[][][][][][][[I]]
Verhandlungen
des
naturforschenden Vereines
in Brünn.

IV. Band
1865.

Brünn,: 1866.
Im Verlage des Vereines.
[[II]]

Druck von Břeža, Winiker \& Comp. in Brünn.


[[III]]

Inhalts-Verzeichniss.


  • Sitzungs-Berichte.
  • Sitzung am 11. Jänner.
  • Seite
  • Eingelaufene Gegenstände 3
  • Makowsky A. Ueber [Darwin’s] Theorie der organischen Schöpfung 10
  • Ausschussanträge 18
  • Neugewählte Mitglieder 18
  • Sitzung am 8. Februar.
    Eingelaufene Gegenstände 19
  • [Mendel] G. Ueber Pflanzenhybriden 20
  • Ausschussantrag 20
  • Neugewählte Mitglieder 21
  • Sitzung am 8. März.
    Eingelaufene Gegenstände 22
  • [Mendel] G. Ueber Pflanzenhybriden 25
  • Makowsky A. Lose Thon-Eisen-Granaten 26
  • „ „ Merkwürdige Sandstein-Concretionen 26
  • Ausschussanträge 26
  • Oxelik Dr. P. Antrag 26
  • Neugewählte Mitglieder 27
  • Sitzung am 12. April.
    Eingelaufene Gegenstände 28
  • Makowsky A. Ueber Meteoriten 30
  • Niessl G. v. Erythronium Dens canis zur Cultur empfohlen 31
  • Neugewählte Mitglieder 31
  • Sitzung am 10. Mai.
  • Seite
  • Eingelaufene Gegenstände 33
  • Kalmus Dr. J. Anzeige des Ablebens zweier Mitglieder 33
  • Schwippel Dr. C. Porträt des Herrn Vereinspräsidenten 34
  • Niessl G. v. Ueber die mathematische Gestalt der Erde und die Entwicklung
    unserer Kenntnisse von derselben 34
  • Ausschussanträge 37
  • Neugewählte Mitglieder 38
  • Sitzung am 14. Juni.Eingelaufene Gegenstände 39
  • Niessl G. v. Ueber die mathematische Gestalt der Erde etc. 42
  • [Mendel] G. Pflanzenbastarde 52
  • Neugewählte Mitglieder 52
  • Sitzung am 12. Juli.
    Eingelaufene Gegenstände 53
  • Czermak Fr. Ueber zwei neue Methoden der chemischen Analyse 54
  • Bericht des Redactions-Comités 54
  • Ausschussanträge 55
  • Vertagung der Sitzungen 55
  • Neugewählte Mitglieder 55
  • Sitzung am 11. October.
    Eingelaufene Gegenstände 57
  • Kalmus Dr. J. Niederlegung der Secretärsstelle 60
  • Wahl eines [Stellvertreters]60
  • Schwippel Dr. C. Forschungen auf mineralogischem und geognost. Gebiete . 61
    Makowsky A. Massenhaftes Auftreten der Raupen von Vanessa Cardui in
    Mähren 61
  • Niessl G. v. Todesanzeige Encke’s 63
  • Neugewählte Mitglieder 63
  • Sitzung am 8. November.
    Eingelaufene Gegenstände 64
  • Kellner M. Schenkung an den Verein 65
  • Theimer C. Neue Fundorte von Pflanzen 66
  • Greiner Ad. Muttermale 66
  • Makowsky A. Ueber erratische Blöcke 67
  • Ausschussantrag 74
  • Neugewählte Mitglieder 74
  • Sitzung am 13. December.
    Eingelaufene Gegenstände 75
  • Dank für an Schulen überlassene Naturalien 77
  • Seite
  • Umlauff C. Meteorologische Beobachtungen 77
  • Stoisner C. Algen aus der Umgebung von Chrostau 77
  • Rœmer C. Neue Funde für die Namiester Flora 79
  • Haslinger F. Bericht über eine Excursion auf die Polauerberge 79
  • Niessl G. v. Botanische Notizen 80
  • Wildner F. Ueber Pygæra Timon 85
  • Niessl G. v. Salix Caprea mit abnormen Reproductionsorganen 87
  • Ausschussantrag 88
  • Neugewählte Mitglieder 88
  • Jahres-Versammlung am 21. December.
    Eingelaufene Gegenstände 89
  • Niessl G. v. Rechenschaftsbericht 90
  • Czermak Fr. Bericht über den Stand der Bibliothek 96
  • Makowsky A. Bericht über den Stand der Naturalien-Sammlungen 98
  • Czermak Fr. Cassabericht 100
  • Ausschussanträge 102
  • Ergebniss der Wahlen 103
  • Wahl eines Ehrenmitgliedes 104
  • Abhandlungen.
    Mendel Gregor. Versuche über Pflanzen-Hybriden 3
  • Gartner Anton. Die Geometrinen und Mikrolepidopteren des Brünner Faunen-
    Gebietes 48
  • Koller Dr. Marian. Ueber Aenderungen, welche der Stundenwinkel eines
    Sternes in einem gegebenen Verticale durch die Fehler des Instrumen-
    tes erleidet 271
  • Oborny A. Ueber einige Gypsvorkommnisse Mährens und speciell das von
    Koberitz nächst Austerlitz. 278
  • Niessl G. v. Vorarbeiten zu einer Cryptogamenflora Mährens und Oesterr.
    Schlesiens. III. Höhere Sporenpflanzen 284
  • Mendel Gregor. Meteorologische Beobachtungen aus Mähren und Schlesien
    für das Jahr 1865 318

[[1]]

Abhandlungen.


1
[[2]][[3]]

Versuche über Pflanzen-Hybriden.
Von
Gregor Mendel.


(Vorgelegt in den Sitzungen vom 8. Februar und 8. März 1865.)


Einleitende Bemerkungen.


Künstliche Befruchtungen, welche an Zierpflanzen desshalb
vorgenommen wurden, um neue Farben-Varianten zu erzielen,
waren die Veranlassung zu den Versuchen, die her besprochen
werden sollen. Die auffallende Regelmässigkeit, mit welcher die-
selben Hybridformen immer wiederkehrten, so oft die Befruch-
tung zwischen gleichen Arten geschah, gab die Anregung zu
weiteren Experimenten, deren Aufgabe es war, die Entwicklung
der Hybriden in ihren Nachkommen zu verfolgen.


Dieser Aufgabe haben sorgfältige Beobachter, wie Köl-
reuter, Gärtner, Herbert, Lecocq, Wichura
u. a. einen
Theil ihres Lebens mit unermüdlicher Ausdauer geopfert. Na-
mentlich hat Gärtner in seinem Werke „die Bastarderzeugung
im Pflanzenreiche“ sehr schätzbare Beobachtungen niedergelegt,
und in neuester Zeit wurden von Wichura gründliche Unter-
suchungen über die Bastarde der Weiden veröffentlicht. Wenn
es noch nicht gelungen ist, ein allgemein giltiges Gesetz für die
Bildung und Entwicklung der Hybriden aufzustellen, so kann
das Niemanden Wunder nehmen, der den Umfang der Aufgabe
kennt und die Schwierigkeiten zu würdigen weiss, mit denen
Versuche dieser Art zu kämpfen haben. Eine endgiltige Ent-
scheidung kann erst dann erfolgen, bis Detail-Versuche aus
den verschiedensten Pflanzen-Familien vorliegen. Wer die Ar-
1*
[4] beiten auf diesem Gebiete überblickt, wird zu der Ueberzeugung
gelangen, dass unter den zahlreichen Versuchen keiner in dem
Umfange und in der Weise durchgeführt ist, dass es möglich
wäre, die Anzahl der verschiedenen Formen zu bestimmen, unter
welchen die Nachkommen der Hybriden auftreten, dass man
diese Formen mit Sicherheit in den einzelnen Generationen ord-
nen und die gegenseitigen numerischen Verhältnisse feststellen
könnte. Es gehört allerdings einiger Muth dazu, sich einer so
weit reichenden Arbeit zu unterziehen; indessen scheint es der
einzig richtige Weg zu sein, auf dem endlich die Lösung einer
Frage erreicht werden kann, welche für die Entwicklungs-Ge-
schichte der organischen Formen von nicht zu unterschätzender
Bedeutung ist.


Die vorliegende Abhandlung bespricht die Probe eines sol-
chen Detail-Versuches. Derselbe wurde sachgemäss auf eine klei-
nere Pflanzengruppe beschränkt und ist nun nach Verlauf von
acht Jahren im Wesentlichen abgeschlossen. Ob der Plan, nach
welchem die einzelnen Experimente geordnet und durchgeführt
wurden, der gestellten Aufgabe entspricht, darüber möge eine
wohlwollende Beurtheilung entscheiden.


[[5]]

Auswahl der Versuchspflanzen.


Der Werth und die Geltung eines jeden Experimentes wird durch
die Tauglichkeit der dazu benützten Hilfsmittel, sowie durch die zweck-
mässige Anwendung derselben bedingt. Auch in dem vorliegenden
Falle kann es nicht gleichgiltig sein, welche Pflanzenarten als Trä-
ger der Versuche gewählt und in welcher Weise diese durchgeführt
wurden.


Die Auswahl der Pflanzengruppe, welche für Versuche dieser Art
dienen soll, muss mit möglichster Vorsicht geschehen, wenn man nicht
in Vorhinein allen Erfolg in Frage stellen will.


Die Versuchspflanzen müssen nothwendig


1. Constant differirende Merkmale besitzen.


2. Die Hybriden derselben müssen während der Blüthezeit vor-
der Einwirkung jedes fremdartigen Pollens geschützt sein oder leicht
geschützt werden können.


3. Dürfen die Hybriden und ihre Nachkommen in den aufeinander
folgenden Generationen keine merkliche Störung in der Fruchtbarkeit
erleiden.


Fälschungen durch fremden Pollen, wenn solche im Verlaufe des
Versuches vorkämen und nicht erkannt würden, müssten zu ganz irrigen
Ansichten führen. Verminderte Fruchtbarkeit, oder gänzliche Sterilität
einzelner Formen, wie sie unter den Nachkommen vieler Hybriden auf-
treten, würden die Versuche sehr erschweren oder ganz vereiteln. Um
die Beziehungen zu erkennen, in welchen die Hybridformen zu einander
selbst und zu ihren Stammarten stehen, erscheint es als nothwendig,
dass die Glieder der Entwicklungsreihe in jeder einzelnen Generation
vollzählig der Beobachtung unterzogen werden.


Eine besondere Aufmerksamkeit wurde gleich Anfangs den Le-
guminosen
wegen ihres eigenthümlichen Blüthenbaues zugewendet.
Versuche, welche mit mehreren Gliedern dieser Familie angestellt wur-
den, führten zu dem Resultate, dass das Genus Pisum den gestellten
[6] Auforderungen hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige For-
men aus diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu
unterscheidende Merkmale, und geben bei gegenseitiger Kreuzung in
ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine
Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die Befruchtungs-
Organe vom Schiffchen enge umschlossen sind und die Antheren schon
in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem Aufblühen
mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist von besonderer Wich-
tigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte
Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen, sowie die ver-
hältnissmässig kurze Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Be-
fruchtung ist allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer.
Zu diesem Zwecke wird die noch nicht vollkommen entwickelte Knospe
geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst einer
Pinçette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe sogleich
mit den fremden Pollen belegt werden kann.


Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr
oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen
Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter einer grösseren Anzahl
gleicher Pflanzen einige bedeutend abweichende Formen bemerkt. Diese
variirten jedoch im nächsten Jahre nicht und stimmten mit einer anderen,
aus derselben Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne
Zweifel waren die Samen blos zufällig beigemengt. Alle anderen Sorten
gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den beiden Probe-
jahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung nicht zu bemerken.
Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich, wäh-
rend der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle
Ausnahme.


Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher.
Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in Anwendung
bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen gehören, die
unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen,
so könnten nicht zwei davon zu einer Art gezählt werden. Nach der
Meinung der Fachgelehrten indessen gehört die Mehrzahl der Species
Pisum sativum an, während die übrigen bald als Unterarten von P.
sativum, bald als selbstständige Arten angesehen und geschrieben wur-
den, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum. Uebrigens bleibt
[7] die Rangordnung, welche man denselben im Systeme gibt, für die in
Rede stehenden Versuche völlig gleichgiltig. So wenig man eine scharfe
Unterscheidungslinie zwischen Species und Varietäten zu ziehen vermag,
eben so wenig ist es bis jetzt gelungen, einen gründlichen Unterschied
zwischen den Hybriden der Species und Varietäten aufzustellen.


Eintheilung und Ordnung der Versuche.


Werden zwei Pflanzen, welche in einem oder mehreren Merkmalen
constant verschieden sind, durch Befruchtung verbunden, so gehen, wie
zahlreiche Versuche beweisen, die gemeinsamen Merkmale unverändert
auf die Hybriden und ihre Nachkommen über; je zwei differirende hin-
gegen vereinigen sich an der Hybride zu einem neuen Merkmale, wel-
ches gewöhnlich an den Nachkommen derselben Veränderungen unter-
worfen ist. Diese Veränderungen für je zwei differirende Merkmale zu
beobachten und das Gesetz zu ermitteln, nach welchem dieselben in den
aufeinander folgenden Generationen eintreten, war die Aufgabe des
Versuches. Derselbe zerfällt daher in eben so viele einzelne Experi-
mente, als constant differirende Merkmale an den Versuchspflanzen vor-
kommen.


