[58]

Der Triumf der Liebe,
eine Hymne.



Seelig durch die Liebe

Goͤtter – durch die Liebe

Menſchen Goͤttern gleich!

Liebe macht den Himmel

Himmliſcher – die Erde

Zu dem Himmelreich.
Einſtens hinter Pyrrhas Ruͤken,

Stimmen Dichter ein,

Sprang die Welt aus Felſenſtuͤken,

Menſchen aus dem Stein.
Stein und Felſen ihre Herzen

Ihre Seelen Nacht,

Von des Himmels Flammenkerzen

Nie in Glut gefacht.
[59]
Noch mit ſanften Rosenketten

Banden junge Amoretten

Ihre Seelen nie –

Noch mit Liedern ihren Buſen

Huben nicht die weichen Muſen

Nie mit Saitenharmonie.
Ach! noch wanden keine Kraͤnze

Liebende ſich um!

Traurig fluͤchteten die Lenze

Nach Eliſium.
Ungegruͤßet ſtieg Aurora

Aus dem Schoos Ozeanus.

Ungekuͤſſet ſank die Sonne

In die Arme Heſperus.
Wild umirrten ſie die Hayne,

Unter Lunas Nebelſcheine,

Trugen eiſern Joch.

Sehnend an der Sternenbuͤhne

Suchte die geheime Thraͤne

Keine Goͤtter noch.

[60]
Und ſieh! der blauen Flut entquillt

Die Himmelstochter ſanft und mild,

Getragen von Najaden

Zu trunkenen Geſtaden.
Ein jugendlicher Mayenſchwung

Durchwebt wie Morgendaͤmmerung

Auf das allmaͤchtge Werde

Luft, Himmel, Meer, und Erde.
Schon ſchmilzt der wuͤtende Orkan,

(Einſt zuͤchtigt’ er den Ozean

Mit raſſelndem Gegeiſſel)

In liſpelndes Geſaͤuſel.
Des holden Tages Auge lacht

In duͤſtrer Waͤlder Winternacht,

Balſamiſche Narziſſen

Bluͤhn unter ihren Fuͤßen.
[61]
Schon floͤtete die Nachtigall

Den erſten Sang der Liebe.

Schon murmelte der Quellen Fall

In weiche Busen Liebe.
Gluͤkſeeliger Pygmalion!

Es ſchmilzt! es gluͤht dein Marmor ſchon!

Gott Amor Ueberwinder!

Gluͤkſeeliger Deukalion,

Wie huͤpfen deine Felſen ſchon!

Und aͤugeln ſchon gelinder!

Gluͤkſeeliger Deukalion,

Umarme deine Kinder!

Seelig durch die Liebe

Goͤtter – durch die Liebe

Menſchen Goͤttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmliſcher – die Erde

Zu dem Himmelreich.

[62]
Unter goldnem Nektarſchaum

Ein wolluͤſtger Morgentraum

Ewig Luſtgelage

Fliehn der Goͤtter Tage.
Praͤchtig ſpricht Chronions Donnerhorn,

Der Olympus ſchwankt erſchroken

Wallen zuͤrnend ſeine Loken

Sfaͤrenwirbeln gibt ſein Athem Sporn,

Goͤttern laͤßt er ſeine Throne,

Niedert ſich zum Erdenſohne,

Seufzt arkadiſch durch den Hayn,

Zahme Donner untern Fuͤſſen,

Schlaͤft, gewiegt von Ledas Kuͤſſen,

Schlaͤft der Rieſentoͤder ein.
Majeſtaͤtſche Sonnenroſſe

Durch des Lichtes weiten Raum

Leitet Foͤbus goldner Zaum,

Voͤlker ſtuͤrzt ſein raſſelndes Geſchoſſe

[63]
Seine weiſſen Sonnenroſſe,

Seine raſſelnden Geſchoſſe

Unter Lieb und Harmonie

Ha! wie gern vergaß er ſie!
Zitternd vor der Goͤtterfuͤrſtin

Kruͤmmen ſich die Goͤtter, duͤrſten

Nach der Gnade goldnem Thau.

