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[figure]
[[I]]
Goͤtterlehre
oder
mythologiſche Dichtungen
der Alten.


Mit fuͤnf und ſechzig in Kupfer geſtochenen
Abbildungen
nach antiken geſchnittnen Steinen und andern
Denkmälern des Alterthums.

Berlin,:
bei Johann Friedrich Unger,
1791.
[[II]][[III]]

Ich habe es verſucht, die mythologiſchen
Dichtungen der Alten in dem Sinne
darzuſtellen, worin ſie von den vorzuͤg-
lichſten Dichtern und bildenden Kuͤnſtlern
des Alterthums ſelbſt, als eine Spra-
che der Phantaſie
, benutzt und ihren
Werken eingewebt ſind, deren aufmerk-
ſame Betrachtung, mir durch das Laby-
rinth dieſer Dichtungen zum Leitfaden
gedient hat. Die Abdruͤcke von den
* 2
[[IV]] Gemmen aus der Lippertſchen Daktylio-
thek und aus der Stoſchiſchen Samm-
lung habe ich mit dem Herrn Pro-
feſſor Karſtens
, der die Zeichnungen
zu den Kupfern verfertigt hat, gernein-
ſchaftlich ausgewaͤhlt, um, ſo viel es
ſich thun ließ, diejenigen vorzuziehen,
deren Werth zugleich mit in ihrer Schoͤn-
heit, und der Kunſt, womit die Dar-
ſtellung ausgefuͤhrt iſt, beſteht.


[V]

Inhalt.


  • Seite.
  • Geſichtspunkt fuͤr die mythologiſchen
    Dichtungen 1
  • Die Erzeugung der Goͤtter 13
  • Der Goͤtterkrieg 20
  • Die Bildung der Menſchen 31
  • Die Nacht und das Fatum, das uͤber
    Goͤtter und Menſchen herrſcht 44
  • Die alten Goͤtter 53
  • Amor 54
  • Die himmliſche Venus 56
  • Aurora 57
  • Helios 58
  • Seite.
  • Selene 59
  • Hekate 60
  • Oceanus 61
  • Die Oceaniden 63
  • Mnemoſyne 66
  • Themis 66
  • Pontus 69
  • Nereus 70
  • Thaumas 73
  • Eurybia 73
  • Phorkys und die ſchoͤre Ceto oder die
    Erzeugung der Ungeheuer 74
  • Die Fluͤſſe 76
  • Proteus 76
  • Chiron 77
  • Atlas 77
  • Nemeſis 78
  • Prometheus 78
  • Jupiter, der Vater der Goͤtter 79
  • Die Eiferſucht der Ju[n]o 82
  • Veſta 84
  • Ceres 85
  • Jupiter 85
  • Seite.
  • Die neue Bildung des Menſchenge-
    ſchlechts 89
  • Ogyges 92
  • Inachus 93
  • Cekrops 95
  • Deukalion 96
  • Die alten Einwohner von Arkadien 97
  • Der Dodoniſche Wald 97
  • Die menſchenaͤhnliche Bildung der
    Goͤtter 98
  • Jupiter 99
  • Juno 105
  • Apollo 109
  • Neptun 115
  • Minerva 121
  • Mars 127
  • Venus 131
  • Diana 135
  • Ceres 140
  • Vulkan 145
  • Veſta 151
  • Merkur 155
  • Die Erde 163
  • Seite.
  • Cybele 164
  • Bachus 167
  • Die heiligen Wohnploͤtze der Goͤtter
    unter den Menſchen 179
  • Kreta 180
  • Dodona 181
  • Delos 183
  • Delphi 184
  • Argos 188
  • Olympia 189
  • Athen 191
  • Cypern 191
  • Gnidus 192
  • Cythere 192
  • Lemnos 193
  • Epheſus 193
  • Thracien 194
  • Arkadien 196
  • Phrygien 197
  • Das goͤtteraͤhnliche Menſchengeſchlecht 200
  • Perſeus 205
  • Bellerophon 212
  • Herkules 216
  • Seite.
  • Die zwoͤlf Arbeiten des Herkules 225
  • Der Nemaͤiſche Loͤwe 225
  • Die Lernaͤiſche Schlange 226
  • Der Erymanthiſche Eber 227
  • Der Hirſch der Diana 228
  • Die Stymphaliden 229
  • Das Wehrgehenk der Koͤnigin der Amazonen 230
  • Der Stall des Augias 231
  • Der Kretenſiſche Stier 232
  • Die Roſſe des Diomedes 233
  • Der dreikoͤpfigte Geryon 234
  • Die goldenen Aepfel der Hesperiden 235
  • Der Hoͤllenhund Cerberus 236
  • Die Thaten des Herkules, welche er nicht
    auf fremden Befehl vollfuͤhrt hat 238
  • Die Befreiung der Heſione 239
  • Die Ueberwindung des Antaͤus, Buſiris und
    Kakus 240
  • Die Befreiung der Alceſte aus der Unterwelt 242
  • Die Befreiung des Prometheus von ſeinen
    Qualen 244
  • Die Aufrichtung der Saͤulen an der Meer-
    enge zwiſchen Europa und Afrika 244
  • Die Vermaͤhlungen des Herkules und ſeine
    Vergehungen und Schwaͤchen 246
  • Des Herkules letzte Duldung und ſeine
    Vergoͤtterung 251
  • Seite.
  • Kaſtor und Pollux 253
  • Jaſon 257
  • Die Fahrt der Argonauten 262
  • Meleager 276
  • Die Kalydoniſche Jagd 276
  • Atalante 278
  • Minos 279
  • Daͤdalus 283
  • Theſeus 287
  • Die Weſen, welche das Band zwiſchen
    Goͤttern und Menſchen knuͤpfen 301
  • Genien 301
  • Muſen 302
  • Liebesgoͤtter 309
  • Grazien 311
  • Horen 313
  • Nymphen 314
  • Satyrn 315
  • Faunen 317
  • Pan 319
  • Sylvan 321
  • Penaten 323
  • Priapus 323
  • Seite.
  • Komus 324
  • Hymen 325
  • Orpheus 325
  • Chiron 325
  • Aeſkulap 326
  • Hygea 328
  • Die Lieblinge der Goͤtter 330
  • Ganymed 330
  • Atys 333
  • Tithonus 334
  • Anchiſes 335
  • Adonis 336
  • Hyacinthus 338
  • Cypariſſus 338
  • Leukothoe 339
  • Endymion 340
  • Acis 341
  • Peleus 342
  • Die tragiſchen Dichtungen 344
  • Theben 346
  • Kadmus 346
  • Oedipus 351
  • Eteokles und Polynices 355
  • Der Thebaniſche Krieg 356
  • Seite.
  • Die Pelopiden 362
  • Troja 370
  • Niobe 382
  • Cephalus und Prokris 383
  • Phaeton 384
  • Die Schattenwelt 386
  • Pluto 387
  • Furien 392
  • Die Strafen der Verurtheilten im
    Tartarus 392
  • Tantalus 393
  • Ixion 394
  • Phlegyas 395
  • Die Danaiden 396
  • Siſyphus 396
  • Amor und Pſyche 397

[[1]]

Geſichtspunkt fuͤr die mythologiſchen
Dichtungen.


Die mythologiſchen Dichtungen muͤſſen als
eine Sprache der Phantaſie betrachtet werden:
Als eine ſolche genommen, machen ſie gleich-
ſam eine Welt fuͤr ſich aus, und ſind aus dem
Zuſammenhange der wirklichen Dinge heraus-
gehoben.


Die Phantaſie herrſcht in ihrem eigenen
Gebiete nach Wohlgefallen, und ſtoͤßt nirgends
an. Ihr Weſen iſt zu formen und zu bilden;
wozu ſie ſich einen weiten Spielraum ſchaft,
indem ſie ſorgfaͤltig alle abſtrakten und meta-
phyſiſchen Begriffe meidet, welche ihre Bildun-
gen ſtoͤren koͤnnten.


A
[2]

Sie ſcheuet den Begriff einer metaphyſi-
ſchen Unendlichkeit und Unumſchraͤnktheit am
allermeiſten, weil ihre zarten Schoͤpfungen,
wie in einer oͤden Wuͤſte, ſich ploͤtzlich darin
verlieren wuͤrden.


Sie flieht den Begriff eines anfangsloſen
Daſeyns; alles iſt bei ihr Entſtehung, Zeugen
und Gebaͤhren, bis in die aͤlteſte Goͤtterge-
ſchichte.


Keines der hoͤhern Weſen, welche die
Phantaſie ſich darſtellt, iſt von Ewigkeit; kei-
nes von ganz unumſchraͤnkter Macht. Auch
meidet die Phantaſie den Begriff der Allgegen-
wart, der das Leben und die Bewegung in ih-
rer Goͤtterwelt hemmen wuͤrde.


Sie ſucht vielmehr ſo viel wie moͤglich,
ihre Bildungen an Zeit und Ort zu knuͤpfen;
ſie ruht und ſchwebt gern uͤber der Wirklich-
keit; weil aber die zu große Naͤhe und Deut-
lichkeit des Wirklichen ihrem daͤmmernden
Lichte ſchaden wuͤrde, ſo ſchmiegt ſie ſich am
liebſten an die dunkle Geſchichte der Vorwelt
an, wo Zeit und Ort oft ſelber noch ſchwan-
kend und unbeſtimmt ſind, und ſie deſto freiern
[3] Spielraum hat: Jupiter, der Vater der Goͤt-
ter und Menſchen wird auf der Inſel Kreta
mit der Milch einer Ziege geſaͤugt, und von den
Nymphen des Waldes erzogen.


Dadurch nun, daß in den mythologiſchen
Dichtungen zugleich eine geheime Spur zu der
aͤlteſten verlohren gegangenen Geſchichte ver-
borgen liegt, werden ſie ehrwuͤrdiger, weil ſie
kein leeres Traumbild oder bloßes Spiel des
Witzes ſind, das in die Luft zerflattert, ſon-
dern durch ihre innige Verwebung mit den
aͤlteſten Begebenheiten, ein Gewicht erhalten,
wodurch ihre Aufloͤſung in bloße Allegorie ver-
hindert wird.


Die Goͤttergeſchichte der Alten durch aller-
lei Ausdeutungen zu bloßen Allegorien umbil-
den zu wollen, iſt ein eben ſo thoͤrichtes Unter-
nehmen, als wenn man dieſe Dichtungen durch
allerlei gezwungene Erklaͤrungen in lauter
wahre Geſchichte zu verwandeln ſucht.


Die Hand, welche den Schleier, der dieſe
Dichtungen bedeckt, ganz hinwegziehen will,
verletzt zugleich das zarte Gewebe der Phanta-
ſie, und ſtoͤßt alsdann ſtatt der gehoften Ent-
A 2
[4] deckungen auf lauter Widerſpruͤche und Unge-
reimtheiten.


Um an dieſen ſchoͤnen Dichtungen nichts
zu verderben, iſt es noͤthig, ſie zuerſt, ohne
Ruͤckſicht auf etwas, das ſie bedeuten ſollen,
grade ſo zu nehmen wie ſie ſind, und ſoviel
wie moͤglich mit einem Ueberblick das Ganze zu
betrachten, um auch den entfernteren Bezie-
hungen und Verhaͤltniſſen zwiſchen den einzeln
Bruchſtuͤcken, die uns noch uͤbrig ſind, allmaͤ-
lich auf die Spur zu kommen.


Denn wenn man z. B. auch ſagt: Jupiter
bedeutet die obere Luft; ſo druͤckt man doch
dadurch nichts weniger, als den Begriff
Jupiter aus, wozu alles das mitgerechnet
werden muß, was die Phantaſie einmal hin-
eingelegt, und wodurch dieſer Begriff an und
fuͤr ſich ſelbſt eine Art von Vollſtaͤndigkeit er-
halten hat, ohne erſt außer ſich ſelbſt noch
etwas andeuten zu duͤrfen.


Der Begriff Jupiter bedeutet in dem
Gebiete der Phantaſie zuerſt ſich ſelbſt, ſo wie
der Begriff Caͤſar in der Reihe der wirklichen
Dinge den Caͤſar ſelbſt bedeutet. Denn wer
[5] wuͤrde wohl z. B. bei dem Anblick der Bildſaͤule
des Jupiter von Phidias Meiſterhand, zuerſt
an die oͤbere Luft gedacht haben, die durch den
Jupiter bezeichnet werden ſoll, als wer alles
Gefuͤhl fuͤr Erhabenheit und Schoͤnheit ver-
laͤugnet haͤtte, und im Stande geweſen waͤre,
das hoͤchſte Werk der Kunſt, wie eine Hierogly-
phe oder einen todten Buchſtaben zu betrach-
ten, der ſeinen ganzen Werth nur dadurch
hat, weil er etwas außer ſich bedeutet.


Ein wahres Kunſtwerk, eine ſchoͤne Dich-
tung iſt etwas in ſich Fertiges und Vollende-
tes, das um ſein ſelbſt willen da iſt, und deſ-
ſen Werth in ihm ſelber, und in dem wohlge-
ordneten Verhaͤltniß ſeiner Theile liegt; da
hingegen die bloßen Hiroglyphen oder Buchſta-
ben an ſich ſo ungeſtaltet ſeyn koͤnnen, wie ſie
wollen, wenn ſie nur das bezeichnen, was
man ſich dabei denken ſoll.


Der muͤßte wenig von den hohen Dichter-
ſchoͤnheiten des Homer geruͤhrt ſeyn, der nach
Durchleſung deſſelben noch fragen koͤnnte:
was bedeutet die Iliade? was bedeutet die
Odyſſee?


[6]

Alles, was eine ſchoͤne Dichtung bedeutet,
liegt ja in ihr ſelber; ſie ſpiegelt in ihrem groſ-
ſen oder kleinen Umfange, die Verhaͤltniſſe der
Dinge, das Leben und die Schickſale der Men-
ſchen ab; ſie lehrt auch Lebensweisheit, nach
Horazens Ausſpruch, beſſer als Krantor und
Chryſipp.


Aber alles dieſes iſt den dichteriſchen
Schoͤnheiten untergeordnet, und nicht der
Hauptendzweck der Poeſie; denn eben darum
lehrt ſie beſſer, weil Lehren nicht ihr Zweck iſt;
weil die Lehre ſelbſt ſich dem Schoͤnen unter-
ordnet, und dadurch Anmuth und Reitz ge-
winnt.


In den mythologiſchen Dichtungen iſt nun
die Lehre freilich ſo ſehr untergeordnet, daß ſie
ja nicht darin geſucht werden muß, wenn das
ganze Gewebe dieſer Dichtungen uns nicht als
frevelhaft erſcheinen ſoll.


Denn der Menſch iſt in dieſen poetiſchen
Darſtellungen der hoͤhern Weſen ſo etwas Un-
tergeordnetes, daß auf ihn uͤberhaupt, und
alſo auch auf ſeine moraliſchen Beduͤrfniſſe we-
nig Ruͤckſicht genommen wird.


[7]

Er iſt oft ein Spiel der hoͤhern Maͤchte,
die uͤber alle Rechenſchaft erhaben, ihn nach
Gefallen erhoͤhen und ſtuͤrzen, und nicht ſowohl
die Beleidigungen ſtrafen, welche die Men-
ſchen ſich untereinander zufuͤgen, als vielmehr
jeden Anſchein von Eingriff in die Vorrechte
der Goͤtter auf das ſchrecklichſte ahnden.


Dieſe hoͤhern Maͤchte ſind nichts weniger,
als moraliſche Weſen. Die Macht iſt immer
bei ihnen der Hauptbegriff, dem alles uͤbrige
untergeordnet iſt. Die immerwaͤhrende Ju-
gendkraft, welche ſie beſitzen, aͤußert ſich bei
ihnen in ihrer ganzen uͤppigen Fuͤlle.


Denn da ein jedes dieſer von der Phanta-
ſie gebornen Weſen, in gewiſſer Ruͤckſicht, die
ganze Natur mit allen ihren uͤppigen Auswuͤch-
ſen, und ihrem ganzen ſchwellenden Ueberfluß
in ſich darſtellt, ſo iſt es, als eine ſolche Dar-
ſtellung, uͤber alle Begriffe der Moralitaͤt er-
haben. Weil man weder von der ganzen Na-
tur ſagen kann, daß ſie ausſchweife; noch dem
Loͤwen ſeinen Grimm, dem Adler ſeine Raub-
ſucht; oder der giftigen Schlange ihre Schaͤd-
lichkeit, zum Frevel anrechnen darf.


[8]

Weil aber die Phantaſie die allgemeinen
Begriffe fliehet, und ihre Bildungen, ſo viel
wie moͤglich, individuell zu machen ſucht, ſo
uͤbertraͤgt ſie den Begriff der hoͤhern obwalten-
den Macht auf Weſen, die ſie als wirklich dar-
ſtellt, denen ſie Geſchlechtsregiſter, Geburt
und Nahmen, und menſchliche Geſtalt bei-
legt.


Sie laͤßt ſo viel wie moͤglich die Weſen,
die ſie ſchaft, in das Reich der Wirklichkeit
ſpielen. Die Goͤtter vermaͤhlen ſich mit den
Toͤchtern der Menſchen, und erzeugen mit ih-
nen die Helden, welche durch kuͤhne Thaten
zur Unſterblichkeit reifen.


Hier iſt es nun, wo das Gebiet der Phan-
taſie und der Wirklichkeit am naͤchſten aneinan-
der grenzt, und wo es darauf ankommt, das,
was Sprache der Phantaſie oder mythologi-
ſche Dichtung iſt, auch bloß als ſolche zu be-
trachten, und vor allen voreiligen hiſtoriſchen
Ausdeutungen ſich zu huͤten.


Denn dieſe Miſchung des Wahren, mit
der Dichtung in der aͤlteſten Geſchichte, macht
an unſerm Geſichtskreiſe, ſo weit wir in die
[9] Ferne zuruͤckblicken, gleichſam den daͤmmern-
den Horizont aus. Soll uns hier eine neue
Morgenroͤthe aufgehen, ſo iſt es noͤthig, die
mythologiſchen Dichtungen, als alte Voͤlker-
ſagen, ſo viel wie moͤglich von einander zu ſchei-
den, um den Faden ihrer allmaͤhligen Verwe-
bungen und Uebertragungen wieder aufzufinden.
In dieſer Ruͤckſicht die aͤlteſten Voͤlkerſagen,
welche auf uns gekommen ſind, nebeneinander
zu ſtellen, iſt das Geſchaͤft einer allgemeinen
Mythologie, wozu die gegenwaͤrtige, welche auf
die Goͤtterlehre der Griechen und Roͤmer be-
ſchraͤnkt iſt, nur von fern die Hand bieten kann.


In das Gebiet der Phantaſie, welches
wir nun betreten wollen, ſoll uns ein Dich-
ter fuͤhren, der ihr Lob am wahrſten geſun-
gen hat.


Meine Goͤttin.
Welcher Unſterblichen

Soll der hoͤchſte Preis ſeyn?

Mit niemand ſtreit’ ich,

Aber ich geb’ ihn

Der ewig beweglichen,

[10]
Immer neuen,

Seltſamſten Tochter Jovis,

Seinem Schooßkinde,

Der Phantaſie.

Denn ihr hat er

Alle Launen,

Die er ſonſt nur allein

Sich vorbehaͤlt,

Zugeſtanden,

Und hat ſeine Freude

An der Thoͤrin.

Sie mag roſenbekraͤnzt

Mit dem Lilienſtaͤngel

Blumenthaͤler betreten,

Sommervoͤgeln gebieten,

Und leichtnaͤhrenden Thau

Mit Bienenlippen

Von Bluͤthen ſaugen:

Oder ſie mag

Mit fliegendem Haar

Und duͤſterm Blicke

Im Winde ſauſen

Um Felſenwaͤnde,

Und tauſendfarbig,

Wie Morgen und Abend,

[11]
Immer wechſelnd,

Wie Mondesblicke,

Den Sterblichen ſcheinen.

Laßt uns alle

Den Vater preiſen!

Den alten, hohen,

Der ſolch eine ſchoͤne,

Unverwelkliche Gattin

Den ſterblichen Menſchen

Geſellen moͤgen!

Denn uns allein

Hat er ſie verbunden

Mit Himmelsband,

Und ihr geboten,

In Freud’ und Elend,

Als treue Gattin,

Nicht zu entweichen.

Alle die andern

Armen Geſchlechter

Der kinderreichen,

Lebendigen Erde

Wandeln und weiden

Im dunkeln Genuß

Und truͤben Schmerzen

Des augenblicklichen,

[12]
Beſchraͤnkten Lebens,

Gebeugt vom Joche

Der Nothdurft.

Uns aber hat er

Seine gewandteſte,

Verzaͤrtelte Tochter,

Freut euch! gegoͤnnt!

Begegnet ihr lieblich,

Wie einer Geliebten,

Laßt ihr die Wuͤrde

Der Frauen im Haus.

Und daß die alte

Schwiegermutter Weisheit

Das zarte Seelchen

Ja nicht beleid’ge!

Doch kenn’ ich ihre Schweſter,

Die aͤltere, geſetztere,

Meine ſtille Freundin:

O daß die erſt

Mit dem Lichte des Lebens

Sich von mir wende,

Die edle Treiberin,

Troͤſterin, Hofnung!

Goͤthe.


[13]

Die Erzeugung der Goͤtter.


Da wo das Auge der Phantaſie nicht weiter
traͤgt iſt Chaos, Nacht, und Finſterniß; und
doch trug die ſchoͤne Einbildungskraft der Griechen
auch in dieſe Nacht einen ſanften Schimmer, der
ſelbſt ihre Furchtbarkeit reitzend macht. — Zuerſt
iſt das Chaos, dann die weite Erde, der finſtere
Tartarus — und Amor, der ſchoͤnſte unter den
unſterblichen Goͤttern.


Gleich im Anfange dieſer Dichtungen vereini-
gen ſich die entgegengeſetzten Enden der Dinge;
an das Furchtbarſte und Schrecklichſte grenzt das
Liebenswuͤrdigſte. — Das Gebildete und Schoͤne
entwickelt ſich aus dem Unfoͤrmlichen und Unge-
bildeten. — Das Licht ſteigt aus der Finſterniß
empor. — Die Nacht vermaͤhlt ſich mit dem Ere-
bus, dem alten Sitze der Finſterniß und gebiert
den Aether und den Tag. Die Nacht iſt reich
an mannigfaltigen Geburten, denn ſie huͤllt alle
die Geſtalten in ſich ein, welche das Licht des
Tages vor unſerm Blick entfaltet.


[14]

Das Finſtere, Irrdiſche und Tiefe iſt die
Mutter des Himmliſchen, Hohen, und Leuchten-
den. Die Erde erzeugt aus ſich ſelbſt den Uranos
oder den Himmel, der ſie umwoͤlbet. Es iſt
die dunkele und feſte Koͤrpermaſſe, welche von
Licht und Klarheit umgeben den Saamen der
Dinge in ſich einſchließt, und aus deren Schoße
alle Erzeugungen ſich entwickeln.


Nachdem die Erde auch aus ſich ſelber die
Berge und den Pontus oder das Meer erzeugt
hat, vermaͤhlt ſie ſich mit dem umwoͤlbenden Ura-
nos, und gebiert ihm ſtarke Soͤhne und Toͤchter,
die ſelbſt ihrem Erzeuger furchtbar werden.


Hundertaͤrmige Rieſen, den Kottus, Gyges,
und Briareus; ungeheure Cyklopen, den Bron-
tes, Steropes,
und Arges; herrſchſuͤchtige und
mit weit um ſich greifender Macht geruͤſtete Tita-
nen, den Coͤus, Krius, Hyperion, und Japet;
den Oceanus; die maͤchtigen Titaniden, die Thia,
die Rhea, die Themis, die Mnemoſyne, die
Phoͤbe, die Thethys, und den Saturnus oder
Kronos, den juͤngſten unter den Titanen.


Dieſe Kinder der Erde und des Himmels aber
erblicken das Licht des Tages nicht; ſondern wer-
den von ihrem Erzeuger, der ihre angebohrne
Macht ſcheuet, ſobald ſie gebohren ſind, wieder
in den Tartarus eingekerkert. Das Chaos be-
hauptet noch ſeine Rechte. Die Bildungen ſchwan-
[15] ken noch zwiſchen Unterdruͤckung und Empoͤrung. —
Die Erde ſeufzt in ihren innerſten Tiefen uͤber das
Schickſal ihrer Kinder, und denkt auf Rache; ſie
ſchmiedet die erſte Sichel, und giebt ſie als ein
raͤchendes Werkzeug dem Saturnus, ihrem juͤng-
ſten Sohne.


Die wilden Erzeugungen muͤſſen aufhoͤren;
Uranos, der ſeine eigenen Kinder in naͤchtlichem
Dunkel gefangen haͤlt, muß ſeiner Herrſchaft ent-
ſetzt werden. — Sein juͤngſter Sohn Saturnus
uͤberliſtet ihn, da er ſich mit der Erde begattet,
und entmannet ſeinen Erzeuger mit der Sichel, die
ihm ſeine Mutter gab. Aus den Blutstropfen,
welche die Erde auffaͤngt, entſtehen in der Folge
der Zeit die raͤcheriſchen Furien, die furchtbaren,
den Goͤttern drohenden Giganten, und die Nym-
phen Meliaͤ, welche die Berge bewohnen. —
Die dem Uranos entnommene Zeugungskraft be-
fruchtet das Meer, aus deſſen Schaum Aphro-
dite,
die Goͤttin der Liebe empor ſteigt. — Aus
Streit und Empoͤrung der urſpruͤnglichen Weſen
gegeneinander entwickelt und bildet ſich das
Schoͤne.


Nun vermaͤhlen ſich die Kinder des Himmels
und der Erde, und pflanzen das Geſchlecht der Ti-
tanen fort. — Coͤus mit der Phoͤbe, einer Toch-
ter des Himmels, zeugt die Latona, welche nach-
her die Vermaͤhlte des Jupiter, und die Aſteria,
[16] welche die Mutter der Hecate ward. — Hyperion
mit der Thia, einer Tochter des Himmels, zeugt
die Aurora, den Helios oder Sonnengott, und die
Luna. — Oceanus mit der Tethys, einer Tochter
des Himmels, erzeugt die Fluͤſſe und Quellen. —
Japet vermaͤhlt ſich mit der Klymene, einer Toch-
ter des Oceanus, und erzeugt mit ihr die Titanen,
Atlas, Menoͤtios, den Prometheus, der die
Menſchen bildete, und den Epimetheus. — Krius
mit der Eurybia, einer Tochter des Pontus, er-
zeugt die Titanen, Aſtraͤus, Pallas und Perſes.


Saturnus vermaͤhlt ſich mit ſeiner Schweſter
der Rhea, und mit ihm hebt eine Reihe von
neuen Goͤttererzeugungen an, wodurch die Alten
in der Zukunft verdraͤngt werden ſollen. Die
bleibenden Geſtalten gewinnen endlich die Ober-
hand; aber ſie muͤſſen vorher noch lange mit der
alles zerſtoͤrenden Zeit, und dem alles verſchlingen-
den Chaos kaͤmpfen. Saturnus iſt zugleich ein Bild
dieſer zerſtoͤrenden Zeit. Er, der ſeinen Erzeuger
entmannt hat, verſchlingt ſeine eigenen Kinder,
ſo wie ſie gebohren werden: denn ihm iſt von ſei-
ner Mutter, der Erde, geweißagt worden, daß
einer ſeiner Soͤhne ihn ſeiner Herrſchaft berauben
werde. So raͤchte ſich der an ſeinem Erzeuger
veruͤbte Frevel; Saturnus fuͤrchtet gleich dieſem,
die ſich empoͤrende Macht, und waͤhrend er uͤber
feine Bruͤder, die Titanen herrſchte, hielt er den-
[17] noch, gleich dem Uranos, die hundertaͤrmigen Rie-
ſen
und Cyklopen, in dem Tartarus eingekerkert.


Von ſeinen Kindern fuͤrchtet er Verderben;
denn noch lehnet das Neuentſtandene ſich gegen
ſeinen Urſprung auf, der es wieder zu vernichten
droht. So wie die Erde ſeufzte, daß der umwoͤl-
bende Himmel ihre Kinder in ihrem Schooße ge-
fangen hielt, ſo ſeufzt nun Rhea uͤber die Grau-
ſamkeit der alles zerſtoͤrenden, ihre eigenen Bil-
dungen verſchlingenden Macht, mit welcher ſie
vermaͤhlt iſt. Und da ſie den Jupiter, den kuͤnf-
tigen Beherrſcher der Goͤtter und Menſchen ge-
baͤhren ſoll, ſo fleht ſie die Erde und den geſtirn-
ten Himmel um die Erhaltung ihres noch unge-
bohrnen Kindes an.


Die uralten Gottheiten ſind ihrer Herrſchaft
entſetzt, und haben nur noch Einfluß durch Weiſ-
ſagung und Rath; ſie rathen ihrer Tochter, wie
ſie den Jupiter, ſobald ſie ihn gebohren, in eine
fruchtbare Gegend, in Kreta, verbergen ſoll. —
Die wilde umherſchweifende Phantaſie heftet ſich
nun auf einen Fleck der Erde, und findet auf dem
Eilande, wo dies Goͤtterkind erzogen werden ſoll,
den erſten Ruheplatz.


Auf den Rath ihrer Mutter Erde wickelt die
Rhea einen Stein in Windeln, und giebt ihn
dem Saturnus, ſtatt des neugebohrnen Goͤtter-
kindes, zu verſchlingen. Durch dieſen bedeutungs-
B
[18] vollen Stein, deſſen bei den Alten ſo oft Erwaͤh-
nung geſchieht, ſind der Zerſtoͤrung ihre Grenzen
geſetzt; die zerſtoͤrende Macht hat zum erſtenmale
das Lebloſe ſtatt des Lebenden mit ihrer vernichten-
den Gewalt ergriffen, und das Lebende und Ge-
bildete hat Zeit gewonnen gleichſam verſtohlner
Weiſe ſich an das Licht emporzudraͤngen.


Allein es iſt noch vor den Verfolgungen ſeines
allverſchlingenden Urſprungs nicht geſichert. Dar-
um muͤſſen die Erzieher des Goͤtterkindes auf der
Inſel Kreta, die Kureten oder Korybanten,
deren Weſen und Urſprung in geheimnißvolles
Dunkel gehuͤllt iſt, mit ihren Spießen und Schil-
den ein immerwaͤhrendes Getoͤſe machen, damit
Saturnus die Stimme des weinenden Kindes
nicht vernehme. — Denn die zerſtoͤrenden Kraͤfte
lauern, das zarte Gebildete, in ſeinem erſten
Aufkeimen, wo moͤglich, wieder zu zernichten.


Die Erziehung des Jupiter auf der Inſel
Kreta macht eines der reizendſten Bilder [d]er Phan-
taſie; ihn ſaͤugt die Ziege Amalthea, welche in
der Folge unter die Sterne verſetzt, und ihr Horn
zum Horn des Ueberfluſſes erhoͤhet wird. Die
Tauben bringen ihm Nahrung, goldgefaͤrbte Bie-
nen fuͤhren ihm Honig zu, und Nymphen des
Waldes ſind ſeine Pflegerinnen.


Schnell entwickeln ſich nun die Kraͤfte dieſes
kuͤnftigen Beherrſchers der Goͤtter und Menſchen.
[19] Das Ende von dem alten Reiche des Saturnus
naͤhert ſich. Denn fuͤnf ſeiner Kinder ſind noch,
außer dem Jupiter, von ſeiner zerſtoͤrenden Macht
gerettet. Die den Erdkreis mit heiliger Glut be-
lebende Veſta, die befruchtende Ceres, Juno,
Neptun,
und Pluto.


Mit dieſen kuͤndigt Jupiter dem Saturnus,
und den Titanen, welche dem Saturnus bei-
ſtehen, den Krieg an, nachdem er vorher die
Cyklopen aus ihrem Kerker befreiet, und dieſe
ihn dafuͤr mit dem Donner und dem leuchtenden
Blitze begabt hatten. Und nun ſcheiden ſich die
neuern Goͤtter, die vom Saturnus und der Rhea
abſtammen, von den alten Gottheiten oder den
Titanen, welche Kinder des Himmels und der
Erde ſind.



[20]

Der Goͤtterkrieg.


Die Titanen ſind das Empoͤrende, welches ſich
gegen jede Oberherrſchaft auflehnt; es ſind die
unmittelbaren Kinder des Himmels und der
Erde, deren weit um ſich greifende Macht keine
Grenzen kennet, und keine Einſchraͤnkung duldet.


Jupiter aber hatte ſich den Weg zu der Al-
leinherrſchaft ſchon gebahnet, indem er die hun-
dertaͤrmigen Rieſen, Kottus, Gyges, und
Briareus, und die Cyklopen, die unter dem
Uranos und Saturnus gefangen gehalten wur-
den, aus ihrem Kerker befreiet, und dadurch den
Donner und Blitz in ſeine Gewalt bekommen
hatte.


Die neuern Goͤtter, mit dem Jupiter an
ihrer Spitze, verſammleten ſich auf dem Olymp;
die Titanen ihnen gegenuͤber auf dem Othrys, und
der Goͤtterkrieg hub an. — Zehn Jahre dauerte
ſchon der Kampf der neuern Goͤtter mit den Tita-
nen,
als der Sieg noch unentſchieden war, bis
Jupiter ſich den Beiſtand der hundertaͤrmigen
Rieſen erbat, die ihm die Befreiung aus ihrem
Kerker dankten.


Als dieſe nun an dem Treffen Theil nahmen,
ſo faßten ſie ungeheure Felſen in ihre hundert
[21] Haͤnde, um ſie auf die Titanen zu ſchleudern,
welche in geſchloſſenen Phalangen in Schlachtord-
nung ſtanden. Als nun die Goͤtter auf einander
den erſten Angriff thaten, ſo wallte das Meer
hoch auf, die Erde ſeufzte, der Himmel aͤchzte,
und der hohe Olymp wurde vom Gipfel bis zur
Wurzel erſchuͤttert.


Die Blitze flogen ſchaarenweiſe aus Jupi-
ters
ſtarker Hand, der Donner rollte, der Wald
entzuͤndete ſich, das Meer ſiedete, und heißer
Dampf und Nebel huͤllte dle Titanen ein.


Kottus, Gyges, und Briareus ſtanden
voran im Goͤttertreffen, und mit jedem Wurf
ſchleuderten ſie dreihundert Felſenſtuͤcke auf die
Haͤupter der Titanen herab. Da lenkte ſich der
Sieg auf die Seite des Donnerers. Die Tita-
nen
ſtuͤrzten nieder, und wurden ſo weit in den
Tartarus hinabgeſchleudert, als hoch der Himmel
uͤber der Erde iſt.


Nun theilten die drei ſiegreichen Soͤhne des
Saturnus das alte Reich der Titanen unter ſich;
Jupiter beherrſchte den Himmel, Neptun das
Meer, und Pluto die Unterwelt. Die hundert-
aͤrmigen Rieſen aber bewachten den Eingang zu
dem furchtbaren Kerker, der die Titanen ge-
fangen hielt.


Jupiters Blitz beherrſchte nun zwar die Goͤt-
ter, allein ſein Reich ſtand noch nicht feſt. Die
[22] Erde ſeufzte aufs neue uͤber die Schmach ihrer
Kinder, die im dunkeln Kerker ſaßen. Mit den
Blutstropfen befruchtet, die ſie bei der Entman-
nung des Uranos in ihrem Schooße aufnahm,
gebahr ſie in den phlegraͤiſchen Gefilden die him-
melanſtuͤrmenden Giganten mit drohender Stirn
und Drachenfuͤßen, bereit die Schmach der Tita-
nen
zu raͤchen.


Zu Boden geworfen, waren ſie nicht be-
ſiegt, denn mit jeder Beruͤhrung ihrer Mutter
Erde gewannen ſie neue Kraͤfte. — Por-
phyrion
und Alcyoneus, Oromedon und
Enceladus, Rhoͤtus und der tapfre Mi-
mas
huben am ſtolzeſten ihre Haͤupter empor;
ſie ſchleuderten Eichen und Felſenſtuͤcke mit ju-
gendlicher Kraft gen Himmel, und achteten
Jupiters Blitze nicht.


In dem hier beigefuͤgten, nach einem der
ſchoͤnſten Werke des Alterthums verfertigten
Umriß, heben die maͤchtigen Soͤhne der Erde,
unter Jupiters Donnerwagen zu Boden geſtreckt,
dennoch gegen ihn ihr drohendes Haupt empor. —
Macht iſt gegen Macht empoͤrt — einer der er-
habenſten Gegenſtaͤnde, den je die bildende Kunſt
benutzte.


Daraus, daß in den mythologiſchen Dichtun-
gen die Giganten den Goͤttern entgegengeſetzt
[23] werden, ſieht man auch, daß die Alten den Goͤt-
tern keine ungeheure Groͤße beilegten. Das
Gebildete hatte bei ihnen immer den Vorzug vor
der Maſſe; und die ungeheuren Weſen, welche
die Phantaſie ſich ſchuf, entſtanden nur um von
der in die hohe Menſchenbildung eingehuͤllten Goͤt-
terkraft beſiegt zu werden, und unter ihrer eigenen
Unfoͤrmlichkeit zu erliegen.


Gerade die Vermeidung des Ungeheuren,
das edle Maaß, wodurch allen Bildungen ihre
Grenzen vorgeſchrieben wurden, iſt ein Haupt-
zug in der ſchoͤnen Kunſt der Alten; und nicht
umſonſt drehet ſich ihre Phantaſie in den aͤlte-
ſten Dichtungen immer um die Vorſtellung, daß
das Unfoͤrmliche, Ungebildete, Unbegrenzte, erſt
vertilgt und beſiegt werden muß, ehe der Lauf der
Dinge in ſein Gleis koͤmmt.


Die ganze Dichtung des Goͤtterkrieges ſcheint
ſich mit auf dieſe Vorſtellung zu gruͤnden. Ura-
nos
oder die weitausgebreitete Himmelswoͤl-
bung ließ ſich noch unter keinem Bilde faſſen;
was die Phantaſie ſich dachte, war noch zu
weit ausgebreitet, unfoͤrmlich und geſtaltlos;
dem Uranos wurden ſeine eigenen Erzeugun-
gen furchtbar, ſeine Kinder, die Titanen, em-
poͤrten ſich gegen ihn, und ſein Reich entſchwand
in Nacht und Dunkel.


[24]

Der Name der Titanen zeigt ſchon das
weit um ſich Greifende, Grenzenloſe, in ihrem
Weſen an, wodurch die Bildungen, welche ſich
die Phantaſie von ihnen macht, ſchwankend
und unbeſtimmt werden. Die Phantaſie flieht
vor dem Grenzenloſen und Unbeſchraͤnkten; die
neuen Goͤtter ſiegen, das Reich der Titanen
hoͤrt auf, und ihre Geſtalten treten gleichſam
in Nebel zuruͤck, wodurch ſie nur noch ſchwach
hervorſchimmern.


An der Stelle des Titanen Helios oder des
Sonnengottes ſteht der ewig junge Apoll mit
Pfeil und Bogen. Unbeſtimmt und ſchwankend
ſchimmert das Bild vom Helios durch, und die
Phantaſie verwechſelt in den Werken der Dicht-
kunſt oft beide mit einander. So ſteht an der
Stelle des alten Oceanus, Neptun mit ſeinem
Dreizack, und beherrſcht die Fluthen des Meers.


Demohngeachtet aber bleiben die alten Gott-
heiten noch immer ehrwuͤrdig, denn ſie waren
den neuern Goͤttern nicht etwa wie das Ver-
derbliche und Haſſenswuͤrdige dem Wohlthaͤtigen
und Guten entgegengeſetzt; ſondern Macht em-
poͤrte ſich gegen Macht; Macht ſiegte uͤber Macht,
und das Beſiegte ſelbſt blieb in ſeinem Sturz
noch groß.


So wie man ſich nehmlich unter dem Reiche
der Titanen und unter der Herrſchaft des Sa-
[25] turnus,
der ſeine eigenen Kinder verſchlang, noch
das Grenzenloſe, Chaotiſche, Ungebildete dachte,
worauf die Einbildungskraft nicht haften kann;
ſo verknuͤpfte man doch wieder mit dieſer Vorſtel-
lung von dem Ungebildeten, Umherſchweifenden,
und Grenzenloſen, das keinem Zwange unterwor-
fen iſt, den Begriff von Freiheit und Gleichheit,
der unter der Alleinherrſchaft des Einzigen, der
mit dem Donner bewafnet war, nicht mehr ſtatt
finden konnte.


Man verſetzte daher das goldene Zeitalter un-
ter die Regierung des Saturnus; welcher, nach-
dem er in dem Goͤtterkriege ſeiner zerſtoͤrenden
Macht beraubt war, nach einer alten Sage, dem
Schickſal der uͤbrigen Titanen, die in den Tarta-
rus geſchleudert wurden, entfloh, und ſich in den
mit Bergen umſchloſſenen Ebenen von Latium
verbarg, wohin er das goldene Zeitalter brachte,
indem er in einem Schiffe auf dem Tiberſtrome,
beim Janus anlangte, und mit ihm vereint, die
Menſchen mit Weisheit und Guͤte beherrſchte.


Dieſe Dichtung iſt vorzuͤglich ſchoͤn, wegen
des Ueberganges vom Kriegeriſchen und Zerſtoͤren-
den, zum Friedlichen und Sanften. Waͤhrend
daß Jupiter noch immer in Gefahr der Herr-
ſchaft entſetzt zu werden, ſeine Blitze gegen die
Giganten ſchleudert, iſt Saturnus fern von
dem verderblichen Goͤtterkriege in Latium ange-
[26] langt, wo unter ihm ſich die gluͤcklichen Zeiten bil-
den, die nachher in den Liedern der Menſchen als
ein entflohenes Gut beſungen, und vergeblich zu-
ruͤck gewuͤnſcht wurden.


So iſt er auf einer alten Gemme, wovon
hier der Umriß beigefuͤgt iſt, mit der Senſe in der
Hand, auf einem Schiffe, wovon nur der Schna-
bel oder das Vordertheil ſichtbar iſt, abgebildet,
neben dem Schiffe ſieht man einen Theil einer
Mauer und eines Gebaͤudes hervorragen, wahr-
ſcheinlich weil an den Ufern der Tiber vom Sa-
turnus,
die alte Stadt Saturnia auf den nach-
maligen Huͤgeln Roms erbauet wurde.


Auf die Weiſe iſt nun Saturnus bald ein
Bild der alleszerſtoͤrenden Zeit, bald ein Koͤnig,
der zu einer gewiſſen Zeit in Latium herrſchte.
Die Erzaͤhlungen von ihm ſind weder bloße Alle-
gorien, noch bloße Geſchichte, ſondern beides zu-
ſammengenommen, und nach den Geſetzen der
Einbildungskraft verwebt. Dieß iſt auch der
Fall bei den Erzaͤhlungen von den uͤbrigen Gott-
heiten, die wir durchgaͤngig als ſchoͤne Dichtun-
gen nehmen, und durch zu beſtimmte Ausdeu-
tungen nicht verderben muͤſſen. Denn da die
ganze Religion der Alten eine Religion der Phan-
taſie und nicht des Verſtandes war, ſo iſt auch
ihre Goͤtterlehre ein ſchoͤner Traum, der zwar
[27] viel Bedeutung und Zuſammenhang in ſich hat,
auch zuweilen erhabene Ausſichten giebt, von dem
man aber die Genauigkeit und Beſtimmtheit der
Ideen im wachenden Zuſtande nicht fordern
muß.


Ob nun Jupiter gleich die Titanen in den
Tartarus verbannt, und uͤber die Giganten zuletzt
die Inſeln des Meeres mit rauchenden Vulkanen
gewaͤlzt hatte, ſo war dennoch ſein Reich noch nicht
befeſtigt; denn die Erde zuͤrnte aufs neue uͤber die
Gefangenſchaft ihrer Kinder, und gebahr, nach-
dem ſie ſich mit dem Tartarus begattet hatte, den
Tiphoͤus, ihren juͤngſten Sohn.


Das furchtbarſte Ungeheuer, das je aus der
dunkeln Nacht emporſtieg; deſſen hundert Dra-
chenhaͤupter mit ſchwarzen Zungen leckten, und
mit feurigen Augen blitzten; das bald verſtaͤndli-
che Laute von ſich gab, und bald mit hundert
verſchiedenen Stimmen der Thiere des Waldes
heulte und bruͤllte, daß die Berge davon wieder-
hallten.


Nun waͤre es um die Herrſchaft der neuen
Goͤtter gethan geweſen, wenn Jupiter nicht
ſchleunig ſeinen Blitz ergriffen, und ihn unauf-
hoͤrlich auf das Ungeheuer geſchleudert haͤtte, ſo
lange bis Erd’ und Himmel in Flammen ſtand,
und der Weltbau erſchuͤttert ward, ſo daß Pluto,
[28] der Koͤnig der Schatten, und die Titanen im
Tartarus uͤber das unaufhoͤrliche Getoͤſe erbeten,
das uͤber ihren Haͤuptern rollte.


Der Sieg uͤber dies Ungeheuer wurde dem
Jupiter am ſchwerſten unter allen, und drohte
ihm ſelber den Untergang. Er freute ſich daher
dieſes Sieges nicht, ſandern ſchleuderte den Ti-
phoͤus,
als er zu Boden geſunken war, trauer-
voll in den Tartarus hinab.


Denn dem Herrſcher der Goͤtter, drohte ſtets
Gefahr, nicht nur von fremder Macht, ſondern
auch von ſeinen eigenen Entſchließungen. So
weißagte ihm, als er ſich mit der weisheitbegabten
Metis, einer Tochter des Oceanus vermaͤhlt
hatte, ein Orakelſpruch, daß ſie ihm einen Sohn
gebaͤren, und daß dieſer zugleich mit der Weis-
heit ſeiner Mutter, und der Macht ſeines Vaters
ausgeruͤſtet, die Goͤtter alle beherrſchen wuͤrde.


Um dem vorzubeugen zog Jupiter die weis-
heitbegabte Metis mit ſchmeichelnden Lockungen
in ſich hinuͤber, und gebahr nun ſelbſt die Mi-
nerva,
welche bewafnet aus ſeinem Haupte her-
vorſprang. — Eine aͤhnliche Gefahr drohte ihm
noch einmal, da er ſich mit der Thetis begatten
wollte, von der ein Orakelſpruch geweißagt hatte,
ſie wuͤrde einen Sohn gebaͤhren, der wuͤrde
maͤchtiger als ſein Vater ſeyn.


[29]

So fuͤrchtet ſich in dieſen Dichtungen das
Maͤchtigſte immer vor noch etwas Maͤchtigerm.
Bei dem Begriff der ganz unumſchraͤnkten Macht
hingegen hoͤrt alle Dichtung auf, und die Phantaſie
hat keinen Spielraum mehr. Man muß daher
die Verſtandesbegriffe auf keine Weiſe hiemit ver-
mengen, da man uͤberdem, eins dem andern un-
beſchadet, jedes fuͤr ſich abgeſondert, ſehr wohl
betrachten kann.


In der folgenden Zeit wurden ſogar zwei
Soͤhne des Neptun, die derſelbe mit der Iphi-
media,
einer Tochter des Aloeus erzeugte, und
welche daher die Aloiden hießen, dem Jupiter
furchtbar. Ihre Namen waren, Otus und
Ephialtes; ſie ragten im Schmuck der Jugend
und Schoͤnheit mit Rieſengroͤße zum Himmel em-
por, und drohten den unſterblichen Goͤttern, in-
dem ſie Berge auf einander thuͤrmten, auf den
Olymp den Oſſa, und auf den Oſſa den Pelion
waͤltzten, um ſo den Himmel zu [erſteigen], welches
ihnen gelungen waͤre, wenn ſie die Jahre der
Mannbarkeit erreicht haͤtten. Aber Apollo er-
legte ſie mit ſeinen Pfeilen, ehe noch das weiche
Milchhaar ihr Kinn bedeckte.


Selbſt die Sterblichen wagten es alſo ſich ge-
gen die Goͤtter aufzulehnen, welche daher auch
eiferſuͤchtig, auf jede hoͤhere Entwickelung menſch-
[30] licher Kraͤfte waren; jede Ueberhebung auf das
ſchaͤrfſte ahndeten, und den armen Sterblichen
anfaͤnglich ſogar das Feuer mißgoͤnnten. Denn
die Menſchen mußten noch den Haß der Goͤtter
gegen die Titanen tragen, weil ſie von einem Ab-
koͤmmling derſelben, dem Prometheus, gebildet
und ins Leben hervorgerufen waren.


[31]

Die Bildung der Menſchen.


So untergeordnet iſt in dieſen Dichtungen der
Urſprung der Menſchen, daß ſie nicht einmal den
herrſchenden Goͤttern, ſondern einem Abkoͤmm-
linge der Titanen, ihr Daſeyn danken.


Denn Prometheus, welcher die Menſchen
aus Thon bildete, war ein Sohn des Japet, der
außer ihm noch drei Soͤhne erzeugt hatte, den
Atlas, Menoͤtius, und Epimetheus, die alle
den Goͤttern verhaßt waren.


Japet, der Stammvater der Menſchen,
lag ſchon vom Jupiter mit den uͤbrigen Titanen
in den Tartarus hinabgeſchleudert; ſein ſtarker
Sohn, Menoͤtius, wurde wegen ſeiner den Goͤt-
tern furchtbaren Macht, und uͤbermuͤthigem Stolz,
von Jupiters Blitz erſchlagen, in den Erebus hin-
abgeſtuͤrzt. Dem Atlas legte Jupiter die ganze
Laſt des Himmels auf ſeine Schultern; den Pro-
metheus
ſelber ließ er zuletzt an einen Felſen
ſchmieden, wo ein Geier unaufhoͤrlich an ſeinem
Eingeweide nagte; und den Epimetheus ließ
er das Ungluͤck uͤber die Menſchen bringen.


[32]

So verhaßt war den Goͤttern das Geſchlecht
des Japet, woraus der Menſch entſprang, auf
den in der Folge die unzaͤhligen Leiden ſich zuſam-
menhaͤuften, wodurch er die Schuld des ihm
mißgoͤnnten Daſeyns vielfach buͤßen mußte.


Prometheus befeuchtete die noch von den
himmliſchen Theilchen geſchwaͤngerte Erde mit
Waſſer, und machte den Menſchen nach dem
Bilde der Goͤtter, ſo daß er allein ſeinen Blick
gen Himmel empor hebt, indeß alle andern Thiere
ihr Haupt zur Erde neigen.


Den Goͤttern ſelber alſo konnte die Phantaſie
keine hoͤhere Bildung als die Menſchenbildung bei-
legen, weil nichts mehr uͤber die erhabene auf-
rechte Stellung geht, in welcher ſich gleichſam die
ganze Natur verjuͤngt, und erſt zum Anſchauen
von ſich ſelber koͤmmt.


Denn die Strahlen der Sonne leuchten, aber
das Auge des Menſchen ſiehet. — Der Donner
rollt, und die Stuͤrme des Meeres brauſen, aber
die Zunge des Menſchen redet vernehmliche Toͤne. —
Die Morgenroͤthe ſchimmert in ihrer Pracht, aber
die Geſichtszuͤge des Menſchen ſind ſprechend und
bedeutend.


Es ſcheint als muͤſſe die unermeßliche Natur
ſich erſt in dieſe zarten Umriſſe ſchmiegen, um
ſich ſelbſt zu faſſen, und wieder umfaßt zu werden.
Um die goͤttliche Geſtalt abzubilden gab es nichts
[]

[figure]

[][33] Hoͤheres, als Aug’ und Naſe, und Stirn und
Augenbraunen, als Wang’ und Mund und Kinn;
weil wir nur von dem, was lebt und dieſe Geſtalt
hat, wiſſen koͤnnen, daß es Vorſtellungen habe wie
wir, und daß wir Gedanken und Worte mit ihm
wechſeln koͤnnen.


Prometheus iſt daher auf den alten Kunſt-
werken ganz wie der bildende Kuͤnſtler darge-
ſtellt, ſo wie auch auf dem hier beigefuͤgten Um-
riß, nach einem antiken geſchnittenen Steine, wo
zu ſeinen Fuͤßen eine Vaſe, und vor ihm ein
menſchlicher Torſo ſteht, den er, ſo wie jene, aus
Thon gebildet, und deſſen Vollendung er zum
einzigen Augenmerk ſeiner ganzen Denkkraft ge-
macht zu haben ſcheint.


Als es dem Prometheus gelungen war, die
goͤttliche Geſtalt wieder außer ſich darzuſtellen,
brannte er vor Begierde, ſein Werk zu vollenden:
und er ſtieg hinauf zum Sonnenwagen, und zuͤn-
dete da die Fackel an, von deren Gluth er ſeinen
Bildungen die aͤtheriſche Flamme in den Buſen
hauchte, und ihnen Waͤrme und Leben gab.


So iſt er hier zum zweitenmal abgebildet,
ſitzend mit der Fackel in der Hand, uͤber der ein
Schmetterling ſchwebt, welcher den beſeelenden
Hauch
andeutet, wodurch die todte Maſſe belebt
wird. Der bildende Kuͤnſtler iſt zum Schoͤpfer
geworden; ſeine Bildungen werden ihm gleich.


C
[34]

Daß Prometheus ſelbſt ein Schoͤpfer goͤttli-
cher Bildungen wurde, daruͤber zuͤrnte Jupiter,
und dachte darauf, wie er die Menſchen verder-
ben wollte. Als daher Prometheus einſt einen
Stier ſchlachtete, und um den Jupiter zu verſu-
chen, das Fleiſch und die Knochen jedes in eine
Haut gewickelt beſonders legte, damit Jupiter
waͤhlen moͤchte, ſo waͤhlte dieſer mit Fleiß den
ſchlechtern Theil, um wegen des Betruges auf
den Prometheus zuͤrnen zu koͤnnen, und ſeinen
Zorn an den Sterblichen auszulaſſen, die er nun
ploͤtzlich des Feuers beraubte.


Denn an dem Prometheus ſelber ſeinen Haß
auszuuͤben wagte Jupiter damals noch nicht; er
ſuchte ihm nur ſein Werk zu verderben; aber auch
dies gelang ihm nicht; denn Prometheus, der
den Jammer der Menſchen nicht dulden konnte,
ſtieg wiederum zum Sonnenwagen, und entwen-
dete aufs neue den aͤtheriſchen Funken, den er in
dem Marke der roͤhrichten Pflanze verbarg, und
ihn den Sterblichen vom Himmel wiederbrachte.


Als nun Jupiter von fern den Glanz des
Feuers unter den Menſchen erblickte, ſo dachte er
aufs neue, wie er ſie durch ihre eigene Thorheit
ſtrafen wollte; waͤhrend daß Prometheus fortfuhr
die Menſchen alle nuͤtzliche Kuͤnſte zu lehren, welche
der Gebrauch des Feuers moͤglich macht, und was
die groͤßte Wohlthat war, ihnen den Blick in die
[35] Zukunft benahm, damit ſie unvermeidliche Uebel
nicht voraus ſehen moͤchten.


Dem Jupiter alſo gleichſam zum Trotz ſuchte
Prometheus ſeine Menſchenſchoͤpfung und Men-
ſchenbildung zu vollenden, ob er gleich ſelber wuß-
te, daß er dereinſt ſchrecklich wuͤrde dafuͤr buͤßen
muͤſſen. — Dieß ungleiche Verhaͤltniß der Men-
ſchen zu den herrſchenden Goͤttern gab nachher den
Stoff zu den tragiſchen Dichtungen, deren Geiſt
in den folgenden Zeilen athmet, worin ein Dich-
ter unſerer Zeiten den Prometheus, im Nahmen
der Menſchen, deren Jammer er in ſeinem
Buſen traͤgt,
redend einfuͤhrt.


Prometheus.
Bedecke deinen Himmel, Zevs,

Mit Wolkendunſt,

Und uͤbe, dem Knaben gleich,

Der Diſteln koͤpft,

An Eichen dich und Vergeshoͤhn;

Mußt mir meine Erde

Doch laſſen ſtehn,

Und meine Huͤtte, die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

Um deſſen Gluth

Du mich beneideſt.

C 2
[36]
Ich kenne nichts aͤrmers

Unter der Sonn’ als euch Goͤtter!

Ihr naͤhret kuͤmmerlich

Von Opferſteuern

Und Gebetshauch

Eure Majeſtaͤt,

Und darbtet, waͤren

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Thoren.

Da ich ein Kind war,

Nicht wußte wo aus noch ein,

Kehrt’ ich mein verirrtes Auge

Zur Sonne, als wenn druͤber waͤr’

Ein Ohr zu hoͤren meine Klage,

Ein Herz wie mein’s

Sich des Bedraͤngten zu erbarmen.

Wer half mir

Wider der Titanen Uebermuth?

Wer rettete vom Tode mich

Von Sklaverey?

Haſt du nicht alles ſelbſt vollendet,

Heilig gluͤhend Herz?

Und gluͤhteſt jung und gut,

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden da droben?

[37]
Ich dich ehren? Wofuͤr?

Haſt du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Haſt du die Thraͤnen geſtillet

Je des Geaͤngſteten?

Hat nicht mich zum Manne geſchmiedet

Die allmaͤchtige Zeit,

Und das ewige Schickſal

Meine Herrn und deine?

Waͤhnteſt du etwa,

Ich ſollte das Leben haſſen,

In Wuͤſten fliehen,

Weil nicht alle

Bluͤthentraͤume reiften?

Hier ſitz’ ich, forme Menſchen

Nach meinem Bilde,

Ein Geſchlecht, das mir gleich ſey,

Zu leiden, zu weinen,

Zu genießen und zu freuen ſich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!

Goͤthe.


Nun ließ aber Jupiter, der uͤber den Raub
des Feuers noch immer zuͤrnte, eine weibliche Ge-
[38] ſtalt von Goͤtterhaͤnden bilden, die er mit allen Ga-
ben ausgeſchmuͤckt, Pandora nannte, und ſandte
ſie mit allen verfuͤhreriſchen Reitzen, und mit einer
Buͤchſe, worin das ganze Heer von Uebeln, das
den Menſchen drohte, verſchloſſen war, zum Pro-
metheus, der bald den Betrug erkannte, und dieß
gefaͤhrliche Geſchenk der Goͤtter ausſchlug.


Da konnte Jupiter ſeinem Zorn nicht laͤnger
Einhalt thun, ſondern ließ den Prometheus,
fuͤr ſeine Klugheit zu buͤßen, an einen Felſen
ſchmieden; und das Ungluͤck kam demohngeachtet
uͤber die Menſchen; denn der unvorſichtige Epime-
theus, des Prometheus Bruder, ließ ſich, ob-
gleich gewarnt, durch die Reitze der Pandora
bethoͤren, welche, ſobald er ſich mit ihr vermaͤhlt
hatte, die Buͤchſe eroͤfnete, woraus ſich ploͤtzlich
alles Unheil uͤber die ganze Erde, und uͤber das
Menſchengeſchlecht verbreitete.


Sie machte ſchnell den Deckel wieder zu, ehe
noch die Hofnung entſchluͤpfte, welche, nach Ju-
piters Rathſchluß, allein zuruͤck blieb, um einſt
noch zu rechter Zeit, den Sterblichen Troſt zu ge-
waͤhren. Die verfuͤhreriſchen Reitze zu der ſinn-
lichen Luſt, brachten alſo auch nach dieſer Dich-
tung zuerſt das Ungluͤck uͤber die Menſchen. Der
thoͤrichte Epimetheus vereitelte bald die vorſehende
Weisheit des Prometheus. Vernunft und Thor-
[39] heit waren ſogleich bei der Bildung und Entſte-
hung des Menſchen miteinander im Kampfe.


Prometheus duldete nun an den Felſen ge-
ſchmiedet, in ſeiner Perſon, die Qualen des
Menſchengeſchlechts, das ihm ſeine Bildung dank-
te; die immerwaͤhrende Unruhe, und die raſtloſe
ſtets unbefriedigte Begier der Sterblichen. — Es
iſt der vom Jupiter geſandte Geier, der dem Pro-
metheus an der immer wieder wachſenden Leber,
dem Sitz der Begierden, nagt.


So iſt dieſer Dulder fuͤr die Menſchheit abge-
bildet, die Haͤnde auf den Ruͤcken gefeſſelt,
ſitzend, an den Felſen geſchmiedet mit dem Geier
auf dem Knie. —


Die vier Abbildungen auf der hier beigefuͤgten
Kupfertafel, geben einen vollſtaͤndigen Ueberblick
von dieſer Dichtung der Alten: Prometheus bil-
det den Menſchen; er raubt die aͤtheriſche Flam-
me; Pandora, ſitzend, eroͤfnet die Buͤchſe, wor-
aus das Ungluͤck uͤber die Menſchen koͤmmt; und
Prometheus duldet an den Felſen geſchmiedet.


Nachdem aus der Buͤchſe der Pandora ſich
das Ungluͤck uͤber die Menſchen verbreitet hatte,
ſchickte Jupiter eine Suͤndfluth, welche das Men-
ſchengeſchlecht vollends vertilgte, ſo daß niemand
uͤbrig blieb, als ein einziges Paar, Deukalion,
ein Sohn des Prometheus, und Pyrrha, eine
Tochter des Epimetheus, deren ſchwimmender Na-
[40] chen, ſich auf dem Berge Parnaſſus niederließ,
wo ein Orakel der Themis war, das ſie wegen
der Zukunft um Rath befragten.


Und das Orakel that den Ausſpruch, ſie ſoll-
ten, um die einſame Erde wieder zu bevoͤlkern,
mit verhuͤlltem Antlitz, die Gebeine ihrer Mut-
ter hinter ſich werfen.
Sie deuteten dieſen ge-
heimnißvollen Ausſpruch auf die Steine, welche
ſie als die harten und feſten Theile ihrer Mutter
Erde hinter ſich warfen, und gleichſam von der
wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre
Blicke wegwandten.


Und als ſie ſich umſahen, war aus den har-
ten Kieſelſteinen
ein neues Geſchlecht der Men-
ſchen entſproſſen, deren harte Herzen keine Ge-
fahr und keine Drohung ſcheuen; die kuͤhn das
Meer beſchiffen; den wilden Stuͤrmen trotz bie-
ten, und in der blutigen Feldſchlacht dem Tod’ ins
Angeſicht ſehen.


Es iſt merkwuͤrdig, daß in dieſen alten Dich-
tungen der Urſprung der Menſchen immer ſchon
ihre Anlage zum Unbiegſamen, Harten und
Kriegeriſchen in ſich faßt. So mußte Kadmus in
dem einſamen Boͤotien, auf den Befehl der Goͤtter,
die Zaͤhne des von ihm erlegten Drachen in die
Erde ſaͤen, um ſeine gefallenen Krieger zu erſetzen.


Und aus dieſer Saat des Kadmus keimten
geharniſchte Maͤnner auf, die ihre Schwerdter
[41] gegen einander kehrten, und eher vom Streit
nicht ruhten, bis nur noch fuͤnfe von ihnen uͤbrig
waren, die dem Kadmus beiſtanden.


In dieſe Bilder huͤllte die Phantaſie der Al-
ten die Entſtehung der Menſchen ein, die im ewi-
gen Zwiſte mit ſich ſelber von außen oder von in-
nen, die Spitze ihrer inwohnenden Kraft gegen
ſich ſelber kehren, und gleichſam mit angeſtammter
Grauſamkeit, in ihr eigenes Eingeweide wuͤthen.


Die Qualen des Prometheus dauerten daher
ſo lange, bis ein Sterblicher durch Tapferkeit und
unuͤberwindlichen Muth ſich den Weg zur Unſterb-
lichkeit und zum Sitz der Goͤtter bahnte, und das
Menſchengeſchlecht mit dem Jupiter gleichſam wie-
der ausſoͤhnte. — Es iſt Herkules, Jupiters und
Alkmenens Sohn, der endlich mit ſeinen Pfeilen
den Geier toͤdtet, und mit Jupiters Einwilligung
den Prometheus von ſeiner langen Qual befreiet.


Allein die goldenen Jahre der Sterblichen
verſetzte die Phantaſie in jene Zeiten hin, wo
noch kein Jupiter mit dem Donner herrſchte, un-
ter die Regierung des Saturnus, wohin man ſich
alles laͤngſt Vergangene, die graue Vorzeit dach-
te, die zwar gleich dem Saturnus, der ſeine Kin-
der verſchlang, die voruͤberrollenden Jahre in Ver-
geſſenheit begrub, aber auch keine Spur von blu-
tigen Kriegen, zerſtoͤrten Staͤdten, und unter-
[42] jochten Voͤlkern zuruͤckließ, welches den Hauptſtoff
der Geſchichte ausmacht, ſeitdem die Menſchen
anfingen, ihre Begebenheiten aufzuzeichnen.


Wie die Goͤtter lebten die Menſchen damals,
als noch Freiheit und Gleichheit herrſchte, in Si-
cherheit, ohne Muͤhe und Sorgen; und von den
Beſchwerlichkeiten des Alters unbedruͤckt. Die
Erde trug ihnen Fruͤchte, ohne muͤhſam bebaut zu
werden; unwiſſend was Krankheit war, ſtarben
ſie, wie von ſanftem Schlummer uͤbermannt;
und wenn der Schooß der Erde ihren Staub auf-
nahm, ſo wurden die Seelen der Abgeſchiedenen,
in leichte Luft gehuͤllt, die Schutzgeiſter der Ueber-
lebenden.


So ſchildern die Dichter jene goldnen Zeiten,
worauf die Phantaſie, von den geraͤuſchvollen
Scenen der geſchaͤftigen Welt ermuͤdet, ſo gern
verweilt. — Nachher aber wurden die Sterbli-
chen die Muͤhebeladenſten unter allen Geſchoͤpfen,
und die Dichter ſchildern die Arbeit und Beſchwer-
den des kummervollen Lebens der Menſchen immer
im Gegenſatz gegen den ſorgenfreien Zuſtand der
ſeeligen Goͤtter.


Um die Fluͤchtigkeit und Vergaͤnglichkeit des
Lebens zu bezeichnen, wurde zum dankbaren An-
denken des Prometheus in Athen ein ſchoͤnes Feſt
gefeiert; ihm war nemlich in einiger Entfernung
[43] von der Stadt ein Altar errichtet, von welchem
man bis zur Stadt einen Wettlauf mit Fackeln
hielt. Wer mit brennender Fackel das Ziel er-
reichte, trug den Preis davon. Der erſte, deſſen
Fackel unterwegens ausloͤſchte, trat ſeine Stelle
dem Zweiten, dieſer die ſeinige dem Dritten ab,
und ſo fort; wenn alle Fackeln verloͤſchten, ſo
trug keiner den Sieg davon.


Die Alten liebten in ihren Dichtungen vor-
zuͤglich den tragiſchen Stoff, wozu das Verhaͤltniß
der Menſchen gegen die Goͤtter, ſo wie ſie es ſich
dachten, nicht wenig beitrug. Auf die armen
Sterblichen wird wenig Ruͤckſicht genommen; ſie
ſind den Goͤttern oft ein Spiel: ihnen bleibt nichts
uͤbrig, als ſich der eiſernen Nothwendigkeit,
und dem unwandelbaren Schickſal zu fuͤgen,
deſſen Oberherrſchaft ſich uͤber Goͤtter und
Menſchen erſtreckt.


[44]

Die Nacht und das Fatum,
das
uͤber Goͤtter und Menſchen herrſcht.


Als Jupiter einſt auf den Gott des Schlafs er-
zuͤrnt war, ſo huͤllte dieſen die Nacht in ihren
Mantel, und Jupiter hielt ſeinen Zorn zuruͤck,
denn er fuͤrchtete ſich, die ſchnelle Nacht zu
betruͤben.


Es giebt alſo etwas, wovor die Goͤtter ſelber
Scheu tragen. Es iſt das naͤchtliche geheimniß-
volle Dunkel, worin ſich noch etwas uͤber Goͤtter
und Menſchen Obwaltendes verhuͤllt, das die Be-
griffe der Sterblichen uͤberſteigt.


Die Nacht verbirgt, verhuͤllt; darum iſt ſie
die Mutter alles Schoͤnen, ſo wie alles Furcht-
baren.


Aus ihrem Schooße wird des Tages Glanz
gebohren, worin alle Bildungen ſich entfalten.


Und ſie iſt auch die Mutter:


Des in Dunkel gehuͤllten Schickſals;


Der unerbittlichen Parzen Lacheſis, Klotho
und Atropos;


[45]

Der raͤchenden Nemeſis, die verborgene
Vergehungen ſtraft;


Der Bruͤder Schlaf und Tod, wovon der
eine die Menſchen ſanft und milde beſucht, der
andre aber ein eiſernes Herz im Buſen traͤgt. —


Sie iſt ferner die Mutter der ganzen Schaar
der Traͤume;


Der fabelhaften Hesperiden, welche an den
entfernteſten Ufern des Oceans die goldne Frucht
bewahren;


  • Des Betruges, der ſich in Dunkel huͤllt;
  • Der haͤmiſchen Tadelſucht;
  • Des nagenden Kummers;
  • Der Muͤhe, welche das Ende wuͤnſcht;
  • Des Hungers;
  • Des verderblichen Krieges;
  • Der Zweideutigkeiten im Reden, und
  • Des Meineides.

Alle dieſe Geburten der Nacht ſind dasjenige,
was ſich entweder dem Blick der Sterblichen ent-
zieht, oder was die Phantaſie ſelbſt gern in naͤcht-
liches Dunkel huͤllt.


Eine hier beigefuͤgte Abbildung der Nacht, wie
ſie den Tod und den Schlaf in ihren Mantel huͤllt,
[46] und aus einer Felſengrotte zu ihren Fuͤßen, die
phantaſtiſchen Geſtalten der Traͤume hervorbli-
cken, iſt von dem neuern Kuͤnſtler, der die Um-
riſſe zu dieſem Werk gezeichnet, nach einer Be-
ſchreibung des Pauſanias entworfen.


Pauſanias erzaͤhlt nemlich, daß er auf dem
Kaſten des Cypſelus auf der einen Seite deſſelben,
die Nacht in weiblicher Geſtalt abgebildet geſehen,
wie ſie zwei Knaben mit verſchraͤnkten, oder uͤber
einander geſchlagenen Fuͤßen in ihren beiden Armen
hielt, wovon der eine weiß, der andre ſchwarz
war; der eine ſchlief, der andere zu ſchlafen
ſchien.


In der hier beigefuͤgten Abbildung iſt der
Tod durch eine umgekehrte Fackel und der Schlaf
durch einen Mohnſtengel bezeichnet. Die Nacht
ſelbſt iſt, als die fruchtbare Gebaͤhrerin aller Din-
ge in jugendlicher Kraft und Schoͤnheit dargeſtellt.


So iſt ſie auch auf einer antiken Gemme, de-
ren Umriß ebenfalls hier beigefuͤgt iſt, abgebildet,
wie ſie unter dem umſchattenden Wipfel eines
Baumes, dem Morpheus und ſeinen Bruͤdern
Mohn austheilet. Der bildende Traumgott Mor-
pheus, ein Sohn des Schlafs, ſteht in ſchoͤner
jugendlicher Geſtalt vor ihr, und empfaͤngt den
Mohn aus ihren Haͤnden, indeß die Bruͤder des
Morpheus, ebenfals Goͤtter der Traͤume und Kin-
der des Schlafes, hinter ihr gebuͤckt gehen, um
[]

[figure]


[figure]

[][47] die uͤbrigen von ihr ausgeſtreueten Mohnſtengel
aufzuleſen.


Man ſieht, wie die Alten das Dunkle und
Furchtbare in reitzende Bilder einkleideten; und
wie ſie demohngeachtet fuͤr das hoͤchſte Tragiſche
empfaͤnglich waren, indem ſie ſich unter dem von
der Nacht gebohrnen unvermeidlichen Schickſal
oder dem Fatum das Hoͤhere Obwaltende dach-
ten, deſſen altes Reich, und deſſen dunkle Plaͤne
weit außer dem menſchlichen Geſichtskreiſe liegen;


Deſſen Spuren man in dem vielfaͤltigen Jam-
mer laß, der die Menſchheit druͤckt; indem man
das Unbekannte ahndete, unter deſſen Macht
die untergeordneten Kraͤfte ſich beugen muͤſſen
und ein wunderbares Gefallen ſelbſt an der Da-
ſtellung ſchrecklicher Ereigniſſe, und verwuͤſten [...]
Zerſtoͤrung fand, indem die Einbildungskraft n [...]
Vergnuͤgen ſich in das Gebiet der Nacht und [...]
oͤden Schattenwelt verirrte.


Demohngeachtet ſtellt ſich uns in den ſchoͤn
Dichtungen der Alten kein einziges ganz haſſen[s]
und verabſcheuungswuͤrdiges Weſen dar. — Die
unerbittlichen Parzen, welche die Nacht gebohren
hat, und ſelbſt die raͤcheriſchen Furien, ſind im-
mer noch ein Gegenſtand der Verehrung der
Sterblichen.


Selbſt die Sorgen und der druͤckende Kum-
mer gehoͤren in der Vorſtellungsart der Alten mit
[48] zu dem Gebiet des dunkeln Obwaltenden, daß die
ſtolzen Wuͤnſche der Sterblichen hemmt, und dem
Endlichen ſeine Grenzen vorſchreibt.


Alle dieſe furchtbaren Dinge treten mit in der
Reihe der Goͤttergeſtalten auf, und werden nicht
als ausgeſchloſſen gedacht, weil ſie ſich in dem
nothwendigen Zuſammenhange der Dinge
mit befinden.


Dieſer nothwendige Zuſammenhang der Din-
ge oder die Nothwendigkeit ſelber, welche die
Griechen Eimarmene nannten, war eben jene
in furchtbares Dunkel gehuͤllte Gottheit, welche
mit unſichtbarem Scepter alle uͤbrigen beherrſchte
und deren Dienerinnen die unerbittlichen Parzen
[w]aren.


Klotho haͤlt den Rocken, Lacheſis ſpinnt
[d]en Lebensfaden, und Atropos mit der furchtba-
en Scheere ſchneidet ihn ab.


Die Parzen bezeichnen die furchtbare, ſchreck-
[...]che Macht, der ſelbſt die Goͤtter unterworfen
ſind, und ſind doch weiblich und ſchoͤn gebildet,
ſpinnend, und in den Geſang der Sirenen ſtim-
mend.


Alles iſt leicht und zart bei der unbegrenz-
ten hoͤchſten Macht. Nichts Beſchwerliches, Un-
behuͤlfliches findet hier mehr ſtatt; aller Wider-
ſtand des Maͤchtigern erreicht auf dieſem Gipfel
ſeine Endſchaft.


[49]

Es bedarf nur der leichteſten Beruͤhrung mit
den Fingerſpitzen, um den Umwaͤlzungen der Din-
ge ihre Bahnen, dem Maͤchtigen ſeine Schran-
ken vorzuſchreiben. Es iſt die leichteſte Arbeit
von weiblichen Haͤnden,
wodurch der geheim-
nißvolle Umlauf der Dinge gelenkt wird.


Das ſchoͤne Bild von dem zart geſponnenen,
mit der leichteſten Muͤhe zerſchnittenen Lebensfa-
den iſt durch kein andres zu erſetzen. — Der Fa-
den reißt nicht, ſondern wird abſichtlich von der
Hand der Parze mit dem trennenden Eiſen durch-
ſchnitten. — Die Urſache des Aufhoͤrens liegt in
der Willkuͤr der hoͤhern Maͤchte, bei denen das
ſchon feſt beſchloſſen iſt, was Goͤtter und Men-
ſchen noch zu bewirken oder zu verhindern ſich be-
muͤhen.


Vergeblich wuͤnſcht Jupiter, dem Fatum zuwi-
der, ſeinem Sohne Sarpedon im Treffen vor
Troja, das Leben zu erhalten. Weh mir, ruft
er aus, daß mein Sarpedon jetzt, nach dem
Schluß des Schickſals,
durch die Hand des
Patroklus fallen muß! und ob er nun gleich dem
Fatum zuwider ihn gerne retten moͤchte; ſo muß
es ſich doch ſo fuͤgen,
daß er auf den Rath der
Juno, ihn erſt durch die Hand des Patroklus fal-
len laͤßt, und ihn dann dem Tode und dem ſuͤßen
Schlummer uͤbergiebt, die ihn in ſeine Heimath
D
[50] bringen, wo ſeine Freunde und Bruͤder ihn
beweinen.


Dem Ulyſſes iſt vom Schickſal beſtimmt, nach
der Zerſtoͤrung von Troja zehn Jahre umher zu
irren, und ohne ſeine Gefaͤhrten, nach vielen Kum-
mer, in ſeine Heimath wieder zuruͤckzukehren. —
Und gerade da, wo alles am angenehmſten und
einladendſten ſcheinet, lauert immer die meiſte Ge-
fahr; wie in dem ruhigen Hafen der Laͤſtrigonen;
bei dem Geſange der Sirenen, und beim Zauber-
trank der Circe. —


Ulyſſes mag das Ziel ſeiner Wuͤnſche noch ſo
nahe vor ſich ſehen, ſo wird er doch immer wieder
weit davon verſchlagen; ſeine Thraͤnen und ſeine
heißeſten Wuͤnſche ſind vergebens, — bis endlich,
da es das Schickſal will, die Phaͤazier, auf
ihrem Schiffe, ihn ſchlafend in ſeine Heimath
bringen.


An die Vorſtellung von den Parzen ſchloß ſich
in der Phantaſie der Alten das Bild von den raͤ-
cheriſchen Furien an, und dieſe beiden Dichtungen
gehen zuweilen unmerklich ineinander uͤber.


Auch die quaͤlenden Furien ſind furchtbare,
ſchreckliche und dennoch verehrte geheimnißvolle
Weſen; aus den Blutstropfen, welche bei der
erſten Gewaltthaͤtigkeit, bei der Entmannung des
Uranos die Erde auffing, erzeugt; mit Schlan-
genhaaren, und Dolchen in den Haͤnden; uner-
[]

[figure]

[][51] bittliche Goͤttinnen, den Frevel und das Unrecht
zu ſtrafen.


In aͤhnlicher Geſtalt, wie die erſte Figur,
nach einem antiken geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung, auf der hier beigefuͤg-
ten Kupfertafel, mit dem Dolch und fliegendem
Haar, ſcheint man ſich zuweilen dasjenige gedacht
zu haben, was man das feindſeelige Schickſal,
oder das ſchwarze Verhaͤngniß nannte, und
womit man den erhabenen Begriff der Nothwen-
digkeit
noch nicht verknuͤpfte, in welchem ſich al-
les in Harmonie aufloͤßt, und das Schreckenvolle
verſchwindet.


Lacheſis, diejenige von den Parzen, welche
den Faden ſpinnt, und irgendwo die ſchoͤne Toch-
ter der Nothwendigkeit
genannt wird, iſt hier,
ebenfalls nach einem geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung, in jugendlicher Schoͤn-
heit abgebildet, ſitzend und ſpinnend, einen Ro-
cken vor, den andern hinter ſich, und zu ihren
Fuͤßen eine komiſche und eine tragiſche
Maske.


Da man ſelten Abbildungen von den Parzen
findet, ſo hat dieß Denkmal aus dem Alterthum
einen deſto groͤßern Werth; und das Bedeutende
in dieſer Darſtellung macht daſſelbe doppelt anzie-
hend. Die tragiſche und komiſche Maske zu den
Fuͤßen der Parze iſt eine der gluͤcklichſten Anſpie-
D 2
[52] lungen auf das Leben, wenn man einen Blick
auf daſſelbe mit allen ſeinen ernſten und
komiſchen
Scenen wirft, wozu der zarte jung-
fraͤuliche Finger der hohen Schickſalsgoͤttin den
Faden drehet, indem die einen ihr nicht wichti-
ger
als die andern ſind.


Auf eine aͤhnliche Weiſe, in ruhiger Stellung,
ſich auf eine Saͤule ſtuͤtzend, in der Linken den
Rocken ſorglos haltend, und gleichſam mit dem
Schickſalsfaden ſpielend,
iſt die Parze noch
einmal auf einem andern geſchnittenen Steine in
der Stoſchiſchen Sammlung abgebildet, wovon
der Umriß ebenfalls hier beigefuͤgt iſt.


Dieſe ruhige Stellung der hohen Schickſals-
goͤttin, womit ſie auf die weitausſehenden Plane
gleichſam laͤchelnd herabſieht, iſt eine vorzuͤglich
ſchoͤne Idee des alten Kuͤnſtlers, von dem ſich dieſe
Bildung herſchreibt. — Waͤhrend daß Goͤtter
ihre ganze Macht, und Sterbliche alle ihre Kraͤfte
aufbieten, um ihre Endzwecke und Abſichten durch-
zuſetzen, haͤlt die hohe Goͤttin, ſpielend den Faden
in der Hand, an welchem ſie die Umwaͤlzungen
der Dinge, und die ſtolzeſten Entwuͤrfe der Koͤni-
ge lenkt. —


[53]

Die alten Goͤtter.


Die Scheidung zwiſchen den alten und neuen
Goͤttern giebt den mythologiſchen Dichtungen ei-
nen vorzuͤglichen Reitz. Die alten Gottheiten
ſind, wie wir ſchon bemerkt haben, gleichſam in
Nebel zuruͤck getreten, woraus ſie nur noch ſchwach
hervorſchimmern, indeß die neuen Goͤtter in dem
Gebiete der Phantaſie ihren Platz behaupten, und
durch die bildende Kunſt beſtimmte Formen erhal-
ten, in welche ſich die verkoͤrperte Macht und Ho-
heit kleidet, und ein Gegenſtand der Verehrung
der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen
wird.


Durch die alten Gottheiten aber ſind die
neuen gleichſam vorgebildet. — Das Erhabene
und Goͤttliche, was immer ſchon da war,
laͤtzt die Phantaſie in erneuerter und jugendlicher
Geſtalt, von unſterblichen oder von ſterblichen
Muͤttern, wieder gebohren werden, und giebt
ihm Geſchlechtsfolge, Nahmen und Geburtsort,
um es naͤher mit den Begriffen der Sterblichen
zu vereinen, und mit ihren Schickſalen zu ver-
weben.


