬
[341] te was er denken ſollte. Wie wenig konnt' er
ſonſt das Geſchrei eines geprügelten Hundes er¬
tragen, ohne zur Hausthüre als Schutzherr hin¬
auszufahren, weil er glaubte, man könne wohl
Menſchen wie Hunde traktiren aber Hunde
nicht! — Jetzt konnt' er das Schreien hören,
bloß weil er es wie es ſchien nicht hörte.


Wie er ſonſt oft zu Albano gieng um bloß
auf und ab und fortzugehen ohne ein lautes
Wort — weil er ſagte: „daran erkenn' ich eben
„den Freund, daß er mich oder ſich nicht unter¬
„halten ſondern bloß da ſitzten will“ — ſo kam
er jetzt noch ſtummer, berührte oft wie ein ſpie¬
lendes Kind zärtlich des leſenden Albano's
Achſel und ſagte, wenn dieſer ſich umſah:
„Nichts!“ Albano fragte indeß der Verände¬
rung nicht nach; denn er wußte, er entſchleiere
ſie ihm doch zur rechten Zeit. Ihre Herzen
ſtanden wie offne Spiegel gegeneinander.


So lag nun der dunkle Wald des Lebens
mit durcheinander und tief ins Dickigt hinein
laufenden Steigen vor Albano, als er auf dem
Kreuzwege ſeiner Zukunft ſtand und auf den
Genius wartete, der entweder als ein feindſeeli¬
[342] ger oder als ein guter ihm Lianens Entſchei¬
dung bringen ſollte. Endlich kam aus dem
finſtern Wald ein Genius, aber der dunkle und
gab ihm dieſes Blatt von der Fürſtin:


„Lieber Graf! Wahr bin ich immer und
ſchone lieber nicht. Das kranke Fräulein v. F.
iſt nicht mehr im Stande, eine Reiſe zu machen
oder davon zu profitiren. Ich nehme innigen
Antheil daran. So gern ich Ihnen heute ſel¬
ber Troſt zuzuſprechen wünſchte: ſo hoff' ich
doch nicht nach dieſer Nachricht die Gelegenheit
dazu zu haben.


Ihre Freundin.“


Welcher finſtere Wolkenbruch aus dem ju¬
gendlichen Morgenroth! So war alſo die ge¬
heime Freude, die er bisher nährte, der Vorbo¬
te des entſetzlichen Schlags geweſen, das ſanf¬
te Tönen vor dem Waſſerfall*). Daß gerade
ſeine Liebe das glühende Schwerdt werden
mußte, das durch Ihr Leben drang, o das be¬
trachtete er immer ſo, das ſchmerzt' ihn ſo! Aber
[343] kein Auge wurde naß; der Wermuth des Ge¬
wiſſens verbittert ſogar den Schmerz.


Wenn der Menſch ſein eigner Freund nicht
mehr iſt, ſo geht er zu ſeinem Bruder, der es
noch iſt, damit ihn dieſer ſanft anrede und wie¬
der beſeele; — Albano gieng zu ſeinem Schoppe.


Er fand ihn nicht, aber etwas anderes.
Schoppe führte nämlich ein Tagebuch über
„ſich und die Welt“, worin ſein Freund leſen
durfte was und wenn er wollte; nur mußt' ers
vergeben, wenn er darin — da es durchaus ſo
geſchrieben wurde als ſäh' es niemand weiter
— zornige Fächerſchläge und noch dazu mit
dem harten Ende wegtrug. „Warum ſoll ich
dich mehr ſchonen als mich?“ ſagte Schoppe.
Zu dieſem Du waren ſie gekommen, ohne ſa¬
gen zu können wann, ſo ſehr ſie ſonſt mit die¬
ſer Herzens-Kurialie, mit dieſem heiligſten See¬
len-Dualis gegen andere geizten; „denn ich dan¬
ke Gott, (ſagte Schoppe,) daß ich in einer Spra¬
che lebe, wo ich zuweilen Sie ſagen kann, ja
ſogar, wenn die Menſchen und Schelme dar¬
nach ſind, zwiſchen jedem Komma Euer ſo wohl
Wohl- als Hoch- und Sonſt-Geboren.“


[344]

Albano fand das Tagebuch aufgeſchlagen
und las mit Erſtaunen dieſes: „Amandus-Tag.
Ein dummer und äußerſt merkwürdiger Tag
für den bekannten Heſus oder Hanus!*) Ich
kann mich ſchwer bereden, daß es der arme
Donnergott verdiente, hinter der langen Pro¬
ſerpina **) nachzugehen und ihr endlich ins
Geſicht zu gucken, auf die Stirn, auf den Mund,
auf den Hals! O Gott! Wenn ein ſolcher
Gott nun auf dem Platze geblieben wäre! —
Als Pastor fido ſtand er zum Glück wieder auf
und gieng davon. O Höllengöttin, Heſi Him¬
melsſtürmerin, du haſt dich zu ſeinem Himmel
gemacht, kann er dich je laſſen?


Nachmittags. Der Pastor wird ſein eig¬
nes Hatzhaus, er weiß nicht zu bleiben; er wohnt
nun in allen Gaſſen, um ſeine Jeanne d'Arc-en-
[345] Cièl
*) zu erblicken, und leidet genug. Aber
Heſus, ſind nicht Leiden die Dornen, womit die
Schnalle der Liebe verknüpft? — Heute gieng
Freitag **) mit der Fürſtin auf die Sternwar¬
te. — Der Wind iſt Südoſtoſt — 13 Monats¬
ſchriften in 1 Stunde geleſen — Spener ſieht
das Leben im glänzenden Vergrößerungsſpie¬
gel Gott verklärt und poetiſch ſo gut als einer.


Sabinenstag. Mit dem Pastor wirds
ärger, wenn ich recht ſehe. Er iſt auf dem
Wege, ſich einen Billetdoux-Beſchwerer anzu¬
ſchaffen, ſich Nachts im Bette zu pudern und
der Schelm wirft in der Hitze, wie Milch die
warm ſteht, ſchon poetiſche Sahne auf. Laſſe
nur der Himmel niemals zu, daß er mit ſeiner
Höllengöttin je in einen vernünftigen Diſkurs
gerathe, Geſicht vor Geſicht, Athem gegen
Athem, und die zwei Seelen untereinander ge¬
mengt! — Wahrlich, der Flins ***) raffte ihn
[346] weg, Heſus verſchlänge ein tauſendjähriges Reich
auf einmal; ich ſorge, er würde vom Götter¬
trank zu wild und wäre zu ſchwer zu bändi¬
gen von mir.


Abends. Iſts nicht ſchon ſo weit mit dem
Pastor, daß er ſich einen Autor aus dem Wim¬
mer-Jahrzehnd des Säkuls (er ſchämt ſich ihn
zu nennen) geborgt hat und ſich vom dummen
Zeuge rühren laſſen will, indem er über den
Effekt nachſinnt, den der Autor im 14ten Jahre
auf ihn gemacht. Freilich ſtößet er ihm im
jetzigen wie ein Nachtwächter am Tage auf;
aber er ruft ſich doch das Rufen zurück und
hat neue Rührung über die alte. So lächelt
mich die Deklinazion cornu in der Grammatik
noch bis auf dieſe Stunde an, weil ich mich
entſinne, wie leicht und behend ich in den gold¬
nen Kindheitsmonden den ganzen Singularis
behielt.


Simon Jud. Verdammt! Ein ſchönes
Geſicht und ein falſcher Maxdor machen im
Kurs von einem Jahre ein Paar hundert, Schel¬
me die ſich bloß im Wunſche zu behalten und
wegzuſchaffen unterſcheiden. Heſus feindet und
[347] ficht ſchon Millionen Nebenbuhler an; wie
Knopfmacher und Poſamentierer, oder wie
Gelb- und Rothgießer, ſo laſſen ſo nahe Hand¬
werker einander nicht aufkommen. Recht, Höl¬
lengöttin! daß du alle Männer haſſeſt; das iſt
doch etwas für den Pastor, eine Wundſalbe. —
Scioppius, die beiden Scaliger und die kräftigen
Schlegel u. ſ. w.“ — —


Hier kommt das Tagebuch auf andere Din¬
ge. Ein altes Portrait, zu welchem Schoppe
ſich ſelber geſeſſen, hatt' er retouchiret; eine
Beilage als Inſerat für das Peſtizer Wochen¬
blatt kündigte deſſen Beſtimmung an: „Endes
Unterſchriebner, ein Portraitmahler aus der
niederländiſchen Schule, macht bekannt, wie er
ſich in Peſtiz geſetzt, und daß er bereit iſt, alles
von jedem Stand und Geſchlecht zu mahlen,
was ihm ſitzt. Als Probe, was er leiſte, kann
man bei ihm ein Selbſtportrait beſehen, das
ihn vorſtellt wie er nieſet, und es zugleich mit
ihm daneben zuſammenhalten. — Ich ſchneide
auch aus.


Peter Schoppe.
No. 1778.“


[348]

Vermuthlich ſollte das die Höllengöttin be¬
wegen, einmal dem nieſenden Mahler zu ſitzen.
Albano mußte mitten im tiefen Schmerze er¬
ſtaunen. Anfangs hatt' er nach ſeiner einfachen
Natur geglaubt, er ſelber ſey unter dem Ha¬
nus verſtanden.


Jetzt kam Schoppe. Sanft ſagte Albano
zuerſt: „ich habe auch dein Tagebuch geleſen.“
Der Bibliothekar fuhr mit einem Exklama¬
zions-Fluche zurück und ſah glühend zum Fen¬
ſter hinaus. „Was iſt, Schoppe?“ fragte ſein
Freund. Er drehte ſich um, ſah ihn ſtarr an,
und ſagte, die Geſichtshaut auseinander rin¬
gelnd, wie einer, der ſich die Zähne putzt, und
die Oberlippe aufziehend, wie ein Knabe, der
in ein Butterbrod beißet: „ich liebe.“ und lief
im Feuer die Stube auf und ab, klagend da¬
bei, daß er noch ſo etwas an ſich erleben müſſe
in ſeinen älteſten Tagen. — „Lies mein Tage¬
buch nicht mehr (fuhr er fort). Frage nach keinem
Namen, Bruder; kein Teufel, kein Engel, nicht
die Höllengöttin darf ihn wiſſen — Einſt viel¬
leicht, wenn ich und Sie in Abrahams Schoos
[349][ſitzen] und ich auf ihrem — — Du biſt ſo be¬
trübt, Bruder!“ —


„Fliege froh in der Sonnenathmoſphäre
der Liebe! (ſagte ſein Freund in der Ge¬
wiſſenstrauer, die den Menſchen einfach, ſtill
und demüthig macht) Ich werde dich nie fragen
oder ſtören! Lies das!“ Er gab ihm das Blatt
der Fürſtin und ſagte noch, während jener las,
zu ihm: „Verflucht ſey jede Freude wo Sie
keine hat. Ich bleibe hier, bis ſie lebt oder
nicht!“ — „Auch bleibe hier,“ verſetzte Schop¬
pe unwillkührlich-komiſch. „Sey ernſthaft!“ ſag¬
te Albano. „Sonſt konnt' ichs, (ſagte er wei¬
nerlich,) ſeit ehegeſtern nicht mehr!“


Albano hieß indeß Schoppens Abſonderung
von der Reiſegeſellſchaft gut; beide erhielten
einander auch in der Freundſchaft die köſtlichſte
Freiheit. Von Hofmeiſter-Begleitung war bei
beiden nicht die Rede. Schoppe lachte oft
Hofmeiſter von vielen Kenntniſſen und Lebens¬
arten aus, wenn ſie annahmen, er erziehe aus
oder an Albano etwas. „Das Säkulum erzö¬
ge, (ſagt' er,) nicht ein Tropf — Millionen Men¬
ſchen, nicht einer — eigentlich höchſtens ein pä¬
[350] dagogiſches Siebengeſtirn leuchte nach, nämlich
die 7 Alter des Menſchen, jedes Alter ins näch¬
ſte hinein — das Individuum gleiche ſehr der
ganzen Menſchheit, deren Revoluzionen und
Verbeſſerungen weiter nichts als Umarbeitun¬
gen einer Schikanedriſchen Zauberflöte durch ei¬
nen Vulpius wären; indeß ſchwebe doch um
das tolle, diſſonirende Stück ein Mozartiſcher
Wohllaut worüber man den Vater und den
Sprachmeiſter verwinde,“ —


„Wozu ſchleichen und brummen wir Sün¬
der hier herum? Laß uns zu Ratto!“ ſagte
Schoppe. Äußerſt ungern bequemte ſich Albano
dazu, er ſagte, der Keller habe etwas Unheim¬
liches für ihn und eine ſchwüle Ahnung drücke
ſeine Bruſt. Schoppe erklärte die Ahnung aus
dem Druck der Balken ſeines eingeſtürzten Luft¬
ſchloſſes, die auf ſeiner Bruſt noch lägen, und
aus der Erinnerung an den jetzt im Abgrund
fliegenden Roquairol, der einmal ihm im Kel¬
ler zugetrunken und nachher ihm in Lilar ge¬
beichtet habe. Albano folgte endlich, erinnerte
ihn aber an das Eintreffen einer andern Ah¬
nung, die er auf der Höhe vor Arkadien gehabt.


[351]

„Wir ſpielen beide nicht die beſten verlieb¬
ten Figuren, indeß ziehen wir in den Keller“
ſagte Schoppe unterwegs und legte ſeinen Lieb¬
ling ganz ungewöhnlich-hart auf die Folterlei¬
ter ſeines Spaßes; ſonſt, als er nicht ſelber
liebte, war er eines zarten, ſchonenden, ernſten
Schweigens darüber ſo fähig, jetzt aber nicht
mehr.

94. Zykel.

Im Keller war der alte Ab- und Zulauf
bekannter und fremder Geſichter. Albano und
Schoppe ſtiegen mit einander auf jene reinen
Höhen der Muſenberge, wo wie auf phyſiſchen
der Dunſtkreis des Lebens leichter aufliegt und
der Äther näher an die kürzere Luftſäule reicht.
Auf ihrem Ararat tröſten ſich die Männer leich¬
ter als die Weiber in ihren Tempethälern.
Nachdem Schoppe, durch die gewitterhafte Luft
von Punſch und Liebe feuriger, ziemlich lange
den Blitz-Funken ſeines Humors hatte im Zick¬
zack und verkalkend durch das Weltgebäude
ſchießen laſſen: ſo trat plötzlich ein Unbekann¬
ter, wie ein Todtenkopf gänzlich kahl und ſo¬
[352] gar ohne Augenbraunen, aber welk- und roſen¬
wangig an ihren Tiſch und ſagte mit eiſerner
Mine zu Schoppe: „Binnen heute und 15.
Monaten ſeid Ihr wahnſinnig geworden, Spa߬
vogel!“


„Oho!“ fuhr Schoppe äußerlich auf, aber
innerlich zuſammen. Albano wurde blaß. Je¬
ner faßte ſich wieder, ſtarrete die widerwärtige
Geſtalt, die die welke, aber roſenrothe Haut
auf ſcharfen hohen Geſichtsknochen hin und her¬
rollte ſcharf und muthig an und ſagte: „wenn
Ihr mich verſteht, prophetiſcher Galgen- und
Spaßvogel, und nicht ſelber wahnſinnig ſeyd:
ſo bin ich im Stande darzuthun, daß man ſich
ſehr wenig daraus zu machen habe, aus der
Tollheit.“ Hierauf bewies er — aber doch ab¬
gekühlt, abgebrannt, und verlaſſen von ſeinem
Bilder-Heer — — Wahnſinn wie Epilepſie ge¬
be mehr dem Zuſchauer als dem Spieler Schmer¬
zen — denn er ſey nur ein früherer Tod, ein
längerer Traum, eine Tag- ſtatt Nachtwande¬
lung — meiſtens geb' er, was das ganze Le¬
ben, Tugend und Weisheit, nicht könne, eine
fort¬[353]fortdauernde angenehme Idee *) — auch
wenn er, was ſelten ſey, in eine peinliche ſchmiede,
ſo werde dieſe doch ein Panzer gegen alle kör¬
perlichen Leiden des Menſchen — er habe da¬
her nie für ſich den Wahnſinn gefürchtet, ſo
wenig als den Traum, könn' aber an andern
weder das Reden in beiden noch den Anblick
davon ertragen. „Uns ſchaudert (ſagte Albano,)
ein Menſch, der ſchlafend zu uns ſpricht wie
zu einem Abweſenden oder der wachend nur
allein mit ſich redet; und hör' ich mich ſelber
allein, ſo iſt es daſſelbe.“


„Ich bin kein Philoſoph;“ ſagte gleichgültig
der Kahlkopf, deſſen vollendete glänzende Kahl¬
heit mehr fürchterlich als häßlich war. Schop¬
pe fragte erbittert, „wer er denn ſey, quis und
quid und ubi und quibus auxilüs und cur und
quomodo und quando**)“ — „Quando?
Titan III. Z[354] Nach 15. Monaten komm' ich wieder — Quis?
— Nichts, Gott braucht mich bloß, wenn er je¬
mand unglücklich machen muß,“ ſagte der Kahle
und bat ſich ein Glas und die Erlaubniß mit
zu trinken aus. Albano ſagte, es gern erlau¬
bend, im Frageton, er ſey wohl erſt angekom¬
men? „Eben vom großen Bernhard“ ſagte
der Kahle, aber widriger mit jedem Wort, weil
ſein altes Roſen-Geſicht ein Zickzack konvul¬
ſiviſcher Verziehungen war, ſo daß immer ein
Menſch nach dem andern dazuſtehen ſchien.
Er gieng ein wenig hinaus. Schoppe ſagte
ganz auſſer ſich: „ich ergrimme immer mehr
„gegen ihn wie gegen ein gräuliches, hüpfendes
„Fieberbild. Um Gottes Willen laſſ' uns fort.
„— Es iſt mir immer hinter mir als ſtoße mich
„eine böſe Fauſt auf ihn zu, damit ich ihn ab¬
„würge. Auch wird er mir immer bekannter,
„wie ein vermooſeter Todfeind.“


Albano verſetzte ſanft: „Sieh, meine Ah¬
„nung! — Aber nun ich ihr nicht gehorcht,
„muß ich auch ſehen wo hinaus es geht.“ Sei¬
ne muthige Natur, ſeine romantiſche Geſchichte
[355] und Lage ließen ihn nicht wegrücken von einer
ſo abentheuerlichen Perſpektive.


