nebſt ihrem Lebenslauff herausgegeben
von
Ihrer Tochter
E. E. v. Kl: geb: Karſchin.
1792
[][[I]]
Ihro Koͤnigl. Hoheit
der
Frau Herzogin von York
geb. Prinzeſſin von Preußen
in unterthaͤnigſter Ehrerbietung zugeeignet
von
der Herausgeberin dieſer Sammlung.
[[II]][[III]]
Prinzeſſin!
* 2
[[IV]]
An Albion.
Wegen der Ueberfahrt Ihrer Koͤnigl. Hoheit
der
Prinzeſſin Friederike
vermaͤhlten Herzogin von York.
[[V]]
* 3
[[VI]]
Berlin,
im Sept. 1792.
C. L. von Klenke,
geb. Karſchin.
[[VII]]
Vorrede.
Eine Sammlung Gedichte, und einen Le-
benslauf von mir beſchrieben, verſprach ich, und
uͤbergebe hier beides; gewiſſe Nebenartikel meines
Verſprechens gehen ohne meine Schuld ab, und
man wird mir verzeihn. Epiſteln, auf welche
ich vorzuͤglich die Leſer einlud, fand ich, bei ge-
nauer Pruͤfung, unter einer ganzen Menge nur
wenige, welche ſich unter dieſen Namen mitthei-
len ließen. Anwendbare Gedichte, das hieß
bei mir ſolche, welche viel lehrreiches Salz ent-
halten, fand ich auch nicht ſo viel, als ich damals
zu finden dachte. Einfaͤlle (poetiſche) haͤtte ich
zwar mehrere einruͤcken koͤnnen; aber ein langes
Spiel ermuͤdet. Ich ſuchte mir alſo zu helfen, wie
ich konnte, und uͤbergebe hier dasjenige, was mir
unter tauſend Stuͤcken das beſte duͤnkte. Iſt es
nicht gut genug, oder gar aus der Mode, ſo kann
ich nicht dafuͤr. Die ehrerbietigſte Achtung fuͤr
die Allerdurchlauchtigſten und glaͤnzendſten Na-
men, welche der Sammlung vortraten, hat mich
bewogen, das Buch zuſammenzutragen, welches
hier dem Publikum uͤbergeben wird. Zur Samm-
lung ſelbſt lieferte mir der Herr Graf von Stoll-
* 4
[VIII] berg-Wernigerode, Domdechant von Halberſtadt,
aus ſeinem Archiv einen dreyßigjaͤhrigen Vor-
rath; Seine Hochfuͤrſtliche Durchlaucht, der
verewigte Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Luͤneburg, einen Vorrath von zwanzig Jahren; der
Herr Doktor Kruͤnitz, dem ich auch die letzte Kor-
rektur des gegenwaͤrtigen Werks verdanke, welche
derſelbe bei ſeinen gedraͤngten Geſchaͤften freiwillig
uͤbernommen hat, eine Sammlung von dreißig
Jahren, und ſo andre mehr. Die große Menge
Beitraͤge ließ mir ſo viel zur Auswahl, daß ich es
wagen konnte, die Gedichte in Klaſſen zu thei-
len. Bei den Oden iſt aber ein Verſehn geſchehn,
indem ſich welche davon unter eine Menge ande-
rer Papiere verſchoben hatten, ich fand ſie, als es
ſchon zu ſpaͤt war, und fuͤgte ſie unter die, welche
nur Gedichte heißen. Vielleicht geb ich dadurch
der Kritik etwas zu laͤcheln, indem ich zwiſchen der
erſten und zweiten Klaſſe einen Unterſchied machte.
Einige ſchwaͤchliche Bruchſtuͤcke, welche ſich in der
Sammlung mitunter befinden, ſind bloß um ihrer
verehrungswuͤrdigen Namen, welchen ſie gelten,
mit einrangirt worden, und als Opfer einer ab-
geſchiedenen Freundin hoffe ich, daß man ſie nicht
beſchaͤmen wird.
So viel von dem poetiſchen Inhalte dieſes
Buchs. Was den Lebenslauf betrifft, welcher von
mir ſelbſt aufgeſetzt iſt, ſo hab ich viel gewagt, ihn
noch einmal zu erzaͤhlen, da er bereits von guter
[IX] Feder zweimal im Publikum erſchienen war. Noch
mehr aber wagte ich, daß ich zum erſtenmal vor
einer ſo hohen Buͤhne, als das deutſche Publikum
iſt, mich in den Erzaͤhlungston einlaſſen wollte, auf
welchen ich mich noch niemals geuͤbt hatte. Was
mich dazu reitzte, war, daß ich mehrere kleine
Umſtaͤnde aus dem Leben der Dichterin bekannt
machen konnte, als bisher bekannt worden ſind,
wodurch ich wenigſtens die Reugier zu befriedi-
gen hoffte. Uebrigens iſt mir die kleine Erzaͤhlung
nicht leicht geworden, wie man es auch durch-
gaͤngig an dem gezwungenen Styl ſehen wird, wel-
cher gar nicht den ruhigen Ton hat, den die Er-
zaͤhlung haben muß, wenn ſie uͤberzeugen ſoll.
Waͤr ich geuͤbter, und waͤren die Hauptumſtaͤnde
nicht ſchon ſo allgemein bekannt, ſo wuͤrde mir
vielleicht die Arbeit beſſer gerathen ſeyn; und ich
koͤnnte alsdann den Leſern dieſelbe ruhiger uͤberge-
ben, als ich jetzt thue. Auch wird es Leſer geben,
welche mich dabei des Enthuſiasmus, der Vorliebe
und Prahlerei beſchuldigen moͤchten, ſie werden aber
nicht immer Recht haben, weil ich von der Wahrheit
nirgends abgewichen bin, oblich gleich geſtehen muß,
daß mir mein Selbſtgefuͤhl ſagt, daß ich wegen Unge-
uͤbtheit in der Eile der Erzaͤhlung oft zu ſelbſtent-
ſcheidend mich ausgedruͤckt haben kann. Noch muß
ich befuͤrchten, daß gewiſſe Verhaͤltniſſe, die darinn
aufgeklaͤrt ſind, mir manche meſſende Seitenblicke
und das Laͤcheln des hoͤhern Eigenduͤnkels zuziehen
* 5
[X] werden; allein, eine geſunde Philoſophie ſcheuet
ſich nicht davor, und die Wahrheit, welche meine
Feder geleitet hat, wird niemanden ein Anſtoß
ſeyn, welcher mit mir weiß und glaubt, daß wir
nicht den Zuͤgel unſeres Schickſals in Haͤnden ha-
ben, noch unſer Loos nach unſern Wuͤnſchen wer-
fen koͤnnen.
Und nun noch ein Wort wegen des von mir
verſprochenen Kupferſtichs zur gegenwaͤrtigen
Sammlung. Man habe die Guͤte, die kleine, ob-
gleich blendende Zahl der Intereſſenten zu uͤber-
zaͤhlen, ſo wird man wiſſen, warum ich keinen
Kupferſtich liefern kann. Der Kuͤnſtler arbeitet
nicht umſonſt, und verſprechen konnt ich ihm nichts.
Alles was ich leiſten konnte, hab ich gethan,
und um doch dem Buche wenigſtens eine kleine
Verzierung zu geben, ließ ich den Titel in Kupfer
ſtechen, und von dem Pettſchaft der Dichterin die-
jenige Seite, womit ſie zu ſiegeln pflegte, darun-
ter ſetzen.
Geſchrieben im Sept. 1792.
An Deutſchland.
C. L. von Klenke.
geb. Karſchin.
[[XI]]
Subſcribenten- und Praͤnumeranten
Verzeichniß.
- Ihro Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preußen.
- Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Heinrich, Onkel des Koͤ-
nigs von Preußen. 6 Exemplar. - Se. Koͤnigl. Hoheit, der Kronprinz von Preußen.
- Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Heinrich, geborne
Prinzeſſin von Heſſen-Kaſſel. - Se. Koͤnigl. Hoheit, der Prinz Ludwig von Preußen, Bru-
der des Kronprinzen. - Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Auguſte, Tochter
des Koͤnigs von Preußen. 2 Exempl. - Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Louiſe, Tochter des
Prinzen Ferdinands von Preußen. 3 Exempl. - Ihro Koͤnigl. Hoheit, die verwittwete Frau Herzogin von
Braunſchweig-Wolfenbuͤttel, geborne Prinzeſſin von
Preußen. 4 Exempl. - Se. Koͤnigl. Hoheit, Prinz Ludewig, Sohn des Prinzen
Ferdinand, Onkel des Koͤnigs von Preußen. - Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der Herzog Friedrich von Braun-
ſchweig. - Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Fuͤrſt von Anhalt-
Deſſau. 10. Exempl. - Ihro Koͤnigl. Hoheit, die regierende Fuͤrſtin von Anhalt-
Deſſau, geborne Prinzeſſin von Brandenburg-Schwedt,
4 Exempl. - Se. Durchlaucht, der Fuͤrſt Haus Juͤrge v. Anhalt-Deſſau.
6 Exempl. - Se. Durchlaucht, der Erbprinz von Anhalt-Deſſau.
- Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach-
ſen-Weymar. 10 Exempl. - Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin
von Sachſen-Weymar, geborne Prinzeſſin von Heſſen-
Darmſtadt.
[XII]
- Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeſſin Eliſabeth von Braun-
ſchweig. - Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. der regierende Herzog von Sach-
ſen Coburg-Saalfeld. - Ihro Hochfuͤrſtl. Durchl. die regierende Frau Herzogin
von Sachſen Coburg-Saalfeld, geborne Herzogin von
Braunſchweig-Luͤneburg. 4 Exempl. - Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. Franz Friedrich Anton, Herzog
zu Sachſen Coburg. - Se. Hochfuͤrſtl. Durchl Chriſtian Franz, Herzog zu Sach-
ſen Coburg. - Ihro Hochfuͤrſtl. Durchlaucht, die regierende Frau Her-
zogin von Wuͤrtemberg-Stuttgard.
A.
- Herr Ahe, wirklicher Geheimer Sekretair bey der Staatskanzley
in Berlin.
B.
- Demoiſelle Wilhelmine Bachmann.
- — — Chriſtiane Bachmann, zu Langenberg im Her-
zogthum Bergen. - Herr Benzler, Bibliothekar Sr. Excellenz des regierenden Gra-
fen von Wernigerode. - Herr Bieber, aus Hamburg.
- Herr Bieſter, Doktor der Rechte und Koͤnigl. Bibliothekar in
Berlin. - Madame Bieſter.
- Herr Bode, Regiments-Quartiermeiſter in Berlin.
- Demoiſelle Bones, in Berlin.
- Herr Boyſen, in Hamburg.
- Herr Bruͤggemann, Gold- und Silberhaͤndler in Berlin.
- Herr Bucenius, Inſtizrath in Kottbus.
- Herr Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching in Berlin.
C.
- Herr Daniel Chodowiecki in Berlin.
- Herr Eduart von Clermont, in Aachen.
- Herr Ernſt von Clermont, Referendarius, Erbherr auf
Lenzerwiſche in Berlin. - Fraͤulein Chriſtiane von Clermont in Aachen.
[XIII]
- Herr Cords in Hamburg.
- Herr Coulon, Jugendlehrer zu Berlin.
- Die verwittwete Frau Prediger Cruciger in Berlin.
D.
- Herr Geheimer Oberhofbuchdrucker Decker in Berlin.
- Herr Johann Philipp Dettmars, Doktorand und Rek-
tor bei der Friedrichsſchule zu Frankfurt an der Oder. - Herr Deutſch, Koͤnigl. Preußiſcher Hofpoſtſekretair in Berlin.
- Herr Baron von Diebitſch, auf Groß-Wießewitz.
E.
- Herr Landrath von Eckartsberg.
- Herr Profeſſor Eck. in Leipzig. 10 Exempl.
- Herr Poſtſekretair Emmerich in Frankfurt.
- Frau Geheime Finanzraͤthin Engelbrecht, geb. Thalwit-
zer, in Berlin.
F.
- Herr Hofkonditor Fechter in Berlin. 3 Exempl.
- Herr General-Inſpektor Forckert in Berlin.
- Herr Profeſſor Fromm in Frankfurth an der Oder.
G.
- Ihro Excellenz die verwittwete Frau Miniſterin von Gaudt,
geborne von Vieregg, Gonvernante der regierenden Koͤ-
nigin von Preußen Majeſtaͤt. - Die Frau Apothekerin Gaßert, geb. Guͤldenhaupt zu
Magdeburg. - Herr Oberkonſiſtorialrath Gedicke in Berlin.
- Herr Girard, d. R. B. in Frankfurt.
- Herr Kanonikus Gleim in Halberſtadt. 10 Exempl.
- Herr Kriegesrath von Goͤcking in Wernigerode.
- Der Herr Miniſter von Goͤrne, Excellenz.
- Herr Licentiat Graͤulich in Hamburg.
- Herr Grell in Hamburg.
- Herr Gruner, Haushofmeiſter bei des Ruſſiſchen Geſandten
Excellenz. - Herr Gulde, Doktor und Buͤrgermeiſter in Kottbus
Madame Gruner.
H.
- Herr von Halmann, Kapitain vom General von Lignows-
kyſchen Regiment.
[XIV]
- Herr Kantor Haupmann in Schleſien.
- Herr Heins in Hamburg.
- Herr Hellmann daſelbſt.
- Demoiſelle Herbſt in Berlin.
- Herr Herterich in Hamburg.
- Se. Excellenz der Koͤnigl. Preußiſche Miniſter, Herr Graf von
Hertzberg. - Madame Hoffmann.
- Mademoiſelle Wilhelmine Hoffmann.
K.
- Herr Kirchenpauer in Hamburg.
- Herr von Kleiſt in Kahren bei Kottbus.
- Herr von Knoblauch, auf Peßin bei Nauen.
- Frau Hauptmaͤnnin von Knobelsdorf, geb. Komteſſe von
Reuß, in Berlin. - Der Koͤnigl. Kammerherr und Juſtizrath, Freyherr v. Kott-
witz, auf Boyadel. - Herr Baron von Kottwitz auf Parchau.
- Die Freyin von Kottwitz auf Pulpenau.
- Herr J. D. Krahmer, Rektor in Kottbus.
- Die Frau Graͤfin von Krockow, auf Krockow.
- Frau Hauptmaͤnnin Krowke, geb. Luther, in Bernau.
- Herr Doktor Kruͤnitz in Berlin.
- Frau Doktorin Kruͤnitz.
- Herr Mahler Kuͤhl in Berlin.
L.
- Herr Langerhans, Schauſpieler in Hamburg.
- Herr von Leſtewitz in Schleſien.
- Herr Senatar Liepner in Loͤwenberg. 5 Exempl.
- Frau Erneſtine Graͤfin von Lottum, geb. von Cler-
mont, in Berlin. - Herr Hauptmann von Luͤderitz.
- Demoiſelle Dorothee Luther in Berlin.
- Herr von Luͤtke in Schleſien.
M.
- Herr Kriegesrath Marpurg in Berlin.
- Herr J. H. Meyer in Hamburg.
- Se. Excellenz der Herr Generallieutenant von Moſch.
- Se. Excellenz der Herr von Moͤllendorff, Generallieute-
nant der Infanterie, Gouverneur hieſiger Reſid. ꝛc. in Berlin.
[XV]
- Herr Carl Ludewig Muͤller, d. R. Bfl. in Halle.
- Madame Muͤller, Gouvernante bei der Prinzeſſin Auguſte,
K. H. in Berlin. - Madame Muͤller, geb. Thalwitzer.
N.
- Herr von Nikolai, Kabinetsſekretair und Bibliothekar Sr.
K. H. des Großfuͤrſten aller Reußen, in Petersburg. - Demoiſelle Sophie Niklas, Koͤnigliche Saͤngerin in Berlin.
- Herr Doktor Nießen in Hamburg.
- Madame Nowachin aus Karge.
O.
- Herr Oelrichs, Geheimer Legationsrath und akkreditirter Re-
ſident zu Berlin.
P.
- Herr Pehmuͤller in Hamburg.
- Herr von Platen, auf Peitzig.
- Ihro Gnaden die Frau von Prinz in Berlin. 2 Exempl.
- Herr Hauptmann von Prittwitz.
- Fraͤulein von Prittwitz in Cummerow bei Beeskow.
- Frau Doktorin Pyl in Berlin.
R.
- Herr Raͤbell, Zinngießer in Trebbin.
- Madame Rehbeld, in Berlin.
- Fraͤulein Erneſtine von Rexin, in Lauenburg.
- Herr Juſti zamtmann Richter in Kottbus.
- Herr Hofpoſtſekretair Richter in Berlin.
- Herr Riſch in der Klaprothſchen Apotheke in Berlin.
- Herr Rothlieb in Hamburg.
- Herr Johann Heinrich Roͤding, Schullehrer in Ham-
burg und gelehrtes Ehrenmitglied zu Helmſtaͤdt. - Herr Elias Roͤding, ebend.
- Herr Peter Roͤding, ebend.
S.
- Fraͤulein Wilhelmine von Schlieben in Kroſſen.
- Herr Graf und Obriſter von Schmettau in Berlin.
- Frau Juſtiz-Hofraͤthin Schmidt in Berlin.
- Herr Juſtizkommiſſionsrath Schueider in Schleſien.
- Madame Schobinger, geborne Decker, in Berlin.
- Herr Bandagiſt Schropp in Berlin.
[XVI]
- Herr von Schweinichen in Berlin.
- Herr Subkonrektor Seidel in Berlin.
- Herr Muſikus Seidel in Berlin.
- Herr Siemers in Hamburg.
- Herr Profeſſor Spalding in Berlin.
- Frau Paſtorin Stein in Hamburg.
- Herr von Stentſch, Landrath in Schleſien.
- Die verwittwete Frau Poſtmeiſterin Stiller in Berlin.
- Madame Stolz, Gold- und Silberhaͤndlerin in Berlin.
T.
- Madame Tauſch, geb. von Hamm, in Berlin.
- Frau Praͤſidentin von Tevenar, geb. Stahl in Magdeburg.
- Herr Kriegs- und Steuerrath Teudtſch.
- Herr Thieme, Konrektor beim grauen Kloſter in Berlin.
- Frau Sophie, verwittwete Graͤfin von Truchſes.
U.
- Ungenannter von der Koͤnigl. Poſt-Expedition in Berlin.
- Ungenannter in Hamburg.
V.
- Herr Vogel in Hamburg.
W.
- Herr Landrath von Wagener in Schleſien.
- Herr Weißbeck, Kammerrath Sr. Koͤnigl. Hoheit des Prinzen
Heinrichs. - Se. Hochwuͤrdige Excellenz, der regierende Graf von Stollberg-
Wernigerode, Domdechant zu Halberſtadt und Ritter des
Johanniter-Ordens ꝛc. 2 Exemplar. - Fraͤulein Dorothea von Wobeſer zu Luͤbben in Pommern.
- Herr Peter Friedrich Wolf in Frankfurt.
- Fraͤulein von Wolffen in Berlin.
- Se. Excellenz, der wirkliche Koͤnigl. Preußiſche Staats-Miniſter,
Herr von Woͤllner. 2 Exemplar.
Z.
- Madame Zangen, geborne Heitfeldt in Potsdam. 2 Exempl.
- Herr Geheime Kaͤmmerier Zeiſing in Potsdam.
Inhalt.
[XVII]
Inhalt.
Vorberichtender Lebenslauf der Dichterin Anna
Louiſe Karſchin, geb. Duͤrbach.
Gedichte von Anna Louiſe Karſchin.
Oden.
- Seite
- An die Stadt Berlin wegen Sr. Koͤnigl. Hoheit
des Prinzen und Feldherrn Heinrichs. 3 - An die Mnemoſine, bey dem allerhoͤchſten Feſte,
welches Se. Koͤnigl. Hoheit Prinz Heinrich dem
Koͤnige gab. 5 - An die Clio wegen des Koͤnigs. 7
- Bei dem jubelvollen Empfange der Koͤnigin 9
- Dem Vater des Vaterlandes, Friedrich dem Gro-
ßen ꝛc. 11 - Ueber die Vorzuͤge des Prinzen Friedrichs von
Braunſchweig. 14 - An die Najade. 18
- An den klagenden G * d. 20
- Ueber die Begierden und Wuͤnſche. 22
- An den General-Lieutenant von Seydlitz. 24
- Jupiter und ſein Adler. 26
- An den Apoll, daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte. 28
- Seite
- An die Leda. 30
- An den Herrn Grafen v. Stollberg-Wernigerode. 32
- An den Phoͤbus Apollo ꝛc. 34
- An Herrn Profeſſor E. 37
- Auf die Geburt des jungen Prinzen von Preuſſen. 38
- Der ſichere Fromme. 41
- Gedichte.
An Ihro Majeſtaͤt die Koͤniginn ꝛc. 45 - An die Muſe, daß ſie den Abend der großen Illumi-
nation ſingen ſolle. 48 - Aufforderung an die Muſe, daß ſie dem Philoſoph
zu Sans-Souci nachfliehen ſoll. 52 - An den juͤngſtgebornen Prinz Friedrich Carl Ludwig
von Preuſſen in Seiner Wiege. 55 - Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Herzog Ferdinand
von Braunſchweig-Wolfenbuͤttel ꝛc. 57 - Lied der Clio. 59
- An Se. Hochwuͤrden Gnaden, den Herrn Dom-
dechant Freyherrn von Spiegel. 61 - Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt. 63
- An den Phoͤbus. 66
- An Venus, uͤber die ſtolze Phyllis. 67
- An die Frau Doktorin M. 68
- An den einjaͤhrigen Wilhelm von K. 70
- An den Herrn Kanonikus Gleim. 72
- An einen jungen Freund. 76
- An eine Dichterin, welche das Klavier ſpielte. 78
- Seite
- Ueber den Unbeſtand des Ruhms. 80
- Warnung an den jungen Herrn v. H * ſt. 82
- Das Lob des Eſſens. 84
- Ueber die Begierde des Saͤuglings. 86
- Ermahnung an einen jungen Freund 88
- An Phyllis. 90
- An den Freyherrn von A. aus Coͤthen ꝛc. 92
- Lied an Se. Fuͤrſtl. Durchl. den jungen Prinzen von
Anhalt. 95 - An den kleinen von K. ꝛc. 98
- An Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Mutter des Preußi-
ſchen Thronfolgers. 101 - An die Koͤniginn. 104
- An die Melpomene, wegen des Prinzen Heinrichs
des juͤngern ꝛc. 107 - An den regierenden Reichsgrafen von Stollberg-Wer-
nigerode ꝛc. 110 - Bey dem Eheverbuͤndniß meines juͤngern Bruders
Ernſt Daniel Hempel. 113 - Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin bey den Ruinen. 117
- An die Sonne ꝛc. 121
- Lob der ſchwarzen Kirſchen. 125
- Als ſie des Sonntags zu einer Luſtreiſe nach Char-
lottenburg eingeladen wurde ꝛc. 127 - An Gott bei dem Ausruf des Friedens. 129
- Geſang auf eine Hochzeit ꝛc. 131
- Gebet eines Kindes. 134
- Seite
- Lobgeſang nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen
Kindern geſungen. 136 - Danklied am drey und ſechzigſten Geburtstage ꝛc. 138
- Loblied bei dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß. 141
- Epiſteln und Erzaͤhlungen.
An die Prinzeſſin Heinrich. 145 - An Se. Hochfuͤrſtl. Durchl. den Herzog Ferdinand
von Braunſchweig-Luͤneburg. 149 - An Ebendeſſelben Hochfuͤrſtl. Durchl. 152
- An den Hrn. von M * p * n in Braunſchweig. 156
- An die verwittwete Madame R * ldt ꝛc. 159
- An den Herrn Kanonikus Gleim. 163
- An den Herrn Baron von Kottwitz zu Boyadel. 165
- An eine adliche Schuldnerin ꝛc. 168
- An meinen Freund, den Akteur H. 174
- Skizze einer Epiſtel an Herrn Sekretaͤr K * ch. 177
- Des 24ſten Januars muſikaliſche Feier ꝛc. 180
- Aufforderung an die Dichterin von Herrn Doktor
Kruͤnitz. 182 - Antwort der Dichterin. 183
- An die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration ꝛc. 188
- Die klagenden Muſen und Apoll. 191
- Der Liebhaberhut. 193
- An den beruͤhmten Maler, Herrn Rode. 195
- Belloiſens Lebenslauf. 197
- Der Paͤchter und der arme Schaͤfer. 199
- An Lehnchen R ** uͤber einen Zuckermann. 202
- Seite
- Eine Romanze. 204
- Die Nadelſtichsheilung. 207
- An Herrn von G., den Officier und Dichter. 209
- Duldmanns Rache. 212
- Skizze einer Epiſtel an Herrn Ober-Conſiſiorialrath
Buͤſching. 215 - Die Waſſersnoth bei Frankfurt an der Oder. 217
- An den beruͤhmten Chodowiecky. 221
- Das beſtaͤndige Einerlei. 224
- Nachricht an den Grafen von Stollberg-Wernige-
rode wegen des Rinderhirtens Joh. Chriſt. Grafes. 226 - Jeremias Klage bei dem Anblick der Flucht ſeines
Volkes aus dem Elſas. 229 - Vermiſchte Gedichte.
Verſuch einer Dankſagung an Koͤnig Friedrich Wil-
helm den Vielgeliebten. 235 - An Ihro Koͤnigl. Hoheit der Prinzeſſin Louiſe ꝛc. 237
- Ihro Koͤnigl. Hoheit der Fuͤrſt in von Anhalt-Deſſau ꝛc. 239
- Verſuch eines Geſanges zur Geburtsfeier Sr. Excel-
lenz des Koͤnigl. Preußiſchen Kabinets-Miniſters
Grafen von Hertzberg. 241 - Ein Gebet an den Mars. 244
- An den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Gedicke. 246
- An die Frau von Reichmann. 248
- Ueber die Vergleichung. An Nantchen. 250
- Die goͤttlichverkannte Phillis im Walde. 252
- Lied einer alten reichen Wittwe ꝛc. 254
- Seite
- Duett zu einer Operette. 256
- An die juͤngſte Demoiſelle St*hl. 257
- Das Andenken des Herrn Hofrath Stahl bei ſeinem
Grabe. 260 - Zuruf an den Fremdling beim Marmorſarge Frie-
drichs des Großen. 263 - An Mademoiſelle Sack 266
- Ob Sappho fuͤr den Ruhm ſchreibt? 268
- An die Oſterſonne. 270
- Der Skorpion, die Schildkroͤte und die Sans. 273
- Der Adler und die Pfeifvoͤgel. 275
- Dorimoͤn und Amariethe in ihrer neuen Wohnung. 276
- Phillis, die Helferin. 279
- Lieder der Liebe.
Wegen Milon. 287 - An Milon 288
- An Denſelben. 290
- An den jungen Tytirus uͤber eine Roſenknoſpe. 292
- An Milon. 294
- Elegie auf die Geduld. 296
- An Milons Billet. 298
- An eine Freundin. 300
- An einen Ingenieur, Liebhaber der Phyllis. 301
- Klagen uͤber eine geſtorbene Roſe an meinen Freund R. 303
- Eine Rede zu Gott uͤber die Kuͤrze der Zeit. 306
- Seite
- Gedichte nach vorgeſchriebenen Endreimen.
309 - Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen Burg. 311 313
- Die Habſucht der Koͤnige. 314
- Der Zorn uͤber Thyrſis. 315
- Eigenſchaften der Sapho. 316 317 318
- Einfaͤlle.
Neujahrs-Geſundheit. 320 - An Herrn D. K. 320
- Ueber ein Gemaͤlde. 321
- An Herrn Doktor Kruͤnitz wegen ihres Pettſchafts. 322
- Unterſchied eines Schmauſes und einer kleinen ver-
gnuͤgten Mahlzeit. 322 - Guter Rath ꝛc. 323
- Eine Geſundheit. 324
- An Quitungsſtatt geſchrieben. 324
- Ueber Friedrichs Weisheit. 325
- Mittags, als die Dichterin mit bei dem Domde-
chant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte. 326 - Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre an den
Kanzleidirektor Brandhorſt und ein Executoriale
auf einem Tiſch fand. 326 - An einen, der das Klavier ſpielte. 328
- Ueber den Aktien-Handel. 328
- Geſundheit. 328
- An einen Alten. 329
- Seite
- An den Wein. 329
- Recept zur Staͤrkungschokolade. 330
- An meine Freundin. 331
- Die neue Verſicherung. 332
- An einen jungen Herrn von Baronoff. 332
- An Montan. 333
- An das kommende Jahr. 333
- Die große That des Julius Caͤſars. 334
- An ein gluͤckliches Volk. 334
- Bei Erinnerung ihres erſten Freundes. 335
- An den Frieden. 335
- Aus einer Bußtagspredigt des Hrn. O. C. R. Spalding. 336
- Anhang
von Proben ihrer allererſten Dichtart.
Neujahrswunſch an den Rinderhirten. 339 - An das Fraͤulein von Moſe. 341
- An ihren erſten Mann. 343
- Eine Satire auf die Verfaſſung von Schleſien. 345
- Arie. 350
- An Se. Majeſtaͤt, den Koͤnig von Polen. 352
- Das Schickſal. 358
- Der 13te Mai 1758, als der Tag des Schreckens in
Glogau. 362 - Schleſiſches Bauerngeſpraͤch. 376
- Die goͤttliche Vorſehung. 389
[[1]]
Vorberichtender
Lebenslauf
der Dichterin
Anna Louiſe Karſchin,
geb. Duͤrbach.
a
[[2]][[3]]
So bekannt der Name der Dichterin Karſchin iſt,
ſo dunkel iſt der Urſprung ihres Stammes, und in
ihrem ſonſt gluͤcklichen Gedaͤchtniſſe konnte ſie denſelben
nicht weiter zuruͤckzaͤhlen, als bis auf ihren Großvater
muͤtterlicher Seite, welcher ein ſtudierter wohlhabender
Amtmann geweſen war. Von dem Vater ihres Vaters
iſt ihr nichts bekannt worden; ſie aͤußerte aber oft die
Vermuthung, daß er wol die lezte Sproſſe eines aus-
gehenden edlen Stammes moͤchte geweſen ſeyn, ſo wie
auch ihre Mutter, deren Vorfahren durchaus nicht ge-
ringe ſeyn mußten, weil die wenigen noch bekannten
Verwandten ſtudierte und wohlhabende Leute waren,
welches in der einſamen Gegend, welche ſie bewohnten,
nicht geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ihre Geburt es nicht
erfordert haͤtte. Ihrer Mutter Vater war ein Foͤrſter
und Weidmann bei dem Herrn von Moſe geweſen;
ſein Name hieß Kuchel, und er heirathete die Amt-
mannstochter ſeiner Herrſchaft, Namens Ferke. Dieſe
hatte noch einen Bruder, welcher ſtudierte, und nach-
her Amtmann wurde. Er iſt derjenige Großonkel der
a 2
[4] Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom
Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: 〟Kommt
herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc.〟 Der Foͤrſter
Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei
unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr
Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen,
als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren;
allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer
Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck-
ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer
Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe.
Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß
genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die
reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des
herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft,
in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden
dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be-
griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit-
telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie
ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da
ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe,
an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor-
zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der
Beſchreibung von ihr kommt Jeder uͤberein, der ſie
gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin,
als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge
[5] ihres Charakters, welchen ſie ihr ganzes Leben hindurch
bis an das Ende ihrer Tage unausgeſetzt behauptet
hat, laͤßt ſich ſchließen, daß der Geiſt dieſer außer-
ordentlichen Frau roͤmiſch, ihr Gefuͤhl griechiſch, und
ihr Herz deutſch geweſen ſei. So ſchnell und zaͤrtlich
ſie empfand, ſo feſt hielt ſie, ſelbſt ihre Gedanken, un-
ter der Herrſchaft der Tugend; und ihrem ſonſt ſo em-
pfaͤnglichen Herzen wurde ſchon durch eine unziemende
Geberde, oder durch ein niedriges Wort bis zum Ab-
ſcheu kalt und ekel. Nichts uͤbertraf die Strenge in
ihren Sitten und die Reinigkeit ihrer Handlungen.
Selbſt gegen ſich dachte ſie verſchaͤmt, und durch einen
milden aber ernſthaften Anſtand welchen ſie ſich zu
geben wußte, entfernte ſie alle unlautere Abſichten
Anderer, indem ſie Allen, mit welchen ſie umging, zu-
gleich Liebe und Ehrfurcht einfloͤßte. Ihre Soͤhne
ſprechen nie ohne Ruͤhrung von dem muſterhaften
Wandel ihrer Mutter und von dem Nachruhm, in
welchem noch ihr Andenken bei den Nachkommen des
ganzen Staͤdtchens, worin ſie wohnte, lebt. Dieſe
charakteriſtiſche geiſtige Vorzuͤge, welche ſo ſelten den
erſten Preis erhalten, wuͤrden auch vielleicht an dieſer
Frau nicht glaͤnzen, wenn ſie nicht bei ihr von
ſo viel aͤußern Vorzuͤgen waͤren unterſtuͤzt und hervor-
gehoben worden. Ihre Perſon war von laͤnglichter
ſchlanker Mittelgroͤße, und in ihrem Wuchs herrſchte
a 3
[6] ein mit Ausdruck vermiſchter Anſtand. Ihre Bil-
dung war nicht regelmaͤßig ſchoͤn, allein doch fein und
angenehm. Ihr Auge war blau und ſprechend, ihre
Haut weiß, und das Haar glaͤnzend ſchwarz.
Zu dieſem aͤußern Anſehn fuͤgte ſie zwei Talente,
welche ſo vollkommen geweſen ſeyn ſollen, daß ſie ihr
ſogar von der Dichterin auf eine gutmuͤthige Weiſe
beneidet wurden. Es waren dieſe: die Kunſt zu tan-
zen und die Gabe der allervortrefflichſten Singſtimme.