[54]

Weil demohngeachtet aber die Phantaſie ſich
an keine beſtimmte Folge ihrer Erſcheinungen bin-
det, ſo iſt oft eine und dieſelbe Gottheit, unter
verſchiedenen Geſtalten, mehrmal da. Denn die
Begriffe vom Goͤttlichen und Erhabenen waren
immer;
allein ſie huͤllten ſich von Zeit zu Zeit in
menſchliche Geſchichten ein, die ſich, ihrer Aehn-
lichkeit wegen, ineinander verlohren, und laby-
rintiſch verflochten haben; ſo daß in dem Zauber-
ſpiegel der dunkeln Vorzeit, faſt alle Goͤtterge-
ſtalten, gleichſam im vergroͤßernden Wider-
ſcheine, ſich noch einmal darſtellen;
welches
die Dichter wohl genutzt haben, deren Einbildungs-
kraft, durch den Reitz des Fabelhaften in dieſer
dunkeln Verwebung mehrerer Geſchichten, einen
deſto freiern Spielraum fand.


Amor.


Iſt der aͤlteſte unter den Goͤttern. Er war
vor allen Erzeugungen da, und regte zuerſt
das unfruchtbare Chaos an, daß es die Finſter-
niß gebahr, woraus der Aether und der Tag her-
vorging.


Der komiſche Dichter Ariſtophanes fuͤhrt dieſe
alte Dichtung ſcherzend an, indem er die Voͤgel
redend einfuͤhrt, wie ſie alle den geheimnißvollen
urſpruͤnglichen Weſen Fluͤgel beilegen, um ſie
[55] dadurch ſich aͤhnlich zu bilden, und ihren eigenen
erhabenen Urſprung in ihnen wieder zu finden.


Sie laſſen daher den Amor ſelbſt ehe er das
Chaos befruchtet, aus einem Ei hervorgehen.
Die ſchwarzgefluͤgelte Nacht, heißt es, brachte
das erſte Ei in dem weiten Schooße des Erebus
hervor, aus dem nach einiger Zeit der reitzende
Amor, mit goldenen Fluͤgeln verſehen, hervor-
kam, und indem er ſich mit dem gefluͤgelten
Chaos vermaͤhlte, zuerſt das Geſchlecht der Voͤgel
erzeugte.


Man ſieht alſo, daß dieſe Dichtungen, von
den komiſchen Dichtern eben ſowohl ſcherzhaft, als
von den tragiſchen Dichtern tragiſch genommen
wurden; weil man ſie einmal als eine Sprache
der Phantaſie betrachtete, worin ſich Gedanken
jeder Art huͤllen ließen, und ſelbſt die gewoͤhnlich-
ſten Dinge einen neuen Glanz und eine bluͤhende
Farbe erhielten.


Die Dichtung vom Amor bleibt auch ſelber
noch in der ſcherzhaften Einkleidung des komiſchen
Dichters ſchoͤn. — Dieſer aͤlteſte Amor iſt vorzuͤg-
lich der erhabene Begriff von der alles erregenden
und befruchtenden Liebe ſelber. — Unter den
neuen Goͤttern wird Amor von der Venus ge-
bohren, und Mars iſt ſein Erzeuger. — Es iſt
der gefluͤgelte Knabe mit Pfeil und Bogen. —
Die Wirkung von ſeinem Geſchoß ſind die ſchmer-
[56] zenden Wunden der Liebe — und ſeine Macht iſt
Goͤttern und Menſchen furchtbar.


Die himmliſche Venus.


Sie iſt das erſte Schoͤne, was ſich aus Streit
und Empoͤrung der urſpruͤnglichen Weſen gegen
einander entwickelt und gebildet hat. — Saturnus
entmannet den Uranos. Die dem Uranos entnom-
mene Zeugungskraft befruchtet das Meer; und aus
dem Schaume der Meereswellen ſteigt Aphrodite,
die Goͤttin der Liebe, empor. In ihr bildet ſich die
himmliſche Zeugungskraft zu dem vollkommenen
Schoͤnen, das alle Weſen beherrſcht, und welchem
von Goͤttern und Menſchen gehuldigt wird.


Unter den neuen Goͤttern iſt Venus eine
Tochter des Jupiter, die er mit der Dione einer
Tochter des Aether erzeugte. — Sie traͤgt unter
den Goͤttinnen den Preis der Schoͤnheit davon. —
Sie iſt mit dem Vulkan vermaͤhlt, und pflegt mit
dem Mars, dem rauhen Kriegsgott, verſtohlner
Liebe.


Die Vorſtellungen von den Goͤttern ſind er-
habener, je dunkler und unbeſtimmter ſie ſind,
und je weiter ſie in das Alterthum zuruͤcktreten;
ſie werden aber immer reitzender und mannichfal-
tiger je naͤher das Goͤttliche mit dem Menſchlichen
ſich verknuͤpft; und jene erhabenen Vorſtellungen
[57] ſchimmern dennoch immer durch, weil die Phan-
taſie die Zartheit nnd Bildſamkeit des Neuen mit
der Hoheit des Alten wieder uͤberkleidet.


Aurora.


Hyperion, ein Sohn des Himmels und der
Erde, erzeugte mit der Thia, einer Tochter des
Himmels, die Aurora, den Helios, und die
Selene. Anſtatt des Helios und der Selene tre-
ten unter den neuen Goͤttern Apoll und Diana
auf. Aurora aber ſchimmert, ſelbſt unter den neu-
en Gottheiten, in urſpruͤnglicher Schoͤnheit und
Jugend hervor.


Sie vermaͤhlt ſich mit dem Aſtraͤus aus dem
Titanengeſchlechte, einem Sohne des Krius,
und gebiehrt die ſtarken Winde, und den Mor-
genſtern.
— Man ſiehet, daß ſie zu den alten
Goͤttergeſtalten gehoͤrt, die eigentlich als erhabene
Naturerſcheinungen betrachtet wurden, und
welche die Einbildungskraft nur gleichſam mit we-
nigen großen Umriſſen,
als zu Perſonen gebil-
dete Weſen darſtellte. — Sie erſcheint in der
Fruͤhe, aus der dunkeln Luft, mit Roſenfingern den
Schleier der Nacht aufhebend, und leuchtet den
Sterblichen eine Weile, und verſchwindet wieder
vor dem Glanz des Tages.


[58]

Helios.


Der Lenker des Sonnenwagens iſt ebenfalls
eine von den Goͤttergeſtalten, die nur durch we-
nige große Umriſſe, als zu Perſonen gebildete
Weſen dargeſtellt ſind. Denn es iſt immer die
leuchtende Sonne ſelbſt, welche in den Bildern
vom Helios durchſchimmert.


Das Haupt des Helios iſt mit Strahlen um-
geben. Er leuchtet den ſterblichen Menſchen und
den unſterblichen Goͤttern. Er ſiehet und hoͤret
alles, und entdeckt das Verborgene. Ihm waren
auf der Inſel Sicilien die feiſten Rinder heilig, die
ohne Hirren weideten, und an denen er ſich ergoͤtz-
te, ſo oft er am Himmel aufging und unterging.


Als die Gefaͤhrten des Ulyſſes einige dieſer
Rinder geſchlachtet hatten ſo drohte der Sonnen-
gott, daß er in den Orkus hinabſteigen, und
unter den Todten leuchten wolle,
wenn Jupi-
ter den Frevel nicht raͤchte. Und Jupiter zer-
ſchmetterte bald das Schiff des Ulyſſes, deſſen Ge-
faͤhrten alle ein Raub der Wellen wurden.


Zuweilen fuͤhrt der Sonnengott auch von den
Titanen, aus deren Geſchlechte er war, den Nah-
men Titan; und von ſeinem Erzeuger, mit dem
er in den alten Dichtungen zuweilen verwechſelt
wird; den Nahmen Hyperion, der das Hohe
und Erhabene bezeichnet.


[59]

Unter den neuen Goͤttern heißt der Lenker
des Sonnenwagens Apollo, und iſt ein Sohn
Jupiters, der ihn und die Diana mit der Latona
erzeugte, die aus dem Titanengeſchlechte eine Toch-
ter des Coͤus und der Phoͤbe war.


Dieſer Apollo iſt eine bis auf die feinſten Zuͤge
ausgebildete Goͤttergeſtalt, von der Phantaſie
mit dem Reitze ewiger Jugend und Schoͤnheit ge-
ſchmuͤckt; der fernhintreffende Gott, den ſilbernen
Bogen ſpannend, und der Vater der Dichter, die
goldne Zitter ſchlagend.


Da nun Apollo nicht zu gleicher Zeit auf Er-
den der Gott der Dichtkunſt und der Tonkunſt
ſeyn, die Goͤtter im Olymp mit Saitenſpiel und
Geſang ergoͤtzen, und auch den Sonnenwagen len-
ken kann; ſo ſcheint es, als habe die Phantaſie
der Dichter, den Apollo und Helios ſich zu einem
Weſen gebildet, daß ſich gleichſam in ſich ſelbſt
verjuͤngt, indem es im Himmel als leuchtende
Sonne von Alters her auf und untergeht, und
auf Erden in jugendlicher Schoͤnheit, neu ge-
bohren,
wandelnd, mit goldenen Locken, ein
unſterblicher Juͤngling, die Herzen der Goͤtter und
Menſchen mit Saitenſpiel und Geſang erfreuet.


Selene.


Das Geſchaͤft der Selene oder der Luna, eben-
falls einer Tochter des Hyperion, iſt, mit ihrem
[60] ſanften Scheine die Nacht zu erleuchten. — Un-
ter den neuen Gottheiten heißt diejenige, welche
den Wagen des Mondes lenkt, Diana, und iſt
eine Tochter des Jupiter, die er, ſo wie den Apollo,
mit der Latona erzeugte.


Diana iſt gleich dem Apoll mit Koͤcher und
Bogen abgebildet; denn ſie iſt zugleich die Goͤttin
der Jagd. In ihr hat ſich die Tochter Hype-
rions verjuͤngt, mit der ſie, ſo wie Apollo mit
dem Helios, gleichſam ein Weſen ausmacht; in-
dem ſie am Himmel von Alters her, als Luna,
allnaͤchtlich den Wagen des Mondes lenkt, und
auf Erden in jugendlicher Schoͤnheit neu geboh-
ren,
von ihren Nymphen begleitet, mit Koͤcher
und Bogen einhergeht, und in den Waͤldern ſich
mit der Jagd ergoͤtzt.


So wie Selene und Helios, von dem Titanen
Hyperion, ſind Apollo und Diana, vom Jupiter
erzeugt, der die Titanen verdraͤngt hat, und von
dem ſich nun die Reihe der neuen Goͤttererzeugun-
gen herſchreibt, weswegen er der Vater der
Goͤtter
heißt.


Hekate.


Der Titane Coͤus erzeugte mit der Phoͤbe,
einer Tochter des Himmels, außer der Latona auch
die Aſteria. Dieſe vermaͤhlte ſich mit dem Per-
[61] ſes
einem Sohne des Titanen Krius, und ge-
bahr ihm die Hakate, welche, obgleich aus dem
Geſchlecht der Titanen entſproſſen, vom Jupiter
vorzuͤglich geehrt wurde.


Denn ſie gehoͤrt zu den naͤchtlichen geheim-
nißvollen Weſen, deren Macht ſich weit erſtreckt.
Sie iſt zugleich eine Art von Schickſalsgoͤttin, in
deren Haͤnden das Loos des Menſchen ſteht; ſie
theilt nach Gefallen Sieg und Ruhm aus; ſie
herrſcht uͤber Erde, Meer, und Luͤfte; den neu-
gebohrnen Kindern giebt ſie Wachsthum und Ge-
deihen; und alle verborgenen Zauberkraͤfte ſtehen
ihr zu Gebote.


Auch dieſe alte geheimnißvolle Gottheit laͤßt
die Phantaſie in der Geſtalt der naͤchtlichleuch-
tenden
Diana ſich verjuͤngen, und mit dieſer
gleichſam neu wieder gebohren werden. — Die
neue Gottheit, worauf Gedanke und Einbildung
einmal haftet, zieht das Aehnliche und Verwand-
te in ſich hinuͤber, und uͤberformt es in ſich.


Oceanus.


Ein Sohn des Himmels und der Erde, ver-
maͤhlte ſich mit der Tethys, einer Tochter des Him-
mels, und erzeugte die Fluͤſſe und Quellen. Er
nahm an dem Goͤtterkriege keinen Antheil; dem-
ohngeachtet aber iſt er unter die alten Gottheiten
[62] zuruͤckgewichen, die durch die Verehrung der neuen
Goͤtter gleichſam in Schatten geſtellt ſind.


Denn als Jupiter die Titanen beſiegt hatte,
ſo theilte er ſich mit ſeinen Bruͤdern, dem Neptun
und Pluto, in die Oberherrſchaft, ſo daß Jupiter
den Himmel, Neptun das Meer, und Pluto
die Unterwelt beherrſchte.


Neptun iſt alſo der Koͤnig uͤber die Gewaͤſſer,
und des Oceanus wird ſelten mehr gedacht; ob-
gleich die aͤußerſten Grenzen der Erde, da wo nach
der alten Vorſtellungsart, die Sonne ins Meer
ſank, das eigentliche Gebiet des alten Oceanus
ſind, das aber gleichſam zu entfernt liegt, als daß
die Phantaſie darauf haͤtte haften koͤnnen.


Neptun hingegen bezeichnet die Meeresflu-
then, in ſo fern ſie mit Schiffen befahren werden,
und er entweder Stuͤrme erregt, oder mit ſeinem
maͤchtigen Dreizack die Meereswogen baͤndigt.
Darum wurden ihm allenthalben Tempel erbaut,
Altaͤre geweiht, und Opfer dargebracht.


Als Juno einſt, bei dem Kriege vor Troja, um
den Jupiter zu uͤberliſten, ſich den Liebeeinfloͤßen-
den Guͤrtel der Venus erbat, ſo that ſie es unter
dem Vorwande, ſie wolle ſich dieſes Guͤrtels be-
dienen, um an den Grenzen der Erde, bei dem
Oceanus und der Tethys, von denen ſie zu der
Zeit des Saturnus liebevoll gepflegt und erzogen
ſey, einen alten Zwiſt, wodurch dies Goͤtterpaar
ſchon lange entzweiet waͤre, beizulegen. —


[63]

Dieſe beiden alten Gottheiten werden alſo wie
ganz entfernt von der Regierung und den Geſchaͤf-
ten der neuen Goͤtter dargeſtellt; und ihrer nur ge-
dacht, indem ihre alten Zwiſte der Juno zum
Vorwande dienen, den Guͤrtel der Venus zu er-
halten, womit ſie den Jupiter uͤberliſten will.


Die Oceaniden.


Die Soͤhne und Toͤchter des Oceanus ſind
die Fluͤſſe und Quellen. Die Toͤchter des Oceans
werden von dem erſten tragiſchen Dichter der
Griechen aufgefuͤhrt, wie ſie den Prometheus,
der an den Felſen geſchmiedet iſt, beklagen, und
uͤber die Tyrannei des neuen Herrſchers der Goͤt-
ter mit ihm ſeufzen.


Metis.


Eine Tochter des Oceans vermaͤhlte ſich mit
dem Jupiter; allein ſie ward ihm furchtbar, weil
ſie einen Sohn gebaͤhren ſollte, der uͤber alle Goͤt-
ter herrſchen wuͤrde. — Jupiter zog ſie in ſich hin-
uͤber und gebahr ſelbſt von ihr die Minerva aus
ſeinem Haupte.


Eurynome.


Eine Tochter des Oceans vermaͤhlte ſich eben-
falls mit dem Jupiter, und gebahr ihm die Gra-
[64] zien Aglaja, Thalia, und Euphroſine, de-
ren Augen Liebe einfloͤßen, und die freundlich un-
ter den Augenbraunen hervorblicken.


Styx.


Die geehrteſte unter den Toͤchtern des Oce-
ans, die mit dem Pallas aus dem Titanenge-
ſchlechte, einem Sohne des Krius ſich vermaͤhlte,
und ihm die maͤchtigen Soͤhne, Kampf und Sieg,
Gewalt
und Staͤrke gebahr.


Auf den Rath ihres Erzeugers ging die Styx
mit ihren Soͤhnen, in dem Goͤtterkriege, zu dem
Jupiter uͤber; und ſeit der Zeit haben ihre Soͤhne
beſtaͤndig beim Jupiter ihren Sitz.


Gewalt und Staͤrke mußten auf den Be-
fehl des Jupiter den Prometheus zu dem Felſen
fuͤhren, woran er geſchmiedet wurde. Jupiter
ſiegte mit Liſt uͤber die Titanen, indem er die
ſtaͤrkſten von ihnen zu ſeiner Parthei zu ziehen
wußte.


Die drei Soͤhne des Titanen Krius, Pallas
mit der Styx, Perſes mit der Aſteria der Mut-
ter der Hekate, und Aſtraͤus mit der Aurora
vermaͤhlt, treten in Dunkel zuruͤck, und die
folgenden Dichtungen ſcheinen vorauszuſetzen,
daß ſie in dem Goͤtterkriege, gegen den Jupiter
[65] geſtritten, und mit ihrem Erzeuger und den uͤbri-
gen Titanen in den Tartarus geſchleudert ſind.


Bei dieſen Titanen im Tartarus und bei der
furchtbaren Styx, dem unterirdiſchen Quell, deſſen
Waſſer im naͤchtlichen Dunkel vom hoch ſich woͤl-
benden Felſen traͤufelt, und den Fluß bildet, uͤber
welchen keine Ruͤckkehr ſtatt findet, ſchwoͤren die
Goͤtter den ſchrecklichen unverletzlichen Schwur,
von deſſen Banden keine Macht im Himmel und
auf Erden befreien kann.


Die hohen Goͤtter koͤnnen nur bei dem Tiefen
ſchwoͤren, wo Nacht und Finſterniß herrſcht, wo aber
auch zugleich die Grundfeſte der Dinge iſt, auf
der die Erhaltung des Daſeyns aller Weſen beruht.


Denn da, wo ſich die ſchwarze Styx ergießt,
iſt der finſtre Tartarus mit eherner Mauer um-
ſchloſſen, und von dreifacher Nacht umgeben.
Hier iſt es, wo die Titanen im dunkeln Kerker
ſitzen. Hier ſind aber auch zugleich nach der alten
Dichtung die Grundſaͤulen der Erde, des Meeres
und des geſtirnten Himmels.


Hier an den entfernten Ufern des Oceans iſt
auch die unaufhoͤrlich mit ſchwarzen Wolken bedeckte
Wohnung der Nacht; und Atlas der Sohn des
Japet ſteht davor, mit unermuͤdetem Haupt und
Haͤnden die Laſt des Himmels tragend. Da, wo
Tag und Nacht einander ſich ſtets begegnen, und
niemals beiſammen wohnen.


E
[66]

Hier war es auch, wo Kottus, Gyges, und
Briareus in den Tiefen des Oceans ihre Behau-
ſung hatten, und den Eingang zu dem Kerker der
Titanen bewachten.


Mnemoſyne.


Auch dieſe ſchoͤne Bildung der Phantaſie ge-
hoͤrt zu den alten Gottheiten; denn ſie iſt eine
Tochter des Himmels und der Erde. Ihr ſchoͤ-
ner Nahme bezeichnet das Denkende, ſich Zuruͤck-
erinnernde,
welches in ihr aus der Vermaͤhlung
des Himmels mit der Erde entſtand. — Sie blieb
jungfraͤulich unter den Titanen, bis Jupiter ſich
mit ihr vermaͤhlte, und die Muſen mit ihr er-
zeugte, die den Schatz des Wiſſens unter ſich
theilten, den ihre erhabene Mutter vereint beſaß.


Themis.


Auch dieſe war eine Tochter des Himmels und
der Erde, welche Prometheus bei dem tragiſchen
Dichter, der ihn leidend darſtellt, ſeine Mutter
nennt, die ihm, wie auch die Erde, als eine Ge-
ſtalt unter vielen Nahmen, die Zukunft weis-
ſagte.


Wir haben ſchon bemerkt, daß die alten Goͤt-
ter noch durch Rath und Weißagung Einfluß hat-
[67] ten. Die Erde ſelber war das aͤlteſte Orakel, und
an dieſe ſchloß ſich am naͤchſten die Themis an,
welche nach der Ueberſchwemmung der Erde, dem
Deukalion und der Pyrrha, auf dem Parnaß,
den ſchon angefuͤhrten Orakelſpruch ertheilte, ſie
ſollten, um das Menſchengeſchlecht wieder herzu-
ſtellen, die Gebeine ihrer Mutter mit verhuͤlltem
Antlitz hinter ſich werfen.


Die Themis lehrte den Prometheus in die
Zukunft blicken, und da die Titanen in dem Goͤt-
terkriege ſeinem Rath nicht folgten, ſo ging er mit
ihr zum Jupiter uͤber, dem er durch klugen Rath
die Titanen beſiegen half, wofuͤr dieſer ihn nach-
her mit Schmach und Pein belohnte.


Mit der Themis aber vermaͤhlte ſich Jupiter,
und erzeugte mit ihr die Eunomia, Dice, nnd
Irene, welche auch Horen genannt wurden;
Goͤttinnen der Eintracht befoͤrdernden Gerechtig-
keit und Gefaͤhrtinnen der Grazien, welche eben-
falls Toͤchter des Jupiter, Hand in Hand ge-
ſchlungen, ein ſchoͤnes Sinnbild wohlwollender
Freundſchaft ſind.


Themis ſelber behauptet auch unter den neuen
Gottheiten, als die Goͤttin der Gerechtigkeit
ihren Platz. So wie ſie dem Prometheus die
Zukunft enthuͤllte, nahm ſie ſich auch der Men-
ſchen an, die ſein Werk waren, und durch die
Befolgung ihres Orakelſpruchs nach der Deukalio-
E 2
[68] niſchen Ueberſchwemmung, aufs neue aus har-
ten Steinen
wieder gebildet wurden. — Auch
erwaͤhnen die alten Dichtungen der Aſtraͤa einer
Tochter der Themis, die von den Schutzgoͤttinnen
der Sterblichen am laͤngſten bei ihnen verweilte,
bis ſie zuletzt gen Himmel entfloh, da der Frevel
der Menſchen uͤberhand nahm, und weder Ge-
rechtigkeit
noch Scheu mehr galt.


Weil die Themis dem Jupiter die Zukunft
oder den Schluß des Schickſals enthuͤllte, ſo laͤßt
eine beſondere Dichtung auch die Parzen Lacheſis,
Klotho und Atropos, die Toͤchter der alten Nacht,
vom Jupiter wieder erzeugt, und von der Themis
gebohren worden. Die Parzen ſind alſo in dieſen
Dichtungen eine doppelte Erſcheinung, einmal als
Toͤchter der alten Nacht und als Dienerinnen des
Schickſals, uͤber den Jupiter weit erhaben; und
dann als Toͤchter des Jupiter, die nach dem
Willen des Schickſals,
ſeine Rathſchluͤſſe voll-
ziehen.


Die doppelten Erſcheinungen der Goͤtter-
geſtalten, ſind in dieſem traumaͤhnlichen Gewebe
der Phantaſie nicht ſelten; was vor dem Jupiter
da war, wird, da der Lauf der Zeiten mit ihm
aufs neue beginnt, noch einmal wieder von ihm
erzeugt, um ſeine Macht zu verherrlichen, und
ihn zum Vater der Goͤtter zu erheben. — Die
Dichter haben von jeher das Schwankende in die-
[69] ſen Dichtungen zu ihrem Vortheil benutzt, und
ſich ihrer als einer hoͤhern Sprache bedient, um
das Erhabene anzudeuten, was oft vor den trun-
kenen Sinnen ſchwebt, und der Gedanke nicht faſ-
ſen kann.


Pontus.


Die Erde erzeugte aus ſich ſelber den Uranos
oder den Himmel, der ſie umwoͤlbet; die hohen
Berge mit ihren waldigten Gipfeln; und den
Pontus oder das unfruchtbare Meer; hierauf
gebahr ſie erſt, indem ſie ſich mit dem Himmel
vermaͤhlte den entfernten grundloſen Ocean.


Den Pontus oder das mittellaͤndiſche be-
kannte befahrne Meer, traͤgt die Erde, ſo wie die
Berge, gleichſam in ihrem Schooße, das heißt in
dieſer Dichtung, ſie hat dieſe großen Erſcheinungen
aus ſich ſelbſt erzeugt; und aus den aufſteigenden
Nebelduͤnſten hat ſie den umwoͤlbenden Luftkreis
um ſich her gewebt.


Da aber, wo der Himmel ſich gleichſam mit
ihr vermaͤhlt, indem ſeine Woͤlbung auf ihr zu
ruhen ſcheint, am aͤußerſten weſtlichen Hori-
zonte,
wo die Sonne ins Meer ſinkt, breitet
ſich erſt in weiten Kreiſen der unbekannte unbe-
grenzte Ocean um ſie her, der nach der alten Dich-
tung, aus der Beruͤhrung oder Begattung des Him-
mels und der Erde gebohren ward.


[70]

Der Pontus oder das Meer, das die Erde
in ihrem Schooße traͤgt, vermaͤhlte ſich mit ſeiner
Mutter Erde, und erzeugte mit ihr den ſanften
Nereus, den Thaumas, die Eurybia, die ein
eiſernes Herz im Buſen traͤgt, den Phorkys und
die ſchoͤne Ceto.


Nereus.


In dem Nereus gab die Dichtung der ſanf-
ten ruhigen Meeresflaͤche Perſoͤnlichkeit und Bil-
dung. Er iſt wahrhaft und milde, und vergißt
des Rechts und der Billigkeit nie; liebt Maͤßigung
und haßt Gewalt. Mit ruhigem Blick ſchaut er
in die Zukunft hin, und ſagt die kommenden
Schickſale vorher.


Ein Dichter aus dem Alterthum fuͤhrt ihn
redend ein, wie er bei Wind und Meeresſtille,
dem Paris, welcher die Helena aus Griechenland
entfuͤhrt, das Schickſal von Troja vorher verkuͤn-
digt.


Er vermaͤhlte ſich mit der Doris, der ſchoͤ-
nen Tochter des Ocean; und dieſes Goͤtterpaar,
ſich zaͤrtlich umarmend, und auf den Wellen des
Meeres ſanft emporgetragen, iſt eines der ſchoͤn-
ſten Bilder der Phantaſie aus jenen Zeiten, wo
man den großen unuͤberſehbaren Maſſen ſo gern
Form und Bildung gab. — Nereus, der Gott
[71] der ruhigen Meeresflaͤche, erzeugte mit der Do-
ris,
der Tochter des Ocean:


Die Nereiden.


Ihrer iſt eben ſo wie der Toͤchter des Ocean
eine große Zahl. — Das wuͤſte Meer wurde
durch dieſe Bildungen der Phantaſie ein Aufent-
halt hoher Weſen, die da, wo Sterbliche ihr
Grab finden wuͤrden, ihre glaͤnzende Wohnung
hatten, und von Zeit zu Zeit ſich auf der ſtillen
Meeresflaͤche zeigten, welches zu reitzenden Dich-
tungen Anlaß gab.


So ſtieg einſt Galatea, eine Tochter des
Nereus, aus den Wellen empor, welche der Rieſe
Polyphem erblickte, der ſich ploͤtzlich vom Pfeil
der Liebe verwundet fuͤhlte, und ſo oft ſie nachher
ſich zeigte, ihr ſein Leid vergeblich klagte.


Thetis, eine Tochter des Nereus, welche
mit der Tethys, einer Tochter des Himmels und
Vermaͤhlten des Oceans, nicht zu verwechſeln iſt,
wurde, eben ſo wie die Metis, dem Jupiter, der
ſich mit ihr vermaͤhlen wollte, furchtbar, als ihn
die Prophezeihung ſchreckte: ſie wuͤrde einen Sohn
gebaͤhren, der wuͤrde maͤchtiger als ſein Vater
ſeyn.


Durch die Veranſtaltung der Goͤtter wurde
ſie daher mit dem Koͤnige Peleus vermaͤhlt, der
[72] den Achill mit ihr erzeugte, welcher maͤchtiger als
ſein Vater wurde; denn die Thetis tauchte ihn in
den Styx, wodurch er, ausgenommen an der
Ferſe, woran ſie ihn hielt, unverwundbar ward,
aber auch gerade an dieſer einzigen verwundbaren
Stelle, in dem Kriege vor Troja, die toͤdtliche
Wunde empfing.


Noch ſagt die Dichtung, daß dieſe Thetis
einſt, da die neuen Goͤtter den Jupiter binden
wollten, und der wahrſagende Nereus ihr dieß
entdeckte, den hundertaͤrmigen Briareus aus der
Tiefe des Meers hervorrief, der ſich neben den
Donnerer ſetzte, worauf es keiner der Goͤtter
wagte, die Hand an den Jupiter zu legen.


Mit der Amphitrite, einer Tochter des Ne-
reus, vermaͤhlte ſich Neptun; ſie tritt alſo unter
den neuen Gottheiten majeſtaͤtiſch auf, und wird
abgebildet, wie ſie gleich dem Gott, dem ſie ver-
maͤhlt iſt, den maͤchtigen Dreizack in der Hand
haͤlt, und die wilden Fluthen baͤndigt.


Von funfzig Toͤchtern des Nereus ſind die
Nahmen aufgezeichnet, allein nur wenige unter
ihnen ſind in die fernere Geſchichte der Goͤtter
verflochten; die uͤbrigen machen das Gefolge glaͤn-
zend, wenn Theris oder Amphitrite aus dem Meer
emporſteigt.


[73]

Thaumas.


Das Staunen und die Verwunderung
uͤber die großen Erſcheinungen der Natur, iſt aus
dem Meer erzeugt, und wird, obgleich nur mit
wenigen Umriſſen, in dem Thaumas, einem
Sohne des Pontus als perſoͤnlich dargeſtellt.


Thaumas vermaͤhlt ſich mit der Elektra, ei-
ner Tochter des Ocean, und erzeugt mit ihr die
bewundernswuͤrdigſte Erſcheinung, den viel-
farbigten Regenbogen, der wegen der Schnellig-
keit,
womit ſeine Fuͤße die Erde beruͤhren, indeß
ſein Haupt noch in die Wolken ragt, unter dem
Nahmen Iris, als die Botin der Goͤtter dar-
geſtellt wird, die in der neuen Goͤttergeſchichte
zum oͤftern handelnd wieder auftritt.


Thaumas mit der Elektra erzeugte auch die
ſchnellen gefluͤgelten Harpyen, Aello und Ocy-
pete, den Sterblichen ein Schrecken, die, gleich
den reißenden Wirbelwinden, dem Meer entſtei-
gen, und unaufhaltſam ihren Raub mit ſich hin-
wegfuͤhren.


Eurybia.


Eine Tochter des Pontus, die ein eiſernes
Herz im Buſen traͤgt, und mit dem Titanen
Krius ſich vermaͤhlt, dem ſie die ſtarken Soͤhne,
Aſtraͤus, Pallas, und Perſes gebiehrt; ſie iſt
eine dunkle Erſcheinung, die in Nacht zuruͤcktritt.


[74]

Phorkys und die ſchoͤne Ceto
oder
die Erzeugung der Ungeheuer.


Phorkys, ein Sohn des Pontus, erzeugte
mit der ſchoͤnen Ceto, einer Tochter des Pontus:


Die Graͤen: Dino, Pephredo, und Enyo;
die ewigen alten drei ſchwanenweißen Jungfrauen,
die von ihrer Geburt an grau waren, nur einen
Zahn und ein Auge hatten, und an den aͤußerſten
Grenzen der Erde wohnten, wo die Behauſung
der Nacht iſt, und wo ſie nie von der Sonne,
noch von dem Lichte des Mondes beſchienen
wurden.


Die Gorgonen, Schweſtern der Graͤen,
mit furchtbarem Antlitz und Schlangenhaaren,
Euryale, Stheno, und Meduſa.


Den Drachen, der an den außerſten Gren-
zen der Erde die goldenen Aepfel der Heſperiden
bewacht.


Aus dem Blute der Meduſa, da ſie vom Per-
ſeus enthauptet wurde, ſprang Chryſaor mit gold-
nem Schwerdte, und der gefluͤgelte Pegaſus
hervor.


Chryſaor vermaͤhlte ſich mit der Kallirhoe, ei-
ner Tochter des Oceans, und erzeugte mit ihr den
dreikoͤpfigten Geryon und die Echidna, halb
[75] Nymphe mit ſchwarzen Augen und bluͤhenden Wan-
gen, und halb ein ungeheurer Drache; mit dieſer
erzeugte Typhaon, ein heulender Sturmwind:


Den dreikoͤpfigten Hund Cerberus;


Den zweikoͤpfigten Hund Orthrus;


Die Lernaͤiſche Schlange;


Die feuerſpeiende Chimaͤra, mit dem Ant-
litz des Loͤwen, dem Leib der Ziege, und dem
Schweif des Drachen, — und zuletzt gebahr die
Echidna, nachdem ſie ſich mit dem Orthrus be-
gattet hatte,


Den nemaͤiſchen Loͤwen, und


Die raͤthſelhafte Sphinx mit dem jungfraͤuli-
chen Antlitz und den Loͤwenklauen.


Dieß iſt die Nachkommenſchaft des Phorkys
und der ſchoͤnen Ceto. — Die Erzeugung der Un-
geheuer endigt ſich mit der Geburt des Geheim-
nißvollen
und Raͤthſelhaften, worin die alten
Ausſpruͤche und dunkeln Sagen der Vorzeit gehuͤl-
let ſind. —


Und ſo wie die Nacht die Mutter des Ver-
borgenen, Unbekannten iſt, wie z. B. der Heſpe-
riden, die an den entfernteſten Ufern des Oceans
die goldnen Aepfel bewahren; ſo laͤßt die Phan-
taſie die Ungeheuer, wie z. B. den Drachen, der
dieſe goldene Frucht bewacht, dem Meer ent-
ſtammen.


[76]

Allein dieſe Ungeheuer entſtehen nur, um in
der Folge die Tapferkeit und den Muth zu pruͤfen,
und von Goͤtterentſtammten Helden beſiegt zu
werden, die durch kuͤhne Thaten ſich den Weg
zur Unſterblichkeit bahnen.


Die Fluͤſſe.


Auch den Fluͤſſen gab die Einbildungskraft
Perſoͤnlichkeit. — Sie gehoͤren als Soͤhne des
Oceans zu den alten Gottheiten, und ſind zum
Theil in die folgende Goͤttergeſchichte als handeln-
de Weſen mit verflochten, wie z. B. Skaman-
der, Achelous, Peneus, Alphaͤus, Ina-
chus.


Die Bildung der Flußgoͤtter giebt zu ſchoͤnen
Dichtungen Anlaß; der Stammvater eines Volks,
z. B. deſſen Urſprung nicht weiter zu erforſchen iſt,
heißt der Sohn des Fluſſes, an welchem ſeine
Nachkommen wohnen. Durch dieſe Dichtungen
knuͤpfte die lebloſe Natur ſich naͤher an die Men-
ſchen an, und man dachte ſich gleichſam naͤher mit
ihr verwandt.


Proteus.


Ein Sohn des Oceans und der Tethys; der
Huͤter der Meerkaͤlber; welcher gleich der geheim-
[77] nißvollen Natur, die unter tauſend abwechſeln-
den Geſtalten den forſchenden Blicken der Sterb-
lichen entſchluͤpft, ſich in Feuer und Waſſer, Thier
und Pflanze verwandeln konnte, und nur denen,
die unter jeder Verwandelung ihn mit ſtarken
Armen feſt hielten, zuletzt in ſeiner eigenen Geſtalt
erſchien, und ihnen das Wahre entdeckte.


Chiron.


Schon Saturnus pflog einer verſtohlnen Liebe
mit der Philyra, einer Tochter des Flußgottes
Aſopus. Indem er ſich mit ihr begattete, ver-
wandelte er ſich, um die eiferſuͤchtigen Blicke der
Rhea zu taͤuſchen, in ein Pferd, und erzeugte
mit der Philyra den Chiron, der halb Menſch
halb Pferd, dennoch Schaͤtze hoher Weisheit in
ſich ſchloß, und in der Folge der Erzieher von Koͤ-
nigen und Helden ward, die ihm ihre Tugenden
und ihre Bildung dankten.


Atlas.


Unter den Nachkommen der Titanen iſt Atlas
einer von den großen Goͤttergeſtalten, die in die
Folge der fabelhaften Geſchichte zum oͤftern wieder
verflochten werden: Jupiter vermaͤhlte ſich mit
ſeiner Tochter der Maja, und erzeugte mit ihr
den Merkur, welcher daher ein Enkel des Atlas
heißt.


[78]

Nemeſis.


Sie iſt, wie die Parzen, eine Tochter der
Nacht; ſie hemmet Stolz und Uebermuth, ſtraft
und belohnt nach gerechtem Maaß, und ahndet
verborgnen Frevel. Sie gehoͤrt unter den alten
Gottheiten zu den hohen geheimnißvollen Weſen,
die von Goͤttern und Menſchen mit Ehrfurcht be-
trachtet werden. Und unter den neuen Goͤttern
behauptet ſie bleibend und herrſchend ihren Platz.


Prometheus.


Der Weiſeſte unter den Titanen, deſſen
ſchoͤpferiſcher Genius die Menſchen bildete, hat,
wie die meiſten alten Gottheiten, nur noch durch
Weißagung und Rath in die Folge der Goͤtterge-
ſchichte Einfluß; ſeine große Erſcheinung tritt in
Nebel zuruͤck.


[79]

Jupiter,
der Vater der Goͤtter
.


In der Darſtellung der alten Goͤtter ſpielt die
Phantaſie der Dichter mit lauter großen Bil-
dern. — Es ſind die großen Erſcheinungen der
Natur; der Himmel und die Erde, das Meer,
die Morgenroͤthe, die Macht der ſich empoͤrenden
Elemente unter dem Bilde der Titanen, die ſtrah-
lende Sonne und der leuchtende Mond, welche
alle nur mit wenigen Zuͤgen, als perſoͤnliche
Weſen dargeſtellt, in Reihe und Glied mit ſtehen,
und mehr Stoff fuͤr die Dichtkunſt als fuͤr die bil-
dende Kunſt darbieten.


Aus dem Nebel dieſer Erſcheinungen treten
die neuen Goͤttergeſtalten in Sonnenglanz her-
vor. — Der maͤchtige Donnergott mit dem Adler
zu ſeinen Fuͤßen; Neptun, der Erderſchuͤtterer,
mit dem maͤchtigen Dreizack; die majeſtaͤtiſche
Juno; der ewig junge Apoll mit dem ſilbernen
Bogen; die blauaͤugigte Minerva mit Helm und
Spieß; die goldne Aphrodite; die jungfraͤuliche
Diana mit Koͤcher und Bogen; der eherne Kriegs-
gott, Mars; Merkur, der ſchnelle Goͤtterbote. —


[80]

Auf den Jupiter ſelber faͤllt der hoͤchſte Glanz
zuruͤck; denn er iſt der Erzeuger der ſtrahlenden
Geſtalten, die in jugendlicher Schoͤnheit neu
hervorgehen. — Neptun und Pluto, Juno,
Veſta und die befruchtende Ceres ſind unter den
neuen Goͤttern mit ihm zugleich vom Saturnus
erzeugt, und von der Rhea gebohren; vom Ju-
piter ſelber iſt die groͤßre Zahl der neuen Goͤtter
entſproſſen.


Unter den alten Gottheiten erzeugte Jupiter
ſchon:


Mit der Metis, einer Tochter des Oceans,
die Minerva;


Mit der Mnemoſyne, einer Tochter des
Himmels, die Muſen;


Mit der Themis, einer Tochter des Himmels,
die Goͤttinnen der Eintracht und Gerechtigkeit;


Mit der Eurynome, einer Tochter des Oce-
ans, die Grazien;


Mit der Latona, einer Tochter des Coͤus und
der Phoͤbe, den Apoll und die Diana;


Mit der Maja, einer Tochter des Atlas,
den Merkur.


Allein alle dieſe hohen Goͤttinnen und erhab-
nen Muͤtter himmliſcher Weſen, treten dennoch in
Schatten zuruͤck, gegen die herrſchende Juno, die
vor allen das Recht behauptet, die Vermaͤhlte des
Donnergottes zu ſeyn, und deren Eiferſucht dem
[81] Jupiter, nachdem er ſchon lange die Titanen be-
ſiegt, und die Giganten uͤberwunden hat, noch
oft den Glanz ſeiner Goͤttermacht verleidet.


In die Goͤtterehe des Jupiter und der Juno
trug die Dichtung auch die menſchlichen Verhaͤlt-
niſſe hinuͤber, welche nach den Begriffen einer
Gottheit des Verſtandes freilich thoͤricht und
laͤcherlich waren, aber nicht nach dem Begriff einer
Gottheit der Phantaſie, deren nachahmende
Bildungskraft ſich eben ſowohl ihre Goͤtter nach
dem Bilde der Menſchen, als ihre Menſchen nach
dem Bilde der Goͤtter ſchuf, leiſe ahndend, daß
die Menſchheit beides in ſich vereinigt.


In dieſem Sinne iſt Juno auch die Goͤttin
der Ehe,
und gebahr dem Jupiter die Lucina
oder Ilithya, welche den Schwangern bei ihrer
Entbindung beiſteht. Mit ihr erzeugte Jupiter
auch die Hebe, oder die Goͤttin der Jugend, ein
Sinnbild der Fortpflanzung, wodurch die Gat-
tung immer neu gebohren, in ewiger Jugend ſich
erhaͤlt. Dieſe Goͤttin iſt dereinſt dem Herkules,
wenn er durch große und ſchoͤne Thaten ſich die
Unſterblichkeit erworben, zum Lohn der Tugend
und Tapferkeit beſtimmt.


Juno gebahr aber auch dem Jupiter den un-
verſoͤhnlichen Mars, den ſchrecklichen Krieges-
gott, auf welchen Jupiter oftmals zuͤrnte, und
F
[82] ihn vom Himmel zu ſchleudern drohte, aber ſei-
ner ſchonte, weil er ſein eigener Sohn war.


Den Vulkan gebahr die Juno ohne Begat-
tung, dem Jupiter zum Trotz, weil dieſer die
Minerva aus ſeinem Haupte gebohren hatte. —
Es ſind die beiden bildenden Gottheiten, in
deren Hervorbringung Jupiter und Juno wettei-
fern. — Was nun aber die Entwickelung des
Hohen und Goͤttlichen verhindert und erſchwert,
das iſt bei den Erzeugungen des Jupiter


Die Eiferſucht der Juno.


Eben ſo wie Jupiter, da er kaum gebohren
war, nur mit Muͤhe vor den Nachſtellungen der
verfolgenden zerſtoͤrenden Macht gerettet werden
konnte, und ſeine Waͤchter um ſeine Lagerſtatt ein
wildes Getoͤſe erheben mußten, damit Saturnus
die Stimme des weinenden Kindes nicht verneh-
men moͤchte;


So ſuchte auch die Tochter des Saturnus,
das neugebildete Hohe und Goͤttliche, wo moͤglich,
in ſeinem Keime zu zerſtoͤren, und ſeine Geburt
mit furchtbarer Macht zu hindern, damit es nie
das Licht des Tages erblicken moͤchte.


Als die ſanfte Latona den Apollo und die
Diana, dem Jupiter gebaͤhren ſollte, ſo ließ Juno
[83] ſie durch einen Drachen verfolgen, und beſchwur
die Erde, ihr keinen Platz zur Entbindung
zu vergoͤnnen.
— Die Inſel Delos war, als ein
ſchwimmendes Eiland, das keine bleibende Staͤtte
hatte, nicht mit unter dem Schwur begriffen; hier
fand Latona erſt, wo ihr Fuß ruhen konnte. Die-
ſes Eiland war es, wo ſie zwiſchen einem Oehl-
baum und Palmbaum zuerſt die Diana und dann
den Apollo gebahr.


Da Semele, die Tochter des Kadmus in
Theben, vom Jupiter den Bachus gebaͤhren ſollte,
ſo wußte Juno, unter der Geſtalt ihrer Am-
me, ſie mit ſchwarzem Trug zu uͤberreden, ſie
ſolle den Jupiter ſchwoͤren laſſen, er wolle ihr
eben ſo erſcheinen, als wenn er der Juno Bett
beſtiege; Jupiter erſchien ihr in der Geſtalt des
Donnergottes, und Semele ward ein Raub der
Flammen; den jungen Bachus rettete Jupiter
und verbarg ihn in ſeine Huͤfte.


Und als nachher Alkmene vom Herkules,
dem Sohne des Jupiter, entbunden werden ſollte,
ſo ſetzte ſich Juno vor der Thuͤr des Hauſes auf ei-
nem Steine nieder, mit beiden Haͤnden ihre Knie
umſchlungen, und machte auf die Weiſe der Mutter
des Herkules die Entbindung ſchwer. Den Herkules
ſelbſt verfolgte ſie von ſeiner Kindheit an, wodurch
ſein Heldenmuth gepruͤft, ſeine Bruſt geſtaͤhlt, und
F 2
[84] ihm der Weg zur Unſterblichkeit und zum Sitz der
Goͤtter gebahnet wurde.


Von der Eiferſucht der Juno iſt, nach einer
wohlerfundenen Dichtung, ſelbſt ein Geſtirn am
Himmel ein unausloͤſchliches Zeichen. Sie ver-
wandelte nemlich die vom Jupiter geliebte Nym-
phe Kalliſto in eine Baͤrin, die nachher von
ihm unter die Sterne verſetzt ward. Da bat die
Juno den Ocean, er moͤchte dieſe neue glaͤnzende
Geſtalt am Himmel nicht in ſeinen Schooß aufneh-
men — und dieß Geſtirn geht niemals unter.


Die Eiferſucht der Juno haucht dieſen Dich-
tungen Leben ein, ſo wie die Winde das ſtille
Meer aufregen. Auch iſt dieſe Eiferſucht an ſich
ſelbſt erhaben, weil ſie nicht ohnmaͤchtig, ſon-
dern mit Goͤtterkraft und Hoheit verknuͤpft, den
Gott des Donners ſelber auf dem hoͤchſten Gipfel
ſeiner Macht beſchraͤnkt.


Veſta,


Die den Erdkreis mit heiliger Gluth belebt,
iſt ſelbſt unter den neuen Goͤttern ein geheimniß-
volles Weſen; ſie blieb jungfraͤulich unter den
Toͤchtern des Saturnus und der Rhea, und der
keuſche Schleier huͤllt ihre Bildung ein. —


[85]

Ceres.


Mit ihr, der alles befruchtenden und alles er-
naͤhrenden Goͤttin, die vom Saturnus erzeugt, und
aus dem Schooß der Rhea gebohren ward, erzeugte
Jupiter die jungfraͤuliche Proſerpina, die, vom
Pluto entfuͤhrt, in der Unterwelt die Koͤnigin
der Schatten ward.


Pluto und Proſerpina ſind alſo unter den
neuen Goͤttern
die Beherrſcher des Orkus oder
der Schattenwelt. — Der Tartarus iſt eine der
groͤßren Erſcheinungen aus dem Zeitraume der
alten Goͤtter; — er iſt, tief unter dem Orkus,
mit eherner Mauer umgeben, und dreifacher Nacht
umgoſſen, der Aufenthalt der Titanen, die
ewiges Dunkel gefangen haͤlt.


Dieſe ſind nun beſiegt, und Jupiter, Neptun,
und Pluto haben ſich in die Herrſchaft uͤber Erde,
Meer, und Luft getheilt. — Das Chaos hat ſich
gebildet; — die Elemente haben ſich geſondert; —
aber des Himmels Glanz umgiebt den herrſchenden


Jupiter.


Er hat auf dem Olymp den hoͤchſten Sitz;
er winket mit den Augenbraunen, und der Olymp
erbebt; — er iſt das umgebende Ganze ſelber; —
vor ihm beugt ſich der Erdkreis; er laͤchelt, und
der ganze Himmel heitert mit einemmal ſich
auf. —


[86]

Mit ſeiner Macht und Hoheit vereint ſich die
ganze Fuͤlle der Jugendkraft, welche durch nichts
gehemmt iſt. — Der Himmel faßt die Fuͤlle ſei-
nes Weſens nicht. — Um ſeine Goͤtterkraft in
manchem Heldenſtamme auf Erden fortzupflan-
zen, richtete er auf die Toͤchter der Sterblichen
ſeine Blicke; und damit ſie Semelens Schickſal
nicht erfuͤhren, huͤllte der Allesdurchwebende in
taͤuſchende Geſtalten ſeine Gottheit ein.


Von ſeinem hohen Sitze ſenkte er ſich, in dem
goldnen Regen, in Danaens Schooß hernieder,
und erzeugte mit ihr den tapfern Perſeus, der die
Ungeheuer mit maͤchtigem Arm beſiegte.


Mit dem majeſtaͤtiſchen Schwanenhalſe
ſchmiegte er ſich an Ledas Buſen, und ſie gebahr
den edelmuͤthigen Pollux, und die goͤttliche Hele-
na,
das ſchoͤnſte Weib auf Erden, aus Jupiters
Umarmung.


In der Kraft des muthigen Stiers, lud er
mit ſanftem Blick, die jungfraͤuliche Europa auf
ſeinen Ruͤcken ein, und trug ſie durch die Meeres-
fluthen an Kretas Ufer, wo er den Minos mit
ihr erzeugte, der den Voͤlkern Geſetze gab, und
uͤber ſie mit Macht und Weisheit herrſchte.


Auch die Thiergeſtalten ſind in dieſen Dich-
tungen heilig, wo man unter dem Bilde der Gott-
[87] heit die ganze Natur verehrte, und nichts Un-
edles in der Vorſtellung lag, den hoͤchſten unter
den Goͤttern in irgend einer der Geſtalten der all-
umfaſſenden Natur ſich verhuͤllt zu denken.


Daß nun eine widerſtrebende, eiferſuͤchtige,
und doch auch erhabene Macht die hoͤchſte
Macht zu beſchraͤnken, und ihre Plane zu verei-
teln ſucht; daß Jupiters verſtohlnen Umar-
mungen
die tapfern Soͤhne entſtammen, iſt ganz
in dem Geiſte dieſer Dichtungen, wo alles Schoͤ-
ne und Starke, was ſich entwickeln und bilden
ſoll, mit Widerſtand und Schwierigkeiten kaͤmpfen,
und manche Noth und Gefahr beſtehen muß, bis
ſein Werth erprobt iſt.


Von nun iſt die Goͤttergeſchichte in die Ge-
ſchichte der Menſchen verflochten und verwebt. —
Die Goͤtterkriege haben nun aufgehoͤrt, und was
die ſeeligen Goͤtter noch beſchaͤftigt, das ſind die
Schickſale der Sterblichen, mit denen ihre Macht,
den einen hebend und den andern ſtuͤrzend zum
oͤftern gern ihr Spiel treibt; — zum oͤftern aber
auch der hohen Heldentugend und Tapferkeit ſich
annimmt; zuerſt am Kampf des Helden ſich er-
goͤtzt, und dann mit Unſterblichkeit den Sieger
lohnt. —


Nun iſt es aber das Verhaͤltniß des Donner-
gottes zu der hohen Juno, worin die Verwicke-
[88] lung
dieſer Geſchichten groͤßtentheils ſich gruͤndet.
Ihre verfolgende Eiferſucht iſt es, die den Helden
ihre ſchwere Laufbahn vorſchreibt. — So bildet
ſich das Gewebe dieſer Dichtungen aus einem er-
habenen Punkte, und knuͤpft ſich immer wieder
an die Majeſtaͤt der herrſchenden Gottheit an.


[89]

Die neue Bildung
des
Menſchengeſchlechts.


Nachdem das Menſchengeſchlecht nun einmal da
war, ſo ſchien es unvertilgbar zu ſeyn. — Jupiter
ſchickte vergeblich ſeine Suͤndfluth; — es wuchs
aus Kteſelſteinen, und keimte aus Drachenzaͤhnen
wieder auf. — Dem Schlamm der feuchten Erde
entſproßten Menſchen, und Menſchen entſtamm-
ten den Eichen des Waldes, der ihnen Nah-
rung gab.


Allein das goldene Zeitalter war entflohen, und
noch waren die Kuͤnſte nicht erfunden, die das harte
Leben der Menſchen ſanft und ertraͤglich machen. —
Des Feuers beraubt, war dieß Geſchlecht nun das
unſeeligſte unter allen, und mußte durch manche
Noth ſein unverſchuldetes Daſeyn buͤßen. —


Bis ſelbſt, durch dieſe Noth gedrungen, der
langverborgene Goͤtterfunken ſich endlich in den
Tiefgeſunkenen wieder regte, und ſie aus eigener
[90] Kraft
nun wurden, wozu kein Gott ſie bilden
konnte; indem ſie jedes Gut, mit unverdroſſenem
Fleiß, ſich ſelbſt verſchaften, deſſen Beſitz ſie nun
der Wohlthat keines Gottes mehr verdankten.


Als Haſſer des Prometheus und der Titanen-
feind, ſuchte Jupiter durch die Beraubung des
Feuers, die Menſchen zu verderben. — Aber als
die uͤber ihren eigenen Zorn erhabene, ruhige,
mit dem Schickſal einverſtandene Macht, ſahe er
aus der Unterdruͤckung, die ſein eigenes Werk war,
ein neues Geſchlecht hervorgehen, das durch Aus-
harren, Kraft, und Duldung, den Goͤttern aͤhn-
lich ward. — So ſtellt ein Dichter aus dem Al-
terthum in folgenden Zeilen, den Jupiter nicht
als den Haſſer, ſondern als den Wohlthaͤter und
Vater der Menſchen dar.


Selbſt der Vater beſchied dem Feldbau Muͤh,

und beſtellt’ ihn

Erſt durch Kunſt, mit Sorgen den Geiſt der Sterb-

lichen ſchaͤrfend;

Daß nicht ſtarrte ſein Reich in des Schlummers

dumpfer Betaͤubung.

Nie vor Jupiter bauten das Fruchtfeld ackern-

de Pfluͤger;

Weder Mal noch Theilung durchſchnitt die gemein-

ſamen Fluren:

[91]
Alle ſuchten fuͤr alle; ja ſelbſt die Erde, da nie-

mand

Forderte, trug unſklaviſch und gern. Doch Jupiters

Rathſchluß

Gab ihr toͤdtendes Gift der ſchwarz aufſchwellenden

Natter,

Sandte die hungrigen Woͤlfe zum Raub’ und regte

das Meer auf,

Schuͤttelt’ ihr Honig den Baͤumen herab, und ent-

ruͤckte das Feuer,

Hieß auch ſtocken den Wein, der in ſchlaͤngelnden Baͤ-

chen umherfloß;

Daß der Gebrauch allmaͤlig die mancherlei Kuͤnſte

mit regen

Sinnen erzwaͤng’ und den naͤhrenden Halm in Fur-

chen erzeugte,

Auch das verborgene Feuer entſchluͤg’ aus den Adern

des Kieſels.

Jetzo fuͤhrte zuerſt der Strom die gehoͤhleten Er-

len;

Jetzo gab dem Geſtirne der Steuerer Zahlen und

Nahmen,

Merkend Plejad’ und die leuchtende Baͤrin Ly-

kaons.

Jetzo laurte die Schling’ im Geſtraͤuch, und die Rute

voll zaͤhes

Vogelleims; es drohten die Hund’ um den maͤchti-

gen Bergwald.

[92]
Dort nun fuhr in die Tiefe des breiten Stromes

das Wurfnetz

Rauſchend hinab, dort ſchwebt’ in dem Meer das

triefende Zuggarn.

Jetzo ſtarrte das Eiſen, es klang die knarrende

Saͤge;

Denn ſonſt pflegte der Keil den kluͤftigen Stamm

zu zerſpalten;

Jetzo kamen die Kuͤnſt’ und Erfindungen. Alles

beſieget;

Unverdroſſener Fleiß, und die Noth des dringen-

den Mangels.

Virgil.
Von Voß überſetzt.


Da nun Prometheus in Schatten zuruͤckge-
wichen iſt, und eine neue Menſchenerzeugung an-
hebt, ſo ſind, außer dem Deukalion die Stamm-
vaͤter oder neuen Schoͤpfer des Menſchengeſchlechts,
mit denen es gleichſam aus der Vergeſſenheit wie-
der emporragt: Ogyges, Cekrops und Inachus.


Ogyges.


In die Zeiten des Ogyges faͤllt eine Ueber-
ſchwemmung, die noch aͤlter als die Deukalioniſche
iſt. — Der Geſichtskreis ſchließt ſich mit dieſer
Ogygiſchen Fluth, uͤber welche ſelbſt die fabel-
hafte Geſchichte nicht weiter hinausgeht.


[93]

Ogyges, welcher die Gegend beherrſchte, die
in der Folge der Zeit Attika und Boͤotien hieß,
erzeugte mit der Thebe, einer Tochter des Jupi-
ter, den Eleuſinus, der damals ſchon die Stadt
Eleuſis erbauete, in welcher nachher die Eleuſini-
ſchen Geheimniſſe geſtiftet wurden.


Inachus.


Auf den Inachus, einen Sohn des Oceans,
wird ein großer Theil der aͤlteſten Geſchichte zu-
ruͤckgefuͤhrt. — Dieſer Inachus war ein Strom,
der die Fluren von Argolis im Pelopponeß bewaͤſ-
ſerte. — Die Dichtung gab ihm Perſoͤnlichkeit,
und machte ihn ſelber zum Stammvater des Men-
ſchengeſchlechts, das an ſeinen Ufern ſich ausge-
breitet hatte.


Sein Sohn Phoroneus lehrte die Menſchen
den Gebrauch des Feuers wieder, und beredete ſie,
ſich gemeinſchaftliche Wohnplaͤtze zu erbauen, da
ſie vorher zerſtreut in Waͤldern lebten. — Er
war einer der aͤlteſten Wohlthaͤter des gleichſam
wiedergebohrnen Menſchengeſchlechts.


Jo, eine Tochter des Inachus, wurde vom
Jupiter geliebt und von der Juno verfolgt, in die
Geſtalt einer Kuh verwandelt, in raſender Wuth
auf dem ganzen Erdkreiſe umhergetrieben, bis ſie
[94] endlich in Aegypten einen Ruheplatz fand, wo ſie
goͤttlich verehrt wurde, und Jupiter den Epaphus
mit ihr erzeugte. — Von dieſem Epaphus
ſtammte ein koͤniglich Geſchlecht, das lange nach-
her in Griechenland wieder herrſchte, und deſſen
Recht zur Oberherrſchaft auf ſeinen Urſprung vom
alten Inachus ſich ſtuͤtzte.


Mit der Lybia, einer Tochter des aͤgyptiſchen
Koͤniges Epaphus, erzeugte Neptun den Belus
und Agenor.


Agenor herrſchte zu Tyrus; Kadmus, wel-
cher Theben erbauete, und die erſte Schrift
nach Griechenland brachte,
war ſein Sohn,
und die vom Jupiter entfuͤhrte Europa ſeine Toch-
ter. — Die Tochter des Kadmus war Semele,
die den Bachus gebahr.


Belus, der andere Enkel des Epaphus,
erzeugte den Danaus, und Aegyptus. Danaus
kam nach Griechenland, und herrſchte uͤber Ar-
gos;
von ihm ſtammte Akriſius ab, mit deſſen
Tochter, der Danae, Jupiter in einem goldnen
Regen ſich vermaͤhlte, und den Perſeus mit ihr
erzeugte.


Alcaͤus war ein Sohn des Perſeus; und
eine Enkelin des Alcaͤus war Alkmene, die Mut-
ter des Herkules. — Dieß ſind die vornehmſten
[95] Erzeugungen aus dem von Inachus abgeleiteten
Heldenſtamme.


Weil man nun nicht weiter als bis auf den
Inachus, den Stamm der aͤlteſten Koͤnige und
Helden zuruͤckzufuͤhren vermochte; ſo heißt es
nachher in der Dichterſprache: du magſt vom
alten Inachus dein Geſchlecht herleiten, ſo
bleibſt du doch ein Opfer des unerbittlichen
Orkus!


Cekrops.


Mit ihm bildete ſich in der Gegend von
Attika ein Geſchlecht von Menſchen, die er lehrte,
in Huͤtten zuſammen zu wohnen; und unter de-
nen er zuerſt den Eheſtand einfuͤhrte, weswegen
man ihn mit doppeltem Antlitz, einem maͤnn-
lichen und weiblichen
gebildet hat. — Aus dem
nachmaligen Stamme der athen[i]enſiſchen Koͤnige,
welche vom Erechtheus die Erechthiden hießen,
war Theſeus der beruͤhmteſte Held.


Athen wurde nachher die gebildetſte unter
den Staͤdten Griechenlands, und bis in die aͤlte-
ſte fabelhafte Geſchichte derſelben, iſt die Idee
von bildender Kunſt die herrſchende. — Nep-
tun und Minerva, die auch Pallas Athene
heißt, wetteiferten, nach weſſen Nahmen die neu
ſich bildende Stadt benannt werden ſollte; Mi-
[96] nerva trug den Sieg davon, und nach ihrem
Nahmen wurde die Stadt Athen genannt.


Deukalion.


Obgleich Deukalion als der eigentliche Wie-
derherſteller des vertilgten Menſchengeſchlechts be-
trachtet wurde; ſo ſehen wir doch, wie aͤltere Sa-
gen ſich an dieſe Dichtung anſchließen, und die
neue Menſchenſchoͤpfung oder Menſchenbildung des
Deukalion nur auf einen Theil von Griechen-
land
beſchraͤnken.


Amphyktion, ein Sohn des Deukalion,
ſtiftete zuerſt eine heilige Verbindung unter meh-
reren Voͤlkern, die durch gemeinſchaftliche Be-
rathſchlagungen
gleichſam zu einem Volke ſich
vereinigten. — Dieſe heilige Stiftung wurde lan-
ge nachher nach ſeinem Nahmen die Verſamm-
lung
der Amphyktionen genannt.


Hellen, der zweite Sohn des Deukalion,
herrſchte in Theſſalien, und erzeugte den Aeolus;
den Stammvater vieler Helden. Die beruͤhmte-
ſten aus dem Aeoliſchen Heldenſtamme, ſind Me-
leager, Jaſon, und Bellerophon. Meleager
uͤberwand den Kalydoniſchen Eber; Bellero-
phon beſiegte die Chimaͤra; und Jaſon erbeutete
das goldne Fließ.


[97]

Die alten Einwohner
von
Arkadien.


Unter dieſen dachte man ſich die aͤlteſten
Menſchen,
die ſchon vor irgend einer Zeitrech-
nung da waren; welches man in die Dichtung ein-
kleidete, ſie waͤren eher, als der Mond, gewe-
ſen.
— Auch bei dieſem Geſchlechte der Men-
ſchen artete die urſpruͤngliche Einfalt und Unſchuld
der Sitten dergeſtalt in Laſter und Bosheit aus,
daß Jupiter einſt ſo lange ſeine Blitze auf Arka-
dien fallen ließ, bis endlich ſelbſt die Erde ihre
Arme ausſtreckte und ihn um Erbarmung
flehte.


Der Dodoniſche Wald.


In Chaonien, einer Gegend von Epirus,
war der Dodoniſche Eichenwald, worin ſich ein
Orakel des Jupiter befand, und in welchen man
auch den Aufenthalt von dem uralten Geſchlecht
der Menſchen verſetzte, die noch keine andere Nah-
rung als Eicheln kannten.



[98]

Die menſchenaͤhnliche Bildung
der Goͤtter.


Wir haben ſchon bemerkt, daß die Phantaſie ſich
eben ſowohl ihre Goͤtter nach dem Bilde der
Menſchen, als ihre Menſchen nach dem
Bilde der Goͤtter ſchuf.


Das Unendliche, Unbegrenzte, ohne Ge-
ſtalt und Form, iſt ein untroͤſtlicher Anblick. —
Das Gebildete ſucht ſich an dem Gebildeten
feſt zu halten.
— Und ſo wie dem Schiffer, der
Land erblickt, ſein Muth erhoͤhet, und ſeine Kraft
belebt wird; ſo iſt fuͤr die Phantaſie der troͤſtliche
Umriß einer Menſchenbildung das ſichere Steuer,
woran ſie auf dem Ocean der großen Erſcheinun-
gen der Natur ſich feſt haͤlt. —


Dieß Gefuͤhl war bei den Alten vorzuͤglich
lebhaft. — Die unendlichen Maſſen, die den
Menſchen umgeben, Himmel, Erd’ und Meer,
erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung
und Form. — Man ſuchte die Zartheit des Ge-
bildeten, mit der Staͤrke des Ungebildeten zu
vereinen; und gleich wie in dem hohen aufrechten
[99] Koͤrperbau des Menſchen, die Feſtigkeit des Eichen-
ſtammes ſich mit der Biegſamkeit des zarten Halms
verknuͤpft; ſo verband ſein ſchoͤpferiſcher Genius
auch mit der Staͤrke des tobenden Elements, und
mit der Majeſtaͤt des rollenden Donners, die
Zuͤge der redenden Menſchenlippe, die winken-
den Augenbraunen, und das ſprechende Auge. —


Jupiter.


Die Bildung, welcher die ſchaffende Phan-
taſie den Donner in die Hand gab, mußte uͤber
jede Menſchenbildung erhaben, und doch mit ihr
harmoniſch ſeyn; weil eine denkende Macht be-
zeichnet werden ſollte, die nur durch Zuͤge des re-
denden Antlitzes ausgedruͤckt werden kann; und
bis zu dem Gipfel hub die bildende Kunſt der Grie-
chen, durch ihren Gegenſtand ſelbſt geheiligt, ſich
empor; daß ſie menſchenaͤhnliche, und doch uͤber
die Menſchenbildung erhabene Goͤttergeſtalten
ſchuf, in welchen alles Zufaͤllige ausgeſchloſſen,
und alle weſentlichen Zuͤge von Macht und Hoheit
vereinigt ſind.


So wie nun aber der Begriff der Macht in
der Vorſtellungsart der Alten von ihren Goͤttern
und Helden faſt immer der herrſchende iſt; ſo iſt
auch in ihren erhabenſten Goͤtterbildungen der
Ausdruck der Macht das Ueberwiegende.


G 2
[100]

Jupiters ſchweres Haupt, aus dem die Weis-
heit gebohren ward, ſenkt ſich vorwaͤrts uͤber; —
es waltet uͤber den Wechſel der Dinge; — es
waͤgt die Umwaͤlzungen. — Doch zieht die ewig
heitre Stirn ſich nie in ſinnende Falten.


Am unbeſchraͤnkteſten iſt die Macht des Don-
nergottes; — es iſt die mindermaͤchtige Juno,
die den Jupiter uͤberliſtet; — und Merkur der
Goͤtterbote, der nur die Befehle der hoͤhern
Maͤchte vollzieht, iſt der Liſtigſte unter den Goͤt-
tern.


Auch ſtellt die bildende Kunſt der Alten den
Jupiter am haͤufigſten dar, wie er gleichſam in
ſeiner ganzen Macht ſich fuͤhlt, und dieſer Macht
ſich freut. — So iſt er auf der hier beigefuͤgten
Kupfertafel, nach dem Abdrucke einer antiken
Gemme in der Lippertſchen Daktyliothek, ſitzend
abgebildet, den Donner in der Rechten, den
Zepter in der Linken, und den Adler zu ſeinen
Fuͤßen.


Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich noch,
ebenfalls aus der Lippertſchen Daktyliothek, der
Umriß einer Buͤſte des Jupiter, mit dem Mantel
bekleidet, und mit der koͤniglichen Binde um das
Haupt; daneben ein Jupiterskopf mit Widder-
hoͤrnern; und unten zur Gegeneinanderſtellung,
ein geſchleierter Saturnuskopf, mit einer Kugel auf
[]

[figure]

[][101] demſelben, und einem ſichelaͤhnlichen Zepter, der
im Nacken hervorragt.


Der Kopf mit Widderhoͤrnern bezeichnet den
Jupiter Ammon, der in Lybien, wo er Orakel-
ſpruͤche ertheilte, unter dieſer Geſtalt verehrt
wurde.


Und in dieſer Bildung tritt ſelbſt Jupiter un-
ter die alten Goͤttergeſtalten zuruͤck, wo er,
nicht mit dem Donner bewafnet, nur weißa-
gend
ſeine Gottheit offenbart, obgleich die bilden-
de Kunſt der Alten auch in dieſe Darſtellung den
Ausdruck der Macht des Donnergottes zum Theil
uͤbertragen hat.


In dem geſchleierten Saturnuskopf aber tritt
eine alte in Schatten zuruͤckgewichene Goͤtterge-
ſtalt im Gegenſatz gegen die neue herrſchende
auf. — Es iſt der ſeines alten Reichs entſetzte
Erzeuger des Jupiter; den aber die Sterblichen
noch immer, als den Stifter des goldnen Zeital-
ters, unter einer ſanftern und mildern Geſtalt
verehrten.


Bart und Haupthaar ſind beim Inpiter be-
zeichnend in Anſehung der inwohnenden Kraft und
jugendlichen Staͤrke, welche in den dichtgekraͤuſel-
ten Locken ſich zuſammendraͤngt.


„Er winket mit den ſchwarzen Augenbrau-
„nen; — er ſchuͤttelt die ambroſiſchen Locken auf
[102] „ſeinem unſterblichen Haupte, — und der Olymp
„erbebt. —“


Bei dem aͤlteſten Dichter ſpricht Jupiter ſel-
ber, indem er den uͤbrigen Goͤttern drohet, auf
folgende Weiſe, die Macht ſeines Weſens aus:
Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom
Himmel zur Erde ſenken; verſucht es, all’ ihr
Goͤtter und Goͤttinnen, und haͤngt das Gewicht
eurer ganzen vereinten Macht an dieſe Kette; es
wird euch nicht gelingen, den hoͤchſten Jupiter
vom Himmel zur Erde herabzuziehen; dieſer aber
wird die Kette, mit leichter Hand, und mit ihr
Erd’ und Meer gen Himmel heben, und ſie
an ſeinem hohen Sitz befeſtigen, daß die
Welt an ihr ſchwebend haͤngt.


Hieraus erhellet deutlich, daß man ſich zu
dem erhabenſten Begriff vom Jupiter das umge-
bende Ganze
ſelber als Urbild dachte. — Da
ſich nun in dem Begriff dieſer Umgebung alles
veredelt; was Wunder denn, daß man die Hel-
den, deren Erzeuger man nicht wußte, Soͤhne
des Jupiter nannte, der in taͤuſchenden Verwand-
lungen ſie mit ihren Muͤttern erzeugte. —


Denn mit dieſer Gottheit, die das Spielende
und Zarte, ſo wie das Majeſtaͤtiſche und Hohe in ſich
vereinte, und ſelber ſich in tauſend Geſtalten huͤllte,
konnte die Phantaſie noch frei in kuͤhnen Bildern
ſcherzen; ſie durfte ſich mit an die goldne Kette
[103] haͤngen, den Jupiter vom Himmel herab zu ziehen;
ſo wurde ſie ſelber zum Himmel empor gezogen. —


Und hier iſt es, wo demohngeachtet die Gott-
heit uͤber die Menſchheit, ſelbſt in dieſen Dichtun-
gen, uͤberſchwenglich ſich emporhebt. — In den
folgenden Zeilen hat ein neuer Dichter dieſen Ab-
ſtand ganz im Geiſte der Alten beſungen:


Graͤnzen der Menſchheit.
Wenn der uralte,

Heilige Vater

Mit gelaſſener Hand

Aus rollenden Wolken

Segnende Blitze

Ueber die Erde ſaͤ’t,

Kuͤß’ ich den letzten

Saum ſeines Kleides,

Kindliche Schauer,

Treu in der Bruſt.

Denn mit Goͤttern

Soll ſich nicht meſſen

Irgend ein Menſch.

Hebt er ſich aufwaͤrts,

Und beruͤhrt

Mit dem Scheitel die Sterne,

Nirgends haften dann

[104]
Die unſichern Sohlen,

Und mit ihm ſpielen

Wolken und Winde.

Steht er mit feſten,

Markigen Knochen

Auf der wohlgegruͤndeten,

Dauernden Erde;

Reicht er nicht auf,

Nur mit der Eiche

Oder der Rebe

Sich zu vergleichen.

Was unterſcheidet

Goͤtter von Menſchen?

Daß viele Wellen

Vor jenen wandeln,

Ein ewiger Strom:

Uns hebt die Welle,

Verſchlingt die Welle,

Und wir verſinken.

Ein kleiner Ring

Begraͤnzt unſer Leben,

Und viele Geſchlechter

Reihen ſich dauernd

An ihres Daſeyns

Unendliche Kette.

Goͤthe.


[105]

Nichts Hoͤheres aber konnte man ſich denken,
als den umwoͤlbenden Aether, in welchem alle
Bildungen und Geſtalten ruhen; dieſer war da-
her auch Jupiters hoͤchſtes Urbild. — So ſang ein
Dichter aus dem Alterthum: Du ſiehſt den er-
habenen ungemeſſenen Aether, der mit ſanf-
ter Umgebung die Erd’ umfaßt; den ſollſt
du fuͤr die hoͤchſte Gottheit, du ſollſt fuͤr Ju-
piter ihn halten!


Juno.


Unter der Juno dachte man ſich das Erhabne
mit der Macht vereinte Schoͤne. — Der Juno
hohes Urbild war der Luftkreis, welcher die
Erde umgiebt;
dieſer vermaͤhlte ſich mit dem
ewigen Aether, der auf ihm ruht. —


In der vom Glanz der Sonne durchſchimmer-
ten Atmoſphaͤre bildet ſich der vielfarbigte Regen-
bogen. Dieſer iſt wiederum das Urbild der ſchnel-
len Goͤtterbotin, welche die Befehle der Juno
vollzieht. Es iſt die glaͤnzende Iris, eine Toch-
ter des Thaumas, welche, wenn ſie in den Wol-
ken ſteht, die Gegenwart der hohen Himmels-
koͤnigin verkuͤndigt.


Der Regenbogen ſpiegelt den majeſtaͤtiſchen
Schweif der Pfauen, die den Wagen der Juno
in den Wolken ziehn. — Alles iſt uͤbereinſtim-
[106] mend in dieſer ſchoͤnen Dichtung; die Harmonie
des Ganzen wird durch kein einziges Bild geſtoͤrt.


Die erhabene Juno heißt die herrſchende,
großaͤugigte, weißarmigte;
— es iſt nicht
ſanfter Reitz der Augen, der ihre Bildung zeich-
net; ſondern Ehrfurcht einpraͤgende Groͤße —
und von dem uͤbrigen Umriß dieſer Goͤttergeſtalt
beruͤhrt die Dichtkunſt nur die Schoͤnheit des
maͤchtigen Arms.


So wie nun aber gleich den Stuͤrmen, die
das Meer aufregen, die Eiferſucht der Juno den
Dichtungen Leben einhaucht; ſo ſind ihr Urbild
auch die tobenden Elemente, wovon das ganze
Spiel der menſchlichen Leidenſchaften im Kleinen
ein Abdruck iſt.


Die Elemente ſind im Streit; ſie zuͤrnen in
Ungewittern, verdraͤngen und unterdruͤcken ein-
ander; berauben und raͤchen ſich. — Der Felſen
kracht im tobenden Meere, und unter dem Wind-
ſtoß heult die Welle. — Dieß alles aber beſchraͤnkt
ſich nur auf die niedre Atmoſphaͤre.


Ueber dieſer iſt alles bleibend und regelmaͤs-
ſig. — Alles hat Raum genug; — im ſtillen
Aether vollenden die Weltkoͤrper ihre Bahnen, und
nichts verdraͤngt, nichts hemmt das andre. —


Krieg und Empoͤrung ſind erſt da, wo das
ungemeſſene Ganze ſich in die kleinern Punkte zu-
ſammendraͤngt, wo es ſich aneinanderreibt, ſtoͤßt
[107] und lebendig wird. — Da iſt die immerwaͤhrende
Werkſtatt der Bildung und Zerſtoͤrung; aber auch
der Sitz der Wehklage, des Zorns, des Jam-
mers. — Da muß Hektor fallen; — Hekuba
muß ihr Haar zerraufen, — und Troja ein Raub
der Flammen werden. —


Aber der Gipfel des hohen Olymp ragt uͤber
die Wolken in den umwoͤlbenden Aether empor. —
Dahin verſetzt die Einbildungskraft den Wohnſitz
der ſeeligen Goͤtter, die, ſelbſt uͤber Sorgen
und Ungemach erhaben, bei frohem Saitenſpiel,
den ſuͤßen Nektar ſchluͤrfen, und laͤcheln, daß ſie
der muͤhebeladenen Sterblichen wegen ſich ent-
zweien konnten.


So knuͤpft die Phantaſie die menſchenaͤhnli-
che Geſtalt der Goͤtter beſtaͤndig wieder an ihr
himmliſches Urbild an. — Der Schwan in Ledas
Schooße umwoͤlbt im blauen Aether Erde, Meer,
und Luft. — Juno, die Koͤnigin, umſtroͤmt den
Erdkreis in dem zarten durchſichtigen Nebeldunſte,
worin der Regenbogen mit glaͤnzenden Farben
ſpielt. —


Als Juno ſich einſt empoͤrte, hing Jupiter
in dem Luftkreiſe, den ſie ſelbſt beherrſchte, ſchwere
Amboße an ihre Fuͤße. — Das Hohe und Erha-
bene mußte die Schmach des Niederziehens
dulden — und alle Himmliſche trauerten bei dem
Anblick. —


[108]

Da wir nichts Uebermenſchliches kennen, ſo
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-
menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver-
knuͤpfen. — Es iſt daher als ob die Menſchheit
ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros-
ſen Natur verwebte, und ſich in ſuͤßen Traͤumen
an ſie anſchmiegt.


Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache
die hohe Gebietende, uͤber den ſanften Liebreitz
ſelbſt erhabene Schoͤnheit. — Als Juno den Ju-
piter mit Liebreitz feſſeln wollte, ſo mußte ſie erſt
den Guͤrtel der Venus leihen, deren ſanftere
Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug, als
der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden-
den Ausſpruch that.


Da nun Juno ſich ſchmuͤckt, dem Jupiter zu
gefallen, ſo ordnet ſie, in ihrem Schlafgemach,
ihr glaͤnzendes Haar in Locken; ſie ſalbet ſich mit
dem Oehle der Goͤtter, wovon der Wohlgeruch,
ſobald es nur geregt wird, vom Himmel bis zur
Erde ſich verbreitet.


Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an, das von
der Minerva ſelbſt gewebt iſt, und hakt es auf
der Bruſt mit goldenen Haken zu. — Sie um-
guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel, und bindet an ihre
Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe; den Guͤrtel der Ve-
nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen. —


[]
[figure]
[][109]

So vollendet ſich dieſe ſchoͤne Dichtung, in-
dem ſie von ihrem hohen Urbilde allmaͤlig nieder-
ſteigt, und bei der Darſtellung der Koͤnigin des
Himmels, auch nicht den kleinſten weiblichen
Schmuck
vergißt. — Auf der hier beigefuͤg-
ten Kupfertafel befindet ſich im Umriß, nach
antiken geſchnittenen Steinen aus der Lippert,
ſchen Daktyliothek, außer einem Kopf der Juno,
noch eine Abbildung von ihr, wo ſie der bilden-
de Kuͤnſtler, ſitzend auf Jupiters Adler, den
Zepter in der Hand, und einen Schleier uͤber ſich
ſchwebend haltend, ihr Haupt mit Sternen um-
geben, gleichſam auf dem Gipfel ihrer Hoheit,
darſtellt.


Apollo.


Das erſte Urbild des Apollo iſt der Sonnen-
ſtrahl in ewigem Jugendglanze.
— Den huͤllt
die Menſchenbildung in ſich ein, und hebt mit ihm
zum Ideal der Schoͤnheit ſich empor, wo der Aus-
druck der zerſtoͤrenden Macht ſelbſt in die Har-
monie der jugendlichen Zuͤge ſich verliert. —


Die hohe Bildung des Apollo ſtellt die ewig
junge Menſchheit in ſich dar, die gleich den Blaͤt-
tern auf den immergruͤnenden Baͤumen; nur
durch den allmaͤligen Abfall und Zerſtoͤrung
des Verwelkten,
ſich in ihrer immerwaͤhrenden
Bluͤthe, und friſchen Farbe erhaͤlt.


[110]

Der Gott der Schoͤnheit und Jugend, den
Saitenſpiel und Geſang erfreut, traͤgt auch
den Koͤcher auf ſeiner Schulter, ſpannt den ſilber-
nen Bogen, und ſendet zuͤrnend ſeine Pfeile, daß ſie
verderbliche Seuchen bringen, oder er toͤdtet auch
mit ſanftem Geſchoß die Menſchen.


Unter den Dichtungen der Alten iſt dieſe eine
der erhabenſten und liebenswuͤrdigſten, weil ſie
ſelbſt den Begriff der Zerſtoͤrung, ohne davor zu-
ruͤckzubeben, in den Begriff der Jugend und
Schoͤnheit wieder aufloͤßt, und auf die Weiſe dem
ganz Entgegengeſetzten dennoch einen harmoni-
ſchen Einklang giebt.


Daher ſcheint auch die bildende Kunſt der
Alten in der ſchoͤnſten Darſtellung vom Apollo,
die unſre Zeiten noch beſitzen, ein Ideal von
Schoͤnheit erreicht zu haben, die alles Uebrige in
ſich faßt, und deren Anblick, wegen des unend-
lich Mannichfaltigen, was ſie in ſich begreift, die
Seele mit Staunen erfuͤllt.


Apollo und Diana ſind die verſchwiſterten To-
desgoͤtter, — ſie theilen ſich in die Gattung: —
Jener nimmt ſich den Mann, und dieſe das
Weib zum Ziele; und wen das Alter beſchleicht,
den toͤdten ſie mit ſanftem Pfeil; damit die
Gattung ſich in ewiger Jugend erhalte, waͤh-
rend daß Bildung und Zerſtoͤrung immer gleichen
Schritt haͤlt.


