[][][][][][][]
Jenny.

Von der
Verfaſſerin von „Clementine“.

Erſter Theil.

Leipzig::
F. A. Brockhaus.

1843.
[][]
Jenny.

Erſter Theil.
[][]
Jenny.

Von der
Verfaſſerin von „Clementine“.

Ein Stamm, aus dem der Erlöſer, die Madonna, die
Apoſtel hervorgegangen, der nach tauſendjähriger Ver-
folgung dem Glauben und den Sitten ſeiner Väter treu
geblieben, nach tauſendjährigem Drucke noch hervorra-
gende Größe für Wiſſenſchaft und Kunſt erzeugt, muß
jedem andern ebenbürtig ſein.

(Die Verhältnisse der Juden in Preussen von v. Rönne
und Simon.
)


Erſter Theil.

Leipzig::
F. A. Brockhaus.

1843.
[][[1]]

Bei Gerhard, dem erſten Reſtaurant einer
großen deutſchen Handelsſtadt, hatte ſich im
Spätherbſt des Jahres 1832 nach dem Theater
eine Geſellſchaft von jungen Leuten in einem
beſondern Zimmer zuſammengefunden, die an-
fänglich während des Abendeſſens heiter die Be-
gegniſſe des Tages beſprachen, allmälig zu dem
Theater und den Schauſpielern zurückkehrten
und nun in ſchäumendem Champagner das Wohl
einer gefeierten Künſtlerin, der Giovanolla, tran-
ken, welche an jenem Abende die Bühne betre-
ten hatte.


„Sie ſoll leben und blühen in ewiger Schön-
heit!“ ſagte entzückt der Maler Erlau, „und
I. 1
[2] möge es mir vergönnt ſein, die Feueraugen und
den Götternacken dieſes Mädchens immer vor
meinen Augen zu haben, wie ſie ſich mir bei der
geſtrigen Sitzung zeigten. Ihr ſeht ſie Alle in
der falſchen, täuſchenden Beleuchtung der Bühne,
und könnt nicht ahnen, wie wunderbar ſchön ihre
mattglänzende ſammetweiche Haut, wie regel-
mäßig und vollendet ihre Züge und wie üppig
ihre Formen ſind. Ich ſage Euch, ſie iſt der
Typus einer italieniſchen Schönheit.“


„Wenn ſie nur nicht ſo verdammt jüdiſch
ausſähe“, ſagte wegwerfend ein Anderer, den wir
Horn nennen wollen, und welcher Sohn und
Erbe eines reichen Kaufmanns war. „Ich ſagte
es gleich zu meinem Vetter Hughes, den ich
Ihnen, lieber Erlau! als einen Mitenthuſiaſten
empfehlen kann, und der für nichts Augen hatte,
als für dieſe Perſon, die mir wirklich mit all
ihrer geprieſenen italieniſchen, oder ſagten Sie
orientaliſchen Schönheit? au dernier degrès miß-
[3] fallen hat. Wir lieben in unſerer Familie dies
genre von Schönheit nicht, es iſt eine uns an-
geborne Antipathie, und mir wurde erſt wieder
in England bei den ſchlanken, blonden Inſula-
nerinnen recht wohl, nachdem ich mich in Havre
ein Jahr lang in der Frankfurter Judenſtraße
unter jenen kleinen, brunetten Franzöſinnen ge-
glaubt hatte.“


A propos, von Judenſtraße, lieber Ferdi-
nand!“ fiel der Vetter, der ein geborner Englän-
der, und erſt ſeit wenig Tagen in dieſer Stadt
war, dem Sprechenden ins Wort, „wer war
wol das ganz junge Mädchen in der zweiten
Loge rechts von der Bühne? Sie iſt offenbar
eine Jüdin, aber es wird ein intereſſantes Ge-
ſicht werden.“


„Ich kenne die Juden nicht“, antwortete der
Gefragte.


„Schämen Sie ſich“, rief im komiſchen Zorn
der Maler, „und verleugnen Sie nicht, wie unſer
1 *
[4] heiliger Apoſtel Petrus, ſeligen Andenkens, Ihren
Meiſter und Herrn. Sie ſollten den reichen Ban-
quier Meier nicht kennen, bei deſſen Vater Ihr
Herr Vater die Handlung erlernte, und von dem
er die Mittel zu ſeinem Etabliſſement erhielt,
als er ſich in Ihre Mutter verliebte? Freilich
kam Ihr Herr Papa durch dieſe Heirath in die
ſchönſte Mitte der Kaufmannsariſtokratie, und
mag in der Geſellſchaft wol ſeine altteſtamen-
tariſchen Verbindungen vergeſſen haben.“


Horn war halb beleidigt, halb verlegen.
„Ach ſo!“ ſagte er, „die Meiers hatten die
Loge? Nun ja, alſo es waren die Meiers, die
Tochter ſoll ein hübſches Mädchen werden, eine
reiche Erbin, ſie ſteht noch zu Dienſten, lieber
Vetter! — Das iſt aber auch Alles, was ich
weiß.“


„So erlauben Sie mir“, nahm der Candidat
Reinhard, ein ſchöner, junger Mann, der bis
dahin ſchweigend der Unterhaltung zugehört hatte,
[5] die ihm nicht zu gefallen ſchien, das Wort, „ſo
erlauben Sie mir, Ihnen, falls es Sie intereſſirt,
nähere Details über die Familie zu geben. Das
Meierſche Haus iſt gewiß das gaſtlichſte unſerer
Stadt, die Mutter eine freundliche wohlwollende
Frau, der Vater ein ungemein geſcheidter und
braver Mann, der ein offenes Herz für die Men-
ſchen und die Menſchheit hat, und ſich lebhaft
für Alles intereſſirt, was es Großes und Schönes
gibt. Die Leute haben nur zwei Kinder, einen
Sohn, der mein genauer und beſter Freund iſt,
den Doctor Meier, und eben dieſe Tochter, Jenny
Meier, die ich bis vor Kurzem unterrichtete.“


„Und iſt Niemand da, der die Handlung
fortſetzt, wenn der alte Meier, deſſen Firma mir
wohl bekannt iſt, einmal ſtirbt?“ ſagte der
Vetter.


„Ja wohl, ein Neffe, ſeines Bruders Sohn,
der auch Meier heißt, und ſchon lange in der
Handlung iſt. Man ſagt, er werde die Tochter
[6] heirathen, und das Geſchäft einſt übernehmen“,
antwortete Reinhard zögernd.


„Der Glückliche, ich könnte ihn beneiden,
denn das Mädchen iſt wahrhaft reizend“, rief
der Engländer aus.


„Das denkt Freund Reinhard auch“, lachte
Erlau, „und gewiſſe Leute wollen behaupten, daß
er die junge Dame, nachdem er ihre geiſtige
Ausbildung meiſterhaft geleitet, jetzt praktiſch in
der Conjugation mancher Zeitwörter unterrichte,
als da iſt: ich liebe, du liebſt u. ſ. w. u. ſ. w.
Werde nicht roth, lieber Reinhard, es iſt eine
Bemerkung, wie jede andere, und ich theile
Deine Neigung und Anhänglichkeit für das
ganze Meierſche Haus. Es ſind mit die beſten
und gebildetſten Leute der Stadt, und wenn auch
die ſogenannte Elite der Geſellſchaft dort im Hauſe
nicht zu ſehen iſt, ſo findet man den größten
Theil unſerer Gelehrten und Künſtler, eine Menge
von Fremden, und vortreffliche Unterhaltung bei
[7] Meier's. Ich wüßte kein Haus, das ich lieber
beſuchte als das Meierſche.“


„Sie ſchildern die Familie ſo intereſſant, daß
Sie mir faſt den Wunſch einflößen, mich in dem
Hauſe einführen zu laſſen“, ſagte Hughes.


„Um Gottes willen, William!“ fiel Horn
ein, „meine Mutter würde das ſehr ungern ſehen,
wie kommſt Du nur darauf? Ich bitte Dich,
dieſe Juden hängen wie die Kletten zuſammen,
und biſt Du erſt in einem ihrer Zirkel, ſo ſteckſt
Du auch gleich feſt in der ganzen Clique, daß
man ſich ſchämen muß, mit Dir an öffentlichen
Orten zu erſcheinen, aus Furcht, von Deiner
noblen Bekanntſchaft überfallen zu werden.
Glaube mir, die Viſite bei Meiers“ —


„Würde Ihnen beweiſen, daß Herr Horn
mit ſeinen Geſinnungen in mancher Beziehung
noch tief im Mittelalter ſtecke“, unterbrach Rein-
hard die Rede, „und ich bekenne Ihnen, Herr
Horn, daß wir Ihre Aeußerungen nicht nur
[8] höchſt befremdlich ſcheinen in unſerer Zeit, ſon-
dern daß ich ſie geradezu für unſchicklich halte,
nachdem ich Ihnen geſagt habe, daß ich der
Familie befreundet bin und ſie hochachte.“


„Ah, entſchuldigen Sie, Herr Reinhard, ich
vergaß, daß Sie Stunden in dem Hauſe geben
und die Sache anders anſehen müſſen. Ich
aber, der ich ganz unabhängig bin, geſtehe
Ihnen — — — —“


„Geſtehen Sie nichts mehr, Sie haben ſchon
ſo Vieles heute geſtanden“, rief Erlau dazwi-
ſchen, „was Sie lieber hätten verſchweigen ſollen.
Sie ſind ein reicher, junger Kaufmann, ſehr
elegant, ſehr faſhionable, was kümmern Sie Ge-
ſtändniſſe und Juden? Mein Gott! Sie haben
nun einmal die Antipathie, und Sie brauchen
ja auch nicht zu Meiers zu gehen, es hat Sie
Niemand gebeten — ſelbſt nicht“, fügte er halb-
laut, gegen Reinhard gewendet, hinzu, „als vor
drei Jahren die Sonntag dort war und der
[9]
junge Herr alle Segel aufſetzte, um eingeladen
zu werden. Ich bitte Dich, Reinhard, ärgere
Dich über den Laffen nicht, und laß ihn
laufen.“


Die Unterhaltung war zu einem Punkte
gekommen, auf dem ſie leicht eine verdrieß-
liche Wendung nehmen konnte, da öffnete ſich
plötzlich die Thür und ein junger, hübſcher
Mann, kaum dreißig Jahre alt, trat in das
Zimmer. Er war nur mittler Größe, aber kräftig
und wohlgebaut, hatte krauſes, ſchwarzes Haar,
eine gebogene Naſe, ein Paar durchdringend
kluge, ſchwarze Augen, und vor Allem eine hohe,
gewölbte Stirn, die beim erſten Anblick den
Mann von Geiſt und Charakter verrieth. Seine
Bewegungen waren raſch, wie ſein Blick. Er
hatte eine gelbliche, aber geſunde Farbe, und war
modern, doch ganz einfach gekleidet. Kaum war
er in das Zimmer getreten, als Erlau und Rein-
hard ihm mit dem Ausruf: „Guten Abend,
1 **
[10] Meier, gut daß Du kommſt!“ entgegen gingen.
Er wandte ſich aber, die Begrüßung nur flüchtig
erwidernd, an Horn, und ſagte: „Ich komme
eben aus dem Hauſe Ihrer Eltern. Ihr Fräulein
Schweſter hat ſich den Fuß beſchädigt, als ſie
nach der Rückkehr aus dem Theater aus dem
Wagen ſtieg, man hat mich holen laſſen, es iſt
jetzt Alles in Ordnung, durchaus nichts zu be-
fürchten, und ich freue mich, daß ich Sie hier
treffe, denn ich glaube, Herr Horn, man erwartet
Sie zu Hauſe. — Guten Abend, und ſchön,
daß ich Euch noch finde“, fuhr er, gegen die
Freunde gewandt, fort, und ſetzte ſich zu ihnen
nieder.


Horn machte ein paar beſorgte Fragen, die
von Dr. Meier beruhigend beantwortet wurden,
dann brach jener auf, und William Hughes wollte
ihn begleiten. Erlau indeſſen, der nie genug
Leute beiſammen haben konnte, und dem der
Engländer gefiel, redete ihm zu, bei ihnen zu
[11] bleiben, um noch ein paar Stunden zu plau-
dern. „Im Hauſe Ihres Onkels können Sie
Nichts nützen, und hier“, ſagte er, „haben wir
Gelegenheit, Sie unſerm Freunde, dem Doctor
Meier, von dem wir vorhin ſprachen, vorzu-
ſtellen, alſo bleiben Sie immer hier.“


William war das zufrieden, und Horn empfahl
ſich dem kleinen Kreiſe, indem er William ver-
ſicherte, er beneide ihn um den Genuß, in ſo
vortrefflicher Geſellſchaft noch länger zu blei-
ben, dabei warf er einen ſpöttiſchen Blick auf
Meier, den dieſer nicht ſah, da er Horn den
Rücken zugewendet hatte, und den Reinhard mit
verächtlichem Achſelzucken erwiderte.


Ein Kellner räumte die leeren Bouteillen,
die gebrauchten Gläſer fort, und ſetzte eine volle
Flaſche vor die Zurückbleibenden hin. Erlau,
Reinhard und William, die ſchon ſeit einer Stunde
beim Weine ſaßen, geriethen allmälig in eine
immer munterere Laune, wogegen Meier's Ruhe
[12] eigenthümlich abſtach. Vor Allen konnte Erlau's
ausgelaſſene Fröhlichkeit ſich nicht genug thun;
ein Witz folgte dem andern, ein Toaſt dem
andern. „Alt-England ſoll leben!“ rief er aus,
„mit ſeinen freien Inſtitutionen, mit ſeinem
edlen Lord auf dem Wollſack, ſeiner Charta magna
und ſeinen Conſtables und Beefſteacks, und Sie
ſollen leben und leben immer mit uns, wie heute
Mr. Hughes.“


Der Toaſt wurde erwidert. Hughes trank
auf die Einheit Deutſchlands; Reinhard ließ die
deutſchen Frauen leben, Erlau vor Allen die
Schauſpielerin, von der ſchon früher die Rede
geweſen war, und Meier gab ſich dem Treiben
hin, wie ein Erwachſener, der mit Kindern ſpielt.
Er nahm äußerlich Theil daran, während ihn
im Innern offenbar ein anderer Gegenſtand be-
ſchäftigte, und er in ein Hinträumen verſank,
aus dem Erlau's Ruf: „Meier, die Deinen
ſollen leben!“ ihn aufſtörte. Schweigend und
[13] nur mit dem Kopfe nickend dankte dieſer, und
trank ſein Glas aus. Damit war aber Erlau
nicht zufrieden. „Mein Gott! Du unerträg-
lich ernſthafter Doctor und Miſantrop, gibt es
denn nichts mehr auf der Welt, was Dich aus
Deiner philoſophiſchen Philiſterlaune herausreißen
kann? — Ich erſchöpfe mich in hinreißender
Geiſtreichheit, ich verſchwende die beſte Laune,
dem koſtbarſten, göttlichſten Champagner an Dir,
und Du nimmſt meine Liebenswürdigkeit, die
doch heute ganz exquiſit iſt, hin, wie ein Bettler
das tägliche Brot, ohne Freude und Genuß,
und gießt den edlen Wein hinunter, gedankenlos,
als gälte es, das harte tägliche Brot mit lang-
weiligem Waſſer hinabzuſpülen. Ich werde irre
an Dir, Doctor! Was fehlt Dir, was denkſt
Du, was meinſt Du? Soll ein Gott vom Himmel
ſteigen, um Dir zu beweiſen, daß die Welt die
beſte iſt, in der auf öden Kalkfelſen dieſer Göt-
tertrank zu wachſen vermag? in der auf allen
[14] Wegen die ſchönſten Blumen erblühen, und in
manchen dunkeln Häuſern die hellſten Mädchen-
augen blitzen? Sünder, gehe in Dich, und thue
Buße, und rufe mit mir: Die Weiber ſollen leben!
— und — ha! nun hab' ich's, was ihn wecken
wird; ſteht auf, ihr Weiſen, und trinket mit
mir! Meier, Deine Schweſter ſoll leben!“ —
Reinhard und Hughes ſtanden auf, und der
Letztere rief lebhaft: „Ja! das ſchöne Mädchen mit
dem feuchten Flammenblick ſoll leben und immer
leben!“ — Auch Reinhard, in dem noch man-
cher Widerhall ſeiner Studentenjahre nachtönte,
erhob ſein Glas, und bereitete ſich, es gegen die
andern Gläſer klingen zu laſſen, nur Meier blieb
ruhig ſitzen, und ſagte, „Seit wann iſt es Sitte,
daß man bei Zechgelagen auf das Wohl unbe-
ſcholtener Mädchen trinkt? Ich werde es wenig-
ſtens nicht leiden, daß der Name meiner Schweſter
in meiner Gegenwart im Weinhauſe entweiht
werde. Setzen Sie ſich, meine Herren! den
[15] Toaſt nehme ich nicht an.“ — Dieſer ruhige
ernſte Ton ſchien Erlau plötzlich abzukühlen,
während er den Engländer in lebhafte Bewegung
verſetzte. Er ging raſch auf Meier zu, und rief:
„Geben Sie mir die Hand, Doctor! Sie müſſen
mein Freund werden! Wir Engländer haben
ſonſt nicht das Herz auf der Zunge — aber
Ihr Deutſchen ſeid unſere Stammverwandten.
Ihr wißt es, was sweet home und a blushing
maid
dem Herzen ſein können — Sie wiſſen es
vor Vielen gut, darum ſchlagen Sie ein, Doctor!
unbeſorgt, ich bin ein Ehrenmann!“


Meier that, wie Jener es verlangte, und that
es gerne, denn es lag wirklich ſo viel Ehren-
haftes, Zutrauliches in der Art und den Zügen
des Fremden, daß es augenblicklich für ihn ein-
nahm. Auch Reinhard ſchüttelte ihm die Hand
und man trank auf die Dauer und das Ge-
deihen des neuen Bundes. Dadurch blieb Erlau
allein ſtehen; er goß zwei Gläſer voll, nahm
[16] in jede Hand eins derſelben, und ſprach in
affectirter Traurigkeit: „Auf das U folgt gleich
das Weh, das iſt die Ordnung im ABC
auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit
von langer Weile, denn ich ſchwöre Euch! die
rechte, wahrhafte Ewigkeit wird erſt recht lang-
weilig ſein — auf jede liebenswürdige Sünde
folgt bei Euch eine unausſtehliche Bußfertigkeit.
Anathema! über das ausgeartete Geſchlecht, das
nicht begreift, wie man ſündigt aus ſüßer, in-
niger Ueberzeugung; dem nur en passant ein
kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt,
und das nie jenes großartige Gebet des edlen
Ruſſen begriff und gläubig zu beten vermochte:
„Dieu, envoye moi des tentations afin que j'y
succombe!“
— Hier ſtehe ich allein, ich fühle
es, in einer verderbten Zeit, in der mich Nie-
mand verſteht, und ſo muß ich für mich allein
mir den Toaſt ausbringen: Gott erhalte mich
in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich
[17] dies Glas ausleere — und hole der Teufel Eure
verdammte Tugend, bei der man nicht an ein
hübſches Mädchen denken und ihr Glück wün-
ſchen darf, ohne eine Ladung Moral und ein
Fuder Gefühl in den Kauf zu bekommen.“ —
Dabei trank er das zweite Glas, und ſagte ver-
drießlich, während die Andern herzlich lachten,
„und nun könnt Ihr alle ruhig nach Hauſe
gehen, nachdem Ihr mich mit Eurer abgeſchmack-
ten Sentimentalität um meine beſte Laune ge-
bracht habt. Geht nach Hauſe und ſchlaft wie
die Ratten und träumt tugendhaft — ich werde
noch nach dem Fenſter der göttlichen Giovanolla
wandeln, und ſehen, ob dieſer ſüße Strahl der
Liebe, der, Gott ſei Dank! keine Heilige iſt, noch
über der Erde leuchtet, oder ob er ſich ſchon
hinter den Wolken des Schlummers verborgen
hat, und mir erſt morgen wieder als Stern und
Sonne aufgehen will. — Beiläufig könnte ich
dann dieſen unſern Inſulaner in das Haus ſeines
[18] Onkels geleiten, in ſein sweet home, damit er
uns nicht auf den Querſtraßen des Lebens ver-
loren gehe, und ſeine warme Seele nicht erſtarre
in kalter Winternacht. — Gute Nacht, Kinder!“
„Gute Nacht, Meier“ — „kommen Sie, Mr.
Hughes!“ — mit dieſen Worten brach er auf,
und die Geſellſchaft ging aus einander.



„Wo warſt Du geſtern, Eduard?“ fragte
Jenny Meyer am nächſten Morgen ihren Bruder,
als dieſer in das Wohnzimmer ſeiner Eltern
trat, wo die Familie frühſtückend beiſammen ſaß.
„Wir hatten Dich zum Thee erwartet, und Du
kamſt nicht! Auch im Theater biſt Du nicht
geweſen!“


„Steinheim war bei mir, und unſer Joſeph,
und wir plauderten bis 9 Uhr ungefähr; dann
wollte ich mit ihnen hinauf kommen, und Eure
Rückkehr aus dem Theater erwarten, wurde aber
[19]
plötzlich in das Haus des Commerzienraths Horn
gerufen, wo ſich die Tochter den Fuß gebrochen
hatte, als ſie aus dem Theater kam. So gingen
meine Gäſte fort, und ich ſprach nachher, als ich
den Verband angelegt hatte und nach Hauſe
gehen wollte, bei Gerhard an, fand dort Be-
kannte, und blieb ein paar Stunden ſitzen!“


„Mein Gott!“ rief die Mutter, „hat ſich
das ſchöne Mädchen, die Clara Horn, ſchwer
beſchädigt?“


„Du hörſt es ja“, antwortete der Vater,
„ſie hat den Fuß gebrochen, und ein ſchwerer
Fall, ein ganz verzweifelter muß es wohl ſein,
wenn der alte Horn ſich entſchloß, gerade Eduard
rufen zu laſſen.“


„Das kannſt Du nicht behaupten, lieber
Mann! Eduard iſt doch, obgleich einer der
jüngern Mediziner, in den erſten Häuſern der
Stadt Hausarzt, ſowol bei Chriſten, als bei
Juden; und Du weißt ſelbſt, wie ungemein zu-
[20] vorkommend ihm überall begegnet wird, und
wie ſehr man für ihn eingenommen iſt!“


„Ich weiß es wohl, und es freut mich, daß
er ſich dieſe Stellung errungen, aber ebenſo
wohl weiß ich, daß es jener ganzen Clique ge-
wiß die höchſte Ueberwindung gekoſtet hat, den
jüdiſchen Arzt in ihre engern Kreiſe zu ziehen.
Sie entſchuldigen ſich vor ſich ſelbſt mit dem
Nutzen, den er ihnen gewährt, und doch, wer
weiß, ob Eduard überall den gleichen Empfang
fände, wenn er ſich mit einer Jüdin verheira-
thete, und für ſeine Frau dieſelben Rückſichten
verlangte, als für ſich? Den einzelnen jungen
Mann nehmen ſie allenfalls gern auf. Eine
Familie? da würden ſie vielleicht Bedenken
haben.“


„Das glaube ich nicht“, ſagte die Mutter,
„im Gegentheil, ich bin überzeugt, daß Eduard
nur zu werben braucht, um eine Frau, aus
welchem chriſtlichen Hauſe er wollte, zu bekom-
[21] men, und ich kann es nicht leugnen, daß ich
nichts ſehnlicher wünſche, als ihn recht bald eine
ſolche Verbindung ſchließen zu ſehen!“


Der Vater lächelte, und Eduard erwiderte:
„Eine Verbindung der Art, liebe Mutter! werde
ich nie eingehen, das weißt Du wohl, — ich
werde mich niemals taufen laſſen, und Deine
ehrgeizigen freundlichen Hoffnungen für mich, in
der Zukunft eine große Cariere voll Ehren-
ſtellen, Orden und Würden zu erblicken, werden
ſich ſchwerlich jemals realiſiren. Es ſei denn,
daß eine neue Zeit für uns heraufkäme.“


„Die zu ſchaffen Du Dich berufen fühlſt,
mit Steinheim, Joſeph und Andern“, fiel Jenny
ein. „Himmliſcher, einziger Eduard, nur beim
Frühſtück verſchone mich mit Politik, nur die
eine Taſſe Kaffee laſſe mich ohne politiſche oder
anatomiſche Zuthaten genießen. Vater! verbiete
ihm überhaupt, ſchon beim Frühſtück vernünftig
zu ſein. Er hat ja dazu ſeine große Praxis,
[22] und den ganzen, langen Tag, der Morgen muß
für uns ſein.“


Der Vater gab ſcherzend den gewünſchten
Befehl, und fragte, ob Eduard nicht wiſſe,
wie man bei Horn's darauf gekommen, gerade
ihn holen zu laſſen.


„Ihr Hausarzt, der alte Geheimrath, fand
den Fall ſehr bedenklich“, berichtete der Sohn,
„that ſehr ängſtlich, und daher beſtand das
Fräulein ſelbſt darauf, ſich von ihm nicht den
Verband anlegen zu laſſen, und verlangte, man
ſolle nach mir ſchicken. Wenigſtens erzählte mir
der Commerzienrath ſo, ich weiß nicht, ob, um
mir begreiflich zu machen, daß er ſelbſt es nicht
gethan hätte, oder um mir mitzutheilen, welch
ſchmeichelhaftes Vertrauen die Tochter zu mir
hege.“


„Iſt ſie ſo ſchön, als ſie zu werden ver-
ſprach? Ich habe ſie in der Schule gekannt“,
[23] ſagte Jenny; — „aber ſpiele nicht den kalten,
gefühlloſen Arzt, der nichts ſieht, als die Krank-
heit“, fügte ſie hinzu.


„Sie iſt ſo wunderſchön, daß ſelbſt der Käl-
teſte warm werden müßte bei ihrem Anblick“,
antwortete er; „dabei war ſie ſo geduldig bei
dem großen Schmerz, ſo liebenswürdig gegen
die Umgebung, ſo dankbar gegen mich, daß ich
ganz für ſie eingenommen bin. Ich wäre un-
tröſtlich, wenn ſie nicht vollkommen hergeſtellt
würde, wie ich es hoffe, denn ſie iſt wunder-
ſchön!“


Jenny war ganz glücklich, den Bruder ſo
entzückt zu ſehen, und meinte, die Kranke könne
ſich glücklich ſchätzen, die werde gewiß ſorgſamer
und beſſer als manche Königin behandelt wer-
den, und Eduard möchte ſich bei der Kur nicht
zu ſehr anſtrengen, damit er ſich nicht etwa ſelbſt
eine Herzenskrankheit zuziehe, die leicht unheil-
bar ſein könnte.


[24]

Nun kam auch Joſeph Meier, der Neffe,
welcher ebenfalls im Hauſe wohnte, dazu. Er
war faſt in gleichem Alter mit Eduard, doch
ließ ſein düſteres Weſen ihn älter erſcheinen als
er war. Er hatte ein kluges [Aeußeres], ohne hübſch
zu ſein, weil er ſehr unregelmäßige Züge hatte,
und gewöhnlich etwas mürriſch ausſah. Nur
ſelten flog ein Lächeln über das markirte Geſicht
und verbreitete ein mildes Licht über die Augen,
die eigentlich höchſt gutmüthig waren, aber faſt
immer brütend zur Erde blickten.


Joſeph und Eduard waren von Kindheit an
die beſten Freunde geweſen, und hatten, ſich ge-
genſeitig ergänzend, ſich zu dem gebildet, was
ſie geworden, zu tüchtigen Menſchen, Jeder in
ſeiner Art. Nur fehlte Joſeph das liebenswür-
dige Weſen, der feine, ungezwungene Anſtand,
der Eduard's Erſcheinung ſo angenehm machte;
und vor Allem hatte dieſer eine angeborne,
blühende Beredſamkeit, während Joſeph in
[25] den meiſten Fällen nur kurz und abgebrochen
ſprach.


Natürlich wurde bei Joſeph's Ankunft das
eben Mitgetheilte wiederholt und nochmals be-
ſprochen. Er ließ ſich das Ganze ruhig erzählen,
und ſagte dann mit ſeinem gewöhnlichen ſonder-
baren Lächeln: „O ja! ſo ſind ſie!, wenn ſie Dich
brauchen, können ſie recht liebenswürdig ſein. —
Aber höre doch einmal, wie ſie von Dir reden,
wenn ſie unter ſich ſind. — Frage einmal, ob
ſie Dich für ebenbürtig halten.“


Dieſe Aeußerung, gerade jetzt ausgeſprochen,
wo man in ſo guter Laune war, verſtimmte die
Uebrigen ſichtlich. Jenny, die das düſtere Weſen
des Vetters nicht liebte, war die Erſte, die ihren
Verdruß äußerte, indem ſie ihm den Kaffee mit
den Worten reichte: „Da! Du Störenfried!
trinke nur, damit Du nicht brummen kannſt.“
— Auch Madame Meier ſchien unzufrieden. Der
Vater fing an, die Zeitungen zu leſen, die Joſeph
I. 2
[26] mitgebracht hatte, und nur der Doctor plauderte
noch eine Weile mit ihm fort, worauf ſich die
drei Männer entfernten, um an ihre Geſchäfte
zu gehen, und nur Mutter und Tochter zurück-
blieben.


„Joſeph wird doch von Tag zu Tag uner-
träglicher“, ſagte die Letztere, „er wird immer
finſterer, immer abſtoßender, und ich freue mich
auf kein Feſt, auf nichts mehr, ſobald er dabei
iſt, weil ich weiß, daß er mir jede Freude
ſtört.“


„Und doch glaube ich“, wandte die Mutter
ein, „daß es kaum ein reicheres, edleres Herz
gibt, als das ſeine. Ich wüßte Niemand, der
ſo freudig Alles für ſeine Geliebten zu opfern
bereit wäre, Niemand, der es mit mehr An-
ſpruchsloſigkeit thäte als er. Auch achten wir
Alle ihn von Herzen, haben ihn ſehr lieb, und
es thut mir leid, daß Du dich nicht in ſeine
Eigenheiten ſchicken kannſt.“


[27]

„Können? mein Gott! können würde ich
es ſchon — aber ich will es gar nicht.“


„Das iſt es eben, was mich betrübt, mein
Kind! — Dies ewige ich will und ich will
nicht, dies Unfügſame in Deinem Weſen, das iſt
es, was mich über Dich beſorgt macht. Als Du
geboren wurdeſt, und ich Dich auf meinem
Schooße heranwachſen ſah, habe ich oft zu Gott
gebetet, er möge alles Unheil von Dir abwen-
den. Bisher iſt mein Gebet auf faſt wunder-
bare Weiſe erhört worden, und doch ſehe ich es
mit Schmerz, daß wir Menſchen Gott eigentlich
um nichts bitten dürfen, weil wir nicht wiſſen,
was uns frommt.“


„So hätteſt Du mir alſo lieber Unglück
wünſchen ſollen?“ — fragte die Tochter lächelnd.


„Zu Deinem wahren Heile wäre es viel-
leicht beſſer geweſen. Ich ſchloß von meinem
Herzen auf das Deine, und darin irrte ich. In
Dir iſt der Charakter Deines Vaters, der feſte,
2*
[28] ſtarke Sinn, und Eduard's Einfluß hat dieſe
Charakter-Richtung in Dir noch mehr ausge-
bildet. Vom Glück verzogen, von uns Allen
mit der nachgiebigſten Liebe behandelt, haſt Du
es nie gelernt, Dich in den Willen eines Andern
zu fügen; was man an Dir als Eigenſinn hätte
tadeln ſollen, das haben Vater und Bruder als
Charakterfeſtigkeit gelobt, und ich begreife, daß
Dir Joſeph zuwider iſt, weil er allein Dir ent-
ſchieden und mit Nachdruck entgegentritt. Und
doch weiß ich, daß er Dich mehr liebt, als Viele,
die Dir ſchmeicheln.“ Bei den Worten reichte
die milde Frau der Tochter die Hand. Dieſe
nahm ſie, drückte einen Kuß darauf, und ſaß
eine Weile ſchweigend bei ihrer Arbeit.


Man ſah es ihrem lieblichen Geſichte an,
daß irgend ein Entſchluß, ein Gedanke ſie be-
ſchäftige — auch legte ſie plötzlich die Arbeit
bei Seite, ſah ganz ruhig die Mutter an und
ſagte mit einer Stimme, der man nicht das
[29]
Geringſte von der Bewegung anmerkte, die ihre
Züge verriethen: „Mutter! den Joſeph heirathe
ich niemals. Niemals, Mutter! — Sage ihm
das, und auch dem Vater. Ich weiß, daß Ihr
es wünſchet, daß Joſeph es erwartet und mich
nur erzieht, um eine gute Frau an mir zu haben;
die Mühe aber kann er ſparen. Sieh“, fuhr
ſie fort, und ihre Faſſung verlor ſich mehr und
mehr, ſodaß ſie zuletzt bitterlich weinte, „ſieh,
gute Mutter! was Dein engelfrommes Beiſpiel,
Deine Liebe, und Vater, und Eduard, die ich
ſo anbete, nicht über mich vermochten, das kann
Joſeph, den ich gar nicht liebe, gewiß nicht von
mir erlangen. Ich weiß, ich bin noch ein Kind,
ich werde erſt in einigen Wochen 17 Jahre, aber
ſolch ein Kind bin ich nicht mehr, daß des
Couſins rauhe, befehlende Art mich nicht ver-
letzte. Andere haben mich auch getadelt, aber
ſie verlangen nicht das Unmögliche von mir.
Dort die große, hohe Pappel im Garten biegt
[30] der Wind hin und her, und meinen kleinen,
ſtacheligen Cactus hat er geſtern mitten durch-
gebrochen, weil er ſich nicht beugen konnte. So
iſt mein Herz — es mag Euch ſtarr, rauh und
häßlich erſcheinen, aber es kann, ſo hoffe ich,
ſchöne Blumen tragen, die Euch erfreuen. Man
kann mein Herz brechen, aber es niemals zu
ſchwächlichem Nachgeben, zu ſchwankender Ge-
ſinnung überreden — und das ſchwöre ich
Dir, lieber will ich ſterben, als Joſeph's Frau
werden.“


Laut ſchluchzend warf ſie ſich vor die Mutter
nieder und barg das Geſicht in ihren Schooß.
Erſchreckt über ſo viel unerwartete Leidenſchaft-
lichkeit ſchlang die beſorgte Mutter die Arme
um das geliebte Kind und verſuchte auf alle
Weiſe ſie zu beruhigen. Sie verſicherte Jenny,
daß ſie allerdings glaube, der Vater würde gern
eine Verbindung ſeiner Tochter und Joſeph's
ſehen; doch ſei es ihm nie in den Sinn gekom-
[31] men, jemals ihrer Neigung Zwang anzuthun.
Sie ſolle ſelbſt über ihre Zukunft entſcheiden —
ſie wiſſe ja, daß die Eltern keinen andern Wunſch
hätten, als das Glück ihrer Kinder — aber
Alles war vergeblich. Jenny konnte nicht zur
Ruhe kommen, und die Mutter ſah an der Lei-
denſchaftlichkeit, die ſo plötzlich, ſo anſcheinend
grundlos hervorgebrochen war, daß wol ſchon
lange ein ſtilles Feuer in Jenny's Seele geglüht
haben mochte; aber wer dieſes Feuer angefacht,
das wußte ſie nicht zu errathen. Sie konnte
ſich nicht erinnern, daß irgend einer der jungen
Männer, die in ihr Haus eingeführt waren und
Jenny auf jede Weiſe huldigten, einen beſon-
dern Eindruck auf dieſe gemacht hätte. So ſaß
ſie ſinnend da, während die Tochter noch ganz
erhitzt und aufgeregt ſich wieder an den Nähtiſch
geſetzt hatte, und emſiger als ſonſt mit einer
Arbeit beſchäftigt war, die gar nicht ſo großer
Eile bedurfte; doch wurde ſie allmälig ruhiger
[32] dadurch, und hatte ſich äußerlich ſchon ganz ge-
ſammelt, als man Dr. Steinheim meldete.


Einen Augenblick ſchwankte die Mutter, der
in dieſer Stimmung jeder Beſuch unwillkommen
war, ob ſie ihn annehmen ſolle, oder nicht,
entſchied ſich aber für das Erſtere, weil ſie
hoffte, Steinheim's Lebhaftigkeit werde Jenny
auf angenehme Weiſe zerſtreuen. So trat
nach wenig Minuten ein junger Mann in das
Zimmer, der von beiden Damen wie ein alter
Bekannter behandelt wurde, und ſich nach kur-
zer Begrüßung zu Madame Meier auf das
Sopha ſetzte. Er konnte 27 - 28 Jahre alt
ſein, hatte eine große, kräftige Figur und einen
vollblütigen, rothbraunen Teint. Sein krauſes
ſchwarzes Haar, die dunkeln Augen und der
ſtarke bläuliche Bart konnten ebenſo gut dem
Südländer als dem Juden gehören, und mach-
ten, daß er von vielen Leuten für einen ſchönen
Mann gehalten wurde, während Andere die
[33] kohlſchwarzen Augen ſtarr und unheimlich, die
Schultern hoch, den ſtarken Hals zu kurz und
Hände und Füße ſo groß fanden, daß dieſes
Alles ihm jeden Anſpruch auf Schönheit un-
möglich mache. Er ſelbſt ſchien aber gar nicht
dieſer Meinung zu ſein, das bewies die ſehr
ſtudirte Toilette, der aber bei geſuchter Eleganz
jeder Geſchmack abging. Er trug an jenem
Morgen einen kurzen dunkelgrünen Ueberrock,
zu dem eine ebenfalls grüne Atlasweſte und
mehr noch ein dunkelrother türkiſcher Shawl
ſonderbar abſtach, den er unter der Weſte kreuz-
weiſe über die Bruſt gelegt und mit einer gro-
ßen Brillantnadel zuſammengeſteckt hatte. Hand-
ſchuhe, Stiefel und Friſur waren nach der
modernſten Weiſe gewählt, aber all das ſtand
ihm, als ob er es eben wie eine Verkleidung
angelegt hätte. Es war für den feinen Beob-
achter etwas Unharmoniſches in der ganzen
Erſcheinung, das ſtörend auffallen konnte.


2**
[34]

„Ich bitte tauſendmal um Vergebung“, ſagte
er, „daß ich in dieſem Coſtüm vor Ihnen er-
ſcheine, — aber ich bin ſo durchweg erkältet,
meine Nerven ſind ſo abgeſpannt — und dann
mein Wunſch, Sie zu ſehen, war ſo groß —
und ich dachte, die Damen entſchuldigen mich
wol — es iſt allerdings eine Verwegenheit —
aber ich kann nicht lange prüfen oder wählen
— bedürft Ihr meiner zu beſtimmter That,
dann ruft den Tell! — Es ſoll an mir nicht
fehlen.“


„Mein Gott! Herr Doctor! geht es ſo
bergab mit Ihnen, daß Sie von dem göttlichen
Shakespeare, dem erhabenen Calderon und dem
heiligen Schmerzensſohne unſerer Zeit, dem un-
vergleichlichen Byron, ſchon zu unſerm armen
Schiller zurückkehren müſſen? Sie haben alſo
in den letzten Tagen wol gar zu viele Citate
verbraucht?“ — fragte Jenny ſpottend, „und —


„Jenny!“ rief die Mutter mit mißbilligen-
[35] dem Tone. — Aber Steinheim ließ ſich nicht
ſtören, er ging zu Jenny und ſprach: „ Mit
Ihnen, Herzogin, habe ich des Streits auf
immer mich begeben“, und Sie werden auch
nicht mehr ſtreiten wollen, meine ſchöne kleine
Freundin! wenn ich Ihnen ſage, daß ich als
der Verkünder ſehr intereſſanter Nachrichten
komme. Erſtens iſt Erlau entzückt über den
Vorſchlag Ihrer Frau Mutter, hier am Syl-
veſterabend Tableaux darzuſtellen, zweitens —
nun rathen Sie — hat man heute Herrn Salo-
mon, einen jüdiſchen Kaufmann, zu einem ſtädti-
ſchen Amte erwählt.“


„Das Letztere iſt mir ungemein gleichgiltig“,
rief Jenny, „aber für die erſte Nachricht bin
ich Ihnen ſehr dankbar, und ſie macht mir
großes Vergnügen. Weiß es Eduard ſchon?“ —


„Was denn?“


„Daß der Kaufmann Salomon gewählt
iſt?“ — fragte Jenny.


[36]

„Alſo ſehen Sie, ſehen Sie, es iſt Ihnen
doch nicht ſo gleichgiltig, als Sie behaupten,
und wie könnte es auch. Wen ſollte es nicht
freuen, wenn alte barbariſche Vorurtheile all-
mälig vor der geſunden Vernunft und der Ge-
rechtigkeit weichen müſſen; wenn ein Volk, das
Jahrhunderte hindurch mit Füßen getreten
wurde, endlich allmälig die Rechte erlangt, an
die es dieſelben Anſprüche hat, als die andern
Bürger des Staates, wenn .... à propos!
was iſt geſtern bei Horns vorgefallen, man ließ
ja Eduard noch ſo ſpät holen?“ ſagte Stein-
heim, der oft von dem Hundertſten, wie man
ſagt, auf das Tauſendſte kam. — „Ich höre,
die Clara Horn hat den Fuß gebrochen; Erlau
ſagte es mir, der mich, das fällt mir eben ein,
bei der Giovanolla erwartet! Wie hat ſie Ihnen
geſtern gefallen, die Giovanolla? Sie gehen
doch morgen wieder hin?“ — Das Alles fragte
er ſo durcheinander, daß es nicht möglich war,
[37] irgend eine der Fragen zu beantworten; dann
wandte er ſich, Abſchied nehmend, an Madame
Meier, rieth Jenny nochmals, das Theater nicht
zu verſäumen, und empfahl ſich mit den Wor-
ten: „So ſüß iſt Trennungswehe, ich ſagte wol
Adieu, bis ich den Morgen ſähe.“


Mutter und Tochter ſahen ihm lächelnd
nach.



Die Familie Meier galt bei Allen, die ſie
kannten, für eine der glücklichſten. Der Vater
hatte ein hübſches Vermögen, das er von ſeinen
Eltern ererbt, durch Thätigkeit und kluge Be-
rechnung in einen unermeßlichen Reichthum ver-
wandelt, deſſen er bei großer Bildung auf
würdige Weiſe zu genießen wußte, und von
dem er dem Dürftigen gern und reichlich mit-
theilte. Aus Neigung hatte er ſich früh mit
ſeiner Frau, einem ſchönen und guten Mädchen,
[38] verheirathet, die ihm mit immer gleicher Liebe
zur Seite geſtanden, und ihm zwei Kinder,
Eduard und Jenny, geboren hatte. In ſeiner
Frau, und mit ihr, in dieſen beiden Kindern
hatte Meier Troſt und Erſatz gefunden, wenn
Welt und Menſchen ihren Haß und ihre Un-
duldſamkeit gegen den Juden bewieſen, wenn
man ihn ausgeſchloſſen hatte von Gemeinſchaften,
ihm Rechte verweigerte, die jeder Mann von
Ehre fordern darf. Die Thätigkeit, Wirkſam-
keit und Liebe, denen einer großen Geſammtheit
zu nutzen nicht vergönnt war, wurden lange
Zeit hindurch Eduard's alleiniger Segen, da er
mehr als zehn Jahre älter als Jenny war.


Man wundert ſich oft, daß die Juden noch
immer die Geburt eines Meſſias erwarten und
die göttliche Sendung Jeſu weder anerkennen
noch begreifen. Aber von ihrem Standpunkte
aus muß das ganz natürlich ſcheinen. Wie
ſollten ſie an eine Lehre glauben, deren miß-
[39]
verſtandene Grundſätze ihnen bis auf den heu-
tigen Tag die blutigſten, widerſinnigſten Ver-
folgungen zugezogen? wie an einen Erlöſer, der
ſie bis jetzt nicht von Schmach und Unter-
drückung erlöſet hat? Er muß ihnen wie ein
geiſtiger Eroberer erſcheinen, der ſeinen Unter-
thanen nur dann Frieden und Ruhe gönnt,
wenn ſie ihr tiefſtes Denken und Fühlen, ihren
uralten Glauben den neuen Geſetzen unter-
werfen. Daß dieſe Geſetze weiſe, daß ſie der
Ausfluß höchſter Güte ſind, kommt dabei gar
nicht in Betracht, es genügt vollkommen, Liebe
und Recht zu befehlen, um ihre Ausübung
zur Marter zu machen; und von der Liebe, die
Jeſus der Menſchheit gepredigt, haben die Ju-
den bei den Chriſten ſeit jener Zeit wenig zu
bemerken Gelegenheit gehabt. Sie haben in
der That noch keinen Meſſias gefunden; welch
ein Wunder alſo, wenn ſie ihn um ſo ſehn-
licher erwarten, je mehr ſie der Befreiung und
[40] Erlöſung ſich werth fühlen; wenn jeder Vater
bei der Geburt eines Sohnes freudig hofft, dies
könne der Erlöſer ſeines Volkes werden, und
wenn er den Knaben ſo erziehen möchte, daß
der Mann reif werde für den großen Zweck.


So war auch Eduard's Erziehung in jeder
Beziehung ſorgfältig geleitet worden. Sie ſollte
ihn zu einem Menſchen machen, der in ſich
Erſatz für die Entbehrungen finden könnte,
welche das Leben ihm auferlegen würde, und
ſollte ihn anderſeits fähig machen, alle Verhält-
niſſe zu beſiegen, und ſich wo möglich eine
Stellung zu verſchaffen, die ihn der Entbehrun-
gen überheben und alle Vorurtheile beſiegen
könne. Glücklicherweiſe kamen Eduard's glän-
zende Fähigkeiten dem Wunſche ſeiner El-
tern entgegen. Eine unglaubliche Faſſungsgabe
und Regſamkeit des Geiſtes machten, daß er
die meiſten ſeiner Mitſchüler überflügelte, und
erwarben ihm ebenſo ſehr die Gunſt der Leh-
[41] rer, als eine gewiſſe Herrſchaft über ſeine Ge-
fährten. Von Liebe und Wohlwollen überall
umgeben, ſchien ſein Charakter eine große Of-
fenheit zu gewinnen, und er galt für einen
fröhlichen, ſorgloſen Knaben, bis einſt in der
Schule der Sohn einer gräflichen Familie, mit
dem er ſich knabenhaft in Rieſenplanen für die
Zukunft verlor, bedauernd gegen ihn äußerte:
„Ja, Meier, Dir hilft all Dein Lernen nichts,
Du kannſt ja doch nichts werden, weil Du
nur ein Jude biſt.“


Von dieſer Stunde ab war der Knabe wie
verwandelt; er erkundigte ſich eifrig nach den
Verhältniſſen der Juden, er fühlte ſich gedrückt
und gekränkt, und nur ſein angeborner Stolz
verhinderte ihn, ſich gedemüthigt zu fühlen;
doch entwickelte ſich durch das Nachdenken über
dieſen Gegenſtand bei ihm ſehr früh der Begriff
von jenen Rechten des Menſchen, die Alle in
gleichem Grade geltend zu machen vermögen,
[42] das Bewußtſein innern Werthes und ein Zorn
gegen jede Art von Unterdrückung. Je älter
er wurde, und je mehr er erkennen lernte,
welche Vorzüge ihm ſchon bei ſeiner Geburt
geworden, durch die Ausſicht auf eine glänzende
Unabhängigkeit; je beſtimmter er einſah, zu
welchen Anſprüchen ihn ſeine Fähigkeiten einſt
berechtigen dürften, um ſo mehr empörte ſich
ſein Herz gegen ein Vorurtheil, das alle ſeine
Hoffnungen unerbittlich vernichtete.


In jene Zeit von Eduard's Kindheit fiel
jene neue Judenverfolgung, die in unſern Ta-
gen durch ganz Deutſchland ging, und mit dem
Feldgeſchrei: „Hep! Hep!“ deſſen Abſtammung
wol Niemand begriffen hat, gegen ruhige
Bürger den Krieg begann. Hatte der Jüng-
ling früher in einzelnen Momenten dem Ge-
danken Raum gegeben, ſich von dem Juden-
thume loszuſagen und Chriſt zu werden, ſo
verſchwand der Plan plötzlich bei dem Anblick
[43] der Rohheiten, die täglich ſelbſt von ſogenann-
ten gebildeten Chriſten gegen ſeine Glaubens-
genoſſen ausgeübt wurden. Er konnte ſich
nicht denken, daß das Recht und die Wahrheit ſich
auf einer Seite befänden, die ſo zu handeln im
Stande war, und Verfolgung machte auch ihn,
wie tauſend Andere zu allen Zeiten, nur feſter
ſeinem Volke angehörig. Natürlich wurde die
Stimmung des Volkes auch in der Schule
ſichtbar, die Eduard beſuchte. Spott und Krän-
kungen mancher Art blieben nicht aus; man
hoffte, der feige Judenjunge werde Alles ruhig
dulden. Darin hatte man ſich aber geirrt.
Eduard's Charakter war furchtlos, und er er-
langte durch Uebung bald eine Gewandtheit und
Dreiſtigkeit, die Jeder zu erreichen vermag.
Er lernte fechten, reiten, ſchwimmen, und
nachdem er ſich ein paarmal mit ſtarker Hand
ſelbſt ſein Recht verſchafft hatte, fand er Ruhe,
und endlich auch wieder ſeine frühere überlegene
[44] Stellung zu ſeinen Gefährten wieder. Doch
hatte er ſich in dieſer Lage gewöhnt, ſich in
der Oppoſition zu empfinden, ein Gefühl, das
ihn nie wieder verließ, weil er beſtändig in
Verhältniſſen lebte, die eine Oppoſition drin-
gend hervorriefen.


Da Eduard keine Neigung für den Kauf-
mannsſtand hegte, beſchloſſen ſeine Eltern, ihn
ſtudiren zu laſſen, wobei ihm freilich nur die
Wahl blieb, Mediziner zu werden, oder nach
beendigten Studien in irgend einem andern
Fache als Privatgelehrter zu leben, da ihm
der Eintritt in eine Staatsſtelle ebenſo wie die
Erlangung eines Lehrſtuhles als Jude unmöglich
war. Er entſchied ſich für das Erſtere und verließ
das Vaterhaus, um die Univerſität zu beziehen.


Glücklicherweiſe herrſchte damals auf der
Hochſchule noch jener freie akademiſche Geiſt,
den man jetzt ſo gern verbannen möchte, weil
er nur zu ſehr geeignet iſt, den Mann an die
[45] Kraft glauben zu machen, die in ihm ſelbſt
ruht. Auf Eduard äußerten dieſe neuen Ver-
hältniſſe den vortheilhafteſten Einfluß. Hier
galt er ſelbſt, ſein eigenſtes Weſen, ohne daß
ihn Jemand fragte, wer biſt Du? und was
glaubſt Du? Sein Geiſt, ſeine körperliche Ge-
wandtheit erwarben ihm die Achtung ſeiner
Commilitonen, ſein Fleiß das Wohlwollen der
Lehrer, und die Bereitwilligkeit, mit der ſein
reichlich gefüllter Beutel Allen offen ſtand, die
Sorgloſigkeit und Genußfähigkeit, die er zu
jedem Feſte brachte, machten ihn bald zum
Lieblinge der ganzen Burſchenſchaft, der er ſich
mit jugendlichem Enthuſiasmus angeſchloſſen
hatte. Die Idee der Freiheit und Sittlichkeit,
die jenem Bunde urſprünglich zum Grunde
lag, berührte die zarteſten Seiten ſeiner Seele,
und kam ſeiner ganzen Richtung entgegen. Er
fühlte ſich mächtig als Glied eines ſchönen
Ganzen, das harmoniſch aus den heterogenſten
[46] Elementen zuſammengeſetzt war, frei in einem
Verbande, in dem Alle gleiche Rechte genoſſen.


Unter den ausgezeichnetſten Jünglingen in
der Burſchenſchaft hatten ſich viele an ihn an-
geſchloſſen, deren Freundſchaft ihm werth war,
vor Allen Reinhard, deſſen Liebe er auf das
Innigſte erwiderte. Dieſer war der Sohn
einer armen Predigerwittwe, die einer reichen
und vornehmen Familie angehörte. Von ſeinen
Verwandten unterſtützt, hatte er die Schule
beſucht und kaum die Univerſität bezogen, als
er erklärte, nun weiter keines Beiſtandes zu
bedürfen, da er in ſich die Kraft fühle, für
ſeine Exiſtenz ſelbſt zu ſorgen und hoffentlich
auch ſeine Mutter ernähren zu können. Es
hatte ihn ſeit Jahren ſchmerzlich gedrückt, von
Andern abhängig zu ſein, es hatte ihn ge-
demüthigt bis in das tiefſte Herz, ſeine Mutter
von den Wohlthaten einer adelſtolzen Familie
leben zu ſehen, welche ihr niemals die Heirath
[47] mit einem armen bürgerlichen Candidaten ver-
geben wollte. Abhängigkeit irgend einer Art
ſchien ihm die größte Schmach, weil ſie ihm
Kränkungen zugezogen, die er nie vergeſſen
konnte, und nur zu leicht mußten er und
Eduard ſich verſtändigen, da Beide, wenn auch
aus ganz verſchiedenen Gründen, ſich in ihren
edelſten Gefühlen gekränkt, in mancher Rück-
ſicht von der Allgemeinheit ausgeſchloſſen em-
pfunden hatten.


Wenn Reinhard den halben Tag mit Unter-
richten und dergleichen unerfreulichen Erwerbs-
mitteln zugebracht hatte, und mit unerſchütter-
lichem Eifer ſeinen theologiſchen Studien nach-
gekommen war, erquickte ihn Abends der Froh-
ſinn, der Geiſt und der Reichthum an Hoff-
nungen, mit dem Meier in die Zukunft ſah.
Im Anfang ihrer Bekanntſchaft waren ihre
religiöſen Ueberzeugungen oft zwiſchen ihnen zur
Sprache gekommen, und ein Gegenſtand leb-
[48] hafter Erörterungen geworden. Meier konnte
es nicht begreifen, wie man an die Menſch-
werdung des Sohnes Gottes, an die Dreieinig-
keit, an die wirkliche Anweſenheit Chriſti im
Abendmahl zu glauben vermöge — ein Glaube,
den Reinhard mit tiefer Ueberzeugung heilig
hielt, und den zu lehren und zu predigen ſein
ſehnlichſter Wunſch war. Er gehörte zu jenen
poetiſchen Naturen, die ſich Alles, was ſie er-
greifen, zu einer Religion geſtalten, und bei
denen der Glaube an die Wunder ein wahr-
haftes Bedürfniß iſt. Später aber war
davon niemals die Rede, ſie fühlten, daß der
verſchiedene Glaube Beide zu demſelben Ziele
leite, und ein äußeres Ereigniß kam dazu, ſie
noch feſter zu verbinden.


Es war gegen die Zeit ihres Abganges von
der Univerſität, als die Regierung es für nöthig
fand, eine Unterſuchung gegen die Burſchen-
ſchaft einzuleiten. Meier und Reinhard wur-
[49]
den nebſt vielen Andern verhaftet, längere Zeit
mit Verhören und Unterſuchungen geplagt und
erſt nach einem halben Jahre freigeſprochen.
Meier hatte dieſe Zeit gezwungener Zurück-
gezogenheit benutzt, ſich für ſein Doctorexamen
vorzubereiten, das er in den erſten Tagen der
wiedererlangten Freiheit machte, worauf er in
ſeine Vaterſtadt zurückkehrte, um dort ſeine
Carriere zu beginnen. Zwar blieb er, wie es
zu geſchehen pflegte, noch immer unter der ſorg-
ſamen Aufſicht der höhern Polizei, aber das
hinderte ihn nicht in der Ausübung ſeiner me-
diziniſchen Praxis, die er gleich mit dem glück-
lichſten Erfolge begann. Anfänglich waren
es, wie gewöhnlich, nur die Armen, die ſeiner
Hulfe begehrten, und ſie bei ihm fanden, doch
bald verbreitete ſich das Gerücht von einigen
glücklichen Kuren, von ſeiner Uneigennützigkeit
und Menſchenliebe: ſeine Praxis fing an, ſich
auch in den höhern Ständen auszudehnen, und
I. 3
[50] ſein Loos würde ein beneidenswerthes geweſen
ſein, wenn nicht aufs Neue die alten Vor-
urtheile gegen ihn geltend gemacht worden
wären.


