in der Realſchulbuchhandlung,
1811.
[[II]][[III]]
Seiner Majeſtaͤt
Friedrich Wilhelm dem Dritten
Koͤnig von Preußen,
meinem allergnaͤdigſten Herrn
in tiefſter Unterthaͤnigkeit gewidmet.
Eine Geſchichte Roms, in hellen und großen
Umriſſen, frey von ſtoͤrender Mannichfaltigkeit,
mit lebendiger Wahrheit dargeſtellt, duͤrfte ſich
nicht weniger wuͤrdig achten die Aufmerkſamkeit
eines Fuͤrſten zu beſchaͤftigen als tief eindringende
und umfaſſende Schilderungen der wichtigſten
Epochen neuerer Zeit. Nicht ſo kritiſche Unter-
ſuchungen dunkler Zeiten des grauen Alterthums,
nicht ſo ein Werk welches, indem es nahe her-
antritt um das Einzelne zu betrachten, ſelten zu
den Standpunkten zuruͤckkehren kann vor denen
ſich jene reichen und großen Ueberſichten aus-
breiten.
Aber Dankbarkeit giebt Muth, und in die-
ſem Gefuͤhl wagte ich es Eurer Koͤnigli-
chen Majeſtaͤt gnaͤdige Erlaubniß fuͤr die
Zueignung dieſes Werks zu erbitten.
[[VI]]
Eure Koͤnigliche Majeſtaͤt gewaͤhrten
mir die gluͤckliche Muße ohne welche Vorar-
beit und Ausfuͤhrung dieſes Werks unmoͤglich
geweſen waͤren; und es war die Eroͤffnung der
Univerſitaͤt Berlin, Eurer Koͤniglichen
Majeſtaͤt edler Schoͤpfung, welcher frey ver-
bunden anzugehoͤren mein Stolz iſt, wodurch
ich veranlaßt und belebt ward es zu unter-
nehmen.
So verdankt es ſein Daſeyn dem gnaͤdigen
Koͤnig dem ich es, mit Gefuͤhlen, treu wie die
eines eingebohrnen Unterthans, und mit leb-
hafter Vergegenwaͤrtigung jeder Gnade widme,
womit Eure Koͤnigliche Majeſtaͤt mich
ausgezeichnet haben.
[[VII]]
Vorrede.
Dieſer Theil einer roͤmiſchen Geſchichte, und ein
zweyter welcher ihm bald folgen wird, ſind aus Vor-
leſungen entſtanden die ich im verfloſſenen Winter auf
der hieſigen Univerſitaͤt hielt. Sie wurden ohne einen
Gedanken an eine allgemeinere Publicitaͤt als die des
oͤffentlichen Vortrags begonnen: als ich mich zur
Herausgabe entſchloß, war es anfaͤnglich meine Ab-
ſicht ſie unter einem Titel erſcheinen zu laſſen der von
ihrer urſpruͤnglichen Entſtehung hergenommen war,
und dies iſt vorlaͤufig angezeigt worden. Es zeigte
ſich aber daß die Veraͤnderung und Erweiterung ihrer
Beſtimmung eine durchgaͤngige Umarbeitung noth-
wendig machte, und ſo verlohr der anfangs erwaͤhlte
Titel ſeine Wahrheit, und mußte, obgleich durch An-
ſpruchsloſigkeit empfohlen, gegen einen andern ver-
tauſcht werden unter dem das Werk mit der ganzen
[VIII] Schwierigkeit einen großen Nahmen zu behaupten
hervortritt.
Daher hat ſich am Anfang des Eingangs eine
Andeutung des entworfenen Umfangs dieſer Ge-
ſchichte erhalten welche nur fuͤr die Vorleſungen gilt.
Dieſe iſt es allerdings mein Vorſatz bis zu dem Zeit-
punkt fortzufuͤhren wo das Mittelalter zu Rom voͤllig
eintritt, und die letzten glimmenden Funken des Al-
terthums erloͤſchen: nicht ſo die Bearbeitung als hi-
ſtoriſche Schrift. Vergoͤnnt es mir das Schick-
ſal dieſe zu vollenden, ſo wird ſie aufhoͤren wo
Gibbons Geſchichte beginnt: welche eine neue Be-
arbeitung zuverlaͤſſig ſehr entbehrlich und verwe-
gen macht. Was dieſem Werk fuͤr den ferneren
Zeitraum fehlt und fehlen durfte, koͤnnen, ohne
die Anmaaßung eines Wetteifers, Abhandlungen
uͤber Verfaſſung, Verwaltung und aͤhnliche Gegen-
ſtaͤnde erſetzen.
Zu abgeſonderten Abhandlungen wuͤrden viel-
leicht, nach der Meiſten Urtheil, auch viele der in die
Geſchichte der aͤlteſten Zeit, welche in den beyden er-
ſten Baͤnden enthalten iſt, epiſodiſch verflochtenen
Unterſuchungen ſich beſſer geſchickt haben. Der Ver-
druß eine angelegte Arbeit aufzuloͤſen und gaͤnzlich
umzubilden, kann, wenn er auch verzeihlich iſt, den
Schriftſteller nicht rechtfertigen das Zweckmaͤßigere
[IX] verſaͤumt zu haben. Haͤtte ich aber auch, ohne daß
dieſer Verdruß zu bekaͤmpfen geweſen waͤre, mit voll-
ſtaͤndigen Vorarbeiten, die Ausfuͤhrung des Werks
vom Anfang beginnen koͤnnen, ſo wuͤrde ich dennoch
geglaubt haben den Plan vorziehen zu muͤſſen, wel-
cher ſich jetzt faſt unwillkuͤhrlich gebildet und erhalten
hat. Die entſcheidenden Gruͤnde ſind an einer Stelle
dieſes Werks ſelbſt angedeutet: vielleicht iſt es hier
noch eigentlicher der gebuͤhrende Ort ſie vorzutragen.
Die Geſchichte der vier erſten Jahrhunderte
Roms iſt anerkannt ungewiß und verfaͤlſcht. Es
waͤre ſehr thoͤricht deswegen Livius zu tadeln daß er
ſie dennoch, wenige Zweifel ausgenommen, als rein-
hiſtoriſch dargeſtellt hat: die Vortrefflichkeit ſeiner
Erzaͤhlung macht ſeine Rechtfertigung, und auch in
dieſer Hinſicht war es ſehr richtig ihn mit Herodot zu
vergleichen. Wir aber haben eine andre Anſicht der
Hiſtorie, andre Forderungen: und wir muͤſſen es
entweder nicht unternehmen die aͤlteſte Geſchichte
Roms zu ſchreiben, oder eine ganz andre Arbeit un-
ternehmen als eine, nothwendig mißlingende, Nach-
erzaͤhlung deſſen, was der roͤmiſche Hiſtoriker zum
Glauben der Geſchichte erhob. Wir muͤſſen uns be-
muͤhen Gedicht und Verfaͤlſchung zu ſcheiden, und
den Blick anſtrengen um die Zuͤge der Wahrheit, be-
freyt von jenen Uebertuͤnchungen, zu erkennen. Je-
[X] nes, die Trennung der Fabel, die Zerſtoͤrung des Be-
trugs, mag dem Kritiker genuͤgen: er will nur eine
taͤuſchende Geſchichte enthuͤllen, und er iſt zufrieden
einzelne Vermuthungen aufzuſtellen, waͤhrend der
groͤßere Theil des Ganzen in Truͤmmern bleibt.
Der Hiſtoriker aber bedarf Poſitives: er muß
wenigſtens mit Wahrſcheinlichkeit Zuſammenhang,
und eine glaublichere Erzaͤhlung an der Stelle derje-
nigen entdecken welche er ſeiner Ueberzeugung auf-
opfert. Trennt er nun von ſeinem Werk die Unter-
ſuchungen wodurch er glaubt Schatten der unterge-
gangenen Zeiten hervorgerufen zu haben, ſo muß er
entweder dem Gebrauch ihrer Reſultate entſagen,
oder er laͤuft Gefahr den Schein zu tragen, anmaaſ-
ſend und verwegen fuͤr hiſtoriſche Wahrheit auszuge-
ben, was nur Hypotheſe oder ſchwankende Moͤglich-
keit ſey: eine theure Buße fuͤr hoͤhere Concinnitaͤt der
allgemeinen Abfaſſung.
Die Begebenheiten der Geſchichte ſetzen die Ver-
faſſung und Grundgeſetze als Ethos der Nation vor-
aus: ihre Kunde iſt aber fuͤr die alten Zeiten noch
dunkler und verworrener als jene verfaͤlſcht ſind.
Vielleicht iſt es moͤglich uͤber ihre Wahrheit zu einer
weit ſtaͤrkeren Helle zu gelangen als, im Allgemeinen,
uͤber die Geſchichte im engeren Sinn: was aber nur
durch Combinationen gefolgert, waͤre es auch ſelbſt
[XI] erwieſen, werden kann, darf wenigſtens erſt dann als
hiſtoriſch, ohne ausfuͤhrlichen Beweis, erſcheinen
wenn es ſchon einmal allgemeine Aufnahme, und Be-
ſtaͤtigung durch vielfach uͤbereinſtimmende Ueberzeu-
gung gewonnen hat, welche allerdings ſo gut wie
neue Beweisſtellen eine verſtaͤrkte Beglaubigung iſt.
Bis dahin duͤrfen die Unterſuchungen ihre furchtſa-
mere Geſtalt nicht aͤndern.
Auch dieſe werden Verſchiedene verſchieden be-
handeln: eben ſo eines Andern Arbeit und Verfah-
ren beurtheilen. Manchen mag es nothwendig ſchei-
nen ſich auf Sammlungen der verſtuͤmmelten Frag-
mente alter Nachrichten zu beſchraͤnken, ohne eine
Aufloͤſung ihrer Raͤthſel zu verſuchen: dem Trieb zu
widerſtehen durch Anſtrengung des Blicks die Form
des Ganzen zu errathen dem ſie angehoͤrten. Eine
ſolche lebloſe Zuſammenſtellung iſt aber ganz nutzlos:
und doch haͤtte nur der welcher ſich voͤllig bey ihr be-
ruhigt ein Recht den Verſuch zu tadeln Sinn und
Zuſammenhang zu entdecken wo er unfehlbar einſt
war, und vielleicht aus einzelnen Spuren entdeckt
werden kann, wenn auch der Erfolg der Beſtre-
bung zweifelhaft ſcheint: jeder Andre kann nicht
fordern daß die Graͤnze welche er ſich ſelbſt zieht
oder fuͤr ſich gelten laͤßt, allgemein verbindlich ſeyn
ſolle.
[XII]
Neuere Bearbeitungen der roͤmiſchen Geſchichte
habe ich weder bey fruͤherem Studium noch waͤhrend
des Fortgangs der Vorleſungen benutzt: dieſes hat
der hiſtoriſchen Ausarbeitung die Verſuchung zu Con-
troverſen erſpart, welche die Beſchaffenheit des
Werks nicht duldete, und die an ſich der Wiſſenſchaft
wenig fruchten, beſſer durch moͤglichſt vollſtaͤndige
Unterſuchung erſetzt werden: iſt die aufgeſtellte Mei-
nung als wahr oder als die wahrſcheinlichſte erwieſen,
ſo bedarf es keiner namentlichen Widerlegung des
Gegentheils. Wo aber, und dieſes iſt mit Beau-
forts kritiſcher Abhandlung allerdings der Fall, glei-
che Pruͤfung gleiche Reſultate gewaͤhrt hat, war doch
die beſtimmte Erwaͤhnung des Andern theils unmoͤg-
lich, theils uͤberfluͤſſig. Denn ich las ſie erſt als die-
ſer Theil ſchon weit im Druck vorgeruͤckt war, und
fuͤr das uͤbrige, ſo wie fuͤr den naͤchſten Band war
die Uebereinſtimmung ohne eine mittelbare oder un-
mittelbare Benutzung ganz unabhaͤngig entſtanden;
ſo daß mir jener mehr Gewaͤhrsmann als Vorgaͤnger
geweſen war.
Nicht fruͤher als jenes gehaltvolle Werk kam Le-
vesques Geſchichte in meine Haͤnde. Beauforts Un-
terſuchungen und Zweifel ſind hier aufgenommen;
wenn man dieſe abſondert, werden ſich, ausgenom-
men in der Vermuthung des etruskiſchen Urſprungs
[XIII] der Stadt, wenige Punkte finden wo unſre Anſich-
ten uͤber die verborgene Wahrheit der alten Geſchichte
zuſammentraͤfen.
Micalis Geſchichte des alten Italiens hat meine
Wuͤnſche ſo wenig erfuͤllt als die Vortheile benutzt
wodurch ein italieniſcher Geſchichtsforſcher alle
Transalpiner von der Mitbewerbung abſchrecken
koͤnnte. Doch muß man ihm fuͤr ſeinen Atlas
Dank wiſſen.
Ein Werk welches mehr Anſpruch macht ein ge-
lehrtes zu ſeyn als ein Kunſtwerk darf eine ſchonende
Beurtheilung der Sprache und Darſtellung fordern.
Auch einem Meiſter moͤchte es ſchwer geworden ſeyn
die Schwerfaͤlligkeit weitlaͤuftiger Unterſuchungen zu
heben, und die zuſammengebrachten ſtarren Theile
frey zu behandeln. Ungleichheiten der Orthographie
und Interpunction, wovon dieſer Band keineswegs
frey iſt, ſind an ſich Unweſentlichkeiten, die nur das
durch die Regelmaͤßigkeit der gedruckten Werke ver-
woͤhnte Auge beleidigen, den Alten ſehr geringfuͤgig
erſchienen. Eine aufmerkſame und unbefangne Er-
waͤgung und Pruͤfung des Inhalts darf der fordern
welcher ſich bewußt iſt daß er Wahrheit ſuchte, ohne
alle Parthey und Polemik ſchrieb.
Es giebt eine Begeiſterung die von der Gegen-
wart und dem Umgang geliebter Perſonen ausgeht:
[XIV] eine unmittelbare Einwirkung wodurch ſich uns die
Muſen offenbaren, Luſt und Kraft wecken, und den
Blick erhellen: der ich in meinem ganzen Leben das
Beſte was ich war verdankte. So verdanke ich es
den Freunden in deren Mitte ich zu lange aufgegebe-
nen oder ſchwach gehegten Studien zuruͤckkehrte,
wenn es mit Erfolg geſchehen iſt. Dafuͤr ſegne ich
das geliebte Andenken meines verewigten Spal-
ding: dafuͤr geſtattet mir Euch oͤffentlich Dank zu
ſagen, Savigny, Buttmann und Heindorf,
ohne welche und unſern hingeſchiedenen Freund ich
mich wohl nie zu dieſem Werk ermuntert gefuͤhlt
haͤtte, ohne deren liebende Theilnahme und belebende
Gegenwart es ſchwerlich ausgefuͤhrt waͤre.
‘Ceterum si omisso optimo illo et perfectissimo genere elo-
quentiæ eligenda sit forma dicendi, malim hercule C.
Gracchi impetum, aut L. Crassi maturitatem, quam cala-
mistros Mæcenatis, aut tinnitus Gallionis.
Dial. de caus. corrupt. eloq.’ ()
[XV]
Inhaltsverzeichniß.
- Einleitung. Seite 1
- Das alte Italien. — 19
- Die Oenotrer. — 34
- Die Auſoner. — 48
- Die Sabeller. — 55
- Die Tyrrhener, Tusker oder Etrusker. — 64
- Die Umbrer. — 96
- Japygien. — 99
- Die Griechen in Italien. — 105
- Ligurer und Veneter. — 106
- Die drey Inſeln. — 110
- Schluß. — 112
- Die Latiner. — 117
- Aencas und die Troer in Latium. — 125
- Alba. — 140
- Rom.
Verſchiedene Sagen von der Gruͤndung der
Stadt. — 142 - Romulus und Numa. — 149
- Anfang und Art der aͤlteſten Geſchichte. — 168
- Muthmaßungen uͤber Rom vor Tullus. — 181
- Die Aera von Gruͤndung der Stadt. Seite 183
- Ueber den Saͤcularcyclus. — 192
- Die Koͤnige Tullus, Ancus und L. Tarquinius. — 206
- Roms aͤlteſte Verfaſſung, und wie Tarqui-
nius der Alte ſie aͤnderte. — 219 - Tarquinius des Alten Ende, und Servius
Tullius. — 241 - Servius Tullius Geſetzgebung. — 250
- Fernere Geſchichte von Servius Tullius. — 288
- L. Tarquinius der Tyrann. — 295
- Rom bis zur Schlacht am Regillus. — 323
- Das latiniſche Buͤndniß. — 368
- Der erſte Aufſtand des Volks, und das Volks-
tribunat. — 373 - Coriolanus oder der große volskiſche Krieg. — 427
- Sp. Caſſius. — 447
[[1]]
Ich habe es unternommen die Geſchichte Roms zu er-
zaͤhlen; ich werde in der Nacht des tiefen Alterthums be-
ginnen, wo angeſtrengte Forſchung, bey dem ſchwachen
Licht ſpaͤter und zweifelhafter Sagen, kaum einige der
Hauptmaſſen des uralten Italiens zu unterſcheiden ver-
mag, und wuͤnſche bis zu den Zeiten hinabzugehen in de-
nen eine zweite Nacht alles, was wir in der langen Reihe
von Jahrhunderten entſtehen und altern ſahen, in Graͤber
und Truͤmmer verſunken, mit beinahe gleich tiefer Fin-
ſterniß verdeckt.
Allgemein iſt dieſe Geſchichte in ihren großen Umriſ-
ſen, und ſehr vielen, wenigſtens zum Theil, unmittelbar
aus den claſſiſchen Werken Roͤmiſcher Schriftſteller be-
kannt, ſo weit uns in ihnen die Schilderung vieler der
glaͤnzendſten oder merkwuͤrdigſten Epochen des republikani-
ſchen und kaiſerlichen Roms erhalten iſt. Waͤren dieſe
Werke in ihrem ganzen Umfange vorhanden; beſaͤßen wir
in Livius und Tacitus Geſchichten eine — Auguſts letzte
Jahre ausgenommen — zuſammenhaͤngende Geſchichte
vom Anfang der Stadt bis auf Nerva; ſo wuͤrde es thoͤ-
richt und zweckwidrig ſeyn, die Erzaͤhlung derſelben Bege-
benheiten, welche dieſe Hiſtoriker vorgetragen haben, zu
unternehmen. Thoͤricht, weil ihre Schoͤnheit uns uner-
Erſter Theil. A
[2] reichbar bleiben muß: zweckwidrig, weil neben der hiſtori-
ſchen Belehrung nichts vollkommneres, zur Bildung des
Sinns in der Jugend, zu ſeiner Erhaltung im ſpaͤteren
Alter, unter den mannichfaltigen barbariſchen Einwirkun-
gen unſrer uneigenthuͤmlichen und erborgten Denkart und
Manier, uns durch das Leben begleiten koͤnnte, als eine
ſolche Geſchichte von neuntehalb Jahrhunderten. Es be-
duͤrfte nur fuͤr die Zeit der fruͤheren einer Kritik des Ver-
faͤlſchten, einer Abſonderung der eingemiſchten Dichtun-
gen von dem hiſtoriſch Glaublichen: ohne die Kuͤhnheit
mit alten Meiſtern ſcheinbar zu wetteifern, koͤnnten wir
die Verfaſſung und die Entwicklung einzelner Zeiten in rei-
nen Umriſſen zeichnen, wo Livius uns ohne Kunde verlaͤßt
oder irre fuͤhrt. Weil aber jene Werke nur in Bruchſtuͤcken
erhalten ſind; weil ſie uns uͤber Epochen verſtummen,
die durch die Wichtigkeit ihrer Begebenheiten vielleicht
noch uͤber diejenigen hervorragen, welche wir durch ſie le-
bendig ſehen; weil die Geſchichtserzaͤhlung dieſer Zeit-
raͤume, von Neueren unternommen, unbefriedigend und
oft voll Irrthuͤmer iſt; ſo ſchien es angemeſſen, die Kennt-
niß der Roͤmiſchen Geſchichte durch ihr gewidmete Vorle-
ſungen zu erleichtern. Es konnte zweifelhaft ſeyn ob
einer zuſammenhaͤngenden Erzaͤhlung der Vorzug gebuͤhre,
oder ob es beſſer ſey nur diejenigen Zeitraͤume vorzutra-
gen in denen wir jene beyden Hiſtoriker entbehren. Ich
habe mich, in dem Vertrauen daß keiner meiner Hoͤrer
oder Leſer ſich verfuͤhren laſſen werde ein Studium der
claſſiſchen Geſchichtſchreiber Roms fuͤr entbehrlich zu hal-
ten, wenn er einen Begriff von den Begebenheiten erhal-
[3] ten hat welche ſie ſchildern, und in der Hoffnung dieſes
Studium zu erleichtern und zu vervollkommnen, fuͤr jene
Methode entſchieden.
Vieles von dem was der Roͤmer in den Jahrbuͤchern
ſeines Volks niederſchrieb muß der Neuere aus der Fuͤlle
der Begebenheiten ausſchließen, woran dieſe Geſchichte
die aller uͤbrigen Voͤlker weit uͤbertrifft. Genoͤthigt vieles
zu uͤbergehen, und fuͤr die Beſchraͤnkungen ein Geſetz feſt-
zuſtellen, werde ich Maͤnner und Vorfaͤlle, die ohne in-
nere Groͤße und aͤußere Folgenwichtigkeit in einem todten
Andenken erhalten ſind, nicht erwaͤhnen: obgleich dem
Gelehrten vollſtaͤndige Kenntniß unentbehrlich iſt, und
manche duͤrre Oede Quellen verſchließt, die es ihm fruͤher
oder ſpaͤter hervorzurufen gelingt. Ich werde hingegen
ſuchen, die Kritik der Geſchichte beſonders waͤhrend der
fuͤnf erſten Jahrhunderte, nicht nach dunkeln Gefuͤhlen
ſondern forſchend, auszufuͤhren, nicht ihre Reſultate,
welche nur blinde Meinungen ſtiften, ſondern die Unterſu-
chungen ſelbſt in ihrem ganzen Umfange vortragen: ich
werde ſtreben die uͤberbauten und verſteckten, von den uns
erhaltenen alten Schriftſtellern oft ganz verkannten, Grund-
feſten des alten Roͤmiſchen Volks und ſeines Staats zu
entdecken: Gerechtigkeit zu Lob und Tadel, zu Liebe und
Haß, wo Partheygeiſt falſche Darſtellung, dieſe nach
Jahrtauſenden falſches Urtheil gebohren hat, in Kraft zu
ſetzen: die Ausbreitung des Reichs, die Entwicklung der
Verfaſſung, den Zuſtand der Verwaltung, der Sitten und
Bildung, wie er ſich von Zeit zu Zeit uͤberſehen laͤßt, dar-
ſtellen. Ich werde die Maͤnner naͤher bekannt machen,
A 2
[4] welche zum Guten oder Boͤſen in ihrem Zeitalter maͤchtig
waren, oder ſich doch vor andern auszeichneten: ich werde
die Geſchichte der Kriege, ſo weit ſie nicht eine wiederkeh-
rende Einfoͤrmigkeit darbietet, genau erzaͤhlen, und ſo
weit es unſre Nachrichten geſtatten, ein treues und be-
ſtimmtes Bild der Voͤlker entwerfen, welche die ſich aus-
dehnende Sphaͤre der Roͤmiſchen Gewalt allmaͤhlich er-
reichte: auch die Litteratur, ſowohl der erhaltenen als
verlohrnen Schriftſteller, bey ihren Hauptepochen be-
trachten.
Als Salluſt, mit beruhigtem Gemuͤth, nach vielem
und bitterm in den Geſchaͤften des Staats erlittenem
Kummer, ſich ihnen zu entziehen beſchloſſen hatte, und,
zu ſeinen Lieblingsforſchungen zuruͤckgekehrt, einzelne
Ereigniſſe der vaterlaͤndiſchen Geſchichte auswaͤhlend zu
erzaͤhlen unternahm 1), fand er es noͤthig, ſeinen Mit-
buͤrgern — denn nur einzelne Griechen und wenige von
den Weſteuropaͤern laſen lateiniſch — darzuthun, daß die
Thaten der Roͤmer von denen der Griechen nicht verdun-
kelt wuͤrden. Ein Jahrhundert fruͤher hatte Polybius,
wohl vergeblich, den Griechen anſchaulich zu machen ge-
ſtrebt, wie weit die Roͤmiſche Groͤße nicht allein, noch vor-
zuͤglich, durch den Umfang ihres Reichs alles uͤbertreffe,
was die fruͤhere Geſchichte gekannt habe. Daß die Grie-
chen, wenn auch nicht Erbittrung und Haß gegen die
fremden Beherrſcher ſie verblendet haͤtten, eine Geſchichte
gering ſchaͤtzten, der damals jene Anmuth und das Leben
beredter Erzaͤhlung fehlte welche die ihnen verwandten
[5] Thaten ihrer Vorfahren verſchoͤnerte, und ohne die auch
die groͤßte im Andenken erhaltene Geſchichte ſo wenig ganz
empfunden werden kann als ein lyriſches Gedicht ohne eine
entſprechende Muſik; — dies war die Folge ihres leicht-
ſinnig lebhaften, der Schoͤnheit hingegebnen Sinnes.
Auffallend aber iſt es, daß bey dem litterariſchen Publi-
cum Roms, deſſen Beifall Salluſt ſuchte, wie hochmuͤthig
auch der Roͤmiſche Nationalſtolz war, aͤhnliche Stim-
mung und Verkennen der vorvaͤterlichen Groͤße herrſchte.
Doch, wie ſonderbar es auch erſcheint, ſo iſt dies nicht
ſchwer zu erklaͤren, und er ſelbſt hat die Erklaͤrung wohl
mit dem ſtillen Bewußtſeyn niedergeſchrieben, daß von
ſeinen Geſchichten eine andre Anſicht bey den Roͤmern
ſelbſt anheben wuͤrde. Rom hatte damals in ſeiner eige-
nen Sprache, Cato’s Urgeſchichten ausgenommen, welche
den Reiz der Kraͤftigkeit unſrer beſſern alten Chroniken ge-
habt haben muͤſſen, keinen lesbaren Geſchichtſchreiber 2).
Allerdings moͤgen die meiſten ſehr armſelig und geiſtlos ge-
weſen ſeyn; doch waren ſelbſt die treuherzigen und ehrwuͤr-
digen Alten eben fuͤr jene Zeit ungenießbar, da die Leſen-
den zu Rom ganz durch griechiſche Litteratur erzogen, und
in dieſer nicht durch die Erhabenheit der claſſiſchen Werke
gebildet waren, ſondern durch den Glanz und Firniß einer
ausgearteten witzigen Litteratur, welche damals unter den
Griechen, mit denen ſie als Lehrern und lebendigen Mu-
ſtern umgingen, modiſch war, den Sinn fuͤr Einfalt ganz
verlohren hatten. Wie die Dichter die Heroen, ſo haben
[6] die großen einheimiſchen Geſchichtſchreiber, unter denen
Salluſt der erſte war, Roms Thaten und ſeine Helden der
Nacht entriſſen. Es iſt wohl keine gewagte Behauptung,
daß die Roͤmer durch Livius inne wurden welche Ge-
ſchichte ſie hatten. Verſchoͤnert durch den Wunſch, in den
Zeiten der Vorfahren ein noch nicht lange ganz erſtorbenes
ehernes Alter zu ſchauen, umgab jetzt, im Reiz der lieblich-
ſten Rede, die Groͤße ihrer Thaten und Siege der herrlichſte
Schmuck republikaniſcher und buͤrgerlicher Tugenden: ein
Ernſt und eine Erhabenheit, welche die großen Maͤnner
Athens mit ihren unverhuͤllten menſchlichen Fehlern und
Schwaͤchen eben ſo demuͤthigend uͤbertraf, als die Beſie-
gung ganzer Welttheile und furchtbarer Voͤlker die leiden-
ſchaftlichen Kaͤmpfe kleiner Republiken: der Perſerkrieg
galt den Roͤmern bald fuͤr ein dreiſtes Maͤhrchen 3). Das
Mittelalter und das verjuͤngte Italien, denen die Anmuth
griechiſcher Hiſtoriker verborgen war, bewunderten Roms
Geſchichte ausſchließend; als ob das Schickſal jenen alten
Helden Erſatz fuͤr die Gleichguͤltigkeit ihrer Nachkommen
des Zeitalters geben wollte worin ſie ſich zu fremder Cul-
tur gewandt hatten. Es iſt eine ungelehrte, aber eine
deſto einfaͤltigere und ungeſchminktere Verehrung, mit der
die alten Italiener des erwachenden Mittelalters die gro-
ßen Nahmen Roms nennen: vielleicht waren ſie ihnen um
ſo naͤher, weil ſie ſich ohne Kluͤgeln, ohne Ruͤckſicht auf
die Verſchiedenheit der Sitten und der Zeiten, ihre gro-
ßen Seelen in den Verhaͤltniſſen und faſt in der Geſtalt
von Zeitgenoſſen und Landsleuten dachten, ſo wie ſie in
[7] dem Kaiſerthum ihrer Zeit eine unveraͤnderte Fortſetzung
des alten Reichs der Caͤſare ſahen. Virgil war Danten
ein Lombarde, wie ſpaͤtere Mahler den Roͤmern ihrer
Kunſtwerke das Gewand ihrer Tage anlegten: das Volk
ehrte Virgils Grab und Andenken als eines maͤchtigen
und wohlthaͤtigen Zauberers. Selbſt Petrarca hegt noch,
er wohl mit Abſicht, die Taͤuſchung einer nur durch die
Zeit getrennten Einheit der Nationalitaͤt: er ſieht in Ste-
phan Colonna einen alten Patricier, wie in Rienzi einen
Tribun des Volks. Erſt im folgenden Jahrhundert ſchied
das Alterthum aus der Vermiſchung mit der Gegenwart;
und bey der ungeheuern Macht, womit damals ſich alles
entwickelte, erreichten Einzelne ſchnell die ſchaͤrfſte und
lebendigſte Anſchauung der Eigenthuͤmlichkeit altroͤmiſcher
Zeiten welche wir im Ganzen zu gewinnen hoffen duͤrfen,
wie vieles auch ſeitdem an das Licht gebracht iſt woran
wir genauere Einſicht erwerben koͤnnen. Aber nach Sigo-
nius verdankt die Geſchichte des alten Roms den Philolo-
gen nur noch wenig: ſie entwich ihren Haͤnden, und ward
das Eigenthum, in wenigen gluͤcklichen Faͤllen großer
Staatsmaͤnner; meiſtens aber gewoͤhnlicher Hiſtoriker.
Man darf es nicht verhehlen daß ſie in dieſen beyden
Jahrhunderten, anſtatt an Beſtimmtheit und Ausbildung
zu gewinnen, vielmehr verlohren hat. Jene Italieniſche
Philologen, in ihrem ganzen Weſen vom Geiſt des alten
Roms belebt, vielleicht durch den claſſiſchen Boden ſelbſt
begeiſtert und ahndungsvoller geſtimmt, hatten das zer-
truͤmmerte Gebaͤude aus ſeinen Ruinen begriffen, und,
den Schutt aufraͤumend, in ihrem Geiſte hergeſtellt. Der
[8] Mangel an dieſem Begriff ſchadete den Werken derer welche
uͤber Roms Geſchichte als Politiker ſchrieben, und ſo ver-
darb die Geſchichte ſelbſt. Machiavellis Discorsi, ſo voll
von Klugheit und ſcharfen Urtheilen, ſind hievon ein ſpre-
chendes Beiſpiel; indem er zwar immer hoͤchſt geiſtreich,
aber ſehr oft von Dingen redet, die gar nicht da geweſen
ſind. Ich nenne ihn hier, weil er, obgleich in der Mitte
einer philologiſch gelehrten Zeit lebend, ihrem Geiſt fremd
geblieben war. Monteſquieu, mit Anſpruͤchen auf hiſto-
riſch genaue Kenntniſſe, und daher gefaͤhrlicher um irrige
Meinungen zu begruͤnden, iſt voll von falſchen Anſichten,
und ſehr haͤufig in ſeinen Erzaͤhlungen durchaus taͤuſchend:
ein Urtheil welches ich nicht um ſeinen Ruhm zu ſchmaͤ-
lern wage, denn es iſt wohl der groͤßte daß der gerechte
Leſer ihn dennoch bewundern wird, wenn er auch hieruͤber
die entſchiedenſte Ueberzeugung aus eigner Pruͤfung bekom-
men hat. Daß man die Alten nicht verſteht wenn man
Gegenſtaͤnde ihres taͤglichen Lebens, die uns mit ihnen ge-
mein ſind, nicht in der Geſtalt ſich anſchaulich denkt,
unter welcher dieſer Gegenſtand ihren Augen gewoͤhn-
lich war: daß wir durchaus irre gehen wuͤrden, wenn wir
uns, wie es das Mittelalter that, und, weil in ihm noch
ſo viel verwandtes erhalten war, mit geringerer Taͤu-
ſchung thun konnte, ein Roͤmiſches Haus, ein Roͤmiſches
Schiff, Roͤmiſche Landwirthſchaft und Gewerbe, Roͤmi-
ſche Kleidung, oder das Innere des gewoͤhnlichen Le-
bens im alten Rom unter der Anſchauung denken woll-
ten welche bei uns den Gegenſtaͤnden dieſer Worte ent-
ſpricht, muß jeder fuͤhlen: aber der Paralogismus der
[9] Homonymie erſtreckt ſich viel weiter als auf dieſe Gegen-
ſtaͤnde. Die Roͤmiſchen Begriffe welche der Einrichtung
des Staats und ſeiner Verwaltung zum Grunde liegen;
Begriffe, die in den meiſten Faͤllen den hiſtoriſchen Nach-
richten vorausgeſetzt, nur einzeln und aͤußerſt ſelten fuͤr
ſich entwickelt werden, ſind von den unſrigen nicht weniger
verſchieden, als der Roͤmer Wohnung, Kleidung und Speiſe.
Und wie die Morgenlaͤnder nichts ſchwerer faſſen als die
Idee einer republicaniſchen Verfaſſung, wie die Indier
ſich die Compagnie nicht als eine Aſſociation von Eigen-
thuͤmern, ſondern durchaus nur als eine Fuͤrſtin denken
koͤnnen, ſo geht es auch ſelbſt den ſcharfſinnigſten Neuern
in der Geſchichte des Alterthums nicht beſſer, wenn ſie
nicht durch critiſches und philologiſches Studium ſich von
den angewoͤhnten Beſtimmungen der Begriffe losgemacht
haben. So ſind die Verhaͤltniſſe der Roͤmiſchen Provin-
zen und ihrer Befehlshaber uns ſo ungewohnt, daß der
Staatsmann, wenn auch vielleicht nur er faͤhig iſt die
Geſchichte uͤber dergleichen Gegenſtaͤnde zu befragen, und
Bruchſtuͤcke zu errathen die dem Sammler ein Geheim-
niß bleiben, doch, wenn er nicht ſelbſt forſcht und zu for-
ſchen faͤhig iſt, entweder falſche oder unbeſtimmte und fol-
genloſe Begriffe daruͤber hegen wird. So ſind das Land-
eigenthumsrecht des alten Roms und das Recht der Do-
mainen, in ihren Eigenthuͤmlichkeiten, in dem Maaße von
den uns gewoͤhnlichen Rechten und Einrichtungen verſchie-
den, daß die Verwechſelung der gewoͤhnlichen und der alt-
eigenthuͤmlichen Begriffe, deren ſich Monteſquieu ſo wo-
nig als fruͤher Machiavelli erwehrte, uͤber die wichtigſten
[10] Gegenſtaͤnde der Roͤmiſchen Geſetzgebung ſchreyend falſche
Meinungen hervorbringt: Meinungen, bey denen die
Stimme des Rechts Verdammniß uͤber wahrhaft makel-
loſe Thaten und Unternehmungen ausſprechen, oder ein
ahndendes leidenſchaftliches Gefuͤhl fuͤr Groͤße und Hoheit
den gefaͤhrlichſten Folgerungen und Unternehmungen das
Wort reden muß.
Als die Griechen unter Roms Oberherrſchaft gefallen
waren, beſchaͤftigte die Frage, ob Roms Groͤße eine Gabe
des Gluͤcks, oder frey, wie ſie es nannten durch Tugend,
erworben ſey, ihre Schriftſteller, von denen die Meinung
der Leſenden und der Geſellſchaft des wehrloſen und
muͤßigen Oſtens beſtimmt ward. Es war eine muͤßige
Frage; nicht in dem Sinn aufgeſtellt wie Mithridates
ihr wohl ſpaͤter nachgeſonnen haben mag: ob jeder Wider-
ſtand fruchtlos ſeyn wuͤrde? ob ein unwandelbares Schick-
ſal Rom die Weltherrſchaft beſtimmt habe? ob, faſt eben
ſo furchtbar wie dieſes, eine unerreichbare Vortrefflichkeit
des Nationalſinnes und der Einrichtungen Roͤmiſchen
Heeren den Sieg auf ewig zuſichere? Es war nur die Be-
ſchaͤftigung derjenigen, welche ſich der Scham entledigen
wollten uͤber die ſchmaͤhliche Art mit der ſie in ihr Elend
herabgeſunken waren, indem ſie Mangel an Kraft, Tu-
gend und Verſtand da als Nebenſache ausgaben wo ein
unwiderſtehliches Schickſal geboten habe; wobey ſie nach
Sklavenart, wie Xanthias bey dem Komiker, den hoͤch-
ſten Genuß darin fanden ihre Herren zu behorchen, zu be-
klatſchen und zu beluͤgen 4). Polybius, dem es Ernſt ge-
[11] weſen war, der ſich treu blieb, aber der allmaͤchtigen Ge-
walt gehorchte an der die thoͤrichte Verwegenheit ſeiner
von Leichtſinnigen und Heilloſen aufgeregten Nation zer-
truͤmmerte, fuͤhlte ſich durch das Geſchwaͤtz ſolcher Schrift-
ſteller erbittert, und einer der Zwecke ſeiner Geſchichte war
den Griechen klar zu machen, wie Roms Groͤße nicht durch
Fatalitaͤt, ſondern durch feſten Willen, zweckmaͤßige In-
ſtitutionen, unermuͤdete Aufmerkſamkeit auf ihre Erhal-
tung, Ausbildung und Anwendung begruͤndet ſey. Da-
mit aber legte er den Roͤmern ſeiner Zeit dennoch nicht das
Lob eigentlicher Tugend bey; und wenn er ſich hin und
wieder mit einem uns an einem Manne ſeiner Verhaͤltniſſe
befremdenden Enthuſiasmus ausdruͤckt, ſo muͤſſen wir er-
waͤgen daß er uͤberhaupt ein ganz praktiſcher Menſch war,
dem durchgehend Waͤrme und der Sinn fuͤr das Idealiſche
fehlte, mit dem die Athenienſer auch das, was vor ihren
Augen vorging, vor allem aber, was dieſen durch eine
auch kurze Vergangenheit entruͤckt war, betrachteten. In
dieſem Mangel liegen eben die Unvollkommenheiten ſeines
Werks, welche ihn, nach dem Urtheil ſeiner Landsleute,
zu einem Geſchichtſchreiber vom zweyten Rang machten.
Er fand in allen Staaten die ſpaͤter in das Roͤmiſche
Reich verſanken, alles zum Untergang reif, und weil er
ſich bewußt war, daß er ſelbſt mit nur ſehr wenigen gleich-
geſinnten dieſem Strohm vergebens widerſtanden hatte;
weil er die, durch deren verſchiedenartige Suͤnde das
Elend beſtand, Kallikrates, Diaͤus, Kritolaus, bitter
verachtete; Scipio aber, Cato und Paulus bewunderte;
ſo traͤgt ſein unbeſtechliches Urtheil vielleicht in einzelnen
[12] Faͤllen mehr als den Schein der Gefuͤhlloſigkeit. Die
Neueren, namentlich Machiavelli und Monteſquieu,
ſcheinen jene Frage, und in einem etwas veraͤnderten Sinn,
wieder hervorgerufen zu haben, und gehen in ihrer Bewun-
derung der Roͤmer und ihrer Einrichtungen bis zur ent-
ſchiedenſten Partheylichkeit. Die herbe Frugalitaͤt der alten
Republikaner, ihre Unempfindlichkeit fuͤr den Beſitz und die
Genuͤſſe des Reichthums, die ſtrenge Geſetzlichkeit des Volks,
die feſte allgemeine Treue waͤhrend der ſchoͤnen Jahrhun-
derte, in denen die Verfaſſung, ſeitdem die Anſpruͤche der
Ariſtocratie beſchraͤnkt waren, in ihrer ganzen Vollkom-
menheit lebte; der reine Sinn, welcher nie erlaubte, bey
innerm Zwiſt fremde Einmiſchung zu ſuchen; die Allmacht
der Geſetze und Gewohnheiten, und der Ernſt, womit an
ihnen dennoch geaͤndert ward, was nicht mehr angemeſſen
war, die Weisheit der Verfaſſung und Geſetze, das Ideal
der Maͤnnlichkeit in den Buͤrgern und im Staat; alle dieſe
Eigenſchaften erregen gewiß in uns eine Ehrfurcht, welche
wir bey der Betrachtung keines andern Volks ſo empfinden
koͤnnen. Es iſt kein Zuſtand von Unnatur und Zwang,
wie die Geſetzgebung Spartas, unter der, nach dem Ur-
theil anderer Griechen, die Todesverachtung natuͤrlich
war weil der Tod ein unleidliches Joch brach: es war
ein Leben, welches vielmehr wahres und hohes individuel-
les Gluͤck pflegte, einen von Sinnlichkeit freyen ſtarken
Lebensgenuß. Andre vielleicht eben ſo vollkommne Ver-
faſſungen imponiren uns ſchon darum weniger, weil ſie
den Reichthum ehren: vielſeitige und lebensvolle Voͤlker
koͤnnen Fehlern nicht entgehen, gegen die nur Einſeitigkeit
[13] ſchuͤtzt: und in den Begebenheiten der Vergangenheit em-
pfinden wir ſtaͤrker worin gefehlt wird, als was gebricht.
So iſt es ganz natuͤrlich, daß wir, auch abgeſehen von
dem Glanz womit Macht und Siege immer umgeben
ſind, zu den Roͤmern jener guten Zeit der Republik mit
Bewundrung hinaufſehen. Sie haben in ihren Tugenden
eine große Aehnlichkeit mit den Arabern der erſten Khali-
fen: dieſen aber fehlte die Verfaſſung, worin ſie ſich er-
halten konnten. Die Roͤmer waren Jahrhunderte lang in
ſich in einem Mittelpunkt zuſammengedraͤngt: jene hatten
nie dieſe Kerneinheit gehabt, ſie zerſtreuten ſich uͤber eine
halbe Welt, und arteten ſchnell aus. Aber wenn wir uns
lebhaft in jene Zeiten hineindenken, ſo wird ſich doch ein
Grauen in dieſe Bewundrung miſchen: denn, vertraͤglich
und abgefunden mit dieſen Tugenden herrſchten von den
aͤlteſten Zeiten her die furchtbarſten Laſter, unerſaͤttliche
Herrſchſucht, gewiſſenloſe Verachtung des fremden
Rechts, gefuͤhlloſe Gleichguͤltigkeit gegen fremdes Leiden,
Geiz, als Raubſucht noch fremd war, und eine ſtaͤndiſche
Abſonderung, aus der nicht allein gegen den Sklaven,
oder den Fremden, ſondern gegen den Mitbuͤrger oft
unmenſchliche Verſtockung entſtand. Allen dieſen Laſtern
bereiteten eben jene Tugenden den Weg zur Herrſchaft,
und gingen ſo ſelbſt unter.
Wenn wir nun, bey einem gerechten Urtheil uͤber die
Roͤmer, auch dieſe dunkeln Schatten nicht vergeſſen muͤſ-
ſen, und alſo ihrer Verherrlichung nur mit Einſchraͤnkung
beyſtimmen koͤnnen, ſo muͤſſen wir auch, obgleich in einem
andern Sinn als jene Griechen, dem Schickſal einen gro-
[14] ßen Antheil an der Roͤmiſchen Groͤße beymeſſen. Durch
den ganzen Gang der Geſchichte werden wir ſehen wie
oft alle Tugenden des Staats und des Volks fruchtlos
geweſen waͤren, wenn nicht das Schickſal Rom in Gefah-
ren gerettet, und ſeine Triumphe vorbereitet haͤtte. Die
Voͤlker und die Maͤnner, denen Rom haͤtte unterliegen
koͤnnen, erſchienen zu ſpaͤt: in den Perioden der Schwaͤche
hatte es nur ihm nicht uͤberlegne Gegner zu bekaͤmpfen;
und waͤhrend Rom alles an alles ſetzte, und im Krieg
lebte, ſchonten alle Voͤlker ihre Anſtrengungen, weil ſie
am Sieg verzweifelten oder im Grunde ihres Herzens
nur weichliche Muße liebten, was auch ihre misrathenen
Unternehmungen anzudeuten ſcheinen mochten. Keins
unter allen ging ihm mit aͤhnlichem Sinn und einem aͤhnli-
chen Ziel entgegen; und ſchon darum mußte Rom uͤber
alles ſiegen. Philipps Ruhe am Anfang des hannibali-
ſchen Kriegs: Mithridates Unthaͤtigkeit, ſo lange der
marſiſche Roms Daſeyn bedrohte und ein kleines Ueber-
gewicht entſchieden haben wuͤrde: darin verkenne keiner
Gottes Finger. Denn daß Rom nicht angebohren un-
uͤberwindlich war, iſt erwieſen durch den Widerſtand klei-
ner aͤchtkriegeriſcher Voͤlker, die nur durch die Zahl
und Macht uͤberwaͤltigt wurden; ſo aber dienten auch
dieſe Kriege in den Zwiſchenraͤumen zwiſchen den groͤßeren
und entſcheidenderen der Ausartung der Disciplin und
Kriegskunſt vorzubeugen, welche langer Friede auch bey
den Roͤmiſchen Heeren leicht einfuͤhrte.
Im Fortgang der Begebenheiten, da Roms Erobe-
rungen in einen Koͤrper verwuchſen, verliert die Geſchichte
[15] gaͤnzlich das moraliſche und poetiſche Intereſſe der fruͤhe-
ren Jahrhunderte, welches ſchon laͤngſt durch Zerruͤttun-
gen und Graͤuel, und das Abſterben aller einheimiſchen
Tugenden getruͤbt war. Es ſcheint der Gang der Welt-
geſchichte zu ſeyn, daß Eroberungen und vielfache Ver-
miſchung die urſpruͤnglich zahlloſen Staͤmme in einander
ſchmelzen, und die, welche dieſer Verſchmelzung unfaͤhig
ſind, austilgen; und dies hat die Roͤmiſche Herrſchaft in
einem groͤßern Maaß und Umkreiſe, als irgend eine an-
dre große Weltrevolution, ſelbſt als die arabiſche, be-
wirkt. Selten wird bey dieſer Vermiſchung fuͤr einzelne
Voͤlker Gewinn ſeyn; einige verlieren unerſetzbaren Beſitz
einer edeln einheimiſchen Bildung, Wiſſenſchaft und Lit-
teratur; ſchwerlich erſetzt auch ungebildeteren Voͤlkern eine
feinere, doch auch ſonſt, wenn ſie ihrer Natur angemeſ-
ſen war, nicht unerreichbare Cultur die Einbuße ihrer ur-
ſpruͤnglichen Sprache, und mit ihr eigenthuͤmlicher Sin-
nesart, einer Landesgeſchichte und ererbter Geſetze. Die-
ſen Verluſt empfanden zuerſt die Provinzialen, aber in-
dem Roms und Italiens Bevoͤlkerung ſich aus ihnen und
aus Freygelaſſenen erneuerte, buͤßte Rom in gleichem
Maaße: ſeine Vorzeit und ihre Geſchichte ward ihm ſo
fremd, daß ſchon im dritten Jahrhundert unſrer Zeitrech-
nung ein demuͤthiger Lobredner ohne Furcht zu beleidigen
zweifeln konnte, ob ſein von ihm dem großen Scipio ver-
glichener Herr vom hannibaliſchen Kriege wiſſe 5): daß
Valens dem Eutropius auftrug, ihm eine duͤrftige Ueber-
ſicht der Geſchichte zu ſchreiben, weil ſie ihm ganz unbe-
[16] kannt war. Doch aber, wie vieles auch die Roͤmiſche
Herrſchaft zertreten hat, muͤſſen wir dankbar erkennen
was ſie ſtiftete und erhielt. Sie hat faſt alle Staͤdte ge-
gruͤndet oder belebt, welche innerhalb ihres alten Umfangs
noch jetzt beſtehen; die Sprachen des weſtlichen Europa,
aus der lateiniſchen erzeugt, erhielten ihre Litteratur zu-
gaͤnglich, und machten ihre Wiederbelebung moͤglich.
Ja die Roͤmiſche Herrſchaft hat ohne Zweifel Griechen-
land und die griechiſchen Schriften erhalten; denn waͤre
der Oſten nicht durch die Kraͤfte eines großen Reichs ge-
ſchuͤtzt worden, ſo haͤtten die Barbaren dieſe entvoͤlkerten
und geſchwaͤchten Gegenden wahrſcheinlich ſchon ſehr fruͤh,
unfehlbar aber in den Zeiten der großen Voͤlkerbewegun-
gen, uͤberwaͤltigt, und mit den entarteten Griechen auch
die Schaͤtze vertilgt, welche ſie fuͤr auflebende Jahrhun-
derte bewahrten. Roms Geſetzgebung war wenigſtens fuͤr
die roͤmiſch gewordenen Voͤlker ein großer Vortheil, ſo
wie ſie auch uns unentbehrlich bleiben wird, da wir die
unſrer Vorfahren nicht ausgebildet, und ihren Geiſt
verlohren haben: und wie die Vereinigung der roͤmi-
ſchen Welt der Ausbreitung der Religion nothwendig
war, wie Rom als ihr Mittelpunkt das geſammte
Abendland bildete und erleuchtete, wird von Unpar-
theyiſchen jetzt wohl nicht leicht verkannt und gelaͤug-
net. So koͤnnen wir auf dieſe große Periode der Ge-
ſchichte mit der Beruhigung zuruͤckſehen, daß den fol-
genden Geſchlechtern, nach der Noth und dem Unter-
gang ihrer Vorfahren, durch das, was ſich feſtſetzte,
wohl geworden iſt. Von moͤglichen Ereigniſſen zu reden,
die
[17] die im Keim erſtickt ſind, iſt eitel; und ſo wollen wir
nicht trauern, daß allen manches unerſetzte und uner-
ſetzliche Gut verlohren ging; nicht fragen, ob der
reichſte Erſatz den die Nachkommen genoſſen haben
moͤgen, die Leiden zertretener Geſchlechter verguͤten
kann? Wir wenden wenigſtens von jenen Zeiten unſer
Auge nicht ſo truͤbe und zweifelnd, als von den Schick-
ſalen des verheerten und veroͤdeten Aſiens, deſſen ſchoͤn-
ſten Laͤndern, ſelbſt dem Leben der Natur entzogen
und jaͤhrlich mehr abſterbend, ſelbſt die Moͤglichkeit
bluͤhenderer Zeiten verſagt, wo das Grab Schluß der
Geſchichte iſt.
Von unſrer Deutſchen Nation aber, ſo viele ihrer
Staͤmme die Heimath nicht verließen, wenigſtens nicht
unter beſiegten Romaniſchen wohnend verfremdet wur-
den, duͤrfen wir behaupten, daß ſie fuͤr den Kampf
den ſie Jahrhunderte lang gegen Rom beſtand, ſpaͤ-
terhin durch die Vortheile mehr als belohnt worden
iſt, welche aus der Welteinheit unter Rom entſtanden;
und daß ohne dieſe, und die Fruͤchte welche in ihr reif-
ten, wir ſchwerlich aufgehoͤrt haben wuͤrden Barbaren zu
ſeyn. Nicht die Formen welche unſre Vorfahren bey
der Ausbreitung der Litteratur von dort und vom claſ-
ſiſchen Boden ſich aneigneten, haben ihre ehrwuͤrdige
und unerſetzliche Eigenthuͤmlichkeit verdraͤngt; ſie wa-
ren mit ihr vertraͤglich: aber erborgte, erkuͤnſtelte,
geiſtloſe, waͤlſche Formen, Geſchmack und Ideen, wie
ſich deren ſchon fruͤher bey uns zum Verderben der
Erſter Theil. B
[18] einheimiſchen eingeſchlichen hatten, dieſe haben uns
waͤhrend einer langen Zeit lau und unwahr gemacht.
Und ſo haben auch wir, wenn andre Nationen in
den Roͤmern eins ihrer Stammvoͤlker ſehen, doch
kein geringes eigenthuͤmliches Intereſſe an ihrer Ge-
ſchichte.
[[19]]
Das alte Italien.
Am Anfang ſeiner Geſchichte iſt Rom ein ſehr kleiner
Bezirk Italiens: die Eigenthuͤmlichkeiten, welche das
Roͤmiſche Volk auszeichnen, waren weit groͤßerer Staͤmme
Erbtheil, denen die Roͤmer angehoͤrten, oder von ihnen
entlehnten, bis aus der Vereinigung des Vielartigen eine
neue und jeder einzelnen Italiſchen Nation fremde Form
ſich bildete. Die Voͤlker verſchwanden im Licht der
Stadt; und die Nation der Buͤrger verbreitete ſich uͤber
ganz Italien. Als die Republik fiel, gab es nur Roͤmer in
der Halbinſel; alle uns erhaltene Geſchichtſchreiber haben
nicht anders geſchrieben als ob die alten Italiker beydes,
Rom fremd, und gegen das Roͤmiſche Volk unbedeutend,
geweſen waͤren. Ein anderes Urtheil hat ſich laͤngſt ge-
bildet, und es iſt anerkannt unentbehrlich, ſo weit es ge-
lingen mag; da ein Bild der Voͤlker, welche fruͤher als
Rom in Italien groß waren, zum Theil gar nicht, aufs
beſte aber hoͤchſt duͤrftig, entworfen werden kann; wenig-
ſtens Ueberſicht und Sonderung ihrer Staͤmme und Staa-
ten, und Sammlung der uͤber ſie aufbewahrten hiſtori-
ſchen und darſtellenden Nachrichten zu verſuchen.
Unter den hiſtoriſchen Werken des Alterthums, wel-
che uns ſtatt dieſer Unterſuchungen ſichre und reichliche
B 2
[20] Kunde gewaͤhrt haben wuͤrden, wenn das Schickſal uns ih-
ren Beſitz vergoͤnnt haͤtte, vermiſſen wir vorzuͤglich ſchmerz-
lich Ariſtoteles Politieen, und Catos Origines. Jene
Sammlung, welche eine Darſtellung der Verfaſſung und
der Geſchichte von hundert acht und funfzig Staaten ent-
hielt, verſaͤumte, wie aus angefuͤhrten Stellen klar her-
vorgeht, auch die Italiſchen nicht, wenn es gleich zwei-
felhaft iſt daß Ariſtoteles ausfuͤhrlich uͤber Rom geredet
hat. Wie hell und ſcharf dieſer Meiſter der Gelehrten
ſah; wie ſorgfaͤltig er ſtrebte die Vollſtaͤndigkeit der
Nachrichten zu erreichen ohne welche er, der Erfinder
der Kategorieen und der Topik, ſich unbefriedigt fuͤhlte;
und wie gluͤcklich er Irrthuͤmer aus ſeinen Berichten zu
ſcheiden wußte; davon zeugen fuͤr alle Zeiten ſeine natur-
hiſtoriſchen Schriften, deren reiche und tiefe Wahrheit
jetzt wie in ſeinen Tagen gepruͤft werden kann. Alle An-
gaben der alten Grammatiker, des Julius Pollux, Harpo-
krations, und des Scholiaſten des Ariſtophanes, uͤber die
Verfaſſung und Verwaltung der Athenienſiſchen Republik,
ſind aus ſeiner Politie Athens entnommen: ihre Richtig-
keit bewaͤhrt ſich ohne Ausnahme, und wir erkennen, daß
jenes Ganze, aus dem ſie entlehnt ſind, ein ganz einziges
Meiſterwerk der Darſtellung einer hoͤchſt verwickelten Or-
ganiſation bis in das kleinſte Einzelne war.
Eben ſo vortrefflich iſt in der Politik die Ueberſicht
der Verfaſſungen welche er einer Auszeichnung werth
fand. Aber wie niemand je weniger einſeitig war als er;
wie fuͤr ihn alles was die Welt befaßt und in der Welt ge-
ſchehen war, Intereſſe hatte; ſo erforſchte er auch, nicht
[21] weniger als die Verfaſſungen und Sitten der Voͤlker, ihre
Abſtammung und Verwandtſchaften, die Gruͤndungen
der Staaten und der Staͤdte, ohne das mythiſche zu ver-
achten, welches in der Geſchichte der Alten, wie in jeder
die aus einheimiſchen Sagen und durch einheimiſche Ge-
ſchichtſchreiber begonnen hat, nirgends durch eine ſcharfe
Linie von den hiſtoriſchen Erzaͤhlungen abgeſondert wird.
Seine Quellen waren Buͤcher, von Griechen und Einge-
bohrnen in griechiſcher Sprache geſchrieben, und Erkundi-
gungen und muͤndliche Erzaͤhlungen: von jenen ver-
ſchwand vieles, was er uͤber Italien leſen konnte, in den
ſpaͤteren Verheerungen; juͤngere Schriftſteller uͤberſahen
gleichguͤltig was von Chroniken ohne Nahmen noch er-
halten ſeyn mochte: dieſe gaben eine reiche und lautre
Ausbeute fuͤr den forſchenden Frager, der zu Athen alle
Vortheile genoß, welche einer Seeſtadt voll Verkehr un-
erſetzliche Reize fuͤr den Liebhaber der Voͤlkergeſchichte
geben.
Weit weniger geiſtreich und vielſeitig war allerdings,
aber unmittelbar und auf jeden einzelnen Gegenſtand dieſer
Geſchichte gerichtet, das in ſieben Buͤchern abgefaßte hiſto-
riſche Werk des cenſoriſchen Cato, worin er, neben einer,
wie es ſcheint, zuſammenhaͤngend von Erbauung der Stadt
bis auf ſeine Tage herabgefuͤhrten Geſchichte Roms, die Ab-
ſtammung der Voͤlker, die Gruͤndung der Staͤdte Italiens
verzeichnete. Man darf bey dieſem aͤchtalten Roͤmer
Ariſtoteles Gabe der Forſchung und Laͤuterung der Wahr-
heit ſo wenig vorausſetzen, als ſeinen Durſt nach Kennt-
niß jeder Art, ſein nie ermuͤdetes Intereſſe, und alle Vor-
[22] theile, die aus der Verbindung einer zahlloſen Menge le-
bendig aufgefaßter Thatſachen unter einer hellen Reflec-
tion entſtehen. Aber Cato war ein wißbegieriger und
wahrhafter Mann; ſeine Zeit der Ausfuͤhrung eines ſol-
chen Werks vorzuͤglich guͤnſtig. Die alten Voͤlker Ita-
liens beſtanden damals noch mit ihren angeſtammten
Eigenthuͤmlichkeiten der Sprache und Nationalitaͤt: es
waren noch Etrusker, Umbrer, Sabeller. Daß dieſe
Voͤlker, welche alle Kunſt und buͤrgerliche Ausbildung in
einem hohen Grade beſaßen, und ſeit uralten Zeiten
Schrift, nicht auf Sagen uͤber ihre Geſchichte beſchraͤnkt
waren, daß ſie auch ihre Geſchichtsbuͤcher in ihren eig-
nen Sprachen hatten, iſt nicht zu bezweifeln 6): und
auch uͤber ſehr alte Zeiten waren dieſe um ſo merkwuͤr-
diger, weil wenigſtens die Etrusker einſt eine ſymbo-
liſche Zeichenſchrift gebraucht zu haben ſcheinen, ihre
Nachrichten in die juͤngere Buchſtabenſchrift umſchrei-
ben konnten.
Zu Catos Zeit waren die hiſtoriſchen Denkmaͤhler — ſey
es nun daß einige jener Voͤlker eine Litteratur beſaßen,
oder daß bey allen nur Jahrbuͤcher, wie von den Prieſtern
Roms, wie von unſern Vorfahren, und, ſelbſt ohne den
Beſitz einer Alphabetſchrift, von den Mexikanern, mehr
verzeichnet als geſchrieben wurden, — und außer den
Buͤchern, reichhaltigere und aͤltere Denkſchriften auf
[23] Stein und Erz, weder untergegangen, noch unverſtaͤnd-
lich. Von ſolchen ſind mehrere in den unbekannten Spra-
chen des alten Italiens als ein todter Schatz bis auf uns
gekommen. Auch konnte wenigſtens im mittlern Italien,
bey den aͤlteſten Voͤlkern, wenig von alten Urkunden aller
Art untergegangen ſeyn, da dieſe Gegenden weder bey
der Eroberung noch im Hannibaliſchen Kriege ſehr gelit-
ten hatten. Was daher aus Cato angefuͤhrt wird, ver-
dient die hoͤchſte Aufmerkſamkeit, und, wenn es als be-
ſtimmte Angabe gemeldet wird, voͤlligen Glauben.
Der Italiſche Krieg und die Syllaniſchen Zeiten ver-
nichteten die Quellen aus denen Cato ſchoͤpfen konnte.
Solche entſetzliche Verheerungen, welche von Ort zu Ort
alle Gegenden Italiens heimſuchten und die aͤlteſten
Staͤdte unter Schutt begruben, mußten Denkmaͤhler je-
der Art, vorzuͤglich Schriften, vernichten; in vielen Land-
ſchaften ward die Bevoͤlkerung veraͤndert. Dies war das
Ende des ausdauernden Widerſtandes den Etrurien, um
Rechte zu behaupten, mit denen Abſonderung von der all-
gemeinen Sache Italiens belohnt geworden war, der ty-
ranniſchen Faction des unerbittlichen Feldherrn entgegen-
ſtellte. Das alte Etruſkiſche Volk mit ſeinen Wiſſenſchaf-
ten und ſeiner Litteratur ging damals unter: die Edeln,
welche die allgemeine Sache geleitet hatten, fielen durch
das Schwerd; die Abtruͤnnigen wurden ganz Roͤmer: der
groͤßte Theil der Nation verlohr alles Grundeigenthum,
und verſank in eine Armuth unter fremden und barbari-
ſchen Herren und Anſiedlern, deren Druck die herabge-
wuͤrdigten Nachkommen aller Erinnerungen, wie der
[24] Sprache und aller nationalen Eigenthuͤmlichkeit be-
raubte 7). Auch iſt dies wohl nicht die letzte Urſache,
warum die ſpaͤteren und eigentlichen Roͤmiſchen Geſchicht-
ſchreiber uͤber die Italiſche alte Geſchichte ſtumm ſind.
Die Nationen, in deren urſpruͤnglicher Verſchiedenheit
Italien vor Zeiten ein vielfaches Leben genoſſen hatte,
waren erloſchen; und; wenn auch noch eine Zeitlang
in entlegenen Gegenden etruſkiſche oder oſkiſche Sprache
geredet ward; Buͤcher und Denkmaͤhler waren in Auguſts
Zeitalter faſt allgemein unverſtaͤndlich, und vergingen un-
beachtet: denn, was wenigſtens die etruſkiſche Sprache
haͤtte erhalten koͤnnen, die prophetiſchen Buͤcher wurden
in lateiniſchen Ueberſetzungen, oder ihr Inhalt in lateini-
ſchen Schriften geleſen.
Der Umriß Italiens bildet eine geographiſche Ein-
heit, welche anzunehmen verleitet, man muͤſſe dieſes Land
nothwendig von jeher als ein Ganzes betrachtet und be-
nannt haben. Aber es iſt erſt ſehr ſpaͤt im Umfang der
natuͤrlichen Graͤnzen unter dieſem einzigen Nahmen zu-
ſammengefaßt: ſo lange es von verſchiedenen, in unab-
haͤngigen Staaten ſelbſtſtaͤndigen Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt
ward, iſt es von den Einwohnern und den Fremden nach
[25] dieſen Hauptſtaͤmmen oder ihrem Andenken eingetheilt
worden. Sie waren durch kein Band vereinigt: bey den
Alten aber empfingen Laͤnder ihre Nahmen von den be-
wohnenden Voͤlkern, nicht die verſchiedenen Staͤmme,
welche innerhalb ſolcher Graͤnzen wohnten, die einem
Lande phyſiſche Einheit geben, einen gemeinſamen des
Landes. Anders verhielt es ſich, wenn ein Volk vorherr-
ſchend ward, und ein ſolches Land als Staat vereinigte.
Kleinaſien hatte im Alterthum keinen Geſammtnahmen.
Als die Griechen anfingen, das Abendland zu beſuchen,
waren die urſpruͤnglichen, am auffallendſten durch die
Sprachen von einander unterſchiedenen Staͤmme, noch
zahlreich; und ſo viele Hauptvoͤlker ihnen in Italien be-
kannt wurden, ſo viele Laͤnder unterſchieden ſie. Von ih-
rer Anſiedelung an der italiſchen Kuͤſte bis auf die mace-
doniſche Zeit ſcheint es von ihnen, vorzuͤglich in Ruͤckſicht
auf die Nationen, welche ſie an den Kuͤſten herrſchend ge-
funden hatten, in Italien, Auſonien oder Opika 8), Tyr-
rhenien, Japygien und Ombrika eingetheilt geweſen zu
ſeyn. Im Norden kannten ſie auch die Ligurer, ohne
Ligyſtika, — welches noch bey Skylax jenſeits der Rhone
beginnt, — durch die Alpen zu theilen; und die Eneter.
Jene Eintheilung des Landes, ſuͤdlich vom Po und oͤſtlich
von der Makra, wird im Ganzen, wenn auch nicht ohne
Abweichungen und nach ſcharfen Graͤnzen, von den aͤlte-
ſten Griechen, und bis auf Ariſtoteles beobachtet: ob-
gleich ſie den Voͤlkerſtaͤmmen nicht mehr angemeſſen war,
indem das Land der alten Italer und der Opiker, von ſa-
[26] belliſchen Staͤmmen bewohnt oder beherrſcht, mehrere
Staaten bildete, welche eigne Nahmen trugen. Keiner
dieſer aͤlteren wird das chalkidiſche Kuma eine Stadt in
Italien nennen, ſondern wie Thukydides 9) in Opika:
wie Ariſtoteles 10) Latium eine Landſchaft in Opika
nennt: und wenn Sophokles im Triptolemus 11) Ita-
lien, reich an weißem Getreide, pries, ſo darf dies nicht,
wie es dem Roͤmer im Sinn liegt, auf die fruchtbarſten
Gefilde bezogen werden, auf das geſegnete Campanien,
welches weit außerhalb der Graͤnzen des Italiens Sopho-
kleiſcher Zeit lag. Sophokles ſcheint eben in jener Tra-
goͤdie — leider hat Dionyſius es hinreichend gefunden,
nur drey Verſe anzufuͤhren 12) — Japygien, dann, unter
dem Nahmen Italien, die Oſtkuͤſte Oenotriens, hierauf die
weſtliche, ſie ausſchließlich Oenotrien benennend, endlich,
mit Uebergehung Opikas, die Tyrrheniſche Kuͤſte bis Li-
gyſtika, als die ſich folgenden Meerlaͤnder der Halbinſel
nach einander genannt zu haben.
Das alte und urſpruͤngliche Italien war die Halbin-
ſel, welche durch die Landenge zwiſchen dem Scyllaciſchen
und Napetiniſchen Meerbuſen, wo das Land ſich bis auf
20 Millien 13) zuſammenzieht, begraͤnzt wird: der ſuͤd-
lichſte Theil des ſpaͤteren Bruttiums. Dieſe Angabe 14)
[27] beruht auf dem Zeugniß des Antiochus, Xenophanes
Sohn, den Ariſtoteles nicht namentlich, ſondern das
Zeugniß der dort einheimiſchen Geſchichtskundigen an-
fuͤhrt. Ein uralter Geſchichtſchreiber, wie ihn Diony-
ſius nennt 15), iſt Antiochus freylich nicht: ſein Zeitalter
faͤllt zwiſchen Herodot und Thukydides, denn er ſchloß
ſeine Siciliſche Geſchichte mit dem Jahr 329, Ol. 89.
2. 16) Zu ſeiner Zeit war der Umfang Italiens ſchon er-
weitert, doch war es noch durch eine vom Fluß Laos, der
am untern Meer Lucanien von Bruttium ſcheidet, auf
Metapontum gezogene Linie begraͤnzt 17). Eben ſo
trennt Thukydides, der um das Jahr 350 ſchrieb, Japy-
gien und Italien 18). Noch lange nachher beobachtet der
Sprachgebrauch dieſe Graͤnzen. In dem Fragment aus
einer Ariſtoteles zugeſchriebenen Erklaͤrung der Windroſe
(wie wir es nennen wuͤrden) heißt es, der Thrakias werde
in Italien und Sicilien Kirkas genannt, weil er vom
Vorgebirge Circeji her wehe. Aus den oͤrtlichen Nah-
men, welche eben daſelbſt fuͤr denſelben Wind aus Thra-
[28] eien, Lesbus und Megara angefuͤhrt werden, iſt es klar,
daß von einem nordweſtlichen Winde die Rede ſey, und
die Verbindung von Italien und Sicilien beweißt in die-
ſem Fall, daß Circeji fuͤr beyde Laͤnder ungefaͤhr auf dem
naͤmlichen Strich gelegen haben muͤſſe. Ich halte dieſes
Fragment zwar keineswegs fuͤr unbezweifelt Ariſtoteliſch,
vielmehr finden ſich Widerſpruͤche zwiſchen demſelben und
unzweifelhaft aͤchten Schriften 19). Inzwiſchen iſt es
gewiß nicht aͤlter als er, eher wohl juͤnger. Auch Theo-
phraſt, deſſen Geſchichte der Pflanzen nach Plinius un-
ter dem Archon Nikodorus im Jahr 440 20) geſchrieben
iſt, unterſcheidet Latium von Italien 21). Ob die Ta-
rentiner Pyrrhus eingeladen haben nach Italien zu
kommen, wie Pauſanias 22) ſagt, und den Seegen der
Halbinſel geſchildert um ihn zu bewegen, koͤnnen wir
nach dem ſchwerlich hinreichend abgewogenen Ausdruck
eines ſpaͤten Schriftſtellers nicht verſichern: inzwiſchen
iſt es hoͤchſt wahrſcheinlich, daß um Pyrrhus Zeit die po-
litiſche Einheit, welche durch die Eroberungen der Roͤ-
mer entſtand, Einheit des Nahmens zu begruͤnden anfing.
[29] Daß die Sammlung wunderbarer Erzaͤhlungen welche
unter Ariſtoteles Schriften erhalten iſt, ſein Werk nicht
ſeyn kann, beweißt fuͤr den, dem Sprache und Geiſt des
Buchs nicht vernehmlich genug reden moͤchten, wenig-
ſtens die Erwaͤhnung des Agathokles und Kleonymus.
Aber ſie muß vor dem Ende des erſten Puniſchen Kriegs
geſchrieben ſeyn, weil der Karthaginienſiſchen Provinz in
Sicilien darin gedacht wird. Vieles in dieſer Samm-
lung, beſonders Erzaͤhlungen uͤber das weſtliche Europa,
ſcheint entlehnt aus Timaͤus, deſſen Hiſtorie voll Wun-
dergeſchichten war. Timaͤus ſchrieb um das Jahr oder
nach 480; und dieſes Werk moͤchte wohl in Hinſicht dieſer
Unterſuchung als gleichzeitig betrachtet werden koͤnnen.
Hier nun erſcheint Italien in einer weit groͤßeren Ausdeh-
nung: die Sirenuſen, Kuma und Circeji werden nament-
lich dazu gerechnet; Tyrrhenien aber und das Land der
Ombriker abgeſondert genannt: und ſo ſcheint Italien
bey dieſer zweiten Ausdehnung ſeines Inbegriffs, zwar
wohl nicht mit genau bezeichneten Graͤnzen, damals bis
ungefaͤhr an die Tiber und Aeſis erweitert zu ſeyn 23).
Daß in der That unter den oͤſtlich von dieſer Linie belege-
[30] nen, damals groͤßtentheils durch die Sprache verwandten
Voͤlkern, eine Einheit beſtand welche ſie von den nord-
weſtlichen trennte, ſcheint wirklich aus dem Marſiſchen
Krieg zu erhellen, in dem ſie abgeſondert von dieſen auf-
traten, welche auch im Hannibaliſchen Krieg unthaͤtig fuͤr
die Wiedererlangung der Freyheit geweſen waren. Ihre
Bundesmuͤnzen lateiniſcher Inſchrift ſind mit dem Nah-
men Italia bezeichnet 24), und ihrer Bundesſtadt hatten
ſie den Nahmen Italica gegeben. Doch iſt das weite
Italien in den Siegsepigrammen des Meſſeniers Al-
caͤus (557) gewiß die ganze Halbinſel, und funfzig
Jahre vor dem Marſiſchen Kriege (um 615) gebraucht
Polybius den Nahmen Italien in der weiteſten Ausdeh-
nung bis an die Alpen, mit Einſchluß des Cisalpiniſchen
Galliens und Venetiens: ja ſchon fruͤher hatte M. Caty,
welcher ganz Italien in ſeiner Geſchichte umfaßte, darin
auch von den Euganeern und den Alpenvoͤlkern gehandelt.
Gegen das Ende des Roͤmiſchen Kaiſerreichs, als
die Reſidenz von Maximianus nach Mailand verlegt war,
beſchraͤnkte ſich der Umfang Italiens in der Geſchaͤfts-
ſprache wieder auf einen kleineren Bezirk, auf den Nor-
den, wie er im aͤußerſten Suͤden entſtanden war. In die-
ſem Sinn begriff dies damals ſogenannte eigentliche Ita-
lien die fuͤnf Annonariſchen Provinzen, Aemilia, Liguria,
[31] Flaminia, Venetien und Hiſtrien 25): und in dieſem
naͤmlichen Sinn war das Koͤnigreich dieſes Nahmens,
deſſen Krone die Lombarden trugen, und deſſen Graͤnzen,
wenn Hiſtrien ihnen fehlte, ſich dagegen nach Suͤden viel
weiter erſtreckten, kein anmaaßender Titel.
Der Nahme iſt offenbar einheimiſchen Urſprungs 26).
Die aͤlteſten Griechen leiteten ihn, ihrer Gewohnheit
nach, ab von dem eines einheimiſchen Koͤnigs: Andere
von einem einheimiſchen oder altgriechiſchen einen Stier
bezeichnenden Wort Ἰταλὸς, oder Ἰτȣ̃λος: die Aelteren
mythiſch, auf die herakleiſchen Sagen bezogen: Timaͤus,
in ſeiner Roͤmiſchen Geſchichte, im Geiſt ſeines Zeital-
ters, verwandte die mythiſche Tradition zu einer kluͤgeln-
den Deutung aus dem Heerdenreichthum des Lan-
des 27). Daß die Roͤmer das Wort entlehnten iſt kei-
nem Zweifel unterworfen; wann es bey ihnen gebraͤuch-
lich geworden iſt, daruͤber haben wir keine Spur. Wahr-
ſcheinlich aber hat das Beduͤrfniß eines Worts zur Be-
[32] zeichnung des Ganzen welches durch ihre Oberherrſchaft
verbunden war, gegen das Ende des fuͤnften Jahrhun-
derts den Gebrauch des Nahmens im weiten Sinne bey
ihnen allgemein eingefuͤhrt.
Dionyſius ſagt 28), vor Herkules Zeitalter haͤtten
die Griechen die ganze Halbinſel Heſperien oder Auſonien,
die Einheimiſchen aber Saturnia genannt. Wir wollen
die Thorheit hiſtoriſcher Beſtimmungen des fruͤheren in
der mythiſchen Zeit nicht ernſthaft ruͤgen: conſequenter
aber kluͤgelten jene alexandriniſchen Kritiker, welche Apol-
lonius tadelten, daß er Auſonia bey dem Argonauten-
zuge nannte, welches ſeinen Nahmen von einem Sohn
des Odyſſeus und der Kalypſo empfangen habe 29).
Heſperien, als antiker Nahme Italiens, wird von
den Roͤmiſchen Dichtern nach Griechiſchen Vorgaͤngern
haͤufig gebraucht; bey den Griechen ſelbſt findet es ſich
aͤußerſt ſelten. Die Inſchriften der Tabula Iliaca machen
es wahrſcheinlich daß Steſichorus in der Ἰλίου πέϱσις
von Aeneas Auswanderung nach Heſperien ſang 30),
und Agathyllus bey Dionyſius ſagt, Aeneas eilte nach
Heſperia 31). Aber eigentlich umfaßte es, als Hesperia
magna,
[33]magna, das geſammte Weſtland, von dem Italien
nur einen Theil ausmachte, zu dem auch Iberien gehoͤrte.
So ſind, nach unſerm Sprachgebrauch, die Levante und
Anatolien als Theile in dem Orient begriffen. Auſonia
war urſpruͤnglich gleichbedeutend mit Opika: nachher
ward es von dem Lande zwiſchen dem Apenninus und
dem untern Meer gebraucht 32). Wie Hekataͤus Nola
eine Auſoniſche Stadt nannte 33), haͤtte ein andrer ſie
eine Stadt in Opika genannt. In der zweyten Be-
deutung iſt Auſonia, bey Apollonius 33 b), allerdings
die ganze Weſtkuͤſte Italiens am untern Meer, ſelbſt
Tyrrhenien begreifend; aber dieſer Dichter, der un-
ter Ptolemaͤus Euergetes (von 506 — 531) ſchrieb, war
ſchon an einen allgemeinen Nahmen fuͤr die Halbinſel ge-
woͤhnt. Lykophron, unter Philadelphus, nennt ſo ihre
ganze ſuͤdliche Haͤlfte, weil ſie zu ſeiner Zeit Italien hieß,
noch mit Ausſchluß von Tyrrhenien und Ombrika 34).
31)
Erſter Theil. C
[34] Saturnia, welcher Nahme nach Dionyſius in den (ſpaͤ-
tern) Sibylliniſchen Orakeln gebraucht ward, iſt wohl
allerdings bei den alten Latinern, in einem fuͤr uns nicht
zu beſtimmenden Umfang, die Benennung eines Theils
des mittlern Italiens, worin Latium enthalten war, ge-
weſen: daher die Saturniſchen Verſe, im eigenthuͤmli-
chen Rhythmus dieſer Nationen geſungen. Aber die
Spuren dieſes Nahmens ſind ſo ſchwach, daß wir nur
dies mit Ueberzeugung ſagen koͤnnen: er galt gewiß nie
allgemein fuͤr die Halbinſel.
Die Oenotrer.
Von dem Urſprung der Oenotrer ſagt Phereky-
des 35), Oenotrus ſey einer von den zwey und zwanzig
Soͤhnen des Lykaon, nach ihm waͤren die Oenotrer be-
nannt, wie von ſeinem Bruder Peuketius die Peuketier
am Joniſchen Meerbuſen. Sie zogen aus Arkadien 36)
ſiebzehn Menſchenalter vor den Troiſchen Zeiten, mit vie-
len Arkadiern und andern Griechen denen das Land zu eng
war; und dieſes, bemerkt Pauſanias 37), iſt die aͤlteſte
Colonie, nicht nur der Griechen ſondern auch der Bar-
baren, wovon ſich eine Erinnerung erhalten hat.
Dieſe Genealogieen und dieſe Sagen kann kein ernſt-
hafter Mann als hiſtoriſche Erzaͤhlungen behandeln. So
34)
[35] waͤre der Verſuch verlohrne Muͤhe, die Genealogie des
Pherekydes mit der widerſprechenden bey Apollodor zu
vereinigen, worin Oenotrus fehlt 38). Nehmen wir ſie
aber als Voͤlkertafeln, wie die Moſaiſche, ſo erhalten
ſie auch daſſelbe Intereſſe wie dieſe, indem ſie die alte
Meinung uͤber die Verwandtſchaft der Voͤlkerſtaͤmme dar-
ſtellen: und ſo moͤgen ſie wohl keineswegs von den
verhaͤltnißmaͤßig jungen Genealogen erſonnen, ſondern,
ſofern dieſe nicht Gedichten von der Art der Theogonie
folgten, aus geheiligten Sagen oder Verzeichnungen,
wenn auch ohne Zweifel ohne Pruͤfung, entnommen ſeyn.
Daß ſie zum Theil auf ſehr falſchen Vorausſetzungen be-
ruhen iſt an der moſaiſchen nicht zu verkennen, welche
Voͤlker die unlaͤugbar zu ganz verſchiedenen Familien ge-
hoͤren als verwandt betrachtet. Mit noch groͤßerem
Mißtrauen muͤſſen wir die griechiſchen Genealogieen ge-
brauchen. Doch iſt es auffallend und merkwuͤrdig, daß
die Oenotrer und Peuketier, nebſt den Theſprotern (bey
Apollodor, der uns ſtatt Pherekydes oder Akuſilaus gelten
muß), ſo wie die Maͤnalier und andre Arkadiſche Staͤm-
me vom Pelasgus abgeleitet werden. Die Meinung der
Griechen von einem gemeinſchaftlichen oder verwandten
Urſprung dieſer Voͤlker verdient ſicher nicht unbeachtet
als ein leichtſinniges mythologiſches Maͤhrchen verwor-
fen zu werden.
Wir muͤſſen uns bey der Unmoͤglichkeit beruhigen,
mit Zuverlaͤßigkeit beſtimmen zu koͤnnen, welches Volk
die Pelasger waren? wie von den Griechen unterſchie-
C 2
[36] den? ob diejenigen, welche an verſchiedenen Orten er-
waͤhnt werden, zu einem Stamm gehoͤrten? Alle Erwaͤh-
nungen dieſer Nation, die aus der lichteſien hiſtoriſchen
wie aus der dunkelſten Zeit, ſind uns Raͤthſel, an deren
allgemein genuͤgenden Aufloͤſung derjenige am entſchieden-
ſten verzweifelt der ihnen am meiſten nachgeforſcht hat.
Hier iſt nicht der Ort einer weitlaͤuftigen Unterſu-
chung: als ausgemacht kann indeſſen angenommen wer-
den, daß die Pelasger in der Sprache von den Griechen
unterſchieden waren: daß die aͤlteſten Bewohner Theſſa-
liens und des Peloponneſus von ihrem Stamm geweſen;
und daß viele Pelasgiſche Voͤlker, wie die Arkadier und
Attiker, ſich in Griechiſche verwandelt haben. Hoͤchſt
wahrſcheinlich waren die Epiroten — Epirus im weiteſten
Sinn genommen, worin es die dem Peloponneſus gegen-
uͤberliegende Kuͤſte erreichte — Pelasger, wie viele ſie
nannten 39), von den Dodonaͤern iſt es außer Zweifel.
Auch bey dieſen Epiroten, welche noch Thukydides
Barbaren nennt, veraͤnderte ſich die Sprache allmaͤhlich,
und ohne Eroberung und Einwanderung, in die Grie-
chiſche, von der ihre Nachkommen wie die Einwohner des
eigentlichen Griechenlands einen verdorbenen Jargon re-
den. Eine aͤhnliche Umwandlung hatte ſich auch, nach
Diodorus 40), und wie die Verriniſchen Reden bezeugen,
der Siculer bemeiſtert, obgleich die Griechiſche Coloniſa-
tion der Inſel nur ſehr wenige Staͤdte des Innern erreicht
[37] haben. Dies macht eine Analogie und Verwandtſchaft
der allerdings verſchiedenen Sprachen wahrſcheinlich, wie
ſie etwa zwiſchen dem Slavoniſchen und dem Litthauiſchen
beſteht, wo wir auch aͤhnliche Folgen, eine allmaͤhliche
Vertauſchung dieſer gegen jene Sprache, bemerken: und
zwar eine aͤhnliche Analogie bey den Siculern, welche
Oenotrer waren, wie bey den Epiroten. Der Nahme der
Choner, der noͤrdlichen Oenotrer, ſcheint einerley mit dem
der Chaoner, des epirotiſchen Volks an dem Cerauniſchen
Gebuͤrg, gegenuͤber von Japygiens Cap; und ehe Victo-
rius bey Ariſtoteles aͤnderte, las man bey ihm Chaoner
ſtatt Choner. Wir koͤnnen alſo in dieſem Sinn mit der
alten Genealogie die drey Voͤlker, Epiroten, Oenotrer
und Peuketier, fuͤr Zweige des Pelasgiſchen Stamms hal-
ten; aber ſolche Verbruͤderung berechtigt nicht Auswan-
derung zu folgern. Dieſe Meinung wird durch den Trug-
ſchluß veranlaßt, Voͤlker eines gemeinſamen Stammes
muͤßten einen gemeinſchaftlichen Urſprung gehabt haben,
von dem ſie genealogiſch ausgingen. Eine Anſicht, die auch
bey den Alten herrſchte, wenn gleich ſie viele urſpruͤnglich
verſchiedene Geſchlechter der Menſchen anerkannten; und
die, wenn ſie conſequent bis zur Annahme der gemein-
ſchaftlichen Abſtammung aller von einem Stammpaar ge-
fuͤhrt iſt, bey unbefangner Pruͤfung in ihrer Unhaltbarkeit
erſcheint, ſobald man das fuͤr dieſe Meinung ganz unent-
behrliche Wunder der Sprachverwirrung aufgiebt: ein
Wunder, welches freylich in Hinſicht der phyſiſch nicht
auffallend verſchiedenen Staͤmme hinreicht. Erkennt man
aber, daß aller Urſprung jenſeits unſrer, nur Entwicke-
[38] lung und Fortgang faſſenden Begriffe liegt, und be-
ſchraͤnkt ſich, von Stufe auf Stufe im Umfang der Ge-
ſchichte zuruͤckzugehen, ſo wird man Voͤlker eines Stam-
mes, das heißt, durch eigenthuͤmliche Art und Sprache
identiſch, eben an ſich entgegenliegenden ſonſt gleichar-
tigen Kuͤſtenlaͤndern vielfach antreffen, ohne daß es
der Vermuthung beduͤrfte, eine von dieſen getrennten
Landſchaften ſey ihr urſpruͤnglicher Sitz geweſen, von
wo ein Theil nach der andern gewandert waͤre. So finden
wir unter den Voͤlkern Italiens auf der weſtlichen Kuͤſte
des adriatiſchen Meers dieſelben Illyriſchen, welche
das gegenuͤberliegende Ufer bewohnen; ſo auf den In-
ſeln des Mittelmeers Iberer, ſo in Gallien und Bri-
tannien Celten. Dies iſt die Analogie der Geographie der
Geſchlechter der Thiere und der Vegetation, deren große
Bezirke durch Gebuͤrge geſchieden werden, und beſchraͤnkte
Meere einſchließen.
Außer den Voͤlkern welche in ihrer Sprache und Art
bis auf ſtaͤrkere oder geringere Abſchattungen eins ſind,
giebt es andre die, bey einer unlaͤugbaren Verwandtſchaft,
doch ſo von einander abweichen, daß man um dieſe zu er-
klaͤren nach der gewoͤhnlichen Meinung entweder eine Ver-
miſchung, oder, wenn ihre Sprachen das Gepraͤge un-
verfaͤlſchter Entwickelung tragen, eine unerklaͤrliche ſelbſt-
thaͤtige Ausartung annehmen muͤßte, obgleich die Erfah-
rung regelmaͤßige Erhaltung der Analogie unter allem
Einfluß der Zeit darthut. So iſt die Verwandtſchaft der
Perſiſchen mit der Slavoniſchen Sprache im Bau und in
der Etymologie auffallend, wie in einigen Punkten mit
[39] der Deutſchen: ſo iſt eine Grundverwandtſchaft zwiſchen
der lateiniſchen und griechiſchen Sprache anerkannt, die
weit mehr als eine bloße Einmiſchung iſt welche nur
Worte giebt und veraͤndert; dennoch aber, auch fuͤr den
Grundtheil der erſten in dem einſt die Verwandt-
ſchaft rein beſtand ehe Vermiſchung mit ganz fremden
Voͤlkern ſie voͤllig umbildete, eine eben ſo entſchiedene
Grundverſchiedenheit uͤbrig laͤßt. Aber dies iſt nicht auf-
fallender als die Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten,
nach denen in der Natur uͤberhaupt Arten, und vieles was
Spielart ſcheint, unveraͤnderlich fuͤr ſich beſtehen, und zu
einer Gattung gehoͤren.
Griechen koͤnnen wir daher die Oenotrer nicht mit
Dionyſius nennen: in ſehr alten Zeiten war der Pelopon-
neſus ſelbſt noch nicht griechiſch: aber ich halte es auch
fuͤr eine ſo wahrſcheinliche Muthmaßung, wie uͤber die-
ſes Alterthum gebildet werden kann, daß ſie und die
Peuketier dem griechiſchen Stamme geſchwiſterlich ver-
wandt waren 41).
Die Oenotrer, welche mit dieſem Nahmen wohl nur
von den Griechen genannt wurden, wohnten nach der
[40] ſchon angefuͤhrten Erzaͤhlung des Antiochus, in Bruttium
und im ſuͤdoͤſtlichen Lucanien. Zwey Voͤlker werden un-
terſchieden: die Italieten, in dem kleinen Bezirk des ur-
ſpruͤnglichen Italiens, innerhalb der Landenge zwiſchen
dem Scyllaciſchen und dem Napetiniſchen Meerbuſen;
die Choner, noͤrdlich und außerhalb der Landenge bis an
Japygien. Herodot rechnet auch die Weſtkuͤſte Lucaniens
zu Oenotrien; die, wo Elea von den Phokaͤern gegruͤndet
ward 42). Hier lagen auch Oenotriſche Inſeln. Jene
ſollen als Hirten gelebt haben, bis, lange vor Minos Zeit-
alter, Italus, ein maͤchtiger, weiſer und tapferer Mann,
durch Ueberredung und Gewalt ſie zu einem Volk verei-
nigte, zum Ackerbau bewog, und ihnen Geſetze gab; ſo
daß das umgebildete Volk ſich und ſein Land nach ihm
nannte. Durch ſeine Geſetze wurden Syſſitien einge-
fuͤhrt; gemeinſchaftliche Mahlzeiten der Maͤnner, zu de-
nen jeder ein vorgeſchriebenes Maaß ſteuerte. Die Sitte
erhielt ſich mit einigen andern Italus zugeſchriebenen Ge-
ſetzen ſehr ſpaͤt, und ſo lange als noch einige Ueberreſte der
Nation beſtanden 43).
Die Erzaͤhlung wie ſich die Italieten in zwey abge-
ſonderte und feindſelige Voͤlker, Sikeler und Morgeten,
geſchieden haͤtten, kann nur als eine mythiſche Bezeich-
[41] nung der oͤnotriſchen Abſtammung jenes auf ſeiner Inſel
großen Volks geachtet werden: fuͤr die Geſchichte gehoͤrt
ſie nicht. Auch gilt es uns gleich daß der Zeitpunkt ihrer
Auswanderung von verſchiedenen Zeugen, zwiſchen deren
Autoritaͤt wir nicht zu waͤhlen vermoͤgen, um zwey Jahr-
hunderte abweichend angegeben wird, von Philiſtus acht-
zig Jahr vor, von Thukydides, wahrſcheinlich nach An-
tiochus, fuͤnf Vierteljahrhunderte nach dem Troiſchen
Kriege 44). Ueber Voͤlkerwanderungen bleibt, in Hinſicht
des Landes woher die Vorvaͤter auszogen, und uͤber die
Staͤmme welche ſie verdraͤngten, gewoͤhnlich eine reine Sage
erhalten; und ſo koͤnnen wir fuͤr hiſtoriſch halten, daß ſie
von den Auſonern 45) aus ihrer Heimath verdraͤngt wur-
den. Dieſes aber deutet auf alte Wohnſitze oͤnotriſcher
Staͤmme in jenen weſtlichen Gegenden, welche nachher im
Beſitz der Auſoner waren, bis ſie ſelbſt den Sabellern un-
terlagen: ſogar bis Falerii in Etrurien; denn von Sicu-
lern in dieſer Gegend an beiden Ufern der Tiber redete die
lateiniſche Tradition auf eine unverdaͤchtige Weiſe, als
den aͤlteſten Bewohnern des Landes Saturnia 46): und
ſchon die lateiniſche Sprache zeigt auf ein altes den Grie-
chen verwandtes Volk hin, das, von den Aboriginern un-
terjocht, ſich in ihnen aufloͤßte. Ortnahmen im Umfang
[42] von Opika deuten auf Stifter aus einem Volk gleicher
Art 47). Die Dunkelheit dieſer Geſchichtszeit gebietet
Kuͤhnheit oder voͤllige Vernachlaͤßigung, und ſo wage ich
die Vermuthung, daß in uralten Zeiten ein Volk, den
Epiroten verwandt, von Etrurien her die ganze Kuͤſte
am untern Meer, und die großen Vorgebirge Suͤditaliens
bewohnte, allmaͤhlich aber von noͤrdlicheren Staͤmmen
uͤberwaͤltigt und vertilgt ward.
Der Roͤmiſchen Geſchichte ſind die Oenotrer fremd:
ſie gehoͤren der des ſchoͤnſten Zeitalters von Großgrie-
chenland an, welche faſt gaͤnzlich vernichtet iſt. Cato
nannte ſie, wie es ſcheint, gar nicht in der Urgeſchichte
Italiens 48): auch war nicht allein als er ſchrieb jede
Spur dieſes Volks in dem vom unterſten Grund auf zer-
ruͤtteten und verwuͤſteten Suͤditalien, ſondern auch jedes
Andenken vertilgt, außer in ſeltnen griechiſchen Schrif-
[43] ten, die er nicht las. Schon als die Roͤmer dieſe Gegen-
den mit ihren Waffen erreichten, fanden ſie keine Oeno-
trer mehr; nur Lucaner und Bruttier. Die Griechiſchen
Niederlaſſungen aber, welche auf dieſer Kuͤſte ſchon vor
dem Anfang der Roͤmiſchen Zeitrechnung begannen, hat-
ten nur jene Voͤlker, Sikeler oder Italer, und Choner an-
getroffen: Lucaner waren damals noch gar nicht 49).
So ſagt Strabo: aber mit Ausdruͤcken, welche die
falſche Meinung veranlaſſen, die Lucaner waͤren doch ſehr
alte Bewohner dieſer Gegenden geweſen; nur juͤnger als
der Anfang der griechiſchen Staͤdte. Daß ſie eingewanderte
Sabeller waren iſt allgemein anerkannt, aber es daͤucht un-
wahrſcheinlich, daß ein ſo weitherrſchendes Volk nur eine
kurze Dauer ſelbſtſtaͤndigen Daſeyns genoſſen habe: doch iſt
es ſo. Antiochus von Syracuſaͤ (329) redete als Zeitge-
noſſe von den Oenotriſchen Voͤlkern, und erwaͤhnte weder
der Lukaner noch der Bruttier 50) in der Geſchichte des
damaligen Italiens, welche bis auf ſeine Zeiten her-
abging 51). Dies beweißt unwiderſprechlich daß die
Einwandrer damals noch nicht erſchienen waren.
Metapontum war eine der juͤngeren großgriechiſchen
Staͤdte: geſtiftet, weil es den Achaͤern in Sybaris zu
[44] ſchwer fiel, die entlegne Landſchaft gegen Tarent zu be-
haupten. Genau laͤßt ſich die Zeit nicht beſtimmen; das
Mittel zwiſchen der Gruͤndung Tarents und Sybaris Zer-
ſtoͤrung faͤllt gegen die Mitte des zweyten Jahrhunderts
der Stadt. Aelter alſo waren wohl gewiß nicht die Kriege
der Metapontiner gegen Tarent und die hoͤher woh-
nenden Oenotrer, in denen ſie genoͤthigt wurden, einen
Theil ihres Landes abzutreten 52). Vielleicht in das erſte
Jahrhundert faͤllt die Einwandrung der, vor den erobern-
den Lydiern fliehenden Joner, an den Siris, wo ſie Cho-
ner fanden, und unmenſchlich ausrotteten 53).
Innere Beweiſe gewaͤhrt in Menge alles, was von
der aͤlteren Geſchichte Großgriechenlands bekannt iſt. Um-
geben von Lucanern haͤtte Sybaris nicht uͤber vier Voͤlker
und fuͤnf und zwanzig Staͤdte herrſchen koͤnnen 54), als
es 241 zerſtoͤrt ward: Thurii ward ohne allen Widerſtand
der umwohnenden Barbaren hergeſtellt; die Lucaner aber
[45] vertilgten die meiſten griechiſchen Staͤdte, ſo viel fehlte
daß ſeitdem ſie geherrſcht Griechen ſich an ihrer Kuͤſte
haͤtten niederlaſſen koͤnnen. Noch im Jahr 319 endigten
Thurii und Tarent einen Krieg uͤber die Siritiſche Land-
ſchaft durch Gruͤndung der gemeinſchaftlichen Colonie He-
raklea; nur die griechiſchen Staͤdte machten ſich, oder ihnen
die Meſſapier, die Herrſchaft dieſer Landſchaft ſtreitig 55).
Im Gegentheil, wo die Geſchichte die Lucaner zuerſt
nennt (Ol. 97. 3. J. 362.), meldet ſie auch von einem
allgemeinen Vertheidigungsbuͤndniß gegen dieſes Volk,
wozu die Gefahr alle Italioten 56) vereinigt hatte. Die
Todesſtrafe, welche uͤber den Feldherrn der Stadt ver-
haͤngt war deren Huͤlfsvoͤlker bey einem lucaniſchen Ein-
fall in griechiſches Gebiet ausblieben, zeigt wie furchtbar
die Gefahr drohte: doch zaͤhlten die Lucaner damals
noch nicht mehr als vier und dreyßigtauſend Streiter 57).
In jenem Jahr wurden die Thurier bey Laos 58) voͤllig
geſchlagen, und faſt vertilgt: von dieſer Schlacht beginnt
[46] der Lucaner Groͤße, und der griechiſchen Staͤdte Ver-
fall. Die erſte Eroberung der Lucaner war Poſido-
nia 59): die neueſten griechiſchen Muͤnzen dieſer Stadt
koͤnnen nach ihrem Gepraͤge wohl nicht auch nur gegen den
Anfang des vierten Jahrhunderts der Stadt hinaufgeſetzt
werden: ſo daß es nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſchon da-
mals die Lucaner, welche Altitalien um 329 noch gar nicht
betreten hatten, auch nur dieſen Winkel des alten Au-
ſoniens beſaßen, von dem ſie ſich in den folgenden dreyßig
Jahren ſo weit ausgebreitet hatten, daß die ſybaritiſche
Pflanzſtadt Laos ihnen gehoͤrte, und die Oſtkuͤſte vor ihren
Einbruͤchen zitterte.
Zwey Hauptſtaͤdte der Choner werden genannt: Cho-
ne, welches dem Volk ſeinen Nahmen gab 60), und Pan-
doſia, der Sitz ihrer Koͤnige 61). Als aber die griechi-
ſchen Staͤdte in ihrer hoͤchſten Bluͤthe lebten, war ihnen
ohne Zweifel das ganze Volk unterworfen. Pandoſia
ſelbſt ward eine griechiſche Stadt 62), wie beyde Kuͤſten
mit griechiſchen Pflanzorten beſetzt waren. Auf dieſem
ſchmalen Vorgebuͤrge hat die zauberiſche Gewalt griechi-
ſcher Natur, welche die Fremden ſo leicht ergriff, ohne
Schwierigkeit die Eingebohrnen in Griechen umgebildet,
und dem geſammten Lande ſeinen ſtolzen Nahmen mit
Recht gegeben. Wie fabelhaft auch die Erzaͤhlung von
Sybaris Groͤße und Fall zu achten iſt: ohne die willige
[47] Ertheilung des Buͤrgerrechts an viele Tauſende, welche
auch bezeugt wird 63), konnten die Nachkommen der er-
ſten Anſiedler keine Ringmauer von funfzig Stadien 64)
fuͤllen. So beſtanden die Oenotriſchen Voͤlker wohl nir-
gends mehr ſelbſtſtaͤndig, noch von den Griechen verſchie-
den, als die Lucaner alle Herrlichkeit dieſes Landes ver-
tilgten. Falſch ſagt Strabo, ſie haͤtten die Choner und
Oenotrer vertrichen 65): ſie hatten nicht einmal dieſe, ſon-
dern ihre Oberherren zu bekriegen, wo ſie noch nicht durch
Buͤrgerrecht unzertrennlich mit ihnen vereint waren; und
da aͤnderten die Oenotrer ihre Herren; ſonſt wurden ſie
aus freyen Griechen unterthaͤnig. Ariſtoteles (um 415)
redet von den Chonern als einem erloſchenen Volk, wel-
ches allerdings, da die Lucaner damals ſchon laͤngſt groß
geworden waren, nur dann eine fruͤhere allmaͤhliche Um-
wandlung der Nation bewaͤhrt, wenn die ganze Stelle,
welches von der alten Voͤlkergeſchichte die ſie enthaͤlt klar
iſt, nur, als aus Antiochus entlehnt, auf die Zeit dieſes
Hiſtorikers bezogen werden muß 66). Dann wuͤrden auch
wohl die Italer, welche noch an den alten Geſetzen hiel-
ten 67), keine andre ſeyn, als die Sikeler, von denen im
aͤußerſten Suͤden Italiens zu Thukydides Zeit 68) noch
[48] einige uͤbrig waren: von demſelben Stamm, den die Lo-
krer am Zephyrium bey ihrer Niederlaſſung gefunden
hatten 69).
Die Auſoner.
Gegen Tyrrhenien von den Oenotrern, wohnten, ſagt
Ariſtoteles, die Auſoner, damals und noch jetzt Opiker
genannt 70). Ihre Graͤnze mit den Oenotrern war, nach
Antiochus Beſtimmung des weſtlichen Oenotriens, der
Laos: anders nach Herodot, der Elea auf Oenotriſchem
Boden gegruͤndet nennt. Noch ſuͤdlich vom Laos ſoll Te-
meſa, woher die Griechen des homeriſchen Zeitalters Ku-
pfer zogen 71), von den Auſonern gegruͤndet geweſen
ſeyn 72). Dies kann aber nur als eine Eroberung jenſeits
der eigentlichen Graͤnzen Auſonias oder Opikas an-
geſehen werden, welche wir nach Antiochus, als bei wei-
tem der hoͤchſten Autoritaͤt in dieſer Voͤlkergeſchichte, oͤſt-
lich am Laos annehmen, und bis an die Tiber ausdehnen,
denn auch Latium hieß Ariſtoteles eine Landſchaft von
Opika 73).
Sie
[49]
Sie wohnten aber in den aͤlteſten Zeiten nicht allein
in dem Kuͤſtenland dieſer weitlaͤuftigen Gegend, ſondern
ſie hatten auch Sanmium inne, ehe die Sabeller ſich dort
niederließen 74), dieſe Nation welche den groͤßten Theil
ihrer einſt zahlreichen Staͤmme von der Erde vertilgte.
Denn auch der Auſoner Geſchichte und Groͤße gehoͤrt ur-
alten Jahren an; in der roͤmiſchen Zeit finden wir ihre
erhaltnen Voͤlkerſchaften nur noch weſtlich vom Vulturnus.
Die Sidiciner, deren Stadt Teanum war, gehoͤrten zu
dem Volk der ausgeſtorbnen Oſker 75): ein kleines
Volk, welches den Nahmen der Auſoner ausſchließlich
fuͤhrte, bewohnte Cales, und drei Staͤdte um den Aus-
fluß des Liris; dieſes ward in zwei unverſchuldeten Vertil-
gungskriegen (419 und 440) von den Roͤmern ausgerot-
tet 76). Daß die Aurunker Auſoner waren, ſagte Dio
Caſſius 77), welcher den urſpruͤnglichen Gebrauch des
Nahmens Auſonien, irrig, auf ihre Landſchaft beſchraͤnkt.
Es iſt eine richtige Bemerkung, daß die beiden Worte nur
durch Ausſprache und Form abweichen, eigentlich iden-
tiſch ſind 78). Aurunker wohnten oͤſtlich vom Liris zu
Erſter Theil. D
[50] Sueſſa: fruͤher aber auch in Latium unter den Volſ-
kern 79). Es ſcheint mir aber auch hoͤchſt wahrſcheinlich,
daß die Volſker Auſoner waren. Nicht deswegen allein,
weil kein anderer italiſcher Hauptſtamm uͤbrig iſt, zu dem
ſie gezaͤhlt werden koͤnnen: denn wie ſie den Latinern fremd
waren, ſo waren ſie auch weder Etruſker noch Sabeller.
Sie werden von Ariſtoteles, der Latium zu Opika zaͤhlt,
offenbar zu dieſem Lande gerechnet; und jenes geſchah wahr-
ſcheinlich eben weil die bedeutenden Kuͤſtenſtaͤdte Latiums
Volſkiſch waren. Skylax Volſker 80) beginnen erſt oͤſt-
lich von Circeji, und ſind eben die vorher erwaͤhnten Au-
ſoner und Aurunker. Volſker und Oſker ſind derſelbe, nur
in jener Ausſprache breiter gebildete Volksnahme 81).
Waren nun die Volſker vom auſoniſchen Stamm, ſo auch
ohne Zweifel die Aequer, ſo innig mit ihnen verbuͤndet
daß es oft kaum moͤglich iſt ſie als zwei unterſchiedene Voͤl-
ker zu betrachten. Ob auch die Herniker dieſes Geſchlechts
waren, iſt viel zweifelhafter.
[51]
Polybius, ſo einſichtsvoll als Geſchichtsſchreiber ſei-
ner Zeit, iſt nichts weniger als eine Autoritaͤt wenn er
die Urzeiten beruͤhrt, deren Erforſchung fuͤr ſeine Sinnes-
art nicht paßte, wie er ſie auch als Fabeln verſchmaͤhte.
Ihn irrte, daß er ein zahlreiches Volk in den Wohnſitzen
der alten Opiker fand welches noch dieſen Nahmen trug:
und ſo unterſchied er, als alte Bewohner Campaniens,
Opiker und Auſoner 82). Andere gingen noch weiter, und
nannten Opiker, Auſoner und Oſker (unter den letzten die
ſabelliſchen Campaner verſtehend) als drei Voͤlker die nach
einander dieſe Gegend bewohnt haͤtten 83). Opicus und
Oscus aber iſt ganz daſſelbe 84). Die auſoniſchen Opiker
hatten dem Lande ihren Namen gegeben; von dieſen ging
er auf das eingewanderte Volk uͤber, wie wir die Englaͤn-
der auch Britten: ſpaniſche Creolen Mexicaner und Pe-
ruaner nennen. Und gerade wie der Auslaͤnder den Walli-
ſer, dem der Nahme eines Britten eigentlich gebuͤhrt, am
wenigſten ſo nennt, ging auch im Roͤmiſchen Sprachge-
brauch der oſkiſche Nahme auf die campaniſchen Samniter
ſo uͤber, daß er den alten auſoniſchen Staͤmmen entzogen
ward. Ihre Sprache ward unter allen Sabelliſchen Dia-
lecten, durch die alte Verbuͤrgerung und haͤufige Familien-
verbindungen, aber auch durch die Atellaniſchen Farcen,
den Roͤmern am meiſten vertraut; und von ihr, die jetzt
oſkiſch genannt ward, ging dieſer Nahme auf alle ver-
D 2
[52] wandte ſabelliſche Mundarten uͤber. So wird nicht nur von
den Samnitern geſagt daß ſie oſkiſch redeten 85), ſondern
auch von den Bruttiern 86). Daher unterſchied auch der
Komiker Titinius die volſkiſche und oſkiſche Sprache 87):
jene bezeichnete damals wohl die aller noch erhaltner auſo-
niſcher Staͤmme.
Ich habe ſchon bemerkt daß Antiochus Erzaͤhlung,
verbunden mit andern keineswegs verwerflichen Sagen
und Sprachgruͤnden, ſchließen laͤßt daß die Auſoner
Siculer, ein dem Griechiſchen Stamm verwandtes Volk,
aus ihren Wohnſitzen, dem ſpaͤteren Auſonien, vertrieben
hatten. Auch die italiſchen Wanderungen haben im Nor-
den begonnen: und die Gegenden in denen die letzten Au-
ſoner ſich erhalten hatten, moͤgen ihre erſten Eroberungen
geweſen ſeyn. Der Wechſel des Schickſals traf im Ver-
lauf der Zeit die Eingewanderten. Im zweyten Jahrhun-
dert nach Troja ſetzten ſich Chalkidier an der Campaniſchen
Kuͤſte zu Kuma feſt, und gewannen die phlegraͤiſchen Ge-
filde, die ſelige Campaniſche Ebne (Campania felix).
Eine ſpaͤtere Niederlaſſung eines naͤheren und weit maͤch-
tigeren Volks beſchraͤnkte die Macht der Griechen, und
vollendete die Unterwerfung der Opiker dieſer Gegenden.
Die Tyrrhener beherrſchten das untere Meer; und ohne
Zweifel waren es thre Flotten, welche Colonieen an den
Vulturnus fuͤhrten: wie ſie auch Cupra in Picenum gruͤn-
[53] deten, ohne daß dieſes als Beweis ihrer Herrſchaft uͤber
ganz Italien angefuͤhrt werden darf. Eine Auswandrung
durch das Land, bey der ſie durch die Latiner und Vols-
ker, ſie zuruͤcklaſſend, durchgedrungen waͤren, iſt faſt un-
denkbar. Zwar erzaͤhlt die alte Sage, daß Mezentius
uͤber die Rutuler und Volſker herrſchte 88); aber dieſes
Joch ward, nach ihrem eignen Inhalt, durch den lati-
niſchen Krieg gebrochen, und das Ganze iſt unvertraͤglich
mit dem ſchon hiſtoriſchen Zeitpunkt der Auswandrung der
tyrrheniſchen Pelasger, welche die Etrusker erſt bis an
die Tiber brachte. Freylich haben auch die Roͤmer durch
das Land Colonieen an weit entfernte Orte geſandt, aber
ſie beherrſchten dann die in der Mitte liegenden Gegen-
den, und nie haͤtte Rom groß werden koͤnnen, wenn alles
zwiſchen Tiber und Vulturnus den Etruskern gehorſam
geweſen waͤre. Es haͤtte nicht entſtehen koͤnnen, denn un-
terwuͤrfige Voͤlker ſtiften keine Colonieen. Acht und vier-
zig Jahre vor Rom ſollen Capua, damals Vulturnum ge-
nannt, und Nola von den Etruskern gegruͤndet ſeyn 89),
welche auch in dieſen Gegenden zwoͤlf Staͤdte bewohnt ha-
ben ſollen 90). Bis an den Silarus war die Kuͤſte Etru-
ſkiſches Gebiet; hier nahmen Samniter die Tyrrheniſche
Stadt Marcina ein 91).
Die Tuskiſchen Colonieen in Opika, entfernt von dem
ſchon ſinkenden Mutterlande, erlagen unter den Angriffen
[54] der ſich maͤchtig ausbreitenden Samniter. Das Campa-
niſche Volk entſtand nach Diodor in Ol. 85. 3. Jahr
Roms 314. 92) Nach Livius 93) wurden die Etrusker
zu Vulturnum erſt im Jahr 331 von den Samnitern uͤber-
waͤltigt, denen ſie, als Preis des Friedens, ſchon fruͤher
das Buͤrgerrecht und Wohnung eingeraͤumt hatten: und
dieſe Ueberwaͤltigung der Etrusker iſt doch wohl die Ent-
ſtehung des campaniſchen Volks. Aber in fremder Chro-
nologie iſt Livius nun ganz unzuverlaͤſſig. Auf den Ur-
ſprung der ſamnitiſchen Campaner beziehe ich Catos An-
gabe bey Vellejus 94), Capua habe bis zur roͤmiſchen
Eroberung zweihundert und ſechzig Jahre beſtanden; eine
Angabe, die noch um ein und dreißig Jahre hoͤher hinauf-
geht als Diodors. Kuma, welches von den Eroberern
ſchrecklich behandelt ward 95), iſt ſpaͤter in ihre Gewalt
gerathen; nach Diodor Ol. 89. 4. (331), nach Livius
334 96). Nola und alle uͤbrige Staͤdte moͤgen in der
Zwiſchenzeit gefallen ſeyn. Um das Jahr 390 kennt
Skylax von Karyanda nur Campaner und Samniter vom
Vulturnus bis zum Silarus.
Suͤdlich von dieſem Strohm mag ein auſoniſcher
Stamm die tuſkiſche Einwandrung uͤberlebt haben, bis
er, ſchon laͤngſt durch griechiſche Colonieen von der See
[55] ausgeſchloſſen, unter die Herrſchaft der einwandernden
Lucaner fiel.
Die Sabeller.
Den groͤßten Theil des alten Auſoniens und ganz Oeno-
trien nahmen Sabelliſche Voͤlker ein: Sabeller ſind die
Sabiner, und alle Nationen die von ihnen ausgingen. Sie
ſelbſt nannten ſich Sawini; ſo iſt die Inſchrift der Samni-
tiſchen Denare aus der Zeit des Bundsgenoſſenkriegs: und
der Nahme Samniter oder Sauniter, nach der roͤmiſchen
oder griechiſchen Ausſprache, iſt kein anderer als dieſer
einheimiſche. 97).
Die Sabeller waren eins der Urvoͤlker Italiens, und
als Rom die Graͤnzen von Latium uͤberſchritt, das ausge-
dehnteſte und groͤßte: die Etrusker waren ſchon geſunken,
ſo wie ſie die Nationen fruͤherer Groͤße, Umbrer und Auſo-
ner, hatten ſinken geſehen. Wie die Dorier in ihren
Pflanzvoͤlkern groß waren, der Mutterſtaat aber klein
blieb; und in Frieden lebte, waͤhrend die ausgeſandten
Staͤmme ſich durch Eroberungen und Anſiedelungen weit
verbreiteten, ſo, nach Cato, das alte Sabiniſche Volk.
Ihre urſpruͤngliche Heimath war nach ihm 98) um Ami-
ternum, in den hoͤchſten Apenninen, wo einige Gipfel mit
ewigem Schnee bedeckt ſeyn ſollen, das ganze Gebuͤrge
alpenmaͤßig und ein Hirtenland iſt. Von hier gingen
[56] ſie in ſehr alten Zeiten aus, lange vor den troiſchen, und
hier die Aboriginer, dort die Umbrer verdraͤngend, nah-
men ſie die Landſchaft ein, welche ſeit dreytauſend Jahren
ihren Nahmen traͤgt. Aus dieſer wanderte die uͤberſtroͤ-
mende Fuͤlle des Volks nach verſchiednen Gegenden aus.
Es war eine altitaliſche allgemeine Sitte, in ſchweren Krie-
gen den Goͤttern einen heiligen Fruͤhling (ver sacrum) zu
weihen: alle Geburten des Fruͤhlings, vielleicht des gan-
zen Jahrs: das Vieh ward geopfert, die Jugend wenn ſie
erwachſen war ausgeſandt 99). Dies gelobten die Roͤ-
mer im zweyten Jahr des hannibaliſchen Kriegs, doch
nur von der Habe 100). Solche Geluͤbde veranlaßten
nach der Sage die Auswandrung der Sabelliſchen Pflanz-
voͤlker. Die Goͤtter ſandten heilige Thiere, ſie auf dem
Pfad zu leiten. Ein Specht, der heilige Vogel des Ma-
mers, fuͤhrte eine. Colonie in Picenum, damals Umbriſch
oder Liburniſch; ein Stier eine andre Menge in das Land
der Opiker, und dies ward das große Samnitiſche Volk.
Von dieſem wiſſen wir ſchon hiſtoriſch, daß Pflanzvoͤlker
von ihm ausgingen, die ſich vom Mutterſtaat trennten.
Die Frentaner, an der Kuͤſte des Adriatiſchen Meers, wa-
ren Samniter 1), wohl nicht abgeſondert. Samniter er-
oberten Campanien und das Land bis an den Silarus;
dieſe wurden nachher Picentiner genannt: eine andre
[57] Schaar, nach ihrem Anfuͤhrer Lucius ſich Lucaner nen-
nend 2), eroberte und benannte Lucanien 3).
Man darf annehmen, da dieſes Volk ſein neues Land
zuerſt im Nordweſten bey Poſidonia betrat, daß ihre Aus-
wanderung eine Verfolgung der Samnitiſchen Eroberung
des campaniſchen Etruriens bis an den Silarus, uͤber
dieſen Strohm gegen Suͤden, war, ohne daß es anfaͤng-
lich die Abſicht geweſen waͤre, ein neues ſelbſtſtaͤndiges
Volk zu bilden. Entlegenheit und die Groͤße der Erobe-
rungen trennten die Lucaner vom alten Bunde. Die voll-
endete Einnahme Campaniens gehoͤrt der erſten Haͤlfte des
vierten Jahrhunderts, und in der zweyten erſcheinen auch
erſt die Lucaner in der großgriechiſchen Geſchichte. Aber
nach der Schlacht bei Laos verbreiten ſich ihre Eroberun-
gen reißend, beguͤnſtigt durch die Zerſtoͤrung, welche die
Syrakuſaniſchen Dionyſe uͤber die griechiſchen Staͤdte
brachten. Als Skylax von Karyanda ſchrieb, beherrſch-
ten ſie die ganze Halbinſel vom Silarus bis an die Graͤnze
des Gebiets von Thurii und Heraklea: jenes wird ſchon
zu Lucanien gezaͤhlt: dieſes, weil vom alten Italien die
Rede nicht mehr war, freylich uneigentlich, zu Japy-
gien 4). Das Alter dieſes Geographen kann nicht fruͤher
als gegen 390 angenommen werden. In dem Kriege,
den Dionyſius der juͤngere gegen ſie fuͤhrte (Ol. 105. 2.
[58] J. 393.) 5), begann er eine Linie uͤber die Landenge zwi-
ſchen dem Skyllaciſchen und Navetiniſchen Meerbuſen
zu ziehen, um ſeine italiſchen Staͤdte gegen ihre Einfaͤlle
zu ſchuͤtzen 6). Damals aber hatte auch der Lucaniſche
Staat ſeine groͤßte Ausdehnung erreicht. Schon drey
Jahre ſpaͤter entſtand das Bruttiſche Volk (Ol. 106. 1.
J. 396.) 7) anfaͤnglich ein Raͤuberhaufen zuſammenge-
laufenes Geſindels und empoͤrter Leibeigner, welche ſich
trotzend den Namen Knechte (das bedeutete Bruttius)
beylegten, oder den als Schimpf dargebotenen annah-
men 8). Ihr Urſprung aus gemiſchten Vorvaͤtern, zum
Theil von den durch die Lucaner unterjochten griechiſch
gewordenen Oenotrern, wird dadurch beſtaͤtigt daß ſie
neben der Oſkiſchen Sprache auch Griechiſch redeten. 9).