„Aber warum (fragte Schoppe den Kah¬
„len, da er wieder kam) ſchneidet Ihr ſo vie¬
„le Geſichter, die eben nicht zu Eurem Beſten
„ausfallen?“ — „Sie kommen (ſagt' er) von
Gift her, das man mir vor zehn Jahren gege¬
ben — Habt Ihr geſehen, wie aqua toffana
in Menge genommen verzieht? — In Nea¬
pel zwang ichs einem ſechzehnjährigen ſchönen
Mädchen hinein, das ſchon einige Jahre damit
gehandelt hatte, und ließ es vor mir ſterben.
Es giebt wohl nichts Gottloſeres als Giftmi¬
ſcherei.” — „Abſcheulich!“ — rief Albano ergrif¬
fen von einem innerſten Widerwillen gegen den
Mann; Schoppen hatte der Grimm ordentlich
abgeſpannt.


Jetzt trat eine arme, magere Tiſchlersfrau,
Liqueur zu holen, herein, welche die Augen vor
Schaam und Schwäche nieder- und halb zugezogen
trug; ſie getrauete ſich nicht aufzuſehen, weil die
ganze Stadt wußte, daß ſie Nachts gewaltſam
aus dem Bette in die Gaſſe getrieben werde, um ei¬
nem Leichenzuge, der dann durch dieſelbe nach eini¬
Z 2[256] gen Tagen wirklich ziehe, in ſeinem Vorſpiele
und Vorbilde vor ihr zuzuſchauen. Kaum hat¬
te ſie der Kahle erblickt, als er ſich das Geſicht
bedeckte: „Es iſt ein einziger Unſchuldiger unter
„uns (ſagt' er, ganz bleich und unruhig) —
„der Jüngling hier,“ indem er auf Albano zeig¬
te. Eben donnerte oben ein Wagen mit ſechs
Pferden vorüber. Schoppe ſprang auf, fragte
zweimal ſchnell den ſinnenden Albano: „gehſt du
mit?“ kehrte ſich zornig von deſſen Nein weg,
trat dicht vor den Kahlen und ſagte wüthend:
„Hund!“ — und kehrte ſich um und gieng fort.
Am Kahlen regte ſich keine Mine auf der bleich¬
gebliebnen Haut, ſondern nur die Hand ein we¬
nig, als ſey in ihrer Nähe ein Stilet zum Griff,
aber er ſah ihm mit jenem Blicke nach, vor
welchem das Mädchen in Neapel ſtarb.


Albano ergrimmte über den Blick und ſag¬
te: „Mein Herr, dieſer Mann iſt ein durchaus
redlicher, treuer, kräftiger Menſch; aber Sie ha¬
ben ihn ſelber gegen ſich erbittert und müſſen
ihn freiſprechen.“ — Mit ſanfter, ſchmeicheln¬
der Stimme verſetzte er: „ich kenn' ihn nicht erſt
ſeit heute, und er kennt mich auch.“ — Albano
[357] fragte, ob er vorhin mit dem großen Bernhard
den Schweizerberg gemeint. „Wohl! (verſetzt' er)
„Ich reiſe jährlich hin, um eine Nacht mit mei¬
„ner Schweſter zuzubringen.“ — „Meines
Wiſſens ſind nur Mönche da“ ſagte Albano. —
„Sie ſteht unter den Erfrornen in der Kloſter¬
kapelle*), (verſetzt' er,) ich bleibe die ganze Nacht
vor ihr und ſehe ſie an und ſinge Horen.“


Sonderbar fühlte ſich Albano während des
Zuhörens verändert — was er nur dem Punſch
zuſchreiben konnte —, es war weniger Rauſch
als Gluth, eine fliegende Lohe brauſete über
ſeine innere Welt und der rothe Schein irrte
an ihren fernſten Gränzen umher; nun war
ihm als ſteh' er ganz mit dem Kahlkopf auf
Einem Boden und könne mit dieſem böſen Ge¬
nius ringen. — „Ich hatt' auch eine (ſagte
„Albano) — kann man Todte zitiren?“ — „Nein,
aber Sterbende,“ ſagte der Kahle. — „Huh!“
ſagte Albano bebend. — „Wen wollt Ihr ſe¬
[358] hen?“ fragte der Kahle. — „Eine lebende
Schweſter, die ich noch nicht geſehen.“ ſagte
glühend Albano. „Es kommt (ſagte der Kahle,)
auf ein wenig Schlaf an, und daß Ihr noch
wiſſet, wo die Schweſter an ihrem letzten Ge¬
burtstag war.“ — Zum Glück war Julienne,
die er für ſeine Schweſter nahm, an dem ihri¬
gen im Schloſſe zu Lilar geweſen. Er ſagt'
es ihm. „So kommt mit mir!“ ſagte der Kahle.


In dieſer Minute brachte ihm Schoppens
Bedienter einen Stockdegen und folgendes Blatt:
„Bruder, Bruder, trau' ihm nicht — Hier haſt
„du eine Waffe, denn Du biſt gar zu tollkühn
„— Stich ihn gleich durch, macht er nur Mine
„— Allerlei unbekannte Leute haben dieſen
„Abend nach Dir und Deinem Orte gefragt —
„Mir iſt, als ſey mir vor der Beſtie gar kein
„Leben geſichert. Deines, Ihres — Hüte Dich
„und komme!


Schoppe.


„Erſtich' ihn aber, ich bitte Dich.“


„Fürchtet Ihr Euch etwa“ fragte der Kah¬
le. — „Das wird ſich zeigen“ ſagte Albano
[359] zornig und nahm den Stockdegen und gieng
mit ihm. Als beide durch das kleine dunkle
Vorzimmer des Kellers giengen, ſah Albano
in einem Spiegel ſeinen eignen Kopf in einen
Flammen-Ring gefaſſet. Sie kamen aus der
Stadt ins Freie. Der Kahle gieng voraus.
Der Himmel war ſternenhell. Dem Grafen
war als hör' er die unterirrdiſchen Waſſer und
Feuer der Erdkugel und der Schöpfung brau¬
ſen. Kaum erkannt' er draußen den Weg nach
Blumenbühl. Plötzlich lief der Kahle links Feld
ein; die magere Tiſchlerin ſtand auf der Blu¬
menbühler Straße ganz ſtarr und ſah vertieft
eine Leiche ziehen, die unſichtbar vorübergieng
und hörte die ferne Glocke, die der Stumme
trägt, der Tod. So ſchien es.


Da folgte Albano dem Kahlkopf verwegner
nach, die Geiſterfurcht tödtet die Menſchenfurcht.
Beide giengen ſtumm nebeneinander. In der
fernen Tiefe ſchien es als ſchwebe ein Menſch,
ohne zu ſchreiten und rege zu ſeyn, feſt und
langſam in den Lüften weiter. Am Kahlen
zuckte unaufhörlich die weiſſe Haut und eine
unſichtbare Fauſt nach der andern zog ſich aus
[360] dem Thon ſeines Geſichts und zeigte den Griff;
einmal lief auf ihm das Geſicht des Vaters
des Todes *) vorüber.


Plötzlich hörte Albano um ſich das dum¬
pfe Gemurmel und Durcheinanderſprechen ei¬
nes Gewimmels; nichts war um ihn. „Hört
Ihr nichts?“ fragte er. „Es iſt alles ſtill,“ ſagte
der Kahle. Aber das Gewimmel murmelte und
liſpelte begierig und heiß fort als könne es
nicht fertig und einig werden; — der kühne
Jüngling ſchauderte, die Thore des Schatten¬
reichs ſtanden weit offen in die Erde, Träume
und Schatten ſchwärmten aus und ein und flo¬
gen nahe ans helle Leben.


Beide traten ans Laubgehölze vor Lilar;
da half ſich ein Knabe mit einem unförmlich-
großen Kopfe auf zwei Krücken heraus und
hatte eine Roſe, die er dem Jüngling nickend
anbot. Albano nahm ſie, aber der Kleine nick¬
te unaufhörlich, als woll' er ſagen, er möge
doch daran riechen. Albano thats — und plötz¬
[361] lich zog ihn die Theaterverſenkung des Lebens,
ein bodenloſer Schlummer, in die dunkle Tiefe.


Als er belaſtet erwachte, war er allein und
ohne ſeine Waffe, in einem alten beſtäubten
gothiſchen Zimmer — ein mattes Lichtlein ſtreue¬
te nur Schatten umher — er ſah durch das
Fenſter — Lilar ſchien es zu ſeyn, aber auf die
ganze Landſchaft war Schnee gefallen und der
Himmel weiß bewölkt, und doch ſtachen ſonder¬
bar die Sterne durch. Was iſt das, ſteh' ich
im Larventanz der Träume, fragt' er ſich.


Da gieng eine Tapete auf— eine verhangne
weibliche Geſtalt mit unzähligen Schleiern auf
dem Angeſicht trat herein — ſtand ein wenig
— und flog ihm an ſein Herz. „Wer iſts?“ frag¬
te er. Sie drückte ihn heftiger an ſich und
weinte durch die Schleier hindurch. „Kennſt
Du mich?“ fragt' er. Sie nickte. „Biſt Du mei¬
ne unbekannte Schweſter?“ fragt' er. Sie
nickte und hielt ihn mit feſten Schweſterarmen,
mit heißen Liebesthränen, mit ungeſtümen Küs¬
ſen an ſich feſt. „Rede, wo lebſt Du?“ Sie
ſchüttelte, „Biſt Du geſtorben oder ein Traum?“
— Sie ſchüttelte. — „Heißeſt Du Julienne?“
[362] — Sie ſchüttelte. „Gieb mir ein Zeichen dei¬
ner Wahrhaftigkeit!“ — Sie zeigte ihm einen
halben goldnen Ring auf einem nahen Tiſch.
„Zeige dein Geſicht, damit ich Dir glaube!“ —
Sie zog ihn vom Fenſter weg. „Schweſter, bei
Gott, wenn Du nicht lügſt, ſo hebe die Schlei¬
er!“ — Sie wieß mit dem ausgeſtreckten langen um¬
wickelten Arme nach etwas hinter ihm. Er bat
immer fort, ſie deutete heftig nach einem Orte
hin und drückte ihn von ſich; endlich folgte er
und kehrte ſich ſeitwärts — Da ſah er in ei¬
nem Spiegel, wie ſie ſchnell die Schleier aufriß
und wie darunter die veraltete Geſtalt erſchien,
deren Bild ihm ſein Vater auf Isola bella mit
der Unterſchrift gegeben. Aber als er ſich um¬
kehrte, fühlt' er auf ſeinem Geſicht eine warme
Hand und eine kalte Blume; und ſein Ich zog
wieder ein Schlaf hinunter.


Als er erwachte, war er allein, aber mit
ſeiner Waffe und an der Waldſtelle, wo er zum
erſtenmale eingeſchlafen war. Der Himmel war
blau, und die lichten Bilder ſchimmerten — die
Erde war grün und der Schnee verwiſcht —
den halben Ring hatt' er nicht mehr in der
[363] Hand — um ihn war kein Laut und kein
Menſch. War alles der verwehte Wolkenzug
der Träume geweſen, das kurze Wirbeln und
Bilden in ihrem Zauberrauch?


Aber das Leben, die Wahrheit hatte ja ſo
lebendig an ſeiner Bruſt gebrannt; und die
Schweſterthränen lagen noch auf ſeinem Auge.
„Oder wären es nur meine Bruderthränen“
ſagte ſein verwirrter Geiſt, als er aufſtand
und in der hellen Nacht nach Hauſe gieng.
Alles war ſo ſtill als ſchlafe das Leben noch
fort — er hörte ſich und fürchtete, es zu we¬
cken — er ſchauete ſeinen gehenden Körper an:
ja, dacht' er, dieſes dichte um uns gewickelte
Bette ſpielt uns eben die Quaalen und Freu¬
den des Lebens zu. So wie wir ſchlafend un¬
ter herüberfallenden Bergen zu erſticken glau¬
ben, wenn das Deckbette ſich auf unſere Lippen
überſchlägt, oder über klebendes Gluth-Blech
zu ſchreiten, wenn es mit zu dicken Federn die
Füße drückt, oder als nackte Bettler zu frieren,
wenn es ſich kühlend verſchiebt: ſo wirft dieſe
Erde, dieſer Leib in den ſiebzigjährigen Schlaf
des Unſterblichen Lichter und Klänge und Käl¬
[364] te und er bildet ſich daraus die vergrößerte
Geſchichte ſeiner Leiden und Freuden; und wenn
er einmal erwacht, iſt nur wenig wahr geweſen!


„Gott, warum kommſt du ſo ſpät — und
ſo blaß?“ fragte Schoppe, der in Albano's Zim¬
mer lang' auf ihn gewartet hatte. „O, frag'
mich heute nicht!“ ſagte Albano.


[365]

Drei und zwanzigſte Jobelperiode.

Liane.


95. Zykel.

Nie fuhr ſich Schoppe mit mehr Flüchen an,
als am Morgen unter Albano's Erzählung
und zwar darüber, daß er nicht geblieben war,
um dem Kahlen, dem Schwungrad ſo vieler
Geiſter-Bewegungen, mitten unter dem Drehen
in die Speichen zu fahren. Er flehte inſtändig
den Grafen an, doch bei der nächſten Erſchei¬
nung — zumal in Italien — dem Kahlen ohne
Schonung die Larve abzureißen, und bliebe das
Leben darin hängen. Den Jüngling hatte die
Nacht zu ſtark bewegt; daher ſprach er ungern
und flüchtig davon. Da in ihm alle Empfin¬
[366] dungen ſich ernſter und übermächtiger regten
als in Roquairol: ſo hatt' er nicht wie dieſer
Freude an ihrem Mahlen ſondern Scheu davor.
Er ſuchte das kleine alte Schweſterbild auf, das
ihm ſein Vater auf der Inſel gegeben; — wel¬
cher treffende Wiederſchein des nächtlichen Spie¬
gelbildes! Dieſes Alter-Moos an einer Schwe¬
ſter mußte, bloß um damit ihre Ähnlichkeit zu
überdecken, durch Kunſt geſäet ſeyn. Die Ver¬
muthung auf Julienne gab er nach dem Nein
der Verſchleierten und bei der Unwahrſchein¬
lichkeit einer ſolchen Nachtrolle wieder auf
und ſetzte die Höhen-Berechnung aller dieſer
unbegreiflichen Lufterſcheinungen auf die Hülfe
ſeines ſo nahen Vaters hinaus.