Wer dieſe wunderbare Frau in ihrem fuͤnf und ſech-
zigſten Jahre hat tanzen geſehn, der iſt noch bezaubert
von ihr. Sie hat, wie der Vogel uͤber dem Waſſer,
gleichſam nur uͤber dem Boden geſchwebt, und mit
den ſittſamſten Blicken und Anſtande die leichteſten
Wendungen ausgefuͤhrt, welche ſie mehrentheils ſelbſt
angab, weil die gewoͤhnlichen Taͤnze ihr zu unbedeu-
tend waren. Wenn es bekannt wurde, daß ſie zu
einem Tauf- oder Hochzeitsſchmauſe erſcheinen wuͤrde,
ſo ſtroͤhmten auch die Zuſchauer des ganzen Staͤdtchens
dem Feſthauſe zu, und ſtunden hoch uͤbereinander in
den Fenſtern, um ſie nur tanzen zu ſehen. Dennoch,
ſo weit die Seele die Reize des Koͤrpers uͤbertrifft, ſo
weit uͤbertraf ihre Singſtimme ihre Kunſt zu tanzen.
Nur mit Thraͤnen in den Augen wird von ihren Kin-
dern dieſe Stimme geruͤhmt; ja, ſie koͤnnen keine
Worte finden, um ihr eine Abſchilderung zu geben.
[7] Auch noch in ihrem fuͤnf und ſechzigſten Jahre, wo
Alter, Hinfaͤlligkeit und der grauſamſte haͤusliche Zu-
ſtand ihr feines Nervengewebe beinahe zerruͤttet hat-
ten, konnte ſie ſo ſingen, daß keine Nachtigall ſie uͤber-
traf. Die hoͤchſten Schwierigkeiten, welche ihr eige-
nes Genie ihr in die Kehle gab, fuͤhrte ſie mit der Leich-
tigkeit der im Fluge ſingenden Lerche aus; und mit
der aͤußerſten Hoͤhe der Toͤne vereinigte ſie zugleich ein
Adagio, welches jeden, der ſie hoͤrte, bis zu Thraͤnen
durchdrang. Sie konnte mit unglaublicher Leichtigkeit
in lauter kleinen Ringelkreiſen die Stimme bis zum
hoͤchſten Triller erheben, und in lauter neuen uner-
hoͤrten Toͤnen ſchwebte ſie allmaͤhlig wieder herab und
ſchmolz in einen Seufzer zuruͤck *). Zugleich konnte ſie
bei froher Laune theils in ihrer Kehle jedes Inſtrument
auf das vollkommenſte nachahmen. Dieſes that ſie theils
pfeifend oft aus Taͤndelei, und war eben ſo gluͤcklich in
dieſer Nebenvollkommenheit, als es nachher ihre Tochter
als Dichterin wurde, wenn ſie die Funken ihres herrli-
chen Genies in Impromptuͤes ausſtreuete. Auch Dichte-
rin war die Saͤngerin, ob ſie gleich nicht ſchreiben konnte.
a 4
[8] Ihr Gefuͤhl war ſo fein, daß ihr jene Volkslieder alle
zu gemein waren, und ſie pflegte ſich oft andere ſo ge-
nannte Arien nach ihrem beſſern Geſchmack auszuden-
ken, welche ſie aber nicht aufſchreiben konnte, weil ſie
nicht ſchreiben gelernt hatte, und alſo nur in ihrem
Gedaͤchtniß blieben. Auch andre Melodieen pflegte ſie
ſich oft auf ihre Lieblingslieder auszudenken, und die
ſchlechteſte Weiſe wurde durch ihre Stimme zur vor-
trefflichſten. Man ſollte glauben, daß ſo viele innere
und aͤußere Vollkommenheiten, als in ihr vereiniget
waren, ohnmoͤglich ſie im Staube haͤtten laſſen muͤſ-
ſen; allein ſie war leider ſechzig Jahre zu fruͤh gebo-
ren, wo weder Talente gekannt noch geſucht wurden;
und welche auch wegen der einſamen Lage ihres Wohn-
ortes nicht einmal entdeckt werden konnten *).
Ihre Beſcheidenheit und Unbefangenheit, ihre
aͤußerſt ſittſamen Neigungen ließen ihr auch nicht zu,
[9] weder ihre Vorzuͤge zu kennen, noch eitel oder erobe-
rungs- und gewinnſuͤchtig darauf zu ſeyn. So erhaben
und fein die Stimmung ihrer Seele war, ſo erhob ſie
ſich mit derſelben doch nie außer der ihr angewieſenen
Sphaͤre. Wuͤnſche nach einem ſolidern Stande, als der,
in welchen ſie treten mußte, und nach einem Gatten,
welcher ihren feinen Gefuͤhlen angemeſſen waͤre, ſchei-
nen freilich durch ihr ganzes Betragen durch; und
eine beſtaͤndige Unzufriedenheit, welche ſie ſelbſt in den
guten Tagen ihres rohen Standes aͤußerte, zeugen von
dieſen verborgenen Wuͤnſchen; allein ihre Tugenden,
welche unzertrennliche Gefaͤhrten ihres Weſens waren,
ließen ſie nie unerlaubte noch unlautere Wuͤnſche thun.
Sie ward in allen das Opfer ihrer ſtrengen Grund-
ſaͤtze, und trieb dieſelben, ſelbſt gegen ſich, faſt bis zur
Grauſamkeit, ohne daß ſie jemals eine Reue daruͤber
geaͤußert haͤtte. In ihrem jungfraͤulichen Stande
konnte ſie von den Edelleuten, welche den Hof beſu-
chen kamen, nicht ganz unbemerkt bleiben, ſo ſehr ſie
ſich auch zu verbergen ſuchte; allein alles, was ihr von
ſolchen Herren Galantes wiederfuhr, oder geboten
wurde, (ob es gleich nur hoͤchſt zufaͤlliger Weiſe ge-
ſchehen konnte, weil ſie ſich jeder Gelegenheit dazu ent-
zog) entdeckte ſie ihren Fraͤuleins offenherzig und frei-
willig, welches der ſicherſte Weg war, wo ſie weder
ſtraucheln noch fallen konnte.
a 5
[10]
In dieſer Lage wurde ſie ſieben und zwanzig Jahr
alt; ihre Wuͤnſche gingen allerdings auf eine Heirath
hinaus, allein auf eine ehrliche Heirath. So gern ſie
vielleicht einen Mann von einiger Diſtinktion genom-
men haͤtte, ſo wurde ihr doch kein ſolcher bekannt,
welcher ſie zur Frau geſucht haͤtte. Als ſie end-
lich in ihr acht und zwanzigſtes Jahr gekommen
war, meldete ſich der Duͤrbach*), welcher von
den Fraͤuleins Moſe den unter ihre Herrſchaft ge-
hoͤrigen Hammer pachtete. Dieſer ſo genannte
Hammer war eigentlich eine Meyerei, worin eine
Bier- und Brandtweinbrauerei befindlich war, und in
einem leimernen mit Stroh gedecktem Wirthshauſe
fuͤr Durchreiſende beſtand, an welches nur noch einige
entfernte Fiſcherhuͤtten graͤnzten. Uebrigens lag der
Ort in einem wuͤſten Flecken, hinter welchem ein klei-
nes Erlenwaͤldchen ſtand, und gehoͤrte zum Zuͤllichauer
und Schwiebuſer Kreiſe.
Dieſen Pachter und Brauer Duͤrbach nun hei-
rathete das vollkommenſte Maͤdchen jener Zeit. Von
ihm iſt zu ruͤhmen, daß er im ganzen Kreiſe, und noch
uͤber die Graͤnze hinaus bis in das brandenburgiſche
[11] Gebiet wegen ſeines ſtarken und weinaͤhnlichen Bieres,
welches er brauete, beruͤhmt und beliebt war, Ueber-
haupt war er ein biederer Mann, welcher ſeiner Wirth-
ſchaft pflichtmaͤßig vorſtand und fuͤr die Seinigen
Schutzherr und Freund war. In ſeiner Perſon ver-
einigte er einen edlen Anſtand, und ſein Geſicht, wel-
ches eine freundliche Wuͤrde hatte, war mit einem
Stuzbaͤrtchen uͤber der Oberlippe und am Kinne, nach
damaliger Mode geziert, welches ihm ein recht herri-
ſches Anſehn gab. Die Hochzeit des Duͤrbachs mit
der Jungfer Kucheln wurde auf dem adelichen
Schloſſe unter den vornehmſten Bekannten der Herr-
ſchaft vollzogen, und aus dieſem ſtillen und freien Zu-
ſtande folgte die junge Frau Duͤrbach ihrem Manne
auf den Hammer, wo er der Bierbrauerei und der
Gaſtſtube vorſtand, und wo ſie die Aufſicht uͤber die
Viehzucht und die Zubereitung der abgezogenen Waſ-
ſer, und die Ordnung uͤber vielerlei Geſinde, nebſt
einer großen Haushaltung zu beſorgen hatte. So ſehr
ihr Mann ſie liebte, ſo wohl es ihr ging, und ſo gut
ſie ſich in alle dieſe Geſchaͤfte zu ſchicken wußte, ſo ſehr
litt ſie innerlich durch die ungeſitteten Durchreiſen-
den, welche taͤglich im Wirthshauſe einkehrten und zu
halben Naͤchten bei ihren Kruͤgen und Glaͤſern vor
ihr laͤrmen ſaßen. Dabei geſchah es oft, daß ihr
Mann ſich an ſeinem wohlſchmeckenden Biere ein
[12] Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un-
gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu-
maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt.
Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver-
ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden,
und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten
Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge-
witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe
waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne
zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar-
ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach-
te, war unſere Dichterin.
Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr.
Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein
heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut
der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche
finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte
Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt.
Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als
ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches
durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen-
dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen
Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus:
daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und
es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu-
merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als
[13] haͤßlich aufwuchs, und haͤtte ſie ihren Koͤrper und ihr
Mienenſpiel in der Gewalt gehabt, ſo wuͤrde ſie bis
zu ihrem Tode beinahe fuͤr ſchoͤn haben gelten koͤnnen.
Sie hatte einen wohlgeordneten feinen Wuchs mitt-
lerer Groͤße, ſchoͤne und daurende Geſichtsfarbe, hell-
braunes Haar, die ſchoͤnſte menſchliche Stirn, welche
jemals geſehn worden iſt, auf welcher ganz das Licht
ihres großen Geiſtes ausgebreitet lag; die ſtrahlenvoll-
ſten, hellſten, ſprechendſten blauen Augen, beſtaͤndig
rothe Lippen, und bei guter Laune herzlichen Froh-
ſinn in den Mienen. Allein, wenn ſie ihren Forſch-
blikk hatte, welcher die meiſte Zeit in ihrem Geſichte
herrſchte, ſo war ſie ſchwer auszuhalten, und man
wuͤrde nicht mit ihr haben Umgang pflegen koͤnnen,
wenn ihre Gedanken und ihr Thun nicht leicht waͤ-
ren abzulenken geweſen, durch Zerſtreuung, welche
oft der Augenblikk wuͤrkte. Die Augenlieder zogen
ſich bei ſolchem Blikk zuſammen, das Auge wurde
kleiner, und ſeine Strahlen ſchoſſen, gleichſam wie
die Sonne in einem Brennpunkt, auf ſeinen Ge-
genſtand, zuſammen. Es war ein verzehrender
Blick; lenkte der Gedanke ihn ab, ſo ſah er ſeit-
waͤrts, und ging in eine laͤchelnde Bewegung des
Mundes uͤber, welche nicht weniger Scheidewaſſer
als der Blikk ſelbſt hatte. Die Dichterin, welche
nichts von dieſem Mienenſpiele wußte, hat ſich un-
[14] zaͤhlige Verdruͤßlichkeiten dadurch zugezogen, und ei-
gentlich kann man es die Grundlage aller ihrer Un-
gluͤksfaͤlle nennen.
Nach laͤndlicher Sitte wurde nun die kleine Duͤr-
bach der Großmutter zur Wartung gegeben. Sie
war ein ſtilles, in ſich verſchloßnes Kind, welches
weder im Schlaf noch im Wachen jemanden Unruhe
machte, und ſo blieb ſie bis in ihr ſechſtes Jahr.
Sie kroch unter den Baͤnken der Gaſtſtube herum,
und ſaß zu halben Tagen, wie ein Gedanke, ganz
ſtill vor ſich weg, ohne auf etwas zu merken, was
um ſie her vorging. Vermuthlich hatten die Ge-
ſpraͤche der Bauern und gemeinen Gaͤſte des Wirths-
hauſes keinen Reiz fuͤr ihr Ohr, und ihren Eltern
fehlte die Zeit, ſich mit ihr zu unterhalten. Indeſ-
ſen verrieth ſie doch dann und wann Lebhaftigkeit,
wenn es Vorfaͤlle gab, welche ſelten genug waren,
auf das verborgene Feuer ihres Verſtandes zu wuͤr-
ken. So geſchah es zum Beweiſe einsmals, daß
ſie als ein dreijaͤhriges Kind auf dem Arme ihrer
Großmutter der Hinrichtung eines Delinquenten zu-
ſahe, und als ſein Kopf mit einem Schwerdtſtreich
des Nachrichters abflog, klopfte ſie in die Haͤnde,
und rief von einer ploͤtzlichen Empfindung getrieben:
„Schwabb, war er ab!“ Mit dieſem Reime
entſprang der erſte Funken ihres dichteriſchen Genies,
[15] wovon die Umſtehenden, welche herzlich lachten, zwar
nichts vermutheten, allein den Ausſpruch eines Kin-
des doch fuͤr ſo merkwuͤrdig fanden, daß ſie ihn ihren
Bekannten wiederholten, und ihn ſo im Andenken
erhielten.
Sie war im ſechſten Jahre, als ihre Mutter Witt-
we wurde. Dieſe vortreffliche Frau, welcher nun die
großen Geſchaͤfte des Gaſthoſes allein oblagen, fuͤhlte
ſich ſo belaſtet, daß ſie an die Bildung ihres Kindes
unmoͤglich denken konnte. In der ganzen umliegen-
den Gegend war keine Schule, wo ſie ſie zum Unter-
richt haͤtte hinſchicken koͤnnen, ſelbſt die Kirche war
uͤber eine Meile weit entlegen. Es war eine traurige
Lage, in welcher ſie ſich befand, und ihr Kind wuͤrde
in voͤlliger Unwiſſenheit haben aufwachſen muͤſſen, wenn
nicht gerade zu dieſer Zeit ihrer Mutter Bruder, der
ſtudierte Amtmann, Wittwer geworden waͤre. Dieſer
brauchte jezt eine Haushaͤlterin in ſeiner Wirthſchaft,
und er faßte den Entſchluß, ſeine Schweſter, die Groß-
mutter der kleinen Duͤrbach, zu ſich zu nehmen. In
dieſer Abſicht kam er, ſeine verwittwete Nichte zu be-
ſuchen. Hier fand er das kleine Maͤdchen, und ent-
deckte bald an ihr einen hellen Kopf und ein vortreff-
liches Gedaͤchtniß. Er begriff, daß ſo gute Gaben
unter dem rohen Umgang mit Bauern und unter einer
vernachlaͤßigten Erziehung erſticken muͤßten, und that
[16] ihrer Mutter den Vorſchlag, daß er ſie mit ſeiner
Schweſter zugleich mitnehmen wollte. Die Mutter
willigte mit frohem Herzen ein.
Seine kleine Nichte gewann ihren Großonkel ſo-
gleich von ganzer Seele lieb, und je feiner er mit ihr
umging, je oͤftrer er mit ihr Geſpraͤche fuͤhrte, je ver-
traulicher wurde ſie zu ſeinem Unterrichte. Jezt wurde
ſie gleichſam erſt wach fuͤr ihr Leben, denn jezt erſt
lernte ſie durch die Gegenſtaͤnde, welche die Lehren ih-
res Oheims ihrem Verſtande zum Wirken gaben, den-
ken und empfinden. Sie konnte halb buchſtabiren, als
er ſie zu ſich nahm, und in weniger als einen Monat
hatte ſie von ihm leſen gelernt. Sobald ſie dies
konnte, wurden ihre Begriffe zu Feuerſunken, welche
ſich an alles hefteten, was ihnen Nahrung geben konn-
te. Sie bekam eine unaufhoͤrliche Neigung zu den
Buͤchern und lag halbe Tage lang auf der Bibel mit
ihren Augen wie angeheftet. Am Abend ſagte ſie ih-
rem lieben Oheim ganze Stellen daraus vor, welche
ihr durch bloßes Leſen im Gedaͤchtniß geblieben waren,
und ihr Vetter machte ſichs zum Vergnuͤgen, ihr
Stunden lang Erklaͤrungen uͤber die geleſenen Stellen
zu geben.
Ihr Lieblingsſtudium wurde das Buch der Mak-
kabaͤer. Das Heldenmuſter des Judas Makkabaͤus
gab ihrem Geiſte die ſtaͤrkſte Nahrung, weil dieſer am
liebſten
[17] liebſten bey Bildern verweilte, die ihm auſſerordentlich
und unerreichbar ſchienen; denn gewoͤhnliche Gegen-
ſtaͤnde hatten ſchon fruͤh zu wenig Nahrung fuͤr ſein
gewaltiges Feuer. Dieſes kanoniſirte Heldengedicht
hatte ſogar Wuͤrkungen auf ihre Einbildungskraft; ſie
vertraute ſich ganz mit demſelben, und wollte kein
Maͤdchen mehr ſeyn. Man hatte ihr zum Jahrmarkt
eine Puppe gekauft, dieſe warf ſie in den Wipfel eines
Birnbaums, und mit ihr jede Neigung zu kindiſchen
Spielen. Wenn ſie nicht las, oder lernte, ſo ging ſie
in den Garten, nahm ein Haſelſtrauchſtaͤbchen, und
zog damit auf die Neſſeln, wie auf eine Legion Feinde
los. Ganzen Feldern voll hieb ſie die Koͤpfe ab, und
durch dieſen taͤglichen kriegeriſchen Zeitvertreib waren
die Neſſeln ausgerottet, ehe noch der Sommer ver-
ging. Mit den Uebergaͤngen der Jahrszeit veraͤnderte
ſie auch ihre kriegeriſchen Diſpoſitionen. Statt der
Neſſeln wurden nun Armeen von Erbſen und Bohnen
auf den Tiſch geſtellt, welche auf einander losgehn
mußten. Oder draußen im Freyen wurden kleine Kie-
ſel geſammlet, in Reihe und Glieder geſtellt, und mit
groͤßeren Steinen darauf losgefeuert.
Ihre Großmutter, welche ſchlechterdings keine
Pſychologin war, ſchuͤttelte zu ſolchen Zeitvertreiben
murrend den Kopf, und ſchalt uͤber das viele Leſen
ihrer Enkelin. Als ſie aber ſah, daß ſie ſogar ſchreiben
b
[18] lernte, ſo ward ſie uͤber die Verſtoßung der Sitte ih-
rer muͤtterlichen Vorfahren ganz entruͤſtet. Sie ſchob
die Suͤnde ihrem Bruder in ſein Gewiſſen, und ſagte:
Er wuͤrde es einmal zu verantworten haben, wenn
das Maͤdchen durch ihr Leſen und Schreiben allerley
Muͤßiggang und Untugend lernte. „Daß dich der
Krankſch derſchluͤge! rief ſie oft in ihrem gutmuͤthigen
Eifer, das Maͤdel ſoll mir durchaus nicht ſchreiben
lernen; durchaus nicht! ein Maͤdel muß nicht ſchrei-
ben koͤnnen, ſie hat anders zu thun, wenn ſie ne Frau
wird, als Schreiben. Das verfuͤhrt ſie nur zu Lie-
besbriefen, zu weiter nichts Guts. Sie ſoll durchaus
nicht ſchreiben lernen.“
Allein, je mehr die Großmutter eiferte, je hefti-
ger wurde die Begierde der Kleinen, ſchreiben zu koͤn-
nen. Sobald ſie die Buchſtaben nachmahlen konnte,
blieb kein leerer Raum mehr ſicher vor ihrer Kreide,
ſie beſchrieb jeden Klotz, jedes Stuͤckchen Brett, wel-
ches ſie auffinden konnte. Ihr lieber Oheim fing nun
das Rechnen mit ihr an, und auch hierin nahm ſie
die ſchnellſten Fortſchritte. Eben ſo leicht wuͤrde ſie
weibliche Handarbeit begriffen haben, wenn zu einem
Unterrichte Gelegenheit geweſen waͤre. Stricken
lehrte ihr die Großmutter; aber dabey hatte ſie keine
Geduld, weil es ein ewiges Einerley war. Sie hat
[19] oft erzaͤhlt, daß ſie in ihrem ganzen Leben nicht mehr
als anderthalb Struͤmpfe geknittet hat.
Ihr Vetter wußte ihr nun ferner nichts zu thun
zu geben; ſein Vorrath von deutſchen Buͤchern war
klein, ſeine meiſte Bibliothek beſtand in lateiniſchen
und andern Sprachen. Er wußte alſo ſeine wißbe-
gierige Nichte mit keinem Unterrichte mehr zu be-
ſchaͤftigen, und doch plagte ſie ihn, um etwas zu ler-
nen. Er fing alſo beynahe Scherzweiſe an, ſie in der
lateiniſchen Sprache zu unterweiſen. Er lehrte ihr
leſen, und gab ihr nachher Vocabeln auf. In Zeit
von vierzehn Tagen konnte ſie ihm viele hundert latei-
niſche Woͤrter aus dem Gedaͤchtniſſe herſagen, und er
ging ſchon ſo weit, durch Zuſammenſetzung ſolcher
Woͤrter ihr einen Autor verſtehen zu lernen. Aber
welcher Graͤuel war das vor den Ohren der Großmut-
ter! Ihre Geduld riß dabei ganz aus. Weil aber
ihre Widerſpruͤche ſtets fruchtlos geblieben waren, ſo
ſahe ſie keinen andern Ausweg, als daß ſie heimlich
ihrer Tochter einen Wink gab und ihr ſagen ließ: daß
wenn ſie ihr Kind lieb haͤtte, ſo ſollte ſie es von ihrem
Bruder wegnehmen; denn der ginge gerade darauf
aus, das Maͤdchen verruͤckt zu machen, indem er ihr
nun gar Lateiniſch lehrte. Die Mutter der kleinen
Duͤrbach, welche in der Zeit ſich zum zweitenmale ver-
heirathet hatte, und jezt in den Umſtaͤnden war, daß
b 2
[20] ſie wieder die Welt vermehren ſollte, ſah es zwar nicht
ungern, daß ihre Tochter Leſen, Schreiben und Rech-
nen gelernt hatte, allein wegen des Lateiniſchen war
ſie mit ihrer Mutter ganz einerlei Meinung. Um
alſo einer Hirnzerruͤttung vorzubeugen, eilte ſie ſelbſt
zu ihrem Vetter, um ihre Tochter, welche jezt ins zehnte
Jahr ging, wieder zu ſich zu holen. Unter dem Vor-
wande, daß ſie dieſelbe naͤchſtens bei der Wiege brau-
chen wuͤrde, halfen alle Bitten und alle Gegenvorſtel-
lungen des Oheims nichts; ſie glaubte hier nach Pflicht
und beßrer Einſicht zu handeln, und die Trennung
zwiſchen Onkel und Nichte geſchah nicht ohne Schmerz
und Thraͤnen, wie man leicht denken kann. Seit die-
ſem Augenblicke gehen die widrigen Schickſale der
Dichterin an, nnd dieſe Eine Trennung hatte Folgen,
deren Uebel noch uͤber ihr Grab hinaus dauern.
Kaum war ſie einige Monathe zu Hauſe, als ihre
Mutter ihr einen Bruder zur Welt brachte, welchen
ſie wiegen, warten und tragen mußte. Ihre Mutter
gab ihr dieſes Geſchaͤft blos, um ihr etwas zu thun zu
geben, denn ſie befand ſich vor jezt noch in ſo guten
Umſtaͤnden, daß ſie dem Kinde wol eine Magd haͤtte
halten koͤnnen. Die kleine Duͤrbach, deren Herz, von
ihrem lieben Oheim getrennt, eine große Leere em-
pfand, gewann ihren Stiefbruder lieb, ſo viele Laſt
und Unruhen er ihr auch machte. Er ſoll als ein huͤb-
[21] ſches Kind zur Welt gekommen und nachher der ſchoͤnſte
Knabe und Juͤngling im Staͤdtchen geweſen ſeyn.
Das Aeußere, welches ſogleich zu empfehlen pflegt,
machte auch Eindruck auf die Dichterin, und ſie hef-
tete ihre zaͤrtlichſten Neigungen auf dieſen ihren Stief-
bruder, ob er gleich noch vor ſeiner Geburt die Urſach
war, daß ſie an ihren geiſtigen Fortſchritten gehindert
wurde, ſo wie er in der Folge die Sorgenquelle ihrer
letzten dreißig ſonſt goldenen Jahre geworden iſt.
Nachdem dieſer Menſch etwa ein Jahr alt war,
geſchah ihrem Hauſe ein Unfall, welcher den Wohl-
ſtand der ganzen Familie umſtuͤrzte. Ihr Stiefvater
Hempel, welcher ein Paͤchter und Jaͤger war, und
ein aufbrauſendes brutales Weſen hatte, konnte ſich
nicht, wie ſein Vorfahr, der Brauer Duͤrbach, in die
Geſellſchaft der Gaſtſtube ſchicken. Wenn er die ge-
meinen Reiſenden noch von fern ſah angewandert
kommen, ſo ſchmaͤhlte er ſchon auf ſie, und begegnete
ihnen veraͤchtlich, wenn er ſie bedienen ſollte. Dieſes
kam bald zu den Ohren der Herrſchaft, und ein junger
Kruͤger im adelichen Dorfe, welcher laͤngſt einen Wunſch
nach der Pacht des Hammers gehabt hatte, machte
ſich die Brutalitaͤt des neuen Paͤchters zu Nutze, und
pachtete ihn bei der Herrſchaft aus. Die Eltern der
jungen Duͤrbach wurden alſo aus ihrem erſten Wohn-
orte verdraͤngt, wo ſie funfzehn Jahr ſo geſeegnet wa-
b 3
[22] ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet
hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine
polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder
einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein
Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters
des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen
Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige
Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben
denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme
geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft
hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem
Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng-
ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf
brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche
ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe
nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit
nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher
fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri-
ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On-
kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ-
ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld,
ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der
Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß-
mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes
war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr-
bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie
[23] nun vor gaͤnzlichen Muͤßiggang zu bewahren, wurden
ihr von der Mutter drei Rinder vertraut, welche ſie
taͤglich auf die Weide, die weit entfernt lag und zu
ihrer Pacht gehoͤrte, treiben mußte. So unwuͤrdig
ein ſolches Geſchaͤft fuͤr eine Karſchin ſcheint, ſo erin-
nerte ſie ſich deſſelben doch niemals ohne Vergnuͤgen,
und hielt die Jahre ihrer Hirtenſchaft fuͤr die ſchoͤn-
ſten ihres Lebens. Die Freiheit, welcher ſie hier ge-
noß, die herrliche bluͤhende Natur um ſie her, die mit
Baͤchen durchſchlungenen Wieſen, und die liebliche
Ruhe, welche hier uͤberall ausgebreitet lag — erfuͤll-
ten ihre Seele mit tauſend ſchoͤnen Bildern, von wel-
chen ſie ſelbſt die Schoͤpferin war. Und welcher Stand
befriedigt auch wol mehr das Herz, als der Hirten-
ſtand, in welchem die Patriarchen Koͤnige waren, und die
hoͤchſten Dichter ſich das goldene Zeitalter traͤumten?
Sie war im dreizehnten Jahre, als ſie mit ihrer
kleinen Heerde zuerſt die graßreichen Triften betrat.
Hier empfand ſie mehr als jemals den Drang denken-
der Vorſtellungen, welchen ſie ſo gern in Bilder uͤber-
getragen, wenn ſie nur gewußt haͤtte, wie? Sie
hatte weder ein Buch zum Leſen, noch Geraͤth zum
Schreiben, noch jemanden, an welchen ſie ihre Gedan-
ken haͤtte richten koͤnnen. So brachte ſie ihre Zeit
in Geſellſchaft ihrer Rinder mit bloßen Phantaſien hin.
Eines Tages aber, als ſie ſo in ſich ſelbſt vertieft ihren
b 4
[24] empfindſamen Traͤumen nachdenkt, entlaͤuft ihr ploͤtz-
lich ein Rind, welches im blinden Eifer uͤber eine
Waſſergraben ſezt, der die Graͤnze einer andern Weide
war. In aller Angſt wathet die kleine Hirtin den
Graben durch und ihrem Rinde nach; die zwei uͤbri-
gen folgten ihr von ſelbſt. Sie mußte eine lange
Strecke laufen, ehe ſie daſſelbe einholen konnte; end-
lich gelang es ihr. Indem ſie nun ein wenig ausru-
hen wollte, ſahe ſie um ſich herum und bemerkte, daß
ſie ſich auf einer ganz fremden Trift befand, als ſie in
einiger Ferne einen Hirtenknaben gewahr wurde, wel-
cher unter einem Baume ſaß, und — o wundervolles
Gluͤck! in einem Buche las. Ihr Herz ſchlug
laut vor Freude, und mit dem zweiten Gedanken war
ſie auch ſchon bei dem Knaben. Drei Worte, in drei
Augenblicken geſagt, machten einander auf immer be-
kannt, und eine gegenſeitige Neigung zum Leſen ſchloß
ſogleich das Band der Freundſchaft um ihre Herzen.
Jezt haͤtte ein Jupiter vom Himmel ſteigen und in eins
ihrer Rinder ſich verwandeln koͤnnen, die Dichterin
wuͤrde es nicht bemerkt haben, ſo ſehr war ihre Be-
gierde auf das Buch geheftet, welches der junge Hirte
las. Es war dieſes [Buch] eins von den Originalen,
welche damals die Ehre der deutſchen Schriftſteller
ausmachten. In dieſe Klaſſe gehoͤrten: die ſchoͤne
Meluſine, der gehoͤrnte Siegfried, Peter mit dem
[25] goldnen Schluͤſſel, die politiſche Kolika, Tauſend und
eine Nacht, die Aſiatiſche Baniſe, Robinſon Kruſoe,
und andere, welche noch ungleich ſeichter waren.
Der Knabe war ungefaͤhr zwei Jahre aͤlter als ſie,
und ein Bewohner deſſelben Staͤdtchens, wo ihre El-
tern lebten. Seine Geſtalt konnte, ohne Uebertvei-
bung geſagt, das paſſendſte Muſter zu der Abbildung
eines Aeſops abgeben, ſogar die Schwere der Zunge
und die Heiſerkeit der Sprache jenes griechiſchen Fa-
beldichters fehlten ihm nicht. Indeſſen war es in ſei-
nem Kopfe heller, als in allen Buͤrgerkoͤpfen ſeines
Geburtsortes, und ſein Herz war mit ſeinem Ver-
ſtande in einer ſchoͤnen Ordnung. Ihm fehlte nur
Erziehung und Umgang, ſo wuͤrde ſein Name vielleicht
jezt unter den Philoſophen unſers Jahrhunderts
glaͤnzen, anſtatt daß er nun als ein armer Pfluͤger
ein verachtetes und hoͤchſt duͤrftiges Leben vielleicht
ſchon beſchloſſen hat. Er hatte eine große Anlage zum
Mechanikus, und verfertigte ſich ſelbſt eine hoͤlzerne
Uhr, und bei ſeiner Feldarbeit taͤglich allerlei kuͤnſtli-
ches Schnizwerk, worin er niemals einen Unterricht
gehabt hatte. Wie eigen und feſt ſein Charakter und
wie lakoniſch er in den Ausdruͤcken ſeiner Meinungen
war, ſehe man aus folgendem Briefe, welchen er der
Dichterin in ihrem gluͤcklichen Zuſtande ſchrieb, als er
b 5
[26] etwa vierzig Jahr alt war. Ein Charakter, welcher,
ohne daß er’s ſucht, gewiß Hochachtung einfloͤßt.
Gott mit uns werthe und geehrte Freundin!
„Gegenwaͤrtige Blaͤtter werden Sie uͤberzeugen, daß
ich Ihr Schreiben erhalten habe. Sie aber meyne
nicht etwa, als ob ich Sie geringe ſchaͤtze, indem ich
mich ſo ſchlechten Papiers bediene; haͤtte ich beſſers ge-
habt, ſo wuͤrde ichs wohl genommen haben. Ihr Brief-
chen zu beantworten, moͤgen zuvoͤrderſt Ihre Verſe re-
den. Betreffend den Endſchluß zu heirathen, ſo bin
ich keinmal ohne Liebſte geweſen. Die guͤnſtigen Mu-
ſen *) haben zwei der vortheilhafteſten Heirathen mir
anempfohlen. Ich haͤtte nur bei einer meine Religion
veraͤndern ſollen; bei der andern ſtand mir ein Maͤdchen
im Wege, die mir von Herzen gewogen und von allen
Mitteln entbloͤßt war, und an der hing mein Herz. Es
hat aber nichts daraus werden koͤnnen, indem mich
bald darauf die Ruſſen von allen Mitteln entbloͤßt, das
Hemde auf dem Leibe, welches nichts nutz, blieb mir
nur uͤbrig; ich danke Gott, daß ich meine Geſundheit
noch erhalten habe. Brod, Kleider, Waͤſche, Pflug
und Zug, ſamt Getreide, alles muß mit fort, mein mit
Muͤhe geſammeltes Geld und drei Pferde, daß ich nun
ganz nackend und alles Verdienſtes beraubt bin; doch
hat Gott, ihm ſei Dank, dieſem Maͤdel einen Mann
gegeben und ſie verſorgt. Ich aber habe mich die Zeit
[27] uͤber mit meinem Schnizwerk erhalten muͤſſen, welches
nicht viel eintraͤgt. So viel ich aus Ihrem Schreiben
erſehen, gehet es Ihr außerordentlich wohl, des freue
mich von Herzen. Gott erhalte Sie in allem Wohlſeyn.
Die vergnuͤgte Zufriedenheit erhaͤlt dennoch mich bei
meinen betruͤbten Umſtaͤnden ꝛc.
Schwiebus,
den 2ten Oſtertag 1762.
Ihr allzeit guter Freund
Joh. Chriſt. Grafre.