Die verschiedenen, zur Befruchtung ausgewählten Erbsenformen
zeigten Unterschiede in der Länge und Färbung des Stengels, in der
Grösse und Gestalt der Blätter, in der Stellung, Farbe und Grösse der
Blüthen, in der Länge der Blüthenstiele, in der Farbe, Gestalt und
Grösse der Hülsen, in der Gestalt und Grösse der Samen, in der Fär-
bung der Samenschale und des Albumens. Ein Theil der angeführten
Merkmale lässt jedoch eine sichere und scharfe Trennung nicht zu,
indem der Unterschied auf einem oft schwierig zu bestimmenden „mehr
oder weniger“ beruht. Solche Merkmale waren für die Einzel-Versuche
nicht verwendbar, diese konnten sich nur auf Charactere beschränken,
die an den Pflanzen deutlich und entschieden hervortreten. Der Erfolg
musste endlich zeigen, ob sie in hybrider Vereinigung sämmtlich ein
übereinstimmendes Verhalten beobachten, und ob daraus auch ein Ur-
theil über jene Merkmale möglich wird, welche eine untergeordnete
typische Bedeutung haben.


Die Merkmale, welche in die Versuche aufgenommen wurden, be-
ziehen sich:


[8]

1. Auf den Unterschied in der Gestalt der reifen Sa-
men
. Diese sind entweder kugelrund oder rundlich, die Einsenkungen,
wenn welche an der Oberfläche vorkommen, immer nur seicht, oder sie
sind unregelmässig kantig, tief runzlig (P. quadratum).


2. Auf den Unterschied in der Färbung des Samen-
Albumens
(Endosperm’s). Das Albumen der reifen Samen ist entweder
blassgelb, hellgelb und orange gefärbt, oder es besitzt eine mehr oder
weniger intensiv grüne Farbe. Dieser Farbenunterschied ist an den Sa-
men deutlich zu erkennen, da ihre Schalen durchscheinend sind.


3. Auf den Unterschied in der Färbung der Samen-
schale
. Diese ist entweder weiss gefärbt, womit auch constant die
weisse Blüthenfarbe verbunden ist, oder sie ist grau, graubraun, leder-
braun mit oder ohne violetter Punctirung, dann erscheint die Farbe der
Fahne violett, die der Flügel purpurn, und der Stengel an den Blatt-
achseln röthlich gezeichnet. Die grauen Samenschalen werden im ko-
chenden Wasser schwarzbraun.


4. Auf den Unterschied in der Form der reifen Hülse.
Diese ist entweder einfach gewölbt, nie stellenweise verengt, oder sie
ist zwischen den Samen tief eingeschnürt und mehr oder weniger runz-
lig (P. saccharatum).


5. Auf den Unterschied in der Farbe der unreifen
Hülse
. Sie ist entweder licht- bis dunkelgrün oder lebhaft gelb ge-
färbt, an welcher Färbung auch Stengel, Blattrippen und Kelch theil-
nehmen*).


6. Auf den Unterschied in der Stellung der Blüthen.
Sie sind entweder axenständig, d. i. längs der Axe vertheilt, oder sie
sind endständig, am Ende der Axe gehäuft und fast in eine kurze
Trugdolde gestellt; dabei ist der obere Theil des Stengels im Quer-
schnitte mehr oder weniger erweitert (P. umbellatum).


7. Auf den Unterschied in der Axenlänge. Die Länge
der Axe ist bei einzelnen Formen sehr verschieden, jedoch für jede in-
sofern ein constantes Merkmal, als dieselbe bei gesunden Pflanzen, die
in gleichem Boden gezogen werden, nur unbedeutenden Aenderungen
unterliegt. Bei den Versuchen über dieses Merkmal wurde der sicheren
[9] Unterscheidung wegen stets die lange Axe von 6—7' mit der kur-
zen von ¾ bis 1½' verbunden.


In zwei von den angeführten differirenden Merkmalen wurden
durch Befruchtung vereinigt. Für den


Von einer grösseren Anzahl Pflanzen derselben Art wurden zur
Befruchtung nur die kräftigsten ausgewählt. Schwache Exemplare geben
immer unsichere [Resultate], weil schon in der ersten Generation der Hy-
briden und noch mehr in der folgenden manche Abkömmlinge entweder
gar nicht zur Blüthe gelangen, oder doch wenige und schlechte Samen
bilden.


Ferner wurde bei sämmtlichen Versuchen die wechselseitige Kreu-
zung durchgeführt, in der Weise nämlich, dass jene der beiden Arten,
welche bei einer Anzahl Befruchtungen als Samenpflanze diente, bei der
anderen als Pollenpflanze verwendet wurde.


Die Pflanzen wurden auf Gartenbeeten, ein kleiner Theil in Tö-
pfen gezogen, und mittelst Stäben, Baumzweigen und gespannten Schnü-
ren in der natürlichen aufrechten Stellung erhalten. Für jeden Versuch
wurde eine Anzahl Topfpflanzen während der Blüthezeit in ein Ge-
wächshaus gestellt, sie sollten für den Hauptversuch im Garten als Con-
trolle dienen bezüglich möglicher Störungen durch Insecten. Unter jenen,
welche die Erbsenpflanze besuchen, könnte die Käferspecies Bruchus
pisi dem Versuche gefährlich werden, falls sie in grösserer Menge er-
scheint. Das Weibchen dieser Art legt bekanntlich seine Eier in die
Blüthe und öffnet dabei das Schiffchen; an den Tarsen eines Exempla-
res, welches in einer Blüthe gefangen wurde, konnten unter der Loupe
deutlich einige Pollenzellen bemerkt werden. Es muss hier noch eines
Umstandes Erwähnung geschehen, der möglicher Weise die Einmengung
fremden Pollens veranlassen könnte. Es kommt nämlich in einzelnen
seltenen Fällen vor, dass gewisse Theile der übrigens ganz normal ent-
wickelten Blüthe verkümmern, wodurch eine theilweise Entblössung der
[10] Befruchtungs-Organe herbeigeführt wird. So wurde eine mangelhafte
Entwicklung des Schiffchens beobachtet, wobei Griffel und Antheren zum
Theile unbedeckt blieben. Auch geschieht es bisweilen, dass der Pollen
nicht zur vollen Ausbildung gelangt. In diesem Falle findet während
des Blühens eine allmälige Verlängerung des Griffels statt, bis die
Narbe an der Spitze des Schiffchens hervortritt. Diese merkwürdige
Erscheinung wurde auch an Hybriden von Phaseolus und Lathyrus
beobachtet.


Die Gefahr einer Fälschung durch fremden Pollen ist jedoch bei
Pisum eine sehr geringe und vermag keineswegs das Resultat im gros-
sen Ganzen zu stören. Unter mehr als 10,000 Pflanzen, welche genauer
untersucht wurden, kam der Fall nur einige wenige Male vor, dass eine
Einmengung nicht zu bezweifeln war. Da im Gewächshause niemals
eine solche Störung beobachtet wurde, liegt wohl die Vermuthung nahe,
dass Bruchus pisi und vielleicht auch die angeführten Abnormitäten im
Blüthenbau die Schuld daran tragen.


Die Gestalt der Hybriden.


Schon die Versuche, welche in früheren Jahren an Zierpflanzen
vorgenommen wurden, lieferten den Beweis, dass die Hybriden in der
Regel nicht die genaue Mittelform zwischen den Stammarten darstellen.
Bei einzelnen mehr in die Augen springenden Merkmalen, wie bei sol-
chen, die sich auf die Gestalt und Grösse der Blätter, auf die Behaa-
rung der einzelnen Theile u. s. w. beziehen, wird in der That die Mit-
telbildung fast immer ersichtlich; in anderen Fällen hingegen besitzt
das eine der beiden Stamm-Merkmale ein so grosses Uebergewicht, dass
es schwierig oder ganz unmöglich ist, das andere an der Hybride auf-
zufinden.


Eben so verhält es sich mit den Hybriden bei Pisum. Jedes von
den 7 Hybriden-Merkmalen gleicht dem einen der beiden Stamm-Merk-
male entweder so vollkommen, dass das andere der Beobachtung ent-
schwindet, oder ist demselben so ähnlich, dass eine sichere Unterschei-
dung nicht stattfinden kann. Dieser Umstand ist von grosser Wichtig-
keit für die Bestimmung und Einreihung der Formen, unter welchen die
Nachkommen der Hybriden erscheinen. In der weiteren Besprechung
[11] werden jene Merkmale, welche ganz oder fast unverändert in die Hy-
bride-Verbindung übergehen, somit selbst die Hybriden-Merkmale reprä-
sentiren, als dominirende, und jene, welche in der Verbindung la-
tent werden, als recessive bezeichnet. Der Ausdruck „recessiv“ wurde
desshalb gewählt, weil die damit benannten Merkmale an den Hybriden
zurücktreten oder ganz verschwinden, jedoch unter den Nachkommen
derselben, wie später gezeigt wird, wieder unverändert zum Vorscheine
kommen.


Es wurde ferner durch sämmtliche Versuche erwiesen, dass es
völlig gleichgiltig ist, ob das dominirende Merkmal der Samen- oder
Pollenpflanze angehört; die Hybridform bleibt in beiden Fällen genau
dieselbe. Diese interessante Erscheinung wird auch von Gärtner her-
vorgehoben, mit dem Bemerken, dass selbst der geübteste Kenner nicht
im Stande ist, an einer Hybride zu unterscheiden, welche von den bei-
den verbundenen Arten die Samen- oder Pollenpflanze war.


Von den differirenden Merkmalen, welche in die Versuche einge-
führt wurden, sind nachfolgende dominirend:


  • 1. Die runde oder rundliche Samenform mit oder ohne seichte
    Einsenkungen.
  • 2. Die gelbe Färbung des Samen-Albumens.
  • 3. Die graue, graubraune oder lederbraune Farbe der Samen-
    schale, in Verbindung mit violett-rother Blüthe und röthlicher Mackel
    in den Blattachseln.
  • 4. Die einfach gewölbte Form der Hülse.
  • 5. Die grüne Färbung der unreifen Hülse, in Verbindung mit der
    gleichen Farbe des Stengels, der Blattrippen und des Kelches.
  • 6. Die Vertheilung der Blüthen längs des Stengels.
  • 7. Das Längenmass der grösseren Axe.

Was das letzte Merkmal anbelangt, muss bemerkt werden, dass
die längere der beiden Stamm-Axen von der Hybride gewöhnlich noch
übertroffen wird, was vielleicht nur der grossen Ueppigkeit zuzuschrei-
ben ist, welche in allen Pflanzentheilen auftritt, wenn Axen von sehr
verschiedener Länge verbunden sind. So z. B. gaben bei wiederholtem
Versuche Axen von 1' und 6' Länge in hybrider Vereinigung ohne
Ausnahme Axen, deren Länge zwischen 6 und 7½' schwankte. Die
Hybriden der Samenschale
sind öfter mehr punctirt, auch fliessen
die Puncte bisweilen in kleinere bläulich-violette Flecke zusammen. Die
[12] Punctirung erscheint häufig auch dann, wenn sie selbst dem Stamm-
Merkmale fehlt.


Die Hybridformen der Samen-Gestalt und des Albumens
entwickeln sich unmittelbar nach der künstlichen Befruchtung durch
die blosse Einwirkung des fremden Pollens. Sie können daher schon
im ersten Versuchsjahre beobachtet werden, während alle übrigen selbst-
verständlich erst im folgenden Jahre an jenen Pflanzen hervortreten,
welche aus den befruchteten Samen gezogen werden.


Die erste Generation der Hybriden.


In dieser Generation treten nebst den dominirenden Merk-
malen auch die recessiven in ihrer vollen Eigenthümlichkeit wieder
auf, und zwar in dem entschieden ausgesprochenen Durchschnitts-Ver-
hältnisse 3:1, so dass unter je 4 Pflanzen aus dieser Generation 3 den
dominirenden und eine den recessiven Character erhalten. Es gilt das
ohne Ausnahme für alle Merkmale, welche in die Versuche aufgenom-
men waren. Die kantig runzlige Gestalt der Samen, die grüne Färbung
des Albumens, die weisse Farbe der Samenschale und der Blüthe, die
Einschnürungen an den Hülsen, die gelbe Farbe der unreifen Hülse, des
Stengels, Kelches und der Blattrippen, der trugdoldenförmige Blüthen-
stand und die zwergartige Axe kommen in dem angeführten numeri-
schen Verhältnisse wieder zum Vorscheine ohne irgend einer wesentli-
chen Abänderung. Uebergangsformen wurden bei keinem Ver-
suche beobachtet
.


Da die Hybriden, welche aus wechselseitiger Kreuzung hervor-
gingen, eine völlige Gestalt besassen und auch in ihrer Weiterentwick-
lung keine bemerkenswerthe Abweichung ersichtlich wurde, konnten die
beiderseitigen Resultate für jeden Versuch unter eine Rechnung gebracht
werden. Die Verhältnisszahlen, welche für je zwei differirende Merk-
male gewonnen wurden, sind folgende:


1. Versuch. Gestalt der Samen. Von 253 Hybriden wurden im
zweiten Versuchsjahre 7324 Samen erhalten. Darunter waren rund oder
rundlich 5474, und kantig runzlig 1850 Samen. Daraus ergibt sich das
Verhältniss 2,96:1.


2. Versuch. Färbung des Albumens. 258 Pflanzen gaben 8023
Samen, 6022 gelbe und 2001 grüne; daher stehen jene zu diesen im
Verhältnisse 3,01:1.


