beiGeorg Joachim Göſchen
1787.
[][[1]]
Dom Karlos.
A
[[2]]
Perſonen.
- Philipp der Zweite, Koͤnig von Spanien.
- Eliſabeth von Valois, ſeine Gemahlinn.
- Dom Karlos, der Kronprinz.
- Alexander Farneſe Prinz von Parma,
- Neffe des Koͤnigs.
- Infantinn Klara Eugenia, ein Kind von
drei Jahren. - Herzoginn von Olivarez, Oberhofmeiſterinn.
- Marquiſinn von Mondekar,
- Prinzeſſinn von Eboli,
- Graͤfinn Fuentes,
- Marquis von Poſa, ein Maltheſer-
ritter, - Herzog von Alba,
- Graf von Lerma, Oberſter der Leibwache
- Herzog von Feria, Ritter des Vließes
- Herzog von Medina Sidonia, Ad-
miral, - Dom Raimond von Taxis, Oberpoſt-
meiſter, - Domingo, Beichtvater des Koͤnigs.
- Der Großinquiſitor des Königreichs
- Der Prior eines Karthäuſerkloſters.
- Ein Page der Königinn.
- Dom Ludwig Merkado, Leibarzt der Königinn.
- Mehrere Damen und Granden, Pagen,
Offiziere, die Leibwache und verſchiedene
ſtumme Perſonen.
Damen
der
Königinn.
Gran-
den von
Spa-
nien.
Erſter Akt.
Erſter Auftritt.
Die ſchönen Tage in Aranjuez
ſind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit
verlaſſen es nicht heiterer. Wir ſind
vergebens hier geweſen.
Brechen Sie
dieß räthſelhafte Schweigen. Öffnen Sie
Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu theuer
kann der Monarch die Ruhe ſeines Sohns —
A 2
[4]Dom Karlos.
des einz’gen Sohns — zu theuer nie erkaufen.
Der Arm der Könige reicht weit — Wär’s
möglich?
Wär’ noch ein Wunſch zurücke, den der Himmel
dem liebſten ſeiner Söhne weigerte?
Ich ſtand dabei, als in Toledo’s Mauern
der ſtolze Karl die Huldigung empfing,
als Fürſten ſich zu ſeinem Handkuß drängten,
und jetzt in Einem — Einem Niederfall
ſechs Königreiche ihm zu Füßen lagen —
ich ſtand und ſah das junge ſtolze Blut
in ſeine Wangen ſteigen, ſeinen Buſen
von fuͤrſtlichen Entſchlüſſen wallen, ſah
ſein trunknes Aug’ durch die Verſammlung fliegen,
in Wonne brechen — Prinz, und dieſes Auge
geſtand: Ich bin geſättigt.
Dieſer ſtille
und feierliche Kummer, Prinz, den wir
acht Monde ſchon in Ihren Blicken leſen,
das Räthſel dieſes ganzen Hofs, die Angſt
des Königreichs, hat Seiner Majeſtät
ſchon manche ſorgenvolle Nacht gekoſtet,
ſchon manche Thräne Ihrer Mutter.
Mutter?
[5]Erſter Akt.
Prinz?
O Himmel, gib, daß ich es dem vergeſſe,
der ſie zu meiner Mutter machte!
Prinz?
Hochwürd’ger Herr — ich habe ſehr viel Unglück
mit meinen Müttern. Meine erſte Handlung,
als ich das Licht der Welt erblickte, war
ein Muttermord.
Iſt’s möglich, gnäd’ger Prinz?
Kann dieſer Vorwurf Ihr Gewiſſen drücken?
Und meine Neue Mutter — hat ſie mir
nicht meines Vaters Liebe ſchon gekoſtet?
Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein
ganzes
Verdienſt war noch, ſein Einziger zu ſeyn.
[6]Dom Karlos.
Sie gab ihm eine Tochter — O wer weiß
was in der Zeiten Hintergrunde ſchlummert? —
Sie ſpotten meiner, Prinz. Ganz Spanien
vergöttert ſeine Königinn — Sie ſollten
nur mit des Haſſes Augen ſie betrachten?
Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören?
Wie, Prinz? Die ſchönſte Frau auf dieſer Welt,
beim erſten Blick Monarchinn ohne Krone,
kaum zwei und zwanzig Frühlingen entflogen,
und Königinn — und ehmals ihre Braut?
Unmöglich Prinz! Unglaublich! Nimmer-
mehr!
Wo alles liebt kann Karl allein nicht haſſen,
ſo ſeltſam widerſpricht ſich Karlos nicht.
Verwahren Sie Sich Prinz, daß ſie es nie
wie ſehr ſie ihrem Sohn mißfällt erfahre,
die Nachricht würde ſchmerzen.
Glauben Sie?
Wenn Eure Hoheit ſich des letzteren
Turniers zu Saragoſſa noch entſinnen,
wo unſern Herrn ein Lanzenſplitter ſtreifte —
Die Königinn mit ihren Damen ſaß
[7]Erſter Akt.
auf des Pallaſtes mittlerer Tribune
und ſah dem Kampfe zu. Auf einmal rief’s:
„Der König blutet!“ — Man rennt durch
einander,
ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr
Der Königinn; „Der Prinz?“ ruft ſie und will,
und will ſich von dem oberſten Geländer
herunterwerfen. — „Nein! Der König ſelbſt.“
gibt man zur Antwort — „So laßt Ärzte
hohlen!“
erwiedert ſie indem ſie Athem ſchöpfte.
Sie ſtehen in Gedanken?
Ich bewundre
des Königs luſt’gen Beichtiger, der ſo
bewandert iſt in witzigen Geſchichten.
Doch
hab’ ich immer ſagen hören, daß
Geberdenſpäher und Geſchichtenträger
des Übels mehr auf dieſer Welt gethan,
als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht
konnten.
Die Mühe Herr war zu erſparen. Wenn
Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.
[8]Dom Karlos.
Sie thun ſehr wohl, mein Prinz, Sich vorzuſehn
mit Menſchen — nur mit Unterſcheidung.
Stoßen
Sie mit dem Heuchler nicht den Freund zurück.
Ich mein’ es gut mit Ihnen.
Laſſen Sie
das meinen Vater ja nicht merken. Sonſt
ſind Sie um Ihren Purpur.
Wie?
Nun ja.
Verſprach er Ihnen nicht den erſten Purpur,
den Spanien vergeben würde? —
Prinz,
Sie ſpotten meiner.
Das verhüte Gott,
daß ich des fürchterlichen Mannes ſpotte,
der meinen Vater ſelig ſprechen und
verdammen kann!
[9]Erſter Akt.
Ich will mich nicht
vermeſſen, Prinz, in das ehrwürdige
Geheimniß Ihres Kummers einzudringen.
Nur bitt’ ich Eure Hoheit, eingedenk
zu ſein, daß dem beängſtigten Gewiſſen
die Kirche eine Zuflucht aufgethan,
wozu Monarchen keinen Schlüſſel haben,
wo ſelber Miſſethaten unterm Siegel
des Sakramentes aufgehoben liegen —
Sie wiſſen was ich meine, Prinz — ich habe
genug geſagt.
Nein! Das ſoll ferne von mir ſein,
daß ich den Siegelführer ſo verſuchte!
Prinz, dieſes Mißtraun — Sie verkennen Ihren
getreuſten Diener.
Alſo geben Sie
mich lieber auf. Sie ſind ein heil’ger Mann,
das weiß die Welt — doch frei heraus —
für mich
ſind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg,
[10]Dom Karlos.
Hochwürd’ger Vater, iſt der weiteſte,
bis Sie auf Peters Stuhle niederſitzen.
Viel Wiſſen möchte Sie beſchweren. Melden
Sie das dem König, der Sie hergeſandt.
Mich hergeſandt —
So ſagt’ ich. O zu gut,
zu gut weiß ich, daß ich an dieſem Hof
verrathen bin — ich weiß, daß hundert Augen
gedungen ſind mich zu bewachen, weiß,
daß König Philipp ſeinen einz’gen Sohn
an ſeiner Knechte ſchlechteſten verkaufte,
und jede von mir aufgefangne Silbe
dem Hinterbringer fürſtlicher bezahlt,
als er noch keine gute That bezahlte.
Ich weiß — O ſtill! Nichts mehr davon. Mein
Herz
will überſtrömen, und ich habe ſchon
zu viel geſagt.
Der König iſt geſonnen
vor Abend in Madrid noch einzutreffen.
Bereits verſammelt ſich der Hof. Hab’ ich
die Gnade, Prinz —
[11]Erſter Akt.
Schon gut. Ich werde folgen.
Beweinenswerther Philipp, wie dein Sohn
beweinenswerth! — Schon ſeh’ ich deine Seele
vom gift’gen Schlangenbiß des Argwohns bluten;
dein unglückſel’ger Vorwitz übereilt
die fürchterlichſte der Entdeckungen,
und raſen wirſt du, wenn du ſie gemacht.
Dein Gold kann ſich erſchöpfen, deine Flotten
in Stürmen unterſinken — Schreckenlos
ſiehſt du die Wogen der Rebellion
bis an die Stufen deines Thrones ſchlagen.
Dein Thron ſteht feſt. Doch —
Zweiter Auftritt.
O ihr guten Geiſter!
Mein Rodrigo!
Mein Karlos!
Iſt es möglich?
[12]Dom Karlos.
Iſt’s wahr? Iſt’s wirklich? Biſt Du’s? —
O Du biſt’s!
Ich drück’ an meine Seele Dich, ich fühle
die Deinige allmächtig an mir ſchlagen.
O jetzt iſt alles wieder gut. In dieſer
Umarmung heilt mein krankes Herz. Ich liege
am Halſe meines Rodrigo.
Ihr krankes,
Ihr krankes Herz? Und was iſt wieder gut?
Was iſt’s, das wieder gut zu werden brauchte?
Sie hören, was mich ſtutzen macht.
Und was
bringt Dich ſo unverhofft aus Brüſſel wieder?
Wem dank’ ich dieſe Überraſchung? Wem?
ich frage noch? Verzeih dem Freudetrunknen,
erhabne Vorſicht, dieſe Läſterung!
Wem ſonſt als dir, Allgütigſte? Du wußteſt,
daß Karlos ohne Engel war, du ſandteſt
mir dieſen, und ich frage noch!
Vergebung,
mein theurer Prinz, wenn ich dieß ſtürmiſche
Entzücken mit Beſtürzung [nur] erwiedre.
[13]Erſter Akt.
So war es nicht, wie ich Dom Philipps Sohn
erwartete. So fürchterlich begrüßte
mich Karl noch nie. Ein unnatürlich Roth
entzündet ſich auf Ihren blaſſen Wangen,
und Ihre Lippen zittern fieberhaft.
Was muß ich glauben, theurer Prinz? —
Das iſt
der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
ein unterdrücktes Heldenvolk mich ſendet —
denn jetzt ſteh’ ich als Rodrigo nicht hier,
nicht als des Knaben Karlos Spielgeſelle —
ein Abgeordneter der ganzen Menſchheit
umarm’ ich Sie — es ſind die Flandriſchen
Provinzen, die an Ihrem Halſe weinen
und feierlich um Rettung Sie beſtürmen.
Die Zeit iſt da, die ſchreckenvolle Zeit,
die ohne Hoffnung ihre Freiheit endigt.
Tiranniſch wühlt Dom Philipp in dem Herzen
des freigeborenen Brabants. Es iſt
gethan um Ihr geliebtes Land, wenn Alba,
des Fanatismus rauher Henkersknecht,
vor Brüſſel rückt mit Spaniſchen Geſetzen.
Auf Kaiſer Karls glorwürd’gem Enkel ruht
die letzte Hoffnung dieſer edeln Lande.
Sie ſtürzt dahin, wenn ſein erhabnes Herz
vergeſſen hat für Menſchlichkeit zu ſchlagen.
[14]Dom Karlos.
Sie ſtürzt dahin. Nur Thränen kann ich geben,
und Thränen brauch’ ich für mich ſelbſt. Verließ
der Himmel mich — was liegt an Nationen.
Hier kenn’ ich meinen Karl nicht mehr. So
ſpricht
der große Menſch — vielleicht der einz’ge, den
die Geiſterſeuche ſeiner Zeit verſchonte?
der bei Europa’s algemeinem Taumel
noch aufrecht ſtand, den gift’gen Schierlings-
trank
des Pfaffenthums, von welchem ſchon das zweite
Jahrtauſend ſich im Schwindel dreht, beherzt
vom Munde ſtieß — der gegen Prieſterblitze
und eines Königs ſchlaue Heiligkeit
und eines Volks andächt’gen Rauſch die Rechte
der hingeſtürzten Menſchheit gelten machte —
Sprichſt Du von mir? Du irrſt Dich, guter
Menſch.
Auch mir hat einſt von einem Karl geträumt,
dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
von Freiheit ſprach — doch der iſt lang be-
graben.
[15]Erſter Akt.
Den Du hier ſiehſt, das iſt der Karl nicht
mehr,
der in Alkala von Dir Abſchied nahm,
der Karl nicht mehr, der ſich beherzt getraute,
das Paradies dem Schöpfer abzuſehn
und dermaleinſt als unumſchränkter Fürſt
in Spanien zu pflanzen — O der Einfall
war kindiſch, aber göttlich ſchön. Vorbei
ſind dieſe Träume. —
Träume, Prinz! — Und Träume
nur wären es geweſen?
Laß mich weinen,
an Deinem Herzen heiße Thränen weinen,
Du einz’ger Freund. Ich habe niemand —
niemand —
auf dieſer großen weiten Erde niemand.
So weit das Zepter meines Vaters reicht,
ſo weit die Schiffahrt unſre Flaggen ſendet,
iſt keine Stelle — keine — keine, wo
ich meiner Thränen mich entlaſten darf,
als dieſe. O bei allem, Rodrigo,
was Du und ich dereinſt im Himmel hoffen,
von dieſer Stelle, Rodrigo, verjage,
verjage mich von dieſer Stelle nicht.
[16]Dom Karlos.
Berede Dich, ich wär’ ein Waiſenkind,
das Du am Thron mitleidig aufgeleſen.
Ich weiß ja nicht was Vater heißt — ich bin
ein Königsſohn — O wenn es eintrifft, was
mein Herz mir ſagt, wenn Du aus Milljonen
herausgefunden biſt, mich zu verſtehn,
wenn’s wahr iſt, daß die ſchaffende Natur
den Rodrigo im Karlos wiederhohlte,
und unſrer Seelen zartes Saitenſpiel
am Morgen unſres Lebens gleich bezog,
wenn eine Thräne, die mir Lindrung gibt,
Dir theurer iſt, als meines Vaters Gnade —
O theurer als die ganze Welt.
So tief
bin ich gefallen — bin ſo arm geworden,
daß ich an unſre frühen Kinderjahre
Dich mahnen muß — daß ich Dich bitten muß
die langvergeßne Schulden abzutragen,
die Du noch im Matroſenkleide machteſt —
[17]Erſter Akt.
als Du und ich, zween Knaben wilder Art,
ſo brüderlich zuſammen aufgewachſen,
kein Schmerz mich drückte, als von Deinem Geiſte
ſo ſehr verdunkelt mich zu ſehn — ich endlich
mich kühn entſchloß, Dich gränzenlos zu lieben,
weil mich der Muth verließ, Dir gleich zu ſein.
Da fing ich an mit tauſend Zärtlichkeiten
und warmer Bruderliebe Dich zu quälen;
Du ſtolzes Herz gabſt ſie mir kalt zurück.
Oſt ſtand ich da, und — doch das ſahſt Du nie!
und heiße, ſchwere Thränentropfen hingen
in meinem Aug’, wenn Du, mich überhüpfend,
Vaſallenkinder in die Arme drückteſt.
Warum nur dieſe? rief ich trauernd aus:
Bin Ich Dir nicht auch herzlich gut? — Du
aber,
Du knieteſt kalt und ernſthaft vor mir nieder:
Das, ſagteſt du, gebührt dem Königsſohn.
O ſtille, Prinz, von dieſen kindiſchen
Geſchichten, die mich jetzt noch ſchamroth machen.
Ich hatt’ es nicht um Dich verdient. Ver-
ſchmähen,
B
[18]Dom Karlos.
zerreißen konnteſt Du mein Herz, doch nie
von Dir entfernen. Dreimal wieſeſt Du
den Fürſten von Dir, dreimal ſtand er wieder
als Bettler da, um Liebe Dich zu flehn
und Dir gewaltſam Liebe aufzudringen.
Ein Zufall that was Karlos nie gekonnt.
Einmal geſchah’s bei unſern Spielen, daß
der Königinn von Böhmen, meiner Tante,
Dein Federball in’s Auge flog. Sie glaubte,
daß es mit Vorbedacht geſchehn, und klagt’ es
dem Könige mit thränendem Geſicht.
Die ganze Jugend des Pallaſtes muß
erſcheinen, ihm den Schuldigen zu nennen.
Der König ſchwört, die hinterliſt’ge That,
und wär’ es auch an ſeinem eig’nen Kinde,
auf’s ſchrecklichſte zu ahnden — Damals ſah
ich
Dich zitternd in der Ferne ſtehn, und jetzt,
jetzt trat ich vor und warf mich zu den Füßen
des Königs. Ich, ich that es, rief ich aus:
An deinem Sohn erfülle deine Rache.
Ach! Woran mahnen Sie mich, Prinz!
Sie ward’s:
[19]Erſter Akt.
im Angeſicht des ganzen Hofgeſindes,
das mitleidsvoll im Kreiſe ſtand, ward ſie
auf Sklavenart an Deinem Karl vollzogen.
Ich ſah auf Dich und weinte nicht. Der
Schmerz
ſchlug meine Zähne knirſchend an einander;
ich weinte nicht. Mein königliches Blut
floß ſchändlich unter unbarmherz’gen Streichen;
ich ſah’ auf Dich und weinte nicht — Den
König
erbitterte des Knaben Heldenmuth.
Zwölf fürchterliche Stunden zwang er mich,
in einem todten Kerker ihn zu büßen.
So hoch kam mir der Eigenſinn zu ſtehn
von Rodrigo geliebt zu ſein. Du kamſt;
lautweinend ſankſt Du mir zu Füßen. Ja!
Ja, riefſt Du aus; mein Stolz iſt über-
wunden.
Ich will bezahlen, wenn Du König biſt.
Ich will es, Karl. Das kindiſche Gelübde
erneur’ ich jetzt als Mann. Ich will bezahlen.
Auch meine Stunde ſchlägt vielleicht.
B 2
[20]Dom Karlos.
Jetzt, jetzt.
O zög’re nicht. Jetzt hat ſie ja geſchlagen.
Die Zeit iſt da, wo Du es löſen kannſt.
Ich brauche Liebe.
Liebe, beſter Karl,
iſt’s ja allein, worin mich Philipps Sohn
nicht übertreffen ſoll.
Ein ſchreckliches
Geheimniß brennt auf meiner Bruſt. Es ſoll,
es ſoll heraus. In Deinen blaſſen Mienen
will ich das Urtheil meines Todes leſen.
Hör’ an — erſtarre — doch erwiedre nichts —
Ich liebe meine Mutter.
O mein Gott!
Nein! Dieſe Schonung will ich nicht. Sprich’s
aus,
ſprich, daß auf dieſem großen Rund der Erde
kein Elend an das meine gränze — ſprich —
Was Du mir ſagen kannſt, errath’ ich ſchon.
[21]Erſter Akt.
Der Sohn liebt ſeine Mutter. Weltgebräuche,
die Ordnung der Natur und Roms Geſetze
verdammen dieſe Leidenſchaft. Mein Anſpruch
ſtößt fürchterlich auf meines Vaters Rechte.
Ich fühl’s, und dennoch lieb’ ich. Dieſer Weg
führt nur zu Wahnſinn oder Blutgerüſte.
Ich liebe ohne Hoffnung — laſterhaft —
mit Todesangſt und mit Gefahr des Lebens —
das ſeh’ ich ja, und dennoch lieb’ ich.
Weiß
die Königinn um dieſe Neigung?
Konnt’ ich
mich ihr entdecken? Sie iſt Philipps Frau
und Königinn, und das iſt Span’ſcher Boden.
Von meines Vaters Eiferſucht bewacht,
von Etikette ringsum eingeſchloſſen,
wie konnt’ ich ohne Zeugen mich ihr nahn?
Acht höllenbange Monde ſind es ſchon,
daß von der hohen Schule mich der König
an ſeinen Hof zurück berief — daß ich
ſie täglich anzuhören — anzuſtarren,
verurtheilt bin, und wie das Grab zu ſchweigen,
Acht höllenbange Monde, Rodrigo,
[22]Dom Karlos.
daß dieſes Feu’r in meinem Buſen wüthet,
daß tauſendmal ſich das entſetzliche
Geſtändniß ſchon auf meinen Lippen meldet,
doch ſcheu und feig zurück zum Herzen kriecht.
O Rodrigo — nur wen’ge Augenblicke,
nur ſo viel Zeit, als Menſchen nöthig haben
mit Gott ſich zu vergleichen, ſchenke mir
allein mit ihr —
Ach! Und Ihr Vater, Prinz —
Unglücklicher! Warum an den mich mahnen!
Sprich mir von allen Schrecken des Gewiſſens;
von meinem Vater ſprich mir nicht. Unheilbar,
auf ewig riſſen zwiſchen mir und ihm
die demantſtarken Bande der Natur.
Sie haſſen Ihren Vater!
Nein! Ach nein!
Ich haſſe meinen Vater nicht — doch Schauer
und Miſſethäters Bangigkeit ergreifen
bei den zwo fürchterlichen Silben mich.
[23]Erſter Akt.
Kann ich dafür, wenn eine knechtiſche
Erziehung ſchon in meinem jungen Herzen
der Liebe zarten Keim zertrat? — Sechs Jahre
hatt ich gelebt, als mir zum erſtenmal
der Fürchterliche, der, wie ſie mir ſagten,
mein Vater war, vor Augen kam. Es war
an einem Morgen, wo er ſteh’nden Fußes
vier Bluturtheile unterſchrieb. Nach dieſem
ſah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
Beſtrafung angekündigt ward — O Gott!
hier fühl’ ich, daß ich bitter werde — Weg —
weg, weg von dieſer Stelle.
Nein, Sie ſollen,
jetzt ſollen Sie Sich öffnen, Prinz. In Worten
erleichtert ſich der ſchwer beladne Buſen.
Oft hab’ ich mit mir ſelbſt gerungen, oft
um Mitternacht, wenn meine Wachen ſchliefen,
mit heißen Thränengüſſen vor das Bild
der Hochgebenedeihten mich geworfen,
ſie um ein kindlich Herz gefleht — doch ohne
Erhörung ſtand ich auf. Ach Rodrigo!
enthülle Du dieß wunderbare Räthſel
[24]Dom Karlos.
der Vorſicht mir — — Warum von tauſend
Vätern
juſt eben dieſen Vater Mir? Und Ihm
juſt dieſen Sohn von tauſend beſſern Söhnen?
Zwei unverträglichere Gegentheile
fand die Natur in ihrem Umkreis nicht.
Wie mochte ſie die beiden letzten Enden
des menſchlichen Geſchlechtes — Mich und
Ihn —
durch ein ſo heilig Band zuſammen zwingen?
Furchtbares Loos! Warum mußt’ es geſchehn?
Warum zwei Menſchen, die ſich ewig meiden,
in Einem Wunſche ſchrecklich ſich begegnen?
Hier, Rodrigo, ſiehſt Du zwei feindliche
Geſtirne, die im ganzen Lauf der Zeiten
ein einzigmal in ſcheitelrechter Bahn
zerſchmetternd ſich berühren, dann auf immer
und ewig aus einander fliehn.
Mir ahndet
ein unglücksvoller Augenblick.
Mir ſelbſt.
Wie Furien des Abgrunds folgen mir
die ſchauerlichſten Träume. Zweifelnd ringt
[25]Erſter Akt.
mein guter Geiſt mit gräßlichen Entwürfen,
durch labirinthiſche Sophismen kriecht
mein unglückſel’ger Scharfſinn, bis er endlich
vor eines Abgrunds gähem Rande ſtutzt —
O Rodrigo, wenn ich den Vater je
in ihm verlernte — Rodrigo — ich ſehe,
dein todtenblaſſer Blick hat mich verſtanden.
Wenn ich den Vater je in ihm verlernte,
was würde mir der König ſein?
Darf ich
an meinen Karlos eine Bitte wagen?
Was Sie auch Willens ſind zu thun — ſo
heſtig
auch Leidenſchaft Sie drängen mag, verſprechen
Sie, ohne Ihren Freund nichts zu beſchließen.
Verſprechen Sie mir dieſes?
Alles, alles,
was Deine Liebe mir gebeut. Ich werfe
mich ganz in Deine Arme.
Wie man ſagt,
will der Monarch zur Stadt zurücke kehren.
[26]Dom Karlos.
Die Zeit iſt kurz. Wenn Sie die Königinn
geheim zu ſprechen wünſchen, kann es nirgends
als in Aranjuez geſchehn. Die Stille
des Orts — des Landes ungezwungne Sitte
begünſtigen —
Das war auch meine Hoffnung.
Doch ach ſie war vergebens!
Nicht ſo ganz.
Ich gehe mich ſogleich ihr vorzuſtellen,
wie ich auch ohne dieß gethan. Sie weiß,
und Sie nur, das Geheimniß unſ’rer Freund:
ſchaft.
Iſt ſie in Spanien dieſelbe noch,
die ſie vordem an Heinrichs Hof geweſen,
ſo find’ ich Offenherzigkeit. Ich komme
auf ihren Sohn zu reden —
Göttlich! Göttlich!
Aus ihren Blicken ſpricht ihr Herz. Kann ich
in dieſen Blicken Karlos Hoffnung leſen,
find’ ich zu dieſer Unterredung ſie
geſtimmt — ſind ihre Damen zu entfernen —
[27]Erſter Akt.
Die meiſten ſind mir zugethan — Beſonders
die Mondekar hab’ ich durch ihren Sohn,
der mir als Page dient, gewonnen. —
Deſto beſſer.
So ſind Sie in der Nähe, Prinz, ſogleich
auf mein gegebnes Zeichen zu erſcheinen.
Das will ich — will ich — alſo eile nur.
Ja! Aber welches Zeichen? — Die Ent-
fernung
iſt etwas groß, und näher ſich zu wagen
für beider Sicherheit nicht rathſam.
Wie?
Wenn das gelänge! — Ja — es muß —
es muß.
So eben, weiß ich, iſt die Zeit, wo ſie
den Garten zu beſuchen pflegt. Die Quellen
im ganzen Garten hängen mit dem Brunnen
der Nereiden, den Du vor dem Luſthaus
der Königinn entdecken wirſt, zuſammen.
[28]Dom Karlos.
Zum Glücke ſtehn jetzt alle ſtill. Wenn Du
ein Mittel findeſt, dieſe einzige
Fontaine zu eröffnen, ſpringen alle
Kaskaden in Aranjuez — und ich
weiß meine Loſung.
Glücklicher Gedanke!
Ich will nun keinen Augenblick verlieren.
Dort alſo, Prinz, auf Wiederſehn.
[29]Erſter Akt.
Aranjuez.
Allee durchſchnitten, vom Landhauſe der
Königinn begränzt.
Dritter Auftritt.
varez. Die Prinzeſſinn von Eboli und
die Marquiſinn von Mondekar, welche die
Allee heraufkommen.
Sie will ich um mich haben, Mondekar.
Die muntern Augen der Prinzeſſinn quälen
mich ſchon den ganzen Morgen. Sehen Sie,
kaum weiß ſie ihre Freude zu verbergen,
weil ſie vom Lande Abſchied nimmt.
Ich will es
nicht läugnen, meine Königinn, daß ich
Madrid mit Freuden wieder ſehe.
[30]Dom Karlos.
Und Ihro Majeſtät nicht auch? Sie ſollten
ſo ungern von Aranjuez Sich trennen?
Von — — dieſer ſchönen Gegend wenigſtens.
Hier bin ich wie in meiner Welt. Dieß Plätzchen
hab’ ich mir längſt zum Liebling auserleſen.
Hier grüßt mich meine ländliche Natur,
die Buſenfreundinn meiner jungen Jahre.
Hier find’ ich meine Kinderſpiele wieder,
und meines Frankreichs Lüfte wehen hier.
Verargen Sie mir’s nicht. Wir alle, glaub’ ich,
ſind für das Vaterland parteiiſch.
Iſt
man das in Frankreich auch?
Wie einſam aber,
wie todt und traurig iſt es hier! Man glaubt
ſich in la Trappe.
Das Gegentheil vielmehr.
Todt find’ ich es nur in Madrid — Doch was
ſpricht unſre Herzoginn dazu?
[31]Erſter Akt.
Ich bin
der Meinung, Ihro Majeſtät, daß es
ſo Sitte war, den einen Monat hier,
den andern in dem Pardo auszuhalten,
den Winter in der Reſidenz, ſo lange
es Könige in Spanien gegeben.
Ja, Herzoginn, das wiſſen Sie, mit Ihnen
hab’ ich auf immer mich des Streits begeben.
Und wie lebendig es mit nächſtem in
Madrid ſein wird. Zu einem Stiergefechte
wird ſchon die Plaza Mayor zugerichtet,
und ein Auto da Fe hat man uns auch
verſprochen —
Uns verſprochen! Hör’ ich das
von meiner ſanften Mondekar?
Warum nicht?
Es ſind ja Ketzer, die man brennen ſieht.
[32]Dom Karlos.
Ich hoffe meine Eboli denkt anders.
Ich? — Ihro Majeſtät, ich bitte ſehr,
für keine ſchlecht’re Chriſtinn mich zu halten,
als die Marquiſinn Mondekar.
Ach! Ich
vergeſſe wo ich bin — Zu etwas anderm —
vom Lande, glaub’ ich, ſprachen wir. Der Monat
iſt, däucht mir, auch erſtaunlich ſchnell vorüber.
Ich habe mir der Freude viel, ſehr viel,
von dieſem Aufenthalt verſprochen, und
ich habe nicht gefunden, was ich hoffte.
Geht es mit jeder Hoffnung ſo? Ich kann
den Wunſch nicht finden, der mir fehlgeſchlagen.
Prinzeſſinn Eboli, Sie haben uns
noch nicht geſagt, ob Gomez hoffen darf?
Ob wir Sie bald als ſeine Braut begrüßen?
Ja! Gut, daß Sie mich mahnen, Herzoginn.
Man bittet mich bei Ihnen fürzuſprechen;
[33]Erſter Akt.
Wie aber kann ich das? Der Mann, den ich
mit meiner Eboli belohne, muß
ein würd’ger Mann ſein.
Ihro Majeſtät,
das iſt er — ein ſehr würd’ger Mann — ein
Mann,
den unſer gnädigſter Monarch bekanntlich
mit ihrer königlichen Gunſt beehren.
Das wird den Mann ſehr glücklich machen —
Doch
wir wollen wiſſen, ob er lieben kann,
und Liebe kann verdienen. — Eboli,
das frag’ ich Sie.
gen, endlich fällt ſie der Königinn zu Füßen.
Großmüth’ge Königinn,
erbarmen Sie Sich meiner. Laſſen Sie —
um Gottes willen, laſſen Sie mich nicht —
nicht aufgeopfert werden.
C
[34]Dom Karlos.
Aufgeopfert?
Ich brauche nichts mehr. Stehn Sie auf.
Es iſt
ein hartes Schickſal, aufgeopfert werden.
Ich glaube Ihnen. Stehn Sie auf. — Iſt es
ſchon lang’, daß Sie den Grafen ausgeſchlagen?
O viele Monate. Prinz Karlos war
noch auf der hohen Schule.
Haben Sie
Sich auch geprüft, aus welchen Gründen?
Niemals
kann es geſchehen, meine Königinn,
aus tauſend Gründen niemals.
Mehr als Einer iſt
zu viel. Sie können ihn nicht ſchätzen — das
iſt mir genug. Nichts mehr davon.
[35]Erſter Akt.
Ich habe
ja die Infantinn heut noch nicht geſehen.
Marquiſinn, bringen Sie ſie mir. —
Es iſt
noch nicht die Stunde, Ihro Majeſtät —
Noch nicht die Stunde, wo ich Mutter ſeyn
darf?
Das iſt doch ſchlimm. Vergeſſen Sie es ja nicht,
mich zu erinnern wenn ſie kommt.
meiſterinn, welche ſich darauf zur Königinn wendet.
Der Marquis
von Poſa, Ihro Majeſtät —
Von Poſa?
Er kommt aus Frankreich und den Niederlanden,
und wünſcht die Gnade zu erhalten, Briefe
C 2
[36]Dom Karlos.
von der Regentinn Mutter übergeben
zu dürfen.
Und das iſt erlaubt?
In meiner Vorſchrift
iſt des beſondern Falles nicht gedacht,
wenn ein Kaſtilian’ſcher Grande Briefe
von einem fremden Hof der Königinn
von Spanien in ihrem Garten
zu überreichen kommt.
So will ich denn auf meine
Gefahr es wagen —
Wenigſtens erbitt’ ich
von Ihro Majeſtät die Gnade mir,
mich ſo lang’ zu entfernen —
Halten Sie
das, wie Sie wollen, Herzoginn.
dem Pagen einen Wink, welcher ſogleich hinaus geht.
[37]Erſter Akt.
Vierter Auftritt.
Königinn. Prinzeſſinn von Eboli.
Marquiſinn von Mondekar und Marquis
von Poſa.
Ich heiße Sie
willkommen, Chevalier, auf Span’ſchem Boden.
Den ich noch nie mit ſo gerechtem Stolze
mein Vaterland genannt als jetzt —
Der Marquis
von Poſa, der im Ritterſpiel zu Rheims
mit meinem Vater eine Lanze brach,
und meine Farbe dreimal ſiegen machte —
Der erſte ſeiner Nation, der mich
den Ruhm empfinden lehrte, Königinn
der Spanier zu ſein.
Als wir im Louvre
zum letztenmal uns ſahen, Chevalier,
da träumt’ es Ihnen wohl noch nicht, daß Sie
mein Gaſt ſein würden in Kaſtilien.
[38]Dom Karlos.
Nein, große Königinn — denn damals träumte
mir nicht, daß Frankreich noch das Einzige
an uns verlieren würde, was wir ihm
beneidet hatten.
Stolzer Spanier!
Das Einzige? — Und das zu einer Tochter
vom Hauſe Valois?
Jetzt darf ich es
ja ſagen, Ihro Majeſtät — denn jetzt
ſind Sie ja unſer.
Ihre Reiſe, hör’ ich,
hat auch durch Frankreich Sie geführt — Was
bringen
Sie mir von meiner hochverehrten Mutter
und meinen vielgeliebten Brüdern?
Die
Regentinn Mutter fand ich krank, geſchieden
von jeder andern Freude dieſer Welt,
[39]Erſter Akt.
als ihre königliche Tochter glücklich
zu wiſſen auf dem Span’ſchen Thron.
Muß ſie
es nicht ſein bei dem theuern Angedenken
ſo zärtlicher Verwandten? bei der ſüßen
Erinnerung an — — — Sie haben viele
Höfe
beſucht auf Ihren Reiſen, Chevalier;
den halben Norden, leſ’ ich, durchgereiſ’t —
In London waren Sie ſehr lang’.
In London!
In London! — Alſo hat der Chevalier
die Ketzer-Königinn geſehen? — Wie
ſah ſie denn aus?
So ſchön beinahe, wie
Prinzeſſinn Eboli auf — einem Throne.
Schön! — Mondekar?
[40]Dom Karlos.
Und jetzt ſind Sie geſonnen
in Ihrem Vaterland Sich ſelbſt zu leben?
Ein größ’rer Fürſt in Ihren ſtillen Mauern,
als König Philipp auf dem Thron — ein
Freier!
ein Philoſoph! — Ich zweifle ſehr, ob Sie
Sich werden können in Madrid gefallen.
Man iſt ſehr — — — ruhig in Madrid.
Und das
iſt mehr, als ſich das ganze übrige
Europa zu erfreuen hat.
So hör’ ich.
Ich habe alle Händel dieſer Erde
bis faſt auf die Erinnerung verlernt.
Was ich mir nimmer hätte träumen laſſen —
es iſt nichts leichter, find’ ich, nichts bequemer,
als eine Königinn zu ſein.
Gewiß,
wenn man dazu geboren ward!
[41]Erſter Akt.
Die Welt
hat Sie verdorben, Marquis. Kaum erkenn' ich
den Philoſophen mehr, der unbeſtochen
und ohne Menſchenfurcht ſogar am Throne
die Wahrheit ſagt.
Vielmehr — es iſt die kühnſte
Freimüthigkeit, da Wahrheit zu geſtehn,
wo ſie gewiß kein Schmeichler wagen möchte.
Mir däucht, Prinzeſſinn Eboli, ich ſehe
dort eine Hyazinthe blühen — Wollen
Sie mir ſie bringen?
etwas leiſer zum Marquis.
Chevalier, ich müßte
mich ſehr betrügen, oder Ihre Ankunft
hat einen frohen Menſchen mehr gemacht
an dieſem Hof.
Ich habe einen
[42]Dom Karlos.
ſehr traurigen gefunden — den auf dieſer Welt
nur etwas fröhlich —
Da der Chevalier
ſo [viele] Länder hat geſehen, wird
er ohne Zweifel viel merkwürdiges
uns zu erzählen wiſſen.
Allerdings.
Und Abenteuer ſuchen iſt bekanntlich
der Ritter Pflicht — die [heiligſte] von allen
die Damen zu beſchützen.
Gegen Rieſen.
Jetzt gibt es keine Rieſen mehr.
Gewalt
iſt für den Schwachen jederzeit ein Rieſe.
Der Chevalier hat Recht. Es gibt noch Rieſen,
doch keine Ritter gibt es mehr.
Noch jüngſt,
[43]Erſter Akt.
auf meinem Rückweg von Neapel, war
ich Zeuge einer rührenden Geſchichte,
die mir der Freundſchaft heiliges Legat
zu meiner eigenen gemacht — — — Wenn ich
nicht fürchten müßte Ihre Majeſtät
durch die Erzählung zu ermüden —
Bleibt
mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzeſſinn
läßt ſich nichts unterſchlagen. Nur zur Sache.
Auch ich bin eine Freundinn von Geſchichten.
Zwei edle Häuſer in Mirandola,
der Eiferſucht, der langen Feindſchaft müde,
die von den Gibellinen und den Guelfen
Jahrhunderte ſchon fortgeerbt, beſchloſſen,
durch der Verwandtſchaft zarte Bande ſich
in einem ew’gen Frieden zu vereinen.
Des mächtigen Pietro Schweſterſohn,
Fernando, und die göttliche Mathilde,
Colonna’s Tochter, waren auserſehn,
Dieß ſchöne Band der Einigkeit zu knüpfen.
Nie hat zwo ſchön’re Herzen die Natur
gebildet für einander — nie die Welt,
nie eine Wahl ſo glücklich noch geprieſen.
[44]Dom Karlos.
Noch hatte ſeine liebenswürd’ge Braut
Fernando nur im Bildniß angebetet —
wie zitterte Fernando wahr zu finden
was ſeine feurigſten Erwartungen
dem Bilde nicht zu glauben ſich getrauten!
In Padua, wo ſeine Studien
ihn feſſelten, erwartete Fernando
des frohen Augenblickes nur, der ihm
vergönnen ſollte, zu Mathildens Füßen
der Liebe erſte Huldigung zu ſtammeln.
fährt nach einem kurzen Stillſchweigen fort, die Er-
zählung, ſo weit es die Gegenwart der Königinn er-
laubt, mehr an die Prinzeſſinn von Eboli gerichtet.
Indeſſen macht der Gattinn Tod die Hand
Pierro’s frei — Mit jugendlicher Glut
verſchlingt der Greis die Stimmen des Ge-
rüchtes,
das in den Ruhm Mathildens ſich ergoß.
Er kommt! Er ſieht! — Er liebt! Die
neue Regung
erſtickt die leiſ’re Stimme der Natur,
der Oheim wirbt um ſeines Neffen Braut
und heiligt ſeinen Raub vor dem Altare.
Und was beſchließt Fernando?
[45]Erſter Akt.
Auf der Liebe Fluͤgeln,
des fürchterlichen Wechſels unbewußt,
eilt nach Mirandola der Trunkene.
Mit Sternenſchein erreicht ſein ſchnelles Roß
die Thore — ein bachantiſches Ge[t]ön
von Reihen und von Pauken donnert ihm
aus dem erleuchteten Pallaſt entgegen.
Er bebt die Stufen ſcheu hinauf, und ſieht
ſich unerkannt im lauten Hochzeitſaale,
wo in der Gäſte taumelndem Gelag
Pietro ſaß — ein Engel ihm zur Seite,
ein Engel, den Fernando kennt, der ihm
in Träumen ſelbſt ſo glänzend nie erſchienen.
Ein einz’ger Blick zeigt ihm was er beſeſſen,
zeigt ihm, was er auf immerdar verloren.
Unglücklicher Fernando!
Die Geſchichte
iſt doch zu Ende, Chevalier? — Sie muß
zu Ende ſeyn.
Noch nicht ganz.
[46]Dom Karlos.
Sagten Sie
uns nicht, Fernando ſei Ihr Freund geweſen?
Ich habe keinen theurern.
Fahren Sie
doch fort in der Geſchichte, Chevalier.
Sie wird ſehr traurig — — — und das An-
gedenken
erneuert meinen Schmerz. Erlaſſen Sie
mir den Beſchluß —
Nun wird mir endlich doch
vergönnt ſein, meine Tochter zu umarmen. —
Prinzeſſinn, bringen Sie ſie mir.
Pagen, der ſich im Hintergrunde zeigt und ſogleich ver-
ſchwindet. Die Königinn erbricht die Briefe, die des
Marquis ihr gegeben, und ſcheint überraſcht zu werden.
[47]Erſter Akt.
In dieſer Zeit ſpricht der Marquis geheim und ſehr
angelegentlich mit der Marquiſinn von Mondekar. —
Die Königinn hat die Briefe geleſen, und wendet ſich
mit einem ausforſchenden Blicke zum Marquis.
Sie haben
uns von Mathilden nichts geſagt? Vielleicht
weiß ſie es nicht, wie viel Fernando leidet?
Mathildens Herz hat niemand noch ergrün-
det —
Doch große Seelen dulden ſtill.
Sie ſehen
Sich um? Wen ſuchen Ihre Augen?
Eben
erinnr’ ich mich, wie glücklich ein Gewiſſer,
den ich nicht nennen darf, an meinem Platze
ſein müßte.
Weſſen Schuld iſt es, daß er
es nicht iſt?
[48]Dom Karlos.
Wie? Darf ich mich unterſtehen
dieß zu erklären wie ich will? — Er würde
Vergebung finden, wenn er jetzt erſchiene?
Jetzt? Jetzt? Was meinen Sie damit?
Er dürfte hoffen — Dürft’ er?
Sie erſchrecken
mich, Chevalier — Er wird doch nicht —
Hier iſt er ſchon.
[49]Erſter Akt.
Fünfter Auftritt.
dekar treten nach dem Hintergrunde zurück.
So iſt er endlich da der Augenblick,
und Karl darf dieſe theure Hand berühren!
O heller Punkt in meinem Lebenslauf —
jetzt bin ich glücklich.
Unbeſonnener!
Was für ein Schritt — Welch eine ſtrafbare,
tollkühne Überraſchung! Stehn Sie auf! —
Wir ſind entdeckt. Mein Hof iſt in der Nähe.
Ich ſteh’ nicht auf — hier will ich ewig knien.
Auf dieſem Platz will ich verzaubert liegen,
in dieſer Stellung angewurzelt.
Raſender!
Zu welcher Kühnheit führt Sie meine Gnade?
D
[50]Dom Karlos.
Wie? Wiſſen Sie, daß es die Königinn,
daß es die Mutter iſt, an die ſich dieſe
verweg’ne Sprache richtet? Wiſſen Sie,
daß ich — ich ſelbſt von dieſem Überfalle
dem Könige —
Und daß ich ſterben muß.
Man reiße mich von hier auf’s Blutgerüſte;
ein Augenblick gelebt im Paradieſe
wird nicht zu theuer mit dem Tod gebüßt.