Meier's ſehnlichſter Wunſch ging nämlich
dahin, Vorſteher irgend einer bedeutenden kli-
niſchen Anſtalt zu werden, um lehrend zu ler-
nen und zu nützen. Auf eine ſolche Stelle an
irgend einer Univerſität Deutſchlands konnte er
niemals rechnen; ſo wurde es ihm wünſchens-
werth, wenigſtens die Leitung irgend einer
Krankenanſtalt zu erhalten, und als durch den
Tod eines alten Arztes die Directorſtelle eines
Stadtlazareths frei wurde, zögerte er nicht,
ſich darum zu bewerben, beſonders da er eine
günſtige Meinung im Publicum für ſich hatte.
Die Vorſtellungen der Armenvorſteher und
mancher andern Leute vermochten die betref-
fende Behörde, den jungen geachteten Arzt,
deſſen Kenntniſſe ihn ebenſo ſehr zu dieſer
[51] Stelle empfahlen, als ſeine ſtrenge Rechtlichkeit
und ſeine reinen Sitten, zum Director zu
wählen und bei der Regierung um ſeine Be-
ſtätigung einzukommen. Meier war auf dem
Gipfel des Glückes und in der Freude ſeines
Herzens hatte er ſich, nachdem er gewählt wor-
den war, anheiſchig gemacht, auf das bedeu-
tende Gehalt zu verzichten und es der Lazareth-
kaſſe zufließen zu laſſen, der es nöthiger ſei als
ihm. Einige Wochen waren in frohen Erwar-
tungen hingeſchwunden, er hatte die Glück-
wünſche ſeiner Freunde empfangen und dachte
bereits daran, ſeine Wohnung im elterlichen
Hauſe mit der neuen Amtswohnung zu ver-
tauſchen, als der Beſcheid der Regierung an-
langte, welcher ſtatt der erwarteten Beſtätigung
die Aufforderung enthielt, Meier möge zum
Chriſtenthume übertreten, da es ganz gegen die
Anſichten der Regierung ſei, einem Juden ir-
gend eine Stelle anzuvertrauen. Vergebens
3*
[52] waren ſeine Vorſtellungen, wie der Glaube bei
einer ſolchen Anſtellung gar kein Hinderniß
ſein könne, wie dieſe Zurückweiſung in den Ge-
ſetzen des Staates nirgends begründet ſei — die
Regierung blieb bei ihrem Beſchluſſe, man
nannte Meier einen unruhigen Kopf; ſeine
Neider, an denen es dem Talentvollen, Glück-
lichen nie fehlt, lachten über die jüdiſche Arro-
ganz, die ſich zu Würden dränge, für die ſie
nicht berufen ſei, und vergaßen, daß die Be-
hörden ſelbſt den verſpotteten Gegner durch
ihre Wahl für den Würdigſten erklärt hatten.


Auf das Empfindlichſte gekränkt hatte Meier
ſchon damals ſein Vaterland verlaſſen wollen;
doch die angeborne Liebe zu demſelben und der
Gedanke an ſeine Eltern hielten ihn davon
zurück. Er blieb, und obgleich er das Unrecht,
das ihm geſchehen, niemals vergeſſen oder es
verſchmerzen konnte, das ſchöne Feld für ſeine
Thätigkeit verloren zu haben, mußte ihn die
[53] Anerkennung, die er faſt überall fand, der aus-
gezeichnete Ruf, den er erwarb, ſchadlos halten
für die Zertrümmerung ſeiner ſchönſten Hoff-
nungen.


Bei ſeiner Rückkehr von der Univerſität
hatte er Jenny als ein liebliches Kind von 11
Jahren wiedergefunden, das ſich mit leiden-
ſchaftlicher Innigkeit an ihn hing, und für das
er eine Zärtlichkeit fühlte, die ebenſo viel von
der Liebe eines Vaters als eines Bruders be-
ſaß. Die Eltern hatten die Kleine niemals aus
den Augen verloren, und jeder Wunſch des
nachgebornen Lieblings war mit zärtlicher Zu-
vorkommenheit und Schwäche erfüllt worden,
ehe das Kind ihn noch ausgeſprochen hatte.
Eduard war überraſcht durch den Verſtand und
den ſchlagenden Witz des Kindes, er ſah, daß
ein lebhaftes, leidenſchaftliches Mädchen aus
demſelben werden müſſe, konnte ſich es aber
nicht verbergen, daß die übergroße Liebe ſeiner
[54] Eltern in Jenny eine Herrſchſucht, einen Eigen-
ſinn entſtehen gemacht hatten, dem bis jetzt
keine Schranke geſetzt worden war, als durch
ſeinen Vetter Joſeph, der im Meierſchen Hauſe
lebend, die Kleine mit ſeiner ernſten, rauhen
Art tadelte und zurechtwies. Dafür konnte
Jenny den Couſin ſchon damals nicht leiden,
und klagte dem Bruder unter vielen Thränen,
wie garſtig Joſeph ſei, wie er ihr Alles zum
Trotze thäte, und wie ſie hoffe, in Eduard
einen Beſchützer gegen den böſen Couſin zu
finden.


Der junge Mann begriff bald, daß bei
Jenny mit Strenge nichts auszurichten ſei und
machte ſich in der erſten Zeit ſeiner Anweſenheit
ſelbſt zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie be-
griff ſpielend, ja es ſchien oft, als läge das
Verſtändniß aller Dinge in ihr, und man dürfe
ſie nur daran erinnern, um klar und deutlich
in ihr Kenntniſſe hervorzurufen, die man ihr
[55] erſt mitzutheilen wünſchte. Ebenſo wahr und
offen als Eduard, war ſie dieſem von Tag zu
Tag mehr ans Herz gewachſen, ihre kindliche,
ſich immer glänzender entfaltende Schönheit
entzückte ihn, und obgleich er gegen die Eltern
oft beklagte, daß ſich in Jenny zu viel Stolz
und eine faſt unweibliche Energie zeige, auch
Joſeph zugeſtehen mußte, daß ſich bei ihr die
Eigenſchaften des Geiſtes nur zu früh, die des
Herzens aber ſcheinbar gar nicht entwickelten,
ſo war ſie doch ſein Abgott, als er nach zwei
Jahren den Unterricht derſelben aufgeben mußte,
weil ſeine zunehmende Praxis ihm keine Zeit
dazu übrig ließ.


Eduard drang nun darauf, man möge ſeine
Schweſter einer Privatſchule anvertrauen, die
von den Töchtern der angeſehenſten Familien
beſucht wurde, weil er hoffte, der Umgang und
das Zuſammenleben mit Mädchen ihres Alters
werde bei Jenny die Härten und Ecken, die
[56] ihr Charakter zu bekommen ſchien, am leichteſten
vertilgen. Die Eltern folgten ſeinem Rathe
und die neuen Verhältniſſe machten in vielen
Beziehungen einen günſtigen Eindruck auf Jenny.
Sie gewöhnte ſich, ihrem Witze nicht ſo zügel-
los den Lauf zu laſſen, als in dem elterlichen
Hauſe, wo man ihre beißendſten Einfälle nur
lachend getadelt hatte; ſie lernte es, ſich in den
Willen ihrer Mitſchülerinnen zu fügen, dem
Lehrer zu gehorchen, aber ſie fing auch an, ſich
ihrer Fähigkeiten bewußt zu werden, die ſie in
die erſte Klaſſe gebracht, in der alle Mädchen
um ein paar Jahre älter waren als ſie. Von
einem Umgange, wie Eduard ihn für ſie ge-
hofft, war indeſſen nicht die Rede. Die halb-
erwachſenen Mädchen dieſer erſten Klaſſe konn-
ten ſich größtentheils mit dem bedeutend jün-
gern Kinde weder unterhalten, noch befreunden,
das ihnen obenein von den Lehrern mitunter
vorgezogen wurde. Andere, denen Jenny's leb-
[57] haftes treuherziges Weſen behagte, und die gern
mit ihr zuſammen waren, konnten von ihren
Eltern nicht die Erlaubniß erhalten, die Tochter
einer jüdiſchen Familie einzuladen oder zu be-
ſuchen. Zu dieſen Letztern gehörte Clara Horn.
Ein Jahr älter als Jenny hatte ſie dieſelbe
unter ihre Vormundſchaft genommn, ihr ge-
rathen und geholfen, wenn das verzogene Mäd-
chen ſich in den ſtrengen Schulzwang nicht zu
finden wußte, und dadurch ihr volles Ver-
trauen erworben. Ihr erzählte ſie in den
Zwiſchenſtunden von ihren Eltern, von ihrem
geliebten Eduard, von allen ihren Freuden, und
flößte damit ihrer Beſchützerin eine Vorliebe
für die ganze Meierſche Familie ein. Wenn
nun Clara nach ſolcher Mittheilung ihre kleine
Freundin glücklich pries, und ſie um die Ein-
tracht ihrer Eltern und die Liebe ihres Bru-
ders beneidete, da ſie Beides entbehrte, wenn
Jenny ſie dringend bat, zu ihr zu kommen
3**
[58] und das Alles mit ihr zu genießen, hatte
Clara immer verlegen geantwortet, ſie dürfe
das nicht. Endlich hatte Jenny ſie einmal be-
ſchworen, ihr den Grund zu ſagen, warum ſie
nicht zu ihr kommen könne. Da erklärte Clara
mit Thränen, ſie dürfe nicht, weil Jenny's
Eltern Juden wären und ihre Eltern dieſen
Umgang niemals erlauben würden. Jenny
wurde glühend roth, ſprach aber kein Wort,
und gab nur ſchweigend der weinenden Clara
die Hand. Die nächſten Stunden ſaß ſie ſo
zerſtreut da, daß weder Lehrer noch Mitſchüler
ſie erkannten. Sie dachte über Clara's Worte
nach, und es wurde ihr klar, wie ſie allein
und einſam in der Schule ſei. Es fiel ihr ein,
daß Niemand, auch von den ihr befreundeten
Mädchen ſie einlade, oder ihre Einladungen
annähme, außer bei ſolchen Gelegenheiten, wo
man die ganze Klaſſe einlud, und ſie, ohne es
zu auffallend zu machen, nicht zurücklaſſen
[59]
konnte. Sie erinnerte ſich der ewigen Frage,
bei wem ſie eingeſegnet werden würde, und des
Lächelns, wenn ſie den Namen des jüdiſchen
Predigers nannte. Es ſchien ihr unerträglich,
künftig in dieſem Kreiſe zu leben, und als ſie
nach Hauſe kam, warf ſie ſich weinend den
Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man
möge ſie aus der Schule fortnehmen. Alle
Thränen, die ſie in der Schule ſtandhaft unter-
drückt hatte, brachen nun gewaltſam hervor.
Eduard kam dazu, und bei der Schilderung,
die ſie von ihrer Zurückſetzung und Ausge-
ſchloſſenheit machte, deren ſie ſich jetzt plötzlich
bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und
ihr Bruder nur zu lebhaft, daß ſie auch dies
geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der
Welt zu ſchützen, ihr nicht die Leiden zu er-
ſparen vermochten, die ſie ſelbſt empfunden
hatten und nun wieder mit ihr empfanden.


[60]

Jenny länger in der Anſtalt zu laſſen, fiel
Niemand ein, weil man das bei ihrem Cha-
rakter faſt für unthunlich hielt und mit Recht
fürchtete, daß ihre Fehler, die man zu bekäm-
pfen wünſchte, dort unter dieſen Verhältniſſen
nur wachſen könnten. Man gab alſo den Be-
ſuch der Schule auf und Jenny ſollte wieder
zu Hauſe unterrichtet werden, wobei man aber
die Aenderung machte, daß man ihr Thereſe
Walter, die Tochter einer armen Beamten-
wittwe, zur Gefährtin gab, die in der Nach-
barſchaft wohnte und mit der ſie von früh auf
bekannt geweſen. Bis dahin war dieſe Thereſe
unſerer Jenny ſehr gleichgiltig geweſen. Jetzt,
getrennt von der Schule, in welcher Umgang
mit Mädchen ihr zum Bedürfniß geworden,
mußte Thereſe ihr Erſatz für dieſe Entbehrung,
ja ihr einziger Troſt werden. Es bildete ſich
dadurch allmälig eine Freundſchaft zwiſchen den
beiden Mädchen, die ſich ſonſt wohl niemals
[61] beſonders nahe getreten wären, da Thereſens
mittelmäßige Anlagen, ihr ruhiges, demüthiges
und weiblich liebenswürdiges Weſen zu Jenny's
ganzer Art durchaus nicht paßte und ſie der-
ſelben unterordnete, was aber gewiß dazu bei-
trug, das Verhältniß zu befeſtigen.


Als es nun nöthig wurde, einen Lehrer
für die beiden, jetzt faſt 15jährigen Mädchen zu
wählen, ſchlug Eduard vor, Reinhard dazu zu
wählen, der in ſehr beſchränkten Verhältniſſen
noch immer in jener Univerſitätsſtadt lebte.
Seine Bemühungen, nach gemachtem Examen
eine Pfarre zu bekommen, waren an dem Ein-
wande geſcheitert, den man gegen ihn wegen
ſeiner burſchenſchaftlichen Verbindungen machte.
Ein paar Jahre war er Hauslehrer geweſen,
hatte das Engagement aber aufgegeben, weil
ſein Gehalt zwar für ſeine Bedürfniſſe hin-
reichte, jedoch nicht groß genug war, ſeiner
Mutter die Unterſtützung zu gewähren, deren
[62] ſie bedurfte. Seitdem war er raſtlos bemiht
geweſen, durch Stundengeben und literariſche
Thätigkeit für ſich und ſeine Mutter zu ſorgen.
Von Eduard irgend welchen Beiſtand anzu-
nehmen, war er nie zu bewegen, und mit der
größten Vorſicht mußte jener ihm den Vor-
ſchlag machen, nach deſſen Vaterſtadt zu kom-
men und den Unterricht der beiden Mädchen
unter den vortheilhaften Bedingungen, die der
Banquier Meier ihm ſtellte, zu übernehmen.


Eduard's Plan gelang. Er ſah ſeinen
Reinhard nach mehrjähriger Abweſenheit wieder,
und fand in ihm mit großer Freude den alten
treuen Freund, den er verlaſſen hatte; doch
war er im Denken und Fühlen auf manche
Weiſe verändert. Ein düſterer Ernſt hatte ſich
ſeiner bemächtigt. Armuth hatte ihn ſtolz,
mißtrauiſch und reizbar gemacht, und dadurch
gewiſſermaßen die hohe Reinheit ſeines Cha-
rakters befleckt. Im höchſten Grade ſtreng
[63] gegen ſich ſelbſt, wahr gegen ſeine Freunde,
glühte er dennoch ganz wie früher für Recht,
Freiheit und Ehre, und hing mit dem alten
ſchwärmeriſchen Glauben dem Chriſtenthume an,
das ihm der Urquell der Wahrheit und Liebe
war. Der günſtige Erfolg, den ſein Unterricht
im Meierſchen Hauſe hatte, verſchaffte ihm bald
ſo viel Stunden, daß er den Aufforderungen,
die in dieſer Beziehung an ihn gemacht wur-
den, kaum genügen konnte, während ſie ihm
eine ſorgenfreie Exiſtenz bereiteten, da der
Unterricht in der reichen Handelsſtadt ganz
anders als in dem kleinen Univerſitätsſtädtchen
bezahlt wurde. Er konnte ſeine Mutter zu ſich
nehmen, mit der er ſeine kleine freundliche
Wohnung theilte, und die bald in vielen Fa-
milien, beſonders aber im Meierſchen Hauſe
ebenſo geachtet und geliebt wurde, als Rein-
hard ſelbſt. — Sein Verhältniß zu Eduard
blieb unverändert, und er wurde dieſem noch
[64] mehr ergeben, da er ihm die glückliche Aende-
rung ſeiner Lage zuſchreiben mußte.


Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigen-
thümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard
ihn ſo hoch hielt, hatte ſie im Voraus die
günſtigſte Meinung für ihn gefaßt, und als
nun Reinhard in ihrem elterlichen Hauſe vor-
geſtellt wurde, imponirte ihr ſein Aeußeres und
ſein ganzes Weſen auf ungewohnte Weiſe.
Weit über die gewöhnliche Größe, ſchlank und
doch ſehr kräftig gebaut, hatte er eine jener
Geſtalten, unter denen man ſich die Ritter
der deutſchen Vorzeit zu denken pflegte. Hell-
braunes, ſehr weiches Haar, und große blaue
Augen, bei geraden regelmäßigen Zügen, mach-
ten das Bild des Deutſchen vollkommen, und
ein Ausdruck von melancholiſchem Nachdenken
gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schön-
heit. Er bewegte ſich ungezwungen, ſprach mit
einer ruhigen Würde, für die er faſt zu jung
[65] ſchien, doch ließ ſich eine große Abgeſchloſſen-
heit, eine ſichtbare Zurückgezogenheit nicht ver-
kennen, die er ſelbſt der Freundlichkeit entgegen-
ſetzte, mit der man ihn im Meierſchen Hauſe
empfing. Thereſe und Jenny, welche man ihm
als ſeine künftigen Schülerinnen vorſtellte, be-
handelte er mit einer Art Herablaſſung, die
Thereſe nicht bemerkte, von der aber Jenny be-
reits durch die Huldigungen Steinheim's und
Erlau's verwöhnt, ſich ſo verletzt fühlte, daß
ſie ganz gegen ihre ſonſtige Weiſe ſich ſcheu
zurückzog und weder durch Reinhard's Fragen,
noch durch Eduard's und der Eltern Zureden in
das Geſpräch und aus ihrer Befangenheit ge-
bracht werden konnte.


Nach einigen Tagen begann der Unterricht
und beide Theile waren ſehr mit einander zu-
frieden. Reinhard fühlte ſich durch die ur-
ſprüngliche Friſche in Jenny's Geiſt auf das
Angenehmſte überraſcht, und die ruhige ſtille
[66] Aufmerkſamkeit Thereſens machte ihm Freude.
Was jene plötzlich und ſchnell erfaßte, mußte
dieſe ſich erſt ſorgſam zurechtlegen und klar
machen, dann aber blieb es ihr ein liebes mühſam
erworbenes Gut, deſſen ſie ſich innig freute,
während Jenny des neuen Beſitzes nicht mehr
achtete, wenn er ihr Eigenthum geworden, und
immer eifriger nach neuen Kenntniſſen ſtrebte.
Dieſe unruhige Eile machte, daß ſie ſich ihres
geiſtigen Reichthums kaum bewußt wurde und
ſich und Andere damit in Verwunderung ſetzte,
wenn ſie gelegentlich veranlaßt wurde, ihn gel-
tend zu machen.


Für Reinhard war der Unterricht doppelt
anziehend. Er hatte wenig in Geſellſchaften
gelebt, wenig mit Frauen verkehrt und ihr
eigenthümliches Gemüthsleben, die ganze innere
Welt deſſelben, war ihm fremd. Mit erhöhter
Begeiſterung las er die deutſchen Klaſſiker mit
den Mädchen, wenn er Jenny, hingeriſſen
[67] durch die Schönheit der Dichtung, erbleichen
und ihr Auge in Thränen ſchwimmen ſah. So
hatte er ihnen einſt das erhabene Geſpräch zwi-
ſchen Fauſt und Gretchen vorgetragen, das mit
den Worten beginnt: „Verſprich mir, Hein-
rich!“ und das ſchönſte Glaubensbekenntniß
eines hohen Geiſtes enthält. Reinhard ſelbſt
war lebhaft ergriffen, und als Jenny bei den
Verſen: „Ich habe keinen Namen dafür! Ge-
fühl iſt Alles. Name iſt Schall und Rauch,
umnebelnd Himmelsgluth!“ weinend vor
Wonne dem Lehrer beide Hände wie dankend
entgegenhielt, hatte er ſie ſchnell und warm in
die ſeinen geſchloſſen, obgleich er es einen Augen-
blick ſpäter ſchon bereuete. In Folge dieſer
Stunde und eines dadurch entſpringenden Ge-
ſprächs war Reinhard zu der Erkenntniß ge-
kommen, daß Jenny, obgleich tief durchdrungen
von dem Gefühl für Schönheit und Recht und
von dem zarteſten Gewiſſen, dennoch in ſeinem
[68] Sinne aller religiöſen Begriffe entbehrte. Ihre
Familie hatte ſich von den jüdiſchen Ritual-
geſetzen losgeſagt; Jenny hatte daher von frü-
heſter Kindheit an ſich gewöhnt, ebenſo die
Dogmen des Juden- als des Chriſtenthums
bezweifeln und verwerfen zu ſehen, und es war
ihr nie eingefallen, daß es Naturen geben
könne, denen der Glaube an eine poſitive ge-
offenbarte Religion Stütze und Bedürfniß ſei.
Ja, ſie hatte ihn, wo ihr derſelbe erſchienen
war, mitleidig wie eine geiſtige Schwäche be-
trachtet. Um ſo mehr mußte es ſie befremden,
daß Reinhard, vor deſſen Geiſt und Charakter
ihr Bruder ſo viel Verehrung hatte, daß ihr
Lehrer, der ihr ſehr werth und intereſſant ge-
worden, einen Glauben für den Mittelpunkt
der Bildung hielt, den ſie wie ein leeres Mär-
chen, eine verhüllende Allegorie zu betrachten
gelernt hatte. Reinhard behauptete geradezu,
daß ein weibliches Gemüth ohne feſtes Halten
[69]
an Religion weder glücklich zu ſein, noch glück-
lich zu machen vermöge. Abſichtlich führte er
deshalb die Unterhaltung mit ſeinen Schülerin-
nen häufig auf chriſtlich-religiöſe Gegenſtände,
ſodaß in ſeinem Unterricht Religion und Poeſie
Hand in Hand gingen, wodurch den Lehren
des Chriſtenthums ein leichter und triumphiren-
der Einzug in Jenny's Seele bereitet wurde.
Ihr und Reinhard unbewußt war aber mit dem
neuen Glauben nur zu bald eine leidenſchaftliche
Liebe für den Lehrer deſſelben in ihrem Herzen
entſtanden, für den begeiſterten jungen Mann,
der ihr der Apoſtel alles Wahren und Schönen
geworden. Aus Liebe zu ihm zwang ſie ſich,
die Zweifel zu unterdrücken, die immer wieder
in ihrem Geiſte gegen poſitive Religionen auf-
ſtiegen, und ſich nur an die Moral und Poeſie
zu halten, die uns ſo wunderrein und wahr in
dem Chriſtenthum geboten werden. Reinhard
hatte keinen Augenblick daran gedacht, ſeinem
[70] Glauben eine Proſelytin zu gewinnen, dieſe
Schwäche lag ihm fern, und er ließ jeden
Glauben gelten, weil er Geltung für den ſeinen
verlangte. Nur einem dringenden Mangel in
dem Herzen ſeiner Schülerin hatte er abhelfen
wollen; er war überzeugt, daß der Glaube in
Jenny den geiſtigen Hochmuth zerſtören, ihr
Weſen milder machen müſſe, und war ſehr er-
freut, wirklich dieſe Reſultate zu erblicken, ohne
zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er
für das Werk der Religion gehalten, eine Folge
ihrer Liebe zu ihm ſei. Jenny fühlte das Be-
dürfniß, an einen Gott zu glauben, der das
Gute jenſeits lohne, weil ihr kein Erdenglück
für Reinhard ansreichend ſchien; ſie wurde de-
müthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott,
ſondern vor dem Geliebten, und der Gedanke,
ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder
durch den Tod aufhören, machte ſie ſo un-
glücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unſterb-
[71] lichkeit und ein ewiges Leben wie der einzige
Troſt dagegen erſcheinen mußte.


Den Eltern und Eduard blieb die vortheil-
hafte Veränderung in Jenny's Weſen nicht
verborgen, und wenn Eduard, was häufig ge-
ſchah, mit Reinhard über die Schweſter ſprach,
ſo verfehlte er nicht, es dankend anzuerkennen,
wie wohltuend Reinhard's Unterricht und na-
mentlich die religiöſe Richtung, die er ihr gebe,
auf dieſelbe wirke. Nur Joſeph ſchien der Mei-
nung nicht zu ſein. „Er wird eine ſchlechte
Chriſtin aus ihr machen“, äußerte er gelegent-
lich, verweigerte es aber, ſich näher darüber zu
erklären, weil er ein Geheimniß nicht verrathen
wollte, das ihm ſeine ſorgſam wachende Liebe
allein entdeckt hatte.


So war Jenny in das ſechzehnte Jahr ge-
treten. Ihr Aeußeres hatte ſich zu ſeltener
Schönheit entwickelt, ihre Liebe zu Reinhard
war von Tag zu Tag gewachſen, und es konnte
[72] nicht fehlen, daß ihre ganze Perſönlichkeit, ver-
bunden mit der tiefen, faſt anbetenden Hin-
gebung, die ſie dem jungen Lehrer in den
Stunden bewies, einen Eindruck auf ihn ma-
chen mußten, gegen den er vergebens mit allen
Waffen der Vernunft kämpfte. Welche Hoff-
nungen konnte er für die Neigung hegen, die
er für Jenny zu fühlen begann? Selbſt wenn
die Eltern in eine Heirath willigten, würde
er es wagen, das reiche, verwöhnte Mädchen
in ſein armes Haus zu führen? — So eigen-
ſüchtig durfte er nicht ſein, und von den Unter-
ſtützungen ihres Vaters zu leben, zu wiſſen,
daß ſeine Frau ihre behaglichen Verhältniſſe
nicht ihm allein verdanke, der Gedanke ſchien
ihm, nach den Erfahrungen ſeiner Jugend, faſt
unerträglich, ſo herzlich er Jenny's Vater auch
achtete. — Nach jeder Stunde nahm er ſich
vor, den Unterricht unter irgend einem Vor-
wande zu beendigen, um eine Liebe nicht tiefer
[73] in ſich Wurzel faſſen zu laſſen, die kein Erfolg
krönen konnte, und die einmal aufgegangen,
blitzesſchnell und allmächtig emporwuchs. Auf
Gegenliebe zu hoffen hatte er nicht gewagt,
weil Jenny, aus Furcht ſich zu verrathen, ſo-
bald der Unterricht vorüber, und ihre Familie
oder Fremde zugegen waren, plötzlich aus gänz-
licher Hingebung in eine fremdthuende Kälte
überging, und anſcheinend für jeden Andern
mehr Intereſſe zeigte, als für Reinhard. Dieſer
blieb dann an Thereſens Seite und ſtrebte in
ruhigem Geſpräch mit ihr, ſeine qualvolle Auf-
regung zu verbergen.


Beſonders war es Erlau, welcher Reinhard's
Eiferſucht rege machte. Dieſer bewunderte mit
ächtem Künſtlerenthuſiasmus die aufblühende
Schönheit des Mädchens, und ſeine frohe, kecke
Laune half Jenny oft über ihre Befangenheit
und Verwirrung fort. Es that ihr wohl, wenn
Erlau ſie ganz begeiſtert lobte; ſie freute ſich,
I. 4
[74] wenn Reinhard es hörte, deſſen ſcheinbare
Gleichgültigkeit ſie unglücklich machte, und
während ſie eiferſüchtig auf Thereſe ſich von
dieſer und Reinhard fern hielt, ſuchte ſie Erlau
gefliſſentlich auf, der ſich ohnehin gern in ihrer
Nähe befand.


In ſolchen Stimmungen ließ ſie ſich von
Steinheim bisweilen zu lebhaften Unterhal-
tungen hinreißen, in denen der Witz die Haupt-
rolle ſpielte, und die oft in eine Art von Nek-
kereien und Scherzen übergingen, an denen
Reinhard, ſeiner ganzen Natur nach, keinen
Antheil zu nehmen vermochte. Jenny wußte
das wohl, aber ſie vermochte nicht, dem Ge-
liebten die unangenehme Empfindung zu er-
ſparen. Je theilnahmloſer und ferner er ſich
davon hielt, jemehr überzeugte ſich Jenny, daß
ſie ihm ganz gleichgültig ſei, und um ſo we-
niger ſollte er eine Ahnung von ihrer Liebe er-
halten. Nur vor Reinhard's Mutter löſte ſich
[75] die Stimmung des jungen Mädchens zu ſeltener
Weichheit auf.


So oft die Pfarrerin das Meierſche Haus
beſuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze
übrige Geſellſchaft, um ſich ausſchließend der
milden Frau zu weihen. Jedes Wort, das
dieſe ſprach, war ihr werth; ſtundenlang
konnte ſie ruhig und entzückt ihr zuhören, wenn
ſie von der Kindheit ihres Guſtav erzählte, von
den unzähligen Opfern, denen der Jüngling ſich
für ſie unterzogen, von der immer gleichen Liebe,
die der Mann ihr darbringe, und wie ſie nichts
ſehnlicher wünſche, als den geliebten Sohn bald
in Verhältniſſen zu ſehen, die es ihm möglich
machten, an der Seite einer theuern Frau das
Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren
müſſe.


Jede ſolche Erzählung diente nur dazu,
Jenny's Liebe lebhafter anzufachen; und je deut-
licher das Bewußtſein derſelben in ihr wurde,
4*
[76] je beſtimmter der Wunſch in ihr hervortrat,
Reinhard anzugehören, um ſo unerträglicher
mußten ihr die Bewerbungen Joſeph's ſcheinen,
die von den Wünſchen ihrer Eltern unterſtützt
wurden.


Nach dieſer Auseinanderſetzung kann die Un-
terredung zwiſchen Madame Meier und Jenny,
welche wir vorhin berichtet, und die durch
Steinheim's Beſuch beendet wurde, nicht mehr
befremdlich ſcheinen, und wir können nun den
Gang der Ereigniſſe ungeſtört weiter fortſetzen.



An einem der nächſten Abende ſaßen Ma-
dame Meier, die Pfarrerin und Jenny in der
Loge, welche Meiers für immer gemiethet hat-
ten, um den Figaro zu hören, in dem die Gio-
vanolla heute zum erſten Male als Suſanne
auftrat. Der erſte Act war vorüber, als Eduard
[77] mit Joſeph und Hughes in der Loge erſchien,
um den Letztern ſeiner Familie vorzuſtellen,
wie er von Eduard verlangt hatte. Nach den
erſten Worten flüchtiger Begrüßung fing man
von der Oper, der heutigen Aufführung, von
der Sängerin, und endlich von dem Libretto
des Figaro, und von Muſik im Allgemeinen zu
ſprechen an. Eduard tadelte das abwechſelnde
Sprechen und Singen in den Opern. „Es
muß Alles geſungen werden“, ſagte er, „wenn
es nicht einen ſonderbaren Effect machen ſoll,
daß Jemand im Momente höchſter Aufregung
ſich plötzlich in der Rede unterbricht, ruhig ein
paar Minuten wartet, bis die Einleitungstacte
vorüber ſind, und dann in demſelben Affecte
zu ſingen anfängt.“ —


„Du haſt recht“, fiel Joſeph ein, „erſt lehre
aber unſere Sänger ſo deutlich ſingen, daß man
ſie verſtehen kann; denn in hundert Fällen ſind
es die eingeſchalteten Reden allein, aus denen
[78] man einigermaßen entnimmt, warum die Leute
auf der Bühne eigentlich agiren.“


„Dabei werden dieſe Zwiſchengeſpräche auch
ſo unverzeihlich leicht behandelt, daß man ſie
nur mit Widerwillen hört“, fügte Hughes hinzu.
„Ich muß dabei an einen der erſten Tenoriſten
Deutſchlands denken, den ich einſt in einer Re-
ſidenz Ihres Vaterlandes hörte, und der, als
er den Fra Diavolo in ganz erträglichem Deutſch
geſungen hatte, beim Sprechen in ein ſo reines
Schwäbiſch verfiel, daß es den poſſenhafteſten
Eindruck machte.“


„Mich dünkt“, wandte die Pfarrerin ein,
„als ſei in der That bei der Muſik das Wort
die Nebenſache, da Inſtrumentalmuſik und na-
mentlich die Töne der Orgel denſelben Eindruck
auf das Gefühl zu machen vermögen, als der
Geſang.“ —


„Das möchte ich nicht behaupten“, meinte
Joſeph, „mich ennuyirt jedes Inſtrumental-
[79]
concert, und zu einer Kirchenmuſik zu gehen,
würde mich keine Macht der Welt bewegen.“


„Weil Du kein Gefühl haſt“, rief Jenny
aus, immer bereit, die Anſicht der Pfarrerin
zu theilen, und Joſeph zu widerſprechen, „weil
Du ein kalter Verſtandesmenſch biſt, und gar
nicht die Gefühle und die Wonne anderer Leute
kennſt.“ —


„Deine Gefühle und Deine Wonne, mein
Kind, kenne ich vielleicht beſſer, als Du ſelbſt!“
warf Joſeph neckend hin, aber mit einem Blick
und einem Tone, der nur für Jenny verſtänd-
lich, dieſe in dunkler Röthe erglühen ließ.


Einen Augenblick ſchwieg ſie beſtürzt, nahm
ſich aber zuſammen, und ſagte zu Hughes:
„Glauben Sie nicht auch, daß die Muſik der
Worte entbehren könne?“


„Inſofern beſtimmt, als man gewiß ſang,
ehe man daran dachte, den Geſang mit der
Sprache zu verbinden. Mir ſcheint es aber,
[80] als ob Muſik und Dichtung ſo nahe zu ein-
ander gehören, daß man kaum ſagen darf, die
Dichtung könne der Muſik, oder dieſe der Dich-
tung entbehren. So vollkommen jede Kunſt
für ſich allein zu beſtehen und zu entzücken
vermag, ſo gibt es doch gar viele Fälle, in de-
nen erſt beide zuſammen ſich ergänzend, zu
dem vollendeten Ganzen werden, das uns be-
geiſtert.“ —


„Ich will doch lieber den Taſſo ohne Muſik
hören, als den Figaro ohne Worte“, lachte
Joſeph.


„Was das nur wieder für ein Streit iſt“,
ſagte Eduard, der bis dahin mit ſeiner Mutter
geſprochen und an der Unterhaltung nicht Theil
genommen hatte. „Wie oft haſt Du, Joſeph,
mit großem Vergnügen der Aufführung der
Ouvertüre gerade des Figaro zwei — dreimal
hintereinander zugehört. Merken Sie es ſich
aber, lieber Hughes! daß meine Schweſter und
[81] mein Couſin es ſich zur heiligen Lebensregel
gemacht haben, ſich in Allem auf das Entſchie-
dendſte zu widerſprechen.“


„Jenny fürchtet, wir könnten ſonſt Mangel
an Unterhaltung haben, und der Stoff würde
ihr ausgehen“, unterbrach ihn Joſeph, „übrigens
bin ich in der That nicht ſehr empfänglich für
Muſik, obgleich ich ſie recht gern habe.“


„Du brauchſt Dich deſſen nicht zu rühmen“,
flüſterte Jenny dem Couſin ins Ohr, als in
dem Augenblick die Introduction zum zweiten
Acte begann. „Who is not moved with ra-
pture on sweet sounds, is fit for treason, stra-
tagem and spoil, let him not betrusted.“


„Schön Dank, Jenny!“ — mit den Wor-
ten verließ Joſeph die Loge, während die Uebri-
gen leiſe die Stühle zurecht rückten, um von
dem Geſange der Sängerin nichts zu ver-
lieren, die mit glockenreinem Tone das „heilige
Quelle meiner Triebe“ intonirte. Jenny bog
4**
[82] ſich einen Moment über die Brüſtung der Loge
hinaus, um ſich nach ihren Bekannten umzu-
ſehen, und ihr erſter Blick fiel auf Reinhard,
deſſen Augen ſehnſüchtig an ihr hingen.


Seit der letzten Stunde, ſeit einigen Tagen
hatte ſie ihn nicht geſehen, der es ſchwer genug
über ſich gewonnen hatte, ſie zu vermeiden.
Sie mußte wenigſtens von ihm hören, von ihm
ſprechen, darum hatte ſeine Mutter die Ein-
ladung zum Theater erhalten. Als Madame
Meier und Jenny vor der Thüre der Pfarrerin
vorfuhren, hatte Jenny das Herz vor Freude
bei dem Gedanken gebebt, nun werde Rein-
hard, wie er pflegte, die Mutter hinunter ge-
leiten, — aber er kam nicht. Nur das Dienſt-
mädchen leuchtete vor, und der Meierſche Die-
ner half der Matrone in den Wagen. Auf
die Frage von Madame Meier, ob Herr
Reinhard heute das Theater nicht auch beſuche,
hatte ſeine Mutter erwidert, ihr Sohn ſei
[83] von dringenden Arbeiten ſo ſehr in Anſpruch
genommen, daß er durchaus zu Hauſe bleiben
müſſe, und ihre Bitte, ſich heute einmal Ruhe
zu gönnen und den Figaro zu hören, entſchieden
abgelehnt hatte.


Damit war Jenny jede Hoffnung für den
heutigen Abend genommen; ſie hatte ſich ſchwer
genug in den Gedanken gefunden, und konnte
nur kaum einen Schrei freudiger Ueberraſchung
zurückhalten, als ſie den Geliebten plötzlich vor
ſich ſah, als das Bewußtſein in ihr auftauchte,
nur ihretwegen könne er gekommen ſein, der ſo
unverwandt zu ihr emporblickte.


Und ſo war es in der That. Er hatte zu
arbeiten verſucht, aber das Bild der Geliebten
war zwiſchen ihn und die Arbeit getreten. Er
ſah ſie, in glänzender Toilette, die ſie liebte, in
der ſie ſo wunderhübſch war. Er ſah, wie das
bleiche, feine Köpfchen, von langen dunkeln
Locken beſchattet, alle Blicke auf ſich zog. —
[84] Es litt ihn nicht am Schreibtiſche. Unruhig
ſchritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß
Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, und
Steinheim gewiß im Theater wären, daß Erlau
vermuthlich jetzt in der Meierſchen Loge neben
Jenny ſei. Was die Liebe allein nicht ver-
mocht hatte, das errang die Eiferſucht: er griff
raſch nach Hut und Mantel, und war eine
Viertelſtunde ſpäter im Theater.


Erleichtert athmete er auf, als er ſie allein
ſah. Heute, nachdem er ſie zwei Tage nicht
geſehen, in denen er unaufhörlich an ſie ge-
dacht und die heißeſte Sehnſucht empfunden
hatte, heute ſchien ſie ihm ſchöner und begeh-
renswerther, als je! Aber Alles lag trennend
zwiſchen ihm und ihr: — Religion und Ver-
hältniſſe, und vor Allem ihre Kälte. Ja!
wenn er ihr mehr als ein geehrter Lehrer
wäre, wenn ſie ein anderes Intereſſe für ihn
hätte, wenn ſie ihn liebte! Mit dieſen Ge-
[85] danken hingen ſeine Augen an ihr, als ihr
Blick ihn traf, und das ſelige Entzücken in ih-
ren Zügen, die glühende Röthe, die ihr Geſicht
urplötzlich überflog, gaben ihm eine Antwort,
die ihn zum glücklichſten Sterblichen machte.
Hunderte von Menſchen waren jetzt zwiſchen
ihm und der Geliebten, und das Geſtändniß,
daß er im traulichſten tête à tête nie zu machen
gewagt, jetzt war es ſeinem Herzen entſchlüpft;
die Zuverſicht zu Jenny's Liebe, auf die er bis-
her nie gehofft, jetzt vor hundert Zeugen war
ſie ihm geworden.


Das iſt das Geheimniß der Liebe, daß ſie
zwei Herzen verbindet zu Einem, und dieſe
iſolirt unter Tauſenden; daß das Gefühl der
erwiederten Liebe nicht der Worte, kaum des
Blickes bedarf, um ſich deutlich zu machen. Es
iſt, als ob die Liebe wie ein flüchtiger Aether
dem einen Herzen entſtröme, um das andere
zu erfüllen und zu beleben. Aber nur das ge-
[86] liebte, geöffnete Herz empfindet das Lebens-
wehen, das für ihn ausgeſtrömt wird. Die
Uebrigen berührt der Strom von Jenſeits nicht,
und ſie athmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne
zu ahnen, wie ſchnell und leicht und überſelig
zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen.


Reinhard und Jenny waren allein mit ein-
ander, nur für ſie allein ſang die Gräfin, nur
um ihren ſtillen Gefühlen Worte zu geben, und
wie zum Schwure blickten ſie ſich ernſt und
heilig in die Augen, und wiederholten innerlich:
„Laß mich ſterben, Gott der Liebe, oder lindre
meinen Schmerz.“


Jenny, dem Kindesalter noch ſehr nahe,
wurde froh wie ein Kind, nachdem die Gewalt
des erſten Eindruckes ſich etwas vermindert hatte.
Sie war glücklich in dem Bewußtſein, geliebt
zu werden, ſie hätte es dem ganzen Publicum
zurufen mögen: „Guſtav Reinhard iſt meinet-
wegen in das Theater gekommen, er liebt mich“,
[87] und hatte doch nicht den Muth, ſeiner Mutter
zu ſagen, daß er da ſei, und daß ſie ihn ſähe.
Ihr ganzes Geſichtchen lächelte, als Cherubin
kläglich fragte: „Sprecht, iſt das Liebe, was
hier ſo brennt?“ Reinhard wandte kein
Auge von der Geliebten, und ein ganzer Früh-
ling von Glück und Wonne blühte in ſeinem
Herzen auf, als Jenny bei der wiederholten
Frage: „Sprecht, iſt es Liebe, was hier ſo
brennt?“ ihn muthwillig anſah, und ganz un-
merklich für jeden Andern, ihm ein freundliches
„Ja“ mit den ſchönen Augen zunickte.


Bald war das Finale des zweiten Actes
mit ſeinem rauſchenden Prestissimo vorüber.
Reinhard verließ ſeinen Platz, und eilte, in die
Nähe ſeiner Jenny zu kommen. Es war ihm,
als müſſe er nun in Einem Worte alles Leiden
und Hoffen der letzten Monate vor ihr ent-
hüllen, als müſſe er ſie an ſeine Bruſt ſchließen
und ihr danken für das Glück, das ſie ihm in
[88] dieſer Stunde gegeben. Er hätte das zarte
Mädchen auf ſeinem Arm forttragen mögen,
ſich durchkämpfend durch eine Welt von Hin-
derniſſen, um das ſüße Kleinod ganz allein zu
beſitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo
kein begehrender Blick Diejenige träfe, die er
heilig liebte, wie ein Kind ſeinen Schutz-
geiſt liebt.


Und als er die Thür der Loge geöffnet
hatte, Jenny ſich umwendete, und er das Rau-
ſchen ihres ſeidenen Kleides hörte, da wußte er
kein Wort zu ſagen, ſprach einige gleichgültige
Dinge mit Madame Meier, hörte, wie ſeine
Mutter ſich freute, daß er noch ſo ſpät gekommen,
und ſetzte ſich ſchweigend neben Jenny nieder.


Dieſe fühlte das Peinliche ihrer Lage; auch
ſie war befangener, als jemals, und brachte
endlich ſtockend die Worte hervor: „Ich habe
Herrn Reinhard ſchon beim Beginn des zweiten
Actes geſehen.“
[89]
„Und warum ſagteſt Du das nicht gleich?“
fragte ihre Mutter.


„Ich dachte, ich wußte nicht“, ſtotterte
Jenny ganz verwirrt, bog ſich zur Pfarrerin
nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob ſie
ein Unrecht gut zu machen hätte, „ach, ſein
Sie nicht böſe!“


Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine
von Jenny's Launen, und gaben nicht weiter
auf ſie Acht, als abermals der Vorhang empor-
rollte und das Duett zwiſchen Suſanna und
dem Grafen ertönte.


Für Reinhard ſang der Graf nicht verge-
bens: „So lang' hab' ich geſchmachtet, ohn' Hoff-
nung Dich geliebt“; er fühlte dabei die Troſt-
loſigkeit der verfloſſenen Tage aufs Neue, und
Jenny konnte ſie in dem beredten Ausdruck
ſeines Auges leſen, ohne daß ſie ein Wort mit
einander zu ſprechen brauchten. Sie fühlte mit
Reinhard, als die Muſik aufjubelte, bei der
[90] Stelle: „So athme ich denn in vollen Zügen
der Liebe, der Liebe ſüßes Glück“, und Beide
verſanken mit dem frohen Gefühle ſeliger Ge-
wißheit in jene Träumereien, die wol Jeder
von uns gefühlt hat, wenn ein großes, heiß-
erſehntes Glück endlich von uns erreicht wor-
den iſt.


Die Oper war zu Ende, ehe das junge
Paar es vermuthete. Reinhard bot Madame
Meier den Arm, während Jenny mit ſeiner
Mutter ging. In der Vorhalle traf man
Eduard mit Hughes und Erlau, und verab-
redete, daß er die beiden Herren zum Thee mit-
bringen ſolle, zu dem Madame Meier auch die
Pfarrerin und Reinhard einlud. Der Letztere
geleitete die Damen zu ihrem Wagen, ſtieg mit
ihnen hinein, und als ſie wenige Augenblicke
darauf in das Portal des Meierſchen Hauſes
einfuhren, als er Jenny die Hand zum Aus-
ſteigen bot, und dieſe kleine Hand in der ſeinen
[91] bebte, konnte er es ſich nicht verſagen, ſie leiſe
zu drücken und zu halten, während ſie die er-
ſten Stufen der Treppe hinaufſtiegen. So hält
man ein Vögelchen feſt, das man eben gefan-
gen, weil man ſich des Beſitzes bewußt werden
will, weil man fürchtet, es könne uns entflie-
hen; aber ſcheu und leicht, wie ein kleiner
Vogel, machte Jenny ihre Hand frei, ging
eilig die Treppe hinauf und in das Theezim-
mer, wohin Reinhard ihr folgte.


Herr Meier brachte den Abend außer dem
Hauſe zu; die Damen ſetzten ſich alſo gleich an
den Theetiſch, und wenig Augenblicke ſpäter
erſchienen die erwarteten Herren.


„Nun, was ſagen Sie heute zur Giova-
nolla?“ fragte Erlau, ſobald er Platz genom-
men hatte. „Sie müſſen geſtehen, reizender,
verführeriſcher kann man nicht ſein. Ich hätte
nie geglaubt, daß es möglich ſei, bei ſo groß-
artiger Schönheit dieſen Eindruck ſoubretten-
[92] hafter Koketterie zu machen, und ſie hat ſich
heute in der Suſanna als eine große Künſtlerin
gezeigt.“


„Ich denke“, erwiderte Madame Meier,
„ſo gar viel Kunſt bedarf ſie nicht, um ſich ſo
darzuſtellen, als ſie iſt.“


„Im Gegentheil! das iſt ja die ſchwerſte
Aufgabe, ſich ſelbſt zu ſpielen; aber dieſe hat
ſie nicht zu löſen gehabt, denn kokett iſt die
Giovanolla nicht. Wahrhaftig nicht!“ rief er,
als die Andern zu lachen anfingen. „Sie weiß,
daß ſie ein Ideal von Schönheit iſt, und beſitzt
Großmuth genug, ſich den Augen der ſtaunenden
Mitwelt in all der Vollendung zeigen zu wollen,
deren ſie fähig iſt. Ich mußte heute bei jeder
ihrer Bewegungen meine Freude zurückhalten, um
nicht fortwährend den Leuten zuzurufen, daß
ſie ein klaſſiſches Modell vor Augen hätten.
O! ich habe im Geiſte die wundervollſten Stu-
dien gemacht, und die Nachwelt ſoll ſich noch
[93] am Bilde dieſes Weibes erfreuen, wenn mein
Talent mit meinem Willen gleichen Schritt hält.“


„Während Du an die Nachwelt dachteſt“,
ſagte Eduard, „überlegte ich, daß es wol von
der Mitwelt keine größere Thorheit gibt, als
die Jugend an ſolchen Darſtellungen Theil neh-
men zu laſſen, in denen die Sitten einer fri-
volen, verderbten Vorzeit ſo anmuthig und ſo
einſchmeichelnd dargeſtellt werden.“


„Der Meinung bin ich auch“, bekräftigte
Reinhard. „Ich will nicht leugnen, daß dieſer
Abend zu den ſchönſten meines Lebens gehört,
ſo viel Freude hat er mir gebracht, und doch
peinigte es mich, die Logen voll von jungen
Damen zu ſehen.“


„Damit tadeln Sie mich, lieber Reinhard!“
unterbrach ihn Madame Meier. „Sie wollen
mir ſagen, was Eduard ſchon mitunter äußerte,
daß wir Mütter in der Erziehung unſerer Töch-
ter nicht ſorgfältig genug zu Werke gehen. Ich
[94] glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines
unverdorbenen Mädchens eigen iſt, an einem
ſchönen Bilde nur die Schönheit, und nicht
gleich die Flecken und Fehler zu ſehen, die es
entſtellen. Darum haben mein Mann und ich
nie Bedenken getragen, unſerer Tochter manches
Buch in ihre Hände zu geben, ſie an manchen
Dingen Theil nehmen zu laſſen, die man ih-
rem Alter ſonſt vorenthält.“


„Gewiß iſt das häusliche Beiſpiel und die
innere Seelenbildung die Hauptſache bei weib-
licher Erziehung“, ſagte Hughes. „Sonſt müßte
ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu
ihrer Verheirathung in klöſterlicher Einſamkeit
hält, die Sitten beſſer ſein, als bei uns in
England und hier in Deutſchland, wo man der
Jugend viel größere Freiheit verſtattet; und
gerade hier beweiſt doch die Erfahrung, daß die
franzöſiſche Zurückgezogenheit keine lobenswer-
then Reſultate gibt.“


[95]

„Weil in Frankreich der ganze Zuſtand der
Geſellſchaft ein verderbter, ein aufgelöſter iſt;
weil die Bande der Ehe locker geworden ſind,
und das Haus, die Familie aufgehört haben,
der Centralpunkt zu ſein, von dem Alles aus-
geht. Was kann es nützen, ein Mädchen in
den ſtrengſten Grundſätzen zu erziehen, wenn
der erſte Schritt ins Leben ihr zeigt, daß we-
der ihre Eltern, noch ihr Gatte an dieſe Grund-
ſätze glauben; wenn ſich das junge, liebebedürf-
tige Herz verrathen ſieht, vielleicht um einer
Tänzerin willen, die nicht werth iſt, dem from-
men Kinde die Schuhriemen zu löſen. Wenn
dann das böſe Beiſpiel dazu kommt, das die
ſogenannten modernen Romane und das Theater
bieten, da braucht man ſich freilich über die Er-
folge in Frankreich nicht zu wundern“, eiferte
Eduard.


„Aber bei uns, mein Sohn!“ wandte Ma-
dame Meier ein, „iſt doch der Zuſtand der
[96] Frauen und der Geſellſchaft überhaupt, Gott
ſei Dank! ein ganz anderer. Deshalb ſcheint
mir, Du übertreibeſt den Nachtheil, den Theater
und dergleichen auf junge Gemüther ausübt,
und wir Deutſchen können unſern Töchtern
ruhig dieſe Genüſſe gewähren.“


„Im Gegentheil, liebe Mutter! weil bei
uns der Mann ſein Haus noch für den Tempel
ſeines ſchönſten Glückes, die geliebte Frau für
die Hoheprieſterin deſſelben hält, weil er Ruhm,
Ehre und Alles, was er iſt und erwirbt, dieſem
Tempel und ſeiner Prieſterin darbringt, weil
ſein Hoffen und Fürchten in dieſen Kreis ge-
bannt iſt, und er immer wieder dahin zurück-
kehrt, wenn das Leben mit ſeinen gebieteriſchen
Forderungen ihn frei läßt; darum haben wir
deutſchen Männer ein Recht, zu verlangen, daß
auch kein unreiner Hauch die Seele eines Mäd-
chens berühre, der ſo viel geopfert wird.“


„Und wie hoch, wie heilig iſt uns das
[97] Mädchen, das wir lieben!“ rief plötzlich Rein-
hard, der bis dahin ſchweigend zugehört hatte,
als ob er aus tiefen Gedanken zu ſich käme.
„Wenn ein Mädchen wüßte, wie ſchwer und
heftig der Kampf iſt, den der Mann zu käm-
pfen hat, ehe er willig ſeine Freiheit, ſein Füh-
len und Denken, ſein Leben ſelbſt, einer fremden
Gewalt unterwirft! Nur einem Weſen, das
man gleich einer Gottheit anbetet, kann man
ſo unterthan werden, als die Liebe es uns dem
Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedan-
ken, daß die Gottheit unſers Herzens unwür-
digen Feſten beiwohnt? Wer wollte es ruhig
anſehen, daß ihr ſchönes Himmelsauge von un-
reinem Anblick berührt würde? Ich könnte
mein Leben daran ſetzen, um der Geliebten
ſolche Profanation zu erſparen, und ein Mäd-
chen, das wahrhaft liebt, das die Liebe, die an-
betende Liebe eines Mannes zu begreifen ver-
mag, das in ſich auch den Geliebten achtet,
I. 5
[98] würde gewiß freiwillig Allem entſagen, was
dieſen und ſie zugleich verletzt. Wer es gefühlt
hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt
und veredelt, dem muß es wehe thun, daß
Mädchen ſelbſt ſich um den Nimbus bringen,
den Sittenreinheit um ſie hervorzaubert, und
der ſie unſerm Herzen gerade ſo theuer macht.“


Indem fiel ſein Auge auf die neben ihm
ſitzende Jenny, die ſich hinter der dampfenden
Samovare verbarg und vor Bewegung kaum
den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den
bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen
die Geliebte ausgeſprochen hatte; er wollte ein-
lenken, aber er vermochte es nicht, denn es war
ſeine innerſte Ueberzeugung geweſen, die er aus-
geſprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige
Abend im Theater gewährt, ſo weh that es ihm
doch, daß ein ſo ſchlüpferiges, ſittenloſes Stück,
ſo leichtfertige Geſänge, zum Boten ſeiner Liebe
bei Jenny geworden waren. Das war der Un-
[99]
terſchied zwiſchen ihm und ihr, daß ſie aufge-
zogen in den Begriffen der ſogenannten großen
Welt, trotz ihrer wirklich ſtreng ſittlichen Seele,
das Gefühl für die Sittenloſigkeit mancher Ver-
hältniſſe verloren hatte, oder daß es nicht zum
Bewußtſein in ihr gekommen war. Der Figaro,
Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge,
an denen ſie ſich von Kindheit auf erfreut hatte,
ohne an das Gute und Böſe daran zu denken,
und das war ein Zuſtand, in den weder Eduard
noch Reinhard ſich zu verſetzen vermochten.


Reinhard war bis zu ſeiner Univerſitätszeit
in einem Landſtädtchen in vollkommener Zurück-
gezogenheit erwachſen, und ſeinem Geiſte muß-
ten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der
Geſellſchaft und durch das Theater empfing,
ganz anders erſcheinen, weil er ſich der Em-
pfindungen bewußt war, die dadurch in ihm
hervorgerufen worden. Eduard hingegen war
allmälig durch Reflexion zu der Anſicht gekom-
5*
[100] men, die er vertheidigte, und die er durch Ver-
hältniſſe, welche wir ſpäter darthun werden,
angeregt, heute ungewöhnlich warm ausge-
ſprochen hatte.


Beide Männer ahnten nicht, mit welcher
Verwunderung Madame Meier und die Pfar-
rerin den Anſichten ihrer Söhne zuhörten, und
daß Beide tiefer in den Herzen derſelben laſen,
als es ihnen lieb ſein mochte. Ebenſo hatte
Reinhard nicht bedacht, wie weh der armen
Jenny ſein Urtheil thun mußte, die ſich in aller
Unſchuld dem Genuſſe der Muſik hingegeben
hatte, und dieſe Oper jetzt doppelt liebte, weil
ihr während derſelben die Ueberzeugung gewor-
den, daß Reinhard's Herz ihr angehöre.


Der Pfarrerin war Jenny's Bewegung nicht
entgangen; ſie ſah den langen, flehenden Blick,
den Reinhard auf ſie richtete, nachdem er ge-
ſprochen; ſie ſah, daß Jenny ſich zu ihm neigte
und ein paar Worte ſprach, die ihren Sohn in
[101] das höchſte Entzücken zu ſetzen ſchienen, denn
ſein Geſicht leuchtete vor Wonne, aber verſtehen
konnte ſie dieſe leiſe geſprochenen Worte nicht.
„Ich werde nie wieder in den Figaro gehen“,
hatte Jenny zu Reinhard geſagt, und die Pfar-
rerin überlegte vergebens, weshalb der Ausdruck
von Betrübniß auf dem ſchönen Geſichte des
Mädchens trotz Reinhard's Freude nicht ver-
ſchwinden wollte.


Um der Unterhaltung, die für einige Au-
genblicke ins Stocken gekommen war, wieder
fortzuhelfen, bemerkte die Pfarrerin: „Mag man
nun über die Moral des Figaro, die allerdings
locker genug iſt, noch ſo ſtrenge urtheilen, es
iſt nicht zu leugnen, daß die Oper ſehr viel
Anmuth beſitzt, die Compoſition ſelbſt abge-
rechnet.“


„Das macht ſie um ſo gefährlicher“, ſchaltete
Hughes ein, „wenn wir die Gefährlichkeitstheorie
der beiden Herren überhaupt annehmen.“


[102]

„Ich bitte Sie, Mr. Hughes“, lachte Erlau
dazwiſchen, „laſſen Sie ſich doch von den ab-
geſchmackten Lehren nicht hinreißen. Was ſo
ein Doctor, der längſt ein begehrter Heiraths-
kandidat iſt, und ſo ein Kandidat der Theo-
logie, der längſt Prediger ſein möchte, unſer
Einem vorpredigen und aufdociren möchten, das
iſt ja deshalb Alles noch nicht wahr. Laſſen
Sie die Beiden doch lehren, was ſie wollen;
ich behaupte dennoch, daß im Figaro, im Bar-
bier, im Don Juan, in der ganz vergeſſenen,
lieblichen Fanchon, etwas von der flüchtigen,
graziöſen Leichtigkeit des vorigen Jahrhunderts
liegt, die in Frankreich zu ſeltener Liebenswür-
digkeit gediehen war.“


„Zu einer Liebenswürdigkeit“, ſagte Eduard,
„die, in totale Verderbtheit ausgeartet, ſinnlos
forttänzelte zum Schaffot, trotz der warnenden
Stimmen, an denen es nicht fehlte.“


„Ja! zum Schaffot“, fuhr Erlau fort,
[103] „auf dem die leichtfertigen Tänzerinnen mit
einer Ruhe ſtarben, mit einer Seelengröße, die
einer Römerin würdig geweſen wäre. Die
Prinzeß Eliſabeth ſtarb eben ſo ruhig als Arria,
oder irgend eine andere Heldin Eurer geprie-
ſenen, langweiligen Römerzeit; und der ganze
Unterſchied iſt der, daß die Franzöſinnen liebens-
würdig und glücklich waren, und Glückliche mach-
ten, während ſo eine antike Römerin, oder rö-
miſche Antike in ihrem Frauengemache ſaß, und
tugendhaft war, und wollene Toga's webte.
Da lobe ich mir die Franzöſinnen!“


Die alten Damen lachten, und Erlau fuhr
dadurch ermuthigt fort.