So unangenehm das Auge der jungen Duͤrbach
auf dem Geſicht ihres Hirten ruhete, ſo gern ſahe ſie
doch der Bewegung ſeines großen Mundes zu, wenn
er ihr etwas aus einem Buche vorlas. Dieſes that
er ſehr gern’ und that es daher oft. Ihr Wunſch war,
daß der Sommer ewig dauern moͤchte, allein er ver-
ging; und nun, in ihrer Heimath, durfte nur ganz
verſtohlen geleſen werden, weil es ihre Muͤtter nicht
litten. Von ihrem Hirten wurden ihr oft Buͤcher
geliehen, welche ſie ſorgfaͤltig in dem Garten unter
einem Hollunderſtrauch verſteckte. Abends holte ſie
dieſelben wieder und verbarg ſie unter ihr Kopfkuͤſſen,
damit ſie mit Anbruch des Tages, wenn man glaubte,
daß ſie noch ſchliefe, leſen koͤnnte. Auch ging ſie in
das vaͤterliche Haus des Hirten, ſo oft ſie ſich dahin
ſtehlen konnte, und las die Buͤcher bei ihm ſelbſt. Es
ward endlich wieder Sommer und der junge Hirt ver-
ſchoͤnerte ihn ſeiner Hirtin durch immer neue Buͤcher,
[28] welche er mit aͤußerſter Muͤhe habhaft zu werden ſuch-
te. Zwar bekam ihr Geiſt keine Schwingen durch
dieſe Lektuͤre, in welcher oft ein geſunder Gedanke in
einem Strohm von ermuͤdendem Witze und fremden
Sprachwoͤrtern erſaͤuft lag; allein ihre Empfindungen
gewonnen doch dadurch mehr Spielraum, und ihre
Ideen verfeinerten ſich durch das Leſen, und durch den
freundſchaftlichen Umgang ihres tugendhaften Hirten-
knaben. Vielleicht wurden die drei Sommer ihres
Hirtenſtandes die Quelle, welche ihre Dichterader ſo
weit ausdehnte und ſo ſtark anfuͤllte; denn hier be-
gnuͤgte ſich ihre Wißbegierde nicht nur an den Buͤchern,
ſondern machte ſie auch mit den Gegenſtaͤnden der
Natur bekannt. Sie lernte die mannichfaltigen Arten
der Voͤgel und der laͤndlichen Inſekten kennen; ſie er-
forſchte den Unterſchied der Baumarten, der Pflanzen
und Blumen, und in ihrem unvergleichlichen Gedaͤcht-
niſſe fand das vergeſſenſte Kraͤutchen ſeinen Namen
wieder. Auf gleiche Weiſe wurden ihr die Veraͤnde-
rungen der Jahreszeiten, ſo wie der Elemente bekannt,
und der geſtirnte Himmel mit ihrem Geiſte vertraut.
Daher ſammlete ſie alle die ſchoͤnen Farben zu den
herrlichen Bildern der Natur, welche ihren Meiſter-
ſtuͤcken einen Vorzug geben, den ſie vielleicht in ihrer
Art einzig hat. Haͤtte ſtatt dieſes Hirtenlebens die
Dichterin das Gluͤck einer gekuͤnſtelten Erziehung
[29] genoſſen und die Buͤcher unſrer Tage gehabt, ſo wuͤrde
ſie kaum ihr Talent zn der Hoͤhe geſchwungen haben,
in welcher es allgemein bekannt iſt. Ein wirkliches
Genie kann wol nicht dadurch leiden, wenn es lange
ſich nur ſelbſt uͤberlaſſen iſt; denn die Kunſt, welche
ihm zu fruͤh die erhabenſten Muſter vorlegt, macht es
dadurch ſcheu und zaghaft, ſelbſt den Flug zu wagen.
Daher wird ein fruͤh ausgebildetes Talent ſich ſelten zu
dem kuͤhnen Schwung erheben, welchen die wilde freie
Kraft eines ſich ſelbſt uͤberlaſſenen Genies mit Leich-
tigkeit ausfuͤhrt, weil es die ihm unbekannten Regeln
der Kunſt nicht zu ſcheuen hat, ob es gleich auch Ge-
fahr laͤuft, im Waͤlzen ſeines Strohms hie und da
eine Regel umzuſtoßen, oder etwas mit ſich fortzureißen,
welches es nicht wieder an die rechte Stelle bringt.
Nachdem der dritte Sommer dieſer gluͤcklichen
Epoche vor ſie voruͤber war, bedachte nun ihre Mut-
ter, daß das Maͤdchen ſich dem Ende ihres funfzehn-
ten Jahres naͤherte, und noch war ſie von aller haͤus-
lichen Kenntniß zuruͤck, welche ihrer kuͤnftigen Beſtim-
mung zur Hausfrau ſo nothwendig war. Nach der
dortigen Sitte pflegte man die Maͤdchens zu verheyra-
then, ſobald ſie erwachſen waren, und die Augen der
jungen Duͤrbach ſagten, daß ſie wider dieſe Gewohn-
heit nichts einzuwenden haben wuͤrde. Es ward alſo
beſchloſſen, ſie zuerſt noch im Naͤhen unterrichten zu
[30] laſſen, und alsdann ſie in der Hauswirthſchaft anzu-
lernen. Damit man aber verhinderte, daß ſie nicht,
ihrer Gewohnheit nach, leſen, in den Gaͤrten und auf
den Wieſen herumtraͤumen, oder gar ſich bey dem
Buͤcherſchaft ihres litterariſchen Schaͤfers vergeſſen
koͤnnte; ſo wurde ſie von Hauſe ganz entfernt, und
einige Meilen weit davon in die Koſt einer Muͤllers-
Frau gethan, welche die Geſchicklichkeit im Ausnaͤhen
vorzuͤglich beſaß. Das Gedaͤchtniß der Duͤrbach glich
dem Wachs; was ſie lernen ſollte, das druͤckte ſich
den Augenblick unausloͤſchlich in ihre Begriffe. So
ganz ſie Phantaſie und Gedanke war, ſo war ſie kaum
ein Vierteljahr in der Lehre, als ſie ſchon ihrer Lehr-
meiſterin alle Kuͤnſte ihrer feinen Nadel auf das ſau-
berſte nachmachen konnte. Sie war auf anderthalb
Jahre in dieſe Lehre bedungen, und die Muͤllersfrau,
welche ihrer Schuͤlerin nichts mehr lernen konnte, miß-
brauchte in der uͤbrigen Zeit die folgſame Gemuͤths-
art der Duͤrbach, nebſt der entfernten Lage von ihren
Eltern, und ließ ihr mehrentheils Magddienſte ver-
richten. Dabei blieb es nicht allein, ſondern ſie mußte
auch oft das Amt einer Vorpoſt beſtehen: denn die
Muͤllerin, welche jung und huͤbſch war; hatte Bekannt-
ſchaft mit einem Huſaren-Rittmeiſter, welcher hier auf
Graſung ſtand. Er kam mehrentheils wenn der Muͤller
auf der Muͤhle war, und bey jedem ſolchen Beſuche wur-
[31] de der Duͤrbach aufgetragen, auf des Muͤllers etwanige
Zuruͤckkunft Achtung zu geben, und Bericht davon
abzulegen. Die Langeweile, welche ſie auf dieſem Poſten
hatte, gab ihr mancherley nachzudenken. Dieſe Be-
ſuche und dieſe heimlichen Anſtalten kamen ihr freilich
beſonders vor, um ſo mehr, da bey ihrer liebenswuͤr-
digen Mutter dergleichen nie vorgefallen war. Weil
aber ihre Phantaſie gern einen Schwung machte, ſo
bildete ſie ſich aus dieſen Zuſammenkuͤnften eine Rit-
tergeſchichte, je nach den Muſtern, wie ſie dieſelben in
den Buͤchern bei ihrer Heerde geleſen hatte. Der
Muͤller war haͤßlich; der Ritter huͤbſch und artig; die
Muͤllerin ſchoͤn und jung: konnte ſie nicht von dem
unanſehnlichen Muͤller geraubt, oder durch Liſt zu einer
Heirath mit ihm gezwungen ſeyn? Und konnte nun
der Rittmeiſter nicht der edle Ritter ſeyn, der ſie wie-
der erloͤſen wuͤrde? So waren ihre Vorſtellungen von
dieſen beiden Perſonen, und ihre Einbildungskraft
fand eine angenehme Unterhaltung darin, ſich dieſe
beiden Liebenden als zwei Ungluͤckliche zu denken, welche
durch ein grauſames Schickſal getrennt waren, und
bei ſolchen Zuſammenkuͤnften einander ihre Leiden
klagten. Sie ward von dieſer Meinung ſo eingenom-
men, daß ſie es zulezt wirklich glaubte. Ihr Enthu-
ſiaſmus entflammte, ſie trat auf die Seite der beiden
vermeinten Ungluͤcklichen, und — ergriff ihre erſte
[32] Feder — mit welcher ſie wie mit einer ritterlichen
Lanze, in beweglichen Klagen auf das harte Schickſal
loszog. Es iſt Schade, daß von dieſem erſten Fluͤ-
gelſchwunge ihres Geiſtes keine Probe mehr vorhanden
iſt; und dieſe Epiſode wuͤrde daher unbedeutend ſeyn,
wenn man nicht in ihr die fortwachſende Dichterin
bemerkte. Ihren Poſten beſtand ſie ſtets ſonder Feh-
de, ſie ward ſogar dafuͤr von dem Rittmeiſter beſchenkt,
und die Haushaltung des Muͤllers befand ſich wohl
dabei, ſo wie bei den vollen Kammern auch der Haus-
friede ſich befand. Allein der Zufall, welcher kein Ver-
gnuͤgen ungeſtoͤhrt laſſen mag, that es auch hier. Ei-
nes Tages, als eben der Rittmeiſter im Begriff war,
zu ſeiner Schoͤnen zu gehn, kommt ploͤtzlich eine Kut-
ſche vor ſeine Hausthuͤr gerollt, und wer daraus er-
ſcheint, ſind — ſeine Gemahlin und ſeine beiden klei-
nen Soͤhne. Zaͤrtlich hingen ſie ihm an Hals und
Knieen, ehe er noch ein Wort ſprechen konnte; und
er, ein ſonſt guter Mann und Vater, empfand, daß
er von den Banden der Natur umſchlungen wurde,
und — weggewiſcht aus ſeiner Seele war das Bild
der Kokette. Ohne von ihr Abſchied zu nehmen, eilte
er am andern Morgen fruͤh mit den Seinigen nach
ſeinem Standquartier zuruͤck, und ſeine ſanfte Frau
machte ihm keinen Vorwurf, daß er ſo lange uͤber die
Zeit der Graſung weggeblieben war.
In
[33]
In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht,
daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender
Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in
eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller
in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei-
nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib
durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den
duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die
junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn-
dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ-
ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden
konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo
entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel-
cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn-
te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine,
und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung
geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge-
ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt
haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie
denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen
wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich
darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten
Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie
fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine
Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr
Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein,
c
[34] weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle
zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort-
zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack
mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie
mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle
tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen
beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort,
um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge,
welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in
ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie
der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande-
nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die-
ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be-
ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war,
ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die
Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit
Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr
mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck.
Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald
ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten;
dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr
ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in
den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie
etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu
leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal
geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß
[35] ſie gluͤcklicher in ihrem Hauſe, als bey dem Hirten
war, denn ſie fand auf ihrem Soͤller (Vorfluhr) ei-
nige Blaͤtter voll Verſe von dem bekannten Johann
Franke, welche uͤber allerlei Gegenſtaͤnde geſchrie-
ben waren. Dieſer neue Fund ſchlug einen Funken in
ihr an, welcher in ſeiner Neuheit etwas Bezaubern-
des fuͤr ſie hatte. Noch niemals waren ihr andere
Poeſien als die Lieder im Geſangbuche vor Augen ge-
kommen; aus dieſen Blaͤttern ſahe ſie, daß man auch
andere Gedanken als geiſtliche in Verſe bringen konn-
te; der Takt des Sylbenmaßes war unausſprechlich
ſchmeichelhaft fuͤr ihr Gefuͤhl; ſie empfand, daß die
Sprache in Verſen einen vorzuͤglichen Unterſchied vor
der gemeinen Sprache hatte — Sie flog zu ihrem
Hirten, entdeckte ihm den Schatz, den ſie gefunden
hatte, und brannte nun von keiner geringern Begier-
de, als von der: auch Verſe machen zu koͤnnen. Die-
ſes wuͤnſchen und auch verſuchen, war eins, und von
Stund an keimte ihr Dichtertalent aus dem Verbor-
genen hervor. Sie ſchrieb Verſe an den Hirten von
der Art, wie ſie im Anhange dieſer Sammlung zur
Probe mitgetheilt ſind, und ahndete nicht, daß ſie
damit etwas Edleres that, als wenn ſie vormals hin-
ter ihrer kleinen Heerde mit dem Staͤbchen in der Hand
herging. Auch wurde ſie nicht ſtolzer auf ihr Talent,
als es ſchon ihren Namen beruͤhmt gemacht hatte.
c 2
[36]
Der ehrgeizige Rinderphiloſoph blieb ihr nichts
ſchuldig, er verſuchte, ihr in Reimen wieder zu ant-
worten, ob ihm gleich das Steigen in die Dichterſphaͤre
herzlich ſauer wurde, weil er nicht wie ſeine Freundin
zur Dichtkunſt geboren war.
Jezt aber war ſie nicht mehr das kinderhafte Maͤd-
chen auf der Weide, ſondern eine werdende Jungfrau
im ſechzehnten Jahre, welcher in jeder Nerve Empfin-
dung gluͤhete. Zwar konnte der arme Rinderhirt mit
ſeinen zuſammengedraͤngten Unannehmlichkeiten ihr
keine zaͤrtlichen Wuͤnſche ablocken; die Ritterideale aus
ſeinen Buͤchern hatten ihre Phantaſie erhoͤht, ihren
Geſchmack verfeinert, und ihr Auge ekelnd gemacht;
ſie lernte aber einen Nachbarsſohn kennen, einen wohl-
gewachſenen und wohlgebildeten jungen Menſchen,
welcher ganz artige Manieren hatte, und ſogar Verſe
zu lieben ſchien. Fuͤr dieſen wurde ſie eingenommen,
und vielleicht wuͤrde ſie mit ihm einen ziemlich leidlichen
Eheſtand gefuͤhrt haben, wenn ſie zu einer Heirath
mit ihm ſeiner Mutter Bewilligung haͤtte erlangen
koͤnnen. Allein dieſer Frau war das Maͤdchen darum
aufs aͤußerſte zuwider, weil ſie — leſen und ſchreiben
konnte, und weil ſie damals, vermoͤge ihres in ihr
wirkenden Dichterfeuers ſelten mit den Augen gerade
ſah, ſondern beinahe ſchielte. Sie eiferte heftig wider
jede Zuſammenkunft mit ihrem Sohne, und kraͤnkte
[37] ſogar die gute Mutter der Dichterin mit ſpitzen und
anzuͤglichen Reden wider ihre Tochter. Dieſe wuͤrdige
Frau, welche ſich ſchon durch einen Schatten von Ta-
del an ihrer Ehre gekraͤnkt fuͤhlte, und welche auf einen
guten Ruf mehr hielt als auf alles Gluͤck in der Welt:
verbot ihrer Tochter, bei der Strafe ihres Unſegens,
jeden Umgang mit dieſem jungen Menſchen; und um
dieſelbe vor allen Unfaͤllen, welche jungen feurigen Dir-
nen begegnen koͤnnen, zu ſichern, beſchloß ſie, ſobald
als moͤglich ihr ſelbſt einen Mann zu waͤhlen. Ob das
Maͤdchen dabei gluͤcklich oder nicht ſeyn wuͤrde, konnte
ſie nicht berechnen, weil ſie den Grundſatz ihrer Vor-
muͤtter hatte, daß ein Maͤdchen gluͤcklich genug ſey,
wenn ſie bald einen Mann bekaͤme, der ihr Schutz und
Brod gaͤbe. Sie ſelbſt war in ihren beiden Ehen nicht
nach den Wuͤnſchen ihres Herzens verheirathet, aber
ſie war doch eine rechtſchaffne Frau: dieſer Name be-
friedigte zugleich ihre uͤbrigen Wuͤnſche.
Unter den verſchiedenen Freyern, welche ſich um
ihre Tochter bewarben, meldete ſich auch ein junger
Tuchweber und Tuchhaͤndler aus Schwiebus, Namens
Hirſekorn, welcher zehn Meilen weit im Umkreiſe fuͤr
den beſten Wirth, aber auch fuͤr einen heftigen und
zornigen Menſchen bekannt war. Der Eigennutz war
ſeine erſte Hauptleidenſchaft; er hatte, ehe er in die
Fremde ging, vernommen, daß die junge Duͤrbach
c 3
[38] tauſend Thaler Vatergut zu hoffen haͤtte, und wie ihm
dieſes ein großes Kapital ſchien, ſo beſchloß er, ſie zu
heirathen, ſo bald ſie herangewachſen ſeyn wuͤrde. Al-
lein die Umſtaͤnde von des Maͤdchens Mutter waren
durch die ſchlechte Nahrung an dieſem neuen Wohn-
orte, und durch den Muͤßiggang des brutalen Hempels
ſo verfallen, daß dies Vatergut laͤngſt dabei hatte zu-
geſetzt werden muͤſſen. Es blieb aber vor den Leuten
verborgen, weil die gute Mutter ihre Leiden niemand
klagte, und ihre Art zu wirthſchaften nach wie vor
ordentlich trieb. Der Hirſekorn konnte alſo nichts
weniger als Mangel hier vermuthen, und ohnerachtet
ihm das Maͤdchen halb zuwider war, freyete er doch
um ſie aus Gewinnſucht. Die Mutter, welche keine
Heuchelei vermuthete und ihr Kind ſehr gluͤcklich dach-
te, weil ein ſo bekannter guter Wirth und fleißiger
Arbeiter ſie zur Frau begehrte, willigte mit Freuden
in ſein Geſuch, und fuͤgte nur die Vorſtellung hinzu:
daß er bei ihrer Tochter keine Mitgabe ſich verſprechen
muͤßte, ſie bekaͤme eine Ausſtattung und weiter nichts.
Der Freyer, welcher glaubte, die kluge Frau wollte
ihn mit ſolchen Reden nur auf die Probe ſtellen, ver-
ſicherte ihr ſchmeichelhaft und feierlich: daß er nichts
anders ſuchte, als ein ehrliches und folgſames Maͤd-
chen, und daß er dieſelbe nur deshalb begehre, weil ſie
eine ſo wuͤrdige Mutter haͤtte. Die Mutter, in deren
[39] Herzen kein Arges wohnte, glaubte dem Heuchler,
blieb aber immer dabei, daß ihre Tochter wirklich kein
Vermoͤgen haͤtte, und daß er ſich betruͤgen wuͤrde, wenn
er welches vermuthete. Freilich haͤtte ſie ihm deutlicher
ihre wahren Umſtaͤnde entdecken ſollen, allein dazu
glaubte ſie noch immer Zeit zu haben, indem ſie nicht
dachte, daß er bloß nach Gelde freyete. Sie gab ihm
alſo ihr muͤtterliches Jawort und rief ihre Tochter
herein, welche in der Kuͤche hinter der Thuͤr faſt jedes
Wort gehoͤrt hatte, was unter beiden vorgefallen
war. Der junge Mann wurde ihr als Braͤutigam
angekuͤndiget, und weil er ſchoͤn und wohl gewachſen
war, und von ihrer Mutter ihr angetragen wurde,
ſo gab ſie ihm ihr Jawort mit ihrem Herzen zugleich.
Die Verlobung wurde bald veranſtaltet, und der Name
Braut war ihr ſo angenehm, als neu zu hoͤren. Der
Braͤutigam reiſete wieder nach Schwiebus zuruͤck, in-
deſſen hier unter der braͤutlichen Einrichtung die we-
nigen Zwiſchenwochen bis zur Hochzeit nur allzubald
verfloſſen, ohne daß die beiden Verlobten einander
beſſer kennen lernten; denn an dieſem Orte werden
die Toͤchter mehrentheils zur Ehe wie die Laͤmmer zur
Schlachtbank gefuͤhrt; und es iſt einmal Sitte, ſie ih-
rem fernern Schickſale zu uͤberlaſſen, wenn ſie nur mit
einem Manne getrauet ſind. Ob ihre Geſinnungen fuͤr
einander geſtimmt ſind, das wird gar nicht gefragt,
c 4
[40] und die große Jugend, in welcher beide Theile faſt
immer verheirathet werden, kann wol nichts anders
als uͤble Folgen nach ſich ziehn, weil ſie bei reiferm Ver-
ſtande erſt einſehen, wie ſie mehrentheils in ihrer
Wahl gefehlt haben.
Ein ſolches Schickſal wartete auch unſerer Dichte-
rin; weil ihr Braͤutigam meilenweit entfernt wohnte,
ſo konnte ſie weder ihn, noch er ſie beſſer kennen [...]ler-
nen, ob ſie ſich zur Ehe fuͤr einander ſchickten. Der
Mutter zwar wurde es geſagt, daß er ein geiziger und
jachzorniger Mann waͤre; allein ſie, welche glaubte,
daß man wol fuͤr die Tugend etwas leiden koͤnnte,
hoͤrte weiter nicht auf ſolche Reden, ſondern antwor-
tete: „Wenn der Mann ſchlimm waͤre, ſo muͤßte die
Frau deſto nachgebender ſeyn, denn ginge es immer
gut. Sie wuͤßte, daß ihre Tochter ein nachgebendes
Gemuͤth haͤtte, alſo mache ſie ſich weiter keinen Kum-
mer, als dieſelbe an einen ordentlichen Mann zu brin-
gen, und das waͤre ihr kuͤnftiger Schwiegerſohn.„
Dergeſtalt ging denn die Hochzeit vor ſich.
Die Braut war ein ſchlankes, noch nicht voll ſech-
zehnjaͤhriges Maͤdchen mit bluͤhendem Geſicht, laͤndlich-
freundlichen Mienen und feuervollen blauen Augen.
Ihre unbeſchreiblich ſchoͤne Stirn trug keine gepuderte
Locken, ſondern ihr ſtark kaſtanienbraunes Haar war
nach Art der Koͤpfe franzoͤſiſcher Schweizermaͤdchen,
[41] in Flechten aufgeſchlagen. Statt des Kranzes trug
ſie nach damaliger Sitte eine kleine Fontange von
Spitzen, welche auf ein goldenes Laͤppchen getollet
waren. Ueber einen großen Fiſchbeinrock blaͤhete ſich
der Brautrock von ſchwarzer Charge. Den ſchmalen
Leib zierte ein Kamiſoͤlchen vom nehmlichen Zeuge, ein
goldner Latz ſchimmerte vor der Bruſt, und goldge-
ſtickte Pantoffeln, nebſt rothen Struͤmpfen mit bunten
Zwickeln paradirten an den Fuͤßen; weiße zwirnene
Handſchuh und ein kleiner Zobelmuff ſchmuͤckten die
feine Hand. So ſtand ſie vor dem Traualtar, wo ſie
fuͤr einen ungluͤcklichen Eheſtand eingeſeegnet wurde.
Nach dreytaͤgiger Hochzeitfeyer wurde ſie von ih-
rem Manne heimgefuͤhrt, und in ihr Joch geſpannt.
Sobald er ſie ganz allein in ſeiner Gewalt hatte, warf
er die Larve ab, und ließ es durch den unertraͤglichſten
Geitz ihr empfinden, daß er in Abſicht der Mitgabe
ſich betrogen hatte; denn ſie hatte wirklich nichts mit-
bekommen, als eine Ausſtattung von etwas Schmuck,
Kleidern und Hausgeraͤthe, und ſtatt der eingebilde-
ten tauſend Reichsthaler nur hundert. Darzu kam,
daß ſie wegen ihrer großen Jugend und Vergeßlich-
keit noch ganz unerfahren in der Wirthſchaft war,
und daß ſelbſt ihre Bereitwilligkeit und ihr ſtrengſter
Gehorſam in ihren Pflichten kein Verdienſt an ihr
ſchienen, weil ihr die Wirthſchaftlichkeit ganz und gar
c 5
[42] nicht kleidete, indem ſie durchaus nicht zu ſolchen Ge-
ſchaͤften geboren war. Allein, den woͤchentlichen Faden
ihrer Pflichten ſelbſt, ſie mochten auch noch ſo muͤh-
ſam ſeyn, lernte ſie bald abſpinnen, weil ihr Verſtand
zu allem faͤhig war; und ſie uͤbertraf darin ſtets ihren
Meiſter, nur mit ſtiller und geſetzter Ordnung konnte
ſie nichts verrichten, weil ſie ſich uͤberall vergaß. Das
verdroß ihren eigenſinnigen Mann gar ſehr, und er
wurde deswegen ſchon im erſten Jahre ihrer uͤber-
druͤßig. Haͤtte er aber gewußt, welches edle Feuer in
ihr wirkte, ſo wuͤrde er aus Eigennutz und Ehrgeiz ſie
beſſer geſchaͤtzt und gehalten haben; denn bey aller
ſeiner uͤblen Laune hielt er doch auf den Punkt der
Ehre, und in dieſem Fall war ihm das Geld nicht zu
lieb; ja, er wuͤnſchte nur deswegen reich zu werden,
ſich mit Ehre ſehn laſſen zu koͤnnen. In beſſern
Gluͤcksumſtaͤnden waͤre dieſer Mann gut geweſen, an-
ſtatt daß er bey wenigem Einkommen ein boͤſer Be-
herrſcher der Seinigen wurde.
Das arme junge Weibchen war zu bedauren; bey
dem beſten Willen, welchen ſie hatte, ihrem Manne
alles nach Wunſche zu thun, konnte ſie doch nicht das
Geringſte handhaben, wobei ſie nicht etwas verſchuͤt-
tete, im Wege liegen ließ, auf etwas trat, oder etwas
verkehrt machte. Ihr Mann konnte daruͤber ſo boͤſe
werden, daß er oft handgreiflich wuͤthete. Dadurch
[43] entſtand eine Furcht und eine Bloͤdigkeit gegen ihn,
welche faſt ſklaviſch war, wodurch ſie ihm noch mehr
mißfiel. Ihre große Unerfahrenheit, und die man-
cherley Gedanken, welche in ihr wirkten, machten,
daß ſie nie das rechte Mittel waͤhlen konnte, wodurch
ſie ihn haͤtte geneigter machen koͤnnen. Rathgeber
fehlten ihr auch, weil ſie ſich unter lauter fremden
Leuten in einer fremden Stadt befand. Eine einzige
Frau, die Mutter ihres Mannes, war ihre Freundin,
und dieſes war in der That der groͤßte Troſt fuͤr ſie.
In ſolcher traurigen Lage, welche ſie bloß durch die
Unbefangenheit ihrer großen Jugend bekaͤmpfte, ge-
bahr ſie ihren erſten Sohn, als ſie noch nicht voͤllig
ſiebzehn Jahr alt war. Sie liebte ihren Mann ſo
zaͤrtlich, daß ſie durchaus wollte, daß der Knabe das Mi-
niaturbild ſeines Vaters ſey; allein er war es nicht, ob
er gleich weit ſchoͤner war, als ſein Vater. Daruͤber
betruͤbte ſich die Woͤchnerin bis zu Thraͤnen, und wenn
das Knaͤbchen an ihrer Bruſt lag, ſo weinte ſie uͤber
ihn, weil er ſeinem Vater nicht aͤhnlich ſah. Ihr
Mann war gegen ihr zaͤrtliches Gefuͤhl ſo unerkenntlich,
daß ſie ihm ſogar es verbergen mußte, weil er ihr dro-
hete, wenn ſie weinen wollte, woran auch wol Schuld
war, daß ihr das Weinen nicht kleidete. Beym Ein-
wiegen und Stillen ihres Kindes pflegte ſie in einem
Buche zu leſen, welches ſie irgendwo geliehen bekom-
[44] men hatte; allein wenn der Mann ſie leſen ſah, ſo
litt er es auch nicht. Mit dem Kinde auf dem
Schooße, oder neben ſich, verlas ſie die Wolle zum
Tuch und verrichtete mehrere dergleichen Geſchaͤfte,
welche zur Profeßion gehoͤrten, indeß ihre feinen Ge-
fuͤhle in tauſend ſelbſt gemachten Vorſtellungen her-
umflatterten. Ganz natuͤrlich war es daher, daß ſie
nicht ihre Handlung in gehoͤriger Ordnung hinter ein-
ander her verrichten konnte, wodurch der Mann im-
mer von neuem aufgebracht wurde.
Als ihr erſter Sohn ſechs Vierteljahr alt war,
gebar ſie den zweyten. Ihr zum Geize ſo ſehr geneigter
Mann ward nun um ſo ſparſamer, je mehr ſeine
Hausſorgen zunahmen. Er dachte redlich gegen die
Seinigen, und ſparte ſeinen eigenen Fleiß beym Ge-
werbe nicht, allein er haͤtte ſich zuweilen gern eine
frohe Stunde gemacht, und auch gern vor den Leuten
mehr Aufwand gezeigt; dieſes aber fiel weg, ſobald er
mehrere Menſchen zu ernaͤhren hatte, welche ihm
das, was ſie koſteten, nicht wieder einarbeiteten. Als
ein guter Rechner, wie er einer war, mußte ihm eine
ſolche Haushaltung allerdings uͤble Laune machen, be-
ſonders da er ein ſo ſtuͤrmiſches ungeduldiges Tempe-
rament hatte. Grauſam aber war es von ihm, daß
er ſeine boͤſe Launen an dem unſchuldigen Geſchoͤpf, an
ſeiner fleißigen und folgſamen Frau ausließ, und das-
[45] jenige, was er erſparen wollte, ihren Beduͤrfniſſen ab-
zog; denn er gab ihr weder recht ſatt zu eſſen noch zu
trinken. Oft, [wenn] ſie in ihren gluͤcklichen Tagen den
Wein nicht genießen konnte, welcher ihr uͤberfluͤßig
angeboten wurde, erinnerte ſie ſich jenes darbenden
Zuſtandes, wo ſie als Amme ihrer Kinder oft nach
einem Trunk Bier hat ſchmachten muͤſſen, welches ihr
harter Mann vor ihren Augen trank, ohne ihr etwas
davon anzubieten. Durch dieſe Haͤrte verleitete er ſie,
daß ſie ihm dann und wann kleine Muͤnze zu entwen-
den ſuchte, damit ſie ſich, wenn er etwa ausginge,
heimlich Bier holen und ihren Durſt laben konnte;
welches dann zu andern Unordnungen und Unruhen
Anlaß gab, weil ihm nichts verborgen blieb, und weil
ſie auch durchaus keine Heimlichkeit verbergen konnte,
und dieſelbe ſchon durch ihre ſchuͤchternen Mienen
verrieth.
Von ihrer guten Schwiegermutter, welche im naͤch-
ſten Hauſe wohnte, ward ſie oft erquickt und unter-
ſtuͤtzt, aber auch das mußte heimlich geſchehen, weil er
mit ſeinen Eltern ſo hart umging, wie mit ſeiner Frau.
Klagen und Vermahnungen halfen bei ihm nicht, er
wußte als Mann und Hausvater ſich immer mit ſei-
nem Haberecht zu beſchoͤnigen und auszureden; allein
ſie beklagte ſich auch gegen niemand, weil ſie nicht
wußte, ob ihr Schickſal je anders ſeyn koͤnnte? Selbſt
[46] ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre,
wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau
nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle
Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war.
Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal
noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte
dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche
ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange-
nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht
bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht,
mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel-
ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche
Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver-
druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die-
ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon-
ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze
Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt
ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit;
da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten
Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn,
ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in
der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien
Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche
fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar
Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder
auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man
[47] Arien nannte, wie davon im Anhang eine Probe zu
finden iſt. Sie dachte ſich dieſelben in der Woche aus,
und an dem Sonntag, wenn ihr Mann abweſend war,
ſchrieb ſie ſie auf, indem ſie dieſelben nach irgend einer
Melodie aufs Papier zu ſingen pflegte, welche Gewohn-
heit ſie noch im ſpaͤten Alter hatte. Sie meinte, daß
ihr durch dieſes Abſingen das Silbenmaaß leichtflie-
ßender wuͤrde. Auch an ihren Mann machte ſie Ver-
ſe, wie die Probe im Anhange beweiſt; er pflegte gut-
launig daruͤber zu laͤcheln, weil er ganz dunkel den
Vorzug fuͤhlte, welchen ſeine Frau in dieſer Gabe vor
andern hatte; allein da er es nicht voraus ſehen konn-
te, daß jemals ſolche Arbeit Geld bringen wuͤrde, ſo
machte er weiter nichts daraus. Indeß wurde ſie doch
mit dieſer Gabe in der Stadt Schwiebus bekannt, und
wen ſie kannte, der wurde von ihr mit ſolchen Proben
ihrer Reimluſt beſchenkt, weil ſie jeden Gegenſtand er-
griff, woran ihr Feuer Nahrung fand. Einer ſagte
dem andern davon, und es kam bald vor die benach-
barten Edelleute, daß ſie Verſe machen koͤnnte. Man
ward neugierig, ſich ſelbſt davon zu uͤberzeugen, und
ſie wurde zuweilen zu ſolchen Herrſchaften gerufen,
welche ſie alsdann mit etwas Muͤnze dafuͤr zu beſchen-
ken pflegten. Einsmals ließ man ſie in eins der be-
nachbarten Doͤrfer in eine adliche Aſſemblee kommen,
wo ſie mit vieler Gegenwart des Geiſtes jedem der
[48] Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte,
welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime
auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde
ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb-
ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine
Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem
Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem
Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn
ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn-
und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn
haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das
Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor-
genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der
Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch
Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk
und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan-
negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der
Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem
Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige
von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei-
ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou-
verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her-
ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg-
haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein-
ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa-
lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihn
kannten.
