[][][][][]
Maria Stuart

ein
Trauerſpiel




Tuͤbingen,:
in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung
1801.

[][[1]]
Maria Stuart.


Trauerſpiel
in
fuͤnf Aufzuͤgen
.
[[2]][[3]]

Perſonen.



  • Eliſabeth, Koͤnigin von England.

  • Maria Stuart, Koͤnigin von Schottland, Gefangne in England.

  • Robert Dudley, Graf von Leiceſter.

  • Georg Talbot, Graf von Schrewsbury.

  • Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh, Großſchatzmeiſter.

  • Graf von Kent.

  • Wilhelm Daviſon, Staatsſecretair.

  • Amias Paulet, Ritter, Huͤter der Maria.

  • Mortimer, ſein Neffe.

  • Graf Aubeſpine, franzoͤſiſcher Geſandter.

  • Graf Bellievre, außerordentlicher Botſchafter von Frankreich.

  • Okelly, Mortimers Freund.

  • Drugeon Drury, zweiter Huͤter der Maria.

  • Melvil, ihr Haushofmeiſter.

  • Hanna Kennedy, ihre Amme.

  • Margaretha Kurl, ihre Kammerfrau.

  • Scherif der Grafſchaft.

  • Offizier der Leibwache.

  • Franzoͤſiſche und Engliſche Herren.

  • Trabanten.

  • Hofdiener der Koͤnigin von England.

  • Diener und Dienerinnen der Koͤnigin von Schottland.


[[4]][[5]]

Erſter Aufzug.
Im Schloß zu Fotheringhay.


(Ein Zimmer.)

Erſter Auftritt.


Hanna Kennedy, Amme der Koͤnigin von Schottland in heftigem
Streit mit Paulet, der im Begriff iſt, einen Schrank zu oͤffnen.
Drugeon Drury, ſein Gehilfe, mit Brecheiſen.

Kennedy.

Was macht ihr, Sir? Welch neue Dreiſtigkeit!
Zuruͤck von dieſem Schrank!

Paulet.

Wo kam der Schmuck her?
Vom obern Stock ward er herabgeworfen,
Der Gaͤrtner hat beſtochen werden ſollen
Mit dieſem Schmuck — Fluch uͤber Weiberliſt!
Trotz meiner Aufſicht, meinem ſcharfen Suchen,
Noch Koſtbarkeiten, noch geheime Schaͤtze!

(Sich uͤber den Schrank machend)


Wo das geſteckt hat, liegt noch mehr!

[6]
Kennedy.

Zuruͤck, Verwegner!
Hier liegen die Geheimniſſe der Lady.

Paulet.

Die eben ſuch' ich.

(Schriften hervorziehend)
Kennedy.

Un[b]edeutende
Papiere, bloße Uibungen der Feder,
Des Kerkers traur'ge Weile zu verkuͤrzen.

Paulet.

In muͤß'ger Weile ſchafft der boͤſe Geiſt.

Kennedy.

Es ſind franzoͤſiſche Schriften.

Paulet.

Deſto ſchlimmer!
Die Sprache redet Englands Feind.

Kennedy.

Concepte
Von Briefen an die Koͤnigin von England.

Paulet.

Die uͤberliefr' ich — Sieh! Was ſchimmert hier?


(er hat einen geheimen Reſſort geoͤffnet, und zieht aus einem
verborgnen Fach Geſchmeide hervor)

[7]

Ein koͤnigliches Stirnband, reich an Steinen,
Durchzogen mit den Lilien von Frankreich!

(er giebt es ſeinem Begleiter)


Verwahrt's, Drury. Legt's zu dem uͤbrigen!


(Drury geht ab.)
Kennedy.

O ſchimpfliche Gewalt, die wir erleiden!

Paulet.

So lang ſie noch beſitzt, kann ſie noch ſchaden,
Denn alles wird Gewehr in ihrer Hand.

Kennedy.

Seyd guͤtig, Sir. Nehmt nicht den letzten Schmuck
Aus unſerm Leben weg! Die Jammervolle
Erfreut der Anblick alter Herrlichkeit,
Denn alles andre habt ihr uns entriſſen.

Paulet.

Es liegt in guter Hand. Gewiſſenhaft
Wird es zu ſeiner Zeit zuruͤck gegeben!

Kennedy.

Wer ſieht es dieſen kahlen Waͤnden an,
Daß eine Koͤnigin hier wohnt? Wo iſt
Die Himmeldecke uͤber ihrem Sitz?
Muß ſie den zaͤrtlich weichgewoͤhnten Fuß
Nicht auf gemeinen rauhen Boden ſetzen?
[8] Mit grobem Zinn, die ſchlechtſte Edelfrau
Wuͤrd' es verſchmaͤhn, bedient man ihre Tafel.

Paulet.

So ſpeißte ſie zu Sterlyn ihren Gatten,
Da ſie aus Gold mit ihrem Buhlen trank.

Kennedy.

Sogar des Spiegels kleine Nothdurft mangelt.

Paulet.

So lang ſie noch ihr eitles Bild beſchaut,
Hoͤrt ſie nicht auf, zu hoffen und zu wagen.

Kennedy.

An Buͤchern fehlts, den Geiſt zu unterhalten.

Paulet.

Die Bibel ließ man ihr, das Herz zu beſſern.

Kennedy.

Selbſt ihre Laute ward ihr weggenommen.

Paulet.

Weil ſie verbuhlte Lieder drauf geſpielt.

Kennedy.

Iſt das ein Schickſal fuͤr die weicherzogne,
Die in der Wiege Koͤnigin ſchon war,
Am uͤpp'gen Hof der Medizaͤerin
In jeder Freuden Fuͤlle aufgewachſen.
[9] Es ſey genug, daß man die Macht ihr nahm,
Muß man die armen Flitter ihr misgoͤnnen?
In großes Ungluͤck lehrt ein edles Herz
Sich endlich finden, aber wehe thuts,
Des Lebens kleine Zierden zu entbehren.

Paulet.

Sie wenden nur das Herz dem eiteln zu,
Das in ſich gehen und bereuen ſoll.
Ein uͤppig laſtervolles Leben buͤßt ſich
In Mangel und Erniedrigung allein.

Kennedy.

Wenn ihre zarte Jugend ſich vergieng,
Mag ſie's mit Gott abthun und ihrem Herzen,
In England iſt kein Richter uͤber ſie.

Paulet.

Sie wird gerichtet, wo ſie frevelte.

Kennedy.

Zum Freveln feſſeln ſie zu enge Bande.

Paulet.

Doch wußte ſie aus dieſen engen Banden
Den Arm zu ſtrecken in die Welt, die Fackel
Des Buͤrgerkrieges in das Reich zu ſchlendern,
Und gegen unſre Koͤnigin, die Gott
Erhalte! Meuchelrotten zu bewaffnen.
[10] Erregte ſie aus dieſen Mauern nicht
Den Boͤßwicht Parry und den Babington
Zu der verfluchten That des Koͤnigsmords?
Hielt dieſes Eiſengitter ſie zuruͤck,
Das edle Herz des Norfolk zu umſtricken?
Fuͤr ſie geopfert fiel das beſte Haupt
Auf dieſer Inſel unterm Henkerbeil —
Und ſchreckte dieſes jammervolle Beiſpiel
Die Raſenden zuruͤck, die ſich wetteifernd
Um ihrentwillen in den Abgrund ſtuͤrzen?
Die Blutgeruͤſte fuͤllen ſich fuͤr ſie
Mit immer neuen Todesopfern an,
Und das wird nimmer enden, bis ſie ſelbſt,
Die Schuldigſte, da[r]auf geopfert iſt.
— O Fluch dem Tag, da dieſes Landes Kuͤſte
Gaſtfreundlich dieſe Helena empfing.

Kennedy.

Gaſtfreundlich haͤtte England ſie empfangen?
Die Ungluͤckſelige, die ſeit dem Tag,
Da ſie den Fuß geſetzt in dieſes Land,
Als eine Hilfeflehende, Vertriebne
Bei der Verwandten Schutz zu ſuchen kam,
Sich wider Voͤlkerrecht und Koͤnigswuͤrde
Gefangen ſieht, in enger Kerkerhaft
Der Jugend ſchoͤne Jahre muß vertrauern. —
[11] Die jetzt, nachdem ſie alles hat erfahren,
Was das Gefaͤngniß bittres hat, gemeinen
Verbrechern gleich, vor des Gerichtes Schranken
Gefodert wird und ſchimpflich angeklagt
Auf Leib und Leben — eine Koͤnigin!

Paulet.

Sie kam ins Land als eine Moͤrderin,
Verjagt von ihrem Volk, des Throns entſetzt,
Den ſie mit ſchwerer Greuelthat geſchaͤndet.
Verſchworen kam ſie gegen Englands Gluͤck,
Der ſpaniſchen Maria blut'ge Zeiten
Zuruͤck zu bringen, Engelland katholiſch
Zu machen, an den Franzmann zu verrathen.
Warum verſchmaͤhte ſie's, den Edimburger
Vertrag zu unterſchreiben, ihren Anſpruch
An England aufzugeben, und den Weg
Aus dieſem Kerker ſchnell ſich aufzuthun,
Mit einem Federſtrich? Sie wollte lieber
Gefangen bleiben, ſich mißhandelt ſehn,
Als dieſes Titels leerem Prunk entſagen.
Weswegen that ſie das? Weil ſie den Raͤnken
Vertraut, den boͤſen Kuͤnſten der Verſchwoͤrung,
Und Unheilſpinnend dieſe ganze Inſel
Aus ihrem Kerker zu erobern hofft.

[12]
Kennedy.

Ihr ſpottet, Sir — Zur Haͤrte fuͤgt ihr noch
Den bittern Hohn! Sie hegte ſolche Traͤume,
Die hier lebendig eingemauert lebt,
Zu der kein Schall des Troſtes, keine Stimme
Der Freundſchaft aus der lieben Heimat dringt,
Die laͤngſt kein Menſchenangeſicht mehr ſchaute,
Als ihrer Kerkermeiſter finſtre Stirn,
Die erſt ſeit kurzem einen neuen Waͤchter
Erhielt in eurem rauhen Anverwandten,
Von neuen Staͤben ſich umgittert ſieht —

Paulet.

Kein Eiſengitter ſchuͤtzt vor ihrer Liſt.
Weiß ich, ob dieſe Staͤbe nicht durchfeilt,
Nicht dieſes Zimmers Boden, dieſe Waͤnde,
Von außen feſt, nicht hohl von innen ſind,
Und den Verrath einlaſſen, wenn ich ſchlafe?
Fluchvolles Amt, das mir geworden iſt,
Die Unheilbruͤtend liſtige zu huͤten.
Vom Schlummer jagt die Furcht mich auf, ich gehe
Nachts um, wie ein gequaͤlter Geiſt, erprobe
Des Schloſſes Riegel und der Waͤchter Treu,
Und ſehe zitternd jeden Morgen kommen,
Der meine Furcht wahr machen kann. Doch wohl mir!
Wohl! Es iſt Hoffnung, daß es bald nun endet.
[13] Denn lieber moͤcht ich der Verdammten Schaar
Wachſtehend an der Hoͤllenpforte huͤten,
Als dieſe raͤnkevolle Koͤnigin.

Kennedy.

Da kommt ſie ſelbſt!

Paulet.

Den Chriſtus in der Hand,
Die Hoffart und die Weltluſt in dem Herzen.


Zweiter Auftritt.


Maria im Schleier, ein Krucifix in der Hand. Die Vorigen.

Kennedy
(ihr entgegen eilend).

O Koͤnigin! Man tritt uns ganz mit Fuͤßen,
Der Tyranney, der Haͤrte wird kein Ziel,
Und jeder neue Tag haͤuft neue Leiden
Und Schmach auf dein gekroͤntes Haupt.

Maria.

Faß dich!
Sag an, was neu geſchehen iſt?

Kennedy.

Sieh her!
Dein Pult iſt aufgebrochen, deine Schriften,
Dein einz'ger Schatz, den wir mit Muͤh' gerettet,
Der letzte Reſt von deinem Brautgeſchmeide
[14] Aus Frankreich iſt in ſeiner Hand. Du haſt nun
Nichts Koͤnigliches mehr, biſt ganz beraubt.

Maria.

Beruhige dich, Hanna. Dieſe Flitter machen
Die Koͤnigin nicht aus. Man kann uns niedrig
Behandeln, nicht erniedrigen. Ich habe
In England mich an viel gewoͤhnen lernen,
Ich kann auch das verſchmerzen. Sir, ihr habt euch
Gewaltſam zugeeignet, was ich euch
Noch heut' zu uͤbergeben willens war.
Bei dieſen Schriften findet ſich ein Brief,
Beſtimmt fuͤr meine koͤnigliche Schweſter
Von England — Gebt mir euer Wort, daß ihr
Ihn redlich an ſie ſelbſt wollt uͤbergeben,
Und nicht in Burleighs ungetreue Hand.

Paulet.

Ich werde mich bedenken, was zu thun iſt.

Maria.

Ihr ſollt den Inhalt wiſſen, Sir. Ich bitte
In dieſem Brief um eine große Gunſt —
— Um eine Unterredung mit ihr ſelbſt,
Die ich mit Augen nie geſehn — Man hat mich
Vor ein Gericht von Maͤnnern vorgefodert,
Die ich als meines Gleichen nicht erkennen,
Zu denen ich kein Herz mir faſſen kann.
[15] Eliſabeth iſt meines Stammes, meines
Geſchlechts und Ranges — Ihr allein, der Schweſter,
Der Koͤnigin, der Frau kann ich mich oͤffnen.

Paulet.

Sehr oft, Milady, habt ihr euer Schickſal
Und eure Ehre Maͤnnern anvertraut,
Die eurer Achtung minder wuͤrdig waren.

Maria.

Ich bitte noch um eine zweite Gunſt,
Unmenſchlichkeit allein kann mir ſie weigern.
Schon lange Zeit entbehr' ich im Gefaͤngniß
Der Kirche Troſt, der Sakramente Wohlthat,
Und die mir Kron' und Freiheit hat geraubt,
Die meinem Leben ſelber droht, wird mir
Die Himmelsthuͤre nicht verſchließen wollen.

Paulet.

Auf euren Wunſch wird der Dechant des Orts —

Maria
(unterbricht ihn lebhaft).

Ich will nichts vom Dechanten. Einen Prieſter
Von meiner eignen Kirche fodre ich.
— Auch Schreiber und Notarien verlang' ich,
Um meinen letzten Willen aufzuſetzen.
Der Gram, das lange Kerkerelend nagt
An meinem Leben. Meine Tage ſind
[16] Gezaͤhlt, befuͤrcht' ich, und ich achte mich
Gleich einer Sterbenden.

Paulet.

Da thut ihr wohl,
Das ſind Betrachtungen, die euch geziemen.

Maria.

Und weiß ich, ob nicht eine ſchnelle Hand
Des Kummers langſames Geſchaͤft beſchleunigt?
Ich will mein Teſtament aufſetzen, will
Verfuͤgung treffen uͤber das, was mein iſt.

Paulet.

Die Freiheit habt ihr. Englands Koͤnigin
Will ſich mit eurem Raube nicht bereichern.

Maria.

Man hat von meinen treuen Kammerfrauen,
Von meinen Dienern mich getrennt — Wo ſind ſie?
Was iſt ihr Schickſal? Ihrer Dienſte kann ich
Entrathen, doch beruhigt will ich ſeyn,
Daß die Getreu'n nicht leiden und entbehren.

Paulet.

Fuͤr eure Diener iſt geſorgt.


(Er will gehen.)
Maria.

Ihr geht, Sir? Ihr verlaßt mich abermals,
Und ohne mein geaͤngſtigt fuͤrchtend Herz
[17] Der Qual der Ungewißheit zu entladen.
Ich bin, Dank eurer Spaͤher Wachſamkeit,
Von aller Welt geſchieden, keine Kunde
Gelangt zu mir durch dieſe Kerkermauern,
Mein Schickſal liegt in meiner Feinde Hand.
Ein peinlich langer Monat iſt voruͤber,
Seitdem die vierzig Kommiſſarien
In dieſem Schloß mich uͤberfallen, Schranken
Errichtet, ſchnell, mit unanſtaͤndiger Eile,
Mich unbereitet, ohne Anwalds Huͤlfe,
Vor ein noch nie erhoͤrt Gericht geſtellt,
Auf ſchlaugefaßte ſchwere Klagepunkte
Mich, die betaͤubte, uͤberraſchte, flugs
Aus dem Gedaͤchtniß Rede ſtehen laſſen —
Wie Geiſter kamen ſie und ſchwanden wieder.
Seit dieſem Tage ſchweigt mir jeder Mund,
Ich ſuch' umſonſt in eurem Blick zu leſen,
Ob meine Unſchuld, meiner Freunde Eifer,
Ob meiner Feinde boͤſer Rath geſiegt.
Brecht endlich euer Schweigen — laßt mich wiſſen,
Was ich zu fuͤrchten, was zu hoffen habe.

Paulet
(nach einer Pauſe).

Schließt eure Rechnung mit dem Himmel ab.

Maria.

Ich hoff' auf ſeine Gnade, Sir — und hoffe
Auf ſtrenges Recht von meinen ird'ſchen Richtern.


2[18]
Paulet.

Recht ſoll euch werden. Zweifelt nicht daran.

Maria.

Iſt mein Prozeß entſchieden, Sir?

Paulet.

Ich weiß nicht.

Maria.

Bin ich verurtheilt?

Paulet.

Ich weiß nichts, Milady.

Maria.

Man liebt hier raſch zu Werk zu gehn. Soll mich
Der Moͤrder uͤberfallen wie die Richter?

Paulet.

Denkt immerhin, es ſey ſo, und er wird euch
In beßrer Faſſung dann als dieſe finden.

Maria.

Nichts ſoll mich in Erſtaunen ſetzen, Sir,
Was ein Gerichtshof in Weſtminſterhall,
Den Burleighs Haß und Hattons Eifer lenkt,
Zu urtheln ſich erdreiſte — Weiß ich doch,
Was Englands Koͤnigin wagen darf zu thun.

Paulet.

Englands Beherrſcher brauchen nichts zu ſcheuen,
Als ihr Gewiſſen und ihr Parlament.
[19] Was die Gerechtigkeit geſprochen, furchtlos,
Vor aller Welt wird es die Macht vollziehn.


Dritter Auftritt.


Die Vorigen. Mortimer, Paulets Neffe, tritt herein und
ohne der Koͤnigin einige Aufmerkſamkeit zu bezeugen, zu
Paulet.

Mortimer.

Man ſucht euch, Oheim.


(Er entfernt ſich auf eben die Weiſe. Die Koͤnigin bemerkt es
mit Unwillen und wendet ſich zu Paulet, der ihm fol-
gen will.)
Maria.

Sir, noch eine Bitte.
Wenn ihr mir was zu ſagen habt — Von euch
Ertrag ich viel, ich ehre euer Alter.
Den Uebermuth des Juͤnglings trag' ich nicht,
Spart mir den Anblick ſeiner rohen Sitten.

Paulet.

Was ihn euch widrig macht, macht mir ihn werth.
Wohl iſt es keiner von den weichen Thoren,
Die eine falſche Weiberthraͤne ſchmelzt —
Er iſt gereiſt, kommt aus Paris und Rheims,
Und bringt ſein treu altengliſch Herz zuruͤck,
Lady, an dem iſt eure Kunſt verloren!


(geht ab.)

[20]

Vierter Auftritt.


Maria. Kennedy.

Kennedy.

Darf euch der Rohe das ins Antlitz ſagen!
O es iſt hart!

Maria
(in Nachdenken verloren).

Wir haben in den Tagen unſers Glanzes
Dem Schmeichler ein zu willig Ohr geliehn,
Gerecht iſt's, gute Kennedy, daß wir
Des Vorwurfs ernſte Stimme nun vernehmen.

Kennedy.

Wie? ſo gebeugt, ſo muthlos, theure Lady?
Wart ihr doch ſonſt ſo froh, ihr pflegtet mich zu troͤſten,
Und eher mußt ich euren Flatterſinn
Als eure Schwermut ſchelten.

Maria.

Ich erkenn' ihn.
Es iſt der blut'ge Schatten Koͤnig Darnleys,
Der zuͤrnend aus dem Gruftgewoͤlbe ſteigt,
Und er wird nimmer Friede mit mir machen,
Bis meines Ungluͤcks Maaß erfuͤllet iſt.

Kennedy.

Was fuͤr Gedanken —

[21]
Maria.

Du vergiſſeſt, Hanna —
Ich aber habe ein getreu Gedaͤchtniß —
Der Jahrstag dieſer ungluͤckſeligen That
Iſt heute abermals zuruͤckgekehrt,
Er iſt's, den ich mit Buß und Faſten feyre.

Kennedy.

Schickt endlich dieſen boͤſen Geiſt zur Ruh'.
Ihr habt die That mit Jahrelanger Reu',
Mit ſchweren Leidensproben abgebuͤßt.
Die Kirche, die den Loͤſeſchluͤſſel hat
Fuͤr jede Schuld, der Himmel hat vergeben.

Maria.

Friſchblutend ſteigt die laͤngſt vergebne Schuld
Aus ihrem leichtbedeckten Grab empor!
Des Gatten Rachefoderndes Geſpenſt
Schickt keines Meſſedieners Glocke, kein
Hochwuͤrdiges in Prieſters Hand zur Gruft.

Kennedy.

Nicht ihr habt ihn gemordet! Andre thatens!

Maria.

Ich wußte drum. Ich ließ die That geſchehn,
Und lockt' ihn ſchmeichelnd in das Todesnetz.

[22]
Kennedy.

Die Jugend mildert eure Schuld. Ihr wart
So zarten Alters noch.

Maria.

So zart, und lud
Die ſchwere Schuld auf mein ſo junges Leben.

Kennedy.

Ihr wart durch blutige Beleidigung
Gereizt und durch des Mannes Uebermuth,
Den eure Liebe aus der Dunkelheit
Wie eine Goͤtterhand hervorgezogen,
Den ihr durch euer Brautgemach zum Throne
Gefuͤhrt, mit eurer bluͤhenden Perſon
Begluͤckt und eurer angeſtammten Krone.
Konnt er vergeſſen, daß ſein prangend Loos
Der Liebe großmuthsvolle Schoͤpfung war?
Und doch vergaß er's, der Unwuͤrdige!
Beleidigte mit niedrigem Verdacht,
Mit rohen Sitten eure Zaͤrtlichkeit,
Und widerwaͤrtig wurd' er euren Augen
Der Zauber ſchwand, der euren Blick getaͤuſcht,
Ihr floht erzuͤrnt des Schaͤndlichen Umarmung
Und gabt ihn der Verachtung preiß — Und er —
Verſucht er's, eure Gunſt zuruͤck zu rufen?
Bat er um Gnade? Warf er ſich bereuend
[23] Zu euren Fuͤßen, Beſſerung verſprechend?
Trotz bot euch der Abſcheuliche — Der euer
Geſchoͤpf war, euren Koͤnig wollt er ſpielen,
Vor euren Augen ließ er euch den Liebling
Den ſchoͤnen Saͤnger Rizio durchbohren —
Ihr raͤchtet blutig nur die blut'ge That.

Maria.

Und blutig wird ſie auch an mir ſich raͤchen,
Du ſprichſt mein Urtheil aus, da du mich troͤſteſt.

Kennedy.

Da ihr die That geſchehn ließt, wart ihr nicht
Ihr ſelbſt, gehoͤrtet euch nicht ſelbſt. Ergriffen
Hatt' euch der Wahnſinn blinder Liebesglut,
Euch unterjocht dem furchtbaren Verfuͤhrer
Dem ungluͤckſelgen Bothwell — Ueber euch
Mit uͤbermuͤthgem Maͤnnerwillen herrſchte
Der Schreckliche, der euch durch Zaubertraͤnke,
Durch Hoͤllenkuͤnſte das Gemuͤth verwirrend
Erhitzte —

Maria.

Seine Kuͤnſte waren keine andre,
Als ſeine Maͤnnerkraft und meine Schwachheit.

Kennedy.

Nein, ſag' ich. Alle Geiſter der Verdammniß
Mußt' er zu Huͤlfe rufen, der dieß Band
[24] Um eure hellen Sinne wob. Ihr hattet
Kein Ohr mehr fuͤr der Freundin Warnungsſtimme,
Kein Aug' fuͤr das, was wohlanſtaͤndig war.
Verlaſſen hatte euch die zarte Scheu
Der Menſchen, eure Wangen, ſonſt der Sitz
Schaamhaft erroͤthender Beſcheidenheit,
Sie gluͤhten nur vom Feuer des Verlangens.
Ihr warft den Schleier des Geheimniſſes
Von euch, des Mannes keckes Laſter hatte
Auch Eure Bloͤdigkeit beſiegt, ihr ſtelltet
Mit dreiſter Stirne eure Schmach zur Schau.
Ihr ließt das koͤnigliche Schwerdt von Schottland
Durch ihn, den Moͤrder, dem des Volkes Fluͤche
Nachſchallten, durch die Gaſſen Edimburgs,
Vor euch hertragen im Triumph, umringtet
Mit Waffen euer Parlament, und hier,
Im eignen Tempel der Gerechtigkeit,
Zwangt ihr mit frechem Poſſenſpiel die Richter,
Den Schuldigen des Mordes loszuſprechen —
Ihr giengt noch weiter — Gott!

Maria.

Vollende nur!
Und reicht' ihm meine Hand vor dem Altare!

Kennedy.

O laßt ein ewig Schweigen dieſe That
Bedecken! Sie iſt ſchauderhaft, empoͤrend,
[25] Iſt einer ganz Verlornen werth — Doch ihr ſeid keine
Verlorne — ich kenn' euch ja, ich bin's,
Die eure Kindheit auferzogen. Weich
Iſt euer Herz gebildet, offen iſt's
Der Schaam — der Leichtſinn nur iſt euer Laſter.
Ich wiederhohl' es, es giebt boͤſe Geiſter,
Die in des Menſchen unverwahrter Bruſt
Sich augenblicklich ihren Wohnplatz nehmen,
Die ſchnell in uns das Schreckliche begehn
Und zu der Hoͤll' entfliehend das Entſetzen
In dem befleckten Buſen hinterlaſſen.
Seit dieſer That, die euer Leben ſchwaͤrzt,
Habt ihr nichts laſterhaftes mehr begangen,
Ich bin ein Zeuge eurer Beſſerung.
Drum faſſet Muth! Macht Friede mit euch ſelbſt!
Was ihr auch zu bereuen habt, in England
Seid ihr nicht ſchuldig, nicht Eliſabeth,
Nicht Englands Parlament iſt euer Richter.
Macht iſt's, die euch hier unterdruͤckt, vor dieſen
Anmaßlichen Gerichtshof duͤrft ihr euch
Hinſtellen mit dem ganzen Muth der Unſchuld.

Maria.

Wer kommt?


(Mortimer zeigt ſich an der Thuͤre)
Kennedy.

Es iſt der Neffe. Geht hinein.


[26]

Fuͤnfter Auftritt.


Die Vorigen. Mortimer ſcheu hereintretend.

Mortimer
(zur Amme).

Entfernt euch, haltet Wache vor der Thuͤr,
Ich habe mit der Koͤnigin zu reden.

Maria
(mit Anſehn).

Hanna, du bleibſt.

Mortimer.

Habt keine Furcht, Milady. Lernt mich kennen.


(Er uͤberreicht ihr eine Charte.)

Maria.

(ſieht ſie an und faͤhrt beſtuͤrzt zuruͤck)

Ha! Was iſt das?

Mortimer
(zur Amme).

Geht, Dame Kennedy.
Sorgt, daß mein Oheim uns nicht uͤberfalle!

Maria.

(zur Amme, welche zaudert und die Koͤnigin fragend anſieht)

Geh! Geh! Thu was er ſagt.


(Die Amme entfernt ſich mit Zeichen der Verwunderung)

Sechster Auftritt.


Mortimer. Maria.

Maria.

Von meinem Oheim!
Dem Kardinal von Lothringen aus Frankreich!

(lieſt)


[27] „Traut dem Sir Mortimer, der euch dieß bringt,
„Denn keinen treuern Freund habt ihr in England.“

(Mortimern mit Erſtaunen anſehend)


Iſt's moͤglich? Iſt's kein Blendwerk, das mich taͤuſcht?
So nahe find ich einen Freund und waͤhnte mich
Verlaſſen ſchon von aller Welt — find ihn
In euch, dem Neffen meines Kerkermeiſters,
In dem ich meinen ſchlimmſten Feind —

Mortimer
(ſich ihr zu Fuͤßen werfend).

Verzeihung
Fuͤr dieſe verhaßte Larve, Koͤnigin,
Die mir zu tragen Kampf genug gekoſtet,
Doch der ich's danke, daß ich mich euch nahen,
Euch Huͤlfe und Errettung bringen kann.

Maria.

Steht auf — Ihr uͤberraſcht mich, Sir — Ich kann
So ſchnell nicht aus der Tiefe meines Elends
Zur Hoffnung uͤbergehen — Redet, Sir —
Macht mir dieß Gluͤck begreiflich, daß ich's glaube.

Mortimer
(ſ[t]eht auf).

Die Zeit verrinnt. Bald wird mein Oheim hier ſeyn,
Und ein verhaßter Menſch begleitet ihn.
Eh euch ihr Schreckensauftrag uͤberraſcht,
Hoͤrt an, wie euch der Himmel Rettung ſchickt.

[28]
Maria.

Er ſchickt ſie durch ein Wunder ſeiner Allmacht!

Mortimer.

Erlaubt, daß ich von mir beginne.

Maria.

Redet, Sir!

Mortimer.

Ich zaͤhlte zwanzig Jahre, Koͤnigin,
In ſtrengen Pflichten war ich aufgewachſen,
In finſterm Haß des Pabſtthums aufgeſaͤugt,
Als mich die unbezwingliche Begierde
Hinaus trieb auf das feſte Land. Ich ließ
Der Puritaner dumpfe Predigtſtuben,
Die Heimat hinter mir, in ſchnellem Lauf
Durchzog ich Frankreich, das geprieſene
Italien mit heißem Wunſche ſuchend.


Es war die Zeit des großen Kirchenfeſts,
Von Pilgerſchaaren wimmelten die Wege,
Bekraͤnzt war jedes Gottesbild, es war,
Als ob die Menſchheit auf der Wandrung waͤre,
Wallfahrend nach dem Himmelreich — Mich ſelbſt
Ergriff der Strom der glaubenvollen Menge,
Und riß mich in das Weichbild Roms —


Wie ward mir, Koͤnigin!
Als mir der Saͤulen Pracht und Siegesbogen,
[29] Entgegenſtieg, des Koloſſeums Herrlichkeit
Den Staunenden umfing, ein hoher Bildnergeiſt
In ſeine heitre Wunderwelt mich ſchloß!
Ich hatte nie der Kuͤnſte Macht gefuͤhlt,
Es haßt die Kirche, die mich auferzog,
Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet ſie,
Allein das Koͤrperloſe Wort verehrend.
Wie wurde mir, als ich ins Innre nun
Der Kirchen trat, und die Muſik der Himmel
Herunterſtieg, und der Geſtalten Fuͤlle
Verſchwenderiſch aus Wand und Decke quoll,
Das Herrlichſte und Hoͤchſte, gegenwaͤrtig,
Vor den entzuͤckten Sinnen ſich bewegte,
Als ich ſie ſelbſt nun ſah, die Goͤttlichen,
Den Gruß des Engels, die Geburt des Herrn,
Die heilge Mutter, die herabgeſtiegne
Dreifaltigkeit, die leuchtende Verklaͤrung —
Als ich den Pabſt drauf ſah in ſeiner Pracht
Das Hochamt halten und die Voͤlker ſegnen.
O was iſt Goldes, was Juweelen Schein,
Womit der Erde Koͤnige ſich ſchmuͤcken!
Nur Er iſt mit dem Goͤttlichen umgeben.
Ein wahrhaft Reich der Himmel iſt ſein Haus,
Denn nicht von dieſer Welt ſind dieſe Formen.

Maria.

O ſchonet mein! Nicht weiter. Hoͤret auf,
[30] Den friſchen Lebensteppich vor mir aus
Zu breiten — Ich bin elend und gefangen.

Mortimer.

Auch ich wars, Koͤnigin! und mein Gefaͤngniß
Sprang auf und frei auf einmal fuͤhlte ſich
Der Geiſt, des Lebens ſchoͤnen Tag begruͤßend.
Haß ſchwur ich nun dem engen dumpfen Buch,
Mit friſchem Kranz die Schlaͤfe mir zu ſchmuͤcken,
Mich froͤhlich an die Froͤhlichen zu ſchließen.
Viel edle Schotten draͤngten ſich an mich
Und der Franzoſen muntre Landsmannſchaften.
Sie brachten mich zu eurem edeln Oheim,
Dem Kardinal von Guiſe — Welch ein Mann!
Wie ſicher, klar und maͤnnlich groß! — Wie ganz
Gebohren, um die Geiſter zu regieren!
Das Muſter eines koͤniglichen Prieſters,
Ein Fuͤrſt der Kirche, wie ich keinen ſah!

Maria.

Ihr habt ſein theures Angeſicht geſehn,
Des vielgeliebten, des erhabnen Mannes,
Der meiner zarten Jugend Fuͤhrer war.
O redet mir von ihm. Denkt er noch mein?
Liebt ihn das Gluͤck, bluͤht ihm das Leben noch,
Steht er noch herrlich da, ein Fels der Kirche?

[31]
Mortimer.

Der Treffliche ließ ſelber ſich herab,
Die hohen Glaubenslehren mir zu deuten,
Und meines Herzens Zweifel zu zerſtreun.
Er zeigte mir, daß gruͤbelnde Vernunft
Den Menſchen ewig in der Irre leitet,
Daß ſeine Augen ſehen muͤſſen, was
Das Herz ſoll glauben, daß ein ſichtbar Haupt
Der Kirche Noth thut, daß der Geiſt der Wahrheit
Geruht hat auf den Sitzungen der Vaͤter.
Die Wahnbegriffe meiner kind'ſchen Seele,
Wie ſchwanden ſie vor ſeinem ſiegenden
Verſtand und vor der Suada ſeines Mundes!
Ich kehrte in der Kirche Schooß zuruͤck,
Schwur meinen Irrthum ab in ſeine Haͤnde.

Maria.

So ſeid ihr einer jener Tauſende,
Die er mit ſeiner Rede Himmelskraft
Wie der erhabne Prediger des Berges
Ergriffen und zum ew'gen Heil gefuͤhrt!

Mortimer.

Als ihn des Amtes Pflichten bald darauf
Nach Frankreich riefen, ſandt' er mich nach Rheims,
Wo die Geſellſchaft Jeſu, fromm geſchaͤftig,
Fuͤr Englands Kirche Prieſter auferzieht.
[32] Den edeln Schotten Morgan fand ich hier,
Auch euren treuen Leßley, den gelehrten
Biſchof von Roße, die auf Frankreichs Boden
Freudloſe Tage der Verbannung leben —
Eng ſchloß ich mich an dieſe Wuͤrdigen,
Und ſtaͤrkte mich im Glauben — Eines Tags,
Als ich mich umſah in des Biſchofs Wohnung,
Fiel mir ein weiblich Bildniß in die Augen,
Von ruͤhrend wunderſamem Reiz, gewaltig
Ergriff es mich in meiner tiefſten Seele,
Und des Gefuͤhls nicht maͤchtig ſtand ich da.
Da ſagte mir der Biſchof: Wohl mit Recht
Moͤgt ihr geruͤhrt bei dieſem Bilde weilen.
Die ſchoͤnſte aller Frauen, welche leben,
Iſt auch die jammernswuͤrdigſte von allen,
Um unſers Glaubens willen duldet ſie
Und euer Vaterland iſt's, wo ſie leidet.

Maria.

Der Redliche! Nein, ich verlor nicht alles,
Da ſolcher Freund im Ungluͤck mir geblieben.

Mortimer.