[13]

Bei diesen beiden Versuchen erhält man gewöhnlich aus jeder
Hülse beiderlei Samen. Bei gut ausgebildeten Hülsen, welche durch-
schnittlich 6 bis 9 Samen enthielten, kam es öfters vor, dass sämmt-
liche Samen rund (Versuch 1) oder sämmtliche gelb (Versuch 2) wa-
ren; hingegen wurden mehr als 5 kantige oder 5 grüne in einer Hülse
niemals beobachtet. Es scheint keinen Unterschied zu machen, ob die
Hülse sich früher oder später an der Hybride entwickelt, ob sie der
Hauptaxe oder einer Nebenaxe angehört. An einigen wenigen Pflanzen
kamen in den zuerst gebildeten Hülsen nur einzelne Samen zur Ent-
wicklung, und diese besassen dann ausschliesslich das eine der beiden
Merkmale; in den später gebildeten Hülsen blieb jedoch das Verhält-
niss normal. So wie in einzelnen Hülsen, ebenso variirt die Verthei-
lung der Merkmale auch bei einzelnen Pflanzen. Zur Veranschaulichung
mögen die ersten 10 Glieder aus beiden Versuchsreihen dienen:


Als Extreme in der Vertheilung der beiden Samen-Merkmale an
einer Pflanze wurden beobachtet bei dem 1. Versuche 43 runde und
nur 2 kantige, ferner 14 runde und 15 kantige Samen. Bei dem 2.
Versuche 32 gelbe und nur 1 grüner Same, aber auch 20 gelbe und
19 grüne.


Diese beiden Versuche sind wichtig für die Feststellung der mitt-
leren Verhältnisszahlen, weil sie bei einer geringeren Anzahl von Ver-
suchspflanzen sehr bedeutende Durchschnitte möglich machen. Bei der
Abzählung der Samen wird jedoch, namentlich beim 2. Versuche, einige
[14] Aufmerksamkeit erfordert, da bei einzelnen Samen mancher Pflanzen
die grüne Färbung des Albumens weniger entwickelt wird und anfäng-
lich leicht übersehen werden kann. Die Ursache des theilweisen Ver-
schwindens der grünen Färbung steht mit dem Hybriden-Character der
Pflanzen in keinem Zusammenhange, indem dasselbe an der Stamm-
pflanze ebenfalls vorkommt; auch beschränkt sich diese Eigenthümlich-
keit nur auf das Individuum und vererbt sich nicht auf die Nachkom-
men. An luxurirenden Pflanzen wurde diese Erscheinung öfter beobach-
tet. Samen, welche während ihrer Entwicklung von Insecten beschädigt
wurden, variiren oft in Farbe und Gestalt, jedoch sind bei einiger
Uebung im Sortiren Fehler leicht zu vermeiden. Es ist fast überflüssig
zu erwähnen, dass die Hülsen so lange an der Pflanze bleiben müssen,
bis sie vollkommen ausgereift und trocken geworden sind, weil erst
dann die Gestalt und Färbung der Samen vollständig entwickelt ist.


3. Versuch. Farbe der Samenschale. Unter 929 Pflanzen brach-
ten 705 violett-rothe Blüthen und graubraune Samenschalen; 224 hat-
ten weisse Blüthen und weisse Samenschalen. Daraus ergibt sich das
Verhältniss 3,15:1.


4. Versuch. Gestalt der Hülsen. Von 1181 Pflanzen hatten 882
einfach gewölbte, 299 eingeschnürte Hülsen. Daher das Verhältniss
2,95:1.


5. Versuch. Färbung der unreifen Hülse. Die Zahl der Ver-
suchspflanzen betrug 580, wovon 428 grüne und 152 gelbe Hülsen
besassen. Daher stehen jene zu diesen in dem Verhältnisse 2,82:1.


6. Versuch. Stellung der Blüthen. Unter 858 Fällen waren die
Blüthen 651mal axenständig und 207mal endständig. Daraus das Ver-
hältniss 3,14:1.


7. Versuch. Länge der Axe. Von 1064 Pflanzen hatten 787
die lange, 277 die kurze Axe. Daher das gegenseitige Verhältniss 2,84:1.
Bei diesem Versuche wurden die zwergartigen Pflanzen behutsam aus-
gehoben und auf eigene Beete versetzt. Diese Vorsicht war nothwen-
dig, weil sie sonst mitten unter ihren hochrankenden Geschwistern hät-
ten verkümmern müssen. Sie sind schon in der ersten Jugendzeit an
dem gedrungenen Wuchse und den dunkelgrünen dicken Blättern leicht
zu unterscheiden.


Werden die Resultate sämmtlicher Versuche zusammengefasst, so
[15] ergibt sich zwischen der Anzahl der Formen mit dem dominirenden
und recessiven Merkmale das Durchschnitts-Verhältniss 2,98:1 oder
3:1.


Das dominirende Merkmal kann hier eine doppelte Bedeutung
haben, nämlich die des Stamm-Characters oder des Hybriden-Merkmales.
In welcher von beiden Bedeutungen dasselbe in jedem einzelnen Falle
vorkommt, darüber kann nur die nächste Generation entscheiden. Als
Stamm-Merkmal muss dasselbe unverändert auf sämmtliche Nachkom-
men übergehen, als Hybrides-Merkmal hingegen ein gleiches Verhalten
wie in der ersten Generation beobachten.


Die zweite Generation der Hybriden.


Jene Formen, welche in der ersten Generation den recessiven
Character erhalten, variiren in der zweiten Generation in Bezug
auf diesen Character nicht mehr, sie bleiben in ihren Nachkommen
constant.


Anders verhält es sich mit jenen, welche in der ersten Genera-
tion das dominirende Merkmal besitzen. Von diesen geben zwei
Theile Nachkommen, welche in dem Verhältnisse 3:1 das dominirende
und recessive Merkmal an sich tragen, somit genau dasselbe Verhalten
zeigen, wie die Hybridformen; nur ein Theil bleibt mit dem domini-
renden Merkmale constant.


Die einzelnen Versuche lieferten nachfolgende Resultate:


1. Versuch. Unter 565 Pflanzen, welche aus runden Samen der
ersten Generation gezogen wurden, brachten 193 wieder nur runde
Samen und blieben demnach in diesem Merkmale constant; 372 aber
gaben runde und kantige Samen zugleich, in dem Verhältnisse 3:1.
Die Anzahl der Hybriden verhielt sich daher zu der Zahl der Constan-
ten wie 1,93:1.


2. Versuch. Von 519 Pflanzen, welche aus Samen gezogen
wurden, deren Albumen in der ersten Generation die gelbe Färbung
hatte, gaben 166 ausschliesslich gelbe, 353 aber gelbe und grüne Sa-
men in dem Verhältnisse 3:1. Es erfolgte daher eine Theilung in hy-
bride und constante Formen nach dem Verhältnisse 2,13:1.


[16]

Für jeden einzelnen von den nachfolgenden Versuchen wurden
100 Pflanzen ausgewählt, welche in der ersten Generation das domi-
nirende Merkmal besassen, und um die Bedeutung desselben zu prüfen,
von jeder 10 Samen angebaut.


3. Versuch. Die Nachkommen von 36 Pflanzen brachten aus-
schliesslich graubraune Samenschalen; von 64 Pflanzen wurden theils
graubraune, theils weisse erhalten.


4. Versuch. Die Nachkommen von 29 Pflanzen hatten nur ein-
fach gewölbte Hülsen, von 71 hingegen theils gewölbte, theils ein-
geschnürte.


5. Versuch. Die Nachkommen von 40 Pflanzen hatten blos
grüne Hülsen, die von 60 Pflanzen theils grüne, theils gelbe.


6. Versuch. Die Nachkommen von 33 Pflanzen hatten blos
axenständige Blüthen, bei 67 hingegen waren sie theils axenständig,
theils endständig.


7. Versuch. Die Nachkommen von 28 Pflanzen erhielten die
lange Axe, die von 72 Pflanzen theils die lange, theils die kurze.


Bei jedem dieser Versuche wird eine bestimmte Anzahl Pflanzen mit
dem dominirenden Merkmale constant. Für die Beurtheilung des Verhält-
nisses, in welchem die Ausscheidung der Formen mit dem constant blei-
benden Merkmale erfolgt, sind die beiden ersten Versuche von beson-
derem Gewichte, weil bei diesen eine grössere Anzahl Pflanzen vergli-
chen werden konnte. Die Verhältnisse 1,93:1 und 2,13:1 geben zusammen
fast genau das Durchschnitts-Verhältniss 2:1. Der 6. Versuch hat ein ganz
übereinstimmendes Resultat, bei den anderen schwankt das Verhältniss
mehr oder weniger, wie es bei der geringen Anzahl von 100 Versuchs-
pflanzen nicht anders zu erwarten war. Der 5. Versuch, welcher die
grösste Abweichung zeigte, wurde wiederholt, und dann, statt des Ver-
hältnisses 60:40, das Verhältniss 65:35 erhalten. Das Durchschnitts-
Verhältniss 2:1 erscheint demnach als gesichert
. Es ist da-
mit erwiesen, dass von jenen Formen, welche in der ersten Generation
das dominirende Merkmal besitzen, zwei Theile den hybriden Charac-
ter an sich tragen, ein Theil aber mit dem dominirenden Merkmale
constant bleibt.


Das Verhältniss 3:1, nach welchem die Vertheilung des domini-
renden und recessiven Characters in der ersten Generation erfolgt, löst
sich demnach für alle Versuche in die Verhältnisse 2:1:1 auf, wenn
[17] man zugleich das dominirende Merkmal in seiner Bedeutung als hybri-
des Merkmal und als Stamm-Character unterscheidet. Da die Glieder
der ersten Generation unmittelbar aus den Samen der Hybriden her-
vorgehen, wird es nun ersichtlich, dass die Hybriden je
zweier differirender Merkmale Samen bilden, von denen
die eine Hälfte wieder die Hybridform entwickelt, wäh-
rend die andere Pflanzen gibt, welche constant bleiben,
und zu gleichen Theilen den dominirenden und recessiven
Character erhalten
.


Die weiteren Generationen der Hybriden.


Die Verhältnisse, nach welchen sich die Abkömmlinge der Hybri-
den in der ersten und zweiten Generation entwickeln und theilen, gel-
ten wahrscheinlich für alle weiteren Geschlechter. Der 1. und 2. Ver-
such sind nun schon durch 6 Generationen, der 3. und 7. durch 5, der
4., 5., 6. durch 4 Generationen durchgeführt, obwohl von der 3. Ge-
neration angefangen mit einer kleinen Anzahl Pflanzen, ohne dass irgend
welche Abweichung bemerkbar wäre. Die Nachkommen der Hybriden
theilten sich in jeder Generation nach den Verhältnissen 2:1:1 in Hy-
bride und constante Formen.


Bezeichnet A das eine der beiden constanten Merkmale, z. B.
das dominirende, a das recessive, und Aa die Hybridform, in welcher
beide vereinigt sind, so ergibt der Ausdruck:
A + 2 Aa + a
die Entwicklungsreihe für die Nachkommen der Hybriden je zweier dif-
ferirender Merkmale.


Die von Gärtner, Kölreuter und Anderen gemachte Wahrneh-
mung, dass Hybriden die Neigung besitzen zu den Stammarten zurück-
zukehren, ist auch durch die besprochenen Versuche bestätigt. Es lässt
sich zeigen, dass die Zahl der Hybriden, welche aus einer Befruchtung
stammen, gegen die Anzahl der constant gewordenen Formen und ihrer
Nachkommen von Generation zu Generation um ein Bedeutendes zu-
rückbleibt, ohne dass sie jedoch ganz verschwinden könnten. Nimmt
man durchschnittlich für alle Pflanzen in allen Generationen eine gleich
grosse Fruchtbarkeit an, erwägt man ferner, dass jede Hybride Samen
2
[18] bildet, aus denen zur Hälfte wieder Hybriden hervorgehen, während die
andere Hälfte mit beiden Merkmalen zu gleichen Theilen constant wird,
so ergeben sich die Zahlenverhältnisse für die Nachkommen in jeder
Generation aus folgender Zusammenstellung, wobei A und a wieder die
beiden Stamm-Merkmale und Aa die Hybridform bezeichnet. Der Kürze
wegen möge die Annahme gelten, dass jede Pflanze in jeder Generation
nur 4 Samen bildet.


In der 10. Generation z. B. ist 2n—1 = 1023. Es gibt somit
unter je 2048 Pflanzen, welche aus dieser Generation hervorgehen,
1023 mit dem constanten dominirenden, 1023 mit dem recessiven Merk-
male und nur 2 Hybriden.


Die Nachkommen der Hybriden, in welchen mehrere
differirende Merkmale verbunden sind.


Für die eben besprochenen Versuche wurden Pflanzen verwendet,
welche nur in einem wesentlichen Merkmale verschieden waren. Die
nächste Aufgabe bestand darin, zu untersuchen, ob das gefundene Ent-
wicklungs-Gesetz auch dann für je zwei differirende Merkmale gelte,
wenn mehrere verschiedene Charactere durch Befruchtung in der Hy-
bride vereinigt sind.


Was die Gestalt der Hybriden in diesem Falle anbelangt, zeig-
ten die Versuche übereinstimmend, dass dieselbe stets jener der beiden
Stammpflanzen näher steht, welche die grössere Anzahl von dominiren-
den Merkmalen besitzt. Hat z. B. die Samenpflanze eine kurze Axe,
endständige weisse Blüthen und einfach gewölbte Hülsen; die Pollen-
pflanze hingegen eine lange Axe, axenständige violett-rothe Blüthen
und eingeschnürte Hülsen, so erinnert die Hybride nur durch die Hül-
senform an die Samenpflanze, in den übrigen Merkmalen stimmt sie mit
[19] der Pollenpflanze überein. Besitzt eine der beiden Stammarten nur do-
minirende Merkmale, dann ist die Hybride von derselben kaum oder
gar nicht zu unterscheiden.