Ach über allen ſeinen Gedanken zog in
Geier-Kreiſen unaufhörlich eine ferne dunkle
Geſtalt, der Würgengel, der auf die hülfloſe
Liane hungrig niederfliegen wollte! Das Star¬
ren der Leichen-Seherin auf dem Blumenbüh¬
ler Weg — zumal nach dem trüben Blatte der
Fürſtin — gaukelte jetzt in den dunkeln durchein¬
anderkreuzenden Laubgängen, worein ſein Le¬
[367] bensweg getrieben war, als ein flatterndes
Schreckbild fort.


Ein neuer, einziger Entſchluß ſtand jetzt in
ſeiner Seele wie ein ſtarrer Arm am Wege feſt,
der immer nach Einer Richtung zeigte, auf die
Blumenbühler Straße: „du mußt zu ihr —
„ſagte der Entſchluß — ſie darf nicht in dem
„Wahne deines Zürnens und deiner alten Här:
„te ſterben — du mußt ſie wieder ſehen, um
„ihr abzubitten, und dann weineſt du, bis ihr
„Grab aufgeht und ſie wegnimmt.“ — O, wie
werd' ich dann, ſagt' er zu ſich, vor dem Ster¬
be-Throne dieſes Engels mein hartes, ſtolzes,
wildes Herz zerknirſchen und alles, alles womit
ich die ſanfte Seele in Lilar blind und wund
gemacht, zurücknehmen, damit ſie nicht zu ſehr
verachte die kurzen Tage ihrer Liebe und da¬
mit doch ihr Herz verſcheide mit einer kleinen
letzten Freude von mir! — Und das, o Gott,
beſcheide uns!“ —


Vergeblich trug Schoppe darauf an, daß
er mit ihm die Expedizionsſtube der Nacht-
Wunder, die ſo wahrſcheinlich im gothiſchen
Tempel anzutreffen ſeyn mußte, ſuchen ſollte;
[368] noch an dieſem Tage, wollte er vor die bleiche
Geliebte dringen. Auffallend beſtand Schoppe
auf dem Beſuch von Lilar fort, und verlangte
dieſen zuletzt, voreilig befehlend —; aber jetzt
war es verdorben und Albano's Stirn verpan¬
zert. „Verflucht! wozu laſſ' ich mich denn in
dieſen Thränentöpfen kochen“ ſagte Schoppe
und fuhr hinaus.


Aber nach kurzer Zeit kam er wieder, mit
einem Blatte von — Gaſpard, worin dieſer auf
heute Relais-Pferde von der Poſt verlangte,
und mit einem Vorſchlag von ſich ſelber, dem
Vater entgegen zu gehen. Wie erfriſchend weh¬
te die väterliche Nähe über Albano's ſchwüle
Wüſte! — Gleichwohl ſagte er das zweite Nein;
das lange Wollen und Streiten und jede
Stunde hüllte ihm Lianen immer finſterer in
ihre Wolke und er dachte bange an ſeinen
Traum über ſie auf Isola bella*); — und am
Ende[369] Ende ſtutzte er argwöhniſch über das bedenk¬
liche Zurückzerren.


Und darin irrt' er nicht; Schoppe handel¬
te nach ganz andern Begebenheiten als er noch
erfahren hatte. Der Lektor nämlich, der mit
alter kluger Redlichkeit über den abtrünnigen,
aber von ihm überall gelobten Jüngling von
fernen Wache hielt durch den ſtellvertretenden
Schoppe, hatte dieſem den aufgethürmten blei¬
ſchweren Wolkenbruch gezeigt, der ſich nun ge¬
ſenkt gegen das Haupt des edlen Jünglings
herbewegte; nämlich Lianens ganz nahen Tod.


Früher war der Streit mit den Eltern,
gleichſam dieſe poetiſche Härte für Lianens Ner¬
ven, noch Eiſenwein geweſen, die nachher im
weichen Waſſer der Entſagung, Herbſtruhe und
Andacht ſchmolzen. Es giebt eine warme Wind¬
ſtille, welche Menſchen wie Schiffe zerläſſet;
eine Wärme, worin das Wachsbild des Geiſtes
zerrinnt. Täglich kam noch dazu der fromme
Vater und breitete ihre Schwingen aus, löſete
ſie ab von den Erden-Hoffnungen und Erden-
Bangigkeiten und führte ſie in den Glanz des
göttlichen Thrones. — Die ſchönen Frühlings¬
Titan III. A a[370] lüfte ihrer geendigten Liebe ließ ſie wieder we¬
hen, aber in höherer Stelle, es waren dünne,
milde Äther-Zephyre, Blumen-Hauche. — Sie
wußte jetzt zugleich, ſie ſterbe und liebe Gott. Sie
ſtand wie eine Sonne ſchon ruhig und fern an
ihrem Himmel, aber wie eine Sonne ſchien ſie
folgſam um den kleinen Tag ihrer Mutter zu ge¬
hen und wärmte ſie ſanft. — Ihre Thränen ent¬
floſſen ſo ſüß wie Seufzer, wie Abendthau aus
Abendroth — Wie man ſeelig-wogend ſinkt
in heitern Träumen, ſo floß ſie mit ſchwim¬
mendem Körper-Gewand auf dem Todesfluſſe,
lange getragen, langſam angezogen.


Nur ein einziger irrdiſcher Widerſtand hat¬
te bisher den ſüßen Fall gebrochen — die heis¬
ſe Erwartung der kommenden Romeiro, dieſer
ihr ſo innig befreundeten Freundin ihrer Freun¬
din Julienne. Endlich erſchien ihr dieſe und
ergriff ihre Phantaſie zu ſehr; denn gerade die
Flügel der Phantaſie waren an dieſem ſanften,
ſteten Schwane *) zu ſtark. Wie ſtellte ſich die
[371] Kranke unter dieſe glänzende Göttin herunter!
Wie fand ſie ſich unwürdig der vorigen Liebe
für Albano! — So wenig hatte Spener, der
nur vor Gott demüthig war, ſie hindern kön¬
nen, zwei Kleinode aus ihrem vorigen Leben
in ihr jetziges verklärtes heraufzunehmen, die
alte Demuth vor Menſchen und das alte be¬
kümmerte Sorgen für Geliebte.


Julienne mocht' ihr noch ſo oft abgera¬
then haben, ſie ſchlang ſich doch an einem Aben¬
de — wo ſie Albano's Wegziehen nach Italien
vernommen — um Linda's Herz und ſagte ihr
mit gewöhnlicher Überwallung, nur Albano ver¬
diene ſie. Linda antwortete bewundernd: ſie
faſſe eine Liebe nicht, die ſich ſelber vernichte;
in Ihrem Falle würde ſie ſterben. „Und thu'
ichs denn nicht?“ ſagte Liane.


Julienne bat gleich darauf Lianen, die ver¬
legne edle Gräfin darüber zu ſchonen. Liane
ſchwieg unbeleidigt; aber der neue Wunſch er¬
griff ſie nun, ihren verlohrnen Albano noch ein¬
mal wiederzuſehen und ihm ihre vorige Treue
und ſeinen Irrthum zu beweiſen und ihm mit
ſterbendem Herzen ein neues großes zu verma¬
A a 2[372] chen. Sie war ſehr offenherzig mit allen letz¬
ten Wünſchen ihrer heiligen Seele. So lange
die Mutter und Auguſti konnten, hielten ſie
ihr die Hand, damit ſie ſich eine ſo giftige
ſchwarze Blume als die Freude eines ſolchen
Wiederſehens ſeyn müßte, nicht ans kranke Herz
ſteckte. Aber ſie verſicherte ihre Mutter, was
könn' es ihr in dieſem Jahre ſchaden, da ſie ja
erſt im künftigen — nach Karolinens Weiſſa¬
gung — von hinnen gehe? — Indeß ſuchte man
ihr das letzte Ziel immer hinauszurücken in der
Hoffnung, daß Gaſpard den Grafen wegführe,
und mit dem Vorſatz, nur im Nothfalle aller ver¬
lohrnen Hoffnungen ihr dieſe tödtliche zu ſtillen.


Da wandte ſie ſich mit ihrem Wunſche an
ihren Bruder; aber dieſer halb aus erbitterter
Eitelkeit, halb aus Liebe gegen die Schweſter,
ſchilderte Albano von der kältern Seite, ſagte,
er ziehe in ein frohes Land, verſchmerze ſie
leicht u. ſ. w. Wie entrüſtete ſich beinahe die
ſanfte Seele, weil ſie daraus mit weiblicher
Scharfſicht einen nahen Bruch der Liebe gegen
Albano und Rabette und eine Wiederkehr der
Neigung für die dableibende Linda entdeckte!
[373] Sie hatte ſchon längſt die lange Unſichtbarkeit
Rabettens unterſucht. Denn dieſe arme Seele
war ſeit ihrem Falle, ſeit dem Begräbniß ihrer
Unſchuld, durch keine Bitten und Befehle zu
zwingen geweſen, vor die Freundin der ewigen
Unſchuld mit dem niedergeworfnen Sünder-
Auge zu treten; und jetzt war es ihr vollends
unmöglich, ſeit ihr durch Linda's Ankunft und
Beſuche auch das kleinſte ſchillernde Gewebe ih¬
res fliegenden Sommers zertreten war und ihr
Mund voll Quaal dumpf am hereingezognen
Leichenſchleier erſtickte. „Bruder, Bruder, (ſagte
„Liane begeiſtert,) bedenke, was unſere armen
„Eltern von uns Kindern haben! Ich erfülle
„ihnen keine Hoffnung; auf Dir ruht jede;“ „ach
„wie wird unſer Vater zürnen!“ ſetzte ſie mit
alter Scheu und Liebe dazu. Der Bruder hielt
es für Recht, die Wahrheit (über Rabettens
Hinab „und Wegſtoßen), welche dieſesmal die Ge¬
ſtalt einer bewaffneten Parze haben würde, von
ihr zu entfernen, und ſetzte an die Stelle der
Wahrheit ſeine Bruder-Liebe. Daher hatt' er
bisher die einzige Gelegenheit, mit der Grä¬
fin zu ſprechen, entbehrt — Lianens Kranken
[374] ſtuhl. „Du mußt ſterben (ſagte er einmal im
„Enthuſiasmus zu ihr); es iſt gut, daß Dein
„Gewebe ſo zart iſt, damit es das Durcheinan¬
„dergreifen ſo vieler Tatzen entzwei reißet —
„Was hätteſt Du bis in Dein 70. Jahr nicht lei¬
„den können unter Menſchen und Männern!“
Auch er glaubte — aus eigner Erfahrung —
daß es mehr Weiber- als Männer-Schmerzen
gebe, ſo wie es am Himmel mehr Mond- als
Sonnenfinſterniſſe giebt.


So ſtand es bis in die Nacht, wo Albano
den Kahlkopf, die Spiele der Finſterniſſe und
die verſchleierte Schweſter ſah; in dieſer ſprang
eine Saite nach der andern in Lianens Leben,
ſie wurde ſchnell verändert und am frühen Mor¬
gen empfieng ſie ſchon das Abendmahl aus ih¬
res Speners Hand. Der Lektor bekam dieſe
trübe Nachricht von der Miniſterin um 9 Uhr
Morgens. Darum ſucht' er mit ſolchem Eifer
durch Schoppe den Jüngling vom Anblick ei¬
ner verſcheidenden Braut zu verdrängen.


Später kam Gaſpards Billet, welches bei¬
de auf den Gedanken brachte, ihn zum Entge¬
genfahren zu locken und — durch eine Nach¬
[375] richt an den Vater — dieſen zu bereden, wenig¬
ſtens auf einige Tage mit Albano vor dem na¬
hen Erdfall umzukehren, damit dieſer ſinke,
ehe ihn der Sohn betreten.


Aber auch das, wie ſchon erzählt worden,
ſchlug fehl; Albano bekannte Schoppen gerade¬
zu ſeinen Argwohn irgend einer unheimlichen
Begebenheit. Dieſer wollte eben eine Antwort
geben, als ſie ihm erſparet wurde durch einen
keuchenden Boten aus Blumenbühl, der an Al¬
bano folgendes Blatt von Spener überbrachte:


P. P.


Ew. Hochgeboren Gnaden ſoll in aller
Eile melden, daß das todtkranke Fräulein von
Froulay noch heute mit Denenſelben zu ſpre¬
chen ſehnlichſt verlangt, daher Sie um ſo mehr
zu eilen haben, da ſelbige nach eigner Ausſage
höchſt wahrſcheinlich (und um ſo mehr, als Pa¬
zienten dieſes genre immer ihren Tod richtig
vorauszuſagen wiſſen) den heutigen Abend
ſchwerlich überleben, ſondern aus dieſer Leiblich¬
keit einziehen wird in die ewige Herrlichkeit.
Ich für meine Perſon brauche Ew. Gnaden als
einem Chriſten wohl nicht erſt zu vermahnen,
[376] daß wohl ein ſanftes, ſtilles, frommes Betra¬
gen und Gebet bei dem Sterbebette dieſer herr¬
lichen Braut Chriſti, von deren Tod jeder wün¬
ſchen wird: Herr, mein Tod ſey wie dieſer Ge¬
rechten! nicht aber grauſame weltliche Trauer
ſich gebühre und gezieme, der ich mit ſonder¬
barem Reſpekte verharre


Ew. Hochgeboren Gnaden


Unterthäniger
Joachim Spener
Hofprediger.


P. S. Kommen Dieſelben nicht ſogleich
mit dem Erpreſſen: ſo bitte ſehr um einige Zei¬
len Antwort.“


Albano ſagte kein Wort — gab das Blatt
ſeinem Freunde — drückte leiſe deſſen Hand —
nahm den Hut — und gieng langſam und mit
trocknen Augen auf die Gaſſe hinaus, auf den
Weg nach dem Bergſchloß.

96. Zykel.

Schaudernd lief er draußen um die Stelle
[377] vorbei, wo in der vorigen Nacht die Leichen-
Seherin geſtanden hatte, um ihre in ſchwarze
Menſchen verwandelten Träume langſam von
der Bergſtraße herunterziehen zu ſehen. — Es
war ein ſtiller, warmer, blauer Nachſommer-
Nachmittag — das Abendroth des Jahres, das
rothglühende Laub, zog von Berg zu Berg —
auf todten Auen ſtanden die giftigen Zeitloſen
unverletzt beiſammen — auf den überſponne¬
nen Stoppeln arbeiteten noch Spinnen am
fliegenden Sommer und richteten einige Fäden
als die Taue und Segel auf, womit er entfloh
— der weite Luft- und Erdkreis war ſtill, der
ganze Himmel wolkenlos — und die Seele des
Menſchen ſchwer bewölkt.


Albano's Herz ruhte auf der Zeit wie ein
Kopf auf dem Enthauptungsblock — — Nichts
ſah er im weiten Himmelsblau als die darin
fliegende Liane, nichts, nichts auf der Erde als
ihre liegende leere Hülle.


Er zuckte, da ihm plötzlich auf der Blu¬
menbühler Höhe das weiße Bergſchloß entge¬
gen glänzte. Er rannte hinab — wild vor
dem verhaßten entſtellten Blumenbühl vorbei
[378] — und draußen in den tiefen Hohlweg hinauf,
der zum Bergſchloß führet. Da aber dieſer ſich
in zwei aufſteigende Thäler ſpaltet; ſo ver¬
irrte ſich der vom Schmerz verſchleierte Menſch
in das linke und eilte zwiſchen deſſen Wänden
immer heftiger, bis er nach langem Treiben
auf die Höhe heraustrat und das ſchimmernde
Trauerſchloß hinter ſich erblickte. Da war ihm
als rühre ſich die weite hinabliegende Land¬
ſchaft wie ein ſtürmendes Meer durcheinander
mit wogenden Feldern und ſchwimmenden Ber¬
gen; und der Himmel ſchauete ſtill und hell
auf das Bewegen nieder. Nur unten am weſt¬
lichen Horizonte ſchlief eine lange dunkle Wolke.