Und Ihre Königinn?
Gott! Gott! ich gehe —
Ich will Sie ja verlaſſen. — Muß ich nicht,
wenn Sie es alſo fodern? — Mutter!
Mutter!
wie ſchrecklich ſpielen Sie mit mir. Ein Wink,
ein halber Blick, — ein Laut aus Ihrem
Munde
wirft zwiſchen Höll’ und Himmel mich herum,
gebietet mir zu ſein und zu vergehen.
Was wollen Sie daß noch geſchehen ſoll?
Was unter dieſer Sonne kann es geben,
[51]Erſter Akt.
das ich nicht hinzuopfern eilen will,
wenn Sie es wünſchen?
Fliehen Sie.
O Gott!
Das einz’ge, Karl, warum ich Sie mit Thränen
beſchwöre — Fliehen Sie! — eh’ meine
Damen —
eh’ meine Pagen, — meine Kerkermeiſter —
in dieſer heft’gen Wallung Sie und mich
beiſammen finden, und die große Zeitung
vor Ihres Vaters Ohren bringen — — Noch?
Noch zweifeln Sie und ſtehen unentſchloſſen? —
Unglücklicher! Wohlan ſo bleibe denn
uns beide zu verderben.
Ich erwarte
mein Schickſal — es ſei Leben oder Tod.
Hab’ ich umſonſt durch jedes Hinderniß
und jedes Labirinth der Etikette
und alle Minotauren mich gerungen?
Wie? Hab’ ich darum meine Hoffnungen
D 2
[52]Dom Karlos.
auf dieſen einz’gen Augenblick verwieſen,
der Sie mir endlich ohne Zeugen ſchenkt,
daß falſche Schrecken mich am Ziele täuſchten?
Nein Königinn! Die Welt kann hundertmal,
kann tauſendmal um ihre Pole treiben,
eh’ dieſe Gunſt der Zufall wiederhohlt.
Auch ſoll er das in Ewigkeit nicht wieder.
Unglücklicher! Was wollen Sie von mir?
O Königinn, daß ich gerungen habe,
gerungen wie kein Sterblicher noch rang,
iſt Gott mein Zeuge — Königinn! Umſonſt!
Hin iſt mein Heldenmuth. Ich unterliege.
Nichts mehr davon — Um meiner Ruhe wil-
len —
Nein! Ich will reden! Mein gerechter Schmerz
erleichtert ſich in wüthender Ergießung.
Sie waren mein — im Angeſicht der Welt
mir zugeſprochen von zwei großen Thronen,
mir zuerkannt von Himmel und Natur,
und Philipp, Philipp hat mir Sie geſtohlen —
[53]Erſter Akt.
Es iſt Ihr Vater.
Ihr Gemahl.
Der Ihnen
das größte Reich der Welt zum Erbe gibt.
Und Sie zur Mutter —
Großer Gott! Sie raſen —
Und weiß er auch wie reich er iſt? Hat er
ein fühlend Herz, das Ihrige zu ſchätzen?
Ich will nicht klagen. Große Vorſehung,
ich will es dir vergeben — will vergeſſen,
wie unausſprechlich glücklich Ich mit ihr
geworden wäre — wenn nur Er es iſt.
Er iſt’s nicht — Hör’ es, große Vorſehung!
So frevelhaft verhöhnt er deine Gabe!
Er iſt es nicht — Das, das iſt Höllenqual!
Er iſt es nicht und wird es niemals werden.
Du nahmſt mir meinen Himmel nur um ihn
in König Philipps Armen zu vertilgen.
[54]Dom Karlos.
Abſcheulicher Gedanke!
O ich weiß,
wer dieſer Ehe Stifter war — ich weiß,
wie Philipp lieben kann und wie er freite —
Allmächtige Natur — ein ſolch Geſchöpf
wie in Jahrtauſenden dir keines noch
gelungen iſt, wie in Jahrtauſenden
dir keines mehr gelingen wird — und jetzt
jetzt — jetzt — erröthe für dich ſelbſt, Natur —
zum Unterpfand zerbrechlicher Verträge —
für einen Frieden ſchändlich hingeopfert —
im Kabinet und bei verſchloßnen Thüren
durch einen Tiſch von Räthen und Prälaten
zu ſeiner Ranggehülfinn ausgewürfelt
auf Krämerart gefeilſcht, und dann dem Käufer
nach abgeſchloßnem Handel ausgeliefert.
So freien Könige!
O ſtill davon.
Wer ſind Sie denn in dieſem Reich? Laß
hören.
[55]Erſter Akt.
Regentinn etwa? Nimmermehr! Wie könnten,
wo Sie Regentinn ſind, die Alba würgen?
Wie könnte Flandern für den Glauben bluten?
Wie, oder ſind Sie Philipps Frau? Un-
möglich!
Ich kann’s nicht glauben. Eine Frau beſitzt
des Mannes Herz — und wem gehört das
ſeine?
Und bittet er nicht jede Zärtlichkeit,
die ihm vielleicht in Fiebergluth entwiſchte,
dem Zepter ab und ſeinen grauen Haaren?
Wer machte Sie ſo ſtolz dieß zu behaupten?
Wer ſagte Ihnen, daß an Philipps Seite
mein Loos beweinenswürdig ſei?
Mein Herz,
das feurig fühlt wie es an meiner Seite
beneidenswürdig wäre.
Eitler Mann!
Wenn mein Herz nun das Gegentheil mir ſagte?
Wenn Philipps ehrerbiet’ge Zärtlichkeit
und ſeiner Liebe ſtumme Mienenſprache
weit inniger als ſeines ſtolzen Sohns
[56]Dom Karlos.
verwegene Beredſamkeit mich rührten?
Wenn eines Greiſen überlegte Achtung —
Das iſt was anders — Dann — ja dann Ver-
gebung.
Ich wußt’ es nicht — Das wußt’ ich nicht,
daß Sie
den König lieben.
Dieſes ſtolze Lachen
verſteh’ ich — Nein. Ich lieb’ ihn nicht —
Doch ihn
zu ehren iſt mein Wunſch und mein Vergnügen.
Sie haben nie geliebt?
Seltſame Frage!
Sie haben nie geliebt?
— Ich liebe nicht mehr.
Weil es Ihr Herz? Weil es Ihr Eid verbietet?
[57]Erſter Akt.
Verlaſſen Sie mich, Prinz, und kommen Sie
zu keiner ſolchen Unterredung wieder.
Weil es Ihr Eid? Weil es Ihr Herz verbietet?
Weil meine Pflicht — — — Unglücklicher,
wozu
die traurige Zergliederung des Schickſals,
dem Sie und ich gehorchen müſſen?
Müſſen?
Gehorchen müſſen?
Wie? Was wollen Sie
mit dieſem feierlichen Ton?
So viel,
daß Karlos nicht geſonnen iſt, zu müſſen,
wo er zu wollen hat? Daß Karlos nicht
geſonnen iſt, der Unglückſeligſte
in dieſem Reich zu bleiben, wenn es ihm
nichts als den Umſturz der Geſetze koſtet,
der Glücklichſte zu ſein.
[58]Dom Karlos.
Verſteh’ ich Sie?
Sie hoffen noch? Sie wagen es, zu hoffen,
wo alles, alles ſchon verloren iſt?
Ich gebe nichts verloren als die Todten.
Auf mich, auf Ihre Mutter hoffen Sie? —
Würde und Ernſt.
Warum nicht? O! Der neu erwählte König
kann mehr als das — kann die Verordnungen
des Abgeſchied’nen durch das Feu’r vertilgen,
kann ſeine Bilder ſtürzen, ſeinen Namen
durch ein Edikt bei Strang und Schwert ver-
bieten —
aufbauen was der Sel’ge niederriß,
und ſchleifen was er baute — kann ſogar —
wer hindert ihn? — die Mumie des Todten
aus ihrer Ruhe zu Eſkurial
hervor an’s Licht der Sonne reißen, ſeinen
entweihten Staub in die vier Winde ſtreun,
und dann zuletzt, um würdig zu vollenden —
[59]Erſter Akt.
Um Gottes willen, reden Sie nicht aus.
Zuletzt noch mit der Mutter ſich vermählen.
Verfluchter Sohn!
Ja es iſt aus. Jetzt iſt
es aus — Ich fühle klar und helle, was
mir ewig, ewig dunkel bleiben ſollte.
Sie ſind für mich dahin — dahin — dahin —
auf immerdar! — Jetzt iſt der Wurf gefallen.
Sie ſind für mich verloren. — O in dieſem
Gefühl liegt Hölle! Hölle liegt im andern,
Sie zu beſitzen. — Weh! Ich faß’ es nicht,
und meine Nerven fangen an zu reißen.
Beklagenswerther, theurer Karl! Ich fühle —
ganz fühl’ ich ſie, die namenloſe Pein,
die jetzt in Ihrem Buſen tobt. Unendlich
wie Ihre Liebe iſt Ihr Schmerz. Unendlich
wie er iſt auch der Ruhm ihn zu beſiegen.
Erringen Sie ihn, junger Held. Der Preis
iſt dieſes hohen, ſtarken Kämpfers werth,
[60]Dom Karlos.
des Jünglings werth, durch deſſen Herz die Tu-
gend
ſo vieler königlichen Ahnen rollt.
Ermannen Sie Sich, edler Prinz. — Der Enkel
des großen Karls fängt friſch zu ringen an,
wo andrer Menſchen Kinder muthlos enden.
Zu ſpät! O Gott! Es iſt zu ſpät!
Ein Mann
zu ſein? O Karl! Wie groß wird unſ’re Tu-
gend,
wenn unſer Herz bei ihrer Übung bricht!
Hoch ſtellte Sie die Vorſicht — höher, Prinz,
als Millionen Ihrer andern Brüder.
Parteilich gab ſie ihrem Liebling, was
ſie andern nahm, und Millionen fragen:
Verdiente der im Mutterleibe ſchon
mehr als wir andern Sterblichen zu gelten?
Auf! retten Sie des Himmels Billigkeit!
verdienen Sie, der Welt voran zu gehen,
und opfern Sie was keiner opferte.
Das kann ich auch. — Sie zu erkämpfen hab’
ich Rieſenkraft; Sie zu verlieren keine.
[61]Erſter Akt.
Geſtehen Sie es, Karlos — Trotz iſt es
und Bitterkeit und Stolz, was Ihre Wünſche
ſo wüthend nach der Mutter zieht. Die Liebe,
das Herz, das Sie verſchwenderiſch mir opfern,
gehört den Welten an, die Sie dereinſt
regieren ſollen. Sehen Sie, Sie praſſen
von Ihres Mündels anvertrautem Gut.
Die Liebe iſt Ihr großes Amt. Bis jetzt
verirrte ſie zur Mutter. — Bringen Sie,
o bringen Sie ſie Ihren künft’gen Reichen
und fühlen Sie, ſtatt Dolchen des Gewiſſens,
die Wolluſt Gott zu ſein. Eliſabeth
war Ihre erſte Liebe. Ihre zwote
ſei Spanien. Wie gerne, guter Karl,
will ich der beſſeren Geliebten weichen.
Wie groß ſind Sie, o Himmliſche! — Ja alles,
was Sie verlangen, will ich thun! — auch
ſterben,
und wenn Sie wollen, nimmer ſelig ſein.
Hier ſteh’ ich in der Allmacht Hand und ſchwöre,
und ſchwöre Ihnen, ſchwöre ewiges —
[62]Dom Karlos.
O Himmel! Nein! Nur ewiges Verſtummen,
doch ewiges Vergeſſen nicht.
Wie könnt’ ich
von Karlos fordern, was ich ſelbſt zu leiſten
nicht Willens bin.
Der König!
Gott!
Hinweg!
Hinweg aus dieſer Gegend, Prinz!
Sein Argwohn
iſt fürchterlich, erblickt er Sie —
Ich bleibe!
Er oder Ich — wer hat das Recht zu ſtehen?
In dieſer Laune will ich ihn drum fragen?
Und wer wird denn das Opfer ſein?
[63]Erſter Akt.
Fort! Fort!
Komm Rodrigo.
Was darf ich mit mir nehmen?
Die Freundſchaft Ihrer Mutter.
Freundſchaft! Mutter!
Und dieſe Thränen aus den Niederlanden.
Ha! Ich verſtehe.
ſieht ſich unruhig nach ihren Damen um, welche ſich
nirgends erblicken laſſen. Wie ſie nach dem Hinter-
grunde zurück gehen will, erſcheint der König.
[64]Dom Karlos.
Sechſter Auftritt.
Graf Lerma. Domingo. Einige Da-
men und Granden, welche in der Entfernung
zurück bleiben.
So allein, Madam?
Und auch nicht Eine Dame zur Begleitung?
Das wundert mich — Wo bleiben Ihre Frauen?
Mein gnädigſter Gemahl — —
Und was iſt das?
Sie ſcheinen ganz verwirrt, Madam — Wie
Feuer
brennt Ihr Geſicht — Es iſt nicht wie es ſollte —
Warum allein? Wo bleiben Ihre Damen?
Von dieſem unverzeihlichen Verſehn
ſoll man die ſtrengſte Rechenſchaft mir geben.
Wer hat das Hofamt bei der Königinn?
Wen traf der Rang ſie heute zu bedienen?
[65]Erſter Akt.
O zürnen Sie nicht mein Gemahl — ich ſelbſt,
ich bin die Schuldige — auf mein Geheiß
entfernte ſich die Fürſtinn Eboli.
Auf Ihr Geheiß?
Die Kammerfrau zu rufen,
weil ich nach der Infantinn mich geſehnt.
Und darum die Begleitung weggeſchickt?
Seltſam, bei Gott! Für’s künftige, Madam,
verſchonen Sie mein Reich mit der Satire,
daß Philipps Frau, will ſie ihr Kind umarmen,
es ſo erwarten ſoll. — Kaſtilien
iſt hoffentlich an Menſchen reich genug,
die Königinn mit Frauen zu verſorgen.
Doch dieß entſchuldigt nur die erſte Dame;
wo war die zwote?
die übrigen Damen gemiſcht hat, tritt hervor.
Ihro Majeſtät,
ich fühle daß ich ſtrafbar bin —
E
[66]Dom Karlos.
Deßwegen
vergönn’ ich Ihnen zehen Jahre Zeit,
fern von Madrid darüber nachzudenken.
rück. Allgemeines Stillſchweigen. Alle Umſtehenden
ſehen beſtürtzt auf die Königinn.
Marquiſinn, wen beweinen Sie?
Hab’ ich
gefehlt, mein gnädigſter Gemahl, ſo ſollte
die Königskrone dieſes Reichs, wonach
ich ſelber nie gegriffen habe, mich
zum mindeſten vor dem Erröthen ſchützen.
Gibt’s ein Geſetz in dieſem Königreich,
das vor Gericht Monarchentöchter fodert?
Bloß Zwang bewacht die Frauen Spaniens?
Schützt ſie ein Zeuge mehr als ihre Tugend? —
Und jetzt Vergebung, mein Gemahl — Ich bin
es nicht gewohnt, die mir mit Freude dienten,
in Thränen zu entlaſſen — — Mondekar!
der Marquiſinn.
Den König haben Sie erzürnt — nicht mich —
[67]Erſter Akt.
drum nehmen Sie dieß Denkmahl meiner Gnade
und dieſer Stunde. — Meiden Sie das
Reich —
Sie haben nur in Spanien geſündigt;
in meinem Frankreich wiſcht man ſolche Thränen
mit Freuden ab — — — O muß mich’s ewig
mahnen!
das Geſicht.
In meinem Frankreich war’s doch anders.
Iſt’s möglich? Wie Eliſabeth? — O Himmel!
hat es noch dahin kommen müſſen? — Konnte
ein Vorwurf meiner Liebe Sie betrüben?
ein Wort betrüben, das die zärtlichſte
Bekümmerniß auf meine Lippen legte?
Hier ſtehen die Vaſallen meines Throns!
Sank je ein Schlaf auf meine Augenlieder,
ich hätte denn am Abend jedes Tags
berechnet, wie die Herzen meiner Völker
in meinen fernſten Himmelsſtrichen ſchlagen —
und ſollt’ ich ängſtlicher für meinen Thron,
als für die Gattinn meines Herzens beben? —
E 2
[68]Dom Karlos.
Für meine Völker kann mein Schwert mir
haften
und — Herzog Alba: dieſes Auge nur
für meines Weibes Liebe.
Wenn ich Sie
beleidigt habe, mein Gemahl — —
Ich heiße
der reichſte Mann in der getauften Welt;
die Sonne geht in meinem Staat nicht unter —
doch alles das beſaß ein andrer ſchon,
wird nach mir mancher andre noch beſitzen.
Das iſt mein eigen. Was der König hat,
gehört dem Glück — Eliſabeth dem Philipp.
Hier iſt die Stelle, wo ich ſterblich bin.
Sire — dieſe Zweifel — ſie erſchrecken
mich —
Sie fürchten?
Dieſes graue Haar doch nicht?
Wenn ich einmal zu fürchten angefangen,
hab’ ich zu fuͤrchten aufgehört. — — Ich zähle
[69]Erſter Akt.
die Großen meines Hofs — der erſte fehlt.
Wo iſt Dom Karlos, mein Infant?
Der Knabe,
Dom Karl, fängt an mir fürchterlich zu werden.
Er meidet meine Gegenwart ſeitdem
er von Alkala’s hoher Schule kam.
Sein Blut iſt heiß — warum ſein Blick ſo
kalt?
ſo abgemeſſen feſtlich ſein Betragen?
Ich höre keine Klagen mehr — Wie kommt
das?
Das, Herzog, das iſt irgend ein Komet,
der meinem Horizont ſich ſchrecklich nähert.
Ich fürchte ſeine Nachbarſchaft — Seid
wachſam.
Seid wachſam, ſag’ ich noch einmal. Der Erbe
ſo vieler Kronen zählt die Aderſchläge
des Vaters ungeduldig nach. Der Kitzel
Gott gleich zu werden, heckte Teufel aus.
Seid wachſam. Ich empfehl’ es Euch.
Ich bin’s.
So lang’ ein Herz an dieſen Panzer ſchlägt,
mag ſich Dom Philipp ruhig ſchlafen legen.
[70]Dom Karlos.
Wie Gottes Cherub vor dem Paradies,
ſteht Herzog Alba vor dem Thron.
Darf ich
dem weiſeſten der Könige in Demuth
zu widerſprechen wagen? — Allzutief
verehr’ ich meines Königs Majeſtät,
als ſeinen Sohn ſo raſch und ſtreng zu richten.
Ich fürchte viel von Karlos heißem Blut,
doch nichts von ſeinem Herzen.
Graf von Lerma,
Ihr redet gut den Vater zu beſtechen:
des Königs Stütze wird der Herzog ſein.
Doch morgen mehr.
Jetzt eil’ ich nach Madrid.
Mich ruft mein königliches Amt. Die Peſt
der Ketzerei ſteckt meine Völker an,
der Aufruhr wächſt in meinen Niederlanden.
Es iſt die höchſte Zeit. Ein ſchauerndes
Exempel ſoll die Irrende bekehren.
Den großen Eid, den alle Könige
der Chriſtenheit geloben, löſ’ ich morgen.
[71]Erſter Akt.
Dieß Blutgericht ſoll ohne Beiſpiel ſein;
mein ganzer Hof iſt feierlich geladen.
Und Sie begleiten mich.
Barmherzigkeit!
Ich bin ein Weib — ein weiches Weib — ein
Menſch —
Auch eine Chriſtinn, hoff’ ich — Kommen Sie,
es zu beweiſen.
Siebenter Auftritt.
Marquis von Poſa, kommen von der entge-
gen geſetzten Seite.
Sage mir nichts mehr.
Ich bin entſchloſſen. Flandern ſei gerettet.
Sie will es: das iſt mir genug.
[72]Dom Karlos.
Auch iſt
kein Augenblick mehr zu verlieren. Herzog
von Alba, ſagt man, iſt im Kabinet
bereits zum Gouverneur ernannt.
Ernannt!
Doch noch nicht abgegangen? — Morgen alſo
verlang’ ich Audienz bei meinem Vater.
Ich fodre dieſes Amt für mich. Es iſt
die erſte Bitte, die ich an ihn wage.
Er kann mir ſie nicht weigern. Lange ſchon
ſieht er mich ungern in Madrid. Welch ein
willkomm’ner Vorwand mich [entfernt] zu halten!
Und — ſoll ich Dir’s geſtehen, Rodrigo? —
ich hoffe mehr — Vielleicht gelingt es mir,
von Angeſicht zu Angeſicht mit ihm
in ſeiner Gunſt mich wieder herzuſtellen,
Er hat noch nie die Stimme der Natur
gehört — Laß mich verſuchen, Rodrigo,
was ſie auf meinen Lippen wird vermögen!
Jetzt endlich hör’ ich meinen Karlos wieder!
Jetzt ſind Sie wieder ganz Sie ſelbſt.
[73]Erſter Akt.
Ich fühle
in jeder Ader Gottheit — So viel konnte
der Anblick meiner Königinn.
Achter Auftritt.
So eben
hat der Monarch Aranjuez verlaſſen.
Ich habe den Befehl —
Schon gut, Graf Lerma.
Ich treffe mit dem König ein.
Sonſt haben
mir Eure Hoheit nichts mehr aufzutragen?
Nichts, Chevalier. Ich wünſche Ihnen Glück
[74]Dom Karlos.
zu Ihrer Ankunft in Madrid. Sie werden
noch mehreres von Flandern mir erzählen.
Ich folge gleich.
Neunter Auftritt.
Ich habe Dich verſtanden.
Ich danke Dir — Doch dieſen Zwang ent-
ſchuldigt
nur eines Dritten Gegenwart. Sind wir
nicht Brüder? — Dieſes Poſſenſpiel des
Ranges
ſei künftighin aus unſerm Bund verwieſen!
Berede Dich, wir beide hätten uns
auf einem Ball mit Masken eingefunden,
in Sklavenkleider Du, und ich aus Laune
in einen Purpur eingemummt. So lange
der Faſching währt, verehren wir die Lüge,
der Rolle treu mit lächerlichem Ernſt,
den ſüßen Rauſch des Haufens nicht zu ſtören.
[75]Erſter Akt.
Doch durch die Larve winkt Dein Karl Dir zu,
Du drückſt mir im Vorübergehn die Hände,
und wir verſtehen uns.
Der Traum iſt göttlich.
Doch wird er nie verfliegen? Iſt mein Karl
auch ſeiner ſo gewiß, den Reitzungen
der unumſchränkten Majeſtät zu trotzen?
Noch iſt ein großer Tag zurück — ein Tag —
wo dieſer Heldenſinn — ich will Sie mahnen —
in einer ſchweren Probe ſinken wird.
Dom Philipp ſtirbt. Karl erbt das größte Reich
der Chriſtenheit — Ein ungeheurer Spalt
reißt vom Geſchlecht der Sterblichen ihn los,
und Gott iſt heut, wer geſtern Menſch noch war.
Jetzt hat er keine Schwächen mehr. Die
Pflichten
der Ewigkeit verſtummen ihm. Die Menſchheit
— noch heut ein großes Wort in ſeinem Ohr —
verkauft ſich ſelbſt und kriecht um ihren Götzen.
Sein Mitgefühl löſcht mit dem Leiden aus,
in Wollüſten ermattet ſeine Tugend,
für ſeine Thorheit ſchickt ihm Peru Gold,
für ſeine Laſter zieht ſein Hof ihm Teufel.
Er ſchläft berauſcht in dieſem Himmel ein,
den ſeine Sklaven liſtig um ihn ſchufen.
[76]Dom Karlos.
Lang’, wie ſein Traum, währt ſeine Gottheit —
Wehe
dem Raſenden, der ihn mitleidig weckte.
Was aber würde Rodrigo? — Die Freund-
ſchaft
iſt wahr und kühn — Die kranke Majeſtät
hält ihren fürchterlichen Strahl nicht aus.
Den Stolz des Bürgers würden Sie nicht
dulden,
ich nicht den Trotz des Fürſten.
Wahr und ſchrecklich
iſt Dein Gemählde von Monarchen. Ja,
ich glaube Dir — Doch nur die Wolluſt ſchloß
dem Laſter ihre Herzen aus. — — Ich bin
noch rein — ein drei und zwanzigjähr’ger Jüng-
ling.
Was vor mir Tauſende gewiſſenlos
in ſchwelgenden Umarmungen verpraßten,
des Geiſtes beſte Hälfte, Männerkraft,
hab’ ich dem künft’gen Herrſcher aufgehoben.
Der Wolluſt Pfeil zerbrach an dieſer Bruſt
lang’, ehe noch Eliſabeth hier herrſchte.
Ob ich ihn jetzt noch fürchten werde? — Sprich!
Was könnte Dich aus meinem Herzen drängen,
wenn es nicht Weiber thun?
[77]Erſter Akt.
Ich ſelbſt. Könnt’ ich
ſo innig Sie noch lieben, Karl, wenn ich
Sie fürchten müßte.
Das wird nie geſchehen.
Bedarfſt Du meiner? Haſt Du Leidenſchaften,
die von dem Throne betteln? Reitzt Dich
Gold?
Du biſt ein reich’rer Unterthan, als ich
ein König je ſein werde — Geitzeſt Du
nach Ehre? Schon als Jüngling hatteſt Du
ihr Maß erſchöpft — Du haſt ſie ausge-
ſchlagen.
Wer von uns wird der Gläubiger des andern,
und wer der Schuldner ſein? — Du ſchweigſt?
Du zitterſt
vor der Verſuchung? Nicht gewiſſer biſt
Du Deiner ſelbſt?
Wohlan. Ich weiche.
Hier meine Hand.
Der Meinige?
[78]Dom Karlos.
Auf ewig
und in des Worts verwegenſter Bedeutung.
So treu und warm, wie heute dem Infanten,
auch dermaleinſt dem König zugethan?
Das ſchwör’ ich Ihnen.
Dann auch, wenn der Wurm
der Schmeichelei mein unbewachtes Herz
umklammerte — wenn dieſes Auge Thränen
verlernte, die es ſonſt geweint — dieß Ohr
dem Flehen ſich verriegelte, willſt Du
ein ſchreckenloſer Hüter meiner Tugend,
mich kräftig faſſen, meinen Genius
bei ſeinem großen Namen rufen?
Ja.
Und jetzt noch eine Bitte, Lieber — Nenne
mich Du. Ich habe Deinesgleichen immer
um dieſes Vorrecht der Vertraulichkeit,
[79]Erſter Akt.
das ſchöne Denkmahl der Natur beneidet.
Dieß brüderliche Du betrügt mein Ohr
mit ſüßen Ahndungen von Gleichheit. Wende
mir nichts ein. Was Du ſagen willſt, errath’
ich.
Dir iſt es Kleinigkeit, ich weiß — doch mir,
dem Königsſohne, iſt es viel. Willſt Du
mein Bruder ſein?
Dein Bruder.
Jetzt zum König.
Ich fürchte nichts mehr — Arm in Arm mit
Dir —
So fodr’ ich mein Jahrhundert in die Schran-
ken.
[80]
Zweiter Akt.
Erſter Auftritt.
Thronhimmel niederläßt. Herzog von Alba,
in einiger Entfernung von dem König mit
bedecktem Haupt. Dom Karlos, welchem
Lerma den Saal öffnet.
und tritt einige Schritte weiter zurück. Es herrſcht
auf einige Augenblicke ein allgemeines Stillſchweigen.
Der Prinz ſieht mit Empfindlichkeit und Befremdung
auf den Herzog und dann auf den König.
Ich ſteh’ erwartend, welche beßre Stunde
die Majeſtät des Königs meiner Bitte
beſtimmen wird.
[81]Zweiter Akt.
Geht des Infanten Bitte
mich oder meine Stunden an? Entſcheiden
wird ſie mein königlicher Schluß; es ſei
ihm zugeſtanden ſie mir vorzutragen.
Den Vortritt hat das Königreich. Sehr gerne
ſteht Karlos dem Miniſter nach. Er ſpricht
für Spanien — ich bin der Sohn des Hauſes.
Der Herzog bleibt, und der Infant mag reden.
So muß ich denn von Ihrer Großmuth, Her-
zog,
den König mir als ein Geſchenk erbitten.
Ein Kind — Sie wiſſen ja — kann mancherlei
an ſeinen Vater auf dem Herzen tragen,
das ſchwerlich für den Dritten taugt. Der
König
ſoll Ihnen unbenommen ſein — ich will
den Vater nur für dieſe kurze Stunde.
F
[82]Dom Karlos.
Hier ſteht ſein Freund.
Hab’ ich es auch verdient
den meinigen im Herzog zu vermuthen?
Auch je verdienen mögen? — Mir gefallen
die Söhne nicht, die beßre Wahlen treffen
als ihre Väter.
Kann der Ritterſtolz
des Herzogs Alba dieſen Auftritt hören?
So wahr ich bin, den Überläſtigen,
der zwiſchen Sohn und Vater, die geweihten
Myſterien der heiligen Natur,
ſich einzudrängen nicht erröthet, der
in ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle
ſo dazuſtehen ſich verdammt, möcht’ ich
bei Gott — und gält’s ein Diadem — nicht
ſpielen.
[83]Zweiter Akt.
den Prinzen.
Entfernt Euch, Herzog!
Karlos gekommen war; der König winkt ihm nach
einer andern.
Nein, in’s Kabinet,
bis ich Euch rufe.
Zweiter Auftritt.
auf den König zu, und fällt vor ihm nieder. Im Aus-
druck der höchſten Empfindung:
Jetzt mein Vater wieder,
jetzt wieder mein, und meinen beſten Dank
für dieſe Gnade — Ihre Hand, mein Vater —
O ſüßer Tag — Die Wonne dieſes Kuſſes
war Ihrem Kinde lange nicht gegönnt.
F 2
[84]Dom Karlos.
Warum denn nicht? Warum nicht? — O
mein König,
wie viele Wunden meiner Seele fangen
zu bluten an mit der Erinnerung!
Warum von Ihrem Herzen mich ſo lange
verſtoßen, Vater? Was hab’ ich gethan?
Unſel’ger Argwohn, ew’ger Buſenwurm
der Könige, der auch die feſte Schlinge
des heiligen Inſtinkts zernagt! — Iſt’s mög-
lich?
Schon drei und zwanzig Jahre nennt die Welt
mich Philipps Sohn — nur Er hat’s nie
erfahren.
Infant, Dein Herz weiß nichts von dieſen
Künſten.
Erſpare ſie, ich mag ſie nicht.
Das war es!
da hör’ ich Ihre Höflinge — Mein Vater,
es iſt nicht gut, bei Gott! nicht alles gut,
nicht alles, was ein Prieſter ſagt, nicht alles,
was eines Prieſters Kreaturen ſagen.
Ich bin nicht ſchlimm, mein Vater — heißes
Blut
[85]Zweiter Akt.
iſt meine Bosheit — mein Verbrechen Jugend.
Schlimm bin ich nicht, ſchlimm warlich nicht;
wenn auch
oft wilde Wallungen mein Herz verklagen,
mein Herz iſt gut —
Dein Herz iſt rein, ich weiß es,
wie Dein Gebet.
So mag des Welterlöſers
Barmherzigkeit wie einen böſen Wurm
mich von ſich ſchleudern, heuchle ich — Sehr
ernſt
und feierlich iſt mir in dieſer Stunde
zu Muthe — Niemals oder Jetzt — Wir ſind
allein — des Ranges Ketten abgefallen —
der Etikette bange Scheidewand
iſt zwiſchen Sohn und Vater eingeſunken.
Jetzt oder nie. Ein Sonnenſtrahl der Hoff-
nung
glänzt in mir auf, und eine ſüße Ahndung
fliegt durch mein Herz — der ganze Himmel
beugt
mit Schaaren froher Engel ſich herunter,
voll Rührung ſieht der Dreimalheilige
[86]Dom Karlos.
dem großen, ſchönen Auftritt zu — Mein
Vater!
Verſöhnung!
Laß mich und ſteh auf!
Verſöhnung!
Zu kühn wird dieſes Gaukelſpiel —
Zu kuͤhn
die Liebe Deines Kindes?
Vollends Thränen?
Unwürd’ger Anblick — Geh aus meinen Au-
gen.
Jetzt oder nie — Verſöhnung Vater!
Weg
aus meinen Augen! Komm mit Schmach bedeckt
[87]Zweiter Akt.
aus meinen Schlachten, meine Arme ſollen
geöffnet ſein Dich zu empfangen — So
verwerf’ ich Dich!
Die feige Schuld allein
wird ſich in ſolchen Quellen ſchimpflich waſchen.
Wer zu bereuen nicht erröthet, wird
ſich Reue nie erſparen.
Erſtaunen an.
Wer iſt das?
Durch welchen Mißverſtand hat dieſer Fremd-
ling
zu Menſchen ſich verirrt? — Die ewige
Beglaubigung der Menſchheit ſind ja Thränen:
ſein Aug’ iſt trocken, ihn gebar kein Weib.
Was Wolluſt aus der Marter preßt, was ſelbſt
den Kummer neidenswürdig macht, den Men-
ſchen
noch einmal an den Himmel knüpft, und Engel
zur Sterblichkeit herunterlocken könnte,
des Weinens ſüße Freuden kennt er nicht.
O zwingen Sie die nie benetzten Augen
noch zeitig Thränen einzulernen, ſonſt,
[88]Dom Karlos.
ſonſt möchten Sie’s in einer harten Stunde
noch nachzuhohlen haben.
Bildeſt Du
Dir ein, den ſchweren Zweifel Deines Vaters
mit ſchönen Worten zu erſchüttern?
Zweifel?
Ich will ihn tilgen, dieſen Zweifel — will
mich hängen an das Vaterherz, will reißen,
will mächtig reißen an dem Vaterherzen,
bis dieſes Zweifels felſenfeſte Rinde
von dieſem Herzen niederfaͤllt. — Wer ſind ſie,
die mich aus meines Königs Gunſt vertrieben?
Was bot der Mönch dem Vater für den Sohn?
Was wird ihm Alba für ein kinderlos
verſcherztes Leben für Vergütung geben?
Sie wollen Liebe? — Hier in dieſem Buſen
ſpringt eine Quelle, friſcher, feuriger,
als in den trüben, ſumpfigen Behältern,
die Philipps Gold erſt öffnen muß.
Vermeßner,
halt ein! — Die Männer die Du ſchändeſt,
ſind die geprüften Diener meiner Wahl,
[89]Zweiter Akt.
ſind meines Thrones Stützen — Stolzer
Knabe,
und Du wirſt ſie verehren.
Nimmermehr.
Ich fühle mich. Was Ihre Alba leiſten,
das kann auch Karl, und Karl kann mehr.
Was fragt
ein Miethling nach dem Königreich das nie
ſein eigen ſein wird? Was bekümmert’s den,
wenn Philipps graue Haare weiß ſich fär-
ben?
Sein König bleibt wenn Philipp nicht mehr
iſt,
und dort wie hier wird ſeine Münze gelten.
Ihr Karlos hätte Sie geliebt — — Mir
graut
vor dem Gedanken, einſam und allein,
auf einem Thron allein zu ſeyn. —
ſich gekehrt. Nach einer Pauſe:
Ich bin
allein.
[90]Dom Karlos.
Sie ſind’s geweſen. Haſſen Sie mich
nicht mehr,
ich will Sie kindlich, will Sie feurig lieben,
nur haſſen Sie mich nicht mehr — Wie ent-
zückend
und ſüß iſt es, in einer ſchönen Seele
verherrlicht uns zu fühlen, es zu wiſſen,
daß unſre Freude fremde Wangen röthet,
daß unſre Angſt in fremdem Buſen zittert,
daß unſre Leiden fremde Augen wäſſern —
Wie ſchön iſt es und herrlich, Hand in Hand
mit einem theuern, vielgeliebten Sohn
der Jugend Roſenbahn zurückzueilen,
des Lebens Traum noch einmal durchzuträumen,
wie groß und ſüß in ſeines Kindes Tugend
unſterblich, unvergänglich fortzudauern,
wohlthätig für Jahrhunderte, — wie ſchön
und göttlich groß, im Orient des Sohnes
noch einmal zu der Nachwelt umzukehren,
der Sonne gleich, die in der Spiegelſcheibe
des Mondes wieder auferſteht — wie ſüß,
zu pflanzen was ein lieber Sohn einſt ärntet,
zu ſammeln was ihm wuchern wird, zu ahn-
den
[91]Zweiter Akt.
wie hoch ſein Dank einſt flammen wird — —
Mein Vater,
von dieſem Erdenparadieſe ſchwiegen
ſehr weislich Ihre Mönche.
O mein Sohn,
mein Sohn! Du brichſt Dir ſelbſt den Stab.
Sehr reitzend
mahlſt Du ein Glück, das Du mir nie gewährteſt.
Das richte der Allwiſſende! — Sie ſelbſt —
Sie ſchloſſen mich, wie aus dem Vaterherzen,
von Ihres Zepters Antheil aus. Bis jetzt,
bis dieſen Tag — o war das gut, war’s
billig? —
bis jetzt mußt’ ich, der Erbprinz Spaniens,
in Spanien ein Fremdling ſein, Gefangner
auf dieſem Grund, wo ich einſt Herr ſein werde.
War das gerecht, war’s gütig? — O wie oft,
wie oft, mein Vater, ſah ich ſchaamroth nieder,
wenn die Geſandten fremder Potentaten,
wenn Zeitungsblätter mir das Neueſte
vom Hofe zu Aranjuez erzählten!
[92]Dom Karlos.
Mit ſchwerem Herzen ſcherzt’ ich dann: „Der
König
thut darum nur mit ſeinem Reich ſo heimlich,
den guten Sohn einſt deſto herrlicher
am Krönungstag zu überraſchen.“
Karlos,
ſehr viel ſprichſt Du von jenen Zeiten, wo
Dein Vater nicht mehr ſein wird.
Nein, bei Gott!
von jenen nur, wo ich ein Mann ſein darf;
und wer iſt ſchuld, wenn beide gleich viel heißen?
Es iſt ein ehrenvolles Amt, mein Sohn,
das Du bei mir bekleideſt — ein genauer
Minutenweiſer meiner Sterblichkeit —
mich, Deinen Vater, der Dir Leben gab,
aus Dankbarkeit nur an den Tod zu mahnen.
Beſchäftigung, mein Vater, und Ihr Zepter
mag dauern bis zum Weltgericht.
[93]Zweiter Akt.
Geduld!
Zu heftig brauſt das Blut in Deinen Adern,
Du würdeſt nur zerſtören.
Geben Sie
mir zu zerſtören, Vater — Heftig brauſt’s
in meinen Adern — drei und zwanzig Jahre,
und König Philipps Sohn, und nichts gebaut,
und nichts zertrümmert unter dieſem Monde.
Ich bin erwacht, ich fühle mich — Mein
Ruf
zum Königsthron pocht wie ein Gläubiger
aus meinem Schlummer mich empor, und alle
verlorne Stunden meiner Jugend mahnen
mich laut wie Ehrenſchulden. Er iſt da,
der große ſchöne Augenblick, der endlich
des hohen Pfundes Zinſen von mir fodert:
mich ruft die Weltgeſchichte, Ahnenruhm,
und des Gerüchtes donnernde Poſaune.
Nun iſt die Zeit gekommen, mir des Ruhmes
glorreiche Schranken aufzuthun — — Mein
König,
darf ich die Bitte auszuſprechen wagen,
die mich hieher geführt?
[94]Dom Karlos.
Noch eine Bitte?
Entdecke ſie.
Der Aufruhr in Brabant
wächſt drohend an. Der Starrſinn der Rebellen
heiſcht ſtarke, kluge Gegenwehr. Die Wuth
der Schwärmer zu bezähmen, ſoll der Herzog
ein Heer nach Flandern führen, von dem König
mit ſouverainer Vollmacht ausgeſtattet.
Wie ehrenvoll iſt dieſes Amt, und wie
ſo ganz dazu erfunden, Philipps Sohn,
des großen Kaiſers Enkel, bei der Welt
und Nachwelt einzuführen! — Mir, mein
König,
mir übergeben Sie das Heer. Mich lieben
die Niederländer, ich erkühne mich
mein Blut für ihre Treue zu verbürgen.
Du redeſt wie ein Träumender. Dieß Amt
will einen Mann und keinen Jüngling —
Will
nur einen Menſchen, Vater, und das iſt
das Einzige, was Alba nie geweſen.
[95]Zweiter Akt.
Und Schrecken bändigt die Empörung nur,
Erbarmung hieße Wahnſinn — Deine Seele
iſt weich, mein Sohn, der Herzog wird ge-
fürchtet — —
Steh ab von Deiner Bitte.
Schicken Sie
mich mit dem Heer nach Flandern, wagen
Sie’s
auf meine weiche Seele. Schon der Name
des königlichen Sohnes, der voraus
vor meinen Fahnen fliegen wird, erobert,
wo Herzog Alba’s Henker nur verheeren.
Auf meinen Knieen bitt’ ich drum. Es iſt
die erſte Bitte meines Lebens — Vater,
vertrauen Sie mir Flandern —
ten mit einem durchdringenden Blick betrachtet.
Und zugleich
mein beſtes Kriegsheer Deiner Herrſchbe-
gierde?
Das Meſſer meinem Mörder?
[96]Dom Karlos.
O mein Gott!
Bin ich nicht weiter, und iſt das die Frucht
von dieſer längſt erbetnen großen Stunde?
Antworten Sie mir ſanfter. Schicken Sie
mich ſo nicht weg. Mit dieſer übeln Antwort
möcht’ ich nicht gern entlaſſen ſein, nicht gern
entlaſſen ſein mit dieſem ſchweren Herzen.
Antworten Sie mir ſanfter. Thun Sie etwas,
das meine kindliche Verpflichtung ſchärft,
das mich als Ihren Schuldner ewig bindet;
behandeln Sie mich gnädiger. Es iſt
mein dringendes Bedürfniß, iſt mein letzter,
verzweifelter Verſuch. Nur Dankbarkeit
kann meine Tugend retten —
Deine Tugend?
Gott was hab’ ich geſprochen? — — Va-
ter, ich
war außer mir — ich kann’s nicht faſſen, kann’s
[97]Zweiter Akt.
nicht ſtandhaft tragen wie ein Mann, daß Sie
mir alles, alles, alles ſo verweigern — —
Jetzt laſſen Sie mich von Sich. Unerhört,
von tauſend ſüßen Ahndungen betrogen,
geh’ ich aus Ihrem Angeſicht — Ihr Alba
und Ihr Domingo werden ſiegreich thronen,
wo jetzt Ihr Kind im Staub geweint. Die
Schaar
der Höflinge, die bebende Grandezza,
der Mönche ſünderbleiche Zunft war Zeuge,
als Sie mir feierlich Gehör geſchenkt.
Beſchämen Sie mich nicht. So tödtlich, Vater,
verwunden Sie mich nicht, dem frechen Hohn
des Hofgeſindes ſchimpflich mich zu opfern,
daß Fremdlinge von Ihrer Gnade ſchwelgen,
Ihr Karlos nichts erbitten kann. Zum Pfande
daß Sie mich ehren wollen, ſchicken Sie
mich mit dem Heer nach Flandern.
Wiederhohle
dieß Wort nicht mehr, bei Deines Königs Zorn.
Ich wage meines Königs Zorn, und bitte
zum letztenmal: vertrauen Sie mir Flandern.
Ich ſoll und muß aus Spanien. Ein Übel,
G
[98]Dom Karlos.
das niemand ahndet, tobt in mir. Mein
Hierſein
iſt Athemhohlen unter Henkershand,
ſchwer liegt der Himmel zu Madrid auf mir,
wie das Bewußtſein eines Mords. Nur
ſchnelle
Veränderung des Himmels kann mich heilen.
Wenn Sie mich retten wollen — ſchicken Sie
mich ungeſäumt nach Flandern.
Solche Kranke
wie Du, mein Sohn, verlangen gute Pflege,
und wohnen unterm Aug’ des Arzts. Du
bleibſt
in Spanien, der Herzog geht nach Flandern.
O jetzt umringt mich, gute Geiſter — —
Halt!
Was wollen dieſe Mienen ſagen?
[99]Zweiter Akt.