Drauf fing er an, mit herzerſchuͤtternder
Beredſamkeit mir euer Maͤrtyrthum
Und eurer Feinde Blutgier abzuſchildern.
Auch euern Stammbaum wieß er mir, er zeigte
[33] Mir eure Abkunft von dem hohen Hauſe
Der Tudor, uͤberzeugte mich, daß euch
Allein gebuͤhrt in Engelland zu herrſchen,
Nicht dieſer Afterkoͤnigin, gezeugt
In ehebrecheriſchem Bett, die Heinrich,
Ihr Vater, ſelbſt verwarf als Baſtardtochter.
Nicht ſeinem einz'gen Zeugniß wollt ich traun,
Ich hohlte Rath bei allen Rechtsgelehrten,
Viel alte Wappenbuͤcher ſchlug ich nach,
Und alle Kundige, die ich befragte,
Beſtaͤtigten mir eures Anſpruchs Kraft.
Ich weiß nunmehr, daß euer gutes Recht
An England euer ganzes Unrecht iſt,
Daß euch dieß Reich als Eigenthum gehoͤrt,
Worin ihr ſchuldlos als Gefangne ſchmachtet.

Maria.

O dieſes ungluͤcksvolle Recht! Es iſt
Die einz'ge Quelle aller meiner Leiden.

Mortimer.

Um dieſe Zeit kam mir die Kunde zu,
Daß ihr aus Talbots Schloß hinweggefuͤhrt,
Und meinem Oheim uͤbergeben worden —
Des Himmels wundervolle Rettungshand
Glaubt ich in dieſer Fuͤgung zu erkennen,
3
[34] Ein lauter Ruf des Schickſals war ſie mir,
Das meinen Arm gewaͤhlt, euch zu befreien.
Die Freunde ſtimmen freudig bei, es giebt
Der Kardinal mir ſeinen Rath und Segen,
Und lehrt mich der Verſtellung ſchwere Kunſt.
Schnell ward der Plan entworfen, und ich trete
Den Ruͤckweg an ins Vaterland, wo ich,
Ihr wißt's, vor zehen Tagen bin gelandet.


(Er haͤlt inne.)

Ich ſah euch, Koͤnigin — Euch ſelbſt!
Nicht euer Bild! — O welchen Schatz bewahrt
Dieß Schloß! Kein Kerker! Eine Goͤtterhalle,
Glanzvoller als der koͤnigliche Hof
Von England — O des gluͤcklichen, dem es
Vergoͤnnt iſt, eine Luft mit euch zu athmen!


Wohl hat ſie Recht, die euch ſo tief rerbirgt!
Aufſtehen wuͤrde Englands ganze Jugend,
Kein Schwerdt in ſeiner Scheide muͤßig bleiben,
Und die Empoͤrung mit gigantiſchem Haupt
Durch dieſe Friedensinſel ſchreiten, ſaͤhe
Der Britte ſeine Koͤnigin!

Maria.

Wohl ihr!
Saͤh jeder Britte ſie mit euren Augen!

[35]
Mortimer.

Waͤr er, wie ich, ein Zeuge eurer Leiden,
Der Sanftmuth Zeuge und der edlen Faſſung,
Womit ihr das Unwuͤrdige erduldet.
Denn geht ihr nicht aus allen Leidensproben,
Als eine Koͤnigin hervor? Raubt euch
Des Kerkers Schmach von eurem Schoͤnheitsglanze?
Euch mangelt alles, was das Leben ſchmuͤckt,
Und doch umfließt euch ewig Licht und Leben.
Nie ſetz' ich meinen Fuß auf dieſe Schwelle,
Daß nicht mein Herz zerriſſen wird von Qualen,
Nicht von der Luſt entzuͤckt, euch anzuſchauen! —
Doch furchtbar naht ſich die Entſcheidung, wachſend
Mit jeder Stunde dringet die Gefahr,
Ich darf nicht laͤnger ſaͤumen — Euch nicht laͤnger
Das Schreckliche verbergen —

Maria.

Iſt mein Urtheil
Gefaͤllt? Entdeckt mir's frei. Ich kann es hoͤren.

Mortimer.

Es iſt gefaͤllt. Die zwey und vierzig Richter haben
Ihr Schuldig ausgeſprochen uͤber euch. Das Haus
Der Lords und der Gemeinen, die Stadt London
Beſtehen heftig dringend auf des Urtheils
Vollſtreckung, nur die Koͤnigin ſaͤumt noch,
[36] — Aus arger Liſt, daß man ſie noͤthige,
Nicht aus Gefuͤhl der Menſchlichkeit und Schonung.

Maria
(mit Faſſung).

Sir Mortimer, ihr uͤberraſcht mich nicht,
Erſchreckt mich nicht. Auf ſolche Botſchaft war ich
Schon laͤngſt gefaßt. Ich kenne meine Richter.
Nach den Mißhandlungen, die ich erlitten,
Begreif' ich wohl, daß man die Freiheit mir
Nicht ſchenken kann — Ich weiß, wo man hinaus will.
In ew'gem Kerker will man mich bewahren,
Und meine Rache, meinen Rechtsanſpruch
Mit mir verſcharren in Gefaͤngnißnacht.

Mortimer.

Nein, Koͤnigin — o nein! nein! Dabei ſteht man
Nicht ſtill. Die Tyranney begnuͤgt ſich nicht,
Ihr Werk nur halb zu thun. So lang ihr lebt,
Lebt auch die Furcht der Koͤnigin von England.
Euch kann kein Kerker tief genug begraben,
Nur euer Tod verſichert ihren Thron.

Maria.

Sie koͤnnt' es wagen, mein gekroͤntes Haupt
Schmachvoll auf einen Henkerblock zu legen?

Mortimer.

Sie wird es wagen. Zweifelt nicht daran.

[37]
Maria.

Sie koͤnnte ſo die eigne Majeſtaͤt
Und aller Koͤnige im Staube waͤlzen?
Und fuͤrchtet ſie die Rache Frankreichs nicht?

Mortimer.

Sie ſchließt mit Frankreich einen ew'gen Frieden,
Dem Duͤc von Anjou ſchenkt ſie Thron und Hand.

Maria.

Wird ſich der Koͤnig Spaniens nicht waffnen?

Mortimer.

Nicht eine Welt in Waffen fuͤrchtet ſie,
So lang ſie Frieden hat mit ihrem Volke.

Maria.

Den Britten wollte ſie dieß Schauſpiel geben?

Mortimer.

Dieß Land, Milady, hat in letzten Zeiten
Der koͤniglichen Frauen mehr vom Thron
Herab aufs Blutgeruͤſte ſteigen ſehn.
Die eigne Mutter der Eliſabeth
Gieng dieſen Weg, und Catharina Howard,
Auch Lady Gray war ein gekroͤntes Haupt.

Maria
(nach einer Pauſe).

Nein, Mortimer! Euch blendet eitle Furcht
Es iſt die Sorge eures treuen Herzens,
[38] Die euch vergebne Schreckniſſe erſchafft.
Nicht das Schaffot iſt's, das ich fuͤrchte, Sir.
Es giebt noch andre Mittel, ſtillere,
Wodurch ſich die Beherrſcherin von England
Vor meinem Anſpruch Ruhe ſchaffen kann.
Eh' ſich ein Henker fuͤr mich findet, wird
Noch eher ſich ein Moͤrder dingen laſſen.
Das iſt's, wovor ich zittre, Sir! und nie
Setz ich des Bechers Rand an meine Lippen,
Daß nicht ein Schauder mich ergreift, er koͤnnte
Kredenzt ſeyn von der Liebe meiner Schweſter.

Mortimer.

Nicht offenbar noch heimlich ſoll's dem Mord
Gelingen, euer Leben anzutaſten.
Seid ohne Furcht! Bereitet iſt ſchon alles,
Zwoͤlf edle Juͤnglinge des Landes ſind
In meinem Buͤndniß, haben heute fruͤh
Das Sakrament darauf empfangen, euch
Mit ſtarkem Arm aus dieſem Schloß zu fuͤhren.
Graf Aubeſpine, der Abgeſandte Frankreichs,
Weiß um den Bund, er bietet ſelbſt die Haͤnde,
Und ſein Pallaſt iſt's, wo wir uns verſammeln.

Maria.

Ihr macht mich zittern, Sir — doch nicht fuͤr Freude.
Mir fliegt ein boͤſes Ahnden durch das Herz.
[39] Was unternehmt ihr? Wißt ihr's? Schrecken euch
Nicht Babingtons, nicht Tichburns blut'ge Haͤupter,
Auf Londons Bruͤcke warnend aufgeſteckt,
Nicht das Verderben der unzaͤhligen,
Die ihren Tod in gleichem Wagſtuͤck fanden,
Und meine Ketten ſchwerer nur gemacht?
Ungluͤcklicher, verfuͤhrter Juͤngling — flieht!
Flieht, wenn's noch Zeit iſt — wenn der Spaͤher Burleigh
Nicht jetzt ſchon Kundſchaft hat von euch, nicht ſchon
In eure Mitte den Verraͤther miſchte.
Flieht aus dem Reiche ſchnell! Marien Stuart
Hat noch kein Gluͤcklicher beſchuͤtzt.

Mortimer.

Mich ſchrecken
Nicht Babingtons, nicht Tichburns blut'ge Haͤupter,
Auf Londons Bruͤcke warnend aufgeſteckt,
Nicht das Verderben der unzaͤhl'gen andern,
Die ihren Tod in gleichem Wagſtuͤck fanden,
Sie fanden auch darin den ew'gen Ruhm,
Und Gluͤck ſchon iſt's, fuͤr eure Rettung ſterben.

Maria.

Umſonſt! Mich rettet nicht Gewalt, nicht Liſt.
Der Feind iſt wachſam und die Macht iſt ſein.
Nicht Paulet nur und ſeiner Waͤchter Schaar,
Ganz England huͤtet meines Kerkers Thore.
[40] Der freie Wille der Eliſabeth allein
Kann ſie mir aufthun.

Mortimer.

O das hoffet nie!

Maria.

Ein einz'ger Mann lebt, der ſie oͤffnen kann.

Mortimer.

O nennt mir dieſen Mann —

Maria.

Graf Leſter.

Mortimer
(tritt erſtaunt zuruͤck).

Leſter!
Graf Leſter! — Euer blutigſter Verfolger,
Der Guͤnſtling der Eliſabeth — von dieſem —

Maria.

Bin ich zu retten, iſt's allein durch ihn.
— Geht zu ihm. Oeffnet euch ihm frei.
Und zur Gewaͤhr, daß ichs bin, die euch ſendet,
Bringt ihm dieß Schreiben. Es enthaͤlt mein Bildniß.

(Sie zieht ein Papier aus dem Buſen, Mortimer tritt
zuruͤck und zoͤgert, es anzunehmen.)


Nehmt hin. Ich trag' es Lange ſchon bei mir,
Weil eures Oheims ſtrenge Wachſamkeit
Mir jeden Weg zu ihm gehemmt — Euch ſandte
Mein guter Engel —

[41]
Mortimer.

Koͤnigin — dieß Raͤthſel —
Erklaͤrt es mir —

Maria.

Graf Leſter wird's euch loͤſen.
Vertraut ihm, er wird euch vertraun — Wer kommt?

Kennedy
(eilfertig eintretend).

Sir Paulet naht mit einem Herrn vom Hofe.

Mortimer.

Es iſt Lord Burleigh. Faßt euch, Koͤnigin!
Hoͤrt es mit Gleichmut an, was er euch bringt.


(Er entfernt ſich durch eine Seitenthuͤr, Kennedy folgt ihm.)

Siebenter Auftritt.


Maria. Lord Burleigh, Großſchatzmeiſter von England, und
Ritter Paulet.

Paulet.

Ihr wuͤnſchtet heut Gewißheit eures Schickſals,
Gewißheit bringt euch Seine Herrlichkeit,
Milord von Burleigh. Tragt ſie mit Ergebung.

Maria.

Mit Wuͤrde, hoff' ich, die der Unſchuld ziemt.

Burleigh.

Ich komme als Geſandter des Gerichts.

[42]
Maria.

Lord Burleigh leiht dienſtfertig dem Gerichte,
Dem er den Geiſt geliehn, nun auch den Mund.

Paulet.

Ihr ſprecht, als wuͤßtet ihr bereits das Urtheil.

Maria.

Da es Lord Burleigh bringt, ſo weiß ich es.
— Zur Sache, Sir.

Burleigh.

Ihr habt euch dem Gericht
Der zwey und vierzig unterworfen, Lady —

Maria.

Verzeiht, Milord, daß ich euch gleich zu Anfang
Ins Wort muß fallen — Unterworfen haͤtt' ich mich
Dem Richterſpruch der zwey und vierzig, ſagt ihr?
Ich habe keineswegs mich unterworfen.
Nie konnt' ich das — ich konnte meinem Rang,
Der Wuͤrde meines Volks und meines Sohnes
Und aller Fuͤrſten nicht ſo viel vergeben.
Verordnet iſt im engliſchen Geſetz,
Daß jeder Angeklagte durch Geſchworne
Von ſeines Gleichen ſoll gerichtet werden.
Wer in der Kommittee iſt meines Gleichen?
Nur Koͤnige ſind meine Peers.

[43]
Burleigh.

Ihr hoͤrtet
Die Klagartikel an, ließt euch daruͤber
Vernehmen vor Gerichte —

Maria.

Ja, ich habe mich
Durch Hattons arge Liſt verleiten laſſen,
Bloß meiner Ehre wegen, und im Glauben
An meiner Grunde ſiegende Gewalt,
Ein Ohr zu leihen jenen Klagepunkten
Und ihren Ungrund darzuthun — Das that ich
Aus Achtung fuͤr die wuͤrdigen Perſonen
Der Lords, nicht fuͤr ihr Amt, das ich verwerfe.

Burleigh.

Ob ihr ſie anerkennt, ob nicht, Milady,
Das iſt nur eine leere Foͤrmlichkeit,
Die des Gerichtes Lauf nicht hemmen kann.
Ihr athmet Englands Luft, genießt den Schutz,
Die Wohlthat des Geſetzes, und ſo ſeid ihr
Auch ſeiner Herrſchaft Unterthan!

Maria.

Ich athme
Die Luft in einem engliſchen Gefaͤngniß.
Heißt das in England leben, der Geſetze
Wohlthat genießen? Kenn' ich ſie doch kaum.
[44] Nie hab' ich eingewilligt, ſie zu halten.
Ich bin nicht dieſes Reiches Buͤrgerin,
Bin eine freie Koͤnigin des Auslands.

Burleigh.

Und denkt ihr, daß der koͤnigliche Name
Zum Freibrief dienen koͤnne, blut'ge Zwietracht
In fremdem Lande ſtraflos auszuſaͤen?
Wie ſtuͤnd' es um die Sicherheit der Staaten,
Wenn das gerechte Schwerdt der Themis nicht
Die ſchuld'ge Stirn des koͤniglichen Gaſtes
Erreichen koͤnnte, wie des Bettlers Haupt?

Maria.

Ich will mich nicht der Rechenſchaft entziehn,
Die Richter ſind es nur, die ich verwerfe.

Burleigh.

Die Richter! Wie Milady? Sind es etwa
Vom Poͤbel aufgegriffene Verworfne,
Schaamloſe Zungendreſcher, denen Recht
Und Wahrheit feil iſt, die ſich zum Organ
Der Unterdruͤckung willig dingen laſſen?
Sind's nicht die erſten Maͤnner dieſes Landes,
Selbſtſtaͤndig gnug, um wahrhaft ſeyn zu duͤrfen,
Um uͤber Fuͤrſtenfurcht und niedrige
Beſtechung weit erhaben ſich zu ſehn?
Sind's nicht dieſelben, die ein edles Volk
[45] Frei und gerecht regieren, deren Namen
Man nur zu nennen braucht, um jeden Zweifel,
Um jeden Argwohn ſchleunig ſtumm zu machen?
An ihrer Spitze ſteht der Voͤlkerhirte,
Der fromme Primas von Kanterbury,
Der weiſe Talbot, der des Siegels wahret,
Und Howard, der des Reiches Flotten fuͤhrt.
Sagt! Konnte die Beherrſcherin von England
Mehr thun, als aus der ganzen Monarchie
Die edelſten ausleſen und zu Richtern
In dieſem koͤniglichen Streit beſtellen?
Und waͤr's zu denken, daß Partheienhaß
Den einzelnen beſtaͤche — Koͤnnen vierzig
Erleſ'ne Maͤnner ſich in einem Spruche
Der Leidenſchaft vereinigen?

Maria
(nach einigem Stillſchweigen).

Ich hoͤre ſtaunend die Gewalt des Mundes,
Der mir von je ſo unheilbringend war —
Wie werd' ich mich, ein ungelehrtes Weib,
Mit ſo kunſtfert'gem Redner meſſen koͤnnen! —
Wohl' waͤren dieſe Lords, wie ihr ſie ſchildert,
Verſtummen muͤßt' ich, hoffnungslos verloren
Waͤr meine Sache, ſpraͤchen ſie mich ſchuldig.
Doch dieſe Namen, die ihr preiſend nennt,
Die mich durch ihr Gewicht zermalmen ſollen,
[46] Milord, ganz andere Rollen, ſeh' ich ſie
In den Geſchichten dieſes Landes ſpielen.
Ich ſehe dieſen hohen Adel Englands,
Des Reiches majeſtaͤtiſchen Senat,
Gleich Sklaven des Serails den Sultanslaunen
Heinrichs des Achten, meines Großohms, ſchmeicheln —
Ich ſehe dieſes edle Oberhaus,
Gleich feil mit den erkaͤuflichen Gemeinen,
Geſetze praͤgen und verrufen, Ehen
Aufloͤſen, binden, wie der Maͤchtige
Gebietet, Englands Fuͤrſtentoͤchter heute
Enterben, mit dem Baſtardnamen ſchaͤnden,
Und morgen ſie zu Koͤniginnen kroͤnen.
Ich ſehe dieſe wuͤrd'gen Peers mit ſchnell
Vertauſchter Ueberzeugung unter vier
Regierungen den Glauben viermal aͤndern —

Burleigh.

Ihr nennt euch fremd in Englands Reichsgeſetzen,
In Englands Ungluͤck ſeid ihr ſehr bewandert.

Maria.

Und das ſind meine Richter! — Lord Schatzmeiſter!
Ich will gerecht ſeyn gegen euch! Seid ihr's
Auch gegen mich — Man ſagt, ihr meint es gut
Mit dieſem Staat, mit eurer Koͤnigin,
Seid unbeſtechlich, wachſam, unermuͤdet —
[47] Ich will es glauben. Nicht der eigne Nutzen
Regiert euch, euch regiert allein der Vortheil
Des Souverains, des Landes. Eben darum
Mistraut euch, edler Lord, daß nicht der Nutzen
Des Staats euch als Gerechtigkeit erſcheine.
Nicht zweifl' ich dran, es ſitzen neben euch
Noch edle Maͤnner unter meinen Richtern.
Doch ſie ſind Proteſtanten, Eiferer
Fuͤr Englands Wohl, und ſprechen uͤber mich,
Die Koͤnigin von Schottland, die Papiſtin!
Es kann der Britte gegen den Schotten nicht
Gerecht ſeyn, iſt ein uralt Wort — Drum iſt
Herkoͤmmlich ſeit der Vaͤter grauen Zeit,
Daß vor Gericht kein Britte gegen den Schotten,
Kein Schotte gegen jenen zeugen darf.
Die Noth gab dieſes ſeltſame Geſetz,
Ein tiefer Sinn wohnt in den alten Braͤuchen,
Man muß ſie ehren, Milord — die Natur
Warf dieſe beiden feur'gen Voͤlkerſchaften
Auf dieſes Bret im Ocean, ungleich
Vertheilte ſie's, und hieß ſie darum kaͤmpfen.
Der Tweede ſchmales Bette trennt allein
Die heft'gen Geiſter, oft verm[iſ]chte ſich
Das Blut der Kaͤmpfenden in ihren Wellen.
Die Hand am Schwerdte, ſchauen ſie ſich drohend
Von beiden Ufern an, ſeit tauſend Jahren.
[48] Kein Feind bedraͤnget Engelland, dem nicht
Der Schotte ſich zum Helfer zugeſellte,
Kein Buͤrgerkrieg entzuͤndet Schottlands Staͤdte,
Zu dem der Britte nicht den Zunder trug.
Und nicht erloͤſchen wird der Haß, bis endlich
Ein Parlament ſie bruͤderlich vereint,
Ein Scepter waltet durch die ganze Inſel.

Burleigh.

Und eine Stuart ſollte dieſes Gluͤck
Dem Reich gewaͤhren?

Maria.

Warum ſoll ich's laͤugnen?
Ja ich geſteh's, daß ich die Hoffnung naͤhrte,
Zwei edle Nationen unterm Schatten
Des Oelbaums frei und froͤlich zu vereinen.
Nicht ihres Voͤlkerhaſſes Opfer glaubt' ich
Zu werden; ihre lange Eiferſucht,
Der alten Zwietracht ungluͤckſel'ge Glut
Hofft' ich auf ew'ge Tage zu erſticken.
Und wie mein Ahnherr Richmond die zwei Roſen
Zuſammenband nach blut'gem Streit, die Kronen
Schottland und England friedlich zu vermaͤhlen.

Burleigh.

Auf ſchlimmem Weg verfolgtet ihr dieß Ziel,
Da ihr das Reich entzuͤnden, durch die Flammen
Des Buͤrgerkriegs zum Throne ſteigen wolltet.

[49]
Maria.

Das wollt' ich nicht — beim großen Gott des Himmels!
Wann haͤtt' ich das gewollt? Wo ſind die Proben?

Burleigh.

Nicht Streitens wegen kam ich her. Die Sache
Iſt keinem Wortgefecht mehr unterworfen.
Es iſt erkannt durch vierzig Stimmen gegen zwey,
Daß ihr die Akte vom vergangnen Jahr
Gebrochen, dem Geſetz verfallen ſeid.
Es iſt verordnet im vergangnen Jahr
„Wenn ſich Tumult im Koͤnigreich erhuͤbe,
„Im Namen und zum Nutzen irgend einer
„Perſon, die Rechte vorgiebt an die Krone,
„Daß man gerichtlich gegen ſie verfahre,
„Bis in den Tod die Schuldige verfolge“ —
Und da bewieſen iſt —

Maria.

Milord von Burleigh!
Ich zweifle nicht, daß ein Geſetz, ausdruͤcklich
Auf mich gemacht, verfaßt, mich zu verderben,
Sich gegen mich wird brauchen laſſen — Wehe
Dem armen Opfer, wenn derſelbe Mund,
Der das Geſetz gab, auch das Urtheil ſpricht!
Koͤnnt ihr es laͤugnen, Lord, daß jene Akte
Zu meinem Untergang erſonnen iſt?


1[50]
Burleigh.

Zu eurer Warnung ſollte ſie gereichen,
Zum Fallſtrick habt ihr ſelber ſie gemacht.
Den Abgrund ſaht ihr, der vor euch ſich aufthat,
Und treugewarnet ſtuͤrztet ihr hinein.
Ihr wart mit Babington, dem Hochverraͤther,
Und ſeinen Mordgeſellen einverſtanden,
Ihr hattet Wiſſenſchaft von allem, lenktet
Aus eurem Kerker planvoll die Verſchwoͤrung.

Maria.

Wann haͤtt' ich das gethan? Man zeige mir
Die Dokumente auf.

Burleigh.

Die hat man euch
Schon neulich vor Gerichte vorgewieſen.

Maria.

Die Copien, von fremder Hand geſchrieben!
Man bringe die Beweiſe mir herbey,
Daß ich ſie ſelbſt diktirt, daß ich ſie ſo
Diktirt, gerade ſo, wie man geleſen.

Burleigh.

Daß es dieſelben ſind, die er empfangen,
Hat Babington vor ſeinem Tod bekannt.

[51]
Maria.

Und warum ſtellte man ihn mir nicht lebend
Vor Augen? Warum eilte man ſo ſehr,
Ihn aus der Welt zu foͤrdern, eh' man ihn
Mir, Stirne gegen Stirne, vorgefuͤhrt?

Burleigh.

Auch eure Schreiber, Kurl und Rau, erhaͤrten
Mit einem Eid, daß es die Briefe ſeien,
Die ſie aus eurem Munde niederſchrieben.

Maria.

Und auf das Zeugniß meiner Hausbedienten
Verdammt man mich? Auf Treu und Glauben derer,
Die mich verrathen, ihre Koͤnigin,
Die in demſelben Augenblick die Treu
Mir brachen, da ſie gegen mich gezeugt?

Burleigh.

Ihr ſelbſt erklaͤrtet ſonſt den Schotten Kurl
Fuͤr einen Mann von Tugend und Gewiſſen.

Maria.

So kannt' ich ihn — doch eines Mannes Tugend
Erprobt allein die Stunde der Gefahr.
Die Folter konnt' ihn aͤngſtigen, daß er
Ausſagte und geſtand, was er nicht wußte!
Durch falſches Zeugniß glaubt' er ſich zu retten.
Und mir, der Koͤnigin, nicht viel zu ſchaden.

[52]
Burleigh.

Mit einem freien Eid hat er's beſchworen.

Maria.

Vor meinem Angeſichte nicht! — Wie, Sir?
Das ſind zwei Zeugen, die noch beide leben!
Man ſtelle ſie mir gegenuͤber, laſſe ſie
Ihr Zeugniß mir in's Antlitz wiederholen!
Warum mir eine Gunſt, ein Recht verweigern,
Das man dem Moͤrder nicht verſagt? Ich weiß
Aus Talbots Munde, meines vor'gen Huͤters,
Daß unter dieſer naͤmlichen Regierung
Ein Reichsſchluß durchgegangen, der befiehlt,
Den Klaͤger dem Beklagten vorzuſtellen.
Wie? Oder hab' ich falſch gehoͤrt? — Sir Paulet!
Ich hab' euch ſtets als Biedermann erfunden,
Beweißt es jetzo. Sagt mir auf Gewiſſen,
Iſt's nicht ſo? Giebt's kein ſolch Geſetz in England?

Paulet.

So iſt's Milady. Das iſt bei uns Rechtens.
Was wahr iſt, muß ich ſagen.

Maria.

Nun, Milord!
Wenn man mich denn ſo ſtreng nach engliſchem Recht
Behandelt, wo dieß Recht mich unterdruͤckt,
Warum daſſelbe Landesrecht umgehen,
[53] Wenn es mir Wohlthat werden kann? — Antwortet!
Warum ward Babington mir nicht vor Augen
Geſtellt, wie das Geſetz befiehlt? Warum
Nicht meine Schreiber, die noch beide leben?

Burleigh.

Ereifert euch nicht, Lady. Euer Einverſtaͤndniß
Mit Babington iſt's nicht allein —

Maria.

Es iſt's
Allein, was mich dem Schwerdte des Geſetzes
Blosſtellt, wovon ich mich zu rein'gen habe.
Milord! Bleibt bei der Sache. Beugt nicht aus.

Burleigh.

Es iſt bewieſen, daß ihr mit Mendoza,
Dem ſpaniſchen Botſchafter, unterhandelt —

Maria
(lebhaft).

Bleibt bei der Sache, Lord!

Burleigh.

Daß ihr Anſchlaͤge
Geſchmiedet, die Religion des Landes
Zu ſtuͤrzen, alle Koͤnige Europens
Zum Krieg mit England aufgeregt —

Maria.

Und wenn ich's
Gethan? Ich hab' es nicht gethan — Jedoch
[54] Geſetzt, ich that's! — Milord, man haͤlt mich hier
Gefangen wider alle Voͤlkerrechte.
Nicht mit dem Schwerdte kam ich in dieß Land,
Ich kam herein, als eine Bittende,
Das heil'ge Gaſtrecht fodernd, in den Arm
Der blutsverwandten Koͤnigin mich werfend —
Und ſo ergriff mich die Gewalt, bereitete
Mir Ketten, wo ich Schutz gehofft — Sagt an!
Iſt mein Gewiſſen gegen dieſen Staat
Gebunden? Hab' ich Pflichten gegen England?
Ein heilig Zwangsrecht uͤb' ich aus, da ich
Aus dieſen Banden ſtrebe, Macht mit Macht
Abwende, alle Staaten dieſes Welttheils
Zu meinem Schutz aufruͤhre und bewege.
Was irgend nur in einem guten Krieg
Recht iſt und ritterlich, das darf ich uͤben.
Den Mord allein, die heimlich blut'ge That,
Verbietet mir mein Stolz und mein Gewiſſen,
Mord wuͤrde mich beflecken und entehren.
Entehren ſag' ich — Keinesweges mich
Verdammen, einem Rechtsſpruch unterwerfen.
Denn nicht vom Rechte, von Gewalt allein
Iſt zwiſchen mir und Engelland die Rede.

Burleigh
(bedeutend).

Nicht auf der Staͤrke ſchrecklich Recht beruft euch
Milady! Es iſt der Gefangenen nicht guͤnſtig.

[55]
Maria.

Ich bin die Schwache, ſie die Maͤcht'ge — Wohl!
Sie brauche die Gewalt, ſie toͤde mich,
Sie bringe ihrer Sicherheit das Opfer.
Doch ſie geſtehe dann, daß ſie die Macht
Allein, nicht die Gerechtigkeit geuͤbt.
Nicht vom Geſetze borge ſie das Schwerdt,
Sich der verhaßten Feindin zu entladen,
Und kleide nicht in heiliges Gewand
Der rohen Staͤrke blutiges Erkuͤhnen.
Solch Gaukelſpiel betruͤge nicht die Welt!
Ermorden laſſen kann ſie mich, nicht richten!
Sie geb' es auf, mit des Verbrechens Fruͤchten
Den heil'gen Schein der Tugend zu vereinen,
Und was ſie iſt, das wage ſie zu ſcheinen!


(Sie geht ab.)

Achter Auftritt.


Burleigh. Paulet.

Burleigh.

Sie trotzt uns — wird uns trotzen, Ritter Paulet,
Bis an die Stufen des Schaffots — Dieß ſtolze Herz
Iſt nicht zu brechen — Ueberraſchte ſie
Der Urthelſpruch? Saht ihr ſie eine Thraͤne
Vergießen? Ihre Farbe nur veraͤndern?
[56] Nicht unſer Mitleid ruft' ſie an. Wohl kennt ſie
Den Zweifelmuth der Koͤnigin von England,
Und unſre Furcht iſt's, was ſie muthig macht.

Paulet.

Lord Großſchatzmeiſter! Dieſer eitle Trotz wird ſchnell
Verſchwinden, wenn man ihm den Vorwand raubt.
Es ſind Unziemlichkeiten vorgegangen
In dieſem Rechtſtreit, wenn ich's ſagen darf.
Man haͤtte dieſen Babington und Tichburn
Ihr in Perſon vorfuͤhren, ihre Schreiber
Ihr gegenuͤber ſtellen ſollen.

Burleigh
(ſchnell).

Nein!
Nein, Ritter Paulet! Das war nicht zu wagen.
Zu groß iſt ihre Macht auf die Gemuͤther
Und ihrer Thraͤnen weibliche Gewalt.
Ihr Schreiber Kurl, ſtaͤnd' er ihr gegenuͤber,
Kaͤm' es dazu, das Wort nun auszuſprechen,
An dem ihr Leben haͤngt — er wuͤrde zaghaft
Zuruͤckziehn, ſein Geſtaͤndniß wiederrufen —

Paulet.

So werden Englands Feinde alle Welt
Erfuͤllen mit gehaͤßigen Geruͤchten,
Und des Prozeſſes feſtliches Gepraͤng
Wird als ein kuͤhner Frevel nur erſcheinen.

[57]
Burleigh.

Dieß iſt der Kummer unſrer Koͤnigin —
Daß dieſe Stifterin des Unheils doch
Geſtorben waͤre, ehe ſie den Fuß
Auf Englands Boden ſetzte!

Paulet.

Dazu ſag' ich Amen.

Burleigh.

Daß Krankheit ſie im Kerker aufgerieben!

Paulet.

Viel Ungluͤck haͤtt' es dieſem Land erſpart.

Burleigh.

Doch haͤtt' auch gleich ein Zufall der Natur
Sie hingerafft — Wir hießen doch die Moͤrder.

Paulet.

Wohl wahr. Man kann den Menſchen nicht verwehren,
Zu denken, was ſie wollen.

Burleigh.

Zu beweiſen waͤr's
Doch nicht, und wuͤrde weniger Geraͤuſch erregen —

Paulet.

Mag es Geraͤuſch erregen! Nicht der laute,
Nur der gerechte Tadel kann verletzen.

[58]
Burleigh.

O! auch die heilige Gerechtigkeit
Entflieht dem Tadel nicht. Die Meinung haͤlt es
Mit dem Ungluͤcklichen, es wird der Neid
Stets den obſiegend gluͤcklichen verfolgen.
Das Richterſchwerdt, womit der Mann ſich ziert,
Verhaßt iſt's in der Frauen Hand. Die Welt
Glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes,
Sobald ein Weib das Opfer wird. Umſonſt,
Daß wir, die Richter, nach Gewiſſen ſprachen!
Sie hat der Gnade koͤnigliches Recht.
Sie muß es brauchen, unertraͤglich iſt's,
Wenn ſie den ſtrengen Lauf laͤßt dem Geſetze!

Paulet.

Und alſo —

Burleigh
(raſch einfallend).

Alſo ſoll ſie leben? Nein!
Sie darf nicht leben! Nimmermehr! Dieß, eben
Dieß iſt's, was unſre Koͤnigin beaͤngſtigt —
Warum der Schlaf ihr Lager flieht — Ich leſe
In ihren Augen ihrer Seele Kampf,
Ihr Mund wagt ihre Wuͤnſche nicht zu ſprechen,
Doch vielbedeutend fragt ihr ſtummer Blick:
Iſt unter allen meinen Dienern keiner,
Der die verhaßte Wahl mir ſpart, in ew'ger Furcht
[59] Auf meinem Thron zu zittern, oder grauſam
Die Koͤnigin, die eigne Blutsverwandte
Dem Beil zu unterwerfen?

Paulet.

Das iſt nun die Nothwendigkeit, ſteht nicht zu aͤndern.

Burleigh.

Wohl ſtuͤnd's zu aͤndern, meint die Koͤnigin,
Wenn ſie nur aufmerkſam're Diener haͤtte.

Paulet.

Aufmerkſame!

Burleigh.

Die einen ſtummen Auftrag
Zu deuten wiſſen.

Paulet.

Einen ſtummen Auftrag!

Burleigh.

Die, wenn man ihnen eine gift'ge Schlange
Zu huͤten gab, den anvertrauten Feind
Nicht wie ein heilig theures Kleinod huͤten.

Paulet
(bedeutungsvoll).

Ein hohes Kleinod iſt der gute Name,
Der unbeſcholtne Ruf der Koͤnigin,
Den kann man nicht zu wohl bewachen, Sir!

[60]
Burleigh.

Als man die Lady von dem Schrewsbury
Wegnahm und Ritter Paulets Hut vertraute,
Da war die Meinung —

Paulet.

Ich will hoffen, Sir,
Die Meinung war, daß man den ſchwerſten Auftrag
Den reinſten Haͤnden uͤbergeben wollte.
Bei Gott! Ich haͤtte dieſes Schergenamt
Nicht uͤbernommen, daͤcht' ich nicht, daß es
Den beſten Mann in England foderte.
Laßt mich nicht denken, daß ich's etwas anderm
Als meinem reinen Rufe ſchuldig bin.

Burleigh.

Man breitet aus, ſie ſchwinde, laͤßt ſie kraͤnker
Und kraͤnker werden, endlich ſtill verſcheiden,
So ſtirbt ſie in der Menſchen Angedenken —
Und euer Ruf bleibt rein.

Paulet.

Nicht mein Gewiſſen.

Burleigh.

Wenn ihr die eigne Hand nicht leihen wollt,
So werdet ihr der fremden doch nicht wehren —

[61]
Paulet
(unterbricht ihn).

Kein Moͤrder ſoll ſich ihrer Schwelle nahn,
So lang die Goͤtter meines Dachs ſie ſchuͤtzen.
Ihr Leben iſt mir heilig, heil'ger nicht
Iſt mir das Haupt der Koͤnigin von England.
Ihr ſeid die Richter! Richter! Brecht den Stab!
Und wenn es Zeit iſt, laßt den Zimmerer
Mit Axt und Saͤge kommen, das Geruͤſt
Aufſchlagen — fuͤr den Scherif und den Henker
Soll meines Schloſſes Pforte offen ſeyn.
Jetzt iſt ſie zur Bewahrung mir vertraut,
Und ſeid gewiß, ich werde ſie bewahren,
Daß ſie nichts Boͤſes thun ſoll, noch erfahren!