Er ſtürmte wieder bergab und kam in
wenigen Minuten im kleinen Blumengarten
des Trauerhauſes an. Als er heftig durch ihn
ſchritt, ſah er oben an den Schloßfenſtern meh¬
rere Menſchen-Rücken; wenn ſie ſich umkehren,
(ſagt' er,) ſo wird ſogleich die Sage umlaufen:
der Mörder kommt. Jetzt trat die Miniſterin
an ein Fenſter, wandte ſich aber ſchnell um, da
ſie ihn erblickte. Er ſtieg ſchwer die Treppe
hinauf, der Lektor kam ihm gerührt entgegen,
[379] ſagte zu ihm: „Faſſung für Sie und Schonung
„für andere! Sie haben keinen Zeugen Ihrer
„Unterredung als Ihr Gewiſſen“ und machte
dem ſtummen Jüngling das ſtille Krankenzim¬
mer auf.


Vom Schmerz belaſtet und gebückt trat er
leiſe hinein. In einem Krankenſtuhl ruhte eine
weißgekleidete Geſtalt mit weißen, tiefen Wan¬
gen und ineinander gelegten Händen und
lehnte den Kopf, den ein bunter Gras¬
blumenkranz umzog, an die Seitenlehne. Es
war ſeine vorige Liane. „Sey mir willkommen,
Albano!“ ſagte ſie mit ſchwacher Stimme, aber
mit dem alten, aufgehenden Sonnen-Lächeln
und reicht' ihm die mühſam gehobne Hand ent¬
gegen; das ſchwere Haupt konnte ſie nicht er¬
heben. Er trat hin, ſank auf die Kniee und
hielt die theuere Hand, und die Lippe zitterte
ſtumm. „Sey mir recht willkommen mein gu¬
ter Albano!“ wiederholte ſie noch zärtlicher in
der Meinung, er hab' es das erſtemal wohl
nicht gehört; und alle Thränen ſeines Herzens
riß die bekannte wiederkommende Stimme in
Einem Regen nieder. „Auch du, Liane!“ ſtam¬
[380] melte er noch leiſer. Mühſam ließ ſie ihr Haupt
auf die andere ihm nähere Lehne herüberfallen;
da ſchaueten ihre lebensmüden blauen Augen
recht nahe ſeine feurigen naſſen an; wie fanden
beide ihr Angeſicht von Einem langen Schmerz
entfärbt und veredelt! Rothwangig und voll¬
blühend und Schmerzen tragend war Liane
in das kalte fremde Todtenreich der ſchweren
Prüfung für die höhere Welt gegangen und
ohne Farbe und ohne Schmerzen war ſie wie¬
dergekommen und mit himmliſcher Schönheit
auf dem irrdiſch-verblühten Geſicht — Albano
ſtand vor ihr, auch bleich und edel, aber er
brachte auf dem jungen kranken, eingefallnen
Angeſicht die Kämpfe und die Schmerzen zu¬
rück und im Auge die Lebens-Gluth.


„Gott, Du haſt Dich verändert, Albano“
— fieng ſie nach einem langen Blicke an —
„Du ſiehſt ganz eingefallen aus — Biſt Du ſo
„krank, Lieber?“ — fragte ſie mit der alten
Liebes-Bekümmerniß, die ihr weder der from¬
me Vater noch der letzte Genius, der den Men¬
ſchen erkältet gegen das Leben und Lieben eh'
er es entrückt, aus dem Herzen nehmen konn¬
[381] ten. — „O, wollte Gott! Nein, ich bins
„nicht“ ſagte er und erſtickte aus Schonung
den innern Sturm; denn er hätte ſo gern ſei¬
nen Jammer, ſeine Liebe, ſeinen Todes-Wunſch
ausgerufen vor ihr mit einem tödtlichen Schrei,
wie eine Nachtigal ſich zu Tode ſchmettert und
vom Zweige ſtürzt.


Ihr erkältetes Auge ruhte, ſich erwär¬
mend, lange auf ſeinem Angeſicht voll unaus¬
ſprechlicher Liebe und ſie ſagte endlich mit ſchwe¬
rem Lächeln: „So liebſt Du mich alſo wieder,
„Albano! — Du hatteſt Dich auch in Lilar
„ganz geirrt. Erſt nach langer Zeit wird mein
„Albano es erfahren, warum ich von Ihm ge¬
„wichen bin, nur zu Seinem Wohl. Heute,
„Heute an meinem Sterbetage ſag' ich Dir,
„daß mein Herz Dir treu geblieben. — Glaub'
„es mir! — Mein Herz iſt bei Gott, meine
„Worte ſind wahr — Sieh! Darum bat ich Dich
„heute zu mir — denn Du ſollſt ſanft, ohne
„Reue, ohne Vorwurf auf Deine erſte Jugend¬
„liebe herüberſehen in Deinem künftigen lan¬
„gen Leben. — Heute wirſt Du nicht böſe
„über die kleine Linda, daß ſie vom Sterben
[382] „ſpricht — Siehſt du wohl, daß ich damals
„Recht hatte? — Hole mir das Blatt dort!“ —


Er gehorchte; es war ein mit zitternder
Hand gemachter Umriß von ihr, der Linda's
edeln Kopf vorſtellte. Albano ſah das Blatt nicht
an. „Nimm es zu Dir,“ ſagte ſie; er that es.
„Wie biſt Du ſo willig und gut! (ſagte ſie)
„Du verdienſt Sie — ich nenne Sie Dir nicht
„— als den Lohn Deiner Treue gegen mich.
„Sie iſt Deiner würdiger als ich, Sie blüht
„wie Du, ſiecht nicht wie ich; aber thu' Ihr nie
„Unrecht — Deine Liebe zu Ihr iſt mein letzter
„Wunſch — — Wirſt Du mich betrüben, feſtes
„Gemüth, durch ein heftiges Nein?“ —


„Himmels-Seele! — (rief er und blickte
ſie bittend an und brachte ihr das Todtenop¬
fer des erſtickten Neins) ich antworte Dir nicht
— Ach vergieb, vergieb der frühern Zeit!“ —
Denn nun ſah er erſt, wie demüthig, leiſe und
doch innig die zarte, ſtille Seele ihn geliebt, die
noch jetzt im zerfallenden Körper ganz wie an
Lilars ſchönen Tagen ſprach und liebte, ſo wie
die ſchmelzende Glocke im brennenden Thurm
noch aus den Flammen die Stunden tönt.


[383]

„So lebe nun wohl, Geliebter! (ſagte ſie
„ruhig und ohne Thräne und ihre matte Hand
„wollte ſeine drücken) Reiſe glücklich in das ſchö¬
„ne Land! — Habe ewigen Dank für Deine
„Lieb' und Treue, für die tauſend frohen Stun¬
„den, die ich dort erſt verdienen will*), für
„Lilars ſchöne Blumen.... Die Kinder meiner
„Chariton haben ſie mir aufgeſetzt**) ...... Je ne
suis qu'un songe — — Was wollt' ich Dir
„ſagen, Albano? Mein Lebewohl! Verlaſſe
„meinen Bruder nicht! — O, wie Du weinſt!
„Ich will noch für Dich beten!“ —


Die Sterbenden haben trockne Augen. Das
Gewitter des Lebens endigt mit kalter Luft.
Sie wiſſen es nicht, wie ihre lallende Zunge
einſchneide in die weit aufgeriſſenen Herzen.
Die ſanfteſte Seele wußt' es nicht, wie ſie ein
[384] Schwerdt nach dem andern durch ihren Albano
ſtieß, der es nun fühlte, daß er der Heiligen,
der ſchon die Frühlingswinde, die Frühlingsdüf¬
te des ewigen Ufers entgegen zogen, nichts
mehr ſeyn, nichts mehr geben konnte, nicht
einmal die Demuth nehmen.


Als ſie es geſagt, richtete ihr Haupt mit
der Blumenkrone ſich begeiſtert auf, ſie zog ih¬
re Hand aus ſeiner und betete laut mit In¬
brunſt: „Erhöre mein Gebet, o Gott! und
„laſſe Ihn glücklich ſeyn bis er eingeht in Dei¬
„ne Herrlichkeit. Und wenn er irret und wankt,
„ſo ſchon' ihn, o Gott, und laſſe mich ihm er¬
„ſcheinen und ihm zureden. — Dir aber allein,
„du Allgütiger, ſey Preis und Dank geſagt für
„mein frohes, ſtilles Leben auf der Erde, du
„wirſt mir nach der Ruhe droben ſchenken den
„ſchönen Morgen, wo ich arbeiten kann . . . .
„Wecke mich früh aus dem Todesſchlafe . . . . .
„Wecket mich, wecket! . . . . . Mutter, das Mor¬
„genroth *) liegt ſchon auf den Bäumen.“ — —


Da[385]

Da ſtürzte die Mutter ins Zimmer mit
andern Menſchen. Der todesſchlaftrunkne
Blick und das Irrereden ſagten an, daß nun
der kalte Schlaf mit offnen Augen komme.
„Erſcheine mir, Du biſt ja bei Gott!“ rief Al¬
bano ſinnlos. Umſonſt wollt' ihn Auguſti weg¬
führen; ohne Antwort, ohne Regung ſtand er
eingewurzelt feſt. Liane wurde immer blaſſer,
der Tod ſchmückte ſie mit dem weiſſen Braut¬
kleid des Himmels an; da hörte ſein weinen¬
des Auge auf, die Quaal gefror, und das wei¬
te, ſchwere Eis der Pein füllte die Bruſt.


Unverrückt hieng Lianens Blick an einer
lichten Stelle des ſanft bezognen Abendhim¬
mels wie forſchend und erwartend, daß der
Himmel aufgehe und die Sonne gebe. Gleich¬
gültig gegen alle ſtürmte ihr Bruder jammernd
herein: „geh' nicht zu Gott, ich ſeh' Dich ſonſt
„nie mehr — ſieh mich an, ſegne, heilige mich,
„gieb mir deinen Frieden, Schweſter!“ — Sie
war ſtill in die lichter aufbrechende Sonnen¬
wolke vertieft. „Sie hält Dich für mich (ſag¬
„te Albano zu Karl wegen ihrer ähnlichen
„Stimmen), und giebt Dir keinen Frieden!“
Titan. III. B b[386] — „Stiehl meine Stimme nicht,“ ſagte Karl zor¬
nig. — „O, laſſet Sie in Ruhe“, ſagte die Mut¬
ter, aus deren gebückten Augen nur kleine, ſpar¬
ſame Thränen auf den Kranz der Tochter zit¬
terten, deren mattes, nach dem Himmel aufbli¬
ckendes Haupt ſie an ſich angelehnt mit beiden
Händen hielt.


Auf einmal, als die Sonne die Wolken wie
Augenlieder aufſchlug und hell herunterblickte,
erſchütterte ſich die ſtille Geſtalt; Sterbende ſe¬
hen doppelt, ſie ſah zwei Sonnenkugeln und
rief an die Mutter geſchmiegt: „ach Mutter,
wie groß und feurig ſind Seine Augen!“ — Sie
ſah den Tod am Himmel ſtehen. „Bedecket
mich mit dem Leichenſchleier, (flehte ſie ängſtlich)
— meinen Schleier!“ Ihr Bruder griff nach
ihm und deckte damit die irren Augen und die
Blumen und Locken zu; auch die Sonne zog
ſchonend wieder das Gewölke über ſich.


„Denk' an den allmächtigen Gott!“ rief
ihr der fromme Vater zu. „Ich denke an ihn“
antwortete leiſe die Verhüllte. Die Aurora der
zweiten Welt ſteht ſchwarz vor den Menſchen,
ſie bebten alle. Albano und Roquairol ergrif¬
[387] fen und drückten einander die Hand, dieſer aus
Haß, Albano aus Quaal wie man in Metall
knirſcht. Das Zimmer war voll unähnlicher
befeindeter Menſchen, die der Tod gleich mach¬
te. Seitwärts ſah Albano eine fremde herein¬
geſchlichene ihm widrige Geſtalt; es war ſein
unkenntlicher Vater, deſſen große, düſtere Au¬
gen ſcharf und hart auf dem Sohne hafteten. —
Aus dem zweiten Zimmer blickten zwei lange
verſchleierte weibliche Geſtalten auf die dritte
und ſahen kein Geſicht und niemand ihres.


Liane ſpielte mit den Fingern am Schleier.
Der Abend ſtand im Zimmer und die Stille
zwiſchen dem Blitze und dem Donnerſchlag.
„Denke an den allmächtigen Gott!“ rief Spe¬
ner. — Sie antwortete nicht — er ſprach weiter:
„an unſere Quelle und an unſer Meer, er al¬
„lein ſteht Dir jetzt im Dunkeln bei, wo Dir die
„Erde und die Menſchen aus der Hand entſin¬
„ken und alle Lichter des Lebens.“ — Plötzlich
ſieng ſie an und ſagte ganz freudig-leiſe und
ſchnell hintereinander, wie wenn der Menſch
im Schlafe ſpricht, und immer entzückter und
ſchneller: „Karoline — hier, hier, Karoline —
B b 2[388] das iſt meine Hand — wie biſt Du ſo ſchön!“
— Der unſichtbare Engel, der ihre erſte Liebe
geheiligt, der ihr Leben begleitet hatte, ſchim¬
merte wieder wie ein aufgegangener Mond
über das ganze dunkle Sterben und der Glanz
verſchmolz die kleine Mainacht leiſe mit dem
großen Frühlingsmorgen der andern Welt.


Nun lehnte die verſchleierte Nonne des
Himmels ganz ſtill an der Mutter — Der To¬
desengel ſtand unſichtbar und zornig unter ſei¬
nen Opfern — Mit großen Flügeln hieng die
Todes-Eule der Angſt ſich über die Menſchen-
Augen und hackte mit ſchwarzem Schnabel in
die Bruſt herab und man hörte nichts in der
Stille als die Eule — Düſter wälzten ſich des
Ritters melancholiſche Augen in ihren tiefen
Höhlen zwiſchen der ſtillen Braut und dem ſtil¬
len Sohne hin und her; und Gaſpard und der
Würgengel ſchaueten einander finſter an. —


Da klang aus Lianens Harfe ein heller,
hoher Ton lang in die Stille; die Parze, die
an ihrem Leben ſpann, kannte das Zeichen,
hielt innen und ſtand auf, und die Schweſter
mit der Scheere kam. Lianens Finger hörten
[389] auf zu ſpielen und unter dem Schleier wurd'
es ſtill und unbeweglich.


„Dein Kopf iſt ſchwer und kalt, meine Toch¬
ter,“ ſagte die troſtloſe Mutter. „Reißt den
Schleier weg“ rief der Bruder; und als er ihn
herunter zog, ruhte Liane zufrieden und lä¬
chelnd darunter, aber geſtorben — die blauen
Augen offen nach dem Himmel — der verklär¬
te Mund noch Liebe athmend — die jungfräu¬
liche Lilien-Stirn von der tiefer herabgeſunk¬
nen Blumenkrone umwunden — und bleich und
verklärt vom Mondſchein der höhern Welt die
fremde Geſtalt, die groß aus den kleinen Leben¬
digen unter ihre hohen Todten trat.


Da quoll die goldne Sonne durch die Wol¬
ken und durch die Thränen hindurch und über¬
goß mit dem blühenden Abendlicht, mit dem
jugendlichen Roſen-Öhl ihrer Abendwolken die
entfärbte Himmelsſchweſter, und das verklärte
Antlitz blühte wieder jung. Am Himmel ſchlu¬
gen alle Wolken, berührt von ihren Flügeln,
als ſie durch ſie zog, in lange rothe Blüthen
aus — und durch den hohen über die Erde ge¬
blähten Nebelflor glühten die tauſend Roſen
[390] hindurch, die geſtreuet und gewachſen waren
auf der Wolken-Bahn, worauf die Jungfrau
über die Erde zu dem Ewigen gieng.


Aber Albano, der verlaſſene Albano ſtand
ohne Thränen und Augen und Worte unter
den gemeinen Klageſtimmen des Schmerzes im
roſenrothen Abendfeuer des heiligen Verklä¬
rungs-Zimmers, unter dem irrdiſchen Getüm¬
mel neben der ſtillen Geſtalt; in tiefer Vergan¬
genheit zeigte ihm der Schmerz ein Meduſen¬
haupt und er ſah es noch an, als ſein Herz
ſchon davon verſteinert war und er hörte im¬
mer das finſtere Haupt die Worte murmeln:
„Wie bitter hatte die Todte in Lilar über den
harten Albano geweint!“ — Ihr Bruder ſagte
auf ſeiner Folter viele grauſame Worte zu ihm;
er vernahm ſie nicht, weil er dem grauſamern
Gorgonenhaupt zuhörte.