Den Griechiſchen Staͤdten waren ſie noch ſchrecklichere
Nachbaren als ſelbſt die Lucaner; vielleicht raͤchten ſie
lange geduldete Knechtſchaft; denn es iſt ſehr moͤglich daß
die Ureinwohner unter der Herrſchaft der Griechen groͤß-
tentheils das harte Joch trugen, welches das pontiſche
[59] Heraklea den Mariandynern aufgelegt hatte. Lucanien
aber ward um die groͤßere und ſchoͤnſte Haͤlfte ſeines Um-
fangs vermindert, wofuͤr die ſpaͤtere Eroberung der Siris
kein Erſatz war: dieſe Eroberung, welche drei griechiſche
Helden, Archidamus, Alexander von Epirus und Kleo-
nymus nach Italien zog, und den Sieger durch verzehrend
blutige Kriege ſchwaͤchte.
Außer den Voͤlkern welche in den uns erhaltnen
hiſtoriſchen Nachrichten unzweifelhaft als Sabeller dar-
geſtellt werden, verbuͤrgt uns Ovidius Zeugniß, daß
die Peligner, ſeine Mitbuͤrger, Sabiniſches Stamms
waren 10). Dadurch wird dies auch von den andern
drey Nationen wahrſcheinlich welche um ſie wohn-
ten, den Marſern, Marrucinern und Veſtinern; denn
alle vier haben mit einer Feſtigkeit an einander gehan-
gen, welche auf gemeinſchaftlichen Urſprung ſchließen
laͤßt, obgleich ſie auch bei dieſem oft fehlt. Als die Veſti-
ner ſich mit den Samnitern verbuͤndeten (429), ſchien
ein allgemeiner Krieg mit den uͤbrigen drey Voͤlkern un-
vermeidlich, wenn Rom die neuen Feinde durch einen
ſchnellen Angriff außer Vertheidigung zu ſetzen wagte 11).
Polybius giebt in dem Verzeichniß der Bewaffneten welche
die Voͤlker Italiens in dem großen galliſchen Kriege im
Fall der Gefahr aufbieten konnten, die Groͤße des Aufge-
bots dieſer vier Voͤlker in einer Summe 12). Ennius
[60] nannte ſie ebenfalls zuſammen 13), denn die Marruciner
waren ein Marſiſches Volk 14), ſo daß wer dieſe nannte,
ſie nicht uͤberging. Sonſt ließen ſich uͤber die Marſer an-
dere Vermuthungen aufſtellen; man koͤnnte ſie zu den
Auſonern zaͤhlen wollen: aber es waͤren Moͤglichkeiten ohne
irgend eine Beſtaͤtigung. Nur der Gebrauch der Lateini-
ſchen Schrift ſtatt der Oſkiſch-etruskiſchen, auf den Muͤn-
zen von Teate, und in einer Inſchrift aus dem Marſer-
lande bey Lanzi, koͤnnten mit einigem Schein gegen ihren
ſabelliſchen Urſprung angefuͤhrt werden. Aber wir haben
keinen einzigen Reſt ſabiniſcher Schrift, welcher bewieſe
daß die Samniter die oſkiſche nicht erſt von den campani-
ſchen Tuſkern annahmen, ihr Stammvolk nicht fruͤher die
altlateiniſche gebrauchte und vielleicht beſtaͤndig behielt;
und die Muͤnzen des frentaniſchen Larinum haben
dieſe. Die ſonderbare Sprache jener marſiſchen In-
ſchrift lehrt uns, ſo wie noch jetzt der Zuſtand unſrer
Kenntniß von den altitaliſchen Sprachen beſchaffen iſt,
gar nichts: ſie iſt uͤberdieß aus einem ſpaͤten Zeitalter,
und latiniſirend.
Ein ganz anderes Gewicht als ſolche Moͤglichkeiten
hat fuͤr den ſabelliſchen Stamm dieſer Voͤlker die zu den
vortrefflichſten Italiens gehoͤrten, und noch ſehr lange
[61] die alte Tugend bewahrten, als ſie ſchon bey den Roͤmern
erſtorben war — daß ſie die Sabiner von den Samnitern
trennen. Catos Meinung, alle Sabeller ſtammten aus
dem Bezirk von Amiternum, iſt aus der ſchon geruͤgten
genealogiſchen Anſicht entſtanden, die alle Voͤlker auf den
moͤglich kleinſten und einen einzigen Stamm zuruͤckfuͤhrt.
Wir koͤnnen eine ſo rieſenmaͤßige Vermehrung einer kleinen
Schaar nicht annehmen: der Anwachs des Roͤmiſchen
Volks erklaͤrt ſie nicht: denn die Sabelliſchen Colonieen
waren Voͤlker, die aus der Nation ausgingen. Zur
Zeit ihrer hoͤchſten Groͤße muß ſie mehrere Millionen an
Freyen gezaͤhlt haben. Dreyhundert ſechzigtauſend Picen-
ter unterwarfen ſich Roms Oberherrſchaft im fuͤnften Jahr-
hundert 15). Sind hier auch, wie in Caͤſars Zaͤhlung der
Helvetier, nicht die waffenfaͤhigen Buͤrger allein, ſon-
dern alle freye Individuen gemeint, ſo waren doch
auch die Picenter eine der geringſten ſabelliſchen Nationen.
Iſt es als eine gute Sage, welche durch die Nachrichten
der uralten Umbrer beſtaͤtigt ſeyn konnte, anzunehmen,
daß die Sabiner von Amiternum her gegen den Tiber und
Anio vordrangen, ſo glauben wir auch, daß eben das
Land der vier Nationen, Italiens Scheitel, ihre Heimath
war, wo ſie als ein großes Volk wohnten, wahrſcheinlich
auch den noͤrdlichſten Theil Samniums beſaßen, die Au-
ſoner nur aus dem ſuͤdlichen zu vertreiben hatten.
In Latium und gegen Rom wohnten die Sabiner vor
Alters tiefer hinein, ſuͤdlich vom Anio, und untermiſcht
mit den Latinern, da Collatia und Regillum Sabiniſche
[62] Staͤdte waren 16). Die Roͤmer zaͤhlten ſie unter ihre
Ahnen: und waͤhrend der erſten Jahrhunderte draͤngten
ſie beſtaͤndig gegen Latium vor. Aber mit dem Jahr 306
hoͤren die Sabiniſchen Kriege voͤllig auf; und dies iſt eine
entſcheidende Beſtaͤtigung ihrer ſpaͤteren Ausbreitung in
Suͤditalien. Dahin wandte ſich jetzt der Strohm der
Volksfuͤlle aus allen ſabelliſchen Staͤmmen bis an die Ti-
ber; und die alten Sabiner wurden ganz unbedeutend.
Von den Samnitern, nicht von den Dauniern, ſagt
Skylax, ſie herrſchten von einem Meere bis an das an-
dere, und es faͤnden ſich bey ihnen fuͤnf verſchiedene Spra-
chen 17). Leider iſt dieſe Stelle ſo verdorben daß nur
von beſſern Handſchriften Heil zu hoffen waͤre. Nach den
roͤmiſchen Schriftſtellern ſcheint es ſonſt klar daß alle Sa-
beller eine Grundſprache hatten, welche allerdings in den
eroberten Laͤndern nothwendig durch Einmiſchung der
[63] Sprache der unterjochten, nicht ausgerotteten, Nationen
veraͤndert ward. Varro bewies den Sabiniſchen Ur-
ſprung des Worts Multa dadurch, daß es ſich noch in
der Samnitiſchen Sprache finde 18). Dies laͤßt ver-
muthen, daß die eigentlichen Sabiner, ſchon ſo lange
roͤmiſche Buͤrger, die ihrige nicht mehr redeten; aber
Strabo (unter Tiberius) bemerkt, daß nun auch die
Sprache der Samniter und Lucaner ausgeſtorben ſey 19).
Die Campaniſch-oſkiſche mag ſich am weiteſten von der
Sabelliſchen entfernt, auch am laͤngſten erhalten haben.
Die Sabiner und Samniter wohnten in offnen Flek-
ken: ſehr wenige Staͤdte waren befeſtigt. Die Samniti-
ſche Nation beſtand aus unabhaͤngigen Landſchaften, ohne
Mittelpunkt, nur durch Tageſatzungen und voruͤberge-
hende Einheit verbunden, wie alle freye Voͤlker des Al-
terthums; oft ſelbſt in dringenden Zeiten durch Zwietracht
getrennt. Doch waͤhlten die Magiſtrate der Verbuͤndeten
im Kriege einen ſouverainen Feldherrn, deſſen ſabelliſcher
Wuͤrdennahme Embratur in die lateiniſche Sprache auf-
genommen iſt den hoͤchſten Feldherrn zu bezeichnen. Wir
finden ihn auf den Samnitiſchen Muͤnzen des Bundesge-
noſſenkriegs, fuͤr den großen C. Papius Mutilus; Livius
nennt den Samnitiſchen Oberfeldherrn Imperator,
wie einen Latiniſchen, Dictator. Strabo ſagt 20) die
Lucaner haͤtten ſich in Kriegen einen Koͤnig gewaͤhlt; dies
war die Wahl eines Imperators. Ihre Colonieen waren
[64] neue Voͤlker, ganz unabhaͤngig vom Mutterlande, und
wurden ihm nicht nur fremd ſondern oft feindſelig. Da-
her gab ihnen die Volkszahl keine gleiche Macht gegen
Rom, und ihre Siege nie die Mittel errungene Vortheile
zu behaupten, noch ſich neue zu ſichern, welche Rom in
dem Syſtem der Coloniſation und des Buͤrgerrechts beſaß:
daher ward eine Stadt ſo großer Voͤlker Herr. Keine
Nation war ſich in ihren verſchiedenen Staͤmmen unaͤhn-
lich wie dieſes große Volk: die Sabiner ſparſam, hart,
ſittig: die Campaner uͤppig, weichlich, ſchamlos: die
Samniter und Peligner kriegsluſtig, der Freyheit bis
in den Tod treu: die Picenter feig und kraftlos: die
Sabiner fromm und gerecht: die Lucaner wild, zerſtoͤrend
und raͤuberiſch.
Die Tyrrhener, Tusker oder Etrusker.
Tyrrhenien war, wie Dionyſius ſagt 21), ein Nahme
mit dem vor Alters die Griechen das ganze weſtliche Ita-
lien bezeichneten, und Latiner, Ombriker und Auſoner,
Tyrrhener nannten. Dies mag fuͤr die Zeiten der etruski-
ſchen Groͤße wahr ſeyn, als die Griechen ſie, Campaniens
Herrſcher, bewunderten 22); aber die Dichter dieſer Zei-
ten ſind uns verlohren, und ſo viel folgt nicht aus der
Stelle die unter allen erhaltenen am meiſten ſagt: Latinus
habe uͤber alle Tyrrhener geherrſcht 23). Indeſſen war
in
[65] in den aͤlteren Zeiten kein Volk Italiens den Griechen
durch Kriege und Verkehr ſo bekannt und ſo wichtig als
die Tyrrhener, deren Macht und Seeherrſchaft ſchon
bluͤhte als die Griechen anfingen ihre See zu beſuchen,
und ſich noch Jahrhunderte lang erhielt.
Daß die Erzaͤhlung Herodots von ihrer Auswande-
rung aus Lydien auch nicht in einer lydiſchen Sage gegruͤn-
det geweſen iſt, beweißt Dionyſius mit Xanthus unver-
werflicher Autoritaͤt; daß ſie, auch waͤre ſie Sage, kei-
nen Glauben verdiene, durch die voͤllige Verſchiedenheit
der Sprache, Gewohnheiten und Religion beyder Natio-
nen. Seine Verſicherung, daß die Tyrrhener eine unter
den italiſchen Voͤlkern ganz eigenthuͤmliche Sprache rede-
ten, (welche ſich auch noch ſpaͤter als ſeine Zeit, und wohl
am ſpaͤteſten unter allen nichtlateiniſchen erhielt, wahr-
ſcheinlich durch ihre heiligen Buͤcher) wird durch die In-
ſchriften beſtaͤtigt, in deren Worten auch durch die gewalt-
ſamſten etymologiſchen Kuͤnſte keine Analogie mit der grie-
chiſchen Sprache, oder dem ihr verwandten Stamm der
lateiniſchen entdeckt werden kann. Alſo erklaͤrt ſich hier
hiſtoriſche Autoritaͤt fuͤr das Urtheil, welches eigene An-
ſchauung uns faͤllen heißt; und nichts verwehrt uns in den
Tuſkern ein eigenthuͤmliches Urvolk zu erkennen. Gegen
das einmuͤthige Zeugniß der Alten, die mit gleicher Zu-
verſichtlichkeit die Tuskiſche Sprache von der Sabiniſchen
und Oſkiſchen unterſcheiden, hat ſich unter den italiaͤni-
ſchen Gelehrten die Meinung erhoben, alle Voͤlker Ita-
liens, von deren Sprache ſich Ueberreſte in Inſchriften
finden, mit Ausnahme einiger nahmenloſen Staͤmme
Erſter Theil. E
[66] Suͤditaliens, haͤtten nur Dialecte einer Grundſprache
geredet: dies will man aus den Inſchriften erkennen.
Unbefangene Forſchung wuͤrde wohl das roͤmiſche Ur-
theil uͤber ihre weſentliche Verſchiedenheit außer Zweifel
ſetzen: noch habe ich dieſe weitlaͤuftige Unterſuchung nicht
unternehmen koͤnnen.
Tusker und Etrusker waren ihnen ſo fremde Nahmen
als Tyrrhener 24); ſich ſelbſt nannten ſie Raſena. Der
alte roͤmiſche Sprachgebrauch war Etruria vom Lande,
Tuſci vom Volk: Etrusker iſt ſpaͤter als Cato gebraͤuchlich
geworden. Dies wird dann in der Buͤcherſprache das ge-
woͤhnlichere: das Volk aber muß ſie beſtaͤndiger mit dem
alten Nahmen, der ſich auch durch das Mittelalter er-
hielt, benannt haben, und daher trug das Land ſelbſt, un-
ter den ſpaͤtern Kaiſern, den Nahmen Tuſcia.
Mit gleichem Recht wie die lydiſche Fabel der Joner
verwirft Dionyſius die griechiſche Meinung, welche die
Tyrrhener fuͤr Pelasger hielt. Aber nicht mit gleichem
Erfolg: denn einzelne Stellen der Alten, welche dieſe
Meinung ſtark ausſprechen, ſind von Neueren mit Hart-
naͤckigkeit feſtgehalten worden, und unter ihrem Schutz
haben ſie Dionyſius Kritik Trotz geboten: welcher ſelbſt
einem gleich thoͤrichtem Traum von einer fruͤheren Pelasgi-
ſchen Colonie anhaͤngt.
Auffallend iſt die Sache allerdings. Hellanikus 25)
erzaͤhlte daß die Pelasger (aus Theſſalien 26) von den
[67] Hellenen verdraͤngt, ſich eingeſchifft haͤtten, uͤber das
Adriatiſche Meer gegangen, im Fluß von Spina (des
Padus Muͤndung) gelandet waͤren, und von dort Tyrrhe-
nien als Colonie angeſiedelt haͤtten. Sophokles im Ina-
chus 27) nannte die Argiver Pelasgiſche Tyrrhener: und
da das uralte Argos und der ganze Peloponneſus Hei-
math der Pelasger in dem Sinn genannt werden wie
dieſes Volk als Griechenlands Urbewohner angeſehen
wird, ſo ſcheint freilich auch der Dichter ſie fuͤr die
Stammvaͤter der Tyrrhener zu halten.
Myrſilus der Leſbier hingegen meldete: Tyrrhener
haͤtten ihre Heimath verlaſſen; wegen der ſtreifenden Wan-
derungen, wie man ſie fortziehen und wiederkommen ſah,
waͤre ihnen der Nahme Pelargi (Stoͤrche) beygelegt wor-
den; dieſe Tyrrhener haͤtten eine Zeitlang in Attika ge-
wohnt, und dort die Pelasgiſche Mauer aufgefuͤhrt 28).
Dieſe Erzaͤhlung iſt, wie auch Dionyſius bemerkt, grade
das umgekehrte von der des Hellanikus; das iſt dem Grie-
chen nicht aufgefallen, was wir bey der Ueberſicht einer
reicheren Menge von Sagen bemerken muͤſſen, daß dieſe
Umkehrung in das entgegengeſetzte grade der Charakter al-
ler Sagengeſchichten iſt. Myrſilus Erzaͤhlung verbindet
ſich mit der Erwaͤhnung tyrrheniſcher Pelasger an den
griechiſchen Ufern bey den Schriftſtellern des goldnen Zeit-
alters Griechenlands. Es iſt augenſcheinlich daß er dieſe,
aus Weſten einwandernden, von den alten Pelasgern un-
terſcheidet; indem er erklaͤren will, wie ihnen der pelas-
E 2
[68] giſche Nahme beygelegt worden ſey, der ihrem Stamme
nicht zukam 29). Naͤmlich nach der Doriſchen Voͤlker-
wanderung 30) erſchien zu Athen ein fluͤchtendes Volk, wel-
ches, unter der Bedingung der Stadt Athen Frohndienſte
zu thun, Wohnſitze unter dem Hymettus erhielt 31). Nach
Strabo waren ſie damals aus Boͤotien von den zuruͤckkeh-
renden Kadmeern vertrieben 32). Sie hatten ſich zuerſt
in Akarnanien aufgehalten, und waren Siculer 33): naͤm-
lich aus Suͤdetrurien, wo ihr Koͤnig Malaͤotes nicht fern
von Graviſcaͤ ſeinen Sitz gehabt hatte 34); wahrſcheinlich
nannten ſie ſich ſelbſt Tyrrhener, daher ihre alte Heimath
Tyrrhenien genannt ward, und ihr Nahme bei den Grie-
chen auf die einwandernden Eroberer uͤberging 35). Der
[69] tyrrheniſche Nahme blieb ihren Nachkommen, welche von
Attika nach Lemnus und Imbrus 36), von dort nach
Jahrhunderten von den Athenienſern vertrieben, theils an
den Helleſpontus 37), theils an die Thrakiſche Kuͤſte, und
auf die Halbinſel des Athos zogen. Daher ſagt Thukydi-
des, am Athos wohnt auch ein Pelasgiſches Volk, die
Tyrſener, welche ehemals in Attika und Lemnus wohn-
ten 38). Dieſe Tyrrheniſche Auswanderung (eines nicht
etruskiſchen Volks) nach Griechenland, bildete die Sage
um zu einer Auswanderung aus Griechenland nach Tyr-
rhenien, und der Dichter nannte die alten Pelasger tyr-
rheniſche, weil die Pelasger ſeiner Zeit mit beyden Nah-
men, obwohl taͤuſchend mit beyden, genannt wurden 39).
35)
[70] Dionyſius aber ſuchte griechiſche Voͤlker, die er an die
Tiber fuͤhren koͤnne; daher haſchte er Hellanikus Sage,
und ſchob Pelasger in Etrurien und Rom zwiſchen die er-
obernden Etruſker und Aboriginer, und die Siculer ein,
welche jene in Griechenland erſchienenen Pelasger waren.
In den Zeiten der Bluͤthe der Etrusker bewohnten
ſie, als Sieger der aͤltern Umbrer, das eigentliche Etru-
rien und das Land um den Padus, außer ihren entlegenen
Colonieen. Tuskiſches Geſchlechts waren auch die Rhaͤ-
tier und andre Alpenvoͤlker, wie Livius ausdruͤcklich ver-
ſichert 40), wahrſcheinlich alſo auch die Euganeer, vor der
Stiftung Pataviums die Bewohner von Venetien: denn
außer ihnen und den Rhaͤtiern finden wir nur Celten in
den Alpen: und die, wenn gleich vermiſchte, doch in
ihren eigenthuͤmlichen Wurzeln ganz einzige Sprache der
Einwohner von Groͤden in Tyrol, moͤchte wohl als ein
Reſt der Tuskiſchen angeſehen werden koͤnnen 41). Der
39)
[71] Brenner machte die Nordgraͤnze der Rhaͤtier, alſo des
etruskiſchen Stammes 42). Aber waren die Rhaͤtier,
wie die gewoͤhnliche 43) Meinung es will, Etrusker der
Ebne, die ſich bey dem Andrang der einwandernden
Gallier auf die Alpen gezogen hatten: iſt dieſe Nation
aus dem Lande gekommen, welches ihren maͤchtigen Bruͤ-
dern am laͤngſten blieb, vom untern Meer aus Toscana,
wie Livius 44) als gewiß annimmt? Mir ſcheint das
Gegentheil mehr als wahrſcheinlich, wenn man ſich auch
nicht erlaubt den tuskiſchen Urſprung der Euganeer fuͤr
ausgemacht zu halten. Man muß annehmen daß die
Alpen ganz unbewohnt waren, um es nur denkbar zu
finden daß die vertriebenen Einwohner des noͤrdlichen
Etruriens ſie, nicht als mitleidig aufgenommene Fluͤcht-
linge, haͤtten beſetzen koͤnnen; denn wenn ſie den Gal-
liern weder im Felde noch hinter den Mauern widerſte-
hen konnten, ſo werden ſie, geſchlagen und fluͤchtig,
noch weit weniger den Bergbewohnern ihr Land zu ent-
reißen vermocht haben. Aber das Daſeyn ſo vieler eu-
ganeiſcher Staͤmme verbietet die ſchon an ſich wider-
ſinnige Hypotheſe voͤlliger Oede in dieſen Alpen. Auch
redet Polybius von den Einfaͤllen der Alpenvoͤlker in das
41)
[72] cisalpiniſche Gallien, die gleich nach der galliſchen Ein-
wandrung begannen. Und ſo lange noch ein Vaterland
jenſeits des Po oder der Apenninen die vertriebenen
Etrusker aufnehmen konnte, wuͤrden ſelbſt ihre Neigun-
gen ſie nicht noͤrdlich gefuͤhrt haben. Eben dies iſt auch
in der fruͤhern Zeit ihrer Bluͤthe ganz unwahrſcheinlich.
Auswandrungen aus der Ebne in das Gebuͤrg hinauf
ſind gegen alle Geſchichte, Auswandrungen gegen Nor-
den unbezweifelt hiſtoriſch in ſehr wenigen Faͤllen. Ein
reiches Volk wird auch arme Gebirge aus Herrſchſucht
erobern; aus Vorſicht beſetzen: aber daß es die alten
Einwohner durch Coloniſation verdraͤngen ſollte, wenn
lachendere Gegenden reizen 45), iſt am wenigſten bey
einem Bundesſtaat der alten Welt wie der des Tuski-
ſchen Volks wahrſcheinlich. Solche mit ſichern Opfern
und geringem Gewinn verbundne Unternehmungen koͤn-
nen nur von Reflection eingegeben werden, und wur-
den ſicher nicht von einer ſo loſen Verbuͤndung beſchloſ-
ſen, deren einzelne Glieder ſich beſtaͤndig nach eignen
Ruͤckſichten der Gegenwart beſtimmten, und ihre ange-
griffenen Bundesgenoſſen ſehr ſelten mit geſammter Macht
vertheidigten. Denn eben in dem voͤlligen Mangel al-
ler gemeinſchaftlichen Unternehmungen lag der Grund
des Untergangs der Nation an beyden Seiten der
Apenninen.
[73]
Wenn aber Rhaͤtien das urſpruͤngliche Vaterland
des etruskiſchen Volks war, von dem es ſich, zuerſt in
Oberitalien und dann auch uͤber die Apenninen, aus-
breitete, ſo iſt es ſehr begreiflich, daß bey dieſen Aus-
wanderungen ein großer Theil der Nation zuruͤckblieb,
der, wie die Arragonier in der Einleitung zu ihren Ge-
ſetzen ſagten 46), den felſigen Boden nicht gegen ein
fettes Land vertauſchen wollte, um nicht auch die Frey-
heit und die Tugend daheim zu laſſen: und zu dieſen, in
das vaͤterliche Haus, koͤnnen ſich viele der verlohrnen
Soͤhne wieder hingewandt haben als die Tage des
Gluͤcks entflohen waren. Man koͤnnte ſelbſt die Rauh-
heit der etruskiſchen Sprache, die in der florentiniſchen
Ausſprache fortzuleben ſcheint, als einen andern Beweis
fuͤr den Urſprung des Volks aus hohen Gebirgen anfuͤh-
ren: denn, unverſtaͤndlich wie der Inhalt etruskiſcher
Inſchriften iſt, ſo zeigen ſie doch dieſen Charakter unver-
kennbar: auch wuͤrde eine Ration in deren Sprache die
Conſonanten nicht die Haupttoͤne geweſen waͤren, die mor-
genlaͤndiſche Vernachlaͤßigung der kurzen Vokale in der
Schrift ſchwerlich angenommen haben. Wir haben aber
auch hiſtoriſche Angaben, ſo zuverlaͤſſig wir ſie aus jenen
Zeiten fordern koͤnnen, daß die Etrusker ſich gegen Suͤ-
den nur allmaͤhlig weiter ausgebreitet haben.
Die ſehr alte 47) Geſchichte der Umbrer meldete,
die Etrusker haͤtten dreyhundert Staͤdte ihrer Nation ein-
[74] genommen 48). Daran alſo iſt kein Zweifel, daß dieſes
aͤlteſte Volk Italiens in uralter Zeit eine viel weitlaͤufti-
gere Landſchaft, und den groͤßten Theil der Gegenden
inne hatte welche die Etrusker in der Fuͤlle ihrer Macht
beſaßen. Man koͤnnte ſagen, es waͤre das Land zwiſchen
den Alpen und dem Apenninus geweſen, wie die Umbrer
bis zur Galliſchen Einwanderung von dieſen Bergen bis
zum Po noch einige Beſitzungen erhalten hatten. Wahr-
ſcheinlicher aber iſt es doch, daß auch das Land zwiſchen
dem untern Meer und dem Tiberſtrohme; an deſſen lin-
kem Ufer, tief hinab, ihre uralten Staͤdte lagen, und wo
ſie einſt bis zum Anio hinunter wohnten; daß Toskana in
ihrem Beſitz war, und die Staͤdte dieſes Landes zu jenen
dreyhundert gehoͤren. Hier bemerkt ſelbſt Micali 49),
welcher ſich es doch nicht nehmen ließe daß ſein Vater-
land die Wiege des etruskiſchen Volks geweſen ſey, der
Strohm Umbro, an deſſen Ausfluß Plinius einen Bezirk
Umbria nennt, erinnere an die Umbrer 50). Nach der
Sage von der lydiſchen Einwanderung ward Piſa und das
ganze umliegende Land bis an die Felſengipfel der Alpen
den Umbrern von dieſen Tyrrhenern entriſſen: und Pli-
nius nennt die Umbrer Etruriens aͤlteſte, von den Pelas-
gern vertriebene Bewohner 51). Sey es immer daß He-
[75] rodot uͤber das Volk getaͤuſcht war, welches Cortona be-
wohnte; daß alſo dieſe Stadt, im Jahr 444 einer der drey
Hauptorte Etruriens 52), nicht erſt nach dem Anfange
des vierten Jahrhunderts tuskiſch geworden war: Fa-
lerii, Graviſcaͤ, Caͤre, Alſium, Feſcennium, Saturnia,
beſaßen die Etrusker als Eroberer, nachdem ſie das Volk
vertrieben hatten, welches in Italien Siculer, in Athen
Pelasger genannt ward 53). Populonia wird eine Colo-
nie der Volaterraner genannt, welche Corſen von dieſer
Kuͤſte vertrieben haͤtten 54). Piſa ſoll nach der Eroberung
Trojas von Griechen erbaut ſeyn. Mag dieſe Erzaͤhlung
keinen andern Grund haben als den, allerdings nicht alt-
italiſchen, Nahmen der Stadt: auch Cato hielt die Tusker
nicht fuͤr die erſten Bewohner 55). Die Erzaͤhlungen des
Dionyſius von der Ausbreitung der Etrusker gegen die
Tiber ſind ohne Zweifel aus ihm oder Varro entlehnt.
Aber alle innerlich wahrſcheinliche und bezeugte Angaben
mußten der Sage vom lydiſchen Urſprung des Volks wei-
chen, welche in Livius Zeitalter herrſchend geworden war.
Dieſe ſetzte nothwendig die erſte Anſiedelung der Einwan-
dernden am untern Meer; und aus dieſer Vorausſetzung
der Griechen, welche ſich namentlich bey Lykophron findet,
bildete ſich die Meinung welche bey Livius als ausge-
macht gilt, daß Toscana das aͤlteſte Etrurien geweſen ſey.
Was die einheimiſchen Annalen der Etrusker von ihrem
[76] Urſprung erzaͤhlten, wiſſen wir nur negativ, ſofern, daß
ihnen die Sage von der Lydiſchen Colonie ganz fremd
war. Dieſe Annalen waren eine Prieſtergeſchichte, wie
die Indiſchen Puranen, und, wie ſie Etrurien als das
erwaͤhlte Lieblingsland der Goͤtter betrachteten 56), war
es natuͤrlich, daß ſie ſich ruͤhmten Urbewohner zu ſeyn.
Die Roͤmer vernachlaͤßigten ſie gaͤnzlich: Varro ſcheint
nur ſich daraus haben dollmetſchen zu laſſen, doch lagen
ſie wohl der Tyrrheniſchen Geſchichte des Kaiſers Claudius
zum Grunde.
Nie haben die Etrusker das ganze cisalpiniſche Gal-
lien inne gehabt. Weſtlich erſtreckte ſich ihre Graͤnze nur
bis an den Ticinus, wo damals Ligurer wohnten, die von
den Galliern uͤber den Padus zuruͤckgedraͤngt wurden.
Suͤdlich von dieſem Strohm bis gegen Parma war das
Land auch von Ligurern bewohnt, oder durch Suͤmpfe un-
bewohnbar. Die Umbrer fanden die Gallier noch im Beſitz
einer weitlaͤuftigen Landſchaft am Niederpadus. Aber um
den Atheſis erhielten ſich etruskiſche Staͤdte bis zur roͤmi-
ſchen Zeit: Verona nennt Plinius eine rhaͤtiſche Stadt,
Mantua tuskiſch. So haben Staͤdte dieſes Volks dem
innigſten und dem kunſtvollſten der roͤmiſchen Dichter das
Daſeyn gegeben. Von den tuskiſchen Staͤdten dieſer Ge-
gend welche, ohne Zweifel mit den genannten beiden,
zwoͤlf, wie ſuͤdlich von den Apenninen, waren, kennen wir
noch Hatria, ehemals eine große Handelsſtadt, die dem
[77] obern Meere den Nahmen gab. Die Muͤndungen des
Padus ſind von den Tuskern gegraben oder vertieft, ſein
Delta iſt von ihnen durch Canaͤle und Daͤmme gebildet
worden. Ihr Waſſerbau in dieſen Gegenden kann mit
dem Aegyptiſchen verglichen werden: wie der Moͤris das
verderbliche Nilwaſſer aufnahm, hatten ſie Suͤmpfe im
Hatriatiſchen Gebiet zu Seen vertieft, wohin das uͤber-
fluͤſſige Gewaͤſſer abgeleitet ward 57). Melpum, noͤrd-
lich vom Padus, eine ſehr reiche Stadt, ward von den
Bojern, Senonern und Inſubrern an demſelben Tage
zerſtoͤrt, an dem Camillus Veji einnahm, im Jahr
358 58). Bononia, unter dem Nahmen Felſina, war
einſt die Hauptſtadt Etruriens 59); auch das, ſcheint es,
waͤre nicht moͤglich geweſen, wenn die Nation ſich vom
Suͤden der Apenninen ausgebreitet haͤtte.
Die zwoͤlf Staͤdte ſuͤdlich von dieſem Gebirge, welche
als die ſouverainen Beherrſcherinnen des uͤbrigen Landes
verbuͤndet waren, werden, wie haͤufig auch ihrer Zahl ge-
dacht wird, nirgends namentlich verzeichnet, und es iſt
zweifelhaft welche unter denen, die Anſpruch auf dieſen
Vorrang zu haben ſcheinen, andern nachſtehen muͤſſen.
Vorausgeſetzt, was doch wohl als ausgemacht gelten
kann, daß jene Zahl von zwoͤlf ſouverainen Staͤdten rich-
tig ſey, ſondere ich von den Mitwerberinnen zuerſt Fa-
lerii und das ganze Faliſkiſche Volk, welches Strabo 60)
[78] verſchieden von den Etruskern, auch durch die Sprache,
nennt: roͤmiſche Dichter aber Aequer 61). Daß ſie Bey-
ſtand bey dem etruskiſchen Bunde ſuchten, beweißt ihre
Mitverbuͤndung nicht. Acht etruskiſche Voͤlker ruͤhmt
Livius, welche Scipios Ruͤſtungen freygebig foͤrderten:
Caͤre, Tarquinii, Populonia, Volaterraͤ, Arretium,
Peruſia, Cluſium, Ruſellaͤ 62); fruͤher nennt er Cor-
tona als einen der Hauptorte 63). Zu den drey fehlen-
den gehoͤrten unſtreitig Veji und Volſinii. Die zwoͤlfte
Stadt iſt nun natuͤrlich die zweifelhafteſte. Vetulonii
ſcheint es mir in der hiſtoriſchen Zeit nicht geweſen zu
ſeyn; ihre Groͤße gehoͤrt in die mythiſche; in der Ge-
ſchichte Roms wird ihrer nie im Kriege oder im Frieden
gedacht. Iſt die Ortsbeſtimmung richtig welche ſie ſehr
nahe an Populonia legt, ſo mag ſie, wie Himera in
Thermaͤ, in dieſe Stadt uͤbergegangen ſeyn.
Capena dagegen erſcheint in der roͤmiſchen Ge-
ſchichte als ein ſouverainer Ort; als Volk fuͤhren die
Capenaten Krieg und ſchließen Frieden mit Rom.
An der Seekuͤſte im ſuͤdlichen Etrurien waren die Bul-
cienter ein bedeutendes Volk, und von ihrer Stadt Coſa
ſind maͤchtige Ruinen erhalten, uralter Groͤße, und weit
uͤber das Maaß einer roͤmiſchen Colonie. Man moͤchte
wegen des eigenthuͤmlichen von dem der Stadt verſchiede-
nen Nahmen des Volks ahnden, ſie waͤren aͤltere Bewoh-
ner der Gegend welche ſich gegen die etruskiſche Erobe-
[79] rung behauptet haͤtten: iſt dieſe Vermuthung falſch, ſo
iſt Coſa wohl vor allen befugt Capena die Wuͤrde ſtrei-
tig zu machen.
Aber keine der Staͤdte im Thal des Arno und noͤrd-
lich vom Strohm, weder Faͤſulaͤ, noch Piſa, noch Luca,
noch Luna, koͤnnen zu der koskaniſchen Confoͤderation ge-
zaͤhlt werden. Fuͤr abhaͤngige Staͤdte, deren ſo viele im
fuͤdlichen Etrurien bekannt ſind, viel zu bedeutend, muͤſ-
ſen wir ſie entweder fuͤr ganz abgeſondert, oder mit den
noͤrdlichen Etruskern verbuͤndet halten. Dieſes letzte,
und daß nicht der Apenninus ſondern die Gebirge ſuͤdlich
vom Arno einſt die Graͤnze der Etrusker und Umbrer
waren, ehe jene dieſe erobernd verdraͤngten, daͤucht mir
allerdings das wahrſcheinlichſte; und wenn zu dieſen vier
Staͤdten die bekannten fuͤnf tuskiſchen um den Padus ge-
zaͤhlt werden, ſo wird die Zahl von zwoͤlfen vollſtaͤndig,
wenn man Mutina, Parma und Brixia hinzurechnen darf.
Dafuͤr buͤrgt uns die allgemeine Analogie, daß die
Staͤdte im Umfange des Gebiets jeder der ſouverainen,
theils als Colonieen abhaͤngig, theils unterthan waren,
und es auch groͤßtentheils geblieben ſind: Mittheilung des
Buͤrgerrechts Ausnahme geweſen iſt. Es waren die alten
Einwohner, welche durch Eroberung in dieſe Abhaͤngig-
keit geriethen. Daher auch, daß Etrurien durch einwan-
dernde Eroberung gegruͤndet war, die Menge der Clien-
ten 64) des etruskiſchen Adels, theſſaliſche Peneſtie:
daher die Frohnknechte, welche noͤthig waren die Rieſen-
werke der Baukunſt des herrſchenden Volks, ſeine Felſen-
[80] mauern, aufzufuͤhren. Das roͤmiſche Verhaͤltniß des
Patronats iſt zuverlaͤſſig, wie die ganze aͤlteſte Verfaſſung
Roms, etruskiſches Geſetz: es iſt aber ſehr zweifelhaft
ob ſich, ſo lange Etrurien unabhaͤngig war, ein freyer
Volksſtand, wie die roͤmiſche Plebs, ausgebildet hatte.
Die Freyen welche mit dem Adel eingewandert waren,
muͤſſen in die Unterthaͤnigkeit der Clientel verſunken ſeyn,
wohin die Roͤmiſchen Patricier ſtrebten die Plebejer zu
bringen, oder ſie waren ſo ohnmaͤchtig wie die Plebs in
den erſten Zeiten der roͤmiſchen Republik. Nicht Volks-
gemeinden, nicht einmal zahlreiche Rathsverſammlungen,
ſondern Zuſammenkuͤnfte der Haͤupter des Landes, der
Magnaten (principes Etruriæ), entſchieden die wichtig-
ſten Beſchluͤſſe 65); und andere Zuſammenkuͤnfte am Tem-
pel der Voltumna, im Sinn wirklich freyer Voͤlker, darf
man ſich nicht vorſtellen. Dieſe Großen Etruriens waren
es, denen, bis auf Ciceros Tage, edle roͤmiſche Juͤng-
linge geſandt wurden, um Unterricht in den heiligen Wiſ-
ſenſchaften der Weiſſagung zu empfangen 66). Sie wa-
ren alſo eine ſtreitbare Prieſtercaſte, gleich den roͤmiſchen
Patriciern; und der Nahme Lucumonen, welcher Beſeſſene,
alſo urſpruͤnglich Begeiſterte, bedeutete 67), war ohne
Zweifel der ihrer Caſte, nicht der, allerdings aus ihnen
ſtammenden, Koͤnige. Von Koͤnigen Etruriens wuͤrde
Cenſorinus
[81] Cenſorinus in andern Ausdruͤcken geredet haben 68). Lu-
cumo zu Cluſium, Lucumo der Romulus Huͤlfe brachte,
Lucumo endlich der von Tarquinii nach Rom zog, waren
nur maͤchtige Maͤnner, nicht Koͤnige ihrer Staͤdte. Die
Cilnier, die Caͤcina, waren Lucumonen wie die Claudier
und Valerier Patricier: ihnen gleich an Adel, obgleich
als Roͤmer nur zum Volk gerechnet.
Noch zur Zeit des Hannibaliſchen Kriegs war die Re-
gierung der etruskiſchen Staͤdte ausſchließlich bey den Se-
natoren, oder dem Adel. Im ſuͤdlichen Italien, wo al-
lenthalben die Gewalt zwiſchen Senat und Volk getheilt
war, ſind beyder Staͤnde Geſinnungen in dieſer entſchei-
denden Periode kund: als in Etrurien Gaͤhrung ſich zu
offenbaren anfing ward alles dadurch unterdruͤckt daß
man ſich der Treue des Senats von Arretium verſicherte:
vom Volk iſt gar nicht die Rede 69).
Daher nun, daß unter den Etruskern kein freyes und
ehrenwerthes Volk ausgebildet, ſondern die alte Feudali-
taͤt mit Hartnaͤckigkeit feſtgehalten und ausgedehnt war,
entſtand die auffallende Schwaͤche der großen etruskiſchen
Staͤdte in den roͤmiſchen Kriegen, wo der Sieg von einer
zahlreichen vorzuͤglichen Infanterie abhing; und an eini-
gen Orten die Zuͤgelloſigkeit womit losgeriſſener Poͤbel die
Verfaſſungen umſtuͤrzt und Tyranney ausuͤbt. Um die
Mitte des fuͤnften Jahrhunderts ward das Geſchlecht der
Cilnier mit den Waffen aus Arretium vertrieben 70); eine
Erſter Theil. F
[82] wilde Revolution wie ſie Toskana im Mittelalter haͤufig
wiederſah: auch im Geiſt dieſer unſeligen Fehden, und
ganz unroͤmiſch, war es daß dieſes Geſchlecht durch Ver-
mittelung der Roͤmer, der Landesfeinde, zuruͤckkehrte 71).
Die Erzaͤhlung von der Tyranney der Sklaven zu Volſinii
iſt in den ſehr unzuverlaͤſſigen Schriftſtellern, die unſre
Quellen uͤber dieſen Zeitraum ſind, ins Unglaubliche uͤber-
trieben: etwas Schlimmeres haͤtte weder die Zeit der
Wiedertaͤufer noch eine Regerempoͤrung gezeigt. Es war
aber dieſe Herrſchaft des Geſindels ein bleibender und zur
Verfaſſung gewordener Zuſtand in dem Zeitraum zwiſchen
dem Kriege des Pyrrhus und dem erſten puniſchen 72).
Der herrſchende Stand zu Volſinii hatte ſeine Leibeignen
bewaffnet: dieſe retteten den Staat nicht vom roͤmiſchen
Joch, aber ihre innere Verfaſſung war den abhaͤngigen
Staͤdten uͤberlaſſen, die neuen Buͤrger bemeiſterten ſich
der Gewalt, und uͤbten ſie mit empoͤrendem Frevel. Jene
Ohnmacht des Vaterlands, ſeine Unterjochung und ihr
[83] eigener Untergang, war es dem die Roͤmiſchen Patricier
in ihren Anſtrengungen das Volk unterdruͤckt zu halten
nachſtrebten, ohne zu wiſſen was ſie thaten.
Die Theilnahme der Etruſker am Syllaniſchen Kriege
war allgemeine Sache, der Genuß des roͤmiſchen Buͤrger-
rechts fuͤr jeden Freyen gleich, wie er auch in ſeiner Hei-
math durch die alten, jetzt erloͤſchenden, Verfaſſungen
ausgeſchloſſen oder beſchraͤnkt geweſen war; und an die-
ſem Kriege ſieht man wie groß Etrurien geblieben waͤre,
wenn alle Etruſker einige Jahrhunderte fruͤher ein Vater-
land gehabt haͤtten.
Die Koͤnigliche Wuͤrde, allenthalben die aͤlteſte Ver-
faſſung, erhielt ſich in den etruskiſchen Staͤdten laͤnger
als zu Rom: doch war ſie zu Veji zuletzt eine erwaͤhlte
Magiſtratur, und nach dem Fall dieſer Stadt wird keiner
etruſkiſchen Koͤnige weiter gedacht. Die drey verſchiede-
nen Confoͤderationen waren ſich ganz fremd. Daß die
Verbindung der zwoͤlf Staͤdte des mittlern Etruriens ſo
innig geweſen ſey daß ſie uͤber ſich gemeinſchaftlich einen
Koͤnig 73) erwaͤhlt haͤtten, beruht auf einer Sage, wel-
che an einem andern Ort dahin beſtimmt wird: bey ge-
meinſchaftlichen Unternehmungen waͤre einem der zwoͤlf
Koͤnige der hoͤchſte Befehl uͤbertragen worden 74). In
der roͤmiſchen Geſchichte iſt ſelbſt Porſena, wie ſehr ihn
auch die alten Lieder verherrlicht haben, nur eines einzi-
gen Volks Koͤnig. So weit uns dieſe Geſchichte fuͤhrt
F 2
[84] war das Band der Foͤderation aͤußerſt loſe, und ohne ir-
gend eine Centralmacht; es hinderte nur Kriege der
Staͤdte untereinander, von denen ſich zum Ruhm des
Volks keine Spur findet. Daher koͤnnen auch die Inſeln
welche Etrurien gehorchten, Ilva oder Aethalia, und Cor-
ſica, nicht dem geſammten Bunde ſondern nur den maͤch-
tigeren benachbarten Seeſtaͤdten ausſchließlich unterthaͤ-
nig geweſen ſeyn. Auch ſcheint es daß die Caͤriten allein
unter den Tyrrhenern, verbunden mit den Karthaginen-
ſern, die Phokaͤer von Alalia angriffen 75). Dieſes ge-
ſchah um 220; im Jahr 299 gehorchte die Inſel den ſee-
raͤuberiſchen etruskiſchen Staaten 76) und zahlte ihnen
Zins 77). In der Bluͤthe ihrer Seeherrſchaft ſcheinen
ſie auch auf Sardinien Gewalt geuͤbt, vielleicht Nieder-
laſſungen gehabt zu haben, weil ſie unter den alten Be-
wohnern der Inſel genannt werden.
Als Seeraͤuber waren ſie in alten Tagen den Griechen
furchtbar und verrufen: ein Fleck der auch auf dem Ruf
der volſkiſchen Seeſtaͤdte haftet, und von dem unter allen
tyrrheniſchen nur Agylla (Caͤre) rein war. Furcht vor
ihren Corſaren nicht weniger als vor der karthaginen-
ſiſchen Eiferſucht, war es wohl welches die Phokaͤer bewog
die weſtlichen Meere nur mit bewaffneten Schiffen zu be-
fahren. Einſt beherrſchten ſie dieſe Gewaͤſſer, und tyr-
rheniſche Flotten fuͤhrten regelmaͤßige Seekriege: Kuma
rief (278) gegen ſie den Schutz des Koͤnigs Hiero von
[85] Syrakuſaͤ 78); die große Niederlage welche damals ihre
Flotte erlitt ſcheint ihre Seemacht, wie es der Dichter
betete 79), gebrochen zu haben: denn bey dem Seezug
der Syrakuſaner im Jahr 299, auf dem Ilva erobert
und Corſica verheert ward, ſtellten ſich ihnen keine tyr-
rheniſche Schiffe entgegen, ſondern durch Beſtechung der
Feldherrn ſuchte Etrurien die Gefahr abzuwenden 80).
Noch wehrloſer war ihre Kuͤſte im Jahr 368, als Diony-
ſius der aͤltere ſie pluͤnderte 81). Keine Spur einer See-
macht findet ſich waͤhrend die Roͤmer die Staͤdte der Kuͤſte
bekriegten, und im erſten puniſchen Kriege muͤſſen ſie gar
keine Kriegsſchiffe mehr gehabt haben, da es den Roͤmern
ſo gaͤnzlich daran gebrach, und nur einzelne Triëren und
Pentekontoren der griechiſchen Staͤdte Suͤditaliens ihnen
zu Gebote ſtanden 82).
Zwiſchen den etruskiſchen Seeſtaͤdten und Karthago
beſtanden noch in Ariſtoteles Zeitalter Buͤndniſſe, welche,
wie die noch erhaltnen roͤmiſchen, das Recht des Handels
beſtimmten, ihn ſicherten und beſchraͤnkten; enthielten ſie
auch Huͤlfsverpflichtungen 83), ſo ſcheinen dieſe nur gegen
ſolche Voͤlker in Kraft geweſen zu ſeyn welche nicht aͤhn-
liche Buͤndniſſe mit Karthago hatten, ſonſt haͤtte dieſes
[86] nicht Jahrhunderte lang die roͤmiſche Freundſchaft erhal-
ten koͤnnen.
Ein fruchtbares Land, reich an innern Schaͤtzen, gab
dem Handelsgeiſt in Etrurien vollen Stoff; es war auch
eine Zeit in der dieſes Land die Niederlage des Handels
zwiſchen der See, dem uͤbrigen Italien, und den entfern-
teſten barbariſchen Voͤlkern geweſen ſeyn muß, zu denen
uͤber die Alpen eine geheiligte ſichere Handelsſtraße
fuͤhrte 84). Ungeheure Werke, die den Aegyptiſchen
nicht nachſtehen, Werke die allenthalben ein wehmuͤthi-
ger Anblick ſind, weil nur prieſterliche Caſtenherrſchaft
und Sklaverey des gemeinen Volks ihre Ausfuͤhrung moͤg-
lich macht, konnten ſich in Etrurien erheben weil dieſer
Zuſtand herrſchte. So baute auch Rom unter den Koͤni-
gen, mit der Freyheit war es unvertraͤglich. Die Mau-
ern von Volterra und mehreren andern der Hauptſtaͤdte,
ſo viele die Roͤmer nicht muͤhſelig zerſtoͤrten, ſind groͤß-
tentheils noch jetzt unverwuͤſtet, aus rieſenmaͤßigen Werk-
ſtuͤcken aufgefuͤhrt: ihre Anſichten geben dem Micaliſchen
Werk einen unlaͤugbaren Werth. Als Baumeiſter waren
die Etrusker der Roͤmer Lehrer, vielleicht auch nur, wie
die Tyrier zu Jeruſalem, ihre bezahlten Kuͤnſtler; als
Bildner in Erz und in erhaben ausgehauenen Zeichnungen
gewiß nur das letzte. Einige ihrer alten Gebaͤude erin-
nern auf eine auffallende Weiſe an den Styl der Azteken;
das Grabmahl des mythiſchen Porſena, von dem Varro
freylich eine phantaſtiſche Beſchreibung aus einheimiſchen
[87] Annalen entlehnte, doch aber ſelbſt, ſoweit es nicht maͤhr-
chenhaft war, Truͤmmer davon geſehen haben muß 85),
enthaͤlt den Grundbegriff der mexikaniſchen Tempelpyra-
miden; und aͤhnlich iſt ihm das ſogenannte Grabmahl der
Horatier: Pyramiden auf einem Cubus, oder einer ſehr
niedrig abgeſchnittenen Pyramide.
Es iſt ein ſehr eitler Verſuch laͤugnen zu wollen daß
alle Veredlung der etruskiſchen bildenden Kuͤnſte von den
Griechen mitgetheilt iſt, wie eigenthuͤmlich auch ihre Bau-
kunſt war. Von der urſpruͤnglichen Rohheit zeugen noch
erhaltene uralte Bilder, und nur den Griechen iſt die Idee
geoffenbart worden welche den Leib des Menſchen zum
Leben und zur Schoͤnheit ausbildet. Von ihrem Geiſt iſt
der Funken ausgegangen, welcher empfaͤngliche Geiſter
unter empfaͤnglichen Voͤlkern entzuͤndet hat. Davon zeugt
auch die griechiſche Mythologie vieler der ſchoͤnſten etrus-
kiſchen Kunſtwerke. Einmal erleuchtet faßten allerdings
die Tusker auch ihre eignen Vorſtellungen mit griechiſchem
Sinn. Auffallend iſt, als ob dies nationaltoskaniſch
waͤre, die vollendete, Schoͤnheit verſaͤumende Zeichnung
vieler etruskiſcher Darſtellungen, ja treffende Aehnlichkeit
mit toskaniſchen Werken des auflebenden Mittelalters;
und altdeutſche Phyſiognomie, wo Portraite beabſichtigt
ſind 86). Wie man aber, — da niemanden verhohlen
[88] ſeyn kann daß die Bluͤthe campaniſcher Kunſt in das
vierte und fuͤnfte Jahrhundert der Stadt faͤllt, da Etru-
riens Unterjochung ihr verderblich ſeyn mußte, — das
ſchoͤnſte Zeitalter der etruskiſchen ſpaͤter annehmen kann,
iſt ganz unbegreiflich. Es wuͤrde auch altroͤmiſche Werke
derſelben Schoͤnheit geben, wenn Rom an ſeinen etrus-
kiſchen Unterthanen ſolche Kuͤnſtler noch gehabt haͤtte.
Der Agyllaͤer Geſandtſchaften nach Delphi, ihr Theſaurus
im Pythiſchen Tempel, beweiſen, ſchon am Anfang des
dritten Jahrhunderts, vertraute Bekanntſchaft beyder
Voͤlker, der Etrusker und Griechen.
Aus dem Gebrauch griechiſcher Mythologie in der
Kunſt laͤßt ſich Vertraulichkeit mit den griechiſchen Dich-
tern folgern. Die Mythen von Thebaͤ und Ilium waͤren
nicht dargeſtellt worden, wenn nicht Geſang das Gemuͤth
des Anſchauenden zum Verſtaͤndniß geoͤffnet haͤtte: uͤber-
haupt war das Abendland, ſelbſt Karthago, der griechi-
ſchen Litteratur offen; nicht allein das dunkle Inykum der
Sikaner bereicherte griechiſche Sophiſten 87); und Rhap-
ſoden wie Sophiſten werden dort freundliche Aufnahme
gefunden haben. Aber die Litteratur der Etrusker ſcheint
durch die griechiſche nie verfeinert geworden zu ſeyn.
Zwar werden Tuskiſche Tragoͤdien erwaͤhnt 88); aber der
roͤmiſche Nahme des Verfaſſers, Volumnius, beweißt,
daß ſie in ſpaͤter Zeit geſchrieben ſind, und mehr Kunſt-
ſtuͤcke als Kunſtwerk waren, der Nation ſelbſt fremd. Die
Form des etruskiſchen Verſes — in keiner Inſchrift findet
[89] ſich etwas, das die geringſte Aehnlichkeit mit griechiſchen
Rhythmen haͤtte, welches uns ſelbſt in einer ganz unver-
ſtaͤndlichen Sprache nicht entgehen koͤnnte — war ohne
Zweifel die des altroͤmiſchen, von dem ich ſpaͤterhin re-
den werde; der Feſcenniniſche Wechſelgeſang war nach der
tuskiſchen Stadt benannt, und die Roͤmer erhielten ihre
Muſik, und ſelbſt die Muſiker, aus Etrurien. Wie unſre
Vorfahren, tanzte und ſang der tuskiſche Hiſter zu einer
Inſtrumentalmuſik, deren Takt zu greifen ihm genuͤgte;
Saiteninſtrumente zeigen die Denkmahle hin und wieder:
doch waren Floͤten die eigentlich einheimiſchen.
Die etruskiſche Schrift iſt wie die griechiſche aus der-
jenigen unter den ſehr mannichfaltigen urſpruͤnglich ver-
ſchiedenen Aſiatiſchen gebildet, welche in ihren Nachge-
ſtaltungen in ganz Europa herrſchend geworden iſt. Daß
ſie unmittelbar, und nicht durch die Griechen, nach Etru-
rien gekommen iſt, beweißt zwar keineswegs die Richtung
der Schreibart zur Linken, aber wohl die Auslaſſung der
kurzen Vokale und der einfache Gebrauch verdoppelter
Conſonanten, wie in allen aramaͤiſchen Schriftſyſtemen;
auch der Mangel des Vokals O; der auf einen gleichen
Mangel in der Ausſprache keineswegs ſchließen laͤßt, denn
auch den Semiten fehlt nicht der Laut, nur die Be-
zeichnung.
Aber eben dieſes Schriftſyſtem bezeichnete die Zahlen
durch Buchſtaben: nicht ſo die Etrusker. Was wir roͤmi-
ſche Zahlen nennen ſind etruskiſche, und auf ihren Denk-
maͤhlern haͤufig ſichtbar. Dieſe Zeichen aber ſind hierogly-
phiſcher Art, und gehoͤren zu einer fruͤheren Schreibekunſt
[90] durch Zeichen, gebraͤuchlich ehe die Buchſtabenſchrift ein-
gefuͤhrt ward: ſie gleichen darin den Aztekiſchen, daß ſie
Abbildungen eines von einer beſtimmten Zahl unzertrennli-
chen Gegenſtands ſind. Sie ſind einheimiſch aus der Zeit
wo der Weſten, noch in ſeiner urſpruͤnglichen Eigenthuͤm-
lichkeit, dem Oſten fremd da ſtand: aus derſelben Zeit
da die Turdetaner ihre Schrift und ihre Litteratur bilde-
ten 89). Einheimiſch und unerborgt, vielleicht ſchon aus
dem Norden, der Goͤtter Sitz 90), hergebracht waren
auch die profanen Wiſſenſchaften Etruriens: Heilkunde,
Naturkunde und Aſtronomie. Hier zeigt ſich eben die wun-
derbare Erſcheinung, welche uns in der neuen Welt in Er-
ſtaunen ſetzt: eine hoͤchſt vollkommne Zeitbeſtimmung; und
zwar, im cycliſchen Jahr, ganz in demſelben Geiſt wie
die altmexikaniſchen Geſetzgeber der Zeitrechnung verfuh-
ren: aus aſtronomiſch genau beſtimmten Maſſen ſehr lan-
ger Zeitraͤume, mit Vernachlaͤſſigung der Mondserſchei-
nungen, abgemeſſene Zeittheile; doch bey den Etruskern
dabey ein buͤrgerliches Mondenjahr, dem das cycliſche
nur zur Correction dient. Dieſen Gegenſtand werde ich
an einem andern Ort dieſes Theils aus der Dunkelheit zu
ziehen ſuchen: merkwuͤrdig aber, und nicht leichtſinnig ab-
zuweiſen, erſcheint die Verwandtſchaft der Weisheit des
alten Weſtens mit der wahrſcheinlich einſt viel weiter
uͤber den Welttheil verbreiteten Wiſſenſchaft, in deren er-
erbtem, vielleicht todtem, Beſitz die Mexikaner ſich noch
befanden als ihr Volk zerſtoͤrt ward: noch ernſthafterer
[91] Erwaͤgung werth, ſeitdem ein vortrefflicher Gelehrter die
Analogie zwiſchen der Baskiſchen Sprache und den Ame-
rikaniſchen entdeckt hat 91).
Ihre Geſchichte, wie die der Braminen, war in einen
aſtronomiſch-theologiſch beſtimmten Umriß der geſammten
Zeit eingetragen; und meldete, eine Weltwoche von acht
Welttagen ſey dem Menſchengeſchlecht der jetzigen Schoͤp-
fung auf der Erde beſtimmt: jeder Welttag einem andern
Volksſtamm, und an jedem der Weiſſagung Ehre oder Er-
niedrigung 92). Die etruskiſche Woche begriff acht Tage:
der Welttag jedes Volks, wie wir aus der den Etruskern
zugemeſſenen Zeit 93) ſchließen duͤrfen, zehn Saͤkeln; zu-
ſammen 1100 Jahre, obgleich das natuͤrliche Saͤculum,
einzeln betrachtet, weder das eine dem andern gleich war,
noch gleiches Maaß mit dem aſtronomiſchen hatte. Die
Weltwoche zaͤhlte alſo 8800 Jahre. Wir koͤnnen nicht
zweifeln daß ſie, wie andre Prieſterſtaͤmme, die ge-
ſammte Dauer der Welt zu meſſen wagten; und wenn ſie
dieſe auf ein Weltjahr von 38 Wochen oder 304 Tagen be-
ſtimmten, ſo waͤre die Dauer des Weltalls von ihnen auf
334400 Jahre angenommen worden, wofern ſie nicht bis
zu Saͤkeln gingen. Nach ihrer Religion hatte das Le-
ben ſelbſt der hoͤchſten Goͤtter ein beſtimmtes Ziel und
Ende 94), wie in der Nordiſchen Theologie: ein ſolches
[92] Jahr war dann wahrſcheinlich das Maaß des Goͤtterle-
bens, wie das natuͤrliche Saͤculum des Menſchenlebens,
der Welttag des Voͤlkerlebens, die Weltwoche fuͤr das
Leben eines Menſchengeſchlechts. Das wiſſen wir hiſtoriſch,
daß ſie lehrten der Ablauf jedes Welttags werde durch
Wunder und Zeichen, ihnen verſtaͤndlich, angekuͤndigt 95):
auch der Schluß jedes phyſiſchen Saͤculums, deren zehn
ihn bildeten: und dieſe verzeichnete ihre Geſchichte. Von
ihr meldete Varro 96), ſie ſey im achten Saͤculum der
Nation geſchrieben, mit dem zehnten werde dieſe erloͤſchen.
Ein phyſiſches Saͤculum war die Zeit des laͤngſten Lebens-
alters. Wer unter allen die am Tage der Gruͤndung eines
Staats gebohren wurden, am laͤngſten lebte, deſſen Le-
ben beſtimmte das Maaß des erſten Saͤculums; dann das
Lebensmaaß desjenigen, der unter allen die zur Zeit als je-
ner ſtarb im Staate lebten das hoͤchſte Alter erreichte, und
ſo immer ferner. Indeſſen lehrten die Prieſter, ſie wuͤß-
ten auch ohne Erfahrung durch die beobachteten Wahrzei-
chen bey der Gruͤndung, wie viele Saͤkeln, und wie groß
jedes, dem Staat beſchieden waͤren. Die erſten ſieben
Saͤkeln der Etrusker zaͤhlten 781 Jahre.
Im Jahr der Stadt 666 verkuͤndigten die Aruſpices,
der Welttag des etruskiſchen Volks gehe zu Ende 97):
und nimmt man an, was wohl zugegeben werden muß,
daß ſie dies ankuͤndigten wie ihre Schriften lehrten, ſo
haͤtte die etruskiſche Zeitrechnung 434 Jahre vor Rom be-
[93] gonnen, und jene Annalen waͤren gegen das Ende des
vierten Jahrhunderts der Stadt geſchrieben geweſen.
Dieſer Zeitpunkt trifft ſonderbar genau mit dem zuſammen,
wo in der That die Nation erloſch, welche, kurz vorher roͤ-
miſch geworden, von Sylla acht Jahre ſpaͤter beynahe
ausgerottet ward.
Ein freyes Leben des Geiſtes in Dichtung und Wiſ-
ſenſchaft mußte einem Volke fremd bleiben, deſſen Stolz
und Studium Zeichendeuterey und Prieſterthum war.
Von ihnen hatten die Roͤmer die Wiſſenſchaft entlehnt,
den Willen der Goͤtter aus Zeichen zu errathen, den Sinn
ſchreckender Wunderzeichen zu verſtehen, und den Zorn
der hoͤheren Maͤchte zu verſoͤhnen: aber die reine und un-
truͤgliche Quelle dieſer Kenntniß ſchien ein Nationaleigen-
thum der Etrusker zu bleiben, ſeitdem Tages ſich auf ih-
rem Boden aus der Erde erhoben und gelehrt hatte: ein
unterirdiſcher weiſer Zwerg, wie in der Mythologie un-
ſrer Voraͤltern.
Der Orient las das Schickſal in den Sternen: Etrurien
im Blitz und in den zufaͤlligen Erſcheinungen am Himmels-
gewoͤlbe. Im Orient und in Italien ward der Wahrſager
der Tyrann und der Gehuͤlfe der Herrſcher, immer feſſelte er
das Volk. Der lebensvolle Geiſt der Griechen befreyte ſich
fruͤh vom Joch der Wahrſager; obgleich ſie gern und oft
ſich einen Blick in die Zukunft aus dem Innerſten ihrer
Seele durch Ahndungen und Traͤume gewaͤhrt glaubten.
Der edlere Held der Ilias verachtet Wahrzeichen, bey
dem Beruf das Vaterland zu vertheidigen: dem Roͤmer
brach erſt der mit dem Verfall der Sitten einheimiſch ge-
[94] wordne, von dem Calabriſchen Griechen Ennius zuerſt ge-
lehrte, Unglaube und Leichtſinn das Joch eines ſchmaͤhli-
chen und von der Ariſtocratie tyranniſch mißbrauchten
Aberglaubens. Die Etrusker theilten den Ruhm mancher
Zweige der Wahrſagerkunſt mit andern Voͤlkern Italiens,
beſonders den Marſern: die Wiſſenſchaft der Blitze war
ihr eigenthuͤmliches Geheimniß; dieſe wie alle Zweige der
Aruſpicin ward in Prieſterſchulen gelehrt 98), doch war
ſie auch in den heiligen nach Tages muͤndlicher Lehre nie-
dergeſchriebenen Buͤchern verzeichnet.
[95]
Von dieſen ſcheinen die Ritualbuͤcher verſchieden ge-
weſen zu ſeyn, welche die Ordnung der Gruͤndung und Er-
bauung einer Stadt, die Verfaſſung der Curien, Tribus,
und Centurien, und im allgemeinen alle Einrichtungen des
Kriegs und Friedens als goͤttliches Geſetz vorſchrieben 99).
Dieſen Geboten gehorchte urſpruͤnglich auch Rom; es be-
freyte ſich von ihren Banden, doch beruhte die unverbruͤch-
liche Ehrfurcht, womit Formen erhalten wurden deren
Weſen abgeſchafft war, in den aͤlteren Zeiten wohl auf
dieſer urſpruͤnglichen geſetzlichen Heiligkeit. In denſelben
Ritualbuͤchern muß auch das Grundgeſetz der von der
Aruſpicin ausgehenden Feldertheilung enthalten geweſen
ſeyn, ſogar das der Roͤmiſchen Lagerordnung, die noch
ganz das Gepraͤge ihres Urſprungs traͤgt. Die Inſignien
der Magiſtratur nahmen, wie die Sage bekannt iſt, die
Roͤmiſchen Koͤnige nach etruskiſcher Sitte an: der Capito-
liniſche Tempel war etruskiſch, in Hinſicht der Vereinigung
der Goͤtter denen er geweiht war wie ſeines Baus: es iſt
nicht zu bezweifeln, daß das ganze pontificiſche Recht
aus Etrurien entnommen war: und noch gegen die Mitte
des fuͤnften Jahrhunderts wurden die vornehmen roͤmi-
ſchen Juͤnglinge in Tuskiſcher Sprache und Litteratur un-
terrichtet, wie ſpaͤter in Griechiſcher 200): dieſe Ehrfurcht
verkehrte ſich nicht lange nachher in Verachtung des alt-
vaͤteriſchen, und Vergeſſenheit ſeines Daſeyns.
Die griechiſchen Erzaͤhlungen von der Tyrrhener
ſchamloſer Unſittlichkeit, haben an Theopompus einen
[96] ſchlechten Buͤrgen, deſſen Leichtſinn ſo arg war wie ſeine
Luſt ſchmaͤhliche Dinge zu berichten. Hoͤchſtens kann man
die Moͤglichkeit einraͤumen, daß einige vornehme Etrusker,
wegen Reichthum und Strafloſigkeit, ſich jener graͤuel-
haften Ueppigkeit uͤberlaſſen haben moͤgen, die zu Rom
unter den Kaiſern Ton ward. Ueberhaupt koͤnnen die Ge-
ſellſchaften welche Theopompus ſchilderte: Orgienverbin-
dungen wie auf den Geſellſchaftsinſeln: nur in dem herr-
ſchenden Stande, nie unter dem Volk beſtehen: hoͤchſt un-
wahrſcheinlich aber ſind ſie, ungeachtet der Ariſtocratie
Etruriens, in dieſem Lande ſchon wegen des von andern
bemerkten Umſtands, daß etruskiſche Kunſtwerke nie freche
Darſtellungen enthalten.
Der Fall Etruriens begann um das Ende des dritten
Jahrhunderts der Stadt. Im folgenden verlohr die Na-
tion ihre campaniſchen Colonieen: das ganze Land jenſeits
des Apenninus, und Veji; das fuͤnfte vollendete ihre Un-
terjochung. Etruriens Fall war langſam, aber unruͤhm-
lich. Zuletzt hatten ſogar die kleinen liguriſchen Bergvoͤl-
ker Staͤrke genug ihre Graͤnzſtaͤdte zu erobern, und ſich tief
in die Apenninen auszubreiten.
Die Umbrer.
Wortdeutender Witz der Griechen fand in dem Nah-
men dieſes Volks, den ſie Ombriker ausſprachen, eine
Beziehung auf ſein hohes Alter. Er ſollte anzeigen, ſie
waͤren ſchon vor den Regenfluthen vorhanden geweſen,
welche, auch nach der griechiſchen Weiſen Glauben, fruͤ-
here Menſchengeſchlechter in vielen Laͤndern vertilgt haben.
Ohne
[97] Ohne dieſes Spiel der Worterklaͤrung zu beachten, iſt es
gewiß daß die Umbrer vor den Etruskern, im Zeitalter
der Oenotrer, groß waren, und mit Recht das aͤlteſte
Volk Italiens genannt werden. Ihre Stadt Ameria war
nach Cato 964 Jahre vor dem perſeiſchen Kriege, oder
381 Jahre vor Rom, erbaut 1). Gewiß iſt es auch daß
ſie vor Alters ein ſehr weites Land bewohnten: außer dem
welches Umbrien blieb wahrſcheinlich, wie ſchon geſagt
iſt, das ſuͤdliche Etrurien; und, nach beſtimmten roͤmi-
ſchen Sagen, die Landſchaft welche die Sabiner zwiſchen
dem Apenninus und der Tiber einnahmen. Auf dem nord-
oͤſtlichen Abhang des Gebirgs gegen das obere Meer und
den Padus ſollen ſie ſich als Eroberer ausgebreitet, und
die Liburner von der Kuͤſte vertrieben haben: von dieſem
illyriſchen Volk hatte ſich in Catos Zeitalter (denn Pli-
nius, der ihm im Allgemeinen folgt, redet hier wohl mit
einem Ausdruck der, nach der großen Voͤlkerzerruͤttung,
in ſeinen Tagen nicht mehr paſſend war) die Buͤrgerſchaft
von Truentum erhalten 2); ſo daß dieſe Illyrier einſt die
ganze Kuͤſte vom Padus bis an die Graͤnze Apuliens be-
wohnt zu haben ſcheinen; auf deren groͤßter Ausdehnung
ſie von Sabiniſchen Voͤlkern uͤberwaͤltigt oder ausgerot-
tet ſind.
Unſre Geſchichte findet die Umbrer eingeſchraͤnkt auf
das linke Ufer der Tiber: am Meer wenige Orte, theils
wie Ravenna durch ſeine Lagunen, theils durch Zins-
zahlung an die Gallier, ihnen erhalten. Der Grie-
Erſter Theil. G
[98] chen Ombrika, an der Graͤnze der dunkeln Regionen des
innerſten Adriatiſchen Buſens, hat eine weitlaͤuftige und
unbeſtimmte Ausdehnung. Es erſtreckt ſich bey Herodot
bis unter die Alpen: denn aus dem Lande uͤber den Om-
brikern fließen in den Iſter die Stroͤhme Karpis und Al-
pis, deren einer allerdings der Inn ſeyn mag 3). Nach
Skylax, welcher die noͤrdliche Graͤnze beſchraͤnkt, ward
Picenum dazu gerechnet 4).
Fuͤr uns ſind die Umbrer ein verklungener großer
Rahme. Als die Gallier ſich zum Theil in ihrem Kuͤſten-
lande niederließen, ſcheinen ſie neben dieſen ſchoͤnen Ge-
genden auch ihre Unabhaͤngigkeit eingebuͤßt zu haben, ſo
lange die Macht jenes Volks durch ſtete neue Auswande-
rungen genaͤhrt ward. Umbrien, in ſeinen verengten
Graͤnzen, gehoͤrt allem Anſchein nach zu den angraͤnzen-
den Laͤndern welche die Gallier ſich unterwuͤrfig mach-
ten 5); es war ihre Kriegsſtraße ſo lange ſie nach Latium
zogen. Eine Schlacht unterwarf die umbriſchen Voͤlker
den Roͤmern: und ihre ſchwache Volkszahl zeigt ſich in
der Nachricht von dem allgemeinen Aufgebot der vorlie-
genden Landſchaften im großen galliſchen Kriege.
Die umbriſche Nation beſtand aus abgeſonderten
Voͤlkern 6), theils Staͤdten, theils Landſchaften (pla-
ga7) und tribus8)). Dieſe ſcheinen kaum wie die Staaten
[99] Etruriens ein idealiſches Ganzes gebildet zu haben: Po-
lybius nennt die Sarſinaten ſogar als ein eignes Volk ne-
ben den Umbrern 9).
Auf einem Theil der Iguviniſchen Tafeln redet ihre
Sprache; uns unverſtaͤndlich: aber mit einer Zahl latei-
niſcher oder dem Latein verwandt ſcheinender Worte
welche der Meinung Gewicht geben die ein umbriſches
Volk zu den Urvaͤtern der Latiner macht: doch, um mit ih-
nen zu unterhandeln, gebrauchten die Roͤmer im fuͤnften
Jahrhundert einen der Tuskiſchen Sprache kundigen Ge-
ſandten 10). Auf den Tafeln iſt die Schrift lateiniſch:
auf den Muͤnzen etruskiſch.
Japygien.
Japygien begriff das ſuͤdoͤſtliche Italien, von Meta-
pontum, nach den Aelteren, oder mit Einſchluß dieſer
Stadt, von der Siris 11), bis an den Garganus, oder,
wie die Griechen dieſen Berg nennen, den Drion; wo
dann in ihrer Geographie wahrſcheinlich Ombrika unmit-
telbar begann. Die Diomedeiſchen Inſeln liegen ſchon
weſtlich von dieſem Vorgebuͤrge; und den Ombrikern
ſchreibt Skylax die Verehrung des Tydiden zu, welche
andre Griechen bey den Dauniern zu finden glaubten.
Hier beſtimmt ihn Erinnerung aus einem Dichter, ob-
gleich er den Samnitern, nach der wahren Geographie
ſeiner Zeit, die Kuͤſte zwiſchen ihnen und Japygien
anweißt.
G 2
[100]
In dieſem großen Lande wohnten drey verſchiedne
Voͤlker, Meſſapier oder Sallentiner, Peuketier oder Poͤ-
diculer, Daunier oder Apulier: die erſten auf der Halbin-
ſel oͤſtlich von Tarent, die Peuketier noͤrdlich von ihnen,
am Meer von Brunduſium bis Barium: von hier bis an
den Garganus die Daunier: von denen Strabo, durch eine
wunderliche und ihm nicht gewoͤhnliche Verwirrung, die
Apulier unterſcheidet, und dieſen das Land zwiſchen dem
Garganus und den Frentanern anweißt 12). Uneinge-
denk, nicht nur daß ſonſt Daunier und Apulier Nahmen
ſind womit Griechen und Roͤmer, jeder gleichfoͤrmig und
beſtaͤndig in ſeiner Sprache, denſelben Volksſtamm be-
zeichnen, ſondern auch, daß nur die ſpaͤtere Geographie
Apulien uͤber jene weſtliche Graͤnze ausgedehnt hatte.
Ueber alle drey Nationen war es angenommene Mei-
nung daß ſie von jenſeits der See eingewandert waͤren.
Die aͤlteſten Griechiſchen Genealogieen nannten Peuketius
einen Bruder des Oenotrus, und ſein Volk eine Colonie
die er aus Arkadien gefuͤhrt habe 13): oder, im Sinn
einer Stammgeſchichte, ſie rechneten die Peuketier zu den
altpelasgiſchen Staͤmmen, welche, nach ihrem Glauben,
als Nachkommen der erſten Menſchen Pelasgus und Ai-
zeus aus Arkadien ausgegangen waren. So iſt es auch
eine alte Sage, daß die Meſſapier Kreter waͤren: nach
Herodot, die welche vergeblich um Minos Tod zu raͤchen
nach Sicanien geſchifft waren 14); nach juͤngeren, Ge-
[101] treue des Idomeneus, mit denen ſich Lokrer und Illyrier
vereinigt haͤtten 15). Von Daunus, dem Stifter des
Apuliſchen Volks, erzaͤhlte die Sage, er habe Illyrien
wegen innrer Fehden verlaſſen 16).
Wenn wir alſo in den Peuketiern, wie ſie zwiſchen den
Oenotrern und den Epiroten wohnten, einen beyden ver-
wandten Stamm erkennen, ohne darum ihren arkadiſchen
Urſprung einzuraͤumen, ſo vereinigt ſich Sage mit an-
ſchaulicher Wahrſcheinlichkeit fuͤr die Meinung, daß jenes
fremde Volk welches das Japygiſche Vorgebuͤrge be-
wohnte, ſich ſpaͤter an dieſer Kuͤſte niedergelaſſen und
ſie zuruͤckgedraͤngt hat. Varro gab eine ſeltſame Ety-
mologie des Nahmens Sallentiner, den die Meſſapier bey
den italiſchen Nationen trugen, und deſſen Ableitung von
dem der Stadt Sallentum ſo klar iſt 17). So wenig dieſe
Nachahmereyen griechiſcher Verirrungen beachtet zu wer-
den verdienen; ſo zweifelhaft, obgleich nicht ſchlechthin
abzulaͤugnen, eine kretiſche Niederlaſſung erſcheint; ſo
merkwuͤrdig iſt hingegen die Meinung uͤber der Meſſapier
illyriſchen Urſprung und den der Apulier. Ich erinnere
an die Liburniſchen Staͤmme welche vor Alters die Dal-
matien gegenuͤber liegende Kuͤſte vom Padus an und
hinab bis gegen die Graͤnzen Apuliens bewohnten; und
ſchon an ſich iſt es wahrſcheinlich daß Illyrier auch die
[102] folgende Kuͤſte, den ferneren oͤſtlichen Abhang der Apen-
ninen bis an die Graͤnzen der Peuketier, inne hatten.
Waͤre es auch, welches keineswegs der Fall zu ſeyn ſcheint,
unvermeidlich nothwendig, die demſelben Stamm ange-
hoͤrenden Bewohner beyder Ufer des adriatiſchen Meers
welche dieſes als ein Binnenmeer umgaben, auf einer von
beyden Kuͤſten als Muttervolk, auf der andern als Colo-
nie zu betrachten, ſo haͤtte dennoch Illyrien keine gegruͤn-
deteren Anſpruͤche als Italien auf den Vorrang des
Stammland: noch weniger koͤnnen wir uͤber die Zeit der
Auswandrung die ganz unbefugten Angaben der Mythen
vernehmen; aber wir duͤrfen die abgeſonderten Meſſapier
allerdings als eingewandert betrachten.
Der alexandriniſche Dichter Nikander 18) erlaubte
ſich mit verwegner Hand jene Nachrichten von illyriſcher
Einwanderung in die altgriechiſchen Genealogieen einzu-
weben. Er erfand zwey andere Soͤhne des Lykaon, Ja-
pyx und Daunus, die mit Peuketius pelasgiſche Auswan-
drer aus Arkadien fuͤhrten, denen ſich aber Illyrier bey-
geſellten, von welchen die Meſſapier kommen. Die Ein-
wandernden fanden nach ſeiner Erzaͤhlung Auſoner: dies
aber war, in ſeinem Zeitalter, die allgemeine Benennung
der alten Staͤmme Suͤditaliens.
Die Meſſapier, ein verbuͤndetes Volk unabhaͤngiger
Staͤdte deren erſte Hyria war, wurden von Phalanthus
Spartiaten aus Tarent 19), und von den ſpaͤtern Tarenti-
[103] nern aus einem weitlaͤuftigen Bezirk verdraͤngt. Um die
Mitte des dritten Jahrhunderts der Tarentiner (279) un-
ternahmen dieſe ſie zu unterjochen 20): eine große
Schlacht, das entſetzlichſte Blutbad eines griechiſchen
Heers bis auf jenen Tag, rettete ſie, und brach Tarents
Macht auf immer. Erſt nach dieſem Sieg, und durch
ihn, koͤnnen die Meſſapier die jenſeits Tarent gelegene
Siris dieſer Stadt ſtreitig gemacht haben: und wenn die
Erwaͤhnung Herakleas ſtreng zu nehmen iſt, erſt nach dem
Gruͤndungsjahr dieſer Stadt, 319. Zur Zeit dieſes
Kriegs beſtanden die Peuketier noch als Volk unter einem
Koͤnige, und die Daunier waren ebenfalls als ein Koͤnig-
reich vereinigt: beyde Fuͤrſten mit den Tarentinern gegen
die jetzt furchtbaren Meſſapier verbuͤndet 21). Die Ja-
pyger deren Kriege gegen Tarent erzaͤhlt werden ſind
immer dieſe Sallentiner, welche fuͤr Rom kaum eines
Feldzugs Gegenſtand waren.
Die Roͤmer fanden keine Peuketier mehr; und kein
Koͤnigreich der Apulier. Diejenigen des erſtgenannten
Volks welche um das Gebiet von Tarent her, bis hin an
die Graͤnzen der verwandten choniſchen Oenotrer gegen
Metapontum, im nachmals ſabelliſchen Gebirge Vultur
gewohnt haben muͤſſen, ſcheinen durch die gewaltſame Be-
wegung der lucaniſchen Einwanderung erdruͤckt; die im
Umfang Apuliens, den Dauniern unterwuͤrfig geworden
zu ſeyn. Genannt werden Penketier allerdings noch zur
[104] Zeit des ſpartaniſchen Kleonymus 22); auch war die Na-
tion nicht ausgeſtorben; aber die Roͤmer haben bald nach-
her alle dieſe Gegenden unterworfen ohne von den Poͤdi-
culern zu triumphiren.
Apulien war nachher unter der Hoheit einiger gro-
ßen Staͤdte getheilt, aus deren Zwieſpalt ſonſt unver-
ſtaͤndliche Erzaͤhlungen der Verhaͤltniſſe angeblich der gan-
zen Nation zu den Roͤmern ſich erklaͤren. Arpi war die
maͤchtigſte; und ihre Souverainitaͤt muß einen bedeuten-
den Umfang gehabt haben, weil die Feldmark von Sipon-
tum Arpaniſches Gemeinland geweſen war welches durch
die Empoͤrung der Stadt im hannibaliſchen Kriege an
Rom verfiel 23). Aber auch Canuſium war groß gewe-
ſen, wie noch in Strabos Zeit ihre Ringmauer, nicht we-
niger als die von Arpi, bezeugte.
Meſſapiſche Inſchriften ſind uͤbrig: Vergleichung
dieſer mit dem Albaniſchen koͤnnte vielleicht Illyriſche Ab-
ſtammung beſtaͤtigen. Die Sprache aller Muͤnzen des
ganzen Japygiens iſt griechiſch; und ſie war auch im
Munde der Nation, deren angeſtammte vielleicht großen-
theils, wie auf Sicilien, vor der hoͤheren gewichen iſt.
Die Canuſiner redeten, gleich den Bruttiern, griechiſch
neben der alten Landesſprache 24).
[105]
Die Griechen in Italien.
Achaͤer, Chalkidier, Lokrer und Dorier haben ſich an
den Kuͤſten Auſoniens und Japygiens niedergelaſſen, die
von Oenotrien ganz eingenommen, und im Umfang Om-
brikas eine Stadt gegruͤndet. Ihre Republiken waren
mehrere Jahrhunderte lang groß und bluͤhend; aber die
Verhaͤltniſſe wodurch das Emporwachſen fremder Anſie-
delungen an dieſen Kuͤſten beguͤnſtigt war aͤnderten ſich:
im Innern kamen große Voͤlker empor, und die vereinzel-
ten Kuͤſtenſtaͤdte erlagen ihnen, eine nach der andern.
Das vierte Jahrhundert Roms, die Kriege der ſabelliſchen
Nationen und der ſiciliſchen Tyrannen, zerſtoͤrten viele
der griechiſchen Staͤdte, und ſchwaͤchten die uͤbrigen ſo
ſehr daß die Griechen Italiens in der roͤmiſchen Geſchichte,
wenn auch Veranlaſſung großer Kriege, doch an ſich un-
bedeutend ſind. Daher und als Fremde, ſcharf abgeſon-
dertes Urſprungs, deren Geſchichte theils ſelbſtſtaͤndig iſt,
theils der allgemeinen ihrer Nation angehoͤrt, iſt es unnoͤ-
thig hier weitlaͤuftig von ihnen zu reden. Von den Staͤd-
ten welche in der Geſchichte Roms auftreten iſt es Zeit
alsdann Nachricht zu geben.
Von einheimiſchen Italiern, welche ihr Buͤrgerrecht
gewannen oder unter ihnen wohnten, gingen auf dieſe
Griechen, wenigſtens auf einige Staͤdte, viele ihrer Ei-
genthuͤmlichkeiten uͤber: ſo das Syſtem der Gewichte und
das der Feldſcheidung; auch viele Worte ihrer Sprachen.
Sie aber verbreiteten ihre Kuͤnſte, ihre Litteratur, und
ſelbſt den buͤrgerlichen Gebrauch ihrer Sprache weit uͤber
[106] die Laͤnder ihrer unmittelbaren Graͤnznachbaren hinaus
in Italien.
Ligurer und Veneter.
Zwey Voͤlker welche innerhalb der Alpen wohnten, ge-
hoͤren eigentlicher zu der Geographie als der Geſchichte des
alten Italiens. Anders waͤre es allerdings wenn wir auf
Philiſtus Meldung 25) annehmen koͤnnten, daß die Si-
keler der Inſel, ein Volk mit den Siculern Latiums,
und von Umbrern 26) vertriebene Ligyer geweſen waͤren.
Dann muͤßten dieſe einſt die ganze Kuͤſte des untern Meers
bewohnt haben. Aber was allein dieſer Nachricht einiges
Gewicht geben koͤnnte, wird durch gleiche Gruͤnde ent-
kraͤftet: es ſcheint Philiſtus muͤſſe aus der Sprache uͤber
ihre Richtigkeit urtheilen gekonnt haben: aber es iſt hoͤchſt
zweifelhaft daß die Sikeler damals noch die ihrer Vor-
fahren redeten, und die alten Sikelioten, von denen die
Sage des oͤnotriſchen Urſprungs uͤberliefert ward, konn-
ten viel ſichrer auf dieſem Grund urtheilen: eben ſo die
Italioten der Oenotrer pelasgiſche Abſtammung, ihre
Verwandtſchaft mit den Epiroten, bezeugen. Nur eine
Haͤlfte von Ligyſtika war in Italien begriffen. Nach einer
griechiſchen Sage uͤber den Urſprung der Sikaner, hatten
die Ligyer dieſe, ein iberiſches Volk, aus ihrem Lande von
einem uns unbekannten Strohm Sikanus vertrieben 27);
es ſcheint daß die Iberer anfaͤnglich bis an den Rhodanus
[107] gewohnt haben, und die Ligyer, welche das Land von den
Pyrenaͤen bis an dieſen Strohm mit ihnen vermiſcht inne
hatten 28), ſpaͤtere Einwandrer waren. Vom Rhodanus
an bis gegen die Graͤnze von Etrurien bewohnten ſie laͤngſt
dem Meere eine mehr oder weniger breite Landſchaft, ſpaͤ-
ter von den Celten bis an das Ufer gedraͤngt, in aͤlteren
Zeiten aber tief in die Alpen hinein, und bis an den Tici-
nus an beyden Seiten des Padus. Als ſie bey dem Ver-
fall der Etrusker ihre Graͤnzen in den Appenninen erwei-
terten, nahmen ſie vielleicht nur wieder ein was ihnen
fruͤher entriſſen war. Von ihnen war Corſica zum Theil
bewohnt 29). Ihre Geſchlechtsverwandtſchaft iſt uns
unbekannt: wir wiſſen nur, daß ſie weder Iberer noch
Celten waren, ſondern ein eigenes Volk. Dionyſius
ſagt ihre Abſtammung ſey unbekannt 30), und Cato
ſcheint ihr vergeblich nachgeforſcht zu haben, daher er ſie
unwiſſend, luͤgenhaft und betruͤgeriſch ſchalt 31). Illi-
terat war freylich wohl ein Volk dem das Leben zu friſten
ſo ſaure Muͤhe koſtete, und welches ſeinen ſteinigen Bo-
den nicht einmal mit dem Pflug beſtellen konnte. Das
uͤbrige gehaͤſſige Urtheil Catos beſtaͤtigen andere alte
Schriftſteller nicht: vielmehr ruͤhmen ſie die Arbeitſam-
keit, die Unverdroſſenheit und die Genuͤgſamkeit der Ligu-
[108] rer, eben ſo ſehr als ihren Muth und ihre Gewandt-
heit 32). Als Cato ſchrieb hatten die Roͤmer ihre Unter-
jochung kaum vollendet, welche, wenn gleich faſt immer
nur jeder Stamm einzeln kaͤmpfte, vierzig Jahre erfordert
hatte; dieſer Krieg veranlaßte auch von Seiten der Ligu-
rer ſehr verheerende und grauſame Einfaͤlle, und die alſo
genaͤhrte Erbitterung mag Cato zu einem ſo ungerechten
Ausſpruch verfuͤhrt haben.
Die Veneter waren, als die Ligurer Stamm nach
Stamm unterjocht oder ausgerottet, oder aus den Ber-
gen weggefuͤhrt und in weit entlegnen Ebenen angeſiedelt
waren, ſo reich wie ſie arm, ſo unkriegeriſch wie ſie tapfer.
Ohne alles Straͤuben hatten ſie ſich in den Schutz Roms
begeben, und erſcheinen als Roͤmiſche Unterthanen ohne
daß ſich eine Nachricht faͤnde wie ſie es geworden. Die
Einfaͤlle der Gallier — ſie wohnten in einem kleinen Theil
des nachmaligen Venetiens, in der Ebene und auf Huͤ-
geln, kaum bis gegen den Fuß der Alpen, zwiſchen den
Cisalpinern und den furchtbaren Tauriskern in Noricum,
— moͤgen ihnen den fremden Schutz wuͤnſchenswerth ge-
macht haben. Venedig hat Handelsgeiſt und Fabriken
von der Mutterſtadt, dem uralten Patavium, ererbt,
welches der Sage nach lange vor Rom durch auswan-
dernde Trojaner gegruͤndet, in allen Kriegen und Ver-
wirrungen Italiens unverletzt, in außerordentlichem
Reichthum bluͤhte, und in Tiberius Zeitalter die erſte
Stadt Italiens nach Rom war.
[109]
Jene Sage von Antenor ſcheint ganz andrer Art als
die latiniſche von Aeneas: nicht einheimiſch, ſondern von
Griechen, aus den Cyclikern welche Antenors Verrath und
Verſchonung erzaͤhlten, und dem Volksnahmen der pa-
phlagoniſchen Heneter gebildet. Von den Venetern, ſagt
Polybius, fabeln die Tragiker viel 33). Die Gegend
um den Eridanus, der innerſte Buſen des adriatiſchen
Meers, waren in dichteriſchen Fabeln beruͤhmt: dieſe
Gewaͤſſer, unzugaͤnglich wegen libuxniſcher Seeraͤuber,
ſchienen ſelbſt den ſpaͤteren Griechen ſehr entfernt und
weitlaͤuftig. Skylax, welcher das adriatiſche Meer un-
geheuer vergroͤßert, ſetzt die Veneter am oͤſtlichen Ufer,
um den Eridanus, der jenſeits des innerſten Buſens ein-
ſtroͤmt um den die Celten wohnen 34). Wenn aber
auch Griechen dieſe Gegenden ſehr ſelten beſuchten, ſo hat
doch Herodots Nachricht, daß die Eneter ein illyriſches
Volk waͤren 35) große innre Wahrſcheinlichkeit, weil ſich
an der ganzen Oſtkuͤſte Italiens illyriſche Voͤlker, oder
Spuren finden daß ſie einſt dort wohnten. Polybius
fand ſie von den benachbarten Celten an Sitten und Klei-
dung wenig verſchieden, aber ſie redeten eine ganz andere
Sprache; waͤre dieſe eigentlich illyriſch geweſen ſo wuͤrde
er ſie mit dieſem Nahmen genannt haben. Aber auch die
Liburner werden von den Illyriern im engern Sinn unter-
ſchieden, deren Kuͤſte erſt an ihrer Graͤnze beginnt. Die
[110] Schrift der Veneter kennen wir aus Inſchriften, ſie iſt
eine gekuͤnſtelte Etruskiſche.
Die drey Inſeln.
Auf Corſica finden ſich Iberer und Ligurer, jene als
die aͤlteren Bewohner 36): auf Sicilien, vor den Sikelern,
Sikaner, welche von jenen in das weſtliche Drittheil der
Inſel zuruͤckgedraͤngt wurden. Einſtimmig nennen alle
Geſchichtſchreiber auch dieſe ein iberiſches Volk, nur
ihre Heimath war ſtreitig. Sie ſelbſt behaupteten ein
einheimiſches Urvolk zu ſeyn 37), darin gab ihnen Ti-
maͤus Recht, und ſchien, nach Diodors Meinung 38),
den Beweis unwiderleglich gefuͤhrt zu haben: Thukydides
aber verſichert, es ſey ausgemacht daß ſie von Ligyern
aus Iberien vertrieben waͤren: und ihm ſtimmte Phi-
liſtus bey. Die Beſtimmtheit in Thukydides Urtheil,
„dies iſt als Wahrheit erfunden”, giebt, im Munde
eines ſolchen Mannes, den Sagen Weſteuropas großes
Gewicht: ihm, der keinen Ausſpruch uͤbereilt, darf ſie
nicht anders gedeutet werden.
Sardinien war von Barbaren bewohnt deren Ver-
wandtſchaft gar nicht oder maͤhrchenhaft angegeben wird.
Der Rahme Jolaer ſcheint bey ihnen ſelbſt gebraͤuchlich
geweſen, und auf dieſem die Fabel gebaut zu ſeyn: ſie
waͤren verwilderte Nachkommen von Griechen welche Jo-
laus dorthin gefuͤhrt habe. Die gebildete Nation welche
[111] einſt vor den Karthaginenſern auf der großen Inſel ge-
wohnt, und Gebaͤude aufgefuͤhrt hatte deren Ruinen die
Griechen am Ende des fuͤnften Jahrhunderts Werke jenes
Heros und ſeiner Begleiter der Theſpiadiſchen Herakli-
den nannten 39), waren vermuthlich die Etrusker. Er-
waͤgt man nun daß, wie die Balearen, auch die andern
Inſeln zwiſchen Iberien und Italien einſt von Iberern
bewohnt waren, Sicilien ehemals ganz, auch Corſica
ehe ſich Ligurer, Tyrrhener und Phokaͤer dort niederlie-
ßen, — ſo ſcheint es hoͤchſt wahrſcheinlich daß die zwi-
ſchen Sicilien und Corſica gelegene Inſel ebenfalls von
derſelben Nation bewohnt geweſen iſt. Es iſt wohl keine zu
dreiſte Vermuthung, wenn man glaubt einen Grund fuͤr
dieſe Meinung darin zu finden, daß die lateiniſche Spra-
che bey den Sarden nicht wie bey den Italienern ſondern
wie bey den Spaniern ausgeartet iſt; denn dies deutet
auf eine Analogie der fruͤheren Sprache. Man nenne
es nicht Folge der Arragoniſchen Herrſchaft und Colonieen,
denn dieſe reden ein wahres Spaniſch: der wilde Sarde,
der jenen Fremden nicht unterthan war, ſpricht den Dia-
lekt der Inſel am auffallendſten. Erwieſen waͤre dieſe
Vermuthung wenn ein Kenner der Baſkiſchen Sprache in
den unbekannten und fremden Worten des Bergſarden
baſkiſche Wurzeln entdeckte: aber gaͤbe ſelbſt dieſe Unter-
ſuchung ein anderes Reſultat, ſo waͤre die Hypotheſe den-
noch nicht widerlegt, indem die Sprache der Turdetaner
von derjenigen wozu die baſkiſche als Dialekt gehoͤrt ganz
verſchieden war, und fuͤr uns voͤllig verlohren iſt.
[112]
Schluß.
Niemand kann an den Stroͤhmen der Staͤmme des
jetzigen Menſchengeſchlechts bis zu ihren Quellen hinauf-
ſteigen; noch weniger die Kluft uͤberſchauen welche dort
die Ordnung zu der wir und die Geſchichte gehoͤren von
einer fruͤheren trennt. Daß ein aͤlteres Menſchengeſchlecht
untergegangen ſey iſt ein Glaube aller Volksſagen, den
die griechiſchen Philoſophen theilten und hegten: daß es
ſehr verſchieden war von dem jetzigen iſt ſchon darum
wahrſcheinlich weil dieſes alsdann ein andres iſt; oder
war es keine neue Schoͤpfung ſondern errettet aus weit
verbreitetem Untergang, die Zerſtoͤrung nicht ohne tief
wirkende Urſachen ausbrach, noch ohne gleiche Folgen
blieb: daß jenes Geſchlecht Werke hinterließ die auch Na-
turverwuͤſtungen beſtehen konnten, iſt nicht unmoͤglich.
Auch iſt die Meinung, welche die aus ungeheuern rohen
Felsſtuͤcken zuſammengefuͤgten Mauern der ſogenannten
cyclopiſchen Staͤdte von Praͤneſte bis Alba im Marſer-
lande, wo die Pfoſten der Stadtthore aus einzelnen Stei-
nen beſtehen, einem Rieſengeſchlecht zuſchreibt, wie die
Erbauung der ganz aͤhnlichen Mauern von Tiryns, eine
Aeußerung des unbefangenen Verſtandes, wie die des
Volks unſrer frieſiſchen Landſchaften, welches in den co-
loſſaliſchen Altaͤren die, mehr oder weniger erhalten, ſo
weit unſer Volksſtamm ehemals wohnte, angetroffen wer-
den, Rieſenwerke zu ſehen glaubt. Den Voͤlkern welche
unſre Geſchichte in Latium kennt muͤſſen wir auf jeden Fall
dieſe Werke, welche die Kraͤfte einer zahlreichen, zum
Frohn fuͤr gebotene Unternehmungen geheiligter Herrſcher
verpflich-
[113] verpflichteten Nation erfordern, abſprechen, und ſie einer
vorhiſtoriſchen Zeit zuſchreiben. Solche Kraͤfte aber uͤber-
ſteigen ſie nicht: die etruskiſchen Mauern ſind kaum ge-
ringer: die Aushebung der aus dem Felſen gehauenen
Obelisken und ihre Fortſchaffung iſt ein faſt noch rieſen-
maͤßigeres und unſrer Mechanik noch mehr ſpottendes Un-
ternehmen; doch kennen wir die Nation welche dieſes
Wunder ausfuͤhrte als ein Volk gewoͤhnlicher Art. Auch
ſind die Peruaniſchen Mauern beynahe eben ſo ungeheuer
wie die ſogenannten Cyclopiſchen. Alſo gehoͤren dieſe ewi-
gen Werke hoͤchſt wahrſcheinlich ganz vergeßnen Urvoͤl-
kern des heutigen Menſchengeſchlechts, gegen deren Bau-
kunſt die roͤmiſche verkuͤmmert war: Voͤlkern eines Zeital-
ters worin der griechiſche Geſchichtſchreiber des auguſtei-
ſchen Jahrhunderts, gleich den philoſophiſchen des letzten,
nur faſt ſprachloſe Wilde auf der rohen jungen Erde ſah.
Eben ſo ſind die auf dreyßig Stadien durch den Felſen
gefuͤhrten Abzugsgewoͤlbe des Sees Kopais, deren Reini-
gung Boͤotiens Kraͤfte unter Alexander uͤberſtieg, ſicher
das Werk eines uralten vorgriechiſchen Volks.
Das darf als hiſtoriſche Wahrheit behauptet werden,
daß die Hauptvoͤlker Italiens in ihren Sprachen grell von
einander unterſchieden waren, wie Celten und Deutſche,
wie Iberer und Celten; obgleich es zweifelhaft iſt welche
von denen die abgeſondert erſcheinen, ob etwa die Auſo-
ner und Sabeller zu einem Geſchlecht gehoͤrten. Ihre Re-
ligionen, alle verſchieden von der griechiſchen, waren es
auch unter ſich. Aber mehrere von dieſen verſchiedenen
Erſter Theil. H
[114] Nationen, die Latiner, Ctrusker und Sabeller, hatten in
einigen Hinſichten uͤbereinſtimmende Einrichtungen welche
ſie geſammt vor allen von den Griechen auffallend unter-
ſchieden.
Eine ſehr bedeutende Eigenthuͤmlichkeit iſt der Erb-
adel, und das Syſtem der Nahmen. Wohl war in ſehr
alten Zeiten zu Athen ein Adel, der ſein Geſchlecht von
Heroen und Fuͤrſten der Heldenzeit ableitete (das iſt Be-
griff der Ariſtokratie); zu dieſem gehoͤrte Solon ſelbſt,
folglich ſpaͤter Plato und Kritias, auch der Redner Ando-
kides. Die Unterſcheidung dieſes Adels ward durch die
alte an Caſten erinnernde Eintheilung der Staͤmme ange-
deutet, und ihn mit den uͤbrigen Buͤrgern zuſammenzu-
werfen war Zweck der Geſetzgebung des Kliſthenes. Bey
einigen dieſer Familien, wie den Eumolpiden und Buta-
den, blieben dennoch harmloſe Prieſteraͤmter erblich. Die
Aleuaden, wie die Bakchiaden, waren zahlreich ausgebrei-
tete Koͤnigsgeſchlechter. Sonſt gab es auch in Griechen-
land Oligarchieen der gehaͤſſigſten Art, haͤufig aus Ariſto-
kratieen entartet, doch waren die Herrſchenden gewoͤhnlich
nach dem Maaß des Vermoͤgens, nicht nach der Geburt
von den uͤbrigen Buͤrgern abgeſondert. Die Roͤmiſche
Form der Ariſtokratie: welche, ſoweit wir, und es kann mit
ziemlicher Zuverſichtlichkeit geſchehen, aus einzelnen Nach-
richten ſchließen koͤnnen, den beyden andern ſchon ge-
nannten Hauptvoͤlkern gemeinſchaftlich war, doch ſo, daß
im Weſten die Volksgemeinde entweder gar keine oder
ſehr geringe Gewalt hatte, bey dem Gebuͤrgsvolk der Adel
mehr Achtung als Macht genoſſen haben mag: dieſes Pa-
[115] triciat iſt in der hiſtoriſchen Zeit Italien eigenthuͤmlich.
Noch mehr der dieſer Ariſtokratie entſprechende Gebrauch
der Familiennahmen. Der Rahme eines adlichen Athe-
nienſers ward, wie es gebraͤuchlich war einen andern
Buͤrger durch die Beyfuͤgung des Demos in dem er ein-
heimiſch war, von andern gleichnemigen zu unterſcheiden,
durch die Hinzufuͤgung des Geſchlechtsnahmens ausge-
zeichnet: Demoſthenes, des Demoſthenes Sohn, der
Paͤanier: Lykurgus, des Lykurgus Sohn, der Eteobu-
tade. Es laͤßt ſich mit einer hohen Wahrſcheinlichkeit
darthun, daß die Demi urſpruͤnglich nur die Plebejer in
ſich faßten; daß ein Eupatride keine δημότας ſondern
γεννήτας hatte. Aber außer der amtlichen Schreibart
ward kein Athenienſer mit einem andern Nahmen als dem
ihm eigenthuͤmlichen benannt, fuͤr deſſen Wahl und Bil-
dung wie bey den morgenlaͤndiſchen Voͤlkern eine faſt un-
begraͤnzte Freyheit herrſchte. Bey den Italiern waren die
Geſchlechtsnahmen die Hauptſache, und die eigenthuͤmli-
chen ebenfalls nicht der freyen Bildung uͤberlaſſen, ſon-
dern auf eine gewiſſe Zahl herkoͤmmlicher, ohne indivi-
duelle Bedeutung, eingeſchraͤnkt: ein Umſtand der um ſo
auffallender iſt, da dieſe Beſchraͤnkung den weſtlichen und
noͤrdlichen Voͤlkern ebenfalls unbekannt war; der ſtreng
charakteriſtiſch zu ſeyn ſcheint; und das Herbe, der Schoͤn-
heit Unempfindliche des altitaliſchen Sinns, verglichen
gegen den griechiſchen, verraͤth.
Die Apulier, wenn wir aus den Arpaniſchen
Muͤnzen folgern duͤrfen, ſtimmten wie ihre vermuthlichen
Stammgenoſſen durch den Gebrauch eines einzigen eigen-
H 2
[116] thuͤmlichen, ohne Geſchlechtsnahmen, mit den Nichtita-
liern uͤberein.
Eine andre gemeinſchaftliche Eigenthuͤmlichkeit war
das Prinzip, daß alles Grundeigenthum vom Staat aus
gehe, und daß der Eroberer es gewinne: ſo daß die
Ausuͤbung ſeines erlangten Eigenthumsrechts ganz von
ſeiner Willkuͤhr und Gnade abhange, ob er die alten
Beſitzer gegen einen Zins dulden wolle oder nicht. Eigen-
thuͤmlich iſt es ihnen in dem Sinn, daß jeder Krieg dieſes
Recht gab, wenn er auch ohne allen Schein eines Vertil-
gungshaſſes aus gewoͤhnlichen Urſachen gefuͤhrt ward;
und daß dieſes Recht auch zwiſchen Voͤlkern eines Stam-
mes beſtand. Ganz im Gegentheil ſicherte der Amphlktyo-
niſche Eid unter den griechiſchen verbuͤndeten Voͤlkern ge-
genſeitig gegen die aͤußerſte Ausuͤbung des Eroberungs-
rechts, wie gegen unmenſchliche Kriegfuͤhrung, und nur
wuͤthende Erbitterung veranlaßte in einzelnen Faͤllen, nie
aber ohne allgemeines Mitgefuͤhl fuͤr den Unterliegenden,
die grauſame Entſcheidung eines Vertilgungskriegs.
Etrusker, Umbrer, Latiner, und wenigſtens ein Theil
der Samniter gebrauchten gemeinſchaftlich Kupfer als
Courant, nicht wie Griechenland und das ſuͤdliche Ita-
lien Silber: aber den italiſchen Griechen war ihr Syſtem
der Muͤnzen und Gewichte nicht fremd, und ihre Kupfer-
ſcheidemuͤnze ſcheint darnach eingerichtet zu ſeyn.
[[117]]
Die Latiner.
Die Entſtehung der Latiniſchen Nation durch die Ver-
ſchmelzung eines den Griechen verwandten Stamms mit
einem barbariſchen altitaliſchen Volk, bewaͤhrt die Spra-
che, eben ſo wohl durch ihre Biegungen als durch die
Worte. Dieſe italiſchen Stammvaͤter nannten die Nach-
kommen Aborigines; nicht anders als ob ſie dieſen Nah-
men als Benennung gefuͤhrt haͤtten: doch iſt er ſichtbar
nur eine ſpaͤter beygelegte Bezeichnung von der Art des
griechiſchen Worts Autochthones.
Im allgemeinen ſcheint man in dieſem Nahmen auch
die Andeutung eines von allen uͤbrigen verſchiednen Ur-
ſtamms geſehen zu haben: obgleich einige in ihnen Ligurer
ſahen: andre eine, mit der Benennung ſtreitende, Mi-
ſchung verſchiedenartiger umherirrender Voͤlkerhaufen.
Sehr kleine von allen umgebenden grundverſchiedne
Staͤmme zeigt der Caucaſus noch in unſern Tagen: aber
das entgegengeſetzte muß bis zum Erweis, oder, wenn die-
ſer auf keiner Seite gefuͤhrt werden kann, vernunftgemaͤß
vorausgeſetzt werden; und die uralte Ausdehnung des
umbriſchen Urvolks in die Gegenden der aͤlteſten Wohnſitze
der Aboriginer, die Spuren einer Sprachverwandtſchaft,
geben der ſikeliotiſchen Sage Gewicht, daß es Umbrer
waren, welche die Siculer aus Latium vertrieben, wel-
[118] ches die Roͤmer von den Aboriginern erzaͤhlen: obgleich
dieſe Erzaͤhlung dadurch an Gewicht verliert daß die fabel-
haften Pelasger mit ihnen genannt werden 40).
Es koͤnnte ſcheinen daß der Rahme als eine abſtrakte
Bezeichnung ihnen von ſpaͤteren roͤmiſchen Geſchichtſchrei-
bern beygelegt ſey: aber er iſt viel aͤlter als die Zeit da die
Geſchichte Roms aus den Windeln einſylbiger Chroniken
erwuchs: denn ſchon gegen das Ende des fuͤnſten Jahr-
hunderts war er in Alexandrien bekannt. Kaſſandra weiſ-
ſagt bey Lykophron, Aeneas werde in den Gegenden der
Boreigoner dreyßig Thuͤrme gruͤnden, und Kallias ſoll
Latinus Koͤnig der Aboriginer genannt haben 41).
Varro hat die Staͤdte aufgezaͤhlt welche ſie in dem
oͤſtlichen Gebuͤrge des Sabinerlands, von Reate herab,
gegen Suͤden bis Carſeoli, und oͤſtlich um den See Fuci-
nus bewohnt haben ſollen. Ihre Hauptſtadt Liſta ſey von
den Sabinern aus Amiternum durch Ueberfall eingenom-
men, und das ganze Volk nach und nach aus dieſen Ge-
buͤrgen verdraͤngt worden. Varros Autoritaͤt uͤber die
Lage und Nahmen ganz und in uralten Zeiten verwuͤſteter
Orte iſt durch die Sache gering: aber wie viel er auch mit
Fug gilt, wo alte urkundenaͤhnliche Nachrichten an das
Licht gezogen werden konnten, ſo ſehr ſteht ſein verworre-
nes Wiſſen, und ſchwankendes Urtheil ſeinem Anſehen mit
Recht im Wege wo helle Beurtheilung allein den Muth
entſchuldigen kann ohne Fuͤhrer einen Pfad zu betreten.
Jene urſpruͤnglichen Wohnſitze des Volks koͤnnen jedoch in
[119] den aͤlteſten latiniſchen Staͤdten, wie zu Tibur, durch
Ueberlieferung im Andenken geblieben ſeyn.
Ich uͤbergehe die Beygeſellung der Pelasger zu ihrer
Auswanderung nach Latium, als eine aus Buͤchern und
fuͤr Buͤcher gebildete Fiction. In Latium trafen ſie ſchon
zu Tibur, wie dort, gleich an andern Orten Latiums,
Ortnahmen davon einſtimmig mit der Sage zeugten, Si-
culer 42): welche außer dem latiniſchen Lande das ſpaͤter
ſogenannte ſuburbicariſche Tuſcien bis Graviſcaͤ und Fale-
rii bewohnten. Oeſtlich von der Tiber erlagen dieſe
den Aboriginern, weſtlich, vielleicht etwas ſpaͤter, den
Tuskern.
Voͤlkerwandrungen veraͤndern ſelten die geſammte
Bevoͤlkerung: Freyheitsliebende ziehen fort: ein Theil,
und gewoͤhnlich die groͤßere Zahl, unterwirft ſich dem
Sieger. So geſchah es auch damals: ein Theil der Si-
culer ward ein Volk mit den Aboriginern; und dieſe ge-
miſchte Nation empfing den Nahmen der Latiner, von
dem Lande welches ihn wohl ſchon laͤngſt fuͤhrte. Ein an-
drer Theil ruͤſtete Schiffe aus, und fand in Griechenland
Wohnſitze unter dem Nahmen Tyrrhener oder Pelasger:
nach der Sage waren dieſe letzten vornaͤmlich die Bewoh-
ner des rechten Tiberufers: uͤber ſie iſt weitlaͤuftiger gere-
det worden 43).
Die Staͤdte der Siculer in dieſen Gegenden ſind die-
ſelben welche hier pelasgiſch genannt werden: nur daß
[120] Dionyſius, um die latiniſchen Sagen an die Erzaͤhlung
des Hellanikus anzuknuͤpfen, eine Vertreibung jenes Volks
durch Pelasger, eine freywillige Auswandrung der letztge-
nannten, annimmt: und, ſehr inconſequent, um den grie-
chiſchen Urſprung der Roͤmer zu erweiſen, die Aboriginer
zu Oenotrern macht, die Siculer zu eingebohrnen Barba-
ren; dennoch ſie als das Volk anerkennt welches nach der
Inſel zog; alſo in ihnen und den oͤnotriſchen Sikelern ein
Volk. Cato nannte Tibur eine argiviſche Stadt: Falerii
ebenfalls 44); deswegen, weil argiviſch und griechiſch
den Roͤmern gleichbedeutende Nahmen waren; die Sike-
ler der Inſel in Catos Zeitalter voͤllige Griechen.
In dieſem Volk, von dem wir weiter nichts als die-
ſes ſagen koͤnnen, ſcheint der griechiſche Grundſtamm der
Latiner zu liegen. Einige haben auf ſie den Nahmen der
Aboriginer angewandt; und eine uralte Auswanderung
aus Achaia (im roͤmiſchen Sinn) gemuthmaaßt: ſo Cato
ſelbſt, und C. Sempronius 45): in dieſem Sinn meldete
auch Cato, der groͤßte Theil der Volskerebene habe vor-
mals ihnen gehoͤrt 46).
Nach dieſer Anſicht, daß Pelasgiſche Voͤlker in die-
ſer Gegend Siculer und den Latinern verwandt waren,
wuͤrden auch die Herniker von den umwohnenden auſoni-
ſchen Staͤmmen abgeſondert werden muͤſſen, wenn die
Autoritaͤt welche ſie Pelasger nennt ein wenig ach-
tungswerther waͤre. Aber das Zeugniß des Julius Hy-
[121] ginus 47) kann gar nichts gelten; und das alte Buͤndniß
der Herniker mit den Latinern, ihre ewige Feindſchaft ge-
gen die benachbarten Auſoner (die Volsker und Aequer),
beweiſen nicht fuͤr Stammverwandtſchaft und Verſchieden-
heit, wie denn auch doriſche und boͤotiſche Staͤdte mit den
Athenienſern gegen die ihrigen verbuͤndet waren. Rieſen-
mauern haben ihre Staͤdte mit dem latiniſchen Praͤneſte,
mit volskiſchen, und dem marſiſchen Alba gemein: alle
dieſe Staͤmme bewohnten einen Bau aͤlterer Vorzeit, den
ſie aufzufuͤhren nicht vermocht haͤtten.
Die Aboriginer werden von Salluſt und Virgil als
Wilde geſchildert, welche in Horden, ohne Geſetz, ohne
Ackerbau, von der Jagd und wilden Fruͤchten lebten.
Dies ſcheint aber nichts anderes als eine Speculation uͤber
den Fortgang der Menſchen aus thieriſcher Rohheit zur
Cultur zu ſeyn, dergleichen in dem letztverfloſſenen halben
Jahrhundert, ohne den Zuſtand thieriſcher Sprachloſig-
keit zu vergeſſen, unter dem angeblichen Nahmen philoſo-
phiſcher Geſchichte, doch vorzuͤglich im Ausland, bis zum
Ekel wiederholt worden ſind. Es wimmelt von Citaten
aus Reiſebeſchreibungen bey dieſen vorgeblichen beobach-
tenden Philoſophen: aber das haben ſie uͤberſehen, daß
kein einziges Beyſpiel von einem wirklich wilden Volk auf-
zuweiſen iſt welches frey zur Cultur uͤbergegangen waͤre,
und daß, wo die Cultur von außen aufgedraͤngt ward,
phyſiſches Abſterben des Stamms die Folge geweſen iſt,
wie bey den Natticks, den Guaranis, den Staͤmmen in
Neu-Californien, und den Miſſionshottentotten. Denn
[122] jedes Geſchlecht der Menſchen hat ſeinen Beruf von Gott
angewieſen erhalten, die Stimmung ſeines Berufs und
ſein Siegel: auch war die Geſellſchaft eher als der ein-
zelne Menſch, wie Ariſtoteles weiſe ſagt; das Ganze eher
als der Theil: das verkennen ſie, daß der thieriſche
Menſch entweder ausgeartet, oder urſpruͤnglich ein Halb-
menſch iſt.
Als Stifter eines beſſern Lebens haͤtten die Aborigi-
ner Janus, und Saturn, der ſie den Ackerbau lehrte, und
feſte Wohnſitze zu erwaͤhlen bewog, verehrt. Janus oder
Dianus iſt, wie Scaliger gezeigt hat, der Sonnengott:
Saturnus mit ſeinem Weibe Ops, hoͤchſt wahrſcheinlich
Erdgott und Erdgoͤttin, das belebende, und das empfan-
gend hervorbringende der Erde: ſein Reich ſind ihre Tie-
fen. Die Deutung dieſer Goͤtter auf Koͤnige iſt das neuere.
Von Saturnus bis auf die trojaniſche Anſiedelung
zaͤhlte die aͤlteſte Sage nur drey Koͤnige; Picus, des Got-
tes Sohn, Faunus und Latinus, ſo wie eine andere unter
den vielfachen Dichtungen uͤber Roms Gruͤndung dieſem
als Enkel durch ſeine Tochter Lavinia, oder als Sohn,
Romulus den Gruͤnder der Stadt zuſchrieb. Aus der
griechiſchen Fabel, welche Herakles Zug nach Erythea
erzaͤhlte, bildeten ſehr ſpaͤte Griechen einige Ausſchmuͤk-
kungen der latiniſchen Urzeit: denn die Ruͤckkehr des He-
ros uͤber die Alpen fuͤhrte ihn durch die Halbinſel. Seine
Kaͤmpfe an den Ufern der Tiber ſcheinen allen Herakleen
fremd geweſen zu ſeyn, und nicht minder fremd der alten
einheimiſchen Sage. Das dem Victor zugeſchriebene
Buch uͤber den Urſprung des roͤmiſchen Volks fuͤhrt frey-
[123] lich die Jahrbuͤcher der Pontifices dafuͤr an: aber wenn
man auch zugeben will, daß dieſe uͤber die aͤlteſte Sagen
redeten, und zu der Zeit als er ſchrieb nicht ſchon laͤngſt,
vernachlaͤſſigt, ganz verſchwunden waren: daß ein Schrift-
ſteller des vierten Jahrhunderts unſrer Zeitrechnung ſie
haͤtte leſen koͤnnen; welches alles hoͤchſt unwahrſcheinlich
iſt: ſo traͤgt doch ſein ganzes Werk das Gepraͤge betruͤge-
riſcher Erdichtung, indem Schriften darin angefuͤhrt ſind,
wovon mit der groͤßten Zuverlaͤſſigkeit verſichert werden
kann, daß ſie nie vorhanden waren. Waͤre dieſer Victor
glaubwuͤrdiger, ſo wuͤrde durch die von ihm aus Caſſius
Hemina angefuͤhrte Erzaͤhlung klar ſeyn, daß der Kampf
mit Kakus in einheimiſcher Sage von einem wandernden
Helden Recaranus erzaͤhlt war 48): aber auch dieſes Zu-
trauen waͤre wohl unverdient, obgleich jener Annaliſt in
den Haͤnden noch ſpaͤterer Grammatiker geweſen iſt, welche
die pontificiſchen Jahrbuͤcher nie anfuͤhren. Der angeb-
liche uralte und allgemeine Dienſt des Herakles in Italien,
wodurch Dionyſius das Maͤhrchen, und die Behauptung
griechiſches Urſprungs der Roͤmer beglaubigen will, iſt
ſicher Irrthum, gegruͤndet auf Verwechſelung des Sohns
der Alkmene mit dem Sabiniſchen Daͤmon Sancus, den
die roͤmiſchen Spracherklaͤrer auf Herakles deuten 49),
und deſſen Verehrung nothwendig bey allen Sabelliſchen
Nationen in ganz Suͤditalien herrſchte. Auf den griechi-
ſchen Heros haben ſie die Roͤmer zuverlaͤſſig erſt ſehr ſpaͤt
[124] uͤbertragen. Es wird erzaͤhlt App. Claudius der Blinde
habe als Cenſor die Potitier beredet Staatsknechte in den
Caͤremonien dieſes Dienſtes zu unterweiſen, der mit grie-
chiſchen Riten, ſeit des Vergoͤtterten Erſcheinung an der
Tiber, auf dem Hauptaltar gefeyert worden ſey: es iſt
aber viel wahrſcheinlicher daß, nach einem Ausſpruch der
Sibylliniſchen Buͤcher, erſt damals dieſer griechiſche Dienſt
zu Rom begann, wie bald nachher der des Aſklepios: da-
hin gehoͤrt die Einweihung einer coloſſalen Statue des Got-
tes im Jahr 449, gerade unter der Cenſur des Appius.