„Sagt mir nur ehrlich, iſt Einer von Euch
halb ſo liebenswürdig, als der Graf Almaviva,
oder Don Juan, oder Cherubin, oder der Abé
in Fanchon?“


„Du vielleicht, lieber Erlau!“ ſprach Eduard.


„Wollte Gott, ich wäre es. Ich ſtrebe täg-
[104] lich, dieſe heitern Vorbilder einer fröhlichen Vor-
zeit zu erreichen, aber kommt man dazu? Kaum
hat man ſich verliebt und ſchwelgt in Wonne,
ſo erzählen ſie von Actien zu einer Eiſenbahn,
oder von Entwürfen zu Kleinkinderſchulen, in
denen lauter Prüden und Pedanten erzogen
werden ſollen. Denkt man daran, ſein Herz
frei zu machen, um es bald wieder gefangen zu
geben, ſo ſoll man einer Corporation zur Be-
freiung der Negerſklaven oder zur Erleichterung
der Hunde beitreten; und kein Menſch denkt
dabei, daß mich z. B. dies vielmehr ennuyirt,
als es irgend einen Neger langweilt, Zucker-
rohr zu tragen, oder einen Hund Karren zu
ziehen.“


„Es iſt freilich nicht allen Menſchen mög-
lich, das Leben wie eine Luſtpartie zu nehmen,
und jedes höhere Intereſſe, als läſtiges Hin-
derniß, zu verleugnen“, erwiderte Reinhard,
dem dieſe Scherze Erlau's beſonders darum
[105] mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran
fand, das Reinhard nicht billigen konnte.


„Und wie ſoll man das Leben denn neh-
men?“ fuhr der unerſchöpfliche Erlau fort.
„Gott hat uns evident für die Freude geſchaf-
fen; Gott will, daß wir uns amüſiren ſollen,
und daß Ihr mich neulich und heute wieder in
meinem beſten Vergnügen ſtört, iſt eine wahre
Todſünde. Was habt Ihr denn von dem ewi-
gen Moraliſiren? Madame Meier und die
Frau Pfarrerin hören ſo andächtig zu, daß
ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräu-
lein Jenny ſieht ſeit der abgeſchmackten Unter-
haltung ſo traurig aus, und iſt ſo zerſtreut,
daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe,
den ſchweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir
verurſacht.“ — „Liebes Fräulein“, ſprach er
gegen Jenny gewandt, „nur eine doppelte Por-
tion Zucker, als Aequivalent für den bittern
Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!“


5**
[106]

Die kleine Geſellſchaft war in ein herzliches
Lachen ausgebrochen, das Erlau's fröhliche Laune
hervorgerufen hatte. Auch Jenny riß ſich ge-
waltſam aus den Gefühlen heraus, die heute
zum erſten Male in ganz neuer Geſtalt in ihr
erwacht waren. Nur Reinhard blieb in tiefes
Sinnen verloren, und ſah, aufgelöſt in Liebe
zu Jenny hin, die ſich eben anſchickte, Erlau
eine ſcherzhafte Antwort zu geben, als Joſeph
und Steinheim in das Zimmer traten. Sie
waren zu Fuß aus dem Theater gekommen,
und Steinheim entſchuldigte ihr ſpätes Erſchei-
nen mit den Worten: „Spät komm' ich, doch
ich komme, der weite Weg entſchuldige mein
Säumen.“


„Aber warum fuhren Sie nicht auch nach
Hauſe?“ fragte Jenny.


„Weil leider Freitag Abend iſt“, antwortete
Steinheim, „und ich meiner Mutter den chagrin
nicht machen wollte, zu fahren. Aus Kindes-
[107] liebe, aus Pietät hole ich mir in dem naſſen
Wetter den Tod, nach dem Echauffement im
Theater, und bei meinem reizbaren Nerven-
ſyſtem! Was ſoll man aber thun?“


„Ich habe geglaubt, das Fahren ſei nur am
Sonnabend verboten“, ſagte die Pfarrerin.


„O nein!“ erwiderte Steinheim, „der
Sonnabend fängt bei uns ſchon des Freitags
an, und alle Ruhe- und Sabbathfeiergeſetze müſ-
ſen von Freitag Abend abgehalten werden, bis
Sonnabends die erſten Sterne blinken.“


Die Pfarrerin erwähnte es lobend, daß
Steinheim ſich an dieſe Formen halte. — „Mir
ſind ſie ganz gleichgültig“, antwortete er, „ich
halte ſie für ein Geſetz, das mißverſtanden iſt,
und befolge es nur meiner Mutter zu Liebe,
der ich viele Opfer der Art bringe, obgleich ſie
meine Geſundheit ruiniren.“


„Für ſolch einen Normalſohn hielt ich Sie
nicht“, ſagte Jenny, die nie der Lust wider-
[108] ſtehen konnte, Steinheim zu necken. „Ich wußte
nicht, daß Selbſtverleugnung auch zu Ihren
Tugenden gehöre.“


„Es liebt die Welt, das Strahlende zu
ſchwärzen, und das Erhabne in den Staub zu
ziehen“, declamirte Steinheim. „Daß Sie,
holdes Fräulein aber an mir zweifeln, verdiene
ich nicht, und ich könnte wie Cäſar ſagen:
‚Brutus auch Du!‘ — Uebrigens wiſſen Sie
ja, daß Sonnabends unſere Pferde geſchont,
und ich ſtrapazirt werde.“


„Das iſt das erſte Geſetz gegen Thierquä-
lerei“, rief Erlau dazwiſchen, „und ich wundere
mich, lieber Meier, daß Du, in doppelter Hin-
ſicht triumphirend, nicht längſt darauf aufmerk-
ſam gemacht haſt.“


„Wirklich“, meinte Madame Meier, „ge-
hört aber die ſtille Sabbathfeier zu den Geſetzen
der jüdiſchen Religion, die mir ſehr gefallen und
zuſagen — obgleich wir ſie nicht mehr halten.“


[109]

„Ich finde es auch ſehr ſchön“, ſagte Jenny,
„aber es iſt doch nur für Menſchen, eigentlich
nur für Juden gemeint; denn ich habe bei
Madame Steinheim ſelbſt geſehen, daß ihr
chriſtliches Dienſtmädchen Licht putzte, was ſie
ſelbſt nicht that.“


„Alſo meinen Sie“, fragte Steinheim, der
ſich neben Jenny's Stuhl hingeſetzt hatte, „da
das Dienſtmädchen Licht putzen darf, ſo kann
das Pferd auch ziehen?“


„Ja!“ ſagte Jenny leiſe, während ſich be-
reits eine andere Unterhaltung in der Geſell-
ſchaft entſponnen hatte. „Ja! die Pferde könn-
ten wol arbeiten, da ſie nicht Juden ſind.“


„Und was ſind ſie denn?“ fragte Stein-
heim ebenfalls leiſe, um die Andern nicht zu
ſtören.


„Weiß ich's?“ war die Antwort, „vermuth-
lich Chriſten! — oder Heiden!“ fügte ſie ſchleu-
nig hinzu, bemerkend, daß Reinhard, der an
[110] ihrer andern Seite ſaß, jedes Wort dieſer kin-
diſchen Unterhaltung gehört hatte, und ſich un-
willig abwendete, als Steinheim in ein laut
ſchallendes Gelächter verfiel, deſſen Grund er
aber, auf Jenny's eifriges Bitten, nicht ſagen
wollte, ſo ſehr man auch in ihn drang.


Durch Reinhard's Bruſt waren die letzten
Worte, wie ein fliegendes Weh gezogen, wie
ein eiſiger Froſt über die erſten ſchönen Blüthen
des Frühlings. Dieſe Leichtfertigkeit, dies
Scherzen mit Allem, was Andern heilig iſt,
das war es eben, was immer trennend zwi-
ſchen Jenny und ſeiner Liebe geſtanden hatte.
Er liebte ihre reiche, ſchöne Natur, ihr mächtig
glühendes Gefühl, und wurde immer mit Be-
trübniß gewahr, daß Jenny, in Folge ihrer Er-
ziehung und der Verhältniſſe, in denen ſie auf-
gewachſen, eine Richtung genommen hatte, die
ſeiner ganzen Seele widerſtrebte, die auch Eduard
mißbilligte, die aber zu ändern, ihren beider-
[111] ſeitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen
war. Reinhard traute Jenny die höchſte Selbſt-
verleugnung und jede Tugend zu; er glaubte
an ihr Herz, in deſſen Beſitz er ſich heute über-
reich und glücklich fühlte — er liebte ſie, wie
ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag —
und doch fühlte er eine Scheidewand zwiſchen
ſich und der Geliebten; doch konnte er die bange
Ahnung nicht unterdrücken, es ſtehe ein Etwas,
das er kaum zu definiren vermochte, trennend
zwiſchen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny's
letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue
und um ſo ſchmerzlicher, als es kalt ſein Herz
berührte, das heute warm und ungetheilt ihr
entgegenwallte. Er wurde traurig, und als die
Geſellſchaft ſich ſpäter trennte, und er von
Jenny Abſchied genommen, ging er verſtimmt
und trübe von ihr, die ihn ſo innig liebte, und
ſchritt ſchweigend neben ſeiner Mutter nach
Hauſe, während Jenny in ihrem Zimmer Thrä-
[112] nen der bitterſten Reue vergoß. Sie wußte,
daß ſie Reinhard verletzt hatte, und wollte ver-
gehen vor Gram und Beſchämung. So hatte
ſie heute nicht von Reinhard zu ſcheiden ge-
glaubt, — keinen Blick hatte er für ſie gehabt,
und jetzt wußte er doch, daß ſie ihn liebte.



Clara Horn lag, während ſich dies Alles
begab, leidend an unſäglichen Schmerzen auf
ihrem Lager. Jung, ſchön und gut, umgeben
von Reichthum und Luxus, hatte ſie doch nie-
mals das Glück gekannt, für das allein ſie ge-
ſchaffen ſchien. In ihrem väterlichen Hauſe war
die unglückliche Ehe ihrer Eltern für ſie eine
Quelle des bitterſten Leidens geworden. Nur
der Wunſch, ſich zu pouſſiren, hatte Horn einſt
dazu vermocht, um ſeine Gattin zu werben, die,
wie ſchon früher erwähnt, einer der angeſehen-
ſten Familien der Kaufmannsariſtokratie ange-
[113] hörte. Die jetzige Commerzienräthin Horn war
älter als ihr Gatte, hatte aber, als ſie ſich mit
ihm verband, noch vollen Anſpruch auf die Be-
wunderung ihrer regelmäßigen kalten Schönheit
zu machen, und glaubte, ein Recht auf die
Verehrung ihres Mannes, auf ſeinen Dank zu
beſitzen, weil ſie ſich entſchloſſen, zu einer Ver-
bindung zu ſchreiten, die damals noch keine
glänzende Ausſicht bot. Liebe brachten beide
Theile nicht in das neu gegründete Hausweſen;
und als bald darauf der herrſchſüchtige Charakter
der Frau dem jungen Manne ſein Haus zur
Plage machte, und er ſich immermehr von ihr
zurückzog, artete ihre Stimmung in eine Bit-
terkeit, in eine ſtarre Kälte aus, die vollends
dazu beitrug, die Gatten zu trennen. Die
Geburt ihres Sohnes Ferdinand ſchien das
Herz der Mutter mildern Gefühlen gegen den
Vater des Kindes zu öffnen. Es war aber
zu ſpät, um den Frieden herzuſtellen. Horn
[114] hatte ſich, fortgeriſſen von andern Männern
und einem ſinnlichen Temperamente, einer Le-
bensart überlaſſen, welche ſeiner Frau gerechten
Grund zur Klage bot, und als einige Jahre
ſpäter Clara geboren wurde, fehlte ſchon an der
Wiege des Kindes das ſelige Lächeln beglückter
Eltern.


Ferdinand war das einzige Weſen, das die
Mutter liebte. Ihm wurde, ſobald er nur im
Stande war, ſeinen Willen zu äußern, jeder
Wunſch erfüllt; und ebenſo ſchwach und nach-
ſichtig gegen den Sohn, als ſtreng gegen alle
Andere hatte die Commerzienräthin den jungen
Mann zu dem weichlichen, kalten und hochmü-
thigen Stutzer erzogen, als welchen wir ihn am
Anfang dieſer Erzählung zuerſt erblickten. —
Um die liebliche Clara hatte die Mutter ſich
wenig gekümmert. Die Kleine war früh einer
Gouvernante übergeben worden, die glücklicher
Weiſe ganz dazu geſchaffen war, die Seele des
[115] jungen Mädchens zu bewahren und auszubilden.
Von den Eltern wenig beachtet, geneckt und
geplagt von den eigenſinnigen Launen des
Bruders, gewöhnte ſich Clara ſchon in erſter
Kindheit an eine Fügſamkeit und Anſpruchs-
loſigkeit, die ſpäter der edelſte Schmuck der
ſchönen Jungfrau wurden. Nicht ohne Stolz
ſah der Vater auf die Bewunderung, die das
erſte Auftreten Clara's in der Geſellſchaft er-
regte. Die wilden Leidenſchaften der Jugend
hatten ſich bei Horn gelegt, der Sohn, der
Liebling der Mutter, war ihm fremd geblieben;
er vermißte eine freundliche Heimat, die An-
hänglichkeit einer Familie, und ſo konnte es
nicht fehlen, daß Clara's demüthige Ergeben-
heit, ihr kindliches Anſchmiegen ihn feſſelten.
Er liebte Clara, wie er zu lieben im Stande
war. Sie war ſein Stolz, die Krone ſeines
Beſitzes, und alle ſeine Wünſche gingen darauf
hinaus, dieſe Tochter ſo glänzend, als möglich,
[116] verſorgt zu ſehen. Wie angenehm mußte es ihn
alſo überraſchen, als die Commerzienräthin, die
das freundliche Verhältniß ihres Mannes zu der
Tochter ſtets mit gewohnter Gleichgültigkeit be-
trachtet hatte, ihm einſt ganz unvermuthet die
Frage vorlegte, ob es jetzt, da Clara bereits im
zwanzigſten Jahre ſei, nicht Zeit werde, an die
Verheirathung derſelben zu denken. Sie theilte
ihm mit, daß ſie ſchon ſeit längerer Zeit mit
ihrer in England verheiratheten Schweſter, welche
nur einen Sohn hatte, den Plan entworfen,
dieſen mit Clara zu verbinden. Sie bewies,
daß ihr Schwager Hughes, nach engliſcher Sitte
an die Bevorzugung des älteſten Erben gewöhnt,
gern bereit ſein werde, Ferdinand im Beſitze des
väterlichen Vermögens zu laſſen, und daß auch
ohne dieſes Clara reicher und glänzender ver-
ſorgt ſein würde, als es in Deutſchland jemals
der Fall ſein könnte. Der Plan, den die
Commerzienräthin dabei hatte, war, einſt die
[117] gleiche Theilung des Vermögens zwiſchen ihren
beiden Kindern zu vermeiden; und er fand,
wenn auch aus andern Gründen, bei ihrem
Gatten volle Billigung. William Hughes galt
nach Allem, was man über ihn wußte, für ei-
nen geſcheidten und wackern Jüngling. Die
Millionen ſeines Vaters kannte der Commerzien-
rath aus Erfahrung, und daß der alte Hughes
Mitglied des Unterhauſes war, daß auch Wil-
liam dies einſt werden und ſich eine glänzende
Laufbahn für ihn eröffnen könne, entſchied nicht
wenig zu Gunſten dieſer Angelegenheit, und die
Commerzienräthin erhielt volle Freiheit, dieſelbe
nach ihrer Anſicht einzuleiten.


Nichts war leichter, als den jungen reiſe-
luſtigen Engländer zu einem Ausflug nach dem
Continent und dem gelegentlichen Beſuche ſei-
ner Familie zu überreden, die er nur als Knabe
geſehen hatte; und der ſchmeichelhafte Empfang,
der ihm von Onkel und Tante wurde, die
[118] große Freude, welche Ferdinand, dem die Plane
ſeiner Mutter nicht unbekannt waren, über des
Vetters Anweſenheit an den Tag legte, bewo-
gen dieſen bald zu einem längern Verweilen in
dem Hornſchen Hauſe.


Für Clara begann mit des Vetters Anwe-
ſenheit ein neues Leben. Mutter und Bruder
überboten ſich in tauſend Freundlichkeiten gegen
ſie, man bemühte ſich, ſie in dem vortheilhaf-
teſten Lichte erſcheinen zu laſſen, und war jetzt
plötzlich bereit, ihren Anſichten und Wünſchen
zu ſchmeicheln, weil man ſie zu ähnlicher Füg-
ſamkeit zu überreden wünſchte. Von Natur
weich und hingebend, fühlte Clara ſich zum
erſten Mal in ihrem Leben wahrhaft glücklich,
durch das Wohlwollen, von dem ſie ſich um-
geben ſah; und da auch auf ſie das Glück ſei-
nen verſchönenden, belebenden Einfluß zu ma-
chen nicht verfehlte, war es nur natürlich, daß
William die ſchöne Couſine ſehr liebenswürdig
[119]
fand. Er beſchäftigte ſich angelegentlich mit
ihr, und bald begann ſich ein zutraulich heiteres
Verhältniß zwiſchen ihnen zu bilden, deſſen
Entſtehen von der ganzen Familie mit Freuden
bemerkt wurde.


Da kam an dem Abende, an dem dieſe Er-
zählung beginnt, der unglückliche Zufall dazwi-
ſchen, der Clara für lange Zeit von der Ge-
ſellſchaft trennte, die Heirathsentwürfe ihrer
Mutter für ſie weit hinausſchob, und Eduard
in ihre Nähe brachte. Nach dem erſten Auf-
ruhr, den dieſes Ereigniß verurſacht hatte, fing
man im Hornſchen Hauſe bald wieder an, ſich den
gewöhnlichen Beſchäftigungen und Zerſtreuungen
hinzugeben, und Clara wurde von ihrer Mut-
ter vernachläſſigt wie früher, was ihr nach dem
kurzen Traume von Glück um ſo ſchmerzlicher
ſein mußte. Faſt immer, wenn ihr junger Arzt
ſie beſuchte, fand er ſie mit einer Wärterin
allein, und ſeinem geübten Auge konnte es nicht
[120] entgehen, daß hier die Seele noch empfindlicher
leide, als der Körper. Die unbeſchreibliche Ge-
duld, mit der Clara die Schmerzen ertrug, die
Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Weſens,
und ein Zug von ſtiller Reſignation machten
ihm die Kranke werth. Er bemühte ſich, durch
Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerkſam-
keit zu beleben; er kam, ſo oft er es konnte,
dehnte ſeine Beſuche lange aus, und fand den
ſchönſten Lohn dafür in der dankbaren Freude,
mit der Clara ihn begrüßte, in dem Genuß,
den er ſelbſt bald dabei zu empfinden begann.


Oft, wenn er ſie am Morgen in möglichſt
gutem Wohlſein verlaſſen hatte, war ſie Abends
in einem aufgeregten, beunruhigenden Zuſtande,
für den in ihrem körperlichen Befinden kein
Grund vorhanden war, und den er mit Recht
unangenehmen Gemüthsbewegungen zuſchreiben
mußte. So fand er ſie eines Abends, aufgelöſt
in Thränen, und ſo bewegt, daß ſie kaum ſeine
[121] Fragen zu beantworten vermochte. Ein heftiger
Streit der Eltern, veranlaßt durch Ferdinand's
Verſchwendung und ſeine ungeregelte Lebensart,
war unglücklicherweiſe in dem Krankenzimmer
ausgebrochen. Der alte Horn hatte ſich miß-
billigend darüber geäußert, daß Ferdinand jetzt
faſt niemals mehr bei Tiſch erſcheine, daß er
ſeine Zeit in der ſchlechteſten Geſellſchaft ver-
bringe, und durch die unverzeihliche Schwäche
der Mutter in all dieſen Fehlern beſtärkt werde,
die er als Vater nun abſolut nicht länger dul-
den wolle. Gereizt durch den doppelten Tadel,
der ſie und ihren Liebling traf, hatte die Com-
merzienräthin heftig erwidert, ſie könne eine
Lebensweiſe an ihrem Sohn nicht ſo ſtrafbar
finden, zu der des Vaters früheres Betragen
ihm das Beiſpiel gegeben und die ſie Jahre
lang an ihrem Manne habe erdulden müſſen.
So war es, trotz Clara's dringenden Bitten,
trotz ihrer flehentlichen Worte, ſie nicht zum
I. 6
[122] Zeugen dieſer entſetzlichen Scene zu machen,
eine Weile fortgegangen, bis ihre Mutter in
höchſter Entrüſtung das Zimmer verließ, und
ihr Vater allein bei ihr zurückblieb, ſich bitter
über das Loos beklagend, das ihm an der Seite
dieſer Gattin geworden ſei.


Bald darauf trat Eduard ein. Clara lag
auf dem Bette, das Häubchen hatte ſich ver-
ſchoben, und ließ das reiche, goldblonde Haar
hervorquellen. Die großen dunkelblauen Augen
ſchwammen in Thränen; ſie hatte die ſchönen
Hände über die Bruſt gefaltet, und mahnte
den jungen Mann, als ſie ſich emporzurichten
ſtrebte, und ſich dabei ſeitwärts gewendet, auf
den Arm ſtützte, auf das Lebhafteſte an die
Magdalene des Correggio, mit der ſie wirklich
eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit hatte.
Die Krankenwärterin ſaß ſchläfrig ſtrickend bei
einer Lampe, deren Schein durch einen grünen
Ueberwurf gemildert war. Alles war ſtill in
[123] dem Zimmer, und Eduard hörte um ſo deut-
licher an den unruhigen Athemzügen der Lei-
denden, daß ſie eben erſt zu weinen aufgehört
hatte. Freundlich fragte er ſie nach ihrem
Befinden, er wollte ihre Hand ergreifen, um
ſich durch den Pulsſchlag ſelbſt davon zu über-
zeugen, aber ſie zog die Hand raſch fort, und
ſagte: „Ach! das kann nichts helfen, ich leide
furchtbar, aber Sie können mir nicht helfen,
lieber Doctor!“ und dabei brach ſie aufs Neue
in heiße Thränen aus.


Ablenkend verſuchte Meier, ſie auf ihr kör-
perliches Uebel zurückzuführen, ſie war aber ſo
aufgeregt, daß ſie, ihre ſonſtige Zurückhaltung
gänzlich vergeſſend, ihn kaum ausſprechen ließ,
ſondern ihn mit den Worten unterbrach: „Täu-
ſchen Sie ſich nicht, Herr Doctor! ich will Sie
auch nicht länger damit hintergehen — die
äußere Wunde kann nicht heilen, ich kann nicht
geneſen, ſo lange meine Seele auf das Grau-
6*
[124] ſamſte zerriſſen wird; wollte Gott nur, ich
wäre durch den Tod bald dieſer Qualen über-
hoben!“


„Und denken Sie nicht an Ihre Eltern,
liebes Fräulein? Wiſſen Sie nicht, daß auch
für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger
Balſam in der Zukunft liegt?“ fragte Meier.
„Gerade ein ſo reines Gemüth, wie das Ihre,
muß im Leben tauſend Freuden finden, weil es
geſchaffen iſt, Freude zu bereiten durch ſein
bloßes Daſein.“


„Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich
habe immer allein geſtanden unter den Meinen,
von Kindheit an; und ohne meines Vaters
Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimat
habe. Meinen Tod würde man bald vergeſſen,
und er würde vielleicht ein Glück, ein Ver-
ſöhnungsmittel werden. Sie ſagen, ich hätte
ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein
Schickſal, das mich in die kälteſte Atmoſphäre
[125] verſetzte, wo ich täglich tauſendfachen Tod
ſterbe.“


Erſchöpft lehnte ſie ſich bei dieſen Worten
in die Kiſſen zurück. Der höchſte Punkt der
Aufregung war vorüber, ſie weinte ſchweigend
eine Weile fort, und Meier ließ ſie gewähren,
weil er dieſe Thränen als das beſte Beruhi-
gungsmittel kannte. In dieſer Pauſe dachte er
mit Bedauern an Clara. Sie war eine jener
Frauennaturen, die, wie er es eben gegen ſie
ſelbſt ausgeſprochen, durch ihr bloßes Erſcheinen
wohlthuend wirken. Eine gleichmäßige Aus-
bildung aller Seelenkräfte, bei glücklicher Or-
ganiſation, machte, daß Leute von dem ver-
ſchiedenſten Charakter ſich von ihr angezogen
fühlten. Der Kluge nannte ſie klug, der Lei-
dende theilnehmend, der Frohe fröhlich, und
Alle fühlten ſich erquickt durch ihre Güte und
das Wohlwollen, mit dem ſie Jedem begegnete.
Man fand ſie liebenswerth, man war für ſie
[126] eingenommen, ehe ſie irgend etwas gethan
hatte, dies Urtheil zu rechtfertigen. „Solch
ein Mädchen könnte und müßte der Schutzgeiſt
eines Hauſes ſein“, ſagte ſich Eduard, und es
that ihm leid, daß dieſes milde Weſen einer
Familie angehöre, in der ſie weder glücklich zu
ſein, noch glücklich zu machen vermochte.


Als Clara ſich beruhigt hatte und das me-
diziniſche Examen vorbei war, ermahnte Meier
ſie, ſich ſo viel als möglich zu ſchonen, und
ſich ruhig zu halten. „Bedenken Sie, Fräu-
lein! daß Körper und Geiſt bei ſolchen Auf-
regungen gleichmäßig afficirt werden, daß der
Körper durch Ihre Gemüthsbewegung leidet
und nicht die frühere Kraft gewinnen kann,
und daß Sie, andererſeits, bei dieſem gereizten
Nervenzuſtande, jedes geiſtige Leid doppelt
ſchwer empfinden.“ Mit dieſen Worten wollte
Meier von ihr ſcheiden, ſie hielt ihn aber zu-
rück und bat: „Vergeſſen Sie, was ich heute
[127] ſagte; ich bin krank, und übertreibe dabei mein
Empfinden, das wiſſen Sie. Und denken Sie
nicht ungleich von mir, weil ich den Meinen
im Unmuth ſo übel mitgeſpielt habe. Gewiß,
Herr Doctor!“ ſagte ſie, indem ſie zu lächeln
verſuchte, „ich bin nicht ſo ſchlecht, als ich Ih-
nen heute erſcheinen mußte, und ich möchte
nicht gern, daß Sie mich dafür halten.“


„Liebes, gutes Fräulein, wie mögen Sie
glauben, daß ich an Ihnen irre werden könnte?“
rief Meier aus. „Genügt es nicht, daß ich
Sie kenne, daß ich mich ſeit Wochen an Ihrer
Geduld, Ihrer Reſignation erbauen darf, um
ein unwandelbar ſchönes Bild Ihres Weſens in
mir feſtzuſtellen? Glauben Sie mir, dem
Arzte offenbart ſich die Göttlichkeit des Men-
ſchen ebenſo oft, als er von der erbärmlichen
Menſchlichkeit unangenehm überraſcht wird. Ih-
nen danke ich das Erſte, und wenn ich als ein
kalter Zweifler zu Ihnen gekommen wäre, ich
[128] verdankte Ihnen gewiß die Ueberzeugung, daß
eine göttliche Seele im Menſchen lebt.“


Um ihre Befangenheit zu verbergen, ſagte
Clara achtlos: „O! ein ſo ſchlechter Chriſt ſind
Sie gewiß nicht, daß Sie jemals an Gott ge-
zweifelt und erſt meiner Belehrung zum Glau-
ben bedurft hätten.“


Indem fiel ihr das Sonderbare dieſer Aeu-
ßerung ein, und ihre Verlegenheit nahm zu,
als Meier lächelnd antwortete: „Ein Gottes-
leugner bin ich in der That nicht; aber ſicher
ein herzlich ſchlechter Chriſt, da ich ein Jude
bin. Darum gönnen Sie mir immer die Gunſt
Ihres Beiſpiels. Wenn es mich auch nicht be-
kehrt, ſo beſſert und erfreut es mich gewiß, und
für Beides bin ich Ihnen nur zu gern ver-
pflichtet.“


Damit empfahl er ſich und ließ Clara in
eigenthümlicher Bewegung zurück. Sie hatte
ihren Arzt liebgewonnen und ein unbedingtes
[129]
Zutrauen zu ſeiner Behandlung, ſie achtete ihn
als Mann — heute hatte ſie ihn ſo tief in ihrer
Seele leſen laſſen; das Unglück ihres ganzen
Lebens, das Niemand kannte, war Meier'n ent-
hüllt worden, er hatte ſich wie ein Bruder
mild und gut gegen ſie gezeigt, ſie war ihm ſo
nahe getreten, und — er war ein Jude. Sie
erſchrack, und mußte doch lächeln, denn ſie
hatte es gewußt, und die Ihrigen hatten ſie
damit geneckt, daß ſie darauf beſtanden, ſich
nur von einem Arzte des „auserwählten Vol-
kes“ behandeln zu laſſen. Man hatte ſie oft
genug um den eigentlichen Grund dieſer Wahl
gefragt, und doch konnte ſie die Thatſache ſo
ganz vergeſſen, daß ſie jetzt ganz überraſcht
davon war. Noch vor einigen Tagen hatte
William, der öfter in ihrem Krankenzimmer
erſchien, mit großer Theilnahme von der Meier-
ſchen Familie geſprochen, die er kennen gelernt
und wegen dieſer Bekanntſchaft eine Straf-
6**
[130] predigt der Commerzienräthin aushalten müſſen,
gegen welche er ſehr vernünftige Argumente an-
geführt. Clara war jetzt ganz ſeiner Anſicht,
und geſtand ſich ſelbſt, daß William ein guter,
verſtändiger Menſch ſei — aber Meier war mehr.
Sie mußte an ſein klares, kluges Auge denken, an
die freie Stirne, und die jüdiſchen Umriſſe ſei-
nes Geſichts kamen ihr faſt ſchön vor. „Ob
Chriſtus wol auch ähnliche Züge gehabt haben
mochte?“ fragte ſie ſich, und ſank bald in ei-
nen Schlummer, in deſſen Träumen William,
Meier und der Heiland, wie ihn Leonardo's
Abendmahl ſchildert, bunt in einander ver-
ſchwebten, und aus dem ſie erſt am frühen
Morgen bedeutend geſtärkt erwachte.


Weniger ruhig ſollte dem armen Eduard
die Nacht vergehen. Während ihn Jenny längſt
mit ſeiner ſchönen Kranken aufzog, und ſeine
Mutter an jenem Abend das Geheimniß ſeines
Herzens entdeckt zu haben glaubte, ja mit müt-
[131] terlicher Sorge bereits dem Vater die Mitthei-
lung gemacht hatte — ahnte der junge Mann
es noch nicht, daß Clara ihn mehr, als irgend
eine ſeiner andern Kranken beſchäftige.


Später als gewöhnlich war er Abends in
der Familie erſchienen, die er diesmal ganz
allein fand. Seine Eltern und Jenny ſaßen
traulich beiſammen, und er ſah, daß man ihn
erwartet und vermißt hatte.


„Komm her, mein Sohn“, rief ihm der Va-
ter entgegen, „ſetze Dich zu uns, und erzähle,
wo Du ſo lange geblieben biſt.“


Eduard gab den Beſcheid, er hätte Fräulein
Horn noch beſucht. Jenny erkundigte ſich nach
ihrem Ergehen, und erfuhr, daß die Geneſung
nur langſam vorwärts ſchreite, und daß die
Kranke viel Schmerzen ertragen müſſe. „Da
könnteſt Du Geduld und Ruhe lernen, Jenny“,
ſchloß er ſeine Rede.


„Es ſcheint, als ob Clara Horn überhaupt
[132] eine gute Lehrerin iſt“, antwortete jene ſchnip-
piſch, „denn es iſt nicht zu leugnen, daß ſie
Dir auch manche Begriffe beigebracht hat, die
Dir früher fremd waren. Ich ſagte es noch
geſtern zur Mutter, das garſtige Politiſiren haſt
Du Dir ſo ziemlich abgewöhnt, dafür biſt Du
aber ſo zerſtreut und träumeriſch geworden,
daß Du gar nicht hörſt, wenn man mit Dir
ſpricht. Entweder macht Dir Deine Patientin
ſolche Sorgen oder Du langweilſt Dich hier zu
Hauſe.“


Eduard hörte ſchweigend zu, ſodaß Ma-
dame Meier hinzufügte: „Etwas ſelten biſt Du
wirklich in der letzten Zeit zu Hauſe geworden,
und verändert finde ich Dich auch, Eduard.
Kannſt Du uns ſagen, was Dich bewegt, ſo
wirſt Du mich wahrhaft beruhigen.“


„Was Ihr für närriſche Frauen ſeid!“
lachte der Vater. „Iſt denn das Leben nicht
täglich neu, die Natur nicht täglich verändert,
[133] und Eduard ſollte unwandelbar die gleiche
Stimmung haben? Könnt Ihr wiſſen, was in
ſeinem Berufe ſich für neue Verhältniſſe ſeinem
Geiſte aufdrängen, und wie klein und beſchränkt
ihm Eure Intereſſen gegen die ſeinigen oft er-
ſcheinen mögen? Da kommt Ihr mit Euren
Haus- und Putzgeſchichten und wundert Euch,
wenn man nicht geſpannt aufmerkſam iſt, und
nennt das kalt und zerſtreut. Eduard muß
nur, wenn er einſt ſelbſt Hausherr ſein wird,
die Kunſt lernen, mit dem Ohr zuzuhören, ohne
daß das Gehörte bis in den Kopf dringt, das
lernt ſich aber mit den Jahren.“


„Wollte Gott!“ ſagte die Mutter, mit Wonne
auf ihr Lieblingsthema eingehend, „Eduard
wäre ſo weit. Ungebunden, wie er jetzt iſt,
läßt er ſich in Dinge ein, die ihn nicht küm-
mern; er nimmt, wie man ſo ſagt, kein Blatt
vor den Mund, er äußert politiſche Anſichten
und Hoffnungen, die unnöthig die Augen der
[134] Regierung auf ihn gerichtet erhalten, und wenn
man ihn warnt, heißt es ein für allemal: „Was
thut's! ich bin ja unabhängig, ich bin unge-
bunden!“


„Das heißt“, erläuterte der alte Herr, „ Du
möchteſt unſerm Sohne mit dem ſüßen Roſen-
band der Ehe zugleich eine tüchtige Kette an-
legen, eine möglichſt kurze, damit er nicht zu
große Sprünge machen könne. Die Mutter iſt
wie Julia im Shakeſpeare, ſo liebevoll mißgönnt
ſie ihm die Freiheit.“


Freundlich nahm dieſer die Hand der Ma-
trone und ſagte: „Und doch waren heute meine
Gedanken mehr mit häuslichen Verhältniſſen,
als mit allgemeinen Intereſſen beſchäftigt. Ich
hatte Gelegenheit, einen Blick in das innere
Leben einer Familie zu werfen, in der ein
wahrhaft ſchönes Herz unter dem Druck der
widerwärtigſten Verhältniſſe blutet, und ich
konnte mich des Gedankens nicht erwehren, als
[135] ich hier eintrat, und mir ſo wohl und behaglich
wurde in unſerm Hauſe, wie ſelig die Arme
ſein könnte, in einem Kreiſe, wie dieſer?“


„Und wer iſt die Arme mit dem ſchönen
Herzen?“ fragte Jenny ſchnell.


„Ein Mädchen, das dieſe indiscrete Frage
niemals gemacht hätte“, antwortete Eduard,
und fuhr dann fort: „In den Jahren, die ich
hier prakticire, iſt es mir aufgefallen, wie die
glücklichſten Ehen, die höchſte Sorgfalt der El-
tern für ihre Kinder bei den Juden viel ge-
wöhnlicher ſind, als in den Chriſtenfamilien.
Auch ſteht die Zahl der Scheidungen, wie mir
ein Juriſt ſagte, bei den beiden Confeſſionen
in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung
der Ehe bei den Juden faſt zu den Seltenheiten
gehört.“


„Das iſt allerdings merkwürdig“, meinte
Jenny, „denn bei den Juden iſt die Heirath
doch oft nur eine Familienverabredung, von der
[136] Braut und Bräutigam gerade zuletzt etwas
erfahren.“


„Das iſt überall der Fall, mein Kind“,
entgegnete der Vater, „und die Welt ſieht in
der Wirklichkeit nicht ganz ſo romantiſch aus,
als in Deinem 17jährigen Köpfchen. Was aber
das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, ſo
verdanken ſie das, ſowie manches andere Gute,
dem Drucke, unter dem ſie Jahrhunderte gelebt
haben. Der Mann, dem die freie Bewegung
ins Leben hinein überall verwehrt war, der
nichts ſein eigen nennen durfte, nicht Haus,
nicht Hof, dem man das mühſam erworbene
Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltſam
zu entreißen wußte — dem blieb nichts, als
ſein Weib und ſeine Kinder. Sie waren das
Einzige, das ihm Niemand rauben konnte, ſie
blieben ſein, auch getrennt von ihm, ſein durch
den Glauben, und nur, indem ſie ſich von die-
ſem trennten, konnten ſie aufhören, ſein zu
[137] bleiben. Wie natürlich alſo, wenn dem Juden
Weib und Kind ſeine Welt wurden, und wenn
bis heute das Beiſpiel glücklicher Häuslichkeit
ſegensreich fortwirkt unter ihnen, obgleich die
äußern Verhältniſſe ſich in mancher Beziehung
geändert haben.“


„Ach! armer Vater, was haſt Du denn für
eine kleine Welt!“ ſagte Jenny pathetiſch, die
gerade in der muthwilligſten Laune war. „Haſt
Niemand, als die Mutter und die liebe kleine
Jenny! Eine Welt von zwei Welttheilen,
während der ärmſte Chriſt fünf hat!“


„Und Eduard?“ fragte der Vater.


„Der Welttheil Eduard ſieht kläglich aus,
als ob bald die Sündfluth hereinbräche! Nein!
er ſieht aus, als ob er ſtatt des Herzens einen
Vulkan hätte, der nächſtens losbricht und bald
den Untergang des Welttheiles vorausſehen
läßt. O Gott! Vater!“ rief ſie, und warf
ſich an deſſen Bruſt, als Eduard ſie verwun-
[138] dert und nicht eben freundlich anſah, „ſchütze
mich, der Vulkan Eduard fängt an, Feuer und
Flammen zu ſprühen.“


Der Vater nahm das anmuthige Kind in
ſeine Arme, und beide Eltern gaben ſich der
Wonne dieſes engſten Beiſammenſeins recht mit
vollem Herzen hin. Nur Eduard blieb zerſtreut
und einſilbig, und entfernte ſich, unter einem
flüchtigen Vorwande, früher, als er ſonſt
pflegte.


„Joſeph's Brummen wird anſteckend“, be-
merkte Jenny ſpöttelnd; die Mutter aber ſchüt-
telte ängſtlich den Kopf und ſagte ſeufzend:
„Vater! was geht mit Eduard vor? Mich
macht es unruhig um ſeinetwillen.“


„Mich nicht“, antwortete der alte Meier.
„Eduard iſt ein Mann; was ihm auch ſei,
laßt ihn gewähren, er wird den rechten Weg
finden.“


Als Eduard die Eltern verlaſſen, hatte er
[139]
keine Ruhe in ſeinem Zimmer gefunden. Die
engen Räume drückten ihn, er öffnete ein Fen-
ſter, und obgleich der Schnee in großen Flocken
hineindrang, wurde ihm wohler und freier, als
die Luft ſeine heiße Stirne berührte. Das
Meierſche Haus lag nahe am Hafen, ein Gar-
ten führte terraſſenartig zum Fluſſe hinunter,
der gerade hier in das Meer mündete. Eine
Unruhe, wie er ſie nie empfunden, trieb ihn
hinaus und, in den Mantel gehüllt, eilte er
durch die beſchneiten Gänge des Gartens. Hin
und wieder fielen noch einzelne, übrig gebliebene
Blätter mit den Schneeflocken zur Erde; der
Sturm jagte die Wolken vor ſich hin und
hemmte Eduard im Vorwärtsſchreiten. Er war
ganz allein auf dem Wege, und nun erſt merkte
er, daß er das Zimmer verlaſſen hatte, nicht
achtend des Sturmes, der ihn umbrauſte, nicht
der tiefen Dunkelheit um ihn her, denn ſtür-
[140] miſcher noch und dunkler ſah es in ſeiner
Seele aus.


Wie hatte er ſich abſichtlich ſo über ſeine
Gefühle täuſchen können, wie dieſe Liebe ver-
kennen? Jetzt, da er mit klarem Blicke zu-
rückdachte, fühlte er faſt mit einer Art von Be-
ſchämung, daß er in Clara von den erſten Au-
genblicken, da er zu ihr gerufen wurde, nicht
nur die Leidende, Kranke, ſondern immer das
ſchöne Weib geſehen hatte. Ihre Liebenswür-
digkeit, ihr ruhiger Verſtand waren ihm von
Tag zu Tag anziehender geworden, und er
konnte es ſich nicht verbergen, daß Clara für
ihn das Ideal eines Mädchens ſei. So hatte
er ſich ſeine Geliebte gedacht, ſo ſeine künftige
Frau gewünſcht, und ſollte er ſich nicht auf
dem Gipfel des Glückes wähnen, da Clara ihn
liebte? Er konnte nicht daran zweifeln. Jeder
Blick, jedes Wort des ſchönen Mädchens ver-
[141] riethen ihm, ihr ſelbſt unbewußt, eine Neigung,
die bei dieſem tiefen Gemüthe ſtark und dauernd
werden mußte. Alle ſeine Pulſe ſchlugen warm
bei der Ueberzeugung, Gegenliebe gefunden zu
haben, wo ſein Herz ſie ſo ſehnlich begehrte.
Er hatte einen Augenblick hindurch ein Gefühl
von Glück, das den Menſchen für jahrelanges
Leiden ſchadlos hält; dann aber zuckte ſein
Herz kalt und krampfhaft zuſammen, unter der
rauhen Berührung der Wirklichkeit. Er hatte
ſich es ausgemalt, wie Clara, ſeine Liebe er-
wiedernd, mit ihm vor ſeinen Eltern erſcheinen
würde, um dieſen Bund ſegnen zu laſſen, wie
Clara's Eltern! O! dieſe würden und konnten
nie in eine Verbindung ihrer Tochter mit ihm
willigen, ſie war ja überhaupt unmöglich.


„Unmöglich!“ rief er aus, und ſtand am
Ufer des Meeres, und ſah hinab in die ſchäu-
menden Wellen, die ſo unruhig wogten, als
[142] ſein gequältes Herz. Da brach der Mond
durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen
Augenblick in dem Wellengeträufel wieder, das
ſich vor den milden Strahlen zu beruhigen und
zu ordnen ſchien; und der Mond dünkte ihm ein
klares, lichtes, unerforſchliches Auge zu ſein, das
auf das wilde Meer ſeines Lebens beſänftigend
herniederſchaute. Das Herz that ihm unbe-
ſchreiblich weh, und heiße Thränen floſſen aus
ſeinen Augen. „Gott! Gott!“ rief es in ihm,
„warum mußte ich in Verhältniſſen geboren
werden, die mir bei jedem Schritte hemmend
entgegentreten? Warum muß ich von Allem,
was meine Seele am glühendſten begehrt, ge-
ſchieden ſein? Warum mir dies Leben des Käm-
pfens und Entbehrens?“


Mit dieſen Gedanken warf er ſich auf eine
der Bänke, die ſich häufig an dem Kai des
Hafens befanden, und ſah grollend mit ſeinem
[143] Looſe und ſeinem Schöpfer in die Fluthen
hinab; denn empor zu ſehen zum Himmel ver-
mochte ſeine verdüſterte Seele nicht.


Vor ihm lagen in lautloſer Stille unzäh-
lige Schiffe, die Wachen gingen, um ſich zu
erwärmen, mit großen Schritten auf dem
Deck umher; hier und dort ſchimmerte ein
Licht aus den kleinen Fenſtern der Cajüten.
Er fühlte die Nähe von Menſchen, er ſah, daß
auch ſie ein ſchweres, ſaures Tagewerk zu er-
füllen beſtimmt waren, und doch beneidete er
ihr Geſchick und ihren ruhigen Schlummer.
Mochte der Schiffer noch ſo lange von der
Heimat getrennt ſein, einſt kehrt er doch zurück
in ein Land, deſſen Bürger, deſſen eingeborne
Sohn er iſt, das ihn ſchützt in allen ſeinen
Rechten; und die Gattin, die er unter allen
Mädchen frei erwählte, ſinkt an ſeine Bruſt,
ohne daß der Glaube, wie ein drohendes Ge-
ſpenſt, zwiſchen ſie tritt und mit kalter Hand
[144] die warmen Herzen trennt. Was bot das
Leben ihm? Kränkungen waren ihm geworden,
ſeit er zum erſten Bewußtſein erwacht war;
weder Mühe noch Fleiß war ihm vergolten
worden, wie er es gewünſcht hatte und zu
hoffen berechtigt war. Nun hatte ſein Herz
ſich dem vernichtenden Einfluſſe allmälig ent-
zogen, es war neu belebt und erblüht in dem
wärmenden Hauch einer edlen Liebe, er hatte
die Gefährtin gefunden, an deren Seite er den
Lebensgang zu gehen begehrte — und wieder
trat das alte Schreckbild zwiſchen ihn und
ſein Glück.


Er ſprang auf, und fing aufs Neue an,
den Kai entlang zu ſchreiten. Warum ſollte
er nicht, wie tauſend Andere, einem Glauben
entſagen, deſſen Form allein ihn von der übri-
gen Menſchheit trennte? Was band ihn an
Moſes und ſeine Geſetze? Es ſträubte ſich bei
dieſen ebenſo viel gegen ſeine Vernunft, als bei
[145] den Lehren Jeſu. Warum nicht einen Aber-
glauben gegen den andern vertauſchen, und mit
der Geliebten vereint zu dem Weſen jenſeits
beten und rein vor ſeinen Augen wandeln? —
rein und glücklich. — So ſprach die Stimme
der Liebe in ihm, und er wurde mild und
weich. Da tönte von einem engliſchen Schiffe
herüber „Rule Britania“, das die Nachtwache
ſang, um den Schlaf von den müden Augen
zu verſcheuchen. Zerſtreut hörte Eduard zu,
bis die Worte „Briton never shall be slaves“
ſein Ohr berührten. „Ja“, rief er, „ſie ſind
frei! und wir? — mein armes, gedrücktes Volk,
ich ſollte mich von dir trennen? mich von dir
trennen, weil du unglücklich biſt? Tauſend
Herzen ſind unter barbariſchen Vorurtheilen
zerdrückt worden, und ich wäre feig genug, für
mich zu zittern? für mich, dem außer der Liebe,
der ich entſagen muß, noch die theuren Seinen
bleiben, und der große Beruf, ſo viel ich ver-
I. 7
[146] mag, für die unterdrückte Nation zu wirken,
der ich angehöre; ſie frei zu machen, aus Skla-
venfeſſeln, die Jahrhunderte auf ihr laſten.
Wie mag ich mein Glück, das Glück des Ein-
zelnen, ſo hoch ſchätzen, während mein ganzes
Volk nicht glücklich iſt! Ehe ich meineidig
werde an den Meinen und meiner Ehre, mag
dies Herz brechen in Sehnſucht nach der Ge-
liebten, nach meiner ſüßen, ſchönen Clara!“
Und wieder und immer wieder wollte der männ-
liche Entſchluß wankend werden, bei dem Ge-
danken an die Geliebte. Eduard malte es ſich
aus, wie auch Clara's Seele leiden werde unter
der Trennung, die er über ſie und ſich verhän-
gen müſſe — wie ſie ihm zürnen werde, weil
er ſo großes Weh über ſie bringe — und doch
vermochte er noch weniger den Gedanken zu
ertragen, ſich und ihr durch die Taufe alle
dieſe Schmerzen zu erſparen und ſich mit ihr
zu verbinden. Er war entſchloſſen und re-
[147] ſignirt, aber tief traurig, als er langſam den
Rückweg nach ſeiner Wohnung antrat. Reiflich
überlegte er, wie er ſein künftiges Betragen ge-
gen Clara einrichten werde, wie kein Blick, kein
Wort das Gefühl ſeiner Bruſt enthüllen ſolle,
und das bleiche Licht eines Wintertages ſah be-
reits durch ſeine Fenſter, ohne daß Eduard
daran gedacht hätte, ſich zur Ruhe zu legen.
Der Morgen fand ihn todtmüde in einem Lehn-
ſtuhl ſitzen, erfreut über die körperliche Abſpan-
nung, die ihm das geiſtige Leid weniger zer-
reißend empfinden ließ.



Wir alle haben es gewiß erfahren, wie in
einem Kreiſe befreundeter Menſchen ſich allmälig
eine Epoche vorbereitet, in der die Ereigniſſe
und Veränderungen, raſch auf einander folgend,
ſich wunderbar durchkreuzen, und eine gänzliche
Umgeſtaltung der Verhältniſſe hervorrufen. Es
7*
[148] iſt, als ob nun plötzlich alle Fähigkeiten ihre
Entwickelung gefunden hätten, als ob Jeder
ſich bewußt geworden ſei, was er wolle und
müſſe; und wo noch vor kurzer Zeit nur Keime
vorhanden waren, ſteht ſchnell emporgewachſen
eine reife Ernte da. Aber dem Erſcheinen
ſolcher Zeitpunkte gehen in den Familien, wie
in der Natur bei der Ernte, heiße, ſchwere
Tage voraus, in denen die Luft drückend und
unheilſchwer über uns liegt und ſich in gewalt-
ſamen Gewitterſtürmen abkühlt. Wir fühlen
den herannahenden Orkan, eine Unruhe über-
fällt uns, wir zagen vor dem entſcheidenden
Momente, und ſehnen ihn doch ungeduldig her-
bei, um in der erneuerten Atmoſphäre friſch und
frei aufathmen zu können.


Ein ſolcher Zeitpunkt war für den Cirkel
herangerückt, in deſſen Mitte dieſe Erzählung
uns führt. Jeder der Betheiligten fühlte, daß
ein entſcheidender Schritt geſchehen müſſe, und
[149]
Keiner hatte den Muth, ihn zu thun. Eduard
hielt es ſich als eine Nothwendigkeit vor, Clara
zu verlaſſen, ehe das Scheiden ihm und ihr noch
ſchwerer werde, und konnte es doch nicht über
ſich gewinnen, ihre Behandlung fremden Hän-
den zu übergeben, die leicht weniger geſchickt
und ſorgſam ſein konnten, als die ſeinen. We-
nigſtens täuſchte er ſich über ſeine Unentſchloſ-
ſenheit mit dieſer ſcheinbaren Pflichterfüllung. —
Jenny begriff es nicht in liebender Ungeduld,
warum Reinhard zögere, ihr ein Geſtändniß zu
machen, deſſen es kaum noch bedurfte, während
dieſer ſelbſt ernſt mit ſich zu Rathe ging und,
je mehr er ſich und Jenny prüfte, um ſo ängſt-
licher über den Erfolg einer Verbindung mit
der Geliebten wurde.


In dieſer peinlichen Unruhe vergingen einige
Wochen. Clara's Geneſung war ſo weit vor-
geſchritten, daß Eduard nur noch bisweilen das
Hornſche Haus beſuchte, um ſich nach dem Zu-
[150] ſtande ſeiner Kranken zu erkundigen, und vor
Allem, um ſie zu ſehen, um mit ihr über Alles
zu ſprechen, was ſeine Seele in Anſpruch nahm.
Vor ihr hatte er ſich gewöhnt, die tiefſten Re-
gungen ſeines Herzens, die kühnſten Gedanken
ſeines Geiſtes zu enthüllen. Sie hatte er ein-
geweiht in jedes Glück und jedes Leid, das er
als Jude erduldet, und außer der Wonne, die
es ihm gewährte, der Geliebten von ſich und
ſeinem frühern Leben zu erzählen, hatte er ge-
dacht, Clara dadurch deutlich zu machen, daß
ſie getrennt wären durch den Glauben, und
daß er nie daran denken könne, ſie ſein Weib
zu nennen. Anders aber, als er es berechnet
hatte, wirkten dieſe Schilderungen auf das lie-
bende Herz des Mädchens. Sie wünſchte und
fühlte in ſich die Macht, ihn zu entſchädigen
für alles Leiden; ſie wollte ihm zeigen, daß ſie
wenigſtens die Vorurtheile der Menge nicht
theile. Darum ſprach ſie offen von ihrer Ach-
[151] tung und Verehrung für ihn, darum hatte ſie
tauſend jener kleinen Aufmerkſamkeiten ihm ge-
genüber, in denen weibliche Liebe ſo erfinderiſch
iſt, und die, allen Andern unbemerkbar, ſicher
den Weg in das Herz Deſſen finden, dem ſie
gelten. Dabei war Clara ſo hingeriſſen von der
großartigen, freien Weltanſchauung Eduard's;
die Wahrheit ſeiner Worte prägte ſich ihr ſo
deutlich und unbeſtreitbar ein, daß auch in
dieſer Beziehung der Geliebte ihr Ideal wurde.
Ein Tag, an dem ſie ihn nicht geſehen, nicht
gehört hatte, was er treibe, was ihn beſchäftige,
ſchien ihr ein verlorner zu ſein; und als nun
Eduard endlich ſeine letzte, ärztliche Viſite
machte, als Clara mit Thränen in den Augen
vor ihm ſtand, mit Thränen, die, wie ihre
Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit
floſſen, fand ſie endlich ſo viel Muth in ſich,
leiſe die Hoffnung auszuſprechen, Doctor Meier,
dem ſie ſo unendlichen Dank ſchuldig geworden,
[152] werde künftig dem Hauſe ihrer Eltern ſich nicht
gänzlich entziehen. In Folge deſſen konnte die
Commerzienräthin es füglich nicht vermeiden,
eine ähnliche Einladung an ihn ergehen zu
laſſen, welche Eduard, trotz aller gefaßten
Entſchlüſſe, trotz ſeiner Grundſätze, ſehr glück-
lich machte. Klaget ihn nicht der Schwäche
an, wenn ihr jemals geliebt habt, und erinnert
euch, wie eure Vorſätze zu Grunde gingen,
wenn in der Trennungsſtunde die Geliebte bit-
tend vor euch ſtand! Fragt euch, ob die Sehn-
ſucht nach der Gegenwart der Geliebten nicht
ſtärker war, als jeder Entſchluß, den die Ver-
nunft euch vorgezeichnet hatte!


Nachdem Eduard eine förmliche Einladung
zu einem Diner im Hauſe der Commerzien-
räthin erhalten hatte, bei dem er mit vielen der
angeſehenſten Männer der Stadt zuſammenge-
kommen war, die ihn kannten und hochſchätzten,
nachdem die ſtolze Wirthin es einmal über-
[153] wunden hatte, einen Juden als Gaſt an ihrer
Tafel zu dulden, fand es Clara nicht ſchwer,
eine zweite Einladung für ihn zu bewirken, be-
ſonders da Ferdinand, nach heftigen Zerwürf-
niſſen mit ſeinem Vater, ſeine ſogenannte große
Tour angetreten hatte, und ſo lange in London
in dem Hauſe ſeines Onkels bleiben ſollte, als
William auf dem Continent verweilen würde.
Statt alſo in ihren Abſichten durch Ferdinand
gehindert zu werden, fand ſie dieſelben durch
das Zureden ihres Vetters weſentlich gefördert;
und ihre Eltern ließen ſich bereit finden, den
Wünſchen ihrer Tochter und William's nach-
zugeben, da nach Clara's Herſtellung das Hei-
rathsproject für dieſe wieder aufgenommen
wurde, und die Commerzienräthin aufs Neue
die zärtlich nachgebende Mutter ſpielte, um
deſto leichter das vorgeſteckte Ziel zu erreichen.
Dazu kam, daß der bisherige alte Hausarzt der
Hornſchen Familie gerade jetzt, nachdem er ſein
7**
[154] Jubiläum feierlich begangen hatte, ſeine Praxiſ
niederlegte, und die Commerzienräthin ſelbſt den
Vorſchlag machte, den Dr. Meier zu ihrem
Arzte zu erwählen, wodurch er gewiſſermaßen
von Rechtswegen in die Zahl der Hausfreunde
aufgenommen wurde. Seine fleißigen Beſuche
ſchrieb Madame Horn der Ehre zu, die Meier'n
durch ihre Wahl widerfahren ſei und die er zu
ſchätzen wiſſe; und daß Clara's Intereſſe für
den Doctor andere Motive, als Erkenntlichkeit
haben könne, war ein Gedanke, der ihr niemals
einfiel, weil ſie die Liebe ihrer Tochter zu ei-
nem Juden für eine Naturverirrung angeſehen
hätte, die ſie einem Mädchen aus ihrer Fa-
milie unmöglich zutrauen konnte.