„Sohn! (rief Gaſpard Ceſara ernſt)
Sohn, kennſt Du mich nicht?“ Durch das
ſchwere Leichen-Herz blitzt ihm eine Lebens-
Stimme; er blickt umher, und auf den Vater,
ordnet ſich erſchreckend die Geſtalt und ſtürzt
auf ſeine Bruſt und ruft nur „Vater!“ und
[391] immer wieder: „Vater!“ — Er rief fort, ihn hef¬
tig wie ein Feind umflechtend und ſagte: „Va¬
ter, das iſt Liane!“ — Noch heftiger wurde
die Umarmung, nicht aus Liebe, nur aus Quaal.
— „Komme zu dir, und zu mir, lieber Albano!“
ſagte der Ritter. „O, ich will es thun, Sie iſt
nun geſtorben, Vater!“ ſagt' er erſtickt und nun
zerriß ſein Schmerz am Vater wie ein Ge¬
wölke am Gebürge, in Eine unaufhörliche Thrä¬
ne — ſie ſtrömte fort als wollte ſich die inner¬
ſte Seele verbluten aus allen offnen Adern —
aber das Weinen wühlte nur die Quaalen auf
wie ein Wolkenbruch ein Schlachtfeld, er wur¬
de troſtloſer und ungeſtümer und wiederholte
dumpf das alte Wort.


„Albano! (ſagte Gaſpard nach einiger
Zeit mit ſtärkerer Stimme) willſt Du mich
begleiten?“ — „Gern, mein Vater!“ ſagte
er und folgte ihm, wie der Mutter ein bluten¬
des Kind mit ſeiner Wunde. — „Morgen will
ich ſchon ſprechen,“ ſagte Albano im Wagen
und nahm die väterliche Hand. Die weit off¬
nen Augen hiengen geſchwollen und blind an
der warmen Abendſonne feſt, die ſchon auf dem
[392] Gebürge ruhte — er blieb lächelnd und bleich
und in ſeinem leiſen, ſanften Weinen — und er
merkt' es nicht, daß die Sonne untergieng und
er in der Stadt ankam.


„Morgen, mein Vater!“ ſagt' er kraft¬
los und bittend zum Ritter; und ſchloß ſich ein.
Man hörte nichts mehr von ihm.


[393]

Vier und zwanzigſte Jobelperiode.

Das Fieber — die Kur.


97. Zykel.

Lange blieb Albano im Nebenzimmer ſtumm.
Der Vater überließ ihn der heilenden Stille.
Schoppe wartete auf ihn geduldig um ihn trö¬
ſtend anzuſehen und anzuhören. Endlich hör¬
ten ſie ihn darin heftig beten: „Liane erſcheine
mir und gieb mir den Frieden!“ Gleich darauf
trat er ſtark und frei wie ein entketteter Rieſe
heraus, mit allen Blut-Roſen auf ſeinem Ge¬
ſicht — mit Blitzen in den Augen — mit haſti¬
gem Schritt. „Schoppe, (ſagt' er,) komm' mit
„auf dir Sternwarte, es hängt am Himmel ein
[394] „heller, hoher Stern, auf dem wird Sie begra¬
„ben; ich muß das wiſſen, Schoppe!“


Die edle Seele lag in der gewaltigen Hand
des Fiebers. Er wollte mit ihm hinaus, als er
den Ritter erblickte, der ihn ſtarr anſchaute:
„Erſtarre nur nicht wieder, mein Vater!“ ſagt'
er, umarmte ihn nur leiſe und vergaß, was er
gewollt.


Schoppe holte den Doktor Sphex. Albano
gieng wieder in ſein Zimmer und langſam dar¬
in mit geſenktem Haupt, mit gefalteten Hän¬
den auf und ab und redete ſich tröſtend zu:
„warte doch nur bis es wieder ausſchlägt.“ —
Sphex kam und ſah und — ſagte „es ſey ein
einfaches entzündliches Fieber.“ Aber keine Ge¬
walt brachte ihn dahin, ſich für das Bette oder
nur für eine Ader-Wunde zu entkleiden. „Wie,
(ſagt' er ſchamhaft) Sie kann mir ja zu jeder
Stunde, erſcheinen und den Frieden geben, —
Nein, Nein!“ Der Arzt verſchrieb einen gan¬
zen kühlenden Schneehimmel, um damit dieſen
Krater vollzuſchneien. Auch dieſen Kühlungen
und Froſt-Zuleitern weigerte der Wilde ſich.
Aber da fuhr ihn der Ritter mit der ihm eig¬
[395] nen donnernden Stimme und mit dem Grimm
des Auges an, der das immerwährende aber
bedeckte Zornfeuer der ſtolzen Bruſt verrieth:
„Albano, nimm!“ — Da beſann und fügte ſich
der Kranke und ſagte: „o, mein Vater, ich lie¬
be Dich ja!“


Durch die ganze Nacht, deren Wächter und
Arzt der treue Schoppe blieb, ſpielte der wahn¬
ſinnige Körper ſeine glühende Rolle fort, indem
er den Jüngling auf- und abtrieb und bei je¬
dem Ausſchlagen der Glocken betend nieder¬
zuknieen zwang: „Liane, erſcheine doch und gieb
mir den Frieden!“ Wie oft hielt ihn der ſonſt
Zeichen-Arme Schoppe mit einer langen Um¬
armung feſt, um nur dem Umhergetriebnen ei¬
ne kurze Ruhe zuzuſpielen. — Unbegreiflich
waren am Morgen dem Arzte die Kräfte die¬
ſer eiſernen und weißglühenden Natur, die Fie¬
ber, Pein und Gehen noch nicht gebogen hat¬
ten, und auf welcher alle verordnete Eisfelder
trocken verziſchten; — und fürchterlich erſchienen
ihm die Folgen, da Albano noch immer ſein
Selbſt-Mordbrenner blieb und bei jedem Stun¬
[396] den-Schlage auf den Knieen nach der himm¬
liſchen Erſcheinung lechzete und blickte.


Aber ſein Vater überließ ihn wie eine
Menſchheit den eignen Kräften; er ſagte, er
ſehe mit Vergnügen eine ſolche ſeltne unge¬
ſchwächte Jugendkraft und ſey gar nicht in
Furcht, auch ließ er ungeſtört alles für die Rei¬
ſe nach Italien packen. Er beſuchte den Hof,
d. h. alles. Wer es wußte, was er den Men¬
ſchen abzufodern und abzuläugnen pflegte, dem
gab dieſe allgemeine Gefälligkeit gegen alle
Welt die Schmerzen eines verwundeten Ehrge¬
fühls, wenn ihn Gaſpard auch anredete. Er
beſuchte zuerſt den Fürſten, welcher an ihm, ob
ihn gleich der Ritter in Italien ruhig die ver¬
giftete Hoſtie der Liebe ſammt ihrem Giftkelch
hatte empfangen laſſen immer mit Angewöh¬
nung hieng. Der Ritter beſichtigte mit ihm
den Zuwachs der neuen Kunſtwerke; beide gli¬
chen ſcharf und frei ihre Urtheile darüber ge¬
geneinander aus und gaben einander Auf¬
träge für die Abweſenheit.


Darauf gieng er zur Reiſegefährtin, zur
Fürſtin, gegen welche zwar ſein aufreibender
[397] Stolz nicht Ein Blüthenſtäubchen der vorigen
Liebe übrig gelaſſen, die aber im glatten, kal¬
ten Spiegel ſeiner epiſchen Seele, in welchem
alle Figuren ſich rein- aufgefaſſet und frei be¬
wegten, vermöge ihrer kräftigen Individuali¬
tät als eine Hauptfigur den Vordergrund be¬
wohnte. Da er Freiheit, Einheit, ſogar Frech¬
heit des Geiſtes weit über ſieches Frömmeln,
Nachheucheln fremder Kräfte und bußfertigen
Zwieſpalt mit ſich ſelber, ſetzte: ſo war die
Fürſtin ſogar mit ihrem Zynismus der Zunge
ihm „in ihrer Art lieb und werth.“ Sie er¬
kundigte ſich mit vielem Feuer nach ſeines Soh¬
nes Zuſtand und Mitreiſe; er gab ihr mit ſei¬
ner alten Ruhe die beſten Hoffnungen.


Die Prinzeſſin Julienne war unzugänglich.
Daß ſie es hatte ſehen müſſen, wie die treue
Geſpielin ihrer Jugendzeit ein feindlicher, rauher
Arm vom blumigen Ufer in den Todesfluß hin¬
einzogen und wie die Arme ermattet hinunter¬
geſchwommen, das warf ſie hart darnieder und
ſie wäre gern dem Opfer nachgeſtürzt. Sie
war geſtern nicht im Stande, mit den zwei
Verſchleierten hinzugehen.


[398]

Jetzt eilte Gaſpard zur einen davon, zur
Gräfin Romeiro, wo er auch die andere fand
— die Prinzeſſin Idoine. Dieſe hatte unmög¬
lich ſo viel von ihrer Geſichts- und Seelen-
Schweſter in allen Briefen leſen können, ohne
ſelber aus ihrem Arkadien zu ihr herzureiſen
und die ſchöne Verwandtſchaft zu prüfen; aber
als ſie im Schleier ankam im Schmerzenhauſe,
hatte ſchon ihre Verwandte den ihrigen über
das brechende Auge gezogen; und als er auf¬
gieng, ſah ſie ſich ſelber verloſchen und im tie¬
fen Spiegel der Zeit ihr eignes Sterbe-Bild.
Sie ſchwieg in ſich ſelber gleichſam wie vor
Gott, aber ihr Herz, ihr ganzes Leben war
bewegt.


Die Ähnlichkeit war ſo auffallend, daß Ju¬
lienne ſie bat, nie der gebeugten Mutter zu er¬
ſcheinen. Idoine war zwar länger, ſchärfer ge¬
zeichnet und weniger roſenfarb als Liane in
ihrer Blüthenzeit; aber die letzte blaſſe Stun¬
de, worin dieſe neben ihr erſchien, machte die
bleiche Geſtalt länger und das Angeſicht edler
und zog die blumige jungfräuliche Verhüllung
vom ſcharfen Umriß weg.


[399]

Idoine ſprach wenig zum Ritter und ſah
nur zu, wie ihre Freundin Linda ordentlich in
kindlicher Liebe überfloß gegen ſeine faſt väter¬
liche. Beide Jungfrauen behandelte er mit ei¬
ner achtenden, warmen und zarten Moralität,
welche einem Auge (z. B. dem des Fürſten) wun¬
derbar erſcheinen mußte, das oft Zeuge der iro¬
niſchen Unbarmherzigkeit geweſen, womit er
wurmſtichige, anbrüchige Herzen — halb einge¬
pfarret in Gottes Kirche und halb in des Teu¬
fels Kapelle —, ſcheue weiche empfindſame
Sünder, innerlich-bodenloſe Phantaſten, z. B.
Roquairols gern in einer langſamen Spirale
frecher Reden immer tiefer und froher in den
Mittelpunkt der Schlechtigkeit hinabzudrehen
pflegte. Der Fürſt dachte dann, „er denkt ge¬
rade wie ich“; aber Gaſpard macht' es mit
ihm eben ſo.


Auch die wankende, blaſſe Julienne ſchlich
endlich herein, um ihn zu ſehen. Man umgieng,
ſo weit man konnte, ihrentwegen das offne
Grab der Freundin; aber ſie fragte ſelber nach
dem kranken Geliebten derſelben recht angele¬
gentlich. Der Ritter — welcher für die meiſten
[400] wichtigen Antworten ſich ein eignes Phraſes-
Buch des Nichts, beſondere Rede-Eisblumen
angeſchaft hatte, dergleichen waren, „es geht
ſo gut es kann“ oder „man muß es erwarten“
oder „es wird ſich wohl geben“ — bediente ſich
der letzten Redeblume und verſetzte: „es wird
ſich wohl geben.“


Als er nach Hauſe kam, hatte ſich nichts
gegeben, ſondern hoch war die Fluth des Übels
geſtiegen. Der Jüngling lag nieder — ange¬
kleidet auf dem Bette, — unvermögend mehr
zu gehen — brennend — irre redend — und
doch bei jedem Glockenſchlage ſeine alte Bitte
in den hohen verſperrten Himmel rufend. Bis
hieher hatte ſein kräftiges, feſtes Gehirn die
Vernunft wenigſtens für alles, was Lianen
nicht betraf, feſt zu behalten gewußt; aber all¬
mählig gieng die ganze Maſſe in die Gährung
des Fiebers über. Vergeblich waffnete ſich ſein
Vater einmal, da er knieete und um die Er¬
ſcheinung der Todten bat, mit dem ganzen
Sturm und Donner ſeiner Perſönlichkeit; „gieb
mir den Frieden“ betete Albano ſanft weiter
und ſah ihm ſanft dabei ins Geſicht.


Schoppe[401]

Schoppe nahm jetzt mit der Mine eines
wichtigen Geheimniſſes den Vater allein und
ſagte, er wiſſe ein unfehlbares Mittel. Gas¬
pard bezeugte ſeine Neugierde. „Die Prinzeſſin
„Idoine (ſagt' er,) muß nach erbärmlichen Kin¬
„dereien gar nichts fragen, ſondern keck, wenn
„es eben ſchlägt und Er knieet, Ihm als der
„ſeelige Geiſt erſcheinen und den fatalen Frie¬
„den ſchließen.“ — Wider alles Vermuthen
ſagte der Ritter unmuthig: es iſt unſchicklich.
Umſonſt ſucht' ihn, der predigende Schoppe in
die Sonnenſeite zu rücken — bloß in die Win¬
terſeite zog er weiter hinein bei dem Anſchein
fremder Abſicht; in eine ſanfte Wärme konnt'
ihn niemand bringen als nur er ſich ſelber. —
Zuletzt ließ Gaſpard nach ſeiner Sitte über dem
ewigen Grundeis ſeines Karakters ſo viel Treib¬
eis obengenannter Phraſen ſchwimmen, daß
Schoppe ſtolz und zornig ſchwieg. Noch dazu
giengen die Anſtalten zur Abreiſe fort, als ſey
der Vater Willens, den Sohn brennend aus
dem Fieber-Brande zu ziehen und wahnſin¬
nig aus den alten Liebes-Zirkeln zu reißen.
Schoppe machte ihm ſeinen Vorſatz daheim
Titan III. C c[402] zu bleiben, bekannt; er ſagte, er habe nichts
dagegen.


Nun fühlte Schoppe an ſeinem eignen zer¬
ritzten Geſicht den ſchneidenden Nord dieſes von
ihm ſonſt beſchützten Karakters; „traue keinem
langen, ſchlanken Spanier, ſagte Kardanus mit
Recht“ *) ſagte er.


Albano war krank und daher nicht troſt¬
los. Er ſchöpfte aus der Lethe des Wahnſinns
die dunkle Betäubung gegen die Gegenwart;
nur, wenn er knieete, ſpiegelte ſich im Strom
ſeine zerriſſene Geſtalt und ein wolkiger Him¬
mel. — Er hörte nichts davon, wie die Dürf¬
tigen ihre Namen nannten, um dankend um
die ruhende Wohlthäterin zu weinen, vor de¬
ren Klagen jetzt das heilende Saitenſpiel ihrer
Minen taub und ſtumm lag — Er hörte nichts
von dem Toben ihres Bruders, noch vom lau¬
[403] ten (akuſtiſch-gebaueten) Schmerze ihres Va¬
ters, oder von der ſtarren in dumpfe Quaal
gewickelten Mutter — Er wußt' es nicht vor¬
aus, daß die bleiche Charis in ihrem Krönungs¬
zimmer an einem Abende zwiſchen Lichtern zum
letztenmal der Erde erſcheinen werde, bekränzt,
geſchmückt und ſchlummernd — Ihm ſtarb zwar
in jeder Stunde eine unendliche Hofnung, aber
jede gebar ihm auch eine neue. — —


„Armer Bruder, (ſagte Schoppe am an¬
dern Tag im edeln Zorn) ich ſchwöre Dirs,
Du bekommſt heute Deinen Frieden.“ — Der
blaſſe Kranke ſah ihn bittend an. „Bei Gott!“
ſchwur Schoppe und weinte beinahe.