Verbunden mit der Herakleiſchen Fabel iſt die von
der Niederlaſſung Euanders und ſeiner Arkadier am Ti-
ber; auf dem Huͤgel, wo einſt der ewigen Stadt Grund
gelegt werden ſollte. Denn Euander vermaͤhlte dem Heros
ſeine Tochter Launa, welche ihm Pallas gebahr 50). Auch
fuͤr dieſe Fabel wird kein altgriechiſcher Dichter angefuͤhrt:
daß ſie aber rein latiniſch geweſen waͤre, iſt ſchon darum
ſehr unwahrſcheinlich, weil ſie allerdings auf arkadiſche
Genealogieen bezogen iſt, die zu Rom vor dem gelehrten
auguſteiſchen Zeitalter den Dichtern gewiß ganz unbekannt
waren; und ebenfalls, daß waͤhrend die Mutter Euanders
roͤmiſch Carmentis genannt wird, er ſelbſt in der alten
Dichtung einen griechiſchen Nahmen gefuͤhrt haͤtte. Euan-
der ſcheint nur eine andere Geſtalt des Latinus zu ſeyn:
hier Sohn der weiſſagenden Carmentis, wie dort des weiſ-
ſagenden Faunus: ſeine Tochter Lavinia hier dem Hera-
kles, dort dem Aeneas; beyden fremden Heroen, ver-
maͤhlend. So mannigfaltig ſpielt die Fabel, daß bald
[125] Pallas, (nach andern Euanders Sohn), bald Latinus
Heraklide iſt: dann der letzte von einer Hyperboreerin
Palanto 51).
Dieſe Fabeln ſcheinen mir von ſpaͤten griechiſchen
Dichtern gebildet, als Rom ſchon herrſchte: im ſechſten
Jahrhundert, da ſogar der Alexandriniſchen Poeſie Bluͤ-
the verwelkt war. Italien mag eigene griechiſche Mytho-
graphen gehabt haben, aber das Alter des Dichters
Euxenus iſt nicht einmal in der Stelle des Dionyſius auf
eine zweifelloſe Weiſe verſichert 52). Simylus, Butas,
und wenn ſie in Verſen uͤber Rom geſchrieben haben, Dio-
kles von Peparethus und Antigonus, ſind zuverlaͤſſig nicht
aͤlter als jenes Jahrhundert. In Polybius Zeitalter war
ſchon eine gewaltige Veraͤnderung in den roͤmiſchen Sa-
gen vorgegangen: Griechen hatten lateiniſch gedichtet,
und ſo konnte ihm die Vermiſchung als einheimiſche Sage
erſcheinen.
Aeneas und die Troer in Latium.
Die troiſche Colonie in Latium wird ſelbſt in der alten
Sage als ein kleines Haͤuflein dargeſtellt: die Bemannung
weniger Schiffe, der die Feldmark eines ſehr kleinen Dorfs
genuͤgte: nicht als die Einwandrung einer Nation deren
Menge hinreicht das Volk umzuaͤndern von dem ſie auf-
genommen wird. Waͤre alſo ihre Ankunft ſonſt wahr-
ſcheinlich bezeugt, ſo duͤrfte es nicht irre machen daß die
[126] latiniſche Nation ganz unveraͤndert italiſch erſcheint, ob-
gleich der Thron an die Fremden gekommen ſeyn ſoll.
Die Sage iſt an ſich innig und unzertrennlich ver-
webt mit dem ganzen mythiſchen Theil der roͤmiſchen Ge-
ſchichte, welchen wir abſondern muͤſſen, aber nicht uͤber-
gehen duͤrfen. Es waͤre eine leichtſinnige und traͤge Unkri-
tik wenn man ſie wegen vermeinter innrer Unhaltbarkeit,
haͤtte dieſe auch noch ſo großen Schein, ungepruͤft vernach-
laͤſſigen wollte; eben ſo ſehr als es unhiſtoriſch ſeyn wuͤrde,
wenn jemand waͤhnte hier factiſche Gewißheit oder auch
nur Wahrſcheinlichkeit zu gewinnen, da mehr als ein hal-
bes Jahrtauſend nach dieſer Zeit vergeht, ehe in der roͤ-
miſchen Geſchichte einiges Licht daͤmmert. Das iſt der
Gegenſtand der Unterſuchung: ob die troiſche Sage alt
und einheimiſch war, oder von den Griechen ausgegangen,
und von den Latinern aufgenommen worden iſt.
Niemand verwerfe ſie ſchlechthin, weil auch Ilion
eine Fabel, und eine Schiffahrt nach dem unbekannten
Weſten unmoͤglich geweſen ſey. Mythiſch iſt der troiſche
Krieg allerdings, ſo daß auch nicht ein einziger Punkt
ſeiner Begebenheiten wegen mehrerer oder minderer Wahr-
ſcheinlichkeit von den uͤbrigen ausgezeichnet werden kann:
dennoch iſt ein hiſtoriſcher Grund unlaͤugbar, und dieſer
iſt weniger tief verſteckt als in manchen andern dichteri-
ſchen Sagen. Die Atriden als Koͤnige des Peloponneſus
ſind nicht zu bezweifeln. Unmoͤglich kann auch die Schif-
fahrt nach Latium nicht genannt werden, da Kuma im
zweyten Jahrhundert nachher gegruͤndet ward; und Kuͤhn-
heit der Schiffer keineswegs durch Unvollkommenheit ih-
[127] rer Schiffe beſchraͤnkt: oder ihre Kenntniß entlegner
Gegenden durch die Vorſtellungen des daheimbleibenden
Volks, ehe es Buͤcher, Karten und Gelehrte gab, gemeſſen
wird.
Die Erzaͤhlung daß die Troer bey der Eroberung
Ilions nicht ganz untergegangen waͤren, daß ein Theil
dieſe uͤberlebt, und das Geſchlecht des Aeneas die Uebrig-
gebliebenen beherrſcht habe; iſt ſo alt wie die Gedichte
welche den Trojaniſchen Krieg beſangen. Freylich folgt
hieraus keineswegs daß die Sage eben ſo alt war, die
Aeneaden haͤtten außerhalb Trojas uͤber Ausgewanderte
geherrſcht, man kann nur ſagen daß beydes ſich nicht wi-
derſpricht. Mehr als die Fortdauer eines troiſchen Volks
ſagt die bekannte Stelle der Ilias nicht; und wahrſchein-
licher ſogar wuͤrde man an die unabhaͤngigen Dardanier
des Aeneas denken, welche, ihrer Lage nach, das ver-
oͤdete iliſche Land ſofort nach der Griechen Abzug einneh-
men konnten, als an eine entfernte Niederlaſſung in Ge-
genden die dem Dichter ganz dunkel, wenn auch dem
Schiffer bekannt waren: waͤren nicht im homeriſchen Zeit-
alter Troas und der Helleſpont laͤngſt voll aͤoliſcher Colo-
nieen geweſen. Auch Arktinus von Miletus, der um die
Zeit der Erbauung Roms dichtete, hat, wenn die Auszuͤge
der Chreſtomathie des Proklos nicht taͤuſchen, nur erzaͤhlt,
wie Aeneas mit den Seinigen, durch das Wunder der Lao-
koontiden geſchreckt, die Stadt verlaſſen und ſich auf
dem Ida dem allgemeinen Untergang entzogen habe.
Uebergangen koͤnnte eine Erzaͤhlung der fernern Schickſale
dieſer Gefluͤchteten in den Auszuͤgen allerdings ſeyn. Im
[128] Laokoon des Sophokles 53) ward Aeneas Auswandrung
vor der Einnahme der Stadt, erzaͤhlt, und wir
ihm ein großer Haufe nach neuen Wohnſitzen, vieler Phry-
ger Wunſch, folge. Hatte aber auch der Dichter der Tra-
goͤdie Fabel im Ganzen aus dem uralten Cycliker entnom-
men, ſo folgt daraus doch keineswegs daß er nicht auch
hier mit gewoͤhnlicher Willkuͤhr aus den Erzaͤhlungen an-
derer Gedichte von Ilions Zerſtoͤrung frey waͤhlte. Dio-
nyſius kannte Arktinus Gedicht, nicht allein die Aethiopis,
ſondern die Zerſtoͤrung Ilions, denn er berichtet ſeine Er-
zaͤhlung uͤber den Raub des falſchen Palladiums 54): und
er giebt dieſe abgeſondert von denen welche meldeten das
Goͤtterbild ſey von den Troern nach Italien gefuͤhrt wor-
den. Haͤtte alſo Arktinus Aeneas fernere Auswandrung
erzaͤhlt, er deſſen hohes Alter Dionyſius ausdruͤcklich er-
waͤhnt, ſo laͤßt es ſich gar nicht denken daß dieſer ſein
Zeugniß fuͤr troiſche Auswandrung nach Italien verſaͤumt
haben ſollte, wo er aus Hellanikus, Kephalon und an-
dern ſo viel neueren Schriften, was ſich auftreiben ließ
zuſammenbrachte.
Hingegen ſcheint Dionyſius weder Piſander, noch
Steſichorus lyriſches Gedicht uͤber Ilions Zerſtoͤrung, ge-
kannt zu haben. Koͤnnen wir der Nachricht glauben daß
Virgil das zweyte Buch der Aeneis jenem Epiker ganz
nachbildete 55): und es ſcheint keine Urſache vorhanden
ihr zu mißtrauen: ſo laͤßt ſich wenigſtens nicht bezweifeln,
daß
[129] daß und wie Piſander beſungen hat daß Aeneas mit einem
Theil der Troer, nach dem Ungluͤck der Stadt, ſich ret-
tete, und fortzog: aber Folgerungen wegen der ferneren
Uebereinſtimmung ſeiner Fabel mit der virgiliſchen ſind
unbefugt. Piſanders Zeitalter, wenn er der Kamiraͤer
war, iſt ganz unbeſtimmt, vom Heſiodiſchen herab bis
zur drey und dreyßigſten Olympiade.
Aber Steſichorus ſang von Aeneas Auswanderung
faſt wie Virgil; denn die Darſtellungen der iliſchen Tafel
ſcheinen Vertrauen zu verdienen. Hier findet ſich die
Rettung des Vaters und der Heiligthuͤmer, — etwas ver-
ſchieden von der Virgiliſchen Dichtung, — und die Ein-
ſchiffung Aeneas und der Seinigen nach Heſperien. Ste-
ſichorns, der in der ſechs und funfzigſten Olympiade ſtarb,
lebte in der andern Haͤlfte des zweyten Jahrhunderts:
doch von unbeſtimmter Erzaͤhlung daß Aeneas Troer
nach Heſperien gefuͤhrt habe, bis zu der daß er eine Co-
lonie in Latium geſtiftet, iſt allerdings noch ein weiter
Schritt: und es iſt ſehr zweifelhaft, ob Steſichorus an
dieſes aͤußerſte Ziel trat.
Bey Arktinus wenigſtens war Rettung des Palladi-
ums die Hauptthat des Heros: unter den Heiligthuͤmern
bey Steſichorus war dieſes ſicher auch der koͤſtlichſte
Schatz: dieſes Palladium aber glaubten die Griechen bey
der Troiſchen Colonie zu Siris in Oenotrien geborgen;
an der Kuͤſte wohin ſie ſo viele troiſche Erinnerungen ver-
ſetzten, Philoktetes zu Petelia, Epeus zu Lagaria, Pylier
zu Metapontum. Auch ſie war im Umfang Heſperiens,
und dieſſeits dem furchtbaren Fabellande Sicilien; die
Erſter Theil. J
[130] aͤlteſten Griechen wenigſtens die von troiſcher Auswande-
rung nach Heſperien ſangen, haben ſchwerlich ein entfern-
teres Ziel geſetzt. Nur Miſenus, bey Steſichorus auf
der iliſchen Tafel, wenn er nicht aus Virgil hinzugefuͤgt
iſt, zieht entſcheidend an das untere Meer.
Die ferneren griechiſchen Zeugen welche Dionyſius
anfuͤhrt, koͤnnen wir nicht nach ihrem Alter ordnen, und
ſo die Zeit beſtimmen da zuerſt die Latiner von den Grie-
chen als troiſche Colonie genannt werden. Gergithes
auf dem Ida, war ſeit der Aeoliſchen Einwanderung die
einzige erhaltne teukriſche Stadt 56): ein Gergithier,
Kephalon, ſchrieb die Geſchichte ſeiner Nation. In die-
ſer erzaͤhlte er: Aeneas habe die Troer nur bis Pallene, an
der thrakiſchen Kuͤſte, gefuͤhrt; dort ſey er geſtorben,
nachdem er die Stadt Aenea gegruͤndet: Romus einer ſeiner
vier Soͤhne, habe im zweyten Menſchenalter nach Ilions
Zerſtoͤrung Rom erbaut mit ſeines Vaters Gefolge 57).
Als Teukrer iſt dieſer Schriftſteller intereſſant: er waͤre
es noch mehr wenn Dionyſius Ausdruck: „ein ſehr alter
Geſchichtſchreiber 58):“ vollwichtiger waͤre, aber eben
ſo nennt er Antiochus, welcher juͤnger als Herodot war.
Wir duͤrfen es alſo auch nicht wagen Kephalon aͤlter zu
glauben als Antiochus: aus der erſten Haͤlfte des vierten
Jahrhunderts: eine Vermuthung die durch ſeine Erwaͤh-
nung Capuas 59), welches dieſen Nahmen erſt ſeit der
[131] ſamnitiſchen Eroberung empfing, zur Gewißheit wird.
Und nun koͤnnen wir die S[p]ur der Sage bey den Griechen
nicht weiter chronologiſch verfolgen bis zum Zeitalter des
Pyrrhus, und gegen den Ausgang des fuͤnften Jahrhun-
derts, wo ſie ſich nicht nur bey Lykophron 60), ſondern
nun allgemein angenommen findet.
Dagegen iſt es aus andern Erwaͤhnungen klar, daß
die Griechen des vierten Jahrhunderts andre troiſche Co-
lonieen in jenen Gegenden fuͤr hiſtoriſch gewiß hielten.
Hellanikus zwar hatte die Elymer in Sicilien aus Italien
hergeleitet, und fuͤr aͤltere Bewohner der Inſel als die
Sikeler gehalten 61). Thukydides aber, wohl gewiß nach
Antiochus, meldet ſie waͤren Troer, vermiſcht mit Pho-
kiern, dorthin auf der Ruͤckkehr von Ilion verſchlagen.
Auch Skylax nennt ſie Troer 62). Jene ſonderbare Er-
zaͤhlung einer friedlichen gemeinſchaftlichen Niederlaſſung
der Fluͤchtlinge, und der vom Schickſal gedemuͤthigten
Sieger findet ſich auch an der oͤnotriſchen Kuͤſte in Siris
wieder. Darnach iſt es gar nicht zweifelhaft daß Thu-
kydides und die Griechen ſeines Zeitalters, wenn von
einer troiſchen Colonie an der Tiber geredet worden iſt,
nichts befremdendes darin geſehen haben werden.
Aber neben dieſer Dichtung galt unter den Griechen
eine andre; daß die Latiner eine von jenen alten griechi-
J 2
[132] ſchen, nach dem trojaniſchen Kriege von den zerſtreut
Verſchlagenen geſtifteten, Colonieen waͤren, welche nach-
her die Verbindung mit dem Vaterlande verlohren haben,
und der griechiſchen Nation fremd geworden ſeyn ſollen;
dergleichen aus dem ſuͤdlichen Italien Metapontum, Pete-
lia und Arpi erwaͤhnt werden. Circeji, einſtimmig von
den Griechen fuͤr die Inſel der Circe gehalten, und ſo
ſelbſt den Schiffern merkwuͤrdig, welche Elpenors Grab
an einem Ort, bewachſen mit Myrthen einer kleinern Art
(das uͤbrige Latium habe nur hochſtaͤmmige hervorge-
bracht), erkannten 63), fuͤhrte das Andenken an Odyſſeus
in dieſe Gegenden. Heſiodus nennt Latinus und ſeinen
Bruder Agrius, Soͤhne des Odyſſeus und jener Goͤttin,
Beherrſcher der beruͤhmten Tyrrhener 64). Er nun kennt
Telegonus nicht, den andre Fabeln ſtatt jener Bruͤder
nannten; Fabeln aͤlter als Sophokles, und von der ſpaͤte-
ren roͤmiſchen Poeſie, und den Tuskulanern angenommen.
Aber jene Meinung erſcheint auch ohne Odyſſeus zu erwaͤh-
nen. Ariſtoteles erzaͤhlte 65): von Troja zuruͤckkehrende
Achaͤer waͤren durch Stuͤrme an die Kuͤſte von Latium,
einer Landſchaft in Opika, verſchlagen worden: da ſie
nun gelandet um zu uͤbert intern, haͤtten die gefangenen
troiſchen Frauen ihre Schiffe angezuͤndet: dies habe ſie
gezwungen ſich dort niederzulaſſen.
Alſo iſt die Sage von der Auswandrung der Troer
nach Heſperien keine alte feſtgegruͤndete, in allgemein ge-
[133] leſene griechiſche Gedichte verwebte, aus denen die Roͤmer
und Latiner ſie ſich haͤtten aneignen koͤnnen, wie es aller-
dings mit der Mythe von Odyſſeus Aufenthalt auf Circes
Inſel geſchah; den die aus Tuſculum, wo ſie adlich, viel-
leicht koͤniglich, geweſen war, nach Rom verpflanzte Ma-
miliſche Familie fuͤr ihren Ahnherrn durch Telegonus aus-
gab, und ihre Denarien mit ſeinem Bilde bezeichnete.
Haͤtten ſie dieſe Meinung auch fruͤher aufgeſtellt als die
griechiſchen Fabeln in Rom griechiſch geleſen und lateiniſch
nachgeſungen wurden, ſo waren dieſe auch durch die
Etrusker ſicher viel fruͤher bekannt: die welche Odyſſeus
betrafen, nahmen die Latiner leicht auf; leicht konnte Fa-
milienſtolz es wagen das Geſchlecht alter Fuͤrſten auf Te-
legonus zuruͤckzufuͤhren, und dieſen Tuſculums Erbauer
zu nennen. So weit es aber moͤglich iſt der troiſchen
Sage bey den Griechen nachzuforſchen, erſcheint ſie zuerſt
in Sicilien bey dem Himeraͤiſchen Dichter, und iſt folg-
lich wahrſcheinlicher entweder von den benachbarten Ely-
mern, welche, wie die Ruinen von Egeſta, ihre Muͤnzen,
und ihr großer Verkehr mit den Griechen, namentlich
Athen, beweiſen, ganz zu Griechen veredelt waren; oder
aus Latium ſelbſt zu den Sikelioten gekommen. Immer
kann man die Moͤglichkeit einraͤumen daß vom Anfang
der Roͤmiſchen Litteratur die Schriftſteller verfuͤhrt ſeyn
konnten, den Urſprung ihrer Nation in griechiſche My-
then zu verweben: Ennius mag immerhin gar nichts gel-
ten: doch duͤrfen wir Dionyſius glauben, daß nicht nur
die aͤlteſten Roͤmiſchen Annaliſten, ſondern die alten
Schriften welche ſie zum Grunde legten, alle ganz ein-
[134] ſtimmig des Troiſche Gebluͤt der Latiniſchen Nation be-
haupteten 66): denn vom Ende des fuͤnften Jahrhun-
derts an iſt die Sage erweislicher Nationalglaube, von
der Republik ſelbſt anerkannt.
Wenige Jahre nach Timaͤus (um 495) nennt die In-
ſchrift der Duiliſchen Saͤule die Egeſtaner Vettern des
Roͤmiſchen Volks (cocnatos Popli Romani), welches
eine ausdruͤckliche Anerkennung des gemeinſamen Troi-
ſchen Urſprungs iſt; denn wie ausgemacht bey den Ely-
mern die Meinung von ihrer Abkunft aus Troja war, er-
hellt aus den Sinnbildern ihrer Muͤnzen. Die erſte rohe
Ueberſetzung griechiſcher Gedichte erſchien zu Rom zwanzig
Jahre nach dem Siege des Duilius. In dem erſten Frie-
denstractat mit Macedonien, im Jahr 549, ſchließen die
Roͤmer auch die Ilier ein: dieſe ruͤhmten ſich, funfzehn
Jahre ſpaͤter, als die Scipionen uͤber den Helleſpont gin-
gen, ihrer Verwandtſchaft zum Roͤmiſchen Volk, ihrer Co-
lonie; die Roͤmer freuten ſich ihrer Heimath, und der
Conſul ging in die Burg um Athene Opfer zu bringen 67).
Spaͤtere Beyſpiele daß die Ilier ſich auf dieſe angebliche
Verwandtſchaft beriefen (faͤlſchlich, denn ſie waren ur-
ſpruͤnglich eine Aeoliſche Colonie, und die Macedoniſchen
Koͤnige welche die Stadt bald erweiterten, bald verlegten,
vermiſchten eine Menge Volk aus allen Nationen mit den
alten Buͤrgern), waͤren hier zwecklos.
Die Sibylliniſchen Orakel welche Dionyſius las, ſind
freylich ein eben ſo mißlicher Beweis fuͤr des Glaubens
[135] Alter, als unbezweifelt alte entſcheidend merkwuͤrdig ſeyn
wuͤrden. Ein eben ſo unguͤltiger ſind auch die heiligen
Caͤremonien der Roͤmiſchen Religion, in denen er untruͤg-
liche an dieſe Vorfaͤlle erinnernde Spuren zu ſehen
glaubte; denn dergleichen iſt willkuͤhrliche Deutung, und
ſein Urtheil war befangen. Schwer iſt es zu errathen was
er im Sinn hatte. Spaͤtere 68) erklaͤrten ſehr albern die
Sitte daß die Opfernden ihr Haupt verhuͤllten, aus der
Fabel: Odyſſeus habe ſich unerwartet gezeigt als Aeneas
am latiniſchen Ufer opferte; und dieſer, um nicht erkannt
zu werden, ſein Haupt ſchnell verhuͤllt 69). Schwerlich
wußte Dionyſius etwas beſſeres. Wichtig aber und eigent-
lich der roͤmiſchen Religion angehoͤrend, der tuskiſchen
wie es ſcheint fremd, war die Verehrung der Penaten zu
Lavinium (der Glaube an das Daſeyn des Palladiums im
Tempel der Veſta iſt jung, und ward nie allgemein): an
denen, wenn nicht von den aͤlteſten Zeiten her troiſche Sa-
gen an ſie geknuͤpft geweſen waͤren, ohne Zweifel andre
aͤltere Nationalſagen gehangen haben wuͤrden, die in dem
altfraͤnkiſchen alles Fremde und Griechiſche verabſcheuen-
den Zeitalter vor Timaͤus gewiß keiner fremden Dichtung
gewichen waͤren. Timaͤus aber, der doch bey einem taͤg-
lich ſteigenden Verkehr mit Rom uͤber latiniſche Dinge
nicht wie Megaſthenes uͤber Indien fabeln konnte, meldete,
er habe von Lavinienſern gehoͤrt, daß Troiſche thoͤnerne
Bilder (die Penaten) in ihrer Stadt aufbewahrt wuͤr-
[136] den 70). Das Angefuͤhrte nun ſcheint mir hinreichend
die Erzaͤhlung von der Troiſchen Niederlaſſung in Latium
als eine einheimiſche Nationalſage zu achten, bey der kein
Grund vorhanden iſt ſie ſtrenger als irgend einen andern
Umſtand der mythiſchen Zeit zu verwerfen. Die Wider-
ſpruͤche in der Geſchichte des Aeneas bedeuten gar nichts
ſobald man ſich erinnert daß hier mythiſcher Boden iſt:
ſie ſind von der Sagenzeit unzertrennlich.
Ich glaube dieſe Erzaͤhlung nicht uͤbergehen zu koͤn-
nen, weil ſie den Roͤmern ſo heilig war, und folge da-
bey Cato 71).
Als die Trojaner am Laurentiſchen Ufer das Orakel
erfuͤllt 72), und ſich am Ziel ihrer Wandrung ſahen, war
ihnen der Ort noch unbekannt, wo ſie dem Willen der
Goͤtter gemaͤß ihre Stadt erbauen ſollten. Das Orakel
gebot ihnen die Fuͤhrung eines Thiers zu erwarten, und
ſie folgten den Spuren einer traͤchtigen Sau, die, zum
Opfer gefuͤhrt, ſich losriß. Dieſe fluͤchtete in die Huͤgel,
drey Millien vom Ufer: in eine Gegend welche die Tro-
janer, wegen der Unfruchtbarkeit und der Entfernung von
der See, mißmuthig zu ihrer Wohnung nahmen. Ihr
Gehorſam ward durch eine Traumerſcheinung der Pena-
ten belohnt, die Aeneas Muth einſprachen und ihm
verhießen, nach dreyßig Jahren der Pruͤfung — ſo viele
Ferkel hatte die Sau geworfen — werde ſein Volk aus
[137] dieſer Wuͤſte in fruchtbare Gegenden ziehen, und eine
glaͤnzende Stadt gruͤnden 73).
Die Aboriginer ruͤſteten ſich um den Fremden die
Niederlaſſung zu wehren. Aber ihr Koͤnig Latinus wagte
es nicht mit einem Haufen nur allein mit Stoͤcken und
Steinen bewaffneter und mit Fellen geſchirmter, ein geruͤ-
ſtetes Heer anzugreifen; er bot den Trojanern Friede und
Aufnahme. Die Feldmark welche er ihnen einraͤumte,
zwiſchen Laurentum und ihrem Lager, maaß nur ſieben-
hundert Jugern; ein Bezirk der in den Zeiten der reinſten
Sitte nur hundert roͤmiſchen Familien genuͤgt haben
wuͤrde. Aeneas vermaͤhlte ſich mit Lavinia, des Koͤnigs
Tochter. Von Launa, Euanders Tochter, Herakles ver-
maͤhlt, iſt ſchon geredet: die Mythographen nannten auch
eine Delierin, Aeneas Gattin, welche an dieſem Ufer geſtor-
ben ſey, und Lavinium ihren Nahmen hinterlaſſen habe.
Der Fuͤrſtin Amata Haß erregte den Troern einen
Krieg mit den Rutulern; aus dieſem entſtand ein weit
gefaͤhrlicherer mit ihrem Oberherrn dem Etrusker Mezen-
tius. Latinus fand den Tod in einer Schlacht; ihm folgte
Aeneas als Erbe in der Herrſchaft uͤber das unter dem
Nahmen der Latiner vereinigte Volk der Aboriginer und
Trojaner. Auch Aeneas fiel in dieſem Kriege, er verließ
die Erde um als Jupiter Indiges verehrt zu werden.
[138] Aſcanius bat um Frieden: aber der Hochmuth des Sie-
gers ſchrieb die Bedingung vor, die Latiner ſollten
ihm, wie er es von den Rutulern empfing, die den Goͤt-
tern geweihten Erſtlinge der Fruͤchte entrichten, oder
(nach einer andern Sage) allen Wein den ihre Landſchaft
hervorbrachte. Jenes war ruchlos, dieſes unertraͤglich:
Verzweiflung gewaͤhrte ihnen einen Sieg, nach welchem
Mezentius freyen Ruͤckzug durch einen annehmlichen Frie-
den erkaufte.
Dieſe Kriege ſchildert Virgil, die Folge der Bege-
benheiten in der Sage veraͤndernd und beſchleunigend, in
der letzten Haͤlfte der Aeneis. Allerdings war ihr Inhalt
national, doch iſt es kaum glaublich, daß ſelbſt unbe-
fangne Roͤmer an dieſen Erzaͤhlungen aufrichtige Freude
gehabt haben ſollten. Wir fuͤhlen es nur zu unangenehm,
wie wenig es dem Dichter gelang, dieſe Schatten, die
charakterloſen Nahmen alltaͤglicher Barbaren, zu lebendi-
gen Weſen zu erheben, wie es die Helden Homers ſind.
Vielleicht war die Aufgabe unaufloͤsbar, gewiß fuͤr Vir-
gil, deſſen Genie zu Schoͤpfungen zu duͤrftig war, wie
groß auch ſein Talent zum Schmuͤcken. Daß er dieſes
ſelbſt fuͤhlte, und es nicht verſchmaͤhte in der Art groß
zu ſeyn wozu er ausgeruͤſtet war, beweiſen grade ſeine
Nachahmungen und Erborgungen, ſo wie ſein Mißfallen
am eignen Werk als es ſchon allgemeine Bewunderung ge-
noß. Wer muͤhſelig und zuſammenſetzend arbeitet iſt ſich
der Ritzen und Spalten bewußt welche ſorgſames Glaͤt-
ten nur dem ungeuͤbten Auge verbirgt, und von denen
das Werk des Meiſters frey iſt, das im großen Guſſe her-
[139] vorgeht. Sicher ahndete auch Virgil daß aller fremde
Schmuck mit dem er ſein Werk zierte wohl Reichthum des
Gedichts aber nicht der ſeinige ward, und daß die Nach-
welt dies einſt erkennen werde. Daß er ungeachtet dieſes
quaͤlenden Bewußtſeyns auf dem ihm offnem Wege dahin
ſtrebte einem Gedicht, welches er nicht aus freyer Wahl
ſchrieb, die groͤßte Schoͤnheit zu geben die es aus ſeinen
Haͤnden empfangen konnte; daß er nicht eitel und irrig
einer ihm verſagten Genialitaͤt nachtrachtete; daß er ſich
nicht bethoͤren ließ als ihn alles ringsum vergoͤtterte,
und Properz ſang:
daß er, als der Tod ihn von den Feſſeln buͤrgerlicher Ruͤck-
ſichten loͤßte, vernichten wollte was er in dieſen feyerli-
chen Momenten eben als den Stoff falſches Ruhms unmu-
thig betrachten mußte, das macht ihn uns achtungswuͤr-
dig und nachſichtig fuͤr alle Schwaͤchen ſeines Gedichts.
Nicht immer entſcheidet der Werth eines erſten Verſuchs:
aber Virgils erſtes Jugendgedicht zeigt daß er ſich mit
unglaublichem Fleiß ausbildete, keine verſaͤumte Kraft
in ihm erloſch. Wie liebenswuͤrdig aber und edel er
war, erſcheint da wo er aus dem Herzen redet: nicht
allein im Landbau, und in allen Schilderungen reines
ſtillen Lebens; in dem Epigramm auf Syrons Villa;
ſondern nicht weniger in der Auffuͤhrung jener großen
Seelen die hell in der roͤmiſchen Geſchichte leuchten.
[140]
Alba.
Es wird erzaͤhlt daß dreyßig Jahre nachdem Lavi-
nium gegruͤndet war, die Einwohner dieſe unwirthbare
Gegend verließen, um am Fuß eines erhabenen, durch
die Bundesopfer der latiniſchen Nation mehr als tauſend
Jahre hindurch verherrlichten Bergs, an einem ſchoͤnen
See, in einer Landſchaft die den edelſten Wein in Latium
trug, Alba zu gruͤnden. Um die troiſchen Penaten welche
ſich von der Wiege der latiniſchen Groͤße nicht trennen
wollten, nicht in einer Einoͤde zu laſſen, ward von Alba
eine Colonie in die verlaſſenen Mauern zuruͤckgefuͤhrt 74).
Das Verzeichniß der Albaniſchen Koͤnige iſt ein verhaͤlt-
nißmaͤßig ſehr junges und aͤußerſt ungeſchicktes Mach-
werk: eine Zuſammenſtellung von Nahmen, theils voͤllig
unitaliſch, die bald aus fruͤherer, bald aus ſpaͤterer Zeit
wiederholt, bald aus geographiſchen erfunden ſind; faſt
ganz ohne einige Erzaͤhlung. Auch die Zahl ihrer Regie-
rungsjahre wird gemeldet: dieſe fuͤllt ſo genau den von
Cato von Trojas Zerſtoͤrung bis zur Gruͤndung Roms
nach Eratoſthenes Kanon angegebnen Zeitraum, daß ſchon
dadurch die Neuheit des Betruͤgers klar iſt. Denn daß
dieſes Zuſammenſtimmen moͤglich ſey, wird wohl ſchwerlich
ein beſonnener Mann, ich ſage nicht wahrſcheinlich, ſon-
dern auch nur denkbar finden.
[141]
Eben ſo augenſcheinlich falſch iſt die Behauptung,
jene dreyßig Staͤdte welche nachher zum Unterſchied von
den latiniſchen Colonieen, die alten Latiner, prisci Latini,
genannt wurden 75), waͤren von Alba aus gegruͤndet
worden.
Alba mag vor Rom die Hauptſtadt der Nation, nicht
die herrſchende, geweſen ſeyn: jene Staͤdte ſind ſelbſt der
Sage nach, zum Theil aͤlter als Alba. Tibur ward bey
der erſten Einwanderung von den Aboriginern eingenom-
men: auch Ardea, Lavinium ſelbſt und Laurentum ſind
unter ihnen aufgezaͤhlt, in dem Verzeichniß bey Diony-
ſius 76), von dem ich an einem andern Orte naͤher reden
werde. Merkwuͤrdig iſt nur die Grundeintheilung des lati-
niſchen Volks in dreyßig Gemeinden, wie die aͤlteſten Buͤr-
ger Roms in dreyßig Curien, und die Plebs urſpruͤnglich
in dreyßig Tribus eingetheilt waren: merkwuͤrdig, daß,
nachdem mehrere altlatiniſche Staͤdte von den roͤmiſchen
Koͤnigen zerſtoͤrt waren, dieſe Zahl, wenn anders Dio-
nyſius Verzeichniß einigen Glauben verdient, durch an-
dere wieder ergaͤnzt ward.
[[142]]
Rom.
Verſchiedene Sagen von der Gruͤndung der Stadt.
Die Erbauung Roms gehoͤrt wie die Ankunft der Tro-
janer in Latium ganz zur Mythologie: und auch hier kann
nur das Ziel ſeyn, die verſchiedenen Meinungen welche
bey den Aelteren, Roͤmern und Griechen, obwalteten, ehe
Livius die ſchon vorherrſchende zu einem hiſtoriſchen Glau-
ben erhob, zu ſondern, und die einheimiſche Sage feſtzu-
ſtellen 77).
Antiochus 78) erzaͤhlte zwar, Sikelus ſey aus Rom
fluͤchtig zu dem Italiſchen Koͤnig Morges gekommen; dar-
aus aber iſt es ſelbſt fuͤr den der mythiſches und hiſtori-
ſches Zeitalter vermengt, nicht erlaubt, wie Dionyſius
thut, zu folgern: es ſey in den uraͤlteſten Zeiten ein
nachher untergegangenes Rom vorhanden geweſen: der
alte Geſchichtſchreiber der die Archaͤologie Roms nicht er-
[143] forſcht hatte, ſie aber als die Hauptſtadt Latiums kannte,
wollte nur die Heimath dieſer noͤrdlichen Siculer bezeich-
nen. Neu und ohne Werth war ſichtbar die Chronik von
Kuma, welche von einer alten, von griechiſchen Pelasgern
geſtifteten, urſpruͤnglich Valentia genannten Stadt er-
zaͤhlte, die nachher durch Euander den griechiſch gleichbe-
deutenden Nahmen Roma erhalten habe 79).
Vor Timaͤus von Sicilien waren die Griechen welche
der Stiftung Roms gedachten einig in ihrer Meinung, daß
die Stadt unmittelbar oder in den naͤchſten Menſchenal-
tern nach den Troiſchen Zeiten erbaut ſey. Darin aber
theilten ſie ſich, daß zwar die meiſten die Troer als ihre
Stifter anſahen, einige hingegen Griechen: endlich andere,
vermiſchte Haufen beyder Nationen.
Die Anhaͤnger der erſten Meinung nannten theils
Aeneas ſelbſt als Erbauer, theils Romulus, und dieſen
bald ſeinen Sohn (nach einigen als Kind nach Italien ge-
fuͤhrt, nach andern von einer italiſchen Mutter gebohren),
bald aber ſeinen Enkel. Kallias, der Agathokles Ge-
ſchichte geſchrieben hat, nannte Romulus und Romus
Gruͤnder der Stadt, Soͤhne des Koͤnigs Latinus und der
Trojanerinn Roma, welche die Frauen uͤberredet batte,
um dem Umherirren ein Ende zu machen, die Schiffe an-
zuzuͤnden: dieſelbe Fabel deutet Lykophron an 80). Schon
Kephalon von Gergithes, der aͤlteſte von den angefuͤhrten
[144] Schriftſtellern, nannte beyde, Romulus und Romus, die
beyden juͤngſten unter vier Soͤhnen des auf Pallene geſtorb-
nen Aeneas. Faſt alle Sagen, ſchon die aͤlteſten, wie
bunt auch alle uͤbrige Umſtaͤnde wechſeln, verbinden beide
Bruͤder mit einander: und daher kommt es daß Remus
der Latiner bey den Griechen, als ſie ſchon laͤngſt ihre roͤ-
miſche Geſchichte nach einheimiſchen Nachrichten ſchrieben,
immer Romus genannt wird.
Von der zweyten Meinung, nach welcher Rom eine
griechiſche Stadt aus der Zeit der Heimfahrten von Ilion
war, habe ich ſchon angefuͤhrt daß Ariſtoteles ſie er-
zaͤhlte. An einen andern griechiſchen Urſprung der Roͤ-
mer, an eine eigentliche Colonie der ſpaͤteren im ſtrengen
Sinn griechiſchen Voͤlker, hat auch weder Heraklides der
Pontiker 81) am Anfang, noch Koͤnig Demetrius der
Belagerer 82) um die Mitte des vierten Jahrhunderts
denken koͤnnen: uͤbrigens war es nach der Griechen Sin-
nesart ein kluges Mittel auf maͤchtige Barbaren denen ſich
nicht befehlen ließ zu wirken, wenn man ſie als griechiſch
verwandte behandelte: das war die aͤußerſte ſchmeichelnde
Hoͤflichkeit. Die troiſche Sage iſt hier ausgeſchloſſen: erſt
in einer ſehr jungen Zeit fing man an die uralten Troer zu
den Griechen zu rechnen: Skylax nennt die Elymer Sici-
liens, Troer und Barbaren 83). Aus jener Achaͤiſchen
Sage hat Kallias Roma und den Brand der Schiffe in die
troiſche gemiſcht: ſo wie die Fabel, nach welcher die Bruͤ-
der
[145] der Kinder des Kriegsgotts und der Aemilia Aeneas Toch-
ter waren, wohl noch ſpaͤter aus der gewoͤhnlichen roͤmi-
ſchen abgeleitet iſt.
Die letzte Zwitterdichtung herrſcht bey Lykophron 84),
der auch Myſier unter den Telephiden Tarchon und Tyr-
rhenus beymiſcht: und fand ſich auch in der nach den Jah-
ren der Argiviſchen Prieſterinnen geordneten Chronik bey
Dionyſius. Die Stifter der Colonie ſind in dieſer Sage
Troer: dort die Bruͤder, Nachkommen Aeneas: hier er
ſelbſt: die Griechen aber Gefaͤhrten des Odyſſeus. Die-
ſer erſcheint fortwaͤhrend auch bey den juͤngeren Dichtern
in den Fabeln von Latium; und auch an ihn hat man Ro-
mulus und Remus angeknuͤpft, indem Latinus, deſſen
und der Troerin Roma Soͤhne ſie auch in dieſer Geſtalt der
Sage heißen, Odyſſeus Enkel durch Telemachus, oder,
wie wohl geleſen werden muß, Telegonus, genannt wird.
Abgeſondert ſteht Skylax, der ſonſt bey jeder auch
ſchon durch barbariſche Eroberung entehrten Stadt grie-
chiſches Urſprungs das adelnde Wort ἑλληνὶς beyfuͤgt:
er zaͤhlt Rom zu den Tyrrhenern. Auch troiſch nennt er
ſie nicht, obwohl er die Elymer ſo nannte 85).
Ich habe Timaͤus von Sicilien als den Geſchicht-
ſchreiber genannt, der bey den Griechen Romulus und
Remus als ſpaͤte Nachkommen des Aeneas in die Ge-
ſchichte einfuͤhrte. Vielleicht war dies aber auch ſchon die
Erzaͤhlung des Hieronymus von Kardia, der in ſeiner Ge-
Erſter Theil. K
[146] ſchichte der Nachfolger Alexanders, wenige Jahre vor Ti-
maͤus, eine kurze Nachricht von der Roͤmiſchen alten Ge-
ſchichte gab, deren Duͤrftigkeit Dionyſius, wie die der
ſchon weitlaͤuftigeren Erzaͤhlungen des Timaͤus und Poly-
bius, tadelt 86). Er ſelbſt verwahrt ſich gegen den Ver-
dacht der Erdichtung bey Leſern dieſer drey Schriftſtel-
ler, welche bey ihm faͤnden was jene nicht haͤtten: nicht
aber auf den Fall daß ſie etwas ganz verſchiednes erzaͤhl-
ten 87). Aber auch nach Timaͤus und Polybius erhielt
ſich noch die aͤltere griechiſche Sage bey den zu Alexan-
drien entſtandnen Litteratoren und Leſern alter Selten-
heiten; bey denen die alles nur aus der aͤlteren
Griechiſchen Litteratur ſchoͤpfen wollten. Heraklides
Lembus, um d. J. 600., wiederholte Ariſtoteles Er-
zaͤhlung von Achaͤern und gefangnen Troerinnen: und
ſo ſchrieb noch Orus von Theben nach Kephalon,
Romulus und Romus, Aenegs Soͤhne, waͤren Roms
Stifter 88).
Ohne Zweifel hatte Timaͤus ſeine Erzaͤhlung von Roͤ-
mern erhalten, wie er von Lavinienſern die Geheimniſſe
der Penaten erfuhr. Denn die gewoͤhnliche Sage herrſchte
[147] in Rom ſo allgemein daß nur einige wenige der grie-
chiſchen folgten, und die Bruͤder Soͤhne oder Tochterſoͤhne
des Aeneas nannten, welche Latinus zu ſeinen Erben an-
genommen: oder juͤngere Bruͤder des Aſkanius mit denen
dieſer ſein Erbe getheilt haͤtte, worauf ſie ausgezogen waͤ-
ren, Rom, Kapua, und zwey fabelhafte Staͤdte, Anchiſe
und Aenea, geſtiftet haͤtten 89).
So freylich konnte nur ein mit der Archaͤologie Italiens
ganz unbekannter Grieche fabeln: Sylburg hat im Ety-
mologicum 90) eine Stelle des Orus nachgewieſen, woraus
wir ſehen daß dieſe Erzaͤhlung aus Kephalon dem Gergi-
thier genommen iſt; dem es als Teukrer nicht genuͤgte das
damals noch dunkle Rom als Colonie ſeines Volks anzuge-
ben, da der troiſche Kapys eine Etymologie auch fuͤr Ca-
pua darbot. Nur ſetzte der alberne Roͤmer welcher ihm
nachſchrieb noch hinzu: dieſes aͤlteſte Rom ſey nachmals
veroͤdet, und von einem zweyten Romulus und einem
zweyten Remus wieder angebaut worden.
Unter den uns erhaltnen roͤmiſchen Schriftſtellern folgt
allein Salluſt unzweydeutig und ausdruͤcklich der Meinung
welche Rom dis an die Troiſchen Zeiten hinaufruͤckt, viel-
leicht weil er ſo, ſtillſchweigend, das Wundervolle ent-
fernt welches keiner hiſtoriſchen Deutung weichen will:
Vellejus, der von den Heeren des Latinus, welche ſeinen
Enkel Romulus bey der Gruͤndung der Stadt unter-
ſtuͤtzten, redet, und doch die gewoͤhnliche Aera der Erbau-
ung annimmt, vermiſcht beyde Erzaͤhlungen mit unange-
K 2
[148] nehmer Inconſequenz. Daß auf jeden Fall, ehe die Fol-
gereihe albaniſcher Koͤnige erdichtet ward, Romulus und
Remus der einheimiſchen Sage weit naͤher an Aeneas
und Latinus ſtanden, als ſeitdem die Roͤmer erfahren
hatten wie hoch die griechiſchen Chronologen die troiſche
Zeit hinaufruͤckten, iſt gar nicht zu bezweifeln. Eben ſo
mag wohl neben der gewoͤhnlichen Sage auch eine andere
unpoetiſche gefunden worden ſeyn, welche Romulus (das
roͤmiſche Volk) unmittelbar Sohn des Latinus (des la-
tiniſchen) nannte. Welche Annaliſten aber es waren in
denen Dionyſius dieſe von der ſchoͤnen Dichtung abwei-
chende Angaben fand, laͤßt ſich nicht errathen. Jene ein-
zelne Stelle Salluſts kann er nicht im Sinn gehabt ha-
ben; und von mehreren unter den roͤmiſchen Schriftſtel-
lern die er benutzte wiſſen wir, wie von Fabius, beſtimmt,
daß ſie die gewoͤhnliche Mythe annahmen.
Allerdings gehoͤrt dieſe Roͤmiſche Sage nichts weni-
ger als der Geſchichte an: ihr Weſentliches iſt Wun-
der; man kann dieſem ſeine Eigenthuͤmlichkeit rauben,
und ſo lange weglaſſen und aͤndern bis es zu einem ge-
woͤhnlichen moͤglichen Vorfall wird, aber man muß auch
feſt uͤberzeugt ſeyn, daß das uͤbrig bleibende Caput mor-
tuum nichts weniger als ein hiſtoriſches Factum ſeyn
wird. Mythologiſche Erzaͤhlungen dieſer Art ſind Ne-
belgeſtalten, oder oft gar eine Fata Morgana, deren
Urbild uns unſichtbar, das Geſetz ihrer Refraktion un-
bekannt iſt; und waͤre es das auch nicht, ſo wuͤrde
doch keine Reflexion ſo ſcharffinnig und gelehrt verfahren
koͤnnen, daß es ihr gelaͤnge aus dieſen wunderbar ver-
[149] miſchten Formen das unbekannte Urbild zu errathen.
Aber ſolche Zauberbilder ſind verſchieden von den Traͤu-
men, und nicht ohne einen verborgnen Grund realer
Wahrheit. Traͤumen aͤhnlich ſind die Dichtungen der
ſpaͤteren Griechen als die Tradition erloſchen war, und
der Einzelne mit launenhafter Willkuͤhr an den alten
Sagen aͤnderte; verkennend daß ihre Abweichung und
Mannichfaltigkeit das Werk des ganzen Volks geweſen
war, und nicht dem einzelnen frey ſtand.
Daß die Griechen, als das aͤltergebildete Volk, auch
eine fruͤhere hiſtoriſche Nachricht uͤber den Urſprung Roms
gehabt haben ſollten als ſich bey den Roͤmern erhielt; und
daß ihre Sage, weil ſie weniger mythiſch lautet als die Roͤ-
miſche, als hiſtoriſcher vorzuziehen ſey, laͤßt ſich durchaus
nicht einraͤumen. Es war eine Volksgenealogie, die uͤber-
dies willkuͤhrlich umgebildet ward, wie denn Kephalon na-
mentlich auch die Geſchichte ganz heterogener italiſcher
Voͤlker damit in Verbindung ſetzte, von denen er auch nur
Nahmen hatte. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel der Verwir-
rung aus Italien empfangner Mythen gewaͤhrt die Erzaͤh-
lung eines Promathion bey Plutarch 91), worin die Sa-
gen uͤber die Geburt des Romulus und des Servius Tul-
lius auf die ſeltſamſte Art vermiſcht ſind.
Romulus und Numa.
Alſo lautete die roͤmiſche alte Dichtung: Procas Koͤ-
nig der Albaner hinterließ zwey Soͤhne, Numitor und
Amulius, deren aͤlteſtem nach dem Erbrecht das Reich ge-
[150] buͤhrte. Schwach und friedlich ertrug es dieſer daß
Amulius ſich die Herrſchaft anmaaßte, und ihm des Va-
ters Privatguͤter anwieß. In ihrem Beſitz lebte er reich,
und weil er bey dem herrſchſuͤchtigen Bruder keinen Ver-
dacht erregte, alle Kraͤnkungen leidend ertrug, ungefaͤhr-
det: aber dieſem genuͤgte eine Sicherheit nicht welche mit
dem Leben des Duldenden aufhoͤren konnte, wenn kraͤfti-
gere Erben Rechte geltend machten, die nach dem Sinn
jedes Thronpraͤtendenten nur ſchlummern, nie erloͤſchen
koͤnnen. Daher ließ er Numitors Sohn ermorden, und
waͤhlte Rhea Silvia ſeine Tochter unter die Jungfrauen
der Veſta.
Silvius war der Familiennahme der Albaniſchen Dy-
naſtie, ſeitdem Silvius geherrſcht, den Lavinia, nach
Aeneas Tode aus Furcht vor dem ihr fremden Aſcanius
fluͤchtend, im Wald gebohren hatte. Oder vielleicht war
Silvius, wie Rumitors Tochter von den Dichtern Ilia ge-
nannt wird, nur eine breitere Ausſprache von Ilius; und
dieſer Rahme bezeichnete das Troiſche Geſchlecht der Dy-
naſtie von Alba.
Amulius war kinderlos, oder hatte doch nur eine ein-
zige Tochter: und ſo ſchien es daß das Geſchlecht des An-
chiſes und der Aphrodite ausſterben wuͤrde, als die Liebe
eines Gottes fuͤr Silvia ihm gegen die menſchlichen Ge-
ſetze Fortdauer und eine Verherrlichung wuͤrdig des Ge-
ſchlechts eines Gottes gab. Silvia ging in den heiligen
Hain des Mars um reines Waſſer aus der Quelle fuͤr den
Tempel zu ſchoͤpfen: der Gott erſchien ihr, und uͤberwaͤl-
tigte das erſchrockne Maͤdchen: dann ſtillte er ihre Klagen
[151] und troͤſtete ſie mit Verheiſſungen edler Kinder wie Poſei-
don Tyro die Tochter Salmoneus. Aber er beſchirmte
ſie nicht gegen den Tyrannen, auch retteten Ilia die Be-
theurungen ihrer Schuldloſigkeit nicht: Amulius verur-
theilte ſie zum Tode oder zum ewigen Gefaͤngniß: ihre
Zwillingsknaben befahl er im Strohm der Tiber zu erſaͤu-
fen. Roms Huͤgel waren Klippen und Wald; die Thaͤler
welche ſie trennen, ſumpfige Wieſen oder Lachen. Der
Strohm ſtand weit und breit ausgetreten, ſeine Ufer wa-
ren unzugaͤnglich: Amulius Knecht ſetzte die Mulde wor-
in er die Knaben trug auf das naͤchſte ſeichte Waſſer; ſie
ſchwamm fort bis an die Wurzel eines wilden Feigen-
baums, des Ficus ruminalis, der viele Jahrhunderte
lang mitten in der Stadt erhalten und heilig blieb; dort
ſtuͤrzte ſie um. Eine durſtige Woͤlfin ward durch das Ge-
wimmer der Kinder herbeygerufen, die huͤlflos im Sumpf
lagen, leckte ſie, und ſaͤugte ſie: ein Specht, Mars heili-
ger Vogel, fuͤtterte ſie. Dies wunderbare Schauſpiel ſah
Fauſtulus, Hirt der koͤniglichen Heerden, und erbarmte
ſich; die Woͤlfin wich langſam und uͤberließ die Kinder
ſanfterer Pflege. Acca Larentia ſein Weib ward ihre
Amme. Sie wurden bey ihm groß, lebten im Dorf der
Hirten auf dem Palatiniſchen Berge in Strohhuͤtten die
ſie ſelbſt erbaut: die des Romulus ward bis auf Neros
Zeit immer ergaͤnzt erhalten, als ein Heiligthum: ſie wa-
ren die ruͤſtigſten der Hirtenknaben, tapfer gegen Raub-
thiere und gegen Raͤuber, ihr Recht gegen jeden mit ihrer
Staͤrke handhabend, auch die Staͤrke zum Recht verwan-
delnd. Was ſie erbeuteten, theilten ſie mit ihren Geſel-
[152] len; ſo waren ſie allen lieb. Aber ihr Uebermuth erregte
ihnen Haͤndel mit den Hirten des reichen Numitor: denn
alles weit umher war unbebaut und Wald, nur fuͤr Heer-
den benutzt. Ihre Widerſacher fingen Remus durch Liſt,
und ſchleppten ihn als Raͤuber nach Alba vor ihren Herrn.
Eine Ahndung, das Andenken an ſeine Enkel welches die
Erzaͤhlung der Herkunft beyder Bruͤder erweckte, hielt
Numitor von einem raſchen Urtheil zuruͤck: der Pflegeva-
ter des Angeklagten eilte mit Romulus herbey, entdeckte
dem Greiſe und den Juͤnglingen wer ſie einander waͤren.
Dieſe unternahmen es ihr eignes Unrecht und das ihres
Hauſes zu raͤchen: mit ihren treuen Geſellen die Remus
Gefahr in die Stadt gerufen hatte, erſchlugen ſie den Koͤ-
nig, und das Volk von Alba kehrte unter Numitors
Herrſchaft zuruͤck.
Das iſt die alte Erzaͤhlung, wie Fabius ſie geſchrie-
ben hatte, und wie ſie bis auf Dionyſius Tage in heiligen
alten Liedern geſungen ward 92). Mit ihr begnuͤgte ſich
auch Livius; aber die modernen Griechen, Dionyſius und
Plutarch, ergriffen begierig die vernuͤnftig natuͤrliche Ge-
ſtalt welche ſpaͤtere ihr gegeben hatten: Amulius ſelbſt
habe, wie ein tragiſcher Tyrann, beydes aus wilder Luſt,
und um das Haus ſeines Bruders zu verderben, der Sil-
via Gewalt gethan, ſie dann mit ihren Kindern zum Tode
verurtheilt; ferner, Austauſch der Kinder durch Numi-
tors Sorge: Erſaͤufung untergeſchobener die er dazu auf-
opferte: heimliche aber ſtandesmaͤßige Erziehung ſeiner
[153] Enkel zu Gabii, wo ſie in griechiſcher Litteratur und grie-
chiſchem Waffengebrauch unterrichtet worden: endlich,
nachdem der lange angelegte Plan der Rache gereift, Ent-
thronung des Verbrechers, und Herſtellung des unter-
druͤckten rechtmaͤßigen Fuͤrſten. Der alte fromme Glaube
war abgeſtorben; ſie konnten ſo wenig wie wir jene Dich-
tungen, gleich den Vorfahren, als Geſchichte einer hoͤhe-
ren Zeit faſſen. Das aber haͤtten ſie empfinden ſollen daß
ihr Streben hiſtoriſche Wahrheit zu erkuͤnſteln, ein Vor-
bild der Art wie vorgebliche denkende Theologen das wun-
derbare der heiligen Schrift aufgeloͤßt haben, weit unver-
nuͤnftiger, und ihre Pneumatologie viel aberglaͤubiſcher
war als die Einfalt der Alten.
Zum Lohn fuͤr die Herſtellung ſeines Throns erbaten
ſich Romulus und Remus von ihrem Ahnherrn Verguͤnſti-
gung und Beyſtand eine Stadt am Ufer des Strohms zu
gruͤnden der ihr Leben verſchont hatte. Numitor wieß
ihnen dazu einen geraͤumigen Bezirk an, ſoweit die Graͤn-
zen der aͤltern nahe gelegenen latiniſchen Staͤdte es geſtat-
teten, und zwiſchen Antemna und dem Ausfluß der Tiber
noch ungetheilte albaniſche Domaͤne lag. Auf der Straße
nach Alba erſtreckte ſich die roͤmiſche Feldmark bis an einen
Ort, Feſti, zwiſchen der fuͤnften und ſechſten Millie, wo
bis auf die ſpaͤteſten Zeiten als an der Graͤnze des eigent-
lichen Ager Romanus jaͤhrlich die Ambarvalien gefeiert
wurden 93). Die Hirten, ihre alten Gefaͤhrten, waren
ihre erſten Buͤrger: mir ſcheint es ſehr zweifelhaft, daß
[154] die alte Sage erzaͤhlt habe, es haͤtte ſich zu ihnen auch
Volk aus Alba geſellt, ſogar troiſcher Adel. Aber die
Bruͤder, mit gleicher Macht gebietend, und ſich ſelbſt
uͤberlaſſen, ſtritten wem die Ehre zukomme Stifter der
Stadt zu werden, ſie nach ſeinem Nahmen Roma oder
Remoria zu benennen; ob ſie auf dem Palatiniſchen oder
dem Aventiniſchen Huͤgel, nach einer andern Sage, ob ſie
am Tiber oder vier Millien vom Fluß entfernt erbaut
werden ſolle. Daruͤber ſollten Augurien richten. Jeder
beobachtete den Himmel von dem Gipfel ſeines Lieblings-
huͤgels: wer zuerſt gluͤckliche Voͤgel erblicken wuͤrde, der
ſollte als Koͤnig entſcheiden. Wer Auſpicien ſuchte erhob
ſich in der Stille tiefer Nacht, und ſah, nachdem er die
Graͤnzen des Himmelstempels in ſeinem Gemuͤth beſtimmt
hatte, weiſſagenden Erſcheinungen entgegen. Beide harr-
ten lange vergeblich. Endlich erblickte zuerſt Remus ſechs
Geyer die von Nord nach Suͤd hinflogen; aber mit dem
Aufgang der Sonne, als dieſe Botſchaft Romulus ange-
kuͤndigt ward, flog ihm voruͤber ein Zug von zwoͤlf Geyern.
Das Recht entſchied fuͤr jenen: aber Romulus berief ſich
auf die doppelte Zahl ſeines Auguriums als offenbares
Zeichen der Gunſt der Goͤtter; und ſein ſtaͤrkerer Anhang
entſchied zum Vortheil ſeiner Anmaaßung.
Dieſes Augurium der zwoͤlf Schickſalsvoͤgel ſcheint
urſpruͤnglich dichteriſcher Ausdruck etruskiſcher Weiſſagung
geweſen zu ſeyn, daß Rom zwoͤlf Saͤkeln Zeit zugetheilt
waͤren: nachher erſt die Allegorie Geſtalt einer Sage ange-
nommen zu haben, oder zuruͤckgedeutet zu ſeyn: dies ge-
ſchah ſchon zu Varros Zeit von einem beruͤhmten Augur
[155] Vettius 94). Die Weiſſagung ward nie vergeſſen, und
erfuͤllte im zwoͤlften Jahrhundert der Stadt, welches zwi-
ſchen dem vierten und fuͤnften unſrer Zeitrechnung getheilt
iſt, alle Anhaͤnger der alten Religion mit Furcht, da alles
ſich ſichtbar zum Untergang neigte, und ihr Glaube unter-
druͤckt ward. Nach der Varroniſchen Zeitrechnung endigte
das zwoͤlfte Saͤculum, wenn man jedes, wie es die ſpaͤ-
teren Roͤmer gewohnt waren, einem Jahrhundert gleich
annahm, mit dem Jahr 446: aber wenn auch die Calami-
taͤt, welche mit dem fuͤnften Jahrhundert unſrer Zeitrech-
nung einbrach, dieſe Deutung den damals lebenden wahr-
ſcheinlich machte, ſo wuͤrde doch ein tuskiſcher Aruſpex ſie
verworfen haben. Als Mittelzahl der menſchlichen Lebens-
ſaͤkeln von ungewiſſer Groͤße und als aſtronomiſche cycli-
ſche Periode waren eigentlich hundert und zehn Jahr das
Maaß eines Saͤculums 95). Dies nun bringt die Summe
der Jahre von zwoͤlf Saͤkeln auf 1320, und Roms Lebens-
ende auf einen Zeitpunkt wo es ſich mit ſtrenger Wahr-
heit ſagen laͤßt, daß die romuliſche Stadt aufhoͤrte zu
ſeyn. Nach Varros Zeitrechnung haͤtte das zwoͤlfte Saͤ-
culum mit dem Jahr n. C. 566 geendigt: nach Cincius,
dem der Aruſpex in dieſem Fall, aus Gruͤnden die weiter
unten hervorgehen werden, den Vorzug gegeben haben
wuͤrde, mit dem Jahr 591, dem erſten des Pontificats
Gregorius des Großen. Auf jeden Fall verlaͤuft die Zeit
[156] in der letzten Haͤlfte des ſechſten Jahrhunderts unſrer Zeit-
rechnung: als die Stadt, mehr als einmal mit ſtuͤrmender
Hand erobert, durch Hunger, durch Peſt wegſterben ſah
was das Schwerdt verſchont hatte; als der Senat und die
noch uͤbrigen alten Geſchlechter von Totila ausgerottet
waren, ſo daß kaum nur der ſenatoriſche Nahme, und
ein Schattenbild von Municipalverfaſſung lebte; Rom un-
ter die Gewalt eines entfernt von ihr reſidirenden orienta-
liſchen Statthalters herabgewuͤrdigt, die alte Religion,
mit ihr alles ererbte Herkoͤmmliche vernichtet war; als
eine neue andere Tugenden, ein anderes Gluͤck ausſchließ-
lich predigte, andere Suͤnden verdammte als die alten
Sitten; als die alten Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, alle alte
Andenken und Denkmaͤhler, ein Greuel, die verherrlich-
ten Vorfahren rettungsloſe Verdammte ſchienen; und in
Rom, auf ewig der Waffen beraubt, ein geiſtliches Reich
gegruͤndet ward, welches nun nach zwoͤlf Jahrhunderten
auch erloſchen iſt. Er wuͤrde auch vielleicht die ſechs dem
rechtmaͤßigen Augurium des Remus entſprechenden Saͤ-
keln, durch die Dauer der geſetzlichen und freyen Verfaſ-
ſung erklaͤrt, und ſie bis zu den Syllaniſchen oder bis zu
den Caͤſariſchen Zeiten gezaͤhlt haben: denn jede Deutung
einer Weiſſagung fordert freyen Raum, und dieſe haͤtte
ſich auf beide Weiſen rechtfertigen laſſen.
Der Stiftungstag Roms ward am Tage des Feſts
der Pales, dem 21ſten April, gefeyert, an dem das
Landvolk, Roms aͤlteſte Bewohner, die Hirtengoͤttin
um Schutz und Gedeihen fuͤr ihre Heerden, um Verzei-
hung fuͤr abſichtsloſe Verletzung geheiligter Staͤtten an-
[157] rief, und ſich durch angezuͤndete Strohfeuer reinigte; wie
unſre Vorfahren Mayfeuer anzuͤndeten.
Romulus, nun ſchon Koͤnig, zog eine Furche, den
Umkreis der Mauern zu bezeichnen, mit einem Pfluge be-
ſpannt mit einem Stier und einer Kuh: die Stadt begriff
nur den Palatiniſchen Berg; ihre Form war, ſoweit es
der Boden zuließ, ein Viereck. Dieſe Geſtalt gaben auch
die ſpaͤten Roͤmer neuerbauten Staͤdten, wenn die Lage
es zuließ, immer ihren Feldlaͤgern und den Abtheilungen
der Feldmarken. Im Mittelpunkt der Stadt ward, wie
da wo die Graͤnzſteine eingeſenkt werden ſollten, eine
Grube gegraben und mit Korn und Fruͤchten gefuͤllt:
dieſer Ort ward Mundus genannt, und war an drey ver-
ſchiedenen Tagen des Jahrs das geoͤffnete Thor der Unter-
welt fuͤr die abgeſchiedenen Geiſter 96).
Remus ertrug das erlittene Unrecht murrend. Als
er ſpottend uͤber den ſchmalen Graben oder den niedrigen
Wall ſprang, erſchlug ihn Celer, ohne in Romulus Zorn
oder Kummer zu erwecken. Zu der ſpaͤteren Ausbildung
der Fabel, welche die alte beſcheidene Sage zu großen
Vorfaͤllen und Zahlen ausdehnte, gehoͤrt die Erzaͤhlung,
er ſey in einer ſehr blutigen Buͤrgerſchlacht gegen Romu-
lus gefallen, weil er und die ſeinigen bey der Guͤltigkeit
ſeines Auguriums beharrten.
Eine ſolche ſehr junge Verfaͤlſchung ſind die Zahlen
der Roͤmer welche nach dieſer Schlacht Romulus von einer
weit groͤßeren Menge uͤbriggeblieben ſeyn ſollen, und die
des Heers welches er den Sabinern entgegenſtellte. Man
[158] kann darin, obgleich Dionyſius den Annaliſten nicht nennt
dem er nachſchrieb, die leichtfertige Erdichtung des Vale-
rius Antias 97) nicht verkennen. Jene Zahl giebt er zu
3000 Fußknechten und 300 Reutern an: dieſe zu 20000
Fußknechten und 800 Reutern; bey ſeinem Tode aber nicht
weniger als 46000 und 1000 98). Die alte roͤmiſche
Sage hatte aͤußerſt beſcheidene Zahlen, naͤmlich fuͤr die
Zeit als die verſchiedenen Nationen ein Volk unter Romu-
lus gebildet hatten, alſo fuͤr ſeinen Tod, eine Legion von
3000 Mann Fußvolk und 30 Reutern 99), und auch die-
ſes war keine Anmaaßung hiſtoriſche Zahlen zu geben, ſon-
dern nur eine Bezeichnung eines alten Verhaͤltniſſes: daß
jede Curie hundert Mann fuͤr die Legion Bewaffnete, und
einen Reuter ſtellte. Den urſpruͤnglichen Anfang der
Stadt ſchilderte die alte Sage zuverlaͤſſig ſo gering daß
der Maͤdchenraub keineswegs ein ſo zweckloſer Frevel
ſchien als in der angeblichen hiſtoriſchen Erzaͤhlung.
Romulus vermehrte die Zahl ſeiner Buͤrger durch die
Aufnahme eines jeden Vaterlandsloſen der eine dargebo-
tene Heimath gern annahm, aus den in den Republiken
des Alterthums ſo zahlreichen Verbannten, und wegen
Todtſchlags Landfluͤchtigen, die nur als Beyſaſſen in der
Fremde Duldung finden konnten: ſogar entronnener Skla-
ven und Miſſethaͤter. Eine ſolche Buͤrgerſchaft mußte den
benachbarten Voͤlkern fuͤr die engſten und heiligſten Ver-
[159] bindungen ein Greuel ſeyn, wenn auch nicht bey den alten
Voͤlkern Italiens wie in Griechenland rechtmaͤßige Ehen
wie rechtmaͤßiger Guͤtererwerb, nur auf Mitbuͤrger oder
Verbuͤndete eingeſchraͤnkt geweſen waͤren. Die rohen
Freyer mißfielen den benachbarten nicht weniger als die
gefaͤhrliche Horde der ſie angehoͤrten ſie beunruhigte.
Sie verweigerten das Anſinnen gegenſeitiges Eherecht zu
ſchließen, mit Hohn: aber ſie glaubten, wie es der ſich
vornehmer duͤnkende immer waͤhnt, daß der Niedrigere
fuͤhlen ſolle er ſey mit Recht fuͤr Unbeſcheidenheit gedemuͤ-
thigt 300). Den vierten Monat nach der Gruͤndung der
Stadt, und dieſe iſt von der Inauguration der Mauern
zu verſtehen, gab die alte Sage einſtimmig als die Zeit
des Maͤdchenraubs an: Cn. Gellius allein, dem nur die
Zeit unglaublich vorgekommen iſt, verfaͤlſchte ſie zum vier-
ten Jahr. Romulus kuͤndigte die Feyer feſtlicher Aufzuͤge
und Wettkaͤmpfe, zum Feſt der Conſualien an. Dazu
lud er die benachbarten, theils Latiner, theils Sabiner,
denn Rom lag in der Graͤnze wo beyde Voͤlker in gemiſch-
ten Marken wohnten. Es fanden ſich viele ein, unein-
gedenk der Beleidigung und wem ſie ſich vertrauten, muͤ-
ßige Neugierige, wie zu einem Markt; auch waren ſolche
Feſte immer Maͤrkte, und in Italien wie in Griechenland
[160] und im Orient durch die Religion geſchuͤtzt; doch weder
Religion noch Gaſtrecht ſchuͤtzten die Betrogenen, und
ihre Jungfrauen wurden geraubt. Sicher war auch hier
die den Spaͤteren unglaublich, oder fuͤr die Groͤße des
Volks unanſtaͤndig klein duͤnkende Zahl, die eigentliche
der alten Dichtung. Man kann nicht laͤugnen daß dieſe
nur von dreyßig geraubten Maͤdchen redete: aber man
ſtraͤubt ſich gegen ſie 1): ſogar Livius, der doch dieſe
Zeiten erzaͤhlte gleich einer Geſchichte nicht als Geſchichte,
weil er, mit dichteriſchem Sinn, ſie weit richtiger faßte
als die dunkeln hiſtoriſchen. Dionyſius und Plutarch,
beyde Maͤnner ohne dieſen Sinn, und von ſchwachem
Urtheil, haben ſogar die von Varro wiederholte Angabe
des Valerius Antias, und die des Juba als hiſtoriſch be-
trachten koͤnnen, weil ſie doch von einer Menge reden die
mit dem angegebnen Zweck, und der getraͤumten Zahl der
zuſammengelaufnen ledigen Maͤnner in Verhaͤltniß ſteht:
denn jener erzaͤhlte es waͤren 527 Jungfrauen geraubt:
dieſer 683 2): Zahlen die vollkommen aus der Luft gegrif-
fen ſind. Die naͤchſten unter den beleidigten Staͤdten, drey
latiniſche, Antemna, Caͤnina und Cruſtumerium ergrif-
fen die Waffen, ohne Abrede und Uebereinſtimmung, ohne
die
[161] die Sabiner zu erwarten welche zoͤgerten bis alle drey,
eine nach der andern, gefallen waren 3).
Endlich fuͤhrte Titus Tatius, der Sabiner Koͤnig, ein
maͤchtiges Heer gegen Rom. Romulus, unfaͤhig im
Felde zu widerſtehen, obgleich ſeine Macht durch einen
etruskiſchen Lucumo, der auch unter dem Nahmen Caͤlius
Vibennus verdoppelt wird, welcher ſich mit den ſeinigen
zu Rom niedergelaſſen hatte, vermehrt war, wich in die
Stadt zuruͤck, der gegenuͤber der Saturniſche Berg,
nachmals der Capitoliniſche, um Heerden und Fluͤchtlinge
zu bergen, befeſtigt und beſetzt war. Ein Thal, theils von
Sumpf und See bedeckt, das Forum der Stadt, trennte
beyde Berge. Liebe fuͤr den feindlichen Heerfuͤhrer, wie
ſie die Tochter des Niſus verlockte, oder Geiz nach dem
Golde womit die Sabiner an Armgeſchmeide und Halsket-
ten geſchmuͤckt waren, verfuͤhrte Tarpeja den Feinden ein
Thor der Feſtung zu oͤffnen, welche dem Befehl ihres Va-
ters anvertraut war: ein Frevel den dieſe ſelbſt mit ihrem
Tode ſtraften 4). Jetzt ward das Forum der Kampfplatz
Erſter Theil. L
[162] beyde Heere ermuͤdender und unentſcheidender Schlachten.
Als die Roͤmer einſt flohen gelobte Romulus, nicht vergeb-
lich, dem fluchthemmenden Jupiter einen Tempel. Die
Roͤmer waren am haͤrteſten gedraͤngt, und ſie allein hat-
ten keine Wahl. Das Gluͤck welches Rom ſchon ſchuͤtzte
rettete es, und mehrte ſeine Kraft durch die Urſache die-
ſer aͤußerſteu Gefahr: verſoͤhnt mit ihren Raͤubern wuͤnſch-
ten die Sabinerinnen ſchon nicht mehr eine allzuſpaͤte
Rache, ſondern Ausſoͤhnung der Vaͤter ihrer Kinder
mit den ihrigen. Sie trennten die ſtreitenden Heere, und
ſtifteten Frieden.
Die Sabiner gruͤndeten eine neue Stadt auf dem
eroberten Capitoliniſchen und auf dem Quirinaliſchen
Berge, und vereinigten ſich mit den fruͤheren Roͤmern un-
ter dem Nationalnahmen Quiriten zu einem Volk, wel-
ches der Roͤmiſche und Sabiniſche Koͤnig gemeinſchaft-
lich beherrſchten. In der alten Dichtung iſt Tatius un-
verkennbar Koͤnig aller Sabiner, und die Gemeinherrſchaft
nicht auf die Buͤrger der Doppelſtadt beſchraͤnkt: auch
dies und die Ruͤckkehr der groͤßeren Menge des Heers,
nachdem die Sabiniſche Colonie gegruͤndet war, iſt ſpaͤte
Umbildung, wobey vergeſſen wird daß Tatius, der bisher
als ein maͤchtiger Koͤnig eines großen Volks erſchien,
zu Rom bleibt: denn dies konnte man von der Sage
nicht wegnehmen. Einige Zeit nachher ward er von
Laurentinern, denen er Blutrache an einigen ſeiner An-
4)
[163] gehoͤrigen verweigert hatte, bey dem Volksopfer zu La-
vinium erſchlagen. Nicht gegen Romulus Wunſch:
welcher nun allein das geſammte Volk beherrſchte, und
den Tod ſeines Mitfuͤrſten nicht raͤchte, obgleich das
Laurentiſche Volk Blutſuͤhne anbot.
So weit iſt Romulus Geſchichte ein zuſammenhaͤn-
gendes epiſches Gedicht, und in ſich einig. Alle dieſe
Vorfaͤlle ſind entweder ohne Angabe der Zeitentfernung,
oder mit beſtimmten engliegenden Epochen erzaͤhlt, ſo daß
es keinen Zweifel leidet daß ſie im Geiſt der alten Sage
ſich ſehr nahe folgten, und ſehr ſchnell vollbracht wurden.
Abgeſondert von dieſen ſtehen in dem langen Zeitraum bis
an ſeinen Tod die etruskiſchen Kriege: ein Feldzug gegen
Fidenaͤ, worin dieſe Stadt erobert ward, und ein anderer
gegen Veji, auch ſiegreich, geendigt durch einen hundert-
jaͤhrigen Waffenſtillſtand, welchen Romulus den Beſieg-
ten gegen Abtretung einer weitlaͤuftigen Landſchaft und
der Salzwieſen am Meer gewaͤhrte. Die Eroberung von
Fidenaͤ wird faſt genau ſo erzaͤhlt wie die Einnahme der-
ſelben Stadt im Jahr 328, eine Uebertragung der Vor-
faͤlle aus der ſchon hiſtoriſchen Zeit in die mythiſche,
welche im weitern Fortgang dieſer Geſchichte haͤufiger er-
ſcheinen wird. Nach dieſen Kriegen nun, fuͤr eine Regie-
rung von acht und dreyßig Jahren, kann, wer hier Ge-
ſchichte zu beſitzen glaubt, in Romulus den raſtlos kriege-
riſchen Fuͤrſten nicht erkennen, wie der Ruf ihn ſtets ge-
nannt hat: der Poeſie genuͤgt es; wie in unſrer National-
epopoͤe viele Jahre ohne erzaͤhlte Thaten verfließen nach-
dem des Helden Ruhm gegruͤndet iſt.
L 2
[164]
Die alte Sage, welche gewiß am reinſten in Livius
erhalten iſt, weiß nichts von der Ausartung ſeiner ruhm-
vollen wenn auch nicht tadelloſen Herrſchaft, in harte und
verhaßte Willkuͤhr. Nur von ſeiner Leibwache hat ſie ge-
redet, dreyhundert Celeres oder Reutern, welches doch
Mißverſtaͤndniß einer alten Nachricht ſeyn mochte daß
nach der urſpruͤnglichen Verfaſſung hundert Reuter aus
jedem Stamm waren. Er heißt vielmehr ſonſt ein popu-
larer Koͤnig, nur dem Senat verhaßt, den er aus den
Freygebohrnen erwaͤhlt hatte: hundert Vaͤtern, nach allge-
meinem Recht der alten Welt ſeinem Reichsrath. Die
Bitterkeit des Haſſes der Staͤnde mag aber vielleicht ſchon
in alter Zeit die Beſchuldigung eines Mordes gegen die
nicht mit Unrecht großer Frevelthaten faͤhig geachteten Pa-
tricier in die Erzaͤhlung, wie Romulus von der Erde ent-
ruͤckt ward, gemiſcht haben. An einem graͤßlichen Tage,
da Orkan, Wolkenbruch und Gewitter das Volk verjag-
ten waͤhrend der Koͤnig es muſterte oder anredete, ver-
ſchwand er. Die Roͤmer harrten aͤngſtlich auf ſeine Ruͤck-
kehr, bis Proculus Julius, dem der Vergoͤtterte auf dem
Wege zur Stadt erſchienen war, ihnen in ſeinem Nahmen
gebot ihn als Quirinus anzubeten.
Der Senat verweigerte dem Volk anfangs die Wahl
eines neuen Koͤnigs: fuͤr ſich ſelbſt nahm er die koͤnigliche
Gewalt. Die zehnfache Eintheilung gab zehn Decurien
von je zehn Senatoren, wie der Rath von Athen ſich in
zehn Prytanieen fuͤr das Jahr theilte. Dieſes verfuͤhrte
wohl Dionyſius wenn er jeder Decurie funfzig Tage hoͤch-
ſter Verwaltung, und jedem Senator derſelben waͤhrend
[165] fuͤnf Tagen die koͤniglichen Inſignien als Interrex zu-
ſchreibt; vielleicht, denn ausgemacht iſt es nicht, herrſchte
ſo lange jeder republikaniſche Interrex, der aber durch
Wahl der Patricier nicht nach Reihenfolge ſeine Wuͤrde
empfing. Fremdartiger und eigenthuͤmlicher iſt was Li-
vius weldet; jede Decurie ſey waͤhrend fuͤnf Tagen Stell-
vertreterin des Koͤnigs geweſen: und Plutarch erlaͤutert
dies; jeder Senator derſelben einen halben Tag lang mit
den koͤniglichen Inſignien geehrt. So ging die hoͤchſte
Gewalt und Ehre wiederhohlt im Kreis umher unter
allen Senatoren; und Rom zaͤhlte ein ganzes Jahr In-
terregnum.
Inzwiſchen ward bey dem haͤrter gedruͤckten Volk
die Sehnſucht nach einem koͤniglichen Oberhaupt immer
lauter: und die Senatoren entſchloſſen ſich zu thun,
wodurch ihre Nachfolger bis in ſpaͤte Zeiten Wuͤrde
und den weſentlichſten Theil der Macht bewahrten, An-
ſpruͤche aufzugeben welche alles in Gefahr bringen konn-
ten. Die Herſtellung der Koͤnigswuͤrde ward beſchloſ-
ſen, aber die urſpruͤnglichen Roͤmer und die Sabiner
machten beyde Anſpruͤche der Nation einen Koͤnig aus
ihrem Volk zu geben. Man vereinigte ſich daß die Roͤ-
mer einen Koͤnig aus den Sabinern erwaͤhlen ſollten:
und alle Stimmen vereinigten ſich fuͤr den weiſen und
frommen Numa Pompilius. Die Angabe ſeines Wohn-
orts Cures zeigt daß die alte Sage keinen Unterſchied
zwiſchen den uͤbrigen Sabinern und einer Colonie des
Tatius machte, ſondern die ganze Nation fuͤr vereinigt
mit Rom unter einem Koͤnige gehalten hat.
[166]
Daß Numa Schuͤler des Pythagoras nicht ſeyn
konnte hat Dionyſtus mit uͤberfluͤſſiger Strenge erwie-
ſen: leider war es ihm gleichguͤltig ob die Erzaͤhlung
ſich ſchon in den aͤlteſten Annalen, geſchrieben ehe grie-
chiſche Litteratur herrſchend geworden war, fand, oder
erſt von ſpaͤteren aus einer oberflaͤchlichen griechiſchen
Beleſenheit gebildet zu ſeyn ſchien. Die Roͤmer muͤſſen
ſchon in alter Zeit von den Italioten eine dunkle Ver-
ehrung fuͤr Pythagoras Weisheit empfangen haben, da
ſie ihm zur Erfuͤllung eines Orakels, als dem weiſeſten
Griechen, eine Statue errichteten: und jene Sage mag
alſo auch nicht juͤnger ſeyn als die uͤbrige Dichtung
von Numa, wie wir ihren Inhalt kennen.
Numas Verwaltung, als er ſich entſchloſſen ſeine
Einſamkeit dem Wohl der Roͤmer aufzuopfern, und
Augurien die Wahl genehmigt hatten, erfuͤllte die Hoff-
nungen und die Beduͤrfniſſe des Volks. Er vereinigte
beyde Nationen zu einem Volk, und entzog ſie der
Verwilderung. Ohne Beduͤrfniß des Reichthums theilte
er die Laͤndereyen welche Romulus als Koͤnigsguͤter be-
nutzt hatte unter die Beſitzloſen: alle alte Geſetzgeber,
und vor allen Moſes, gruͤndeten den Erfolg ihrer An-
ordnungen fuͤr Tugend, Rechtlichkeit und gute Sitte
auf die Sicherung erbliches Landeigenthums oder we-
nigſtens Landbeſitzes fuͤr die moͤglich groͤßte Zahl der
Buͤrger. Von dieſer erſten Vorſorge wandte ſich Numa
zur Geſetzgebung der Religion. Er ward als der Ur-
heber des roͤmiſchen Caͤremonialgeſetzes verehrt. Be-
lehrt von der Camena Egeria, die ihm in ſichtbarer
[167] Geſtalt vermaͤhlt war, und ihn in die Verſammlungen
ihrer Schweſtern in den heiligen Hain fuͤhrte, ordnete
er den geſammten Gottesdienſt an; die Pontifices wel-
che uͤber die Erhaltung des Religionsgeſetzes, bey Ein-
zelnen und bey dem Staat, belehrend und ahndend
wachten; die Flamines welche den maͤchtigſten Goͤttern
im Tempel dienten; die keuſchen Jungfrauen der Beſta;
die Salier welche die Goͤtter mit Waffentanz feierten:
er ſchrieb dem Volk die Gebraͤuche vor mit denen es
den Goͤttern ſeinen Dienſt und ſein Gebet wohlgefaͤl-
lig darbringen konnte. Ihm waren die Beſchwoͤrungen
offenbart den hoͤchſten Jupiter zu bannen daß er ſeinen
Willen durch Blitze und Vogelflug kund thue: Wun-
derzeichen die andere von der Gunſt des Gottes erwar-
ten mußten, der oft dem ſchwieg der verderben ſollte.
Dieſen Bann hatten ihn Faunus und Silvanus, die
Waldgoͤtter, gelehrt, welche er nach Egerias Eingebung
gelockt und gefeſſelt hatte. Von dem Frommen duldete
der Gott die Kuͤhnheit: er erließ durch Numa bewo-
gen dem Volk die ſchreckliche Pflicht der Menſchenopfer:
den trotzenden Tullus der jenem verwegen nachahmte
erſchlug ein Blitzſtrahl unter dieſen Beſchwoͤrungen im
Tempel des Jupiter Elicius. Unter Numa war tiefer
Friede um Rom; der Tempel des Janus, ſein Werk,
blieb ſtets geſchloſſen, und in einer vierzigjaͤhrigen Re-
gierung fuͤhrte er nie Krieg. Er ſtarb wie die Lieblinge
der Goͤtter im goldnen Weltalter, hochbetagt, und ein-
ſchlummernd.
[168]
Anfang und Art der aͤlteſten Geſchichte.
Die Aufſeher der Sibylliniſchen Buͤcher hatten ver-
zeichnet: das erſte Saͤcularfeſt nach Verbannung der Koͤ-
nige ſey im Jahr 298 gefeyert worden, und von der Zeit
an immer nach einem Zeitraum von hundert und zehn
Jahren, als der Dauer eines Saͤculums 5). Mit dieſer
Angabe ſtritten Meldungen in den Annalen welche die
Saͤcularfeyern auf ſehr verſchiedene Jahre legten: dieſe
Annaliſten wuͤrden gar kein Gewicht haben wenn ſie wirk-
lich den authentiſchen Buͤchern widerſprochen haͤtten; man
braucht aber auch nicht anzunehmen daß dieſe etwas an-
deres anmerkten als den Schluß des Saͤculums, und den
Zeitpunkt wo der Anfang eines neuen von dem Volk,
dankbar fuͤr die Fortdauer ſeines Daſeyns in einer neuen
Zeit, nach dem Gebot des Caͤremonialgeſetzes haͤtte ge-
feyert werden ſollen: ohne Ruͤckſicht darauf ob die Feyer
durch Umſtaͤnde, wie ſo oft ein den Goͤttern gelobtes Feſt,
verſchoben ward.
Geht man nach derſelben Regel von jenem erſtem hi-
ſtoriſch angezeichnetem Saͤcularabſchnitt zuruͤck, ſo faͤllt
das Ende des erſten, oder vielmehr des zweyten An-
fang auf das Jahr der Stadt 78. Ich ſage der Anfang
des zweyten, denn es iſt offenbar ungleich wahrſcheinli-
cher daß der Anfang einer neuen Zeitperiode, wie von den
Azteken 6), welche der Erneuerung ihres Saͤculums mit
bangem Zweifel entgegen ſahen, froͤhlich gefeyert ward,
[169] als das Ende eines ablaufenden, welches, wie alles Ab-
ſterben und Ende, vielmehr wehmuͤthige Gefuͤhle erregen
mußte. Dieſes Jahr aber iſt nach einer unveraͤchtlichen
alten Chronologie Numas Todesjahr, und das erſte von
Tullus Hoſtilius Koͤnigreich: naͤmlich in der von dem heil.
Hieronymus uͤberſetzten Chronik des Euſebius 7). Denn
ſtatt einer Regierung von drey und vierzig Jahren, welche
beyde Catos und Varros Zeitrechnung ihm zuſchreiben,
werden ihm von Euſebius nur vierzig Regierungsjahre
beygelegt, und Romulus acht und dreyßig: welches
ein Jahr mehr iſt als die gewoͤhnlichen Chronologieen an-
nehmen. Daher denn, weil Euſebius mit dieſen das Jahr
des Interregnum zaͤhlt, der Anfang des Koͤnigs Tullus
allerdings in Ol. 26. 3. oder 79 der Catoniſchen Zeitrech-
nung faͤllt.
Die Wichtigkeit der Euſebiſchen Chronik muß jedem
einleuchten der ſie gebraucht hat; ſie enthaͤlt herrliche und
einzige Bruchſtuͤcke nach dem Chronographen Africanus,
dem noch freye Auswahl aus Schriftſtellern offen ſtand
deren Angaben ſehr von denjenigen abweichen welche ſpaͤ-
ter ausſchließende Herrſchaft gewonnen haben. Sie war
es werth den großen Mann zu beſchaͤftigen, der an ihrer
Herſtellung mit der muthigen Kraft des Genies und uner-
meßlicher Gelehrſamkeit gearbeitet hat 8). Auch haͤtte er
[170] am hellſehendſten entdecken koͤnnen was unter dem Schein
falſcher Angabe nur eigenthuͤmlich verſchiedene iſt, wenn
nicht ſelbſt fuͤr ihn die Fuͤlle unerſchoͤpflich geweſen waͤre.
So hat er allerdings nicht bemerkt — und ich ſage dies
nur damit ſein Stillſchweigen nicht als Autoritaͤt gelte —
daß Africanus fuͤr die roͤmiſche Chronologie den aͤlteſten
Annaliſten Fabius Pictor vor Augen gehabt hat.
Fabius naͤmlich nahm als berechnetes Jahr der
Gruͤndung Roms das erſte der achten Olympiade an 9):
Cato das erſte der ſiebenten. Alle aber, alſo auch Fa-
bius wie Cato, ſetzten die Einnahme Roms durch die ſeno-
niſchen Gallier in das erſte Jahr der Olympiade 98 10):
und keine Folgerung ſcheint guͤltiger ſeyn zu koͤnnen als
die daß Fabius Chronologie darum eine Olympiade ſpaͤter
8)
[171] anfing als die Catoniſche, weil er die Regierung der Koͤ-
nige nur auf 240 Jahre, nicht wie Cato auf 244, berech-
nete, und dies geſchieht auch in der Euſebiſchen Chro-
nik 11). Nun nahm Africanus fuͤr die Gruͤndung der
Stadt das Olympiadenjahr der zu ſeiner Zeit allgemein
angenommenen catoniſchen Aera, und daher, weil er zu-
gleich Fabius in der Beſtimmung der koͤniglichen Regie-
rungsjahre folgte, ſetzt er die Einnahme Roms in die
Olympiade 97. I.12)
Endigte nun das erſte Saͤculum der Stadt mit Nu-
mas Tode, nach der aͤlteſten Zeitrechnung, ſo erhaͤlt eine
andre Sage einen ſehr beſtimmten Sinn: die naͤmlich,
daß dieſer am Tage der Gruͤndung Roms gebohren
ſey 13). Sie bezieht ſich auf den etruskiſchen Begriff des
erſten phyſiſchen Saͤculums, beſtimmt durch das laͤngſte
Lebensalter aller am Gruͤndungstage einer Stadt Geboh-
renen 14). Und dieſe Zuſammenſtimmung iſt ſo ſchließend,
daß ein ſonſt alles zerſtoͤrender Umſtand nicht beunruhigen
darf. Damit, wenn von der Regierung der erſten Koͤ-
nige vier Jahre weggenommen werden, vom Jahr 78 bis
zu den Conſuln des Jahres 298 der Catoniſchen und Var-
roniſchen Zeitrechnung (denn dieſe ſtimmen hier noch ganz
[172] zuſammen) zwey Saͤkeln verfließen koͤnnen, muͤſſen die
fehlenden vier Jahre ſpaͤter eingeſchoben werden, ſonſt
waͤre das letzte Jahr nur 294. Aber auch der Anfang der
Conſularfaſten iſt ſo zerſtoͤrt daß dies keine Schwierigkeit
macht, ſobald jene Punkte feſtſtehen.
Wird ferner eingeraͤumt daß beyde Koͤnige voͤllig my-
thologiſch ſind, daß ihre Geſchichte nicht auf hiſtoriſchem
Grunde ausgeſchmuͤckt, ſondern in ihrem innerſten Weſen
Dichtung iſt, ſo laͤßt ſich auch die Beſtimmung ihrer an-
geblichen Regierungsdauer nur entweder aus dreiſter Will-
kuͤhr, oder aus der Anwendung gewiſſer Zahlverhaͤltniſſe
erklaͤren: und wie auch uns jenes wahrſcheinlicher vor-
kommen mag, von den alten Voͤlkern iſt das letzte mit weit
groͤßerem Recht zu vermuthen, vor allem da wo die An-
nalen in den Haͤnden einer gelehrten Prieſtercaſte ſind.
Dieſen Charakter traͤgt Aſiens Chronologie; vieles was
ſchon geſagt iſt, und andres was ich ferner bemerken
werde, macht ein gleiches von den Etruskern, den Weiſen
des alten Roms, faſt entſchieden gewiß. Das cycliſche
Jahr war in 38 Nundinen getheilt. War nun eigentlich
das Jahr der großen Feyer das erſte eines neuen Saͤcu-
lums, ſchloß das vorhergehende in dieſem Fall mit dem
ſieben und ſiebzigſten, ſo wuͤrde die urſpruͤngliche Zeitrech-
nung die Regierung zweyer Koͤnige, des kriegeriſchen
Stifters, und des frommen Geſetzgebers, enthalten; jede,
als Einheit, dem Jahre gleich, acht und dreyßig Jahre
als eben ſo viele Nundinen in ſich faſſend; geſchieden, als
ganz verſchiedenartige, von einer Kluft getrennte Zu-
ſtaͤnde, durch einen Zwiſchenraum den ein Jahr ausdruͤckt.
[173]
Mit Tullus Hoſtilius hebt nun ein neues Saͤculum
an, und eine Erzaͤhlung mit hiſtoriſchem Grunde, ganz
verſchiedener Art von der des vorhergehenden. Zwiſchen
der voͤllig dichteriſchen Zeit, welche mit der Geſchichte in
einem ſchlechterdings irrationalen Verhaͤltniſſe ſteht, und
dem aͤchthiſtoriſchen Zeitalter, ſteht bey allen Voͤlkern ein
gemiſchtes, wenn man ſeine Beſchaffenheit mit einem
Nahmen bezeichnen will, mythiſchhiſtoriſches in der Mitte.
Dieſes hat keine beſtimmte Graͤnzen, es erſtreckt ſich aber bis
dahin wo gleichzeitige Geſchichte anfaͤngt, und um ſo ent-
ſchiedener, je reicher die alten Sagen geweſen ſind; je we-
niger Spaͤtere die Leere der alten Geſchichte aus Denkmaͤh-
lern und Urkunden mit Vernachlaͤßigung der hiſtoriſchen
Lieder trocken ergaͤnzt haben. Daher findet es ſich in der
mittlern Geſchichte im Norden und in Spanien, da hingegen
die vieler Voͤlker des uͤbrigen Europa waͤhrend derſelben
Zeit kaum eine Spur davon enthaͤlt. Bey den Griechen
hat noch der Perſerkrieg den Charakter freyer epiſcher
Dichtung, und in noch fruͤheren Zeiten iſt faſt alles leben-
dige und anziehende dieſer Geſchichte Poeſie. In der roͤ-
miſchen Geſchichte geht die eigentliche Dichtung nicht viel
tiefer hinab: obgleich dieſe von Zeit zu Zeit, und bis an
das Ende des vierten Jahrhunderts wieder erſcheint: ſie
krankt, bis zum Kriege des Pyrrhus, als wenigſtens
Fremde begannen ſie gleichzeitig zu ſchreiben, an gefliſ-
ſentlicher Verfaͤlſchung. Dieſe iſt reines Verderben:
die dichteriſche Erzaͤhlung etwas anderes aber auch
beſſeres als reine Geſchichte, auf deren Boden wir nur
wiederfinden was uns im Leben ermuͤdet und bekuͤm-
[174] mert 15). Das Verhaͤltniß dieſer dichteriſchen Geſchichte
zur Mythologie iſt, daß jene allerdings und nothwendig
einen hiſtoriſchen Grund hat, und ihren Stoff groͤßten-
theils aus der Geſchichte, wie dieſe in freyer Erzaͤhlung
beſteht, entlehnt: dieſe aber aus der Religion und den
Volksdichtungen, und ſich nicht fuͤr moͤgliche Geſchichte
der gewoͤhnlichen Weltordnung ausgiebt, ob ſie gleich,
ſofern ſie auf der Erde verweilt, kein andres Theater ha-
ben kann. Der letzten gehoͤren an, um Beyſpiele zu nen-
nen, Herakles, Romulus und Siegfried; jener Ariſto-
menes, Brutus und der Cid.
An der Graͤnze der Mythologie iſt die Dichtung, an
der entgegengeſetzten die Geſchichte vorherrſchend. Er-
dichtet ſind von den Maͤnnern welche waͤhrend dieſes Zeit-
raums genannt werden, nur wenige: viele chronologiſche
Angaben aus den Faſten haben alle Beſtimmtheit welche
bey dem Alter der Zeit denkbar iſt: darauf aber allein be-
ſchraͤnkt ſich auch das Hiſtoriſche. Denn nur was ſich
Geſchichte nannte ward, als Schriftſteller entſtanden, be-
achtet, Denkmaͤhler und Urkunden hingegen blieben unbe-
nutzt: vielleicht aus Nachlaͤſſigkeit: vielleicht weil ſie ſich
mit den dichteriſchen Sagen nicht in Uebereinſtimmung
bringen ließen, und man eine fragmentariſche urkunden-
maͤßige Geſchichte der lebendigen dichteriſchen nachſetzte.
In Griechenland bildeten in ſpaͤterer Zeit Ephorus, die
[175] Verfaſſer der Atthiden, und der freyiich mitunter unwahr-
hafte Timaͤus, aus dieſem Stoff Geſchichten wie wir ſie
vom Mittelalter ſchreiben: voll Verdienſt, doch ohne Be-
ſtand fuͤr die Nachwelt: in Rom ward dieſe Quelle viel-
leicht nur von L. Cincius mit Sinn und einigem Fleiß, in
einem geringen Maaße benutzt. Allerdings waren die roͤ-
miſchen Urkunden aus der aͤlteſten Zeit nur aͤrmlich gegen
Athens und faſt aller griechiſchen Staͤdte hiſtoriſche Reich-
thuͤmer. Die Geſetze wurden ſehr lange nur auf eichene
Tafeln eingegraben 16) und um ſo leichter Raub der
Flammen bey der galliſchen Einnahme, wo man nicht ein-
mal die Grundgeſetze zu retten Zeit und Beſinnung hatte.
Aus dem ganzen Zeitalter der Koͤnige werden an Urkunden
nur Servius Tullius Buͤndniß mit den Latinern 17), und
das Buͤndniß des letzten Tarquinius mit den Gabiern 18)
erwaͤhnt. Das letzte war auf einem Schild eingegraben.
Verrius Flaccus hat Commentarien des Koͤnigs Servius
Tullius angefuͤhrt, welche den Inhalt der ihm zugeſchrie-
benen Verfaſſungsgeſetze enthalten zu haben ſcheinen 19).
Aus dem Zeitraum der unmittelbar auf die Ver-
treibung der Koͤnige folgte werden im ſiebenten und
achten Jahrhundert die Buͤndniſſe mit Karthago 20),
mit den Latinern 21) und mit den Ardeaten 22) als
[176] noch erhalten angefuͤhrt: ihr Inhalt aber iſt mit der
Geſchichtserzaͤhlung theils gar nicht, theils ſchwer zu
vereinigen.
Annalen aus den Zeiten der Koͤnige, wie die pon-
tificiſchen, welche allerdings ſchon in einer ſehr fruͤhen
Epoche der Republik gleichzeitig heißen koͤnnen, ſcheinen
nie auch nur vorgegeben zu ſeyn. Die Faſten welche
Polybius bey den Pontifices ſah 23), muͤſſen allerdings
auch die Regierungsjahre der Koͤnige angegeben haben
weil er nach ihnen das Olympiadenjahr der Gruͤndung
Roms berechnete: aber Faſten mit einigen Anzeichnun-
gen ſind ſogar von der duͤrrſten Chronik noch weit ver-
ſchieden. Es mag nicht als entſcheidend dafuͤr, daß
Rom nichts annalenaͤhnliches aus dem koͤniglichen Zeit-
alter hatte, gelten, daß die erſte Meldung des Saͤcu-
larfeſts bey dem Jahr 298 geſchieht: man koͤnnte die-
ſen an ſich ſehr bedeutenden Beweis nicht ohne Schein
entkraͤften wenn man bemerkte, Cenſorinus fuͤhre die
Buͤcher der Aufſeher der Sibyllenweiſſagungen an, wel-
che erſt vom letzten Koͤnige eingeſetzt waͤren. Ich denke
doch, da er dieſe ſah wuͤrde er auch, waͤren ſie vor-
handen
[177] handen geweſen, die Prieſterannalen geſehen und nach-
geſehen haben, weil es ihm ſo raͤthſelhaft vorkam daß
dieſes die erſte Erwaͤhnung ſey. Ein unverwerflicher
Beweis daß dieſe nicht vor der Schlacht am Regillus
anfingen liegt darin, daß fruͤher keine beſtimmte Wun-
derzeichen gemeldet werden 24), deren Aufbewahrung
ihnen unſtreitig, gleich ihren Vorbildern den etruski-
ſchen Jahrbuͤchern, oblag: wohl aber werden ſie von
dieſer Zeit an, obgleich Anfangs nur ſpaͤrlich und ſel-
ten, verzeichnet. Eben ſo zeugt der gaͤnzliche Mangel
an Nahmen in den Geſchichten der ſechs letzten roͤmi-
ſchen Koͤnige, außer ihrem eignen, von einem voͤlligen
Untergang aller annalenmaͤßigen Nachrichten aus jenen
Zeiten. Die Familienerzaͤhlungen meldeten vieles und
umſtaͤndlich, wenn auch ganz fabelhaft, uͤber die erſten
großen Maͤnner jedes Geſchlechts, vom erſten Tage der
Republik au: aber auch nicht eine leiſe Erwaͤhnung
eines Ahnherrn aus den koͤniglichen Zeiten koͤnnen ſie
enthalten haben: denn ſo aͤmſig wie Dionyſius alles
zuſammenhaͤufte was ſeine angebliche Geſchichte dieſes
Zeitraums im Verhaͤltniß der Zeitlaͤnge anſchwellen
konnte, durch ihn muͤßten wir es wiſſen. Daß die Va-
lerier einen Sabiner welcher Tatius begleitete, als den
Stammherrn ihres Geſchlechts nannten, iſt etwas ganz
verſchiedenes.
Aber ohne Poeſie kann keine Sage fortleben, am
Erſter Theil. M
[178] wenigſten ſich ſo ausbilden wie die ſchoͤnheitsvolle Ge-
ſchichte der roͤmiſchen Koͤnige. Rom hatte einſt Lieder
vom Lob großer Maͤnner, welche an Gaſtmaͤhlern bey
der Floͤte geſungen wurden 25): und nie hat das re-
publikaniſche Rom ſich ſelbſt um das Andenken ſeiner
Koͤnige verarmt, ſo wenig als es ihre Statuen aus dem
Capitol entfernte. In der ſchoͤnſten Zeit der Freyheit wa-
ren die alten Koͤnige der Nation ehrwuͤrdig und heilig,
wie Schriftſteller des abgelebten Roms ſie zuerſt unter den
großen Maͤnnern der roͤmiſchen Geſchichte auffuͤhrten 26).
Es war der Stolz anſehnlicher Geſchlechter ihre Abſtam-
mung mythiſch auf Numa und Marcius hinaufzufuͤhren.
Aus dieſen Liedern iſt, was fuͤr uns jetzt Geſchichte
der roͤmiſchen Koͤnige heißt, in proſaiſche Erzaͤhlung auf-
geloͤſt. So die von Romulus, welche fuͤr ſich eine Epo-
poͤe bildet: die der drey folgenden ſteht faſt jede einzelne
abgeſondert, nur daß Numa durch Tatia an den Sabiner-
krieg: und eben ſo Tullus und Ancus durch ihre Abſtam-
mung an die beyden erſten Koͤnige geknuͤpft werden. Aber
mit L. Tarquinius Priſcus beginnt ein großes Gedicht,
welches mit der Schlacht am Regillus endigt, und dieſes
Lied der Tarquinier iſt noch in ſeiner proſaiſchen Geſtalt
unbeſchreiblich dichteriſch: wie es eigentlicher Geſchichte
[179] ganz fremd iſt. Seine Ankunft zu Rom als Lucumo:
ſeine Thaten und Siege: ſein Tod: dann Servius Ge-
ſchichte: Tullias Frevelhochzeit: der Mord des gerechten
Koͤnigs: die ganze Geſchichte des letzten Tarquinius:
der Fall des Koͤnigs und die vorbereitenden Wahrzeichen:
Lucretia: Brutus Verſtellung: ſein Tod: Porſenas Krieg:
endlich die voͤllig homeriſche Schlacht am Regillus, bil-
den eine Epopoͤe, die an Tiefe und Glanz der Phantaſie
alles weit zuruͤcklaͤßt was das ſpaͤtere Rom hervorbrachte.
So wie der altroͤmiſche Vers mit dem langen Verſe unſrer
Vorfahren im weſentlichen voͤllig uͤbereinkommt, ſo theilt
ſich auch dieſe Epopoͤe, fremd der Einheit des vollkom-
menſten griechiſchen Gedichts, in Abſchnitte welche den
Aventuͤren des Nibelungenlieds entſprechen: und haͤtte je
einer die Kuͤhnheit ſie als Gedicht herſtellen zu wollen, ſo
wuͤrde er ſehr fehlen wenn er eine andere Form erwaͤhlte
als dieſe hoͤchſt edle Geſtalt.
Dieſe Lieder ſind viel aͤlter als Ennius 27), welcher
ſie nur in Hexameter umformte, und in ihnen Stoff fuͤr
drey Buͤcher fand: er der ernſthaft glaubte Roms erſter
Dichter zu ſeyn, weil er die alte einheimiſche Poeſie igno-
rirte, verachtete und mit Erfolg unterdruͤckte. Ich werde
an einem andern Ort von dieſer, und ihrem Untergang
reden. Hier iſt nur noch eine Bemerkung noͤthig. So
alt wie der epiſchen Lieder Grundſtoff unſtreitig war, ſo
M 2
[180] ſcheint die Form worin ſie beſtanden und ein großer Theil
ihres Inhalts, doch viel juͤnger als die erſten Zeiten der
Republik. Wie die pontificiſchen Annalen die Geſchichte
fuͤr die Patricier verfaͤlſchten, ſo herrſcht in dieſer ganzen
Dichtung plebejiſcher Sinn, Haß gegen die Patricier, und
ſichtbare Spuren daß als ſie geſchrieben wurden mehrere
plebejiſche Geſchlechter ſchon groß und maͤchtig waren.
Numas, Tullus und Servius Landanweiſungen ſind in
dieſem Sinn: alle Lieblingskoͤnige beguͤnſtigen das Volk
gegen die Patricier; Romulus wie Servius: als Mit-
ſchuldige an Servius Ermordung erſcheinen dieſe graͤßlich
und verhaßt; der plebejiſche Servius iſt idealiſch vortreff-
lich: der Gruͤnder der Republik iſt Plebejer: Tarqui-
nius, des alten, roͤmiſche Gattinn Gaja Caͤcilia Plebeje-
rinn, den Metellern verwandt: Mucius Scaͤvola iſt Plebe-
jer: unter den Patriciern ſtehen nur die Valerier und Ho-
ratier ſchoͤn da; des Volks befreundete Geſchlechter. Da-
her moͤchte ich dieſe Gedichte, wie wir ihren Inhalt kennen,
nicht uͤber das Ende des vierten Jahrhunderts, und dieſes
als den fruͤheſten Zeitpunkt, hinaufſetzen. Auf dieſe Zeit
deutet auch die Befragung des pythiſchen Orakels. Die Er-
zaͤhlung wie der letzte Koͤnig ſeinen Sohn ſymboliſch ange-
wieſen habe die vornehmen Gabiner fortzuſchaffen iſt ein
griechiſches Maͤhrchen bey Herodot: alſo muß man ſchon
einige Kenntniß griechiſcher Sagen vorausſetzen, wenn
auch nicht unmittelbar des Herodot 28).
[181]
Muthmaaßungen uͤber Rom vor Tullus.
Ich ſage nicht daß mit Tullus Hoſtilius hiſtoriſches
Licht aufgeht: wohl aber daß bis dahin ſchlechterdings
nichts hiſtoriſches vorhanden iſt, und daß hier der Morgen
zu grauen beginnt.
Roms Gruͤndung, welchem Volk die ewige Stadt ur-
ſpruͤnglich angehoͤrte, iſt gerade was wir nicht wiſſen.
Auch iſt es Roms Ewigkeit nicht weniger angemeſſen daß
ſeine Wurzel ſich in das Unendliche verliert: als der
Stadt Majeſtaͤt was die Dichter uͤber Romulus Saͤugung
und Vergoͤtterung geſungen. Ein Gott oder Niemand
mußte Rom geſtiftet haben.
Aus der Sage von Tullus iſt vieles auf Romulus
uͤbertragen, — wie ſonſt aus wahrer Geſchichte in dieſe
mythiſche, — ſo ſein Tod, und der Fidenatiſche und Ve-
jentiſche Krieg. Aber das kann man nicht ſagen, er ſey
der Stifter Roms geweſen, und heiße in der Mythologie
Romulus, denn unter ihm iſt die Stadt ſchon alt und
kraͤftig; die Vereinigung Albas iſt zuverlaͤſſig kein Maͤhr-
chen ohne Grund hiſtoriſcher Wahrheit.
Alles deutet bey Rom auf etruskiſchen Urſprung.
Etruskiſch war die ganze aͤlteſte Verfaſſung, durch die hei-
ligen Buͤcher dieſer Nation angeordnet 29); die Grund-
zahlen ihrer Eintheilungsgeſetze, drey, zehn und zwoͤlf,
ſind in allen uralten roͤmiſchen Einrichtungen unverkenn-
lich: ſogar in der Sage von der Zahl der alten Stadt-
thore, drey 30), nach etruskiſcher Regel. Vom Gottes-
[182] dienſt des Capitols zu beginnen iſt die ganze Religion
etruskiſch. Der etruskiſche Lucumo welcher den Nahmen
Tarquinius empfing, waͤre in einer ganz latiniſchen
Stadt wohl nicht von den Patriciern aufgenommen wor-
den. Auch wohnte dieſe Nation damals gegen Latium
am linken Ufer der Tiber: Fidenaͤ war tuskiſch 31), und
von Tusculum macht es der Nahme hoͤchſt wahrſcheinlich.
Gabiis reine Latinitaͤt iſt ſehr zweifelhaft 32).
Aber die Sabiner waren um die Zeit, welche als die
der Gruͤndung Roms angegeben wird, wie noch lange
nachher, in vordraͤngender Bewegung den Strohm hinab:
es iſt ſchon bemerkt daß mitten im ſpaͤteren Latium ſabini-
ſche Orte genannt werden 33). Eine ſolche ſabiniſche
Niederlaſſung, hart an dem etruskiſchen Rom, auf dem
capitoliniſchen und quirinaliſchen Berge, war, ſcheint
es, die Stadt des Tatius. So war Rom eine Doppel-
ſtadt wie das griechiſche und hiſpaniſche Emporiaͤ, wie
Altſtadt und Neuſtadt Danzig, und die drey unabhaͤngigen
Staͤdte Koͤnigsbergs, welche, Mauer an Mauer ſtoßend,
ſich bekriegten. Aber vor Tulius ſchon war aus dem zwie-
fachen Staat eine einzige Republik geworden. Von dieſen
[183] Sabinern zeugten viele Spuren in der alten Landesreli-
gion; Tempel in denen ſabiniſche Gottheiten verehrt wur-
den: dieſe wurden auf Tatius bezogen 34), wie alles alt-
etruskiſche auf Romulus.
Alles dieſes iſt vorhiſtoriſch, unlatiniſch, aͤlter als
Roms latiniſcher Charakter. Dieſen empfing es erſt von
Tullus an, durch die Vereinigung mit Alba unter ihm,
und durch die gewaltſame Aufnahme ſo vieler Latiner un-
ter ſeinen Nachfolgern, ſo daß die aͤlteren Einwohner mit
ihnen verſchmolzen ganz Latiner wurden, und ihre Sprache
den Spaͤteren vollkommen unverſtaͤndlich, wie die Lieder
der Salier und Arvalen, welches den Untergang der hiſto-
riſchen Verzeichnungen jener Zeit erklaͤrt.
Die Aera von Gruͤndung der Stadt.
Newton hat die angeblichen Regierungsjahre der roͤ-
miſchen Koͤnige mit der Mittelzahl verglichen welche, nach
den Annalen hiſtoriſcher Dynaſtieen, fuͤr die Dauer einer
einzelnen Regierung bey ungeſtoͤrter Erbfolge ſich ergiebt:
er findet daher 244 Jahre fuͤr ſieben Koͤnige, oder eine
Mittelzahl von faſt 35 Jahren ganz beyſpiellos und ſo gut
als unmoͤglich: ſelbſt wenn in dieſer Reihe nicht ein Ver-
triebner, welcher noch funfzehn Jahre uͤberlebte, und
zwey Ermordete waͤren. Man kann hinzuſetzen: wenn
nicht in einem Wahlreich die Dauer der Regierungen
durchſchnittsmaͤßig kuͤrzer ſeyn muͤßte als in einer erbli-
chen Monarchie, wo auch Kinder den Thron beſteigen:
wodurch in Frankreich zwey Regierungen 131 Jahre um-
[184] faßt haben. Er nimmt alſo fuͤr jede Regierung eine Mit-
telzahl von ſiebzehn Jahren, und fuͤr den ganzen Zeitraum
119: ſo daß die Gruͤndung Roms um das Jahr 125 der
gewoͤhnlichen Aera, oder in die Ol. 38 faͤllt 35).
So wenig wie er hier Romulus und Numa von der
Geſchichte abſondert, hat er fruͤher auch nur die Albani-
ſchen Koͤnige verſchmaͤht: in allem dieſem verfaͤhrt er ohne
eine Art von hiſtoriſcher Kritik, und als ob man, von der
aͤlteſten Zeit her, auf rein hiſtoriſchem Boden wandele.
Dennoch verdient ſeine Bemerkung uͤber die Mittelzahlen
der Daner koͤniglicher Regierungen 36) von dieſer hiſto-
riſchen Kritik ernſthaft beachtet zu werden; und es laͤßt
ſich nicht laͤugnen daß die vom Jahr 78 bis 244 verlaufnen
166 Jahre ein Zeitraum von ſolcher Laͤnge ſind daß es
keine Wahrſcheinlichkeit hat fuͤnf Regierungen, deren letzte
funfzehn Jahre vor ihrem natuͤrlichen Ende abgebrochen
ward, haͤtten ihn ausgefuͤllt. Ueberdieß haben die Zahlen
der Dauer einzelner Regierungen und des ganzen Zeit-
raums einen ſehr verdaͤchtigen Anſchein 37). Auch wol-
len wir dieſe Chronologie keineswegs vertheidigen: es moͤ-
gen alle fuͤnf Regierungen verlaͤngert ſeyn um den Zeit-
raum einzunehmen, entweder, daß einige ausgefallen waͤ-
[185] ren; oder, welches wahrſcheinlicher iſt, um Tullus an
den Anfang des Saͤculums hinaufzubringen.
Waͤre es nothwendig fuͤr die Beſtimmung einer Aera
daß ihr Anfangspunkt hiſtoriſch feſt ſtehe, ſo wuͤrde die
von der Erbauung Roms, nach dem was bisher geſagt
iſt, vollkommen unmoͤglich ſeyn. Es gilt aber hier gleich,
ſobald man ſich nur daruͤber nicht taͤuſcht daß er nicht
hiſtoriſch iſt. Was einer Aera vorzuͤgliche Brauchbarkeit
giebt, iſt daß ſie fruͤh genug beginne um den Raum eigent-
licher hiſtoriſcher Zeitbeſtimmungen mit vorwaͤrts gehen-
der Berechnung zu umfaſſen: und daß ſie einem Volk oder
einer Begebenheit angehoͤre, welche allen Voͤlkern auf de-
ren Geſchichte ſie angewandt werden kann gleich ihren eig-
nen Hauptepochen wichtig ſey.
Dies nun gilt von der Gruͤndung Roms fuͤr das ge-
ſammte Abendland, bis zum Anfang der chriſtlichen Zeit-
rechnung. Denn alle Voͤlkergeſchichte Europas verfließt
im Meer der roͤmiſchen. Daher iſt dieſe Aera auch der
Olympiadenzeitrechnung vorzuziehen wenn dieſe gleich um
ein Vierteljahrhundert fruͤher beginnt, und ſchon als grie-
chiſche Anſpruch auf Vorrang machen zu koͤnnen ſcheint.
Auch ſind die vierjaͤhrigen Abſchnitte, welche bey jeder
Vergleichung eine, wenn auch die allereinfachſte Multi-
plication erfordern, ſo unbequem, und der Vortheil einer
einzigen Aera iſt ſo entſchieden, daß man die roͤmiſche
ſelbſt in der griechiſchen Geſchichte eingefuͤhrt zu ſehen
wuͤnſchen moͤchte.
Den Nachtheil der griechiſchen Zeitrechnung daß der
Anfang des Jahrs nach dem Sommerſolſtitium beſtimmt
[186] ward, und wandelbar iſt, wodurch die Vorfaͤlle jedes
phyſiſchen Jahrs in zwey chronologiſche zerriſſen werden,
theilt die aͤltere roͤmiſche Zeitrechnung, bis der Anfang
des conſulariſchen Jahrs auf den Maͤrz feſtgeſetzt ward.
Sie iſt bis dahin ſogar noch verworrener, weil der Anfang
des Jahrs der Magiſtratur ſehr oft aͤnderte 38).
Es iſt doch wohl wahrſcheinlich, daß die Roͤmer weit
fruͤher als Fabius ihre Jahre von der Gruͤndung der
Stadt gerechnet haben; nach einer Sitte Italiens, wo-
von Scaliger aus Inſchriften ein Beyſpiel vom umbriſchen
[187] Interamna anfuͤhrt 39); auch von Ameria iſt es, nach der
oben angefuͤhrten Meldung Catos, nicht zweifelhaft. Ge-
woͤhnlich freylich bezeichneten ſie ihre Jahre, wie die Athe-
nienſer, nicht mit den Zahlen einer Aera, ſondern mit
den Nahmen der hoͤchſten Magiſtrate. Doch findet ſich
eine Aera nach Vertreibung der Koͤnige, gebraucht nach
der Mitte des vierten Jahrhunderts 40), und eine mit der-
ſelben beynahe zuſammenſtimmende, nach der Einweihung
des Capitols, gegen die Mitte des fuͤnften 41).
Um das Jahr der Gruͤndung zu finden, ward alſo,
wenn jene erſte als feſtſtehend angenommen war, zu ihr
nur die Summe der Jahre der koͤniglichen Herrſchaft hin-
zugefuͤgt: jene Aera konnte durch die Faſten gepruͤft, oder
wenigſtens zweifelhaft gemacht werden. Denn das iſt
klar daß auch dieſe außerordentlich von einander abgewi-
chen ſind. So fehlen in Livius, der doch Catos Zeitrech-
nung folgte, außer ſpaͤteren Conſulpaaren, die der Jahre
248, 264 und 265. Ganz wuͤſt und zerſtoͤrt ſind die Fa-
ſten Diodors. Was aber eigenthuͤmlichen Argwohn gegen
die Faſten der Conſuln in der aͤlteſten Zeit nicht weniger
als der Koͤnige, und ſogar die Ueberzeugung begruͤndet
daß die ganze Zeitrechnung bis auf die Einnahme der
Stadt eine erfundne Kuͤnſteley ſeyn muß, iſt die Natur
[188] der Zahlen, beſonders nach der Chronologie des Africanus
(oder der Euſebiſchen Chronik), worin ich die des Fabius
erkenne. Von der Gruͤndung Roms bis auf die Einnahme
ſind hier 360 Jahre: (Roms Grundzahl zwoͤlf, dreyßig
Mal) und dieſer Zeitraum als eine Einheit zerfaͤllt in drey
Theile. Ein Drittheil fuͤllen genau die drey erſten Koͤ-
nige, bis 120: das zweyte die uͤbrigen, bis auf Tarqui-
nius Verbannung: das dritte die Republik. Solche ge-
naue Abtheilungen gewaͤhrt die wahre Geſchichte nie: ſie
ſind ein unverkennbares Zeichen gefliſſentlicher Anordnung
eines religioͤs an Zahlenheiligkeit haͤngenden Sinns. Die
gewoͤhnlichen Faſten ſind uͤbrigens noch im vierten und
fuͤnften Jahrhundert der Stadt voll auffallender Unrich-
tigkeiten, woruͤber ich weiterhin genauer reden werde.