[111]

Gleich den vom Vater der Goͤtter geſandten
Tauben, die vor der gefahrvollen Scylla vorbei-
fliegend, beſtaͤndig eine aus ihrer Mitte verlieren,
die vom Jupiter ſogleich erſetzt wird, damit die
Zahl voll bleibe;
macht auch ein Menſchenge-
ſchlecht unmerklich dem andern Platz, und wer
von Alter und Schwachheit uͤbermannt, entſchlum-
mert, den hat in der Dichterſprache Diana oder
Apollo mit ſanftem Pfeil getoͤdtet.


Daß dieß die Vorſtellungsart der Alten war,
erhellet aus ihrer Sprache. — Das kleine gluͤck-
liche Eiland, wo ich gebohren bin, erzaͤhlt der
Hirt Eumaͤus dem Ulyſſes, liegt unter einem ge-
ſunden wohlthaͤtigen Himmelsſtrich; keine ver-
haßte Krankheit
raft da die Menſchen hin; ſon-
dern wenn nun das Alter da iſt, ſo kommen Diana
und Apoll mit ihrem ſilbernen Bogen, und toͤdten
die Menſchen mit ihrem ſanften Pfeil.


Wenn Ulyſſes in der Unterwelt den Schatten
ſeiner Mutter fraͤgt, wie ſie geſtorben ſey; ſo giebt
ſie ihm zur Antwort: mich hat nicht Dianens
ſanfter Pfeil getoͤdtet, auch hat mich keine
Krankheit
dahin geraft; ſondern mein Verlan-
gen nach dir, und mein Kummer um dich, mein
Sohn, haben mich des ſuͤſſen Lebens beraubt.


Wenn aber der Gott mit dem ſilbernen Bo-
gen auf das Heer der Griechen zuͤrnend, eine Peſt
[112] in ihr Lager ſchickt, die ploͤtzlich Mann auf Mann
dahin raft, das unaufhoͤrlich die Scheiterhaufen
der Verſtorbenen lodern; ſo ſchreitet er wie die
Nacht einher, ſpannt den ſilbernen Bogen, und
ſendet die verderblichen Pfeile in das Lager der
Griechen.


Allein der jugendliche Gott des Todes zuͤrnt
nicht immer; der, deſſen Pfeil verwundet, heilt
auch wieder; — er ſelbſt wird unter dem Nah-
men der Heilende mit einer Hand voll Kraͤuter
abgebildet; — auch zeugte er den ſanften Aeſku-
lap,
der Mittel fuͤr jeden Schmerz und jede
Krankheit wußte; und ſelbſt durch ſeine Kunſt
vom Tod’ erretten konnte.


Gleichwie nun in den wohlthaͤtigen und ver-
derblichen Sonnenſtrahlen, und in der befruchten-
den und Verweſung bruͤtenden Sonnenwaͤrme, das
Bildende mit dem Zerſtoͤrenden ſich vereint, ſo
war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in
der Goͤttergeſtalt verknuͤpft, die jene Strahlen und
jene Waͤrme, als ihr erhabnes Urbild in ſich faßte.


Daher giebt dieſen Troſt ein Dichter aus dem
Alterthum, indem er das Gemuͤth zu ſanfter Freud’
aufheitert: „wenn du jetzt trauern mußt, ſo wird
es nicht ſtets ſo ſeyn! Nicht immer ſpannt
Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch
aufs neue wieder zum Saitenſpiel die ſchwei-
gende Muſe!


[113]

Bei allen dieſen Dichtungen ſchimmert das
Bild vom Helios durch; — es iſt der erfreuende
Sonnenſtrahl, welcher das Herz zu Saitenſpiel
und Geſang belebt. — So ehrte Aurora den
Memmon, ihren fruͤh verſtorbenen Sohn, indem
ſeine metallene Gedaͤchtnißſaͤule in Aegypten, ſo
oft die Strahlen der aufgehenden Sonne ſie be-
ruͤhrten, mit ſanftem Klang ertoͤnte.


Aber es iſt auch der alles entdeckende, alles
enthuͤllende Strahl, der in dem wahrſagenden
Apollo ſich verjuͤngt. — Eben eine ſolche verjuͤngte
Erſcheinung iſt Apollo der Hirt; denn nach der
alten Dichtung wurden ſchon die Heerden, die
ohne Hirten weiden, von der allſehenden Son-
ne gehuͤtet.


Alle dieſe großen Bilder aber fuͤgen ſich in
zartere Umriſſe, da Apollo vom Jupiter erzeugt,
und von der ſanften Latona gebohren wird. — er
weidet die Heerden des Admet; begeiſtert die
wahrſagende Pythia; und fuͤhrt die Choͤre der
Muſen an. — Nach ſeiner Geburt entwickelt ſich
ſchnell die in ihm wohnende Goͤtterkraft.


Auf Delos entwindet er ſich dem Schooß der
Mutter. — Die hohen Goͤttinnen Themis, Rhea,
Dione und Amphitrite, ſind bei ſeiner Geburt
zugegen; — ſie wickelten ihn in zarte Windeln; —
allein er ſog die Bruſt der Mutter nicht; — ihm
reichte Themis Nektar und Ambroſia dar. —


H
[114]

Und als ihn nun zum erſtenmal die Goͤtter-
koſt genaͤhrt, da hielten ſeine Bande ihn nicht
mehr; auf ſeinen Fuͤßen ſtand der bluͤhende Goͤt-
terknabe, und auch das Band der Zunge war ge-
loͤſt: Die goldne Zitter, ſprach er, ſoll meine
Freude ſeyn, der gekruͤmmte Bogen meine Luſt,
und in Orakelſpruͤchen will ich die dunkle Zukunft
prophezeihen. —


Und als er dieß geſagt, ſo ſchritt er ſchon als
ewig bluͤhender Juͤngling majeſtaͤtiſch uͤber die
Berge und Inſeln einher; er kam zur felſigten
Pytho, und ſtieg von da zum Olymp hinauf,
ſchnell wie ein Gedanke, in die Verſammlung
der uͤbrigen Goͤtter. — Da herrſchte auf einmal
Geſang und Saitenſpiel; die Grazien und die
Horen tanzten, und die Muſen ſangen mit wech-
ſelnden Stimmen, die Freuden der ſeeligen Goͤt-
ter, und den Kummer der Menſchen, die
kein Mittel finden, dem Tode und dem
Alter zu entgehen.


Als er nun vom Olymp herabſtieg, ſo toͤdtete
er den Drachen Python, auf dem Fleck, wo
kuͤnftig ſeine Orakelſpruͤche ſich uͤber den Erdkreis
verbreiten ſollten.


Den getoͤdteten Drachen ließ die Sonne in
Verweſung uͤbergehen;
von dieſer Verweſung
ward er Python, und Apollo ſelbſt von dieſer
That der Pythiſche benannt. — Hier ſtand auf
[]

[figure]

[][115] einem hohen Felſen der Tempel des Apollo; und
uͤber der Oefnung einer Hoͤhle ſtand der Dreifuß,
auf welchem die Prieſterin ſaß, die auch den Nah-
men Pythia fuͤhrte, und durch deren Mund der
Gott die Zukunft offenbarte.


So iſt er auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel
nach einem antiken geſchnittenen Steine, der als
ein Meiſterwerk der griechiſchen Kunſt beruͤhmt iſt,
abgebildet, wie er auf dem Haupte der Pythia,
welche die Opferſchaale in der Hand haͤlt,
ſeine Leyer ſtimmt.
— Er floͤßte der Prieſterin,
die ſeine Goͤtterſpruͤche verkuͤndigen ſollte, ſelber
die himmliſchen Harmonien ein, die ihr den Blick
in die Zukunft gaben.


Die andre Abbildung des Apollo, ebenfalls
nach einer antiken Gemme, ſtellt ihn dar, auf
einen attiſchen Pfeiler gelehnt; in der Linken den
Bogen; die Leyer zu ſeinen Fuͤßen. — Man
ſieht in ihm den Gott, den, nach des Dichters
Ausdruck, der blitzende Bogen ſchmuͤckt, der aber
auch den Choͤren der Muſen ſich zugeſellt, und
der die zerſchellten Glieder durch heilende Kunſt
erquickt. —


Neptun.


So wie die hohen Goͤttergeſtalten Pontus,
Oceanus,
und Nereus in Schatten zuruͤckge-
wichen ſind, ſteigt nun in herrſchender Majeſtaͤt
H 2
[116] Neptun empor, den maͤchtigen Dreizack in der
Hand, womit er die empoͤrten Wogen ebnet, daß
auf der ſtillen Meeresflaͤche ſich ſanfte Furchen
bilden.


Was ſchnell ſich fort bewegt, ergoͤtzt den
Herrſcher der Waſſerwogen; zu Lande lenkt er
Roß und Wagen; und auf dem Meere ſind die
ſchnellen Schiffe ſeine Luſt. — Er ſchlug die Erde
mit ſeinem Dreizack, da ſprang das Roß her-
vor. —


Mit der Meduſa erzeugte er den gefluͤgelten
Pegaſus,
der noch aus ihrem Blute hervorſprang,
als ſie vom Perſeus enthauptet ward. — Ceres
verwandelte ſich in ein Pferd, um ſeiner Umar-
mung zu entfliehen, allein er verfolgte ſie in aͤhn-
licher Geſtalt, und zeugte mit ihr den Arion das
edelſte, mit der Schnelligkeit des Windes begabte
Roß, das Koͤnige und Helden trug, und bei den
Kampfſpielen in Griechenland ſeinen Reiter ab-
warf, und ſelbſt fuͤr ſich den Preis davon trug.


Wir ſehen in dieſen Dichtungen die Thierwelt
mit der Goͤtterwelt immer nahe verknuͤpft. —
Das Thier wird als ein hohes Sinnbild der Na-
tur betrachtet, worin die Gottheit ſelbſt ſich wie-
der darſtellt. In der aͤgyptiſchen Goͤtterlehre huͤll-
te die Gottheit ſich in lauter Thiergeſtalten, wel-
ches in einer ſinnreichen Dichtung heißt, die Goͤt-
ter waͤren aus Furcht vor den Giganten nach
[117] Aegypten geflohen, und haͤtten dort ſich alle in
Thiere verwandelt.


Obgleich mit dem Donnergott von einem Va-
ter erzeugt, iſt dennoch Neptun, gleich dem Element,
das er beherrſcht, die untergeordnete Macht. —
Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die
Drohung des Jupiter uͤberbringt; er moͤge ſich ja
mit des Donnerers Macht nicht meſſen, und ablaſ-
ſen den Griechen beizuſtehen; ſo antwortet ihr der
Erderſchuͤttrer: „Jupiter ſey ſo maͤchtig er wolle,
ſo hat er doch ſehr ſtolz geredet! ſind wir nicht alle
drei vom Saturnus erzeugt, und von der Rhea
gebohren? iſt nicht unter uns das Reich getheilt?
Er mag ſeine Soͤhne und Toͤchter, aber nicht mich
mit ſolchen Worten ſchrecken!“ — Iris ſtellt ihm
vor: „den aͤltern Bruder ſchuͤtzt die Macht
der Erynnen!
“ Und Neptun giebt dem Donn-
rer nach, und ſagt die ſanften Worte: „Du haſt
ſehr wohl geſprochen, o Goͤttin, und es iſt gut,
wenn auch ein Bote das Nuͤtzliche weiß.“


Das Urbild des Neptun iſt die ungeheure
Waſſerflaͤche, die gleichſam auf das Erhabene
zuͤrnt, und es ſich gleich zu machen ſtrebt.

Als die Griechen in der Belagerung von Troja
nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine
Mauer, zu einem Bollwerk gegen die Feinde er-
richtet hatten; ſo zuͤrnte Neptun daruͤber und be-
klagte ſich beim Jupiter: „Der Ruhm dieſer
[118] Maner, ſagte er, wird ſich verbreiten, ſo weit
ſich das Licht erſtreckt; der meinigen aber, die ich
einſt dem Lamedon um Troja erbaute, wird man
vergeſſen!“


Da antwortete ihm Jupiter: „o du großer
Erderſchuͤttrer; mich ſollt’ es nicht wundern,
wenn ein andrer, nicht ſo maͤchtiger Gott, ein
ſolches Werk ſich anfechten ließe; aber dein Ruhm
verbreitet ſich ja ſchon ſo weit ſich das Licht er-
ſtreckt, — und du wirſt ja, ſo bald die Griechen
hinweg ſind, die Mauer ins Meer verſenken, und
die Ufer mit Sand bedecken, daß keine Spur von
ihr uͤbrig bleibt. — Mit dieſen Worten verwieß
Jupiter dem Neptun dieſe Art von kindiſcher Miß-
gunſt gegen ein Werk der ſterblichen Menſchen.


Allein es iſt das zuͤrnende Element, und ſeine
gleichſam kindiſche gedankenloſe Macht, die durch
den Mund der Goͤtter ſpricht; wenn nun die Dich-
tung dem tobenden Elemente Bildung und Sprache
giebt, ſo druͤcken ſeine Worte auch die Natur ſeines
Weſens aus; das Wort bezeichnet ſelbſt die unbe-
huͤlfliche
Macht, und ſinkt wieder unter die
Menſchenrede herab, in welcher der leichte Ge-
danke herrſcht.


Auch die Erzeugungen des Neptun ſind groͤß-
tentheils ungeheuer. — Die Aloiden, ſeine
Soͤhne, welche auf den Olymp den Oſſa waͤlzten,
wurden ſelbſt dem Jupiter furchtbar. — Den
[]

[figure]

[][119] ungeheuren Polyphem, einen Sohn des Neptun,
hatte der klugheitbegabte Ulyſſes ſeines Auges
beraubt; von der Zeit an verfolgte Neptun den
Ulyſſes mit unverſoͤhnlichem Haß.


Er vereitelte ihm ſo lang er konnte die Ruͤck-
kehr in ſein Vaterland; und da dieſe nach dem
Schluß des Schickſals dennoch zuletzt erfolgen
mußte, ſo nahm er an dem unſchuldigen Schiffe
der gaſtfreien Phaͤacier, die den Ulyſſes nach
Ithaka gebracht hatten, ſeine Rache, indem er
es auf der Ruͤckkehr in einen Fels verwandelte.


So gefahrvoll war es, ſelbſt fuͤr den Guͤnſt-
ling der Minerva,
die ungeheure Macht des
ſtarken Elementes, und was mit ihr verwandt
war, zum Zorn gereitzt zu haben. —


Als einſt die Muſen auf dem Helikon Geſang
und Seitenſpiel ſo maͤchtig ertoͤnen ließen, daß
alles rund umher belebt ward, und ſelbſt der Berg
zu ihren Fuͤßen huͤpfte. — Da zuͤrnte Neptun
und ſandte den Pegaſus hinauf, daß er dem zu
kuͤhn gen Himmel ſich Erhebenden Grenzen ſetzen
ſollte; als dieſer nun auf dem Gipfel des Helikon
mit dem Fuße ſtampfte, war alles wieder in dem
ruhigern, ſanftern Gleiſe, und unter ſeinem
ſtampfenden Fuße brach der Dichterquell hervor,
der von des Roſſes Tritt die Hippokrene heißt.


Im Kriege vor Troja ſaß Neptun auf der
Spitze des waldigten Samos, und ſahe dem Tref-
[120] fen zu. — Er zuͤrnte heftig auf den Jupiter,
daß er den Trojanern Sieg gab. — Er ſtieg vom
Berge hinunter; der Berg erbebte unter ſeinem
Fußtritt. — Drei Schritte that er vorwaͤrts, und
mit dem vierten war er in Aege, wo tief im
Meere ſein Pallaſt iſt. —


Er beſtieg ſeinen Wagen, und fuhr auf den
Wellen daher. — Die Heere der Waſſerwelt ſtie-
gen empor, und erkannten ihren Koͤnig. — Das
Meer wich ehrfurchtsvoll zu beiden Seiten, —
und ſchnell flog der Wagen des Gottes, daß die
eherne Axe unbenetzt blieb. —


In dem zornigen Blick des Neptun mahlt ſich
das tobende Element; — ſo iſt er auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel, nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine aus der Lippertſchen Daktylio-
thek im Umriß abgebildet; in der Rechten den
Dreizack haltend, und mit der erhobenen Linken
die Zuͤgel zuſammenfaſſend, woran er die ſtolzen
Roſſe vor ſeinem Wagen lenkt, waͤhrend daß ſein
Gewand im Sturmwinde flattert. —


Auf eben dieſer Kupfertafel iſt Neptun, nach
einer andern Gemme aus Lipperts Daktyliothek,
noch einmal abgebildet, wie er mit dem ganzen
Gewicht ſeiner Macht,
den Dreizack auf der
Schulter, die Hand auf den Ruͤcken haltend, aus
dem Meere auf einen Felſen ſteigt. —


[121]

Die Dichtkunſt ſowohl als die bildende Kunſt
ſtellt zwar den Koͤnig der Gewaͤſſer in aͤhnlicher
Majeſtaͤt, wie den Jupiter dar; nur bleibt der
Ausdruck von Macht und Hoheit immer unterge-
ordnet. —


Es iſt nicht die ruhige, erhabene, mit dem
Wink der Augenbraunen gebietende Macht, mit
deren Laͤcheln ſich der ganze Himmel aufheitert,
und welche nur ſelten zuͤrnen darf, weil ſie am
wenigſten beſchraͤnkt iſt. — Vielmehr iſt beim
Neptun der Ausdruck des Zorns der herrſchen-
de. — Er ſchilt die Winde, die auf die Veran-
laſſung der Juno ohne ſeinen Wink die Wellen des
Meeres aufthuͤrmten; und ſein quos ego! wo-
mit er ſie bedrohet, iſt dasjenige, deſſen Ausdruck
die bildende Kunſt, auch in neuern Zeiten, am
oͤfterſten verſucht hat.


Minerva.


Als die blauaͤugigte Goͤttin aus Jupiters un-
ſterblichem Haupte mit glaͤnzenden Waffen hervor-
ſprang, ſo bebte der Olymp; die Erd’ und das
Meer erzitterte; und der Lenker des Sonnenwa-
gens hielt ſeine ſchnaubenden Roſſe an, bis ſie die
goͤttlichen Waffen von ihrer Schulter nahm.


Aus keiner Mutter Schooß gebohren, war
ihre Bruſt ſo kalt, wie der Stahl, der ſie
[122] bedeckte.
— Sie naͤherte ſich dem maͤnnlich
Großen,
und weiblicher Zaͤrtlichkeit war ihr Bu-
ſen ganz verſchloſſen.


Der Mangel an weiblicher Zaͤrtlichkeit aber iſt
mit Zerſtoͤrungsſucht verknuͤpft, welche ſtets mit
jenem in gleichem Grade zunimmt. — Es iſt die
ſanfte Venus, die nur aus Liebe zum Adonis mit
ihm die Rehe verfolgt; die kaͤltere Diana findet
an der Jagd und an der Zerſtoͤrung ſelbſt ſchon
ihre Luſt, indeß ſie doch zuweilen noch mit ver-
ſtohlner Zaͤrtlichkeit ſich an Endymions Schoͤnheit
weidet.


Der kalten jungfraͤulichen Minerva aber iſt
jedes Gefuͤhl von Zaͤrtlichkeit und ſchmachtender
Sehnſucht fremd; — ſie findet daher auch gleich
dem Kriegesgott am Schlachtgetuͤmmel und an zer-
ſtoͤrten Staͤdten ihr Ergoͤtzen, nur daß ſie nicht
von jenem die rauhe Wildheit hat, weil ſie zugleich
die friedlichen Kuͤnſte ſchuͤtzt.


Zuruͤckſchreckende Kaͤlte macht den Haupt-
zug in dem Weſen dieſer erhabenen Goͤtterbildung
aus, wodurch ſie zur grauſamen Zerſtoͤrung,
und zur muͤhſamen Arbeit des Webens, zur
Erfindung nuͤtzlicher Kuͤnſte, und zur Lenkung
der aufgebrachten Gemuͤther der Helden, gleich
faͤhig iſt.


Als Achill im Begriff war gegen den Aga-
memnon ſein Schwerdt zu ziehen, ſo ſtand ploͤtz-
[123] lich, ihm allein nur ſichtbar, die blauaͤugigte Goͤt-
tin hinter ihm, mit ſchrecklichem Blick — bei
ſeinem gelben Haar ihn faſſend — und hielt mit
weiſem Rath den jungen Held zuruͤck, — daß er
am ſilbernen Griff ſein Schwerdt wieder in die
Scheide druͤckte.


So iſt die himmliſche Pallas mitten im Krie-
ge ſelbſt noch Friedensſtifterin. — Die wilde Bel-
lona hingegen, welche mit fliegendem Haar, die
Geißel in der einen, die Waffen in der andern
Hand, den Wagen des Kriegesgottes lenkt, iſt
eine untergeordnete Goͤttergeſtalt. In ihr iſt nicht
die erhabene Friedensſtifterin, die Erfinderin der
Kuͤnſte noch mitten im wuͤthenden Treffen ſicht-
bar; ſondern nur die raſende Wuth; die Grau-
ſamkeit; die Mordluſt; und die Zerſtoͤrung fuͤr
ſich allein.


Daß in Minervens hoher Goͤtterbildung, ſo
wie beim Apollo, das ganz Entgegengeſetzte ſich
zuſammenfindet, macht eben dieſe Dichtung ſchoͤn,
welche hier gleichſam zu einer hoͤhern Sprache
wird, die eine ganze Anzahl harmoniſch ineinan-
der toͤnender Begriffe, die ſonſt zerſtreut und ein-
zeln ſind, in einem Ausdruck zuſammenfaßt.


So iſt Minerva die verwundende und die hei-
lende; die zerſtoͤrende und die bildende; eben die
Goͤttin, welche am Waffengetuͤmmel und an der
tobenden Feldſchlacht ſich ergoͤtzt, lehrt auch die
[124] Menſchen die Kunſt zu weben, und aus den Oli-
ven das Oehl zu preſſen.


Die furchtbare Zerſtoͤrerin der Staͤdte, wett-
eifert mit dem Neptun nach weſſen Nahmen die
gebildetſte Stadt, die je den Erdkreis zierte, ge-
nannt werden ſollte; und als der Koͤnig der Ge-
waͤſſer mit ſeinem Dreizack das kriegeriſche Roß
hervorrief, ſo ließ ſie den friedlichen Oehlbaum
aus der Erde ſproſſen, und gab der Stadt, worin
die Kuͤnſte bluͤhen ſollten, ihren ſanftern Nahmen.


Die Wildheit des Kriegeriſchen war bei dieſer
Goͤttergeſtalt durch ihre Weiblichkeit gemildert, und
die Weichheit und Sanftheit des Friedens und
der bildenden Kuͤnſte, lag unter der kriegeriſchen
Geſtalt verdeckt. — Was man ſich ſelten zuſam-
mendenkt, und was in dieſem ſchoͤnen Ganzen
der Natur doch eingehuͤllt noch ſchlummert, das
rief die hohe Dichtung in eine einzige vielumfaſ-
ſende Goͤttergeſtalt herauf, und hauchte dem neu
ſich bildenden Begriffe Leben ein.


Ohngeachtet des Entgegengeſetzten ſtoͤrt doch
keins der Bilder, welche dieſe Dichtung in ſich
vereinigt, die Harmonie des Ganzen. — Alles
deutet auf kalte uͤberlegende Weisheit, welche nie
die Stimme der Leidenſchaft hoͤrt, und zugleich in
das Zuruͤckſchreckende der gaͤnzlichen Unzaͤrtlichkeit
ſich einhuͤllt.


[125]

Das verſteinernde Haupt der Meduſa drohet
auf dem Schilde, welcher Minervens Bruſt be-
deckt; — es iſt der duͤſtre freudenloſe Nachtvo-
gel, der uͤber ihrem Haupte ſchwebt. — Sie ſel-
ber iſt es, die den duldenden, ſtandhaften, kal-
ten,
und verſchlagenen Ulyſſes in Schutz nimmt,
und die aufgebrachten Helden zur Kaltbluͤtigkeit
zuruͤckruft. —


Auch wird in dieſen Dichtungen die ſanftre
kriegeriſche Macht der ungeſtuͤmern als uͤberlegen
dargeſtellt. Da nemlich in dem Kriege vor Troja
zuletzt die Goͤtter ſelber, nachdem ſie die Parthei
der Griechen oder Trojaner nahmen, ſich zum
Streit auffordern; ſo tritt der wilde Kriegsgott
Mars gegen die ſanftre und erhabnere Pallas auf,
und rennt mit ſeiner Lanze wuͤthend gegen ihren
Schild an, wogegen ſelbſt Jupiters Blitze nichts
vermoͤgen.


Sie aber tritt ein wenig zuruͤck, und hebt mit
ſtarker Hand vom Felde einen ungeheuren Grenz-
ſtein auf, den ſchleudert ſie gegen die Stirne des
Kriegesgottes, daß er darnieder faͤllt, und ſieben
Joch Landes deckt. —


Demohngeachtet aber laͤßt die Dichtung auch
die Zuͤge dieſer maͤnnlichſtarken erhabnen Goͤttin
ganz leiſe wieder ins Weibliche uͤbergehen. —
Denn da ſie die Floͤte erfunden hatte, und in der kla-
ren Fluth ſich ſpiegelnd, ſahe, daß durch das Blaſen
[126] ſich ihr Geſicht entſtellte, ſo warf ſie die Floͤte
weg, die Marſyas nachher zu ſeinem Ungluͤck
fand.


Auch war ſie, gleich der Juno, eiferſuͤchtig,
daß Venus den goldnen Apfel, als den Preis der
Schoͤnheit, aus Paris Hand erhielt. Sie ruhte
gleich der Juno nicht eher, bis Troja in Flam-
men ſtand, des Priamus Geſchlecht vertilgt, und
ihre Rache befriedigt war. — Die Goͤtterbildung
wird menſchenaͤhnlich, und ſtellt die Rachſucht
ſelbſt, wegen der Macht, mit der ſie ausgeuͤbt
wird, in hoher dichteriſcher Schoͤnheit dar.


Eine einfache und ſchoͤne Darſtellung der Mi-
nerva im Bruſtbilde, nach einem antiken geſchnitt-
nen Steine aus der Lippertſchen Daktyliothek, befin-
det ſich auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel; und
darunter das Haupt der Meduſa, wie es die Alten
gebildet haben, ſo daß es groß in ſeinen Zuͤgen und
ſchrecklich, dennoch ſchoͤn iſt. —


Dieß Haupt, vom Koͤrper abgeſondert, macht
in ſeinen großen Zuͤgen gleichſam fuͤr ſich ein Gan-
zes aus, und ſtellt ſich wie eine furchtbare Erſchei-
nung dar; — ſo fuͤrchtet Ulyſſes in der Unterwelt
als ſich die Schatten ſchaarenweiſe zu ihm draͤn-
gen, daß Proſerpina endlich das Haupt der
Gorgo
ihm entgegen ſenden moͤchte, und eilet,
dem toͤdtlichen Anblick zu entfliehen.


[]
[figure]
[][127]

Mars.


Auch dem Furchtbaren und Schrecklichen,
dem verderblichen Kriege ſelber, gab die Einbil-
dungskraft der Alten Perſoͤnlichkeit und Bildung,
und milderte ſelbſt dadurch den Begriff des Wil-
den und Ungeſtuͤmen, das durch die Heere wie
ein Wetter hinfaͤhrt; Wagen zertruͤmmert; Hel-
me zerſchellt; den Tapfern wie den Feigen, im
wirbelnden Sturme zu Boden wirft; und uͤber der
grauenvollen Verwuͤſtung triumphiert.


Die menſchenaͤhnliche Bildung, worin die
Dichtung dieſe furchtbare Erſcheinung huͤllte, und
ſie dem Chor der ſeeligen Goͤtter zugeſellte; gab
nun dem Krieger auch ein hohes Urbild, das uͤber
ihm in Majeſtaͤt gehuͤllt war, und das er durch
Kuͤhnheit und Tapferkeit nachahmend in ſich uͤber-
trug.


Demohngeachtet verliert ſich zuweilen in den
Dichtungen die menſchenaͤhnliche Bildung des
Mars wieder in den Begriff des ſtreitenden
Heers. — Als er ſelbſt im Treffen vor Troja,
mit Huͤlfe der Minerva, von dem tapfern Dio-
medes verwundet wurde, ſo bruͤllte er wie zehn-
tauſend Mann
im Schlachtgetuͤmmel, — und
Furcht und Entſetzen kam die Trojaner und
Griechen an, als ſie den ehernen Kriegsgott
bruͤllen hoͤrten. — Dieſer aber erſchien dem
[128] Diomed wie naͤchtliches Dunkel, das vor dem
Sturme hergeht, als er in Wolken gehuͤllt zum
Himmel aufſtieg.


Und als er nun hier beim Jupiter ſich beklagte,
ſo ſchalt ihn dieſer mit zuͤrnenden Worten: be-
laͤſtige mich nicht mit deinen Klagen, Unbeſtaͤn-
diger,
der du mir der verhaßteſte unter allen Goͤt-
tern biſt, die den Olymp bewohnen. — Denn
du haſt nur Gefallen an Krieg und Streit — in
dir wohnet ganz die Gemuͤthsart deiner Mut-
ter,
— und waͤrſt du der Sohn eines andern
Gottes und nicht mein Sohn, ſo laͤgſt du laͤngſt
ſchon tiefer, als Uranos Soͤhne liegen.


Die Unbeſtaͤndigkeit des Mars, welche ihm
auch Minerva vorwirft, die ihn einen Ueber-
laͤufer
ſchilt, der es bald mit dem einem Heer,
bald mit dem andern haͤlt, iſt wiederum der Be-
griff des Krieges ſelber, den die Dichtkunſt hier
als ein Weſen darſtellt, das gleichſam um ſein
ſelbſt willen da iſt, unbekuͤmmert, wer uͤberwun-
den wird oder ſiegt; wenn nur das Schlachtge-
tuͤmmel fortwaͤhrt.


So zuͤrnen die erhabenern und eben deswe-
gen auch ſanftern Gottheiten, Minerva und Jupi-
ter auf den ungeſtuͤmen und unbeſtaͤndigen Mars, —
der aber demohngeachtet als ein hohes Weſen ſei-
nen Sitz unter den himmliſchen Goͤttern hat, und
dem auf Erden Tempel und Altare geweiht ſind.


[129]

Auch wußte der wilde Mars mit ſeinem ju-
gendlichen Ungeſtuͤm die ſanfte Venus ſelbſt zu feſ-
ſeln, die ihrem Gatten dem kunſtreichen bildenden
Vulkan, den zerſtoͤrenden Kriegsgott vorzog, mit
dem ſie ein verſtohlnes Liebesbuͤndniß knuͤpfte. —


Aus dieſem verſtohlnen Buͤndniß des Sanf-
ten mit dem Ungeſtuͤmen, entſtand Harmonia,
der Venus ſchoͤne Tochter, die mit Kadmus, dem
Stifter und Erbauer von Theben, ſich ver-
maͤhlte. —


Auf der Untreue der Venus verweilt die bil-
dende Kunſt der Alten und ihre Dichtkunſt gern. —
Vulkanus zuͤrnt vergeblich; die Schoͤnheit bindet
ſich an kein Geſetz; ſie iſt uͤber allen Zwang erha-
ben; und das verderbliche Jugendliche, iſt,
was ihr wohl gefaͤllt.


So wie nun Venus mit Zaͤrtlichkeit den Krie-
gesgott feſſelt; ſo haͤlt Minerva ihn mit Weis-
heit von ſeinem Ungeſtuͤm zuruͤck. — Denn als
einſt Jupiters drohendes Verbot den Goͤttern un-
terſagt hatte, in den Krieg der Trojaner und
Griechen ſich zu miſchen, und Mars vernahm,
ſein Sohn Askalaphus ſey erſchlagen; ſo ließ er
ſeine Diener, das Schrecken und das Entſetzen
die Pferde vor ſeinen Wagen ſpannen, und legte
ſeine leuchtenden Waffen an.


Zuͤrnt nicht, ihr Goͤtter, ſprach er, daß ich
den Tod meines Sohnes raͤche, wenn Jupiter
J
[130] ſelbſt auch ſeine Blitze auf mich ſchleudert. — Da
ſprang Minerva zu, riß ihm den ehernen Spieß
aus ſeiner ſtarken Hand, den Helm vom Haupte,
den Schild von ſeiner Schulter. — Raſender,
ſprach ſie, willſt du uns alle ins Verderben ſtuͤr-
zen, wenn aufs hoͤchſte Jupiters Zorn gereitzt
iſt! — Laß ab zu zuͤrnen, denn mancher iſt er-
ſchlagen, der ſtaͤrker war als dein Sohn, und
mancher Staͤrkere wird noch fallen; — wer kann
die Sterblichen vom Tode befreien! — ſo ſprach
ſie, und brachte den Mars zu ſeinem Sitz zuruͤck.


Wer ſieht nicht, durch alle dieſe menſchenaͤhn-
lichen Darſtellungen der Goͤtter, die großen Bilder
und Gedanken durchſchimmern, welche dieſen Dich-
tungen Hoheit und Wuͤrde geben; — es ſind im-
mer die Begriffe von wilder Zerſtoͤrung, Sanft-
heit des Erhabenen, hohem Reitz des Schoͤnen,
und von lenkender Weisheit, die auf mannichfal-
tige Weiſe ineinander ſpielen, und unter der Decke
des Menſchenaͤhnlichen ſich verhuͤllen.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt nach
einem antiken geſchnittenen Steine aus der Lippert-
ſchen Daktyliothek, der Kriegesgott abgebildet,
wie er, ſich mit der Rechten ſtuͤtzend, und Spieß
und Schild in der Linken tragend, vom Gipfel
des umwoͤlkten Olymps herniederſteigt. — Auf
eben dieſer Tafel iſt Venus mit dem Liebesgott,
[]

[figure]

[][131] ebenfalls nach einem antiken geſchnittenen Steine,
im Umriß abgebildet.


Venus.


Man verehrte in dieſer reitzenden Goͤtterge-
ſtalt, den heiligen Trieb der alle Weſen fort-
pflanzt. — Die Fuͤlle der Lebenskraft, die in die
nachkommenden Geſchlechter ſich ergießt. — Den
Reitz der Schoͤnheit, der zur Vermaͤhlung an-
lockt; — ſie war es, welche den Blick der Goͤtter
ſelbſt auf Jugend und Schoͤnheit in ſterblichen
Huͤllen lenkte, und triumphirend ihrer Macht ſich
freute, bis auch ſie erlag, dem bluͤhenden Anchi-
ſes ſich in die Arme werfend; von welchem ſie
Aeneas, den goͤttergleichen Held gebahr. —


So wie nun aber jener ſanfte wohlthaͤtige
Trieb, auch oft verderblich wird, und uͤber ganze
Nationen Krieg und Unheil bringt, ſo ſtellt die
ſanfteſte unter den Goͤttinnen, ſich in den Dich-
tungen der Alten, auch als ein furchtbares We-
ſen dar.


Sie hatte den Paris, der ihr vor allen Goͤt-
tinnen den Preis der Schoͤnheit zuerkannte, das
ſchoͤnſte Weib verſprochen; nun ſtiftete ſie ſelbſt
ihn an, dem griechiſchen Menelaus ſeine Gattin,
die Helena, zu entfuͤhren, und floͤßte dieſer ſelbſt
zuerſt den Wankelmuth und die Treuloſigkeit in
den Buſen ein.


J 2
[132]

So hielt ſie dem Paris ihr Wort, ganz unbe-
kuͤmmert, was fuͤr Zerſtoͤrung und Jammer dar-
aus entſtehen wuͤrde. — Im Kriege vor Troja
huͤllte ſie den Paris, als Menelaus im Zweikampf
ihn toͤdten wollte, in naͤchtliches Dunkel ein, und
fuͤhrte ihn in ſein duftendes Schlafgemach, wo
ſie ſelber die Helena zu ihm rief. —


Und als dieſe, ihre Schuld bereuend, ſich wei-
gerte, der Liebesgoͤttiu Ruf zu folgen, ſo ſprach
Venus mit zuͤrnenden Worten: Elende! reitze
mich nicht, damit ich nicht eben ſo ſehr dich haſſe,
als ich bis jetzt dich liebte. — Unter den Troja-
nern und Griechen ſtifte ich dennoch verderblichen
Hader an, dich aber ſoll ein unſeeliges Schickſal
treffen! —


Und nun laͤßt die gebietende Venus, dem
rechtmaͤßigen erzuͤrnten Gatten gleichſam zum
Trotz, den wolluͤſtigen Paris die Freuden der
Liebe genießen. — Wenn nun dieſe Goͤttergeſtalt
zugleich die kalte Weisheit der Minerva, oder den
Ernſt der Themis, in ſich vereinte, ſo wuͤrde ſie
freilich nicht ſo ungerecht, um die verderbliche
Luſt eines einzigen Lieblings zu beguͤnſtigen, der
alles verwuͤſtenden Zerſtoͤrung, die ſie dadurch ver-
anlaßt, ruhig zuſehn.


Dann waͤre ſie aber auch nicht mehr aus-
ſchließend
die Goͤttin der Liebe; ſie bliebe kein
Gegenſtand der Phantaſie; und waͤre nicht mehr
[133] die hohe dichteriſche Darſtellung desjenigen, was
in der ganzen Natur mit unwiderſtehlichem Reitze
unaufhoͤrlich fortwirkt, unbekuͤmmert, ob es Spu-
ren blutiger Kriege oder gluͤcklich durchlebter Men-
ſchenalter hinter ſich zuruͤck laͤßt. —


Ueberhaupt iſt es das Mangelhafte, oder die
gleichſam fehlenden Zuͤge, in den Erſcheinungen
der Goͤttergeſtalten, was denſelben den hoͤchſten
Reitz giebt, und wodurch eben dieſe Dichtungen
ineinander verflochten werden.


Der hohen Juno mangelt es an ſanftem Lieb-
reitz; ſie muß den Guͤrtel der Venus borgen. — Die
uͤberlegende Weisheit fehlt dem maͤchtigen Krieges-
gotte; Minerva lenkt ſeinen Ungeſtuͤm.


Venus beſitzt den hoͤchſten Liebreitz; aber Mi-
nerva, der es ganz an weiblicher Zaͤrtlichkeit man-
gelt, iſt ihr an Macht weit uͤberlegen. Im Tref-
fen vor Troja, wo zuletzt die Goͤtter ſelber ſich
zum Streit auffordern, und Venus den Trojanern,
Minerva den Griechen beiſteht, giebt Minerva
der Venus, die dem Mars zu Huͤlfe eilt, mit
ſtarker Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß
ihre Knie ſinken; und Minerva ſagt triumphie-
rend: moͤgen doch alle, die den Trojanern beiſte-
hen, der Venus an Tapferkeit und Kuͤhnheit glei-
chen!


Als Venus vom Diomed in die Hand ver-
wundet gen Himmel ſtieg, und bei ihrer Mutter
[134] Dione uͤber die verwegene Kuͤhnheit der Sterbli-
chen ſich beklagte; ſo ſpottete Minerva ihrer mit
den Worten: gewiß hat Venus irgend eine ſchoͤne
geſchmuͤckte Griechin uͤberreden wollen, daß ſie ih-
ren geliebten Trojanern folgen moͤchte, und beim
Liebkoſen hat ſie ſich in die goldene Schnalle die
zarte Hand geritzt.


Da laͤchelte der Vater der Goͤtter und Men-
ſchen, rief die Venus zu ſich, und ſprach zu ihr
mit ſanften Worten: Die kriegeriſchen Geſchaͤfte,
mein Kind, ſind nicht dein Werk; die Freuden
der Hochzeit zu bereiten, iſt dein ſuͤß Geſchaͤft;
laß du nur fuͤr das wilde Kriegsgetuͤmmel Mars
und Minerva ſorgen!


So ſcherzte in dieſen Dichtungen der Alten
die Phantaſie in kuͤhnen Bildern, mit der Gott-
heit, die ſie ſich in den kleinſten Zuͤgen nach dem
Bilde der Menſchen ſchuf, und dennoch die groͤß-
ten und erhabenſten Erſcheinungen der alles um-
faſſenden Natur beſtaͤndig zu ihrem hohen Urbilde
nahm.


Die Horen empfangen die Venus, wenn
ſie, nach der alten Dichtung, dem Meer ent-
ſteigt; ſie ziehen ihr goͤttliche Kleider an, ſetzen
ihr aufs unſterbliche Haupt die goldene Krone;
ſchmuͤcken ihr mit goldenem Geſchmeide Hals und
Arme; und haͤngen blitzende Ohrgehaͤnge in
ihre durchloͤcherten Ohren; — ſo mahlt ſich
[135] bis auf den kleinſten weiblichen Schmuck das Bild
der hohen Goͤttin aus. —


Der Venus waren vom Jupiter die Gra-
zien
zugeſellt — in ihrem Gefolge waren die Lie-
besgoͤtter, — vor ihren Wagen waren Tauben
geſpannt. — Alles iſt ſanft und weich in dieſem
Bilde; — doch iſt der Liebesgott mit Bogen und
Pfeil bewafnet, und ſtellt die furchtbare Macht
ſeiner himmliſchen Mutter, der alles beſiegenden
Goͤttin, in ſich dar. —


Diana.


Drei himmliſche Goͤttinnen ſind uͤber die
Macht der Venus erhaben. — Minerva, welche
dem Kriege vorſteht, und nuͤtzliche Kuͤnſte die
Menſchen lehrt. — Die jungfraͤuliche Veſta,
welche bei Jupiters Haupte ſchwur, ſich nie einem
Manne zu vermaͤhlen — und Diana, mit dem
goldenen Bogen, die ſich der Pfeile freut, an
ſchattigten Waͤldern ihre Luſt hat, und an der
Verfolgung der ſchnellen Hirſche ſich ergoͤtzt. —


Als Jupiter, den ſie ſchmeichelnd bat, ihr
den jungfraͤulichen Stand vergoͤnnte, ſo nahm ſie
Pfeil und Bogen, zuͤndete ihre Fackel bei Jupi-
ters Blitzen an, und ging, von ihren Nymphen
begleitet, hoch in den Waͤldern einher, und auf
den ſtuͤrmiſchen Gipfeln. —


[136]

Sie ſpannt den goldenen Bogen, und ſendet
die toͤdtlichen Pfeile ab; die Spitzen der Berge
zittern. — Vom Aechzen des Wildes ertoͤnt der
Wald, — hoch uͤber alle ihre Nymphen ragt die
Goͤttin mit Stirn und Haupt empor, und wen-
det ihr Geſchoß nach allen Seiten.


Doch vergißt die hohe Goͤttin auch im Ge-
tuͤmmel der Jagd des himmliſchen Bruders nicht. —
Und wenn ſie gnug mit Jagen ſich ergoͤtzt hat, ſo
ſpannt ſie den goldnen Bogen ab, und eilet nach
Delphi, zu dem Sitze des leuchtenden Apollo, —
da haͤngt ſie ihren Bogen auf, und fuͤhrt die
Choͤre der Muſen und Grazien an, welche das
Lob der himmliſchen Latona ſingen, die ſolche Kin-
der gebahr. —


Als die Schweſter des Apollo ſchimmert Dia-
na am hellſten hervor, weil dieſer ſeinen Glanz
mit auf ſie wirft — ſo wie ſie mit ihm vereint,
die Kinder der Niobe mit ſchrecklichen Pfeilen toͤd-
tet; ſo richtet ſie auch mit ihm vereint ihr ſanftes
Geſchoß
auf die Geſchlechter der Menſchen, die
gleich den welkenden Blaͤttern, der bluͤhenden
Nachkommenſchaft allmaͤlig weichen.


Nach einer ſchoͤnen Dichtung uͤbte ſich Diana
zu dieſem Geſchaͤft zuerſt an Baͤumen, dann an
Thieren, und zuletzt an einer ungerechten Stadt,
wo ſie die Menſchen mit verderblichen, Krankheit
und Seuchen bringenden Pfeilen erlegte.


[137]

Das Urbild der Diana iſt der leuchtende
Mond,
der kalt und keuſch in naͤchtlicher Stille
uͤber die Waͤlder ſeinen Glanz ausſireuet. — Dieſe
Keuſchheit der Diana ſelber aber iſt ein furchtbarer
Zug in ihrem Weſen. — Den Jaͤger Aktaͤon, der ſie
im Bade erblickte, ließ ſie, in einen Hirſch verwan-
delt, von ſeinen eigenen Hunden zerriſſen, ihrer
jungfraͤulichen Schamhaftigkeit ein ſchreckliches
Opfer werden.


Und als eine Prieſterin der Diana ihren Tem-
pel durch die Annahme der Beſuche ihres gelieb-
ten Juͤnglings in demſelben entweihte, beſtrafte
die Goͤttin das ganze Land mit Peſt und Seu-
chen, bis man das ſchuldige Paar ihr ſelber zum
Opfer brachte. — Ihr widmeten ſich die Jung-
frauen, die das Geluͤbde der Keuſchheit thaten, deſ-
ſen Verletzung ſie mit grauſamen Strafen raͤchte.


Wenn Jungfrauen, die dieß Geluͤbde thaten,
ſich dennoch, ihren Entſchluß bereuend, vermaͤhlen
wollten, ſo zitterten ſie vor Dianens Rache, und ſuch-
ten die zuͤrnende Goͤttin mit Opfern zu verſoͤhnen.


Diana und Venus waren die allerentgegen-
geſetzteſten unter den himmliſchen Goͤttergeſtal-
ten. — Demohngeachtet wurden beide verehrt. —
Die ausſchweifende Luſt der einen, und die Keuſch-
heit der andern war uͤber Lob und Tadel der Sterb-
lichen weit erhaben, die eine wie die andre, gleich
wohlthaͤtig und gleich furchtbar.


[138]

Als aber die maͤchtige Diana in dem Treffen
vor Troja, die maͤchtigere Juno zum Streit
aufforderte, ſo fuͤhlte ſie die ſtarken Arme der Ver-
maͤhlten des Donnergottes. — Das Wild auf den
Bergen, ſprach Juno, kannſt du toͤdten, aber
nicht mit Maͤchtigern ſtreiten!


Darauf faßte ſie die beiden Haͤnde der Diana
an dem Gelenke in ihre Linke zuſammen, nahm mit
der Rechten den Koͤcher von Dianens Schulter, und
ſchlug ſie damit auf beide Wangen, daß die Pfeile
zur Erden fielen — und gleich der furchtſamen Taube
vor dem Habicht, floh die ſonſt ſo maͤchtige Goͤttin
weinend davon, und ließ ihren Koͤcher zuruͤck, wel-
chen Latona wieder aufhob, und die zerſtreueten
Pfeile wieder auflaß.


So menſchenaͤhnlich auch dieſe hohen Goͤtter-
geſtalten handeln, iſt dennoch dieſe Dichtung groß
und ſchoͤn, ſobald man ſie nicht einzeln, ſondern
im Sinn des Ganzen dieſer Dichtung nimmt. —


Derſelbe furchtbare Koͤcher, aus welchem die
toͤdtlichen Pfeile ſich uͤber das Geſchlecht der
Sterblichen verbreiten, iſt ein leichtes Spielwerk
in den Haͤnden der erhabenen Juno, die ihn als
ein Werkzeug braucht, den Uebermuth der Min-
dermaͤchtigen zu beſtrafen, deren erroͤthende Wan-
ge, von einer ſtaͤrkern Hand die Schlaͤge des raſ-
ſelnden Koͤchers fuͤhlt, mit welchem ſie ſonſt furcht-
[]

[figure]

[][139] bar einhergeht. — Es giebt kein treffenderes Bild
der tief gedemuͤthigten weiblichen Macht als dieß.


Der weiſere Apoll antwortet dem Neptun, der
ihn zum Streit auffordert: warum ſollte ich mit
dir der elenden Sterblichen wegen fechten, die
gleich den Blaͤttern auf den Baͤumen, nur eine
Zeitlang dauern, und bald verwelken! — Laß
uns vom Kampf abſtehen; ſie moͤgen unter einan-
der ſich ſelbſt bekriegen!


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich eine Abbildung der Diana nach einem antiken
geſchnittenen Steine, wo ſie, im aufgeſchuͤrzten
Kleide, auf einen attiſchen Pfeiler gelehnt, in
ruhiger Stellung ſteht, den Koͤcher und Bogen
auf der Schulter, und als die Erleuchterin der
Nacht mit einer Fackel in der Hand, welche ſie
auszuloͤſchen im Begriff iſt.


Hinter ihr ragt ein Berg hervor, welcher ſie
als die Goͤttin bezeichnet, die auf den waldigten Gip-
feln einhergehend, die Spur des Wildes verfolgt.


Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich auch
eine Abbildung der Ceres nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine. — In der Rechten haͤlt ſie
eine Sichel, in der Linken eine Fackel, die ſie auf
dem Aetna anzuͤndete, um ihre geraubte Tochter
in den verborgenſten Winkeln der Erde zu ſuchen.
Zu ihren Fuͤßen ſchmiegen ſich die Drachen, die
ihren Wagen zogen.


[140]

Ceres.


Unter den drei hohen Goͤttinnen, die vom
Saturnus erzeugt, und von der Rhea gebohren
ſind, iſt Juno allein die Koͤnigin des Himmels. —
Ceres und Veſta ſind auf Erden wohlthaͤtige
Weſen, wovon die eine den naͤhrenden Halm her-
vorruft; die andre ſelbſt jungfraͤulich, dennoch
den Schooß der Erde mit heiliger fruchtbarmachen-
der Waͤrme durchgluͤht.


Mit der Ceres erzeugte der Vater der Goͤtter
die jungfraͤuliche Proſerpina, welcher des Lichtes
ſuͤßer Anblick nur kurze Zeit gewaͤhrt war — denn
nur zu bald wurde Jugend und Schoͤnheit ein
Opfer des unerbittlichen Orkus. —


Da ſie in ſorgenfreier Unſchuld mit ihren Ge-
ſpielinnen auf der Wieſe Blumen ſammlet, ſchlingt
ſchon der Koͤnig der Schrecken die ſtarken Arme
um ſie her, und hebt die umſonſt ſich ſtraͤubende
auf ſeinen mit ſchwarzen Roſſen beſpannten Wa-
gen. —


Zuͤrnend und mitleidsvoll verſucht die Nymphe
Cyane die ſchnaubenden Roſſe aufzuhalten. —
Pluto aber ſtampft mit ſeinem zweizackigten Zepter
von Ebenholz den Boden, und oͤfnet ſich mitten
durch die Kluͤfte der Erde zu ſeinem unterirdiſchen
Pallaſt einen Weg.


[141]

Ceres aber, da ſie den Raub ihrer Tochter
vernimmt, unwiſſend wer ſie entfuͤhrte, zuͤndet
auf dem flammenden Aetna ihre Fackel an, ſetzt
ſich auf ihren mit Drachen beſpannten Wagen,
und ſucht ihre Tochter in den verborgenſten Win-
keln der Erde, wohin kein Strahl der Sonne
drang. — Sie ſucht die Nacht zu erleuchten; das
Verborgene aufzudecken; um das Verlohrne
und Entſchwundene, was ihr ſo nah ver-
wandt iſt, wieder ans Licht zu bringen.


Nachdem ſie ihre Tochter nun vergebens auf
der ganzen Erde geſucht hatte, ſo kam ſie endlich
in Eleuſis, einem Flecken in Attika, ermuͤ-
det an. —


Mit der Macht der Gottheit verknuͤpft die
ſchoͤne Dichtung menſchliches Leiden. — Die
erhabene Goͤttin war jammervoll — ſie ſetzte ſich
betruͤbt auf einem Steine nieder — bis der gaſt-
freie Celeus ſie in ſeine Wohnung einlud, ohnge-
achtet ſein Haus voll Trauer war, weil ſein ge-
liebter Sohn in letzten Zuͤgen lag.


Die Goͤttin nahm an dieſer Trauer Theil,
weil ſie den Schmerz uͤber den Verluſt eines Kin-
des in ſeiner ganzen Groͤße ſelber kannte. — Nun
aber that ſie, was als Goͤttin ihr ein Leichtes
war; ſie machte des Celeus Sohn geſund.


Auch wollte ſie die Unſterblichkeit dem bluͤ-
henden Knaben ſchenken, indem ſie ihn alle Nacht
[142] auf ihrem Schooße in Flammen huͤllte, um alles
Sterbliche an ihm zu tilgen; bis durch den unge-
ſtuͤmen Schrei, und durch die unzeitige Furcht der
Mutter, welche die Ceres einſt bei dieſem Geſchaͤft
belauſchte, auch dieſer Wunſch der Goͤttin verei-
telt ward.


Dennoch ſetzte ſie ihrer Wohlthaͤtigkeit keine
Schranken; ſie gab dem Triptolemus des Ce-
leus aͤlterm Sohne, einen Wagen mit fliegenden
Drachen beſpannt, und ſchenkte ihm den edlen
Waizen, daß er ihn auf der ganzen Erde mit vol-
len Haͤnden ausſtreuen, und Seegen allenthalben
ſeine Spur begleiten ſollte.


Endlich entdeckte nun auch der Ceres die all-
ſehende Sonne den Aufenthalt ihrer Tochter, —
da forderte ſie die gewaltſam Geraubte zuͤrnend
vom Orkus wieder, — und Jupiter ſelber bewil-
ligte Proſerpinens Ruͤckkehr, unter der Bedin-
gung, daß von der Koſt in Plutos Reiche ihre
Lippe noch unberuͤhrt ſey.


Proſerpina aber hatte dem Reitz nicht wider-
ſtanden, aus einem Granatapfel einige Koͤrner zu
verzehren, — nun war ſie dem Orkus eigen, und
konnte keine Ruͤckkehr hoffen.


Dennoch bewirkte ihre maͤchtige Mutter, daß
ſie nur einen Theil des Jahres beim Pluto ver-
weilen durfte, den andern aber wieder auf der
Oberwelt des himmliſchen Lichts genoͤſſe, damit
[143] die liebende Mutter ſich alljaͤhrlich der wiederge-
fundenen Tochter freue.


Durch alle dieſe Dichtungen ſchimmern die
Begriffe von der geheimnißvollen Entwickelung
des Keims im Schooß der Erde, von dem innern
verborgenen Leben der Natur hervor. — Es giebt
keine Erſcheinung in der Natur, wo Leben und
Tod, dem Anſehen nach, naͤher aneinander
grenzen, als da, wo das Saamenkorn, dem Auge
ganz verdeckt, im Schooß der Erde vergraben, und
gaͤnzlich verſchwunden iſt; und dennoch grade auf
dem Punkte, wo das Leben ganz ſeine Endſchaft
zu erreichen ſcheint, ein neues Leben anhebt.


Durch den ſanften Schooß der Ceres pflanzen
ſich bis in das dunkle Reich des Pluto die himmli-
ſchen Einfluͤſſe fort. — Pluto heißt auch der ſty-
giſche oder unterirdiſche Jupiter; und mit ihm
vermaͤhlt ſich des himmliſchen Jupiters reitzende
Tochter, in welcher die Dichtung die entgegen-
geſetzten Begriffe von Leben und Tod zuſammen-
faßt, und durch welche ſich zwiſchen dem Hohen
und Tiefen ein zartes geheimnißvolles Band
knuͤpft.


Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet
man oft den Raub der Proſerpina abgebildet, —
und bei den geheimnißvollen Feſten, welche der
Ceres und der Proſerpina gefeiert wurden, ſcheint
es, als habe man grade dieß Aneinandergrenzen
[144] des Furchtbaren und Schoͤnen, zum Augenmerk
genommen, um die Gemuͤther der Eingeweihten
mit einem ſanften Staunen zu erfuͤllen, wenn das
ganz Entgegengeſetzte ſich am Ende in Harmonie
aufloͤßte. —


An die Vorſtellung vom Ackerbau, welche
den Menſchen nachher ſo gewoͤhnlich und alltaͤglich
geworden iſt, knuͤpften ſich in jenen Zeiten, wo
man noch die Gaben der Natur gleichſam unmit-
telbar
aus ihrer Hand empfing, erhabne und
ſchoͤne Begriffe an; — es war die Menſchheit
und ihre hoͤhere Bildung ſelber, die man in
dieſer einfachen Vorſtellung wiederfand, unter
welcher man ſich auch die ganze Natur mit ihren
wunderbarſten abwechſelnden Erſcheinungen dach-
te, und ſich an dieſelbe unter allen ihren Ge-
ſtalten,
ſo nahe wie moͤglich anſchloß.


Unter den hohen Goͤttergeſtalten iſt Ceres
eine der ſanfteſten und mildeſten; demohngeachtet
ließ ſie auch den Eryſichthon, welcher an einem
ihr geweihten heiligen Haine Frevel veruͤbte, ihre
furchtbare Macht empfinden. — Sie ſelber warnte
ihn zuvor, da er im Begriff war die heilige Pap-
pel umzuhauen; als er aber dennoch den grauſa-
men Hieb vollfuͤhrte, ſo mußte er fuͤr ſein Ver-
gehen gegen die alles ernaͤhrende Goͤttin, mit
ewig nicht zu ſtillendem Hunger, buͤßen.


[145]

Und als ſie ihre verlohrne Tochter auf dem
ganzen Erdkreis ſuchend, einſt lechzend und ermat-
tet in eine Huͤtte einkehrte, wo ſie begierig trin-
kend, von einem Knaben verſpottet ward, ſo
duldete ſie die Schmach nicht, ſondern beſprengte
den kindiſchen Frevler mit Waſſertropfen, der
ploͤtzlich in eine Eidexe verwandelt, von der furcht-
baren Macht der Goͤttin ein Zeuge ward.


Vulkan.


Das Muͤhſame und Beſchwerliche der Arbeit
in der mit Rauch und Dampf erfuͤllten Werkſtatt,
zuſammengedacht mit der erhabnen Kunſt, die
unermuͤdet hier mit ſchaffendem Geiſte wirkt,
huͤllte die Phantaſie der Alten in eine eigene hohe
Goͤtterbildung ein, bei welcher alle Kraft ſich in
den maͤchtigen Arm vereint, der den gewaltigen
Hammer auf dem Ambos fuͤhrt, indeß die gelaͤhm-
ten Fuͤße hinken.


Wetteifernd mit dem Jupiter hatte Juno den
Vulkan, wie dieſer die Minerva, aus ſich ſelbſt
gebohren und erzeugt. — Jupiter aber ſchleuderte
ihn vom Himmel hinab; er ſollte in den glaͤnzen-
den Reihen des hohen Goͤtterchors nicht aufge-
nommen ſeyn. —


Der Rauch, der ſchwarze Dampf, die halb-
erſtickte Flamme, vereinte ſich mit dem reinen
K
[146] Aether nicht, und widerſtrebte dem Begriff von
Klarheit, Schoͤnheit, und hoher Goͤtterwuͤrde. —
Die Haͤßlichkeit Vulkans iſt ihm ein bittrer Vor-
wurf.


Und dennoch nahm die Phantaſie auch dieſe
Goͤtterbildung unter den Glanz des Hohen und
Himmliſchen, durch den Weg des Komiſchen
wieder auf. — Die ſeeligen Goͤtter gerathen in
ein unendliches Lachen, wenn der hinkende Vul-
kan das Amt des Ganymed verwaltend, und ſelbſt
uͤber ſein Gebrechen ſcherzend, den mit Nektar
gefuͤllten Becher in der Verſammlung der Goͤtter
umherreicht. —


Die kuͤhne Einbildungskraft der Alten aber
wußte das Komiſche ſelber wieder mit Goͤtter-
macht und Hoheit, und einer uͤber alles Menſch-
liche erhabnen Wuͤrde zu umkleiden, wodurch ſie
eine Schattirung mehr erhielten, die ihren Dich-
tungen einen unnachahmlichen Reitz giebt.


Der Hinkende, wegen ſeiner Haͤßlichkeit vom
Himmel geſchleuderte Sohn der Juno, welcher
unbehuͤlflich das Amt des zarten Ganymed verrich-
tet, iſt in der mechaniſchen Kunſt vortreflich; bei
dieſer ſchaden ihm die gelaͤhmten Fuͤße nicht; auch
ſchmaͤlert ſein Sturtz vom Himmel die Macht und
Hoheit nicht, wodurch er ein Gegenſtand der Ver-
ehrung der Voͤlker wird.


[147]

In ſeiner Schmiede fuͤhrt er auf dem Ambos
mit maͤchtigen Schlaͤgen ſelbſt den Hammer; —
aber Luft und Feuer ſtehen ihm zu Gebote. — Die
Blaſebaͤlge athmen auf ſeinen Wink, und hauchen
die Flamme ſchwaͤcher oder ſtaͤrker an; — jeder
ſeiner Gedanken fuͤhrt ſchnell mit Goͤtterkraft ſich
aus, und unter ſeinen bildenden Haͤnden tritt ma-
jeſtaͤtiſch das Werk hervor.


Ihm iſt es ein Leichtes ſeinen Bildungen Le-
ben einzuhauchen; — er ſchmiedet zwanzig Drei-
fuͤße auf goldenen Raͤdern rollend, welche auf
ſeinen Wink in die Verſammlung der Goͤtter ge-
hen und wiederkehren. — Auch hat er ſich goldne
Maͤgde gebildet, die Leben und Bewegung haben,
und ihn im Gehen ſtuͤtzen. —


Wenn er aus ſeiner Schmiede tritt, ſo traͤgt
er ein koͤniglich Gewand und Scepter; — auch
iſt in ihm die hohe bildende Kunſt, obgleich in un-
anſehnliche Geſtalt verhuͤllt, doch mit der Schoͤn-
heit
ſelbſt vermaͤhlt; — durch dieſe Vermaͤhlung
mit der Venus aber, erhaͤlt das Komiſche in den
Zuͤgen der Goͤtterbildung des Vulkan den hoͤch-
ſten Reitz, weil auch die Eiferſucht ſich dazu ge-
ſellt. —


Das kuͤnſtliche Netz, welches der eiferſuͤchtige
Gatte um den Mars und die Venus ſchmiedet,
und alle Goͤtter herbeiruft, um uͤber ſein Ungluͤck
ſich zu beklagen, iſt in den Dichtungen der Alten
K 2
[148] unter Goͤttern und Menſchen zu einer beluſtigen-
den Fabel geworden, wodurch der finſtre Ernſt ge-
mildert, und das Gemuͤth zu frohem Laͤcheln auf-
geheitert wird.


In der Goͤtterbildung des Vulkan aber findet
ſich das ganz Entgegengeſetzte zuſammen, was
die Alten vorzuͤglich in ihren Dichtungen liebten;
in ihm vermaͤhlt ſich die Haͤßlichkeit mit der Schoͤn-
heit ſelber; — das Komiſche iſt in ihm mit Wuͤrde;
die Schwachheit mit der Staͤrke, die Laͤhmung
des Fußes mit der Kraft des maͤchtigen Arms ver-
eint. — Es iſt, wie wir ſchon bemerkt haben,
gleichſam das Mangelhafte, oder die fehlenden
Zuͤge, wodurch auch dieſe Goͤttergeſtalt ſich an die
uͤbrigen anſchließt.


Wie hoch aber die Kunſt das Eiſen zu ſchmie-
den von den Alten geſchaͤtzt wurde, erhellet auch
aus dieſer Dichtung, wo ſie unter allen Kuͤnſten
allein das ausſchließende Geſchaͤft eines Gottes
iſt, der ſelber mit in dem Rathe der hohen Goͤt-
ter ſitzt.


Ob nun gleich Vulkan erſt unter den neuen
Goͤttern auftritt, ſo ſchimmert dennoch auch ſein
Urbild unter den alten Goͤttergeſtalten dunkel her-
vor; — die Kureten oder Korybanten, welche
den Jupiter auf der Inſel Kreta bewachten, wa-
ren nach einer alten Sage, ſeine Abkoͤmmlinge;
[]

[figure]

[][149] auch war er einer der aͤlteſten oder die aͤlteſte unter
den Aegyptiſchen Gottheiten.


Die Kureten machten ſchon ein Getoͤſe mit
Waffen, die von Eiſen geſchmiedet waren. — Die
Cyklopen hatten ſchon vorher, ehe Jupiters Reich
begann, in den Hoͤhlen der Erde den Blitz und
den Donner bereitet, und die Erde ſelber hatte
ſchon eine Sichel geſchmiedet, womit Saturnus
ſeinen Erzeuger entmannte.


Auch waren eine Art geheimnißvoller Goͤtter-
bildungen aus dem hoͤchſten Alterthum, welche
unter dem Nahmen der Kabiren in Aegypten und
Samothracien verehrt wurden, nach einer alten
Sage, Soͤhne oder Abkoͤmmlinge des Vulkan,
deſſen Erſcheinung hiedurch auf einmal weit zuruͤck-
tritt, und in den Nebel der grauen Vorzeit ſich
verhuͤllt.


Schoͤn und bedeutend iſt es in dieſen Dich-
tungen, daß die bildenden Goͤtter einander huͤlf-
reich ſind. — Als Prometheus die Menſchen bil-
dete, ſo ſtanden Minerva und Vulkan ihm bei. —
Vulkan aber mußte nachher ſelber auf Jupiters
Befehl den Prometheus an den Felſen ſchmieden,
welches er nach der Darſtellung des tragiſchen
Dichters, da er dem Donnerer nicht widerſtreben
durfte, mit lautem Jammer that.


Auch wuͤnſchte Vulkan, obgleich vergeblich,
ſich mit der Minerva zu vermaͤhlen. — Und als
[150] er gewaltſam ſich ihrer zu bemaͤchtigen ſuchte,
wurde, waͤhrend daß er mit der Goͤttin kaͤmpfte,
die Erde von ſeiner Zeugungskraft befruchtet, und
gebahr den Erichthonius mit Drachenfuͤßen,
den Minerva ſelbſt in Schutz nahm, und ihn den
Einwohnern ihrer geliebten Stadt Athen zum
Koͤnige ſetzte, wo er, um ſeine ungeſtalten Fuͤße
zu verbergen, den vierraͤdrigen bedeckten Wagen
erfand. —


Die Drachengeſtalt und Drachenfuͤße bezeich-
nen in dieſen Dichtungen faſt immer das der Erde
entſproſſene, mit der Erde nah verwandte, — ſo
bildet die Phantaſie die himmelanſtuͤrmenden Gi-
ganten, als Kinder der Erde mit Drachenfuͤßen;
und auch der Wagen der Ceres, die die Erde be-
fruchtet, iſt mit Drachen beſpannt.


Ganz menſchenaͤhnlich ſtellt die Dichtung
den Gott der Flammen dar, wie er, um die The-
tis zu empfangen, die zu ihm koͤmmt, um fuͤr
ihren geliebten Sohn Achilles einen neuen Schild
und Ruͤſtung zu erbitten, ſich mit dem naſſen
Schwamme, erſt Bruſt und Nacken, Geſicht und
Haͤnde waͤſcht, um mit dem Schmutz der Arbeit
nicht vor der beſuchenden Goͤttin zu erſcheinen.


Als er aber in dem Treffen vor Troja auf den
Befehl ſeiner Mutter ſich mit ſeinen Flammen dem
Flußgott Skamander widerſetzte, der mit ſeinen
anſchwellenden Fluthen den Achill verfolgte; ſo be-
[151] gann ein furchtbarer Kampf zwiſchen den beiden
entgegengeſetzten Elementen. Zuerſt verbrannte
Vulkan das Feld mit allen Todten; — dann richte-
te er die leuchtende Flamme gegen den hochaufſchwel-
lenden Strom, daß das Schilf an ſeinen Ufern
verbrannte, das Waſſer ſiedete, und die Fiſche ge-
aͤngſtiget wurden. — Da flehte der Flußgott die
Juno um Erbarmung an, — und Vulkan ließ
ab ihn zu aͤngſtigen, da ſeine Mutter es ihm be-
fahl, und zu ihm ſprach: hoͤre auf, es iſt nicht
billig, daß ein unſterblicher Gott der ſterbli-
chen Menſchen wegen ſo gequaͤlt werde
!


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich im Umriß nach antiken geſchnittnen Steinen
aus der Lippertſchen Daktyliothek, außer einem
Kopf des Vulkan, noch eine Abbildung deſſelben,
wie er einen Pfeil ſchmiedet, und ihm zur Seite
Venus mit dem Kupido ſteht, der nach den Pfei-
len greift, die Venus in der Hand haͤlt.


Veſta.


So wie Vulkan die zerſtoͤrende, und auch die
bildende Flamme, das verzehrende Feuer, und
die alles zerſchmelzende Gluth bezeichnet; ſo iſt der
Veſta hoͤheres Urbild das heilige gluͤhende Leben
der Natur, das unſichtbar mit ſanfter Waͤrme,
durch alle Weſen ſich verbreitet.


[152]

Es iſt die reine Flamme in dem keuſchen Bu-
ſen der hohen Himmelsgoͤttin, welche als ein er-
habnes Sinnbild auf dem Altar der Veſta loderte,
und wenn ſie verloſchen war, nur durch den elek-
triſchen, durch Reibung hervorgelockten Funken,
ſich wieder entzuͤnden durfte.


Unter dieſem hohen Sinnbilde wurde das um-
gebende Ganze ſelber in ſeinem geheimſten Mittel-
punkte verehrt, wo Geſtalt und Bildung aufhoͤrte,
und der runde, umwoͤlbende Tempel, mit dem
Altar und der darauf lodernden Flamme, ſelbſt
das Bild der inwohnenden Gottheit war.


Dieſer uralte Gottesdienſt verflochte ſich auch
in das ſchoͤne haͤusliche Leben der Alten: Man
dankte der Veſta jede wohlthaͤtige Wirkung des
Feuers, die auf Erhaltung und Ernaͤhrung ab-
zweckt. — Sie war es, welche die Menſchen
lehrte, ſich auf dem heiligen Heerde die naͤhrende
Koſt zu bereiten.


Auch das Haͤuſerbauen lehrte Veſta die Men-
ſchen, — und ſo wie das umgebende Ganze
ſelber ihr Tempel war, ſo war auch die ſchuͤtzende
Umgebung des Menſchen ihr wohlthaͤtiges Werk,
das ihr die Sterblichen dankten; denn der Ein-
tritt zu jeglichem Hauſe und der Vorhof waren
ihr heilig.


Es war ein reines dankbares Gefuͤhl bei den
Alten, wodurch ſie jede einzelne Wohlthat der
[153] Natur, unter irgend einem bezeichnenden Sinn-
bilde beſonders anerkannten; — es war eine
ſchoͤne Idee, der heiligen Flamme, welche
wohlthaͤtig den Menſchen dient, gleichſam
wieder zu pflegen, und unbefleckte Jung-
frauen, als die heiligſten Prieſterinnen, ih-
rem immerwaͤhrenden Dienſte zu weihen
.


Fuͤr das Feuer, welches allenthalben den
Menſchen nuͤtzt, gab es auch einen Fleck, wo es
nie durch den Gebrauch zu menſchlichem Beduͤrfniß
herabgezogen, ſtets um ſein ſelbſt willen loderte,
und die Ehrfurcht der Sterblichen auf ſich zog.


Wenn die Kunſt der Alten es wagte, die
Veſta abzubilden, ſo trug die geheimnißvolle Goͤt-
tin eine Fackel in der Hand, aber der keuſche
Schleyer huͤllte dennoch ihre Bildung ein. — Auf
der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet ſich eine
Abbildung der Veſta, nach einem antiken geſchnit-
tenen Steine aus der Lippertſchen Daktyliothek,
die aber ſo zuſammengeſetzt, und raͤthſelhaft iſt,
daß man leicht ſieht, der Kuͤnſtler habe vorzuͤglich
nur das Geheimnißvolle in dem Begriff von die-
ſer Gottheit ſelbſt bezeichnen wollen.


Pluto oder der ſtygiſche Jupiter, der auch
Jupiter Serapis heißt, ſitzt auf einem Throne,
und legt, in der Linken den Scepter haltend, ſeine
Rechte auf eine gefluͤgelte Thiergeſtalt. — Zu ſei-
ner Linken ſteht Harpokrates, der Gott des Still-
[154] ſchweigens, mit dem Finger auf dem Munde,
und zur Rechten die geſchleierte Veſta mit der
Fackel in der Hand. Auch haͤlt Harpokrates ein
Horn des Ueberfluſſes. — Lauter Sinnbilder des
Tiefen, Verborgenen, Geheimnißvollen,
im Innerſten der Natur, woraus ſich unaufhoͤr-
lich Leben und Fuͤlle ergießt.


Unter der Abbildung der Veſta mit der Fackel,
denkt man ſich eine aͤltere Veſta, welche mit der
Erde einerlei iſt, die unter mannichfaltigen Nah-
men auch dieſen traͤgt. — Allein die aͤhnlichen
alten und neuen Goͤttergeſtalten verlieren ſich in
den Dichtungen der Alten ineinander; und da die
Erde, als eine der alten Gottheiten unter den
neuen herrſchenden Goͤttern nicht mit auftritt, ſo
ſcheint ſie in der Veſta, wie Helios im Apollo,
ſich gleichſam verjuͤngt zu haben, und wohnt in ihr
dem Rath der himmliſchen Goͤtter bei.


Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich auch,
nach einem ſchoͤnen antiken geſchnittenen Steine,
eine Abbildung des Merkur, der als der Gott
der Wege
den Altar, worauf ein antiker Mei-
lenzeiger ſteht, mit ſeinem Stabe beruͤhrt. Auf
dem Altare liegt ein Stab, zum Zeichen, daß die
Reiſenden dem Merkur, wenn ſie die Reiſe voll-
bracht, ihre Wanderſtaͤbe weihten. — Zum Zei-
chen der Sicherheit der Wege, windet ſich der
friedliche Oehlzweig um die Meilenſaͤule. Merkur
[]

[figure]

[][155] traͤgt auf dem Haupte den gefluͤgelten Hut, und
iſt mit einem kurzen Mantel bekleidet.


Merkur und Veſta waren beide die Menſchen
lehrende wohlthaͤtige Weſen, und der Geſang ver-
eint ihr Lob. In allen Haͤuſern und Pallaͤſten
der Goͤtter und der Menſchen hat Veſta ihren
eignen Sitz, und ihre alte Ehre; — der erſten
und der letzten Veſta
wird bei jedem Gaſtmahle
ſuͤßer Wein mit Ehrfurcht ausgegoſſen. —


Der Sohn des Jupiter und der Maja, der
Bote der Goͤtter mit dem goldenen Stabe, der
Geber vieles Guten, bewohnet mit der Veſta die
Haͤuſer der Sterblichen, und beide ſind einander
lieb, weil beide, in ſchoͤner Uebereinſtimmung,
nuͤtzliche Kuͤnſte lehren
. —


Merkur.


In dieſe leichte Goͤtterbildung huͤllte die Phan-
taſie der Alten die Begriffe von ſchneller Erfin-
dungskraft, Liſt
, und Gewandtheit ein, die
ſich ſowohl in der taͤuſchenden Ueberredung,
als in dem leicht vollfuͤhrten ſcherzenden Dieb-
ſtahl
zeigte, woruͤber ſelbſt der Beraubte, wenn er
die kuͤhne Schalkheit wahrnahm, laͤcheln mußte. —


Schalkheit und Liſt iſt hier mit der Macht der
Gottheit und mit Unſterblichkeit gepaart, — denn
nichts war unheilig in der Vorſtellungsart der
[156] Alten, was aus dem mannichfaltigen Bildungs-
triebe der Natur hervorging, und, wenn gleich
durch ſich ſelber ſchadend, dennoch den Stoff des
Schoͤnen und Nuͤtzlichen in ſich enthielt.


Die Phantaſie ſetzt ihren Goͤttergeſtalten kei-
ne Schranken, — ſie laͤßt bei jeglicher den herr-
ſchenden inwohnenden Trieb in ſeinem weiteſten
Umfange
ſpielen, und fuͤhrt ihn gern bis auf
den Punkt des Schaͤdlichen hin; eben weil in
dieſen Dichtungen die großen Maſſen von Licht
und Schatten, und die furchtbaren Gegenſaͤtze
in der Natur ſich zuſammendraͤngen, die ſonſt das
Auge nur zerſtreut und einzeln wahrnimmt; und
weil gewiſſermaßen jede Goͤttergeſtalt, das We-
ſen der Dinge
ſelbſt, aus irgend einem erhabe-
nen Geſichtspunkt betrachtet, in ſich zuſammen-
faßt.


In dieſer Ruͤckſicht iſt die Dichtung vom Mer-
kur eine der ſchoͤnſten und vielumfaſſendſten. —
Er iſt der behende Goͤtterbote — der Gott der
Rede — der Gott der Wege — in ihm ver-
juͤngt ſich das ſchnelle gefluͤgelte Wort, und
wiederholt ſich auf ſeinen Lippen, wenn er die
Befehle der Goͤtter uͤberbringt. —


Darum iſt auch ſein erhabenſtes Urbild die
Rede ſelber, welche als der zarteſte Hauch der
Luft ſich in den maͤchtigen Zuſammenhang der
Dinge gleichſam ſtehlen muß, um durch den Ge-
[157] danken und die Klugheit zu erſetzen, was ihrer
Wirkſamkeit an Macht abgeht. —


Auch lieh die Phantaſie der Alten gern dem
Worte Fluͤgel, weil es vom ſchnellen Hauch be-
gleitet erſt hoͤrbar wird; und wenn der Laut nicht
uͤber die Lippen kam, ſo war ihr ſchoͤner Aus-
druck: dem Worte fehlten die Fluͤgel.


Die Zunge der Opferthiere war dem Merkur
geweiht; Milch und Honig brachte man dem Gott
der ſanft hinſtroͤmenden Unterredung dar. — Aus
ſeinem Munde ſenkte ſich, nach einer dichteriſchen
Darſtellung, vom Himmel eine goldne Kette nie-
der, bis zu dem lauſchenden Ohre der Sterblichen,
die der ſuͤße Wohllaut von ſeinen Lippen mit
maͤchtigem Zauber lenkte. —


Unwiderſtehlich iſt ſeine Macht, den Zwiſt zu
ſchlichten, das Streitende zu verſoͤhnen, und das
Mißtoͤnende harmoniſch zu verbinden. — Dem
Schooß der Mutter noch nicht lange entwunden,
ſchlug er mit ſeinem goldnen Stabe zwiſchen zwei
erzuͤrnte miteinander ſtreitende Schlangen, —
und dieſe vergaßen ploͤtzlich ihrer Wuth, und wik-
kelten ſich vereint, in ſanften Kruͤmmungen um
den Stab, bis an die Spitze, wo ihre Haͤupter
in ewiger Eintracht ſich begegnen.


Es giebt kein ſchoͤneres Sinnbild, um die
Verſoͤhnung und den Frieden, ſo wie die harmo-
niſche Verbindung des Widerſtreitenden und Ent-
[158] gegengeſetzten zu bezeichnen, als dieſen Schlangen-
umwundenen Stab, der, im der Hand des Goͤt-
terboten, der Herold ſeiner Macht iſt.


Nichts iſt reizender als die dichteriſchen Schil-
derungen der Alten von der ſchnell ſich entwickeln-
den Goͤtterkraft, die gleichſam lange vorher ſchon
war, und nun in verjuͤngter Geſtalt aus dem
Schooß der Mutter neu gebohren, die Fuͤlle ihres
Weſens, welche ſie in ſich ſpuͤrt, nicht lange durch
Windeln und durch die Wiege beſchraͤnken laͤßt.


Waͤhrend daß Juno ſchlief, hatte Jupiter in
verſtohlner Umarmung mit der holden Maja den
Merkur in einer ſchattigten Hoͤhle erzeugt. —
Und als die Zeit der Entbindung da war, ſo wurde
am fruͤhen Morgen der Goͤtterknabe gebohren,
am Mittag ſchlug er ſchon die von ihm ſelbſt er-
fundene Laute, und am Abend entwandte er die
Rinder des Apollo.


Die Laute erfand er, da er am erſten Mit-
tage ſich aus der Wiege ſtahl, und indem er uͤber
die Schwelle trat, eine Schildkroͤte ihm entgegen
kam, deren umwoͤlbende Schaale ihm ſogleich
ein ſchickliches Werkzeug ſchien, um von dem
Klange darauf geſpannter Saiten wiederzutoͤ-
nen. —


Wenn du todt biſt, ſprach er zu der Schild-
kroͤte, dann wird erſt dein Geſang anheben. —
Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte, und
[159] die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus
Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten
daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden
Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief
im Bauch der Woͤlbung wiederhallte.


Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht
widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend,
was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und
Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang
auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie-
besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige-
nen Gottheit Urſprung.


Als nun am Abend die Sonne ſich in den
Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen
Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt-
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos
Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen
Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben
mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn
dem Apollo verrathen haͤtte.


Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den
Rindern geſchlachtet, und ſie ſich ſelber geop-
fert hatte
, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus,
verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die
Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß-
ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den
[160] voruͤberſtroͤmenden Alpheus, damit auch hier ſich
keine Spur mehr zeige.


Dieß alles that er bei Nacht und hellem
Mondenſchein. —


Als nun der Tag anbrach, da ſchlich er ſich
leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter, und
legte ſich in die Wiege, die Windeln um ſich her,
die Laute, als ſein liebſtes Spielwerk, mit der
Linken haltend.


Und als nun Apollo wegen der geraubten
Rinder zuͤrnend kam, ſo ſtellte ſich der Raͤuber, als
ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge,
die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in
den Tartarus zu ſchleudern, wenn er nicht ſchnell
den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder
waͤren.


Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au-
gen blinzelnd: wie grauſam redeſt du, Latonens
Sohn, einen kleinen Knaben an, der geſtern
gebohren iſt, und dem ganz andre Dinge lieb
ſind, als Rinder hinwegzutreiben; der ſich nach
ſuͤßem Schlummer, und nach der Bruſt der
Mutter ſehnt; und deſſen Fuͤße viel zu weich und
zart ſind, als daß ſie rauhe Pfade betreten
koͤnnten. — Doch will ich bei meines Vaters
Jupiters Haupte ſchwoͤren, daß ich die Rinder
weder ſelber entwandt habe, noch den Thaͤter
weiß.