(gehen ab.)


[62]

Zweiter Aufzug.


Der Pallaſt zu Weſtminſter.

Erſter Auftritt.


Der Graf von Kent und Sir William Daviſon
(begegnen einander).

Daviſon.

Seid ihr's, Milord von Kent? Schon vom Turnierplatz
Zuruͤck, und iſt die Feſtlichkeit zu Ende?

Kent.

Wie? Wohntet ihr dem Ritterſpiel nicht bei?

Daviſon.

Mich hielt mein Amt.

Kent.

Ihr habt das ſchoͤnſte Schauſpiel
Verloren, Sir, das der Geſchmack erſonnen,
Und edler Anſtand ausgefuͤhrt — denn wißt!
Es wurde vorgeſtellt die keuſche Veſtung
Der Schoͤnheit, wie ſie vom Verlangen
Berennt wird — Der Lord Marſchall, Oberrichter
[63] Der Seneſchal nebſt zehen andern Rittern
Der Koͤnigin vertheidigten die Veſtung,
Und Frankreichs Kavaliere griffen an.
Voraus erſchien ein Herold, der das Schloß
Aufforderte in einem Madrigale,
Und von dem Wall antwortete der Kanzler.
Drauf ſpielte das Geſchuͤtz, und Blumenſtraͤuße,
Wohlriechend koͤſtliche Eſſenzen wurden
Aus niedlichen Feldſtuͤcken abgefeuert.
Umſonſt! die Stuͤrme wurden abgeſchlagen,
Und das Verlangen mußte ſich zuruͤckziehn.

Daviſon.

Ein Zeichen boͤſer Vorbedeutung, Graf,
Fuͤr die Franzoͤſiſche Brautwerbung.

Kent.

Nun, nun, das war ein Scherz — Im Ernſte denk' ich,
Wird ſich die Veſtung endlich doch ergeben.

Daviſon.

Glaubt ihr? Ich glaub' es nimmermehr.

Kent.

Die ſchwierigſten Artikel ſind bereits
Berichtigt und von Frankreich zugeſtanden.
Monſieur begnuͤgt ſich, in verſchloſſener
Kapelle ſeinen Gottesdienſt zu halten,
Und oͤffentlich die Reichsreligion
[64] Zu ehren und zu ſchuͤtzen — Haͤttet ihr den Jubel
Des Volks geſehn, als dieſe Zeitung ſich verbreitet!
Denn dieſes war des Landes ew'ge Furcht,
Sie moͤchte ſterben ohne Leibeserben,
Und England wieder Pabſtes Feſſeln tragen,
Wenn ihr die Stuart auf dem Throne folgte.

Daviſon.

Der Furcht kann es entledigt ſeyn — Sie geht
Ins Brautgemach, die Stuart geht zum Tode.

Kent.

Die Koͤnigin kommt!


Zweiter Auftritt.


Die Vorigen. Eliſabeth, von Leiceſter gefuͤhrt. Graf
Aubeſpine, Bellievre, Graf Schrewsbury, Lord Bur-
leigh mit noch andern Franzoͤſiſchen und Engliſchen Herren
treten auf.

Eliſabeth
(zu Aubeſpine).

Graf! Ich beklage dieſe edeln Herrn,
Die ihr galanter Eifer uͤber Meer
Hieher gefuͤhrt, daß ſie die Herrlichkeit
Des Hofs von S. Germain bei mir vermiſſen.
Ich kann ſo praͤcht'ge Goͤtterfeſte nicht
Erfinden, als die koͤnigliche Mutter
Von Frankreich — Ein geſittet froͤhlich Volk,
[65] Das ſich, ſo oft ich oͤffentlich mich zeige,
Mit Segnungen um meine Saͤnfte draͤngt,
Dieß iſt das Schauſpiel, das ich fremden Augen
Mit ein'gem Stolze zeigen kann. Der Glanz
Der Edelfraͤulein, die im Schoͤnheitsgarten
Der Katharina bluͤhn, verbaͤrge nur
Mich ſelber und mein ſchimmerlos Verdienſt.

Aubeſpine.

Nur Eine Dame zeigt Weſtminſterhof
Dem uͤberraſchten Fremden — aber alles,
Was an dem reizenden Geſchlecht entzuͤckt,
Stellt ſich verſammelt dar in dieſer einen.

Bellievre.

Erhabne Majeſtaͤt von Engelland,
Vergoͤnne, daß wir unſern Urlaub nehmen,
Und Monſieur, unſern koͤniglichen Herrn,
Mit der erſehnten Freudenpoſt begluͤcken.
Ihn hat des Herzens heiße Ungeduld
Nicht in Paris gelaſſen, er erwartet
Zu Amiens die Boten ſeines Gluͤcks,
Und bis nach Kalais reichen ſeine Poſten,
Das Jawort, das dein koͤniglicher Mund
Ausſprechen wird, mit Fluͤgelſchnelligkeit
Zu ſeinem trunknen Ohre hinzutragen.


5[66]
Eliſabeth.

Graf Bellievre, dringt nicht weiter in mich.
Nicht Zeit iſt's jetzt, ich wiederhohl es euch,
Die freud'ge Hochzeitfackel anzuzuͤnden.
Schwarz haͤngt der Himmel uͤber dieſem Land,
Und beſſer ziemte mir der Trauerflor,
Als das Gepraͤnge braͤutlicher Gewaͤnder.
Denn nahe droht ein jammervoller Schlag
Mein Herz zu treffen und mein eignes Haus.

Bellievre.

Nur dein Verſprechen gieb uns, Koͤnigin,
In frohern Tagen folge die Erfuͤllung.

Eliſabeth.

Die Koͤnige ſind nur Sklaven ihres Standes,
Dem eignen Herzen duͤrfen ſie nicht folgen.
Mein Wunſch war's immer, unvermaͤhlt zu ſterben,
Und meinen Ruhm haͤtt' ich darein geſetzt,
Daß man dereinſt auf meinem Grabſtein laͤſe:
Hier ruht die jungfraͤuliche Koͤnigin.
Doch meine Unterthanen wollens nicht,
Sie denken jetzt ſchon fleißig an die Zeit,
Wo ich dahin ſein werde — Nicht genug,
Daß jetzt der Segen dieſes Land begluͤckt,
Auch ihrem kuͤnftgen Wohl ſoll ich mich opfern,
Auch meine jungfraͤuliche Freiheit ſoll ich,
[67] Mein hoͤchſtes Gut, hingeben fuͤr mein Volk,
Und der Gebieter wird mir aufgedrungen.
Es zeigt mir dadurch an, daß ich ihm nur
Ein Weib bin, und ich meinte doch, regiert
Zu haben, wie ein Mann, und wie ein Koͤnig.
Wohl weiß ich, daß man Gott nicht dient, wenn man
Die Ordnung der Natur verlaͤßt, und Lob
Verdienen ſie, die vor mir hier gewaltet,
Daß ſie die Kloͤſter aufgethan, und tauſend
Schlachtopfer einer falſchverſtandnen Andacht
Den Pflichten der Natur zuruͤckgegeben.
Doch eine Koͤnigin, die ihre Tage
Nicht ungenuͤtzt in muͤßiger Beſchauung
Verbringt, die unverdroſſen, unermuͤdet,
Die ſchwerſte aller Pflichten uͤbt, die ſollte
Von dem Naturzweck ausgenommen ſeyn,
Der Eine Haͤlfte des Geſchlechts der Menſchen
Der andern unterwuͤrfig macht —.

Aubeſpine.

Jedwede Tugend, Koͤnigin, haſt du
Auf deinem Thron verherrlicht, nichts iſt uͤbrig,
Als dem Geſchlechte, deſſen Ruhm du biſt,
Auch noch in ſeinen eigenſten Verdienſten
Als Muſter vorzuleuchten. Freilich lebt
Kein Mann auf Erden, der es wuͤrdig iſt,
Daß du die Freiheit ihm zum Opfer braͤchteſt.
[68] Doch wenn Geburt, wenn Hoheit, Heldentugend
Und Maͤnnerſchoͤnheit einen Sterblichen
Der Ehre wuͤrdig machen, ſo —

Eliſabeth.

Kein Zweifel,
Herr Abgeſandter, daß ein Ehebuͤndniß
Mit einem koͤniglichen Sohne Frankreichs
Mich ehrt! Ja, ich geſteh es unverhohlen,
Wenn es ſeyn muß — wenn ichs nicht aͤndern kann,
Dem Dringen meines Volkes nachzugeben —
Und es wird ſtaͤrker ſeyn als ich, befuͤrcht' ich —
So kenn' ich in Europa keinen Fuͤrſten,
Dem ich mein hoͤchſtes Kleinod, meine Freiheit,
Mit minderm Widerwillen opfern wuͤrde.
Laßt dieß Geſtaͤndniß euch Genuͤge thun.

Bellievre.

Es iſt die ſchoͤnſte Hoffnung, doch es iſt
Nur eine Hoffnung, und mein Herr wuͤnſcht mehr —

Eliſabeth.

Was wuͤnſcht er?


(Sie zieht einen Ring vom Finger und betrachtet ihn
nachdenkend)

Hat die Koͤnigin doch nichts
Voraus vor dem gemeinen Buͤrgerweibe!
Das gleiche Zeichen weißt auf gleiche Pflicht,
[69] Auf gleiche Dienſtbarkeit — Der Ring macht Ehen,
Und Ringe ſind's, die eine Kette machen.
— Bringt ſeiner Hoheit dieß Geſchenk. Es iſt
Noch keine Kette, bindet mich noch nicht,
Doch kann ein Reif draus werden, der mich bindet.

Bellievre.

(kniet nieder, den Ring empfangend)

In ſeinem Namen, große Koͤnigin,
Empfang' ich knieend dieß Geſchenk, und druͤcke
Den Kuß der Huldigung auf meiner Fuͤrſtin Hand!

Eliſabeth.

(zum Grafen Leiceſter, den ſie waͤhrend der letzten Rede
unverwandt betrachtet hat)

Erlaubt, Milord!


(Sie nimmt ihm das blaue Band ab, und haͤngt es dem
Bellievre um.)

Bekleidet Seine Hoheit
Mit dieſem Schmuck, wie ich euch hier damit
Bekleide und in meines Ordens Pflichten nehme.
Hony soit qui mal y pense! — Es ſchwinde
Der Argwohn zwiſchen beiden Nationen,
Und ein vertraulich Band umſchlinge fortan
Die Kronen Frankreich und Brittannien!

Aubeſpine.

Erhabne Koͤnigin, dieß iſt ein Tag
Der Freude! Moͤcht' er's allen ſeyn und moͤchte
[70] Kein Leidender auf dieſer Inſel trauern!
Die Gnade glaͤnzt auf deinem Angeſicht,
O! daß ein Schimmer ihres heitern Lichts
Auf eine ungluͤcksvolle Fuͤrſtin fiele,
Die Frankreich und Brittannien gleich nahe
Angeht —

Eliſabeth.

Nicht weiter, Graf! Vermengen wir
Nicht zwey ganz unvereinbare Geſchaͤfte.
Wenn Frankreich ernſtlich meinen Bund verlangt,
Muß es auch meine Sorgen mit mir theilen,
Und meiner Feinde Freund nicht ſeyn —

Aubeſpine.

Unwuͤrdig
In deinen eignen Augen wuͤrd' es handeln,
Wenn es die Ungluͤckſelige, die Glaubens-
Verwandte, und die Wittwe ſeines Koͤnigs
In dieſem Bund vergaͤße — Schon die Ehre,
Die Menſchlichkeit verlangt —

Eliſabeth.

In dieſem Sinn
Weiß ich ſein Fuͤrwort nach Gebuͤhr zu ſchaͤtzen.
Frankreich erfuͤllt die Freundespflicht, mir wird
Verſtattet ſeyn, als Koͤnigin zu handeln.


(Sie neigt ſich gegen die franzoͤſiſchen Herrn, welche ſich mit
den uͤbrigen Lords ehrfurchtsvoll entfernen.)

[71]

Dritter Auftritt.


Eliſabeth. Leiceſter. Burleigh. Talbot.
(Die Koͤnigin ſetzt ſich)

Burleigh.

Ruhmvolle Koͤnigin! Du kroͤneſt heut
Die heißen Wuͤnſche deines Volks. Nun erſt
Erfreun wir uns der ſegenvolle Tage,
Die du uns ſchenkſt, da wir nicht zitternd mehr
In eine ſtuͤrmevolle Zukunft ſchauen.
Nur eine Sorge kuͤmmert noch dieß Land,
Ein Opfer iſt's, das alle Stimmen fodern.
Gewaͤhr auch dieſes, und der heut'ge Tag
Hat Englands Wohl auf immerdar gegruͤndet.

Eliſabeth.

Was wuͤnſcht mein Volk noch? Sprecht, Milord.

Burleigh.

Es fodert
Das Haupt der Stuart — Wenn du deinem Volk
Der Freiheit koͤſtliches Geſchenk, das theuer
Erworbne Licht der Wahrheit willſt verſichern,
So muß ſie nicht mehr ſeyn — Wenn wir nicht ewig
Fuͤr dein koſtbares Leben zittern ſollen,
So muß die Feindin untergehn! — Du weißt es,
Nicht alle deine Britten denken gleich,
[72] Noch viele heimliche Verehrer zaͤhlt
Der roͤm'ſche Goͤtzendienſt auf dieſer Inſel.
Die alle naͤhren feindliche Gedanken,
Nach dieſer Stuart ſteht ihr Herz, ſie ſind
Im Bunde mit den lothringiſchen Bruͤdern,
Den unverſoͤhnten Feinden deines Namens.
Dir iſt von dieſer wuͤthenden Parthey
Der grimmige Vertilgungskrieg geſchworen,
Den man mit falſchen Hoͤllenwaffen fuͤhrt.
Zu Rheims, dem Biſchofsſitz des Kardinals,
Dort iſt das Ruͤſthaus, wo ſie Blitze ſchmieden,
Dort wird der Koͤnigsmord gelehrt — Von dort
Geſchaͤftig ſenden ſie nach deiner Inſel
Die Miſſionen aus, entſchloßne Schwaͤrmer,
In allerley Gewand vermummt — Von dort
Iſt ſchon der dritte Moͤrder ausgegangen,
Und unerſchoͤpflich, ewig neu erzeugen
Verborgne Feinde ſich aus dieſem Schlunde.
— Und in dem Schloß zu Fotheringhayſitzt
Die Ate dieſes ew'gen Kriegs, die mit
Der Liebesfackel dieſes Reich entzuͤndet.
Fuͤr ſie, die ſchmeichelnd jedem Hoffnung giebt,
Weiht ſich die Jugend dem gewiſſen Tod —
Sie zu befreien, iſt die Looſung, ſie
Auf deinen Thron zu ſetzen, iſt der Zweck.
Denn dieß Geſchlecht der Lothringer erkennt
[73] Dein heilig Recht nicht an, du heißeſt ihnen
Nur eine Raͤuberin des Throns, gekroͤnt
Vom Gluͤck! Sie warens, die die Thoͤrichte
Verfuͤhrt, ſich Englands Koͤnigin zu ſchreiben.
Kein Friede iſt mit ihr und ihrem Stamm!
Du mußt den Streich erleiden oder fuͤhren.
Ihr Leben iſt dein Tod! Ihr Tod dein Leben!

Eliſabeth.

Milord! Ein traurig Amt verwaltet ihr.
Ich kenne eures Eifers reinen Trieb,
Weiß, daß gediegne Weisheit aus euch redet,
Doch dieſe Weisheit, welche Blut befiehlt,
Ich haſſe ſie in meiner tiefſten Seele.
Sinnt einen mildern Rath aus — Edler Lord
Von Schrewsbury! Sagt ihr uns eure Meinung.

Talbot.

Du gabſt dem Eifer ein gebuͤhrend Lob,
Der Burleighs treue Bruſt beſeelt — Auch mi[r],
Stroͤmt es mir gleich nicht ſo beredt vom Munde,
Schlaͤgt in der Bruſt kein minder treues Herz.
Moͤgſt du noch lange leben, Koͤnigin,
Die Freude deines Volks zu ſeyn, das Gluͤck
Des Friedens dieſem Reiche zu verlaͤngern.
So ſchoͤne Tage hat dieß Eiland nie
Geſehn, ſeit eigne Fuͤrſten es regieren.
[74] Moͤg' es ſein Gluͤck mit ſeinem Ruhme nicht
Erkaufen! Moͤge Talbots Auge wenigſtens
Geſchloſſen ſeyn, wenn dieß geſchieht!

Eliſabeth.

Verhuͤte Gott, daß wir den Ruhm befleckten!

Talbot.

Nun dann, ſo wirſt du auf ein ander Mittel ſinnen,
Dieß Reich zu retten — denn die Hinrichtung
Der Stuart iſt ein ungerechtes Mittel.
Du kannſt das Urtheil uͤber die nicht ſprechen,
Die dir nicht unterthaͤnig iſt.

Eliſabeth.

So irrt
Mein Staatsrath und mein Parlament, im Irrthum
Sind alle Richterhoͤfe dieſes Landes,
Die mir dieß Recht einſtimmig zuerkannt —

Talbot.

Nicht Stimmenmehrheit iſt des Rechtes Probe,
England iſt nicht die Welt, dein Parlament
Nicht der Verein der menſchlichen Geſchlechter.
Dieß heut'ge England iſt das kuͤnft'ge nicht,
Wie's das vergangne nicht mehr iſt — Wie ſich
Die Neigung anders wendet, alſo ſteigt
Und faͤllt des Urtheils wandelbare Woge.
[75] Sag nicht, du muͤſſeſt der Nothwendigkeit
Gehorchen und dem Dringen deines Volks.
Sobald du willſt, in jedem Augenblick
Kannſt du erproben, daß dein Wille frei iſt.
Verſuch's! Erklaͤre, daß du Blut verabſcheuſt,
Der Schweſter Leben willſt gerettet ſehn,
Zeig denen, die dir anders rathen wollen,
Die Wahrheit deines koͤniglichen Zorns,
Schnell wirſt du die Nothwendigkeit verſchwinden
Und Recht in Unrecht ſich verwandeln ſehn.
Du ſelbſt mußt richten, du allein. Du kannſt dich
Auf dieſes unſtet ſchwanke Rohr nicht lehnen.
Der eignen Milde folge du getroſt.
Nicht Strenge legte Gott in's weiche Herz
Des Weibes — Und die Stifter dieſes Reichs,
Die auch dem Weib die Herrſcherzuͤgel gaben,
Sie zeigten an, daß Strenge nicht die Tugend
Der Koͤnige ſoll ſeyn in dieſem Lande.

Eliſabeth.

Ein warmer Anwald iſt Graf Schrewsbury
Fuͤr meine Feindin und des Reichs. Ich ziehe
Die Raͤthe vor, die meine Wohlfahrt lieben.

Talbot.

Man goͤnnt ihr keinen Anwald, niemand wagt's,
Zu ihrem Vortheil ſprechend, deinem Zorn
[76] Sich bloß zu ſtellen — So vergoͤnne mir,
Dem alten Manne, den am Grabesrand
Kein irdiſch Hoffen mehr verfuͤhren kann,
Daß ich die Aufgegebene beſchuͤtze.
Man ſoll nicht ſagen, daß in deinem Staatsrath
Die Leidenſchaft, die Selbſtſucht eine Stimme
Gehabt, nur die Barmherzigkeit geſchwiegen.
Verbuͤndet hat ſich alles wider ſie,
Du ſelber haſt ihr Antlitz nie geſehn,
Nichts ſpricht in deinem Herzen fuͤr die Fremde.
— Nicht ihrer Schuld red' ich das Wort. Man ſagt,
Sie habe den Gemahl ermorden laſſen,
Wahr iſt's, daß ſie den Moͤrder ehlichte.
Ein ſchwer Verbrechen! — Aber es geſchah
In einer finſter ungluͤcksvollen Zeit,
Im Angſtgedraͤnge buͤrgerlichen Kriegs,
Wo ſie, die Schwache, ſich umrungen ſah
Von heftigdringenden Vaſallen, ſich
Dem Muthvollſtaͤrkſten in die Arme warf —
Wer weiß durch welcher Kuͤnſte Macht beſiegt?
Denn ein gebrechlich Weſen iſt das Weib.

Eliſabeth.

Das Weib iſt nicht ſchwach. Es giebt ſtarke Seelen
In dem Geſchlecht — Ich will in meinem Beiſeyn
Nichts von der Schwaͤche des Geſchlechtes hoͤren.

[77]
Talbot.

Dir war das Ungluͤck eine ſtrenge Schule.
Nicht ſeine Freudenſeite kehrte dir
Das Leben zu. Du ſaheſt keinen Thron
Von ferne, nur das Grab zu deinen Fuͤßen.
Zu Woodſtock war's und in des Towers Nacht,
Wo dich der gnaͤd'ge Vater dieſes Landes
Zur erſten Pflicht durch Truͤbſal auferzog.
Dort ſuchte dich der Schmeichler nicht. Fruͤh lernte,
Vom eiteln Weltgeraͤuſche nicht zerſtreut,
Dein Geiſt ſich ſammeln, denkend in ſich gehn,
Und dieſes Lebens wahre Guͤter ſchaͤtzen.
— Die Arme rettete kein Gott. Ein zartes Kind
Ward ſie verpflanzt nach Frankreich, an den Hof
Des Leichtſinns, der gedankenloſen Freude.
Dort in der Feſte ew'ger Trunkenheit,
Vernahm ſie nie der Wahrheit ernſte Stimme.
Geblendet ward ſie von der Laſter Glanz,
Und fortgefuͤhrt vom Strome des Verderbens.
Ihr ward der Schoͤnheit eitles Gut zu Theil,
Sie uͤberſtrahlte bluͤhend alle Weiber,
Und durch Geſtalt nicht minder als Geburt — —

Eliſabeth.

Kommt zu euch ſelbſt, Milord von Schrewsbury!
Denkt, daß wir hier im ernſten Rathe ſitzen.
[78] Das muͤſſen Reize ſondergleichen ſeyn,
Die einen Greis in ſolches Feuer ſetzen.
— Milord von Leſter! Ihr allein ſchweigt ſtill?
Was ihn beredt macht, bindet's euch die Zunge?

Leiceſter.

Ich ſchweige fuͤr Erſtaunen, Koͤnigin,
Daß man dein Ohr mit Schreckniſſen erfuͤllt,
Daß dieſe Maͤhrchen, die in Londons Gaſſen
Den glaͤub'gen Poͤbel aͤngſten, bis herauf
In deines Staatsraths heitre Mitte ſteigen,
Und weiſe Maͤnner ernſt beſchaͤftigen.
Verwunderung ergreift mich, ich geſteh's,
Daß dieſe Laͤnderloſe Koͤnigin
Von Schottland, die den eignen kleinen Thron
Nicht zu behaupten wußte, ihrer eignen
Vaſallen Spott, der Auswurf ihres Landes,
Dein Schrecken wird auf einmal im Gefaͤngniß!
— Was, beim Allmaͤcht'gen! machte ſie dir furchtbar?
Daß ſie dieß Reich in Anſpruch nimmt, daß dich
Die Guiſen nicht als Koͤnigin erkennen?
Kann dieſer Guiſen Widerſpruch das Recht
Entkraͤften, das Geburt dir gab, der Schluß
Der Parlamente dir beſtaͤtigte?
Iſt ſie durch Heinrichs letzten Willen nicht,
Stillſchweigend abgewieſen, und wird England
[79] So gluͤcklich im Genuß des neuen Lichts,
Sich der Papiſtin in die Arme werfen?
Von dir, der angebeteten Monarchin,
Zu Darnleys Moͤrderin hinuͤberlaufen?
Was wollen dieſe ungeſtuͤmen Menſchen,
Die dich noch lebend mit der Erbin quaͤlen,
Dich nicht geſchwind genug vermaͤhlen koͤnnen,
Um Staat und Kirche von Gefahr zu retten?
Stehſt du nicht bluͤhend da in Jugendkraft,
Welkt jene nicht mit jedem Tag zum Grabe?
Bei Gott! Du wirſt, ich hoff's, noch viele Jahre
Auf ihrem Grabe wandeln, ohne daß
Du ſelber ſie hinabzuſtuͤrzen brauchteſt —

Burleigh.

Lord Leſter hat nicht immer ſo geurtheilt.

Leiceſter.

Wahr iſt's, ich habe ſelber meine Stimme
Zu ihrem Tod gegeben im Gericht.
— Im Staatsrath ſprech' ich anders. Hier iſt nicht
Die Rede von dem Recht, nur von dem Vortheil.
Iſt's jezt die Zeit, von ihr Gefahr zu fuͤrchten,
Da Frankreich ſie verlaͤßt, ihr einz'ger Schutz,
Da du den Koͤnigsſohn mit deiner Hand
Begluͤcken willſt, die Hoffnung eines neuen
Regentenſtammes dieſem Lande bluͤht?
[80] Wozu ſie alſo toͤdten? Sie iſt todt!
Verachtung iſt der wahre Tod. Verhuͤte,
Daß nicht das Mitleid ſie ins Leben rufe!
Drum iſt mein Rath: Man laſſe die Sentenz,
Die ihr das Haupt abſpricht, in voller Kraft
Beſtehn! Sie lebe — aber unterm Beile
Des Henkers lebe ſie, und ſchnell, wie ſich
Ein Arm fuͤr ſie bewaffnet, fall' es nieder.

Eliſabeth
(ſteht auf).

Milords, ich hab' nun eure Meinungen
Gehoͤrt, und ſag' euch Dank fuͤr euren Eifer.
Mit Gottes Beiſtand, der die Koͤnige
Erleuchtet, will ich eure Gruͤnde pruͤfen,
Und waͤhlen, was das Beſſere mir duͤnkt.


Vierter Auftritt.


Die Vorigen. Ritter Paulet mit Mortimern.

Eliſabeth.

Da kommt Amias Paulet. Edler Sir,
Was bringt ihr uns?

Paulet.

Glorwuͤrd'ge Majeſtaͤt!
Mein Neffe, der ohnlaͤngſt von weiten Reiſen
Zuruͤckgekehrt, wirft ſich zu deinen Fuͤßen
Und leiſtet dir ſein jugendlich Geluͤbde.
[81] Empfange du es gnadenvoll und laß
Ihn wachſen in der Sonne deiner Gunſt.

Mortimer.

(laͤßt ſich auf ein Knie nieder)

Lang lebe meine koͤnigliche Frau,
Und Gluͤck und Ruhm bekroͤne ihre Stirne!

Eliſabeth.

Steht auf. Seid mir willkommen, Sir, in England.
Ihr habt den großen Weg gemacht, habt Frankreich
Bereiſt und Rom und euch zu Rheims verweilt.
Sagt mir denn an, was ſpinnen unſre Feinde?

Mortimer.

Ein Gott verwirre ſie und wende ruͤckwaͤrts
Auf ihrer eignen Schuͤtzen Bruſt die Pfeile,
Die gegen meine Koͤnigin geſandt ſind.

Eliſabeth.

Saht ihr den Morgan und den Raͤnkeſpinnenden
Biſchof von Roße?

Mortimer.

Alle Schottiſche
Verbannte lernt' ich kennen, die zu Rheims
Anſchlaͤge ſchmieden gegen dieſe Inſel.
In ihr Vertrauen ſtahl ich mich, ob ich
Etwa von ihren Raͤnken was entdeckte.


6[82]
Paulet.

Geheime Briefe hat man ihm vertraut,
In Ziffern, fuͤr die Koͤnigin von Schottland,
Die er mit treuer Hand uns uͤberliefert.

Eliſabeth.

Sagt, was ſind ihre neueſten Entwuͤrfe?

Mortimer.

Es traf ſie alle wie ein Donnerſtreich,
Daß Frankreich ſie verlaͤßt, den feſten Bund
Mit England ſchließt, jezt richten ſie die Hoffnung
Auf Spanien.

Eliſabeth.

So ſchreibt mir Walſingham.

Mortimer.

Auch eine Bulle, die Pabſt Sirtus juͤngſt
Von Vatikane gegen dich geſchleudert,
Kam eben an zu Rheims, als ichs verließ,
Das naͤchſte Schiff bringt ſie nach dieſer Inſel.

Leiceſter.

Vor ſolchen Waffen zittert England nicht mehr.

Burleigh.

Sie werden furchtbar in des Schwaͤrmers Hand.

Eliſabeth
(Mortimern forſchend anſehend).

Man gab euch Schuld, daß ihr zu Rheims die Schulen
Beſucht und euren Glauben abgeſchworen?

[83]
Mortimer.

Die Miene gab ich mir, ich laͤugn' es nicht,
So weit gieng die Begierde, dir zu dienen!

Eliſabeth.

(zu Paulet, der ihr Papiere uͤberreicht).

Was zieht ihr da hervor?

Paulet.

Es iſt ein Schreiben,
Das dir die Koͤnigin von Schottland ſendet.

Burleigh
(haſtig darnach greifend).

Gebt mir den Brief.

Paulet
(giebt das Papier der Koͤnigin).

Verzeiht, Lord Großſchatzmeiſter!
In meiner Koͤnigin ſelbſteigne Hand,
Befahl ſie mir, den Brief zu uͤbergeben.
Sie ſagt mir ſtets, ich ſey ihr Feind. Ich bin
Nur ihrer Laſter Feind, was ſich vertraͤgt
Mit meiner Pflicht, mag ich ihr gern erweiſen.


(Die Koͤnigin hat den Brief genommen. Waͤhrend ſie ihn lieſt,
ſprechen Mortimer und Leiceſter einige Worte heimlich mit
einander).
Burleigh
(zu Paulet).

Was kann der Brief enthalten? Eitle Klagen,
Mit denen man das mitleidsvolle Herz
Der Koͤnigin verſchonen ſoll.

[84]
Paulet.

Was er
Enthaͤlt, hat ſie mir nicht verhehlt. Sie bittet
Um die Verguͤnſtigung, das Angeſicht
Der Koͤnigin zu ſehen.

Burleigh
(ſchnell).

Nimmermehr!

Talbot.

Warum nicht? Sie erfleht nichts ungerechtes.

Burleigh.

Die Gunſt des koͤniglichen Angeſichts
Hat ſie verwirkt, die Mordanſtifterin,
Die nach dem Blut der Koͤnigin geduͤrſtet.
Wer's treu mit ſeiner Fuͤrſtin meint, der kann
Den falſch verraͤtheriſchen Rath nicht geben.

Talbot.

Wenn die Monarchin ſie begluͤcken will,
Wollt ihr der Gnade ſanfte Regung hindern?

Burleigh.

Sie iſt verurtheilt! Unterm Beile liegt
Ihr Haupt. Unwuͤrdig iſt's der Majeſtaͤt,
Das Haupt zu ſehen, das dem Tod geweiht iſt.
Das Urtheil kann nicht mehr vollzogen werden,
[85] Wenn ſich die Koͤnigin ihr genahet hat,
Denn Gnade bringt die koͤnigliche Naͤhe —

Eliſabeth.

(nachdem ſie den Brief geleſen, ihre Thraͤnen trocknend)

Was iſt der Menſch! Was iſt das Gluͤck der Erde!
Wie weit iſt dieſe Koͤnigin gebracht,
Die mit ſo ſtolzen Hoffnungen begann,
Die auf den aͤltſten Thron der Chriſtenheit
Berufen worden, die in ihrem Sinn
Drei Kronen ſchon auf's Haupt zu ſetzen meinte!
Welch andre Sprache fuͤhrt ſie jetzt als damals,
Da ſie das Wappen Englands angenommen,
Und von den Schmeichlern ihres Hofs ſich Koͤnigin
Der zwei brittann'ſchen Inſeln nennen ließ!
— Verzeiht Milords, es ſchneidet mir ins Herz,
Wehmuth ergreift mich und die Seele blutet,
Daß Irdiſches nicht feſter ſteht, das Schickſal
Der Menſchheit, das entſetzliche, ſo nahe
An meinem eignen Haupt voruͤberzieht.

Talbot.

O Koͤnigin! Dein Herz hat Gott geruͤhrt,
Gehorche dieſer himmliſchen Bewegung!
Schwer buͤßte ſie fuͤrwahr die ſchwere Schuld,
Und Zeit iſt's, daß die harte Pruͤfung ende!
Reich' ihr die Hand, der tiefgefallenen,
[86] Wie eines Engels Lichterſcheinung ſteige
In ihres Kerkers Graͤbernacht hinab —

Burleigh.

Sei ſtandhaft, große Koͤnigin. Laß nicht
Ein lobenswuͤrdig menſchliches Gefuͤhl
Dich irre fuͤhren. Raube dir nicht ſelbſt
Die Freiheit, das Nothwendige zu thun.
Du kannſt ſie nicht begnadigen, nicht retten,
So lade nicht auf dich verhaßten Tadel,
Daß du mit grauſam hoͤhnendem Triumph
Am Anblick deines Opfers dich geweidet.

Leiceſter.

Laßt uns in unſern Schranken bleiben, Lords.
Die Koͤnigin iſt weiſe, ſie bedarf
Nicht unſers Raths, das wuͤrdigſte zu waͤhlen.
Die Unterredung beider Koͤniginnen
Hat nichts gemein mit des Gerichtes Gang.
Englands Geſetz, nicht der Monarchin Wille,
Verurtheilt die Maria. Wuͤrdig iſt's
Der großen Seele der Eliſabeth,
Daß ſie des Herzens ſchoͤnem Triebe folge,
Wenn das Geſetz den ſtrengen Lauf behaͤlt.

Eliſabeth.

Geht, meine Lords. Wir werden Mittel finden,
Was Gnade fodert, was Nothwendigkeit
[87] Uns auferlegt, geziemend zu vereinen.
Jetzt — tretet ab!

(Die Lords gehen. An der Thuͤre ruft ſie den Mortimer
zuruͤck.)


Sir Mortimer! Ein Wort!


Fuͤnfter Auftritt.


Eliſabeth. Mortimer.

Eliſabeth.

(nachdem ſie ihn einige Augenblicke forſchend mit den
Augen gemeſſen)

Ihr zeigtet einen kecken Muth und ſeltne
Beherrſchung eurer ſelbſt fuͤr eure Jahre.
Wer ſchon ſo fruͤh der Taͤuſchung ſchwere Kunſt
Ausuͤbte, der iſt muͤndig vor der Zeit,
Und er verkuͤrzt ſich ſeine Pruͤfungsjahre.
— Auf eine große Bahn ruft euch das Schickſal,
Ich prophezeih' es euch, und mein Orakel
Kann ich, zu eurem Gluͤcke! ſelbſt vollziehn.

Mortimer.

Erhabene Gebieterin, was ich
Vermag und bin, iſt deinem Dienſt gewidmet.

Eliſabeth.

Ihr habt die Feinde Englands kennen lernen.
Ihr Haß iſt unverſoͤhnlich gegen mich,
[88] Und unerſchoͤpflich ihre Blutentwuͤrfe.
Bis dieſen Tag zwar ſchuͤtzte mich die Allmacht,
Doch ewig wankt die Kron' auf meinem Haupt,
So lang ſie lebt, die ihrem Schwaͤrmereifer
Den Vorwand leiht und ihre Hoffnung naͤhrt.

Mortimer.

Sie lebt nicht mehr, ſobald du es gebieteſt.

Eliſabeth.

Ach Sir! Ich glaubte mich am Ziele ſchon
Zu ſehn, und bin nicht weiter als am Anfang.
Ich wollte die Geſetze handeln laſſen,
Die eigne Hand vom Blute rein behalten.
Das Urtheil iſt geſprochen. Was gewinn' ich?
Es muß vollzogen werden, Mortimer!
Und ich muß die Vollziehung anbefehlen.
Mich immer trifft der Haß der That. Ich muß
Sie eingeſtehn, und kann den Schein nicht retten.
Das iſt das ſchlimmſte!

Mortimer.

Was bekuͤmmert dich
Der boͤſe Schein, bei der gerechten Sache?

Eliſabeth.