[49] kannten. Alles war fuͤr ihn von einem Enthuſiaſmus
beſeelt, alles liebte ihn und betete ihn an! und nie
war ihnen ſo wohl, als wenn ſie ein: Vivat der Koͤ-
nig von Preußen! trinken konnten. Die Dichterin,
welche bei dieſen Geſpraͤchen nicht darein reden durf-
te, fuͤhlte ſich ſo enge um’s Herz, wenn ſie bei ihrer
Arbeit von dieſem Wunderkoͤnige reden hoͤrte; ſie
gluͤhte vor Verlangen, ihn ſingen zu koͤnnen. Allein
voͤllig unbekannt mit jeder Art eines Heldengeſangs,
kehrte nur ihr Verlangen unbefriedigter in ſie zuruͤck,
ohne daß ſie es gewagt haͤtte, ein Wort zu des Koͤnigs
Ruhm zu ſchreiben. Im Anhange befindet ſich das
Stuͤck uͤber die Kaiſerliche Regierung, worin ſie, wie
die ſchuͤchterne Liebe, es nur entfernt wagte, gleichniß-
weiſe ihre Verehrung gegen ihn zu verrathen. Zu die-
ſer Zeit kam auch ihr litterariſcher Hirt nach Schwie-
bus; er hatte hier von einem Verwandten ein Stuͤck
Land und eine Huͤtte geerbt, welche er als Eigenthum
bezog, indem er ſeiner alten Mutter die wenigen
Einkuͤnfte ſeines vaͤterlichen Ackers in Tirſchtiegel al-
lein uͤberließ. Jezt war ſie beſſer geborgen, als jemals,
denn nun hatte ſie den Freund, der fuͤr ihren Sonntag
vollauf ſorgte. So ſehr indeß das Leſen den Druck
ihres haͤuslichen Zuſtandes erleichterte, ſo zog es ihr
doch auch manchen Verdruß zu, wenn ſie ſich nicht
enthalten konnte, auch zuweilen in der Woche ein Buch
d
[50] in die Hand zu nehmen, indem ſie etwa juſt ein Kind
zu warten hatte. Ihrem Manne ſchien dies große
Unordnung zu ſeyn, und zuweilen blieb es nicht beim
Schelten allein, ſondern er brauchte Gewalt, riß ihr
das Buch aus den Haͤnden, und warf es ins Feuer.
Noch ein Uebel, welches aus dem Leſen und aus dem
Verſemachen bei ihrem Wollrade entſtand, war das,
daß ſie immer vergeßlicher, und von innerm Feuer
uͤberſichtiger wurde, wodurch manche haͤusliche Unord-
nung entſtand, welches die Abneigung ihres Mannes
vermehrte. Ihr dieſe Abneigung in ihrer ganzen
Staͤrke zu zeigen, bettete er ſich aus dem gemeinſchaft-
lichen Ehebette weg, als ſie zum drittenmale Mutter
wurde, und ſchlief in der Nebenkammer. Dieſe Hand-
lung war wider alle dort eingefuͤhrte eheliche Sitte,
und gleichſam eine Vorſtimme der Scheidung ihrer
Gemuͤther. Seine Frau, welche ſo innig an ihn hing,
ſahe dieſe Abſonderung als dasjenige Ungluͤck an, wel-
ches es fuͤr ſie ward. Sie fuͤhlte die Schmach, welche
er ihr dadurch anthat, auf das ſchrecklichſte, und zer-
floß faſt vor ihm in Bitten und Thraͤnen: daß er doch
den Leuten kein ſolch Aergerniß geben ſollte und ſich
von ihr betten. Allein der Mann hatte einen Sinn
wie Felſen, er blieb unbeweglich und unveraͤnderlich in
ſeinem Entſchluß.
[51]
Eine ſo unerhoͤrte Haͤrte, welche ihr ſchwerer zu
tragen war, als jede an ihr ausgeuͤbte Mißhandlung,
ſetzte denn auch einige Kaͤlte in ihr Herz. Sie wur-
den einander immer fremder, ob er gleich nicht maͤßi-
ger in ſeinem ungeſtuͤmen Betragen gegen ſie ward.
Er legte es uͤberall darauf an, daß ſie des Bandes mit
ihm uͤberdruͤßig werden und es trennen ſollte; allein
ihre Geduld war unermuͤdet, denn ſie liebte ihn. Auch
hatte ſie wegen ihrer Geſchaͤfte nicht Zeit, Rathgeber
und Aufhetzer anzuhoͤren; und bei ihrer Mutter wußte
ſie, daß ſie ſich keinen Troſt zu holen hatte, theils weil
dieſelbe in eigenen haͤuslichen Kummer immer tiefer
verwickelt wurde, theils weil ſie uͤber den Namen Ehe-
frau die ſtrengſten Grundſaͤtze hielt.
So, unter beſtaͤndigen Gewitterwolken, vergingen
ihr die Jahre einer feuervollen Jugend, in welchen
ſonſt das Genie den gluͤcklichſten Schwung zu machen
pflegt, weil zu ſolcher Zeit alle Kraͤfte des Einbildungs-
vermoͤgens ſich vereinigen. Sie erreichte endlich das
eilfte Jahr ihres Eheſtandes. Ihres Mannes ſtets
zunehmender Widerwille gegen ſie ward jezt ſo rucht-
bar, daß es bis zu den Ohren ihrer Mutter kam,
welche bisher mit jeder Klage war verſchont worden.
Dieſe bedauernswuͤrdige Frau lebte ſelbſt in dem lei-
denvollſten Zuſtande, welcher eine feine Seele druͤcken
kann. Sie war von ihrem zweiten Manne Wittwe
d 2
[52] geworden, und hatte, wegen der zu erziehenden Kinder,
ſich einem dritten Manne vertraut, welcher die Wohl-
redenheit aus dem Grunde beſaß, im Herzen aber
ein Schalk und Tirann war. Er glaubte Vermoͤgen
mit ihr zu heirathen, und als er ſie hatte, brachte er
ihr noch das Wenige durch, was ſie im Vermoͤgen
hatte. Als ſie nun durch ihn ganz arm war, machte
er aus ihren Kindern, wider ihren Willen, Profeſſio-
niſten, und ſeine wuͤrdige Frau behandelte er wie das
niedrigſte Geſchoͤpf. Wie haͤtte hier ihre gleichleidende
Tochter Troſt finden wollen? Abſcheulich war es, daß
der zweite Stiefvater ihre wuͤrdige Mutter mit der
Tochter Schickſal quaͤlte, und wiederum die Tochter
durch die Vorwuͤrfe ihres Mannes wegen der Mutter
dritten Heirath gequaͤlt wurde.
In ſolcher Lage kam ſie jedennoch in den Zuſtand,
daß ſie zum viertenmale die Welt vermehren ſollte.
Dieſe Entdeckung brachte ihn ſo auf, daß ſie es kaum
mehr aushalten konnte, und einmal gezwungen war,
acht Tage lang ſich bei ihrer guten Schwiegermutter
aufzuhalten, um ſich vor ſeiner wuͤthenden Laune zu
ſchuͤtzen. Das Zureden dieſer alten braven Frau be-
ſaͤnftigte ihn zwar ſo weit, daß ſeine furchtſame Gat-
tin ſich wieder zu ihm wagte und eine Weile im Frieden
bei ihm lebte, allein es hatte nicht lange Beſtand.
Eines Tages war er ausgegangen und kam ſpaͤt des
[53] Abends mit einem Raͤuſchchen zuruͤck, welches ihn
ſonſt immer gutes Muths machte. Bei dem Herein-
treten warf er mit einer luſtigen Art den Hut auf den
Tiſch, ſchwung ſich auf einem Beine herum und rief:
Vivat! es lebe der Koͤnig von Preußen! darauf ſagte
er zu ſeiner Frau: Hoͤre, Louiſe! weißt du ganz was
Neues? Der Koͤnig von Preußen hat in ſeinen Lan-
den die Erlaubniß zur Eheſcheidung gegeben; was
meynſt du, wenn wir die erſten waͤren, die ſich ſchei-
den ließen? Seine aͤußerſt erſchrockne Frau konnte ihm
hierauf nichts antworten, und er fuhr fort: Na, du
haſt doch nichts dawider, wenn wir den Anfang ma-
chen? Ach Gott, du wirſt doch das nicht thun, war
ihre Antwort. Ja, ja! das werd’ ich wol thun, er-
wiederte er; und was iſt denn fuͤr ein Ungluͤck dabei?
wenn man einander nicht leiden kann, iſts nicht beſſer,
als davon. Die Frau weinte jaͤmmerlich, aber er fuhr
fort: Hoͤre, Louiſe, weine nur nicht, das Weinen kann
zu nichts helfen, es wird nicht anders, ich habe mei-
nen Sinn darauf geſetzt, daß ich mich ſcheiden laſſe.
Du biſt freilich ein recht gutes, fleißiges und folgſames
Weib, aber es muß mir angethan ſeyn; genug, ich
kann dich nicht zum Weibe leiden, und kann dich im-
mer weniger leiden, was ſoll uns ein ſolch Marter-
leben? gieb nur gutwillig dich darein, denn es wird
nicht anders, ich gehe auf die Scheidung. Hiermit,
d 3
[54] ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er in ſeine
Kammer.
Ihr Zuſtand war ſchrecklich; ſie liebte ihren Mann
und hatte Brod und Anſehn von ihm; ihre Mutter
konnte ihr keinen Schutz geben, weil ſie ſelbſt in der
niederdruͤckendſten Lage war, und dazu lieber den Tod
an ihr Herz geſchloſſen haͤtte, als eine durch die Schei-
dung an ihrem Namen gebrandmarkte Tochter. Das
alles fuͤhlte die Dichterin, ihr war es nicht unbekannt,
welche Schande auf dem Worte Scheidung lag;
man nagte und quaͤlte ſich lieber in einer lebenslangen
Ehe, als daß man an eine vernuͤnftige Trennung un-
ter beiden Theilen haͤtte denken wollen. Und ſolcher
Schande ſollte ſie ſich vor allen im Lande zuerſt Preis
geben? dazu kam noch die Laſt ihres leiblichen Zuſtan-
des; und keinen Zufluchtsort, keinen Freund, kein
Obdach, keinen gewiſſen Unterhalt! — Alle dieſe Vor-
ſtellungen zuſammengedraͤngt warfen auf das Vorha-
ben ihres Mannes ſo etwas Unmenſchliches, daß es
ihr unmoͤglich ſchien, daß er ſo abſcheulich ſeyn und es
ausfuͤhren koͤnnte. Dieſer Schluß beruhigte ſie eini-
germaßen bis am Morgen. Sobald ſie ihren Mann
anſichtig wurde, bat ſie ihn mit den ruͤhrendſten Aus-
druͤcken des Schmerzes und mit allen Vorſtellungen
ihres Zuſtandes: daß er doch den Gedanken zur Schei-
dung aufgeben moͤchte, ſie zerfloß faſt in Thraͤnen vor
[55] ihm; allein er blieb unbeweglich. „Er koͤnnte ſie ein-
mal nicht leiden“ — dabei blieb’s. Des andern Ta-
ges ſetzte er ſich in ſeine Kaleſche, und fuhr nach Groß-
Glogau, um dort die Scheidung zu veranſtalten. Mit
welchen guͤltigen Gruͤnden er ſein Geſuch unterſtuͤtzte,
da er wider ihr haͤusliches Betragen gar keine Urſach
zu klagen hatte, iſt unbekannt. Genug, ſein Wille
ward niedergeſchrieben, und nach einiger Zeit wurden
beide Theile nach Großglogau zum erſten Termin citirt.
Er ſetzte ſich mit ihr in ſeinen Wagen, und gab ihr
unterwegs die ſchoͤnſten Schmeichelworte: daß ſie doch
gutwillig in die Scheidung einſtimmen moͤchte, denn
der Widerſtand wuͤrde ihr zu nichts helfen, als ſeine
Abneigung gegen ſie zu vermehren. Ohnerachtet ſie
vor Kummer kaum ſich ſelber bewußt war, ſo verſprach
ſie es ihm doch aus Gutmuͤthigkeit und Unerfahrenheit.
Sie ging alles ein, was er von ihr verlangte, und
willigte darin, alles ſo zu bejahen, wie er es haben
wollte. Eben ſo verhielt ſie ſich beim letzten Termin,
wo ſie zur wirklichen Scheidung abermals in einem
Wagen nach Glogau fuhren. Als ſie angekommen,
und an dem Rathhauſe, wo ihr Termin abgehoͤrt wer-
den ſollte, ausgeſtiegen waren, eilte er zuerſt hinauf,
und hieß ſie unten warten. Jezt war ſie allein; das
Graͤßliche ihres Zuſtandes fiel lebhaft auf ihr Herz;
ſie weinte, daß eine Thraͤne die andere ſchlug. Ein
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[56] junger Soldat, welcher hier Schildwacht ſtand, ſahe
ſie weinen, frug ſie aber nicht warum? ſondern zog
ein Stuͤck Kreide aus ſeiner Taſche, und ſchrieb an die
Rathhausthuͤr:
Darauf nahm er ſie bei der Hand und ſagte: Hier,
junge Frau, kann ſie leſen? ſie ſchlug ihre naſſen Au-
gen auf, las, und wurde geſtaͤrkt; denn ſie hielt dieſe
Worte fuͤr eine gluͤckliche Weißagung, daß der Himmel
ihre jetzigen unverſchuldeten Leiden ihr wieder mit
Freude vergelten wuͤrde. Es ahndete ihr aber nicht,
daß, ehe dieſes geſchaͤhe, ſie noch weit groͤßere Kum-
merberge zu uͤberſteigen haben wuͤrde.
Nun ward ſie zum Scheidungsverhoͤr gerufen, alle
Punkte wurden zum Beſten des Mannes verfuͤgt, und
die Scheidung bewilliget. Der Mann wurde nun
nicht allein ſeine Frau los, ſondern alle vortheilhafte
Bedingungen, welche Liſt und Eigennutz erſinnen
koͤnnen, wurden ihm noch bey der Trennung zugeſtan-
den. Alles dasjenige, was ſie ihm als Ausſtattung
zugebracht hatte, behielt er an ſich, als ein Muttergut
fuͤr ſeine beiden noch lebenden Kinder, welche, weil es
Soͤhne waren, in ſeiner Verſorgung blieben. Das
[57] dritte, womit ſie ging, ſchloß er von ſeinem Erbtheil
aus, ſo wie die beiden, welche er behielt, von ihrem
etwanigen Vermoͤgen. Weil ſie ganz keinen Beyſtand
und keinen Rathgeber hatte, ſo glaubte ſie, daß ſie
dieſes alles ſo eingehen muͤßte, wie ers verlangte, und
ſo ließ ſie es geduldig geſchehen. Beide fuhren nun
wieder in einem Wagen nach Hauſe. Zwar ſuchte er
ihr Muth einzuſprechen; aber Reue uͤber das Elend,
in welches er ſie ſtuͤrzte, kam ihm nicht in den Sinn.
Sobald ſie zuruͤckgelangt waren, hieß es ihr die Pflicht,
daß ſie ſein Haus meidete; aber wohin ſie ihre Zuflucht
nehmen ſollte, das war ihr unbekannt. Sie nahm
das Buͤndelchen Kleider, welche er ihr gutwillig ließ,
unter ihren Arm, und ſo zwiſchen Mangel und
Schmach, verſtoßen von einem Manne, welchen ſie
liebte, getrennt von ihren Kindern, ohne Beyſtand,
ohne zu wiſſen, wo ſie kuͤnftig ihr Haupt wuͤrde koͤn-
nen ruhen laſſen, wankte ſie aus ihrem Hauſe, zu ih-
rer guten Schwiegermutter, welche ſie mit offenen Ar-
men aufnahm, aber nicht lange behalten konnte, weil
eine geſchiedene Frau in ihrer Huͤtte, dem ganzen
Staͤdtchen ein Aergerniß war. Als der Scheidungs-
brief endlich ankam, der ſie nun aller Hoffnung be-
raubte, mußte ſie auch einen Ort verlaſſen, wo jeder
Gegenſtand ſie an ihr ſchmachvolles Elend erinnerte.
Sie nahm alſo eines Tages ihr Buͤndelchen Sachen,
d 5
[58] und ging damit zu dem naͤchſten Thore hinaus, ohne
zu wiſſen, wohin? Ihre Schwiegermutter gab ihr
das Geleite drei Viertelmeilen weit. Dieſe ſchluchzte
und weinte neben ihr her, ſtreckte oft ihre gefalteten
Haͤnde vor ſich aus und rief: „Ach, meine liebe
Schwiegertochter! daß Gott ſich erbarme! du wirſt
recht aus dem Hauſe geſtoßen. Mein gottloſer Sohn!
es wird ihm nicht wohl gehn; aber du wirſt noch
Freude erleben. Es muͤßte kein Gott im Himmel ſeyn,
wenn du ſo verlaſſen bleiben ſollteſt. Meine liebe Toch-
ter! es wird dir noch wohl gehn, denke an mich! es
muß dir noch wohl gehn, es muß dir noch wohl gehn
— —„ Der Abend fing an zu daͤmmern, und ſie
mußten ſich trennen. Es war ein herbes, bittres
Lebewohl, was ſich beide ſagten, und niemals ſahen
ſie einander wieder.
Jezt ſchlug ſie ihre verweinten Augen auf, und
ſahe ſich nach einem Orte um, wo ſie herbergen koͤnn-
te. In einiger Ferne entdeckte ſie die friedlichen Stroh-
daͤcher eines Dorfs, darauf eilte ſie zu, und nahm
darin ihre Nachtruhe. Das Doͤrfchen graͤnzte zwiſchen
Schwiebus, wo ihr Mann, und zwiſchen Tirſchtiegel,
wo ihre Mutter wohnte. Ihre von Kummer muͤde
Seele, welche nichts als den Tod zur Rettung aus ih-
rem Elende vor ſich ſah, ſehnte ſich nach der Mutter,
nach den Wohnungen ihrer Jugend, wo ſie unter un-
[59] ſchuldigen Freuden nichts von den Elendsketten, an
welchen die Menſchheit ſchmiedet, gewahr worden war.
Dort wuͤnſchte ſie zu ſterben. Aber daran war leider
ſo wenig zu denken, als daß ſie in Schwiebus bleiben
konnte; denn ihrer ſchon hoͤchſtbedraͤngten Mutter hatte
die Schmach, in welche der Name ihrer Tochter durch
die Scheidung verſunken war, den letzten toͤdtlichen
Schlag gegeben. Sie, welche das allerzarteſte Gefuͤhl
fuͤr die Ehre in allen Handlungen ihres Lebens beob-
achtet hatte, wurde nun durch das Ungluͤck ihres eig-
nen Kindes daran aufs hoͤchſte gekraͤnkt. Von Jeder-
mann, den ſie ſahe, glaubte ſie getadelt und beſpottet
zu werden, und von ihrem dritten boͤſen Manne mußte
ſie taͤglich Seelen verwundende Worte daruͤber anhoͤ-
ren. So ſchwere innere und aͤußere Leiden auf einmal
wuͤrkten ſo heftig auf ſie, daß ſie in eine Auszehrung
verfiel, an welcher ſie jedoch, vermoͤge ihrer ſtarken
Natur, einige Jahre krankte, ehe ihre ſchoͤne Seele
von dem unbefleckten Koͤrper ſich trennte und eine Welt
verließ, welche eines ſolchen Kleinods nicht werth war.
Zu einer ſo gekraͤnkten Mutter konnte alſo die Toch-
ter nicht Zuflucht nehmen, welche ſo viel Urſach an
ihren Leiden hatte. Sie ſchrieb daher nur an dieſelbe
und bat ſie um Verzeihung wegen des großen Herze-
leides, welches ſie ihr haͤtte machen muͤſſen. Die Mut-
ter verzieh ihr, und ſchickte ihre Soͤhne dann und wann
[60] zu ihr, daß ſie ihr einige Unterſtuͤtzung braͤchten. Auch
von ihrer Schwiegermutter bekam ſie zuweilen etwas
geſchickt. Dieſe Erquickungen, die Ruhe, in welcher
ſie jezt lebte, und vorzuͤglich ihr ſtarker Geiſt, welcher
ſich leicht uͤber Gram und Kummer hinwegſchwung,
milderte endlich ihre traurige Lage in ſo weit, daß ſie
ſich beruhigte und ihr ferneres Schickſal dem Himmel
uͤberließ. Sie ſang und dichtete Troſt- und Hoffnungslie-
der, und wenn ſich ihr Herz durch ſich ſelbſt wieder er-
leichtert hatte, wußte ſie nicht mehr, daß ihr etwas fehlte.
Sie brachte nun das Kind zur Welt, welches ſein
Vater nicht kennen wollte; es war ein Sohn, der ein-
zig uͤbrig Gebliebene von ſeinen Bruͤdern, die alle ge-
ſtorben ſind. Waͤre es ein Maͤdchen geworden, ſo
haͤtte es die Schwiegermutter zur Erziehung zu ſich ge-
nommen; allein mit einem Sohn konnte ſich die alte
Frau nicht belaſten. So blieb denn ſeiner verlaßnen
Mutter auch dieſe Sorge zu beſtreiten, ohne zu wiſſen,
wie ſie ſelbſt ihr Leben friſten wuͤrde. Sie befand ſich
aber in ihrem Wochenbette ſo wohl, daß ſie bluͤhete
wie eine Roſe, und ſang wie ein Vogel auf gruͤnem
Zweige. Die Geſundheit und Ruhe erſetzten ihr man-
chen Mangel, auch fanden ſich gute Herzen, welche ihr
Huͤlfe leiſteten, und als ſie aus dem Kindbette war,
ſuchte ſie Gelegenheiten auf, wo ſie durch Schreiben
ſich etwas erwerben konnte.
[61]
So waren drei Vierteljahre vergangen, ohne daß
ſie eben ſonderlich einen beſſern Zuſtand wuͤnſchte,
als der Zufall den Karſch, welcher auf ſein Metier
reiſete, durch das Dorf fuͤhrte, wo er ſich bei dem
Kruͤger etwas zu trinken geben ließ. Die Dichterin,
welche ſich in dieſem Hauſe befand, fiel ihm mit ihrem
ſaͤugenden Kinde auf; er frug, wer ſie waͤre? und
als man ihm ihr Schickſal erzaͤhlte, empfand er ſo-
gleich Mitleid und Zuneigung gegen ſie, und beſchloß
ſie zu heirathen, um durch ſeinen Namen wenigſtens
das Andenken der Scheidung auszuloͤſchen, wenn er
ſie auch nicht auf andere Weiſe gluͤcklich machen koͤnn-
te. War in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, der
Gedanke, eine Haushaltung zu errichten, Leichtſinn,
ſo zeigte er doch eine gute Seite des Herzens, und war
deswegen nicht ganz zu verwerfen. So bald dieſer
Gedanke in ihm aufgeſtiegen war, trug er ihn auch
der jungen Frau vor, und ſchwor, daß er alles thun
wollte, um ſie ihres Elendes vergeſſen zu machen. Der
Dichterin aber war ſein Antrag zuwider, ſeine Phy-
ſiognomie mißfiel ihr im hoͤchſten Grade, und ſie ſah
es ihm an, daß die Liebe zum Trunk ihm ſchon ſeine
Geſichtszuͤge verſtellt hatte, ob er gleich noch ein junger
Mann war. Indeſſen hatte ſie doch, vermoͤge ihrer
Gemuͤthsart, nicht den Muth, ihm gradesweges zu
ſagen, daß ſie ihn nicht haben wollte. Ueberhaupt
[62] wankte ſie zwiſchen Wollen und nicht Wollen. Einen
Mann haͤtte ſie freilich gern gehabt, weil ſie dadurch
ihre jetzige uͤble Lage ausloͤſchte; allein dieſen, mit ſei-
ner ihr widrigen Geſichtsbildung, wollte ſie ungern
nehmen. Sie verwieß ihn alſo mit ſeinem Anliegen
an ihre Mutter in Tirſchtiegel, indem ſie gewiß glaub-
te, daß dieſe ſeine Phyſiognomie eben ſo abſchreckend
finden ſollte, als ſie: allein ſie irrte ſehr.
Karſch eilte auf ihr Wort ſo ſchnell er konnte, zu
ihrer Mutter hinuͤber, ſagte, daß ihre Tochter Willens
waͤre, ihn zu heirathen, und bat um ihre Einwilligung.
Die ehrliebende Frau, welche erfreut war, daß ihr Kind
wieder in Schutz kommen ſollte, gab ihm von ganzem
Herzen ihr Jawort, und mit dieſer Nachricht kam er
zu ſeiner Erwaͤhlten zuruͤck. Sie erſchrak heftig dar-
uͤber, als ſie hoͤrte, daß ihre Mutter ihre Bewilligung
gegeben haͤtte, ſie konnte es kaum glauben, und ent-
ſchloß ſich, ſelbſt zu ihrer Mutter zu gehn und ſie zu
fragen: ob der Karſch wahr geſagt habe? leider war
es nur zu wahr, und die kluge Mutter, welche wohl
wußte, daß ſich zu ihrem geſchmaͤheten Kinde nicht
leicht wieder ein Mann finden wuͤrde, der ſie heirathen
wollte, drang mit Drohung ihres muͤtterlichen Un-
ſeegens darauf, daß ſie ihn nehmen ſollte. Sie ſagte
dabei: Seine Profeſſion wuͤrde ſie nicht verlaſſen, ſie
koͤnnte ihm darinn helfen, und ſo wuͤrde ſie doch wieder
[63] eine ehrliche Frau. Die Tochter folgte alſo, weil
die Mutter es ſo wollte, oder vielmehr, weil ihr
Schickſal ſie auf dieſen neuen Kummerberg trieb.
Sie kam mit ſchwerem Herzen ins Dorf zuruͤck, und
verlobte ſich mit ihrem Freyer. Beide nahmen dar-
auf ihre wenigen Habſeligkeiten, nebſt dem kleinen
drei vierteljaͤhrigen Hirſekorn, und wanderten auf gut
Gluͤck nach Frauſtadt in Polen’, wo er ſich wohnhaft
niederließ, und mit ſeiner Braut getraut wurde. Nach-
dem er ihr Mann geworden war, fand ſie ihn aus
Vernunft ertraͤglich, und ihre Ehe wuͤrde ziemlich leid-
lich geweſen ſeyn, wenn er nicht zuweilen den Trunk
geliebt haͤtte. Da ihr erſter Mann aͤußerſt maͤßig
gelebt hatte, ſo war ihr die Untugend des Karſches
um ſo mehr zuwider; und weil ſie, theils durch Naͤ-
hen, theils durch Briefſchreiben, zu welchem ſich in
Frauſtadt oͤfters Gelegenheit fand, ihn ernaͤhren half,
ſo glaubte ſie ein Recht zu haben, ihm wegen ſeiner
Luſt zu trinken, Verweiſe geben zu koͤnnen, beſon-
ders da er im erſten halben Jahre ihres Eheſtandes
nicht zum Trunke ausgegangen war, und Zeiten hatte,
wo er dieſe ſchaͤdliche Gewohnheit lange laſſen konnte.
Maͤnner laſſen ſich nicht gern predigen; auch Karſch
empfand die Vorwuͤrfe ſeiner Frau uͤbel, und um ih-
nen zu entgehen, ging er abermals ſich betrinken. Nun
vermehrten ſich die Vorwuͤrfe von beiden Seiten: Er
[64] hielt ihr beſtaͤndig vor, daß er ihr ſeinen Namen ge-
geben haͤtte, und Sie ſagte ihm, daß ſie ihm keinen
Dank dafuͤr wuͤßte, weil er durch die Neigung zum
Trunk ſie in neue Sorgen ſtuͤrzte. Dabei blieb es noch
eine Weile, ohne daß es zu Mißhandlungen kam, denn
er liebte wirklich ſeine Frau.
Nach einer beinahe zweijaͤhrigen Ehe brachte ſie
eine kleine Karſchin zur Welt. Der haͤusliche Zu-
ſtand war ſo beſchaffen, daß dies Kind kaum in Win-
deln gewickelt werden konnte, und wirklich eine neue
Laſt fuͤr ihre Mutter wurde. Indeſſen hatte die Dich-
terin ſchon einige Bekanntſchaften gemacht, welche
wohlhabend genug waren und ſie in ihrem Wochen-
bette unterſtuͤtzten. Sie bat einige von guter Familie
poetiſch zu Gevattern, und man gab ihr nach damali-
ger Weiſe artige Pathengeſchenke. Karſch, welchem
in ſeinem Kinde der Abgott ſeines Herzens geboren
war, der es mit vaͤterlicher Zaͤrtlichkeit liebte, konnte
doch hingehen und das meiſte von dem Pathengelde
vertrinken. Einsmals hatte ſeine Frau dem Kinde
Zeug zu einem Pohlrock gekauft, auch dieſes verſetzte
er heimlich, und betrunk ſich dafuͤr. So irrt der
Menſch in ſeinen Leidenſchaften.
Nach der Geburt dieſer Tochter wurde die Dichte-
rin ſo arm, daß ſie kaum aͤrmer werden konnte. Man-
chen Tag hatte ſie nicht das Brod, den Hunger ihres
Soͤhn-
[65] Soͤhnchens zu befriedigen. Sie erzaͤhlte oͤfters, daß
ſie eines Tages, als ſie ihre Tochter an der Bruſt hat-
te, vor Kummer zur Nachbarin heruͤber gegangen ſey;
ſie fand die Leute eben beim Mittagseſſen, welches vor
ihnen in einer großen Schuͤſſel voll gebackenen Obſt
mit Kloͤßen und geraͤuchertem Fleiſche rauchte. Sie
gruͤßte die Nachbarn, welche ihr dankten und ſie ſtehn
ließen, ohne ihr etwas anzubieten. Ihr Hunger ward
durch den Reiz der vollen Schuͤſſel aufs aͤußerſte em-
poͤrt; aber ſie bekam nichts, und mit Thraͤnen des
Mangels und der Beſchaͤmung ging ſie wieder an ih-
ren leeren Heerd zuruͤck.
Mit ihren Kleidern war es eben ſo beſchaffen, wie
mit ihrer Kuͤche; ſie hatte kaum ſich nothduͤrftig zu
bedecken, und ging deswegen nur immer in den Fruͤh-
predigten in die Kirche, wo ſie ſich hinter einen Pfei-
ler ſtellte, weil ſie ſich vor den Leuten ihrer Armuth
ſchaͤmte. Dennoch war ſie gluͤcklich, wenn ſie bei Froſt
und Mangel nur den Prediger hoͤren konnte. Voll
von ſeiner ſanften Rede kam ſie dann nach Hauſe, und
ſetzte dasjenige, was ſie aus ſeiner Predigt behalten
hatte, in Verſe. Dies that ſie lange fuͤr ſich ſelbſt,
aus bloßem Drang zum Schreiben; allein einsmals
kam ſie auf den Gedanken, eine ſolche verſificirte Pre-
digt dem Paſtor zu uͤbergeben, aber auf welche Weiſe?
Sie, welche ſich vor andern Leuten wegen ihres arm-
e
[66] ſeligen Aufzugs ſchaͤmte, war noch weit ſchuͤchterner,
ſich vor dem hochwuͤrdigen Pfarrer ſehn zu laſſen. Um
alſo doch ihren Wunſch zu erfuͤllen, nahm ſie das be-
ſchriebene Papier, ſchlich damit unter dem Altare weg,
und warf es in den Beichtſtuhl, ohne daß ihr Name
darauf geſchrieben war. Dies wiederholte ſie einige-
male hinter einander, bis der Prediger neugierig wur-
de und aufmerkte: wer doch die Verſe in den Beicht-
ſtuhl wuͤrfe. So bald er ſie entdeckte, redete er ſie an.
Ihr aͤußeres Anſehn und ihre niedergeſchlagene Schuͤch-
ternheit machten ihm ſogleich ihren traurigen Zuſtand
bekannt. Er noͤthigte ſie in ſein Haus, und wurde
bald ihr aufmunternder Freund. Er ſchaffte ihr die
Bekanntſchaft eines Rektor Rikkerts, Pruͤvers,
des Burgemeiſters Greiffenhagen, und des
Doktor Neugebauers in Frauſtadt. Dieſe Her-
ren empfohlen ſie ihren Freunden in Pohlniſch Liſſa,
welche ihren Ruf bald bis nach Groß-Glogau
brachten, wo die Dichterin ſchon Freunde hatte, ehe
ſie dieſelben kennen lernte.
Jezt bekam ſie wieder Nahrung fuͤr ihren Geiſt,
denn dieſe Herren liehen ihr diejenigen deutſchen Buͤ-
cher, welche ſie ſelbſt beſaßen, unter andern die
Geſpraͤche im Reiche der Todten, wodurch
ſie Helden und Philoſophen der alten und neuern
Zeiten kennen lernte. Sie fanden ihr Genie aus
[67] dem Staube heraus, welcher es bedeckte, und mun-
terten ſie durch Gaſtfreiheit und kleine Geſchenke auf,
ihr Talent zu uͤben. Dankbarkeit und Geiſtesfeuer
wuͤrden ſie ſchon hier zur Dichterin gemacht haben,
waͤre ſie auch nicht ſo ſehr von der Nothwendigkeit ge-
drungen worden. Nun war die Bahn geoͤffnet, nun
ſahe ſie den Weg vor ſich, auf welchem ſie ſich allen-
falls vor den groͤßten Mangel ſchuͤtzen konnte. Sie
ergriff jede Gelegenheit, woruͤber ſich Verſe machen
ließen, und indem es ihr die Armuth hieß, alles mit-
zunehmen, wodurch ſie etwas gewinnen konnte, uͤbte
ſie zugleich die Kraͤfte ihres Genies und wurde mit je-
dem Tage ſtaͤrker darin. Frauſtadt allein konnte ihr
nicht Gelegenheiten genug geben, um ſich etwas zu
verdienen; ſie bereiſete alſo die benachbarten Staͤdte
und Doͤrfer, wo ſie ſich den vornehmſten Einwohnern
bekannt machte, unter ihren Augen die Verſe nieder-
ſchrieb, welche man von ihr verlangte, und mit Ge-
ſchenken wieder in ihre Heimath zuruͤckkehrte. Keine
Wallfahrt duͤnkte ihr zu muͤhſam, welche ſie in dieſer
Abſicht machte, und keine Jahrszeit hielt ſie davon zu-
ruͤck, ſo bald der Drang der Nahrungsſorgen ihr kein
andres Mittel uͤbrig ließ. Sie beſang Hochzeiten,
Kindtaufen, Namens- und Geburtstage und allerlei
Vorfaͤlle im menſchlichen Leben, und ſang mit Freu-
den, wenn ſie nur dadurch den Unterhalt eines Tages
e 2
[68] ſchaffen konnte. Dieſe mancherlei kleinen Huͤlfsquellen
kamen auch allerdings ihrer Haushaltung wohl zu
ſtatten und wuͤrden ſie ziemlich kummerfrei gemacht
haben, wenn ihr Mann ſolche Einkuͤnfte ordentlich an-
gewandt haͤtte. Allein jemehr ſie erwarb, jemehr fuͤrch-
tete er ſich vor ihren Vorwuͤrfen, welche ſie nun einmal
nicht laſſen konnte, und je mehr ging er ins Trinkhaus.