Mit einer grösseren Anzahl Pflanzen wurden zwei Versuche durch-
geführt. Bei dem ersten Versuche waren die Stammpflanzen in der Ge-
stalt der Samen und in der Färbung des Albumens verschieden; bei
dem zweiten in der Gestalt der Samen, in der Färbung des Albumens
und in der Farbe der Samenschale. Versuche mit Samen-Merkmalen
führen am einfachsten und sichersten zum Ziele.


Um eine leichtere Uebersicht zu gewinnen, werden bei diesen
Versuchen die differirenden Merkmale der Samenpflanze mit A, B, C,
jene der Pollenpflanze mit a, b, c und die Hybridformen dieser Merk-
male mit Aa, Bb, Cc bezeichnet.


Erster Versuch: AB Samenpflanze, ab Pollenpflanze,
A Gestalt rund, a Gestalt kantig,
B Albumen gelb, b Albumen grün.


Die befruchteten Samen erschienen rund und gelb, jenen der Sa-
menpflanze ähnlich. Die daraus gezogenen Pflanzen gaben Samen von
viererlei Art, welche oft gemeinschaftlich in einer Hülse lagen. Im Gan-
zen wurden von 15 Pflanzen 556 Samen erhalten, von diesen waren:
315 rund und gelb,
101 kantig und gelb,
108 rund und grün,
32 kantig und grün.


Alle wurden im nächsten Jahre angebaut. Von den runden gelben
Samen gingen 11 nicht auf und 3 Pflanzen kamen nicht zur Frucht-
bildung. Unter den übrigen Pflanzen hatten:
38 runde gelbe Samen .............. AB
65 runde gelbe und grüne Samen .......... ABb
60 runde gelbe und kantige gelbe Samen ....... AaB
138 runde gelbe und grüne, kantige gelbe und grüne Samen AaBb


Von den kantigen gelben Samen kamen 96 Pflanzen zur Frucht-
bildung, wovon 28 nur kantige gelbe Samen hatten . .. aB
68 kantige, gelbe und grüne Samen ..... aBb


Von 108 runden grünen Samen brachten 102 Pflanzen Früchte,
davon hatten: 35 nur runde grüne Samen ......... Ab
67 runde und kantige grüne Samen ..... Aab


2*
[20]

Die kantigen grünen Samen gaben 30 Pflanzen mit durchaus
gleichen Samen; sie blieben constant ............ ab


Die Nachkommen der Hybriden erscheinen demnach unter 9 ver-
schiedenen Formen und zum Theile in sehr ungleicher Anzahl. Man
erhält, wenn dieselben zusammengestellt und geordnet werden:


Sämmtliche Formen lassen sich in 3 wesentlich verschiedene Ab-
theilungen bringen. Die erste umfasst jene mit der Bezeichnung AB,
Ab, aB, ab
; sie besitzen nur constante Merkmale und ändern sich in
den nächsten Generationen nicht mehr. Jede dieser Formen ist durch-
schnittlich 33mal vertreten. Die zweite Gruppe enthält die Formen ABb,
aBb, AaB, Aab
; diese sind in einem Merkmale constant, in dem ande-
ren hybrid, und variiren in der nächsten Generation nur hinsichtlich
des hybriden Merkmales. Jede davon erscheint im Durchschnitte 65mal.
Die Form AaBb kommt 138mal vor, ist in beiden Merkmalen hybrid,
und verhält sich genau so, wie die Hybride, von der sie abstammt.


Vergleicht man die Anzahl, in welcher die Formen dieser Ab-
theilungen vorkommen, so sind die Durchschnitts-Verhältnisse 1:2:4
nicht zu verkennen. Die Zahlen 33, 65, 138 geben ganz günstige An-
näherungswerthe an die Verhältnisszahlen 33, 66, 132.


Die Entwicklungsreihe besteht demnach aus 9 Gliedern. 4 davon
kommen in derselben je einmal vor und sind in beiden Merkmalen con-
stant; die Formen AB, ab gleichen den Stammarten, die beiden ande-
ren stellen die ausserdem noch möglichen constanten Combinationen
zwischen den verbundenen Merkmalen A, a, B, b vor. Vier Glieder
kommen je zweimal vor und sind in einem Merkmale constant, in dem
anderen hybrid. Ein Glied tritt viermal auf und ist in beiden Merk-
malen hybrid. Daher entwickeln sich die Nachkommen der Hybriden,
wenn in denselben zweierlei differirende Merkmale verbunden sind, nach
dem Ausdrucke:
[21]AB + Ab + aB + ab + 2 ABb + 2 aBb + 2 AaB + 2 Aab + 4 AaBb.


Diese Entwicklungsreihe ist unbestritten eine Combinationsreihe,
in welcher die beiden Entwicklungsreihen für die Merkmale A und a,
B
und b gliedweise verbunden sind. Man erhält die Glieder der Reihe
vollzählig durch die Combinirung der Ausdrücke:
A + 2 Aa + a
B + 2 Bb + b


Dieser Versuch wurde in ganz ähnlicher Weise wie der vorange-
hende durchgeführt. Er nahm unter allen Versuchen die meiste Zeit
und Mühe in Anspruch. Von 24 Hybriden wurden im Ganzen 687 Sa-
men erhalten, welche sämmtlich punctirt, graubraun oder graugrün ge-
färbt, rund oder kantig waren. Davon kamen im folgenden Jahre 639
Pflanzen zur Fruchtbildung, und wie die weiteren Untersuchungen zeig-
ten, befanden sich darunter:


Die Entwicklungsreihe umfasst 27 Glieder. Davon sind 8 in allen
Merkmalen constant, und jede kommt durchschnittlich 10mal vor; 12
sind in zwei Merkmalen constant, in dem dritten hybrid, jede erscheint
im Durchschnitte 19mal; 6 sind in einem Merkmale constant, in den
beiden anderen hybrid, jede davon tritt durchschnittlich 43mal auf;
[22] eine Form kommt 78mal vor und ist in sämmtlichen Merkmalen hybrid.
Die Verhältnisse 10:19:43:78 kommen den Verhältnissen 10:20:
40:80 oder 1:2:4:8 so nahe, dass letztere ohne Zweifel die rich-
tigen Werthe darstellen.


Die Entwicklung der Hybriden, wenn ihre Stammarten in 3 Merk-
malen verschieden sind, erfolgt daher nach dem Ausdrucke:
ABC + ABc + AbC + Abc + aBC + aBc + abC + abc + 2 ABCc +
2 AbCc + 2 aBCc + 2 abCc + 2 ABbC + 2 ABbc + 2 aBbC + 2 aBbc +
2 AaBC + 2 AaBc + 2 AabC + 2 Aabc + 4 ABbCc + 4 aBbCc +
4 AaBCc + 4 AabCc + 4 AaBbC + 4 AaBbc + 8 AaBbCc
.


Auch hier liegt eine Combinationsreihe vor, in welcher die Ent-
wicklungsreihe für die Merkmale A und a, B und b, C und c mit ein-
ander verbunden sind. Die Ausdrücke:
A + 2 Aa + a
B + 2 Bb + b
C + 2 Cc + c

geben sämmtliche Glieder der Reihe. Die constanten Verbindungen,
welche in derselben vorkommen, entsprechen allen Combinationen, wel-
che zwischen den Merkmalen A, B, C, a, b, c möglich sind; zwei davon,
ABC und abc gleichen den beiden Stammpflanzen.


Ausserdem wurden noch mehrere Experimente mit einer geringeren
Anzahl Versuchspflanzen durchgeführt, bei welchen die übrigen Merk-
male zu zwei und drei hybrid verbunden waren; alle lieferten annähernd
gleiche Resultate. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass für sämmt-
liche in die Versuche aufgenommenen Merkmale der Satz Giltigkeit
habe: die Nachkommen der Hybriden, in welchen mehrere
wesentlich verschiedene Merkmale vereinigt sind, stel-
len die Glieder einer Combinationsreihe vor, in welchen
die Entwicklungsreihen für je zwei differirende Merkmale
verbunden sind
. Damit ist zugleich erwiesen, dass das Verhalten
je zweier differirender Merkmale in hybrider Verbindung
unabhängig ist von den anderweitigen Unterschieden an
den beiden Stammpflanzen
.


Bezeichnet n die Anzahl der characteristischen Unterschiede an
den beiden Stammpflanzen, so gibt 3n die Gliederzahl der Combinations-
reihe, 4n die Anzahl der Individuen, welche in die Reihe gehören, und
[23] 2n die Zahl der Verbindungen, welche constant bleiben. So enthält z. B.
die Reihe, wenn die Stammarten in 4 Merkmalen verschieden sind,
34 = 81 Glieder, 44 = 256 Individuen und 24 = 16 constante Formen;
oder was dasselbe ist, unter je 256 Nachkommen der Hybriden gibt es
81 verschiedene Verbindungen, von denen 16 constant sind.


Alle constanten Verbindungen, welche bei Pisum durch Combini-
rung der angeführten 7 characteristischen Merkmale möglich sind, wur-
den durch wiederholte Kreuzung auch wirklich erhalten. Ihre Zahl ist
durch 27 = 128 gegeben. Damit ist zugleich der factische Beweis ge-
liefert, dass constante Merkmale, welche an verschiedenen
Formen einer Pflanzensippe vorkommen, auf dem Wege
der wiederholten künstlichen Befruchtung in alle Verbin-
dungen treten können, welche nach den Regeln der Com-
bination möglich sind
.


Ueber die Blüthezeit der Hybriden sind die Versuche noch nicht
abgeschlossen. So viel kann indessen schon angegeben werden, dass
dieselbe fast genau in der Mitte zwischen jener der Samen- und Pol-
lenpflanze steht, und die Entwicklung der Hybriden bezüglich dieses
Merkmales wahrscheinlich in der nämlichen Weise erfolgt, wie es für
die übrigen Merkmale der Fall ist. Die Formen, welche für Versuche
dieser Art gewählt werden, müssen in der mittleren Blüthezeit wenig-
stens um 20 Tage verschieden sein; ferner ist nothwendig, dass die
Samen beim Anbaue alle gleich tief in die Erde versenkt werden, um
ein gleichzeitiges Keimen zu erzielen, dass ferner während der ganzen
Blüthezeit grössere Schwankungen in der Temperatur und die dadurch
bewirkte theilweise Beschleunigung oder Verzögerung des Aufblühens
in Rechnung gezogen werden. Man sieht, dass dieser Versuch mancher-
lei Schwierigkeiten zu überwinden hat und grosse Aufmerksamkeit er-
fordert.


Versuchen wir die gewonnenen Resultate kurz zusammenzufassen,
so finden wir, dass jene differirenden Merkmale, welche an den Ver-
suchspflanzen eine leichte und sichere Unterscheidung zulassen, in hy-
brider Vereinigung ein völlig übereinstimmendes Verhalten
beobachten
. Die Nachkommen der Hybriden je zweier differirender
Merkmale sind zur Hälfte wieder Hybriden, während die andere Hälfte
zu gleichen Theilen mit dem Character der Samen- und Pollenpflanze
constant wird. Sind mehrere differirende Merkmale durch Befruchtung
[24] in einer Hybride vereinigt, so bilden die Nachkommen derselben die
Glieder einer Combinationsreihe, in welcher die Entwicklungsreihen für
je zwei differirende Merkmale vereinigt sind.


Die vollkommene Uebereinstimmung, welche sämmtliche, dem Ver-
suche unterzogenen Charactere zeigen, erlaubt wohl und rechtfertigt die
Annahme, dass auch ein gleiches Verhalten den übrigen Merkmalen zu-
komme, welche weniger scharf an den Pflanzen hervortreten, und dess-
halb in die Einzel-Versuche nicht aufgenommen werden konnten. Ein
Experiment über Blüthenstiele von verschiedener Länge gab im Gan-
zen ein ziemlich befriedigendes Resultat, obgleich die Unterscheidung
und Einreihung der Formen nicht mit jener Sicherheit erfolgen konnte,
welche für correcte Versuche unerlässlich ist.


Die Befruchtungs-Zellen der Hybriden.


Die Resultate, zu welchen die vorausgeschickten Versuche führ-
ten, veranlassten weitere Experimente, deren Erfolg geeignet erscheint,
Aufschlüsse über die Beschaffenheit der Keim- und Pollenzellen der
Hybriden zu geben. Einen wichtigen Anhaltspunct bietet bei Pisum der
Umstand, dass unter den Nachkommen der Hybriden constante Formen
auftreten, und zwar in allen Combinirungen der verbundenen Merkmale.
Soweit die Erfahrung reicht, finden wir es überall bestätigt, dass con-
stante Nachkommen nur dann gebildet werden können, wenn die Keim-
zellen und der befruchtende Pollen gleichartig, somit beide mit der An-
lage ausgerüstet sind, völlig gleiche Individuen zu beleben, wie das bei
der normalen Befruchtung der reinen Arten der Fall ist. Wir müssen
es daher als nothwendig erachten, dass auch bei Erzeugung der con-
stanten Formen an der Hybridpflanze vollkommen gleiche Factoren zu-
sammenwirken. Da die verschiedenen constanten Formen an einer
Pflanze, ja in einer Blüthe derselben erzeugt werden, erscheint die
Annahme folgerichtig, dass in den Fruchtknoten der Hybriden so vie-
lerlei Keimzellen (Keimbläschen) und in den Antheren so vielerlei Pol-
lenzellen gebildet werden, als constante Combinationsformen möglich
sind, und dass diese Keim- und Pollenzellen ihrer inneren Beschaffen-
heit nach den einzelnen Formen entsprechen.


In der That lässt sich auf theoretischem Wege zeigen, dass diese
Annahme vollständig ausreichen würde, um die Entwicklung der Hybri-
[25] den in den einzelnen Generationen zu erklären, wenn man zugleich
voraussetzen dürfte, dass die verschiedenen Arten von Keim- und Pol-
lenzellen an der Hybride durchschnittlich in gleicher Anzahl gebildet
werden.