Am hoͤchſten ſcheint Ennius die Erbauung der Stadt
hinaufgeſetzt zu haben: naͤmlich etwa hundert und zwan-
zig Jahre uͤber den Anfang der catoniſchen Aera, und faſt
ein Jahrhundert uͤber die Olympiaden hinaus; doch dies
iſt taͤuſchender Schein, der aber ein anderes hoͤchſt wich-
tiges Reſultat giebt 42).
Unter den Geſchichtſchreibern hat Timaͤus zuerſt
Roms Alter chronologiſch angegeben: doch ſeine Zeitbe-
ſtimmung, da er Rom wahrſcheinlich nie beſuchte, und
ſich mit muͤndlichen Erzaͤhlungen der Einheimiſchen, und
griechiſch geſchriebnen italiſchen Chroniken begnuͤgen
mußte, kann auch nach ſeinem eignen Sinn nur als eine
[189] ungefaͤhre Annaͤherung gelten. Daher brachte er die
Gruͤndung Roms als gleichzeitig in Beziehung mit der
von Karthago, welche ſich aus puniſchen Jahrbuͤchern,
und da beydes Gades und Utika aͤlter waren, als hiſto-
riſch beſtimmt betrachten ließ. Dieſe fiel, nach ihm, acht
und dreyßig Jahre vor der erſten Olympiade43).
Nach einem weiten Zwiſchenraum folgt in hoͤherer
Beſtimmung des Alters der Stadt, zunaͤchſt die Varroni-
ſche Aera. Nach dieſer faͤllt die Stiftung Roms in das
dritte Jahr der ſechſten Olympiade, weil die Palilien am
21ſten April gefeyert wurden; denn das erſte Jahr Roms
begreift die letzte Haͤlfte des dritten, und die erſte des
vierten Jahrs dieſer Olympiade.
Die Capitoliniſchen Faſti bringen ſie in das vierte
Jahr derſelben, und Catos Chronologie in das erſte
der ſiebenten Olympiade, 432 Jahre nach der Zerſtoͤrung
Trojas. Polybius, der bey den Pontifices eine Zeittafel
fand, berechnete als das Jahr der Gruͤndung das zweyte
derſelben Olympiade44). Dieſes iſt ſo zu verſtehen,
wie Polybius uͤberhaupt Olympiaden mit roͤmiſchen Jah-
ren vergleicht; daß, obgleich die Palilien vor der Som-
merſonnenwende fallen, das zweyte Jahr der ſiebenten
Olympiade dem ſchon begonnenen erſten der Stadt gleich
gerechnet wird, und ſo iſt nach ihm das erſte ſeiner
Geſchichte, Ol. 140. I., 532 der Stadt. Atticus, dem
Cicero folgte, zaͤhlte vier Jahre weniger als Varro.
[190]
Die Catoniſche Aera bringt den feſten Punkt der aͤlte-
ren Geſchichte, die Einnahme Roms, auf ſeine wahre Zeit
nach der griechiſchen Zeitrechnung, naͤmlich Ol. 98, 1.
Dieſes Jahr iſt hier das 365ſte der Stadt. Varro be-
ſtimmt die Eroberung auf das Jahr 364, und nach ihm
alſo faͤllt ſie Ol. 97, 2. In den Faſten nach der Varroni-
ſchen Zeitrechnung finden ſich dieſe uͤberzaͤhligen drey
Jahre durch Dictaturen ausgefuͤllt: obgleich dieſe, als
eine uͤbertragene Macht, nie uͤber das Jahr der uͤbertra-
genden Magiſtratur hinausgehen konnten45).
Die beyden Roͤmer welche zuerſt, um die Zeit des
zweyten Puniſchen Kriegs, ihre vaterlaͤndiſche Geſchichte in
griechiſcher Sprache ſchrieben, Q. Fabius Pictor und
L. Cincius Alimentus, verglichen ſchon Roms Aera mit
der Zeitrechnung der Olympiaden. Ich habe oben die An-
ſichten entwickelt welche Fabius Chronologie, die Ol. 8. I.
annimmt, zum Grunde liegen: dunkler iſt es warum
L. Cincius das vierte Jahr der zwoͤlften annahm46). Die
Frage iſt um ſo intereſſanter, weil Cincius ein wahrhaft
[191] kritiſcher Alterthumsforſcher war, welcher ſeine vaterlaͤn-
diſche Geſchichte durch Unterſuchung alter Denkmaͤhler er-
hellte. Er verfuhr dabey mit eben ſo großer Wahrhaftig-
keit als Fleiß: denn es ſind Fragmente aus ihm, welche
allein mit klaren Worten das Verhaͤltniß von Rom und
Latium in einer Zeit darſtellen, wo in allen Annalen roͤ-
miſcher Nationalſtolz ſie verfaͤlſcht hat. Er war Senator,
und im hannibaliſchen Kriege Praͤtor, obgleich er am An-
fang deſſelben das Ungluͤck gehabt hatte Gefangener der
Poͤner zu werden. Daß er kein alltaͤglicher Mann war iſt
vor allem dadurch klar, daß Hannibal, der die Roͤmi-
ſchen Gefangenen ſehr rauh zu behandeln pflegte, ihn aus-
zeichnete, und ihm den Zug durch Gallien uͤber die Alpen
ſo erzaͤhlte wie Cincius ihn nachher in ſeiner Geſchichte
niederſchrieb. Seine ſehr abweichende Angabe, von der
Varroniſchen um nicht weniger als 25 Jahre verſchieden,
darf alſo weniger als irgend eine andere als die Folge
fluͤchtiger Zuſammenſtellung mangelhafter Faſten verach-
tet werden.
Daß Cincius ein Buch uͤber den alten Roͤmiſchen Ka-
lender geſchrieben hatte, wiſſen wir aus Macrobius47):
daß er den aͤlteſten etruskiſchen und roͤmiſchen Cyclus un-
terſucht hat, erhellt aus Livius48). Und eben daher daß
er Ruͤckſicht auf ſie nahm, zu einer Zeit in der ſie ſchon
ganz außer Gebrauch gekommen waren, erklaͤrt ſich ſeine
Zeitbeſtimmung.
Ich kann im Lauf der aͤlteren Zeiten dieſer Geſchichte
nicht vermeiden Unterſuchungen als Epiſoden einzuſchie-
[192] ben: ich glaube auch mit demſelben Recht Anſpruch auf
ihre Duldung machen zu koͤnnen, mit dem alte Geſchicht-
ſchreiber epiſodiſche Erzaͤhlungen einwebten. Auch der
gluͤcklichſte Erfolg aͤmſiger Forſchung giebt ſehr oft nur
annaͤhernde Wahrſcheinlichkeit, nicht hiſtoriſche Gewiß-
heit: wollte man ſie aus der Geſchichte abſondern, und
fuͤr dieſe nur zuſammenhaͤngende Erzaͤhlung fordern, ſo
wuͤrde die neue Anſicht ſie nicht beſtimmen duͤrfen, die Un-
terſuchung ohne Frucht bleiben; oder der Schriftſteller, ge-
noͤthigt ſich bey jeder Veranlaſſung auf ſie zu berufen, den-
noch einem allgemeinen Tadel nicht entgehen, daß er ſeine
Hypotheſen fuͤr hiſtoriſche Wahrheit ausgebe. Die Ge-
ſchichte des aͤlteſten Roms kann nur eine Verbindung von
Erzaͤhlung und Unterſuchung ſeyn.
Ueber den Saͤcularcyclus.
Das roͤmiſche Jahr war bekanntlich vor der Juliani-
ſchen Reformation des Kalenders ein Mondenjahr, wel-
ches durch Einſchaltung eines Intercalarmonats mit dem
Sonnenjahr in Uebereinſtimmung gebracht ward, oder
vielmehr gebracht werden ſollte. Der große Joſeph Sca-
liger hat mit dem hellen Blick, der Zeugniſſe welche nicht
wiſſen wovon ſie reden in Quellen der Wahrheit verwan-
delt, das urſpruͤngliche Syſtem dieſer Zeitrechnung mit un-
widerſprechlicher Gewißheit entdeckt. Er hat gezeigt, daß
es eine trieteriſche Intercalation in zwey und zwanzigjaͤh-
rigen Perioden war, in deren jeder zehnmal ein Schalt-
monat, abwechſelnd von 22 und 23 Tagen, hinzugethan
ward: die letzte Trieteris ward uͤbergangen. Wie fuͤnf
Jahre
[193] Jahre ein Luſtrum, ſo bildeten fuͤnf dieſer Perioden ein
Saͤculum von 110 Jahren 49).
Es vernichtet den Wahn daß Italien in Barba-
rey lag, und Roms Beziehungen zu Griechenland dort
Wiſſenſchaft ſtifteten, wenn man ſieht wie vielmehr dieſe
leichte und regelmaͤßige Zeitrechnung gerade von jener Zeit
an ſo in Vergeſſenheit gerathen war, daß Caͤſar eine
ſchlechtere Reformation des Kalenders aus fremder Wiſ-
ſenſchaft erborgen mußte, und daß das Jahr damals um
67 Tage voraus von der wahren Zeit abweichen konnte.
Gaͤnzliche Unwiſſenheit in der Mathematik und Aſtrono-
mie, deren Reſultate, aber nicht ihre Wiſſenſchaft die
Etrusker den Roͤmern mitgetheilt hatten, mag die Verwir-
rung ſchon fruͤh erregt haben: aber eine ſchaͤndliche Unred-
lichkeit, wodurch die Pontifices, ſeitdem ſie ſich eine will-
kuͤhrliche Einſchaltung angemaaßt, bald Conſuln, bald
Generalpaͤchter durch Verlaͤngerung des Jahrs beguͤnſtig-
ten, oder durch Abkuͤrzung deſſelben druͤckten, benutzte
und verſchlimmerte ſie.
Es iſt allgemein bekannt, daß nach einer einſtimmi-
gen Nachricht der glaubwuͤrdigſten alten roͤmiſchen Ar-
chaͤologen das romuliſche Jahr nur aus zehn Monaten
oder 304 Tagen beſtanden hat. Unter der großen Menge
der Zeugen iſt es hinreichend hieruͤber auf Cenſorinus,
welcher die Zahl der Monatstage angiebt, zu verwei-
ſen 50). Dieſes Jahr, welches einzeln genommen weder
mit dem Mond noch mit der Sonne uͤbereinſtimmt, ſchien
Erſter Theil. N
[194] denen welche nur an die griechiſchen und die ſpaͤteren An-
ſichten gewoͤhnt waren ſo widerſinnig, daß Plutarch faſt
zweifelt daß es jemals beſtanden haben koͤnne, und, was
viel auffallender iſt, Scaliger es als ein Maͤhrchen ganz
laͤugnet, und nach Licinius Macer und Feneſtella, die es
doch auch nur nicht begriffen, als entſchieden annimmt,
das roͤmiſche Jahr habe vom Anfang her zwoͤlf Monate ge-
zaͤhlt 51). Aber neben jenen Angaben, die, wenn fuͤr die
Geſchichte noch irgend ein Grund bleiben ſoll, durchaus
nicht verworfen werden duͤrfen, als Nachrichten denen
an Beſtimmtheit wenige aus den aͤlteſten Zeiten gleich
kommen, finden ſich unverkennliche Beweiſe daß dieſes
Jahr einſt in der That im Gebrauch geweſen, und mehr
als eine ſichtbare Spur ſeiner Anwendung in einer ſpaͤ-
teren Zeit, wo ihr Urſprung ſchon verkannt war. Und es
ergiebt ſich aus dem cycliſchen Verhaͤltniß dieſes Jahrs
zu dem von Scaliger erklaͤrten Mondenſchaltjahr und deſ-
ſen Saͤcularperiode, wie es, theils als fortlaufende Cor-
rection neben demſelben anwendbar, theils zum wiſſen-
ſchaftlichen Gebrauch vorzuͤglicher als jenes war.
Der erſte Schluͤſſel zum Begriff dieſes Syſtems fin-
det ſich in einer Stelle des Cenſorinus, worin er ſagt, das
Luſtrum ſey das alte roͤmiſche große Jahr, oder der Cy-
clus in dem der Anfang des buͤrgerlichen Jahrs wieder
auf den Anfang des Sonnenjahrs gebracht worden waͤre.
Allerdings iſt es klar, daß Cenſorinus das Luſtrum
ſeiner Zeit, die Capitoliniſche Pentaeteris, wie Griechen
die Olympiaden, dem alten Luſtrum in Hinſicht der Zeit-
[195] dauer unterſchiebt: aber daß er den Sinn alter Nachrich-
ten falſch auffaßt, vermindert ihren Werth und ihre
Brauchbarkeit nicht, wenn man das Mißverſtaͤndniß ſo
beſtimmt entdecken kann wie in dieſem Fall 52).
Fuͤnf aͤgyptiſche Sonnenjahre zu 365 Tagen enthalten
1825: ſechs romuliſche zu 304 Tagen aber 1824. Die roͤ-
miſche Zeitrechnung verlor alſo in fuͤnf Jahren einen Tag
gegen die aͤgyptiſche buͤrgerliche, welche keine Schaltjahre
hatte, ſondern in 1461 Jahren mit Verluſt eines Jahrs,
wie die Weltumſegler mit Verluſt eines Tags, wieder auf
den urſpruͤnglichen Anfang zuruͤckkehrte; und gegen die
julianiſche Emendation beynahe 2¼ Tag. Dies nun waͤre
allerdings eine ſo große Abweichung, daß wenn nicht an-
dre Zeiteintheilungen, ſichtbar deſſelben Syſtems dem das
zehnmonatliche Jahr angehoͤrt, eine ſyſtematiſche Inter-
calation, mit einer Leichtigkeit und Harmonie die ur-
ſpruͤngliche Einheit iſt, anboͤten, der cycliſche Gebrauch
freylich als Hypotheſe beſtritten werden koͤnnte.
Dieſe Eintheilungen ſind die groͤßte und die kleinſte
etruskiſche Zeitperiode, das Saͤculum und die achttaͤgigen
Wochen. Jenes war auch das Maaß des Mondſchalt-
jahr-Cyclus. Die letzten erhielten ſich bey den Roͤmern
in ſofern, daß jener neunte Tag (nundinae) Markttag
war: dieſer Tag hat bey den Tuskern auch den Rahmen
N 2
[196] Nonae gefuͤhrt, und dieſer Zeiteintheilung iſt es ver-
wandt daß der neunte Tag vor den Idus beſtaͤndig den
Nahmen behielt. Aber die Roͤmiſchen Nundinen ſtanden
in keiner Beziehung zum Ganzen des Jahrs, und die
Nonae waren nur ein Tag im Monat. Bey den Etrus-
kern waren ſie eigentliche Wochenabſchnitte, und jeder
neunte Tag der Geſchaͤftstag an dem die Koͤnige Gehoͤr
ertheilten, und Recht ſprachen53). Das zehnmonatliche
Jahr von 304 Tagen geht grade in eine Zahl achttaͤgiger
Wochen auf, naͤmlich in 38: ſo daß ſie jedesmal auf den
naͤmlichen Monatstag anfangen. Demnach iſt es mehr
als wahrſcheinlich, daß die Zahl der Tage ihrer Interca-
larmonate ebenfalls durch acht theilbar waren: denn ſonſt
ward dieſe Ordnung geſtoͤrt. Ward nun im Saͤculum der
cycliſchen Periode von 110 Jahren, oder 22 Luſtern, zwey-
mal, im 11ten und im 22ſten Luſtrum ein Intercalarmo-
nat von drey tuskiſchen Wochen oder 24 Tagen eingeſchal-
tet54), ſo entſteht am Schluß der Periode eine uͤber alle
Erwartung auffallende Annaͤherung an die wahre Zeit,
und eine Correction des Mondjahrcyclus. Denn die fuͤnf
Perioden des Saͤculums zaͤhlen, nach Scaligers Berech-
nung, der keine hoͤhere Genauigkeit ſuchte als die des ju-
lianiſchen Kalenders, 40177 Tage: der cycliſchen Jahre
Tagſumme nach dieſer Intercalation aber nur 40176.
[197]
Dieſer Cyclus iſt alſo genauer als die julianiſche Zeit-
rechnung, bey der das tropiſche Jahr auf 365 T. 6° an-
genommen iſt, und ergiebt eine Beſtimmung deſſelben auf
365 T. 5° 40′ 22″, welche um 8′ 23″ kleiner iſt als die
Wahrheit: waͤhrend das julianiſche Jahr um 11′ 25″ zu
groß iſt. Wir koͤnnen wohl nicht annehmen daß die be-
rechnete Beſtimmung Sekunden enthalten haͤtte; und wir
muͤſſen auch bemerken daß kein Volk es unternommen hat,
auch es nicht thunlich iſt, das buͤrgerliche Jahr dem aſtro-
nomiſchen ſo genau anzupaſſen, daß die Theorie ſeiner
Weiſen von der Dauer des letzten aus einer ſogar großen
cycliſchen Periode genau entdeckt werden koͤnnte. Wir
koͤnnen es nicht unternehmen abſolut zu verneinen, daß
die Zeit von 15° 22′ 30″, um welche die cycliſche Pe-
riode von 110 Jahren zu kurz iſt, und die in 172 Jahren
einen Tag ausmacht, durch fernere Intercalationen aus-
geglichen worden waͤre; aber eben daß hier die Anwen-
dung der Zahlregeln, welche bis hieher ein vollkommenes
Syſtem giebt, nicht weiter zureicht, macht es hoͤchſt wahr-
ſcheinlich daß die Etrusker das tropiſche Jahr genau auf
365 T. 5° 40′ beſtimmt hatten.
Von dieſer tiefen Wiſſenſchaft ſchweigen zwar Cenſo-
rinus und alle andere Roͤmer: und Ennius den jener an-
fuͤhrt55) gab das Sonnenjahr auf 366 Tage an. Aber
damit wollte er entweder nur ſagen daß auch ein Theil des
366ſten Tags zum tropiſchen Jahr gehoͤre: oder er ſprach
unwiſſend was er auf jeden Fall andern abgehoͤrt hatte.
In Rom ſelbſt war damals die aſtronomiſche Unwiſſenheit
[198] gewiß ſehr groß: und die alte Wiſſenſchaft, wenn ſie nicht
ſchon ganz wie fuͤr die Spaͤteren erloſchen war, lebte nur
noch in ihren Reſultaten bey Etruskiſchen Prieſtern, wie
die Braminen Formeln mechaniſch gebrauchen deren wiſ-
ſenſchaftliche Begruͤndung ihnen ganz unbekannt iſt, und
unbegreiflich ſeyn wuͤrde.
Aus der wiſſenſchaftlichen Genauigkeit folgt nun die
Brauchbarkeit dieſes Jahrs als einer nicht leeren Form
neben dem ſchon genau geordneten buͤrgerlichen Jahr. Es
iſt klar daß in der letzten Periode ſtatt eines Schaltmonats
von 23 Tagen, den die Ordnung erforderte, einer von
nur 22 Tagen, intercalirt geworden ſeyn muß um die
Harmonie beyder Syſteme zu erhalten. Die Correction
ergab ſich ſobald nur vom Anfang des Saͤculums bis zu
ſeinem Schluß richtig fortgezaͤhlt ward: und um dieſe
Harmonie frey von Verwirrung zu erhalten, war eine
aͤußere Form, geheiligt durch den Ort wo ſie aufgeſtellt
war, erwaͤhlt, die, als Normirung der Zeit, vollkommen
in demſelben Geiſt iſt welcher die Limitation der Fel-
der eingab.
In Rom war es noch am Anfang des fuͤnften Jahr-
hunderts geſetzlich herkoͤmmliche Sitte, daß der oberſte
Feldherr an den Iden des Septembers einen Nagel im
Tempel der Minerva einſchlug, wozu mehrmals ein Dicta-
tor ernannt ward. Der Sinn dieſer Feyerlichkeit welche
den unwiſſenden Spaͤteren laͤcherlich ſchien, war ſchon um
die Mitte des folgenden dunkel geworden, daher Cin-
cius bemerkte, er habe aͤhnliche Zeichen zu Volſinii im
Tempel der Nortia gefunden: es waͤren Bezeichnun-
[199] gen der Jahre aus einer Zeit wo Schrift ſelten gewe-
ſen ſey56). Vielleicht aber aus einer noch aͤlteren: als vor
der Buchſtabenſchrift nur noch ſymboliſche gebraͤuchlich
war, aus welcher, wie ſchon bemerkt iſt, die roͤmiſchen
Zahlzeichen ſich erhalten haben. Der Zweck war zu be-
ſtimmen, wie viel Luſtern vom Anfang des Saͤculums,
und wie viele Jahre von dem laufenden Luſtrum verfloſſen
waren. Der Schluß eines Luſtrums (lustrum eondi-
tum) ward uͤberdies ohne Zweifel auf dieſelbe Art bezeich-
net wie der feſte Punkt, in dem das buͤrgerliche Monden-
jahr ſich im cycliſchen regelmaͤßig vorwaͤrts bewegte57).
[200]
Das ganze Morgenland hat den Mond bey ſeinem
Kalender beobachtet: die freye wiſſenſchaftliche Einthei-
lung eines großen Zeitabſchnitts gehoͤrt dem Abendlande:
die Frucht vieler Jahrhunderte von Beobachtungen, aus
dem grauen Alter des Weſten. Dieſem Weſten iſt auch die
uralte ausgeſtorbne Welt verwandt welche wir die neue
nennen. Die alten Azteken, deren Kalender der allervoll-
kommenſte war, der vor dem gregorianiſchen irgendwo
buͤrgerlich gebraͤuchlich geweſen iſt, rechneten ein großes
Jahr von 104 Sonnenjahren. Sie theilten es nach der
Quinal- und Vigeſimalzaͤhlart ein, welche bey ihnen an-
ſtatt der Decimalprogreſſion uͤblich war. Waͤhrend die-
ſer Periode intercalirten auch ſie zweymal, zuſammen
25 Tage; und es iſt unmoͤglich, bey den mexicaniſchen Fe-
ſten des neuen Feuers am Anfang der neuen Saͤcularpe-
riode ſich nicht der roͤmiſchen, eigentlich etruskiſchen,
Saͤcularfeſte zu erinnern58). Hieruͤber freylich urtheile
jeder nach ſeiner Neigung, nur nenne man die Entwicke-
lung des cycliſchen Jahrs nicht luftige Hypotheſe, weil ſie
ſich nicht, ſondern nur ihre Grundzuͤge bey den alten
Schriftſtellern finden. Was aus dieſen mit abſoluter
arithmetiſcher Beſtimmtheit, und genau harmoniſch mit
einem andern unbezweifelten Syſtem ſo hervorgeht, kann
kein Spiel des Zufalls ſeyn, ſo wenig wie mathematiſche
[201] Diagramme im Sande. Und dies iſt noch entſcheidender
als die Erwaͤgung, daß man nur die Wahl hat zwiſchen
der Vorausſetzung, daß die aͤlteſten Roͤmer nicht nur un-
wiſſend, ſondern ſinnlos einen auf keine Analogie der
Natur und der Wiſſenſchaft gegruͤndeten, oder daß ſie
einen von einem gelehrten Volk berechneten Kalender ge-
braucht haͤtten. Mit Macrobius, der den Cyclus ver-
kennt, anzunehmen, die aͤlteſten Roͤmer haͤtten, wenn
die Jahrszeiten mit ihren Monaten nicht paſſen wollten,
eine Zeit vergehen laſſen die gar keinen Namen gehabt
habe, heißt aus eigner Unkunde des Denkens ſelbſt der ro-
heſten Voͤlker, die Roͤmer unter die Irokeſen an Barba-
rey herabſetzen. Romulus wollen wir allerdings nicht un-
ter die Aſtronomen rechnen, welches Scaliger verbittet;
aber der Nahme des romuliſchen Jahrs kann und ſoll
auch nichts weiter bedeuten als das urſpruͤngliche vor-
latiniſche.
Darin aber fehlten wahrſcheinlich die roͤmiſchen Archaͤo-
logen daß ſie annahmen, beydes, der zehnmonatliche Ka-
lender ſey urſpruͤnglich allein im Gebrauch geweſen, und
nachher voͤllig aufgegeben. Jenes iſt nicht wahrſchein-
lich weil er ſich ſo genau auf den Mondjahrcyclus bezieht,
daß gleichzeitige Ausbildung faſt nicht bezweifelt werden
kann, auch der aͤlteſte volksgebraͤuchliche wohl nothwen-
dig den Wechſel des Mondes beobachtete: und ein ſolcher,
der ſich den Jahrszeiten anfuͤgte, auch wohl immer ein
Beduͤrfniß geweſen ſeyn muß. Das letzte iſt irrig: viel-
mehr iſt das zehnmonatliche Jahr unzweifelhaft noch
lange nach der koͤniglichen Herrſchaft gebraucht wor-
[202] den, und Anwendungen deſſelben ſind geblieben, deren
Urſprung von den Spaͤteren nicht erkannt ward.
Die Etrusker folgten, wie die Tuͤrken, der redlichen
Regel Frieden nur unter der Form eines Waffenſtillſtands
auf beſtimmte Jahre zu ſchließen. Die roͤmiſchen Frie-
densſchluͤſſe mit Veji, Tarquinii, Caͤre, Capena, den
Faliskern und Volſinii werden faſt ohne Ausnahme als
Waffenſtillſtand mit Beyfuͤgung der Dauer angegeben.
Nun wird den Etruskern nicht vorgeworfen daß ſie den
Vertrag gebrochen haͤtten, obgleich faſt immer die Feind-
ſeligkeiten begonnen haben ehe die Jahre des Waffenſtill-
ſtands, nach den Faſten, verlaufen ſind. Ein Beyſpiel
unter mehreren ganz unzweydeutigen, welche im Fort-
gang dieſer Geſchichte angezeigt werden ſollen, gewaͤhrt
der Vejentiſche Friede des Jahrs 280. Dieſer war auf
vierzig Jahre geſchloſſen. Im Jahr 316 fiel Fidenaͤ ab,
und vereinigte ſich mit Veji: welches vorausſetzt daß dieſe
Republik ſchon im Kriegsſtand gegen Rom war. Dieſer
Abfall war den Roͤmern aͤußerſt gehaͤſſig, dennoch klagen
ſie die Vejenter nicht an, ihre Eide gebrochen zu haben.
Noch deutlicher iſt daß Livius, als von dem zwanzigjaͤh-
rigen Stillſtand des Jahrs 329 nach den Faſten achtzehn
verfloſſen waren, im Jahr 347, ſagt, der Waffenſtill-
ſtand ſey verlaufen geweſen59). Dies erklaͤrt ſich nur
durch die Anwendung des zehnmonatlichen Jahrs. Denn
von dieſem ſind 40 = 33⅓, 20 = 16⅔: ſo daß im erſten
Fall das Verhaͤltniß des Friedens ſchon mit dem Jahr
314, im zweyten mit dem Jahr 346 aufhoͤrte.
[203]
Eine unwandelbare Zeitrechnung da anzuwenden wo
auch unwillkuͤhrliche Verletzung Strafe der Goͤtter nach
ſich zu ziehen drohte, war zuverlaͤſſig im Geiſt der Etrus-
ker: und waͤre ſchon damals in die Roͤmiſchen Intercala-
tionen Unordnung gekommen geweſen, ſo wuͤrde dieſer
Grund zwiefaches Gewicht gehabt haben. Die Latiniſchen
Voͤlker und die Herniker gebrauchten hoͤchſt ſonderbare
Zeitrechnungen, deren Syſtem vielleicht ein Andrer aus
Cenſorinus Erwaͤhnungen der Kalender von Alba, Lavi-
nium, Tuſculum, Aricia und Ferentinum errathen wird.
Ihre Monate ſollen von 39 Tagen bis zu 16 von einander
abgewichen ſeyn60). Wie auch der Kalender der Auſoni-
ſchen Voͤlker geordnet geweſen ſeyn mag, von dem roͤmi-
ſchen buͤrgerlichen war er gewiß ganz verſchieden. Mit
ihnen, den Volskern und Aequern, ſchloß Rom daher
auch nach cycliſchen Jahren Waffenſtillſtand: der welcher
im Jahr 323 auf acht Jahre (6⅔ buͤrgerliche) beſchworen
ward, endigte ſo mit dem Jahr 330: daher es auch den
Volskern nicht als Meineid vorgeworfen wird, daß ſie im
folgenden die Feindſeligkeiten erneuerten.
Das zehnmonatliche Jahr war die Friſt der Trauer:
der Auszahlung legirter Ausſteuer: des Credits beym
Verkauf von Fruͤchten, und hoͤchſt wahrſcheinlich aller
Darleihen, und Maaßſtab des aͤlteſten Zinsfußes.
Scaliger, der nur noch einen Schritt von dem Punkt
zuruͤckblieb wo er das Weſen dieſer Zeitrechnung ergrif-
fen haben wuͤrde, und vielleicht nur deswegen ſich durch
das Fremdartige abſchrecken ließ, weil er uͤber den Azte-
[204] kiſchen Kalender ſehr unvollkommne Nachrichten hatte;
er, vor deſſen Augen jedes mit Wiſſenſchaft begabte Volk
der Erde Licht uͤber die anderen ergoß; bemerkt ſelbſt, es
ſey allerdings ſonderbar, daß die Saturnalien und Ma-
tronalien, dieſe ſchoͤnen Feſte der alten Haͤuslichkeit, und
durch ihren Geiſt unzertrennlich verbunden, jene am Ende
des Decembers, dieſe am Anfange des Maͤrz gefeyert
worden waͤren.
Es waren cycliſche zehnmonatliche Jahre von de-
nen Ennius bis auf ſeine Zeit ungefaͤhr ſiebenhundert
zaͤhlte61), welches ihm Varro als einen argen Fehler
verweißt62). Aber ſiebenhundert cycliſche Jahre ſind
ungefaͤhr 583 buͤrgerliche, und im Jahr 582 ſchrieb der
Greis das letzte Buch ſeiner Annalen. Iſt die von New-
ton erwaͤhnte Angabe des Naͤvius, welche Roms Alter
dem Schein nach eben ſo hoch hinaufſetzt, nicht eine Ver-
wechſelung mit Ennius, wie hoͤchſt wahrſcheinlich anzu-
nehmen iſt, ſo wird ſie ſich wohl auf gleiche Weiſe
erklaͤren.
Zehn war Etruriens Grundzahl, als der dem Volk
zugeſprochenen Saͤculardauer: zwoͤlf aber Roms. Und
genau wie cycliſches und Mondſchaltjahr in der Zeit ver-
halten ſich im Maaß des Raums der Tuskiſche Vorſus
und der Roͤmiſche Fundus. Sogar fuͤr je zehn Roͤmer
welche die Tarquinienſer geopfert hatten ſcheinen jene (die
[205] Zahl iſt in den Handſchriften nicht geſund) zwoͤlf ge-
fangene Etrusker hingerichtet zu haben.
So wie nun jede Tagsangabe aus der Zeit vor der
Reformation des Kalenders nach der wahren Rechnung
einen ganz andern als den genannten Tag andeutet: ſo iſt
es auch mit der Zahl der verfloßnen Jahre wenn ein Staat
eine andre Zeitrechnung annimmt. Die roͤmiſchen Ar-
chaͤologen nahmen an, urſpruͤnglich waͤren die Jahre der
Stadt nach zehnmonatlichen berechnet worden: die mei-
ſten ſchrieben Numa zu, was ihnen die Einfuͤhrung eines
beſſern Kalenders ſchien. Daher ſcheint Cincius, wie nach
dieſer Vorausſetzung allerdings geſchehen mußte um die
Epoche der Stiftung Roms in Beziehung auf eine andre
Aera zu beſtimmen, die alten Jahre auf buͤrgerliche reducirt
zu haben. Rumas und Romulus Zeit wuͤrde allerdings
nur eine Differenz von 13 Jahren gewaͤhren. Aber Ju-
nius Gracchanus, ein vorzuͤglicher Alterthumsforſcher,
lehrte, jener Kalender ſey bis auf Tarquinius (Priſcus)
Zeit gebraucht geworden63). Nahm nun Cincius, ohne
ſich in der fabelhaften Dunkelheit muͤde zu tappen an, ein
Saͤculum von 132 cycliſchen Jahren waͤre fuͤr eine gleiche
Zahl buͤrgerlicher gerechnet worden, und zog er daher
22 Jahre von einer Aera ab, ſo iſt deren Anfang der Po-
lybiſchen gleich geweſen.
Anzunehmen Timaͤus ſey durch eben dieſe cycliſchen
Jahre getaͤuſcht geworden: er habe eine Angabe in die-
ſem Zeitmaaße, etwa 576 ſtatt 480, fuͤr Mondſchaltjahre
gehalten, und daher Roms Gruͤndung bedeutend uͤber
[206] die Olympiaden hinausgeſetzt, ſcheint darum nicht zu-
laͤſſig, weil er dann wieder 32 Jahre zu wenig zaͤhlt,
und eine ſchwankende Angabe von ihm viel eher als Kennt-
niß einer berechneten wahrſcheinlich iſt.
Die Koͤnige Tullus, Ancus und
L. Tarquinius.
Zu Rom, wie in den etruskiſchen Staͤdten, ward die
koͤnigliche Wuͤrde durch freye, von keinem Erbrecht be-
ſchraͤnkte Wahl, fuͤr das Leben uͤbertragen: an geſetzli-
cher Gewalt nicht maͤchtiger als die Dictatur, unter wel-
chem Nahmen die hoͤchſte Magiſtratur bey den Latinern
damals ſchon auf eine beſtimmte Dauer eingeſchraͤnkt ge-
weſen zu ſeyn ſcheint. Ausuͤbung dieſer Gewalt waͤhrend
des Lebens eines Mannes, welcher ſeinen Mitbuͤrgern der
hoͤchſten Wuͤrde faͤhig geſchienen hatte, verſtaͤrkte aller-
dings ihre Kraft uͤber das Maaß einer wechſelnden Magi-
ſtratur, und mußte, wenn ein ſolcher Fuͤrſt ſeine Soͤhne
zu reifen Maͤnnern heranwachſen ſah, zur Erblich-
keit fuͤhren.
Es heißt bey den Geſchichtſchreibern, das Volk habe
gewaͤhlt, und der Senat die Wahl beſtaͤtigt: der Nahme
Volk fuͤhrt hier irre, denn er erweckt die Vorſtellung
einer demokratiſchen Verſammlung. Dieſe haben die
Spaͤteren, von Dionyſius an, vorausgeſetzt; aber die
Nation, oder die Geſammtheit der ſtimmfaͤhigen Buͤr-
ger, war damals weit entfernt eine ſolche zu bilden.
Tullus Hoſtilius wird der Sohn des Hoſtus Hoſtilius
genannt, der im Sabinerkriege als Roͤmiſcher Anfuͤh-
[207] rer fiel64): ſo wenig achteten die, welche die alten Dich-
tungen zuerſt verzeichneten Jahre und Moͤglichkeit der
Zeit. Die Dichtung durfte uͤberſehen daß der kriegeri-
ſche Koͤnig an der Graͤnze des achtzigſten Jahrs den Thron
beſtiegen haben wuͤrde: vielmehr bildete ſie nach ihm fuͤr
die Erzaͤhlung des ſabiniſchen Kriegs einen roͤmiſchen Hel-
den als ſeinen Vater.
Wer hiſtoriſche Wahrheit, alſo auch Zuſammenhang,
in der Geſchichte des erſten roͤmiſchen Jahrhunderts ſucht,
muß es ganz unbegreiflich finden daß Alba im Augenblick
der Gruͤndung der Stadt gaͤnzlich verſchwindet. Weder
meldet die Sage etwas von Huͤlfe der Mutterſtadt in
Roms drohender Gefahr, noch wie Romulus, wenn das
Geſchlecht des Aeneas mit Numitor erloſch, von dieſem
Thron ausgeſchloſſen blieb. Hier beſtaͤtigt Reden und
Stillſchweigen welcher Art dasjenige iſt was uns Ge-
ſchichte genannt wird. Alba und Rom waren ſich voll-
kommen fremd; jene Stadt ſchon im Beſitz republikani-
ſcher Verfaſſung: dort gebot C. Cluilius als Dictator,
waͤhrend Tullus zu Rom herrſchte.
Der Krieg zwiſchen Rom und Alba, wenigſtens die
Vereinigung der Roͤmer und Albaner, iſt das aͤlteſte hi-
ſtoriſch unzweifelhafte dieſer Geſchichte. Aber nicht Ge-
ſchichte in eigentlicher Geſtalt; vielmehr ein vollkommenes
Heldenlied, an dem trockne Abkuͤrzung des Inhalts ſich
verſuͤndigen, und deſſen Nachbildung einen andern Gegen-
ſtaͤnden ſchuldigen Raum wegnehmen wuͤrde. Dieſe
[208] Dichtungen hat Livius mit aͤchtem Sinn und unnachahm-
lich fuͤr die Ewigkeit erhalten, wenn auch wir, frey vom
herrſchenden Geſchmack rhetoriſches Flimmers, Spuren
dieſes Verderbens in des alten Horatius Rede mit ſchmerz-
lichem Mißbehagen wahrnehmen.
Ich erinnere daher nur an die Liſt, womit der Roͤmi-
ſche Koͤnig den Schein auf Alba warf den Krieg verſchul-
det zu haben: an die Unſchluͤſſigkeit beyder Heere die ſich
lange gegenuͤber ſtanden ohne eine Schlacht zu wagen:
und an den Zweykampf der dreyfachen Bruͤder, welcher
uͤber Albas Schickſal entſchied. Fuͤr die kritiſche Pruͤfung
der Geſchichte iſt es ſehr merkwuͤrdig, daß die Sage
ſchwankte, ob es die Horatier oder die Curiatier waren,
welche Roms Sache verfochten: die Volksgunſt des Ho-
ratiſchen Geſchlechts ſcheint fuͤr jenen Nahmen entſchieden
zu haben. So ſchwankt die Sage immer zwiſchen den grade
entgegenſtehenden Punkten: ſo ſind in der nordiſchen Dich-
tung die Nibelungen Burgunder, Hagen iſt Chriemhilds
Bruder, und Brunhilds Heimat verlegt ſie an den Rhein.
Alba unterwarf ſich dem Joch des beſchwornen Buͤnd-
niſſes; aber es ertrug ſchmerzlich, was Entſcheidung des
Gluͤcks nicht der Nothwendigkeit zu ſeyn ſchien. Das
etruskiſche Fidenaͤ, fuͤnf Millien von Rom, vertheidigte
ſich gegen den Eroberer mit vejentiſcher Huͤlfe. Zu die-
ſem Krieg kam das Aufgebot der Albaner unter ihrem
Dictator Mettius65) Fuffetius, dem, nach der Sitte der
alten
[209] alten Voͤlker, die oberſte Gewalt, ſo wie die ganze Form
der Verfaſſung ungeaͤndert, geblieben war als die Hoheit
an ein andres Volk uͤberging: ſie wurden auf dem rechten
Fluͤgel des roͤmiſchen Heeres aufgeſtellt. Mettius, feig
und unſchluͤſſig, ſein Heil in Mittelwegen ſuchend, und
waͤhnend, er koͤnne dadurch, wenn ihm Gewinn verſagte,
wenigſtens der Gefahr entweichen und eine andre Zeit
erwarten, zog dieſen Fluͤgel waͤhrend der Schlacht rechts
gegen die Berge, daß die Flanke des roͤmiſchen Heeres
entbloͤßt ward, und den Fidenatern offen geſtanden haben
wuͤrde, wenn dieſe ſeinem unbegreiflichen Betragen ge-
traut und einen ſchnellen Angriff gewagt haͤtten. Aber
Mettius hielt die Albaner in einiger Entfernung als Zu-
ſchauer der Schlacht; daher Tullus durch Geiſtesgegen-
wart und Gluͤck den Seinigen und den Feinden den Glau-
ben erregen konnte, die Bewegung der Verbuͤndeten ſey
von ihm befohlen um die Fidenater zu uͤberfluͤgeln. So
ſiegten die Roͤmer, als ob ſie ungeſtoͤrt mit eigner Kraft
geſtritten haͤtten, und da die Schlacht entſchieden war
uͤbte der albaniſche Dictator neue Treuloſigkeit. Vor ihm
hin flohen die Geſchlagenen, die im Vertrauen auf ſein
Wort die Schlacht gewagt hatten, und er benutzte die
Stellung welche Rom verrathen ſollte, um die Niederlage
der Fidenater zu vollenden, damit huͤlfreicher Dienſt den
gefaͤhrlichen Schein ſeiner Handlungen vernichte. Daher
erkannte die allgemeine Stimme, ſeines Vaterlands wel-
ches er zu Grunde richtete, Fidenaͤs welches er verrieth,
und Roms welches er mit gemeiner Liſt hatte betruͤgen
wollen, das ſchreckliche Urtheil des erzuͤrnten Herrſchers
Erſter Theil. O
[210] gerecht, als er den Leib des Schuldigen durch beſpannte
Wagen zerreiſſen ließ. Alba aber ward uͤberraſcht: die
Einwohner nach Rom gefuͤhrt und der Coͤliſche Berg ihnen
zur Wohnung angewieſen: die Stadt voͤllig zerſtoͤrt.
Nach dem Voͤlkerrecht Italiens, welches in dieſem
Fall einer gaͤnzlichen Zerſtoͤrung auch Naturrecht geweſen
ſeyn wuͤrde, muͤßte das Eigenthum der Albaniſchen Feld-
mark an Rom uͤbergegangen ſeyn. Das aber erſcheint
mehr als zweifelhaft, vielmehr nicht Rom, ſondern die La-
tiner muͤſſen in ihrem Beſitz geweſen ſeyn, weil ſie hier, am
Quell der Ferentina, nahe an der Staͤtte wo Alba einſt
ſtand, ihre Landsgemeinden hielten 66). Ein ſehr auffal-
lender Umſtand, welcher, nicht weniger als daß Alba ganz
allein und ohne Huͤlfe von den dreyßig latiniſchen Staͤdten
den Krieg gegen Rom fuͤhrt, die Vermuthung erregt daß
eine ganz andre hiſtoriſche Wahrheit im Grund der Erzaͤh-
lung liegt: daß Alba von den Latinern und nicht von Rom
zerſtoͤrt iſt, und die Albaner welche ſich nach Rom wand-
ten dort als Fluͤchtlinge Aufnahme gefunden haben.
Damals waren die Sabiner, von denen ſogar die
Samniter vielleicht noch nicht abgeſondert waren, das
maͤchtigſte Volk in ganz Italien nach den Etruskern. Tul-
lus bekriegte ſie mit Gluͤck, bis der Zorn der Goͤtter uͤber die
Verſaͤumniß ihres Dienſtes und den Untergang der Froͤm-
migkeit die Numa gelehrt hatte, durch Steinregen, Peſt
und Seuchen kund ward. Des Koͤnigs Gewiſſen erwachte,
und trieb ihn peinigend in aͤngſtlichen Aberglauben. Da
[211] die Goͤtter ihm ſtumm blieben und durch kein Zeichen die
Mittel der Suͤhne andeuten wollten, ſuchte er ſie durch
Numas geheimnißvolle Caͤremonien am Altar des Jupiter
Elicius zu einer Antwort zu bannen: aber ein Verſehen
bey dieſen gefaͤhrlichen Beſchwoͤrungen, oder der Zorn des
Gottes zog einen Blitzſtrahl herab der ihn erſchlug. Die
Flamme verzehrte den Leichnam mit dem Hauſe des Koͤ-
nigs und allen den Seinigen. Ihm werden zwey und
dreyßig Jahre Regierung zugeſchrieben, ſo daß, nach Fa-
bius Chronologie, mit ſeinem Tode genau die erſte Haͤlfte
der koͤniglichen Zeit verfloſſen war.
Ancus Marcius, von dem das plebejiſche Geſchlecht
der Marcier abzuſtammen ſich ruͤhmte, ward Numas
Tochterſohn von der Sage genannt, welche ſo bis auf ihn
den Wechſel roͤmiſcher und ſabiniſcher Koͤnige fortfuͤhrt;
und wenn uns die Urroͤmer fuͤr Etrusker gelten duͤrfen,
bis auf den erſten Tarquinius. Er hat in den alten Dich-
tungen den Beynahmen des Guten getragen. Frey er-
waͤhlt von der Nation trug er Sorge die verſaͤumte Reli-
gion herzuſtellen ohne dem Krieg zu entſagen, deſſen Rom
bedurfte. Er ſoll das Caͤremonialgeſetz, ſo weit es allge-
mein bekannt ſeyn mußte, auf Tafeln geſchrieben aus-
geſtellt haben.
Die Latiner welche an beyden Seiten des Anio, in
einem Halbkreis, deſſen Sehne die Tiber bildete, um
Rom wohnten, zaͤhlten Rom nicht unter die Staͤdte ihres
Bundes, in den doch ſpaͤter ihre und Roms gemeinſchaft-
liche Colonieen durch ihre Gruͤndung ſelbſt eintraten: nach
Albas Fall begannen die latiniſchen Kriege. Livius weiß
O 2
[212] nichts von dem welcher unter Tullus einem erſten geſchloſ-
ſenen Vertrage zuvorgegangen ſeyn ſoll, ſo wenig als da-
von daß Rom, als die Albaniſche Nation in ſich begrei-
fend, Anſpruͤche auf eine Oberherrſchaft-gemacht habe
welche Alba wohl nur zugeſchrieben iſt um den Faden
troiſcher Abſtammung durch alle latiniſche Staͤdte, als
Colonieen Albas, zu ziehen.
Jener Vertrag des Tullus war, nach einer aus Varro
erhaltenen, ſehr umſtaͤndlichen und hiſtoriſch geſtalteten
Erzaͤhlung 67) ein Waffenbuͤndniß, nicht mit den Lati-
nern allein, ſondern auch mit den Hernikern: denn die
Feldherren werden genannt, welche von Anagnia wie von
Tuſculum verbuͤndete Truppen nach Rom fuͤhrten und die
Stadt deckten waͤhrend Tullus Veji belagerte: ein Krieg
der mit dem Fidenatiſchen verbunden iſt gerade wie in
der Geſchichte von Romulus: den Livius hier uͤbergeht,
aber doch in der Zahl der Vejenterkriege mitzuzaͤhlen
ſcheint 68).
Ancus fuͤhrte den latiniſchen Krieg ſiegreich. Meh-
rere Staͤdte welche, wie es ſcheint, noͤrdlich vom Anio la-
gen, und aͤlter als Alba waren, wurden eingenommen,
und ihre Buͤrger nach Rom verſetzt, wo ſie den Aventi-
nus, und das Thal zwiſchen dieſem Huͤgel und dem Pala-
tinus bebauten. So loſe waren die Verbuͤndungen alter
Voͤlker daß Rom dieſe Unternehmungen ausfuͤhren konnte
ohne Gefahr zu laufen daß ſeine ſchwachen Waͤlle von
den uͤbrigen Latinern angegriffen wuͤrden, waͤhrend das
[213] Heer im Felde ſtand. Erſt die Gefahr von Medullia ver-
ſammelte ein Bundesheer, uͤber welches Ancus einen
lange beſtrittenen großen Sieg gewann, und eine ſehr
große Menge Latiner nach Rom wegfuͤhrte. Auch gegen
Veji machte dieſer Koͤnig Eroberungen, und eroͤffnete Rom
den Ausfluß der Tiber, wo er Oſtia gruͤndete, die aͤlteſte
Colonie Roms: denn die romuliſchen Colonieen Fidenaͤ,
Cruſtumerium, Medullia ſelbſt, koͤnnen nicht als hiſto-
riſch eingeraͤumt werden, da alle dieſe Staͤdte Rom feindlich
ſind. Oſtia, nicht latiniſch, war der Hafen der Stadt:
die Muͤndung der Tiber war damals durch keine Sandbank
geſperrt, und betraͤchtliche Seeſchiffe konnten in einen
Strohm einlaufen, der jetzt, noch mehr als alle uͤbrige
Fluͤſſe die ſich in das Mittelmeer ergießen, ſein Bett ver-
ſandet und ſeine Muͤndung unzugaͤnglich gemacht hat.
Auch baute Ancus die erſte Bruͤcke uͤber die Tiber, und
ſchuͤtzte ſie gegen Etrurien durch eine Schanze auf dem
Janiculum: auf der andern Seite die neu bebauten Ge-
genden durch den Graben der Quiriten.
In Caͤſars Zeitalter, da Millionen das Buͤrgerrecht
gewonnen hatten, erregte es Erſtaunen und Verdruß, als
der erſte außer den Graͤnzen Italiens Gebohrne zum Con-
ſulat gelangte. Die koͤnigliche Wuͤrde war kein Eigen-
thum der Eingebohrnen. Als Ancus nach vier und zwan-
zigjaͤhriger Regierung ſtarb, bewarb ſich L. Tarquinius
mit zuverſichtlicher Hoffnung des Erfolgs um die Krone,
welche die Curien verliehen, der Senat beſtaͤtigte. Er
wird der Sohn eines ausgewanderten Korinthiers Dema-
ratus genannt, aus dem Geſchlecht der Bakchiaden, der
[214] vor Kypſelus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er
ſchon als ſeefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver-
band er ſich mit einer Etruskerinn, und gab den Soͤhnen
die ihm gebohren wurden mit einheimiſchen Nahmen ein-
heimiſche Erziehung. Aber den Fremden, falls ſie auch
das Buͤrgerrecht erhielten, war doch jede Ausſicht des
Ehrgeizes verſchloſſen. Lucumo, durch fruͤheren Tod
Aruns, des aͤlteren, einziger Erbe des großen Reichthums,
fand dies unertraͤglich, und nahm, ermuntert von ſeinem
Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las,
den Entſchluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium
gab ihr, ehe ſie Rom betraten die Zuverſicht daß ſie das
hoͤchſte hoffen duͤrften. Als ſie vom Janiculum herab zur
Tiber fuhren, ließ ſich ein Adler herab, ergriff den Hut
des Lucumo, entfuͤhrte ihn mit ſich in die Hoͤhe, ſenkte
ſich dann wieder herab und ſetzte den Hut als Krone auf
ſein Haupt. Mit dieſer Zuverſicht galt dem Fremden ſein
Reichthum nicht als ein zu ſchonender Beſitz, ſondern nur
als Mittel zur hoͤchſten Macht und Groͤße. Ancus ertheilte
ihm das Buͤrgerrecht, damals den Wenigen die es wuͤn-
ſchen mochten leicht geſchenkt, weil es Tauſenden aufge-
drungen ward. Cr nannte ſich Lucius Tarquinius: die
Spaͤteren haben ihm den Beynahmen Priſcus gegeben,
um ihn von dem Tyrannen ſeinem Enkel zu unterſcheiden,
nicht er ſelbſt kann ſich ſo genannt haben, wie es Livius
erzaͤhlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch
Klugheit und Muth die Gunſt und das ganze Vertrauen
des Koͤnigs; die Nation durch Freygebigkeit und große
Eigenſchaften. Ancus, der ſeinen Soͤhnen den Thron
[215] nicht erblich hinterlaſſen konnte, und, da ſie ſehr jung wa-
ren, ſein Andenken nur dann als Huͤlfsmittel ihn in reife-
ren Jahren zu erlangen, wenn ſie wuͤrdig gefunden wuͤr-
den um ihn zu werben, vertraute ihm der Knaben Vor-
mundſchaft.
So iſt die griechiſche Abſtammung der Tarquinier vor
Polybius Zeit erzaͤhlt geworden, weil er ſie ohne einen
Zweifel annahm 69). Aber dawider gilt der Beweis der
Nichtigkeit alles zu viel erweiſenden. Es mag als ſpaͤtere
Verfaͤlſchung einer urſpruͤnglichen allerdings moͤglichen
Erzaͤhlung gelten, daß der Ankunft des Demaratus von
den Griechen nicht nur die Einfuͤhrung der bildenden
Kuͤnſte, ſondern auch der Schrift in Etrurien zugeſchrie-
ben wird 70), obwohl eine ſolche Erdichtung leicht vom
Anfang an in der groͤßten Ausdehnung beſteht. Den ein-
heimiſchen roͤmiſchen Annalen muß man Kenntniß von der
Geſchichte Korinths ſchlechthin abſprechen, die uͤber grie-
chiſche Geſchichte ſo unwiſſend ſind, daß ſie Dionyſius fuͤr
einen Zeitgenoſſen Coriolans halten, und mit entgegenge-
ſetztem Irrthum waͤhnen, im Jahr 323 haͤtten Karthagi-
nienſiſche Heere Sicilien zum erſtenmale betreten 71).
Alſo iſt die Erzaͤhlung gewiß griechiſches Urſprungs: daß
Etruriens Kultur von dem Korinthier ausgegangen ſey,
war das urſpruͤngliche; um den Roͤmern zu ſchmeicheln
ward der Lucumo welcher Roms Thron gewann ſein Sohn
genannt. Die Vermaͤhlung eines landfluͤchtigen Griechen
[216] mit einer Etruskerin ſcheint aber ſo unglaublich wie daß
ſein Sohn Lucumo genannt werden konnte, welches nie
ein andrer als ein Standesnahme geweſen iſt. Weit
wahrſcheinlicher iſt es daß Tarquinius ein reinetruskiſcher
Großer war, welcher mit einer Menge Clienten nach
Rom zog.
Die Gunſt des Volks erhob L. Tarquinius mit großer
Einſtimmigkeit zur Koͤnigswuͤrde, und ſeine Regierung
ließ die welchen die Groͤße des Staats das Erſte war des
Fremden Wahl nie bereuen. Unter ihm wuchs Rom au-
ßerordentlich an Macht und Glanz. Er trocknete das Fo-
rum und andre tiefliegende ſumpfige Thaͤler durch die gro-
ßen Gewoͤlbe aus die das Waſſer von der Hoͤhe in die
Tiber fuͤhren, ein Werk welches im auguſteiſchen Zeitalter
als unnachahmlich bewundert ward.
Das Forum, als es ſo ein trocknes Feld geworden
war, richtete er an zu den Volksverſammlungen; und
verlieh Bauluſtigen rund umher vermeſſene Plaͤtze um Laͤ-
den unter Hallen zu bauen, wie im Morgenlande die Bu-
den der Kaufleute und Handwerker die oͤffentlichen Plaͤtze
einſchließen. Tarquinius uͤbrige Werke waren nicht min-
der etruskiſch groß als die Cloaken, aber ſie wurden auch
durch etruskiſchen Frohn aufgefuͤhrt. Er umgab Rom in
ſeinem damals ſchon ſehr erweitertem Umfang mit einer
Mauer von Bruchſteinen, ohne Zweifel im großen etruski-
ſchen Styl: er bereitete den Bau des Capitoliums, indem
er die Flaͤche des Huͤgels ebnete, und ſeinen Umfang mit
ungeheuern Subſtructionen zur Aufnahme eines regelmaͤ-
ßigen Tempels zurichtete. Die Schaͤtze welche ſo große
[217] und koſtbare Werke forderten, wenn auch durch froͤhnende
Haͤnde aufgefuͤhrt, fand er in der Beute ſeiner gluͤcklichen
Kriege gegen die Sabiner und Latiner, und in der dauern-
den Einnahme von den ihnen entriſſenen Feldmarken.
Die Sabiner waren mit einem großen Heer uͤber den Anio
gegangen: Tarquinius zerſtoͤrte ihre Bruͤcken durch bren-
nende Floͤſſe, und wenige entkamen. Ein zweyter Sieg
zwang ſie um Frieden zu bitten, und die Frucht des Kriegs
war der Beſitz von Collatia. Den Krieg gegen die Latiner
erneuerte er, oder ſetzte ihn mit groͤßerer Kraft und groͤße-
rem Erfolg fort. Er eroberte viele von ihren Staͤdten 72),
die alle zwiſchen dem Tiber, dem Anio und dem Sabiner-
lande lagen. Es iſt unbegreiflich wie, ſo lange dieſe
Staͤdte im Beſitz der Unabhaͤngigkeit Rom von den Sabi-
nern trennten, Krieg zwiſchen beyden Voͤlkern entſtehen,
oder wie ſie ſich im Kriege erreichen konnten wenn dieſe
noͤrdlichen Latiner neutral blieben. Mit den uͤbrigen
Staͤdten ſchloß Tarquinius darauf Frieden und Vertrag.
Seitdem iſt nie mehr die Rede von Latinern noͤrdlich vom
Anio, außer den Tiburtern und Nomentum; alſo blieb
wohl die ganze eroberte Landſchaft Roms Eigenthum, und
dies war die erſte bedeutende Erweiterung der Domainen.
Außer dieſen Kriegen erzaͤhlt Dionyſius ausfuͤhrlich,
wie der Koͤnig das ganze Etrurien ſuͤdlich vom Apenninus
durch einen vieljaͤhrigen, von den Vejentern begonnenen
[218] Krieg bezwungen habe, und ihm und den Roͤmern von
allen zwoͤlf Staͤdten die oberſte Hoheit uͤbertragen worden
ſey. Ein Gleiches erzaͤhlt er von den Sabinern. Livius
hingegen ſchweigt ganz von dieſer angeblichen gewaltigen
Macht Roms in jener alten Zeit: und der Vejentiſche
Waffenſtillſtand, welcher unter Servius Tullius abgelau-
fen war, iſt, nach Livius Sinn als er das erſte Buch
ſchrieb, der des Romulus, obgleich es gegen die Zeitrech-
nung ſtreitet. Unter den Roͤmiſchen Schriftſtellern ſcheut
ſich Florus allein vor der ſichtbaren Fabel nicht. Ob ſie alte
Verherrlichung uͤber alles Glaubliche hinaus im Gedicht,
oder ob ſie ſpaͤte Verfaͤlſchung iſt, laͤßt ſich bey dieſem
Stillſchweigen nicht errathen.
Auf dieſen Krieg bezieht Dionyſius daß Tarquinius
die etruskiſchen Inſignien der Koͤnigswuͤrde, dargeboten
von der beſiegten Nation, angenommen habe. Andere er-
zaͤhlen es von Tullus: nach Livius hat Romulus bey der
erſten Anordnung des Staats die koͤnigliche Wuͤrde damit
ausgezeichnet; und dieſes, daß Rom auch hierin vom An-
beginn etruskiſche Sitte beobachtete, iſt das glaublichſte.
In der Pracht dieſes koͤniglichen Schmucks ſoll Tarquinius
wegen des Sabinerkriegs den erſten Triumph gefuͤhrt ha-
ben; auch dieſe Feyer kam aus Etrurien und wird auf ih-
ren Denkmaͤhlern dargeſtellt.
Eben ſo waren die Schauſpiele etruskiſch, mit denen
der Koͤnig das hartdienende Volk troͤſtete. Von den Wett-
ſpielen welche die Griechen zu Olympia verſammelten, wa-
ren nur Wagenrennen und Fauſtkampf bey den Etruskern
gebraͤuchlich. An dem Schauſpiel ergoͤtzten ſich die Itali-
[219] ſchen Voͤlker, aber der Wettkampf war die Sache Gedun-
gener oder Leibeigner; der Freye welcher ſie uͤbte, anſtatt
durch Statuen und Lieder verherrlicht der Stolz der Sei-
nigen zu ſeyn, ward ehrlos und rechtlos. Der Wett-
kaͤmpfer und der Schauſpieler waren nicht hoͤher geachtet
als der Gladiator. An allen Schauſpielen hingen die Roͤ-
mer vielleicht mit eben ſo heftiger Luſt als die Griechen:
aber dieſe ehrten den Gegenſtand ihrer Leidenſchaft, und
mit dieſem Gefuͤhl haͤtten jene ſich nie zu der wilden Wuth
verirren koͤnnen womit die Factionen der Wettfuhren ſchon
fruͤh fuͤr ihre veraͤchtlichen Lieblinge raſeten. Tarquinius
ließ die Rennbahn des Circus ebnen, und wieß um ſie her
den Senatoren, den Rittern und jeder Curie Plaͤtze an,
wo ſie ſich bewegliche hoͤlzerne Schaugeruͤſte aufrichte-
ten 73). Die Spiele welche er angeſtellt hatte dauerten
jaͤhrlich fort unter dem Nahmen der Roͤmiſchen oder
Großen.
Roms aͤlteſte Verfaſſung, und wie Tar-
quinius der Alte ſie aͤnderte.
Die Abſonderung, nicht nur der Senatoren ſondern
auch der Ritter, vom Volk bey den Schauſpielen des Cir-
cus, befremdet wenn man annimmt die Ritter haͤtten
wirklich erſt ſeit den Gracchiſchen Zeiten einen eigenthuͤmli-
chen Stand gebildet, und die ausgezeichneten Sitze welche
ihnen im Theater angewieſen wurden, waͤren ein Triumph
des Geldſtolzes geweſen der die Stelle des alten Adelſtol-
zes einnahm. Das letzte war allerdings eine Neuerung,
[220] weil die griechiſchen Theaterſchauſpiele erſt in einem Zeit-
alter eingefuͤhrt wurden, worin die Democratie vor-
herrſchte; und die alte Ordnung des Circus hier vielleicht
um ſo weniger angewandt ward, weil, wie es ſich nicht be-
zweifeln laͤßt, anfaͤnglich die hoͤheren Staͤnde am feſteſten
an den alten Sitten hielten, und die Neuerung gleichguͤltig
behandelten. Jenes aber iſt in dem Sinn allerdings richtig,
daß der Begriff des Ritterſtandes im ſiebenten Jahrhun-
dert weit verſchieden von demjenigen der aͤlteſten Zeit war:
aber einen abgeſonderten Stand kann man in den Rittern
ſo wenig in der alten Zeit der Republik als unter den Koͤ-
nigen verkennen. Es war eine Form welche Rom mit der
eigenthuͤmlichen Lebendigkeit ſeiner Verfaſſung, ohne ihr
Weſen aufzugeben, jedem Zeitalter kunſtlos und durch
freye Entwicklung gerecht machte, ſo daß der Begriff und
die Eigenthuͤmlichkeit des Ritterſtands, und ſein Sinn
ſich nirgends im Verlauf der vielen Jahrhunderte durch
einen Sprung veraͤndert findet, und immer der Freyheit
wohlthaͤtig war.
Dionyſius und Livius waͤhnen die aͤlteſte Verfaſſung
Roms, welche allerdings Republik unter einem Wahlfuͤr-
ſten war, ſey voͤllig demokratiſch geweſen, und die
Stimme jedes Buͤrgers haͤtte in der Verſannnlung gleich
gegolten 74). Von jenem iſt dies um ſo auffallender, da
er fruͤher die Verfaſſung nach Romulus Geſetzen ſtreng
ariſtocratiſch ſchildert 75), und kaum eine Volksgemeinde
[221] bey dieſer Form gedacht werden kann. Es iſt aber ein ge-
woͤhnlicher Trugſchluß, weil die Oligarchie wenn ſie im
Kampfe mit dem Volke die Oberhand gewinnt, fortſchrei-
tend uſurpirt, und, weil ſich bey einigen Nationen die
ihre Unabhaͤngigkeit behauptet haben Gleichheit zu finden
ſcheint, ſo ſey die urſpruͤngliche Verfaſſung allenthalben
democratiſch geweſen. Allerdings iſt es bey wenigen frey
und rein erhaltnen Urvoͤlkern in ſofern wahr, daß unter
ihnen die Knechtſchaft ſtets fremd geblieben iſt, und daß
ihre Edlen nur die erſte Klaſſe der Freyen waren. Adel
aber galt auch da, wo die Nation vielleicht nie in Caſten
eingetheilt geweſen iſt. Wo Voͤlkerwandrung und Erobe-
rung die Staͤmme gemiſcht haben, beſteht auch von dem
Augenblick der Eroberung ein unterthaͤniger Stand. Die
Leibeigenſchaft hat, zum Verderben der Nation, auch die
freyen Bauern durch die ſchnoͤdeſte Uſurpation ergriffen,
weil ſie gemiſcht unter den Beſiegten wohnten: aber durch
Eroberung hat ſie in ganz Deutſchland, allein mit Aus-
nahme der frieſiſchen Voͤlker, ſeit anderthalbtauſend Jah-
ren beſtanden.
In den freyen Staaten des Alterthums wurden die
Staͤnde der Buͤrger, als der Caſtenunterſchied anfing ver-
geſſen zu werden, anfaͤnglich nach den Waffen eingetheilt
mit denen ſie ſich zum Krieg ausruͤſteten; dieſe Einthei-
lung entſprach den Klaſſen ihres Vermoͤgens. Der Reiche
konnte ein Pferd ſtellen; der Wohlhabende eine vollſtaͤn-
dige ſchwere Ruͤſtung anſchaffen; die Waffen und die Ruͤ-
ſtung leichter Truppen waren auch fuͤr den ſehr wenig be-
mittelten freyen Buͤrger nicht zu koſtbar. Den Tageloͤh-
[222] ner und jeden den keine Art Eigenthum an den Staat band
ſchloß das Geſetz von der Bewaffnung aus: denn, wie
Ariſtoteles ſagt, die Souverainetaͤt iſt bey dem der die
Waffen in den Haͤnden hat: bey dem Tyrannen, wenn
die Kriegsmacht aus fremden Soͤldnern beſteht. Als die
koͤnigliche Wuͤrde bey den Griechen allmaͤhlich aufhoͤrte,
kam die Klaſſe der reichern Grundbeſitzer (die γεωμόϱοι)
in den vollen Beſitz der Regierung, die ſie ſchon fruͤher
mit den Koͤnigen theilten: und wie urſpruͤnglich edle Ab-
kunft mit Landbeſitz ſo verbunden war daß die einzelnen
Faͤlle in denen eines von dem andern geſondert da ſeyn
mochte kaum Ausnahmen machten, ſo ward jetzt Landbe-
ſitz, erſt ſpaͤter andres Vermoͤgen, das entſcheidende Cri-
terium fuͤr den Genuß der Rechte dieſer Klaſſe: hieraus
entſtand der Cenſus (τίμησις), der in einigen Griechi-
ſchen Staaten jaͤhrlich, in andern um das zweyte oder um
das fuͤnfte Jahr abgehalten ward. Jene erſte Klaſſe, die
ſich eigentlich ganz ausſchließlich im Beſitz der Regierung
befand, bis um Solons Zeit in allen altgriechiſchen
Staaten ſich darin erhalten hatte, und in vielen bis
zur Macedoniſchen darin blieb, waren die ἱππεῖς, oder
equites, die gewoͤhnlich mit eignen Pferden dienten:
es war die erſte Ausdehnung des vollen Buͤrger-
rechts, daß die Hopliten oder Schwerbewaffneten eben-
falls dazu gelangten. Wir ſind verlegen, jenen Nah-
men mit einem deutſchen Wort auszudruͤcken: doch iſt
fuͤr den urſpruͤnglichen Sinn Ritter mit weniger fal-
ſchen Nebenideen verbunden als das gemeine Wort
Reuter. Dieſe Klaſſe als Stand finden wir nicht nur
[223] in Rom, ſondern auch in Capua 76). Und ſo war es
auch in Rom keine Einſchraͤnkung der Rechte der großen
Volkszahl, daß Servius Tullius den Cenſus einfuͤhrte;
keine Beſchraͤnkung der Democratie, wie Livius, dieſer
Verfaſſung abhold in deren Mißbrauch die Republik un-
tergegangen war, urtheilt; ſondern vielmehr, eben wie
Solons Verfaſſung, ein Uebergang aus der ſtrengen Ari-
ſtocratie zur gemiſchten Politie.
Als einen erſten Schritt zu dieſem Uebergang muß
man es, glaube ich, betrachten, daß L. Tarquinius die
Romuliſchen drey Rittercenturien, oder die drey ur-
ſpruͤnglichen Staͤmme mit eben ſo vielen vermehren wollte,
und wenn er gleich dem Widerſtand in Hinſicht der Form
nachgeben mußte, doch in der That ſeine Abſicht erreichte.
Schon hatte er durch die Aufnahme der minderen Ge-
ſchlechter unter die Patricier die etruskiſche Verfaſſung
außerordentlich geaͤndert.
Die urſpruͤngliche Eintheilung der Tities, Ramnes
und Luceres wird von den alten Schriftſtellern theils fuͤr
Tribus der ganzen Nation, theils fuͤr Centurien der Rit-
ter allein genommen 77). In jenem Sinn werden ihnen
die Curien untergeordnet, zehn auf jede Tribus, ſo wie
[224] jede Curie in zehn Decurien getheilt iſt 78): in dem letz-
ten muͤſſen beyde Eintheilungen neben einander gedacht
werden. Die Neuerung des Koͤnigs Tarquinius wird all-
gemein auf die Ritter bezogen 79), aber dann muͤſſen dem
Weſen nach die urſpruͤnglichen Tribus nur ſie enthalten
haben, und nichts als Centurien geweſen ſeyn, da auch
bezeugt wird daß jene verdoppelt waren, und jede durch
eine Veſtalin vertreten ward; auch wohl bis zum Deci-
ſchen Geſetz durch einen Augur 80).
Die guͤltigſten Zeugen ſcheinen fuͤr den weiteren Um-
fang jener alten Staͤmme zu entſcheiden; welches keines-
wegs die Bezeichnung der Rittercenturien durch dieſelben
Nahmen ausſchließt. Die Curien koͤnnen nicht neben und
unabhaͤngig von den alten Staͤmmen beſtanden haben;
denn es iſt gewiß daß die Patricier in jenen ſtimmten.
Dem widerſpricht es aber gar nicht, wenn dieſe Centu-
rien unter dem Nahmen ihrer Staͤmme bildeten, welche
auch allein fuͤr die Staͤmme gegolten haben, weil ſie ur-
ſpruͤnglich allein das Stimmrecht ausuͤbten.
Die gewoͤhnliche Meinung des ſpaͤteren Roms erklaͤrte
die raͤthſelhaften Nahmen der Staͤmme durch den gemiſch-
ten Urſprung der Nation, aus Latinern, Sabinern und
Etruskern, oder, ſtatt dieſer, Ardeaten oder andern
Fremden
[225] Fremden 81). Volumnius aber verwarf dies als eitle
Deutungen, weil es tuskiſche Worte waͤren 82), ein Ur-
theil welches als entſcheidend gelten muß, weil er dieſer
Sprache maͤchtig war, und ſie ſchrieb. Waren es aber
tuskiſche Worte, ſo waren es auch wohl Nahmen von
Staͤmmen, in der ganzen Nation gebraͤuchlich, und der
Nahme der Luceres erinnert hoͤchſt wahrſcheinlich nicht
bloß durch den Schall an die Lucumonen Etruriens 83).
Daß ſie der Ordnung nach als die dritten aufgefuͤhrt wer-
den widerlegt dieſes mit nichten, denn nach der Erklaͤrung
durch die Abſtammung von den verſchiedenen Grundvoͤl-
kern mußten die Staͤmme welche auf Romulus und Tatius
zuruͤckgefuͤhrt wurden, zuerſt geſtellt werden.
Das roͤmiſche Patriciat traͤgt vollkommen das Ge-
praͤge einer ſcharf abgeſonderten Caſte, vorzuͤglich weil die
Heirathen mit Plebejern urſpruͤnglich ungeſetzlich waren.
Die Caſteneintheilung war in der alten Welt weit verbrei-
tet, außer Indien und Aegypten, in Perſien, wie es
ſcheint auch in Babylonien, und unverkennbar bey den
Erſter Theil. P
[226] aͤlteſten Griechen. Die Jonier zaͤhlten vier Staͤmme, wie
die Geſetzgebung des Dgiamſchid, Prieſter, Krieger,
Bauern und Hirten; welches aus ihren Nahmen klar iſt
die ſich mit der Eintheilung, obgleich in ganz veraͤnder-
tem Sinn in den Pflanzvoͤlkern erhielten als Kliſthenes ſie
zu Athen abgeſchafft hatte. Unter den roͤmiſchen Patri-
ciern ſelbſt aber findet ſich ein Unterſchied, die groͤßeren
und die minderen Geſchlechter, deren Aufnahme von eini-
gen den: alten Tarquinius, von andern, gegen alle Wahr-
ſcheinlichkeit, L. Brutus zugeſchrieben wird 84).
Die alte geſetzliche Zahl der Senatoren, am Anfang
der Republik, war dreyhundert 85). Dieſe entſpricht den
Abtheilungen der Curien, ſo daß jede Decurie des Senats
eine Curie, jeder Senator eine Decurie der Nation ver-
tritt. Die Repraͤſentation der Curien erkennt Dionyſius,
aber er folgt der alltaͤglichen zuverlaͤſſig thoͤrichten Mei-
nung daß der Adel des Patriciats durch den erſten Koͤnig
eingeſetzt worden ſey, indem er die vorzuͤglichſten Maͤnner
als Patricier ausgeſucht habe: und er ſetzt voraus daß alle
Curien repraͤſentirt geworden waͤren, als der Senat nur
noch hundert Vaͤter zaͤhlte: daher bringt er die widerſtre-
benden Zahlen, dreyßig und hundert, auf eine hoͤchſt ge-
zwungene Weiſe in Uebereinſtimmung 86). Viel einfacher
iſt es, und ganz uͤbereinſtimmend mit der ſteigenden Ver-
mehrung der Zahl des Senats, und der Veraͤnderung
Tarquinius des alten, anzunehmen, daß urſpruͤnglich
[227] nur eine Tribus, die Luceres, oder die Prieſter, im Se-
nat repraͤſentirt waren, daß dann eine zweyte Caſte,
wahrſcheinlich die Ramnes, welche alſo die Krieger gewe-
ſen waͤren, daſſelbe Vorrecht gewann; und zuletzt, durch
Tarquinius, die dritte, vermuthlich die Tities, deren
Nahmen den dritten Stand bezeichnen moͤchte 87), wenn
man annehmen kann, daß auch die etruskiſche Sprache
die Zahl drey durch den faſt allgemein herrſchenden Laut
bezeichnete. Alsdann war jede Tribus durch hundert Se-
natoren repraͤſentirt, wie zu Athen vor Kliſthenes, und
das war die Aufnahme in das Patriciat, daß den Ge-
ſchlechtern eines Stamms dieſe Repraͤſentation verliehen
ward: darum aber hießen die der zuletzt aufgenommenen
Tribus mindere Geſchlechter, weil ſie urſpruͤnglich an
Rang und Wuͤrde denen der beyden erſten weit nachſtan-
den. Durch welchen Koͤnig der Senat auf zweyhundert
vermehrt, oder das Patriciat auf die zweyte Tribus aus-
gedehnt war, daruͤber weichen die alten Sagen ab: die
letzte Erweiterung kann nicht ſpaͤter als Tarquinius Pris-
cus angenommen werden, weil die Nachrichten von Ser-
vius Tullius Geſetzgebung ſchon weit hiſtoriſcher ſind;
Tarquinius ſchon uͤber dieſes Ziel hinausging: Ser-
vius aber die alte Verfaſſung noch weit bedeutender
aͤnderte.
P 2
[228]
Dieſe Vermuthung ſcheint eine ſehr hohe Wahr-
ſcheinlichkeit zu haben: ich wuͤnſchte ſie den folgenden
Anſichten nicht weniger geben zu koͤnnen.
Die Zahl der patriciſchen Geſchlechter welche wir aus
den Faſten kennen iſt nicht bedeutend groß: aber das Con-
ſulat war zuverlaͤſſig auch nur einer kleinen Zahl von ihnen
zugaͤnglich, wenn gleich alle dazu befugt waren. In je-
der Ariſtocratie glaͤnzen und herrſchen nur wenige Fami-
lien, eine ungleich groͤßere Zahl bleibt arm und dunkel:
ſo in Venedig. Dieſe ſterben unbemerkt aus, oder ſie ver-
lieren ſich unter dem Volk, wie der Adel in Ditmarſchen
und Norwegen: auch freywillig entſagten roͤmiſche Fami-
lien dem Patriciat und gingen zum Volk uͤber 88): bey
andern geſchah es durch Mißheirathen, ehe das Connu-
bium zwiſchen beyden Staͤnden durch das Canulejiſche Ge-
ſetz beſtimmt war. Solche patriciſche Geſchlechter, welche
in den Faſten nie vorkommen, ſind die Gens Racilia und
Tarquitia 89). Aus Nahmen der Veſtalinnen von Ge-
ſchlechtern die nicht als patriciſch in den Faſten vorkom-
men laͤßt ſich nicht mit gleicher Sicherheit folgern, weil
[229] auch die neuen Tribus des Tarquinius ihre gottgeweihten
Jungfrauen hatten 90).
Wie die Curien in den alten Tribus enthalten waren,
muͤſſen die Gentes in den Curien enthalten geweſen ſeyn.
Die Curien waren durch gemeinſchaftliche Opfer und Hei-
lightuͤmer verbunden; eben ſo die Gentes. So theilten
ſich die aͤlteſten Phylaͤ Athens in Phratriaͤ oder Trittyes,
und jede Phratria in eine beſtimmte Anzahl Genea oder
Geſchlechter: dieſe, wie die Phratriaͤ, wurden vornaͤmlich
durch ihre gemeinſamen Heiligthuͤmer verbunden. So
entſchieden ich nun auch den griechiſchen Urſprung der
Etrusker, oder daß ſie durch griechiſche Einwirkung ihre
Grundgeſetze gebildet haͤtten laͤugne, ſo iſt dennoch eine
Analogie, die, in einem viel weiteren Umfang von einer
aͤlteren Zeit ausgeht, von dem was hier bey einem Volke
hiſtoriſch gewiß iſt, auf das andre anwendbar.
Julius Pollux, welcher ſeine fuͤr uns unſchaͤtzbaren
Nachrichten uͤber die athenienſiſche Verfaſſung und ihre ver-
aͤuderten Geſtalten aus Ariſtoteles Darſtellung dieſer Ver-
faſſung entnommen hat, ſagt: Als die Staͤmme vier wa-
ren, theilte ſich jede in drey Phratriaͤ; und jede Phratria
begriff dreyßig Geſchlechter. Die zu einem Genos gehoͤr-
ten, wurden Geneten genannt, welche ſich gar nicht ver-
wandt waren, ſondern nur von ihrer Vereinigung dieſen
Nahmen trugen 91). Hier nun ſind drey Umſtaͤnde hoͤchſt
[230] merkwuͤrdig und folgenreich, die beſtimmte und geſchloſ-
ſene Zahl der Geſchlechter, das eigenthuͤmliche dieſer Zahl,
und daß der Begriff gemeinſchaftlicher Abſtammung aus-
druͤcklich gelaͤugnet wird.
Es war eine urſpruͤngliche Eintheilung welche wie die
auf den Wohnort aller Buͤrger zur Zeit einer ſpaͤteren Ge-
ſetzgebung gegruͤndete, der Demen, auf die Nachkommen
forterbte, welche nie aus dem Genos ihrer Vorfahren
traten: weder aber konnte ein neues Genos gebildet wer-
den, noch, wer nicht von ſeinen Vorfahren dieſen Adel
des uralten Buͤrgerrechts empfangen hatte, in eine Phra-
tria, folglich auch nicht in ein Genos eintreten 92). Auf
die Staͤmme des Kliſthenes haben weder Phratrien noch
die Geſchlechter die geringſte Beziehung, jene theilten ſich
in Demen; die Geneten eines Geſchlechts gehoͤrten in die
verſchiedenſten Demen 93): und Fremde welche das
Buͤrgerrecht erhielten, wurden allerdings einer Phyle und
einem Demus zugeſchrieben, aber keiner Phratria und
keinem Genos 94): ſo bezeichnet Ariſtophanes mehrmals
neue Buͤrger hoͤhnend als die welche keine oder barbariſche
Phratoren haͤtten 95).
[231]
Die Zahl von zwoͤlf Phratrien und dreyhundert ſech-
zig Geſchlechtern erinnert unverkennlich an die Monate
und Tage des Sonnenjahrs, mit Vernachlaͤßigung der
fuͤnf Epagomenen, welche nicht ohne eine unzulaͤſſige Un-
gleichheit hervorzubringen angewandt werden konnten.
Jedes Geſchlecht trug einen eigenthuͤmlichen Nahmen
patronymiſcher Form, die Kodriden, Eumolpiden, Bu-
taden: welches den Schein einer Familienverwandtſchaft
giebt, aber taͤuſchend. Vielleicht wurden dieſe Nahmen
von der angeſehenſten Familie unter den Verbundenen auf
die uͤbrigen Genoſſen uͤbertragen. Ein ſolches. Geſchlecht
waren die Homeriden von Chios, deren Abſtammung von
dem Dichter nur aus ihrem Nahmen gefolgert ward: an-
dre aber urtheilten, ſie waͤren ihm gar nicht ver-
wandt 96). Oft iſt wohl in der griechiſchen Geſchichte,
was Familie ſcheint, ein ſolches Geſchlecht, und nicht auf
die Joniſchen Voͤlker allein iſt das Syſtem dieſer Einthei-
lung zu beſchraͤnken.
Die Beſtimmung der Geſchlechter auf eine geſchloſſene
Zahl galt auch in Rom, und es war keine leere Anmaa-
ßung der Patricier, daß nur ſie Geſchlechter haͤtten, naͤm-
lich daß die Juragentium oder gentilitia nur fuͤr ſie guͤltig
waͤren 97). Nur die patriciſchen Claudier, nicht die Mar-
celler konnten dieſes Recht geltend machen 98); begriffen
95)
[232] in einer Gens konnten plebejiſche Familien ſeyn, aber die
Patricier waren ihr Mittelpunkt und bildeten, nur ſie
hatten ſie. Municipalgeſchlechter, welche in ihrer Hei-
math adlich waren, hatten auch in Rom die aͤußere Form
einer Gens, das geiſtliche Recht ihrer Vaterſtadt ver-
pflichtete ſie; aber ſie waren als Roͤmer nur Plebejer und
ohne Gentilrechte.
Eine auffallende Hauptbeſtimmung, wenn ſie in einer
Definition ausgelaſſen iſt welche nach Vollſtaͤndigkeit
ſtrebt, muß als ausgeſchloſſen angeſehen werden. Cicero
erwaͤhnt ſchlechterdings nicht gemeinſchaftliche Abſtam-
mung der Gentilen in der Definition welche er durch wie-
derholte Hinzufuͤgungen ſich ergaͤnzt, ſondern nur gemein-
ſchaftlichen Nahmen, Abſtammung von Freyen, ohne ir-
gend eine Makel des Skladenſtands unter den Vorfahren,
und ohne Verminderung des buͤrgerlichen und Familien-
rechts 99). Hier ſind auch die freygelaſſenen Clienten,
welche den Geſchlechtsnahmen ihrer Patronen tragen, aus-
druͤcklich ausgeſchloſſen: nicht die Freygebohrnen fremdes
Urſprungs: vielmehr ſind dieſe eben durch die Ausſchlie-
ßung jener anerkannt. Die Cornelier hatten als Gens ge-
meinſchaftliche Religionsgebraͤuche, darum aber kann
man keine uralte Familienverwandtſchaft der Scipionen
und der Sulla annehmen. Die Familie der Scaurer
hatte bis in das ſiebente Jahrhundert keine Nobilitaͤt, ob-
gleich ſie aͤchtpatriciſch war. Die plebejiſchen Haͤuſer,
wie das Liciniſche, ſind nicht mehr verzweigt als Familien
der neueren Geſchichte: dreyhundert Fabier aber waͤren
[233] eine Ausbreitung eines Stamms wie keine Geſchlechtsre-
giſter ſie zeigen koͤnnen. Die Aelier, als Plebejer koͤnnen
nur als Municipalgeſchlecht hier angefuͤhrt werden: auch
ſie beſtanden aus vielen Familien 400), und ſelbſt die fa-
belhafte Genealogie der Lamier, die ihr Geſchlecht auf La-
mus von Formiaͤ zuruͤckfuͤhrten, beweißt daß eine einzelne
Familie fuͤr ſich eine von den uͤbrigen Gentilen verſchiedne
Abſtammung annehmen konnte. Daß viele Geſchlechter
ſich, in ſpaͤteren Zeiten, als der Begriff der Gentilitaͤt
nur noch gelehrten Rechtskundigen klar war, von einem
mythiſchen Stammvater herleiteten iſt in dem allgemeinen
genealogiſchen Sinn gegruͤndet, der allenthalben einen
urſpruͤnglichen Keim fuͤr alles Ausgebreitete einer Art
aufſucht 1).
Bey dieſer Gleichheit der roͤmiſchen und attiſchen
Gentilitaͤt iſt der weitere Schluß erlaubt, daß die Zahl der
Geſchlechter auf aͤhnliche Weiſe beſtimmt war. Hieruͤber
laͤßt ſich nur eine Vermuthung bilden: die naͤmlich daß,
wie der Senat aus dreyhundert Vaͤtern beſtand, jede Curie
zehn Geſchlechter, die drey Staͤmme dreyhundert enthal-
ten haben moͤgen: eine Zahl, welche zu den Tagen des
cycliſchen Jahrs in demſelben Verhaͤltniſſe ſteht 2), wie
die der attiſchen Geſchlechter zu denen des Sonnenjahrs.
[234]
Eine alte, vielleicht von Labeo ſtammende Nachricht,
definirt die Comitien der Curien als Gemeindeverſamm-
lungen, in denen nach Staͤnden geſtimmt ward 3). Dies
kann auf die Patricier, ihre Clienten, und die Plebs,
welche drey Staͤnde im Anfang der Republik ſaͤmmtlich in
den Curien ſtimmten, bezogen werden: es ſcheint aber
daß man auch die urſpruͤngliche Caſtenverſchiedenheit der
drey Staͤmme dabey nicht uͤberſehen duͤrfe. Daß alle drey
Staͤnde in den Curien verſammelt wurden, wiſſen wir
aus Dionyſius 4), aber urſpruͤnglich gebuͤhrte wohl ge-
wiß nur den Patriciern dies Vorrecht, und als die Ver-
ſammlungen der plebejiſchen Staͤmme maͤchtig geworden
waren, bildeten ſie wieder ausſchließlich die der Curien.
Von ihnen ſagt derſelbe, ſie waͤren namentlich durch
einen Boten zu ihrer Gemeindeverſammlung berufen ge-
worden: das Volk aber zu den ſeinigen dadurch, daß ein
Horn geblaſen ward 5): grade ſo meldete Laͤlius nach La-
beo, daß die Comitien der Curien, und die der Centurien
[235] verſammelt geworden waͤren; daher haͤtten jene Beru-
fene geheißen 6).
Es gab keinen Staat in dem edeln und freyen Theil
der alten Welt, von Tyrus bis Gades, ohne einen Senat
und ohne eine Gemeindeverſammlung. Die Verſchieden-
heit der Verfaſſungen beſtand darin, wer zu der Gemeinde
berufen ward. Als nur noch eine Tribus den Senat fuͤllte,
ſcheinen doch die beyden uͤbrigen mit jener in der Volks-
gemeinde verſammelt geweſen zu ſeyn: das war die erſte
Erweiterung der Freyheit, und ſie vollendete Koͤnig Tar-
quinius, daß jede Tribus eine gleiche Zahl Senatoren er-
hielt: daß die bis dahin Buͤrger waren alle Patricier im
ſpaͤteren Sinn wurden. Der Nahme ſcheint ſchon fruͤher,
nach Cincius Zeugniß, den Freyen wie den Edeln gemein-
ſchaftlich geweſen zu ſeyn 7). Bis dahin war die dritte
Tribus, was nachher die Plebs ward, ein freyer drit-
ter Stand.
Zuverlaͤſſig darf es nicht bezweifelt werden, daß Pa-
tronat und Clientel zu den Grundeinrichtungen des roͤmi-
ſchen Staats gehoͤren, und daß die Clienten, als Vaſal-
len, auf den weitlaͤuftigen Landbeſitzungen der Ritter
[236] wohnten. Die Belehnung wird von Spaͤteren als eine
Geſetzgebung Romulus angefuͤhrt 8). Die eigentliche
Rechtsbeſchaffenheit und die Umgeſtaltung dieſes Verhaͤlt-
niſſes werde ich im Verfolg dieſes Werks entwickeln. Es
wird gemeldet daß die Clienten mit den Patriciern in der
Curiengemeinde ſtimmten; ſie waren mit ihren Geſchlech-
tern verbunden, wie die Gutsunterthanen der Hochlande
mit dem Clan ihrer adlichen Herren, und es iſt ſehr wahr-
ſcheinlich daß die Patricier ſie willig zuließen als die Plebs
ſich bildete, und von den Koͤnigen in die damalige Volks-
gemeinde wenigſtens zum Theil aufgenommen ward.
Dionyſius und diejenigen welche die Plebejer als ur-
ſpruͤnglich und geſetzlich fortwaͤhrend im Verhaͤltniß der
Clientel zu den Patriciern darſtellen, und im Fortgang der
Geſchichte als freygewordne Erbunterthaͤnige betrachten
muͤſſen, verkennen daß die Plebejer von den beſſer unter-
richteten Roͤmern nicht weniger von den Clienten der Pa-
tricier als von dieſem Adel unterſchieden werden. Ich
ſtelle hier nur vorlaͤufig den Begriff der Plebs auf, welcher
an ſeinem Orte erwieſen werden wird, daß es der Stand
der freyen nicht adlichen Grundeigenthuͤmer war, mit dem
ſich erſt weit ſpaͤter die Clienten verſchmolzen, als ſich das
Band ihrer Erbunterthaͤnigkeit, theils durch das Abſter-
ben oder das Herabkommen der Geſchlechter ihrer Patrone,
theils durch den allmaͤhligen Fortſchritt zur Freyheit, ge-
loͤßt hatte. Die Plebs entſtand ohne Zweifel, wie ſie ſpaͤ-
[237] ter unermeßlich anwuchs, durch die Aufnahme freyer
Fremder in das Buͤrgerrecht. Das begann, ſo weit wir
einige Geſchichte haben, von den Albanern, und nach
Alba wurden ſehr viele latiniſche Staͤdte den Siegern ein-
verleibt. Die Geſchichte ſtellt dieſes dar als ob die Ein-
wohner alle nach Rom fortgefuͤhrt worden waͤren, und
dies iſt allerdings auch in vielen Faͤllen unverkennbar,
und gewaͤhrt einen hellen Beweis fuͤr die Richtigkeit die-
ſer Erklaͤrung des Urſprungs der Plebs. Die Staͤnde
wohnten zu Rom in abgeſonderten Quartieren, wie in vie-
len Staͤdten im Mittelalter. Servius wohnte auf dem
Eſquilinus unter ſeinen treuen Freunden: und dieſe Ge-
gend blieb auch nachher ausſchließlich plebejiſch: auf dem
Aventinus hatte Ancus den weggefuͤhrten Latinern Woh-
nung angewieſen, und der Aventinus war die eigentliche
plebejiſche Stadt. Man kann aber unmoͤglich glauben
daß die roͤmiſchen Koͤnige eine ungeheure Bevoͤlkerung zu
Rom angehaͤuft haͤtten, entfernt von ihren Aeckern und
unfaͤhig ſie zu beſtellen, ſo daß alle haͤtten Hunger leiden
muͤſſen. Die meiſten blieben unſtreitig in ihrer Heimath;
ihre Staͤdte aber hoͤrten auf Corporationen zu ſeyn, und
eben dieſes iſt der erſte Urſprung der Bauernſtaͤmme. Ihr
Land war, nach dem italiſchen Voͤlkerrecht, roͤmiſche Do-
maine geworden: ein Theil davon blieb Gemeingut, und
ward von den Patriciern, als den eigentlichen aͤlteſten
Buͤrgern, fuͤr ſich ſelbſt und ihre Vaſallen benutzt; ein
Theil blieb der Krone: das uͤbrige ward den alten Eigen-
thuͤmern, Roms neuen Buͤrgern, als Eigenthum von
den roͤmiſchen Koͤnigen uͤbertragen, getheilt und aſſignirt.
[238] Vielleicht, da die Koͤnige gegen dieſe neuen Unterthanen
ſehr milde waren, erſtreckte ſich die Einziehung oft nicht
weiter als auf das Gemeingut der eroberten Staͤdte.
Das Buͤrgerrecht der aufgenommenen Latiner war in
ſeinem Anfang was in der Folge die Civitaͤt ohne Stimm-
recht: denn dieſes konnte damals nur in den Curien aus-
geuͤbt werden: und die Geſchlechter waren geſchloſſen.
Uebrigens waren die neuen Buͤrger damals ſo wenig als
ſpaͤter mit nichten nur armes Volk: der Adel der erober-
ten Staͤdte befand ſich unter ihnen, jetzt, dem Rechte
nach, in voͤlliger Gleichheit mit dem freyen Bauer, ſogar
mit ſeinen Clienten, obwohl dieſe jetzt wenigſtens großen-
theils ſich in die Clientel der Koͤnige begeben, und ihnen
froͤhnen mußten. So wurden ſpaͤterhin die Mamilier,
die Papier, die Cilnier, die Caͤcina alle nur zu den
Plebejern gerechnet, als plebejiſche Ritter. Aus dieſem
Urſprung aus verſchiedenen Nationen erklaͤrt ſich auch un-
abhaͤngig vom ſtrengſten Caſtenſinn, warum urſpruͤnglich
kein Connubium zwiſchen Patriciern und Plebejern galt,
und wie jene dieſe der Auſpicien unfaͤhig nennen konn-
ten, wenn ſie noch des etruskiſchen Urſprungs einge-
denk waren.
Dieſe neuen Buͤrger, ausgeſchloſſen durch die unzu-
gaͤnglichen und unmittheilbaren Vorrechte der Patricier,
und ſogar ihrer Clienten, wenn ſie ſich nicht einem Pa-
tron ergeben wollten, weckten in Rom das erſte Leben buͤr-
gerlicher Freyheit durch ihr Streben nach ſelbſtſtaͤndigen
buͤrgerlichen Rechten, als ein abgeſonderter Stand:
nicht nach dem Ruin desjenigen der verfaſſungsmaͤßig
[239] der erſte, urſpruͤnglich der einzige freye war. Von die-
ſem konnten ſie nur Widerſtand erwarten, wie ihre
Nachkommen ihn erfuhren, bis ſie endlich das Gleich-
gewicht der Freyheit errangen. Bey den Koͤnigen fan-
den ſie Schutz, theils aus dem urſpruͤnglich wohlthaͤti-
gen Weſen der Koͤnigswuͤrde welche die Schwachen ge-
gen den Druck des Stolzen ſchuͤtzt; theils weil die An-
haͤnglichkeit dieſes neuen Standes ihre Macht gegen
die Ariſtocratie ſtaͤrkte, wie in den aͤlteren Zeiten das
Haus der Gemeinen die engliſchen Koͤnige gegen die
Barone, als in einer gemeinſchaftlichen Sache, un-
terſtuͤtzte.
Als daher L. Tarquinius allen ritterlichen Geſchlech-
tern das Patriciat verliehen hatte, unternahm er fuͤr die
Plebejer was ſpaͤter Servius Tullius vollſtaͤndiger aus-
fuͤhrte. Er konnte ſie nicht in die alten Staͤmme einmi-
ſchen: er wollte eine gleiche Zahl neuer bilden, ſo daß
beyde Staͤnde gleichgewogne Macht in den Verſammlun-
gen der Nation ausgeuͤbt haben wuͤrden. Dieſes Vorha-
ben iſt durch den Widerſtand des Augurs Attus Navius,
und das Wunder womit dieſer ſeine Oppoſition bekraͤftigte
mehr als durch die innere Wichtigkeit im Andenken geblie-
ben. Attus Navius der die angebohrne Gabe des Sehers
durch etruskiſche Wiſſenſchaft ausgebildet hatte, laͤugnete,
daß eine Einrichtung die durch Augurien beſtaͤtigt ſey,
ohne ein neues Augurium abgeaͤndert werden koͤnne.
Dieſe Probe ſcheute der Koͤnig, wohl nicht aus glaͤubiger
Furcht, ſondern weil er vorherſah, daß die Augurn, alle
[240] Patricier 9), ein Auſpicium vorgebend, ſeine Abſicht ver-
eiteln wuͤrden. Daher wollte er das Anſehen der Auſpi-
cien durch oͤffentliche Beſchaͤmung brechen, wie Kroͤſus
einige Zeit nach ihm die Wahrhaftigkeit der Orakel auf die
Probe ſtellte; und verpflichtete den Augur zu pruͤfen ob
der Gegenſtand ſeines Gedankens moͤglich ſey oder unmoͤg-
lich. Als Attus die Moͤglichkeit verſichert hatte, gebot er
ihm einen Schleifſtein mit einem Scheermeſſer zu ſpalten;
Navius vollbrachte es ohne zu zoͤgern: dafuͤr ward ihm
eine Statue errichtet; oder eine Prieſterſtatue mit ver-
huͤlltem Haupt von der ſpaͤtern Zeit auf ihn gedeutet.
Stein und Meſſer waren neben ihr, in einen Brunnen
verſenkt, aufbewahrt 10).
Dieſes Zeichen entſetzte den Koͤnig, und zwang ihn
ſein Vorhaben aufzugeben: doch erreichte er das we-
ſentliche ſeines Zwecks indem er jedem alten Stamm
einen zweyten unter gleichem Nahmen von einer glei-
chen Zahl neuer Ritter zugeſellte: ſo daß jeder anſtatt
aus dreyhundert jetzt aus ſechshunderten, der ganze Rit-
terſtand aus achtzehnhunderten beſtand. Die Zahl der
Curien zwar ward dadurch nicht vermehrt, wie es des
Koͤnigs
[241] Koͤnigs Abſicht geweſen ſeyn muß: doch kamen die Ple-
bejer in ihre Verſammlungen, die naͤmlich, welche Tar-
quinius jetzt in die Staͤmme aufnahm, und ihre Nach-
kommen.
Tarquinius des Alten Ende, und
Servius Tullius.
Wir kehren zuruͤck zur dichteriſchen Sage, welche
die Zeit nicht berechnet. Acht und dreyßig Jahre wa-
ren verfloſſen, ſeitdem Tarquinius nach Ancus Tode
Rom beherrſchte. Die Marcier, dieſes Koͤnigs Soͤhne,
welche den Thron als ihr Erbe betrachteten, ſahen ſeit
ſie ſich faͤhig waͤhnten zu herrſchen, in dem der einſt ihr
Vormund geweſen war, einen Feind und Uſurpator,
deſſen Tod das Reich zu ihrem Vortheil erledigen wuͤrde.
Des Koͤnigs mehr als achtzigjaͤhriges Alter beruhigte
ſie nicht: denn es war nicht zweifelhaft, er werde wenn
ihm der Tod mit Bewußtſeyn nahte, ſeinem und des
ganzen Volks Liebling, ſeinem Eidam Servius Tullius
die Thronfolge verſichern. Die Koͤnige waren damals
noch, nicht nur eine der Quellen des Geſetzes, ſondern
Richter, und beſonders Friedensrichter fuͤr jeden vom
Volk der ſich an ihr vaͤterliches Anſehen wandte. Es
war aber ihre Pflicht keinem Gehoͤr zu verſagen. Un-
ter dieſem Vorwande gelangten zwey von den Marciern
angeſtellte Meuchelmoͤrder, als Hirten verkleidet, vor den
Koͤnig, und verwundeten ihn toͤdtlich.
Anſtatt der Etruskerin Tanaquil giebt eine andere
Sage dieſem Koͤnige eine roͤmiſche Gemahlin, Gaja Caͤ-
Erſter Theil. Q
[242] cilia: eine wohlthaͤtige Zaubrerin 11) und fleißige Haus-
frau und Weberin 12), deren Andenken von den Roͤmi-
ſchen Braͤuten verehrt ward, wie die Zeit der Spinnerin
Koͤnigin Bertha in geſegnetem Andenken geblieben iſt.
Tarquinius der Alte wird, in ſeinen Werken und Thaten,
ſehr haͤufig mit dem letzten Koͤnige verwechſelt, und es iſt
ſchwer zu unterſcheiden, welchem von beyden die aͤlteſte
Sage zugeſchrieben haben mag was die Spaͤteren von je-
dem erzaͤhlen. Die Roͤmer, alle Annaliſten außer einem,
und Cicero wie Livius, nennen den letzten Koͤnig ſeinen
Sohn: L. Piſo allein ſeinen Enkel 13). Dieſer aber iſt
zuverlaͤßig keinen andern Nachrichten, ſondern nur einer
auf den Wahn, er behandle hiſtoriſche Zeiten, gegruͤnde-
ten Berechnung gefolgt. Nach dieſer koͤnnten allerdings
der zweyte Tarquinius und deſſen Bruder Aruns kaum
ſeine Enkel geweſen ſeyn, da das Todesjahr des erſten
85 Jahre nach dem faͤllt, in welchem der mehr als acht-
zigjaͤhrige Greis ſtarb.
Aber die Annaͤherung an einen Schein von Geſchichte
zerſtoͤrt den Zuſammenhang des Gedichts, in welchem
Collatinus und L. Brutus, beyde von gleichem Alter mit
den Soͤhnen des letzten Koͤnigs, jener Enkel eines Bru-
ders des alten Tarquinius, dieſer ſein Tochterſohn, Neffe
[243] des Servius Tullius durch ſeine Koͤnigin iſt. Wer dieſes
alles umbildet wird die hiſtoriſchen Unmoͤglichkeiten weg-
ſchaffen: aber der Boden weicht dann ganz unter ſeinen
Fuͤßen: er entſagt dem Beſitz eines herrlichen Gedichts, und
tauſcht inhaltsleere Willkuͤhrlichkeiten ein. Nach der Sitte
die alle roͤmiſche Gebraͤuche auf beſtimmte Maͤnner als
ihre Urheber und beſtimmte Veranlaſſungen zuruͤckfuͤhrt,
nennt die Sage einen Sohn des Tarquinius Priſcus, der
weil er im Sabinerkriege als vierzehnjaͤhriger Knabe einen
Feind erlegt hatte, von dem Vater oͤffentlich gelobt, mit
der goldnen Bulle und der Praͤtexta belohnt worden ſey,
welche daher die Inſignien der vornehmen, ſpaͤter aller
freygebohrnen Knaben wurden 14).
Servius Tullius, auf den die Spaͤteren die politi-
ſchen, wie auf Numa die religioͤſen Einrichtungen als Ge-
ſetzgeber bezogen, gehoͤrt der Dichtung in der Geſchichte
ſeiner Geburt und Abkunft, wahrſcheinlich auch ſeines
Todes. Es koͤnnte ſcheinen daß in jener herabwuͤrdi-
gende Erdichtung der Patricier obwalte, die ſeine unad-
liche Geburt bis zum Sklavenſtande erniedrigen gewollt;
vielleicht war es aber auch Gunſt und Trotz der Plebejer,
die ſeine niedrige Geburt abzulaͤugnen weit entfernt wa-
ren, ihn aber dennoch als den ihrigen und ihren Wohlthaͤ-
ter den Goͤttern verwandt prieſen: das tragiſch graͤßliche
ſeines Todes mag Dichtung plebejiſches und republikani-
ſches Haſſes gegen die Patricier und den letzten Tarqui-
nius ſeyn. Denn politiſcher Partheyhaß beruhigt ſich
Q 2
[244] nicht leicht mit wahrhafter Anklage der Suͤnde, deren
Strafe die unterliegenden trifft, wenn ſie wirklich ſchul-
dig fielen, ſondern er haͤuft unverdiente Schuld auf ſie,
alles glaubend oder ſich alles erlaubend. So war es
den Herſtellern der Freyheit Englands nicht genug, daß
Koͤnig Jakob und ſein Haus durch nie zu verſoͤhnende Ver-
gehungen den Thron verbrochen hatten; ſie beſchuldigten
ihn niedriger Verbrechen, gegen die ſich jedes nicht ver-
worfne Herz empoͤren mußte, und das ſeinige, rechtlich
ſobald es nicht durch Herrſchſucht verblendet war, ſich
empoͤrt haben wuͤrde.
Es iſt moͤglich daß die ganze Sage von Servius Tuk-
lius Geburt von einer Sklavin aus ſeinem Vornahmen
hergeleitet iſt, der urſpruͤnglich, als bedeutend, den
Soͤhnen der Sklavinnen alſo der Kebsweiber gegeben ſeyn
ſoll. Ueberhaupt ſind die meiſten auch ſchon von den Roͤ-
mern verſuchten Erklaͤrungen ihrer gebraͤuchlichen Nahmen
voͤllig ſo leer, als wenn wir diejenigen die bey uns jetzt
die gewoͤhnlichſten ſind, aus deutſchen Wurzeln ableiten
wollten; denn ſie ſind Sabiniſchen, oder andern fremden
Urſprungs, welches ſelbſt Varro, der willkuͤhrlichſte aller
Etymologiker bekennt. Will man aber auch einraͤumen
daß die welche lateiniſchen Worten auf eine Weiſe ver-
wandt ſind die Ableitung anzudeuten ſcheint, wirklich
aus ihnen gebildet ſeyn moͤchten, und ſo die alte Erklaͤ-
rung des ſogenannten Valerius oder Probus fuͤr die Nah-
men Manius und Lucius annehmen, ſo ergiebt ſich, har-
moniſch mit dieſem Sinn beyder eine weit paſſendere fuͤr
den Nahmen Servius, naͤmlich, wie Manius von Mane
[245] ſo dieſes von sero abgeleitet, ein am Abend gebohrnes
Kind. Der Schall hat wenigſtens wenn er auch die Sage
von Servius niedriger Geburt nicht veranlaßt haben ſollte,
dreiſt zu ihrer Verbreitung, und ſie dem Hoͤrer glaubli-
cher gemacht. Nach der alten und eigentlichen Dichtung
war aber ſeine Geburt eben ſo wunderbar als demuͤthig.
Ocriſia, eine Hausſklavin der Koͤnigin aus der Cornicula-
niſchen Beute, ſah im Feuer des Heerds, wo ſie dem
Hausgeiſt Fladen zum Opfer darbrachte, eine Erſchei-
nung des Gottes. Die Koͤnigin Tanaquil gebot ihr, ſich
als Braut geſchmuͤckt in der Kapelle einzuſchließen. Sie
ward von einem Gott ſchwanger; die Roͤmer nannten bald
den Hausgeiſt, bald Vulkanus Vater des Servius. Jene
unterſtuͤtzten ihre Meinung durch das Feſt der Laren wel-
ches Tullius geſtiftet: dieſe durch den Schutz welchen der
Gott des Feuers ſeiner Statue gewaͤhrte 15).
Solche Sagen ſind immer weit aͤlter als die ſchein-
bar hiſtoriſchen, fuͤr deren Einfuͤhrung in die alte roͤmiſche
Geſchichte der Annaliſt L. Piſo Frugi verantwortlich zu
ſeyn ſcheint. In ſeinem nuͤchternen Geiſt wenigſtens iſt
die Erzaͤhlung, welche Dionyſius ergriffen hat: es habe zu
Corniculum, einer der latiniſchen Staͤdte noͤrdlich vom
Anio, ein ſehr angeſehener Mann gewohnt, auch des Nah-
mens Servius Tullius. Dieſer ſey bey der Einnahme von
Corniculum mit allen Bewaffneten erſchlagen worden;
ſeine hochſchwangre Wittwe aber mit den uͤbrigen Gefan-
genen nach Rom weggefuͤhrt, wo ſie aus Achtung fuͤr ih-
ren vornehmen Stand der Koͤnigin zugetheilt, und in
[246] ihrem Hauſe als Freundin nicht als Sklavin behandelt,
eines Knaben geneſen ſey; dieſer war Servius Tullius.
Als Kind ſchlummerte Servius einſt in der Halle des
koͤniglichen Hauſes, da ſah man mit Entſetzen ſein Haupt
von Flammen umgeben 16). Die Koͤnigin Tanaquil
ward herbeygerufen, ſie verbot jeden Verſuch die Flamme
zu loͤſchen, als der Knabe erwachte war die Erſcheinung
verſchwunden: denn die etruskiſche Seherin erkannte dar-
in den Geiſt ſeines Erzeugers, und den Beruf des Knaben
zu hohen Dingen. Von der Zeit an ward er wie ein koͤ-
nigliches Kind und fuͤr die hoͤchſten Wuͤrden erzogen. Auch
in ſeinem fernern Leben verlohr er ſein naͤheres Verhaͤlt-
niß zu den hoͤheren Maͤchten nicht. Die Goͤttin Fortuna
liebte ihn: die in ſeinem Leben das aͤußerſte ihrer Sphaͤre
zuſammenfaßte, Geburt in Knechtsgeſtalt, und den Be-
ſitz der hoͤchſten Macht mit Wuͤrdigkeit ſie zu beſitzen, end-
lich unverdienten herben Tod; und ſie beſuchte ihn heim-
lich als ſeine Vermaͤhlte 17), doch unter dem Geſetz daß
er ſein Haupt verhuͤlle und ſie nie ſehe. Eine uralte hoͤl-
zerne vergoldete Statue des Koͤnigs, deren Haupt ſo ver-
huͤllt gehalten ward, war in dem Tempel aufgeſtellt den
er ſeiner Goͤttinn erbaut hatte. Einſt verzehrte dieſen
Feuersbrunſt, nur die Statue blieb unverſehrt, weil Ser-
vius aus den Flammen erzeugt war.
Seitdem Tarquinius den Knaben erzog, ward ſeine
[247] kuͤnftige Groͤße bald allen klar. Er war der tapferſte und
der beſte ſeiner Altersgenoſſen, fuͤhrte ſiegreich die Heere
des greiſen Koͤnigs, und ward zur Belohnung zu ſeinem
Eidam auserkohren. Schon verwaltete er den Staat un-
ter des Koͤnigs Nahmen, und wie dieſer ſehr alt ward,
mochte es ihm gelingen das Joch der Unterthanen leichter
zu machen. Er war dem ganzen Volk theuer, als Tar-
quinius die toͤdtliche Wunde von der Hand der Meuchel-
moͤrder empfing. Mit einer Liſt die im Morgenlande haͤu-
fig geuͤbt worden iſt ward ausgebreitet, die Wunde ſey
nicht gefaͤhrlich, die Aerzte verſpraͤchen Geneſung: inzwi-
ſchen wolle der Koͤnig daß Servius an ſeiner Statt das
Reich verwalte. Das geſchah weil ſonſt der Senat die
Verwaltung, als im Zwiſchenreich, an ſich genommen
haͤtte, und die Wahl, wenn ſie, wie es fuͤr uns ohne
Zweifel iſt, von den Rittern entſchieden ward, ſich durch
die Uebermacht der Patricier gegen Servius erklaͤrt haben
wuͤrde. Servius regierte nach dem Wunſch des Volks,
trotz dem Senat: ſeine Macht war bald ſo befeſtigt daß
der Tod des Koͤnigs nicht laͤnger verheimlicht zu werden
brauchte. Spaͤter beſaß er den Thron durch ausdruͤckliche
Wahl des Volks: aber ſchwerlich ehe er durch die Erwei-
terung der ſouverainen Gemeinde einer guͤnſtigen Entſchei-
dung, die auch dem wahren Sinn der Nation entſprach,
ſicher ſeyn konnte. Bis dahin ward er von den Patriciern
oft bedroht, und ſie haben ſich nie mit ihm ausgeſoͤhnt.
Die Kriege dieſes Koͤnigs ſind bey weitem der unbedeu-
tendſte Theil ſeiner Thaten: es wird eines ruhmvollen ge-
gen die Vejenter erwaͤhnt, den Dionyſius zu Triumphen
[248] uͤber die geſammte etruskiſche Nation vergroͤßert, welche
nach Tarquinius Tode ihre Unterwerfung bereut habe,
aber durch großen Verluſt gezwungen worden ſey ſie zum
zweitenmal als Rettung zu erwaͤhlen.
Als Erweiterer der roͤmiſchen Feldmark hatte Servius
das Recht den Umfang Roms, das Pomoͤrium, zu erwei-
tern, und er benutzte es die beyden Huͤgel, den Vimina-
liſchen und den Esquiliniſchen, in den Umfang der Stadt
zu ziehen. Daß von ihm geſagt wird er habe auch den
Quirinal mit der Stadt vereinigt, ſcheint anzudeuten, daß
er zuerſt die Sabiniſche Stadt mit dem uͤbrigen Rom voͤl-
lig vereinigte 18). Servius begann jene nun bebauten
Huͤgel an der Oſtſeite durch einen Wall zu befeſtigen, den
der letzte Tarquinius vollendete.
So hatte Rom, wenn auch im Innern voll Felder
und Wald, den Umfang erreicht, welcher ſo lange die
Republik waͤhrte Graͤnze der Stadt blieb. Sie war ſchon
ſo groß als Athen in dem Umfang der erweiterten Mauern
des Themiftokles, aber auch nicht groͤßer als das nahe
Veji 19). Bis dahin war Rom vergroͤßert durch den Un-
tergang vieler latiniſchen Staͤdte; im Vertrag, aber ohne
Buͤndniß mit denen die ihre Freyheit erhalten hatten und
[249] ihre Landsgemeinde im Hain der Ferentina hielten. Mir
iſt es wahrſcheinlich daß Servius zugleich die Aufnahme
Roms in den Bund der Latiner und ihre Hegemonie er-
langt habe. Der alte Gottesdienſt dieſer Nation war ein
Naturdienſt; Sonne und Mond, Dianus und Diana die
Gottheiten welche ſie als die maͤchtigſten, anſchaulichſten
und freundlichſten verehrten. Alle Foͤderationen der al-
ten Voͤlker waren auf Religion gegruͤndet, uͤber ihre Er-
haltung waltete nur das Gewiſſen. Servius ſchloß fuͤr
Rom einen Bund mit den unbezwungenen latiniſchen
Staͤdten, unter denen damals Tuſculum, Gabii, Praͤ-
neſte, Aricia, Tibur, Ardea die anſehnlichſten waren:
und ſie errichteten gemeinſchaftlich einen Tempel der
Diana auf dem Aventinus, dem Wohnorte der latiniſchen
Buͤrger Roms. Mir ſcheint man koͤnne darin daß dieſer
Tempel ein Gemeingut des ganzen Bundes geweſen iſt, die
Urſache entdecken warum dieſer Berg nicht im Pomoͤrium
der Stadt begriffen war: eine Sonderbarkeit uͤber die
Roms Archaͤologen nicht einmal Vermuthungen aͤußer-
ten 20). Bey der Einweihung dieſes Tempels war noch
kein Staat im Beſitz der Hegemonie, deren Recht vor den
Goͤttern der Roͤmiſche Prieſter ſeinem Vaterland durch
Liſt ſicherte, als er den Fremden verfuͤhrte das herange-
fuͤhrte ungeheure Opferthier, deſſen rieſenmaͤßige Hoͤrner
noch ſehr ſpaͤt an den Thuͤren des Tempels angenagelt wa-
ren, zu verlaſſen: und es ſelbſt opferte, waͤhrend jener
ſich im Strohm der Tiber badete, um, rein opfernd, den
Sinn des Schickſalſpruchs ganz zu erfuͤllen, dasjenige
[250] Volk werde herrſchen deſſen Buͤrger dieſen Stier der
Diana opfre. In dieſem Tempel war die Bundestafel
aufgerichtet und erhalten, worauf die verbuͤndeten und
zur Theilnahme am Heiligthum berechtigten Voͤlker ver-
zeichnet waren.
Servius Tullius Geſetzgebung.
Die Aufnahme Roms in den latiniſchen Bund, als
die erſte Stadt unter gleichen, bereitete die maͤchtige Mo-
narchie des letzten Koͤnigs: aber dieſe Groͤße war voruͤber-
gehend, und fiel mit den Koͤnigen. Daß ſie wiedergewon-
nen, und, mit blutigen Anſtrengungen errungen, der
Grundſtein des Weltreichs ward, verdankte Rom den Ver-
faſſungsgeſetzen welche die Nachwelt demſelben Koͤnige zu-
ſchrieb, und die, wenn ſie ſich auch vielleicht nicht ſtreng
hiſtoriſch auf ihn beziehen laſſen, doch als Fortſchritte einer
Geſetzgebung die ſchon unverkennbar Neuerung iſt, wenig-
ſtens erſt um dieſe Zeit geſetzt werden muͤſſen. Dieſe Ge-
ſetze ſind die wodurch die plebejiſchen Tribus errichtet, und
die geſammte Nation, getheilt in ihre Gemeinden und die
der Curien, in der Gemeinde der Centurien vereinigt ward.
Es iſt wahr daß dieſe Veraͤnderungen nicht freywillig
von dem Theil der Nation beſchloſſen wurden dem nach
dem Herkommen und der beſtehenden Verfaſſung die Ent-
ſcheidung uͤber eine Beſchraͤnkung ſeiner Gewalt zukam:
es iſt wahr daß ſie vielmehr gezwungen wurden ſich dabey
zu beruhigen. Das bezeugt die Sage, und, wie auch
ſehr edle Menſchen in Standesſachen blind ſind, wuͤrde
das Gegentheil eine Geiſteshoͤhe bewaͤhren welche ohne
[251] das beſtimmteſte Zeugniß nicht geglaubt werden kann; da
es faſt unbillig iſt ſie zu fordern; und die wo ſie erſcheint
zu den herrlichſten Wundern der Geſchichte gehoͤrt. Den-
noch aber konnte der Koͤnig an der Rechtmaͤßigkeit, alſo
an der Heilſamkeit ſeiner Einrichtungen nicht zweifeln:
an ihrer Heilſamkeit, nicht fuͤr den Augenblick nur, und
nach dem Maaß welches fuͤr dieſen berechnet werden
konnte, ſondern in anwachſendem Verhaͤltniß der Zukunft.
Es kam eine Zeit worin die Manen der ſtolzen Patricier,
die ihn haßten, ihren Irrthum erkennen mußten, wenn
ſie die frey erworbene Groͤße anſchauten worin ihre ſpaͤten
Enkel glaͤnzten, und das Heil des Vaterlands, entſtanden
aus jenen verhaßten Geſetzen, wenn es ihnen wirklich theuer
geweſen war.
Denn Servius trachtete nicht Deſpotismus unter dem
Vorwand der Gleichheit einzufuͤhren, noch auch dieſe nach
der Kopfzahl, noch zwang er die Buͤrger des erſten Stands
Formen zu entſagen die ihnen erblich und eigenthuͤmlich
waren. Dieſer plebejiſche von den Patriciern gereizte
Fuͤrſt war kein Geſetzgeber wie der adliche Kliſthenes, der,
ſeinem eignen Stande verhaßt, eine Gleichheit einfuͤhrte
welche zur wuͤthenden Demokratie ward und werden
mußte, da ein unbegreifliches Gluͤck die Tyranney von
Athen entfernt hielt. Sein Zweck war eine in den Staat
aufgenommene Menge, moraliſch und einzeln betrachtet
den Patriciern gleich zu achtender Freyer, gleich ihnen
im Staat als Stand zu bilden, und neben ihnen als
freye Macht hinzuſtellen, weil, wie das vollkommenſte
Leben die groͤßte Mannichfaltigkeit beſeelt, auch der Staat
[252] der herrlichſte iſt worin die urſpruͤngliche und ſcharf abge-
ſonderte Verſchiedenheit, nach ihren vielfachen Arten in
Mittelpunkten des Lebens neben einander vereinigt, ein
Ganzes bildet. Nie hat Rom aus Luſt nach ſcheinbarer
Symmetrie das Gebaͤude ſeiner Verfaſſung eingeriſſen
wenn es zu eng war, und ſich in der Hoffnung ſie wieder
zu erbauen, und wohl den Verſuch zu machen ob ſich der
Bau vom Dache her anfangen laſſe, waͤhrend alles in
Schutt zertruͤmmert ward, auf dem Felde gebettet: nie
hat es Pflanzungen voll Bluͤthen und Obſt ausgeriſſen,
weil einzelne Baͤume abgeſtorben waren, und der Platz
wo ſie gediehen beſchraͤnkt, daß fuͤr die Erweiterung ein
entfernter geſucht werden mußte.