Vater,
unwiderruflich bleibt’s bei der Entſcheidung?
Sie kam vom König.
Mein Geſchäft iſt aus.
ruft er ihn zurück.
Infant, Dein ſtilles Weggehn iſt nicht Demuth.
Nein.
Nein?
Denn eben träumte mir, ich ſähe
das Teſtament des Kaiſers, Ihres Vaters,
auf einem Scheiterhaufen rauchen —
G 2
[100]Dom Karlos.
Ha! was ſoll das?
Ein großer Mann, ein ſo vollkommner Kaiſer,
und das Inſekt will klagen! — Ich em-
pfange,
Er aber gab — und wie unendlich viel
mag noch zu einem ſolchen Sohn mir fehlen,
als er ein Vater war — —
Zu ſchwer, o Gott!
liegt Deine Hand auf mir — Mein Sohn —
mein Sohn —
[101]Zweiter Akt.
Dritter Auftritt.
Nachdenken verſunken ſtehen — endlich geht
er einige Schritte im Saale auf und nieder.
Alba nähert ſich verlegen.
Seid jede Stunde des Befehls gewärtig,
nach Brüſſel abzugehen.
Alles ſteht
bereit, mein König.
Eure Vollmacht liegt
verſiegelt ſchon im Kabinet. Indeſſen
nehmt Euren Urlaub von der Königinn,
und zeiget Euch zum Abſchied dem Infanten.
Mit den Geberden eines Wüthenden
ſah ich ihn eben dieſen Saal verlaſſen.
Auch Eure königliche Majeſtät
ſind außer Sich und ſcheinen tief bewegt — —
Vielleicht der Inhalt des Geſprächs? —
[102]Dom Karlos.
Der Inhalt
war Herzog Alba.
Ruhig, Herzog. Nie
wird meine erſte Meinung von Euch wanken.
ihn ſcharf zu beobachten.
Der Prinz iſt Euer Freund nicht.
Ich bin ſtolz
Ein Schickſal mit dem Könige zu theilen.
Ich wüßte nicht, was ich mit Herzog Alba
zu theilen hätte — — Gerne mag ich hören,
daß Karlos meine Räthe haßt, doch mit
Verdruß entdeck’ ich, daß er ſie verachtet.
Jetzt keine Antwort. Ich erlaube Euch
den Prinzen zu verſöhnen.
[103]Zweiter Akt.
Mein Monarch,
Ich bin Soldat und Ritter.
Der Infant
iſt Eures Königs Sohn — — und wer von
Euch
berechtigt iſt, Abbitte von dem andern
zu fodern, das entſcheidet ſelbſt — — Sagt
an,
wer war es doch, der mich zum erſtenmal
vor meines Sohnes ſchwarzem Anſchlag
warnte?
Da hört’ ich Euch und nicht auch ihn. Ich
will
die Probe wagen, Herzog. Künftighin
ſteht Karlos meinem Throne näher. Geht.
entfernt ſich durch eine andre Thüre.
[104]Dom Karlos.
Vierter Auftritt.
Königinn.
einem Pagen durch die Mittelthüre. Die
Hofleute, welche ſich in der Antichambre befin-
den, zerſtreuen ſich bei ſeiner Ankunft in den
angränzenden Zimmern.
Ein Brief an mich? — Wozu denn dieſer
Schlüſſel? —
Und beides mir ſo heimlich überliefert? —
Komm näher — Wo empfingſt Du das?
Wie mich
die Dame merken laſſen, will ſie lieber
errathen als beſchrieben ſein —
Die Dame?
Was? — Wie? — Wer biſt Du denn?
[105]Zweiter Akt.
Ein Edelknabe
von Ihrer Majeſtät der Königinn — —
den Mund drückend.
Du biſt des Todes. Halt! Ich weiß genug.
äußerſte Ende des Saals, den Brief zu leſen. Unter-
deſſen kommt der Herzog von Alba, und geht, ohne von
dem Prinzen bemerkt zu werden, an ihm vorbei in der
Königinn Zimmer. Karlos fängt an heftig zu zittern,
und wechſelsweiſe zu erblaſſen und zu erröthen. Nach-
dem er geleſen hat, ſteht er lange ſprachlos, die Augen
ſtarr auf den Brief geheftet — Endlich wendet er ſich
zu dem Pagen.
Sie gab Dir ſelbſt den Brief?
Mit eignen Händen.
Sie gab Dir ſelbſt den Brief? — — O
ſpotte nicht!
Noch hab ich nichts von ihrer Hand geleſen,
ich muß Dir glauben wenn Du ſchwören
kannſt.
[106]Dom Karlos.
Wenn’s Lüge war, geſteh mir’s offenherzig,
und treibe keinen Spott mit mir.
Mit wem?
zweifelhafter, forſchender Miene. Nachdem er einen
Gang durch den Saal gemacht hat:
Du haſt noch Eltern? Ja? Dein Vater
dient
dem Könige, und iſt ein Kind des Landes?
Er fiel bei Saint Quentin, ein Oberſter
der Reiterei des Herzogs von Savoien,
und hieß Alonzo Graf von Henarez.
deutend auf ihn heftet.
Den Brief gab Dir der König?
Gnäd’ger Prinz,
verdien’ ich dieſen Argwohn?
[107]Zweiter Akt.
Du kannſt weinen?
O dann vergieb mir!
„Dieſer Schlüſſel öffnet
„die hintern Zimmer im Pavillon
„der Königinn. Das äußerſte von allen
„ſiößt ſeitwärts an ein Kabinet, wohin
„noch keines Horchers Fußtritt ſich verloren.
„Hier darf die Liebe frei und laut geſtehn,
„was ſie ſo lange Winken nur vertraute.
„Erhörung wartet auf den Furchtſamen,
„und ſchöner Lohn auf den beſcheidnen Dulder.“
E.
Ich träume nicht — ich raſe nicht — das iſt
mein rechter Arm — das iſt mein Schwert —
das ſind
geſchriebne Silben. Es iſt wahr und wirklich.
Ich bin geliebt — ich bin es — ja ich bin
der Glücklichſte der Glücklichen, ſo weit
das Unermeßliche von Bürgern wimmelt.
Ich bin geliebt!
zum Himmel empor geworfen.
[108]Dom Karlos.
Allmächtiger! warum,
warum bin ich nicht Herr von deiner Welt,
um ſie in meiner Freude zu verſchenken!
So kommen Sie, mein Prinz, ich führe Sie.
Erſt laß mich zu mir ſelber kommen — Zittern
nicht alle Schrecken dieſes Glücks noch in mir?
Hab’ ich ſo ſtolz gehofft? Hab’ ich das je
zu träumen mir getraut? Wo iſt der Menſch,
der ſich ſo ſchnell gewöhnte Gott zu ſein? —
Wer war ich, und wer bin ich nun? Das iſt
ein andrer Himmel, eine andre Sonne,
als vorhin da geweſen war — das iſt
die Welt nicht mehr, wo Thränen fließen ſol-
len —
Nein, das war nur ein Fiebertraum — er iſt
vorüber, ich bin aufgewacht. Sie liebt mich!
O laß mich — laß mich’s ringsherum dem
ganzen
Madrid, dem Hof, dem Königreich erzählen,
erzählen wie ich glücklich bin.
[109]Zweiter Akt.
Wohin?
Wem wollen Sie erzählen? Sie vergeſſen — —
Den König, meinen Vater!
fängt an ſich zu ſammeln.
Das iſt ſchrecklich —
Ja ganz recht, Freund. Ich danke Dir, ich
war
ſo eben nicht ganz bei mir — Daß ich das
verſchweigen ſoll, der Seligkeit ſo viel
in dieſe Bruſt vermauern ſoll, das, das
iſt ſchrecklich — Unterirdiſch Gold, ſagt man,
wird unter Todtenſtille nur gehoben.
Drum will ich auch nicht athmen.
Was Du heute
geſehen haſt — hörſt Du? — und nicht ge-
ſehn,
ſei wie ein Sarg in Deiner Bruſt verſunken.
Jetzt geh. Ich will mich finden. Geh. Man
darf
uns hier nicht treffen. Geh —
[110]Dom Karlos.
Doch halt! doch höre! —
Hand auf die Schulter, und ſieht ihm ernſt und feier-
lich in’s Geſicht.
Du nimmſt ein ſchreckliches Geheimniß mit,
das jenen ſtarken Giften gleich die Schale,
worin es aufgefangen wird, zerſprengt —
Trag es dem Throne nicht zu nah — auch
nicht
zu nah dem Falkenblick des Müßiggangs.
Beherrſche Deine Mienen gut. Dein Kopf
erfahre niemals was Dein Buſen hütet.
Sei wie das todte Sprachrohr, das den Schall
empfängt und wiedergibt, und ſelbſt nicht
höret.
Du biſt ein Knabe — ſei es immerhin
und fahre fort den Frölichen zu ſpielen —
Wie gut verſtand’s die kluge Schreiberinn,
der Liebe einen Boten auszuleſen!
Hier ſucht der König ſeine Nattern nicht.
Und ich, mein Prinz, ich werde ſtolz drauf
ſein,
[111]Zweiter Akt.
um ein Geheimniß reicher mich zu wiſſen,
als ſelbſt der König —
Eitler junger Thor,
das iſt’s wovor Du zittern mußt — Ge-
ſchieht’s,
daß wir uns öffentlich begegnen, ſchüchtern,
mit Unterwerfung nah’ſt Du mir. Laß nie
die Eitelkeit zu Winken Dich verführen,
wie gnädig der Infant Dir ſei. Du kannſt
nicht ſchwerer ſündigen, mein Sohn, als
wenn
Du mir gefällſt — Was Du mir künftig
magſt
zu hinterbringen haben, ſprich es nie
mit Silben aus, vertrau’ es nie den Lippen;
den allgemeinen Fahrweg der Gedanken
betrete Deine Zeitung nicht; viel lieber
laß ſie, dem aufgejagten Mörder gleich,
durch bahnenloſe Wüſten zu mir kriechen,
wo niemand ihre Spuren ſucht. Du ſprichſt
mit Deinen Wimpern, Deinem Zeigefinger,
ich höre Dir mit Blicken zu. Die Luft,
das Licht um uns iſt Philipps Kreatur;
die tauben Wände ſtehn in ſeinem Solde — —
[112]Dom Karlos.
Man kommt —
von Alba tritt heraus.
Hinweg! auf Wiederſehen!
Prinz,
daß Sie das rechte Zimmer nur nicht fehlen!
Es iſt der Herzog — Nein doch, nein, ſchon gut,
ich finde mich.
Fünfter Auftritt.
Zwei Worte, gnäd’ger Prinz.
Ganz recht — ſchon gut — ein andermal.
[113]Zweiter Akt.
Der Ort
ſcheint freilich nicht der ſchicklichſte. Vielleicht
gefällt es Eurer königlichen Hoheit
auf Ihrem Zimmer mir Gehör zu geben?
Wozu? das kann hier auch geſchehn — Nur
ſchnell,
nur kurz —
Was eigentlich hieher mich führt,
iſt, Eurer Hoheit unterthän’gen Dank
für das bewußte abzutragen —
Dank?
Mir Dank? wofür? — und Dank von Her-
zog Alba?
Denn kaum daß Sie das Zimmer des Mo-
narchen
verlaſſen hatten, ward mir angekündigt
nach Brüſſel abzugehen.
H
[114]Dom Karlos.
Brüſſel! So!
Wem ſonſt, mein Prinz, als Ihrer gnädigen
Verwendung bei des Königs Majeſtät
kann ich es zuzuſchreiben haben? —
Mir?
Mir ganz und gar nicht — mir wahrhaftig
nicht.
Sie reiſen — reiſen Sie mit Gott!
Sonſt nichts?
Das nimmt mich Wunder — Eure Hoheit
hätten
mir weiter nichts nach Flandern aufzutragen?
Was ſonſt? was dort?
Doch ſchien es noch vor kurzem,
als forderte das Schickſal dieſer Länder
Dom Karlos eigne Gegenwart.
[115]Zweiter Akt.
Wie ſo?
Doch ja — ja recht — das war vorhin —
das iſt
auch ſo ganz gut, recht gut, um ſo viel beſſer —
Ich höre mit Verwunderung —
Sie ſind
ein großer General — wer weiß das nicht?
Der Neid muß es beſchwören. Ich — ich
bin
ein junger Menſch. So hat es auch der Kö-
nig
gemeint. Der König hat ganz Recht, ganz
Recht.
Ich ſeh’s jetzt ein, ich bin vergnügt, und alſo
genug davon. Glück auf den Weg. Ich
kann
jetzt, wie Sie ſehen, ſchlechterdings — ich bin
ſo eben etwas überhäuft — das weitere
auf morgen, oder wenn Sie wollen, oder
wenn Sie von Brüſſel wiederkommen —
H 2
[116]Dom Karlos.
Wie?
Nach zehen Jahren?
Leben Sie denn wohl.
zog noch immer bleibt.
Sie nehmen gute Jahrszeit mit — Die Reiſe
geht über Mailand, Lothringen, Burgund
und Deutſchland — Deutſchland? — Recht,
in Deutſchland war es!
Da kennt man Sie! — Wir haben jetzt
April;
Mai — Junius, — im Julius, ganz recht,
und ſpäteſtens zu Anfang des Auguſts
ſind Sie in Brüſſel. O ich zweifle nicht,
man wird ſehr bald von Ihren Siegen hören.
Sie werden unſers gnädigſten Vertrauens
ſich werth zu machen wiſſen.
Werd’ ich das,
in meines Nichts durchbohrendem Gefühle?
[117]Zweiter Akt.
Sie ſind empfindlich, Herzog — und mit
Recht.
Es war, ich muß bekennen, wenig Schonung
von meiner Seite, Waffen gegen Sie
zu führen, die Sie nicht im Stande ſind
mir zu erwiedern.
Nicht im Stande? —
Schade,
daß mir’s gerade jetzt an Zeit gebricht,
den würd’gen Kampf mit Alba auszufechten.
Ein andermal —
Prinz, wir verrechnen uns
auf ganz verſchiedne Weiſe. Sie zum Beiſpiel,
Sie ſehen Sich um zwanzig Jahre ſpäter,
ich Sie um eben ſo viel früher.
Nun?
[118]Dom Karlos.
Und dabei fällt mir ein, wie viele Nächte
bei ſeiner ſchönen Portugieſiſchen
Gemahlinn, Ihrer Mutter, der Monarch
wohl drum gegeben hätte, einen Arm
wie dieſen, ſeiner Krone zu erkaufen?
Ihm mocht’ es wohl bekannt ſein, wie viel
leichter
die Sache ſei, Monarchen fortzupflanzen,
als Monarchien — wie viel ſchneller man
die Welt mit einem Könige verſorge,
als Könige mit einer Welt.
Sehr wahr —
Doch, Herzog Alba? doch —
Und wie viel Blut,
Blut Ihres Volkes fließen mußte, bis
zwei Tropfen Sie zum König machen konn-
ten.
Sehr wahr, bei Gott — und in zwei Worte
alles
gepreßt, was des Verdienſtes Stolz dem Stolze
[119]Zweiter Akt.
des Glücks entgegen ſetzen kann — Doch nun
die Anwendung? doch, Herzog Alba?
Wehe
dem zarten Wiegenkinde Majeſtät,
das ſeiner Amme ſpotten kann! Wie ſanft
mag’s auf dem weichen Kiſſen unſrer Siege
ſich ſchlafen laſſen! An der Krone funkeln
die Perlen nur, und freilich nicht die Wun-
den,
mit denen ſie errungen ward — Dieß Schwert
ſchrieb fremden Völkern Spaniſche Geſetze,
es blitzte dem Gekreuzigten voran,
und zeichnete dem Samenkorn des Glaubens
auf dieſem Welttheil blut’ge Furchen vor:
Gott richtete im Himmel, ich auf Erden —
Gott oder Teufel, gilt gleich viel! Sie waren
ſein rechter Arm. Ich weiß das wohl — und
jetzt
nichts mehr davon. Ich bitte. Vor gewiſſen
Erinnerungen möcht’ ich gern mich hüten. —
Ich ehre meines Vaters Wahl. Mein Vater
braucht einen Alba; daß er dieſen braucht,
das iſt es nicht, warum ich ihn beneide.
[120]Dom Karlos.
Sie ſind ein großer Mann — Auch das mag
ſein;
ich glaub’ es faſt. Nur fürcht’ ich, kamen
Sie
um wenige Jahrtauſende zu zeitig.
Ein Alba, ſollt’ ich meinen, war der Mann,
am Ende aller Tage zu erſcheinen:
dann, wenn des Laſters Rieſentrotz die Lang-
muth
des Himmels aufgezehrt, die reiche Ärnte
der Miſſethat in vollen Halmen ſteht,
und einen Schnitter ſonder Beiſpiel fodert,
dann ſtehen Sie an Ihrem Platz — —
O Gott,
mein Paradies! mein Flandern! — Doch ich
ſoll
es jetzt nicht denken. Schweigen wir davon.
Dem menſchlichen Geſchlechte Menſchen opfern,
iſt höhere Barmherzigkeit, mein Prinz,
als auf Gefahr der Menſchheit Menſchen lie-
ben.
Ein Beiſpiel gab der Himmel ſelbſt. Die Welt
zu reinigen ging eine Welt einſt unter.
Die Peſt — —
[121]Zweiter Akt.
Die Peſt iſt Ihr Simbol, ich kenn’ es;
der große Aufſchluß über Alba’s Leben
und meines Baters Regiment — Man ſpricht,
Sie führten einen Vorrath Blutſentenzen,
im voraus unterzeichnet, mit? Die Vorſicht
iſt lobenswerth. So braucht man ſich vor
keiner
Schikane mehr zu fürchten — O mein Vater,
wie ſchlecht verſtand ich Deine Meinung!
Härte
gab ich Dir Schuld, weil Du mir ein Ge-
ſchäft
verweigerteſt, wo Deine Alba glänzen? —
Es war der Anfang Deiner Achtung.
Prinz,
dieß Wort verdiente —
Was?
Doch davor ſchützt Sie
der Königsſohn.
[122]Dom Karlos.
Das fodert Blut! — Das Schwert
gezogen, Herzog!
Gegen wen?
Das Schwert
gezogen, ich durchſtoße Sie.
Wenn es
denn ſeyn muß —
[123]Zweiter Akt.
Sechster Auftritt.
zog von Alba.
Bloße Schwerter!
Karlos!
Arm ſinken, ſteht ohne Bewegung und ſinnlos, dann
eilt er auf den Herzog zu, und küßt ihn.
Verſöhnung, Herzog! alles ſei vergeben!
raſch auf, und eilt außer Faſſung fort.
verwendet.
Bei Gott, das iſt doch ſeltſam! —
[124]Dom Karlos.
dann geht ſie langſam nach ihrem Zimmer, an der
Thüre dreht ſie ſich um.
Herzog Alba!
Eboli.
Siebenter Auftritt.
Geſchmack, ſchön, aber einfach gekleidet, ſpielt
die Laute und ſingt. Darauf der Page der
Königinn.
Er kommt!
Sind Sie allein?
[125]Zweiter Akt.
Er kommt!
Ich hör’s an Deiner Tritte Klang, ich hör’s
an Deines Athems ſiegendem Getöne.
Heraus damit! er kommt!
Mich wundert ſehr
ihn noch nicht hier zu finden; doch er muß
im Augenblick erſcheinen.
Muß er? Nun
ſo will er auch — ſo iſt es ja entſchieden —
Er folgt mir auf den Ferſen — Gnäd’ge
Fürſtinn,
Sie ſind geliebt — geliebt, geliebt wie Sie,
kann niemand ſein und niemand ſein geweſen.
Welch eine Scene ſah ich an!
Geſchwinde!
Du ſprachſt mit ihm? Heraus damit! Was
ſprach er?
[126]Dom Karlos.
Wie nahm er ſich? Was waren ſeine Worte?
Er ſchien verlegen, ſchien beſtürzt? Errieth
er die Perſon, die ihm den Schlüſſel ſchickte?
Geſchwinde — Oder rieth er nicht? Er rieth
wohl gar nicht? rieth auf eine falſche? —
Nun?
Antworteſt Du mir denn kein Wort? O pfui,
pfui ſchäme Dich: ſo hölzern biſt Du nie,
ſo unerträglich langſam nie geweſen.
Kann ich zu Worte kommen, Gnädigſte? — —
Ich übergab ihm Billet und Schlüſſel
im Vorſaal bei der Königinn. Er ſtutzte
und ſah mich an, da mir das Wort entwiſchte,
ein Frauenzimmer ſende mich.
Er ſtutzte?
Sehr gut! ſehr brav! nur fort, erzähle weiter.
Ich wollte mehr noch ſagen, da erblaßt’ er,
und riß den Brief mir aus der Hand, und ſah
mich drohend an, und ſagt’, er wiſſe alles.
Den Brief durchlas er mit Beſtürzung, fing
auf einmal an zu zittern.
[127]Zweiter Akt.
Wiſſe alles?
Er wiſſe alles? Sagt’ er das?
Und fragte
mich dreimal, viermal, ob Sie ſelber, wirk-
lich
Sie ſelber mir den Brief gegeben?
Ob
ich ſelbſt? Und alſo nannt’ er meinen Namen?
Den Namen — nein, den nannt’ er nicht —
Es möchten
Spionen, ſagt’ er, in der Gegend horchen,
und es dem König plaudern.
Sagt’ er das?
Dem König, ſagt’ er, liege ganz erſtaunlich,
gar mächtig viel daran, beſonders viel,
von dieſem Briefe Kundſchaft zu erhalten.
[128]Dom Karlos.
Dem König? Haſt Du recht gehört? Dem
König?
War das der Ausdruck, den er brauchte?
Ja!
Er nannt’ es ein gefährliches Geheimniß,
und warnte mich, mit Worten und mit Winken
gar ſehr auf meiner Hut zu ſein, daß ja
der König keinen Argwohn ſchöpfe.
Alles
trifft zu — Es kann nicht anders ſein — er
muß
um die Geſchichte wiſſen — Unbegreiflich!
Wer mag ihm wohl verrathen haben? —
Wer?
Ich frage noch — Wer ſieht ſo ſcharf, ſo tief,
wer anders, als der Falkenblick der Liebe? —
Doch weiter, fahre weiter fort: er las
das Billet — —
Das Billet enthalte
[129]Zweiter Akt.
ein Glück, ſagt’ er, vor dem er zittern müſſe;
das hab’ er nie zu träumen ſich getraut,
und was er ſonſt noch von dem Schlüſſel ſag-
te — —
Zum Unglück trat der Herzog in den Saal,
dieß zwang uns —
Aber was in aller Welt
hat jetzt der Herzog dort zu thun? Der
Schlüſſel?
Was ſagt’ er von dem Schlüſſel? Nicht ſo
haſtig,
umſtändlich, guter Henarez. Du biſt
ſo unausſtehlich hurtig nie geweſen.
Er ſagte? Nun! was ſagt’ er denn?
Dieß ſei
der Schlüſſel zu dem Paradies.
Wo aber,
wo bleibt er denn? Was zögert er? Warum
erſcheint er nicht? — Siehſt Du, wie falſch
man Dich
berichtet hat! Wie glücklich wär’ er ſchon
J
[130]Dom Karlos.
in ſo viel Zeit geweſen, als Du brauchteſt,
mir zu erzählen, daß er’s werden wollte?
Der Herzog, fürcht’ ich —
Wiederum der Herzog?
Was will der hier? Was hat der tapfre
Mann
mit meiner ſtillen Seligkeit zu ſchaffen?
Den könnt’ er ſtehen laſſen, weiter ſchicken,
wen auf der Welt kann man das nicht? —
O warlich!
Dein Prinz verſteht ſich auf die Liebe ſelbſt
ſo ſchlecht, als, wie es ſchien, auf Damen-
herzen.
Er weiß nicht, was Minuten ſind —
Prinzeſſinn,
Sie läſtern einen Engel.
Junger Lügner,
wer hat Dir das von ihm erzählt?
[131]Zweiter Akt.
So trefflich
und groß, und doch dabei ſo gut! O Schade,
daß er ein König werden muß — er hätte
ein Bruder werden ſollen.
dem Pagen feurig die Hand drückt. Nach einer Pauſe:
Und Du mahnſt
mich gar nicht, daß ich meinem lieben Boten
den Botenlohn noch ſchuldig bin geblieben?
Tiſche und reicht es dem Pagen.
Dieß, guter Junge, mir zum Angedenken,
wenn Du Dein erſtes Schwert umgürteſt.
So
belohnt mich eine Glückliche? Nichts beſſeres
hat meine Zeitung mir verdient? — O
Schande!
Jetzt? Jetzt in dieſem Augenblicke? Zwei
Minuten kaum vor einer Schäferſtunde,
J 2
[132]Dom Karlos.
ſoll ich mit feilen Diamanten mich
zufrieden geben? ſoll auf dieſen Wangen
der Liebe volle, ſtrahlende Verklärung
geſehen haben? ſoll es wiſſen, wer
in dieſen Schätzen ſchwelgen wird, und ſoll
mit ſolcher Münze mich zufrieden geben?
Ich höre kommen. Fort. Es iſt der Prinz.
Hinweg, hinweg — Wo hab’ ich meine
Laute?
Er ſoll mich überraſchen — Mein Geſang
ſoll ihm das Zeichen geben —
[133]Zweiter Akt.
Achter Auftritt.
Dom Karlos.
die Ballade zu ſpielen.
wie vom Donner gerührt.
Gott!
wo bin ich?
Ach Prinz Karlos? Ja wahrhaftig!
Wo bin ich? Raſender Betrug — ich habe
das rechte Kabinet verfehlt.
Wie gut
[134]Dom Karlos.
verſteht es Karl, die Zimmer ſich zu merken,
wo Damen ohne Zeugen ſind.
Prinzeſſinn —
Verzeihen Sie, Prinzeſſinn — — ich — ich
fand
den Vorſaal offen.
Kann das möglich ſein?
Mich däucht ja doch, daß ich ihn ſelbſt ver-
ſchloß.
Das däucht Sie nur, das däucht Sie — doch
verſichert!
Sie irren Sich. Verſchließen wollen, ja,
das geb’ ich zu, das glaub’ ich — doch ver-
ſchloſſen?
Verſchloſſen nicht, wahrhaftig nicht. Der
Riegel,
der äußre Riegel, oder, wollt’ ich ſagen,
der innre, ja, das muß ich ſelbſt bezeugen,
der war auch pünktlich zugemacht.
[135]Zweiter Akt.
Der innre?
Und dennoch kamen Sie herein? Nun war-
lich,
das haben Sie verſchlagen angefangen;
das Kunſtſtück müſſen Sie mich lehren.
Nichts
natürlicher, nichts leichter; denn zum Glück —
zum Unglück mein’ ich — hatt’ ich einen
Schlüſſel
gerade bei mir, der vollkommen paßte.
Ein Zufall führte mich hieher — ich höre
auf einer — — Laute jemand ſpielen —
War’s
nicht eine Laute?
Recht! dort liegt ſie noch —
und Laute — das weiß Gott im Himmel! —
Laute,
die lieb’ ich bis zur Raſerei. Ich bin
ganz Ohr, ich weiß nichts von mir ſelber,
ſtürze
in’s Kabinet, der ſüßen Künſtlerinn,
[136]Dom Karlos.
die mich ſo himmliſch rührte, mich ſo mächtig
bezauberte, in’s ſchöne Aug’ zu ſehen.
den Blicken zu begegnen.
Ein liebenswürd’ger Vorwitz, den Sie doch
ſehr bald geſtillt, wie ich beweiſen könnte.
O ſchätzen muß ich den beſcheidnen Mann,
der einem Weib’ Beſchämung zu erſparen
in ſolchen Lügen ſich verſtrickt.
Prinzeſſinn,
ich fühle ſelber, daß ich nur verſchlimm’re,
wo ich verbeſſern will. Erlaſſen Sie
mir eine Rolle, die ich durchzuführen
ſo ganz und gar verdorben bin. Sie ſuchten
auf dieſem Zimmer Zuflucht vor der Welt.
Hier wollten Sie, von Menſchen unbehorcht,
den ſtillen Wünſchen Ihres Herzens leben.
Ich Sohn des Unglücks zeige mich; ſogleich
iſt dieſer ſchöne Traum geſtört — dafür
ſoll mich die ſchleunigſte Entfernung —
[137]Zweiter Akt.
Prinz — —
O das war boshaft.
Fürſtinn — ich verſtehe,
was dieſer Blick in dieſem Kabinet
bedeuten ſoll, und dieſe tugendhafte
Verlegenheit verehr’ ich. Weh dem Manne,
den weibliches Erröthen muthig macht!
ich bin verzagt, wenn Weiber vor mir zittern.
Iſt’s möglich? — Ein Gewiſſen ohne Bei-
ſpiel
für einen jungen Mann und Königsſohn!
Ja, Prinz — jetzt vollends müſſen Sie mir
bleiben,
jetzt bitt’ ich ſelbſt darum: bei ſo viel Tugend
erhohlt ſich jedes Mädchens Angſt. Das
möchte
von Tauſenden nicht Einer thun, wenn ihn
ein Schlüſſel, der ſo glücklich paßt, verſuchte. —
Doch laſſen wir das Poſſenſpiel — Wozu
den lieben ſchönen Augenblick, den uns
[138]Dom Karlos.
(nicht wahr mein Prinz?) der Zufall an-
gewieſen,
mit Wortgefecht vertändeln? — Wiſſen
Sie,
daß Ihre plötzliche Erſcheinung mich
bei meiner liebſten Arie erſchreckte?
wieder.
Die Arie, Prinz Karlos, werd’ ich wohl
noch einmal ſpielen müſſen; Ihre Strafe
ſoll ſein, mir zuzuhören.
Eine Strafe,
ſo wünſchenswerth, als mein Vergehn — und
warlich
der Inhalt war mir ſo willkommen, war
ſo göttlich ſchön, daß ich zum — drittenmal
ſie hören könnte.
Was? Sie haben alles
gehört? Das iſt abſcheulich, Prinz — Es
war,
ich glaube gar, die Rede von der Liebe?
[139]Zweiter Akt.
Und, irr’ ich nicht, von einer glücklichen —
Der ſchönſte Text in dieſem ſchönen Munde;
doch freilich nicht ſo wahr geſagt, als ſchön.
Nicht? Nicht ſo wahr? — Und alſo zwei-
feln Sie? —
Ich zweifle faſt, ob Karlos und die Fürſtinn
von Eboli ſich je verſtehen können,
wenn Liebe abgehandelt wird.
einer leichten Galanterie fort.
Denn wer,
wer wird es dieſen Roſenwangen glauben,
daß Leidenſchaft in dieſer Bruſt gewühlt?
Läuft eine Fürſtinn Eboli Gefahr,
umſonſt und unerhört zu ſeufzen? Liebe
kennt der allein, der ohne Hoffnung liebt.
O ſtill! Das klingt ja fürchterlich — Und
freilich
[140]Dom Karlos.
ſcheint dieſes Schickſal Sie vor allen andern,
und vollends heute — heute zu verfolgen.
Intereſſe.
Sie ſind nicht fröhlich, guter Prinz — Sie
leiden —
bei Gott, Sie leiden ja wohl gar. Iſt’s
möglich?
Und warum leiden, Prinz? bei dieſem lauten
Berufe zum Genuß der Welt? bei allen
Geſchenken der verſchwend’riſchen Natur,
und allem Anſpruch auf des Lebens Freuden?
Sie — eines großen Königs Sohn, und
mehr,
weit mehr als das, ſchon in der Fürſtenwiege
mit Gaben ausgeſtattet, die ſogar
auch Ihres Ranges Sonnenglanz verdunkeln?
Sie — der im ganzen ſtrengen Rath der
Weiber
beſtochne Richter ſitzen hat, der Weiber,
die über Männerwerth und Männerruhm
ausſchließend ohne Widerſpruch entſcheiden?
Der, wo er nur bemerkte, ſchon erobert,
entzündet, wo er kalt geblieben, wo
er glühen will, mit Paradieſen ſpielen
und Götterglück verſchenken muß — Der Mann,
[141]Zweiter Akt.
den die Natur zum Glück von Tauſenden
und wenigen mit gleichen Gaben ſchmückte,
er ſelber ſollte elend ſein? — O Himmel,
der du ihm alles, alles gabſt, warum,
warum denn nur die Augen ihm verſagen,
womit er ſeine Siege ſieht? —
ken war, wird durch das Stillſchweigen der Prinzeſſinn
plötzlich zu ſich ſelbſt gebracht, und fähret in die Höhe.
Vortrefflich!
Ganz unvergleichlich, Fürſtinn. Singen Sie
mir dieſe Stelle doch noch einmal.
Karlos,
wo waren Sie indeſſen?
Ja bei Gott!
Sie mahnen mich zur rechten Zeit — Ich muß,
muß fort — muß eilends fort.
Wohin?
[142]Dom Karlos.
Dorthin, Sie wiſſen ja — Doch nein, nein,
nein,
Sie wiſſen nicht — Hinaus von hier, hin-
unter
in’s Freie — laſſen Sie mich los — Prin-
zeſſinn,
mir wird, als rauchte hinter mir die Welt
in Flammen auf —
Was haben Sie? Woher
dieß fremde unnatürliche Betragen?
greift dieſen Augenblick ihn zu ſich auf den Sopha zu ziehen.
Sie brauchen Ruhe, lieber Karl — Ihr Blut
iſt jetzt in Aufruhr — ſetzen Sie Sich zu
mir —
Weg mit den ſchwarzen Fieberphantaſien.
Wenn Sie Sich ſelber offenherzig fragen,
weiß dieſer Kopf, was dieſes Herz beſchwert?
Und wenn er’s nun auch wüßte — ſollte denn
von allen Rittern dieſes Hofs nicht Einer,
von allen Damen keine — Sie zu heilen,
[143]Zweiter Akt.
Sie zu verſtehen, wollt’ ich ſagen — keine
von allen würdig ſein?
Vielleicht die Fürſtinn
von Eboli —
Wahrhaftig?
Geben Sie
mir eine Bittſchrift — ein Empfehlungsſchrei-
ben
an meinen Vater. Man ſpricht ohnehin,
Sie gelten viel.
Wer ſpricht das? (Ha! ſo war es
der Argwohn, der dich ſtumm gemacht!)
Wahrſcheinlich
iſt die Geſchichte ſchon herum. Ich habe
den ſchnellen Einfall nach Brabant zu gehen,
um — — bloß um meine Sporen zu ver-
dienen.
[144]Dom Karlos.
Das will mein Vater nicht — Der gute Vater
beſorgt, wenn ich Armeen kommandirte, — —
mein Singen könnte drunter leiden.
Karlos!
Sie ſpielen falſch. Geſtehen Sie, Sie wollen
in dieſer Schlangenwendung mir entgehn.
Hieher geſehen, Heuchler. Aug’ in Auge.
Wer nur von Ritterthaten träumt — wird
der,
geſtehen Sie, — wird der auch wohl ſo tief
herab ſich laſſen, Bänder, die den Damen
entfallen ſind, begierig wegzuſtehlen,
und — Sie verzeihn —
krauſe wegſchnellt, und eine Bandſchleife, die da verbor-
gen war, wegnimmt.
ſo koſtbar zu verwahren.
Prinzeſſinn — Nein, das geht zu weit —
Ich bin
verrathen. Sie betriegt man nicht — Sie
ſind
mit Geiſtern, mit Dämonen einverſtanden.
[145]Zweiter Akt.
Darüber ſcheinen Sie erſtaunt? Darüber?
Was ſoll die Wette gelten, Prinz, ich rufe
Geſchichten in Ihr Herz zurück, Geſchich-
ten,
die ſelbſt in Ihren Träumen ausgeſtorben?
Verſuchen Sie es; fragen Sie mich aus.
Wenn ſelbſt der Laune Gaukelei’n, ein Laut
verſtümmelt in die Luft gehaucht, ein Lächeln
von ſchnellem Ernſte wieder ausgelöſcht,
ein Spiel mit dieſen Federn, eine Blume
gedankenlos zerriſſen, eine Fliege
mit ſanfter Hand barbariſch hingewürgt —
wenn ſelber ſchon Erſcheinungen, Geberden,
wo Ihre Seele ferne war, mir nicht
entgangen ſind, urtheilen Sie, ob ich
verſtand, wo Sie verſtanden werden woll-
ten?
Nun das iſt warlich viel gewagt — Die
Wette
ſoll gelten, Fürſtinn. Sie verſprechen mir
Entdeckungen in meinem eignen Herzen,
um die ich ſelber nie gewußt.
K
[146]Dom Karlos.
Nie Prinz?
Beſinnen Sie Sich beſſer. Sehn Sie um
Sich. — —
Dieß Kabinet iſt keines von den Zimmern
der Königinn, wo man das Bißchen Maske
nöch allenfalls zu loben fand — Sie ſtutzen?
Sie werden plötzlich lauter Glut — O frei-
lich,
wer ſollte wohl ſo ſcharfklug, ſo vermeſſen,
ſo müßig ſein, den Karlos zu belauſchen,
wenn Karlos unbelauſcht ſich glaubt? — Wer
ſah’s,
wie er beim letzten Hofball ſeine Dame
die Königinn im Tanze ſtehen ließ,
und mit Gewalt in’s nächſte Paar ſich drängte,
ſtatt ſeiner königlichen Tänzerinn,
der Fürſtinn Eboli die Hand zu reichen?
Ein Irrthum, Prinz, den der Monarch ſogar,
der eben jetzt erſchienen war, bemerkte!
Auch ſogar der? Ja freilich, gute Fürſtinn,
für den beſonders war das nicht.
[147]Zweiter Akt.
So wenig
als jener Auftritt in der Schloßkapelle,
worauf ſich wohl Prinz Karlos ſelbſt nicht mehr
beſinnen wird. Sie lagen zu den Füßen
der heil’gen Jungfrau in Gebet ergoſſen,
als plötzlich — konnten Sie dafür? — die
Kleider
gewiſſer Damen hinter Ihnen rauſchten.
Da fing Dom Philipps heldenmüth’ger Sohn,
gleich einem Ketzer vor dem heil’gen Amte,
zu zittern an, auf ſeinen bleichen Lippen
ſtarb das vergiftete Gebet — Im Taumel
der Leidenſchaft — es war ein Poſſenſpiel
zum Rühren, Prinz — ergreifen Sie die
Hand,
der Mutter Gottes heil’ge kalte Hand,
und Feuerküſſe regnen auf den Marmor.
Sie thun mir Unrecht, Fürſtinn. Das war
Andacht.
Ja, dann iſt’s etwas anders, Prinz — dann
freilich
war’s damals auch nur Furcht vor dem Verluſte,
K 2
[148]Dom Karlos.
als Karlos mit der Königinn und mir
beim Spielen ſaß, und mit bewundernswer-
ther
Geſchicklichkeit mir dieſen Handſchuh ſtahl —
den er zwar gleich nachher ſo artig war,
ſtatt einer Karte wieder auszuſpielen.
O Gott — Gott — Gott! Was hab’ ich
da gemacht?
Nichts, was Sie widerrufen werden, hoff’ ich.
Wie froh erſchrak ich, als mir unvermuthet
ein Briefchen in die Finger kam, das Sie
in dieſen Handſchuh zu verſtecken wußten.
Es war die rührendſte Romanze, Prinz,
die —
Poeſie! — Nichts weiter — Mein Ge-
hirne
treibt öfters wunderbare Blaſen auf,
die ſchnell, wie ſie entſtanden ſind, zerſpringen.
Das war es alles. Schweigen wir davon.
[149]Zweiter Akt.
lang aus der Entfernung beobachtend.
Nein, nein, das iſt zu viel — Bei Gott! das
war
noch nie erhört ſeit Menſchen-Angedenken.
Mein Senkblei fällt in’s Unermeßliche.
Ich bin erſchöpft — all meine Proben gleiten
von dieſem ſchlangenglatten Sonderling.
Doch wie? — Wär’s ungeheurer Männerſtolz,
der nur, ſich deſto ſüßer zu ergetzen,
die Blödigkeit als Larve brauchte? — Ja?
zweifelhaft.
Belehren Sie mich endlich, Prinz — Ich
ſtehe
vor einem zauberiſch verſchloßnen Schrank,
wo alle meine Schlüſſel mich betrügen.
Wie ich vor Ihnen.
[150]Dom Karlos.
im Kabinet auf und nieder, und ſcheint über etwas
wichtiges nachzudenken. Endlich nach einer großen Pauſe
ernſthaft und feierlich:
Endlich ſei es denn —
Ich muß einmal zu reden mich entſchließen.
Zu meinem Richter wähl’ ich Sie. Sie ſind
ein edler Menſch — ein Mann, ſind Fürſt
und Ritter.
An Ihren Buſen werf’ ich mich. Sie werden
mich retten, Prinz, und wo ich ohne Rettung
verloren bin, theilnehmend um mich weinen.
mendem Erſtaunen.
Ein frecher Günſtling des Monarchen buhlt
um meine Hand — Rui Gomez, Graf von
Silva —
Der König will, ſchon iſt man Handels einig,
ich bin der Kreatur verkauft.
Verkauft?
und wiederum verkauft? und wiederum
von dem berühmten Handelsmann in Sü-
den? — —
[151]Zweiter Akt.
O ſtill von dieſem, weg davon, nicht weiter.
Das iſt die Nerve, wo ich Gichter ſpüre.
Nein, hören Sie erſt alles. Nicht genug,
daß man der Politik mich hingeſchlachtet;
auch meiner Unſchuld ſtellt man nach — Schon
längſt
verfolgen mich die laſterhaften Flammen
des großen, großen Wollüſtlings — Da!
Hier!
Dieß Blatt kann dieſen Heiligen entlarven.
duld an ihrer Erzählung, ohne ſich Zeit zu nehmen,
es zu leſen.
Wo ſoll ich Rettung finden, Prinz? Bis jetzt
war es mein Stolz, der meine Tugend ſchützte;
doch endlich —
Endlich fielen Sie? Sie fielen?
Nein, nein, um Gottes willen, nein!
Durch wen?
Armſelige Vernünftelei! Wie ſchwach
von dieſen ſtarken Geiſtern! Weibergunſt,
[152]Dom Karlos.
der Liebe Glück der Waare gleich zu achten,
worauf geboten werden kann! Sie iſt
das Einzige auf dieſem Rund der Erde,
was keinen Käufer leidet als ſich ſelbſt.
Die Liebe iſt der Liebe Preis. Sie iſt
der unſchätzbare Diamant, den ich
verſchenken oder, ewig ungenoſſen,
verſcharren muß — Dem großen Kauf-
mann gleich,
der, ungerührt von des Rialto Gold
und Königen zum Schimpfe, ſeine Perle
dem reichen Meere wiedergab, zu ſtolz
ſie unter ihrem Werthe los zu ſchlagen.
(Beim wunderbaren Gott! — Das Weib iſt
ſchön!)
Man nenn’ es Grille — Eitelkeit. Gleich viel.
Ich theile meine Freuden nicht. Dem
Mann,
dem Einzigen, den ich mir auserleſen,
geb’ ich für alles, alles hin. Ich ſchenke
nur Einmal, aber ewig. Einen nur
wird meine Liebe glücklich machen — Einen —
Doch dieſen Einzigen zum Gott. Der Seelen
[153]Zweiter Akt.
entzückender Zuſammenklang — ein Kuß —
der Schäferſtunde ſchwelgeriſche Freuden —
der Schönheit hohe, himmliſche Magie
ſind Eines Strahles ſchweſterliche Farben,
ſind Einer Blume Blätter nur. Ich ſollte,
ich Raſende! ein abgerißnes Blatt
aus dieſer Blume ſchönem Kelch verſchenken?
ich ſelbſt des Weibes hohe Majeſtät,
der Gottheit großes Meiſterſtück verſtümmeln,
den Abend eines Praſſers zu verſüßen?
(Unglaublich! Wie? Ein ſolches Mädchen
hatte
Madrid, und ich — und ich erfahr’ es heute
zum erſtenmal?)
Längſt hätt’ ich dieſen Hof
verlaſſen, dieſe Welt verlaſſen hätte
in heil’gen Mauern mich begraben; doch
ein einzig Band iſt noch zurück, ein Band,
das mich an dieſe Welt allmächtig bindet. —
Ach, ein Phantom vielleicht! Doch mir ſo
werth!