Ihr kennt die Welt nicht, Ritter. Was man ſcheint,
Hat jedermann zum Richter, was man iſt, hat keinen.
[89] Von meinem Rechte uͤberzeug' ich niemand,
So muß ich Sorge tragen, daß mein Antheil
An ihrem Tod in ew'gem Zweifel bleibe.
Bei ſolchen Thaten doppelter Geſtalt
Giebts keinen Schutz als in der Dunkelheit.
Der ſchlimmſte Schritt iſt, den man eingeſteht,
Was man nicht aufgiebt, hat man nie verloren.

Mortimer
(ausforſchend).

Dann waͤre wohl das Beſte —

Eliſabeth
(ſchnell).

Freilich waͤr's
Das Beſte — O mein guter Engel ſpricht
Aus euch. Fahrt fort, vollendet, werther Sir!
Euch iſt es ernſt, ihr dringet auf den Grund,
Seid ein ganz andrer Mann als euer Oheim —

Mortimer
(betroffen).

Entdeckteſt du dem Ritter deinen Wunſch?

Eliſabeth.

Mich reuet, daß ich's that.

Mortimer.

Entſchuldige
Den alten Mann. Die Jahre machen ihn
Bedenklich. Solche Wageſtuͤcke fodern
Den kecken Muth der Jugend —

[90]
Eliſabeth
(ſchnell).

Darf ich euch —

Mortimer.

Die Hand will ich dir leihen, rette du
Den Namen, wie du kannſt —

Eliſabeth.

Ja, Sir! Wenn ihr
Mich eines Morgens mit der Botſchaft wektet:
Maria Stuart, deine blut'ge Feindin,
Iſt heute Nacht verſchieden!

Mortimer.

Zaͤhlt auf mich.

Eliſabeth.

Wann wird mein Haupt ſich ruhig ſchlafen legen?

Mortimer.

Der naͤchſte Neumond ende deine Furcht.

Eliſabeth.

—Gehabt euch wohl, Sir! Laßt es euch nicht leid thun,
Daß meine Dankbarkeit den Flor der Nacht
Entlehnen muß — Das Schweigen iſt der Gott
Der Gluͤcklichen — die engſten Bande ſind's,
Die zaͤrteſten, die das Geheimniß ſtiftet!


(Sie geht ab.)

[91]

Sechster Auftritt.


Mortimer
allein.

Geh', falſche, gleißneriſche Koͤnigin!
Wie du die Welt, ſo taͤuſch' ich dich. Recht iſt's,
Dich zu verrathen, eine gute That!
Seh' ich aus wie ein Moͤrder? Laſeſt du
Ruchloſe Fertigkeit auf meiner Stirn?
Trau nur auf meinen Arm und halte deinen
Zuruͤck, gieb dir den frommen Heuchelſchein
Der Gnade vor der Welt, indeſſen du
Geheim auf meine Moͤrderhilfe hoffſt,
So werden wir zur Rettung Friſt gewinnen!


Erhoͤhen willſt du mich — zeigſt mir von ferne
Bedeutend einen koſtbarn Preiß — Und waͤrſt
Du ſelbſt der Preiß und deine Frauengunſt!
Wer biſt du Aermſte, und was kannſt du geben?
Mich locket nicht des eiteln Ruhmes Geiz!
Bei ihr nur iſt des Lebens Reiz —
Um ſie, in ew'gem Freudenchore, ſchweben
Der Anmuth Goͤtter und der Jugendluſt,
Das Gluͤck der Himmel iſt an ihrer Bruſt,
Du haſt nur todte Guͤter zu vergeben!
Das Eine hoͤchſte, was das Leben ſchmuͤckt,
Wenn ſich ein Herz, entzuͤckend und entzuͤckt,
[92] Dem Herzen ſchenkt in ſuͤßem Selbſtvergeſſen,
Die Frauenkrone haſt du nie beſeſſen,
Nie haſt du liebend einen Mann begluͤckt!
—Ich muß den Lord erwarten, ihren Brief
Ihm uͤbergeben. Ein verhaßter Auftrag!
Ich habe zu dem Hoͤflinge kein Herz,
Ich ſelber. kann ſie retten, ich allein,
Gefahr und Ruhm und auch der Preiß ſei mein!


(Indem er gehen will, begegnet ihm Paulet.)

Siebenter Auftritt.


Mortimer. Paulet.

Paulet.

Was ſagte dir die Koͤnigin?

Mortimer.

Nichts, Sir.
Nichts — von Bedeutung.

Paulet
(fixirt ihn mit ernſtem Blick).

Hoͤre, Mortimer!
Es iſt ein ſchluͤpfrig glatter Grund, auf den
Du dich begeben. Lockend iſt die Gunſt
Der Koͤnige, nach Ehre geizt die Jugend.
— Laß dich den Ehrgeiz nicht verfuͤhren!

Mortimer.

War't ihr's nicht ſelbſt, der an den Hof mich brachte?

[93]
Paulet.

Ich wuͤnſchte, daß ich's nicht gethan. Am Hofe
Ward unſers Hauſes Ehre nicht geſammelt.
Steh feſt, mein Neffe. Kaufe nicht zu theuer!
Verletze dein Gewiſſen nicht!

Mortimer.

Was faͤllt [Eu]ch ein? Was fuͤr Beſorgniſſe!

Paulet.

Wie groß dich auch die Koͤnigin zu machen
Verſpricht — Trau ihrer Schmeichelrede nicht.
Verlaͤugnen wird ſie dich, wenn du gehorcht,
Und ihren eignen Namen rein zu waſchen,
Die Blutthat raͤchen, die ſie ſelbſt befahl.

Mortimer.

Die Blutthat ſagt ihr —

Paulet.

Weg, mit der Verſtellung!
Ich weiß, was dir die Koͤnigin angeſonnen,
Sie hofft, daß deine ruhmbegier'ge Jugend
Willfaͤhr'ger ſeyn wird, als mein ſtarres Alter.
Haſt du ihr zugeſagt? Haſt du?

Mortimer.

Mein Oheim!

[94]
Paulet.

Wenn du's gethan haſt, ſo verfluch' ich dich,
Und dich verwerfe —

Leiceſter
(kommt).

Werther Sir, erlaubt
Ein Wort mit eurem Neffen. Die Monarchin
Iſt gnadenvoll geſinnt fuͤr ihn, ſie will,
Daß man ihm die Perſon der Lady Stuart
Uneingeſchraͤnkt vertraue — Sie verlaͤßt ſich
Auf ſeine Redlichkeit —

Paulet.

Verlaͤßt ſich — Gut!

Leiceſter.

Was ſagt ihr, Sir?

Paulet.

Die Koͤnigin verlaͤßt ſich
Auf ihn, und ich, Milord, verlaſſe mich
Auf mich und meine beiden offnen Augen.


(Er geht ab.)

Achter Auftritt.


Leiceſter. Mortimer.

Leiceſter
(verwundert).

Was wandelte den Ritter an?

[95]
Mortimer.

Ich weiß es nicht — Das unerwartete
Vertrauen, das die Koͤnigin mir ſchenkt —

Leiceſter
(ihn forſchend anſehend).

Verdient ihr, Ritter, daß man euch vertraut?

Mortimer
(eben ſo).

Die Frage thu‘ ich euch, Milord von Leſter.

Leiceſter.

Ihr hattet mir was in geheim zu ſagen.

Mortimer.

Verſichert mich erſt, daß ichs wagen darf.

Leiceſter.

Wer giebt mir die Verſicherung fuͤr euch?
— Laßt euch mein Mistraun nicht beleidigen!
Ich ſeh‘ euch zweierley Geſichter zeigen
An dieſem Hofe — Eins darunter iſt
Nothwendig falſch, doch welches iſt das wahre?

Mortimer.

Es geht mir eben ſo mit euch, Graf Leſter.

Leiceſter.

Wer ſoll nun des Vertrauens Anfang machen?

Mortimer.

Wer das geringere zu wagen hat.

[96]
Leiceſter.

Nun! Der ſeid ihr!

Mortimer.

Ihr ſeid es! Euer Zeugniß,
Des vielbedeutenden, gewalt’gen Lords,
Kann mich zu Boden ſchlagen, meins vermag
Nichts gegen euren Rang und eure Gunſt.

Leiceſter.

Ihr irrt euch, Sir. In allem andern bin ich
Hier maͤchtig, nur in dieſem zarten Punkt,
Den ich jetzt eurer Treu Preiß geben ſoll,
Bin ich der ſchwaͤchſte Mann an dieſem Hof,
Und ein veraͤchtlich Zeugniß kann mich ſtuͤrzen.

Mortimer.

Wenn ſich der allvermoͤgende Lord Leſter
So tief zu mir herunterlaͤßt, ein ſolch
Bekenntniß mir zu thun, ſo darf ich wohl
Ein wenig hoͤher denken von mir ſelbſt,
Und ihm in Großmuth ein Exempel geben.

Leiceſter.

Geht mir voran im Zutraun, ich will folgen.

Mortimer.

(den Brief ſchnell hervorziehend)

Dieß ſendet euch die Koͤnigin von Schottland.

[97]
Leiceſter.

(ſchrickt zuſammen und greift haſtig darnach)

Sprecht leiſe, Sir — Was ſeh‘ ich! Ach! Es iſt
Ihr Bild!


(kuͤßt es und betrachtet es mit ſtummem Entzuͤcken.)
Mortimer.

(der ihn waͤhrend des Leſens ſcharf beobachtet)

Milord, nun glaub ich euch!

Leiceſter.

(nachdem er den Brief ſchnell durchlaufen)

Sir Mortimer! Ihr wißt des Briefes Innhalt?

Mortimer.

Nichts weiß ich.

Leiceſter.

Nun! Sie hat euch ohne Zweifel
Vertraut —

Mortimer.

Sie hat mir nichts vertraut. Ihr wuͤrdet
Dieß Raͤthſel mir erklaͤren, ſagte ſie.
Ein Raͤthſel iſt es mir, daß Graf von Leſter,
Der Guͤnſtling der Eliſabeth, Mariens
Erklaͤrter Feind und ihrer Richter einer,
Der Mann ſeyn ſoll, von dem die Koͤnigin
In ihrem Ungluͤck Rettung hofft — Und dennoch
Muß dem ſo ſeyn, denn eure Augen ſprechen
Zu deutlich aus, was ihr fuͤr ſie empfindet.


7[98]
Leiceſter.

Entdeckt mir ſelbſt erſt, wie es kommt, daß ihr
Den feur’gen Antheil nehmt an ihrem Schickſal,
Und was euch ihr Vertraun erwarb.

Mortimer.

Milord,
Das kann ich euch mit wenigem erklaͤren.
Ich habe meinen Glauben abgeſchworen
Zu Rom, und ſteh‘ im Buͤndniß mit den Guiſen.
Ein Brief des Erzbiſchofs zu Rheims hat mich
Beglaubigt bei der Koͤnigin von Schottland.

Leiceſter.

Ich weiß von eurer Glaubensaͤnderung,
Sie iſt‘s, die mein Vertrauen zu euch weckte.
Gebt mir die Hand. Verzeiht mir meinen Zweifel.
Ich kann der Vorſicht nicht zu viel gebrauchen,
Denn Walſingham und Burleigh haſſen mich,
Ich weiß, daß ſie mir laurend Netze ſtellen.
Ihr konntet ihr Geſchoͤpf und Werkzeug ſeyn,
Mich in das Garn zu ziehn —

Mortimer.

Wie kleine Schritte
Geht ein ſo großer Lord an dieſem Hof!
Graf! ich beklag‘ euch.

[99]
Leiceſter.

Freudig werf' ich mich
An die vertraute Freundesbruſt, wo ich
Des langen Zwangs mich endlich kann entladen.
Ihr ſeid verwundert, Sir, daß ich ſo ſchnell
Das Herz geaͤndert gegen die Maria.
Zwar in der That haßt‘ ich ſie nie — der Zwang
Der Zeiten machte mich zu ihrem Gegner.
Sie war mir zugedacht ſeit langen Jahren,
Ihr wißt‘s, eh ſie die Hand dem Darnley gab,
Als noch der Glanz der Hoheit ſie umlachte.
Kalt ſtieß ich damals dieſes Gluͤck von mir,
Jetzt im Gefaͤngniß, an des Todes Pforten
Euch‘ ich ſie auf, und mit Gefahr des Lebens.

Mortimer.

Das heißt großmuͤthig handeln!

Leiceſter.

— Die Geſtalt
Der Dinge, Sir, hat ſich indeß veraͤndert.
Mein Ehrgeiz war es, der mich gegen Jugend
Und Schoͤnheit fuͤhllos machte. Damals hielt ich
Mariens Hand fuͤr mich zu klein, ich hoffte
Auf den Beſitz der Koͤnigin von England.

Mortimer.

Es iſt bekannt, daß ſie euch allen Maͤnnern
Vorzog —

[100]
Leiceſter.

So ſchien es, edler Sir — Und nun, nach zehn
Verlornen Jahren unverdroßnen Werbens,
Verhaßten Zwangs — O Sir, mein Herz geht auf!
Ich muß des langen Unmuths mich entladen —
Man preißt mich gluͤcklich — wuͤßte man, was es
Fuͤr Ketten ſind, um die man mich beneidet —
Nachdem ich zehen bittre Jahre lang
Dem Goͤtzen ihrer Eitelkeit geopfert,
Mich jedem Wechſel ihrer Sultanslaunen
Mit Sklavendemuth unterwarf, das Spielzeug
Des kleinen grillenhaften Eigenſinns,
Geliebkoſt jetzt von ihrer Zaͤrtlichkeit,
Und jetzt mit ſproͤdem Stolz zuruͤckgeſtoßen,
Von ihrer Gunſt und Strenge gleich gepeinigt,
Wie ein Gefangener vom Argusblick
Der Eiferſucht gehuͤtet, ins Verhoͤr
Genommen wie ein Knabe, wie ein Diener
Geſcholten — O die Sprache hat kein Wort
Fuͤr dieſe Hoͤlle!

Mortimer.

Ich beklag‘ euch, Graf.

Leiceſter.

Taͤuſcht mich am Ziel der Preiß! Ein andrer kommt,
Die Frucht des theuren Werbens mir zu rauben.
[101] An einen jungen bluͤhenden Gemahl
Verlier ich meine lang beſeßnen Rechte,
Herunterſteigen ſoll ich von der Buͤhne,
Wo ich ſo lange als der Erſte glaͤnzte.
Nicht ihre Hand allein, auch ihre Gunſt
Droht mir der neue Ankoͤmmling zu rauben.
Sie iſt ein Weib, und er iſt liebenswerth.

Mortimer.

Er iſt Kathrinens Sohn. In guter Schule
Hat er des Schmeichelns Kuͤnſte ausgelernt.

Leiceſter.

So ſtuͤrzen meine Hoffnungen — ich ſuche
In dieſem Schiffbruch meines Gluͤcks ein Bret
Zu faſſen — und mein Auge wendet ſich
Der erſten ſchoͤnen Hoffnung wieder zu.
Mariens Bild, in ihrer Reize Glanz,
Stand neu vor mir, Schoͤnheit und Jugend traten
In ihre vollen Rechte wieder ein,
Nicht kalter Ehrgeiz mehr, das Herz verglich,
Und ich empfand, welch Kleinod ich verloren.
Mit Schrecken ſeh‘ ich ſie in tiefes Elend
Herabgeſtuͤrzt, geſtuͤrzt durch mein Verſchulden.
Da wird in mir die Hoffnung wach, ob ich
Sie jetzt noch retten koͤnnte und beſitzen.
Durch eine treue Hand gelingt es mir,
[102] Ihr mein veraͤndert Herz zu offenbaren,
Und dieſer Brief, den ihr mir uͤberbracht,
Verſichert mir, daß ſie verzeiht, ſich mir
Zum Preiße ſchenken will, wenn ich ſie rette.

Mortimer.

Ihr thatet aber nichts zu ihrer Rettung!
Ihr ließt geſchehn, daß ſie verurtheilt wurde,
Gabt eure Stimme ſelbſt zu ihrem Tod!
Ein Wunder muß geſchehn — Der Wahrheit Licht
Muß mich, den Neffen ihres Huͤters, ruͤhren,
Im Vatikan zu Rom muß ihr der Himmel
Den unverhofften Retter zubereiten,
Sonſt fand ſie nicht einmal den Weg zu euch!

Leiceſter.

Ach, Sir, es hat mir Qualen genug gekoſtet!
Um ſelbe Zeit ward ſie von Talbots Schloß
Nach Fotheringhay weg gefuͤhrt, der ſtrengen
Gewahrſam eures Oheims anvertraut.
Gehemmt ward jeder Weg zu ihr, ich mußte
Fortfahren vor der Welt, ſie zu verfolgen.
Doch denket nicht, daß ich ſie leidend haͤtte
Zum Tode gehen laſſen! Nein, ich hoffte,
Und hoffe noch, das Aeußerſte zu hindern,
Bis ſich ein Mittel zeigt, ſie zu befreyn.

[103]
Mortimer.

Das iſt gefunden — Leſter, euer edles
Vertraun verdient Erwiederung. Ich will ſie
Befreien, darum bin ich hier, die Anſtalt
Iſt ſchon getroffen, euer maͤcht’ger Beiſtand
Verſichert uns den gluͤcklichen Erfolg.

Leiceſter.

Was ſagt ihr? Ihr erſchreckt mich. Wie? Ihr wolltet —

Mortimer.

Gewaltſam aufthun will ich ihren Kerker,
Ich hab‘ Gefaͤhrten, alles iſt bereit —

Leiceſter.

Ihr habt Mitwiſſer und Vertraute! Weh mir!
In welches Wagniß reißt ihr mich hinein!
Und dieſe wiſſen auch um mein Geheimniß?

Mortimer.

Sorgt nicht. Der Plan ward ohne euch entworfen,
Ohn‘ euch waͤr‘ er vollſtreckt, beſtuͤnde ſie
Nicht drauf, euch ihre Rettung zu verdanken.

Leiceſter.

So koͤnnt ihr mich fuͤr ganz gewiß verſichern,
Daß in dem Bund mein Name nicht genannt iſt?

Mortimer.

Verlaßt euch drauf! Wie? So bedenklich, Graf,
Bei einer Botſchaft, die euch Huͤlfe bringt!
[104] Ihr wollt die Stuart retten und beſitzen,
Ihr findet Freunde, ploͤtzlich, unerwartet,
Vom Himmel fallen euch die naͤchſten Mittel —
Doch zeigt ihr mehr Verlegenheit als Freude?

Leiceſter.

Es iſt nichts mit Gewalt. Das Wageſtuͤck
Iſt zu gefaͤhrlich.

Mortimer.

Auch das Saͤumen iſt‘s!

Leiceſter.

Ich ſag‘ euch, Ritter, es iſt nicht zu wagen.

Mortimer.
(bitter).

Nein, nicht fuͤr euch, der ſie beſitzen will!
Wir wollen ſie bloß retten, und ſind nicht ſo
Bedenklich —

Leiceſter.

Junger Mann, ihr ſeid zu raſch
In ſo gefaͤhrlich dornenvoller Sache.

Mortimer.

Ihr — ſehr bedacht in ſolchem Fall der Ehre.

Leiceſter.

Ich ſeh‘ die Netze, die uns rings umgeben.

Mortimer.

Ich fuͤhle Muth, ſie alle zu durchreißen.

[105]
Leiceſter.

Tollkuͤhnheit, Raſerey iſt dieſer Muth.

Mortimer.

Nicht Tapferkeit iſt dieſe Klugheit, Lord.

Leiceſter.

Euch luͤſtet's wohl, wie Babington zu enden?

Mortimer.

Euch nicht, des Norfolks Großmuth nachzuahmen.

Leiceſter.

Norfolk hat ſeine Braut nicht heimgefuͤhrt.

Mortimer.

Er hat bewieſen, daß er's wuͤrdig war.

Leiceſter.

Wenn wir verderben, reißen wir ſie nach.

Mortimer.

Wenn wir uns ſchonen, wird ſie nicht gerettet.

Leiceſter.

Ihr uͤberlegt nicht, hoͤrt nicht, werdet alles
Mit heftig blindem Ungeſtuͤm zerſtoͤren,
Was auf ſo guten Weg geleitet war.

Mortimer.

Wohl auf den guten Weg, den ihr gebahnt?
Was habt ihr denn gethan, um ſie zu retten?
[106] — Und wie? Wenn ich nun Bube gnug geweſen,
Sie zu ermorden, wie die Koͤnigin
Mir anbefahl, wie ſie zu dieſer Stunde
Von mir erwartet — Nennt mir doch die Anſtalt,
Die Ihr gemacht, ihr Leben zu erhalten.

Leiceſter
(erſtaunt).

Gab euch die Koͤnigin dieſen Blutbefehl?

Mortimer.

Sie irrte ſich in mir, wie ſich Maria
In euch.

Leiceſter.

Und ihr habt zugeſagt? Habt ihr?

Mortimer.

Damit ſie andre Haͤnde nicht erkaufe,
Bot ich die meinen an.

Leiceſter.

Ihr thatet wohl.
Dieß kann uns Raum verſchaffen. Sie verlaͤßt ſich
Auf euren blut'gen Dienſt, das Todesurtheil
Bleibt unvollſtreckt, und wir gewinnen Zeit —

Mortimer
(ungeduldig).

Nein, wir verlieren Zeit!

Leiceſter.

Sie zaͤhlt auf euch,
So minder wird ſie Anſtand nehmen, ſich
[107] Den Schein der Gnade vor der Welt zu geben.
Vielleicht, daß ich durch Liſt ſie uͤberrede,
Das Angeſicht der Gegnerin zu ſehn,
Und dieſer Schritt muß ihr die Haͤnde binden.
Burleigh hat Recht. Das Urtheil kann nicht mehr
Vollzogen werden, wenn ſie ſie geſehn.
— Ja ich verſuch' es, alles biet' ich auf —

Mortimer.

Und was erreicht ihr dadurch? Wenn ſie ſich
In mir getaͤuſcht ſieht, wen[n] Maria fortfaͤhrt,
Zu leben — Iſt nicht alles wie zuvor?
Frei wird ſie niemals! Auch das mildeſte,
Was kommen kann, iſt ewiges Gefaͤngniß.
Mit einer kuͤhnen That muͤßt ihr doch enden,
Warum wollt ihr nicht gleich damit beginnen?
In euren Haͤnden iſt die Macht, ihr bringt
Ein Heer zuſammen, wenn ihr nur den Adel
Auf euren vielen Schloͤſſern waffnen wollt!
Maria hat noch viel verborgne Freunde,
Der Howard und der Percy edle Haͤuſer,
Ob ihre Haͤupter gleich geſtuͤrzt, ſind noch
An Heiden reich, ſie harren nur darauf,
Daß ein gewalt'ger Lord das Beiſpiel gebe!
Weg mit Verſtellung! Handelt oͤffentlich!
Vertheidigt als ein Ritter die Geliebte,
[108] Kaͤmpft einen edeln Kampf um ſie. Ihr ſeid
Herr der Perſon der Koͤnigin von England,
Sobald ihr wollt. Lockt ſie auf eure Schloͤſſer,
Sie iſt euch oft dahin gefolgt. Dort zeigt ihr
Den Mann! Sprecht als Gebieter! Haltet ſie
Verwahrt, bis ſie die Stuart frei gegeben!

Leiceſter.

Ich ſtaune, ich entſetze mich — Wohin
Reißt euch der Schwindel? — Kennt ihr dieſen Boden?
Wißt ihr, wie's ſteht an dieſem Hof, wie eng
Dieß Frauenreich die Geiſter hat gebunden?
Sucht nach dem Heidengeiſt, der ehmals wohl
In dieſem Land ſich regte — Unterworfen
Iſt alles, unterm Schluͤſſel eines Weibes,
Und jedes Muthes Federn abgeſpannt.
Folgt meiner Leitung. Wagt nichts unbedachtſam.
— Ich hoͤre kommen, geht.

Mortimer.

Maria hofft!
Kehr ich mit leerem Troſt zu ihr zuruͤck?

Leiceſter.

Bringt ihr die Schwuͤre meiner ew'gen Liebe!

Mortimer.

Bringt ihr die ſelbſt! Zum Werkzeug ihrer Rettung
Bot ich mich an, nicht euch zum Liebesboten!


(Er geht ab.)

[109]

Neunter Auftritt.


Eliſabeth. Leiceſter.

Eliſabeth.

Wer gieng da von euch weg? Ich hoͤrte ſprechen.

Leiceſter.

(ſich auf ihre Rede ſchnell und erſchrocken umwendend)

Es war Sir Mortimer.

Eliſabeth.

Was iſt euch, Lord?
So ganz betreten?

Leiceſter
(faßt ſich).

— Ueber deinen Anblick!
Ich habe dich ſo reizend nie geſehn,
Geblendet ſteh ich da von deiner Schoͤnheit.
— Ach!

Eliſabeth.

Warum ſeufzt ihr?

Leiceſter.

Hab' ich keinen Grund
Zu ſeufzen? Da ich deinen Reiz betrachte,
Erneut ſich mir der namenloſe Schmerz
Des drohenden Verluſtes.

Eliſabeth.

Was verliert ihr?

[110]
Leiceſter.

Dein Herz, dein liebenswuͤrdig Selbſt verlier ich.
Bald wirſt du in den jugendlichen Armen
Des feurigen Gemahls dich gluͤcklich fuͤhlen,
Und ungetheilt wird er dein Herz beſitzen.
Er iſt von koͤniglichem Blut, das bin
Ich nicht, doch trotz ſey aller Welt geboten,
Ob einer lebt auf dieſem Erdenrund,
Der mehr Anbetung fuͤr dich fuͤhlt, als ich.
Der Duͤc von Anjou hat dich nie geſehn,
Nur deinen Ruhm und Schimmer kann er lieben.
Ich liebe Dich. Waͤrſt du die aͤrmſte Hirtin,
Ich als der groͤßte Fuͤrſt der Welt geboren,
Zu deinem Stand wuͤrd' ich herunter ſteigen,
Mein Diadem zu deinen Fuͤßen legen.

Eliſabeth.

Beklag' mich, Dudley, ſchilt mich nicht — Ich darf ja
Mein Herz nicht fragen. Ach! das haͤtte anders
Gewaͤhlt. Und wie beneid' ich andre Weiber,
Die das erhoͤhen duͤrfen, was ſie lieben.
So gluͤcklich bin ich nicht, daß ich dem Manne,
Der mir vor allen theuer iſt, die Krone
Aufſetzen kann! — Der Stuart wards vergoͤnnt,
Die Hand nach ihrer Neigung zu verſchenken,
Die hat ſich jegliches erlaubt, ſie hat
Den vollen Kelch der Freuden ausgetrunken.

[111]
Leiceſter.

Jetzt trinkt ſie auch den bittern Kelch des Leidens.

Eliſabeth.

Sie hat der Menſchen Urtheil nichts geachtet.
Leicht wurd' es ihr zu leben, nimmer lud ſie
Das Joch ſich auf, dem ich mich unterwarf.
Haͤtt' ich doch auch Anſpruͤche machen koͤnnen,
Des Lebens mich, der Erde Luſt zu freun,
Doch zog ich ſtrenge Koͤnigspflichten vor.
Und doch gewann ſie aller Maͤnner Gunſt,
Weil ſie ſich nur befliß, ein Weib zu ſeyn,
Und um ſie buhlt die Jugend und das Alter.
So ſind die Maͤnner. Luͤſtlinge ſind alle!
Dem Leichtſinn eilen ſie, der Freude zu,
Und ſchaͤtzen nichts, was ſie verehren muͤſſen.
Verjuͤngte ſich nicht dieſer Talbot ſelbſt,
Als er auf ihren Reiz zu reden kam!

Leiceſter.

Vergieb es ihm. Er war ihr Waͤchter einſt,
Die Liſt'ge hat mit Schmeicheln ihn bethoͤrt.

Eliſabeth.

Und iſt's denn wirklich wahr, daß ſie ſo ſchoͤn iſt?
So oft mußt' ich die Larve ruͤhmen hoͤren,
Wohl moͤcht' ich wiſſen, was zu glauben iſt.
Gemaͤhlde ſchmeicheln, Schilderungen luͤgen,
[112] Nur meinen eignen Augen wuͤrd' ich traun.
— Was ſchaut ihr mich ſo ſeltſam an?

Leiceſter.

Ich ſtellte
Dich in Gedanken neben die Maria.
— Die Freude wuͤnſcht ich mir, ich berg' es nicht,
Wenn es ganz in geheim geſchehen koͤnnte,
Der Stuart gegenuͤber dich zu ſehn!
Dann ſollteſt du erſt deines ganzen Siegs
Genießen! Die Beſchaͤmung goͤnnt' ich ihr,
Daß ſie mit eignen Augen — denn der Neid
Hat ſcharfe Augen — uͤberzeugt ſich ſaͤhe,
Wie ſehr ſie auch an Adel der Geſtalt
Von dir beſiegt wird, der ſie ſo unendlich
In jeder andern wuͤrd'gen Tugend weicht.

Eliſabeth.

Sie iſt die juͤngere an Jahren.

Leiceſter.

Juͤnger!
Man ſiehts ihr nicht an. Freilich ihre Leiden!
Sie mag wohl vor der Zeit gealtert haben.
Ja, und was ihre Kraͤnkung bittrer machte,
Das waͤre, dich als Braut zu ſehn! Sie hat
Des Lebens ſchoͤne Hoffnung hinter ſich,
Dich ſaͤhe ſie dem Gluͤck entgegen ſchreiten!
[113] Und als die Braut des Koͤnigsſohns von Frankreich,
Da ſie ſich ſtets ſo viel gewußt, ſo ſtolz
Gethan mit der franzoͤſiſchen Vermaͤhlung,
Noch jetzt auf Frankreichs maͤcht'ge Hilfe pocht!

Eliſabeth
(nachlaͤſſig hinwerfend).

Man peinigt mich ja ſie zu ſehn.

Leiceſter
(lebhaft).

Sie fodertſ
Als eine Gunſt, gewaͤhrt es ihr als Stra[f]e!
Du kannſt ſie auf das Blutgeruͤſte fuͤhren,
Es wird ſie minder peinigen, als ſich
Von deinen Reizen ausgeloͤſcht zu ſehn.
Dadurch ermordeſt du ſie, wie ſie dich
Ermorden wollte — Wenn ſie deine Schoͤnheit
Erblickt, durch Ehrbarkeit bewacht, in Glorie
Geſtellt durch einen unbefleckten Tugendruf,
Den ſie, leichtſinnig bulend, von ſich warf,
Erhoben durch der Krone Glanz, und jetzt
Durch zarte Braͤutlichkeit geſchmuͤckt — dann hat
Die Stunde der Vernichtung ihr geſchlagen.
Ja — wenn ich jetzt die Augen auf dich werfe —
Nie warſt du, nie zu einem Sieg der Schoͤnheit
Geruͤſteter als eben jetzt — Mich ſelbſt
Haſt du umſtrahlt wie eine Lichterſcheinung,
Als du vorhin ins Zimmer trateſt — Wie?
8
[114] Wenn du gleich jetzt, jetzt wie du biſt, hintraͤteſt
Vor ſie, du findeſt keine ſchoͤn're Stunde —

Eliſabeth.

Jetzt — Nein — Nein — Jetzt nicht, Leſter — Nein, das muß ich
Erſt wohl bedenken — mich mit Burleigh —

Leiceſter
(lebhaft einfallend).

Burleigh!
Der denkt allein auf deinen Staatſvortheil,
Auch deine Weiblichkeit hat ihre Rechte,
Der zarte Punkt gehoͤrt vor Dein Gericht,
Nicht vor des Staatsma[n]ns — ja auch Staatskunſt will es
Daß du ſie ſiehſt, die oͤffentliche Meinung
Durch eine That der Großmuth dir gewinneſt!
Magſt du nachher dich der verhaßten Feindin,
Auf welche Weiſe dirs gefaͤllt, entladen.

Eliſabeth.

Nicht wohlanſtaͤndig waͤr mir'ſ, die verwandte
Im Mangel und in Schmach zu ſehn. Man ſagt,
Daß ſie nicht koͤniglich umgeben ſey,
Vorwerfend waͤr mir ihres Mangels Anblick.

Leiceſter.

Nicht ihrer Schwelle brauchſt du dich zu nahn.
Hoͤr meinen Rath. Der Zufall hat es eben
Nach Wunſch gefuͤgt. Heut iſt das große Jagen,
An Fotheringhay fuͤhrt der Weg vorbei,
[115] Dort kann die Stuart ſich im Park ergehn,
Du kommſt ganz wie ohngefaͤhr dahin,
Es darf nichts als vorher bedacht erſcheinen,
Und wenn es dir zuwider, redeſt du
Sie gar nicht an —

Eliſabeth.

Begeh' ich eine Thorheit,
So iſt es eure, Leſter, nicht die meine.
Ich will euch heute keinen Wunſch verſagen,
Weil ich von meinen Unterthanen allen
Euch heut am weheſten gethan.

(Ihn zaͤrtlich anſehend.)


Sey's eine Grille nur von euch. Dadurch
Giebt Neigung ſich ja kund, daß ſie bewilligt
Aus freier Gunſt, was ſie auch nicht gebilligt.


(Leiceſter ſtuͤrzt zu ihren Fuͤßen, der Vorhang faͤllt.)


[116]

Dritter Aufzug.


Gegend in einem Park. Vorn mit Baͤumen beſetzt, hinten
eine weite Ausſicht.

Erſter Auftritt.


Maria tritt in ſchnellem Lauf hinter Baͤumen hervor.
Hanna Kennedy folgt langſam.

Kennedy.

Ihr eilet ja, als wenn ihr Fluͤgel haͤttet,
So kann ich euch nicht folgen, wartet doch!

Maria.

Laß mich der neuen Freiheit genießen,
Laß mich ein Kind ſeyn, ſey es mit!
Und auf dem gruͤnen Teppich der Wieſen
Pruͤfen den leichten, gefluͤgelten Schritt.
Bin ich dem finſtern Gefaͤngniß entſtiegen,
Haͤlt ſie mich nicht mehr, die traurige Gruft?
Laß mich in vollen, in durſtigen Zuͤgen
Trinken die freie, die himmliſche Luft.

[117]
Kennedy.

O meine theure Lady! Euer Kerker
Iſt nur um ein klein weniges erweitert.
Ihr ſeht nur nicht die Mauer, die uns einſchließt,
Weil ſie der Baͤume dicht Geſtraͤuch verſteckt.

Maria.

O dank, dank dieſen freundlich gruͤnen Baͤumen,
Die meines Kerkers Mauern mir verſtecken!
Ich will mich frei und gluͤcklich traͤumen,
Warum aus meinem ſuͤßen Wahn mich wecken?
Umfaͤngt mich nicht der weite Himmelsſchoos?
Die Blicke, frei und feſſellos,
Ergehen ſich in ungemeßnen Raͤumen.
Dort, wo die grauen Nebelberge ragen,
Faͤngt meines Reiches Graͤnze an,
Und dieſe Wolken, die nach Mittag jagen,
Sie ſuchen Frankreichs fernen Ocean.


Eilende Wolken! Segler der Luͤfte!
Wer mit euch wanderte, mit euch ſchiffte!
Gruͤßet mir freundlich mein Jugendland!
Ich bin gefangen, ich bin in Banden,
Ach, ich hab' keinen andern Geſandten!
Frei in Luͤften iſt eure Bahn,
Ihr ſeid nicht dieſer Koͤnigin unterthan.

[118]
Kennedy.

Ach, theure Lady! Ihr ſeid außer euch,
Die langentbehrte Freiheit macht euch ſchwaͤrmen.

Maria.

Dort legt ein Fiſcher den Nachen an!
Dieſes elende Werkzeug koͤnnte mich retten,
Braͤchte mich ſchnell zu befreundeten Staͤdten.
Spaͤrlich naͤhrt es den duͤrftigen Mann.
Beladen wollt ich ihn reich mit Schaͤtzen,
Einen Zug ſollt' er thun, wie er keinen gethan,
Das Gluͤck ſollt' er finden in ſeinen Netzen,
Naͤhm' er mich ein in den rettenden Kahn.

Kennedy.

Verlorne Wuͤnſche! Seht ihr nicht, daß uns
Von ferne dort die Spaͤhertritte folgen?
Ein finſter grauſames Verbot ſcheucht jedes
Mitleidige Geſchoͤpf aus unſerm Wege.