Servius nahm fuͤr die Verfaſſung der Plebejer das
Vorbild in der Verfaſſung der Curien: bis auf ihre Zahl:
es war keine Willkuͤhr, ſondern Anwendung einer ſchon
herkoͤmmlichen Form auf eine neu entſtandene Sache. Es
iſt nicht Beeintraͤchtigung des fruͤher Lebenden daß neben
ihm ein neues Leben erwacht: es war keine Beeintraͤchti-
gung der Patricier daß Servius die Freyen als Stand aus-
bildete, ſo wenig als im ſpaͤteren Mittelalter der Barone
daß ſich die Staͤdte als Gemeinden erhoben: hier und dort
entſtand eben dadurch geſicherte und gleichfoͤrmige Frey-
heit. Der Bildung des plebejiſchen Standes, der Ver-
einigung beyder Staͤnde in den Centurien verdankte Rom
ſeine Groͤße, welche dadurch verzoͤgert ward daß der Se-
nat mit kleinlichem Sinn Servius Geſetzgebung zu tilgen,
oder doch ihre Entwickelung zu hemmen ſtrebte. Ohne
ſie haͤtte es ſich nie aus der Kindheit erheben koͤnnen, oder
[253] es waͤre fruͤh durch die Verwirrungen zerriſſen worden in
denen das wahrhaft Vortreffliche, die Freyheit und die
angeſtammte Eigenthuͤmlichkeit zuletzt unterging. Es ge-
hoͤrt zu den hoͤchſten Gaben des Gluͤcks welches uͤber Rom
waltete daß zu den Zeitpunkten wo das innere reifende Le-
ben eine neue Form entwickelte, die aͤußern Umſtaͤnde ihre
Entfaltung foͤrderten, fern davon ſie zu hemmen: waͤh-
rend andre Voͤlker durch ſie theils in ewiger Kindheit ge-
halten wurden, theils fruͤh erſchoͤpft hinwelkten. Haͤtte
Servius Tullius den unſichern Zuſtand des Volks nicht
durch Freyheiten und Verfaſſung geendigt, ſo wuͤrden die
Patricier es vielleicht zur Clientel gezwungen haben. Es
haͤtte ſich ſo wenig als es in Etrurien geſchah die Linien-
infanterie bilden koͤnnen, welche Roms Kraft war, weil
man, beſonders nach der Abſchaffung der Monarchie,
nicht gewagt haben wuͤrde dem Volk Waffen zu geben: die
Kriege waͤren immer nichts als kurzdauernde Einfaͤlle einer
Reuterſchaar und eines Haufens halbbewaffneter Pluͤnde-
rer, das nothwendige Kriegsſyſtem aller Oligarchieen des
Alterthums, geblieben: waͤhrend die Macht der Samniter,
gegruͤndet auf ihre herrliche Infanterie, Rom immer naͤher
gekommen waͤre, und ehe ſie zuſammentreffen konnten,
uͤberwogen haben wuͤrde. Im Innern wuͤrde deſpotiſche
Gewalt ſich befeſtigt, das Volk in ſeinem Groll die Unter-
druͤckung des Adels beguͤnſtigt haben; oder die Patricier
haͤtten doch die Koͤnigswuͤrde abgeſchafft und die Republik
durch die Curien beherrſcht: dann waͤren auf keinen Fall
die Mittelzuſtaͤnde vorhanden geweſen, welche auf dem
Wege zur Bildung einer Politie, wie Rom allein ſie ge-
[254] noſſen hat, durchlebt werden mußten. Widernatuͤrlich
zuſammengepreßt waͤren die eigenthuͤmlichen und natur-
gemaͤßen Formen im Keim entſtellt und zerſtoͤrt worden:
Rom haͤtte Revolutionen erlebt die nur vernichten, aus
denen nur als aus einer Gaͤhrung ein fremdartiges Neues
entſtehen kann. Gluͤck war es ebenfalls und Weisheit zu-
gleich daß die Conſtitution des Servius ſeinem tyranni-
ſchen Nachfolger theils ſchon zu maͤchtig war als daß
er ſie bis in die Form zu vernichten haͤtte wagen koͤn-
nen: theils den allgemeinen Zwecken des Staats, der
Macht und Groͤße zu guͤnſtig als daß ein kluger Fuͤrſt,
wie es Tarquinius unlaͤugbar war, haͤtte wuͤnſchen koͤn-
nen ſie mit ſchwaͤchenden Einrichtungen wieder zu ver-
tauſchen.
Es iſt ein uͤberraſchendes Gluͤck daß eine Nachricht
uͤber die urſpruͤngliche Einrichtung der Tribus des Koͤnigs
Servius, welche durch die Verfaͤlſchung der folgenden
Geſchichte den Spaͤteren unverſtaͤndlich und unglaublich
geworden iſt, aber alle Zuͤge der Wahrheit hat, wenn
man uͤber jene Verfaͤlſchung nicht blind ſeyn will, ſich in
zwey verſchiedenen, genau harmonirenden Zeugniſſen er-
halten hat.
Livius meldet nur von den vier Tribus, worin Ser-
vius das Volk der Stadt eintheilte, ohne der laͤndlichen
zu gedenken, von denen durch die Aelteren Zahlen angege-
ben wurden, deren Widerſtreit mit den Angaben aus der
Zeit der Republik denen er im Fortgang ſeines Werks
folgte ihm unaufloͤßlich geſchienen haben muß. Schon
Cato, wenn Sigonius den hoͤchſt verderbten Text des Dio-
[255] nyſius richtig aͤndert 21), muß die Zahl der alten Mel-
dungen unbegreiflich gefunden haben, indem er, ohne
eine anzugeben, ſich begnuͤgte zu ſagen: Servius habe alle
laͤndliche Tribus geſtiftet; ſtillſchweigend, wie von ihm
nicht zu bezweifeln iſt, die ausnehmend deren ſpaͤtere Er-
richtung unter der Republik hiſtoriſch verzeichnet war.
Vielleicht war es dieſe ſtillſchweigende Vorausſetzung deſſen
was ſich ohne geſagt zu werden verſteht die der Annaliſt
Vennonius nicht faßte, und wodurch dieſer zu der wider-
ſinnigen Meinung verfuͤhrt ward, alle fuͤnf und dreyßig
Tribus der Republik waͤren von ihm errichtet.
Ganz anderer Art iſt die dem Anſchein nach nicht min-
der unbegreifliche Meldung des Fabius 22): es waͤren
neben den vier ſtaͤdtiſchen, ſechs und zwanzig laͤndliche
durch Servius Tullius geſtiftet worden. Denn die Ge-
ſammtzahl, dreyßig, iſt die unſtreitige alte Eintheilungs-
norm, welche ſich bey den latiniſchen Staͤdten nicht weni-
ger als bey den Curien gezeigt hat, obgleich ſie bey der ſpaͤ-
teren allmaͤhlichen Vermehrung der Tribus uͤberſchritten
ward. So ſtand das Volk den Curien in einer ganz glei-
chen Eintheilung gegenuͤber. Auch meldete Varro daſſelbe
wie Fabius: denn ein hoͤchſt merkwuͤrdiges Fragment wor-
in von einem Ungenannten geſagt wird, er habe den
Freyen Aecker um die Stadt in ſechs und zwanzig Regio-
[256] nen getheilt, kann ſich nur auf Servius Tullius und dieſe
Tribus beziehen 23).
Dabey aber ſcheint es ganz raͤthſelhaft wie, wenn
ſchon anfangs dreyßig Staͤmme waren, Livius melden
koͤnne, es waͤren im Jahr 259 ein und zwanzig Tribus ge-
worden 24). Die neue ein und zwanzigſte iſt ohne Zweifel
die Claudia, deren Stiftung keineswegs nothwendig mit
der Einwandrung des Claudiſchen Geſchlechts gleichzeitig
zu ſeyn brauchte, obgleich Livius ſie bey dieſer meldet.
Die uͤbrigen ſind dann die urſpruͤnglichen um ein Drittheil
vermindert: und dies erklaͤrt ſich durch Roms Schickſal
nach der Verbannung der Koͤnige.
Die Tribus waren eine geographiſche Eintheilung,
wie die Phylaͤ des Kliſthenes: urſpruͤnglich bildeten die
denen in einer beſtimmten Region Landeigenthum angewie-
ſen war, nachher ihre Nachkommen, und die welche in die
Gemeinde aufgenommen waren, jede einzelne. Der Be-
zirk hieß urſpruͤnglich Region, auf dem Lande wie in der
Stadt 25), aber auch dieſer ſelbſt ward Tribus ge-
nannt 26). Auch wenn dieſes erſt ein ſpaͤterer Sprachge-
brauch war, ſo iſt es doch klar daß, wie die Aſſignation
und Uebertragung von Landeigenthum in einem beſtimm-
ten
[257] ten Bezirk urſpruͤnglich eine Tribus gruͤndete, wie es das
Weſen und der Grundſatz der Verſammlungen war daß
nach Regionen geſtimmt ward, eine Tribus eingehen
mußte, wenn der Staat genoͤthigt war ihre Region abzu-
treten; wodurch ihre Bewohner auch alles Grundeigen-
thum verlohren. Daß Rom in dem Frieden mit Porſena
das ganze Gebiet am etruskiſchen Ufer der Tiber abtreten
mußte wird von den roͤmiſchen Geſchichtſchreibern ſelbſt
bekannt: ich werde zeigen wie hoͤchſt verdaͤchtig die Mel-
dung iſt daß dieſes Gebiet aus einer unbegreiflichen Groß-
muth zuruͤckgegeben ſeyn ſollte: wie ſehr wahrſcheinlich
daß noch viel ſpaͤter Rom ſeinen Verluſt nicht wiederge-
wonnen hatte. Nun iſt es aber in der roͤmiſchen Geſchichte
ſehr haͤufig daß ein ungluͤcklicher Friede dem beſiegten Volk
den dritten Theil, wie ſonſt auch die Haͤlfte oder
zwey Drittheile des Gebiets nimmt: und dieß ſcheint mit
großer Wahrſcheinlichkeit zu erklaͤren wie grade ein Drit-
theil der urſpruͤnglichen Tribus verſchwindet.
Was Dionyſius von den alten Tribus der Geſchlechter
meldet, jede habe einen Hauptmann gehabt, welcher Tri-
bun genannt ſey 27), iſt auch von den Tribus der Land-
ſchaften hoͤchſt wahrſcheinlich. Und es ſcheint mir weit
glaublicher daß aus dieſen als daß aus den Hauptleuten
des Heers die Volkstribunen entſtanden ſind. Eine neue
Inſtitution waren dieſe wohl nicht: dergleichen ſchufen die
Roͤmer nur im Zwang der Noth: es ſcheint durch die Aus-
wandrung auf den heiligen Berg eine kleine Zahl dieſer
Tribunen ihre Gemeinde zu vertreten auserleſen zu ſeyn,
Erſter Theil. R
[258] und durch das beſchworne Buͤndniß bey der Erfuͤllung ih-
res Berufs eine Garantie empfangen zu haben. Denn
daß die Tribus urſpruͤnglich nur die Plebejer faßten, daß
erſt ſpaͤter die Patricier und ihre Clienten in ſie eintraten,
werde ich in der Folge dieſer Geſchichte darthun. Was
aber hier bis dahin als Poſtulat aufgeſtellt wird, kann nie-
mand unwahrſcheinlich finden der ſich erinnert daß die Ge-
meinde der Tribus das Reich der Volkstribunen war,
und nie von einem patriciſchen Magiſtrat verſammelt iſt.
Ausnahme allerdings iſt die Bildung der Tribus Claudia
aus den Clienten dieſes Geſchlechts: aber eine nicht gerin-
gere iſt die des Geſchlechts in die alten Tribus, wahrſchein-
lich an die Stelle eines erloſchenen. Es geſchah aber je-
nes in einer Zeit wo die Patricier das Volk ſehr druͤckten,
und vielleicht war es ein Verſuch die zehn erloſchnen plebe-
jiſchen Tribus allmaͤhlich durch neue aus der Clientel ge-
bildete zu erſetzen.
Weſentlich erweißt die ganz plebejiſche Natur der
Staͤmme des Servius daß Varro ihre Errichtung mit der
Anweiſung von Landeigenthum verbindet. Der Darſtel-
lung des Rechts der Domainenbenutzung durch Beſitz und
des Rechts auf Eigenthum von jenen Domainen gebuͤhrt
eine abgeſonderte und ausfuͤhrliche Entwickelung. Fuͤr
dieſen Gegenſtand iſt es hinreichend vorlaͤufig anzudeuten
daß jenes urſpruͤnglich den Patriciern, welche dann ihre
Clienten belehnten, dieſes den Plebejern ausſchließlich zu-
kam 28): daß, mit andern Worten, eigentliches Land-
[259] eigenthum nur in den Haͤnden der letzten war: daß alle
Aſſignationen zu Gunſten der Plebejer geſchahen, und eine
Abfindung fuͤr ihren Antheil am Gemeinlande waren: daß
daher, wo von allgemeinen Landanweiſungen die Rede
iſt, faſt immer die Plebejer als Belehnte ausdruͤcklich be-
nannt werden; wo es nicht geſchieht, dennoch Beſchraͤn-
kung auf die Plebs nicht zweifelhaft ſeyn kann. Die Land-
aſſignation des Koͤnigs Servius wird von Dionyſius 29)
als eine ſeiner erſten Handlungen erzaͤhlt, wodurch er
ſich die Gunſt des Volks erworben, vielmehr aber ward
eben dadurch die Plebs in ihrer Eigenthuͤmlichkeit feſt-
geſtelit.
Die großen Bauwerke welche die roͤmiſchen Koͤnige
auffuͤhrten, und ihre Macht, welche Beſoldung des Heers
vorausſetzt, laſſen es nicht bezweifeln daß ſie ſchon, was
die Republik erſt ſpaͤt wiedergewann, einen Zehenten
von dem Ertrag der Domainen erhoben haben. Dieſen
empfing der Staat als Eigenthuͤmer; alles Land welches
er mit Eigenthum uͤbertragen hatte, konnte nach roͤmi-
ſchen Grundſaͤtzen nicht unmittelbar ſteuerpflichtig ſeyn:
denn Eigenthum und Grundſteuer waren widerſprechende
Begriffe. Anders dachten die Griechen, unter denen Pi-
ſiſtratus ſchon damals den Zehenten als Grundſteuer auf-
gelegt hatte ohne ſich das Eigenthum anzumaaßen, und
dreyhundert Jahre ſpaͤter ward er ſo dem gerechten und
milden Hiero im Syrakuſaniſchen Koͤnigreich gezahlt.
Das Grundeigenthum zahlte ſeine Steuer zu Rom als
R 2
[260] Theil des Vermoͤgens, nebſt Sklaven, Vieh, Metallen:
es hat großen Anſchein daß dieſe Steuer, das Tributum,
daher ſeinen Nahmen hatte, weil es der Inbegriff des
Vermoͤgens der Grundeigenthuͤmer war von dem geſteuert
ward, und nur in den Tribus von allen Gegenſtaͤnden ge-
zahlt wurde. Von dem Beſitz auf der Domaine konnte
kein Werth zu einer Vermoͤgensſteuer angeſchlagen wer-
den: dies ward durch den Zehenten erſetzt: das aber ward
der Ruin der Plebejer, daß, wie im Verfolg außer Zwei-
fel geſetzt werden wird, der Betrag der Schulden vom
Werth der Grundſtuͤcke des Schuldners nicht in Abzug
kam, daß der Reiche, damals vornaͤmlich der Patricier,
von ausſtehenden Kapitalien gar nicht zahlte, der Schuld-
ner, wenn ihm ſchon kein As Ertrag mehr von ſeinen lie-
genden Gruͤnden blieb, dennoch, ſo lange ſie ſein Eigen-
thum blieben ſo viel ſteuern mußte als ob ſie ſchuldenfrey
geweſen waͤren. Es war alſo eigentlich doch nicht ſo wohl
Vermoͤgensſteuer als Grundſteuer, und zwar der ſchlimm-
ſten Art, indem ſie veraͤnderlich, nach dem Schaͤtzungs-
werth vom Tauſend 30) erhoben ward. Dadurch nun
ſind in der Folge die Plebejer ſo entſetzlich gedruͤckt wor-
den, waͤhrend die Patricier und ihre Erbunterthaͤnigen
bey allen Ausſchreibungen ſehr wenig zahlten, und dies
war beſonders ſchrecklich als ſie ſich dem Zehenten entzogen
hatten. Daher murrten die Volkstribunen, die Steuern
wuͤrden ausgeſchrieben um die Plebs zu Grunde zu richten,
welche allein ſie zahle. Von Schuldforderungen zahlten
jene gar nicht: alſo nur von Haͤuſern in der Stadt, Skla-
[261] ven, Heerden und Metall 31). Eben ſo ihre Clienten,
welche, wenn ſie Handwerker waren nur nach dem Werth
armſeliger Haͤuſer, waren ſie Laßbauern nur nach ihrem
wenigen Vieh zur Steuer in Anſchlag kamen: wenn ſie
bedeutende Capitalien beſaßen, oder Handel trieben, von
allen ihrem Gewinn dem Staat nichts entrichteten. So
waren alſo die fuͤnf Klaſſen des Koͤnigs Servius eigent-
lich faſt ganz plebejiſch, und die Clienten der Patricier
eben durch ihre Vorrechte in die letzte Klaſſe verwieſen,
denen keine Waffen anvertraut wurden: und das politi-
[262] ſche Uebergewicht der reicheren Plebejer, welches doch nur
bey Wahlen eintrat, war eine gerechte Entſchaͤdigung fuͤr
die ſchweren Laſten welche ſie allein trugen, und die Ent-
behrung der Domainenbenutzung. Daß es uͤbrigens eine
erſte Klaſſe unter den Plebejern geben konnte, welche
durch Grundeigenthum bedeutend reich war, erklaͤrt ſich
vollkommen wenn es vornehme und reiche Latiner aus den
aufgenommenen Staͤdten waren, denen die Koͤnige ihr
Landeigenthum zuruͤck verliehen hatten.
Die Eintheilung des roͤmiſchen Volks in Klaſſen und
Centurien war in Commentarien verzeichnet, welche dem
Koͤnig Servius Tullius zugeſchrieben wurden; aus dieſen
haben Livius und Dionyſius unmittelbar, oder durch An-
nalen, worin ihr Inhalt aufgenommen war, ihre Nach-
richten. Dieſe weichen weſentlich von einander ab: denn
beyde erklaͤrten keine Einrichtung ihrer Zeit, auch nicht
einmal eine vor kurzem abgeaͤnderte; ſondern etwas laͤngſt
erloſchenes, und dadurch noch mehr verdunkeltes, daß
ganz andre Gegenſtaͤnde unter die naͤmlichen beybehalte-
nen Nahmen getreten waren. Der Sinn der Eintheilung
verſchwand als das Kriegsſyſtem ſich aͤnderte, und Livius
erklaͤrt die Klaſſen wie bey dem Latinerkriege die alte Tak-
tik, weil beydes hiſtoriſch ganz veraltet war. Dies iſt bis
auf die neueſte Zeit verkannt worden: meine Anſicht von
dem Weſen der ſpaͤteren Centurienverſammiungen werde
ich im Verlauf dieſer Geſchichte vortragen und zu erwei-
ſen ſuchen.
Eigenthuͤmlich war die Eintheilung des Volks in
Klaſſen nach dem Vermoͤgen Rom keineswegs; auch nicht
[263] einmal das im Sinn der griechiſchen Oligarchieen abge-
meſſene Verhaͤltniß, wie es Dionyſius unſtreitig mit
Recht annimmt, nach welchem das Geſammtvermoͤgen
der Buͤrger ſo eingetheilt war, daß die Geſammtheit jeder
Klaſſe ungefaͤhr im Verhaͤltniß der ihr zugetheilten Stim-
menzahl Vermoͤgen beſaß, alſo, bey gleichen Stimmen
zweyer Klaſſen, die Zahl der in jeder enthaltnen Buͤrger
um ſo viel groͤßer oder kleiner war als ihr Cenſus kleiner
oder groͤßer. Denn Ariſtoteles erwaͤhnt einer ſo abgemeſ-
ſenen Abſtimmung nach Klaſſen als einer nicht ungewoͤhn-
lichen Verfaſſung 32). Aber Rom war der einzige be-
deutende Staat in dem dieſe Verfaſſung galt: in keinem
andern ſcheint ſie ſo ausgebildet geweſen zu ſeyn, und we-
nigſtens iſt es von keinem andern bekannt daß neben der
Timokratie fuͤr das Volk, die Ariſtokratie fuͤr den Adel
beſtand. Denn die Ritter, welche in den letzten Zeiten
durch einen Cenſus welcher den der erſten Klaſſe weit
uͤberſtieg unterſchieden wurden, waren in der Verfaſſung
des Koͤnigs Servius nur durch die Ehre und den Adel
ausgezeichnet.
[264]
Es ſcheint nur ein Mißverſtaͤndniß zu ſeyn, wenn Li-
vius, weil dieſe achtzehn Rittercenturien zaͤhlte, der Mei-
nung war, Servius habe zwoͤlf neue Centurien gebildet,
neben den ſechs fruͤheren. Schon unter Tarquinius und
durch ſeine Geſetzgebung waren nach Livius eigner Er-
zaͤhlung, achtzehnhundert Ritter, in ſechs Ordnungen,
welche gewiß nicht Centurien genannt wurden: und ſo
ſcheint Servius nur dieſe Staͤmme, um ſie der neuen
Verfaſſung einzuverleiben, in achtzehn Hunderte oder
wirkliche Centurien getheilt zu haben. Urſpruͤnglich war
dieſes das angemeſſene Wort, welches nachher ganz un-
eigentlich ward als die Zahl der Ritter jene anfaͤngliche
weit uͤberſtieg.
Wer das Prinzip des ſpaͤteren Ritterſtands auf die
aͤlteſten Zeiten uͤbertraͤgt, wer ihn vom Anfang her fuͤr
den Inbegriff des erſten Reichthums der Nation anſieht,
der muß, ſeine Anſicht von der Fortdauer der Verfaſſung
des Servius Tullius mag ſeyn welche ſie wolle, an einer
Nachricht bey Livius Anſtoß gefunden haben, welche von
Dionyſius uͤbergangen wird, dennoch aber nicht weniger
den Stempel eigenthuͤmlicher Aechtheit traͤgt. Man ſollte
erwarten, dieſe Ritter als die reichſten waͤren eben darum,
wie zu Athen, fuͤr den koſtſpieligen Dienſt zu Pferde be-
ſtimmt geworden, weil ſie vermochten ihn aus ihren Mit-
teln zu beſtreiten; wie der Buͤrger der erſten Klaſſe das
Vermoͤgen beſaß ſich mit einer ganz vollſtaͤndigen Ruͤſtung
zu verſehen: Livius aber meldet: jeder habe vom Staat
10000 Aſſe zum Ankauf von Pferden empfangen, und fuͤr
jeden waͤren auf das Vermoͤgen reicher Wittwen jaͤhrlich
[265] zweytauſend Aſſe angewieſen geweſen, zu ſeiner Erhaltung
und fuͤr die Koſten des Pferdes. Dies enthaͤlt eine neue
Schwierigkeit, denn es ſcheint unmoͤglich daß im Roͤmi-
ſchen Volk ſelbſt in weit ſpaͤteren Zeiten und bey einer ver-
mehrten Volkszahl ſo lange die alte Verfaſſung noch be-
ſtand, im Durchſchnitt achtzehnhundert ſehr wohlhabende
Wittwen geweſen ſeyn ſollten. Die erſte Aushuͤlfe die
wir annehmen muͤſſen, iſt, daß unter vidua, nach dem
urſpruͤnglichen, von den Roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſelbſt
anerkannten Sinn, im Allgemeinen ein unverheirathetes
Weib, Maͤdchen ſowohl als Wittwe alſo auch eine Erbin
(ἐπίκληϱος) zu verſtehen iſt 33).
So wird die Sache freylich denkbarer, aber ſie bleibt
doch noch immer hoͤchſt unwahrſcheinlich, wenn man die
Anweiſung des Gelds zum Ankauf der Pferde und die Be-
ſoldung auf alle achtzehn Centurien bezieht. Sie kann
aber nur fuͤr die gelten welche wirklich in den Legionen
dienten, und ſogar nur ein Theil von dieſen erhielt in je-
ner Zeit ſeine Pferde vom Staat 34). Dies aber und der
Sold waren mit einander verbundne Vortheile; zu ihrem
Genuß konnten nur ſo viele gelangen, als einzelne Pen-
ſionen angewieſen werden konnten.
[266]
Ich bin weit entfernt die Wahrſcheinlichkeit laͤugnen
zu wollen daß mancher reiche Patricier die Ausſteuer und
den Gehalt genoß, ohne einiges Beduͤrfniß, wie mancher
arme von gleicher Geburt davon ausgeſchloſſen war. Da-
von iſt ein Beyſpiel bekannt von L. Tarquitius, dem
Freunde des großen Cincinnatus, der zu Fuß dienen
mußte, weil er ein Pferd nicht bezahlen und unterhalten
konnte. Der Sinn des Geſetzes war aber wohl, daß wenn
auch die Patricier im Allgemeinen gewiß entſchieden der
reichſte Theil der Nation waren, viele von ihnen dennoch
in einer Armuth lebten, welche ihnen den Ritterdienſt,
wie dem Tarquitius, unmoͤglich gemacht, und ſie wo nicht
in die geringſte Klaſſe, wenigſtens in die fuͤnfte und unter
die Leichtbewaffneten verwieſen haben wuͤrde. Dieſe alſo
wollte der Staat mit Pferden und mit Geld zu ihrer Un-
terhaltung verſorgen, damit ſie anſtaͤndig dienen koͤnnten.
So wie aber Reichthum, nach der eignen leidigen Mei-
nung des Adels, den Plebejer ihm am naͤchſten bringt, ſo
wurden die plebejiſchen Ritter, von denen im vierten
Jahrhundert ausdruͤcklich geredet wird, unſtreitig unter
den Reichen gewaͤhlt, deren Vermoͤgen zum Roßdienſt
hinreichte, ſofern ſie nicht unverarmte Nachkommen der
erſten neuen Ritter des Koͤnigs Tarquinius waren.
Die Plebejer waren in fuͤnf Klaſſen getheilt, die de-
ren Vermoͤgen uͤber 100,000, 75,000, 50,000, 25,000
und 12,500 35) Aſſe betrug: die erſte Klaſſe war voͤl-
[267] lig ſchwergeruͤſtet; die Ruͤſtung der zweyten war weniger
vollſtaͤndig, noch weniger die der dritten: die vierte hatte
nach Livius gar keine Schirmwaffen: die fuͤnfte war nur
mit Schleudern und Wurfſpießen bewaffnet. Die welche
weniger als die kleinſte Vermoͤgensſumme der fuͤnſten
Klaſſe beſaßen, dienten nicht. Damit war zu Polybius
Zeit, wo die politiſche Bedeutung der Klaſſen und Centu-
rien ſchon laͤngſt erloſchen war, aber doch das Vermoͤgen
bey der Einmuſterung noch immer in gewiſſem Maaß zur
Regel diente, eine weſentliche Veraͤnderung vorgegangen:
denn damals war jeder bis zum Vermoͤgen von 400 De-
naren herab conſcriptionspflichtig, und dieſe Aermeren
dienten unter den Veliten. Die deren ſteuerpflichtige
Habe weniger als dieſe Summe betrug, waren noch frey
vom Landdienſt, aber ſie wurden fuͤr die Flotte ausgeho-
ben: es ſcheint beydes als Matroſen, wenigſtens Rude-
rer, und als Marineſoldaten. Die Ausſchließung der
ſechſten Klaſſe vom Kriegsdienſt war uͤbrigens mehr Ent-
waffnung als Befreyung. Befugt war der Staat ihren
Dienſt zu fordern, wenn er ihnen Waffen gab 36).
[268]
Dionyſius giebt das Vermoͤgen der Klaſſen durch
Summen die ein Zehntheil der oben verzeichneten Aſſe
ſind, in Denarien an, welche er, wie die Griechen uͤber-
haupt, Drachmen nennt, weil ſie urſpruͤnglich nach dem
Gehalt und zu dem Werth derſelben ausgemuͤnzt wurden:
als ſich Schrot und Korn verſchlechterten blieb noch die
alte Benennung, wie wir von vielerley Pfunden, Gul-
den und Marken reden, die aus urſpruͤnglichen Geldarten
verſchieden herabgewuͤrdigt ſind.
Wenn Gewicht und Gehalt einer Silbergeldart ver-
mindert werden, ſo entſteht daraus, ungewoͤhnliche Um-
ſtaͤnde ausgenommen, eine ſcheinbare Vertheurung, und
die wahre Vergleichung des Vermoͤgens in alten Zeiten
und nach der Reduction ergiebt ſich nur aus dem Metall-
gehalt nicht aus der Geldſumme. Man iſt daher faſt un-
vermeidlich verſucht dies, welches von den edeln Metal-
len allgemein bekannt iſt, auch auf das Roͤmiſche Kupfer-
geld anzuwenden, und da in folgenden Zeiten als das As
auf 1/12 und zuletzt bis auf 1/24 verkleinert war, doch immer
noch 16 auf einen Denar gerechnet wurden, ſo ſtellt man
ſich den Geldwerth des alten ſchweren Geldes im Verhaͤlt-
niß des Gewichts groͤßer vor: ſo daß, wenn nach dem
Papiriſchen Geſetz ſechszehnloͤthige Aſſe einen Denar gal-
ten, ein altes As anderthalb Denare haͤtte werth ſeyn muͤſ-
ſen. Daher ſcheint es unglaublich daß unter den Aſſen
des Livius alte Kupferpfunde zu verſtehen ſeyen, weil ſich
in dieſer Vorausſetzung allerdings unbegreiflich hohe und
offenbar unmoͤgliche Summen des Vermoͤgens der Klaſ-
ſen ergeben. Man iſt dadurch auf die Vermuthung gera-
[269] then, es ſey hier nicht vom alten Gelde die Rede, ſondern
die Summen waͤren in neuem Gelde, nach der Reduction
des Muͤnzfußes angegeben, und die Summen in altem
Gelde waͤren um ſehr vieles kleiner geweſen. Allein nach
Denaren ſind die Vermoͤgensſaͤtze offenbar gar nicht uͤber-
trieben. Folglich alſo auch dann nicht wenn man an-
nimmt, das Kupfer oder Erz ſey vor Alters aͤußerſt wohl-
feil, und das Verhaͤltniß worin im J. 485 die erſten De-
nare ausgepraͤgt wurden, naͤmlich 1000 Pfund auf
1 Pfund Silber, ſchon von den aͤlteſten Zeiten, deren wir
hier erwaͤhnen, guͤltig geweſen. Alsdann betrug das
Vermoͤgen der erſten Klaſſe 100 Roͤmiſche Pfunde Sil-
ber 37), weit weniger als das der erſten Soloniſchen
Klaſſe, die nach dem Einkommen angeſchlagen waren.
So wie uns aber die Berechnung erſchreckt, wenn wir den
Werth von 100000 Pfunden nach dem jetzigen Preiſe des
Kupfers anſchlagen, ein Vermoͤgen welches bey dem da-
maligen Zuſtand gewiß kein Individuum Roms beſitzen
konnte, ſo mag es auch allerdings faſt unglaublich ſchei-
nen daß ohne den Zuſatz des theurern Zinns im Erz zu
rechnen der Centner Kupfer, deſſen jetziger Preis auf al-
tes Geld gerechnet gegen 180 attiſche Drachmen oder etwa
220 alte Denare betragen wuͤrde, nur etwa 12 alte De-
nare gegolten haben ſollte, und dies muß um ſo auffallen-
der ſeyn, da derſelbe zuletzt ungefaͤhr zu 180 Denaren aus-
gemuͤnzt ward. Inzwiſchen machen mehrere Umſtaͤnde es
hoͤchſt wahrſcheinlich daß der Geldwerth des ſchweren
Kupfergelds in der That nicht hoͤher war, und daß es,
[270] wenn auch gleich bis zum Jahr 485 das einzige Courant,
doch dem Werthe nach nie etwas anderes als eine hoͤchſt
unbequeme ſehr kleine Summen repraͤſentirende Muͤnze
war, wobey Silber mit fremdem Stempel oder in Barren
als eigentliches Handelsgeld keineswegs ausgeſchloſſen
ſeyn konnte. Bey der Entrichtung der Kriegsſteuer ward
das Geld aus den einzelnen Haͤuſern mit Waͤgen nach dem
Schatz hingefahren 38). Man haͤufte das ſchwere Kupfer
in Kammern auf 39). Beydes beweißt bey der allgemei-
nen Armuth einen aͤußerſt geringen Werth der einzelnen
Stuͤcke. Nimmt man an welches gewiß nicht zu viel iſt,
daß auf einen Wagen 1000 Pfund geladen wurden, ſo
war eine Wagenladung 1 Prozent von einem Vermoͤgen
von 100,000 Pfunden: aber ſo viel hat man ſchwerlich ge-
zahlt: den widerſpenſtigen Colonieen ward als Strafe eine
Vermoͤgensſteuer von 1 von Tauſend aufgelegt 40). Von
der ungeheuern Menge altes Kupfergeldes welches ehe-
mals im Umlauf war, zeugt die Duiliſche Inſchrift, wo
2,100,000 Pfunde gemuͤnztes Kupfer in der Beute erwaͤhnt
werden: die in den Triumphen des Samniterkriegs auf-
gefuͤhrte Beute, und die davon den Soldaten vertheilten
Summen.
Nach Timaͤus muͤnzte Servius Tullius das erſte Geld
zu Rom; bis auf ſeine Zeit gebrauchte man Erzmaſſen
(aes rude)41). Alſo als ein Tauſchmittel, zugleich Geld
[271] und Waare, deſſen Werth von denjenigen Bedingungen
abhaͤngt die den Preis jeder Waare beſtimmen. Der
Ueberfluß des Erzes erhellt aus dem Umſtand daß die
Waffen und die Ruͤſtung der Linientruppen des Servius
ganz daraus verfertigt waren, es mußte alſo wohlfeiler
als Eiſen ſeyn; vielleicht beweißt auch der haͤufige Ge-
brauch zu Statuen das naͤmliche. Waren nun die Kupfer-
minen bey Volaterraͤ vor Alters noch ergiebiger als jetzt,
welches ſich mit der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit annehmen
laͤßt, und gab es deren vielleicht manche andre die jetzt er-
ſchoͤpft ſind, ſo iſt dieſer niedrige Preis nicht nur erklaͤr-
lich: er war durchaus nothwendig. Rom gewiß, vielleicht
aber auch Etrurien konnten kein Silber aus der Fremde
durch Uebergewicht ihres Ausfuhrhandels anziehen. Kar-
thago und Sicilien waren die Laͤnder ihres Verkehrs: ſie
bezogen aber daher nicht nur Waaren des Luxus, wie
Zeuge, Purpur, Elfenbein, Gold und Silber, wovon ſie
doch nicht wenig verarbeiteten, ſondern nothwendige Ge-
genſtaͤnde, Bley, Zinn, ſogar Getreide, und wahrſchein-
lich dieſes oft in großer Menge. Zur Ausfuhr aber hatten
ſie nichts Bedeutendes als Sklaven, Stangeneiſen,
Stahl und Kupfer 42). Dieſes letzte aber muß in Kar-
thago ſehr wohlfeil geweſen ſeyn, weil die Cypriſchen
Bergwerke damals ungeheure Quantitaͤten lieferten; die
durch die alte Abhaͤngigkeit der Inſel von den alten Phoͤ-
niciern, durch ihre Colonieen und den großen Verkehr
[272] zwiſchen Tyrus und Karthago gewiß einen Hauptmarkt in
Afrika hatten; wahrſcheinlich in den Italiſchen Haͤfen
mit dem einheimiſchen concurrirten, und nothwendig den
Preis auf jede Weiſe niedrig hielten. Ward nun das ein-
heimiſche wenig ausgefuͤhrt, und die vorhandne Maſſe
jaͤhrlich vermehrt, ſo konnte der Silberwerth unter ge-
wohnten Umſtaͤnden nicht ſteigen, beſonders bey einem
ſo wenig zerſtoͤrbaͤren, des Umgießens leicht faͤhigen
Metall.
Daß das Verhaͤltniß von zehn Pfunden gegen eine
Drachme alt war, beweißt die Beſtimmung des Preiſes
der Rinder und Schaafe bey den Geldbußen im hateri-
ſchen Geſetz. Denn wie hier der Werth eines Schaafs auf
zehn Pfund geſetzt iſt, ſo war es zu Solons Zeit und durch
ſeine Geſetze zu Athen, wo nur Silber Courant war, auf
eine Drachma geſchaͤtzt: ein Rind damals zu Athen auf
fuͤnf Drachmen, welches das hateriſche Geſetz auf hundert
Pfunde ſchaͤtzte 43). Der Getreidepreis iſt allgemein als
der richtigſte Maaßſtab des Silberwerths in verſchiedenen
Zeitaltern anerkannt, und nach dieſem iſt es nicht zweifel-
haft daß die Verminderung des Gewichts der Aſſe ihren
Geldwerth nicht herabſetzte. Es ward um das Jahr 314
als ein außerordentlich niedriger Preis angeſehen, wie
das Korn auf einen As fuͤr den Modius kam. Aber eben
ſo niedrige Preiſe bemerkten die Chroniken bey dem Jahr
504, als das Gewicht der Aſſe ſchon auf ein Sechstheil
herab-
[273] herabgeſetzt war 44), und hundert Jahre ſpaͤter da Kupfer
auf 1/24 des Gewichts herabgeſetzt nur als Schei-
demuͤnze galt, und alle Preiſe ſich in Silber beſtimmten,
galt der Waizen im Cisalpiniſchen Gallien oft nur zwey
ſchlechte Aſſe 45). In Ciceros Zeitalter galt der Modius
in Sicilien 2, auch 3, Seſtertien, oder 8, auch 12,
ſchlechte Aſſe 46). Dies waren gewoͤhnliche Preiſe, in
einem Zeitalter wo alles vielfach im Geldwerth geſtiegen
war: jenes aͤußerſt wohlfeile fuͤr die Chroniken merkwuͤr-
dige. Niemand kann aber annehmen daß dieſe, viertehalb-
hundert Jahre aͤltere, doppelt oder dreyfach hoͤher gewe-
ſen ſeyn ſollten als jene gewoͤhnlichen Marktpreiſe.
Sobald ein an ſich taͤglich brauchbarer Gegenſtand
auch als Muͤnze angewandt wird, ſo iſt es nicht auffal-
lend wenn die Maſſe ſeiner Stuͤcke durch ihren geringen
Werth ihn zum eigentlichen Geldverkehr unbequem macht,
wie das Steinſalz in Habeſſinien, wie der Cacao in
Mexico. Der Werth dieſes Tauſchmittels und ſein Maaß-
ſtab fuͤr das Vermoͤgen beſtimmt ſich durch ſeinen Preis
im auswaͤrtigen Handel, fuͤr dieſen aber galt im Alter-
thum, wie in unſern Tagen feines Silber als allgemei-
nes Maaß.
Daß die edeln Metalle in Rom von den aͤlteſten Zei-
ten her nicht ſo gar ſelten waren, beweißt freylich wohl nicht
die Sage von den 40000 Pfunden die der letzte Tarqui-
Erſter Theil. S
[274] nius zum Bau des Capitols verwandte: aber wohl daß
man um Rom von den Galliern loszukaufen tauſend
Pfund Gold aufbringen konnte, theils zwar aus den Tem-
peln, aber auch aus Geſchmeide und Geraͤth: und es
ſcheint daß dennoch einiges mehr blieb, da doch nur vor-
handen war was vor der Pluͤnderung gerettet wer-
den konnte. Damit moͤchte ich freylich nicht behaupten
daß das Verhaͤltniß zwiſchen Kupfer und Silber richtig
war welches die Roͤmer annahmen als ſie anfingen
Silber auszumuͤnzen, und ſo zwey Metalle neben ein-
ander in einem feſten Verhaͤltniß als Courant in Um-
lauf brachten. Es traten die naͤmlichen Folgen ein
welche ſich immer gezeigt haben wenn man das Ver-
haͤltniß von Gold und Silber in der Muͤnze feſtſtellen
wollte. Das Metall welches unter ſeinem Werth ge-
ſchaͤtzt iſt, verſchwindet, und wird durch das andre ver-
draͤngt. Die Auspraͤgung von Silberdenaren war ohne
Zweifel eine Finanzoperation, und zehn Pfunde ſchon
mehr werth als eine Silberdrachme 47). Die Erde iſt
verhaͤltnißmaͤßig ergiebiger an Silber als an Kupfer,
und daher muß der Silberwerth des letzten beſtaͤndig
ſteigen. Schon damals waren die Karthaginenſer wenn
auch noch nicht entſchieden Herren der Spaniſchen Sil-
berminen, doch die deren Handel ihren Ertrag an ſich
[275] zog, und zu ihrem Bau ermunterte. Rom hatte die Herr-
ſchaft uͤber das ſuͤdliche Italien gewonnen, welches von
Alters her Silber als Courant brauchte, und die Steuern
wurden von dort gewiß in Silber uͤbermacht. Es iſt auch
wahrſcheinlich daß der puniſche Krieg die Einfuhr von
Kupfer aus Cypern nach Italien und Sicilien mit dem
ganzen puniſchen Handel hemmte. War nun das Kupfer-
geld zu ſchwer, ſo mußte es gegen Silber aufgekauft,
ausgefuͤhrt und Silber vorherrſchend werden, und wir
ſehen auch daß dieſes geſchah und leichtes Kupfer Schei-
demuͤnze ward 48). Es war freylich ein Bankerott der
Republik an den Glaͤubigern, doch mag auch, wie Pli-
nius ſagt, der eingetretene, (durch den fehlerhaften
Muͤnzfuß veranlaßte) Geldmangel den Senat bewogen ha-
ben waͤhrend dieſes Kriegs das Gewicht des Kupfergelds,
ohne Veraͤnderung des Werths auf ⅙ herabzuſetzen: eine
Maaßregel die ſpaͤter bis zur Verminderung auf 1/24 des
urſpruͤnglichen Gehalts gebracht ward. Von dieſer Zeit
an iſt Kupfer Scheidemuͤnze, und es wird bey der Angabe
der eingebrachten Beute nach dem Gewicht, wie Silber
in Summen aufgefuͤhrt.
Nimmt man aber an es waͤren reducirte Pfunde
zu verſtehen, ſo laͤßt es ſich nicht erklaͤren daß, ich will
nicht ſagen, Dionyſius, ſondern daß Polybius, dieſer
S 2
[276] genaue und ſorgfaͤltige Schriftſteller von der erſten Klaſſe,
denen deren Cenſus 10000 Drachmen betragen habe, re-
den konnte. Denn das Verhaͤltniß von 10 Pfunden auf
den Denar gilt fuͤr das alte Geld: fuͤr die Scheide-
muͤnze 16 Aſſe auf einen Denar. Die Herabſetzung von 8
zu 5 waͤre auch nicht weſentlich. Will man kleine Sum-
men in altem Gelde haben, ſo muͤßte man das reducirte
gegen das alte im Verhaͤltniß des Gewichts berechnen, ſo
daß angenommen wuͤrde, eine vor Alters mit hundert
ſchweren Pfunden bezeichnete Summe ſey nach dem Jahr
563 auf 2400 Pfunde berechnet geworden; dies waͤre aber
grade gegen die Abſicht der Reduction geweſen. Man
benannte dieſe Summe jetzt in Silber, deſſen Muͤnzfuß
ſeit der Einfuͤhrung des Silbergelds nicht legal ver-
ſchlechtert war, eben wie im Jahr 485, 10 Denare oder
40 Seſtertien. Will man um die anſcheinend ungeheuern
Summen wegzuſchaffen, doch das beyſpielloſe, und hier
wirklich ausdruͤcklich widerlegte annehmen: will man lie-
ber glauben Livius habe kleine Aſſe ſeiner Zeit gemeint,
und man muͤſſe dieſe durch 24 theilen, um das Gewicht
und die Zahl der alten Kupferpfunde zu erhalten, ſo be-
trachte man den Quotienten der nicht nur dem alten roͤ-
miſchen Decimal-, ſondern jedem Zahlſyſtem fremd wird,
da man anſtatt 100,000 4166⅔ ſchwere Aſſe erhaͤlt; und ſo
ferner. Dies iſt augenſcheinlich widerſinnig. Ueberhaupt
daß ein andres Zahlenſyſtem als eines welches von 100
und 110 anhebt, zum Grunde der Klaſſeneintheilung ge-
legt worden ſey kann keinem moͤglich ſcheinen der die
Zahlregeln beobachtet und verfolgt hat welche bey den
[277] Roͤmern allenthalben herrſchten. Ich habe 110 genannt,
denn dieſe Zahl findet ſich wirklich bey Plinius 49), wel-
cher das Vermoͤgen der erſten Klaſſe auf oder uͤber
110000 Pfunde angiebt.
Fuͤr die Plebejer beſtimmte die Eintheilung der Klaſ-
ſen die Art des Kriegsdienſts, jeder im Verhaͤltniß ihrer
Steuer, und ihres Antheils an der Ausuͤbung der Souve-
rainetaͤt. Alle Buͤrger welche das Vorrecht genoſſen mit
Waffen geruͤſtet zu ſeyn, und die Verpflichtung hatten zu
dienen, waren in eine gleiche Anzahl Centurien Juͤngerer
und Alter eingetheilt. Zu jenen gehoͤrten alle vom ſieb-
zehnten bis zum ſechs und vierzigſten Jahr: alle aͤltern
waren in den letzten begriffen. Die umſtaͤndliche und ſicht-
bar nicht willkuͤhrlich erſonnene Nachricht von der abwei-
chenden Bewaffnung der verſchiedenen Klaſſen und ihrer
Aufſtellung im Heer befremdet weil alle Eigenthuͤmlich-
keiten der Roͤmiſchen Armee fehlen, und vielmehr etwas
ganz andres als ſie geſchildert wird. Aber die aͤlteſte Ein-
richtung des Heers und der Schlachtordnung hat keine
Beziehung auf die Organiſation welche Rom ſpaͤter un-
uͤberwindlich machte, welche Polybius in ihrer vervoll-
kommten Einfachheit als Augenzeuge beſchreibt, Livius
nach alten Nachrichten in ihrer anfaͤnglichen verwickelte-
ren Kuͤnſtlichkeit: in ſeinem Zeitalter war ſelbſt die Taktik
der Scipionen nur noch ein Gegenſtand militaͤriſcher Ge-
lehrſamkeit. Jene welche Livius beſchreibt, iſt im vier-
ten Jahrhundert entſtanden, aber der Nahme des großen
Mannes der ſie ſchuf, die unbeholfne Maſſe eines Phalanx
[278] in die lebendigen Koͤrper einer Roͤmiſchen Legion umbil-
dete, und dieſe als eine in ſich vollendete Armee, als die
vollkommenſte denkbare Diviſion, aus allen Waffen zu-
ſammenſetzte: ſelbſt dieſer Nahme iſt fuͤr uns untergegan-
gen, oder vielmehr: denn unſtreitig nennen wir ihn in den
Faſten: von ſeinem ſchoͤnſten Ruhm entbloͤßt. Eine No-
tiz in Livius bringt die Veraͤnderung in Camillus Zeital-
ter, und ihm, der als Feldherr damals einzig war,
ſcheint es, koͤnnte man ſie zuſchreiben, wenn auch nicht
eine andre Nachricht ihm die Einfuͤhrung des Pilums und
Veraͤnderung der Schutzwaffen zuſchriebe. Dies war,
heißt es, Belehrung durch die Niederlage im galliſchen
Kriege 50).
Urſpruͤnglich war der Phalanx, jene altgriechiſche
Schlachtordnung welche Philipp nur mit Hinſicht auf die
Eigenthuͤmlichkeiten ſeines Volks 51) ausbildete, auch die
Form der Roͤmiſchen Taktik 52). Die Hauptwaffe, und
[279] eigentlich die einzige welche der Phalangit, bis die
Schlacht gewonnen oder verloren war, gebrauchen konnte,
war ſein Speer: deſſen Laͤnge, ſchon ehe Philipp die unge-
heuern Sariſſen einfuͤhrte, zuließ daß auch das hinterſte
Glied, wenn der Phalanx acht Mann hoch aufgeſtellt war,
dieſe Waffe mit Wirkung gebrauchen konnte, und dem
Feind acht Speereiſen bey jedem Mann des erſten Glieds
entgegengeſtreckt waren. Daher erklaͤrt ſich die ſonſt un-
begreifliche Eigenthuͤmlichkeit der dem Servius Tullius
zugeſchriebenen Bewaffnung nach den Klaſſen: daß die
welche in den hintern Reihen aufgeſtellt wurden, immer
weniger Schutzwaffen hatten: die der vierten Klaſſe gar
keine. Sie bedurften ihrer nicht: die vordern Glieder
deckten ſie mit ihren Leibern und Waffen. Deswegen
halte ich ſogar die Angabe des Dionyſius daß ſie Schilder
fuͤhrten, fuͤr weniger richtig als Livius Stillſchweigen.
Bey dieſem Syſtem war eine wahre Analogie zwiſchen der
Taktik und der Conſtitution: diejenigen Klaſſen welche ſich
vollkommner zu ruͤſten Vermoͤgen beſaßen, hatten ein wah-
res und unbeſtreitbares Recht auf groͤßere politiſche Wich-
tigkeit, denn ſie mußten, weil nur ſie in die erſten Linien
geſtellt werden konnten, den Sturm des Gefechts beſte-
hen. Die Ritter gleichfalls erkauften ihren Vorrang
durch die weit groͤßere Gefahr der ſie ausgeſetzt waren:
denn ſie hatten eine ſehr mangelhafte Ruͤſtung, waren
52)
[280] leicht entwaffnet, und den Steinen, den Wurfſpießen,
und dem Bley der Schleuderer vorzuͤglich ausgeſetzt. Es
iſt auch faſt bis zur Evidenz wahrſcheinlich daß die gaͤnz-
liche Veraͤnderung der Centuriengemeinde entweder Folge
der neuen Taktik war, oder doch zu ihrer Einfuͤhrung in
ſehr weſentlicher Beziehung ſtand.
Die Vermoͤgensſteuer ward in einem gleichfoͤrmigen
Verhaͤltniß zum ſteuerbaren Tauſend vom Vermoͤgen ent-
richtet. Daß die ſechſte Klaſſe bey dem wirklichen Beſitz
einiger Habe gar nichts gezahlt haben ſollte, wie nament-
lich Dionyſtus meldet, iſt ſicher ein Irrthum: Livius ſagt
auch nur, dieſe Klaſſe ſey frey vom Kriegsdienſt geweſen.
Die Proletarier zahlten, nur die bloß Aufgezeichneten, die
Capite censi, von 375 Aſſen abwaͤrts am Vermoͤgen,
ſcheinen ganz ſteuerfrey geweſen zu ſeyn 53). In der
That, da der Tribut im weſentlichen eine Grundſteuer
war, muß, ſobald irgend ein Eigenthum ſteuerbarer Ob-
jecte vorhanden war, auch die Beſteuerung deſſelben ein-
getreten ſeyn. Man hat angenommen die Armen haͤtten,
wie zu Athen die Tagloͤhner nach Solons Geſetzen eine
Kopfſteuer (ϑητικὸν) gezahlt. Dafuͤr aber laͤßt ſich zu
Rom keine Spur entdecken: denn das tributum in capita,
welches freylich von dem welches nach dem Cenſus gezahlt
ward unterſchieden wird 54), ſcheint ſchon darum etwas
weit bedeutenderes und ganz anderes als ſo ein armſeliger
Kopfgroſchen geweſen zu ſeyn, weil es vor der Vermoͤ-
gensſteuer genannt wird. Eine verſtaͤndige Timokratie
[281] wie die Gervianiſche, fordert nichts von dem der im Staat
ganz unbedeutend iſt, und ſich kuͤmmerlich einen unſichern
Unterhalt erwerben muß. Jene perſoͤnliche Steuer mag
vielmehr die fremden Beyſaſſen, und die ihnen gleichge-
achteten getroffen haben welche in keiner Tribus geſchaͤtzt
werden konnten.
Sehr ungleich an Zahl mußten die Centurien aller-
dings ſeyn, da die erſte Klaſſe von ungefaͤhr hundert und
ſiebzig plebejiſchen Stimmen deren allein achtzig gab.
Aber willkuͤhrlich iſt dieſe Eintheilung anfangs ohne Zwei-
fel nicht geweſen; obgleich ſie, ſobald die Zahl der Centu-
rien feſt ſtand, und das Verhaͤltniß des Vermoͤgens ſich
veraͤnderte, ſpaͤterhin den Grund der Eintheilung verlohr
und willkuͤhrlich ſcheinen mußte. Dieſer Grund iſt ſchon
angegeben worden: naͤmlich das ſteuerbare Geſammtver-
moͤgen der Nation, und das Verhaͤltniß des Geſammtver-
moͤgens jeder Klaſſe zu demſelben. Drey Individuen der
erſten Klaſſe kamen durchſchnittsmaͤßig vier der zweyten,
ſechs der dritten, zwoͤlf der vierten, vier und zwanzig der
fuͤnften Klaſſe an Vermoͤgen gleich: alſo auch an Stimm-
recht: folglich mußten die Centurien in demſelben Verhaͤlt-
niß in jeder Klaſſe ſtaͤrker werden. Ohne Zweifel fand
man das Vermoͤgen bey dem erſten Cenſus ſo getheilt wie
man es vielleicht allenthalben, wo nicht entweder Lehnver-
haͤltniß auf dem Lande, oder uͤbermaͤßiger Fabrikenbetrieb
in den Staͤdten alles verruͤckt, und keinen Mittelſtand
zwiſchen Reichthum und Armuth zulaͤßt, finden duͤrfte:
ſo naͤmlich, daß die Maſſe welche ſich im Eigenthum des
vorzuͤglich Wohlhabenden und Beguͤterten befindet, we-
[282] nigſtens die Haͤlfte des geſammten Nationalvermoͤgens
ausmacht. Die drey Klaſſen welche zunaͤchſt auf die
erſte folgten, muͤſſen jede ein Viertel ihres Geſammtver-
moͤgens im Eigenthum gehabt haben: die vierte drey Ach-
tel; denn ſonſt waͤren ihr nicht dreyßig Centurien gege-
ben worden. Folglich betrug die Geſammtzahl der Buͤr-
ger der zweyten Klaſſe ein Drittheil, von der dritten die
Haͤlfte derjenigen der erſten Klaſſe: die der vierten war
ihr gleich: die der fuͤnften dreyfach groͤßer. Nach dem
Prinzip dieſer Klaſſeneintheilung haben von 35 Buͤr-
gern 55) 6 zur erſten, 29 zu den vier uͤbrigen Klaſſen
gehoͤrt: oder wenn jede Centurie der erſten Klaſſe voll-
zaͤhlig war, und genau hundert zaͤhlte, alſo die erſte
Klaſſe in allem 8000 Buͤrger enthielt, dann enthielten
die uͤbrigen vier beynahe 38700 56). Und dies fuͤhrt auf
ein fuͤr die Kritik und Wuͤrdigung des hiſtoriſchen Cha-
rakters der aͤlteſten Koͤmiſchen Geſchichte vielleicht hoͤchſt
wichtiges Reſultat. Die Annalen ſcheinen alle die Zahl
der Buͤrger aus dem Cenſus des Servius Tullius ge-
meldet zu haben. Livius begnuͤgt ſich mit der runden
Zahl 80000: Dionyſius aber 57) zaͤhlt, ohne Zweifel
nach Fabius, 84700. Wenn man nun wie es ohne Zwei-
[283] fel erlaubt iſt, annimmt, daß die letzte Klaſſe, welche
wohl faſt alle Clienten der Patricier in ſich begriff, den
vier zunaͤchſt vorhergehenden an Zahl gleich war, und,
nur die wenigen Hunderte vernachlaͤſſigend, fuͤr ſie
38000 hinzufuͤgt, ſo ergiebt ſich grade dieſe Zahl, welche
fuͤr den der eine große hiſtoriſche Glaubensfaͤhigkeit hat
factiſche Bewaͤhrung meiner Erklaͤrung des gegenſeitigen
Verhaͤltniſſes der Klaſſen: fuͤr einen andern einen Beweis
daß die hier gegebne Entwicklung des Prinzips dieſes Ver-
haͤltniſſes mit ſehr alten roͤmiſchen Anſichten harmonirt,
aber auch ein Beyſpiel mehr geben wird, wie in ſpaͤteren
Zeiten, allerdings ſchon fruͤher als Litteratur zu Rom
entſtand, aus berechneten Zahlen und Deutungen an-
gebliche Thatſachen in die Roͤmiſche Geſchichte einge-
ſchoben ſind, und zwar eben ſolche die am meiſten hi-
ſtoriſches Anſehen tragen. Von den Rittern deren Cen-
turien hier nicht mitgerechnet ſind, iſt ohne Zweifel anzu-
nehmen, daß ſie in Hinſicht des Vermoͤgens jeder in
ſeine Klaſſe geſchaͤtzt waren.
Ich glaube vielmehr daß die wirkliche Zaͤhlung einen
ſehr großen Unterſchied von der berechneten Regel gegeben
haben muß; und daß daher auch die Aushebung zum
Kriegsdienſt welche offenbar im Verhaͤltniß der fuͤr jede
Klaſſe gerechneten Mannszahl geſchah, ſo wie ſpaͤter nach
den Staͤmmen, nicht ganz gleich nach dem Verhaͤltniß der
Dienſtfaͤhigen ausgefallen ſeyn kann. Die große Haͤlfte
des ganzen Heers, 18 von 35 beſtand aus Leichtbewaffne-
ten, außer dem Phalanx. War dieſer der, wie Erhal-
tung der alten Nahmen die verbeſſerten neuen Inſtitutio-
[284] nen Roms von ihrem Anbeginn gleich den alten beſeitigten
kraͤftig machte, ohne Zweifel ſchon Legion genannt ward,
nach dem griechiſchen Kunſtausdruck acht Schilde hoch
aufgeſtellt, ſo fuͤllte von den vier Klaſſen die ihn bildeten
die erſte drey, die zweyte das vierte, die dritte das fuͤnfte
und eine Haͤlfte des ſechſten, die vierte die andre Haͤlfte
deſſelben und die beyden uͤbrigen Glieder. Angenommen
daß alles vollzaͤhlig war, ſo blieb alsdann noch Mann-
ſchaft uͤbrig die ein halbes Glied haͤtte anfuͤllen koͤnnen.
Aber wie kurz auch vor Alters die roͤmiſchen Feldzuͤge
dauerten, ſo muͤßte doch immer eine Zahl Dienſtunfaͤhiger
in Abzug gebracht werden, damit die Maſſe in deren
Kraft die Eigenthuͤmlichkeit des Phalanx beſtand nicht
durch zufaͤlligen Ausfall geſchwaͤcht werde, und ſo war in
der Wirklichkeit, wenn auch, was gar nicht anzunehmen
iſt, jede Klaſſe genau ſo viel haͤtte ſtellen koͤnnen als ſie im
Verhaͤltniß ihres Stimmrechts verpflichtet war, doch im-
mer kein Ueberſchuß. Wenn nun die Fronte von zwey
ganzen Centurien oder zweyhundert Mann gebildet war,
ſo ſollte der Phalanx ſiebzehnhundert Mann zaͤhlen, und
die ganze Legion wenn ſie vollzaͤhlig war, mit Inbegriff
der Leichtbewaffneten, die auch nach der ſpaͤtern Kriegs-
ordnung in der ganzen Zahl der Legion mitgerechnet wur-
den, dreytauſend fuͤnfhundert. Varro ſagt die Legion
des Romulus habe aus dreytauſend Mann beſtanden 58).
Dies gilt freylich unmittelbar von einer noch aͤlteren, als
nur die drey Staͤmme beſtanden; es mag ſich aber auch
auf die Legionen beziehen von denen wir reden, naͤmlich
[285] mit Ruͤckſicht auf den Unterſchied zwiſchen dem effectiven
Beſtand und dem angenommenen Verhaͤltniß der Kopf-
zahlen der Klaſſen: indem die niederen wohl weniger zahl-
reich ſeyn mochten als ſie es nach dem angenommenen
Grundſatz haͤtten ſeyn muͤſſen, um Befugniß zu haben die
ihnen ertheilten Stimmen zu geben.
In dieſer urſpruͤnglichen Einrichtung des Heers zeigt
ſich auch der Urſprung der Principes: einer Ordnung der
ſpaͤtern Legionen die durch ihren Nahmen auffaͤllt, weil
ſie nicht voran ſtanden ſondern das zweyte Treffen bilde-
ten. Fuͤr die als Phalanx geordnete Legion muͤſſen alle
Eigenthuͤmlichkeiten des Griechiſchen gegolten haben. Alle
Soldaten der erſten Reihe des Phalanx hatten einen hoͤ-
hern Rang und hoͤheren Sold als die uͤbrigen Phalangi-
ten: ſie hießen und waren alle Lochagen: das heißt jeder
befehligte die ganze Rotte an deren Spitze er ſtand. Dies
waren nun augenſcheinlich die urſpruͤnglichen Principes.
Zu Lochagen wurden Soldaten von der vorzuͤglichſten Lei-
beskraft, in der Bluͤthe des Lebens und von ausgezeichne-
ter Kriegsuͤbung ausgeſucht: eben ſo waren auch die Prin-
cipes noch in ſpaͤten Zeiten durch ſchoͤnere Ruͤſtung ausge-
zeichnet; ſie galten noch immer fuͤr die Bluͤthe, wie die
Triarier der Kern des Heers waren, obgleich ſie, nach der
ſpaͤteren Taktik in das zweyte Treffen geſtellt, einen Platz
einnahmen der der woͤrtlichen Bedeutung ihres Nahmens
nicht mehr entſprach. So entſprechen auch die Centurio-
nen ihrem Nahmen nach, keineswegs dem Syſtem der
Manipeln, aber wohl iſt er genau paſſend in dem des
Phalanx.
[286]
Man wird auch jetzt den Wahn aufgeben, in dem
Dionyſius traͤumt, und den er den Neueren mitgetheilt
hat, die erſte Klaſſe habe ihren Vorrang und ihre politi-
ſche Wichtigkeit allerdings ſehr theuer bezahlt, weil ſie
beſtaͤndig und in einem weit groͤßeren Verhaͤltniß als die
uͤbrigen unter den Waffen geweſen ſey, beynahe die Haͤlfte
der ganzen Armee ausgemacht habe. Eine ſo widerſinnige
Einrichtung, welche eigentlich nur um die angeſehenen
Buͤrger gefliſſentlich auszurotten haͤtte eingefuͤhrt werden
koͤnnen, darf man ſich nicht erlauben dem Roͤmiſchen Ge-
ſetzgeber beyzumeſſen. Jene alten Kriege waren wohl
nicht ſehr blutig, ſo wenig wie gewoͤhnlich die Griechi-
ſchen, ehe ſie mit der Expedition nach Sicilien einen
ganz neuen Charakter annahmen: aber, ſo wie ſie wa-
ren, haͤtten ſie bald eine wilde Democratie herbeyfuͤhren
muͤſſen, wenn, Jahr auf Jahr, die Bluͤthe der Angeſe-
henen dem Tode Preis gegeben waͤre. Es iſt aber nicht
gleichguͤltig auch durch andre als moraliſche, von vie-
len wenig beachtete Beweiſe, darzuthun daß dieſer Ein-
richtung ein ganz andres, und ein gerechtes und wei-
ſes Syſtem zum Grunde lag.
Wie dieſes auch in ſich ſelbſt die Mittel ſeiner
ſelbſtſtaͤndigen Erhaltung beſaß iſt merkwuͤrdig und aͤcht
antik. Die ſechſte Klaſſe welche, wie ſchon bemerkt iſt,
faſt alle Clienten der Patricier enthalten haben muß,
war ganz ohne Wehr und Waffen: daher ihre Menge
dem Koͤnige und dem freyen Volk nicht gefaͤhrlich ſeyn
konnte. Die unvollkommne Ausruͤſtung der Klaſſen de-
nen die hintern Glieder des Phalanx angewieſen waren,
[287] ſchadete ihnen und dem Ganzen nichts, denn ſie fan-
den ſich durch eine feſte Bruſtwehr der mehrfachen Vor-
dermaͤnner gedeckt. Aber im Innern der Stadt, bey
Aufruhr, wenn dieſe Klaſſen ſich gegen die Vorrechte
der erſten aufgelehnt haͤtten, war fuͤr dieſe der Vorzug
vollſtaͤndiger Ruͤſtung unendlich wichtig, und dieſen
theilten diejenigen welche ihr am naͤchſten ſtanden, aber
ſo daß ſie ſelbſt auf den Fall eines Zwiſts mit der er-
ſten, ihr doch immer nicht gleich kamen. Die Haͤlfte
aller Bewaffneten waren ohne alle Ruͤſtung (ψιλοὶ),
welche ſie auch im Felde ohne Schaden entbehrten, und
nicht ohne ihren Zweck zu verfehlen haͤtten tragen koͤnnen.
Es iſt klar, und allgemein bekannt daß nach dieſer
Verfaſſung die 98 Stimmen der Ritter und der erſten
Klaſſe unter den ſaͤmmtlichen 193 wie Dionyſius ſie an-
giebt, oder 189 wie man ſie wahrſcheinlicher annehmen
muß, immer entſchieden. Die Centurien der Artilleri-
ſten, und der Spielleute welche jener abgeſondert rech-
net, waren naͤmlich wohl gewiß in den graden Zahlen
der Klaſſen begriffen: aber ſchon der Unterſchied ſeiner
Angabe und der Livianiſchen uͤber dieſen Punkt haͤtte
nie die Meinung aufkommen laſſen ſollen als redeten ſie
von Einrichtungen die nicht ſchon laͤngſt ganz erloſchen
geweſen waͤren.
In der Folge der Entwicklung der Verfaſſung war
die Gemeinde der Centurien, als die geſammte Nation
darſtellend, die Verſammlung von der und dem Senat
regelmaͤßige Geſetzgebung ausging. Urſpruͤnglich aber
war ſie wohl nicht in dieſem Beſitz, wenn anders L.
[288] Brutus die Koͤnigswuͤrde durch ein Geſetz der Curien
abſchaffte 59), und ein Geſetz uͤber die Quaͤſtur auf ſeinen
Antrag von dieſen angenommen, nicht vielleicht ein altes
Curiengeſetz unter ihm von den Centurien erneuert
ward 60). Es ſcheint vielmehr daß bis auf die Geſetz-
gebung der zwoͤlf Tafeln, die Curiengemeinden noch im-
mer bedeutend waren, und erſt damals die der Centurien
das ausſchließliche Recht der Geſetzgebung und der Hals-
gerichte erhielten. Wie ſie aber auch neben jenen Comitien
beſtanden und beſtehen mochten, neue Geſetze wurden in
jenem Zeitalter ſehr ſpaͤrlich vorgeſchlagen; das Recht des
Kriegs und Friedens war noch lange unter der Republik
bey dem Senat; und Wahlen konnten unter der koͤnigli-
chen Herrſchaft die Centurien ſelten verſammeln. Frey-
lich war es wohl Servius Abſicht, als er ſie einſetzte, die
Conſulariſche Gewalt und jaͤhrliche Wahlen einzufuͤhren;
ſonſt konnten ſie, ſo lange der Koͤnig ihrer Wahl lebte,
nur etwa die Blutrichter ernennen, oder die Hauptleute
des Heers.
Fernere Geſchichte von Servius Tullius.
Die Sage erzaͤhlt daß die Patricier die wohlthaͤtigen
und weiſen Einrichtungen eines Koͤnigs den ſie ſchon we-
gen ſeiner niedrigen Geburt verachteten, mit Unwillen
und Erbitterung aufnahmen, theils als ihnen nachtheilig,
theils als Kraͤnkungen ihrer Privilegien. Dies iſt ſehr
glaublich,
[289] glaublich, denn auch ihre Enkel waren ſelten von der
Weisheit des Koͤnigs Theopompus beſeelt, der ſeine mur-
rende Koͤnigin troͤſtete, die begraͤnzte Gewalt ſey dauer-
hafter. Feſte Haͤuſer des Adels, an feſten Orten der
Stadt erregten auch im alten Rom, wie im Mittelalter,
Beſorgniſſe fuͤr die Freyheit, wie das Volk argwoͤhniſch
auf den Bau des Conſuls Valerius geſehen haben, von
fruͤheren Koͤnigen den Tuskern geboten ſeyn ſoll vom
Coͤlius herabzuziehen; und es wird erzaͤhlt Servius habe
die Patricier gezwungen in einer Gegend im Thal unter
den Eſquilien zu wohnen, weil er ihre Feindſeligkeit ge-
fuͤrchtet habe 61). Es iſt auch nur zu wahrſcheinlich daß
die Erzaͤhlung mehr als ſpaͤterer Verdacht iſt, ſie haͤtten
ſich in ihrem Groll dahin vergeſſen ſich mit einem gewiſ-
ſenloſen Empoͤrer gegen den ehrwuͤrdigen Koͤnig zu ver-
ſchwoͤren.
Auch das roͤmiſche Koͤnigshaus, ſagt Livius, ſollte
nicht rein von tragiſchen Greueln bleiben. Die beyden
Bruͤder, Lucius und Aruns Tarquinius, nach der Sage
des alten Tarquinius Soͤhne, waren mit den beyden
Toͤchtern des Koͤnigs Servius vermaͤhlt. Lucius, des
Verbrechens faͤhig, obgleich nicht aus eignem Triebe
dazu entſchloſſen, war mit einer frommen Frau verbun-
den: Aruns, redlich und gewiſſenhaft, mit einem Weibe
von teufliſchem Sinn. Erbittert uͤber das lange Leben ih-
res alten Vaters, uͤber die Sanftmuth ihres Mannes der
ſeinem herrſchſuͤchtigen Bruder den einſt erledigten Thron
zu uͤberlaſſen bereit ſchien, ſchwur ſie beyden Verderben.
Erſter Theil. T
[290] Sie verfuͤhrte Lucius mit ihr den Tod ſeines Bruders, ih-
rer Schweſter zu bereiten: ohne auch nur den Schein der
Trauer entzuͤndeten die Verbrecher ihre Hochzeitsfackel an
dem Scheiterhaufen der Ungluͤcklichen. Dies war im
vierzigſten Jahr des Koͤnigs Servius. Zu dem Gram
uͤber ſein haͤusliches Ungluͤck, und uͤber das noch groͤßere
eines ſo unverſchleyerten Verbrechens, von ſeiner eignen
Tochter geuͤbt, trat die Furcht des Vaters der ſeinen Kin-
dern zu lange lebt fuͤr ſeine eigne Sicherheit. In dieſer
Zeit war es vielleicht daß ihm der Gedanke lieb ward die
Koͤnigswuͤrde niederzulegen, und ſtatt der Monarchie die
conſulariſche Verfaſſung einzufuͤhren 62). Tarquinius,
angetrieben von ſeinem Weibe die ein zweckloſes Verbre-
chen noch raſender machte, unruhig und ergrimmt uͤber
die nahe Ausſicht auf immer von ſeinen Hoffnungen aus-
geſchloſſen zu werden, und von dem was allein den Ver-
brecher beruhigt, dem Zwecke ſeiner Suͤnde, regte die
Mißvergnuͤgten gegen den Koͤnig auf, welche bey der Ein-
fuͤhrung der Republik noch entſcheidendere Schritte gegen
einen Stand fuͤrchten mochten, der Servius immer ſeind-
ſelig geweſen war. Als die Verſchwoͤrung reif war er-
ſchien er in der Curie mit koͤniglichen Inſignien, und
ward von ſeinen Mitſchuldigen als Koͤnig begruͤßt. Das
Geruͤcht unterrichtete den alten Fuͤrſten von der Gefahr.
Er eilte unerſchrocken in die Curie; das Volk begleitete
ſeinen Herrſcher und Beſchuͤtzer. In der Thuͤre ſtehend
redete er ſtrafend Tarquinius als einen Empoͤrer an: die-
[291] ſer, dem ſeine Verbrechen nur die Wahl eines noch groͤ-
ßeren ließen, ergriff den ſchwachen Greis, trug ihn fort,
und ſchleuderte ihn die ſteinernen Stufen hinunter. Blu-
tend und gelaͤhmt ward Servius von ſeinen Treuen em-
porgehoben und weggefuͤhrt, aber ehe er ſeine Wohnung
erreichen konnte, erreichten und ermordeten ihn Diener
des Tyrannen: die Leiche ließen ſie in ihrem Blut liegen.
Inzwiſchen hatte Tullia die Botſchaft vom Erfolg der
Empoͤrung nicht erwarten koͤnnen. Sie fuhr mitten durch
den Tumult zur Curie, und begruͤßte ihren Gemahl als
Koͤnig. Ihm ſelbſt war ihr Frohlocken graͤßlich; er hieß
ſie zuruͤckkehren. In einer Gaſſe, die von der Zeit an im-
mer den Nahmen der Verruchten trug, lag die Leiche ih-
res Vaters vor ihr. Die Maulthiere wichen zuruͤck: der
Knecht hielt die Zuͤgel an, da gebot ihm die Raſende ſie
uͤber den Leichnam hinzutreiben: Blut beſpruͤtzte den
Wagen und ihr Gewand.
Nach einer andern Sage, die Ovid ausbildet 62),
erregte Tarquinius Vermeſſenheit ein Gefecht zwiſchen ſei-
nen Anhaͤngern und denen die dem Koͤnige treu waren;
worin dieſer, am Fuß der Eſquilien, nach ſeiner Woh-
nung fluͤchtend erſchlagen ward: und die blutige Leiche
lag dem Wagen der Tullia im Wege, als ſie hinfuhr Be-
ſitz vom Koͤnigshauſe zu nehmen.
Servius ſoll vier und vierzig Jahre uͤber Rom ge-
herrſcht haben. Er war vom Volk angebetet: denn er
vereinigte alle Tugenden. Wie er weiſe und freundlich
regierte, war er in ſeiner Jugend der bravſte Soldat ge-
T 2
[292] weſen. Als Juͤngling hatte er in einer ſchon faſt verlohr-
nen Schlacht eine Fahne unter die Feinde geworfen, und
die Soldaten dadurch zu einem letzten, den Sieg entſchei-
denden Angriff herangefuͤhrt. Er fuͤrchtete keine Gefahr
in der Mitte des Volks, weil er wußte von ihm habe er
keine zu beſorgen, und ſo uͤberraſchte ihn das Verbrechen,
und das Volk raͤchte ihn nicht. Es opferte ihm nur Thraͤ-
nen; doch als der Leichenzug durch die Stadt gefuͤhrt
ward, als das Ebenbild des Koͤnigs, im Pomp ſeiner In-
ſignien, hinter der Bahre herzog, da entzuͤndeten ſich alle
tugendhafte und wilde Leidenſchaften bey dem erneuten
Anblick ſeiner Zuͤge: Aufſtand und Rache waͤren unauf-
haltſam ausgebrochen: aber ſo leichtſinnig iſt das Volk
daß man es beſaͤnftigte indem dieſes geliebte Antlitz ver-
huͤllt ward. Doch ſehr lange lebte ſein Andenken fort;
und wie das Volk ſeinen Geburtstag an allen Ronen
feierte; denn es war ungewiß geworden in welchem Mo-
nat, aber daß er an einem Nonentage gebohren ſey war
eine einſtimmige Sage; wie dieſe Verehrung inniger ward
als die Patricier, da die conſulariſche Verfaſſung befeſtigt
war, das Volk hart druͤckten; da fand der Senat es noth-
wendig feſtzuſetzen daß die Markttage nie an den Nonen
gehalten werden ſollten, damit nicht das verſammelte
Landvolk, erhitzt durch gegenwaͤrtigen Druck und das An-
denken beſſerer Zeiten, einen Aufſtand wage, um die Mo-
narchie herzuſtellen 63). Vielleicht ward erſt damals der
alte Kalender abgeſchafft, in dem, nach etruskiſcher Weiſe,
jeder neunte Tag Geſchaͤftstag und Markttag war.
[293]
Servius war Roms Heinrich, aber die Koͤnige Roms
ſtehen in der alten Sage ganz allein, ohne daß irgend
eines Mannes unter ihren Unterthanen namentlich gedacht
wird; und ſo wiſſen wir nicht ob er, wenn jene herrlichen
Geſetze, die ſein heißen, ſein Werk waren, allein han-
delte, oder wie Heinrich einen Freund und einen Rathge-
ber hatte.
Die Sage erzaͤhlt ein Wunder, wodurch die Natur
ihren Abſcheu gegen Tullias Ausartung kund gethan habe:
ſie ſoll es gewagt haben den Tempel der Fortuna zu beſu-
chen worin jene verehrte Statue ihres Vaters aufgeſtellt
war: als ſie in den Tempel getreten, habe die Statue ihr
Antlitz mit der Hand verdeckt 64).
Aber wie allgemein auch die Erzaͤhlung von Tullias
gehaͤuften Verbrechen iſt, und obgleich wir ſchon der hiſto-
riſchen Zeit immer naͤher kommen, doch glaube ich iſt es
erlaubt zu zweifeln ob ſie nicht fuͤr Suͤnden welche ihr
das verdiente Schickſal zuzogen daß jedes Verbrechen deſ-
ſen ſie beſchuldigt ward glaublich ſchien, dadurch geſtraft
worden iſt daß ihr noch ſchwaͤrzere als ſie beging angeſchul-
digt wurden. Gegen ſehr große Veroͤrecher ſcheint Wahr-
haftigkeit und Gerechtigkeit nicht mehr Pflicht, und eine
Sage die mit Bewußtſeyn der Uebertreibung anfaͤngt wird
im naͤchſten Menſchenalter geglaubt wenn ſie allgemein er-
zaͤhlt worden iſt. Daß ſich eine Verſchwoͤrung gegen Tul-
lius bildete iſt ſehr glaublich, daß er ſein Leben im Auf-
ruhr verlohr ſcheint gewiß zu ſeyn; aber Sage gegen Sage
koͤnnen wir doch eben ſo wohl glauben daß ſeiner Leiche die
[294] letzte Ehre erwieſen ward, als daß ſie unbegraben hinge-
worfen ſey: und wie iſt jenes mit der Erzaͤhlung von ihrer
frevelhaften Mißhandlung zu vereinigen? Wer ſich im
Buͤrgerkrieg in der Wuth gegen einen gefallnen Feind ſo
ſchrecklich vergißt der wird ſeine Leiche nicht feyerlich be-
ſtatten: er duͤrfte es nicht einmal thun weil er Gefahr ge-
gen ſich erregen wuͤrde: am wenigſten der Gemahl einer
ſo entarteten Tochter.
Vieles aber ſcheint ſich vereint zu haben um ein graͤß-
liches Licht uͤber die ganze Geſchichte des letzten Tarqui-
nius und der ſeinigen zu verbreiten. Die Patricier hatten
Tarquinius Verbrechen getheilt, ſein Undank erregte ihren
Haß und ward ſein Verderben: ſie mußten ſtreben, ihre
Theilnahme an einem ſo ungeheuren und uͤbelbelohnten
Verbrechen zu verſchleyern und ſeine Schuld zu erſchwe-
ren. Auch das Volk, wenn gleich dankbar gegen die koͤ-
nigliche Herrſchaft, verwuͤnſchte das Andenken eines har-
ten Herrn der es zertreten hatte. Die ganze Geſchichte
aber bildete ſich idealiſch graͤßlich aus, weil ſie von Dich-
tern beſungen ward, deren Lied uns ſtatt Hiſtorie gilt 65).
Ich wiederhole es, von Lucumo Ankunft zu Rom bis
zur Schlacht am Regillus iſt das Werk eines epiſchen
[295] Dichters unverkennbar, und eines weit groͤßeren als Rom
in der Zeit ſeiner glaͤnzendſten Cultur hervorbrachte, wenn
auch ſein rauhes Versmaaß und die geſetzlos reiche Spra-
che den ſpaͤteren ſein Gedicht ungefaͤllig machen mochte.
Man vergleiche die lebensvolle Fuͤlle dieſer Periode, und
die trockne Duͤrre der unmittelbar folgenden; man frage
ſich dann ob man in dieſem Zeitraum nicht auf dichteri-
ſchem Boden wandle? — Mit dieſer Anſicht muͤſſen wir
uns ſcheuen die Tarquinier als aller Verbrechen ſchuldig
die ein Dichter geſchildert hat zu verurtheilen.
L. Tarquinius der Tyrann.
Die Herrſchaft des L. Tarquinius wird ſo dargeſtellt
wie die der griechiſchen Tyrannen die dem Nahmen ihrer
Dictatur einen ſo boͤſen Ruf gemacht haben. Er umgab
ſich, ſagt man, mit einer Leibwache: er verurtheilte jeden
der ihm verhaßt oder verdaͤchtig war: er zog das Vermoͤ-
gen der Hingerichteten und Verbannten ein; er veroͤdete
den Senat und ließ ihm nicht einmal den Schein eines
Antheils an der Verwaltung den die beſſeren unter den
Griechiſchen Uſurpatoren oft ſelbſt der Volksgemeinde
goͤnnten. Das Volk fuͤhrte er wieder zu den Frohndien-
ſten zuruͤck, wodurch ſein Ahnherr es ſo ſchwer gedruͤckt
hatte: alle Staͤnde wurden durch harte Steuern erſchoͤpft.
Aber wenn die Regierung dieſes Koͤnigs den Roͤmern ein
ſchweres Joch war, ſo laͤßt es ſich auch nicht verkennen
daß ſie durch die gebotne und unverweigerliche Anſtren-
gung der ſchon ſehr großen geſammelten Kraft Rom ſchnell
zu einer großen Macht erhob.
[296]
Auf den Landtagen der Latiner, wo die Haͤupter, viel-
leicht der geſammte Adel ihrer Staͤdte zuſammenkamen,
im Hain der Ferentina, wie unſre Vorvaͤter ſich unter den
Eichen verſammelten, hatte Rom durch das Buͤndniß des
Servius Stimme, der die vorherrſchende aus aͤltern
Kriegen gefuͤrchtete Macht vorzuͤgliche Bedeutung gab.
Tarquinius erweiterte ſeinen Einfluß durch perſoͤnliche
Verbindungen, durch Verſchwiegerung mit dem Fuͤrſten
oder Dictator von Tuſculum Octavius Mamilius; und es
ſcheint daß die Latiner einem verwuͤſtenden, fuͤr eine
Verbindung vieler zum Theil entlegener Staͤdte gefaͤhrli-
chen und wenig Vortheil darbietenden Kriege die freywil-
lige Unterwerfung unter Roms Hegemonie und Theil-
nahme an Kriegen, welche Beute und Eroberung darbo-
ten, vorgezogen haben. Der Widerſtand des Oberhaupts
von Aricia zog ihm den Tod zu, und beſeitigte jeden Wi-
derſpruch gegen den Abſchluß eines freywilligen Buͤndniſ-
ſes wodurch Rom Haupt des Latiniſchen Volks ward.
Dieſem ſollen ſchon damals die Herniker beygetreten ſeyn,
und auch die Volsker von Ecetraͤ und Antium, wenn nicht
dieſe beyden Staͤdte damals noch latiniſch waren, und
erſt ſpaͤter in die Gewalt der Volsker geriethen. Urſpruͤng-
lich waͤren ſieben und vierzig Staͤdte verbuͤndet gewe-
ſen 66), welche gemeinſchaftlich den Tempel des Jupiter
Latiaris auf dem Albaner Berge ſtifteten, und ſich dort
jaͤhrlich zu einem gemeinſamen Opfer und Feſt, den Lati-
niſchen Ferien, verſammelten. Zu dieſem lieferte jede
Stadt ein ihr angewieſenes Theil Laͤmmer, Milch, Kaͤſe,
[297] Fladen: fuͤr alle gemeinſchaftlich ward von den Roͤmern,
wenn ſie im Beſitz der Hoheit waren, ein Stier geopfert,
von deſſen Fleiſch jede berechtigte Stadt einen Antheil er-
hielt: daher iſt zum Latiniſchen Bunde gehoͤren, und
Fleiſch auf dem Albaner Berg empfangen, gleichbedeu-
tend. Die Bundestruppen welche die Latiner ſtellten ver-
einigte Tarquinius in Legionen mit ſeinen Roͤmern, wel-
ches auch als Rom der Oberherrſchaft entſagt hatte, bis
zum großen latiniſchen Kriege, wenn die beyden Voͤlker
verbunden handelten, gewoͤhnlich geſchehen zu ſeyn ſcheint.
Der erſte gemeinſchaftliche Feldzug ward gegen Sueſſa
Pometia gerichtet. Sueſſa war damals eine bluͤhende
Stadt, reich durch den Beſitz des noch ſehr fruchtbaren
und angebauten Gebiets, der Pometiniſchen Ebenen, die
jetzt als Suͤmpfe mit einer geringen Veraͤnderung des
Nahmens verrufen ſind. Ob Volsker oder Aurunker
beyde Voͤlker eines Stamms dieſe Stadt damals beſaßen,
iſt, ungeachtet dieſer Krieg ein volskiſcher genannt wird,
ſehr zweifelhaft, denn im Jahr 252 war ſie, nach dem
Zeugniß derſelben Annalen, im Beſitz der Aurunker 67).
Die Stadt ward erobert und gewaͤhrte eine unermeßliche
Beute. Piſos Zahl, der ſie auf 40000 Pfund Silber an-
gab, war nicht, wie Livius meint, der ſich nur des Atti-
ſchen Talents erinnerte, verſchieden, und uͤbertriebner als
die des Fabius der fuͤr Griechen ſchrieb und von vierhun-
dert Talenten redete, denn durch dieſes Wort, welches
freylich den griechiſchen Leſer irre fuͤhrte, wollte er das
Italiſche Talent bezeichnen, ein Gewicht von 100 Pfunden
[298] Silber, am Werth damals dem Vermoͤgen der erſten
Klaſſe und der hoͤchſten bey den Roͤmern damals ge-
braͤuchlichen Zahleinheit fuͤr Geldſummen gleich. Auch
hier zeigt ſich wie die Wahrheit denen weit naͤher liegt
die mit unſchuldigem Gemuͤth ihr nachgehen, als ſol-
chen die ſie kuͤuſtlich ſuchen, wenn ſie den angebohrnen
Sinn fuͤr ſie verſcherzt haben. Es ſcheint unmoͤglich
daß Livius das Werk eines wie Dionyſius als Kritiker un-
ter ſeinen Zeitgenoſſen beruͤhmten Mannes nicht gekannt
haben ſollte, welches ſich als das erſte kritiſche uͤber die
Roͤmiſche Geſchichte ankuͤndigt. Er ſcheint es verſchmaͤht
zu haben, vielleicht ohne es durchzuleſen: denn er er-
waͤhnt es nie, und nimmt nie Ruͤckſicht darauf. Ihm,
der in jenen Zeiten eine weit groͤßere Ureinfalt glaubt als
wir einraͤumen koͤnnen, der Kroton von Rom durch unzu-
gaͤngliche Voͤlker, noch unter dieſem Tarquinius Delphi
von Rom durch unbekannte Voͤlker und unbekannte Meere
getrennt glaubt, ihm ſcheint damals die Summe von
40000 Pfunden Silber unglaublich: mir ſcheint es mit
Unrecht, wenn nicht allein der Werth der verkauften Ge-
fangnen, aller Beute, ſondern auch der vielleicht zum
Theil verkauften Feldmark gerechnet wird. Was haͤtte er,
was muͤſſen wir von Dionyſius Urtheil denken, welcher
jene vierhundert Talente nur als den geweihten Zehnten
des erbeuteten Goldes und Silbers angiebt, ohne die den
Soldaten preis gegebne uͤbrige Beute zu rechnen. Seine
Erfindung iſt dieſe Angabe uͤbrigens gewiß nicht, ſondern
wahrſcheinlich die eines Roͤmiſchen Fablers, vielleicht iſt
ſie Uebertreibung des Gedichts ſelbſt, wie die Zahlen in
[299] arabiſchen und perſiſchen hiſtoriſchen Gedichten. Ein
Grieche, an Talente zu ſechzig Pfunden gewoͤhnt, haͤtte
wohl nicht erfunden daß das uͤbrige Gold und Silber,
3600 Talente, unter die Soldaten, jedem zu fuͤnf Pfun-
den vertheilt worden ſey; weil daraus eine wunderliche
Zahl, und wie man ſie bey der Freyheit der Erdichtung
nicht erwaͤhlt, fuͤr die geſammte Armee entſteht, wenn
auch unglaublich groß genug. Aber der Urheber der Er-
zaͤhlung hatte italiſche Talente im Sinn, und dann wird
die Zahl des Heers des Tarquinius der angeblichen Beute
wuͤrdig ungeheuer, naͤmlich nicht weniger als 72000 Mann.
Es iſt keineswegs uͤberfluͤſſig ſolche Ausartungen angebli-
cher hiſtoriſcher Nachrichten genauer vor den Blick zu
ziehen, damit man das Ganze wuͤrdige dem ſie an-
gehoͤren.
Gabii, damals eine große Latiniſche Stadt, war dem
allgemeinen Bunde nicht beygetreten, ſondern hatte ſeine
Unabhaͤngigkeit bewahrt. Es iſt merkwuͤrdig daß in der
fuͤnffachen Eintheilung der Landſchaften, in der Disciplin
der Augurien, Gabiniſches Land neben dem Roͤmiſchen,
Fremden, Feindlichen und Ungewiſſen beſonders aufge-
fuͤhrt wird 68), welches auf zwiefache Weiſe gedeutet wer-
den kann. Dahin naͤmlich, daß fuͤr die Augurien das
Land aller bey den Latiniſchen Ferien vereinigter Staͤdte
wie Roͤmiſcher Boden gegolten habe, aber das Gabiniſche
Gebiet nicht, obgleich es als latiniſch auch nicht als fremd
angeſehen ward: oder auch dahin, daß aus Gabii die
eigenthuͤmlichen latiniſchen heiligen Gebraͤuche ent-
[300] ſprungen waͤren, und daß unter dem Gabiniſchen alles
Latiniſche Gebiet zu verſtehen und dem Roͤmiſchen, als wo
etruskiſche Riten galten, entgegengeſetzt ſey. Der Roͤmi-
ſche Koͤnig ſuchte durch die Waffen zu erhalten was Un-
terhandlungen nicht bewuͤrken konnten, aber auch ſeine
Waffen hatten keinen gluͤcklichen Erfolg, und keine beſſere
Hoffnungen: die naͤmliche Liſt die um eben dieſe Zeit Da-
rius die Herrſchaft uͤber das abgefallne Babylon wieder
verſchafft hatte, eine Liſt bey der Selbſtaufopferung wie
man ſie nur an der Tugend liebt den Feind hintergeht,
uͤberlieferte ihm die feindſelige Stadt. Sextus, ſein
Sohn, ertrug es, unter dem Schein einer zuerkannten
Strafe, ſich ſtaͤupen zu laſſen, und entfloh mit den bluti-
gen Zeichen der Schmach bedeckt nach Gabii, als nur bey
den unverſoͤhnlichſten Feinden ſeines Vaters gegen die aͤu-
ßerſten Ausbruͤche der Tyranney geſchuͤtzt. Er fand dieſen
Schutz, Mitleiden und Glauben: ſeine hohe Geburt, ſeine
Kenntniß des feindlichen Heers, Tapferkeit in den Gefech-
ten die er mit ihnen theilte, bewogen die Gabiner ihn zum
Anfuͤhrer bey ihren Streifzuͤgen zu ernennen, und dieſe
wurden um ſo glaͤnzender weil Tarquinius ihm abſichtlich
Beute und Truppen an verabredeten Orten aufopferte.
So ward er den Gabinern ſtets werther; je mehr er ihre
Vorliebe gewann, um ſo mehr entzogen ſie ihr Vertrauen
den alten Anfuͤhrern, deren Kaͤlte und Mißtrauen ver-
daͤchtige Abgunſt hieß. Ohne den Nahmen des Dictators
beſaß er ſchon die Gewalt, und war ſeinem Zweck nahe
gekommen das betrogene Volk zu uͤberliefern. An dieſem
letzten Schritt konnte alles ſcheitern. Er ſandte einen
[301] vertrauten Boten an ſeinen Vater um Rath und Gebot.
Der Koͤnig befahl dieſem, — wie Thraſybulus von Miletus
den Abgeſandten Perianders durch ein Kornfeld fuͤhrte,
wo er die hervorragenden Aehren mit ſeinem Stabe ab-
ſchlug, — ihn in den Garten zu begleiten, hoͤrte ſeiner Er-
zaͤhlung umherwandelnd und ſchweigend zu, zerſchlug die
hoͤchſten Mohnblumen mit dem Stabe, und entließ ihn
verwundert ohne Antwort, mit dem Befehl zu erzaͤhlen
wie er aufgenommen ſey. Sextus errieth den Sinn der
Handlung. Die erſten Buͤrger Gabiis verlohren durch
falſche Anklagen ihr Leben oder ihr Vaterland, und die
Stadt, ihrer Haͤupter beraubt, verraͤtheriſch eingenom-
men, oder verfuͤhrt, ſchloß einen eignen Bund der Unter-
thaͤnigkeit mit dem Roͤmiſchen Koͤnig, welcher auf das
Holz eines Schilds eingegraben, im Tempel des Jupiter
Fidius bis auf Dionyſius Zeit erhalten war 69).
Oſtia war die aͤlteſte der Seecolonien, welche, von
den latiniſchen verſchieden, roͤmiſches Buͤrgerrecht mit
Befreyung vom Kriegsdienſt genoſſen; wahrſcheinlich alſo
caͤritiſches Buͤrgerrecht ohne Theilnahme am Staat 70).
Das latiniſche Buͤndniß ward die Grundlage des Syſtems
der Colonieen wodurch Rom Italien erobert und be-
herrſcht hat. Die Hoheit war ſchon damals den Roͤ-
mern zugeſichert, ſo wie ſie im Anfang des fuͤnften
[302] Jahrhunderts wieder gewonnen ward, aber das Verhaͤlt-
niß der Verbuͤndeten war dennoch ehrenvoll und vortheil-
haft. Sie waren wohl ſchon damals, wie durch das
Buͤndniß des Conſuls Caſſius vom Jahr 261 71) berech-
tigt, die Haͤlfte der eroberten Laͤndereyen zu erhalten, aus
denen ſich der Ager Latinus bildete 72), den man ſich ſo
wenig als die Roͤmiſchen Domainen zuſammenhaͤngend
denken muß, ſondern zerſtreut, wie er aus den verſchie-
denen confiscirten Feldmarken entſtanden war. Wahr-
ſcheinlich als eine Abfindung ſtatt der Theilung, wurden
aber auch von Rom als dem Haupt des Bundes, latini-
ſche Colonieen geſtiftet: Staͤdte, bey deren erſten Anſiede-
lung Latiner und Roͤmer berechtigt waren die Buͤrger zu
bilden, und bis zur Erfuͤllung der geſetzlich beſtimmten
Zahl der Landloſe bey dem Magiſtrat der fuͤr die Einrich-
tung der Colonie ernannt war Aufnahme zu fordern. Von
dem Jahr 416 blieb ihnen nur das Recht dieſer Theilnah-
me, da ſie alle Vorzuͤge eines gleichen Buͤndniſſes einge-
buͤßt hatten. Eine ſolche Colonie war nun eine latiniſche
Stadt mit denſelben Rechten wie die alten verbuͤndeten,
welche, ſeitdem latiniſche Colonieen entſtanden, von ih-
nen durch den Beynahmen der Alten, Prisci, unterſchie-
den wurden: ein Beynahme der noch naͤher die aͤchtlatini-
ſchen von den Volskiſchen Staͤdten, die ihnen ſpaͤterhin
beygerechnet wurden, unterſchied. Ihr Contingent zum
Heer war in der Stiftungsurkunde beſtimmt und diente
mit den uͤbrigen Latinern. Roͤmer, welche bey der ur-
[303] ſpruͤnglichen Gruͤndung das Buͤrgerrecht der Colonie an-
nahmen, entſagten dadurch dem Roͤmiſchen: ſobald
die Colonie als Staat in den Beſitz ihrer Rechte getreten
war, konnte ſie ihr Buͤrgerrecht mittheilen; ſie konnte die
alten Einwohner die nach dem Verluſt ihres Eigenthums
in den Mauern ihrer Heimath ausdauerten, die als Pach-
ter Erwerb durch die Beſtellung ihrer ehemaligen Hufen
ſuchten, ſie konnte auch fremde Italiker zu Buͤrgern auf-
nehmen, und die Zahl derſelben ſcheint, wie das Beyſpiel
von Fregellaͤ beweißt, in Hinſicht der Vermehrung unbe-
graͤnzt geweſen zu ſeyn; aber ſie durſte nicht unter die ur-
ſpruͤnglich beſtimmte Zahl fallen, weil die Groͤße des Con-
tingents dieſer angemeſſen beſtimmt war. Im Fall der
Veroͤdung war Rom, urſpruͤnglich wohl gemeinſchaftlich
mit Latium, berechtigt dieſe Zahl durch neue Buͤrger zu er-
gaͤnzen, ein Fall der nach erſchoͤpfenden Kriegen nicht ſel-
ten eingetreten iſt, und wohl mit einer neuen Theilung der
Feldmark begleitet war, oder doch, wenn, wie ich an ſei-
ner Stelle wenigſtens hoͤchſt wahrſcheinlich zu machen ver-
traue, die Untheilbarkeit der aſſignirten Hufen, als voͤllig
geſchloſſener, ſchon damals galt, fuͤr jeden den Verluſt
von allem was er uͤber den Umfang einer ſolchen Hufe be-
ſaß, nach ſich zog. Denn die Verpflichtung des Contin-
gents traf die Stadt unerlaßlich: und die Aufopferung
eines Theils des Landeigenthums ſo viel außer den oͤden
Hufen noͤthig war um den neuen Buͤrgern ein Erbe zu
verſchaffen, ward als eine Ausgleichung fuͤr den erleich-
terten, ſonſt unerſchwinglich gewordnen Dienſt betrachtet.
Dieſer Unterſchied beſtand nach der Natur der Sache zwi-
[304] ſchen den Colonieen und den alten Latinern daß jene nicht
nach dem Buͤndniß (ex foedere), ſondern nach ihrem
Stiftungsbrief (ex formula) Truppen ſtellten: es findet
ſich auch keine Spur daß ſie, wenigſtens die nach 416
gegruͤndeten, an der allgemeinen Zuſammenkunft auf dem
Albanerberge Theil hatten.
Es war durch dieſe Colonieen daß das latiniſche
Volk, der kleinſte unter den italiſchen Staͤmmen, uͤber die
ganze Halbinſel ſeine Sprache und ſeine Geſetze ausbrei-
tete, und die Voͤlker unter denen ſie gegruͤndet wurden
zum Uebergang in ein roͤmiſches vorbereitete, eine Veraͤn-
derung welche die Militaͤrcolonieen mit zerſtoͤrender Ge-
waltſamkeit beſchleunigten und vollendeten, und allmaͤh-
lich uͤber den ganzen Weſten ausbreiteten. Unter Vols-
kern, Sabellern, Etruskern und Umbrern die zahlreich
in ihren Mauern lebten entfernten ſich die latiniſchen
Coloniſten offenbar nicht wenig von ihrer urſpruͤngli-
chen Nationalitaͤt in Sprache und Sitten; davon zeugen
die erhaltnen Denkmaͤhler und Inſchriften. Aber der
Punkt auf dem dieſe fremden Mitbuͤrger und Beyſaſſen,
und die umwohnenden, mit ihnen zuſammenfloſſen war
der Eigenthuͤmlichkeit des alten Latium nahe, dem erloͤ-
ſchenden Volksſtamm fern. Das neue Weſen wuͤrkte zu-
ruͤck auch auf Rom und die alten Latiner: und ſo entſtand
eine weit vergroͤßerte neue Einheit, die immer ſchneller
immer mehr in ſich hineinzog. So wuchſen auch Roms
Streitkraͤfte: die ausziehenden Buͤrger aus der herrſchen-
den Stadt, wie aus den verbuͤndeten, hatten anweſend
und unter der Menge die dienſtfaͤhige Mannſchaft nur
unmerklich
[305] unmerklich vermehrt, vielleicht gar nicht, ſofern ſie ohne
alle Habe waren; von den zuruͤckbleibenden ward ohne
Nachtheil, ohne Unrecht, gefordert dieſelbe Zahl Solda-
ten zu ſtellen; die kleine Luͤcke ergaͤnzte ſich ſchnell, aber
die neue Stadt, wie ein Kapital aus kleinen Summen ge-
ſammelt wird, war ein Koͤrper eigner Leiſtungen faͤhig,
und ſtellte ihre Cohorte zum roͤmiſchen Heer.
Die erſten Colonieen dieſer Art gruͤndete der Koͤnig
Tarquinius, in dem eroberten Lande der Pometiniſchen
Volsker, Signia und Circeji, vielleicht auch Cora.
Das aͤlteſte Monument der Roͤmiſchen Geſchichte
welches uns, freylich nur in einer griechiſchen Ueber-
ſetzung erhalten iſt, der Handelstractat den Rom, im
Jahr der Abſchaffung der Monarchie, mit Karthago ab-
ſchloß, beweißt eine weit groͤßere Ausdehnung des dama-
ligen roͤmiſchen Koͤnigreichs als die Geſchichtbuͤcher an-
deuten. Eroberungen hatte die Republik in dieſer kurzen
Friſt gewiß nicht gemacht: ſie mußte bald nachher die vom
Koͤnige gegruͤndete Herrſchaft als Preis der Freyheit auf-
opfern. Aber in dieſem Tractat wird die ganze Kuͤſte bis
Terracina, mit dieſer Stadt, als den Roͤmern unterthan
namentlich bezeichnet; folglich das ganze Volskiſche Kuͤ-
ſtenland, welches Rom nachher nur durch einen Krieg von
anderthalb Jahrhunderten wieder bezwang. Auffallend
iſt daß alle dieſe Kuͤſtenſtaͤdte hier Latiniſch heißen: waren
ſie es vielleicht damals noch; wie Cato ſagte, das Vols-
kerland habe vormals groͤßtentheils den Aboriginern ge-
hoͤrt; und haben ſich die Volsker der Kuͤſte erſt nach dieſer
Zeit bemaͤchtigt? Wer die Geſchichte der Roͤmiſchen Koͤ-
Erſter Theil. U
[306] nige als mythiſch erkennt wird freylich in dem voͤlligen
Stillſchweigen uͤber eine fruͤhere Anweſenheit dieſer Rom
nachher ſo nahen, und in den Begebenheiten jedes Jahrs
erſcheinenden Nation an der Kuͤſte keinen entſcheidenden
Beweis dafuͤr finden: und allerdings konnten den Latinern
unterwuͤrfige auſoniſche Voͤlker auch zu Latium gerech-
net werden.
L. Tarquinius erbaute den dreyfachen Tempel des
Jupiter, der Juno und der Minerva auf dem Capitolini-
ſchen Berge, deſſen Gipfel von ſeinem Ahnherrn durch Ex-
auguration der alten Sabiniſchen Kapellen, durch Abtra-
gung, Ebnung und Subſtructionen, zur Aufnahme des
Baus vorbereitet war. Die Thaten und Begebenheiten
beyder Koͤnige von gleichem Nahmen ſind von der ſpaͤten
Erzaͤhlung ſo vermiſcht daß auch dieſe Vorbereitungen, ſo
wie der Bau der Abzugsgewoͤlbe und des Circus, und die
dem Volk dabey aufgelegten Frohndienſte von einigen dem
letzten Koͤnige zugeſchrieben werden 73): Arbeiten die zu
ungeheuer ſind als daß eine Regierung von 25 Jahren ſie
haͤtte vollbringen koͤnnen. Waren die Subſtructionen
ſchon vom Ahnherrn vollendet, ſo erwarb Servius ſich
auch dadurch die Liebe desjenigen Theils des Volks dem er
keine Einmiſchung in die Geſetzgebung geſtattete, indem
er den Armen mit weſentlicher Wohlthat vom Frohn loͤßte.
Annalen denen Tacitus folgte, erzaͤhlten, auch er habe
[307] den Bau fortgefuͤhrt aber mit den Kraͤften der Ver-
buͤndeten 74).
Mit dem Bau des Tempels verbindet die Dichtung
die ſchoͤnen Sagen: von allen Goͤttern haͤtten nur allein
Juventas und Terminus verweigert ihre Altaͤre auf dem
Capitol der Majeſtaͤt hoͤherer Goͤtter weichen zu laſſen;
und die Werkleute haͤtten im Grunde ein unverſehrtes
friſchblutendes Menſchenhaupt ausgegraben: Andeutun-
gen daß dieſer Huͤgel das Haupt der Welt zu werden be-
ſtimmt ſey: daß die Jugend des Roͤmiſchen Reichs nicht
verbluͤhen, ſeine Graͤnzen nicht zuruͤckweichen wuͤrden ſo
lange der Pontifex mit der ſchweigenden Jungfrau zum
Capitol die Goͤtter verehrend hinaufſteigen werde. Beyde
Erzaͤhlungen haben das Siegel des großen Dichtergeiſts der
das Tarquiniſche Epos dichtete: beyde muͤſſen alſo wohl,
da dieſes ſehr wenig vom alten Koͤnig enthalten zu haben
ſcheint, wie es Livius thut, auf den letzten Tarquinius
bezogen werden. Daß Roms Graͤnzen nach der Vertrei-
bung der Koͤnige gegen dieſe Zuſage des Schickſals zuruͤck-
wichen, ſuchten das Gedicht und alle Annalen zu
verhuͤllen.
Der Umfang des Tempels den auch Sylla bey dem
beobachtete der auf den Grundmauern des im Buͤrger-
kriege verbrannten Tarquiniſchen wieder aufgefuͤhrt ward,
machte ein Viereck von beynahe gleichen Seiten aus, deſ-
ſen Umfang 800 Fuß betrug. Ein genuͤgendes Bild von
dieſem alten Tempel der wie die von Indien und Aegypten
einzig uͤber duͤrftige Haͤuſer und Huͤtten hervorgeragt zu
U 2
[308] haben ſcheint, gewaͤhren die alten Nachrichten nicht.
Dionyſius 75) ſcheint zu verſichern daß auch der alte Tem-
pel wie der Syllaniſche von einer dreyfachen Saͤulenreihe
gegen das Forum, und einer zwiefachen an den drey uͤbri-
gen Seiten umgeben: uͤberhaupt aber dieſer letzte ſein
hergeſtelltes Abbild, nur in weit groͤßerer Pracht war.
Marmor erſchien wohl nirgends am Tarquiniſchen Tem-
pel, ſondern Tiburtiniſcher Stein. Der verbundne Dienſt
der drey Gottheiten denen das Capitolium geweiht war,
iſt etruskiſch. Die alte roͤmiſche Sitte welche die Goͤtter
nicht in menſchliche Formen geſtaltet haben ſoll, war ſchon
erloſchen und Statuen von Erz und etruskiſcher Kunſt
fehlten wohl nicht; obgleich es faſt unmoͤglich iſt daß die
alten ehernen Bilder der Koͤnige auf dem Capitol, deren
Plinius in Hinſicht auf das Coſtum und die Sitte der
Goldringe ſo gedenkt als ob ſie ihm gleichzeitig geſchienen
haͤtten, aus dem zwiefachen Brand gerettet, und ſchon
von Tarquinius in ſeinem Tempel aufgeſtellt geweſen ſeyn
ſollten. Wie Salomon tyriſche Kuͤnſtler gebrauchte kann
der Roͤmiſche Koͤnig in einer Stadt deren Buͤrger nur
Ackerbau und Kriegsdienſt uͤbten, keine andre als fremde
etruskiſche gebraucht haben. Fuͤr dieſe Nation war das
Capitolium kein außerordentliches Werk.
Dort in Jupiters Cella legte Tarquinius unter der
Verwahrung zweyer Vorſteher die Sibylliniſchen Schick-
ſalsbuͤcher nieder. Auch hier ſchwankt die Sage zwiſchen
beyden Tarquiniern: Varro bey Lactantius 76) erzaͤhlt
[309] von dem alten Koͤnig, was alle uͤbrige als dem letzten wi-
derfahren melden. Sie weichen ebenfalls ab in Hinſicht
der Zahl der Buͤcher welche eine fremde Frau dem Roͤmi-
ſchen Koͤnige fuͤr einen Preis darbot welcher, wenn Lactan-
tius Varros Angabe einigermaßen richtig in der Geldſorte
ſeiner Zeit ausgedruͤckt hat, dem Maaß des Vermoͤgens
der zweyten Klaſſe gleich kam. Die Unbekannte, erzaͤhlt
er, habe dreyhundert Goldſtuͤcke gefordert: wahrſchein-
lich alſo hatte Varro 30000 Seſtertien genannt, welche
75000 Pfunde ausmachen. Haͤtte er aber ſelbſt von Gold-
ſtuͤcken geredet, und an alte griechiſche Statern gedacht,
ſo wuͤrde die genannte Summe das Vermoͤgen der erſten
Klaſſe uͤberſtiegen haben. Zweymal verwarf der Koͤnig
ihre Forderung als unſinnig; nachdem ſie zwey Drittheile
der anfaͤnglich dargebotnen Buͤcherzahl verbrannt hatte,
und mit dem einzigen, oder mit den drey noch uͤbrigen
zum letztenmal zuruͤckkehrte, zahlte er den geforderten
Preis. Fuͤr die Mehrzahl der geretteten reden die zahlrei-
cheren Stimmen der Erzaͤhler, und der foͤrmliche Aus-
druck; es werde den Decemvirn befohlen die Sibylli-
niſchen Buͤcher zu befragen: an der einfachen glaubt Pli-
nius ſey kein Zweifel 77). Dieſe Orakel waren, wie er
ausdruͤcklich ſagt wahrſcheinlich aber nur vorausſetzt,
auf Papyrus geſchrieben; und damals (ſo jung waren
die Annalen der currenten Schreibkunſt) ſchien es auffal-
lend daß ſich das Original des Tarquinius uͤber vierhun-
dert Jahr erhalten hatte bis es im Brande des Capito-
liums verzehrt ward.
[310]
Uebrigens waren dieſe Buͤcher ein ſo furchtbares Ge-
heimniß ſeit Tarquinius einen der Duumvirn deren Ob-
hut er ſie anvertraute wegen Geſchwaͤtzigkeit wie einen Va-
termoͤrder hatte erſaͤufen laſſen, daß uͤber ihre Beſchaffen-
heit gar keine Nachrichten vorhanden ſind. Selbſt die
Vorſteher, deren Zahl, anfaͤnglich zwey, nachher auf zehn,
und zuletzt auf funfzehn vermehrt ward, haben ſie ſchwer-
lich eroͤffnen duͤrfen ausgenommen wenn ihnen vom Senat
der Befehl dazu ertheilt ward. Wir wiſſen daher nicht
einmal zuverlaͤſſig in welcher Sprache ſie geſchrieben wa-
ren. Auch ſcheint man ſelbſt in der neueſten Zeit, obgleich
der Glaube herrſchte das alte Rom ſey von den Griechen
und allem was griechiſch war durch eine tiefe Kluft ge-
ſchieden geweſen, die Frage kaum aufgeworfen zu haben;
obgleich bey dieſer Meinung es unbegreiflich ſcheinen muß
daß Roͤmiſche Prieſter Buͤcher gebrauchen konnten zu de-
ren Auslegung ſie gewiß keinen fremden Dollmetſcher zu-
laſſen durften. Aber wirklich war die griechiſche Sprache,
wenn auch bis auf die Zeiten des zweyten Puniſchen
Kriegs die Litteratur ohne alle Ausnahme, welches doch
nicht einmal wahrſcheinlich iſt, den Roͤmern ganz unbe-
kannt geweſen ſeyn ſollte, ihnen gewiß ſo fremd nicht: im
fuͤnften Jahrhundert redete der roͤmiſche Geſandte, wenn
gleich fehlerhaft, griechiſch zur Tarentiniſchen Volksver-
ſammlung, und wie haͤtten Rom und Karthago unterhan-
deln koͤnnen, außer durch das gemeinſchaftliche Mittel der
griechiſchen Sprache? welche den Karthaginenſern ſo be-
kannt war daß Hannibal griechiſch ſchrieb. Fruͤher hatte
die puniſche Regierung einmal verboten darin zu unter-
[311] richten; ein Verbot welches natuͤrlich bald in Vergeſſen-
heit gerieth, und eben den haͤufigen Gebrauch der Sprache
beweißt. Fuͤr die Abfaſſung der alten roͤmiſchen ſibyllini-
ſchen Buͤcher in griechiſcher Sprache zeugt auch daß der
Senat ſie durch Annahme der ſibylliniſchen Buͤcher und
Spruͤche zu erſetzen ſuchte die unter den Griechen umgin-
gen, welche, wie aus Ariſtophanes erhellt, nebſt den
Weiſſagungen des Bakis, waͤhrend des Peloponneſiſchen
Kriegs, — in der erſten Haͤlfte des vierten Jahrhunderts,
— in Athen bey den Glaͤubigen in großem Anſehen ſtan-
den. Wahrſcheinlich waren ſie auch nichts anders als
eben eine ſolche Sammlung, und wie die ſpaͤtern, eine
Reihe in Hexametern verfaßter Orakelſpruͤche. Denn ob-
gleich in der Geſchichte als Reſultat der Befragung der
heiligen Lieder nur die Vorſchriften genannte griechiſche
Goͤtter beſonders zu verehren, oder ihren Dienſt in Rom
einzufuͤhren angefuͤhrt ſind, ſo laͤßt ſich theils hier, wo
die Frage war nicht was bevorſtehe, ſondern was gethan
werden ſolle, um den Himmel zu verſoͤhnen, nichts an-
ders erwarten: theils findet ſich doch auch bey Livius
ſelbſt 78) Meldung von einer beſtimmten Wahrſagung,
die freylich vom Erfolg widerlegt worden iſt: Rom duͤrfe
ſeine Herrſchaft nicht uͤber den Taurus ausdehnen. Ein
Gebot, welches, wenn es ſich in dieſen alten Buͤchern
fand, die gewiß nicht fuͤr Rom geſchrieben waren, nach
Aſien hindeutet, auf die Erythraͤiſche Herophile, oder die
Sardianiſche Sibylle des Philetas, und wahrſcheinlich
fuͤr die Lydiſchen Koͤnige gedichtet war, ohne ein beſtimm-
[312] tes Volk zu nennen. Der griechiſche Urſprung der Sibyl-
lengedichte wird endlich aus den Antworten klar, welche
die Republik aus ihnen empfing. Sie gebieten ſtets die
Verehrung griechiſcher Gottheiten, und nach griechi-
ſchem Ritus opfern war gleichbedeutend mit auf Ge-
bot der Sibylliniſchen Buͤcher Opfer bringen.
Schwer uͤbrigens iſt es zu begreifen wie man bey
einem beſtimmten Fall eine Antwort in dieſen Buͤchern
ſuchte. Die einzige denkbare Art des Verfahrens ſcheint
zu ſeyn daß die Vorſteher thaten wie die Morgenlaͤnder
wenn ſie den Koran oder Hafis befragen, wie die alten
Chriſten die Bibel als Orakel befragten: durch Aufſchla-
gen, oder Aufrollen, nach vorhergehendem Gebet, mit
Beachtung der erſten in das Auge fallenden Stelle.
Ganz verſchieden von den Sibylliniſchen waren die
Schickſalsbuͤcher (libri fatales) welche Menſchenopfer ge-
boten. Auf ihr Geheiß wurden mehr als einmal in ge-
fahrvollen Kriegen ein Gallier und eine Gallierin, ein
Grieche und eine Griechin auf dem Viehmarkt zu Rom le-
bendig begraben. Dies war vermuthlich ein Verſuch das
Schickſal zu taͤuſchen, wenn es beſchloſſen haͤtte daß eine
dieſer Nationen, der Erbfeinde der Etrusker, ihr Land
einnehmen ſollte, wie das Orakel zu Brunduſium dadurch
erfuͤllt ward daß man die erſchlagnen Arpaniſchen Abge-
ordneten in der Stadt begrub 79), und die Sage der
Praͤneſtiner durch die Verhaftung ihrer Deputirten im
Aerarium zu Rom. Denn daß die Schickſalsbuͤcher, de-
nen Rom bey der Vollbringung dieſer Graͤuel gehorchte,
[313] etruskiſch waren, eben wie die Ritualbuͤcher, in denen ſo-
gar die Grundformen der Verfaſſung als goͤttliche Lehre
vorgeſchrieben waren, iſt nicht nur an ſich hoͤchſt wahr-
ſcheinlich, ſondern wird es dadurch noch mehr daß die
Roͤmer bey der Belagerung von Veji belehrt wurden, die
Schickſalsbuͤcher knuͤpften das Schickſal ihrer und dieſer
Stadt an die Ableitung des Albanerſees. Die Sibyllini-
ſchen Buͤcher muß man entſchieden von dem Gebot ſolcher
Unthaten freyſprechen.
Orakel wie die Griechiſchen, wo ſich die Gottheit
durch den Mund einer begeiſterten Prieſterin den Fragen-
den offenbarte hatte kein Italiſches Volk. Bey den Apu-
liern auf dem Garganus findet ſich, aber in einem grie-
chiſchen Heroum des Kalchas, alſo entlehnt, die ver-
wandte griechiſche Sitte ſich Offenbarungen im Traum zu
erwerben, dadurch daß man nach dargebrachtem Opfer im
Tempel ſchlief. Beyden Voͤlkern, den Etruskern und La-
tinern war das roheſte Orakel, die Looſe, gemeinſchaft-
lich; die beruͤhmteſten waren zu Praͤneſte im Tempel der
Fortuna, aber auch die zu Caͤre werden erwaͤhnt. Dieſe
erinnern an die Runenſtaͤbe unſrer Vorfahren. Die Praͤ-
neſtiniſchen waren Staͤbe von Eichenholz, mit alter einge-
grabener Schrift, welche ein vornehmer Praͤneſtiner im
innern Felſen, wo er ihn auf Geheiß aͤngſtigender Traͤume
ausgehauen, entdeckt haben ſollte. Dieſe wurden von
einem Knaben fuͤr den der das Orakel befragte gezogen 80).