Das Jahr näherte ſich ſeinem Ende, als
Eduard faſt ein täglicher, und ſelbſt von den
Eltern gern geſehener Gaſt des Hornſchen
Hauſes geworden war. Der Commerzienrath,
der durch ſeine Geſchäfte fortwährend mit den
[155] jüdiſchen Bankiers in Berührung kam, und den
alten Meier perſönlich achtete, war natürlich
weniger hartnäckig in ſeinem Widerwillen gegen
die Juden; und Eduard hatte, ſchon während
er Clara behandelte, des alten Horn's volles
Zutrauen gewonnen. Hughes ſchloß ſich im-
mer mehr an Eduard an, und dieſer ſah es
um ſo lieber, als er durch ihn in fortwährender
Berührung mit Clara blieb, deren unzertrenn-
licher Begleiter der Couſin geworden, ſeit Fer-
dinand abweſend war. Für Clara begann nun
eine Zeit der reinſten Freude. Eduard überließ
ſich mit jugendlicher Lebendigkeit der Wonne,
die ihm das Beiſammenſein mit der Geliebten
gewährte, ohne an die Zukunft zu denken, weil
die Gegenwart ihn ganz ausfüllte. Hughes,
dem Clara mit der ſchweſterlichſten Traulichkeit
begegnete, gerade weil er ihr ganz gleichgültig
und ihr Herz nur mit Eduard beſchäftigt war,
Hughes fühlte eine wachſende Neigung für
[156] Clara, der er ſich um ſo unbeſorgter hingab,
als er wol ahnete, daß ſie die Wünſche beider
Familien für ſich habe. Er gehörte zu jenen
ruhigen, trefflichen Menſchen, die bei wahrem
Gefühle doch keiner Leidenſchaft fähig ſind. Er
gewann Clara lieb, er liebte ſie ſogar innig,
aber das ſtörte ihn weder in den Beſchäftigun-
gen und Zerſtreuungen des Tages, noch raubte
es ihm eine Stunde des Schlummers während
der Nacht. Unermüdlich aufmerkſam auf Alles,
was Clara erfreuen konnte, ſtets beſorgt, ihr
Unangenehmes zu erſparen, war er ganz zu-
frieden mit dem Wohlwollen, das ſie ihm be-
wies, und Meier's Einfluß auf ſeine Couſine
beunruhigte ihn nicht, da er mit vollem Zu-
trauen an Beiden hing. Eduard entgingen die
Gefühle nicht, die William für Clara hegte;
aber ſo feſt glaubte er an Clara's Herz, daß
nie ein Gedanke von Eiferſucht in ihm rege
wurde. Er wußte, Clara's Herz gehöre ihm;
[157] und wenn dann plötzlich die Frage in ihm her-
vortrat, was die Zukunft ihm bringen werde,
was das Ende von allen dieſen Verhältniſſen
ſein könne? dann zog ſich eine düſtre Wolke
auf ſeiner Stirne zuſammen, er ſagte ſich, daß
er ſchlecht, daß er unredlich handle, er rief es
ſich zurück, wie feſt der Entſchluß, Clara zu
meiden, einſt in ihm geweſen ſei, und fand
nicht Friede, nicht Ruhe, bis er in Clara's
Nähe Alles vergaß, außer ſeiner Liebe.


Da er den ganzen Tag beſchäftigt und
Abends häufig im Hornſchen Hauſe war, an-
derer Einladungen nicht zu gedenken, an denen
es dem beliebten Arzte nicht fehlte, mußte er
natürlich in ſeinem elterlichen Hauſe ſeltener
werden, obgleich er das Mittagsmahl regel-
mäßig mit den Seinen einnahm, und oft ängſt-
lich nach Muße ſtrebte, um ſie den Eltern zu
widmen. Die nächſte Folge davon war, daß
Jenny aus Mißmuth, wie ſie ſagte, ſich an
[158] Joſeph zu gewöhnen begann, und Zutrauen zu
ihm faßte. Denn Reinhard hielt ſich in ſcheuer
Entfernung, er mißtraute ſich und der Gelieb-
ten. Eduard war, um Jenny's Worte zu
brauchen, der Fahne untreu geworden, und auf
dem Punkte, zu deſertiren. Erlau malte die
Giovanolla, und folgte ihr von früh bis ſpät.
Steinheim endlich hatte zum zehnten Male eine
jener literariſchen Arbeiten vorgenommen, deren
er immer ein halb Dutzend unter den Händen
hatte, die ihn 14 Tage beſchäftigten und ihm
unſterblichen Ruhm verſchaffen ſollten, aber
niemals fertig wurden, weil er weder Ruhe
noch Fleiß dazu beſaß; und ſomit war die
Meierſche Familie jetzt mehr allein, als es ſonſt
der Fall zu ſein pflegte. Dieſer Zuſtand wurde
der lebhaften Jenny unerträglich. Gepeinigt
durch Reinhard's Benehmen, das ſie nicht zu
deuten vermochte, gelangweilt durch die unge-
wohnte Einſamkeit und Stille des Hauſes,
[159]
tauchte einſt plötzlich in ihr der Entſchluß auf,
Reinhard's Zweifeln, die ihrer Meinung nach
nur aus dem verſchiedenen Glauben entſpringen
konnten, ein Ende zu machen, und zugleich dem
Geliebten einen überzeugenden Beweis ihrer
Liebe zu geben, indem ſie ſich von der Religion
ihrer Väter, ihrer Eltern trennte, und zum
Chriſtenthume überträte, deſſen Lehren ihr durch
Reinhard lieb geworden waren. Dieſer Vor-
ſatz, einmal gefaßt, kam ihr nicht mehr aus
dem Sinn. Thereſe, der ſie ihn zuerſt als das
tiefſte Geheimniß mittheilte, ohne jedoch die
wahren Motive anzugeben, zerfloß in Thränen
der Freude bei dem Gedanken, daß ihr Jenny
künftig auch durch den gleichen Glauben ange-
hören wolle. Sie malte mit rührender In-
brunſt den Segen, der Jenny in dem Beſuch
der Kirche, in dem Genuſſe des heiligen Abend-
mahls werden müſſe; ſie ſchilderte ihr die Ruhe,
den Himmelsfrieden, den ſie nach demſelben em-
[160] pfunden, und Jenny, deren ganze Seele gerade
jetzt in der furchtbarſten Unruhe befangen war,
fühlte ſich dadurch in ihrer Anſicht beſtärkt,
und fing an, auch die Eltern allmälig auf ihre
Wünſche vorzubereiten. Dieſe nahmen es an-
fänglich leicht. Sie hielten es für eine jener
enthuſiaſtiſchen Aufwallungen, die ſie an ihrer
Tochter gewohnt waren, und mit denen ſie ſich
ebenſo gut für das Chriſtenthum und einen
allgemeinen Kreuzzug, als für das Judenthum
und die Begründung eines neuen jüdiſchen
Reiches, begeiſtern konnte. Nur Joſeph faßte
es anders auf. Er kannte die Triebfedern, die
hier im Spiele waren, und ein doppeltes In-
tereſſe flößte ihm den Wunſch ein, die Ausfüh-
rung oder das Ausbilden dieſes Gedankens bei
Jenny zu verhindern, weshalb er jede Gelegen-
heit ergriff, mit ihr darüber zu ſprechen.


Eines Tages, als man vom Mittagstiſche
aufgeſtanden war, Eduard ſich entfernt, und
[161] Herr und Madame Meier eine kleine Spazier-
fahrt unternommen hatten, die Jenny mitzu-
machen abgelehnt, blieb ſie mit Joſeph allein
in dem Eßzimmer zurück und das Geſpräch
wandte ſich bald auf das Chriſtenthum, da
Beide gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt
waren.


„Was iſt es denn eigentlich“, fragte Joſeph
ſie, „was Dich ſo urplötzlich zu dem Entſchluſſe
gebracht hat?“


„Urplötzlich kannſt Du es nicht nennen“,
antwortete ſie. „Ich habe bis jetzt überhaupt
nicht über mich ſelbſt nachgedacht; ich habe wie
ein Kind in den Tag hineingelebt. Nun ich
älter werde und ernſter über mich nachdenke,
fühle ich, daß die Halbheit, in der ich erzogen
bin, mich nicht befriedigt, daß ich nicht glücklich
bin, und will das ändern.“


Joſeph lächelte unwillkürlich. „Und Du
hoffſt, das Chriſtenthum werde Dich glücklicher
[162] machen? Mein gutes Kind, täuſche Dich nicht.
Der Glaube, der Frieden, der nicht in uns iſt,
den bringt kein Wechſel der Religion in unſer
Herz, den kann Dir weder Chriſtus noch Moſes
geben.“


„Das kannſt Du nicht wiſſen, weil Du nicht
Chriſt biſt!“ erwiderte ſie.


„Und woher weißt Du es denn?“


„Durch Thereſe, durch Reinhard. O! wenn
Du wüßteſt, wie ſelig Thereſe nach dem Ge-
nuſſe des Abendmahls war, wie feſt Reinhard
daran glaubt, daß ſelbſt Leiden, die Gott uns
auferlegt, zu unſerm Heile dienen, wie ſicher er
darauf rechnet, nach dem Tode mit ſeinen ge-
liebten Verſtorbenen wieder vereinigt zu werden!
Joſeph, glaube mir, mit der Ueberzeugung muß
man glücklich ſein!“


Joſeph ſchwieg eine Weile, denn Jenny's
Worte, aus denen ihre angeborne Lebhaftigkeit
mit der Liebe für Reinhard zugleich hervor-
[163] tönte, machten einen faſt ſchmerzlichen Eindruck
auf ihn. Er beneidete Reinhard, daß er Jen-
ny's Liebe gewonnen, und war einen Augen-
blick nahe daran, ganz von dieſer Unterhaltung
abzubrechen und mit keinem Zweifel ein Herz
zu beunruhigen, das für ihn, wie er fühlte,
hoffnungslos verloren ſei. Indeß war ihm
Jenny zu theuer, als daß er ſie ohne Beſorg-
niß auf einem Pfade ſehen konnte, deſſen Ziel
ihm für die Ruhe Jenny's durchaus gefährlich
ſchien, und er hielt es für recht und nöthig,
bei einem ſo wichtigen Schritte, an deſſen
Ausführung er, wie er die Verhältniſſe kannte,
nicht mehr zweifelte, die Stimme der Warnung
ernſtlich geltend zu machen.


„Höre mir einmal aufmerkſam zu“, bat
er, „und laß mich ausreden, liebe Jenny! Du
ſagſt mir, mit Thereſens und Reinhard's
Ueberzeugung müſſe man glücklich ſein. Haſt
Du dieſe?“


[164]

„Nein“, antwortete Jenny.


„Aber Du glaubſt auch, daß Gott über
uns lebt, daß er unſer Schickſal lenkt, daß
uns nichts begegnen könne, ohne ſeinen Willen,
daß er allweiſe und allgütig iſt, daß er uns
liebt?“


„Gewiß, das glaube ich.“


„Du glaubſt, daß wir eine unſterbliche
Seele haben? denn das ſcheint eine von den
Ueberzeugungen zu ſein, die Du am tröſtlich-
ſten findeſt.“


„Joſeph“, fiel Jenny raſch ein, „ſieh, wenn
ich an die Unſterblichkeit der Seele zu glauben
vermöchte, wenn mir das bewieſen werden könnte,
ſodaß ich es einſehen, es begreifen könnte, dann
wäre ich ſchon glücklich. Es iſt ſo furchtbar,
Dasjenige auf das bloße Wort eines Andern
glauben zu müſſen, was uns zur unwandel-
baren, felſenfeſten Ueberzeugung werden muß,
wenn wir nicht beſtändig in Todesangſt erzit-
[165] tern ſollen bei dem Gedanken, daß Einer un-
ſerer Lieben uns entriſſen werden könne. Aber
bewieſen muß es mir werden, daß ich es er-
faſſen kann mit der Vernunft. Daß Ihr mir
ſagt: ‚Glaube, wir ſind unſterblich‘, das genügt
mir nicht, das vermag ich nicht.“


„Du vermagſt nicht zu glauben, und willſt
Chriſtin werden? zu einer Religion übertreten,
die, ganz auf Offenbarungen baſirt, voll von
Myſterien, nur durch den Glauben beſteht, in
Allem, was nicht Moral oder Philoſophie iſt?
Was iſt Dir der Sohn Gottes, der Menſch
gewordene Gott ohne den Glauben? Wie kann
Dich die Anweſenheit Chriſti im Abendmahle
erheben, wenn Du nicht zu glauben vermagſt?
Oder meinſt Du, man könne Dir die Gegen-
wart Chriſti im Sakramente beweiſen? es
gäbe eine Erklärung für die Kindſchaft Jeſu?
Kannſt Du den heiligen Geiſt, die Dreieinigkeit
begreifen? Man wird Dir ein Bild dafür
[166] geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu
glauben, dieſes Bild ſei Wahrheit?“


„O Gott! nicht weiter“, rief Jenny wei-
nend aus, „nicht weiter! guter, beſter Joſeph!
ich bin grenzenlos unglücklich!“


„Doch! mein liebes Kind! denn wie ein
theures Kind liebe ich Dich“, ſagte Joſeph mit
bebender Stimme, „doch! — Du mußt mit Dir
ſelbſt einig werden. Du weißt, das viele Spre-
chen iſt nicht meine Sache; um Dich aber auf-
zuklären über Dich ſelbſt, müſſen wir aufrichtig
ſprechen. Den Glauben an Gott, die Lehren,
recht zu thun und dem Nächſten zu dienen, ent-
hält das alte Teſtament, und Du findeſt ſie
veredelt und einer höhern geiſtigen Entwickelung
entſprechend im neuen Teſtamente wieder, und
Mahomet und Zoroaſter lehrten ſie — denn ſie
ſind begründet in unſerer Seele, die uns Gott
gegeben. Darüber hinaus iſt alles Menſchen-
ſatzung; und Du, großgezogen im Skepticismus
[167] des jetzigen Judenthums, wirſt nie aufhören,
an Alles den Maßſtab der Vernunft anzulegen.
Du haſt geſehen, daß Deine Familie, gut und
brav, den Geſetzen der Moral gefolgt iſt, und
doch die Geſetze, die das Judenthum charakteri-
ſiren, als bloße Ceremonialgeſetze verwirft. Du
biſt erzogen in der Schule des Gedankens, wenn
ich ſo ſagen darf, und Dir iſt die Möglichkeit
des Glaubens ohne Prüfung dadurch genom-
men. Du wirſt hoffentlich ein Menſch wer-
den ‚nach dem Herzen Gottes‘, aber Du wirſt
niemals Chriſtin ſein, noch Jüdin. Wie wir
Juden jetzt in religiöſer Beziehung denken, gibt
es keine poſitive Religion mehr, die für uns
möglich iſt, und wir theilen mit Tauſenden von
Chriſten die Hoffnung, daß eine neue Religion
ſich aus den Wirren hervorarbeiten werde, de-
ren Lehren nur Nächſtenliebe und Wahrheit,
deren Mittelpunkt Gott ſein muß, ohne daß
ſie einer myſtiſchen Einhüllung bedürfen wird.“


[168]

Joſeph hielt inne, und auch Jenny ſchwieg.
Endlich fragte ſie leiſe: „Und was ſoll aus
mir werden? Was ſoll ich beginnen?“


Joſeph, der neben ihr auf dem Divan ſaß,
zog ſie ſanft an ſich und ſagte mit dem mil-
deſten Tone, deſſen ſeine Stimme fähig war:
„Du ſollſt Dich prüfen, ob Du ohne Reinhard
nicht glücklich zu ſein vermagſt, denn nur ihn
ſuchſt Du im Chriſtenthume. Du ſollſt prü-
fen, mein Kind! ob Reinhard Dir eine ſo feſte
Stütze im Leben ſein wird, als die Deinen?
Reinhard iſt gut und brav, aber ich fürchte,
Ihr Beide werdet Euch niemals verſtehen — und
am Ende wirſt Du Deinem Herzen folgen.
Das allein entſcheidet zuletzt das Schickſal der
Frauen. Gott gebe, daß Dein Herz Dich nicht
trügt!“


Bei dieſen Worten küßte Joſeph die Stirne
des Mädchens, das, ebenſo ergriffen als ver-
ſchämt, den Kopf an ſeiner Schulter verbarg,
[169]
als die Thür aufging und Reinhard in das
Zimmer trat. Er blieb überraſcht ſtehen, Jenny
ſprang entſetzt in die Höhe, und nur Joſeph
war ruhig und hieß ihn willkommen. Dadurch
gewann Reinhard Zeit, ſich zu faſſen; einen
kurzen Moment ſchien er zu überlegen, dann
ging er ſchnell und leidenſchaftlich bewegt auf
Joſeph zu und ſagte: „Ich kenne Sie nicht ge-
nau genug, Herr Meier! um eigentlich eine
ſolche Frage an Sie richten zu dürfen. Sie
könnten mich der Zudringlichkeit beſchuldigen,
aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab:
„Wie ſtehen Sie mit Jenny Meier?“


„Ihre Forderung iſt allerdings ſonderbar“,
antwortete Jener, „da ich wirklich nicht einſehe,
was Sie zu der Frage berechtigt? Doch will
ich Ihnen antworten, weil ich Ihrer Ehre ver-
traue. Jenny Meier iſt mir eine theure Ver-
wandte, die, unter meinen Augen aufgewachſen,
mir wie eine Schweſter werth iſt.“


I. 8
[170]

„Und ſie iſt nicht Ihre Braut?“ fragte
Reinhard weiter.


„Nein!“ war die entſchiedene Erwiderung.


„Aber Sie lieben Jenny? Was bedeutet
ſonſt die Scene, die ich geſehen?“


„Darüber brauche ich Ihnen keine Auskunft
zu geben, und es iſt mehr als Sie fragen dür-
fen, wenn Sie Fräulein Meier die Achtung
zollen, die ſie zu fordern berechtigt iſt“, ſagte
Joſeph tadelnd.


Reinhard wollte eben eine heftige Entgeg-
nung machen, denn die lebhafteſte Eiferſucht
raubte ihm faſt die Beſinnung; doch bezwang
er ſich gewaltſam, und ſprach mit erkünſtelter
Ruhe: „Ich muß es darauf ankommen laſſen,
wie Sie über mich in dieſem Augenblick ur-
theilen mögen. Vielleicht gelingt es mir bald,
Ihnen in günſtigerem Lichte zu erſcheinen, und
mein Betragen vor Ihnen zu rechtfertigen.“ —
Mit den Worten verließ er Joſeph, der ge-
[171] dankenſchwer im Zimmer auf und ab ging, bis
der alte Meier mit ſeiner Frau nach Hauſe kam,
denen bald darauf Eduard in der heiterſten Laune
folgte.


Dieſer kam aus dem Hornſchen Hauſe. Man
hatte dort von einem Treibhauſe geſprochen, in
dem eine Menge der ſchönſten Blumen gerade
jetzt in voller Blüte ſtänden, und Hughes hatte
dabei die Bemerkung gemacht, er halte das
Treibhaus des alten Herrn Meier für eines der
reichſten und ſchönſten, die er jemals geſehen.
Er erzählte von den Camelien, Azelien und
Hyazinthen, die er nicht genug loben konnte.
Clara ſchien ſich dafür lebhaft zu intereſſiren,
und Eduard wagte endlich den Vorſchlag, Fräu-
lein Horn möge ſeinen Eltern die Freude ma-
chen, ſich ſelbſt durch den Augenſchein davon zu
überzeugen. Hughes fand die Idee vortrefflich;
er war gleich bereit, ſeine Couſine zu begleiten,
und erhielt nach einigen Einwendungen die Er-
8*
[172] laubniß ſeiner Tante dazu. Die Commerzien-
räthin nämlich, die ihren Plan niemals aus
dem Geſichte verlor, fingen William's häufige
Beſuche im Meierſchen Hauſe zu beunruhigen
an. Es bangte ihr vor der Möglichkeit, Jenny
könne der Magnet ſein, der ihn dorthin ziehe,
und ſie wünſchte lebhaft, die Verlobung Clara's
mit William, die ihr ſehr am Herzen lag, ſo
ſchnell als möglich geſchloſſen zu ſehen. Darum
war ihr jede Veranlaſſung willkommen, die
Clara und Hughes zuſammenführte, beſonders
dieſe, bei welcher der junge Mann als der Be-
ſchützer des Mädchens auftrat; und es war ihr
lieb, wenn ſich die Leute gewöhnten, das Paar
als verlobt zu betrachten, weil nur zu häufig
das Urtheil der Welt uns erſt zu Entſchlüſſen
beſtimmt, die wir ſonſt vielleicht gar nicht oder
doch viel ſpäter gefaßt hätten.


Eine größere Freude hätte die Commerzien-
räthin weder ihrer Tochter noch Eduard be-
[173] reiten können. Beide erglühten vor Luſt, als
ihre Blicke ſich begegneten. Die Verabredung
wurde für den nächſten Morgen getroffen, und
Eduard eilte nach Hauſe, um ſeine Eltern da-
von in Kenntniß zu ſetzen.


Auch Reinhard war, als er ſich von Joſeph
trennte, nach ſeiner Wohnung gegangen, und
ſo ſtürmiſch in das friedliche Zimmer der Pfar-
rerin getreten, daß dieſe, Brille und Strickzeug
bei Seite legend, verwundert zu dem Sohne
empor ſah, an dem ſie dergleichen Ausbrüche
in ihrer Nähe, die er wie geheiligten Boden
ehrte, nicht gewöhnt war.


„Was iſt geſchehen, Guſtav? ſprich!“ fragte
ſie endlich, als Reinhard, der offenbar keinen
Anfang zu dieſer Unterhaltung zu machen ver-
mochte, ſich ſchweigend neben ſie auf das Sopha
warf, und tief aufathmend ſein Geſicht in den
Händen barg. „Was iſt geſchehen? Um Got-
teswillen!“ fragte die Mutter nochmals.


[174]

Und der ſtarke Mann bebte wie ein ſchwa-
ches Mädchen, und ſprach aus beklommener
Bruſt: „Ich liebe Jenny Meier, und ſah ſie
an der Bruſt ihres Vetters!“


Auch die Pfarrerin fuhr zuſammen. „Ar-
mer Sohn“, ſprach ſie, „alſo iſt ſie Joſeph's
Braut? Und ich glaubte, ſie theile Deine Liebe,
die ich lange ſchon erkannt.“


„Sieh Mutter, das iſt es! Auch ich habe
an ihre Liebe geglaubt, ich bete ſie an, ſie iſt
der Gedanke meiner Tage, der ewige Traum
meiner Nächte, und nun!“


Aufs Neue drang ſeine Mutter in ihn, ihr
genau zu berichten, was vorgefallen ſei. Rein-
hard's Erzählung, von den leidenſchaftlichſten
Klagen unterbrochen, ließ ſie einſehen, daß ih-
res Sohnes Eiferſucht der Geliebten Unrecht
gethan haben mochte. Sie fragte ihn, ob er
Jenny ſeine Liebe bekannt habe?


„Niemals!“ antwortete er. „Ein mir ſonſt
[175] unbekanntes Bangen hielt mich davon zurück.
Wenn ich es zu ſagen vermöchte, wie ich Jenny
liebe, das ſchöne, engelſchöne Kind, deſſen Leh-
rer und Freund ich bin, deſſen Geiſt, deſſen
tiefes, wahres Gefühl mich für ewig an ſie
kettet, an deſſen Seite zu leben, das heißeſte
Verlangen meines Lebens iſt! — Mutter! —
Dieſe Jenny iſt ein edles Mädchen; theilneh-
mend, mild und rein, und ich könnte Alles
opfern, um ſie mein zu nennen. Aber in
Jenny iſt noch ein zweites, fremdes Weſen,
das mich kalt abſtößt, wenn mein Herz offen
und warm ihr entgegenwallt. Haſt Du Jenny
geſehen, wenn ſie den ſchalen Witzen des al-
bernen Steinheim Beifall lächelt? wenn ſie
mit Wonne die Huldungen von Alt und Jung
duldet, und kein höheres Glück zu kennen ſcheint,
als die Pracht und den Luxus, der ſie umgibt,
keine andere Freude, als Allem Hohn zu ſpre-
chen, was es Großes und Heiliges gibt? Ich
[176] habe ſie am Morgen Thränen der tiefſten
Rührung vergießen ſehen über Empfindungen,
die ſie am Abend ſpottend verlachte; und oft,
wenn ihr ſchönes Auge mich zu den ſeligſten
Hoffnungen berechtigte, verletzte im nächſten
Momente ihr kaltes Wort mich ſo ſchwer, daß
ich ſchon tauſendmal entſchloſſen war, ſie für
immer zu fliehen. Und ſie zu fliehen, ſie nicht
zu ſehen, Mutter! von Jenny zu ſcheiden, ver-
mag ich nicht mehr.“ Beide ſchwiegen, und
die Pfarrerin weinte ſtill.


„Neulich“, fuhr er nach einer Weile fort,
„hörte ſie von dem Unglück einer armen Fa-
milie ſprechen; ſie war ſehr bewegt und doch
ſo klug und ruhig in den Hülfsleiſtungen, die
ſie anbot. Sie war gerührt wie ein Weib,
und klar verſtändig wie ein Mann. Hoch er-
freut betrachtete ich ſie, wie ſie geſchäftig alles
Nöthige ordnete und aus Kiſten und Schränken
zuſammentrug, was irgend der augenblicklichen
[177] Noth zu ſteuern vermochte — und nach einer
Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt
der beſte Segen des Himmels von den Armen
erfleht wurde, hörte ich ſelbſt aus ihrem Munde
die Worte: ‚Die Dürftigkeit iſt nicht poetiſch,
ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt,
ſie iſt nur armſelig und pauvre.‘ — Und ich
ſollte daran denken, ſie in ein kleines Pfarr-
haus zu führen, das ihr armſelig und pauvre
erſchiene? — O niemals, niemals!“


Und wieder entſtand eine lange und trau-
rige Pauſe, bis die Pfarrerin endlich ſagte, in-
dem ſie ihren Arm um ihren Sohn ſchlang:
„Mein armer Guſtav! es iſt leider manches
Wahre an Dem, was Du ſagſt, und doch ſcheint
es mir, Du thuſt Jenny Unrecht mit Deinem
Urtheil. Ihr Herz iſt gut, ſie liebt Dich, und
viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, ihr
flatterhaftes, unſtätes Weſen, ihre Putzſucht
würden ſich verlieren, wenn ſie in der Ehe
8**
[178] höhere und reinere Freuden kennen lernen würde;
aber —“


„O! das iſt es auch nicht“, rief Reinhard,
innerlichſt erfreut, ſich widerſprochen und die
Geliebte gelobt zu ſehen. „Das iſt es nicht!
Gönne ich dem ſchönen Engel nicht die Perlen-
ſchnur in den wundervollen Locken? Freue ich
mich nicht ſelbſt, wenn der lange Caſchmirſhawl
ſich um die kleine, feine Geſtalt legt, und die
Schultern blendend weiß daraus hervorſchim-
mern? Sie iſt geboren für dieſen Schmuck!
aber, ſie kann ihn nicht entbehren; ich vermag
ihn ihr nicht zu geben und würde doch erröthen,
mein Weib in einer Pracht zu ſehen, die ſie
nicht mir allein verdankte, die ich nicht mit ihr
theilen könnte, ohne von den Wohlthaten eines
Dritten zu leben. Und wenn Jenny in einem
jener Anfälle rückſichtsloſen Witzes jemals ein
Wort ſagte, das mich daran erinnerte, ſie ſei
die Reiche mir gegenüber — gerade, weil ich ſie
[179]
liebe — bei Gott! ich glaube, ich könnte zum
Mörder werden.“


„Das wird Jenny nie“, begütigte die Pfar-
rerin, „und in der Beziehung würde ich ſie
ruhig an Deiner Seite ſehen. Was mir an
Jenny mißfällt, iſt das jüdiſche Element in ihr.
Der Witz dieſes Volkes iſt eigenthümlich und
fürchterlich, er hat mich oft erſchreckt, gepeinigt,
wenn mir mitten in dem Kreiſe des Meierſchen
Hauſes wohl war, wie es Einem bei ſo braven,
gebildeten Menſchen wol werden muß. Ihr
Witz hat etwas von dem Stilet eines Ban-
diten, der aus dem Verborgenen hervorſtürzt
und den Wehrloſen um ſo ſicherer damit trifft.
Er iſt die letzte Waffe des Sklaven, dem man
jede andere Waffe gegen ſeinen Unterdrücker
genommen hat, die feige Rache für erduldete
tiefempfundene Schmach.“


„Mutter! Jenny's Witz iſt nicht ſo ſchlimm;
er iſt kindiſch, ſchnell und treffend. Aber wenn
[180] ich in thörichter Eiferſucht aufgeregt, hart über
meine Jenny urtheile — vergiß es, liebe Mut-
ter! denn ich habe Jenny verleumdet, ihrer
edlen Seele ſehr, ſehr Unrecht gethan. Ich
ſelbſt glaube nicht, was ich ſagte; es war
Leidenſchaft, Zorn, was aus mir ſprach, nicht
meine Ueberzeugung, nicht mein Herz, das
Jenny liebt — liebt wie Dich, meine theure
Mutter! Nicht wahr? auch Du haſt meine
Jenny lieb?“ fragte Reinhard, und die Pfar-
rerin ſchwankte, was ſie beginnen ſollte. Sie
ſah, daß ihr Sohn zu ſehr an der Geliebten
hing, um ſelbſt aus dem Munde ſeiner Mutter
ein Wort des Tadels gegen ſie ertragen zu
können. Lieber wollte er ſeine Ueberzeugung,
ſeine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen
ſtrafen, als Jenny tadeln hören, die er gerade
jetzt, wo die Eiferſucht ihm die Gefahr, ſie zu ver-
lieren, vorſpiegelte, unausſprechlich liebte. Doch
ſiegte die Pflicht, ihren Sohn aufmerkſam zu
[181] machen auf Jenny's Charakter, über die Scheu,
ihm augenblicklich wehe zu thun.


„Ich habe Jenny ſehr lieb“, ſagte ſie, „und
die kindliche Freundlichkeit, die Hingebung, die
ſie mir immer zeigt, verdienen meinen wärmſten
Dank. Sie, ſo klug, ſo ſchön und gut, muß
der Stolz jeder Mutter ſein.“ — Reinhard's
Geſicht leuchtete vor Freude und ein feuriger
Händedruck lohnte ſeiner Mutter dieſe Anerken-
nung. „Doch“, fuhr die Pfarrerin fort, „täuſche
Dich nicht, Guſtav! Jenny hat Fehler, für die
ſie nicht verantwortlich iſt, weil ſie gewiſſer-
maßen nationell ſind, und die die Mehrzahl der
ſogenannten gebildeten jüdiſchen Frauen, mehr
oder weniger alle, mit ihr theilen. Die Leb-
haftigkeit, das ſüdliche Feuer der Juden fällt
bei der Hefe der Nation als eine unerträgliche
Manier auf. Ihr Sprechen, ihre Geberden ſind
carrikirt. Davon iſt der Gebildete frei, die un-
ruhige Lebhaftigkeit indeſſen bleibt ein hervor-
[182] ſtechender Zug der Juden. Sie mag vortreffliche
Geſchäftsmänner hervorbringen, der Weiblichkeit
aber tritt ſie zu nahe. Jenny belebt eine ganze
Geſellſchaft; ſie iſt täglich neu; man findet
Freude und Unterhaltung bei ihr, nur Ruhe
nicht. Sie hat Muth und Geiſt; ſie bewegt ſich
frei und keck; und doch muß ich, wie zur Er-
holung, auf Thereſe ſehen, die ſtill und beſchei-
den, wie ſie iſt, einen gar wohlthuenden Ein-
druck auf mich macht.“ „Thereſe iſt kälter; ſie
hat lange nicht den Geiſt“, wandte Reinhard
ein, und was Du von den Jüdinnen ſagſt,
trifft auch nicht immer zu. Iſt Jenny's Mut-
ter nicht die liebenswürdigſte, vortrefflichſte
Frau? — Auch Jenny wird ſo werden, wenn
das erſte Jugendfeuer vorüber iſt. Und dieſe
Lebhaftigkeit, die Du tadelſt, wie viel Freude
muß ſie dem Manne gewähren! Jenny's Geiſt ...“


„Das iſt es, was ich fürchte!“ ſagte die
Pfarrerin. „Jenny's Geiſt iſt unerbittlich klar;
[183] er läßt ſich nie von ihrem Herzen täuſchen.
Das iſt es, was mich beſorgt macht. Dieſen
geiſtreichen Mädchen aus den jüdiſchen Familien,
die gleich Jenny erzogen werden, fehlt es faſt
immer an gutem weiblichen Umgange: mehr
unterrichtet, als die Frauen ihrer nächſten Um-
gebung, überſchätzen ſie ſich zu leicht; das Bei-
ſammenſein mit Mädchen, die Sorge für die
täglichen Bedürfniſſe des Hauſes hört auf ihnen
Freude zu machen; ſie ziehen die Unterhaltung
der Männer vor, welche mit Vergnügen ſolch
einen kleinen Ueberläufer empfangen. Im Kreiſe
der Männer nun machen ihr Geiſt und ihre
Aufklärung Rieſenfortſchritte; die neuen Be-
griffe, der große Maßſtab der Männer werden
an Alles gelegt; das Mädchen ſchämt ſich der
engen Verhältniſſe, die ihm bis dahin genüg-
ten; eilig werden die alten Vorurtheile nieder-
geriſſen, die beſchränkten Anſichten verworfen;
das Haus, in deſſen alten fabelhaften Mauern
[184] das junge Mädchen gerade heimiſch und liebens-
würdig erſcheint, wird zerſtört, und ein neuer
ſpiegelblanker Palaſt errichtet. Durch die gro-
ßen Scheiben dringt ſtrahlend hell das Sonnen-
licht, und glänzt von den glatten Marmorwän-
den wieder. Alles iſt Licht — kein Halbdunkel,
kein düſterer Schatten; aber auch kein ſtiller
Raum, um dem Schöpfer einen Altar zu bauen,
kein traulich Plätzchen für ſchüchterne Liebe. —
Guſtav! ich habe Dir, als Du noch auf meinen
Knien ſpielteſt oft in Märchen und Bildern die
Wahrheit mitzutheilen verſucht, die ich Deinem
Herzen einprägen wollte; die alte Gewohnheit
iſt mir geblieben, wie Du ſiehſt. Jenny, von
den Ihrigen im Zweifel erzogen, iſt ein weibli-
cher Freigeiſt geworden. Wird ſie Dich glück-
lich zu machen vermögen?“


Reinhard ſah brütend vor ſich nieder, ohne
zu antworten; auch ſeine Mutter verlor ſich in
Gedanken, denen ſie nach einigen Minuten
[185] wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ ſagte
ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der
Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche
Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt
geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu-
gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt
bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge-
nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes,
echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich,
mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals
von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da-
ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge-
meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un-
ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird
Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß
Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen
Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner-
lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die
Erbauung findet, wo ſie ein leeres Formen-
weſen ſieht? Haſt Du Dir Jenny als die Mut-
[186] ter Deiner Töchter gedacht? — Sie könnte ei-
nem Manne viel, Alles ſein, aber keinem Chri-
ſten, keinem Geiſtlichen, der aus innerer Ueber-
zeugung ſeinen Beruf heilig hält.“


„Nein!“ rief Reinhard plötzlich aus, „nein!
es wird anders ſein! Das Licht göttlicher Wahr-
heit wird auch in Jenny's Geiſt leuchten, ſie
wird einſehen und fühlen, daß im Chriſtenthum
der Quell ewiger Seligkeit rein und lauter
ſtrömt. Ein ſtarker Glaube, wie meiner, muß
ſie davon überzeugen, und iſt ſie nicht ſchon
dem Herzen nach Chriſtin? Alles, was Du an
ihr tadelſt, liebe Mutter, wird ſchwinden; Du
haſt es ſelbſt vorhin geſagt, wenn ihr Gemüth
die ewig wahre Lehre in ſich aufgenommen ha-
ben wird, wenn eine edlere Freude, eine ſelige
Ruhe ſie beleben werden. Denke Dir, welch
ein Glück, die Seele ſeiner Frau gebildet zu
haben, ſie gewonnen zu haben für die Wahr-
heit! — Und werde ich ihr nicht Schätze bieten,
[187] edler und unſchätzbarer, als die Reichthümer,
die mich vorhin beunruhigten? — Morgen noch
ſage ich ihr, daß ich ſie liebe, und ich hoffe,
Dir morgen eine Tochter zuzuführen, die wür-
dig iſt, einen Platz an Deinem Herzen zu fin-
den! Mutter! wir werden ſehr glücklich ſein.
Ich allein weiß, welch eine Welt von Liebe,
von Großmuth in Jenny lebt, ihre Seele ent-
ſpricht dem holden, ſüßen Antlitz — und Bei-
des mein! Jenny ganz mein, mein Eigen! Es
iſt faſt zu viel Glück in dem Gedanken“ —
ſagte er lächelnd, und fing an, der Pfarrerin
ein Bild ihres künftigen Lebens in ländlicher
Stille zu entwerfen, das der armen Frau Thrä-
nen entlockte, weil ſie ihrem Guſtav ein ſolches
Loos wünſchte, und doch zweifelte, ob es je-
mals Jenny zuſagen würde. Nur mit Ueber-
windung wagte ſie, ihrem Sohne den Vorſchlag
zu machen, noch ein paar Tage mit ſeiner
Werbung zu zögern, nochmals reiflich zu über-
[188] legen — denn zu harren, bis er eine Anſtel-
lung gefunden, dazu war er nicht zu überreden.
Die Warnungen ſeiner Mutter, ihre Mißbilli-
gung hatten nur dazu gedient, ihn an Jenny's
Vorzüge zu erinnern, und widerſtrebend ver-
ſprach er, das Meierſche Haus ein paar Tage
zu meiden, und Jenny nicht zu ſehen.



Der nächſte Morgen, ein Sonntag, brachte
nach trüben Tagen mit Wind und Schneege-
ſtöber, wie der Dezember ſie bietet, einen kla-
ren, friſchen Froſt. Die Straßen waren trocken,
und ſahen in der Sonntagsſtille, die in großen
geräuſchvollen Handelsſtädten um ſo friedlicher
erſcheint, gar reinlich und feſtlich aus. Mit
der eitlen Sorgſamkeit einer Hausfrau muſterte
Madame Meier die Zimmer, ließ nochmals je-
des Stäubchen fortkehren, und wollte es doch
[189]
nicht wahr haben, daß ſie heute noch mehr dar-
auf halte, als ſonſt, um Fräulein Horn damit
zu imponiren, die man zum Frühſtück erwar-
tete. Eduard hatte die erſte Morgenſtunde dazu
benutzt, mit dem Gärtner das Treibhaus zu
durchwandern. Er ſelbſt hatte die ſeltenſten
Exemplare in das rechte Licht geſtellt, den
Frühſtückstiſch unter die Orangen ſetzen laſſen,
deren Blüthen am üppigſten dufteten, und
dem Gärtner aufgetragen, ein Bouquet zu
arrangiren, das für dieſe Jahreszeit ein wahres
Wunder erſcheinen mußte. Dann hatte er in
faſt knabenhafter Fröhlichkeit mit Jenny ge-
ſcherzt, mit ihr herumgewalzt, als eine Truppe
Muſikanten auf der Straße ſpielte, und ſie zu-
letzt gebeten, doch zuzuſehen, daß es Fräulein
Horn, die ſie ſehr lieb hätte und ſtets nach ihr
frage, recht im elterlichen Hauſe gefallen möge.
Joſeph ſah dem fröhlichen Treiben düſter zu,
und wurde wehmüthig geſtimmt, als Jenny,
[190] nach Eduard's Entfernung zu ihm kam, ihm
die Hand reichte und mit ungewohnter Feier-
lichkeit zu ihm ſagte: „Joſeph! ich habe Dich
bis jetzt verkannt, Dich nicht genug geliebt.
Was mir die Zukunft auch bringen wird, Du
ſollſt mein geliebter Bruder, mein zweiter
Eduard ſein. Willſt Du das? — und Du
kannſt mir vertrauen, wie einem Manne, wie
ich Dir!“ — Joſeph bebte, ſein Urtheil war
damit geſprochen. „So ſei es!1“ war Alles,
was er erwiderte, da er Aufregungen und
Scenen der Art ebenſo ſehr haßte, als Jenny
ſie liebte, die ihn verließ, weil ſie einen wär-
mern Anklang erwartet hatte und nicht Beob-
achtung genug beſaß, in Joſeph's kalten, ruhigen
Zügen den wahren Schmerz zu leſen, den ihr
Verluſt ihm verurſachte.


Eduard kehrte ſchon um 11 ½ Uhr von ſei-
ner Praxis zurück und verſuchte umſonſt, die
Aufregung zu verbergen, mit der er nach dem
[191] Zeiger der Uhr ſah, und die Straße betrachtete,
um endlich Clara und Hughes zu entdecken. Da
rollte eine leichte Gigue über das Pflaſter, hielt
vor dem Meierſchen Hauſe, die Thorflügel öff-
neten ſich, der Portier zog die Glocke, und
Eduard flog die Treppe hinunter, um die Ge-
liebte ſelbſt zu ſeiner Familie zu geleiten. Jenny
kam ihr bis in das Vorzimmer entgegen, die
Mädchen umarmten ſich auf Mädchenart mit
zärtlichen Küſſen, das alte, trauliche „Du“
der längſt verfloſſenen Schulzeit wurde hervor-
geſucht, und es vergingen mehrere Minuten,
ehe Clara in das Wohnzimmer zu Madame
Meier kam. Clara war wunderſchön an dem
Tage. Sie trug ein hohes Kleid von ſeegrüner
Seide, das eng anliegend die hohe, volle Ge-
ſtalt markirte, ohne die feine Taille zu verber-
gen; ein kleiner ſchwarzer Sammethut hob die
friſche Röthe, den zarten Teint des Geſichtes
nur mehr hervor, und ſtach ſchön gegen die
[192] langen, hellblonden Locken ab, die ihr bis auf
die Schultern herabfielen. Die Freude, welche
ihr dieſer Beſuch einflößte, der Wunſch, den
Eltern des Geliebten zu gefallen, verurſachten
ihr eine lebhafte Bewegung, die unendlich an-
muthig an ihr erſchien. Jenny konnte nicht
aufhören, ſie zu betrachten, und Madame Meier
empfing ſie mit jener Freude, mit der eine zärt-
liche Mutter die Auserwählte ihres Sohnes be-
grüßt. Sie fand Clara noch ſchöner und lie-
benswürdiger, als ſie ſich dieſelbe gedacht hatte.
Der Ton von Demuth in ihrer Stimme, das
Weiche, Milde in ihrer Erſcheinung, welches
ſich Eduard gegenüber zu verdoppeln ſchien,
waren faſt unwiderſtehlich. Die ungeheuchelte
Freude, mit der ſie die Schätze des Treibhauſes
bewunderte, das an den Tanzſaal grenzte, die
Kindlichkeit, mit der ſie Eduard und Jenny
glücklich pries, in dieſem Hauſe zu wohnen,
machte die Andern mit ihr froh, und ſelbſt Jo-
[193] ſeph's Stimmung wurde freundlicher vor ſo viel
Liebenswürdigkeit.


Clara fühlte ſich bereits ganz heimiſch in
dem Kreiſe, als Eduard's Vater hinzukam und
man ſich zu dem elegant ſervirten Frühſtück nie-
derſetzte, während deſſen die Unterhaltung in
zwei Theile zerfiel. Hughes hatte Briefe aus
London erhalten, theilte manches Neue daraus
mit, und es ergab ſich in Folge deſſen unter
den Herren eine Unterhaltung, die zwiſchen
mercantiliſchen und politiſchen Intereſſen ſich
hin und her bewegte, und an der auch Eduard
Antheil zu nehmen gezwungen war, obgleich
er neben Clara ſaß und mehr auf ihr Geſpräch
mit den Damen achtete, als er zugeſtehen wollte.
Sie mußte erzählen, wie ſich der Unfall zuge-
tragen, der ſie ſo lange an ihr Zimmer gefeſſelt
hatte; ſie konnte nicht genug ausdrücken, wie
dankbar ſie dem Doctor Meier für ſeine Sorg-
falt ſei, wie ſeine Freundlichkeit, ſein Troſt
I. 9
[194] ihr die Stunden des Schmerzes verkürzt hätten.
Madame Meier und Jenny waren hoch erfreut
über dieſe Aeußerungen, während ſie Herrn
Meier ernſt, faſt nachdenklich zu machen ſchie-
nen, als auch er ſich zu den Damen wendete
und den Enthuſiasmus bemerkte, mit dem Fräu-
lein Horn von ſeinem Sohne ſprach. Plötzlich
klopfte es an die Thüre. Man rief „herein“,
mußte aber den Ruf zum zweiten und dritten
Male wiederholen, ehe Steinheim mit Mephiſtes
Worten: „So recht! Du mußt es dreimal ſa-
gen“, ſeine Mutter am Arme, in das Zimmer
trat. Man ſtand auf, die alte Madame Stein-
heim zu bewillkommnen. Sie wollte durchaus
nicht leiden, daß man ſich ihretwegen derangire,
und bat mit ſchnarrender Stimme und jüdiſchem
Jargon, gar keine Notiz von ihr zu nehmen,
da ſie nur auf wenig Augenblicke komme.


„Ich war bei der Bentheim, deren Mann
krank iſt und die außerdem Aerger mit den
[195] Dienſtboten hat“, ſagte ſie zu Madame Meier.
„Denken Sie ſich, die Hanne, die Perſon,
welche früher bei der Roſenſtiel diente, hat der
Bentheim aus der Chiffonière zwei Ringe ge-
ſtohlen. Da hat ſie mich gebeten, bei der Ro-
ſenſtiel nachzuhören, ob dort Aehnliches paſſirt
ſei, und ich will mit meinem Sohne gleich von
hier dorthin fahren. Man hat meinen Sohn
ſo gern bei der Roſenſtiel; er amüſirt ſich ſo
mit den Mädchen, daß ich ihn leicht dazu be-
kam, mich zu begleiten. Haben Sie gehört,
Jenny,“ ſagte ſie zu dieſer, „wie die älteſte
Roſenſtiel das „Una voce“ ſingt? göttlich,
ſage ich Ihnen!“ — und ehe noch Jemand Zeit
gewann, ihr Fräulein Horn vorzuſtellen, oder
ein Wort zu ſprechen; ehe Jenny ihre letzte
Frage beantworten konnte, fuhr ſie gegen Clara
gewendet fort: „Sie kennen doch die Roſen-
ſtiels?“


„Ich habe das Vergnügen nicht“, antwor-
9*
[196] tete Clara ganz verwundert über das ſonderbare
Betragen der Frau


„Was? Sie kennen die Roſenſtiels nicht?
— Denke Dir, mein Sohn, Fräulein Horn
kennt die Roſenſtiels nicht! Haben Sie denn
nie von der Malerei der zweiten Tochter ge-
hört? Ein enormes Talent! ſage ich Ihnen, eben
ſo viel Genie fürs Malen, wie die älteſte für
den Geſang. Rein merkwürdig. — Die Mutter
iſt eine geborne Strahl, von den Strahls aus
der ...gaſſe; hören Sie! abgerechnet,
daß die Frau ſich zu jugendlich kleidet, eine
charmante Frau. Wiſſen Sie noch, liebſte
Meier, wie der Doctor Herzheim ihr die Cour
machte? Das kann ſie noch nicht vergeſſen.
Mein Sohn würde ſagen: ‚Ewig jung bleibt
nur die Phantaſie‘; aber wiſſen Sie, der junge
Herzheim wird die älteſte Tochter nehmen, ſagt
man. Ich glaube es nicht, die kann andere
Partien machen, ſage ich Ihnen!“


[197]

Bei dieſer Phraſe verſagte der kleinen, ſtar-
ken Frau glücklicherweiſe der Athem, was den
Meierſchen Damen offenbar ſehr angenehm zu
ſein ſchien. Clara hatte mit kaum verhehltem
Erſtaunen Madame Steinheim betrachtet, deren
Toilette, aus Allem zuſammengeſetzt, was es
Neues und Koſtbares gab, auf ihrem kugelrun-
den, feſtgeſchnürten Körper und zu dem mar-
kirten, alternden Geſichte ebenſo ſonderbar er-
ſchien, als ihre Sprechwuth und ihre unauf-
hörlichen Geſticulationen. Um das Beginnen
eines neuen Rednerguſſes zu verhüten, fragte
Jenny Herrn Steinheim, ob er in den letzten
Tagen Erlau nicht geſehen habe, auf den ſie
vergebens gewartet, um mit ihm das Nähere
wegen der Proben zu den Tableaux zu verab-
reden?


„Erlau, der nie Anlage zu einem Fixſterne
hatte, iſt jetzt vollkommen zum Planeten der
Giovanolla geworden; er, der ein Stern erſter
[198] Größe am Kunſthimmel ſein könnte“, antwor-
tete der Gefragte.


„Ich kenne ihn nicht mehr, ich begreife ihn
nicht.“


„Was iſt da zu begreifen?“ ſagte Herr
Meier. „Er iſt ein liebenswürdiger Wildfang,
wie er es immer war, und wir wiſſen, wie
ihm Schönheit den Kopf verdreht; junger Wein
will gähren!“


„Ich bin ſo ſehr nicht aus der Art geſchla-
gen, daß ich der Liebe Herrſchaft ſollte ſchmä-
hen“, recitirte Steinheim, „ aber dies gänzliche
Sichverlieren in ſolch eine Paſſion von acht
Tagen iſt zu komiſch. Man ſieht ihn gar nicht.
Zudem iſt er hinausgezogen an den Leuchtthurm,
wo ein ewiger Orkan wüthet, und wo man ihn
nicht beſuchen kann, ohne ſich vor Erkältung
den Tod zu holen.“


„Haben Sie ihn in ſeinem neuen Atelier
[199]
noch nicht aufgeſucht?“ fragte Eduard. „Das
wird ihn gekränkt haben!“


„Hat er mich gefragt, wie er hinausgezo-
gen iſt, ob ich hinaus kommen werde? Morgen
wird's ihm einfallen, auf den Domthurm zu
ziehen, und er wird es übel nehmen, wenn ich
nicht hinauf klettere und ihn da oben beſuche!
Dabei fällt mir ein, liebe Mutter! daß wir
jetzt unſern Beſuch bei Madame Roſenſtiel nicht
länger verſchieben dürfen — und ich möchte —
obgleich dem Glücklichen keine Uhr ſchlägt —
Dich daran erinnern, uns auf den Weg zu
machen, weil es ein Uhr iſt.“


Dieſer Vorſchlag brachte die alte Dame in
die höchſte Rührigkeit, — ſie ſtand auf, ſuchte
eifrig nach Boa, Mantille und Handſchuhen,
die ſie im Eifer des Geſpräches allmälig abge-
legt hatte, und empfahl ſich mit vielen Com-
plimenten den Anweſenden, nachdem Jenny
noch mit Steinheim verabredet, daß für den
[200] nächſten Abend die Probe zu den Tableaux vor
ſich gehen ſollte.


Der ganze kleine Kreis fühlte ſich offenbar
erleichtert, als die Beiden fortgegangen waren.
Jenny ſchämte ſich des unfeinen Betragens, das
ein Gaſt ihres Hauſes vor Clara an den Tag
gelegt hatte. Steinheim's Citate, ſeine geſuchten
Witze kamen ihr unerträglich vor, und nur ihr
angeborner Takt hielt ſie zurück, Entſchuldi-
gungen deshalb zu machen. Wirklich ſchien es,
als ob etwas Störendes in die vorhin ſo un-
befangene Unterhaltung gekommen ſei; man
ſcherzte und plauderte noch ein Weilchen fort,
dann aber brach auch Hughes auf, und mahnte
Clara an die Rückkehr. Beim Abſchiede hän-
digte Jenny ihrem Gaſte das ſchöne Bouquet
ein, indem ſie bat, es als einen Willkomm mit-
zunehmen. Clara dankte entzückt, und als nun
Madame Meier ſie aufforderte, ſie und ihr
Treibhaus bald wieder zu beſuchen, nahm Clara
[201] ein paar Immortellenzweige aus dem Bouquet
und reichte ſie Jenny und Eduard mit der Be-
merkung: „Die laſſe ich zum Pfande hier, daß
ich bald wiederkomme, wenn Ihre Mutter es
wünſcht.“ Freundlich reichte ſie dem alten
Meier die Hand und ging mit Hughes und
Eduard davon, um den Rückweg zu Fuß an-
zutreten und dadurch das köſtliche Winterwet-
ter ein wenig länger zu genießen.


„Ich kenne faſt nichts Reizenderes“, be-
merkte Clara gegen Eduard auf dem Wege,
„als ein Treibhaus, wie das Ihrer Eltern, in
der Mitte des Winters. Dieſe Farbenpracht,
der ſüße Duft erquicken doppelt zu einer Zeit,
in der man Beides nicht erwartet; abgeſehen
davon, daß ich ſchon darum Treibhäuſer liebe,
weil in der Sorge des Menſchen für die Pflan-
zen etwas Zutraueneinflößendes liegt.“


„Das Letztere, liebe Clara“, ſagte Hughes,
„kann doch nur da der Fall ſein, wo nicht
9**
[202] Prunkſucht oder Speculation an der Pflege der
Blumen Theil haben.“


„Gewiß nur da“, antwortete ſie. „Aber
ich kann es nicht genug ſagen, wie rührend es
mir iſt, wenn ich finde, daß auch Andere die
Blumen ſo lieb haben, als ich. Blumen ſind
eine von den Freuden, die Gott uns Allen be-
ſtimmt hat, und jene Blumenkaſten, welche wir
oft an den Fenſtern der beſcheidenen Armuth
ſehen, thun mir jedesmal wohl.


„Wohl?“ fragte Eduard verwundert. „Mir
zerreißen ſie faſt das Herz; und das iſt ein
Eindruck, der ſeit meiner erſten Kindheit ſich
gleich blieb. Ich ſehe darin immer den Wunſch
nach verſagten Genüſſen, das Streben, ſich ein
trauriges Daſein, deſſen erdrückende Schwere
man empfindet, zu verſchönen, oder eine Reſig-
nation, die mir wehe thut. Wo ich ſolche Blu-
menkaſten erblicke, möchte ich unſer halbes Treib-
haus hinſchicken und die Leute bitten, ſich nicht
[203] ſo traurig zu begnügen, von dem zu genießen,
was wir im Ueberfluß beſitzen.“


„Aber die Leute haben doch Freude an ih-
rem kleinen Beſitz“, wandte Clara ein, „eben
ſo viel Freude, als der Reiche an ſeinen ſchön-
ſten Treibhäuſern nur zu haben vermag.“


„Glauben Sie nicht, Fräulein, daß ich dieſe
Treibhäuſer und Treibhauspflanzen liebe!“ ſagte
Eduard lebhaft. „Es liegt etwas Unnatürliches
in der Farbenpracht und dem Duft dieſer er-
künſtelten Vegetation, das mich ebenſo unan-
genehm berührt, als die Bewegung der freien
Thiere des Waldes in den engen Käfigen ei-
ner Menagerie. Für mich iſt alles Geſchaffene
nur ſchön an dem Ort, für den es geſchaffen.
Ich vermag es zu bewundern, wo ich es finde,
aber es freut mich nicht, ſobald man es von
ſeinem Platze entfernt. Auf die Gefahr hin,
Ihnen zu widerſprechen, bekenne ich, mir er-
ſcheint die Zuſammenſtellung einer Maſſe von
[204] Pflanzen aus den verſchiedenſten Welttheilen,
die alle nur ein factices, krüppelhaftes Daſein
führen, oft wie eine Verirrung des Geſchmackes;
und wenn es nicht wiſſenſchaftlichen Zwecken
gälte, möchte ich lieber auf alle exotiſchen Ge-
wächſe verzichten, als ſie ſo kümmerlich gedeihen
ſehen. Ich ſehe ihnen immer an, was ſie ſein
könnten, wenn ſie in ihrer Heimat und frei
wären, und die armen, kranken Verbannten thun
mir leid.“


Clara hörte ihm überraſcht zu und blickte
mit ſtillem Entzücken auf ihr ſchönes Bouquet.
„Ich habe die ſüdlichen, ſchönen Gewächſe den-
noch lieb“, ſagte ſie, „und vielleicht iſt es Mit-
leid mit den Gefangenen, das mich ſo unwider-
ſtehlich zu ihnen zieht“, fügte ſie lächelnd hinzu.


„Wenigſtens wäre das echt weiblich“, ſchal-
tete William ein, als ſie das Hornſche Haus
erreicht hatten und gemeinſchaftlich das Zimmer
der Commerzienräthin betraten. Hier konnte
[205] Clara nicht genug von der Herrlichkeit der
Blumen erzählen, von der Güte, mit der man
ſie empfangen, und dem unbeſchreiblichen Ver-
gnügen, das ſie genoſſen hätte, und ſie war noch
in der lebhafteſten Beſchreibung, als die Com-
merzienräthin abgerufen wurde.