[161]

Und als ſie nun beide, um ihren Streit zu
ſchlichten, vor dem Vater der Goͤtter auf dem
Olymp erſcheinen, ſo bringt zuerſt Apollo wegen
der entwandten Rinder ſeine Klage vor. —
Merkur aber ſtand in Windeln da, um durch ſein
zartes Alter ſelbſt die Klage zu widerlegen.


Seh’ ich denn wohl, ſo ſprach er zum Jupiter,
einem ſtarken Manne gleich, der Rinder hinweg-
zutreiben vermag? — Gewiß ſollſt du, mein
Erzeuger ſelbſt, die Wahrheit von mir hoͤren: ich
lag in ſuͤßem Schlummer, und habe die Schwelle
unſrer Wohnung nicht uͤberſchritten; — du weißt
auch ſelber wohl, daß ich nicht ſchuldig bin; doch
will ichs auch durch den groͤßten Schwur betheu-
ern; und jenem einſt ſein grauſames Wort ver-
gelten; du aber ſtehe dem juͤngern bei!


So ſprach Merkur mit den Augen blinzelnd,
und Jupiter laͤchelte uͤber den Knaben, daß er
ſo ſchoͤn und klug den Diebſtahl zu leugnen
wußte
. —


Zugleich befahl er dem Merkur, den Ort zu
zeigen, wo die Rinder verborgen waͤren. Als
dieſer nun Jupiters Befehl gehorchte, ward auch
Apollo wieder mit ihm verſoͤhnet; und die vom
Merkur erfundene Laute war der Verſoͤhnung
Unterpfand.


Denn als der Gott der Harmonien ganz ent-
zuͤckt den lieblichen Ton vernahm, der faͤhig iſt,
L
[162] Liebe und Freude und Schlummer zu bewirken,
gewann er auch den klugen Erfinder lieb, und
ſprach: die Erfindung ſey der funfzig geraubten
Rinder werth! — Da ſchenkte ihm Merkur die
Laute, und Apollo war uͤber den Beſitz des koſt-
baren Schatzes hocherfreut; damit ihm dieſer
aber vollkommen geſichert ſey, ſo bat er den Mer-
kur, ihm noch bei dem Styx zu ſchwoͤren, daß
er die ſanft ertoͤnende Laute ihrem nunmehrigen
Beſitzer nie wieder entwenden wolle
.


Apollo ſchenkte nachher dem Merkur den gol-
denen Stab, der alle Zwiſte ſchlichtet; — jetzt
aber kehrten die beiden Nahverwandten Hand
in Hand geſchlungen zum Olymp zuruͤck; es war
die Kunſt, die ein ſchoͤnes Band zwiſchen ihnen
knuͤpfte, und Jupiter freute ſich ihrer Eintracht. —


Merkur wird nun der Goͤtterbote; — er iſt
die behende Macht — das ſchnell ſich Bewe-
gende
unter den hohen Goͤttergeſtalten, die gleich-
ſam feſt gegruͤndet in ihrer Majeſtaͤt, den ſchnellen
erfindungsreichen Gedanken vom Himmel zur
Erde ſenden, und wenn er wiederkehrt, ihn in
ihrem hohen Rath aufnehmen.


Auch die Kunſt zu ringen, und durch Be-
hendigkeit der Staͤrke
uͤberlegen zu ſeyn, lehrte
Merkur die Menſchen. Alles, wodurch der zarte
Gedanke, ſich in der Dinge geheimſte Fugen
[]

[figure]

[][163] ſtehlend, des maͤchtigen Zuſammenhangs Meiſter
wird, iſt das Werk des leichten Goͤtterboten.


Er ſtieg vom hohen Olymp ins Reich des
Pluto nieder. — Die Seelen der Verſtorbenen
fuͤhrt er mit ſeinem Stabe der oͤden Schattenwelt,
der dunkeln Behauſung der Todten zu; er ſelber
ſteigt wieder zum Olymp empor, wo ewiger Glanz
und Klarheit herrſcht. —


Die Erde.


Obgleich die Erde, die den umwoͤlbenden
Uranos aus ſich gebahr, und ſich mit ihm ver-
maͤhlte, unter die uralten uͤber Bildung und Form
erhabenen Erſcheinungen, worauf die Phantaſie
noch nicht haften kann, zuruͤcktritt; ſo hat den-
noch die bildende Kunſt verſucht, auch dieſe Goͤt-
tergeſtalt durch allegoriſche Darſtellung zu be-
zeichnen.


So iſt auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel,
nach einem antiken geſchnittenen Steine, die alles
ernaͤhrende Erde gebildet, in ruhiger Stellung
am Boden ſitzend, und mit ihrer Rechten den
Stamm eines Baums umfaſſend, deſſen Zweige
ſich uͤber ihrem Haupte ausbreiten. Neben ihr
liegt ein Horn des Ueberfluſſes; mit der Linken
beruͤhrt ſie die neben ihr ruhende Himmelskugel;
vor ihr ſteht die Siegesgoͤttin; und unter dem
L 2
[164] Bilde zweier kleinen weiblichen Figuren, welche
Gefaͤße in den Haͤnden tragen, bringen die wech-
ſelnden Jahreszeiten
der ſeegnenden Mutter ihre
Gaben dar.


Von der Goͤttin Cybele, unter welchem
Nahmen Rhea, eine Tochter der Erde, und des
Saturnus Vermaͤhlte, als die große Mutter
oder die Mutter aller Goͤtter verehrt ward, be-
findet ſich auf eben dieſer Tafel eine Abbildung
nach einem antiken geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung; wo die maͤchtige Goͤttin
dargeſtellt iſt, auf einem Loͤwen reitend, das
leuchtende Geſtirn zu ihrer Rechten; zu ihrer Lin-
ken den gehoͤrnten Mond; die Handpauke nah
am Haupte haltend, und gleichſam auf das Ge-
toͤſe lauſchend.


Cybele.


In dieſer fremden Goͤttergeſtalt, die Phry-
giſchen
Urſprungs war, verjuͤngte ſich die Dich-
tung von der Rhea, welche, da ſie den Jupiter
gebohren, ſtatt ſeiner einen eingewickelten Stein
dem Saturnus zu verſchlingen gab, und heimlich
auf der Inſel Kreta das Goͤtterkind erziehen ließ,
um welches die Korybanten mit ihren Waffen ein
wildes Getoͤſe machten, damit Saturnus nicht
die Stimme des weinenden Kindes hoͤrte.


[165]

An dieſe alte Sage knuͤpften ſich die Begriffe
von Entſtehung und Erzeugung des Gebildeten
an. — Es war die Mutter aller Dinge, wel-
che die zerſtoͤrende Obermacht zu taͤuſchen, das
zarte Gebildete vom Untergange zu retten, und
es heimlich und ſorgſam zu pflegen wußte; ſo wie
die allbefruchtende Natur es mit dem zarten
Keime macht, den ſie im Schooß der Erde vor
Wind und Stuͤrmen ſchuͤtzt.


So war das Urbild der Cybele die große
Erzeugungskraft, die alle Naturen baͤndigt; den
Loͤwen zaͤhmt; den Schooß der Erde befruchtet. —
Man dachte ſie ſich, als die Beherrſcherin der Ele-
mente; den Anfang aller Zeiten; die hoͤchſte Him-
melsgoͤttin; die Koͤnigin der Unterwelt; und ſel-
ber als das Urbild jeder Gottheit, die wegen der
immer herrſchenden, erzeugenden und gebaͤhren-
den Kraft, in ihr ſich weiblich darſtellt.


Ob aber gleich dieſe Goͤttin auf einem mit
Loͤwen beſpannten Wagen, und mit einer Mauer-
oder Thurmkrone auf dem Haupte abgebildet wur-
de, wodurch ihre alles baͤndigende Macht, und
zugleich ihre Herrſchaft uͤber den mit Staͤdten
beſaͤeten Erdkreis dargeſtellt werden ſollte; ſo war
doch dieſe Abbildung gleichſam nur eine aͤußere
Ueberkleidung ihres unbegreiflichen geſtaltloſen
Weſens, welches man ſich grade unter dem Un-
foͤrmlichen
am ehrwuͤrdigſten dachte. —


[166]

Im Tempel der großen Mutter in Peſſinunt
war es ein kleiner ſchwarzgrauer, unebener, ſpitziger
Stein, an welchem die Idee von Geſtalt und
Form am wenigſten haften konnte,
der die
verehrte Mutter der Dinge bezeichnete. —


Es war derſelbe Begriff von dieſem hohen
Weſen, das ſich auch in die Geſtalt der aͤgypti-
ſchen Iſis huͤllte, auf deren Tempel geſchrieben
ſtand: ich bin alles, was da iſt, was da
war, was da ſeyn wird, und meinen
Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt.


So verehrt nun dieſe große Goͤttin ſelber
war, ſo veraͤchtlich waren groͤßtentheils ihre Prie-
ſter, an welchen ſie dafuͤr, daß ſie ſich ihr gleich-
ſam zu ſehr naͤhern wollten, eine furchtbare
Rache nahm. —


Die Prieſter der Cybele entmannten in ihrer
fanatiſchen Wuth ſich ſelber, und geißelten und
zerfleiſchten ſich. — Sie liefen in wilder Begei-
ſterung mit fliegendem Haar umher, das Haupt
in den Nacken und von einer Seite zur andern
werfend. — Die hohe Goͤttin ſahe den Trupp
entmannter Weichlinge gleichſam triumphierend
in ihrem Gefolge. —


Es war die uͤppigſte, ausſchweifendſte, ſich
ſelbſt uͤberſtroͤmende und in zerfleiſchende Wuth
ausartende Lebensfuͤlle, welche den Zug der
[167]großen Erzeugerin, der maͤchtigen Loͤwen-
baͤndigerin
allenthalben begleitete.


Die große Mutter ſelber aber blieb ſtets ver-
ehrt. — Der Gottheit ſchadete die Raſerei ihrer
Prieſter nicht, — und der Begriff von ihr be-
hielt unter allem Mißbrauch ihrer Hoheit, ſeine
urſpruͤngliche Erhabenheit, indem man in ihr,
unter jeder Benennung, nichts anders als die
allerzeugende, allbefruchtende und allbelebende
Mutter Natur, ſelbſt verehrte.


Bachus.


Obgleich von ſterblichen Muͤttern gebohren,
ſind Bachus und Herkules dennoch dem Chore der
himmliſchen Goͤtter zugeſellt. Bachus aber iſt
demohngeachtet die hoͤhere Goͤttergeſtalt — in ihm
offenbart ſich gleich die ganze Fuͤlle ſeines Weſens,
und er hat unmittelbar unter den himmliſchen Goͤt-
tern ſeinen Sitz, wozu ſich Herkules durch un-
uͤberwindlichen Heldenmuth den Weg erſt bahnen
muß.


Dieſer tritt daher auch in den Dichtungen der
Alten erſt unter den goͤtteraͤhnlichen Helden auf,
indeß ſich Bachus gleich dem Chor der Goͤtter an-
ſchließt. —


Des Bachus hohes Urbild war die innre
ſchwellende Lebensfuͤlle der Natur, womit ſie dem
[168]Geweihten begeiſternden Genuß und ſuͤßen Tau-
mel aus ihrem ſchaͤumenden Becher ſchenkt. —
Der Dienſt des Bachus war daher, ſo wie der
Dienſt der Ceres, geheimnißvoll; — denn beide
Gottheiten ſind ein Sinnbild der ganzen wohlthaͤ-
tigen Natur, die keines Sterblichen Blick um-
faßt, und deren Heiligthum keiner ungeſtraft ent-
weiht. —


Die Dichtung von der Geburt des Bachus
ſelber enthaͤlt einen hohen Sinn. — Die eifer-
ſuͤchtige Juno verleitet Semelen zu dem thoͤrich-
ten Wunſche, in Jupiters Umarmung auch ſeine
Gottheit zu umfaſſen,
— ſie fordert vom Ju-
piter erſt den unverletzlichen Schwur, ihre Bitte
zu erfuͤllen, und nun verlangt ſie, daß er in ſei-
ner wahren Goͤttergeſtalt bei ihr erſcheinen ſolle —
Jupiter naͤhert ſich ihr mit ſeinem Donner, ſie
aber wird, vom Blitz erſchlagen, ein Opfer
ihres vermeſſenen Wunſches. —


Den jungen Bachus reißt der Donnergott
aus der Mutter Schooße, und verbirgt ihn, bis
zur Zeit der Geburt in ſeine eigene Huͤfte. —
Das Sterbliche wird zerſtoͤrt, ehe das Unſterbliche
hervorgeht. — Die Menſchheit kann den
Glanz der Gottheit nicht ertragen, und wird
vor ihrer furchtbaren Majeſtaͤt vernichtet
. —


Merkur trug nun den jungen Bachus zu den
Nymphen, die ihn erziehen ſollten, und die In-
[169] ſeln und Laͤnder ſtreiten ſich um den Vorzug, die
wohlthaͤtige Gottheit, welche die Menſchen den
Weinbau lehrte, in ihrem Schooße gepflegt zu
haben.


Als Knaben ſtellen die Dichtungen den Bachus
dar, wie er gleichſam halb in ſuͤßem Schlummer
taumelnd, noch nicht die ganze Fuͤlle ſeines We-
ſens faßt, und vor den Beleidigungen der Men-
ſchen furchtſam ſcheint, — bis ſich auf einmal
durch wunderbare Ereigniſſe ſeine furchtbare Macht
entdeckt.


Lykurgus, ein Koͤnig in Thracien, verfolgte
die Pflegerinnen des Bachus auf dem Berge Nyſa
und verwundete ſie mit ſeinem Beile. — Bachus
ſelber warf ſich vor Schrecken ins Meer, wo ihn
die Thetis in ihre Arme aufnahm, die ehemals
auch den Vulkan bei ſich verbarg, als Jupiter
ihn vom Himmel geſchleudert hatte. — Lykurgus
aber wurde fuͤr ſeinen Frevel von den Goͤttern mit
Blindheit beſtraft, und lebte nicht lange mehr,
denn er war den unſterblichen Goͤttern ver-
haßt.


Als Seeraͤuber einſt den Bachus, den ſie fuͤr
den Sohn eines Koͤnigs hielten, in Hofnung eines
koſtbaren Loͤſegelds, entfuͤhren und binden woll-
ten, ſo fielen dem laͤchelnden Knaben die Banden
von ſelber ab; und da ſie dennoch ſeine Gottheit
nicht erkannten, ſo ergoß ſich erſt ein duftender
[170] Strom von Weine durch das Schiff; dann breitete
ſich ploͤtzlich bis zum hoͤchſten Segel ein Weinſtock
aus, an welchem ſchwere Trauben hingen; um
den Maſtbaum wand ſich dunkler Epheu; und mit
Weinlaub waren alle Ruder bekraͤnzt. —


Auf dem Verdeck des Schiffes aber zeigte ſich
ein Loͤwe und warf die grimmigen drohenden
Blicke umher. — Da ergriff die Frevler Angſt
und grauenvolles Entſetzen; zur Flucht ſtand ih-
nen kein Weg mehr offen; ſie ſprangen vom
Schiffe ins Meer, wo ſie ſich ploͤtzlich als Delphi-
nen kruͤmmend, Zeugen von der Macht der alles
beſiegenden Gottheit wurden.


Pentheus, ein Koͤnig in Theben, der gleich
dem Bachus ein Enkel des Kadmus war,

und der Verehrung der neuen Gottheit, welcher
alles Volk Altaͤre weihte, ſich ſpottend widerſetzte,
mußte, gleich den Frevlern auf dem Schiffe, des
Weingottes furchtbare Macht empfinden.


Unter der Geſtalt eines Juͤnglings aus dem
Gefolge des Bachus erſchien der Gott ihm ſelber,
und warnte ihn durch die Erzaͤhlung von dem
Schickſal, das die frevelnden Maͤnner traf, die
den maͤchtigen Pflanzer der Reben, auf ihrem
Schiffe gebunden entfuͤhren wollten.


Pentheus, noch mehr vom Zorn entbrannt,
ließ den vermeinten Juͤngling ins Gefaͤngniß wer-
[171] fen, und zu ſeiner Marter und Hinrichtung die
grauſamen Werkzeuge bringen. —


Ploͤtzlich ſtuͤrzte das Gefaͤngniß ein, der Gott
ſchuͤttelte ſeine Banden ab; und Pentheus, der
voll raſender Wuth, auf dem Berge Cythaͤron,
die Prieſterinnen des Bachus verfolgte, ward von
ſeiner eigenen Mutter und ihren Schweſtern, die
in der wilden Begeiſterung, ihn fuͤr einen Loͤwen
anſahen, in Stuͤcken zerriſſen, und ſein Haupt
im Triumph emporgetragen.


Der Zug des Bachus in Indien iſt eine ſchoͤ-
ne und erhabne Dichtung. — Mit einem Krie-
gesheer von Maͤnnern und Weibern, das mit
freudigem Getuͤmmel einherzog, breitete er ſeine
wohlthaͤtigen Eroberungen bis an den Ganges
aus. — Er lehrte die beſiegten Voͤlker hoͤhern
Lebensgenuß, den Weinbau, und Geſetze.


In ſeiner Goͤtterbildung verehrten die Sterb-
lichen das Hohe, Freudenreiche des Genuſſes,
was in die menſchliche Natur verwebt iſt, als
ein fuͤr ſich beſtehendes hohes Weſen, das in der
Geſtalt des ewig bluͤhenden Knaben, Loͤwen und
Tyger baͤndigt, die ſeinen Wagen ziehen, und im
goͤttlich ſuͤßen Taumel, unter dem Schall der
Floͤten und Trommeln, vom Aufgange bis zum
Niedergange durch die Laͤnder aller Nationen tri-
umphierend ſeinen Einzug haͤlt.


[172]

In drei Jahren vollendete Bachus ſeinen
ſiegreichen, die Voͤlker der Erde begluͤckenden Zug,
zu deſſen Andenken ſtets nachher, ſo oft drei Jahre
verfloſſen waren, die Feſte gefeiert wurden, an
denen das freudige Getuͤmmel, womit der Zug
des Bachus begleitet war, aufs neue von den
Bergen widerhallte. —


Die Prieſterinnen des Bachus mit zerſtreu-
tem Haar, auf den Bergen umher ſchweifend,
erfuͤllten die Luft mit dem Getoͤſe ihrer Trommeln,
und mit ihrem wilden Geſchrei: Evohe Ba-
chus!


Der drohende Thyrſusſtab in ihrer Hand, an
dem die farbigten Baͤnder wehten, waͤhrend daß
unter dem Fichtenapfel ſich oben die verwundende
Spitze barg, bezeichnete den ſchoͤnen Feldzug, wo
das Furchtbare und Kriegeriſche, unter Geſang
und Floͤtenſpiel verborgen lauſchte. —


Dieſe begeiſterten Prieſterinnen des Bachus,
welche auch Bachantinnen hießen, ſind ein erhab-
ner Gegenſtand der Poeſie. — Eine Bachantin
iſt gleichſam uͤber die Menſchheit erhaben. — Von
der Macht der Gottheit erfuͤllt, ſind die Grenzen
der Menſchheit ihr zu enge. —


So ſchildert ein Dichter aus dem Alterthum
die Begeiſterte, wie ſie auf dem Gipfel des Ge-
birges, den ſie bewußtlos erſtiegen hat, auf ein-
mal vom Schlummer erwacht, und nun den
[173] Hebrus und das ganze mit Schnee bedeckte Thra-
zien vor ſich liegen ſieht. — Die Gefahr iſt ſuͤß,
ruft der Dichter aus, dem Gott zu folgen, der
mit gruͤnendem Laube die Schlaͤfe umkraͤnzt
hat. —


Eben dieſe Anſtrengung aller Kraͤfte, dieß
Emporſtreben in der wilden furchtbaren Begeiſte-
rung iſt es, wodurch dieß Bild ſo ſchoͤn wird.


Auch das Alter wird in dem Gefolge des Ba-
chus berauſcht vom Lebensgenuß und taumelnd mit
aufgefuͤhrt. — Auf ſeinem Eſel reitet der alte
Silen mit ſchwerem Haupte, von Satyrn und
Faunen geſtuͤtzt, und macht in dem jugendlichen
Gemaͤhlde den reitzendſten Kontraſt.


Ohngeachtet dieſes Laͤcherlichen wurde Silen
in den Dichtungen der Alten, als ein hohes We-
ſen
dargeſtellt. — Ihm wird eine hohe Kenntniß
goͤttlicher Dinge zugeſchrieben, und ſeine Trun-
kenheit ſelber wurde ſinnbildlich auf den hohen
Taumel, worin ſein Nachdenken uͤber die erha-
benſten Dinge ihn verſetzte, gedeutet. — Auch
war er nebſt dem weisheitbegabten Chiron, der
Erzieher des jungen Bachus.


Zwei Hirtenknaben binden einſt den trunke-
nen, ſchlummernden Silen, — weil ſich ein
Gott, den Sterbliche im Schlummer binden koͤn-
nen, durch die Gewaͤhrung einer Bitte loͤſen
muß; — ſchalkhaft mahlt die Nymphe mit dem
[174] Saft der Beeren des Trunknen Schlaͤfe roth, —
und da nun Silen erwacht, ſo fordern die Hirten
nichts weiter als ein Lied von ihm zum Loͤſegelde.


Und nun ertoͤnet hohe Weisheit von den Lip-
pen, die der Nektartrank der ſuͤßen Trauben
netzte. — Er ſingt der Dinge Entſtehung, und
ihren wunderbaren Wechſel. — Die Hirten lau-
ſchen entzuͤckt auf den Geſang, und halten dieſes
Lied ihrer hoͤchſten Wuͤnſche werth. —


Auch dieſe ſchoͤne Dichtung zeigt, wie die
Alten das Komiſche ſelber wieder mit Wuͤrde zu
uͤberkleiden wußten, und einen Vereinigungspunkt
fuͤr lachenden Scherz und himmliſche Hoheit fan-
den, der uns entſchwunden ſcheint. — In Elis
in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel,
wo man ihm goͤttliche Ehre erzeigte. —


Der ſchalkhaft laͤchelnde Faun, der boshaft
ſpottende Satyr gehoͤrten mit in das Gefolge des
Bachus, worin ſich alles vereinigte, was bei
jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht-
ſinn durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen
und Pflichten der Sterblichen erhaben, und durch
menſchliche Beduͤrfniſſe auf keinen Grad der
Maͤßigung beſchraͤnkt war.


Denn in dem hohen Sinnbilde, welches den
froͤlichen Genuß des Lebens ſelbſt bezeichnet, der
uͤber den ganzen Erdkreis ſich mittheilend und ver-
breitend, keine Grenzen kennt, mußte auch die
[175] Darſtellung des hoͤchſten Genuſſes unbeſchraͤnkt
ſeyn, und alles das ſich in der Dichtung zuſam-
menfinden, was, wenn es wirklich waͤre, die
Menſchheit zerſtoͤren wuͤrde. —


Denn freilich iſt es die Allgewalt des Genuſ-
ſes, die furchtbar uͤber den Menſchen wandelt,
und eben ſo wohlthaͤtig wie ſie iſt, auch wieder
Verderben drohet. —


Eben der Dichter aus dem Alterthum, wel-
cher mit hoher Begeiſterung das Lob des Bachus
ſingt, ermahnt daher die Trinker, des blutigen
Zanks ſich zu enthalten, — und fuͤhrt zum war-
nenden Beiſpiel das Gefecht der Centauren und
Lapithen an, welche vom Wein erhitzt des gaſt-
freundſchaftlichen Mahls vergaßen, und von wil-
der Mordluſt hingeriſſen, im raſenden Getuͤmmel
gegeneinander ſtuͤrmten, bis die Leichname der Er-
ſchlagnen den Boden deckten.


Ohngeachtet dieſer drohenden Gefahr war
aber dennoch hoher Lebensgenuß, und ſelbſt die
wilde Freude, bei den Alten in der Reihe der
Dinge mitgezaͤhlt, und von den Feſten der Goͤtter
nicht ausgeſchloſſen. — Das Leben war ein ſaft-
voller Baum, der ungehindert in Aeſte und
Zweige emporſchoß, und den auch ſeine uͤppigen
Auswuͤchſe nicht entſtellten.


Bis zu der hellſten Flamme wurden die Lei-
denſchaften angefacht, und hielten dennoch alle
[176] gleich maͤchtig, ſich die mehrſte Zeit einander im ſchoͤ-
nen Gleichgewicht. — Heidenruhm, Triumphe,
frohlockende Geſaͤnge, und hohe Lebensfreuden, wa-
ren im immerwaͤhrenden Gefolge: durch dieſen ſuͤßen
Wechſel wurde das Gemuͤth ſtets offen und frei er-
halten; geheime Wuͤnſche und Gedanken durften
noch unter keiner Larve von falſcher Beſcheidenheit
und Demuth ſich verſtecken. —


Sobald man ein Bachanal ſich ohne Ueppig-
keit denken wollte, wuͤrde es aufhoͤren, ein Ge-
genſtand der Kunſt zu ſeyn; denn gerade die
Wildheit, das Taumeln, das Schwingen des
Thyrſusſtabes, die Ausgelaſſenheit, der Muth-
wille, macht das Schoͤne bei dieſen frohen Weſen
aus, die nur in der Einbildungskraft ihr Daſeyn
hatten, und bei den Feſten der Alten in einer
Art von Schauſpiel dargeſtellt, den duͤſtern Ernſt
verſcheuchten.


Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet man
haͤufig Bachanale abgebildet. — Um ſelbſt noch
hier den Ernſt mit frohem Laͤcheln, die Trauer
mit der Froͤhlichkeit zu vermaͤhlen, iſt gerade der
Punkt gewaͤhlt, wo Tod und Leben auf dem Gip-
fel der Luſt am naͤchſten aneinander grenzen. —
Denn der hoͤchſte Genuß grenzt an das Tragi-
ſche, — er droht Verderben und Untergang, — das-
ſelbe, was die Menſchengattung, mit jugendlichem
Feuer beſeelet, untergraͤbt und zerſtoͤrt ſie auch. —


[177]

Da nun durch das frohe Getuͤmmel des Ba-
chus die hoͤchſte Fuͤlle der Luſt bezeichnet werden
ſoll, ſo iſt ein gemaͤßigtes Bachanal kein Bacha-
nal; eben ſo wie eine ſanfte Juno keine Juno;
ein ehrlicher Merkur kein Merkur; ein enthaltſamer
kalter Jupiter kein Jupiter; und eine dem Vulkan
getreue Venus keine Venus iſt. —


In der Goͤttergeſtalt des ewig jungen Bachus
verjuͤngten ſich nun auch, ſo wie bei den uͤbrigen
Goͤttern, die aͤhnlichen Erſcheinungen, welche die
Vorwelt in dunkle Sagen huͤllte. —


Demohngeachtet gab es noch einen Indiſchen
oder Aegyptiſchen Bachus, welcher baͤrtig darge-
ſtellt wurde, und deſſen Abbildung man nicht ſel-
ten unter den alten Denkmaͤlern findet. — Die
goldnen Hoͤrner auf dem Haupte des Bachus,
welche die bildende Kunſt der Griechen verſteckte,
oder ſie nur ein wenig hervorſcheinen ließ, geben
dieſer Dichtung ebenfalls ein Gepraͤge des hohen
Alterthums, wo das Horn auf die erhabenſten
Begriffe von inwohnender wohlthaͤtiger Goͤtter-
kraft, und unbeſiegter Saͤrke deutet. —


Unter den Thieren iſt der gefleckte Panther
dem Bachus gewetht; — es iſt die Wuth, die
Grauſamkeit ſelber, welche durch ihn gezaͤhmt
wird, und ſich zu ſeinen Fuͤßen ſchmiegt.


Der immergruͤnende Epheu, die Schlange,
die ſich verjuͤngt, indem ſie ihr Fell abſtreift, ſind
M
[178] ſchoͤne Sinnbilder der nie verwelkenden Jugend,
worin die Goͤttergeſtalt des Bachus dem Apollo
gleicht, nur das die bildende Kunſt der Alten den
Bachus weicher und weiblicher, mit ſtaͤrkern Huͤf-
ten, darſtellt. —


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich eine Abbildung des Bachus nach einem ſchoͤ-
nen antiken geſchnittenen Steine aus der Lippert-
ſchen Daktyliothek: Bachus ſitzt auf einem Wa-
gen, der von zwei Panthern gezogen wird; auf
den Panthern ſitzen Liebesgoͤtter, von denen der
eine die Floͤte ſpielt. Das Grauſame und Wilde
ſchmiegt ſich unter die Herrſchaft des Sanften
und Froͤlichen.


Auf eben dieſer Tafel iſt auch Silen nach
einem antiken geſchnittenen Steine abgebildet, in
ſeiner Rechten eine Hippe, und mit der Linken
ſich auf eine Leyer ſtuͤtzend. — Ein ſchoͤnes Sinn-
bild des hohen Taumels, der in harmoniſche Ge-
ſaͤnge uͤberſtroͤmt.


[]
[figure]
[][179]

Die heiligen Wohnplaͤtze der Goͤt-
ter unter den Menſchen.


Die Phantaſie der Alten ließ ihre Dichtungen,
uͤber der Wirklichkeit ſchwebend, allmaͤlig ſich vom
Himmel zur Erde niederſenken. — Sie heiligte
die Plaͤtze, wo, nach der Sage der Vorwelt, die
junge Gottheit neugebohren, zuerſt in jugendlichem
Glanz hervortrat; oder wo ein Land oder eine
Inſel ſo gluͤcklich war, in ihrem Schooße ein
Goͤtterkind zu pflegen. —


Sie weihte auch die Oerter, wo in Orakel-
ſpruͤchen die Gottheit ihre Gegenwart offenbarte;
und jeder Platz, den irgend eine Gottheit, nach
der alten Sage, zu ihrem Lieblingsaufenthalte
ſich waͤhlte, ward in der Dichterſprache zu einem
ſchoͤnen Nahmen, an welchen ſich der Begriff der
Gottheit ſelber knuͤpfte, die unter irgend einer be-
ſondern bedeutenden Geſtalt auf dieſem Fleck ver-
ehrt ward.


Nun fand die Einbildungskraft ſo viele Ruhe-
punkte, worauf ſie ſich heften konnte, als Tempel
waren, welche die Menſchen den uͤber den Wolken
M 2
[180] thronenden Goͤttern weihten, die oft zu ihnen
herniederſtiegen, und in ihre geringſten Angele-
genheiten ſich mit zaͤrtlicher Sorgfalt miſchten.


Kreta.


Auf dieſem Eilande ſenkte ſich, durch irgend
eine in Dunkel gehuͤllte Veranlaſſung, zuerſt die
kuͤhne Dichtung nieder, welche den hoͤchſten Ju-
piter auf dem Ida mit der Stimme des neuge-
bohrnen Kindes weinen, und nach der ſuͤßen
Nahrung und Pflege ſich ſehnen ließ. —


In der Diktaͤiſchen Grotte wurde das Goͤtter-
kind erzogen, und durch das Getoͤſe, welches die
Korybanten machten, wurden, nach einer arti-
gen Dichtung, die Bienen herbeigelockt, die den
Jupiter mit ihrem Honig naͤhrten, dem auch die
Tauben in ihrem Schnabel uͤbers Meer Ambroſia
zufuͤhrten, indeß die Ziege Amalthea mit ihrer
Milch ihn ſaͤugte.


Auch legte man dem Jupiter von dem Berge,
wo ſeine Kindheit gepflegt war, den Zunahmen
des Idaͤiſchen bei. — Bei Troja war ein Berg,
der auch den Nahmen Ida fuͤhrte, — der Gar-
garus
war dieſes Berges hoͤchſter Gipfel; — hier
uͤberſah Jupiter das Schlachtfeld der Griechen und
Trojaner, und wog mit der furchtbaren Waage
wechſelsweiſe Sieg und Tod den ſtreitenden Hee-
ren zu.


[181]

Dodona.


In dem Dodoniſchen Walde, in Epirus,
welches vormals Chaonien hieß, und wo die aͤlte-
ſten Bewohner der Erde, nach der Sage der Vor-
zeit, von Eicheln lebten, war ein Orakel des
Jupiter.


Dieß Orakel war das aͤlteſte in Griechenland.
Aus Theben in Aegypten, entflohen, nach der
uralten Dichtung, zwei Tauben des Jupiter, wo-
von die eine ſich nach Lybien, die andre nach
Dodona wandte, um Jupiters Rathſchluͤſſe den
Menſchen kund zu thun.


Unter dem ſchoͤnen Bilde der redenden Taube
ſtellt die alte Dichtung die wahrſagende Prieſterin
dar, welche zuerſt in den Wald von Epirus kam,
und die unaufmerkſamen Menſchen auf das ſanfte
Gemurmel eines Quelles lauſchen lehrte, der den
Fuß einer Eiche netzte, und deſſen wechſelnden
Toͤnen ſie eine geheime Deutung auf die Zu-
kunft gab.


Nachher wurden auf dieſem Fleck zwei Saͤu-
len errichtet; auf der einen ſtand ein ehernes Bek-
ken; auf der andern die Bildſaͤule eines Knaben,
mit einer metallenen Ruthe, die der Wind bewe-
gen konnte, und welche, ſo oft ſich nur ein Luͤft-
chen regte, an das helltoͤnende Becken ſchlug.


[182]

Aus dem Getoͤne des Erztes wurde nun, wie
vorher aus dem Murmeln des Quelles, die dunkle
Zukunft prophezeit. — Es war der wechſelnde
Hauch der alles umſtroͤmenden Luft, deren gehei-
me Sprache man durch das ſanftberuͤhrte Metall
zu vernehmen lauſchte. — Es war die umgebende
ſprachloſe Natur, womit der Menſch ſich gleich-
ſam in vertraute Geſpraͤche einzulaſſen, und kuͤnf-
tige Ereigniſſe, die ſich in ihr bilden, von ihr
zu erforſchen wuͤnſchte.


Die Deutung aus einem zufaͤlligen Getoͤne
iſt der natuͤrlichſte Anfang der Orakelſpruͤche, weil
das Gemuͤth ohnedem geneigt iſt, dem Klange,
den das Ohr vernimmt, die Wuͤnſche des Herzens
unterzulegen, die gern aus jedem Geraͤuſche wi-
derhallen. — Auch war es kein Wunder, daß die
Sehnſucht, irgend einen Wunſch ſo gut als er-
fuͤllt zu wiſſen, ſich willig taͤuſchen ließ.


Selbſt aus den Hoͤhlungen der Baͤume in dem
dodoniſchen Walde ließen die Prieſter ihre Orakel-
ſpruͤche hoͤren, welches die Dichtung in die Fa-
bel kleidet, daß die dem Jupiter geweihten Eichen
ſelbſt geredet, und die Zukunft enthuͤllet haben. —
Die immer thaͤtige Phantaſie ſuchte auch hier das
Lebloſe zu beleben. — Die gegenwaͤrtige Gottheit
erfuͤllte den ganzen ihr geweihten Hain, und jedes
Rauſchen des Blattes war bedeutend.


[183]

Delos.


Die Laͤnder und Inſeln zittern, auf denen La-
tona den fernhintreffenden Apoll gebaͤhren will; —
kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in
ſeinem Schooße zu tragen. — Bis Latona end-
lich das rauhe unfruchtbare Delos beſteigt, und
ihm verſpricht, daß ein Tempel auf ſeinem felſig-
ten Boden erbauet werden ſoll, zu welchem alle
Voͤlker Geſchenke und Hekatomben bringen wer-
den, wenn es den fernhintreffenden Gott in ſeinen
Schooß aufnimmt.


Da ſchwebte Delos zwiſchen Freude und
Furcht, daß, wenn ſein Nahme gleich zu ewigen
Zeiten glaͤnzte, der Gott, ſobald er das Licht er-
blickte, es wegen ſeines rauhen Bodens verach-
ten, und in den Abgrund des Meeres zuͤrnend
verſenken moͤchte. Latona mußte mit dem unver-
letzlichen Schwur der Goͤtter dem beſorgten Eilande
ſchwoͤren, daß auf ihm der erſte Tempel dem
Apollo erbaut werden, und auf ſeinem Altar be-
ſtaͤndig die Opferflamme lodern ſolle.


Und nun war Delos hocherfreut, daß der
fernhintreffende Gott es zu ſeiner Wiege waͤhlte. —
Denn Reichthuͤmer ſtroͤmten nun von allen Seiten
dem unfruchtbaren Eilande zu, — und die Jung-
frauen von Delos ſangen einen Lobgeſang, worin
alle Voͤlker ihre eigenen Worte und ihre eige-
[184] nen Toͤne wieder zu hoͤren glaubten; ſo har-
moniſch war des Liedes Klang
.


Auch fuͤgte das gluͤckliche Delos ſeinen Nahmen
dem Nahmen des Gottes bei. — Von dem felſigten
Berge Cynthus auf Delos, den der Gott mit dem
ſilbernen Bogen oft beſtieg, hieß er der Cynthi-
ſche,
von Delos ſelber, der Deliſche Apoll.


Delphi.


Am Abhange des Parnaſſes war ſchon in den
aͤlteſten Zeiten eine Hoͤhlung in der Erde, woraus
ein betaͤubender Dampf aufſtieg, der diejenigen,
welche ſich der Oefnung naͤherten, in eine Art von
Wahnwitz verſetzte, worin ſie zuweilen wie im
begeiſternden Taumel, ſich ſelber unbewußt, von
hohen Dingen ſprachen, entfernte Begriffe anein-
ander knuͤpften, und eine Art von dunkler Dich-
terſprache redeten, die eben ſo wie das Murmeln
des Baches, oder wie der Klang des Dodoniſchen
Erztes, auf mannichfaltige Weiſe gedeutet werden
konnte.


In den aͤlteſten Zeiten war es die Erde ſel-
ber,
welche hier unmittelbar ihre Orakelſpruͤche
ertheilte. — Zu den Zeiten des Deukalion war es
Themis, eine Tochter des Himmels und der
Erde, welche hier die dunkle Zukunft und den
Schluß des Schickſals den Sterblichen offen-
barte. —


[185]

Apollo toͤdtete den Drachen Python, der dieß
Heiligthum bewachte, und bemaͤchtigte ſich ſelber
des Platzes, wo er von nun an durch die begei-
ſterte Prieſterin, die von dem getoͤdteten Drachen
Pythia hieß, in Orakelſpruͤchen ſeine Gottheit
offenbarte.


Als Apollo nun hier ſein Heiligthum gruͤnden
wollte, erblickte er von fern ein ſegelndes Han-
delsſchiff aus Kreta, — ploͤtzlich ſprang er ins
Meer und warf ſich in der Geſtalt eines ungeheu-
ren Delphins in das Schiff der Kretenſiſchen
Maͤnner, — und zwang es, vor allen Kuͤſten und
vor Pylos, wohin es ſegeln ſollte, vorbei, in
den Hafen von Kriſſa einzulaufen, wo er den
Maͤnnern ploͤtzlich in ſeiner majeſtaͤtiſchen Juͤng-
lingsgeſtalt erſchien, und ihnen verkuͤndigte, daß
ſie nie in ihr Vaterland wiederkehren, ſondern in
ſeinem Tempel als Prieſter ihm dienen wuͤrden.


Und die Kretenſer folgten mit Lobgeſaͤngen
dem anfuͤhrenden Gotte zu ſeinem Heiligthum,
an dem felſigten Abhange des Parnaſſes. — Als
ſie aber die unfruchtbare Gegend erblickten, fleh-
ten ſie zum Apoll um Huͤlfe gegen Armuth und
Mangel; — dieſer blickte ſie laͤchelnd an, und
ſagte: o ihr thoͤrichten Menſchen, die ihr euch ſel-
ber Sorgen macht, und muͤhſame Arbeit aus-
ſinnt,
vernehmt ein leichtes Wort: hier halte ein
jeder das Opfermeſſer in ſeiner rechten Hand, und
[186] ſchlachte unaufhoͤrlich Opfer, die hier von allen Sei-
ten aus allen Laͤndern zuſtroͤmen werden. —


Nun wurde Delphi nahe am Tempel des
Apollo erbauet, und ſeine Einwohner wurden
reich und gluͤcklich, wie der untruͤgliche Gott ge-
weißagt hatte. —


Ueber der dampfenden Hoͤhle ſtand der gol-
dene Dreyfuß, auf welchen ſich die Pythia ſetzte,
wenn ſie drei Tage gefaſtet, den Saft aus den
Blaͤttern des Lorbeerbaums geſogen, und im Ka-
ſtaliſchen Quell ſich gebadet hatte.


Dann wurde ſie von den Prieſtern mit Ge-
walt ins Heiligthum gefuͤhrt. — Sobald ſie auf
dem Dreifuße ſaß, und der aufſteigende begeiſtern-
de Dampf auf ſie zu wirken anhub, ſtraͤubte ſich
ihr Haar empor; ihr Blick wurde wild; der
Mund fing an zu ſchaͤumen; Zittern ergriff ihren
ganzen Koͤrper. —


Sie arbeitete mit Gewalt ſich loszureißen,
und ihr Geheul erſcholl im ganzen Tempel. —
Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der
Sprache uͤber ihre Lippen kamen, — die jeder
Deutung faͤhig,
von den Prieſtern aufgezeich-
net, und zu Orakelſpruͤchen im abgemeſſenen Sil-
benfall gebildet wurden. — Indeß man die ohn-
maͤchtige Pythia in ihre Zelle fuͤhrte, wo ſie nur
langſam von der Ermattung ſich erhohlte.


[187]

Es war gleichſam die Gegenwart des Gottes,
welcher die Pythia ſelbſt erfuͤllte, deſſen Joch ſie
kaͤmpfend und ſich ſtraͤubend von ſich abzuſchuͤtteln,
und ſeiner uͤberwaͤltigenden Macht, ſo lange ſie
konnte, zu widerſtehen ſuchte, bis ſie endlich be-
ſiegt die eingehauchten Goͤtterworte ausſprach —
und kraftloß niederſank. —


Wenn die Pythia auf dem Dreifuße ſaß, ſo
war ſie von den Prieſtern des Heiligthums ganz
umgeben. — Zwei Prieſterinnen hielten die Un-
geweihten ab, ſich ihr zu naͤhern. — Das Hei-
ligthum ſelber war mit Lorberzweigen ganz ver-
deckt; und ſelbſt der angezuͤndete Weihrauch huͤllte
alles in eine Wolke, wie in geheimnißvolles Dun-
kel ein, das keine frevelnde Neugier zu erforſchen
wagte. —


Auch wuͤrde ſich die Sehnſucht der Sterbli-
chen, daß es wirklich einen Blick fuͤr ſie in die
Zukunft geben moͤchte, dieſe Taͤuſchung ungern
haben nehmen laſſen, wenn einer auch den Vor-
hang haͤtte hinwegziehen wollen; — denn das,
woruͤber man das Orakel fragte, waren groͤßten-
theils ſehnſuchtsvolle Wuͤnſche fuͤr die Zukunft,
wozu man die Uebereinſtimmung der Gottheit
erflehte. — Und die Taͤuſchung der ganzen Scene
ſelber, worin ſich der zweideutige Ausſpruch huͤllte,
war doch dichteriſch ſchoͤn. —


[188]

Argos.


Juno nennt unter ihren geliebten Staͤdten
Argos ſelbſt zuerſt. — Da ſie den Jupiter an-
liegt, die Zerſtoͤrung des ihr verhaßten Troja ihr
endlich zu gewaͤhren, ſo ſucht ſie gleichſam mit
ihm einen Tauſch zu treffen.


Drei Staͤdte, ſagt ſie, ſind mir unter allen die
liebſten: Argos, Sparta, und Mycen; dennoch
geb’ ich ſie gern, ſo bald du willſt, dir Preis, wenn
nur die Mauern von Troja endlich ſtuͤrzen!


Das Fatum, das uͤber alles waltet, laͤßt die
Zerſtoͤrung ihren ungehemmten Schritt gehen. —
Der hohe Goͤtterwille ſelber fuͤgt ſich ſeinen Pla-
nen, und den Goͤttern ſelber iſt nichts ſo theuer
und koſtbar, das nicht ein Opfer wird, ſobald
ſein Ziel herannaht. —


In Argos wurden der Juno die Heraͤen ge-
feiert, die von ihrer griechiſchen Benennung
Hera den Nahmen fuͤhrten, wobei die Prieſterin
der Juno, wie im Triumph, auf einem Wagen
zum Tempel der Goͤtter fuhr, und eine Heka-
tombe von weißen Rindern ihr zum Opfer
brachte.


Die Goͤttin wurde hier vorzuͤglich in ihrer
oberſten Prieſterin verehrt, — an welche Ver-
ehrung ſich die ſchoͤne Erzaͤhlung vom Kleobis und
Biton knuͤpft, deren kindliche Ehrfurcht gegen ihre
[189] Mutter, eine Prieſterin zu Argos, ſich ſo weit
erſtreckte, daß ſie den Wagen ihrer Mutter, deſſen
Geſpann von weißen Rindern nicht ſchnell genug
herbeizuſchaffen war, ſelber fuͤnf und vierzig Sta-
dien weit, bis zum Tempel der Juno zogen; wo
ſie auf das Gebet ihrer Mutter, daß die Goͤttin
ihnen das wuͤnſchenswertheſte Gluͤck ertheilen
moͤchte, nach einer frohen Mahlzeit ſanft ent-
ſchlummerten, und aus dem Schlummer nicht
erwachten
.


Olympia.


Hier ſenkte ſich die erhabene Idee von dem
Olympiſchen Jupiter durch die bildende Kunſt des
Phidias vom Himmel zur Erde nieder. —


Jeder Ausdruck von Majeſtaͤt und Wuͤrde
vereinigte ſich in dieſem Meiſterwerck der Kunſt, —
man ſahe den Gott, mit deſſen Laͤcheln ſich der
Himmel aufheitert — und der mit dem Wink ſei-
ner Augenbraunen, und mit dem Nicken ſeines
Hauptes den großen Olymp erſchuͤttert.


Die Bildſaͤule war in koloſſaliſcher Groͤße aus
Gold und Elfenbein verfertigt; — in der Rech-
ten hielt der Gott eine Viktoria, in der Linken den
kuͤnſtlich gearbeiteten Zepter, auf deſſen Spitze ein
Adler ſaß. — Auf dem goldenen Mantel waren
[190] die mannichfaltigen Gattungen der Thiere und
Blumen in ſchimmernder Pracht gebildet.


Der Thron des Gottes glaͤnzte von Gold und
Edelſteinen — zu Jupiters Haupt und Fuͤßen, und
an den Waͤnden des Tempels waren faſt alle my-
thologiſchen Dichtungen der Alten in erhabener Ar-
beit dargeſtellt. — Die Majeſtaͤt der ganzen Goͤt-
terwelt umgab den Thron und die Bildſaͤule des
Jupiter, die von dem Fußboden bis zum Gewoͤlbe
des Tempels reichte.


Bei Olympia wurden auch dem Jupiter zu
Ehren alle vier Jahre die Olympiſchen Spiele
gefeiert. Der Zwiſchenraum von einer Feier die-
ſer Spiele bis zur andern hieß eine Olympiade,
und in ganz Griechenland bediente man ſich dieſer
Zeitrechnung nach Olympiaden, weil die Olympi-
ſchen Spiele die allgemeinſte Aufmerkſamkeit auf
ſich zogen, und unter allem, woran ſich die Ein-
bildungskraft bei der Ruͤckerinnerung feſthalten
konnte, das Glaͤnzendſte waren.


Den Tempel des Olympiſchen Jupiters umgab
ein heiliger Hain, worin die Bildſaͤulen der Ueber-
winder in den Olympiſchen Spielen, von den
beruͤhmteſten Meiſtern verfertigt, errichtet wa-
ren. — Die Menſchheit ſchloß ſich in der Vereh-
rung ihrer eigenen Wuͤrde vertraulich an die Gott-
heit an.


[191]

Athen.


In dieſer Lieblingsſtadt der Goͤttin der bilden-
den Kuͤnſte erhob ſich der Geiſt bis zu dem hoͤch-
ſten Schwunge der Gedanken, wo die Menſch-
heit, in den darſtellenden Werken der Kunſt ſich
ſpiegelnd, gleichſam erſt ſich ſelbſt bewußt wurde,
da ſonſt ein Geſchlecht nach dem andern in einer
Art von dumpfer Betaͤubung die kurze Spanne
des Lebens durchtraͤumte, und keine Spur von ſich
zuruͤckließ.


Die Panathenaͤen, welche hier der Minerva
zu Ehren gefeiert wurden, waren ein ſchoͤnes Feſt,
worin die ganze Stadt, durch Wetteifern in den
Kuͤnſten, ſich gleichſam von neuem der Goͤttin hei-
ligte.


Auch war die Bildſaͤule der Goͤttin in ihrem
Tempel zu Athen, gleich der des Olympiſchen Ju-
piters, aus Gold und Elfenbein verfertigt, ein
Werk des Phidias, in welches ſich auch hier die
Majeſtaͤt der Gottheit vom Himmel zur Erde nie-
derſenkte.


Cypern.


Hier trugen die Wellen die Goͤttin der Liebe,
als ſie aus dem Schaume des Meers emporſtieg,
ſanft aus Ufer. — Auf dieſer anmuthigen Inſel
waren ihr ganze Staͤdte, Haine, Tempel, und
Altaͤre geweiht.


[192]

Ihr Lieblingsſitz war Paphos, wo man in
ihrem Tempel von allen Seiten Geſchenke dar-
brachte, und Geluͤbde that. — Von der Vereh-
rung, womit hier alle Voͤlker der Goͤttin der
Schoͤnheit huldigten, hieß ſie die Koͤnigin von
Paphos.
— Von Amathunt und Idalium in
Cypern fuͤhrte ſie die dichteriſchen Nahmen Idalia
und Amathuſia.


Gnidus.


Nach Gnidus wallfahrtete man aus den ent-
fernteſten Laͤndern, um in der Venus des Praxi-
teles
die in alle Weſen Liebe einhauchende Gott-
heit zu verehren, welche durch die bildende Kunſt,
in menſchlicher Geſtalt dem Auge ſichtbar gemacht,
in einem offenen Tempel, dem Blick der Sterbli-
chen enthuͤllet, da ſtand, und die Bewunderung
aller Voͤlker auf ſich zog.


Cythere.


Auf dieſem Eilande war der aͤlteſte Tempel
der Venus in Griechenland. — Der Begriff von
der Goͤttin ſelber war mit ihrem Aufenthalt auf
Cythere ſo oft zuſammengedacht, daß beide Nah-
men zu einem wurden, und in der Dichterſprache
die Goͤttin der Liebe Cythere heißt.


[193]

Lemnos.


Auf der Inſel Lemnos, wo es haͤufige Erd-
beben und feuerſpeiende Berge gab, und in dem
dampfenden Aetna in Sicilien, wo von dem
Feuer, das ſich vergebens einen Ausweg ſuchte,
zum oͤftern ein unterirdiſcher Donner erſcholl,
ließ die Dichtung in den Hoͤhlen der Erde die
maͤchtigen Hammerſchlaͤge der Cyklopen in der
Werkſtaͤtte des Vulkan ertoͤnen.


Auch nahm die Inſel Lemnos den Gott der
Flammen in ihrem Schooße auf, da Jupiter, wie
einen Blitzſtrahl ihn vom Himmel ſchleuderte. —
Lemnos blieb dem Vulkan geweiht, indem der
Begriff von ſeiner Goͤtterbildung vorzuͤglich auf
dieſem Fleck ſich an die Erde knuͤpfte.


Epheſus.


Ganz Aſien wetteiferte, um den Tempel der
Diana von Epheſus zu ſchmuͤcken, in welchem die
Bildſaͤule der Goͤttin mit vielen Bruͤſten ſtand,
um die alles ernaͤhrende Natur anzudeuten, die
man ſich hier unter dem Bilde der Diana dachte;
ſo wie man zum oͤftern in einer Goͤttergeſtalt,
deren Nahme einmal herrſchend geworden war,
die Verehrung der uͤbrigen aufnahm, und ſie ſich
zu einer Art von Pantheon ſchuf.


N
[194]

Aus den entfernteſten Laͤndern wurden Wall-
fahrten zu dem Tempel der Diana von Epheſus
angeſtellt, welcher als einer der erhabenſten Goͤt-
terſitze zugleich durch ſeine aͤußere Pracht, die
das Werk vieler Koͤnige war, die Sterblichen zur
Verehrung der inwohnenden Gottheit einlud.


Thracien.


Der Hauptſitz der Verehrung des Kriegesgot-
tes iſt Thracien, wohin die Dichtkunſt uͤberhaupt
das Wilde, Grauſame und Ungeſtuͤme verſetzt.
So warf Diomedes, ein Thracier und ein Sohn
des Mars die Fremden, deren er ſich bemaͤchtigen
konnte, ſeinen Pferden vor, von denen ſie zer-
fleiſcht und verzehrt wurden. Er uͤbte dieſe Grau-
ſamkeit ſo lange, bis Herkules ihn erſchlug.


Ein Sohn des Mars und ein Thracier war
auch Tereus, welcher die Philomele ihrer Zunge
beraubte, damit ſie die Frevelthat, die er an ihr
veruͤbte, nicht entdecken moͤchte. —


Der ſtuͤrmende Boreas hatte nach den Dich-
tungen der Alten ſeine Wohnung in Thracien,
weswegen die Menſchen, die jenſeit wohnten, die
Hyperboreer hießen; die Bachantinnen, unter
dem Nahmen der Biſtoniden, mit Schlangenkno-
ten in ihr Haar geſchlungen, ſchweiften auf dem
Thraciſchen Gebirge umher.


[195]

Demohngeachtet war Thracien auch das Va-
terland des Orpheus, der durch ſeinen Geſang und
durch die Toͤne ſeiner Leyer die Wildheit der Thiere
des Waldes zaͤhmte, und Baͤume und Felſen ſich
bewegen ließ.


Durch ſein maͤchtiges Saitenſpiel ließ ſelbſt
der Orkus ſich bewegen, ihm ſeine Gattin Eury-
dice zuruͤckzugeben, nur ſollte er nicht eher nach
ihr ſich umſehen, als bis er ſie wieder auf die
Oberwelt zum Anblick des Tages und des himmli-
ſchen Lichts gebracht. —


Da ſie nun bald der oͤden Schattenwelt ent-
ſtiegen waren; ſo zog die zaͤrtliche Beſorgniß, und
der zweifelnde Gedanke, ob ſein geliebtes Weib
ihm wirklich folge, den Blick des Gatten, ihm
ſelbſt faſt unbewußt, ein einzigesmal zuruͤck, und
nun war Eurydice auf immer fuͤr ihn verlohren, —
ihr Bild verſchwand in Nacht und Dunkel, — und
ſeine ganze ſuͤße Hofnung war ein Traum.


Die Freude ſeines Lebens war nun entflo-
hen; — die Leyer ſchwieg; — das wuͤtende Ge-
ſchrei der Bachantinnen erſcholl auf dem thraci-
ſchen
Gebirge; — ſie zuͤrnten auf den Dichter,
dem nach Eurydicens Verluſt das ganze weibliche
Geſchlecht verhaßt war; — von den ſchrecklichbe-
geiſterten Maͤnaden zerfleiſcht und in Stuͤcken ge-
riſſen ward der Goͤtterſohn ein Opfer ihrer raſen-
den Wuth. —


N 2
[196]

Arkadien.


In den mythologiſchen Dichtungen der Alten
erſcheint Arkadien nicht ganz in dem reitzenden
Lichte des ſuͤßen Schaͤferlebens, deſſen Scenen
die neuere Dichtkunſt faſt immer in dies Land ver-
ſetzt, und mit deſſen Nahmen ſich ſchon etwas
Sanftes und Einladendes in dieſer dichteriſchen
Vorſtellungsart verknuͤpft.


Bei den Alten hingegen war mit der Idee
von der Einfachheit der Sitten bei den Arkadiern
zugleich der Begriff von einer gewiſſen Rohheit
und Traͤgheit verbunden, die man den Bewoh-
nern dieſes Hirtenlandes zuſchrieb. — Auch war
es nicht das ſanfteſte Klima, was in Arkadien
herrſchte, vielmehr war es wegen ſeiner gebirgig-
ten Lage rauher, als die umliegenden Gegenden.


Daß aber die Hirtengoͤtter, nach der Sage
der Vorzeit, hier vorzuͤglich ihre Gegenwart
offenbarten, und hier ſogar ihren Urſprung
hatten;
daß die alten Dichtungen auf dem Berge
Cyllene in Arkadien ſelbſt die neugebohrne Goͤt-
tergeſtalt des Merkur zuerſt hervortreten ließen. —
Dieß gab der gebirgigten Gegend, wo die Nacht
des Waldes uͤberdem die Goͤttergeſtalten, welche
die Einbildungskraft ſich ſchuf, gleichſam in Dun-
kel huͤllte, eine vorzuͤgliche Heiligkeit. — Der
Nahme des Landes und die Nahmen der einzelnen
[197] Berge, die es in ſich faßt, wurden in der Dichter-
ſprache der Alten bedeutungsvoll, indem ſie den
Aufenthalt hoͤherer Weſen unter den ſterblichen
Menſchen bezeichneten.


Phrygien.


In einer Gegend von Phrygien war es, wo
nach der ſchoͤnen alten Dichtung Jupiter und
Merkur unerkannt unter den Menſchen umher-
wandelten und ihre Thaten pruͤften.


Als ſie eines Abends, wie ermuͤdete Reiſende,
eine Herberge ſuchten, blieben die Thuͤren der
Reichen und Beguͤterten ihnen verſchloſſen. —
Philemon und Baucis, ein paar bejahrte Ehe-
leute, nahmen die Wandrer gaſtfreundlich in
ihre arme Huͤtte auf.


Die alte Baucis war beſchaͤftigt, ihre ein-
zige Gans zu greifen und zu ſchlachten, um die
willkommenen Gaͤſte, ſo gut es in ihrem Vermoͤ-
gen ſtand, zu bewirthen. — Die Gans aber ent-
floh, und ſuchte Schutz unter Jupiters Fuͤßen,
der ihr das Leben rettete; worauf die Goͤtter ſich
zu erkennen gaben, und das fromme Ehepaar auf
einen benachbarten Huͤgel fuͤhrten, von welchem
ſie die Verwuͤſtung uͤberſehen konnten, womit die
Goͤtter die Hartherzigkeit der Bewohner dieſer
Gegend ſtraften.


[198]

Die Haͤuſer und Pallaͤſte der Reichen wur-
den ein Raub der Ueberſchwemmung, indeß die
arme gaſtfreundliche Huͤtte noch immer aus den
Fluthen hervorragte, und zum Erſtaunen ihrer
alten Bewohner ſich in einen praͤchtigen Tempel
verwandelte.


Als nun Jupiter den gaſtfreundlichen Alten
befahl, ſich eine Gabe von ihm zu erbitten, ſo
war Philemons und Baucis hoͤchſter Wunſch: in
jenem neuentſtandenen Tempel, dem Jupiter, dem
Beſchuͤtzer des Gaſtrechts,
und dem Belohner
der Gaſtfreundſchaftlichkeit, zu opfern, und ſein
Prieſterthum zu verwalten.


Dieſe Bitte ward ihnen gewaͤhrt, und noch
ein Wunſch verſtattet; — allein dem gluͤcklichen
Paar blieb nichts mehr zu wuͤnſchen uͤbrig, als:
beide zu gleicher Zeit zu ſterben. — Auch dieß
geſchah. Zwei Baͤume, eine Eiche und eine
Linde, die den Tempel beſchatteten, wurden noch
lange nachher zum Andenken des frommen Paars
Philemon und Baucis genannt.


In dieſen und aͤhnlichen Sagen der Vorwelt
erkannte und verehrte man die furchtbare und
wohlthaͤtige Macht der Gottheit. — Dem gaſt-
freundſchaftlichen Jupiter
wurden allenthalben
Altaͤre errichtet. — Die ankommenden Fremden
ſtanden unter ſeinem Schutze; — einen Gaſt-
[199] freund betrachtete man als heilig und unverletz-
lich; — man verehrte unter den Gaͤſten und
Fremdlingen die Goͤtter, welche ſelber zum oͤftern
vom Himmel herabgeſtiegen waren, und unter
dieſer Geſtalt den Menſchen ſich offenbart
hatten.


[200]

Das Goͤtteraͤhnliche Menſchen-
geſchlecht.


Als Neſtor, welcher zwei Menſchenalter durch-
lebt hatte, und nun ſchon im dritten uͤber Pylos
herrſchte, in der Belagerung von Troja den
Streit des Achilles und Agamemnon zu ſchlichten
ſuchte; ſo leitete er ſeine Rede mit der Erinne-
rung ein, daß er mit ſtaͤrkern Maͤnnern gelebt
habe, als das jetzige Zeitalter ſie hervorbringe;
mit einem Caͤneus, Dryas, Pirithous und
Theſeus, mit denen niemand von den jetzigen
Menſchen es wagen wuͤrde, ſich in einen Wett-
kampf einzulaſſen, — und daß dieſe dennoch ihn
gehoͤrt, und ſeinen Rath befolgt haͤtten. —
Achilles und Agamemnon moͤchten dieſerwegen
ein Gleiches thun.


So ſchildert Neſtor die Helden vor dem Tro-
janiſchen Kriege; und der Dichter der Iliade ſel-
ber ſchildert wiederum die Helden im Trojaniſchen
Kriege, wie ſie die Menſchen ſeiner Zeit an
Staͤrke uͤbertrafen. —


[201]

Hektor, ſagt er, ergriff einen Stein, den
zwei der ſtaͤrkſten Maͤnner zu unſern Zeiten nur
mit Muͤhe vom Boden auf den Wagen zu heben
vermoͤchten, — den ſchleuderte Hektor mit leichter
Muͤhe gegen das Thor der griechiſchen Mauer,
daß mit einemmale die Thuͤren aus ihren Angeln
ſprangen.


Die Menſchen, welche zuerſt vom Prome-
theus aus Thon gebildet, den herrſchenden Goͤt-
tern verhaßt, des Feuers beraubt, durch mehrere
Ueberſchwemmungen bis auf wenige vertilgt wur-
den, und da ſich dennoch ihr Geſchlecht fort-
pflanzte, Jahrhunderte hindurch in dumpfer Be-
taͤubung gleich den Thieren des Feldes lebten,
arbeiteten ſich allmaͤlig aus dieſem dumpfen Zu-
ſtande durch eigne Anſtrengung heraus, und
wurden durch edles Selbſtbewußtſeyn und durch
die Anwendung ihrer inwohnenden Kraͤfte den
unſterblichen Goͤttern aͤhnlich. —


Die Menſchheit lernte in den Goͤtteraͤhnlichen
Helden, die aus ihr entſtammten, ſich ſelber
ſchaͤtzen, und ihren eigenen Werth verehren. —
Auch wurde nun die Gottheit gleichſam den Men-
ſchen wieder verſoͤhnt. — Die Goͤtter nahmen an
den Begebenheiten und Schickſalen der Menſchen
immer naͤhern Antheil. — Das Goͤttliche und
Menſchliche ruͤckte in der Einbildungskraft immer
naͤher zuſammen,
bis endlich in dem Kriege vor
[202] Troja ſich die Goͤtter ſogar in das Treffen der
Menſchen mit einließen, und von Sterblichen
verwundet wurden. —


Keine Benennung koͤmmt daher auch haͤufiger
in der Dichterſprache der Alten vor, als die des
Goͤtteraͤhnlichen oder des Goͤttergleichen, wo-
mit die Helden der Vorzeit geruͤhmt und der Adel
der Menſchheit geprieſen wird.


Perſeus, Kadmus, Herkules, Theſeus,
Jaſon
ſind die beruͤhmteſten Heldennahmen. —
Die Geſchichte des Perſeus huͤllt ſich am meiſten
in dunkle Fabeln ein, und tritt am weiteſten in
das entfernte Alterthum der Heldenzeit zuruͤck.


Um des Perſeus irdiſche Abſtammung zu ver-
folgen, ſteigen wir wieder bis zum alten Ina-
chus
hinauf, mit deſſen Tochter Jo Jupiter in
Aegypten den Epaphus erzeugte. — Die koͤnig-
liche Tochter des Epaphus, Lybia, gebahr von
Neptuns Umarmung den Belus und Agenor.
Belus erzeugte den Danaus und Aegyptus.


Danaus ſchifte nach Griechenland, um ſeine
Anſpruͤche auf das von ſeinem Ahnherrn Inachus
ihm angeſtammte Koͤnigreich Argos gegen den
Gelanor, der damals dieſe Gegend beherrſchte,
zu behaupten.


Das Volk ſollte den Ausſpruch thun, und
waͤhrend es noch unſchluͤſſig war, fiel ein Wolf in
[203] eine Heerde von Kuͤhen und beſiegte den Stier,
der ſie vertheidigte.


Dieſe unvermuthete Erſcheinung nahm man
von den Goͤttern als ein Zeichen an, daß der
Fremde und nicht der Einheimiſche herrſchen
ſolle; — man ſchrieb dieß Zeichen dem wahrſagen-
den Apollo zu, welchem Danaus wegen der Sen-
dung des Wolfes, unter dem Nahmen des Lyci-
ſchen
Apollo, einen Tempel erbaute.


Danaus lehrte die Argiver Brunnen graben,
und groͤßere und bequemere Schiffe bauen. — Nach
der alten Sage hatte er funfzig Toͤchter, ſo wie
ſein Bruder Aegyptus funfzig Soͤhne. —


Die funfzig Soͤhne des Aegyptus kamen nach
Griechenland, um mit den Toͤchtern des Danaus
ſich zu vermaͤhlen. — Dem Danaus aber war
geweißagt worden, daß einer ſeiner Tochtermaͤn-
ner ihn der Herrſchaft entſetzen wuͤrde.


Die alten Koͤnige fuͤrchteten, wie die alten
Goͤtter,
ihre eigenen Kinder und Nachkommen. —
Danaus befahl ſeinen Toͤchtern, die ſich mit den
Soͤhnen des Aegyptus vermaͤhlten, ihre Maͤnner
in der erſten Nacht zu ermorden, welches ſie tha-
ten, bis auf die Hypermneſtra, die, mit ihrer
eigenen Gefahr, den Lynceus, ihren geliebten
Gatten, entfliehen ließ.


Eine, ſagt ein Dichter aus dem Alterthum,
eine unter vielen, ihres geliebten Juͤnglings werth,
[204] hinterging mit glorreicher Liſt des Vaters Grau-
ſamkeit, und ewig glaͤnzt ihr Ruhm.


Steh auf, rief ſie dem ſchlummernden Gat-
ten zu, damit nicht, ehe du es vermutheſt, ewi-
ger Schlaf dich druͤcke! fliehe meinen Vater, und
meine blutduͤrſtigen Schweſtern, die ihre Maͤn-
ner, wie junge Loͤwenbrut, zerreißen. —


Mein Herz iſt aus weichern Stoff. — Dich
toͤdten kann ich nicht, und werde dich nicht in die-
ſen Mauern gefangen halten. Mag mein Vater
mich mit ſchweren Ketten belaſten, weil ich mit-
leidsvoll des Gatten ſchonte, oder mag er mich
in die oͤdeſte Wuͤſte verjagen!


Geh, wohin dich Fuͤße und Winde tragen,
ſo lange Venus und die Nacht dich ſchuͤtzt; geh
unter gluͤcklichen Zeichen! und aͤtze, meiner einge-
denk, dereinſt auf meinen Grabſtein deine Klag[']
um mich!


Lynceus entfloh, aber er kehrte wieder; denn
Danaus wurde mit ſeiner Tochter ausgeſoͤhnt,
und von dem treuen Paare Lynceus und Hyper-
mneſtra ſtammten Perſeus und Herkules, die
goͤttergleichen Helden ab. Die grauſame That
der uͤbrigen Toͤchter des Danaus blieb nicht unbe-
ſtraft; — ſie mußten noch in der Unterwelt fuͤr
ihren Frevel buͤßen.


Abas, ein Sohn des Lynceus, herrſchte
nach ſeines Vaters Tode uͤber Argos, und hinter-
[205] ließ zwei Soͤhne, den Proͤtus und Akriſius,
die ſich zu verſchiedenen Zeiten einander die Ober-
herrſchaft ſtreitig machten. — Perſeus war des
Akriſius Enkel.


Perſeus.


Akriſius befuͤrchtete wieder Verderben von
ſeinen Nachkommen.
— Ihm war geweißagt
worden, daß einer ſeiner Enkel ihn toͤdten wuͤr-
de; — er verſchloß daher ſeine einzige Tochter,
die Danae, in einen ehernen Thurm, um die
Weißagung zu vereiteln.


Allein durch eine Oefnung in dem Dache
ſenkte ſich Jupiter in einem goldenen Regen in
Danaens Schooß hernieder, und erzeugte mit ihr
den Perſeus, welchen Akriſius, ſobald er geboh-
ren war, nebſt der Mutter, in einem zerbrechlichen
Nachen, den Wellen uͤbergab.


Die wohlthaͤtigen Meergoͤttinnen nahmen den
Goͤtterſohn mit ſeiner Mutter ſanft in den Schooß
der Waſſerwogen auf, und ließen den Nachen an
dem Strande der kleinen Inſel Seriphus auf dem
griechiſchen Meere landen, wo Polydektes, der
Beherrſcher der Inſel, Mutter und Kind auf-
nahm, und fuͤr die Erziehung des jungen Perſeus
ſorgte.


[206]

Und nun nahete die Zeit heran, wo die Un-
geheuer, welche die Nacht oder das ungeſtuͤme
Element aus ſeinem Schooße gebohren hatte, von
den aufkeimenden Helden beſiegt, und der Erd-
kreis von ſeinen Plagen befreiet werden ſollte.


Die erſte und kuͤhnſte That, welche Perſeus,
ſobald er die angeſtammte Goͤtterkraft in ſich fuͤhl-
te, unternahm, war, das Verderben bringende,
verſteinernde Haupt der Meduſa von ihrem Koͤr-
per zu trennen, und dieſer Schreckengeſtalt ſich
ſelber zu bemaͤchtigen.


Mit dem unſichtbarmachenden Helm des
Orkus; den Fluͤgeln des Merkur; und dem Schil-
de der Minerva, von den Goͤttern ſelber ausgeruͤ-
ſtet, unternahm er die kuͤhne That mit wegge-
wandtem Blick, indem er das Bild der ſchlum-
mernden Meduſa erſt in dem Spiegel ſeines
Schildes ſahe, und Minerva unſichtbar den Arm
ihm lenkte, damit er nicht ſeines Ziels verfehlte.


Als nun Perſeus den toͤdlichen Hieb vollfuͤhrt
hatte, ſo ſeufzten und aͤchzten Stheno und Eury-
ane, die beiden unſterblichen Schweſtern der
Meduſa, ſo laut uͤber dieſen Anblick, und das
Ziſchen der Schlangen auf ihren Haͤuptern toͤnte
ſo klaͤglich in ihr Aechzen, daß Minerva, dadurch
geruͤhrt, eine Floͤte erfand, wodurch ſie die Vor-
ſtellung dieſer traurigen Toͤne, durch verſchiedene
Arten des Schalls ſie nachahmend, wieder
[207] zu erwecken ſuchte. — Mitten im furchtbaren
blutigen Werke ſchimmert die Goͤttin der Kuͤnſte
hervor. —


Mit dem Neptun hatte Meduſa das Heilig-
thum der Minerva entweiht; darum hatte dieſe
ihren Tod beſchloſſen. — Demohngeachtet ſprang,
vom Neptun erzeugt, der gefluͤgelte Pegaſus aus
ihrem Blute hervor, der, auf den Befehl der Goͤt-
ter, die Ueberwinder der Ungeheuer, den Perſeus,
und nach ihm den Bellerophon trug.


Mit dem verſteinernden Haupte, in der
Hand, ſchwebte nun Perſeus uͤber Meer und
Laͤndern. — Den Atlas, der ihm den Zugang zu
den Gaͤrten der Hesperiden verſagte, verwandelte
er durch den Anblick des Meduſenhauptes in ein
Gebirge,
das nachher ſtets den Nahmen dieſes
Sohnes des Japet fuͤhrte.


Nach dieſer erſten Ausuͤbung ſeiner Macht,
die ihm der Beſitz des Hauptes der Meduſa ver-
lieh, ſahe Perſeus auf die Phoͤniziſche Kuͤſte hin-
unterblickend ein Maͤdchen, an einen Felſen ge-
ſchmiedet, und ein Ungeheuer, ſie zu verſchlingen,
aus dem Meer aufſteigend, indeß ihre Eltern ver-
zweiflungsvoll die Haͤnde ringend am Ufer ſtan-
den. —


Perſeus ſtuͤrzte ſich auf das Ungeheuer nieder,
das gerade ſeinen Raub zu verſchlingen im Be-
griff war, und befreiete die ſchoͤne Andromeda,
[208] welche den Zorn der beleidigten Gottheit, uͤber die
Vermeſſenheit ihrer Mutter zu verſoͤhnen, als ein
ſchuldloſes Opfer, da ſtand. —


Denn Kaſſiopeja, die Mutter der Andromeda
und Gemahlin des Cepheus, hatte es gewagt,
den maͤchtigen Nereiden an Schoͤnheit ſich gleich
zu ſchaͤtzen, — und nun verheerten Plagen das
Land, die nach dem Orakelſpruch des Jupiter
Ammon nicht eher aufhoͤren ſollten, bis Andro-
meda, von einem Seeungeheuer verſchlungen, den
Frevel der Mutter gebuͤßt haͤtte.


Die Eltern der Andromeda, welche ſelber
Zeugen ihrer Rettung waren, vermaͤhlten mit
Freuden dem edlen Perſeus ihre Tochter. — Phi-
neus
aber, des Cepheus Bruder, dem Andromeda
vorher verſprochen war, trat bei dem Vermaͤh-
lungsfeſte mit bewafneten Maͤnnern in den Hoch-
zeitſaal, und drang wuͤthend auf den Perſeus ein,
den nur das Haupt der Meduſa retten konnte,
indem er ſeinen Freunden zurief, ihr Antlitz hin-
wegzuwenden, und den Phineus mit ſeinem Ge-
folge verſteinerte.


Nach dieſen Thaten fuͤhrte Perſeus ſeine
Vermaͤhlte nach Seriphus, wo er den Poly-
dektes und ſeine Mutter wieder ſahe. — Ge-
gen den Polydektes ſelber, der ihm aus Furcht
nach dem Leben ſtand, mußte er das ver-
ſteinernde Haupt der Meduſa kehren, und
[209] dieſer mußte in Fels verwandelt fuͤr ſeinen feigen
Argwohn buͤßen.


Da nun Perſeus erfuhr, daß ſein Ahnherr
Akriſius vom Proͤtus ſeines Koͤnigreichs beraubt
ſey, ſo eilte er großmuͤthig, ſtatt ſich zu raͤchen,
mit ſeiner Mutter und ſeiner Vermaͤhlten nach
Griechenland, um den Akriſius in ſein Reich wie-
der einzuſetzen.


Er uͤberwand und toͤdtete den Proͤtus, und
uͤbergab dem Akriſius wieder die koͤnigliche Wuͤrde,
der nun in ſeinem gefuͤrchteten Enkel, ſeinen
Freund und Wohlthaͤter, voll Dank und Freude
umarmte.


Allein der tragiſche Ausgang lauerte dennoch
im Hinterhalte; das Schickſal, welches mit den
Hofnungen der Menſchen ſpielt, hatte bei dieſem
verfuͤhreriſchen Anſchein, die alte Drohung noch
nicht zuruͤckgenommen.


Perſeus, welcher wußte, wie ſehr Akriſius
an der Geſchicklichkeit ſeines Enkels in jeder Leibes-
uͤbung ſich ergoͤtzte, wollte ihm eines Tages von
ſeiner Fertigkeit eine Probe ablegen. — Die un-
gluͤckſeelige Wurfſcheibe fuhr aus der ſtarken Hand,
und flog, wie vom boͤſen Daͤmon gelenkt, dem
Akriſius an das Haupt, der todt darnieder ſank.


Hieruͤber brachte Perſeus ſeine uͤbrigen Tage
in Schwermuth zu, indem er unverſchuldet ſich
O
[210] dennoch einen Vatermoͤrder ſchalt. — Der Aufent-
halt in Argos ward ihm unertraͤglich. —


Er bewog den Sohn des Proͤtus zu einem
Tauſche ſeiner Laͤnder, und als er Argos verlaſſen
hatte, ſo fand er auch in Tyrinth, der Haupt-
ſtadt des andern Reiches, noch keine Ruhe, ſon-
dern baute, um des Vergangnen ſo wenig wie
moͤglich ſich zu erinnern, die neue Stadt My-
cene.


Das Haupt der Meduſa wurde vom Perſeus
der Minerva geweiht, die es in die maͤchtige
Aegide, ihren leuchtenden Schild, verſetzte, wo
es ein bedeutendes Symbol ihrer furchtbaren
Macht, und der zuruͤckſchreckenden Kaͤlte, als
des Hauptzugs in ihrem Weſen, wurde.


Perſeus ſelber und die Hauptperſonen aus
ſeiner Geſchichte, Andromeda, Kaſſiopeja, u.
ſ. w., ſind in den Dichtungen der Alten unter die
Geſtirne verſetzt, welche noch itzt dieſen Nahmen
fuͤhren.


Auf die Weiſe wurden im eigentlichen Sinne
die Helden des Alterthums bis an den Himmel
erhoben, und ihren Nahmen das daurendſte und
glaͤnzendſte Denkmal geſtiftet. —


Unter den Kindern, welche Perſeus mit der
Andromeda erzeugte, war Alcaͤus, der Vater
des Amphitryo, der mit der Mutter des Her-
kules vermaͤhlt war; — Elektryo war der Va-
[211] ter der Alkmene, die mit dem Amphitryo ver-
maͤhlt war, und vom Jupiter den Herkules ge-
bahr. — Ein dritter Sohn, Nahmens Sthe-
nelus,
war der Vater des Euryſtheus, der
Mycene beherrſchte, und welchem Herkules die-
nen mußte.


Obgleich dem Perſeus auch an einigen Orten
Tempel und Altaͤre errichtet waren, und er der
aͤlteſte unter den beruͤhmten Helden der Vorzeit iſt,
ſo war dennoch der glaͤnzendſte Ruhm dem Herku-
les
aufgeſpart, der die groͤßten Muͤhſeeligkeiten des
Lebens trug, und vom Haß der Juno von Kind-
heit an verfolgt„ ſich endlich durch ausharrende
Geduld den Weg zur Unſterblichkeit und zum Sitz
der Goͤtter bahnte. —


Des Perſeus Ruhm und Thaten wurden durch
Alkmenens Sohn verdunkelt, dem man allenthal-
ben Tempel und Altaͤre erbaute, und ihn, nachdem
er ſeine Laufbahn auf Erden, mit Ruhm gekroͤnt,
vollendet hatte, den Goͤttern des Himmels
zugeſellte.


Die Heldenrolle des Perſeus aber iſt liebens-
wuͤrdiger, und hat bei threm grauen Alterthume
viel Aehnliches mit dem Rittermaͤßigen der neuern
Zeiten. —


Eine ſchoͤne und bedeutende Abbildung des
Perſeus, nach einem antiken geſchnittenen Steine,
befindet ſich auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel,
O 2
[212] wo er ſtehend dargeſtellt iſt, das Schwerdt in der
rechten Hand, das Haupt der Meduſa mit der
Linken auf den Ruͤcken haltend.
— Dieſe Dar-
ſtellung faßt gleichſam die ganze Dichtung von dem
Haupte der Meduſa in ſich, weil ſie am deutlich-
ſten die furchtbare Kraft deſſelben bezeichnet, wo-
durch der Held, der deſſen Anblick ſelbſt vermied,
und es nur gegen ſeine Feinde kehrte, unuͤberwind-
lich war.


Auf eben dieſer Tafel iſt Bellerophon ab-
gebildet, mit Helm und Spieß bewafnet, auf
dem gefluͤgelten Pegaſus in den Luͤften reitend,
mit der Chimaͤra den Kampf beginnend, welche
die bildende Kunſt nicht ganz in der ungeheu-
ren Geſtalt,
womit ſie die Dichtung ſchildert,
darſtellt. —


Bellerophon.


Eben der Proͤtus, der ſeinen Bruder Akri-
ſius
des Reichs entſetzt hatte, und der zuletzt vom
Proͤtus, dem Enkel des Akriſins, uͤberwunden
und getoͤdtet ward, gab auch dem Bellerophon,
durch einen falſchen Verdacht gereitzt, den erſten
Anlaß zu ſeinen Heldenthaten.


Bellerophon war nemlich ein Enkel des Siſy-
phus, welcher Korinth erbaute, und ſelbſt ein
Urenkel des Deukalion und ein Sohn des Aeo-
lus
war, von dem der Aeoliſche Heldenſtamm in
[]

[figure]

[][213] manchen Zweigen der fuͤrſtlichen Geſchlechter Grie-
chenlands ſich ausbreitete.


Wegen einer Mordthat mußte Bellerophon
aus Korinth entfliehen, und nahm zum Proͤtus
ſeine Zuflucht, der damals uͤber Argos herrſchte,
und ſein Verbrechen ausſoͤhnte.


Des Proͤtus Vermaͤhlte war Antea, eine
Tochter des Koͤnigs Jobates in Lycien. Eine zaͤrt-
liche Leidenſchaft, die ſie gegen den Juͤngling faßte,
und welche dieſer ſtandhaft von ſich wieß, ver-
wandelte ſich in Haß. — Sie forderte ſelbſt den
Proͤtus zur Rache gegen den Bellerophon auf, den
ſie mit ſchwarzem Trug beſchuldigte, daß er ſie
zur Untreue habe verleiten wollen.


Dem Proͤtus waren die Rechte der Gaſt-
freundſchaft zu heilig, als daß er ſelbſt den Bellero-
phon haͤtte toͤdten ſollen; er ſchickte ihn nach Lycien
zum Jobates, dem Vater der Antea, mit ei-
nem Briefe, welcher den Auftrag enthielt, an
dem Uebringer das ihm angeſchuldigte Vergehen
durch deſſen Tod zu raͤchen.