Maria.

Nein, gute Hanna. Glaub' mir, nicht umſonſt
Iſt meines Kerkers Thor geoͤffnet worden.
Die kleine Gunſt iſt mir des groͤßern Gluͤcks
Verkuͤnderin. Ich irre nicht. Es iſt
Der Liebe thaͤt'ge Hand, der ich ſie danke.
Lord Leſters maͤcht'gen Arm erkenn ich drinn.
Allmaͤhlig will man mein Gefaͤngniß weiten,
[119] Durch kleineres zum groͤßern mich gewoͤhnen,
Bis ich das Antlitz deſſen endlich ſchaue,
Der mir die Bande loͤßt auf immerdar.

Kennedy.

Ach, ich kann dieſen Widerſpruch nicht reimen!
Noch geſtern kuͤndigt man den Tod euch an,
Und heute wird euch ploͤtzlich ſolche Freiheit.
Auch denen, hoͤrt' ich ſagen, wird die Kette
Geloͤßt, auf die die ew'ge Freiheit wartet.

Maria.

Hoͤrſt du das Hifthorn? Hoͤrſt du's klingen,
Maͤchtigen Rufes, durch Feld und Hain?
Ach, auf das muthige Roß mich zu ſchwingen,
An den froͤhlichen Zug mich zu reihn!
Noch mehr! O die bekannte Stimme,
Schmerzlich ſuͤßer Erinnerung voll.
Oft vernahm ſie mein Ohr mit Freuden,
Auf des Hochlands bergigten Haiden,
Wenn die tobende Jagd erſcholl.


Zweiter Auftritt.


Paulet. Die Vorigen.

Paulet.

Nun! Hab' ichs endlich recht gemacht, Milady?
Verdien' ich einmal euern Dank?

[120]
Maria.

Wie, Ritter?
Seid ihr's, der dieſe Gunſt mir ausgewirkt?
Ihr ſeid's?

Paulet.

Warum ſoll ichs nicht ſeyn? Ich war
Am Hof, ich uͤberbrachte euer Schreiben —

Maria.

Ihr uͤbergabt es? Wirklich, thatet ihr's?
Und dieſe Freiheit, die ich jetzt genieße,
Iſt eine Frucht des Briefs —

Paulet
(mit Bedeutung).

Und nicht die einz'ge!
Macht euch auf eine groͤßre noch gefaßt.

Maria.

Auf eine groͤßre, Sir? Was meint ihr damit?

Paulet.

Ihr hoͤrtet doch die Hoͤrner —

Maria
(zuruͤckfahrend, mit Ahndung).

Ihr erſchreckt mich!

Paulet.

Die Koͤnigin jagt in dieſer Gegend.

Maria.

Was?

[121]
Paulet.

In wenig Augenblicken ſteht ſie vor euch.

Kennedy.

(auf Maria zueilend, welche zittert und hinzuſinken droht)

Wie wird euch, theure Lady! Ihr verblaßt.

Paulet.

Nun? Iſts nun nicht recht? War's nicht eure Bitte?
Sie wird euch fruͤher gewaͤhrt, als ihr gedacht.
Ihr ward ſonſt immer ſo geſchwinder Zunge,
Jetzt bringet eure Worte an, jetzt iſt
Der Augenblick zu reden!

Maria.

O warum hat man mich nicht vorbereitet!
Jetzt bin ich nicht darauf gefaßt, jetzt nicht.
Was ich mir als die hoͤchſte Gunſt erbeten,
Duͤnkt mir jetzt ſchrecklich, fuͤrchterlich — Komm Hanna,
Fuͤhr' mich ins Haus, daß ich mich faſſe, mich
Erhohle —

Paulet.

Bleibt. Ihr muͤßt ſie hier erwarten.
Wohl, wohl mag's euch beaͤngſtigen, ich glaubs,
Vor eurem Richter zu erſcheinen.


[122]

Dritter Auftritt.


Graf Schrewsbury zu den Vorigen.

Maria.

Es iſt nicht darum! Gott, mir iſt ganz anders
Zu Muth — Ach edler Schrewsbury! Ihr kommt,
Vom Himmel mir ein Engel zugeſendet!
— Ich kann ſie nicht ſehn! Rettet, rettet mich
Von dem verhaßten Anblick —

Schrewsbury.

Kommt zu euch, Koͤnigin! Faßt euren Muth
Zuſammen. Das iſt die entſcheidungsvolle Stunde.

Maria.

Ich habe drauf geharret — Jahre lang
Mich drauf bereitet, alles hab' ich mir
Geſagt und ins Gedaͤchtniß eingeſchrieben,
Wie ich ſie ruͤhren wollte und bewegen!
Vergeſſen ploͤtzlich, ausgeloͤſcht iſt alles,
Nichts lebt in mir in dieſem Augenblick,
Als meiner Leiden brennendes Gefuͤhl.
In blut'gen Haß gewendet wider ſie
Iſt mir das Herz, es fliehen alle guten
Gedanken, und die Schlangenhaare ſchuͤttelnd
Umſtehen mich die finſtern Hoͤllengeiſter.

[123]
Schrewsbury.

Gebietet eurem wild empoͤrten Blut,
Bezwingt des Herzens Bitterkeit! Es bringt
Nicht gute Frucht, wenn Haß dem Haß begegnet.
Wie ſehr auch euer Innres widerſtrebe,
Gehorcht der Zeit und dem Geſetz der Stunde!
Sie iſt die Maͤchtige — demuͤthigt euch!

Maria.

Vor ihr! Ich kann es nimmermehr.

Schrewsbury.

Thuts dennoch!
Sprecht ehrerbietig, mit Gelaſſenheit!
Ruft ihre Großmuth an, trotzt nicht, jetzt nicht
Auf euer Recht, jetzo iſt nicht die Stunde.

Maria.

Ach mein Verderben hab' ich mir erfleht,
Und mir zum Fluche wird mein Flehn erhoͤrt!
Nie haͤtten wir uns ſehen ſollen, niemals!
Daraus kann nimmer, nimmer gutes kommen!
Eh moͤgen Feu'r und Waſſer ſich in Liebe
Begegnen und das Lamm den Tiger kuͤſſen —
Ich bin zu ſchwer verletzt — ſie hat zu ſchwer
Beleidigt — Nie iſt zwiſchen uns Verſoͤhnung!

Schrewsbury.

Seht ſie nur erſt von Angeſicht!
[124] Ich ſah es ja, wie ſie von eurem Brief
Erſchuͤttert war, ihr Auge ſchwamm in Thraͤnen.
Nein, ſie iſt nicht gefuͤhllos, hegt ihr ſelbſt
Nur beſſeres Vertrauen — Darum eben
Bin ich voraus geeilt, damit ich euch
In Faſſung ſetzen und ermahnen moͤchte.

Maria
(ſeine Hand ergreifend).

Ach Talbot! Ihr war't ſtets mein Freund — daß ich
In eurer milden Haft geblieben waͤre!
Es ward mir hart begegnet, Schrewsbury!

Schrewsbury.

Vergeßt jetzt alles. Darauf denkt allein,
Wie ihr ſie unterwuͤrfig wollt empfangen.

Maria.

Iſt Burleigh auch mit ihr, mein boͤſer Engel?

Schrewsbury.

Niemand begleitet ſie als Graf von Leſter.

Maria.

Lord Leſter!

Schrewsbury.

Fuͤrchtet nichts von ihm. Nicht Er
Will euren Untergang — Sein Werk iſt es,
Daß euch die Koͤnigin die Zuſammenkunft
Bewilligt.

[125]
Maria.

Ach! Ich wußt' es wohl!

Schrewsbury.

Was ſagt ihr?

Paulet.

Die Koͤnigin kommt!


(Alles weicht auf die Seite, nur Maria bleibt, auf die
Kennedy gelehnt.)

Vierter Auftritt.


Die Vorigen. Eliſabeth. Graf Leiceſter. Gefolge.

Eliſabeth
(zu Leiceſter).

Wie heißt der Landſitz?

Leiceſter.

Fotheringbayſchloß.

Eliſabeth
(zu Schrewsbury).

Schickt unſer Jagdgefolg voraus nach London,
Das Volk draͤngt allzuheftig in den Straßen,
Wir ſuchen Schutz in dieſem ſtillen Park.

(Talbot entfernt das Gefolge. Sie fixirt mit den Augen die
Maria, indem ſie zu Paulet weiter ſpricht)


Mein gutes Volk liebt mich zu ſehr. Unmaͤßig,
Abgoͤttiſch ſind die Zeichen ſeiner Freude,
So ehrt man einen Gott, nicht einen Menſchen.

[126]
Maria.

(welche dieſe Zeit uͤber halb ohnmaͤchtig auf die Amme gelehnt
war, erhebt ſich jetzt und ihr Auge begegnet dem geſpannten
Blick der Eliſabeth. Sie ſchaudert zuſammen und wirft ſich
wieder an der Amme Bruſt)

O Gott, aus dieſen Zuͤgen ſpricht kein Herz!

Eliſabeth.

Wer iſt die Lady?

(Ein allgemeines Schweigen)
Leiceſter.

— Du biſt zu Fotheringbay, Koͤnigin.

Eliſabeth.

(ſtellt ſich uͤberraſcht und erſtaunt, einen finſtern Blick auf
Leiceſtern richtend)

Wer hat mir das gethan? Lord Leſter!

Leiceſter.

Es iſt geſchehen, Koͤnigin — Und nun
Der Himmel deinen Schritt hieher gelenkt,
So laß die Großmuth und das Mitleid ſiegen.

Schrewsbury.

Laß dich erbitten, koͤnigliche Frau,
Dein Aug' auf die Ungluͤckliche zu richten,
Die hier vergeht vor deinem Anblick.


(Maria rafft ſich zuſammen und will auf die Eliſabeth zugehen,
ſteht aber auf halbem Weg ſchaudernd ſtill, ihre Gebaͤrden
druͤcken den heftigſten Kampf aus.)
[127]
Eliſabeth.

Wie, Milords?
Wer war es denn, der eine Tiefgebeugte
Mir angekuͤndigt? Eine Stolze find' ich,
Vom Ungluͤck keineswegs geſchmeidigt.

Maria.

Sey's!
Ich will mich auch noch dieſem unterwerfen.
Fahr hin, ohnmaͤcht'ger Stolz der edeln Seele!
Ich will vergeſſen, wer ich bin, und was
Ich litt, ich will vor ihr mich niederwerfen,
Die mich in dieſe Schmach herunterſtieß.

(Sie wendet ſich gegen die Koͤnigin.)


Der Himmel hat fuͤr euch entſchieden, Schweſter!
Gekroͤnt vom Sieg iſt euer gluͤcklich Haupt,
Die Gottheit bet' ich an, die euch erhoͤhte!

(Sie faͤllt vor ihr nieder.)


Doch ſeid auch ihr nun edelmuͤthig, Schweſter!
Laßt mich nicht ſchmachvoll liegen, eure Hand
Streckt aus, reicht mir die koͤnigliche Rechte,
Mich zu erheben von dem tiefen Fall.

Eliſabeth
(zuruͤcktretend)

Ihr ſeid an eurem Platz, Lady Maria!
Und dankend preiſ' ich meines Gottes Gnade,
Der nicht gewollt, daß ich zu euren Fuͤßen
So liegen ſollte, wie ihr jetzt zu meinen.

[128]
Maria
(mit ſteigendem Affekt).

Denkt an den Wechſel alles Menſchlichen!
Es leben Goͤtter, die den Hochmuth raͤchen!
Verehret, fuͤrchtet ſie, die ſchrecklichen,
Die mich zu euren Fuͤßen niederſtuͤrzen —
Um dieſer fremden Zeugen willen, ehrt
In mir euch ſelbſt, entweihet, ſchaͤndet nicht
Das Blut der Tudor, das in meinen Adern
Wie in den euren fließt — O Gott im Himmel!
Steht nicht da, ſchroff und unzugaͤnglich, wie
Die Felſenklippe, die der Strandende
Vergeblich ringend zu erfaſſen ſtrebt.
Mein Alles haͤngt, mein Leben, mein Geſchick,
An meiner Worte, meiner Thraͤnen Kraft,
Loͤßt mir das Herz, daß ich das eure ruͤhre!
Wenn ihr mich anſchaut mit dem Eiſesblick,
Schließt ſich das Herz mir ſchaudernd zu, der Strom
Der Thraͤnen ſtockt, und kaltes Grauſen feſſelt
Die Flehensworte mir im Buſen an.

Eliſabeth
(kalt und ſtreng).

Was habt ihr mir zu ſagen, Lady Stuart?
Ihr habt mich ſprechen wollen. Ich vergeſſe
Die Koͤnigin, die ſchwer beleidigte,
Die fromme Pflicht der Schweſter zu erfuͤllen,
Und meines Anblicks Troſt gewaͤhr ich euch.
[129] Dem Trieb der Großmuth folg' ich, ſetze mich
Gerechtem Tadel aus, daß ich ſo weit
Herunter ſteige — denn ihr wißt,
Daß ihr mich habt ermorden laſſen wollen.

Maria.

Womit ſoll ich den Anfang machen, wie
Die Worte kluͤglich ſtellen, daß ſie euch
Das Herz ergreifen, aber nicht verletzen!
O Gott, gieb meiner Rede Kraft, und nimm
Ihr jeden Stachel, der verwunden koͤnnte!
Kann ich doch fuͤr mich ſelbſt nicht ſprechen, ohne euch
Schwer zu verklagen, und das will ich nicht.
— Ihr habt an mir gehandelt, wie nicht recht iſt,
Denn ich bin eine Koͤnigin wie ihr,
Und ihr habt als Gefangne mich gehalten,
Ich kam zu euch als eine Bittende,
Und ihr, des Gaſtrechts heilige Geſetze,
Der Voͤlker heilig Recht in mir verhoͤhnend,
Schloßt mich in Kerkermauern ein, die Freunde,
Die Diener werden grauſam mir entriſſen,
Unwuͤrd'gem Mangel werd' ich preiß gegeben,
Man ſtellt mich vor ein ſchimpfliches Gericht —
Nichts mehr davon! Ein ewiges Vergeſſen
Bedecke, was ich grauſames erlitt.
— Seht! Ich will alles eine Schickung nennen,
9
[130]Ihr ſeid nicht ſchuldig, ich bin auch nicht ſchuldig,
Ein boͤſer Geiſt ſtieg aus dem Abgrund auf,
Den Haß in unſern Herzen zu entzuͤnden,
Der unſre zarte Jugend ſchon entzweyt.
Er wuchs mit uns, und boͤſe Menſchen fachten
Der ungluͤckſelgen Flamme Athem zu.
Wahnſinn'ge Eiferer bewaffneten
Mit Schwerdt und Dolch die unberufne Hand —
Das iſt das Fluchgeſchick der Koͤnige,
Daß ſie, entzweyt, die Welt in Haß zerreißen,
Und jeder Zwietracht Furien entfeſſeln.
— Jetzt iſt kein fremder Mund mehr zwiſchen uns

(naͤhert ſich ihr zutraulich und mit ſchmeichelndem Ton)


Wir ſtehn einander ſelbſt nun gegenuͤber.
Jetzt Schweſter redet! Nennt mir meine Schuld,
Ich will euch voͤlliges Genuͤgen leiſten.
Ach, daß ihr damals mir Gehoͤr geſchenkt,
Als ich ſo dringend euer Auge ſuchte!
Es waͤre nie ſo weit gekommen, nicht
Zu dieſem traur'gen Ort geſchaͤhe jetzt
Die ungluͤckſelig traurige Begegnung.

Eliſabeth

Mein guter Stern bewahrte mich davor,
Die Natter an den Buſen mir zu legen.
— Nicht die Geſchicke, euer ſchwarzes Herz
Klagt an, die wilde Ehrfurcht eures Hauſes.
[131] Nichts feindliches war zwiſchen uns geſchehn,
Da kuͤndigte mir euer Ohm, der ſtolze,
Herrſchwuͤthge Prieſter, der die freche Hand
Nach allen Kronen ſtreckt, die Fehde an,
Bethoͤrte euch, mein Wappen anzunehmen,
Euch meine Koͤnigstitel zuzueignen,
Auf Tod und Leben in den Kampf mit mir
Zu gehn — Wen rief er gegen mich nicht auf?
Der Prieſter Zungen und der Voͤlker Schwerdt,
Des frommen Wahnſinns fuͤrchterliche Waffen,
Hier ſelbſt, im Friedensſitze meines Reichs,
Blies er mir der Empoͤrung Flammen an —
Doch Gott iſt mit mir, und der ſtolze Prieſter
Behaͤlt das Feld nicht — Meinem Haupte war
Der Streich gedrohet, und das eure faͤllt!

Maria.

Ich ſteh' in Gottes Hand. Ihr werdet euch
So blutig eurer Macht nicht uͤberheben —

Eliſabeth.

Wer ſoll mich hindern? Euer Oheim gab
Das Beiſpiel allen Koͤnigen der Welt,
Wie man mit ſeinen Feinden Frieden macht,
Die Sankt Barthelemi ſey meine Schule!
Was iſt mir Blutsverwandſchaft, Voͤlkerrecht?
Die Kirche trennet aller Pflichten Band,
[132] Den Treubruch heiligt ſie, den Koͤnigsmord,
Ich uͤbe nur, was eure Prieſter lehren.
Sagt! Welches Pfand gewaͤhrte mir fuͤr euch,
Wenn ich großmuͤthig eure Bande loͤſte?
Mit welchem Schloß verwahr' ich eure Treue,
Das nicht Sankt Peters Schluͤſſel oͤffnen kann?
Gewalt nur iſt die einz'ge Sicherheit,
Kein Buͤndniß iſt mit dem Gezuͤcht der Schlangen.

Maria.

O das iſt euer traurig finſtrer Argwohn!
Ihr habt mich ſtets als eine Feindin nur
Und Fremdlingin betrachtet. Haͤttet ihr
Zu eurer Erbin mich erklaͤrt, wie mir
Gebuͤhrt, ſo haͤtten Dankbarkeit und Liebe
Euch eine treue Freundin und Verwandte
In mir erhalten.

Eliſabeth

Draußen, Lady Stuart,
Iſt eure Freundſchaft, euer Haus das Pabſtthum,
Der Moͤnch iſt euer Bruder — Euch, zur Erbin
Erklaͤren! Der verraͤtheriſche Fallſtrick!
Daß ihr bei meinem Leben noch mein Volk
Verfuͤhrtet, eine liſtige Armida
Die edle Jugend meines Koͤnigreichs
In eurem Buhlernetze ſchlau verſtricktet —
[133] Daß alles ſich der neu aufgeh'nden Sonne
Zuwendete, und ich —

Maria.

Regiert in Frieden!
Jedwedem Anſpruch auf dieß Reich entſag' ich.
Ach, meines Geiſtes Schwingen ſind gelaͤhmt,
Nicht Groͤße lockt mich mehr — Ihr habts erreicht,
Ich bin nur noch der Schatten der Maria.
Gebrochen iſt in langer Kerkerſchmach
Der edle Muth — Ihr habt das aͤußerſte an mir
Gethan, habt mich zerſtoͤrt in meiner Bluͤthe!
— Jetzt macht ein Ende, Schweſter. Sprecht es aus,
Das Wort, um deſſentwillen ihr gekommen,
Denn nimmer will ich glauben, daß ihr kamt,
Um euer Opfer grauſam zu verhoͤhnen.
Sprecht dieſes Wort aus. Sagt mir: „Ihr ſeid frey,
„Maria! Meine Macht habt ihr gefuͤhlt,
„Jetzt lernet meinen Edelmuth verehren.“
Sagt's, und ich will mein Leben, meine Freiheit
Als ein Geſchenk aus eurer Hand empfangen.
— Ein Wort macht alles ungeſchehn. Ich warte
Darauf. O laßt michs nicht zu lang erharren!
Weh euch, wenn ihr mit dieſem Wort nicht endet!
Denn wenn ihr jetzt nicht ſegenbringend, herrlich,
Wie eine Gottheit von mir ſcheidet — Schweſter!
[134] Nicht um dieß ganze reiche Eiland, nicht
Um alle Laͤnder, die das Meer umfaßt,
Moͤcht ich vor euch ſo ſtehn, wie ihr vor mir!

Eliſabeth.

Bekennt ihr endlich euch fuͤr uͤberwunden?
Iſts aus mit euren Raͤnken? Iſt kein Moͤrder
Mehr unterweges? Will kein Abentheurer
Fuͤr euch die traur'ge Ritterſchaft mehr wagen?
— Ja es iſt aus, Lady Maria. Ihr verfuͤhrt
Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.
Es luͤſtet keinen euer — vierter Mann
Zu werden, denn ihr toͤdet eure Freier,
Wie eure Maͤnner!

Maria
(auffahrend).

Schweſter! Schweſter!
O Gott! Gott! Gieb mir Maͤßigung!

Eliſabeth.

(ſieht ſie lange mit einem Blick ſtolzer Verachtung an)

Das alſo ſind die Reizungen, Lord Leſter,
Die ungeſtraft kein Mann erblickt, daneben
Kein andres Weib ſich wagen darf zu ſtellen!
Fuͤrwahr! Der Ruhm war wohlfeil zu erlangen,
Es koſtet nichts, die allgemeine Schoͤnheit
Zu ſeyn, als die gemeine ſeyn fuͤr alle!

[135]
Maria.

Das iſt zu viel!

Eliſabeth.
(hoͤhniſch lachend.)

Jetzt zeigt ihr euer wahres
Geſicht, bis jetzt war's nur die Larve.

Maria.

(von Zorn gluͤhend, doch mit einer edeln Wuͤrde)

Ich habe menſchlich, jugendlich gefehlt,
Die Macht verfuͤhrte mich, ich hab' es nicht
Verheimlicht und verborgen, falſchen Schein
Hab' ich verſchmaͤht, mit koͤniglichem Freimuth.
Das aͤrgſte weiß die Welt von mir und ich
Kann ſagen, ich bin beſſer als mein Ruf.
Weh euch, wenn ſie von euren Thaten einſt
Den Ehrenmantel zieht, womit ihr gleißend
Die wilde Glut verſtohlner Luͤſte deckt.
Nicht Ehrbarkeit habt ihr von eurer Mutter
Geerbt, man weiß, um welcher Tugend willen
Anna von Boulen das Schaffot beſtiegen.

Schrewsbury.
(tritt zwiſchen beide Koͤniginnen).

O Gott des Himmels! Muß es dahin kommen!
Iſt das die Maͤßigung, die Unterwerfung,
Lady Maria?

Maria.

Maͤßigung! Ich habe
Ertragen, was ein Menſch ertragen kann.
[136] Fahr hin, lammherzige Gelaſſenheit,
Zum Himmel fliehe, leidende Geduld,
Spreng endlich deine Bande, tritt hervor
Aus deiner Hoͤhle, langverhaltner Groll —
Und du, der dem gereizten Baſilisk
Den Mordblick gab, leg' auf die Zunge mir
Den gift'gen Pfeil —

Schrewsbury.

O ſie iſt außer ſich!
Verzeih der raſenden, der ſchwer gereizten!


(Eliſabeth, fuͤr Zorn ſprachlos, ſchießt wuͤthende Blicke auf
Marien.)
Leiceſter.

(in der heftigſten Unruhe, ſucht die Eliſabeth hinweg zu fuͤhreen)

Hoͤre
Die Wuͤthende nicht an! Hinweg, hinweg
Von dieſem ungluͤckſel'gen Ort!

Maria.

Der Thron von England iſt durch einen Baſtard
Entweiht, der Britten edelherzig Volk
Durch eine liſt'ge Gauklerin betrogen.
— Regierte Recht, ſo laͤget Ihr vor mir
Im Staube jetzt, denn ich bin euer Koͤnig.


(Eliſabeth geht ſchnell ab, die Lords folgen ihr in der hoͤchchſten
Beſtuͤrzung.)

[137]

Fuͤnfter Auftritt.


Maria. Kennedy.

Kennedy.

O was habt ihr gethan! Sie geht in Wuth!
Jetzt iſt es aus und alle Hoffnung ſchwindet.

Maria.
(noch ganz außer ſich).

Sie geht in Wuth! Sie traͤgt den Tod im Herzen!

(der Kennedy um den Hals fallend)


O wie mir wohl iſt, Hanna! Endlich, endlich
Nach Jahren der Erniedrigung, der Leiden,
Ein Augenblick der Rache, des Triumphs!
Wie Vergeslaſten faͤllts von meinem Herzen,
Das Meſſer ſtieß ich in der Feindin Bruſt.

Kennedy.

Ungluͤckliche! Der Wahnſinn reißt euch hin,
Ihr habt die Unverſoͤhnliche verwundet.
Sie fuͤhrt den Blitz, ſie iſt die Koͤnigin,
Vor ihrem Buhlen habt ihr ſie verhoͤhnt!

Maria.

Vor Leſters Augen hab' ich ſie erniedrigt!
Er ſah es, er bezeugte meinen Sieg!
Wie ich ſie niederſchlug von ihrer Hoͤhe,
Er ſtand dabey, mich ſtaͤrkte ſeine Naͤhe!


[138]

Sechster Auftritt.


Mortimer zu den Vorigen.

Kennedy.

O Sir! Welch ein Erfolg —

Mortimer.

Ich hoͤrte alles.

(Giebt der Amme ein Zeichen ſich auf ihren Poſten zu begeben,
und tritt naͤher. Sein ganzes Weſen druͤckt eine heftige
leidenſchaftliche Stimmung aus.)


Du haſt geſiegt! Du tratſt ſie in den Staub,
Du warſt die Koͤnigin, ſie der Verbrecher.
Ich bin entzuͤckt von deinem Muth, ich bete
Dich an, wie eine Goͤttin groß und herrlich,
Erſcheinſt du mir in dieſem Augenblick.

Maria.

Ihr ſpracht mit Leſtern, uͤberbrachtet ihm
Mein Schreiben, mein Geſchenk — O redet, Sir!

Mortimer.

(mit gluͤhenden Blicken ſie betrachtend)

Wie dich der edle koͤnigliche Zorn
Umglaͤnzte, deine Reize mir verklaͤrte!
Du biſt das ſchoͤnſte Weib auf dieſer Erde!

[139]
Maria.

Ich bitt' euch, Sir! Stillt meine Ungeduld.
Was ſpricht Milord? O ſagt, was darf ich hoffen?

Mortimer.

Wer? Er? das iſt ein Feiger, Elender!
Hofft nichts von ihm, verachtet ihn, vergeßt ihn!

Maria.

Was ſagt ihr?

Mortimer.

Er euch retten und beſitzen!
Er euch! Er ſoll es wagen! Er! Mit mir
Muß er auf Tod und Leben darum kaͤmpfen!

Maria.

Ihr habt ihm meinen Brief nicht uͤbergeben?
— O dann iſts aus!

Mortimer.

Der Feige liebt das Leben.
Wer dich will retten und die ſeine nennen,
Der muß den Tod beherzt umarmen koͤnnen.

Maria.

Er will nichts fuͤr mich thun!

Mortimer.

Nichts mehr von ihm!
Was kann Er thun, und was bedarf man ſein?
Ich will dich retten, ich allein!

[140]
Maria.

Ach, was vermoͤgt ihr!

Mortimer.

Taͤuſchet euch nicht mehr,
Als ob es noch wie geſtern mit euch ſtuͤnde!
So wie die Koͤnigin jetzt von euch gieng,
Wie dieß Geſpraͤch ſich wendete, iſt alles
Verloren, jeder Gnadenweg geſperrt.
Der That bedarfs jetzt, Kuͤhnheit muß entſcheiden,
Fuͤr Alles werde Alles friſch gewagt,
Frei muͤßt ihr ſeyn, noch eh der Morgen tagt.

Maria.

Was ſprecht ihr? dieſe Nacht! Wie iſt das moͤglich?

Mortimer.

Hoͤrt, was beſchloſſen iſt. Verſammelt hab' ich
In heimlicher Kapelle die Gefaͤhrten,
Ein Prieſter hoͤrte unſre Beichte an,
Ablaß iſt uns ertheilt fuͤr alle Schulden,
Die wir begiengen, Ablaß im voraus
Fuͤr alle, die wir noch begehen werden.
Das letzte Sakrament empfingen wir,
Und fertig ſind wir zu der letzten Reiſe.

Maria.

O welche fuͤrchterliche Vorbereitung!

[141]
Mortimer.

Dieß Schloß erſteigen wir in dieſer Nacht,
Der Schluͤſſel bin ich maͤchtig. Wir ermorden
Die Huͤter, reiſſen dich aus deiner Kammer
Gewaltſam, ſterben muß von unſrer Hand,
Daß niemand uͤberbleibe, der den Raub
Verrathen koͤnne, jede lebende Seele.

Maria.

Und Drury, Paulet, meine Kerkermeiſter?
O eher werden ſie ihr letztes Blut —

Mortimer.

Von meinem Dolche fallen ſie zuerſt!

Maria.

Was? Euer Oheim, euer zweiter Vater?

Mortimer.

Von meinen Haͤnden ſtirbt er. Ich ermord' ihn.

Maria.

O blut'ger Frevel!

Mortimer.

Alle Frevel ſind
Vergeben im voraus. Ich kann das Aergſte
Begehen, und ich wills.

Maria.

O ſchrecklich, ſchrecklich!

[142]
Mortimer.

Und muͤßt' ich auch die Koͤnigin durchbohren,
Ich hab' es auf die Hoſtie geſchworen.

Maria.

Nein, Mortimer! Eh' ſo viel Blut um mich —

Mortimer.

Was iſt mir alles Leben gegen dich
Und meine Liebe! Mag der Welten Band
Sich loͤſen, eine zweite Waſſerfluth
Herwoogend alles athmende verſchlingen!
— Ich achte nichts mehr! Eh' ich dir entſage,
Eh' nahe ſich das Ende aller Tage.

Maria.
(zuruͤcktretend).

Gott! Welche Sprache Sir, und — welche Blicke!
— Sie ſchrecken, ſie verſcheuchen mich.

Mortimer.

(mit irren Blicken, und im Ausdruck des ſtillen Wahnſinns)

Das Leben iſt
Nur ein Moment, der Tod iſt auch nur einer!
— Man ſchleife mich nach Tyburn, Glied fuͤr Glied
Zerreiſſe man mit gluͤhnder Eiſenzange,

(indem er heftig auf ſie zugeht, mit ausgebreiteten Armen)


Wenn ich dich, Heißgeliebte, umfange —

Maria.
(zuruͤcktretend).

Unſinniger, zuruͤck —

[143]
Mortimer.

An dieſer Bruſt,
Auf dieſem Liebe athmenden Munde —

Maria.

Um Gotteswillen, Sir! Laßt mich hinein gehn!

Mortimer.

Der iſt ein Raſender, der nicht das Gluͤck
Feſthaͤlt in unaufloͤslicher Umarmung,
Wenn es ein Gott in ſeine Hand gegeben.
Ich will dich retten, koſt' es tauſend Leben,
Ich rette dich, ich will es, doch ſowahr
Gott lebt! Ich ſchwoͤr's, ich will dich auch beſitzen.

Maria.

O will kein Gott, kein Engel mich beſchuͤtzen!
Furchtbares Schickſal! Grimmig ſchlenderſt du
Von einem Schreckniß mich dem andern zu.
Bin ich geboren, nur die Wuth zu wecken?
Verſchwoͤrt ſich Haß und Liebe, mich zu ſchrecken.

Mortimer.

Ja gluͤhend, wie ſie haſſen, lieb' ich dich!
Sie wollen dich enthaupten, dieſen Hals,
Den blendend weißen, mit dem Beil durchſchneiden.
O weihe du dem Lebensgott der Freuden,
Was du dem Haſſe blutig opfern mußt.
[144] Mit dieſen Reizen, die nicht dein mehr ſind,
Beſelige den gluͤcklichen Geliebten.
Die ſchoͤne Locke, dieſes ſeidne Haar
Verfallen ſchon den finſtern Todesmaͤchten,
Gebrauchs, den Sklaven ewig zu umflechten!

Maria.

O welche Sprache muß ich hoͤren! Sir!
Mein Ungluͤck ſollt euch heilig ſeyn, mein Leiden,
Wenn es mein koͤnigliches Haupt nicht iſt.

Mortimer.

Die Krone iſt von deinem Haupt gefallen,
Du haſt nichts mehr von ird'ſcher Majeſtaͤt,
Verſuch' es, laß dein Herrſcherwort erſchallen,
Ob dir ein Freund, ein Retter auferſteht.
Nichts blieb dir als die ruͤhrende Geſtalt,
Der hohen Schoͤnheit goͤttliche Gewalt,
Die laͤßt mich alles wagen und vermoͤgen,
Die treibt dem Beil des Henkers mich entgegen —

Maria.

O wer errettet mich von ſeiner Wuth!

Mortimer.

Verwegner Dienſt belohnt ſich auch verwegen!
Warum verſpruͤtzt der Tapfere ſein Blut?
Iſt Leben doch des Lebens hoͤchſtes Gut!
[145] Ein Raſender, der es umſonſt verſchleudert!
Erſt will ich ruhn an ſeiner waͤrmſten Bruſt —


(Er preßt ſie heftig an ſich.)
Maria.

O muß ich Huͤlfe rufen gegen den Mann,
Der mein Erretter —

Mortimer.

Du biſt nicht gefuͤhllos,
Nicht kalter Strenge klagt die Welt dich an,
Dich kann die heiße Liebes bitte ruͤhren,
Du haſt den Saͤnger Rizzio begluͤckt,
Und jener Bothwell durfte dich entfuͤhren.

Maria.

Vermeſſener!

Mortimer.

Er war nur dein Tyrann!
Du zitterteſt vor ihm, da du ihn liebteſt!
Wenn nur der Schrecken dich gewinnen kann,
Beim Gott der Hoͤlle! —

Maria.

Laßt mich! Raſet ihr?

Mortimer.

Erzittern ſollt du auch vor mir!


10[146]
Kennedy
(hereinſtuͤrzend).

Man naht. Man kommt. Bewaffnet Volk erfuͤllt
Den ganzen Garten.

Mortimer.

(auffahrend und zum Degen greifend)

Ich beſchuͤtze dich.

Maria.

O Hanna! Rette mich aus ſeinen Haͤnden!
Wo find' ich Aermſte einen Zufluchtsort?
Zu welchem Heiligen ſoll ich mich wenden?
Hier iſt Gewalt und drinnen iſt der Mord.


(Sie flieht dem Hauſe zu, Kennedy folgt.)

Siebenter Auftritt.


Mortimer. Paulet und Drury, welche außer ſich herein-
ſtuͤrzen. Gefolge eilt uͤber die Scene.

Paulet.

Verſchließt die Pforten. Zieht die Bruͤcken auf!

Mortimer.

Oheim, was iſt's?

Paulet.

Wo iſt die Moͤrderin?
Hinab mit ihr ins finſterſte Gefaͤngniß!

Mortimer.

Was giebt's? Was iſt geſchehn?

[147]
Paulet.

Die Koͤnigin!
Verfluchte Haͤnde! Teufliſches Erkuͤhnen!

Mortimer.

Die Koͤnigin! Welche Koͤnigin?

Paulet.

Von England!
Sie iſt ermordet auf der Londner Straßen!


(Eilt ins Haus.)

Achter Auftritt.


Mortimer. Gleich darauf Okelly.

Mortimer.

Bin ich im Wahnwitz? Kam nicht eben jemand
Vorbei und rief: Die Koͤnigin ſey ermordet?
Nein, nein, mir traͤumte nur. Ein Fieberwahn
Bringt mir als wahr und wirklich vor den Sinn,
Was die Gedanken graͤßlich mir erfuͤllt.
Wer kommt? Es iſt Okell'. So ſchreckenvoll!

Okelly
(hereinſtuͤrzend).

Flieht, Mortimer! Flieht. Alles iſt verloren.

Mortimer.

Was iſt verloren?

[148]
Okelly.

Fragt nicht lange. Denkt
Auf ſchnelle Flucht.

Mortimer.

Was giebt's denn?

Okelly.

Sauvage fuͤhrte
Den Streich, der raſende.

Mortimer.

So iſt es wahr?

Okelly.

Wahr, wahr! O rettet euch!

Mortimer.

Sie iſt ermordet,
Und auf den Thron von England ſteigt Maria!