Ich liebe und bin — — nicht geliebt.
[154]Dom Karlos.
Sie ſind’s!
So wahr ein Gott im Himmel wohnt. Ich
ſchwör’ es.
Sie ſind’s, und unausſprechlich.
Sie? Sie ſchwören’s?
O das war meines Engels Stimme! Ja,
wenn freilich Sie es ſchwören, Karl, dann glaub’
ich’s,
dann bin ich’s.
Süßes, ſeelenvolles Mädchen!
Anbetungswürdiges Geſchöpf — Ich ſtehe
ganz Ohr — ganz Auge — ganz Entzücken —
ganz
Bewunderung — Wer hätte Dich geſehn,
Wer unter dieſem Himmel Dich geſehn,
und rühmte ſich — er habe nie geliebt? —
Doch hier an König Philipps Hof? Was
hier?
Was, ſchöner Engel, willſt Du hier? Bei Pfaffen
[155]Zweiter Akt.
und Pfaffenzucht? Das iſt kein Himmelsſtrich
für ſolche Blumen! — Möchten ſie ſie
brechen?
Sie möchten — o ich glaub’ es gern — Doch
nein!
ſo wahr ich Leben athme, nein! — Ich
ſchlinge
den Arm um Dich, auf meinen Armen trag’ ich
durch eine teufelvolle Hölle Dich!
Ja — laß mich Deinen Engel ſein —
O Karlos!
Wie wenig hab’ ich Sie gekannt! Wie reich
und gränzenlos belohnt Ihr ſchönes Herz
die ſchwere Müh’, es zu begreifen!
Fürſtinn,
wo ſind Sie jetzt?
Hand ſieht.
Wie ſchön iſt dieſe Hand!
[156]Dom Karlos.
Wie reich iſt ſie — Prinz, dieſe Hand hat noch
zwei koſtbare Geſchenke zu vergeben —
ein Diadem und Karlos Herz — und beides
vielleicht an Eine Sterbliche? — An Eine?
Ein großes göttliches Geſchenk! — Beinahe
für Eine Sterbliche zu groß! — Wie Prinz?
wenn Sie zu einer Theilung Sich entſchlöſſen?
Die Königinnen lieben ſchlecht — ein Weib,
das lieben kann, verſteht ſich ſchlecht auf Kro-
nen:
drum beſſer, Prinz, Sie theilen, und gleich
jetzt,
gleich jetzt — Wie? Oder hätten Sie wohl
ſchon?
Sie hätten wirklich? O dann um ſo beſſer!
Und kenn’ ich dieſe Glückliche?
Du ſollſt.
Dir Mädchen, Dir entdeck’ ich mich — Der
Unſchuld,
der lautern, unentheiligten Natur
entdeck’ ich mich. An dieſem Hof biſt Du
die Würdigſte, die Einzige, die Erſte,
die meine Seele ganz verſteht — Ja denn!
Ich läugn’ es nicht — ich liebe —
[157]Zweiter Akt.
Böſer Menſch!
So ſchwer iſt das Geſtändniß Dir geworden?
Beweinungswürdig mußt’ ich ſein, wenn Du
mich liebenswürdig finden ſollteſt?
Was?
Was iſt das?
Mich ſo ausgeſucht zu quälen!
O warlich, Prinz, es war nicht ſchön. Sogar
den Schlüſſel zu verläugnen!
Schlüſſel! Schlüſſel!
Ja ſo — So war’s — Nun merk’ ich — —
O mein Gott!
und verhüllt das Geſicht.
Fürſtinn ſchreit laut und fällt.
Abſcheulich! Was hab’ ich gethan?
[158]Dom Karlos.
Schmerzens.
So tief
herabgeſtürtzt von allen meinen Himmeln! —
O das iſt ſchrecklich.
Was entdeck’ ich? Gott!
Ich bin nicht ſchuldig, Fürſtinn — Leiden-
ſchaft —
ein unglückſel’ger Mißverſtand — Bei Gott!
ich bin nicht ſchuldig.
Weg aus meinen Augen,
um Gottes willen —
Nimmermehr! In dieſer
entſetzlichen Erſchüttrung Sie verlaſſen?
[159]Zweiter Akt.
Aus Großmuth, aus Barmherzigkeit hinaus
von meinen Augen — Wollen Sie mich mor-
den?
Ich haſſe Ihren Anblick.
Meinen Brief
und meinen Schlüſſel geben Sie mir wieder.
Wo haben Sie den andern Brief?
Den andern?
Was denn für einen andern?
Den vom König.
Von wem?
Den Sie vorhin von mir bekamen.
Vom König? und an Wen? an Sie?
[160]Dom Karlos.
O Himmel!
wie ſchrecklich hab’ ich mich verſtrickt! Den
Brief!
heraus damit! ich muß ihn wieder haben.
Vom König Briefe, und an Sie?
Den Brief!
Im Namen aller Heiligen!
Der einen
gewiſſen mir entlarven ſollte — Dieſen?
Ich bin des Todes — Geben Sie.
Worin
von laſterhaften Flammen, Wollüſt-
lingen
gehandelt wird? Der Brief alſo —
[161]Zweiter Akt.
Entſetzlich!
Was hab’ ich Unbeſonnene gewagt?
Der Brief — der kam vom König? — Ja
Prinzeſſinn,
das ändert freilich alles ſchnell — Das iſt
ein unſchätzbarer — ſchwerer — theurer Brief,
den alle Kronen Philipps einzulöſen
zu leicht, zu nichtsbedeutend ſind — Den
Brief
behalt’ ich.
Großer Gott! Ich bin verloren,
wenn Sie der Niederträcht’ge ſind. —
mit ruhigem Ernſt und Würde.
Wenn ich
der Niederträcht’ge bin, Prinzeſſinn — Dann
L
[162]Dom Karlos.
erlaub’ ich Ihnen — dann und eher nicht —
für die vergangne Stunde zu erröthen.
Neunter Auftritt.
aus iſt, eilt ſie ihm nach und will ihn zurückrufen.
Prinz, noch ein Wort. Prinz, hören Sie. —
Er geht!
Auch das noch! Er verachtet mich .... Da
ſteh’ ich
in fürchterlicher Einſamkeit .... verſtoßen,
verworfen ....
Nein! Verdrungen nur, verdrungen
von einer Nebenbuhlerinn. Er liebt.
Kein Zweifel mehr. Er hat es ſelbſt bekannt.
Doch wer iſt dieſe Glückliche? .... So viel
iſt offenbar — er liebt was er nicht ſollte.
Er fürchtet die Entdeckung. Vor dem König
verkriecht ſich ſeine Leidenſchaft … Warum
[163]Zweiter Akt.
vor dieſem, der ſie wünſchte? … Oder iſt’s
Der Vater nicht, was er im Vater fürchtet?
Als ihm des Königs buhleriſche Abſicht
verrathen war — da jauchzten ſeine Mie-
nen,
frohlockt’ er wie ein Glücklicher … Wie
kam es,
daß ſeine ſtrenge Tugend hier verſtummte?
Hier? Eben hier? … Was kann denn er
dabei,
Er zu gewinnen haben, wenn der König
der Königinn die …
raſcht — Zu gleicher Zeit reißt ſie die Schleife, die ihr
Karlos gegeben hat, von dem Buſen, betrachtet ſie ſchnell,
und erkennt ſie.
O ich Raſende!
Jetzt endlich, jetzt … Wo waren meine
Sinne?
Jetzt gehen mir die Augen auf .... Sie
hatten
ſich lang’ geliebt, eh’ der Monarch ſie wählte.
Nie ohne ſie ſah mich der Prinz. — Sie
alſo,
ſie war gemeinet, wo ich gränzenlos,
ſo warm, ſo wahr mich angebetet glaubte?
L 2
[164]Dom Karlos.
O ein Betrug der ohne Beiſpiel iſt!
und meine Schwäche hab’ ich ihm verrathen —
Daß er ganz ohne Hoffnung lieben ſollte!
Ich kann’s nicht glauben … Hoffnungsloſe
Liebe
beſteht in dieſem Kampfe nicht. Zu ſchwelgen,
wo unerhört der glänzendſte Monarch
der Erde ſchmachtet … Warlich! ſolche Opfer
bringt hoffnungsloſe Liebe nicht. Wie feurig
war nicht ſein Kuß! Wie zärtlich drückt’ er
mich,
wie zärtlich an ſein ſchlagend Herz! — Die
Probe
war faſt zu kühn für die romant’ſche Treue,
die nicht erwiedert werden ſoll … Er nimmt
den Schlüſſel an, den, wie er ſich beredet,
die Königinn ihm zugeſchickt … Er glaubt
an dieſen Rieſenſchritt der Liebe … kommt,
kommt warlich, kommt. — So traut er
Philipps Frau
die raſende Entſchließung zu — Wie kann er,
wenn hier nicht große Proben ihn ermuntern?
Es iſt am Tag’. Er wird erhört. Sie liebt!
Beim Himmel, dieſe Heilige empfindet!
Wie fein iſt ſie! … Ich zitterte, ich ſelbſt,
[165]Zweiter Akt.
vor dem erhabnen Schreckbild dieſer Tugend.
Ein höh’res Weſen ragt ſie neben mir,
in ihrem Glanz erlöſch’ ich. Ihrer Schönheit
mißgönnt’ ich dieſe hohe Ruhe, frei
von jeder Wallung ſterblicher Naturen.
Und dieſe Ruhe war nur Schein? Sie hätte
an beiden Tafeln ſchwelgen wollen? hätte
der Tugend ganze Glorie zu koſten
und doch zugleich des Laſters heimliche
Entzückungen zu naſchen ſich erdreiſtet?
Das durfte ſie? Das ſollte ungerochen
der Gauklerinn gelungen ſein, gelungen,
weil ſich kein Rächer meldet? — Nein bei
Gott!
Ich betete ſie an — — Das fordert Rache!
Der König wiſſe den Betrug … Der König?
Ja recht — das iſt ein Weg zu ſeinem Ohre.
[166]Dom Karlos.
Zehnter Auftritt.
Wie war es? Aſſemblee iſt dieſen Abend?
Ja. Schon verſammelt ſich der Hof.
Wenn Du
den Kapellan bei Seite ziehen könnteſt — —
Den Kapellan Domingo?
So erſuch’ ihn,
im Nebenzimmer linker Hand auf mich
zu warten, hörſt Du, bis ich vom Gedränge
mich losgemacht — Ein Vorfall von Be-
deutung —
Ich muß ihn ſprechen, ſag’ ihm das.
Sogleich.
[167]Zweiter Akt.
Im Nebenzimmer. Hörſt Du?
Gut.
Eilfter Auftritt.
nieder gegangen.
Auch ich
bin noch nicht ganz verlaſſen … Ein Ge-
liebter
bleibt mir auch immer noch gewiß, und welcher?
O warlich ich bin undankbar. Was gäbe
die reichſte Bettlerinn darum, von meiner
Verdammniß einen Schimmer aufzuhaſchen?
Was mangelte mir denn? — Er kann nicht
lieben.
Und weiter nichts? — Iſt’s denn ſo wahr,
daß Liebe,
nur Liebe glücklich machen kann? Wenn Neid,
[168]Dom Karlos.
wenn Schmeichelei einſtimmig mir’s betheuern,
werd’ ich’s zuletzt nicht glauben, wirklich ſein?
Und iſt es denn jetzt Liebe, was ich brauche?
wenn meine Ehre blutet — Liebe? Ruft
nicht lauter jetzt, nicht ſchrecklicher mein Stolz,
als meines Herzens ſtille Wünſche? Was
ein Mann mir nahm, kann nur ein König mir
erſetzen. Dieſe Schlangen kann allein
der Größe Taumeltrank betäuben.
fes Nachdenken verloren.
Tugend?
Er will ſie nicht, dem ich ſie aufbehalten,
dem ſie allein geblüht — er will ſie nicht.
Sie macht ihn ja nicht glücklich — — Oder
frommt ſie
dem Himmel nur? und nicht auch mir? und nicht
dem Manne, dem ich mich geſchenkt? Spart ſie
für jene Welt der Unſchuld ſchöne Blume?
Wenn für die Liebe ſie nicht ſammelt, wem,
wem ſammelt denn die Tugend? Iſt ſie mehr,
als hoher Wucher mit der Liebe Freuden?
Ich werde nicht mehr lieben. Ihres Amtes
entbind’ ich ſie auf immerdar. Sie fliehe
der Hoffnung zu. Ich werde nicht mehr lieben.
[169]Zweiter Akt.
Zwölfter Auftritt.
Ein Zimmer im königlichen Pallaſte, ſparſam
erleuchtet.
Herzog von Alba und Pater Domingo
begegnen einander.
Sind Sie es Herzog? Guten Abend!
Halt!
Wer ruft mich?
Nach wem ſehen Sie Sich um?
Es iſt Domingo — — So allein? — —
Sie ſind
aus der Verſammlung plötzlich mir verſchwun-
den.
Ich ſuche Sie ſchon überall —
Läßt der
Monarch mich hohlen?
[170]Dom Karlos.
Nein. Ich wollte
mit Ihnen ſprechen — Doch es eilt ja nicht —
Sie warten hier auf jemand? — Darf ich
wiſſen?
Was wollten Sie mir ſagen?
Eine wicht’ge
Entdeckung, die ich heut gemacht, worüber
ich einen Aufſchluß haben möchte.
Welche
Entdeckung? Wovon reden Sie?
Prinz Karlos
und ich begegnen dieſen Mittag uns
im Vorgemach der Königinn. Ich werde
beleidigt. Wir erhitzen uns. Der Streit
wird etwas laut. Wir greifen zu den Schwer-
tern.
Die Königinn auf das Getöſe öffnet
das Zimmer, wirft ſich zwiſchen uns und ſieht
mit einem Blick despotiſcher Vertrautheit
[171]Zweiter Akt.
den Prinzen an — Es war ein einz’ger
Blick —
Sein Arm verſtarrt — er fliegt an meinen
Hals —
ich fühle einen heißen Kuß — er iſt
verſchwunden.
Das iſt ſehr verdächtig — Herzog,
Sie mahnen mich an etwas — — Ähnliche
Gedanken, ich geſteh’ es, keimten längſt
in meiner Bruſt — — Ich flohe dieſe Träu-
me —
noch hab’ ich niemand ſie vertraut. Es gibt
zweiſchneid’ge Klingen, ungewiſſe Freunde —
ich fürchte dieſe. Schwer zu unterſcheiden,
noch ſchwerer zu ergründen ſind die Menſchen —
Entwiſchte Worte ſind beleidigte
Vertraute — drum begrub ich mein Geheimniß,
bis einſt die Zeit es rufen würde. Wer
iſt mir auch Bürge, daß ich recht geſehen?
Wie leicht geſchieht’s, daß Menſchen ſich be-
trügen!
Ich bin ein Prieſter. Meine Weihung lautet,
den Frieden, nicht die Zwietracht zu verkünden,
Das überlaß’ ich denen, deren Amt
[172]Dom Karlos.
es mehr iſt — Andre Diener, andre Eide!
Dem Herzog Alba kann die Pflicht befehlen,
was mir die Pflicht verbietet. Ich muß ſchwei-
gen,
wär’ ich noch einmal ſo gewiß, als ich
es jetzt ſchon bin.
Gewiß? Gewiß? Wovon?
Beſinnen Sie Sich was Sie reden. Warlich
ich wüßte nicht, wie viel ich um die bloße
Wahrſcheinlichkeit zu geben fähig wäre.
Was hilft mir Überzeugung, die ich nicht
auch vor Gericht zu ſtellen wagen darf?
Gewiſſe Dienſte Königen zu leiſten
iſt mißlich, Herzog — ein gewagter Wurf,
der, fehlt er ſeine Beute, auf den Schützen
zurückeprallt — Ich wollte, was ich ſage,
auf eine Hoſtie beſchwören — doch
ein Augenzeugniß, ein erhaſchtes Wort,
ein Blatt Papier fällt ſchwerer in die Wage,
als mein lebendigſtes Gefühl — — Ver-
wünſcht,
daß wir auf Span’ſchem Boden ſtehn!
[173]Zweiter Akt.
Warum
auf dieſem nicht?
An jedem andern Hofe
kann ſich die Leidenſchaft vergeſſen. Hier
wird ſie gewarnt von ängſtlichen Geſetzen.
Die Span’ſchen Königinnen haben Mühe
zu ſündigen — ich glaub’ es — doch zum
Unglück
nur da — gerade da nur, wo es uns
am beſten glückte, ſie zu überraſchen.
Sehr wahr: drum eben müßte man — —
Von einem
Entwurfe zwar verſprech’ ich mir noch etwas.
Gelingt mir dieſer — — — Darf ich der
Prinzeſſinn
von Eboli von jenem Vorfall ſagen?
Darum erſchien ich. Hören Sie, Kaplan,
an der Entdeckung liegt mir viel, ich will’s
[174]Dom Karlos.
nicht läugnen, liegt mir mehr, als Sie viel-
leicht
vermuthen dürften. Alles liegt mir dran,
daß der Monarch davon erfahre. Heute
ging etwas vor — — — Ich hoffe doch,
Kaplan,
wir kennen uns.
Was ich von dieſem Punkte
zu halten pflege, wiſſen Sie. Toledo —
Ich hab’ es nie im Ernſt geglaubt, daß mir
Gefahr von dorther drohen könnte — noch
glaub’ ich es nicht — doch gäb’ es einen Men-
ſchen,
den ich zu fürchten mir erlauben könnte,
Der Knabe wär’ es.
Herzog, Sie berühren
hier eine Saite — —
Hören Sie mich an.
Es droht uns irgend etwas — Der Monarch
hat dieſen Morgen mir ein Wort geſagt,
[175]Zweiter Akt.
ein Wort — Kaplan, Sie kennen mich. Ich
pflege
doch ſonſt vor Worten nicht zu zittern. Dießmal
war Sinn darin — und ſchwerer — wenn
ich anders
auf dieſen Philipp mich verſtehe. Schon —
ſchon wankt er zwiſchen uns und dem Infanten.
Das war das Werk von einer Stunde — Nahe
iſt zwiſchen Sohn und Vater die Verſöhnung —
Verſöhnung? Das verhüte Gott! —
Er will
ihn ſeinem Throne näher haben, will
die Probe mit ihm wagen. Mir befahl er,
ihm abzubitten — wenigſtens ſo klang es —
ihm abzubitten, daß ich mich vermeſſen,
in ſeines Vaters Gunſt zu ſtehen. —
Herzog,
Sie ſagen mir da —
Eine Stunde währte
die Audienz. Er bat um die Verwaltung
[176]Dom Karlos.
der Niederlande. Laut und heftig bat er,
ich hört’ es in dem Kabinet. Sein Auge
war roth geweint, als ich ihm an der Thüre
begegnete. Den Mittag drauf erſcheint er
mit einer Miene des Triumphs. Er iſt
entzückt, daß mich der König vorgezogen.
Er dankt es ihm. Die Sachen ſtehen an-
ders,
ſagt er, und beſſer. Heucheln konnt’ er nie.
Wie ſoll ich dieſe Widerſprüche reimen?
Der Prinz frohlockt hintangeſetzt zu ſein,
und mir ertheilt der König eine Gnade
mit allen Zeichen ſeines Zorns! — Was muß
ich glauben? Warlich dieſe neue Würde
ſieht einer Landsverweiſung ähnlicher,
als einer Gnade.
Dahin alſo wär’ es
gekommen? Dahin? Und ein Augenblick
zertrümmerte, was wir in Jahren bauten? —
Und Sie ſo ruhig? ſo gelaſſen? — Kennen
Sie dieſen Jüngling? Ahnden Sie, was
uns
erwartet, wenn er mächtig wird? — Sie
haben Proben:
er haßt Sie —
[177]Zweiter Akt.
Das vergeb’ ich ihm. Hab’ ich
ihn je geliebt? — Doch, daß er mich be-
ſchimpfte,
Domingo, das werd’ ich ihm nie vergeſſen.
Als vor’ges Jahr die Stände Arragons
ihm huldigten und mich die Reihe traf,
erſchien ich etwas ſpäter, weil mein Amt
als Marſchall bei dem Feſte mich verzögert.
Der Herold hatte dreimal ſchon gerufen,
eh’ ich den Thron erreichte — Da verſtieß
mich der Infant. Im Angeſicht des ganzen
betretnen Arragoniens verſagte
der Knabe mir den Handkuß — Alle Augen
durchbohrten mich, ich ſtand zum erſtenmal
in meinem Leben außer Faſſung. Damals
gelobt’ ich volle, ſchreckliche Bezahlung
dem ſtolzen Jüngling, und ich halte ſie.
Ich bin ſein Feind nicht. Andre Sorgen nagen
an meiner Ruhe, Sorgen für den Thron,
für Gott und ſeine Kirche — Der Infant
(ich kenn’ ihn — ich durchdringe ſeine Seele)
hegt einen ſchrecklichen Entwurf — Toledo —
den raſenden Entwurf, Regent zu ſein,
M
[178]Dom Karlos.
und unſern heil’gen Glauben zu entbehren. —
Er hält nichts von Religion.
Er hält
ſeht viel davon, befürcht’ ich; denn mir däucht,
er weiß noch nicht, wie nöthig man ſie
brauchte.
Sein Herz entglüht für eine neue Tugend,
die, ſtolz und ſicher und ſich ſelbſt genug,
von keinem Glauben betteln will. — Das
Laſter
erhält der Kirche Millionen. Er
verachtet es und braucht ſie nicht — Er
denkt —
ſein Kopf entbrennt von einer ſeltſamen
Chimäre — er verehrt den Menſchen — —
Herzog,
ob er zu unſerm König taugt?
Phantomen!
Was ſonſt? Vielleicht auch jugendlicher Stolz,
der eine Rolle ſpielen möchte — Bleibt
ihm eine andre Wahl? Das geht vorbei,
trifft ihn einmal die Reihe zu beſehlen.
[179]Zweiter Akt.
Ich zweifle. — Er iſt ſtolz auf ſeine Freiheit,
des Zwanges ungewohnt, womit man Zwang
zu kaufen ſich bequemen muß — Taugt er
auf unſern Thron? Der kühne Rieſengeiſt
wird unſrer Staatskunſt Linien durch reißen.
Umſonſt verſucht’ ich’s, dieſen trotz’gen Muth
in dieſer Zeiten Wolluſt abzumatten;
Er überſtand die Probe … Das Geheimniß,
durch Indulgenzen Sünde zu erleichtern
und Seelen durch die Sünde zu zerſtören,
mißlang bei dem Infanten — Schrecklich iſt
in dieſem Körper dieſer Geiſt — und Philipp
wird ſechzig Jahre.
Ihre Blicke reichen
ſehr weit.
Er und die Königinn ſind Eins.
Schon ſchleicht — verborgen zwar — in bei-
der Bruſt
das Gift der Neuerer; doch bald genug,
gewinnt es Raum, wird es den Thron er-
greifen.
Ich fürchte dieſe Valois.
M 2
[180]Dom Karlos.
Daß Sie
mich daran mahnen müſſen! dieſen Wurm
aus ſeinem Schlummer ſtören müſſen! —
Gerne
erſtickt’ ich die Erinnerung.
An was?
Sie ſind erhitzt, und Ihre Lippen beben!
Die Königinn von Spanien verſetzte
mir eine Wunde — eine Wunde, die — —
woran ich in Jahrtauſenden noch blute.
Sie war es — endlich haben meine Forſcher
die Thäterinn erfahren. — Sie allein,
die meinen Anſchlag hintertrieb, den Prinzen
von Bourbon aus Navarra zu entführen.
Ein Anſchlag der dem Spaniſchen Monarchen
nichts kleineres als eine Krone galt!
Sie warnte Frankreich; das Verbrechen ging
zurücke, und mein Name war geſchändet.
Ich weiß von dieſem Vorfall — Fürchten Sie
die ganze Rache dieſer ſtillen Feindinn,
[181]Zweiter Akt.
wenn Philipp Schwächen ſich erlaubt. Noch
iſt
das Glück uns günſtig. Kommen wir zuvor.
In Eine Schlinge ſtürzen beide … Jetzt
ein ſolcher Wink dem Könige gegeben,
bewieſen oder nicht bewieſen — viel
iſt ſchon gewonnen, wenn er wankt. Wir
ſelbſt,
wir zweifeln beide nicht. Zu überzeugen
fällt keinem Überzeugten ſchwer. Es kann
nicht fehlen, wir entdecken mehr, ſind wir
vorher gewiß, daß wir entdecken müſſen.
Ich habe ſonſt noch eine Spur .... War’s
nicht
am neuen Jahr, daß unſre Königinn
in Wochen kam? Ganz recht — und im
April
des vor’gen Jahrs erſtand der König erſt
von ſeinem böſen Fieber … Herzog Alba? …
Sie ahnden doch? … Dieß kleine Samenkorn
ſoll in der Zeiten reifender Vollendung
mir ſchrecklich aufgehn … Nur Geduld …
Doch jetzt
die wichtigſte von allen Fragen — Wer
nimmt’s über ſich, den König zu belehren?
[182]Dom Karlos.
Noch Sie, noch ich. Erfahren Sie alſo,
was lange ſchon, des großen Planes voll,
mein ſtiller Fleiß dem Ziele zugetrieben.
Noch mangelt unſer Bündniß zu vollenden
die dritte, wichtigſte Perſon .... Der König
liebt die Prinzeſſinn Eboli. Ich nähre
die Leidenſchaft, die meinen Wünſchen wuchert.
Ich bin ſein Abgeſandter … Unſerm Plane
erzieh’ ich ſie — In dieſer jungen Dame,
gelingt mein Werk, ſoll eine Bundsverwand-
tinn,
ſoll eine Königinn uns blühn. Sie ſelbſt
hat jetzt in dieſes Zimmer mich berufen.
Ich hoffe alles — Jene Lilien
von Valois zerknickt ein Span’ſches Mädchen
vielleicht in Einer Mitternacht —
Was hör’ ich?
Iſt’s Wahrheit, was ich jetzt gehört? —
Beim Himmel!
das überraſcht mich! Ja! Der Streich
vollendet!
Dominikaner! ich bewundre Dich.
Jetzt haben wir gewonnen —
[183]Zweiter Akt.
Still! Wer kommt! —
Daß es bis dahin kommen muß! — Ich bin
in ſeinen Kriegen grau geworden — Daß
ich betteln ſoll von dieſen Wangen, das,
ich kann’s nicht läugnen, das verdrüßt mich —
Doch,
doch dieß Erröthen ſoll mit Seelenangſt
der Knabe mir bezahlen —
Gehen Sie.
Sie iſt’s — ſie ſelbſt.
Ich bin im nächſten Zimmer,
wenn man —
Schon recht. Ich rufe Sie.
[184]Dom Karlos.
Dreizehnter Auftritt.
Zu Ihren
Befehlen, gnäd’ge Fürſtinn.
Sind wir etwa
nicht ganz allein? Sie haben, wie ich ſehe,
noch einen Zeugen bei Sich?
Wie?
Wer war es,
der eben jetzt von Ihnen ging?
Der Herzog
von Alba, gnäd’ge Fürſtinn, der nach mir
um die Erlaubniß bittet, vorgelaſſen
zu werden.
[185]Zweiter Akt.
Herzog Alba? Was will der?
Was kann er wollen? Wiſſen Sie vielleicht
es mir zu ſagen?
Ich? und eh’ ich weiß,
was für ein Vorfall von Bedeutung mir
das langentbehrte Glück verſchafft, der Fürſtinn
von Eboli mich wiederum zu nähern?
Ob ſich ein Umſtand endlich vorgefunden,
der für des Königs Wünſche ſpricht? ob ich
mit Grund gehofft, daß beßre Überlegung
mit einem Anerbieten Sie verſöhnt,
das Eigenſinn, das Laune bloß verworfen?
Ich komme voll Erwartung —
Brachten Sie
dem König meine letzte Antwort?
Noch
verſchob ich’s, ihn ſo tödtlich zu verwunden.
Noch, gnäd’ge Fürſtinn, iſt es Zeit. Es ſteht
bei Ihnen ſie zu mildern.
[186]Dom Karlos.
Melden Sie
dem König, daß ich ihn erwarte.
Darf
ich das für Wahrheit nehmen, ſchöne Fürſtinn?
Für Scherz doch nicht? — Bei Gott! Sie
machen mir
ganz bange — Wie? Was hab’ ich denn ge-
than,
wenn ſogar Sie — Sie ſelber Sich entfärben?
Prinzeſſinn, dieſe Überraſchung, — kaum
kann ich es faſſen —
Ja, hochwürd’ger Herr,
das ſollen Sie auch nicht. Um alle Güter
der Welt möcht’ ich nicht haben, daß Sie’s
faßten.
Genug für Sie, daß es ſo iſt. Erſparen
Sie Sich die Mühe zu ergrübeln, weſſen
Beredſamkeit Sie dieſe Wendung danken.
[187]Zweiter Akt.
Zu Ihrem Troſt ſetz’ ich hinzu: Sie haben
nicht Theil an dieſer Sünde. Auch wahr-
haftig
die Kirche nicht, obſchon Sie mir bewieſen,
daß Fälle möglich wären, wo die Kirche
ſogar die Körper ihrer jungen Töchter
für höh’re Zwecke zu verbrauchen wüßte.
Auch dieſe nicht — Dergleichen fromme
Gründe,
ehrwürd’ger Herr, ſind mir zu hoch —
Sehr gerne
Prinzeſſinn, nehm’ ich ſie zurück, ſobald
ſie überflüſſig waren.
Bitten Sie
von meinetwegen den Monarchen, ja
in dieſer Handlung Mich nicht zu verkennen.
Was ich geweſen, bin ich noch. Die Lage
der Dinge nur hat ſeitdem ſich verwandelt.
Als ich ſein Anerbieten mit Entrüſtung
zurücke ſtieß, da glaubt’ ich im Beſitze
der ſchönſten Königinn ihn glücklich —
glaubte
die treue Gattinn meines Opfers werth.
[188]Dom Karlos.
Das glaubt’ ich damals — damals. Frei-
lich jetzt,
jetzt weiß ich’s beſſer.
Fürſtinn, weiter, weiter.
Ich hör’ es, wir verſtehen uns.
Genug,
ſie iſt erhaſcht. Ich ſchone ſie nicht länger.
Die ſchlaue Diebinn iſt erhaſcht. Den König,
ganz Spanien, und mich hat ſie betrogen.
Sie liebt. Ich weiß es, daß ſie liebt. Ich
bringe
Beweiſe, die Sie zittern machen ſollen.
Der König iſt betrogen — doch bei Gott!
er ſei es ungerochen nicht. Die Larve
erhabner, übermenſchlicher Entſagung,
der Mutter Gottes nachgemahlt — die
Larve
reiß’ ich ihr ab, daß alle Welt die Stirne
der Sünderinn erkennen ſoll. Es koſtet
mich einen ungeheuern Preis, doch — das
entzückt mich, das iſt mein Triumph — doch
ſie
noch einen größern.
[189]Zweiter Akt.
Nun iſt alles reif.
Erlauben Sie, daß ich den Herzog rufe.
Was wird das?
Vierzehnter Auftritt.
Domingo.
Unſre Nachricht, Herzog Alba,
kommt hier zu ſpät. Die Fürſtinn Eboli
entdeckt uns ein Geheimniß, das ſie eben
von uns erfahren ſollte.
Mein Beſuch
wird dann um ſo viel minder ſie befremden.
[190]Dom Karlos.
Ich traue meinen Augen nicht. Dergleichen
Entdeckungen verlangen Weiberblicke.
Sie ſprechen von Entdeckungen? —
Wir wünſchten
zu wiſſen, gnäd’ge Fürſtinn, welchen Ort,
und welche beß’re Stunde Sie —
Auch das.
So will ich morgen Mittag Sie erwarten.
Ich habe Gründe, dieſes [ſtrafbare]
Geheimniß länger nicht zu bergen — es
nicht länger mehr dem König zu entziehn.
Das war es, was mich hergeführt. Sogleich
muß der Monarch es wiſſen. Und durch Sie,
durch Sie, Prinzeſſinn, muß er das. Wem
ſonſt,
wem ſollt’ er lieber glauben, als der ſtrengen,
der wachſamen Geſpielinn ſeines Weibes?
Wem mehr, als Ihnen, die, ſobald ſie will,
ihn unumſchränkt beherrſchen kann?
[191]Zweiter Akt.
Ich bin
erklärter Feind des Prinzen.
Eben das
iſt man gewohnt, von mir vorauszuſetzen.
Die Fürſtinn Eboli iſt frei. Wo wir
verſtummen müſſen, zwingen Pflichten Sie
zu reden, Pflichten Ihres Amts. Der König
entflieht uns nicht, wenn Ihre Winke wirken,
und dann vollenden wir das Werk.
Doch bald,
gleich jetzt muß das geſchehn. Die Augen-
blicke
ſind koſtbar. Jede nächſte Stunde kann
mir den Befehl zum Abmarſch bringen —
Ob
ſich Briefe finden ließen? Briefe freilich,
von dem Infanten aufgefangen, müßten
hier Wirkung thun. — Laß ſehen — Nicht
wahr? — Ja.
[192]Dom Karlos.
Sie ſchlafen doch — ſo däucht mir — in dem-
ſelben
Gemache mit der Königinn?
Zunächſt
an dieſem — Doch was ſoll mir das?
Wer ſich
auf Schlöſſer gut verſtünde — — Haben Sie
bemerkt, wo ſie den Schlüſſel zur Schatulle
gewöhnlich zu bewahren pflegt?
Das könnte
zu etwas führen — Ja — der Schlüſſel wäre
zu finden, denk’ ich —
Briefe wollen Boten — —
Der Königinn Gefolg’ iſt groß — — Wer hier
auf eine Spur gerathen könnte? — — Gold
vermag zwar viel —
Hat niemand wahrgenommen,
ob der Infant Vertraute hat?
[193]Zweiter Akt.
Nicht Einen;
in ganz Madrid nicht Einen.
Das iſt ſeltſam.
Das dürfen Sie mir glauben; er verachtet
den ganzen Hof; ich habe meine Proben.
Doch wie? Hier eben fällt mir ein, als ich
von dem Gemach der Königinn herauskam,
ſtand der Infant bei einem ihrer Pagen,
ſie ſprachen heimlich —
Nicht doch! Nein! Das war —
das war von etwas anderm.
Können wir
das wiſſen? — Nein, der Umſtand iſt ver-
dächtig —
Und kannten Sie den Pagen?
N
[194]Dom Karlos.
Kinderpoſſen!
Was wird’s auch ſonſt geweſen ſein? Genug,
ich kenne das. — — Wir ſehn uns alſo
wieder,
eh’ ich den König ſpreche. — Unterdeſſen
entdeckt ſich viel.
Und der Monarch darf hoffen?
Ich darf es ihm verkündigen? Gewiß?
Und welche ſchöne Stunde ſeinen Wünſchen
Erfüllung endlich bringen wird? Auch dieß?
In ein’gen Tagen werd’ ich krank; man trennt
mich
von der Perſon der Königinn — das iſt
an unſerm Hofe Sitte, wie Sie wiſſen —
ich bleibe dann auf meinem Zimmer.
Glücklich.
Gewonnen iſt das große Spiel. Trotz ſei
geboten allen Königinnen —
[195]Zweiter Akt.
Horch!
Man läutet mir — die Königinn verlangt
mich.
Auf Wiederſehen.
Funfzehnter Auftritt.
Augen begleitet hat.
Herzog, dieſe Roſen,
und Ihre Schlachten —
Und Dein Gott — ſo will ich
den Blitz erwarten, der uns ſtürzen ſoll!
[196]Dom Karlos.
Sechzehnter Auftritt.
Schon da geweſen alſo? — Das beklag’ ich.
Seit heute Morgen ſchon das drittemal.
Vor einer Stunde ging er weg —
Er will
doch wiederkommen? Hinterließ er’s nicht?
Vor Mittag noch verſprach er.
Euer Kloſter
liegt weit ab von der Straße — — Dort-
hin zu
ſieht man noch Thürme von Madrid. — —
Ganz recht,
[197]Zweiter Akt.
und hier fließt der Manſanares … Die Land-
ſchaft
iſt, wie ich ſie mir wünſche. — Alles iſt
hier ſtill wie ein Geheimniß.
Wie der Eintritt
in’s andre Leben.
Eurer Redlichkeit,
gutherz’ger Mann, hab’ ich mein Koſtbarſtes,
mein Heiligſtes vertraut. Kein Sterblicher
darf wiſſen oder nur vermuthen, wen
ich hier geſprochen und geheim. Ich habe
ſehr wicht’ge Gründe, vor der ganzen Welt
den Mann, den ich erwarte, zu verläugnen.
Drum wählt’ ich dieſes Kloſter. Vor Ver-
räthern,
vor Überfall ſind wir doch ſicher? Ihr
beſinnt Euch noch, was Ihr mir zugeſchworen?
Vertrauen Sie uns, gnäd’ger Herr. Der
Argwohn
der Könige wird Gräber nicht durchſuchen.
[198]Dom Karlos.
Das Ohr der Neugier liegt nur an den Thü-
ren
des Glückes und der Leidenſchaft. Die Welt
hört auf in dieſen Mauern.
Denkt Ihr etwa,
daß hinter dieſe Vorſicht, dieſe Furcht
ein ſchuldiges Gewiſſen ſich verkrieche —
Ich denke nichts.
Ihr irrt Euch, frommer Vater,
Ihr irrt Euch warlich. Mein Geheimniß
zittert
vor Menſchen, aber nicht vor Gott.
Mein Sohn,
das kümmert uns ſehr wenig. Dieſe Frei-
ſtatt
ſteht dem Verbrechen offen, wie der Unſchuld.
Ob, was Du vorhaſt, gut iſt oder übel,
rechtſchaffen oder laſterhaft — das mache
mit Deinem eignen Herzen aus.
[199]Zweiter Akt.
Was wir
verheimlichen, kann Euern Gott nicht ſchän-
den.
Es iſt ſein eignes, ſchönſtes Werk — — Zwar
Euch,
Euch kann ich’s wohl entdecken.
Zu was Ende?
Erlaſſen Sie mir’s, lieber Prinz. Die Welt
und ihr Geräthe liegt ſchon lange Zeit
verſiegelt da auf jene große Reiſe.
Wozu die kurze Friſt vor meinem Abſchied
noch einmal es erbrechen? — Es iſt wenig,
was man zur Seligkeit bedarf — Die Glocke
zur Hora lautet. Ich muß beten gehn.
[200]Dom Karlos.
Siebzehnter Auftritt.
Poſa tritt herein.
Ach endlich einmal, endlich —
Welche Prüfung
für eines Freundes Ungeduld! Die Sonne
ging zweimal auf und zweimal unter, ſeit
das Schickſal meines Karlos ſich entſchieden;
und jetzt, erſt jetzt werd’ ich es hören —
Sprich,
ob das verziehen werden kann?
Und mir,
mir dieſen Vorwurf, Rodrigo? Was hat
mir dieſe Stunde nicht gekoſtet!
Gut.
Es ſei vorbei. Vor allem meinen Glück-
wunſch.
Ihr ſeid verſöhnt?
[201]Zweiter Akt.
Wer?
Du und König Philipp:
und auch mit Flandern iſt’s entſchieden.
Daß
der Herzog morgen dahin reiſ’t? — Das iſt
entſchieden, ja.
Das kann nicht ſein. Das iſt nicht.
Soll ganz Madrid belogen ſein? Du hatteſt
geheime Audienz, ſagt man. Der König —
Blieb unbewegt. Wir ſind getrennt auf im-
mer,
und mehr, als wir ſchon waren —
Du gehſt nicht
nach Flandern?
Nein! Nein! Nein!
[202]Dom Karlos.
O meine Hoffnung!
Das nebenbei. O Rodrigo, ſeitdem
wir uns zum letztenmale ſprachen, was
hab’ ich erlebt! Von welchen Wunderdin-
gen
kann ich Dich unterhalten! — Doch vor-
jetzt,
vor allem andern Deinen Rath! Ich muß
ſie ſprechen —
Deine Mutter! — Nein! — Wozu?
Ich habe Hoffnung — Du wirſt blaß? —
Sei ruhig!
Ich ſoll und werde glücklich ſein — Doch
davon
ein andermal. Jetzt ſchaffe Rath, wie ich
ſie ſprechen kann —
Was ſoll das? Worauf gründet
ſich dieſer neue Fiebertraum?
[203]Zweiter Akt.
Nicht Traum!
Beym wundervollen Gott nicht! — Wahr-
heit, Wahrheit!
hervorziehend.
in dieſem wichtigen Papier enthalten!
Die Königinn iſt frei; vor Menſchenaugen,
wie vor des Himmels Augen frei. Da lies,
und höre auf Dich zu verwundern.
Was?
Was ſeh’ ich? Eigenhändig vom Monarchen?
An wen iſt dieſer Brief?
An die Prinzeſſinn
von Eboli. — Vorgeſtern bringt ein Page
der Königinn von unbekannten Händen
mir einen Brief und einen Schlüſſel. Man
bezeichnet mir im linken Flügel des
Pallaſtes, den die Königinn bewohnt,
[204]Dom Karlos.
ein Kabinet, wo eine Dame mich
erwarte, die ich längſt geliebt. Ich folge
ſogleich dem Winke —
Raſender, Du folgſt?
Ich kenne ja die Handſchrift nicht — Ich
kenne
nur Eine ſolche Dame. Wer als ſie
wird ſich von Karlos angebetet wähnen?
Voll ſüßen Schwindels flieg’ ich nach dem
Platze;
ein göttlicher Geſang, der aus dem Innern
des Zimmers mir entgegenſchallt, dient mir
zum Führer — ich eröffne das Gemach —
und wen entdeck’ ich? — Fühle mein Entſetzen!
O ich errathe alles.
Ohne Rettung
war ich verloren, Rodrigo, wär’ ich
in eines Engels Hände nicht gefallen.
Welch unglückſel’ger Zufall! Hintergangen
von meiner Blicke unvorſicht’ger Sprache,
[205]Zweiter Akt.
gab ſie der ſüßen Täuſchung ſich dahin,
ſie ſe ber ſei der Abgott dieſer Blicke.
Gerührt von meiner Seele ſtillen Leiden,
beredet ſich großmüthig-unbeſonnen
ihr weiches Herz, mir Liebe zu erwiedern.
Die Ehrfurcht ſchien mir Schweigen zu ge-
bieten,
ſie hat die Kühnheit es zu brechen — Offen
liegt ihre ſchöne Seele mir —
So ruhig
erzählſt Du das? — Die Fürſtinn Eboli
durchſchaute Dich. Kein Zweifel mehr, ſie
drang
in Deiner Liebe innerſtes Geheimniß,
Du haſt ſie ſchwer beleidigt. Sie beherrſcht
den König.
Sie iſt tugendhaft.
Sie iſt’s
aus Eigennutz der Liebe — Dieſe Tugend,
ich fürchte ſehr, ich kenne ſie — wie wenig
reicht ſie empor zu jenem Ideale,
das aus der Seele mütterlichem Boden,
[206]Dom Karlos.
in ſtoltzer, ſchöner Grazie empfangen,
freiwillig ſproßt und ohne Gärtners Hülfe
verſchwenderiſche Blüten treibt. Es iſt
ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
in einem rauhern Himmelsſtrich getrieben;
Erziehung, Grundſatz, nenn’ es wie Du willſt,
erworbne Unſchuld, dem erhitzten Blut
durch Liſt, durch manchen zweifelhaften Kampf
und kriechende Verträge abgerungen,
dem Himmel, der ſie fodert und bezahlt,
gewiſſenhaft ſorgfältig angeſchrieben.
Erwäge ſelbſt. Wird ſie der Königinn
es je vergeben können, daß ein Mann
an ihrer eignen, ſchwer erkämpften Tugend
vorüberging, ſich für Dom Philipps Frau
in hoffnungsloſen Flammen zu verzehren?
Kennſt Du die Fürſtinn ſo genau?
Gewiß nicht.