Um diese Voraussetzungen auf experimentellem Wege einer Prü-
fung zu unterziehen, wurden folgende Versuche ausgewählt: Zwei For-
men, welche in der Gestalt der Samen und in der Färbung des Albu-
mens constant verschieden waren, wurden durch Befruchtung verbunden.


Werden die differirenden Merkmale wieder mit A, B, a, b bezeich-
net, so war:

Die künstlich befruchteten Samen wurden sammt mehreren Samen
der beiden Stammpflanzen angebaut, und davon die kräftigsten Exem-
plare für die wechselseitige Kreuzung bestimmt. Befruchtet wurde:
1. Die Hybride mit dem Pollen von AB.
2. Die Hybride „ „ „ „ ab.
3. AB „ „ „ der Hybride.
4. ab „ „ „ der Hybride.


Für jeden von diesen 4 Versuchen wurden an 3 Pflanzen sämmt-
liche Blüthen befruchtet. War die obige Annahme richtig, so mussten
sich an den Hybriden Keim- und Pollenzellen von den Formen AB,
Ab, aB, ab
entwickeln, und es wurden verbunden:
1. Die Keimzellen AB, Ab, aB, ab mit den Pollenzellen AB.
2. „ AB, Ab, aB, abab.
3. „ ABAB, Ab, aB, ab.
4. „ abAB, Ab, aB, ab.


Aus jedem von diesen Versuchen konnten dann nur folgende For-
men hervorgehen:
1. AB, ABb, AaB, AaBb.
2. AaBb, Aab, aBb, ab.
3. AB, ABb, AaB, AaBb.
4. AaBb, Aab, aBb, ab.


[26]

Wurden ferner die einzelnen Formen der Keim- und Pollenzellen
von der Hybride durchschnittlich in gleicher Anzahl gebildet, so muss-
ten bei jedem Versuche die angeführten 4 Verbindungen in numerischer
Beziehung gleich stehen. Eine vollkommene Uebereinstimmung der Zah-
lenverhältnisse war indessen nicht zu erwarten, da bei jeder Befruch-
tung, auch bei der normalen, einzelne Keimzellen unentwickelt bleiben
oder später verkümmern, und selbst manche von den gut ausgebilde-
ten Samen nach dem Anbaue nicht zum Keimen gelangen. Auch be-
schränkt sich die gemachte Voraussetzung darauf, dass bei der Bildung
der verschiedenartigen Keim- und Pollenzellen die gleiche Anzahl an-
gestrebt werde, ohne dass diese an jeder einzelnen Hybride mit ma-
thematischer Genauigkeit erreicht werden müsste.


Der erste und zweite Versuch hatten vorzugsweise den Zweck,
die Beschaffenheit der hybriden Keimzellen zu prüfen, so wie der dritte
und vierte Versuch über die Pollenzellen zu entscheiden hatte. Wie
aus der obigen Zusammenstellung hervorgeht, mussten der erste und
dritte Versuch, ebenso der zweite und vierte ganz gleiche Verbindun-
gen liefern, auch sollte der Erfolg schon im zweiten Jahre an der Ge-
stalt und Färbung der künstlich befruchteten Samen theilweise ersicht-
lich sein. Bei dem ersten und dritten Versuche kommen die dominiren-
den Merkmale der Gestalt und Farbe A und B in jeder Verbindung
vor, und zwar zum Theile constant, zum Theile in hybrider Vereini-
gung mit den recessiven Characteren a und b, wesshalb sie sämmtli-
chen Samen ihre Eigenthümlichkeit aufprägen müssen. Alle Samen soll-
ten daher, wenn die Voraussetzung eine richtige war, rund und gelb
erscheinen. Bei dem zweiten und vierten Versuche hingegen ist eine
Verbindung hybrid in Gestalt und Farbe, daher sind die Samen rund
und gelb; eine andere ist hybrid in der Gestalt und constant in dem
recessiven Merkmale der Farbe, daher die Samen rund und grün; die
dritte ist constant in dem recessiven Merkmale der Gestalt und hybrid
in der Farbe, daher die Samen kantig und gelb; die vierte ist con-
stant in beiden recessiven Merkmalen, daher die Samen kantig und grün.
Bei diesen beiden Versuchen waren daher viererlei Samen zu erwarten,
nämlich: runde gelbe, runde grüne, kantige gelbe, kantige grüne.


Die Ernte entsprach den gestellten Anforderungen vollkommen.


Es wurden erhalten bei dem
1. Versuche 98 ausschliesslich runde gelbe Samen;
3. „ 94 „ „ „ „


[27]

2. Versuche 31 runde gelbe, 26 runde grüne, 27 kantige gelbe,
26 kantige grüne Samen;


4. Versuche 24 runde gelbe, 25 runde grüne, 22 kantige gelbe,
27 kantige grüne Samen.


An einem günstigen Erfolge war nun kaum mehr zu zweifeln, die
nächste Generation müsste die endgiltige Entscheidung bringen. Von
den angebauten Samen kamen im folgenden Jahre bei dem ersten Ver-
suche 90, bei dem dritten 87 Pflanzen zur Fruchtbildung; von diesen
brachten bei dem

Bei dem zweiten und vierten Versuche gaben die runden und
gelben Samen Pflanzen mit runden und kantigen, gelben und grünen
Samen ....................... AaBb.


Von den runden grünen Samen wurden Pflanzen erhalten
mit runden und kantigen grünen Samen ......... Aab.


Die kantigen gelben Samen gaben Pflanzen mit kantigen
gelben und grünen Samen ............... aBb.


Aus den kantigen grünen Samen wurden Pflanzen gezo-
gen, die wieder nur kantige grüne Samen brachten ..... ab.


Obwohl auch bei diesen beiden Versuchen einige Samen nicht
keimten, konnte dadurch in den schon im vorhergehenden Jahre gefun-
denen Zahlen nichts geändert werden, da jede Samenart Pflanzen gab,
die in Bezug auf die Samen unter sich gleich und von den anderen
verschieden waren. Es brachten daher:

Bei allen Versuchen erschienen daher sämmtliche Formen, welche
die gemachte Voraussetzung verlangte, und zwar in nahezu gleicher
Anzahl.


[28]

Bei einer weiteren Probe wurden die Merkmale der Blüthen-
farbe und Axenlänge
in die Versuche aufgenommen, und die Aus-
wahl so getroffen, dass im dritten Versuchsjahre jedes Merkmal an der
Hälfte sämmtlicher Pflanzen hervortreten musste, falls die obige An-
nahme ihre Richtigkeit hatte. A, B, a, b dienen wieder zur Bezeich-
nung der verschiedenen Merkmale.


A Blüthen violett-roth, a Blüthen weiss.
B Axe lang, b Axe kurz.


Die Form Ab wurde befruchtet mit ab, woraus die Hybride Aab
hervorging. Ferner wurde befruchtet aB gleichfalls mit ab, daraus die
Hybride aBb. Im zweiten Jahre wurde für die weitere Befruchtung die
Hybride Aab als Samenpflanze, die andere aBb als Pollenpflanze ver-
wendet.


Samenpflanze Aab, Pollenpflanze aBb.
Mögliche Keimzellen Ab, ab, Pollenzellen aB, ab.


Aus der Befruchtung zwischen den möglichen Keim- und Pollen-
zellen mussten 4 Verbindungen hervorgehen, nämlich:
AaBb + aBb + Aab + ab.


Daraus wird ersichtlich, dass nach obiger Voraussetzung im drit-
ten Versuchsjahre von sämmtlichen Pflanzen
die Hälfte violett-rothe Blüthen haben sollte (Aa) ... Glieder: 1·3
„ weisse Blüthe (a) ........... „ 2·4
„ eine lange Axe (Bb) .......... „ 1·2
„ eine kurze Axe (b) .......... „ 3·4


Aus 45 Befruchtungen des zweiten Jahres wurden 187 Samen
erhalten, wovon im dritten Jahre 166 Pflanzen zur Blüthe gelangten.
Darunter erschienen die einzelnen Glieder in folgender Anzahl:

Es kam daher die violett-rothe Blüthenfarbe (Aa) an 85 Pflanzen vor
„ weisse „ (a) „ 81 „ „
„ lange Axe (Bb) „ 87 „ „
„ kurze „ (b) „ 79 „ „


[29]

Die aufgestellte Ansicht findet auch in diesem Versuche eine aus-
reichende Bestätigung.


Für die Merkmale der Hülsenform, Hülsenfarbe und
Blüthenstellung
wurden ebenfalls Versuche im Kleinen angestellt
und ganz gleich stimmende Resultate erhalten. Alle Verbindungen, wel-
che durch die Vereinigung der verschiedenen Merkmale möglich wurden,
erschienen pünctlich und in nahezu gleicher Anzahl.


Es ist daher auch auf experimentellem Wege die Annahme ge-
rechtfertigt, dass die Erbsen-Hybriden Keim- und Pollen-
zellen bilden, welche ihrer Beschaffenheit nach in glei-
cher Anzahl allen constanten Formen entsprechen, wel-
che aus der Combinirung der durch Befruchtung vereinig-
ten Merkmale hervorgehen
.


Die Verschiedenheit der Formen unter den Nachkommen der Hy-
briden, sowie die Zahlenverhältnisse, in welchen dieselben beobachtet
werden, finden in dem eben erwiesenen Satze eine hinreichende Erklä-
rung. Den einfachsten Fall bietet die Entwicklungsreihe für je zwei
differirende Merkmale
. Diese Reihe wird bekanntlich durch den
Ausdruck: A + 2 Aa + a bezeichnet, wobei A und a die Formen mit
den constant differirenden Merkmalen und Aa die Hybrid-Gestalt beider
bedeuten. Sie enthält unter 3 verschiedenen Gliedern 4 Individuen. Bei
der Bildung derselben werden Pollen- und Keimzellen von der Form A
und a durchschnittlich zu gleichen Theilen in die Befruchtung treten,
daher jede Form zweimal, da 4 Individuen gebildet werden. Es neh-
men demnach an der Befruchtung theil:
die Pollenzellen A + A + a + a
die Keimzellen A + A + a + a


Es bleibt ganz dem Zufalle überlassen, welche von den beiden
Pollenarten sich mit jeder einzelnen Keimzelle verbindet. Indessen wird
es nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit im Durchschnitte vieler
Fälle immer geschehen, dass sich jede Pollenform A und a gleich oft
mit jeder Keimzellform A und a vereinigt; es wird daher eine von
den beiden Pollenzellen A mit einer Keimzelle A, die andere mit einer
Keimzelle a bei der Befruchtung zusammentreffen, und eben so eine
Pollenzelle a mit einer Keimzelle A, die andere mit a verbunden
werden.


[30]
[figure]

Das Ergebniss der Befruchtung lässt sich dadurch anschaulich
machen, dass die Bezeichnungen für die verbundenen Keim- und Pollen-
zellen in Bruchform angesetzt werden, und zwar für die Pollenzellen
über, für die Keimzellen unter dem Striche. Man erhält in dem vor-
liegenden Falle:

Bei dem ersten und vierten Gliede sind Keim- und Pollenzellen
gleichartig, daher müssen die Producte ihrer Verbindung constant sein,
nämlich A und a; bei dem zweiten und dritten hingegen erfolgt aber-
mals eine Vereinigung der beiden differirenden Stamm-Merkmale, daher
auch die aus diesen Befruchtungen hervorgehenden Formen mit der
Hybride, von welcher sie abstammen, ganz identisch sind. Es findet
demnach eine wiederholte Hybridisirung statt
. Daraus er-
klärt sich die auffallende Erscheinung, dass die Hybriden im Stande
sind, nebst den beiden Stammformen auch Nachkommen zu erzeugen,
die ihnen selbst gleich sind; und geben beide dieselbe Verbin-
dung Aa, da es, wie schon früher angeführt wurde, für den Erfolg der
Befruchtung keinen Unterschied macht, welches von den beiden Merk-
malen der Pollen- oder Keimzelle angehört. Es ist daher

So gestaltet sich der mittlere Verlauf bei der Selbstbefruch-
tung der Hybriden, wenn in denselben zwei differirende Merkmale ver-
einigt sind. In einzelnen Blüthen und an einzelnen Pflanzen kann je-
doch das Verhältniss, in welchem die Formen der Reihe gebildet wer-
den, nicht unbedeutende Störungen erleiden. Abgesehen davon, dass
die Anzahl, in welcher beiderlei Keimzellen im Fruchtknoten vorkom-
men, nur im Durchschnitte als gleich angenommen werden kann, bleibt
es ganz dem Zufalle überlassen, welche von den beiden Pollenarten
an jeder einzelnen Keimzelle die Befruchtung vollzieht. Desshalb müs-
[31] sen die Einzelwerthe nothwendig Schwankungen unterliegen, und es
sind selbst extreme Fälle möglich, wie sie früher bei den Versuchen
über die Gestalt der Samen und die Färbung des Albumens angeführt
wurden. Die wahren Verhältnisszahlen können nur durch das Mittel
gegeben werden, welches aus der Summe möglichst vieler Einzelwerthe
gezogen wird; je grösser ihre Anzahl, desto genauer wird das blos
Zufällige eliminirt.