Allein Jobates las erſt dieſen Brief, nachdem
er den Bellerophon ſchon gaſtfreundlich bewirthet
hatte, und ſcheute ſich ebenfalls in ihm das hei-
lige Gaſtrecht
zu verletzen; — er ſtellte daher
den Tod des Fremden dem Zufall heim, indem er
ihn zu den gefahrvollſten Unternehmungen ſandte,
wobei ſein Untergang unvermeidlich ſchien.


[214]

Unter den Ungeheuern, die von dem Phor-
kys und der ſchoͤnen Ceto abſtammen, und wovon
die ſchrekliche Gorgo ſchon vom Perſeus uͤberwun-
den iſt, tritt nun die feuerſpeiende Chimaͤra,
mit dem Kopfe des Loͤwen, dem Leib der Ziege,
und Schweif des Drachen in dieſer Dichtung auf,
um Bellerophons Heldenmuth zu pruͤfen, und von
des Siſyphus tapfern Enkel beſiegt zu werden, zu
welcher That die Goͤtter den Pegaſus, der den
Perſeus trug, auch ihm gewaͤhrten.


Aus den Luͤften kaͤmpfte er nun mit dem Un-
geheuer, daß er, nach einem fuͤrchterlichen Streite,
endlich uͤberwand. —


Es ſind lauter unnatuͤrliche Erzeugungen, wel-
che von den Goͤttern und Helden nach und nach
aus der Reihe der Dinge hinweggetilgt werden; —
es ſcheint faſt als ſollten dieſe Dichtungen anſpie-
len, daß Traum und Wahrheit, Wirklichkeit und
Blendwerk gleichſam lange vorher miteinander im
Kampfe lagen, ehe die Dinge ſich in der Vorſtel-
lung ordnen konnten, und ihre feſte und bleibende
Geſtalt erhielten. — Das Werk der Helden war
es, die unnatuͤrlichen Erſcheinungen und Blend-
werke zu verſcheuchen, und Ordnung, Licht und
Wahrheit um ſich her zu ſchaffen. — Die Sphynx
ſtuͤrzte einen jeden von dem Felſen, der ihr Raͤth-
ſel nicht loͤſen konnte; kaum hatte Oedipus es auf-
geloͤßt, ſo ſtuͤrzte ſie ſich ſelbſt herab. —


[215]

Nicht genug, daß Bellerophon die Chimaͤra;
die Peſt des Landes, uͤberwunden hatte, mußte
er auch noch die Feinde des Jobates, die tapfern
Solymer und die Amazonen bekriegen; und als
er auch von dieſer Unternehmung ſiegreich zuruͤck-
kehrte, lauerte noch im Hinterhalt ein Trupp von
Lyciern auf ihn, die ihn ermorden ſollten.


Als er auch dieſe ſchlug und der drohenden Ge-
fahr aufs neue entging; ſo erkannte Jobates end-
lich, daß der Held aus goͤttlichem Geſchlechte
ſey, vermaͤhlte ihm ſeine Tochter, und theilte ſein
Koͤnigreich mit ihm. —


Allein auch dieſes Heldengluͤck war nicht von
Dauer. — Als Bellerophon, ſeiner Siege froh,
ſich einſt mit dem gefluͤgelten Pegaſus in die Luͤfte
ſchwang, und ſich dem Sitz der Goͤtter naͤhern
wollte, ſo ſtuͤrzten ihn dieſe ſo tief herab, als
hoch er geſtiegen war; — ſie ſchickten eine Bremſe,
deren Stich den Pegaſus raſend machte, der hoch
in der Luft ſich baͤumend ſeinen Reiter abwarf.


Der, welcher vorher ein Liebling der Goͤtter
war, ſchien ihnen von nun an verhaßt zu ſeyn. —
Sein niederbeugender Fall und Kummer uͤber
haͤusliches Ungluͤck kuͤrzte ſeine Tage, — einſam,
vor den Menſchen verborgen, uͤberließ er ſich ganz
der finſtern Schwermuth, bis ihn ſein Gram
verzehrte.


[216]

Herkules.


Der erſte tragiſche Dichter der Griechen laͤßt
den Prometheus, der an den Felſen geſchmiedet
der ungluͤcklichen Jo ſeine Leiden klagt, die Ge-
burt ſeines Befreiers, des Herkules, vorher ver-
kuͤndigen.


Jo, welche in eine Kuh verwandelt, durch
Junos Eiferſucht auf dem ganzen Erdkreiſe in
raſender Wuth umhergetrieben wurde, kam nehm-
lich auch in die einſame Gegend, wo Prometheus
duldete, der alle ihre Schickſale ihr enthuͤllte, und
ihr kund that, einer ihrer Nachkommen, der
dreizehnte von ihr, werde ſein Erretter ſeyn.
Die dreizehn in ununterbrochener Geſchlechts-
folge aber ſind Jo, Epaphus, Lybia, Be-
lus, Danaus, Lynceus, Abas, Akriſius,
Danae, Perſeus, Alcaͤus, Alkmene, Her-
kules.


Zwei der furchtbarſten Erzeugungen des Phor-
kys und der ſchoͤnen Ceto ſind ſchon vom Perſeus
und Bellerophon uͤberwunden; — allein die groͤß-
ten Thaten ſind dem Herkules aufgeſpart, der Un-
geheuer beſiegen, Tyrannen beugen, und ſelbſt der
Ungerechtigkeit des Donnergottes ein Ziel ſetzen
muß, indem er den Prometheus, der fuͤr ſeine den
Menſchen erwieſenen Wohlthaten noch immer
buͤßen mußte, endlich von ſeiner Qual befreit.


[217]

In die irdiſche Abſtammung des Herkules
hatten die Parzen ſein kuͤnftiges Schickſal ſchon
verwebt, — zum Herrſchen gebohren, wurd’ er
durch die Macht der Fuͤgung gezwungen, zu ge-
horchen, und ſeine glorreichſten Thaten auf den
Befehl eines Schwaͤcheren, der ihn fuͤrchtete, zu
vollfuͤhren.


Elyktrio, Sthenelus, Alcaͤus, Meſtor, wa-
ren die Soͤhne des Perſeus. Elyktrio folgte dem
Perſeus in der Regierung zu Mycene. Die Kin-
der des Alcaͤus waren Anaxo und Amphitryo. —
Mit der Anaxo vermaͤhlte ſich Elyktrio, der zu
Mycene herrſchte, und erzeugte mit ihr Alkme-
nen,
die Mutter des Herkules. —


Amphitryo, der Sohn des Alcaͤus, welcher
wegen ſeiner Schweſter Anaxo dem Elyktrio nun
doppelt verwandt war, lebte an deſſen Hofe, und
hatte die ſicherſte Hofnung, in der Regierung ihm
zu folgen; weil Elyktrio ſeine Tochter Alkmene,
die naͤchſte Erbin ſeines Reiches, mit dem Am-
phitryo zu vermaͤhlen ſchon feſt beſchloſſen hatte.


Allein ſchon ſchwebte der ungluͤckliche Zufall
naͤher, der dem Amphitryo ſeine Ausſichten ver-
eitelte, und in der Folge auf das Schickſal des
Herkules einen daurenden Einfluß hatte. — Ta-
phius nemlich, ein Enkel des Meſtor, eines
Sohns des Perſeus, errichtete auf der Inſel
Taphos eine Pflanzſtadt, deren Bewohner ſich
[218] wegen der weiten Entfernung von ihrem Vater-
lande auch Teleboer nannten.


Nach dem Tode des Taphius machte deſſen
Sohn und Nachfolger Pterelaus, wegen ſeiner
Abſtammung vom Meſtor, einem Sohne des Per-
ſeus, Anſpruͤche auf ſeinen Antheil an der Erb-
ſchaft von Mycene, und ſchickte ſeine Kinder da-
hin, um ſeine Forderung geltend zu machen.


Als Elyktrio ſich weigerte etwas herauszuge-
ben, ſo verwuͤſteten die Soͤhne des Pterelaus mit
ihrem Volke das Land, und fuͤhrten des Koͤnigs
Heerden hinweg. — Die Soͤhne des Elyktrio ver-
ſammelten nun auch ein Heer, und ließen ſich mit
den Soͤhnen des Pterelaus in ein Treffen ein,
worin die Anfuͤhrer von beiden Theilen umkamen,
ſo daß von den Soͤhnen des Elyktrio nur der ein-
zige Lycimnus, und von den Soͤhnen des Ptere-
laus nur der einzige Everes uͤbrig blieb.


Elyktrio, um den Tod ſeiner Kinder zu raͤ-
chen, uͤberließ ſeiner Tochter Alkmene und dem
Amphitryo die Regierung, mit dem Verſprechen,
dem Amphitryo ſeine Tochter zu vermaͤhlen, ſo-
bald er von den Teleboern ſiegreich zuruͤckkehren
wuͤrde. —


Er kehrte ſiegreich zuruͤck, und brachte auch
die Heerden wieder, welche die Feinde ihm geraubt
hatten. Amphitryo, nun ſeines Gluͤcks gewiß,
eilte ihm freudenvoll entgegen, und als von der
[219] wiedereroberten Heerde eine Kuh entſpringen woll-
te, warf Amphitryo mit einer Keule nach ihr —
und traf den Elyktrio, welcher todt darnieder fiel.


Dieſer ungluͤckliche Zufall war es, der den
Amphitryo des Koͤnigreichs Mycene beraubte,
und zugleich zu dem kuͤnftigen Schickſal des Her-
kules den erſten Grund enthielt. — Denn obgleich
die That des Amphitryo unvorſetzlich war, ſo lud
ſie doch den Haß des Volks auf ihn. —


Sthenelus, der Bruder des erſchlagenen Elyk-
trio, bemaͤchtigte ſich daher mit leichter Muͤhe der
Oberherrſchaft uͤber Mycene; und Amphitryo fluͤch-
tete nach Theben, wohtn ihm Alkmene folgte.
Kreon, der zu Theben herrſchte, nahm beide in
Schutz. Alkmene aber wollte ſich mit dem Am-
phitryo nicht eher vermaͤhlen, bis er, um den
Tod ihrer Bruͤder zu raͤchen, die Teleboer aufs
neue bekriegt und den Pterelaus uͤberwunden
haͤtte.


Amphitryo trat mit dem Cephalus, Eleus,
und einigen andern benachbarten Fuͤrſten in ein
Buͤndniß, um die Inſeln der Taphier oder Tele-
boer zu bekriegen. — Pterelaus wurde beſiegt,
und Amphitryo ſchenkte die eroberten Inſeln ſei-
nen Bundesgenoſſen, wovon die eine, welche noch
itzt Cefalonia heißt, von dem Cephalus ihren Nah-
men Cephalene erhielt.


[220]

Alkmenens Neitze hatten indeß den Donner-
gott von ſeinem hohen Sitze herabgezogen. — In
der Geſtalt des Amphitryo, der nun ſiegreich zu-
ruͤckkehrte, genoß er ihrer Umarmung, und ver-
laͤngerte zu einer dreifachen Dauer die Nacht,
worin er den Herkules mit ihr erzeugte. —


Unbeſchadet der Ehrfurcht gegen das Goͤttliche
und Erhabene, benutzten die komiſchen Dichter
der Alten dieſen Stoff, indem ſie das laͤcherliche
Verhaͤltniß des wahren Amphitryo gegen den Ju-
piter in der Geſtalt deſſelben auf der Schaubuͤhne
darſtellten, und beide darauf erſcheinen ließen. —
Die komiſche Muſe der Alten durfte es ſich erlau-
ben, in dergleichen kuͤhnen Darſtellungen ſelbſt
mit dem Donnergott zu ſcherzen, der zu den Toͤch-
tern der Sterblichen ſich herabließ.


Dem Amphitryo, der auf Alkmenen zuͤrnte,
gab Jupiter endlich ſelber, um ihn zu beſaͤnftigen,
ſeine Gottheit zu erkennen; und indeß Alkmene
nun zugleich mit dem Herkules und mit einem
Sohne des wirklichen Amphitryo ſchwanger war;
und dem Sthenelus, der zu Mycene herrſchte,
ebenfalls ein Sohn gebohren werden ſollte, gieng
Folgendes im Rathe der Goͤtter vor:


An dem Tage nehmlich, an welchem Herkules
gebohren werden ſollte, ſprach Jupiter ruͤhmend
in der Verſammlung der Goͤtter: Heute, alle ihr
Goͤtter und Goͤttinnen, verkuͤndige ich euch,
[221] wird aus dem Geſchlechte der Menſchen, das
von mir abſtammt, ein Held gebohren werden,
der uͤber alle ſeine Nachbaren herrſchen wird!


Liſten erſinnend ſprach die hohe Juno: ich
zweifele dennoch an der Erfuͤllung deiner Worte,
wenn du nicht mit dem unverletzlichen Schwur der
Goͤtter ſchwoͤrſt, daß derjenige, welcher heute
aus dem Geſchlechte der Menſchen, das von dir
abſtammt, gebohren wird, uͤber alle ſeine Nach-
baren herrſchen ſoll.


Kaum hatte Jupiter den unverletzlichen
Schwur gethan, als Juno den Olymp verließ,
und ſchon in Argos war, wo die Vermaͤhlte des
Sthenelus erſt im ſiebenten Monathe mit dem
Euryſtheus ſchwanger gieng, deſſen Geburt die
maͤchtige Juno ſchnell befoͤrderte, obgleich die Zahl
der Monden noch nicht voll war. — Alkmenens
Niederkunft aber hielt ſie auf, und kehrte nun
triumphirend zum Olymp zuruͤck.


Nun iſt ſchon der Held gebohren, ſprach ſie
zum Jupiter, der die Argiver beherrſchen wird. —
Er iſt aus dem Geſchlechte der Menſchen, das
von dir abſtammt; denn es iſt Euryſtheus, ein
Sohn des Sthenelus, deſſen Vater Perſeus dein
Erzeugter war. Keinem Unwuͤrdigen iſt alſo das
verheißne Koͤnigreich beſchieden.


Da nun Jupiter ſeinen Schwur nicht zuruͤck-
nehmen, und ſich an der Juno nicht raͤchen konnte,
[222] ſo ergriff er die Ate, oder die Schaden ſtiftende
Macht, welche eine Tochter Jupiters, und ſel-
ber mit in der Reihe der Goͤtter war,
bei
ihrem glaͤnzenden Haar, und ſchleuderte ſie vom
Himmel zur Erde herunter, mit dem unverbruͤch-
lichen Schwur, daß ſie nie zum Olymp zuruͤck-
kehren ſolle, — ſeitdem wandelt ſie uͤber den Haͤup-
tern der Menſchen einher, und ſaͤet, wo ſie kann,
Verderben und Zwietracht aus; — wenn daher
Streitende ſich verſoͤhnten, ſo ſchoben ſie auf die
Ate den Anfang ihres Zwiſtes.


Das Schickſal ſelber hatte dem Herkules die
haͤrteſten Pruͤfungen zugedacht, welche Goͤtter und
Menſchen nicht hintertreiben konnten. Euryſtheus
war nun durch den Schwur des Jupiter zum
Herrſcher gebohren; und durch eben dieſen Schwur
gebunden, konnte Jupiter ſeinen geliebten Sohn
von der harten Dienſtbarkeit nicht befreien. —


Alkmene gebahr zwei Soͤhne, den Herkules
vom Jupiter, und den Iphikles von ihrem
Gemahl Amphitryo. Wer von beiden der
Sohn des Donnergottes ſey, offenbarte ſich
ſchon, da noch ein hohler Schild, den Am-
phitryo vom Pterelaus erbeutet hatte, die Wiege
der Kinder war, und Juno zwei Schlangen ſchick-
te, die den Herkules toͤdten ſollten, der ſie mit
ſeiner zarten Hand in der Wiege erdruͤckte.


[223]

Nun legte Jupiter, da er einſt die Juno ſchlum-
mernd fand, den Herkules ihr an die Bruſt, und die-
ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch. — Als aber
Juno erwachte, ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug-
ling weit von ſich hinweg, und verſchuͤttete auf des
Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch, die ihrer
Bruſt entfielen, und deren Spur die Milchſtraße
bildete, auf welcher die Goͤtter wandeln.


Die Dichtung wird hier koloſſal; der Luft-
kreis ſelber, durch welchen die Sterne ſchimmern,
tritt als der Juno erſtes Urbild auf, und faͤrbt
ſich von der Milch, welche den Bruͤſten der hohen
Himmelskoͤnigin entſtroͤmte; — jenes Urbild wur-
de vorausgeſetzt, wenn die Dichtung den weißlich-
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt.


Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den
Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben, die ihn in
den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten
unterwieſen. Unter den Lehrern und Erziehern
des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne; in der
Muſik unterwieß ihn Linus, ein Sohn des Apollo;
Chiron, der weiſe Centaur, in der Arznei- und
Kraͤuterkunde. — In den kriegeriſchen Kuͤnſten
waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen
Zeit, in jedem beſondern Fache, ſeine Lehrer.


Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun-
gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, be-
gab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-
[224] denkend in die Einſamkeit, und ſetzte ſich in Be-
trachtungen vertieft auf einem Scheidewege nie-
der. — Hier war es, wo die Wolluſt und die
Tugend ihm erſchienen, wovon die erſtre ihm jeg-
lichen Genuß einer frohen ſorgenfreien Jugend an-
bot, wenn er ihr folgen wollte, — die letztre ihm
zwar muͤhevolle Tage verkuͤndigte, aber in der
Zukunft Ruhm und Unſterblichkeit verhieß, wenn
er ſie zur Fuͤhrerin waͤhlte.


Die Tugend ſiegte in dieſem Wettſtreit; der
Juͤngling folgte ihr mit ſicherm Schritte, feſt
entſchloſſen, jedes Schickſal, das ihm bevorſtehe,
mit Muth und Standhaftigkeit zu tragen, ſich
keiner Laſt zu weigern, und keine Arbeit, ſey ſie
noch ſo ſchwer, zu ſcheuen. —


Die Eiferſucht der Juno, die nicht ruhte,
hatte ſchon dem Amphitryo ſelber Furcht und Arg-
wohn eingehaucht, der den jungen Herkules an
den Hof des Euryſtheus nach Mycene ſchickte,
wo ihm von Zeit zu Zeit die gefaͤhrlichſten Unter-
nehmungen und die ungeheuerſten Arbeiten aufge-
tragen wurden, die ſeinen Muth und ſeine Stand-
haftigkeit auf die hoͤchſte Probe ſetzten.


Als nun Herkules auf ſeiner Reiſe das Orakel
zu Delphi wegen ſeines kuͤnftigen Schickſals frag-
te; ſo gab die Pythia ihm zur Antwort: zwoͤlf
Arbeiten muͤſſe er auf des Euryſtheus Befehl voll-
[225] enden, und wenn er dieſe vollendet habe, ſey
ihm die Unſterblichkeit beſtimmt. —


Die zwoͤlf Arbeiten des Herkules.


Der Nemaͤiſche Loͤwe.


Als Herkules, noch im Juͤnglingsalter, bei
dem Walde von Nemea die Heerden des Euryſtheus
huͤtete, verwuͤſtete ein Loͤwe, deſſen Haut kein
Pfeil durchdringen konnte,
die Gegend rund
umher, und drohte den Heerden Ungluͤck.


Die erſte der zwoͤlf Arbeiten, welche Eurys-
theus dem Herkules anbefahl, war, dieſes Raub-
thier zu erlegen. — Der junge Herkules ſaͤumte
nicht, die Spur des Loͤwen zu verfolgen, mit
dem er ſich, als er ihn traf, in Kampf einließ,
und ihn mit eigner Hand erwuͤrgte, weil kein
Eiſen ihn verwunden konnte.


Zum Andenken dieſer erſten That, die allein
ſchon fuͤr die Vollfuͤhrung der uͤbrigen buͤrgte, trug
Herkules nachher beſtaͤndig die Haut des Loͤwen
um ſeine Schultern; und dieſe wurde nun nebſt
der Keule, die er von dem Aſte eines wilden
Oehlbaums ſich ſelber ſchnitt, das aͤußere Merkmal
ſeiner unuͤberwindlichen Staͤrke, und ſeines unbe-
ſiegbaren Heldenmuths.


Herkules brachte den Loͤwen nach Mycene;
der verzagte Euryſtheus aber befahl ihm, von
P
[226] nun an nicht mehr in die Stadt zu kommen, ſon-
dern vor den Thoren von ſeinen vollfuͤhrten Tha-
ten Rechenſchaft abzulegen.


Die Lernaͤiſche Schlange.


In dem Sumpfe von Lerna bei Argos, hielt
ſich die vielkoͤpfigte Hydra auf, deren in der
Stammtafel der Ungeheuer, die vom Phorkys
und der ſchoͤnen Ceto ſproßten, ſchon gedacht iſt.


Die Zeit der Helden war der Tod der Unge-
heuer, die der Arm der Goͤtterſoͤhne, eins nach
dem andern von der Erde tilgte; und Herkules
ließ nun, ſo wie Perſeus mit der Gorgo, und
Bellerophon mit der feuerſpeienden Chimaͤra, auf
den Befehl des Euryſtheus, mit der vielkoͤpfigten
Hydra in den furchtbaren Kampf ſich ein.


So wie er einen Kopf des Ungeheuers mit
ſeinem ſichelfoͤrmigen Schwerdt vom Rumpfe
trennte, wuchs aus dem Blut ein neuer wieder,
bis in der aͤußerſten Gefahr, welche dem Helden
drohte, ſein Gefaͤhrte Jolaus, des Iphikles Sohn,
mit Feuerbraͤnden, die er aus dem nahgelegenen
Walde hohlte, nach jedem Hieb des Herkules,
ſogleich die Wunde zubrannte, ehe noch aus dem
Blute ein neuer Kopf emporſchoß.


Nun aber erſchwerte Juno dem Herkules ſei-
nen Sieg, indem ſie einen Seekrebs ſchickte, der
dem Held, ſo wie er kaͤmpſte, an den Ferſen
[227] nagte, und ihn ſich umzuwenden zwang. — Auch
dieſen Angriff beſtand der Sohn des Donnergot-
tes; und grub nach langem Kampf das letzte
Haupt der Hydra, das unverletzlich war, tief in
die Erde, und waͤlzte einen ungeheuren Stein
daruͤber.


Zum Lohn fuͤr ſeine Arbeit tauchte er in das
vergoßne Blut der Hydra ſeine Pfeile, die durch
das toͤdtliche Gift nun doppelt furchtbar waren,
und uͤber ihren Beſitzer, ſelbſt durch ſeines Fein-
des Tod, dereinſt noch Qual und Verderben brin-
gen ſollten.


Wenn unuͤberwindlicher Muth und Stand-
haftigkeit, bei der Ueberwindung unzaͤhliger Hinder-
niſſe und immer erneuerter Gefahren, irgend
durch ein treffendes Sinnbild bezeichnet wird,
ſo iſt es in dieſer Dichtung von dem Siege des
Herkules uͤber das vielkoͤpfigte Ungeheuer. — Alte
und neuere Dichter haben daher dieß Bild auch
ſtets genuͤtzt, weil es ſich durch kein bedeutenderes
erſetzen laͤßt.


Der Erymanthiſche Eber.


Ein ungeheurer Eber aus dem Erymanthi-
ſchen Gebuͤrge verwuͤſtete die Fluren von Arka-
dien. — Dem Euryſtheus war dieß erwuͤnſcht,
um den Herkules zu einer neuen gefaͤhrlichen Un-
ternehmung auszuſchicken. Dem Ueberwinder
P 2
[228] des Nemaͤiſchen Loͤwen, und der vielkoͤpfigten
Hydra, war es ein Leichtes, den Eber zu fangen,
welchen er gebunden dem Euryſtheus brachte,
der vor Schrecken uͤber den Anblick des Ungeheu-
ers ſich in ein ehernes Faß verkroch.


In dieſer laͤcherlichen Stellung iſt Euryſtheus
auf einem antiken geſchnittenen Steine abgebil-
det. — Der auffallende Kontraſt zwiſchen der
Staͤrke und dem Heldenmuth des Gehorchen-
den, und der Schwaͤche und Verzagtheit des Be-
fehlenden, welcher durch dieſe ganze Dichtung
herrſcht, giebt ihr ein deſto lebhafteres Intereſſe. —
Dadurch, daß der Held ſich uͤberwindet, nach
dem Schluß des Schickſals dem Schwaͤchern zu
gehorchen, erhalten ſeine kuͤhnſten Thaten einen
doppelten Werth, weil er erſt ſich ſelber zum Ge-
horſam, und dann die Ungeheuer zum Weichen
zwingt.


Der Hirſch der Diana.


Um nicht nur die Staͤrke, ſondern auch die
Geſchwindigkeit und Behendigkeit des Herkules zu
pruͤfen, mußte eine neue wunderbare Erſcheinung
ſich ereignen. Auf dem Berge Maͤnelus ließ nem-
lich ein Hirſch mit goldenem Geweih ſich ſehen,
welcher, obgleich der Diana geheiligt, den Wunſch
eines jeden, ihn zu beſitzen, auf ſich zog.


[229]

Euryſtheus, der nur befehlen durfte, befahl
dem Herkules dieſen koſtbaren Hirſch lebendig zu
fangen, und ihn nach Mycene zu bringen. —
Herkules, ohne ſich zu weigern, verfolgte ein
Jahrlang unermuͤdet die Spur des ſchnellen Hir-
ſches, bis er ihn endlich in einem Dickicht fing,
und ihn auf ſeinen Schultern dem Euryſtheus
lebendig brachte.


Die Stymphaliden.


Eine Art graͤßlicher Voͤgel hielt ſich an dem
Stymphaliſchen See in Arkadien auf. Die Ein-
bildungskraft der Dichter mahlt ihr Bild auf das
fuͤrchterlichſte aus; ſie hatten eherne Klauen und
Schnaͤbel, mit denen ſie verwunden und toͤdten,
und jede Waffenruͤſtung durchbohren konnten; auch
waren ſie nach einigen Dichtungen mit Spießen
bewafnet, die ſie auf die Angreifenden warfen.


Der Ort, wo dieſe Voͤgel im Sumpf und
Gebuͤſch ihre Wohnung hatten, war unzugaͤng-
lich. — Euryſtheus befahl dem Herkules dieſe
Ungeheuer zu bekaͤmpfen, und Minerva, die dem
Helden wohl wollte, ſchenkte ihm eine eherne
Pauke, durch deren Geraͤuſch er die Voͤgel aus ih-
rem Sumpfe ſchreckte, und ſo bald er ſie in der
Luft erblickte, ſeinen Bogen ſpannte, und mit ſei-
nen Pfeilen ſie erſchoß.


[230]

Es ſchien als ob der Held an jeder Gattung
von Ungeheuern ſich verſuchen ſollte; daher ließ
ihn die Dichtung, nachdem er den Loͤwen beſiegt,
die Hydra getoͤdtet, und den Eber gebaͤndigt hat-
te, auch mit den Voͤgeln unter dem Himmel
kaͤmpfen.


Das Wehrgehenk der Koͤnigin der
Amazonen
.


Schon Bellerophon mußte gegen die Amazo-
nen fechten, — und auch Euryſtheus verſaͤumte
nicht, dem Herkules dieſe gefahrvolle Unterneh-
mung aufzutragen. — Die Idee von den Ama-
zonen, die ihre neugebohrnen Soͤhne von ſich
ſchickten, und ihre Toͤchter zu Waffenuͤbungen und
zum Kriege erzogen, iſt an ſich ſchon dichteriſch
ſchoͤn, und wir finden ſie haͤufig in die Dichtungen
der Alten eingewebt. —


Auch die bildende Kunſt der Alten verweilte
gern auf dieſem Gegenſtande, und man findet
auf Marmorſaͤrgen zum oͤftern Amazonenſchlachten
dargeſtellt, wo die maͤnnliche Tapferkeit mit der
weiblichen Bildung verknuͤpft, im Angriff und im
Sinken, den reitzendſten Kontraſt darbietet.


Vom Kriegsgott ſelber beſaß die Koͤnigin der
Amazonen das koſtbare Wehrgehenk, das Herkules
erbeuten ſollte, und das von der Tapferkeit ſelbſt
[231] vertheidigt ohne unuͤberwindlichen Heldenmuth
nicht zu erſtreiten war.


Theſeus begleitete den Herkules auf dieſem
Zuge, und am Fluſſe Thermodon begann die
Schlacht, wo Herkules uͤber die Bundesgenoſſen
der Amazonen ſiegte, die Koͤnigin ſelbſt gefangen
nahm, und, nachdem er auf dieſem Wege noch
manche andre große That vollfuͤhrt, das koſtbare
Wehrgehenk dem Euryſtheus brachte.


Der Stall des Augias.


Augias, der in Elis herrſchte, und ein
Sohn der Sonne hieß, war wegen der vielen
Heerden, die er beſaß, einer der reichſten Fuͤrſten
ſeiner Zeit.


Und weil man damals den Reichthum nach
dem Beſitz von vielen Heerden ſchaͤtzte, ſo waren
auch die Beſchaͤftigungen, welche hierauf Be-
zug hatten, noch nicht erniedrigend; und einen
Stall zu reinigen, war damals noch keine ſo un-
wuͤrdige Beſchaͤftigung, wie wir ſie uns jetzt nach
unſern Begriffen denken.


Augias hatte nemlich nach der Dichtung, die
den Helden die Arbeiten gern ſo ſchwer wie moͤg-
lich macht, dreitauſend Rinder in ſeinen Staͤllen
ſtehen, und dieſe Staͤlle waren ſeit dreißig Jahren
nicht gereinigt. —


[232]

Herkules uͤbernahm auf den Befehl des Eu-
ryſtheus die Reinigung der Staͤlle, mit dem Be-
ding in wenigen Tagen die ungeheure Arbeit zu
vollenden, wofuͤr ihm Augtas, der an der Moͤg-
lichkeit der Ausfuͤhrung zweifelte, den zehnten
Theil ſeiner Heerden zum Lohn verſprach.


Herkules aber leitete den Alpheus durch die
Staͤlle, und verrichtete nun die Arbeit, die jeder-
mann fuͤr unmoͤglich hielt, an einem Tage mit
leichter Muͤhe. — Augias aber verweigerte ihm
den Lohn, worauf ihn Herkules bekriegte und
toͤdtete, und den Phyleus des Augias Sohn,
der edler wie ſein Vater dachte, zum Nachfolger
im Reiche ernannte. Von den erbeuteten Schaͤ-
tzen aber bauete Herkules dem Olympiſchen Jupi-
ter einen Tempel, und erneuerte die Olympiſchen
Spiele. — So kroͤnte er ſeine Arbeit in den Staͤl-
len des Augias.


Der Kretenſiſche Stier.


Neptun, der auf die Einwohner von Kreta
zuͤrnte, weil ſie ſeine Gottheit nicht genug verehr-
ten, ſchickte einen wuͤthenden Stier auf ihre In-
ſel, welcher Feuer aus der Naſe blies, und weil
ihn niemand anzugreifen wagte, das Land umher
verwuͤſtete.


Kaum hatte Euryſtheus dies vernommen, ſo
befahl er dem Herkules, dieſen Stier lebendig zu
[233] fahen. — Es iſt die Koͤrperkraft des Helden,
welche ſich gleichſam gegen die ganze Thier-
welt mißt,
indem ſich Herkules auch dieſes vom
Neptun geſandten Stiers bemaͤchtigt, und ihn
auf ſeiner Schulter nach Mycene bringt.


Die mannichfaltigen Abbildungen des Herku-
les, worunter ſich auch dieſe befindet, wie er den
Stier auf der Schulter traͤgt, machen daher ein
ſchoͤnes Ganzes aus, weil der Ausdruck von koͤr-
perlicher Staͤrke
in jeder Darſtellung herrſchend
iſt, und die bildende Kunſt keinen reichern Stoff
als dieſen finden konnte, um das, was den Loͤ-
wen beſiegt, und die ganze Thierwelt ſich unter-
jocht, in jeder Muſkel zu bezeichnen.


Die Roſſe des Diomedes.


Diomedes, ein Koͤnig in Thracien, und ein
Sohn des Mars, beſaß vier feuerſpeiende Roſſe,
die er mit Menſchenfleiſch ſaͤttigte, und denen er
die Fremdlinge, die er auffing, ſelbſt zur Speiſe
vorwarf.


Da das Geruͤcht von dieſer Grauſamkeit
allenthalben erſcholl, ſo befahl Euryſtheus dem
Herkules, ihm die feuerſpeienden Roſſe zu brin-
gen, — und Herkules, der dieſe That vollfuͤhrte,
ließ auch den Diomedes fuͤr ſeine Tyrannei die
gerechte Strafe erdulden, indem er ihn ſeinen
[234] eigenen Roſſen vorwarf, und auf die Weiſe den
an den Fremdlingen veruͤbten Frevel raͤchte.


Die Grauſamkeit gegen die Fremden iſt in
den Dichtungen der Alten, welche das Gaſtrecht
uͤber alles heilig hielten, das hoͤchſte Merkmal von
boshafter Tyrannei und Ungerechtigkeit; — man
betrachtete dieſe Tyrannen, welche die Fremden
quaͤlten und toͤdteten, wie Ungeheuer; und es war
das Geſchaͤft der Helden, ſie von der Erde zu
vertilgen.


Man findet auf alten Denkmalen die Roſſe
des Diomedes abgebildet, wie ſie vor einer Krippe
ſtehen, in welcher ein Menſch ausgeſtreckt liegt,
und Diomedes aufrecht darneben ſteht. — Auch
findet man den Herkules im Kampf mit den flam-
menathmenden Roſſen dargeſtellt.


Der dreikoͤpfigte Geryon.


In der Stammtafel der Ungeheuer iſt des
dreikoͤpfigten Geryon ſchon gedacht. Chryſaor,
der aus dem Blute der Meduſa entſprang, ver-
maͤhlte ſich mit der Kallirohe, einer Tochter des
Oceans, und erzeugte mit ihr den dreikoͤpfigten
Rieſen Geryon, und die Echidna, die halb
Nymphe halb Drache, den dreikoͤpfigten Hund
Cerberus, den zweikoͤpfigten Hund Orthrus, die
Lernaͤiſche Schlange, die feuerſpeiende Chimaͤra,
und die Sphinx, gebahr.


[235]

Der zweikoͤpfigte Hund Orthrus nebſt dem
Hirten Eurytion bewachten die Heerden des Ge-
ryon, deſſen Wohnſitz die Dichtungen an die ent-
fernteſten Ufer des Oceans hin verſetzen.


Das Koſtbarſte, worin man damals den
groͤßten Reichthum ſetzte, hatte ein Ungeheuer im
Beſitz, — und der Ruf von den ſchoͤnen Heerden
des Geryon erſcholl ſo weit, daß Euryſtheus dem
Herkules befahl, dieſe Heerden hinwegzufuͤhren,
und ſie als einen koſtbaren Schatz, von jenen
aͤußerſten Enden der Erde, nach Mycene zu
bringen.


Herkules bahnte ſich ſeinen Weg uͤber Berge
und Felſen, und fuͤhrte auf dieſem weiten Zuge
noch viele andre große Thaten aus. — Den zwei-
koͤpfigten Hund Orthrus und den Eurytion erſchlug
er, und bemaͤchtigte ſich der Ochſen des Geryon,
die er vor ſich hertrieb. — Als nun der dreikoͤp-
figte Geryon ſelber auf ihn zuſtuͤrzend ſich ihm
widerſetzen wollte, erſchlug er auch dieſen mit ſei-
ner Keule, und befreiete die Erde aufs neue von
einem ihrer furchtbarſten Ungeheuer.


Die goldenen Aepfel der Heſperiden.


Das Allerkoſtbarſte, was man ſich in der
weiteſten Entfernung, und am unmoͤglichſten zu
erreichen dachte, waren die goldenen Aepfel in den
[236] Gaͤrten der Heſperiden, an den Geſtaden des
Atlantiſchen Meers. Der Drache, welcher dieſe
Aepfel bewachte, war eine Erzeugung des Phor-
kys und der ſchoͤnen Ceto, und in der Reihe der
Ungeheuer iſt ſeiner ſchon gedacht.


Die Heſperiden ſelber waren Toͤchter der
Nacht. — Ihr Daſeyn und ihr Urſprung waren
in Dunkel gehuͤllt. — Ihre Nahmen waren
Aegle, Erythia und Arethuſa. — Dem Eurys-
theus die goldene Frucht nach Griechenland zu
bringen, war nun die eilfte von den Arbeiten,
welche Herkules, gehorchend dem fremden Befehl,
vollbringen mußte.


Er toͤdtete den Drachen, nachdem er vorher
durch einen Trank ihn eingeſchlaͤfert hatte, und
pfluͤckte, nah am Ziele ſeiner Laufbahn, die
goldene Frucht. — In den Abbildungen vom
Herkules ſieht man auch den Baum mit der gol-
denen Frucht, um den ſich ein Drache windet,
vor welchem Herkules mit der Schaale ſteht, die
den einſchlaͤfernden Trank enthielt. — Die Hes-
periden ſtehen traurend uͤber den Verluſt des Scha-
tzes, den ſie bewahrten.


Der Hoͤllenhund Cerberus.


Nun mußte Herkules noch die letzte Probe
ſeines Heldenmuths beſtehen. — Nicht genug,
[237] daß er auf der Oberwelt die Ungeheuer beſiegt
hatte, hieß Euryſtheus ihn hinab zu den Schatten
ſteigen, und den dreikoͤpfigten Hund Cerberus,
den Waͤchter an Plutos Thor, hinauf ans Licht
zu ziehen.


Die Dichtung von den zwoͤlf Arbeiten des
Herkules ſchließt ſich mit der gefahrvollſten Unter-
nehmung unter allen. — Dem Tode ſelbſt in ſei-
nem Gebiete
zu trotzen; — in ſeinen offenen
Schlund freiwillig hinabzuſteigen, — und mit
dem Koͤnig der Schrecken im Kampf es aufzu-
nehmen.


Ehe Herkules ſeine ihm aufgegebene Reiſe in
die Unterwelt begann, ließ er vorher in die
Eleuſiniſchen Myſterien ſich einweihen,
gleich-
ſam um auf Tod und Leben bei dieſer Unterneh-
mung gefaßt zu ſeyn; — dann ſtieg er bei dem
Vorgebirge Taͤnarum in die weite Hoͤhle hinab,
die zu der Behauſung der Schatten fuͤhrt.


Er zwang den Charon, ihn uͤber den Styx
zu fahren. — Da erblickte er den Cerberus, und
die ihm wohlbekannten Helden, den Theſeus und
Pirithous an Felſen geſchmiedet, — ſie hatten
die vermeſſene That begonnen, zu den Schatten
hinabzuſteigen, um Proſerpinen, die Koͤnigin der
Todten ſelber, dem Pluto zu entfuͤhren, — und
nun war ihnen die Ruͤckkehr auf ewig unterſagt.


[238]

Demohngeachtet gelang es dem Herkules, den
Theſeus zu befreien, nachdem er den Cerberus ge-
baͤndigt hatte, der bis zum Pallaſt des Pluto vor
ihm floh. — Und ſo wie Herkules ihn verfolgend
ſich dem duͤſtern Pallaſt naͤherte, faͤrbte ſich der
Kranz von Pappeln auf ſeinem Haupte ſchwarz.


Hier kaͤmpfte er mit dem Pluto ſelber und
loͤßte Theſeus Bande; vergebens aber verſuchte
er es, den Pirithous zu befrein, den Plutos ganze
Macht zuruͤckhielt. — Siegreich brachte nun Her-
kules den Cerberus auf die Oberwelt, wo von ſei-
nem Geifer eine giftige Wurzel ſich erzeugte.


Der erſchrockne Euryſtheus ertrug den furcht-
baren Anblick nicht, — und Herkules entließ den
ſchwarzen Huͤter des Hoͤllenthors, den er zwiſchen
ſeinen Knien gebaͤndigt hielt, nun auch der Quaal,
das Licht zu ſchauen. — Die Schreckengeſtalt
ſank wieder zur Unterwelt herab. — Des Her-
kules Arbeiten waren nun vollbracht. —


Die Thaten des Herkules, welche er
nicht auf fremden Befehl voll-
fuͤhrt hat.


Von den Arbeiten des Herkules kann man
ſeine Thaten unterſcheiden, welche er aus eige-
nem Antriebe, gleichſam in der Zwiſchenzeit voll-
fuͤhrte, die ihm von den aufgegebenen Arbeiten
[239] uͤbrig blieb, und worin ſeine unerſchoͤpfliche Kraft
und Heldenſtaͤrke ſich doppelt offenbarte.


Die Befreiung der Heſione.


Herkules begleitete die Argonauten auf ihrem
Zuge nach Kolchis; entfernte ſich aber von den
uͤbrigen, indem er in der Gegend von Troja ans
Land ſtieg, um den Hylas, ſeinen Liebling zu
ſuchen, der Waſſer zu ſchoͤpfen ausgieng und nicht
wieder kam. — Die Najaden hatten den ſchoͤnen
Knaben geraubt, und in den Brunnen herabgezo-
gen; Herkules ließ vergeblich von dem Nahmen
Hylas das ganze Ufer wiedertoͤnen.


Er ſetzte nun ſeine Reiſe mit den Argonauten
nicht weiter fort, ſondern gieng nach Troja, wo
Laomedon herrſchte, der die Goͤtter Neptun und
Apollo ſelber, welche, in menſchenaͤhnlicher Ge-
ſtalt, die Mauern um ſeine Stadt zu bauen ſich
hernieder ließen, um ihren Lohn betrog. —


Der Frevel des Laomedon blieb nicht lange
unbeſtraft. — Der Koͤnig der Waſſerfluthen drohte
mit einer Ueberſchwemmung Troja den Unter-
gang, und war, nach dem Ausſpruch des Ora-
kels, nur durch die Aufopferung der Heſione, des
Laomedons Tochter zu verſoͤhnen; die nun, gleich
der Andromeda, an einen Felſen geſchmiedet, von
einem Meerungeheuer verſchlungen werden ſollte,
[240] gerade als Herkules ankam, und dies Schauſpiel
ſich ſeinen Augen darbot.


Nicht ſo zaͤrtlich wie Perſeus, uͤbernahm
Herkules erſt gegen einen Zug von koͤſtlichen Pfer-
den, die ihm Laomedon zum Lohn verſprach, die
Heſione zu befreien. — Laomedon aber, der ſchon
die Goͤtter betrogen hatte, betrog auch den Herku-
les, und wagte es, ihm die Roſſe zu verweigern,
ſobald er ſeine Tochter wieder in Freiheit ſahe.


Da griff Herkules Troja an, eroberte ſie mit
ſtuͤrmender Hand, und erſchlug den falſchen wort-
bruͤchigen Koͤnig Laomedon. — Seinem Begleiter
den Telamon, der zuerſt die Mauer erſtieg, ver-
maͤhlte er die gerettete Heſione, und verſtattete
ihr, fuͤr einen der Gefangenen von Laomedons
Hauſe das Leben zu erbitten. Heſione waͤhlte ihren
Bruder Podarcis, welcher nachher ſich Priamus
nannte, und zu kuͤnftigem Jammer aufgeſpart, uͤber
Troja herrſchte, deſſen zweite Eroberung und ſchreck-
liche Zerſtoͤrung vom Schickſal ſchon beſchloſſen war.


Die Ueberwindung des Antaͤus,
Buſiris und Kakus
.


Als Herkules auf ſeinem weſtlichen Zuge nach
Lybien kam, ſo ſtieß er auf den Rieſen Antaͤus,
deſſen Grauſamkeit gegen die Fremden, ihn zum
Ungeheuer machte, das ein maͤchtiger Arm vertil-
gen mußte.


[241]

Antaͤus zwang nehmlich die ankommenden
Fremden mit ihm zu ringen, und wenn er ſie
uͤberwunden hatte, erwuͤrgte er ſie, und pflanzte
die Schaͤdel um ſeine Wohnung auf. — Was ihn
im Kampf unuͤberwindlich machte, war die Be-
ruͤhrung ſeiner Mutter Erde
, wodurch ſich,
wenn er niedergeworfen wurde, ſeine Kraft nur
verdoppelte.


Herkules Arme aber faßten ihn um den Leib,
und hielten ihn in den Luͤften ſchwebend, bis
er von des Helden Kraft erdruͤckt, ſeinen Geiſt
aushauchte. — In dieſer Stellung, wie er den
Rieſen Antaͤus erdruͤckt, findet man auf den
Denkmaͤlern der Alten den Herkules zum oͤftern
dargeſtellt.


Buſiris war ein grauſamer Koͤnig in Aegyp-
ten, der nebſt ſeinen beiden Soͤhnen alle Gewalt-
thaͤtigkeit an Fremden veruͤbte, denen er auf-
lauern ließ, und wenn er ſie fing, ermordete. —
Dem Herkules, der dieſes Weges zog, war ein
aͤhnliches Schickſal zugedacht, allein er erſchlug
den Buſiris mit ſeinen Soͤhnen, und machte auch
dieſe Straße fuͤr den Wanderer ſicher.


Als Herkules mit den Rindern des Geryon,
die er von den entfernten Ufern des Oceans nach
Griechenland brachte, bis in die Gegend des nach-
maligen Roms, beim Tiberfluß am Aventiniſchen
Berge gekommen war, ſchlummerte er bei ſeinen
Q
[242] Heerden ein; und aus ſeiner Hoͤhle am Aventi-
niſchen Berge kam der ungeheure flammenſpeiende
Kakus, deſſen beſtaͤndiges Geſchaͤft es war, die
Fremden zu berauben.


Dieſer zog von den Ochſen einen nach dem
andern bei den Schwaͤnzen in ſeine Hoͤhle, um
durch die entgegengeſetzte Spur den Suchenden zu
taͤuſchen. Als Herkules nun erwachte, und die
geraubten Ochſen vermißte, verleitete ihn, da er
ſie ſuchen wollte, die falſche Spur, und ſchon
wollte er weiter ziehen, als er das Gebruͤll ſeiner
Ochſen, aus des Kakus Hoͤhle vernahm, mit dem
er ſich nun in Kampf einließ, ihm bald ſeinen
Raub abjagte, und mit ſeiner Keule ihn zu Bo-
den ſchlug.


Hier war es, wo Karmenta, die Mutter
des Evander, der damals dieſe Gegend beherrſch-
te, dem Herkules ſeine Gottheit prophezeihte,
und wo noch bei ſeinem Leben der erſte Altar ihm
errichtet ward. — Auf antiken geſchnittenen Stei-
nen findet man mehrmals den Herkules abgebil-
det, wie er bei ſeinen Heerden ſchlummert, indeß
Kakus die Ochſen ruͤckwaͤrts in ſeine Hoͤhle zieht.


Die Befreiung der Alceſte aus
der Unterwelt
.


Herkules, welcher die Tyrannen vertilgte,
die gegen die Fremden grauſam waren, belohnte
[243] auch auf eine edle Weiſe die gaſtfreundliche Auf-
nahme, die er beim Koͤnig Admetus fand.


Dieſer Admet war mit der Alceſte, einer
Tochter des Pelias vermaͤhlt. — Er wurde krank,
und konnte, nach dem Ausſpruch des Orakels,
nicht anders ſein Leben friſten, als wenn jemand
freiwillig fuͤr ihn ſich dem Tode weihte. —


Alceſte weihte ſich heimlich den Goͤttern zum
Todesopfer fuͤr ihren Gemahl; — ſie wurde krank,
und die Geneſung des Admet hielt nun mit ihrer
zunehmenden Krankheit gleichen Schritt. — Sie
war verſchieden, da Herkules beim Admet als
Gaſt einkehrte.


Das Gaſtrecht war dem Admet ſo heilig, daß
er dem Herkules anfaͤnglich ſeine Trauer ver-
ſchwieg. — Als dieſer aber den Tod der Alceſte
vernahm, verſprach er ſeinem Gaſtfreunde, das ge-
liebte Weib, es koſte auch was es wolle, ihm aus
dem Orkus zuruͤckzufuͤhren.


Und nun umfaßte Herkules den Tod mit
ſtarken Armen
, und hielt ihn feſt, bis er die
Gattin ſeines Freundes ihm wiedergab, und ſich
die Trauer nun in neue hochzeitliche Freude und
ſuͤße Geſpraͤche verwandelte.


Q 2
[244]

Die Befreiung des Prometheus
von ſeinen Qualen
.


In dem Herkules war die Menſchheit gleich-
ſam bis zu dem Gipfel ihrer Groͤße emporgeſtiegen.
Und auch der Duldung des Prometheus, an deſ-
ſen Leber noch immer der Geier nagte, war nun
ihr Ziel geſetzt.


Jupiter willigte ſelber in die Befreiung des
Prometheus ein, nachdem ihm dieſer zum Loͤſe-
gelde die lange verborgene Weißagung offenbart
hatte: Thetis wuͤrde einen Sohn gebaͤhren, der
wuͤrde maͤchtiger, als ſein Vater ſeyn.


Da nun Jupiter ſchon entſchloſſen war, die
Thetis zu umarmen, ſo drohte ihm, ohne die War-
nung des Prometheus, das Ende ſeiner Macht,
deren Beſitz er nun aufs neue, dem von ihm ſo
hart gequaͤlten Bilder der Menſchen dankte. —
Nun ſpannte der Sohn des Donnergottes den
Bogen, und erſchoß den Geier, der dem Pro-
metheus die Leber nagte. Die Bande des an den
Felſen Geſchmiedeten fielen ab.


Die Aufrichtung der Saͤulen an
der Meerenge zwiſchen Europa
und Afrika
.


Die Dichtungen von den Thaten des Herku-
les werden am Ende ganz koloſſal, und verlieren
[245] ſich in dem Begriff einer Kraft, der Goͤtter und
Menſchen nicht widerſtehen koͤnnen, und die das
Unmoͤgliche moͤglich macht. —


Als Apollo einſt ſich weigerte, dem Herkules
wahr zu ſagen, ſo nahm er den goldnen Dreifuß
weg, bis jener ſein Verlangen erfuͤllte. — Die
Goͤtter im Olymp beklagen ſich uͤber ihn, daß er
einſt ſelbſt die Juno verwundet, und den Pluto
mit ſeinen Pfeilen nicht verſchont habe.


Als auf ſeiner Fahrt nach Weſten die Sonne
ihm zu heiß ſchien, ſo ſpannte er ſeinen Bogen,
und ſchoß nach dem Lenker des Sonnenwagens,
der durch ein großes goldnes Trinkgefaͤß ihn zu
verſoͤhnen ſuchte. — Auch mit dem Neptun, da
dieſer einen Sturm ſchickte, nahm es Herkules
auf, und ſchoß ſeine Pfeile auf ihn ab. Dieſer,
um ihn zu beſaͤnftigen, ließ ſchnell die Sturmwinde
ſchweigen, und ließ die Wellen das goldne Trink-
gefaͤß emportragen, deſſen ſich Herkules wegen ſei-
ner Groͤße zugleich ſtatt eines Fahrzeuges auf dem
Meere bediente, ohne zu fuͤrchten, daß es unter-
ſaͤnke, da ſelbſt der Koͤnig der Gewaͤſſer und die
Waſſerwogen ihm unterthaͤnig waren.


Da er nun auf ſeinem Zuge nach Weſten an
das aͤußerſte Ende der Erde kam, durchbrach er
die Erdenge zwiſchen Europa und Afrika, und ver-
einte das Weltmeer mit dem mittellaͤndiſchen
Meere.


[246]

Da richtete er an der Meerenge, zum Anden-
ken ſeiner vollbrachten Thaten, und um das Ziel ſei-
ner Reiſen zu bezeichnen, auf den gegen einander
uͤber liegenden Bergen Kalpe und Abyla zwei
Saͤulen
auf; zu deren Andenken die Nachwelt
jene beiden Berge ſelber die Saͤulen des Her-
kules
nannte.


Die Einbildungskraft konnte in dieſer Dich-
tung ſich nicht hoͤher ſchwingen; denn erſt da, wo
nach der Vorſtellungsart der Alten, der Erdkreis
ſelbſt ſich endigt, und die Sonne ins Meer ſinkt,
war das Ziel der maͤchtigen Heldenlaufbahn. —
Nur noch ein Zug wurde hinzugeſetzt: Der, wel-
cher den Prometheus befreiete, half auch auf eine
Weile, dem Atlas den Himmel tragen, und
nahm die ewig druͤckende Laſt von Japets Sohn
auf ſeine Schultern, um jenem eine kleine Zeit Er-
leichterung zu verſchaffen. — So findet man auch
auf alten Denkmaͤlern den Herkules abgebildet, den
Himmelsglobus auf den Schultern tragend.


Die Vermaͤhlungen des Herkules
und ſeine Vergehungen und
Schwaͤchen
.


Dieß ſind nun außer den zwoͤlf Arbeiten des
Herkules ſeine vorzuͤglichſten Thaten. Die Dich-
tungen ſchreiben ihm noch viel mehrere zu, weil
alles, wozu Standhaftigkeit, Heldenmuth und
[247] Staͤrke gehoͤrte, ſich gerne an dieſen Nahmen
knuͤpfte, der einmal alles Goͤttliche in ſich faßte,
was durch die Koͤrperkraft ſich offenbart.


Wenn aber bei irgend einer Goͤtter- oder
Heldengeſtalt der Begriff der Macht und Staͤrke
uͤber alles andre uͤberwiegend iſt, ſo iſt dies beim
Herkules der Fall, der gleichſam die aus ihrem er-
ſten Schlummer erwachte Menſchheit, im Gefuͤhl
ihrer ganzen Kraft, ohne muͤßiges Denken, in
ſich abbildet; immer raſtloß irgend ein Ziel verfol-
gend, unbekuͤmmert, was um ihn her ſteht oder
faͤllt. —


Der Begriff von einem Helden, war in der
Vorſtellungsart der Alten, mit dem Begriff von
einem Weiſen, gemeiniglich nicht verknuͤpft. —
Selbſt beim Ulyſſes geht die Weisheit in Verſchla-
genheit uͤber, und bei dem weiſen Neſtor iſt durch
das Alter die Heldenkraft ſchon gelaͤhmt. — Bei
den Helden findet ſich immer viel Licht und Schat-
ten, und Herkules ſelbſt muß noch mit manchen
Schwaͤchen fuͤr ſeine Heldenſtaͤrke buͤßen. —


In ſeinen Vermaͤhlungen, und in ſeinen Aus-
ſchweifungen in der Liebe fand Herkules ſein Un-
gluͤck, und zuletzt einen qualenvollen Tod, welcher
demohngeachtet der Uebergang zur Unſterblichkeit
fuͤr ihn war.


Zuerſt vermaͤhlte Kreon, Thebens Fuͤrſt, ihm
ſeine Tochter Megara, zur Dankbarkeit fuͤr einen
[248] wichtigen Dienſt, den Herkules ihm geleiſtet, wel-
cher durch ſeine Tapferkeit die Stadt von einem
laͤſtigen Tribut befreite, den ſie den Orchomeni-
ern
zahlen mußten.


Nachdem er nun acht Kinder mit der Megara
erzeugt hatte, verſetzte Juno ihn in eine raſende
Wuth, worin er Mutter und Kinder erſchlug,
deren abgeſchiedenen Seelen man nachher in The-
ben jaͤhrlich Todtenopfer brachte.


Um dieſe ſchreckliche, obgleich unverſchuldete
That, zu buͤßen, unterzog ſich Herkules deſto frei-
williger den Arbeiten, die ihm Euryſtheus anbe-
fahl, bis, nahe an der Vollendung ſeiner Tha-
ten, eine neue Liebe ihn feſſelte, und er ſich, ohn-
geachtet des tragiſchen Ausganges ſeiner erſten Ehe,
zum zweitenmal vermaͤhlte.


Er kam nehmlich auf einem ſeiner Zuͤge nach
Kalydon zum Koͤnig Oeneus, und ſahe deſſen
ſchoͤne Tochter Dejanira, welche dem Flußgott
Achelous ſchon verlobt war. Mit dieſem ließ
ſich Herkules in einen Zweikampf ein, und da er
ihn uͤberwunden hatte, war Dejanira der Preis
des Sieges.


Als nun Herkules auf ſeiner Reiſe mit der
Dejanira an den Fluß Evenus kam, an deſſen
Geſtade der Centaur Neſſus ſeine Wohnung hat-
te, ſo trug er dieſem auf, die Dejantra auf ſeinem
Ruͤcken durch den Strom zu tragen. —


[249]

Neſſus wollte dieſe Gelegenheit nutzen, um
die Vermaͤhlte des Herkules zu entfuͤhren; als
dieſe aber um Huͤlfe ſchrie, ſpannte Herkules ſchnell
den Bogen, und durchſchoß den Centaur mit
einem in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange ge-
tauchten Pfeil. Neſſus gab ſterbend der Dejanira
eine Hand voll von ſeinem Blute, als ein koſtba-
res Geſchenk, in eine Flaſche, und verhieß ihr,
daß ſie durch dies Mittel auf immer des Herkules
Zuneigung ſich verſichern, und jede fremde Liebe
aus ſeiner Bruſt verſcheuchen koͤnne, wenn ſie der-
einſt ein dicht am Leibe anliegendes Gewand mit
dieſem Blute beſtriche, und es dem Herkules,
um es anzulegen, ſchickte.


Herkules, der nun wieder auf Thaten aus-
gieng, entfernte ſich von Zeit zu Zeit von der
Dejanira. Einſt blieb er lange, ohne daß Deja-
nira etwas von ihm vernahm. Ihn feſſelte eine
neue Liebe, die ihn mehr als alle ſeine uͤberſtan-
denen Gefahren darniederbeugte, weil ſie ihn zu
einer ungerechten That verleitete.


Als Herkules nehmlich auf einem ſeiner letz-
ten Zuͤge nach Euboaͤ kam, erblickte er Jolen,
die Tochter des Eurytus, der uͤber Oechalien
herrſchte. Er ward von Jolens Reitzen ſchnell
beſiegt, und ward um ſie bei ihrem Vater. —
Als dieſer ſein Verlangen abſchlug, verließ er
zuͤrnend und auf Rache denkend die Wohnung ſei-
nes Gaſtfreundes.


[250]

Und als bald darauf Iphitus, des Eury-
tus Sohn, beim Herkules ſeine entlaufenen Stut-
ten ſuchte, fuͤhrte ihn dieſer, der ſelber die Stut-
ten bei ſich verbarg, auf einen Huͤgel, und ſtuͤrzte
den Sohn ſeines Gaſtfreundes, ehe dieſer ſichs
verſahe, vom jaͤhen Felſen herab.


Durch dieſe That befleckte Herkules ſeinen
Ruhm, und mußte auch auf den Befehl der Goͤt-
ter auf eine ſchaͤndliche Weiſe dafuͤr buͤßen. — Er
mußte ſich der wolluͤſtigen Koͤnigin Omphale in
Lydien zum Sklaven verkaufen laſſen, und weib-
liche Geſchaͤfte auf ihren Befehl verrichten.


Hier ſtellt die bildende Kunſt Omphalen mit
der Loͤwenhaut umgeben, und mit der Keule in der
Hand, den Herkules aber in Weiberkleidern am
Rocken ſpinnend dar. — Der Held, der ſeine
Laufbahn nun vollendet hatte, mußte vor ſeiner
Vergoͤtterung noch das Loos der Sterblichkeit em-
pfinden, und ſo tief von ſeiner Groͤße ſinken, als
hoch er geſtiegen war.


Allein die beſtimmte Zeit dieſer Dienſtbarkeit
verfloß; und nun ruͤſtete Herkules ſich gegen den
Eurytus, der ſeine Tochter Jole ihm verſagt
hatte. Mit ſtuͤrmender Hand eroberte er die
Stadt Oechelia und zerſtoͤrte ſie; erſchlug den Eu-
rytus ſelber; nahm Jolen gefangen, und ſchickte
ſie als eine Sklavin ſeiner eigenen Gemahlin De-
janira zu.


[251]

Dejanira nahm die Jole guͤtig auf. — Als
ſie aber durch das Geruͤcht vernahm, daß eben
dieſe Gefangene ihre Nebenbuhlerin ſey; da glaub-
te ſie, daß es Zeit waͤre, von dem Geſchenk des
Neſſus Gebrauch zu machen, wodurch die Liebe
des Herkules ihr verſichert, und jede fremde Zu-
neigung aus ſeiner Bruſt verſcheucht wuͤrde.


Sie nahm des todten Neſſus langverwahrtes
Blut, und faͤrbte damit ein koͤſtliches Unterkleid,
das ſie dem Herkules durch den Lichas verſiegelt
entgegenſchickte, mit der Bitte, es nicht eher
zu tragen, als bis er ſich an einem Opfer-
tage ſchoͤn geſchmuͤckt, den Goͤttern damit gezeigt
habe.


Des Herkules letzte Duldung und
ſeine Vergoͤtterung
.


Schon lange hatte ein Orakelſpruch dem Her-
kules geweißagt, daß er den Tod von keinem
Lebenden, ſondern nur von einem Todten befuͤrch-
ten duͤrfe. — Dieſe Prophezeihung war nun ihrer
Erfuͤllung nahe. —


Auf dem Vorgebirge Cenaͤum von Euboaͤ,
errichtete Herkules, nach dem Siege uͤber den
Eurytus, dem Jupiter Altaͤre, und war die
Opferthiere zu ſchlachten im Begriff, als Lichas
ihm das Geſchenk der Dejanira uͤberbrachte.


[252]

Herkules freute ſich des Geſchenks, und zog
ſogleich das Kleid als einen feſtlichen Schmuck
zum Opfer an; brachte nun eine Hekatombe den
Goͤttern dar, und ließ die Flamme von den Altaͤ-
ren gen Himmel lodern; als ploͤtzlich das Gewand
wie angeleimt an ſeinem Koͤrper klebte, und Zu-
ckungen durch alle ſeine Glieder fuhren. — Es
war das Gift der Hydra, die er ſelbſt erlegt hatte,
das nun ſein Innerſtes verzehrte.


Er rief dem ungluͤcklichen Lichas, der ihm
das Kleid gebracht, und ſchleuderte ihn, da der
Schmerz in ſeinem Eingeweide wuͤthete an einen
Felſen, an welchem ſein Schaͤdel zerſchmettert
ward. — Mitten in ſeinen Qualen ließ Herkules
ſich nach Trachina bringen. — Kaum aber hatte
Dejanira die Wuͤrkung ihres Geſchenks vernom-
men, ſo gab ſie verzweiflungsvoll ſich ſelbſt den
Tod.


Hyllus, ein Sohn des Herkules, den er
mit der Dejanira erzeugte, ſtand ihm in ſeinen
Qualen bei, und brachte auf ſeinen Befehl ihn
auf den Berg Oeta, wo Herkules auf dem lodern-
den Scheiterhaufen ſeine Leiden durch einen frei-
willigen Tod zu enden beſchloſſen hatte, indem er
zugleich dem Hyllus ſeine geliebte Jole empfahl,
und Pfeile und Bogen ſeinem treuen Gefaͤhrten,
dem Philoktet, des Paͤas Sohn, zum Erbtheil
hinterließ.


[]
[figure]
[][253]

Als Herkules nun den Scheiterhaufen beſtie-
gen hatte, und die lodernde Flamme ihn umgab,
da heiterte ſich ſein Antlitz auf; — Er hatte die
Leiden der Menſchheit ausgeduldet, und ihre
Schwaͤchen abgebuͤßt; — die ſterbliche, den
Schmerzen unterworfene Huͤlle fiel von ihm
ab; — ſein Schattenbild ſank nur zum Orkus
nieder; — ſein eigenes Selbſt ſtieg in die Ver-
ſammlung der Goͤtter zum Olymp empor. —
Juno war verſoͤhnt, — und Hebe, die Goͤttin
der ewigen Jugend
, ward nach des Schickſals
Schluß, dem neuen Gott vermaͤhlt.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befinden
ſich nur zwei Abbildungen vom Herkules. Die
erſte, nach einem antiken geſchnittenen Steine,
ſtellt ihn als Juͤngling dar, wie er den Nemaͤi-
ſchen Loͤwen erdruͤckt; die andre, ebenfalls nach
einer antiken Gemme, wie er nach vollendeter
Laufbahn, von ſeiner vollbrachten Arbeit ausruht.


Kaſtor und Pollux.


Oebalus, ein Koͤnig in Lacedemon, aus
einem Zweige vom alten Stamme des Inachus
entſproſſen, erzeugte den Tyndareus, der ihm in
der Regierung folgte, und mit der Leda, einer
Tochter des Theſtius ſich vermaͤhlte.


[254]

Die Schoͤnheit der Leda zog den Jupiter von
ſeinem Sitz herab; er ſenkte ſich an den Ufern
des Eurotas in der Geſtalt eines Schwans zu
ihr hernieder, oder nahm vielmehr ſeine Zuflucht
in ihrem Schooße, indem die Venus in der Geſtalt
eines Adlers ihn verfolgte.


Leda, die zugleich vom Jupiter und vom
Tyndareus ſchwanger war, gebahr zwei Eier, wo-
von das eine den Kaſtor und Pollux, das andre
die Klytemneſtra und Helena in ſich einſchloß.


Von den Kindern der Leda, die aus den
Eiern hervorgingen, waren Pollux und Helena
aus Jupiters Umarmung, Kaſtor und Klytem-
neſtra aber vom Tyndareus erzeugt. — Unſterblich
waren Pollux und Helena, Kaſtor und Klytem-
neſtra aber ſterblich.


Ohngeachtet der Verſchiedenheit ihrer Abſtam-
mung waren Kaſtor und Pollux unzertrennlich. —
Beide waren tapfer und heldenmuͤthig; und beide
waren in edler Leibesuͤbung geſchickt; Kaſtor vor-
zuͤglich in der Kunſt zu reiten und Pferde zu baͤn-
digen; Pollux in der Kunſt zu ringen.


Kaſtor und Pollux waren auch die Zeitgenoſ-
ſen der beruͤhmteſten Helden, und begleiteten die
Argonauten auf ihrer Fahrt nach Colchis, wo
Pollux unterwegens den Amykus, einen Sohn
Neptuns, der jeden Fremden zum Gefecht mit
[255] Streitkolben hohnſprechend aufzufordern pflegte,
im Zweikampf ſchlug.


Auch ſahe man einſt auf dieſer Fahrt, bei ei-
nem ſchrecklichen Sturme, zwei Flammen uͤber den
Haͤuptern des Kaſtor und Pollux lodern, als der
Sturm ſich legte; — worauf man dieſe beiden
Feuer, ſo oft ſie nachher den Schiffern auf dem
Meere im Sturm erſchienen, Kaſtor und Pollux
nannte, und von ihnen Rettung und Huͤlfe ſich
verſprach.


Ueberhaupt richtete man in den groͤßten Ge-
fahren, ſowohl zu Waſſer als zu Lande, an den
Kaſtor und Pollux ſein Gebet, welche man beide
unter dem Nahmen der Dioskuren oder der Soͤhne
des Jupiters, als den Nothleidenden zu jeder Zeit
gewaͤrtige, huͤlfleiſtende Weſen, vor allen andern
ehrte.


Da ſie von dem Argonautenzuge wiederkehr-
ten, hatte Theſeus ihre Schweſter die Helena,
welche nachher dem Paris folgte, entfuͤhrt, und
ſie ſeiner Mutter Aethra in Aphidnaͤ zur Aufſicht
uͤbergeben. — Kaſtor und Pollux eroberten die
Stadt, befreieten ihre Schweſter, und nahmen
die Mutter des Theſeus als Gefangene mit; ver-
uͤbten aber nicht die mindeſte Gewaltthaͤtigkeit in
der Stadt noch in dem Attiſchen Gebiete. — Dieſe
ſchonende Großmuth war es, weswegen die
Athenienſer ſie vorzuͤglich ehrten. — Die ſcho-
[256] nende Guͤte, welche die Heldenthaten des Kaſtor
und Pollux begleitete, floͤßte den Sterblichen das
vorzuͤgliche Zutrauen ein, womit man ſie nachher
als Rettung und Huͤlfe gewaͤhrende Goͤtter ehrte.


Aber auch die Treue, womit dieß unzertrenn-
liche Paar ſich ſelber einander in Gefahren bei-
ſtand, machte die goͤttergleichen Helden den
Menſchen zum Gegenſtande der Lieb’ und des Ver-
trauens, und iſt zugleich einer der ſchoͤnſten Zuͤge,
welche die Dichtung in das glaͤnzende Zeitalter der
Helden eingewebt hat.


Als nehmlich Kaſtor und Pollux um die Toͤch-
ter des Leucippus, Phoͤbe und Ilaira, ſich be-
warben, und erſt mit ihren Nebenbuhlern, den
Soͤhnen des Aphareus, Idas und Lynceus,
jeder um ſeine Geliebte kaͤmpfen mußten, wurde
Lynceus zwar vom Kaſtor getoͤdtet, Kaſtor ſelber
aber, der nicht unſterblich war, vom Idas
uͤberwunden und erſchlagen.


Ob nun Pollux gleich den Tod ſeines Bruders
an dem Idas raͤchte, ſo konnte er dennoch den
Todten nicht wieder aufwecken; und flehte dem
Jupiter, ihm ſelber das Leben zu nehmen, oder
zu vergoͤnnen, daß er mit ſeinem Bruder ſeine
Unſterblichkeit theilen duͤrfe.


Jupiter gewaͤhrte die Bitte, und Pollux ſtieg
nun wechſelnd den einen Tag mit ſeinem Bru-
der ins Schattenreich hinab, um ſich des andern
[]

[figure]

[][257] Tages unter dem Antlitz des Himmels wieder mit
ihm des Lebens zu erfreuen.


Dem Kaſtor und Pollux waren haͤufig Tem-
pel und Altaͤre geweiht. — Die Einbildungskraft
ließ ſie zuweilen in großen Gefahren den Sterbli-
chen erſcheinen. — Dann waren es zwei Juͤng-
linge auf weißen Pferden, in glaͤnzender Waffen-
ruͤſtung, mit Flaͤmmchen oder Sternchen uͤber
ihren Haͤuptern.


So wurden ſie gemeiniglich abgebildet, ent-
weder nebeneinander reitend, oder nebeneinander
ſtehend, und jeder ein Pferd am Zuͤgel haltend,
mit geſenkten Lanzen, und Sternchen auf den
Haͤuptern.


Auf dieſe letztre Art ſind ſie auch auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine abgebildet. Auf dieſer Kup-
fertafel befinden ſich, ebenfalls im Umriß, nach
einer antiken Gemme, die bloßen Koͤpfe des Ka-
ſtor und Pollux mit den Sternchen daruͤber.


Jaſon.


Jaſon war aus dem Aeoliſchen Heldenſtamme
entſproſſen, aber kein Goͤtterſohn; und Juno ſel-
ber, welche die Soͤhne des Jupiter mit ihrem Haß
verfolgte, nahm ihn in ihren Schutz. —


R
[258]

Aeolus, Deukalions Enkel, der in Theſ-
ſalien
herrſchte, erzeugte den Salmoneus, Si-
ſyphus, Athamas,
und Kretheus. — Sal-
monens wurde von Jupiters Blitz erſchlagen;
Siſyphus mußte in der Unterwelt fuͤr ſeine Macht
auf Erden buͤßen, und Athamas ſtarb in Raſerei.


Tyro, eine Tochter des Salmoneus, gebahr,
ehe ſie vermaͤhlt wurde, von Neptuns Umar-
mung den Pelias, und Neleus. — Und da ſie
mit ihres Vaters Bruder, dem Kretheus ſich ver-
maͤhlte, gebahr ſie ihm den Aeſon, der ſeinem Vater
in der Regierung folgte, und welcher Jaſon, den
goͤttergleichen Helden, mit der Alcimede erzeugte.


Pelias aber, des Aeſons Bruder von muͤtter-
licher Seite, beraubte dieſen ſeines Throns, ohne ihn
demohngeachtet aus Jolkos zu verjagen, welches
der Sitz der Koͤnige von Theſſalien war. — Den
Jaſon aber, da er kaum gebohren war, ſuchte
Pelias als einen ihm gefaͤhrlichen Sproͤßling von
Aeſons Hauſe, aus dem Wege zu raͤumen.


Aeſon und Alcimede, welche die Abſicht des
Tyrannen merkten, ſtreuten aus, daß Jaſon
krank, und bald darauf, daß er geſtorben ſey,
indeß daß ſeine Mutter ihn auf den Berg Pelion
zu dem weiſen Chiron brachte, welcher, obgleich
in ungeheurer Geſtalt, halb Menſch halb Pferd,
in jeder Wiſſenſchaft erfahren, ſich in ſeiner ein-
ſamen Grotte der Erziehung der jungen Helden
[259] annahm; und unter deſſen Leitung auch Herkules
ſeine edle Laufbahn antrat.


Als Jaſon zu den Juͤnglingsjahren gekommen
war, und ſchon der maͤnnliche Muth in ſeiner
Bruſt erwachte, gieng er, nach dem Ausſpruch
des Orakels, mit der Haut des Leoparden uͤber
ſeinen Schultern, und mit zwei Lanzen bewafnet,
nach Jolkos an des Pelias Hof.


Dem Pelias aber war geweißagt, er ſolle vor
dem ſich huͤten, der einſt mit einem Schuh, und
mit dem andern Fuß entbloͤßt vor ihm erſcheinen
wuͤrde. — Als nun Jaſon auf dem Wege nach
Jolkos uͤber den Fluß Anaurus zu gehen im Be-
griff war, erſchien ihm Juno in der Geſtalt einer
alten Frau, und bat, ſie uͤber den Fluß zu tra-
gen. — Als Jaſon ſie hinuͤbertrug, blieb ihm der
eine Schuh im Schlamme ſtecken, und nun erſchien
er alſo mit dem einen Fuße entbloͤßt in Jolkos
vor dem Pallaſte des Pelias, der bei ſeinem An-
blick mit Schrecken und Beſtuͤrzung an den Aus-
ſpruch des Orakels dachte.


Auf die Frage, wer er ſey, forderte Jaſon
nun vor allem Volke vom Peltas die Krone wie-
der, die dieſer dem Aeſon, Jaſons Vater, un-
rechtmaͤßiger Weiſe entriſſen hatte. — Die Ein-
kuͤnfte des Reichs ſollten dem Pelias dennoch blei-
ben, nur der Oberherrſchaft ſolle er ſich begeben!


R 2
[260]

Pelias, welcher bei dieſem Antrage in die
Seele des jungen Helden blickte, zweifelte nicht,
ihn durch den anſpornenden Reitz zu irgend einer
ruhmvollen That fuͤr jetzt noch zu entfernen. —
Er ſtellte ſich, als ſey er bereit, die Krone nieder-
zulegen, wenn nur die Manen des Phryxus,
der auch vom Aeolus ſtammte, und in dem ent-
fernten Kolchis ſeinen Tod fand, erſt verſoͤhnt,
und das goldne Fließ, was jener dorthin ge-
bracht, erſt wieder erbeutet waͤre.


Dieſer Phryxus, welcher in Kolchis ſtarb,
war nehmlich ein Sohn des Athamas, und des
Aeolus Enkel. — Athamas, der in Boͤotien
herrſchte, hatte mit der Nephele den Phryxus
und die Helle erzeugt, nachher aber mit der Ino,
des Kadmus Tochter, ſich vermaͤhlt, die jene bei-
den Kinder des Athamas mit ſtiefmuͤtterlichem Haß
verfolgte, und ihren Tod beſchloß.


Nephele erſchien ihren Kindern, und ent-
deckte ihnen die Gefahr, worin ſie ſchwebten,
Schlachtopfer von Inos Haß zu werden, wenn
ſie nicht ſchnell die Flucht ergriffen, zu deren Be-
foͤrderung ſchon ein Widder mit goldnem Fell
bereit ſtand, der auf den Wink der Goͤtter den
Phryxus und die Helle uͤber Laͤnder und Meere
auf ſeinem Ruͤcken trug.


Die Fahrt ging gegen Morgen nach dem ent-
fernten Kolchis, wo Aeetes, ein Sohn der Sonne
[261] herrſchte. — Helle, die Schweſter des Phryxus
aber ſank unterwegens in die Fluthen, und das
Meer, wo ſie unterſank, wurde nach ihrem Nah-
men der Helleſpont genannt.


Phryxus langte in Kolchis beim Aeetes an,
wo er den Widder, der ihn trug, den Goͤttern
zum Opfer brachte, und das goldne Fell des Wid-
ders, oder goldne Fließ, als ein koſtbares Hei-
ligthum, in einem geweihten Haine aufhing; er
ſelber vermaͤhlte ſich mit der Tochter des Koͤnigs
und ſtarb im fremden Lande.


Das goldne Fließ in Kolchis, wovon das
Geruͤcht erſcholl, erweckte ſchon lange die Sehn-
ſucht aller, die etwas Koͤſtliches zu erſtreben
wuͤnſchten. Es war im fernen Oſten das, was
in Weſten die goldnen Aepfel der Heſperiden wa-
ren; man dachte ſich darunter etwas, das der
groͤßten Muͤhe, Anſtrengung und Gefahren werth
ſey. — So wie denn uͤberhaupt bei den Alten
das Bild vom Widder und vom hochwolligten Wid-
derfell vorzuͤglich den Begriff des Reichthums in
ſich faßte, wodurch denn auch die Dichtung von
dem goldnen Fließ, in ſo fern man ſich darunter
Reichthum und Schaͤtze dachte, natuͤrlich veran-
laßt wurde.


Das Wunderbare aber, und die weite Ent-
fernung lockte am meiſten den Muth der Helden
an; und Jaſon hatte kaum des Pelias Wort ver-
[262] nommen, ſo war auch ſchon ſein Muth zur ruͤhm-
lichen That entflammt, er verpflichtete ſich das
goldne Fließ zu hohlen, und zu Gefaͤhrten der
kuͤhnen Unternehmung lud er Griechenlands be-
ruͤhmteſte Helden ein.


Die Fahrt der Argonauten.


Zu der Fahrt nach Kolchis wurde aus Fichten
vom Berge Pelion ein Schiff erbaut, das groͤßer als
alle bisherigen, und dennoch leicht zum Segeln war;
weswegen man es Argo, die Schnellſegelnde,
nannte, und diejenigen, welche darauf nach Kol-
chis ſchifften, die Argonauten hießen.


Aus dem Walde zu Dodona, wo die Eichen
wahrſagten, war der Maſt genommen; und man
betrachtete nun die Argo gleichſam als ein beſeel-
tes, mit dem Schickſal einverſtandenes Weſen,
dem man ſich deſto ſicherer anvertrauete. Die
folgenden Nahmen glaͤnzten vorzuͤglich unter der
Zahl der Helden, die den Jaſon begleiteten:


  • Herkules;
  • Kaſtor und Pollux;
  • Kalais und Zetes, die Soͤhne des Boreas;
  • Peleus, der Vater des Achilles;
  • Admet, der Gemahl der Alceſte;
  • Neleus, der Vater des Neſtor;

[263]
  • Meleager;
  • Oroheus;
  • Telamon, der Vater des Ajax;
  • Menoͤtius, der Vater des Patroklus;
  • Lynceus, der Sohn des Aphareus;
  • Theſeus;
  • Pirithous.

Die Vaͤter der beruͤhmteſten Helden, die im
Trojaniſchen Kriege glaͤnzten, ſind auf der Fahrt
nach Kolchis zum Theil noch ſelbſt in bluͤhender
Jugend. — Ein Heldengeſchlecht geht hier voran,
um mit vereinten Kraͤften einen koſtbaren Schatz
den Haͤnden der Barbaren zu entreißen; ſo wie
nachher das zweite Heldengeſchlecht vereint durch
Trojas Zerſtoͤrung den Raub der Schoͤnheit raͤchte.


Bei guͤnſtigem Winde ſegelt nun die Argo
aus dem Hafen von Jolkos in Theſſalien ab. —
Orpheus ſchlug die Harfe, und ſein Geſang be-
lebte den Muth bei drohenden Gefahren; — des
Lynceus ſcharfer Blick durchdrang die fernſte Ge-
gend, — und der ſchiffahrtskundige Tiphys
lenkte mit weiſer Hand das Steuerruder.


Die Fahrt der Argonauten war eine zeitlang
gluͤcklich von ſtatten gegangen, als ſich ploͤtzlich
ein Sturm erhub, der ſie noͤthigte, in den Hafen
von Lemnos einzulaufen. Merkwuͤrdig iſt es,
[264] daß einige der Helden bei dieſem Sturm gelobten,
ſich in die Samothraciſchen Geheimniſſe einwei-
hen zu laſſen; eben ſo wie Herkules, da er zu
der gefahrvollſten Unternehmung in die Unterwelt
hinabſtieg, ſich erſt in die Eleuſiniſchen Geheimniſſe
einweihen ließ.


In Lemnos drohte den Argonauten eine groͤßre
Gefahr, als ſelbſt der Sturm war, der ſie dort-
hin verſchlug. Die Schoͤnheit und die Liebkoſun-
gen der Lemnierinnen feſſelten die Helden, und
verweilten ihre Fahrt nach Kolchis auf eine gerau-
me Zeit.


Kurz vor der Ankunft der Argonauten hatten
nehmlich die Einwohnerinnen von Lemnos alle
Maͤnner auf ihrer Inſel ermordet; nur Hypſi-
pyle
hatte ihrem Vater, dem Koͤnige Thoas, das
Leben erhalten. Der Zorn der Venus gegen die
Lemnierinnen, welche die maͤchtige Goͤttin nicht
gnug verehrten, veranlaßte dieſe ſchreckliche That.


Die zuͤrnende Goͤttin floͤßte den Maͤnnern von
Lemnos, welche mit den Thraciern Krieg fuͤhrten,
eine unuͤberwindliche Abneigung gegen ihre Weiber
ein, ſtatt deren ſie ſich Thraciſche Sklavinnen zu
Beiſchlaͤferinnen waͤhlten; welche Schmach die
Weiber von Lemnos nicht ertrugen, ſondern alle
ihre Maͤnner, die nicht in Thracien zuruͤckgeblie-
ben waren, in einer Nacht im Schlafe ermor-
deten.