Kaum daß ich zweimal ſie geſehn. Doch nur
ein Wort laß mich noch ſagen: Mir kam vor,
daß ſie geſchickt des Laſters Blößen mied,
daß ſie ſehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann ſah’ ich auch die Königinn — O Karl,
[207]Zweiter Akt.
wie anders alles, was ich hier bemerkte!
In angeborner ſtiller Glorie,
mit ſorgenloſem Leichtſinn, mit des Anſtands
ſchulmäßiger Berechnung unbekannt,
gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
mit feſtem Heldenſchritte wandelt ſie
die ſchmale Mittelbahn des Schicklichen,
unwiſſend, daß ſie Anbetung erzwungen,
wo ſie von eignem Beifall nie geträumt.
Erkennt mein Karl auch hier in dieſem Spiegel
auch jetzt noch ſeine Eboli? — Die Fürſtinn
blieb ſtandhaft, weil ſie liebte; Liebe war
in ihre Tugend wörtlich einbedungen.
Du haſt ſie nicht belohnt — ſie fällt.
Nein! Nein!
Nein, ſag’ ich Dir — O wüßte Rodrigo,
wie trefflich es ihn kleidet, ſeinem Karl
der Seligkeiten göttlichſte, den Glauben
an menſchliche Vortrefflichkeit zu ſtehlen!
Verdien’ ich das? — Nein, Liebling meiner Seele,
das wollt’ ich nicht, bei Gott im Himmel
nicht! —
O
[208]Dom Karlos.
O dieſe Eboli — ſie wär’ ein Engel,
und ehrerbietig wie Du ſelbſt ſtürtzt’ ich
vor ihrer Glorie mich nieder, hätte
ſie — Dein Geheimniß nicht erfahren.
Sieh,
wie eitel Deine Furcht iſt! Hat ſie andre
Beweiſe wohl, als die ſie ſelbſt beſchämen?
Wird ſie der Rache trauriges Vergnügen
mit ihrer Ehre kaufen?
Ein Erröthen
zurückzunehmen, haben manche ſchon
der Schande ſich geopfert.
Nein, das iſt
zu hart, zu grauſam. Sie iſt ſtoltz und edel;
ich kenne ſie und fürchte nichts. Umſonſt
verſuchſt Du meine Hoffnungen zu ſchrecken.
Ich ſpreche meine Mutter.
Jetzt? Wozu?
Ich habe nun nichts mehr zu ſchonen — muß
[209]Zweiter Akt.
mein Schickſal wiſſen. Sorge nur, wie ich
ſie ſprechen kann.
Und dieſen Brief willſt Du
ihr zeigen? Wirklich willſt Du das?
Befrage
mich darum nicht. Das Mittel jetzt, das Mittel,
daß ich ſie ſpreche!
Sagteſt Du mir nicht
Du liebteſt Deine Mutter! — Du biſt
Willens
ihr dieſen Brief zu zeigen?
Karl, ich leſe
in Deinen Mienen etwas — mir ganz neu —
ganz fremde bis auf dieſen Tag — Du wendeſt
die Augen von mir? Warum wendeſt Du
die Augen von mir? So iſt’s wahr? — —
Ob ich
denn wirklich recht geleſen? Laß doch ſehen —
Was, biſt Du raſend?
[210]Dom Karlos.
Wirklich — ich geſteh’ es —
an dieſem Briefe lag mir viel.
So ſchien es.
Darum zerriß ich ihn.
auf dem Prinzen, der ihn zweifelhaft anſteht. Langes
Stillſchweigen.
Sprich doch — Was haben
Entweihungen des königlichen Bettes
mit Deiner — Deiner Liebe denn zu ſchaffen?
War Philipp Dir gefährlich? Welches Band
kann die verletzten Pflichten des Gemahls
mit Deinen kühnen Hoffnungen verknüpfen?
Hat er geſündigt, wo Du liebſt? Vermiſſeſt
Du noch Befriedigungen, die der Gattinn
Empfindlichkeit vollenden ſoll? Nun freilich
lern’ ich Dich faſſen. O wie ſchlecht hab’ ich
bis jetzt auf Deine Liebe mich verſtanden.
Wie Rodrigo? Was glaubſt Du?
O ich fühle,
wovon ich mich entwöhnen muß. Ja einſt,
[211]Zweiter Akt.
einſt war’s ganz anders. Da warſt Du ſo reich,
ſo warm, ſo reich! ein ganzer Weltkreis hatte
in Deinem weiten Buſen Raum. Das alles
iſt nun dahin, von Einer Leidenſchaft,
von einem kleinen Eigennutz verſchlungen.
Dein Herz iſt ausgeſtorben. Keine Thräne,
dem ungeheuern Schickſal der Provinzen
nicht einmal eine Thräne mehr — O Karl,
wie arm biſt Du, wie bettelarm geworden,
ſeitdem Du niemand liebſt als Dich!
kaum unterdrücktem Weinen:
Ich weiß,
daß Du mich nicht mehr achteſt.
Hörſt Du denn,
daß ich Dir ſchmeichle? — Nicht ſo, Karl,
nicht alſo.
Ich kenne dieſe Aufwallung. Sie war
Verirrung lobenswürdiger Gefühle.
Die Königinn gehörte Dir, war Dir
geraubt von dem Monarchen — doch bis jetzt
mißtrauteſt Du beſcheiden Deinen Rechten.
Vielleicht war Philipp ihrer werth. Du wag-
teſt
[212]Dom Karlos.
nur leiſe noch, das Urtheil ganz zu ſprechen.
Der Brief entſchied. Der Würdige warſt Du.
Mit ſtolzer Freude ſahſt Du nun das Schickſal
der Tirannei, des Raubes überwieſen.
Du jauchtzteſt, der Beleidigte zu ſein,
denn Unrecht leiden ſchmeichelt großen Seelen.
Doch hier verirrte Deine Phantaſie,
Dein Stolz empfand Genugthuung —
Dein Herz
verſprach ſich Hoffnung. Sieh, ich wußt’ es
wohl,
Du hatteſt dießmal ſelbſt Dich mißverſtanden.
Nein Rodrigo, Du irreſt ſehr. Ich dachte
ſo edel nicht, bei weitem nicht, als Du
mich gerne glauben machen möchteſt.
Bin
ich denn ſo wenig hier bekannt? Sieh, Karl,
wenn Du verirreſt, ſuch’ ich allemal
die Tugend unter Hunderten zu rathen,
die ich des Fehlers zeihen kann. Doch nun
wir beſſer uns verſtehen, wie ich meine,
nun unterſchreib’ ich Deinen Wunſch. Du ſollſt
die Königinn jetzt ſprechen — mußt ſie ſpre-
chen —
[213]Zweiter Akt.
Ich ſelbſt — ich gebe Dir mein Wort — ich ſelbſt
will es befördern.
Bruder meiner Seele!
O wie erröth’ ich neben Dir.
Weißt Du
denn ſo gewiß, ob nicht geheime Wünſche,
nicht Furcht vielmehr und Eigennutz mich lei-
ten? —
Doch davon, wenn es Zeit iſt, mehr. Du haſt
mein Wort. Nun überlaß mit alles andre.
Ein wilder, kühner, glücklicher Gedanke
ſteigt auf in meiner Phantaſie — Du ſollſt
ihn hören, Karl, aus einem ſchönern Munde.
Ich dränge mich zur Königinn. Vielleicht
daß morgen ſchon der Ausgang ſich erwieſen.
Bis dahin, Karl, vergiß nicht, daß „ein Anſchlag,
den höhere Vernunft gebar, das Leiden
der Menſchheit drängt, zehntauſendmal vereitelt
nie aufgegeben werden darf.“ — Hörſt Du?
Erinnre Dich an Flandern?
Alles, Alles,
was Du und hohe Tugend mir gebieten.
[214]Dom Karlos.
Die Zeit iſt um. Ich höre Dein Gefolge.
Jetzt wieder Kronprinz und Vaſall.
Du fährſt
ſogleich zur Stadt?
Sogleich.
Halt! noch ein Wort!
Wie leicht war das vergeſſen! — Eine Nachricht
Dir äußerſt wichtig — „Briefe nach Brabant
erbricht der König.“ Sei auf Deiner Hut.
Die Poſt des Reichs, ich weiß es, hat geheime
Befehle —
Wie erfuhrſt Du das?
Dom Raimond
von Taxis iſt mein guter Freund.
Auch das!
So nehmen ſie den Umweg über Deutſchland!
Dom Karlos
Infant von Spanien
von
Friedrich Schiller.
Zweite Abtheilung.
Leipzig,
bei Georg Joachim Göſchen
1787.
Dieſer Titel wird vor den 3ten Akt gebunden.
Dritter Akt.
Erſter Auftritt.
Auf dem Nachttiſche zwei brennende Lichter.
Im Hintergrunde des Zimmers einige Pagen
auf den Knieen, eingeſchlafen. Der König, von
oben herab halb ausgekleidet, ſteht vor dem Ti-
ſche, einen Arm über den Seſſel gebeugt, in
einer nachdenkenden Stellung. Vor ihm liegt
ein Medaillon und Papiere.
Daß ſie ſonſt Schwärmerinn geweſen — wer
kann,
kann’s läugnen? Nie konnt’ ich ihr Liebe
geben,
P
[216]Dom Karlos.
und dennoch — ſchien ſie Mangel je zu
fühlen?
So iſt’s erwieſen, ſie iſt falſch.
bringt. Er ſieht mit Befremdung auf.
Wo war ich?
Wacht denn hier niemand, als der König? —
Was?
die Lichter ſchon herabgebrannt? doch nicht
ſchon Tag?
Ich bin um meinen Schlummer. Nimm
ihn für empfangen an, Natur. Ein König hat
nicht Zeit verlorne Nächte nachzuhohten;
jetzt bin ich wach und Tag ſoll ſein.
gardine — Indem er auf- und niedergeht, bemerkt er
die ſchlafenden Knaben und bleibt eine Zeit lang ſchwei-
gend vor ihnen ſtehen; darauf zieht er die Glocke.
Schläft’s irgend
vielleicht in meinem Vorſaal auch?
[217]Dritter Akt.
Zweiter Auftritt.
Befinden
Sich Ihro Majeſtät nicht wohl?
Im linken
Pavillon war Feuer. Hörtet Ihr
den Lärmen nicht?
Nein, Ihro Majeſtät.
Nein? Wie? Und alſo hätt’ ich nur geträumt?
Das kann von Ohngefähr nicht kommen.
Schläft
auf jenem Flügel nicht die Königinn?
Ja, Ihro Majeſtät.
Der Traum erſchreckt mich.
Man ſoll die Wachen künftig dort verdoppeln;
P 2
[218]Dom Karlos.
hört Ihr? ſobald es Abend wird — — Doch
ganz,
ganz ingeheim — Ich will nicht haben, daß —
Ihr prüft mich mit den Augen?
Ich entdecke
ein brennend Auge, das um Schlummer bittet.
Darf ich es wagen, Ihro Majeſtät
an ein koſtbares Leben zu erinnern,
an Völker zu erinnern, die die Spur
durchwachter Nacht mit fürchtender Befrem-
dung
in ſolchen Mienen leſen würden — Nur
zwei kurze Morgenſtunden Schlafs —
Reiß’t mir
den Skorpion von meinem Küſſen — Schlaf?
Schlaf find’ ich in Eskurial — — So lange
der König ſchläft, iſt er um ſeine Krone,
der Mann um ſeines Weibes Herz. Hin-
weg — —
Befehlen Ihro Majeſtät, daß ich
die Edelknaben wecke?
[219]Dritter Akt.
Laß ſie ſchlafen.
Ich traue Menſchen gerne wenn ſie ſchlafen.
Der hier vergißt mir’s, wenigſtens ſo lange
er ſchläft, daß ſeines Vaters Blut durch mich
auf dem Schaffot gefloſſen iſt … Und ſo
bin ich bedient? In meinen Reichen allen
fand niemand ſich mich zu bewachen, niemand
in allen, als der Miſſethäter Söhne,
die ich zum Tode bringen ließ?
Es ſind
ja Kinder, Ihro Majeſtät —
Nein! Nein!
Es iſt Verläumdung — War es nicht ein
Weib,
ein Weib, das mir es flüſterte? Der Name
des Weibes heißt Verläumdung. Das Ver-
brechen
iſt nicht gewiß, bis mir’s ein Mann bekräftigt.
Schickt nach Toledo!
[220]Dom Karlos.
Tretet näher, Graf — —
Iſt’s wahr? — —
O eines Pulſes Dauer nur
Allwiſſenheit — — Schwört mir, iſt’s wahr?
Ich bin
betrogen? Bin ich’s? Iſts es wahr?
Mein großer,
mein beſter König —
König! König nur
und wieder König — — Keine beßre Ant-
wort
als leeren hohlen Wiederhall? Ich ſchlage
an dieſen Felſen und will Waſſer, Waſſer
für meinen heißen Fieberdurſt — Er gibt
mir glühend Gold.
Was wäre wahr, mein König?
Nichts. Nichts. Verlaßt mich. Geht.
mal zurück.
[221]Dritter Akt.
Ihr ſeid vermählt?
Seid Vater? Ja?
Ja, Ihro Majeſtät.
Vermählt, und könnt es wagen, eine Nacht
bei Euerm Herrn zu wachen? Euer Haar
iſt ſilbergrau und Ihr erröthet nicht,
an Eures Weibes Redlichkeit zu glauben?
O geht nach Hauſe. Eben trefft Ihr ſie
in Eures Sohns blutſchändriſcher Umarmung.
Glaubt Euerm König, geht — — Ihr ſteht
beſtürzt?
Ihr ſeht mich mit Bedeutung an? — Weil
ich,
ich ſelber etwa graue Haare trage?
Unglücklicher, beſinnt Euch. Königinnen
beſtecken ihre Tugend nicht. Ihr ſeid
des Todes, wenn Ihr zweifelt — —
Wer kann das?
In allen Staaten meines Königs wer
iſt frech genug, mit giftigem Verdacht
die engelreine Tugend anzuhauchen?
die beſte Königinn ſo tief —
[222]Dom Karlos.
Die Beſte?
Und Eure Beſte alſo auch? Sie hat
ſehr warme Freunde um mich her, find’ ich.
Das muß ihr viel gekoſtet haben — mehr,
als mir bekannt iſt daß ſie geben kann.
Ihr ſeid entlaſſen. Laßt den Herzog kommen.
Schon hör’ ich ihn im Vorſaal —
Graf — Was Ihr
vorhin bemerkt, iſt doch wohl wahr geweſen.
Mein Kopf glüht von durchwachter Nacht. —
Vergeßt,
was ich im wachen Traum geſprochen. Hört
Ihr?
Vergeßt es. Ich bin Euer gnäd’ger König.
öffnet dem Herzog von Alba die Thüre.
[223]Dritter Akt.
Dritter Auftritt.
Ein mir ſo überraſchender Befehl —
zu dieſer außerordentlichen Stunde?
Und dieſer Anblick — —
ergriffen. Er ſieht den Herzog eine lange Zeit ſtillſchwei-
gend an.
Alſo wirklich wahr?
Ich habe keinen treuen Diener?
Wie?
Ich bin auf’s tödtlichſte gekränkt — Man
weiß es,
und niemand, der mich warnte!
[224]Dom Karlos.
Eine Kränkung,
die meinen König gilt und meinem Aug’
entging?
Erkennt Ihr dieſe Hand?
Es iſt
Dom Karlos Hand —
Vermuthet Ihr noch nichts?—
Ihr habt vor ſeinem Ehrgeitz mich gewarnt?
War’s nur ſein Ehrgeitz? dieſer nur, wovor
ich zittern ſollte?
Ehrgeitz iſt ein großes —
ein weites Wort, worin unendlich viel
noch liegen kann.
Und wißt Ihr nichts beſonders
mir zu entdecken?
[225]Dritter Akt.
Ihro Majeſtät
vertrauten meiner Wachſamkeit die Krone.
Der Krone hab’ ich meine leiſeſten
Befürchtungen verpfändet. Was ich ſonſt
vermuthe, denke oder weiß, gehört
mir eigen zu. Es ſind geheiligte
Beſitzungen, die der verkaufte Sklave
wie der Vaſall den Königen der Erde
zurückzuhalten Vorrecht hat. — — Nicht
alles,
was klar vor meiner Seele ſteht, iſt reif
genug für meinen König. Will er doch
befriedigt ſein, ſo muß ich bitten, nicht
als Herr zu fragen.
Leſ’t.
Wer was
der Raſende, dieß unglückſel’ge Blatt
in meines Königs Hand zu geben?
[226]Dom Karlos.
Was?
So wißt Ihr, wen der Inhalt meint? —
Der Name
iſt, wie ich weiß, auf dem Papier vermieden.
Ich war zu ſchnell.
Ihr wißt?
Es iſt heraus.
Mein Herr befiehlt — — ich darf nicht mehr
zurücke —
Ich läugn’ es nicht — ich kenne die Perſon.
O einen neuen Tod hilf mir erdenken,
der Rache fürchterlicher Gott! — — So klar,
ſo weltbekannt, ſo laut iſt das Verſtändniß,
daß man, des Forſchens Mühe überhoben,
ſchon auf den erſten Blick es räth — Das iſt
[227]Dritter Akt.
zu viel! Das hab’ ich nicht gewußt! Das
nicht!
Ich alſo bin der Letzte der es findet!
Der Letzte durch mein ganzes Reich —
Ja ich bekenne
mich ſchuldig, gnädigſter Monarch. Ich
ſchäme
mich einer feigen Klugheit, die mir da
zu ſchweigen rieth, wo meines Königs Ehre,
Gerechtigkeit und Wahrheit laut genug
zu reden mich beſtürmten — — Weil doch
alles
verſtummen will — weil die Bezauberung
der Schönheit aller Männer Zungen bindet,
ſo ſei’s gewagt, ich rede; weiß ich gleich,
daß eines Sohns einſchmeichelnde Betheurung,
daß die verführeriſchen Reitzungen,
die Thränen der Gemahlinn —
Stehet auf.
Ihr habt mein königliches Wort — — Steht
auf.
Sprecht unerſchrocken.
[228]Dom Karlos.
Ihro Majeſtät
beſinnen Sich vielleicht noch jenes Vorfalls
im Garten zu Aranjuez. Sie fanden
die Königinn von allen ihren Damen
verlaſſen — mit zerſtörtem Blick — allein
in einer abgelegnen Laube.
Ha!
Was werd’ ich hören? Weiter —
Die Marquiſinn
von Mondekar ward aus dem Reich verbannt,
weil ſie Großmuth genug beſaß, ſich ſchnell
für ihre Königinn zu opfern — Jetzt
ſind wir berichtet — Die Marquiſinn hatte
nicht mehr gethan, als ihr befohlen worden. —
Der Prinz war dort geweſen.
Dort geweſen?
Doch alſo —
Eines Mannes Spur im Sande,
[229]Dritter Akt.
die von dem linken Eingang dieſer Laube
nach einer Grotte ſich verlor, wo noch
ein Schnupftuch lag, das der Infant vermißte,
erweckte gleich Verdacht. Ein Gärtner hatte
dem Prinzen dort begegnet, und das war,
beinah’ auf die Minute ausgerechnet,
dieſelbe Zeit, wo Eure Majeſtät
Sich in der Laube zeigten.
Und ſie weinte,
als ich Befremdung blicken ließ! Sie machte
vor meinem ganzen Hofe mich erröthen!
erröthen vor mir ſelbſt — Bei Gott! Ich
ſtand
wie ein Gerichteter vor ihrer Tugend —
verhüllt das Geſicht.
Ja, Herzog Alba — Ihr habt Recht — Das
könnte
zu etwas ſchrecklichem mich führen — — Laßt
mich einen Augenblick allein.
Mein König,
ſelbſt das entſcheidet noch nicht ganz —
[230]Dom Karlos.
Auch das nicht?
Und das? Und wieder das? Und dieſer laute
Zuſammenklang verdammender Beweiſe? —
O es iſt klärer als das Licht — — Was ich
ſchon lange Zeit vorausgewußt — — Der
Frevel
begann ſchon da, als ich von Euern Händen
ſie in Madrid zuerſt empfing — Noch ſeh’ ich
mit dieſem Blick des Schreckens, geiſterbleich,
auf meinen grauen Haaren ſie verweilen.
Da fing es an, das falſche Spiel.
Dem Prinzen
ſtarb eine Braut in ſeiner jungen Mutter.
Schon hatten ſie mit Wünſchen ſich ge-
wiegt,
in feurigen Empfindungen verſtanden,
die ihr der neue Stand verbot. Die Furcht
war ſchon beſiegt, die Furcht, die ſonſt das
erſte
Geſtändniß zu begleiten pflegt, und kühner
ſprach die Verführung in vertrauten Bildern
erlaubter Rückerinnerung. Verſchwiſtert
durch Harmonie der Meinung und der Jahre,
[231]Dritter Akt.
durch gleichen Zwang erzürnt, gehorchten ſie
den Wallungen der Leidenſchaft ſo dreiſter.
Die Politik griff ihrer Neigung vor;
iſt es zu glauben, mein Monarch, daß ſie
dem Staatsrath dieſe Vollmacht zuerkannte?
daß ſie die Lüſternheit bezwang, die Wahl
des Kabinets aufmerkſamer zu prüfen?
Sie war gefaßt auf Liebe, und empfing — —
ein Diadem;
Ihr unterſcheidet ſehr — —
ſehr weiſe, Herzog. — Ich bewundre Eure
Beredſamkeit. Ich dank’ Euch.
Ihr habt Recht:
die Königinn hat ſehr gefehlt, mir Briefe
von dieſem Inhalt zu verbergen — mir
die ſtrafbare Erſcheinung des Infanten
im Garten zu verheimlichen. Sie hat
aus falſcher Großmuth ſehr gefehlt. Ich werde
ſie zu beſtrafen wiſſen.
Wer iſt ſonſt
Q
[232]Dom Karlos.
im Vorſaal? — Euer, Herzog Alba,
bedarf ich nicht mehr. Tretet ab.
Sollt’ ich
durch meinen Eifer Eurer Majeſtät
zum zweitenmal mißfallen haben?
Laßt
Domingo kommen.
Ich vergeb’ es Euch,
daß Ihr beinahe zwei Minuten lang
mich ein Verbrechen hättet fürchten laſſen,
das gegen Euch begangen werden kann.
[233]Dritter Akt.
Vierter Auftritt.
ſich dem König, den er eine Zeit lang mit feierlicher Stille
betrachtet.
Wie froh erſtaun’ ich, Eure Majeſtät
ſo ruhig, ſo gefaßt zu ſehn.
— Erſtaunt Ihr —
Der Vorſicht ſei’s gedankt, daß meine Furcht
doch alſo nicht gegründet war! Nun darf
ich um ſo eher hoffen.
Eure Furcht?
Was war zu fürchten?
Q 2
[234]Dom Karlos.
… Ihro Majeſtät,
ich darf nicht bergen, daß ich allbereits
um ein Geheimniß weiß —
Hab’ ich denn ſchon
den Wunſch geäußert, es mit Euch zu theilen?
Wer kam ſo unberufen mir zuvor?
Sehr kühn, bei meiner Ehre!
Mein Monarch,
der Ort, der Anlaß, wo ich es erfahren,
das Siegel, unter dem ich es erfahren,
ſpricht wenigſtens von dieſer Schuld mich frei.
Am Beichtſtuhl ward es mir vertraut — vertraut
als Miſſethat, die das empfindliche
Gewiſſen der Entdeckerinn belaſtet,
und Gnade bei dem Himmel ſucht. Zu ſpät
beweint die Fürſtinn eine That, von der
ſie Urſach hat die fürchterlichſte Folgen
für ihre Königinn zu ahnden.
Wirklich?
Das gute Herz — Ihr habt ganz recht ver-
muthet,
[235]Dritter Akt.
weßwegen ich Euch rufen ließ. Ihr ſollt
aus dieſem dunkeln Labirinth mich führen,
worein ein blinder Eifer mich geworfen.
Von Euch erwart’ ich Wahrheit. Redet offen
mit mir. Was ſoll ich glauben, was be-
ſchließen?
Von Eurem Amte fodr’ ich Wahrheit.
Sire,
wenn meines Standes Mildigkeit mir auch
der Schonung ſüße Pflicht nicht auferlegte,
doch würd’ ich Eure Majeſtät beſchwören,
um Ihrer Ruhe willen Sie beſchwören,
bei dem Entdeckten ſtill zu ſtehn — das For-
ſchen
in ein Geheimniß ewig aufzugeben,
das niemals freudig ſich entwickeln kann.
Was jetzt bekannt iſt, kann vergeben wer-
den.
Ein Wort des Königs — und die Königinn
hat nie gefehlt. Der Wille des Monarchen
verleiht die Tugend wie das Glück — und
nur
die immer gleiche Ruhe meines Königs
kann die Gerüchte mächtig niederſchlagen,
die ſich die Läſterung erlaubt.
[236]Dom Karlos.
Gerüchte?
Von Mir, und unter meinem Volke?
Lügen!
Verdammenswerthe Lügen! Ich beſchwör’ es.
Doch freilich gibt es Fälle, wo der Glaube
des Volks, und wär’ er noch ſo unerwieſen,
bedeutend wie die Wahrheit wird.
Bei Gott!
Und hier gerade wär’ es —
Guter Name
iſt das koſtbare, einz’ge Gut, um welches
die Königinn mit einem Bürgerweibe
wetteifern muß —
Für den doch, will ich hoffen,
hier nicht gezittert werden ſoll?
einem Stillſchweigen:
Kaplan,
ich ſoll noch etwas ſchlimmes von Euch hören.
[237]Dritter Akt.
Verſchiebt es nicht. Schon lange leſ’ ich es
in dieſem unglückbringenden Geſichte,
Heraus damit! Sei’s was es wolle! Laßt
nicht länger mich auf dieſer Folter beben.
Was glaubt das Volk?
Noch einmal, Sire: das Volk
kann irren — und es irrt gewiß. Was es
behauptet, darf den König nicht erſchüttern —
nur — daß es ſo weit ſchon ſich wagen durfte,
dergleichen zu behaupten —
Was? Muß ich
ſo lang’ um einen Tropfen Gift Euch bitten?
Das Volk denkt an den Monat noch zurücke,
der Eure königliche Majeſtät
dem Tode nahe brachte — — Dreißig Wo-
chen
nach dieſem lieſ’t es von der glücklichen
Entbindung —
Alba tritt herein. Domingo betroffen:
Ich erſtaune, Sire —
[238]Dom Karlos.
Toledo!
Ihr ſeid ein Mann. Schützt mich vor dieſem
Prieſter.
Erhohlen Sie Sich, mein Monarch.
Was thu’ ich?
Bin ich in ſolchen Händen? Einer Schlange
will ich bei einem Krokodill entlaufen?
Sonſt alſo hab’ ich keine Wahl? Sonſt keine?
einer Pauſe:
Wenn wir voraus es hätten wiſſen können,
daß dieſe Nachricht an dem Überbringer
geahndet werden ſollte —
Baſtard ſagt Ihr?
Ich war, ſagt Ihr, vom Tode kaum erſtanden,
als ſie ſich Mutter fühlte? — Wie? Das
war
[239]Dritter Akt.
ja damals, wenn ich anders mich nicht irre,
als Ihr den heiligen Dominikus
in allen Kirchen für das hohe Wunder lobtet,
das er an mir gewirkt? — Was damals
Wunder
geweſen, iſt es jetzt nicht mehr? So habt
Ihr damals, oder heute mir gelogen.
An was verlangt Ihr daß ich glauben ſoll?
O ich durchſchau’ Euch. Wäre das Komplott
ſchon damals reif geweſen — ja dann war
der Heilige um ſeinen Ruhm.
Komplott!
Komplott! Welch kränkender Verdacht!
Ihr ſolltet
mit dieſer beiſpielloſen Harmonie
jetzt in derſelben Meinung Euch begegnen
und doch nicht einverſtanden ſein? Mich wollt
Ihr das bereden? Mich? Ich ſoll vielleicht
nicht wahrgenommen haben, wie erpicht
und gierig Ihr auf Euren Raub Euch ſtürz-
tet?
[240]Dom Karlos.
Mit welcher Wolluſt Ihr an meinem Schmerz,
an meines Zornes Wallung Euch geweidet?
Nicht merken ſoll ich, wie voll Eifer dort
der Herzog brennt, der Gunſt zuvorzueilen,
die meinem Sohn beſchieden war? Wie gerne
der fromme Mann hier ſeinen kleinen Groll
mit meines Zornes Rieſenarm bewehrte?
Ich bin der Bogen, bildet Ihr Euch ein,
den man nur ſpannen dürfe nach Gefallen?—
Noch hab’ ich meinen Willen auch — und
wenn
ich zweifeln ſoll, ſo laßt mich wenigſtens
bei Euch den Anfang machen.
Dieſe Deutung
hat unſre Treue nicht erwartet.
Treue!
Die Treue warnt vor drohenden Verbrechen,
die Rachgier ſpricht von den begangenen.
Laßt hören! Was gewann ich denn durch
Eure
Dienſtfertigkeit? — Iſt, was Ihr vorgebt,
wahr;
was bleibt mir übrig als der Trennung Wunde?
[241]Dritter Akt.
der Rache trauriger Triumph? — Doch
nein,
Ihr fürchtet nur, Ihr gebt mir ſchwankende
Vermuthungen — Am Abſturz einer Hölle
laßt Ihr mich ſtehen und entflieht.
Sind andre
Beweiſe möglich, wo das Auge ſelbſt
nicht überwieſen werden kann?
ſich wendend.
Ich’ will
die Großen meines Königreichs verſammeln,
und ſelber zu Gerichte ſitzen. Tretet
heraus vor allen — habt Ihr Muth — und
klaget
als eine Buhlerinn ſie an! — Sie ſoll
des Todes ſterben — ohne Rettung — ſie
und der Infant ſoll ſterben — aber — merkt
Euch!
kann ſie ſich reinigen — Ihr ſelbſt! Wollt
Ihr
die Wahrheit durch ein ſolches Opfer ehren?
[242]Dom Karlos.
Entſchließet Euch. Ihr wollt nicht? Ihr
verſtummt?
Ihr wollt nicht? — Das iſt eines Lügners Eifer.
Ich will es.
lang ſtarr an.
Das iſt kühn! — Doch mir fällt ein,
daß Ihr in ſcharfen Schlachten Euer Leben
an etwas weit geringeres gewagt —
mit eines Würfelſpielers Leichtſinn für
des Ruhmes Unding es gewagt — Und was
iſt Euch das Leben? Welchen Reitz kann es
für Euresgleichen haben, die in Ketten
geboren worden? — Königliches Blut
geb’ ich dem Raſenden nicht Preis, der nichts
zu hoffen hat, als ein geringes Daſein
erhaben aufzugeben — Euer Opfer
verwerf’ ich. Geht — Geht, und im Au-
dienzſaal
erwartet meine weitere Befehle.
[243]Dritter Akt.
Fünfter Auftritt.
Jetzt gib mir einen Menſchen, gute Vorſicht —
Du haſt mir viel gegeben. Schenke mir
jetzt einen Menſchen … Du — du biſt allein,
denn deine Augen prüfen das Verborgne,
ich bitte dich um einen Freund, denn ich
bin nicht wie du allwiſſend. Die Gehülfen,
die du mir zugeordnet haſt, was ſie
mir ſind, weißt du. Was ſie verdienen, haben
ſie mir gegolten. Ihre zahmen Laſter,
beherrſcht vom Zaume, ziehen meinen Wagen,
wie deine Wetter fronen der Natur.
Ich brauche Wahrheit — Ihre ſtille Quelle
im dunkeln Schutt des Irrthums aufzugraben
iſt nicht das Loos der Könige. Gib mir
den ſeltnen Mann mit reinem, offnen Herzen,
mit hellem Geiſt und unbefangnen Augen,
der mir ſie finden helfen kann — ich ſchütte
die Looſe auf; laß unter Tauſenden,
die um der Hoheit Sonnenſcheibe flattern,
den einzigen mich finden.
iſt, und nimmt eine Schreibtafel heraus. Nachdem er
eine Zeit lang darin geblättert:
[244]Dom Karlos.
Bloße Namen —
nur Namen ſtehen hier, und nicht einmal
Erwähnung des Verdienſts, dem ſie den Platz
auf dieſer Tafel danken — und was iſt
vergeßlicher als Dankbarkeit? Doch hier
auf dieſer andern Tafel leſ’ ich jede
Vergehung pünktlich beigeſchrieben. Wie?
Das iſt nicht gut. Braucht etwa das Ge-
dächtniß
der Rache dieſer Hülfe noch?
Graf Egmont?
Was will der hier? — Der Sieg bei Saint
Quentin
war längſt verwirkt. Ich werf’ ihn zu den
Todten.
dere Tafel. Nachdem er weiter geleſen:
Marquis von Poſa? — Poſa? — Poſa?
Kann
ich dieſes Menſchen mich doch kaum beſinnen!
Und zweifach angeſtrichen — ein Beweis,
daß ich zu großen Zwecken ihn beſtimmte.
Und war es möglich? dieſer Menſch entzog
ſich meiner Gegenwart bis jetzt? vermied
die Augen ſeines königlichen Schuldners?
[245]Dritter Akt.
Bei Gott! im ganzen Umkreis meiner Staaten
der einz ge Menſch, der meiner nicht bedarf!
Beſäß’ er Habſucht oder Ehrbegierde,
er wäre längſt vor meinem Thron erſchienen.
Wag’ ich’s mit dieſem Sonderling? Wer mich
entbehren kann, wird Wahrheit für mich haben.
Sechster Auftritt.
Prinzen von Parma. Die Herzoge von
Alba, Feria, und Medina Sidonia.
Graf von Lerma, und noch andere Gran-
den mit Schriften in der Hand. Alle den
König erwartend.
zum Herzog von Alba, der allein und in ſich gekehrt
auf und abgeht.
Sie haben ja den Herrn geſprochen, Herzog —
Wie fanden Sie ihn aufgelegt.
[246]Dom Karlos.
Sehr übel
für Sie und Ihre Zeitungen.
Im Feuer
des Engliſchen Geſchützes war mir’s leichter,
als hier auf dieſem Pflaſter.
nähert ſich ihm jetzt und drückt ihm die Hand.
Warmen Dank
für dieſe großmuthsvolle Thräne, Prinz.
Sie ſehen, wie mich alles flieht. Nun iſt
mein Untergang beſchloſſen.
Hoffen Sie
das Beſte, Freund, von meines Vaters Gnade
und Ihrer Unſchuld.
Ich verlor ihm eine Flotte,
wie keine noch im Meer erſchien — Was iſt
ein Kopf wie dieſer gegen ſiebenzig
verſunkne Gallionen? — Aber Prinz —
fünf Söhne, hoffnungsvoll wie Sie — das
bricht
mein Herz — —
[247]Dritter Akt.
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen. Alle nehmen die Hüte ab
und weichen zu beiden Seiten aus, indem ſie
einen halben Kreis um ihn bilden. Still-
ſchweigen.
Bedeckt Euch!
zuerſt und küſſen dem König die Hand. Er wendet ſich
mit einiger Freundlichkeit zu dem letztern ohne ſeinen
Sohn bemerken zu wollen.
Eure Mutter, Neffe,
will wiſſen, wie man in Madrid mit Euch
zufrieden ſei.
Das frage ſie nicht eher,
als nach dem Ausgang meiner erſten Schlacht.
Gebt Euch zufrieden. Auch an Euch wird
einſt
R
[248]Dom Karlos.
die Reihe ſein, wenn dieſe Stämme brechen.
Was bringt Ihr mir?
Der Großkomthur des Ordens
von Calatrava ſtarb an dieſem Morgen.
Hier folgt ſein Ritterkreuz zurück.
Wer wird
nach ihm am würdigſten es tragen?
Knie niederläßt, und hängt ihm den Orden um.
Herzog,
Ihr ſeid mein erſter Feldherr — ſeid nie mehr,
ſo wird Euch meine Gnade niemals fehlen.
Sieh da! Mein Admiral!
mit geſenktem Haupt.
Das, großer König,
[249]Dritter Akt.
iſt alles, was ich von der Span’ſchen Jugend
und der Armada wiederbringe.
Gott
iſt über mir — Ich habe gegen Menſchen,
nicht gegen Sturm und Klippen ſie geſendet.—
Seid mir willkommen in Madrid.
Und Dank,
daß Ihr in Euch mir einen würd’gen Diener
erhalten habt! — Für dieſen, meine Granden,
erkenn’ ich ihn, will ich erkannt ihn wiſſen.
decken — dann wendet er ſich gegen die andern.
Was gibt es noch?
Ich dank’ Euch, meine Prinzen.
hern ſich und überreichen dem König knieend ihre Pa-
piere. Er durchſieht ſie flüchtig und reicht ſie dem Her-
zog von Alba.
Legt das im Kabinet mir vor. — Bin ich
zu Ende?
R 2
[250]Dom Karlos.
Wie kommt es denn, daß unter meinen Gran-
den
ſich nie ein Marquis Poſa zeigt? Ich weiß
recht gut, daß dieſer Marquis Poſa mir
mit Ruhm gedient. Er lebt vielleicht nicht
mehr?
Warum erſcheint er nicht?
Der Chevalier
iſt kürzlich erſt von Reiſen angelangt,
die er durch ganz Europa unternommen.
So eben iſt er in Madrid, und wartet
nur auf den öffentlichen Tag, ſich zu
den Füßen ſeines Oberherrn zu werfen.
Marquis von Poſa? — Recht! Das iſt
der kühne
Maltheſer, Ihro Majeſtät, von dem
der Ruf die ſchwärmeriſche That erzählte.
Als auf des Ordensmeiſters Aufgebot
die Ritter ſich auf ihrer Inſel ſtellten,
die Soliman belagern ließ, verſchwand
auf einmal von Alkala’s hoher Schule
der achtzehnjähr’ge Jüngling. Ungerufen
ſtand er vor la Valette. „Man kaufte mir
[251]Dritter Akt.
das Kreutz,“ ſagt’ er; „ich will es jetzt ver-
dienen.“
Von jenen vierzig Rittern war er einer,
die gegen Piali, Ulucciali,
und Muſtapha und Haſſem das Kaſtell
San Elmo in drei wiederhohlten Stürmen
am hohen Mittag hielten. Als es endlich
erſtiegen wird, und um ihn alle Ritter
gefallen, wirft er ſich in’s Meer und kommt
allein erhalten an bei la Valette.
Zwei Monate darauf verläßt der Feind
die Inſel, und der Ritter kommt zurück,
die angefangne Studien zu enden.
Und dieſer Marquis Poſa war es auch,
der nachher die berüchtigte Verſchwörung
in Katalonien entdeckt, und bloß
durch ſeine Fertigkeit allein der Krone
die wichtigſte Provinz gerettet.
Eben
derſelbe war es, der ein Jahr darauf,
durch ſeines Vaters Tod zu der Grandezza
gerufen — Erbe einer Million —
mit beiſpielloſer männlicher Enthaltung,
[252]Dom Karlos.
im vollen Frühling ſeines jungen Ruhms,
freiwillig aus den Schranken trat — und
jetzt
an dieſem Hof ſich ſelber lebt — nur darum
von ſeines Königs Gnade übergangen,
weil ſein beſcheidenes Verdienſt bis jetzt
vor der Belohnung ſich verbarg.
Ich bin
erſtaunt — Was iſt das für ein Menſch,
der das
gethan, und unter dreien, die ich frage,
nicht einen einz’gen Neider hat? — Gewiß!
der Menſch beſitzt den ungewöhnlichſten
Karakter oder keinen — Wunders wegen
muß ich ihn ſprechen.
Nach gehörter Meſſe
bringt ihn in’s Kabinet zu mir.
Und Ihr
nehmt meine Stelle im geheimen Rathe.
Der Herr iſt heut ſehr gnädig.
[253]Dritter Akt.
Sagen Sie:
Er iſt ein Gott! — Er iſt es mir geweſen.
Wie ſehr verdienen Sie Ihr Glück! Ich nehme
den wärmſten Antheil, Admiral.
Auch ich.
Ich warlich auch.
Das Herz hat mir geſchlagen.
Ein ſo verdienter General!
Der König
war gegen Sie nicht gnädig — nur gerecht.
Wie reich ſind Sie auf einmal durch zwey Worte!
[254]Dom Karlos.
Achter Auftritt.
Mich will er haben? Mich? — Das kann
nicht ſein.
Sie irren Sich im Namen — Und was will
er denn von mir?
Er will Sie kennen lernen.
Mehr iſt mir nicht bekannt.
Ich bin ihm nichts.
Ich warlich nichts. Das wußten Sie ſehr
gut;
das hätten Sie voraus ihm ſollen ſagen.
Daran iſt niemand Schuld als Sie.
Als ich?
Das klingt doch luſtig. Wußt’ ich denn, wozu
er Sie beſtimmt hat?
[255]Dritter Akt.
Auf der Welt zu nichts.
Das dürfen Sie mir glauben.
Doch — und wenn’s
auch nur gerade dieſerwegen wäre.
Der bloßen Neugier wegen — O dann Schade
um den verlornen Augenblick — Das Leben
iſt ſo erſtaunlich ſchnell dahin.
Sie wiſſen
Ihr Glück gar nicht zu ſchätzen.
Eben darum.
Ich weiß es nicht zu ſchätzen.
Dieſen Platz
beneiden Ihnen Millionen.
Warlich!
Das thut mir leid — und mir frommt er ſo
wenig.
[256]Dom Karlos.
Warum alſo?
Ich hier in dieſem Zimmer!
Wie zwecklos und wie ungereimt! Was kann
ihm viel dran liegen, ob ich bin? — Sie
ſehen,
es führt zu nichts.
Dem Philoſophen freilich
ſteht dieſe Art zu denken ſchön.
Wohin
ſo ſchnell?
Sie melden.
O! Das wird ſo ſehr
nicht eilen. Sagen Sie mir doch: Wie lange
kann denn das dauern?
Ja das fragt ſich nun,
wie Sie dem Herrn gefallen.
[257]Dritter Akt.
Muß ich das?
Das iſt doch hart. Ich werd’ ihm nicht ge-
fallen.
Wenn Sie nicht wollen. Nein.
Ich übergebe
Sie Ihrem guten Stern. Der König iſt
in Ihren Händen. Nützen Sie, ſo gut
Sie können, dieſen Augenblick, und Sich,
Sich ſelber ſchreiben Sie es zu, geht er
verloren.
Neunter Auftritt.
Wohl geſprochen, Herzog. Nützen
muß man den Augenblick, der Einmal nur
ſich bietet. Warlich dieſer Höfling gibt
mir eine gute Lehre — wenn auch nicht
[258]Dom Karlos.
in ſeinem Sinne gut, doch in dem meinen.
Wie komm’ ich aber hieher? — Eigenſinn
des launenhaften Zufalls wär’ es nur,
was meinen Schatten zeigt in dieſen Spie-
geln?
aus einer Million gerade mich,
den Unwahrſcheinlichſten, ergriff und im
Gehirne dieſes Königs auferweckte? —
Ein Zufall nur? — Vielleicht auch mehr —
Und was
iſt Zufall anders, als der rohe Stein,
der Leben annimmt unter Bildners Hand?
Den Zufall gibt die Vorſehung — Zum Zwecke
muß ihn der Menſch geſtalten — Was der
König
mit mir auch wollen mag, gleich viel! — Ich
weiß
was ich — ich mit dem König ſoll — Und
wär’s
auch eine Feuerflocke Wahrheit nur,
in des Deſpoten Seele kühn geworfen —
Wie fruchtbar in der Vorſicht Hand! — So
könnte,
was erſt ſo grillenhaft mir ſchien, ſehr zweck-
voll
[259]Dritter Akt.
und ſehr beſonnen ſein. Sein oder nicht —
Gleichviel! In dieſem Glauben will ich han-
deln.
endlich in ruhiger Betrachtung vor einem Gemäh[l]de ſte-
hen. Der König erſcheint in dem angränzenden Zim-
mer, wo er einige Befehle gibt. Alsdann tritt er her-
ein, ſteht an der Thüre ſtill, und ſieht dem Marquis
eine Zeit lang zu, ohne von ihm bemerkt zu werden.