Auf die Weiſe fielen ſie oft wieder in den traurigſten
Mangel zuruͤck, und ehe Gelegenheit kam, wo die Dich-
terin etwas gewinnen konnte, waren ſchon mehrere
Schulden gemacht, als ihr Verdienſt einbrachte. Dazu
wuchſen taͤglich die haͤuslichen Mißhelligkeiten mehr
an: je mehr ſie ſich Freunde erwarb, je mehr lernte ſie
ſich fuͤhlen. Sie ſahe nun ein, daß ſie allein im Stande
war, ſich zu ernaͤhren und Ehre zu erwerben; und um
ſo mehr war ihr Mann eine uͤberlaͤſtige Perſon in ih-
rer Haushaltung. Er ſetzte Kinder in die Welt, welche
ſie ernaͤhren mußte, weil er weder große Geſchicklich-
keit noch Luſt zum Arbeiten hatte. Warf ſie ihm dies
vor, ſo konnte es nicht ausbleiben, daß ſie, wenn er
trunken war, gemißhandelt wurde, und je mehr ſie ſich
beſchwerte, je uͤbler verfuhr er mit ihr. Dennoch blie-
ben ſie beiſammen und ſie gebahr ihm die zweite Toch-
ter, ein Engelgleiches Kind, welches wegen ſeiner klei-
nen Mitleid fodernden Geſtalt ſogleich das ganze Herz
der Mutter gewann. Sie hatte es nicht allein vor-
[69] zuͤglich lieb, ſondern es wurde ihr Alles, ihre Freude,
ihr Wunſch und das Leben ihres Lebens! Allein die
Vorſicht, welche der Dichterin das Gluͤck großer Ehre
zugedacht hatte, nahm ihr das Gluͤck ihres Herzens
durch den Tod. Das geliebte Kind ſtarb, als es ſieben
Jahr alt war, zu Groß-Glogau.
Bis dahin verlebte ſie noch ein paar kummervolle
Jahre in Frauſtadt. Einsmals, als ſie das Kind ih-
res Herzens noch an der Bruſt traͤnkte, war ſie wegen
Geldmangel genoͤthiget, eine Reiſe nach Pohlniſch
Liſſa zu thun, wo einer ihrer vornehmen Freunde
Hochzeit machte. Es war im kalten Februar, und die
Dichterin hatte nichts als ein luftiges Sommergewand
anzuziehn. Ein Nord mit Schneegeſtoͤber brauſete
hinter ihren eiligen Schritten her, und in ihrer Taſche
befand ſich kein Heller, wodurch ſie ihre halberſtarr-
ten Glieder haͤtte wieder erwaͤrmen koͤnnen. Sie kam
aber gluͤcklich zur rechten Zeit nach Liſſa, wo man ſie
denn deſto reichlicher erquickte und beſchenkte, auch ſie
wieder nach Hauſe fahren ließ. Allein von der Erkaͤl-
tung, welche das bis zu ihrer Wiederkunft halb ver-
ſchmachtete Kind durch die Milch einſog, ward es ſehr
krank und bekam ein toͤdtliches Fieber, welches die
Dichterin ſich ſtets mit Wehmuth erinnerte.
So mußte ſie jede Gelegenheit ergreifen, um ſich
etwas mit ihrer Muſe zu erwerben; und die Noth,
e 3
[70] welche jede widerſetzende Schwierigkeit uͤberwand,
machte ſie fuͤr jeden Gegenſtand dreiſt. Sie wurde gar
ſo kuͤhn, bei einer Durchreiſe des Koͤnigs von Polen,
ihm in Verſen ihre Noth vorzutragen; das Gedicht iſt
im Anhange abgedruckt, allein es iſt nicht bis zu Seiner
Majeſtaͤt gelangt, [und] hat ihr alſo auch nichts weiter
geholfen.
Indeſſen nahm ſie in ihrer Geiſtesſtaͤrke immer
zu, und ihr Ruf verbreitete ſich durch mehrere Staͤdte
bis nach Großglogau. Ihre Frauſtaͤdtiſchen Goͤnner
riethen ihr daher, daß ſie nach Glogau reiſen moͤch-
te, und dort ihr beſſeres Gluͤck verſuchen. Weil ſie
in Frauſtadt nichts zu verlieren hatte, ſo folgte ſie
dem Rath, und zog mit den Ihrigen nach Großglogau.
Es war im Jahre 1755, als ſie ſich mit ihrem
Manne und drei Kindern in dieſer Feſtung wohnend
niederließ. Hier brachte ſie nichts mit her, als die
bitterſte Armuth. Indeſſen wirkten die Empfehlungs-
ſchreiben ihrer Pohlniſchen Goͤnner ihr ſogleich zwei
vortrefliche Haͤuſer aus, welche nicht allein Kenner
des Talents waren, ſondern auch ihre wahren Freun-
de wurden. Das erſte dieſer Haͤuſer war der noch zu
Berlin lebende Herr Geheime Finanzrath Engelbrecht,
damaliger Kriegesrath in Glogau; das zweite der da-
malige reformirte Hofprediger Doͤbel. Da dieſe
Haͤuſer großen Einfluß hatten, ſo ſchloſſen ſich mehrere
[71] Goͤnner fuͤr die Dichterin an dieſelben an. Sie wurde
der Graͤflich Roͤderſchen Familie vorgeſtellt, und ge-
noß ihrer Gnade; dem Herrn von Cocceji, von
Schlabrendorff, dem Kommandanten von Haak,
und mehrern dergleichen, welche alle unermuͤdet in
Aufmunterungen fuͤr ſie waren und blieben. Mehrere
Perſonen von allen Staͤnden ſuchten ihre Neugier in
ihrer Bekanntſchaft zu befriedigen, und munterten
durch ihre Guͤtigkeit ihr Talent auf. Der Krieg hielt
hier einen Zuſammenfluß von Fremden beiſammen,
welche ihr manchen Nutzen brachten. Hier lag die
Feſtungsgarniſon, hier war ein Schloß, ein Rath-
haus, mehrere Departements, und, fuͤr die Dichterin
das vorzuͤglichſte von allen, ein Buchladen. In die-
ſem Buchladen bekam ſie bald freien Zutritt; ſie ging
alſo, ſo oft ſie ihrem ſchweren Hausſtande eine
Stunde entreißen konnte, in demſelben leſen. Hier
fand ſie die Ueberſetzung eines Youngs, eines Hora-
zes, Gedichte einer Unzerin und anderer angehenden
deutſchen Gelehrten, welche nach und nach entſtanden.
Auch von dem Koͤniglichen Philoſophen von Sans-
ſouci, welcher der Held ihres Buſens war, fielen ihr
Ueberſetzungen ſeiner Oden und Epiſteln in die Haͤn-
de; welche ſie, aus Vergoͤtterung fuͤr ihn, bei naͤcht-
licher Lampe, wenn rund um ſie alles ſchlief, in Verſe
etzte; wodurch ſie ſich ſelbſt die vortreflichſte Uebung
e 4
[72] in der poetiſchen Sprache verſchaffte. Welche Quelle
fuͤr ihren ſo lange durſtigen Geiſt war das! Sie
las nicht, ſie verſchlang, was ſie las, mit der Seele;
und der Funke ihres Genies ward zum Gluthball da-
von. Jetzt waͤre ſie gluͤcklich geweſen, wenn ſie keinen
Mann und keine Kinder gehabt haͤtte; denn hier fand
ſie das Feld, wo die Saat ihres Geiſtes aufgehen und
Frucht bringen ſollte. Hier verbreiteten die mancher-
lei Auftritte des Krieges, welche der Koͤnig von Preuſ-
ſen mit allen Maͤchten Europa’s fuͤhrte, taͤglich neue
Wunder, Sagen und politiſche Fragen; Hohe und
Niedere, Weiber und Kinder, alles ſprach, wie von ei-
nem elektriſchen Drath beruͤhrt, von Friedrich dem
Zweyten; niemand fuͤhlte ganz keinen andern Kum-
mer, als um den Koͤnig.
Welch ein aufblaſender Windſtoß waren alle dieſe
vereinigten Gegenſtaͤnde fuͤr ihre ſo lange verhaltenen
gluͤhenden Wuͤnſche: den Koͤnig ſingen zu koͤnnen!
Hier, wo ſie taͤglich Nachrichten von ihm hoͤrte, ſo,
als ob er beinahe gegenwaͤrtig waͤre; hier, wo ſie des
Geſanges empfaͤngliche Seelen kannte; wo Friedrichs
Siege mit Kanonendonner und heiligen Jubelgeſaͤn-
gen gefeiert wurden. — Hier ſtreuete ſie nicht mehr
Funken ihres Genies umher, ſondern ſchoß Flammen
empor! Freilich zuerſt nur noch, wie ein lang verhalte-
nes Feuer, wenn es zwiſchen Rauch und Dunkel aus-
[73] bricht: ohne Einſchraͤnkung und gefaͤllige Regeln; al-
lein doch ſo, daß man ſah, daß es ſchoͤn und gefaͤllig
werden wollte. Sie ward die Siegesſaͤngerin des Koͤ-
nigs; je groͤßer ſeine Siege wurden, je hoͤher griff ſie
die Saiten ihrer Leier, und jedermann ſtaunte. Weit
und breit wurde dies Wunder von Weibe bekannt,
welches ſo tief unter der Huͤlle der Armuth verborgen,
einen goͤttlichen Koͤnig in goͤttlichen Toͤnen beſang. Aus-
waͤrtige hoͤrten ſie, hoͤrten ſie mit Entzuͤcken, und konn-
tens nicht glauben, bis ſie durch reiſende Fremden von
der Wahrheit verſichert wurden.
Dennoch brachten ihre Arbeiten ſelten ſo viel ein,
daß ſie den andern Morgen ohne Kummer haͤtte er-
warten koͤnnen; denn es fehlte oft an Gelegenheit,
welche Nutzen brachte; und ihres Mannes Gewerbe
ging hier noch ſchlechter fort als in Frauſtadt, weil
hier die Mode eigenſinniger war als dort. Auch mied
er nur eine Weile lang den Trunk, und ſetzte die uͤble
Gewohnheit zu trinken auch in dieſer Stadt von Zeit
zu Zeit fort, ob er gleich hier mehrere Aufpaſſer ſei-
ner Sitten hatte, als zu Frauſtadt. Dieſes verhin-
derte die Ordnung der Haushaltung, und vernichtete
allen aufkeimenden Wohlſtand derſelben.
Als ſich die Familie ein Jahr in Glogau befunden
hatte, gebahr die Dichter in dem Karſch ihr drittes
e 5
[74] Kind, ein gutherziges Maͤdchen, welches mit vier Jah-
ren ſtarb. Die Vermehrung derjenigen, welche Nah-
rung und Kleider begehrten, machten ihren Hausſtand
immer bekuͤmmerter und laͤſtiger. So fleißig und wil-
lig ſie arbeitete, ſo empfand ſie doch das Ueberwiegende
ihrer Sorgenbuͤrde uͤberſchwenglich. Wann ſie nun
geſchrieben hatte, bis oft der Waͤchter den Tag abſang;
alsdann mußte ſie nach einigen Stunden ſorgenvollen
Schlafs, aus welchem ſie noch zuweilen von ihrem
trunkenen und noch durſtigen Karſch geſtoͤrt wurde,
am daͤmmernden Morgen im Winter mit halbbedeckten
Gliedern gehn und eine lange Straße weit ein Buͤn-
delchen Holz zum Einheitzen borgen. Auch die Beduͤrf-
niſſe zum Morgenbrod und zu des Tages uͤbrigen Un-
terhalt holte ſie mit gleich beſchaͤmenden Aengſten her-
bei, und die alleraͤußerſten Nothwendigkeiten konnten
nur mit der groͤßten Sorge herbeigeſchafft werden.
Ihre Kinder wurden die kleinen Sklaven ihrer Noth,
und gingen ſo armſelig gekleidet, wie diejenigen,
welche das oͤffentliche Mitleid anflehen. Armuth, Zank,
Mißhandlungen, alles was man Elend nennt, war in
ihrer Haushaltung vereiniget, und ſie wuͤrde, trotz des
Talents der Dichterin bald zur niedrigſten Race ver-
ſunken ſeyn, wenn ihres Mannes Stolz nicht gluͤckli-
cher Weiſe noch ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre gehabt
haͤtte, welches ihm noch von ſeiner genoßenen Erzie-
[75] hung anklebte. Er ſtammte von Muͤtterlicher und
Großelternlicher Seite von der franzoͤſiſchen Kolonie
ab. Jedermann kennt die vortreflichen Grundſaͤtze
und Sitten, in welchen ſich ſeit laͤnger als hundert
Jahren dieſes edle Voͤlkchen in den brandenburgiſchen
Landen fortpflanzt. Auch Karſch war nach dieſen
Grundſaͤtzen erzogen, und wuͤrde denſelben gewiß treu
geblieben ſeyn, wenn nicht deutſche ſittenloſe Kamme-
raden ihn verdorben haͤtten. Dennoch hatten Leicht-
ſinn, Verfuͤhrung und die Gewohnheit des Trunks,
das eingepraͤgte Gute nicht ganz in ihm erſticken koͤn-
nen. So feſt haften die erſten Grundlagen der [Er-
ziehung]. So lange er nuͤchtern war, war er ein
guter Mann und Vater. Er bildete durch vernuͤnfti-
ge Reden das Herz ſeiner Kinder; er hielt ſie zu Ord-
nung und Gebet an; unterrichtete ſie von Gott, und
lehrte ſie, ihn fuͤrchten, lieben und vertrauen. Er
fuͤhrte ſie in die Kirche, gab Acht, daß ſie gehoͤrig auf-
merkten, und bei ſeiner Arbeit gab er ihnen Erklaͤrung
von Tugend und Sitte. Er hielt ſie zum Fleiß an,
und lehrte ihnen ſelber leſen und ſchreiben; gab ihnen
auch allerlei Lectionen zum Auswendiglernen auf, wel-
che ſie ihm wieder herſagen mußten. Er munterte ſie
durch Lob, Ernſt und Liebe zu allem Guten auf. Er
hielt ſie von dem Umgang unſittlicher Kinder ab, und
ſah vor allen bei ihnen darauf, daß ſie ein verſchaͤm-
[76] tes Gefuͤhl behielten. — Alles dieſes dankt dem Vater
im Grabe noch ſeine einzige Tochter!
Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat-
tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man
nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt.
Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die
Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die
Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte
ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche
nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam,
fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr
herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen,
leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch-
marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an
einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb.
„Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte
mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen
zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an
einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da-
malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen
Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte-
rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten.
Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih-
rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in
der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte
ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter
[77] dem Getuͤmmel dieſer Kinder, und brachte eine Predigt,
die ſie eben in der reformirten Kirche gehoͤrt hatte, in
Verſe. Indeß wir uns mit ihr unterhielten, hatte ſie ei-
nen halben Bogen ergriffen, mit dem ſie uns beim Weg-
gehen beſchenkte. Hier iſt ſein Inhalt:
Anna Louiſe Karſchin.
Dieſer armſeelige Zuſtand hielt Niemanden ab, ſie
zu ſehn; man eiferte um ihre Verſe, und theilte die-
ſelben ſeinen entfernten Freunden als Seltenheiten
mit; man wuͤnſchte, von ihr beſungen zu werden, und
[78] die Edlen im Lande, und ſelbſt im Auslande, ſuchten
ihre ſchriftliche Bekanntſchaft. Der Generallieutenant
von Seidlitz ſchrieb aus dem Felde an ſie, in
Ausdruͤcken der innigſten Verehrung ihres Genies;
und als die Dichterin ihm, wie auf die Sprache der
Großen, antwortete; ſchrieb er ihr bald in einem an-
dern Briefe zuruͤck: er wuͤnſchte, daß ſie ungluͤcklich
ſeyn moͤchte, damit er das Vergnuͤgen haben koͤnnte,
ihr Erſter Freund zu werden. Vermuthlich hatte der
General nicht genaue Kundſchaft von ihrem Schickſal,
ſondern ſtellte zu dem Feuer ihrer Geſaͤnge ein ſchoͤnes,
junges, feuriges Weib, ein Bild ſeiner Einbildungs-
kraft. Als er hernach von ihrem Selbſt naͤher unter-
richtet worden, hoͤrte der feurige Briefwechſel auf,
und ſchloß ſich zuletzt in Stillſchweigen.
Indeſſen wuchs die Zahl ihrer gegenwaͤrtigen und
auswaͤrtigen Bewunderer immer mehr an, ob ſie gleich
nur noch weitſcheifige und in mancher Ruͤckſicht un-
wichtige Gedichte machte. Allein, jedes verrieth das
Original-Genie, und dieſer Stempel fand uͤberall ſeine
Kenner. Ihr Ruf war auch nach Berlin erſchollen.
Verſchiedene von den Einwohnern dieſer Stadt ſchrie-
ben an die Dichterin, aus Verlangen, Briefe von ihr
zu leſen, vorzuͤglich eine Generalin von Wreech, welche
nachher Anlaß gab, daß ſie nach Berlin gefuͤhrt ward.
Aber die Dichterin kannte nichts von der Seltenheit
[79] des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre
Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war
das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und
Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge-
boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ,
je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus-
frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu-
gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und
ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket-
ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem
Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge-
duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken
mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie
ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde
wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo
bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll-
te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm
ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe,
und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft
raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen
denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der
davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung
wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen
kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die
ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe
entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte
[80] daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte — — Da kam
eine unerwartete Erloͤſung.
Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei
ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein
Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit-
laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging
freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin
ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde
entladen.
Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft.
Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der
ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt
hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in
Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen.
Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden,
und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen
Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man-
nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen.
Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward
auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile
ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung
gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward
er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben.
Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch
etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien
Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre
Woh-
[81] Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron
von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be-
ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der
Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den
Baron erſucht, „daß er ſich doch nach der Dichter in
in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih-
ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte,
wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief
von ihr erhalten haͤtte“. Die Dichterin, beſchaͤmt
von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte
ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer
Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die
Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden
Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung
zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei-
nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame
Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge-
ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch
das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu-
gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ
er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen
Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt
einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei-
feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe
beſaͤße? Allein ihre Antwort auf ſeine erſte Frage uͤber-
zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem recht
f
[82] artigen Verſe. Sie bat hierauf um Schreibzeug, und
ſetzte waͤhrend einer halben Stunde ein angenehmes
Gedicht an den Baron auf. Als man ſie beurlaubte,
ward ſie genoͤthigt, am andern Tage wieder zu kommen,
wo der Baron ſie einigen ſeiner Freunde vorſtellen
wollte. Kaum war ſie ein paar Stunden wieder zu Hau-
ſe, als der Bediente des Barons kam, und ihr im Na-
men ſeines Herrn einen beſſern Kopfaufſatz und einige
andere feine Kleidungsſtuͤcke brachte, womit er bitten
ließ, daß ſie am andern Tage darin erſcheinen moͤchte.
Es iſt unmoͤglich, daß der Zaarin Peters des Erſten
die Krone mehr ſuͤßen Stolz gegeben hat, als die Dich-
terin uͤber dieſe geſchenkten Kleidungsſtuͤcke empfand;
jedes war ihr ein Zeichen, daß ſie wirklich geehrt wur-
de, und jedes machte ſie vor Freude trunken. So,
durch ſeine Hand geſchmuͤckt, ging ſie zu ihrem guͤtigen
Baron; hier fand ſie die Fremden ſchon anweſend,
und die Freude, welche ſie begeiſterte, gab allem, was
ſie der Geſellſchaft ſagte, etwas Blendendes. Als ſie
ſich wieder entfernte, beſchenkte ſie der Baron mit einer
ſchoͤnen emaillirten Doſe nach damaliger neuſten Mo-
de; noch nie hatte man ihr ſo artig begegnet; ſie fuͤhlte
in dem angenehmen Geſchenk das Edle des Gebers; er
duͤnkte ihr mehr als andere Menſchen zu ſeyn. Sie
eilte damit nach Hauſe, und wie ſie nichts auf dem
Herzen behalten konnte, ſo zeigte ſie dieſelbe ſogleich
[83] ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die
Doſe um und um beſehn und bewundert, macht
den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback!
Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt
mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin
fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren
ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie
gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward
davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm
etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen
koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih-
res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und
bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert
auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver-
heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol-
gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts
duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in
Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und
gethan.
Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht
in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde
von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles
ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert.
Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver-
ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war
ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln und
f 2
[84] Hausgeraͤth beſaß, und behielt nichts als ihre Kleider
und ihre zwei Kinder. Vor Erwarten der Dinge, die
da kommen ſollten, ward in der Nacht zum letzten
Morgen in Glogau nicht geſchlafen, ſondern auf ihren
Knieen dichtete ſie Danklieder, bis endlich der Waͤch-
ter die letzte ihrer Kummernaͤchte abrief: da kam der
Wagen des Barons, worauf ſich die Dichterin mit ih-
ren beiden Kindern ſetzte — O Gott! wer nicht elend,
nicht bedraͤngt geweſen iſt, der kann das nicht empfin-
den, was hier ſo unausſprechlich empfunden ward!
Dieſer Wagen, welcher nicht Ueberwundene, ſondern
Ueberwinder jedes Leidens fuͤhrte, war gewiß vor den
Morgenſternen glaͤnzender, als irgend ein Triumph-
wagen der ſtolzen Sieger zu Rom — — Seegen, un-
ſterblichen Dank der Aſche des Edlen Barons! Viele
Großen wurden nachher bewaͤhrte Freunde der Dich-
terin; aber Einer nur hatte den Muth, ſie aus der
Tiefe der Armuth zu reißen; und dieſer war der Ba-
ron von Kottwitz. Unvergaͤnglich bluͤhe dafuͤr ſein
erhabenes Geſchlecht! und nie muͤſſe es ſeinem edlen
menſchenfreundlichen Stamme an jeder Freudenfuͤlle
mangeln, welche des Daſeyns Gluͤckſeligkeit iſt!
Die Reiſe nach Berlin ging uͤber Boyadel, den
Hauptadelſitz des Barons, ſie kamen daſelbſt in Einem
Tage an. Ihr Wohlthaͤter war voraus gereiſet, und
[85] empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie
und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck-
ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein
Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer
Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem
nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin
ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo-
gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie
in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag
der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba-
ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be-
ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes
in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und
allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit
nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl-
thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal-
ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit,
welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen
ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem.
Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa
und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih-
rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr-
ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths-
hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein-
uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſich
f 3
[86] ſchlummern legte. Sie hatte nur Einen Gedanken:
ihren Wohlthaͤter! alles was ihr wiederfuhr, alles
was ihre Sinne beruͤhrte, ſchien von ſeinem Einfluſſe
beſeelt zu ſeyn. Sie ſah in allem nur ihn, und in ihm
die wunderthaͤtige Hand Gottes. So oft ſie allein war,
lag ſie auf ihren Knieen, und ihre Dankgefuͤhle floſſen
in Thraͤnen uͤber.
Doch, wie Schiffe noch im Hafen ſcheitern koͤnnen,
ſo drohete auch hier der Dichterin im Hafen ihrer Gluͤck-
ſeligkeit ein zuruͤckſchlagender Sturm, denn in Kroſſen
fand ſie ihren Mann. Der Schreck betaͤubte ſie auf:
einige Augenblicke, da ſie ihn gewahr wurde und er ſich
ihr naͤherte; weil ſie aber in hochfreiherrlichem Schutze
reiſete ſo war auf des Mannes Seite auch Furcht,
und er, anſtatt zu wuͤthen, fiel ihr um den Hals mit
freundlichen Worten und Thraͤnen der Reue. Er nahm
ſeine Zuflucht zu Bitten und Vorſtellungen, ſo ruͤhrend
es ihm moͤglich war. Haͤtte ſie nicht adeliche Bedek-
kung gehabt, ſo wuͤrde ſie aus Furcht ihn erhoͤrt ha-
ben; allein da ſie die Uebermacht gegen ihn in Haͤnden
hatte, ſo antwortete ſie mit gleicher Freundlichkeit und
eben ſo dringenden Vorſtellungen von ihrer Seite:
daß es ſo wenig moͤglich als nuͤtzlich waͤre, ſich wieder
mit ihm zu vereinigen. Dennoch ließ er mit Bitten
und Weinen bis auf den Augenblick ihrer Abreiſe nicht
nach, wo er aber auch ſeinen Ton nicht aͤnderte, ver-
[87] muthlich in der Hoffnung, daß ſie ſich wol noch in Ber-
lin zu ſeinem Beſten beſinnen wuͤrde. Als ſie auf den
Reiſewagen ſtieg, nahm er ſeine kleine einzige, und
ihm liebſte Tochter auf die Arme und rief unter Thraͤ-
nenguͤſſen: 〟Ach, wenn ich nur wenigſtens dich behal-
ten koͤnnte, dich, an der mein ganzes Leben haͤngt!〟
Aber der Kutſcher und Diener des Barons trieben zur
Abfahrt; er ſetzte ſein Kind auf den Wagen, indem er
es ſegnete, ihm tauſend Lebewohl wuͤnſchte und in der
Geſtalt eines Verzweifelten, den ſelbſt die Hoffnung
verlaͤßt, blieb er hinter dem Wagen zuruͤck. —
Die Dichterin kam gluͤcklich, und ferner unverfolgt
in Frankfurt an, wo ſie auf die ſanfteſte Weiſe uͤber-
nachtete; von da ging es nach dem pallaͤſte-reichen
Berlin.
Es war am 25. Januar 1761, als ſie hier erſchien.
Ihre Aufnahme geſchah im Hauſe des Wiener Ge-
ſandten, Herrn Grafen von Gotter, woſelbſt auch der
Baron von Kottwitz logirte. Hier war, wie uͤberall,
ſchon alles zu ihrer Ankunft auf das beguͤnſtigſte be-
reitet, und weil es Mittag war, ſo wurde auch ſogleich
ihr und ihrer Tochter ein Tiſch mit fuͤnf auserleſenen
Schuͤſſeln vorgetragen. Wer mags beſchreiben, wie
ihr bei dieſer Mahlzeit zu Muthe war?
Sie hatte im December 1760 ihr 38ſtes Jahr voll-
endet. Dieſes Alter, in welchem die mehreſten
f 4
[88] Frauenzimmer nach gerade von der glaͤnzenden Buͤhne
abtreten, um jungen Schoͤnen fuͤr die Bewunderung
Platz zu machen, ward, trotz allen nur moͤglichſten
Leiden, durch welche die Dichterin bis zur dieſer Epo-
che gekommen war, der Zeitpunkt, wo ſie erſt auf-
bluͤhte, bemerkt und bewundert wurde.
Sobald man hoͤrte, die Karſchin ſey angekom-
men, ſo eiferte auch alles, was Geſchmack haben woll-
te, um die Wette, dieſes Wunder von Frau zu ſehen.
So buͤrgerlich ſie auch noch in den erſten Tagen ein-
her ging, ſo wurden ihr doch verſchiedene Equipagen
geſchickt, um ſie in die vorzuͤglichſten Geſellſchaften
abzuholen. Es gereicht wirklich den Herzen, wie dem
Verſtande der edlen Berliner zur Ehre, daß ſie nicht
zu ſtolz waren, weder der Dichterin ihren gemeinen
Stand noch Anzug entgelten zu laſſen, ſondern ihr
mit aller der Aufmerkſamkeit und Feinheit begegneten,
welche ihrem Talente zukamen. Vorzuͤglich bemuͤhete
ſich der fuͤr die ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſo warme Freund,
der damalige noch junge Herr Doktor Kruͤnitz (jetzt
beruͤhmter Verfaſſer der Encyklopaͤdie), der erſte zu
ſeyn, der es ſich zum Vergnuͤgen machte, ihr Freunde
anzuwerben. Er fuͤhrte ſie in die Haͤuſer eines Oberkon-
ſiſtorialraths Koͤppen, eines Geheimerath Buchholz,
Hofrath Stahl, Ober-Hofprediger Sack, Rektor
Wippel, und mehrerer dergleichen, ein, wo ſie denn
[89] Gelegenheit hatte, nach und nach alle die uͤbrigen ihr
vortheiihaften Bekanntſchaften zu machen.
Nach einigen Tagen ihres unausſprechlich gluͤck-
lichen Hierſeyns ward die Dichterin eines Morgens,
nebſt ihrer Tochter, in eine Kutſche des Barons ge-
ſetzt, und in die praͤchtige breite Straße gefahren. Die
Karſchin, welche zwar nicht die Urſach davon wußte,
ahndete dennoch etwas Gutes, weil ſie von ihrem
Herrn lauter Huld gewohnt war. Die Kutſche hielt
vor einem großen Galanterieladen, welche der Haiſche-
kornſche hieß. Hier mußte ſie mit ihrer Tochter ausſtei-
gen und in den Laden gehn, aus welchem ſie bald eine
aͤltliche Franzoͤſin, der ein Dienſtmaͤdchen folgte, in
ein Putzzimmer fuͤhrte. Madame, ſagte die Franzoͤ-
ſin, hier auf dieſem Tiſch ſehen ſie Kleidungsſtuͤcke
fuͤr ſich und ihre Tochter liegen; ſie koͤnnen ſich der-
ſelben bedienen, und mein Maͤdchen wird ſie anklei-
den helfen. Herr Gott! rief die erſtaunte Dichterin,
und vermochte weiter nichts zu ſagen. Die Demoiſelle
entfernte ſich, und die angenehme Metamorphoſe ging
vor ſich, indem das Dienſtmaͤdchen beide Perſonen
Stuͤck vor Stuͤck auskleidete, und in dem neuen An-
zug modelirte. So fremd der Dichterin jede Bedie-
nung war, ſo ließ ſie doch alles geſchehn, was das
Maͤdchen mit ihr vornahm, denn die Freude hatte ſie
zu beſtuͤrzt gemacht. Beider Perſonen neue Klei-
f 5
[90] dungsſtuͤcke waren von modernem Zuſchnitt, und ſei-
nem Zeuge: und beiden Staatsanzuͤgen, wo von Kopf
bis zu Fuß kein Stuͤck vergeſſen war, folgten in aͤhn-
licher Ordnung zwei Anzuͤge von ſchlechterm Zeuge,
welche das Maͤdchen zuſammenpakte und in die Kut-
ſche legte, ohne daß die wohlthaͤtige Hand genannt
wurde, von welcher dies alles kam. Der Wagen rollte
mit den beiden gluͤcklichſten Geſchoͤpfen, welche es viel-
leicht an dem Tage in Berlin gab, nach Hauſe. Nie-
mand ließ ſich ſehen, der daruͤber einen Dank erwar-
tet haͤtte; allein ein Diener kam, und noͤthigte die
Dichterin zur Graͤflich Gotterſchen Mittagstafel. Bis
zur Stunde der Mahlzeit ſtroͤmte der Dank der Dich-
terin in mehr als einem Liede hin, ohne zu wiſſen,
wem ſie dankte. Sie rieth nur auf den Baron. Bei
der Tafel fand ſie ihn, ſie zieh ihn poetiſch ſeiner ſchoͤ-
nen That, er laͤchelte nur, und ſchwieg.
Kein Name fuͤr ihren Herrn war ihr nun wich-
tig genug, um dadurch das auszudruͤcken, was ſie em-
pfand; nicht Wohlthaͤter, Retter, Freund: Vater
nannte ſie ihn, und in dieſem Namen fand ihr dank-
bares Herz einige Ruhe.
Jetzt konnte ſie ſich mit Anſtand in den vorneh-
men Zirkeln zeigen, und man ſchonte ihrer zu keiner
Stunde des Tages, um ſie zu ſehen. War ſie nicht
aus, ſo war ſie von Beſuch umringt, welche alles, was
[91] ſie wollten, mit ihr ſprachen, indem ſie zugleich ihrem
Schreiben zuſahen, in welchem nichts ſie hindern
konnte, als das einzige, wenn eine Perſon ihr vorſetz-
lich auf die Hand ſah.
Ihre Beſchaͤftigungen wurden nun einzig: Schrei-
ben und Leſen; ſie ging vom Schreibpult in die Ge-
ſellſchaft, um dort wieder zu ſchreiben und Impromp-
tuͤes zu ſagen; und von dieſen wieder zum Schreiben.
Durch die taͤgliche Uebung, durch die Ruhe und Eh-
renvolle Aufmunterung, welche ſie hier von allen Sei-
ten genoß, ſetzte ſich ihr Geiſt zu einer maͤnnlichen
Staͤrke, und zu einem unermeßlichen Schwung. Sie
machte bald die Bekanntſchaft des Herrn Profeſſor
Kamler, welcher ſchon damals als deutſcher Horaz
bekannt wurde. Von ihm lernte ſie ihre weitſchwei-
figen Sylbenmaaße, an welche ſie durch ihre ehemali-
gen einfaͤltigen Leſereien gewoͤhnt war, in vier Zeilen
einſchraͤnken, und ihm den Gang der Ode nachahmen.
Mit ihrem reichen Genie, deſſen Adel ſelbſt dieſer
eigenſinnige Richter anerkannte, haͤtte ſie in ſeiner
Schule eine Pindarin werden koͤnnen, wenn ihr Geiſt
die Feſſeln der Kunſt haͤtte dulden wollen. Ein vor-
gelegter Plan laͤhmte ihre Schwungkraft; ſie konnte
es durchaus nicht denken: ſo willſt du anfangen, und
ſo wieder endigen, ſondern wie der Zufall ihr einen
Gegenſtand entgegen fuͤhrte, ſo faßte ihr Feuer ihn
[92] auf, und fuͤhrte ihn leuchtend fort; unbekuͤmmert,
wo er ſeinen Ruhepunkt nehmen wuͤrde.