[265]

Als nun die Argonauten in Lemnos landen
wollten, ſo widerſetzten ſich ihnen zuerſt die Wei-
ber, weil ſie glaubten, es waͤren ihre aus Thra-
cien ruͤckkehrende Maͤnner, welche den Tod der
Ermordeten raͤchen wollten. Sobald ſie aber
ihren Irrthum einſahen, nahmen ſie die Fremden
mit offnen Armen auf, welche nun zwei Jahr auf
dieſer Inſel blieben, wo Jaſon mit der Hypſipyle
zwei Soͤhne, den Thoas und den Euneus er-
zeugte.


Von Lemnos ſegelten die Argonauten nach
Samothracien, wo die Einweihung in die Ge-
heimniſſe
den Helden zu ihrer gefahrvollen Unter-
nehmung neuen Muth gab. Als ſie bei Troas
landeten, wurden ſie von dem Herkules, der den
Hylas ſuchte, und von dem Telamon, dem Ge-
faͤhrten des Herkules, verlaſſen.


Am Fuße des Dindymus lag die Stadt
Zyzikus, in welcher ein Koͤnig gleiches Nahmens
herrſchte, der die Argonauten, als ſie hier lande-
ten, guͤtig aufnahm, und mit Geſchenken ſie ent-
ließ. Da nun in der Nacht ein Sturm das Schiff
wieder in den Hafen trieb, hielt Cycikus aus Irr-
thum die Landenden fuͤr Feinde, und wurde, da
er ſie angriff, von Jaſon im Gefecht erſchlagen,
der zur Ausſoͤhnung dieſer, obgleich unvorſetzlichen
That, der Mutter der Goͤtter auf dem Berge Dindy-
mus Opfer brachte, und ihr einen Tempel baute.


[266]

Die Argonauten, welche immer nach Oſten
zu ihren Lauf richteten, landeten nun in Bebry-
cien an, wo Amykus herrſchte, der zum Gefecht
mit Streitkolben jeden Fremden aufforderte, und
welchen Pollux im Zweikampf uͤberwand. —


Auf ihrer weitern Fahrt von hier wurden die
kuͤhnen Schiffer durch einen Sturm an die Kuͤſte
von Thracien verſchlagen, und landeten zu Sal-
mydeſſa,
wo der von den Goͤttern beſtrafte wahr-
ſagende und blinde Phineus herrſchte, den un-
aufhoͤrlich die Harpyen, die Toͤchter des Thau-
mas
quaͤlten, deren unter den Erzeugungen der
alten Goͤtter ſchon gedacht iſt.


Phineus war mit einer Tochter des Boreas
vermaͤhlt, mit welcher er zwei Soͤhne erzeugte,
die er dem ſtiefmuͤtterlichen Haß ſeiner zweiten
Gemahlin Idea Preis gab, auf deren Anſtiften
und Verlaͤumdung er ſie des Augenlichts beraubte,
und nun durch ſeine eigene Blindheit fuͤr dieß Ver-
brechen buͤßte, indeß die wahrſagenden Harpyen,
Celaͤno, Aello, und Ocypete, welche ein jung-
fraͤuliches Autlitz hatten, und uͤbrigens graͤßlichen
Raubvoͤgeln gleich geſtaltet waren, dem Phineus
alle Speiſe, die er genießen wollte, entriſſen oder
beſudelten.


Phineus, der in die Zukunft blickte, gab den
Argonauten weiſe Rathſchlaͤge zur Fortſetzung ihrer
Reiſe, und einen Wegweiſer durch die Cyanei-
[267] ſchen
Felſen, oder Symplegaden, deren Durch-
fahrt den Argonauten nun bevorſtand.


Kalais und Zetes, die Soͤhne des Boreas,
welche befluͤgelt waren, verjagten zur Dankbar-
keit die Harpyen von des Phineus Tiſche, und
verfolgten ſie bis an die Strophadiſchen Inſeln,
wo ſie auf den Befehl der Goͤtter von ihrer Ver-
folgung abließen, und zu den Argonauten wieder
zuruͤckkehrten; von welcher Ruͤckkehr auch jene
Inſeln bei den Alten ihren Nahmen fuͤhrten.


Die Cyaneen oder Symplegaden, durch
welche die Argonauten nun ſchiffen mußten, wa-
ren zwei Felſen, die am Eingange des ſchwarzen
Meeres einander gegenuͤber lagen, und nach den
verſchiedenen Richtungen, worin man ſich ihnen
naͤherte, durch einen optiſchen Betrug, ſich bald
zu oͤfnen,
und bald zu ſchließen ſchienen, wo-
her die alte Dichtung entſtand, daß dieſe Felſen
beweglich waͤren, und ſich wirklich ſo wie Schee-
ren auf und zuthaͤten, welches den Durchgang der
Schiffe durch dieſelben aͤußerſt gefahrvoll machte. —
Sehr natuͤrlich iſt daher auch die Dichtung, daß,
ſeitdem die Argonauten die Durchfahrt einmal ge-
wagt hatten, und alſo der optiſche Betrug ent-
deckt war, Neptun dieſe Felſen befeſtigt habe. —


Nach gluͤcklich vollendeter Durchfahrt durch
die Symplegaden, ward nun in dem Gebiet des
Lykus angelandet, welcher, von Geburt ein
[268] Grieche, die Fremdlinge aus ſeinem Vaterlande
mit offnem Arm aufnahm. Hier ſtarb Tiphys,
der Steuermann der Argo, an deſſen Stelle An-
caͤus
trat; worauf die weitere Fahrt nach Kolchis
vor ſich gieng, wo endlich die geweihte Argo,
nachdem ſie lange das Meer durchſchnitten, und
manchen Sturm erlitten hatte, an das gewuͤnſchte
Ufer ſtieß.


Allein hier war es, wo die groͤßte Gefahr
dem Jaſon drohte, wogegen ihn aber auch ſchon
im Voraus die Gunſt der Goͤtter ſchuͤtzte. —


Aeetes nahm die Argonauten nicht unfreund-
lich auf; ſchrieb aber dem Jaſon, der das goldne
Fließ begehrte, ſolche Bedingungen vor, deren
Erfuͤllung er ſelbſt fuͤr unmoͤglich hielt; weil unter
den Gefahren, die er ausgedacht, der kuͤhnſte
Held nothwendig erliegen mußte!


Zuerſt ſollte Jaſon, um den Beſitz des gold-
nen Fließes ſich zu erwerben, zwei flammenath-
mende, dem Vulkan geweihte Stiere an einen
diamantnen Pflugſchaar ſpannen, und reißen da-
mit vier Morgen eines noch nie gepfluͤgten, dem
Mars geweihten Feldes auf. —


Dann ſollte er den Reſt der Drachenzaͤhne
des Kadmus, welche Aeetes beſaß, in die ge-
pfluͤgten Furchen ſaͤen, und die geharniſchten Maͤn-
ner, die aus der furchtbaren Saat erwachſen wuͤr-
den, alle bis auf einen toͤdten; und wenn er das
[269] gethan, den Drachen, der das goldne Fließ be-
wachte, bekaͤmpfen und erlegen.


Medea, eine Tochter des Aeetes, maͤchtig
in Zauberkuͤnſten, hatte kaum den Jaſon erblickt,
als durch den Einfluß und die Veranſtaltung der
Goͤtter, die den Helden ſchuͤtzten, eine zaͤrtliche
Neigung gegen ihn, ſich in ihrem Buſen regte, die
bald bis zur heftigſten Flamme der Leidenſchaft
emporſchoß.


Beim Tempel der Hekate, die maͤchtige Goͤt-
tin anzuflehen, begegneten ſich Jaſon und Medea.
Medea entdeckte dem Jaſon ihre Liebe, und wenn
er ihr Treue ſchwuͤre, verſprach ſie, in den Gefah-
ren, die ihm drohten, ihm maͤchtig beizuſtehen,
und ihm zu helfen, ſein glorreiches Unternehmen
ſicher zu vollfuͤhren.


Jaſon ſchwur ihr Treue; Medea erwiederte
den Schwur, und machte durch ihre Zauberkraft
den Helden unuͤberwindlich, ſie gab ihm einen
Stein, um ihn unter die aufkeimende Saat der
geharniſchten Maͤnner hinzuſchleudern, und gab
ihm Kraͤuter und einen Trank, den Drachen ein-
zuſchlaͤfern.


Als Jaſon mit ſeinen Gefaͤhrten nun am an-
dern Tage, in Gegenwart des Koͤnigs und des
Volks auf dem Felde des Mars erſchien, und man
nun im Begriff war, zuerſt die flammenathmen-
[270] den Stiere loßzulaſſen, ſtand alles ſtumm und
ſchweigend auf den Ausgang harrend. —


Wild und ſchnaubend ſtuͤrzten die Stiere auf
den Helden loß, allein die Zauberkraft, womit
Medea ihn begabt hatte, machte ſie ploͤtzlich zahm;
ſie beugten willig ihren Nacken unter das Joch,
indem ſie Jaſon an den Pflug ſpannte, und auf
dem Felde des Mars die Furchen zog, worin
er die Zaͤhne des Drachen ſaͤte.


Als nun ploͤtzlich die Saat der geharniſchten
Maͤnner aus dem Boden keimte, die alle ihre
Schwerdter gegen den Jaſon kehrten, ſo warf
dieſer in ihre Mitte den bezaubernden Kieſelſtein,
der ihre Herzen verhaͤrtete, daß ſie mit wechſelſei-
tiger Wuth ſich ſelbſt aufrieben, und mit ihren
todten Koͤrpern den Boden deckten, woraus ſie
kaum erſt entſproſſen waren.


Ehe noch der Koͤnig und das Volk von ſeinem
Erſtaunen ſich erhohlte, eilte Jaſon ſchon, den
Drachen einzuſchlaͤfern; er toͤdtete das Ungeheuer,
und triumphirend hielt ſeine Rechte das goldne
Fließ empor. — Siegreich kehrte er nun mit ſeinen
Gefaͤhrten in ſein Schiff zuruͤck. Heimlich in
naͤchtlicher Stille ihres Vaters Haus verlaſſend,
um ihrem Geliebten nachzufolgen, begab ſich
Medea auf das Schiff, das in der Nacht noch
unter Segel ging.


[271]

Aeetes, welcher bald die Flucht ſeiner Tochter
inne ward, verfolgte die ſchnellſegelnde Argo mit
ſeinen Schiffen; als nun beim Ausfluß der Do-
nau, Medea die nahen Segel ihres Vaters er-
blickte, griff ſie zu einem verzweifelten und grau-
ſamen Mittel, um ſich und ihren Geliebten aus
der Gefahr zu retten.


Sie hatte ihren kleinen Bruder Abſyrtus,
gleichſam als Geißel mitgenommen, und da ſie
kein andres Rettungsmittel ſahe, toͤdtete und
zerſtuͤckte ſie ihn; ſtellte Haupt und Haͤnde auf
einem hohen Felſen aus, und ſtreuete die uͤbri-
gen Glieder an dem Ufer hier und da umher, da-
mit durch dieſen jammervollen Anblick, und bei
dem Sammlen der Glieder ſeines Sohnes, der
Vater ſich verweilte, und die Fliehenden zu ver-
folgen abließe. — Um dieſe Frevelthat zu bezeich-
nen, wurden einige kleine Inſeln in dieſer Gegend
nachher die Abſyrtiſchen genannt.


Die Argonauten, denen Phineus gerathen
hatte, ſie ſollten durch einen andern Weg, als
den, welchen ſie gekommen waͤren, in ihr Vater-
land zuruͤckkehren, ſchifften nun die Donau hin-
auf, und da ſie auf dieſem Fluſſe nicht weiter
kommen konnten, laͤßt die Dichtung ſie das leicht-
gebaute Schiff eine Strecke von vielen Meilen
uͤber Berg und Thal, bis an den adriatiſchen
Meerbuſen auf ihren Schultern tragen.


[272]

Als ſie ſich hier nun wieder einſchiften, ließ die
Argo aus der Eiche des Dodoniſchen Waldes fol-
genden Orakelſpruch ertoͤnen: daß ihnen die Ruͤck-
kehr in ihr Vaterland nicht eher beſtimmt ſey, bis
Jaſon und Medea erſt von dem Mord des Abſyr-
tus loßgeſprochen, und durch die auferlegte Buͤßung
ihr Verbrechen ausgeſoͤhnt ſey.


Um dieſer Ausſoͤhnung willen liefen ſie in den
Hafen von Aeea, dem Aufenthalt der Circe,
einer Tochter der Sonne, und Schweſter des
Aeetes ein, die ſich aber weigerte, auf die Bitte
des Jaſon und der Medea, den Mord des Abſyr-
tus durch die gebraͤuchlichen Opfer auszuſoͤhnen,
und ihnen verkuͤndigte, daß ſie nicht eher als auf
dem Vorgebuͤrge Malea ihre Schuld wuͤrden til-
[...]n koͤnnen.


Von hier ſchiften nun die Argonauten, un-
[ter] dem Schutz der Juno,
gluͤcklich durch die
Scylla und Charybdis. — Durch des Orpheus
Ueberredung vermieden ſie die Gefahr, die ihnen
von den Sirenen drohte, und kamen nun auf
der Inſel der Phaͤacier an, wo ſie auf die Flotte
der Kolchier trafen, die hier auf einem andern
Wege den Fiehenden gerade entgegen kam, und
die Medea, wenn ſie dem Jaſon noch nicht ver-
maͤhlt waͤre, wieder zuruͤckverlangten.


Alcinous, der Koͤnig der Phaͤacier, ließ noch
in derſelben Nacht den Jaſon und die Medea die
[273] Gebraͤuche der Vermaͤhlung feiern, und verkuͤn-
digte dieſe Verbindung am andern Morgen den
Abgeordneten von Kolchis, die nun mit ihrer
Flotte wieder den Ruͤckweg nahmen.


Die Argonauten gingen nun wieder unter
Segel, und ſuchten dem Vorgebuͤrge Malea ſich
zu naͤhern, als ploͤtzlich ein Sturm ſie an die Lybi-
ſchen Sandbaͤnke warf, wo ſie in einem der
Seen ſich verwickelt ſahen, als ihnen ein Triton
erſchien, der gegen das Geſchenk eines koͤſtlichen
Dreifußes, den Jaſon im Schiffe mit ſich fuͤhrte,
ihnen einen Weg zu zeigen verſprach, wo ſie der
Gefahr entrinnen koͤnnten.


Jaſon ſchenkte den Dreifuß dem Triton, der
ſich daran ergoͤtzte, und dem Euphemus, eine[r]
von den Argonauten, deſſen Nachkommen uͤb [...]
Lybien herrſchten, als ein bedeutendes Geſche [...]
eine Erdſcholle gab; als dieſe Erdſcholle in der
Folge ins Meer fiel, weißagte Medea dem Eu-
phemus, daß ſeine Nachkommen nun noch nicht
ſobald in Lybien herrſchen wuͤrden.


Endlich langte nun die Argo bei dem Vorge-
buͤrge Malea an, wo nach der Circe Verheißung,
Jaſon und Medea von dem Mord des Abſyrtus
ausgeſoͤhnt, ſich nun das nahe Ende der langen
Reiſe verſprechen durften. — Ohne irgend einen
neuen Unfall liefen die Argonauten gluͤcklich in den
Hafen von Jolkos ein. — Die Argo weihte
S
[274] Jaſon auf dem Corinthiſchen Iſthmus dem Neptun,
und die folgenden Dichtungen laſſen ſie als ein
leuchtendes Geſtirn am Himmel glaͤnzen.


Das goldne Fließ war nun erbeutet, allein
die Abſicht, weswegen Jaſon ſich allen dieſen Ge-
fahren unterzogen hatte, war vereitelt, weil ſein
Vater Aeſon, eben ſo wie Pelias, nun ſchon ein
abgelebter kindiſcher Greiß, der glorreichen Thaten
ſeines Sohnes ſich nicht mehr freuen konnte. —


Und nun war Jaſons erſte Bitte an Medeen,
durch die Gewalt der magiſchen Kraͤfte, wo moͤg-
lich ſeinen Vater zu verjuͤngen.
— Medea
ließ dem Aeſon aus verborgenen Kraͤutern den
neuen Lebensſaft durch alle Adern ſtroͤmen, und
dieſer fuͤhlte ploͤtzlich die Ruͤckkehr ſeiner muntern
Jugend und neue Lebenskraft; indeß die Toͤchter
des Pelias, den Verſuch der Medea thoͤricht
nachahmend, ihren Vater, den ſie auch verjuͤngen
wollten, das Leben raubten, ſo daß dem Aeſon
nun allein die Herrſchaft blieb.


Jaſon begab ſich mit der Medea nach Korinth,
das vormals Ephyra hieß, und vom Aeetes, dem
Vater der Medea, ehe er nach dem fruchtbarern
Kolchis gieng, beherrſcht ward. Medea bemaͤch-
tigte ſich der Regierung fuͤr den Jaſon, welchem,
nachdem er hier zehn Jahr mit ihr verlebt, ſo
wie dem Herkules, Perſeus, und Bellerophon, ein
tragiſches Schickſal noch zuletzt bevorſtand.


[]
[figure]
[][275]

Medeens uͤberdruͤſſig, war Jaſon im Begriff
ſich mit der fuͤrſtlichen Tochter Kreons zu ver-
maͤhlen, uneingedenk der Rache, verachteter Ei-
ferſucht und verſchmaͤhter Treue. Medea ſtellte
ſich ſanft und duldend; ſie ſchickte ſelber der Braut
ein Hochzeitkleid. Kaum hatte dieſe es angelegt,
ſo fuͤhlte ſie ſchon die Flamme ihr Innerſtes ver-
zehren und ſtarb einen qualenvollen Tod. —


Nun ließ Medea ihrer Rache freien Lauf;
auf Kreons Pallaſt ließ ſie Feuer regnen; den
Kreon ſelbſt einen Raub der Flammen werden; —
ermordete ihre beiden Kinder, die Jaſon mit ihr
erzeugt hatte, und eilte darauf in ihren mit Dra-
chen beſpannten Wagen durch die Luͤfte, indem ſie
den Jaſon ſeinem Gram und der Verzweiflung
uͤberließ, die ſeine Tage kuͤrzte, und ihm den Reſt
ſeines Lebens verbitterte.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſind Jaſon
und Medea, ſich einander die Haͤnde gebend, nebſt
Jaſons Waffentraͤger, nach einem antiken Basrelief
aus Winkelmanns Monumenten, abgebildet, indeß
der mit dem Drachen umwundne Lorbeerbaum den
Sieg des Jaſon ſchon im Voraus andeutet, der mit
Medeens Zauberkraͤften ausgeruͤſtet, ſeiner Waf-
fen, die an der Wand haͤngen, nicht mehr bedarf,
und leichtbekleidet ohne Harniſch daſteht. Auf eben
dieſer Tafel iſt, nach einer antiken Gemme, auch
Meleager und der Kopf des Kalydoniſchen Ebers
vor ihm, dargeſtellt.


S 2
[276]

Meleager.


Oeneus, der in Kalydon herrſchte, war ein
Vater beruͤhmter Kinder; der Dejanira, die dem
Herkules vermaͤhlt war; des Meleager, und des
Tydeus, deſſen tapferer Sohn Diomedes im
Trojantſchen Kriege es mit den Goͤttern ſelbſt
im Streit aufnahm. — Dieſer Oeneus hatte das
Ungluͤck, den Zorn der Diana auf ſich und ſein
Land zu laden, weil er beim Opfer ſie vergaß, da
er den uͤbrigen Goͤttern fuͤr den Wachsthum der
Fruͤchte des Feldes dankte.


Diana ſchickte einen ungeheuren Eber in das
Kalydoniſche Gebiet, der die aufkeimende Saat
zernichtete, die Aecker verwuͤſtete, und den Ein-
wohnern des Landes rund umher Tod und Ver-
derben drohte. — Oeneus erbat ſich den Beiſtand
der Helden, dies Ungeheuer zu erlegen; und dies
war wiederum eine Unternehmung, welche, ſo
wie die Fahrt der Argonauten, die gleichzeitigen
beruͤhmteſten Helden Griechenlands vereinte.


Die Kalydoniſche Jagd.


Bei der Jagd des Kalydoniſchen Ebers ver-
ſammleten ſich zum Theil die Helden wieder, die
auf der Fahrt nach Kolchis manche Gefahr zuſam-
men uͤberſtanden hatten. Die beruͤhmteſten von
den Argonauten, welche mit dem Meleager, dem
[277] Sohn des Oeneus, gegen das Ungeheuer kaͤmpf-
ten, waren


  • Jaſon;
  • Kaſtor und Pollux;
  • Idas und Lynceus;
  • Peleus;
  • Telamon;
  • Admetus;
  • Pirithous und Theſeus.

Zu dieſem glaͤnzenden Haufen geſellten ſich die
Bruͤder der Althea, der Vermaͤhlten des Oeneus,
einer Tochter des Theſtius, der in Pleuron
herrſchte; und Atalante, die Tochter des Schoͤ-
neus,
eines arkadiſchen Fuͤrſten, die gleich der
Diana ſelber die Jagd liebte, und ſich dem jung-
fraͤulichen Stande gewidmet hatte.


Atalante verwundete zuerſt mit ihrem Pfeil
den Eber; und nun erlegte Meleager das Unge-
heuer, hieb ihm den Kopf ab, und uͤberreichte
ihn der Atalante, als der Siegerin, die den Preis
in dieſem Kampfe davon getragen hatte. — Die
Soͤhne des Theſtius, Bruͤder der Althaͤa, der
Mutter des Meleager, machten den Preis der
Atalante ſtreitig; und nun erregte Diana, die
ihrem Zorn noch keine Grenzen ſetzte, zwiſchen
dem Meleager und den Soͤhnen des Theſtius ei-
nen Streit, der zu einem blutigen Kriege wurde,
[278] und dieſer Begebenheit einen tragiſchen Aus-
gang
gab.


Meleager toͤdtete im Gefecht ſeiner Mutter
Bruͤder. Als dieſe nun die Leichname der Er-
ſchlagenen erblickte, ſchwur ſie, den Tod der Bruͤ-
der an ihrem eigenen Sohne zu raͤchen. Die
Parzen hatten nehmlich bei der Geburt des Melea-
ger ein Scheit Holz nah an die Flamme auf den
Heerd gelegt, mit dem Bedeuten, daß der Al-
thaͤa Sohn ſo lange leben wuͤrde, als die Flamme
nicht dies Holz verzehrte.


Althaͤa hatte, wie ein koͤſtliches Kleinod, bis
jetzt dies Scheit Holz aufbewahrt; nun warf ſie
es in die lichte Flamme, mit lauten Verwuͤnſchun-
gen gegen ihren Sohn, der ploͤtzlich von verzeh-
render Gluth ſein Inneres ausgetrocknet, ſeine
Gebeine zermalmet fuͤhlte, und unter zuckender
Qual verſchied. — Kaum aber vernahm Althaͤa
die ſchreckliche Wirkung, von dem, was ſie ge-
than, ſo gab ſie aus Reue und Verzweiflung ſich
ſelbſt den Tod.


Atalante.


Auch Atalante freute ſich ihres Sieges nicht
lange; ſie vermied ſo lange ſie konnte, ſich zu ver-
maͤhlen, weil unvermeidliches Ungluͤck in der Ehe,
nach einer Weißagung, ihr bevorſtand. Um nun
die Freier abzuſchrecken, trug ſie jedem, der um
[279] ſie warb, einen Wettlauf an. Dem, welcher
ſie beſiegen wuͤrde, verſprach ſie ſich zu ergeben;
dem Beſiegten aber war der Tod beſtimmt.


Hippomenes, der dieſem gefaͤhrlichen Wett-
lauf ſich unterzog, flehte die Venus um Beiſtand
an, die ihm drei goldne Aepfel ſchenkte, welche
er einen nach dem andern im Laufen fallen ließ,
und als Atalante dieſe Aepfel, ſie bewundernd, auf-
hub, vor ihr das Ziel erreichte. —


Allein Hippomenes vergaß des Dankes, den
er der Venus ſchuldig war, und Atalante mußte,
da ſie mit ihm vermaͤhlt war, zugleich auch ſein
Vergehen gegen die Goͤttin buͤßen, auf deren An-
ſtiften beide ein Heiltgthum der Cybele entweih-
ten, welche mit furchtbarer Gewalt das frevelnde,
durch das Band der Ehe verknuͤpfte Paar,
in Loͤwen verwandelte, die unter einem Joch
ihren Wagen zogen.


Minos.


In der Geſtalt des muthigen Stiers, worin
die Alten gern, als ein Sinnbild der Staͤrke, die
Gottheit huͤllten, entfuͤhrte Jupiter die Europa,
des Agenors Tochter, nach Kreta, wo er den Mi-
nos
mit ihr erzeugte, der, ſeines erhabenen Ur-
ſprungs wuͤrdig, den Voͤlkern Geſetze gab, und
ſie zuerſt zu einem Staate durch weiſe Einrichtung
bildete.


[280]

Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter
geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er,
als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung, dem hor-
chenden Volke bekannt macht. Wegen ſeiner wei-
ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos,
nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman-
thus,
als den gerechteſten Menſchen, das Rich-
teramt uͤber die Todten zu; zu dieſen beiden ge-
ſellte ſie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach
einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein
Wohlthaͤter der Menſchen war.


Minos, des Geſetzgebers Enkel, war ein
tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt, der das mittellaͤn-
diſche Meer von Seeraͤubern befreite, und die
Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte. — Al-
lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle, wodurch ſeine glor-
reichſten Siege ihm vergaͤllt, ſein Leben verbittert
wurde.


Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae,
eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee-
tes. — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen
alten Haß, weil Helios oder die Sonne einſt ihr
Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver-
rathen hatte.


Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier, den
Neptun aus dem Meere ſteigen ließ, eine ſchaͤnd-
liche Liebe ein. — Waͤhrend der Abweſenheit des
[281] Minos beging Paſiphae das unnatuͤrliche Verbre-
chen, und gebahr ein Ungeheuer, halb Menſch
halb Stier, das unter dem Nahmen des Mino-
taurus
zum oͤftern in dieſen Dichtungen auftritt.


Daͤdalus, der kunſtverſtaͤndigſte Bildner
und Baumeiſter, welcher damals lebte, hatte ſich
wegen eines Verbrechens aus Athen nach Kreta
gefluͤchtet; und Minos, um die Schande ſeines
Hauſes den Blicken der Menſchen und dem Antlitz
des Tages zu verbergen, trug dem Daͤdalus auf,
ein unterirdiſches Gewoͤlbe, mit unzaͤhligen irre-
fuͤhrenden Gaͤngen, ihm zu erbauen.


Dieß war das beruͤhmte Labyrinth in deſſen
Mitte der Minotaurus eingeſchloſſen, nur von de-
nen erblickt wurde, die ihm zur Strafe als Opfer
vorgeworfen wurden, und um ihren Tod zu fin-
den, das Labyrinth betraten.


Androgeus, ein Sohn des Minos, war
waͤhrend der Zeit nach Athen gereiſt, um dort,
mit vielen andern Fremden, den Athenienſiſchen
Spielen beizuwohnen, wo er bei allen Kaͤmpfen
den Preis davon trug, und durch den Beifall des
ganzen Volks, den er ſich erwarb, die Eiferſucht
und den Verdacht des kinderloſen Aegeus rege
machte, der damals Athen beherrſchte, und den
hofnungsvollen Sohn des Minos meuchelmoͤrderi-
ſcher Weiſe ermorden ließ.


[282]

Kaum hatte Minos dieß neue Ungluͤck ſeines
Hauſes vernommen, ſo kam er mit ſeiner ganzen
Macht, den grauſamen und ſchaͤndlichen Mord
zu raͤchen. — Zuerſt belagerte er Niſa, wo Ni-
ſus,
ein Bruder des Aegeus herrſchte. — Den
Niſus verrieht ſeine eigne Tochter Scylla, indem
ſie eine gelbe Haarlocke, wodurch er unuͤberwind-
lich war, von ſeinem Haupte ſchnitt, und ſie dem
Minos brachte, gegen den ſie von Liebe entbrannt,
der Pflicht und kindlichen Zaͤrtlichkeit vergaß, und
nach Verdienſt beſtraft wurde, indem ſich Minos
zwar ihres Geſchenks bediente, die Verraͤtherin
aber mit Zorn und Verachtung von ſich ſtieß.


Als Minos die Stadt Niſa, welche nachher
Megara hieß, erobert hatte, ruͤckte er gerade auf
Athen, das ſchon vorher von Duͤrre und Hun-
gersnoth gedruͤckt, der Goͤtter Zorn empfand, und
unter ſeinem traurigen Schickſal ſeufzte.


Als zu dem allen noch das Orakel den Aus-
ſpruch that: die Goͤtter wuͤrden nicht aufhoͤren,
Ungluͤck uͤber die Stadt zu ſchicken, bis dieſelbe dem
Minos fuͤr den Mord ſeines Sohnes, erſt voͤllige
Genugthuung geleiſtet; ſo ſchickten ſie Abgeordnete
an den Koͤnig von Kreta, die ihn in flehender Ge-
ſtalt um Frieden baten.


Die harte Bedingung des Friedens war, daß
die Athenienſer dem Minos jaͤhrlich ſieben der
ſchoͤnſten Knaben, und ſieben der ſchoͤnſten Maͤd-
[283] chen nach Kreta ſchicken mußten, wo ſie um den
Mord des Androgeus abzubuͤßen, als Schlacht-
opfer fuͤr ihr Vaterland, dem Minotaurus zur
Beute wurden.


Als Theſeus endlich den Minotaurus erlegte,
und mit der Ariadne, des Minos Tochter ent-
flohe, ſchloß Minos, da er ſich weiter nicht raͤchen
konnte, den Athenienſer Daͤdalus, nebſt ſeinem
Sohn Ikarus, in das von dem Kuͤnſtler ſelbſt
erbaute Labyrinth. — Dem Daͤdalus aber bot die
Kunſt ein Mittel dar, mit ſeinem Sohn dem
Kerker zu entfliehn.


Kokalus, ein Fuͤrſt in Sicilien, nahm den
Daͤdalus auf; und lud den Minos, welcher kam,
und die Ausliefrung des Daͤdalus verlangte, ſelbſt
zu einer Unterredung ein, ſtellte ſich freundlich
gegen ihn, und bewirthete ihn in ſeinem Hauſe,
wo er hinterliſtiger Weiſe ihn zuletzt im Bade er-
ſtickte. — So fand Minos, der tapfre Krieger,
da er den Kuͤnſtler verfolgte, den die Goͤtter
ſchuͤtzten, in einem fremden Lande ſeinen Tod.


Daͤdalus.


In dem der Minerva geweihten Athen ent-
wickelten ſich zuerſt die bildenden Kuͤnſte, und hatten
unter den Beſchaͤftigungen der Menſchen einen ho-
hen Rang. — Daͤdalus, der aus dem koͤniglichen
[284] Geſchlecht der Erechthiden ſtammte, gab, nach
der Dichtung, den Bildſaͤulen, die er verfertigte,
Leben und Bewegung.


Er war es, der zuerſt die dicht aneinander
geſchloßnen Fuͤße, ſo wie man ſie noch an den
aͤgyptiſchen Bildſaͤulen ſieht, voneinander trennte,
die dicht anliegenden Aerme vom Rumpfe loͤßte,
und ſeinen Bildſaͤulen eine fortſchreitende Stel-
lung gab. — Was Wunder, daß dieſer ganz
neue Anblick jeden in Erſtaunen ſetzte, und die
Sage veranlaßte, daß die Bildſaͤulen des Daͤda-
lus ſich bewegten.


In dieſem erſten Schritt des Daͤdalus in der
Kunſt, lag etwas Hohes und Goͤttliches, das die
Verehrung und Bewundrung der Nachwelt auf
ſich zog, und den Nahmen des Kuͤnſtlers unſterb-
lich machte, der dennoch ſeinen Ruhm durch eine
grauſame und ſchwarze That befleckte.


Unter ſeiner Anfuͤhrung bildete ſich ein Juͤng-
ling, Nahmens Talus, ein Sohn der Schweſter
des Daͤdalus. — Als dieſer einſt mit dem Kinn-
backen einer Schlange ein Stuͤck Holz voneinan-
derſchnitt, kam er auf den Gedanken, die Schaͤrfe
der Zaͤhne im Eiſen nachzuahmen, und ſo erfand
er die Saͤge, eines der nuͤtzlichſten Werkzeuge,
deſſen die Menſchen ſich bedienen. Auch die Er-
findung der Toͤpferſcheibe war das Werk des
Talus.


[285]

Daͤdalus, uͤber die Fortſchritte ſeines Lehr-
lings eiferſuͤchtig, warf einen toͤdtlichen Haß auf
ihn. — Der grauſamſte Kuͤnſtlerneid war ſchon
mit der erſten Entſtehung der Kunſt verwebt. —
Daͤdalus fuͤhrte den Juͤngling auf eine ſteile An-
hoͤhe, wovon er, ehe jener es ſich verſahe, ihn
hinunterſtuͤrzte, und ſo den Talus durch ſeinen
Fall fuͤr die Erfindungen buͤßen ließ, womit er ſei-
nen Meiſter uͤberfliegen wollte.


Als die grauſame That des Daͤdalus kund
wurde, ward er zum Tode verdammt, und mußte
aus Athen entfliehen, worauf er erſt eine Zeitlang
fluͤchtig umher irrte, bis er in Kreta bei dem Koͤ-
nige Minos, dem er das Labyrinth erbaute, eine
Zuflucht fand.


Als Minos aber nachher den Daͤdalus mit
ſeinem Sohn Ikarus in dem von dem Kuͤnſtler
ſelbſt erbauten Labyrinthe gefangen hielt; ſo
ſtrebte die eingehemmte Kunſt, ſelbſt das Unmoͤg-
liche zu verſuchen, und weil nur ein Ausgang nach
oben war, mit angeſetzten kuͤnſtlichen Fluͤ-
geln
ſich in die Luͤfte emporzuheben. Daͤdalus
ſuchte mit klebenden Wachs die Fugen der Fluͤgel
zu verbinden, und legte ſie ſich und ſeinem Sohn
an, den er vorher ſich uͤben ließ, allmaͤlig ſich
emporzuſchwingen.


Als ſie nun die Reiſe durch die Luft antraten,
warnte Daͤdalus ſeinen Sohn, ja nicht zu hoch
[286] im Fluge ſich zu erheben! — Dieſer aber vergaß
der Warnung, — da ſchmolzen ihm die Fluͤgel im
Sonnenſtrahl, und er fand in dem Meere ſeinen
Tod, das man nach ſeinen Nahmen das Ikari-
ſche
nannte. — Daͤdalus, der den Talus ſtuͤrzte,
ſah nun zu ſeiner Qual den Fall ſeines eignen
Sohnes, den er nicht retten konnte.


Er ſelber ließ ſich in Sicilien nieder, wo
Kokalus ihn gaſtfreundlich aufnahm, und ihn
vor der Verfolgung des Minos ſchuͤtzte, dem er
bei einem Beſuch ſogar das Leben raubte, und
auf die Weiſe den Daͤdalus ſicher ſtellte, welcher
zur Dankbarkeit verſchiedne große Werke in dem
Gebiete des Kokalus unternahm; Kanaͤle und
Teiche grub; ein Schloß auf einem Felſen erbaute;
den Gipfel des Berges Eryx ebnete; und zuletzt
eine goldne Kuh, von ihm ſelbſt verfertigt, der
Eryciniſchen Venus weihte.


Geraume Zeit nachher fand man noch Spu-
ren von ſeinen Werken; — ſein Nahme ward
zum Sprichwort, worunter man alles ſinnreich
Erfundne und Kuͤnſtliche mit einemmal begriff. —


Auf einer antiken Gemme, deren Umriß auf
der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſich befindet, iſt
Daͤdalus dargeſtellt, wie er ſitzend und ſinnend
an dem vor ihm ſtehenden kuͤnſtlichen Fluͤgel
noch mit bildender Hand arbeitet. — Auf eben
dieſer Tafel befindet ſich auch, nach einem antiken
[]

[figure]

[][287] geſchnittnen Steine, eine Abbildung des Theſeus,
der einen großen Stein aufhebt, worunter Schuh
und Schwerdt ſeines Vaters verborgen lagen.


Theſeus.


Aegeus, ein Sohn des Athenienſiſchen Koͤ-
nigs Pandion, welchem er in der Regierung folgte,
that, weil er ohne Kinder blieb, eine Reiſe nach
Delphi, um das Orakel des Apollo um Rath zu
fragen. Die Pythia befahl ihm, er ſolle, bis
nach ſeiner Zuruͤckkunft in Athen, alles Umgangs
mit Weibern ſich enthalten; und gerade dieß Ver-
bot bewirkte, daß er zum Gegentheil ſich verlei-
ten ließ.


Er kehrte auf ſeinem Ruͤckwege in Troͤzene,
beim Pittheus, einem Sohn des Pelops ein,
und vermaͤhlte ſich heimlich mit deſſen Tochter
Aethra. — Als Aegeus von Troͤzene abreiſte,
verbarg er unter einem großen Steine ſein
Schwerdt und ſeine Schuhe, und befahl der
Aethra, wenn ſie einen Sohn gebaͤhren ſollte,
denſelben nicht eher zu ihm nach Athen zu ſchicken,
als bis er ſtark genug waͤre, den Stein hinweg-
zuwaͤlzen, worunter ſeines Vaters Schwerdt und
Schuhe verborgen lagen.


Aethra gebahr den Theſeus, der unter des
weiſen Pittheus Aufſicht vom Chonidas erzogen
[288] ward; die Athenienſer verehrten in der Folge, ſo oft
ſie das Feſt des Theſeus feierten, auch das Andenken
von dieſem Chonidas dem Erzieher des Helden.


Als Theſeus erwachſen war, fuͤhrte ihn ſeine
Mutter zu dem Steine, woran ſeine Staͤrke ſich
pruͤfen ſollte, und welchen er aufhob und darunter
das Schwerdt und die Schuh ſeines Vaters fand,
ſo wie die obige Abbildung ihn darſtellt. — Das
Steinaufheben iſt bedeutend in den Dichtungen
von der Heldenzeit, und wird beſtaͤndig als ein
Merkmahl von der Staͤrke angefuͤhrt, wodurch
das damalige Geſchlecht der Menſchen ſich von den
folgenden ſchwaͤchern Erzeugungen unterſchied.


Als Theſeus nun ſeine Reiſe nach Athen an-
trat, ſo waͤhlte er, durch das Beiſpiel des Her-
kules angefeuert, den gefaͤhrlichſten Weg zu Lan-
de, wo er mit Raͤubern kaͤmpfen mußte, die die
Straßen unſicher machten, und auf eine grauſame
Weiſe die Fremden behandelten, die ſie in ihre
Gewalt bekamen.


Ob nun Theſeus gleich den Herkules ſich zum
Muſter nahm, ſo unterſcheidet er ſich dennoch
durch eine gewiſſe Feinheit der Zuͤge in ſeinem We-
ſen, von jenem rohen Thebaniſchen Helden, der
als ein koloſſaliſches Sinnbild von Koͤrperkraft
und unuͤberwindlicher Staͤrke, uͤberall in den
Dichtungen auftritt, und in dem Ausdruck dieſer
Kraft auch durch die bildende Kunſt ſich darſtellt,
[289] welche dem Theſeus einen ſchlankern Wuchs und
feinere Zuͤge giebt.


Als Theſeus, mit ſeines Vaters Schwerdt
bewafnet, von Troͤzen auf den Iſthmus zuwan-
dernd, durch die Laͤnder von Epidaurus kam,
ſtieß er zuerſt auf den wegen ſeiner Grauſamkeit
beruͤchtigten Periphetes, der bei ſelner Rieſen-
ſtaͤrke bloß mit einer Keule bewafnet, den Reiſen-
den furchtbar war; als er es wagte, den Theſeus
anzugreifen, ſchlug dieſer ihn zu Boden und toͤd-
tete ihn, und trug nachher beſtaͤndig, zum An-
denken ſeines erſten Sieges, die Keule des Peri-
phetes.


Da er nun auf dem Iſthmus von Korinth
anlangte, mußte er mit einem noch grauſamern
Moͤrder, dem Sinnis kaͤmpfen, den man den
Fichtenbeuger nannte, weil er die Fremden zwi-
ſchen zwei zur Erde gebeugten und ſchnell wieder
in die Hoͤhe fahrenden Fichten feſtgebunden, zu
ſeiner Luſt zu zerreißen pflegte. Als Theſeus ihn
uͤberwunden hatte, ließ er mit der von dem Moͤr-
der ſelbſt erfundnen Todesart, ihn fuͤr ſeine Grau-
ſamkeit und ſeinen Frevel buͤßen.


Auch befreite Theſeus die Laͤnder, durch wel-
che er reiſte, von Ungeheuern, und toͤdtete unter
andern die Krommyoniſche Sau, welche dem
ganzen Lande furchtbar, uͤberall Schaden ſtiftete
und die Aecker verwuͤſtete. — Als er hierauf an
T
[290] die Graͤnzen von Megara kam, uͤberwand er
den Skiron, und ſtuͤrzte ihn von demſelbigen
ſteilen Fels ins Meer, von welchem dieſer Tyrann
die Reiſenden, die vorbeikamen, hinunter zu ſtuͤr-
zen pflegte.


In Eleuſis mußte Theſeus mit dem Kerkyon
kaͤmpfen, den er uͤberwand und toͤdtete; und als
er nicht weit davon in Hermione anlangte, be-
ſiegte er den Damaſtes, den man wegen der
beſondern Art von Grauſamkeit, womit er die
Fremden mißhandelte, den Ausdehner oder
Prokruſtes nannte.


Dieſer Prokruſtes hatte nehmlich zwei eiſerne
Betten von verſchiedner Laͤnge, worinn er die
Fremden legte. Die kurzen Perſonen legte er in
das lange, und dehnte ihre Koͤrper mit Gewalt
bis zu der Laͤnge des Bettes aus; die langen Per-
ſonen legte er in das kurze, und was uͤber die Laͤnge
des Bettes reichte, hieb er von ihren Fuͤßen ab.


Es ſcheint, als wolle dieſe Dichtung die Ver-
letzung des Gaſtrechtes in ihrem haſſenswuͤrdigſten
Lichte darſtellen; denn man kann ſich nichts Grau-
ſamers denken, als daß ſelbſt die Lagerſtaͤtte, die
den muͤden Wandrer erquicken ſollte, von dem Ty-
rannen zur Folterbank gemacht wurde.


Die Heiligkeit des Gaſtrechts war es, unter
deſſen Schutz die Menſchen zuerſt einander ſich mit-
theilen, und wechſelſeitig ſich bilden konnten. Die
[291] Stoͤrer dieſes heiligen Gaſtrechts zu vertilgen, iſt
das Werk der Helden, welche Wohlthaͤter der
Menſchen ſind, wie Theſeus war, der den Pro-
kruſtes erſt die von ihm ſelbſt erfundne Marter
dulden ließ, und dann von dieſem Ungeheuer die
Erde befreite.


Als Theſeus nun in Athen anlangte, erkannte
ihn Aegeus an dem Schwerdt und Schuhen fuͤr
ſeinen Sohn, woruͤber die Soͤhne des Pallas
eines Bruders des Aegeus, die ſchon mit der
Hoffnung dem kinderloſen Aegeus in der Regie-
rung zu folgen ſich geſchmeichelt hatten, einen Auf-
ruhr erregten, den aber Theſeus in ſeiner Entſte-
hung daͤmpfte.


Nun war es gerade das dritte Jahr, in wel-
chem die Athenienſer dem Minos, wegen der Er-
mordung ſeines Sohns Androgeus, den traurigen
Tribut bezahlen mußten, der darin beſtand, ſie-
ben der ſchoͤnſten Juͤnglinge oder Knaben, und
ſieben der ſchoͤnſten Maͤdchen, aus edlem Blut
entſproſſen, nach Kreta uͤberzuſchiffen, wo ſie im
Labyrinth dem Minotaurus zur Beute wurden.
So lange dieß Ungeheuer nicht erlegt war, hatten
die Athenienſer keine Befreiung von dem traurigen
Tribut zu hoffen.


Als nun die Juͤnglinge und Maͤdchen ſchon
das Todes-Looß gezogen hatten, und zu Schlacht-
opfern fuͤr dieß Jahr beſtimmt, eingeſchifft wer-
T 2
[292] den ſollten, bot ſich Theſeus freiwillig zum Opfer
fuͤr ſein Vaterland in die Zahl der uͤbrigen Juͤng-
ilnge dar, weil er, in Ahndung ſeiner Helden-
kraft, den Minotaurus zu erlegen hoffte.


Vor der Abreiſe that Theſeus dem Apollo ein
Geluͤbde, jaͤhrlich zu ſeinem Tempel ein Schiff mit
Opfern und Geſchenken nach der Inſel Delos zu
ſchicken, wenn ihm ſein Unternehmen gluͤckte.
Als er nun auch noch das Orakel befragte, gab
dieſes ihm zur Antwort, er werde dann gluͤcklich
ſeyn, wenn er die Liebe zur Fuͤhrerin waͤhlte.


Mit ſeinem Vater traf Theſeus noch vorher
die Abrede, daß, bei der Ruͤckkehr des Schiffes,
ſtatt des ſchwarzen ein weißes Seegel den gluͤckli-
chen Ausgang des Unternehmens ihm verkuͤndigen
ſollte.


Bald langte nun das Schiff mit guͤnſtigem
Winde in Kreta an, und kaum waren die uͤber-
ſandten Opfer dem Minos vorgeſtellt, als Ariad-
ne,
des Minos Tochter, ihre Blicke auf den
Theſeus warf, deſſen Heldenwuchs und Schoͤn-
heit auf die Koͤnigstochter einen unausloͤſchlichen
Eindruck machte.


Nun waͤhlte auch Theſeus, nach dem Aus-
ſpruch des Orakels, die Liebe zur Fuͤhrerin, in-
dem er aus den Haͤnden der Ariadne den Knaͤul
empfing, der ihm einen ſichern Ausgang aus dem
Labyrinth verſchafte. Mit dem Faden der Ariadne
[293] in der Hand, ſtieg er nun muthig mit ſeinen Ge-
faͤhrten in die unterirrdiſche Woͤlbung nieder, bis
er ſelbſt an den Aufenthalt des Minotaurus kam,
mit dem er ſich in Kampf einließ, und ihn mit
Huͤlfe der Rathſchlaͤge Ariadnens uͤberwand.


Da nun dieß Ungeheuer erlegt war, ſo wa-
ren die Athenienſer auch von dem Tribut befreit,
und ihre zum Tode beſtimmten Soͤhne und Toͤch-
ter dankten dem Theſeus nun ihr Leben. So
ſtellt ein Gemaͤhlde im Herkulanum den Helden
dar, wie zarte Knaben, die dem Tode geweiht
waren, die Haͤnd’ ihm kuͤſſen, und zaͤrtlich ſeine
Knie umſchlingen.


Ariadne entfloh mit ihrem geliebten The-
ſeus; — ſie landeten auf Naxos, wo Theſeus
auf den Befehl der Goͤtter ſie verließ, weil Ariad-
nens Reitze den Bachus ſelber gefeſſelt hatten, der
hier die einſame verlaßne Schoͤne unter naͤchtli-
chem Himmel ſchlummernd fand, und da ſie er-
wachte, zum Zeichen ſeiner Gottheit die Krone
von ihrem Haupte gen Himmel warf, wo ſie als
ein leuchtendes Sternbild glaͤnzte, und Zeuge der
Vermaͤhlung der Ariadne und des Bachus war.


Ehe nun Theſeus nach Athen zuruͤckkehrte,
ſeegelte er, um dem Apollo ſein Geluͤbde zu bezah-
len, naͤch der Inſel Delos, wo er zugleich der
Venus, wegen des Beiſtandes, den ſie ihm ge-
leiſtet, eine vom Daͤdalus verfertigte Bildſaͤule
[294] weihte. Und um das Andenken ſeines Sieges
uͤber den Minotaurus zu erhalten, ſtiftete Theſeus
auf dieſer Inſel einen Tanz, worinn man die
Kruͤmmungen des Labyrinths nachahmte.


Mit der groͤßten Sorgfalt beobachteten die
Athenienſer ſtets nachher dieß heilige Geluͤbde.
Mit demſelbigen Schiffe, auf welchem Theſeus
aus Kreta wiederkehrte, ſchickten ſie jaͤhrlich
Abgeordnete, mit Oehlzweigen bekraͤnzt, nach
der Inſel Delos. Auch ſuchten ſie das hei-
lige Schiff gleichſam unvergaͤnglich zu erhalten,
indem ſie es nie mit einem neuen vertauſchten,
ſondern durch immer neuen Zuſatz, was die Zeit
davon zerſtoͤrte, zu ergaͤnzen ſuchten, um ſich die
Vorſtellung zu erhalten, daß dieſes daſſelbe
Schiff ſey, welches den Theſeus trug.


Auch war es nicht erlaubt, ſo lange dieß
Schiff auf ſeiner Fahrt nach der Inſel Delos un-
terwegens blieb, in Athen die Verurtheilten hin-
zurichten. Denn da durch dieß Geluͤbde die Ret-
tung der Athenienſiſchen Jugend gefeiert wurde,
ſo durfte man waͤhrend der Zeit dem Tode kein
Opfer bringen.


Von Delos ſegelte Theſeus nun gerade auf
Athen, die Bothſchaft der frohen Begebenheit zu
bringen, welche dennoch nicht ohne einen tragi-
ſchen Ausgang
blieb. Da nehmlich Aegeus
von einem Felſen mit aͤngſtlicher Beſorgniß dem
[295] kommenden Schiffe entgegen ſahe, und das
ſchwarze Segel erblickte, welches der Steuer-
mann mit dem weißen zu vertauſchen aus der Acht
gelaſſen, ſtuͤrzte er ſich voll Verzweiflung, weil er
nun alles fuͤr verlohren hielt, vom Felſen in das
Meer herab, welches nachher nach ſeinem Nah-
men das Aegeiſche hieß.


Den Theſeus empfingen die Athenienſer mit
lautem Jubel, als ihren Schutzgott, dem ſie
allein ihre Rettung dankten. — Als Theſeus
nun in der Regierung dem Aegeus folgte, nutzte
er die Liebe des Volks dazu, um einer weiſen Ge-
ſetzgebung Eingang zu verſchaffen.


Er ſchuf zuerſt den Staat, indem er das zer-
ſtreute Volk, ſo viel wie moͤglich, in eine einzige
Stadt zu verſammlen ſuchte, und es in Klaſſen
theilte. Auch ſetzte er, im Einverſtaͤndniß mit
den benachbarten Voͤlkern, dem Attiſchen Gebiete
ſeine feſten Grenzen. — Und weil es ihm gelungen
war, nach ſeiner Einſicht das Volk zu lenken, ſo
fuͤhrte er zuerſt den Dienſt der Pitho, der Goͤt-
tin der Ueberredung, ein.


Großmuͤthig begab er darauf ſich ſelbſt des
groͤßten Theils ſeiner Gewalt, weil er ſchon da-
mals, nach einem Orakelſpruch, Athen zu einem
Freiſtaat zu bilden ſuchte. — Zu Ehren des
Neptun, den das Geruͤcht fuͤr ſeinen Vater aus-
gab, erneuerte er auch die Iſthmiſchen Spiele,
[296] zu welchen man aus ganz Griechenland ſich ver-
ſammlete, und wodurch die Mittheilung und
wechſelſeitige Bildung der Voͤlker vorzuͤglich mit
befoͤrdert ward.


Demohngeachtet ruhte Theſeus auch von den
kriegriſchen Geſchaͤften nicht. Als er den Herkules
begleitete, und ihm beim Fluſſe Thermodon die
Amazonen beſiegen half, vermaͤhlte dieſer ihm zur
Dankbarkeit die gefangne Koͤnigin Antiope, mit
welcher Theſeus den Hippolyt erzeugte. — Die
Amazonen fielen hierauf ins Attiſche Gebiet, wo
Theſeus ſie zum zweitenmal beſiegte.


Einen liebenswuͤrdigen Zug in der Geſchichte
des Theſeus, macht noch die unzertrennliche
Freundſchaft
aus, die zwiſchen ihm, und dem
Pirithous herrſchte. Dieſer Pirithous war ein
Theſſaliſcher Fuͤrſt, und herrſchte uͤber die Lapi-
then.
Seine Freundſchaft mit dem Theſeus war
entſtanden, da ſie einſtmals, ein jeder eiferſuͤchtig
auf des andern Ruhm, im Zweikampf ihre Staͤrke
und Tapferkeit verſuchten, und auf einmal von
wechſelſeitiger Achtung und Zuneigung angezogen,
dem Streit ein Ende machten, und Hand in Hand
ein unzertrennliches Buͤndniß knuͤpften.


Keine Gefahr war nun ſo groß, worin die
Helden ſich nicht einander zur Seite ſtanden. —
Pirithous war in einen Krieg mit den Centau-
ren,
einem Theſſaliſchen Volke, verwickelt, welche
[297] die Dichtung, weil ſie zuerſt beſtaͤndig zu Pferde
ſtritten, gleichſam wie an das Roß gewachſen, halb
als Menſchen, halb als Pferde, darſtellt.


Als Pirithous nun mit der Hippodamia ſich
vermaͤhlte, lud er außer dem Herkules, Theſeus,
und mehrern beruͤhmten Helden, bei einem Waf-
fenſtillſtande, auch die Centauren zu ſeinem Hoch-
zeitmahle, welche zuletzt vom Wein erhitzt, noch
waͤhrend dem Gaſtmahl einen Streit anhuben,
und die Hippodamia ſelber zu entfuͤhren drohten,
wenn Herkules und Theſeus nicht dem Pirithous
tapfer beigeſtanden, und der Centauren Ueber-
muth beſtraft haͤtten, die von dieſer Zeit an in
jedem Treffen die Flucht ergriffen, bis ſie zuletzt
vom Herkules, Pirithous und Theſeus gaͤnzlich
beſiegt und geſchlagen wurden. — Dieß iſt der
beruͤhmte Streit der Centauren und Lapithen,
worauf die Dichtkunſt und die bildende Kunſt der
Alten oft verweilt.


Auch die Gegenſtaͤnde ihrer zaͤrtlichen Wuͤnſche,
halfen ſie ſich einer fuͤr den andern mit erſtreiten.
Pirithous half dem Theſeus die Helena entfuͤhren,
welche dieſer ſeiner Mutter Aethra in Aphidnaͤ
zur Aufſicht uͤbergab, um wieder dem Pirithous
beizuſtehen, der nach dem Tode der Hippodamia,
um gleichſam an dem Pluto ſich zu raͤchen, ent-
ſchloſſen war, die Proſerpina ſelber aus der Un-
terwelt zu entfuͤhren. — Eine Dichtung, die ſehr
[298] bedeutend ein Unternehmen bezeichnet, mit welchem
unvermeidliche Todesgefahr verknuͤpft iſt. —


Theſeus, ſeinem Freunde bis in den Tod ge-
treu, ſtieg mit ihm in das Reich der Schatten;
wo Pluto, als die vermeßne That mißlang, die
beiden an Ketten gefangen hielt; bis Herkules in
der Folge den Cerberus baͤndigte, und zugleich die
Bande des Theſeus loͤßte; den Pirithous aber zu
befreien, vergebens ſeine Macht anwandte, ſo
daß nun doch der Tod das treuſte Freundſchafts-
buͤndniß trennte.


Von nun an huben auch die Ungluͤcksfaͤlle des
Theſeus an, die den Reſt ſeiner Tage ihm verbit-
terten. Ihn traf das Schickſal der groͤßten Hel-
den, deren ruhmvolles Leben ein tragiſcher Aus-
gang ſchloß. Als er nach Athen zuruͤckkam, fand
er das undankbare und unbeſtaͤndige Volk durch
ſeine Feinde gegen ſich aufgewiegelt.


Hierzu kam noch haͤusliches Ungluͤck. — Nach
dem Tode der Antiope hatte Theſeus mit der
Phaͤdra, einer Tochter des Minos, und Schwe-
ſter der Ariadne ſich vermaͤhlt. — Der Haß der
Venus gegen die Paſiphae verfolgte auch ihre Toch-
ter, der ſie eine ſtrafbare Liebe zum Hippolytus,
dem mit der Antiope erzeugten Sohn des Theſeus
einfloͤßte.


Als aber der Juͤngling ihrem Antrage kein
Gehoͤr gab, verwandelte ſich ihre verſchmaͤhte Liebe
[299] in Haß; und ſie verlaͤumdete den Hippolyt beim
Theſeus, als habe er ſelber ſie zur Untreue ver-
leiten wollen.


Theſeus, von ſchnellem Zorn entbrannt, er-
innerte ſich, daß ihm Neptun verheißen, den
naͤchſten Wunſch, den er thun wuͤrde, zu gewaͤh-
ren; und nun verwuͤnſchte Theſeus ſeinen Sohn,
der grade um dieſe Zeit am Ufer des Meers mit
ſeinen Roſſen den Wagen lenkte.


Kaum war der Fluch uͤber Theſeus Lippen ge-
kommen, ſo ſtieg ein Meerungeheuer aus der Tiefe
empor, vor deſſen Anblick des Hippolytus Pferde
ſcheuten, und den Ungluͤcklichen ſchleiften und zerriſ-
ſen. Als Phaͤdra dieß vernahm, gab ſie ſich ſelbſt
den Tod, und Theſeus, der zu ſpaͤt die Unſchuld
ſeines Sohns erfuhr, war der Verzweiflung nahe.


Die Unzufriedenheit des Volks war waͤhrend
der Zeit noch hoͤher geſtiegen, und Theſeus end-
lich des Undanks muͤde, verbannte ſich ſelber aus
Athen, und ſprach, ehe er ſich zur Abreiſe ein-
ſchifte, an einem Orte, der nachher der Ort der
Verwuͤnſchungen hieß, gegen die Athenienſer die
bitterſten Fluͤche aus.


Er glaubte nun auf der Inſel Scyrus ſeine
uͤbrigen Tage in Ruhe zu verleben; allein der
verraͤthriſche Lykomedes, welcher in Scyrus
herrſchte, verletzte aus Furcht vor des Theſeus
Feinden, das heilige Gaſtrecht. — Unter dem
[300] falſchen Vorwande, ihm die Inſel zu zeigen,
fuͤhrte Lykomedes den Theſeus auf eine ſteile An-
hoͤhe, und ſtuͤrzte, ehe dieſer es ſich verſahe, ihn
von dem ſteilen Felſen herab. — So fiel der Held,
dem Griechenland Ruhe und Sicherheit, ſein Va-
terland ſeine Rettung dankte.


Nach ſeinem Tode bauten die Athenienſer dem
Theſeus Tempel und Altaͤre, verehrten ihn wie
einen Halbgott, brachten ihm Opfer dar, und
ſtifteten Feſte ihm zu Ehren. — Man fand in
der Folge in Scyrus des Theſeus Sarg, der durch
ſeine Groͤße die damals Lebenden in Erſtaunen
ſetzte. — Ein Tempel des vergoͤtterten Theſeus
in Athen, hieß das Theſeum, worin die Thaten
des Helden geſchildert waren. — So ehrte die
ſpaͤtere Nachwelt das Andenken jenes goͤtteraͤhnli-
chen Geſchlechts der Menſchen, bei denen der
Prometheiſche Funken, der in ihrem Buſen gluͤhte,
zur hellen Flamme emporſchlug.


[301]

Die Weſen, welche das Band
zwiſchen Goͤttern und Men-
ſchen knuͤpfen.


So wie die Dichtung vom Himmel zur Erde nieder
ſteigt, vervielfaͤltigen ſich die Goͤttergeſtalten. —
Die Einbildungskraft belebt die Quellen, Haine,
und Berge. — Unter dem Bilde der Gottheit
wird zuletzt die ganze lebloſe Natur geweiht, in
welche der Menſch ſo innig ſich verwebt fuͤhlt, und
ſich ſo nahe an ſie ſchließt, daß durch dieß Band
die Goͤtter- und Menſchenwelt, ein ſchoͤnes Ganze
wird.


Genien.


Die Genien, oder Schutzgoͤtter der Menſchen
waren es vorzuͤglich, wodurch, in der Vorſtellung
der Alten, die Menſchheit ſich am naͤchſten an die
Gottheit anſchloß. Die hoͤchſte Gottheit ſelber
vervielfaͤltigte ſich gleichſam durch dieſe Weſen, in
ſo fern ſie uͤber jeden einzelnen Sterblichen wach-
[302] te, und ihn, von ſeiner Geburt an bis zum Tode,
an ihrer Hand durchs Leben fuͤhrte. — In dieſem
ſchoͤnen Sinne war es, daß die Maͤnner bei ihrem
Jupiter, und die Frauen bei ihrer Juno ſchwu-
ren, indem ſie unter dieſer Benennung ſich ihren
eigenen Genius, oder ihre beſondre ſchuͤtzende
Gottheit dachten.


An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih-
rem Genius Opfer, der unter der Geſtalt eines
ſchoͤnen Juͤnglings abgebildet war, deſſen Haupt
ſie mit Blumen umkraͤnzten. —


Ein jeder verehrte auf die Weiſe, durch ein
zartes Gefuͤhl gedrungen, in ſich etwas Goͤttli-
ches
und Hoͤheres, als er, in ſeiner Beſchraͤnkt-
heit und Einzelnheit, ſelber war; und dem er
nun, wie einer Gottheit, Opfer brachte, und
gleichſam durch Verehrung das zu erſetzen ſuchte,
was ihm an deutlicher Erkenntniß ſeines eigenen
Weſens und ſeines goͤttlichen Urſprungs abging.


Nach einer andern Dichtung, ſind die See-
len der Verſtorbnen, aus dem goldnen Zeitalter
der Menſchen, als untadliche in die Gottheit uͤber-
gegangne Weſen, die Schutzgoͤtter der Lebenden.


Muſen.


Die Dichtung laͤßt dieſe himmliſchen Weſen
vom Jupiter und der Mnemoſyne abſtammen. —
[303] Mnemoſyne, deren in der Reihe der alten Gott-
heiten
ſchon gedacht iſt, war eine Tochter des
Himmels und der Erde, und eine Schweſter
des Saturnus. — Durch die himmliſchen Ein-
fluͤſſe, welche bei ihrer Bildung mit den irdiſchen
ſich vermaͤhlten, ward zuerſt die Erinnrungs-
kraft,
die Mutter alles Wiſſens und Denkens,
in ihr gebohren. — Neun Naͤchte lang umarmte
Jupiter die Mnemoſyne, als er die Muſen mit
ihr erzeugte.


Einer der aͤlteſten Dichter ſingt das Lob der
Muſen: ſie gießen auf die Lippen des Menſchen,
welchem ſie guͤnſtig ſind, den Thau der ſanften
Ueberredung aus; ſie geben ihm Weisheit, Recht
zu ſprechen, Zwiſte zu ſchlichten, und machen ihn
unter ſeinem Volke beruͤhmt. — Den Dichter
aber lehren ſie ſelbſt auf Bergeshoͤhen, und im
einſamen Thale, die goͤttlichen Geſaͤnge, welche
jedem, der ſie vernimmt, die Sorgen und den
Kummer aus der Bruſt verſcheuchen.


Die Nahmen der neun Schweſtern bezeichnen
Tonkunſt, Freude, Tanz, Geſang, und Liebe;
ſie heißen:


  • Klio;
  • Melpomene;
  • Thalia;
  • Kalliope;

[304]
  • Terpſichore;
  • Euterpe;
  • Erato;
  • Urania;
  • Polyhymnia.

Muſik, Geſang und Tanz ſind eigentlich das
Geſchaͤft der Muſen; in der Folge hat die ſpie-
lende Dichtung einer jeden irgend eine beſondre
Beſchaͤftigung zugetheilt: ſo iſt nun Klio die
Muſe der Geſchichte; Kalliope des Heldenge-
dichts; Melpomene die tragiſche, Thalia die
komiſche Muſe; auf Polyhymniens Lippen
wohnt die Beredtſamkeit; Uraniens Blick gen
Himmel mißt und umfaßt den Lauf der Sterne.
Die uͤbrigen drei, Euterpe, Terpſichore und
Erato, theilen ſich in Muſik, Geſang und
Tanz. — Euterpe ſpielt die Floͤte; Terp-
ſichore
tanzt; Erato ſingt der Liebe ſuͤße Lie-
der. — Doch werden die beſondern Beſchaͤftigun-
gen der Muſen in den Dichtungen oft verwechſelt.


So wie die Alten uͤberhaupt die Goͤtter des
Himmels gern nach ihren Wohnplaͤtzen unter den
Menſchen zu benennen pflegten, ſo erhielten auch
die Muſen von den Bergen, die ſie bewohnten,
und von den Quellen, die dieſen Bergen entſtroͤm-
ten, wohltoͤnende Nahmen, womit die Dichter
ihren Beiſtand ſich erflehten.


[305]

Der vorzuͤglichſte Aufenthalt der Muſen wa-
ren die beruͤhmten Berge: Parnaſſus, Pindus,
Helikon.
Auf dem Gipfel des Helikon entſprang
vom Fußtritt des Pegaſus die begeiſternde Hip-
pokrene
und Aganippe. — Am Fuße des Par-
naſſus ſtroͤmte der Kaſtaliſche Quell; auch die mit
immerwaͤhrender Fuͤlle ſich ergießende Pimplea,
auf einem Berge, gleiches Nahmens, war den
Muſen heilig, auf deren Lippen nie der Strom des
ruͤhmenden Geſanges und der ſuͤßen Rede verſiegte.


Pierinnen hießen die Muſen von Pierien,
wo die Dichtung ihren Geburtsort hin verſetzte. —
Apollo ſchließt ſich unter den himmliſchen Goͤttern
dem Chor der Muſen am naͤchſten an. — Unter
ſeinem Vorſitz auf dem Gipfel des Parnaß ertoͤnt
ihr Saitenſpiel. — Die bildende Kunſt der Alten
ſtellt ſogar zuweilen den Apollo unter den Muſen
in reitzender Schoͤnheit weiblich gekleidet dar. —
Apollo, der unter dem Nahmen Muſagetes,
den Chor der Muſen anfuͤhrt, iſt eine der ſchoͤn-
ſten Dichtungen des Alterthums, woran auch die
bildende Kunſt der neuern ſich verſucht hat. —


Merkwuͤrdig iſt es, daß auch Herkules un-
ter dem Nahmen Muſagetes, als der Anfuͤhrer
der Muſen, bei den Alten verehrt wurde, und man
auf die Weiſe der Koͤrperkraft, und den Leibesuͤbun-
gen die geiſtigen Vorzuͤge zugeſellte, und beide ſich
unter einem Sinnbilde dachte.


U
[306]

Einſt wurden die Muſen von den Sirenen
zum Wettſtreit im Singen aufgefordert, und als
ſie jene mit leichter Muͤhe beſiegten, ſo war die
Strafe der Vermeßnen, daß die Muſen ihnen die
Federn aus den Fluͤgeln rupften, und ſolche nach-
her zum Zeichen ihres Sieges auf den Koͤpfen tru-
gen. Man findet daher die Muſen zum oͤftern
mit dieſem Hauptſchmuck gebildet.


Auf einem alten Denkmale iſt eine Sirene
dargeſtellt, bis auf die Mitte des Leibes wie eine
Jungfrau, nach unten zu wie ein Vogel geſtaltet,
mit großen Fluͤgeln auf dem Ruͤcken, zwei Floͤten
in den Haͤnden, und ſich betruͤbt nach der Muſe
umſehend, welche ſtolz auf ihren Sieg, mit der
einen Hand den Fluͤgel der Sirene haͤlt, indeß ſie
mit der andern ihr die Federn ausrupft.


Der Geſang der Muſen war treu und wahr;
falſch und verfuͤhreriſch aber die ſchmeichelnden Lie-
der der Sirenen, womit ſie die Vorbeiſchiffenden
an ihr Ufer in Tod und Verderben lockten; — ſo
wie auch ihre jungfraͤuliche Geſtalt in das Unge-
heure ſich verlohr. — Die Dichtung von dem
Siege der Muſen uͤber die Sirenen iſt daher ſchoͤn
und bedeutend!


Ueberhaupt laſſen die alten Dichtungen gegen
angemaßte Kunſttalente immer ein ſehr ſtrenges
Urtheil ergehen. Der Satyr Marſyas wurde
[307] vom Apollo geſchunden, weil er auf ein zu hohes
Kunſttalent Anſpruch machte, und es wagte, mit
dem Gott der Tonkunſt ſelber in einem Wettſtreit
auf der Floͤte es aufzunehmen. — Dieſe Dichtun-
gen ſelber ſcheinen bei den Alten eine Art von Er-
bitterung gegen alles Mittelmaͤßige und Schlechte
in der Kunſt vorauszuſetzen. — Auch Thamyris,
ein Koͤnig in Thracien mußte fuͤr ſeine Eitelkeit
buͤßen, da er ſich ruͤhmend und ſeiner Talente in
der Muſik und Dichtkunſt ſich uͤberhebend, die Mu-
ſen ſelber zum Wettſtreit aufzufordern wagte, die
ihn mit Blindheit ſtraften, und der Gabe zu dich-
ten ihn ganz beraubten.


Was nun die Abbildungen der Muſen anbe-
trift, ſo findet man ſie am oͤfterſten dargeſtellt mit
einem Volumen, mit zwei Floͤten, oder mit
einer Leyer in der Hand. — Das Volumen oder
die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio
als die Muſe der Geſchichte, oder die Polyhymnia
als die Muſe der Beredtſamkeit. — Bei den Floͤ-
ten denkt man ſich die Euterpe als die Muſe der
Tonkunſt; und bei der Leyer die Erato, als die
Muſe der Liebe einfloͤßenden Geſaͤnge. — Melpo-
mene, die tragiſche Muſe, wird an der tragiſchen,
Thalia die komiſche Muſe, an der komiſchen Larve
erkannt. — Kalliope, als die Muſe des Helden-
gedichts, ſoll ſich durch die Tuba, Terpſichore,
die Muſe der Tanzkunſt, durch eine tanzende Stel-
U 2
[308] lung unterſcheiden. — Urania zeichnet durch ihren
gen Himmel erhobnen Blick ſich aus.


Indeß ſind alle dieſe Darſtellungen bei den
Alten mehr willkuͤrlich geweſen. — Die vielfache
Zahl der Muſen bezeichnete die Harmonie der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte, welche verſchwiſtert Hand in Hand
gehen, und nie zu ſcharf eine von der andern ab-
geſondert werden muͤſſen. So ſtellt auch in den
Abbildungen der Alten eine jede einzelne Muſe
gleichſam die uͤbrigen in ſich dar; und erſt in neu-
ern Zeiten hat man mit pedantiſcher Genauigkeit
einer jeden Muſe ihr eignes beſtimmtes Geſchaͤft
anzuweiſen geſucht.


Die Einbildungskraft der Alten ließ ſich hier-
bei freien Spielraum. — Man ſieht auf alten
Marmorſaͤrgen die verſammleten Muſen auf mehr
als einerlei Art, und in abwechſelnden Stellungen
abgebildet. — Ein Gemaͤhlde in den Herkulani-
ſchen Alterthuͤmern, iſt das einzige, welches die neun
Muſen ganz genau voneinander unterſchieden dar-
ſtellt, weil unter der Abbildung einer jeden auch
ihr Nahme befindlich iſt. — Es ſcheint aber, als
habe dieſer Kuͤnſtler eben deswegen zu der Unter-
ſchrift der Nahmen ſeine Zuflucht nehmen muͤſſen,
weil er ſelbſt die aͤußern Merkmale ſeiner Muſen,
auch nach den damaligen Begriffen, nicht genug
unterſcheidend und bezeichnend fand.


[]
[figure]
[][309]

Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt nach
einer ſchoͤnen antiken Gemme, die Muſe ſtehend
abgebildet, wie ſie die Leyer ſtimmt. — Eine
Darſtellung, wodurch nicht eine einzelne Muſe
ausſchließend, ſondern die Muſe uͤberhaupt be-
zeichnet wird, in ſo fern die Tonkunſt, nach den
aͤlteſten Begriffen, ihr Hauptgeſchaͤft iſt. — Denn
mit der Tonkunſt entwickelten ſich zuerſt die ſchlum-
mernden Kraͤfte fuͤr die uͤbrigen Kuͤnſte. — Muſik,
Geſang und Tanz war, wie wir ſchon bemerkt ha-
ben, das Hauptgeſchaͤft der Muſen, und es giebt
keine eigne Muſe fuͤr die bildenden Kuͤnſte.


Auf eben dieſer Kupfertafel iſt auch nach einer
antiken Gemme, ein Liebesgott abgebildet, wel-
cher den Loͤwen, auf dem er reitet, mit den har-
moniſchen Toͤnen ſeiner Leyer
zaͤhmt, wodurch
der Kuͤnſtler in einem ſchoͤnen Sinnbilde die ver-
einte Macht der Liebe und Tonkunſt ausdruͤckt.


Liebesgoͤtter.


Auch die Goͤttergeſtalt des Amor vervielfaͤltigte
ſich in der Einbildungskraft der Alten; die Liebes-
goͤtter, welche allenthalben in den Dichtungen
unter reitzenden Geſtalten erſcheinen, ſind gleich-
ſam Funken ſeines Weſens; und die Dichtkunſt iſt
unerſchoͤpflich in ſchoͤnen ſinnbildlichen Darſtellun-
gen dieſer alles beſiegenden Gottheit.


[310]

So findet man den Liebesgott dargeſtellt, wie
er Jupiters Donnerkeil zerbricht; wie er mit des
Herkules Loͤwenhaut umgeben, und mit ſeiner
Keule bewafnet iſt; oder wie er auf den Helm
des Mars tritt, deſſen Schild und Wurfſpieß
vor ihm liegen.


Unter dem griechiſchen Nahmen Eros und
Anteros, Liebe und Gegenliebe, ſtellt die bil-
dende Kunſt der Alten zwei Liebesgoͤtter dar, die
um einen Palmzweig ſtreiten, gleichſam um den
Wetteifer in der wechſelſeitigen Liebe zu bezeichnen.


In allerlei Arten von Beſchaͤftigungen ſtellte
man die Liebesgoͤtter dar. So ſieht man auf
einem alten Denkmale, wo ein Weinſtock ſich um
einen Ulmbaum ſchlingt, oben auf dem Baume
ſitzend einen Liebesgott, der Trauben pfluͤckt, in-
deß zwei andre Liebesgoͤtter unter dem Baume
ſtehend warten. —


Jagend, fiſchend, zu Waſſer das Ruder,
zu Lande den Wagen lenkend, und ſogar die me-
chaniſchen Arbeiten der Handwerker emſig betrei-
bend findet man die Liebesgoͤtter auf alten Gem-
men und Gemaͤhlden. Weil aber in der Vorſtel-
lungsart der Alten auch jedes Geſchaͤft ſeinen
Genius
hatte, ſo geht hier die Dichtung von den
Liebesgoͤttern wieder in den Begriff von den Ge-
nien
uͤber, und dieſe zarten Weſen der Einbil-
dungskraft verlieren ſich ineinander. —


[311]

Grazien.


Die hohen blendenden Reitze der maͤchtigen
Liebesgoͤttin, vervielfaͤltigen ſich in den Grazien
oder Charitinnen, und wurden wohlthaͤtig, ſanft
und milde. Vom Himmel ſenkten die drei Huld-
goͤttinnen zu den Sterblichen ſich hernieder, um
die ſchoͤnen Empfindungen der Dankbarkeit und
des wechſelſeitigen Wohlwollens in jeden Bu-
ſen einzufloͤßen. Auch waren ſie es, welche vor
allen andern Goͤttern, den Menſchen die ſuͤße
Gabe zu gefallen ertheilten.


Sie hießen mit ihren beſondern Nahmen
Aglaia, Thalia, und Euphroſyne, und waren
vom Jupiter mit der Eurynome, der ſchoͤnen
Tochter des Oceans, erzeugt, die unter den alten
Gottheiten
in den Dichtungen ſchon mit aufge-
treten iſt.


Den Grazien waren allenthalben Tempel und
Altaͤre errichtet; — um ihre Gunſt flehte jedes
Alter und jeder Stand; — ihnen huldigten Kuͤn-
ſte und Wiſſenſchaften; — auf ihren Altaͤren zuͤn-
dete man taͤglich Weihrauch an; — bei jedem fro-
hen Gaſtmahl waren ſie die Loſung, und man
nannte mit Ehrfurcht ihre Nahmen.


Dem Amor und den Muſen wurden die Gra-
zien zugeſellt; oft hatten ſie mit dem Amor, oͤfter
noch mit den Muſen, gemeinſchaftlich einen Tem-
[312] pel; ſie umgaben ſelbſt Jupiters Thron; — im
Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herr-
ſchaft, und huldigte ihrem Einfluß, ohne welchen
die Schoͤnheit ſelber zum todten Gemaͤhlde wird.


Denn durch die Grazien, in tanzender Stel-
lung abgebildet, wird vorzuͤglich der Reitz der
Bewegung
im Gang, Gebehrden und Mienen
ausgedruͤckt, wodurch die Schoͤnheit am meiſten
die Seele feſſelt. — Hand in Hand geſchlungen
wandelnd bezeichneten ſie wieder jede ſanfte Em-
pfindung des Herzens, die in Zuneigung, Freund-
ſchaft, und Wohlthun ſich ergießt. — Gewiß
mußte die religioͤſe Verehrung dieſer ſchoͤnen We-
ſen auf das Leben und die Denkart der Alten einen
unverkennbaren Einfluß haben.


Um gleichſam zu bezeichnen, daß bei den aus-
ſchweifendſten Bildungen der Phantaſie, die Grazie
dennoch verſteckt ſeyn, und die Grenze bezeichnen
muͤſſe, machte man hohle Bildſaͤulen von Satyrn,
worin man, wenn ſie eroͤfnet wurden, kleine
Bilder der Grazien
fand.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich außer den Grazien, nach einer antiken Gem-
me, noch eine der Horen oder Jahrszeiten, vor
einer Art von Altar ſtehend, mit Palmblaͤttern
auf dem Haupte, und tanzend Fruͤchte in den
Haͤnden tragend, nach einem antiken Marmor-
werk aus Winkelmanns Monumenten.


[]
[figure]
[][313]

Die andern beiden Figuren auf eben dieſem
Denkmale ſind auf aͤhnliche Weiſe ſich zum Tanz
bewegend dargeſtellt, nur mit dem Unterſchiede,
daß zu den Fuͤßen der einen, welche den Fruͤhling
bezeichnet, eine Blume aufſproſſet; und zu den
Fuͤßen der andern, die den Winter andeutet,
auf der Altar aͤhnlichen Erhoͤhung von aufeinan-
der gelegten Steinen, ein kleines Feuer lodert.


Da nun die erſte Figur, mit den Fruͤchten,
den Herbſt abbildet, ſo finden in dieſer ſinnbild-
lichen Darſtellung nur drei Jahrszeiten ſtatt, weil
man unter dem Merkmale der reifen Fruͤchte, in
jenem waͤrmern Himmelsſtrich, ſowohl den Som-
mer als Herbſt begriff. — In einigen aͤltern Dich-
tungen iſt die Zahl der Horen nur zwei, weil man
das ganze Jahr in Sommer und Winter theilte.


Horen.


Unter dem Nahmen der Horen wurden in
den Dichtungen der Alten ſowohl die Goͤttinnen
der Gerechtigkeit, welche Jupiter mit der The-
mis
erzeugte, als auch die Jahrszeiten begrif-
fen, welche gleichſam mit gerechter Theilung
ihrer Wohlthaten, durch ihren immerwaͤhrenden
Wechſel, das ſchoͤne Gleichgewicht in der Natur
erhalten, und mit abgemeßnen Schritten tanzend
und einander folgend, ihren beſtimmten Lauf voll-
enden.


[314]

Es giebt kein ſchoͤnres Bild, um ſich darunter
die Flucht der Zeit zu denken, als die tanzenden
Horen, welche daher auch in den Dichtungen zu
den Grazien ſich geſellen, und gemeinſchaftlich mit
ihnen Taͤnze auffuͤhren. —


Auch die Horen ſtehen um Jupiters Thron,
und ihr Geſchaͤft iſt die Thuͤren des Himmels
zu oͤfnen und zu ſchließen, indem ſie ihn bald in
finſtre Wolken huͤllen, und bald mit neuem Glanz
ihn wieder aufheitern. — Auch ſpannten die Ho-
ren jeden Morgen die Roſſe an den Sonnenwa-
gen,
und waren zugleich Dienerinnen der Juno,
die uͤber den Luftkreis herrſcht.


Nymphen.


Die unerſchoͤpfliche Dichtungskraft der Alten
ſchuf ſich Weſen, wodurch die Phantaſie die leb-
loſe Natur beſeelte.
Die Quellen, die Berge,
die Waͤlder, die einzelnen Baͤume, hatten ihre
Nymphen. — Man knuͤpfte gern die Idee von
etwas Goͤttlichem an das Feſte und Bleibende, was
die einzelnen Menſchengeſchlechter uͤberlebt; an
den feſtgegruͤndeten Berg, den immerſtroͤmenden
Quell, und die tauſendjaͤhrige Eiche. —


Alle dieſe Dichtungen aber waren gleichſam
nur der Wiederſchein vom Gefuͤhl erhoͤhter Menſch-
heit, der ſich aus dem Spiegel der ganzen Natur
[315] zuruͤckwarf, und wie ein reitzendes Blendwerk
uͤber der Wirklichkeit gaukelnd ſchwebte.


So ſchweifte die Oreade auf den Bergen
umher, um mit ihren Schweſtern, im Gefolge
der Diana, die Spur des Wildes zu verfolgen;
jeder zaͤrtlichen Neigung ihr Herz verſchließend,
ſo wie die ſtrenge Goͤttin, die ſie begleitete.