Okelly.

Ermordet! Wer ſagt das?

Mortimer.

Ihr ſelbſt!

Okelly.

Sie lebt!
Und ich und ihr, wir alle ſind des Todes.

Mortimer.

Sie lebt!

[149]
Okelly.

Der Stoß gieng fehl, der Mantel fing ihn auf,
Und Schrewsbury entwaffnete den Moͤrder.

Mortimer.

Sie lebt!

Okelly.

Lebt, um uns alle zu verderben!
Kommt, man umzingelt ſchon den Park.

Mortimer.

Wer hat
Das raſende gethan?

Okelly.

Der Barnabit'
Aus Toulon war's, den ihr in der Kapelle
Tiefſinnig ſitzen ſaht, als uns der Moͤnch
Das Anathem' ausdeutete, worin
Der Pabſt die Koͤnigin mit dem Fluch belegt.
Das naͤchſte, kuͤrzeſte wollt' er ergreifen,
Mit einem kecken Streich die Kirche Gottes
Befrein, die Martyrkrone ſich erwerben,
Dem Prieſter nur vertraut' er ſeine That,
Und auf dem Londner Weg ward ſie vollbracht.

Mortimer.

(nach einem langen Stillſchweigen)

O dich verfolgt ein grimmig wuͤthend Schickſal,
[150] Ungluͤckliche! Jetzt — ja jetzt mußt du ſterben,
Dein Engel ſelbſt bereitet deinen Fall.

Okelly.

Sagt! Wohin wendet ihr die Flucht? Ich gehe,
Mich in des Nordens Waͤldern zu verbergen.

Mortimer.

Flieht hin und Gott geleite eure Flucht!
Ich bleibe. Noch verſuch' ichs, ſie zu retten,
Wo nicht, auf ihrem Sarge mir zu betten.


(Gehen ab zu verſchiedenen Seiten.)


[151]

Vierter Aufzug.


Vorzimmer.

Erſter Auftritt.


Graf Aubeſpine. Kent und Leiceſter.

Aubeſpine.

Wie ſteht's um Ihro Majeſtaͤt? Milords,
Ihr ſeht mich noch ganz außer mir fuͤr Schrecken.
Wie gieng das zu? Wie konnte das in Mitte
Des allertreuſten Volks geſchehen?

Leiceſter.

Es geſchah
Durch keinen aus dem Volke. Der es that,
War eures Koͤnigs Unterthan, ein Franke.

Aubeſpine.

Ein Raſender gewißlich.

Kent.

Ein Papiſt,
Graf Aubeſpine!


[152]

Zweiter Auftritt.


Vorige. Burleigh im Geſpraͤch mit Daviſon.

Burleigh.

Sogleich muß der Befehl
Zur Hinrichtung verfaßt und mit dem Siegel
Verſehen werden — Wenn er ausgefertigt,
Wird er der Koͤnigin zur Unterſchrift
Gebracht. Geht! Keine Zeit iſt zu verlieren.

Daviſon.

Es ſoll geſchehn.


(Geht ab.)
Aubeſpine
(Burleigh entgegen).

Milord, mein treues Herz
Theilt die gerechte Freude dieſer Inſel.
Lob ſey dem Himmel, der den Moͤrderſtreich
Gewehrt von dieſem koͤniglichen Haupt!

Burleigh.

Er ſey gelobt, der unſrer Feinde Bosheit
Zu Schanden machte!

Aubeſpine.

Moͤg' ihn Gott verdammen,
Den Thaͤter dieſer fluchenswerthen That!

Burleigh.

Den Thaͤter und den ſchaͤndlichen Erfinder.

[153]
Aubeſpine
(zu Kent).

Gefaͤllt es Eurer Herrlichkeit, Lordmarſchall,
Bei Ihro Majeſtaͤt mich einzufuͤhren,
Daß ich den Gluͤckwunſch meines Herrn und Koͤnigs
Zu ihren Fuͤßen ſchuldigſt niederlege —

Burleigh.

Bemuͤht euch nicht, Graf Aubeſpine.

Aubeſpine
(offizios).

Ich weiß,
Lord Burleigh, was mir obliegt.

Burleigh.

Euch liegt ob,
Die Inſel auf das ſchleunigſte zu raͤumen.

Aubeſpine
(tritt erſtaunt zuruͤck).

Was! Wie iſt das!

Burleigh.

Der heilige Charakter
Beſchuͤtzt euch heute noch und morgen nicht mehr.

Aubeſpine.

Und was iſt mein Verbrechen?

Burleigh.

Wenn ich es
Genannt, ſo iſt es nicht mehr zu vergeben.

[154]
Aubeſpine.

Ich hoffe, Lord, das Recht der Abgeſandten —

Burleigh.

Schuͤtzt — Reichsverraͤther nicht.

Leiceſter und Kent.

Ha! Was iſt das!

Aubeſpine.

Milord,
Verdenkt ihr wohl —

Burleigh.

Ein Paß, von eurer Hand
Geſchrieben, fand ſich in des Moͤrders Taſche.

Kent.

Iſt's moͤglich?

Aubeſpine.

Viele Paͤſſe theil' ich aus,
Ich kann der Menſchen Innres nicht erforſchen.

Burleigh.

In eurem Hauſe beichtete der Moͤrder.

Aubeſpine.

Mein Haus iſt offen.

Burleigh.

Jedem Feinde Englands.

[155]
Aubeſpine.

Ich fordre Unterſuchung.

Burleigh.

Fuͤrchtet ſie!

Aubeſpine.

In meinem Haupt iſt mein Monarch verletzt,
Zerreißen wird er das geſchloßne Buͤndniß.

Burleigh.

Zerriſſen ſchon hat es die Koͤnigin,
England wird ſich mit Frankreich nicht vermaͤhlen.
Milord von Kent! Ihr uͤbernehmet es,
Den Grafen ſicher an das Meer zu bringen.
Das aufgebrachte Volk hat ſein Hotel
Geſtuͤrmt, wo ſich ein ganzes Arſenal
Von Waffen fand, es droht ihn zu zerreißen,
Wie er ſich zeigt; verberget ihn, bis ſich
Die Wuth gelegt — Ihr haftet fuͤr ſein Leben!

Aubeſpine.

Ich gehe, ich verlaſſe dieſes Land,
Wo man der Voͤlker Recht mit Fuͤßen tritt,
Und mit Vertraͤgen ſpielt — doch mein Monarch
Wird blut'ge Rechenſchaft —

Aubeſpine.

Ich gehe, ich verlaſſe dieſes Land,
Wo man der Voͤlker Recht mit Fuͤßen tritt,
Und mit Vetraͤgen ſpielt — doch mein Monarch
Wird blut'ge Rechenſchaft —

Burleigh.

Er hohle ſie!


(Kent und Aubeſpine gehen ab.)

[156]

Dritter Auftritt.


Leiceſter und Burleigh.

Leiceſter.

So loͤßt ihr ſelbſt das Buͤndniß wieder auf,
Das ihr geſchaͤftig unberufen knuͤpftet.
Ihr habt um England wenig Dank verdient,
Milord, die Muͤhe konntet ihr euch ſparen.

Burleigh.

Mein Zweck war gut. Gott leitete es anders.
Wohl dem, der ſich nichts ſchlimmeres bewußt iſt!

Leiceſter.

Man kennt Cecils geheimnißreiche Miene,
Wenn er die Jagd auf Staatsverbrechen macht.
— Jetzt, Lord, iſt eine gute Zeit fuͤr euch.
Ein ungeheurer Frevel iſt geſchehn,
Und noch umhuͤllt Geheimniß ſeine Thaͤter.
Jetzt wird ein Inquiſitionsgericht
Eroͤffnet. Wort und Blicke werden abgewogen,
Gedanken ſelber vor Gericht geſtellt.
Da ſeid Ihr der allwichtge Mann, der Atlas
Des Staats, ganz England liegt auf euren Schultern.

Burleigh.

In euch, Milord, erkenn' ich meinen Meiſter,
Denn ſolchen Sieg, als eure Reduerkunſt
Erfocht, hat meine nie davon getragen.

[157]
Leiceſter.

Was meint ihr damit, Lord?

Burleigh.

Ihr wart es doch, der hinter meinem Ruͤcken
Die Koͤnigin nach Forheringhapſchloß
Zu locken wußte?

Leiceſter.

Hinter eurem Ruͤcken!
Wann ſcheuten meine Thaten eure Stirn?

Burleigh.

Die Koͤnigin haͤttet Ihr nach Forheringhay
Gefuͤhrt? Nicht doch! Ihr habt die Koͤnigin
Nicht hingefuͤhrt! — Die Koͤnigin war es,
Die ſo gefaͤllig war, Euch hinzufuͤhren.

Leiceſter.

Was wollt ihr damit ſagen, Lord!

Burleigh.

Die edle
Perſon, die ihr die Koͤnigin dort ſpielen ließt!
Der herrliche Triumph, den ihr der arglos
Vertrauenden bereitet — Guͤt'ge Fuͤrſtin!
So ſchaamlos frech verſpottete man dich,
So ſchonungslos wardſt du dahin gegeben!
— Das alſo iſt die Großmuth und die Milde,
Die euch im Staatsrath ploͤtzlich angewandelt!
[158] Darum iſt dieſe Stuart ein ſo ſchwacher,
Verachtungswerther Feind, daß es der Muͤh
Nicht lohnt, mit ihrem Blut ſich zu beſtecken!
Ein feiner Plan! Fein zugeſpitzt! Nur ſchade,
Zu ſein geſchaͤrftet, daß die Spitze brach!

Leiceſter.

Nichtswuͤrdiger! Gleich folgt mir! An dem Throne
Der Koͤnigin ſollt ihr mir Rede ſtehn.

Burleigh.

Dort trefft ihr mich — Und ſehet zu, Milord,
Daß euch dort die Beredtſamkeit nicht fehle!


(Geht ab.)

Vierter Auftritt.


Leiceſter allein, darauf Mortimer.

Leiceſter.

Ich bin entdeckt, ich bin durchſchaut — Wie kam
Der Ungluͤckſelige auf meine Spuren!
Weh mir, wenn er Beweiſe hat! Erfaͤhrt
Die Koͤnigin, daß zwiſchen mir und der Maria
Verſtaͤndniſſe geweſen — Gott! Wie ſchuldig
Steh ich vor ihr! Wie hinterliſtig treulos
Erſcheint mein Rath, mein ungluͤckſeliges
Bemuͤhn, nach Fotheringhay ſie zu fuͤhren!
[159] Grauſam verſpottet ſieht ſie ſich von mir,
An die verhaßte Feindin ſich verrathen!
O nimmer, nimmer kann ſie das verzeihn!
Vorherbedacht wird alles nun erſcheinen,
Auch dieſe bittre Wendung des Geſpraͤchs,
Der Gegnerin Triumph und Hohngelaͤchter,
Ja ſelbſt die Moͤrderhand, die blutig ſchrecklich,
Ein unerwartet ungeheures Schickſal,
Dazwiſchen kam, werd' ich bewaffnet haben!
Nicht Rettung ſeh' ich, nirgends! Ha! Wer kommt!

Mortimer.

(kommt in der heftigſten Unruhe und blickt ſcheu umher)

Graf Leſter! Seid ihrs? Sind wir ohne Zeugen?

Leiceſter.

Ungluͤcklicher, hinweg! Was ſucht ihr hier?

Mortimer.

Man iſt auf unſrer Spur, auf eurer auch,
Nehmt euch in Acht.

Leiceſter.

Hinweg, hinweg!

Mortimer.

Man weiß,
Daß bei dem Grafen Aubeſpine geheime
Verſammlung war —

[160]
Leiceſter.

Was kuͤmmerts mich!

Mortimer.

Daß ſich der Moͤrder
Dabei befunden —

Leiceſter.

Das iſt eure Sache!
Verwegener! Was unterfangt ihr euch,
In euren blutgen Frevel mich zu flechten?
Vertheidigt eure boͤſen Haͤndel ſelbſt!

Mortimer.

So hoͤrt mich doch nur an.

Leiceſter.
(in heftigem Zorn).

Geht in die Hoͤlle!
Was haͤngt ihr euch, gleich einem boͤſe Geiſt,
An meine Ferſen! Fort! Ich kenn' euch nicht,
Ich habe nichts gemein mit Meuchelmoͤrdern.

Mortimer.

Ihr wollt nicht hoͤren. Euch zu warnen komm' ich,
Auch eure Schritte ſind verrathen —

Leiceſter.

Ha!

Mortimer.

Der Großſchatzmeiſter war zu Fotheringhay,
Sogleich nachdem die Ungluͤcksthat geſchehn war,
[161] Der Koͤnigin Zimmer wurden ſtreng durchſucht,
Da fand ſich —

Leiceſter.

Was?

Mortimer.

Ein angefangner Brief
Der Koͤnigin an euch —

Leiceſter.

Die Ungluͤckſel'ge!

Mortimer.

Worin ſie euch auffordert, Wort zu halten,
Euch das Verſprechen ihrer Hand erneuert,
Des Bildniſſes gedenkt —

Leiceſter.

Tod und Verdammniß!

Mortimer.

Lord Burleigh hat den Brief.

Leiceſter.

Ich bin verloren!


(Er geht waͤhrend der folgenden Rede Mortimers verzweif-
lungsvoll auf und nieder.)
Mortimer.

Ergreift den Augenblick! Kommt ihm zuvor!
Errettet euch, errettet ſie — Schwoͤrt euch
11
[162] Heraus, erſinnt Entſchuldigungen, wendet
Das Aergſte ab! Ich ſelbſt kann nichts mehr thun.
Zerſtreut ſind die Gefaͤhrten, auseinander
Geſprengt iſt unſer ganzer Bund. Ich eile
Nach Schottland, neue Freunde dort zu ſammeln.
An euch iſt's jetzt, verſucht, was euer Anſehn,
Was eine kecke Stirn vermag!

Leiceſter.

(ſteht ſtill, ploͤtzlich beſonnen)

Das will ich.


(Er geht nach der Thuͤre, oͤffnet ſie, und ruft.)

He da! Trabanten!


(Zu dem Offizier, der mit Bewaffneten hereintritt.)

Dieſen Staatsverraͤther,
Nehmt in Verwahrung und bewacht ihn wohl!
Die ſchaͤndlichſte Verſchwoͤrung iſt entdeckt,
Ich bringe ſelbſt der Koͤnigin die Botſchaft.


(Er geht ab.)
Mortimer.

(ſieht anfangs ſtarr fuͤr Erſtaunen, ſaßt ſich aber bald und ſieht
Leiceſtern mit einem Blick der tiefſten Verachtung nach)

Ha, Schaͤndlicher — Doch ich verdiene das!
Wer hieß mich auch dem Elenden vertrauen?
Weg uͤber meinen Nacken ſchreitet er,
Mein Fall muß ihm die Rettungsbruͤcke bauen.
— So rette dich! Verſchloſſen bleibt mein Mund,
[163] Ich will dich nicht in mein Verderben ſlechten.
Auch nicht im Tode mag ich deinen Bund,
Das Leben iſt das einz'ge Gut des Schlechten.

(Zu dem Offizier der Wache, der hervortritt, um ihn
gefangen zu nehmen.)


Was willſt du, feiler Sklav der Tyranney?
Ich ſpotte deiner, ich bin frey!


(Einen Dolch ziehend.)
Offizier.

Er iſt bewehrt — Entreißt ihm ſeinen Dolch!


(Sie dringen auf ihn ein, er erwehrt ſich ihrer.)
Mortimer.

Und frei im letzten Augenblicke ſoll
Mein Herz ſich oͤffnen, meine Zunge loͤſen!
Fluch und Verderben euch, die ihren Gott
Und ihre wahre Koͤnigin verrathen!
Die von der irdiſchen Maria ſich
Treulos, wie von der himmliſchen gewendet,
Sich dieſer Baſtardkoͤnigin verkauft —

Offizier.

Hoͤrt ihr die Laͤſtrung! Auf! Ergreifet ihn.

Mortimer.

Geliebte! Nicht erretten konnt' ich dich,
So will ich dir ein maͤnnlich Beiſpiel geben.
[164] Maria, heilge, bitt' fuͤr mich!
Und nimm mich zu dir in dein himmliſch Leben!


(Er durchſticht ſich mit dem Dolch und faͤllt der Wache in
die Arme.)

Fuͤnfter Auftritt.


(Zimmer der Koͤnigin).
Eliſabeth, einen Brief in der Hand. Burleigh.

Eliſabeth.

Mich hinzufuͤhren! Solchen Spott mit mir
Zu treiben! Der Verraͤther! Im Triumph
Vor ſeiner Buhlerin mich aufzufuͤhren!
O ſo ward noch kein Weib betrogen, Burleigh!

Burleigh.

Ich kann es noch nicht faſſen, wie es ihm,
Durch welche Macht, durch welche Zauberkuͤnſte
Gelang, die Klugheit meiner Koͤnigin
So ſehr zu uͤberraſchen.

Eliſabeth.

O ich ſterbe
Fuͤr Schaam! Wie mußt' er meiner Schwaͤche ſpotten!
Sie glaubt' ich zu erniedrigen und war,
Ich ſelber, ihres Spottes Ziel!

Burleigh.

Du ſiehſt nun ein, wie treu ich dir gerathen!

[165]
Eliſabeth.

O ich bin ſchwer dafuͤr geſtraft, daß ich
Von eurem weiſen Rathe mich entfernt!
Und ſollt' ich ihm nicht glauben? In den Schwuͤren
Der treuſten Liebe einen Fallſtrick fuͤrchten?
Wem darf ich trau'n, wenn er mich hintergieng?
Er, den ich groß gemaͤcht vor allen Großen,
Der mir der naͤchſte ſtets am Herzen war,
Dem ich verſtattete, an dieſem Hof
Sich wie der Herr, der Koͤnig zu betragen!

Burleigh.

Und zu derſelben Zeit verrieth er dich
An dieſe falſche Koͤnigin von Schottland!

Eliſabeth.

O ſie bezahle mir's mit ihrem Blut!
— Sagt! Iſt das Urtheil abgefaßt?

Burleigh.

Es liegt
Bereit, wie du befohlen.

Eliſabeth.

Sterben ſoll ſie!
Er ſoll ſie fallen ſehn, und nach ihr fallen.
Verſtoßen hab' ich ihn aus meinem Herzen,
Fort iſt die Liebe, Rache fuͤllt es ganz.
[166] So hoch er ſtand, ſo tief und ſchmaͤhlich ſey
Sein Sturz! Er ſey ein Denkmal meiner Strenge,
Wie er ein Beiſpiel meiner Schwaͤche war.
Man fuͤhr' ihn nach dem Tower, ich werde Peers
Ernennen, die ihn richten, hingegeben
Sey er der ganzen Strenge des Geſetzes.

Burleigh.

Er wird ſich zu dir draͤngen, ſich rechtfertgen —

Eliſabeth.

Wie kann er ſich rechtfertgen? Ueberfuͤhrt
Ihn nicht der Brief? O ſein Verbrechen iſt
Klar wie der Tag!

Burleigh.

Doch du biſt mild und gnaͤdig,
Sein Anblick, ſeine maͤchtge Gegenwart —

Eliſabeth.

Ich will ihn nicht ſehn. Niemals, niemals wieder!
Habt ihr Befehl gegeben, daß man ihn
Zuruͤck weiſ't, wenn er kommt?

Burleigh.

So iſt's befohlen!

Page
(tritt ein).

Milord von Leſter!

[167]
K[oͤ]nigin.

Der Abſcheuliche!
Ich will ihn nicht ſehn. Sagt ihm, daß ich ihn
Nicht ſehen will.

Page.

Das wag' ich nicht, dem Lord
Zu ſagen, und er wuͤrde mirs nicht glauben.

Koͤnigin.

So hab' ich ihn erhoͤht, daß meine Diener
Vor ſeinem Anſehn mehr als meinem zittern!

Burleigh
(zum Pagen.)

Die Koͤnigin verbiet' ihm, ſich zu nahn!


(Page geht zoͤgernd ab.)
Koͤnigin
(nach einer Pauſe).

Wenns dennoch moͤglich waͤre — Wenn er ſich
Rechtfertgen koͤnnte! — Sagt mir, koͤnnt' es nicht
Ein Fallſtrick ſeyn, den mir Maria legte,
Mich mit dem treuſten Freunde zu entzwein!
O ſie iſt eine abgefeimte Buͤbin,
Wenn ſie den Brief nur ſchrieb, mir gift'gen Argwohn
Ins Herz zu ſtreun, ihn, den ſie haßt, ins Ungluͤck
Zu ſtuͤrzen —

Burleigh.

Aber Koͤnigin, erwaͤge —


[168]

Sechster Auftritt.


Vorige. Leiceſter.

Leiceſter.

(reißt die Thuͤr mit Gewalt auf, und tritt mit gebiet-
riſchem Weſen herein)

Den Unverſchaͤmten will ich ſehn, der mir
Das Zimmer meiner Koͤnigin verbietet.

Eliſabeth.

Ha, der Verwegene!

Leiceſter.

Mich abzuweiſen!
Wenn ſie fuͤr einen Burleigh ſichtbar iſt,
So iſt ſie's auch fuͤr mich!

Burleigh.

Ihr ſeid ſehr kuͤhn, Milord,
Hier wider die Erlaubniß einzuſtuͤrmen.

Leiceſter.

Ihr ſeid ſehr frech, Lord, hier das Wort zu nehmen.
Erlaubniß! Was! Es iſt an dieſem Hofe
Niemand, durch deſſen Mund Graf Leſte ſich
Erlauben und verbieten laſſen kann!

(Indem er ſich der Eliſabeth demuͤthig naͤhert.)


Aus meiner Koͤnigin eignem Mund will ich —

Eliſabeth
(ohne ihn anzuſehen).

Aus meinem Angeſicht, Nichtswuͤrdiger!

[169]
Leiceſter.

Nicht meine guͤtige Eliſabeth,
Den Lord vernehm' ich, meinen Feind, in dieſen
Unholden Worten — Ich berufe mich auf meine
Eliſabeth — Du lieheſt ihm dein Ohr,
Das gleiche fodr' ich.

Eliſabeth.

Redet, Schaͤndlicher!
Vergroͤßert euren Frevel! Laͤugnet ihn!

Leiceſter.

Laßt dieſen Ueberlaͤſtigen ſich erſt
Entfernen — Tretet ab, Milord — Was ich
Mit meiner Koͤnigin zu verhandeln habe,
Braucht keinen Zeugen. Geht.

Eliſabeth
(Zu Burleigh).

Bleibt. Ich befehl' es!

Leiceſter.

Was ſoll der Dritte zwiſchen dir und mir!
Mit meiner angebeteten Monarchin
Hab' ichs zu thun — Die Rechte meines Platzes
Behaupt' ich — Es ſind heil'ge Rechte!
Und ich beſtehe drauf, daß ſich der Lord
Entferne!

Eliſabeth.

Euch geziemt die ſtolze Sprache!

[170]
Leiceſter.

Wohl ziemt ſie mir, denn ich bin der Begluͤckte,
Dem deine Gunſt den hohen Vorzug gab,
Das hebt mich uͤber ihn und uͤber alle!
Dein Herz verlieh mir dieſen ſtolzen Rang,
Und was die Liebe gab, werd' ich, bei Gott!
Mit meinem Leben zu behaupten wiſſen.
Er geh' — und zweyer Augenblicke nur
Bedarfs, mich mit dir zu verſtaͤndigen.

Eliſabeth.

Ihr hofft umſonſt, mich liſtig zu beſchwatzen.

Leiceſter.

Beſchwatzen konnte dich der Plauderer,
Ich aber will zu deinem Herzen reden!
Und was ich im Vertraun auf deine Gunſt
Gewagt, will ich auch nur vor deinem Herzen
Rechtfertigen — Kein anderes Gericht
Erkenn' ich uͤber mir, als deine Neigung!

Eliſabeth.

Schaamloſer! Eben dieſe iſt's, die euch zuerſt
Verdammt — Zeigt ihm den Brief, Milord!

Burleigh.

Hier iſt er!

[171]
Leiceſter.

(durchlaͤuft den Brief ohne die Faſſung zu veraͤndern)

Das iſt der Stuart Hand!

Eliſabeth.

Leſ't und verſtummt!

Leiceſter
(nachdem er geleſen, ruhig).

Der Schein iſt gegen mich, doch darf ich hoffen,
Daß ich nicht nach dem Schein gerichtet werde!

Eliſabeth.

Koͤnnt ihr es laͤugnen, daß ihr mit der Stuart
In heimlichem Verſtaͤndniß wart, ihr Bildniß
Empfingt, ihr zur Befreiung Hoffnung machtet?

Leiceſter.

Leicht waͤre mirs, wenn ich mich ſchuldig fuͤhlte,
Das Zeugniß einer Feindin zu verwerfen!
Doch frei iſt mein Gewiſſen, ich bekenne,
Daß ſie die Wahrheit ſchreibt!

Eliſabeth.

Nun denn
Ungluͤcklicher!

Burleigh.

Sein eigner Mund verdammt ihn.

Eliſabeth.

Aus meinen Augen. In den Tower — Verraͤther!

[172]
Leiceſter.

Der bin ich nicht. Ich hab' gefehlt, daß ich
Aus dieſem Schritt dir ein Geheimniß machte,
Doch redlich war die Abſicht, es geſchah,
Die Feindin zu erforſchen, zu verderben.

Eliſabeth.

Elende Ausflucht —

Burleigh.

Wie, Milord? Ihr glaubt —

Leiceſter.

Ich habe ein gewagtes Spiel geſpielt,
Ich weiß, und nur Graf Leſter durfte ſich
An dieſem Hofe ſolcher That erkuͤhnen.
Wie ich die Stuart haſſe, weiß die Welt.
Der Rang, den ich bekleide, das Vertrauen,
Wodurch die Koͤnigin mich ehrt, muß jeden Zweifel
In meine treue Meinung niederſchlagen.
Wohl darf der Mann, den deine Gunſt vor allen
Auszeichnet, einen eignen kuͤhnen Weg
Einſchlagen, ſeine Pflicht zu thun.

Burleigh.

Warum,
Wenns eine gute Sache war, verſchwiegt ihr?

Leiceſter.

Milord! Ihr pflegt zu ſchwatzen, eh' ihr handelt,
[173] Und ſeid die Glocke eurer Thaten. Das
Iſt Eure Weiſe, Lord. Die meine iſt,
Erſt handeln und dann reden!

Burleigh.

Ihr redet jetzo weil ihr muͤßt.

Leiceſter.

(ihn ſtolz und hoͤhniſch mit den Augen meſſend)

Und ihr
Beruͤhmt euch, eine wundergroße That
Ins Werk gerichtet, eure Koͤnigin
Gerettet, die Verraͤtherei entlarvt
Zu haben — Alles wißt ihr, eurem Scharfblick
Kann nichts entgehen, meint ihr — Armer Prahler!
Trotz eurer Spuͤrkunſt war Maria Stuart
Noch heute frei, wenn ich es nicht verhindert.

Burleigh.

Ihr haͤttet —

Leiceſter.

Ich, Milord. Die Koͤnigin
Vertraute ſich dem Mortimer, ſie ſchloß
Ihr Innerſtes ihm auf, ſie gieng ſo weit,
Ihm einen blut'gen Auftrag gegen die Maria
Zu geben, da der Oheim ſich mit Abſcheu
Von einem gleichen Antrag abgewendet —
Sagt! Iſt es nicht ſo?


(Koͤnigin und Burleigh ſehen einander betroffen an.)
[174]
Burleigh.

Wie gelangtet ihr
Dazu? —

Leiceſter.

Iſts nicht ſo? — Nun, Milord! Wo hattet
Ihr eure tauſend Augen, nicht zu ſehn,
Daß dieſer Mortimer euch hintergieng?
Daß er ein wuͤthender Papiſt, ein Werkzeug
Der Guiſen, ein Geſchoͤpf der Stuart war,
Ein keck entſchloßner Schwaͤrmer, der gekommen,
Die Stuart zu befrein, die Koͤnigin
Zu morden —

Eliſabeth.

(mit dem aͤußerſten Erſtaunen)

Dieſer Mortimer!

Leiceſter.

Er war's, durch den
Maria Unterhandlung mit mir pflog,
Den ich auf dieſem Wege kennen lernte.
Noch heute ſollte ſie aus ihrem Kerker
Geriſſen werden, dieſen Augenblick
Entdeckte mirs ſein eigner Mund, ich ließ ihn
Gefangen nehmen und in der Verzweiflung,
Sein Werk vereitelt, ſich entlarvt zu ſehn,
Gab er ſich ſelbſt den Tod!

[175]
Eliſabeth.

O ich bin unerhoͤrt
Betrogen — dieſer Mortimer!

Burleigh.

Und jetzt
Geſchah das? Jetzt, nachdem ich euch verlaſſen!

Leiceſter.

Ich muß um meinetwillen ſehr beklagen,
Daß es dieß Ende mit ihm nahm. Sein Zeugniß,
Wenn er noch lebte, wuͤrde mich vollkommen
Gereinigt, aller Schuld entledigt haben.
Drum uͤbergab ich ihn des Richters Hand.
Die ſtrengſte Rechtsform meine Unſchuld
Vor aller Welt bewaͤhren und beſiegeln.

Burleigh.

Er toͤdete ſich, ſagt ihr. Er ſich ſelber? Oder
Ihr ihn?

Leiceſter.

Unwuͤrdiger Verdacht! Man hoͤre
Die Wache ab, der ich ihn uͤbergab!

(Er geht ab die Thuͤr und ruft hinaus. Der Offizier der
Leibwache tritt herein.)


Erſtattet Ihrer Majeſtaͤt Bericht,
Wie dieſer Mortimer umkam!

[176]
Officier.

Ich hielt die Wache
Im Vorſaal, als Milord die Thuͤre ſchnell
Eroͤffnete und mir befahl, den Ritter
Als einen Staatsverraͤther zu verhaften.
Wir ſahen ihn hierauf in Wuth gerathen,
Den Dolch ziehn, unter heftiger Verwuͤnſchung
Der Koͤnigin, und eh wirs hindern konnten,
Ihn in die Bruſt ſich ſtoßen, daß er todt
Zu Boden ſtuͤrzte —

Leiceſter.

Es iſt gut. Ihr koͤnnt
Abtreten, Sir! Die Koͤnigin weiß genug!


(Offizier geht ab.)
Eliſabeth.

O welcher Abgrund von Abſcheulichkeiten —

Leiceſter.

Wer war's nun der dich rettete? War es
Milord von Burleigh? Wußt' er die Gefahr,
Die dich umgab? War er's, der ſie von dir
Gewandt? — Dein treuer Leſter war dein Engel!

Burleigh.

Graf! Dieſer Mortimer ſtarb euch ſehr gelegen.

Eliſabeth.

Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll. Ich glaub' euch,
[177] Und glaub' euch nicht. Ich denke, ihr ſeid ſchuldig,
Und ſeid es nicht! O die verhaßte, die
Mir all dieß Weh bereitet!

Leiceſter.

Sie muß ſterben.
Jetzt ſtimm' ich ſelbſt fuͤr ihren Tod. Ich rieth
Dir an, das Urtheil unvollſtreckt zu laſſen,
Bis ſich aufs neu ein Arm fuͤr ſie erhuͤbe.
Dieß iſt geſchehn — und ich beſtehe drauf,
Daß man das Urtheil ungeſaͤumt vollſtrecke.

Burleigh.

Ihr riethet dazu! Ihr!

Leiceſter.

So ſehr es mich
Empoͤrt, zu einem Aeußerſten zu greifen,
Ich ſehe nun und glaube, daß die Wohlfahrt
Der Koͤnigin dieß blut'ge Opfer heiſcht,
Drum trag' ich darduf an, daß der Befehl
Zur Hinrichtung gleich ausgefertigt werde!

Burleigh
(zur Koͤnigin).

Da es Milord ſo treu und ernſtlich meint,
So trag' ich darauf an, daß die Vollſtrackung
Des Richterſpruchs ihm uͤbertragen werde.

Leiceſter.

Mir!


12[178]
Burleigh.

Euch. Nicht beſſer koͤnnt ihr den Verdacht,
Der jetzt noch auf euch laſtet, widerlegen,
Als wenn ihr ſie die ihr geliebt zu haben
Beſchuldigt werdet, ſelbſt enthaupten laſſet.

Eliſabeth.

(Leiceſtern mit den Augen fixirend)

Milord raͤth gut. So ſey's, und dabei bleib' es.

Leiceſter.

Mich ſollte billig meines Ranges Hoͤh
Von einem Auftrag dieſes traur'gen Inhalts
Befrein, der ſich in jedem Sinne beſſer
Fuͤr einen Burleigh ziemen mag als mich.
Wer ſeiner Koͤnigin ſo nahe ſteht,
Der ſollte nichts ungluͤckliches vollbringen.
Jedoch um meinen Eifer zu bewaͤhren,
Um meiner Koͤnigin genug zu thun,
Begeb' ich mich des Vorrechts meiner Wuͤrde
Und uͤbernehme die verhaßte Pflicht.

Eliſabeth.

Lord Burleigh theile ſie mit euch!

(Zu dieſem.)


Tragt Sorge,
Daß der Befehl gleich ausgefertigt werde.


(Burleigh geht. Man hoͤrt draußen ein Getuͤmmelel. el.)

[179]

Siebenter Auftritt.


Graf von Kent zu den Vorigen.

Eliſabeth.

Was giebt's, Milord von Kent? Was fuͤr ein Auflauf
Erregt die Stadt — Was iſt es?

Kent.

Koͤnigin,
Es iſt das Volk, das den Pallaſt umlagert,
Es fodert heftig dringend dich zu ſehn.

Eliſabeth.

Was will mein Volk?

Kent.

Der Schrecken geht durch London,
Dein Leben ſey bedroht, es gehen Moͤrder
Umher, vom Papſte wider dich geſendet.
Verſchworen ſeien die Katholiſchen,
Die Stuart aus dem Kerker mit Gewalt
Zu reißen und zur Koͤnigin auszurufen.
Der Poͤbel glaubt's und wuͤthet. Nur das Haupt
Der Stuart, das noch heute faͤllt, kann ihn
Beruhigen.

Eliſabeth.

Wie? Soll mir Zwang geſchehn?

[180]
Kent.

Sie ſind entſchloſſen, eher nicht zu weichen,
Bis du das Urtheil unterzeichnet haſt.


Achter Auftritt.


Burleigh und Daviſon mit einer Schrift. Die Vorigen.

Eliſabeth.

Was bringt ihr, Daviſon?

Daviſon
(naͤhert ſich, ernſthaft).

Du haſt befohlen
O Koͤnigin —

Eliſabeth.

Was iſt's?

(Indem ſie die Schrift ergreifen will, ſchauert ſie zuſam-
men und faͤhrt zuruͤck.)


O Gott!

Burleigh.

Gehorche
Der Stimme des Volks, ſie iſt die Stimme Gottes.

Eliſabeth.

(unentſchloſſen mit ſich ſelbſt kaͤmpfend)

O meine Lords! Wer ſagt mir, ob ich wirklich
Die Stimme meines ganzen Volks die Stimme
Der Welt vernehme! Ach wie ſehr befuͤrcht' ich,
Wenn ich dem Wunſch der Menge nun gehorcht,
[181] Daß eine ganz verſchiedne Stimme ſich
Wird hoͤren laſſen — ja daß eben die,
Die jetzt gewaltſam zu der That mich treiben,
Mich, wenns vollbracht iſt, ſtrenge radeln werden!


Neunter Auftritt.


Graf Schrewsbury zu den Vorigen.

Schrewsbury.

(kommt in großer Bewegung)

Man will dich uͤbereilen, Koͤnigin!
O halte feſt, ſey ſtandhaft —

(Indem er Daviſon mit der Schrift gewahr wird.)


Oder iſt es
Geſchehen? Iſt es wirklich? Ich erblicke
Ein ungluͤckſelig Blatt in dieſer Hand,
Das komme meiner Koͤnigin jetzt nicht
Vor Augen.

Eliſabeth.

Edler Schrewsbury! Man zwingt mich.

Schrewsbury.