98. Zykel.

Schoppe hatte ſich vorgeſetzt, um den Rit¬
ter — der den Abend halb an den Miniſter
und halb an Wehrfritz in Blumenbühl ver¬
theilte — ſich gar nicht zu bekümmern, ſondern
geradezu vor die Prinzeſſin Idoine mit der
großen Bitte zu treten. Vorher wollt' er ſich
den Lektor dazu holen als Thürhüter oder Bil¬
leteur der verſperrten Hofthüren und als Bür¬
C c 2[404] gen ſeiner Worte. — Aber Auguſti erſchrak
unbeſchreiblich; er verſicherte, das geh' unmög¬
lich an — eine Prinzeſſin und ein kranker Jüng¬
ling — und gar eine ridiküle Geiſter-Rolle
u. ſ. w. und der eigne Vater ſeh' es ja ſchon
ein. Schoppe wurde darüber ein aufſpringen¬
des Sturmfaß und ließ wenig Flüche und Bil¬
der liegen, die er nicht gebrauchte über den
menſchenmörderiſchen Widerſinn der Hof- und
Weiber-Dezenz — ſagte, dieſe ſey ſo ſchön ge¬
bildet und ſo blutig quälend wie eine griechi¬
ſche Furie — ſie binde an Menſchen wie Kö¬
chinnen an Gänſen die Hals-Wunde nur nach
dem Verbluten zu, damit ſich die Federn nicht
beſteckten — und er ſey ſo gut ein Courtisan
ſchloß er zweideutig als Auguſti und kenne De¬
zenz; „auch der Fürſtin, die Ihn doch ſo gern
„hat, darf ichs nicht vortragen?“ Auguſti ſag¬
te: der Fall iſt nicht verſchieden. „Juliennen
auch nicht?“ — Auch nicht, ſagt' er. — „Auch
dem ſo ſataniſchen Satan nicht?“ — „Ein gu¬
ter Engel iſt doch dazwiſchen, (verſetzte Auguſti)
den Sie wenigſtens ſchicklicher als Vorbitter
brauchen können, weil er dem Vliesritter von
[405] Zeſara Verbindlichkeiten ſchuldig iſt — die Grä¬
fin von Romeiro.“ — „O, warum nicht gar?“
ſagte Schoppe betroffen.


Der Lektor — unter die niemals eigenhän¬
digen Menſchen gehörig, die alles gern durch
die dritte, ſechste, fernſte Hand nach einer der
Fingerſetzung ähnlichen Hände-Setzung thun —
legte ſeine Bereitwilligkeit, ihn bei Linda ein¬
zuführen, und ihr Vermögen, in dieſer „epineu¬
ſen Affaire“ zu wirken, dem Nachdenker näher
vor.


Schoppe fuhr ungemein hin und her —
ſchüttelte oftmals heftig den Kopf und ſtockte
doch plötzlich — flog und ſchüttelte noch hefti¬
ger — ſah mit ſcharfer Frage den Lektor an —
endlich ſtand er feſt — ſchlug mit beiden Ar¬
men nieder und ſagte: „Der Donner und das
„Wetter hole die Welt! Nun gut, es ſey! Ich
„will vor Sie — — Himmel, warum bin ich
„denn Ihnen ſo zu ſagen ſo lächerlich, jetzt
„gerade mein' ich?“ — Gleichwohl hatte der
höfliche Lektor das Lächeln der Lippen nur in
das Lächeln der Augen verſetzt. — Auf Schop¬
pe's Geſicht ſtand die Wärme und Eile des
[406] Selbſt Siegers. Wie Menſchen zugleich hart¬
hörig unter dem gemeinen Lebens-Getöſe ſeyn
können und doch den feinſten muſikaliſchen Lau¬
ten offen*): ſo waren Schoppens innere Oh¬
ren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des
allgemeinen Treibens, aber durſtig zogen ſie al¬
le weiche, leiſe Melodieen der heiligern See¬
len ein.


Der Lektor — den Grafen weit herzlicher
liebend als dieſer ihn — nahm ſtürmiſch den
Bibliothekar ſogleich mit fort ins Schloß, weil
eben jetzt die recht-erleſene Hof-Ferien-Stunde
ſey, von 4½ bis 5½. Schoppe ſagte, er ſey da¬
bei. Im Schloß befahl Auguſti einem Diener,
der ihn verſtand, Schoppen ins Spiegelzimmer
zu führen. Er thats; brachte Lichter nach; und
Schoppe gieng langſam mit ſeinem verdrüßli¬
chen Gefolge ſtummer flinker Spiegel-Urangu¬
tangs auf und nieder, ſeiner Rolle und Zu¬
kunft nachrechnend. Seltſam fühlt' er ſich jetzt
betroffen von ſeinem jungen, friſchen Gefühl
der bisherigen Freiheit, die er eben ſuſpendirte;
[407] er erkannte ſie an, hielt ſie feſt, ſah ſie an,
ſprach ihr zu: gehe nur ein wenig fort, rette
Ihn und dann komme wieder! —


Seine eigne Vervielfältigung ekelte ihn:
„müſſet Ihr mich ſtören, ihr Ichs?“ ſagt' er,
und er legte ſichs nun vor, wie er ſtehe vor
der reichſten, helleſten Minute und feinſten
Goldwage ſeines Daſeyns, wie ein Grab und
ein großes Leben liege auf dieſer Wage, und
wie ſein Ich ihm ſchwinden müſſe wie die nach¬
gemachten gläſernen Ichs umher. — — —
Plötzlich flog ihn eine Freude an, nicht über
den Werth ſeines Entſchluſſes, ſondern über die
Gelegenheit dazu.


Endlich giengen nahe Thüren auf und dann
die nächſte. — Da trat mit noch halb zurückge¬
wandtem Kopfe eine große Geſtalt herein, ganz
in lange ſchwarze Seide eingehüllt. Wie ein
entzückter Mond auf hohen Laubgipfeln, ſtand
auf der ſeidnen dunkeln Wolke ein üppig-blü¬
hender ſchmuckloſer Kopf voll Leben vor ihm,
mit ſchwarzen Augen voll Blitze, mit dunkeln
Roſen auf dem blendenden Geſicht und mit ei¬
ner thronenden Schnee-Stirn unter dem brau¬
[408] nen Locken-Überhang. — — Schoppen war,
da ſie ihn anſah, als liege ſein Leben im vol¬
len Sonnenſchein, und er fühlte ängſtlich, daß
er ſehr nahe an der Königin der Seelen ſtehe.
„H. v. Auguſti (fieng ſie ernſt an,) hat mir
„geſagt, daß Sie eine Bitte für Ihren kranken
„Freund in meine Hände geben wollen. Sagen
„Sie mir ſolche klar und frei, ich werde Ihnen
„gern und beſtimmt und offen antworten.“


Alle Rollen-Erinnerungen waren in ihm
zu Boden geſunken und aufgelößt; aber der
große Schutzgeiſt, der unſichtbar neben ſeinem
Leben flog, ſtürzte ſich mit feurigen Flügeln
in ſein Herz und begeiſtert antwortete er: „Auch
„ich! — Mein Albano iſt tödtlich krank — er
„iſt im Fieber ſeit geſtern Abends — er liebte
„das verſtorbene Fräulein Liane — er iſt auf
„die Greifgeier-Schwinge des Fiebers gebun¬
„den und wird hin und her geriſſen — er ſtürzt
„bei jedem Glocken-Ausklang auf die Kniee
„und betet, dicht an der Gluthſeite der Phan¬
„taſie liegend, immer heißer: erſcheine mir und
„gieb mir Frieden — er ſteht aufrecht und an¬
„gekleidet auf dem hohen Scheiterhaufen der
[409] „phantaſtiſchen Kreis-Flammen und lechzet, und
„brät und dorret ſehr aus und krümmt ſich nie¬
„der wie ich wohl ſehe. . . .“


„O, finiſſés donc! (ſagte die Gräfin, wel¬
„che den Venus-Kopf ſchaudernd zurückgebo¬
„gen und langſam geſchüttelt hatte) Fürchter¬
„lich! — Ihre Bitte!“


„Nur die Prinzeſſin Idoine (ſprach er
„zu ſich kommend,) kann ſie erfüllen und Ihn
„erretten, wenn ſie Ihm erſcheint und Ihm
„Frieden zuſagt, da ſie eine ſo nahe Aſſ — *)
„Koſ —*) Kopie und Nebenſonne von der Ver¬
„ſtorbnen ſeyn ſoll.“ — „Iſt das Ihre Bitte?“
ſagte die Gräfin. „Meine größte“ ſagte Schoppe.
„Hat Sie ſein Vater hergeſchickt?“ ſagte ſie.
„Nein, ich; (ſagt' er) der Vater, damit ich klar
„und frei und beſtimmt ſey, will es nicht.“ —


„Sind Sie nicht der Mahler des nieſenden
„Selbſt-Portraits?“ fragte ſie. Er verbeugte
ſich und ſagte: „ganz gewiß!“ Als ſie ihm ge¬
antwortet, in einer Stunde hör' er die Ent¬
ſcheidung, machte ſie ihm eine kurze achtende
[410] Abſchiedsverbeugung — und die einfache, edle
Geſtalt verließ ihn mitten in ſeinem trunknen
Nachſchauen; und er war unwillig, daß die
kindiſchen Spiegel umher der einzigen Göttin
ſo viele Nachſchatten nachzuſchicken wagten.


Zu Hauſe fand er zwar den Wahnſinnigen,
deſſen Ohren allein nur in der Wirklichkeit fort¬
lebten, wieder auf den Knieen vor dem ſechs¬
ten Glockenſchlage; aber ſeine Hoffnung blühte
jetzt unter einem warmen Himmel. — Nach
einer Stunde erſchien der Lektor und ſagte mit
bedeutend-froher Mine: es gehe recht gut, er
hole einen Ausſpruch des Arztes über die Krank¬
heit und dann entſcheid' es ſich darnach.


H. v. Auguſti gab ihm mit hofmänniſcher
Ausführlichkeit den beſtimmtern Bericht: die
Gräfin flog zur Fürſtin, deren Achtung für den
künftigen Reiſegefährten ſie kannte und ſagte
ihr, ſie würd' es in Idoinens Falle ohne Be¬
denken thun. — Die Fürſtin bedachte ſich ziem¬
lich und ſagte, hierüber könne nur ihre Schwe¬
ſter entſcheiden — Beide eilten zu ihr, mahlten
ihr alles vor und Idoine fragte erſchrocken,
was ſie für ihre Ähnlichkeit und ihre wohlwol¬
[411] lende Reiſe könne, daß man ſie ſo tief in ſolche
phantaſtiſche Verwicklungen ziehen wolle. — In
dieſer Sekunde trat Julienne blaß herzu und
ſagte, ſie habe ſchon ſeit dem Morgen Nach¬
richt davon, das Erſcheinen ſey einer ſo guten
Seele Pflicht. — Da antwortete Idoine ſich
und alles bedenkend und mit Würde: es ſey
gar nicht das Ungewöhnliche und Unſchickliche,
was ſie ſchrecke, ſondern das Unwahre und Un¬
würdige, da ſie mit dem heiligen Namen einer
abgeſchiednen Seele und mit einer flachen Ähn¬
lichkeit einen Kranken belügen ſolle. — Die Grä¬
fin ſagte, ſie wiſſe darauf keine Antwort und
doch ſey ihr Gefühl nicht dagegen — Alle ſchwie¬
gen verlegen. — — Die gewiſſenhafte Idoine
war im weichſten Herzen bewegt, das unter
dem Gewichte einer ſolchen Entſcheidung über
ein Leben zitternd erlag. — Endlich ſagte Linda
mit ihrem Scharfſinn: es wird aber doch ei¬
gentlich kein moraliſcher Menſch getäuſcht, ſon¬
dern ein Schlafender, ein Träumer, und Ein¬
bildung und Lüge ſoll ja an ihm nicht beſtärkt,
ſondern beſiegt werden. — Julienne nahm Idoi¬
nen mit ſich, um ihr den Jüngling, den ſie ſo
[412] wenig wie Linda geſehen, wahrſcheinlich näher
zu mahlen. — Bald darauf kam Idoine mit
dem Ausſpruche zurück:


„Wenn der Arzt ein Zeugniß giebt, daß ein
Menſchen-Leben daran hänge: ſo muß ich mein
Gefühl beſiegen.“ „Gott weiß es, (ſetzte ſie be¬
wegt dazu,) daß ich es eben ſo willig thue als
unterlaſſe, wenn ich nur erſt weiß was recht iſt.
Es iſt meine erſte Unwahrheit.“


Der Lektor eilte von Schoppe zum Doktor,
um von ihm unter vielen Wendungen gerade
das ſchicklichſte Zeugniß mitzunehmen.


Schoppe wartete lange und ängſtlich —
nach 7 Uhr kam ein Blatt von Auguſti: „Hal¬
ten Sie Sich bereit, Punkt 8 Uhr kommt die be¬
wußte Perſon!“ — Sogleich ließ er, um die
Fieberaugen zu ſchonen, im Krankenzimmer ſtatt
der Wachslichter die magiſche Hänge-Lampe
aus Beinglas brennen.


Den kranken Jüngling zündete er mit Ge¬
ſchichten von Wiedergekommenen noch ſtärker
an, und rieth ihm, mit langen Feuer-Gebeten
vor der feſten Todespforte zu knieen, damit
[413] Ihr milder, barmherziger Geiſt ſie aufreiſſe und
ihn auf der Schwelle heilend berühre.


Kurz vor acht Uhr kamen in Sänften die
Fürſtin und ihre Schweſter. Schoppe wurde
ſelber ſchaudernd von dieſer auferſtandnen Lia¬
ne ergriffen. Mit funkelndem Auge und ver¬
ſperrtem Munde führt' er die ſchönen Schwe¬
ſtern in die Kuliſſe, auf deren Bühne drauſſen
ſie ſchon den Jüngling beten hörten. Aber
Idoinens zarte Glieder zitterten vor der unge¬
übten Rolle, worin ihr wahrhafter Geiſt ſich
verläugnen ſollte; ſie weinte darüber und der
fromme ſchöne Mund war voll ſtummer Seuf¬
zer; oft mußte die Schweſter ſie umarmen, um
ihr Muth zu machen.


Die Glocke ſchlug — fürchterlich-heiß flehte
der Wahnſinnige drinnen um Frieden — die
Zunge der Stunde gebot — Idoine ſchickte ei¬
nen Blick als Gebet zu Gott. — Schoppe öff¬
nete langſam die Thüre. — —


Drinnen knieete mit gen Himmel gehobnen
Armen und Augen ein ſchöner in der magiſchen
Dunkelheit blühender Götterſohn im eiſernen
Zauberkreiſe des finſtern Wahnſinns und rief
[414] nur noch: o Frieden, Frieden! — Da trat die
Jungfrau begeiſtert wie von Gott geſandt hin¬
ein; weißgekleidet wie die Verſtorbne im Traum¬
tempel und auf der Bahre, mit dem langen
Schleier an der Seite, aber höher geſtaltet, we¬
niger roſenfarb, und mit einem ſchärfern, hel¬
lern Sternenlicht im blauen Äther des Auges,
und ähnlicher der Liane unter den Seeligen
und erhaben als komme ſie als ein verjüngter
Frühling von den Sternen wieder, ſo trat ſie
vor ihn — ſein greifender Flammenblick er¬
ſchreckte ſie — leiſe und wankend ſtammelte ſie:
„Albano habe Frieden!“ — „Liane?“ ſtöhnte ſei¬
ne ganze Bruſt und ſeine weinenden Augen be¬
deckte er darniederſinkend. „Frieden!“ rief ſie
ſtärker und muthiger, weil ſie nicht mehr ſein
Auge traf und irrte, und ſie entwich, wie ein
überirrdiſcher Geiſt die Menſchen wieder ver¬
läſſet.


Die Schweſtern ſchieden ſtill und voll ho¬
her Erinnerung und Gegenwart. Schoppe fand
ihn noch knieend, aber entzückt dahin-blickend,
ähnlich einem im Sturm erkrankten Schiffer
auf den tropiſchen Meeren, der nach langem
[415] Schlaf an einem ſtillen roſenrothen Abend die
Augen aufſchlägt vor dem brennenden Unter¬
gang der Sonne — und die ſchlagende Wel¬
len-Bahn wallet Roſen- ein und Flam¬
menbeet in die Sonne und das ſprühende Ge¬
wölk zerſpringt in ſtumme Feuerkugeln — und
die fernen Schiffe ſchweben hoch im Abend¬
roth und ſchwimmen fern über den Wogen. —
So war es dem Jüngling.