Dieſe einheimiſchen Orakel und die Weisheit der
Etruskiſchen Prieſter befriedigten den Koͤnig nicht als ſein
[314] Haus durch ein furchtbares Wunderzeichen erſchreckt ward.
Eine Schlange wand ſich aus einer hoͤlzernen Saͤule des
koͤniglichen Hauſes und verbreitete Flucht und Entſetzen.
Ein aͤhnliches Ungeheuer war vor dem Untergang der
Mutterſtadt Troja erſchienen. Der Koͤnig ſandte zwey ſei-
ner Soͤhne, Titus und Aruns, nach Delphi um das
Orakel zu befragen. Er ſandte mit ihnen zur Begleitung
und zum Geſpoͤtt ihren Vetter L. Junius, der wegen ver-
ſtellter Dummheit den Nahmen Brutus trug. Dieſer
war der Sohn einer Schweſter des Koͤnigs: ein Kind, als
er, um ſich des Reichthums ſeines aͤltern Bruders zu be-
maͤchtigen, dieſen, wie viele andre, auf falſche Beſchuldi-
gungen toͤdten ließ: er rettete ſein Leben als er herange-
wachſen war, durch die ausharrende Liſt ſich bloͤdſinnig zu
ſtellen, und bereitete ſich Rache durch die unerſchuͤtterliche
Geduld ſich als Narr verſpotten zu laſſen. So weihte er
dem Gott was das Opfer eines Narren zu ſeyn ſchien,
einen Kornellenſtab, der aber als das Bild ſeines Ge-
heimniſſes, mit Gold gefuͤllt war. Die Koͤnigsſoͤhne be-
fragten den Pythiſchen Gott auch fuͤr ſich ſelbſt. Der un-
ter euch wird zu Rom gebieten, ſprach die Pythia aus,
der zuerſt die Mutter kuͤßt. Die Tarquinier entſchieden
es unter ſich durch das Loos: Brutus lief wie ein Thor
den Berg hinunter daß er niederfiel und ſeine Lippen auf
die Erde druͤckte, in deren Mittelpunkt als ihr urſpruͤngli-
ches Heiligthum Pytho lag.
Andre Wunderzeichen und Traͤnme aͤngſtigten den
Koͤnig: Adler hatten auf einer Palme geniſtet, nahe am
koͤniglichen Hauſe: ſie hatten Junge ausgebruͤtet: die al-
[315] ten Adler waren ausgeflogen um Speiſe zu holen: Geyer
in großer Menge uͤberfielen das Neſt, ſtuͤrzten die ungefie-
derten Jungen heraus, und vertrieben die zu ſpaͤt zuruͤck-
kehrenden Alten. Der Koͤnig traͤumte: er ſtehe am Altar
zu opfern: es wuͤrden ihm zwey Widder vorgefuͤhrt, von
einem Vater gezeugt: er waͤhle den ſchoͤnſten zum Opfer:
der andre ſtieße ihn mit den Hoͤrnern nieder. Zugleich
veraͤndere die Sonne ihren Lauf, und kehre vom Unter-
gang zum Morgen zuruͤck. Da warnten ihn die Traumdeu-
ter vergebens vor dem der ihm bloͤdſinnig ſcheine. Er hatte
Brutus zum Oberſten der Ritter geſetzt, denn damals war
Celeres der Nahme dieſer Klaſſe 81), nicht der Leibwache,
wie Livius nicht weniger als Dionyſius irrig ſagt. Dieſe
Wuͤrde verhielt ſich zur koͤniglichen wie die des Magiſter
Equitum zur Dictatur, und durch dieſe Magiſtratur ward
ſie erhalten. Ein Oberſter der Leibwache haͤtte unmoͤglich
befugt ſeyn koͤnnen eine Volksgemeinde anzuſagen. Daß
Brutus mit jener Wuͤrde bekleidet war ſcheint zu der aͤu-
ßerſt kleinen Zahl hiſtoriſcher Thatſachen zu gehoͤren, eben
auch deswegen weil die Kunde ſich erhalten hat, wahr-
ſcheinlich mit dem Verbannungsgeſetz der Koͤnige, ob-
gleich unvereinbar mit der Dichtung worin ſie verwebt iſt:
denn wie haͤtte Tarquinius dieſe Macht einem vermeinten
Bloͤdſinnigen anvertrauen koͤnnen? Man hat geſagt, weil
ſie groß, und in den Haͤnden eines kraͤftigen Mannes ge-
faͤhrlich war. Dazu haͤtte es ihm wohl nicht weder an
ganz hingegebnen Dienern, noch an ſchwachen Men-
ſchen gefehlt, die ihm, was ein Narr nie ſeyn konnte,
[316] ſo weit er es brauchte an ihrer Stelle nuͤtzlich gewe-
ſen waͤren.
Ardea, die Stadt der Rutuler, welche ſchon mit den
Latinern vereinigt waren, verweigerte dem Koͤnig Gehor-
ſam, und ward mit großer Macht belagert. Schon wa-
ren die Staͤdte jener Gegenden mit ſtarken Mauern befe-
ſtigt, und noch waren ſelbſt in Griechenland die Maſchi-
nen nicht erfunden, durch die ein ſtets wachſender Wett-
ſtreit zwiſchen der Kunſt des Angriffs und der Vertheidi-
gung feſter Staͤdte begann. Hunger, verwegne Beſtuͤr-
mung, oder Untergrabung der Mauern waren die einzigen
Mittel der Eroberung, wenn die Belagerten gegen Ver-
rath ſicher waren. Ardea war ſchon lange eingeſchloſſen,
und im Heer herrſchte der Muͤßiggang eines ſorgloſen La-
gers. Bey dem Trunk ſtritten die Soͤhne des Koͤnigs mit
ihrem Vetter L. Tarquinius Collatinus uͤber den Vorzug
ihrer Frauen. So ſorglos iſt die dichteriſche Sage dieſer
alten Maͤhren uͤber Zeitrechnung und Moͤglichkeit, eben
wie in unſern alten Liedern, daß Collatinus der Sohn
eines vor des erſten Tarquinius Auswandrung aus Etru-
rien, alſo vor mehr als 123 Jahren, nach dem Tode ſei-
nes aͤltern Bruders dieſem gebohrnen Sohns genannt
wird, und doch ein Mann in der Fuͤlle des Jugendlebens.
Die Sage daß ſein Vater ein ſpaͤtgebohrnes Kind geweſen
ſey, ſcheint ihren Grund allein in dem Vornahmen zu ha-
ben den er trug; Egerius: dieſer wird auf ſeine erbloſe
Geburt bezogen. Aber auch dieſe Deutung iſt gewiß ſo
falſch als willkuͤhrlich: der Nahme war einer der vielen
allmaͤhlich zu Rom ungebraͤuchlich gewordnen Altlatini-
[317] ſchen, und Cato 82) nannte einen Dictator des Latini-
ſchen Bunds Egerius Lesbius. Wollen wir uns erlauben
eine Erklaͤrung zu verſuchen, ſo erinnert er an die Goͤttin
Egeria, die von den ſchwangern Frauen verehrt ward;
und er mochte ſich, in dem Sinn eines Leichtgebohrnen,
eben ſo auf die Umſtaͤnde der Geburt beziehen wie die eben-
falls veralteten Agrippa und Vopiſcus. Es ſcheint, wie
wenig ſich auch Collatinus Abſtammung hiſtoriſch beſtim-
men laͤßt, daß er der koͤniglichen Familie ſehr nahe ver-
wandt war: ſo nahe daß dies die uns ſo hart ſcheinende
Verbannung entſchuldigen moͤchte.
Eine Freyheit des Umgangs wie ſie die Frauen des
Abendlands genießen, war den Roͤmerinnen durch Unter-
thaͤnigkeit gegen Vater und Mann, durch ſtille ſtrenge
Zucht, durch Hausfleiß und unverbruͤchliche Geſetze der
ſtrengſten Nuͤchternheit erworben, wie ihren Maͤnnern die
Buͤrgerfreyheit durch gleich unbedingten Gehorſam unter
eiſernen Geſetzen. Die Griechinnen trugen kein Joch der
Sitte und des Gehorſams, daher war allgemeiner Zwang
und Einkloſterung nothwendig: die Ausnahmen ſind ſehr
ſelten wo ein Weib außer auf dem Wege des vorgeſchrie-
benen Geſetzes ſicher ginge.
So lange aber Rom ſich ſelbſt treu war, ſo lange war
Tugend der hoͤchſte Ruhm des Weibes, und um dieſen
ſtritten die Juͤnglinge fuͤr ihre Frauen. Man beſchloß ſie
zu uͤberraſchen damit die That entſcheide. In Rom
ſchwelgten die Frauen der Tarquinier in einer ſpaͤten
Nachtſtunde bey einem Gaſtmahl, unter Blumen und
[318] Wein: von dort eilten die Maͤnner nach Collatia, und
fanden Lucretia noch wach, unter ihren Maͤgden ſpinnend.
Ihr Anblick entzuͤndete in Sextus boͤſe Luſt. An einem
andern Tage machte er ſich aus dem Lager nach Collatia
auf. Als Vetter, als Bekannter kehrte er in das Haus
des Collatinus ein; ward bewirthet und beherbergt. In
der Oede der Nacht betrat er die einſame Kammer
der ſchlafenden und huͤlfloſen Lucretia. Sey ſtill, Lu-
cretia, fluͤſterte er ihr drohend zu, ich bin Sextus Tar-
quinius. Ich habe Waffen: du biſt des Todes wenn
du rufſt 83). Er hatte die Graͤnze verzeihungsfaͤhiger
Schuld ohne Ruͤckkehr uͤberſchritten: ihre Tugend, ihr
jammerndes Flehen bewegten ihn nicht: er drohte mit ret-
tungsloſer Entehrung ihres Rufs durch falſchen Schein:
drohte die Verachtung des geliebten Mannes uͤber ſie zu
bringen, dem ſie ſich nicht fuͤrchtete ihr Leben aufzuopfern.
Eine andre Religion wuͤrde ihr auch dieſes Opfer geboten,
wie die That unterſagt haben mit der ſie ſelbſt ſich ſtrafte
anders gewaͤhlt zu haben: aber ſie haͤtte ihr auch ein Wie-
derſehen, und Erkenntniß ihrer reinen Tugend fuͤr die
Ewigkeit verheißen, nach kurzer irrdiſcher Dauer ſchreck-
liches Verkennens.
[319]
Wie der Verderber Collatia verlaſſen hatte, ſandte
Lucretia Boten an ihren Mann in das Lager, an ihren al-
ten Vater nach Rom, daß eilig jeder mit einem vertrauten
Freunde nach Collatia komme 84). Sp. Lucretius nahm
mit ſich P. Valerius, der ſich nachher den Beynahmen
Publicola erwarb; Collatinus den verachteten Brutus.
Sie fanden die troſtloſe Frau mit Trauerkleidern ange-
than, in ſtummer Betaͤubung ſitzend. Der Anblick der
lange erſehnten gab ihr Thraͤnen und Worte. Sie klagte
den Verbrecher an: ſie empfing den Schwur der Rache,
und gerechtfertigt ſtieß ſie ſich ein Meſſer in das Herz; ſich
ſelbſt und den Zerſtoͤrer ihres Friedens dem Untergang wei-
hend, wie Conſuln das feindliche Heer mit ſich ſelbſt den
Todesgoͤttern weihten, und in den Tod ſtuͤrzten. Da
warf Brutus die Verſtellung von ſich, wie Odyſſeus den
Bettlermantel. Er riß das blutige Meſſer aus Lucretias
Bruſt, ſchwur und nahm den Schwur ſeiner Freunde,
Tarquinius und ſein verruchtes Haus mit Schwerd, Feuer
[320] und allen Waffen zu bekriegen; und nicht zu dulden daß
forthin ein Koͤnig zu Rom herrſche.
Er trug die Leiche auf den Markt von Collatia: die
Buͤrger entſagten der Herrſchaft der Tyrannen. Alles
nahm die Waffen; die aͤlteren beſetzten die Mauern: die
Jugend begleitete den Leichenzug nach Rom. Hier wur-
den die Thore geſchloſſen; das Volk von Brutus als Ober-
ſten der Ritter auf den Markt zur Verſammlung berufen.
Bey dem Anblick der Leiche, bey Brutus Anklage ver-
ſtummte jede Furcht: alle ergriff die Leidenſchaft der Ra-
che: wie konnten Tauſende die verlaſſen die eine unaus-
ſoͤhnliche Beleidigung als Maͤnner zu empfinden den Muth
hatten? Ein einſtimmiger Beſchluß entſetzte den letzten
Koͤnig ſeiner Wuͤrde, und ſprach uͤber ihn und die ſeini-
gen Verbannung aus. Tullia entfloh aus der Stadt, un-
verletzt: die Rache uͤber ſie befahl das Volk in lauten Ver-
wuͤnſchungen den Geiſtern der Ermordeten.
Ein Heer von Freywilligen zog mit Brutus aus der
Stadt nach dem Lager. Der Koͤnig hatte es ſchon auf
das Geruͤcht der Bewegungen verlaſſen, und war vor
Rom, auf einem Umweg, Brutus und den Seinigen aus-
weichend, erſchienen. Ihm blieben die Thore geſchloſ-
ſen, und die Truppen hatten ſich waͤhrend ſeiner Abweſen-
heit einſtimmig fuͤr das Volk erklaͤrt. Er, und zwey ſei-
ner Soͤhne, Titus und Aruns wandten ſich nach Caͤre
wo ſie Aufnahme und Schutz fanden. Sextus begab ſich
nach Gabii, wo er, ſeit der Verrath vollbracht war, als
Fuͤrſt herrſchte. Der Trotz koſtete ihm das Leben: er
konnte den Freunden der Ermordeten und Vertriebenen
nur
[321] nur ſeine Gewalt, ſich ſelbſt und ſeine Anhaͤnger entgegen-
ſtellen; und Rom welches ſie geſchreckt hatte, gab ihnen
jetzt Beyſpiel und Zuverſicht. Anders erzaͤhlt Dionyſius
auch dieſes: er laͤßt Sextus die Flucht ſeines Vaters thei-
len, Heere gegen Rom anfuͤhren und erſt in der Schlacht
am Regillus fallen. Wie viel dichteriſcher dieſer Trotz
und dieſe Verblendung des Schickſals, welche ihn dahin
trieb wo er einem ſchmaͤhlichen Ende nicht entfliehen
konnte: dieſe den Betrognen dargebotene Rache.
Die Vertreibung der Koͤnige ward alljaͤhrlich zu Rom
durch ein Feſt, das Regifugium oder die Fugalia, am
24ſten Februar gefeyert. Hierauf bezieht ſich Dionyſius
Angabe 85), es waͤren im Jahr der Revolution noch vier
Monate uͤbrig geweſen. Naͤmlich ungefaͤhr gerechnet,
nach dem attiſchen Kalender, deſſen erſter Monat bald
mehr bald weniger mit dem Julius zuſammenfaͤllt, und
vorausgeſetzt, daß jenes Feſt ein hiſtoriſch beſtimmter
Jahrstag war. Dies iſt aber wenigſtens zweifelhaft, und
die Verbindung mit den Terminalien worauf es unmittel-
bar folgt, laͤßt vielleicht auf eine nur allgemein ſymboliſch
gedachte Wahl des Tages ſchließen.
Ungeachtet dieſer Feyer, und der ewigen Verban-
nung des koͤniglichen Nahmens, waren aber die Roͤmer
weit entfernt einen wilden Haß auf das Andenken der Zei-
ten der koͤniglichen Herrſchaft zu werfen. Die Statuen
der Koͤnige, unter ihnen wie es ſcheint ſogar die des letz-
ten Tarquinius, wurden erhalten, und wahrſcheinlich ſo-
gar vervielfaͤltigt: ihre Geſetze und Einrichtungen in buͤr-
Erſter Theil. X
[322] gerlichen wie in gottesdienſtlichen Dingen beſtanden fort-
waͤhrend mit voller Rechtskraft. Die Veraͤnderung der
Verfaſſung betraf anfangs nur einen einzigen Zweig: und
nie kam es den Roͤmern in den Sinn ſich ſelbſt um ein rei-
ches Erbtheil von Geſetzen und Erinnerungen zu verkuͤm-
mern. Nur in unſern Tagen ſah man auch die Folgen des
Wahnſinns, der in den Tagen unſrer Vaͤter mit einer nie
geſehenen Art des Hochmuths ſich Herabwuͤrdigung und
Knechtſchaft neben dem Beruf zu beyſpielloſer Vollkom-
menheit anlog, und eine neue Erde durch Zertruͤmmerung
zu bilden prahlte: nur einmal ſah die Welt, und wir ha-
ben es geſehen, daß allgemeine Verachtung uͤber die Ver-
gangenheit herabgerufen ward, daß man auf den Titel
losgebrochner Sklaven ſtolz war. Etwas aͤhnliches frey-
lich, und aͤhnliche Folgen hatte ſie bey religioͤſen Revo-
lutionen erfahren, die proteſtantiſchen Kirchen haben
Heilige und Kirchenvaͤter von ſich geworfen, und nicht
ungeſtraft: auch bey wiſſenſchaftlichen und dichteriſchen.
Dagegen zeigt die Erfahrung der ganzen Geſchichte,
daß ein Volk keinen herrlicheren Reichthum beſitzt als
an einer langen und glaͤnzenden ununterbrochnen Vor-
zeit. An dieſem Mangel ſiechen alle Colonieen. Die
Griechiſchen zwar trennten ſich in ihren Erinnerungen
ſelten ganz von der Wurzel des Mutterſtaats: neuere
haben es gethan, und ſind durch dieſe unnatuͤrliche
Frechheit vielleicht noch mehr als durch andre Umſtaͤnde
in eine heilloſe Schlechtigkeit verſunken.
[323]
Rom bis zur Schlacht am Regillus.
Rom war jetzt ohne Haupt, und der Senat haͤtte
nach der alten Sitte in den Beſitz des Zwiſchenreichs tre-
ten ſollen. Aber ſeit Ancus Tode war uͤber ein Jahrhun-
dert vergangen, und zwey Koͤnige hatten den Thron ſogar
ohne Wahl eingenommen. Ueberdies hatte der Senat
unter dem letzten Koͤnige viele der ſeinigen durch Ty-
ranney verlohren, die Achtung und das Vertrauen des
Volks durch ſeine Empoͤrung gegen den ehrwuͤrdigen
alten Koͤnig, wodurch das Joch der letzten Regierung
auf die Nation gekommen war: die Anhaͤnger der Tar-
quinier waren zahlreich in ſeiner Mitte; dies iſt klar
durch die Menge der Ausgewanderten, welche in der
Folge gegen das Vaterland fochten, und zuverlaͤſſig
nicht aus Leuten der niedern Staͤnde beſtanden. Bru-
tus, als der erſte nach dem Koͤnig, war auch nach der
Form im Beſitz der Macht auf die ſein Verdienſt ihm
den erſten Anſpruch gab. Von ihm berechtigt, berief
der Praͤfect der Stadt die Centurien, um nach der Ver-
faſſung des Koͤnigs Servius anſtatt eines Koͤnigs zwey
Conſuln zu erwaͤhlen, um waͤhrend eines Jahrs die
ganze koͤnigliche Macht auszuuͤben, bekleidet mit dem
Glanz der Koͤnigswuͤrde, ausgenommen die Krone und
die goldgeſtickten Purpurkleider, die nur fuͤr die Feyer-
lichkeit des Triumphs ihnen geſtattet wurden. Kein Ge-
ſetz beſchraͤnkte damals und noch lange nachher die Wie-
dererwaͤhlbarkeit in folgenden Jahren. Der Nahme Con-
ſul ſcheint wie der womit die hoͤchſten Goͤtter, Jupiters
X 2
[324] Senat, benannt werden, Conſentes, Gleiche zu bezeich-
nen. Rath geben, oder den Willen des Senats als
Vorſitzer erfragen, war, vor allem im Anbeginn der
Republik, viel weniger als gebieten die auszeichnende
Eigenſchaft des Conſulats 86).
Die Wahl des Collatinus welcher Brutus zum Col-
legen gegeben ward, mag immer als eine Huldigung
fuͤr Lucretias Manen betrachtet werden: aber in einem
mehr hiſtoriſchen Licht, ſcheint ſie das Werk entweder
des durchherrſchenden ernſten roͤmiſchen Geiſts, der zu
allen Veraͤnderungen Uebergaͤnge ſuchte, oder einer ver-
mittelnden Gunſt einer bedeutenden Parthey fuͤr das
koͤnigliche Haus, welches in einem andern Zweige, und
unter Einſchraͤnkungen ſo noch immer im Beſitz der hoͤch-
ſten Wuͤrde blieb, geweſen zu ſeyn. Beyde Stimmun-
gen vereinigten ſich in dieſer Wahl. So uͤbertrugen die
Tories, obgleich in der Revolution fortgeriſſen, dem
Befreyer Englands die Krone nicht durch Wahl, ſon-
dern als dem Gemahl der Prinzeſſin Maria; und die
[325] weiſen Fuͤhrer der Whigs willigten in alle Modificatio-
nen ein, wie gezwungen ſie auch lauteten, wodurch die
Ausuͤbung eines außerordentlichen Nothrechts vor dem
Volk und vor der Zukunft verhuͤllt ward.
Aber die damalige Lage Roms war weit gefaͤhrli-
cher als die eines großen Volks bey dem die Freyheit
in vielen tauſend entſchloßnen Herzen eine ſichre Wehr
und Wurzel hatte. Brutus hatte das Volk ſchwoͤren
laſſen daß es keinen Koͤnig zu Rom dulden wolle. Er
uͤbte mit der dictatoriſchen Machtfuͤlle welche die Noth-
wendigkeit einem großen Manne in außerordentlichen
Umſtaͤnden uͤbergiebt und zur Pflicht macht, jene cen-
ſoriſche Gewalt bey der Auswahl der Senatoren, die
fruͤher das Recht der Koͤnige und nach ihnen der erſten
Conſuln geweſen ſeyn muß, weil das Amt der Cenſo-
ren nur von der koͤniglichen Allgewalt getrennt ward
die auf das Conſulat uͤbergegangen war. Der verbannte
Koͤnig ſoll den Senat, dem er viele Mitglieder durch
tyranniſche Urtheile raubte, nicht ergaͤnzt haben: aber
freywillige Entfernung, und Ausſchließung bekannter
Anhaͤnger des Tyrannen mag die Zahl der Senatoren
noch mehr vermindert und Auswandrung an den ver-
bannten Hof veranlaßt haben. Brutus ſelbſt war Ple-
bejer: das Juniſche Geſchlecht war ſtolz auf ihn als den
Stifter ihrer Nobilitaͤt 87); und nachdem die Patricier
die Ariſtocratie feſt gegruͤndet hatten, erſcheint kein Ju-
nius mehr unter den Conſuln bis das Conſulat mit den
Plebejern getheilt war. Aber ein Junius Brutus war
[326] ſechszehn Jahre nach des Conſuls Tode unter den er-
ſten die das Volk als Tribunen vertraten 88), und bis
in die ſpaͤteſten Zeiten der Republik bewaͤhrte dieſes Ge-
ſchlecht ſeinen plebejiſchen Stand durch das Tribunat 89).
Er ergaͤnzte mit dieſem Selbſtgefuͤhl den Senat nicht
allein aus Patriciern, ſondern auch aus den plebeji-
ſchen Rittern.
Eine andre Erzaͤhlung nannte P. Valerius als den
Urheber dieſer entſcheidend wichtigen Veraͤnderung, und
meldete mit ſcheinbarer Genauigkeit die Zahl von 164 Ple-
bejern welche er in den Senat berufen haͤtte 90). An
ſich iſt es mehr als unwahrſcheinlich, daß ſo genaue
Nachrichten ſich bis zur Zeit der Annaliſten erhalten
gekonnt, bey dieſer aber erregt die Uebertragung auf
Valerius nicht weniger als die Zahlen den Verdacht
[327] daß ſie auf dem Glauben des Antiaters Valerius be-
ruht. Dem patriciſchen Geſchlecht hat dieſer ſicher nicht
angehoͤrt, wahrſcheinlich aber ihrer Clientel: und wie
wahr auch die Anſpruͤche dieſes Geſchlechts auf uralte
Gerechtigkeit gegen das Volk waren, die Familienreden
mochten ihren Ahnherren hierin auch manches Lob zuwen-
den welches andern gebuͤhrte.
Auch daruͤber widerſprechen ſich die alten Zeugen ob
Brutus zuerſt den Senat auf dreyhundert brachte, und ob
die von ihm aufgenommenen Plebejer dadurch das Patri-
ciat erhielten; oder ob er ihn nur ergaͤnzte, und die neuen
Senatoren nicht aus der Plebs traten. Beydes iſt im
Grunde unzertrennlich, und Tacitus, welcher meldet
Brutus habe die mindern Geſchlechter in das Patriciat
aufgenommen 91), laͤugnet entweder die Veraͤnderung
des alten Tarquinius, oder er mußte annehmen, dieſer
Koͤnig habe Romulus hundert Senatoren verdoppelt, und
die Geſchlechter welche durch ihn in den Senat kamen,
waͤren zu den groͤßeren gerechnet worden. Aber Tacitus
iſt in den Alterthuͤmern der Verfaſſung wenig unterrichtet.
Weit wahrſcheinlicher iſt das entgegengeſetzte Zeugniß, die
aufgenommenen plebejiſchen Ritter waͤren als Conſcripti
von den Patres unterſchieden geworden 92), da Brutus
eignes Geſchlecht plebejiſch blieb. Es iſt eine einſtimmig
bewaͤhrte Nachricht daß Tarquinius der Alte die neuen
Rittercenturien bildete, und dies ſcheint, wie fruͤher ge-
zeigt iſt, vorauszuſetzen daß die aͤltern Rittercenturien
[328] ſchon alle zum Patriciat erhoben waren. Plebejer wa-
ren im Senat noch ehe ſie das Militaͤrtribunat erlang-
ten 93).
So lange aber ein Tarquinius die hoͤchſte Gewalt
theilte, ſo lange mußte die Republik in Gefahr ſcheinen
Anſpruͤche und heimliche Unternehmungen auf die Herſtel-
lung der Koͤnigswuͤrde fuͤr dieſe Linie zu erfahren, bey der
ſich die Anhaͤnger der Verbannten mit denen vereinigen
konnten die, der Republikaniſchen Regierung abhold, doch
mit dem alten Fuͤrſten unverſoͤhnlich waren. Im Nahmen
des Vaterlands erklaͤrte Brutus, kein Tarquinius koͤnne
zu Rom gebieten: dies werde das Volk beſchließen, und
Collatinus ſeine Wuͤrde nehmen wenn er ihr nicht frey-
willig entſagte: ihn verbannen wenn er nicht friedlich die
Stadt verließe. Nach langem Widerſtand gab dieſer nach,
legte ſein Amt nieder, verließ Rom, unter dem Segen
und dem Dank der Mitbuͤrger, reichlich entſchaͤdigt und
beſchenkt, und begab ſich nach Lavinium. Von ihm und
ſeinem Geſchlecht iſt die Rede nicht mehr.
Die Roͤmiſche Revolution war, als Heilung des
Staats von einem beſtimmt erkannten unleidlichen Uebel
mit großer Maͤßigung und nur bis an die Graͤnzen der
Nothwendigkeit ausgefuͤhrt worden. Das Eigenthum des
Koͤnigs war noch unangetaſtet: aus Etrurien forderte die-
ſer durch eine Geſandtſchaft Auslieferung der beweglichen
Habe, und Befugniß die liegenden Gruͤnde zu verkaufen;
[329] ohne weitere Anſpruͤche auf Ruͤckkehr und Herſtellung zu
aͤußern. Es ſchien dem Senat gerecht und klug die For-
derung zu bewilligen, wenn auch der Koͤnig an dem Gelde
Mittel gewann die Republik zu bekriegen. Die Zeit welche
verging um Anſtalten zu treffen den Vertrag auszufuͤhren,
benutzten ſeine Abgeordneten den geheimen Zweck ihrer
Sendung zu erreichen, eine Verſchwoͤrung zu bilden dem
Koͤnige und einem etruskiſchen Heere die Thore zu oͤffnen.
Gaſtrecht und Verwandtſchaft gaben in der alten Welt
Befugniſſe die in dem heftigſten Buͤrgerzwiſt heilig und
unverdaͤchtig blieben. Unter dieſem Vorwand ward es
den Vitelliern und den Aquilliern nicht verargt daß ſie die
Geſandten haͤufig und vertraut aufnahmen. Durch jene
wurden ſie mit zwey Soͤhnen des Conſuls Brutus bekannt,
welche, mit vielen Juͤnglingen der vornehmen Haͤu-
ſer, der Freyheit und dem Geſetz feind, Dank und Be-
lohnung vom zuruͤckgefuͤhrten Koͤnig erwarteten. Die
Abreiſe der Geſandten ward verzoͤgert bis der ganze Plan
gereift ſeyn wuͤrde: man verſammelte ſich zum letztenmal
um alles zu verabreden und die Unternehmung ſchleunig
auszufuͤhren. Dieſes letzte Geſpraͤch ward von einem
Sklaven behorcht, angegeben, die Geſandten und alle
Verſchworne ergriffen. Jene wurden unbeſtraft fort-
geſandt: dieſer wartete ein unerbittliches Gericht. Das
Todesurtheil ſprach bey Staatsverbrechen damals noch
der Conſul aus, ohne Appellation an das Volk. Er
ſprach es uͤber alle Schuldigen, und von dem curuli-
ſchen Thron ſah er unerſchuͤttert wie mit den Vitel-
liern, den Bruͤdern ſeiner Frau, und den uͤbrigen Ver-
[330] brechern ſeine gefallnen Soͤhne geſtaͤupt und enthaup-
tet wurden 94).
Mit dieſer Entdeckung verſchwand die ſchwache Hoff-
nung, daß der verbannte Fuͤrſt ſein Schickſal mit Entſa-
gung tragen, und die Republik ihre Freyheit ohne Krieg
genießen werde. Es galt jetzt dieſe zur allgemeinen Sache
Aller zu machen. Denn das Volk freute ſich wohl der
Befreyung von dem harten Herrn, aber nicht ohne dank-
bare Erinnerungen an die Monarchie welcher es Frey-
heit und Buͤrgerrecht verdankte: und es ſah nicht ohne
Beſorgniß auf den Stolz der Patricier wenn Conſuln
dieſes Standes allein die wahrſcheinlich doch nicht ein-
mal ſehr zahlreichen Plebejer aus dem Senat entfernen,
und ſie ohne alle ſchirmende Macht dem patriciſchen Hoch-
muthe hingegeben ſeyn wuͤrden. Daher galt es, auch die
Plebs unzertrennlich an die Sache der Republik zu binden.
Das Eigenthum des Tarquiniſchen Hauſes ward jetzt con-
fiscirt: was fortgetragen werden konnte, der Menge zur
Pluͤnderung preisgegeben. Aus einem weit ſtaͤrkeren
Grunde mußten auch die Landguͤter des Koͤnigs unter das
Volk vertheilt werden. Davon ſchweigen unſre Geſchicht-
ſchreiber: aber Plinius 95) hat die Nachricht erhalten daß
jedem Plebejer nach der Vertreibung der Koͤnige ſieben
[331] Jugera angewieſen wurden, das Landmaaß welches nach-
her die Regel allgemeiner Vertheilungen blieb. Das ge-
theilte Land war nun ohne Zweifel das Privatgut der Koͤ-
nige, wenigſtens war dieſes darin abſorbirt, und dies
war ein unaufloͤsliches Band, nicht der Beſitz einiger ge-
raubten Habſeligkeiten, welche immer nur wenigen vom
Poͤbel zu Theil geworden ſeyn konnten, alſo auch nur we-
nige, und die denen die Republik keine Waffen gab, ver-
pflichteten, und leicht veraͤußert waren. Unſre Geſchicht-
ſchreiber erzaͤhlen nur die Heiligung des Felds zwiſchen
Stadt und Tiber welches von der Zeit an das Marsfeld
geworden ſey. Sie fuͤgen hinzu, die Weihung ſey zur
Erndtezeit geſchehen; und weil es unerlaubt geſchienen
das Korn eines geweihten Feldes zu benutzen, habe man
die Garben in Koͤrben in den Strohm geworfen. Hier
haͤtten die ſeichten Gruͤnde, — der Strohm floß ſchwach
und klein als im hohen Sommer, — das herabfließende
Stroh aufgehalten, und es habe ſich ſo aufgehaͤuft daß
daraus der Grund der Tiberinſel entſtand.
Aber eben das Marsfeld war kein Eigenthum der
Tarquinier und ward auch nicht damals dem Gott gehei-
ligt. Freylich wie es ſcheint in ſehr alten Zeiten, unter
einem Conſul Horatius 96), ſchenkte dieſes Feld dem Roͤ-
miſchen Volk eine Veſtalin Tarratia, die zum Dank durch
ein Geſetz mit Vorrechten vor allen Frauen ausgezeich-
net ward.
[332]
Polybius 96 b) nennt L. Junius Brutus und M. Ho-
ratius die Conſuln unter denen der aͤlteſte Handelsvertrag
mit Karthago geſchloſſen war. Dieſen las man noch zu
ſeiner Zeit, in ſo alter Sprache verfaßt daß alterthums-
kundige Roͤmer den Sinn zum Theil nur erriethen. Po-
lybius erzaͤhlt mit ſo großer Beſonnenheit und Be-
ſtimmtheit daß jedes ſeiner Worte bedeutend genommen
werden muß: und daher iſt es gar nicht zu bezweifeln daß
er die Nahmen jener beyden Conſuln, wie eslbey jedem
Buͤndniß geſetzliche Sitte war daß der anweſende und be-
ſchwoͤrende Conſul darin genannt ward 97), im Eingang
der Acte geſchrieben las. Damit aber faͤllt die Angabe
aller Faſten, welche P. Valerius als Brutus, Collatinus
zu erſetzen erwaͤhlten Collegen, und M. Horatius als ſei-
nen Nachfolger nennen.
Dieſer Vertrag iſt fuͤr die Geſchichte ſo außerordent-
lich wichtig daß ſeine Nichterwaͤhnung bey Livius, wel-
cher doch an mehreren Stellen alte Urkunden als Berich-
tigung der Annalenerzaͤhlung anerkennt, uns, die wir
allenthalben Zeugniſſe ſuchen um durch ihre Verglei-
chung die verhuͤllte oder erblichene Wahrheit zu ent-
decken, unangenehm auffaͤllt. Verborgen war er ihm
nicht, denn Polybius Geſchichte liegt, wie jeder weiß,
ſo weit ſie ſich erſtreckte, der ſeinigen oft bis zu uͤber-
ſetzender Nachbildung zum Grunde. Aber Livius hat
offenbar ſeiner Geſchichte gar nicht, wie es der thut
dem hiſtoriſche Kritik Beduͤrfniß iſt, vorgearbeitet.
[333] Selbſt unter den roͤmiſchen Annaliſten gebrauchte er
nur wenige, und dieſe wie er mit der Ausarbeitung
fortruͤckte. Daher allein kann es erklaͤrt werden daß
ihn Widerſpruͤche des fruͤheren und ſpaͤteren, auch wenn
es ſich ſehr nahe liegt, durchaus nicht ſtoͤrten: es iſt
ſehr moͤglich daß er Polybius, deſſen Werth im allge-
meinen damals gar nicht erkannt ward 98), als er die
aͤlteſte Geſchichte der Republik ſchrieb, noch nie geleſen
hatte: wenigſtens benutzte er ihn nur von der Zeit an,
wo ſeine Erzaͤhlung fortlaufend beginnt. Aber ſein Still-
ſchweigen beweißt daß die einheimiſchen Annaliſten die-
ſes Buͤndniſſes nicht erwaͤhnten, auch nicht Licinius Ma-
cer, welcher unter denen die ausfuͤhrlicher ſchrieben 99),
vor andern aufmerkſam auf alte Urkunden war. Ma-
cer, ohne Zweifel der Volkstribun aus Pompejus erſter
Bluͤthenzeit, hat wahrſcheinlich ſeine Unterſuchungen be-
gonnen als die Tafel welche das Buͤndniß bewahrte
ſchon nicht mehr vorhanden war: es iſt glaublich daß
ſie ſich auf dem Capitol befunden hatte, und durch den
Brand in der Zeit des Marianiſchen Kriegs vernichtet
war. Ein andrer Grund uͤber ſie zu ſchweigen war
aber eben was ſie uns ſo wichtig macht, ihre gaͤnzliche
Unvereinbarkeit mit der dichteriſchen Erzaͤhlung welche
[334] zur Geſchichte geworden war: denn ſie enthuͤllt unlaͤug-
bar das Geheimniß des Verfalls der politiſchen Groͤße
Roms welchen die Verbannung der Koͤnige veranlaßte:
ein Geheimniß welches die ſpaͤteren Enkel mit thoͤrich-
ter Aengſtlichkeit zu verbergen ſuchten. Als das Buͤnd-
niß geſchloſſen ward, genoß die Republik noch das ganze
Erbe der Monarchie. Ardea, Antium, Circeji und Terra-
cina werden unterthaͤnige Staͤdte genannt, und fuͤr ſie
wie fuͤr ſich ſelbſt ſtipulirt Rom. Die Dichtung redet
von der Belagerung Ardeas, und von einem funfzehn-
jaͤhrigen Waffenſtillſtand zwiſchen den befreyten Roͤmern
und den Ardeaten: dies aber iſt das Gegentheil von
Schirmherrſchaft und Unterwerfung. Ward Ardea nicht
belagert, dann wankt die ganze Erzaͤhlung von Lucretias
Schickſal. Die ganze Kuͤſte wird latiniſch, das Land Latium
genannt: dies macht es ſehr wahrſcheinlich daß aller-
dings erſt unmittelbar nachher die Volsker, am obern
Vulturnus und Liris von den Samnitern gedraͤngt ſich
laͤngſt der Kuͤſte erobernd ausbreiteten. Nicht ganz La-
tium iſt den Roͤmern unterthan, aber ſie verbinden die
Karthaginenſer auch in dieſen freyen Gegenden weder
Eroberungen zu machen noch Feſtungen anzulegen. Den
Roͤmern und ihren Bundsgenoſſen iſt die Schiffahrt
nach allen Haͤfen ſuͤdlich vom ſchoͤnen (oder hermaͤiſchen)
Vorgebuͤrge, nordoͤſtlich von Karthago unterſagt, wohl
nicht allein, wie Polybius urtheilt um ſie von den rei-
chen Gegenden an der kleinen Syrtis auszuſchließen.
Freylich war es vortheilhafter Karthago zur Stapel-
ſtadt fuͤr die Erzeugniſſe dieſer Gegend zu machen, und
[335] den Handelsgewinn des Umſatzes ſich ſelbſt vorzubehal-
ten: aber noch wichtiger war es durch dieſe ſtrenge Aus-
ſchließung kuͤhneren italiſchen Schiffern die Moͤglichkeit
eines Verſuchs abzuſchneiden unmittelbaren Handel mit
Aegypten und Syrien zu eroͤffnen: ſo wie noch um 1630
Spanien die Schiffe aller ſonſt voͤllig freundſchaftlichen
Nationen wegnehmen ließ die auf dem Wege nach In-
dien betroffen wurden. Die Handelstractate der Etrus-
ker mit Karthago ſind nach Ariſtoteles bereits erwaͤhnt;
der roͤmiſche iſt ohne Zweifel ihr Abbild, und es laͤßt
ſich nicht bezweifeln daß dieſe Einſchraͤnkung mit glei-
cher Strenge fuͤr ſie galt. Auch die folgenden Beſtim-
mungen haben wohl allgemein alle italiſche Voͤlker ver-
pflichtet die durch Buͤndniß ein Handelsrecht mit Kar-
thago erhielten. In Sicilien, wo damals Karthago
noch keine Provinz beherrſchte, ſondern freye phoͤniciſche
Staͤdte, wie Utika, Leptis und Gades unmittelbar von
Tyrus gegruͤndet, die Ueberreſte einer Menge Nieder-
laſſungen welche Tyrier vor der Einwandrung der Grie-
chen an allen Haͤfen und auf allen Inſelchen vor der
Kuͤſte rings um Sicilien beſeſſen hatten 500), an der
Nordkuͤſte Sicaniens, Motye, Soloeis und Panormus,
unter Karthagos gebietendem Schutz beſtanden, ſicherten
die Punier den Roͤmiſchen Kaufleuten gleiche Rechte mit
den ihrigen. Zu Karthago, an der libyſchen Kuͤſte weſt-
lich vom ſchoͤnen Vorgebuͤrge, und auf Sardinien durf-
ten die Roͤmer einlaufen und Handel treiben, aber der
Verkauf ihrer Ladungen mußte durch oͤffentliche Verſtei-
[336] gerung geſchehen; und dann haftete der Staat dem
fremden Kaufmann fuͤr die Bezahlung. Dieſes war
ohne Zweifel gegenſeitig, und ein zwiefacher Vortheil
fuͤr den Fremden. Damals beſtand noch keine Han-
delscorreſpondenz, und der Kaufmann welcher Fracht-
guͤter nach einem Hafen brachte war entweder in der
Gewalt einiger bekannten reichen und ſichern aber mo-
nopoliſirenden Haͤuſer, oder er lief Gefahr fuͤr einen hoͤ-
hern Preis ſeine Waare bey einem unſichern Kaͤufer
ganz zu verlieren. So iſt noch jetzt die Lage des Han-
dels in wenig beſuchten Haͤfen fremder Welttheile, ſo
fand ſie Lord Valentia zu Maſſaua. Dieſem ſchweren
Nachtheil half ein ſolcher Vertrag ab, zum allgemeinen
Nutzen der Buͤrger, wie des fremden Kaufmanns. Oef-
fentliche Verſteigerung ſicherte dieſen ferner gegen jede
Bedruͤckung der Zoͤllner, indem alle Zollgefaͤlle im Al-
terthum nach Procenten des Werths, nicht nach feſten
Saͤtzen erhoben wurden, ihr Ertrag aber verpachtet
war, und deswegen bey der Erhebung noch mehr Ge-
fahr unbilliger Abſchaͤtzung.
Die Griechiſchen Staaten hatten keine Handelsver-
traͤge mit den Karthaginienſern, welche die Aegaͤiſchen
Gewaͤſſer ſelten oder gar nicht beſucht zu haben ſchei-
nen: aber auch nicht mit den Phoͤniciern. Fuͤr dieſe war
der Griechiſche Handel gaͤnzlich activ, und ihnen wur-
den Vertraͤge durch ihre wenigſtens zu Athen wohnen-
den Landsleute, welche den Handel ohne Zweifel wie
die Banianen außer Indien fuͤhrten, und die ſchnelle
Rechtspflege der attiſchen Handelsgerichte, entbehrlich;
uͤberdies
[337] uͤberdies waͤre Reciprocitaͤt und Zulaſſung griechiſches
Activhandels den aſiatiſchen Phoͤniciern nachtheilig ge-
weſen.
Ich kehre aus der Geſchichte zur Dichtung zuruͤck.
Von Caͤre, einer Stadt deren Macht zu einem Krieg ge-
gen Rom viel zu gering, oder die ſchon damals durch Buͤr-
gerrecht mit Rom vereinigt war, begab der verbannte
Koͤnig ſich nach Tarquinii, in die Heimath ſeines Ge-
ſchlechts, und bewog die herrſchenden Familien, der
ſeinigen vielleicht verwandt, ſeine Sache aufzunehmen.
Die Vejenter, der Roͤmer natuͤrliche Feinde, erklaͤrten ſich
ebenfalls fuͤr ihn. Ihr vereinigtes Heer war zahlreich
und den Roͤmern furchtbar. Beyde Conſuln fuͤhrten ih-
nen das Roͤmiſche entgegen. Die Reuter, von Brutus
gefuͤhrt, trafen auf die Etruskiſchen, an deren Spitze
Aruns, einer der Soͤhne des Koͤnigs, ſich befand. Beyde
Heerfuͤhrer begegneten einander am Wald Arſia, und ihr
Zweykampf war das Vorſpiel einer Schlacht. Beyde fie-
len, jeder toͤdtlich von der Lanze ſeines Feindes getroffen.
Der Kampf um die Leichen verwickelte die Reuterey in
ein Gefecht, welches bald auch fuͤr die Legionen allge-
mein ward. Der rechte Fluͤgel der Roͤmer ſchlug die
Vejenter, die Tarquinienſer brachten den linken des roͤ-
miſchen Heers zum Weichen. Beyde Heere uͤbernachte-
ten unter den Waffen, ungewiß wer geſiegt habe. In der
Mitternacht erſcholl die Stimme des Waldgeiſts aus dem
Forſt: der Sieg gehoͤre den Roͤmern: die Zahl der gefall-
nen Etrusker ſey um einen groͤßer als die der Roͤmiſchen
Todten. Solche Stimmen waren es die paniſche Schrek-
Erſter Theil. Y
[338] ken verbreiteten. Die Etrusker entflohen aus ihrem La-
ger, und, von den Goͤttern ſelbſt beſchuͤtzt, kehrte das
roͤmiſche Heer mit Triumph heim. Brutus Leiche ward
feierlich beſtattet: die Matronen betrauerten ihn ein gan-
zes Jahr als einen Vater.
Ich habe ſchon bemerkt daß nach dem Karthaginien-
ſiſchen Handelsvertrag M. Horatius und nicht P. Vale-
rius College des Stifters der Freyheit war. Dadurch nun
wird auch die Erzaͤhlung mit der Geſchichte unvereinbar,
daß Valerius, nach Brutus Tode, die Wahlverſammlung
fuͤr ſeinen Nachfolger nicht berufen, und dies Verdacht
gegen ihn erregt habe daß es ſeine Abſicht ſey ſich die
Monarchie anzumaaßen. Dieſer Argwohn ſey dadurch
noch mehr erregt worden, daß er auf der hohen Velia,
uͤber dem Gemeindeplatz, auf einem ſchwer zugaͤnglichen
Huͤgel gebaut haͤtte. Der Conſul habe das Mißtrauen ge-
gen ihn erfahren, und mit dem Unwillen den unverdienter
Verdacht bey dem am meiſten erregt der im Bewußtſeyn
ſeiner Reinheit es unnoͤthig findet, jeden der Verlaͤumdung
brauchbaren Schein zu meiden, von der Volksgemeinde
einen andern Bauplatz gefordert und zugleich das aufge-
fuͤhrte Gebaͤude niederreiſſen laſſen 1). Hierauf habe er,
[339] noch allein im Beſitz des Conſulats, die Valeriſchen Ge-
ſetze vorgetragen und annehmen laſſen, welche die erſte
Sicherheit des Volks gegen Mißbrauch der monarchiſchen
Gewalt der Conſuln waren.
Die Ausuͤbung des Blutbanns, bey vielen Geſetzen
welche Todesſtrafe ausſprachen, iſt ſelbſt in den mittleren
Zeiten der Republik ſehr dunkel: uͤber die aͤlteſte Verfaſ-
ſung ſind in dieſer Hinſicht die bewaͤhrten Nachrichten
hoͤchſt aͤrmlich. Indeſſen duͤrfen wir wohl vorausſetzen,
was bey einem kuͤnftigen Zeitpunkt dieſer Geſchichte naͤher
dargethan werden wird, daß unter den erſten Conſuln
wie unter den Koͤnigen zwey Blutrichter alljaͤhrlich durch
die Curien erwaͤhlt wurden, und daß die Koͤnige ſelbſt
dieſe Gerichtsbarkeit nicht ausuͤbten.
Dagegen aber erbten die Conſuln von den Koͤnigen
eine despotiſche Macht ihren Befehlen durch Todesſtrafe,
ausgeſprochen nach ihrem eignen Gericht, oder im Au-
genblick wo Ungehorſam kund ward, Gehorſam zu ver-
ſchaffen. Die Ausuͤbung dieſer Macht mochte haͤufiger
veranlaßt werden nach einer Revolution uͤber die zu Rom
1)
Y 2
[340] wie in allen aͤhnlichen Faͤllen Gefuͤhle und Urtheile ge-
trennt ſeyn mußten: und ihr wollte Valerius durch das
Geſetz von der Provocation ein Ziel ſetzen. Fuͤr buͤrger-
liche Verbrechen beſtimmten die Geſetze andre Arten der
Todesſtrafe: gewoͤhnlich den Strick. Vergehungen gegen
die Nation und die hoͤchſte Gewalt des Staats wurden mi-
litaͤriſch, durch Streiche und Enthauptung geahndet.
Von dem Valeriſchen Geſetz, welches die Ausfuͤhrung
eines ſolchen Urtheilsſpruchs unterſagte wenn der Ver-
dammte an das Gericht des Volks provocirte, ſagt Livius
an zwey entſcheidenden Stellen daß es zum Vortheil der
Plebs gegeben ward 2). Dennoch ſcheint es, da ſelbſt
der ſenatoriſche Charakter nicht heilig war, daß ein Con-
ſul, wenn er von dem wuͤthenden Gemuͤth getrieben ward
welches in den aͤlteren Tagen der Republik mehrere zu den
grauſamſten Gewaltthaͤtigkeiten hinriß, einen ihm ver-
haßten Patricier, ſelbſt einen Senator, nicht mehr als
einen Plebejer verſchont haben werde, wenn ihn nicht
furchtbare Strafen zuruͤckhielten. Man muß alſo anneh-
men daß die Patricier das Recht der Provocation an ihre
Gemeinde (das Gericht ihrer Pairs) ſchon beſaßen, wel-
ches jetzt den Plebejern zugeſichert ward: deren Provoca-
tion, weil das Tribunat eigentlich zu ſeiner Handhabung
[341] eingefuͤhrt ward, an die Gemeinde der Tribus gerichtet
geweſen ſeyn muß. Die Clienten hatten Schutz durch
ihre Patrone.
Die Beobachtung des Geſetzes war aber nicht durch
die Sanction einer Strafe, ſondern nur durch den Aus-
ſpruch eingeſchaͤrft, wer dagegen handle, verſuͤndige ſich:
eine Sanction welche nach Livius Urtheil durch ein Ver-
trauen auf Tugend veranlaßt war deren die damalige
Zeit ſo wenig als die folgende ſich wuͤrdig bewaͤhrte, ſo
daß das Geſetz immer von Zeit zu Zeit erneuert werden
mußte 3). Allerdings genoß das Volk anfaͤnglich bey
dieſer Abweſenheit einer Strafclauſul keinen andern
Schutz als den Guͤte oder Klugheit ihm gewaͤhrte: von je-
ner war wenig zu hoffen, und dieſe glaubte nur ſo lange
der alte Koͤnig lebte Schonung gegen das Volk zu beduͤr-
fen. Daher ward unmittelbar nach ſeinem Tode der
Schutz des Tribunats nothwendig, und dieſes war befugt
den Verfolgten mit Gewalt zu ſchuͤtzen und gegen den
Uebertreter nach Ablauf des Jahrs ſeiner Magiſtratur
auf eine Strafe vor den Tribus anzutragen, deren Groͤße
durch erſchwerende Umſtaͤnde ſehr erhoͤht werden konnte.
Daß keine beſtimmte Strafe gegen den uͤbertretenden Con-
ſul verhaͤngt war ſcheint eine Folge der weiſen Einſicht,
die hoͤchſte Gewalt muͤſſe irgendwo mit Vertrauen be-
wahrt und unbeſchraͤnkt ausgeuͤbt werden: es koͤnnten
ihr nur Regeln vorgeſchrieben, aber im gewoͤhnlichen
Gang ſie fuͤr ihre Beobachtung nicht gerichtlich verant-
wortlich gemacht werden, ſo daß Widerſtand als das
[342] aͤußerſte fuͤrchterliche Mittel noch immer weniger ſchaͤdlich
ſey als die Laͤhmung der hoͤchſten Gewalt.
Sonſt ward Gehorſam gegen die Befehle der Conſuln
durch ein andres Geſetz eingeſchaͤrft welches gegen den
Widerſpenſtigen eine Mulct von fuͤnf Rindern und zwey
Schafen verfuͤgte. Ein drittes erklaͤrte jeden der eine ihm
nicht vom Volk aufgetragene Macht ausuͤbte, den Goͤt-
tern mit ſeiner geſammten Habe als Opfer geweiht. Dies
war eine Achtserklaͤrung, und gab dem Conſul das Recht
den Schuldigen in einem ſolchen Fall ungeahndet hinrich-
ten zu laſſen, wie jedem einzelnen ihn zu toͤdten. Die
Formel, das Haupt des Schuldigen den Goͤttern zu wei-
hen, hergenommen von den Menſchenopfern, deren Sitte
zu Rom in den aͤlteſten Zeiten ſich ſchlechterdings nicht
laͤugnen laͤßt, war, vermuthlich weil auch dort, wie bey
andern Voͤlkern bey denen dieſes Opfer geblieben iſt, vor-
zuͤglich Verbrecher zu Schlachtopfern gewaͤhlt wurden,
der Ausdruck der angedrohten Todesſtrafe. Patrone oder
Clienten welche gegen die Pflichten ihres Verhaͤltniſſes
geſuͤndigt hatten waren dem Dis zum Opfer geweiht 4):
wer einen Volksmagiſtrat gefaͤhrdete, dem Jupiter 5): wer
ein Erndtefeld diebiſch abmaͤhte oder abhuͤtete, der Ce-
res 6). Dieſe Geſetze zum Vortheil des Volks, begleitete
der Conſul mit aͤußerer Anerkennung der Majeſtaͤt der
Volksgemeinde 7), vor der er zuerſt die Steckenbuͤndel
[343] ſenken ließ, aus denen nach dem Beyſpiel welches er da-
mals gab die Beile entfernt wurden ſo lange der Conſul
ſich in der Stadt befand. Das Andenken der Valeriſchen
Geſetze ſcheint voͤllig hiſtoriſch geweſen zu ſeyn. Aber daß
P. Valerius ſie, als alleiniger Conſul gab, iſt nach dem
Karthaginienſiſchen Buͤndniß bey Polybius unmoͤglich;
und fuͤr eine Theilnahme des Conſuls Horatius an dieſer
Geſetzgebung ſcheint zu reden daß noch einmal, im Jahr
305, als die Freyheit durch die Tyranney der Decemvirn
in die hoͤchſte Gefahr gekommen war, ein Valerius und
ein Horatius als Erben der Gerechtigkeit und Volksliebe
ihrer Ahnherrn, zum Conſulat erhoben wurden, und dieſe
Geſetze theils erneuerten, theils erweiterten: denn in Rom
wie in allen aͤchtfreyen Staaten waren politiſche Grund-
ſaͤtze ein heiliges Erbſtuͤck, welches die Nachkommen ſo be-
wahrten wie große Vorfahren ſie feſtgeſtellt hatten.
Indeſſen blieb Valerius und ſeinem Hauſe allerdings
die vorzuͤglichſte Gunſt, und der Beynahme Publicola,
den man nicht mit den Griechen Dionyſius und Plutarch,
als zuſammengeſetzt, durch δημοκηδὴς, den Fuͤrſorger
des Volks, uͤberſetzen, ſondern darin die altlatiniſche Form
des Adjectivs durch eine uͤberfluͤſſige angefuͤgte Endung er-
kennen muß, welche zuweilen als Diminutiv, zuweilen
als Zuſammenſetzung taͤuſcht 8). Es iſt ſo viel als pu-
7)
[344]blicus in dem Sinn von δημοτικός. Beyworte, mit der
Freyheit zuſammengeſetzt welche urſpruͤnglichen Sprachen
zukoͤmmt, ſind der lateiniſchen die dieſes nicht iſt, zu
fremd als daß man ihre Wirklichkeit ohne auffallende Ge-
wißheit einraͤumen duͤrfte.
In das erſte Jahr der Republik ſetzen Polybius, Li-
vius und Plutarch die Einweihung des Capitoliums durch
den Conſul M. Horatius Pulvillus. Dionyſius dagegen
und Tacitus 9) verſchieben die Einweihung, und den
Zwiſt des Conſuls Horatius mit Publicolas neidiſchen
Freunden bis in das dritte Jahr der Republik: ein Jahr
worin Livius Faſten kein Conſulat des Horatius erkennen,
ſondern P. Lucretius als Collegen des Publicola nennen.
Die Inſchrift welche En. Flavius uͤber der Capelle der
Concordia ſetzte, ſcheint die Aera von der Einweihung des
Capitols wenn ſie das Jahr der Einweihung als das erſte
zaͤhlte mit Dionyſius auf 247; wenn ſie von demjenigen
begann welches auf dieſes folgte, auf 246 zu be-
ſtimmen 10).
Von Tarquinii begab ſich der Roͤmiſche Koͤnig nach
Cluſium um die Huͤlfe des maͤchtigen etruskiſchen Fuͤrſten
8)
[345] Lars Porſena anzurufen. Von einem Frieden mit den
Vejentern und Tarquinienſern nach der Schlacht am Wald
Arſia, meldet die Sage nichts: aber ſie giebt eine Erzaͤh-
lung welche unmittelbar nachher, und noch vor der Ein-
weihung des Capitols faͤllt, und die ein zwar keineswegs
wohlwollendes, aber doch voͤllig friedliches Verhaͤltniß
zwiſchen Rom und Veji vorausſetzt. Der Koͤnig hatte das
Gebaͤude ſeiner Vollendung ſehr nahe gebracht, und ließ
zu Veji eine Quadrige von Thon verfertigen, welche be-
ſtimmt war auf dem Gipfel des Dachs geſtellt zu werden.
Durch ein Wunder dehnte ſich das Bild im Toͤpferofen,
anſtatt einzuſchwinden, in dem Maaße aus daß man ge-
noͤthigt war ihn niederzubrechen um es herauszunehmen.
Dies trug ſich zu als die Tarquinier ſchon verbannt wa-
ren, und da dies Wunderzeichen auf eine unverkennbare
Weiſe fuͤr Rom glaͤnzend war, weigerten ſich die Vejenter
ihnen das Kunſtwerk zu uͤbergeben. Ein zweytes noͤthigte
ſie dazu, als die ſiegenden Roſſe bey einer Wettfuhr den
Wagen unaufhaltſam nach Rom entfuͤhrten 11).
Cluſium war einſt vielleicht im Beſitz der Hoheit uͤber
die andern verbuͤndeten etruskiſchen Staͤdte: ausneh-
mende Macht und Reichthum beweißt das ungeheure
[346] Grabmahl des Porſena, welches Plinius 12) beſchreibt.
Denn zwar iſt das hiſtoriſche Daſeyn dieſes Rieſengebaͤu-
des als eines Weltwunders nicht nur dadurch zweifelhaft
daß Plinius nur nach Varro beſchreibt was auch dieſer
nicht nach eigner Anſchauung ſondern nach etruskiſchen
Annalen geſchildert hatte, zwar iſt es ſchon im hoͤchſten
Grade unwahrſcheinlich daß ein ſolches Gebaͤude in weni-
ger als fuͤnfhundert Jahren bis zur Unkenntlichkeit ſeiner
erſten Anlage zerſtoͤrt worden ſey, endlich darf vor allem
gegen die abſolute innre Unmoͤglichkeit ſolcher Stockwerke
von Pyramiden kein Zeugniß der Annalen einer Nation
gelten die nichts als eine maͤhrchenvolle Prieſterlitteratur
beſaß: aber an dem Daſeyn eines ungeheuern Monuments
zu zweifeln weil die alte Beſchreibung in das traumhaft
ungeheure eines morgenlaͤndiſchen Feenmaͤhrchens uͤber-
trieben iſt, verbieten die Beyſpiele morgenlaͤndiſcher
Schilderungen der Pracht und Groͤße alter Gebaͤude, an
deren Daſeyn, aber in einer weit maͤßigeren Moͤglichkeit
nicht der geringſte Zweifel iſt, wie wir ſie auch noch gro-
ßentheils in ihren Truͤmmern ſehen. Das hiſtoriſch wahre
an dieſem Monument duͤrften wohl Pyramiden auf einer
gemeinſamen faſt cubiſchen oder ſehr niedrig abgeſchnitte-
nen pyramidaliſchen Baſis ſeyn. Aber ſo maͤhrchenhaft
verkuͤnſtelt, und einem Koͤnige zugeſchrieben, den die Un-
abhaͤngigkeit der etruskiſchen Nation nur um zwey Jahr-
hunderte uͤberlebte, erregt vielleicht ſchon dieſe Erzaͤhlung
einen gegruͤndeten Verdacht gegen das Daſeyn des Por-
ſena als einer hiſtoriſchen Perſon in dieſem dichteriſchen
[347] Theil der roͤmiſchen Geſchichte. Cicero, der uͤberall in der
aͤlteren Geſchichte Nachrichten folgt welche denen durch-
aus widerſprechen die ſpaͤter hiſtoriſche Autoritaͤt gewon-
nen haben, verwirft ſtillſchweigend aber unverkennbar
den Cluſiniſchen Porſena in der Geſchichte dieſes Kriegs,
indem er ſagt, weder die Vejenter noch die Latiner haͤtten
vermocht Tarquinius den roͤmiſchen Thron wieder zu ge-
winnen 13). Um ſo weniger darf es kluͤgelnder Skepti-
cismus genannt werden wenn man Porſena fuͤr einen Hel-
den der altetruskiſchen Dichtung haͤlt, der nach ihr in al-
ten Tagen weit und breit als Koͤnig herrſchte, auf den die
roͤmiſche Poefie den etruskiſchen Krieg uͤbertragen hat
durch den die Tarquinier die Stadt draͤngten, und der von
dem welcher der fruͤhere, worin am Wald Arſia geſchlagen
ſeyn ſoll, nicht unterſchieden werden muͤßte. Von ihm
beſiegt zu werden, ſich vor ihm zu beugen, war am we-
nigſten ſchmaͤhlich, und ſeine Tugend geſtattete am fuͤg-
lichſten die Wendung eines edelmuͤthigen Gebrauchs
des Siegs.
Die Bitten der Tarquinier waren bey dem Koͤnige
von Cluſium nicht fruchtlos. Im zweyten, oder im drit-
ten Jahr nach ihrer Vertreibung (jenes iſt Livius, dieſes
Dionyſius Zeitrechnung) fuͤhrte Porſena ein großes Heer,
zu dem man ſich auch die vorliegenden etruskiſchen Staͤdte
aufgeboten denken muß, gegen Rom: nicht aber die durch
die Tiber getrennten, erſt nach einer Reihe von Jahren ge-
gen Rom bewaffneten Latiner, gegen die der etruskiſche
Koͤnig, nachdem Rom ſich unterworfen hatte, ein Heer
[348] ſandte. Allenthalben fließt in Livius die alte Sage weit
ungetruͤbter als bey Dionyſius. Ueberraſcht oder an ihren
Kraͤften verzagend, wagten die Roͤmer keinen Verſuch im
Felde Widerſtand zu leiſten: ſie beſchraͤnkten ſich auf
die Vertheidigung ihrer Mauern. Die Menge unabhaͤn-
giger Staaten konnte leicht eine ihnen guͤnſtige Diver-
ſion veranlaſſen, und unter dieſen Umſtaͤnden war damals
eine belagerte Stadt keine eroberte. Der Hunger war der
furchtbarſte Feind: Verrath fuͤrchtete man, da die Ver-
daͤchtigen ausgewandert waren weniger als uͤberdruͤſſige
Ermattung des Volks. Worte und unbeſtimmte Gefuͤhle
reiſſen das Volk ſo lange es von ihnen entzuͤndet iſt noch
heftiger fort, als die hoͤheren Staͤnde: aber ihre Kraft
verſchwindet und ſie werden verhaßt unter dem Druck ge-
genwaͤrtiger Noth. Es ſcheint daß die Zeit zu kurz war
Vorraͤthe anzuſchaffen um die Einſchließung zu beſtehen:
aber damit das Volk nicht unter der Theurung erliege,
uͤbernahm der Staat den Salzhandel, und verkaufte ohne
Vortheil; die Acciſe ward abgeſchafft, und die Armee von
der Steuer befreyt.
Selbſt das Janiculum, noch keine Vorſtadt, ſondern
nur ein befeſtigter Huͤgel der Stadt gegenuͤber, ward im
erſten Angriff genommen. Die roͤmiſche Beſatzung floh
verwirrt uͤber die Bruͤcke in die am Strohm offene Stadt:
die Etrusker verfolgten ſie ungeſtuͤm den Huͤgel hinab.
Alles war verlohren wenn ſie ſich der Bruͤcke bemaͤchtig-
ten. Dieſe zu zerſtoͤren beſchwor Horatius Cocles die Flie-
henden: er ſelbſt unternahm es das Heer und die Stadt
zu decken, bis die Bruͤcke abgebrochen ſey. Beſchaͤmung
[349] hielt zwey Roͤmer bey ihm zuruͤck, wie einige Griechen ſich
ſcheuten Leonidas zuͤ verlaſſen, bis er ſie fortſandte weil
ſie nicht verpflichtet waren zu ſterben. So ſandte auch
Cocles ſeine Gefaͤhrten zuruͤck um das Abwerfen der Bruͤcke
zu beſchlennigen, waͤhrend die Etrusker durch ihren Wi-
derſtand geſtemmt waren. Jetzt ſtritt er allein wie Achil-
les oder Ajax vor der Bruͤcke gegen das ganze Heer, deſ-
ſen Zahl die Roͤmer in das Innerſte der Stadt verſcheucht
hatte. Endlich ſtuͤrzte ſie krachend hinter ihm in den
Strohm; er ſelbſt, im Schenkel verwundet, ſprang in
voller Ruͤſtung in die Fluthen hinab: Vater Tiberinus,
betete er, nimm deinen Streiter in deinem heiligen
Strohm auf und ſchuͤtze ihn 14). Er entkam zur Stadt
unter allem Geſchoß der Feinde 15). Zum Lohn ſteuerten
ihm alle Buͤrger, als die Hungersnoth wuͤthete, jeder ein
weniges von ſeiner Speiſe, ſich ſelbſt abdarbend: die Re-
publik errichtete ihm eine Statue, und ſchenkte ihm ſo viel
Land als er in einem Tage umpfluͤgen konnte. Umpfluͤ-
gen, in dem Sinn daß alles von einer mit dem Pflug ge-
zogenen Linie eingeſchloſſne Land der Gegenſtand der
Schenkung geweſen waͤre, in dem Sinn wie Sultan
[350] Mohammed den Helden der tuͤrkiſchen Romanzen mit ſo
viel von der Ebene Macedoniens belehnte, als er waͤhrend
eines Tags umreiten konnte, kann hier unmoͤglich gemeint
ſeyn; denn eine ſolche Linie wuͤrde wenigſtens eine Qua-
dratmeile umſchließen, und mehr als zweyhundert Jahre
ſpaͤter empfingen die Sieger des Pyrrhus nicht mehr als
ſieben Jugern. Man muß circumarare wohl dem exarare
entgegenſetzen, dem vollkommen Aufpfluͤgen, bey dem
die Furchen tief, und ſo dicht gezogen wurden daß man
kaum unterſcheiden konnte wo der Pflug gegangen war.
Wenn als Maaß einer Beſchenkung angenommen ward,
wie viel der Belehnte in einem ganzen Tage umpfluͤgen
konnte, ſo ward wohl nur gefordert daß das ganze Feld
den Anblick eines Sturzackers darbot, ohne Ruͤckſicht
darauf ob Balken unter den Schollen ſtehen blieben; und
auf dieſe Weiſe war es mit gewoͤhnlicher Ruͤſtigkeit gewiß
moͤglich mehrere Jugern umzupfluͤgen, obgleich niemand
beſtimmen kann wie groß ungefaͤhr dies Geſchenk war.
Durch den Ruin der Bruͤcke war die ſtuͤrmende Ein-
nahme abgewendet: und die Etrusker wagten es nicht ihr
Heer zu theilen, den groͤßeren Theil uͤber den Strohm zu
fuͤhren, und die weitlaͤuftige Stadt foͤrmlich einzuſchlie-
ßen. Sie begnuͤgten ſich Streifpartheyen hinuͤber zu ſen-
den welche, wenn ſie auch mehrmals, und vorzuͤglich in
einem Gefecht am Colliniſchen Thor fuͤr ſorgloſe Verwe-
genheit buͤßten, dennoch das ganze Roͤmiſche Gebiet ver-
heerten, und die immer unzureichende Zufuhr vom Lande
verhinderten, waͤhrend das Heer ſie auf dem Strohm ab-
ſchnitt der Rom hauptſaͤchlich ernaͤhrte. Hierdurch ent-
[351] ſtand eine Hungersnoth, der die Roͤmer unterlagen; denn
es war hoffnungslos, einen Angriff auf ein uͤbermaͤchtiges
Heer zu wagen, welches den Strohm vor ſich, und eine
Stellung auf dem fuͤr den Phalanx unzugaͤnglichen Jani-
culum hatte. Die Roth ſtieg ſo hoch daß die Stadt ſich
dem Koͤnig Porſena ergeben mußte. Dieſes Ungluͤck hat
der Nationalſtolz nicht weniger aͤngſtlich als die Schmach
der Freykaufung nach der Galliſchen Einnahme zu ver-
ſchleyern geſucht; und das Wort ſpricht nur Tacitus 16)
ungemildert aus, und ungemildert in der ganzen Strenge
der alten Deditionsformel darf man es nur verſtehen, ſo
daß ſich Rom dem Etrusker als Herrn ganz und ohne Ein-
ſchraͤnkung hingab. Die uͤberwundue Stadt trat zu der
herrſchenden in das Verhaͤltniß des unterthaͤnigen Kindes
zum Hausvater; ſie uͤbergab ihr geſammtes Eigenthum,
und alles was ſie enthielt ohne Vorbehalt: was ſie beſaß
blieb ihr nur nach der Willkuͤhr des Beherrſchers wie dem
Sohn das Peculium, und konnte ihr ohne Verletzung des
Rechts entzogen werden 17). Dabey nun war von einem
[352] Buͤndniß ſo wenig die Rede, daß vielmehr, wenn der
Souverain mit einer unterthaͤnigen Stadt ein Buͤndniß
ſchloß, dieſes Gluͤckswechſel oder eine freywillige Eman-
cipation vorausſetzt. Beaufort hat aus Plinius eine aͤu-
ßerſt merkwuͤrdige Stelle angefuͤhrt, welche am allerklar-
ſten darthut wie tief Rom durch dieſen Krieg geſunken
war. Das Buͤndniß mit Porſena unterſagte den Roͤmern
allen Gebrauch des Eiſens, ausgenommen bey dem Acker-
bau 18). Wenn aber Plinius nicht Buͤndniß nennt was
Geſetz des Oberherrn war, ſo gehoͤrt es, mit dieſer trauri-
gen Verfuͤgung ſchon der Zeit an worin das Verhaͤltniß
Roms der Form nach gemildert, und ihm ſchon eine zwar
noch wehrloſe und nichtige, aber doch eine Selbſtſtaͤndig-
keit wiedergegeben war.
Aber wenn auch die ſchonende Ausſchmuͤckung des
Gedichts, ſchnell uͤber den herben Augenblick hineilend,
ſchon die aͤlteren Geſchichtſchreiber getaͤuſcht haͤtte, ſo
verbirgt doch ſelbſt ihre Erzaͤhlung ſehr unvollkommen daß
ſich kein andrer Ausgang denken laͤßt. Unter ſolchen Um-
ſtaͤnden, mit einem vom Hunger verzehrten, von allem
Beyſtand verlaßnen Feind, ſchloſſen altitaliſche Voͤlker
kein Buͤndniß als mit Gleichen, ſie benutzten den Sieg
immer bis auf das aͤußerſte, und das beſiegte Volk rettete
ſein
[353] ſein Daſeyn nur durch Unterwerfung. Selbſt nach der
herrſchenden Erzaͤhlung erließ Porſenas romantiſcher
Edelmuth den Beſiegten anfangs wenig von den haͤrteſten
Bedingungen welche ein ſtolzer Sieger vorſchreiben konnte.
Rom mußte ſeine Treue durch Geiſſeln verbuͤrgen, Juͤng-
linge und Jungfrauen, unter denen ſich des Conſuls Toch-
ter Valeria befand. Die Roͤmer ſelbſt bekennen daß ihre
Vorfahren damals die alten Eroberungen am vejentiſchen
Ufer der Tiber verlohren: und es iſt gezeigt worden daß
ihnen wahrſcheinlich zehn ganze Regionen genommen wur-
den. Auch das aͤltere Rom, als der Gewinn einzelner
bey den Eroberungen nicht gleichguͤltiger war als die Ver-
groͤßerung der Herrſchaft des Staats, verfolgte ſeine
Siege oft nicht weiter: nicht bis zur Vertilgung: ohne
daß Edelmuth oder Bewunderung des Feindes ihm Graͤn-
zen geſetzt haͤtte. Was den Beſiegten blieb, ward zins-
pflichtig: und wenn Porſena den Krieg unter dem Vor-
wand der Herſtellung der Tarquinier unternommen hatte,
ſo iſt es doch nicht auffallend daß er ihn nur fuͤr ſich be-
nutzte, und ihre Sache aufgab.
Alles was von dieſem Krieg erzaͤhlt wird, der wahr-
ſcheinlich von dem Vejentiſchen worin Brutus den Tod
fand nicht verſchieden war, ſelbſt die Vorfaͤlle welche
Wahrheit in dichteriſcher Geſtalt, oder in dichteriſche Er-
zaͤhlung verwebt ſcheinen koͤnnten, iſt hoͤchſt wahrſchein-
lich nichts als eine freye dichteriſche Bildung welche an die
Stelle der gaͤnzlich vertilgten hiſtoriſchen Nachrichten ge-
treten iſt. In der Kriegsgeſchichte ſelbſt iſt der vejenti-
ſche des Jahrs 277 abgeſpiegelt, welcher nach dem Un-
Erſter Theil. Z
[354] gluͤck am Cremera Rom an den Rand des Verderbens
brachte, aber gluͤcklicher als dieſer endigte. In jenem
ſpaͤteren Kriege eroberten die Vejenter ebenfalls das Ja-
niculum, und verfolgten die fliehenden Roͤmer, aber be-
greiflich nach einer Niederlage im Felde: ein Horatius
rettete die Stadt, der Couſul, welcher im Augenblick
der Gefahr mit Eilmaͤrſchen aus dem Volskerlande mit
dem Heer eintraf: die Sieger, auf dem Janiculum ge-
lagert, begnuͤgten ſich auf dem linken Ufer des Strohms
das Land zu verwuͤſten, und wurden durch ein nachthei-
liges Gefecht vor dem colliniſchen Thor gedemuͤthigt.
Eine ſolche Uebereinſtimmung iſt mehr als eine Wieder-
hohlung deſſelben Gangs der Begebenheiten, wie ſie auf
einem beſchraͤnkten Schauplatz allerdings moͤglich waͤre.
Rein dichteriſch aber ſind die glaͤnzenden Ausſchmuͤckun-
gen welche die Entwickelung herbeyfuͤhren, gleich ihr
ſelbſt. In einem hiſtoriſchen Zeitalter iſt es allerdings
ein unedles Streben das Heroiſche zu vertilgen: aber
im Gebiet der mythiſchen Geſchichte laſſe es ſich keiner
verdrießen daß ernſte Kritik als unhiſtoriſch und unmoͤg-
lich bezeichnet was durch innern Widerſpruch nicht beſte-
hen kann. Wer recht ſchaͤtzt wird dadurch keinen Verluſt
zu empfinden glauben, es bleibt dem Abgeſonderten das
Leben der Dichtkunſt. Sonſt waͤre es allerdings ein
Jammer dieſes ſchoͤne Gebaͤude zu zerſtoͤren; wir koͤn-
nen die Kritik nicht uͤbergehen weil der Verfolg der Er-
zaͤhlung nicht ſo ganz unverkennbar bloßes Dichterwerk
iſt, wie die Schlacht des Cocles. Wer glaubte nicht
gern an das hiſtoriſche Daſeyn des Mucius Scaͤvola,
[355] an dieſen wilden Muth womit er ſeiner Liſt Glauben
erwarb, und an des Schickſals ſeltne Gerechtigkeit welche
ſeine groͤßere That mit groͤßerem Heil fuͤr das Vater-
land ſegnete als der Erfolg einer alltaͤglichen verzweifel-
ten Unternehmung haͤtte gewaͤhren koͤnnen? Auch gleicht
die Unerſchrockenheit und die Schlauheit dem Krieger
einer noch ſehr wilden Zeit. Aber das Muciſche Ge-
ſchlecht iſt eins der juͤngſten unter den großen plebeji-
ſchen Haͤuſern: erſt faſt dreyhundert Jahre nach dieſer
Zeit finden wir Mucier mit dem Beynahmen Scaͤvola
unter den curuliſchen Magiſtraten, etwas fruͤher moͤgen
ſie in einem Zeitraum deſſen genauere Geſchichte fuͤr
uns verlohren iſt, zu ihren niederen Graden gelangt
ſeyn: aber immer bleibt eine lange Dunkelheit welche
das Alter der Familie aͤußerſt verdaͤchtig macht. Ein
adlicher Juͤngling wie Livius ihn nennt, konnte er nur
einem Schriftſteller heißen der das Geſchlecht der Mu-
cier in ſeinem ſpaͤten Glanze kannte: einen patriciſchen
konnte nur ein Fremder wie Dionyſius ihn nennen.
Sehr viele Erzaͤhlungen ſind in Sagen aus Beynahmen
gebildet fuͤr die man einen glaͤnzenden Urſprung ſuchte,
und dies geſchah wahrſcheinlich aus dem Beynahmen
Scaͤvola. Wer hier hiſtoriſche Wahrheit glaubt, der
muß es entſetzlich finden daß der Retter des Vaterlands
durch einige Aecker, nicht durch Conſulate belohnt ward,
die kein Recht der Form denen vor ihm zuſagen konnte
fuͤr die er in den Tod gegangen war: aber ich wieder-
hohle es ſolche Wahrheit darf hier nicht geſucht wer-
den. — Eben ſo gern moͤchte man an Porſenas Edel-
Z 2
[356] muth glauben, und an das Vertrauen mit dem die Roͤ-
mer ſich gegen die vertriebnen Tyrannen vor den Rich-
terſtuhl eines edeln Feindes ſtellten. Solche Kriege ſind
die ſchoͤnſten Augenblicke der Geſchichte, und ein Zeit-
genoſſe Pyrrhus haͤtte in der Wahrheit das Vorbild des
hoͤchſten koͤniglichen Edelſinns erblickt deſſen Abbild in
der Sage von Porſena glaͤnzt. Aber kann es wahrſchein-
lich, kann es nur glaublich ſeyn, daß eine Stadt die nie
mit Großmuth gegen den Beſiegten gehandelt hatte, die
von ihren Geſchichtſchreibern als der Gegenſtand des
Neids und des Haſſes, von der Geſchichte als der Ge-
genſtand der aͤngſtlichen Beſorgniß und einer durch un-
ermuͤdliche Herrſchſucht erregten Erbitterung ihrer Nach-
barvoͤlker geſchildert wird, unter jenen harten altitali-
ſchen Voͤlkern, deren Kriege ſtets Vertilgungskriege wa-
ren, eine ſo milde Behandlung, ſolche zarte Schonung
erfahren haͤtte?
Vielmehr deutet auch der Verfolg auf eine ſtrenge
Unterwerfung Roms unter Porſenas Herrſchaft, der
Art, wie eroberte Staͤdte Rom unterworfen waren.
Aruns, Sohn des Koͤnigs, fuͤhrte eine Abtheilung des
Heers gegen Aricia. Dies war offenbar ein Verſuch
ganz Latium zu unterwerfen, und macht es noch mehr
wahrſcheinlich daß auch der Feldzug gegen Rom nicht
fuͤr die Tarquinier ſondern als Eroberungskrieg in einem
guͤnſtigen Zeitpunkt der Theilung und Schwaͤche unter-
nommen war. Die Ariciner erhielten Beyſtand von
dein damals maͤchtigen Kuma in Opika, das Etruski-
ſche Heer ward geſchlagen und bis Rom verfolgt: wo
[357] viele Etrusker, durch die freundliche Aufnahme getroͤ-
ſtet, ſich als Buͤrger niedergelaſſen haben ſollen, obgleich
nach andern Nachrichten die tuskiſche Straße viel aͤlter
war. Zum Lohn dafuͤr ſoll Porſena nicht nur jedem
weitern Verſuch die Tarquinier durch friedliche Vermitt-
lung in ihr Reich herzuſtellen entſagt, und ſie von ſich
entlaſſen, ſondern ſogar den Roͤmern ihre Geiſſeln, und
die abgetretene Vejentiſche Feldmark zuruͤckgegeben haben.
Dies waͤre eine ſehr freygebige Belohnung des ruhigen
Verhaltens eines eben durch Schwerd und Hunger be-
zwungenen und entwaſſneten Volks geweſen, einer Ruhe
die durch Geiſſel aus den erſten Haͤuſern verſichert ward;
und, wenn man Porſena fuͤr den Cluſiniſchen Koͤnig
nimmt, auf Koſten der Unterthanen oder Verbuͤndeten ge-
geben worden, iſt aber unter ihm ein Koͤnig der Vejenter
zu verſtehen, mit einem Opfer. Es iſt viel glaublicher
daß Roms Abhaͤngigkeit um dieſe Zeit durch Aufſtand ge-
brochen ward, den das Ungluͤck bey Aricia veranlaſſen,
und ſeinen Erfolg moͤglich machen konnte. Die Latiner
hatten Rom verlaſſen, aber ſie empfanden nun auch den
Verluſt einer Vormauer gegen Etrurien, und es war ihre
eigne Sache Rom wieder zu bewaffnen und herzuſtellen.
Auf eine gewaltſame Befreyung deutet der raͤthſelhafte
Gebrauch bey Verſteigerungen die Habe des Koͤnigs Por-
ſena zu verkaufen 19). Auch Livius findet ſich von der
Erklaͤrung nicht befriedigt welche er als die ertraͤglichſte
giebt: Porſena habe den Roͤmern, nach dem Frieden, die
Vorraͤthe ſeines Lagers geſchenkt um den Hunger des
[358] Volks zu ſtillen, und dieſe waͤren, um eine unordentliche
Pluͤnderung zu verhuͤten, verkauft geworden. Warf die
Stadt das Joch ab, ſo mußte vieles Eigenthum des frem-
den Fuͤrſten in die Gewalt des Volks gerathen, und hier
war regelmaͤßiger Verkauf an den Meiſtbietenden ange-
meſſen, welcher bey Vorraͤthen in einer Hungersnoth ab-
ſcheulich geweſen waͤre. Wahrſcheinlich faͤllt auch in dieſe
Zeit die Flucht der Cloͤlia und ihrer Jungfrauen, denn ſo
lange Rom alles an der Erhaltung des Friedens lag waͤre
dieſe Flucht keine That geweſen die vom Staat oͤffentlich
geehrt und belohnt werden konnte, oder belohnt worden
waͤre. Die Entflohenen haͤtten ihr Vaterland in die un-
vermeidliche Nothwendigkeit geſetzt ſie auszuliefern, eine
Thorheit an der Roͤmiſche Beſonnenheit nie etwas lo-
benswerthes haͤtte finden koͤnnen, wenn gleich, nach der
Dichtung, bey einem ſo edeln Feinde das Ungluͤck dadurch
nicht vermehrt ward. Sehr denkbar hingegen iſt es daß
die Flucht der Geiſſeln den Roͤmern nach dem ungluͤckli-
chen Ausgang des etruskiſchen Feldzugs in Latium freye-
ren Muth gab ihre Unterwuͤrfigkeit abzuſchuͤtteln. Doch
iſt es ſehr zweifelhaft ob Rom damals und noch lange
nachher, außer dem Vaticaniſchen Felde, Gebiet auf dem
etruskiſchen Ufer der Tiber beſaß, welcher vielmehr noch
in den zwoͤlf Tafeln als die Graͤnze des Roͤmiſchen Gebiets
genannt zu werden ſcheint.
Schon Cicero waͤhnte die Herrſchaft der Koͤnige habe
die Nation in einer langen Kindheit zuruͤckgehalten, und
ſie haͤtte ſich von ihrer Befreyung an unglaublich ſchnell
zu einer ihr bis dahin fremden Macht und Groͤße erhoben.
[359] Dieſer Irrthum iſt kaum dann begreiflich wenn man die
Geſchichte der Koͤnige auch nur ſo ließt wie ſie ſich in den
Hiſtorikern findet, und die der folgenden anderthalb Jahr-
hunderte, ſo duͤrftig wie ſie ſich damals noch in den zuver-
laͤſſigeren Annalen erzaͤhlt finden mochte, durchlaͤuft, ohne
zu beachten wie lang der Zeitraum der Demuͤthigung war.
Neueren welche die Roͤmiſche Geſchichte beurtheilend er-
forſchen wollten, iſt die Theilnahme an dieſem Irrthum
noch weniger zu verzeihen. Denn wenn auch Rom ſeine
Unabhaͤngigkeit wieder gewann, der alte Glanz war erlo-
ſchen und geſchwaͤcht; verblutet, ohne Herrſchaft, wie
Athen aus dem Joch der dreyßig Tyrannen, rettete es ſich
wieder in die Freyheit.
Wie verwiſcht oder frevelhaft ergaͤnzt auch die Ge-
ſchichte eben dieſer Zwiſchenzeit bis zur Schlacht am Re-
gillus mehr als die irgend eines andern Zeitraums erzaͤhlt
iſt, ſo erhellt doch das ganz klar, daß Rom waͤhrend die-
ſer Zeit auf ſich allein beſchraͤnkt daſtand. Eben dieſe
Einſamkeit zu verhehlen, und uͤber eine Zeit voruͤberge-
hender Niedrigkeit zu taͤuſchen, welche der koͤniglichen
Hegemonie uͤber Latium allerdings auffallend entgegen-
ſteht, die aber der Ireis fuͤr Freyheit und kuͤnftige Groͤße
war; eben deswegen haben Familienerzaͤhlungen und
ſpaͤte Annaliſtenfabler die leeren Faſten der alten Ta-
feln mit rieſenmaͤßigen Schlachten gegen die Sabiner
angefuͤllt.
In dieſer dunkeln Zeit finden ſich nur ſehr wenige
Vorfaͤlle welche entweder glaublich oder wichtig genug waͤ-
ren um hier erwaͤhnt zu werden. Die Widerſpruͤche zwi-
[360] ſchen Livius und Dionyſius ſind keiner Eroͤrterung werth:
Livius ſelbſt beobachtet eine ſehr verſtaͤndige Kuͤrze der
Erzaͤhlung.
Anſtatt der Volsker welche nach unſern Hiſtorikern
ſchon der letzte Koͤnig uͤberwand, und ihre Stadt Pometia
einnahm, finden ſich im Jahr 251 die Aurunker im Beſitz
der Stadt und ihres reichen Gebiets: jenes Volk welches
in ſpaͤteren Zeiten nur noch um den Liris in wenigen Or-
ten uͤbrig war. Nur dadurch iſt der Aurunkiſche Krieg
denkwuͤrdig in dem das von Tarquinius angeblich zerſtoͤrte
Pometia wuͤrklich verheert geworden zu ſeyn ſcheint: und
wenn auch Volsker und Aurunker einem Volksſtamm an-
gehoͤrten, ſo ſcheinen ſie doch verſchiedene Nationen ge-
weſen zu ſeyn.
Zwieſpalt und Verrath an der allgemeinen Sache ih-
rer Nation fuͤhrte die Claudier von den Sabinern nach
Rom. Attus Clauſus kam mit ſeinem Geſchlecht, und
fuͤnftauſend Clienten. Die Claudier wurden unter die
Patricier aufgenommen, und ein Bezirk der Domaine
jenſeits des Anio ihm und den ſeinigen angewieſen, aus
denen gegen die alte Verfaſſung eine neue Tribus gebil-
det wurde.
Das wichtigſte Andenken dieſes Zeitraums aber iſt
die Einfuͤhrung der Dictatur deren Nahmen und Weſen
Rom bey den Latinern fand. Nothwendig war die Mo-
narchie allenthalben die urſpruͤngliche Verfaſſung: dieſe
ſcheinen die latiniſchen Staͤdte nur in eine erwaͤhlte Ge-
walt veraͤndert zu haben, und auch die roͤmiſche Dictatur
war die unverminderte Koͤnigswuͤrde Vielleicht nicht ſo-
[361] wohll durch ein ausdruͤckliches Geſetz als dadurch daß die
Beſchraͤnkungen des Valeriſchen nur das Conſulat trafen
war ſie ſo unbegraͤnzt maͤchtig wie fruͤher die Gewalt der
Koͤnige. Weiter als dieſe und in dem Sinn worin der
neuere Sprachgebrauch von dictatoriſcher Macht redet,
erſtreckte ſich die der Dictatur nicht, nie bis zur Geſetzge-
bung, nie ſo weit daß ſie die Macht des Senats und der
Volksgemeinden erſetzen konnte, obgleich ſie ſich ihnen
entgegenſtellen durfte.
Nach dem Geſetz waren nur Conſularn wahlfaͤhig 20).
In den ſpaͤteren Zeiten aus denen die Roͤmiſche Verfaſ-
ſung beſtimmter bekannt iſt, und deren Einrichtungen zu
ſehr auf die aͤltere Geſchichte uͤbertragen werden, beſchloß
allerdings der Senat nur daß ein Dictator ernannt wer-
den, und wer von den Conſuln ihn ernennen ſolle, ſo daß
dieſem die Wahl ſeines Collegen oder eines Andern uͤber-
laſſen war. Der Senat konnte (505) den Conſul P. Clau-
dius zwingen einen Dictator zu ernennen: das Volk
konnte den zum Geſpoͤtte erwaͤhlten, weil das Geſetz die
Wahl auf Conſularn beſchraͤnkte, der an ihm entweihten
Wuͤrde berauben: aber dem Conſul vorſchreiben wem er
die Dictatur anvertrauen ſolle, dazu war damals weder
Volk noch Senat berechtigt, ſonſt waͤre es ohne Zweifel
nicht verſaͤumt geworden. Dieſe Willkuͤhr des Conſuls
kann aber nur durch ein uns unbekanntes Geſetz einge-
fuͤhrt ſeyn: urſpruͤnglich war die Ernennung theils nur
Formalitaͤt und Promulgation der Wahl des Senats,
theils nothwendig um des Conſuls freye Einwilligung in
[362] die Minderung der ihm von der Nation uͤbertragnen
Macht zu bezeugen. Das erhellt klar aus vielen Erwaͤh-
nungen bey den aͤlteſten Dictaturen 21): die Veraͤnde-
rung aber muß aͤlter ſeyn als das Jahr 398 22). Mit
großer Wahrſcheinlichkeit erzaͤhlten die Annalen als Ver-
anlaſſung die Dictatur einzufuͤhren, eine ungluͤckliche
Wahl habe die Republik in die Gewalt zweyer Conſuln
von der Tarquiniſchen Faction gebracht gehabt. Scho-
nung oder Gehaͤſſigkeit hat ihre Rahmen zweifelhaft ge-
macht. Hier nun iſt es klar daß der Senat keinem von
ihnen anvertrauen konnte ſeinem gleichverdaͤchtigen Colle-
gen eine weit groͤßere Macht zu verleihen als die war
welche er getheilt in beyder Haͤnden mit Argwohn ſah.
Ungewiß war auch der Rahme des erſten Dictators: aber
dieſe Ungewißheit hatte wohl nur die Eitelkeit der Valeri-
ſchen Familie hervorgebracht.
Auch die dictatoriſche Gewalt erſtreckte ſich ſichtbar
nicht uͤber die Patricier, nur dem Volk konnten ſie unbe-
ſchraͤnkt gebieten, hier nur konnten ſie unbeſchraͤnkt zuͤchti-
gen und ſtrafen 23). Die von der Dictatur unzertrenn-
[363] liche Magiſtratur des Magiſter equitum, des Oberſten der
Ritter, Erneuerung des Tribuns der Celeres unter den
Koͤnigen, ſcheint ſich auf dieſe Vorrechte der Patricier zu
beziehen, und beſtimmt geweſen zu ſeyn ihnen denſelben
Schutz zu gewaͤhren welchen die Plebejer unter dem Con-
ſulat durch ihre Tribunen genoſſen.
Das Geſetz welches nur Conſulare der Dictatur faͤhig
machte, entſcheidet uͤber das ſtreitige Jahr der Schlacht
am Regillus; denn im Jahr 255 war A. Poſtumius, den
alle einſtimmig den Dictator und Sieger dieſes Kriegs nen-
nen, noch nicht Conſul geweſen. Er war es im Jahr
258, und da konnte er dieſe hoͤchſte Gewalt empfangen.
Zu dieſem Kriege hatten ſich alle dreyßig latiniſche Voͤlker
verſchworen, aber Praͤneſte verließ die Verbuͤndeten, und
erwaͤhlte Roms Sache. Das Haupt des Bundes war
Mamilius von Tuſculum, und bey ihm befanden ſich, ſeit
ſie Porſenas Hof verlaſſen, der Koͤnig Tarquinius und
Titus, der nur allein ihm von ſeinen Soͤhnen geblieben
war: dennoch iſt es nicht wahrſcheinlich daß die Herſtel-
lung des Tarquiniſchen Hauſes Zweck des Bundes gewe-
ſen waͤre. So bedeutend war der Einfluß des Dictators
von Tuſculum wohl nicht, es war aber natuͤrlich daß Tar-
quinius und die Ausgewanderten mit Roms Feinden ins
Feld zogen. Die Latiniſche Nation war ſchon aus dem
Verhaͤltniß unterdruͤckter Perioͤken zu voͤlliger Unabhaͤn-
gigkeit gelangt: vielleicht forderten ſie nur ein ganz glei-
ches Buͤndniß, wie ſie es durch dieſen Krieg erhielten;
vielleicht aber auch hatten ſie ganz andre Anſpruͤche erho-
ben. Denn daß Rom am Regillus ſiegte laͤßt ſich, ohne
[364] Muthwillen, nicht bezweifeln: aber beſiegt war die Nation
nicht welche einen Frieden ſchloß wie ihn Latium erhielt,
obwohl ein gleiches Buͤndniß damals fuͤr Rom ein großer
Gewinn war, wenn es auch dadurch den Hoheitsrechten
foͤrmlich entſagte die es noch im Karthaginienſiſchen Ver-
trag geltend gemacht hatte.
Die Schlacht am Regillus ſteht in der Erzaͤhlung die-
ſes Kriegs ganz einzeln da, faſt ohne fruͤhere Vorfaͤlle,
und ohne Folgen. Von fruͤheren Verfaͤllen wird allein er-
waͤhnt daß Praͤneſte [auf] Roms Seite getreten ſey: und
dies erklaͤrt, wie der Krieg in dieſen Gegenden entſchieden
werden konnte. Die Roͤmer kamen wahrſcheinlich zum
Entſatz der von den Latinern eingeſchloſſenen Stadt.
Sonſt iſt jede hiſtoriſche Kunde von dieſem Kriege verloh-
ren, und die von der entſcheidenden Schlacht nicht weni-
ger als die von allen andern Vorfaͤllen. Denn die Anna-
len ſchildern kein Gefecht zweyer Heere, ſondern einen
Heroenkampf, wie die Schlachten der Iliade 24). Alle
Feldherrn begegnen ſich in Zweykaͤmpfen, und dieſe wen-
[365] den den Sieg hierhin und dorthin, waͤhrend die Menge
ohne Entſcheidung ſtreitet. Der Dictator Poſtumius ver-
wundet den Koͤnig Tarquinius der ſich ihm am Anfang
der Schlacht entgegenſtellt: T. Aebutius, der Oberſte der
Ritter, den Latiniſchen Dictator Mamilius: aber er ſelbſt
empfaͤngt von ihm eine ſchwere Wunde, und iſt genoͤthigt
die Schlacht zu verlaſſen. Mamilius mehr gereizt als am
Gefecht gehindert fuͤhrt die Cohorte der roͤmiſchen Ausge-
wanderten in das Treffen und bricht die feindliche Linie;
dieſen Ruhm konnte die roͤmiſche Dichtung nur ihren Mit-
buͤrgern einraͤumen, unter welchen Fahnen ſie auch kaͤmpf-
ten. M. Valerius, Publicolas ruhmvoller Bruder, faͤllt
indem er ihren Sieg aufhaͤlt. Sein Tod der auch Pu-
blicolas Soͤhne hinrafft indem ſie die Leiche ſchuͤtzen wol-
len 25), wird von dem roͤmiſchen Dictator geraͤcht, wel-
cher mit ſeiner Cohorte die Ausgewanderten beſiegt und
verfolgt. Vergebens ſucht Mamilius die Schlacht herzu-
ſtellen: er ſelbſt faͤllt von der Hand des Conſulars T. Her-
minius eines von den beyden Gefaͤhrten des Horatius Co-
cles im Gefecht an der Bruͤcke. Verzweiflung treibt den
letzten Erben des tarquiniſchen Hauſes mit den Ausgewan-
[366] derten die ſchon verlohrne Schlacht zu erneuern, er faͤllt
mit der groͤßten Zahl der Seinigen. Die Roͤmiſchen Rit-
ter hatten zu Fuß gefochten, jetzt wurden ihre Pferde her-
beygefuͤhrt, und ſie verfolgten den fliehenden Feind: das
latiniſche Lager ward in der erſten Verwirrung erobert.
In dieſer Schlacht hatte der Dictator den Dioſkuren einen
Tempel gelobt: und man ſah zwey Rieſenjuͤnglinge auf
weißen Roſſen in den erſten Reihen der Roͤmer kaͤmpfen,
in denen Roͤmer und Latiner uͤbermenſchliche Weſen er-
kannten. Noch war die Verfolgung nicht geendigt, als
die Heroen mit Staub und Blut bedeckt zu Rom erſchie-
nen; ſie wuſchen ſich und ihre Waffen in einem Quell am
Tempel der Veſta, und verkuͤndigten dem verſammelten
Volk die Geſchichte des Tags.
Nach dieſer Schlacht begab ſich Tarquinius, jetzt ein
hochbetagter Greis, ſeiner Kinder und aller Hoffnungen
beraubt, nach Kuma zu dem Tyrannen Ariſtodemus 26).
In dieſer Freyſtaͤtte ſtarb er ſchon im folgenden Jahr,
259. Ariſtodemus, deſſen Nahme ſelbſt unter denen der
griechiſchen Tyrannen wegen groͤßerer Frevelhaftigkeit ver-
rufen iſt, war ſein Erbe, und machte Anſpruͤche auf das
Privatvermoͤgen der Tarquiniſchen Familie einige Jahre
ſpaͤter gegen die Republik geltend, als dieſe in ſeiner
[367] Stadt damals dem Markt Campaniens Korn hatte an-
kaufen laſſen. Die roͤmiſchen Ausgewanderten erloſchen
zerſtreut und huͤlflos.
Von der Schlacht am Regillus beginnt Anfangs
ſchwach und dunkel, aber allmaͤhlich immer mehr zuſam-
menhaͤngend und reicher an hiſtoriſchen Begebenheiten eine
wirkliche Geſchichte Roms. Um dieſe Zeit ſcheinen die
Annalen der Pontifices, und Triumphalfaſten begonnen
zu haben; und viele innre Vorfaͤlle wurden durch unaus-
loͤſchliche Spuren den folgenden Geſchlechtern erhalten.
Dichteriſche Ausbildung wird jetzt ſelten; ſie erſcheint in
einiger Fuͤlle nur noch in Coriolans Geſchichte wieder:
aber die hiſtoriſche Wahrheit iſt durch abſichtliche Verfaͤl-
ſchung entſtellt, wie ſie bis dahin idealiſchen Bildungen
wich. Dieſe Verfaͤlſchung war, vorzuͤglich in der Erzaͤh-
lung der Kriegsthaten, Werk der Familieneitelkeit: in der
ganzen Darſtellung von Roms aͤußeren Verhaͤltniſſen, des
Nationalſtolzes: in den Nachrichten und der Schilderung
der innerlichen Verhaͤltniſſe und der buͤrgerlichen Unruhen,
des ſtaͤndiſchen Partheygeiſtes. Die falſch aufgetragne
Oberflaͤche verraͤth ſich faſt allenthalben; oft, wo ſie auch
nicht fuͤr unſer Auge unerkennbar die zerſtoͤrte Wahrheit
erſetzt, laͤßt ſich wenigſtens nicht mit einer mittheilbaren
Ueberzeugung entdecken was ſie verbirgt oder erſetzt: auch
da wo ein reicherer Stoff haͤufigere erkennbare Punkte der
Wahrheit gewaͤhrt, laͤßt ſie ſich doch nur einzeln, und zu
allgemeinen Anſichten herſtellen. Bis zu dieſem Zeitpunkt
war die alte Dichtung reich, die Annalen welche nach ihr
anheben, waren urſpruͤnglich aͤußerſt aͤrmlich und duͤrr.
[368] Davon geben die Fragmente der Annalen des Ennius
einen Beweis, wenn wir annehmen duͤrfen daß die ange-
fuͤhrten Zahlen ihrer Buͤcher richtig geſchrieben ſind: denn
die Geſchichte der Koͤnige nahm die drey erſten Buͤcher
ein, und im fuͤnften Buch erzaͤhlte er den Krieg des Pyr-
rhus; ſo daß eine hiſtoriſche Zeit von faſt gleicher Laͤnge
nur den dritten Theil des Raums erfuͤllt hat, den er dem
dichteriſchen Zeitalter weihte.
Das latiniſche Buͤndniß.
Ich verlaſſe die Zeitfolge um von dem latiniſchen
Buͤndniß des Conſuls Sp. Caſſius zu reden, obgleich es
erſt nach der Ausſoͤhnung der Staͤnde abgeſchloſſen ward,
deren Fehde im Todesjahr des letzten Koͤnigs ausbrach.
Erſt drey Jahre nach der Schlacht am Regillus, im
Jahr 261, traten beyde Nationen in den Bund, deſſen
Geſetze fuͤr ſie im Weſentlichen waͤhrend anderthalb Jahr-
hunderten galten, wenn auch aͤußere Umſtaͤnde oft in der
Ausfuͤhrung die Gleichheit geſtoͤrt haben muͤſſen, und ſicht-
bar geſtoͤrt haben, welche nach dem Buchſtaben des Ver-
trags gegenſeitig beſtehen ſollte. Der Krieg aber war
ſchon fruͤher, wenigſtens in den Gemuͤthern und durch
Handlungen der Ausſoͤhnung, beendigt. Schon im Jahr
nach der Schlacht wurden den Latinern ihre Gefangenen
zuruͤckgegeben, oder ausgewechſelt. Die Roͤmer erzaͤhlen
jenes, und nennen es eine Gnade womit der Senat die
Latiner belohnt habe, weil ſie die Aufwiegelungen der
Volsker zur Fortſetzung des Kriegs abgewieſen, und zur
Warnung angezeigt haͤtten. Wahrſcheinlicher aber iſt das
letzte,
[369] letzte, und daß beyde Voͤlker der dringenden Nothwendig-
keit inne wurden, vereinigt zu ſeyn. Allerdings mochte
dieſe Einſicht durch die Volsker geweckt werden, und es
bedurfte einer ungewoͤhnlichen aͤußeren Warnung nachdem
eine ſchon alte Verbuͤndung durch einen erbitterten Krieg
zerriſſen war. Erſt jetzt werden die Volsker mit Zuver-
laͤſſigkeit als Einwohner Latiums genannt, und zwar im
Beſitz der beyden, noch im Jahr 251 aurunkiſchen Staͤdte,
Pometia und Cora. Die Nation welche im ſiebenten Jahr
nachher den Latinern ſo viele Staͤdte entriß, und ſich un-
ter Roms Mauern ſiegend lagerte, muß Latium wie den
Roͤmern damals ſehr furchtbar geweſen ſeyn, wenn auch
ihre Beſitzungen in der Ebene nicht alle durch Einwan-
drung den Latinern entriſſen waren, wie Cato wenigſtens
von einer noch aͤlteren Zeit meldete 27). Er redete von
einer Zeit woruͤber keine hiſtoriſchen Angaben vorhanden
ſeyn konnten, und es iſt ſehr glaublich daß eine ſpaͤtere
Begebenheit auch hier auf die uralte mythiſche Zeit zuruͤck-
gebracht iſt. Das wird doch keinen hieran irre machen,
daß es von dem etruskiſchen Mezentius heißt, auch die
Volsker waͤren ihm unterwuͤrfig geweſen: denn zu der Zeit
worin dieſer mythiſche Fuͤrſt geherrſcht haben ſoll, iſt es
wenigſtens zweifelhaft daß die Etrusker ſelbſt ſich bis an
die Tiber erſtreckten.
Herſtellung der alten Vereinigung, und Feſtſetzung
des Bundesverhaͤltniſſes noch ehe es ſchriftlich verfaßt
war, erhellt daraus, daß ſchon im Jahr 259 Signia als
Erſter Theil. A a
[370] Colonie neu gegruͤndet ward 28), eine latiniſche Colonie,
welche damals ſo wenig als die uͤbrigen gleiches Rechts
bis auf das Jahr 414 einſeitig von Rom abhaͤngig gewe-
ſen ſeyn kann. Das Buͤndniß des Caſſius verpflichtete
Roͤmer und Latiner mit voͤlliger Gleichheit zur Vertheidi-
gung und Abwehr, und berechtigte daher Rom und die ge-
ſammten latiniſchen Voͤlker zu einer Haͤlfte der Eroberun-
gen und Beute 29). Als nachher, im Jahr 268, Einheit
der natuͤrlichen Feinde auch die Herniker den Roͤmern und
Latinern zuwandte, ward eine dreyfache Theilung feſtge-
ſetzt; und daher ſagt Plinius, den alten Latinern habe bis
zum Conſulat des C. Maͤnius (416) der dritte Theil der
Beute gebuͤhrt 30). Rom ſtand folglich den geſammten
latiniſchen Staͤdten gegenuͤber, nicht als eine einzelne un-
ter ihnen, ſondern in dem Verhaͤltniß wie Theben zu den
uͤbrigen boͤotiſchen Staͤdten bis es die Ernennung der
Boͤotarchen ſich allein anmaaßte, und die Landsgemein-
den nicht laͤnger duldete. Zwar erkennen die roͤmiſchen
Annalen dieſe Gleichheit nicht an, ſie reden ſogar von den
Schwierigkeiten, welche der Senat unter dringenden Um-
ſtaͤnden gemacht habe, den Latinern, wenn es nicht moͤg-
lich war Huͤlfe zu ſenden, wenigſtens zu erlauben ſich
ſelbſt zu vertheidigen; aber ſie haben beſtimmte Spuren
nicht auszutilgen vermocht daß die Geſetze jenes Buͤndniſ-
[371] ſes weſentlich wie rechtskraͤftig galten. Niemand kann
nach dieſen in dem Verhaͤltniß der Latiner bis zum Conſu-
lat des P. Decius vollkommne Unabhaͤngigkeit verkennen.
Aber ganz beſtimmt lehrt ein aͤußerſt wichtiges Fragment
des L. Cincius bey Feſtus 31) daß dieſes Verhaͤltniß waͤhrend
des erwaͤhnten Zeitraums ſo beſtand: daß die Roͤmer den
Bundestagen am Quell der Ferentina beywohnten: daß
die hier gefaßten Beſchluͤſſe ſie verpflichteten; und daß der
Oberbefehl uͤber das Bundesheer nur abwechſelnd ihnen
zuſtand. Von dieſem entſcheidenden Umſtand nun iſt frey-
lich jede Erwaͤhnung in der Geſchichte ſo ſorgfaͤltig ausge-
tilgt daß wir ihn ſchwerlich ohne Cincius ahnden wuͤrden.
Aber die Gewißheit einer ſolchen Verfaͤlſchung berechtigt
uns zu groͤßerer Kuͤhnheit bey andern Faͤllen wo aͤhnliche
Beweggruͤnde der Eitelkeit der Nation oder eines Standes
ſichtbar aͤhnliche Verderbniſſe in der Geſchichte veran-
laßt haben.
Das Connubium oder das Recht wonach Kinder aus
der Ehe mit einer fremden Buͤrgerin in den Stand des
Vaters traten, und als Buͤrger erbten, beſtand wenig-
ſtens in ſpaͤteren Zeiten zwiſchen Rom und Latium. Ueber
das Handelsrecht verfuͤgte, nach Dionyſius, dieſer Vertrag,
daß der Ort wo ein Contract geſchloſſen worden das Forum
des Fremden ſeyn, und die Proceſſe in zehn Tagen geen-
digt werden ſollten. Ließen ſich Dionyſius Worte nach
dem vollen Gewicht deuten welches ein gewiſſenhafter
Schriftſteller nicht verkennen darf, ſo wuͤrde der Ausdruck
ſehr wichtig ſeyn den er bey verſchiednen Gelegenheiten
A a 2
[372] gebraucht wo des Buͤndniſſes erwaͤhnt wird: — nicht in
der Angabe ſeines Inhalts: — es ſey den Latinern durch
daſſelbe die ἰσοπολιτεία ertheilt worden. Fuͤr einen
Griechen der ſeine Sprache genau mit beſtimmter Kennt-
niß des Sinns ſchrieb worin ſeine Vorfahren Worte ge-
brauchten deren Gegenſtaͤnde freylich mit der Unabhaͤngig-
keit verlohren waren; fuͤr einen ſolchen Griechen bedeutete
dieſes Wort das Buͤrgerrecht welches, gegen die allge-
meine Regel daß niemand zweyer Staaten Buͤrger ſeyn
koͤnne, den geſammten Buͤrgern eines andern Staats ſo
ertheilt wird daß ſie es ausuͤben koͤnnen wenn ſie wollen,
ohne darum ihrer Vaterſtadt zu entſagen. In dieſem
Sinn iſt es bey den Spaͤteren ſehr paſſend, obgleich etwas
vom urſpruͤnglichen abgeaͤndert, vom Recht der roͤmiſchen
Municipien gebraͤuchlich. Daß die Latiner, außer der
allgemeinen Leichtigkeit womit ſie durch den Cenſus in den
Genuß des roͤmiſchen Buͤrgerrechts eintreten konnten,
eine der altgriechiſchen wahrhaft aͤhnliche Iſopolitie genoſ-
ſen, iſt fuͤr die Zeiten nach der Zerſtoͤrung des Latiniſchen
Buͤndniſſes klar; denn es iſt bekannt, daß ſie bey den
Comitien in einer Tribus ſtimmten die durch das Loos
ausgemacht ward 32). Dieſes Recht ward ihnen wohl
am wenigſten in einem Augenblick der Erbitterung und
Verfolgung ertheilt, wo die Entſcheidung ihres Schickſals
unverhohlen dahin trachtete die Nation aufzuloͤſen und auf
ewig niederzubeugen: wahrſcheinlich war es alt, und
[373] erhielt ſich als harmlos, da Rom ſelbſt hier den
Schein wenigſtens des altrechtlichen nicht ganz auf-
opfern wollte.
Der erſte Aufſtand des Volks, und das
Volkstribunat.
So lange Tarquinius lebte herrſchte zu Rom innrer
Friede und Eintracht, weil der Senat das Volk ſchonte.
Kaum war aber der im Grabe deſſen Anſpruͤche drohend
wurden wenn eine unterdruͤckte Parthey ſie mit Hoffnung
ihr Schickſal durch ihn beſſern zu koͤnnen aufnahm, ſo
verſchwand dieſe Milde 33); die Patricier uͤbten alle Be-
druͤckungen zu denen Geiz und Hochmuth reizen, und das
Gefuͤhl der Tyranney empoͤrte das Volk um ſo heftiger,
weil die fruͤhere Guͤte alles Verdienſt verlohr, und nur als
betruͤgeriſches Werk der Furcht und Klugheit erſchien.
Das Wort Volk, deſſen unſre Sprache ſich in der Ge-
ſchichte der buͤrgerlichen Unruhen Roms bedienen muß
um die Plebs zu bezeichnen, erregt bey uns, nicht weni-
ger als bey den Griechen das Wort δῆμος, durch Viel-
deutigkeit, und dadurch daß der eigenthuͤmliche Begriff
den der lateiniſche Nahme ausdruͤckte eigentlich nicht einmal
in dem weiteren Umfang des Wortes Volk enthalten iſt, eine
weſentlich falſche und verwirrende Anſicht. Die Griechen
verſtanden unter dem Volk urſpruͤnglich die Freyen,
welche ihr Geſchlecht nicht auf Heroen und Koͤnige zu-
[374] ruͤckfuͤhren konnten 34); ſpaͤter, in den Oligarchieen, die
durch geringeres Vermoͤgen von der Souverainetaͤt aus-
geſchloſſenen; in Demokratieen ward das Wort gebraͤuch-
lich von der eigenthumsloſen Menge, obgleich ſie die
hoͤchſte Gewalt theilte. Weil nun dieſe, theils fuͤr ſich,
theils als Werkzeug, ihre Macht mißbrauchte, ward der
Nahme mit Fug verhaßt, und alle Beſtrebungen, dem
Theil der Nation welcher Volk genannt wird eine groͤßere
Bedeutung im Staat zu verſchaffen, werden daher noch
jetzt in der alten Geſchichte als Verderbniſſe der Verfaſ-
ſung, als Einleitung ihres Umſturzes und der Verwilde-
rung der Nation mit Vorurtheil verdammt. In einem
andern Sinn bezeichnet Volk die ſouveraine Gemeindever-
ſammlung, im Gegenſatz gegen den Senat und die Obrig-
keit, und auch hier gilt jede Erweiterung der Macht des
Volks, jede Beſchraͤnkung des Senats fuͤr eine verderb-
[375] liche, und entweder von Thoren oder Empoͤrern unter-
nommene Neuerung.
Poͤbel, ſo arg wie der von den Demagogen getriebene
athenienſiſche, war allerdings die roͤmiſche Plebs in den
Tagen der gleichzeitigen Schriftſteller bey denen ſich das
Gemaͤhlde der ausgearteten, und ſich uͤberlebenden Repu-
blik erhalten hat. Denn damals waren die Familien plebe-
jiſches Urſprungs, deren Ahnherrn ihnen Adel und Glanz
erworben hatten, mit den an Zahl ſehr verminderten pa-
triciſchen zu einer gleichartigen Nobilitaͤt vermiſcht: die
uͤbrigen ausgezeichneten Municipalfamilien und die Rei-
chen bildeten als Ritter einen von der Plebs abgeſonderten
Stand; und von ihr wurden ſtillſchweigend auch die ehren-
werthen Landleute unterſchieden, ſo daß fuͤr die Plebs der
Stadt eigentlich nur ein Haufe blieb der groͤßtentheils aus
Freygelaſſenen beſtand, oder von ihnen abſtammte 35).
Aber das Volk dem Sicinius, Publilius, Licinius
und Decius gleiche Rechte mit den Patriciern errangen,
war kein Poͤbel, ſo wenig wie ſie ſelbſt Leute aus dem Poͤ-
bel waren. Fuͤr die welche keinen Beruf zur Theilnahme
an der hoͤchſten Gewalt in einem freyen Staat, oder zu ih-
rer Ausuͤbung unter einem Fuͤrſten anerkennen, wenn er
nicht durch adliche Geburt geweiht wird, muͤſſen die An-
ſpruͤche der roͤmiſchen Plebejer weit beſſer gegruͤndet ſchei-
nen als die des dritten Stands in neueren Staaten, weil
[376] der Adel der in die Republik aufgenommenen Voͤlker zu
den Plebejern gehoͤrte. Auch in neueren Staaten wird
fremder Adel manchmal bey der Entſcheidung uͤber den
Genuß ſtaͤndiſcher Vorrechte als unguͤltig ausgeſchloſſen,
wie der engliſche bey deutſchen Ahnenproben, und dennoch
wird der einzelne vom einzelnen Standesgenoſſen keines-
wegs zum Volk gezaͤhlt werden. Es iſt ſchon bemerkt
daß wenigſtens bey den Hauptvoͤlkern Italiens allenthal-
ben Unterſchied der Staͤnde und Adel anerkannt ward:
dieſen konnte es unmoͤglich tilgen daß die roͤmiſchen Patri-
tier die Vorrechte ihres Standes außer den Claudiern kei-
nem fremden Geſchlecht mittheilten, wenn gleich die Ma-
milier von Tuſculum, die Samnitiſchen Papier, die
Etruskiſchen Cilnier, die Marruciniſchen Aſinier, ihnen
ſo wenig an adlicher Abſtammung nachſtanden, daß ſie,
ohne der allgemeinen Meinung zu widerſprechen, ihr Ge-
ſchlecht zum Theil auf Koͤnige zuruͤckfuͤhren durften. Daß
aber die aͤlteſte Plebs, auf gleiche Weiſe wie ſpaͤter alle in
das Buͤrgerrecht aufgenommene Voͤlker zu ihr gezaͤhlt
wurden, urſpruͤnglich aus den Latinern beſtand welche
von den Koͤnigen gewaltſam mit Rom vereinigt waren,
habe ich fruͤher darzuthun geſucht: und ſo mußten in ihr
auch ſchon damals viele Geſchlechter enthalten ſeyn die den
Patriciern an Adel der Abſtammung nicht nachſtanden.
Dieſe waren es auch wohl, wenigſtens vorzuͤglich, welche
Tarquinius der Alte in die neuen Rittercenturien ver-
zeichnete.
Es iſt daher keine genaue Parallele des ſtaͤndiſchen
Rechtsverhaͤltniſſes zwiſchen der Plebs und dem ſogenann-
[377] ten dritten Stande, wenn man jener auch damit einraͤu-
men will daß ſie, weit entfernt aus rohem Volke beſtanden
zu haben, eben wie der unſrige, ſeitdem die Staͤdte ſich
gebildet haben, ungeachtet aller Erſchwerungen gefliſſent-
licher Zuruͤckſetzung wenigſtens keine kleinere Zahl faͤhiger
und zuverlaͤſſiger Buͤrger enthalten habe als der herr-
ſchende Stand. Richtiger waͤre eine Vergleichung mit
den abhaͤngigen Landſchaften neuerer Republiken, wie mit
den Waadtlaͤndiſchen Unterthanen des Standes Bern, wo
der alte burgundiſche Adel mit den Staͤdtern und dem
Landmann gegen den Souverain auf Einer Linie ſtand.
Oder man vergleiche ihre Ritterfamilien mit dem Landadel
Englands und Schottlands, der nicht mehr als Adel be-
trachtet wird, wenn er gleich urſpruͤnglich dem Stande
nach den vornehmſten Baronen gleich war, und jetzt nach
dem natuͤrlichen Gang ungeſtoͤrter Veraͤnderungen Tau-
ſende andrer Familien als Gleiche neben ſich ſieht welche
ſich von unadlichem Stande erhoben haben: und man be-
urtheile die Gerechtigkeit ihrer Anſpruͤche nach denen der
irlaͤndiſchen Katholiken, welche, hoher Adel, Mittelſtand
und Volk, unter heuchleriſchem religioͤſen Vorwand in
gleicher Erniedrigung gehalten werden, und um gerechte
Gleichheit mit derſelben Ausdauer ringen wie die roͤmi-
ſchen Plebejer, und, wie ſie, gewiß ſeyn koͤnnen fruͤher
oder ſpaͤter ihr Recht zu erlangen.