Wer kann dich zwingen? Du biſt Herrſcherin,
Hier gilt es deine Majeſtaͤt zu zeigen!
Gebiete Schweigen jenen rohen Stimmen,
Die ſich erdreiſten, deinem Koͤnigswillen
Zwang anzuthun, dein Urtheil zu regieren.
[182] Die Furcht, ein blinder Wahn bewegt das Volk,
Du ſelbſt biſt außer dir, biſt ſchwer gereizt,
Du biſt ein Menſch und jetzt kannſt du nicht richten.

Burleigh.

Gerichtet iſt ſchon laͤngſt. Hier iſt kein Urtheil
Zu faͤllen, zu vollziehen iſt's.

Kent.

(der ſich bey Schrewsbury's Eintritt entfernt hat,
kommt zuruͤck)

Der Auflauf waͤchſt, das Volk iſt laͤnger nicht
Zu baͤndigen.

Eliſabeth
(zu Schrewsbury).

Ihr ſeht, wie ſie mich draͤngen!

Schrewsbury.

Nur Aufſchub fordr' ich. Dieſer Federzug
Entſcheidet deines Lebens Gluͤck und Frieden.
Du haſt es Jahre lang bedacht, ſoll dich
Der Augenblick im Sturme mit ſich fuͤhren?
Nur kurzen Aufſchub. Sammle dein Gemuͤth,
Erwarte eine ruhigere Stunde.

Burleigh
(heftig).

Erwarte, zoͤgre, ſaͤume, bis das Reich
In Flammen ſteht, bis es der Feindin endlich
Gelingt, den Mordſtreich wirklich zu vollfuͤhren.
Dreimal hat ihn ein Gott von dir entfernt.
[183] Heut hat er nahe dich beruͤhrt, noch einmal
Ein Wunder hoffen, hieße Gott verſuchen.

Schrewsbury.

Der Gott, der dich durch feine Wunderhand
Viermal erhielt, der heut dem ſchwachen Arm
Des Greiſen Kraft gab, einen Wuͤthenden
Zu uͤberwaͤltgen — er verdient Vertrauen!
Ich will die Stimme der Gerechtigkeit
Jetzt nicht erheben, jetzt iſt nicht die Zeit,
Du kannſt in dieſem Sturme ſie nicht hoͤren.
Dieß eine nur vernimm! Du zitterſt jetzt
Vor dieſer lebenden Maria. Nicht
Die Lebende haſt du fuͤrchten. Zittre vor
Der Todten, der Enthaupteten. Sie wird
Vom Grab' erſtehen, eine Zwietrachtsgoͤttin,
Ein Rachegeiſt in deinem Reich herumgehn,
Und deines Volkes Herzen vor dir wenden.
Jetzt haßt der Britte die gefuͤrchtete,
Er wird ſie raͤchen, wenn ſie nicht mehr iſt.
Nicht mehr die Feindin ſeines Glaubens, nur
Die Enkeltochter ſeiner Koͤnige,
Des Haſſes Opfer und der Eiferſucht
Wird er in der bejammerten erblicken!
Schnell wirſt du die Veraͤnderung erfahren.
Durchziehe London, wenn die blut'ge That
[184] Geſchehen, zeige dich dem Volk, das ſonſt
Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirſt
Ein andres England ſehn, ein andres Volk,
Denn dich umgiebt nicht mehr die herrliche
Gerechtigkeit, die alle Herzen dir
Beſiegte! Furcht, die ſchreckliche Begleitung
Der Tyranney, wird ſchaudernd vor dir herziehn,
Und jede Straße, wo du gehſt, veroͤden.
Du haſt das letzte, aͤußerſte gethan,
Welch Haupt ſteht feſt, wenn dieſes heil'ge fiel!

Eliſabeth.

Ach Schrewsbury! Ihr habt mir heut das Leben
Gerettet, habt des Moͤrders Dolch von mir
Gewendet — Warum ließet ihr ihm nicht
Den Lauf? So waͤre jeder Streit geendigt,
Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld,
Laͤg ich in meiner ſtillen Gruft! Fuͤrwahr!
Ich bin des Lebens und des Herrſchens muͤd'.
Muß eine von uns Koͤniginnen fallen,
Damit die andre lebe — und es iſt
Nicht anders, das erkenn' ich — kann denn ich
Nicht die ſeyn, welche weicht? Mein Volk mag waͤhlen,
Ich geb' ihm ſeine Majeſtaͤt zuruͤck.
Gott iſt mein Zeuge, daß ich nicht fuͤr mich,
Nur fuͤr das Beſte meines Volks gelebt.
[185] Hofft es von dieſer ſchmeichleriſchen Stuart,
Der juͤngern Koͤnigin, gluͤcklichere Tage,
So ſteig' ich gern von dieſem Thron und kehre
In Woodſtocks ſtille Einſamkeit zuruͤck,
Wo meine anſpruchloſe Jugend lebte,
Wo ich, vom Tand der Erdengroͤße fern,
Die Hoheit in mir ſelber fand — Bin ich
Zur Herrſcherin doch nicht gemacht! Der Herrſcher
Muß hart ſeyn koͤnnen, und mein Herz iſt weich.
Ich habe dieſe Inſel lange gluͤcklich
Regiert, weil ich nur brauchte zu begluͤcken.
Es kommt die erſte ſchwere Koͤnigspflicht,
Und ich empfinde meine Ohnmacht —

Burleigh.

Nun bei Gott!
Wenn ich ſo ganz unkoͤnigliche Worte
Aus meiner Koͤnigin Mund vernehmen muß,
So waͤrs Verrath an meiner Pflicht, Verrath
Am Vaterlande, laͤnger ſtill zu ſchweigen.
— Du ſagſt, du liebſt dein Volk, mehr als dich ſelbſt,
Das zeige jetzt! Erwaͤhle nicht den Frieden
Fuͤr dich und uͤberlaß das Reich den Stuͤrmen.
— Denk an die Kirche! Soll mit dieſer Stuart
Der alte Aberglaube wiederkehren?
Der Moͤnch aufs neu hier herrſchen, der Legat
Aus Rom gezogen kommen, unſre Kirchen
[186] Verſchließen, unſre Koͤnige entthronen?
— Die Seelen aller deiner Unterthanen,
Ich fordre ſie von dir — Wie du jetzt handelſt,
Sind ſie gerettet oder ſind verloren.
Hier iſt nicht Zeit zu weichlichem Erbarmen,
Des Volkes Wohlfahrt iſt die hoͤchſte Pflicht;
Hat Schrewsbury das Leben dir gerettet,
So will ich England retten — das iſt mehr!

Eliſabeth.

Man uͤberlaſſe mich mir ſelbſt! Bei Menſchen iſt
Nicht Rath noch Troſt in dieſer großen Sache.
Ich trage ſie dem hoͤhern Richter vor.
Was der mich lehrt, das will ich thun — Entfernt euch,
Milords!

(Zu Daviſon.)


Ihr Sir! koͤnnt in der Naͤhe bleiben!


(Die Lords gehen ab. Schrewsbury allein bleibt noch einige
Augenblicke vor der Koͤnigin ſtehen, mit bedeutungsvollem
Blick, dann entfernt er ſich langſam, mit einem Ausdruck
des tiefſten Schmerzes.)

Zehnter Auftritt.


Eliſabeth
allein.

O Sklaverei des Volksdienſts! Schmaͤhliche
Knechtſchaft — Wie bin ichs muͤde, dieſem Goͤtzen
Zu ſchmeicheln, den mein Innerſtes verachtet!
[187] Wann ſoll ich frei auf dieſem Throne ſtehn!
Die Meinung muß ich ehren, um das Lob
Der Menge buhlen, einem Poͤbel muß ichs
Recht machen, dem der Gaukler nur gefaͤllt.
O der iſt noch nicht Koͤnig, der der Welt
Gefallen muß! Nur der iſt's, der bei ſeinem Thun
Nach keines Menſchen Beifall braucht zu fragen.


Warum hab' ich Gerechtigkeit geuͤbt,
Willkuͤhr gehaßt mein Leben lang, daß ich
Fuͤr dieſe erſte unvermeidliche
Gewaltthat ſelbſt die Haͤnde mir gefeſſelt!
Das Muſter, das ich ſelber gab, verdammt mich!
War ich tyranniſch, wie die ſpaniſche
Maria war, mein Vorfahr auf dem Thron, ich koͤnnte
Jetzt ohne Tadel Koͤnigsblut verſpruͤtzen!
Doch war's denn meine eigne freie Wahl
Gerecht zu ſeyn? Die allgewaltige
Nothwendigkeit, die auch das freie Wollen
Der Koͤnige zwingt, gebot mir dieſe Tugend.


Umgeben rings von Feinden haͤlt mich nur
Die Volksgunſt auf dem angefochtnen Thron.
Mich zu vernichten ſtreben alle Maͤchte
Des feſten Landes. Unverſoͤhnlich ſchleudert
Der roͤm'ſche Papſt den Bannfluch auf mein Haupt,
[188] Mit falſchem Bruderkuß verraͤth mich Frankreich,
Und offnen, wuͤthenden Vertilgungskrieg
Bereitet mir der Spanier auf den Meeren.
So ſteh' ich kaͤmpfend gegen eine Welt,
Ein wehrlos Weib! Mit hohen Tugenden
Muß ich die Bloͤße meines Rechts bedecken,
Den Flecken meiner fuͤrſtlichen Geburt,
Wodurch der eigne Vater mich geſchaͤndet.
Umſonſt bedeck' ich ihn — Der Gegner Haß
Hat ihn entbloͤßt, und ſtellt mir dieſe Stuart,
Ein ewig drohendes Geſpenſt, entgegen.


Nein, dieſe Furcht ſoll endigen!
Ihr Haupt ſoll fallen. Ich will Frieden haben!
— Sie iſt die Furie meines Lebens! Mir
Ein Plagegeiſt vom Schickſal angeheftet.
Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung
Gepflanzt, da liegt die Hoͤllenſchlange mir
Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,
Den Braͤut'gam raubt ſie mir! Maria Stuart,
Heißt jedes Ungluͤck, das mich niederſchlaͤgt!
Iſt ſie aus den Lebendigen vertilgt,
Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen.

(Stillſchweigen.)


Mit welchem Hohn ſie auf mich nieder ſah,
Als ſollte mich der Blick zu Boden blitzen!
[189] Ohnmaͤchtige! Ich fuͤhre beßre Waffen,
Sie treffen toͤdlich und du biſt nicht mehr!

(Mit raſchem Schritt nach dem Tiſche gehend und die
Feder ergreifend.)


Ein Baſtard bin ich dir? — Ungluͤckliche!
Ich bin es nur, ſo lang du lebſt und athmeſt.
Der Zweifel meiner fuͤrſtlichen Geburt
Er iſt getilgt, ſobald ich dich vertilge.
Sobald dem Britten keine Wahl mehr bleibt,
Bin ich im aͤchten Ehebett' geboren!


(Sie unterſchreibt mit einem raſchen, feſten Federzug, laͤßt
dann die Feder fallen, und tritt mit einem Ausdruck des
Schreckens zuruͤck. Nach einer Pauſe klingelt ſie.)

Eilfter Auftritt.


Eliſabeth. Daviſon.

Eliſabeth.

Wo ſind die andern Lords?

Daviſon.

Sie ſind gegangen,
Das aufgebrachte Volk zur Ruh zu bringen.
Das Toben war auch augenblicks geſtillt,
Sobald der Graf von Schrewsbury ſich zeigte.
„Der iſt's, das iſt er! riefen hundert Stimmen,
„Der rettete die Koͤnigin! Hoͤrt ihn!
„Den bravſten Mann in England.“ Nun begann
[190] Der edle Talbot und verwies dem Volk
In ſanften Worten ſein gewaltſames
Beginnen, ſprach ſo kraftvoll uͤberzeugend,
Daß alles ſich beſaͤnftigte, und ſtill
Vom Platze ſchlich.

Eliſabeth.

Die wankelmuͤthge Menge,
Die jeder Wind herumtreibt! Wehe dem,
Der auf dieß Rohr ſich lehnet! — Es iſt gut,
Sir Daviſon. Ihr koͤnnt nun wieder gehn.

(Wie ſich jener nach der Thuͤre gewendet.)


Und dieſes Blatt — Nehmt es zuruͤck — Ich leg's
In eure Haͤnde.

Daviſon.

(wirft einen Blick in das Papier und erſchrickt.)
Koͤnigin! Dein Name!

Du haſt entſchieden?

Eliſabeth.

— Unterſchreiben ſollt' ich.
Ich hab's gethan. Ein Blatt Papier entſcheidet
Noch nicht, ein Name toͤdtet nicht.

Daviſon.

Dein Name Koͤnigin, unter dieſer Schrift
Entſcheidet alles, toͤdtet, iſt ein Strahl
Des Donners, der gefluͤgelt trifft — Dieß Blatt
[191] Befiehlt den Kommiſſarien, dem Scherif,
Nach Fotheringhayſchloß ſich ſteh'nden Fußes
Zur Koͤnigin von Schottland zu verfuͤgen,
Den Tod ihr anzukuͤndigen, und ſchnell,
Sobald der Morgen tagt, ihn zu vollziehn.
Hier iſt kein Aufſchub, jene hat gelebt,
Wenn ich dieß Blatt aus meinen Haͤnden gebe.

Eliſabeth.

Ja, Sir! Gott legt ein wichtig groß Geſchick
In eure ſchwachen Haͤnde. Fleht ihn an,
Daß er mit ſeiner Weisheit euch erleuchte.
Ich geh' und uͤberlaß euch eurer Pflicht.


(Sie will gehen.)
Daviſon
(tritt ihr in den Weg).

Nein, meine Koͤnigin! Verlaß mich nicht,
Eh' du mir deinen Willen kund gethan.
Bedarf es hier noch einer andern Weisheit,
Als dein Gebot buchſtaͤblich zu befolgen?
— Du legſt dieß Blatt in meine Hand, daß ich
Zu ſchleuniger Vollziehung es befoͤrdre?

Eliſabeth.

Das werdet ihr nach eurer Klugheit —

Daviſon
(ſchnell und erſchrocken einfallen).

Nicht
Nach meiner! Das verhuͤte Gott! Gehorſam
[192] Iſt meine ganze Klugheit. Deinem Diener
Darf hier nichts zu entſcheiden uͤbrig bleiben.
Ein klein Verſehn waͤr hier ein Koͤnigsmord,
Ein unabſehbar, ungeheures Ungluͤck.
Vergoͤnne mir, in dieſer großen Sache
Dein blindes Werkzeug willenlos zu ſeyn.
In klare Worte faſſe deine Meinung,
Was ſoll mit dieſem Blutbefehl geſchehn?

Eliſabeth.

— Sein Name ſpricht es aus.

Daviſon.

So willſt du, daß er gleich vollzogen werde?

Eliſabeth
(zoͤgernd).

Das ſag' ich nicht, und zittre, es zu denken.

Daviſon.

Du willſt, daß ich ihn laͤnger noch bewahre?

Eliſabeth
(ſchnell).

Auf eure Gefahr! Ihr haftet fuͤr die Folgen.

Daviſon.

Ich? Heil'ger Gott! — Sprich, Koͤnigin! Was willſt du?

Eliſabeth
(ungeduldig).

Ich will, daß dieſer ungluͤckſel'gen Sache
Nicht mehr gedacht ſoll werden, daß ich endlich
Will Ruhe davor haben und auf ewig.

[193]
Daviſon.

Es koſtet dir ein einzig Wort. O ſage,
Beſtimme, was mit dieſer Schrift ſoll werden!

Eliſabeth.

Ich hab's geſagt, und quaͤlt mich nun nicht weiter.

Daviſon.

Du haͤtteſt es geſagt? Du haſt mir nichts
Geſagt — O, es gefalle meiner Koͤnigin,
Sich zu erinnern.

Eliſabeth
(ſtampft auf den Boden).

Unertraͤglich!

Daviſon.

Habe Nachſicht
Mit mir! Ich kam ſeit wenig Monden erſt
In dieſes Amt! Ich kenne nicht die Sprache
Der Hoͤfe und der Koͤnige — in ſchlicht
Einfacher Sitte bin ich aufgewachſen.
Drum habe du Geduld mit deinem Knecht!
Laß dich das Wort nicht reun, das mich belehrt,
Mich klar macht uͤber meine Pflicht —

(Er naͤhert ſich ihr in flehender Stellung, ſie kehrt ihm den
Ruͤcken zu, er ſteht in Verzweiflung, dann ſpricht er mit
entſchloßnem Ton.)


Nimm dieß Papier zuruͤck! Nimm es zuruͤck!
Es wird mir gluͤhend Feuer in den Haͤnden.
13
[194] Nicht mich erwaͤhle, dir in dieſem furchtbaren
Geſchaͤft zu dienen.

Eliſabeth.

Thut, was eures Amts iſt.


(Sie geht ab.)

Zwoͤlfter Auftritt.


Daviſon, gleich darauf Burleigh.

Daviſon.

Sie geht! Sie laͤßt mich rathlos, zweifelnd ſtehn
Mit dieſem fuͤrchterlichen Blatt — Was thu' ich?
Soll ichs bewahren? Soll ichs uͤbergeben?

(Zu Burleigh, der hereintritt.)


O gut! gut, daß ihr kommt, Milord! Ihr ſeids,
Der mich in dieſes Staatsamt eingefuͤhrt!
Befreiet mich davon. Ich uͤbernahm es,
Unkundig ſeiner Rechenſchaft! Laßt mich
Zuruͤckgehn in die Dunkelheit, wo ihr
Mich fandet, ich gehoͤre nicht auf dieſen Platz —

Burleigh.

Was iſt euch, Sir? Faßt euch. Wo iſt das Urtheil?
Die Koͤnigin ließ euch rufen.

Daviſon.

Sie verließ mich
In heft'gem Zorn. O rathet mir! Helft mir!
[195] Reißt mich aus dieſer Hoͤllenangſt des Zweifels.
Hier iſt das Urtheil — Es iſt unterſchrieben.

Burleigh
(haſtig).

Iſt es? O gebt! Gebt her!

Daviſon.

Ich darf nicht.

Burleigh.

Was?

Daviſon.

Sie hat mir ihren Willen noch nicht deutlich —

Burleigh.

Nicht deutlich! Sie hat unterſchrieben. Gebt!

Daviſon.

Ich ſolls vollziehen laſſen — ſoll es nicht
Vollziehen laſſen — Gott! Weiß ich, was ich ſoll.

Burleigh
(heftiger dringend).

Gleich, augenblicks ſollt ihrs vollziehen laſſen.
Gebt her! Ihr ſeid verlohren, wenn ihr ſaͤumt.

Daviſon.

Ich bin verloren, wenn ichs uͤbereile.

Burleigh.

Ihr ſeid ein Thor, ihr ſeid von Sinnen! Gebt!


(Er entreißt ihm die Schrift, und eilt damit ab.)
Daviſon
(ihm nacheilend).

Was macht ihr? Bleibt! Ihr ſtuͤrzt mich ins Verderben.



[196]

Fuͤnfter Aufzug.


Die Scene iſt das Zimmer des erſten Aufzugs.

Erſter Auftritt.


Hanna Kennedy in tiefe Trauer gekleidet, mit verweinten Au-
gen und einem großen, aber ſtillen Schmerz, iſt beſchaͤftigt, Pa-
kete und Briefe zu verſiegeln. Oft unterbricht ſie der Jammer
in ihrem Geſchaͤft, und man ſieht ſie dazwiſchen ſtill beten.
Paulet und Drury, gleichfalls in ſchwarzen Kleidern, tre-
ten ein, ihnen folgen viele Bediente, welche goldne und ſil-
berne Gefaͤße, Spiegel, Gemaͤhlde und andere Koſtbarkeiten
tragen, und den Hintergrund des Zimmers damit anfuͤllen.
Paulet uͤberliefert der Amme ein Schmuckkaͤſtchen nebſt einem
Papier, und bedeutet ihr durch Zeichen, daß es ein Verzeichniß
der gebrachten Dinge enthalte. Beim Anblick dieſer Reichthuͤmer
erneuert ſich der Schmerz der Amme, ſie verſinkt in ein tie-
fes Trauern, indem jene ſich ſtill wieder entfernen. Melvil
tritt ein.

Kennedy.

(ſchreit auf, ſobald ſie ihn gewahr wird)

Melvil! Ihr ſeid es! Euch erblick ich wieder!

Melvil.

Ja, treue Kennedy, wir ſehn uns wieder!

[197]
Kennedy.

Nach langer, langer, ſchmerzenvoller Trennung!

Melvil.

Ein ungluͤckſelig ſchmerzvoll Wiederſehn!

Kennedy.

O Gott! Ihr kommt —

Melvil.

Den letzten, ewigen
Abſchied von meiner Koͤnigin zu nehmen.

Kennedy.

Jetzt endlich, jetzt am Morgen ihres Todes,
Wird ihr die langentbehrte Gegenwart
Der Ihrigen vergoͤnnt — O theurer Sir,
Ich will nicht fragen, wie es euch erging,
Euch nicht die Leiden nennen, die wir litten,
Seitdem man euch von unſrer Seite riß,
Ach, dazu wird wohl einſt die Stunde kommen!
O Melvil! Melvil! Mußten wirs erleben,
Den Anbruch dieſes Tags zu ſehn!

Melvil.

Laßt uns
Einander nicht erweichen! Weinen will ich,
So lang noch Leben in mir iſt, nie ſoll
Ein Laͤcheln dieſe Wangen mehr erheitern,
[198] Nie will ich dieſes naͤchtliche Gewand
Mehr von mir legen! Ewig will ich trauern,
Doch heute will ich ſtandhaft ſeyn — Verſprecht
Auch ihr mir, euren Schmerz zu maͤßigen —
Und wenn die andern alle der Verzweiflung
Sich troſtlos uͤberlaſſen, laſſet uns
Mit maͤnnlich edler Faſſung ihr vorangehn
Und ihr ein Stab ſeyn auf dem Todesweg!

Kennedy.

Melvil! Ihr ſeid im Irrthum, wenn ihr glaubt,
Die Koͤnigin beduͤrfe unſers Beiſtands,
Um ſtandhaft in den Tod zu gehn! Sie ſelber iſts,
Die uns das Beiſpiel edler Faſſung giebt.
Seid ohne Furcht! Maria Stuart wird
Als eine Koͤnigin und Heldin ſterben.

Melvil.

Nahm ſie die Todespoſt mit Faſſung auf?
Man ſagt, daß ſie nicht vorbereitet war.

Kennedy.

Das war ſie nicht. Ganz andre Schrecken warens,
Die meine Lady aͤngſtigten. Nicht vor dem Tod,
Vor dem Befreier zitterte Maria.
— Freiheit war uns verheißen. Dieſe Nacht
Verſprach uns Mortimer von hier wegzufuͤhren,
Und zwiſchen Furcht und Hoffnung, zweifelhaft,
[199] Ob ſie dem kecken Juͤngling ihre Ehre
Und fuͤrſtliche Perſon vertrauen duͤrfe,
Erwartete die Koͤnigin den Morgen.
— Da wird ein Auflauf in dem Schloß, ein Pochen
Schreckt unſer Ohr, und vieler Haͤmmer Schlag,
Wir glauben, die Befreier zu vernehmen,
Die Hoffnung winkt, der ſuͤße Trieb des Lebens
Wacht unwillkuͤhrlich, allgewaltig auf —
Da oͤffnet ſich die Thuͤr — Sir Paulet iſts,
Der uns verkuͤndigt — daß — die Zimmerer
Zu unſern Fuͤßen das Geruͤſt aufſchlagen!


(Sie wendet ſich ab, von heftigem Schmerz ergriffen.)
Melvil.

Gerechter Gott! O ſagt mir! Wie ertrug
Maria dieſen fuͤrchterlichen Wechſel?

Kennedy.

(nach einer Pauſe, worin ſie ſich wieder etwas gefaßt hat)

Man loͤſ't ſich nicht allmaͤhlig von dem Leben!
Mit Einem Mal, ſchnell augenblicklich muß
Der Tauſch geſchehen zwiſchen Zeitlichem
Und Ewigem, und Gott gewaͤhrte meiner Lady
In dieſem Augenblick, der Erde Hoffnung
Zuruͤck zu ſtoßen mit entſchloßner Seele,
Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen.
Kein Merkmal bleicher Furcht, kein Wort der Klage
[200] Entehrte meine Koͤnigin — Dann erſt,
Als ſie Lord Leſters ſchaͤndlichen Verrath
Vernahm, das ungluͤckſelige Geſchick
Des werthen Juͤnglings, der ſich ihr geopfert,
Des alten Ritters tiefen Jammer ſah,
Dem ſeine letzte Hoffnung ſtarb durch ſie,
Da floſſen ihre Thraͤnen, nicht das eigne Schickſal,
Der fremde Jammer preßte ſie ihr ab.

Melvil.

Wo iſt ſie jetzt? Koͤnnt ihr mich zu ihr bringen?

Kennedy.

Den Reſt der Nacht durchwachte ſie mit Beten,
Nahm von den theuern Freunden ſchriftlich Abſchied,
Und ſchrieb ihr Teſtament mit eigner Hand.
Jetzt pflegt ſie einen Augenblick der Ruh,
Der letzte Schlaf erquickt ſie.

Melvil.

Wer iſt bei ihr?

Kennedy.

Ihr Leibarzt Burgoyn, und ihre Frauen.


Zweiter Auftritt.


Margaretha Kurl zu den Vorigen.

Kennedy.

Was bringt ihr, Miſtreß? Iſt die Lady wach?

[201]
Kurl
(Ihre Thraͤnen trocknend).

Schon angekleidet — Sie verlangt nach euch.

Kennedy.

Ich komme.

(Zu Melvil, der ſie begleiten will.)


Folgt mir nicht, bis ich die Lady
Auf euren Anblick vorbereitet.


(Geht hinein.)
Kurl.

Melvil!
Der alte Haushofmeiſter!

Melvil.

Ja, der bin ich!

Kurl.

O dieſes Haus braucht keines Meiſters mehr!
— Melvil! Ihr kommt von London, wißt ihr mir
Von meinem Manne nichts zu ſagen?

Melvil.

Er wird auf freien Fuß geſetzt, ſagt man,
Sobald —

Kurl.

Sobald die Koͤnigin nicht mehr iſt!
O der nichtswuͤrdig ſchaͤndliche Verraͤther!
Er iſt der Moͤrder dieſer theuren Lady,
Sein Zeugniß, ſagt man, habe ſie verurtheilt.

[202]
Melvil.

So iſts.

Kurl.

O ſeine Seele ſey verflucht
Bis in die Hoͤlle! Er hat falſch gezeugt —

Melvil.

Milady Kurl! Bedenket eure Reden.

Kurl.

Beſchwoͤren will ichs vor Gerichtes Schranken,
Ich will es ihm ins Antlitz wiederholen,
Die ganze Welt will ich damit erfuͤllen.
Sie ſtirbt unſchuldig —

Melvil.

O das gebe Gott!


Dritter Auftritt.


Burgoyn zu den Vorigen. Hernach Hanna Kennedy.

Burgoyn
(erblickt Melvil).

O Melvil!

Melvil
(ihn umarmend).

Burgoyn!

Burgoyn
(zu Margaretha Kurl).

Beſorget einen Becher
Mit Wein fuͤr unſre Lady. Machet hurtig.


(Kurl geht ab.)
[203]
Melvil.

Wie? Iſt der Koͤnigin nicht wohl?

Burgoyn.

Sie fuͤhlt ſich ſtark, ſie taͤuſcht ihr Heldenmuth.
Und keiner Speiſe glaubt ſie zu beduͤrfen,
Doch ihrer wartet noch ein ſchwerer Kampf,
Und ihre Feinde ſollen ſich nicht ruͤhmen,
Daß Furcht des Todes ihre Wangen bleichte,
Wenn die Natur aus Schwachheit unterliegt.

Melvil
(zur Amme, die hereintritt).

Will ſie mich ſehn?

Kennedy.

Gleich wird ſie ſelbſt hier ſeyn.
— Ihr ſcheint euch mit Verwundrung umzuſehn,
Und eure Blicke fragen mich: was ſoll
Das Prachtgeraͤth in dieſem Ort des Todes?
— O Sir! Wir litten Mangel, da wir lebten,
Erſt mit dem Tode kommt der Ueberfluß zuruͤck.


Vierter Auftritt.


Vorige. Zwei andre Kammerfrauen der Maria, gleichfalls
in Trauerkleidern. Sie brechen bei Melvils Anblick in
laute Thraͤnen aus.

Melvil.

Was fuͤr ein Anblick! Welch ein Wiederſehn!
Gertrude! Roſamund!

[204]
Zweite Kammerfrau.

Sie hat uns von ſich
Geſchickt! Sie will zum letztenmal allein
Mit Gott ſich unterhalten!


(Es kommen noch zwei weibliche Bediente, wie die vorigen in
Trauer, die mit ſtummen Gebaͤrden ihren Jammer aus-
druͤcken.)

Fuͤnfter Auftritt.


Margaretha Kurl zu den Vorigen. Sie traͤgt einen gold-
nen Becher mit Wein, und ſetzt ihn auf den Tiſch, indem ſie
ſich bleich und zitternd an einen Stuhl haͤlt.

Melvil.

Was iſt euch, Miſtreß? Was entſetzt euch ſo?

Kurl.

O Gott!

Burgoyn.

Was habt ihr?

Kurl.

Was mußt' ich erblicken!

Melvil.

Kommt zu euch! Sagt uns, was es iſt.

Kurl.

Als ich
Mit dieſem Becher Wein die große Treppe
Herauf ſtieg, die zur untern Halle fuͤhrt,
[205] Da that die Thuͤr ſich auf — ich ſah hinein —
Ich ſah — o Gott!

Melvil.

Was ſaht ihr? Faßet euch!

Kurl.

Schwarz uͤberzogen waren alle Waͤnde,
Ein groß Geruͤſt, mit ſchwarzem Tuch beſchlagen,
Erhob ſich von dem Boden, mitten drauf
Ein ſchwarzer Block, ein Kiſſen, und daneben
Ein blankgeſchliffnes Beil — Voll Menſchen war
Der Saal, die um das Mordgeruͤſt ſich draͤngten,
Und heiße Blutgier in dem Blick, das Opfer
Erwarteten.

Die Kammerfrauen.

O Gott ſey unſrer Lady gnaͤdig!

Melvil.

Faßt euch! Sie kommt!


Sechster Auftritt.


Die Vorigen. Maria. Sie iſt weiß und feſtlich gekleidet,
am Halſe traͤgt ſie an einer Kette von kleinen Kugeln ein
Agnus Dei, ein Roſenkranz haͤngt am Guͤrtel herab, ſie hat
ein Crucifix in der Hand, und ein Diadem in den Haaren, ihr
großer ſchwarzer Schleier iſt zuruͤck geſchlagen. Bei ihrem Ein-
tritt weichen die Anweſenden zu beiden Seiten zuruͤck, und
druͤcken den heftigſten Schmerz aus. Melvil iſt mit einer unwill-
kuͤhrlichen Bewegung auf die Knie geſunken.

[206]
Maria.

(mit ruhiger Hoheit im ganzen Kreiſe herumſehend)

Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen ſolltet
Ihr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel
Nun endlich naht, daß meine Bande fallen,
Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele ſich
Auf Engelsfluͤgeln ſchwingt zur ew'gen Freiheit.
Da, als ich in die Macht der ſtolzen Feindin
Gegeben war, Unwuͤrdiges erduldend,
Was einer freien großen Koͤnigin
Nicht ziemt, da war es Zeit, um mich zu weinen!
— Wohlthaͤtig, heilend, nahet mir der Tod,
Der ernſte Freund! Mit ſeinen ſchwarzen Fluͤgeln
Bedeckt er meine Schmach — den Menſchen adelt,
Den tiefſtgeſunkenen, das letzte Schickſal.
Die Krone fuͤhl ich wieder auf dem Haupt,
Den wuͤrd'gen Stolz in meiner edeln Seele!

(Indem ſie einige Schritte weiter vortritt.)


Wie? Melvil hier? — Nicht alſo, edler Sir!
Steht auf! Ihr ſeid zu eurer Koͤnigin
Triumph, zu ihrem Tode nicht gekommen.
Mir wird ein Gluͤck zu Theil, wie ich es nimmer
Gehoffet, daß mein Nachruhm doch nicht ganz
In meiner Feinde Haͤnden iſt, daß doch
Ein Freund mir, ein Bekenner meines Glaubens
Als Zeuge daſteht in der Todesſtunde.
[207] — Sagt, edler Ritter! Wie erging es euch,
In dieſem feindlichen, unholden Lande,
Seitdem man euch von meiner Seite riß?
Die Sorg' um euch hat oft mein Herz bekuͤmmert.

Melvil.

Mich druͤckte ſonſt kein Mangel, als der Schmerz
Um dich, und meine Ohnmacht, dir zu dienen!

Maria.

Wie ſtehts um Didier, meinen alten Kaͤmmrer?
Doch der getreue ſchlaͤft wohl lange ſchon
Den ew'gen Schlaf, denn er war hoch an Jahren.

Melvil.

Gott hat ihm dieſe Gnade nicht erzeigt,
Er lebt, um deine Jugend zu begraben.

Maria.

Daß mir vor meinem Tode noch das Gluͤck
Geworden waͤre, ein geliebtes Haupt
Der theuern Blutsverwandten zu umfaſſen!
Doch ich ſoll ſterben unter Fremdlingen,
Nur eure Thraͤnen ſoll ich fließen ſehn!
— Melvil, die letzten Wuͤnſche fuͤr die Meinen
Leg' ich in eure treue Bruſt — Ich ſegne
Den allerchriſtlichſten Koͤnig, meinen Schwager,
Und Frankreichs ganzes koͤnigliches Haus —
Ich ſegne meinen Oehm, den Kardinal,
[208] Und Heinrich Guiſe, meinen edlen Vetter.
Ich ſegne auch den Papſt, den heiligen
Statthalter Chriſti, der mich wieder ſegnet,
Und den katholſchen Koͤnig, der ſich edelmuͤthig
Zu meinem Retter, meinem Raͤcher anbot —
Sie alle ſtehn in meinem Teſtament,
Sie werden die Geſchenke meiner Liebe,
Wie arm ſie ſind, darum gering nicht achten.

(Sich zu ihren Dienern wendend.)


Euch hab' ich meinem koͤniglichen Bruder
Von Frankreich anempfohlen, er wird ſorgen
Fuͤr euch, ein neues Vaterland euch geben.
Und iſt euch meine letzte Bitte werth,
Bleibt nicht in England, daß der Britte nicht
Sein ſtolzes Herz an eurem Ungluͤck weide,
Nicht die im Staube ſeh', die mir gedient.
Bei dieſem Bildniß des Gekreuzigten
Gelobet mir, dieß ungluͤckſelge Land
Alsbald, wenn ich dahin bin, zu verlaſſen!

Melvil
(beruͤhrt das Crucifix).

Ich ſchwoͤre dir's, im Namen dieſer aller.

Maria.

Was ich, die arme, die beraubte, noch beſaß,
Woruͤber mir vergoͤnnt iſt frey zu ſchalten,
Das hab' ich unter euch vertheilt, man wird,
[209] Ich hoff' es, meinen letzten Willen ehren.
Auch was ich auf dem Todeswege trage,
Gehoͤret euch — Vergoͤnnet mir noch einmal
Der Erde Glanz auf meinem Weg zum Himmel!

(Zu den Fraͤulein.)


Dir, meine Alix, Gertrud, Roſamund,
Beſtimm' ich meine Perlen, meine Kleider,
Denn eure Jugend freut ſich noch des Putzes.
Du, Margaretha, haſt das naͤchſte Recht
An meine Großmuth, denn ich laſſe dich
Zuruͤck als die Ungluͤcklichſte von allen.
Daß ich des Gatten Schuld an dir nicht raͤche,
Wird mein Vermaͤchtniß offenbaren — Dich,
O meine treue Hanna, reizet nicht
Der Werth des Goldes, nicht der Steine Pracht,
Dir iſt das hoͤchſte Kleinod mein Gedaͤchtniß.
Nimm dieſes Tuch! Ich habs mit eigner Hand
Fuͤr dich geſtickt in meines Kummers Stunden,
Und meine heißen Thraͤnen eingewoben.
Mit dieſem Tuch wirſt du die Augen mir verbinden,
Wenn es ſo weit iſt — dieſen letzten Dienſt
Wuͤnſch' ich von meiner Hanna zu empfangen.