Die Entwicklungsreihe für Hybriden, in denen zweierlei dif-
ferirende Merkmale
verbunden sind, enthält unter 16 Individuen
9 verschiedene Formen, nämlich: AB + Ab + aB + ab + 2 ABb +
2 aBb + 2 AaB + 2 Aab + 4 AaBb
. Zwischen den verschiedenen Merk-
malen der Stammpflanzen A, a und B, b sind 4 constante Combinatio-
nen möglich, daher erzeugt auch die Hybride die entsprechenden 4
Formen von Keim- und Pollenzellen: AB, Ab, aB, ab, und jede davon
wird im Durchschnitte 4mal in Befruchtung treten, da in der Reihe
16 Individuen enthalten sind. Daher nehmen an der Befruchtung
Theil die
Pollenzellen: AB + AB + AB + AB + Ab + Ab + Ab + Ab + aB +
aB + aB + aB + ab + ab + ab + ab
.
Keimzellen: AB + AB + AB + AB + Ab + Ab + Ab + Ab + aB +
aB + aB + aB + ab + ab + ab + ab
.


Im mittleren Verlaufe der Befruchtung verbindet sich jede Pol-
lenform gleich oft mit jeder Keimzellform, daher jede von den 4 Pol-
lenzellen AB einmal mit einer von den Keimzellarten AB, Ab, aB, ab.
Genau eben so erfolgt die Vereinigung der übrigen Pollenzellen von
den Formen Ab, aB, ab mit allen anderen Keimzellen. Man erhält
demnach:
, oder
AB + ABb + AaB + AaBb + ABb + Ab + AaBb + Aab + AaB +
AaBb + aB + aBb + AaBb + Aab + aBb + ab + AB + Ab + aB +
ab + 2 ABb + 2 aBb + 2 AaB + 2 Aab + 4 AaBb
.


In ganz ähnlicher Weise erklärt sich die Entwicklungsreihe der
Hybriden, wenn in denselben dreierlei differirende Merkmale
[32] verbunden sind. Die Hybride bildet 8 verschiedene Formen von Keim-
und Pollenzellen: ABC, ABc, AbC, Abc, aBC, aBc, abC, abc, und jede
Pollenform vereinigt sich wieder durchschnittlich einmal mit jeder Keim-
zellform.


Das Gesetz der Combinirung der differirenden Merkmale, nach
welchem die Entwicklung der Hybriden erfolgt, findet demnach seine
Begründung und Erklärung in dem erwiesenen Satze, dass die Hybri-
den Keim- und Pollenzellen erzeugen, welche in gleicher Anzahl allen
constanten Formen entsprechen, die aus der Combinirung der durch Be-
fruchtung vereinigter Merkmale hervorgehen.


Versuche über die Hybriden anderer Pflanzenarten.


Es wird die Aufgabe weiterer Versuche sein, zu ermitteln, ob das
für Pisum gefundene Entwicklungsgesetz auch bei den Hybriden ande-
rer Pflanzen Geltung habe. Zu diesem Zwecke wurden in der letzten
Zeit mehrere Versuche eingeleitet. Beendet sind zwei kleinere Experi-
mente mit Phaseolus-Arten, welche hier Erwähnung finden mögen.


Ein Versuch mit Phaseolus vulgaris und Phaseolus nanus L. gab
ein ganz übereinstimmendes Resultat. Ph. nanus hatte nebst der zwerg-
artigen Axe grüne einfach gewölbte Hülsen, Ph. vulgaris hingegen eine
10—12' hohe Axe und gelb gefärbte, zur Zeit der Reife eingeschnürte
Hülsen. Die Zahlenverhältnisse, in welchen die verschiedenen Formen
in den einzelnen Generationen vorkamen, waren dieselben wie bei Pi-
sum. Auch die Entwicklung der constanten Verbindungen erfolgte nach
dem Gesetze der einfachen Combinirung der Merkmale, genau so, wie
es bei Pisum der Fall ist. Es wurden erhalten:

[33]

Die grüne Hülsenfarbe, die gewölbte Form der Hülse und die
hohe Axe waren, wie bei Pisum, dominirende Merkmale.


Ein anderer Versuch mit zwei sehr verschiedenen Phaseolus-Arten
hatte nur einen theilweisen Erfolg. Als Samenpflanze diente Ph.
nanus L., eine ganz constante Art mit weissen Blüthen in kurzen Trau-
ben und kleinen weissen Samen in geraden, gewölbten und glatten
Hülsen; als Pollenpflanze Ph. multiflorus W. mit hohem windenden
Stengel, purpurrothen Blüthen in sehr langen Trauben, rauhen sichel-
förmig gekrümmten Hülsen und grossen Samen, welche auf pfirsich-
blüthrothem Grunde schwarz gefleckt und geflammt sind.


Die Hybride hatte mit der Pollenpflanze die grösste Aehnlich-
keit, nur die Blüthen erschienen weniger intensiv gefärbt. Ihre Frucht-
barkeit war eine sehr beschränkte, von 17 Pflanzen, die zusammen
viele hundert Blüthen entwickelten, wurden im Ganzen nur 49 Samen
geerntet. Diese waren von mittlerer Grösse und besassen eine ähnliche
Zeichnung wie Ph. multiflorus; auch die Grundfarbe war nicht wesent-
lich verschieden. Im nächsten Jahre wurden davon 44 Pflanzen erhal-
ten, von denen nur 31 zur Blüthe gelangten. Die Merkmale von Ph.
nanus, welche in der Hybride sämmtlich latent wurden, kamen in ver-
schiedenen Combinirungen wieder zum Vorscheine, das Verhältniss der-
selben zu den dominirenden musste jedoch bei der geringen Anzahl
von Versuchspflanzen sehr schwankend bleiben; bei einzelnen Merkma-
len, wie bei jenen der Axe und der Hülsenform, war dasselbe indessen
wie bei Pisum fast genau 1:3.


So gering auch der Erfolg dieses Versuches für die Feststellung
der Zahlenverhältnisse sein mag, in welchen die verschiedenen Formen
vorkamen, so bietet er doch anderseits den Fall einer merkwürdigen
Farbenwandlung
an den Blüthen und Samen der Hybriden dar.
Bei Pisum treten bekanntlich die Merkmale der Blüthen- und Samen-
farbe in der ersten und den weiteren Generationen unverändert hervor
und die Nachkommen der Hybriden tragen ausschliesslich das eine oder
das andere der beiden Stamm-Merkmale an sich. Anders verhält sich
die Sache bei dem vorliegenden Versuche. Die weisse Blumen- und Sa-
menfarbe von Ph. nanus erschien allerdings gleich in der ersten Gene-
ration an einem ziemlich fruchtbaren Exemplare, allein die übrigen 30
Pflanzen entwickelten Blüthenfarben, die verschiedene Abstufungen von
3
[34] Purpurroth bis Blassviolett darstellen. Die Färbung der Samenschale
war nicht minder verschieden, als die der Blüthe. Keine Pflanze konnte
als vollkommen fruchtbar gelten, manche setzten gar keine Früchte an,
bei anderen entwickelten sich dieselben erst aus den letzten Blüthen
und kamen nicht mehr zur Reife, nur von 15 Pflanzen wurden gut
ausgebildete Samen geerntet. Die meiste Neigung zur Unfruchtbarkeit
zeigten die Formen mit vorherrschend rother Blüthe, indem von 16
Pflanzen nur 4 reife Samen gaben. Drei davon hatten eine ähnliche
Samenzeichnung wie Ph. multiflorus, jedoch eine mehr oder weniger
blasse Grundfarbe, die vierte Pflanze brachte nur einen Samen von ein-
fach brauner Färbung. Die Formen mit überwiegend violetter Blüthen-
farbe hatten dunkelbraune, schwarzbraune und ganz schwarze Samen.


Der Versuch wurde noch durch zwei Generationen unter gleich
ungünstigen Verhältnissen fortgeführt, da selbst unter den Nachkommen
ziemlich fruchtbarer Pflanzen wieder ein Theil wenig fruchtbar oder
ganz steril wurde. Andere Blüthen- und Samenfarben, als die angeführ-
ten, kamen weiter nicht vor. Die Formen, welche in der ersten Gene-
ration eines oder mehrere von den recessiven Merkmalen erhielten, blie-
ben in Bezug auf diese ohne Ausnahme constant. Auch von jenen Pflan-
zen, welche violette Blüthen und braune oder schwarze Samen besassen,
änderten einzelne in den nächsten Generationen die Blumen- und Sa-
menfarbe nicht mehr, die Mehrzahl jedoch erzeugte nebst ganz gleichen
Nachkommen auch solche, welche weisse Blüthen und eben so gefarbte
Samenschalen erhielten. Die roth blühenden Pflanzen blieben so wenig
fruchtbar, dass sich über ihre Weiterentwicklung nichts mit Bestimmt-
heit sagen lässt.


Ungeachtet der vielen Störungen, mit welchen die Beobachtung
zu kämpfen hatte, geht doch soviel aus diesem Versuche hervor, dass
die Entwicklung der Hybriden in Bezug auf jene Merkmale, welche die
Gestalt der Pflanze betreffen, nach demselben Gesetze wie bei Pisum
erfolgt. Rücksichtlich der Farbenmerkmale scheint es allerdings schwie-
rig zu sein, eine genügende Uebereinstimmung aufzufinden. Abgesehen
davon, dass aus der Verbindung einer weissen und purpurrothen Fär-
bung eine ganze Reihe von Farben hervorgeht, von Purpur bis Blass-
violett und Weiss, muss auch der Umstand auffallen, dass unter 31 blü-
henden Pflanzen nur eine den recessiven Character der weissen Fär-
[35] bung erhielt, während das bei Pisum durchschnittlich schon an jeder
vierten Pflanze der Fall ist.


Aber auch diese räthselhaften Erscheinungen würden sich wahr-
scheinlich nach dem für Pisum geltenden Gesetze erklären lassen, wenn
man voraussetzen dürfte, dass die Blumen- und Samenfarbe des Ph.
multiflorus aus zwei oder mehreren ganz selbsständigen Farben zusam-
mengesetzt sei, die sich einzeln ebenso verhalten, wie jedes andere
constante Merkmal an der Pflanze. Wäre die Blüthenfarbe A zusam-
mengesetzt aus den selbstständigen Merkmalen A1 + A2 + ...., welche
den Gesammt-Eindruck der purpurrothen Färbung hervorrufen, so müssten
durch Befruchtung mit dem differirenden Merkmale der weissen Farbe a
die hybriden Verbindungen A1a + A2a + .... gebildet werden, und ähu-
lich würde es sich mit der correspondirenden Färbung der Samenschale
verhalten. Nach der obigen Voraussetzung wäre jede von diesen hy-
briden Farbenverbindungen selbstständig und würde sich demnach ganz
unabhängig von den übrigen entwickeln. Man sieht dann leicht ein, dass
aus der Combinirung der einzelnen Entwicklungsreihen eine vollständige
Farbenreihe hervorgehen müsste. Wäre z. B. A = A1 + A2, so entspre-
chen den Hybriden A1a und A2a die Entwicklungsreihen
A1 + 2 A1a + a
A
2 + 2 A2a + a.


Die Glieder dieser Reihen können in 9 verschiedene Verbin-
dungen treten und jede davon stellt die Bezeichnung für eine andere
Farbe vor:


Die den einzelnen Verbindungen vorausgesetzten Zahlen geben
zugleich an, wie viele Pflanzen mit der entsprechenden Färbung in die
Reihe gehören. Da die Summe derselben 16 beträgt, so sind sämmt-
liche Farben im Durchschnitte auf je 16 Pflanzen vertheilt, jedoch wie
die Reihe selbst zeigt, in ungleichen Verhältnissen.


Würde die Farbenentwicklung wirklich in dieser Weise erfolgen,
so könnte auch der oben angeführte Fall eine Erklärung finden, dass
nämlich die weisse Blüthen- und Hülsenfarbe unter 31 Pflanzen der
ersten Generation nur einmal vorkam. Diese Färbung ist in der Reihe
3*
[36] nur einmal enthalten, und könnte daher auch nur im Durchschnitte
unter je 16, bei drei Farbenmerkmalen sogar nur unter 64 Pflanzen
einmal entwickelt werden.


Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die hier versuchte
Erklärung auf einer blossen Vermuthung beruht, die weiter nichts für
sich hat, als das sehr unvollständige Resultat des eben besprochenen
Versuches. Es wäre übrigens eine lohnende Arbeit, die Farbenentwick-
lung der Hybriden durch ähnliche Versuche weiter zu verfolgen, da es
wahrscheinlich ist, dass wir auf diesem Wege die ausserordentliche Man-
nigfaltigkeit in der Färbung unserer Zierblumen begreifen
lernen.


Bis jetzt ist mit Sicherheit kaum mehr bekannt, als dass die Blü-
thenfarbe bei den meisten Zierpflanzen ein äusserst veränderliches Merk-
mal ist. Man hat häufig die Meinung ausgesprochen, dass die Stabilität
der Arten durch die Cultur in hohem Grade erschüttert oder ganz ge-
brochen werde, und ist sehr geneigt, die Entwicklung der Culturformen
als eine regellose und zufällige hinzustellen; dabei wird gewöhnlich auf
die Färbung der Zierpflanzen, als Muster aller Unbeständigkeit, hinge-
wiesen. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum das blosse Versetzen in
den Gartengrund eine so durchgreifende und nachhaltige Revolution
im Pflanzen-Organismus zur Folge haben müsse. Niemand wird im Ernste
behaupten wollen, dass die Entwicklung der Pflanze im freien Lande
durch andere Gesetze geleitet wird, als am Gartenbeete. Hier wie dort
müssen typische Abänderungen auftreten, wenn die Lebensbedingungen
für eine Art geändert werden und diese die Fähigkeit besitzt, sich den
neuen Verhältnissen anzupassen. Es wird gerne zugegeben, dass durch
die Cultur die Entstehung neuer Varietäten begünstigt und durch die
Hand des Menschen manche Abänderung erhalten wird, welche im freien
Zustande unterliegen müsste, allein nichts berechtigt uns zu der Annahme,
dass die Neigung zur Varietätenbildung so ausserordentlich gesteigert
werde, dass die Arten bald alle Selbstständigkeit verlieren und ihre
Nachkommen in einer endlosen Reihe höchst veränderlicher Formen aus-
einander gehen. Wäre die Aenderung in den Vegetations-Bedingungen
die alleinige Ursache der Variabilität, so dürfte man erwarten, dass
jene Culturpflanzen, welche Jahrhunderte hindurch unter fast gleichen
Verhältnissen angebaut wurden, wieder an Selbstständigkeit gewonnen
hätten. Das ist bekanntlich nicht der Fall, da gerade unter diesen nicht
[37] blos die verschiedensten, sondern auch die veränderlichsten Formen ge-
funden werden. Nur die Leguminosen, wie Pisum, Phaseolus, Lens, deren
Befruchtungs-Organe durch das Schiffchen geschützt sind, machen davon
eine bemerkenswerthe Ausnahme. Auch da sind während einer mehr als
1000jährigen Cultur unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zahlreiche
Varietäten entstanden, diese behaupten jedoch unter gleich bleibenden
Lebensbedingungen eine Selbstständigkeit, wie sie wild wachsenden Ar-
ten zukommt.