Darin aber war das roͤmiſche Volk von ihnen, wie
von den Waadtlaͤndern und andern abhaͤngigen Nationen
unterſchieden, daß gerade die Klaſſe welche man unguͤnſtig
als Volk bezeichnet, eben der rohe, oder durch ſeine Ge-
[378] werbe herabgewuͤrdigte Haufe in dieſer aͤlteſten roͤmiſchen
Plebs nicht enthalten war. Nicht mit Unrecht hielten die
Politiker des Alterthums nur den Landmann fuͤr einen
ganz zuverlaͤſſigen Buͤrger. Cato ſagt, der Landmann hat
am wenigſten boͤſe Gedanken; und wie ihn das Eigenthum
mehr noch und beſſer durch Gefuͤhl, denn, wie oft geſagt
worden iſt, als Unterpfand an den Staat bindet, ſo iſt es
auch natuͤrlich daß eine dem Leibe geſunde, die Kraͤfte
uͤbende Arbeit, vollbracht nicht in dumpfen Wohnungen
ſondern im freyen Leben der Natur, in Sonnenſchein und
Ungewitter, das Gemuͤth am geſundeſten erhaͤlt, daß
Ernſt, aufmerkſame Beobachtung und unverdorbnes Ur-
theil dadurch am meiſten gepflegt wird. Der freye Land-
mann der ſein eignes Feld beſtellt und erndtet, genießt
durch den Lauf der Jahreszeiten und die Natur ſeiner Ge-
ſchaͤfte eine abwechſelnde liberale Muße, ohne die es faſt
unmoͤglich iſt Leib und Seele in unverdorbner Geſundheit
zu erhalten. Der ſtaͤdtiſche Arbeiter erhohlt ſich kaum an
einem Feſttage, und er erhohlt ſich nicht durch Ausruhen.
Er haͤngt von andern ab, ob ſie ihm Verdienſt goͤnnen
wollen, er hegt oder erfaͤhrt Brodneid, und Gewerbe fein-
det Gewerbe an. Ihm fehlt das ruhige Selbſtvertrauen
welches bleibendes Eigenthum gewaͤhrt. Die Ideen des
Landmanns ſind anſchaulich und lebendig, weil ihre Zahl
beſchraͤnkt iſt: den Staͤdter verwirren dunkle Begriffe und
Mißbrauch des Geſpraͤchs. Auf dem Lande erhaͤlt ſich der
Volksſtamm; in den Staͤdten ergaͤnzten ſich die Einwoh-
ner aus allen Voͤlkern und Laͤndern. Daher urtheilten die
griechiſchen Weiſen mit Recht daß die Zulaſſung der
[379] Handwerker zu den Volksverſammlungen die Verfaſſung
und die angeerbte Nationalitaͤt untergruͤben, und noth-
wendig zu einer Revolution fuͤhren muͤßten.
Das roͤmiſche Volk aber beſtand ausſchließlich aus
Landeigenthuͤmern; und, wenn auch Verarmung manche
ihres Erbes beraubte, wenigſtens fand ſich keiner unter ihm
der ſich durch ein andres Gewerbe naͤhrte, und eben ſo wenig
durch Handel als durch Handwerk 36). Daruͤber wachte
die cenſoriſche Macht, zuverlaͤſſig ſchon ehe ſie einer abge-
ſonderten Magiſtratur anvertraut war, daß nur der flei-
ßige Ackerbauer in der Tribus ſeiner Vorvaͤter blieb; der
ſchlechte Wirth, viel mehr aber noch wer ſeinen Beruf ganz
verließ, ausgeſtrichen ward 37). Es iſt ſchon bemerkt
worden daß alle Allodialgrundſtuͤcke im Beſitz der Plebejer
waren; die Patricier aber die Domaine als Lehnguͤter be-
ſaßen, und kleine Grundſtuͤcke davon an ihre Clienten als
Vaſallen verliehen. Auch die Plebejer der vier ſtaͤdtiſchen
Tribus muͤſſen urſpruͤnglich als Ackerbauer gedacht wer-
den: theils war der Umfang der Stadt ſo weitlaͤuftig daß,
wie ſie noch ſpaͤt voll heiliger Haine war, wenigſtens zu
Gaͤrten und Weinbergen innerhalb der Mauern Raum
nicht fehlen konnte, theils hatten die Ackerbuͤrger ihre
Haͤuſer und Scheuren in der Stadt.
Die Patricier waren anfaͤnglich der vornehmſte
Stamm, allmaͤhlich alle Ritter der urſpruͤnglichen Roͤ-
[380] mer; die Plebejer die nach und nach aufgenommenen
Buͤrger, groͤßtentheils Latiner: jene berechtigt zur Be-
nutzung des Gemeinlands, dieſe zur Abfindung durch
Landeigenthum: jene Lehnstraͤger der Republik, dieſe
freye Allodialeigenthuͤmer: jene in Geſchlechter vereinigt,
dieſe, vor dem Geſetz, nur in abgeſonderten Familien be-
ſtehend: jene, als aus dem Prieſtervolk entſproſſen, der
geiſtlichen Wuͤrden und Caͤremonien faͤhig; dieſe unfaͤhig
als Fremde: beyde in einer Republik vereinigt, aber als
abgeſonderte Volksſtaͤmme, und daher ohne gegenſeitiges
Eherecht.
Dieſe Wiederhohlung darf nicht uͤberfluͤſſig ſcheinen,
denn die Einſicht in Roms innere Geſchichte haͤngt allein
davon ab daß man uͤber das Rechtsverhaͤltniß der Staͤnde
klar ſehe; und dies iſt von den Griechen voͤllig entſtellt
worden. Der Irrthum geht aus von Dionyſius, deſſen
Darſtellung 38) allerdings auf der Meinung gegruͤndet iſt
und ſie ausdruͤcklich vortraͤgt, Roms Verfaſſung ſey durch
die Willkuͤhr des Stifters angeordnet geweſen: dieſer habe
die Vornehmen und Reichen zu Patriciern erhoben, das
geringe Volk aber als Plebejer abgeſondert: jenen alle
Macht, dieſen unthaͤtige und dunkle Sicherheit unter dem
Schutz der erſten verliehen. Daß man eine freye Verfaſ-
ſung nicht wie etwas mechaniſches oder doch willenloſes
einrichten kann, daß ſie ſich ſelbſt bilden muß, ahndete
der Rhetor ſo wenig als die Politiker in den Tagen unſrer
Vaͤter und unſrer Jugend: und dieſer Wahn iſt bey ihm
leichter zu verzeihen als daß er in den roͤmiſchen Annalen
[381] den Charakter des plebejiſchen Standes verkannte, und
gar nicht geahndet hat. Daher, und weil noch ſpaͤt, in
veraͤnderter Geſtalt, eine Clientel beſtand wodurch Plebe-
jer von den Großen abhaͤngig waren, verfiel er in den al-
les zerſtoͤrenden Irrthum, dieſes Verhaͤltniß habe ur-
ſpruͤnglich beyde Staͤnde verbunden, und die Plebejer
ſeyen der Patricier Clienten geweſen: eine Anſicht wonach
allerdings das Volk in dem Licht einer Klaſſe erbunter-
thaͤniger Landleute erſcheint, welche, wie ſehr auch ihr
Loos Mitgefuͤhl erregt, dennoch keineswegs faͤhig ſcheinen
koͤnnen, die Souverainetaͤt zu theilen, oder auch nur
ſchnell und allgemein zum Genuß voller Freyheit zu
gelangen.
Aber in der aͤlteſten Zeit Roms gab es noch keine
Plebs, wenn gleich die damals noch nicht zum Patriciat
erhobenen Rittergeſchlechter mit ihr verglichen werden
koͤnnen: und ſie wird ſpaͤter von den Clienten der Patri-
cier mit ganz unbeſtreitbarer Beſtimmtheit unterſchieden.
Livius hat ſich hieruͤber nicht getaͤuſcht, und wenn ſelbſt
bey ihm die Unterſcheidung wie ſie die aͤlteſten Annalen ge-
zeichnet haben muͤſſen, an vielen Stellen verwiſcht iſt, an
andern hat ſie ſich unzweydeutig erhalten.
Er erzaͤhlt: bey einer heftigen Spannung zwiſchen
Patriciern und Plebejern, haͤtte ſich das Volk ganz von
der Conſulwahl zuruͤckgezogen, und dieſe ſey nur von jenen
und ihren Clienten gehalten worden 39): vor dem Gericht
[382] uͤber Coriolanus haͤtten die Patricier, weil die Plebs un-
verſoͤhnlich erbittert geweſen ſey, ihre Clienten ausgeſandt
um die einzelnen Plebejer abzumahnen oder zu ſchrek-
ken 40): und er erklaͤrt den Sinn des Publiliſchen Ge-
ſetzes dahin, die Patricier haͤtten dadurch allen Einfluß
auf die Wahl der Volkstribunen verlohren, weil ſie, ſo-
bald die Tribunen in der Gemeinde der Tribus ernannt
wurden, die Macht ganz und gar verlohren Guͤnſtlinge
durch die Stimmen ihrer Clienten erwaͤhlen zu laſſen 41).
Selbſt Dionyſius vergißt im Fortgang der Geſchichte ſeine
urſpruͤngliche Darſtellung, und unterſcheidet die Clienten
auf deren Zahl trotzend die Patricier es wagten die Volks-
verſammlungen mit Gewalt zu ſtoͤren 42) augenſcheinlich
von den Plebejern.
Dies ſind unverwerfliche hiſtoriſche Beweiſe: nicht
ſchwaͤcher ſind die moraliſchen welche aus dem Verhaͤltniß
der Clientel ſelbſt hervorgehen. Die Bewegungen des
Volks wurden durch ſchnoͤde Mißhandlungen erregt: als
Stand und einzeln durch Habſucht unterdruͤckten es die
Patricier. Dies war ein allgemeiner Zuſtand, nicht ein-
[383] zelne Vergehung. Iſt dieſes bey der Clientel denkbar,
welche dem Patricier die Pflicht des Schutzes, noch mehr
die Ausuͤbung der Liebespflichten gegen ſeine eignen Clien-
ten gebot? Kann man ſich wenigſtens die Ausartung all-
gemein denken, und ſo verbreitet daß ſich das geſammte
Volk zum Aufſtand entſchloſſen haͤtte, da doch jeden, deſſen
Patron mit leidlicher Gutartigkeit verfuhr, die heilige und
ſchwer verpoͤnte Ehrerbietung gegen ſeinen Schutzherrn
zuruͤckhalten mußte, wider den er nicht einmal ſtimmen
durſte ohne ſich des Todes ſchuldig zu machen? Haͤtten
Clienten, wenn man nicht eine undenkbare Gewiſſenloſig-
keit der Patrone annehmen will, einen andern Schutz als
den ihrigen, haͤtten ſie je den der Volkstribune beduͤrfen
koͤnnen? Und wie haͤtten in den Volksverſammlungen Be-
ſchluͤſſe gegen das Intereſſe der Patricier gefaßt werden
koͤnnen, welches die Sache jedes Patrons war, und wo
jeder Patron die Beleidigung an ſeinem Clienten ahnden
konnte, der durch ſolche Gewiſſenloſigkeit geſetzlich ge-
aͤchtet war.
Die zuletzt aus Livius angefuͤhrte Stelle beweiſ’t, daß
die Clienten der Patricier in den Verſammlungen der Tri-
bus nicht erſchienen und ſtimmten. Waͤren ſie in dieſen,
wenn auch nicht in uͤberwiegender Zahl, mit den Plebejern
vermiſcht geweſen, ſo konnten die Patricier durch das
Publiliſche Geſetz nicht allen Einfluß auf die tribuniciſchen
Wahlen ganz und gar verlieren. Ihrer Stimmen waren
ſie durch die heiligſten Pflichten und unerſchuͤtterliche Ge-
wohnheit verſichert; und das kann nicht gefehlt haben daß
ſie nicht auf einen Theil der Plebejer perſoͤnlichen Einfluß
[384] behauptet haͤtten: ſo daß es noch immer in ihrer Macht
geweſen ſeyn muͤßte die Wahlen zu entſcheiden. Denn
die Clienten der großen Geſchlechter waren aͤußerſt zahl-
reich: wenigſtens als Beweis der Meinung von ihrer gro-
ßen Zahl, wenn auch nicht als hiſtoriſch zuverlaͤſſige An-
gabe, gilt daß erzaͤhlt wird, Appius Claudius habe fuͤnf-
tauſend nach Rom gefuͤhrt 43): und die Fabier waͤren mit
einer gleichen Anzahl an den Cremera ausgezogen 44).
Waren aber die Clienten außer den Tribus, ſo vermochte
eine abtruͤnnige, von den Patriciern geleitete Minoritaͤt,
allerdings nichts in der Volksgemeinde: als die Verfaſ-
ſung ſich aͤnderte, und ſogar ſie ſelbſt mit den Clienten in
die Tribus aufgenommen wurden, gewannen ſie auch hier
den ganz entbehrten Einfluß.
Plebejer ſeyn, und einer Tribus angehoͤren, oder ein
ſteuerpflichtiges Landeigenthum beſitzen, war urſpruͤnglich
gleichbedeutend: und wenn es ſich auch nicht mit unwider-
ſprechlicher Evidenz darthun laͤßt, gewiß hat es die hoͤchſte
Wahrſcheinlichkeit daß, wenigſtens bis zur Geſetzgebung
der Decemvirn, die Patricier nicht in den Tribus waren.
Spaͤter ſind freylich Beweiſe des Gegentheils haͤufig und
unzweydeutig 45): aber ſo lange die Curien mit ihrem
alten
[385] alten Uebergewicht beſtanden haͤtte Vermiſchung der Pa-
tricier unter die Staͤmme nur eine widerſinnige Verdop-
pelung der Volksgemeinde hervorgebracht. Daß die Ver-
ſammlungen der Tribus, wie ſie von den Volkstribunen
berufen wurden, die Patricier nicht enthielten, welches
niemand bezweifelt, berechtigt den Schluß daß ſie dieſer
Eintheilung des Volks urſpruͤnglich ganz fremd geweſen
ſind. Eine unzertrennliche Beziehung zwiſchen den plebe-
jiſchen Tribus und dem Tributum, deſſen Nahme auch
nichts anderes bedeuten kann als die Steuer der Tribus,
erkennt Livius 46); und auch dieſes ſchließt, nach dem
urſpruͤnglichen Begriff, die Patricier wie ihre Clienten
aus, weil das ſteuerpflichtige Grundeigenthum ſich nur
in den Haͤnden der Plebejer befand.
Die Patricier genoſſen die hoͤheren Rechte ihres Stan-
des, aber ihre Clienten waren, wenn auch nicht den Ple-
blejern gleich, doch im Beſitz des Buͤrgerrechts, und, ſo
lange die Tribus ohne politiſche Wichtigkeit waren, ob-
gleich von ihnen ausgeſchloſſen, eines nicht geringeren,
weil ſie in den Curien ſtimmten, wo von jenen nur die Fa-
milien welche Tarquinius der Alte in die neuen Rittertri-
bus aufgenommen hatte, eine Stimme geuͤbt zu haben
ſcheinen; wo ſie, wie es nach Livius Urtheil uͤber das Pu-
bliliſche Geſetz klar iſt, als Stand in einer uͤberſtimmten
Minoritaͤt waren. Nur als die Tribus die haͤufigſte und
maͤchtigſte Volksgemeinde wurden, noch mehr als die Cen-
turien in ſie uͤbergingen war es fuͤr den Eingebohrenen eine
Schmach und ein Ungluͤck ohne Tribus zu ſeyn, wenn er
Erſter Theil. B b
[386] gleich dadurch in den Verhaͤltniſſen des Privatrechts nicht
verlohr. Fuͤr den Auslaͤnder hingegen, der dieſe letzten
gewann, war auch dieſes niedrigere Buͤrgerrecht vortheil-
haft, und er empfing damit die Ausſicht fuͤr ſeine Nach-
kommen zum vollen Genuß plebejiſcher Rechte zu gelan-
gen. Es iſt ein albernes Urtheil Strabos, die Roͤmer
haͤtten undankbar gehandelt als ſie den Caͤriten kein hoͤhe-
res Buͤrgerrecht ertheilten: ſie konnten ihnen dieſes nicht
verleihen wenn jene ſelbſt nicht vorzogen die Unabhaͤngig-
keit ihres Staats aufzugeben, ihr Grundeigenthum nach
roͤmiſchem Recht von der Republik zu empfangen, und eine
neue Tribus zu bilden; und dies waren ſie damals gewiß
weit entfernt zu wuͤnſchen, da das Gluͤck in der galliſchen
Zeit ihnen guͤnſtiger als Rom geweſen war; wenn anders
das roͤmiſche Buͤrgerrecht der Caͤriten wirklich in dieſe
Zeit, und nicht in eine weit fruͤhere, in die Bluͤthe des
alten Agylla, faͤllt. Aber Gleichheit mit den Eingebohr-
nen einer benachbarten großen Stadt im Privatrecht war
ein weſentlicher Vortheil, deſſen Werth wir nur darum
nicht hoch ſchaͤtzen, weil im neuen Europa Fremde allent-
halben mit wenigen Ausnahmen in dieſen Verhaͤltniſſen
den Einheimiſchen gleich ſtehen.
Die cenſoriſche Notation war fuͤr den Senator Ver-
ſtoßung aus dem Senat, fuͤr den Ritter aus ſeinem
Stande, fuͤr den Plebejer aus den Tribus 47), Verſto-
[387] ßung, nicht Verſetzung in eine minder ehrliche: denn lange
bevor ein Unterſchied im Anſehen der Tribus galt, als die
ſtaͤdtiſchen noch eben ſo rein waren als die laͤndlichen, war
es ſchon Ehrenſtrafe aus der Tribus ausgeſtrichen, und
unter die Aerarier eingeſchrieben zu werden. Jener Unter-
ſchied kann vor der Cenſur des Q. Fabius Maximus gar
nicht gedacht werden, denn die Freygelaſſenen wurden erſt
von ihm in den vier ſtaͤdtiſchen vereinigt, um einem groͤ-
ßeren Uebel abzuhelfen. Die cenſoriſche Notation entzog
dem Beſtraften das Stimmrecht, und brachte ihn auf die
Tafeln der Caͤriten oder unter die Aerarier 48), welches
folglich gleichbedeutend war mit Herabwuͤrdigung zu
einem ſteuerpflichtigen Buͤrger ohne politiſche Rechte, de-
ren Ausuͤbung nur in einer Tribus moͤglich war.
Am laͤngſten hat ſich das Verhaͤltniß der Clientel
fuͤr die Freygelaſſenen erhalten, welche nach dem alten
Recht nur Aerarier waren. Denn Dionyſius Angabe,
daß die Freylaſſung ſchon ſeit Servius Tullius Tagen voͤl-
liges Buͤrgerrecht gegeben habe, ſtreitet nicht nur mit dem
Geiſt aller alten Geſetzgebung, ſondern auch mit einer an-
dern Nachricht: daß dieſe Gunſt von der Manumiſſion des
Knechts angehoben habe, der die Verſchwoͤrung der Tar-
B b 2
[388][quinier] entdeckte: einer Meldung die von dem Zuſatz be-
gleitet wird, dennoch haͤtten bis zur Mitte des fuͤnften
Jahrhunderts und zur Cenſur des Appius Claudius die
Freygelaſſenen keiner beſtimmten Tribus mit der Befugniß
zum Stimmrecht angehoͤrt 49). Dieſes gewinnt eine hohe
Wahrſcheinlichkeit dadurch daß wir aus aͤchteren Zeugen
wiſſen wie Appius der Blinde ſie in allen Staͤmmen ver-
theilt hatte, Q. Fabius aber ſie zwar, um Unruhen zu
vermeiden, nicht wieder ausſtieß 50), allein von den uͤbri-
gen Buͤrgern abſonderte, und in die vier ſtaͤdtiſchen Tri-
bus zuſammenwarf. Man kann nicht annehmen, daß die
Roͤmer ihren Freygelaſſenen groͤßere Rechte bewilligt ha-
ben ſollten als den Latinern. Genoſſen ſie gleiche, ſo
konnten ſie das Buͤrgerrecht dadurch gewinnen daß ſie ſich
zur Schaͤtzung meldeten, wie dies den Latinern und Itali-
kern freyſtand, und die Beſchraͤnkung welche fuͤr dieſe
Statt fand konnte ſie nicht hindern. Denn damit die ver-
buͤndeten Voͤlker nicht zu ſehr an Buͤrgern vermindert
werden moͤchten, war verordnet, daß nur der dieſes Recht
ausuͤben koͤnne, welcher Familie in ſeiner Heimath zu-
ruͤckließ: aber dies fand keine Anwendung auf die welche
keinem Vaterland angehoͤrten. So haͤtte die Manumiſ-
ſion durch die Vindicta urſpruͤnglich nur perſoͤnliche Frey-
heit verliehen: die durch den Cenſus, wenn nicht nach der
aͤlteſten Sitte die Vindicta vorhergehen mußte, bis zur Cen-
ſur Appius des Blinden das niedere Buͤrgerrecht; erſt von
[389] da an das vollſtaͤndige Recht der Quiriten: und das Ge-
ſetz Junia Norbana haͤtte in Hinſicht einer Klaſſe der
Freygelaſſenen, indem ſie ihnen latiniſches Recht anwies,
nur uraltes Recht hergeſtellt.
Von den Latinern welche nach der erwaͤhnten Berech-
tigung das niedere Buͤrgerrecht annahmen iſt es wahr-
ſcheinlich daß viele ſich einen Patron erwaͤhlt haben moͤ-
gen, um dadurch als Vaſallen Beſitz auf den Guͤtern der
Patricier zu erlangen, und weil, als die Plebejer ſchon
durch ihre Tribunen geſchuͤtzt wurden, der Aerarier dieſen
Schutz nicht getheilt haben kann 51).
Als urſpruͤnglich etruskiſches Recht, gleich alt mit
dem Urſprung der Stadt, muß die Clientel allerdings be-
ſtanden haben: in dieſe Unterthaͤnigkeit muß das unterjochte
aͤltere Volk gerathen ſeyn welches die Etrusker an der Ti-
ber fanden. Ihre Ausbreitung und Vermehrung laͤßt ſich
durch hiſtoriſche Zeugniſſe angeben in Hinſicht der Freyge-
laſſenen und Fremder; da Municipien ſogar und Colonieen,
vorzuͤglich aber verbuͤndete und Provinzialſtaͤdte unter dem
Pacronat maͤchtiger Roͤmer ſtanden. So iſt ein zwiefacher
Stand von Clienten auch ſchon fuͤr die aͤlteſte Zeit an-
zunehmen: roͤmiſcher Aerarier und Fremder: und aus
dieſen letzten ſcheint damals die groͤßte Zahl der Clien-
ten beſtanden zu haben. Denn da den Plebejern Han-
del und Gewerbe unterſagt, dieſe aber dem Staat doch
unentbehrlich waren, ſo laͤßt es ſich nicht bezweifeln
daß ſie, außer durch die Sklaven und Freygelaſſenen,
[390] von Fremden ausgeuͤbt wurden welche das Beduͤrfniß
des Gelderwerbs auch zu einem verachteten Geſchaͤft
noͤthigte. Hier nun werden wir unverkennbar an die
griechiſche Clientel erinnert: nicht an den Stand der
ϑῆτες oder πελάται von denen Dionyſius traͤumt, und
deren gebeugtes knechtiſches Loos gar keine Analogie mit
dem wohlthaͤtigen Schutzverhaͤltniß der roͤmiſchen Clienten
hat, ſondern an die Beyſaſſen, die μέτοικοι, jene Frem-
de, die in griechiſchen Staͤdten anſaͤſſig, und unter der
Aufſicht eines Vorſtehers (πϱοςάτης) gegen Erlegung
eines Schutzgelds an den Staat, zu buͤrgerlichen Ge-
werben befugt, und Recht zu fordern berechtigt, wie
verpflichtet waren zu Recht zu ſtehen, aber in dem Ver-
haͤltniß eines Unmuͤndigen, indem ihr Vorſteher wie der
Vormund des Pupillen jede Klage anbringen und an-
nehmen mußte. Dies war nicht bloß attiſches, ſondern
allgemeines griechiſches Recht. Das Verhaͤltniß eines
ſolchen griechiſchen Beyſaſſen mußte bey roͤmiſchen Ge-
muͤthern die feſten Bande roͤmiſcher Clientel ſchlingen:
der Grundzug, die Vertretung des Clienten, iſt in dem
roͤmiſchen Rechtsbegriff ausdruͤcklich beſtimmt; es iſt
klar wie daraus alles uͤbrige hervorgeht 52). Der
[391] Fremde der ſich zu Rom aufhielt, war urſpruͤnglich eben
ſo wenig als zu Athen eine rechtsfaͤhige Perſon: er konnte
keine guͤltige Geſchaͤfte noch ſtreitige Rechte geltend ma-
chen, außer durch die Vermittlung eines Patrons; und
fremd war, wenn auch der Latiner nicht eigentlich, doch
jeder andre Italiker.
Ein ſehr weſentlicher Unterſchied aber beſtand zwi-
ſchen der roͤmiſchen und der griechiſchen Clientel: dieſe
erloſch ſobald der Client das volle Buͤrgerrecht oder auch
nur die Iſotelie erhielt: jene aber dauerte fort, und
konnte wohl nur mit dem Geſchlecht erloͤſchen welches
im Beſitz des Patronats war. Blackſtone vergleicht ſehr
richtig die Pflichten des Clienten mit denen der Vaſal-
len im Lehnrechte: aber das roͤmiſche Verhaͤltniß war
freundlicher, und durch Gewiſſen, Gefuͤhl und anhaͤng-
liche Liebe begruͤndet. Die Annahme des Geſchlechts-
nahmens veranlaßte und zeugte von dieſem treueren
und innigeren Bande: das Verhaͤltniß der Clienten zum
Patron war daher dem der gemeinen Bergſchotten zum
Haupt ihres Clan hoͤchſt aͤhnlich. Er hatte alle An-
ſpruͤche an den Schutz und die Vertretung ſeines Pa-
trons, welche Vertrauen und Huͤlfloſigkeit begruͤnden,
auch war dieſer verpflichtet ihn ſogar gegen ſeine eig-
nen Angehoͤrigen zu ſchuͤtzen 53). In dieſem Verhaͤlt-
niß konnte gegenſeitig kein nachtheiliges Zeugniß abge-
legt, noch weniger eine Klage angeſtellt werden. Fuͤr
ſeine Clienten unter ſich, wohl auch im Verhaͤltniß zu
ihm ſelbſt wie fuͤr ſeine Kinder, war ohne Zweifel der
[392] Patron Richter. Er fuͤhrte ihre Rechtsſachen und ſchuͤtzte
ſie gegen Bedruͤckung: ſie waren verbunden ſeinen Be-
duͤrfniſſen abzuhelfen, ſeine Schulden zu bezahlen, ſeine
Toͤchter auszuſtatten, ſein Begraͤbniß zu veranſtalten,
Geldſtrafen fuͤr ihn zuſammenzuſchießen, wenn ſein eig-
nes Vermoͤgen nicht hinreichte. Ein altes uͤberliefertes
Geſetz aͤchtete den der dieſes heilige Verhaͤltniß treulos
verletzte: die Strafe mußte um ſo haͤrter ſeyn da dem
Beeintraͤchtigten bis ſeine Noth unleidlich geworden war
keine Klage offen ſtand. Das Recht und das Verhaͤlt-
niß der Clientel veraͤnderte ſich mit den Sitten und der
Verfaſſung. Doch dauert es in Hauptzuͤgen ſo lange
als die Republik, und hierin liegt die Urſache daß
Fremde, wenn ſie das roͤmiſche Buͤrgerrecht erhielten,
den Geſchlechtsnahmen ihres Patrons annahmen. Auch
erſtreckte ſich das roͤmiſche Patronat in Hinſicht gan-
zer Voͤlker und Staͤdte ſo weit daß es die griechiſche
Proxenie, aber in einem nicht gegenſeitigen und glei-
chen Verhaͤltniß, in ſich begriff.
So ſtanden zu Rom der Adel, geruͤſtet durch eine
ſehr zahlreiche Menge Erbunterthaͤniger, und die freyen
Landeigenthuͤmer mit vielleicht gleichen Kraͤften einan-
der gegenuͤber. Der Reichthum war bey den Patriciern,
und dies mag den Vortheil der Menge aufgewogen ha-
ben, welcher doch wohl fuͤr die Plebejer war: denn ohne
ein Gleichgewicht, wodurch der Ausgang des Kampfs
zweifelhaft ward, haͤtte ſich das Volk, ſobald es den
Gehorſam verſagte, wohl ſchwerlich ſo ſtreng innerhalb
der Graͤnzen einer verſoͤhnlichen Fehde gehalten; wenn
[393] gleich in ſeinem Charakter eine Liebe zum Gehorſam und
zur geſetzlichen Ordnung ſichtbar iſt, worauf keine an-
dre Nation Anſpruch machen kann: eben ſo wenig haͤtte
der Senat, dem kein Heer zu Gebot ſtand, ohne die
zahlreichen Clienten dem Volk Trotz bieten duͤrfen.
Unter den letzten Koͤnigen hatte ſich die Plebs zu
einem freyen Stande ausgebildet: und in den Comitien
der Centurien herrſchte ſie uͤberwiegend. Es mochte,
wenigſtens unter Servius Tullius, kein weſentlicher Un-
terſchied im Anſehen und der Achtung beyder Staͤnde
gegolten haben: und die Koͤnige waren die natuͤrlichen
Beſchuͤtzer und Patrone des Volks in der That, wie
M. Manlius den Nahmen empfing. Es kann daher mit
gutem Fug bezweifelt werden ob die Plebejer unter dem
letzten Koͤnig gedruͤckt wurden, obgleich er die Krone
durch eine Verſchwoͤrung der Patricier empfangen hatte,
welche durch ſtaͤndiſchen Haß erregt war. Als die Mo-
narchie abgeſchafft ward, und die koͤnigliche Gewalt auf
den Senat und die Conſuln uͤberging, verlohr das Volk
ſeinen Schutz, und die Menge, welche ſich nicht gelaſ-
ſen durch Hoffnungen einer fernen Zukunft troͤſten
konnte, ſehnte ſich nach der Herſtellung der Koͤnigs-
wuͤrde, welche naͤhere und wahrſcheinlichere Erleichte-
rung verſprach als ein Kampf um erweiterte buͤrgerliche
Rechte, und die Ausfuͤhrung der Verfaſſung welche
Servius Tullius fuͤr die Zukunft vorbereitet hatte. Aber
jene Revolution, die doch nur von einem Patricier aus-
gehen konnte, war bey der Gewalt der Regierung leicht
gehindert, und leicht haͤtte der Senat allen Unruhen
[394] vorbeugen koͤnnen, wenn er einzelne Ungerechtigkeiten und
Unterdruͤckungen ſeiner Standsgenoſſen mit Strenge ge-
ahndet haͤtte, und wenn ein herrſchender Stand ſeiner
Habſucht geboͤte. Dieſes ſchien uͤberfluͤſſig als das
Schreckbild des verbannten Koͤnigs verſchwunden war,
und die ariſtokratiſche Unterdruͤckung trieb ein Volk
welches den Koͤnigen ohne Murren gehorcht hatte, ob-
gleich ſie nicht wenig gefordert zu haben ſcheinen, zu
Verzweiflung und Aufſtand.
In den meiſten Staaten des Alterthums deren Ge-
ſchichte in einiger Anſchaulichkeit erhalten iſt, entſtanden
die groͤßten Unruhen aus allgemeiner Privatverſchuldung.
Rom iſt von dieſem Uebel heftiger ergriffen worden als
das demokratiſche Athen, welches nur Ein Beyſpiel eines
allgemeinen Bankerotts erfahren hat: naͤmlich zu Solons
Zeit: viermal bis auf Caͤſar iſt zu Rom, in der Stadt
welche vor allen griechiſchen auf die Verehrung der Treue
ſtolz war, die Treue in Hinſicht auf das Capital der
Schulden gebrochen worden; und wahrſcheinlich iſt uns
die Nachricht von wenigſtens noch einem aͤhnlichen Verge-
hen in dem Ruin eines Theils der roͤmiſchen Geſchichte
verborgen. Mehrmals hat auch der Staat ſich willkuͤhr-
liche Aenderungen des Zinsfußes, und durch eine Muͤnz-
reduction Wortbruͤchigkeit an ſeinen Glaͤubigern erlaubt.
Aus dieſer ungluͤcklichen Quelle perſoͤnlicher Noth entſtan-
den die Volksbewegungen, wodurch Rom, von ſeinem wal-
tenden Gluͤck beſchuͤtzt, durch Vorfaͤlle die zum Verderben
und zur Aufloͤſung fuͤhren zu muͤſſen ſchienen, eine neue Ent-
wicklung und Vervollkommnung ſeiner Verfaſſung gewann.
[395]
Es iſt eine traurige aber unlaͤugbare Wahrheit, daß
ſobald ein Staat politiſche Bedeutung erhaͤlt, wenn auch
die Maſſe ſeines ſogenannten Nationalreichthums ſich ver-
mehrt, wohin man in neueren Zeiten, ſo lange politiſche
Erhaltung ſelbſtſtaͤndig geſichert iſt, mit gutem Recht auch
die inlaͤndiſche Staatsſchuld rechnet, im Allgemeinen die
Wohlhabenheit der Buͤrger aus deren Geſammtheit er be-
ſteht, beſtaͤndig abnimmt. Zwar nicht ſo daß nicht auf
Zeiten außerordentlicher Calamitaͤten Zeitraͤume lebhaf-
ter Erholung folgten: aber unter allen dieſen Schwankun-
gen wird im Ganzen, bis voͤllig zerſtoͤrende Schickſale ſein
altes Daſeyn endigen, die Zahl der wohlhabenden Fami-
lien abnehmen: denn dieſe muß nach einem ganz andern
Maaßſtab geſchaͤtzt werden als der Nationalreichthum,
und dieſer Maaßſtab iſt kein andrer als der Beſitz eines
unverſchuldeten ſichern Eigenthums fuͤr die groͤßte moͤg-
liche Zahl der Buͤrger, und eines fuͤr das wahre Beduͤrf-
niß reichlich genuͤgenden Einkommens; daher die Wohl-
habenheit nothwendig von frugalen Sitten abhaͤngt.
Nimmt die Zahl der auf dieſe Weiſe Wohlhabenden ab:
vermindert ſich die der Eigenthuͤmer, wird ihr Beſitz von
Schulden verſchlungen 54), waͤchſt die Zahl der Armen
[396] deren Verſorgung von Fremden abhaͤngt, ſo iſt ein ſolches
Volk am Wohlſtand geſunken, wenn auch der Reich-
thum ungeheuer ſtieg, wenn auch die Mittel zu vielfache-
rem Genuß bey allen Klaſſen die nicht verarmt ſind zunah-
men. Entwickelt ſich dieſe Krankheit ſo tritt zuletzt ein
Zuſtand ein in dem jede mittlere Wohlhabenheit verſchwin-
det, und wo denn zuletzt der Abgrund allgemeines Elends
auch die Reichen verſchlingt welche ſich lange ſorgenlos
und gefuͤhllos uͤber ihm ſonnten.
Aus dieſer Erwaͤgung, und in der taͤuſchenden Hoff-
nung gegen die ſich auch verſtaͤndige Leute oft nicht feſt
machen koͤnnen, ein verlohrner gluͤcklicher Zuſtand laſſe
ſich gewaltſam zuruͤckfuͤhren, fand die Tilgung der Schul-
den, wodurch jeder in dem Beſitz ſeines Erbes hergeſtellt
ward, ſelbſt unter den Wohlwollendſten des Alterthums
manche uneigennuͤtzige Freunde. Aus dieſem Geſichts-
punkte war die Veraͤußerung des urſpruͤnglichen Erbes in
vielen alten Staaten verboten, und das moſaiſche Recht
ſtellte eine Verpfaͤndung auf wodurch dieſer Zweck erreicht,
und zu beſtimmten Perioden eine verjuͤngte Nation von
Eigenthuͤmern hergeſtellt ward. Dieſes war, in ſeinem
rechten Sinn gefaßt, wahrlich eine der herrlichſten Eigen-
thuͤmlichkeiten dieſer tiefſinnigen Geſetzgebung: aber die
Willkuͤhrlichkeit womit die Machthaber des alten Abend-
lands verfuhren, verdient, als eine unverantwortliche
Beraubung, den ganzen Unwillen worin Cicero gegen ſie
ausbricht. Auch war ſie gewoͤhnlich das Mittel wodurch
Tyrannen ihre Herrſchaft gruͤndeten. Ihr aͤhnlich in den
Folgen, und in der Boͤsartigkeit ſeines Weſens iſt ein
[397] herabgewuͤrdigtes Papiergeld, und keines kann der Her-
abwuͤrdigung entgehen, wenn nicht der Staat welcher es
gebraucht eine unerſchoͤpfliche Fuͤlle von Macht, Kraft
und Reichthum, geſchuͤtzt durch jeden Vortheil der aͤußern
Lage, beſitzt. Die Tilgung alter Schulden, aber auch der
Ruin der alten Reichen wird dadurch ſehr leicht bewuͤrkt:
ein allgemeines Raͤuberverkehr tritt ein, weil aller Werth
unſicher wird, und jeder ſich ſo viel als moͤglich zu erbeu-
ten ſtrebt; und die Flecken werden durch mehrere Ge-
ſchlechter hindurch nicht aus dem Gewiſſen gewaſchen,
welche das Bewußtſeyn hinterlaͤßt, mit dem heuchleriſchen
Schein der Erfuͤllung des Rechts einen andern der uns
traute an ſeinem Eigenthum beraubt zu haben: endlich
aber loͤſt ſich alles in ein Elend auf, wodurch dieſe Geißel
ſchrecklicher wird als Krieg, Peſt oder irgend eine andre
Landplage.
Etwas ganz andres iſt die Anſicht daß unter beſtimm-
ten Umſtaͤnden das ſtrenge Recht des Glaͤubigers unbillig
und in der Ausuͤbung verderblich werden kann. Ein na-
tuͤrliches Gefuͤhl iſt der unbedingten Sicherheit des Zins-
herrn nicht guͤnſtig, wie es uͤberhaupt den nicht liebt der
in Unthaͤtigkeit die Fruͤchte der Anſtrengungen eines an-
dern genießt, wenn dieſem nichts davon uͤbrig bleibt,
wenn dieſer, trotz alles Fleißes, umkommen ſoll damit je-
ner muͤßig lebe. Dies Gefuͤhl erklaͤrt ſich fuͤr den ange-
ſtammten Beſitzer des Bodens, gegen den Zinsherrn wie
gegen den Lehnsherrn, und ſo forderte Luther daß alle
Darleihen als Geſellſchaftsvertraͤge angeſehen werden ſoll-
ten, wobey Vortheil und Verluſt gemeinſchaftlich traͤfen.
[398] Dieſe Anſicht bald enger bald weitlaͤuftiger gefaßt ſtand
vor den Augen vieler edeln Maͤnner des Alterthums die je-
des Zinsgewerbe verabſcheuten und die Schuldenlaſten mit
Gewalt anzugreifen ſich nicht fuͤrchteten. Aber ſie verga-
ßen daß die Entſcheidung der einzelnen Faͤlle ein uͤber-
menſchliches Werk ſeyn wuͤrde, und allgemeine Regeln in
ſolchen Faͤllen einen Mißbrauch und Ungerechtigkeiten ge-
baͤhren fuͤr die der Staat verantwortlich iſt, waͤhrend die
ſtrenge Anwendung des nackten Rechts nur unvermeid-
liche Unfaͤlle verurſacht die von keinem poſitiven Recht zu
trennen ſind, deſſen unbedingte Heiligkeit uns doch allein
gegen Despotismus ſchuͤtzt; ein Schutz fuͤr den kein
Opfer zu groß iſt.
Es ſcheint daß die Vermoͤgensſteuer zu Rom von dem
einmal geſchaͤtzten Vermoͤgen, und von dem ſteuerfaͤhigen
Eigenthum an liegenden Gruͤnden, auch dann entrichtet
ward wenn dieſes Eigenthum durch contrahirte Schulden
verſchlungen war. Das iſt bey jeder Grundſteuer unver-
meidlich, und das roͤmiſche Tributum hatte viel mehr von
dieſer als von einem Kapitalſchoß. Auch wuͤrden Abaͤn-
derungen die fortwaͤhrende Thaͤtigkeit einer beſtaͤndigen
Behoͤrde vorausgeſetzt haben, welche jaͤhrlich die An-
gabe der eingetretenen Veraͤnderungen angenommen haͤt-
te, und dadurch waͤren die periodiſchen Schaͤtzungen
der Cenſur uͤberfluͤſſig und zwecklos geworden. Vielmehr
ſcheint es nothwendige Folge derſelben geweſen zu ſeyn
daß die Steuerpflichtigkeit perſoͤnlich auch von veraͤußer-
ten ſteuerbaren Gegenſtaͤnden von einer Schaͤtzung zur an-
dern fuͤr den fortdauerte, welcher ſie bey der letzten in ſei-
[399] nem Eigenthum angegeben hatte. Folgte ſich nun die
Anfertigung neuer Kataſter in nicht entfernteren Zwiſchen-
raͤumen als, mit wenigen Ausnahmen verwirrter Zeiten,
ſeit der Errichtung der Cenſur, ſo war der unvermeidliche
Nachtheil leidlich; denn wenigſtens der Verkaͤufer konnte
ſich mit dem neuen Beſitzer uͤber ſeine Entſchaͤdigung ver-
einigen. Verzweifelnd aber ward der Druck fuͤr den Ver-
ſchuldeten wenn die Abfaſſung neuer Schaͤtzungen laͤn-
ger verzoͤgert ward, wie es in dieſem Zeitraum gewoͤhn-
lich zu geſchehen pflegte; ſo waren ehe dieſes Geſchaͤft
den Cenſoren, als einer eigenthuͤmlichen Magiſtratur,
uͤbertragen ward, ſiebzehn Jahre ohne neuen Cenſus
vergangen 57). Traf inzwiſchen eine große Calamitaͤt,
welche allgemeine Verarmung hervorbringt, wie durch
Porſenas Krieg, ſo ward der geſammte ſteuerpflichtige
Stand, durch dies harte Loos, Eigenthum welches er
nicht mehr beſaß verſteuern zu muͤſſen, in tiefes Elend
geſtuͤrzt.
Einen factiſchen Beweis dafuͤr daß der Verſchuldete
in der Zwiſchenzeit bis zu einem neuen Cenſus, der ihn
wenn ſein Grundeigenthum verlohren war aus ſeiner
Klaſſe, und, wenigſtens urſpruͤnglich, auch aus ſeiner
Tribus ausſtrich, vom Staat als Eigenthuͤmer nach der
letzten Angabe angeſehen ward, gewaͤhrt die Geſchichte
der Unruhen die vor dem erſten Aufſtand hergingen, in-
dem die Schuldner aus den Kerkern geloͤſt wurden
welche Dienſte nehmen wollten. Denn damals galt un-
ſtreitig Servius Klaſſeneintheilung, welche den Kriegs-
[400] dienſt durch das Vermoͤgen beſtimmte, und ſogar den
ausſchloß der nichts als eine ſehr geringe Habe eigen-
thuͤmlich beſaß.
Wie die zwoͤlf Tafeln in der buͤrgerlichen Geſetzge-
bung uͤberhaupt mehr das alte Recht verzeichneten als
neues feſtſtellten, iſt es wahrſcheinlich daß ihre Verord-
nungen uͤber das Schuldrecht aus derſelben Quelle ge-
floſſen ſind. Haben ſie geaͤndert, ſo laͤßt ſich Milde-
rung, nicht Schaͤrfung erwarten; aber bey der Dunkel-
heit die hieruͤber ewig herrſchen muß, iſt es paſſender
die Unterſuchung des alten Schuldrechts bis zur Dar-
ſtellung einer ſpaͤteren Zeit zu verſchieben. Das iſt außer
Zweifel daß der Schuldner, wenn er keine Zahlung lei-
ſtete zum koͤrperlichen Knechtsdienſt verfallen war. Dies
war auch altes attiſches Recht, welches Solon abſchaffte,
und ohne Zweifel allgemeines griechiſches: denn die rauh-
ſten Formen der attiſchen aͤlteſten Einrichtungen ſind
gewiß den roheren Staͤmmen gemeinſchaftlich geweſen,
und haben ſich bey ihnen erhalten als zu Athen mildere
herrſchend geworden waren. Es iſt das alte Recht von
ganz Aſien und des Nordens. Der Schuldherr war
ſicher auch ſchon damals berechtigt den ihm verfallnen
Schuldner in die Fremde zu verkaufen. Auch dieſes
war attiſches Recht vor Solon: jede Schuld begruͤndete
eine perſoͤnliche Verpfaͤndung des Leibes. Das Loos des
dienenden Schuldners war nicht beſſer als des Skla-
ven, er trug Ketten und ward von ſeinem Brodherrn
mit willkuͤhrlichen Zuͤchtigungen zum Frohndienſt an-
gehalten.
Bey
[401]
Bey den Geſchichtſchreibern erſcheint in dieſer Zeit
die Plebs gleichbedeutend mit der Armuth, und die Patri-
cier nicht nur als die Vertreter des Rechts der Glaͤu-
biger, ſondern als die alleinigen Glaͤubiger des Volks.
Beydes befremdet, weil die großen Maͤnner unter den
alten Patriciern oft in der bitterſten Armuth lebten,
und die reichen Familien der ſpaͤtern Zeit faſt alle ple-
bejiſch waren. Indeſſen wenn auch tugendhafte Genuͤg-
ſamkeit die Valerier und Quinctier in einer beduͤrfniß-
loſen Armuth erhielt, und große Plebejer durch ſie nicht
gehindert wurden, ſich auf die ihnen gebuͤhrende Hoͤhe
zu erheben, ſo waren doch die Patricier nie in Gefahr
den eigentlichen Druck der Noth zu empfinden: dage-
gen ſchuͤtzten ſie ihre Clientelen, welche durch die hei-
ligſten Pflichten verbunden waren ihren Beduͤrfniſſen
abzuhelfen und ihre Schulden zu bezahlen: auch konnten
ſie, bey ſteuerfreyem Landbeſitz, nicht leicht ganz verar-
men: die aus ihrem Stande welche ſich bereichern woll-
ten, konnten es ſchon durch das ausſchließliche Anrecht
welches ſie damals, ohne den Zehenten zu erlegen, auf
die Benutzung der Domainen ausuͤbten. Daß aber der
Reichthum welcher ſpaͤter auf ganz andern Wegen in
der Republik entſtand, ſich in andern Haͤnden ſammelte,
war was allenthalben geſchieht wo Geldgeſchaͤfte aufkom-
men, und einen weit ſchleuniger gewonnenen und ange-
haͤuften Reichthum gewaͤhren als der alte Landbeſitz.
Dennoch aber laͤßt es ſich unmoͤglich annehmen daß da-
mals alle Plebejer arm geweſen waͤren, ein Irrthum zu
dem Dionyſius durch den griechiſchen Sprachgebrauch
Erſter Theil. C c
[402] verfuͤhrt ward, denn in der hiſtoriſchen Zeit Griechen-
lands, als die Staͤnde faſt allein nach dem Cenſus un-
terſchieden wurden, waren Volk und Armuth allerdings
gleichbedeutend. Freylich gewaͤhren die ſpaͤrlichen Nach-
richten aus der Geſchichte des erſten halben Jahrhun-
derts der Republik keine namentliche Erwaͤhnung eines
ſehr reichen Plebejers, wie im folgenden des Sp. Maͤ-
lius. Aber die Centurienverfaſſung, deren unverruͤckte
Guͤltigkeit grade in dieſem Zeitraum am wenigſten be-
zweifelt werden kann, beweiſt bey den Plebejern die
groͤßte Verſchiedenheit des Vermoͤgens, und Reichthum:
denn es iſt ſchon bemerkt daß die Rittercenturien nach
der Geburt verzeichnet geweſen ſeyn muͤſſen, ſo daß die
fuͤnf Klaſſen nur Plebejer enthielten. Daher wurden
auch dieſe durch die Volkstribunen repraͤſentirt, anfaͤng-
lich jede durch einen einzigen, dann durch zwey 58).
Es laͤßt ſich auch nicht annehmen daß die Patricier al-
lein ihr Vermoͤgen auf Zinſen austhaten, oder daß ſie
allein die unerbittlichen Glaͤubiger waren. Reiche Ple-
bejer moͤgen den naͤmlichen Wucher getrieben haben;
aber das gewoͤhnlichere gilt auch hier als allgemein,
und da der Stand des Plebejers durch ſein ſteuerba-
res Vermoͤgen beſtimmt ward, Schuldforderungen aber
dazu nicht gerechnet wurden, ſo konnte nur der fuͤr Ehre
Gefuͤhlloſe eine Anwendung ſeines Capitals vorziehen
welche, wenn auch gewinnreich, ihn an buͤrgerlichem
Anſehen zuruͤckſetzte. Auch ſcheint es nicht zu bezwei-
feln, wenn die Erlaͤuterung der Clientel durch das at-
[403] tiſche Verhaͤltniß der Beyſaſſen gegruͤndet iſt, daß die Pa-
tricier davon Vortheil zogen, daß Kaufleute und Geld-
haͤndler unmittelbar von ihnen abhaͤngig waren, deren
Geſchaͤfte wahrſcheinlich den Nahmen des Patrons trugen.
Ganz gewiß waren damals die Gerichte ausſchießlich bey
den Patriciern: und ſchon dadurch mußte ein patriciſcher
Glaͤubiger weit furchtbarer ſeyn als ein plebejiſcher.
Alſo waren die Noth und das unmittelbare Beduͤrf-
niß der Menge allerdings ſehr verſchieden von den Klagen
und Forderungen der Haͤupter des Standes: jene wuͤrde
ſo gleichguͤltig fuͤr die Abſichten der letzten geweſen ſeyn,
als dieſe wohl ihr Elend als fremd angeſehen haben wuͤr-
den, wenn die Patricier es nicht verachtet haͤtten ſie zu
trennen. Aber ihre nicht unterſcheidende Abſonderung vom
geſammten Volk vereinigte ſeine verſchiedenſten Klaſſen;
und der angeſehenſte wie der geringſte Plebejer hatten eine
große gemeinſchaftliche Sache, ihre Freyheit und perſoͤn-
liche Sicherheit. Jener, den Conſuln naͤher ſtehend, war
hieruͤber in groͤßerer Gefahr als der unbekannte Gemeine:
er war gezwungen die Aeußerung von Gefuͤhlen zu unter-
druͤcken die bey dieſem kaum erwachen konnten; oder er
buͤßte fuͤr verwegne Ausbruͤche des Unwillens. Das Va-
leriſche Geſetz machte das geſammte Volk zum Richter
zwiſchen dem Conſul und dem einzelnen Plebejer; daß,
wer ſtrafſchuldig ſeyn mochte, ſein Urtheil von ſeinen Glei-
chen erhalte. Alſo beſtanden Verſammlungen der Tribus,
und, da man ſich dieſe unmoͤglich tumultuariſch zuſam-
menlaufend denken kann, ſondern nothwendig foͤrmlich
berufen, [und] unter regelmaͤßigem Vorſitz, ſicher aber
C c 2
[404] nicht des Conſuls, gehalten denken muß; ſo kann es keine
Neuerung geweſen ſeyn daß der gekraͤnkte Plebejer ſeit dem
Vertrag auf dem heiligen Berge den Schutz der Tribune
anrief. Die plebejiſchen Tribus hatten wohl, wie es von
den alten Staͤmmen bezeugt iſt, jeder einen Tribun zum
Vorſteher 59), und dieſe waren, wie die attiſchen Phy-
larchen, im Kriege ihre Oberſten. Daher wurden die
welche das Heer bey der erſten Auswanderung auf den hei-
ligen Berg fuͤhrten, die erſten Volkstribunen: daher der
Nahme. Aber ehe ihre Unverletzlichkeit beſchworen ward
mochte der ſchuͤtzende Tribun, welcher das Volksgericht
berufen wollte, oft den Zorn des ſtolzen Conſuls erfahren,
und der Schutz des Valeriſchen Geſetzes war eitel.
Wahrſcheinlich waren es ſchnoͤde Ungerechtigkei-
ten dieſer Art gegen ausgezeichnete Plebejer, welche
die Conſuln ſich erlaubten als der Tod des Koͤnigs zu
Rom bekannt geworden war, und wodurch das Volk
Anfuͤhrer erhielt die es zum Aufſtand fuͤhrten. Denn
die allgemeine Verſchuldung muß ſich ſchon lange
verbreitet gehabt haben, weil die Zahl der Schuld-
knechte ſo groß war: ſie war Folge des Ungluͤcks der Zeit
wodurch ſo viele ihr ganzes Eigenthum eingebuͤßt hatten.
Nicht lange nach jener Begebenheit erregte der An-
blick eines als Knecht gefeſſelten Schuldners der, mit
Lumpen bedeckt, abgezehrt, und blutig mißhandelt, aus
ſeinem Kerker entſprungen war, und den Schutz des
Volks anrief, einen Aufſtand um die Schuldknechte zu
[405] befreyen 60). Wer in der allgemeinen Rechtsfrage dem
Glaͤubiger guͤnſtig geurtheilt haben wuͤrde, fuͤhlte daß ein
freventlicher Mißbrauch das Recht getilgt hatte. Die ge-
fuͤhlloſe Partheylichkeit der Patricier riß die Erbitterung
uͤber alle Graͤnzen hin. Menſchlichkeit und Wohlwollen
bey der Regierung haͤtte eine Empoͤrung leicht gehindert
und die aufgeregten Gemuͤther beſaͤnftigt: aber der Se-
nat verhaͤrtete ſich und trotzte dem Gefuͤhl. Alle Plebejer
mußten empfinden daß man ſie als Geſindel betrachte,
und dieſes Gefuͤhl hat alle Ariſtokratieen zerſtoͤrt, die,
wenn ſie als liebende Vaͤter geboten, wenn ſie als weiſe
Vaͤter den herangewachſenen Kindern die Rechte bewilligt
haͤtten, die ſich nur der Unmuͤndigkeit verſagen laſſen, den
Segen eines verehrten und geliebten Alters haͤtten ge-
nießen koͤnnen.
Jeder Sommer brachte damals einen Streifzug, ent-
weder der Roͤmer uͤber ihre Graͤnze, oder ihrer Nachbaren
in das roͤmiſche Gebiet. Jedesmal ward das Heer neu
gebildet: es ward bey der Heimkehr entlaſſen. Diesmal
weigerte ſich das Volk die Waffen zu nehmen. Zwang
war unmoͤglich, und der Staat ſchien aufgeloͤſt: der Er-
folg der ſanften Maasregeln des Conſuls P. Servilius
zeigte wie viel lieber das Volk, wenn es nur nicht zuruͤck-
geſtoßen ward, zum Gehorſam zuruͤckkehrte als ſich von
[406] gehaͤſſigen Leidenſchaften zu verwegnen Gewaltthaͤtigkeiten
hinreißen ließ. Der Conſul verordnete, daß jeder der
wegen Schulden als Knecht diente, ſich unbehindert zum
Kriegsdienſt melden koͤnne; daß die Familien der Solda-
daten ſo lange ſie im Felde ſtuͤnden im ungeſtoͤrten Beſitz
ihres Eigenthums gelaſſen werden ſollten. Alle gefeſſelte
Buͤrger deren Kraͤfte es erlaubten benutzten dies Edict,
ein zahlreiches Heer verſammelte ſich, und Servilius, in
wenigen Tagen Sieger der Volsker, Sabiner und Aurun-
ker, kehrte ruhmvoll aus dem Felde zuruͤck. Aber die
Hoffnungen des Volks wurden grauſam getaͤuſcht. Ap-
pius Claudius war der andre Conſul, jener maͤchtige Sa-
biner, auf den die Geſchichtsſchreiber den Geſchlechtscha-
rakter der Claudier, wie ihre Nobilitaͤt, zuruͤckfuͤhren.
Die Erhaltung hiſtoriſcher Sagen uͤber die Geſinnungen
der Senatoren jener alten Zeit iſt freylich nicht unmoͤglich:
wahrſcheinlicher aber iſt es daß die Claudier ſelbſt, ſtolz
auf ihre Ariſtokratie wie die Valerier auf ihre Volksliebe,
ihren Ahnherrn mit den Zuͤgen geſchildert haben welche ſie
ſelbſt als angeſtammter Charakter auszeichneten. Ihr
Geſchlecht hat, wenn auch mehrere ausgezeichnete, doch
keinen einzigen großen Mann hervorgebracht: durch trot-
zenden Hochmuth, Verachtung der Geſetze und der Frey-
heit, und eiſerne Gefuͤhlle ſigkeit war es ſich in allen Zeit-
altern gleich: alle waren gebohrne Tyrannen, zuweilen
niedrige Demagogen. Es war derſelbe Geiſt der Tyran-
ney welcher Tiberius kraͤftigen Verſtand und Caligulas
Raſerey zum Verderben Roms wandte: ſie ſind nicht haſ-
ſenswuͤrdiger als die aͤlteren Claudier. Appius ließ die
[407] aus dem Kriege heimgekommenen Schuldner in ihre
Kerker zuruͤckfuͤhren, und ſprach ohne Schonung Recht
uͤber alle eingeklagte Forderungen. Aber die Urtheils-
ſpruͤche konnten nicht vollzogen werden, denn das Volk
war in offenem Aufſtand: es ſchuͤtzte jeden Verurtheil-
ten: und Glaͤubiger welche die verhaßten Urtheile er-
halten hatten, retteten ſich kaum vor ſeiner Wuth. So
verging das Jahr 61). Die Conſuln des folgenden
Jahrs, A. Virginius und T. Vetuſius fanden es un-
moͤglich als die Kriegszeit eintrat ein Heer zu verſam-
meln. Das Volk, ſein Verfahren in naͤchtlichen Ver-
ſammlungen in den ausſchließend von ihm bewohnten
Quartieren, auf dem Aventinus und Esquilinus, ver-
abredend, verweigerte unerbittlich den Gehorſam, und
die Feindſeligkeit des Senats hatte die anfaͤnglichen An-
ſpruͤche auf menſchliche Nachſicht und Schonung bis zur
Forderung einer Tilgung der Schulden getrieben. Die
Empoͤrung war ſo gewaltig daß die Sanfteren unter
den Patriciern empfahlen den Frieden ſelbſt um dieſen
Preis zu erkaufen: andere hofften, das Volk werde ſich
beſaͤnftigen wenn denen die Freyheit und ihr Eigenthum
[408] wieder gegeben werde welche im verfloſſenen Jahr um
dieſen Preis in den Krieg gezogen waren. Appius drang
auf Strenge: es ſey dem Volk noch zu wohl, man muͤſſe
ihm den Uebermuth brechen, und dies koͤnne nur ein
Dictator. Die Mehrheit entſchied fuͤr ſeinen Antrag:
aber ihre Wahl verwandelte in ein Mittel der Verſoͤh-
nung, was nach Appius Sinn alles an alles wagen
ſollte. Die Conſuln, welche vergebens Milde empfohlen
hatten, und die Gemaͤßigten entſchieden ſie fuͤr Manius
Valerius, Publicolas uͤberlebenden Bruder 62). Die-
ſer bewog das Volk unter ſeine Fahnen zu treten, nicht
durch das Schrecken ſeiner Macht, ſondern durch ein
Edict deſſelben Inhalts wie es der Conſul des vorigen
Jahrs erlaſſen hatte. Einem Valerius vertraute das
Volk daß die Macht der Dictatur die Erfuͤllung erreg-
ter Hoffnungen zuſichere. Drey zahlreiche Heere, zehn
Legionen, wurden gebildet, und gegen die Sabiner, die
Aequer und die Volsker geſandt. Das Volk ſtrebte die
Treue des Dictators zu verdienen, und der Sieg ent-
ſchied ſich allenthalben fuͤr Rom: ſchneller und glaͤnzen-
der als es der Senat wuͤnſchte, den es gereute die Re-
publik einer Macht unterworfen zu haben, welche an-
ſtatt das Volk zu unterdruͤcken, ſeine Forderungen zu
Geſetzen zu erheben drohte. Der Dictator forderte die
[409] Befreyung der Schuldknechte welche zu ſeinen Fahnen
geſchworen hatten: dies ward verweigert. Er legte ſeine
Wuͤrde nieder: eine groͤßere Treue haͤtte ihn uͤber die
Graͤnze ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit gefuͤhrt, und die Zeit
war gekommen wo es nicht mehr der Aufopferung der
Gefuͤhle eines einzelnen Mannes bedurfte damit voll-
bracht werde was ſich unaufhaltſam vorbereitete. Auch
das Volk empfand dieſes, und begleitete ihn, dankbar
als ob er ſein Wort erfuͤllt haͤtte, vom Forum nach ſei-
nem Hauſe.
Inzwiſchen hatte der Senat die Truppen unter dem
Vorwand neuer Feindſeligkeiten außerhalb der Stadt
gehalten, und die Conſuln welche zweyen der Heere vor-
geſtanden hatten, uͤbernahmen jetzt nach der Entſagung
des Dictators aufs neue den Oberbefehl. Aber ſeine
ſtille Handlung hatte dem Volk nur zu viel geſagt. Es
ſcheint daß die Armee ihr Gewiſſen dadurch erleichtert
fuͤhlte daß der Fahneneid dem Dictator und nicht den
Conſuln geleiſtet war 63). Einmuͤthig brach das Heer
auf, unter dem Befehl eines Tribuns Sicinius, ging
uͤber den Anio, und nahm ein verſchanztes Lager auf
dem heiligen Berge, drey Millien von Rom, in der
[410] Cruſtuminiſchen Feldmark 64). Die Conſuln kehrten
mit den Patriciern, verlaſſen aber ungekraͤnkt, nach
Rom zuruͤck.
Innere Widerſpruͤche und Unmoͤglichkeiten verra-
then das Maͤhrchenhafte vieler Begebenheiten in der aͤl-
teſten roͤmiſchen Geſchichte; von dieſen iſt der erſte
Volksaufſtand frey, wie ihn Livius umſtaͤndlich, und
noch weit ausfuͤhrlicher Dionyſius erzaͤhlt; denn man
kann es nicht einmahl ganz unmoͤglich nennen daß ſich
ein Andenken der verſchiedenen Meinungen, welche den
Senat theilten, und ihrer Urheber, erhalten haͤtte; wenn
gleich zuverlaͤſſig nicht in den Annalen. Genuͤgte alſo der
Geſchichte, wie dem Roman, dieſer innere Zuſammen-
hang, ſo wuͤrden wir glauben im Beſitz hiſtoriſcher Nach-
richten zu ſeyn: aber daß er fuͤr dieſe Zeiten nicht genuͤgt,
ſondern nur einen verſtaͤndigen Sinn bey dem Annaliſten
beweiſt welcher die jetzt geltende Erzaͤhlung ausbildete,
erhellt aus dem unvereinbaren Widerſpruch andrer Sa-
gen, von denen ſich einige Ueberreſte erhalten haben.
Nach dieſen iſt es nicht zu bezweifeln, daß nur der Auf-
ſtand, und der Vertrag wodurch die tribuniciſche Gewalt
errichtet ward, fuͤr hiſtoriſch gelten koͤnnen: und gaͤnzlich
abweichende Erzaͤhlungen uͤber die Begebenheiten, welche
zu dieſer Entſcheidung fuͤhrten, fuͤr die Nachwelt ununter-
ſcheidbare Anſpruͤche auf Glauben hatten. Cicero, der
[411] allenthalben in dieſen alten Zeiten ganz andern Annalen
folgte als Livius, nennt Marcus, welcher nach unſrer
Geſchichte in der Schlacht am Regillus gefallen ſeyn ſoll,
und nicht Manius Valerius, Dictator waͤhrend dieſer Un-
ruhen. Dies, wenn es auch nicht Fehler der Handſchrift
ſeyn ſollte iſt unbedeutend: aber er redet, als von einer
unzweifelhaften Thatſache, von des Dictators Unterhand-
lungen mit dem Volk waͤhrend der Auswanderung, welche
zu jenem Grundvertrage gefuͤhrt haͤtten 65): und zu der-
ſelben Sage gehoͤrt eine Meldung bey Livius an einem von
der Geſchichte dieſer Zeiten weit entfernten Ort, von einem
Dictator der einſt bey einer Auswandrung des Volks den
Nagel auf dem Capitol eingeſchlagen habe 66). Denn
bey der zweyten Auswandrung hat niemand der Dictatur
gedacht, und damals konnte auch kein Dictator ernannt
werden. Sogar uͤber die Zahl und Nahmen der erſten er-
waͤhlten Volkstribunen herrſchte die groͤßte Verſchiedenheit.
Selbſt daruͤber waren nicht alle Annalen einig daß das Volk
ſich auf dem heiligen Berge friedlich niedergelaſſen, und
durch Schreckniß ohne Gewalt ſeinen Zweck erreicht habe.
Eine andre Erzaͤhlung fuͤr die Livius den Annaliſten Piſo
anfuͤhrt, nannte den Aventinus als den Ort den das
[412] Volk bewaffnet einnahm; und dieſer muß Cicero geglaubt
haben, welcher ſagt, das Tribunat ſey im Buͤrgerkrieg
entſtanden, waͤhrend die feſten Gegenden der Stadt mit
den Waffen beſetzt und belagert geweſen waͤren 67). Doch
muß er ſie mit der andern vereinigt haben, weil er dieſer
an der andern ſchon angefuͤhrten Stelle folgt. Was
glaublicher iſt laͤßt ſich nicht entſcheiden; weit ausgebrei-
teter war aber gewiß die Sage von der friedlichen Aus-
wandrung auf den heiligen Berg. Auf dieſem ſcheint das
Volk mehrere Monate gelagert geweſen zu ſeyn. Aus-
wanderer aus der Stadt verſtaͤrkten ſeine Zahl. Uns
daͤucht es unbegreiflich wie eine Stadt bey einer ſolchen
Auswandrung ſich erhalten konnte, und freylich erſcheint
die Friedensliebe der Nachbarn Roms unter ſolchen Um-
ſtaͤnden in einem ſehr guͤnſtigen Licht. Nicht weniger un-
begreiflich aber ſcheint es, wie bey einer allgemeinen Aus-
wandrung des Volks, wenn die Patricier auf ihre eigne
Zahl eingeſchraͤnkt waren, von Unterhandlungen die Rede
ſeyn konnte, und das Volk ſich mit ſehr beſcheidnen
Bewilligungen beruhigte.
Doch ſo oͤde war Rom nicht wie eine Stadt un-
ſrer Zeit welche von allen verlaſſen wuͤrde die nicht zu
den hoͤheren Staͤnden gehoͤren. Zwar die Sklaven der
Patricier und der Ausgewanderten waren gefaͤhrliche
Mitbewohner; die Patricier ſelbſt, wie zahlreich wir
uns auch ihre Geſchlechter denken moͤgen, ein kleines
Volk in den weitlaͤuftigen Mauern; aber ihre Clienten,
deren Sache ganz verſchieden war von der des Volks,
[413] waren eine große Zahl 68); ſo daß ein eigentlicher Buͤr-
gerkrieg gar nicht undenkbar geweſen waͤre. Lange ſchien
man gegenſeitig mit unermuͤdlicher Hartnaͤckigkeit auf
dieſe aͤußerſte Entſcheidung gefaßt, welche Rom wahr-
ſcheinlich vernichtet haben wuͤrde. Keine Gewaltthaͤtig-
keit des Volks entzuͤndete den Ausbruch: dieſe Schaar,
empoͤrt gegen ihre Regierung, ohne Anfuͤhrer, ohne Le-
bensmittel, begnuͤgte ſich vom Lande ſo viel zu nehmen
als ſie gegen den Hunger bedurfte. Aber ihre Macht
wuchs taͤglich, ihre Stimmung ward gefaͤhrlicher: wahr-
ſcheinlich drohten auch Gefahren von den erwachenden
Nachbarvoͤlkern, und der ſtolze Senat, der vor wenigen
Monaten jede Empoͤrung hindern gekonnt haͤtte, mußte
ſich entſchließen Abgeordnete an das Volk zu ſenden und
um Verſoͤhnung zu bitten. Dieſe gewaͤhrte das Volk gern
und freudig: unter den Conſuln des Jahrs 261, welche
ihr Amt im Sommer angetreten hatten, ward zwiſchen
beyden Staͤnden, Patriciern und Plebejern, — denn der
mehrdeutige Nahme Patres muß hier auf den Stand,
[414] nicht auf den Senat, oder doch nur in ſofern dieſer da-
mals vielleicht ganz aus Patriciern beſtand, und ihren
Stand repraͤſentirte, bezogen werden — ein feyerliches
Buͤndniß geſchloſſen. Livius ſchweigt von den Bedingun-
gen zum Vortheil der Schuldner: aber da hierin die Ur-
ſache des Aufſtands lag, ſo kann man nicht annehmen
daß es moͤglich war ihn zu daͤmpfen, ohne die urſpruͤng-
lichen Forderungen, wahrſcheinlich aber noch weit mehr
einzuraͤumen. Auch bezieht ſich Agrippas Fabel nicht auf
politiſche Verhaͤltniſſe des Standes, ſondern auf das der
Reichen zu den Armen. Wenigſtens alſo wurden alle
Schuldknechte freygegeben: vielleicht aber verdient ſogar
Dionyſius Erzaͤhlung Glauben, daß die Schulden allge-
mein getilgt wurden. Solche Dinge waren Livius, der
in den alten Tagen der Republik nur Tugend und Recht
ſucht, zu ſchmerzlich als daß er ſie nicht haͤtte verſchweigen
und verſchleyern ſollen. Indeſſen war was auch geſche-
hen ſeyn mag, nur voruͤbergehendes Ungluͤck. Aus der
Noth dieſer Zeit entſtand eine Einrichtung, die, eine
ſchwache Aehnlichkeit mit den ſpartaniſchen Ephoren aus-
genommen, Rom ganz eigenthuͤmlich, gefaͤhrlich nur wie
große Geiſtesgaben und Lebensfuͤlle, Rom zu der Hoͤhe
der Groͤße und innern Vortrefflichkeit erhob, wo es ſo
lange glaͤnzte, bis dieſe Herrlichkeit dadurch unterging
daß der gewaltige Staat aͤhnliche Mittel der Verjuͤngung
verſchmaͤhte.
Gerechte Geſetze hatten dem Plebejer das Gericht ſei-
ner Gemeinde zugeſagt, aber der Genuß dieſes Rechts
hing von dem Gewiſſen und dem Wohlwollen eines Stan-
[415] des ab, zu deſſen Geſinnungen das Volk nach entſcheiden-
den Erfahrungen nicht laͤnger mit unſchuldigem Vertrauen
hinaufblicken konnte. Jede verbotne Bedruͤckung machte
Widerſtand geſetzmaͤßig; aber der Widerſtand des einzel-
nen war ohnmaͤchtig, gewaltſamer Schutz der Mitbuͤrger
ſehr ungewiß, und, wenn die Verfaſſung auf ihn ver-
wies, zuletzt der gaͤnzliche Untergang des Staats. Wie
ſehr auch die ſpaͤteren Roͤmer den Nahmen der tribunici-
Gewalt haßten, als ſie, da alle Zwecke ihrer Errichtung er-
reicht, oder die Gegenſtaͤnde ihrer Thaͤtigkeit verſchwunden
waren, ſich gegen ihr eignes Werk zerſtoͤrend richtete, ſo
uͤberwand doch ein richtiger Sinn in der Beurtheilung der
Vergangenheit Ciceros Vorurtheile uͤber dieſen Gegen-
ſtand. Entweder, ſagt er, mußte die Monarchie nicht
abgeſchafft werden, oder man mußte dem Volk die Frey-
heit in der That nicht mit leeren Worten geben 69).
Patricier und Plebejer ſtanden neben einander, zwey
unter einer Regierung vereinigten Nationen aͤhnlicher als
zwey Staͤnden. Gleichgewicht beſtand in der That, ſo-
weit die Gemeinden der Centurien und der Curien, oder
jene und der Senat zuſammen, Geſetzgebung oder Wah-
len vollbrachten: aber außer dieſen ſeltnen Faͤllen war
Herrſchaft der Antheil der Patricier, Gehorſam das Loos
der Plebejer; und mit Ausnahme ſehr weniger Faͤlle
war es in der Macht des Senats die Verſammlung der
Centurien zu hindern, welche nur durch die Conſuln beru-
fen werden konnten, und von allen Foͤrmlichkeiten der Re-
ligion abhingen. Hatten nun die Plebejer, wenn auch
[416] noch keine Anſpruͤche auf Theilnahme an der Regierung,
wenigſtens darauf nicht, zu dem gezwungen werden zu koͤn-
nen worin ſie, als freyer, im Senat nicht repraͤſentirter
Stand, nicht eingewilligt hatten, ſo mußten ſie ſich abge-
ſondert und frey verſammeln koͤnnen: ihr Stand mußte
Vorſteher haben, deren ſtillſchweigende Genehmigung ihn
zum Gehorſam verpflichtete, und die, als Stellvertreter,
in ſeinem Nahmen Maasregeln welche verwerflich ſchie-
nen, widerſprechen, und ſie zur Entſcheidung der Ge-
meinde bringen konnten. Eingriffe in die Privilegien und
Rechte des Standes, oder Verletzung der perſoͤnlichen
Freyheit mußten ſie theils ſelbſt ahnden koͤnnen, theils be-
fugt ſeyn ſie vor das Gericht der Volksgemeinde zu zie-
hen, und den Plebejer der dieſes anrief gegen die Vollzie-
hung des eigenmaͤchtigen Urtheils der Obrigkeit ſchuͤtzen.
Der Senat beſchloß damals die Kriege: aber dieſe Be-
ſchluͤſſe verpflichteten das Volk nicht, wie ehemals der hin-
zutretende Wille des Koͤnigs. Daher konnte jeder Plebe-
jer und von nun an jeder Tribun rechtmaͤßig den Gehor-
ſam bey der Aushebung verweigern, bis in der Folge die
Kriegserklaͤrungen von der Volksgemeinde beſchloſſen
wurden.
Das Tribunat war, nach dem roͤmiſchen Staatsrecht,
keine Magiſtratur: denn die Magiſtraturen theilten die
hoͤchſte verwaltende Macht unter ſich; die Tribunen aber
waren die Repraͤſentanten des Volks im ſtrengſten Sinn,
und Repraͤſentanten koͤnnen nie verwalten: ſie koͤnnen nur
daruͤber wachen daß Geſetze und Rechte heilig gehalten
werden, und neue Geſetze feſtſtellen nach denen verwaltet
zu
[417] zu werden die Nation einwilligt. Nur jenes war der an-
faͤngliche Beruf der Volkstribunen. Daher konnten ſie
auch nicht in eine Mult verurtheilen, ſondern nur vor dem
Volk darauf antragen 70): daher konnten ſie die Volks-
verſammlung nur auffordern ſich zu trennen, nicht ſie ent-
laſſen 71). Sie waren die Sinne des Volks, wahrneh-
mend zogen ſie die ihnen vorkommenden Gegenſtaͤnde vor
ſeine Erwaͤgung und Entſcheidung, und bis dahin hemm-
ten ſie daß nichts unwiderrufliches geſchehe. Es war eine
ungluͤckliche Ausartung der einfachen und weiſen Einrich-
tung, eine Ausartung wie Roms Verfaſſung ihrer wenige
zaͤhlte, daß ſchon fruͤh dieſes hemmende Verbot, nicht al-
lein gegen die Verwaltung bis zur Entſcheidung des Volks
von irgend einem des Collegiums, ſondern unter einander
von den Tribunen ſo gebraucht werden konnte, daß die
Befragung der Volksgemeinde aufgehoben ward. Es fin-
den ſich hiſtoriſche Spuren uͤber die Veranlaſſung wie dieſe
Ausartung entſtand 72), und es iſt unlaͤugbar daß es eine
Liſt der Patricier war, klug berechnet fuͤr den Augenblick,
aber wie jede boͤſe Liſt wenn ihre Wirkung Zeit genug hat
ſich zu entwickeln, dem Urheber ſelbſt zuletzt verderblich.
Denn nun wurden die Tribunen eine perſoͤnliche Macht,
nicht mehr die Raͤthe des Volks, und es ſtand nicht laͤnger
in der Macht des gutgeſinnten die ruheſtoͤrenden Bewe-
Erſter Theil. D d
[418] gungen des meuteriſchen, durch ruhige Berufung an das
Volk niederzuſchlagen: an ein Volk von Eigenthuͤmern,
welches, wenn nicht außerordentliche Noth oder Mißregi-
ment druͤckte und reizte, da Freyheit ihm kein Gegenſtand
des Spiels war, ſich immer fuͤr die Regierung und fuͤr
den Gehorſam erklaͤren mußte.
Außer der augenblicklichen Hemmung des anſcheinen-
den Unrechts, die ſich natuͤrlich bis zur Einſage gegen das
Schaͤdlich ſcheinende ausdehnte, war es auch Berechti-
gung der Tribunen den Mißbrauch der Gewalt, oder ihre
zum oͤffentlichen Verderben ausgeſchlagene unfaͤhige An-
wendung gerichtlich vor das Volk zu bringen. Die Wuͤrde
ſchuͤtzte den der mit ihr bekleidet war, denn jede gegen
einen im Amt befindlichen Magiſtrat gerichtete Anklage
haͤtte die Verwaltung unterbrochen: der Nachtheil ſie et-
was laͤnger in den Haͤnden eines der Unwuͤrdigkeit Be-
ſchuldigten zu laſſen war geringer, als die Heiligkeit der
hoͤchſten Macht fuͤr das Ganze heilbringend; weil die Wuͤr-
den nur auf ein Jahr vergeben wurden. In ſehr außer-
ordentlichen Faͤllen wo Rettung das hoͤchſte Geſetz iſt noͤ-
thigte das Volk den Gegenſtand einer ungluͤcklichen Wahl,
ſein Amt niederzulegen, oder entſetzte rechtmaͤßig den Un-
wuͤrdigen, wenn er ſich hartnaͤckig weigerte. Der Senat
war unverantwortlich, weil im Allgemeinen die Tribunen
in einzelnen Faͤllen ſeine ſchaͤdlichen Beſchluͤſſe unwirkſam
machen konnten, und weil es die Republik der hoͤchſten
Gewalt beraubt haͤtte ohne die kein Staat beſtehen kann
wenn dieſe Verſammlung haͤtte vor Gericht gezogen wer-
den koͤnnen, welche mit Inbegriff der ewigen nur in den
[419] Perſonen wechſelnden Magiſtraturen, nebſt einem großen
Antheil an der geſetzgebenden Macht faſt alle Befugniſſe
beſaß die in einer beſchraͤnkten Monarchie zur Erhaltung
des Ganzen dem Fuͤrſten geſichert ſind. Denn ausgenom-
men den Moment der Geſetzgebung uͤber den die Verfaſ-
ſungen abweichen, muß jeder Staat aus einer hoͤchſten
Gewalt und gehorchenden Unterthanen beſtehen, er mag
nun in Hinſicht jener Monarchie oder Republik ſeyn.
Sind oder duͤnken die Buͤrger einer Republik ſich außer
jenen Momenten unabhaͤngig und nicht als Unterthanen
einer von der Natur und Nothwendigkeit nicht von ihrer
Willkuͤhr eingeſetzten Macht, ſo iſt es nicht mehr ein
Staat. Daruͤber haben ſich die Voͤlker des Alterthums
nie geirrt, denn die Ausartung welche Leidenſchaften und
Sittenverderbniß zu Athen und in andern griechiſchen De-
mokratieen hervorbrachten ging zur Tyranney noch mehr
als zur Anarchie: nur die revolutionnairen Politiker des
verfloſſenen Jahrhunderts konnten dieſen Wahnſinn durch
Mißbrauch ewiger und in einem reinen Sinn urſpruͤnglich
ausgeſprochener Wahrheiten hervorbringen. Ganz ſtumpf-
ſinnig fuͤr die Freyheit, deren Nahmen ſie der Zerſtoͤrung
und Tyranney gaben, verachteten und vernichteten ſie ihr
Weſen wie alle fuͤr ſie empfaͤngliche Voͤlker aller Zeiten es
gekannt hatten, die ſchuͤtzende Macht welche dem Miß-
brauch der hoͤchſten Gewalt entgegen ſtand, in tauſend ver-
ſchiednen Geſtalten gekleidet, wie ſie ſich aus urſpruͤngli-
chen Einrichtungen entwickelt oder an ſolche gebunden
hatte die ihr brauchbar waren; das was allein National-
repraͤſentation iſt und ſeyn kann, und unendlicher Formen
D d 2
[420] faͤhig iſt; das was in Rom das Tribunat in ſeinem ur-
ſpruͤnglichen Sinn war.
Einen aͤhnlichen Zweck als Rom hatte Sparta da es
ſich den Magiſtrat der Ephoren gab. Aber in Sparta war
die hoͤchſte Wuͤrde erblich und lebenswierig; und der Se-
nat vereinigte die Geſchaͤfte der meiſten Magiſtraturen de-
ren Ausuͤbung zu Rom nur auf ein Jahr verliehen ward.
Auch ward das Volk ſehr ſelten verſammelt, und die Ari-
ſtokratie raͤumte ihm wenige Entſcheidungen ein. Daher
kam es daß die Ephoren die Wuͤrde und das Anſehen der
hoͤchſten Macht vernichten mußten; denn der Schuldige
war immer in ihren Mantel gehuͤllt: daher waren die
Ephoren nicht die Organe, nicht Repraͤſentanten des
Volks im roͤmiſchen Sinn; denn die Ariſtokratie duldete
eher ihre gewaltſamen Entſcheidungen als rechtmaͤßige Ur-
theilsſpruͤche des Volks; ſo daß ſie in dem Sinn ſeine
Stellvertreter waren wie die Politiker des achtzehnten
Jahrhunderts es forderten: Erwaͤhlte, welche gegen die
hoͤchſte Gewalt und gegen ihre Waͤhler, als ob ihnen eine
dem Volk vermeintlich beywohnende tyranniſche Macht
ohne Graͤnzen uͤbertragen waͤre, willkuͤhrlich verfuhren:
daher wurden die Ephoren eine Magiſtratur die ſich uͤber
alle andre erhob, und ſogar das Tribunal welches uͤber
ſeine eignen Anklagen richtete; und durch ſie ward Spar-
tas Verfaſſung die tyranniſcheſte die leicht irgend ein Volk
ertragen hat. Die Gleichheit aller Plebejer in der roͤmiſchen
Volksgemeinde machte dieſe freylich demokratiſch: nie aber,
ſo lange ſich der Geiſt der urſpruͤnglichen Verfaſſung erhielt,
haben ſich in ihr die Fehler gezeigt welche von dieſer poli-
[421] tiſchen Form unter den Griechen unzertrennlich ſchienen.
Sehr viel entſcheidet dabey unlaͤugbar der angeſtammte
Nationalcharakter, der einzelne Nationen durchaus unfaͤ-
hig macht buͤrgerliche Freyheit uͤber eine gewiſſe Graͤnze zu
faſſen, welche andre ohne Gefahr uͤberſchreiten koͤnnen.
Die Griechen konnten eine feſtbeſtimmte ererbte Verfaſ-
ſung und unverruͤckbare Geſetze nicht ertragen: es war
ihnen Beduͤrfniß in einem leidenſchaftlichen politiſchen
Zuſtande zu leben. Wie groß auch der Nachtheil und der
Mißbrauch dieſer Sinnesart war, ſo iſt es doch wohl
außer Zweifel daß, bey groͤßerer Geſetzlichkeit und Einen-
gung, der griechiſche Geiſt ſich ungleich weniger lebendig
und reich gezeigt haben wuͤrde. Fuͤr die Roͤmer welche ge-
nuͤgſam in den Geſchaͤften und Gedanken buͤrgerliches und
haͤusliches Berufs lebten, war Geſetzlichkeit Beduͤrfniß,
eben aus der Urſache die ſie von den Kuͤnſten der Rede und
Darſtellung entfernt hielt. Ein kaltes Volk, wenn es de-
mokratiſch ausartet, ſinkt weit tiefer als ein lebendiges
und leidenſchaftliches: es raubt und wuͤthet, und verdirbt
ohne Ruͤckkehr, waͤhrend dieſes aus ſeinem Taumel erwa-
chen und mit gleicher Leidenſchaft einen edeln Gegenſtand
ergreifen kann. Das roͤmiſche Volk enthielt, wenigſtens
in den guten alten Tagen, nur Landeigenthuͤmer: und es
iſt ſchon bemerkt daß, nach der urſpruͤnglichen Geſetzge-
bung, das Stimmrecht nothwendig an Anſaͤſſigkeit mit
Eigenthum gebunden geweſen ſeyn muß. Allerdings war
der Antheil des wenig Beguͤterten an der Souverainetaͤt
ungleich groͤßer in den Tribus als in den Centurien; aber
das iſt eine verlaͤumderiſche Vorſtellung daß in ihnen der
[422] Poͤbel geherrſcht habe: er war ausgeſchloſſen. Dann ent-
fernte das auch das Unweſen andrer demokratiſcher Ver-
ſammlungen daß waͤhrend in den attiſchen jeder Buͤrger
der es begehrte das Wort nehmen konnte, in den roͤmi-
ſchen nur die Vorſitzer zum Volk reden durften: in den
Verſammlungen der Tribus die Tribunen und Senatoren,
welche durch dieſes Recht des Vortrags Vortheile beſaßen,
die ohne Vergleich bedeutender waren als das Stimmrecht
welches ſie entbehrten. Einzelne aus der Volksgemeinde
erhielten nur in ſeltenen Faͤllen, als Verguͤnſtigung, die
Erlaubniß das Volk anzureden 73). Daher, und weil
die Rede keine Macht hatte, konnten ſich eigentliche De-
magogen im alten Rom nie erheben: und daher erhielt ſich
die beyſpielloſe Ruhe und Geſetzlichkeit, von denen das
Volk nie, auch nicht als Wiedervergeltung gegen die Pa-
tricier, abgewichen iſt.
Willkuͤhren verfaßt nothwendig jede Gemeinde fuͤr
ſich; mehr aber als ſolche beſchraͤnkt geltende Verfuͤgun-
gen waren urſpruͤnglich die Plebiſcite gewiß nicht. Sulla,
deſſen ganze Geſetzgebung auf die formale Herſtellung der
veralteten Conſtitution gerichtet war, fuͤhrte auch hier die
Verfaſſung nur zu der aͤlteſten Form zuruͤck indem er den
Tribunen das Recht nahm Geſetze in der Volksverſammlung
vorzutragen. Waͤhrend dreyßig Jahren welche auf die
Revolution von 261 folgten, wird der Tribusgemeinde
nur als einer richtenden Gewalt gedacht; nirgends findet
ſich eine Spur von Anſpruͤchen auf Geſetzgebung. Kein
Tribun legt ihr ein agrariſches Geſetz vor: alle Bewegun-
[423] gen in dieſem Sinn, die doch die Seele aller tribunici-
ſchen Thaͤtigkeit waren, beſchraͤnken ſich auf Hemmungen
der Verwaltung, wodurch die Volksparthey den Senat
zu zwingen ſuchte, ein in der alten verfaſſungsmaͤßigen
Form beſchloſſenes Ackergeſetz auszufuͤhren, deſſen Vor-
theile dem Volk treulos entzogen wurden. Die erſte Er-
waͤhnung eines tribuniciſchen Geſetzvorſchlags geſchieht im
Jahr 292, als der Tribun C. Terentillus den Antrag
machte die Geſetze durch beyde Staͤnde gemeinſchaftlich
unterſuchen und nach den Umſtaͤnden abaͤndern zu laſſen.
Auch dieſes koͤnnte eben ſo wohl eine durch Nothwen-
digkeit gebotne Forderung eines Standes an den an-
dern, als eine geſetzmaͤßige Initiative ſcheinen, wenn die
Patricier weniger heftig bemuͤht geweſen waͤren die Faſ-
ſung des Volksbeſchluſſes zu hindern; der alſo, einmal
feſtgeſtellt den Senat oder die Patricier in die Nothwen-
digkeit geſetzt haben muß ſich durch ausdruͤckliche An-
nahme oder Verwerfung zu erklaͤren, und, im letzten Fall,
einen Volksaufſtand zu wagen. Noch aber, ſcheint es,
war, wenn auch der Senat in einen Volksbeſchluß einge-
willigt hatte, foͤrmliche Annahme des Geſetzes durch die
Centurien nothwendig; ſo daß ein Plebiſcit an ſich nur
als eine Vorſtellung an die hoͤchſte Regierung galt. Die-
ſes war der Gang bey der Annahme des Iciliſchen Geſetzes
wegen des Aventinus 74). Inzwiſchen muß das Publi-
liſche Geſetz (I. 283) den Comitien der Tribus eine we-
ſentliche Erweiterung ihrer Befugniſſe gewaͤhrt haben,
weil der Anfang plebejiſcher Geſetzgebung, aus deſſen un-
[424] vollkommner Geſtalt die ganze Vollendung der Verfaſſung
ſich entwickelte, erſt nach jenem Geſetz anhebt. Es ſcheint
unmoͤglich, daß es nur die Form der Wahlen gegolten
haben ſollte: erklaͤrten aber die Comitien der Trions da-
durch einen weiteren Umfang ihrer Macht, ſo iſt die un-
maͤßige Heftigkeit ganz natuͤrlich womit die Patricier den
Volksbeſchluß zu vereiteln ſuchten, und ſeine Anerkennung
verweigerten. Es war das Verhaͤltniß Karls des erſten
zum Unterhauſe bey der Bittſchrift der Rechte. Die
eigentliche Allgemeinguͤltigkeit der Plebiſcite begann erſt
nach dem Umſturz der Decemviralregierung: nach wel-
chen Rechtsgrundſaͤtzen ſie darauf Anſpruͤche machen konn-
ten, und wie damals das Verhaͤltniß zwiſchen Senat und
Volk ſich beſtimmte, gehoͤrt fuͤr die Geſchichte je-
ner Zeit.
Wahrſcheinlich hatte das Volk ſich zwey Anfuͤhrer er-
waͤhlt, und erkannte dieſe als ſeine erſten Tribunen, un-
ter deren Vorſitz die Wahl gehalten ward welche ihre Zahl
auf fuͤnf brachte 75). Denn Piſos Autoritaͤt iſt mitnich-
ten wichtig genug daß man ihr, gegen das allgemeine
Zeugniß glauben muͤßte dieſe Zahl ſey erſt durch das
Publiliſche Geſetz beſtimmt geworden, und bis zum Jahr
283 haͤtte das Volk nur zwey Tribunen alljaͤhrlich er-
waͤhlt 76). Vielmehr entſpricht dieſe Zahl, wie es von
der verdoppelten ausdruͤcklich anerkannt wird 77), den
fuͤnf Klaſſen, welche urſpruͤnglich plebejiſch waren.
[425]
Daher iſt es auch ſehr wahrſcheinlich daß zuerſt die
Klaſſen, jede den ſie vertretenden Tribun, oder die ſaͤmmt-
lichen Centurien alle erwaͤhlten, und das Publiliſche Ge-
ſetz die Wahlen auf die Tribus uͤbertrug. Hundert Jahre
nach Servius Tullius Geſetzgebung konnten die Clienten
der Patricier ſteuerbares Eigenthum genug beſitzen um in
dieſen Verſammlungen zu entſcheiden, waͤhrend ſie von
denen der Tribus ausgeſchloſſen waren. Das iſt aber ganz
unglaublich, und Livius unterſtuͤtzt des Griechen widerſin-
nigen Bericht nicht, daß die Tribunen bis dahin durch
die Curien erwaͤhlt geworden waͤren 78): Verſamm-
lungen in denen hoͤchſtens die plebejiſchen Ritter der zwey-
ten Staͤmme erſcheinen konnten. Das Volk war jetzt als
eine Gemeinde anerkannt, und in dieſer Eigenſchaft be-
durſte es, außer ſeinen Repraͤſentanten, auch eigenthuͤm-
liche Obrigkeiten. Dieſes waren die Aedilen, deren Ein-
ſetzung wenigſtens nicht juͤnger als die der Tribunen gewe-
ſen iſt, mit deren Wuͤrde, nach unſern Annalen, ihr Amt
gleichzeitig begonnen haben ſoll. Die Gegenſtaͤnde deſſel-
ben ſind in der alten Zeit ſehr ungewiß: daß ſie Polizey
uͤbten, iſt nicht zu bezweifeln; aber im Geiſt der alten Ver-
faſſung konnte ihre Gewalt ſich nur auf ihren eignen
Stand erſtrecken. Unter ihrer unmittelbaren Aufſicht
ſtand der Cerestempel, wo ſie nachher das Archiv der Se-
natsbeſchluͤſſe bewahrten 79). Daher ſcheint der Nahme
ihres Amts entſtanden zu ſeyn. Die Goͤttin des Acker-
baues war die naͤchſte Beſchuͤtzerin des Standes der
[426] freyen Landeigenthuͤmer. Daher wurden die welche ſich
an den Volksmagiſtraten vergingen zum Vortheil dieſes
Tempels verkauft, und hier empfingen die Armen, noth-
wendig unter der Verwaltung der Volksaͤdilen, Brod-
ſpenden 80). Zu ſolchen Ausgaben muß der Ertrag der
Geldſtrafen verwandt ſeyn, welche das Volk, nicht die
geſammte Nation auflegte, zum Theil auf Anklage der
Aedilen; und kein andrer als ſie kann die Caſſe der ple-
bejiſchen Gemeinde verwahrt und verwaltet haben.
Der Vertrag zwiſchen Patriciern 81) und Volk ward
wie ein Friedensbuͤndniß heilig uͤber einem Opfer beſchwo-
ren. Das Recht der Tribunen ihre Standesgenoſſen mit
Gewalt gegen die Conſuln zu ſchuͤtzen 82), ward aus-
druͤcklich anerkannt; und wer einen aus ihrem Collegium
verletzte, oder in ſeiner Gewalt ſtoͤrte und kraͤnkte, ward
Jupiter geweiht: das heißt geaͤchtet, daß ihn wenn er der
Strafe entwich jeder ungeahndet toͤdten konnte: ſeine Kin-
der und ſeine Habe ſollten verkauft, und das geloͤſete Geld
der Ceres geweiht werden. Durch dieſen Eid verpflich-
teten die Schwoͤrenden ſich und ihre Nachkommen auf
ewig 83). Aber dieſer Eid ward von den Patriciern
auch nur als ein erzwungener Friede geachtet, und nicht
[427] ſelten gebrochen bis die Zeit und die ſteigende Macht
des Volks den neuen Geſetzen Feſtigkeit gegeben, und
das Andenken des Genuſſes unbeſchraͤnkter Herrſchaft
geſchwaͤcht hatte.
Coriolanus oder der große volskiſche
Krieg.
Die Auswandrung des Volks hatte die Beſtellung der
Felder gehindert, theils weil die freyen Bauern im Lager
waren, theils weil die Patricier es wohl nicht wagten die
Feldmarken jenſeits des Anio, in deren Mitte das Lager
ſtand, damals einen der wichtigſten Theile des Gemein-
lands, zu beſtellen. Aus dieſer Verſaͤumniß entſtand
Mangel der bis zur Hungersnoth ſtieg. Nach dem Voͤl-
kerrecht der alten Welt war das Recht im Gebiet eines
Staats Handel zu treiben von Vertraͤgen abhaͤngig, ſonſt
verſagt: und die Roͤmiſchen Abgeordneten wurden zu Ku-
ma und im Volskerlande beraubt und verjagt. Nur
Etrurien gewaͤhrte auf dem Strom eine unmittelbare
Huͤlfe durch Zufuhr: ein Siciliſcher Fuͤrſt, der nach der
Zeitrechnung wenn er ein Grieche war, Gelon geweſen
ſeyn muß, ſchenkte großmuͤthig den Preis des in ſeinen
Haͤfen gekauften Getreides 84): aber es war eine ſpaͤte
[428] Huͤlfe. Die Volsker wurden zur naͤmlichen Zeit von einer
Peſt heimgeſucht, die, des Hungers ſtete Gefaͤhrtin, die
Vermuthung erregt daß der Mangel die benachbarten Laͤn-
der nicht weniger als Rom druͤckte, und die Folge ver-
derblicher Witterung, mehr als der verſaͤumten Feldbe-
ſtellung war. Als endlich die Erndte des folgenden Jah-
res eingebracht, und die Siciliſchen Kornſchiffe angekom-
men waren, ſtand es in der Willkuͤhr des Senats durch
wohlfeilen Verkauf ihrer Ladungen der Noth und dem
Kornwucher ein Ende zu machen. Unrecht war es un-
ſtreitig wenn der Staat Gewinn auf einer Waare
ſuchte die fuͤr den Ertrag einer wenigſtens im allergroͤß-
ten Verhaͤltniß vom Volk aufgebrachten Steuer einge-
kauft war: noch unbilliger wenn der dem Armen abge-
preßte hohe Preis dazu diente ihn allgemein zu erhal-
ten. Ein mehreres mochte die Majoritaͤt der Patricier
nicht bezwecken: ein Senator, C. Marcius Coriolanus
empfahl die Umſtaͤnde zur Unterjochung des Volks zu
benutzen, und ihm wohlfeiles Brod als den Preis fuͤr
84)
[429] die Aufopferung ſeiner neu gewonnenen Vorrechte anzu-
dieten 85): ein Vorſchlag der nicht nur, wie es Livius
geſteht, ruchlos war, ſondern auch, gegen ſeine Meinung,
unausfuͤhrbar bleiben mußte, da er, nur ausgeſprochen,
ſeinem Urheber Verderben brachte.
Daß ein verhaͤrtetes Factionshaupt, den ein verdien-
tes Urtheil zum Landesfeinde machte, und der als Feld-
herr der Erbfeinde ſich fuͤr die erlittene gerechte Strafe
fuͤrchterlich am Vaterland raͤchte, von der Geſchichte als
ein großer Mann genannt wird iſt Beyſpiel wie vorur-
theilsvoll auch die Nachwelt richtet. Coriolanus verdient
es nicht mit Alcibiades verglichen zu werden, dem, nach
der Sinnesart ſeines Volks, der leidenſchaftliche Ueber-
gang zu großen Vergehungen und die Ruͤckkehr leichter
war als dem Roͤmer; den ein wirklich ungerechtes Urtheil
getroffen hatte; der ſeine Nation nicht faßte, und der, als
ſein Zorn gekuͤhlt war, ſeine Verirrung wie kein andrer
gut machte. In ihm lebte die Liebe zu ſeinem Vaterlande
fort, wie in dem Eiferſuͤchtigen, wie ungluͤcklich er auch
ihren Gegenſtand macht: er wollte, nach einer kurzen un-
widerſtehlichen Aufwallung des Zorns, nur das Gefuͤhl
ſeines Verluſts bey den Athenienſern erzwingen; nicht das
[430] Vaterland zerſtoͤren. Darnach aber trachtete Coriolanus,
oder doch nach Tyranney und blutiger perſoͤnlicher Rache.
Auffallender aber als die unverdiente Gunſt der Geſchichte
iſt, daß der Landesfeind ein Nationalheld ward, und daß
aller Mund fortdauernd ſein Andenken verherrlichte 86):
Lobpreiſungen, die, wenn ſie auch urſpruͤnglich aus der An-
haͤnglichkeit einer durch ſein Verbrechen nicht geſchreckten
Faction entſtanden, doch allerdings zu verbuͤrgen ſcheinen
daß in ihm ein großer Geiſt untergegangen iſt. Helden-
thaten muͤſſen ihm dieſen Ruhm erworben haben, obgleich
ſie durch keine Conſulate bezeugt werden: und die einzige
in der Geſchichte verzeichnete eben durch dasjenige was
ſie beweiſen ſoll, ſehr zweifelhaft erſcheint. Ihm wird die
Eroberung von Corioli zugeſchrieben; von der alten Sage,
nach Livius, als Oberbefehlshaber des Heers: aber das
latiniſche Buͤndniß bewies die Abweſenheit des Conſuls
Poſtumus Cominius von Rom, und daher folgerten die
Spaͤteren dieſer muͤſſe den Volskiſchen Krieg gefuͤhrt, C.
Marcius unter ihm gedient haben 87). In der That fin-
det ſich auch in der ganzen aͤlteren Geſchichte kein Beyſpiel
[431] einer Eroberung die von einem andern als dem mit der
hoͤchſten Magiſtratur bekleideten vollbracht waͤre: auch
folgt dies aus der Art und Dauer der damaligen Feldzuͤge.
War nun alſo die glaublichere Erzaͤhlung eine Bearbeitung
der Spaͤteren: ſchwiegen die alten Faſten und Annalen,
welche doch nur bey den Nahmen der Conſuln ihre Thaten
und Triumphe anmerkten gaͤnzlich von dem Volskiſchen
Kriege des Cominius, ſo iſt es erlaubt die Erzaͤhlung
ganz zu bezweifeln, und zu vermuthen daß ſie aus Mar-
cius Beynahmen und zwar in einer nicht alten Zeit erſon-
nen iſt. Seitdem, mit des großen Scipio afrikaniſchem
Triumph, die Sitte begonnen hatte 88), und bald herr-
ſchend ward, den Feldherrn Beynahmen nach ihren Sie-
gen und Eroberungen zu bilden, vergaß man bald wie neu
ſie ſey, und daß aͤhnlich gebildete fruͤher nur von dem
Wohnort, oder dem wo die bedeutendſten Beſitzungen der
ſo unterſchiednen Familie lagen, hergenommen wur-
den 89). In den ganz alten Zeiten war auch noch eine
[432] andre Benennung gebraͤuchlich, von dem Volk, aus dem
das Geſchlecht, oder vielleicht, von der weiblichen Seite,
die einzelne Familie abſtammte 90). Nun iſt es doch
wohl hoͤchſt unwahrſcheinlich daß waͤhrend drey Jahrhun-
derten C. Marcius allein dieſe Auszeichnung genoſſen ha-
ben ſollte; und nichts hindert anzunehmen daß ſeine Fa-
milie gleich andern von ihrem Wohnſitz in einer latiniſchen
Stadt benannt worden, und dieſe erſt in dem großen
volskiſchen Kriege fuͤr Rom und Latium verlohren ſey.
Denn in dem Verzeichniß der dreyßig latiniſchen Staͤdte
bey Dionyſius, welches ſich gewiß auf ſehr alte Zeiten be-
zieht, da es ſo viele ſpaͤter voͤllig zerſtoͤrte und verſchwun-
dene nennt, und entweder aus dem Bunde des Servius
Tullius, oder dem des Conſuls Caſſius entnommen zu
ſeyn ſcheint, Urkunden welche beyde noch in ſeinen Tagen
erhalten waren, findet ſich auch Corioli 91).
Ein ausdruͤckliches Zeugniß des Fabius macht die
herrſchende Erzaͤhlung von Coriolanus Tode noch verdaͤch-
tiger, und begruͤndet den Verdacht daß ſeine Geſchichte
erſt nach der Zeit jenes Annaliſten in ihrer jetzigen Geſtalt
ausgebildet ſey. Ohne Livius aber, weder durch Diony-
ſius
89)
[433] ſius weitſchweifige Geſchichtserzaͤhlung, noch durch Plu-
tarchs vorgebliche Biographie, wuͤrden wir es nicht ahn-
den daß der aͤlteſte und unverfaͤlſchteſte Geſchichtſchreiber
von ſeinem Maͤrtyrertode nichts wußte. Wir wuͤrden es
vielleicht uͤberhoͤren daß Cicero ſich von Atticus die Befug-
niß einraͤumen laͤßt Coriolans Tod zu erzaͤhlen wie er red-
neriſch am meiſten intereſſire, und daß er ſeinen Feld-
herrnbefehl im großen volskiſchen Kriege verwirft durch
den Ausdruck er habe ihm als Roͤmiſcher Verbannter bey-
gewohnt 92). Aber unter dieſen Warnungen kann, wie
es Livius bey einem ſchon weit mehr hiſtoriſchen Zeitpunkt
geſteht, wo er grade die undenkbarſte unter mehreren ganz
widerſprechenden Erzaͤhlungen auswaͤhlt, nur das allge-
meinſte fuͤr hiſtoriſch gelten: daß Coriolanus vom Volk
verurtheilt ward, und ſein Vaterland mit den Volskern
bekriegte. Das glaubliche und unglaubliche ſeiner ange-
nommenen Geſchichte iſt faſt gleich ſehr verdaͤchtig.
Ein ungerechtes Urtheil war es, wenn C. Marcius
jenen Vorſchlag gethan hatte, wahrlich nicht welches ihn
in die Verbannung trieb: Cicero 93) hat entweder auch
hier eine ganz andre Erzaͤhlung im Sinn gehabt, oder er
war ſeines eignen Urtheils uͤber die Nothwendigkeit der
tribuniciſchen Gewalt uneingedenk. Man darf nicht for-
dern daß die Tribunen einen Vorſchlag der ohne Erfolg
geblieben war, haͤtten großmuͤthig verzeihen ſollen: die
Patricier waren keine edelmuͤthige Gegner, und ſie haben
Erſter Theil. E e
[434] die Geſetzlichkeit und Maͤßigung des Volks ſchlecht erwie-
dert. Die Tribunen verfolgten ein unbeſtreitbares ſtren-
ges Recht; und es konnte eine ungluͤckliche Nothwendig-
keit obwalten durch ein Strafbeyſpiel von Unternehmun-
gen abzuſchrecken die, wenn ſie nicht im Keime erſtickt
wurden, nur durch einen Buͤrgerkrieg abgewandt werden
konnten. Die Volksgemeinde war das natuͤrliche und
vertragsmaͤßige Gericht uͤber jeden Verſuch gegen die
Freyheiten des plebejiſchen Standes; es erſetzte die blinde
Selbſtrache der Menge, welche den vermeſſenen Frevler
ſchon bedrohte. Die Unverantwortlichkeit des Senats fuͤr
die Verwaltung konnte nicht ſchuͤtzen wo der heilig be-
ſchworne Vertrag mit dem Volk Acht uͤber den ausſprach
der ihn verletzen wuͤrde. Daher iſt es auch wahrſcheinli-
cher daß die Klage, den beſchwornen Geſetzen gemaͤß, auf
den Tod gerichtet war als auf ewige Verbannung, und
daß ihn dieſe, nach roͤmiſcher Sitte, durch freywillige
Entfernung getroffen hat.
Coriolans Vorſchlag war im Senat mit leichtſinnigem
Beyfall gehoͤrt worden; als aber die unausbleibliche Ge-
fahr erſchien, fiel die Kuͤhnheit der Unbeſonnenen. Sie
verſuchten es die Plebejer einzeln von der Verſammlung
zum Gericht abzumahnen und zu ſchrecken: da dieſes
nicht fruchtete ließen ſich alle Patricier zu demuͤthigen Bit-
ten herab. Es war zu ſpaͤt, und eine entſchiedene Mehr-
heit der Tribus, wenn, wovon Livius nichts weiß, wirklich
einige erweicht wurden, ſprach die Verurtheilung aus.
Coriolanus wandte ſich nach Antium, der weſtlichen
Volsker Hauptſtadt. Die Erzaͤhlung ſeines zutrauensvol-
[435] len Eintritts in das Haus des Attius Tullus 94) ſcheint,
wie die juͤngern Roͤmer eine Vergleichung zwiſchen ihm
und Themiſtokles zogen, nach der Zuflucht dieſes großen
Athenienſers in die Wohnung ſeines alten Feindes, des
Moloſſers Admetus erſonnen zu ſeyn. Von hier an wird
ſeine Geſchichte ganz dichteriſch, und das Unglaubliche
haͤuft ſich auf jedem Schritt; ich wiederhohle es daß mir
in ſolchen Faͤllen eine ſehr kurze Erinnerung an eine jedem
Gebildeten bekannte Geſchichte, und Verweiſung auf Li-
vius Erzaͤhlung das angemeſſenſte ſcheint.
Es ſcheint hoͤchſt befremdlich, nach den Erzaͤhlungen
von Volskerkriegen waͤhrend der unmittelbar vorhergehen-
den Jahre 95), ohne daß eines Friedens gedacht wuͤrde,
wie die Volsker zu feſtlichen Spielen nach Rom ziehen
konnten. Ob jene Erzaͤhlungen, wie es allerdings von
dem Kriege vor Corioli wahrſcheinlich iſt, erdichtet ſind,
oder ob es die von der Liſt iſt wodurch der volskiſche Praͤ-
tor ſeine Nation in einen roͤmiſchen Krieg hineinſtuͤrzte,
dies zu eroͤrtern waͤre fruchtloſe Muͤhe, da es gaͤnzlich an
feſten Punkten fuͤr die Kritik fehlt. Um aber der letzten
E e 2
[436] Erzaͤhlung Begreiflichkeit zu geben muß man annehmen
es ſey zwiſchen den Roͤmern und Volskern eigentlich weder
Krieg noch Friede geweſen; kein Krieg worin beyde Voͤl-
ker mit entſchloßnen Anſtrengungen geſucht haͤtten Gebiet
zu erobern; kein Friede, der freyes Verkehr und unge-
ſaͤumte ſummariſche Rechtspflege verbuͤrgte wie ſie fuͤr den
Fremden ein Beduͤrfniß iſt, und wie ſie durch das Lati-
niſche Buͤndniß gewaͤhrt ward: an der Graͤnze habe es
gegolten ſein Eigenthum mit bewaffneter Hand zu bewah-
ren, und ſein Recht mit Gewalt zu nehmen: aus dieſer
Rechtloſigkeit waͤren die Fehden entſtanden welche von den
Annaliſten als Kriege geſchildert wurden, die aber im All-
gemeinen nur zwiſchen den naͤchſten Volskiſchen Gemein-
den und ihren roͤmiſchen oder latiniſchen Nachbaren vor-
gefallen waͤren, ſehr ſelten die geſammte Volskiſche Na-
tion betroffen haͤtten: nur offenbarer Krieg habe von dem
Recht ausgeſchloſſen den religioͤſen Spielen beyzuwohnen;
es habe unter den italiſchen Voͤlkern aͤhnliches heiliges
Recht geherrſcht wie in Griechenland, wo ihre Ruhe durch
Waffenſtillſtand geſchuͤtzt, die Straßen auch im Kriege
durch heilige Gebote geſichert waren, und feindliche Voͤl-
ker ſich friedlich bey den heiligen Spielen zuſammen fan-
fanden, wie ſelbſt fuͤr den Moͤrder die Blutrache an deren
Staͤtten ruhte 96). Die roͤmiſchen Spiele wurden um
den Unwillen der Goͤtter uͤber ihre Entweihung zu verſoͤh-
[437] nen mit ungewoͤhnlichem Pomp gefeyert: wie von den an-
dern nahen Voͤlkern war eine Menge Volsker nach Rom
gekommen um dies Schauſpiel zu genießen. Tullus
warnte die Conſuln heimlich vor ſinnloſen Unternehmun-
gen unbeſonnener Juͤnglinge unter ſeinen Mitbuͤrgern,
welche durch ſchaͤndliche Verletzung des Gaſtrechts Krieg
zwiſchen den Voͤlkern zu entzuͤnden trachteten: um die
Ahndung ſolcher Vergehungen durch die roͤmiſchen Waffen
von ſeinem Vaterlande abzuwenden, beſchwor er die Con-
ſuln auf Stoͤrung des Feſts gefaßt zu ſeyn, und wo moͤg-
lich ihr vorzubeugen. Auf dieſe truͤgeriſche Angabe ward
ausgerufen daß alle Volsker ſofort, und vor dem Anfang
der Spiele Rom verlaſſen ſollten. Dieſe Schmach erbit-
terte auch die friedlichſten Gemuͤther: die geſammte Na-
tion beſchloß Krieg gegen Rom und die Latiner, und der
Oberbefehl ward Attius Tullus, und ſeinem Gaſtfreund
dem Roͤmiſchen Verbannten C. Marcius uͤbertragen.
Die Geſchichte dieſes Kriegs gehoͤrt zu dem Unbegreif-
lichſten der aͤltern roͤmiſchen Geſchichte. Von Circeji, der
aͤußerſten vom Koͤnig Tarquinius im Pomptiniſchen Ge-
biet gegruͤndeten Colonie, deren Roͤmiſche Einwohner Co-
riolanus vertrieb, und die Stadt dem Volskerbunde ver-
einigte, bis Lavinium, Roms Stammort, und bis an
Coriolanus letztes Lager am Cluiliſchen Graben, fuͤnf
Millien vor Rom, faͤllt jede Stadt vor der er erſcheint:
kein Roͤmiſches, kein Latiniſches Heer, kein Verſuch die
angegriffenen Staͤdte zu retten, wird auch nur erwaͤhnt.
Es iſt das unwiderſtehliche Einſtroͤmen eines Heers vor
dem Schrecken, Betaͤubung und Erſtarrung hergehen,
[438] und dies ohne eine Schlacht, und gegen die, nach den
Roͤmiſchen Annaliſten, ewig ſieggewohnten Roͤmer. Wie
viel innern Spaltungen Schuld gegeben werden mag, und
doch grade hier ſchweigt Livius von tribuniciſchen Bewe-
gungen, die ſich auch zuverlaͤſſig nicht zur Beguͤnſtigung
der Waffen desjenigen erhoben haͤtten von dem Tribunen
und Volk alles aͤußerſte beſorgen mußten; eine ſolche Un-
thaͤtigkeit erklaͤrt ſich nicht. In der allgemeinen Fabel-
haftigkeit rechtfertigt eine Sage es nicht eine graͤßliche
Vermuthung zu hegen, welche ſie unlaͤugbar veranlaßt.
Wer da glaubt die Volsker haͤtten dem roͤmiſchen Helden
den Oberbefehl ihres Heers anvertraut, muß einraͤumen,
der verbannte Patricier habe ſeinen Krieg, und den Krieg
ſeines Standes mit volskiſcher Macht gegen das Vater-
land gefuͤhrt. Es wird erzaͤhlt er habe die Landguͤter der
Patricier gegen alle Verheerung geſichert, waͤhrend der
Soldat die plebejiſchen Bauerhufen verbrannte und ver-
wuͤſtete. Waͤre dies hiſtoriſch wahr ſo konnte es keine
Kriegsliſt ſeyn um Mißtrauen gegen die Haͤupter des
Staats zu erwecken; wie Archidamus und die Spartaner
ihres verhaßteſten Feindes Perikles Landgut verſchonten.
Die ungeſuchteſte, und von den Leidenſchaften am meiſten
empfohlne Erklaͤrung brachte das Leben ſeiner Freunde in
Gefahr, und konnte zu einer Empoͤrung fuͤhren welche der
Feldherr als die Fieberkraft der Raſerey entwickelnd nicht
weniger zu erregen ſcheinen mußte denn als Freund dem
die Opfer vor Augen ſtanden. Waͤre nicht die ganze Dar-
ſtellung Gedicht, waͤre es nicht, auch davon abgeſehen,
eine Pflicht des Gewiſſens keinen unbewaͤhrten Argwohn
[439] eines großen Verbrechens zu erheben, ſo muͤßte man
eine Verſchwoͤrung zwiſchen Coriolan und den Patri-
ciern in Roms Mauern annehmen welche Rom entwaff-
net, und die Siege der Volsker erleichtert habe.
Im Lager am Cluiliſchen Graben empfing Coriola-
nus eine Geſandtſchaft der Republik, dann die Prieſter
im heiligen Ornat, die als Flehende, nicht als Frie-
densboten, zu ihm kamen. Allen war er unerbittlich:
haͤtte er aber nur die Abtretung der den Volskern ent-
riſſenen Landſchaften begehrt, welche alle, wenn man
auch annimmt die Volsker waͤren die alten Beſitzer der
Kuͤſte und der Pomptiniſchen Landſchaft geweſen, ſchon
erobert waren; ein Staat, der bis zu dieſer Erniedri-
gung vor einem Verbannten geſunken war, haͤtte um
dieſen Preis wie mit Porſena Friede geſchloſſen. Er
duͤrſtete nach Buͤrgerblut: und ſein Friedensgeſetz konnte
nichts milderes ſeyn als unbedingte Unterwerfung. Seit
Marcius Verbannung weinte ſein Weib Volumnia mit
zwey Knaben, und ſeiner alten Mutter Veturia in
dem veroͤdeten Hauſe. Auch ihre Sicherheit iſt ſonder-
bar, denn obgleich ſonſt die Angehoͤrigen verurtheilter
Staatsverbrecher, die in Griechenland ſelten der Ver-
bannung, oft dem Tode nicht entgingen, in Rom voͤlli-
ger Sicherheit durch Unſchuld gewiß waͤren; eben die
einzige Klage wodurch Coriolanus fallen konnte, die we-
gen eines Attentats an der beſchwornen Capitulation
zwiſchen Senat und Volk, verdammte die ſeinigen zur
Sklaverey, ſein Vermoͤgen zur Einziehung. Eingedenk
der Rettung welche die erſten Roͤmer den vermittelnden
[440] Frauen verdankt hatten, beſchworen die troſtloſen Roͤ-
merinnen dieſe Matronen ihren Geliebten um Frieden
anzuflehen, und eine Schaar verwandter und befreun-
deter Frauen begleitete ſie in das volskiſche Lager.
Ihre Thraͤnen und ihre Vorwuͤrfe erweichten das harte
Herz des Landesfeinds. Sie kehrten mit Frieden in die
Stadt zuruͤck, wo der Senat zum Andenken und zum
Dank einen Tempel der Fortuna der Frauen weihte.
Coriolanus brach an demſelben Tage auf, fuͤhrte das
Heer heim, und entließ es ohne Frieden. Erbittert daß
der, deſſen Hand ihnen nie getraͤumte Triumphe gewon-
nen hatte, die Frucht des Siegs vernichtete, ſollen ihn
die Volsker zum Tode verurtheilt haben. Es ſcheint
daß Livius dieſes als herrſchende Sage fand. In Ci-
ceros Tagen war auch eine andre bekannt: er habe ſich
ſelbſt das Leben genommen um ſeinen Krieg mit dem
Vaterlande zu endigen 97). Fabius, der aͤlteſte Roͤmi-
ſche Annaliſt 98) folgte einer ganz entgegengeſetzten: er
habe bis zu einem hohen Alter in der Verbannung ge-
lebt, und als Greis oft ſeine Verlaſſenheit in der freund-
loſen Fremde bejammert.