„Mir that es leid“, ſagte Eduard, als
Clara's Mutter ſich entfernt hatte, „mir that
es leid, daß Madame Steinheim in unſere
Freude ſo ſtörend hereinbrach. Sie iſt mir durch
ihr Geſchwätz geradezu unangenehm, und ich
war erfreut, daß wir ſie bald fortgehen ſahen.“


„Da Sie ſelbſt das Thema berühren“, er-
widerte Hughes, „ſo bekenne ich Ihnen, daß
mir Steinheim ebenſo unangenehm auffällt,
und daß ich es nicht begreife, wie Sie dieſe
ewigen Citate ertragen können. Dies Witzeln,
dies Spielen mit Worten hat für mich etwas
Läſtiges und macht, daß mir Steinheim oft
beſchwerlich vorkommt


[206]

„Liebenswürdig und ſchön erſcheint mir die
Angewohnheit auch nicht“, war Eduard's Ant-
wort, „aber ſie iſt gewiſſermaßen nationell. Es
walten in uns unverkennbar noch orientaliſche
Elemente vor, und noch heute finden Sie, bei
dem polniſchen Juden zum Beiſpiel, eine Luſt
an kleinen Erzählungen, wie nur irgend ein
Orientale ſie haben kann. Er liebt es, ſich in
Bildern und Gleichniſſen auszudrücken, und
mag gern Das, was er zu ſagen hat, mit ei-
ner jener Anekdoten begleiten, die oft ſchlagend
genug ſind und deren ſeine alten Bücher zu
Tauſenden enthalten. Solche wird nun Stein-
heim nicht leicht zu benutzen wagen, aber er
kann nicht von dieſer Gewohnheit loskommen,
und die Citate aus neuen und alten Werken
müſſen ihm als Aushülfe dienen.“


„Mir ſind ſie heute recht originell vorge-
kommen“, ſagte Clara, „und etwas Raſches,
Bezeichnendes kann man dieſer Art nicht ab-
[207] ſprechen. Mir ſcheint, Herr Steinheim müſſe
ein geiſtreicher Mann ſein. Er hat ein ſtattli-
ches Aeußere, er war ſehr freundlich und höflich
— aber dennoch, wenn ich es offen ſagen darf,
verletzte mich Etwas in ſeiner Erſcheinung. Ich
weiß nicht, ſoll ich es Selbſtgenügſamkeit nen-
nen, oder ein gewiſſes zutrauliches Weſen, das
mir von einem Fremden mißfällig war?“


„Vermuthlich Beides, mein Fräulein! —
Ich komme Ihnen gegenüber immer wieder in
die Lage, den Vertheidiger der Juden zu machen.“


„Das haben Sie nicht nöthig, Herr Doc-
tor! Denn ich habe gewiß kein Vorurtheil der
Art gehabt; und wäre das ſelbſt der Fall ge-
weſen, ſo verdanke ich es Ihnen und William,
daſſelbe gänzlich beſiegt zu haben. Wie könnte
ich daran noch denken, nachdem Sie mir die
Freude gemacht, Ihre verehrten Eltern kennen
zu lernen, nachdem ich in Ihrer Familie eben
ſolch glückliche Stunden verlebt habe.“


[208]

Clara ſchwieg, aus Beſorgniß, zu viel geſagt
zu haben, und auch Eduard ſaß ſinnend eine
Weile neben ihr und las in ihren Augen, was
ihr Herz ſprach und ihr Mund verſchwieg; dann
fuhr er fort: „Und doch würden Ihnen viele
von den Freunden meiner Familie höchlich miß-
fallen, ſo brav und achtungswerth ſie auch ſein
mögen. Die Gewohnheit, ſich immer nur in
demſelben Kreiſe zu bewegen, in welchem Alle
ſich ſeit ihrer früheſten Kindheit mindeſtens dem
Namen und den Verhältniſſen nach kennen,
gibt den Juden ein familiäres Sichgehenlaſſen,
das dem Fremden leicht zudringlich und beleidi-
gend erſcheint. Ich erfahre das ſelbſt bisweilen.
Meine Verhältniſſe haben mich zum Theil die-
ſem Kreiſe entfernt; ich ſehe manche Perſonen
oft kaum einmal im Jahre; und doch, treffen
wir zuſammen, ſo bin ich gezwungen, die klein-
lichſten Familiendetails anzuhören. Ihnen bleibe
ich der Eduard Meier, der mit ihnen eingeſeg-
[209]
net wurde, mit ihnen dies und jenes gemein
hat, und ſie können gar nicht begreifen, daß
mich das Leben und Weben ihrer Onkel und
Großonkel nicht ebenſo intereſſire als ſie ſelbſt;
und des Fragens und Erzählens wird kein Ende,
bis man es gewaltſam unterbricht.“


„Das iſt aber der Fehler aller Coterien“,
meinte Clara, die mit feinem Gefühl dem Ge-
liebten jede unbequeme Erörterung erſparen
wollte. „Sie finden überall kleinere oder grö-
ßere Zirkel, in denen ſich daſſelbe wiederholt,
was Sie eben rügten. Das muß man nehmen,
wie es ſich bietet, und es nicht ſo ſtrenge ta-
deln.“


„Und doch thut das alle Welt bei den Ju-
den!“ rief Eduard; „bei ihnen, denen man
nicht einmal die Möglichkeit läßt, aus ihrem
engen Kreiſe herauszutreten, ſo gern ſie es
möchten. Der größere Theil der gebildeten Ju-
den kann ſich dreiſt mit jedem andern Gebilde-
[210] ten meſſen, er würde, wie in Frankreich, ſich
längſt der Maſſe der Nation angeſchloſſen ha-
ben, er würde auch in Deutſchland längſt na-
tionaliſirt ſein, wenn ihn ſein Aeußeres, ſeine
dunklere Farbe und das ſchwarze Haar nicht
auf den erſten Blick von den Deutſchen unter-
ſchieden zeigte. Dies fremde Aeußere erinnert
unaufhörlich an eine verſchiedene Abkunft und
gibt, vom Pöbel ausgehend, dem Judenhaß
immer neue Nahrung, von dem wol die We-
nigſten ſo frei ſind, daß ſie den Juden nicht
den Mangel an ſogenannter feiner Bildung zum
ächtenden Vorwurf machten. Und man brauchte
ihn doch nur zu emancipiren, um die Uneben-
heiten von ſeiner Außenſeite abzuſchleifen. Frei-
lich iſt es gar bequem zu ſagen. Die Juden ha-
ben einen gräulichen Jargon, häßliche Manie-
ren. — Woher das aber kommt, fragt Nie-
mand! — Daß es ſo iſt, reicht ja hin, den
[211] Juden auszuſchließen von der Geſellſchaft, und
mehr braucht es nicht, mehr will man nicht.“


Eduard war erregter, als er ſelbſt glaubte,
Clara betrübt, und ſelbſt Hughes nicht frei von
Befangenheit. Doch bezwang er ſich, und ſagte:
„Allerdings trifft die Deutſchen der Vorwurf,
nur in den Juden die Nationalität nicht anzu-
erkennen, während ſie ſonſt jeder fremden Ei-
genthümlichkeit mehr als nöthig nachſehen. Er-
warten wir das Beſte von der Zukunft, und
wenigſtens laſſen Sie uns die Gegenwart mei-
nes Mühmchens mit fröhlicherer Unterhaltung
feiern. Das arme Mädchen ſieht ſchon ſo be-
trübt aus, als ob ſie das Unheil verſchuldet
hätte, und iſt ſo gut, daß ſie gewiß gern Hülfe
und Aenderung brächte.“


„Wenn ich das könnte“, rief Clara lebhaft,
und Hughes glaubte eine Thräne in ihrem
Auge zu ſehen, als Eduard ſich bald darauf
empfahl, nochmals für die Ehre dankend, die
[212] Clara ihm erzeigt, indem ſie ſeine Einladung
angenommen. „Ehre?“ ſeufzte Clara, obgleich
Eduard das Wort nur zufällig und achtlos ge-
wählt, „Ehre? — Ach mein Gott! —“


Auch William war der Schluß der Unter-
haltung unangenehm, mindeſtens peinlich gewe-
ſen. „Es iſt Schade“, ſagte er, „daß man mit
Eduard ſo gar vorſichtig ſein muß, weil man
nur zu leicht dieſe Saite ſeines Gemüthes be-
rührt, die ewig in Klagetönen erklingt, in
Diſſonanzen, für die es nun einmal noch keine
Auflöſung gibt. Oft thut es mir leid; aber
man iſt nicht immer dazu geneigt, über unab-
änderliche Verhältniſſe zu ſprechen und Theil
an ihnen zu nehmen; man will nicht immer
Mitleid haben.“


„Mitleid“, fiel Clara ein, ſtolz aus der
Seele des Geliebten antwortend, „Mitleid ver-
langt gewiß Niemand weniger, als Doctor
Meier. Er will ſein Recht, ein Recht, das
[213] man ihm ſchändlich vorenthält. Wer darf mehr
verlangen, frei und den Beſten gleichgeſtellt zu
ſein, als er! Und kannſt Du ihn tadeln, daß
er in jedem Augenblicke das Unrecht fühlt, wel-
ches ihm geſchieht? daß er den Gedanken aus-
ſpricht, der zum Grundton ſeines Weſens ge-
worden? Athmen und frei ſein mit ſeinem
Volke, das iſt ihm gleichbedeutend; er kann
und will nicht ſchweigen von Dem, was allein
ihm Werth hat. Jeder Mann von Ehre müßte
ſo handeln; ich begreife das vollkommen!“


„So ſcheint es“, ſagte William etwas ſpöt-
tiſch, „und es iſt nur zu bedauern, daß die
Juden nicht viele ſolch eifrige Vertheidiger fin-
den, als meine ſchöne Couſine, die ich von ih-
ren Meditationen über die Emancipation der
Juden nicht länger abhalten will.“


Und verſtimmt hatten ſich die drei Menſchen
getrennt, die vor einer Stunde im Gefühl des
reinſten Glückes beiſammen geweſen waren.



[214]

Länger als bis zum folgenden Abende konnte
Reinhard es nicht ertragen, von Jenny entfernt
zu ſein. Mit ſeiner Mutter hatte er ſeit ihrer
letzten Unterhaltung keine Silbe über ſeine Liebe
geſprochen; ein ängſtliches, vorſichtiges Schwei-
gen hatte zwiſchen Mutter und Sohn geherrſcht,
die ſonſt in innigſter Mittheilung zu leben ge-
wohnt waren. Da ſchlug am Abend des zwei-
ten Tages die alte Uhr des Wohnzimmers ſieben
heiſere Schläge, und die Pfarrerin hörte, wie
Reinhard den Stuhl vom Schreibtiſch ſchob,
ſchnell in ſeinem Zimmer umherging, und ſah
ihn wenige Augenblicke darauf, zum Ausgehen
gerüſtet, bei ſich eintreten.


„Gehſt Du aus, mein Sohn?“ fragte die
Pfarrerin.


„Ja, Mutter! ich will zu Meiers“, ant-
wortete er ihr. Die Pfarrerin ſchwieg. Da
bog ſich Reinhard zu ihr nieder, und ſagte
ſchmeichelnd: „Gib Deinem Sohne nur einen
[215] Abſchiedskuß. Wer weiß, ob die Tochter, die
ich Dir bringe, mich nicht aus Deinem Herzen
verdrängt!“ Bei den Worten küßte er die Mut-
ter und eilte hinaus, ehe ſie ihm Etwas ent-
gegnen konnte.


Beſorgt ſah die Pfarrerin dem Sohne nach,
dann faltete ſie wie betend die Hände, und
ſchien, ſein Schickſal dem Himmel anvertrauend,
Ruhe im Gebet zu finden.


Je ſchneller Reinhard dem Meierſchen Hauſe
zugeeilt war, je auffallender mußte ihn der Ge-
genſatz überraſchen, der ſich ihm zwiſchen der
ſtillen Wohnung ſeiner Mutter und dem Trei-
ben in den Sälen bei Madame Meier heute
bot. Er hatte, wie es Jedem wol begegnet, ſich
lebhaft vorgeſtellt, wie er Jenny, mit weiblicher
Arbeit beſchäftigt, allein finden, wie ſie ihn
willkommen heißen, ihn um ſein Ausbleiben
fragen, und er ihr dann endlich ſagen werde,
wie er ſie liebe. Bis in die kleinſten Züge hin-
[216] ein hatte er ſich das Bild ausgemalt; es war
ihm lieb geworden, und die Möglichkeit, daß
es ſich anders machen könne, hatte er ſich nicht
beikommen laſſen. Um ſo unangenehmer war
es ihm, als der Diener ihn nicht in das ge-
wöhnliche Wohnzimmer, ſondern in einen der
Säle führte, aus dem ihm ſchon von fern Er-
lau's fröhliches Lachen entgegentönte.


Eine Menge Perſonen bewegten ſich bei
Reinhard's Ankunft unruhig durcheinander. Er-
lau ſtand bei einer Theaterdecoration, die ein
Gemäuer darſtellte, und verſuchte, einem jun-
gen Offiziere die Arme in eine beſtimmte Stel-
lung zu bringen. Nicht weit davon ſaß Thereſe
mit einer Dame, Beide in weite Tücher gehüllt,
die wie ein Plaid Kopf und Geſtalt umgaben.
Madame Meier ſpielte mit einem Kinde, das
ebenfalls bei den Tableaux, die man probirte,
beſchäftigt werden ſollte; kurz jeder der Anwe-
ſenden hatte nur Sinn für die Probe und Rein-
[217] hard's Eintritt wurde kaum beachtet. Wie an-
ders hatte er es ſich gedacht! Jenny war nicht
in dem Zimmer; er näherte ſich Thereſen und
fragte nach Jenny; aber Thereſe hatte ſie ſeit
einer Weile nicht geſehen. Es wurde ihm un-
heimlich in dem Getreibe, er wollte in ein Sei-
tenzimmer und von da, wo möglich, nach Hauſe
gehen, als er, die Nebenſtube betretend, Stein-
heim peroriren hörte:


„Und warum ſoll denn nun urplötzlich aus
dem Bilde nichts werden von dem wir uns
ſo viel Effekt verſprochen?“


„Weil ich nicht will!“ war Jenny's kalte
Antwort, die vor dem Spiegel ſtand und ihre
Locken ordnete.


„Aber das iſt es eben, was ich frage,
warum wollen Sie nicht? Sie ſelbſt hatten
den Templer und die Jüdin gewählt; Sie ſehen
reizend in dem Turban aus; Herr von Licht-
wang iſt der ſtattlichſte Templer; geſtern, noch
I. 10
[218] heute früh, war Ihnen Alles genehm, und nun?
— Löſet mir, Graf Dreindur, dieſen Zwieſpalt
der Natur!“


Jenny gab keine Antwort und beſchäftigte
ſich ruhig mit ihrer Friſur, bis Erlau hinein-
ſtürmte. „Holdes. angebetetes Fräulein!“ rief
er, „keine Capricen; mein Lieuntenant Lichtwang
ſteht mir ausgebreiteten Armen und ſieht ſo
ſehnſüchtig und ſo göttlich einfältig in die Ferne,
daß ſich eine der Himmliſchen erbarmen würde
und herunterſteigen in ſeine Arme. Sein Sie
nicht unerbittlicher! Sie ſind immer ein Engel,
eine Göttin; warum wollen Sie nun abſolut
mit einem Male eine waſſerblaue ſchmachtende
Madonna vorſtellen? Sie, die der Himmel
gleichſam für dieſe glühende Rebecca prädeſtinirte?
Kommen Sie, Fräulein! oder Herr von Licht-
wang kommt aus der Poſition!“


„Ich habe Ihnen ja vorhin geſagt, lieber
Erlau, mir gefällt das Bild nicht. Zu dem
[219]
Bendemannſchen bin ich bereit und will auch
gern in irgend einem bibliſchen Tableau ſtehen,
ſonſt aber ...


Während Jenny die erſten Worte ſagte, gab
Erlau Steinheim ein Zeichen, das Zimmer zu
verlaſſen, warf ſich, ehe ſie ausgeſprochen, ihr
zu Füßen und rief mit komiſchem Pathos: „Aber
kann denn ein Candidat der Theologie ſich nur
in einen Heiligen verwandeln? Wie, wenn es
mir gelänge, ihn zum Orden der Templer zu
bekehren?“


Jenny wollte entrüſtet das Zimmer verlaſſen.
Erlau, deſſen Muthwillen man Vieles nachſah,
hielt aber, darauf bauend, die Erzürnte an der
Hand feſt. „Sind Sie böſe, Fräulein! weil
mein kleiner Finger mir einmal die Wahrheit
geſagt?“ fragte er. „Sie ſind nicht eigenſinnig,
ich kenne Sie; dahinter ſteckt die Meinung Ihres
Lehrers und Meiſters, dem ich ſehr gram ſein
würde, wenn er nicht das hohe Glück hätte,
10*
[220] Ihr und mein Freund zu ſein. Wenn nun aber
Reinhard ſelbſt ...“


„Ich wüßte nicht“, ſagte Jenny mit einer
affektirten Kälte, die um ſo ſchneidender erſchien,
je bewegter ſie war, „wer Ihnen das Recht
gegeben, dergleichen zu vermuthen? Herrn Rein-
hard's Meinung iſt mir vollkommen gleichgültig,
und ich begreife nicht, welchen Einfluß er auf
meine Entſchlüſſe haben ſollte.“


Erlau fühlte, daß er leichtſinnig zu weit
gegangen ſei und hier eine leicht verletzbare
Stelle berührt hatte. Während er noch ſchwankte,
was nun zu beginnen, ſah Jenny Reinhard
plötzlich vor ſich ſtehen, verſuchte zu lachen, ſetzte
ſchnell den rothen Turban auf, den ſie zu der
Rolle der Rebecca brauchte, gab dem verwun-
derten Erlau den Arm und ſagte: „Ich bin
bereit, die Rebecca zu machen und Ihnen zu
zeigen, daß mir Niemand zu befehlen hat, wenn
man ſich auch das Anſehen geben möchte.“ —
[221] Damit ging ſie mit dem Maler hinaus, ohne
Reinhard nur anzuſehen.


Dieſer warf ſich vernichtet auf einen Stuhl.
So vollkommen abſtoßend war ihm Jenny nie-
mals erſchienen. Der Ton, in dem ſie mit den
Herren ſprach, hatte ihn verletzt; er konnte kei-
nen Zuſammenhang in dem Betragen finden,
und Jenny's Aeußerung über ihn empörte ſein
innerſtes Herz. Das war der Lohn für ſeine
Liebe! — Eine Weile mochte er ſo in trüben
Gedanken geſeſſen haben, als leiſe Thereſe her-
eintrat, die ihn offenbar ſuchte. Sie ging
ſchüchtern auf ihn zu, fragend, warum er die
Geſellſchaft verlaſſen? Reinhard antwortete aus-
weichend. „Es iſt Schade, daß Sie fortgingen“,
ſagte Thereſe, „Jenny ſah ſtrahlend ſchön aus,
ſowie zur Rebecca geboren. Es iſt eine allge-
meine Bewunderung und ich eilte nur hinaus,
um Sie zu ſuchen.“


Reinhard hörte düſter brütend zu. „Kom-
[222] men Sie!“ bat Thereſe freundlich dringend und
beängſtigt durch des jungen Mannes Schweigen,
„kommen Sie doch! und nicht ſo traurig, es
thut mir zu leid!“ — „Liebes, ſanftes Kind!“
ſeufzte Reinhard aus tiefſter Bruſt und ergriff
Thereſens Hand. So ſtanden ſie beiſammen,
als Jenny mit einigen Andern in das Cabinet
kam, und, ſowie ſie Reinhard mit Thereſen in
dieſer traulichen Vereinigung entdeckte, mit ei-
nem leiſe unterdrückten Ausruf hinaus und auf
ihr Zimmer eilte. Dorthin war Madame Meier,
welcher dieſer Vorfall nicht entgangen, ihr ge-
folgt, aber kein Zureden vermochte Jenny, den
Grund ihrer plötzlichen Entfernung anzugeben
oder wieder zur Geſellſchaft zurückzukehren; und
ihre Mutter ſah ſich genöthigt, zu erklären,
Jenny ſei unwohl geworden und es müſſe wol
die große Wärme des Zimmers geweſen ſein,
die dem immer geſunden Mädchen den Anfall
hervorgebracht habe.


[223]

Jenny lag indeſſen bitterlich weinend auf
ihrem Ruhebette. Sie hatte geglaubt, daß Rein-
hard dieſe Tableauxaufſtellung nicht gern ſähe,
und vielleicht nicht mit Unrecht gedacht, es ſei
ihm beſonders unlieb, weil er in ſeiner Stellung
an ſolchen Dingen keinen perſönlichen Antheil
nehmen mochte und konnte. Darum hatte ſie
allerlei Schwierigkeiten erhoben, um entweder
ſich ſelbſt davon frei zu machen oder Reinhard
durch die Wahl irgend eines Bildes, das er
liebte, damit auszuſöhnen. Es war ihr unan-
genehm, es kränkte ſie, daß er nicht zur Probe
gekommen, weil ſie irrigerweiſe glaubte, ihn
dazu eingeladen zu haben; und als Erlau's un-
bedachte Neckerei ihr den Gedanken eingab,
Reinhard könne ſich gegen ihn der Herrſchaft
gerühmt haben, die er über ſie hätte, fühlte ſie
ſich ſo gekränkt, daß ſie theils aus einer Art
von Rache, theils aus höchſter Verlegenheit die
Worte ſprach, die unglücklicherweiſe Reinhard
[224] zum Zuhörer hatten. In heftigſter Bewegung,
halb außer ſich vor Schmerz, Zorn und Scham,
folgte ſie Erlau in den Saal, probirte, ſcherzte
und lachte, während das wilde Schlagen ihres
Herzens ihr faſt die Beſinnung raubte. Endlich
war die Probe beendet; es trieb ſie, Reinhard
aufzuſuchen, ſich um jeden Preis mit ihm zu
verſtändigen; die Qualen zu beenden, denen ſie
Beide unterlagen. Sie wollte den Saal ver-
laſſen; ihr volles Herz ſollte ohne Rückhalt zu
dem Geliebten ſprechen; die demüthigſte Abbitte
ſchien ihr nicht zu ſchwer — aber die Fremden
wichen nicht von ihrer Seite. Trotz dem eilte
ſie, in Reinhard's Nähe zu kommen, um ihn
wenigſtens zu ſehen. Da fand ſie, wie ſie
glaubte, Reinhard und Thereſe in zärtlich heim-
lichem Geſpräche. Ihre beſte Freundin, der
Mann, der ihr Alles war, hatten ſie verrathen!
Das war zu viel für ein ſo junges, heißes
Herz; convulſiviſch zuckte es zuſammen und ſie
[225] eilte hinaus, weil ſie ſich einer Ohnmacht nahe
fühlte.


Jetzt in der Einſamkeit malte ihr die Phan-
taſie geſchäftig tauſend Trugbilder vor: ſie konnte
nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr ſo lange
verborgen geblieben ſei; ſie war empört von ſo
viel Falſchheit und ſchauderte entſetzt zuſammen,
als Thereſe zu ihr kam, um freundlich nach ih-
rem Ergehen zu fragen.


„Um Alles in der Welt“, ſagte ſie heftig,
„laß mich allein, ich leide zu ſehr.“


„Gerade darum möchte ich bleiben!“ bat
Thereſe theilnehmend.


„Nein, nur Du nicht, nur Du nicht!“
ſchluchzte Jenny. „Dich kann ich nicht ſehen,
— ach, das habe ich nicht von Dir verdient!“


Thereſe verſtand kein Wort von Dem, was
ſie hörte. Ihr war bange, daß Jenny irre
rede, und noch leiſer ſagte ſie: „Aber Jenny!
10**
[226] kennſt Du mich denn nicht? Ich bin's ja, Deine
Thereſe!“


„Meine?“ rief Jenny — Du biſt Rein-
hard's! — Gehe zu ihm und ſage ihm, wie
elend Ihr mich gemacht!“


Nun fiel plötzlich die Binde von den Augen
der ahnungloſen Thereſe. Sie faßte Jenny in
ihre Arme und fragte: „Liebſt Du denn Rein-
hard?“


„O, unausſprechlich! ſo unausſprechlich, als
ich elend bin, ſo wie Du ihn liebſt, wie er
Dich!“


Kaum hatte Jenny unter heißen Thränen
dieſe Worte hervorgebracht, da flog Thereſe zur
Thüre hinaus, die Treppe hinunter, ſuchte
Reinhard und zog den Ueberraſchten mit ſich
fort. In derſelben Eile führte ſie ihn zu Jenny
und trat mit ihm vor ſie hin, ohne daß Rein-
hard den Vorgang begriff.


„Jenny weint um ſie, Reinhard!“ rief
[227] Thereſe ebenfalls weinend, „ſie iſt eiferſüchtig
auf mich!“ und ehe ſie noch vollendet, ſank
Reinhard vor dem Ruhebette nieder und Jenny
lag an ſeiner Bruſt. So vergingen ſelige Mi-
nuten. Dann war es Jenny zuerſt, die ängſt-
lich nach den Eltern, nach Eduard verlangte,
und Reinhard bat, mit Thereſen hinunter zu
gehen und die Ihrigen wegen ihres Unwohlſeins
zu beruhigen, durch welches die Fremden ver-
anlaßt worden, ſich früher zu entfernen. Auch
Thereſe zog es vor, mit dem ſie erwartenden
Mädchen gleich nach Hauſe zu gehen, und Rein-
hard fand ſich mit Jenny's Eltern in den lee-
ren Sälen allein. Die Diener eilten mit ge-
brauchten Gläſern hin und her, die Thüren der
entferntern Zimmer wurden geſchloſſen, die
Lampen ausgelöſcht, Madame Meier ſaß ein
wenig ermüdet auf dem Sopha und ihr Mann
ging, eine Cigarre im Munde, im Zimmer um-
her. Die ganze Scene hatte etwas Unbehag-
[228] liches, das ſich auch dem eintretenden Reinhard
mittheilte.


Er hatte, als er Jenny verließ, nur an
ihre Liebe gedacht, die ihn berechtigte, um ſie
zu werben. Nun er die Bitte bei den Eltern
beginnen wollte, überkam ihn wieder ein Gefühl
von Demüthigung bei dem Gedanken, daß er
ihnen für ihre Tochter nichts bieten könne, als
ſeine Liebe, die denſelben vielleicht weniger aus-
reichend zum Glücke ſcheinen dürfte, als ihm
und Jenny. Doch zögerte er keinen Augenblick,
ſich offen und frei auszuſprechen, und ſeine
Befangenheit, jedes Gefühl von Ungleichheit
verſchwand, als er mit hoher Begeiſterung von
ſeiner Liebe und dem Glücke ſprach, das in der-
ſelben läge. Die Eltern hörten bewegt und mit
Wohlgefallen die feurigen Worte des jungen
Mannes, der ihnen werth geworden und dem
ſie ihre volle Achtung nicht verſagen konnten.
Reinhard war ein Mann, wie zärtliche Eltern
[229]
ihn ihrem Kinde wünſchen mußten: offenen
Herzens, klaren Geiſtes und von den reinſten
Sitten. Aber die Zerſtörung der Hoffnung,
Jenny mit Joſeph verbunden und das Beſte-
hen ſeiner Handlung auf dieſe Weiſe geſichert
zu ſehen, ſchmerzte den alten Herrn, dem frei-
lich das Glück der einzigen Tochter höher
ſtand, als die Erfüllung ſeiner Lieblings-
wünſche.


In dieſem Sinne war ſeine Antwort aner-
kennend und ehrenvoll für Reinhard, den er
bat, ihm bis zum nächſten Tage Zeit zu gön-
nen, ehe er ſein bindendes Wort zu dieſer
Heirath ausſpräche; er müſſe erſt mit ſich, mit
Jenny und den Seinen einig werden, da ihm
perſönlich der Antrag ganz unerwartet gekom-
men ſei. Mehr konnte Reinhard eigentlich
nicht verlangen. Er hätte es vorausſehen kön-
nen, und doch war er unzufrieden mit ſich,
mit Allem. Er wünſchte Jenny noch einmal
[230] zu ſehen; aber das verweigerte die Mutter, be-
ſorgt, die neue Aufregung könne der Tochter
ſchädlich ſein; doch verſprach ſie ihm, gleich zu
Jenny zu gehen, ihr das Ergebniß der Unter-
redung mitzutheilen, und entließ Reinhard mit
den Worten: „Gehen Sie, Lieber, und grü-
ßen Sie Ihre Mutter; ich hoffe, wir ſehen
uns morgen Alle recht glücklich wieder.“


Je geſpannter die Pfarrerin der Rückkehr
ihres Sohnes geharrt, um ſo mehr erſchreckte
ſie der Ernſt in ſeinen Zügen. Er erzählte,
wie Alles gekommen, wie er glaube, am Ziele
ſeiner Hoffnungen zu ſtehen; er pries ſich glück-
lich, Jenny nun die Seine zu nennen, und
doch fühlte ſeine Mutter, der keine Falte in
der Seele ihres Sohnes verborgen war, daß ir-
gend Etwas ſein Glück ſtöre. Und ſo war es
wirklich. Reinhard war durch Jenny's Betra-
gen bei ſeiner Ankunft auf eine Weiſe verletzt,
die er ſo leicht nicht verſchmerzen konnte. Zu
[231] einer verſöhnenden Erklärung hatte der flüch-
tige Augenblick nicht hingereicht, den Jenny
an ſeiner Bruſt gelegen: ein Glück, das er
ſich und der ruhigen Neigung der Geliebten
allein verdanken wollte, war ihm vom Zufall
unerwartet zugeworfen, in einem Augenblick,
in dem er kaum in der Stimmung war, es
zu empfangen oder zu wünſchen. Nach der
leidenſchaftlichen kurzen Minute in Jenny's Ar-
men ſchien ihm das Betragen ihrer Aeltern
kalt, und obgleich er ſich fortwährend wieder-
holte, daß er Jenny's Liebe beſitze, daß er ſei-
nen heißeſten Wunſch erfüllt ſähe, kam keine
rechte Freude in ſeine Seele. — Tadeln wir
ihn deshalb nicht! Es genügt nicht immer,
daß wir an unſer Ziel gelangen; es kommt we-
ſentlich darauf an, wie wir es erreichen.



[232]

„Der morgende Tag wird für das Seinige
ſorgen“! mit den Worten verließ der alte
Meier am Abend ſeine Frau und Jenny, die
noch lange beiſammenblieben und, der Ver-
gangenheit gedenkend, tauſend Entwürfe mach-
ten, wie es möglich zu machen ſei, daß Mut-
ter und Tochter nicht getrennt würden, was
bei Reinhard's Beruf leicht der Fall ſein
konnte. Denn daß der Vater ſeine Einwilli-
gung geben würde, da Jenny ihm verſichert,
ſie könne nicht glücklich ſein, nicht leben ohne
Guſtav, daran glaubten ſie nicht zweifeln zu
dürfen.


Und doch war der alte Herr der Heirath
lange nicht ſo geneigt, als die beiden Frauen
glaubten; und wir finden ihn in früher Mor-
genſtunde mit Eduard und Joſeph, die er zu
ſich beſchieden hatte, in ernſthafter Berathung.
Er theilte ihnen die Vorgänge des letzten Abends
mit und fand zu ſeiner Verwunderung, daß
[233] man ſie gewiſſermaßen erwartet hatte. Eduard
bekannte, er habe ſeit längerer Zeit eine Nei-
gung Jenny's und Reinhard's zu einander ver-
muthet, habe aber abſichtlich geſchwiegen, weil
man dergleichen zarte Verhältniſſe wie eine
Harfe betrachten müſſe, die bei der leiſeſten
Berührung in hellen Tönen vibrire; und er
habe andrerſeits die Ueberzeugung, daß die Ael-
tern keinen Grund irgend einer Art haben
könnten, dieſer Neigung entgegen zu ſein, da
ihnen Allen Reinhard als einer der tüchtigſten
Menſchen bekannt ſei.


„Was Du da ſagſt, mein Sohn“, ſprach
der Vater, „iſt größtentheils wahr. Ich finde
es auch begreiflich, wie gerade Dir — Eduard
wurde verwirrt, — eine Heirath aus Neigung
ſo unerläßlich ſcheint, daß alle andern Rück-
ſichten davor ſchweigen. Anders aber urtheilt
man in meinen Jahren, als in den Euren.“


„Und doch“, wandte Eduard ein, „haſt Du,
[234] lieber Vater! bei der Wahl Deiner Gattin nur
Dein Herz gefragt.“


„Das, glücklicherweiſe“, ergänzte der Vater,
„nirgend gegen Beſtehendes zu kämpfen hatte.
Doch das gehört nicht hierher. In einer
Stunde, wie dieſe, müſſen kleinliche Rückſich-
ten nicht beachtet werden: ich ſage es daher
offen, wir Alle wiſſen, daß Joſeph Jenny liebt;
es war mein feſter Wille, mein innigſter
Wunſch, ſie ihm zur Frau zu geben, und Dich,
Joſeph, den ich wie einen Sohn liebe, wirklich
zu meinem Sohne zu machen.“


„Jenny hat keine Neigung für mich“,
ſagte Joſeph reſignirt, doch ſehr bewegt, „und
ihr Glück allein, Onkel, ihr Glück, das mir
unausſprechlich theuer iſt, muß hier berückſich-
tigt werden. Sie würde vielleicht mit mir,
wie ich nun einmal bin, auch ohne Rein-
hard's Dazwiſchentreten niemals glücklich ge-
worden ſein!“


[235]

„Wollte Gott! ich könnte ſie Reinhard mit
ſolcher Zuverſicht anvertrauen, als Dir“, ent-
gegnete Herr Meier.


Es entſtand eine peinliche Pauſe. Eduard,
der hier zwiſchen ſeinen beſten Freunden ent-
ſcheiden ſollte, fühlte für Beide die lebhafteſte
Sympathie. Er gönnte Reinhard und Jenny
ein Glück, das ihn ſeine Liebe in voller Größe
erkennen ließ, und empfand in Joſeph's Seele,
was Entſagung bedeute! Das Mißtrauen ſei-
nes Vaters gegen Reinhard aber bewog ihn
endlich, das Schweigen mit der Bemerkung
zu unterbrechen, wie ihm, der Reinhard ſeit
Jahren kenne, deſſen Charakter ein ſicherer
Bürge für Jenny's Zukunft ſei.“


„Da irrſt Du!“ entgegnete der Vater. „Ich
achte Reinhard und erkenne ſeine Vorzüge an,
aber er lebt in einer Ideenwelt. Solche Men-
ſchen ſind mir bedenklich und taugen nicht für
die Ehe. Weil er mit der höchſten Anſtren-
[236] gung und allem Ernſte daran arbeitet, die
Vollkommenheit, die er im Auge hat, ſein
Ideal eines Menſchen zu erreichen, darum
glaubt er ſich berechtigt, auch an Andere die
gleichen Anſprüche zu machen. Sowie er das
Leben, die Liebe auffaßt, ſind ſie nicht, und
die Ehe, dieſer Gipfel der Civiliſation, bleibt
trotz der höchſten Liebe, die zwei treffliche Men-
ſchen verbinden mag, immerdar hinter Dem zu-
rück, was einem jungen Manne oder Weibe
als Ideal vorſchwebt! Der Ruhige, Beſon-
nene findet ſich darein und tröſtet ſich mit dem
unendlich Guten, das ſich ihm in der Ehe of-
fenbart, über Das, was nicht zu erreichen iſt
— das aber, fürchte ich, will und kann Rein-
hard nicht. Jenny, die er leidenſchaftlich liebt,
erſcheint ihm vollkommen geeignet, das Ideal
einer Hausfrau, einer Gattin zu werden, wie
er ſie ſich träumt; er wird verlangen, daß ſie
es wird, daß ſie darnach ringt und, wie ich
[237] ihn beurtheile, nur zu geneigt ſein, ihr aus
den Unvollkommenheiten des Menſchen über-
haupt einen perſönlichen Fehler zu machen. Mit
einem Worte, Reinhard hat eine Art Ueber-
ſpannung in ſeinen Gefühlen, die mich für
Jenny's Glück beſorgt macht.


Eduard konnte nicht leugnen, daß die Be-
merkung ſeines Vaters Wahrheit enthalte, ver-
theidigte den Freund aber lebhaft und meinte,
ſein Vater verfalle in den an Reinhard gerüg-
ten Fehler, ein Ideal zu verlangen.


„Daß ich es Euch gerade herausgeſtehe, mir
iſt eigentlich nichts genehm bei dieſem Antrage.
Jenny ſoll Chriſtin werden, auch das ſteht mir
nicht an“, ſagte der Vater.


„Und doch wünſcht ſie auch das!“ bemerkte
Joſeph.


„Nicht doch, mein Sohn! Ihr einziger
Wunſch iſt Reinhard — das Chriſtenthum ein
Mittel zum Zwecke; das glaube mir, und gerade
[238] auch das macht mich beſorgt. Reinhard iſt zu
ſtrenggläubig, um ſich den Anſichten einer Jü-
din mit Toleranz hinzugeben.“


„Ach, Vater!“ rief Eduard dazwiſchen,
wen das Weib liebt, dem glaubt ſie! Jeder
Mann iſt ſeiner Geliebten der Verkünder eines
neuen Glaubens; Liebe iſt die Offenbarung, in
der das Weib den Geliebten als den gottge-
ſandten Meſſias erblickt. Wenn Jenny wahr-
haft liebt, wie ich gewiß bin, mag ſie glau-
ben, woran ſie will! Sie wird glücklich machen
und das iſt genug, auch glücklich zu ſein.“


„Meinſt Du?“ fragte der Vater — „Die
Mutter iſt nur zu ſehr für den Plan einge-
nommen, ihr iſt es lieb, daß Jenny Chriſtin
wird, ſie ſchätzt die Pfarrerin und Reinhard
hoch — und bei Gott! das thue ich auch.
Nur will mich bedünken, als ob Jenny und
Reinhard abſolut nicht zuſammengehören. Da
Reinhard glücklicherweiſe noch keine Stellung
[239]
hat, ſo will ich meine Einwilligung, wenn ich
ſie geben muß, nur unter der Bedingung ge-
währen, daß die Verlobung erſt dann bekannt
gemacht werde, wenn Reinhard ein Amt erhal-
ten haben wird.


Dagegen proteſtirte Eduard auf das Ei-
frigſte; und auch Joſeph meinte, daß gerade
dies Brautpaar nicht dazu geeignet wäre, in
ſolch geheimgehaltenem Verhältniß Ruhe und
Glück zu finden.


„Ich weiß aus Erfahrung“, ſagte Joſeph,
„Reinhard iſt eiferſüchtig und Jenny's Lebhaf-
tigkeit allein kann dabei ſchon Anlaß zu tau-
ſend Mißhelligkeiten geben. Auch ſehe ich nicht
ein, was Du eigentlich gegen die Bekanntma-
chung dieſer Verlobung haſt, lieber Onkel?


„Was ich dagegen habe?“ rief der alte
Herr nun heftig aus. „Jenny iſt eins der
reichſten Mädchen der Stadt, ſie iſt ſchön; klug
und blutjung. Mein Name, mein Haus iſt
[240] der geachteſten eines — ſolch Mädchen mußte
mir Dich oder einen andern Schwiegerſohn
bringen, der meinem Hauſe Ehre machte, dem
ich die Firma übergeben, den ich den Leuten
zeigen könnte. Ich weiß, daß meines Kindes
Glück meine erſte Pflicht iſt, es iſt auch mein
höchſtes Glück, aber ich bin nicht allein Vater,
ich bin auch Kaufmann. Auch mein Haus
iſt ein Theil meines Ich's und es will mir
nicht in den Sinn, daß meine einzige Toch-
ter ſich mit einem Studenten oder Candidaten
verlobe, der noch nichts iſt und von dem man
nichts weiß, als daß er wegen Demagogie in
Unterſuchung geweſen. Und“, fügte er plötzlich
weicher hinzu, „der vielleicht in ſeinem Stolze
noch glaubt, ein Opfer zu bringen, mir eine
Ehre zu erzeigen, indem er ein Judenmädchen
heirathet.“


Und wieder entſtand eine Pauſe. Herr
Meier ging raſch im Zimmer umher, bis
[241] Eduard und Joſeph das Thema nochmals auf-
nahmen, als er ruhiger zu werden ſchien. Sie
erinnerten ihn an die vortheilhafte Meinung,
die er ſelbſt ſtets von Reinhard gehegt, ſie
warfen ihm vor, einer Art von Hochmuth
mehr Gehör zu geben als ſeinem Herzen. Jo-
ſeph ſchilderte die Scene, die er einſt mit
Jenny erlebt, als er ihr abgerathen, zum
Chriſtenthume überzutreten; er verſicherte, Jen-
ny's Hand nie annehmen zu wollen, wenn ſie
nicht zugleich ihr ungetheiltes Herz ihm geben
könnte, und Beide ſchloſſen in der Ueberzeu-
gung, daß Jenny nicht von Reinhard laſſen,
daß man eine ſo innige Neigung nicht ohne
entſchiedene Gründe trennen dürfe, und daß
dem Vater daher nichts übrig bleibe, als ſeine
Zuſtimmung zu geben.


„Das iſt es eben, was mich ärgert!“ ſagte,
ſchon heiterer geworden, der Vater. „Ich habe
keinen recht vernünftigen Grund, meine Ein-
I. 11
[242] willigung zu verweigern, und doch möcht' ich
es gerne, wenn ich Jenny's Zukunft recht be-
denke. Zur Pfarrersfrau paßt ſie einmal nicht,
und wir müſſen darauf denken, für Reinhard
eine andere Stellung zu gewinnen.“ —


Als die Unterhandlungen ſo weit gediehen
waren, nahmen ſie eine leichtere, faſt geſchäft-
liche Richtung. Man ſprach davon, ob und
wie man Reinhard bewegen könne, eine andere
Carriere, etwa die academiſche zu erwählen.
Eduard bezweifelte, daß ſein Freund darein
willigen werde. Joſeph meinte, wenn Jenny
ihn ernſtlich darum bäte, müſſe er es thun, da
es im Grunde gleichviel ſei, ob er ſelbſt Pfar-
rer werde oder die jungen Leute zu Geiſtlichen
nach ſeinem Sinne bilde; und der Vater ſagte
ziemlich dictatoriſch: „Für das Opfer, das ich
bringe, für das Mädchen, das er bekommt,
habe ich das Recht, auch von ſeiner Seite auf
Nachgeben zu rechnen; und — ſo ſei es denn:
[243] Jenny wird Reinhard's Frau“, ſchloß er lächelnd,
aber mit einem tiefen Seufzer, der ein Echo
in Joſeph's Herzen fand. —


„Und nun, mein Freund“, ſprach der alte
Herr zu Joſeph, „laß auch uns ins Reine kom-
men. Ich hielt Dich bisher in meinem Hauſe
feſt, weil ich hoffte, es Dir als Jenny's Mit-
gift einſt zu übergeben. Der Plan zerfällt und
ich muß es Deiner Neigung überlaſſen, ob und
unter welchen Verhältniſſen Du künftig bei
mir bleiben willſt. Ich ſähe Dich ungern von
uns ſcheiden, indeſſen ...“


„Ich bleibe, Onkel!“ rief Joſeph mit einem
Handſchlag und eine herzlichere Umarmung, als
die, welche Eduard und Joſeph jetzt vereinte,
mag es ſelten gegeben haben.


Dann berieth man noch, daß Joſeph als
Compagnon in das Geſchäft ſeines Onkels ein-
treten ſolle. „Und wenn Du“, ſagte dieſer'
„Dir einſt eine Frau wählſt und mir dadurch
11*
[244] eine zweite Tochter bringſt, ſo mag ſich Herr
Eduard ſeine eigne Wohnung ſuchen. Der
Compagnon des alten Meier wohnt auch im
Meier'ſchen Hauſe.“ Man wollte ſcherzen, es
kam aber nicht aus der Seele, und ſo ging
man nach dem Wohnzimmer, in der Hoffnung,
die kleine Braut zu begrüßen. Doch dieſe
hatte, wie ſchön erwähnt, ſo lange mit der
Mutter geplaudert, daß Beide noch ruhig
ſchliefen, und Eduard beſchloß, ſogleich zu
Reinhard zu gehen, um ihm ſelbſt die gute
Botſchaft zu bringen und der Erſte zu ſein,
der der geliebten Schweſter den Bräutigam
zuführte.



[245]

Es würde vergebens ſein, die Wonne zu
ſchildern, die in den erſten Tagen nach dieſer
Verlobung Jenny und Guſtav, wie er nun
im Meier'ſchen Hauſe genannt wurde, empfan-
den. Fröhlicher, hingebender konnte kein We-
ſen gedacht werden als Jenny, und ſelbſt der
Vater ſöhnte ſich mit dem Gedanken an dieſe
Verbindung aus, als er ſeinen Liebling ſo
glücklich ſah. Die engſten Bande umſchlangen
den kleinen Kreis. Die Pfarrerin und Ma-
dame Meier, die von jeher ſich hochgeſchätzt,
waren erfreut, nun für immer durch ihre Kin-
der zuſammenzugehören, und ſahen wohlge-
fällig auf das ſchöne Paar, das ſeines Glückes
täglich froher zu werden ſchien. Joſeph's edler
Seele war jedes unwürdige Gefühl fremd: er
hatte es für ein Unrecht gehalten, durch das
leiſeſte Zeichen von Bedauern, von Verſtim-
mung die allgemeine Freude zu trüben, und
als an dem Verlobungsmorgen Reinhard ihn
[246] allein fand und über ihr früheres Zuſammen-
treffen an jenem Abend verſöhnend zu ſprechen
begann, gab ihm Joſeph die Hand und ſagte:
„Machen Sie das Kind ſo glücklich, daß ich
nie den Vorzug bedaure, den ſie Ihnen gege-
ben; dann iſt weiter nichts darüber zu ſagen.“
— Eduard allein war wehmütig geſtimmt.
Das Glück, deſſen Zeuge er war, rief die leb-
hafteſte Sehnſucht nach gleicher Wonne in ihm
hervor und aufs Neue begann der Kampf in
ihm, den ſeit Monden ſeine Liebe und ſein
Gewiſſen führten. — Am ſonderbarſten er-
ſchien Thereſe in der allgemeinen Freude. Es
kam ihr vor, als ob Jenny's Glück allein ihr
Werk ſei; ſie gab ſich das Anſehen einer Be-
ſchützerin und that ſo verſtändig und altklug,
daß die Andern nicht aufhören konnten, darüber
zu lachen.


„Lacht nur immerfort“, ſagte ſie mit Stolz,
„wäre ich Euch an jenem unglücklichen Probe-
[247] abend nicht zu Hülfe gekommen, Ihr wäret
noch, Gott weiß, wie weit vom Lachen!“


Und ganz unrecht hatte ſie nicht, — nur
daß ſie ſich und ihrer Ueberlegung zuſchrieb,
was Eingebung des drängenden Momentes war,
— und es ganz in der Ordnung fand, wenn
Reinhard und ſeine Braut ſie ſcherzend den
Schutzgeiſt ihrer Liebe nannten.


Eine der Hauptfragen war nun, wann die
Verlobung den Freunden angezeigt werden
ſollte; und man kam überein, da nur noch
einige Tage bis zum Sylveſter fehlten, an
dem gewöhnlich ein Ball im Meier'ſchen Hauſe
zu ſein pflegte, an dieſem Abende das junge
Paar zu präſentiren. Niemand, ſo wünſchte
die Mutter, ſollte vorher davon benachtigt
werden, und man wollte die Tableaux gleich
am Anfange des Abends aufſtellen, um nach-
her beim Beginnen des neuen Jahres das
Brautpaar als den Mittelpunkt des Feſtes zu
[248] präſentiren. Nach Reinhard's Geſchmack war
das nun freilich nicht und er ſprach mit Eduard
darüber.


„Was kannſt Du denn dagegen haben?“
fragte ihn dieſer.


„Ich mag ſolch lautes Glück nicht, Liebe
bedarf nicht des Trompetentuſches; wahrhaft
beglückt ſie nur in der Stille, und ſolch ein
Gepränge iſt mir überhaupt zuwider.“


„Sei nicht wunderlich“, bedeutete ihn
Eduard. Bis zum Sylveſterabend haſt Du
Dein ſtilles Glück faſt eine Woche genoſſen,
und Du mußt dann auch damit zufrieden ſein,
es auf die Weiſe proclamiren zu laſſen, die
meinem Vater zuſagt.“


„Was gibt es da zu proclamiren?“ ſagte
Reinhard verdrießlich. „Was kümmert es die
Fremden? und die Bekannten ahnen es wol
Alle, ſeit ſie mich täglich und zu allen Stun-
den in Eurem Hauſe ſehen. Du glaubſt
[249]
es nicht, wie ſolche Oſtentation mir unange-
nehm iſt.“


„Oſtentation?“ fragte Eduard. „Ich wüßte
nicht, wie wir dazu gerade jetzt kämen;
das hat man meinen Aeltern niemals vorge-
worfen.“


„Und du meinſt“, ſagte Reinhard raſch,
„die Verlobung mit einem Candidaten der
Theologie ſei eben kein Ereigniß, auf das man
beſonders ſtolz zu ſein brauchte! Da haſt Du
recht, und vielleicht bin ich ſo ſehr gegen dieſe
Ballparade, weil ich das ſelbſt empfinde. Viel-
leicht wäre ich weniger dagegen, wenn ich mit
Rang und Würden aufträte, ſo aber ...“


In Eduard's Seele war wirklich kein Ge-
danke der Art gekommen. Er empfand ſeines
Schwagers Aeußerung faſt wie eine Beleidi-
gung; doch hatte er ſich von je gewöhnt, gerade
in dieſem Punkte, in dem Reinhard von kran-
ker Empfindlichkeit war, die größte Nachſicht
11**
[250] und Schonung gegen ihn zu üben. Deshalb
ließ er ihn nicht zu Ende ſprechen und fiel
ihm mit den Worten in die Rede: „So aber
gönne uns die Freude, zu zeigen, daß Jenny
eine Wahl getroffen, die uns lieber iſt, als
alle Leute von Rang und Würden, die ſie
ausgeſchlagen!“ —


Damit war die Sache abgethan; indeß
fühlte Eduard, daß ſeines Vaters Anſicht von
Reinhard nicht ungegründet ſei, und auch ihm
wurde bange, ob der, den er mit vollſtem
Vertrauen ſeinen Freund nannte, ſich zu Jen-
ny's Gatten eigne. Doch war das nur eine
vorübergehende Idee, die bald verſchwand,
wenn er ſah, wie Reinhard's ganzes Weſen,
ſeine ſtolze Kälte, ſeine ſchroffe Abgeſchloſſen-
heit vor einem Blick Jenny's ſich in Liebe
auflöſte; wie er in einer andern Atmoſphäre
zu athmen, Alles in anderm Lichte zu ſehen
[251] ſchien, wenn er ſich in der Nähe ſeiner Braut
befand.


Unter Vorbereitungen mancher Art kam der
Sylveſterabend heran. Das Meier'ſche Haus
glich einem Feenpalaſt. Geſchmack und Luxus
hatten das Höchſte aufgeboten, und ſelbſt die
Freunde des Hauſes ahnten heute irgend etwas
Beſonderes, obgleich [Herr] Meier immer Wohl-
gefallen daran hatte, ſein Haus in einer ge-
wiſſen Eleganz zu zeigen. Nach den erſten
Tänzen wurde die Geſellſchaft in das Treib-
haus geführt, das für die Aufſtellung der Ta-
bleaux eingerichtet war.


Man hatte als erſtes Bild Bendemann's
„Trauernde Juden“ gewählt, die in der letzten
Ausſtellung das Entzücken des Publicums ge-
macht hatten. Die breiten Thürflügel, welche
das Treibhaus von dem Saale trennten, wa-
ren zurückgeſchlagen. Sie bildeten einen Rah-
men, der die Bilder einſchloß, und ein allge-
[252] meines Entzücken wurde laut, als nun plötzlich
der Vorhang aufrollte und das Bild ſichtbar
wurde, für das die herrlichen Tropengewächſe
des Treibhauſes einen dichten, dunkeln Hinter-
grund boten. —


Steinheim, der den Greis darſtellte, war
durch ſeine kräftige Geſtalt und ſein ausdrucks-
volles Geſicht, das durch den Bart und die
orientaliſche Kopfbedeckung an Bedeutung ge-
wann, vortrefflich für ſeine Stelle geeignet.
Eine junge Verwandte des Hauſes, die ſeit
einigen Jahren verheirathet und Mutter des
Knaben war, deſſen wir ſchon bei der Probe
gedachten, repräſentirte die junge Frau mit
dem Kinde. Zu Steinheim's Füßen ruhte,
verhüllten Angeſichts, Thereſe, und — die
rechte Hand auf die Laute gelehnt, das wun-
derſchöne Haupt auf den andern Arm geſtützt,
ſaß Jenny an Steinheim's Seite. Man konnte
nichts Edleres, nichts Ergreifenderes ſehen, als
[253] den Ausdruck hoffnungsloſer Trauer in ihren
jugendlich zarten Zügen.


Darüber war nur Eine Stimme, daß dieſe
Darſtellung einen lebhaftern Eindruck mache,
als Bendemann's Bild ſelbſt, während ſonſt
faſt immer dergleichen weit hinter dem Origi-
nale zurück bleibt. Man konnte nicht genug
ſehen und bewundern, und Erlau mußte end-
lich, trotz aller Bitten, den Vorhang herun-
ter laſſen, um die Mitwirkenden nicht zu ſehr
zu ermüden.


Kaum ſah Reinhard ſeine Braut das Treib-
haus verlaſſen, um ihr Coſtüm auf ihrer Stube
zu wechſeln, als er ihr nacheilte. Er wünſchte
ſie einen Augenblick allein zu ſehen, was ihm
bis dahin nicht gelungen war, da er verſpro-
chen hatte, durch ḱeine auffallende Annäherung
den Aeltern die Freude der Ueberraſchung zu
verderben. Mit wahrem Entzücken flog Jenny
ihm entgegen; ihre Arme ſchlangen ſich um
[254] ſeinen Hals, und als er ſie umfaßte, hob er
die kleine anmuthige Geſtalt in die Höhe und
ließ ſie nur ungern zur Erde hinunter, als ſie
lachend ausrief: „Du weißt wohl, mein Him-
mel iſt in Deinen Armen, aber da heute auf
Erden Sylveſter und Ball bei uns iſt, ſo
werde ich doch nur zu den Erdenſöhnen hinun-
tereilen müſſen. Adieu! mein Himmel!“ rief
ſie und wollte forteilen.


Reinhard aber hinderte ſie daran: „Komm,
komm, mein Herz, laß mich noch einmal in
Deine Augen ſehen“, bat er. „O!“ rief er
dann und küßte trunken Jenny's lange Wim-
pern, „die ſüßen Augen ſind ja licht und
fröhlich —nun bin ich ruhig, nun gehe, mein
Leben!“ —


Jenny fragte ſcherzend, was er denn in ihren
Augen heute beſonders zu finden geglaubt? —


„Den Schmerz, den ſie ausgedrückt, als
Du in dem Bilde geſeſſen. Jenny, wenn ich
[255] Dich jemals ſo traurig ſehen müßte, wenn ich
es ſehen müßte und könnte den Schmerz aus
Deinen Zügen nicht verſcheuchen — wie gren-
zenlos elend würde ich ſein.“


„Aber wie kommſt Du nur darauf?“ fragte
Jenny ängſtlich.


„Weiß ich's?“ antwortete er. „Dort im
Saale, als ſie in Deiner Bewunderung kein
Ende finden konnten, verdroß es mich, daß
Du auch für Andere ſchön biſt, daß ich den
Genuß, Dich anzuſtaunen, mit gleichgültigen
Menſchen theilen ſoll. Ich wünſchte Dich fort
von hier, wo kein Auge Dich ſähe als mei-
nes; wie ich es damals wünſchte, als Du mich
im Figaro errathen laſſen, was ich kaum zu
hoffen gewagt. Dann überfiel mich wieder der
Gedanke, ob ich allein Dir genügen, Dir Er-
ſatz für die ganze übrige Welt ſein könnte, wie
Du mir! — Jenny, wenn ich Dich einſt we-
niger glücklich ſehen müßte, wenn Du es
[256] je bereuen könnteſt, die Meine geworden zu
ſein“! — rief er, und preßte ſie ſo heftig an
ſich, daß ſie erbebte vor ſo viel Glut und, wie
abwehrend, ihre Hände vor das Geſicht hielt.
Sie bat, ſie flehte, er möge ſie laſſen, er aber
drückte ſie nur feſter an ſich und ſagte: „Sieh
Jenny, daß ich Dich ſo halten kann mit ſtar-
kem Arm, daß Du nun mein biſt, meinem
Willen angehörend — o! ſchilt mich nicht roh,
nicht ungroßmüthig — daß Du von mir ab-
hängſt, das macht mich unendlich, unendlich
ſelig!“ — Bei den Worten ließ er ſie plötz-
lich los, küßte ſanft und ſtill ihre Stirne,
ſtreichelte ihr Haar und ſchickte ſich an, ſie zu
verlaſſen. Da war es Jenny, die ihn zurück-
hielt und, indem ſie ihre Hände in den ſei-
nen ruhen ließ, langſam vor ihm niederſank
und aufgelöſt in Liebe flüſterte: „So bin ich
Dein, Du Starker, ſo ganz Dein! denn mein
Schickſal iſt in Deiner Hand.“ —


[257]

Aus dem ſeligſten Rauſche weckte ſie die
Mutter, welche, Jenny vermiſſend, ſie zu holen
kam, damit ihre Abweſenheit nicht bemerkt
werde. Hughes, dem ſie den nächſten Tanz
verſprochen, hatte ſie bereits geſucht, Madame
Meier aber das Verſchwinden ihrer Tochter
mit dem nothwendigen Wechſel der Toilette
entſchuldigt und Hughes hatte ſich zu Erlau
geſellt, der im Treibhauſe die Decorationen für
das nächſte Bild ordnete.