Sonnenglanz iſt ihre Schminke

Myriaden jagen ihrem Winke

Stolz vor ihrem Wagen prahlt der Pfau.
Schoͤne Fuͤrſtin! ach die Liebe

Zittert mit dem ſuͤßen Triebe

Deiner Majeſtaͤt zu nahn.

Seht ihr Chronos Tochter weinen?

Geiſter kann ihr Wink verneinen,

Herzen weißt ſie nicht zu fahn.

Seelig durch die Liebe

Goͤtter – durch die Liebe

[64]
Menſchen Goͤttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmliſcher – die Erde

Zu dem Himmelreich.

Liebe ſonnt das Reich der Nacht,

Amors ſuͤßer Zaubermacht

Iſt der Orkus unterthaͤnig,

Freundlich ſchmollt der ſchwarze Koͤnig

Wenn ihm Zeres Tochter lacht;

Liebe ſonnt das Reich der Nacht.
Himmliſch in die Hoͤlle klangen

Und den wilden Beller zwangen

Deine Lieder, Thrazier –

Minos, Thraͤnen im Geſichte,

Mildete die Qualgerichte,

Zaͤrtlich um Megaͤrens Wangen

Kuͤßten ſich die wilden Schlangen,

Keine Geiſſel klatſchte mehr,

Aufgejagt von Orfeus Leyer

Flog von Tityon der Geyer
[65]
Leiſer hin am Ufer rauſchten

Lethe und Kozytus, lauſchten

Deinen Liedern Thrazier,

Liebe ſangſt du Thrazier.

Seelig durch die Liebe

Goͤtter – durch die Liebe

Menſchen Goͤttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmliſcher – die Erde

Zu dem Himmelreich.

Durch die ewige Natur.

Duͤftet ihre Blumenſpur,

Weht ihr goldner Fluͤgel.

Winkte mir vom Mondenlicht

Afroditens Auge nicht

Nicht vom Sonnenhuͤgel?
[66]
Laͤchelte vom Sternenmeer

Nicht die Goͤttin zu mir her,

Wehte nicht ihr Fluͤgel

In des Fruͤhlings Balſamhauch

Liebe nicht im Roſenſtrauch,

Nicht im Kuß der Weſte,

Stern, und Sonn und Mondenlicht,

Fruͤhling, Roſen, Weſte nicht

Luͤden mich zum Feſte.

Liebe Liebe laͤchelt nur

Aus dem Auge der Natur

Wie aus ihrem Spiegel!
Liebe rauſcht der Silberbach,

Liebe lehrt ihn ſanfter wallen;

Seele haucht ſie in das Ach

Klagenreicher Nachtigallen,

Unnachahmliches Gefuͤhl

In der Saiten Wonneſpiel

Wenn sie Laura! hallen.

Liebe Liebe liſpelt nur

Auf der Laute der Natur.
[67]
Weisheit mit dem Sonnenblik,

Große Goͤttin tritt zuruͤk,

Weiche vor der Liebe.

Nie Erobrern, Fuͤrſten nie

Beugteſt du ein Sklavenknie

Beug es izt der Liebe.

Wer die ſteile Sternenbahn

Gieng dir Heldenkuͤhn voran

Zu der Gottheit Size?

Wer zerriß das Heiligthum

Zeigte dir Eliſium

Durch des Grabes Rize?

Lokte ſie uns nicht hinein,

Moͤchten wir unſterblich ſeyn?

Suchten auch die Geiſter

Ohne ſie den Meiſter?

Liebe Liebe leitet nur

Zu dem Vater der Natur

Liebe nur die Geiſter.

[68]
Seelig durch die Liebe

Goͤtter – durch die Liebe

Menſchen Goͤttern gleich.

Liebe macht den Himmel

Himmliſcher – die Erde

Zu dem Himmelreich.

Y.

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TextGrid Repository (2025). Schiller, Friedrich. Der Triumf der Liebe. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmr7.0