„Ich habe nun meinen Frieden, guter
Schoppe (ſagt' er ſanft) und nun will ich in
Ruhe ſchlafen.“ Verklärt, aber blaß ſtand er
auf, legte ſich auf das Bette und in wenig
Minuten ſank das matte ſo lange im heißen
Fieber-Sande watende Gemüth auf die friſche,
grüne Raſenbank des Schlummers nieder.


[416]

Fünf und zwanzigſte Jobelperiode.

Der Traum — die Reiſe.


99. Zykel.

Spät fuhr der Vließ-Ritter an. Schoppe
zeigte ihm erfreuet das ſchlafende Geſicht, deſſen
Roſenknoſpen wie in feuchter warmer Nacht
aufzubrechen ſchienen. Der Ritter zeigte ſich
ſehr erheitert darüber und noch mehr der ſpät
nachſchauende D. Sphex. Dieſer fand den Puls
nicht nur voll, auch langſam und auf dem We¬
ge zu noch mehr Ruhe; er führte zugleich
Chaudeson und mehrere offizinelle Beiſpiele
an, daß große Geiſtes-Leiden ſich durch das
Opium von innen, die Schlafſucht, ſehr glück¬
lich gehoben hätten.


Zuletzt[417]

Zuletzt machte Schoppe den Vater mit Idoi¬
nens ganzer Kurmethode bekannt. Stolz ver¬
ſetzte Gaſpard: „Sie wußten aber meine Mei¬
nung noch, H. Bibliothekar?“ — „Gewiß, aber
auch meine“ ſagte erbittert der betroffne Schop¬
pe. Der Ritter ließ ſich indes in nichts weiter
ein — ganz nach ſeiner Weiſe, über ſein Ich,
könnt' es auch noch ſo viel dabei gewinnen,
nie nur das kleinſte Licht zu geben — ſondern
ertheilte dem Freunde ein ſehr kaltes Zeichen
zum Zurückzug.


Den Morgen darauf fand Schoppe ſeinen
Geliebten noch in der Seelen-Wiege des Schla¬
fes. Wie er ſproßte und blühte! — Wie der
Athem der entketteten Bruſt ſich nun gleich ei¬
nem freien Menſchen nur langſam, aber ſtark
bewegte! — Indes hielt Gaſpards gepackter
Wagen, der den Jüngling nach Italien rollen
ſollte, ſchon am Morgen mit ſchnaubenden,
ſcharrenden Pferden vor der Thür und der Rit¬
ter erwartete jede Minute das Aufwachen und
— Einſitzen.


Der Arzt kam auch — pries Kriſis und
Puls — fügte bei, der Weinſteinrahm (den er
Titan III. D d[418] mit verſchrieben) ſey der Lebens-Rahm — und
ſagte dem Vater geradezu ins Geſicht, als die¬
ſer den Jüngling wecken wollte zur Abfahrt,
„er habe in ſeiner Praxis noch niemand ge¬
kannt, der ſo wenig von kritiſchen Punkten ge¬
wußt wie er; jeder Wecker ſey hier ein Mörder
und er verbiete es recht ausdrücklich als Arzt.“ —


Von Stunde zu Stunde wurde Schoppe
gegen den Vater unwilliger; er dankte — wenn
er des Ritters abſpühlendes Ein- und Anſtrö¬
men an dieſes fruchttragende Eiland bedachte
— jetzt Gott, daß Albano nicht nur die Hitze
ſondern auch die Härte eines Felſen hatte.


Der Ehre- und Kunſt-Liebende Sphex be¬
wachte wie eine drohende Äſkulaps-Schlange
das Kopfkiſſen und wurde heiterer — Schoppe
verblieb da, gefaſſet gegen jede Härte. — Der
Ritter nahm in des Sohnes Namen von jedem
Abſchied und trieb weiche Herzen nach Hauſe;
denn die Pflegemutter Albine und andere durf¬
ten den Schlafenden nicht einmal ſehen — weil
ihm Thränen ein verdrüßlicher kalter Staubre¬
gen waren. — Die Fürſtin und ihr Gefolge fuhr
[419] ſchon mit den bunten Wimpeln der Hoffnung
auf dem Wege nach dem, glänzenden Italien. —


Der Abend wurde nun unwiderruflich zur
Abfahrt angeſetzt, zumal da in der Nacht die
entſchlummerte Liane in das Schlafgemach ge¬
führet werden ſollte, das die Menſchen nicht
wieder öffnen.


Den blühenden Endymion überdeckte ſchon
Lächeln und Freuden-Glanz als ein vorlaufen¬
der Morgenſtern ſeines wachen Tags. Seine
Seele gieng lächelnd in der funkelnden Höhle
der unterirrdiſchen Schätze umher, die der Geiſt
des Traums aufſperrt; indes das gemeine Auge
des Wachens blind vor dem nahen von Schlaf
ummauerten Geiſter-Eldorado ſtand. Endlich
öfnete ein unbekanntes Wonne-Übermaaß Al¬
bano's Auge — der Jüngling erſtand ſogleich
mit Kraft — warf ſich mit der Entzückung der
erſten Erkennung dem Vater an die Bruſt —
und ſchien im erſten, träumeriſchen Rauſche ſich
des vorbeigezognen Gewitters hinter ſeinem Rü¬
cken nicht zu erinnern, ſondern nur des ſeeligen
Traums — und erzählte trunken dieſen:


D d 2[420]

„Ich fuhr in einem weißen Kahn auf einem
finſtern Strom, der zwiſchen glatten, hohen
Marmorwänden ſchoß. An meine einſame
Welle gekettet flog ich bange im Felſen-Gewin¬
de, in das zuweilen tief ein Donnerkeil einfuhr.
Plötzlich drehte ſich der Strom immer breiter
und wilder um eine Wendeltreppe herum und
hinab. — Da lag ein weites, plattes, graues
Land um mich, das die Sonnen-Sichel mit ei¬
nem eklen, erdfahlen Licht begoß. — Weit von
mir ſtand ein untereinander gekrümmter Le¬
the-Fluß und kroch um ſich ſelber herum. —
Auf einem unüberſehlichen Stoppelfelde ſchoſſen
unzählige Walkyren *) auf Spinnenfäden pfeil¬
ſchnell hin und her und ſangen: „„des Lebens-
„„Schlacht, die weben wir““; dann ließen ſie
einen fliegenden Sommer nach dem andern un¬
ſichtbar gen Himmel wallen.


Oben zogen große Weltkugeln; auf jeder
[421] wohnte ein einziger Menſch, er ſtreckte bittend
die Arme nach einem andern aus, der auch auf
einer ſtand und hinüberblickte; aber die Kugeln
liefen mit den Einſiedlern um die Sonnenſichel
und die Gebete waren umſonſt. — Auch ich
ſehnte mich. Unendlich weit vor mir ruhte ein
ausgeſtrecktes Gebürge, deſſen ganzer aus den
Wolken ragender Rücken golden und blumig
ſchimmerte. Quälend watete der Kahn in der
flachen, trägen Wüſte des abgeplatteten Stroms.
— Da kam Sandland und der Strom drückte
ſich durch eine enge Rinne mit meinem zuſam¬
mengequetſchten Kahne durch. Und neben mir
ackerte ein Pflug etwas Langes aus, aber als
es aufſtieg, verdeckt' es ein Bahrtuch — und
das dunkle Tuch zerfloß wieder in eine ſchwar¬
ze See.


Das Gebürge ſtand viel näher, aber län¬
ger und höher vor mir und durchſchnitt die ho¬
hen Sterne mit ſeinen Purpurblumen, über
welche ein grünes Lauffeuer hin und her flog.
Die Weltkugeln mit den einzelnen Menſchen
zogen über das Gebürge hinüber und kamen
nicht wieder; und das Herz ſehnte ſich hinauf
[422] und hinüber. „„Ich muß, ich will““ rief ich ru¬
dernd. Mir ſchritt ein zorniger Rieſe nach, der
die Wellen mit einer ſcharfen Mondſichel ab¬
mähte; über mir lief ein kleines feſtes Gewit¬
ter aus der zuſammengepreßten Dunſtkugel der
Erde gemacht, es hieß die Giftkugel des Him¬
mels und ſchmetterte unaufhörlich nieder.


Auf dem hohen Gebürge rief eine Blume
mich freundlich hinauf; das Gebürge watete
der See dämmend entgegen; aber es rührte
nun beinahe an die herüberfliegenden Wel¬
ten und ſeine großen Feuerblumen waren nur
als rothe Knoſpen in den tiefen Äther geſäet.
Das Waſſer kochte — der Rieſe und die Gift¬
kugel wurden grimmiger — zwei lange Wolken
ſtanden wie aufgezogne Fallbrücken nieder und
auf ihnen rauſchte der Regen in Wellen-Sprün¬
gen herab — das Waſſer und mein Schiffchen
ſtieg, aber nicht genug. „„Es geht hier (ſagte
„„der Rieſe lachend,) kein Waſſerfall herauf!““


Da dacht' ich an meinen Tod und nannte
leiſe einen frommen Namen. — — Plötzlich
ſchwamm hoch im Himmel eine weiſſe Welt un¬
ter einem Schleier her, eine einzige glänzende
[423] Thräne ſank vom Himmel in das Meer und
es brauſ'te hoch auf — alle Wellen flatterten
mit Floßfedern, meinem Schifflein wuchſen breite
Flügel, die weiße Welt gieng über mich, und
der lange Strom riß ſich donnernd mit dem
Schiffe auf dem Haupte aus ſeinem trocknen
Bette auf und ſtand auf der Quelle und im
Himmel, und das blumige Gebürge neben ihm
— und wehend glitt mein Flügel-Schiff durch
grünen Roſen-Schein und durch weiches Tö¬
nen eines langen Blumen-Duftes in ein glän¬
zendes, unabſehliches Morgenland. — —


Welch' ein entzücktes, leichtes, weites Eden!
Eine helle, freudige Morgenſonne ohne Thrä¬
nen der Nacht ſah von einem Roſenkranz um¬
ſchwollen mir entgegen und ſtieg nicht höher.
Hinauf und hinab glänzten die Auen hell von
Morgenthau: „„die Freudenthränen der Liebe
liegen drunten, (ſangen oben die Einſiedler auf
den langſam ziehenden Welten,) und wir werden
ſie auch vergießen,““ Ich flog an das Ufer,
wo der Honig blühte, am andern blühte der
Wein; und wie ich gieng, folgte mir auf den
Wellen hüpfend mein geſchmücktes Schiffchen
[424] mit breiten als Segel aufgeblähten Blumen
nach — ich gieng in hohe Blüthenwälder, wo
der Mittag und die Nacht nebeneinander
wohnten, und in grüne Thäler voll Blumen-
Dämmerungen und auf helle Höhen, wo blaue
Tage wohnten, und flog wieder herab ins blü¬
hende Schiff und es floß tief in Wellen-Blitzen
über Edelſteine weiter in den Frühling hinein,
der Roſenſonne zu. Alles zog nach Oſten, die
Lüfte, und die Wellen und die Schmetterlinge
und die Blumen, welche Flügel hatten, und die
Welten oben; und ihre Rieſen ſangen herab:
„„wir ſchauen hinunter, wir ziehen hinunter, ins
„„Land der Liebe, ins goldne Land.““


Da erblickt' ich in den Wellen mein Ange¬
ſicht und es war ein jungfräuliches voll hoher
Entzückung und Liebe. Und der Bach floß mit
mir bald durch Waizen-Wälder — bald durch
eine kleine duftige Nacht, wodurch man die
Sonne hinter leuchtenden Johanniswürmchen
ſah — bald durch eine Dämmerung, worin ei¬
ne goldne Nachtigal ſchlug — bald wölbte die
Sonne die Freuden-Thränen als Regenbogen
auf, und ich ſchiffte durch, und hinter mir leg¬
[425] ten ſie ſich wieder als Thau brennend nieder.
Ich kam der Sonne näher und ſie ſtand ſchon
im Ähren-Kranz; „„es iſt ſchon Mittag,““
ſangen die Einſiedler über mir.


Träge, wie Bienen über Honigfluren, ſchwam¬
men im finſtern Blau die Welten gedrängt über
dem göttlichen Lande — vom Gebürge bog ſich
eine Milchſtraße herüber, die ſich in die Sonne
ſenkte — helle Länder rollten ſich auf — Licht¬
harfen, mit Strahlen bezogen, klangen im Feu¬
er — Ein Dreiklang aus drei Donnern erſchüt¬
terte das Land, ein klingender Gewitterregen
aus Glanz und Thau füllte dämmernd das
weite Eden — Er vertropfte wie eine weinende
Entzückung — Hirtenlieder flogen durch die reine,
blaue Luft und noch einige Roſenwölkchen aus
dem Gewitter tanzten nach den Tönen. — Da
blickte weich die nahe Morgenſonne aus einem
blaſſen Lilienkranze und die Einſiedler ſangen
oben: „„o Seeligkeit, o Seeligkeit, der Abend
„„blüht.““ Es wurde ſtill und dämmernd. An der
Sonne hielten die Welten umher ſtill, und um¬
rangen ſie mit ihren ſchönen Rieſen, der menſch¬
lichen Geſtalt ähnlich aber höher und heiliger;
[426] wie auf der Erde die edle Menſchengeſtalt in
der finſtern Spiegel Kette der Thiere hinab¬
kriecht: ſo flog ſie droben hinauf an reinen, hel¬
len, freien Göttern von Gott geſandt — Die
Welten berührten die Sonne und zerfloſſen
auf ihr — auch die Sonne zergieng, um in
das Land der Liebe herabzufließen und wur¬
de ein wehender Glanz — Da ſtreckten die
ſchönen Götter und die ſchönen Göttinnen ge¬
geneinander die Arme aus und berührten
ſich, vor Liebe bebend; aber wie wogende Sai¬
ten vergiengen ſie Freude-zitternd dem Auge
und ihr Daſeyn wurde nur eine unſichtbare
Melodie und es ſangen ſich die Töne: „„ich bin
„„bei Dir und bin bei Gott““ — Und andere
ſangen: „„Die Sonne war Gott!““ —


Da ſchimmerte das goldne Gefilde von un¬
zähligen Freudenthränen, die unter der unſichtba¬
ren Umarmung niedergefallen waren; die Ewig¬
keit wurde ſtill und die Lüfte ruhten und nur
das fortwehende Roſenlicht der aufgelöſten
Sonne bewegte ſanft die naſſen Blumen.


Ich war allein, blickte umher und das ein¬
ſame Herz ſehnte ſich ſterbend nach einem Ster¬
[427] ben. Da zog an der Milchſtraße die weiſſe
Welt mit dem Schleier langſam herauf — wie
ein ſanfter Mond ſchimmerte ſie noch ein we¬
nig, dann ließ ſie ſich vom Himmel nieder auf
das heilige Land und zerrann am Boden hin;
nur der hohe Schleier blieb — Dann zog ſich der
Schleier in den Äther zurück und eine erhabene,
göttliche Jungfrau, groß wie die andern Göt¬
tinnen, ſtand auf der Erde und im Himmel; al¬
ler Roſenglanz der wehenden Sonne ſammelte
ſich an ihr und ſie brannte, in Abendroth ge¬
kleidet. Alle unſichtbaren Stimmen redeten ſie
an und fragten: „„wer iſt der Vater der Men¬
ſchen und ihre Mutter und ihr Bruder und ih¬
re Schweſter und ihr Geliebter und ihre Ge¬
liebte und ihr Freund?““ Die Jungfrau hob
feſt das blaue Auge auf und ſagte: „„Gott iſts!““
— Und darauf blickte ſie mich aus dem hohen
Glanze zärtlich an und ſagte: „„Du kennſt mich
nicht, Albano, denn Du lebſt noch.““ — „„Unbe¬
kannte Jungfrau, (ſagt' ich,) ich ſchaue mit den
Schmerzen einer Liebe ohne Maaß in Dein er¬
habenes Angeſicht, ich habe Dich gewiß gekannt
— nenne Deinen Namen.““ — „„Wenn ich ihn
[428] nenne, ſo erwachſt Du““ ſagte ſie. „„Nenn'
ihn,““ rief ich. — Sie antwortete und ich
erwachte.“

100. Zykel.

„Du kannſt doch eine Nacht wachen und
„fahren?“ mit dieſer Frage führte ihn der Va¬
ter eilig an den reiſefertigen Wagen, um ihn
noch mitten im warmen Traume mit den ein¬
gewiegten Erinnerungen zu entführen und um
beſonders der bleichen Braut vorzufahren, die
in dieſer Nacht auf demſelben Weg in die letzte
Erbſchaft des Menſchen ziehen ſollte. „Im Wa¬
gen ſollſt Du alles hören,“ verſetzte Gaſpard
auf des Sohnes ſanfte Frage nach dem Ziel.
Noch lichttrunken vom glänzenden Lande der
Träume gehorchte Albano willig und blind. Er
ſah noch Lianen in hoher Göttergeſtalt auf
dem abendrothen von Freuden überthaueten
Sonnenboden ſtehen, und ſein Auge voll Glanz
reichte nicht herunter in den Erden-Keller auf
die abgeworfne enge Puppen-Hülſe der be¬
freieten, fliegenden Pſyche.