Es bleibt mehr als wahrscheinlich, dass für die Veränderlichkeit
der Culturgewächse ein Factor thätig ist, dem bisher wenig Aufmerk-
samkeit zugewendet wurde. Verschiedene Erfahrungen drängen zu der
Ansicht, dass unsere Culturpflanzen mit wenigen Ausnahmen Glieder
verschiedener Hybridreihen
sind, deren gesetzmässige Weiter-
entwicklung durch häufige Zwischenkreuzungen abgeändert und aufge-
halten wird. Es ist der Umstand nicht zu übersehen, dass die cultivir-
ten Gewächse meistens in grösserer Anzahl neben einander gezogen
werden, wodurch für die wechselseitige Befruchtung zwischen den vor-
handenen Varietäten und mit den Arten selbst die günstigste Gelegen-
heit geboten wird. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht wird durch
die Thatsache unterstützt, dass unter dem grossen Heere veränderlicher
Formen immer einzelne gefunden werden, welche in dem einen oder
anderen Merkmale constant bleiben, wenn nur jeder fremde Einfluss
sorgfältig abgehalten wird. Diese Formen entwickeln sich genau eben
so, wie gewisse Glieder der zusammengesetzten Hybridreihen. Auch bei
dem empfindlichsten aller Merkmale, bei jenem der Farbe, kann es der
aufmerksamen Beobachtung nicht entgehen, dass an den einzelnen For-
men die Neigung zur Veränderlichkeit in sehr verschiedenem Grade
vorkommt. Unter Pflanzen, die aus einer spontanen Befruchtung stam-
men, gibt es oft solche, deren Nachkommen in Beschaffenheit und An-
ordnung der Farben weit auseinandergehen, während andere wenig ab-
weichende Formen liefern, und unter einer grösseren Anzahl einzelne
getroffen werden, welche ihre Blumenfarbe unverändert auf die Nach-
kommen übertragen. Die cultivirten Dianthus-Arten geben dafür einen
lehrreichen Beleg. Ein weiss blühendes Exemplar von Dianthus Caryophyl-
lus, welches selbst von einer weissblumigen Varietät abstammte, wurde
während der Blüthezeit in einem Glashause abgesperrt; die zahlreich
davon gewonnenen Samen gaben Pflanzen mit durchaus gleicher weisser
[38] Blüthenfarbe. Ein ähnliches Resultat wurde von einer rothen, etwas ins
Violette schimmernden und einer weissen roth gestreiften Abart erhalten.
Viele andere hingegen, welche auf dieselbe Weise geschützt wurden, gaben
mehr oder weniger verschieden gefärbte und gezeichnete Nachkommen.


Wer die Färbungen, welche bei Zierpflanzen aus gleicher Befruch-
tung hervorgehen, überblickt, wird sich nicht leicht der Ueberzeugung
verschliessen können, dass auch hier die Entwicklung nach einem be-
stimmten Gesetze erfolgt, welches möglicherweise seinen Ausdruck in
der Combinirung mehrerer selbstständiger Farbenmerk-
male
findet.


Schluss-Bemerkungen.


Es dürfte nicht ohne Interesse sein, die bei Pisum gemachten
Beobachtungen mit den Resultaten zu vergleichen, zu welchen die bei-
den Autoritäten in diesem Fache, Kölreuter und Gärtner, bei ihren
Forschungen gelangt sind. Nach der übereinstimmenden Ansicht beider
halten die Hybriden der äusseren Erscheinung nach entweder die Mit-
telform zwischen den Stammarten, oder sie sind dem Typus der einen
oder der anderen näher gerückt, manchmal von denselben kaum zu un-
terscheiden. Aus den Samen derselben gehen gewöhnlich, wenn die Be-
fruchtung durch den eigenen Pollen geschah, verschiedene von dem nor-
malen Typus abweichende Formen hervor. In der Regel behält die
Mehrzahl der Individuen aus einer Befruchtung die Form der Hybride
bei, wahrend andere wenige der Samenpflanze ähnlicher werden und ein
oder das andere Individuum der Pollenpflanze nahe kommt. Das gilt
jedoch nicht von allen Hybriden ohne Ausnahme. Bei einzelnen sind die
Nachkommen theils der einen, theils der anderen Stammpflanze näher
gerückt, oder sie neigen sich sämmtlich mehr nach der einen oder der
anderen Seite hin; bei einigen aber bleiben sie der Hybride voll-
kommen gleich
und pflanzen sich unverändert fort. Die Hybriden
der Varietäten verhalten sich wie die Species-Hybriden, nur besitzen
sie eine noch grössere Veränderlichkeit der Gestalten und eine mehr
ausgesprochene Neigung, zu den Stammformen zurückzukehren.


In Bezug auf die Gestalt der Hybriden und ihre in der Regel
erfolgende Entwicklung ist eine Uebereinstimmung mit den bei Pi-
sum gemachten Beobachtungen nicht zu verkennen. Anders verhält es
[39] sich mit den erwähnten Ausnahms-Fällen. Gärtner gesteht selbst, dass
die genaue Bestimmung, ob eine Form mehr der einen oder der ande-
ren von den beiden Stammarten ähnlich sei, öfter grosse Schwierigkei-
ten habe, indem dabei sehr viel auf die subjective Anschauung des
Beobachters ankommt. Es konnte jedoch auch ein anderer Umstand
dazu beitragen, dass die Resultate trotz der sorgfaltigsten Beobachtung
und Unterscheidung schwankend und unsicher wurden. Für die Ver-
suche dienten grösstentheils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und
in einer grösseren Anzahl von Merkmalen verschieden sind. Nebst den
scharf hervortretenden Characteren müssen da, wo es sich im Allge-
meinen um eine grössere oder geringere Aehnlichkeit handelt, auch jene
Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer mit Worten zu fas-
sen sind, aber dennoch hinreichen, wie jeder Pflanzenkenner weiss, um
den Formen ein fremdartiges Aussehen zu geben. Wird angenommen,
dass die Entwicklung der Hybriden nach dem für Pisum geltenden Ge-
setze erfolgte, so musste die Reihe bei jedem einzelnen Versuche sehr
viele Formen umfassen, da die Gliederzahl bekanntlich mit der An-
zahl der differirenden Merkmale nach den Potenzen von 3 zunimmt. Bei
einer verhältnissmässig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen konnte dann
das Resultat nur annähernd richtig sein und in einzelnen Fällen nicht
unbedeutend abweichen. Wären z. B. die beiden Stammarten in 7 Merk-
malen verschieden, und würden aus den Samen ihrer Hybriden zur Be-
urtheilung des Verwandtschafts-Grades der Nachkommen 100 bis 200
Pflanzen gezogen, so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urtheil
ausfallen müsste, da für 7 differirende Merkmale die Entwicklungsreihe
16,384 Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es könnte
sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr geltend ma-
chen, je nachdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene Formen
in grösserer Anzahl in die Hand spielt.


Kommen ferner unter den differirenden Merkmalen zugleich do-
minirende
vor, welche ganz oder fast unverändert auf die Hybride
übergehen, dann muss an den Gliedern der Entwicklungsreihe immer
jene der beiden Stammarten mehr hervortreten, welche die grössere
Anzahl der dominirenden Merkmale besitzt. In dem früher bei Pisum
für dreierlei differirende Merkmale angeführten Versuche gehörten die
dominirenden Charactere sämmtlich der Samenpflanze an. Obwohl die
Glieder der Reihe sich ihrer inneren Beschaffenheit nach gleichmässig
[40] zu beiden Stammpflanzen hinneigen, erhielt doch bei diesem Versuche
der Typus der Samenpflanze ein so bedeutendes Uebergewicht, dass
unter je 64 Pflanzen der ersten Generation 54 derselben ganz gleich
kamen, oder nur in einem Merkmale verschieden waren. Man sieht, wie
gewagt es unter Umständen sein kann, bei Hybriden aus der äusseren
Uebereinstimmung Schlüsse auf ihre innere Verwandtschaft zu ziehen.


Gärtner erwähnt, dass in jenen Fällen, wo die Entwicklung eine
regelmässige war, unter den Nachkommen der Hybriden nicht die bei-
den Stammarten selbst erhalten wurden, sondern nur einzelne ihnen nä-
her verwandte Individuen. Bei sehr ausgedehnten Entwicklungsreihen
konnte es in der That nicht anders eintreffen. Für 7 differirende Merk-
male z. B. kommen unter mehr als 16,000 Nachkommen der Hybride
die beiden Stammformen nur je einmal vor. Es ist demnach nicht leicht
möglich, dass dieselben schon unter einer geringen Anzahl von Versuchs-
pflanzen erhalten werden; mit einiger Wahrscheinlichkeit darf man je-
doch auf das Erscheinen einzelner Formen rechnen, die demselben in
der Reihe nahe stehen.


Einer wesentlichen Verschiedenheit begegnen wir bei
jenen Hybriden, welche in ihren Nachkommen constant bleiben und sich
eben so wie die reinen Arten fortpflanzen. Nach Gärtner gehören hie-
her die ausgezeichnet fruchtbaren Hybriden: Aquilegia atropur-
purea-canadensis, Lavatera pseudolbia-thuringiaca, Geum urbano-rivale und
einige Dianthus-Hybriden; nach Wichura die Hybriden der Weidenarten.
Für die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen ist dieser Umstand von
besonderer Wichtigkeit, weil constante Hybriden die Bedeutung neuer
Arten
erlangen. Die Richtigkeit des Sachverhaltes ist durch vorzügli-
che Beobachter verbürgt und kann nicht in Zweifel gezogen werden.
Gärtner hatte Gelegenheit, den Dianthus Armeria-deltoides bis in die
10. Generation zu verfolgen, da sich derselbe regelmässig im Garten
von selbst fortpflanzte.


Bei Pisum wurde es durch Versuche erwiesen, dass die Hybriden
verschiedenartige Keim- und Pollen-Zellen bilden, und dass hierin
der Grund für die Veränderlichkeit ihrer Nachkommen liegt. Auch bei
anderen Hybriden, deren Nachkommen sich ähnlich verhalten, dürfen
wir eine gleiche Ursache voraussetzen; für jene hingegen, welche con-
stant bleiben, scheint die Annahme zulässig, dass ihre Befruchtungszel-
len gleichartig sind und mit der Hybriden-Grundzelle übereinstimmen.
Nach der Ansicht berühmter Physiologen vereinigen sich bei den
[41] Phanerogamen zu dem Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und
Pollenzelle zu einer einzigen Zelle *), welche sich durch Stoffaufnahme
und Bildung neuer Zellen zu einem selbstständigen Organismus weiter
zu entwickeln vermag. Diese Entwicklung erfolgt nach einem constan-
ten Gesetze, welches in der materiellen Beschaffenheit und Anordnung
der Elemente begründet ist, die in der Zelle zur lebensfähigen Vereini-
gung gelangten. Sind die Fortpflanzungszellen gleichartig und stimmen
dieselben mit der Grundzelle der Mutterpflanze überein, dann wird die
Entwicklung des neuen Individuums durch dasselbe Gesetz geleitet, wel-
ches für die Mutterpflanze gilt. Gelingt es, eine Keimzelle mit einer
ungleichartigen Pollenzelle zu verbinden, so müssen wir annehmen,
dass zwischen jenen Elementen beider Zellen, welche die gegenseitigen
Unterschiede bedingen, irgend eine Ausgleichung stattfindet. Die daraus
hervorgehende Vermittlungszelle wird zur Grundlage des Hybriden-Or-
ganismus, dessen Entwicklung nothwendig nach einem anderen Gesetze
erfolgt, als bei jeder der beiden Stammarten. Wird die Ausgleichung
als eine vollständige angenommen, in dem Sinne nämlich, dass der hy-
bride Embryo aus gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die
Differenzen gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde
sich als weitere Folgerung ergeben, dass die Hybride, wie jede andere
selbstständige Pflanzenart, in ihren Nachkommen constant bleiben werde.
Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Fruchtknoten und den Anthe-
ren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit der
zu Grunde liegenden Vermittlungszelle überein.