„Wenn ich nur wüßte“, ſagte Hughes,
„worin es lag, daß dieſes Bild heute einen
ſo erſchütternden Eindruck auf mich machte,
während das Original, trotz ſeiner großen
Schönheit, mich ziemlich kalt ließ?“


„Das will ich Ihnen wohl ſagen, theurer
Sir!“ antwortete Erlau, „und ich bilde mir
nicht wenig darauf ein, mit dieſem Tableau
den Effect gemacht zu haben, den es heute auf
Jeden hervorgebracht hat. Sie haben heute
[258] zum erſten Mal trauernde Juden geſehen,
während Bendemann trauernde Düſſeldorfer
in fremdartiger Kleidung gemalt hat!“


Hughes gab zu, daß Erlau recht haben
könne. —


„Gewiß habe ich recht. Ich hatte, als ich
in dem Katalog der Ausſtellung „Trauernde
Juden“ von Bendemann las, eine rechte Her-
zensfreude. Ich liebe die Juden; ſie ſind nicht
mehr Das, was ſie vor tauſend Jahren gewe-
ſen ſein mögen, aber es iſt noch Originalität,
Race in ihnen, und darum ſind ſie für den
Maler intereſſant. Nun dachte ich, wenn ein
Jude den Muth hat, Juden zu malen; wenn
dieſer Maler Bendemann iſt, da muß es ein
Stück Arbeit werden, das Hand und Fuß hat.
Ich dachte, er würde ſich köſtliche Geſtalten,
üppige Weiber mit Flammenaugen gewählt ha-
ben — nicht doch! ſo weit reicht ſein Muth
nicht. Er nimmt ein Sujet aus Juden-
[259]
thume, aber er tauft ſeine Juden, er über-
ſetzt ſie ins Düſſeldorf'ſche, und nun ſitzen
die deutſchen Mamſellen und ſehen, ſo hübſch
ſie ſind, doch nur aus, wie Düſſeldorfer Gärt-
ner, denen die Raupen den Kohl aufgefreſſen
haben.“


Hughes lachte —


„Was iſt da zu lachen?“ fragte Erlau, der
ganz ernſthaft wurde, ſobald es die Kunſt
galt, die er heilig hielt. „Geſtehen Sie, es
iſt, wie ich ſage. Iſt ſchon irgend ein Menſch
ſo thöricht geweſen, ſich blonde, deutſche Mo-
delle zu nehmen, wenn er neapolitaniſche Fi-
ſcher malen wollte? Das thut Niemand.
Würde nicht alle Welt lachen, es abgeſchmackt
finden, wenn man Zigeuner mit der Phyſio-
gnomie eines phlegmatiſchen Holländers malte?
— oder Parias mit goldblonden Locken und
einer Lilienhaut? Auch dem Paria muß ſein
Recht werden, ſonſt laßt ihn lieber ungemalt
[260] und ungeſchoren; und daſſelbe verlange ich für
die Juden. Sehen Sie einmal den Steinheim,
die Jenny an; denken Sie an das junge Weib,
das ſie heute im Tableau geſehen; ſind das
nicht Köpfe, die ſich mit allen italieniſchen
Modellen meſſen können?“ —


Hughes gab es zu, daß auch ihm, trotz
der widerwärtigen Carricaturen, die man un-
ter den Juden ſähe, eine Menge wahrer Schön-
heiten ſowol unter Männern als Frauen auf-
gefallen wären.


„Das ſage ich ja“, eiferte der Maler.
„Es iſt mit den Juden wie mit den Fürſten-
häuſern und dem hohen Adel, die ſich auch ſo
untereinander rekrutiren. Die Race artet aus
ins Krüppelhafte oder ſie veredelt ſich. Sehen
Sie die feinen Glieder, das Auge! Die Uep-
pigkeit des Orients, die finden Sie heute noch
oft bei den Juden und die Beweglichkeit ihrer
Züge empfiehlt ſie dem Maler. Darum wählte
[261] ich heute das Bild und dieſe Perſonen zu dem
Bilde; und ich wollte, Bendemann ſelbſt hätte
es geſehen. Da er ſich hoffentlich nicht ſchämt,
ein Jude zu ſein, hätte er an dieſer Darſtel-
lung vielleicht den Muth gewonnen, Juden zu
malen; denn, unter uns geſagt, feig ſind die
Juden doch!“ —


„Mombray Du lügſt!“ rief Steinheim's
Stimme dazwiſchen, der, mit Edurard eintre-
tend, die letzten Worte hörte.


„Leider lügt er nicht“, ſagte Eduard ernſt-
haft, „wenn er von moraliſchem Muthe ſpricht.
Denn jene ſogenannte Courage, die jeder Rauf-
bold in ſich erzwingt, um während eines
Duells oder ſonſt einer Viertelſtunde Parade
zu machen, die ſchlage ich ſehr gering an. Der
Feigſte, wenn er nur eitel genug iſt, ſich zu
ſchämen, bringt das zu Stande. Aber der
moraliſche Muth, der fehlt uns. Jahrhunderte
lang hat die Sklaverei auf uns gelegen und
[262] das Volk ſo gedrückt, daß es ſich glücklich fühlt,
Ruhe zu genießen, und ſich reſignirt, anſtatt
mit Ernſt die Rechte zu fordern, die man uns
vorenthält!“


„Wahr iſt's“, bekräftigte Hughes, „und um
ſo auffallender, als man nicht leugnen kann,
daß es verhältnißmäßig eine Menge von Fä-
higkeiten und Talenten unter Ihrem Volke gibt.
Mich wundert, daß dieſe ſich nicht durch die
ganze Erde vereinen, daß ſie nicht all ihre
Kräfte aufbieten, um zum Ziele, zur Gleich-
ſtellung zu gelangen“


Weil ſie das nicht thun, nannte ich ſie feig“,
ſagte begütigend Erlau, dem es unangenehm
war, jene Aeußerung gethan zu haben.


„Und mit Recht“, war Eduard's Antwort.
„Was Du mir über Bendemann's „Trauernde
Juden“ neulich ſagteſt, war vollkommen wahr;
indeß ſo machen ſie es alle. Michael Beer,
der die Schmach der Unterdrückung lebhaft
[263] fühlte, den es drängte, die Ungerechtigkeit dar-
zuſtellen, machte ein Trauerſpiel daraus. Aber
er ſchilderte nicht das Elend ſeines Volkes;
damit hätte er ja daran erinnert, daß er ſelbſt
ein Jude ſei: er malte lieber die Unterdrückung
sub rosa, er ſchrieb den „Paria“ und dachte,
vielleicht verſteht man meine Meinung, und
ich habe doch nichts geſagt, wenn man ſie
nicht verſtehen will. Das iſt Feigheit.“


„Und Thorheit obenein“, ſagte Steinheim.
„Die Geſchichte hat kein Beiſpiel, daß irgend
eine Unterdrückung aufgehoben worden wäre,
weil der Unterdrücker in großmüthiger Laune
ſagte: Car tel est mon plaisir“, außer der Ber-
tha im Tell, die abgehend ihr „und frei er-
klär' ich alle meine Knechte“, ausruft. Es
heißt: „Bittet, ſo wird euch gegeben, klopfet
an, ſo wird euch aufgethan“, und es wäre
Zeit, daß die Juden tüchtig anklopften, wenn
das Bitten nicht hilft, und die Chriſten zeigen
[264] müßten, ob ſie den Spruch ihres Heilandes zu
erfüllen bereit ſind.


Erlau hatte während der Unterhaltung nicht
nach den Vorbereitungen zu dem nächſten Bilde
geſehen. Ein Diener kam, ihn daran zu erin-
nern, meldend, daß die Herren und Damen
bereits angekleidet ſeien. Das machte dem Ge-
ſpräch ein Ende, weil Erlau die Herren bat,
ihn zu verlaſſen. „Aber wir kommen nächſtens
auf dies Thema zurück, das gerade auch für
den Unparteiiſchen eine pſychologiſch intereſſante
Seite unſers Jahrhunderts zeigt“, ſagte er, als
die Andern davon gingen. Da blieb Stein-
heim ſtehen und ſprach: „Greift nur hinein
ins volle Menſchenleben! Ein Jeder lobt's,
nicht Vielen iſt's bekannt, und wo Ihr's packt,
da iſt's intereſſant!“ — Zehn Minuten öffnete
ſich das Treibhaus der Schauluſt aufs Neue
und einige glücklich gewählte Bilder folgten raſch
auf einander. Den Beſchluß machten Jenny
[265] und Herr von Lichtwang mit der Scene aus
dem Ivanhoe; und als eben der Vorhang vor
dem letzten Bilde gefallen war, ſchlug die letzte
Stunde des alten Jahres.


Einen Moment ſchwieg Alles in ahnender
Ungewißheit, in Rückerinnerung und Erwar-
tung; dann ging ein fröhliches Leben an.
Glückwünſche und Scherze flogen von Mund
zu Mund; Freunde ſuchten ſich gegenſeitig;
Eltern und Kinder hatten ſich, wenn auch
nur für einen Augenblick, vereint, und ganz
natürlich hatten auch Reinhard und Jenny ſich
gefunden, um den Anfang des neuen Jahres,
das ſie gemeinſchaftlich verleben ſollten, zuſam-
men zu feiern.


„Nächſten Sylveſter in ländlicher Ruhe“,
flüſterte Reinhard in Jenny's Ohr, ihre Hand
in der ſeinigen drückend, als Herr Meier ſie zu
holen kam. Er trat mit Jenny und Reinhard
I. 12
[266] in die Mitte des Zimmers und ſprach zur Ge-
ſellſchaft gewendet:


„Erlauben Sie mir, meine Freunde, Ihnen
beim Beginn des neuen Jahres ein neues Mit-
glied meiner Familie vorzuſtellen. Herr Rein-
hard und meine Jenny ſind ſeit acht Tagen
verlobt und ich empfehle dies junge Paar Ih-
rer Freundſchaft.“


Größeres Erſtaunen hätte die unerwartete
Ankunft des Großſultans nicht erregen kön-
nen, als dieſe einfachen Worte. Des Fragens,
Wunderns, Glückwünſchens war kein Ende;
und mancher junge Mann ſah mit Neid auf
Reinhard, an deſſen Arm Jenny, noch im
Coſtüme der Rebecca, durch die Zimmer ging.
Sie war blendend ſchön in der prachtvollen
Kleidung, das Haar mit Brillanten durchfloch-
ten, den feuerfarbenen Turban auf die ſchwar-
zen Locken gedrückt; und Reinhard konnte
[267] nicht unterlaſſen, ſie nochmals zu ſeiner Mut-
ter zu führen, um auch von ihr zu hören, wie
ſchön ſeine Jenny ſei. Niemand wollte erlau-
ben, daß ſie ſich entferne, um ihre Toilette
zu verändern. Einige ältere Damen, die neben
der Pfarrerin ſtanden, hielten die holde Braut
mit freundlichen Worten zurück; da trat auch
Erlau glückwünſchend hinzu und ſagte leiſe:
„So ganz unrecht hatte ich alſo neulich doch
nicht, als ich von dem Einfluß und der Er-
laubniß eines gewiſſen Theologen ſprach? —“


„O, gehen Sie! Sie ſind ein arger Spöt-
ter und haben mir damals eine traurige
Stunde bereitet!“ rief Jenny und mußte dann
der Pfarrerin erzählen, was Erlau's Worte zu
bedeuten hätten.


Den Zeitraum benutzte der Maler, Rein-
hard in ſeiner gewohnten Art zu gratuliren.
„Dir, Du Mann Gottes, hat es der Herr
wahrhaftig im Schlafe gegeben. Da ſetzt ſich
12*
[268] der Menſch hin und langweilt das arme Kind
zwei Jahre lang mit alten, unnützen Geſchich-
ten, nach denen kein Hahn mehr kräht, und
hat gewiß wacker auf den gottloſen Paris ge-
ſchimpft, der die Helena entführte und den
braven Menelaus mit langer Naſe ſtehen ließ.
Nun aber, ehe man ſich's verſieht, hat er
ſelbſt die Schönſte am Arme, geht mit ihr da-
von und läßt uns à la Menelaus zurück. Ich
glaube, auch mein Naſe muß ſich in dieſem
kritiſchen Moment ein wenig verlängern, und
Steinheim's und des armen Joſeph's Riech-
werkzeuge wachſen gigantiſch.“ — „Halt,
glückſeliger Bräutigam“, fuhr er fort, als
Reinhard davon gehen wollte, „ſo kommſt Du
mir nicht los! part la Giovanolla bete ich
dieſe kleine Jenny an! und daß Du mich neu-
lich veranlaßt, dem Kinde Kummer zu ma-
chen, das mag Dir Gott vergeben! Und künf-
tig machſt Du den Templer, wenn Jenny es“
[269]
will, Du ſeltener Tugendritter! — Mit
Keuſchheit und Armuth wird's nun ein Ende
haben, wie der feurige Brillant an Deiner
Bruſt, den ich jetzt erſt bemerke, und Deine
noch feurigern Blicke mir deutlich beweiſen; aber
das dritte Gelübde — Gehorſam, dazu kann
Rath werden. Ich wünſche Dir nur ſo viel
Geduld, als Du Glück haſt! Denn das Com-
mandiren und Wollen verſtehen Fräulein Jenny
und Papa Meier aus dem Fundament. Hät-
ten ſie mir nur befohlen, Dich zu allen Teu-
feln zu jagen und ſtatt Deiner die holde Roſe
von Savon zu freien, Du hätteſt ſehen ſollen,
ob ich's gethan hätte!“


Ohne auf Reinhard's Ungeduld zu achten,
drehte ſich der Wildfang dann plötzlich zu
Jenny und ſagte: „Auf mein Wort, Fräulein
Meier, wenn Reinhard nicht der beſte Gatte
wird, iſt's ſeine Schuld. Ich habe ihm ſeine
Pflichten ſtrenge vorgehalten und verlange zum
[270] Lohn nur die Gunſt, die künftige Frau Pfar-
rerin in dieſem Coſtüme malen zu dürfen, um
den Paſtor ſtets zu erinnern, daß er mehr Glück
als Verſtand hat.“


Mit dieſen Worten eilte er lachend davon.
Aber ſeine Rede ließ ein unangenehmes Gefühl
in Reinhard's Bruſt zurück, der es ſich nicht
verbergen konnte, wie man ihm den Beſitz Jen-
ny's für ein nicht zu erwartendes Glück an-
rechne und ſich allgemein darüber wundere.



Ein paar Tage lang war dieſe Verlobung
ein Gegenſtand der Unterhaltung bei Allen,
die, wenn auch nur entfernt, mit einem der
beiden Theile bekannt waren. Manche lobten
es, daß Herr Meier bei der Wahl eines Gat-
ten für ſeine Tochter nur auf ihre Neigung
[271] geſehen; Andere und gerade die Freunde und
Verwandten des Hauſes machten ihm einen
Vorwurf daraus, daß er, den man für das
Centrum der jüdiſchen Partei gehalten, ſeine
Tochter zum Chriſtenthum übertreten laſſe.
Dergleichen hatte aber auf den klaren Sinn
des würdigen Mannes keinen Einfluß. Nach-
dem der Entſchluß reiflich überdacht und aus-
geführt war, ſtand er als Thatſache unwan-
delbar vor ihm und kein fremdes Urtheil ver-
mochte ſeine Anſicht darüber zu erſchüttern.


Anders war es mit Madame Meier. Auf
ſie blieben die wiederholten Bemerkungen der
Leute, daß Jenny zu ganz andern Verbindun-
gen berechtigt geweſen wäre, wenn ſie nun
einmal Chriſtin werden ſollte, nicht ohne
Einfluß; und während ihr Mann mit der
Wahl ſeiner Tochter vollkommen zufrieden ge-
worden war, fing die Mutter ſie zu be-
reuen an.


[272]

Sie überlegte, wie dieſe und jene Toch-
ter eines reichen Kaufmanns einen berühm-
ten Künſtler, einen Baron, einen Grafen
geheirathet hatte. Reinhard war ihr ſehr
lieb; ſie vor Allen hatte das Verhältniß
gebilligt und geſchützt gegen die frühere Anſicht
ihres Mannes, und dieſe Verbindung war ihr
vollkommen ausreichend zu Jenny's Glück er-
ſchienen, bis das unnütze Geſchwätz einiger Da-
men, die ihr damit zu ſchmeicheln wähnten, die
Saat der Unzufriedenheit in ihre Bruſt ſtreuten.
Vergebens wiederholte ſie ſich, daß ihre Tochter
glücklich ſei, — es fiel ihr unaufhörlich ein, es
hätte doch noch beglückender für Jenny ſein
müſſen, wenn Reinhard nicht ein junger Theo-
log, ſondern ein Mann von Stande geweſen
wäre. Daß er es nicht war, konnte ſie ihm
zwar nicht zur Laſt legen; es mußte aber ihrer
Meinung nach den jungen Mann veranlaſſen,
durch beſondere Zuvorkommenheit, durch gänz-
[273] liche Selbſtverleugnung Jenny dafür zu ent-
ſchädigen.


Mit ihrem Manne oder mit Eduard davon
zu ſprechen, wagte ſie nicht, weil ſie überzeugt
war, auf Tadel zu ſtoßen. Sie fühlte das
Thörichte dieſer Anſicht, denn ſie war eine
verſtändige Frau; aber immer wieder trug die
Verblendung und Eitelkeit der Mutterliebe den
Sieg davon. Es war und blieb ihr unange-
nehm, daß man ihre Jenny nicht auch in die-
ſer Beziehung beneidenswerth fände, und ſie
beſchloß, obgleich ihr das ſonſt niemals in den
Sinn gekommen, durch einen verdoppelten Lu-
xus in Allem, was Jenny umgab, der Welt
zu zeigen, daß ihre Tochter in der Lage ſei,
eine glänzende Heirath entbehren zu können.


Dadurch aber kam die arme Jenny von
dem erſten Tage an in peinliche Conflicte.
Während die Mutter unaufhörlich auf ein ge-
wiſſes Schauſtellen drang, verweigerte Rein-
12**
[274] hard es entſchieden, und die junge Braut mußte
oft beſchwichtigend und verſöhnend auftreten,
worin ſie von der Pfarrerin glücklicherweiſe
unterſtützt wurde. Schon an dem Tage, an
dem das Brautpaar die üblichen Viſiten ma-
chen ſollte, gab es kleine Mißhelligkeiten.
Madame Meier hatte ein langes Regiſter der-
jenigen Perſonen entworfen, denen ſie ſich
vorſtellen ſollten, und ihrem Diener die größte
Sorgfalt für die Equipage anbefohlen, als
Reinhard erklärte, er begreife nicht, weshalb
ſie zu einer Menge gleichgültiger Leute fahren
müßten, mit denen ſie ſchwerlich in Berührung
bleiben würden. Er hoffe, recht bald eine
Stelle zu bekommen und die Stadt zu verlaſſen;
ſeiner Meinung nach genüge es daher vollkom-
men, wenn ſie die nächſten Verwandten und
Freunde der Familie beſuchten. Zu dieſen könne
er mit Jenny hingehen, wolle gleich heute da-
mit anfangen und hoffe, ſeine kleine Braut
[275] ebenſo wohlbehalten heim zu bringen, als
ob ſie gefahren wäre. Davon wollte jedoch
die Mutter nichts wiſſen. Sie verſicherte, kein
Menſch habe jemals ſolche Viſiten zu Fuß ge-
macht, und fügte hinzu: „Glauben Sie mir,
lieber Reinhard, Jenny iſt gar nicht im Stande,
ſo weite Wege zu gehen.“


„Ja, das iſt übel“, erwiderte Reinhard lä-
chelnd; „wie wird das werden, wenn wir
keine Equipage haben? Da wird ſie ſich doch
gewöhnen müſſen!“


„Es iſt ein Scherz, lieber Guſtav!“ ſagte
Jenny. Du weißt, wir haben vorigen Som-
mer auf dem Lande ganz gewaltige Promena-
den gemacht und ich gehe viel lieber, als ich
fahre. Doch läßt ſich das heute wol vereini-
gen. Wir machen einen Theil der Viſiten, die
meine Mutter wünſcht, zu Wagen, holen nach-
her Deine Mutter ab und fahren ein Stünd-
chen vor das Thor. Dann, wenn Du Luſt
[276] haſt und es nicht zu kalt iſt, machen wir mor-
gen bei den Verwandten ein paar Beſuche zu
Fuß und einen tüchtigen Spaziergang!“


So geſchah es, und alle Parteien waren
für den Augenblick zufriedengeſtellt. Indeß
ſollte es nicht das letzte Mal ſein, daß Jenny's
Vermittelung nöthig wurde.


Zu Herrn Meier's Freude, der das Braut-
paar in der Stille mit ſorglicher Liebe beob-
achtete, entwickelte Jenny bei dieſen Verſuchen,
Reinhard's und der Ihrigen Wünſche zu ver-
einen, eine ganz neue Seite ihres Charakters.
Sich ſelbſt vergeſſend, war ſie unaufhörlich be-
müht, ſich den Anſichten der Andern zu fügen
und Reinhard's leiſeſten Wünſchen zuvorzukom-
men. Hatte ein geräuſchvoll verlebter Abend
ihren Bräutigam unbefriedigt gelaſſen, ſo er-
langte ſie am nächſten Morgen gewiß die Er-
laubniß, den ganzen Tag bei der Pfarrerin
zuzubringen, um Reinhard zu zeigen, daß ihr
[277] im traulichen Beiſammenſein mit ihm die
reinſte Freude erblühe. Dann war Reinhard
glücklich; dann nannte er ſie „ſeine eigene
Jenny“ und konnte nicht aufhören ſie zu her-
zen, wenn ſie ſich ſeiner Mutter bereitwillig
zu kleinen häuslichen Hülfsleiſtungen anbot,
an die ſie in ihrem elterlichen Hauſe, wo eine
große Dienerſchaft jedes Winkes harrte, nicht
gewöhnt war.


So ſehr ſie früher darauf gehalten, auch
in Kleinigkeiten ihren Willen zu haben, ſo
fügſam wurde ſie jetzt. Einzelne unbedachte
Aeußerungen ihrer Mutter ließen ſie vermu-
then, daß ihre Eltern die Verlobung mit
Reinhard als ein Opfer betrachteten, welches
ſie dem Glücke ihres Kindes gebracht, obgleich
es ihnen ſchwer geworden war. Das bewog
Jenny, den Ihrigen nachzugeben, ſo weit es ir-
gend möglich, und machte andrerſeits ſie noch
zärtlicher gegen Reinhard; denn es that ihr
[278] leid um ſeinetwillen, daß er den Eltern nicht
der erwünſchteſte Sohn unter allen Männern
auf der Welt, wie ihr der einzig Geliebte ſei.
Mit jedem Tage, den ſie bei ſeiner Mutter
verlebte, wurde er ihr theurer und verehrungs-
würdiger. Sein reicher Geiſt, ſeine unbeſtech-
liche Gradheit zeigte ſich in all ihrem Glanze,
wenn er ſich ſo rückhaltlos hingab. Oft, wenn
er ſich dann in ſüße Schwärmereien verlor,
hörte ſie mit einer Andacht, mit einer Erhe-
bung zu, von der die Pfarrerin innig gerührt
war. „So“, ſagte ſie einſt zu ihrem Sohne,
„mag Maria zu den Füßen des Herrn geſeſ-
ſen haben“, und Jenny bemerkte lächelnd:
„Mehr als ich Guſtav liebe, liebte auch gewiß
Maria den Herrn nicht.“ Das vollkommenſte
Einverſtändniß herrſchte unter den Liebenden,
und ſelbſt Herr Meier gewann Vertrauen für
die Zukunft ſeiner Tochter.


Man war ſeit Jenny's Verlobung im
[279]
Meier'ſchen Hauſe daran gewöhnt, ſie mehrere
Tage der Woche ihrer Schwiegermutter zu
überlaſſen. Damit nun Madame Meier dieſes
Entbehren ihrer Tochter nicht zu empfindlich
werde, hatte man Thereſe eingeladen, an jenen
Tagen Madame Meier zu beſuchen, und kam
auf Jenny's Veranlaſſung zuletzt überein, The-
reſe für den Sommer, den die Familie immer
auf ihrem Gute zubrachte, ganz in das Haus
zu nehmen. Auch die Pfarrerin wollte dann
die Stadt verlaſſen, um einige Zeit bei einer
Freundin zu verleben. Deshalb ſtrebte man
jetzt, jemehr der Winter ſich zu Ende neigte,
die letzte Zeit vor dieſer kleinen allgemeinen
Auswanderung noch recht mit Bewußtſein zu
genießen. Durch Hughes und Clara Horn
war der engere Kreis der Hausfreunde im
Laufe des Winters vergrößert worden, nachdem
Clara — — — — — — durch Bitten und
Zureden die Erlaubniß erlangt hatte, abermals
[280] zu Madame Meier zu gehen. Sie wünſchte
die Familie wiederzuſehen und Jenny zu dan-
ken, die ihr ein zweites Bouquet geſendet,
ſchöner noch als jenes, welches Clara damals
im Treibhauſe erhalten. Obgleich nun die
Commerzienräthin dieſem Verkehr noch immer
nicht geneigt war, gab ſie endlich den Bitten
ihrer Tochter nach, als ſie darin die Möglich-
keit ſah, ihre Abſichten zu fördern. Sie
wußte, wie gefliſſentlich Clara jedes Alleinſein
mit William vermied, und es ſchien ihr eine
günſtige Veranlaſſung, ihm dann und wann
ein tête à tête zu verſchaffen, wenn ſie Clara
unter ſeinem alleinigen Schutze den Beſuch
des Meier'ſchen Hauſes geſtattete.


Erfreut durch dieſe Erlaubniß, die ebenſo
ſehr Williams Liebe für Clara entſprach, als
ſeiner Freundſchaft für die Familie Meier, und
es ſich zuſchreibend, die Vorurtheile ſeiner Tante
durch Vernunft beſiegt zu haben, warf William
[281] ſich zum Protector dieſes neuen Verhältniſſes
auf. Er ſtellte der Commerzienräthin vor, wie
es gerade ihr, einer der vornehmſten Damen der
Stadt, wohl anſtände, ein Beiſpiel zeitgemäßer
Bildung zu geben, indem ſie allem Gerede zum
Trotz, Jenny und Clara, die ſich ſehr zuſagten,
auch ungeſtört mit einander umgehen laſſe.


„Sie haben früher den Doktor Meier zu
Ihrem Arzte gewählt, liebſte Tante“, ſagte er
ſchmeichelnd, „und die ganze beau monde iſt
Ihrem Beiſpiel gefolgt. Vor Ihrem klaren
Verſtande können jene Vorurtheile, welche einſt
die ſchroffe Trennung zwiſchen verſchiedenen Con-
feſſionen verurſachten, nicht mehr Stich halten.
Wenn ich Ihnen nun ſage, daß Sie mir den
größten Gefallen thun, ſo oft Sie mir die Couſine
anvertrauen, und daß Clara ſich vortrefflich bei
Meiers unterhält, ſo darf ich hoffen, Sie he-
ben für Clara und Jenny den Grenzcordon
[282] auf und geben ihnen völlige Freiheit für ihren
Verkehr.“


Die Commerzienräthin that darauf, als ob
William's Gründe ſie überredet hätten, und
wenige Tage, nachdem Reinhard mit Jenny
verſprochen worden, erhielten Eduard und ſeine
Schweſter Einladungen zu einer Geſellſchaft
im Hauſe der Commerzienräthin, die aber nur
Eduard annahm, weil Jenny ſich nicht ent-
ſchließen konnte, ohne den Bräutigam hinzu-
gehen. Dem Vater war dies ganz gelegen, da
er im Ernſte meinte, was er nur ſcherzend
ausſprach, er ſähe es gern, wenn Leute, die
ihm eine Ehre mit ihrer Einladung zu erzei-
gen glaubten, lieber über zu viel Zurückhal-
tung als zu bereitwilliges Entgegenkommen
klagten.


In jenen Tagen wurde nun Jenny's Ver-
lobung bekannt gemacht und Clara Horn ge-
[283] hörte zu Denjenigen, die am meiſten davon
überraſcht wurden. Sie ſaß im Zimmer ihrer
Mutter, als am Neujahrsmorgen ein Diener
das Meldungsbillet hineinbrachte. Die Com-
merzienräthin gerieth in die beſte Laune, nun
ſie mit Zuverſicht wußte, daß ſie die einſt ge-
fürchtete Nebenbuhlerin nicht mehr zu ſcheuen
habe, und reichte das Billet, nachdem ſie es ge-
leſen, ihrer Tochter, mit der Bemerkung: „Da
ſieht man deutlich, wie ſolchen Leuten ſelbſt
der Reichthum nichts hilft: ein Candidat der
Theologie! Für Dich ſoll beſſer geſorgt wer-
den, liebes Kind!“


Clara antwortete keine Silbe, denn ſie
hatte im Uebermaß des Entzückens gar nichts
von der Rede ihrer Mutter gehört. Sie hielt
das Blatt in den Händen und las mit
klopfenden Herzen und einer nie geahneten
Wonne wieder und immer wieder die Worte,
welche ihr Jenny's Verlobung mit Reinhard
[284] verkündeten. Das war ein Lichtſtrahl von
oben, der urplötzlich die Nacht ihres Kummers
erhellte. Jetzt war Alles gut, all ihr hoff-
nungsloſes Leiden beendet, jeder Zweifel geho-
ben. Wenn Jenny ſich mit Reinhard ver-
lobte, konnte auch der Liebe Eduard's zu ihr
kein Hinderniß von ſeiner Seite im Wege ſte-
hen; und ſie wünſchte nur zu erfahren, durch
welche Verhältniſſe dieſer glückliche Wechſel der
Anſichten in der Meier'ſchen Familie hervorge-
bracht worden war. Sie beſtürmte Hughes
mit Fragen; ſie wollte wiſſen, ob der Doctor
Meier mit dieſer Heirath einverſtanden ſei, ob
die Eltern ſie gern ſähen; und die Verſiche-
rung ihres Couſins, daß Alle ſehr glücklich und
erfreut darüber wären, reifte ihre Hoffnung
zu beſeligender Ueberzeugung, ſodaß ſie freude-
ſtrahlend Eduard entgegenging, der im Laufe
des Tages hinkam, ihnen zum neuen Jahre
zu gratuliren.


[285]

Nichts war nun natürlicher, als daß der
Umgang zwiſchen den beiden jungen Mädchen
bald eine Art von Innigkeit gewann, nachdem
die erſten Schritte gethan waren. Clara hörte
nur zu gern von Eduard erzählen; was er ge-
ſagt, gewollt, war für ſie von dem höchſten
Intereſſe. Alles und Jedes, das in irgend ei-
ner Beziehung zu ihm ſtand, erregte ihre
Theilnahme, und ſie fühlte ſich zu Jenny, dem
Lieblinge Eduard's, hingezogen, um ſo mehr,
als ſie mit ihr ſtundenlang von dem Geliebten
ſprechen konnte, ohne, wie ſie wähnte, irgend
einen Verdacht zu erregen. Doch darin täuſchte
ſie ſich. Jenny, der die leidenſchaftliche Liebe
Eduard's zu Clara längſt außer allem Zweifel
war, hatte auch bald in Clara's Seele gele-
ſen. Ein gleicher Bildungsgrad machte ihr
das Beiſammenſein mit Clara höchſt angenehm,
ſie fand an ihr, was ſie an Thereſe ſtets ver-
[286] mißt hatte, ein Gemüth, das mit ihr in ra-
ſcher Empfänglichkeit ſympathiſirte, und eine
Tiefe des Gefühls, welche Thereſe nicht in
dem Grade beſaß, oder mindeſtens nicht zu äu-
ßern vermochte. Solch eine Schwägerin hatte
ſie ſich gewünſcht, und auch ihr war es nur
zu natürlich, daß Eduard kein Opfer ſcheuen
werde, um Clara zu beſitzen. Dieſe ihrerſeits
kam Jenny mit der zarteſten, eifrigſten Auf-
merkſamkeit entgegen, weil ſie wußte, welche
Freude ſie dem Geliebten damit bereite. Bald
aber wurde ihr Jenny um ihrer ſelbſt willen
theuer; es entzückte ſie, bei einem Mädchen ſo
viel Klarheit der Ideen, ſo viel Charakter zu
finden, und es wurde Beiden zu einer ſüßen
Gewohnheit, zu einem Bedürfniß, ſich häufig
zu ſehen.


In ungetrübter Freude waren ſo einige
Wochen verfloſſen, als Hughes eines Abends
[287] verſtört in die Stube ſeiner Tante trat,
und indem er ihr einen Brief reichte, die
Worte ausrief: „Mein Vater ſtirbt, und ich
muß fort.“


Die Commerzienräthin erſchrak, ſo ſehr als
die kaltblütige Frau es vermochte. Denn ſo
unangenehm ihr auch die plötzliche Entfernung
William's erſchien, ſo leuchtete ihr doch der
materielle Vortheil ein, der für den Sohn ent-
ſtände, wenn er ſchon jetzt in den Beſitz der
väterlichen Schätze käme. Sie verſäumte nicht,
in wohlgewählten Worten ihr tiefes Bedauern
über das Unglück auszudrücken, das ihrer
Schweſter drohe; ſie brachte es ſelbſt bis zu
Thränen bei dem Gedanken an William's Ab-
reiſe, und dieſer, aufgeregt durch die entſetz-
liche Nachricht, die ihn bis in das innerſte
Herz getroffen, ließ ſich von der künſtlichen
Theilnahme der ſchlauen Frau täuſchen. Er
mußte Jemanden finden, dem er ſeine Gefühle
[288] enthüllte, und Clara, vor der er es am lieb-
ſten gethan, war ſeit einigen Stunden bei
Jenny. Er fragte nach ihr, er wolle und
müſſe Abſchied von ihr nehmen.


„Beruhige Dich, lieber William“, ſagte
die Commerzienräthin, „ich laſſe ſie ſogleich
holen, und ſie ſoll den Reſt des Abends mit
Dir verbringen. Sie wird außer ſich ſein.“
Sie ſchellte und befahl dem eintretenden
Diener, anſpannen zu laſſen und das Fräu-
lein zu holen, weil Herr Hughes morgen
verreiſe.


„Morgen? Tante! ehe ich kam, waren
die Pferde beſtellt, mein Diener bereitet mein
Gepäck, und mit bebender Angſt harre ich auf
den Ton des Poſthorns. Ich reiſe gleich; je-
der Augenblick, den ich zögere, kann mich um
den Troſt bringen, meinen Vater noch zu ſehen,
noch ein Wort von ſeinem Munde zu hören —
nur in der höchſten Eile iſt Hoffnung!“


[289]

Das lag außer der Erwartung der Tante:
ſie klingelte nochmals und der Diener erhielt
geſchärfte Befehle. Er ſollte dem Fräulein ſa-
gen, Herr Hughes reiſe gleich, weil ſein Va-
ter zum Tode erkrankt ſei.


Um Gottes willen, das nicht! rief Hughes
in großmüthiger Vorſorge; lieber reiſe ich, ohne
ſie zu ſehen, ehe ſo furchtbarer Schreck ſie un-
vorbereitet treffe.“


Ein Wink entfernte den Diener, und die
Commerzienräthin ging unruhig im Zimmer
umher, jeden Augenblick am Fenſter ſpähend,
ob der Wagen das Portal nicht ſchon ver-
laſſe? Auch Hughes war in qualvoller Span-
nung. Dann, als das Rollen der Räder auf
den Steinen hörbar wurde, ſchien es ihm
Hoffnung zu bringen. Ein ängſtliches Schwei-
gen herrſchte im Zimmer, Tante und Neffe
hingen mit geſpanntem Auge an dem Zeiger
I. 13
[290] der Uhr, der ſich ruhig und langſam von Se-
kunde zu Sekunde fortbewegte, während ihr
Ohr ebenſo ängſtlich auf jeden Ton lauſchte,
der von der Straße heraufſchallte.


„Ich begreife nicht, wo Clara bleibt“, ſagte
nach einer Weile peinlicher Erwartung die
Commerzienräthin.


„Die Zeit vergeht, die Zeit vergeht, und
mein Vater ſtirbt!“ fiel William, der nur den
Einen Gedanken hatte, ihr tonlos ins Wort.
„Denken Sie, Tante, jede Minute Aufſchub
kann mir die Möglichkeit rauben, den Vater
zu ſehen, den ich mehr als Alles liebe, und
trennt mich von Clara, ohne daß ich ſie
geſprochen, ohne daß ſie weiß, wie ich ſie
anbete!“ —


Ermüdet von innerer Erregung warf ſich
der junge Mann in einen Stuhl. Da athmete
die Commerzienräthin tief auf, ein ſiegreiches
[291] Lächeln glitt einen Augenblick über ihre Züge
— ſie war am Ziele! aber ſchnell beſonnen,
trat ſie mit dem Ausdruck inniger Theilnahme
zu William, legte ihre Hand auf ſein Haupt
und ſagte beruhigend: „Möchte Dir ſo ſicher
das Leben Deines Vaters erhalten werden, als
Clara's Liebe und ihre Hand, die ich Dir von
je beſtimmt.“ —


„Wer ſagt Ihnen, Tante!“ rief der Jüng-
ling — da ſchmetterte fröhlich und laut das
Poſthorn. William ſprang erbleichend auf und
ſeufzte, indem er ſich gewaltſam zuſammen-
nahm. „Leben Sie wohl, Tante, mag Clara
mein gedenken.“


„Gehe mein Sohn“, erwiderte mit Feier-
lichkeit die Dame, „und kehre uns bald und
glücklich zurück. Für Clara's Herz bürgt Dir
ihre Liebe, für ihre Hand, ich; und ſollte es
Gott gefallen, Dir den Vater zu rauben, ſo
findeſt Du hier einen Vater wieder, der den
13*
[292] Gatten ſeiner Tochter mit offenen Armen em-
pfangen wird.“


Hughes umarmte ſie zärtlich und eilte hin-
aus; dann kehrte er zurück, zog einen Ring
von ſeinem Finger, reichte ihn der Tante mit
den Worten: „Für Clara! o grüßen Sie ſie,
und ſie ſoll mein gedenken“, — und verſchwand
zum zweiten Male.


Und wieder erklang das Schmettern des
Poſthorns; die Commerzienräthin trat wieder
an das Fenſter und ſah dem Wagen nach, bis
einige Minuten ſpäter ihre Equipage ſichtbar
wurde und Clara bald darauf bei ihrer Mut-
ter erſchien. Trotz William's Verbot hatte
ſie durch den Diener die traurige Nachricht er-
fahren und war ſo bewegt, daß ihre Mutter
die Worte „Wo iſt William?“ die Clara mit
fliegender Eile ausſprach, nur zu leicht für ein
Zeichen der Liebe nehmen konnte. Deshalb hielt
ſie es für angemeſſen, die Rolle, welche ſie
[293] bei Hughes mit ſo vielem Glück geſpielt, auch
bei Clara fortzuſetzen. Sie umarmte ihre Toch-
ter mehrmals, küßte ſie zärtlich und ſagte:
„Beruhige Dich, mein Kind! Du ſiehſt ihn
wieder. Wenn Du wüßteſt, wie er Dich mit
brechendem Herzen verließ! Sein Schmerz
war ſo grenzenlos, daß ich, Deine Mutter,
zur Vertrauten ſeiner Liebe werden mußte.
Er ſendet Dir dieſen Ring und ich habe ihm
ſtatt Deiner verſprochen, daß er bei Dir Troſt
finden würde, falls es Gott gefalle, ihm ſeinen
Vater zu nehmen.“


Das hatte Clara nicht erwartet. Nach
ihrer Meinung mußte gerade Hughes Derjenige
ſein, der ihre Liebe für Eduard kannte, denn
gegen ihn allein hatte ſie ſich ſtets offen über
die Bewunderung und das Intereſſe ausgeſpro-
chen, das ſie für jenen hegte. Sie hatte in
der Bereitwilligkeit ihres Couſins, ihre Be-
kanntſchaft mit Jenny einzuleiten und ihren
[294] nähern Umgang zu befördern, eine Billigung
ihrer Gefühle geſehen und ſich dankbar dafür
mit einer Zärtlichkeit an William angeſchloſſen,
die ihr Bruder ihr einzuflößen niemals weder
geſtrebt, noch vermocht. Sie begriff es nicht,
wie der Vetter dies Wohlwollen für Liebe
nehmen könne, da ſie wußte, wie himmelweit
es von dem Gefühle verſchieden ſei, das ſie
für Eduard empfand; und doch quälte ſie der
Gedanke, William, der vertrauende, großmü-
thige Mann, könne ſie unwürdiger Koketterie,
eines leichtſinnigen Spiels mit ſeinem Herzen be-
ſchuldigen. Es that ihr unausſprechlich leid, daß
ſie ihn, wenn auch ganz abſichtslos, getäuſcht,
und ſie bedauerte von Herzen, ihn nicht mehr
geſprochen zu haben, um es zu verhindern,
daß er Hoffnungen nähre, die ſie unmöglich
erfüllen könne. Aber nicht Das allein war es,
was ſie beunruhigte. Sie wußte, daß ihre
Mutter, nun ſie endlich das Gelingen ihres
[295] Planes erreicht, nicht ſo leicht davon abgehen
würde, am wenigſten zu Eduard's Gunſten.
Mitleid mit William, mit Eduard und ſich
ſelbſt; Furcht vor den Leiden, denen ſie noth-
wendig durch ihre Liebe ausgeſetzt war; und
auch aufrichtige Betrübniß, dem Wunſche ihrer
Eltern nicht folgen zu können, ſtürmten zu-
ſammen auf ſie ein, und weinend legte ſie
William's Ring von ſich, den die Commerzien-
räthin ihr aufgezogen hatte.


„Recht ſo, liebe Tochter!“ ſagte die alte
Dame, als ſie es bemerkte, „auch ich finde es
ſchicklicher, daß die Braut ſich mit dem Ring
ihres Verlobten erſt dann ſchmücke, wenn er
ſelbſt ihn an ihre Hand ſteckt. Doch weine
deshalb nicht. In wenigen Wochen kehrt Wil-
liam hoffentlich zurück, und die ganze Stadt
ſoll es dann wiſſen, wie glücklich Du biſt und
wie glücklich Du mich durch die Erfüllung
meiner langgehegten Wünſche machſt! Ich hatte
[296] nicht unrecht, mein Töchterchen, zu behaup-
ten, daß Dir ein anderes Loos werden ſolle,
als der kleinen Jenny!“ fügte ſie triumphi-
rend hinzu, indem ſie Clara nochmals umarmte
und ſie dann verließ.


„Was ſoll ich thun?“ rief Clara, als ſie
ſich allein ſah. Tauſend Plane und Möglich-
keiten fielen ihr zugleich ein: Sie wollte ihrer
Mutter nacheilen und ihr Alles bekennen; aber
wozu ſollte das führen, da ihre Mutter gerade
die Heirath mit William wünſchte und ſich
ihrer Liebe zu Eduard entſchieden widerſez-
zen würde? Sich dem Vater anvertrauen?
Das würde die Mutter für eine Kränkung ih-
rer Rechte halten und doppelt erzürnt ſein!
Dann wollte ſie William ſchreiben und ſich
ſeiner Großmuth überlaſſen; als ſie indeß be-
dachte, wie ihr Brief den Sohn trauernd an
der Leiche ſeines Vaters finden könne, fehlte
ihr der Muth, ſeinen Schmerz noch zu erhöhen
[297] durch das Geſtändniß, ſie könne ihn nicht lie-
ben. Rathlos ſann ſie lange hin und her, bis
die glückliche Schnellkraft der Jugend ſie plötz-
lich das Ereigniß in beſſerem Lichte erblicken
ließ. Sie fing an zu hoffen, die Krankheit
ihres Onkels werde ſo gefährlich nicht ſein;
William müſſe ihn gewiß auf dem Wege der
Geneſung finden; und es machte ſie glück-
lich, zu denken, Eduard werde ohne Zweifel
William's Abweſenheit benutzen, ſich gegen ſie
zu erklären. Dann, wenn es unwiderruflich
ſei, werde ihr Couſin es auch viel leichter tra-
gen, beſonders wenn Entfernung und die
Freude, ſeinen Vater wiederzuſehen, ihm zu
Hülfe kämen. Als aber ihre Seele erſt dieſe
Richtung gefunden, waren bald alle Sorgen
vergeſſen, ſo ſehr, daß ſie es ſich vorwarf,
nicht trauriger über ein Ereigniß zu ſein,
von dem ihr Vetter ſo tief ergriffen ſein
mußte.


13**
[298]

Ein Bote von Jenny, der abgeſandt war,
zu fragen, was Clara's plötzliche Nachhauſe-
berufung veranlaßt, erhielt ſchon ein ganz fröh-
liches Billet zum Beſcheide, mit den nöthigen
Erklärungen und der Bitte, Jenny möge ſie
morgen recht zeitig beſuchen.



Zwei Dinge waren es beſonders, die ſeit
einigen Wochen Reinhard beſchäftigtend: die
baldige Erlangung einer Stelle für ſich und
Jenny's Uebertritt zum Chriſtenthume, zu dem
ein würdiger Geiſtlicher ſie vorbereitete. Mit
freudiger Aufregung hatte Jenny dem erſten
Beſuche des Paſtors entgegengeſehen; es drängte
ſie, ſich mit ihm über manches Bedenken aus-
zuſprechen, das ſich in ihr gegen die neue
Lehre erhob und deſſen ſie gegen Reinhard
[303]
den koſtbarſten Samen geſtreut: wie würde
man es ängſtlich hüten, damit es keinen Scha-
den nähme, es vor jedem Flecken bewahren, je-
des Stäubchen davon entfernen, wenn man
wüßte, daß nur in vollkommen reiner Schale
die heilige Saat gedeihen könne! Solch ein
Gefäß biſt Du, und nur, wenn Du rein
biſt von böſen Gedanken, kann ſich die Gott-
heit in Dir entfalten.“


Jenny mochte es den Mienen ihres Zuhö-
rers anſehen, daß er dieſe Auffaſſung nicht
ganz billige, doch ließ ſie ſich dadurch nicht
irre machen, ſondern fuhr ruhig fort: „Dieſes
Gleichniß erfreute mich, und — ich war da-
mals noch ein Kind, Herr Paſtor! — ich
fragte, ob nicht endlich, wenn die Saat zu
einem mächtigen Baume geworden, dieſer das
kleine Gefäß zerſprenge und ſich frei mache,
um frei die kühnen Wipfel zu dem blauen
Himmel zu erheben, von dem das Saamen-
[304] korn einſt herabgekommen? Ja! ſagte mein
Vater, und dies Freiwerden nennt man
Sterben!“


„Eine artige Allegorie“, unterbrach ſie der
Pfarrer jetzt, „aber das will Chriſtus nicht.
Wir ſollen nicht ſpielen mit Dem, was das
Heiligſte iſt; wir ſollen es mit Ernſt erfaſſen,
mit jenem Ernſte, der Chriſtus am Kreuze
ſterben machte für uns.“


„Das ſagt auch Reinhard“, ſtimmte Jenny
bei. „Ich ſoll das Leben mit Ernſt betrachten,
und ich ſelbſt fühle das Bedürfniß, ſeit ich
Reinhard kenne und empfunden habe, daß es
auch dunkle Stunden in unſerm Daſein gibt.
Glauben Sie mir, wenn ich an die Möglich-
keit dachte, von Reinhard, dem ich ſo unauf-
löslich gehöre, für das ganze Leben getrennt
zu ſein, dann reichte der fröhliche Glaube mei-
ner Jugend nicht aus. Ich verlangte darnach,
einen Erſatz zu finden, der mich ſchadlos halte
[305] für das Leiden auf dieſer Welt; und ich
wünſchte beſonders, daß es mir möglich wäre,
die heiligſten Intereſſen des Menſchen auf die-
ſelbe Art aufzufaſſen, wie mein Bräutigam.
Mit Einem Worte, ich möchte Gott erkennen
und das Leben begreifen, wie Chriſtus es lehrt,
ich möchte Chriſtin werden, dem Herzen nach.
— Lehren Sie mich das, ſagte ſie, und ich
werde es Ihnen ewig denken!“


Der alte Mann gab ihr die Hand und
ſah ſie lange an, ohne zu ſprechen. Er er-
kannte in Jenny einen ungewöhnlich gebildeten
Geiſt, der dabei ſeine urſprüngliche Kindlichkeit
behalten hatte und in dem ſich das Streben nach
Klarheit auf ſonderbare Weiſe mit einem poeti-
ſchen Gemüthe vereinte. In Folge deſſen liebte
Jenny es, Gedanken, die ſie ſich nicht ganz deut-
lich zu machen wußte, in einen duftigen poe-
tiſchen Schleier zu hüllen, als ob ſie ſie da-
durch vor der entweihenden Berührung des
[306] Zweifels behüten könne. Dem Paſtor wurde
dieſe Richtung gleich in dieſer erſten Unterre-
dung klar. Er errieth, daß kein inneres Be-
dürfniß, ſondern nur Liebe zu Reinhard das
Motiv ſei, welches ſie dem Chriſtenthume ent-
gegenführe, und er tadelte ſie deshalb nicht.
Ein langes Leben hatte ihn zu der Ueberzeu-
gung gebracht, die er in früher Jugend mit
orthodoxer Strenge bekämpft, daß man Chriſt
ſein könne ohne den Glauben an die chriſtli-
chen Dogmen, und er war, einmal zu dieſer
Erkenntniß gelangt, ernſtlich mit ſich zu Rathe
gegangen, ob dieſe Anſicht ihn nicht zwinge,
ſein Amt niederzulegen. Mit dem gewiſſen-
hafteſten Eifer hatte er die Lehre Jeſu und ſich
ſelbſt geprüft und ſich dadurch in der Ueber-
zeugung befeſtigt, daß Liebe und Duldung
nebſt fortſchreitender geiſtiger Entwickelung die
Grundzüge des Chriſtenthums und beſonders
des Proteſtantismus ausmachten. In dieſem
[307] Sinne hatte er ſein Amt behalten und verwal-
tet. Er hatte von ganzem Herzen darnach ge-
trachtet, unter ſeiner Gemeinde die Lehre Jeſu
in ihrer moraliſchen Reinheit zu verbreiten, und
auch die Form heilig geehrt, in der dieſe Lehre
uns übergeben, ohne jedoch Diejenigen fana-
tiſch zu verdammen, die ſich ausſchließlich an
den Geiſt hielten. Dieſe bekannte Geſinnung
hatte Herrn Meier bewogen, ihn zu Jenny's
Lehrer zu wählen, womit Reinhard, nur auf
Zureden ſeiner Mutter, ſich einverſtanden er-
klärte.


Der Unterricht begann und der Paſtor
mußte natürlich ſein erſtes Augenmerk gegen
die pantheiſtiſche Weltanſchauung richten, in
der Jenny, ohne es zu ahnen, erwachſen, und
in welcher die dichteriſche, gewiſſermaßen heid-
niſche Vorſtellung der Gottheit ihr lieb gewor-
den war. Es erfreute ſie, Gott zu ſehen in
Allem, was ſie umgab, und obgleich ſie ſich
[308] zu der reinen Anſchauung Gottes im Geiſte zu
erheben vermochte, hatte ſie oft die heitere Zeit
des griechiſchen Alterthums zurückgewünſcht, in
der es den Menſchen möglich war, ſich die
Gottheit als unter ihnen wandelnd zu denken.
Viel leichter als mit Reinhard konnte ſie ſich
mit ihrem jetzigen Lehrer verſtändigen; und es
gewährte ihr in der erſten Zeit eine unbeſchreib-
liche innere Freudigkeit, zu ſehen, daß ſich ihr
Verſtand mit Ueberzeugung den Lehren an-
ſchließen könne, die man ihr bot; doch bald
ſollte es anders werden. Hatte ſie ſich geiſtig
ſpielend an den Göttern der Vorzeit erfreut,
ſo widerſtrebte der Gedanke an die Menſch-
werdung Gottes, nun ſie ihn als Bekenntniß
annehmen ſollte, ihrem Verſtande. Die Er-
löſung, Genugthuung und Verſöhnung durch
Chriſtus kamen ihr wie grobe, ſinnliche Be-
griffe vor, die weder auf einen Geiſt, noch auf
das Verhältniß eines Vaters zu ſeinen Kindern
[309] Anwendung finden konnten, und die Dreieinig-
keit erſchien ihr unerfaßbar.


Mit aller Kraft ihres Geiſtes hörte ſie den
Vorträgen ihres Lehrers zu; ſie wollte ſich aus
Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was
Millionen Menſchen, die es kaum ſo eifrig ge-
ſucht wie ſie, zur beſeligenden Gewißheit, zur
Stärkung in Roth und Tod geworden war.
Warum ſollte gerade ihr das unerreichbar
bleiben? Warum gerade ihr, die ihn ſo eifrig
erſtrebte, der Glaube verſagt ſein? Eine
quälende Unruhe bemächtigte ſich ihrer. Geiſtig
unaufhörlich mit der Löſung ihrer Zweifel be-
ſchäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte,
erſchien ſie dem Geliebten zerſtreut und theil-
nahmlos, und er drang in ſie, ihm den Grund
ihrer Verſtimmung zu entdecken. Das aber
vermochte Jenny aus leicht begreiflichen Grün-
den nicht. Sie ſchützte körperliches Unwohlſein,
Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer
[310] Schmerz drückte, und tauſend andere Veranlaſ-
ſungen vor, und verſuchte durch eine erzwun-
gene Heiterkeit Reinhard zu beruhigen, der die-
ſen plötzlichen Wechſel der Stimmung wieder
einer kindiſchen Laune zuſchrieb und ſich mis-
billigend darüber äußerte. Dazu kam, daß er,
ſo oft ſie allein beiſammen waren, ſich bei
Jenny nach dem Fortgange des Religionsun-
terrichts erkundigte; daß er zu wiſſen begehrte,
was ſie gehört und wie ſie es aufgenommen.
Und doch war es grade Das, was ſie zu ver-
meiden wünſchte. Deshalb ſuchte ſie es ſo ein-
zurichten, daß Reinhard in den Stunden, die
die er gewöhnlich bei ihr zubrachte, bald The-
reſe, bald Clara als Dritte fand; und mit
Scherzen mancher Art machte ſie jeder ernſtern
Unterhaltung ein Ende, aus Beſorgniß, dieſe
könne eine Richtung nehmen, die ſie zu ſcheuen
Urſache hatte. Wie natürlich ſetzte ein ſolches
Betragen Reinhard in Verwunderung. Er
[311] konnte ſich dieſe Leichtfertigkeit nicht erklären,
um ſo weniger, als ſeine Braut früher mit
beſonderer Vorliebe ſich ernſthafter Unterhal-
tungen mit ihm zu erfreuen geſchienen, und,
um dies ungeſtört zu genießen, jede Gelegen-
heit benutzt hatte, die Anweſenheit dritter Per-
ſonen zu verhindern. Auch zur Pfarrerin kam
ſie ſeltener oder zu Zeiten, wenn ſie ihren
Bräutigam außer dem Hauſe beſchäftigt wußte,
was dieſen um ſo rückſichtsloſer dünkte, als
die Abreiſe der Pfarrerin in wenigen Tagen be-
vorſtand und ihm dann die Möglichkeit jener
traulich ſüßen Stunden bei ſeiner Mutter für
lange genommen war.


Jenny ſchmerzte die Unzufriedenheit Rein-
hard's; doch tröſtete ſie ſich über den Kummer,
den ſie ihm und dadurch ſich ſelbſt bereitete,
mit der Hoffnung, daß es ihr endlich doch ge-
lingen müſſe, das Chriſtenthum zu erfaſſen,
und daß Reinhard erſt dann erfahren ſoll, wie
[312] ſchwere Stunden ſie durchkämpft, wie wacker
ſie gerungen habe.


In dieſer Zeit begab ſie ſich eines Tages
zur gewohnten Stunde in die Wohnung des
Paſtors, der heute mit ihr das Kapitel von
der Dreieinigkeit verhandeln ſollte. Nach einer
einfachen Einleitung ſagte er ihr, die erſten
chriſtlichen Philoſophen, welche über die Drei-
faltigkeit gedacht, erklärten ſie ungefähr ſo:
Gott war, aber außer ihm Nichts. Gott
dachte ſein Bild; und da das Denken und
Entſtehen bei Gott Eins iſt, ſo war dies Bild
Gottes vorhanden, ohne ſelbſtändiges Weſen
zu ſein, denn es beſteht nur in Gott. Dieſes
Weſen, für das die deutſche Sprache kein
Wort hat, heißt in dem Urtext der Bibel
Logos und iſt in dem Menſchen Jeſus Menſch
geworden, als die geiſtigen Offenbarung ge-
würdigt wurden. Darum nennt ſich Chriſtus
[313]
den Erſtgebornen. Das Band nun zwiſchen
dieſem Gedanken Gottes und Gott iſt der hei-
lige Geiſt. Man kann alſo Gott allein, ohne
Jeſus und den heiligen Geiſt denken, nicht
aber die letztern ohne Gott — denn nur in
ihm ſind ſie.“ —


Als Jenny dieſe Erklärung vernommen,
rief ſie freudig: „O! Sie geben mir das Le-
ben wieder, indem ſie mir ſagen, ich dürfe
Gott denken, ohne Chriſtus und den heiligen
Geiſt! Das iſt mein lieber Gott, den man
mich von Kindheit an gelehrt, der uns Alle
beſchützt. So vermag ich zu glauben.“


„Nein, meine liebe Tochter!“ wandte der
Greis ein, erſtaunt über die willkürliche Aus-
legung, welche Jenny ſeinen Worten gegeben.
„Nein, Sie täuſchen ſich ſelbſt! Ich habe
Ihnen geſagt, daß wir Gott allein zu denken
vermögen, aber es konnte unmöglich meine Ab-
ſicht ſein, Ihnen den Glauben an die Dreifal-
I. 14
[314] tigkeit Gottes preiszugeben, den unſere Re-
ligion lehrt“


„Das begehre ich auch nicht,“ ſagte Jenny,
noch immer in freudiger Aufregung. „Ich
weiß, Gott iſt — und er ſandte Chriſtus, der
mehr als wir, mehr als Menſch, aber doch
nicht dem Schöpfer gleich war, zu uns, um
uns zu belehren; und wenn ich an Gott glaube,
und zu ihm und Chriſtus bete, und ihnen ver-
traue, dann wird mir der Beiſtand des heiligen
Geiſtes nicht entgehen.“ — Der Pfarrer ſchüt-
telte bedenklich das Haupt und ſprach ernſt:
„Es mag Ihnen leichter werden, ſich in dieſe
Vorſtellung hineinzudenken, als an die Verkör-
perung, das Menſchwerden eines rein geiſtigen
Weſens zu glauben. Und doch iſt Ihre Anſicht
verwerflich; denn ſie iſt das erſte Hinneigen
zur Vielgötterei. Chriſtus iſt nach ihr ein
Halbgott, und es werden zwei Weſen der Ver-
ehrung hingeſtellt, während die chriſtliche Re-
[315] ligion nur Ein Urbild kennt, den Schöpfer,
von dem Chriſtus und der heilige Geiſt nicht
zu trennen ſind, denn er iſt der dreieinige
Gott!“


Das konnte Jenny zwar denken, aber ſie
vermochte nicht, es als eine Wahrheit einzu-
ſehen, die eben als Wahrheit Glauben gebiete.
Sie begriff die Nothwendigkeit dieſes Glau-
bens nicht.