Sie lernte Sulzern kennen, dieſen ſtrengen Phi-
loſophen; auch er ward ihr Freund und der waͤrmſte
Aufmunterer ihrer Muſe. Allein obgleich dieſe beiden
Maͤnner, nebſt Mendelsſohn, damals unter den Ge-
lehrten zu Berlin die Sterne der erſten Groͤße wa-
ren, fuͤr welche die Karſchin mehr als Hochachtung
hatte, ſo war ſie doch zu ſehr Genie, um ihnen zu
folgen; ſie ging ihren eigenen Gang.
Die vornehmſten Privathaͤuſer, die feinſten Fa-
milien nahmen ſie in ihre Geſellſchaft und Freund-
ſchaft auf; und das war ihr beinahe nothwendiger,
als der Umgang mit Gelehrten, weil ſie ihre Auf-
munterung und ihren Privatnutzen befoͤrderten! denn
bei ihrem Wohlthaͤter, den Baron von Kottwitz, hatte
ſie zwar Wohnung und Bequemlichkeit fuͤr ſich und
ihre Tochter, allein auf eine kurze und unbeſtimmte
Weiſe; denn dieſer Herr war im Begriff, ſich zu ver-
maͤhlen. Er kaufte zu ſolchem Ende ein Haus, welches
dazu eingerichtet ward. Unterdeſſen er ſeinem Vor-
haben immer naͤher kam, ward er ploͤtzlich krank. Die
Krankheit ließ eine ſchwere Hypochondrie zuruͤck, wel-
che ihn auf einige Zeit alles Gebrauchs der Freude
am Leben beraubte. Die Heirath ging zuruͤck, und
er reiſete nach ſeinen Guͤtern, um dort ſeine Beſſe-
[93] rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi-
ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich-
terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge-
fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger
als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte
ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be-
kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet
war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder-
te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe
hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie,
wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein
ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und
ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen
Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten
nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung
erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig,
und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die
Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn-
ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr
zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an
welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf-
ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge-
ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte
Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei-
gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin
reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte
[94] mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen
Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei-
heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es
hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die-
ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer
großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen,
allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus,
Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der
Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es,
bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen
Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner
Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un-
terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund-
lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche
glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer
anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich-
terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder-
fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth
ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich-
terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom-
men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das
Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man
ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar-
beit fuͤnf Jahre lang erzog.
Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin-
der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor
[95] der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu
erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie
weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig-
lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib-
tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt
ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl
ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß
es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute
wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin-
gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo
gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte
ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke
in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime,
welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden.
Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart
ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn
ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte,
einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her-
ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer
verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre-
chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie
nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und
ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken
ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear-
beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche
dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat-
[96] ten; auch einige, die faͤhig waren, in Geſellſchaften
nach Einfaͤllen zu reimen; allein im Augenblick ſolche
dichteriſche Jouwelen zu ſehn, wie ſie ausſtreuete,
welche ſchnell einnahmen und der kaͤltern Pruͤfung be-
ſtanden, hatte man noch kein Beiſpiel. Und das kam
aus dem Kopfe eines Weibes, welches ſo ſchaͤtzbare
Schoͤnheiten keiner Erziehung, Anleitung, noch frem-
der Feile zu danken hatte! Ihre meiſterhaften Stuͤcke,
welche ſie bei ſtiller Muße niederſchrieb, koſteten ihr
kaum eine Stunde Arbeit; und dauerte es laͤnger, ſo
wars durch Abſchreiben und wieder Abſchreiben; doch
wurden diejenigen Stuͤcke niemals die beſten, welche
ſie oft abſchreiben mußte, ſondern ihr ſchnellſter Ent-
wurf pflegte immer die ſchoͤnſten und feuervollſten
Bilder zu haben; und bei allem Feuer hatten ihre
Bilder eine Wahrheit und Natur, daß, ſo erhaben
ſie auch oft geſtellt waren, ſie doch immer deutlich
blieben. Gemeiniglich pflegten ihre damaligen Arbei-
ten das Herz zu ruͤhren, indem ſie den Verſtand be-
zauberten. Ein Vorzug, welchen die erhabene Dicht-
kunſt nur ſelten erreicht!
Nachdem ihre Tochter in Penſion gekommen war,
rieth man ihr an, ſich den Halberſtaͤdtern zu zeigen,
welche Verlangen hatten, ſie kennen zu lernen. Sie
reiſete alſo dahin, wo der Saͤnger, der (nach der
Dichterin eigenen Worten) in ſeiner Jugend Anakreon
war,
[97] war, und nun als Preuſſiſcher Grenadier mit Frie-
drichs Siegen wetteiferte, ſie gaſtfreundlich in ſeinem
Hauſe aufnahm. Er fuͤhrte ſie bei ſeinen Freunden
ein, ſchaffte ihr die Gewogenheit des Hochgraͤflich
Stollberg-Wernigerodiſchen Hauſes; ſo wie des Herrn
Dom-Dechanten Freiherrn von Spiegel. Dieſer,
die Muſen und jede Kunſt ſo eifrig liebende Baron,
welcher die beruͤhmten Spiegelberge bei Halberſtadt
mit unglaublichen Schwierigkeiten und Koſten bepflan-
zen ließ, that zur Veredlung des Namens der Dichte-
rin vorzuͤgliche Schritte. Er miſchte ſie unter die Zahl
ſeiner Freunde, und ließ dieſelbe faſt taͤglich mit ihnen
einerlei Ehre genießen. Er gab ihrentwegen zuweilen
beſondere Gaſtmale, und munterte ſie mit Geſchenken
der Großmuth auf, gab ihr auch den Adel ihres Ta-
lents in einem Pettſchaft zu erkennen, welches er aus
Kriſtall fuͤr ſie verfertigen ließ, und drei Seiten zeigt:
Auf der einen ihr verzogener Geburtsname, auf der
andern der Kopf der Sappho, auf der dritten die Leier
im goldenen Felde, uͤber welcher ein Lorbeerkranz
ſchwebt. Das Haus des regierenden Grafen von Wer-
nigerode that noch mehr: es gab der Dichterin ein
jaͤhrliches beſtimmtes Taſchengeld mit Fortſetzung der
huldreichſten Geneigtheit; und der erhabene Erbe hat
den goldnen Faden noch bis jezt nicht abgeſchnit-
ten —
g
[98]
Nach einem kurzen hoͤchſtgluͤcklichen Aufenthalt in
Halberſtadt reiſete ſie nach Magdeburg; dort nahm
ſie die Gemahlin des damaligen Kommendanten, die
Frau von Reichmann, auf, und machte ſie in ih-
rem Hauſe zur dritten Perſon. Das dankbare Herz
der Dichterin hatte in dieſer Dame einen neuen Ge-
genſtand zur Bewunderung. An jedem Morgen ward
ihre Wohlthaͤterin mit einem neuen Liede begruͤßt, und
die Frau Kommendantin war ſinnreich genug, ihr jeden
Tag einen neuen Plan zu neuer Arbeit zu geben. Der
Koͤnig kaͤmpfte noch im Felde; der Preußiſche Hof war
zu Magdeburg, und die Erwartung zwiſchen Krieg
und Frieden lag auf der kritiſchen Waage. Gegen-
ſtaͤnde genug fuͤr ſie, welche Friedrichs Schickſale
zur Dichtkunſt begeiſtert hatten! Sie ſang vortrefli-
che, nie geſungene Lieder zu Magdeburg, und die vor-
treflichſten mit der ihr eigenen Geſchwindigkeit. Sie
mußten gedruckt werden, denn jedermann wollte ſie
haben, und nur zu bald waren ſie vergriffen. Der Hof
hoͤrte von ihr, die gnaͤdigſte Koͤnigin ließ ſie rufen, und
wiederholentlich rufen; Ihrer Majeſtaͤt folgten die
uͤbrigen hoͤchſten Perſonen, und es war ein neues
Wunder, daß ein ſeit eilf Monaten aus dem tiefſten
Staube hervorgezogenes Weib vor den Erſten Ver-
wandten des Throns mit einer Gegenwart des Geiſtes,
und zugleich mit einer Dreiſtigkeit beſtand, welche eben
[99] ſo gefaͤllig als ehrfurchtsvoll war; ſie wußte ihre Re
den zu ſchminken, ohne daß man ſie der Schmeichelei
beſchuldigen konnte.
Je mehr ſie ſo auf die außerordentlichſte Weiſe auf-
gemuntert ward, je mehr arbeitete ſie, und ihr Genie
verlor nichts durch die Menge ſeiner Geburten. Je-
des Stuͤck, auch das kleinſte, gab ihm eine neue Schim-
merſeite, gleich wie die Brillantirung dem Edelſteine,
indem ſie uͤberall ihm etwas zu berauben ſcheint, ihn
dadurch nur ſtrahlender macht.
Von Magdeburg eilte ſie wieder einmal nach Hal-
berſtadt zu Gleim, welchen ſie den Sohn des Apollo
nannte, und deſſen Beifall ſie zum Ziele ihrer Ehrſucht
machte. Er wurde der Freund ihres Schickſals; ſie
machte ihn zum Freunde ihres Herzens, und Niemand
war es auch wuͤrdiger als Er. Nirgends fand ſie al-
les, was Geiſt und Herz erheben konnte, ſo beiſam-
men, als in Gleims Muſaͤum und im Zirkel ſeiner
Freunde. Er, der Vater der Dichter in Friedrichs
Staaten, welcher ſeine Dichtkunſt aus ſeinem men
ſchenfreundlichen Herzen ſchoͤpft, und die Philoſo-
phie des Lebens in angenehmer Beredſamkeit aus-
ſtroͤmt, war gewiß der Mann, unter deſſen Anlei-
tung die Flamme der Dichterin goͤttlich werden muß-
te, ob ſie gleich auch ſeiner kritiſchen Feile nicht
ſtill halten konnte. Er machte ſie mit Horaz und
g 2
[100] Pindar vertraut; mit Homer und Sappho. Gern
haͤtte ſie mit allen den Adlerſchwingen geflogen; aber
ihre Hoͤhe ſchien ihr unerreichbar. Lieber und leich-
ter duͤnkte ihr der Schwung der Sappho: ſie verſuchte
ihn, waͤhlte ſtatt Phaon, den Dichter, als Thyrſis,
und ſang dieſen zum zweitenmal unſterblich. Thyrſis
blieb, wie Phaon auf der Flucht, nicht fuͤr ihre Lieder,
aber fuͤr die Saͤngerin kalt. Ein neuer Kummer fuͤr
ſie, welchen ſie bis dahin noch nicht gekannt hatte —
Thyrſis that indeſſen zu ihrem aͤußern Gluͤcke die
feurigſten Schritte; und indem ſie bald von Hal-
berſtadt nach Magdeburg, bald von da wieder zu-
ruͤck abwechſelnde Reiſen machte, entwarf er einen
Plan, durch welchen die Kinder ihrer Muſe ihr nicht
allein Ehre, ſondern auch Nutzen bringen ſollten. Er
ſammelte nehmlich ihre Gedichte, machte eine Auswahl
davon, und foderte das Publikum zu einem Vorſchuß
fuͤr die Sammlung auf, welche Auffoderung in Deutſch-
land ſo neu, als die Dichterin merkwuͤrdig war; und
welchem Vorſchritt nachher viele Schriftſteller und
Buchhaͤndler nach folgten *). Gleims edler Vorſatz war,
durch den Vorſchuß ſo viel zuſammen zu ſchaffen,
daß ſie in Zukunft ſo ziemlich unabhaͤngig leben
[101] koͤnnte; und der Plan wuͤrde gelungen ſeyn, wenn
ihn nicht der Rath eines andern Freundes durchgeſtri-
chen haͤtte, welcher anrieth: die Exemplare der Samm-
lung in zwei Klaſſen abzutheilen, in eine theure und
eine wohlfeile. Sie ließ ſich den Vorſchlag blen-
den, indem ſie nichts dadurch zu verlieren, wol
aber zu gewinnen glaubte, und ehe Gleim es hindern
konnte, war das Avertiſſement fuͤr die Abaͤnderung
ſchon abgedruckt und im Umlauf. Da die mehreſten
nur ihre Neugier befriedigen wollten, ſo war es ihnen
einerlei, ob ſie das Ganze auf feinem oder gemeinem
Papier, mit oder ohne Vignetten, hatten, wenn es
nur eine Sammlung von den Gedichten der Karſchin
war. Daher praͤnumerirte der groͤßte Theil der In-
tereſſenten auf den geringſten Preiß; indeß ging die
Sache gut genug von ſtatten, und nach Abzug aller
Koſten behielt die Dichterin zwei tauſend Thaler in
gutem Golde Ueberſchuß. Gleims Plan ging auf fuͤnf
tauſend, und es wuͤrde gelungen ſeyn, wenn man ihm
gefolgt haͤtte. Doch ſie, die immer Genuͤgſame! wel-
che deſto weniger begehrte, je weniger ſie rechnen
konnte, hielt ſich durch das kleine Kapital ſchon fuͤr reich.
Die Sammlung war noch nicht zu Stande, als ſie
mit einem Freunde eine Beſuchsreiſe nach Berlin
machte, um ihre hieſigen Freunde und ihre Tochter
einmal wieder zu ſehn. Sie glaubte bald nach Mag-
g 3
[102] deburg zuruͤckzukehren; allein ihr Schickſal hatte es
anders beſchloſſen. Kaum war ſie zwei Monat in
Berlin, als ſie zufaͤlliger Weiſe erfuhr, daß ihr aͤl-
teſter Bruder, derjenige, welchen ſie zuerſt wiegen
und warten mußte, und den ſie ſo lieb gewonnen hat-
te, gegenwaͤrtig ſei; dieſes hoͤren und ihn aufſuchen
war Eins. Sie hatten einander in vierzehn Jahren
nicht geſehn, und ihre Freude, ihn in ihrem Gluͤck
wieder zu finden, war ohne Graͤnzen. Jetzt em-
pfand ſie zum erſtenmal, daß ihr Gluͤck nicht ohne
Stachel ſei; denn, indem ſie ihren Bruder betrach-
tete, welcher, ob ihm gleich nichts mangelte, doch in
ſeiner Sphaͤre tief unter ihr ſtand, ſeufzte ſie, daß ſie
allein gluͤcklich war, und daß es nicht in ihrer Macht
ſtand, ihn ſogleich mit gluͤcklich zu machen. Um
dennoch ihren feurigen Wunſch einigermaßen zu be-
friedigen, zog ſie von einer Freundin, bei welcher ſie
als Gaſt immer wohnte, weg, und ließ ihren Bruder
ein Logis miethen, welches ſie mit ihm bezog, um al-
les, was das Gluͤck ihr von nun an zuwerfen wuͤr-
de, mit ihm zu theilen. Wegen des endlich erfolgten
Friedens waren die Haͤuſer mit Einwohnern uͤber-
haͤuft, und es war in der Eil keine andere Wohnung
zu bekommen, als die Dachſtube eines großen Eckhau-
ſes, welches diejenige Wohnung war, von welcher die
Dichterin dem großen Koͤnig ſagte, daß ſie einer
[103] Baſtillenkammer gliche. Haͤtte ſie einigen
Stolz gegen ſich gehabt, ſo wuͤrde ſie weder in ein ſol-
ches Quartier gezogen ſeyn, da ſie es nichts weniger
als noͤthig hatte, noch ihren Bruder zu ſich genommen
haben, welcher ihr zu nichts nuͤtzen konnte. Allein ſie
folgte allezeit nur ihrem Herzen, und dachte nie uͤber
die Folgen nach, die ihr Wille haben koͤnnte. Auch
hier kamen allzu bald die traurigen Folgen ihres ploͤtz-
lich durchgeſetzten Entſchluſſes zum Vorſchein; ja, es
wurde durch die Aufnahme ihres Bruders, aus der
Pflanze ihrer Ruhe und ihres Wohlſtandes das Herz
gebrochen. Sie, welche noch ſelbſt abhaͤngig war, in-
dem ſie noch keinen Thaler beſtimmte Einkuͤnfte zu he-
ben hatte, machte ſich durch dieſen Schritt verbindlich,
eine Haushaltung zu fuͤhren, welche, ſo klein ſie war,
doch jeden Tag Forderungen auf ihre Sorgen machte.
Allerdings mochten in den erſten Augenblicken ihres en-
thuſiaſtiſchen Entſchluſſes ihr alle die Schwierigkeiten
nicht beigefallen ſeyn; nun wars geſchehn, und nun
mußte ſie ſich ſo gut zu helfen ſuchen, als ſie konnte.
Sie hatte verſprochen, ihn ſo lange bei ſich zu behal-
ten, bis ſie ihn auf irgend eine Weiſe gluͤcklich machen
koͤnnte. Darauf wartete er denn von einem Jahre
zum andern, ohne daß der Wunſch ihr gelungen waͤre.
Jetzt mußte ſie aus Nothwendigkeit, die beſtimmte
Ausgaben zu befriedigen, den Schneckengang, von wel-
g 4
[104] chem der edelmuͤthige Kottwitz ſie befreiet hatte, wie-
der zuruͤckgehen. Gelegenheitsgedichte gaben gewiſ-
ſes Einkommen, zu ſolchen ließ ſie ſich, aus Noth-
wendigkeit, wieder herab. So verſchnitt die erſte
Dichterin Deutſchlands, ihr herrliches Talent, ihr
Meer von Gedanken, in lauter kleine verſiegende
Baͤche, und empfand es nicht, daß ſie ſich etwas be-
raubte, weil ſie zu gutmuͤthig war.
Unterdeſſen war die Sammlung, welche Herr Sul-
zer und Herr Kanonikus Gleim beſorgte, zu Stande
gekommen. Auch hatte ſie ſchon die Ehre der Unter-
redung mit Friedrich dem Einzigen gehabt *). Der Mo-
narch hatte ihr Verſorgung verſprochen. Darauf ver-
ließ ſie ſich vorzuͤglich, als ſie die kleine Haushaltung
mit ihrem Bruder anfing; allein, es ſchlug fehl. Frie-
drich hielt ſein Koͤnigliches Wort nicht, ſie bekam von
ihm ein Gnadengeſchenk von 50 Thalern mit dem Be-
deuten, daß ſie ſich wieder melden moͤchte. Ehe ſie
dies wagte, hatte eine vormalige Freundin von ihr,
mit welcher ſie uneinig geworden war, (jene Phillis,
bei der ſie wohnte, als ſie ihren Bruder fand, und
welcher ſie die unter dieſem Namen in gegenwaͤrtiger
Sammlung befindlichen Lieder gedichtet hat) den Sta-
chel der Verleumdung wider ſie gebraucht. Einige
Große, die zunaͤchſt um den Koͤnig waren, kannten
[105] die Phillis, und das ſuͤße Gift ihrer Beredſamkeit
wuͤrkte: die verſprochene und gehoffte Verſorgung der
Dichterin ging zuruͤck. Von dem, was ihre Freunde
fuͤr die Sammlung zuſammengebracht hatten, blieben,
durch die Vorſchuͤſſe, wie geſagt, nach Abzug aller Koſten,
2000 Thaler in gutem Golde, nebſt noch ein paar hun-
dert, wovon ſie ſich etablirte. Das Kapital wurde
auf Intereſſen gethan, und durch das Anſehn ihrer
Freunde beinahe eiſern gemacht, aus Furcht, daß es
in ihren Haͤnden drauf gehn moͤchte. Weil ſie als
Dichterin um Rechnungen ſich nicht bekuͤmmern konn-
te, ſo war dieſe Vorſicht von ihren Freunden hoͤchſt
noͤthig. Von den zweitauſend Thalern zog ſie jaͤhrlich
hundert Thaler in Golde Intereſſen, und das war frei-
lich wenig Fond fuͤr eine Haushaltung in Berlin.
Dennoch ſuchte ſie nach einiger Zeit eine anſtaͤndigere
Wohnung fuͤr ſich aus, dichtete taͤglich und ging taͤg-
lich in Geſellſchaften zu ihren Freunden. Jahrelang
behielt ſie den ſchoͤnen Traum, daß der Koͤnig ſich noch
eines Beſſern beſinnen und ihr eine Penſion geben
wuͤrde; allein ihre Hoffnung blieb getaͤuſcht. Der
einzige Herzog Friedrich von Braunſchweig dachte
großmuͤthiger, als der Koͤnig, ſein Oheim. Seine
Durchlaucht gaben aus eigener hoher Bewegung ihr
jaͤhrlich ein kleines Gnadengehalt, und haben
daſſelbe fortgeſetzt bis ſie ſtarb. Auch der Oheim
g 5
[106] Seiner Durchlaucht, der unſterbliche Herzog Ferdi-
nand von Braunſchweig-Luͤneburg ward mit ih-
rem Talente bekannt, und munterte ſie zwanzig
Jahr hindurch mit den fuͤrſtlichen Beweiſen ſei-
ner bekannten Großmuth auf. Noch ein paar
kleine Penſionen von edlen auswaͤrtigen Freunden
wurden ihr jaͤhrlich geſchickt, welches mit den Inter-
eſſen zuſammen etwa 200 Thaler beſtimmte Ein-
kuͤnfte fuͤr das Jahr betrug. Eine ſolche Summe
konnte nicht die Haͤlfte ihrer beſtimmten Hausſor-
gen beſtreiten, es war daher natuͤrlich, daß ſie in
die immerwaͤhrende Sprache des Lamento’s verfal-
len mußte. Sie wagte es noch oft den Koͤnig an
ſein Verſprechen zu erinnern; allein, war der Mo-
narch fuͤr Andere oft auf einem Ohre taub, ſo war er
es fuͤr die Deutſche Dichterin auf beiden.
Wie es aber auch mit dem Innern ihrer Lage
ſtand, ſo verlor ihr Anſehn nichts dadurch. Ihr
Name war durch die Sammlung ihrer Gedichte ge-
macht, und ihr Ruhm allgemein feſtgeſetzt. Von al-
len Enden Deutſchlands, aus allen Hauptſtaͤdten Eu-
ropens entſtanden fuͤr ſie Freunde, Bewunderer und
ſchriftliche Verehrer. Man ſah nur auf ihr Genie,
ſchaͤtzte an ihr das Werk der Natur, und forderte
nicht von ihr was ihr an Lebenston mangelte, und
[107] immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der
neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen
Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte
Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck-
lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde
und Wohlwoller hatte.
Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war
der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam
von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei-
nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum-
mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren
hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe
der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue-
berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit-
zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt-
ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen
Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die
Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres
Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger
Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr
mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un-
ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge-
ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige
Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr ſeinen
Namen. Solche Erſcheinungen waren ihr gar nichts
[108] neues, und ſie bemerkte auch dieſe nur in ſo weit,
daß ihr der edle Ernſt in dem Aeußern dieſes Cavalliers
gefiel. Am andern Morgen fruͤh kommt eine Magd
in ihre Wohnung, welche ihr von fremder ungenann-
ter Hand ein Billet uͤbergab, folgenden Inhalts:
Man wuͤnſcht wohl geſchlafen zu haben, und durch
Ueberbringerin zu wiſſen, worinnen man ihr dienen
koͤnnte, indem jemand nichts angenehmeres wuͤßte, als
zu ihren Dienſten bereit zu ſeyn.“ Sie antwortete
augenblicklich und mit Freimuͤthigkeit, daß ſie jetzt
kein dringenderes Anliegen haͤtte, als ihren Sohn loß
zu werden, und ihn in Zucht zu ſehen. Die Magd
ging mit der Antwort fort, und nach acht Tagen er-
ſchien dieſelbe wieder mit einem zweiten Billet, wor-
innen ſtand, „daß es fuͤr eine gewiſſe Perſon ein ſuͤ-
ßes Vergnuͤgen ſei, ihr in einem ſo loͤblichen Anliegen
dienen zu koͤnnen; ſie moͤchte ſich nur, nebſt ihrem
Sohn, auf die Realſchule bemuͤhn, wo ſie zu ſeiner
Aufnahme in Penſion ſchon alles veranſtaltet finden
wuͤrde.“ Die hoͤchſterfreute Dichterin gab hierauf
eine ſo ſchnelle und feurige Dankſagung, wie es die
ſchoͤne That verdiente. Nun ging ſie mit ihrem Sohn
auf die Realſchule, und fand es ſo gethan, wie ge-
ſagt, ohne daß ſie den Namen ihres Wohlthaͤters er-
fahren konnte. Sie rieth zwar auf den oben benann-
ten von R * hr, allein ſie iſt niemals davon uͤberzeugt
[109] worden. Ihr Sohn genoß unter guter Aufſicht einen
Unterricht von zwei Jahren, und nach Verlauf der-
ſelben ward ihr von der nehmlichen fremden Hand
die ſchriftliche Frage zugeſchickt: wozu ſie nun ihren
Sohn zu beſtimmen gedaͤchte? Sie hatte daruͤber noch
niemals nachgedacht, und verwieß die Antwort an den
jungen Menſchen ſelbſt. Er bezeigte Luſt zum Stu-
dieren, und wollte ſich der Theologie widmen; man
pruͤfte ihn daruͤber, und befand, daß er dazu am faͤ-
higſten waͤre. Ihr ward alſo abermals von jener
fremden Hand angekuͤndigt: Welchen Entſchluß ihr
Sohn genommen haͤtte, und nun wollte man ihn aufs
Gymnaſium thun, und alsdann auf freie Koſten nach
Halle auf die Univerſitaͤt ſchicken. Sie, welche ſonſt
jedes angebotne Gute, auch das kleinſte mit unend-
licher Erkenntlichkeit annahm, widerſprach doch hier,
wo es auf das lebenslange Gluͤck ihres Sohnes an-
kam. Sie gab zur Urſach an, daß er ihr ein Billet
geſchrieben haͤtte, in welchem weder Styl noch Ge-
danke waͤre; und ſie koͤnnte ſich nicht entſchließen, ei-
nen Menſchen von ſechzehn Jahren, der noch kein
Billet an ſeine Mutter ſchreiben koͤnnte, auf fremde
Koſten ſtudieren zu laſſen. Es iſt aber wahrſchein-
lich zu vermuthen, daß ſie hierbei nicht ihrem eige-
nen Rath gefolget hat. Der Wohlthaͤter ſchien
die Weigerung uͤbel genommen zu haben, und ihr
[110] Sohn ward ihr zuruͤckgeſchickt, ohne daß ſich jemals
wieder eines Menſchen Guͤte um ihn bekuͤmmert haͤt-
te. Sie gab ihn darauf in eine Handlung zur Lehr-
probe, weil er aber ſeinen Sinn aufs Studieren ge-
ſetzt hatte, wovon er ſich fuͤr immer abgeriſſen ſah,
ſo hielt er nirgends aus, wurde bald hieher, bald dort-
hin gethan, und zuletzt ward wenig oder nichts aus
ihm, ob er gleich immer ordentlich und fleißig war,
und Faͤhigkeit und Geſchicklichkeit hatte. Auf die
Weiſe ſah er ſein Gluͤck fuͤr immer verſchnitten, und
nahm halb nothgedrungen vor zwoͤlf Jahren eine Schul-
lehrer-Stelle in Ruppin an, wo er rohe Kinder zu
braven Menſchen erzieht und bildet, die Liebe der Eltern
hat, und von ſeinen Obern ſchon mehreremale oͤffent-
lich in gedruckten Blaͤttern gelobt worden iſt. Auch
ihm iſt eine baldige Belohnung fuͤr ſeine Amtstreue
zu wuͤnſchen.
So das Schickſal des Sohnes; der Tochter ihr
Loos fiel ſchlimmer. Sie kam nach fuͤnfjaͤhriger, ſitt-
licher Aufſicht von der Realſchule wieder zur Mutter
nach Hauſe. Die Mutter, welche niemals mit ihren
Kindern ſich Rath gewußt hatte, glaubte nicht beſſer
thun zu koͤnnen, als wenn ſie ihr Kind ihrem Bruder
in Aufſicht uͤbergaͤbe. Er, welcher ganz und gar nicht
auf Charakter- und Geiſtesſtimmung ſich verſtand, be-
[111] handelte das Maͤdchen nach dem gemeinen Schlag eines
ihm untergebenen Geſchoͤpfes. Er nahm ihre große Un-
ſchuld fuͤr Albernheit, ihre Zuruͤckhaltung fuͤr Ver-
ſtellung, ihren feinen Stolz fuͤr laͤcherlichen Hoch-
muth und ihre etwanigen Aeußerungen von Klugheit
und Verſtand fuͤr kindiſche Superklugheit. Er war
von Jugend auf gewoͤhnt geweſen, despotiſch uͤber die-
jenigen zu regieren, welche er um und neben ſich ge-
habt hatte, und ſo verfuhr er auch hier. Er riß das
Maͤdchen von ihren vornehmen Bekanntſchaften ab,
unter dem Vorwande, daß ſie die Wirthſchaft lernen
muͤßte, verfuhr ohngefaͤhr mit ihr nach dem Exempel,
wie ſich die Muͤllersfrau gegen ihre Mutter verhal-
ten hatte, und ließ ſie keinem anſtaͤndigen Menſchen
mehr vor Augen. Sein Plan, welchen er dabei hatte,
zeigte ſich nicht eher, als bis ſie heran reifte, da
ſagte er der Mutter, daß er wol ihre Tochter haben
moͤchte. Die Mutter, welche Niemanden etwas ab-
ſchlagen konnte, glaubte auch hier nichts einwenden
zu duͤrfen, ob er gleich noch kein Brod fuͤr eine Frau
hatte. Die Tochter wurde weiter nicht um ihren Wil-
len gebeten: weil ſie nicht blendende Reize hatte, ſo
glaubten beide, daß ſie kein Unrecht thaͤten. Mehr
davon zu ſagen, wuͤrde wie Repreſſalien klingen, und
hier am unſchicklichen Orte ſtehn. Genug, er bekam eine
kleine Bedienung, das Maͤdchen ward ſeine Frau, und die
[112] zu nachgebende und fuͤr ihn zu ſcheue Schweſter nahm
die ganze Laſt der neuen Haushaltung auf ihre Schul-
tern. Aus Vernunft, welche ſie den eingepraͤgten
guten Grundſaͤtzen der Erziehung zu danken hatte
fand ſich die Tochter in ihre Beſtimmung, allein, es
half nicht; und ſie ward endlich nach einer laͤnger als
neunjaͤhrigen Nachſicht mit ihrem unleidlichen Schick-
ſale, gezwungen, ſich davon zu befreyen. Sie ver-
heirathete ſich nachher zum zweitenmal, und wegen
ihres Mannes boͤſen Verwandten auch diesmal nicht
beſſer. Die Dichterin hat alſo die Freude niemals
erlebt, Eins von ihren Kindern gluͤcklich zu ſehen.
Durch ſolche zerruͤttende Schickſale fiel Tochter
und Enkel in ihre Hauptfuͤrſorge wieder zuruͤck,
und ſie trug alles, ohne zu glauben, daß es ihr beſ-
ſer gehen muͤßte. Ließ man ihr nur die Freiheit zu
klagen, und gab man ihr in ihren Vorurtheilen
Recht; ſo war ſie zufrieden, was auch ihr ſpaͤtes
Loos von Sorgen mit ſich brachte. Dinge, welche
ſie freilich durch eine kleine Wendung, oder durch
Annehmung eines guten Raths haͤtte zum Beſten
verwandeln koͤnnen, hielt ſie, wenn ſie verſehen waren,
fuͤr unvermeidliches Uebel, und troͤſtete ſich dann mit
einer nothwendigen Philoſophie und mit dem ſuͤßen
Glau-
[113] Freundſchaft. Einige ihrer Freunde blieben ihr auch
in der That treu: ihre Beſcheidenheit wird ihre
Namen nicht genannt haben wollen, aber der ſterben-
den Dichterin Dank hat ſie geſegnet. — Man durfte
wenig fuͤr ſie thun, wenn man nur freundlich und
aufmerkſam gegen ſie war. Mit einer heitern Miene
und kleinen hoͤflichen Bewirthung konnte man ſie uͤber-
aus vergnuͤgt machen, und ſie glich hierin den Kin-
dern, deren Hand immer fordert, aber auch bald ge-
fuͤllt iſt.
Durch ihre Genuͤgſamkeit, Offenherzigkeit, Erin-
nerung an verlebte Leiden, und Glauben an Freunde
geſtaͤrkt, trat ſie ruhig in die Jahre des ermuͤdenden
Alters; nichts erwartete ſie weniger, als noch ein be-
ſonderes Gluͤck, welches ihr wiederfahren ſollte. Sie
hatte nicht verfehlt, den großen Koͤnig noch oͤfter an
ſein Koͤnigliches Wort zu erinnern; zuweilen antwor-
tete er ihr durch kleine, ein edles Talent zuruͤckſchrek-
kende Geſchenke; und einmal ſchickte er ihr, vermuth-
lich um ſie dadurch ganz abzuweiſen, zwei Thaler auf
der Poſt zu. Das empfand die Dichterin, wie ſie
ſollte; ſie ſchrieb das bekannte Impromptuͤ: Zwei
Thaler giebt kein großer Koͤnig ꝛc., ſiegelte die zwei
Thaler in das beſchriebene Blatt, und unterſtand ſich,
dem Koͤnige ſein Gnadengeſchenk wieder zuruͤckzuſchik-
ken. Der Einfall ward Koͤniglich belacht. — Friedrich
h
[114] der Einzige ward endlich zu ſeinen Vaͤtern geſammlet.
Die Sonne des neuen Monarchen ging ſo ſanft und
wohlthaͤtig auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunter-
te, die allgemeine Gnade zu benutzen; allein ihr fehlte
Muth und Unbilligkeit; ſie behauptete: der junge Koͤnig
haͤtte in ſeinen Staaten Tauſende, welche durch Tha-
ten fuͤrs Vaterland auf Belohnung Anſpruch machen
koͤnnten; die Dichter muͤßten die letzten ſeyn. Beſon-
ders haͤtte ſie gar kein Recht zu des Monarchen Gna-
de, weil er ihr nie etwas verſprochen haͤtte. So blieb
es eine Weile, indeß der Koͤnig immermehr durch neue
Huld einen Thron befeſtigte, welchen er ſich in den
Herzen ſeiner Unterthanen aufrichtete.