Schoppe begleitete ihn an den Fackel-Wa¬
gen, aber verſchwiegen, um nicht ſein Herz
[429] durch eine Nachricht ſeines Zieles zu wecken;
er drückte dem geliebten ſchönen Jüngling feu¬
rig die wiederdrückende Hand und ſagte nichts
als: „wir ſehen uns wieder, Bruder!“ Darauf
trat er, keines abſchiednehmenden Blickes vom
herriſchen Vater gewürdigt, bewegt von ſeinem
warm nachgrüßenden Freunde zurück; und
fliegend rollte der Wagen mit zurückwehenden
Fackeln in die helle, hohe Sternennacht hinaus.


Neu und ernſt breitete ſich vor dem Gene¬
ſenen die dämmernde Schöpfung aus. Der
Saturn gieng eben auf und der Gott der Zeit
reihte ſich als ein ſanfter blitzender Juwel in
den ſchimmernden Zaubergürtel des Himmels.
Mit zugebundnen Augen wurde der unwiſſende
Jüngling von der Senne ſeiner Jugend herab¬
geführt, und aus dem Hirtenthale ſeiner erſten
Liebe hinweg und den großen, ewigen Stern¬
bildern der Kunſt entgegen und in das göttliche
Land, wo der dunkle Äther des Himmels gol¬
den und die hohen Ruinen der Erde anmuthig
und die Nächte Tage ſind. Kein Auge ſchauete
auf die Blumenbühler Höhe hinüber, von der
eben jetzt ein ſchwarzes Wagengefolge langſam
[430] mit aufrecht-brennenden Trauerfackeln wie ein
ziehendes Schattenreich herunter gieng, um das
ſtille gute Herz, worin Albano und Gott ge¬
lebt, mit ſeinen todten Wunden an den ſanf¬
ten Ort der Ruhe zu führen. Flammend rollte
der Fackel-Wagen die Bergſtraße nach Italien
hinan.


Thränenlos und weit ruhte Albano's Auge
am ſchimmernden, unaufhörlich gehenden Schöpf¬
rad der Zeit, das ewig Sternbilder in Morgen
einſchöpfte und in Weſten ausgoß; und ſeine
kindliche Hand faßte leiſe die väterliche.


Ende des dritten Bandes.

Appendix A

Gedruckt bei Gottfried Hayn.


[]

Appendix B Druckfehler im dritten Bande des
Titan.



Seite 75 _ _ v. o. Zeile 5 _ _ ſt. Seitenglanz l. Saitenglanz


— 81 _ _ v. o. Z. 12 _ _ ſt. nur l. nun


— 115 _ _ v. u. Z. 2 _ _ ſt. niederſchlagende l. niederge¬
ſchlagne


— 141_ _ v. u. Z. 7 ſ _ t. Veſses l. Feſses.


— 142 _ _ v. o. Z. 6 _ _ nach Friſeur fehlt ¬


— 180 _ _ v. o. Z. 15 _ _ ſt. umhergeackerten l. umge¬
ackerten.


— 182 _ _ v. o. Z. 7 _ _ ſt. ihm l. ihn


— 254 _ _ v. o. Z. 7 _ _ ſt. Dythiramben l. Dithyramben


[]

Seite 257 _ _ v. o. Zeile 2 _ _ vor nach fehlt wenn


— 309 _ _ v. o. Z. 11 _ _ nach Dianen fehlt und


— 312 _ _ v. o. Z. 1 _ _ ſt. Schönwäſche l. Phönixaſche.


— 314 _ _ v. o. Z. 5 _ _ nach unſichtbar fehlt macht


— 315 _ _ v. u. Z. 8 _ _ Um die Worte „für ihn gifti¬
ges Raupenhaar“ müſſen entwe¬
der Kommata oder Klammern.


— 346 _ _ v. u. Z. 3 _ _ ſt. hundert, Schelme l. hun¬
dert Schelme,


— 368 _ _ v. o. Z. 5 _ _ ſt. Stirn l. Nein


— 409 _ _ letzte Z. _ _ ſt. Aſſinanz l. Aſſonanz


[][][]
Notes
*)
Jede parziale Ausbildung wirkt freilich für das
Ganze gut, aber nur darum, weil deſſen ent¬
gegengeſetzte parziale ſie in einer höheren Glei¬
chung und Summe aufhebt, ſo daß aus allen
*)
einzelnen Menſchen nur die Glieder eines einzi¬
gen Rieſen werden, wie der Schwedenborgiſche
iſt. Aber inſofern in dem einen Individuum
ein Mangel entſteht, der einem entgegengeſetzten
in dem andern abhilft — ſo daß der Weg der
Menſchheit gleich ſehr plagt und ſtößet durch
Vertiefung und durch Erhöhung — ſo ſieht
man, daß jede einſeitige Fülle nur Kur der Zeit iſt,
nicht Geſundheit derſelben; und daß das höhere
Geſetz zwar langſamere individuelle aber har¬
moniſche Ausbildung bleibt; zwar kleinere aber
allſeitige und dadurch in der ſpätern Zeit ſogar
ſchnellere. Wir vergeſſen immer, daß — wie in
der Mechanik ſich Kraft und Zeit gegenſeitig
ergänzen — die Ewigkeit die unendliche Kraft
ſey.
*)
Nach dem Ingenieur Borreux trifft wörtlich nur
der 1000te Schuß des kleinen Gewehrs. — So
iſts überall; fürchte den Tod, ſo ſtehen fallende
Blumentöpfe der Fenſter, Blitze aus blauem
Himmel, loßgehende Windbüchſenſchüſſe, Herzpo¬
lypen, wüthige Hunde, Räuber, jede Fingerwunde,
aqua toffana, Schwamm-Leckerei ꝛc. kurz die
ganze Natur — dieſe immer fortgehende zerquet¬
ſchende Kochenillen-Mühle — ſteht mit unzähli¬
gen geöfneten Parzenſcheeren rings um dich, und
Du haſt keinen Troſt als daß — demungeach¬
tet die Leute achtzig Jahre alt werden. —
Fürchte die Verarmung: ſo faſſen dich Feuers-,
*)
Waſſer-, Theurungs- und Kriegsnöthen, eine
Diebs-Bendée, Revolutionen, mit gierigen Kral¬
len und Fängen ein, und doch, Du Reicher, wird
der Arme — unter denſelben Stoßvögeln hin¬
kriechend — am Ende ſo reich wie Du. Geh al¬
ſo kühn durch die ſchlummernde Löwenheerde
rechts und links liegender Gefahren zum Brun¬
nen hindurch, nur wecke ſie nicht muthwillig
auf. — Freilich zieht Einzelne ein Höllengott
hinab, die nichts fürchteten; aber auch Einzelne
ein oberer Gott hinauf, die nichts erwarteten;
und Furcht und Hofnung gehen hier unter in
einer gemeinſchaftlichen Nacht.
*)
Titan I. B. S. 143.
*)
Am Hofe des Königs Olaus bot ſich der Kö¬
nigsjüngling Olo, als Landmann gekleidet, der
Tochter zum Schutze gegen Räuber an. Da¬
mals galt Feuer der Augen und Adel der Ge¬
ſtalt als Beweis einer hohen Abkunft; ſo er¬
kannte z. B. die Suanhita den König Regner
in der Hirtentracht an der Schönheit ſeines Au¬
ges und Geſichts. Die Königstochter blickte prü¬
fend in Olo's Flammenauge, und kam der
Ohnmacht nahe; ſie verſuchte den zweiten Blick
und war ohne Beſinnung, und bei dem dritten
in Ohnmacht. Der göttliche Jüngling ſchlug da¬
*)
her das Augenlied nieder, enthüllte aber die
Stirn und ſein goldnes Haar und ſeinen Stand.
S. der Deutſche und ſein Vaterland von Ro¬
ſenthal und Karg I. S. 166, 167. —
*)
Denn was man Licht nennt, iſt nur ſtärkeres
Weiß. Niemand ſieht Nachts den Lichtſtrom,
der vor der Erde vorbei von der Sonne auf
den Vollmond hinaufſtürzt.
*)
Dieſes wärmere, zartere, furchtſamere, immer
gelobte, mehr in fremder als eigner Meinung
lebende Geſchlecht ſticht ein Tadel giftig, der
uns nur blutig reiſſet, wie verletzende Thiere in
warmen Ländern und Monaten vergiften, und
in kalten nur verwunden. Daher bedenke der
Mädchenſchulmeiſter, daß eine Doſis, welche
Satire auf den Knaben iſt — der ohne¬
hin der Meinung widerſtehen ſoll — Pas¬
quil wird wenn ſie ſeine Schweſter einbekommt.
*)
Nämlich immer waren Briefe von Lianen
an Albano dareingeſchlagen. Man ſehe hier
wieder an zwei Exempeln, wie an der Liebes-
Harmonika ein Bruder als Taſtatur für die
Schweſter vorſtehen müſſe, die zu den Glocken
will. Es ſollte daher immer ein Paar Paare
geben, kreuzweiſe verſchwiſtert und liebend.
*)
„Ein ſolcher Karakter, (ſchreibt Hafenreffer da¬
„bei,) wäre für Romanen-Kotzebue's erwünſcht,
„weil dieſe, da er ſeiner Natur nach immer den
*)
„Werth der Situazion durch den zufälligen
„Ort derſelben ſchaffen und heben will, unter
„dem Deckmantel ſeiner Perſönlichkeit ganz der
„ihrigen fröhnen und die Schwäche des Dich¬
„ters in die Schwäche des Helden verkleiden
„könnten.“ Mich dünkt, dieſes iſt, ſo viel ein
Biograph von Romantikern urtheilen kann,
ſehr treffend.
*)
Deſſen moraliſche Abhandlungen II. 96.
*)
Bei der fürſtlichen Vermählung.
*)
Bei den Egyptern waren die Zauberer nur Ge¬
lehrte; bei ihm die Gelehrten Zauberinnen.
*)
Memoires secrets sur les règnes de Louis
XIV
. etc. par Duclos. T. I.
*)
Bekanntlich wird ein Schnitt in einen ganzge¬
bliebnen Vogel ꝛc. zum Zeichen gemacht, daß er
auf der fürſtlichen Tafel geweſen, damit er nicht
wieder aufgeſetzt werde, ſondern ſonſt genoſſen.
*)
S. Klockenbrings geſammelte Aufſätze.
*)
Damer oder zur Dame machen mußte der Kö¬
nig vorher ein unverheirathetes Mädchen vom
Stande, eh' es nach Verſailles an den Hof ge¬
hen durfte.
*)
Beſeke fand es. S. über das Elementarfeuer,
von ihm 1786.
*)
Fürchterlich ſchreiet dieſes wahre Geſchrei der
Menſchheit im 4. Theil von Heß's Durchflügen
S. 156 nach; jetzt hat es eine wohlthätigere
Regierung durch die Wildſteuer geſtillt.
*)
Für ihn wars innerſter Genuß, ein ſolches Hoch¬
zeitgedicht ganz mit den Reimen, Flügen und
Ausrufungs- und Anrufungszeichen des erſten
beſten Neujahrsreimers der Welt zu ſchenken;
und das Bewußtſeyn ſeiner reinen obwohl ſati¬
riſchen Abſicht beruhigte ihn ganz über jeden
Tadel einzelner ſchwülſtiger oder zu ſklaviſcher
Wendungen.
*)
Zwiſchen zwei Fenſtern ſtand immer ein Pfei¬
lerſpiegel und mengte ſeine zurückgeſpiegelte fer¬
ne Perſpektive unter die der Fenſter. Jedem
Spiegel ſtand nur Ein Fenſter gegenüber; den
Zwiſchenraum zwiſchen beiden verbarg und er¬
füllte Laubwerk.
**)
Ich bin nur ein Traum.
*)
Es braucht eben keinen Gott, wenn nicht ein
Knoten da liegt, der nicht anders zu löſen iſt.
*)
Und ein Vierter (wenn nämlich die Eheleute
und der Freund da ſind) braucht nicht mit in
die Sache zu reden.
*)
Wo der Fürſt geſtorben und ſie erblindet war.
*)
Deſſen Lettres sur les Aveugles.
*)
Die helle Kammer.
*)
Wo Albano zum letztenmale ſeelig mit Lia¬
nen war.
*)
Die Sineſer konnten ſonſt auf Porzellan Fiſche
und andere Geſtalten mahlen, die nur ſichtbar
wurden, wenn man das Gefäß anfüllte. Lett¬
res édifiantes etc. XII. recueil
.
*)
Linda.
*)
Z. B. der deutſche kaiſerliche Hof keine Be¬
dienten-Livréen.
*)
In Rom ſcheinen Gebäude aus beiden zu be¬
ſtehen, haben aber nur den Anwurf davon.
*)
Titan I. S. 56.
*)
Symmer beobachtete Folgendes: weiße und
ſchwarze Strümpfe bei trocknem, kaltem Wetter
übereinander getragen, ſind, wenn man den äus¬
ſern bei dem untern Ende, den innern beim
obern auseinander zieht, entgegengeſetzt geladen,
der weiße poſitiv, der ſchwarze negativ; in der
Ferne blaſen ſie ſich gegen einander auf und ſu¬
chen ſich; einander berührend, hängen ſie platt
und breit darnieder. Fiſchers phyſik. Wörter¬
buch. I. B.
*)
Auf Wilhelmshöhe geht ein langer muſikali¬
ſcher Ton dem Fallen der Waſſer voraus.
*)
Beides iſt der Name des alten deutſchen Don¬
nergottes; er meint ſich aber damit ſelber.
**)
Die Moloſſer nannten alle ſchönen Weiber
Proſerpinen.
*)
So ſollte man Schillers heilige Jungfrau
nennen.
**)
Sein Albano.
***)
So nannten die Wenden den Tod.
*)
Ein Engländer bemerkte, daß unter den fixen
Ideen des Irrhauſes ſelten die der Unterwür¬
figkeit vorkomme; meiſtens bewohnen es Göt¬
ter, Könige, Päbſte, Gelehrte.
**)
Wenn.
*)
Bekanntlich lehnen ſie da unverweſet anein¬
ander.
*)
Der ihm auf Isola bella erſchienen war.
*)
Wo ſie ihm in der Wolke zerfloſſen war, als
er ſie umfaſſen wollte.
*)
Ein Schwan kann mit dem Flügelſchlag einen
Arm zerbrechen.
*)
Sie hielt ihr hieſiges Leben für ein ruhiges
Spiel- und Kinder-Leben, erſt das zweite für
das thätige.
**)
Hier und weiter redet ſie zwar irre; aber ſie
weiß es doch, daß der Grasblumenkranz von
Charitons Kindern iſt.
*)
Sie ſieht das Herbſtlaub.
*)
Die Stelle heißet in Cardan praecept. ad filios
c
. 16. ſo: Longobardo rubro, Germano nigro,
Hetrusco lusco, Veneto claudo,
Hispanolon¬
go
etprocero, mulieri barbatae, viro cris¬
po, Graeco nulli confidere nolite.

*)
Z. B. der Kapellmeiſter Naumann.
*)
Er wollte Aſſinanz und Koſekante ſagen.
*)
Walkyren ſind reizende Jungfrauen, die vor
der Schlacht dieſe weben und die Helden be¬
ſtimmen, die fallen müſſen.

License
CC-BY-4.0
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Anonymous. Titan. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmzt.0