Zehnter Auftritt.
entgegen und läßt ſich vor ihm auf ein Knie nieder,
ſteht auf und bleibt ohne Zeichen der Verwirrung vor
ihm ſtehen.
Mich ſchon geſprochen alſo?
Nein.
[260]Dom Karlos.
Sie machten
um meine Krone Sich verdient. Warum
entziehen Sie Sich meinem Dank? In mei-
nem
Gedächtniß drängen ſich der Menſchen viel.
Allgegenwärtig iſt nur Einer. Ihnen
hätt es gebührt, Sich meinem Aug’ zu zeigen.
Weßwegen thaten Sie das nicht?
Es ſind
zween Tage, Sire, daß ich in’s Königreich
zurückgekommen.
Ich bin nicht geſonnen
in meiner Unterthanen Schuld zu ſtehn.
Erbitten Sie Sich eine Gnade.
Ich
genieße die Geſetze.
Dieſes Vorrecht
hat auch der Mörder.
[261]Dritter Akt.
Wie viel mehr alſo
der gute Bürger! — Sire, ich bin vergnügt.
Viel kühner Muth, bei Gott! Doch das
war zu
erwarten — Hätte wohl der Türkſche Mond
gezittert ohne dieſen? Stolz will ich
den Spanier. Ich mag es gerne leiden,
wenn auch der Becher überſchäumt — — Sie
traten
aus meinen Dienſten, hör’ ich?
Einem Beſſern
den Platz zu räumen, zog ich mich zurücke.
Das thut mir leid. Wenn ſolche Köpfe feiern,
wie viel Verluſt für meinen Staat — Viel-
leicht
befürchten Sie, die Sphäre zu verfehlen
die Ihres Geiſtes würdig iſt.
O Nein!
Ich bin gewiß, daß der erfahrne Kenner,
[262]Dom Karlos.
in Menſchenſeelen, ſeinem Stoff, geübt,
beim erſten Blicke wird geleſen haben,
was ich ihm taugen kann, was nicht. Ich
fühle
mit demuthsvoller Dankbarkeit die Gnade,
die Eure königliche Majeſtät
durch dieſe ſtolze Meinung auf mich häufen;
doch —
Sie bedenken Sich?
Ich bin — ich muß
geſtehen, Sire — ſogleich nicht vorbereitet,
was ich als Bürger dieſer Welt gedacht,
in Worte Ihres Unterthans zu kleiden —
Denn damals, Sire, als ich auf immer mit
der Krone aufgehoben, glaubt’ ich mich
auch der Nothwendigkeit entbunden, ihr
von dieſem Schritte Gründe anzugeben.
So ſchwach ſind dieſe Gründe? Fürchten
Sie
dabei zu wagen?
[263]Dritter Akt.
Wenn ich Zeit gewinne,
ſie zu erſchöpfen, Sire — mein Leben höch-
ſtens.
Die Wahrheit aber ſetz’ ich aus, wenn Sie
mir dieſe Gunſt verweigern. Zwiſchen Ihrer
Ungnade und Geringſchätzung iſt mir
die Wahl gelaſſen — Muß ich mich entſcheiden,
ſo will ich ein Verbrecher lieber als
ein Thor von ihren Augen gehen.
Nun?
— Ich kann nicht Fürſtendiener ſein.
Weil Sie
dann fürchten müßten Sklav zu ſein?
Nein, Sire,
das werd’ ich niemals fürchten — doch nicht
gerne
möcht’ ich den Herrn, dem ich mich widme, zu
S
[264]Dom Karlos.
dem meinigen erniedrigt ſehn.
Ich will
den Käufer nicht betrügen, Sire — Wenn
Sie
mich anzuſtellen würdigen, ſo wollen
Sie nur die vorgewog’ne That. Sie wollen
nur meinen Arm und meinen Muth im Felde,
nur meinen Kopf im Rathe. Was ich leiſte,
gehört dem Thron. Die Schönheit meines
Werks,
Das Selbſtgefühl, die Wolluſt des Erfinders
fließt in den königlichen Schatz. Von dieſem
werd’ ich beſoldet mit Maſchinenglück
und, wie Maſchinen brauchen, unterhalten.
Nicht meine Thaten — ihr Empfang am
Throne
ſoll meiner Thaten Endzweck ſein. Mir aber,
mir hat die Tugend eignen Werth. Das Glück,
das der Monarch mit meinen Händen pflanzte,
erſchüf’ ich ſelbſt, und Freude wäre mir
und eigne Wahl, was mir nur Pflicht ſein
ſollte.
Ich würde ſchwelgen von dem Königsrecht
der innern Geiſtesbilligung — mein Amt
rebelliſch übertreffen, und, geſättigt
[265]Dritter Akt.
von dem Bewußtſein meiner That, ſogar
das Wohlgefallen meines Herrn entbehren.
Und iſt das Ihre Meinung? Können Sie
in Ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden?
Ich aber ſoll zum Meiſel mich erniedern,
wo ich der Künſtler könnte ſein? — — Ich
liebe
die Menſchheit, und in Monarchien darf
ich niemand lieben als mich ſelbſt.
Ihr Feuer
iſt lobenswerth. Sie wollen Gutes ſtiften.
Wie Sie es ſtiften, kann dem Patrioten,
dem Weiſen gleich viel heißen. Suchen Sie
den Poſten aus in meinen Königreichen,
der Sie berechtigt dieſem edeln Triebe
genug zu thun.
Ich finde keinen.
Wie?
Was Eure Majeſtät durch meine Hand
verbreiten — iſt das Menſchenglück? — Iſt
das
S 2
[266]Dom Karlos.
daſſelbe Glück, das meine reine Liebe
den Menſchen gönnt? — — Vor dieſem
würde
die Majeſtät erzittern — Nein! Ein neues
erſchuf der Krone Politik — ein Glück,
das ſie noch reich genug iſt auszutheilen,
und in dem Menſchenherzen neue Triebe,
die ſich von dieſem Glücke ſtillen laſſen.
In ihren Münzen läßt ſie Wahrheit ſchlagen,
die Wahrheit, die ſie dulden kann. Ver-
worfen
ſind alle Stempel, die nicht dieſem gleichen.
So will’s der Krone Politik — denn darf
die Krone wohl nach Menſchenglücke zielen?
Doch was der Krone frommen kann — iſt
das
auch mir genug? Darf meine Bruderliebe
ſich zur Verkürzung meines Bruders borgen?
Weiß ich ihn glücklich — eh’ er denken darf?
Der Menſch, mit dem ich’s redlich meine, ſoll
ſich unter Philipps Zepter elend fühlen.
So will ich ihn. Das iſt mein Wunſch. Mich
alſo,
mich wählen Sie nicht, Sire, Glückſeligkeit,
die Sie uns prägen, auszuſtreun. Ich muß
mich weigern dieſe Stempel auszugeben.
Ich kann nicht Fürſtendiener ſein.
[267]Dritter Akt.
Wer bringt
mir dieſen Menſchen?
denken:
Und mit dieſem Spiele
des Witzes, dieſen künſtlichen Sophismen,
gedenken Sie die Pflichten zu betrügen,
die Sie dem Staate ſchuldig ſind?
Der Staat,
dem ich ſie ſchuldig war, iſt nicht mehr. Eh-
mals
gab’s einen Herrn, weil ihn Geſetze brauchten;
jetzt gibt’s Geſetze, weil der Herr ſie braucht.
Was ich dort meinesgleichen gab, bin ich
jetzt nicht gehalten, Königen zu geben —
Dem Vaterlande? — Wo iſt das? Ich
weiß
von keinem Vaterlande. Spanien
geht keinen Spanier mehr an. Es iſt
die Rieſenhülle eines einz’gen Geiſtes.
In dieſem Rieſenkörper wollen Sie
allgegenwärtig denken, wirken, ſchwelgen,
[268]Dom Karlos.
und kräftig ringen auf des Ruhmes Bahn.
In ſeinem Flor gedeihen Sie. Das Glück,
das Sie ihm reichen, iſt Athletenkoſt,
der Glieder Nervenkraft zu härten. Menſchen
ſind Ihnen brauchbar, weiter nichts; ſo we-
nig
als Ohr und Auge für ſich ſelbſt vorhanden.
Nur für die Krone zählen ſie. In ihr
ging ihres Weſens Eigenthum, ihr Selbſt
und ihres Willens hohes Vorrecht unter.
Zu einer Pflanze fiel der Geiſt. Jetzt blühen
Genie und Tugend für den Thron, wie für
des Schnitters Senſe Halmen ſich vergolden.
inne — Dieſer verharrt in ſeinem Stillſchweigen.
Ich finde mein Geſchlecht nicht mehr — Wo-
hin
mit meiner Liebe? Eine neue Gattung
und neue Bande der Natur — von dem
gekrönten Sterblichen erdacht — Denn ringen
mußte
der Sterbliche mit Freiheit. Leidenſchaft
mit Leidenſchaft, Gedanken mit Gedanken
zu kaufen war die große Kunſt — Doch wer,
als die Allgegenwart allein, kann in
den Abgrund jeder Menſchenbruſt ſich tauchen?
[269]Dritter Akt.
der Seele neugeborne Frucht in des
Gedankens ſtiller Wiege überraſchen?
Auch er war Menſch — er mußte wie wir an-
dern
durch den Behelf des Ähnlichen und Einen
das reiche All der üppigen Natur
dem ſchwachen Sinne künſtlich zubereiten,
und im Geſchlecht das Einzelne vertilgen.
Die Politik lehrt ihn ein Maaß erfinden,
dem alle Geiſter unterwürfig ſich
zu paſſen angewieſen ſind — Erfinden?
O Nein — erfunden war es längſt —
Sie ſind
ein Proteſtant?
Ihr Glaube, Sire, iſt auch
der meinige.
Ich werde mißverſtanden.
Das war es, was ich fürchtete. Sie ſehen
von den Geheimniſſen der Majeſtät
durch meine Hand den Schleier weggezogen.
Wer ſichert Sie, daß mir noch heilig heiße,
[270]Dom Karlos.
was mich zu ſchrecken aufgehört. Ich bin
gefährlich, weil ich über mich gedacht. —
Ich bin es nicht, mein König. Meine Wün-
ſche
verweſen hier.
Die lächerliche Wuth
der Neuerung, die nur der Ketten Laſt,
die ſie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,
wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahr-
hundert
iſt meinem Ideal nicht reif. Ich lebe
ein Bürger derer, welche kommen werden.
Kann ein Gemählde Ihre Ruhe trüben? —
Ihr Athem löſcht es aus.
Bin ich der erſte,
dem Sie von dieſer Seite ſich gezeigt?
Von dieſer — Ja.
So mußten Sie doch wiſſen,
ob es zu wagen war — und kennen Sie
mich denn ſo gut?
[271]Dritter Akt.
Ob es zu wagen war,
ſoll ich erſt jetzt erfahren, Sire — Mir aber
gebührte es, das kleinere Verdienſt
bei meinem Herrn vorauszuſetzen, wenn
ich um das größre buhle — das Verdienſt,
Wahrheiten anzuhören, die ich mir
getrauen kann, ihm vorzutragen —
quis gegenüber ſtehen. Vor ſich:
Neu
zum wenigſten iſt dieſer Ton. Der Weihrauch
der Schmeichelei und Unterwerfung muß
doch endlich ſich erſchöpfen. Nachzuahmen
erniedrigt einen Mann von Kopf — Auch ein-
mal
die Probe von dem Gegentheil. Warum nicht?
Das Überraſchende macht Glück. — Wenn Sie
es ſo verſtehen, gut, ſo will ich mich
auf eine neue Kronbedienung richten —
den ſtarken Geiſt —
Ich höre, Sire, wie klein,
wie niedrig Sie von Menſchenwürde denken,
[272]Dom Karlos.
daß Sie der Kühnheit nicht gewärtig ſind,
daran gemahnt zu werden — ja ſogar
ſelbſt in des freien Mannes Sprache nur
den Kunſtgriff eines Schmeichlers ſehen, und
mir däucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt.
Die Menſchen zwangen Sie dazu; ſie haben
freiwillig Ihres Adels ſich begeben,
freiwillig ſich auf dieſe niedre Stufe
herabgeſtellt. Erſchrocken fliehen ſie
vor dem Geſpenſte ihrer innern Größe,
gefallen ſich in ihrer Armuth, ſchmücken
mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,
und Tugend nennt man, ſie mit Anſtand tra-
gen.
So überkamen Sie die Welt. So ward
ſie Ihrem großen Vater überliefert.
Wie könnten Sie in dieſer traurigen
Verſtümmlung — Menſchen ehren?
Etwas wahres
find’ ich in dieſen Worten.
Aber Schade!
Da Sie den Menſchen aus des Schöpfers Hand
in Ihrer Hände Werk verwandelten,
[273]Dritter Akt.
und dieſer neugegoßnen Kreatur
zum Gott Sich gaben — da verſahen Sie’s
in etwas nur: Sie blieben ſelbſt noch Menſch—
Menſch aus des Schöpfers Hand. Sie fuh-
ren fort
als Sterblicher zu leiden, zu begehren;
doch geben kann die neue Pflanzung nichts.
Sie brauchen Mitgefühl — und einem Gott
kann man nur opfern — zittern — zu ihm
beten;
mit ihm zu fühlen wagt man nicht. So laut,
ſo drängend auch die leidende Natur
hervor aus dieſem Buſen ruft — umſonſt —
die Uhr ſchlägt fort, wie ſie der Künſtler
lehrte.
Mehr lehrte ſie der Künſtler nicht.
ſich wieder — Der Marquis hat inne gehalten.
Doch leiden?
Selbſt in der Freude darben Sie. Die Freude
muß aus dem Aug’ des Zeugen wiederſtrahlen.
Was in den Augen Ihrer Knechte glänzt,
iſt das noch Ihre Freude? — Ihre Freude
lag Ihren Knechten viel zu nah, um ſie
nicht gleich zuerſt an ſich gemahnt zu haben.
Das ſind die treuen Spiegel nicht, die rein,
[274]Dom Karlos.
wie ſie empfangen haben, wiedergeben.
Sie gleichen durſtigen Gewächſen, die
was ihre Wurzeln ſaugen, umgemiſcht,
in neuen Farben auf den Blättern zeigen.
Wenn ſich der Schöpfer glücklich fühlt — welch
eine
Erwartung für die Kreatur! Wo nähme
ſie Muße her, bei ihm noch zu verweilen?
Kann etwa ſie dafür, daß ihr Verhängniß
an jeder Wallung ihres Schöpfers hängt?
Bereuenswerther Tauſch! Unſelige
Verdrehung der Natur — Da Sie den Menſchen
zu Ihrem Saitenſpiel herunterſtürzten,
wer theilt mit Ihnen Harmonie?
(Bei Gott,
er greift in meine Seele!)
— Aber Ihnen
bedeutet dieſes Opfer nichts. Dafür
ſind Sie auch einzig — Ihre eigne Gattung —
Um dieſen Preis ſind Sie ein Gott — Und
ſchrecklich,
wenn das nicht wäre — wenn für dieſen
Preis,
[275]Dritter Akt.
für das zertretne Glück von Millionen,
für Ihres Lebens hingewürgte Freuden,
Sie nichts gewonnen hätten! minder gar
gewonnen hätten, als wenn Millionen
was ſie geweſen ſind geblieben wären!
wenn alle dieſe Millionen hätten
verarmen müſſen — ärmer Sie zu laſſen!
wenn — o das wäre ſchrecklich — wenn die
Fretheit,
die Sie vernichteten, das Einz’ge wäre,
das Ihre Wünſche reifen kann? — — —
Ich bitte
mich zu entlaſſen. Sire. Mein Gegenſtand
reißt mich dahin. Mein Herz iſt voll — zu
ſtark der Reitz,
zu mächtig, vor dem Einzigen zu ſtehen,
dem ich es öffnen möchte.
Worte leiſe mit dem König — Dieſer gibt ihm einen
Wink ſich zu entfernen, und bleibt in ſeiner vorigen
Stellung ſitzen.
Reden Sie
ganz aus.
[276]Dom Karlos.
Der edelmüth’ge Löwe
läßt ein Inſekt in ſeinen Mähnen ſpielen.
Ich fühle, Sire — den ganzen Werth — Ich
bin
von Dankbarkeit —
Sie haben mir noch mehr
zu ſagen — weiter —
Ihro Majeſtät,
jüngſt kam ich an von Flandern und Bra-
bant —
So viele reiche, blühende Provinzen!
Ein kräftiges, ein großes Volk — und auch
ein gutes Volk — und Vater dieſes Volkes,
das, dacht’ ich, das muß göttlich ſein! — —
Da ſtieß
ich auf verbrannte menſchliche Gebeine —
König der es verſucht dieſen Blick zu erwiedern, aber
betroffen und verwirrt zur Erde ſieht.
Sie haben Recht. Sie müſſen. Daß Sie
können,
[277]Dritter Akt.
was Sie zu müſſen eingeſehn, hat mich
mit ſchauernder Bewunderung durchdrungen.
Das Ideal der ruhigen Vernunft
im Marterfeuer widerſtrebender
Gefühle auszuprägen — ſtarrend Eis
in heißer Hand zu tragen — das iſt mehr,
als die Natur ſonſt Sterblichen beſchieden.
O Schade, daß, in ſeinem Blut gewälzt,
das Opfer wenig dazu taugt, dem Geiſt
des Opferers ein Loblied anzuſtimmen!
daß Menſchen nur — nicht Weſen höh’rer
Art —
die Weltgeſchichte ſchreiben! — Sanftere
Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten;
die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück
wird dann verſöhnt mit Fürſtengröße wandeln,
der karge Staat mit ſeinen Kindern geitzen,
und die Nothwendigkeit wird menſchlich ſein.
Wann, glauben Sie wohl, würden dieſe ſanf-
ten
Jahrhunderte erſcheinen, hätt’ ich vor
dem Fluch des jetzigen gezittert? Sehen Sie
in meinem Spanien Sich um. Hier blüht
des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden;
und dieſe Ruhe gönn’ ich den Flamändern.
[278]Dom Karlos.
Die Ruhe eines Kirchhofs — — — Und
Sie hoffen
zu endigen was Sie begannen? hoffen,
der Chriſtenheit gezeitigte Verwandlung,
den allgemeinen Frühling aufzuhalten,
der die Geſtalt der Welt verjüngt? Sie wol-
len
allein in ganz Europa — Sich dem Rade
des Weltverhängniſſes, das unaufhaltſam
in vollem Laufe rollt, entgegen werfen?
mit Menſchenarm in ſeine Speichen fallen?
Sie werden nicht. Nein, warlich nein! Bei
Gott nicht.
Kraftvoller, unerſchöpflicher ſtemmt ſich
des Unterdrückers Rieſenarm entgegen. —
Begeiſterung. Schon flohen Tauſende
aus Ihren Ländern froh und arm. Der Bürger,
den Sie verloren für den Glauben, war
ihr edelſter. Mit offnen Mutterarmen
empfängt die Fliehenden Eliſabeth,
und furchtbar blüht durch Künſte unſres Lan-
des
Britannien. Verlaſſen von dem Fleiße
der neuen Chriſten, trauert Grenada,
und jauchzend ſieht Europa ſeinen Feind
[279]Dritter Akt.
an ſelbſtgeſchlagnen Wunden ſich verbluten.
tritt einige Schritte näher.
Sie wollen pflanzen für die Ewigkeit,
und ſäen Tod? Ein ſo erzwungnes Werk
wird ſeines Schöpfers Geiſt nicht überdauern.
Dem Undank haben Sie gebaut — umſonſt
den harten Kampf mit der Natur gerungen,
umſonſt ein großes Leben aufgepraßt,
ſo viele königliche Tugenden
verweſenden Entwürfen hingeopfert.
Der Menſch iſt mehr, als Sie von ihm ge-
halten.
Hier fehlten Sie vielleicht — und hier al-
lein —
Mit ſtolzem Hohngelächter wird er einſt
auf des Gebäudes morſchen Trümmern gehn,
das ihm zum Grabe zugedacht geweſen.
Zu einem Nero und Buſiris wirft
er Ihren Namen und — — das ſchmerzt
mich, denn
Sie waren gut.
Wer hat Sie deſſen ſo
gewiß gemacht?
T
[280]Dom Karlos.
Ja, beim Allmächtigen!
Ja — Ja — Ich wiederhohl’ es. Geben
Sie,
was Sie uns nahmen, wieder. Laſſen Sie,
großmüthig wie der Starke, Menſchenglück
aus Ihrem Füllhorn ſtrömen — Geiſter reifen
in Ihrem Weltgebäude. Geben Sie,
was Sie uns nahmen, wieder. Werden Sie
von Millionen Königen ein König.
er feſte und feurige Blicke auf ihn richtet.
O könnte die Beredſamkeit von allen
den Tauſenden, die dieſer großen Stunde
theilhaftig ſind, auf meinen Lippen ſchweben,
den Strahl, den ich in dieſen Augen merke,
zur Flamme zu erheben! — Geben Sie
die unnatürliche Vergött’rung auf,
die uns vernichtet. Werden Sie uns Muſter
des Ewigen und Wahren. Niemals — nie-
mals
beſaß ein Sterblicher ſo viel, ſo göttlich
es zu gebrauchen. Alle Könige
Europens huidigen dem Span’ſchen Namen.
Gehn Sie Europens Königen voran.
Ein Federzug von dieſer Hand, und neu
[281]Dritter Akt.
erſchaffen wird die Erde. Geben Sie
Gedankenfreiheit —
auf den Marquis geheftet.
Sonderbarer Schwärmer!
Doch — ſtehn Sie auf — ich —
Sehen Sie Sich um
in ſeiner herrlichen Natur. Auf Freiheit
iſt ſie gegründet — und wie reich iſt ſie
durch Freiheit! Er, der große Schöpfer, wirft
in einen Tropfen Thau den Wurm, und läßt
noch in den todten Räumen der Verweſung
die Willkühr ſich ergetzen — Ihre Schöp-
fung,
wie eng und arm! Das Rauſchen eines Blattes
erſchreckt den Herrn der Chriſtenheit — Sie
müſſen
vor jeder Tugend zittern. Er — der Freiheit
entzückende Erſcheinung nicht zu ſtören —
Er läßt des Übels grauenvolles Heer
in ſeinem Weltall lieber toben — ihn,
T 2
[282]Dom Karlos.
den Künſtler, wird man nicht gewahr, beſchei-
den
verhüllt er ſich in ewige Geſetze;
die ſieht der Freigeiſt, doch nicht Ihn. Wozu
ein Gott? ſagt er; die Welt iſt ſich genug.
Und keines Chriſten Andacht hat ihn mehr
als dieſes Freigeiſts Läſterung geprieſen.
Und wollen Sie es unternehmen, dieß
erhabne Muſter in der Sterblichkeit —
in meinen Staaten nachzubilden?
Sie,
Sie können es. Wer anders? Weihen Sie
dem Glück der Völker die Regentenkraft,
die — ach ſo lang’ — des Thrones Größe
nur
gewuchert hatte — Stellen Sie der Menſch-
heit
verlornen Adel wieder her. Der Bürger
ſei wiederum, was er zuvor geweſen,
der Krone Zweck — ihn binde keine Pflicht,
als ſeiner Brüder gleich ehrwürd’ge Rechte.
Der Landmann rühme ſich des Pflugs, und
gönne
[283]Dritter Akt.
dem König, der nicht Landmann iſt, die Krone.
In ſeiner Werkſtatt träume ſich der Künſtler
zum Bildner einer ſchönern Welt. Den Flug
des Denkers hemme ferner keine Schranke,
als die Bedingung endlicher Naturen.
Nicht in der Vaterſorge ſtillem Kreis
erſcheine der gekrönte Fremdling. Nie
erlaub’ er ſich der Liebe heilige
Myſterien unedel zu beſchleichen.
Die Menſchheit zweifle, ob er iſt. Belohnt
durch eignen Beifall, berge ſich der Künſtler
der angenehm betrogenen Maſchine.
Wenn nun der Menſch, ſich ſelbſt zurückge-
geben,
zu ſeines Werths Gefühl erwacht — der Frei-
heit
erhabne, ſtolze Tugenden gedeihen —
wenn in dem Herzen wieder ſich empört
die Römerwallung, Nationenſtolz,
das Vaterland in jedem Bürger prangt,
dem Vaterlande jeder Bürger ſtirbt —
dann, Sire, wenn Sie zum glücklichſten der
Welt
Ihr eignes Königreich gemacht — dann reift
Ihr großer Plan — dann müſſen Sie —
dann iſt
es Ihre Pflicht, die Welt zu unterwerfen.
[284]Dom Karlos.
Ich habe Sie vollenden laſſen — — — An-
ders,
begreif’ ich wohl, als ſonſt in Menſchenköpfen,
mahlt ſich in dieſem Kopf die Welt — auch
will
ich fremdem Maßſtab ſie nicht unterwerfen.
Sie haben mich gewählt vor allen andern,
in Ihrer Seele Hintergrund zu leſen —
Ich glaub’ es Ihnen, weil ich’s weiß — Um
dieſer
Enthaltung willen, ſolche Meinungen,
mit ſolchem Feuer doch umfaßt, verſchwiegen
zu haben bis auf dieſen Tag — um dieſer
beſcheidnen Klugheit willen, junger Mann,
will ich vergeſſen, daß ich ſie erfahren,
und wie ich ſie erfahren. Stehn Sie auf.
Ich will den Jüngling, der ſich übereilte,
als Greis und nicht als König widerlegen.
Ich will es, weil ich’s will —
Gift alſo ſelbſt,
find’ ich, kann in gutartigen Naturen
zu etwas beſſerm ſich veredeln — — —
Fliehen
[285]Dritter Akt.
Sie meine Inquiſition — Es ſollte
mir leid thun —
Wirklich? Sollt’ es das?
Ich habe,
ſolch einen Menſchen nie geſehen — — —
Nein!
Nein, Marquis. Sie thun mir zu viel. Ich
will
nicht Nero ſein. Ich will es nicht ſein — will
es gegen Sie nicht ſein. Nicht alle
Glückſeligkeit ſoll unter mir verdorren.
Nein! Alle nicht! — Sie ſelbſt, Sie ſollen,
Sich zur Beſchämung, unter meinen Augen
fortfahren dürfen, Menſch zu ſein.
Und meine
Mitbürger, Sire? — O! Nicht um mich
war mir’s
zu thun; nicht meine Sache wollt’ ich füh-
ren.
Und Ihre Unterthanen, Sire?
[286]Dom Karlos.
— Und wenn
Sie ſo gut wiſſen, wie die Folgezeit
mich richten wird, ſo ſagen Sie ihr wieder,
wie ich mit Menſchen es gehalten, als
ich einen fand.
O! Der gerechteſte
der Könige ſei nicht mit Einemmale
der ungerechteſte — In Ihrem Flandern
ſind tauſend beſſere als ich. Nur Sie—
darf ich es frei geſtehen, großer König? —
Sie ſehn jetzt unter dieſem ſanftern Bilde
vielleicht zum erſtenmal die Freiheit.
Nichts mehr
von dieſem Inhalt, junger Mann — Ich weiß,
Sie werden anders denken, kennen Sie
den Menſchen erſt, wie ich — Doch hätt’
ich Sie
nicht gern zum letztenmal geſehn. Wie fang’ich
es an, Sie zu verbinden? Sagen Sie
es mir. Ich reiche hier zum erſtenmal
nicht aus mit meiner Krone.
[287]Dritter Akt.
Sire, was ich
durch dieſes einz’ge Wort empfing, iſt mehr,
unendlich mehr, als Ihre Kronen zu
verſchenken haben — Laſſen Sie mich, wie
ich bin. Was wär’ ich Ihnen, Sire, wenn
Sie
auch mich beſtächen?
Dieſen Stolz
ertrag’ ich nicht. Sie ſind von heute an
in meinen Dienſten — Keine Einwendung —
Ich will es haben.
Aber wie? Was wollt’
ich denn? War es nicht Wahrheit was ich
wollte?
Und hier find’ ich noch etwas mehr — Sie
haben
auf meinem Thron mich ausgefunden — nicht
auch
in meinem Hauſe?
Ich verſtehe Sie —
doch — wär’ ich auch von allen Vätern der
[288]Dom Karlos.
unglücklichſte, kann ich nicht glücklich ſein
als Gatte?
Wenn ein hoffnungsvoller Sohn,
wenn der Beſitz der liebenswürdigſten
Gemahlinn einem Sterblichen ein Recht
zu dieſem Namen geben, Sire, ſo ſind Sie
der glücklichſte durch beides.
Nein! ich bin’s nicht! —
und daß ich’s nicht bin, hab’ ich tiefer nie
gefühlt als eben jetzt —
weilend.
Wie hätt’es Ihren Vater
erfreuen ſollen, Marquis, hätt’ er Sie
mit einem Königreich beſchenken dürfen.
Augen. Stillſchweigen.
Für ſo viel Kronen keinen Dank!
Der Prinz
denkt groß. Ich hab’ ihn anders nie gefunden.
[289]Dritter Akt.
Ich aber hab’ es — — — Alſo kennen Sie
einander?
Ja — noch von der hohen Schule.
Er hat mich nie geachtet — vor der Welt
mit meinem Namen ſeinen Spott getrieben.
Sein Herz iſt ſchlecht.
Darf ich zwei Worte —
Nein,
wenn Sie auf immer meine Achtung nicht
verſcherzen wollen — Was er mir genommen,
kann keine Krone mir erſetzen — Eine
ſo tugendhafte Königinn!
Wer kann
es wagen, Sire — —
Die Welt! Die Läſterung!
Ich ſelbſt! — — Hier liegen Zeugniſſe, die ganz
[290]Dom Karlos.
unwiderſprechlich ſie verdammen; andre
ſind noch vorhanden, die das Schrecklichſte
mich fürchten laſſen — Aber, Marquis —
ſchwer,
ſchwer fällt es mir, an Eines nur zu glauben.
Wer klagt ſie an? — Wenn ſie — ſie
fähig ſollte
geweſen ſein, ſo tief ſich zu entehren,
o wie viel mehr iſt mir zu glauben dann
erlaubt, daß eine Eboli verläumdet?
Haßt nicht der Prieſter meinen Sohn und ſie?
Und weiß ich nicht, daß Alba Rache brütet?
Mein Weib iſt mehr werth als ſie alle.
Sire,
und etwas lebt noch in des Weibes Seele,
das über allen Schein erhaben iſt
und über alle Läſterung — Es heißt
weibliche Tugend.
Nicht wahr? O Sie kennen
den Menſchen, Marquis. Solch ein Mann
hat mir
ſchon längſt gemangelt — Ja! Das ſag’
ich auch.
So tief, als man die Königinn bezüchtigt,
[291]Dritter Akt.
herabzuſinken, koſtet viel. So leicht,
als man mich überreden möchte, reißen
der Ehre feine Bande nicht. Das Blut,
das ſtolzer fließt in königlichen Adern,
verſchmäht das Gift der lüſternen Begierde,
die nur in Sklavenherzen brennt — Der
Mann,
der mir ſchon längſt gemangelt hat, ſind Sie,
Sie oder keiner — Sie ſind gut und fröhlich,
und kennen doch den Menſchen auch — Drum
hab’
ich Sie gewählt —
Mich, Sire?
Sie ſtanden
vor Ihrem Herrn, und haben nichts für Sich
erbeten — Nichts! Das iſt mir neu — Sie
werden
gerecht ſein. Leidenſchaft wird Ihren Blick
nicht irren — Drängen Sie Sich zu dem Prin-
zen.
Erforſchen Sie die Königinn. Ich ſelbſt
will Ihnen Vollmacht ſenden, ſie zu ſprechen.
[292]Dom Karlos.
Indeß ſeid Ihr mein Kammerherr — und jetzt
verlaßt mich.
Kann ich es mit Einer
erfüllten Hoffnung? — Dann iſt dieſer Tag
der ſchönſte meines Lebens.
Er iſt kein
verlorner in dem meinigen.
mit den Augen und ruft ihn noch einmal zurück.
Und kommt
bald wieder zu mir — Hört Ihr?
Der Maltheſer
wird künftig ungemeldet vorgelaſſen.
[[293]]
Vierter Akt.
Erſter Auftritt.
varez. Die Prinzeſſinn von Eboli. Die
Gräfinn Fuentes und noch andere Da-
men.
Der Schlüſſel fand ſich alſo nicht? — So
wird
man die Schatulle mir erbrechen müſſen,
und zwar ſogleich — — —
ſich ihr nähert und ihr die Hand küßt.
Willkommen, liebe Fürſtinn.
[294]Dom Karlos.
Mich freut, Sie wieder hergeſtellt zu finden —
Zwar noch ſehr blaß —
Die Schuld des böſen Fiebers,
das ganz erſtaunlich an die Nerven greift.
Nicht wahr, Prinzeſſinn?
Sehr hab’ ich gewünſcht
Sie zu beſuchen, meine Liebe — Doch
ich darf ja nicht.
Die Fürſtinn Eboli
litt wenigſtens nicht Mangel an Geſellſchaft —
Das glaub’ ich gern — — — Was haben
Sie? Sie zittern.
Nichts — gar nichts, meine Königinn — —
Ich bitte
um die Erlaubniß wegzugehen —
Sie
verhehlen uns, ſind kränker gar, als Sie
[295]Vierter Akt.
uns glauben machen wollen? — Auch das
Stehn
wird Ihnen ſauer. Helfen Sie ihr, Gräfinn,
auf dieſes Tabouret ſich niederſetzen.
Im Freien wird mir beſſer.
Folgen Sie
ihr, Gräfinn — Welche Anwandlung.
welche ſich alsdann zur Königinn wendet.
Der Marquis
von Poſa, Ihro Majeſtät —
Er kommt
von Seiner Majeſtät dem König.
Ich
erwart’ ihn.
U
[296]Dom Karlos.
Zweiter Auftritt.
ihm einen Wink gibt aufzuſtehen.
Was iſt meines Herrn Befehl?
Darf ich ihn öffentlich — —
Mein Auftrag lautet
an Ihro Majeſtät beſonders —
Königinn.
Dritter Auftritt.
Soll
ich meinen Augen trauen, Marquis? Sie?
Sie an mich abgeſchickt vom König?
[297]Vierter Akt.
Dünkt
das Ihro Majeſtät ſo ſonderbar?
Mir ganz und gar nicht.
Nun ſo iſt die Welt
aus ihrer Bahn gewichen. Sie und Er —
Ich muß geſtehen.
Daß es ſeltſam klingt?
Das mag wohl ſein — Die gegenwärt’ge Zeit
iſt noch an mehrern Wunderdingen fruchtbar.
An größern kaum.
Geſetzt, ich hätte mich
bekehren laſſen endlich — wär’ es müde,
an Philipps Hof den Sonderling zu ſpielen?
Den Sonderling! Was heißt auch das? Wer
ſich
den Menſchen nützlich machen will, muß doch
zuerſt ſich ihnen gleich zu ſtellen ſuchen.
Wozu der Sekte praleriſche Tracht?
U 2
[298]Dom Karlos.
Geſetzt — Wer iſt von Eitelkeit ſo frei,
um nicht für ſeinen Glauben gern zu wer-
ben? —
Geſetzt, ich ginge damit um, den meinen
auf einen Thron zu ſetzen?
Nein! — Nein, Marquis.
Auch nicht einmal im Scherze möcht’ ich dieſer
unreifen Einbildung Sie zeihn. Sie ſind
der Träumer nicht, der etwas unternähme,
was nicht geendigt werden kann.
Das eben
wär’ noch die Frage, denk’ ich.
Was ich höchſtens
Sie zeihen könnte, Marquis — was von
Ihnen
mich faſt befremden könnte, wäre —
Zweideutelei. Kann ſein.
Unredlichkeit
zum wenigſten. Der König wollte mir
[299]Vierter Akt.
wahrſcheinlich nicht durch Sie entbieten laſſen,
was Sie mir ſagen werden.
Nein.
Und kann
die gute Sache ſchlimme Mittel adeln?
Kann ſich — verzeihen Sie mir dieſen Zwei-
fel —
Ihr edler Stolz zu dieſem Amte borgen?
Kaum glaub’ ich es —
Auch ich nicht, wenn es hier
nur gelten ſoll, den König zu betrügen.
Doch das iſt meine Meinung nicht. Ihm ſelbſt
gedenk’ ich dießmal redlicher zu dienen,
als er mir aufgetragen hat.
Daran
erkenn’ ich Sie; und nun genug — — — Was
macht er?
Der König? — — — Wie es ſcheint, bin
ich ſehr bald
[300]Dom Karlos.
an meiner ſtrengen Richterinn gerochen.
Was ich ſo ſehr nicht zu erzählen eile,
eilt Ihro Majeſtät, wie mir geſchienen,
noch weit, weit weniger zu hören — Doch
gehört muß es doch werden! Der Monarch
läßt Ihro Majeſtät erſuchen, dem
Ambaſſadeur von Frankreich kein Gehör
für heute zu bewilligen. Das war
mein Auftrag. Er iſt abgethan.
Und das
iſt alles, Marquis, was Sie mir von ihm
zu ſagen haben?
Alles ohngefähr,
was mich berechtigt hier zu ſein.
Ich will
mich gern beſcheiden, Marquis, nicht zu wiſſen,
was mir vielleicht Geheimniß bleiben muß —
Das muß es, meine Königinn — Zwar,
wären
Sie nicht Sie ſelbſt, ich würde eilen, Sie
[301]Vierter Akt.
von ein’gen Dingen zu belehren, vor
gewiſſen Menſchen Sie zu warnen — doch
das braucht es nicht bei Ihnen. Die Ge-
fahr
mag auf- und untergehen um Sie her,
Sie ſollen’s nie erfahren. Alles dieß
iſt ja nicht ſo viel werth, den goldnen Schlaf
von eines Engels Stirne zu verjagen.
Auch war es das nicht, was mich hergeführt.
Prinz Karlos —
Wie verließen Sie ihn?
— Wie
den einz’gen Weiſen ſeiner Zeit, dem es
Verbrechen iſt die Wahrheit anzubeten —
und eben ſo beherzt für ſeine Liebe,
wie jener für die ſeinige zu ſterben. — —
Ich bringe wenig Worte — — Aber hier,
hier iſt er ſelbſt.
Er muß mich ſprechen, ſagt er.
[302]Dom Karlos.
Das ſag’ ich auch.
Wird es ihn glücklich machen,
wenn er mit ſeinen Augen ſieht, daß ich
es auch nicht bin?
Nein — aber thätiger
ſoll es ihn machen und entſchloßner.
Wie?
Der Herzog Alba iſt ernannt nach Flandern.
Ernannt — ſo hör’ ich.
Widerrufen kann
der König nie. Wir kennen ja den König.
Unwandelbar, wie der Natur Geſetze,
beharrt ſein überlegter Schluß. Doch eben
ſo wahr iſt’s auch: Hier darf der Prinz nicht
bleiben —
[303]Vierter Akt.
hier nicht, jetzt vollends nicht — und Flan-
dern darf
nicht aufgeopfert werden.
Wiſſen Sie
es zu verhindern?
Ja — — vielleicht. Das Mittel
iſt faſt ſo ſchlimm, als die Gefahr. Es iſt
verwegen, wie Verzweiflung — Doch ich weiß
von keinem andern.
Nennen Sie mir’s.
Ihnen,
nur Ihnen, meine Königinn, wag’ ich
es zu entdecken. Nur von Ihnen kann
es Karlos hören, ohne Abſcheu hören.
Der Name freilich, den es führen wird,
klingt etwas rauh —
Rebellion —
[304]Dom Karlos.
Er ſoll
dem König ungehorſam werden, ſoll
nach Brüſſel heimlich ſich begeben, wo
mit offnen Armen die Flamänder ihn
erwarten. Alle Niederlande ſtehen
auf ſeine Loſung auf. Die gute Sache
wird ſtark durch einen Königsſohn. Er mache
den Span’ſchen Thron durch ſeine Waffen zit-
tern.
Was in Madrid der Vater ihm verweigert,
wird er in Brüſſel ihm bewilligen.
Wird er? Das hoffen Sie ſo dreiſt?
Er wird
es müſſen, hoff’ ich. Wie der Niederlande
vereinte Stärke gegen Philipps Macht
beſtehen müßte, wäre zu berechnen.
Doch nein, ſo blutig wird es nicht. Europa
wird zwiſchen Sohn und Vater Frieden mit-
teln.
Karl ſpricht von Unterwürfigkeit — und De-
muth
muß Wunder thun an eines Heeres Spitze.
[305]Vierter Akt.
Dem König bleibt die Wahl, großmüthig zu
vergeben oder zweifelhaft zu ſchlagen.
Wie kann er wanken? — Eben dieſer
Menſch,
der eine bill’ge Bitte abgewieſen,
wird ein Verbrechen überſehn.
Sie ſprachen
ihn heute und behaupten das?
Weil ich
ihn heute ſprach.
Der Plan, den Sie mir zeigen,
erſchreckt und — reitzt mich auch zugleich.
Ich glaube,
daß Sie nicht Unrecht haben — die Idee
iſt kühn, und eben darum, glaub’ ich,
gefällt ſie mir. Ich will ſie reifen laſſen.
Weiß ſie der Prinz?
Er ſollte, war mein Plan,
aus Ihrem Mund zum erſtenmal ſie hören.
[306]Dom Karlos.
Unſtreitig! Die Idee iſt groß — Wenn anders
des Prinzen Jugend —
Schadet nichts. Er findet
dort einen Egmont und Oranien,
die braven Krieger Kaiſer Karls, ſo klug
im Kabinet als fürchterlich im Felde.
Nein! Die Idee iſt groß und ſchön — —
Der Prinz
muß handeln. Lebhaft fühl’ ich das. Die Rolle,
die man hier in Madrid ihn ſpielen ſieht,
drückt mich an ſeiner Statt zu Boden — —
Frankreich
verſprech’ ich ihm; Savoyen auch. Ich bin
ganz Ihrer Meinung, Marquis, er muß
handeln. — —
Doch dieſer Anſchlag fodert Geld.
Auch das liegt ſchon
bereit —
Und dazu weiß ich Rath.
[307]Vierter Akt.
So darf ich
zu der Zuſammenkunft ihm Hoffnung geben?
Wie aber? Wie?
Wo die natürlichen
Hülfsmittel uns verlaſſen, müſſen wir
zu außerordentlichen —
Ich weiß keines.
Ein Beiſpiel nur — die Souterreins?
Geht nicht.
Der König führt die Schlüſſel.
Wenn’s nur das —
Ich will mir’s überlegen.
[308]Dom Karlos.
Karlos dringt
auf Antwort, Ihro Majeſtät — Ich hab’
ihm zugeſagt, nicht leer zurückzukehren.
Zwo Zeilen ſind für jetzt genug — um ſeine
Erwartungen zu ſpannen —
Werd’ ich Sie
bald wieder ſehn?
So oft Sie es befehlen.
So oft — ſo oft ich es befehle — — Mar-
quis!
wie muß ich dieſe Freiheit mir erklären?
So
unſchuldig, als Sie immer können. Wir
genießen ſie; das iſt genug — das iſt
für meine Königinn genug.
[309]Vierter Akt.
Wie ſollt’ es
mich freuen, Marquis, wenn der Freiheit endlich
noch dieſe Zuflucht in Europa bliebe!
wenn ſie durch ihn es bliebe! — Rechnen
Sie
auf meinen ſtillen Antheil —
O ich wußt’ es,
ich mußte hier verſtanden werden —
Was
von meinem Herrn dem König kommt, werd’ ich
als ein Geſetz verehren. Legen
Sie Seiner Majeſtät den ehrerbietigſten
Gehorſam ſeiner Dienerinn zu Füßen.
[310]Dom Karlos.
Vierter Auftritt.
Hier ſind wir ungeſtört. Was haben Sie
mir zu entdecken?
Eure Hoheit hatten
an dieſem Hofe einen Freund.
Den ich
nicht wüßte! — Wie? Was wollen Sie
damit?
So muß ich um Vergebung bitten, daß
ich mehr erfuhr, als ich erfahren durfte.
Doch, Eurer Hoheit zur Beruhigung,
ich hab’ es wenigſtens von treuer Hand,
denn kurz, ich hab’ es von mir ſelbſt.
Von wem
iſt denn die Rede?