Eine verwittwete Freundin der Dichterin hatte ein
Naturalienkabinet, welches ſie mit guter Art zu ver-
kaufen wuͤnſchte, weil es fuͤr ſie ein unbrauchbarer
Schatz war. Sie glaubte, daß vielleicht einer unter
den Hoheiten der jungen Koͤniglichen Familie es kau-
fen wuͤrde, wenn man eine Vorſprache erhalten koͤnn-
te. Die Karſchin machte ſich den Wunſch ihrer Freun-
din zum Anliegen; ſie, welche fuͤr ſich keine Bitte wa-
gen wollte, ſuchte eilends den Weg zur Gnadenthuͤr,
ſobald es darauf ankam, jemanden dienen zu koͤnnen.
Menſchen zu dienen, und ihnen mit ihrer Gabe ge-
faͤllig zu ſeyn, war uͤberhaupt ihre feurigſte Leiden-
ſchaft. Wenn es darauf ankam, ſo ließ ſie die noth-
[115] wendigſten Geſchaͤfte deswegen liegen, und ſchonte
keine Muͤhe und kein Anhalten; und ſie hatte auch
immer die Freude, ihre Bitte erfuͤllt zu ſehen, nur in
ihren eigenen Angelegenheiten gelang es ihr nicht ſo.
Diesmal ging es anders. Sie wendete ſich wegen
ihrer Freundin an die damalige Oberhofmeiſterin der
erſten Prinzeſſin Tochter des Koͤnigs, an das Fraͤu-
lein von Vieregg, jetzt verwittwete Miniſterin von
Gaudi, und Gouvernante der regierenden Koͤnigin
von Preußen. Dieſer menſchenfreundlichen Dame
trug die Dichterin den Wunſch ihrer Freundin vor,
allein, ſie kam damit um acht Tage zu ſpaͤt. „Der
Koͤnig, ſagte die Dame, wird nun dergleichen nicht
mehr kaufen, es ſind der Ausgaben zu viel. Seine
Majeſtaͤt bezahlen alle Schulden des verſtorbenen
Koͤnigs.“ Alle Schulden? alle? ruft die Dichterin
ihr zu; beim Himmel! dann haben mir ſeine Maje-
ſtaͤt auch eine Schuld zu bezahlen. Sein Oheim hat
mir vor 24 Jahren eine Verſorgung verſprochen;
man verſicherte mir eine Penſion von jaͤhrlich 200
Thalern. Haͤtte ich die Summe von 24 Jahren zu
heben, ſo waͤr es ſchon ein Kapitaͤlchen, wofuͤr ich mir
ein Haͤuschen kaufen koͤnnte. „Gut, antwortete die
laͤchelnde Gouvernantin, ſetzen ſie das Anliegen ſo
auf, wie ſie da ſagen, und wir wollen ſehen, ob
wir es dem Koͤnige vorbringen koͤnnen.“ Die Dich-
h 2
[116] terin ließ ſich einen ſo liebreichen Vorſchlag nicht zwei-
mal ſagen, ſie eilte nach Hauſe, und ſchrieb eine poe-
tiſche Schuldforderung an den Koͤnig, und richtete
ſolche an die Prinzeſſin Friederike Koͤnigl. Hoheit
Die hoͤchſtguͤtige Gouvernante uͤberreichte ſie ſogleich,
und die engelmuͤthige Prinzeſſin las das Schreiben
dem Koͤnige ihrem Vater vor, als Seine Majeſtaͤt
ſich eben mahlen ließen. Der huldreichſte Monarch
laͤchelte des Einfalls der Dichterin, er ſteckte das
Schreiben zu ſich, und nicht lange darauf gab Seine
Majeſtaͤt dem Herrn Miniſter von Woͤllner den un-
erwarteten hoͤchſtgnaͤdigen Befehl: der Karſchin
anzukuͤndigen, daß ihr ein Haus gebaut
werden ſollte; ausgeziert mit allen Al-
legorien der Muſen.
Die Dichterin, welche bloß einen verlornen
Wunſch gethan zu haben glaubte, dachte an nichts
weniger, als an eine ſolche Wirkung. Eines Tages
gegen Abend ward ſie in ihrer Nachbarſchaft, in
das Haus des Herrn Geheimen Oberhofbuchdruckers
Decker zu kommen, genoͤthigt. Weil dies zu ihren
freundſchaftlichen Haͤuſern gehoͤrte, ſo glaubte ſie,
daß man ein kleines poetiſches Anliegen an ſie habe,
und eilte ſogleich wie ſie war in ihrem Haushabit
dahin. Aber wie erſtaunte ſie, als man ſie in den
ganz erleuchteten Saal des Hauſes fuͤhrte, wo eine
[117] große glaͤnzende Geſellſchaft verſammlet war. Ein
Herr von ſtattlichem Anſehn, in ſchwarz ſammtnen
Kleide, woran ein Kreutz befeſtigt flimmerte, kam
ihr entgegen und trat vor ſie hin, indem er ſie ſo
anredete:
Es war Se. Excellenz, der Herr Miniſter von
Woͤllner*), welcher dieſes Impromptuͤ ſelbſt ausge-
dacht hatte, um ſie dadurch deſto angenehmer zu uͤber-
raſchen. Die frohe Beſtuͤrzung der Dichterin bei
dieſer Anrede iſt unmoͤglich zu beſchreiben, und man
thut beſſer, daß man ſich dieſelbe denkt. Sie kam
nach Hauſe, vor Freude ganz matt, und Tages
darauf ward aller Welt verkuͤndigt, was da geſchehn
ſollte. Alle Zeitungen wurden mit der fuͤr ſie ſo eh-
renvollen Nachricht erfuͤllt. Von allen Freunden der
Muſe ward der Koͤnig fuͤr dieſe That geſegnet.
Das beſtimmte Haus als Gnadengeſchenk ward
auf dem Haakſchen Markt gebauet, wo es die eine
Ecke von vier andern beſchließt, welche den Eigen-
thuͤmern ebenfalls als Gnadengeſchenke ſind bewilliget
worden. Das Haus ſelbſt ward nur ein Haͤuschen,
h 3
[118] und nicht ſo ausgefuͤhrt, wie Jedermann der vorzuͤg-
lichen Ankuͤndigung gemaͤß es erwartet hatte; auch
kamen die Allegorien der Muſen in Vergeſſen-
heit; allein ſie hatte doch nun eine ſchoͤn ausgebauete
eigene Wohnung, und nach Abzug jaͤhrlicher Abgaben
fuͤr Servis, Einquartirung u. d. gl. noch etwa hun-
dert Thaler Ueberſchuß. Freilich bekam dadurch ihr
immer muͤder werdendes Alter noch keine Ruhe, da
ihre beiden Kinder ſo ſchlecht verſorgt waren, und
zwei Kindeskinder von ihr Unterſtuͤtzung verlangten;
allein es war doch immer ein unerwartetes Gluͤck fuͤr
ſie, und ſie ward nicht muͤde, den beſten Koͤnig dafuͤr
zu loben. Kaum konnte ſie’s erwarten, ihr Koͤnigli-
ches Muſaͤum bald genug zu beziehn. Schon ſeit
vielen Jahren her hatte ſie gekraͤnkelt, und ahndete,
daß ſie nicht lange mehr da ſeyn wuͤrde. Der Wunſch,
noch einige Jahre in dem Hauſe zu leben, welches
der beſte Koͤnig ihr zur Ehre, und Stuͤtze des Alters
hatte aufbauen laſſen, war unglaublich, und ſie be-
zog es, als es eben ausgetuͤncht war. Man rieth ihr
zwar, wenigſtens noch ein Jahr zu warten, ehe ſie
bei ihrer großen Schwaͤchlichkeit einzoͤge; allein ſie
folgte, wie immer, auch hier ihrem Willen. Dadurch
nahm allerdings ihre Schwaͤche zu, welche ſich in die
Vorboten einer Abzehrung verwandelte. Wie hinfaͤl-
lig aber auch ihr Koͤrper ward, ſo blieb ihr Geiſt doch
[119] freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage
an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit
in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren-
theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und
geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an
welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie
kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen;
und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von
Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber
geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch
noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem
bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien.
Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben,
als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie-
derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach-
mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche
einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland
als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung
geſchrieben hatte: „daß die große Dichterin Karſchin
am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten
auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro
Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich
gegenwaͤrtig befinden wuͤrden.“ Wer die Hoheit die-
ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver-
wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden
koͤnnen, wie die Ehre einer ſolchen Einladung auf die
h 4
[120] ſo tief im Staube geborne Dichterin wuͤrkte. — Oft
zwar hatte ſie ſchon des Vorzuges genoſſen, von Aller-
hoͤchſten Perſonen gerufen, und mit beſondern Gna-
denaͤuſſerungen behandelt zu werden; allein, ſo wie
Ihro Koͤnigl. Hoheit, die Prinzeßin Ferdinand, durch
dieſe Einladung ſie ehrte, das ging zu weit uͤber alles,
was jemals ihren Stolz gereizt hatte. Die Großen
beduͤrfen nur wenig zu thun, um jemand in Erfahrung
zu ſetzen: „wie man vor Freude ſterben kann.“ Auch
die Dichterin wuͤrde vor Freuden uͤber die Erwartung
zum andern Morgen vielleicht ſterbend krank gewor-
den ſeyn, wenn ſie nicht den Koͤniglich-denkenden
Hof des Prinzen Ferdinands K. H. ſchon mehrma-
len beiſammen geſehen und geſprochen haͤtte. Sie
erſchien alſo am beſtimmten Morgen vor dem Gar-
ten des Hofjaͤgers, wo ihr der Herr Graf als Wirth
entgegen kam, und ſie zu den Allerhoͤchſten Herrſchaf-
ten, welche ſchon verſammlet waren, einfuͤhrte. Man
ließ ſie auf einen Stuhl niederſitzen, welcher zur Rech-
ten der Gemahlin des Prinzen Ferdinand K. H. fuͤr
ſie ledig gelaſſen war. Die unvergleichliche Prinzeſſin
Tochter legte der Dichterin mit eigener ſchoͤner Hand
vor, und alle die hoͤchſten Anweſenden ließen ſich herab,
die Geſpraͤche auf lauter Gegenſtaͤnde zu lenken, welche
der Karſchin angenehm ſeyn konnten. Sie glaubte
ſich hier wirklich ſchon unter den guten Goͤttern zu
[121] befinden, und ſie hatte Recht. — — Drei Tage dar-
nach wurde ſie abermals durch ein Paket, welches ihr
der Herr Graf ſchickte, auf das angenehmſte uͤber-
raſcht: ſie fand darinnen das verbindlichſte [Schreiben]
von der Hand des Herrn Grafen, und eine Anden-
kens-Aſſe mit der ausgeſuchten Deviſe: Wandle auf
Koſen, und Vergiß mein nicht. Auſſer der Kott-
witziſchen Doſe in Glogau, war ihr niemals ein Ge-
ſchenk willkommner und werther geweſen.
Nach dieſer Ehrenbegebenheit, welche ſie zu
ſtark empfunden hatte, ſchwaͤchelte ſie mehr als
jemals, ihr Geiſt aber blieb munter, ſo wie die
Begierde, ſich ihren Freunden mitzutheilen. Sie
hatte ſich ſeit dreyßig Jahren her ſo ſehr auſſer dem
Hauſe gewoͤhnt, daß ſie auch bei ihrer aͤußerſten Hin-
faͤlligkeit das Gehn zu Andern nicht laſſen konnte.
Sie glaubte ſich dadurch zu ſtaͤrken, allein ſie ſchadete
ſich offenbar; denn durch das Vergnuͤgen der Mit-
theilung ward ſie bei dem Glaſe Wein, welches ſie
trank, wie gewoͤhnlich zu poetiſchen Einfaͤllen verleitet,
welches ſie unvermerkt angriff. Denn ihr Geiſt war
kein Feuer mehr, ſondern hielt nur noch Funken in
ihr verborgen; holte ſie dieſelben durch Anſtrengung
der Gedanken zuſammen, ſo war es natuͤrlich, daß
der entkraͤftete Koͤrper ganz dadurch erſchoͤpft werden
mußte. Dennoch konnte ſie weder das eine noch das
h 5
[122] andere laſſen, und ohne Geſellſchaft hieß bei ihr ohne
Element leben. Sie wuͤrde dieſen Zuſtand weit ſchwe-
rer ausgehalten haben, wenn ſie nicht ihren Enkel,
Heinrich Wilhelm Hempel, um ſich gehabt haͤtte,
welcher ihre letzte Liebe beſaß, und ihr letzter Kummer
war. Er ſpielte ihr etwas auf dem Klaviere vor, in-
dem ſie entweder im Plutarch, in der Roͤmiſchen Ge-
ſchichte, oder im Julius Caͤſar las, welche Lektuͤre
ihr nur der Tod aus der Hand nahm, ſo lieb hatte
ſie dieſelbe. Ihr Enkel entſchloß ſich endlich zum
Studiren (welche Laſt auf ihre Schultern ſank), er
ging im Maͤrz 1791 nach Frankfurt an der Oder als
Befliſſner der Rechte. Sie verlohr durch ſeinen
Abſchied die letzte Ruhe ihres Herzens; und ſeine
Abweſenheit war ihr unertraͤglich. Sie reiſete ihm
zu Ende des Juni nach, ohnerachtet ihrer auszehren-
den Schwaͤche. Laͤngſt war ſie nach Tirſchtiegel, ihrer
Vaterſtadt, zu kommen gebeten worden, daſelbſt hatte
der Paſtor Senior Herr Sturzel, ihr aus Verlan-
gen ſie zu ſehn, ſein Haus zur Aufnahme bereitet,
und ſelbſt die Gemeine auf ihre Ankunft erwartend
gemacht. Auch der Dichterin einzige Schweſter, die
verwittwete Frau Eleonore Borngraͤbern, geborne
Hempeln, ſehnte ſich, ihre geehrte Schweſter ein-
mal bei ſich zu ſehn, ehe das Alter ſie beide fuͤr die
Freude des Wiederſehns zu ſtumpf machte; ſie hatte
[123] feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt
zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein
in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum
noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts
von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge-
ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt
auf dem Stuhle *). Dennoch unterlag ihr Geiſt
nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie-
der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper
[124] zuweilen wieder auf, und ſie war oft ſo munter, daß
ſie Verſe machte, wie in ihrer Jugend. Ihr letztes Ge-
dicht verfertigte ſie noch in Frankfurt; es war das,
auf die Abreiſe der eben vermaͤhlten Herzogin von
York K. H., welches in der Zueignung eingeruͤckt
iſt. Mit dieſem kleinen Geſange loſch die Flam-
me ihrer dichteriſchen Denkkraft auf ewig in ihr
aus. Der Herbſt war da, ſie wollte die Fuͤrſtin ihres
Herzens, die Schoͤpferin ihres letzten irdiſchen Gluͤckes
vermaͤhlen ſehn, und wagte ſich alſo in ihrer Todes-
ſchwaͤche auf die Ruͤckreiſe nach Berlin, wo ſie am
letzten September 1791 zu aller Menſchen Erſtaunen
gluͤcklich in ihrem Hauſe ankam, ohne daß ſie den
Wunſch, ihre Vaterſtadt noch einmal zu ſehen, hatte
befriedigen koͤnnen. Drittehalb Tage hielt ſie ſich
noch auſſer dem Bette, und wuͤrde vielleicht laͤnger
ohne Niederlage geblieben ſeyn, wenn ſie nicht, aus
Begierde eine nachbarliche Freundin zu beſuchen, der
beſtellten Portechaiſe vorgeeilt, und am Arme des
Dienſtmaͤdchens zu ihr heruͤber gewandert waͤre. Der
muͤhſame, obgleich kleine Gang auf den Steinen ſchien
ſie vollends erſchoͤpft zu haben. Zwar ſaß ſie noch
anderthalb Tage in ihrem Lehnſtuhle auf, allein faſt
ohne Gedanken. Am dritten Tage legte ſie ſich, und
konnte nie wieder aufſtehn. Sie war voͤllig von
Kraftloſigkeit erſtarrt. Dennoch blieh ihr Geiſt noch
[125] lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre
Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie
ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende
als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage
ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter,
daß ſie derſelben jede Frage aus der vor- und gegen-
waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft
beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich
ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem
Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags
eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde
lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor
ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und
mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch
nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden
verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz-
ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol
noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge-
danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres
Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb
zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die
Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. —
Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie
zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn,
als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr
Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.
[126]
Ihr Herz hatte, wie ihr Geiſt, ſeine unvergleichliche
Seiten; war oft ſchwach in Vorurtheilen und Leiden-
ſchaften; aber an unermuͤdeter Gefaͤlligkeit, Dankbar-
keit, Offenheit und Wahrheitsliebe — einzig, ganz
einzig! Seegen vieler Hunderte, denen ſie durch
ihr bereitwilliges Talent mit Vorbitten geholfen,
ſchwebt um ihren gruͤnen Huͤgel, und der Geiſt alles
Geiſtes wird ihren Geiſt dafuͤr erfreuen. —
Sie hinterlaͤßt zwei Kinder, einen Enkel, eine
Enkelin, zwei Bruͤder und eine Schweſter; keinen
glaͤnzenden Stammbaum, keine beneidenswerthe Guͤ-
ter, aber einen Namen, welchem (bei aller Kaͤlte, mit
der man jetzt große Todten in Vergeſſenheit bringt)
die Hoͤchſten der Erde noch achtbar begegnen. Ihro
Majeſtaͤt, die verwittwete Koͤnigin von Preu-
ßen, gaben nicht allein ihren allerhoͤchſten Namen
zur Krone dieſer Sammlung, ſondern ließen aus
allerhuldreichſter eigener hoͤchſter Bewegung fra-
gen: „ob die Zerausgeberin dieſes Werks Bei-
traͤge verlangte, welche ſich etwa noch in dem
Archiv Ihrer Majeſtaͤt vorfinden moͤchten:“
Eben ſo verhielt ſich Seine Hochfuͤrſtliche Durch-
laucht, der nunmehr verewigte Herzog Ferdinand von
Braunſchweig und Luͤneburg. Se. Koͤnigl. Hoheit,
[127] Prinz Heinrich der Große, antwortete der Herausge-
berin (indem dieſelbe dieſem goͤttlichen Prinzen ihre
Furcht, Se. Hoheit zum Subſkribenten eines deut-
ſchen Buchs einzuladen, geaͤußert hatte): „Le vrai
génie s’exprime bien dans toutes les langues,
sans entrer en discussion sur la preférence des
langues les unes sur les autres etc. Worte, welche
durch ihren Seitenblick die ehrenvollſte Erklaͤrung ge-
ben. Auf aͤhnliche Weiſe erklaͤrten ſich alle die hoͤch-
ſten, hohen und edlen Perſonen, welche dieſe Samm-
lung mit ihren Namen beehrten. Auch die Muſen ha-
ben ihr Grab gekraͤnzt, und nicht die kleinſten des
Vaterlandes; ihre Namen zieren die erſten Jour-
nale Deutſchlands. Die Dichterin achtete der Loblie-
der nicht, welche im Leben ihr zuſtroͤmten, ſelbſt Eines
hat ſie ſich nicht mehr erinnert, (ſo wenig eitel war ſie);
Eines von dem erſten der Dichter. (Es exiſtirt viel-
leicht nur noch einmal, und befindet ſich im Archiv
des Reichsgrafen von Stollberg.) Wer den Dichter
errathen will, der muß ein lauſchendes Ohr haben.
Hier iſt das Gedicht:
An die Frau Karſchin.
[128]
Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt
werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe
Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm
mit Unſterblichkeit.
C. L. von Klenke, geb. Karſchin.
Gedichte
[[1]]
Gedichte
von
Anna Louiſe Karſchin.
Oden.
A
[[2]][[3]]
An
die Stadt Berlin
wegen
Sr. Koͤnigl. Hoheit
des
Prinzen und Feldherrn Heinrichs.
A 2
[4]
[5]
An die Mnemoſyne,
bey dem
allerhoͤchſten Feſte, welches Se. Koͤnigl. Hoheit
Prinz Heinrich
Sr. Majeſtaͤt dem Koͤnige gab.
A 3
[6]
[7]
An die Clio
wegen des Koͤniges
A 4
[8]
[9]
Bei
dem jubelvollen Empfange
der Koͤnigin.
A 5
[10]
[11]
Dem
Vater des Vaterlandes
Friederich dem Großen,
bei triumphirender Zuruͤckkunft
geſungen
im Namen Seiner Buͤrger.
[12]
[13]
[14]
Ueber
die Vorzuͤge
des
Prinzen Friedrichs
von Braunſchweig.
[15]
[16]
Sie
[17]
B
[18]
An
die Najade.
[19]
B 2
[20]
An
den klagenden G*d.
[21]
B 3
[22]
Ueber
die Begierden und Wuͤnſche.
An
den jungen Herrn von der H*ſt.
[23]
B 4
[24]
An
den General-Lieutenant von Seydlitz.
Auf das Erzgebirge zu Freyberg.
[25]
B 5
[26]
Jupiter und ſein Adler.
An
den Verfaſſer des Geſanges Ptolomaͤus und
Berenice.
[27]
[28]
An
den Apoll,
daß er die Leyer zuruͤcknehmen moͤchte.
[Als ſie zu Berlin wegen Mangel an Quartieren einige
Zeitlang in einer Dachſtube wohnen mußte.]
1763.
[29]
[30]
An die Leda.
[31]
[32]
Nach der 14ten Ode aus dem 2ten Buche
des Horaz.
An
den Herrn Grafen
von Stollberg Wernigerode.
Es
[33]
C
[34]
An
den Phoͤbus Apollo
wegen
des ihr von dem Freyherrn Dohmdechanten
von Spiegel
geſchenkten dreyſeitigen Pettſchafts.
[35]
C 2
[36]
[37]
An
Herrn Profeſſor E.
C 3
[38]
Auf
die Geburt
des
jungen Prinzen von Preuſſen
Koͤnigl. Hoheit.
[39]
C 4
[40]
[41]
Der ſichere Fromme.
Aus einer Predigt des Herrn Ober-Conſiſtorialrath
Spalding.
C 5
[42]
[[43]]
Gedichte.
[[44]][45]
An
Ihro Majeſtaͤt
die Koͤniginn
am Tage
nach Ihrem glorreichen Einzuge in den Koͤnigl.
Pallaſt.
[46]
[47]
[48]
An
die Muſe,
daß ſie
den Abend der großen Illumination ſingen ſolle.
Haſt
[49]
D
[50]
[51]
D 2
[52]
Aufforderung an die Muſe,
daß ſie
dem Philoſoph zu Sans-Souci
nachfliehen ſoll.
[53]
raubend.
Statuͤen
D 3
[54]
[55]
An
den juͤngſtgebornen Prinz
Friedrich Carl Ludwig von Preuſſen
in Seiner Wiege.
D 4
[56]
[57]
Sr. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
dem
Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Wolfenbuͤttel,
im Koͤniglichen Garten zu Schoͤnhauſen
unterthaͤnigſt gewidmet.
D 5
[58]
[59]
Lied der Clio.
Sr. Durchlaucht
dem
Herzog Ferdinand von Braunſchweig.
Den 12. Jenner 1771.
[60]
[61]
An
Se. Hochwuͤrden Gnaden
den
Herrn Domdechant
Freyherrn von Spiegel
zur Feyer des 22ſten Februars 1765.
[62]
[63]
Das Tuͤrkiſche Bacchusfeſt.
Dem Obriſten von Anhalt
geſungen.
1763.
[64]
Umarmte
[65]
E
[66]
An
den Phoͤbus.
[67]
An Venus,
uͤber die ſtolze Phillis.
E 2
[68]
An
die Frau Doktorin M.
[69]
E 3
[70]
An
den einjaͤhrigen Wilhelm von K.
[71]
E 4
[72]
An
den Herrn Kanonikus
Gleim.
[73]
E 5
[74]
[75]
[76]
An
einen jungen Freund.
[77]
[78]
An
eine Dichterin,
welche das Klavier ſpielte.
[79]
[80]
Ueber
den Unbeſtand des Ruhms.
die Frau G. R. B.
1763.
Die
[81]
F
[82]
Warnung
an den jungen Herrn von H*ſt.
1764.
Als derſelbe der Mahlerey den Vorzug vor der Dichtkunſt
ertheilte.
[83]
F 2
[84]
Das Lob des Eſſens.
Quintus Icilius.
1764.
[85]
F 3
[86]
Ueber
die Begierde des Saͤuglings.
[87]
F 4
[88]
Ermahnung
an einen jungen Freund.
[89]
F 5
[90]
An Phillis.
Eine Einladung zu den Ruinen bey Potsdam.
1765.
[91]
[92]
An
den Freyherrn von A. aus Coͤthen
uͤber
die Winterluſtbarkeiten
in Berlin.
[93]
[94]
[95]
Lied
an Se. Fuͤrſtl. Durchl.
den
jungen Prinzen von Anhalt,
Enkel
des regierenden Herrn Grafen von Wernigerode
zum
Erſten Jahrstage.
[96]
Jedoch
[97]
G
[98]
An
den kleinen von K.
uͤber
die Landkarte von Perſien, Griechenland
und
ganz Aſien.
[99]
G 2
[100]
[101]
An
Ihro Koͤnigl. Hoheit
die
Mutter des Preußiſchen Thronfolgers.
G 3
[102]
[103]
G 4
[104]
An
die Koͤniginn.
[105]
G 5
[106]
[107]
An
die Melpomene
wegen des
Prinzen Heinrichs des juͤngern
Koͤniglichen Hoheit.
[Verſtorbenen Bruder Seiner Majeſtaͤt des Koͤnigs.]
Den 30ſten December 1763.
[108]
[109]
[110]
An
den regierenden Reichsgrafen
von
Stollberg-Wernigerode
uͤber
die Freude, Seinen einzigen Enkel gluͤcklich vermaͤhlt
zu ſehen.
[111]
[112]
Be[y]
[113]
Bey
dem Eheverbuͤndniß
meines juͤngſten Bruders
Ernſt Daniel Hempel.
H
[114]
[115]
H 2
[116]
[117]
Troſtgeſang fuͤr Neu-Ruppin
bey den Ruinen
H 3
[118]
[119]
H 4
[120]
[121]
An die Sonne
bei
dem Leichenbegaͤngniſſe Friedrichs des Groͤßten
H 5
[122]
[123]
[124]
[125]
Lob
der ſchwarzen Kirſchen.
[126]
[127]
Als ſie
des Sonntags zu einer Luſireiſe nach Charlotten-
burg eingeladen wurde, und ſie ſich entſchuldigte,
weil ſie den Herrn Rath Spalding predigen
hoͤren muͤßte.
[128]
An
[129]
An Gott
bei
dem Ausruf des Friedens.
J
[130]
[131]
Geſang auf eine Hochzeit,
welchen
die Dichterin in der toͤdtlichen Schwaͤche ihrer
letzten Krankheit
zu Frankfurth an der Oder gedichtet.
J 2
[132]
[133]
J 3
[134]
Gebet eines Kindes.
[135]
J 4
[136]
Lobgeſang
nach toͤdtlichem Schmerz unter meinen Kindern
geſungen
am 6ten December 1789.
[137]
J 5
[138]
Danklied
am
drey und ſechzigſten Geburtstage
nach langwieriger Krankheit.
[139]
[140]
[141]
Loblied
bei
dem fuͤnf und ſechzigſten Jahresſchluß.
[142]
[[143]]
Epiſteln
und
Erzaͤhlungen.
[[144]][145]
An
die Prinzeſſinn Heinrich.
Gnaͤdigſte Frau!
Ich befinde mich außer den Umſchanzungen Magde-
burgs, an dem Tage, der die Pallaͤſte erleuchtet von
dem Glanz der Feierlichkeit, wovon Ew. Koͤnigl.
Hoheit die Urſache ſind; aber meine Erinnerung iſt
nichts deſto weniger lebhaft. An dieſe Feſtlichkeit
gedenk ich und wuͤnſche mir, in derſelben die Prin-
K
[146] zeſſinn zu ſehen, die im leicht flatternden Morgen-
gewand alle Reizungen einer Bezauberung hat; ich
beneide meinen Freund, aus deſſen Hauſe ich mir das
Gluͤck gebe, Ewr. Koͤnigl. Hoheit zu ſchreiben. Er
macht mir Beſchreibungen von dem Stolz, den er zu
bekaͤmpfen hatte, nach der Gnade, die ihm ein Zufall
gab: Sie kamen, gnaͤdigſte Prinzeſſinn! durch Hal-
berſtadt, und die veralterten Gemaͤuer zitterten Ihnen
Ehrfurcht entgegen.
[147]
K 2
[148]
Ja in Wahrheit, gnaͤdigſte Prinzeſſinn, ich em-
pfinde einen Anſatz zum Stolz, ich ſetze dieſe gluͤckliche
Stunde Gleim entgegen, wenn er mir ſagt, wie er
Sie einſt im Nahmen des Herrn Dohm-Dechants
empfing, und eben jezt ruf ich ihm zu, daß er nicht
mit mehr Ehrfurcht Ewr. Koͤnigl. Hoheit ergeben iſt,
als Sapho.
[149]
An
Se. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht
den
Herzog Ferdinand von Braunſchweig-
Luͤneburg.
K 3
[150]
[151]
K 4
[152]
An
Ebendeſſelben
Hochfuͤrſtl. Durchl.
[153]
K 5
[154]
[155]
[156]
An
den Herrn von M*p*n
in Braunſchweig.
[Welcher ſich oͤffentlich fuͤr den Ritter ihrer Muſe erklaͤrt hatte.]
1791.
[157]
[158]
[159]
An
die verwittwete Madame R*ldt
nach Freyenwalde nachgeſchrieben.
[160]
Und
[161]
L
[162]
[163]
An
den Herrn Kanonikus Gleim*).
L 2
[164]
Mit dieſer Achilliſchen Geſchwindigkeit, liebſter
Freund, wollten Sie ſich auf Ihren Rappen ſchwin-
gen, mich zu begleiten, aber nicht mit eben ſo ſtuͤrmi-
ſcher Empfindung; nein, in dem Gefuͤhl der Freund-
ſchaft. O wie ſanft iſt dieſes Gefuͤhl! Aber warum
ließen Sie ſich zuruͤckrufen? Sie ſollten einen ganzen
Geſang haben; aber Ihr Bruder ließ mich zur Koͤni-
ginn fordern. Sie haͤtten ſehen ſollen, wie ſie in ih-
rem Schlafzimmer ſaß und mich anlaͤchelte und ver-
ſchiedene Fragen that, die ich beantwortete; ich empfahl
ihr meinen Herrn den Baron. Ich wuͤrde noch
viel von meinem Freunde reden, aber Ihr Bruder
verlangt nach dem Schreiben, die Kommendantin
nach mir,
Ihre ꝛc.
[165]
An
den Herrn Baron
von Kottwitz zu Boyadel,
Neffe desjenigen Freyherrn von Kottwitz, welcher
ſie aus Glogau fuͤhrte.
L 3
[166]
[167]
L 4
[168]
An
eine adliche Schuldnerin,
fuͤr welche ſich die Dichterin verbuͤrgt hatte.
[169]
L 5
[170]
[171]
[172]
[173]
[174]
An
meinen Freund, den Akteur
H**.
[175]
[176]
Skizze
[177]
Skizze einer Epiſtel
an
Herrn Sekretair K*ch. *)
M
[178]
[179]
u. ſ. w.
M 2
[180]
Des
24ſten Januars muſikaliſche Feier
in der Darletſchen Wohnung.
[181]
M 3
[182]
Aufforderung an die Dichterin
von
Herrn Doktor Kruͤnitz.
[Als in Sansſouci der Koͤnig mit ihr geſprochen hatte.]
Den 24. Okt. 1763.
[183]
Antwort der Dichterin.
Geſchichte der Unterredung
mit
dem Philoſophen zu Sansſouci.
M 4
[184]
[185]
M 5
[186]
[187]
[188]
An
die Koͤnigl. Hof-Bauadminiſtration
wegen
ein paar geſchenkter eiſerner
Spahroͤfen.
[189]
[190]
[191]
Die
klagenden Muſen und Apoll.
[192]
Der
[193]
Der Liebhaberhut.
Eine wirkliche Begebenheit.
N
[194]
[195]
An
den beruͤhmten Maler
Herrn Rode.
N 2
[196]
[197]
Belloiſens Lebenslauf.
N 3
[198]
[199]
Der Paͤchter und der arme Schaͤfer.
Eine Doſenmalerei-Geſchichte.
[200]
[201]
N 5
[202]
An
Lehnchen R**
uͤber einen Zuckermann.
[203]
[204]
Eine Romanze.
[205]
[206]
[207]
Die Nadelſtichsheilung.
[208]
An
[209]
An
Herrn von G.
den Officier und Dichter.
O
[210]
[211]
O 2
[212]
Duldmanns Rache.
[213]
O 3
[214]
[215]
Skizze einer Epiſtel
an
den Herrn Ober-Conſiſtorialrath Buͤſching.
O 4
[216]
[217]
Die
Waſſersnoth bei Frankfurth an der Oder
im April 1785.
O 5
[218]
[219]
[220]
[221]
An
den beruͤhmten Chodowiecky.
zen kann,
[222]
Schauerlauf
[223]
[224]
Das beſtaͤndige Einerlei.
Sein
[225]
P
[226]
Nachricht
an den
Grafen von Stollberg-Wernigerode
wegen des Rinderhirtens
Johann Chriſtoph Grafes
in Schwiebus, zween Meilen von Zuͤllichow.
[227]
P 2
[228]
[229]
Jeremias Klage
bei
dem Anblick der Flucht ſeines Volkes
aus dem Elſas.
P 3
[230]
[231]
P 4
[232]
[[233]]
Vermiſchte Gedichte.
[[234]][235]
Verſuch einer Dankſagung
an
Koͤnig Friedrich Wilhelm
den Vielgeliebten.
[236]
[237]
An
Ihro Koͤnigliche Hoheit
die
Prinzeſſinn Louiſe,
Tochter des Prinzen Ferdinand
von Preußen K. H.
Als dieſe hoͤchſten Herrſchaften Bellevuͤe beziehen wollten.