Kennedy.

O Melvil! Ich ertrag' es nicht!


14[210]
Maria.

Kommt alle!
Kommt und empfangt mein letztes Lebwohl.

(Sie reicht ihre Haͤnde hin, eins nach dem andern faͤllt ihr
zu Fuͤßen und kuͤßt die dargebotne Hand unter heftigem
Weinen.)


Leb' wohl, MargrethaAlix, lebe wohl —
Dank Burgoyn, fuͤr eure treuen Dienſte —
Dein Mund brennt heiß, Gertrude — Ich bin viel
Gehaſſet worden, doch auch viel geliebt!
Ein edler Mann begluͤcke meine Gertrud,
Denn Liebe fodert dieſes gluͤhnde Herz —
Bertha! Du haſt das beßre Theil erwaͤhlt,
Die keuſche Braut des Himmels willſt du werden!
O eile, dein Geluͤbde zu vollziehn!
Betruͤglich ſind die Guͤter dieſer Erden,
Das lern' an deiner Koͤnigin! — Nichts weiter!
Lebt wohl! Lebt wohl! Lebt ewig wohl!


(Sie wendet ſich ſchnell von ihnen, alle, bis auf Melvil,
entfernen ſich.)

Siebenter Auftritt.


Maria. Melvil.

Maria.

Ich habe alles Zeitliche berichtigt,
Und hoffe keines Menſchen Schuldnerin
Aus dieſer Welt zu ſcheiden — Eins nur iſts,
[211] Melvil, was der beklemmten Seele noch
Verwehrt, ſich frei und freudig zu erheben.

Melvil.

Entdecke mirs. Erleichtre deine Bruſt,
Dem treuen Freund vertraue deine Sorgen.

Maria.

Ich ſtehe an dem Rand der Ewigkeit,
Bald ſoll ich treten vor den hoͤchſten Richter,
Und noch hab' ich den Heil'gen nicht verſoͤhnt.
Verſagt iſt mir der Prieſter meiner Kirche.
Des Sakramentes heil'ge Himmelſpeiſe
Verſchmaͤh' ich aus den Haͤnden falſcher Prieſter.
Im Glauben meiner Kirche will ich ſterben,
Denn der allein iſts, welcher ſelig macht.

Melvil.

Beruhige dein Herz. Dem Himmel gilt
Der feurig fromme Wunſch ſtatt des Vollbringens.
Tyrannenmacht kann nur die Haͤnde feſſeln,
Des Herzens Andacht hebt ſich frei zu Gott,
Das Wort iſt todt, der Glaube macht lebendig.

Maria.

Ach Melvil! Nicht allein genug iſt ſich
Das Herz, ein irdiſch Pfand bedarf der Glaube,
Das hohe Himmliſche ſich zuzueignen.
Drum ward der Gott zum Menſchen, und verſchloß
[212] Die unſichtbaren himmliſchen Geſchenke
Geheimnißvoll in einem ſichtbarn Leib.
— Die Kirche iſts, die heilige, die hohe,
Die zu dem Himmel uns die Leiter baut,
Die allgemeine, die kathol'ſche heißt ſie,
Denn nur der Glaube aller ſtaͤrkt den Glauben,
Wo tauſende anbeten und verehren,
Da wird die Glut zur Flamme, und befluͤgelt
Schwingt ſich der Geiſt in alle Himmel auf.
— Ach die Begluͤckten, die das froh getheilte
Gebet verſammelt in dem Haus des Herrn!
Geſchmuͤckt iſt der Altar, die Kerzen leuchten,
Die Glocke toͤnt, der Weihrauch iſt geſtreut,
Der Biſchof ſteht im reinen Meßgewand,
Er faßt den Kelch, er ſegnet ihn, er kuͤndet
Das hohe Wunder der Verwandlung an,
Und niederſtuͤrzt dem gegenwaͤrt'gen Gotte
Das glaͤubig uͤberzeugte Volk — Ach! Ich
Allein bin ausgeſchloſſen, nicht zu mir
In meinen Kerker dringt der Himmelſegen.

Melvil.

Er dringt zu dir! Er iſt dir nah! Vertraue
Dem Allvermoͤgenden — der duͤrre Stab
Kann Zweige treiben in des Glaubens Hand!
Und der die Quelle aus dem Felſen ſchlug,
[213] Kann dir im Kerker den Altar bereiten,
Kann dieſen Kelch, die irdiſche Erquickung,
Dir ſchnell in eine himmliſche verwandeln.


(Er ergreift den Kelch, der auf dem Tiſche ſteht.)
Maria.

Melvil! Verſteh ich euch? Ja! Ich verſteh euch!
Hier iſt kein Prieſter, keine Kirche, kein
Hochwuͤrdiges — Doch der Erloͤſer ſpricht:
Wo zwey verſammelt ſind in meinem Namen,
Da bin ich gegenwaͤrtig unter ihnen.
Was weiht den Prieſter ein zum Mund des Herrn?
Das reine Herz, der unbefleckte Wandel.
— So ſeid ihr mir, auch ungeweiht, ein Prieſter,
Ein Bote Gottes, der mir Frieden bringt.
— Euch will ich meine letzte Beichte thun,
Und euer Mund ſoll mir das Heil verkuͤnden.

Melvil.

Wenn dich das Herz ſo maͤchtig dazu treibt,
So wiſſe, Koͤnigin, daß dir zum Troſte
Gott auch ein Wunder wohl verrichten kann.
Hier ſey kein Prieſter, ſagſt du, keine Kirche,
Kein Leib des Herrn? — Du irreſt dich. Hier iſt
Ein Prieſter, und ein Gott iſt hier zugegen.

(Er entbloͤßt bei dieſen Worten das Haupt, zugleich zeigt er
ihr eine Hoſtie in einer goldenen Schale.)


[214] — Ich bin ein Prieſter, deine letzte Beichte
Zu hoͤren, dir auf deinem Todesweg
Den Frieden zu verkuͤndigen, hab' ich
Die ſieben Weihn auf meinem Haupt empfangen,
Und dieſe Hoſtie uͤberbring ich dir
Vom heil'gen Vater, die er ſelbſt geweihet.

Maria.

O ſo muß an der Schwelle ſelbſt des Todes
Mir noch ein himmliſch Gluͤck bereitet ſeyn!
Wie ein Unſterblicher auf goldnen Wolken
Herniederfaͤhrt, wie den Apoſtel einſt
Der Engel fuͤhrte aus des Kerkers Banden,
Ihn haͤlt kein Riegel, keines Huͤters Schwerdt,
Er ſchreitet maͤchtig durch verſchloßne Pforten,
Und im Gefaͤngniß ſteht er glaͤnzend da,
So uͤberraſcht mich hier der Himmelsbote,
Da jeder ird'ſche Retter mich getaͤuſcht!
— Und ihr, mein Diener einſt, ſeid jetzt der Diener
Des hoͤchſten Gottes, und ſein heil'ger Mund!
Wie eure Kniee ſonſt vor mir ſich beugten,
So lieg ich jetzt im Staub vor euch.


(Sie ſinkt vor ihm nieder.)
Melvil.

(indem er das Zeichen des Kreutzes uͤber ſie macht)

Im Namen
Des Vaters und des Sohnes und des Geiſtes!
[215] Maria, Koͤnigin! Haſt du dein Herz
Erforſchet, ſchwoͤrſt du, und gelobeſt du
Wahrheit zu beichten vor dem Gott der Wahrheit?

Maria.

Mein Herz liegt offen da vor dir und ihm.

Melvil.

Sprich, welcher Suͤnde zeiht dich dein Gewiſſen,
Seitdem du Gott zum letztenmal verſoͤhnt?

Maria.

Von neid'ſchem Haſſe war mein Herz erfuͤllt,
Und Rachgedanken tobten in dem Buſen.
Vergebung hofft ich Suͤnderin von Gott,
Und konnte nicht der Gegnerin vergeben.

Melvil.

Bereueſt du die Schuld, und iſts dein ernſter
Entſchluß, verſoͤhnt aus dieſer Welt zu ſcheiden?

Maria.

So wahr ich hoffe, daß mir Gott vergebe.

Melvil.

Welch andrer Suͤnde klagt das Herz dich an?

Maria.

Ach, nicht durch Haß allein, durch ſuͤnd'ge Liebe
Noch mehr hab' ich das hoͤchſte Gut beleidigt.
[216] Das eitle Herz ward zu dem Mann gezogen,
Der treulos mich verlaſſen und betrogen!

Melvil.

Bereueſt du die Schuld, und hat dein Herz
Vom eiteln Abgott ſich zu Gott gewendet?

Maria.

Es war der ſchwerſte Kampf, den ich beſtand,
Zerriſſen iſt das letzte ird'ſche Band.

Melvil.

Welch andrer Schuld verklagt dich dein Gewiſſen?

Maria.

Ach, eine fruͤhe Blutſchuld, laͤngſt gebeichtet,
Sie kehrt zuruͤck mit neuer Schreckenskraft,
Im Augenblick der letzten Rechenſchaft,
Und waͤltzt ſich ſchwarz mir vor des Himmels Pforten.
Den Koͤnig, meinen Gatten, ließ ich morden,
Und dem Verfuͤhrer ſchenkt' ich Herz und Hand!
Streng buͤßt' ichs ab mit allen Kirchenſtrafen,
Doch in der Seele will der Wurm nicht ſchlafen.

Melvil.

Verklagt das Herz dich keiner andern Suͤnde,
Die du noch nicht gebeichtet und gebuͤßt?

Maria.

Jetzt weißt du alles, was mein Herz belaſtet.

[217]
Melvil.

Denk an die Naͤhe des Allwiſſenden!
Der Strafen denke, die die heilge Kirche
Der mangelhaften Beichte droht! Das iſt
Die Suͤnde zu dem ew'gen Tod, denn das
Iſt wider ſeinen heilgen Geiſt gefrevelt!

Maria.

So ſchenke mir die ew'ge Gnade Sieg
Im letzten Kampf, als ich dir wiſſend nichts verſchwieg.

Melvil.

Wie? deinem Gott verhehlſt du das Verbrechen,
Um deſſentwillen dich die Menſchen ſtrafen?
Du ſagſt mir nichts von deinem blutgen Antheil
An Babingtons und Parrys Hochverrath?
Den zeitlichen Tod ſtirbſt du fuͤr dieſe That,
Willſt du auch noch den ew'gen dafuͤr ſterben?

Maria.

Ich bin bereit zur Ewigkeit zu gehn,
Noch eh ſich der Minutenzeiger wendet,
Werd' ich vor meines Richters Throne ſtehn,
Doch wiederhohl' ichs, meine Beichte iſt vollendet.

Melvil.

Erwaͤg' es wohl. Das Herz iſt ein Betruͤger.
Du haſt vielleicht mit liſt'gem Doppelſinn
Das Wort vermieden, das dich ſchuldig macht,
[218] Obgleich der Wille das Verbrechen theilte.
Doch wiſſe, keine Gaukelkunſt beruͤckt
Das Flammenauge, das ins Innre blickt!

Maria.

Ich habe alle Fuͤrſten aufgeboten.
Mich aus unwuͤrd'gen Banden zu befrein,
Doch nie hab' ich durch Vorſatz oder That
Das Leben meiner Feindin angetaſtet!

Melvil.

So haͤtten deine Schreiber falſch gezeugt?

Maria.

Wie ich geſagt, ſo iſts. Was jene zeugten,
Das richte Gott!

Melvil.

So ſteigſt du, uͤberzeugt
Von deiner Unſchuld, auf das Blutgeruͤſte?

Maria.

Gott wuͤrdigt mich, durch dieſen unverdienten Tod
Die fruͤhe ſchwere Blutſchuld abzubuͤßen.

Melvil.

(macht den Seegen uͤber ſie)

So gehe hin, und ſterbend buͤße ſie!
Sink' ein ergebnes Opfer am Altare,
Blut kann verſoͤhnen, was das Blut verbrach,
[219] Du fehlteſt nur aus weiblichem Gebrechen,
Dem ſel'gen Geiſte folgen nicht die Schwaͤchen
Der Sterblichkeit in die Verklaͤrung nach.
Ich aber kuͤnde dir, kraft der Gewalt,
Die mir verliehen iſt, zu loͤſen und zu binden,
Erlaſſung an von allen deinen Suͤnden!
Wie du geglaubet, ſo geſchehe dir!

(Er reicht ihr die Hoſtie.)


Nimm hin den Leib, er iſt fuͤr dich geopfert!

(Er ergreift den Kelch, der auf dem Tiſche ſteht, conſekrirt
ihn mit ſtillem Gebet, dann reicht er ihr denſelben. Sie
zoͤgert, ihn anzunehmen, und weiſ't ihn mit der Hand
zuruͤck.)


Nimm hin das Blut, es iſt fuͤr dich vergoſſen!
Nimm hin! Der Papſt erzeigt dir dieſe Gunſt!
Im Tode noch ſollſt du das hoͤchſte Recht
Der Koͤnige, das prieſterliche, uͤben!

(Sie empfaͤngt den Kelch.)


Und wie du jetzt dich in dem ird'ſchen Leib
Geheimnißvoll mit deinem Gott verbunden,
So wirſt du dort in ſeinem Freudenreich,
Wo keine Schuld mehr ſeyn wird, und kein Weinen,
Ein ſchoͤn verklaͤrter Engel, dich
Auf ewig mit dem Goͤttlichen vereinen.


(Er ſetzt den Kelch nieder. Auf ein Geraͤuſch, das gehoͤrt
wird, bedeckt er ſich das Haupt, und geht an die Thuͤre,
Maria bleibt in ſtiller Andacht auf den Knien liegen.)
[220]
Melvil.
(zuruͤckkommend).

Dir bleibt ein harter Kampf noch zu beſtehn.
Fuͤhlſt du dich ſtark genug, um jede Regung
Der Bitterkeit, des Haſſes zu beſiegen?

Maria.

Ich fuͤrchte keinen Ruͤckfall. Meinen Haß
Und meine Liebe hab' ich Gott geopfert.

Melvil.

Nun ſo bereite dich, die Lords von Leſter
Und Burleigh zu empfangen. Sie ſind da.


Achter Auftritt.


Die Vorigen. Burleigh. Leiceſter und Paulet.
Leiceſter bleibt ganz in der Entfernung ſtehen, ohne die Augen
aufzuſchlagen. Burleigh, der ſeine Faſſung beobachtet, tritt
zwiſchen ihn und die Koͤnigin.

Burleigh.

Ich komme, Lady Stuart, eure letzten
Befehle zu empfangen.

Maria.

Dank, Milord!

Burleigh.

Es iſt der Wille meiner Koͤnigin,
Daß euch nichts billiges verweigert werde.

[221]
Maria.

Mein Teſtament nennt meine letzten Wuͤnſche.
Ich habs in Ritter Paulets Hand gelegt,
Und bitte, daß es treu vollzogen werde.

Paulet.

Verlaßt euch drauf.

Maria.

Ich bitte, meine Diener ungekraͤnkt
Nach Schottland zu entlaſſen, oder Frankreich,
Wohin ſie ſelber wuͤnſchen und begehren.

Burleigh.

Es ſey, wie ihr es wuͤnſcht.

Maria.

Und weil mein Leichnam
Nicht in geweihter Erde ruhen ſoll,
So dulde man, daß dieſer treue Diener
Mein Herz nach Frankreich bringe zu den Meinen.
— Ach! Es war immer dort!

Burleigh.

Es ſoll geſchehn!
Habt ihr noch ſonſt —

Maria.

Der Koͤnigin von England
Bringt meinen ſchweſterlichen Gruß — Sagt ihr,
Daß ich ihr meinen Tod von ganzem Herzen
[222] Vergebe, meine Heftigkeit von geſtern
Ihr reuevoll abbitte — Gott erhalte ſie,
Und ſchenk' ihr eine gluͤckliche Regierung!

Burleigh.

Sprecht! Habt ihr noch nicht beſſern Rath erwaͤhlt?
Verſchmaͤht ihr noch den Beiſtand des Dechanten?

Maria.

Ich bin mit meinem Gott verſoͤhnt — Sir Paulet!
Ich hab' euch ſchuldlos vieles Weh bereitet,
Des Alters Stuͤtze euch geraubt — O laßt
Mich hoffen, daß ihr meiner nicht mit Haß
Gedenket —

Paulet.
(giebt ihr die Hand).

Gott ſey mit euch! Gehet hin im Frieden!


Neunter Auftritt.


Die Vorigen. Hanna Kennedy und die andern Frauen
der Koͤnigin dringen herein mit Zeichen des Entſetzens, ihnen
folgt der Scherif, einen weißen Stab in der Hand, hin-
ter demſelben ſieht man durch die offen bleibende Thuͤre gewaff-
nete Maͤnner.

Maria.

Was iſt dir, Hanna? — Ja, nun iſt es Zeit!
Hier kommt der Scherif, uns zum Tod zu fuͤhren.
[223] Es muß geſchieden ſeyn! Lebt wohl! lebt wohl!

(Ihre Frauen haͤngen ſich an ſie mit heftigem Schmerz;
zu Melvil.)


Ihr, werther Sir, und meine treue Hanna,
Sollt mich auf dieſem letzten Gang begleiten.
Milord verſagt mir dieſe Wohlthat nicht!

Burleigh.

Ich habe dazu keine Vollmacht.

Maria.

Wie?
Die kleine Bitte koͤnntet ihr mir weigern?
Habt Achtung gegen mein Geſchlecht! Wer ſoll
Den letzten Dienſt mir leiſten! Nimmermehr
Kann es der Wille meiner Schweſter ſeyn,
Daß mein Geſchlecht in mir beleidigt werde,
Der Maͤnner rohe Haͤnde mich beruͤhren!

Burleigh.

Es darf kein Weib die Stufen des Geruͤſtes
Mit euch beſteigen — Ihr Geſchrei und Jammern —

Maria.

Sie ſoll nicht jammern! Ich verbuͤrge mich
Fuͤr die gefaßte Seele meiner Hanna!
Seid guͤtig, Lord. O trennt mich nicht im Sterben
Von meiner treuen Pflegerin und Amme!
[224] Sie trug auf ihren Armen mich ins Leben,
Sie leite mich mit ſanfter Hand zum Tod.

Paulet.
(zu Burleigh).

Laßt es geſchehn.

Burleigh.

Es ſey.

Maria.

Nun hab' ich nichts mehr
Auf dieſer Welt —

(Sie nimmt das Crucifix, und kuͤßt es.)


Mein Heiland! Mein Erloͤſer!
Wie du am Kreutz die Arme ausgeſpannt,
So breite ſie jetzt aus, mich zu empfangen.

(Sie wendet ſich zu gehen, in dieſem Augenblick begegnet ihr
Auge dem Grafen Leiceſter, der bei ihrem Aufbruch un-
willkuͤhrlich aufgefahren, und nach ihr hingeſehen — Bei
dieſem Anblick zittert Maria, die Knie verſagen ihr, ſie
iſt im Begriff hinzuſinken, da ergreift ſie Graf Leiceſter,
und empfaͤngt ſie in ſeinen Armen. Sie ſieht ihn eine
Zeitlang ernſt und ſchweigend an, er kann ihren Blick
nicht aushalten, endlich ſpricht ſie.)


Ihr haltet Wort, Graf Leſter — Ihr verſpracht
Mir euren Arm, aus dieſem Kerker mich
Zu fuͤhren, und ihr leihet mir ihn jetzt!

(Er ſteht wie vernichtet. Sie faͤhrt mit ſanfter Stimme fort.)


Ja, Leſter, und nicht bloß
Die Freiheit wollt ich eurer Hand verdanken.
[225] Ihr ſolltet mir die Freiheit theuer machen,
An eurer Hand, begluͤckt durch eure Liebe,
Wollt' ich des neuen Lebens mich erfreun.
Jetzt, da ich auf dem Weg bin, von der Welt
Zu ſcheiden, und ein ſel'ger Geiſt zu werden,
Den keine ird'ſche Neigung mehr verſucht,
Jetzt, Leſter, darf ich ohne Schaamerroͤthen
Euch die beſiegte Schwachheit eingeſtehn —
Lebt wohl, und wenn ihr koͤnnt, ſo lebt begluͤckt!
Ihr durftet werden um zwei Koͤniginnen,
Ein zaͤrtlich liebend Herz habt ihr verſchmaͤht,
Verrathen, um ein ſtolzes zu gewinnen,
Kniet zu den Fuͤßen der Eliſabeth!
Moͤg' euer Lohn nicht eure Strafe werden!
Lebt wohl! — Jetzt hab' ich nichts mehr auf der Erden!


(Sie geht ab, der Scherif voraus, Melvil und die Amme ihr
zur Seite, Burleigh und Paulet folgen, die uͤbrigen ſehen
ihr jammernd nach, bis ſie verſchwunden iſt, dann entfer-
nen ſie ſich durch die zwei andern Thuͤren.)

Zehnter Auftritt.


Leiceſter
allein zuruͤckbleibend.

Ich lebe noch! Ich trag es, noch zu leben!
Stuͤrzt dieſes Dach nicht ſein Gewicht auf mich!
Thut ſich kein Schlund auf, das elendeſte
Der Weſen zu verſchlingen! Was hab' ich
15
[226] Verloren! Welche Perle warf ich bin!
Welch Gluͤck der Himmel hab' ich weggeſchleudert!
— Sie geht dahin, ein ſchon verklaͤrter Geiſt,
Und mir bleibt die Verzweiflung der Verdammten.
— Wo iſt mein Vorſatz hin, mit dem ich kam,
Des Herzens Stimme fuͤhllos zu erſticken?
Ihr fallend Haupt zu ſehn mit unbewegten Blicken?
Weckt mir ihr Anblick die erſtorbne Schaam?
Muß ſie im Tod mit Liebesbanden mich umſtricken?
— Verworfener, dir ſteht es nicht mehr an,
In zartem Mitleid weibiſch hinzuſchmelzen,
Der Liebe Gluͤck liegt nicht auf deiner Bahn,
Mit einem eh'rnen Harniſch angethan,
Sey deine Bruſt, die Stirne ſey ein Felſen!
Willſt du den Preiß der Schandthat nicht verlieren,
Dreiſt mußt du ſie behaupten und vollfuͤhren!
Verſtumme Mitleid, Augen, werdet Stein,
Ich ſeh ſie fallen, ich will Zeuge ſeyn.

(Er geht mit entſchloßnem Schritt der Thuͤre zu, durch welche
Maria gegangen, bleibt aber auf der Mitte des Weges
ſtehen.)


Umſonſt! Umſonſt! Mich faßt der Hoͤlle Grauen,
Ich kann, ich kann das Schreckliche nicht ſchauen,
Kann ſie nicht ſterben ſehen — Horch! Was war das?
Sie ſind ſchon unten — Unter meinen Fuͤßen
Bereitet ſich das fuͤrchterliche Werk.
[227] Ich hoͤre Stimmen — Fort! Hinweg! Hinweg
Aus dieſem Haus des Schreckens und des Todes!

(Er will durch eine andre Thuͤr entfliehn, findet ſie aber ver-
ſchloſſen, und faͤhrt zuruͤck.)


Wie? Feſſelt mich ein Gott an dieſen Boden?
Muß ich anhoͤren, was mir anzuſchauen graut?
Die Stimme des Dechanten — Er ermahnet ſie —
— Sie unterbricht ihn — Horch! — Laut betet ſie —
Mit feſter Stimme — Es wird ſtill — Ganz ſtill!
Nur ſchluchzen hoͤr' ich, und die Weiber weinen —
Sie wird entkleidet — Horch! Der Schemel wird
Geruͤckt — Sie kniet aufs Kiſſen — legt das Haupt —


(Nachdem er die letzten Worte mit ſteigender Angſt geſprochen,
und eine Weile inne gehalten, ſieht man ihn ploͤtzlich mit
einer zuckenden Bewegung zuſammenfahren, und ohnmaͤchtig
niederſinken, zugleich erſchallt von unten herauf ein dum-
pfes Getoͤſe von Stimmen, welches lange forthallt.)

Eilfter Auftritt.


(Das zweite Zimmer des vierten Aufzugs.)

Eliſabeth
tritt aus einer Seitenthuͤre, ihr Gang und ihre

Gebaͤrden druͤcken die heftigſte Unruhe aus.

Noch Niemand hier — Noch keine Botſchaft — Will es
Nicht Abend werden? Steht die Sonne feſt
In ihrem himmliſchen Lauf? — Ich ſoll noch laͤnger
Auf dieſer Folter der Erwartung liegen.
[228] — Iſt es geſchehen? Iſt es nicht? — Mir graut
Vor beidem, und ich wage nicht zu fragen!
Graf Leſter zeigt ſich nicht, auch Burleigh nicht,
Die ich ernannt, das Urtheil zu vollſtrecken.
Sind ſie von London abgereißt — Dann iſts
Geſchehn, der Pfeil iſt abgedruͤckt, er fliegt,
Er trifft, er hat getroffen, gaͤlts mein Reich,
Ich kann ihn nicht mehr halten — Wer iſt da?


Zwoͤlfter Auftritt.


Eliſabeth. Ein Page.

Eliſabeth.

Du kommſt allein zuruͤck — Wo ſind die Lords?

Page.

Milord von Leſter, und der Großſchatzmeiſter —

Eliſabeth.

(in der hoͤchſten Spannung.)

Wo ſind ſie?

Page.

Sie ſind nicht in London.

Eliſabeth.

Nicht?
— Wo ſind ſie denn?

[229]
Page.

Das wußte niemand mir zu ſagen.
Vor Tages Anbruch haͤtten beide Lords
Eilfertig und geheimnißvoll die Stadt
Verlaſſen.

Eliſabeth
(lebhaft ausbrechend).

Ich bin Koͤnigin von England!

(Auf und niedergehend in der hoͤchſten Bewegung.)


Geh! Rufe mir — nein, bleibe — Sie iſt todt!
Jetzt endlich hab' ich Raum auf dieſer Erde.
— Was zittr' ich? Was ergreift mich dieſe Angſt?
Das Grab deckt meine Furcht, und wer darf ſagen,
Ich habs gethan! Es ſoll an Thraͤnen mir
Nicht fehlen, die Gefallne zu beweinen!

(Zum Pagen.)


Stehſt du noch hier? — Mein Schreiber Daviſon
Soll augenblicklich ſich hierher verfuͤgen.
Schickt nach dem Grafen Schrewsbury — Da iſt
Er ſelbſt!


(Page geht ab.)

Dreizehnter Auftritt.


Eliſabeth. Graf Schrewsbury.

Eliſabeth.

Willkommen, edler Lord. Was bringt ihr?
[230] Nichts kleines kann es ſeyn, was euren Schritt
So ſpaͤt hierher fuͤhrt.

Schrewsbury.

Große Koͤnigin,
Mein ſorgenvolles Herz, um deinen Ruhm
Bekuͤmmert, trieb mich heute nach dem Tower,
Wo Kurl und Rau, die Schreiber der Maria
Gefangen ſitzen, denn noch einmal wollt' ich
Die Wahrheit ihres Zeugniſſes erproben.
Beſtuͤrzt, verlegen weigert ſich der Leutnant
Des Thurms, mir die Gefangenen zu zeigen,
Durch Drohung nur verſchafft' ich mir den Eintritt,
— Gott! Welcher Anblick zeigte mir ſich da!
Das Haar verwildert, mit des Wahnſinns Blicken,
Wie ein von Furien gequaͤlter, lag
Der Schotte Kurl auf ſeinem Lager — Kaum
Erkennt mich der Ungluͤckliche, ſo ſtuͤrzt er
Zu meinen Fuͤßen — ſchreiend, meine Knie
Umklammernd mit Verzweiflung, wie ein Wurm
Vor mir gekruͤmmt — fleht er mich an, beſchwoͤrt mich,
Ihm ſeiner Koͤnigin Schickſal zu verkuͤnden;
Denn ein Geruͤcht, daß ſie zum Tod verurtheilt ſey,
War in des Towers Kluͤfte eingedrungen.
Als ich ihm das bejahet nach der Wahrheit,
Hinzu gefuͤgt, daß es ſein Zeugniß ſey,
Wodurch ſie ſterbe, ſprang er wuͤthend auf,
[231] Fiel ſeinen Mitgefangnen an, riß ihn
Zu Boden, mit des Wahnſinns Rieſenkraft,
Ihn zu erwuͤrgen ſtrebend. Kaum entriſſen wir
Den Ungluͤckſelgen ſeines Grimmes Haͤnden.
Nun kehrt' er gegen ſich die Wuth, zerſchlug
Mit grimmgen Faͤuſten ſich die Bruſt, verfluchte ſich
Und den Gefaͤhrten allen Hoͤllengeiſtern.
Er habe falſch gezeugt, die Ungluͤcksbriefe
An Babington, die er als aͤcht beſchworen,
Sie ſeien falſch, er habe andre Worte
Geſchrieben, als die Koͤnigin diktirt,
Der Boͤßwicht Rau hab' ihn dazu verleitet.
Drauf rannt' er an das Fenſter, riß es auf
Mit wuͤthender Gewalt, ſchrie in die Gaſſen
Hinab, daß alles Volk zuſammen lief,
Er ſey der Schreiber der Maria, ſey
Der Boͤßwicht, der ſie faͤlſchlich angeklagt,
Er ſey verflucht, er ſey ein falſcher Zeuge!

Eliſabeth.

Ihr ſagtet ſelbſt, daß er von Sinnen war.
Die Worte eines Raſenden, Verruͤckten,
Beweiſen nichts.

Schrewsbury.

Doch dieſer Wahnſinu ſelbſt
Beweiſet deſto mehr! O Koͤnigin!
[232] Laß dich beſchwoͤren, uͤbereile nichts,
Befiehl, daß man von neuem unterſuche.

Eliſabeth.

Ich will es thun — weil ihr es wuͤnſchet, Graf,
Nicht weil ich glauben kann, daß meine Peers
In dieſer Sache uͤbereilt gerichtet.
Euch zur Beruhigung erneure man
Die Unterſuchung — Gut, daß es noch Zeit iſt!
An unſrer koͤniglichen Ehre ſoll
Auch nicht der Schatten eines Zweifels haften.


Vierzehnter Auftritt.


Daviſon zu den Vorigen.

Eliſabeth.

Das Urtheil, Sir, das ich in eure Hand
Gelegt — Wo iſts?

Daviſon
(im hoͤchſten Erſtaunen).

Das Urtheil?

Eliſabeth.

Das ich geſtern
Euch in Verwahrung gab —

Daviſon.

Mir in Verwahrung!

[233]
Eliſabeth.

Das Volk beſtuͤrmte mich, zu unterzeichnen,
Ich mußt' ihm ſeinen Willen thun, ich thats,
Gezwungen that ichs, und in eure Haͤnde
Legt' ich die Schrift, ich wollte Zeit gewinnen,
Ihr wißt, was ich euch ſagte — Nun! Gebt her!

Schrewsbury.

Gebt, werther Sir, die Sachen liegen anders,
Die Unterſuchung muß erneuert werden.

Eliſabeth.

Bedenkt euch nicht ſo lang'. Wo iſt die Schrift?

Daviſon
(in Verzweiflung).

Ich bin geſtuͤrzt, ich bin ein Mann des Todes!

Eliſabeth
(haſtig einfallend).

Ich will nicht hoffen, Sir —

Daviſon.

Ich bin verlohren!
Ich hab' ſie nicht mehr.

Eliſabeth.

Wie? Was?

Schrewsbury.

Gott im Himmel!

Daviſon.

Sie iſt in Burleighs Haͤnden — ſchon ſeit geſtern.

[234]
Eliſabeth.

Ungluͤcklicher? So habt ihr mir gehorcht,
Befahl ich euch nicht ſtreng, ſie zu verwahren?

Daviſon.

Das haſt du nicht befohlen, Koͤnigin.

Eliſabeth.

Willſt du mich Luͤgen ſtrafen, Elender?
Wann hieß ich dir die Schrift an Burleigh geben?

Daviſon.

Nicht in beſtimmten, klaren Worten — aber —

Eliſabeth.

Nichtswuͤrdiger! Du wagſt es, meine Worte
Zu deuten? Deinen eignen blutgen Sinn
Hinein zu legen? — Wehe dir, wenn Ungluͤck
Aus dieſer eigenmaͤchtgen That erfolgt,
Mit deinem Leben ſollſt du mirs bezahlen.
— Graf Schrewsbury, ihr ſehet, wie mein Name
Gemißbraucht wird.

Schrewsbury.

Ich ſehe — O mein Gott!

Eliſabeth.

Was ſagt ihr?

Schrewsbury.

Wenn der Squire ſich dieſer That
Vermeſſen hat auf eigene Gefahr,
[235] Und ohne deine Wiſſenſchaft gehandelt,
So muß er vor den Richterſtuhl der Peers
Gefodert werden, weil er deinen Namen
Dem Abſchen aller Zeiten Preiß gegeben.


Letzter Auftritt.


Die Vorigen. Burleigh, zuletzt Kent.

Burleigh
(beugt ein Knie vor der Koͤnigin).

Lang lebe meine koͤnigliche Frau,
Und moͤgen alle Feinde dieſer Inſel
Wie dieſe Stuart enden!


(Schrewsbury verhuͤllt ſein Geſicht, Daviſon ringt verzweif-
lungsvoll die Haͤnde.)
Eliſabeth.

Redet, Lord!
Habt ihr den toͤdtlichen Befehl von mir
Empfangen?

Burleigh.

Nein, Gebieterin! Ich empfing ihn
Von Daviſon.

Eliſabeth.

Hat Daviſon ihn euch
In meinem Namen uͤbergeben?

Burleigh.

Nein!
Das hat er nicht —

[236]
Eliſabeth.

Und ihr vollſtrecktet ihn,
Raſch, ohne meinen Willen erſt zu wiſſen?
Das Urtheil war gerecht, die Welt kann uns
Nicht tadeln, aber euch gebuͤhrte nicht,
Der Milde unſres Herzens vorzugreifen —
Drum ſeid verbannt von unſerm Angeſicht!

(Zu Daviſon.)


Ein ſtrengeres Gericht erwartet euch,
Der ſeine Vollmacht frevelnd uͤberſchritten,
Ein heilig anvertrautes Pfand veruntreut.
Man fuͤhr' ihn nach dem Tower, es iſt mein Wille,
Daß man auf Leib und Leben ihn verklage.
— Mein edler Talbot! Euch allein hab' ich
Gerecht erfunden unter meinen Raͤthen,
Ihr ſollt fortan mein Fuͤhrer ſeyn, mein Freund —

Schrewsbury.

Verbanne deine treuſten Freunde nicht,
Wirf ſie nicht ins Gefaͤngniß, die fuͤr dich
Gehandelt haben, die jetzt fuͤr dich ſchweigen.
— Mir aber, große Koͤnigin, erlaube,
Daß ich das Siegel, das du mir zwoͤlf Jahre
Vertraut, zuruͤck in deine Haͤnde gebe.

Eliſabeth
(betroffen).

Nein, Schrewsbury! Ihr werdet mich jetzt nicht
Verlaſſen, jetzt —

[237]
Schrewsbury.

Verzeih, ich bin zu alt,
Und dieſe grade Hand, ſie iſt zu ſtarr,
Um deine neuen Thaten zu verſiegeln.

Eliſabeth.

Verlaſſen wollte mich der Mann, der mir
Das Leben rettete?

Schrewsbury.

Ich habe wenig
Gethan — Ich habe deinen edlern Theil
Nicht retten koͤnnen. Lebe, herrſche gluͤcklich!
Die Gegnerin iſt todt. Du haſt von nun an
Nichts mehr zu fuͤrchten, brauchſt nichts mehr zu achten.


(Geht ab.)
Eliſabeth.

(zum Grafen Kent, der hereintritt.)

Graf Leſter komme her!

Kent.

Der Lord laͤßt ſich
Entſchuldigen, er iſt zu Schiff nach Frankreich.


(Sie bezwingt ſich und ſteht mit ruhiger Faſſung da.
Der Vorhang faͤllt.)

[[238]]

Appendix A

Weimar,
gedruckt bei den Gebruͤdern Gaͤdicke
.


Lizenz
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Schiller, Friedrich. Maria Stuart. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmwx.0