Es iſt hier nicht der Ort, noch kann es
unſere Abſicht ſein, eine Abhandlung über die
erhabene Religion unſers Heilandes zu geben,
ſondern es kommt nur darauf an, die Wir-
kung derſelben in dem Gemüthe eines jungen
Mädchens darzuthun, das nicht von Jugend
an in dem Glauben an dieſe heiligen Symbole
erzogen war; und den Einfluß zu erzählen,
den der Unterricht im Chriſtenthum auf ſie und
ihr Schickſal ausübte. Deshalb dürfen wir
die mehrſtündige Unterhaltung des Pfarrers
14*
[316] mit Jenny übergehen und nur bemerken, daß
nach manchem vergeblichen Verſuche, ihr ein
Bild von der Dreieinigkeit zu geben, welches
ſie befriedigte, der Pfarrer ihr ſagte: „So
faſſen Sie es als ein Symbol auf, an das
zu glauben Gott uns befohlen hat durch
Chriſtus!“


Das brachte Jenny aufs Neue mitten in
ihre alten Kämpfe hinein.


Sie hatte verſprochen, nach dem Unterricht
zu Reinhard's Mutter zu kommen und ging,
da Reinhard ſie damit neckte, wenn ſie ſich
ſtets der Equipage bediente, langſam und ſin-
nend der fernen Gegend zu, in der die Pfar-
rerin wohnte. Immer und immer wieder dachte
ſie an das Gehörte. Wenn ſie ſich die Gott-
heit unverändert und ungetheilt ſtark, in Gott,
in Chriſtus und dem heiligen Geiſt dachte, ſo
waren entweder Chriſtus und der heilige Geiſt
Eigenſchaften Gottes, was der Paſtor ſo nicht
[317] gedeutet haben wollte, oder ſie waren Ausſtrö-
mungen, Strahlen Gottes: und dieſe Deutung
näherte ſich in gewiſſer Art dem Pantheismus,
vor dem der Pfarrer und Reinhard ſie oft und
ernſt gewarnt hatten, der zu Hochmuth und
Selbſtanbetung führen ſollte, da man nur zu
geneigt wäre, den Gott in ſich anzubeten und
darüber den einzig wahren Gott zu vergeſſen.
Vergebens rang ſie darnach, zu einer klaren
Vorſtellung zu kommen, es gelang ihr nicht,
und immer wieder tönte ihr das furchtbare
„glaube“ ins Ohr, auf das man ſie verwies
und das ſie nicht in ſich erzwingen konnte.



[318]

Der Abend fing ſchon an hereinzubrechen
und die Atmoſphäre hatte jenen warmen, been-
genden Duft, der in unſerm Klima den erſten
Tagen des beginnenden Frühlings häufig eigen
iſt und der Seele eine weiche melancholiſche
Stimmung gibt. Jenny, der man früher nie-
mals erlaubt, ohne Begleitung eines Dieners
die Straße zu betreten, wollte ſich, um Rein-
hard zu gefallen, gern von Allem entwöhnen,
was der Luxus den Reichen zum Bedürfniß
macht und hatte zu Hauſe erklärt, ſie werde
allein von dem Hauſe des Paſtors zu ihrer
künftigen Schwiegermutter gehen. Es war das
erſte Mal, daß ſie den Verſuch machen wollte,
und als ſie nun bei einbrechender Dunkelheit —
denn der Unterricht hatte länger als gewöhnlich
gedauert — allein durch die Straßen ging,
überkam ſie ein Gefühl von Elend, wie ſie es
nie zuvor empfunden hatte. Sie ſchämte ſich,
weil irgend ein Bekannter ſie ſehen könnte,
[319] und wünſchte doch ſehnlich, Jemandem zu be-
gegnen, der ſie beſchütze, da ſie ſich fürchtete,
unter dem Gewühl der Männer und Frauen,
die jetzt um die ſechste Stunde von der Arbeit
heimkehrten. Wenn die Mutter wüßte, daß
der Unterricht ſo lange gedauert; daß ſie nun
im Dämmerlichte, in der fernen Vorſtadt ganz
allein auf der Straße ſei, ganz einſam und
verlaſſen, wo Niemand ſie kannte, noch fern
von Reinhard und ſo weit von den Ihrigen:
wie beſorgt würde ſie ſein! ſagte ſie ſich; und
— rief es in ihr — was iſt dies Verlaſſen
ſein gegen die geiſtige Vereinſamung, in der
ich mich befinde? Durch einen Eid will ich
mich in wenigen Wochen losſagen von dem
Glauben meiner Väter, den ich begreife und
heilig halte, und zu einer Religion übertreten,
gegen welche meine Ueberzeugung ſich noch im-
mer ſträubt. Das kann Gott nicht wollen,
das wäre Sünde. Aber ſich Reinhard ent-
[320] decken oder irgend Jemandem, hieße Reinhard
verlieren; denn nur als Chriſtin konnte ſie die
Seine werden, konnte er ihr gehören. Sie er-
ſchien ſich ärmer als der Aermſte jener Hun-
derte, die in Lumpen gehüllt, aber gewiß ru-
hig im Geiſte neben ihr herſchritten. Was
hatte ſie verbrochen, um ſo ſchwer geprüft zu
werden? Die ſorgloſe Freudigkeit, mit der ſie
an Gott gedacht und das Rechte gethan, hatte
ihr Reinhard geraubt und ſie auf Lehren ge-
wieſen, die ihr bis jetzt nicht die geringſte Be-
ruhigung boten und ſie den qualvollſten innern
Kämpfen preisgaben. Vater und Mutter
ſollte ſie verlaſſen, ſich von dem Bruder, von
allen Freunden trennen. Sie ſollte Reinhard
folgen nach einem Orte, den ſie nicht kannte,
und der, vielleicht fern von der Heimat, öde
und traurig ſein würde. Sie dachte an ihr
helles, ſonniges Zimmer, an das Treibhaus,
an all jenen Comfort des Lebens, den ſie nie
[321] hochgeſchätzt, weil ſie nicht gefürchtet, ihn je-
mals entbehren zu müſſen. Auch wäre das
gar nicht nöthig, wenn Reinhard nicht ſo
wunderlich wäre, dachte ſie weiter. Warum
ſollte ſie nicht alle dieſe kleinen Bequemlichkei-
ten auch in ihrem Hauſe haben können, da
ihr Vater nur zu glücklich ſein würde, ihr
Alles zu gewähren? Aber Das gerade wünſchte
Reinhard nicht. Das erlaubte ſein Stolz ihm
nicht, den er ihr nicht zum Opfer bringen
wollte, während ſie Alles opfern mußte: Hei-
mat, Eltern, Freunde und ihre Ueberzeugung,
und es ſo gern, ſo bereitwillig that, um des
Geliebten willen. Ertrug ſie doch jetzt eben
Furcht und Bangigkeit aus Liebe zu ihm!
Wie ernſt ſtrebte ſie, den Gedanken der Drei-
einigkeit zu faſſen um ſeinetwillen! Denn ſie
ſelbſt konnte glücklich ſein auch ohne dieſe Er-
kenntniß — aber ohne Reinhard nicht.


Je dunkler es wurde, um ſo mehr beſchleu-
14**
[322] nigte ſie den Anfangs ſo langſamen Schritt,
und langte in höchſter Aufregung und in der
verzagteſten Stimmung von der Welt endlich
faſt athemlos bei der Pfarrerin an. Dieſe
kam ihr freundlich entgegen und fuhr erſchreckt
zurück, als ſie Jenny den Hut abnahm und
ihr verſtörtes, bleiches Geſicht erblickte. Die
feuchte Abendluft hatte ihr Haar durchnäßt,
das ungelockt über ihre Stirn fiel und ſie noch
bleicher erſcheinen ließ, als ſie ohnehin war.
Große Thränen fielen aus ihren Augen.


„Um Gottes willen, mein geliebtes Kind!“
rief die Matrone, und zog Jenny ängſtlich
zum Sopha, vor dem auf einem Tiſche die
kleine Lampe brannte, „was iſt Dir begegnet?
wo kommſt Du her? So rede doch nur, ſage
doch nur“, bat ſie dringend, als Jenny noch
immer kein Wort zu ſprechen vermochte, „was
iſt Dir begegnet?“


Weinend erzählte Jenny, wie ſie Reinhard
[323]
zu Liebe habe ohne Diener gehen wollen, wie
ſie der Abend überraſcht und ſie eine entſetz-
liche Angſt ausgeſtanden habe. Die Pfarrerin
ſuchte ſie freundlich zu beruhigen und redete
ihr zu, künftig Verſuche der Art zu unterlaſ-
ſen. Sie ſelbſt wollte ihrem Sohne ſagen,
daß er auch im Scherze nicht ſolche Anforde-
rungen machen und Dinge verlangen dürfe,
an die ſeine Braut weder gewöhnt ſei, noch
ſich zu gewöhnen nöthig habe. Dann ſchob ſie
die Lampe in die Höhe, nöthigte Jenny, ſich
zu ihr auf das Sopha zu ſetzen, ſtellte das
Theegeräth zurecht und fing, um ſie zu zer-
ſtreuen an, ihr ſcherzend vorzuhalten, wie es
gar nicht lange dauern würde, bis Jenny im
eigenen Hauſe ebenſo hausmütterlich ſchalten
könne. „Dann brauchſt Du, armes Kind“,
ſagte ſie, „nicht mehr ſo ſpät allein in Reli-
gionsſtunden zu gehen, und kannſt dem Guſtav,
der Dich zu dieſer unzeitigen Promenade ver-
[324] anlaßt, und der eben nach Hauſe kommt,
als wackere Hausfrau die Furcht gelegentlich
vergelten, die Du heute unnöthig ausgeſtan-
den haſt.“


Wirklich trat, noch während ſie ſprach,
Guſtav herein und fragte ängſtlich, als er von
dem plötzlichen Lichtwechſel geblendet, Jenny
hinter der Lampe nicht gleich ſah: „Iſt Jenny
noch nicht hier? Da gab die Pfarrerin ihr
ein Zeichen, ſich einen Augenblick zu verſtecken,
und Reinhard fuhr fort: „Ich bin ihr bis
zum Hauſe des Paſtors entgegengegangen, als
es dunkelte und ich ſie noch nicht hier ſah,
weil ſie heute zu Fuß und allein herkommen
wollte. Dort iſt ſie lange fort, und —“


„Hier iſt ſie!“ ſagte die Pfarrerin lächelnd,
und ſah mit Wohlgefallen, wie die Beiden ſich
entgegenflogen und der Freude kein Ende wer-
den wollte. Dann aber verwies ſie dem Sohne
ernſtlich, mit Jenny ſolche Experimente zu wa-
[325] gen. Sie ſchilderte ihm den Zuſtand, in dem
das arme Kind bei ihr angelangt war, und den
Jenny jetzt ſelbſt beſpöttelte, als ſie in Guſtav's
Nähe daran dachte.


Guſtav verſprach, künftig viel vernünftiger
zu werden, keine Kunſtſtücke, wie die Mutter
ſie nannte, von Jenny zu verlangen, und küßte
hundertmal die ſchönen Augen, welche er wei-
nen gemacht.


„Es will mir nur immer nicht in den
Kopf“, ſagte er dann neckend, „daß Ihr jun-
gen Damen ſo gar verwöhnt ſeid. Haben
doch ſelbſt die Engel auf Erden gewandelt,
warum ſollteſt Du, mein Engel, es nicht auch
können?“


„Ja! das war damals, als noch Wunder
geſchahen“, ſcherzte die Pfarrerin, „und ſo ein
Engel ſich aufſchwingen konnte, wenn ihn das
Irdiſche zu rauh berührte, das iſt nun leider
vorüber.“


[326]

„Sage, Gott ſei Dank! mein Mütter-
chen!“ rief Jenny, „mich quälen ſchon die
alten Wunder ſo ungemein, daß ich wirklich
genug an ihnen habe und keine neuen begehre.“
Kaum aber hatte ſie es geſagt, als ſie es be-
reute, weil Reinhard ſie fragte, ob denn der
Paſtor heute von den Wundern mit ihr ge-
ſprochen und wovon überhaupt die Rede ge-
weſen ſei? Nun war das Geſpräch, das ſie
gefürchtet, kaum zu vermeiden und ſie er-
zählte ruhig Alles, was der Paſtor ihr über
den Gegenſtand geſagt hatte, ohne den Ein-
druck zu berühren, den es ihr gemacht. Dann,
als Reinhard zu wiſſen verlangte, ob ihr denn
nun die Idee der Dreieinigkeit einleuchtend ge-
worden, ob ſie nun erfaßt hätte, was ihr frü-
her unbegreiflich geweſen ſei? ſagte ſie: „Nun
Eine Dreieinigkeit habe ich immer erkannt, die
vielleicht wieder Andern unverſtändlich oder we-
nigſtens nicht ſo in ſich und durch ſich be-
[327] dingt ſcheint, als mir. Er iſt die Dreieinig-
keit der Kunſt! Dieſe iſt mir von jeher ein-
leuchtend geweſen, ſo ſehr, daß ich Poeſie,
Muſik und bildende Kunſt gar nicht von ein-
ander im Innerſten der Seele zu trennen ver-
mag; daß ich ſie wie Eines immer zuſammen
empfinden und die Anſchauung oder der Ge-
nuß Einer dieſer Künſte mir gleich, wie zur
Ergänzung, das Bedürfniß nach der andern
hervorruft. Mir wird jede Muſik Gedicht —
jedes Gedicht zum Bilde. Hier iſt mir, ob-
gleich ich jede Kunſt als ſelbſtändig in ſich er-
kenne, doch eine unauflösliche Einheit denkbar:
und ſo kann man nicht ſagen, daß ich bis jetzt
den Begriff der Dreieinigkeit nicht hatte. Gu-
ſtav wandte ein, daß der Vergleich nicht rich-
tig ſei, und wollte zu ſeiner eigentlichen Frage
zurückkommen. Jenny unterbrach ihn aber
ängſtlich und ſagte mit herzgewinnender Freund-
lichkeit: „Und noch eine Dreieinigkeit begreife
[328] ich: Du, mein Mütterchen, und Guſtav und
ich u. ſ. w. Du, mein Mütterchen, und Gu-
ſtav und ich, wir ſind drei und ſind doch
Eines, ſo ganz Eines und einig, daß dieſer
geliebte Guſtav auch mit keiner Silbe wider-
ſprechen darf, wenn ſeine Jenny es behauptet.
Habe ich das recht verſtanden?“ fragte ſie den
Glücklichen, der ſo vielem Liebreiz nicht zu
widerſtehen vermochte und ſich willig den
Plaudereien ſeiner Braut hingab, ohne an ihre
religiöſe Erkenntniß zu denken.


Wenn er Jenny ſo vor ſich ſah in einfach-
ſter Kleidung, die ſie ihm zu Liebe jetzt faſt
immer trug; wie ſie in dem kleinen Stübchen
an ſeiner Seite ſaß, ihm den Thee bereitend
und mit den ſüßen, klugen Augen freundlich
jeden ſeiner Wünſche erſpähend, ſo ruhig und
ſo begnügt, konnte er es nicht begreifen, wie
ihm jemals davor bangen konnte, ſie aus dem
prächtigen Hauſe ihres Vaters in beſchränktere
[329] Verhältniſſe zu führen. Er warf es ſich vor,
ihr Unrecht gethan zu haben; er ſah es nun
ſelbſt ein und nahm ſich vor, ihr bei nächſter
Gelegenheit den Mangel an Zutrauen zu be-
kennen, den er in dieſer Beziehung zu ihr ge-
habt habe. Er empfand ſich auf dem Gipfel
des Glückes, denn heute waren Herz und Ver-
ſtand gleich befriedigt durch Jenny; er hatte
keinen Wunſch, als daß es ſtets ſo bliebe; und
auch davon war er überzeugt.


Als ſie nun ſo in friedlicher Stille beiſam-
men waren, klopfte es an die Thür. Rein-
hard ging, um zu öffnen, und trat bald
darauf mit einem Briefe in der Hand wie-
der bei ihnen ein, den er, nachdem er ihn
ſchnell durchleſen, ſeiner Braut mit den Wor-
ten reichte: „Nun endlich, meine Jenny! lies,
o, lies nur!“


Doch hinderte er ſelbſt ſie daran, indem er
mit Entzücken erzählte, wie dieſer Brief ihm
[330] die Nachricht von dem Entſchluſſe eines ent-
fernten alten Verwandten bringe, zu ſeinen
Gunſten eine Pfarrerſtelle, die er bis jetzt be-
kleidet, niederlegen zu wollen. Fröhlich, wie
ihn die Ausſicht machte, überhörte er die Be-
merkung der Mutter, daß die Pfarre zu
Schönfeld, von der eben die Rede war, in
einer gar traurigen Gegend liege und glückli-
cherweiſe entging ihm ebenſo Jnny's Erbleichen
bei ſeiner Mittheilung.


Heute gerade, wo Reinhard ſich zufrieden
und mit ſich einig fühlte, war Jenny in ent-
gegengeſetzter Stimmung. Nachdem ſie auf dem
Wege zur Pfarrerin zum erſten Male an die
Entbehrungen gedacht, die ſie ſich künftig werde
auferlegen müſſen, erſchien ihr Alles, was ſie
bisher in der Wohnung ihrer Schwiegermutter
idylliſch und behaglich gefunden, wie entzau-
bert. Die kleine Lampe fand ſie düſter, die
Zimmer eng und beklommen; und in ſo kleinen
[331] Räumen, in ſolch beſchränkten Verhältniſſen
für immer zu leben, hielt ſie für ein Unglück,
das ſelbſt durch Reinhard's Liebe nur gemil-
dert, nicht aufgehoben werden konnte. Mit
gewohnter Freundlichkeit half ſie der Pfarrerin
bei den Zurüſtungen zu dem einfachen Mahle
und deckte den kleinen Tiſch, wie ſie pflegte;
aber es machte ihr heute kein Vergnügen, und
ſie hätte es gern dem Hausmädchen überlaſſen,
wenn ſie nicht gewußt hätte, wie ſehr ſie ihren
Bräutigam damit erfreute, der ſie während der
kleinen Arbeit nicht aus den Augen verlor und
mit Blicken der innigſten Liebe jede ihrer Be-
wegungen betrachtete. Innerlich konnte ſie eine
Niedergeſchlagenheit nicht beſiegen, die ſich ih-
rer bemächtigt hatte; und obgleich ſie mit
Freude bemerkte, daß weder ihr Bräutigam,
noch deſſen Mutter etwas von Dem erriethen,
was in ihr vorging, fühlte ſie ſich erleichtert,
als ſie gegen die zehnte Stunde das bekannte
[332] Rollen ihres Wagens hörte und von der Pfar-
rerin Abſchied nahm, die ſie mit ängſtlicher
Sorgfalt in den Mantel hüllte und noch ein
Tuch hinzufügen wollte, damit ſich Jenny
nicht erkälte.


„Nein, nein, Mütterchen! Ich bedarf all'
deſſen nicht; ich gehe ja nicht, ich fahre nach
Hauſe!“ ſagte ſie mit einer Art von Wonne,
die ihr ſelbſt ſehr komiſch vorkam, als ſie an
Reinhard's Arm die Treppe hinunterging, der
ſie im Wagen nach Hauſe begleiten wollte, wo
ſie die Ihrigen noch beim Thee zu finden und
ein Stündchen mit ihnen zuſammen zu bleiben
hoffte. Nun, als der Diener den Fußtritt her-
unterſchlug, ſie gewandt beim Einſteigen unter-
ſtützte und dann die Thür zumachte; als Rein-
hard das Fenſter in die Höhe zog und ſie an
ſeiner Seite, bequem und warm, dahinflog,
drückte ſie ſich mit einer nie gekannten Wolluſt
in die ſeidenen Kiſſen. Ihre ganze geiſtige
[333]
Elaſticität war wiedergekommen; und vollkom-
men erheitert trat ſie mit Reinhard, bei ihren
Eltern ein, die ſie mit einer Freude begrüßten,
als ob ſie Jahre hindurch das liebe Kind nicht
geſehen hätten. Jenny ſelbſt gefiel es un-
beſchreiblich, viel beſſer noch als ſonſt, zu
Hauſe; und es machte ihr beſonderes Vergnü-
gen, daß ſie Eduard und Joſeph bei den El-
tern fand, und nun, als man ſie fragte, wie
es ihr ergangen, in poſſenhafter Art ihre
Angſt und ihre Abenteuer erzählen konnte.


„Und für all die Heldenthaten, die ich heute
vollbracht, lieber Vater! bitte ich nur um Eine
Belohnung. Du ſollſt mir zur Hochzeit nicht
Perlen, nicht Brillanten ſchenken; daraus mache
ich mir nichts und die möchten auch für eine
Frau Pfarrerin nicht paſſen, welche Andern
mit tugendhaftem Beiſpiele vorangehen ſoll“,
ſagte ſie, indem ſie ſich ſcherzend ein ſehr ernſt-
haftes Anſehen gab, „aber einen guten, ordent-
[334] lichen Landauer, liebes Väterchen, den kannſt
Du mir kaufen!“


„Der möchte leicht ebenſo unpaſſend, als
die Brillanten ſein!“ wendete Reinhard ein,
„und ich zweifle, daß ein Paar gewöhnliche
Landpferde ſolche Caroſſen ziehen oder zieren
würden.“


„Nun, da muß Vater ein Uebriges
thun und zwei Pferde zulegen!“ rief Jenny
lachend.


„Und dann ſoll der Pfarrer wol in einer
Equipage, die den reichſten Edelmann beſchämt,
durch das Dorf nach der Kirche fahren, um
die Verachtung des Irdiſchen zu predigen?“
fragte Reinhard nicht ohne Spott. „Solch
eine Equipage möchte leicht mehr koſten, als
meine künftige Pfarre in zwei Jahren einträgt,
und würde uns deshalb übel anſtehen. Du
ſollteſt nur ſehen, liebſte Jenny, wie meine
Amtsbrüder ruhig auf einem Leiterwagen über
[335] Land fahren: da würdeſt Du die Unmöglich-
keit einer Staats-Equipage für uns gleich zu-
geben.“


„Aber Sie können doch Jenny nicht zu-
muthen, auf einem Leiterwagen oder irgend ei-
ner andern Karette zu ſitzen?“ meinte die
Mutter verdrießlich.


„Warum nicht?“ ſagte Reinhard, gereizt
durch den Ton dieſer Frage. „Meine Mutter
iſt Jahrelang ſo gefahren und es iſt ihr vor-
trefflich bekommen, obgleich ſie es ebenſo we-
nig gewöhnt war als Jenny! Aus Liebe kann
man Viel!“


„Streitet doch nicht um des Kaiſers
Bart!“ rief Eduard dazwiſchen, als er ſah,
wie unangenehm Jenny dieſe Wendung des
Geſprächs ſein mußte. „Wenn Guſtav eine
Pfarre haben wird, mögt Ihr nach dieſer
Stelle Euren Wagen einrichten und das iſt
noch weit im Felde!“


[336]

„Glücklicherweiſe!“ murmelte die Mutter
für ſich, während Reinhard eben zu erzählen
anfing, daß er im Gegentheil auf dem Punkte
ſtehe, eine Stelle zu erhalten, die ihm, Alles
zuſammengerechnet, doch ſechs bis ſiebenhundert
Thaler bringen könne, und die nur den Einen
Fehler habe, nahe der Grenze zu liegen, in
einer wirklich etwas unwirthlichen Gegend;
doch hoffe er, nur ein paar Jahre dort zu
bleiben, und wolle ſie beſtimmt annehmen, weil
man ſie ihm biete.


„Und was ſagt Jenny dazu?“ fragte der
Vater, nun ebenfalls gekränkt durch die rück-
ſichtsloſe Art, mit der Reinhard über ſeine
Zukunft entſchied, ohne an die Wünſche Jen-
ny's oder ihrer Eltern zu denken.


„Nun ich muß ja meinem Manne folgen,
wie es in der Bibel ſteht“, ſagte Jenny mit
einer Stimme, die das Weinen verrieth, ob-
gleich der Mund lächelte, „und vielleicht war-
[337] ten wir auch noch, bis ſich eine Pfarre hier
in der Nähe findet.“


„Ich beſtimmt nicht!“ fuhr Reinhard auf.
„Es gilt die Erreichung meiner beiden Hoff-
nungen. Ich ſtehe an der Schwelle, einen
Wirkungskreis und Dich zu erhalten: willſt
Du Dich mir länger entziehen — gut! ich
muß es tragen; aber dann gehe ich allein fort
von hier. Selbſt meine Liebe ſoll mich nicht
verleiten, meinen Beruf zu verſäumen, der
mir höher gilt als Alles. Doch will ich Dich
nicht zwingen. Kannſt Du und willſt Du es,
Jenny, ſo bleibe hier, und meine Mutter al-
lein wird mir folgen, bis mein Loos ſich gün-
ſtiger geſtaltet.“


Mit den Worten ſtand er raſch auf und
wollte ſich entfernen, aber Jenny hielt ihn in
ſprachloſer Bewegung zurück. Es war der
erſte wirkliche Streit mit dem Geliebten, auch
I. 15
[338] Eduard ſuchte Reinhard zu beſänftigen, wäh-
rend die Mutter weinte. Joſeph ſah bald dü-
ſter vor ſich nieder, bald blickte er verſtohlen
auf Jenny und trommelte mit den Fingern
auf die Tiſchplatte, wie es ſeine Art war,
wenn ihn etwas unangenehm berührte. Nur
der Vater blieb anſcheinend ruhig, und ſagte:
„Zu warten, bis Sie eine beſſere Stelle in
unſerer Gegend haben, Reinhard, dazu würde
ich meiner Tochter und Ihnen auch eigentlich
rathen; wenn Sie nicht überhaupt beſſer thä-
ten, in der Stadt zu bleiben. Ich wollte ſchon
lange darüber mit Ihnen ſprechen, und rechne
darauf, daß Sie morgen früh eine Stunde zu
mir kommen, damit wir es ohne die Frauen
überlegen.“


Reinhard ſchickte ſich an zu antworten, der
alte Herr ließ es aber nicht zu.


„Das hat Zeit bis morgen, lieber Freund!“
[339] ſprach er, „bis morgen können wir Beide das
Für und Wider überdenken und verſtändigen
uns dann leicht. Machen Sie jetzt nur ihren
Frieden mit Jenny und der Mutter und —
ehe Sie über chriſtliche Geduld predigen dür-
fen, junger Mann“, fügte er lächelnd hinzu,
„werden Sie noch ein gutes Theil Ihrer unge-
ſtümen Heftigkeit ablegen müſſen.“


Reinhard war ebenſo verſtimmt als ver-
legen: verſtimmt über die Anforderungen, die
man an ihn machte, und verlegen über die
ungebürliche Heftigkeit, zu welcher er ſich
hatte hinreißen laſſen. Er näherte ſich ſeiner
Braut, die ihm ihre Hand entgegenreichte,
und fragte, ſich zu ihr neigend: „Biſt Du
böſe? ſei es nicht!“ Dann ſie feſthaltend
ging er zu Madame Meier, küßte ihr, mit
ein paar freundlichen Worten ſich entſchuldi-
gend, die Hand, und empfahl ſich den Män-
15*
[340] nern. Jenny begleitete ihn, und auch Eduard
wollte mitgehen; der Vater aber, der es be-
merkte, ſagte leiſe: „Bleibe hier und laß
die Beiden allein.“



Tage vergingen und wurden zu Wochen.
Das Frühjahr entfaltete ſich immer heiterer;
man näherte ſich dem Ende Aprils und konnte
mit neuer Hoffnung auf die ſchönen Tage des
Maimonats blicken. Die Pfarrerin war abge-
reiſt, nicht ohne die Beſorgniß, daß es viel-
leicht rathſamer geweſen wäre, in der Stadt
zu bleiben, da ihr Sohn ſeit einiger Zeit
manche kleine Reibungen mit ſeinen künftigen
Schwiegereltern gehabt hatte, die nur durch
ihre und Jenny's Vermittelung ſo leicht beige-
[341] legt worden waren. Herr Meier hatte näm-
lich Reinhard beſtimmt erklärt, daß er erſt
dann ſeine Erlaubniß zur Hochzeit geben
werde, wenn Reinhard eine Stelle gefunden,
die ihn vollkommen ſorgenfrei ernähre, oder
wenn er ſich dazu verſtände, von den Eltern
ſeiner Braut eine Mitgift anzunehmen, hin-
reichend, Jenny ein bequemes, häusliches Le-
ben zu gewähren, was er bis jetzt abgelehnt
hatte. „Ich will nicht“, hatte er ihm den
Morgen, an dem er ihn zu ſich beſchieden, ge-
ſagt, „daß Jenny ohne allen Grund ſich Ent-
behrungen auflege; und ebenſo wenig, als ich
von Ihnen verlangen kann, ihr jene Stellung
von Ihrem Gehalte zu verſchaffen, ebenſo we-
nig können Sie von mir fordern, daß ich meine
einzige Tochter in einer Hütte wohnen und
ſich mit ungewohnter Arbeit quälen laſſe, wäh-
rend ich und wir Alle uns hier im Schooße
des Wohllebens befinden.


[342]

„Wenn nun aber dies Wohlleben mit mei-
nem Stande nicht verträglich iſt!“ entgegnete
Reinhard. „Wenn Sie wüßten, lieber Va-
ter!“ fügte er hinzu, „wie ſehr ich die Opfer
fühle, die Jenny mir bringen muß; wie ent-
ſetzlich ſie mich drücken, Sie würden anders über
mich urtheilen. Laſſen Sie mich offen ſein, wie
ich es gegen den Vater meiner Braut ſein muß.
Ich habe mit aller Kraft meines Willens gegen
die Liebe gekämpft, die ich für Jenny fühlte,
weil ich wußte, daß unſere Wege weit von ein-
ander liegen; daß es Thorheit ſei, zu wähnen,
ich würde ihr jemals eine Exiſtenz bereiten kön-
nen, welche dem Leben gleich käme, an das ſie
gewöhnt iſt. Meine Liebe zu Jenny, und mein
Vertrauen zu ihr, waren ſtärker, als alle Ein-
wendungen der Vernunft. Ich täuſchte mich
ſelbſt mit dem Ideale, daß Liebe jede Entbeh-
rung nicht nur leicht, ſondern unfühlbar mache.
Tadeln Sie mich deshalb nicht zu ſtrenge.“


[343]

Der Vater drückte ihm die Hand und fragte:
„Und jetzt?“


„Jetzt“, antwortete er, „ſehe ich, daß die
Wirklichkeit auch gegen die tiefſten, heiligſten
Gefühle ihr Recht geltend macht. Ich ſehe
ein, daß Jenny nicht in der Lage leben kann,
die meine Einnahme allein möglich macht, und
bin ſehr unglücklich darüber, mich mit einem
Luxus umgeben zu ſollen, der andererſeits
auch für mich nicht paßt.“


„Davon iſt nicht die Rede“, ſagte der Va-
ter begütigend. „Es kann meine Abſicht nicht
ſein, Sie in Verhältniſſe zu bringen, die un-
paſſend für ihren Beruf ſind. Nur das ſollen
Sie annehmen, daß ich Jenny eine Mitgift
gebe, die Ihrer Einnahme ſo viel hinzufügt,
als nöthig, um ſie dem beſten Pfarrergehalte
im Lande gleich zu machen; und dagegen kön-
nen Sie nichts einwenden. Ich achte den
[344] Stolz, den Sie in ſich zu bekämpfen haben;
aber zu ſehr ins Ideale müſſen Sie ſich nicht
verlieren. Sie haben mich zu Ihrem Vater
angenommen, laſſen Sie mich auch Ihren Kö-
nig ſein, der Ihnen ein Gehalt gibt, wie Ihre
Kenntniſſe es verdienen.“


Reinhard erkannte mit Achtung das Eh-
renwerthe in dem Betragen des alten Man-
nes und dankte ihm für die Zartheit, mit
welcher er ihn behandelte. Er fühlte, daß er
das Anerbieten annehmen müſſe, ſo ſchwer es
ihm auch ſei, und erklärte ſich bereit dazu.


„Sie haben recht, mein theurer Vater“,
ſagte er, „aber es koſtet mich das Opfer mei-
nes ſchönſten Glückes, des ſeligen Gefühles,
Jenny Alles zu ſein, Gatte, Ernährer, Freund
und Beſchützer!“


Da klopfte der Vater ihm auf die Schul-
ter und ſchalt ihn einen Schwärmer, der
[345] ſich wol noch beſſern werde, hatte aber in
der That die Beſorgniß, daß Dem nicht ſo
ſein möchte.



Von dieſer Stunde an war Reinhard mit
ſich ſelbſt zerfallen. Er warf es ſich vor, ſich
aus Liebe für ſeine Braut in die Lage ge-
bracht zu haben, Unterſtützungen anzunehmen,
er, der es gebilligt hatte, daß ſeine Mutter
lange Zeit ſich auf das Kümmerlichſte beholfen,
um dieſer verhaßten Abhängigkeit zu entgehen.
Nur gegen ſeine Mutter hatte er ſich über
ſeine Unterredung mit Jenny's Vater ausge-
geſprochen. Sie hatte dem alten Herrn voll-
kommen beigeſtimmt und ihrem Sohne verſi-
chert, daß keinem Andern als ihm ein Kum-
mer daraus erwachſe, mit der Hand eines ge-
15 **
[346] liebten, reichen Mädchens ein angemeſſenes
Jahrgeld anzunehmen, oder wie es hier der
Fall wäre, eine Mitgift, die im Verhältniß
zu Jenny's einſtigem Reichthum durchaus un-
bedeutend erſchien. Sie machte ihn darauf
aufmerkſam, wie Jenny trotz dem noch Vieles
entbehren würde, woran ſie in ihrem väterli-
chen Hauſe gewöhnt worden, und wie ſie durch
die Freudigkeit, mit welcher ſie der Zukunft
gedächte, einen ſichern Beweis gebe, daß ihr
Reinhard's Liebe höher gelte als jener Reich-
thum, den nur Reinhard ſelbſt ſo hoch an-
ſchlage, um ſich damit zu quälen. Für einige
Tage waren dieſe Vorſtellungen wirkſam gewe-
ſen; dann aber hatte es nur eines Wortes be-
durft, das irgend Jemand arglos ausgeſpro-
chen, und das eine andere Deutung zuließ,
um ihn aufs Neue mit dem finſterſten Un-
muth zu erfüllen. Es bewährte ſich auch an
ihm, daß Niemand uns ſo tödtlich zu verletzen,
[347] ſo unabläſſig zu peinigen vermag, als wir
uns ſelbſt, weil Niemand ſo genau die wunde
Stelle unſerer Seele kennt und ſie in jedem
Augenblick ſo tief und ſicher zu treffen weiß.
Darum ſollte man ſich vor keinem Feinde ſo
ſehr hüten, als vor ſeinen eigenen Schwächen
und Phantaſien, mögen ſie noch ſo nahe mit
der Tugend verwandt ſein! Jedem Feinde tritt
man mit Härte, mit aller Macht des Geiſtes
entgegen, und eine Art von Schadenfreude
nebſt der Luſt am Siege ſind uns vortreffliche
Hülfstruppen gegen den Feind außer uns.
Wer hat aber Selbſtbeherrſchung genug, mit
offenen ehrlichen Waffen gegen ſich ſelbſt zu
kämpfen? Wen freut es, über ein verhätſchel-
tes Kind des eigenen Weſens zu ſiegen, das
wir doch immer lieben, eben wie ein Vater
ſein Kind, wenngleich er nicht blind für deſ-
ſen Fehler iſt?


Dennoch hatte ſich äußerlich nach jener Un-
[348] terredung des Herrn Meier mit Reinhard das
gute Vernehmen zwiſchen allen Theilen wieder
hergeſtellt, und Herr Meier konnte ſeiner Frau
die Verſicherung geben, daß für Jenny's Zu-
kunft in Bezug auf die gewohnten Annehm-
lichkeiten des Lebens nichts zu befürchten ſei.


Eine andere Angelegenheit aber verurſachte
dem Vater jetzt immer lebhaftere Beſorgniß:
Eduard's tiefer Kummer nämlich, den er ver-
gebens unter der Maske ruhigen Ernſtes zu
verbergen ſtrebte und deſſen Grund der alte
Herr wohl errieth. Nachdem er alſo mit
Reinhard Dasjenige beſprochen hatte, was ihm
für Jenny's Wohl unerläßlich ſchien, ließ er
Eduard zu ſich rufen, der bald darauf bei ihm
eintrat.


Setze Dich her zu mir, mein Sohn!“ ſagte
er nach der erſten Begrüßung. Eduard that,
wie ihm geheißen, und der Vater fuhr fort:
„Ich habe ein ernſtes Wort mit Dir zu reden,
[349] und glaubte mit Recht erwarten zu dürfen,
daß Du mir aus einem Verhältniß kein Ge-
heimniß machen würdeſt, welches Dich ſo gänz-
lich abſorbirt. Du kannſt nicht leugnen, daß
Du Fräulein Horn liebſt?“


„Auch möchte ich das nimmer“, fiel Eduard
lebhaft ein.


„So beantworte mir ehrlich die Eine Frage,
wohin ſoll das führen? Biſt Du entſchloſ-
ſen, Chriſt zu werden?“ fragte er weiter, da
Eduard ſchwieg.


„Um keinen Preis“, erwiderte Eduard
feſt, „ſelbſt um Clara's Beſitz nicht! Ja,
Vater! ich liebe ſie, und um ſie zu erlan-
gen, ſie mein zu nennen, ſoll kein Mittel
unverſucht bleiben. Ihres Herzens bin ich ge-
wiß, obgleich nie ein Wort von Liebe unſere
Lippen berührt hat; und nicht aus Mißtrauen
ſchwieg ich gegen Dich, ſondern weil an dem
Tage, an dem ich Dir Clara als meine Braut
[350] vorzuſtellen hoffte, ich Dir einen doppelten
Sieg zu verkünden wünſchte.“


„Der wäre?“ fragte der Vater.


„In keinem Geſetz des Landes iſt die Ehe
zwiſchen Chriſten und Juden verboten, obgleich
ſie nicht gebräuchlich bei uns iſt; und ich habe
um die Erlaubniß dazu nachgeſucht, mich dar-
auf ſtützend, daß in Dänemark und Holland
dieſe Verbindung ſtattfindet, die ebenfalls ſtreng
proteſtantiſche Länder ſind. Wenn es mir nun
gelungen, Vater, dieſe Erlaubniß zu erlangen;
wenn ich, indem ich mir die Geliebte ge-
wonnen, zugleich einen Schritt vorwärts ge-
gen das Ziel gemacht hätte, das wir er-
ſtreben, dann wollte ich vor Dich hintreten
und Dir die erkämpfte Braut als Tochter zu-
führen.“


„Und wenn Du dieſe Erlaubniß nicht er-
hältſt? — dann haſt Du auf eine höchſt zwei-
[351] felhafte Ausſicht hin die Ruhe, vielleicht das
Leben eines Mädchens zerſtört, das zu edel
von Dir dachte, um zu glauben, Du würdeſt
leichtſinnig Hoffnungen in ihr erregen, die zu
erfüllen Dir unmöglich iſt. Sage mir nicht,
Du hätteſt Clara Deine Liebe nicht geſtanden.
Das ſind Entſchuldigungen, die kein ehrlicher
Mann ſich machen darf. Sie kennt Deine
Liebe; ſie erwidert ſie; das wiſſen wir Alle,
Clara's Eltern vielleicht ausgenommen: — daß
Du um Clara's Liebe geworben, und das haſt
Du — verzeih mir, mein Sohn, das iſt eine
Unwürdigkeit, ſobald Du entſchloſſen warſt,
Jude zu bleiben.


Eduard fuhr auf, nahm ſich aber zuſam-
men und ſagte ruhig: „Unwürdig wäre es
vielleicht geweſen, wenn ich nicht mit aller
Kraft gegen dieſe Neigung gerungen; wenn
ich ſie nicht auf jede Weiſe vor Clara zu ver-
bergen geſucht und ihr ſelbſt immer die Hin-
[352] derniſſe, die uns trennen, gezeigt hätte. Clara
weiß, daß wir wenig hoffen dürfen.“


„Wozu nützt ihr dieſes Wiſſen?“ fragte der
Vater. „Rechnet ſie darum weniger auf die
Erfüllung Eurer gemeinſamen Wünſche? Und
geſchah es auch, um ihr jede Hoffnung zu
rauben, daß Du ſie in unſer Haus geführt?
Glaubſt Du, Jenny's bevorſtehende Taufe
werde ihr nicht den Muth geben, auch von
Dir Aehnliches zu erwarten? Was ſoll Cla-
ra's Vater von mir denken, daß ich ſeine
Tochter in mein Haus aufgenommen und mich
dadurch zum Förderer und Schützer einer Liebe
hergegeben habe, durch die das Mädchen un-
glücklich wird?“


„Vater, Du gehſt zu weit!“ ſagte Eduard
in heftigſter Bewegung. Der alte Herr aber,
der bis dahin mit kalter Ruhe, faſt ſtreng mit
dem Sohne geſprochen, nahm plötzlich ſeine
Hand, die er herzlich drückte, und ſprach
[353]
ſehr mild: „So, Eduard, urtheilt der Mann,
und Du verdienſt den Tadel. Der Vater be-
dauert Dich in tiefſter Seele, und wollte Gott!
ich könnte Dir helfen. Mein Herz iſt nicht ſo
kalt geworden, daß ich Dein Leiden nicht ver-
ſtehen könnte, aber weil ich Dich, mein Sohn,
vor Reue, und Clara, die ich ehre, vor grö-
ßerm Kummer bewahren möchte, darum warne
ich Dich. Thue keinen Schritt vorwärts; ver-
meide Alles, was Euch einander näher bringen,
Clara's Erwartungen erhöhen könnte, bis Du
weißt, ob Du auf ſie hoffen darfſt. Denn
wenn ſelbſt, was ich bezweifle, der Staat eine
ſolche Verbindung zugibt, ſteht Dir mit Clara's
Eltern noch ein ſchwerer Kampf bevor; doch
wollte ich, ſie allein wären es, die Du gegen
Dich haſt“, ſchloß er, und ſah bekümmert auf
das verdüſterte Antlitz des Sohnes.


Dieſer ſchwieg lange, dann ſagte er: „Ich
bin mir bewußt, daß der Gedanke an Clara's
[354] Ruhe ebenſo wenig einen Augenblick aus mei-
ner Seele gekommen iſt, als das Gefühl mei-
ner Liebe! Der Schwäche mag ich ſchuldig
ſein, daß ich nicht immer den Wonnekelch von
mir zu ſtoßen vermochte, den der Moment
mir bot und nach dem mein Herz ſo glühend
dürſtete; doch falle mein Loos, wie es wolle,
Du wirſt mich Deiner würdig finden.“


„Und das genügt, mein Sohn!“ ſprach
der Vater. „Ich traue Dir, und wollte nichts,
als Dich warnen, vor Dir ſelbſt.“


Damit trennten ſich Vater und Sohn, Beide
tief ergriffen und beſorgt, aber ruhig im Aeu-
ßern, wie ſie es immer waren, obgleich Eduard
nun mit doppelter Ungeduld die Entſcheidung
ſeines Schickſals herbeiwünſchte.


Je länger er dieſe Liebe zu Clara in ſtiller
Bruſt nährte, um ſo tiefer war ſie in ſein
Herz gedrungen, und er konnte zwar ſein Le-
ben ohne Clara's Beſitz denken, aber kein Glück
[355] ohne ſie. Sie zu erkämpfen und ſeinem Volke
zugleich damit zu nützen, das war der bele-
bende Gedanke in ſeiner Seele geworden; und
mit der Energie, die ihm eigen war, hatte er
raſch die nöthigen Schritte dazu gethan, ohne
mit irgend Jemandem darüber zu ſprechen. An-
fangs hatte er mit Zuverſicht auf einen günſti-
gen Beſcheid gerechnet und ſich mit einer Art
von ſtolzer Sorgloſigkeit der Leidenſchaft hin-
gegeben, die ihn beherrſchte: nun aber, als die
Antwort, die er erwartete, von Tag zu Tag
ausblieb; als die Erkundigungen, welche er
einzog, auf eine abſchlägige Reſolution hinzu-
deuten ſchienen, mußten die Ermahnungen ſei-
nes Vaters einen um ſo tiefern Eindruck auf
ihn machen. Zerſtreut war er zu ſeinen Kran-
ken gekommen und hatte kaum die nöthige
Aufmerkſamkeit für ihre Klagen in ſich er-
zwingen können. Das machte ihn noch trüber
und unzufriedener mit ſich. Er zog ſich in
[356] den Stunden, welche ihm ſeine Praxis frei
ließ, ganz in ſeine Wohnung zurück und kam
auch nur des Mittags zu den Seinen, weil in
dieſer Stimmung ihm ſelbſt der Umgang mit
ſeiner Familie zur Beſchwerde wurde.


So mochten etwa acht Tage vergangen
ſein. Er ſaß Abends an den geöffneten Fen-
ſtern ſeines Zimmers und ſah, in tiefe Ge-
danken verſunken, nichts von der Pracht des
Frühlings, deſſen lieblichſte Blumen in dem
Garten, der das Haus nach dem Hafen hin
begrenzte, ſich zu entfalten anfingen. Lebhaft
erinnerte er ſich jener Winternacht, in der die-
ſelbe hoffnungsloſe Liebe ihn in Sturm und
Wetter hinausgetrieben hatte, und der leiden-
ſchaftlich erregte Zuſtand jener Stunde ſchien
ihm beneidenswerth gegen die Muthloſigkeit,
welche er jetzt empfand, und aus der ihn, wie
er wähnte, nichts empor zu rütteln ver-
mochte. Da pochte es an ſeine Thüre, und
[357] es trat ein Bote herein, der ihm ein gro-
ßes, mit ſtattlichem Petſchaft geſiegeltes Pak-
ket überreichte. Eduard nahm es ab; ſeine
Hände bebten; mit fliegender Eile erbrach er
es, näherte ſich dem Fenſter, um bei den letz-
ten Strahlen des Tages die feſte, deutliche
Schrift zu leſen — dann entfiel das Blatt
ſeinen Händen und lautlos warf er ſich in
einen Seſſel.


Es war entſchieden. Der Jude durfte nicht
auf das Glück hoffen, die Geliebte zu beſitzen.
Und was nun beginnen?


Er hörte über ſeinem Haupte, in den obern
Zimmern, Stühle hin und wieder rücken; er
ſah empor, es war Nacht geworden. Man
ſtand vermuthlich bei ſeinen Eltern von der
Abendmahlzeit auf. Er hatte alſo mehrere
Stunden in dumpfem Brüten verbracht und
kein kräftigender Gedanke war erleuchtend in
[358] die Nacht ſeines Leidens gedrungen. Flüſternd
berührten Jenny's und Guſtav's Stimmen ſein
Ohr. Der milde Abend hatte ſie ins Freie ge-
lockt und Eduard erblickte ſie bald darauf in
den breiten Gängen des Gartens. Aber! trog
ihn ſein Auge? noch eine dritte Geſtalt ging
mit ihnen. Thereſe konnte das nicht ſein; ſie
war wenig größer, als Jenny, während dieſe
ſchlanke, hohe Figur Jenny bedeutend über-
ragte. Sie war es! Noch ahnete ſie nichts
von dem Elend, das er empfunden, das der
nächſte Tag auch ihr bringen mußte. Nur noch
dies Eine Mal wollte er ſie glücklich ſehen;
es ſchien ihm, als hätte ſie im Vorübergehen,
trotz der Dunkelheit, nach ſeinen Fenſtern ge-
blickt — im nächſten Moment war er an ihrer
Seite —


„Wo kommſt Du her, Nachtwandler?“
fragte Jenny ſcherzend. „Du haſt mich furcht-
[359] bar erſchreckt, als Du ſo plötzlich hervortra-
teſt; und auch die arme Clara fuhr zuſammen:
wo warſt Du denn bis jetzt?“


„In meinem Zimmer“, antwortete er.


„Da war es dunkel, als wir vorüber-
gingen“, bemerkte Reinhard verwundert,
„und Deine Eltern wähnten Dich außer dem
Hauſe.“


„Das war ein Irrthum!“ erwiderte er,
ebenſo zerſtreut und tonlos, als er die erſte
Antwort gegeben.


„Höre, Eduard!“ rief Jenny, um nur ir-
gend etwas zu ſagen, weil ſie nicht wußte,
was die Stimmung ihres Bruders, die ſie be-
unruhigte, bedeute, „wenn Du nur gekommen
biſt, uns zu erſchrecken, ſo hätteſt Du fort-
bleiben ſollen. Guſtav war ſo gut, ſo lieb;
Du haſt uns um die ſchönſte Erzählung aus
ſeinen frühern Jahren gebracht, die ich nicht
[360] aufgeben will, und ich gehe mit Guſtav fort,
wenn Du nicht heiterer ſein kannſt.


„So geht, ihr Lieben!“ ſagte er, und
lehnte ſich tiefaufathmend an den dicken Stamm
einer mächtigen Kaſtanie, deren junge Blät-
ter leiſe unter der Berührung der Nachtluft
zitterten.“


Unentſchloſſen ſtanden Alle einen Augenblick
einander gegenüber; dann führte Reinhard
Jenny einen Augenblick mit ſich fort und bot
Clara den andern Arm. War es nur Täu-
ſchung, oder hatte Eduard wirklich ſeine Hand
bittend gegen Clara bewegt? — aber das
Brautpaar war bereits einige Schritte fort,
und Clara ſtand noch in ſcheuer Entfernung
allein vor Eduard. Sie hatte die Hände ängſt-
lich über die Bruſt gefaltet, trat ihm näher
und fragte mit flehender Stimme: „Sie kom-
men nicht mit uns?“


[361]

Der Ton dieſer ſüßen Stimme, das war
mehr, als Eduard ertragen konnte. „Clara!
Clara!“ rief er mit einer Leidenſchaftlichkeit, in
der das ganze Leiden der letzten Stunden ſich
zuſammendrängte, und riß das junge Mädchen
gewaltſam an ſeine Bruſt, das ſich an ihn
lehnte, als ob ſie an ſeinem Herzen Schutz
gegen ihn ſelbſt erwartete. Wie nach lan-
ger drückender Hitze die ſchwarzen Wolken ſich
in großen einzelnen Tropfen entladen, ſo fieleu
aus Eduard's Augen heiße ſchwere Thränen auf
die Stirn Clara's und auch ſie weinte ſtill.


„Warum weinen wir denn, fragte ſie end-
lich, wenn ich mit Ihnen bin?“


„Weil ich Dich verloren habe“, antwortete
er gepreßt, „weil ich über Dein geliebtes Haupt
den Fluch heraufbeſchworen, der mich verfolgt.
„Auf dies geliebte Haupt“ ſagte er, es in ſei-
nen Händen haltend und mit der Zärtlichkeit
I. 16
[362] eines Vaters küſſend, auf das ich den grü-
nen Kranz zu drücken hoffte und auf das
ich allen Segen des Himmels herabzuflehen
wünſchte.“


Sie hing ſich feſter an ſeine Bruſt, und
er fühlte, wie ſie zitterte; aber kein ſelbſtſüch-
tiger Gedanke kam in ihre reine Seele, nur
der Jammer des Geliebten war es, den ſie jetzt
zuerſt empfand. „ Armer Eduard!“ ſeufzte ſie,
„und ich wagte, fröhlich zu hoffen, während
Sie litten, ich hoffte ...“


„Clara Dein Wagen iſt da!“ rief Jen-
ny's Stimme und ſchreckte Clara empor von
Eduard's Bruſt, der ihr ſeinen Arm reichte,
deſſen Hülfe der Bebenden dringend nöthig
war, um ſie aufrecht zu erhalten. Ohne ein
Wort der Entſchuldigung, des Abſchiedes, ge-
leitete er ſie an Reinhard und Jenny vorüber
zu ihrem Wagen, drückte einen langen Kuß
auf ihre Hand, und ging dann ſchnell in
[363]
ſein Zimmer zurück, wohin wir ihm folgen
wollen.


Jenny und Guſtav ſahen erſchreckt und ver-
wundert die ſtumme Scene vor ihren Augen.
Auch ſie ſchritten dem Hauſe zu. „Die Un-
glücklichen“, klagte Jenny, und Reinhard zog
ſie näher an ſich, wie wenn er ſich vor ähn-
lichem Scheiden bewahren wollte. Arm in
Arm kamen ſie zu den Eltern. Jnny ent-
ſchuldigte Clara's Fortfahren ohne Abſchied;
Eduard's wurde gar nicht erwähnte und bald
darauf trennten ſich auch die Uebrigen, Rein-
hard und Jenny mit ſchwerem Herzen, und
erſt, nachdem ſie ſich durch einen nochma-
ligen Gang nach dem Garten überzeugt, daß
Eduard zu Hauſe ſei. Dies bewies die Lampe,
die durch die Vorhänge ſchimmerte und bei
deren Schein ſie ihn an ſeinem Schreibtiſche
erblickten.