[238]
[239]
Ihro Koͤniglichen Hoheit
der
Fuͤrſtinn von Anhalt-Deſſau
gebornen Prinzeſſinn von Brandenburg-
Schwedt
am 24. September 1782.
[240]
Verſuch
[241]
Verſuch eines Geſanges
zur
Geburtsfeier Sr. Excellenz des Koͤniglich Preußiſchen
Kabinets-Miniſters
Grafen von Hertzberg.
Q
[242]
[243]
Q 2
[244]
Ein Gebet an den Mars.
[245]
Q 3
[246]
An
den Herrn Ober-Conſiſtorialrath
Gedicke.
[247]
Q 4
[248]
An
die Frau von Reichmann,
Kommendantin zu Magdeburg.
[249]
Q 5
[250]
Ueber
die Vergleichung.
An Nanntchen.
Den 5. Okt. 1779.
[251]
[252]
Die
goͤttlichverkannte Phillis im Walde.
[253]
[254]
Lied einer alten reichen Wittwe,
die gern Dame werden will.
[255]
[256]
Duett zu einer Operette.
An
[257]
An
die juͤngſte Demoiſelle St*hl.
R
[258]
[259]
R 2
[260]
Dem Andenken
des
Herrn Hofrath Stahl
bei ſeinem Grabe.
[261]
R 3
[262]
[263]
Zuruf an den Fremdling
beim Marmorſarge
Friedrichs des Großen
am 18. Auguſt 1786.
R 4
[264]
[265]
R 5
[266]
An
Mademoiſelle Sack.
[267]
[268]
Ob Sappho
fuͤr den Ruhm ſchreibt?
An
die Frau von Reichmann
den 10. Maͤrz 1762.
[269]
[270]
An die Oſterſonne.
[271]
[272]
Der
[273]
Der Skorpion,
die Schildkroͤte und die Gans.
Eine Traumfabel.
S
[274]
[275]
Der Adler und die Pfeifvoͤgel.
Eine Fabel.
S 2
[276]
Dorimoͤn und Amariethe
in
ihrer neuen Wohnung.
[277]
S 3
[277]
[279]
Phillis, die Helferin.
Eine Idylle an Damon.
1763.
S 4
[280]
[281]
S 5
[282]
[283]
[284]
[285]
Hungers
geſaͤttigtem
vermagſt.
lings
gefallen haſt
nenden
ternden
[286]
- Anmerkung. Dieſe von der Dichterin im Idyllenton bear-
beitete Geſchichte iſt eine wahre Anekdote aus den trau-
rigen Begebenheiten des ſiebenjaͤhrigen Krieges.
[287]
Lieder der Liebe.
Wegen Milon.
[288]
An Milon.
Sie
[289]
T
[290]
An Denſelben.
[291]
T 2
[292]
An
den jungen Tytirus
uͤber eine Roſenknoſpe.
[293]
Amarillis.
T 3
[294]
An Milon.
[295]
T 4
[296]
Elegie auf die Geduld.
[297]
T 5
[298]
An Milons Billet.
[299]
[300]
An
eine Freundin.
[301]
An einen Ingenieur,
Liebhaber der Phyllis.
[302]
[303]
Klagen
uͤber eine geſtorbene Roſe
an meinen Freund
R. *)
[304]
Das
[305]
U
[306]
Eine Rede zu Gott
uͤber die Kuͤrze der Zeit.
[307]
U 2
[308]
[309]
Gedichte
nach vorgeſchriebenen Endreimen.
Siege Lauf Kriege Auf? Minuten Wacht Bluten
Macht. Iliaden Heißt Schaden Beweis’t. Erhoͤhen,
Verſchließt Geſtehen Iſt Trachtet Fraß Geachtet
Vergaß Goͤttern Pflicht Errettern Nicht.
U 3
[310]
[311]
Throne Krone Zopf Kopf Reußen Preußen Spott Gott
Begebenheit zu Wien in der Kaiſerlichen
Burg.
Kroͤnen Toͤnen Sie Harmonie Maͤngel Engel Lied
Bluͤht Wallen Schallen Steht Poet
Den 17teneod.
U 4
[312]
Geſang Lang Schlaf Graf Dacht Racht
Am 21. eod. Abends nach 11 Uhr.
[313]
Ehe Sehe Stand Brand Klage Plage Einerlei
Entzwei Denker Henker Qual Wahl.
Halberſtadt, den 21. Febr. 1762.
U 5
[314]
Ehe Sehe Paradieß Ließ Seide Freude Bruſt Luſt
Lachen Wachen Springt Singt.
Mein Dein Koͤnig Wenig Recht Geſchlecht Leben
Geben Scharf Darf.
Die Habſucht der Koͤnige.
[315]
Lieb Dieb Halten Kalten Mann Trennen Brennen
Dann Hoben Leben Sehr Mehr.
Der Zorn uͤber Thyrſis.
[316]
Wollen Sollen Rollen Kleid Gequollen Moͤglichkeit
Aufgeſchwollen Wiederrollen Zollen Zeit.
Eigenſchaften der Sapho.
[317]
Gedichtet in einer halben Viertelſtunde. Als ſie beim Aus-
fuͤllen dieſer Endreime mitſprechen wollte, und man ihr
ſagte, ſie haͤtte ja genug zu ſchreiben, antwortete ſie:
Anmerk. Man wird faſt aus allen der Dichterin vorge-
ſchriebenen Endreimen ſehn, daß man darauf ausging,
ſie zu einem Quodlibet zu verleiten, allein ihr ſtets ge-
genwaͤrtiger Geiſt wußte ſich auch hier augenblicklich
zu ordnen.
Ode Schwingt Tode Singt Stifte Bahn Laͤſte Schwan
Halberſtadt, den 18. Februar 1762.
[318]
Geiſt Reiſt Denken Lenken Macht Racht Jugend
Tugend Wiz Siz Waͤhlen Quaͤlen Mund Kund
Sterben Erben Licht Bricht Wollen Sollen Bald
Kalt Thraͤnen Sehnen Herz Schmerz Loben Toben
Schuld Geduld Garten Warten Strebt Lebt
Umarmen Erbarmen Gewebt Gelebt.
Halberſtadt, den 20. Febr. 1762.
[319]
[320]
Einfaͤlle.
Neujahrs Geſundheit.
An Herrn D. K.
Schon
[321]
Ueber ein Gemaͤlde.
X
[322]
An Herrn Doktor Kruͤnitz
wegen ihres Pettſchafts.
Der Unterſchied eines Schmauſes und einer
kleinen vergnuͤgten Mahlzeit.
[323]
Guter Rath
wider das Aergerniß uͤber die Thorheit Anderer.
X 2
[324]
Eine Geſundheit.
An Quitungsſtatt geſchrieben.
[325]
Ueber
Friedrichs Weisheit.
X 3
[326]
Mittags, als die Dichterin mit bei dem Dom-
Dechant Spiegel zu Halberſtadt ſpeiſte.
Als ſie eine zum Scherz verfertigte Ordre
an den Kanzeleidirektor Brandhorſt, und ein Exe-
cutoriale auf einem Tiſch fand.
[327]
X 4
[328]
An einen, der das Klavier ſpielte.
Ueber den Aktien-Handel.
Geſundheit.
[329]
An einen Alten.
An den Wein.
X 5
[330]
Recept zur Staͤrkungschokolade.
[331]
An meine Freundin.
[332]
Die neue Verſicherung.
An
einen jungen Herrn von Baronoff,
jetzt Ruß. Kaiſerl. Kreisrichter in Ehſtland.
[333]
An Montan.
An das kommende Jahr.
[334]
Die große That des Julius Caͤſars.
An ein gluͤckliches Volk.
[335]
Bei Erinnerung ihres erſten Freundes.
An den Frieden.
[336]
Aus einer Bußtagspredigt
des Herrn O. C. R. Spaldings.
In Herrn Doct. Kruͤnitz Stammbuch.
Anhang.
[[337]]
Anhang
von Proben ihrer allererſten Dichtart,
wie dieſelbe von Zeit zu Zeit ohne Unterricht
und Huͤlfe ſich bis zu der Hoͤhe geſchwungen,
in welcher ſie beruͤhmt wurde.
Y
[[338]][339]
Neujahrswunſch
an den Rinderhirten.
Y 2
[340]
[341]
An
das Fraͤulein von Moſe.
Hoch- und Wohlgebornes Fraͤulein!
Y 3
[342]
[343]
An
ihren erſten Mann.
Y 4
[344]
[345]
Eine Satire
auf die
Verfaſſung von Schleſien,
waͤhrend der Kaiſerlichen Regierung.
Y 5
[346]
[347]
[348]
[349]
[350]
Arie.
[351]
Ein Fraͤulein, Namens Evchen, will ihren Namen
nicht hoͤren, daruͤber wurde geſungen:
1742.
[352]
An
Se. Majeſtaͤt den Koͤnig von Polen.
Wie
[353]
Z
[354]
[355]
Z 2
[356]
[357]
Z 3
[358]
Das Schickſal.
Sr. Wohlehrwuͤrden
des
Herrn Feldprediger Klettke
bei Gelegenheit deſſen Nahmensfeſtes
geſungen.
1755.
[359]
Z 4
[360]
[361]
Z 5
[362]
Der 13te Mai 1758,
als der
Tag des Schreckens in Glogau.
[363]
[364]
[365]
[366]
[367]
[368]
Der,
[369]
A a
[370]
[371]
A a 2
[372]
[373]
A a 3
[374]
[375]
A a 4
[376]
Schleſiſches Bauerngeſpraͤch
zwiſchen
Vetter Hanß und Muhm Ohrten,
gehalten zu R .... bei Großglogau
im November 1758.
Ih, lange nicht geſahn, und doch noch gut gekannt,
Willkommen Vetter Hans, mei Herz giebt dir die Hand,
Biſt du noch huͤbſch geſund? du ſcheinſt mir nich
recht munter;
J worum ſchlaͤgſt du dann die Augen ſo herunter?
Die Zeiten ſeyn darnach. Wer kann doch luſtig ſeyn,
Der Krieg iſt noch nich gar; und nach dem prophezeyn
Soll er ſich eher nich als in fuͤnf Jahren ſchluͤßen.
Wie vielmal wird man da noch Haber liefern muͤßen;
Und Haber nich allein auch Stroh und Heu und Korn.
Wer kann ſich helfen, wanns der liebe
Goot im Zorn
Nu ſo beſchloſſen hat, ſo muͤßen wir es tragen.
Doch jo fuͤrwohr! du darfſt dich uͤbern Krieg beklagen;
[377] Die andre Woche trug ich Butter in die Stadt,
Da laß des Buͤrgers Frau das Breßlau’r Zeitungsbladt,
Da magſt dus glaͤuben hat mich durch und durch
gefroren.
Die Ruſſen do ſie nu die große Schlacht verloren
Die haben auf der Flucht das Muͤthel ſich gekuͤhlt.
Man ſpricht daß der Coſack nur wie a Ochſe fuͤhlt,
Un wannn a nich wie wir im Ausſahn menſchlich waͤre
So daͤchte man a waͤr die Zucht von Zeidelbaͤre,
Und wie geſoht a Ruß, der muß kei Menſch nicht ſeyn
Sunſt kaͤm ihm doch auch mohl a bißel Mitleid ein
Sonſt wuͤrd a nimmermehr ſo ſengen und ſo brennen
Und ſo den armen Baur das Saamkorn naͤhmen koͤnnen.
Bedenk dirs nur a mahl wie dir zu muthe waͤr,
Wenn ſulch a Feind nu kaͤm der deine Scheuren leer
Und deine Speicher rein von Gruͤz und Graupe machte,
Dich ſchaͤndlich pruͤgelte, und wenn du flenteſt lachte,
Dir Kuͤh und Kaͤlber naͤhm; und Ochſen von dem Pflug
Dir fuͤr die Koͤpfe ſchluͤg, und dich den groͤſten Krug
Dan du im Hauſe haͤttſt, mit Brandwein fuͤllen hieße,
Und dir dan lezten Rock glat von dem Buckel riße.
Jo lieber Vetter Hans die Breßla’ur Zeitung ſoht
Es iß a Volk was niſcht nach Goot nach Menſchen froht,
Sie laßen einen nich a mohl das Hemd am Leibe;
Und mancher Man der muß mit ſeinem jungem Weibe
Su was beginnen ſahn was ſich nu gar nich ſchickt,
A a 5
[378] Man redt nich gern davon. Und wirklich man erſchrickt,
Wenn man die Dinge hoͤrt, es iß gar nich zum lachen,
Sie ſolns a wing zu arg mit jungen Frovolk machen.
Du Vetter Hans du haſt och noch a huͤbſches Weib,
Die waͤr fuͤr den Coſack a bißel Zeitvertreib,
Du argerteſt dich naͤrſch, und das in einer Stunde.
Mit einer Senſe hieb ich ſieben ſolche Hunde
Recht in die Mitten duach. Muhm Ohrte, hohl mich
Goot
Mir ſolten nimmermehr a ſolch verdammter Spoot
Vom boͤſen Volk geſchehn, was? mir mein Weib
zu ſchaͤnden?
Zehn Kerls die muͤſten erſt vor mir das Leben enden.
Denn die ich nich erhieb, die ſpieſt ich an die Wand.
Du armer Stuͤmper du, redſt wie Hans
Unverſtand.
Der Muſkowitter fragt dir viel nach deiner Senſe
A naͤhme dir dein Weib, und wenn du funfzehn Haͤnſe
Die auch ſo patzig thun noch zu Gehuͤlfen naͤhmſt,
Und wenn du hundertmal mit deiner Gabel kaͤmſt,
Wie wuͤrd a das Gewehr dir an dan Schaͤdel ſetzen,
Sein Saͤbel wuͤrde dir das kluge Maul zu fetzen,
Denn wo viel Hunde ſind da iß der Haaſen Todt.
Der liebe Goot bewahr uns weiter fuͤr der Noth,
Wir ſitzen hier gewiß noch wie im Roſengarten
[379] Du kanſt dein Ackerwerk wie ſichs gehoͤrt abwarten,
Dort in den Laͤndern wo der Krieg ſich tummeln geht,
Da pfluͤgt, da ſaͤt man nich; und was im Felde ſteht
Iſt fuͤr die Reuterey, es ab zu furagiren.
Wans ſo iß darf mans nich erſt in die
Scheune fuͤhren.
Doch Spaß bei Seit geſetzt, Muhm Ohrte du redſt wahr,
Der gar zu ſchwere Krieg der kruͤmmt uns noch kei Haar,
A kommt uns dann und wan nur ſo a bißel nekken;
Verwichen kamen uns die Rußen och erſchroͤcken,
Doch haben wir da Schroͤck nich ſunderlich gefuͤhlt,
Es kam uns nur ſo fuͤr als wan ſichs Wetter kuͤhlt.
Denn Gott ſey Lob und Dank! ſie ſeyn noch nich
gekommen
Und haben uns von Stroh die Betten weggenommen;
Ich kann in Sicherheit noch meine Furchen ziehn
Und wenn ich hintern Pflug mich heiſcher gnug geſchrien,
Da denk ich Abends dann auch an das Ausgeſpanne,
Da fahr ich heim, und dann kommt meine liebe Anne
Und lacht mich freundlich an, und dreymal ſtreichelt ſie
Mich um das Kinn herum, und macht daß ich die Muͤh
Die mir der Pflug gemacht ſchon halb und halb vergeße,
Nu wird der Tiſch gedeckt, ich ſetze mich und eße
Mei Kaͤſenbrod mit ihr, und meinen Hirſchebrey
Und eine dicke Milch, das ſeyn der G’richte drey,
Die ſchmecken mir und ihr ſo gut und zehnmal beßer
[380] Als in der großen Stadt dem Leckerbißel Eßer
Das ausgeſchlurfte Ding, wie heſts doch immer mehr?
Wie wul ich mag es nich, denn mir graut viel zu ſehr.
A ſulcher Schnecken-Fraß iß nicht fuͤr unſer einen,
Der Staͤdter ſpuͤlt ſichs ab mit theuren Unger Weinen.
Ich wull ſo ſatt wie er trink Waſſer aus dem Quell,
Das ſchmeckt aufs Kaͤſenbrodt und iß ſo klar und hell,
Als wie der Himmel iß am ſchoͤnen Fruͤhjahr Morgen,
Ich trinke mich nich krank, und keiner Schulden Sorgen
Die ſchleichen mir a nach bei dem zu Bettegehn;
Und nu thut Annel erſt mit mir recht wunderſchoͤn.
So muͤd als ich auch bin ſo kan ſie doch nicht laßen,
Sie muß mit ihren Arm mich um den Naken ſaßen.
Wie lucker thut mir das, mich ſchlaͤffert wull recht ſehr,
Sie aber guſchelt mich und ſchmeichelt immer mehr,
Bis ich ihr gute Nacht mit großem Schmunzeln ſage,
Und nu verſchlafen wir des Tages Laſt und Plage.
Wir ſchnarchen ungeſtoͤrt, kein Krieg und Kriegsgeſchrei
Weckt mich und ſie vom Schlaf, der Morgen kommt
herbei.
Der Haushahn kraͤht zweimal und macht daß wir er-
wachen,
Ich gaͤhn a mal und heiß mei Annel Licht anmachen.
Sie iß a flinkes Weib, kaum hab ich ausgeredt
So ſpringt ſie eichel ganz und munter aus dem Bett.
Ich fahr ihr hurtig nach, und bet a Morgen-Seegen,
[381] So kurz als moͤglich iß; denn unſers Herr-Goots wegen
Verwendt man nicht viel Zeit. Verzeih mirs Goot!
wir ſeyn
Zum Flegel nur gemacht, und zu den Picheleyn.
Doch iß ihm auch vielleicht das kurze Stoßgebethe
Wohl angenehmer noch als wenn ich heilig thaͤte,
Als wie der Staͤdter thut, ders Auge wie a Kalb
Im Kopfe rummer draͤht, und doch ſei Harze halb
An ſeinen Wucher haͤngt, und halb an die Dukaten,
Wir Bauersleute thun was unſre Vaͤter thaten.
Wir beten kurz und gut, und gehn zur Arbeit hin:
Du kanſt mirs glaͤuben wenn ich in der Scheune bin
Und nu den Flegel ſo mit beiden Armen ſchwenke,
Daß ich bei jedem Schlag an lieben Goot gedenke.
Und wenn der Flegel nu den Hunger hat erweckt,
Dann fuͤhl ichs recht wie gut das warme Fruͤhſtuͤck
ſchmeckt.
Kein Talpatſch, kein Pandur und wie ſie alle heißen,
Kommt nicht um mir das Brodt vom Maule weg-
zureißen.
Ich habe Ruh und Brodt.
J ja! erkenſt dus nu?
Vor hingſt du jo den Kopf als wenn du keine Ruh
Und keinen Bißen Brodt mehr in der Huͤtte haͤtteſt,
Als wenn du mit der Flucht dich fuͤr den Feinde retteſt.
Ja unſer Herr Goot machts euch Leuten keinmal recht,
[382] Es waͤr kein Wunder nich daß er euch ſtrafen moͤcht.
Ihr ſeyd wohl blind und taub und gar von Sin-
nen kommen,
Sonſt ſaͤht ihrs ja daß er uns hat in Schutz genommen.
Ihr ſchmaͤhlet auf den Krieg, da doch der Krieg
nich kam
Und euch durch Feur und Schwerdt noch das geringſte
nahm.
Das bißel Liefern iß nu alles was ihr traget
Woruͤber ihr nu gar a ſu abſcheulich klaget;
Doch keiner iß ſo klug, und keiner denket dran,
Daß oft der Kuͤnig kaum fuͤr Sorge eßen kann.
Och lieber Vetter Hans es iß nich auszuſogen,
Wie vielen Kummer och der große Herr muß trogen,
Er hat dir meiner Seel nich eine Stunde Ruh,
Wie manche Nacht thut er wohl nich a Auge zu.
Gedenk dir nur einmal, Er ſchlug die Mußcowitter
Und trieb ſie von uns weg als wie a ſchwer Gewitter
Zuruͤck getrieben wird, wenns Goot dem Winde ſogt,
Daß a wo anders hin die ſchwarzen Wolken jogt.
Und als Er fertig war muſt Er ſich jaͤhlig wenden,
Er ging nach Sachſen zu. Er muß an allen Enden
Mit an der Spitze ſeyn. Denn wo der Kuͤnig ſteht,
Da weis man ſchon wie gut die ganze Sache geht.
Ach ja es geht ju doch nicht allemal zum beſten,
Den geſtern hoͤrt ich was von unſers Scholzes Gaͤſten;
[383] Sie kamen aus der Stadt bey ihn zur Kuͤrmes raus,
Doch ſie erzaͤhlten ihm die Sache nicht recht aus.
Von Oeſterreichern wars und och vom Ueberfalle,
Und do ich horchen wolt do wor das Ding ſchon alle.
Ho, ho wenns ſunſt niſcht iß, das Ding
iß mir ſchon alt,
Und ich vergaß es nur, ſonſt haͤtt’ ich dir es bald
Von Anfang her erzaͤhlt, ich will dirs nur noch ſogen:
Bey tage wolte ſich kein Oeſterreicher ſchlogen.
Im Finſtern kamen ſie; ſo wie in mancher Nacht
Der Marder ſich a Loch an meiner Schwelle macht,
Und durchgekrochen komt die Huͤhner todt zu beißen,
Sie krochen uf den Bauch ins Lager zu den Preußen,
Da alles noch im Zelt und tiefem Schlafe lag,
Doch wacker wurden ſie bezahlet auf den Tag.
Gevatter Urßels Mann der hat es hergeſchrieben,
Daß gar a ſchmaͤhlich Volk iß auf den Plaz geblieben,
Viel Todten lagen da und niſcht gewonnen ſie,
Und gleichwohl thun ſie dick, es lohnt ſich fuͤr die Muͤh.
Das kommt mir bald ſo fuͤr als wie vor vierzehn Tagen
Des Kretſchmers Knecht im Schlaf da Hofeknecht ge-
ſchlagen.
A ſchlug ihn nur a mal, und der ſprang auf und ſchlug
Des Kretſchmers Knecht daß man ihn auf der Trage
trug.
Ich daͤchte, wenn ſie ſtill von ihren Thaten ſchwiegen,
[348[384]] Durch Großthun werden ſie die Schleſge doch nich
kriegen.
Es waͤr och gar nicht gut, doch das laͤſt Goot nich zu,
Gelt, lieber Vetter Hanß, du denkſt doch och a ſu?
J freilich denck ich ſu, denn wenns Goot
wollen haben,
So haͤtte ja der Krieg die Preuſſen ſchon begraben.
Das iß gar nich erhoͤrt, daß ſich a einzger Mann,
Der eine Crone traͤgt, mit fuͤnfen ſchlagen kann,
Und immer Plaz behaͤlt. Das Schlagen waͤhrt ſo lange,
A paar mahl kam a och ſchun ziemlich ins Gedrange.
Doch eh man ſichs verſoh kam Kuͤnig Friedrich rauß,
Und trieb ſie fuͤr ſich her; als wie jezund ums Haus
Der Wind die Blaͤtter treibt, die von dem Birnbaum
fielen.
Sie purzeln fuͤr ihn hin wie Aepfel mit
den Stielen,
Wenn zu der Erndtezeit a ſtarker Regen gieſt,
Und wenn a grau Gewoͤlk mit weißen Kugeln ſchießt.
Es kan nicht anders ſeyn Goot iß auf ſeiner Seite,
Sonſt ſchaft ers nimmermehr. Das ſprechen alle Leute,
Die klug und ehrlich ſeyn.
Ich ſprech es ſelber auch;
Du Muhme kennſt mich ſchon, es iß nich mei Gebrauch,
Daß ich ſchmaruzen kann, ich rede wie ichs meine,
Mei
[385] Mei Herz iß wie mei Maul natuͤrlich wie das deine.
Bey meiner Guͤte ju, mei Herze ſoht es mir,
Daß unſer Herr Goot ſelbſt des Kuͤnigs Sache fuͤhr.
J ja der Kuͤnig fuͤhrt des lieben Gottes
Sache,
Druͤm laͤſt ers nich geſchan daß man ihn klener mache.
Das muß och nich geſchan; wenn wir wolln
Gott vertraun,
Der wird des Kuͤnigs Stuhl vielleicht noch groͤßer baun.
Das war doch noch a Wort, nu bin
ich Vetter Hanßen
Auch noch a mahl ſo gut, nu ſoll a ſeinen Banßen
Noch groͤßer muͤßen baun, wenn wieder Erndte iſt.
Doch ſog mirs Vetter Hans ob du nich hungrig biſt.
Mit dem Geſchwaͤtze hat man ja das bißel Eßen
Was dort im Ofen ſteht gar rein in Todt vergeßen,
Ich werde Kraut uf thun.
Nei laß ihn ſtehn a Topf,
Die Kirmes ſteckt mir noch im Magen und in Kopf,
Erſt geſtern hat ſie ſich in unſern Dorf beſchloßen.
Muhm Ohrte hoͤr nur her es hat mich recht verdroßen,
Daß du auch nich a mahl zu mir zur Kirmes kahmſt.
Das dacht ich daß du mirs recht ſehr
fuͤr uͤbel nahmſt,
B b
[386] Doch lieber Vetter Hans ich hat dirs nich verſprochen
Du weiſt doch daß ich erſt vor fuͤnf und zwanzig
Wochen
Den Mann begraben lies, und ſo verlaſſen blieb,
Das Leben ſelber iß mir vielmal nich mehr lieb.
Man iſt ſei bißel Brodt nu ſo allein mit Thraͤnen,
Wie ſulte man ſich doch nach Kirmes-Gaͤngen ſehnen.
Was das fuͤr Poßen ſeyn du wunder
liches Ding,
Di Kirmes die vertreibt die Grillen noch a wing.
Du biſt noch [jung] und glauch, du wirſt doch ſo nich
bleiben?
Wer tauſend wuͤrde dir die lange Zeit vertreiben.
Ich glaͤube gar du flennſt, a ſcham dich doch ins
Herz,
Wer todt iß der iß todt.
Ach mir kann menen Schmerz
Und meine Traurigkeit niſcht uf der Welt vertreiben,
Mir ſtarb a lieber Man ich muſt alleine bleiben,
A Man ſo friſch und roth voll wie a voller Mond,
Wie Kinder haben wir beyſammen ja gewohnt.
Ach die fuͤnf viertel Jahr die gingen wie fuͤnf Tage
Ja wie fuͤnf Stunden hin, ich hatte keine Klage.
Wie gut war der Begang, was ich wolt wolt auch er,
Es war als wenns ei Herz und eine Seele waͤr.
[387] A ſah mich manchmal an was ich fuͤr Augen machte,
[Und] wußt dirs uffen Taußt das was ich wuͤnſcht und
dachte.
A war ne gude Haut, doch laß ihn im-
mer ruhn
Und eh du um den Man dir ſult a Leid anthun,
Eh wuͤſt ich andern Rath.
Ach Vetter ſtillgeſchwiegen,
Das was verloren iß das werd ich nich mehr kriegen.
Nu nu kumt Zeit kumt Rath, ufs Neu-
jahr haſt du mich,
Gewißlich wieder hie, nu Goot bewahre dich,
Bleib huͤbſch geſund.
O nein ſo war ſie nich die Wette,
Ich daͤchte wenn man vor a wing gegaßen haͤtte.
Muhm Ohrt es iß ſo gut als wenn es
war geſchahn.
Bei Freunden ſucht man nur a G’richte gern geſahn.
Mich hungert wirklich nich ich mag nich einen Bißen.
Dein Eigenſinn der iſts, ich muͤſt es
gar nich wiſſen.
Nu nimm das Maßer raus, geh nicht ungeßen fort.
Ich daͤcht du kenteſt mich und daß bei
mir a Wort
B b 2
[388] So viel als tauſend gilt, laß mich doch nich erſt ſchwoͤren,
Genug ich eße nich und wenns Lampreten waͤren,
Bleib nur derweil geſund.
Iß kein erhalten mehr,
So kumm ufs neue Jahr ich bitte dich recht ſehr.
Wenn du zu Hauſe kumſt ſo gruͤße mir ganz ſchoͤne
Dei Annel, und dernach auch die Gevatter Lehne.
Gevatter Lehne hat jezunder einen Gaſt,
Allein a iß ihr lieb, a wird ihr nich zur Laſt.
Ihr Bruder Martin iſts, du wirſt ihn doch wohl kennen,
Die Menſcher ſitzen uft a ganzen Abend flennen,
Wenn a vom Krieg erzaͤhlt, denn a beſchreibt diers recht.
J machſt du doch daß ich ihn ſelber
hoͤren moͤcht.
Wer weis bring ich ihn nich aufs neu Jahr
mit Muhm Ohrte,
Topp, lieber Vetter Hans, ich halte
dich beym Worte.
[389]
Die goͤttliche Vorſehung.
[390]
[391]
[392]
Ende.
Appendix A Berichtigungen.
Lebenslauf.
- Seite 7 Zeile 15 ſtatt theils in ihre Kehle ꝛc.; in ihrer Kehls.
- — 8 — in der Note lies ſtatt von, vor jedem ꝛc.
- — 9 — 14 ſtatt in allen, in Allem.
- — 29 — 14 ſtatt vor ſie, fuͤr ſie.
- — 38 — 5 ſtatt dieſem, ihrem.
- — 89 — 22 ſtatt in dem, in den.
- — 91 — 12 ſtatt unermeßlich, unvergleichlich.
- — 96 — 8 ſtatt fremder, fremden.
- — 102 — 18 ſtatt immer, innen.
- — 112 — 16 ſtatt der, Ihr Wunſch.
- — — ganz unten leſe man: den ſuͤßen Glauben an Freund-
ſchaft. - — 118 Zeile 19 ſtatt unglaublich, ungeduldig.
- — 121 ſechste Zeile von oben, lies: Andenkens-Taſſe.
- — 127 — 19 ſtatt Reichsgrafen, regierenden Grafen.
Gedichte. - — 47 — 1 ſtatt Herr, Heer.
- — 57 — 4 ſtatt Wolfenbuͤttel, Luͤneburg.
- — 160 — 15 ſtatt ſondern, ſonder.
- — 252 — 9 leſe man: betrachten ſtand er ꝛc.
- — 281 — 17 ſtatt Ordnung, Unordnung.
- — — — 18 ſtatt eleganteſten, alabaſternen ꝛc.
- — 285 — 8 ſtatt Thraͤnen, Thraͤnen.
Statt Seite 301 leſe man 287. - — 303 — 1 ſtatt Juͤnks, Junkes.
- — 304 — 7 ſtatt Taue, Thaue.
- — 307 — 12 ſtatt danken, denken.
[][]
wie nichtig, ach wie fluͤchtig iſt der Menſchen Leben〟 wel-
ches ihr Lieblingslied war, und woraus man auf ihre Den-
kungsart ſchließen kann, hat ſie noch in ihrem ſpaͤten Alter
mit einer ſo bewundernswuͤrdigen Anmuth geſungen, daß
ihre Kinder es nicht genug ausſagen koͤnnen.
ihre Stimme geerbt, verlor aber dieſelbe in ſeinem 24ſten
Jahre durch eine Verkaͤltung: dennoch konnte man in ſei-
nem 34ſten Jahre noch aus den Ueberbleibſeln ſchließen, was
ſie geweſen war. Die Fertigkeit ſeiner Toͤne, das Neue,
Saͤße und das Eigene, welches jederzeit eine Menſchen-
ſtimme von jedem Inſtrumente auszeichnen ſollte, wenn ſie
Stimme zu heißen verdiente — war noch weit im maͤnn-
lichen Alter hin in ſeinem Geſange, und alle ſeine Toͤne, ſo
kuͤnſtlich ſie zu ſeyn ſchienen, gingen ins Herz, weil es Na-
tur war, welche ſie ihm in die Kehle gab.
geheißen hat; die Dichterin ſchrieb ſich Duͤrbach, gleichwol
hat ſich eine ihrer erſten Poeſien aufgeſunden, in welcher
ſie ſich Derbach nennt.
erleſene Gedichte von A. L. Karſchin, 1763 zu
Berlin herausgekommen ſind.
nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar-
ſches Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter
Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank-
furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa-
che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan-
delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte
Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem-
ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun-
derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs-
recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn
wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach-
te! — Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe
das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns
aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan-
zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei-
ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen
war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin
in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes
ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie
that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte
Soldat bleiben.
Halle.
ner ſich gegen die verungluͤckten Ruppiner verhielt; nicht
allein die Großen und Edlen, ſondern auch die armen
Dienſtboten trugen zur Unterſtuͤtzung bei, und wol [...]me-
zens ſo allgemein, als bei dieſer traurigen Gelegenheit.
es hier nicht aufgenommen ſeyn, wenn nicht zu vermuthen
waͤre, daß man ſolchen Leſern einen Gefallen damit erzeig-
te, welche bei den letzten Zuckungen einer Genieflamme,
wie bei den ſichtbaren Herzensſchlaͤgen eines aufgeſpann-
ten Thierchens Anatomiſche Denker ſind.
welche ſie mit ihrer gewoͤhnlichen Leichtigkeit im hoͤchſten
Beiſein der Prinzeſſin mit Gedanken ausfuͤllte.
nen Rappen ſchon angeredet, ihn zur Dichterinn zu tragen
waͤre aber ploͤtzlich abgerufen worden.
Tiſche geladen.
dene Gedichte in dieſer Sammlung gerichtet ſind.
welche damals durch die groſſen Ueberſchwemmungen ver-
armt waren.
Muſenſohn.
deshalb hier eingeruͤckt.
wegen poetiſcher Schoͤnheit hier aufgenommen iſt, ſondern
bloß deswegen, weil ſie den Charakter des hierdurch an-
geredeten wuͤrdigen Gegenſtandes ſo natuͤrlich und wahr
ſchildert.
kolai zu Berlin.
Gegenſtandes wuͤrdiger waͤre, ſich vorgeſunden hat, muß
es entſchuldigen, daß dieſes in der Sammlung aufgenom-
men ward.
von 1643 bis 1651, war es unter der Benennung des
Schifflein Chriſti, eine Kirche fuͤr die Evangeliſche Gemeinde.
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- TextGrid Repository (2025). Karsch, Anna Luise. Gedichte von Anna Louisa Karschin geb. Dürbach. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmtw.0