[311]Vierter Akt.
Marquis Poſa —
Nun?
Wenn etwa mehr als jemand wiſſen darf
von Eurer Hoheit ihm bewußt ſein ſollte,
wie ich beinahe fürchte —
Wie Sie fürchten?
— — — Er war beim König.
So?
Zwo volle Stunden,
und in ſehr heimlichem Geſpräch.
Wahrhaftig?
Es war von keiner Kleinigkeit die Rede.
X
[312]Dom Karlos.
Das will ich glauben.
Ihren Namen, Prinz,
hört’ ich zu öftern malen.
Hoffentlich
kein ſchlimmes Zeichen.
Auch ward heute Morgen
im Schlafgemach von Seiner Majeſtät
der Königinn ſehr räthſelhaft erwähnt.
Graf Lerma?
Als der Marquis weggegangen,
empfing ich den Befehl, ihn künftighin
unangemeldet vorzulaſſen.
Das
iſt wirklich viel.
[313]Vierter Akt.
Ganz ohne Beiſpiel, Prinz,
ſo lang mir dünkt, daß ich dem König diene.
Viel! Warlich viel! — Und wie? wie ſag-
ten Sie,
wie ward der Königinn erwähnt?
Nein Prinz,
nein! Das iſt wider meine Pflicht.
Wie ſeltſam!
Sie ſagen mir das eine, und verhehlen
das andre mir.
Das erſte war ich Ihnen,
das zweite bin ich dem Monarchen ſchuldig.
— Sie haben Recht.
Den Marquis hab’ ich zwar
als Mann von Ehre ſtets gekannt.
X 2
[314]Dom Karlos.
Dann haben
Sie ihn ſehr gut gekannt.
Jedwede Tugend
iſt fleckenfrei — bis auf den Augenblick
der Probe.
Auch wohl hier und da noch drüber.
Und eines großen Königs Gunſt dünkt mir
der Frage werth. An dieſem goldnen Angel
hat manche ſtarke Tugend ſich verblutet.
O ja.
Oft ſogar iſt es weiſe, zu entdecken,
was nicht verſchwiegen bleiben kann.
Ja! weiſe!
Doch, wie Sie ſagen, haben Sie den Marquis
als Mann von Ehre nur gekannt?
[315]Vierter Akt.
Iſt er
es noch, ſo macht mein Zweifel ihn nicht
ſchlechter,
und Sie, mein Prinz, gewinnen doppelt.
Dreifach
gewinn’ ich, edler, würd’ger Mann — ich ſehe
um einen Freund mich reicher, und es koſtet
mir den nicht, den ich ſchon beſaß.
Fünfter Auftritt.
Dom Karlos.
Karl! Karl!
[316]Dom Karlos.
Wer ruft? Ach Du biſt’s. Eben recht. Ich eile
voraus in’s Kloſter. Komm bald nach.
Nur zwo
Minuten — bleib.
Wenn man uns überfiele —
Man wird doch nicht. Es iſt ſogleich ge-
ſchehen.
Die Königinn —
Du warſt bei meinem Vater?
Er ließ mich rufen; ja.
Nun?
Es iſt richtig.
Du wirſt ſie ſprechen.
[317]Vierter Akt.
Und der König? Was
will denn der König?
Der? Nicht viel — Neugierde,
zu wiſſen wer ich bin — Dienſtfertigkeit
von unbeſtellten guten Freunden. Was
weiß ich? Er bot mir Dienſte an.
Die Du
doch abgelehnt?
Verſteht ſich.
Und wie kamt
Ihr aus einander?
Ziemlich gut.
Von mir
war alſo wohl die Rede nicht?
[318]Dom Karlos.
Von Dir?
Doch Ja. Im Allgemeinen.
Hier vorläufig
zwei Worte von der Königinn, und morgen
werd’ ich erfahren, wo und wie —
will gehen.
Beim Prior
triffſt Du mich alſo.
Warte doch. Was eilſt Du?
Es kommt ja niemand.
Haben wir denn wirklich
die Rollen umgetauſcht? Du biſt ja heute
erſtaunlich ſicher.
Heute? Warum heute?
Und was ſchreibt mir die Königinn?
[319]Vierter Akt.
Haſt Du
denn nicht im Augenblick geleſen?
Ich?
Ja ſo.
Was haſt Du denn? Was iſt Dir?
Engel
des Himmels! Ja! Ich will es ſein —
ich will —
will deiner werth ſein — Große Seelen macht
die Liebe größer. Sei’s auch was es ſei.
Wenn Du es mir gebieteſt, ich gehorche. — —
Sie ſchreibt, daß ich auf eine wichtige
Entſchließung mich bereiten ſoll. Was kann
ſie damit meinen? Weißt Du nicht?
Wenn ich’s
auch wüßte, Karl — Biſt Du jetzt auch ge-
ſtimmt
es anzuhören?
[320]Dom Karlos.
Hab’ ich Dich beleidigt?
Ich war zerſtreut. Vergib mir, Rodrigo.
Zerſtreut? Wodurch?
Durch — ich weiß ſelber nicht.
Dieß Souvenir iſt alſo mein?
Nicht ganz.
Vielmehr bin ich gekommen, mir ſogar
Deins auszubitten.
Meins! Wozu?
Und was
Du etwa ſonſt an Kleinigkeiten, die
in keines Dritten Hände fallen dürfen,
an Briefen oder abgeriſſenen
Concepten bei Dir führſt — kurz Deine ganze
Brieftaſche —
Wozu aber?
[321]Vierter Akt.
Nur auf alle Fälle.
Wer kann für Überraſchung ſtehn? Bei mir
ſucht ſie doch niemand. Gib.
Das iſt doch ſeltſam.
Woher auf einmal dieſe — —
Sei ganz ruhig.
Ich will nichts damit angedeutet haben.
Gewißlich nicht. Es iſt Behutſamkeit
vor der Gefahr. So hab’ ich’s nicht gemeint,
ſo warlich nicht, daß Du erſchrecken ſollteſt.
Verwahr’ ſie gut.
Das werd’ ich.
Rodrigo,
ich gab Dir viel.
[322]Dom Karlos.
Noch immer nicht ſo viel,
als ich von Dir ſchon habe — — — Dort
alſo
das übrige, und jetzt leb wohl — — — leb
wohl.
zurück.
Gib mir die Briefe doch noch einmal. Einer
von ihr iſt auch darunter, den ſie damals
als ich ſo tödtlich krank gelegen, nach
Alkala mir geſchrieben. Stets hab’ ich
auf meinem Herzen ihn getragen. Mich
von dieſem Brief zu trennen fällt mir ſchwer.
Laß mir den Brief — — nur den — —
das übrige
nimm alles.
zurück.
Karl, ich thu’ es ungern. Juſt
um dieſen Brief war mir’s zu thun.
[323]Vierter Akt.
Leb wohl.
er einen Augenblick ſtehen, kehrt wieder um und bringt
ihm den Brief.
Da haſt Du ihn.
Augen, er fällt dem Marquis um den Hals und drückt
ſein Geſicht wider deſſen Bruſt.
Das kann mein Vater nicht?
Nicht wahr, mein Rodrigo? Das kann er
doch nicht?
Sechster Auftritt.
Wär’s möglich? Wär’ es? Alſo hätt’ ich ihn
doch nicht gekannt? Nicht ganz? In ſei-
nem Herzen
wär’ dieſe Falte wirklich mir entgangen?
Mißtrauen gegen ſeinen Freund! — Wie kann
[324]Dom Karlos.
ein ſolcher Hauch auf dieſem Spiegel dauern?
Nein! Es iſt Läſterung! — Was that
er mir,
daß ich der Schwächen ſchwächſter ihn verklage?
Was ich ihn zeihe, werd’ ich ſelbſt — — —
Befremden —
das mag es ihn, das glaub’ ich gern. Wann
hätte
er dieſer ſeltſamen Verſchloſſenheit
zu ſeinem Freunde ſich verſehn? — Auch
ſchmerzen!
Ich kann dir’s nicht erſparen, Karl, und länger
muß ich noch deine gute Seele quälen.
Der König glaubte dem Gefäß, dem er
ſein heiliges Geheimniß übergeben,
und Glauben fodert Dankbarkeit. Was wäre
Geſchwätzigkeit, wenn mein Verſtummen dir
nicht Leiden bringt? Vielleicht erſpart? War-
um
dem Schlafenden die Wetterwolke zeigen,
die über ſeinem Scheitel hängt? — Genug,
daß ich ſie ſtill an dir vorüber führe
und, wenn du aufwach’ſt, heller Himmel iſt.
[325]Vierter Akt.
Siebenter Auftritt.
die Infantinn Klara Eugenia.
Nein! Es iſt dennoch meine Tochter — Wie
kann die Natur mit ſolcher Wahrheit lügen?
Dieß blaue Auge iſt ja mein! Find’ ich
in jedem dieſer Züge mich nicht wieder?
Kind meiner Liebe, ja Du biſt’s. Ich drücke
Dich an mein Herz — Du biſt mein Blut.
Mein Blut!
Was kann ich ſchlimm’res fürchten? — —
Meine Züge,
ſind ſie die ſeinigen nicht auch?
ſieht wechſelsweiſe auf das Bild und in einen gegenüber
ſtehenden Spiegel — endlich wirft er es zur Erde, ſteht
ſchnell auf und drückt die Infantinn von ſich.
Weg! Weg!
In dieſem Abgrund geh’ ich unter.
[326]Dom Karlos.
Achter Auftritt.
Eben
ſind Ihro Majeſtät die Königinn
im Vorgemach erſchienen.
Jetzt?
Und bitten
um gnädigſtes Gehör —
Jetzt aber? Jetzt?
In dieſer ungewohnten Stunde? — Nein!
Jetzt kann ich ſie nicht ſprechen — jetzt nicht —
Hier
ſind Ihro Majeſtät ſchon ſelbſt —
[327]Vierter Akt.
Neunter Auftritt.
Die Infantinn.
ſie an. Sie fällt vor dem König nieder, welcher ſtumm
und verwirrt ſteht.
Mein Herr
und mein Gemahl — ich muß — ich bin ge-
zwungen,
vor Ihrem Thron Gerechtigkeit zu ſuchen.
Gerechtigkeit —
Unwürdig ſeh’ ich mir
an dieſem Hof begegnet. Meine
Schatulle iſt erbrochen —
Was?
Und Sachen
von großem Werth für mich daraus verſchwun-
den —
Y
[328]Dom Karlos.
Von großem Werth für Sie —
Durch die Bedeutung,
die eines Unbelehrten Dreiſtigkeit
vermögend wäre —
Dreiſtigkeit — Bedeutung —
Doch — ſtehn Sie auf.
Nicht eher, mein Gemahl,
bis Sie durch ein Verſprechen Sich gebunden,
kraft Ihres königlichen Arms zu meiner
Genugthuung den Thäter mir zu ſtellen,
wo nicht, mich eines Hofs zu überheben,
der meinen Dieb verbirgt —
Stehn Sie doch auf —
In dieſer Stellung — Stehn Sie auf —
Daß er
von Range ſein muß, weiß ich — denn in der
Schatulle lag an Perlen und Demanten
[329]Vierter Akt.
weit über eine Million, und er
begnügte ſich mit Briefen —
Die ich doch —
Recht gerne, mein Gemahl. Es waren Briefe
und ein Medaillon von dem Infanten.
Von —
Dem Infanten, Ihrem Sohn.
An Sie?
An mich.
Von dem Infanten! Und das ſagen
Sie mir?
Warum nicht Ihnen, mein Gemahl?
Y 2
[330]Dem Karlos.
Mit dieſer Stirne!
Was fällt Ihnen auf?
Ich denke Sie erinnern Sich der Briefe,
die mit Bewilligung von beiden Kronen
Dom Karlos mir nach Saint Germain geſchrieben.
Ob auch das Bild, womit er ſie begleitet,
in dieſe Freiheit einbedungen worden?
ob ſeine raſche Hoffnung eigenmächtig
ſich dieſen kühnen Schritt erlaubt — das will
ich zu entſcheiden mich nicht unterfangen,
Wenn’s Übereilung war, ſo war es die
verzeihlichſte — da bin ich für ihn Bürge!
denn damals fiel ihm wohl nicht bei, daß es
für ſeine Mutter wäre.
hinweggehen will.
Recht behält
die Schlange — O das wußt’ ich wohl.
Was iſt das?
Was haben Sie?
[331]Vierter Akt.
den und damit geſpielt hat, bringt es der Königinn.
Ach! Sehn Sie, meine Mutter!
Wie ſchön —
Was denn, mein —
Erſtarrung ſtehen. Beide ſehen einander mit unverwand-
ten Augen an. Nach einem langen Stillſchweigen:
Warlich, Sire!
Dieß Mittel, ſeiner Gattinn Herz zu prüfen,
dünkt mir ſehr königlich und edel — Doch
noch eine Frage möcht’ ich mir erlauben.
Das Fragen iſt an Mir.
Durch meinen Argwohn
ſoll doch die Unſchuld wenigſtens nicht leiden —
Wenn alſo dieſer Diebſtahl Ihr Befehl
geweſen —
Ja.
[332]Dom Karlos.
Dann hab’ ich niemand anzuklagen
und niemand weiter zu bedauern — niemand
als Sie, dem die Gemahlinn nicht geworden,
bei welcher ſolche Mittel ſich verlohnen.
Die Sprache kenn’ ich — Doch, Madam,
zum zweitenmale ſoll ſie mich nicht täuſchen,
wie in Aranjuez ſie mich getäuſcht.
Die engelreine Königinn, die damals
mit ſo viel Würde ſich vertheidigt — jetzt
kenn’ ich ſie beſſer.
— Was iſt das?
Die ihre
Begleiterinnen darum nur entfernt,
um ſich — — mit ihrem Kinde zu vergnügen.
Mein König, wie verſteh’ ich das?
Kurz alſo
und ohne Hinterhalt, Madam! — Iſt’s wahr,
[333]Vierter Akt.
noch wahr, daß Sie mit niemand dort ge-
ſprochen?
Mit niemand? Iſt das wirklich wahr?
Mit dem Infanten
hab’ ich geſprochen. Ja.
Ja? — Nun, ſo iſt’s
am Tage. Es iſt offenbar. So frech!
So wenig Schonung meiner Ehre!
Ehre, Sire?
Geraume Zeit, eh’ König Philipp mich
Gemahlinn hieß, war ich ſchon Heinrichs Toch-
ter —
Wenn Ehre zu verletzen war, ſo fürcht’ ich,
ſtand eine größ’re auf dem Spiel, als mir
Kaſtilien zur Morgengabe brachte.
Warum verläugneten Sie mir?
Weil ich
es nicht gewohnt bin, Sire, in Gegenwart
der Höflinge, auf Delinquenten Weiſe
[334]Dom Karlos.
verhören mich zu laſſen. Wahrheit werde
ich nie verläugnen, wenn mit Ehrerbietung
und Güte ſie gefodert wird — Und war
das wohl der Ton, den Eure Majeſtät
mir in Aranjuez zu hören gaben?
Iſt etwa die verſammelte Grandezza
der Richterſtuhl, vor welchen Königinnen
zu ihrer ſtillen Thaten Rechenſchaft
gezogen werden? Ich geſtattete
dem Prinzen die Zuſammenkunft, um die
er drängend bat. Ich that es, mein Gemahl,
weil ich es wollte — weil ich den Gebrauch
nicht über Dinge will zum Richter ſetzen,
die ich für tadellos erkannt — und Ihnen
verbarg ich es, weil ich nicht lüſtern war,
mit Eurer Majeſtät um dieſe Freiheit
vor meinem Hofgeſinde mich zu ſtreiten.
Sie ſprechen kühn, Madam, ſehr —
Und auch darum,
ſetz’ ich hinzu, weil der Infant doch ſchwer-
lich
der Billigkeit — der Nachſicht, wollt’ ich ſa-
gen —
[335]Vierter Akt.
die er bedarf und auch verdient, ſich zu
erfreuen hat in ſeines Vaters Herzen —
Die er verdient?
Denn warum ſoll ich es
verbergen, Sire? — ich ſchätz’ ihn ſehr und
lieb’ ihn,
als meinen theuerſten Verwandten, der
einſt werth befunden worden, einen Namen
zu führen, der mich mehr anging — Ich habe
noch nicht recht einſehn lernen, daß er mir
gerade darum fremder ſollte ſein
als jeder andre, weil er ehedem
vor jedem andern theuer mir geweſen.
Wenn Ihre Staatsmaxime Bande knüpft,
wie ſie für gut es findet, ſoll es ihr
doch etwas ſchwerer werden ſie zu löſen.
Ich will nicht haſſen, wen ich ſoll — und weil
man endlich doch zu reden mich gezwungen —
ich will es nicht — will meine Wahl nicht
länger
gebunden ſehn — ein zwingendes Verbot
ſoll meiner Freunde Werth bei mir erheben,
ſoll bis zur Übertreibung mich verſuchen,
ich will ſogar —
[336]Dom Karlos.
Eliſabeth! Sie haben
in ſchwachen Stunden mich geſehen. Dieſe
Erinnerung macht Sie ſo kühn. Der Spie-
gel,
vor dem wir ſtehen, macht Sie kühn. Sie
trauen
auf eine Allmacht, die Sie oft genug
an meiner Feſtigkeit geprüft — Doch fürchten
Sie deſto mehr. Was bis zu Schwächen mich
gebracht, kann auch zu Raſerei mich führen.
Was hab’ ich denn begangen?
Wenn es iſt,
doch iſt — und iſt es denn nicht ſchon? —
wenn Ihrer
Verſchuldung volles, aufgehäuftes Maß
auch nur um eines Athems Schwere ſteigt —
wenn ich der Hintergangne bin —
Ich kann
auch über dieſe letzte Schwäche ſiegen.
[337]Vierter Akt.
Ich kann’s und will’s — Dann wehe mir und
Ihnen,
Eliſabeth!
Was hab’ ich denn begangen?
Dann meinetwegen fließe Blut —
So weit
iſt es gekommen — Gott!
Die Chriſtenheit
erſchrecke über eine That! — Ich kenne
mich ſelbſt nicht mehr — ich ehre keine Sitte
und keine Stimme der Natur und keinen
Vertrag der Nationen mehr —
Wie ſehr
beklag’ ich Eure Majeſtät —
Beklagen!
Das Mitleid einer Buhlerinn —
[338]Dom Karlos.
Der König zürnt,
und meine ſchöne Mutter weint.
Geh hin
und klag’ es Deinem Vater.
Stimme.
Dieſes Kind
muß ich doch ſicher ſtellen vor Mißhandlung.
Komm mit mir, meine Tochter.
Wenn der König
Dich nicht mehr kennen will, ſo muß ich jen-
ſeits
der Pyrenäen Bürgen kommen laſſen,
die unſre Sache führen.
Königinn?
[339]Vierter Akt.
Ich kann nicht mehr — Das iſt zu viel —
an der Schwelle zu Boden.
Gort! Was
iſt das? — Eliſabeth!
Sie blutet!
Ach meine Mutter blutet!
Kommt denn niemand,
der mich aus dieſem Zimmer bringen wollte?
Welch fürchterlicher Zufall! Blut! — Ver-
dien’ ich,
daß Sie ſo hart mich ſtrafen? Stehn Sie
auf.
Erhohlen Sie Sich. — Stehn Sie auf — —
Man kommt —
[340]Dom Karlos.
Man überraſcht uns — Stehn Sie auf —
Soll ſich
mein ganzer Hof an dieſem Schauſpiel wei-
den?
Muß ich Sie bitten, aufzuſtehn?
Zehnter Auftritt.
Domingo, treten erſchrocken herein.
Man bringe
die Königinn zu Hauſe. Ihr iſt übel.
Alba und Domingo treten beunruhigt näher.
Die Königinn in Thränen, und auf ihrem
Geſichte Blut —
[341]Vierter Akt.
Das nimmt die Teufel Wunder,
die mich verleitet haben.
Wir?
Die mir
genug geſagt, zum Raſen mich zu bringen;
zu meiner Überzeugung nichts.
Wir gaben,
was wir gehabt —
Die Hölle dank’ es Euch.
Ich habe, was mich reu’t, gethan. War das
die Sprache eines ſchuldigen Gewiſſens?
Steht eine Sünderinn ſo da? —
Iſt der
Monarch zu ſprechen?
[342]Dom Karlos.
Eilfter Auftritt.
einige Schritte entgegen gehend.
Ach! Da kommt mein Mann!
Seid mir willkommen, Marquis — Eurer,
Herzog,
bedarf ich jetzt nicht mehr. Verlaßt uns.
wunderung an.
den König gerichtet.
Das
ſchlägt meine ganze Hoffnung nieder! —
Denn —
ich will es nur geſtehen, Sire — bei dem
Geſchäft, das mich hieher geführt, hab’ ich
auf dieſe Stimme ſehr gerechnet —
[343]Vierter Akt.
Ihr
wißt meinen Willen. Tretet ab.
Zwölfter Auftritt.
Ihr wolltet
verbeſſern Marquis, was ich ſchlimm gemacht.
Ich lobe Eure gute Abſicht.
Sire,
dem alten Manne, der in zwanzig Schlach-
ten
dem Tod für Sie entgegen ging, fällt es
doch etwas hart, von einem Jüngling ſich
ſo abgelöſ’t zu ſehen —
Z
[344]Dom Karlos.
Euch geziemt
es, ſo zu denken, ſo zu handeln Mir.
Was Ihr in wenig Stunden mir geweſen,
war Er in einem Menſchenalter nicht.
Ich will nicht heimlich thun mit meinem Wohl-
gefallen;
das Siegel meiner königlichen Gunſt
ſoll hell und weit auf Eurer Stirne leuchten.
Ich will den Mann, den ich zum Freund ge-
wählt,
beneidet ſehn.
Und dann auch, wenn die Hülle
der Niedrigkeit allein ihn fähig machte,
des Namens werth zu ſein —
Was bringt
Ihr mir?
Als ich das Vorgemach durchgehe,
hör’ ich von einem ſchrecklichen Gerüchte,
das mir unglaublich däucht — Ein heftiger
Wortwechſel — Blut — die Königinn —
[345]Vierter Akt.
Ihr kommt von dort?
Entſetzen ſollt’ es mich,
wenn das Gerücht nicht Unrecht hätte, wenn
von Eurer Majeſtät indeß vielleicht
etwas geſchehen wäre — Wichtige
Entdeckungen, die ich gemacht, verändern
der Sache ganze Lage.
Nun?
Ich fand
Gelegenheit, des Prinzen Portefeuille
mit einigen Papieren wegzunehmen,
die, wie ich hoffe, ein’ges Licht —
Ein Schreiben
vom Kaiſer meinem Vater — — Wie? Von
dem
ich nie gehört zu haben mich entſinne?
Z 2
[346]Dom Karlos.
dern Papieren.
Der Plan zu einer Feſtung — — Abgerißne
Gedanken aus dem Tacitus — Und was
denn hier? — Die Hand ſollt’ ich doch kennen!
Es iſt von einer Dame.
„Dieſer Schlüſſel — —
„die hintern Zimmer im Pavillon
„der Königinn“ — — Ha! Was wird
das? — „Hier darf
„die Liebe frei — — Erhörung — ſchöner
Lohn“
Sataniſche Verrätherei! Jetzt kenn’ ich’s.
Sie iſt es. Es iſt ihre Hand —
Die Hand
der Königinn? Unmöglich —
Der Prinzeſſinn
von Eboli —
So wär’ es wahr, was mir
ohnlängſt der Page Henarez geſtanden,
der Brief und Schlüſſel überbrachte.
[347]Vierter Akt.
Marquis!
Ich ſehe mich in fürchterlichen Händen!
Dieß Weib — Ich will es nur geſtehen —
Marquis,
dieß Weib erbrach der Königinn Schatulle,
die erſte Warnung kam von ihr — Wer weiß,
wie viel der Mönch drum wiſſen mag — Ich bin
durch ein verruchtes Bubenſtück betrogen.
Dann wär’ es ja noch glücklich —
Marquis! Marquis!
Ich fange an zu fürchten, daß ich meiner
Gemahlinn doch zu viel gethan —
Wenn zwiſchen
dem Prinzen und der Königinn geheime
Verſtändniſſe geweſen ſind, ſo waren
ſie ſicherlich von weit — weit anderm Inhalt,
als deſſen man ſie angeklagt. Ich habe
gewiſſe Nachricht, daß des Prinzen Wunſch,
nach Flandern abzureiſen, in dem Kopfe
der Königinn entſprang.
[348]Dom Karlos.
Ich glaubt’ es immer.
Die Königinn hat Ehrgeitz — Darf ich mehr
noch ſagen? — Mit Empfindlichkeit ſieht
ſie
in ihrer ſtolzen Hoffnung ſich getäuſcht,
und von des Thrones Antheil ausgeſchloſſen.
Des Prinzen raſche Jugend bot ſich ihren
weit blickenden Entwürfen dar — ihr Herz —
Ich zweifle, ob ſie lieben kann.
Vor ihren
ſtaatsklugen Planen zittr’ ich nicht.
Ob ſie
geliebt wird? — — — Ob von dem In-
fanten
nichts ſchlimmeres zu fürchten? Dieſe Frage
ſcheint mir der Unterſuchung werth. Hier,
glaub’ ich,
iſt eine ſtrengre Wachſamkeit vonnöthen —
Ihr haftet mir für ihn —
[349]Vierter Akt.
Wenn Eure Majeſtät
mich fähig halten, dieſes Amt zu führen,
ſo muß ich bitten, es uneingeſchränkt
und ganz in meine Hand zu übergeben.
Das ſoll geſchehen.
Wenigſtens durch keinen
Gehülfen, welchen Namen er auch habe,
in Unternehmungen, die ich etwa
für nöthig finden könnte, mich zu ſtören —
Durch keinen. Ich verſprech’ es Euch. Ihr
war’t
mein guter Engel. Wie viel Dank bin ich
für dieſe Neuigkeit Euch ſchuldig?
Wie
verließet Ihr die Königinn?
[350]Dom Karlos.
Noch ſehr
erſchöpft von ihrer Ohnmacht.
Sogleich werde
ich bei ihr ſein. Man bring’ ihr dieſe Nach-
richt.
nachdenkend mit den Augen.
Noch eine Vorſicht ſcheint mir nöthig. Der
Infant, fürcht’ ich, kann Warnungen erhalten.
Er hat der guten Freunde viel — vielleicht
Verbindungen in Gent mit den Rebellen.
Die Furcht kann zu verzweifelten Entſchlüſſen
ihn führen — Darum rieth’ ich an, gleich jetzt
Vorkehrungen zu treffen, dieſem Fall
durch ein geſchwindes Mittel zu begegnen.
Ihr habt ganz Recht. Wie aber —
Ein geheimer
Verhaftsbefehl, den Eure Majeſtät
[351]Vierter Akt.
in meine Hände niederlegen, mich
im Augenblicke der Gefahr ſogleich
deſſelben zu bedienen — und —
Der Schritt
iſt etwas kühn — Ich zweifle, ob —
Es bliebe
vor’s erſte Staatsgeheimniß, bis —
derſchreibend.
Das Reich
iſt auf dem Spiele — Außerordentliche Mit-
tel
erlaubt die drängende Gefahr — Hier, Mar-
quis —
Euch brauch’ ich keine Schonung zu empfeh-
len —
Es iſt auf’s äußerſte, mein König.
[352]Dom Karlos.
Geht!
Geht, lieber Marquis — Ruhe meinem Her-
zen
und meinen Nächten Schlaf zurückzubringen.
Dreizehnter Auftritt.
Beängſtigung. Graf Lerma ihm entgegen.
Sie ſuch’ ich eben.
Und ich Sie.
Iſt’s wahr?
Um Gotteswillen, iſt es wahr?
[353]Vierter Akt.
Was denn?
Daß er den Dolch nach ihr gezückt? daß man
aus ſeinem Zimmer blutig ſie getragen?
Bei allen Heiligen! Antworten Sie.
Was muß ich glauben? Was iſt wahr?
Sie fiel
ohnmächtig hin und ritzte ſich im Fallen.
Sonſt war es nichts.
Sonſt hat es nicht Gefahr?
Sonſt nicht? Bei Ihrer Ehre, Graf?
Nicht für
die Königinn — doch deſto mehr für Sie.
Für meine Mutter nicht! Nun Gott ſei Dank!
Mir kam ein ſchreckliches Gerücht zu Ohren,
der König raſe gegen Kind und Mutter,
und ein Geheimniß ſei entdeckt.
[354]Dom Karlos.
Das letzte
kann auch wohl wahr ſein —
Wahr ſein! Wie?
Prinz, Eine Warnung gab ich Ihnen heute,
die Sie verachtet haben. Nützen Sie
die zwote beſſer.
Wie?
Wenn ich mich anders
nicht irre, Prinz, ſah’ ich vor wen’gen Tagen
ein Portefeuille von himmelblauem Sammt,
mit Gold durchwirckt, in Ihrer Hand, —
So eins
beſitz’ ich. Ja — Nun —
Auf der Decke, glaub’ ich,
ein Schattenriß, mit Perlen eingefaßt —
[355]Vierter Akt.
Ganz recht.
Als ich vorhin ganz unvermuthet
in’s Kabinet des Königs trat, glaubt’ ich
das nämliche in ſeiner Hand zu ſehen,
und Marquis Poſa ſtand bei ihm —
Das iſt
nicht wahr.
Dann freilich bin ich ein Betrüger.
Der ſind Sie. Ja.
Ach! Ich verzeih’ es Ihnen.
endlich vor ihm ſtehen.
Du treibſt ein fürchterliches Handwerk, Menſch.
Was hat er Dir zu leid gethan? Was haben
[356]Dom Karlos.
die unſchuldsvollen Bande Dir gethan,
die Du mit hölliſcher Geſchäftigkeit
zu reißen Dich beeiferſt?
Prinz, ich ehre
den Schmerz, der Sie unbillig macht.
O Gott!
Gott! — Gott! Bewahre mich vor Arg-
wohn!
Auch
erinnr’ ich mich des Königs eigner Worte:
Wie vielen Dank, ſagt’ er, als ich herein-
trat,
bin ich für dieſe Neuigkeit Euch ſchuldig!
O ſtille! ſtille!
Herzog Alba ſoll
gefallen ſein — dem Prinzen Ruy Gomes
das große Siegel abgenommen und
dem Marquis übergeben ſein —
[357]Vierter Akt.
Und Mir verſchwieg er!
Warum verſchwieg er Mir?
Der ganze Hof
ſtaunt ihn ſchon als allmächtigen Miniſter,
als unumſchränkten Günſtling an —
Er hat
mich lieb gehabt, ſehr lieb. Ich war ihm
theuer,
wie ſeine eigne Seele. O das weiß ich —
Das haben tauſend Proben mir erwieſen.
Doch ſollen Millionen ihm, ſoll ihm
das Vaterland nicht theurer ſein als Einer?
Sein Buſen war für Einen Freund zu groß,
und Karlos Glück zu klein für ſeine Liebe.
Er opferte mich ſeiner Tugend. Kann
ich ihn drum ſchelten? — Ja! Es iſt ge-
gewiß!
Jetzt iſt’s gewiß. Jetzt hab’ ich ihn verlo-
ren.
[358]Dom Karlos.
Mein beſter Prinz. Was kann ich für Sie
thun?
Zum König gehen und mich auch verrathen.
Ich habe nichts zu ſchenken.
Wollen Sie
erwarten, was erfolgen mag.
hinaus.
Ich hab’ ihn
verloren. O! Jetzt bin ich ſehr arm.
Prinz,
Sie wollen nicht auf Ihre Rettung denken?
Auf meine Rettung! — Guter Menſch!
[359]Vierter Akt.
Und ſonſt,
ſonſt haben Sie für niemand mehr zu zittern?
Gott! Woran mahnen Sie mich! — Meine
Mutter!
Der Brief, den ich ihm wiedergab! ihm erſt
nicht laſſen wollte und doch ließ!
Womit
hat ſie es denn verdient um ihn? Sie hätt’ er
doch ſchonen ſollen. Lerma, hätt’ er nicht?
Ich muß zu ihr — ich muß ſie warnen, muß
ſie vorbereiten — Lerma, lieber Lerma —
Wen ſchick’ ich denn? Iſt denn kein Mittel?
Rufen
Sie mir den Marquis — hurtig —
Wen?
Ach Gott!
A a
[360]Dom Karlos.
Und jetzt iſt auch der König dort.
Hab’ ich
denn niemand mehr? Gar niemand? — —
Doch! Noch Einen!
Gott ſei gelobt! Noch Einen Freund — und
hier
iſt nichts mehr zu verſchlimmern.
Prinz! Wohin?
[361]Vierter Akt.
Vierzehnter Auftritt.
cher eben hereintritt.
Prinzeſſinn, haben Sie gehört?
Wovon?
Sie ſind ja fürchterlich, Kaplan.
Vom neuen
Miniſter, den wir haben?
Wie? So iſt
ſie wahr, die außerordentliche Zeitung,
die ſchon den ganzen Hof erfüllt?
Sie haben
auch Ihren Theil daran. Ich wünſche Glück,
Monarchinn einer Sommernacht.
A a 2
[362]Dom Karlos.
Funfzehnter Auftritt.
Durchſtoßen
Sie mir das Herz. Ich ſelbſt bracht’ ihn zum
König.
Wem hätte auch geahndet!
Deſto ſchlimmer!
Der Menſch, der ſich auf Täuſchung ſo verſtand,
der Sie und mich in ſolchen Schlaf geſungen,
der kann noch mehr.
„Uns braucht man nicht mehr“ — Herzog,
Sie hörten doch?
Wie iſt das zugegangen?
So ſchnell! Ich faß’ es nicht.
Was gäb’ ich jetzt
um einen Feind, wie der Infant geweſen.
[363]Vierter Akt.
Sehr wahr geſagt! Bei Gott! Verſteh’ ich
Sie,
ſo laſen Sie in meinem Geiſt, Toledo.
Im Grunde, ſag’ ich, iſt er gut.
Das ſag’
ich auch.
Und eines beſſern Schickſals würdig.
Das hab’ ich jederzeit gedacht.
Kaplan,
Sie gehen mit?
Wohin? Was wollen Sie?
Mein eignes Werk vernichten, und es lieber
zu ſeiner Zeit zum zweitenmal gebären.
[364]Dom Karlos.
Und Sie, Prinzeſſinn, ſchweigen ſtill?
Thun Sie,
was Ihnen gut und nöthig dünkt. Ich werde
nie ſeine Freundinn ſein.
die andre Thüre.
Sechzehnter Auftritt.
rückfährt.
Erſchrecken Sie
nicht, Fürſtinn. Ich will ſanft ſein, wie ein
Kind.
Prinz? — Dieſe Überraſchung —
[365]Vierter Akt.
Sind Sie noch
beleidigt? Noch?
— Prinz —
Sind Sie noch beleidigt?
Ich bitte, ſagen Sie es mir.
Was ſoll das?
Sie ſcheinen zu vergeſſen, Prinz — Was
ſuchen
Sie bei mir?
Mädchen, kannſt Du ewig haſſen?
Verzeiht gekränkte Liebe nie?
Woran
erinnern Sie mich, Prinz?
An Deine Güte
und meinen Undank — Ach! ich weiß es wohl-
[366]Dom Karlos.
ſchwer hab’ ich Dich beleidigt Mädchen, habe
Dein ſanftes Herz zerriſſen, habe Thränen
gepreßt aus dieſen Engelblicken — ach!
und bin auch jetzt nicht hier, es zu bereuen.
Prinz, laſſen Sie mich — ich —
Ich bin gekommen,
weil Du ein ſanftes Mädchen biſt, weil ich
auf Deine gute, ſchöne Seele baue.
Sieh, Mädchen, ſieh, ich habe keinen Freund
mehr
auf dieſer Welt, als Dich allein. Einſt war’ſt
Du mir ſo gut — Du wirſt nicht ewig haſſen,
und wirſt nicht unverſöhnlich ſein.
O ſtille!
Nichts mehr, um Gottes willen Prinz —
Laß mich
an jene goldne Zeiten Dich erinnern —
an Deine Liebe laß mich Dich erinnern,
an Deine Liebe, Mädchen, gegen die
[367]Vierter Akt.
ich ſo unwürdig mich verging. Laß mich
jetzt gelten machen, was ich Dir geweſen,
was Deines Herzens Träume mir gegeben —
Noch Einmal — nur noch Einmal ſtelle mich,
ſo wie ich damals war, vor Deine Seele
und dieſem Schatten opfre, was Du mir,
mir ewig nie mehr opfern kannſt.
O Karl!
Wie grauſam ſpielen Sie mit mir!
Sei größer
als Dein Geſchlecht. Vergiß Beleidigungen.
Thu, was vor Dir kein Weib gethan — nach
Dir
kein Weib mehr thun wird. Etwas unerhörtes
fodr’ ich von Dir — Laß mich — auf mei-
nen Knien
beſchwör’ ich Dich — Laß mich, zwei Worte
laß mich
mit meiner Mutter ſprechen.
[368]Dom Karlos.
Siebzehnter Auftritt.
ſtürzt herein, hinter ihm zwei Offiziere der
königlichen Leibwache.
Was hat er
geſtanden? Glauben Sie ihm nicht.
Bei allem,
was heilig —
Er iſt raſend. Hören Sie
den Raſenden nicht an.
Es gilt um Tod
und Leben. Führen Sie mich zu ihr.
Ich
ermorde Sie, wenn Sie ihn hören.
[369]Vierter Akt.
Graf
von Kordua. Im Namen des Monarchen.
Der Prinz iſt Ihr Gefangener.
tührt, und ſpricht von jetzt an kein Wort mehr. Die
Prinzeſſinn ſtößt einen Laut des Schreckens aus, und
will fliehen, die Offiziere erſtaunen. Eine lange und
tiefe Pauſe. Man ſieht den Marquis ſehr heftig zittern
und mit Mühe ſeine Faſſung behalten.
Zum Prinzen.
Ich bitte
um Ihren Degen — — Fürſtinn Eboli,
Sie bleiben; und
Sie haften mir dafür,
daß Seine Hoheit niemand ſpreche — nie-
mand —
Sie ſelbſt nicht, bei Gefahr des Kopfs!
wendet er ſich zum andern.
Ich werfe
ſogleich mich ſelbſt zu des Monarchen Füßen,
ihm Rechenſchaft zu geben —
[370]Dom Karlos.
und auch Ihnen —
Erwarten Sie mich, Prinz, — in einer Stunde.
wegführen — Nur im Vorübergehen läßt er einen
matten, ſterbenden Blick auf den Marquis fallen, der
ſein Geſicht verhüllt. Die Prinzeſſinn verſucht es noch
einmal zu entfliehen; der Marquis führt ſie beim Arme
zurück.
Achtzehnter Auftritt.
Um aller Himmel willen, laſſen Sie
mich dieſen Ort —
Was hat er Dir geſagt,
Unglückliche?
Nichts — Laſſen Sie mich — Nichts —
[371]Vierter Akt.
Wie viel haſt Du erfahren? — Hier iſt
kein
Entrinnen mehr. Du wirſt auf dieſer Welt
es niemand mehr erzählen.
Großer Gott!
Was meinen Sie damit? Sie wollen mich
doch nicht ermorden?
In der That, das bin
ich ſehr geſonnen. Mach’ es kurz.
Mich? Mich?
O! ewige Barmherzigkeit! Was hab’
ich denn begangen?
Noch iſt’s Zeit. Noch trat
das Gift nicht über dieſe Lippen. Ich
[372]Dom Karlos.
zerſchmettre das Gefäß, und alles bleibt
was es geweſen — Spaniens Verhängniß
und eines Weibes Leben! — Dieſen Mord
getrau’ ich mir, an deinem Weltgericht
noch auszufechten.
Nun? Was zaudern Sie?
Ich bitte nicht um Schonung — Nein. Ich
habe
verdient zu ſterben, und ich will’s.
Beſinnen:
Das wäre
ſo feig’ als es barbariſch iſt — Nein! Nein!
Gott ſei gelobt! — Noch gibt’s ein andres
Mittel —
zeſſinn ſtürzt fort durch eine andere Thüre.
[373]Vierter Akt.
Neunzehnter Auftritt.
Was für ein Auflauf im Pallaſte! Jedes
Getöſe, Gräfinn, macht mir heute Schrecken.
O ſehen Sie doch nach und ſagen mir,
was es bedeutet.
zeſſinn von Eboli.
Zwanzigſter Auftritt.
dergeſunken.
Königinn! Zu Hülfe!
Er iſt gefangen.
Wer?
[374]Dom Karlos.
Der Marquis Poſa
nahm auf Befehl des Königs ihn gefangen.
Wen aber? Wen?
Den Prinzen.
Raſeſt Du?
So eben führen ſie ihn fort.
Und wer
nahm ihn gefangen?
Marquis Poſa.
Nun!
Gott ſei gelobt, daß es der Marquis war,
der ihn gefangen nahm!
[375]Vierter Akt.
Das ſagen Sie
ſo ruhig, Königinn? ſo kalt? — O Gott!
Sie ahnden nicht — Sie wiſſen nicht —
Warum er
gefangen worden? — Eines Fehltritts wegen,
vermuth’ ich, der dem heftigen Karakter
des Jünglings ſehr natürlich war.
Nein! Nein!
Ich weiß es beſſer — Nein — O Köni-
ginn —
Verruchte, teufeliſche That! — Für ihn
iſt keine Rettung mehr!
Er ſtirbt!
Und ſeine Mörderinn bin ich.
Er ſtirbt!
Wahnſinnige, bedenkſt Du?
B b
[376]Dom Karlos.
Und warum —
warum er ſtirbt! — O hätt’ ich wiſſen kön-
nen,
daß es bis dahin kommen würde!
Fürſtinn,
noch ſind Sie außer Faſſung. Sammeln
Sie
erſt Ihre Geiſter, daß Sie ruhiger,
nicht in ſo grauenvollen Bildern, die
mein Innerſtes durchſchauern, mir erzählen.
Was wiſſen Sie? Was iſt geſchehen?
O!
nicht dieſe himmliſche Herablaſſung,
nicht dieſe Güte, Königinn! Wie Flammen
der Hölle ſchlägt ſie brennend mein Gewiſſen.
Ich bin nicht würdig, den entweihten Blick
zu Ihrer Glorie empor zu richten.
Zertreten Sie die Elende, die ſich,
zerknirſcht von Reue, Scham und Selbſt-
verachtung,
zu Ihren Füßen krümmt.
[377]Vierter Akt.
Unglückliche!
Was haben Sie mir zu geſtehen?
Engel
des Lichtes! Große Heilige! Noch kennen,
noch ahnden Sie den Teufel nicht, dem Sie
ſo liebevoll gelächelt — Lernen Sie
ihn heute kennen. Ich — ich war der Dieb,
der Sie beſtohlen.
Sie?
Und jene Briefe
dem König ausgeliefert.
Sie?
Der ſich
erdreiſtet hat, Sie anzuklagen —
Sie —
Sie konnten —
B b 2
[378]Dom Karlos.
Rache — Liebe — Raſerei —
Ich haßte Sie und liebte den Infanten —
Weil Sie ihn liebten —?
Weil ich’s ihm geſtanden
und keine Gegenliebe fand.
O jetzt
enträthſelt ſich mir alles! — Stehn Sie auf.
Sie liebten ihn — ich habe ſchon vergeben.
Es iſt vergeſſen — ſtehn Sie auf.
Nein! Nein!
Ein ſchreckliches Geſtändniß iſt noch übrig.
Nicht eher, große Königinn —
Was werd’ ich
noch hören müſſen? Reden Sie —
[379]Vierter Akt.
Der König …
Verführung … O Sie blicken weg … Ich
leſe
in Ihrem Angeſicht Verwerfung … Das
Verbrechen, deſſen ich Sie zeihte … ich
beging es ſelbſt.
Die Königinn geht ab. Große Pauſe. Die Herzoginn
von Olivarez kommt nach einigen Minuten aus dem
Kabinet, in welches die Königinn gegangen war und
findet die Fürſtinn noch in der vorigen Stellung liegen.