Dieſer Gram des vergeſſenen Helden iſt weit tragi-
ſcher als ein Tod in deſſen Schmerzen er ſich mit dem
Vaterlande ausgeſoͤhnt gefuͤhlt haͤtte. Aber es iſt wohl
[441] keineswegs wahrſcheinlich daß die einfache Erzaͤhlung
einer Klage des gebeugten gewaltſamen Gemuͤths will-
kuͤhrlich gebildet ſey: vielmehr iſt es faſt raͤthſelhaft wie
ſich ihr Andenken noch erhalten konnte ſeitdem es fuͤr
gewiß galt Coriolanus habe das aufgehobene Rache-
ſchwerdt freywillig zuruͤckgezogen. Denn das haͤtten die
Volsker nie verzeihen koͤnnen, und was in der That
Verrath an ihnen war wuͤrde ein italiſches Volk ſchwer-
lich in großmuͤthigem Mitgefuͤhl nicht als Verrath ge-
ahndet haben. Aber nicht unwahrſcheinlicher als dieſer
Edelmuth iſt es daß ſie dem Fremden gehorcht haͤtten,
wenn er den Ruͤckzug befahl, da ſeine Siege ſie dahin
gefuͤhrt hatten wo auch ein geringerer Feldherr ſie haͤtte
vollenden gekonnt.
Das iſt hiſtoriſch gewiß, denn die fruͤhere Zeit und
die Folge beweiſen es klar, daß grade damals Rom,
weit mehr aber Latium, von den Volskern tief gedemuͤ-
thigt und geſchwaͤcht ward: dieſe Nation aber, und ihr
Brudervolk die Aequer ſich zu einer Hoͤhe erhoben wo-
rauf ſie ſich ein Jahrhundert behaupteten. Es mag ſeyn
daß C. Marcius ihre Fahnen begleitete: es iſt ſehr be-
greiflich daß der Nationalſtolz die Schmach dieſes Kriegs
dadurch zu mindern glaubte daß ein Roͤmiſcher Ver-
bannter als Feldherr einen bey zahlreicher Volksmenge
ſonſt unbedeutenden Feind unwiderſtehlich gemacht habe.
Dieſe Neigung aber, wenn ſie ſich auch den Glauben
der Nachwelt unterwarf, darf ihm doch nicht Geſetz
bleiben, wenn Zeugniſſe der verhuͤllten Wahrheit erhal-
ten ſind.
[442]
Es iſt ſchon bemerkt worden daß in dem karthaginien-
ſiſchen Buͤndniß Latium, in einem weiten Umfang ausge-
dehnt, die volskiſchen Seeſtaͤdte Antium, Circeji und
Terracina in ſich faßt: daß Aurunker und nicht Volsker
das pomptiniſche Feld, ſelbſt nach der Koͤnige Verban-
nung bewohnen. Sehr moͤglich allerdings daß dieſe bey-
den Nationen, einem Stamm angehoͤrend, identiſch ge-
weſen waͤren, und die weſtlichen Volsker der Ebne nur
fruͤher den Nahmen Aurunker getragen haͤtten, der ſpaͤter
einem kleinen Stamm am Liris ausſchließlich blieb. Aber
eine Ausbreitung der Volsker und Einengung des latini-
ſchen Stamms beweiſt unwiderſprechlich Dionyſius Ver-
zeichniß der dreyßig Staͤdte. Unter dieſen wird auch Ve-
litraͤ genannt, ſpaͤter unlaͤugbar Volskiſch; und daher,
weil ihre latiniſche Zeit vergeſſen war, iſt die ganz wider-
ſinnige Erzaͤhlung entſtanden, die volskiſche Stadt habe
im Jahr 262, erſchoͤpft durch Peſt, roͤmiſche, oder viel-
mehr geſammtlatiniſche Anſiedler erbeten; eine Verſtaͤr-
kung welche um den Preis eigenthuͤmliches Landbeſitzes
die zahlreiche Volskiſche Nation ohne Schwierigkeit ge-
waͤhrt haben wuͤrde. Aber in demſelben Jahr ward eine
andre Colonie nach dem latiniſchen Norba auf das Ge-
buͤrge am Saum der pomptiniſchen Ebene geſandt: na-
mentlich zu ihrer Vertheidigung. Denſelben Zweck mußte
die Colonie nach Velitraͤ haben; denn die ausgeſandten
Buͤrger gingen ungern und gezwungen. Die eigentliche
Heimath der Volsker ſcheint das Gebuͤrge um den Liris
und bis gegen den Vulturnus geweſen zu ſeyn: die aurun-
kiſchen Kriege um Pometia und Cora moͤgen mit ihrem
[443] Hervorbrechen aus den alten Graͤnzen verbunden ſeyn.
War es nothwendig im Jahr 262 die Graͤnzſtaͤdte gegen
ſie zu ſtaͤrken, iſt die Einnahme von Corioli ein Maͤhr-
chen, und gehoͤrt dieſe altlatiniſche Stadt vielmehr zu de-
nen die im volskiſchen Kriege untergingen, ſo verfolgten
die Volsker, und die Aequer, ihre Verbuͤndeten und
Stammgenoſſen, im Jahr 266 fruͤhere Eroberungen, ohne
daß es Coriolanus Gegenwart bedurfte um ihre friſche
Kraft zu erhoͤhen. Auch blieb ihnen wenigſtens der groͤ-
ßere Theil der Staͤdte welche in dem großen Kriege ge-
wonnen wurden. Circeji ward erſt im Jahr 360 als lati-
niſche Colonie hergeſtellt 99): Satricum, iſt in den ſpaͤ-
teren volskiſchen Kriegen eine bedeutende Stadt dieſer
Nation 600): Corbio 1) und Bolaͤ 2) ſind Staͤdte der
Aequer. Alle dieſe Orte nennt Dionyſius Verzeichniß noch
unter den dreyßig latiniſchen. Vitellia wird im folgenden
Jahrhundert als ein Ort im Lande der Aequer erwaͤhnt 3).
Corioli ward zerſtoͤrt 4): daſſelbe meldet Dionyſius von
Toleria 5): Lavici war im Jahr 334 mit den Aequern ver-
[444] buͤndet 6), und eine andre gleiche Erwaͤhnung bey den
Jahren 361 und 362 iſt wahrſcheinlich nur durch eine fal-
ſche Lesart ungewiß 7). Daß auch Pedum und Trebia 8),
ja ſelbſt Lavinium 9) erſt lange nachher zum latiniſchen
Bunde zuruͤckkehrten, und bis dahin, jene den Aequern,
dieſes den Antiatiſchen Volskern, unterworfen waren, iſt
nicht ſo ausdruͤcklich bezeugt; aber es erhellt aus einer ſehr
bewaͤhrten Nachricht uͤber den Zuſtand des latiniſchen
Bundes in einer Zeit wo er auf ſehr wenige Staͤdte be-
ſchraͤnkt war: es iſt darnach nicht zu bezweifeln daß
ſelbſt das in ſpaͤteren Jahrhunderten ſo große Praͤneſte
damals daſſelbe Loos der Unterwuͤrfigkeit unter aͤqui-
ſche Herrſchaft trug.
Diana war die Goͤttin deren Verehrung den ge-
ſammten latiniſchen Volksſtamm vereinigte. Wie Ser-
vius Tullius, als Rom zum Theil latiniſch geworden
war, ihren Tempel weihte, errichtete ihr die Nation,
ohne Rom, womit ſie als ein Gemeinweſen gleich ver-
buͤndet war, den Tempel zu Aricia, furchtbar durch
ſeinen blutigen Dienſt. Es iſt undenkbar daß ſich ir-
gend eine freye Stadt latiniſches Geſchlechts von der
[445] Weihe dieſes Tempels ausgeſchloſſen haͤtte, die der Di-
ctator des geſammten Volks 10) vollbrachte. Aber keine
von allen in dem volskiſchen Kriege verlohrenen Staͤd-
ten wird dabey genannt: und ſo wenig Lavinium und
Praͤneſte als Lavici oder die uͤbrigen deren Eroberung
unbeſtritten iſt: ſondern nur, unter allen dreyßig alten
Orten, Tuſculum, Tibur, Pometia, Cora, Aricia, La-
nuvium, Laurentum, Ardea 11). So ſchwach kann die
Bundsgenoſſenſchaft von Latium nur in der Zeit gewe-
ſen ſeyn welche von den großen Eroberungen der Vols-
ker und Aequer bis zu ihrem Verfall verging: nicht fruͤ-
her. Aber ſo ſchwach muß ſie auch in den Zeiten ge-
dacht werden wo ſie vor den jaͤhrlichen Verheerungen
der Aequer zitterte. Ihre Graͤnze war der Algidus zwi-
ſchen Praͤneſte und Tuſculum: dieſe Stadt graͤnzte an
ihr Gebiet: auf jenem Gebuͤrge haͤtten ſie nicht alljaͤhr-
lich ihr Lager errichten koͤnnen wenn Praͤneſte ihnen
feindſelig geweſen waͤre; unfehlbar haͤtte die Vertheidi-
gung einer ſo wichtigen Stadt den Krieg oft unter ihre
Mauern gezogen, und es wuͤrde ihrer haͤufig gedacht
ſeyn: dies geſchieht aber nie in der Geſchichte dieſer
aͤquiſchen Kriege 12). Nicht weniger getrennt vom la-
[446] tiniſchen Bunde als die Veliterner, und gleich feindſe-
lig gegen Latium, welches damals unzertrennlich von
Rom war, erſcheinen die Praͤneſtiner vom Jahr 373 an,
wo ihrer zuerſt wieder gedacht wird: bis auch ſie in
den großen latiniſchen Bund traten.
Ein ſolcher Krieg der einer Nation die Haͤlfte ih-
res Gebiers auf ein Jahrhundert entriß, ihre Sieger
ſo hoch erhob, kann nicht ohne blutige Niederlagen der
Beſiegten entſchieden ſeyn. Er traf Latium noch weit
verderblicher als Rom: aber haͤtte dieſes auch weder
von dem Gemeinland, noch von den Cantonen der Tri-
bus bedeutend verlohren, bey dem vermiſchten Eigen-
thumsbeſitz der Roͤmer und Latiner auf gegenſeitigem
Gebiet, und durch die Kriegsverheerung muß Noth und
Verarmung zu Rom unſaͤglich vermehrt, und die tiefe
Schwaͤche hervorgebracht ſeyn welche die folgenden Zei-
ten verrathen. Nur in Livius Geſchichte iſt alles was
andre Voͤlker elend macht, Kriegsungluͤck und Peſt, den
Roͤmern bleibend ſo unſchaͤdlich als die Verwundungen
der Engel Miltons.
Von dieſer Zeit an dauern die Kriege gegen Vols-
ker und Aequer viele Jahre lang fort, ohne daß die
Roͤmer, wenn gleich ſie ſich immer ſiegreich nennen, ſich
einer einzigen Eroberung ruͤhmen konnten. Vielleicht
12)
[447] fiel im Verlauf dieſer Zeit, nicht in einem einzigen
Feldzuge, ein Theil jener latiniſchen Staͤdte, in die Ge-
walt der beyden auſoniſchen Voͤlker.
Sp. Caſſius.
Die gemeinſchaftliche Gefahr zog das Band zwi-
ſchen Rom und Latium enger, und vereinigte mit bey-
den ein drittes Bundesvolk, die Herniker. Durch die
Eroberungen der Volsker und Aequer faſt ringsum ein-
geſchloſſen, wenn gleich die ewigen Felſenmauern ihre
Staͤdte ſicherten, waͤren ſie den zahlreicheren Feinden
erlegen, wenn ſie ſich nicht durch zuverlaͤſſiges Buͤnd-
niß geſchuͤtzt haͤtten; und ſie ſelbſt, ein ſehr tapferes
Volk, wandten vielleicht das annahende Verderben von
Rom und Latium.
Es iſt die Rede von einem kurzen Kriege mit ih-
nen, worin die Roͤmer, wie es ſich erwarten laͤßt, Sie-
ger genannt werden, in dem Jahre welches auf die gro-
ßen Eroberungen der Volsker folgte. Schon iſt es
ſchwierig zu begreifen, wie Latium und die Herniker,
bey der damaligen Lage der Graͤnze ſich als huͤlfreiche
Verbuͤndete erreichen konnten: unbegreiflich wie dieſel-
ben Voͤlker welche den Volskern erſt nach achtzig Jah-
ren die damals gewonnenen Staͤdte wieder zu entreißen
begannen, ein Volk wie die Herniker, in ihren uner-
ſchuͤtterlichen und unerſteiglichen Mauern zu beſiegen
vermocht: entſchieden unmoͤglich aber daß, anſtatt den
Schutz der Feinde Roms zu ſuchen, die Herniker ſich
unterworfen, und zwey Drittheile ihrer Landſchaft denen
[448] abgetreten haͤtten welche ihre eigne nicht zu ſchuͤtzen
Macht beſaßen. Doch iſt das Livius Erzaͤhlung 13).
Das Widerſinnige wird erhoͤht durch die Beſchaffenheit
ihres Buͤndniſſes mit Rom und Latium; voͤllig gleich,
gewaͤhrte es ihnen gegen beyde Nationen dieſelben Vor-
theile welche ſie ſich gegenſeitig zugeſagt hatten. Alſo
gebuͤhrte den Hernikern jetzt der dritte Theil 14) der
Beute und Eroberungen, auch des gewonnenen Landes;
denn nicht Oberherrſchaft, Landeigenthum ward damals
erobert.
Zwar redet Livius nicht von dieſen Bedingungen
des Buͤndniſſes, doch konnten ſie ihm nicht unbekannt
ſeyn, und empfinden haͤtte er es muͤſſen wie unwahr-
ſcheinlich es ſey daß demſelben Volk ſolche Vortheile
fuͤr die Zukunft bewilligt, gegenwaͤrtig aber zwey Drit-
theile ſeines Landes genommen waͤren. Dionyſius, ob-
wohl er auch von der Beſiegung der Herniker redet,
kennt in dem Friedensſchluß keine ſolche Bedingung,
ſondern nur jenes gerechte Verhaͤltniß gleicher Vortheile
bey gleichen Anſtrengungen 15). Vielmehr erregte nach
ihm, der die Sage von der Herniker Beſiegung vor-
ausſetzt, jenes Hirngeſpinnſt roͤmiſcher Eitelkeit, welche
die Huͤlfsbeduͤrftigkeit der Vorfahren nie eingeſteht, der
beguͤnſtigende Inhalt Mißvergnuͤgen unter den Roͤmern.
Sp.
[449]
Sp. Caſſius Viſcellinus welcher dieſen Bund ſchloß
(268) hatte in ſeinem zweyten Conſulat Rom und La-
tium durch Buͤndniß vereinigt. Dieſe rettenden Ver-
traͤge ſcheinen ſein Werk geweſen zu ſeyn, nicht zufaͤllig
ſeinen Nahmen getragen zu haben: drey Conſulate, und
daß er zuerſt, funfzehn Jahre vor dem dritten, zum Ober-
ſten der Ritter ernannt war, machen es begreiflich daß er
ſeine Blicke nach der koͤniglichen Wuͤrde aufheben konnte,
und glaublich iſt es nach den dunkeln Zuͤgen der Geſchichte
ſeines letzten Conſulats daß er nicht unſchuldig auf fal-
ſchen Verdacht als Opfer der Anklage fiel dahin getrachtet
zu haben. Ganz demagogiſch war wenigſtens ſein Antrag,
das Volk mag ihn verſchmaͤht, oder der Senat ihn ver-
eitelt haben, den Kaufpreis des waͤhrend der Hungersnoth
aus Sicilien empfangnen Getreides den Kaͤufern zuruͤckzu-
zahlen; und nicht reiner mochten ſeine Abſichten ſeyn als
er das erſte Ackergeſetz vorſchlug. Er konnte glauben daß
er zu ſeinem Unternehmen auch die Huͤlfe der Latiner ge-
winnen muͤſſe, und ſo iſt an der Nachricht nichts unglaub-
liches er habe dieſen einen gleichen Antheil wie den Roͤ-
mern von der Domaine aſſigniren wollen, obwohl es den
letzten mißfallen mußte: dies dehnt Dionyſius auch auf
die Herniker aus, wo es wenigſtens unbegreiflich iſt un-
ter welchem Vorwande er ſie mit dem Eigenthum eines
Bodens beſchenkt haͤtte an deſſen Eroberung ſie keinen An-
theil gehabt hatten 16).
Erſter Theil. F f
[450]
Ich verſchiebe die Darſtellung des agrariſchen Rechts,
welches den Beſitz der Domainen und das Eigenthum
der verliehenen Laͤndereyen betrifft, bis zu der Zeit des Li-
ciniſchen Geſetzes, der Quelle aller folgenden Ackergeſetze:
zum Verſtaͤndniß des caſſiſchen, des aͤlteſten derſelben,
mag es hinreichen, vorlaͤufig einige Hauptpunkte auszu-
heben und in Klarheit zu bringen.
Nach dem allgemeinen italiſchen Voͤlkerrecht verfiel
das Landeigenthum an den Eroberer, und der Souve-
rain, — nach den verſchiedenen Verfaſſungen, Fuͤrſt, Adel
oder geſammte Nation, — konnte ſeinen Erwerb benutzen
indem er die alten Beſitzer zinspflichtig beſtehen ließ, wie
dies auch bey den attiſchen Kleruchieen, namentlich auf
Lesbus, geſchehen iſt: oder indem er ſie ausſtieß und den
Beſitz ſelbſt uͤbte. Dies geſchah auch wo der Krieg Ein-
oͤden gebildet hatte. Als Gemeingut, bey freyen Verfaſ-
ſungen, war die Benutzung das Recht eines jeden der an
der Souverainetaͤt Theil hatte; die Natur des Gegen-
ſtands beſtimmte die Art der Benutzung. Auf den Triften
fand ſie in unbeſtimmten Graͤnzen ſtatt: Ackerland aber
ward, ohne daß das Eigenthumsrecht des Staats auf-
hoͤrte, von den einzelnen abgeſondert in Beſitz genommen
und benutzt. Die Geſammtheit dieſes Gemeinguts war
der Ager publicus.
So lange die roͤmiſche Nation der Quiriten einem
16)
[451] Koͤnige gehorchte, und aus den drey urſpruͤnglichen Tri-
bus beſtand, war es natuͤrlich daß ein Antheil der Erobe-
rung fuͤr den Fuͤrſten abgeſondert, das uͤbrige Gemeingut
der Ritter oder Patricier war, welche ihre Clienten mit
kleinen Beſitzungen belehnten, und durch dieſe Belehnun-
gen ſich mehrere gewannen. Als aber viele tauſend Fremde
in die Buͤrgerſchaft aufgenommen waren, und der plebeji-
ſche Stand ſich gebildet hatte: als die Plebejer, entweder
ausſchließlich, oder mit wenigen Ausnahmen, die Infan-
terie der Legionen ausmachten 17), da hatten auch ſie aller-
dings ein unlaͤugbares Anrecht an die Benutzung des mit
ihrem Blut erworbnen Landes. Ihre weit groͤßere Zahl
wuͤrde die urſpruͤnglichen Geſchlechter, die Patricier, dar-
in ſehr beſchraͤnkt haben; auch machten dieſe ein altes
ausſchließliches Recht geltend. Beydes ſcheint dadurch
vereinigt geworden zu ſeyn daß die Patricier fortwaͤhrend
die Benutzung der Domaine behielten; die Plebejer aber
durch Anweiſung kleiner Looſe mit voͤlligem Eigenthum
abgefunden wurden. Daher waren dieſe noch gegen die
Mitte des vierten Jahrhunderts faſt ausſchließend Eigen-
thuͤmer aller vom Staat aſſignirten oder verkauften Laͤnde-
reyen, die Patricier allein im Beſitz der Domaine 18).
F f 2
[452] Daher machte die Plebitaͤt unfaͤhig dieſe durch Beſitz zu
benutzen 19). Inzwiſchen war, ſoweit ſich eine hiſtoriſche
Sage erhalten hat, den Plebejern nur zweymal, durch
Servius Tullius, und nach der Verbannung der Tarqui-
nier, Landeigenthum angewieſen worden.
Allerdings war ſeitdem die Domaine ſo wenig erwei-
tert daß vielmehr hoͤchſt wahrſcheinlich von ihr ſowohl als
von den Regionen plebejiſches Landeigenthums weitlaͤuf-
tige Bezirke verlohren waren. Ob die Plebejer vorzuͤglich
gelitten hatten; ob hierin ein Billigkeitsgrund fuͤr ihre
Entſchaͤdigung durch eine Art Ausgleichung lag; oder ob
dafuͤr nur ihre Verarmung durch den Schoß redete; ob
Caſſius vielleicht uͤberall keine Rechtfertigungen fuͤr Maaß-
regeln ſuchte die den Hoͤrern angenehm waren, daruͤber
ließe ſich nur mit faſt ganz willkuͤhrlichen Muthmaaßungen
reden. So hat Dionyſius, wahrſcheinlich den Stoff eines
einheimiſchen Annaliſten ausarbeitend, die Reden der Se-
natoren uͤber das Caſſiſche Ackergeſetz weitlaͤuftig geſchrie-
ben. Doch ſcheinen in dieſen freylich im Ganzen unglaub-
haften Darſtellungen einige hiſtoriſche Notizen enthalten
zu ſeyn welche große Aufmerkſamkeit verdienen.
[453]
Er meldet naͤmlich 20) daß der Senat, um die Ge-
muͤther zu beruhigen, beſchloſſen habe, zehn conſulariſche
Commiſſarien zu ernennen welche einen Theil der Domaine
zur Anweiſung an das Volk abſcheiden, und, wie er es
ausdruͤckt, das uͤbrige, oder, wie es an ſeinem Ort ge-
zeigt werden wird, den Ertrag des Zehenten vom uͤbri-
gen, ſo weit es als Gemeingut zur Benutzung der Patri-
cier blieb, von einem Luſtrum zum andern verpachten ſoll-
ten 21). Durch dieſen Beſchluß ſey das Volk befriedigt
geworden, deſſen Mehrheit Caſſius Abſichten mißtraut
habe: aber der Senat ſey unredlich verfahren, und habe
den gefaßten Beſchluß gar nicht ausfuͤhren laſſen.
Daß die roͤmiſchen Koͤnige, nach dem allgemeinen
Staatsrecht der alten Welt, einen Zehenten von dem Lande
erhoben deſſen Grundeigenthum dem Staat wie den Fuͤr-
ſten Aſiens gehoͤrte, iſt um ſo wahrſcheinlicher da auch
vielfache Frohndienſte ohne reichliche Steuern nicht genuͤgt
haben wuͤrden ihre gewaltigen Bauten auszufuͤhren, und
ihre Eroberungen Feldzuͤge von langer Dauer, alſo ein
beſoldetes Heer, vorausſetzen. Daß aber die Beſitzer der
Domaine noch im Jahr 330 keine Ertragsabgabe zahlten,
waͤhrend ſie davon auch keine Vermoͤgensſteuer entrich-
teten, war der Gegenſtand tribuniciſcher Beſchwerden,
und die Tribunen wollten damals eine Abgabe auf den
Domainenbeſitz legen, von deren Ertrag den Truppen
Sold bezahlt werden ſollte 22). Daher iſt ein ſolcher Se-
[454] natsbeſchluß ſehr glaublich 623): ſehr glaublich leider auch
daß er mit unredlichem Herzen, das Volk zu taͤuſchen,
aufgeſtellt ward, und wahrſcheinlich daß die Patricier die
Regierungsveraͤnderung benutzt hatten, um ſich von al-
len Laſten zu befreyen.
Caſſius Antraͤge wurden vereitelt: vielleicht, wie es
erzaͤhlt wird, durch den reinen Sinn des Volks, und die
in dieſem Fall wohlthaͤtige alte Timokratie, vielleicht durch
den Senat, oder die Gemeinde der Patricier verworfen.
Auch die Tribunen ſollen gegen die gefaͤhrliche Gabe ge-
warnt haben. Nach dem Ende ſeines Conſulats ward er
von den Blutrichtern — denn nicht die ſpaͤteren Quaͤſto-
ren ſondern dieſe ſind hier zu verſtehen — vor der Volks-
gemeinde, oder, bey der abſoluten Sonderung der Staͤnde
welche damals noch galt, vor der patriciſchen Gemeinde
der Curien, auf den Tod angeklagt, weil er nach der Koͤ-
nigswuͤrde geſtrebt habe. Er ward verurtheilt und ſtarb
den Tod eines Hochverraͤthers: ſein Haus ward geſchleift,
nach einem halben Jahrtauſend lag die Staͤtte oͤde und
verflucht; ſein Vermoͤgen eingezogen, und der Werth der
Ceres geweiht. Nach andern Sagen ſprach ſein Vater das
Todesurtheil uͤber ihn, und ließ es vollziehen.
An Caſſius Schuld haben die Nachkommen nie ge-
zweifelt. Daß aber, wenn auch er ſchuldig fiel, ſeine
[455] Anklaͤger eben ſo wenig ein Reich der Freyheit und Gerech-
tigkeit wollten, daß ſein Tod ihnen nicht weniger willkom-
men war weil es ſeinem Ehrgeiz gedient hatte gerechte For-
derungen bey dem Volk zu erregen, als weil dieſer Ehr-
geiz die Republik bedrohte; das zeigt die unerſchuͤtterliche
Dreiſtigkeit womit ſie waͤhrend des ganzen Zeitalters wel-
ches von Caſſius Verurtheilung bis auf die Ernennung der
Geſetzgeber verging, die Ausfuͤhrung ihres eignen Be-
ſchluſſes uͤber die Verwaltung der Domaine verweigerten.
Es waͤre ſchmerzlich das Bild reiner republikaniſcher Tu-
gend fuͤr dieſen Zeitraum, der als der aͤlteſte auch der ehr-
wuͤrdigſte ſcheint, aus der Geſchichte tilgen zu muͤſſen,
wenn ſie nicht, ſoweit die eigenthuͤmliche Sinnesart des
Volks ſie faßte, in einem ſpaͤteren und hiſtoriſchen Zeital-
ter mit heller Wahrheit erſchiene. So lange die Patricier
die Uebung der Willkuͤhr behaupteten deren Beſchraͤnkung
ihnen fuͤr Empoͤrung galt, ſo lange buͤßten ſie fuͤr Unge-
rechtigkeit durch innre Verderbtheit: was ſie als Herab-
wuͤrdigung ſcheuten, die Herrſchaft des Geſetzes uͤber ſie
und alle Buͤrger mit gleicher Freyheit, ward ihrer Nach-
kommen Segen, ſchuf ihre Tugend, und rettete Rom aus
dem Verfall worin die Republik durch Ungluͤck geſunken
war: den kurzſichtiger Eigennutz noch lange erhielt als
die Zeit ſchon innere Kraft wiedergebohren hatte die nach
Entwicklung ſtrebte, und aus der die roͤmiſche Herrlich-
keit hervorging.
[]
Ueber die Charte des aͤlteſten Italiens.
Dieſe Charte macht keinen Anſpruch mehr zu ſeyn als anſchau-
liches Bild der in dieſem Bande enthaltenen Darſtellung, wie
Italien von den alten Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt geweſen zu ſeyn
ſcheint, ehe die Ausbreitung der Sabeller und die Einwandrung
der Gallier es ſo geſtalteten wie es bey der Ausbreitung der roͤ-
miſchen Macht im fuͤnften Jahrhundert erſcheint. Sie ſchien
mir zur Ueberſicht unentbehrlich zu ſeyn, obgleich ſie der Miß-
deutung und des Mißbrauchs faͤhig iſt. Denn was als hiſtoriſch
begruͤndet und als Hypotheſe in der Unterſuchung geſondert
werden konnte, und gewiſſenhaft unterſchieden iſt, erſcheint
hier unvermeidlich unter einer einzigen Geſtalt: davon ſoll nie-
mand ſich taͤuſchen laſſen, noch beſchuldigen es ſey die Abſicht
zu taͤuſchen.
Es iſt daher keineswegs gemeint zu behaupten daß
die Graͤnzen der alten Voͤlkerſtaͤmme am Anfang des dritten
Jahrhunderts der Stadt die auf der Charte angegebenen:
daß die Samniter damals noch nicht im Beſitz des ſuͤdlichen
Samniums geweſen waͤren. Eine wenigſtens hypothetiſche
Gleichzeitigkeit mußte angenommen werden: und wenn es fuͤr
mich gar nicht zu bezweifeln ſcheint daß das ebengenannte Volk
ſich erſt ſpaͤt uͤber das alte Aufonien und Oenotrien ausbreitete;
wenn der Anfang dieſer Eroberungen ein ganzes Jahrhundert
nach dem fuͤr die Charte angenommenen Zeitpunkt faͤllt, ſo ſchien
es richtiger anzunehmen daß damals das ganze Thal des Vultur-
nus noch auſoniſch geweſen ſey, als daß die weſtlichen und ſuͤdli-
chen Gebuͤrge den Eroberern eine laͤngere Zeit hindurch Graͤn-
zen geſetzt haͤtten. So mag auch wenigſtens bis zum ferneren
Fortgang der Geſchichtserzaͤhlung als Hypotheſe zugelaſſen wer-
den, daß die Galliſche Einwanderung in das noͤrdliche Italien
zwey Jahrhunderte ſpaͤter als es Livius thut angenommen
werden muß.
Hier mußte Wahrſcheinlichkeit als Gewißheit uͤber den
Stamm mehrerer Nationen entſcheiden: ſo ſind alſo die Mar-
ſer, Marruciner und Veſtiner durch die Farbe als Sabeller,
die Volsker, Aequer und Herniker als Auſoner bezeichnet.
Auf der andern Seite konnte auch ſehr dringenden Vermuthun-
gen kein Gewicht gegeben werden: und die Volsker finden ſich
alſo hier, wenn gleich in der Geſchichte fuͤr das Gegentheil
Wahrſcheinlichkeiten aufgefuͤhrt ſind, ſchon im Beſitz ihrer weſt-
lichen Landſchaft.
[]
Appendix A Zuſaͤtze, Verbeſſerungen und
Druckfehler.
S. 8. Z. 2. v. u. ſtatt den Gegenſtaͤnden dieſer Worte
lies dieſen Worten.
Zu S. 28. Es ſind wohl die eigentlichen Worte eines Schreibens
des Koͤnigs Demetrius des Belagerers an den Senat, wenig-
ſtens die, womit deſſen Inhalt in Hieronymus Geſchichte be-
richtet war, welche den Roͤmern vorwerfen, es ſey unanſtaͤn-
dig daß die Gebieter Italiens Raubſchiffe ausſendeten.
Strabo V. c. 3. §. 5. Dieſer Brief faͤllt in die Zeit zwiſchen
Theophraſt und Pyrrhus.
Der Note 21 iſt am Schluß die Citation beyzufuͤgen: Hist.
Plant. V. c. 9.
S. 37. Z. 1. ſtatt haben, lies hatte.
— 73. l. Z. ſt. 200 l. 201.
— 94. Anm. 98. Dieſelbe Erklaͤrung der Beranlaſſung jener
Beziehung nordiſcher Gottheiten auf roͤmiſche giebt Friedrich
Schlegel in den hiſtoriſchen Vorleſungen.
— 107. Z. 9. ſt. Appenninen l. Apenninen.
— 144. Z. 16. ſt. vierten l. fuͤnften.
Zu S. 166. Der Komiker Epicharmus ſoll in einer proſaiſchen
Schrift gemeldet haben, daß die Roͤmer Pythagoras ihr Buͤr-
gerrecht ertheilt haͤtten. Plutarch, Numa p. 65. C. Schade
nur daß Plutarch nicht als Buͤrge fuͤr die Aechtheit des Zeug-
niſſes gelten kann, welche in der Menge falſcher pythagori-
ſcher Schriften aͤußerſt verdaͤchtig iſt. Pythagoras Zeitalter
iſt das der letzten roͤmiſchen Koͤnige, eines worin Rom und
die griechiſchen Staͤdte Italiens gleichzeitig bluͤhten, und al-
lerdings naͤher und leichter in ihren Haͤfen gegenſeitig ver-
kehren konnten als ſeitdem die beſtaͤndigen Kriege mit dem
ſeeraͤuberiſchen Antium den Handel der Tiber vernichtet ha-
ben muͤſſen.
[]
S. 176. Note 23. Z. 7. v. u. ſt. ἀπολαβεῖν l. ἀπολιπεῖν.
— 178. Note 25. am Schluß ſind die Worte und Coriola-
nus wegzuſtreichen.
Zu S. 182. War Rom eine etruskiſche Stadt, ſo muß ſie als
Colonie eines der zwoͤlf Hauptorte gedacht werden: und da-
durch wird die urſpruͤngliche Entſtehung des unterthaͤnigen
Standes, der Clienten, leicht erklaͤrlich. Es waren die al-
ten Bewohner der Gegend, die Siculer, ein Volk dem grie-
chiſchen Stamm verwandt, und der Nahme ihrer Stadt,
Roma, mag mehr als den Laut eines griechiſchen haben. So
war Caͤre ſiculiſch geweſen, und ihr etruskiſcher Nahme ver-
draͤngte den alten ſiculiſchen nicht im Munde der Griechen.
Es mag eine vermeſſene Hypotheſe genannt werden: aber
mir ſcheint ſehr vieles auf Caͤre als Roms Mutterſtadt zu
deuten.
Nach der Roͤmer eignem Urtheil zeigte der Nahme der Caͤ-
rimonien an, daß die heiligen Gebraͤuche Roms von jener
Stadt ausgegangen waͤren; und dorthin, anſtatt in die naͤ-
her gelegenen latiniſchen Staͤdte, oder nach Veji, der Lager-
ſtadt der uͤbriggebliebenen Bewaffneten, wurden, bey dem
galliſchen Ungluͤck, Roms Heiligthuͤmer gefluͤchtet. Waͤhrend
Rom und Veji in einem ewigen Kriegsverhaͤltniß lebten, iſt
die Eintracht mit dem eben ſo nahen Caͤre die erſten vier
Jahrhunderte hindurch nie geſtoͤrt: doch lockte dieſes als eine
wenigſtens eben ſo reiche und gewiß nicht ſchwierigere Er-
oberung.
Mit den Caͤriten beſtand das nach ihnen benannte Buͤrger-
recht, deſſen Nahme als Beweis gelten kann daß es zuerſt fuͤr
ſie errichtet iſt. Iſt dieſes, ſo muß es fuͤr ſie fruͤher gegolten
haben als nach dem kurzen Kriege am Anfang des fuͤnften
Jahrhunderts, weil daſſelbe Recht den Tuſculanern ſchon vor
demſelben gegeben ward.
Nun iſt es aber merkwuͤrdig daß neben den latiniſchen
noch eine andre Klaſſe roͤmiſcher Colonieen beſtand, welche
ein ganz andres Verhaͤltniß als jene zu Rom hatten, naͤmlich
die Seecolonieen. Waͤhrend der Roͤmer welcher in eine lati-
niſche trat ſeinem Buͤrgerrecht entſagte, empfingen die Ein-
wohner der Stadt welche Seecolonie ward, das Buͤrgerrecht.
(Antium: Livius VIII. c. 14.) Aber nicht das plebeji-
ſche: denn ſie waren nicht zum Kriegsdienſt verpflichtet (Li-
[] vius XXVII. c. 38. XXXVI. c. 3.): alſo das caͤritiſche:
auch waren ſie ſelbſtſtaͤndige Gemeinden. Nun gehoͤrt zu die-
ſen nicht nur Oſtia, welches unter Ancus, vor allen latini-
ſchen, gegruͤndet ſeyn ſoll; ſondern auch Pyrgi, Alſium und
Fregenaͤ, alle im caͤritiſchen Gebiet (Livius a. a. O.). Von
der Stiftung dieſer drey Colonieen ſchweigt die Geſchichte
gaͤnzlich, ſie muͤſſen folglich uralt geweſen und moͤchten wohl
von Caͤre ausgegangen ſeyn. Das griechiſch benannte Pyrgi
war der Hafen des einſt ſeeherrſchenden Caͤre, wie Oſtia der
von Rom; jene vier Staͤdte folgen ſich laͤngs der Kuͤſte.
Die Schriftſteller uͤber das agrariſche Recht melden von
einer Limitation die durch den Nahmen maritima unterſchie-
den ward. Dieſes war ohne Zweifel die der Seecolonieen,
wahrſcheinlich die alte reinetruskiſche. Und ſo waͤren die la-
tiniſchen von denen welche, nach der Analogie jenes Nah-
mens, fuͤglicher die caͤritiſchen genannt werden wuͤrden, auch
durch dieſe, nach roͤmiſchen Ideen ſo weſentliche aͤußere Form
der Landeintheilung, unterſchieden geweſen: Rom, durch
die aͤlteſten Staͤmme mit den Caͤriten, wie durch die Plebs
mit den Latinern verwandt, haͤtte das Andenken und den
Geiſt beyder Verwandtſchaften auf gleiche Weiſe durch beyde
Arten der Colonieen bewahrt.
S. 192. Z. 8. v. u. ſt. hat mit — Blick, der l. hat, mit
— Blick der.
— 199. Z. 8. ſt. eonditum l. conditum.
— 214. Z. 14. ſt. herab, l. nieder.
Zu S. 227. Z. 18. Zonaras, der hier immer fuͤr Dio Caſſius
gelten muß, alſo eine wahrlich bedeutende Autoritaͤt, nimmt
an der Senat habe bis auf Tarquinius den Alten nur aus hun-
dert Vaͤtern beſtanden: dieſer habe zweyhundert hinzugefuͤgt,
folglich, nach unſrer Anſicht, zwey ganze Staͤmme zu Patri-
ciern erhoben. VII. c. 8.
S. 229. Z. 10. v. u. ſt. jede l. jeder.
— 232. Z. 1. v. u. ſt. Topio. l. Topic.
— 234. Note 5. l. Z. ſt. vierten l. fuͤnften.
Zu S. 262. Z. 4. Das Uebergewicht der Plebejer war auch
nur fuͤr die Initiative bedeutend: denn weder Geſetzgebung
noch Wahl war guͤltig ohne Beſtaͤtigung der Patricier. Der
Patricier, nicht des Senats: Patricii se auctores futuros
[] negabant. Livius VI. c. 42. Um dieſe Beſtaͤtigung in der
Form zu erhalten als das Maͤniſche Geſetz ihr Weſen ver-
nichtet hatte, dieſe Beſtaͤtigung welche nur in der Gemeinde
der Curien, wozu die Patricier namentlich berufen wurden,
ertheilt ſeyn kann (S. 234.), ſind die Scheincomitien der-
ſelben beybehalten geworden.
S. 268. Z. 7. v. u. ſt. ſechszehnloͤthige, l. ſechszehn
loͤthige.
— 273. Z. 9. v. u. nach: Tagen ſetze,
— 277. Z. 14. v. u. nach: befremdet ſetze:
— 278. Z. 1. ſt. die l. den.
— 281. Z. 4. v. u. ſt. Staͤdten alles verruͤckt, und l.
Staͤdten, alles verruͤckt und.
— 283. Z. 11. v. u. ſt. ſeine l. ſeiner.
— 284. Z. 11. ſt. muͤßte l. mußte.
— 285. Z. 3. v. u. vor ihrem ſetze,
— 286. Z. 13. ſt. ſie l. dieſe.
— 290. Z. 5. v. u. ſt. die Curie l. den Senat.
— 294. Z. 10. v. u. ſt. Lucumo l. Lucumos.
— 296. Z. 12. ſt. darbietenden l. verſprechenden.
— 310. Z. 8. nach duͤrfen ſetze;
— 311. Z. 13. v. u. ſt. einzufuͤhren angefuͤhrt l. einzu-
fuͤhren, angegeben.
Zu S. 312. Z. 6. Ausdruͤcklich wird die griechiſche Abfaſſung
der tarquiniſchen Sibyllenorakel anerkannt durch Zonaras
Erzaͤhlung (VII. c. 11.): es waͤren zwey Dollmetſcher aus
Griechenland berufen worden, weil man zu Rom die Ora-
kel nur unvollkommen verſtanden haͤtte.
Zu S. 314. Z. 4. v. u. Der Ausſpruch des Orakels auf des
Koͤnigs Rathfrage findet ſich nur bey Zonaras VII. c. 11:
er werde fallen wenn ein Hund mit Menſchenſtimme reden
wuͤrde. Uebereinſtimmend damit, im Sinn, iſt die Traum-
deutung der Aruſpices in Attius Tragoͤdie. Cicero de di-
vinat. I. c. 22.
S. 324. Note 86. Z. 10. v. u. ſt. Anius l. Attius.
— 328. Z. 9. v. u. nach Uebel ſetze,
— 345. Note 11. Z. 7. v. u. ſt. 00. l. 103. E.
— 347. Z. 14. ſt. fruͤhere, worin l. fruͤhere genannt
wird, worin.
[]
S. 348. Z. 11. v. u. ſt. Armee l. Armen.
— 361. Z. 10. u. 20. ſt. Conſularn l. Conſulare.
— 362. Note 22. Z. 5. v. u. ſt. Pontelius l. Poetelius.
Zu S. 371. Z. 9. v. u. Naͤmlich von den Ariminenſern und den
uͤbrigen beguͤnſtigten Colonieen wird bezeugt, daß ſie Erb-
rechte gegen roͤmiſche Buͤrger genoſſen, und dieſe muͤſſen
durch Eherecht eutſtanden ſeyn (Cicero pro Cæcina c. 35.).
Von den alten latiniſchen Staͤdten welche, nach der Aufloͤ-
ſung des Bundes, das Buͤrgerrecht nicht empfingen, darf
daſſelbe angenommen werden. Auch laͤßt die Erzaͤhlung
deren oben S. 364. N. 24. gedacht iſt, mit [Grund] ſchließen
daß Eherecht galt als ſie gedichtet ward. Mit den Latinern
des ſpaͤteren buͤrgerlichen Rechts beſtand freylich kein Con-
nubium.
S. 378. Z. 3. v. u. ſt. ergaͤnzten l. ergaͤnzen.
— 379. Z. 2. 3. ſt. untergruͤben — muͤßten l. unter-
gruͤbe — muͤßte.
Zu S. 382. Note 42. Eine noch buͤndigere Stelle aus VI. c. 63.
iſt S. 413. Note 68. angefuͤhrt. Bedeutend iſt ebenfalls
X. c. 43. Bey einem Einfall der Aequer beſchloß der Se-
nat: τȣ̀ς πατϱικίȣς ἐπὶ τὸν πόλεμον ἐξιέναι σὺν τοῖς ἑαυ-
τῶν πελάταις, τῶν δ ἄλλων πολιτῶν τοῖς βȣλομένοις μετ-
έχειν τῆς ςϱατείας — ὅσια εἶναι πϱὸς τȣ̀ς ϑεȣ̀ς· — ὡς δ̛
ἀνεγνώσϑη τὸ δόγμα — πολλοὶ καὶ τȣ̂ δήμȣ τὸν ἀγῶνα
ἑκόντες ὑπέμειναν. Dionyſius ſagt (II. c. 9.) die Clientel
entſpreche der Peneſtie: und er nennt die Leibeigenen
Bauern der Syrakuſaner, welche ſich gegen ihre Herren
empoͤrten, ihre Clienten: πελάται. (VI. c. 62.)
Zu S. 386. Z. 22. Das caͤritiſche Recht iſt die wahre griechi-
ſche Iſopolitie, und muß, urſpruͤnglich, ganz gegenſeitig
gedacht werden: zu Caͤre ein ihm entſprechendes roͤmiſches,
wodurch der Roͤmer dort derſelben buͤrgerlichen Befugniſſe
theilhaft ward. Eben ſo muß dem latiniſchen Recht zu Rom
ein roͤmiſches Recht in den latiniſchen Staͤdten entſprochen
haben: und gegenſeitig war es daß die Latiner durch den
Cenſus in das roͤmiſche Buͤrgerrecht eintreten konnten, die
Roͤmer in das latiniſche, wie in die Colonieen dieſes Volks.
Waren unter den Seecolonieen wenigſtens die vier
Staͤdte von der Tibermuͤndung bis an die Graͤnze des tar-
[] quinienſiſchen Gebiets urſpruͤnglich caͤritiſche, ging die
Mutterhoheit uͤber die drey noͤrdlichen erſt ſpaͤter von Caͤre
auf Rom uͤber, als auch jene Stadt die Majeſtaͤt des roͤmi-
ſchen Volks anerkannte, ſo waren ſie durch dieſe Gegenſei-
tigkeit des Rechts aus beyden Nationen gemeinſchaftlich ge-
gruͤndet. Zu dieſen uralten Orten verhalten ſich dann die
juͤngeren Seecolonieen wie die juͤngeren latiniſchen zu de-
nen deren Urſprung in die Dauer des alten latiniſchen
Buͤndniſſes faͤllt.
Zu S. 387. Note 48. Aſconius in Cicer. Divin. Censores ci-
ves sic notabant ut — qui plebejus esset, in Cæritum ta-
bulas referretur, et ærarius fieret, ac per hoc non esset
in albo centuriæ suæ; sed ad hoc esset civis tantum, ut
pro capite suo tributi nomine æra penderet.
S. 390. Note 52. Z. 3. v. u. ſetze Livius, vor: III. c. 16.
Zu S. 391. Z. 6. Es ſcheint nicht uͤberfluͤſſig die Anſicht der
verwickelten ſtaͤndiſchen Verhaͤltniſſe durch eine neue Zuſam-
menſtellung zu erhellen.
Das urſpruͤngliche Rom begriff einen herrſchenden Stand
— die aͤlteſten drey Ritterſtaͤmme, ſpaͤter, geſammt Patri-
cier — und einen unterthaͤnigen.
Zu dieſen beyden trat der Stand der Freyen. Dieſe wa-
ren zwiefach: die Plebejer, urſpruͤnglich Latiner, und die
Caͤriten: Buͤrger eines unabhaͤngigen Staats welche nur
buͤrgerliche Rechte nicht vollkommnes Buͤrgerrecht bedurften.
Der letzte Stand erweiterte ſich ſo daß er, unter dem
allgemeinen Nahmen der Aerarier, auch die Buͤrger andrer
ſelbſtſtaͤndiger Staͤdte mit denen Rom einſeitig oder gegen-
ſeitig ſich verbuͤrgerrechtete, und außer ihnen die Nachkom-
men der alten Erbunterthaͤnigen, die Freygelaſſenen und
Latiner, ſo viele, in ihrer Heimath eine Familie zuruͤcklaſ-
ſend, eintreten wollten, begriff. Zu den Plebejern wurden
alle Gemeinden gezogen die, ſammt ihrem Lande, vollkom-
men in das Buͤrgerrecht aufgenommen wurden.
Die Clientel begriff die urſpruͤnglichen Leibeignen, die
Freygelaſſenen, und caͤritiſche Buͤrger denen der Schutz
eines Patrons die Aufopferung ſelbſtſtaͤndiger Freyheit er-
ſetzte: — außer ihnen aber die fremden Beyſaſſen.
S. 391. Z. 11. 12. v. u. ſt. der — der l. des — des.
[]
S. 403. Z. 5. ſt. ausſchießlich l. ausſchließlich.
Zu S. 404. Z. 13. Als aͤchtplebejiſch erſcheinen die tribuni
ærarii zu der Zeit als Senatoren, Ritter und Volk in glei-
cher Zahl an den Gerichten Antheil empfingen. Sie waren
aber eine alte Magiſtratur, aus den Zeiten in denen der
Schoß gezahlt ward, und ſind die Einnehmer deſſelben ge-
weſen: (Varro de L. L. IV. c. 16.) eben weil er eigent-
lich nur ihren Stand traf. Naͤmlich, die Vorſteher der
Tribus waren, ſeit ihrer Errichtung, auch mit der Hebung
des Schoſſes beauftragt; und als ihre ganze uͤbrige Ge-
walt auf einige von ihnen, als geheiligte Perſonen, oder
auf die Aedilen uͤberging, blieb doch das alte Amt einge-
ſchraͤnkt auf einen Theil ſeiner Geſchaͤfte.
S. 413. Note 68. Z. 11. v. u. ſt. Demagorieen l. Deme-
gorieen.
Zu der Note iſt noch hinzuzufuͤgen: die Anſicht des Tex-
tes findet ſich ausdruͤcklich als hiſtoriſche Erzaͤhlung
bey Dionyſius VI. c. 47.
S. 416. Z. 2. ſt. darauf nicht, zu l. darauf, nicht zu.
Zu S. 422. l. Z. Bey Livius allerdings haben die tribunici-
ſchen Bewegungen jenes Zeitraums ein anderes Anſehen:
er nennt Tribunen auctores legis agrariæ. Aber Diony-
ſius Erzaͤhlung iſt ganz unzweydeutig und hoͤchſt beſtimmt
fuͤr das Gegentheil.
Zu S. 424. unten. Daß fuͤnf Tribunen, einer fuͤr jede Klaſſe,
erwaͤhlt wurden, findet ſich auch bey Aſconius, zur Corne-
liana, und bey Zonaras VII. c. 15.
Merkwuͤrdig iſt daß Cicero, in dem von Aſconius er-
laͤuterten Fragment, von den beſchwornen Geſetzen nicht
als von Neuerungen, ſondern als von alten Rechten redet
welche das Volk ſich wiedergewann (ut leges sacratas sibi
ipsi restituerent). Dies waͤre noch wichtiger wenn nicht
ſeine ganze Erzaͤhlung dieſer Vorfaͤlle auch in dieſem Frag-
ment ſo voͤllig abweichend waͤre, indem er meldet, ſchon im
folgenden Jahre waͤren zehn Tribunen erwaͤhlt worden:
und zwar — eine Sache uͤber deren entſchiedene Unwahr-
ſcheinlichkeit S. 425 geredet iſt, — durch die Curien. Uebten
dieſe vielleicht anfaͤnglich, wie bey allen andern Wahlen,
[] eine Macht der Verwerfung auch gegen die ernannten
Volkstribunen?
S. 429. Z. 16. ſt. der ſeine l. den ſeine.
Zu S. 435. Note 94. Um dies nicht gegen allen Schein zu
thun muͤßte man ihn Attius Tullius nennen: auch kann At-
tius, ein roͤmiſcher Geſchlechtsnahme, ſowohl wie Statius
und Gellius bey Volskern oder Oskern ein Vornahme ge-
weſen ſeyn.
S. 438. Z. 4. v. u. ſt. ſcheinen l. ſcheuen.
meinen Verdammniß nicht entgeht.
Solinus: Varro kannte etruſkiſche Annalen, und aus ſol-
chen Jahrbuͤchern verfaßte ohne Zweifel der Kaiſer Claudius
ſeine zwanzig Buͤcher von der Tyrrheniſchen Geſchichte.
tion abſichtlich ausgerottet wurden, die wenigen uͤbrig ge-
bliebenen in Armuth verſanken, verlohren ſich in einem
Jahrhundert die Wiſſenſchaften und die Kenntniſſe dieſes
merkwuͤrdigen Volks, und ſogar ſeine Kuͤnſte, welche doch
das niedere weniger vertilgte Volk und nicht die hoͤhe-
ren Kaſten ausgeuͤbt hatten. Rom verbrannte die alten
Schriften nicht: aber es verachtete ſie.
weg: Ariſtoteles.
c. 35.; Strabo VI. c. I. §. 4.
μὲν τῷ Τυῤῥηνικῷ πελάγει τὸν Λᾶον ποταμὸν· πϱὸς δὲ τῷ
Σικελικῷ τὸ Μεταπόντιον. Τὴν δὲ Ταϱαντίνην — ἐκτὸς τῆς
Ἰταλίας ὀνομάζει, Ἰάπυγας καλῶν.
und Eurymedon: ἐπεϱαιώϑησαν — ἐπ̕ ἄκϱαν Ἰαπυγίαν. καὶ
ὁϱμηϑέντες ἀυτόϑεν κατίσχουσιν ἐς τὰς Χοιϱάδας νήσους Ἰα-
πυγίας καὶ — (εκεῖϑεν) — ἀφικνοῦνται ἐς Μεταπόντιον τῆς
Ἰταλίας.
naͤmlich Ol. 116. 3.
ben, doch das, worauf es hier ankoͤmmt, iſt auch in der
ganz zerſtoͤrten Sprache unverkennbar: Τῶν ἐν τῇ Λατίνῃ
καλῶν γινοκένων ὑπεϱβολῇ, καὶ τῶν ἐλατίνων καὶ τῶν πευ.
κίνων, μείζω ταῦτα καὶ καλλίω τῶν Ἰταλικῶν,
ȣ̕δὲν εἶναι πϱὸς τὰ ἐν τῇ Κύϱνῳ.
gebrauch war, wird auch durch die Graͤnzen beſtaͤtigt, welche
Lykophron, unter Ptolemaͤus Philadelphus, ſeinem Auſonien
ſetzt. (S. unten Anm. 34.) Er bezeichnete den Begriff ſeiner
Zeit, wie jung er auch war, mit einem veralteten Nahmen.
Timaͤus ſelbſt wuͤrde, in ſeiner Roͤmiſchen Geſchichte, keine
Etymologie des Nahmens Italien gegeben haben, wenn er
nicht ſchon damals in weiteren Graͤnzen gegolten haͤtte.
(S. Anm. 27.)
Viteliu der ſamnitiſchen Denare deſſelben Zeitraums als die
ſabelliſche Form des Worts Italia (T. I. p. 52.). Wie
Latium, Samnium, ſo Italium, oder, nach dieſen Spra-
chen, Italio, wie Samnie.
et tributis.
Sikelus und Italus, wie beyde Voͤlker nach der Sage eines
Stamms waren. Alle gute Handſchriften des Thukydides
nennen (VI. c. 2.) Italus, Koͤnig der Sikeler, wo der
ſchlechte gedruckte Text Αϱκάδων hat. S. varr. lect. Thu-
cyd. Duker.
ihm folgt mit geringer Abweichung Apollodorus (Biblioth.
II. c. 5. 10.). Timaͤus Etymologie, aus ſeiner Roͤmiſchen
Geſchichte, bey Gellius (XI. c. 1.); aus ihm entlehnte ſie
wohl Piſo (bey Varro, de re rust. II. e. 1.).
einer barbariſchen Landesbenennung Αὐζὴν wird er hergelei-
tet im Etym. magn. s. v. Αὐσόνες.
de Q. Smyrnæo. III. §. 11. p. 74.
Agathyllus ſcheint dem Alexandriniſchen Zeitalter anzugehoͤ-
ren. Ennius Vers: Est locus Hesperiam quam mortales
perhibebant, kann eben ſowohl einem ſehr neuen Griechen
auch wohl von den Aelteren Circes Inſel Aeaͤa zu Auſonien
gerechnet worden. Apollodorus, Bibl. I. c. 9. 24.
615. Das eigentliche Opika, und den Apenninus v. 702.
Oenotrien v. 922. 1047. Die Abſonderung von Tyrrhenien
und Ombrika beweißt v. 1239. 1360. Agylla nennt er zwar
auch Auſoniſch, aber ehe die Tyrrhener es einnahmen, v.
1355. Allgemein fuͤr Italien wird Auſonien in der Antholo-
gie haͤufig geſetzt, doch bey keinem aͤlteren Dichter als Anti-
der Anthologie findet ſich Heſperien — bey Agathias.
nautik meint unter den Auſoniſchen Inſeln v. 1249 wohl gar
Sicilien, Sardinien und Corſica.
Strabo V. c. 2. §. 4. Eine Hauptſtelle uͤber die Pelasger.
lier) die Hellenen Graeci? So hießen die Hellenen, als ſie
auf dem hoͤchſten Gebirge von Epirus wohnten, ſagt Ariſto-
teles; naͤmlich, ſo wurden ſie von den Epiroten genannt.
Alexander der Aetoler gebraucht dieſe Benennung in einem
Zeitalter, wo jede ſeltne als Pracht der Rede hervorgeſucht
ward: doch war ſie nicht vielleicht bey ſeiner faſt ganz epi-
rotiſchen Nation gebraͤuchlich? Nicht auch bey den Macedo-
niern, da ſie von den Alexandrinern angenommen ward?
καλέεται. I. c. 167.
ſtoteles Nachricht: dieſe Geſetze gelten noch jetzt (καὶ νῦν ἔτι),
iſt wahrſcheinlich, wie ſeine ganze Erzaͤhlung, aus Antiochus
entlehnt; denn im fuͤnften Jahrhundert fand man wohl keine
Oenotrer mehr.
lungen auf der Inſel. Thukydides, VI. c. 2. Philiſtus An-
gabe bei Dionyſius I. c. 22.
Dionyſius, l. c.
griechiſchen Nahmen der dritten Declination auf ας oder ein
zuſammengezogenes οῦς, maͤnnliches Geſchlechts, in Neutra
der zweyten auf entum, die aus dem Genitiv gebildet ſind,
im Lateiniſchen umgeformt werden. Dies wird als Aeto-
liſcher Dialect angefuͤhrt, nur daß die Endung εντος, alſo
maͤnnlich, iſt, und herrſcht im Neugriechiſchen. So wer-
den Akragas, Taras, Pyxus, Agrigentum, Tarentum,
Buxentum u. ſ. w. Daß Maleventum oder Maloentum, mit-
ten in Samnium, Maloeis oder Malus im reingriechiſchen
geweſen waͤre, iſt ausgemacht: ich glaube aber auch nicht
zu irren, wenn ich in Grumentum, auf den hoͤchſten kalten
lucaniſchen Gebirgen, Κϱυμόεις finde. Auch andre Ortsnah-
men im Innern lauten voͤllig Griechiſch: Acherontia, Teleſia.
δὲ καὶ Οἰνωτϱοὶ τȣ̀ς τόπȣς ἐνέμοντο. Strabo VI. c. 1.
§. 2. Die ganze Stelle iſt nachzuleſen.
κῶς, οὐδὲν διοϱίσας πεϱὶ τῶν Λευκανῶν καὶ τῶν
Βϱεττίων. Strabo VI. c. 1. §. 4.
a. a. O. §. 14.
Οἰνωτϱȣ̀ς. Strabo a. a. O. §. 15.
und ſeine Nachfolger ſetzten den Krieg gegen die Joner erb-
lich fort. Lebte Archilochus gegen das Ende des erſten Jahr-
hunderts Roms, welches wohl die wahrſcheinlichſte Angabe
iſt (Nepos bey Gellius XVII. c. 21.): denn, war er auch
Gyges Zeitgenoſſe (Herodot I. c. 12.), die Zahl der Regie-
rungsjahre der Lydiſchen Koͤnige iſt ſichtbar unmaͤßig uͤber-
trieben: ſo bezieht ſich wahrſcheinlich auf dieſe Auswande-
rung nach dem reichen Siris, fern von den erobernden Bar-
baren, ſein Lob dieſer Gegend (Fragm. XXII. in Anal. Br.)
πόλιν εὐδαίμονα πολιοϱκῆσαι (a. a. O.). Dies haͤtte ſchon
fuͤr ſich als verdaͤchtig auffallen ſollen, wegen des alten Worts
λαὸς ſtatt ἔϑνος bey einem Schriftſteller deſſen Sprache ſo
modern iſt; und wer haͤtte denn je geſagt, ἔϑνος oder λαὸν
πολιοϱκῆσαι? Die wahre Lesart iſt βουλόμενοι Λᾶον πόλιν
εὐδ. πολ., und ſie ergiebt ſich aus Strabo VI. c. I. §. 1. von
μετά δὲ Πυξȣ̃ντα bis zum Ende: wo an einem Ort dieſelbe
Verderbniß eingeſchlichen iſt, und ſtatt λαοὶ, Λᾶον geleſen
werden muß.
λόντων. Strabo a. a. O. §. 2.
des Morges Tochter, und ihren Mann Skindus nennt, zaͤhlt
ſichtbar auch die Choner zu den Sikelern, deren Nahme ſo
dem oͤnotriſchen gleichbedeutend wird. S. Etymol. magu.
s. v. Σίϱις.
τόπον τοῦτον τῆς Ὀπικῆς ὅς καλεῖται Λάτιον, ἐπὶ τῷ Τυῤ-
ῤηνικῷ πελάγει κείμενος. Dionyſius I. c. 72.
ſagt, urſpruͤnglich habe der Theil Italiens in dem Cales
und Beneventum liegen, Auſonien geheißen.
fluͤſſigen Adjectivalendungen der Volksnahmen, die in der
altroͤmiſchen Sprache wuchern: wie von Tuscus ſogar Tus-
canicus gebildet wird. Die Verwechſelung von s und r im
Ἐλέα. Die Stammſylbe iſt Op oder Aup, woher mit An-
haͤngung von Adjectivalendungen gebildet iſt Opicus, Op-
scus, Oscus, Volscus, Auson, Auruncus. Opscus und
Tuscus waren ſicher in der alten Sprache auf irgend eine
Weiſe in der Bedeutung entgegengeſetzt.
nennt den mythiſchen Auſon Gruͤnder der Stadt Sueſſa
Aurunca: das heißt, die Aurunker waren Auſoner.
mentariis scribitur opicus pro osco.
nam Latine nesciunt.
πανο, mit gleicher Analogie der Veraͤnderung durch roͤ-
miſche Ausſprache und Schreibart.
s. v. ver sacrum.
Scipio Barbatus) Lucanaa.
ten Form vieler Voͤlkernahmen in der lateiniſchen Sprache, von
deren einem der Landesnahme, der zweyte wieder von dieſem
abgeleitet iſt: jener endigend auf us, dieſer (aus ans oder
ins) auf as oder is. Von Savinus, Savnium, Samnium,
Samnis, von Lucanus, Lucania, (Lucans) Lucas, (uͤbrig
in bos lucas), von Bruttius (vielleicht Bruttus) Bruttium,
Bruttas.
quos, si Vestinus attingeretur, omnes habendos hestes.
ligna cohors, Vestina virum vis. In dem Fragment ſteht
falſch, festina.
Marsus hostem occidit prius quam Pelignus, inde Marru-
cini dicti, de Marso detorsum nomen.
den Japygern und den Ombrikern wohnt, lieſt bey ihm Δαυ-
νῖται. Ich laͤugne nicht, daß die Daunier auch Dauniter ge-
nannt ſeyn koͤnnen, obgleich die zum Stephanus angefuͤhrten
Beyſpiele großen Zweifel leiden. Aber ich laͤugne daß die
Apulier weſtlich von ihrem eignen Lande wohnten; ich
laͤugne daß Skylax von ihnen ſagen kann daß ſie ſich von
Meer zu Meer erſtreckten, welches von den Samnitern ſehr
richtig geſagt iſt die er zwiſchen Campanien und Lucanien
an der Kuͤſte genannt hat: ich laͤugne daß er Opiker ein
Apuliſches Volk nennen koͤnne, und leſe daher mit voͤlliger
Ueberzeugung Σαυνίται. Die angefuͤhrte Stelle heißt: ἐν δὲ
τȣ́τῳ τῷ ἔϑνει γλώσσαι ἤτοι ςόματα τάδε· Λατέϱνιοι, Ὀ-
πικοὶ, Κϱάμονδς, Βοϱδοιτῖνοι, Πευκετιεῖς.
heiligen Inſeln?
c. 2. §. 4. In gleichem Sinn, obwohl auf verſchiedene
Weiſe, ward der Nahme von andern auf weiße leinene Klei-
der bezogen. Etymol. magn. s. v. πελαϱγικὸν bey Caſau-
bonus zum Dionyſius. Aber der Nahme der uralten einhei-
miſchen Pelasger wird nur durch ihre Abſtammung von dem
mythiſchen Stammvater, Pelasgus, erklaͤrt.
bonus zum Dionyſius. I. c. 28. Auch Kallimachus bey dem
Scholiaſten des Ariſtophanes in aves v. 832. Τυϱσηνῶν τεί-
χισμα Πελαςγικὸν. Andere Stellen finden ſich noch in Clu-
vers vortrefflicher Italia antiqua, p. 428. 429., einem Werk,
zaͤhlte Antiklides bey Strabo V. c. 2. §. 4.: ſie haͤtten zuerſt
Lemnus und Imbrus bewohnt, von dort waͤre ein Theil mit
dem Lydier Tyrrhenus nach Italien gezogen. Andre ließen ſie
gar aus Lydien nach Theſſalien, von dort nach Italien zie-
hen. Plutarch, Romul. p. 18. b.
uͤber den Tyrrhenern, hat viele Gelehrte beſchaͤftigt, und
die Erklaͤrung welche es fuͤr eine thrakiſche Stadt nimmt
gefaͤllt mit taͤuſchendem Schein, weil auf dem Athos fuͤdlich
(doch entfernt) von den thrakiſchen Kreſtonaͤern die erwaͤhn-
gegeben werden befragt zu haben, wenn nicht ſelbſt geſam-
melte Stellen nothwendig fruchtbarer fuͤr den Schriftſteller
waͤren, als die welche fremder Fleiß zuſammenbrachte. Cha-
rakteriſtiſch fuͤr die Verwirrung der Sagenart iſt die Stelle
aus Polyaͤnus, wo die aus Lemnus von den Tyrrhenern ver-
triebenen Minyer mit ihnen verwechſelt werden.
Sprache geweſen iſt, da er doch Hunderte von Worten deut-
art, Kroton, (Cortona) iſt gewiß nicht betruͤgeriſch; Hero-
dots Erzaͤhlung, daß ſie aus Theſſaliotis dorthin gewandert
waͤren, iſt die des Hellanikus von der pelasgiſchen Auswan-
drung nach Tyrrhenien; die Tyrrhener, uͤber denen die
Kreſtonaͤer wohnten, verſchieden von ihnen, wa-
ren eben eines Volks mit den ausgewanderten Lemniern zu
Plakia und Skylake. Allerdings aber ſcheint Herodot die ver-
ſchiedenen Pelasger hier zu verwechſeln, und die Kortonaͤer
als bey der Auswanderung, vor den Lydiern nach Attika, Zu-
ruͤckgebliebene betrachtet zu haben.
einige Regeln uͤber die Analogie, und ein Verzeichniß der,
immer nur wenigen, eigenthuͤmlich ſcheinenden Worte, hin-
gereicht haͤtten.
nahmen, deren Eroberung ſelbſt eine große Bevoͤlkerung und
feſte Staͤdte doch nicht ſo ſchwierig machen konnten, als
Natur und Volk in Rhaͤtien.
H. N. a. a. O. Auch Cluver, obgleich er ſonſt ganz ab-
weichenden Meinungen folgt, ſieht in Toskana eine ſpaͤtere
Eroberung der Etrusker.
p. 258. Scias mare ex æthere remotum. Cum autem Jup-
piter terram Hetruriæ sibi vindicavit, etc.
Etruriæ concilium. Quo coacto etc.
Sammlung von Wundergeſchichten, wo ſich (p. 725. ed.
Duval) eine Erzaͤhlung von der Verfaſſung einer tyrrheni-
ſchen Stadt Οἰναϱέα findet, welche ohne Zweifel Volſinii
ſeyn ſoll, mag nun der Nahme vom Verfaſſer oder von Ab-
ſchreibern verdreht ſeyn. Waͤre die hoͤchſte Gewalt in den
Haͤnden freygelaſſener Hausſklaven geweſen, — einem Grie-
chen konnte die italiſche Clientel kaum anders erſcheinen,
denn Theſſalier ſchrieben nicht — ſo gehoͤrt die Sache aller-
dings unter Wundergeſchichten. Aber ſie iſt geſchichtlich,
und erfordert alſo vernuͤnftige Deutung.
uͤber ſich erwaͤhlten.
Opp. Aristotel. p. 724. ed. Duval.
des Micali, und wegen der Phyſiognomieen Taf. 28.
Herrlich iſt die, ganz ungriechiſche, Idee und Ausfuͤhrung
der Taf. 23: der Todesgenius Taf. 44. ein wahrer Cherub.
T. II. p. 46.
Vielleicht nicht ohne Verbindung mit der Sternkunde; denn
es ſcheint ſich als natuͤrliche Erklaͤrung anzubieten, daß unter
Saturnus, der nach ihrer Lehre die aus der Erde auffah-
renden Blitze ſandte, und Mars, der die zuͤndenden ſchleu-
derte, die Planetengoͤtter zu verſtehen ſeyen. Mir wenig-
ſtens iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß die Beziehung der grie-
chiſchen Gottheiten auf die altitaliſchen dadurch entſtanden iſt,
daß man die deren Nahmen derſelbe Planet trug fuͤr dieſelben
hielt: auf keine andre Weiſe konnte Venus, (die Todesgoͤt-
tinn Libitina, Dionyſius IV. c. 15.), auf Aphrodite gedeu-
tet werden: daher ward Wodan Mercurius, Thor aber
Mars (Tacitus de morib. German. c. 9.) genannt, weil ſie
als Planeten dieſelben Tage beherrſchten. Dagegen aber redet,
daß Saturnus, in Latium wenigſtens, der Erdgott geweſen
zu ſeyn ſcheint: und die Zahl von neun Blitze ſendenden
Goͤttern iſt, wenn wir Sterngoͤtter ſuchen, ſchwer zu er-
gaͤnzen, ſelbſt wenn man nicht verwehren will den unbe-
kannten Gott Summanus, der zuverlaͤßig der etruskiſchen
Mythologie angehoͤrt und auch Blitze warf, in dem fuͤr
die Auguration ſo wichtigen Polarſtern zu ſuchen. (Plinius
Hist. Nat. II. c. 53.)
manar. — und Feſtus s. v. Salentini, welcher offenbar aus
ihm geſchrieben hat.
vers Italia nachgewieſene Stelle.
ed. Duval. Zwey Peuketier welche Kleonymus zu vergiften
unternahmen, werden hier mit fataler Entſtellung oder durch
ein wunderbares Spiel des Zufalls mit Nahmen benannt
welche wir auch ſonſt mit einander, aber verehrend, zu nen-
nen gewohnt ſind: Gajus und Paulus.
aus Histor. IV. bey Iſidorus XIV. c. 6.
v. 167. Diodor V. c. 39.
Siculer, das oͤnotriſche aber Sikeler.
IV. c. 10.
c. 34. ſind ſchwerlich unverdorbene.
es, fuͤhrte er nur bis zu den Kruſaͤern auf Pallene, in die
Stadt Aenea. S. Dionyſius I. c. 48.
auch Lykophron v. 1243 ff.
Jungen die Zahl der Staͤdte welche in Latium von der er-
ſten Colonie ausgehen ſollten, und dieſe Geſtalt der Sage
bildet Lykophron aus (v. 1253 — 60.). Eine Woͤlfin und
ein Specht kommen auch in dem Mythus von Laviniums
Gruͤndung vor, wie in dem von Romulus.
nicht zerſtreut ſtehen, und Kritik der Abweichungen viel zu
weit fuͤhren wuͤrde.
ſius (I. c. 72. 73.), Plutarch (in Romulo, vom An-
fang), und Feſtus (s. v. Roma) erhalten: Solinus hat nur
wie Feſtus, aber weit duͤrftiger, den Verrius Flaccus excer-
pirt, der ſelbſt groͤßtentheils Dionyſius benutzt zu haben
ſcheint.
Handſchriften ſtatt ἔξοχον Ῥώμης γένος — ἔξ. ῥώμη γ.
leſen darf.
Schriftſteller nennt der die allgemein bekannte Erzaͤhlung
geſchrieben habe, koͤnnen wir nicht aͤlter annehmen als Ti-
maͤus. Daß Fabius Pietor ihm gefolgt ſey, iſt gewiß nur
Plutarchs Vermuthung.
ſeinem Nahmen war er ein Marſer.
rio quis credat, omnium rerum immodice numerum augenti.
eine eigentliche Colonie Albas und eine latiniſche Stadt be-
trachtete: am wenigſten kann ſie von der Auswandrung edler
Geſchlechter geredet haben. Als Colonie haͤtte Rom mit allen
Latinern Connubium fuͤr alle Buͤrger gehabt. Ich rede hier
immer nur von der Conſequenz, welche alten Dichtungen
keineswegs fehlt, nicht als von hiſtoriſchen Vorfaͤllen.
traditur, cum haud dubie aliquanto numerus major hoc
mulierum fuerit, aetate, an dignitatibus, an sorte lectæ sint
quæ nomina curiis darent. Livius ſah alſo nicht wie dieſe
Zahl, dreyßig, durchgehend in den Sagen, wie in den Ein-
richtungen des alten Roms herrſcht.
daß er ſich ſogar mit einer ſehr alten Dichtung nicht ver-
einigen laͤßt.
ſchrieb, ein ſehr achtungswerther Mann, der aber vielleicht
zuerſt die alten Dichtungen durch eine verfehlte hiſtoriſche
Behandlung entſtellte, ein Unternehmen welches um ſo mehr
mißlang mit je geringerer Faͤhigkeit er es ausfuͤhrte; machte
die feile Verraͤtherinn zu einer, freylich unfinnigen, und auch
ungluͤcklichen Heldinn fuͤr das Vaterland. Denn nach ihm rech-
nete ſie auf Tatius Eid, ſie ſolle empfangen was ſeine Sabi-
ketten gemeint, ſondern Schild und Speer, um die Betroge-
nen ihren Mitbuͤrgern wehrlos zu uͤberliefern.
logiſcher Gelehrſamkeit, wie keiner nach ihm: und ſo hoch in
Wiſſenſchaft jeder Art, daß er mit eignem Urtheil, was ihm
auch vorkommen mochte, faſſen, nutzen und richten konnte.
zweyte muß ganz feſtgeſtanden haben, weil ſich ſogar Dio-
dors umherſchweifende roͤmiſche Chronologie an dieſem Punkt
ſammelt. Vielleicht hatte ſchon Ariſtoteles gemeldet, zuver-
laͤſſig die ſpaͤteren griechiſchen Hiſtoriker, Rom ſey im Jahr
des Archon Pyrgion eingenommen.
nennt Frankreich nicht Scaliger gegen Leibniz?
Es giebt außer Italien und Griechenland fuͤr den Philolo-
gen keinen heiligeren Ort, als den Saal der Univerſitaͤt zu
Leyden, wo die Bildniſſe der Lehrer von Scaliger, im pur-
purnen Fuͤrſtenmantel, bis auf Ruhnkenius aufgeſtellt ſind,
um das Bild des großen Wilhelm von Oranien, des Vaters
der Univerſitaͤt, deren Errichtung Leyden ſich als die ſchoͤnſte
Belohnung fuͤr uͤbermenſchliches Dulden und Ausharren er-
bat. Auch der General der republikaniſchen Stadt, der
Herr von Nordwyk, war ſelbſt ein großer Philologe.
dor: welcher Fabius Gruͤndungsjahr angenommen, aber die
Geſchichte ſelbſt nach der catoniſchen Zeitrechnung erzaͤhlt
haben muß, weil er am Anfang des XIten Buchs eine
Olympiade vor dieſer voraus iſt.
ſtratus Portraite fuͤr Statuen abzuformen, da man dieſe bis
dahin idealiſch nach den Hauptzuͤgen des Geſichts und der
Geſtalt gearbeitet hatte.
Ἀγχισεῦσι κειμένȣ πίνακος — τὴν πίςιν ἀπολαβεῖν. Je-
nes Wort giebt gar keinen Sinn: denn eine Stadt An-
chiſe exiſtirte nur im Traume des Kephalon, am wenigſten
in Polybius Zeitalter. Die Vaticaniſche Handſchrift giebt
ἀγχιςεῦσι: ich leſe ἀϱχιεϱεῦσι, welches Polybius fuͤr die
Pontifices braucht (XXIII. 1. 2. XXXII. 22. 5.), obgleich
Dionyſius ſie ἱεϱομνήμονες nennt.
ſind ganz dichteriſch: die hiſtoriſchen der Chroniken hoͤchſt
gemein.
c. 18. 19. Tusc. Quaest. l. c. 2. Doch waren ſie wohl nur
fuͤr den Gleichguͤltigen ganz untergegangen. Dionyſius
kannte Lieder von Romulus und Coriolanus.
der ſie beſang, und an Lucretius. In Victor de viris il-
lustribus nehmen die Koͤnige die ſieben erſten Kapitel ein.
Versibu’ quos olim Fauni vatesque canebant:
Quom neque Musarum scopulos quisquam superarat,
Nec dicti studiosus erat.
Floͤte geſungen: die Nenien. Cicero de legibus II. c. 24. Es
muß ſich damit verhalten haben wie mit den Gedaͤchtnißreden:
der Stoff war alt, aber die Form bildete ſich um.
thung daß die etruskiſche Colonie in Campanien ſich dort uͤber
die See her niedergelaſſen habe, durch die Meinung daß Rom
urſpruͤnglich eine latiniſche Stadt geweſen waͤre, begruͤnden
wollen. Ohne jener Anſicht zu entſagen muß ich dieſes Ar-
gument allerdings zuruͤcknehmen.
32 = 12 × 2. + 8. Servius 44 = 12 × 3. + 8. Und die
Summe der ganzen koͤniglichen Zeit nach Fabius: 240: iſt,
als cycliſche Jahre genommen, gleich 200 buͤrgerlichen. Wel-
ches alles in einer mythiſchen Geſchichte etwas anderes als
Spiel des Zufalls zu ſeyn ſcheint. S. ferner Seite 188.
hatte Eratoſthenes die Zeitrechnung von der Zerſtoͤrung Tro-
jas eingefuͤhrt, und dies, wenn gleich ein nicht weniger un-
gewiſſer Zeitpunkt als Roms Gruͤndung, iſt ebenfalls ein
ſehr brauchbarer Anfangspunkt einer Aera fuͤr Rom, we-
gen der troiſchen Sage, wie fuͤr Griechenland. Die aͤlteren
Zeitangaben der Griechen ſind Traum oder Erdichtung:
fuͤr die Mythologie reicht die zuruͤckgefuͤhrte Angabe von
Menſchenaltern hin ſie im Sinn der alten Sagen zu ordnen:
und der Beſonnene wird durch dieſe dreyfache Zeitrechnung
erinnert, wie er die Erzaͤhlungen zu ſchaͤtzen habe welche er
hoͤrt. Aſien hat, wenigſtens in den hiſtoriſchen Buͤchern des
Alten Teſtaments, eine ungleich aͤltere eigentliche Geſchichte
als Europa: und Gleichzeitigkeit der Annalen ehe hier die
Geſchichte beginnt. Aſiens Geſchichte alſo bis zur Zeit des
perſiſchen Reichs muß nach einer abgeſonderten Zeitrechnung
geordnet werden, und dieſe kann ihre Aera nirgends paſſen-
der finden als in jenen aͤlteſten Geſchichtbuͤchern. Ohne
Furcht von jemanden getadelt zu werden der es nur ſelbſt ver-
ſucht haͤtte die Geſchichte der Richter chronologiſch zu beſtim-
men, erlaube ich mir aber zu bemerken, daß dieſe nicht fruͤ-
her beginnen kann als Davids Regierung.
Dionyſius I. c. 74.
Jahr d. St. 449. Inſchrift auf einer von Cn. Flavius ge-
weihten Capelle. Plinius H. N. XXXIII. c. 5.
ton muß Naͤvius mit Ennius verwechſelt haben. Chrono-
logy, p. 129. Aber auch uͤber Timaͤus irrt er.
aͤlter als Rom (I. c. 6.) oder 43 vor Ol. I, 1. gegruͤndet.
Faſten Diodors, die ſchlechteſte: und ich wuͤrde ſie nicht ge-
brauchen, wenn ich ſie hinreichend gepruͤft haͤtte ehe die
Ausarbeitung dieſes Werks ſchon weit vorgeruͤckt war. So
war die Veraͤnderung vieler Zahlen theils nicht mehr moͤg-
lich, theils konnten einzelne uͤberſehen werden: und dann
erſt entſtand ein wahrer Nachtheil. Auch iſt es ſchwer ſich
des Gebrauchs einer Zeitrechnung zu entwoͤhnen, mit der
man, weil ſie in vortrefflichen Werken herrſcht, vorzuͤglich
vertraut geworden iſt.
hieruͤber, und daß die Dauer eines Luſtrums fuͤnf buͤrger-
liche Jahre war, nicht ganz uͤberzeugt haben ſollte, den
verweiſe ich auf naͤhere Bemerkungen bey der Einrichtung
der Cenſur.
uͤbrigen angenommen wird, enthaͤlt vielmehr hiſtoriſche Be-
ſtaͤtigung als Unwahrſcheinlichkeit: denn auch der Intercalar-
monat des Mondenjahrs zaͤhlte nur 22 oder 23 Tage.
Monate des cycliſchen Jahrs nach einander aufgefuͤhrt, naͤm-
lich mit Symbolen bezeichnet waren.
Angenommen, wie es mehr als wahrſcheinlich iſt, daß
im Anfangsjahr des Saͤculum der Neumond des Maͤrz
der Tag der cycliſchen Kalender war, ſo fiel der Vollmond
(Tuskiſch Idus oder Itus, Macrobius Saturn. I. c. 15.) vor
der herbſtlichen Tag- und Nachtgleiche in den September: im
zweyten Jahr in den November; das dritte ward uͤbergan-
gen: im vierten Jahr in den Maͤrz, im fuͤnften in den May,
im ſechſten in den Quintilis. Dieſe Bezeichnung gab noth-
wendig das Verhaͤltniß der Luſtraljahre zu den buͤrgerlichen
genau an. Jene ſechs Linien bringe man auf eine einzelne:
Mt. A. Mj. J. V. VI. VII. VIII. IX. X.
Nun iſt es klar, daß wenn bey Maͤrz, May, Quintilis,
September und November, bey jedem zwey und zwanzig
Naͤgel eingeſchlagen waren, das Saͤculum ſein Ende erreicht
hatte. Ich vermuthe ſymboliſche Zeichen ſtatt der Monats-
nahmen, weil ſonſt die Sache auch den ſpaͤteren auf den er-
ſten Blick verſtaͤndlich geweſen ſeyn muͤßte.
nung iſt D. Antonio Leon y Gama, Saggio dell’ Astrono-
mia Cronologia e Mitologia degli antichi Messicani,
(uͤberſetzt) Roma 1804, deren Kenntniß ich Profeſſor Ide-
lers guͤtiger Mittheilung verdanke.
Augusto augurio postquam incluta condita Roma ’st.
logiſchen uͤbeln Schein abzuthun bemuͤht iſt, III. c. 1.
auch Ennius gebrauchte, wahrſcheinlich aͤchter latiniſch als
Mettus, wie bey Livius geleſen wird.
wechſelt dieſen Ort mit Ferentinum der Herniker.
das uralte umbriſche Ameria erinnert, und an die Vermu-
thung wie tief einſt die Umbrer an der Tiber hinab ge-
wohnt haben moͤgen.
war, blieben die Ritter treu.
Ovidius Fast. III. v. 131. 132. — Dieſe Anfuͤhrungen ließen
ſich leicht vermehren. — Das letzte Livius I. c. 13. 36.; ob-
gleich auch er an einer andern Stelle (X. c. 6.) eine Na-
tionaleintheilung in ihnen erkennt. Die Zahl einer Centurie
iſt hier nicht auf hundert beſchraͤnkt.
ſechs Tribus hießen die erſten und zweyten Titier, Ramner
und Lucerer.
Lucerenses.
deutung haben als ich: doch zeigt bey dieſem Volk vieles nach
Norden. Den Gott, vielleicht die Goͤtter nannten ſie Aeſar
(Sueton. Aug. c. 97.); dies erinnert unwiderſtehlich an die
Aſen: auch bey Lucer denkt man an Luger, Seher: weil
die Patricier allein durch die Auſpicien in die Zukunft zu
ſchauen ſich anmaaßten. (Livius IV. c. 6. VI. c. 41.
X. c. 8.)
gleichung weit mehr bewanderten Freundes, welcher fuͤr
die Eliſion des r vor einem kurzen Vocal oder deſſen Ver-
ſetzung anfuͤhrt: πϱὸς, πϱοτὶ, ποϱτὶ, ποτί: und κϱίκος,
κίϱκος, circulus.
Zeiten plebejiſche Eitelkeit viel fabelte, und ſo muß man
wohl leſen ſtatt a plebe transitiones bey Cicero Brut.
c. 16. Ein Beyſpiel von L. Minucius bey Livius IV. c. 16.
und Plinius H. N. XVIII. c. 4.
dem Canulejiſchen Geſetz: L. Tarquitius, Oberſter der Rit-
ter waͤhrend ſeiner Dictatur, war ſo arm, daß er hatte zu
Fuß dienen muͤſſen.
ὁμογάλακτες, γένει μὲν οὐ πϱοσήκοντες, ἐκ δὲ τῆς
συνόδου οὕτω πϱοσαγοϱευόμενοι. VIII. c. IX. §. 111. Daſ-
ſelbe im Etymol. magn. s. v. γενῆται.
der eines Altchriſten in Spanien.
unter den Demoſtheniſchen, p. 1365. ed: Reiske.
ſchenkt, in derſelben Rede p. 1385.
thelemys allgemeine Unzuverlaͤßigkeit warnen, daß er, mit
den ausdruͤcklichſten Zeugniſſen vor den Augen, dennoch an-
halten. Voyage du jeune Anarcharsis, ch. 26.
alten Ditmarſiſchen Kluͤfte, in denen ſehr verſchiedene Fa-
milien enthalten waren.
hominum suffragium feratur, curiata comitia esse.
βασιλεῦσι συγκαλεῖν, οἱ κήϱυκες ἐξ ὀνόματός τε καὶ πατϱό-
ϑεν ἀν [...]γόϱευον τȣ̀ς δὲ δημοτικȣ̀ς ὑπηϱέται τινὲς, ἀϑϱόοι
κέϱασι βοείοις ἐμβυκανῶντες ἐπὶ τὰς ἐκκλησίας συνῆγον.
Die Erwaͤhnung der Koͤnige ſteht hier nur fuͤr laͤngſt ver-
gangne Zeiten, und die Comitien der Curien erloſchen ſchon
nach der Mitte des vierten Jahrhunderts.
riatum calari, id est convocari; centuriata per cornici-
nem. Das iſt augenſcheinlich Mißverſtaͤndniß entweder des
Laͤlius oder Gellius ſelbſt, daß beyde Calata genannt waͤ-
ren: das beweißt auch daß er fortfaͤhrt die detestatio sa-
crorum und die Verfaſſung der Teſtamente waͤre in dieſen
Comitien geſchehen: beydes gehoͤrte unlaͤugbar vor die
Curien.
tes attribuebaut tenuioribus (perinde) ac liberis propriis.
Feſtus im Auszuge, ergaͤnzt aus dem Fragment.
hoͤrte nicht zum Collegium (Dionyſius III. c. 70.), er war
der Sohn eines armen Bauern.
wird auch ohne Erwaͤhnung der politiſchen Veraͤnderung
erzaͤhlt, der Koͤnig habe den Augur, ſeiner eignen Ueber-
zeugung wegen, gepruͤft, und ihm nachher ſein ganzes Ver-
trauen geſchenkt. Cicero de Divin. I. c. 17.
welche in großer Gefahr waren Feilſpaͤne von dem Guͤrtel
ihrer Bildſaͤule im Tempel des Sancus. Feſtus s. v.
Prædia.
res L. L.
turn. I. c. 6.
uͤber den Tod ſeines Weibes Gegania eingeſchlummert war.
Plutarch, de fortuna Romanor. p. 323.
niſche noch zu Varros Zeiten voll kleiner Goͤtterhaine; und
doch konnte er ſich uͤber die Erklaͤrung des Nahmens in die
ſeltſamſten Gruͤbeleyen verlieren: daher hieß der Huͤgel Es-
quiliaͤ, weil er mit Waldflecken der hoͤchſten Eiche, des Aeſcu-
lus (S. Voß zu Virgils Landbau II. v. 16.) bedeckt war,
ſo wie jener andere mit Weidengeſtraͤuch.
ſeine Aenderung unſtreitig richtig; aber die nothduͤrftigſte
Concinnitaͤt erfordert, daß man ſtatt, τὰς κάσας γενέσϑαι
λέγει, leſe λέγων.
Dionyſius a. a. O.
c. 1. s. v. viritim.
bey Gellius XV. c. 27. Cum ex regionibus et locis (suffra-
gium feratur) tributa (comitia esse).
und Feſtus.
Ort wiederhohlt werden wird iſt hieruͤber bey Livius IV. c. 48.
Es ſchien nach den Worten keine Haͤrte zu ſeyn, ſondern viel-
mehr gerechte Gleichheit; in der Wahrheit aber verhielt es
ſich wie mit Contributionsausſchreibungen nach der Aus-
ſaat, [...]lche den Bauer immer zwiefach gedruͤckt, und auf
ſchlechtem Boden ganz zu Grunde gerichtet haben.
Die attiſchen Claſſen des Solon waren darin den roͤmi-
ſchen aͤhnlich daß auch bey dieſen Grundeigenthum der Haupt-
gegenſtand der Schaͤtzung war. Aber in Athen ward, zu die-
ſem Behuf, um den Rang eines Buͤrgers zu ſondern, nur
das Eigenthum an Kornfeldern und Pflanzungen veranſchlagt:
und da den Athenienſern eine von den Buͤrgern auf unbe-
ſtimmte Zeit benutzte Domaine ſo fremd war wie uns, ſo ge-
hoͤrten die einſt adlichen wohlhabenden Grundbeſitzer in die
erſtre Klaſſe: hingegen der reichſte Trapezit in die letzte.
Sonſt ward aber die Vermoͤgensſteuer zu Athen nach weit ge-
rechteren Grundſaͤtzen erhoben, und alles Eigenthum ohne
Ausnahme geſchaͤtzt, ſogar die rohen Materialien in den Fa-
briken. Roms Verarmung und Schwaͤchung bis zum Licini-
ſchen Geſetz iſt ein hoͤchſt merkwuͤrdiges Beyſpiel von den zer-
ſtoͤrenden Folgen der Anwendung der Grundſteuer zur Haupt-
revenuͤe des Staats, und uͤberdies einer partiellen, die ganz
auf den Producenten fiel.
δίκαιον) ὅτι ἂν δόξῃ τῇ πλείονι οὐσίᾳ· κατὰ πλῆϑος γὰϱ
οὐσίας φασὶ κϱίνεσϑαι δεῖν. Ferner: τȣ̃το κύϱιον ἔςω — ὅτι
ἂν οἱ πλείους καὶ ὧν τὸ τίμημα πλεῖον. Wenn von 10 Rei-
chen und 20 Armen 6 Reiche und 15 Arme auf einer Seite:
4 Reiche und 5 Arme auf der andern ſtimmten, dann: ὁπο-
τέϱων τὸ τίμημα ὑπεϱτείνει, συναϱιϑμουμένων ἀμφοτέϱων
ȣ̔κατέϱοις, τοῦτο κύϱιον. Schwerlich ſind hier einzelne ge-
meint, welches endloſe Rechenexempel gegeben haͤtte, ſon-
dern Symmorien.
Sprachgebrauchs, Labeo: im Auszuge des Javolenus 1.
242. D. de verbor. signific. Viduam esse non solum eam
quae aliquando nupta fuisset, sed eam quoque mulierem
quae virum non habuisset, und noch Modeſtinus ſagt,
1. 101. eod. tit. adulterium in nuptam, stuprum in vi-
duam committitur.
angiebt (IV. c. 17: 1250 Drachmen) hat weit mehr innre
Wahrſcheinlichkeit als Livius Zahl: 11000 Aſſe.
doch unbefriedigende Stelle uͤber die Proletarier. Er ſchein-
ſie auf das Vermoͤgen zwiſchen 1500 und 375 Aſſen zu be-
ſchraͤnken: es iſt aber nicht glaublich daß die Zahl deren
Vermoͤgen in dieſen Raum faͤllt ſe bedeutend geweſen ſeyn
ſollte daß man ihr einen eignen Nahmen, denen aber, die
zwiſchen 12500 und 1500 Aſſe geſchaͤtzt wurden keinen ſol-
chen gegeben haͤtte. Es iſt vielmehr wahrſcheinlicher daß
alle von der ſechſten Klaſſe, die nicht capite censi waren,
Proletarier genannt wurden.
Fuͤlle der Fruchtbarkeit fremdes Silber ziehen, und dieſes
ward auch dort Courant.
Solone, p. 91.
4 Obolen: und rechnet den Semiſſis fuͤr einen Viertel Obolus.
Romé de l’Isles auf das Gewicht verſchiedener ſchwerer
Aſſe gegruͤndere Anſicht beſtreiten zu wollen daß dieſes
allmaͤhlig ſchon fruͤher vermindert geworden ſey. Dieſe
gilt fuͤr meine Erlaͤuterung ganz gleich: Urſachen und Fol-
gen bleiben dieſelben.
Alterthum gar nicht fremd waren, beweißt eine merkwuͤrdige
Stelle Xenophons (de vectigalibus c. 3, 2.). Die Attiſchen
Drachmen ſind fein Silber, und Xenophon wußte ſehr wohl
daß ein Staat durch das Ausmuͤnzen gutes Geldes ſich großen
Vortheil bringt, man ſage was man will.
gelenke Koͤrperkraft geweſen, waͤre bey einer ſolchen Na-
tion eine große Armuth an ſelbſtſtaͤndig brauchbaren Offizie-
ren nicht unvermeidlich, ſo wuͤrde dieſer große Fuͤrſt ge-
wiß eine andre Taktik erwaͤhlt haben. Aber nun benutzte
er auf das vollkommenſte die Elemente welche ihm zu Ge-
bot ſtanden.
de, postquam stipendiarii facti sunt, scuta pro clypeis
fuere et quod antea phalanges similes Macedonicis, hoc
postea manipulatim structa acies coepit esse. Dionyſius
redet, in den Kriegen der aͤlteſten Republik, oft vom Pha-
fuͤr Legion ſucht: denn er gedenkt, bey einem etruskiſchen
Heer, der Gewalt womit der Phalanx bergab den Feind
hinunterdraͤngt.
ein Theil derſelben wurden, nicht vielleicht eben deswegen
auf fuͤnf und dreyßig, und nicht hoͤher gebracht ſind, iſt
eine Frage deren Eroͤrterung auf die Unterſuchung der ſpck-
teren Centurienverfaſſung verſachoben werden muß.
de fort. Roman. p. 323.
ſchen Beweiſen vom ehemaligen Daſeyn alter geſchichtlicher
Lieder noch eine merkwuͤrdige Stelle aus dem Auszug des Fe-
ſtus s. v. Camenæ: Camenæ musæ quod canunt antiquo-
rum laudes. Horazens annosa volumina vatum moͤchte ich
auch lieber von uralten Gedichten altitaliſcher Art, aus der
Zeit, da die Dichter vates hießen, als von Prophetenbuͤ-
chern erklaͤren.
reyen durch eine eigne Limitation unterſchieden waren,
vergl. Livius XXVII. c. 38. Daß die Antiaten im Jahr 416
zugleich Colonie und Buͤrger wurden ſagt er VIII. c. 14.
als den Schatz nennt womit Tarquinius der Alte den Bau
des Capitols begonnen habe, was die uͤbrigen von der
Beute von Sueſſa, und dem letzten Koͤnige erzaͤhlen.
braucht und erhalten zu haben; denn ſie bilden zwey Verſe
ſaturniſcher Art, bey denen der Takt und Abſchnitt nicht
das Maaß, noch ſelbſt die Zahl und die genaue Folge der
Versfuͤße gilt.
widerſinnig die Abweichungen andrer von Livius Erzaͤhlung
zu ſammeln, welche durchaus mit reinem Gefuͤhl die ſchoͤnſte
Dichtung erhalten hat. So erzaͤhlt Dionyſius auch die Ge-
ſchichte von Lucretias Tode ganz verſchieden und weit
ſchlechter. Eine merkwuͤrdigere Vergleichung gewaͤhrt Ovids
feine aber ganz herzloſe Erzaͤhlung (Fast. II. v. 685—852.),
eine Erzaͤhlung welche faſt noch mehr als irgend ein an-
drer Theil ſeiner Gedichte ihr Verhaͤltniß zur modernen
Litteratur und unſer Urtheil uͤber ihn entſcheidet, mit der
herrlichen des Livius, welche das erſte Buch, das Meiſter-
werk ſeiner ganzen Geſchichte, kroͤnt.
dichter L. Anius vom Rath ertheilen (Varro de L. L. IV.
c. 14.). Dieſes Dichters Brutus, woraus Varro jene Er-
klaͤrung anfuͤhrt, und Cicero den Traum des Tarquinius,
war die einzige alte Tragoͤdie deren Inhalt aus der roͤmi-
ſchen Geſchichte entlehnt war; die Alten aber bildeten Tra-
goͤdien (Ausnahmen wie Phrynichus Einnahme von Milet
und Aeſchylus Perſer verſchwinden in der Maſſe) nie aus
dem was bey ihnen fuͤr Geſchichte galt, ſondern nur aus
dem anerkannt Mythiſchen, welches auch allein fuͤr die Tra-
goͤdie taugt.
tern Junii Bruti dem Gruͤnder der Republik ganz fremd ge-
weſen waͤren. Dieſe Aeußerung iſt eben ſo wenig auffal-
lend als die Gehaͤſſigkeit womit er den erſten Volkstribunen
Brutus als einen heilloſen Demagogen ſchildert, obgleich
von ihm wohl kaum ein weiteres Andenken als der Nahme
erhalten war. Die Sagen von Abſtammungen welche in
Ciceros Zeit herrſchten waren durchgehend freylich auch
nichts weniger als authentiſch: aber ſie gelten doch mehr
als was nach der Schlacht bey Philippi gelaͤugnet ward
um die Ehre eines geaͤchteten Andenkens zu kraͤnken. Be-
ſonders iſt hier die Uebereinſtimmung des Geſchlechts- und
Familiennahmens wirklich bedeutend.
Publicola, p. 102. F.
erſten plebejiſchen Militaͤrtribun: vir nullis ante honoribus
usus, vetus tantum senator.
ſeiner eignen Erzaͤhlung Brutus, als der letzte Koͤnig ſei-
nen Bruder umbringen ließ, ein Kind war: hier die Soͤh-
ne, nach weniger als fuͤnf und zwanzig Jahren von jener
Zeit, junge Maͤnner ſind.
Gellius N. A. VI. c. 7.
nendus auctor richtiger als durch eine rhetoriſche Figur zu
erklaͤren.
die alte Zeit: die Schaͤtze ſeiner Nachrichten fanden ſich in
andern ſeiner Werke welche der ganz poetiſche Livius we-
nig beachtet haben mag.
und Groͤße des zerſtoͤrten Hauſes, welches das reuige Volk
gejammert habe, laͤßt ſich eine andre Sage von der aͤußer-
ſten Armuth des P. Valerius nicht vereinigen; daß er nicht
ſowohl der Ehre wegen, als weil er nicht ſo viel hinter-
ließ daß ſein Begraͤbniß haͤtte beſtritten werden koͤnnen, auf
Koſten des Volks beſtattet ſey. (Livius II. c. 16.) Auch
wird anderswo erzaͤhlt (de harusp. resp. c. 8.) ihm ſey
die Auszeichnung gehoͤrt daß ihm geſtattet ward die Thuͤren
ſich nach der Straße oͤffnen zu laſſen: welches einerley iſt
mit der Erzaͤhlung Plutarchs und Dionyſius V. 39., wie
ſeinem Bruder Marcus ein Haus auf oͤffentliche Koſten er-
baut ſey: beydes, das zerſtoͤrte und das erbaute Haus iſt
wohl im Grunde dieſelbe verſchieden gewandte Erzaͤhlung.
Plutarch vergaß die duͤrftigen Huͤtten der großen Maͤnner
Athens, indem er von dem Pallaſt des roͤmiſchen Conſuls
traͤumte.
nicio auxilio satis firmassent (die Conſuln L. Valerius und
M. Horatius) und c. 56. fundata deinde plebis libertate.
X. c. 9. M. Valerius Consul de provocatione legem tu-
lit. — Tertio tum lata est, semper a familia eadem. Cau-
sam renovandæ sæpius haud aliam fuisse reor, quam quod
plus paucorum opes quam libertas plebis poterant.
cilium (Livius II. c. 7.), oder Verſammlung eines Theils
und er berief ſie auf das Forum, wo die Centurien ſich nicht
verſammeln konnten: wenn nicht auch dieſes ſpaͤtere plebeji-
ſche, oder mit liebendem Sinn fuͤr die Plebs gedachte Aus-
bildung iſt.
verdorben: denn 304 konnte man im Jahr der Varroni-
ſchen Zeitrechnung 450 nach dieſer Aere unmoͤglich zaͤhlen.
Es iſt unvermeidlich zu aͤndern, und die Aenderung 204
liegt ſehr nahe: aber eine emendirte Zahl iſt eine bedenk-
liche Grundlage fernerer Schluͤſſe.
quus oder Aequicus, Volscolus als Volscus.
ſind auch bey Feſtus s. v. Ratumena porta: aber von einer
andern Zeit: — denn das roͤmiſche Volk iſt es welches die
Quadrigen verfertigen laͤßt; und die Ablieferung des Kunſt-
werks wird nicht durch das Entlaufen der Roſſe entſchie-
den: es iſt ſchon aufgeſtellt, und ſie hemmen ihren Lauf vor
ſeinem Anblick.
Teque pater Tiberine, tuo cum flumine sancto
enthaͤlt faſt genau die Anrede ſeines Gebets bey Livius, und
ſcheint unzweydeutig, obgleich von den Herausgebern ver-
kannt hierauf zu beziehen.
er, bey einer ſehr ernſten Veranlaſſung, das maͤhrchenhafte
entfernen, da er die Erzaͤhlung vom Cocles damit endigt
daß er im Strohm umgekommen ſey. VI. c. 55.
urbe, neque Galli capta, temerare potuissent. Histor.
III. c. 72.
ditos Collatinos ita accipio, eamque deditionis formulam
esse. Rex interrogavit: Estisne Vos legati oratoresque,
missi a populo Collatino, ut Vos populumque Collati-
num dederetis? Sumus. Estne populus Collatinus in sua
potestate? Est. Deditisne Vos, populumque Collatinum,
urbem, agros, aquam, terminos, delubra, utensilia, di-
vina humanaque omnia in meam populique Romani di-
tionem? Dedimus. At ego recipio.
bus populo Romano dedit Porsena, nominatim compre-
hensum invenimus ne ferro nisi in agricultura uterentur.
Ich verdanke die Kenntniß dieſer mir entgangnen Stelle
zuerſt dem Micali, der ſie aber, eben wie Levesque, ſtill-
ſchweigend aus Beaufort entlehnt hat.
II. c. 30. Manium Valerium dictatorem creant (Consules,
Senioresque Patrum.) III. c. 26. Cum dictatorem dici pla-
ceret — L. Quinctius Cincinnatus consensu omnium di-
citur. IV. c. 17. Senatus dictatorem dici Mam. Aemilium
jussit. IV. c. 21. Dictatorem dici A. Servilium placet.
erſt einen plebejiſchen Dictator ernannte: eine Wahl welche
der Senat mit großem Unwillen aufnahm.
vius II. c. 18.
bey Dionyſius (VI. c. 1.) an: ehe die Feindſeligkeiten be-
gonnen, haͤtten Roͤmer und Latiner den bey ihnen verhei-
ratheten Frauen aus dem andern Volk geſtattet zu ihren
Vaͤtern zuruͤckzukehren und ihre Toͤchter mit ſich zu neh-
men. Die Roͤmerinnen haͤtten faſt ohne Ausnahme ihre
latiniſchen Maͤnner verlaſſen: alle Latinerinnen, außer
zweyen, waͤren zu Rom geblieben. Die ſtolze Tugend der
Matronen bluͤhte noch in voller Reinheit als jene alten
Lieder geſungen wurden, und der Dichter verweilte gern
bey ihr.
nicht: denn nach elf Jahren ward er zum Dictator er-
nannt: und P Valerius, Publicolas Sohn, iſt, nach Dio-
nyſius eigner Erzaͤhlung einige Jahre nach der Schlacht
als Commiſſar ausgeſandt geworden um Korn zur Stillung
der Hungersnoth zu kaufen. Beyde Angaben ſind wirklich
hiſtoriſcher Art, und entſcheiden uͤber die Glaublichkeit der
Erzaͤhlung von der Schlacht. S. Sylburg und Glareanus
zum Dionyſius VI. c. 12.
niger mythiſch geweſen als die von Rom, und Dionyſius
Auszug iſt vorzuͤglich dadurch merkwuͤrdig daß dieſes dar-
aus ſo ſichtbar hervorgeht. VII. c. 3. ff. Aber die per-
ſiſchen Kriege Altgriechenlands ſind nicht weniger dichte-
riſch als Kumas Siege uͤber die zahlloſen italiſchen Bar-
baren.
ginum fuit. Cato Fragm. Origg. bey Cortius.
dieſes Buͤndniſſes findet ſich bey Dionyſius VI. c. 95.
Grad des Buͤrgerrechts ausuͤbten, nicht alle zufaͤllig an-
weſende.
erat, injuriae [...] primoribus fieri soepere. Livius II.
c. 21.
thiſchen Zeitalter war bey ihnen eine weſentliche Eigen-
ſchaft der ei entlichen geſetzlichen Koͤnigswuͤrde: eine Be-
dingung welche in der oͤffentlichen Meynung zuerſt, und in
einem ganz einzeln ſtehenden Fall bey Gelon von Syrakuſaͤ
unterdruͤckt ward: einem Manne der ſelbſt ein Heros war,
und die Kraft, Weisheit und Tugend vereinigte, wodurch
nach Polybius die koͤnigliche Gewalt der Heroen rechtlich
begruͤndet ward. Selbſt die koͤniglichen Haͤuſer der Barba-
ren knuͤpften die Gri[e]chen an ihre Mythologie. Als jene
Heroenfamilien ausſtarben oder ausarteten, und die Koͤ-
nigswuͤrde verſchwand, ging die hoͤchſte Gewalt zu den vor-
nehmſten Staͤmmen uͤber, die ebenfalls ihre Vorfahren aus
dem ehernen Zeitalter zu nennen wußten oder vorgaben.
ſchen Factionen des ſiebenten Jahrhunderts zu leſen. Nur in
Sulla allein zeigt ſich patriciſche Sinnesart, und er affec-
tirte es ſie zu zeigen.
ἔχειν. Dienyſius IX. c. 25. Die Strafe konnte nur in cen-
ſoriſcher Notation (Ausſtreichung aus der Tribus) beſtehen.
mitiis noluit. Per Patres clientesque Patrum consules
creati.
si, dispositis clientibus, absterrendo singulos — disjicere
rem possent. Universi deinde processere, precibus plebem
exposcentes.
butis comitiis fierent. — res — quæ patriciis omnem po-
testatem per clientium suffragia creandi quos vellent tri-
bunos auferret.
λάταις ȣ̓κ ὀλίγοις ȣ̓̑σι, πολλὰ μεϱη τὴς ἀγοϱᾶς κατεῖχον.
IV. c. 24.) und C. Claudius waͤre es ausdruͤcklich wenn
M. Livius ihn nicht ſchon in der Maſſe der 34 Tribus zum
Aerarier herabgeſetzt gehabt haͤtte. XXIX. c. 37.
τὰς φυλὰς, καὶ ἐς τὴν Ἱππάδα, καὶ ἐς τὴν Γεϱȣσίαν ἐγγϱά.
φειν, — τȣ̔ς δ̕ οὐκ εὖ βιοῦντας ἁπανταχόϑεν ἐξαλείφειν.
Ich werde auf dieſen wichtigen Gegenſtand im Verfolg die-
ſes Werks zuruͤckkommen.
sordescere etc. etc. — censores aerarium faciebant. XVI.
c. 13. Tabulae Cærites appellatae, in quas censores referri
jubebant quos notæ causa suffragiis privabant. Haͤufig
wird von Livius der cenſoriſchen Notation gedacht: der Entfer-
nung aus dem Stamm, der Verwerfung unter die Aera-
rier: nie der Caͤritiſchen Tafeln: dieſe muͤſſen alſo das Ver-
zeichniß der Aerarier gewoſen ſeyn.
der Einraͤumung eines fruͤher nicht genoſſenen Rechts.
cier an.
der Clienten, deutet die Gleichheit des Gewiſſensrechts fuͤr
die Gaſtfreunde und die Clienten. Gellius V. c. 13. Auch
ſagten die Tribunen dem Volk als Appius Herdonius das Ca-
pitol beſetzt hatte: ſie ſollten ruhig ſeyn, es waͤren nur Gaſt-
freunde und Clienten der Patricier, welche ſchon wieder ab-
ziehen wuͤrden. III. c. 16. Eine Stelle, die zu denen ge-
hoͤrt welche den Unterſchied zwiſchen den Plebejern und den
Clienten ſehr ſcharf heraushebt.
ben vermindert, und in vielen Laͤndern iſt der erbliche Be-
ſitz der Gutsuntergehoͤrigen ihnen entriſſen, und ihr Land
auf Zeitpacht ausgegeben worden: mit einer ſchreyenden Un-
gerechtigkeit. Die Verſchuldung aber iſt in den voruͤberge-
henden Segensjahren noch allgemeiner und weit groͤßer ge-
worden als in der langen Zeit worin nur erhoͤhter Fleiß das
Vermoͤgen des Landmanns vermehren konnte, und die Preiſe
eher fielen als ſtiegen.
mann gedient hatte, und die desjenigen den M. Manlius
loskaufte, gewaͤhren eine von den in den Roͤmiſchen Anna-
len ſo aͤußerſt haͤufigen Parallelen, oder hoͤchſt verdaͤchtigen
Wiederhohlungen.
weihung eines Mercuriustempels, womit die Errichtung
einer Kaufmannsgilde verbunden war, der erſte Vorſteher
des Kornhandels vom Volk ernannt worden zu ſeyn: eine
Magiſtratur welche vielleicht nicht auf außerordentliche
Mißjahre eingeſchraͤnkt war, ſendern wahrſcheinlicher fort-
dauerte bis ihre Geſchaͤfte auf hoͤhere Beamte uͤbergin-
gen. Die erſte Wahl des Volks fiel auf einen Plebejer.
Livius II. c. 27.
den Soͤhne des Voleſus genannt: und hoͤher ging das Ge-
ſchlechtsregiſter der Familie ſchwerlich hinauf. Aus dieſem
hiſtoriſchen Stammvater bildete die Sage, ſeinen Nahmen
wiederhohlend, einen Ritter des Koͤnigs Tatius.
ſuln geſchworen geweſen, wiewohl der Dictater die Trup-
pen ausgehoben hatte. Das aber iſt undenkbar, da die
Dictatur die hoͤchſte Gewalt war. Es ſcheint daß ſich eine
Sage erhalten hatte daß die Foͤrmlichkeit des Eides bey dem
Aufſtand der Armee erwogen ward; und die dunkle Mel-
dung, wie gewoͤhnlich, in das entgegengeſetzte ihres ur-
ſpruͤnglichen Sinns umgebildet worden iſt.
nannt wird. Varro de L. L. IV. c. 14. Der heilige Berg
trug damals noch nicht dieſen Nahmen, ſondern empfing
ihn, weil er vom Volk, als es ſein Lager verließ, Jupiter
geweiht ward. Feſtus s. v. Sacer mons.
pam Anienis — consedisset, eumque montem qui Saoer
appellatus est, occupavisset, M. Valerium dictatorem di-
cendo sedavisse discordias, eique ob eam rem honores
amplissimos habitos, et eum primum ob eam ipsam cau-
sam Maximum esse appellatum.
quondum plebis clavum ab dictatore fixum.
wie ſehr aber auch ihre Ausbildung griechiſch iſt, er ſcheint
ihren Inhalt ſogar aus roͤmiſchen Annalen genommen zu
haben. Fuͤr dieſe waren ſie erſonnen, aber nicht ohne
Kenntniß der alten Zeit, und daher iſt folgende Stelle in
ſeiner Rede des Appius gegen Nachgiebigkeit merkwuͤrdig;
welche Plebs und Clienten ſo ſtark als moͤglich unterſchei-
det. VI. c. 63. Πϱὸς τȣ̀ς ἔξωϑεν πολεμίȣς αὐτοί τε χωϱῶ-
μεν ἀπάσῃ πϱοϑυμίᾳ, καὶ τȣ̀ς πελάτας ἅπαντας ἐπα-
γώμεϑα· καὶ τȣ̃ δημοτικς τὸ πεϱιόν. — ἄφεσιν κὐτῷ χαϱι-
σώμεϑα τῶν χϱεῶν, μὴ κοινὴν, ἀλλὰ κατ̕ ἄνδϱα.
Ebendaſelbſt: Appius lictorem mittit ad tribunum, priva-
tum esse clamitans, sine imperio, sine magistratu.
ward er von den Patriciern beſtaͤtigt: nothwendig in den
Curien. Dionyſius VI. c. 90.
ſagt Livius nicht. Die ſehr unwiſſenden roͤmiſchen Annali-
ſten nannten als den Geber Dionyſius von Syrakuſaͤ, deſ-
ſen Nahmen, ohne eine beſtimmte Kenntniß ſeines Zeital-
ters, in Italien nicht unbekannt war: der Geſchichtſchreiber
Dionyſius zeigt daß es nur Gelon geweſen ſeyn koͤnne.
Fuͤrſtliche Freygebigkeit gegen ein nothleidendes Volk war
ihre Geſchichte iſt reich an Beyſpielen edelmuͤthiger Huͤlfe,
welche ohne alle Politik und allen Eigennutz dieſelben Staa-
ten gewaͤhrten die in andern Faͤllen der Herrſchſucht ge-
horchten. Nur muͤßte man hier doch annehmen daß die
Roͤmer mit den Siciliſchen Griechen durch Handelsvertraͤge
verbunden waren, damit ſie ihre Maͤrkte beſuchen konnten:
ſie waren es mit dem puniſchen Theil der Inſel, welcher
ihnen entgegenlag, und ſo iſt es freylich wohl wahrſchein-
licher daß dieſe Huͤlfe, als Geſchenk oder erhandelt, dorther
kam als aus den entfernteren und vielleicht unfreundliche-
ren griechiſchen Staaten.
Anſicht allgemeiner Armuth der Plebejer an. Die Mehr-
zahl war nothwendig arm bey der Kleinheit der plebejiſchen
Hufen von ſieben Jugern, welche uͤberdies bey Erbſchaften,
die auf mehrere fielen, wenn ſie auch nicht getheilt wur-
den, doch mehreren Familien genuͤgen mußten. Ueberdies
hatte das Ungluͤck der Zeiten die kleinen Landeigenthuͤmer
zu Grunde gerichtet.
(VIII. c. 62.) οὐ γέγονεν ἐξιτηλος ἡ τοῦ ἀνδϱὸς μνήμη,
ἀλλ̕ ᾄδεται καὶ ὑμνεῖται πϱὸς ἁπάντων, ὡς εὐσεβὴς
καὶ δίκαιος ἀνήϱ, laͤßt der Sprachgebrauch ſchwerlich zu.
sulis C. Marcius, ut, nisi foedus cum Latinis, columna
aenea insculptum, monumento esset, ab Sp. Cassio uno,
quia collega afuerat, ictum; Postumum Cominium bel-
lum gessisse cum Volscis memoria cessisset.
mine victae ab se gentis est nobilitatus; exemplo deinde
hujus etc.
ditanus, Calatinus, Regillenſis (bey den Claudiern): oder
von den Gegenden der Stadt wie die Familien Virginia
Coͤlimontana, Cornelia Eſquilina, Quinctia und Manlia
Capitolina, Genucia Aventinenſis, Terentia Tuſcivicana.
Eine ſcheinbare Ausnahme macht die Familie Poſtumia Re-
gillenſis: aber bey der allgemeinen Regel iſt entweder ſpaͤ-
tere Annahme des Titels, als die Sitte allgemein gewor-
den war, nach dem beruͤhmten Siege des Ahnherrn, oder
wenn dieſes nicht war, aͤhnliche Veranlaſſung wie bey dem
Siculus, Sicinius Sabinus, Aquillius Tuſcus.
gewoͤhnlichen Text fehlt dieſer mit vielen andern Nahmen
welche ſie herſtellt.
von Staͤdten angenommen wurden mochte auch Patronat
Veranlaſſung geben.
vissimum cui Coriolanus exsul interfuit.
Tullus Attius, ſo daß Tullus auch hier wie bey dem roͤ-
miſchen Koͤnige der Vornahme war. Ohne Zweifel war
er, wie es auch die Sage darſtellt nur Praͤtor von An-
tium: die Spaͤteren machen ihn zu einem Koͤnige der Vols-
ker, und leiten Ciceros Geſchlecht von ihm ab.
ſcheinlich unmittelbar auf Coriolanus Verurtheilung, und
daher wohl verbindet Livius ſie, zwey Conſulpaare, der
Jahre 264 und 265, auslaſſend.
ſchauer bey den roͤmiſchen Spielen eingefunden haͤtten, in
einer Zeit wo kaum nur nicht entſchiedner Krieg zwiſchen
ihnen und Rom herrſchte.
entlehnt hat, Zonaras erzaͤhlt Coriolanus Tod nicht an-
ders; und Dio hatte die aͤltere roͤmiſche Geſchichte mit Kri-
tik und Auswahl der Quellen bearbeitet.
lich derſelbe Ort.
hier zwar auf die angebliche fruͤhere roͤmiſche Eroberung
bezogen.
werden daß in der Zwiſchenzeit von der Verheerung der
Landſchaft von Lavici durch die Aequer geredet wird.
III. c. 25.
νῶν geleſen werden muͤſſen.
nur belagert, den Ausgang laͤßt er unentſchieden.
ben jede Erwaͤhnung des Dictators des geſammten Bundes
vermieden.
Cortius Sammlung.
wo nebenher von der Verwuͤſtung der Gabiniſchen und Praͤ-
neſtiniſchen Landſchaft geredet wird; aber eine ſo ſchwache
ſten gekommen ſeyn mag, hat bey dem ſonſt ununterbroch-
nen Stillſchweigen kein Gewicht. Allenthalben ſieht man
wie leichtſinnig mit den wenigen alten Nachrichten verfah-
ren iſt.
ein Drittheil, nicht mehr, wie nach dem urſpruͤnglichen Ver-
trag die Haͤlfte. Plinius H. N. XXXIV. c. 11.
Koͤnigs, und unter den theilnehmenden Voͤlkern bey den
latiniſchen Ferien. Aber auch die Antiater und Ecetraner:
wohl nur aͤchte Latiner waren, mit den Voͤlkern zu ver-
wechſeln aus denen der große latiniſche Bund am Anfang
des fuͤnften Jahrhunderts beſtand.
den Tribus conſcribirt: und es war die beſtaͤndige Klage
der Volkstribunen, ihr Stand ſteure [und] diene allein, und
ohne Vergeltung.
ager ex hostibus captus viritim divideretur, magnaeque
partis nobilium eo plebiscito publiearentur fortunae; nec
enim ferme quidquam agri, ut in urbe alieno solo po-
Hemina, bey Nonius c. II. s. v. plebitatem. Quicunque
propter plebitatem agro publico ejecti sunt.
tumve publice esset, præterquam plebs habebat — Li-
vius IV. c. 48. Von ſpaͤteren allgemeinen Aſſignationen
an die Plebs erinnere ich nur an die Vejentaniſche, Li-
vius V. c. 30.: und die Falerniſche und Privernatiſche
VIII. c. 11. 12.
in stipendium militum erogandi æris. Livius IV. c. 36.
lat von einem ſolchen Beſchluß ſchweigt, und die Forderun-
gen der Tribunen auch vor dem Publiliſchen Geſetz, als
eigentliche und neue Ackergeſetze darſtellt, die Klage des Volks
bey ihm zu beziehen: IV. c. 51. jacere tamdiu irritas
sanctiones quæ de suis commodis ferrentur.
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-
CC-BY-4.0
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Niebuhr, Barthold Georg. Römische Geschichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmx3.0