Mit ihrem Waſſerkruge ſaß, in der einſamen
Mittagsſtunde, die Najade am Quell, und ließ
mit ſanften Murmeln, des Baches klare Fluth
hinſtroͤmen. — Gefaͤhrlich aber waren die Liebko-
ſungen der Najaden; ſie umarmten den ſchoͤnen
Hylas, des Herkules Liebling, als er Waſſer
ſchoͤpfte, und zogen ihn zu ſich in den Brunnen
herab. — Vergebens rief Herkules ſeinen Nah-
men, nie ward ſein Liebling mehr geſehen.


Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die
Dryaden; und die Hamadryade bewohnte ihren
einzigen Baum, mit dem ſie gebohren ward
und ſtarb. — Wer einen ſolchen Baum erhielt,
dem dankte die Nymphe ihr Leben. — ſo ward
ſelbſt die lebloſe Natur ein Gegenſtand des theil-
nehmenden Wohlwollens der Sterblichen.


Satyrn.


In das Dunkel des Waldes verſetzt die Dich-
tung auch die Satyrn mit Hoͤrnern und Ziegen-
[316] fuͤßen. — Dieſe Weſen machen gleichſam einen
Schlußpunkt fuͤr die Thierwelt und die Menſchen-
welt, worin ſich das Getrennte in einer neuen
Erſcheinung ſpielend wieder zuſammen findet.


Es iſt der leichte Ziegenfuß, welcher ſich in
dieſer Dichtung ſcherzend der Menſchenbildung
anſchmiegt. — Jugendliche Schalkhaftigkeit, und
unbeſorgter Leichtſinn zeichnen die Bildung dieſer
Weſen aus, welche, obgleich ſterblich, dennoch
durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen und
den Kummer der Menſchen erhaben ſind.


Die bildende Kunſt ſtellte erſt dieſe Weſen der
Phantaſie dem Auge dar; und der Glaube an ihre
Wuͤrklichkeit mußte ſich deſto laͤnger erhalten, weil,
nach den Volksbegriffen, keiner ungeſtraft eine
Nymphe oder einen Waldgott ſehen durfte.


Statt alſo dem wirklichen Daſeyn dieſer We-
ſen nachzuforſchen, ſuchte vielmehr ein jeder vor ih-
rer unvermutheten Erſcheinung in einſamen Gegen-
den ſich zu huͤten; und nur der begeiſterte Dichter
ſahe im Gefolge des Bachus, auf dem einſamen
Felſen, Nymphen, die auf des Gottes Lehren
horchten, und Bockfuͤßige Satyrn, die mit ſpitzen
Ohren lauſchten.


In den Satyrn hat die bildende Kunſt die
menſchliche Geſtalt ſo nahe wie moͤglich an die
thieriſche grenzend, darzuſtellen geſucht. — Ein
Satyr, auf einer antiken Gemme, der mit einem
[317] Bock ſich ſtoͤßt, iſt von dieſem kaum durch etwas
mehr, als den Leib und die Arme unterſchieden,
weil die Bocksgeſtalt ſogar bis auf die Geſichts-
zuͤge ſich erſtreckt, die obgleich menſchenaͤhnlich,
dennoch eine thieriſche Natur ausdruͤcken. Sehr
komiſch iſt die Stellung des Satyrs, der beim
Anlauf mit den Hoͤrnern die Haͤnde auf den Ruͤ-
cken haͤlt, um gleichſam jedes Vortheils uͤber den
Bock ſich zu begeben.


Dieſe komiſchen Geſtalten machen in dem
Gefolge des Bachus unter den Nymphen, Ge-
nien, und Liebesgoͤttern den reitzendſten Kon-
traſt, — ſo daß es ſcheinet, als wenn ſie in die-
ſen Gruppen, und uͤberhaupt unter den Goͤtter-
geſtalten nicht fehlen duͤrften, weil in dieſen halb
goͤttlichen und halb thieriſchen Weſen, in deren
Miene ſich Lachen und Spott vereint, die Dich-
tung gleichſam erſt ihre Vollſtaͤndigkeit erhaͤlt, und
mit ihnen den Zug beſchließt.


Faunen.


Die Faunen ſind von den Satyrn, wenig-
ſtens in den Werken der bildenden Kunſt verſchie-
den. — Sie werden voͤllig in menſchlicher Geſtalt
nur mit Ziegenohren und einem Ziegenſchwanze ab-
gebildet. — Aber auch ohne dieſe Merkmale iſt die
Bildung eines Faunen leicht zu kennen, weil ihre
[318] Geſichtszuͤge, weder zart noch edel, nur thieriſche
oder ſinnliche Begierden und ſinnlichen Genuß
ausdruͤcken. — Demohngeachtet findet man unter
den alten Denkmaͤlern Faunen von bewunderns-
wuͤrdiger Schoͤnheit, wo dennoch die Geſichts-
zuͤge immer noch jene halbthieriſche, ſinnliche
Natur bezeichnen.


Man ſiehet die Faunen auf den alten Denk-
maͤlern tanzend, ſitzend, Kraͤnze flechtend, mit
Ziegen ſpielend, junge Faunen auf dem Knie wie-
gend, und in viel mehrern reitzenden Stellungen
abgebildet, wo die Phantaſie mit dieſer Idee auf
die mannigfaltigſte Weiſe ſpielt.


So laͤßt ein alter Faun ein junges Maͤdchen
auf ſeinem Fuße tanzen; — ein andrer Faun
dreht das Rad an einem Brunnen, um einer
Nymphe Waſſer zu ſchoͤpfen, die waͤhrend der
Zeit ſeinen Thyrſus haͤlt. — Zwei Faunen ſitzen
einander gegenuͤber, und der eine iſt im Begriff
dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu zie-
hen. — Ein andrer traͤnkt einen jungen Faun
aus einem großen Weingefaͤß. — So wechſeln
die reitzenden Darſtellungen ab.


Man ſieht, daß Die Sorgloſigkeit bei die-
ſen Weſen ein Hauptzug iſt, wodurch ſie den Goͤt-
tern aͤhnlich ſind, und von den Menſchen ſich
unterſcheiden, nach den Worten des alten Dich-
ters:


[319]
Den Menſchen gaben die Goͤtter vielen Kum-

mer zu tragen;

Sie ſelber aber ſind ſorglos.

Pan.


Das ganze Geſchlecht der Satyrn und Fau-
nen wurde gleichſam auf einmal unter der Goͤtter-
geſtalt des Pan begriffen, in welcher ſich dieſe
Dichtung wieder vereinzelte; denn die Bildung
des Pan iſt uͤbrigens von der Bildung der Sa-
tyrn nicht verſchieden, ausgenommen, daß Pan
einen Mantel oder eine Bockshaut um die Schul-
tern, und einen gekruͤmmten Schaͤferſtab oder eine
ſiebenroͤhrige Floͤte in den Haͤnden traͤgt. — Die
uͤbrigen Waldgoͤtter mit den Ziegenfuͤßen hießen
von ihm auch Aegipanen.


Der ſiebenroͤhrigen Floͤte ſchreibt die Dichtung
folgenden Urſprung zu: als Pan die Nymphe
Syrinx, von Lieb’ entbrannt, verfolgte, und
dieſe bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe, wo
ihr Lauf gehemmt war, ward ſie ploͤtzlich in ein
Schilfrohr verwandelt, welches Pan umarmte. —


Der Wind, der in das Rohr blies, brachte
klagende Toͤne hervor; und Pan ſuchte dieſe Toͤne
wieder zu erwecken, indem er ſieben Rohre, das
folgende immer um ein beſtimmtes Maaß kuͤrzer
als das vorhergehende, zuſammenfuͤgte, und ſo
[320] die Hirtenfloͤte erfand, welche nach dem Nahmen
der verwandelten Nymphe Syrinx hieß.


Nach einigen Dichtungen iſt Pan ein Sohn
Merkurs, und ſo wie dieſer, auch in Arkadien
gebohren, wo ſein vorzuͤglichſter Aufenthalt auf
dem Berge Lycaͤus war. — Andre Sagen laſſen
ihn unter den aͤlteſten Gottheiten ſchon mit auf-
treten, wo er auf eine geheimnißvolle Weiſe, das
Ganze, und die Natur der Dinge bezeich-
net. — Auch den gekruͤmmten Hirtenſtab ließ man
nicht ohne Bedeutung ſeyn, ſondern auf die Wie-
derkehr der Jahreszeiten, und den Kreislauf der
Dinge durch ſeine Geſtalt hinweiſen. —


Man dachte ſich unter dem Pan ein Weſen,
halb wohlthaͤtig und halb furchtbar; — und eben
well dieſer Begriff ſo ſchwankend war, ſchuf ſich
die Einbildungskraft unter demſelben allerlei
Schreckbilder. — Irgend ein Getoͤſe oder furcht-
bare Stimmen, die man in naͤchtlicher Stille,
oder vom einſamen Ufer her zu vernehmen glaubte,
ſchrieb man dem Pan zu; — weswegen man
nachher auch ein jedes Entſetzen, wovon man ſelbſt
die Urſache nicht wußte, oder wovon der Grund
bloß in der Einbildung lag, ein paniſches Schre-
cken nannte.


Die Hirten, welche vorzuͤglich den Pan ver-
ehrten, fuͤrchteten dennoch ſeinen Anblick; ſie
flehten ihn aber um den Schutz ihrer Heerden an,
[]

[figure]

[][321] und brachten ihm haͤufig Opfer dar. — Denn an
dieſe Gottheit, welche ſelber wie ſie die Hirtenfloͤte
blies, und den krummen Schaͤferſtab in der Hand
trug, durften die Hirten und die Bewohner der
Fluren ſich am naͤchſten anſchließen, und theilneh-
mende Vorſorge und Beiſtand von ihr erwarten.


Sylvan.


Der eigentliche Gott der Waͤlder, den einige
Dichtungen den uͤbrigen noch hinzufuͤgen, wird
vom Pan nur wenig verſchieden abgebildet, außer
daß er, um gleichſam die Nacht des Waldes zu
bezeichnen, einen Cypreſſenzweig in der Hand
traͤgt, der zugleich das Freudenloſe und Melan-
choliſche ſeines einſamen Aufenthalts mit bedeuten
ſollte, weswegen er auch den Landleuten furcht-
bar war.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich unten, nach einem antiken geſchnittenen Stei-
ne, ein tanzender Faun; und oben eine ſehr
getreue Darſtellung im Umriß von einem der ſchoͤn-
ſten Werke des Alterthums, das unter dem Nah-
men, der Siegelring des Michel Angelo, all-
gemein beruͤhmt iſt.


Man ſieht hier Nymphen, Satyrn, Faunen,
Liebesgoͤtter, in eine einzige ſchoͤne Gruppe verei-
nigt, in deren Mitte eine edle Mannsgeſtalt, mit
einem Roß an der Hand, emporragt.


X
[322]

Die Weinranken, welche an zwei Ulmbaͤumen
ſich hinaufwinden, bilden eine Laube, woruͤber
zwei kleine Liebesgoͤtter eine Decke ausbreiten. —
Einige von den weiblichen Figuren tragen Koͤrbe
mit Weintrauben angefuͤllt auf den Koͤpfen; andre
am Boden ſitzend, ſind vorzuͤglich mit einem Kinde
beſchaͤftigt, das ſich der einen an den Buſen
ſchmiegt, und auf die Erziehung des jungen Ba-
chus
von den Nymphen, dieß Kunſtwerk deu-
ten laͤßt.


Zu der Gruppe der ſitzenden Figuren geſellt
ſich ein Faun, der knieend neuen Wein in eine
Schale gießt. — Hinter ihm ſteht ein Satyr und
blaͤſt auf einem Horn. — Am Ende traͤgt ein
Knabe noch ein Gefaͤß mit Wein herzu. — Vor-
zuͤglich ſchoͤn iſt die Stellung der beiden weiblichen
Figuren auf der andern Seite, wovon ſich die eine
mit dem Korbe auf dem Haupte, zu ihrer Gefaͤhr-
tin niederbuͤckt. — Neben dieſen beiden Figuren
haͤlt eine dritte ihren Arm in die Hoͤhe, um dem
einen Liebesgott eine Schale zu reichen. — Und
nichts kann reitzender ſeyn, als, wie die beiden Lie-
besgoͤtter, um auch am Genuß mit Theil zu nehmen,
von oben ihre Haͤnde ausſtrecken, der eine nach
der emporgehaltnen Schale, der andre nach dem
Korbe voll Trauben, den eine von den Nymphen
auf dem Haupte traͤgt.


[323]

Penaten.


Eine Art von Genien oder Schutzgoͤttern bei
den Alten, waren die Penaten, welche auch La-
ren
hießen. Jede Stadt hatte ihre beſondre
Schutzgoͤtter, und jede Familie, und jedes Haus
die ſeinigen. In dieſen Weſen, die den Men-
ſchen ſo nahe waren,
vervielfaͤltigten die hohen
Gottheiten, aus denen man ſich ſeine Schutzgoͤt-
ter waͤhlte, gleichſam ihre Gegenwart.


Der Hausgoͤtter oder Laren waren gemeinig-
lich zwei, die auf dem heiligen Heerde ihren
Wohnplatz hatten, und wie Juͤnglinge mit einem
Hut und Reiſeſtabe, und einem Hunde neben ſich
abgebildet waren. Man bekraͤnzte ſie mit Blu-
men, und von den Speiſen, die auf dem Heerde
zubereitet wurden, brachte man ihnen Opfer dar. —
Sie waren Zeugen vom Genuß des haͤuslichen
Gluͤcks. — Das Alltaͤgliche und Gewoͤhnliche
wurde durch ihre Gegenwart geheiligt, und jedes
Haus gewiſſermaßen zu einem Tempel geweiht. —


Priapus.


Da bei den Alten noch nichts [unheilig] war,
was die Natur gebeut, und das Geheimniß der
Erzeugung und Fortpflanzung von ihnen als etwas
Goͤttliches betrachtet wurde, wodurch die Gat-
tung bei dem immerwaͤhrenden Abfall durch Alter
X 2
[324] und Krankheit, ſich in ewiger Jugend erhaͤlt; ſo
hatte auch die ſonderbare Goͤtterbildung des Pria-
pus, mit einem ausgeſtreckten großen maͤnnlichen
Zeugungsgliede, fuͤr ſie nichts Anſtoͤßiges.


Zuweilen aus Stein, zuweilen nur aus Holz
gearbeitet, und von den Huͤften bis zum Fuß wie
ein ſpitzzulaufender Pfeiler geſtaltet, mit einem
krummen Gartenmeſſer in der Hand, war Pria-
pus der Huͤter der Gaͤrten und Weinberge. —
Man brachte ihm Milch, Honig und Wein zum
Opfer dar, damit er den Fruͤchten Gedeihen gebe,
und die Diebe verjage. — Unbeſchadet ſeiner Ver-
ehrung aber verknuͤpfte man dennoch den Begriff
von Haͤßlichkeit mit ſeiner Geſtalt, welche zugleich
dazu dienen mußte, — die Voͤgel zu ver-
ſcheuchen.


Komus.


Mit einer geſenkten Fackel in der Hand, und
mit herabgeſunknem Haupte, ſchlaftrunken an
eine Thuͤr ſich lehnend, wurde Komus, der Vor-
ſteher naͤchtlicher Schmaͤuſe, frohen Lebensgenuſ-
ſes, muntrer Laune, heitrer Scherze, und geſel-
liger Freuden, von den Alten gebildet, und ſie
hielten den Genius des frohen Lebensgenuſſes nicht
fuͤr unwuͤrdig in der Reihe der Goͤttergeſtalten mit
aufzutreten.


[]
[figure]
[][325]

Hymen.


Ein ſchoͤner Juͤngling mit der hochzeitlichen
Fackel in der Hand, war der Genius oder der
Gott der Ehen. — Ihm zu Ehren wurden Lob-
lieder bei jeder Vermaͤhlungsfeier geſungen; die
Gegenwart dieſer Gottheit kroͤnte den heiligen
Bund, und weihte die Freuden des Hochzeit-
mals.


Orpheus.


Wie ein vom Himmel geſandtes Weſen lehrte
Orpheus zuerſt die Sterblichen auf die harmoni-
ſchen Toͤne lauſchen, indem er das Lob der Gott-
heit ſang. — Er iſt auf der hier beigefuͤgten Kup-
fertafel nach einer antiken Gemme abgebildet,
mit der Leyer in der Hand, die Thiere des Wal-
des um ihn her verſammlet; ein bedeutendes
Sinnbild, wie er durch die Macht der Tonkunſt
die wilden Naturen zaͤhmte, und aus dem dum-
pfen thieriſchen Schlummer das Geſchlecht der
Menſchen weckte. — Auf eben dieſer Tafel iſt,
nach einem antiken geſchnittnen Steine, der weiſe
Chiron, den jungen Achilles in der Tonkunſt un-
terrichtend, dargeſtellt.


Chiron.


Obgleich des Chiron, wegen ſeiner unmittel-
baren Abſtammung vom Saturnus, in der Reihe
[326] der alten Goͤttergeſtalten ſchon gedacht iſt; ſo tritt
er doch auch vorzuͤglich unter den Weſen mit auf,
welche das Band zwiſchen Goͤttern und Menſchen
knuͤpfen. — Denn ſeiner Fuͤhrung und ſeinem
goͤttlichen Unterricht dankten die Helden, welche
ſelbſt nachher die Zahl der Goͤtter vermehrten, in
ihrer fruͤheſten Jugend ihre Bildung.


Nichts iſt ruͤhrender, als die Worte, womit
er, nach einem Dichter des Alterthums, den jun-
gen Achill entließ:


O Sohn der Thetis, dich erwartet das Land
des Aſſarakus, das der kalte Skamander, und
der ſchlammigte Simois durchſchneidet. — Von
da haben dir die Parzen die Ruͤckkehr abgeſchnit-
ten, und auf dem blauen Ruͤcken des Meeres fuͤhrt
deine Mutter dich nicht zuruͤck! — darum vergiß
der Sorgen beim Wein und Saitenſpiel, und ver-
ſcheuche den Kummer durch ſuͤße Geſpraͤche!


Aeſkulap.


Auch der erſte Anfang der Heilkunde wurde
von den Alten als etwas Goͤttliches betrachtet. —
Man dachte ſich denjenigen, welcher zuerſt dieſe
Kunſt im Leben uͤbte, und ſelbſt ihr Opfer wurde,
auch noch nach ſeinem Tode als ein wohlthaͤtiges,
menſchenfreundliches Weſen, zu dem die Kranken
nicht unerhoͤrt um Huͤlfe flehen durften.


[327]

Apollo erzeugte nehmlich den Aeſkulap mit der
Koronis, der Tochter eines Theſſaliſchen Koͤnigs.
Als Koronis mit dem Iſchys einer heimlichen
Liebe pflog, beſtrafte Apollo ihre Untreue mit dem
Tode; den Aeſkulap aber, mit dem ſie ſchwanger
war, rettete er noch, da ſie ſchon auf dem Schei-
terhaufen lag.


Nun wurde der Goͤtterſohn in der Hoͤhle des
weiſen Chiron erzogen, der ihn in jeglicher Wiſ-
ſenſchaft, und vorzuͤglich in der Kraͤuterkunde
unterwieß, welche Wiſſenſchaft Aeſkulap zu einer
Wohlthaͤterin der Menſchheit machte, indem er
die Kraͤfte der Pflanzen erforſchend, die mannich-
faltigſten Heilmittel fuͤr die mannichfaltigen Krank-
heiten des Koͤrpers daraus erfand.


Er trieb dieſe Kunſt ſo weit, daß die Dich-
tung von ihm ſagt, es ſey ihm mehrere Male ge-
lungen, den Todten ſelbſt wieder Leben einzuhau-
chen. — Daruͤber zuͤrnte die immerzerſtoͤrende
Macht, das immerverſchlingende Grab, und die
Gewalt des ſchrecklichen Pluto, die den Erwecker
der Todten, als einen kuͤhnen und vermeßnen
Frevler beim Donnerer verklagte. Dieſer ließ den
Aeſkulap, ſo wie den Prometheus, fuͤr ſeine
Wohlthat an den Menſchen buͤßen — und ſchleu-
derte ſeine Blitze auf das ſchuldloſe Haupt. —
Der die Schmerzen der Menſchen linderte und ihre
[328] Krankheiten heilte, ward auf die Weiſe ſelbſt ein
Opfer ſeiner wohlthaͤtigen Kunſt. —


Nach ſeinem Tode wurden ihm Haine, Tem-
pel und Altaͤre geweiht; — vorzuͤglich wurde er
zu Epidaurus in Griechenland verehrt. — Sei-
ne Soͤhne Machaon und Podalirius, waren
im Trojaniſchen Kriege als Anfuͤhrer und Helden,
und zugleich wegen ihrer großen Wiſſenſchaft in der
Heilkunde, beruͤhmt.


Dem Aeſkulap war die Schlange, als ein
Bild der Geneſung und Geſundheit, heilig; ver-
muthlich in ſo fern man ſich unter ihr ein ſich ſelbſt
verjuͤngendes, und durch die Abſtreifung der Haut
ſich gleichſam wieder erneuerndes Weſen dachte.


Neben dem Aeſkulap findet man zuweilen ei-
nen kleinen Knaben abgebildet, mit einer Muͤtze
auf dem Kopfe, und in einen Mantel ganz ein-
gehuͤllt. Sein Nahme iſt Telesphorus, und
ſeine Kindergeſtalt, und ſonderbare Umhuͤllung,
ſcheinet auf irgend eine Weiſe auf den Zuſtand der
Wiedergeneſenden anzuſpielen. — Auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel ſind Aeſkulap und Hy-
gea,
beide nach antiken geſchnittnen Steinen,
im Umriß abgebildet.


Hygea.


Hygea, eine Tochter des Aeſkulap, wurde
ſogar als die Goͤttin der Geſundheit ſelbſt ver-
[]

[figure]

[][329] ehrt. — Auch zu ihr geſellt ſich die wohlthaͤtige
heilbringende Schlange, und wird aus einer fla-
chen Schale von ihr geſpeiſt. — Die Erhaltung
der Geſundheit iſt ihr Geſchaͤft; und ſie bringt als
eine milde Gabe dieſe Wohlthat von den Goͤttern
zu den Sterblichen hernieder. —


[330]

Die Lieblinge der Goͤtter.


Die Dichtungen von den Lieblingen der Goͤtter
erhalten einen vorzuͤglichen Reitz durch eine Art
von ſchwermuͤthigen truͤben Daͤmmerſchein, der
ſie umhuͤllt. — Wenn Jugend und Schoͤnheit ein
Raub des Todes wurden, ſo hieß es, irgend eine
Gottheit habe ihren Liebling von der Erd’ ent-
fuͤhrt. — Auf die Weiſe ward die Trauer mit
Freude vermiſcht; und die Klage um den Todten
gemildert. — Man findet daher auch dieſe Dich-
tungen auf den Marmorſaͤrgen der Alten am haͤu-
figſten dargeſtellt.


Ganymed.


Vom Ganymedes, einem Sohn des Tros
und Urenkel des Dardanus, des erſten Stifters
von Troja, ſagt der Dichter: Er war der ſchoͤnſte
unter den ſterblichen Menſchen. — Die Goͤtter
ſelbſt entfuͤhrten ihn, ſeiner Schoͤnheit we-
gen
— damit er dem Jupiter den Becher reichte,
und in der Geſellſchaft der Unſterblichen waͤre.


[331]

In der Geſtalt des Adlers, welcher den Don-
ner trug, entfuͤhrte Jupiter ſeinen Liebling, von
dem Gipfel des Ida, und trug ihn ſanft in den
gekruͤmmten Klauen, ſchwebend, von der Erd’
empor.


In dieſe ſchoͤne Dichtung huͤllte die troͤſtende
Phantaſie den fruͤhen Verluſt des Juͤnglings ein,
deſſen Jugend und Schoͤnheit man ſich unmoͤglich
als ſterblich denken konnte, und daher ſein Ver-
ſchwinden,
als eine Hinwegruͤckung von der Erde
zum Sitz der unſterblichen Goͤtter ſich erklaͤrte.


In dieſe Sehnſucht nach dem Genuß eines
hoͤhern Daſeyns, loͤßt, nach der erhabnen Dar-
ſtellung eines neuern Dichters, die ſchoͤne Fabel
vom Ganymed ſich auf:


Ganymed.
Wie im Morgenglanze

Du rings mich angluͤhſt,

Fruͤhling, Geliebter!

Mit tauſendfacher Liebeswonne

Sich an mein Herz draͤngt

Deiner ewigen Waͤrme

Heilig Gefuͤhl,

Unendliche Schoͤne!

Daß ich dich faſſen moͤcht’

In dieſen Arm!

[332]
Ach, an deinem Buſen

Lieg’ ich, ſchmachte,

Und deine Blumen, dein Gras

Draͤngen ſich an mein Herz.

Du kuͤhlſt den brennenden

Durſt meines Buſens,

Lieblicher Morgenwind,

Ruft drein die Nachtigal

Liebend nach mir aus dem Nebelthal.

Ich komm’! Ich komm!

Wohin? Ach, wohin?

Hinauf! Hinauf ſtrebt’s!

Es ſchweben die Wolken

Abwaͤrts, die Wolken

Neigen ſich der ſehnenden Liebe.

Mir! Mir!

In euerm Schooße

Aufwaͤrts!

Umfangend umfangen!

Aufwaͤrts an deinem Buſen,

Allliebender Vater!

Goͤthe.


An der Goͤttertafel den Nektar einzuſchenken,
war nun das Geſchaͤft des Ganymedes. — Vor
ihm verwaltete Hebe, die Tochter der Juno, die-
ſes Amt, bis ſie durch einen Fehltritt deſſelben
verluſtig wurde, indem ſie einſt im Fallen, durch
eine unanſtaͤndige Stellung, die Grazie entweihte,
[333] welche bei dieſem hohen Goͤtteramte jede Bewe-
gung begleiten mußte.


Atys.


Auch Cybele, die ernſthafte Mutter der
Goͤtter, waͤhlte ſich den ſchoͤnen Knaben Atys zu
ihrem Lieblinge. — Er verließ ſeine vaͤterlichen
Fluren, und eilte in die phrygiſchen Waͤlder, um
dem Dinſte der ſtrengen und keuſchen Goͤttin ſich
ganz zu widmen.


Als er aber einſt ihres Verbots vergaß, der
Liebe nie zu pflegen, und von den Reitzen der ſchoͤ-
nen Nymphe Sangaris hingeriſſen, mit dieſer
der Liebe pflog; brach uͤber ihn und den Gegen-
ſtand ſeiner Liebe der Zorn der Goͤttin aus. — Er
ſelber beſtrafte ſich durch Entmannung fuͤr ſein
Vergehen, und mußte durch immerwiederkehrende
Anfaͤlle von Raſerei fuͤr ſeinen zu nahen Umgang
mit der zu hoch erhabnen, geheimnißvollen Gott-
heit buͤßen.


Eine ſchoͤne Dichtung aus dem Alterthum
ſtellt ihn dar, am Ufer des Meeres ſtehend, und
eine kleine Weile ſeines Bewußtſeyns maͤchtig,
ſehnſuchtsvoll nach dem entfernten Ufer hinuͤber-
blickend, wo er im Schooße ſeiner Eltern, und
mit ſeinen Geſpielen, der Kindheit ſuͤßen Traum
verlebte.


[334]

Aber ihm naͤhett ſich die Goͤttin auf ihrem mit
Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er-
greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des
Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage
ſeines Lebens in weibiſcher Wetchlichkeit der maͤchti-
gen Goͤttin zu dienen.


Tithonus.


Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des
trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des
Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt
in die Fabel ein, daß Aurora ihn einſt bei ſeinen
Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn
entfuͤhrt habe.


Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb-
lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. —
Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora
jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em-
porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora
erzeugte mit ihm den Mnemon, deſſen ſchon ge-
dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei-
nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang
von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf-
gehenden Sonne ſie beſchienen.


Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens
Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen.
Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-
[335] ſterblichkeit zugleich die Befreiung vom Alter
fuͤr ihn vom Jupiter zu erbitten. Und nun welkte
ihr Liebling von Alter und Schwachheit aufgezehrt
dahin, daß kaum noch die Stimme von ihm uͤbrig
blieb, und er zuletzt ſelber die Goͤttin bat, ſein
Weſen aufzuloͤſen. —


Kein Gluͤck, ſagt daher ein Dichter des Alter-
thums, kein Gluͤck iſt durchaus vollkommen! —
Den jungen Achilles rafte ein ſchneller Tod da-
hin; — den Tithonus zehrte ein langſames Alter
auf; — ſeine Unſterblichkeit ſelbſt ward ihm zur
Buͤrde.


Anchiſes.


Merkwuͤrdig iſt die Anrede der Venus an
ihren Liebling Anchiſes, deſſen ſchon gedacht iſt,
daß er den Held Aeneas mit ihr erzeugte. — Sie
ſpricht zu ihm, da ſie als Goͤttin ſich ihm zu er-
kennen giebt: ſey ohne Furcht! du wirſt nichts
Schlimmes wegen meiner Liebe
erdulden. —
Ich werde nicht, wie Aurora fuͤr ihren Tithonus,
die Unſterblichkeit fuͤr dich erbitten; ſondern dich
wird das ſchnelle Alter, ſo wie die andern Sterb-
lichen uͤberſchleichen. — Die Nymphen des Wal-
des aber ſollen den Sohn, den ich gebaͤhre, erzie-
hen. — Wenn er mannbar iſt, ſollſt du an ſei-
ner goͤttergleichen Geſtalt dich weiden. Und
[336] wenn dich jemand fraͤgt, wer dieſen Sohn geboh-
ren, ſo ſollſt du ſagen: eine der Nymphen, die
dieſe Berge bewohnen; — ruͤhmſt du dich aber
thoͤricht, daß du in Cytherens Arm geruht, ſo
wird dich Jupiters Blitz zerſchmettern! Dieß praͤge
tief dir ein, und fuͤrchte den Zorn der Goͤtter!


Adonis.


Die Liebe der Venus zu dem ſchoͤnen Juͤng-
ling Adonis ging bald in die Klage um ſeinen
Tod
hinuͤber. — Adonis war ein Sohn der
Myrrha, der Tochter des Cinyras, mit dem ſie
im naͤchtlichen Dunkel, ihm ſelber unbewußt, eine
Zeitlang blutſchaͤndriſcher Liebe pflog, bis einſt zu-
faͤllig die graͤßliche Scene erleuchtet wurde, und
der Vater unter tauſend Verwuͤnſchungen und
Fluͤchen, mit dem toͤdtenden Eiſen ſeine Tochter
verfolgte, die bis nach Arabien flohe, wo ſie ihr
Vergehen bereuend, ſo lange Thraͤnen weinte,
bis ſie zuletzt in eine Myrrhe verwandelt, das
Bewußtſeyn von ihrer That verlohr.


Noch waͤhrend ihrer Verwandlung ward Ado-
nis von ihr gebohren, den die Nymphen des Wal-
des erzogen, und welchen Venus, da er ein Juͤng-
ling war, vor allen zu ihrem Lieblinge waͤhlte,
und weil ſie keinen Augenblick ihn verlaſſen wollte,
ſogar einen Theil ihrer Sanftheit ablegte, und
auf der Jagd der Hirſche und Rehe ihn begleitete.


[337]

So oft er aber allein die Spur der reißenden
und gefaͤhrlichen Thiere verfolgte, warnete ſie ihn
jedesmal, wenn er von ihr ging, ſein ihr ſo theu-
res Leben nicht in Gefahr zu ſetzen. — Allein bei
dem jungen Adonis uͤberwand ſein kuͤhner Muth
die Zaͤrtlichkeit, — er folgte der Warnung der
Goͤttin nicht.


Schon ſchwebte ſein ſchwarzes Verhaͤngniß
uͤber ihm; — er ſtieß auf einen ergrimmten
Eber; — ſchoß vergebens ſeinen Jagdſpieß
ab; — ſchon ſenkte des Ebers weißer Zahn ſich
in des Juͤnglings Huͤfte. — Haͤufiges Blut ent-
ſtroͤmte der Wunde, und Venus, welche ſchon
mit Angſt und Zagen ahndungsvoll ihren Liebling
ſuchte, fand ihn erblaßt in ſeinem Blute liegend.


Vergebens ſuchte ſie ihn ins Leben zuruͤckzu-
rufen, und klagte zuͤrnend das Schickſal an. —
Allmaͤlig verwandelte ihre Verzweiflung ſich in
ſanftre Traurigkeit; — ſie ließ aus ihres Lieblings
Aſche die Anemone entſprießen, und gab ihm
dadurch eine Art von Unſterblichkeit. —


Dem Adonis wurde ein Feſt gefeiert, wo die
Weiber ſeinen Tod beklagten, und indem ſie
Koͤrbe mit Blumen ins Waſſer ſtuͤrzten, des Le-
bens kurze Bluͤthe beweinten. — Es ſcheint, als
ob die Klage um den Adonis, welche im Orient
allgemein war, ſich auf noch eine weit aͤltere Dich-
tung gruͤnde, die in dieſe Einkleidung der neuern
griechiſchen Fabel ſich gehuͤllt hat.


Y
[338]

Hyacinthus.


Ein Liebling des Apollo war der ſchoͤne Hya-
cinthus, ein Sohn des Oebalus, eines Lacede-
moniſchen Fuͤrſten. — Apollo und ſein Liebling
wetteiferten einſt im Scheibenwerfen; — aus
der Hand des Gottes flog die Wurfſcheibe, —
und Boreas auf den Apollo eiferſuͤchtig, lenkte
ſie in der Luft, und trieb ſie an des Juͤnglings
Haupt, welcher todt darniederſank. — Apollo
ließ aus ſeines Lieblings Aſche die Hyacinthe her-
vorgehen; und die Lacedaͤmonier feierten jaͤhrlich
ein Feſt bei dem Grabe des ſchoͤnen Juͤnglings,
der in des Lebens Bluͤthe ein Raub des Todes
ward.


Cypariſſus.


Auch dieſem Liebling des Apollo war nur ein
kurzes Alter beſtimmt. — Der ſchoͤne Knabe
beſaß einen zahmen Hirſch, der ihm vorzuͤglich
lieb war, und von ſeiner Kindheit an ihm Freude
machte. — Dieſen erſchoß er unverſehens im
Dunkel des Waldes; und ſein zu weiches Herz
ließ ihn dieſe That ſo ſehr bereuen, daß er unauf-
hoͤrlich traurend die einſamſten Schatten ſuchte,
und ſich in Kurzem zu Tode haͤrmte. — Als er
geſtorben war, ſo ließ Apollo aus ſeinem Grabe
die dunkle Cypreſſe emporſteigen, die den Nahmen
[339] des Entſchlummerten verewigte, und immer ein
Sinnbild der Trauer blieb. — Man ſiehet aus die-
ſer, ſo wie aus den vorhergehenden Dichtungen,
was Jugend und Schoͤnheit, vom Tode dahinge-
raſt, auf jene ſanften Gemuͤther fuͤr einen unaus-
loͤſchlichen Eindruck machten.


Leukothoe.


Ohngeachtet Apollo ſelber der Gott der Ju-
gend und Schoͤnheit war, ſo war er doch ſelten in
der Liebe gluͤcklich. — Leukothoe, des Orcha-
mus
Tochter, pflog mit dem Apollo einer ver-
ſtohlnen Liebe. — Klytie, eine andre Geliebte
des Apollo hieruͤber eiferſuͤchtig, verrieth dem
ſtrengen Orchamus das Liebesverſtaͤndniß ſeiner
Tochter. Dieſer vergrub ſie lebendig in die Erde,
und Apollo, der ſie nicht retten konnte, ließ zum
bleibenden Andenken ihrer Zaͤrtlichkeit und ihres
Schickſals, die Weihrauchſtaude aus ihrem
Grabe emporwachſen.


Klytie hatte nun durch ihren Verrath des
Gottes Liebe auf immer verſcherzt; — untroͤſtlich
daruͤber kehrte ſie neun Tage lang, ohne Speiſe
und Trank zu nehmen, ihr Antlitz nach der
Sonne, dem glaͤnzenden Urbilde des Gottes mit
dem ſilbernen Bogen. — Zuletzt ward ſie, von
Gram und Kummer aufgezehrt, in eine Blume
Y 2
[340] verwandelt, in welcher Geſtalt ſie immer noch wie
ehmals, ſich nach der Sonne wendet.


Auch Daphne entſchluͤpfte der Umarmung
des Apollo. — Als ſie von ihm verfolgt nicht
weiter fliehen konnte, flehte ſie ihren Vater, den
Flußgott Peneus um Rettung an, und dieſer
verwandelte ſie in einen Lorbeerbaum, der nach-
her dem Apollo beſtaͤndig heilig war, und mit
deſſen Zweigen er ſeine Schlaͤfe umkraͤnzte. —
So taͤuſchen den Gott der Dichter in dieſen Fa-
beln ſeine Wuͤnſche. — Lorbeer, der ſein Haar
umkraͤnzt, Weihrauch, der ihm duftet, ſind
ſein Erſatz fuͤr den Genuß verſagter Liebe.


Endymion.


Unter allen Lieblingen der Goͤtter hat die
Dichtung den ſchoͤnen Jaͤger Endymion des groͤß-
ten Vorzugs gewuͤrdigt, weil Diana, die ſtrenge
Goͤttin der Keuſchheit ſelber, von ſeinen Reitzen
gefeſſelt, die Macht der Liebe empfindet. —


Auf dem einſamen Gebirge Latmus in Ka-
rien
war Endymions Aufenthalt. — Er jagte
beim naͤchtlichen Schein des Mondes in den Waͤl-
dern, bis er ermuͤdet entſchlummerte. — Schlum-
mernd erblickte ihn einſt Diana, als ſie mit ihrer
Fackel die Nacht erleuchtend am Himmel auf-
ſtieg, — alles war einſam und ſtill; — ſie hielt
[341] die Roſſe vor ihrem Wagen an, und ſenkte ſich
langſam aus der Hoͤhe bis zu der Lippe des
Schlummrers nieder, die ſie zum erſtenmal mit
heißer Liebe kuͤßte.


Oft ſenkte ſie nun nachher den Schlummer
auf Endymions Augenlieder, der ſchlafend des
Gluͤcks genoß, das Goͤttern und Menſchen noch
nie zu Theil ward. —


Unter dem ſchoͤnen Sinnbilde vom ſchlum-
mernden Endymion ließ ein zartes Gefuͤhl die Al-
ten den Tod darſtellen; und man ſieht auf ihren
Marmorſaͤrgen, welche die Aſche fruͤh verbluͤhter
Juͤnglinge umſchloſſen, den gluͤcklichen Schlaͤfer
abgebildet, wie Diana auf ihrem Wagen zu ſei-
nen Kuß ſich herniederſenkt.


Acis.


Den ſchoͤnen Schaͤfer Acis in Sicilien liebte
Galatea, eine der Nereiden. — Vergebens
warb der ungeheure Polyphem um ihre Gunſt. —
Als er aber einſt am Fuß des Aetna die Nymphe
den ſchoͤnen Acis umarmend erblickte, riß er voll
wuͤthender Eiferſucht einen Felſen los, und ſchleu-
derte ihn, die Liebenden zu zerſchmettern. — Die
Nymphe entfloh ins Meer, den Acis traf der
Stein, und ploͤtzlich loͤßte ſein Weſen in einen
Bach ſich auf, der nachher ſeinen Nahmen fuͤhrte.


[342]

Peleus.


Einer der gluͤcklichſten Sterblichen war Pe-
leus, der Sohn des gerechteſten Fuͤrſten, der
Vater des tapferſten Helden, und der Gemahl
einer Goͤttin, die vom Jupiter ſelbſt geliebt
war. —


Eben die Thetis, des Nereus Tochter, vor
deren Umarmung Prometheus den Jupiter warn-
te, war es, welche mit dem Peleus, des Aeakus
Sohn, obgleich ſich eine Zeitlang ſtraͤubend, auf
aller Goͤtter Zureden ſich vermaͤhlte, und von dem
Peleus den Achill gebahr, der maͤchtiger als
ſein Vater,
den glaͤnzendſten Heldenruhm er-
warb.


Bei der Hochzeit des Peleus waren alle Goͤt-
ter verſammlet, nur war Eris, die Goͤttin der
Zwietracht ausgeſchloſſen. — Und dieſe warf in
das glaͤnzende Gemach den goldnen Apfel mit der
ungluͤckbringenden Inſchrift, die ihn der Schoͤn-
ſten
unter den Goͤttinnen weihte. —


Dieſe glaͤnzende Hochzeitfeier enthielt den er-
ſten Keim zu dem verderblichen Kriege, der Troja
verwuͤſtete, und Griechenland ſeiner tapfern Soͤhne
beraubte. — Auch des Peleus Gluͤck war nicht
von Dauer; — ihn uͤberſchlich das druͤckende Al-
ter; — er uͤberlebte ſeinen tapfern Sohn. —
Vom Gram gebeugt, und kummervoll beſchloß
er ſeine Tage.


[]
[figure]
[][343]

Von den Lieblingen der Goͤtter iſt auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel, nach einem antiken ge-
ſchnittnen Steine Ganymedes dargeſtellt, wie
Jupiter in der Geſtalt des Adlers ihn entfuͤhrt. —
Auch iſt auf eben dieſer Tafel, nach einer andern
antiken Gemme, der Sturz des Phaeton abge-
bildet.


[344]

Die tragiſchen Dichtungen.


Daß die Alten uͤberhaupt in ihren Dichtungen
das Tragiſche liebten, ſiehet man aus der ganzen
Folge ihrer Goͤtter, und Heldengeſchichte. —
Das ungleiche Verhaͤltniß der Menſchen zu
den Goͤttern,
welches ſchon von ihrer Entſte-
hung an ſich offenbarte, iſt faſt in jeder Dichtung
auf irgend eine Weiſe in ein auffallendes Licht ge-
ſtellt. —


Die Goͤtter erhoͤhen und ſtuͤrzen nach Gefal-
len. — Jeder Verſuch eines Sterblichen mit ihrer
Macht und Hoheit ſich zu meſſen, wird auf das
ſchrecklichſte geahndet. — Ihr zu naher Umgang
bringt oft ihren Lieblingen ſelbſt den Tod. — Ihre
wohlthaͤtige Macht wird von der furchtbaren uͤber-
wogen. —


Allein es gab ein Fatum, das uͤber Goͤtter
und Menſchen herrſchte. — Durch dieß Fatum
fuͤhlten die Sterblichen ſich den Goͤttern gleich ge-
ſetzt, wenn in den hohen tragiſchen Dichtungen
gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne
Erbittrung endlich ausbrach.


[345]

Folgender Geſang eines neuern Dichters hallt
jene furchtbaren Toͤne wieder, und reißt den Horcher
an die tragiſche Schaubuͤhne der Alten hin:


Es fuͤrchte die Goͤtter

Das Menſchengeſchlecht!

Sie halten die Herrſchaft

In ewigen Haͤnden,

Und koͤnnen ſie brauchen,

Wie’s ihnen gefaͤllt.

Der fuͤrchte ſie doppelt,

Den je ſie erheben!

Auf Klippen und Wolken

Sind Stuͤhle bereitet

Um goldene Tiſche.

Erhebet ein Zwiſt ſich:

So ſtuͤrzen die Gaͤſte,

Geſchmaͤht und geſchaͤndet,

In naͤchtliche Tiefen,

Und harren vergebens,

Im Finſtern gebunden,

Gerechten Gerichtes.

Sie aber, ſie bleiben

In ewigen Feſten

An goldenen Tiſchen.

Sie ſchreiten von Bergen

Zu Bergen hinuͤber;

[346]
Aus Schluͤnden der Tiefe

Dampft ihnen der Athem

Erſtickter Titanen,

Gleich Opfergeruͤchen,

Ein leichtes Gewoͤlke.

Es wenden die Herrſcher

Ihr ſegnendes Auge

Von ganzen Geſchlechtern,

Und meiden, im Enkel

Die eh’mals geliebten,

Still redenden Zuͤge

Des Ahnherrn zu ſehn.

Goͤthens Iphigenie


Theben.


Vorzuͤglich war Theben in Griechenland des
Schauplatz der tragiſchen Begebenheiten, welche
auf der Buͤhne dargeſtellt, die ſchmerzlichſuͤße
Theilnehmung an dem Jammer der Vorwelt in
jedem Buſen weckten, und ein ganzes mitempfin-
dendes Volk zur hoͤhern Bildung veredelten.


Kadmus.


Agenor, deſſen Tochter Europa vom Ju-
piter entfuͤhrt ward, war auch der Vater des
Kadmus, dem er befahl, die entfuͤhrte Tochter
in allen Laͤndern aufzuſuchen, und ohne ſie vor ihm
nicht wieder zu erſcheinen. —


[347]

So raͤchte die zuͤrnende Eiferſucht der
Juno
ſich an Agenors Hauſe. Wie ein Fluͤcht-
ling mußte Kadmus umherirren, und durfte, da
er ſeine Schweſter nirgends fand, in ſeine vaͤter-
liche Heimath nicht wiederkehren, ſondern mußte
im fremden Lande ſich einen Wohnſitz ſuchen.


Er kam nach Boͤotien in Griechenland, und
waͤhlte es, einem Orakelſpruch zu Folge, zu ſei-
nem Aufenthalt. Als er nun ſeine Gefaͤhrten,
um Waſſer zu einem Opfer zu ſchoͤpfen, in ein
dem Mars geweihtes Gehoͤlze ſchickte, wurden
ſie von einem ungeheuren Drachen, dem Huͤter
dieſes heiligen Hains, getoͤdtet.


Kadmus erlegte dieß Ungeheuer, und mußte,
auf den Befehl der Minerva, die Zaͤhne des Dra-
chen in die Erde ſaͤen. — Aus dieſer Saat keim-
ten geharniſchte Maͤnner auf, die ſogleich ihre
Schwerdter gegeneinander zuͤckten, und ſich ein-
ander erſchlugen, bis auf fuͤnf, die dem Kadmus
Theben erbauen halfen.


Dieſe Dichtung von den Kriegern, die aus
der Saat der Drachenzaͤhne entſproſſen, ſich ſelbſt
einander aufreiben, iſt ſchon ein dunkles Vorbild
von alle dem Jammer und der Zwietracht, welche
die Nachkommen des Kadmus einſt ihre Schwerd-
ter gegen ſich ſelber kehren, und ſie in ihr Einge-
weide wuͤthen laͤßt.


[348]

Kadmus, der Stifter von Theben, vermaͤhlte
ſich nun mit der Harmonia, einer Tochter des
Mars und der Venus, und bildete das Volk,
das er um ſich her verſammelte, und dem er zuerſt
die Schriftzeichen mittheilte, die er aus Phoͤni-
zien
mit ſich hieher gebracht. Er lebte mit der
Harmonia bis in ſein ſpaͤteſtes Alter. — Um
dieſem Paar eine Art von Unſterblichkeit zu geben,
ſagt die Dichtung, daß beide zuletzt in Schlangen
verwandelt wurden.


Die Kinder des Kadmus, welche er mit der
Harmonia oder Hermione erzeugte, waren
Ino, Agave, Autonoe, Semele, und ein
Sohn Nahmens Polydorus.Semele, die
Mutter des Bachus, deren ſchon oͤfter gedacht iſt,
kam in Flammen um, weil ſie auf Anſtiften der
Juno, den thoͤrichten unwiderruflichen Wunſch
gethan hatte, ihren Liebhaber, den Donnergott,
in ſeiner ganzen Majeſtaͤt zu ſehen.


Agave vermaͤhlte ſich mit dem Echion, ei-
nem der uͤbriggebliebnen von denen, die aus der
Saat der Drachenzaͤhne entſproſſen waren, wel-
cher den Pentheus mit ihr erzeugte. — Dieſer
Pentheus, welcher ſich ſpottend der Verehrung
des Bachus widerſetzte, und deſſen Prieſterinnen
verfolgte, wurde, wie ſchon gedacht iſt, von ſeiner
eignen Mutter und den uͤbrigen Bachantinnen, die
ihn fuͤr ein reißendes Thier anſahen, zerfleiſcht.


[349]

Die Ino verfolgte der Zorn der Juno, weil
ſie den jungen Bachus ſaͤugte. — Sie war mit
dem Athamas vermaͤhlt. — Dieſen ergriff eine
raſende Wuth, in welcher er ihren erſten Sohn
Learchus an einem Felſen zerſchmetterte; und da
ſie mit ihrem juͤngſten Sohn Melicertes vor ihm
flohe, bis an eine Felſenſpitze am Meere ſie verfolgte.
Hier ſtuͤrzte Ino ſich mit ihrem Sohn herab, und
ward ſammt ihm von den Wellen emporgetra-
gen. — Beide wurden unter die Meergoͤtter auf-
genommen, — und Ino ward unter dem Nah-
men Leukothea verehrt.


Autonoe, die vierte Tochter des Kadmus,
vermaͤhlte ſich mit dem Ariſtaͤus, der den Aktaͤon
mit ihr erzeugte, deſſen ſchon gedacht iſt, wie ihn
ſeine eignen Hunde zerriſſen, als Diana, die er
im Bade erblickte, um ſeinen Frevel zu ſtrafen,
ihn in einen Hirſch verwandelt hatte.


Dieß ſind die Schickſale der Toͤchter des Kad-
mus, welche ein feindſeliges Verhaͤngniß und den
Haß der Juno, der auf ihres Vaters Hauſe ruhte,
mehr oder weniger tragen mußten.


Kadmus ſelber begab ſich in ſeinem Alter nach
Illyrien, wo, nach der Fabel, ſeine Verwand-
lung vorging. — Die Herrſchaft uͤber Theben
uͤberließ er ſeinem Sohn, dem Polydor, welcher
den Labdakus erzeugte, der ihm wieder in der
Regierung folgte. Labdakus vermaͤhlte ſich mit
[350] der Nykteis, einer Tochter des Nykteus, und
erzeugte mit ihr den Lajus, der noch minderjaͤhrig
war, als ſein Vater ſtarb, und an deſſen Stelle
Lykus, ein Bruder des Nykteus, uͤber Theben
herrſchte.


Antiope, eine Tochter des Nykteus, ward
vom Jupiter geliebt, von ihrem Vater aber ver-
ſtoßen; ſie rettete ſich zum Epopeus, dem Koͤnige
von Sicyon, der ſich mit ihr vermaͤhlte. Lykus
aber, der dem ſterbenden Nykteus verſprochen
hatte, ihn an ſeiner Tochter zu raͤchen, erſchlug
den Epopeus, und fuͤhrte die Antiope gefangen
nach Theben, wo er ſie ſeiner Gemahlin Dirce
uͤbergab, von der ſie auf das grauſamſte mißhan-
delt wurde.


Antiope hatte vom Jupiter den Amphion
und Zethus gebohren, die heimlich erzogen
wurden. — Sobald ſie ein Mittel fand, zu
entrinnen, eilte ſie zu ihren Soͤhnen, und for-
derte ſie auf, die Schmach ihrer Mutter zu raͤ-
chen. — Amphion und Zethus drangen in The-
ben ein, erſchlugen den Lykus, verjagten den La-
jus, und banden die Dirce, welche ihre Mutter
ſo grauſam mißhandelt hatte, an die Hoͤrner eines
wilden Stiers, von dem ſie zerriſſen ward.


Amphion erbaute nun die Mauern von The-
ben, und ſchloß die Stadt mit ſieben Thoren
ein. — Die Ueberredungskunſt, womit Amphion
[351] zu dieſem Werke die rohen Einwohner zu ermun-
tern wußte, huͤllt die Dichtung in die ſchoͤne Fabel
ein, daß er durch die Toͤne ſeiner Leyer die Stei-
ne
ſelbſt bewegt habe, ſich zuſammenzufuͤgen, und
zu Mauern und Thuͤrmen ſich zu bilden.


Nach dem Tode des Amphion und Zethus
riefen die Thebaner den verjagten Lajus, des Lab-
dakus Sohn zuruͤck, und gaben ihm die Herrſchaft
wieder, worauf er mit der Jokaſte, der Schweſter
des Kreon, eines Thebaniſchen Fuͤrſten, ſich ver-
maͤhlte.


Oedipus.


Dem Lajus war geweißagt worden, daß ſein
Sohn ihn erſchlagen wuͤrde. — Als ihm daher
Jokaſte den Oedipus gebahr, ſo ließ er ihn in
einer wuͤſten Gegend ausſetzen. Der vertraute
Bediente, der dieß Geſchaͤft verrichtete, band das
Kind mit den Fuͤßen an einen Baum.


In dieſem Zuſtande fand es Phorbas, der
Aufſeher der Heerden des Koͤnigs Polybius, der
Korinth beherrſchte. Dieſer nahm das Kind,
als es ihm Phorbas brachte, ſelbſt an Kindes ſtatt
an, und man gab ihm von ſeinen geſchwollnen
Fuͤßen,
den Nahmen Oedipus.


Die Pflegeaͤltern des Oedipus verhehlten ſorg-
faͤltig vor ihm die Ungewißheit ſeiner Abkunft, ſo
daß er von Kindheit an, ſie fuͤr ſeine wahren El-
[352] tern hielt, bis in ſeinen Juͤnglingsjahren einige
beunruhigende Zweifel ihn bewogen, das Orakel
des Apollo um Rath zu fragen.


Das Orakel beruͤhrte den eigentlichen Punkt
ſeiner Abkunft nicht, ſondern warnte ihn nur,
vor der Ruͤckkehr in ſein Vaterland, weil er
daſelbſt ſeinen Vater toͤdten, und ſeine eigne
Mutter zum Weibe nehmen wuͤrde.


Oedipus ſuchte ſeinem Schickſal zu entgehen,
indem er ſich freiwillig von Korinth verbannte,
das er noch immer fuͤr ſein Vaterland hielt. —
In dieſer Ruͤckſicht begab er ſich auf den Weg nach
Theben, und ging unwiſſend ſeinem Schickſal ent-
gegen.


Denn ſchon auf der Reiſe ſtieß er in einem
engen Wege auf den Lajus, dem er nicht auswei-
chen wollte, und daruͤber mit ihm und ſeinem Ge-
folge in einen Streit gerieth, wovon das Ende
war, daß Oedipus unwiſſend ſeinen eignen Vater
erſchlug, und auf die Weiſe ein Theil des Orakels
in Erfuͤllung ging.


Als Oedipus nach Theben kam, fand er die
Sphinx, ein von der Echidna gebohrnes, und
von der Juno geſandtes gefluͤgeltes Ungeheuer in
Loͤwengeſtalt und mit jungfraͤulichem Antlitz, die
Einwohner aͤngſtigend.


Auf einem Felſen nicht weit von Theben ſaß
die Sphinx, und gab den Vorbeigehenden ein
[353] Raͤthſel auf: was fuͤr ein Thier am Morgen auf
vier, am Tage auf zwei, am Abend auf drei Fuͤßen
gehe? Wer dieß Raͤthſel nicht errieth, den ſtuͤrzte
ſie von dem Felſen herab.


Oedipus kam und deutete das Raͤthſel: der
Menſch als Kind am fruͤheſten Morgen ſeines Le-
bens, waͤlze ſich auf Haͤnden und Fuͤßen fort;
am langen Tage des Lebens, wo noch die Kraft
in ſeinen Gliedern wohnt, wandle er aufrecht auf
zwei Fuͤßen; am Abend, wenn das Alter ihn
uͤberſchleicht, gehe er gebuͤckt am Stabe, und ſetze
auf die Weiſe den dritten Fuß ſich an.


Nun toͤdtete Oedipus die Sphinx, oder, nach
einer andern bedeutendern Sage, ſtuͤrzte ſie ſich
vom Felſen herab, ſobald er das Raͤthſel errathen
hatte. —


Da nun Lajus todt war, ohne daß man ſei-
nen Moͤrder wußte; ſo hatte man demjenigen,
der das Raͤthſel der Sphinx aufloͤſen, und von
dieſem Ungeheuer das Land befreien wuͤrde, ver-
heißen, daß die Koͤnigin ſich mit ihm vermaͤhlen,
und ihm die Herrſchaft uͤber Theben zum Braut-
ſchatz bringen ſolle.


Dem Oedipus ward nun dieß von vielen Tau-
ſenden beneidete anſcheinende Gluͤck zu Theil, wo-
mit der ſchreckliche Orakelſpruch ganz und ohne
Schonung in Erfuͤllung ging; indem er ſich mit
Jokaſten, der Koͤnigin, vermaͤhlte, nahm er
Z
[354]unwiſſend ſeine eigne Mutter zum Weibe,
nachdem er ſeinen Vater erſchlagen hatte.


Eine Weile Lebensgenuß verſtattete ihm noch
ſein feindſeliges Geſchick, indem es vor alle dieſe
Graͤuel einen Vorhang zog. Oedipus erzeugte
mit der Jokaſte zwei Soͤhne, Eteokles und
Polynices; und zwei Toͤchter Antigone und
Ismene — eben ſo unwiſſend uͤber ſein eignes
Schickſal, als uͤber das kuͤnftige Schickſal ſeiner
Kinder.


Die Tage dieſer gluͤcklichen Unwiſſenheit ſoll-
ten nicht lange mehr dauern. Ueber Theben kam
eine verwuͤſtende Peſt. Oedipus ſelber that den
Vorſchlag, das Orakel zu befragen, ob etwa irgend
ein einzelner Mann den Zorn der Goͤtter auf ſich
geladen? und ob das ganze Land vielleicht die
Schuld eines Einzelnen buͤßen muͤſſe? —


Man folgte ſeinem Rath, und der furchtbare
Ausſpruch traf ihn ſelber. — Er ruhte nicht
nachzuforſchen, bis er die Wahrheit ans Licht
bringen, oder die Verlaͤumdung zu Schanden ma-
chen wuͤrde; und mit jeder Nachforſchung entwi-
ckelte ſich immer klaͤrer die graͤßliche Geſchichte.


Als endlich nun kein Zweifel mehr uͤbrig war,
und Oedipus mit ſchrecklicher Gewißheit, der
Blutſchande und des Vatermords ſich ſchuldig
fand, ſo vermochte er nicht laͤnger des Tages Glanz
zu tragen, und blendete ſich ſelber. — Die un-
[355] gluͤckliche Jokaſte gab ſich mit dem Strange den
Tod. — Und Oedipus irrte, des Augenlichts be-
raubt, von ſeiner Tochter Antigone gefuͤhrt,
beladen mit dem Haß der Goͤtter, bis an ſeinen
Tod im fremden Land’ umher.


Dem Oedipus folgten in der Regierung ſeine
beiden Soͤhne, Eteokles und Polynices, der-
geſtalt, daß beide abwechſelnd, ein Jahr um das
andre, die Herrſchaft fuͤhren ſollten. — Aber
auch dieſe traf das feindſelige Verhaͤngniß, das
auf Theben und den Nachkommen des Kadmus
ruhte.


Eteokles und Polynices.


Dieſe beiden wurden ein Opfer ihres Zwiſtes,
der aus Neid und Herrſchſucht ſich entſpann. —
Eteokles trat die Regierung an. — Das erſte Jahr
verfloß, — und Eteokles, der einmal im Beſitz
war, weigerte ſich, dem Polynices auf das andre
Jahr die Herrſchaft abzutreten. —


Polynices ging aus Theben und begab ſich
zum Adraſtus, der uͤber Argos herrſchte. Die-
ſer nahm ihn guͤtig auf, verſprach ihm ſeinen Bei-
ſtand, und vermaͤhlte ihm ſeine Tochter. — Auch
Tydeus, des Oeneus Sohn, und Bruder des
Meleager, begab ſich um eben dieſe Zeit zum
Koͤnige Adraſtus, weil er aus Kalydon fluͤchten
mußte, und dieſem vermaͤhlte Adraſtus ſeine andre
Tochter.


Z 2
[356]

Um nun dem Polynices ſeinen Antheil an der
Herrſchaft uͤber Theben wieder zu verſchaffen,
ſchickte Adraſtus erſt den Tydeus zum Eteokles, um
Unterhandlung mit ihm zu pflegen. Da aber die-
ſer, noch ehe er nach Theben kam, von einem Hin-
terhalt, den Eteokles ihm gelegt, verraͤthriſch uͤber-
fallen wurde, und nachdem er mit Muͤhe ſich geret-
tet hatte, mit der Nachricht von dieſer Verraͤtherei
nach Argos zuruͤckkehrte; ſo ruͤſtete Adraſtus ſich
ſchleunig zum Kriege gegen den Eteokles.


Der Thebaniſche Krieg.


Zu der Unternehmung gegen Theben vereinigte
ſich Adraſtus mit ſeinen beiden Tochtermaͤnnern,
dem Tydeus, und dem Polynices, um deſſent-
willen er den Krieg anhub. — Zu ihnen geſellte
ſich der tapfre Kapaneus aus Meſſene; Hippo-
medon,
ein Sohn der Schweſter des Adraſtus;
und Parthenopaͤus, ein ſchoͤner und tapfrer
Juͤngling aus Arkadien, deſſen Mutter Atalanta
war.


Mit der Eriphyle, einer Schweſter des
Adraſtus, war Amphiaraus vermaͤhlt, den man
an dieſem Zuge Theil zu nehmen lange vergebens zu
uͤberreden ſich bemuͤhte, weil ſein Geiſt in die Zu-
kunft blickte, und nicht nur das Ungluͤck, das die
Belagrer von Theben treffen wuͤrde, vorausſahe,
[357] ſondern auch ſicher wußte, daß in dieſem Kriege
ihm ſein Tod bevorſtand.


Er verbarg daher den Ort ſeines Aufenthalts
vor dem Adraſt und Polynices, bis ſeine eigne
Gemahlin Eriphyle, durch ein koſtbares Halsge-
ſchmeide, das ihr Polynices ſchenkte, gewonnen,
den Ort ſeines Aufenthalts entdeckte, und Am-
phiaraus nun wider Willen an dieſem Kriege Theil
zu nehmen, genoͤthigt wurde. Nun waren alſo
der Anfuͤhrer ſieben:


  • Adraſtus;
  • Polynices;
  • Tydeus;
  • Amphiaraus;
  • Kapaneus;
  • Parthenopaͤus;
  • Hippomedon.

Allein ſchon unterwegens auf ihrem Zuge,
ereignete ſich ein tragiſcher Zufall. — Hypſipyle,
deren in der Geſchichte der Argonauten ſchon ge-
dacht iſt, hatte nach der Abreiſe des Jaſon, von
dem ſie einen Sohn gebahr, vor den uͤbrigen Wei-
bern aus Lemnos fluͤchten muͤſſen, weil ſie ihrem
Vater Thoas das Leben gerettet. — Sie ward
am Ufer des Meers, wohin ſie ſich zu retten ſuchte,
von Seeraͤubern gefangen, die ſie dem Lykurgus
[358] verkauften, welcher ſie zur Saͤugamme ſeines Soh-
nes Archemorus machte.


Da nun das vereinte Heer durch das Gebiet
des Lykurgus zog; ſo fanden ſie des Thoas koͤnig-
liche Tochter allein in einem Gehoͤlze, dem Kna-
ben Archemorus die Bruſt darreichend. — Sie
eilte, den vor Durſt verſchmachtenden Griechen,
die ſie um Beiſtand flehten, eine Quelle zu zeigen,
und ließ den Knaben Archemorus allein im Graſe
liegen.


Als nun Hypſipyle an den Ort, wo ſie ihren
Saͤugling ließ, zuruͤckkehrte, hatte dieſen waͤhrend
der Zeit eine Schlange getoͤdtet. Die Griechen,
uͤber dieſe Begebenheit beſtuͤrzt und niedergeſchla-
gen, hielten dem Kinde ein praͤchtiges Leichenbe-
gaͤngniß, und ſtifteten ihm zu Ehren Spiele, wel-
che nachher zu beſtimmten Zeiten wiederhohle
wurden.


Nach dieſer vollbrachten Todtenfeier, ſetzte
das Kriegsheer ſeinen Zug fort, und kam vor
Theben an. Die ſieben Heerfuͤhrer theilten ſich,
um die ſieben Thore von Theben mit ihren Haufen
zu beſetzen, und durch eine Belagrung die Stadt
zu zwingen.


Eteokles ſtellte einem jeden der Anfuͤhrer in
dem Heere des Adraſtus ſeinen Mann entgegen.
Dem Tydeus den Menalippus; dem Kapaneus
den Polyphontes; dem Hippomedon den Hy-
[359] perbius;
dem Parthenopaͤus den Aktor; dem
Amphiaraus den Laſthenes; er ſelber ſtellte ſich
gegen den Polynices, ſeinen Bruder.


Und nun begann, indem die Belagerten einen
Ausfall thaten, das fuͤr Sieger und Beſiegte gleich
ungluͤckſeelige Treffen.


Hippomedon und Parthenopaͤus fielen;
Kapaneus, der die Mauer erſtieg, wurde vom
Blitz getoͤdtet; Tydeus vom Menalippus erſchla-
gen; und Eteokles und Polynices kamen beide
im Zweikampf um; den Amphiaraus verſchlang
die Erde; nur Adraſtus entfloh auf ſeinem ſchnel-
len Roß Arion, deſſen ſchon bei den Erzeugungen
des Neptun gedacht iſt.


Die Regentſchaft in Theben fiel dem Kreon,
dem Bruder der Jokaſte zu. — Dieſer befahl,
den Leichnam des Eteokles mit allen Ehrenbezeu-
gungen zu begraben. — Den Koͤrper des Poly-
nices aber verbot er, bei Todesſtrafe, mit Erde
zu bedecken, und ließ ihn, ſo wie die uͤbrigen
Leichname der Gebliebnen von Adraſtus Heer, unter
freiem Himmel, den Voͤgeln zum Raube liegen.


Antigone, des Oedipus Tochter, und Schwe-
ſter des Polynices achtete Kreons Verbot, und die
Gefahr des Todes nicht, ſondern ſtahl ſich bei ei-
ner mondhellen Nacht vor die Stadt hinaus, wo
ihre Haͤnde ihres Bruders Leichnam mit Sand
bedeckten. — Als ſie fuͤr dieſe That lebendig ein
[360] Raub des Grabes werden ſollte, kam ſie dem Ur-
theil ſchnell zuvor, und gab mit dem Strange ſich
ſelbſt den Tod.


Haͤmon, Kreons Sohn, welcher ſie zaͤrtlich
liebte, ſtieß verzweiflungsvoll ſein Schwerdt ſich
in die Bruſt, da er Antigonen, als ein Opfer
von ſeines Vaters Grauſamkeit, in ihrem Kerker
todt fand.


Haͤmons Mutter uͤberlebte den Verluſt ihres
Sohnes nicht; und verwaißt ſtand nun Kreon
da, und klagte verzweiflungsvoll ſich ſelber und
ſein Verhaͤngniß an.


Adraſtus hatte indeß den Theſeus um Bei-
ſtand angefleht, und dieſer kam vor Theben, ſchlug
die Thebaner, und zwang ſie, die Leichname der Ge-
bliebnen von des Adraſtus Heere zum Begraͤbniß
auszuliefern.


Alle die Ungluͤcksfaͤlle, womit dieſer Krieg
begleitet war, hatten dennoch nicht die Erbittrung
ausgeloͤſcht, welche zehn Jahre nachher bei den
Soͤhnen der Erſchlagnen zu einem zweiten Kriege
ausbrach, der, weil ihn die Nachkommen der
vorigen Feldherren fuͤhrten, der Krieg der Epi-
gonen
hieß.


Ein Sohn des Eteokles war Laodamas, der
nach dem Kreon uͤber Theben herrſchte. — Ther-
ſander,
des Polynices Sohn, unterſtuͤtzt von
den Soͤhnen der erſchlagnen Feldherren, und dem
[361]Aegialeus, des Adraſtus Sohn, ruͤckte aufs neue
vor Theben, beſiegte den Laodamas und bemaͤchtigte
ſich nun der Herrſchaft wieder, die ſeinem Vater
Polynices unrechtmaͤßig entriſſen war. — Laoda-
mas aber entflohe nach Illyrien, dem alten Zu-
fluchtsorte des Kadmus, als er Theben verließ.
In dieſem Kriege blieb von den Anfuͤhrern nur
Aegialeus, deſſen Vater Adraſtus in dem erſten
Thebaniſchen Kriege nur allein ſich rettete, da alle
uͤbrigen Feldherren fielen.


Nach einem antiken geſchnittnen Stein aus
der Stoſchiſchen Sammlung, einem der ſeltenſten
und ſchaͤtzbarſten Denkmaͤler aus dem ganzen Alter-
thum, befindet ſich auf der hier beigefuͤgten Kup-
fertafel eine Abbildung der Helden, welche in dem
erſten Thebaniſchen Kriege, vom Adraſtus ange-
fuͤhrt, Theben belagerten.


Von den ſieben Helden ſind nur fuͤnfe darge-
ſtellt, deren Namen auf dem alten Denkmale ſelbſt
mit eingegraben ſind, wo ſowohl die Schrift als die
Zeichnung der Figuren das hohe Alterthum des
Werks beweißt. — Die Helden ſind:


  • Adraſtus;
  • Tydeus;
  • Polynices;
  • Amphiaraus;
  • Parthenopaͤus.

[362]

Sie ſcheinen nach einem erlittnen Verluſt aufs
neue ſich zu berathſchlagen. In der Mitte ſitzt
Amphiaraus, ſeinen Tod, und den Tod der
uͤbrigen vorausſehend, mit niedergeſchlagnem
Blick. — Ihm gegenuͤber Polynices in Nach-
denken und Traurigkeit verſenkt, den Kopf auf
die Hand geſtuͤtzt. — Neben dem Amphiaraus
ſitzt Parthenopaͤus, und ſchlaͤgt in ruhiger uͤber-
legender Stellung die Haͤnde um das Knie zuſam-
men. —


Adraſtus iſt aufgeſtanden und ſcheint, mit
Schild und Lanze bewafnet, entſchloſſen wieder
ins Treffen zu eilen. — Tydeus folgt ihm,
ebenfalls bewafnet, allein mit weniger Muth und
niedergeſchlagnem Blick. Vom Polynices mit
dem Kopf auf die Hand geſtuͤtzt, bis zum Adra-
ſtus, der entſchloſſen ins Treffen eilt, iſt gleich-
ſam eine Stuffenfolge der innern Gemuͤthsbewe-
gungen auf dieſem alten Kunſtwerke ausgedruͤckt. —
Auf eben dieſer Tafel iſt nach einer antiken Gem-
me Oedipus dargeſtellt, wie er im Begriff iſt,
die Sphinx zu toͤdten.


Die Pelopiden.


Pelops, ein Sohn des Tantalus, der von
den Goͤttern erhoͤhet und geſtuͤrzt ward, kam nach
Griechenland zum Koͤnige von Piſa, Oeno-
[]

[figure]

[][363] maus, der ihn gaſtfreundlich aufnahm. — Pe-
lops warb um die ſchoͤne Hippodamia, des Koͤ-
nigs Tochter. Allein dem Oenomaus war ge-
weißagt worden, daß ſein Eidam ihn toͤdten wuͤr-
de. — Ein jeder, der um Hippodamien warb,
mußte daher mit ihm zu Wagen einen Wettlauf
halten, und wen er, ehe ſie ans Ziel kamen er-
reichen konnte, der ward von ihm mit dem
Schwerdt getoͤdtet.


Pelops wußte den Myrtilus, des Oeno-
maus edlen Wagenlenker durch lockende Verſpre-
chungen zu bewegen, den Wagen des Oenomaus
dergeſtalt einzurichten, daß er mitten im Lauf
nothwendig zertruͤmmern mußte. Der Koͤnig
ſtuͤrzte, und verlohr ſein Leben. — Pelops ver-
maͤhlte ſich mit Hippodamien, und weil er dem
Myrtilus ſein Verſprechen nicht halten wollte,
ſo ſtuͤrzte er auch dieſen, ehe er es ſich verſahe, von
einem Fels ins Meer, welches nachher von ihm
das Myrtoiſche hieß.


Allein nach dieſer That, traf ſchnell ein Un-
gluͤck nach dem andern des Pelops Haus; obgleich
ſeine Macht ſich ſtets vergroͤßerte, und man die
ganze Halbinſel von Griechenland, worin er ſo
viel beherrſchte, nach ſeinem Nahmen Pelopo-
neſus
nannte.


Mit der Hippodamia erzeugte Pelops den
Atreus und Thyeſt. Dieſe brachten ihren Bru-
[364] der Chryſippus, welchen Pelops mit der Aſtyo-
che
erzeugte, ums Leben, weil ſie des Vaters
Liebe zu ihm nicht dulden konnten. Hippodamia,
welche Pelops fuͤr die Stifterin dieſes Mordes
hielt, gab ſich ſelber den Tod. Thyeſt und Atreus
fluͤchteten.


Atreus begab ſich nach Mycene zum Eurys-
theus,
der ſeine Tochter Aerope mit ihm ver-
maͤhlte, und nach deſſen Tode er uͤber Mycene
herrſchte. — Thyeſt war ihm dahin gefolgt, und
nahm am Gluͤck des Atreus Theil; — allein er ent-
ehrte bald ſeines Bruders Bette, indem er mit der
Aerope, des Atreus Gattin, zwei Soͤhne erzeugte.


Als Atreus die Frevelthat erfuhr, verjagte
er den Thyeſt mit den von ihm erzeugten Soͤhnen
aus dem Reiche. Thyeſt auf Rache ſinnend, hatte
ſeinem Bruder einen Sohn entwandt, welchen er
als den ſeinigen auferzog, und nachdem er mit
Haß und Wuth gegen den Atreus ſeine Seele er-
fuͤllt hatte, ihn abſchickte, um den ſchrecklichſten
Mord unwiſſend zu begehen.


Unter den grauſamſten Martern ließ Atreus
den Juͤngling hinrichten, deſſen Verſuch man ent-
deckt hatte, und erfuhr zu ſpaͤt, daß er ſtatt ſeines
Bruders Sohn den eignen getoͤdtet habe. Ver-
ſtellt, und auf noch hoͤhere Rache ſinnend, verſoͤhnte
ſich Atreus zum Schein mit ſeinem Bruder; ſchlach-
tete deſſen beide Soͤhne, und tiſchte das Fleiſch dem
[365] Thyeſtes auf, welchem er nach genoßnem Mahle
Haupt und Haͤnde entgegen warf. Die Sonne,
ſagt die Dichtung, wandte ſchnell ihren Lauf zuruͤck,
um dieſe Scene nicht zu beleuchten.


Ein neuer Dichter laͤßt Iphigenien, die auch
aus des Pelops Hauſe und Dianens Prieſterin
war, dem Koͤnige Thoas in Tauris, dieſe Graͤuel
erzaͤhlen:


Schon Pelops, der gewaltig wollende,

Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb

Sich durch Verrath und Mord das ſchoͤnſte Weib,

Des Oenomaus Tochter, Hippodamien.

Sie bringt den Wuͤnſchen des Gemahls zwei Soͤhne,

Thyeſt und Atreus. — Neidiſch ſehen ſie

Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn

Aus einem andern Bette, wachſend an.

Der Haß verbindet ſie, und heimlich wagt

Das Paar im Brudermord die erſte That.

Der Vater waͤhnet Hippodamien,

Die Moͤrderin, und grimmig fordert er

Von ihr den Sohn zuruͤck, und ſie entleibt

Sich ſelbſt —

— — — — — — —

— — — Nach ihres Vaters Tode,

Gebieten Atreus und Thyeſt der Stadt

Gemeinſam herrſchend. Lange konnte nicht

Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyeſt

Des Bruders Bette. Raͤchend treibet Atreus

[366]
Ihn aus dem Reiche. Moͤrdriſch hatte ſchon

Thyeſt auf ſchwere Thaten ſinnend, lange

Dem Bruder einen Sohn entwandt, und heimlich

Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen.

Dem fuͤllet er die Bruſt mit Wuth und Rache,

Und ſendet ihn zur Koͤnigsſtadt, daß er

Im Oheim ſeinen eignen Vater morde.

Des Juͤnglings Vorſatz wird entdeckt; der Koͤnig

Straft grauſam den geſandten Moͤrder, waͤhnend,

Er toͤdte ſeines Bruders Sohn. Zu ſpaͤt

Erfaͤhrt er, wer vor ſeinen trnnknen Augen

Gemartert ſtirbt; und die Begier der Rache

Aus ſeiner Bruſt zu tilgen, ſinnt er ſtill

Auf unerhoͤrte That. Er ſcheint gelaſſen,

Gleichguͤltig und verſoͤhnt, und lockt den Bruder

Mit ſeinen beiden Soͤhnen in das Reich

Zuruͤck, ergreift die Knaben, ſchlachtet ſie,

Und ſetzt die eckle ſchaudervolle Speiſe

Dem Vater bei dem erſten Mahle vor.

Und da Thyeſt von ſeinem Fleiſche ſich

Geſaͤttigt, eine Wehmuth ihn ergreift,

Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme

Der Knaben an des Saales Thuͤre ſchon

Zu hoͤren glaubt, wirft Atreus grinſend,

Ihm Haupt und Fuͤße der Erſchlagnen hin.

— — — — — — — —

Es wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg,

Und ihren Wagen aus dem ewgen Gleiſe — —

Goͤthens Iphigenie


[367]

Thyeſtes erzeugte in Blutſchande mit ſeiner
eignen Tochter Pelopia den Aegiſthus, der, als
er erwachſen war, den Atreus toͤdtete, und deſſen
Soͤhne Agamemnon und Menelaus verjagte,
worauf Thyeſtes den Thron beſtieg.


Die vertriebnen Soͤhne des Atreus vermaͤhlten
ſich mit den Toͤchtern des Tyndarus; Agamem-
non mit der Klytemneſtra, und mit der Helena
Menelaus. Sie raͤchten des Atreus Tod; ver-
jagten den Thyeſtes; und Agamemnon erhielt ſei-
nes Vaters Reich, und herrſchte zu Mycene, wo
er mit der Klytemneſtra die Iphigenie, Elektra,
und den Oreſt erzeugte; Menelaus folgte dem
Tyndarus in der Herrſchaft uͤber Sparta.


Als Agamemnon nun das Heer der Griechen
gegen die Trojaner anfuͤhrte, verſoͤhnte er ſich
mit dem Aegiſthus; verzieh ihm ſeines Vaters
Tod, und vertraute ſogar die Sorge fuͤr Klytem-
neſtra, und fuͤr ſein Haus ihm an. — Aegiſthus
aber mißbrauchte dieß Vertrauen; verleitete die
Klytemneſtra zur Untreue gegen den Agamemnon;
und als dieſer nach der Eroberung von Troja wie-
der in ſeine Heimath kehrte, ward er vom Aegis-
thus und ſeinem eignen Weibe mitten unter dem
Gaſtmahl ermordet, das man bei ſeiner Ankunft,
dem Scheine nach, ihm zu Ehren mit erdichteter
Freude anſtellte.


[368]

Von den Kindern des Agamemnon war Iphi-
genie
ſchon bei der Fahrt nach Troja, wo ſie fuͤr
Griechenlands Wohl geopfert werden ſollte, von
Dianen nach Tauris entruͤckt. — Oreſtes wurde
von ſeiner Schweſter Elektra erhalten, die ihn
heimlich zu dem mit der Schweſter des Agamem-
non vermaͤhlten Koͤnige Strophius ſchickte, wel-
cher zu Phocis herrſchte, und mit deſſen Sohn
Pylades Oreſtes ein unzertrennliches Freund-
ſchaftsbuͤndniß knuͤpfte. — Nur Elektra blieb
zu Hauſe den Mißhandlungen ihrer entarteten
Mutter ausgeſetzt.


Klytemneſtra vermaͤhlte ſich nun ohne Scheu
mit dem Aegiſthus, und ſetzte ihm ſelber die
Krone auf, die er behauptete, bis Oreſtes in Be-
gleitung des Pylades kam, um ſeines Vaters Tod
zu raͤchen. Sie ſtreuten ein falſches Geruͤcht vom
Tode des Oreſtes aus, woruͤber Aegiſthus und
Klytemneſtra vor Freude außer ſich, ihr ſchwarzes
Verhaͤngniß nicht ahndeten.


Oreſt erſchlug mit eigner Hand ſeine Mut-
ter
und den Aegiſth, die Moͤrder ſeines Vaters.
Weil er aber ſeine Mutter getoͤdtet hatte, ward
er von den Furien verfolgt umhergetrieben, und
keine Ausſoͤhnung vermochte, das Andenken dieſer
That bei ihm auszuloͤſchen, bis ein Orakelſpruch
des Apollo ihm Befreiung von ſeiner Qual ver-
hieß, wenn er nach Tauris gehen, und die Bild-
[369] faͤule der Diana von dort nach Griechenland ent-
fuͤhren wuͤrde.


Oreſt begab ſich mit ſeinem getreuen Pylades
auf die Reiſe, und als ſie in Tauris anlangten,
ſollten ſie beide oder einer von ihnen nach dem al-
ten barbariſchen Gebrauch, der alle Fremden traf,
der Goͤttin geopfert werden. Hier war es, wo
jeder der beiden Freunde großmuͤthig ſein Leben fuͤr
den andern darbot.


Oreſtes aber gab ſich ſeiner Schweſter Iphi-
genie, der Prieſterin Dianens zu erkennen, und
dieſe fand ein Mittel, die Bildſaͤule der Diana
auf ihres Bruders Schiff zu bringen, und mit ihm
und ſeinem treuen Freunde nach Griechenland zu
entfliehen. Der Orakelſpruch des Apollo wurde
erfuͤllt; Oreſtes ward von den quaͤlenden Furien
befreit, und herrſchte ruhig zu Mycene; der Zorn
der Goͤtter uͤber Pelops Haus ſchien endlich zu er-
muͤden.


Der neue Dichter der Iphigenie auf Tauris
gibt der alten Dichtung eine feine Wendung. Er
laͤßt den Orakelſpruch des Apollo, dem Oreſtes
Ruhe verheißen, wenn er die Schweſter, die
wider Willen im Heiligthum zu Tauris bliebe,
nach Griechenland bringen wuͤrde.
Dieß
mußte Oreſt nothwendig auf Dianen, die Schwe-
ſter des Apollo deuten, weil er von dem Aufent-
halt ſeiner eignen Schweſter in Tauris noch nichts
A a
[370] wußte. Nach dieſem Ausſpruch durfte Iphigenie
die Bildſaͤule der Diana nicht entwenden, und
keinen Verrath an ihrem Wohlthaͤter dem Koͤnige
Thoas begehen, von dem ſie großmuͤthig entlaſ-
ſen wird.