[42]

Bezüglich jener Hybriden, deren Nachkommen veränderlich
sind, dürfte man vielleicht annehmen, dass zwischen den differirenden
Elementen der Keim- und Pollenzelle wohl insofern eine Vermittlung
stattfindet, dass noch die Bildung einer Zelle als Grundlage der Hy-
bride möglich wird, dass jedoch die Ausgleichung der widerstrebenden
Elemente nur eine vorübergehende sei und nicht über das Leben der
Hybridpflanze hinausreiche. Da in dem Habitus derselben während der
ganzen Vegetationsdauer keine Aenderungen wahrnehmbar sind, müssten
wir weiter folgern, dass es den differirenden Elementen erst bei der
Entwicklung der Befruchtungszellen gelinge, aus der erzwungenen Ver-
bindung herauszutreten. Bei der Bildung dieser Zellen betheiligen sich
alle vorhandenen Elemente in völlig freier und gleichmässiger Anord-
nung, wobei nur die differirenden sich gegenseitig ausschliessen. Auf
diese Weise würde die Entstehung so vielerlei Keim- und Pollenzellen
ermöglicht, als die bildungsfähigen Elemente Combinationen zulassen.


Die hier versuchte Zurückführung des wesentlichen Unterschiedes
in der Entwicklung der Hybriden auf eine dauernde oder vorüber-
gehende Verbindung
der differirenden Zellelemente kann selbstver-
ständlich nur den Werth einer Hypothese ansprechen, für welche bei
dem Mangel an sicheren Daten noch ein weiterer Spielraum offen stände.
Einige Berechtigung für die ausgesprochene Ansicht liegt in dem für
Pisum geführten Beweise, dass das Verhalten je zweier differirender
Merkmale in hybrider Vereinigung unabhängig ist von den anderweiti-
gen Unterschieden zwischen den beiden Stammpflanzen, und ferner, dass
die Hybride so vielerlei Keim- und Pollenzellen erzeugt, als constante
Combinationsformen möglich sind. Die unterscheidenden Merkmale zweier
Pflanzen können zuletzt doch nur auf Differenzen in der Beschaffen-
heit und Gruppirung der Elemente beruhen, welche in den Grundzellen
derselben in lebendiger Wechselwirkung stehen.


Die Geltung der für Pisum aufgestellten Sätze bedarf allerdings
selbst noch der Bestätigung, und es wäre desshalb eine Wiederholung
wenigstens der wichtigeren Versuche wünschenswerth, z. B. jener über
die Beschaffenheit der hybriden Befruchtungszellen. Dem einzelnen Be-
obachter kann leicht ein Differentiale entgehen, welches, wenn es auch
anfangs unbedeutend scheint, doch so anwachsen kann, dass es für das
Gesammt-Resultat nicht vernachlässigt werden darf. Ob die veränderli-
chen Hybriden anderer Pflanzenarten ein ganz übereinstimmendes Ver-
[43] halten beobachten, muss gleichfalls erst durch Versuche entschieden
werden; indessen dürfte man vermuthen, dass in wichtigen Puncten
eine principielle Verschiedenheit nicht vorkommen könne, da die Ein-
heit
im Entwicklungsplane des organischen Lebens ausser Frage steht.


Zum Schlusse verdienen noch eine besondere Erwähnung die von
Kölreuter, Gärtner u. a. durchgeführten Versuche über die Umwand-
lung einer Art in eine andere durch künstliche Befruch-
tung
. Diesen Experimenten wurde eine besondere Wichtigkeit beige-
legt, Gärtner rechnet dieselben zu den „allerschwierigsten in der Ba-
starderzeugung.“


Sollte eine Art A in eine andere B verwandelt werden, so wur-
den beide durch Befruchtung verbunden und die erhaltenen Hybriden
abermals mit dem Pollen von B befruchtet; dann wurde aus den ver-
schiedenen Abkömmlingen derselben jene Form ausgewählt, welche der
Art B am nächsten stand und wiederholt mit dieser befruchtet, und
sofort, bis man endlich eine Form erhielt, welche der B gleich kam
und in ihren Nachkommen constant blieb. Damit war die Art A in die
andere Art B umgewandelt. Gärtner allein hat 30 derartige Versuche
mit Pflanzen aus den Geschlechtern: Aquilegia, Dianthus, Geum, Lava-
tera, Lychnis, Malva, Nicotiana und Oenothera durchgeführt. Die Um-
wandlungsdauer war nicht für alle Arten eine gleiche. Während bei
einzelnen eine 3malige Befruchtung hinreichte, musste diese bei ande-
ren 5- bis 6mal wiederholt werden; auch für die nämlichen Arten wur-
den bei verschiedenen Versuchen Schwankungen beobachtet. Gärtner
schreibt diese Verschiedenheit dem Umstande zu, dass „die typische
Kraft, womit eine Art bei der Zeugung zur Veränderung und Umbil-
dung des mütterlichen Typus wirkt, bei den verschiedenen Gewächsen
sehr verschieden ist, und dass folglich die Perioden, innerhalb welcher
und die Anzahl von Generationen, durch welche die eine Art in die
andere umgewandelt wird, auch verschieden sein müssen, und die Um-
wandlung bei manchen Arten durch mehr, bei anderen aber durch we-
niger Generationen vollbracht wird.“ Ferner bemerkt derselbe Beobach-
ter, „dass es auch bei dem Umwandlungsgeschäfte darauf ankommt,
welcher Typus und welches Individuum zu der weiteren Umwandlung
gewählt wird.“


Dürfte man voraussetzen, dass bei diesen Versuchen die Entwick-
lung der Formen auf eine ähnliche Weise wie bei Pisum erfolgte, so
[44] würde der ganze Umwandlungsprocess eine ziemlich einfache Erklärung
finden. Die Hybride bildet so vielerlei Keimzellen, als die in ihr ver-
einigten Merkmale constante Combinationen zulassen, und eine davon
ist immer gleichartig mit den befruchtenden Pollenzellen. Demnach ist
für alle derartigen Versuche die Möglichkeit vorhanden, dass schon aus
der zweiten Befruchtung eine constante Form gewonnen wird, welche
der Pollenpflanze gleichkommt. Ob dieselbe aber wirklich erhalten wird,
hängt in jedem einzelnen Falle von der Zahl der Versuchspflanzen ab,
sowie von der Anzahl der differirenden Merkmale, welche durch die Be-
fruchtung vereinigt wurden. Nehmen wir z. B. an, die für den Versuch
bestimmten Pflanzen wären in 3 Merkmalen verschieden [und] es sollte
die Art ABC in die andere abc durch wiederholte Befruchtung mit dem
Pollen derselben umgewandelt werden. Die aus der ersten Befruchtung
hervorgehende Hybride bildet 8 verschiedene Arten von Keimzellen
nämlich:
ABC, ABc, AbC, aBC, Abc, aBc, abC, abc.


Diese werden im zweiten Versuchsjahre abermals mit den Pollen-
zellen abc verbunden und man erhält die Reihe:
AaBbCc + AaBbc + AabCc + aBbCc + Aabc + aBbc + abCc + abc.


Da die Form abc in der 8gliedrigen Reihe einmal vorkommt, so
ist es wenig wahrscheinlich, dass sie unter den Versuchspflanzen fehlen
könnte, wenn diese auch nur in einer geringeren Anzahl gezogen wür-
den, und die Umwandlung wäre schon nach zweimaliger Befruchtung
vollendet. Sollte sie zufällig nicht erhalten werden, so müsste die Be-
fruchtung an einer der nächst verwandten Verbindungen Aabc, aBbc,
abCc
wiederholt werden. Es wird ersichtlich, dass sich ein derartiges
Experiment desto länger hinausziehen müsse, je kleiner die Anzahl
der Versuchspflanzen und je grösser die Zahl der differi-
renden Merkmale
an den beiden Stammarten ist, dass ferner bei
den nämlichen Arten leicht eine Verschiebung um eine, selbst um zwei
Generationen vorkommen könne, wie es Gärtner beobachtet hat. Die
Umwandlung weit abstehender Arten kann immerhin erst im 5. oder 6.
Versuchsjahre beendet sein, indem die Anzahl der verschiedenen Keim-
zellen, welche an der Hybride gebildet werden, mit den differirenden
Merkmalen nach den Potenzen von 2 zunimmt.


[45]

Gärtner fand durch wiederholte Versuche, dass die wechselsei-
tige
Umwandlungsdauer für manche Arten verschieden ist, so dass
öfter eine Art A in eine andere B um eine Generation früher verwan-
delt werden kann, als die Art B in die andere A. Er leitet daraus zu-
gleich den Beweis ab, dass die Ansicht Kölreuter’s doch nicht ganz
stichhältig sei, nach welcher „die beiden Naturen bei den Bastarden
einander das vollkommenste Gleichgewicht halten.“ Es scheint jedoch,
dass Kölreuter diesen Tadel nicht verdient, dass vielmehr Gärtner dabei
ein wichtiges Moment übersehen hat, auf welches er an einer anderen
Stelle selbst aufmerksam macht, dass es nämlich „darauf ankommt, wel-
ches Individuum zur weiteren Umwandlung gewählt wird.“ Versuche,
welche in dieser Beziehung mit zwei Pisum-Arten angestellt wurden,
weisen darauf hin, dass es für die Auswahl der tauglichsten Individuen
zu dem Zwecke der weiteren Befruchtung einen grossen Unterschied
machen könne, welche von zwei Arten in die andere umgewandelt
wird. Die beiden Versuchspflanzen waren in 5 Merkmalen verschieden,
zugleich besass die Art A sämmtliche dominirende, die andere B sämmt-
liche recessive Merkmale. Für die wechselseitige Umwandlung wurde A
mit dem Pollen von B und umgekehrt B mit jenem von A befruchtet, dann
dasselbe an den beiderlei Hybriden im nächsten Jahre wiederholt. Bei
dem ersten Versuche waren im 3. Versuchsjahse für die Auswahl
der Individuen zur weiteren Befruchtung 87 Pflanzen vorhanden, und
zwar in den möglichen 32 Formen; für den zweiten Versuch
wurden 73 Pflanzen erhalten, welche in ihrem Habitus durchgehends
mit der Pollenpflanze übereinstimmten, jedoch ihrer inneren
Beschaffenheit nach eben so verschieden sein mussten, wie die Formen
des anderen Versuches. Eine berechnete Auswahl war daher blos bei
dem ersten Versuche möglich, bei dem zweiten mussten auf den blos-
sen Zufall hin, einige Pflanzen ausgeschieden werden. Von den letzte-
ren wurde nur ein Theil der Blüthen mit dem Pollen von A befruch-
tet, der andere hingegen der Selbstbefruchtung überlassen. Unter je 5
Pflanzen, welche für die beiden Versuche zur Befruchtung verwendet
waren, stimmten, wie der nächstjährige Anbau zeigte, mit der Pollen-
pflanze überein:


[46]

Für den ersten Versuch war damit die Umwandlung beendet, bei
dem zweiten, der nicht weiter fortgesetzt wurde, hätte wahrscheinlich
noch eine zweimalige Befruchtung stattfinden müssen.


Wenn auch der Fall nicht häufig vorkommen dürfte, dass die
dominirenden Merkmale ausschliesslich der einen oder der anderen
Stammpflanze angehören, so wird es doch immer einen Unterschied
machen, welche von beiden die grössere Anzahl besitzt. Kommt die
Mehrzahl der dominirenden Merkmale der Pollenpflanze zu, dann wird
die Auswahl der Formen für die weitere Befruchtung einen geringeren
Grad von Sicherheit gewähren, als in dem umgekehrten Falle, was
eine Verzögerung in der Umwandlungsdauer zur Folge haben muss,
vorausgesetzt, dass man den Versuch erst dann als beendet ansieht,
wenn eine Form erhalten wird, die nicht nur in ihrer Gestalt der
Pollenpflanze gleichkommt, sondern auch wie diese in den Nachkommen
constant bleibt.


Durch den Erfolg der Umwandlungs-Versuche wurde Gärtner be-
wogen, sich gegen die Meinung derjenigen Naturforscher zu kehren,
welche die Stabilität der Pflanzenspecies bestreiten und eine stäte
Fortbildung der Gewächsarten annehmen. Es sieht in der vollendeten
Umwandlung einer Art in die andere den unzweideutigen Beweis, dass
der Species feste Grenzen gesteckt sind, über welche hinaus sie sich
nicht zu ändern vermag. Wenn auch dieser Ansicht eine bedingungs-
lose Geltung nicht zuerkannt werden kann, so findet sich doch ander-
seits in den von Gärtner angestellten Versuchen eine beachtenswerthe
Bestätigung der früher über die Veränderlichkeit der Culturpflanzen
ausgesprochenen Vermuthung.


[47]

Unter den Versuchsarten kommen cultivirte Gewächse vor, wie
Aquilegia atropurpurea und canadensis, Dianthus Caryophyllus, chinen-
sis und japonicus, Nicotiana rustica und paniculata, und auch diese
hatten nach einer 4- bis 5maligen hybriden Verbindung nichts von
ihrer Selbstständigkeit verloren.

Notes
*)
Eine Art besitzt eine schöne braunrothe Hülsenfarbe, welche gegen die
Zeit der Reife hin in Violett und Blau übergeht. Der Versuch über
dieses Merkmal wurde erst im verflossenen Jahre begonnen.
*)
Bei Pisum ist es wohl ausser Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen
Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungs-
zellen stattfinden müsse. Wie wollte man es sonst erklären, dass unter
den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl
und mit allen ihren Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der
Einfluss des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre dem-
selben blos die Rolle einer Amme zugetheilt, dann könnte der Erfolg
einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein, als dass die ent-
wickelte Hybride ausschliesslich der Pollenpflanze gleich käme, oder ihr
doch sehr nahe stände. Das haben die bisherigen Versuche in keinerlei
Weise bestätigt. Ein gründlicher Beweis für die vollkommene Vereini-
gung des Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten
Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgiltig ist, welche
von den Stammformen die Samen- oder Pollenpflanze war.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Mendel, Gregor. Versuche über Pflanzen-Hybriden. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmvr.0