Er ſchrieb:
16*
[364]„Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der
Liebe erwartet hatte, ſie iſt herangekommen und
zur Trennungsſtunde für uns geworden — das
höchſte Glück, das Bewußtſein, Ihre Liebe zu
beſitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf
Sie fällt die Pein des Scheidens — Clara!
zürnen Sie mir nicht; mehr, als das Elend,
das mich drückt, ſchmerzt mich der Gedanke,
daß Sie mit mir leiden — daß meine glühende
Liebe Sie nicht zu ſchützen, nicht zu beglücken
vermag. Ich könnte eine Welt haſſen, in der
Herzen, die zuſammen gehören, getrennt wer-
den, weil das Eine ſo, das Andere anders zu
ſeinem Schöpfer betet, der Beide für einander
erſchuf, der ſie, wie uns, zuſammenführte, um
glücklich zu ſein. Jahrtauſende hat der Fluch
über meinem Volke geſchwebt, der auch mich
getroffen. Ich wähnte, nun ſei es Zeit, in
kräftiger That zu zeigen, daß wir das Glück
verdienen, frei zu ſein von jenen Feſſeln, die
[365] blinder Pfaffenglaube der ganzen Menſchheit
angelegt. Ich ſah Dich, meine Clara! und
ich hoffte, Du ſollteſt die Aurora werden,
welche ein neues Morgenroth der Aufklärung
für unſer ganzes Land verkündete. Denn nicht
allein den Juden trifft der Wahnwitz dieſes
Haſſes, er ſchlägt in gerechtem Undank ſelbſt
die Mutter, die ihn erzeugt. Auch Du! die
Chriſtin! erliegſt ihm. Aber wer hieß Dich,
einen Juden lieben? Warum wollteſt Du lie-
ben, was die Deinen haſſen? Die Deinen,
welche ſich zu einer Religion der Liebe beken-
nen! — O! Chriſtus wußte, wie der Haß
zerfleiſcht, entmenſcht, darum predigte er Liebe,
und die Unwürdigen begriffen nur den Haß,
vor dem er ſie gewarnt.“


„Aber ich wollte ruhig ſein und nicht auch
in Deine Seele den Widerſchein der Fieber-
gluth leuchten laſſen, die in mir lodert! Ruhig
denn! Seit ich Dich kenne, ſeit ich Dich
[366] liebe, habe ich keine Stunde ruhigen Glückes
gekannt als in Deiner Nähe. Nur der Zauber
Deiner Gegenwart konnte mich tröſten, mich
vergeſſen machen, daß ich Dich nicht beſitzen
würde. Ich fühlte in ſeligem Ahnen, wie Dein
Herz ſich zu mir neigte, und wollte Dich und
mich vor jeder Hoffnung bewahren, indem ich
Dir ſagte, mit wie unauflöslichen Banden ich
an mein Volk gekettet ſei. Es iſt nicht der
Glaube, der mich an das Judenthum bindet:
ich bin weder Jude noch Chriſt in dem Sinne
der Menge — ich bin ein Menſch, den Gott
geſchaffen, der ſeinem Schöpfer dafür dankt
und der ſeine Mitgeſchöpfe liebt. Aber meine
Ehre feſſelt mich an die Juden, die gleich
mir in Unterdrückung ſeufzen. Was dem ver-
bannten Polen ſein Vaterland, das iſt dem
Juden die Gemeinde; nur der Verräther ſagt
ſich von ihr los. Denkſt Du jener Polenhel-
den, die wir jüngſt geſehen, und der Narben
[367] auf ihren gramdurchfurchten Stirnen? O!
dieſe Narben konnten heilen; aber der Schmerz
ihrer gebrochenen Herzen nimmer! Geſchieden
von Bräuten, Weibern und Kindern, kamen
ſie in unſer Land, Alles war ihnen geraubt,
und ſie hatten nichts als die Ehre und den
heiligen Gram um ihr geſunkenes Vaterland.
Nach langem Elend war das Volk der Polen
erſtanden, um mit Männerkraft ſeine Ketten
zu zerreißen. Es mißlang und die Unterdrük-
ker trugen wieder den Sieg davon.“


„So iſt es mir ergangen. Ich wollte ver-
ſuchen, auf Deinen Beſitz zu verzichten, zu
erſagen; aber Entſagen iſt Feigheit, ſo lange
noch eine Möglichkeit da iſt, das Glück zu er-
reichen. Ich verlangte vom Staate die Er-
laubniß, Dich mein zu nennen, ohne Chriſt
werden zu müſſen. An Deiner Zuſtimmung, an
Dir zweifelte ich nicht, und mit Dir hoffte
ich die Einwendungen der Deinen leicht zu be-
[368] ſiegen. Ich hoffte, glücklich zu ſein mit Dir,
und Tauſenden, die gleich uns gelitten, ein
Befreier von bejammernswerthem Vorurtheil zu
werden. Es iſt anders gekommen.“


„Der Staat, der es erlaubt, daß Menſchen,
die ſich haſſen, den Eid der Treue vor dem
Altare ſchwören; der es duldet, daß die Jung-
frau mit gebrochenem Herzen in die Arme ei-
nes Mannes geführt wird, welcher vielleicht noch
geſtern an der Bruſt einer Buhlerin des Ban-
des gelacht, das er heute beſchwört; der Ge-
ſetze gibt, dieſe fluchenswerthen Ehen zu ſchüz-
zen — derſelbe Staat will es nicht dulden,
daß zwei Herzen, die in reinſtem Einklang
ſchlagen, ſich verbinden, weil ſie auf verſchie-
dene Weiſe Gott für das Glück danken wür-
den, das er ihnen durch ihre Liebe gewährt. —
Das ſind die Geſetze, vor denen man Achtung
verlangt!“


„Noch Eine Zuflucht bietet ſich uns dar,
[369] Clara! wenn Du es vermöchteſt, frei zu den-
ken von Vorurtheilen; wenn Du Dich ent-
ſchließen könnteſt, mir unter dem Schutze der
Meinen in ein Band zu folgen, das unſere
Ehe zuläßt, und dort die Meine zu werden;
wenn ich Dich im Triumphe zurückführen
dürfte und den Verblendeten zeigen könnte,
wie die Liebe frei iſt vor dem Urtheil eines
weiſern Staates; wenn Du durch Ein Wort
uns den verſagten Himmel zu öffnen bereit
wäreſt — ein Leben voll der glühendſten, er-
gebenſten Liebe ſollte es Dir lohnen; Dir, die
mir Liebe und Freiheit zugleich gegeben.“


„Mitten im kühnen Fluge ſeliger Hoffnung
fühle ich das Unrecht, das ich an Dir begehe,
indem ich Dich zum Richter über unſere Zu-
kunft mache. Das hätte ich Dir erſparen ſol-
len, und kann es nicht. So nimm wenigſtens
das Verſprechen, meine Clara, daß ich mit
keinem Worte verſuchen werde, das Urtheil,
16**
[370] das Du fällſt, zu ändern. Was Dein lieben-
des Herz über Dich vermag, was Dein gerader
Sinn Dir zu thun gebietet, das ſoll auch meine
Richtſchnur ſein, nur verſage mir die Gunſt nicht,
Dich noch Einmal zu ſehen. Lebe wohl, Clara!“


Vergebens würde es ſein, ein Bild des
zerreißenden Schmerzes zu geben, mit dem
Eduard dieſen Brief geſchrieben, oder der Ge-
fühle, die er in Clara hervorrief. Wer es je
erfahren, plötzlich eines Glückes beraubt zu
werden, auf das er eben ein volles Anrecht
erworben, der mag ahnen, was Eduard und
Clara litten bei dem Gedanken an Trennung,
jetzt, nachdem ſie durch das gegenſeitige Ge-
ſtändniß ihrer Liebe ſich an einander gebunden.
Von Minute zu Minute zögerte Clara, eine
Antwort zu geben, die, ſo innig ſie Eduard
liebte, niemals eine günſtige ſein konnte. Im-
mer hoffte ſie, es werde ſich ihr ein Aus-
weg aus dem Labyrinthe zeigen; ſie fürchtete
[371] Eduard's Leiden zu vergrößern durch die Schil-
derung des Jammers in ihrer Bruſt; ſie wollte
ruhig werden, um ihn zu beruhigen; und das
war der Brief, den ſie endlich ſchrieb:


„Gott hat es mir auferlegt, daß ich mit
den erſten Worten, die ich Ihnen ſchreibe, Ih-
nen und mir den tiefſten Schmerz bereite, den
eine Menſchenbruſt empfinden kann. Er wird
uns Kraft geben, ihn zu ertragen. Liebte
ich Sie weniger, oder wäre ich nicht vollkom-
men gewiß, es könne kein Zweifel an meiner
Liebe Raum in Ihrer Seele finden, ich würde
nicht den Muth haben, Ihnen zu ſagen, daß ich
nicht die Ihre werden, daß die ſchönſte Hoffnung
meines Lebebens nicht erfüllt werden dürfe. Ach,
lieber Eduard! als ich Jenny und Reinhard ver-
bunden ſah, da wagte ich mir zu geſtehen, daß
ich ein ähnliches Glück begehrte und erhoffte,
obgleich ſie mich gelehrt, wie Sie über Jen-
ny's Entſchluß dächten; wie Sie bei Jenny
[372] billigten, was Sie ſelbſt niemals zu thun ver-
möchten. Ich täuſchte mich gern, weil ich Sie
liebte und kein höheres Glück kannte, als Ih-
nen in jeder Stunde meines Daſeins, mit je-
dem Gedanken, mit jedem Gefühl meiner Seele
zu eigen zu ſein. Familienleben hatte ich erſt
in dem Hauſe Ihrer Eltern in ſeiner heiligen
Schönheit begreifen gelernt, und ich wünſchte
ſehnlichſt, mit Ihnen zu den Kindern dieſes
Hauſes zu gehören, das mich mit ſo viel Güte
empfing, in dem ich die glücklichſten Stunden
meines Lebens genoſſen.“


„Glauben Sie mir, ich verlange nichts als
Ihre Liebe, nichts als Sie, Eduard! und jedes
Band, das uns vereinigte, wäre mir heilig. Ich
möchte Ihr treues Weib ſein, gleichviel, welch
ein Prieſter den Segen über uns geſprochen;
jedes Land, jedes Verhältniß wäre mir gleich;
ich könnte ruhig den Tadel der Menge ertra-
gen — aber den Segen meiner Eltern kann
[373]
ich nicht entbehren. Ohne dieſen Segen, den
ich nie zu erhalten hoffen darf, ſo lange Sie
nicht Chriſt geworden, gäbe es, ſelbſt mit Ih-
nen, kein Glück für mich.“


„Meine Mutter hat mich William verlobt,
ohne mich darum zu befragen, und ich habe
mich dadurch keinen Augenblick für gebunden
gehalten. William ſelbſt würde meine Hand
nicht begehrt haben, hätte er meine Liebe zu
Ihnen gekannt. Ich vermag, ſo leid es mir
thut, den Wunſch meiner Mutter nicht zu er-
füllen, ich kann William's Frau nicht werden.
Aber auch die Ihre nicht, Eduard! Sie bin-
det die Ehre an Ihr Volk, mich die Pflicht an
meine Eltern, und ich darf an eine Verbin-
dung nicht denken, die auch einer minder ſtol-
zen Frau als meiner Mutter verwerflich ſchei-
nen müßte durch die befremdlichen Schritte,
welche eine Trauung im Auslande erfordert.
Ich wähnte, Liebe ſei allmächtig, nun ſehe ich,
[474] daß ſie vor Pflicht und Ehre ſich beugen muß
— ich bin bereit, das Opfer zu bringen —
aber es iſt ein ſchweres, furchtbares Opfer, ich
bringe es mit blutendem Herzen, und weiß
kaum, wie ich das Unvermeidliche ertragen
werde.“


„Sie nehmen Abſchied von mir, Eduard!
Sie ſagen mir Lebewohl! das begreife ich nicht!
Iſt es nicht hart genug, daß wir einander
nicht gehören ſollen? Wollen wir uns ſelbſt um
das Glück bringen, uns zu ſehen, uns zu
ſprechen und Troſt für unſer Leid in dem
Beiſammenſein zu ſuchen, das uns vergönnt
iſt? Ich kann den Gedanken nicht faſſen,
Sie nicht mehr zu ſehen; ich möchte die Wonne
nicht entbehren, Ihrer treuen Bruſt anzuver-
trauen, was mich bewegt, und zu erſtarken
an den großen Gedanken Ihres Geiſtes. Wa-
ren wir nicht glücklich bis jetzt, auch ehe das
Wort Liebe ausgeſprochen? Hatten wir uns
[375] nicht verſtanden? So kann und ſoll es wie-
der werden! Man ſagt, der Strom, der die
Dämme durchbrach, könne niemals wieder von
ſelbſt in jene Schranken zurückkehren; das mag
ſein. Wo aber die Schranke allein Zuflucht
vor gänzlichem Verarmen zu geben vermag, da
muß man ſie aufs Neue erbauen, ſich hinter
ſie flüchten, um das einzige Gut zu behalten,
das uns geblieben.“


„Schreiben Sie mir nicht mehr, das kann
nicht ſein. Laſſen Sie uns verſuchen, die Er-
eigniſſe des geſtrigen Tages im tiefſten Grunde
des Herzens zu bergen. So allein — und ich
rechne auf Sie, als ob Sie es mir mit dem
heiligſten Eide gelobt — dürfen wir uns wie-
derſehen. Sie, Eduard, ſollen mich ſchützen
vor der Gewalt unſerer Liebe; Ihrem ſtarken
Willen vertraue ich mich an. Nur ein paar
Tage der Einſamkeit gönnen Sie mir, mich zu
gewöhnen an das ſchwere Loos, das uns ge-
[376] worden. Doch was klage ich? Ich begehrte,
Glück und Leid mit Ihnen zu tragen, und
ſollte muthlos werden, nun die Prüfung
naht? Nein, Eduard! Sie ſollen ſehen, daß
Sie ſich nicht in mir geirrt, daß ich würdig
geweſen wäre, die Ihre zu ſein, weil jedes
Schickſal, das ich mit Ihnen theile, mir er-
träglich ſcheint. Um mich ſorgen Sie nicht,
ich weiß, daß Sie mich lieben! mit dem Be-
wußtſein kann ich Alles tragen; denn Liebe,
ſelbſt hoffnungsloſe Liebe iſt Glück! Daran
halten Sie feſt, Eduard! wenn wir uns wie-
derſehen.“


Dieſer Brief brachte auf Eduard die dop-
pelte Wirkung hervor, ihm Clara im vollſten
Lichte ihres ruhig milden Weſens zu zeigen,
und ihn zu ermannen, obgleich er ihn die
ganze Größe ſeines Verluſtes fühlen ließ. Er
durfte nicht kleiner ſein als ſie, die ein unab-
wendbares Geſchick mit Ergebung trug und
[377] mit ängſtlicher Sorgfalt das geringe Glück,
auf das ſie Anſpruch hatte, ſich und dem Ge-
liebten zu erhalten ſtrebte. Doch nur ſchwer
und allmälig gelangte er zu der Faſſung,
welche Clara gleich in ſich gefunden, um ihn
damit zu beruhigen. Auch ihm drängte ſich
dadurch unwillkürlich die Frage auf, ob in der
Frauen Natur wirklich eine höhere Leidensfä-
higkeit liege, als in der des Mannes. Er be-
wunderte Clara, aber er konnte dieſe Reſigna-
tion kaum begreifen. Ja, einen Augenblick
lang wagte er zu glauben, Clara's Gefühl
könne an Stärke dem ſeinigen nicht gleich
ſein; ſie müſſe ihn weniger lieben, als er ſie.
Das iſt eine Ungerechtigkeit, deren man ſich
nur zu oft ſchuldig macht. Weil das Weib
beſſer liebt, weil es nur an den Schmerz des
Geliebten, nicht an ſich ſelbſt denkt und ſich
in dem Glück des Andern vollkommen vergeſ-
ſen kann, ſchilt man es kalt und tröſtet ſich
[378] über den Gram, den man verurſacht, mit dem
alten Gemeinplatz, das Weib ſei leidensfähiger,
als der Mann. Die Schmach fühlt man gar
nicht mehr, den Frauen, dem ſogenannten
ſchwachen Geſchlecht, eine Stellung im Leben
angewieſen zu haben, die ſie von Jugend auf
an Leiden und Entſagungen gewöhnt; man
denkt nicht an jene ſchweren Stunden, in de-
nen ſie genöthigt ſind, ſich zu beherrſchen,
wenn ihr armes Herz vergeht vor innerm
Leid. Wer ſieht die Thränen, die oft aus der
innerſten Seele hervorbrechen möchten, wäh
rend ein Männerarm die ſchöne Geſtalt um-
ſchlingt und mit ihr durch die fröhlichen Rei-
hen des Walzers dahinfliegt? Ihr ſeht nur
die ſchimmernden Thautropfen auf dem Roſen-
kranz in ihren Locken, nur die Perlen, die
den ſchönen Nacken zieren, und ahnet nicht,
daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das
Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glän-
[379] zen, viel koſtbarer und reiner, als der Tand,
den Ihr bewundert. Ihr preiſet das ſüße Lä-
cheln des holden Mundes, der nur zu oft trau-
rig lächelt über ein Daſein, das ſo grelle Con-
traſte hervorbringt. Kommt dann Einer ein-
mal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den
ſolch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann
ſchreit er über die Verſtellung, die Unwahrheit
des Geſchlechts, und vergißt, daß Jeder, der
ein Mädchen traurig ſieht, ohne ſich zu beden-
ken, auf eine unglückliche Liebe ſchließt und
mit roher Hand das ſtille Geheimniß an das
Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem
einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, er-
kennt ſeinen Beſieger in dem Manne, fühlt
ſich ihm unterthan, als Sklavin ſeines Wil-
lens, und möchte doch aus angebornem Scham-
gefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die
Feſſel zeigen, durch die es gebunden wird, die
oft blutig drückt, und ſelbſt zerbrochen, unver-
[380] tilgbare Narben zurückläßt. Geliebt werden iſt
das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz iſt Liebe
erwerben; ihr Glück Lieben, und die Liebe
nach der ſie geſtrebt, nicht erlangen zu können,
unglücklich lieben, eine Schmach, welche nur
die edelſten Frauennaturen mit Würde zu er-
tragen vermögen. So beruht die ganze Ent-
wickelung der weiblichen Seele auf dem Ver-
hältniß zum Manne; und man darf das
Weib nicht der Falſchheit anklagen, wenn es
den geheimnißvollen Proceß ſeines geiſtigen
Werdens ſchamhaft der Welt verbergen möchte.
In der ganzen Natur ſchreitet die Entwickelung
ſo myſtiſch verhüllt vor, daß wir faſt überall
nur die Reſultate erblicken, ohne uns über das
Wie Rechenſchaft geben zu können. Warum
verlangt man es denn anders von den Frauen?
Es mag den Mann ſtolz machen, die ſichtbare
Vorſehung des Weibes zu ſein; zu fühlen, daß
Leben und Tod ihm aus ſeiner Hand kommt;
[381] aber es ſollte ihn auch Mitleid und Schonung
für die Armen lehren, die echt bibliſch die
Hand küſſen, welche ſie ſchlägt, und man darf
ſich nicht wundern, wenn einſt die Stunde
kommt, in der das Weib gleichen Schmerz mit
dem Manne zu tragen berufen iſt, es ruhig
in liebender Ergebung zu finden, wo der Mann
gegen das Schickſal tobt, ſo lange er die
Möglichkeit begreift, ein beſſeres Loos zu er-
trotzen.


Das Letztere war, wie geſagt, auch Eduard's
Fall, der nicht allein die Geliebte verlor, ſon-
dern der aufs Neue glaubte eine Unbill rächen
zu müſſen, die man an ihm, an ſeinem Volke
begangen. Er hätte in der erſten Leidenſchaft
des Schmerzes eine Welt zertrümmern mögen,
die noch immer in ſtumpfer Gefühlloſigkeit
Recht und Wahrheit verhöhnte; und ſeine
Phantaſie erſchrak vor keiner noch ſo gewaltſa-
men Maßregel, welche ihn zum Beſitz der Ge-
[382] liebten, zur Erlangung ſeines guten Rechtes
führen konnte. Dann, als der erſte Sturm
vorüber war, las er Clara's Brief aufs Neue
und verſtand die Schönheit einer Seele, die
ſo zu entſagen vermochte. Er konnte die Zeit
nicht erwarten, in der es ihm vergönnt ſein
würde, ſie wiederzuſehen, und durfte doch nicht
wagen, den erſehnten Augenblick herbeizufüh-
ren, ehe ſie ihn dazu berechtigte. Sein Herz
war noch tief bewegt und übervoll, als der
Geiſt ſchon wieder zu ſeiner Klarheit gelangte
und ſich an einem Gedanken mächtig empor-
rankte. Um ſein Glück war es geſchehen; ſein
Leben hatte man der reinſten Freuden beraubt;
darum fühlte er den Muth, Alles von ſich zu
werfen, ſein Vaterland, ſeine Ausſichten für
die Zukunft, ſelbſt ſeine Freiheit, wenn es
ſein mußte, um damit das Einzige zu erkau-
fen, das noch Werth für ihn hatte: die bür-
gerliche Emancipation ſeines Volkes. Dieſe
[383]
Idee gab ihm die nöthige Kraft, noch an
demſelben Tage vor ſeinem Vater zu er-
ſcheinen und ihm zu verkünden, er habe das
Spiel verloren, auf das er alle ſeine Hoffnun-
gen geſetzt.


Der Vater war bewegt. Auch ihn traf
der Schlag doppelt, in ſeinem Sohne und in
ſeinem Volke, obgleich ihm das Gelingen dieſer
Angelegenheit höchſt zweifelhaft geweſen, und
er die Zuverſicht Eduard's, wie wir wiſſen,
durchaus nicht getheilt hatten. „Und was
denkſt Du in Bezug auf Clara Horn jetzt
zu thun?“ war eine der erſten Fragen des
Greiſes.


„Sie weiß es bereits“, antwortete Eduard.
„Ich hatte ihr geſchrieben, um Abſchied von
ihr zu nehmen. Ich war entſchloſſen, die
Stadt zu meiden, um Clara und mir die un-
ſelige Trennung zu erleichtern. Ich wollte mich
[384] in der freien Größe der Natur verlieren, weil
ich mir einen Augenblick vorſpiegelte, ich würde
irgendwo die Bande nicht fühlen, die mich an
Clara binden; die Ketten vergeſſen, unter de-
nen die Juden ſeufzen. Du weißt ja, wie der
erſte Schmerz zu wüthen und ſich zu täuſchen
pflegte! — Dann kam Clara's Antwort!“ —
Er ſeufzte, und blieb eine Weile ſchweigend in
ſeine Gedanken vertieft, endlich fuhr er fort:
„Sie will nicht, daß wir ſcheiden; ihr rei-
nes Herz vermag zu reſigniren, ſie hofft, in
die Schranken ruhiger Neigung zurückzukehren,
glücklich dabei ſein zu können. Ich ſoll ſie
wiederſehen, bald, in wenig Tagen — und
ſchweigen von der Leidenſchaft, die mich durch-
bebt — wie iſt das möglich?“


„Möglich, mein Sohn!“ ſagte der Vater,
„muß es ſein, weil Clara es will, und das
Einzige, was Du thun kannſt, iſt, Dich un-
[385] bedingt in jeden Vorſchlag zu fügen, den ſie
Dir macht, und von dem ſie ſich Beruhigung
verſpricht.“


„Du fragteſt mich neulich, Vater! als wir
über dieſen Gegenſtand ſprachen: wohin ſoll
das führen? ich gebe Dir heute die Frage zu-
rück; wohin ſoll die Pein führen, uns zu ſe-
hen und zu ſchweigen von Dem, was jeder
Blick, jeder Gedanke uns dennoch verräth?“


„Zu einer nothwendigen Trennung, wenn
Ihr nach Monden eingeſehen haben werdet, daß
der Inſtinkt der Jugend ſich gegen jeden hoff-
nungsloſen Zuſtand ſträubt. Denn löſen,
Eduard, mußt Du jetzt ein Band, das Clara
an Dich bindet, ohne ihr die mindeſte Aus-
ſicht auf Glück zu geben.“


„Und mit dieſem Bewußtſein ſoll ich ſie
ſehen?“ rief Eduard. „Ich ſoll ſie ſehen und
daran denken, ſie zu verlaſſen, die mir ver-
traut, die ich liebe?“


I.17
[386]

„Von Dir ſpreche ich gar nicht“, ſagte der
Vater ruhig, „Du biſt ein Mann!“


„Aber Clara! meine arme Clara! an ſie
denke, Vater! an ihr Leiden! was ſoll aus
ihr werden?“ fragte Eduard im Tone des tief-
ſten Schmerzes.


„William's Frau! wenn es irgend mit ihrer
Neigung zu vermitteln iſt“, antwortete der
Vater, und fuhr, ohne auf Eduard's Entſetzen
bei dem Ausſpruch zu achten, in ſeiner gewohn-
ten Art fort. „Ich gehöre zu den Leuten,
welche glauben, der herbe Kelch, den uns das
Leben bisweilen kredenzt, muß ganz und ſchnell
geleert werden, wenn wir es uns nicht ſchwe-
rer machen wollen, als es leider ohnehin iſt.
Darum ſtehe ich keinen Augenblick an, Dir zu
ſagen, Clara iſt für Dich verloren, ſie iſt un-
glücklich, wie Du — vielleicht noch mehr —
aber damit iſt Euer Leben nicht beendet. Gerade
Clara gehört zu den Frauen, die ihr Glück in
[387] Andern zu finden vermögen. Wenn ſie Wil-
liam's Hand ausſchlägt, zerfällt ſie gänzlich
mit ihrer Mutter. Die Deine kann ſie niemals
werden; ſoll ſie unaufhörlich den Vorwürfen
einer herrſchſüchtigen Mutter ausgeſetzt bleiben,
damit Dir der Schmerz erſpart werde, ſie mit
einem andern Mann glücklich zu ſehen?“


„Könnte Clara ſo ſchnell vergeſſen!“ ſprach
Eduard im Tone des Zweifels, und doch bitter,
bei dem bloßen Gedanken an die Möglichkeit:
„Kann ſie das wollen?“


„Das Erſtere hoffe ich, mein Sohn! Nur
Wahnwitzige verlangen Etwas, deſſen Unmög-
lichkeit ſie eingeſehen. William iſt brav und
liebt ſeine Couſine, Clara hätte ohne Dein Da-
zwiſchentreten dieſe Liebe gewiß erwidert, und
ich hoffe, daß ſie noch jetzt, wenn auch mit
Ueberwindung, ſich zu dieſer Ehe entſchließt,
in der ich allein Glück und Ruhe für ſie er-
blicke, wenn Du ſie und William, die Dir
17*
[388] Beide als einem Freunde vertrauen, auf den
richtigen Standpunkt führſt.“


„Nimmermehr!“ rief Eduard. „Es iſt
ſchrecklich genug, daß ich ſie verliere — kannſt
Du glauben, daß ich, ich ſelbſt ſie in die Arme
eines Andern führen werde?“


„Ich erwarte das von Dir, wie ich Dich
kenne!“ antwortete Herr Meier.


Eduard konnte ſich gegen die Wahrheit in den
Worten ſeines Vaters nicht verblenden, ſo gern er
es augenblicklich wollte. Er erkannte die edle
ſtrenge Gerechtigkeit des Greiſes, aber ſein Gefühl
empörte ſich noch dagegen, wie gegen eine Sünde
an Clara — und die Art, in welcher der Vater
ihm, dem Schmerzdurchwühlten, ſeine Verhältniſſe
vorhielt, war jedenfalls eines von den gewagten
Mitteln, die Herr Meier bei ſtarken Menſchen
gern anwendete, wenn die Kriſis unvermeidlich
geworden. Er glaubte dadurch jenem langwie-
rigen, unbeſtimmten Hinſiechen der Seele vor-
[389] zubeugen, wenn er die Wunde raſch nach allen
Seiten hin unterſuchte, ſie tüchtig ausbluten
ließ, und dann die Heilung der Zeit, und be-
ſonders dem Bedürfniß nach Glück überließ,
das uns unbewußt antreibt, zu geneſen, wenn
ein geiſtiges Leid uns niedergeworfen. „Wir
ſind zum Glück geſchaffen, wir ſtreben darnach,
und erlangen es am ſicherſten, wenn wir uns
durch keine falſchen Hoffnungen täuſchen laſſen“
— das war des alten Herrn Grundſatz, nach
dem er auch heute gehandelt.


Eine Weile ſaßen Vater und Sohn ſchwei-
gend nebeneinander, dann ſchieden ſie mit ei-
nem Händedruck und Eduard ging davon, um
am Bette der Kranken Troſt zu bringen, er,
der deſſen ſelbſt noch ſo nöthig bedurfte.



[390]

„Alſo Adieu princesse? Adieu plaisir?
ſagte Steinheim zu Jenny, die auf dem Bal-
kon, unter Erlau's Anleitung, ſpielend die
Gegend aufnahm, welche vor ihren Augen lag.
Sie wollte das Bildchen Reinhard ſchenken,
ehe ſie morgen auf das Gut hinausfuhren, auf
dem ſie im Sommer lebten.


Adieu gewiß, für ein paar Tage“, ant-
wortete ſie, „doch hoffe ich, an Vergnügen
ſoll es uns nicht fehlen; es ſei denn, daß Ih-
nen, Herr Steinheim, die Stunde Wegs nach
Berghoff zu weit und zu anſtrengend wäre.“


„Sagen Sie dem Hypochondriſten das noch
einmal, Fräulein! meinte Erlau, ſo glaubt er
es und bleibt zu Hauſe; natürlich unter jäm-
merlichen Klagen über ſeine ſchwache Geſund-
heit und den Undank ſeiner Freunde, die ſich
Landgüter kaufen, ohne auf die Entfernung
von ſeinem Hauſe und auf ſeine Rheumatismen
Rückſicht zu nehmen.“


[391]

„Der Wunden lacht, wer Narben nie ge-
fühlt“, rief Steinheim. „Wenn ſolch ein
Springinsfeld, wie Erlau, der mit jedem Ha-
ſen um die Wette laufen könnte, doch nicht
über die Empfindungen vernünftiger Leute ſpot-
ten wollte, welche, ohne deshalb dick zu ſein
oder mißgeſtaltet, ſich dennoch bei warmen
Wetter ihres Körpers bewußt werden als ei-
ner Zugabe, die ſie am Laufen und Fliegen
verhindert.“


Jenny und Erlau lachten, und man rief
Thereſe herbei, um ſie an der Unterhaltung
Theil nehmen zu laſſen. Sie trat hinter Jen-
ny's Stuhl und bewunderte die raſchen Fort-
ſchritte, welche die Arbeit ſeit einer Stunde
gemacht hatte. „Du ſollteſt Dir“, ſagte ſie,
„ſo lange Du noch zu Hauſe biſt, allmälig
alle Deine Lieblingspunkte zeichnen und ſie
zum Andenken mitnehmen, wenn Ihr einſt fort-
gehen werdet.“


[392]

„Der Gedanke iſt des Monarchen werth,
Fräulein Thereſe!“ fiel Steinheim ein.


„Und ſchöne Gegenden werden Ihrem Auge
erquickend ſein“, ſprach Erlau, „wenn Reinhard
darauf beſteht, Sie in jene Einöde zu führen,
in der die Heerde weidet, die er hüten ſoll.
Ich ſehe Sie ſchon, Fräulein, mit einem Schä-
fer- oder Krummſtabe — ich weiß nicht, was
Pfarrerinnen in Arkadien führen, durch die
ſandigen Fluren wallen. Ich höre Sie, Rein-
hard zu Liebe, über jedes Heidekraut, das der
Boden hervorbringt, in Ach! und Oh! zerflie-
ßen und Gott danken dafür, daß er dieſen
Sand aus ſeiner großen Barmherzigkeit er-
ſchaffen, damit er uns in die Augen fliege,
wenn ein warmer Lufthauch ſich je einmal in
ſolch eine Gegend verirrt.“


„Laſſen Sie das Guſtav ja nicht hören“,
warnte Jenny, „ er würde es übel deuten!“


„Du ſollteſt es auch nicht leiden, liebe
[393]
Jenny“, meinte Thereſe, „da Du weißt, wie
unangenehm dieſe Scherze Deinem Bräutigam
ſind, der mit Entzücken an ſeinen künftigen
Aufenthaltsort denkt.“


„Ich wollte, ſie ginge nach dem entzücken-
den Orte und ließe uns Jenny hier“, ſagte
Erlau leiſe zu Steinheim, und: „wer weiß,
wie gern ſie das thäte“, antwortete dieſer
ebenfalls leiſe, während Thereſe verſicherte,
für ſie würde ein ganz eigner Reiz darin lie-
gen, einem Manne ſein einziges Glück zu ſein.
Je ſchlechter die Gegend, je weniger lockend
die äußern Verhältniſſe, um ſo theurer müßte
ihm ja ſein Haus und ſeine Frau werden!


„Gott bewahre mich vor ſolchem Glück!“
rief Jenny und legte den Pinſel fort; „das iſt
ja, um mich bei Zeiten an bibliſche Wendun-
gen zu gewöhnen, der Weib gewordene Egois-
mus. Mein Mann ſollte entbehren, damit ich
geliebt würde? Wie kann man ſo Etwas den-
17**
[394] ken? Weißt Du, was ich mir wünſchen
würde? Reinhard müßte ein mächtiger Kai-
ſer ſein, ein Napoleon, der die Erde be-
herrſchte, und dem aller Ruhm, alle Schätze
der Welt eigen wären. Alle Menſchen müß-
ten ihn anbeten, weil er eine neue ſchöne Zeit
heraufgeführt, und dann müßte er den ſchön-
ſten Lohn für ſeine Thaten darin finden, wenn
ich Diejenige wäre, die ihn am meiſten bewun-
derte und liebte. Die Hand, mit der ich
Abends die Falten auf ſeiner Stirn glättete,
müßte ihm noch lieber ſein, als die Kronen,
die er auf ſein Haupt gedrückt — denn neben-
her müßte er ein Kaiſer aus eigener Macht-
vollkommenheit ſein, nicht von Gottes Gnaden
— Napoleon mit einem Worte! Da das
aber nicht ſein kann“, ſchloß ſie, und nahm den
Pinſel wieder vor, „iſt nächſt Napoleon mein
Guſtav doch der Beſte!“


„Das ſieht Dir ähnlich“, ſagte Thereſe,
[395] „Du ſuchſt — nimm mir das nicht übel — das
Glück doch ein wenig in äußern Dingen und
weichſt darin ſehr von Reinhard ab, der nichts
begehrt, als ein beſcheidenes Loos.“


Jenny ſtand verdrießlich von der Arbeit
auf und ging mit Erlau nach der andern
Seite des Balkons, während Steinheim The-
reſe mit ihren ſoliden Anſichten neckte und zu-
letzt die Worte hinwarf: „Uebrigens glaube ich
auch, daß Fräulein Jenny mit einer Hütte
und einem Herzen nicht ganz ſo zufrieden wäre,
als manche Andere.“


Dieſe Worte, die halb ſcherzend, halb ab-
ſichtlich geſprochen waren, erreichten Jenny's
Ohr. Sie wendete ſich um, ſah Thereſe plötz-
lich roth werden und ſich unter einem gleich-
gültigen Vorwande entfernen. Auch ſie er-
glühte einen Augenblick, warf einen langen
forſchenden Blick auf Thereſe und fuhr mit
[396] der Hand über die Stirne, als wenn ſie einen
Gedanken verbannen wollte, der ihr unvermu-
thet aufgeſtiegen wäre.


Steinheim geſellte ſich gleich nach There-
ſens Entfernung zu den beiden Andern, und
machte die Bemerkung, Fräulein Thereſe ge-
wöhne ſich ſeit einiger Zeit einen gewiſſen pe-
dantiſchen Ton an, der ſonſt nur Gouvernan-
ten eigen zu ſein pflegte. „Sie will immer
Alles beſſer wiſſen“, ſagte er, „immer beleh-
ren, man merkt die Abſicht und man wird
verſtimmt.“


„Es iſt ſo böſe nicht gemeint“, entſchul-
digte Jenny, „ſie glaubt nur, mich erziehen
zu müſſen, weil meine Eltern und Reinhard
ſelbſt ſie mir früher oft als Beiſpiel aufgeſtellt
haben. Zu dem hält ſie ſich meinem Bräuti-
gam für den Unterricht verpflichtet, den er uns
gegeben, und möchte, glaube ich, aus Dankbar-
[397] keit gegen ihn mich zu einer recht vollkommnen
Frau nach ſeinem Sinne machen, und dazu fehlt
noch viel.“


„Sie muß alſo aus Liebe quälen“, ſagte
Steinheim und nahm bald darauf Abſchied
von Jenny, die wieder zu malen angefan-
gen hatte.


Nun blieb ſie mit Erlau allein. Eine Weile
arbeitete ſie eifrig fort, vielleicht um ungeſtört
über etwas nachzudenken, bis Erlau ſie fragte,
ob ſie Neigung hätte, Thereſens Rath zu be-
folgen und die ſchönſten Anſichten der Gegend
zu ſkizziren?


„Nein!“ antwortete ſie, „ich bedarf dieſer
ſinnlichen Anhaltepunkte nicht, um mich deut-
lich und mit Vergnügen an Orte zu verſetzen,
die mir durch irgend etwas theuer ſind. Es
iſt mir im Gegentheil oft läſtig, wenn ſolch
ein Bildchen mir eine Landſchaft, die mir im
ſchönſten Lichte fröhlicher Erinnerung vor-
[398] ſchwebt, ſo dürftig und klein zuſammenge-
ſchrumpft zeigt, daß ſie mir fremd und mu-
mienhaft erſcheint.“


„Da werden Sie mich vielleicht für einen
Menſchen halten, der ganz und gar der Sin-
nenwelt gehört, wenn ich Ihnen ſage, daß ich
erſt vor einiger Zeit das Bild einer Dame be-
endete, um es mir als Andenken an ſie zu
bewahren.“


„Geht die Giovanolla denn ſchon fort von
hier? Ich hatte gehört, es ſei gelungen, ſie
für die hieſige Bühne zu gewinnen“, ſagte
Jenny mit Beziehung auf die Huldigung,
welche der junge Maler ſeit Monaten der ſchö-
nen Sängerin unverholen dargebracht.


„Die Giovanolla würde ich mir ebenſo we-
nig zum Andenken malen als die mediceiſche
Venus. Sie iſt mir Studie, und vielleicht die
ſchönſte, die man findet. Solche Köpfe be-
wahrt unſer Album, und ſie gehören der Nach-
[399] welt, der wir ſie überliefern. Anders iſt es
mit den Geſtalten, die dauernd in unſerer
Seele leben und deren Abbild, nur von uns
geſehen, auf unſerm Herzen ruht“, erwiderte
Erlau und zog eine kleine Kapſel hervor, die
er mit einem Federdruck öffnete, und in wel-
cher Jenny ihr eigenes Bild im Coſtüme der
Rebekka ſprechend ähnlich erblickte.


„Erlau!“ rief Jenny erſchreckt“, um Got-
tes willen, was ſoll das heißen?


„Das heißt, daß ich nicht das Irrlicht, der
leichtfertige, unbeſtändige Mann bin, für den
Sie mich halten; es beweiſt, daß auch ich das
geiſtig Schöne erkennen und leidenſchaftlich —
er hielt inne, und ſagte dann mit leiſerem
Tone „verehren kann.“


Verwirrt und überraſcht ſchwieg Jenny
ſtill und ſah ſcheu zur Erde nieder. Dies
Schweigen benutzte Erlau. „Fürchten Sie
nichts, Jenny!“ ſagte er, „ich gehöre nicht
[400] zu den Thoren, die jeden ſchönen Stern, der
in ihre Seele leuchtet, hinabziehen möchten in
den Staub, um ihn ſich anzueignen. Ich
freue mich, daß er iſt, daß er ſeine leuchtenden
Strahlen auch in mein Auge fallen läßt, denn er
iſt es, der meinen Farben ihren Glanz, meinen
Gebilden ihren tiefen Sinn verleiht, und ich ver-
lange nichts, als daß er ſich nicht verdunkeln
laſſe durch irdiſche Verhältniſſe, daß er nicht un-
tergehe in der Proſa eines gewöhnlichen Lebens.
Verſprechen Sie mir das?“ rief er mit Enthu-
ſiasmus und reichte ihr ſeine Hand entgegen.


„Mit vollſter Zuverſicht!“ antwortete Jenny
und ſchlug in die dargebotene Rechte. „Ich
verſpreche Ihnen immer das Bild des Schönen
in der Seele und das Streben darnach in mir
rege zu erhalten. Ihrem Schaffen und Wir-
ken, Ihnen ſelbſt wird mein Geiſt willig fol-
gen, Erlau! und in der Liebe zur Kunſt blei-
ben wir vereint, wenn wir einſt uns trennen.“


[401]

„Und das geſchieht noch heute“, ſagte Er-
lau. „Der Winter hat ſchwer auf mir gelegen,
mein Herz hat unter ſeinem eiſigen Scepter
viel gelitten. Es hat mir weh gethan mein
Herz — o recht weh! und Haß und Neid,
und wie dieſe Dämonen ſonſt noch heißen mö-
gen, die alle ſind in meine einſt ſo fröh-
liche Seele gezogen. Seit ich dies theure Bild
gemalt, hat kein anderes mehr gelingen wol-
len; es wird immer nur das Eine, und darum
Jenny! muß ich gehen. Wenn erſt Italiens
heiterer Himmel und ſeine ſchönen Menſchen
mich wieder umgeben, dann wird es beſ-
ſer werden; und wenn ich zurückkehre, ſoll
Niemand ahnen, wie ich geweint, als ich
zum letzten Male vor Dir ſtand, Niemand
als Du!


Mit dieſen Worten ſchied er plötzlich und
ließ Jenny betäubt und erſchüttert zurück. Nie
war es ihr eingefallen, daß Erlau einer ſolchen
[402] Liebe fähig, daß ſie der Gegenſtand derſelben ſein
könne. Sie hatte ihn ſehr geiſtreich gefunden;
ſeine fröhliche Laune, ſein unerſchöpflicher Hu-
mor und beſonders ſein bedeutendes Talent hat-
ten ſie angezogen, und ſie konnte ſich nicht ver-
hehlen, daß er ihr vor ihrer Verlobung in einer
Weiſe begegnet ſei, die ihr ſeine Neigung hätte
verrathen können, wenn ſie damals auf irgend
Jemand, außer auf Reinhard, geachtet hätte.
Erlau's Liebe zu ihr betrübte ſie, und doch
machte es ihr Freude, von ihm um jener Ei-
genſchaften willen geliebt zu werden, welche ſie
ſelbſt in ſich als eine Quelle poetiſchen Genuſ-
ſes ſchätzte, und die Reinhard weniger beach-
tete. Sie hatte mit Erlau, wenn man ſo ſa-
gen darf, eine mouſſirende Leichtigkeit des Gei-
ſtes gemein, die Scherz und Ernſt auf wun-
derſame Weiſe zu miſchen und das Leben wie
ein fröhliches Spiel zu nehmen begehrt, deſſen
ernſte Bedeutung ſie trotz dem wohl verſtand.
[403]
Aus dieſer gewohnten Denkart hatte ihr Ver-
hältniß zu Reinhard ſie geriſſen, und ſo ſehr
ſie Reinhard's Charakter ehrte, ſo erſchreckte
ſie doch oft der ſtrenge Ernſt, den er ſelbſt auf
die unbedeutendſten Verhältniſſe angewendet
wiſſen wollte. Jetzt beſonders, als ſie angſt-
voll mit den Zweifeln gerungen, die der Ueber-
tritt zum Chriſtenthum in ihr hervorgerufen,
hatte Erlau, ihre trübe Stimmung bemerkend,
mit unermüdlicher Gefälligkeit täglich auf ir-
gend eine kleine Zerſtreuung für ſie gedacht.
Er ſah ſie leiden; er bemerkte, daß ſeine Ge-
ſellſchaft ihr willkommen ſei, und ohne die
Quelle ihres Kummers entdecken zu wollen,
war er glücklich, ihr Alles zu gewähren, was
ſie zu bedürfen ſchien. Je ernſter er ſie ſah,
um ſo mehr ſtrebte er, ſie mit ſich auf die
heitere Höhe des Daſeins zu führen, auf der
ihn ſeine poetiſche Seele und die Freiheit des
wahren Künſtlerlebens ſtellten. Seine Bemü-
[404] hungen waren nicht ohne Wirkung auf ſie ge-
blieben, nun ſollte auch dieſer Troſt ihr ge-
nommen werden. Es war ihr, als ob mit Er-
lau der Genius ihrer fröhlichen Jugend von
ihr ſcheide. Sie hatte ihn lieb gehabt, mehr
als ſie geglaubt, denn ihm hatte ſie ſich gleich-
gefühlt und nie geſcheut, ſich ihm in aller Er-
centricität zu zeigen, zu welcher der Augen-
blick ſie gerade hingeriſſen hatte. Er war dem
erwachſenen Mädchen ein lieber treuer Spiel-
gefährte geweſen, und wehmütig ſchlug ſie die
Hände zuſammen, und ſagte: „Ach! das Le-
ben wird immer ernſter“, als Erlau ſie verlaſ-
ſen hatte.


Und wirklich ſchien es, als ob ſie niemals
zur Ruhe kommen ſollte. Kaum war es ihr
gelungen, mit ſich über den Schritt einig zu
werden, den ſie jetzt durch die Taufe thun
wollte, und ſchon drang neues Wirrniß auf
ſie ein. Von Erlau's Abſchied, das fühlte ſie,
[405] durfte Niemand erfahren, auch Reinhard nicht,
obgleich ſie wußte, es ſei nicht recht, es dieſem
zu verſchweigen. Erlau beſaß ihr Bild, das
für Reinhard zu malen, er immer unter neuen
Vorwänden ſich geweigert hatte. Sie hätte es
ihm vielleicht nicht laſſen dürfen; aber es zu
fordern, hatte ſie nicht Muth; ſie gönnte es
ihm, und doch hielt ſie es für unrecht und ſich
für eine Mitſchuldige Erlau's. Es kam ihr wie
eine Untreue an Reinhard vor, daß ſie ſchwieg,
und beſonders, daß trotz aller Einwendungen,
die ſie ſich machte, Erlau's ſtille Liebe ihr
wohlthat. Wie ſchroff ſtach gegen dieſes Man-
nes Liebe Thereſens Betragen ab!


Schon vor langer Zeit war Jenny der Ei-
fer unangenehm geweſen, mit dem Thereſe im-
mer gegen ſie Partei genommen, wenn ſie in
den gleichgültigſten Sachen von Reinhard's
Meinung abwich. Es fiel ihr ein, daß ſie
ſich einaml ſcherzend gegen Joſeph darüber be-
I. 18
[406] ſchwert und dieſer erwidert hatte, er halte
Thereſe für neidiſch, und rathe überhaupt da-
von ab, ſie ganz in die Familie aufzunehmen.
Das hatte Jenny mit tauſend Gründen be-
ſtritten. Sie erinnerte Joſeph, wie gutmüthig
Thereſe immer geweſen ſei, wie anhänglich und
anſpruchslos, und verſicherte, daß ſie nie et-
was ſo Gehäſſiges von ihr zu glauben ver-
möchte. „Zudem“, hatte Jenny damals lächelnd
geſagt, „iſt ſie doch gewiſſermaßen Reinhard
und mir zu Hülfe gekommen, und hat minde-
ſtens dazu beigetragen, uns ſchneller in den
Hafen des Brautſtandes zu bringen, dafür
bin ich ihr dankbar, und ertrage ihre kleinen
Launen; denn lieb hat ſie uns, Reinhard
und mich.“


„Reinhard gewiß!“ hatte Joſeph geant-
wortet, und ſo gleichgültig dieſe Bemerkung
ihr damals erſchienen war, ſo deutlich erin-
nerte ſie ſich jetzt der Abſichtlichkeit, mit der
[407] Joſeph ſie geſprochen. Tauſend kleine Züge,
welche ſie früher nicht beachtet, fielen ihr ein,
und erhoben die Vermuthung, die ſich ihr heute
aufgedrungen hatte, zur Gewißheit.


Thereſe hatte eine Neigung für Reinhard
gefaßt, und mißgönnte ihr das Glück, von
ihm geliebt zu werden. „Sie muß fort,
Thereſe darf nicht mit uns bleiben“, das war
Jenny's erſter Gedanke. Dann dachte ſie an
die Reihe von Jahren, in denen ſie Thereſe
gekannt, an unzählige kleine Liebesdienſte, welche
ſie ſich gegenſeitig erzeigt hatten; ſie erinnerte
ſich, wie Thereſe lange Zeit ihr einziger Um-
gang geweſen, und daß erſt, ſeit ſie Reinhard
und Clara kenne, jene ſo in den Hintergrund
ihres Herzens getreten ſei. Thereſens Geſund-
heit war ſchwankend, und Eduard, der ihr
Arzt war, hatte gehofft, der Sommer auf dem
Lande werde ihr gut thun, da ſie im Meier-
ſchen Hauſe nicht nöthig hätte, ſich ſo ange-
18 *
[408] ſtrengt zu beſchäftigen, als bei ihrer Mutter.
Madame Meier hatte Thereſens Geſellſchaft gern;
ſie war ihr in mancher Hinſicht bequem, und es
ſchien nicht unwahrſcheinlich, daß Thereſe ſich
gern entſchließen würde, als Geſellſchafterin im
Meierſchen Hauſe zu bleiben, wenn Jenny es
nach ihrer Hochzeit verließ, wodurch für die Er-
ſtere auf viele Jahre hinaus eine angenehme Stel-
lung geſichert war. Dieſe Rückſichten ſtimmten
Jenny milder. Sie durfte hoffen, noch im Laufe
des Jahres mit Reinhard verbunden zu werden,
und einige Monate, meinte ſie, gingen leicht vor-
über, darum mochte Thereſe immerhin ſie nach
Berghoff begleiten. Wenn ſie ihrem Bräutigam
offen die Wahrheit bekannte, konnte für Niemand
Gefahr daraus entſtehen. Durfte ſie, ohnehin die
Glücklichere, der armen Thereſe aus kleinlicher
Eiferſucht eine Zuflucht in ihrem väterlichen
Hauſe mißgönnen, in das ſie auf Jenny's Bit-
ten getreten war? Reinhard's Liebe konnte ihr
[409] ja nie geraubt werden und ihr feſtes Vertrauen
mußte ihm Freude machen.


Trotz dieſer Gedanken, welche ſich nach ein-
ander in Jenny entwickelten, konnten ſie einer ge-
wiſſen Beklommenheit nicht Herr werden. Er-
lau's und Thereſens Bild trat ſtörend zwiſchen
ſie und Reinhard; und ſo ſehr ſie es ſich zu ver-
bergen ſtrebte, ſie fühlte ungeachtet ihrer guten
Vorſätze einen Groll gegen Thereſe, wie ſie ihn
ſelbſt an jenem Abend nicht empfunden, an dem
ihre Eiferſucht Veranlaſſung zu ihrer Verlobung
geworden. Damals wußte Thereſe nicht, was
Jenny für Reinhard fühlte; aber daß ſie jetzt
den Bräutigam ihrer Freundin zu lieben wagte,
das war ein Verrath, denn ſie ihr nicht verge-
ben konnte. Sie war höchſt empört, und nur
die Furcht, zu zeigen, daß ihr Thereſe gefährlich
ſcheine, hielt ſie von Schritten gegen dieſe zurück,
während ſie ſich einbildete, der Stimme der Ver-
nunft und Milde Gehör zu geben, wenn ſie The-
18 * *
[410] reſe in ihrer Nähe duldete. Nur das Eine nahm
ſie ſich feſt vor, Reinhard, der eben die Straße
heraufkam, noch heute zu erzählen, wie Thereſe
an ihr handle.


Die kleine Skizze, welche für ihn beſtimmt
geweſen, hatte Jenny bei Seite gelegt, weil in
dem Augenblick Erlau's Andenken mit dieſer Ar-
beit ſo innig verwebt war, daß ſie eine Scheu
empfand, ſie ihrem Bräutigam mit dieſen Em-
pfindungen zu ſchenken. Des armen Erlau's thrä-
nenſchweres Auge hatte auf dem Blatt geruht:
nun ſollte Guſtav ſich daran erfreuen? Das
konnte nicht ſein, es wäre unzart gegen beide
Männer gehandelt; und als Guſtav die Thüre
des Treibhauſes öffnete, das den Saal von dem
Balkon trennte, machte Jenny ſchnell die Mappe
auf und überließ das Blättchen dem Abendwinde,
der ſich ſeiner bemächtigte und es in tändelnder
Eile dem Strome zuführte, der am Garten vor-
überrauſchte.


[411]

Guſtav freute ſich, Jenny allein zu finden,
und theilte ihr einen Brief ſeiner Mutter mit,
welche mit hoher Zärtlichkeit von Jenny ſprach
und die Zuſicherung gab, zur Taufe Jenny's zu
kommen, die, um jedes Aufſehen zu vermeiden,
in Bergfeld vollzogen werden ſollte, ſobald man
ſich dort wieder heimiſch fühlte. Nach dieſer Ce-
remonie mußte Reinhard verreiſen, um mit ſei-
nem alten Onkel perſönlich die Bedingungen we-
gen der Uebergabe ſeiner Stelle an ihn zu ver-
abreden; „und das iſt“, ſagte Reinhard, „dann
endlich die letzte Schwierigkeit, die wir zu beſei-
tigen haben, um an das Ziel zu gelangen. Nun
ſteht uns, Gott ſei Dank! kein Hinderniß mehr
entgegen.“


„Wer weiß?“ meinte Jenny. „Wie? wenn
ich nun plötzlich eiferſüchtig würde und Dich
nicht reiſen ließe?“


„Jenny! könnteſt Du ſo ſüßer Thorheit fä-
hig ſein?“ antwortete Reinhard, „ich fände
[412] Dich noch tauſendmal liebenswürdiger, als je zu-
vor! Dann würdeſt Du fühlen, wie ich vor Sehn-
ſucht brenne, Dich bald mein Eigenthum zu wiſ-
ſen, wie unglücklich mich die Galanterien, die
Aufmerkſamkeiten all der Stutzer machen, die
Dich hier umſchwärmen, und die, das fühle ich,
mehr oder weniger ein wirkliches Intereſſe daran
haben, Dir zu gefallen, Deine Gunſt zu erwerben.“


„Das quält Dich, lieber Guſtav?“ fragte
Jenny. „Was würdeſt Du denn beginnen, wenn
nun Jemand, außer Dir, auf den närriſchen Ein-
fall käme, ſich in mich alles Ernſtes zu verlieben?“


„Wer wagt das?“ rief Reinhard, „denn
Du ſcherzeſt nicht, Du verbirgſt mir etwas,
Jenny; ſage mir, mein Leben, was iſt es? Treibe
kein Spiel mit mir, für das ich keinen Sinn
habe und das mich peinigt.“


Jenny machte ſich von Guſtav's Arm, der
ſie umſchlungen hatte, los und ſagte, Steinheim's
Manier nachäffend: „Und erſt geſpießt und dann
[413]
gehangen. So würdeſt Du doch über jeden Mann
urtheilen, Du Grauſamer, der ſo unglücklich wäre,
Deine Neigung für mich begreiflich zu finden, wäh-
rend ich in nächſter Nähe ein Weſen dulde, das
— nun das vielleicht auch recht gern Frau Pfar-
rerin Reinhard würde, und ich bin ſo großmü-
thig, Dir das zu erzählen und ihr zu vergeben.“


„Wovon ſprichſt Du eigentlich?“ fragte Rein-
hard dringender; „Du weißt, daß ich nicht ge-
ſchickt zu ſolchen Scherzen bin, und es iſt etwas
in Deinem Auge, in Deiner ganzen Art, was
mich Ernſt in dieſen Neckereien vermuthen läßt,
darum ſage mir, was hat ſich denn ereignet?“


„Ereignet?“ wiederholte Jenny, und ſetzte
ſich wieder zu Reinhard hin, „ereignet hat ſich
eigentlich nichts; ich habe aber eine Entdeckung
gemacht, die ich Dir vielleicht verhehlen würde,
wenn Du nicht eben mein Guſtav wäreſt, und
von Eitelkeit ſo fern, als ich von Eiferſucht.
Denke Dir, Guſtav! Thereſe liebt Dich.“


[414]

„Unmöglich“, rief der junge Mann.


„Das finde ich nicht“, antwortete Jenny, „ich
finde es im Gegentheil gar ſehr natürlich und,
wie ich aus Erfahrung weiß, durchaus zu ent-
ſchuldigen — aber — Guſtav! denke nicht daran,
laß es uns Beide vergeſſen, und — ich glaube,
nun ich es Dir geſagt habe, ich hätte es nicht
thun ſollen, denn .....“


„Einzig geliebtes Herz“, unterbrach Rein-
hard ſie fröhlich, alſo doch! Du kannſt auch ei-
ferſüchtig ſein? So lieb haſt Du mich? Wie ſoll
ich nur Thereſe danken, daß ſie mir zum zwei-
ten Male ſolch unverhoffte Freude bereitet! Ich
wollte wirklich, ich könnte ihr vergelten, denn
das habe ich oft gemerkt, ſie iſt in ihrer verſtän-
digen überlegten Art mein beſter Anwalt bei
Dir. Sie hat Dich manchmal in ſo freundlicher
Weiſe auf das Gute aufmerkſam gemacht, das
unſere künftige Stellung mit ſich bringen wird,
daß ich ihr von Herzen ein ähnliches Glück wün-
[415] ſche. Und in der That iſt ſie ſo hübſch und
wohlerzogen, daß ſie wol Anſpruch hätte, zu
gefallen!


„Sieh! das finde ich nicht“, wendete Jenny
ein. „Thereſe iſt wirklich jung, aber ſie hat für
mich ein gewiſſes Etwas, nenne es Pedante-
rie oder wie Du ſonſt willſt, was mir mißfällt.
Sie kommt mir gewiſſermaßen altjüngferlich und
überlegt vor. Alles iſt Abſicht bei ihr und ich be-
greife gar wohl, daß ſie Männern nicht gefällt!“


Reinhard zog Jenny an ſeine Bruſt und ſagte
lachend: „Siehſt Du, mein Kind! gerade ſo be-
greife ich wohl, daß Männer, wie Steinheim, Er-
lau und die Andern den Frauen gar nicht gefallen
ſollten; und Du hätteſt mir heute zum Abſchied von
der Stadt nichts Beſſeres geben können, als die
Verſicherung, daß Dir die arme Thereſe wirklich
ſo ſehr mißfällt. Aber laß es nur gut ſein —
wenn Jenny Meier nicht mehr neben ihr iſt, um
ſie zu verdunkeln, findet wol irgend ein braver
[416] Mann die gute Thereſe nicht ſo unliebenswür-
dig, als ſie Dir heute erſcheint.“


Dann verlangte er zu wiſſen, wie Jenny zu
der Vermuthung gekommen ſei, und obgleich ſie
ihn wegen ſeiner Neugier neckte, konnte ſie nicht
umhin, ihm mehr zu erzählen, als eigentlich in
ihrer Abſicht gelegen, nachdem ſie geſehen, welch
ein Intereſſe Reinhard daran nahm. Bald aber
brach ſie davon ab und ging zu ihren Eltern, um
noch einige nöthige Verabredungen wegen der
Taufe mit ihnen und Reinhard zu treffen; und
ſehr ſchnell war der kleine Reſt des Abends vor-
über, den die Verlobten mit den Eltern allein zu-
brachten, da Thereſe zu ihrer Mutter gegangen
war, und Eduard und Joſeph außer dem Hauſe
ſoupirten.


Appendix A

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


[[417]]

Appendix B

Im Verlag von F. A. Brockhaus in
Leipzig iſt erſchienen und in allen Buchhand-
lungen zu erhalten:


Clementine.



Woman's love! how strong is it in its
weakness, how beautiful in its guilt.
Bulwer, Pelham.
()


Gr.12. Geh. 1 Thlr.



Zwei Gräber.


von
G. Schirges.
Gr. 12. Geh. 1 Thlr. 18 Rgr.


[[418]][[419]]

Lizenz
CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Lewald, Fanny. Jenny. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmz7.0