Troja.


Außerhalb Griechenland war Troja der vorzuͤg-
lichſte Schauplatz der tragiſchen Begebenheiten,
welche in Geſaͤngen der Nachwelt uͤberliefert, und
auf der Schaubuͤhne dargeſtellt, in immerwaͤhren-
dem Andenken ſich erhielten. — Vom unerbittli-
chen Fatum ſelber war die Zerſtoͤrung von Troja
einmal beſchloſſen; zu ihrem Untergang mußte ſich
alles fuͤgen; und Goͤtter und Menſchen vermoch-
ten nichts gegen den Schluß des Schickſals.


Als Eris, bei der Vermaͤhlung des Peleus
mit der Thetis, in das hochzeitliche Gemach, wo
alle Goͤtter und Goͤttinnen verſamlet waren, den
goldnen Apfel mit der Inſchrift warf, die ihn der
Schoͤnſten
zutheilte, ſo wurden Juno, Venus,
und Minerva, unter allen Goͤttinnen, um den
Preis der Schoͤnheit zu wetteifern, einſtimmig
am wuͤrdigſten erkannt.


Ein unbefangner Hirt, der auf dem Ida
weidete, ſollte den Ausſpruch thun. Dieſer Hirt
war Paris, ein Sohn des Priamus, der uͤber
Troja herrſchte. Als die Goͤttinnen vor ihm er-
[371] ſchienen, und den entſcheidenden Ausſpruch von
ihm verlangten, mußten ſie ſich entkleiden; —
eine jede von ihnen verſprach ihm heimlich eine
Belohnung, wenn er den Apfel ihr zutheilte; Juno
verſprach ihm Macht und Reichthuͤmer, Minerva
Weisheit, Venus das ſchoͤnſte Weib auf Er-
den, — und Paris theilte den goldnen Apfel der
Venus zu.


Von dieſer Zeit an hegten Juno und Minerva
nicht nur gegen den Paris, ſondern gegen das
ganze Haus des Priamus einen tiefen Groll im
Buſen; waͤhrend daß Venus darauf dachte, ihr
Verſprechen dem Paris zu erfuͤllen.


Das ſchoͤnſte Weib auf Erden war Helena,
welche Jupiter in der Geſtalt des Schwans mit
der Leda erzeugte; die vom Theſeus in ihrer Kind-
heit ſchon einmal entfuͤhrt, von ihren Bruͤdern
Kaſtor und Pollux aber wieder nach Sparta zu-
ruͤckgebracht ward, wo ſie mit dem Menelaus des
Agamemnons Bruder ſich vermaͤhlte.


Paris ſchifte nach Griechenland, und ward
vom Menelaus gaſtfreundlich aufgenommen; waͤh-
rend deſſen Abweſenheit es durch die Veranſtal-
tung der Venus ihm gelang, die Helena zu entfuͤh-
ren. Als er nach Troja zuruͤckſegelte, und die Win-
de ſchwiegen, prophezeihte der wahrſagende Meer-
gott Nereus ihm alles Ungluͤck, was fuͤr Troja
A a 2
[372] aus dieſer Entfuͤhrung erwachſen wuͤrde; und
nicht lange blieb die Erfuͤllung aus.


Ganz Griechenland nahm an dem Schickſal
des Menelaus Theil. Gegen den Paris waren
alle Gemuͤther wegen der Verletzung des heiligen
Gaſtrechts aufgebracht; auch hielt man die Schoͤn-
heit
ſelber fuͤr wichtig genug, um ihren Raub als
den Raub von etwas Koſtbarem zu betrachten, das
man der Muͤhe wohl werth achtete, um es den
Haͤnden der Barbaren mit Kriegesmacht wieder zu
entreißen.


Als eine Geſandſchaft an den Priamus, die
Helena vergeblich zuruͤckgefordert hatte, verbanden
ſich die Fuͤrſten Griechenlands mit einem Schwur
zum Kriege gegen Troja, und theilten dem Aga-
memnon, welcher der maͤchtigſte unter ihnen war,
den Oberbefehl im Heere zu. Ein jeder ruͤſtete
Schiffe aus, und in dem Hafen von Aulis ver-
ſammlete ſich die griechiſche Flotte. Die vornehm-
ſten Anfuͤhrer in dieſem Kriege, deren faſt aller
ſchon gedacht iſt, waren:


  • Agamemnon;
  • Menelaus;
  • Neſtor;
  • Diomedes, des Tydeus Sohn:
  • Ajax, der Sohn des Telamon;
  • Ulyſſes;

[373]
  • Achilles, Peleus Sohn;
  • Patroklus, des Menoͤtius Sohn;
    • Podalirius,
    • Machaon,
    Soͤhne des Aeſkulap;
  • Philoktet, der letzte Gefaͤhrte des Herkules.
  • Sthenelus, des Kapaneus Sohn;
  • Therſander, des Polynices Sohn;
  • Idomeneus, des Minos Enkel.

Als nun das ganze Heer in Aulis verſammlet
war, zuͤrnte Diana auf den Agamemnon, weil
er einen ihr geweihten Hirſch getoͤdtet hatte. —
Man harrte lange vergebens, und es erhub ſich
kein guͤnſtiger Wind, mit dem die Flotte auslau-
fen konnte. Diana forderte durch den Mund
des Prieſters die Tochter des Agamemnon ſelbſt
zum Verſoͤhnungsopfer. Iphigenie wurde, beglei-
tet von ihrer Mutter, zum Altar gefuͤhrt; und ſchon
war der Opferſtahl gezuͤckt, als Diana in einer
Wolke Iphigenien nach Tauris in ihr Heiligthum
entruͤckte; ſtatt der verſchwundnen Iphigenie aber
ſtand ein Reh zum Opfer am Altar.


Diana war nun verſoͤhnt; die Flotte ſegelte
nach Troja ab; und Ilium die eigentliche Stadt
oder Burg des Koͤnigreichs Troja ward belagert. —
Neun Jahr lang hatte, nach der Vorausſagung
des wahrſagenden Prieſters Kalchas, die Belag-
[374] rung ſchon gewaͤhrt, als erſt im zehnten das Ver-
haͤngniß von Troja naͤher ruͤckte.


Die hohen himmliſchen Goͤtter alle nahmen
an dieſem Kriege Theil: Jupiter hielt des Schick-
ſals Wage. Auf der Seite der Griechen ſtanden
Juno, Minerva, Neptun, Vulkan, Merkur;
auf der Trojaner Seite, Venus, Apoll, Diana,
und Latona. Mars, als der Gott des Krieges
ſelber, ging von einem Heere zum andern, von
den Griechen zu den Trojanern uͤber.


Wie nun die Goͤtter an dieſem Kriege Theil
nehmen; von Sterblichen verwundet werden; ſich
ſelber in dem Treffen der Griechen und Trojaner
einander zum Streit auffordern; und wie die Goͤt-
tergeſtalten in ihren Zuͤgen ſich unterſcheiden; dieß
alles iſt in dem Abſchnitt: die menſchenaͤhnli-
che Bildung der Goͤtter,
ſchon erwaͤhnt, und
auf die Weiſe ein großer Theil der Geſchichte des
Trojaniſchen Krieges in jene Schilderung ſchon
vorlaͤufig eingewebt.


Was nun im zehnten Jahr der Belagrung die
Erobrung von Troja verzoͤgerte, war der Zorn
des Achilles,
der mit dem Agamemnon ſich ent-
zweite, und eine Zeitlang am Kriege keinen Theil
nahm. — Als nehmlich Agamemnon ſich weigerte,
die gefangne zur Beute ihm zugefallne Chryſeis,
ihrem Vater, einem Prieſter des Apollo, gegen ein
Loͤſegeld, auf ſein Bitten, zuruͤckzugeben; ſo hoͤrte
[375] Apollo das Flehen des verwaißten Vaters, und
ſandte zuͤrnend ſeine Pfeile in das Lager der Grie-
chen, daß eine Peſt entſtand, welche verheerend
um ſich greifend, zahlloſes Volk hinrafte.


Durch den Mund des Prieſters Kalchas
ward es offenbar, durch weſſen Schuld die Grie-
chen leiden mußten. Als Agamemnon nun die
Chryſeis zuruͤckzuſenden ſich laͤnger nicht weigern
konnte, verlangte er, daß die Griechen ihn fuͤr
den Verluſt ſeiner Beute ſchadlos hielten. Da
ſchalt Achill ihn ſeines Solzes, und ſeines Eigen-
nutzes wegen; und als ihm Agamemnon drohte,
war er ſchon im Begriff gegen ihn das Schwerdt
zu zuͤcken, haͤtte nicht an den gelben Locken Mi-
nerva ſelbſt ihn zuruͤckgehalten.


Agamemnon aber, der auf die Schadloßhal-
tung um deſto mehr beſtand, ließ, um ſich zu raͤchen,
die ſchoͤne Briſeis aus dem Zelte des Achilles in das
ſeinige hohlen. — Da flehte Achill am einſamen Ufer
des Meeres ſeine Mutter Thetis an, ſie moͤchte
den Jupiter bewegen, von nun an den Trojanern
beizuſtehn, damit die Griechen ihn vermiſſen, und
ſeinen Zorn empfinden woͤchten.


Jupiter gewaͤhrte der Thetis Bitte, und gab
den Trojanern Sieg, an deren Spitze Hektor,
der Sohn des Priamus fochte, und ſich unſterbli-
chen Ruhm erwarb. Vergebens ſuchten nun die
Griechen den Achill wieder zu verſoͤhnen. Sein
[376] Sinn blieb unbeweglich. Bis endlich die Troja-
ner ſoweit vordrangen, daß ſie Feuer in die grie-
chiſchen Schiffe warfen; da gab Achilles ſeinem
Buſenfreunde, dem Patroklus, ſeine Ruͤſtung,
und ſchickte ihn ſtatt ſeiner mit einem Haufen,
den Griechen beizuſtehn.


Des Patroklus Fall war ſchon beſchloſſen; al-
lein vorher erwarb er ſich noch glaͤnzenden Ruhm;
Sarpedon, Jupiters Erzeugter, und viel andre
tapfre Helden fielen vor ſeinem Schwerdte. — Als
aber ſein Verhaͤngniß nahte, ſo ſtand in Nacht
gehuͤllt, Apollo dicht hinter ihm. — Auf Nacken
und Schultern ſchlug er ihn mit der flachen Hand,
daß ſich ſein Auge verdunkelte; er warf ſeinen
Helm ihm vom Haupte, daß er unter den Fuͤßen
der Pferde rollte; in ſeiner Hand zerbrach er den
ſchweren ehernen Spieß, und loͤßte ihm ſelber den
Panzer auf. — Patroklus ſtand betaͤubt mit wan-
kendem Knie; Hektor gab ihm den toͤdtlichen
Stoß. Die Seele des Patroklus ſtieg zum Orkus,
und trauerte uͤber ihr Schickſal, weil ſie die
jugendliche Kraft zuruͤckließ.


Als nun Achilles des Patroklus Tod vernahm,
ſo ſchwand auf einmal ſein Zorn dahin. — Jam-
mernd und wehklagend um den Todten, fand ihn
ſeine Mutter, die aus der Tiefe des Meeres em-
porſtieg. Ob dieſe ihm gleich verkuͤndigte, daß
nach des Hektors Tode ſein Fall beſchloſſen ſey,
[377] ſo ſchwur er dennoch des Freundes Tod zu raͤchen,
gleichviel, was ihn fuͤr ein Schickſal treffen moͤge!
Als Thetis ihn feſt entſchloſſen ſahe, ſuchte ſie ihn
die uͤbrigen kurzen Tage zu troͤſten und aufzuhei-
tern; verſprach und brachte ihm eine koſtbare
Waffenruͤſtung vom Vulkan geſchmiedet, womit
Achill ins Treffen ging, nachdem ſich Agamemnon
wieder mit ihm verſoͤhnt, und ihm die Briſeis
unberuͤhrt zuruͤckgegeben hatte.


Nun eilte auch der Zeitpunkt heran, wo Hektor
fallen, ſein alter Vater Priamus und ſeine Mut-
ter Hekuba um ihn jammern, und ſeine Gattin
Andromache mit lauter Wehklage ihn betrauren
ſollte. — Das Heer der Trojaner fluͤchtete in die
Stadt; Hektor blieb allein zuruͤck, um mit dem
Achill den Kampf im Felde zu beſtehen; als dieſer
ihm aber nahe kam, und die goͤttliche Waffenruͤ-
ſtung dem Hektor in die Augen blitzte, ergriff ihn
ploͤtzliches Schrecken; — er nahm die Flucht, und
dreimal jagte Achill ihn um die Mauern von Troja;
ſo lange hatte Apoll dem Hektor ſein Knie geſtaͤrkt;
als zum viertenmale der Lauf begann, nahm Ju-
piter die Wagſchale in die Hand, und legte zwei
todbringende Looſe darauf, das eine des Hektors,
das andre des Achilles, und Hektors Schale ſank
bis zum Orkus nieder. — Da verließ ihn Apollo.


Die beiden Helden fochten; Hektor fiel; und
Achilles band ihn mit den Fuͤßen an ſeinen Wagen,
[378] und ſchleifte ihn im Staube um die Mauern von
Troja, daß Hekuba heulend ihr Haar zerraufte,
und der alte Priamus flehend ſeine Haͤnde aus-
ſtreckte.


Das Leichenbegaͤngniß des Patroklus wurde
nun mit oͤffentlichen Kampfſpielen im Lager der
Griechen gefeiert, waͤhrend daß Hektors Leichnam
unbegraben lag. Allein in naͤchtlicher Stille vom
Merkur geleitet, kam der Greis Priamus ſelber
in des Achilles Zelt, umfaßte deſſen Knie, und
flehte ihn um den Leichnam ſeines Sohnes.
Die Goͤtter hatten ſchon des Achilles Herz er-
weicht; er dachte an ſeinen alten Vater Peleus,
der auch nun bald den Tod ſeines Sohnes betrau-
ern wuͤrde, und gewaͤhrte dem Priamus ſeiner
Bitte, der mit dem Leichnam Hektors ſchnell nach
Troja eilte, und ihm mit allem Volke die Todten-
feier hielt.


Auch war das Verhaͤngniß des Achilles nun
nicht mehr weit entfernt; nachdem er noch einige
ruhmvolle Thaten vollbracht, traf vom Apollo
gelenkt, des Paris toͤdtlicher Pfeil ihm in die
Ferſe, wo er allein verwundbar war. Um ſeine
Waffen entſtand ein trauriger Streit; die Grie-
chen ſprachen ſie dem Ulyſſes zu; woruͤber Ajax,
welcher nach dem Achill der tapferſte unter den
Griechen war, aus Mißmuth ſich ſelbſt ent-
leibte.


[379]

Paris ward bald nachher vom Philoktet mit
einem der Pfeile getoͤdtet, die in das Blut der
Lernaͤiſchen Schlange getaucht, vom Herkules
ihm hinterlaſſen waren. Auch war der Fall von
Troja nun beſchloſſen, das nach ſo viel Blutver-
gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, ſon-
dern mit Liſt erobert werden mußte.


Auf den Rath des Ulyſſes wurde nehmlich
ein ungeheuer großes hoͤlzernes Pferd gebaut,
in deſſen Bauch die Helden ſich verſteckten, waͤh-
rend daß das Heer der Griechen ſich auf die
Schiffe begab, und die Kuͤſte von Troja zum
Schein verließ. — Nur Sinon blieb zuruͤck, und
ſtellte ſich als ein Fluͤchtling, der von den Grie-
chen verfolgt, bei den Trojanern um Schutz und
Huͤlfe flehte, und gleichſam wie ein Geheimniß
ihnen entdeckte, daß das hoͤlzerne Pferd erbaut
ſey, um die Minerva zu verſoͤhnen, weil die
Griechen das Palladium, eine Bildſaͤule dieſer
Goͤttin, welche das Unterpfand des Reichs war,
aus Troja entwendet hatten. — Hierzu kam noch,
daß der Prieſter Laokoon, der vor dem Pferde
warnte, und mit dem Spieß in deſſen Seite fuhr,
von zwei großen Schlangen, die uͤbers Meer ka-
men, mit ſeinen Soͤhnen umwunden, und ge-
toͤdtet ward.


Nach dieſer ſchrecklichen Begebenheit blieb an
Sinons Ausſage kein Zweifel uͤbrig; man eilte
[380] in vollem Jubel dieß neue Unterpfand der Wohl-
fahrt des Reichs in die Stadt zu bringen; Kna-
ben und junge Maͤdchen freuten ſich, mit an das
Seil zu faſſen; man riß einen Theil der Mauern
nieder; das Pferd ſtand mitten in Ilium.


Man frohlockte bis tief in die Nacht, und
alles war zuletzt vom Taumel der Freude berauſcht,
entſchlummert; als Sinon an des hoͤlzernen Pfer-
des Bauch die Leiter ſetzte, die Thuͤr ſich oͤfnete,
und die Helden leiſe hinunterſtiegen.


In der Naͤhe ſtand ſchon das griechiſche Heer;
das Zeichen mit der angezuͤndeten Fackel ward ge-
geben; durch die niedergerißne Mauer drang man
in die Stadt; und waͤhrend noch der Schlummer
die Augenlieder ſeiner Einwohner deckte, war Troja
ſchon ein Raub der Flammen. An ſeinem Haus-
altare ward der Greis Priamus vom Pyrrhus
getoͤdtet; Hekuba und Andromache, und die Toͤch-
ter des Priamus wurden gefangen hinwegge-
fuͤhrt. — Die Herrlichkeit von Troja war in
Schutt und Aſche verſunken.


Doch mußten die Griechen auch bei ihrer
Ruͤckkehr noch fuͤr ihren theuer erkauften Sieg
mit mancherlei Ungluͤcksfaͤllen buͤßen. Am mei-
ſten unter allen Ulyſſes, der zehn Jahre umher-
irrte, ehe er ſeine geliebte Heimath wieder erblickte.
Mit Gefahr und Liſt entkam er dem Cyklopen
Polyphem, der, nach ſeinen Gefaͤhrten, auch
[381] ihn zu verſchlingen drohte. Aus dem ſtillen truͤ-
geriſchen Hafen der menſchenfreſſenden Laͤſtrygo-
nen,
eines Rieſenvolkes, entrann er nur mit
einem einzigen Schiffe, womit er auf der Inſel
der maͤchtigen Circe landete, und ohne von ihrem
Zaubertranke beſiegt zu werden, ein Jahr bei ihr
verweilte. Dann ſtieg er ins Reich der Schatten;
ſchiffte, an den Maſtbaum gebunden, nachdem er
die Ohren ſeiner Gefaͤhrten mit Wachs verklebt, vor
den Sirenen voruͤber, und hoͤrte ohne Gefahr ih-
ren verfuͤhreriſchen Geſang; zwiſchen dem Strudel
Charybdis, und der felſigten Scylla, ſchifte er die
ſchmale gefaͤhrliche Straße hindurch, und landete
an einer Inſel, wo ſeine Gefaͤhrten, wider ſein
Verbot, der Sonne geweihte Rinder ſchlachteten
und verzehrten. Sobald das Schiff aufs Meer
kam, ward es von Jupiters Blitz zerſchmettert;
des Ulyſſes Gefaͤhrten kamen um; er rettete ſich
allein, und ſchwamm an die Inſel der Kalypſo,
die ihm Unſterblichkeit verſprach, wenn er mit ihr
ſich vermaͤhlen wolle, und ihn, ſo ſehr er ſich
auch nach ſeiner Heimath ſehnte, geraume Zeit
zuruͤckhielt, bis ſie, auf den Befehl der Goͤtter,
auf einem von ihm ſelbſt gebauten Floß mit guͤn-
ſtigem Winde, ihn entließ. Als er nah an
Ithaka war, erblickte ihn Neptun, der wegen
ſeines Sohns, des Polyphem noch auf ihn zuͤrnte,
dem Ulyſſes, um ihm zu entfliehen, ſein einziges
[382] Auge ausbrannte. — Ploͤtzlich wurde das Meer
vom Sturmwind aufgeregt. Von ſeinem Floß
herabgeworfen, ein Raub der ungeſtuͤmen Wellen,
verzagte Ulyß, am Felſen angeklammert, im wil-
den Sturme nicht; ſchwimmend rettete er ſich mit
Gefahr und Noth auf die Inſel der Phaͤacier,
die ihn gaſtfreundlich aufnahmen, und mit Ge-
ſchenken uͤberhaͤuft in ſeine Heimath ſandten, wo
er ſeine treue Gattinn Penelope, ſeinen Vater
Laertes, und ſeinen Sohn Telemach wieder fand.
Er toͤdtete zuerſt die ungerechten und uͤbermuͤthigen
Freier Penelopens, die ſchon ſeit Langem ſeine
Habe aufzehrten, und des jungen Telemachs Tod
einmuͤthig beſchloſſen hatten. Nun herrſchte er
wieder in ſeinem Reiche; die Seelen der getoͤdte-
ten Freier fuͤhrte Merkur in die Unterwelt.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt, nach
antiken geſchnittnen Steinen, Paris, wie er den
goldnen Apfel Aphroditen zutheilt, und Achill
am Grabe des Patroklus opfernd, abgebildet.


Niobe.


Mit dem Koͤnige Amphion, der uͤber The-
ben herrſchte, war Niobe, die Tochter des Tan-
talus vermaͤhlt; — ſie gebahr dem Amphion ſie-
ben Soͤhne und ſieben Toͤchter, und ſpottete einſt
uͤbermuͤthig der Verehrung der Latona, welche
nur einen Sohn, und eine Tochter gebohren.


[]
[figure]
[][383]

Kaum waren die frevelnden Worte uͤber ihre
Lippen, ſo flogen ſchon die unſichtbaren Pfeile des
Apollo und der Diana in der Luft. — Mit dem nie
verfehlenden Bogen toͤdtete Apollo ihre ſieben Soͤh-
ne; und Diana mit furchtbarem Geſchoß toͤdtete
ihre ſieben Toͤchter. — Auf einmal aller ihrer Kin-
der beraubt, ward Niobe in Thraͤnen aufgeloͤßt,
in einen Stein verwandelt, der auf dem Berge
Stpylon noch immer von Thraͤnen traͤufelnd, ein
Zeuge ihres ewigen Kummers ward.


Cephalus und Prokris.


Cephalus, ein Sohn des Dejoneus, war
mit der Prokris des Erechtheus Tochter erſt kurze
Zeit vermaͤhlt, als er einſt am fruͤhen Morgen
auf dem Hymettiſchen Gebuͤrge jagte, wo Au-
rora ihn entfuͤhrte. — Da er zu ſeiner inniggelieb-
ten Prokris wiederzukehren wuͤnſchte, entließ ihn
Aurora mit dem Bedeuten, es werde mit ſeiner
Vermaͤhlten ihm nicht nach Wunſch ergehen. Dieſe
Worte fachten die Eiferſucht in ſeinem Buſen an;
unter einer Verkleidung ſuchte er die Liebe der
Prokris zu gewinnen; und als ſie ihm kaum einen
Schein der Hoffnung blicken ließ, ſo gab er ſich
zu erkennen, und klagte ſie der Untreue an, wor-
auf ſie unwillig ihn verließ.


[384]

Als Cephalus nun nach einiger Zeit ſich wieder
mit ihr verſoͤhnte, ward Prokris von Eiferſucht
gequaͤlt, weil ſie vernahm, daß ihr Gemahl die
Nymphe Aura liebte, mit der er auf der Jagd
verſtohlnen Umgangs pflege. Einſt verſteckte Pro-
kris ſich im Gebuͤſch, um ihren Gatten zu belau-
ſchen. Dieſer ſeufzte, erhitzt vom Jagen, unter
dem Nahmen Aura, nach nichts als nach der
kuͤhlen Luft. Prokris aber, welche den Nah-
men ihrer Nebenbuhlerin von ſeinen Lippen zu hoͤ-
ren glaubte, regte ſich im Gebuͤſch. Cephalus
meinte das Rauſchen von einem verſteckten Wild
zu hoͤren, wornach er ſeinen Jagdſpieß warf, der
ſeine ungluͤckliche Gattin traf, welche ſterbend ihren
Irrthum erſt erkannte. —


Phaeton.


In Aegypten, wo Jupiter mit der Jo den
Epaphus erzeugte, hatte auch Klymene dem He-
lios
oder dem Sonnengotte den Phaeton geboh-
ren. Dieſem warf einſt Epaphus vor, daß er kein
Sohn der Sonne ſey, ſondern daß ſeine Mutter ſich
deſſen nur faͤlſchlich ruͤhme. — Um auf die glaͤn-
zendſte Weiſe dieſen bittern Vorwurf zu widerlegen,
begab ſich Phaeton, auf Anſtiften ſeiner Mutter,
ſelber zum Pallaſt des Sonnengottes, und ließ
ſich erſt von ihm beim Styx zuſchwoͤren, daß er
[385] ſeine Bitte gewaͤhren wolle; dann bat er ihn, daß
er nur einen Tag den Sonnenwagen lenken duͤrfe.


Helios, der den Schwur nicht widerrufen
konnte, mußte die ungluͤckliche Bitte ſeinem Sohn
gewaͤhren, der voller Muth den Wagen beſteigend,
die Sonnenpferde antrieb, welche bald ihren Fuͤh-
rer vermiſſend, aus dem Gleiſe wichen, zuerſt
dem Himmel und dann der Erde zu nahe kamen,
daß Berg und Wald ſich entzuͤndete, und Quellen
und Fluͤſſe verſiegten; da flehte die Erde den Ju-
piter um Huͤlfe an, welcher ſeine Blitze auf den
Phaeton ſchleuderte, der in den Fluß Eridanus
ſtuͤrzte, wo ſeine drei Schweſtern, die Sonnen-
toͤchter oder Heliaden, Lampetia, Phaetuſa,
und Aegle ihn ſo lange beweinten, bis ſie in
Pappelbaͤume verwandelt wurden, und auch als
ſolche noch Zaͤhren vergoſſen, die ſich zu dem
durchſichtigen Bernſtein in der Fluth verhaͤr-
teten. — Cygnus, des Juͤnglings Freund, be-
trauerte ſeinen Tod ſo lange, bis durch den
Schmerz ſein Weſen aufgeloͤßt, in die Geſtalt des
Schwans hinuͤberging, der immer auf der Fluth
verweilte, welche den Phaeton verſchlang. Mit
Freund und Schweſtern, die um ihn klagen, findet
man auch auf den antiken Marmorſaͤrgen, den
Sturz des Phaeton abgebildet.



[386]

Die Schattenwelt.


Der Tartarus oder Erebus war eigentlich die
Wohnung der Nacht, da wo man ſich die Sonne
unterſinkend dachte, am aͤußerſten Ende der Erde,
wo auch die Behauſung des Pluto war, unter
welcher
die geſtuͤrzten Titanen, die Soͤhne des
Himmels, im dunkeln Gefaͤngniß trauern muß-
ten. — Da waren aber auch in dem atlantiſchen
Ocean,
nahe an den Grenzen der Nacht, die
Inſeln der Seeligen, auf denen ein ewiger Fruͤh-
ling herrſchte. — An eben dieſem daͤmmernden
Horizonte ruhte der Himmel auf des Atlas Schul-
tern. — Auch hatte die Einbildungskraft die
fabelhaften Gaͤrten der Heſperiden hieher verſetzt,
und die Heſperiden ſelber waren Kinder der
Nacht. — So wie aber irgend ein Land von
Griechenland weſtwaͤrts lag, es mochte nun naͤ-
her oder entfernter ſeyn, trug die Phantaſie jene
ſchwankenden Begriffe darauf uͤber. In Grie-
chenland ſelber dachte man ſich bei dem Vorgebirge
Taͤnarum einen Eingang in das Reich des Pluto;
und in Theſprotien, dem weſtlichſten Theile von
[387] Griechenland ſtroͤmten die Fluͤſſe Acheron und
Kocytus, welche dieſe Nahmen wuͤrklich fuͤhrten;
auch war es in dieſer Gegend, wo Theſeus und
Pirithous zu den Schatten ſtiegen. — Weiter
weſtwaͤrts uͤbers Meer an den Kuͤſten Italiens
dachte man ſich bei dem Gift aushauchenden
See Avernus, uͤber den kein Vogel fliegen
konnte, einen Eingang in die Unterwelt; zuletzt
ließ man bis an die Wohnung der Nacht, am weſt-
lichſten Ufer des Oceans, das weite Reich des
Pluto grenzen; — gleichſam, als ob man gern
an die Vorſtellung vom Sonnenuntergang, auch
die Ideen des Aufhoͤrens und Verſchwindens
knuͤpfte.


Pluto.


Der Koͤnig der Unterwelt hieß bei den Grie-
chen Ades oder Aides, der Unſichtbare, Unbe-
kannte; — ſelbſt ſein Nahme bezeichnete das
Dunkel, in welches noch kein ſterbliches Auge
blickte. — Er hieß auch der unterirdiſche oder
ſtygiſche Jupiter; weil ihn die bildende Kunſt
dem Jupiter aͤhnlich, nur mit finſtrerm Blick
darſtellte. Er hielt einen zweizackigten Zepter von
Ebenholz in der Hand, und trug auf dem Haupte
eine eiſerne Krone; ſein Helm machte unſichtbar,
wen er bedeckte. Zum oͤftern ward er auch mit
einem Getreidemaaß auf dem Haupte, als [...]
B b 2
[388] Sinnbilde der Fruchtbarkeit der auf ihm ruhenden
Erdenflaͤche, abgebildet; dann hieß er Jupiter Se-
rapis,
oder der Aegyptiſche Jupiter. — Wie Ju-
gend und Schoͤnheit unmittelbar oder durch Alter
und Verwelken, der zerſtoͤrenden Macht, dem Gra-
be und der Verweſung zum Raube werden, iſt in
die ſchoͤne Dichtung, von der Entfuͤhrung Proſer-
pinens
durch den Pluto, eingehuͤllt.


Dieſe Dichtung iſt ausfuͤhrlich in die den Er-
zaͤhlungen von der Unterwelt ſo nah verwandte
Goͤttergeſchichte der Ceres eingewebt. — Proſer-
pina, die Tochter der Ceres ward, nachdem ſie
lange vergebens ſich geſtraͤubt, vom Pluto zur
Koͤnigin der Schatten auf ſeinen Thron erho-
ben. — Dieſe Koͤnigin der Unterwelt hieß bei
den Griechen Perſephone, welcher Nahme ſelbſt
ſchon auf Zerſtoͤrung und Verweſung deutet. —
In dem unterirdiſchen Pallaſte ſitzen nun, in me-
lancholiſcher Eintracht, Pluto und Proſerpina ne-
beneinander auf ihrem duͤſtern Throne, und herr-
ſchen uͤber das oͤde Reich der Todten. — Der
dreikoͤpfigte Cerberus wacht am Hoͤllenthore, und
auf ſeinem morſchen Kahne faͤhrt Charon die
Todten uͤber den Fluß, den keiner je zuruͤckſchifft. —
Die unterirdiſchen Gewaͤſſer, welche den Erebus
umgeben, ſind ſchon durch ihre Nahmen furcht-
bar: mit den Seufzern der Sterbenden fließt der
Acheron; der ſchwarze Kocytus mit dem Ge-
[389] heul der Klage um die Todten; Pyriphlegeton
waͤlzt ſich mit Flammen fort; des uͤber alles furcht-
baren Styx iſt in dem Abſchnitt von den alten
Goͤttern
ſchon gedacht; nur aus dem wohlthaͤti-
gen Lethe trinken die Seelen der Abgeſchiednen
Vergeſſenheit der Sorgen und alles Kummers,
der ſie im Leben druͤckte. —


Auch deutete im Grunde die ganze Dichtung
vom Ades oder Pluto auf das Grab, deſſen enge
Grenzen die Phantaſie zu einer Schattenwelt ſich
erweiterte. Man nannte daher auch in den Dich-
tungen das Reich des Pluto ein oͤdes, leeres
Reich,
und ſeine Behauſung ein enges Haus.
Auf Grab und Verweſung zielt der morſche Kahn
des Charon, der auf dem ſchwarzen ſumpfigten
Fluſſe, welcher kaum nur fortkriecht, des Schlam-
mes viel durch ſeine Ritzen ſchoͤpft, ſobald ihn eine
ungewohnte Laſt beſchwert.


Auch werden die Todten immer wie in einer
Art von Traumwelt dargeſtellt; ſie ſelbſt ſind
leere Schattenbilder, die erſcheinen und verſchwin-
den, und denen doch die Entbehrung von demje-
nigen fuͤhlbar iſt, was ſie beſaßen; die immer
noch wie im Leben thaͤtig zu ſeyn ſich fruchtlos an-
ſtrengen, wie einer, der im aͤngſtlichen Traume
vergebens ſich abarbeitet, indem er zu ſchreien
ſich bemuͤht, und kaum einen ſchwachen Laut her-
vorbringt.


[390]

Als Ulyſſes auf den Befehl der Circe zu den
Schatten ſtieg, verſammleten ſich um die Grube,
in welche er das ſchwarze Blut der Opferthiere
fließen ließ, die Seelen der abgeſchiednen Juͤng-
linge, Jungfrauen, Maͤnner im Kriege getoͤdtet,
und Greiſe, die vieles erlitten hatten. — Seine
Mutter erſchien ihm, und als er ſie umarmen
wollte, wich ihr Schatten zuruͤck; ſie lehrte ihn,
daß die Seele, ſobald der Koͤrper zerſtoͤrt iſt, wie
ein Traum,
davon flieht. Der Schatten des
Agamemnon ſtreckte nach dem Ulyß ſeiue Arme
aus, aber in den Gliedern war keine Kraft
mehr.
— Ulyſſes redete den Schatten des Achilles
an, und prieß ihn gluͤcklich, weil er im Leben be-
ruͤhmt geweſen, und nun auch geehrt unter den
Todten ſey; da antwortete Achill, er wolle, wenn
es ihm moͤglich waͤre, ins Leben zuruͤckzu-
kehren, lieber kuͤmmerlich einem armen Ta-
geloͤhner ſelbſt um Tagelohn dienen, als
hier in der Unterwelt uͤber alle Todten herr-
ſchen.
Auch des Herkules Schattenbild ſah
Ulyſſes hier, obgleich er ſelber unter den unſterb-
lichen Goͤttern ſeinen Sitz hat.


Aeneas, welcher, um ſeinen Vater Anchi-
ſes
zu ſehen, zu den Schatten ſtieg, hoͤrte, ſobald
er vom Charon uͤber den Fluß geſetzt, am jenſeiti-
gen Ufer ausſtieg, das Geſchrei und Weinen der
Kinder, die gleich nach ihrer Geburt geſtorben
[]

[figure]

[][391] waren, ohne des ſuͤßen Lebens genoſſen zu ha-
ben; — naͤchſt dieſem war der Aufenthalt der
unſchuldig zum Tode Verurtheilten und derjeni-
gen, welche ſelbſt Hand an ſich gelegt, weil ihnen
der Tag und das Licht verhaßt war, und die nun
gern die druͤckendſte Armuth und die ſchwerſte Ar-
beit erdulden wuͤrden, um zur Oberwelt wieder
zuruͤckzukehren, wenn es das unerbittliche Fatum
verſtattete. Dann kamen die Trauergefilde, worin
diejenigen wandelten, denen ungluͤckliche Liebe das
Leben kuͤrzte. — Zur Linken war der Tartarus, in wel-
chem die Veraͤchter der Goͤtter ihren Frevel buͤßten;
zur Rechten war Elyſium, der Aufenthalt der
Seeligen, und vorzuͤglich der Seelen der Menſchen
aus den beſſern goldnen Zeiten, die noch mit kei-
nen Verbrechen ſich befleckt hatten. Hier war es
auch, wo Aeneas ſeinen Vater Anchiſes fand,
welcher ihn uͤber Geburt und Tod, uͤber Werden
und Vergehen geheimnißvolle Dinge lehrte, und
die dunkle Zukunft vor ſeinem Blick enthuͤllte.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt, nach
antiken geſchnittnen Steinen, Pluto, als Jupi-
ter Serapis
mit dem Cerberus ihm zur Seite,
und Charon abgebildet, in deſſen Kahn ein Ab-
geſchiedner ſteigt, dem, vom Merkur herbeigefuͤhrt,
der muͤrriſche Charon ſelbſt mit Freundlichkeit die
Hand reicht.


[392]

Furien.


Tiſiphone, die Raͤcherin des Mordes; Me-
gaͤra,
die drohende; Alekto, die nimmer ruhen-
de; — ſtrenge und unerbittliche Goͤttinnen, das
Unrecht und den Frevel zu ſtrafen, mit Schlan-
genhaaren auf dem Haupte, und Dolchen und Fa-
ckeln in den Haͤnden. — Sie quaͤlten den Ver-
brecher mit ſchrecklichen Erſcheinungen; — ſie ver-
folgten Oreſt, den Muttermoͤrder, und ließen
ihm keine Raſt. — Die Ehrfurcht gegen ſie ging
ſo weit, daß man ſich kaum getraute, ihre Nah-
men zu nennen; — doch ſuchte man durch Gebet
und Opfer ſie zu verſoͤhnen.


Die Strafen der Verurtheilten
im Tartarus.


Die Verdammten im Tartarus ſind nicht ſo-
wohl zum eigentlichen Leiden, als vielmehr zu
einer zweckloſen Thaͤtigkeit, in ſo fern dieſelbe
ein Bild des muͤhevollen Lebens iſt, verurtheilt. —
Ihre Strafe ſcheint zu ſeyn, daß ſelbſt noch in
die Behauſung der Todten ihr raſtloſes Leben ſie
verfolgt, und ihre grenzenloſen Beſtrebungen nach
einem zu hohen Ziele, wodurch ſie den Goͤttern
ſich verhaßt machten, die es nicht dulden koͤnnen,
wenn Sterbliche, auf irgend eine Weiſe, ihnen
zu ſehr ſich naͤhern wollen.


[393]

Tantalus.


Dieſen weiſen Koͤnig, der in Lydien herrſchte,
ſtellt die Dichtung als einen Liebling der Goͤtter
dar. Er ſaß mit Jupiter ſelbſt zu Tiſche, der an
ſeinen Geſpraͤchen, und an dem hohen Sinn ſei-
ner Rede ſich ergoͤtzte; allein


— zum Knecht zu groß, und zum Geſellen
des großen Donnrers nur ein Menſch,
Goͤthens Iphigenie.


verging er ſich einſtens mit zu dreiſten Worten ge-
gen den Jupiter, der ihn ſo tief hinunterſtuͤrzte,
als hoch er ihn erhoben hatte. — Des Tantalus
Strafe war, vor Durſt verſchmachtend ſtets die
klare Fluth zu ſehen, die bis ans Kinn vor ihm
emporſtieg, und ſchnell zuruͤckwich, ſobald er die
Lippe benetzen wollte; — und uͤber ſich ſtets mit
Sehnſucht den niedergeſenkten fruͤchtebeladnen
Zweig zu ſehen, der ſchnell in die Hoͤhe wich, ſo-
bald er darnach ſeine Hand ausſtreckte.


Dieſe Strafe ſelber war gleichſam nur eine
Fortſetzung ſeines Lebens; ein Bild jener nie
geſtillten Begier, in das Weſen der Dinge, und
in die Geheimniſſe der Goͤtter einzudringen, wel-
che Begier ihn verleitete, ſelbſt ſeinen Sohn zu
ſchlachten, und ihn mit andern Speiſen den Goͤt-
tern vorzuſetzen, um ihre Unterſcheidungskraft zu
pruͤfen. Wenn irgend etwas die furchtbare Neu-
[394] gier der Sterblichen, das Geheimnißvolle zu er-
gruͤnden, bezeichnet, ſo iſt es dieſe ſchreckliche
Dichtung. — Es iſt der Raub, den die Menſch-
heit an ſich ſelbſt begeht, um die Grundurſache ihres
Daſeyns zu erforſchen. — Die Goͤtter belebten des
Tantalus Sohn, den Pelops, wieder; und die
Dichtung rechtfertigt durch dieſe That des Tanta-
lus ſeine Strafe. Alle ſeine uͤbrigen Vergehun-
gen waren Eingriffe in die Vorzuͤge der Goͤtter. —
Er entwandte ihnen die Goͤtterſpeiſe, damit ſie
von ſterblichen Lippen ſollte gekoſtet werden. —
Auch ſtahl er den Hund des Jupiter, der deſſen
Heiligthum in Kreta bewachte, an welchem Raube
auch Pandarus Theil nahm, den die Goͤtter
mit dem Tode ſtraften, und deſſen Toͤchter noch
ſeinen Frevel buͤßten. — Es war das kuͤhne Ge-
ſchlecht des Japet, das ſich empoͤrend, und ſeine
Grenzen uͤberſchreitend, den unverſoͤhnlichen Haß
der Goͤtter auf ſich lud.


Ixion.


Faſt ein gleiches Schickſal mit dem Tantalus
hatte Ixion, der in Theſſalien herrſchte; er
wurde auch an die Tafel der Goͤtter aufgenom-
men, wo die Reitze der Juno ihn ſeiner Sterblich-
keit vergeſſen ließen. — Er ruhte nicht eher, als
bis er glaubte, das Ziel ſeiner Wuͤnſche erreicht zu
[395] haben; allein ihn taͤuſchte auf dem Gipfel ſeines
eingebildeten Gluͤcks ein Blendwerk: ſtatt der
Juno umarmte er eine Wolke;
aus dieſer Um-
armung entſtand wiederum ein taͤuſchendes Bild,
ein bloßes Geſchoͤpf der Phantaſie, die fabelhaften
Centauren, wo Mann und Roß ein Koͤrper ſind.
Die vermeßnen Anſpruͤche dieſes Sterblichen auf
die Umfaſſung des Hohen und Himmliſchen wur-
den nicht nur getaͤuſcht, ſondern auch beſtraft. —
Ixion ward ploͤtzlich von dieſer Hoͤhe in den Tar-
tarus hinabgeſchleudert, wo er an ein Rad gefeſ-
ſelt, ſich ewig im Kreiſe drehet, und ſo fuͤr ſeine
frevelnden Wuͤnſche buͤßet, die ihn die Grenzen
der Menſchheit uͤberſteigen ließen. Die immer-
waͤhrende Unruhe bleibt, aber ſie iſt zweckloß,
gleich dem muͤhevollen Rade menſchlicher Beſtre-
bungen, die ſich nur um ſich ſelber drehen.


Phlegyas.


Einer der tapferſten und kriegriſchſten Fuͤrſten
Griechenlands war Phlegyas, der eine Stadt er-
baute, die er nach ſeinem Nahmen nannte, und
ſie mit den ausgeſuchteſten, tapferſten Kriegern
bevoͤlkerte. Man nannte ſie die Soͤhne des Mars,
und Schrecken ging vor ihnen her, wohin ſie ka-
men. — Als nun Apollo dem Phlegyas ſeine Toch-
ter Koronis entfuͤhrte, ſo ſetzte dieſer ſeinem Zorn
[396] und ſeiner Rache keine Grenzen, ſondern brach
auf, eroberte Delphi, und verbrannte den Tem-
pel des Apollo. Dafuͤr ſchwebt nun in der Unter-
welt ein drohender Felſen ewig uͤber ſeinem Haupte.
Die immerwaͤhrende Gefahr, die er im Treffen
aufſuchte, begleitete den wilden Krieger auch in den
Tartarus hinab, und iſt ein furchtbares Bild von
dem Looſe der Sterblichen, uͤber deren Haupte be-
ſtaͤndig das in Dunkel gehuͤllte Schickſal ſchwebt,
welches Verderben und Zerſtoͤrung drohet, indeß
das beklemmte Gemuͤth von Furcht und Zweifel
geaͤngſtigt wird.


Die Danaiden.


Der funfzig Toͤchter des Danaus, Koͤnigs
in Argos, iſt ſchon gedacht, wie ſie auf den Be-
fehl ihres Vaters, die Hypermneſtra ausge-
nommen, alle in einer Nacht ihre Maͤnner er-
mordeten. Auch dieſe mußten in der Unterwelt
durch zweckloſe Muͤhe fuͤr ihr Verbrechen buͤßen.
Sie mußten in loͤchrichte Gefaͤße unaufhoͤrlich Waſ-
ſer ſchoͤpfen, und ſo in jedem Augenblick die
Frucht ihrer Arbeit zerrinnen ſehn.


Siſyphus.


Siſyphus, welcher Korinth beherrſchte, war
einer der thaͤtigſten und weiſeſten Regenten ſeiner
Zeit, und dennoch iſt ſeine Strafe in der Unter-
[]

[figure]

[][397] welt, auf die Spitze eines Berges einen großen
Stein zu waͤlzen, der immer durch ſeine Schwere
wieder hinunter rollt, ſo daß dem Ungluͤcklichen,
der umaufhoͤrlich ſich abarbeitet, kein Augenblick
der Ruhe und Erholung geſtattet iſt. — Siſyphus
erreichte ein hohes Alter, weswegen die Dich-
tung von ihm ſagt, er habe die unterirdiſchen Goͤt-
ter bettrogen, die ihn auf ſein Verſprechen, gleich
wieder zuruͤckzukehren, einſt aus dem Orkus ent-
laſſen haͤtten, und denen er frevelnd ſein Wort
gebrochen. — Indem er, nach dieſer Dichtung, ſeine
Tage uͤber das beſtimmte Ziel zu verlaͤngern ſuchte,
ſo war es gleichſam der immer wieder herabrol-
lende Stein, die muͤhſelige Arbeit des Lebens,
die er ſich ſelbſt aufs neue waͤhlte, und welche nun,
als Schattenbild, im Tode ihn noch verfolgte.


Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt, nach
einer antiken Gemme, Siſyphus den Stein in
die Hoͤhe waͤlzend, abgebildet; und nach einem
antikeen Basrelief ſind Amor und Pſyche ſich um-
armemd dargeſtellt.


Amor und Pſyche.


Eine der reitzendſten Dichtungen iſt die vom
Amor und der Pſyche. — Unter der Pſyche mit
Schmetterlingsfluͤgeln abgebildet, dachte man
ſich gleichſam ein zartes geiſtiges Weſen, das aus
[398] einer groͤbern Huͤlle ſich emporſchwingend, und
verfeinert zu einem hoͤhern Daſeyn, zu ſchoͤn fuͤr
dieſe Erde, durch Amors Liebe ſelbſt begluͤckt, zu-
letzt mit ihm vermaͤhlt ward, und an der Seelig-
keit der himmliſchen Goͤtter Theil nahm. — Der
Nahme Pſyche ſelbſt bedeutet ſowohl einen Schmet-
terling als die Seele. — Die zarteſten Begriffe
von Tod und Leben ſind dieſer Dichtung eingewebt,
welche gleichſam uͤber die Schauer der Schatten-
welt einen ſanften Schleier deckt.


Auf Erden war Pſyche die juͤngſte von drei
Koͤnigstoͤchtern; und ſie blieb unvermaͤhlt, weil
wegen ihrer himmliſchen Schoͤnheit kein Sterbli-
cher es wagte, ſich um ſie zu bewerben. Auf den
Befehl eines Orakelſpruchs mußten ihre Eltern und
Freunde ſie wie zum Tode, im Leichenſchmuck,
auf einen hohen Berg begleiten, und an dem
Rande eines jaͤhen Abgrundes ſie verlaſſen. —
Sobald ſich Pſyche allein ſahe, ward ſie von
einem Zephir ſanft emporgetragen, und in ein an-
muthiges Gefilde, wo ein glaͤnzender Pallaſt ſtand,
zu Amors unſichtbaren Umarmungen hinwegge-
ruͤckt. — Oft warnte Amors Stimme ſie, bei
dem Verluſt ſeiner Liebe, niemals, wer ihr Lieb-
haber ſey? neugierig nachzuforſchen.


Mitten aber im Genuß eines himmliſchen
Gluͤcks, ſehnte Pſyche, zu ihrem Schaden, den-
[399] noch zu ihren Schweſtern ſich zuruͤck, welche, auf
ihren Wunſch vom Zephir hergetragen, in ihrem
Aufemthalt ſie beſuchten, und ihr Gluͤck beneidend,
ſie auf den Argwohn brachten, ihr unſichtbarer
Liebhaber ſey ein furchtbares Ungeheuer, von dem
ſie ſich befreien, und es mit ſcharfem Eiſen im
Schlafe toͤdten muͤſſe. — Die Schweſtern wurden
vom Zephir wieder hinweggetragen, und Pſyche
befolgte thoͤricht ihren Rath. — Kaum war es
Nacht und Amor eingeſchlummert, ſo trat ſie
mit einer Lampe und mit dem gezuͤckten Dolche
vor ihm hin, als ſie ſtatt eines Ungeheuers,
den ſchoͤnſten unter den unſterblichen Goͤttern,
den himmliſchen Amor ſelbſt erblickte. Zit-
ternd hielt ſie die Lampe in der Hand, aus
der ein Tropfen heißes Oehl auf Amors Schul-
ter fiel, woruͤber er erwachte, und da er Pſy-
chen und das toͤdtliche Werkzeug ſahe, zuͤrnend
ſie verließ.


Voll Verzweiflung, Amors Liebe verſcherzt
zu haben, ſuchte Pſyche ihr Daſeyn zu vernich-
ten, und ſtuͤrzte ſich in den naͤchſten Fluß;
alleim die Wellen trugen ſie an das jenſeitige
Ufer ſanft hinuͤber, wo Pan, der Gott der
Heeriden, ihr den Troſt gab, daß ſie hoffen
duͤrfe, fuͤr ihr Vergehen noch einſt Verzeihung zu
erhalten. — Die Schweſtern der Pſyche aber,
welche die Folgen ihres Raths wohl vermutheten,
[400] wuͤnſchten nun ſelbſt die Stelle der Verſtoßnen ein-
zunehmen, und ſtellten ſich eine nach der andern
auf die Felſenſpitze, wo ſie glaubten, daß der
Zephir ſie nach dem gewuͤnſchten Aufenthalt brin-
gen wuͤrde; allein ſie ſtuͤrzten in die Tiefe hinab,
und buͤßten ihren Neid, und den Verrath an
ihrer Schweſter, mit dem Tode.


Um den Amor aufzuſuchen, ſchweifte Pſyche
vergebens auf der ganzen Erd’ umher; ſie flehte
zuletzt die Venus ſelber um Erbarmung an,
welche heftig auf ſie zuͤrnend, und auf ihre
Schoͤnheit eiferſuͤchtig, ihr die haͤrteſten Pruͤ-
fungen, und die ſchwerſten Arbeiten auferlegte,
deren Ausfuͤhrung oft unmoͤglich ſchien, —
und die ſie dennoch mit Huͤlfe wohlthaͤtiger We-
ſen vollbrachte, welche Amor, der ſie ſtets
noch liebte,
ihr zum Beiſtande ſchickte. Pſyche
aber mußte lange fuͤr ihre Thorheit buͤßen,
und des verſcherzten Gluͤcks erſt wieder wuͤrdig
werden. — Zuletzt befahl ihr Venus, ſelbſt in
die Unterwelt hinabzuſteigen, und von der Pro-
ſerpina eine Buͤchſe zu fordern, welche hohe
Schoͤnheitsreitze in ſich enthielte. Nun glaubte
Pſyche, ſie muͤſſe ſterben, um in die Unter-
welt zu kommen. Allein eine Stimme belehrte
ſie, von jeder Vorſicht, die ſie nehmen, und
warnte ſie vor jeder Gefahr, die ſie vermei-
den muͤſſe.


[401]

Sie durfte Kuchen und Faͤhrgeld nicht ver-
geſſen, jenen um den Cerberus zu beſaͤnftigen,
dieſes um den Charon zu befriedigen, der ihr,
ſo wie den Todten, das Geld aus dem Munde
nehmen mußte. Es waren nur die Gebraͤuche
des Sterbens,
welche von der Pſyche beob-
achtet wurden, ſie ſelber kehrte ans Licht empor;
auch durfte ſie ſich dem Orkus durch nichts ver-
bindlich machen, und an dem Gaſtmahl Pro-
ſerpinens
keinen Antheil nehmen, ſondern auf
der Erde ſitzend nur ſchwarzes Brod verzehren.
Vor allem aber mußte ſie die Buͤchſe mit den
Schoͤnheitsreitzen uneroͤfnet der Venus uͤberbrin-
gen; und Pſyche, welche nun in ſo vielen Pro-
ben beſtanden war, erlag in dieſer letztern.
Kaum war ſie der Unterwelt entſtiegen, ſo
nahm ſie den Deckel von der Buͤchſe, aus wel-
cher ein hoͤlliſcher Dampf ihr entgegenſtieg, der
ſie in einen tiefen Todesſchlummer ſenkte, von
welchem Amor, der ſchon lange unſichtbar uͤber
ihr ſchwebte, ſie wieder weckte, und uͤber dieſen
zweiten Ruͤckfall in Eitelkeit und Neugier ihr
nur ſanfte Vorwuͤrfe machte; denn ſchon war
ſein Entſchluß gefaßt, ſich mit der Pſyche zu
vermaͤhlen; ſie ward auf ſeine Bitte beim Ju-
piter unter die Zahl der Goͤtter aufgenommen;
auch Venus ward verſoͤhnt; Geſang und Sai-
C c
[402] tenſpiel ertoͤnte, und das ganze Chor der Goͤt-
ter nahm an der Hochzeitfeier des himmliſchen
Amors
Theil, mit welchem Pſyche, wie der
Goͤrterfunken mit ſeinem Urſprunge, ſich ver-
maͤhlte.


[403]

Appendix A Regiſter.


  • Abas 204.
  • Abſyrtus 271.
  • Abyla 246.
  • Achelous 76.248.
  • Acheron 387.388.
  • Achilles 72.325.326.342.
    373 bis 378.390.
  • Aeis 341.
  • Ades 387.
  • Admetus 113.243.262.
  • Adonis 336.337.
  • Adraſtus 355 bis 361.
  • Aeakus 280.
  • Aeea 272.
  • Aeetes 260.261.268 bis
  • 271.
  • Aege 120.
  • Aegeus 281.282.287.291.
    292.294.295.
  • Aegialeus 361.
  • Aegide 210.
  • Aegipanen 319.
  • Aegiſthus 367.368.
  • Aegle, Hesperide 236. He-
  • liade 385.
  • Aegyptiſcher Bachus 177.
  • Aegyptiſcher Jupiter 388.
  • Aegyptus 202.203.
  • Aello 73.266.
  • Aeneas 131.335.390.391.
  • Aeolus 96.212.257.258.
  • Aerope 364.
  • Aeſkulap 326 bis 328.
  • Aeſon 258.274.
  • Aetna 193.
  • Aethra 255.287.288.
  • Agamemnon 367.368. 372
  • bis 375.377.390.
  • Aganippe 305.
  • Agave 348.
  • Agenor 94.346.347.349.
  • Aglaja 64
  • Ajax 372 378.
  • Aides 387.
  • Akriſius 205.209.
  • Aktaͤon 137.349.
  • Aktor 359.
  • Alcaͤus 210.217.
  • Alceſte 242.243.
  • Aleimede 258.
  • Alcinous 272.273.
  • Alcyoneus 22.
  • Alekto 392.
  • Alkmene 217 bis 222.
  • C c 2
  • [404] Aloeus 29.
  • Aloiden 29.
  • Alphaͤus 76.
  • Alpheus 159.160.232.
  • Althea 277.278.
  • Amalthea 18.
  • Amathunt 192.
  • Amathuſia 192.
  • Amazonen 215.230.231.
  • Ambroſia 180.394.
  • Ammon (Jupiter) 101.208.
  • Amphiaraus 356.357.359.
  • Amphion 350.351.382.
  • Amphitrite 72.113.
  • Amphitryo 217 bis 220.
    222.224.
  • Amphyktion 96.
  • Amphyktionen 96.
  • Amor 54 bis 56.309.311.
    397 bis 402.
  • Amykus 254.266.
  • Anaurus 259.
  • Anaxo 217.
  • Ancaͤus 268.
  • Anchiſes 131.335.336.390.
    391.
  • Androgens 281.
  • Andromache 377.380.
  • Andromeda 207.208.210.
  • Antaͤus 240.241.
  • Antea 213.
  • Anteros 310.
  • Antigone 354.355.359.
    360.
  • Antiope, Amazonenkoͤnigin
  • 296.
  • Antiope 350.
  • Aphareus 256.
  • Aphidnaͤ 255.
  • Aphrodite 56.79.191.
  • Apollo 29.83.109 bis 115.
    139.159 bis 162.183 bis
  • 187.203.223.239.245.
    287.292.305.307.327.
    338 bis 340.352.368.
    369.374 bis 378.383.
    395.396.
  • Archemorus 358.
  • Arethuſa 236.
  • Arges 14.
  • Argo 262.272 bis 274.
  • Argolis 93.
  • Argonauten 262 bis 275.
  • Argos 188.189.203.
  • Ariadne 292.293.
  • Arion 116.359.
  • Ariſtaͤus 349.
  • Arkadien 97.196.197.
  • Askalaphus 129.
  • Aſopus 77.
  • Aſſarakus 326.
  • Aſteria 60.61.
  • Aſtraͤa 68.
  • Aſtraͤus 16.57.64.
  • Aſtyoche 364
  • Atalante 356
  • Atalante 277 bis 279.
  • Ate 222.
  • [405] Athamas 258.260.349.
  • Athen 42.43.95.96.150.
    191.255.281 bis 283.
    287.288.291 bis 295.
    298 bis 300.
  • Athene (Pallas) 95.
  • Atlas 16.31.65.77.207.
    246.386.
  • Atreus 363 bis 367.
  • Atropos 44.48.68.
  • Attika 93.95.295.296.
  • Atys 333.334.
  • Augias 231.232.
  • Aulis 372.
  • Aura 384.
  • Aurora 16.57.113.334.
    335.383.
  • Autonoe 348.349.
  • Avernus 387.
  • Bachanal 176.177.
  • Bachantinnen 172.173.
    195.
  • Bachus 167 bis 178.293.
    316.317.349.
  • Baucis 197.198.
  • Bebrycien 266.
  • Bellerophon 212 bis 215.
  • Bellona 123.
  • Belus 202.
  • Biſtoniden 194.
  • Biton 188.189.
  • Boͤotien 40.93.260.347.
  • Boreas 194.262.266.338.
  • Briareus 14.20.21.66.72.
  • Briſeis 375.377.
  • Brontes 14.
  • Buſiris 241.
  • Caͤneus 200.
  • Ceſalonia 219.
  • Cekrops 92.95.
  • Celaͤno 266.
  • Celeus 141.142.
  • Cenaͤum 251.
  • Centauren 223.296.297.
    395.
  • Cephalene 219.
  • Cephatus 219.383.384.
  • Cepheus 208.
  • Cerberus 75.236 bis 238.
    388.391.401.
  • Ceres 19.85.116.139 bis
  • 145.168.
  • Ceto 70.74 bis 76.214.
    226.
  • Chaonien 97.181.
  • Charirinnen 311.
  • Charon 237.388.389.391.
    401.
  • Charybdis 272.381.
  • Chimaͤra 75.96.212.214.
  • Chiron 77.173.223.258.
    325 bis 327.
  • Chonidas 287.288.
  • Chryſaor 74.75.
  • Chryſeis 374.375.
  • Chryſippus 363.364.
  • Cinyras 336.
  • Circe 272.381.390.
  • [406] Coͤns 14.15.
  • Corinthiſcher Iſthmus 274.
  • Cyane 140.
  • Cyaneen 266.267.
  • Cybele 164 bis 167.279.
    333.334.
  • Cycikus 265.
  • Cygnus 385.
  • Cyklopen 14.17.19.149.
    193.
  • Cyllene 196.
  • Cynthus 184.
  • Cypariſſus 338.339.
  • Cypern 191.192.
  • Cypſelus 46.
  • Cythaͤron 171.
  • Cythere 192.336.
  • Daͤdalus 283 bis 286.293.
  • Damaſtes 290.
  • Danae 205.
  • Danaiden 396.
  • Danaus 202 bis 204.
  • Daphne 340.
  • Dardanus 330.
  • Dejanira 248 bis 252.
  • Dejoneus 383.
  • Delos 83.183.184.292 bis
  • 294.
  • Delphi 136.184 bis 187.
    224.287.396.
  • Delphinen 170.185.
  • Deukalion 39.40.96.
  • Diana 60.61.83.110. 135
  • bis 139.193.194.228.
  • 276.277.340.341.373.
    374.383.
  • Dice 67.
  • Diktaͤiſche Grotte 180.
  • Dindymus 265.
  • Dino 74.
  • Diomedes, Sohn des Mars
  • 233.234.
  • Diomedes, Tydeus S [...]ohn
  • 127. 128 133.276.372.
  • Dione 56.113.134.
  • Dioskuren 255.
  • Dirce 350.
  • Dodona 97.181.182.262.
  • Donau 271.
  • Doris 70.71.72.
  • Dryaden 315.
  • Dryas 200.
  • Echidna 74.75.
  • Echion 348.
  • Eimarmene 48.
  • Elektra, Tochter des Ocean
  • 73.
  • Elektra, Agamemnons
  • Tochter 367.368.
  • Elektryo 210.
  • Eleus 219.
  • Elenſinus 93.
  • Eleuſis 93.141.237.290.
  • Elis 174.231.
  • Elyktrio 217 bis 219.
  • Elyſium 391.
  • Euceladus 22.
  • Endymion 340.341.
  • [407] Enyo 74.
  • Epaphus 94.384.
  • Epheſus 193.194.
  • Ephialtes 29.
  • Ephyra 274.
  • Epidaurus 289.328.
  • Epigonen 360.
  • Epimetheus 16.38.39.
  • Epirus 97.181.
  • Epopeus 350.
  • Erato 304.307.
  • Erebus 13.386 bis 388.
  • Erechthiden 95.284.
  • Erechtheus 95.383.
  • Erichthonius 150.
  • Evieiniſche Venus 286.
  • Eridanus 385.
  • Eriphyle 356.357.
  • Eris 342.
  • Eros 310.
  • Erymanthiſcher Eber 227.
    228.
  • Erynnen 117.
  • Eryſichthon 144.
  • Erythia 236.
  • Eryx 286.
  • Eteokles 354 bis 360.
  • Euboaͤ 249.251.
  • Eumaͤus 111.
  • Euneus 265.
  • Eunomia 67.
  • Euphemus 273.
  • Euphroſine 64.
  • Europa 279.
  • Eurotas 254.
  • Euryale 74.206.
  • Eurybia 70.73.
  • Eurydice 195.
  • Eurynome 63.64.
  • Euryſtheus 221 bis 238.
    364.
  • Eurytion 235.
  • Eurytus 249.250.
  • Euterpe 304.307.
  • Evander 242.
  • Evenus 248.
  • Everes 218.
  • Fatum 44 bis 52.
  • Faunen 174.317 bis 319.
  • Fließ 260 bis 262.268 bis
  • 270.
  • Furien 15.50.392.
  • Galatea 71.341.
  • Ganymedes 330 bis 333.
    343.
  • Gargarus 180.
  • Gelanor 202.
  • Genien 301.302.310.
  • Geryon 234.235.
  • Giganten 22.23.27.
  • Gnidus 192.
  • Goͤthe 9 bis 12 35 bis 37.
    103.104.331.332.345.
    346.365.366.369.370.
    393.
  • Gorgo 126.
  • Gorgonen 74.
  • Graͤen 74.
  • Grazien 311 bis 313.
  • [408] Gyges 14.20.21.66.
  • Haͤmon 360.
  • Hamadryade 315.
  • Harmonia 348.
  • Harpokrates 153.154.
  • Harpyen 73.266.267.
  • Hebe 81.253.332.
  • Hebrus 173.
  • Hekate 60.61.
  • Hektor 201.375 bis 378.
  • Hekuba 377.378.380.
  • Helena 131.132.254.255.
    367 371 372.
  • Heliaden 385.
  • Helikon 119.305.
  • Helios 57 bis 59.113.280.
    384.385.
  • Helle 260.261.
  • Hellen 96.
  • Helleſpont 261.
  • Hera 188.
  • Heraͤen 188.
  • Herkules 216 bis 253.288.
    296.297.305.315.390.
  • Hermione 290.
  • Hermione, Tochter des
  • Mars 348.
  • Heſione 239.240.
  • Hesperiden 45.235.236.
    386.
  • Hippodamia 297.
  • Hippodamia, Oenomaus
  • Tochter 363.364.
  • Hippokrene 119.305.
  • Hippolytus 296.298.299.
  • Hippomedon 356 bis 359.
  • Hippomenes 279.
  • Homer 200.201.
  • Horen 67.134.312 bis 314.
  • Hyacinthus 338.
  • Hydra 226.227.
  • Hygea 328.329.
  • Hylas 239.
  • Hyllus 252.
  • Hymen 325.
  • Hymettiſches Gebuͤrge 383.
  • Hyperbius 358.359.
  • Hyperhoreer 194.
  • Hyperion 14.16.58.
  • Hypermneſtra 203.204.
  • Hypſipyle 264.265.357.
    358.
  • Janus 25.
  • Japet 14.16.
  • Jaſon 257 bis 275.277.357.
  • Ida 180.280.331.370.
  • Idaͤiſcher Jupiter 180.
  • Idalia 192.
  • Idalium 192.
  • Idas 256.277.
  • Idea 266.
  • Idomeneus 373.
  • Ikarus 283.285.286.
  • Ilaira 256.
  • Ilithya 81.
  • Ilium 373.380.
  • Illyrien 349.361.
  • Inachus 92 bis 95.233.
  • [409] Indiſcher Bachus 177.
  • Ino 260.348.349.
  • Jo 93.94.216.
  • Jobates 213.215.
  • Jokaſte 351.353 bis 355.
  • Jolaus 226.
  • Jole 249 bis 252.
  • Jolkos 258.259.263.273.
  • Iphigenie 365.367 bis 370.
    373.
  • Iphikles 222.226.
  • Iphimedia 29.
  • Iphitus 250.
  • Irene 67.
  • Irie 73.105.117.
  • Iſchys 327.
  • Iſis 166.
  • Ismene 354.
  • Iſthmiſche Spiele 295.
  • Iſthmus 274.289.
  • Ithaka 119.381.
  • Juno 49.79 bis 84.93. 105
  • bis 109.121.138.151.
    158.188.189.221 bis
  • 224.226.245.248.253.
    257.259.272.314.347.
    349.352.370.371.374.
    394.395.
  • Jupiter 17 bis 30.31.34.
    37 bis 39.44.49.56.58.
    61.63.64.67.68.72. 79
  • bis 88.93.94.97.99 bis
  • 105.107.111.117.120.
    128.129.134.135.142.
  • 145.149.161.162.168.
    180 bis 182.189.190.
    197.198.205.220 bis
  • 223.244.251.254 bis
  • 256.279.280.302.303.
    327.331.343.350. 374
  • bis 377.385.393.394.
    401.
  • Ixion 394.395.
  • Kabiren 149.
  • Kadmus 346 bis 351.
  • Kakus 242.
  • Kalais 262.267.
  • Kalchas 373.375.
  • Kalliope 303.304.307.
  • Kalliryoe 74.
  • Kalliſto 84.
  • Kalpe 246.
  • Kalydon 276.
  • Kalydoniſcher Eber 275 bis
  • 277.
  • Kalydoniſche Jagd 276 bis
  • 278.
  • Kalypſo 381.
  • Kapaneus 356 bis 359.373.
  • Karien 340.
  • Karmenta 242.
  • Kaſſiopeja 208.210.
  • Kaſtaliſcher Quell 186.305.
  • Kaſtor 253 bis 257.262.
    277.
  • Kerkyon 290.
  • Kleobis 188.
  • Klio 303.304.307.
  • [410] Klotho 44.48.68.
  • Klymene 16.384.
  • Klytemneſtra 254.367.368.
  • Klytie 339.340.
  • Kocytus 387.388.
  • Kokalus 283.286.
  • Kolchis 260.261.268.
  • Komus 324.
  • Korinth 212.274.289.351.
    396.
  • Koronis 327.395.
  • Korybanten 18.148.149.
  • Kottus 14.20.21.66.
  • Kreon 219.247.248.275.
    351.359.360.
  • Kreta 180.232.279.281 bis
  • 283.292.394.
  • Kretenſiſche Maͤnner 185.
  • Kretenſiſcher Stier 232.233.
  • Kretheus 258.
  • Kriſſa 185.
  • Krius 14.16.64.
  • Krommyoniſche Sau 289.
  • Kronos 14.
  • Kupido 151.
  • Kureten 18.148.149.
  • Labdakus 349.350.
  • Labyrinth 281.
  • Lacedaͤmonier 338.
  • Lacedemon 253.
  • Lacheſis 44.48.51.52.68.
  • Ladon 319.
  • Laertes 382.
  • Laͤſttygonen 381.
  • Lajus 350 bis 354.
  • Lamedon 118.
  • Lampetia 385.
  • Laodamas 360.361.
  • Laokoon 379.
  • Laomedon 239.240.334.
  • Lapithen 296.297.
  • Laren 323.
  • Laſthenes 359.
  • Latium 25.
  • Latmus 340.
  • Latona 15.80.82.83.136.
    138.183.374.382.
  • Learchus 349.
  • Leda 253.254.
  • Lemnierinnen 264.
  • Lemnos 193.263 bis 265.
  • Lerna 226.
  • Lernaͤiſche Schlange 75.
    226.227.
  • Lethe 389.
  • Leucippus 256.
  • Leukothea 349.
  • Leukothoe 339.340.
  • Lichas 251.252.
  • Liebesgoͤtter 309.310.
  • Linus 223.
  • Lucina 81.
  • Luna 16.59.60.
  • Lybia 202.
  • Lybien 101.181.240.273.
  • Lybiſche Sandbaͤnke 273.
  • Lycaͤus 320.
  • Lycien 213.
  • [411] Lycier 215.
  • Lycimnus 218.
  • Lyeiſcher Apollo 203.
  • Lydien 250.393.
  • Lykomedes 299.300.
  • Lykurgus 169.357.358.
  • Lykus 267.350.
  • Lynceus, Sohn des Aegyp-
  • tus 203.204.
  • Lynceus, Sohn des Apha-
  • reus 256.263.277.
  • Machaon 328.
  • Maͤnaden 195.
  • Maͤnalus 228.
  • Maja 77.
  • Malea 272.273.
  • Mars 55.81.82.125. 127
  • bis 130.133.147.194.
    268.280.347.348.374.
    395.
  • Marſyas 126.306.307.
  • Medea 269 bis 275.
  • Meduſa 74.126.206 bis
  • 208.210.212.
  • Megaͤra 392.
  • Megara, Kreons Tochter
  • 247.248.
  • Megara, die Stadt 282.
    290.
  • Meleager 263.275 bis 278.
  • Meliaͤ 15.
  • Melicertes 349.
  • Melpomene 303.304.307.
  • Memmon 113.334.
  • Menalippus 358.359.
  • Menelaus 367.371.372.
  • Menoͤtius, Sohn des Ja-
  • pet 16.31.
  • Menoͤtius, Vater des Pa-
  • troklus 263.
  • Merkur 154 bis 163.168.
    196.197.206.223.320.
    374.378.382.391.
  • Meſſene 356.
  • Meſtor 217.218.
  • Metis 63.
  • Mimas 22.
  • Minerva 63.95.96.121 bis
  • 130.133.134.149.150.
    191.206.207.210.229.
    347.370.371.374.
  • Minos, der Geſetzgeber 279.
    280.
  • Minos, deſſen Enkel 280 bis
  • 283.291.292.298.373.
  • Minotaurus 281 bis 283.
    293.
  • Mnemoſyne 66.302.303.
  • Morpheus 46.
  • Muſagetes 305.
  • Muſen 66.302 bis 309.
    311.
  • Mycene 188.210.
  • Myrrha 336.
  • Myrtilus 363.
  • Myrtoiſches Meer 363.
  • Najaden 315.
  • Naxos 293.
  • [412] Nemaͤiſcher Loͤwe 75.225.
    253.
  • Neleus 258.262.
  • Nemea 225.
  • Nemeſis 78.
  • Nephele 260.
  • Neptun 19.29.62.72.94.
    115 bis 121.124.139.
    202.232.239. 274 280.
    299.374.381.382.
  • Nereiden 71.72.208.
  • Nereus 70 bis 72.115.371.
  • Neſſus 248.249.
  • Neſtor 200.247.262.372.
  • Niobe 382.383.
  • Niſa 282.
  • Niſus 282.
  • Nykteis 350.
  • Nykteus 350.
  • Nymphen 314.315.
  • Nyſa 169.
  • Oceaniden 63 bis 66.
  • Oceanus 16.61 bis 66.70.
    73.74.76.84.
  • Ocypete 73.266.
  • Oebalus 253.338.
  • Oechalia 250.
  • Oechalien 249.
  • Oedipus 351 bis 355.
  • Oeneus 276.277.
  • Oenomaus 362.363.
  • Oeta 252.
  • Ogyges 92.93.
  • Olymp 20.21.29.85.163.
  • Olympia 189.190.
  • Olympiade 190.
  • Olympiſche Spiele 190.232.
  • Omphale 250.
  • Orakel 186.187.208.243.
    259.282.287.292.295.
    347.352.354.368.369.
  • Orchamue 339.
  • Orchomenier 248.
  • Oreade 315.
  • Oreſt 367 bis 369.
  • Orkus 58.85.
  • Oromedon 22.
  • Orpheus 195.263.272.325.
  • Orthrus 75.335.
  • Oſſa 29.
  • Othrys 20.
  • Otus 29.
  • Paͤas 252.
  • Palladium 379.
  • Pallas, der Titane 16.64.
  • Pallas, Bruder des Aegeus
  • 291.
  • Pallas Athene 95.
  • Pan 319 bis 321.399.
  • Panathenaͤen 191.
  • Pandarus 394.
  • Pandion 287.
  • Pandora 38.39.
  • Paphos 192.
  • Paris 131.132.370 bis 372.
    378.379.382.
  • Parnaſſus 40.184.185.305.
  • Parthenopaͤus 356 bis 359.
  • [413] Parzen 44.47 bis 51.68.
    278.
  • Paſiphae 280.281.298.
  • Patroklus 373.376.378.
  • Pegaſus 119.207.212.214.
    215.305.
  • Peleus 262.277.342.
  • Pelias 243.258 bis 262.
    274.
  • Pelion 29.258.262.
  • Pelopia 367.
  • Pelopiden 362 bis 370.
  • Peloponeſus 363.
  • Pelop [...]287.362 bis 364.
    369.394.
  • Penaten 323.
  • Penelope 382.
  • Peneus 76.340.
  • Pentheus 170.171.348.
  • Pephredo 74.
  • Periphetes 289.
  • Perſephone 388.
  • Perſes 16.60.61.64.
  • Perſeus 202.205 bis 212.
  • Peſſinunt 166.
  • Phaͤacier 119.272.382.
  • Phaͤdra 298.299.
  • Phaeton 343.384.385.
  • Phaetuſa 385.
  • Phidias 189.191.
  • Philemon 197.198.
  • Philoktetes 252.373.379.
  • Philomele 194.
  • Philyra 77.
  • Phineus 208.266.267.271.
  • Phlegraͤiſche Gefilde 22.
  • Phlegyas 395.396.
  • Phocis 368.
  • Phoͤbe, Titanide 14.15.
  • Phoͤbe, Tochter des Leu-
  • cippus 256.
  • Phoͤnizien 348.
  • Phoͤniziſche Kuͤſte 207.
  • Phorbas 351.
  • Phorkys 70.74 bis 76.
  • Phoroneus 93.
  • Phrygien 164.197 bis 199.
  • Phryxus 260.261.
  • Phyleus 232.
  • Pierien 305.
  • Pierinnen 305.
  • Pimplea 305.
  • Pindus 305.
  • Piraͤiſche Gebirge 159.
  • Pirithous 200.263.277.
    296 bis 298.387.
  • Piſa 362.
  • Pitho 295.
  • Pittheus 287.
  • Pleuron 277.
  • Pluto 19.21.140.142.143.
    237.238.327.386 bis
  • 391.
  • Podalirius 328.373.
  • Podarcis 240.
  • Pollux 253 bis 257.277.
  • Polybius 351.
  • Polydektes 205.208.209.
  • [414] Polydorus 348.349.
  • Polyhymnia 304.307.
  • Polynices 354 bis 361.
  • Polyphem 71.341.380 bis
  • 382.
  • Polyphontes 358.
  • Pontus 69.70.
  • Porphyrion 22.
  • Praxiteles 192.
  • Priamus 240.370 bis 372.
    375.378.380.
  • Priapus 323.324.
  • Proͤtus 205.209.210.212.
    213.
  • Prokris 383.384.
  • Prokruſtes 290.291.
  • Prometheus 16.30 bis 43.
    63.64.66.67.78.149.
    216.244.
  • Proſerpina 85.140.142.
    143.297.388.400.401.
  • Proteus 76.77.
  • Pſyche 397 bis 402.
  • Pterelaus 218.219.222.
  • Pylades 368.369.
  • Pylos 185.200.
  • Pyriphlegeton 389.
  • Pyrrha 39.
  • Pyrrhus 380.
  • Pythia 115.185 bis 187.
  • Pythiſcher Apollo 114.
  • Pytho 114.
  • Python 114.
  • Radamanthus 280.
  • Rhen 14.16.17.77.113.
    164.
  • Rhoͤtus 22.
  • Salmoneus 258.
  • Samos 119.
  • Salmydeſſa 266.
  • Samothracien 149.265.
  • Samothraciſche Geheim-
  • niſſe 264.
  • Sangaris 333.
  • Sarpedon 49.
  • Saturnia 26.
  • Saturnus 14 bis 21.24 bis
  • 26.62.63.77.101.
  • Satyrn 173.174.315 bis
  • 317.319.
  • Schoͤneus 277.
  • Scylla 111.272.381.
  • Scylla, Tochter des Niſus
  • 282.
  • Scyrus 299.300.
  • Selene 57.59.60.
  • Semele 168.348.
  • Serapis (Jupiter) 153.
    388.391.
  • Seriphus 205.208.
  • Sicilien 58.193.286.341.
  • Sicyon 350.
  • Silen 173.174.178.
  • Simois 326.
  • Sinnis 289.
  • Sinon 379.380.
  • Sipylon 383.
  • Sirenen 306.381.
  • [415] Siſyphus 212.258.396.
    397.
  • Skamander 76.150.151.
    326.
  • Skiron 290.
  • Solymer 215.
  • Sparta 188.367.371.
  • Sphinx 75.352.353.
  • Steropes 14.
  • Sthenelus, Perſeus Sohn
  • 217.219 bis 221.
  • Sthenelus, Kapaneus
  • Sohn 373.
  • Stheno 74.206.
  • Strophadiſche Inſeln 267.
  • Strophius 368.
  • Stygiſcher Jupiter 387.
  • Stymphaltden 229.230.
  • Stymphaliſcher See 387.
  • Styx 64 bis 66.
  • Sylvan 321.322.
  • Symplegaden 267.
  • Syrinx, die Nymphe 319.
  • Taͤnarum 237.386.
  • Talus 284.285.
  • Tantalus 382.393.394.
  • Taphier 219.
  • Taphius 217.218.
  • Taphos 217.
  • Tartarus 65.85.386 bis
  • 396.
  • Tauris 365.368.369.373.
  • Telamon 240.263.265.277.
  • Teleboer 218.219.
  • Telemach 382.
  • Telesphorus 328.
  • Tereus 194.
  • Terpſichore 304.307.
  • Tethys 14.61.62.
  • Thalia, die Grazie 64. Die
  • Muſe 303.304.307.
  • Thamyris 307.
  • Thaumas 70.73.
  • Thebaniſcher Krieg 356 bis
  • 362.
  • Thebe 93.
  • Theben 248.346 bis 362.
  • Themis 14.40.66 bis 69.
    113.184.
  • Thermodon 231.
  • Therſander 360.361.373.
  • Theſeum 300.
  • Theſeus 200. 263 277. 287
  • bis 300.360.387.
  • Theſprotien 386.
  • Theſſalien 96.258.263.
    296.327.394.
  • Theſtius 253.277.
  • Thetis (die Tochter des
  • Nereus) 71.72.76.150.
    169.342.375 bis 377.
  • Thia 14.16.
  • Thoas, Vater der Hypſi-
  • pyle 264. Sohn der Hyp-
  • ſipyle 265. Koͤnig in
  • Tauris 365.
  • Thracien 169 194.195.
  • Thraciſches Gebirge 195.
  • [416] Thyeſt 363 bis 365.367.
  • Thyphaon 75.
  • Thyrſusſtab 172.176.
  • Tiphoͤus 27.28.
  • Tiphys 263.268.
  • Tiſiphone 392.
  • Titan 58.
  • Titanen 14 bis 16.19 bis
  • 22.24.30.31.64.65.
    67.386.
  • Titaniden 14.
  • Tithonus 334.335.
  • Trachina 252.
  • Triptolemus 142.280.
  • Troa[e]265.
  • Troͤzene 287.289.
  • Troja 117 bis 120.125. 127
  • bis 129.132 bis 134.138.
    139.150.151.180.188.
    200.239.240.330. 370
  • bis 382.
  • Tros 330.
  • Tydeus 276.355 bis 359.
  • Tyndareus 253.254.367.
  • Tyrinth 210.
  • Tyro 258.
  • Tyrus 94.
  • Ulyſſes 50.58.111.119.
    125.126.372.378 bis
  • 382.390.
  • Urania 304.308.
  • Uranos 14.15.17.23.24.
  • Venus 55.56.129 bis 135.
    137.147.151.192.254.
    264.279.280.286.293.
    298.311.335 bis 337.
    370.371.374.399.401.
  • Veſta 84.135.140.151 bis
  • 155.
  • Vulkan 145 bis 151.169.
    193.374.377.
  • Zetes 262.267.
  • Zethus 350.
  • Zyzikus 265.

[[417]][[418]][[419]]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmvf.0