Sie nähert ſich ihr ſtillſchweigend; auf das Geräuſch,
richtet ſich die letztere auf, und fährt wie eine Raſende
in die Höhe, da ſie die Königinn nicht mehr gewahr
wird.
Ein und zwanzigſter Auftritt.
Olivarez.
Gott! Sie hat mich verlaſſen!
Jetzt iſt es aus.
[380]Dom Karlos.
Prinzeſſinn Eboli —
Ich weiß, warum Sie kommen, Herzoginn.
Die Königinn ſchickt Sie heraus, mein Urtheil
mir anzukündigen — Geſchwind —
Ich habe
Befehl von Ihrer Majeſtät, Ihr Kreuz und
Ihre Schlüſſel in Empfang zu nehmen —
es in die Hände der Herzoginn.
Doch
noch einmal iſt es mir vergönnt, die Hand
der beſten Königinn zu küſſen?
Im
Marienkloſter wird man Ihnen ſagen,
was über Sie beſchloſſen iſt.
Ich werde
die Königinn nicht wieder ſehen?
[381]Vierter Akt.
Leben
Sie glücklich.
bis an die Thüre des Kabinets, welche ſogleich hinter der
Herzoginn verſchloſſen wird. Einige Minuten bleibt ſie
ſtumm und unbeweglich auf den Knieen davor liegen,
dann rafft ſie ſich auf und eilt hinweg mit verhülltem
Geſicht.
Zwei und zwanzigſter Auftritt.
varez kommen aus dem Kabinet.
Iſt Sie weg?
Und in Verzweiflung.
Ihr Schickſal iſt erſchrecklich.
[382]Dom Karlos.
Wo die Gräfinn
Fuentes aber bleiben mag? Sie ſollte
mir Nachricht bringen —
der Oberhofmeiſterinn, welche ſich darauf zur Königinn
wendet.
Herzog Alba und
Domingo, Ihro Majeſtät —
Domingo
und Herzog Alba — — Alba und Domingo?
Sie bitten auf zween Augenblicke nur
um gnädigſtes Gehör —
Das werd’ ich ja
wohl hören — führt ſie zu mir.
ſich in das Kabinet.
[383]Vierter Akt.
Drei und zwanzigſter Auftritt.
Wenn es uns
vergönnt iſt, große Königinn —
Was ſteht
zu Ihren Dienſten?
Redliche Beſorgniß
für Ihrer königlichen Majeſtät
erhabene Perſon erlaubt uns nicht
bei einem Vorfall müßig ſtill zu ſchweigen,
der Ihre Sicherheit bedroht.
Wir eilen,
durch unſre zeit’ge Warnung ein Komplott,
das wider Sie geſpielt wird, zu entkräf-
ten —
Und unſern Eifer — unſre Dienſte zu
den Füßen Ihrer Majeſtät zu legen.
[384]Dom Karlos.
Hochwürd’ger Herr, und Sie, mein edler Herzog,
Sie überraſchen mich wahrhaftig. Solcher
Ergebenheit war ich mir von Domingo
und Herzog Alba wirklich nicht vermuthend.
Ich weiß, wie ich ſie ſchätzen muß — Sie
nennen
mir ein Komplott, das mich bedrohen ſoll.
Darf ich erfahren, wer — —
Wir bitten Sie,
vor einem Marquis Poſa Sich zu hüten,
der für des Königs Majeſtät geheime
Geſchäfte führt.
Ich höre mit Vergnügen,
daß der Monarch ſo gut gewählt. Den Mar-
quis
hat man mir längſt als einen guten Menſchen,
als einen großen Mann gerühmt. Nie ward
die höchſte Gunſt gerechter ausgetheilt —
Gerechter ausgetheilt! Wir wiſſen’s beſſer.
[385]Vierter Akt.
Es iſt längſt kein Geheimniß mehr, wozu
ſich dieſer Menſch gebrauchen laſſen.
Wie?
Was wär’ denn das? Sie ſpannen meine ganze
Erwartung.
— Iſt es ſchon von lange,
daß Ihro Majeſtät zum letztenmal in Ihrer
Schatulle nachgeſehen?
Wie?
Und haben
Sie nichts darin vermißt von Koſtbarkeiten?
Wie ſo? Warum? Was ich vermiſſe, weiß
mein ganzer Hof — Doch Marquis Poſa?
Wie
kommt Marquis Poſa damit in Verbindung?
Sehr nahe, Ihro Majeſtät — denn auch
dem Prinzen fehlen wichtige Papiere,
[386]Dom Karlos.
die in des Königs Händen dieſen Morgen
geſehen worden — als der Chevalier
geheime Audienz gehabt. So eben
wird Seine Hoheit in Verhaft genommen,
und Marquis Poſa iſt Miniſter.
Seltſam,
bei Gott! und äußerſt ſonderbar! — Ich
finde
hier einen Feind, von dem mir nie geträumt,
und wiederum zwo Freunde, die ich nie be-
ſeſſen
zu haben mich entſinnen kann — Denn wirk-
lich
muß ich geſtehn, ich war ſchon in Gefahr,
den ſchlimmen Dienſt, der mir bei meinem
Herrn
geleiſtet worden — — Ihnen zu vergeben.
Uns?
Ihnen.
[387]Vierter Akt.
Herzog Alba! Uns!
Wie lieb
iſt es mir alſo, meiner Übereilung
ſo bald gewahr zu werden — Ohnehin
hatt’ ich beſchloſſen, Seine Majeſtät
noch heut’ zu bitten, meinen Kläger mir
zu ſtellen. Um ſo beſſer nun! So kann ich
auf Herzog Alba’s Zeugniß mich berufen.
Auf mich? Das wollten Sie im Ernſt?
Warum nicht?
Um alle Dienſte zu entkräften, die
wir Ihnen im Verborgnen —
Im Verborgnen?
Ich wünſchte doch zu wiſſen, Herzog Alba,
was Ihres Königs Frau mit Ihnen oder
[388]Dom Karlos.
mit Ihnen, Prieſter, abzureden hätte,
das ihr Gemahl nicht wiſſen darf — — Bin
ich
unſchuldig oder ſchuldig?
Welche Frage!
Doch, wenn der König ſo gerecht nicht wäre?
es jetzt zum mindeſten nicht wäre?
Dann
muß ich erwarten, bis er’s wird — — Wohl
dem,
der zu gewinnen hat, wenn er’s geworden!
[389]Vierter Akt.
Vier und zwanzigſter Auftritt.
Ach endlich, Marquis! Glücklich, daß Sie
kommen.
der Stimme, und durch dieſen ganzen Auftritt in feier-
licher, tiefer Bewegung.
Sind Ihro Majeſtät allein? Kann niemand
in dieſen nächſten Zimmern uns behorchen?
Kein Menſch — Warum? Was bringen
Sie?
Und wie
ſo ganz verändert! Was iſt das? Sie machen
mich zittern, Marquis — alle ihre Züge
wie eines Sterbenden entſtellt —
Sie wiſſen
vermuthlich ſchon —
[390]Dom Karlos.
Daß Karl gefangen worden,
und zwar durch Sie, ſetzt man hinzu —
So iſt
es dennoch wahr? Ich wollt’ es keinem Men-
ſchen,
als Ihnen glauben.
Es iſt wahr.
Durch Sie?
Durch mich.
Ich ehre Ihre Handlungen,
auch wenn ich ſie nicht faſſe — Dießmal
aber
verzeihen Sie dem bangen Weib’. Ich fürchte,
Sie ſpielen ein gewagtes Spiel.
Ich hab’ es
verloren.
[391]Vierter Akt.
Gott im Himmel!
Seien Sie
ganz ruhig, meine Königinn. Für ihn
iſt ſchon geſorgt. Ich hab’ es mir verloren.
Was werd’ ich hören! Gott!
Denn wer,
wer hieß auf einen zweifelhaften Wurf
mich alles ſetzen? Alles? So verwegen,
ſo zuverſichtlich mit dem Himmel ſpielen?
Wer iſt der Menſch, der ſich vermeſſen will,
des Zufalls ſchweres Steuer zu regieren,
und doch nicht der Allwiſſende zu ſein?
O es iſt billig! — Doch warum denn jetzt
von mir? Der Augenblick iſt koſtbar, wie
das Leben eines Menſchen! Und wer weiß,
ob aus des Richters karger Hand nicht ſchon
die letzten Tropfen für mich fallen?
Aus
des Richters Hand? — Welch feierlicher Ton!
C c
[392]Dom Karlos.
Ich faſſe nicht, was dieſe Reden meinen —
Doch ſie entſetzen mich —
Er iſt gerettet!
Um welchen Preis er’s iſt, gleich viel! —
Doch nur
für heute. Wenig Augenblicke ſind
noch ſein. Er ſpare ſie. Sie kommen
mich etwas hoch zu ſtehn. Noch dieſe Nacht
muß er Madrid verlaſſen.
Dieſe Nacht noch?
Anſtalten ſind getroffen. In demſelben
Karthäuſerkloſter, das ſchon lange Zeit
die Zuflucht unſrer Freundſchaft war geweſen,
erwartet ihn die Poſt. Hier iſt in Wechſeln,
was mir das Glück auf dieſer Welt gegeben.
Was mangelt, legen Sie noch bei. Zwar
hätt’ ich
an meinen Karl noch manches auf dem Herzen,
noch manches, das er wiſſen muß; doch könnt’
es leicht an Muße mir gebrechen, alles
perſönlich mit ihm abzuthun — Sie ſprechen
ihn dieſen Abend, darum wend’ ich mich
an Sie —
[393]Vierter Akt.
Um meiner Ruhe willen, Marquis,
erklären Sie Sich deutlicher — nicht in
ſo fürchterlichen Näthſeln reden Sie
mit mir — Was iſt geſchehn?
Ich habe noch
ein wichtiges Bekenntniß abzulegen;
in Ihre Hände leg’ ich’s ab. Mir ward
ein Glück, wie es nur wenigen geworden:
Ich liebte einen Fürſtenſohn — Mein Herz,
nur einem einzigen geweiht, umſchloß
die ganze Welt! — In meines Karlos
Seele
ſchuf ich ein Paradies für Millionen.
O meine Träume waren ſchön — Doch es
gefiel der ew’gen Weisheit, mich
von meiner ſchönen Pflanzung abzurufen.
Bald hat er ſeinen Rodrigo nicht mehr.
Der Freund hört auf in der Geliebten. Hier,
hier — hier — auf dieſem heiligen Altare,
im Herzen ſeiner Königinn leg’ ich
mein letztes koſtbares Vermächtniß nieder,
hier find’ er’s, wenn ich nicht mehr bin —
C c 2
[394]Dom Karlos.
Das iſt
die Sprache eines Sterbenden. Noch hoff’ ich,
es iſt nur Wirkung Ihres Blutes — oder
liegt Sinn in dieſen Reden?
fort.
Sagen Sie
ihm, daß er eingedenk ſoll ſein des Eides,
den wir in jenen ſchwärmeriſchen Tagen
am Hochaltare, den er kennt, auf die
entzwei gebrochne Hoſtie geſchworen.
Den meinigen hab’ ich gehalten, bin
ihm treu geblieben bis zum Tod — jetzt iſt’s
an ihm, den ſeinigen —
Zum Tod?
Er mache —
O ſagen Sie es ihm! — das Traumbild wahr,
das kühne Traumbild eines neuen Staates,
der Freundſchaft göttliche Geburt. Er lege
die erſte Hand an dieſen rohen Marmor.
[395]Vierter Akt.
Ob er vollende oder unterliege —
ihm einerlei! Er lege Hand an. Wenn
Jahrhunderte dahin geflohen, wird
die Vorſicht einen Fürſtenſohn, wie er,
auf einem Thron, wie ſeiner, wiederhohlen,
aus den Ruinen ſeinen Torſo graben,
und ihren neuen Liebling mit derſelben
Begeiſterung entzünden. Sagen Sie
ihm, daß er für die Träume ſeiner Jugend
ſoll Achtung tragen, wenn er Mann ſein wird,
nicht öffnen ſoll dem tödtenden Inſekte
gerühmter beſſerer Vernunft das Herz
der zarten Götterblume — daß er nicht
ſoll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeiſterung, die Himmelstochter, läſtert.
Ich hab’ es ihm zuvor geſagt —
Wie, Marquis?
Und wozu führt —
Und ſagen Sie ihm, daß
ich Menſchenglück auf ſeine Seele lege,
daß ich es ſterbend von ihm fodre — fodre,
und ſehr dazu berechtigt war. Es hätte
bei mir geſtanden einen neuen Morgen
[396]Dom Karlos.
heraufzuführen über dieſe Reiche.
Der König ſchenkte mir ſein Herz. Er nannte
mich ſeinen Sohn — Ich führe ſeine Siegel,
und ſeine Alba ſind nicht mehr.
auf die Königinn.
Sie weinen —
O dieſe Thränen kenn’ ich, ſchöne Seele;
die Freude macht ſie fließen. Doch vorbei,
es iſt vorbei. Karl oder ich. Die Wahl
war ſchnell und ſchrecklich. Einer war ver-
loren;
und ich will dieſer Eine ſein — ich lieber —
Verlangen Sie nicht mehr zu wiſſen.
Jetzt,
jetzt endlich fang’ ich an, Sie zu begreifen —
Unglücklicher, was haben Sie gethan?
Zwo kurze Abendſtunden hingegeben,
um einen hellen Sommertag zu retten.
Den König geb’ ich auf. Was kann ich auch
dem König ſein? — In dieſem ſtarren Bo-
den
blüht keine meiner Roſen mehr — Das waren
[397]Vierter Akt.
nur Gaukelſpiele kindiſcher Vernunft,
vom reifen Manne ſchamroth wiederrufen[.]
Den nahen hoffnungsvollen Lenz ſollt’ ich
vertilgen, einen lauen Sonnenblick
im Norden zu erkünſteln? Eines müden
Tirannen letzten Ruthenſtreich zu mildern,
die große Freiheit des Jahrhunderts wagen?
Elender Ruhm! Ich mag ihn nicht. Europa’s
Verhängniß reift in meinem großen Freunde!
Auf ihn verweiſ’ ich Spanien — Es blute
bis dahin unter Philipps Hand! — Doch
weh’!
weh’ mir und ihm, wenn ich bereuen ſollte!
Vielleicht das Schlimmere gewählt! Wenn ich
den großen Wink der Vorſicht mißverſtanden,
die Mich, nicht Ihn, auf dieſem Thron ge-
wollt!
Weh’ mir und ihm, wenn —
Reden Sie nicht aus.
Was Sie befürchten, Chevalier, wird nie
geſchehn. Ich kenne Ihren Freund; ich ſage
für ſeine Seele gut.
Das war’s, was noch
auf meinem Herzen lag. Nie — nie wird es
[398]Dom Karlos.
geſchehn — und meine Bürginn, Königinn,
ſind Sie!
Ich ſah’ ſie keimen, dieſe Liebe, ſah’
der Leidenſchaften unglückſeligſte
in ſeinem Herzen Wurzel faſſen — Damals
ſtand es in meiner Macht, ſie zu bekämpfen.
Ich that es nicht. Ich nährte dieſe Liebe,
die mir nicht unglückſelig war. Die Welt
kann anders richten. Ich bereue nicht.
Mein Herz klagt mich nicht an. Ich ſahe
Leben,
wo ſie nur Tod — In dieſer hoffnungsloſen
Flamme
erkannt’ ich früh’ der Hoffnung goldnen Strahl.
Ich wollt’ ihn führen zum Vortrefflichen,
die ſtolze königliche Frucht, woran
nur Menſchenalter langſam pflanzen, ſollte
ein ſchneller Lenz der wunderthät’gen Liebe
beſchleunigen. Mir ſollte ſeine Tugend
an dieſem kräft’gen Sonnenblicke reifen.
Zur höchſten Schönheit wollt’ ich ihn erheben:
die Sterblichkeit verſagte mir ein Bild,
die Sprache Worte — da verwies ich ihn
auf dieſes — meine ganze Leitung war,
ihm ſeine Liebe zu erklären.
[399]Vierter Akt.
Marquis,
Ihr Freund erfüllte ſie ſo ganz, daß Sie
mich über ihm vergaßen. Glaubten Sie
im Ernſt mich aller Weiblichkeit entbunden,
da Sie zu ſeinem Engel mich gemacht,
zu ſeinen Waffen Tugend ihm gegeben?
Das überlegten Sie wohl nicht, wie viel
für unſer Herz zu wagen iſt, wenn wir
mit ſolchen Namen Leidenſchaft veredeln.
Für alle Weiber; nur für Eines nicht.
Auf Eines ſchwör’ ich — Oder ſollten Sie,
Sie der Begierden edelſter ſich ſchämen,
der Tugend Schöpferinn zu ſein?
Was geht es König Philipp an, wenn ſeine
Verklärung in Eſkurial den Mahler,
der vor ihr ſteht, mit Ewigkeit entzündet?
Gehört die ſüße Harmonie, die in
dem Saitenſpiele ſchlummert, ſeinem Käufer,
der es mit taubem Ohr bewacht? Er hat
das Recht erkauft, in Trümmern es zu ſchla-
gen,
doch nicht die Kunſt, dem Silberton zu rufen
und in des Liedes Wonne zu zerſchmelzen.
Die Wahrheit iſt vorhanden für den Weiſen,
[400]Dom Karlos.
die Schönheit für ein fühlend Herz. Sie
beide
gehören für einander. Dieſen Glauben
ſoll mir kein feiges Vorurtheil zerſtören.
Verſprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
von Menſchenfurcht, von falſchem Helden-
muth
zu nichtiger Verläugnung nie verſucht
unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
verſprechen Sie mir dieſes? — Königinn —
Verſprechen Sie’s in meine Hand?
Mein Herz,
verſprech’ ich Ihnen, ſoll allein und ewig
der Richter meiner Liebe ſein.
Jetzt ſterb’
ich ruhig — Meine Arbeit iſt gethan.
Sie gehen, Marquis — ohne mir zu ſagen,
wenn wir — wie bald — uns wiederſehn?
[401]Vierter Akt.
Gewiß!
Wir ſehn uns wieder.
Ich verſtand Sie, Poſa —
verſtand Sie recht gut — — — — Warum
haben Sie
mir das gethan?
Er oder ich
Nein! Nein!
Sie ſtürzten Sich in dieſe That, die Sie
erhaben nennen. Läugnen Sie nur nicht.
Ich kenne Sie, Sie haben längſt darnach
gedürſtet — Mögen tauſend Herzen brechen,
was kümmert Sie’s, wenn ſich Ihr Stolz
nur weidet.
O jetzt — jetzt lern’ ich Sie verſtehn: Sie
haben
nur um Bewunderung gebuhlt.
[402]Dom Karlos.
Nein! Darauf
war ich nicht vorbereitet —
Marquis!
Iſt keine Rettung möglich?
Keine.
Keine?
Beſinnen Sie Sich wohl. Iſt keine möglich?
Auch nicht durch mich?
Auch nicht durch Sie.
Auch ſelbſt
durch ein Verbrechen nicht? — Sie kennen
mich
zur Hälfte nur — ich habe Muth.
Ich weiß es.
[403]Vierter Akt.
Und keine Rettung?
Keine.
Gehen Sie!
Ich ſchätze keinen Mann mehr.
Königinn! — —
O Gott! das Leben iſt doch ſchön.
ihr Kabinet.
[404]Dom Karlos.
Fünf und zwanzigſter Auftritt.
hen ſtillſchweigend und abgeſondert auf und
nieder. Graf Lerma kommt aus dem Kabi-
net des Königs, alsdann Dom Raimond
von Taxis, der Oberpoſtmeiſter.
Ob ſich der Marquis noch nicht blicken laſſen?
Noch nicht.
Graf Lerma, melden Sie mich an.
Der König iſt für niemand.
Sagen Sie,
ich muß ihn ſprechen — Seiner Majeſtät
[405]Vierter Akt.
iſt äußerſt dran gelegen. Eilen Sie.
Es leidet keinen Aufſchub.
Lieber Taxis,
gewöhnen Sie Sich zur Geduld. Sie
ſprechen
den König nicht —
Nicht? Und warum?
Sie hätten
die Vorſicht denn gebraucht, Sich die Erlaub-
niß
beim Chevalier von Poſa auszuwirken,
der Sohn und Vater zu Gefangnen macht.
Von Poſa? Wie? Ganz recht! Das iſt der,
ſelbe,
aus deſſen Hand ich dieſen Brief empfangen —
Brief? Welchen Brief?
[406]Dom Karlos.
Den ich nach Brüſſel habe
befördern ſollen —
Brüſſel!
Den ich eben
dem König bringe —
Brüſſel! Haben Sie
gehört, Kaplan? Nach Brüſſel!
Das iſt ſehr
verdächtig.
Und wie ängſtlich, wie verlegen
er mir empfohlen worden!
Ängſtlich? So!
An wen iſt denn die Aufſchrift?
[407]Vierter Akt.
An den Prinzen
von Naſſau und Oranien.
An Wilhelm? —
Kaplan! Das iſt Verrätherei.
Was könnt’
es anders ſein? — Ja freilich, dieſen Brief
muß man ſogleich dem König überliefern.
Welch ein Verdienſt von Ihnen, würd’ger
Mann,
ſo ſtreng zu ſein in Ihres Königs Dienſt!
Hochwürd’ger Herr, ich that nur meine Pflicht.
Sie thaten wohl.
Der König will Sie ſprechen.
Der Marquis immer noch nicht da?
D d
[408]Dom Karlos.
Man läßt
ihn aller Orten ſuchen.
Das iſt doch
ſehr ſonderbar.
Ganz eigen! Ganz naiv!
Der Prinz ein Staatsgefangner, und der Kö-
nig
noch ſelber ungewiß warum?
Er war
nicht einmal hier, ihm Rechenſchaft zu geben?
Wie nahm es denn der König auf?
Der König
ſprach noch kein Wort.
Was war das? Still!
[409]Vierter Akt.
Graf Lerma!
Was geht hier vor?
Mit dieſem Ton des Schreckens!
Wenn dieſer aufgefangne Brief? — Mir
ahndet
nichts gutes, Herzog.
Lerma läßt er rufen!
und wiſſen muß er doch, daß Sie und ich
im Vorſaal —
Unſre Zeiten ſind vorbei.
Bin ich derſelbe denn nicht mehr, dem hier
ſonſt alle Thüren ſprangen? Wie iſt alles
verwandelt um mich her — wie fremd —
D d 2
[410]Dom Karlos.
lauſchend davor ſtehen.
Horch!
Alles
iſt todtenſtill. Man hört ſie Athem hohlen.
Die doppelte Tapete dämpft den Schall.
Hinweg! Man kommt.
Mir iſt ſo feierlich,
ſo bang, als ſollte dieſer Augenblick
ein großes Loos entſcheiden.
[411]Vierter Akt.
Sechs und zwanzigſter Auftritt.
von Feria und Medina Sidonia mit
noch einigen andern Granden treten auf.
Die Vorigen.
Iſt der König
zu ſprechen?
Nein.
Nein? Wer iſt bei ihm?
Marquis
von Poſa ohne Zweifel?
Den
erwartet man ſo eben.
Dieſen Augenblick
ſind wir von Saragoßa eingetroffen.
[412]Dom Karlos.
Der Schrecken geht durch ganz Madrid —
Iſt es
denn wahr?
Ja leider.
Es iſt wahr? Er iſt
durch den Maltheſer in Verhaft genommen?
So iſt’s.
Warum? Was iſt geſchehn?
Warum?
Das weiß kein Menſch, als Seine Majeſtät
und Marquis Poſa.
Ohne Zuziehung
der Kortes ſeines Königreichs! —
Weh dem,
der Theil gehabt an dieſer Staatsverletzung.
[413]Vierter Akt.
Weh ihm! So ruf’ ich auch.
Ich auch.
Die übrigen Granden.
Wir alle.
Wer folgt mir in das Kabinet? — Ich werfe
mich zu des Königs Füßen.
Herzog Alba!
Endlich!
Gelobt ſei Gott!
Wenn der Maltheſer kommt,
der Herr iſt jetzo nicht allein; er wird
ihn rufen laſſen —
[414]Dom Karlos.
wartung um ihn verſammeln.
Graf, was iſt geſchehen?
Sie ſind ja blaß wie eine Leiche.
Das
iſt teufeliſch.
Was denn? Was denn?
Was macht
der König?
Teufeliſch! Was denn?
Der König hat
geweint.
Geweint!
Der König hat geweint!
[415]Vierter Akt.
Graf, noch ein Wort — Verziehen Sie —
Weg iſt er!
Da ſtehn wir angefeſſelt von Entſetzen.
Sieben und zwanzigſter Auftritt.
dina Sidonia. Parma. Domingo
und übrige Granden.
Wo iſt der König? Wo? Ich muß ihn
ſprechen.
Sie, Herzog, führen mich zu ihm.
Der König
hat wichtige Verhinderung. Kein Menſch
wird vorgelaſſen.
[416]Dom Karlos.
Unterzeichnet er
das fürchterliche Urtheil ſchon? Er iſt
belogen. Ich beweiſ’ es ihm, daß er
belogen iſt.
Prinzeſſinn Eboli?
Sie auch da, Prieſter? Recht! Sie brauch’ ich
eben.
Sie ſollen mir’s bekräftigen.
fortreißen.
Ich? — Sind
Sie bei Sich, Fürſtinn?
Bleiben Sie zurück.
Der König hört Sie jetzt nicht an.
Er muß
mich hören. Wahrheit muß er hören —
Wahrheit!
[417]Vierter Akt.
und wär’ er zehenmal ein Gott!
Weg! Weg!
Sie wagen alles. Bleiben Sie zurück.
Menſch, zittre Du vor Deines Götzen Zorn.
Ich habe nichts zu wagen.
Er eilt auf Domingo zu und umarmt ihn.
Laſſen Sie
in allen Kirchen ein Te Deum tönen.
Der Sieg iſt unſer.
Unſer?
Jetzt hinein
zum Herrn. Sie ſollen weiter von mir hören.
[[418]]
Fünfter Akt.
Erſter Auftritt.
durch eine eiſerne Gitterthüre von
einem großen Vorhofe abgeſondert,
in welchem Wachen auf- und
nieder gehen.
den Kopf vorwärts auf die Arme gelegt, als
wenn er ſchlummerte. Im Hintergrunde des
Zimmers einige Offiziere, die mit ihm einge-
ſchloſſen ſind. Marquis von Poſa tritt her-
ein, ohne von ihm bemerkt zu werden, und
ſpricht leiſe mit den Offizieren, welche ſich ſo-
gleich entfernen. Er ſelbſt tritt ganz nahe vor
Karlos und betrachtet ihn einige Augenblicke
ſchweigend und traurig. Endlich macht er eine
Bewegung, welche dieſen aus ſeiner Betäubung
erweckt.
[419]Fünfter Akt.
ſchrocken zuſammen. Dann ſieht er ihn eine Weile mit
großen ſtarren Augen an, und ſtreicht mit der Hand über
die Stirne, als ob er ſich auf etwas beſinnen wollte.
Ich bin es, Karl.
Du kommſt ſogar noch zu mir!
Das iſt doch ſchön von Dir.
Ich bildete
mir ein, Du könnteſt Deinen Freund hier
brauchen.
Wahrhaftig? Meinteſt Du das wirklich?
Sieh!
Das freut mich — freut mich unbeſchreiblich.
Ach!
ich wußt’ es wohl, daß Du mir gut geblieben.
Ich hab’ es auch um Dich verdient
[420]Dom Karlos.
Nicht wahr?
O wir verſtehen uns noch ganz. So hab’
ich’s gerne. Dieſe Schonung, dieſe Milde
ſteht großen Seelen an, wie Du und ich.
Laß ſein, daß meiner Foderungen eine
unbillig und vermeſſen war; mußt Du
mir darum auch die billigen verſagen?
Hart kann die Tugend ſein, doch grauſam nie,
unmenſchlich nie — Ich kann ja nicht da-
für,
daß Deine Pflichten meine Freuden würgen.
Du weißt’s, wir können nicht dafür — Be-
weinen
kannſt Du mich immer —
Du verkennſt mich, Karl.
Unwürdig bin ich Deiner nie geweſen.
Ich aber Deiner.
Laß mich reden, Karl.
Was Du von mir zu hören haſt, iſt viel,
und unſrer Muße wenig.
[421]Fünfter Akt.
Laß es gut ſein.
Ich glaube Dir — Es hat Dichviel ge-
koſtet!
O ja, mir däucht, ich weiß recht gut, wie ſehr
geblutet hat Dein ſanftes Herz, als Du
Dein Opfer ſchmückteſt zum Altare.
Karlos!
Wie meinſt Du das?
Du ſelbſt wirſt jetzt vollenden,
was ich geſollt und nicht gekonnt — Du wirſt
den Spaniern die goldnen Tage ſchenken,
die ſie von mir umſonſt gehofft. Mit mir
iſt es ja aus — auf immer aus. Das haſt
Du eingeſehn — O dieſe fürchterliche Liebe
hat alle frühe Blüthen meines Geiſtes
unwiederbringlich hingerafft. Ich bin
für Deine großen Hoffnungen geſtorben.
Vorſehung oder Zufall führen Dir
den König zu — Es koſtet mein Geheimniß,
und er iſt Dein — Du kannſt ſein Engel
werden.
Für mich iſt keine Rettung mehr — vielleicht
[422]Dom Karlos.
für Spanien — Ach hier iſt nichts ver-
dammlich,
nichts, nichts, als meine raſende Verblendung,
bis dieſen Tag nicht eingeſehn zu haben,
daß Du — ſo groß als zärtlich biſt.
Nein! Das,
das hab’ ich nicht vorhergeſehen — nicht
vorhergeſehn, daß eines Freundes Großmuth
erfinderiſcher könnte ſein, als meine
weltkluge Sorgfalt. Mein Gebäude ſtürzt
zuſammen — Ich vergaß Dein Herz.
Zwar wenn Dir’s möglich wär’ geweſen, ihr
dieß Schickſal zu erſparen — ſieh, das hätte
ich unausſprechlich Dir gedankt. Konnt’ ich
denn nicht allein es tragen? Mußte ſie
das zweite Opfer ſein? — Doch ſtill da-
von.
Ich will mit keinem Vorwurf Dich beladen.
Was geht die Königinn Dich an? Liebſt Du
die Königinn? Soll Deine ſtrenge Tugend
die kleinen Sorgen meiner Liebe fragen?
Verzeih mir — ich war ungerecht.
[423]Fünfter Akt.
Du biſt’s.
Doch — dieſes Vorwurfs wegen nicht. Ver-
dient’
ich Einen, dann verdient’ ich alle — und
dann würd’ ich ſo nicht vor Dir ſtehen.
Hier
ſind von den Briefen ein’ge wieder, die
Du in Verwahrung mir gegeben. Nimm
ſie zu Dir.
quis an.
Wie?
Ich gebe ſie Dir wieder,
weil ſie in Deinen Händen ſich’rer jetzt
ſein dürften als in Meinen.
Was iſt das?
Der König las ſie alſo nicht? bekam
ſie gar nicht zu Geſichte?
E e
[424]Dom Karlos.
Dieſe Briefe?
Du zeigteſt ihm nicht alle?
Wer ſagt Dir,
daß ich ihm Einen zeigte?
Iſt es möglich?
Graf Lerma.
Der hat Dir geſagt? — Ja! Nun
wird alles, alles offenbar! Wer konnte
das auch vorausſehn? — Lerma alſo? —
Nein,
der Mann hat Lügen nie gelernt. Ganz recht,
die andern Briefe liegen bei dem König.
Weßwegen bin ich aber hier?
Zur Vorſicht,
wenn Du vielleicht zum zweitenmal verſucht
[425]Fünfter Akt.
ſein möchteſt, eine Eboli zu Deiner
Vertrauten zu erwählen —
Ha! Nun endlich!
Jetzt ſeh’ ich — jetzt wird alles Licht —
Wer kommt?
Zweiter Auftritt.
dieſen ganzen Auftritt den Rücken zuwendend.
Prinz, Sie ſind frei. Der König ſchickt
mich ab,
es Ihnen anzukündigen.
gen ſtill.
E e 2
[426]Dom Karlos.
Der König
kann nach Gefallen ſtrafen und begnaden;
nur wundert mich, den Prinzen frei zu ſehen,
bevor man mir Gehör geſchenkt.
Zugleich
ſchätz’ ich mich glücklich, Prinz, der erſte ſein
zu dürfen, der die Gnade hat —
Pauſe zum Herzog:
Ich werde
gefangen eingeſetzt und frei erklärt,
und ohne mir bewußt zu ſein, warum
ich beides werde?
Aus Verſehen, Prinz,
ſo viel ich weiß, zu welchem irgend ein —
Betrüger den Monarchen hingeriſſen.
Doch aber iſt es auf Befehl des Königs,
daß ich mich hier befinde?
[427]Fünfter Akt.
Ja, durch ein
Verſehen Seiner Majeſtät.
Das thut
mir wirklich leid — Doch wenn der König ſich
verſieht, kommt es dem König zu, in eigner
Perſon den Fehler wieder zu verbeſſern.
ſtolze Herabſetzung gegen den Herzog.
Man nennt mich hier Dom Philipps Sohn.
Die Augen
der Läſterung und Neugier ruhn auf mir.
Was Seine Majeſtät aus Pflicht gethan,
will ich nicht ſcheinen ihrer Huld zu danken.
Sonſt bin ich auch bereit, vor dem Gerichte
der Kortes mich zu ſtellen — Meinen Degen
nehm’ ich aus ſolcher Hand nicht an.
Der König
wird keinen Anſtand nehmen, Eurer Hoheit
dieß billige Verlangen zu gewähren,
wenn Sie vergönnen wollen, daß ich Sie
zu ihm begleiten darf —
[428]Dom Karlos.
Ich bleibe hier,
bis mich der König, oder ſein Madrid
aus dieſem Kerker führen. Bringen Sie
ihm dieſe Antwort.
im Vorhof verweilen und Befehle austheilen.
Dritter Auftritt.
Karlos und Marquis von Poſa.
Erſtaunen zum Marquis.
Was iſt aber das?
Erkläre mir’s. Biſt Du denn nicht Miniſter?
Ich bin’s geweſen, wie Du ſiehſt.
O Karl,
es hat gewirkt. Es hat. Es iſt gelungen.
[429]Fünfter Akt.
Jetzt iſt’s gethan. Geprieſen ſei die Allmacht,
die es gelingen ließ.
Gelingen! Was?
Ich faſſe Deine Worte nicht.
Du biſt
gerettet, Karl — biſt frei — und ich —
Und Du?
Und ich — — — ich drücke Dich an meine
Bruſt
zum erſtenmal mit vollem, ganzem Rechte;
ich hab’ es ja mit allem, allem was
mir theuer iſt, erkauft — O Karl, wie ſüß,
wie groß iſt dieſer Augenblick! Ich bin
mit mir zufrieden.
Welche plötzliche
Veränderung in Deinen Zügen! So
[430]Dom Karlos.
hab’ ich Dich nie geſehen. Stolzer hebt
ſich Deine Bruſt, und Deine Blicke leuchten
wie eines höhern Weſens.
Freude der
Vollendung. Meine Bahn iſt aus. Jetzt iſt
die Reih’ an Dir, die Deinige zu wandeln.
Wir müſſen Abſchied nehmen, Karl. Erſchrick
nicht.
O ſei ein Mann. Was Du auch hören wirſt,
verſprich mir, Karl, nicht durch unbänd’gen
Schmerz,
unwürdig großer Seelen, dieſe Trennung
mir zu erſchweren — Du verlierſt mich,
Karl —
auf viele Jahre — Thoren nennen es
auf ewig.
antwortet nichts.
Sei ein Mann. Ich habe ſehr
auf Dich gerechnet, hab’ es nicht vermieden,
die bange Stunde mit Dir auszuhalten,
die man die letzte ſchrecklich nennt — Ja,
ſoll
ich Dir’s geſtehen, Karl? ich habe mich
[431]Fünfter Akt.
darauf gefreut — Komm, laß uns nieder-
ſitzen —
ich fühle mich erſchöpft und matt.
todten Erſtarrung iſt, und ſich unwillkührlich von ihm
niederziehen läßt.
Wo biſt Du?
Du gibſt mir keine Antwort? — Ich will
kurz ſein.
Den Tag nachher, als wir zum letztenmal
bei den Karthäuſern uns geſehn, ließ mich
der König zu ſich fodern. Den Erfolg
weißt Du, weiß ganz Madrid. Das weißt
Du nicht,
daß Dein Geheimniß ihm verrathen worden,
daß Briefe, in der Königinn Schatulle
gefunden, wider Dich gezeugt, daß ich
aus ſeinem eignen Munde dieß erfahren,
und daß — ich ſein Vertrauter war.
harrt in ſeinem Stillſchweigen.
Ja, Karl!
Mit meinen Lippen brach ich meine Treue.
Ich ſelbſt regierte das Komplott, das Dir
den Untergang bereitete. Zu laut
ſprach ſchon die That. Dich frei zu ſprechen,
war
[432]Dom Karlos.
zu ſpät. Mich ſeiner Rache zu verſichern,
war alles, was mir übrig blieb — und ſo
ward ich Dein Feind, Dir kräftiger zu die-
nen. — — —
Du hörſt mich nicht?
Ich höre. Weiter. Weiter.
Bis hieher bin ich ohne Schuld. Doch bald
verrathen mich die ungewohnten Strahlen
der neuen königlichen Gunſt. Der Ruf
dringt bis zu Dir, wie ich vorhergeſehen.
Doch ich, von falſcher Zärtlichkeit beſtochen,
von ſtolzem Wahn geblendet, ohne Dich
das Wageſtück zu enden, unterſchlage
der Freundſchaft mein gefährliches Geheim-
niß.
Das war die große Übereilung! Schwer
hab’ ich gefehlt. Ich weiß es. Raſerei
war meine Zuverſicht. Verzeih’ — ſie war
auf Deiner Freundſchaft Ewigkeit gegründet.
ſteinerung in lebhafte Bewegungen über.
Was ich befürchte, geſchieht. Man läßt
Dich zittern vor erdichteten Gefahren.
[433]Fünfter Akt.
Die Königinn in ihrem Blut — das
Schrecken
des wiederhallenden Pallaſtes — Lerma’s
unglückliche Dienſtfertigkeit — zuletzt
mein unbegreifliches Verſtummen, alles
beſtürmt Dein überraſchtes Herz — Du
wankſt —
gibſt mich verloren — Doch, zu edel
ſelbſt,
an Deines Freundes Redlichkeit zu zweifeln,
ſchmückſt Du mit Größe ſeinen Abfall aus,
nun erſt wagſt Du, ihn treulos zu behaup-
ten,
weil Du noch treulos ihn verehren darfſt.
Verlaſſen von dem Einzigen wirfſt Du
der Fürſtinn Eboli Dich in die Arme —
Unglücklicher! in eines Teufels Arme,
denn dieſe war’s, die Dich verrieth.
Ich ſehe
Dich dahin eilen. Eine ſchlimme Ahndung
fliegt durch mein Herz. Ich folge Dir. Zu
ſpät.
Du liegſt zu ihren Füßen. Das Geſtändniß
floh über Deine Lippen ſchon. Für Dich
iſt keine Rettung mehr —
[434]Dom Karlos.
Nein. Nein. Sie war
gerührt. Du irreſt Dich. Gewiß war ſie
gerührt.
Da wird es Nacht vor meinen Sinnen!
Nichts — Nichts — Kein Ausweg — Keine
Hülfe — keine
im ganzen Umkreis der Natur! Verzweiflung
macht mich zur Furie, zum Thier — ich ſetze
den Dolch auf eines Weibes Bruſt — Doch
jetzt —
jetzt fällt ein Sonnenſtrahl in meine Seele.
Karl — ein Gedanke, groß und kühn — zu
Deiner
Errettung durch ein Wunder mir geſendet!
„Wenn ich den König irrte? Wenn es mir
gelänge, ſelbſt der Schuldige zu ſcheinen?
Wahrſcheinlich oder nicht! — für ihn genug,
ſcheinbar genug für König Philipp, weil
es übel iſt! Es ſei! ich will es wagen.
Vielleicht ein Donner, der ſo unverhofft
ihn trifft, macht den Tirannen ſtutzen — und
was will ich mehr? Er überlegt, und Karl
hat Zeit gewonnen, nach Brabant zu flüch-
ten.“
[435]Fünfter Akt.
Und das — das hätteſt Du gethan?
Ich ſchreibe
an Wilhelm von Oranien, daß ich
die Königinn geliebt, daß mir’s gelungen,
in dem Verdacht, der fälſchlich Dich gedrückt,
des Königs Argwohn zu entgehn — daß ich
durch den Monarchen ſelbſt den Weg gefun-
den,
der Königinn mich frei zu nah’n. Ich ſetze
hinzu, daß ich entdeckt zu ſein beſorge,
daß Du, von meiner Leidenſchaft belehrt,
zur Fürſtinn Eboli geeilt, vielleicht
durch ihre Hand die Königinn zu warnen —
daß ich Dich hier gefangen nahm, und nun,
weil alles doch verloren, Willens ſei,
nach Brüſſel mich zu werfen — — — Die-
ſen Brief —
Haſt Du der Poſt doch nicht vertraut? Du
weißt,
daß alle Briefe nach Brabant und Flan-
dern —
[436]Dom Karlos.
Dem König ausgeliefert werden — — Wie
die Sachen ſtehn, hat Taxis ſeine Pflicht
bereits gethan.
Gott! So bin ich verloren.
Du? Warum Du?
Unglücklicher, und Du
biſt mit verloren. Dieſen ungeheuern
Betrug kann Dir mein Vater nicht vergeben.
Nein! Den vergibt er nimmermehr?
Betrug?
Du biſt zerſtreut. Beſinne Dich. Wer ſagt
ihm,
daß es Betrug geweſen?
Wer, fragſt Du?
Ich ſelbſt.
[437]Fünfter Akt.
Du raſeſt. Bleib zurück.
Weg! Weg!
Um Gottes willen. Halte mich nicht auf.
Indem ich hier verweile, dingt er ſchon
die Mörder.
Deſto edler iſt die Zeit.
Wir haben uns noch viel zu ſagen.
Was?
Eh’ er noch alles —
Arme und ſieht ihn bedeutend an.
Höre Karlos — War
ich auch ſo eilig, ſo gewiſſenhaft,
da Du für mich geblutet haſt — ein Knabe?
O gute Vorſicht!
[438]Dom Karlos.
Rette Dich für Flandern!
Das Königreich iſt Dein Beruf. Für Dich
zu ſterben war der meinige.
innigſten Empfindung.
Nein! Nein!
Er wird — er kann nicht widerſtehn! So vieler
Erhabenheit nicht widerſtehn! — Ich will
Dich zu ihm führen. Arm in Arme wollen
wir zu ihm gehen. Vater, will ich ſagen,
das hat ein Freund für ſeinen Freund gethan.
Es wird ihn rühren. Glaube mir: er iſt
nicht ohne Menſchlichkeit, mein Vater. Ja!
Gewiß! es wird ihn rühren. Seine Augen
werden
von warmen Thränen übergehn, und Dir
und mir wird er verzeihen —
ſpringt auf.
Ha! Wem galt das?
Ich glaube — mir.
[439]Fünfter Akt.
Boden.
O himmliſche
Barmherzigkeit!
Er iſt geſchwind — der König —
Ich hoffte — länger — Denk’ auf Deine Ret-
tung —
Hörſt Du? — auf Deine Rettung — Dei-
ne Mutter
weiß alles — ich kann nicht mehr —
Nach einiger Zeit tritt der König herein, von vielen
Granden begleitet, und fährt bei dieſem Anblick betreten
zurück. Eine allgemeine und tiefe Pauſe. Die Gran-
den ſtellen ſich in einen halben Kreis um dieſe beiden
und ſehen wechſelsweiſe auf den König und ſeinen Sohn.
Dieſer liegt noch ohne alle Zeichen des Lebens — der
König betrachtet ihn mit nachdenkender Stille.
F f
[440]Dom Karlos.
Vierter Auftritt.
Herzoge von Alba, Feria, und Medina
Sidonia. Der Prinz von Parma. Graf
Lerma. Domingo und viele Granden.
Deine Bitte
hat Statt gefunden, mein Infant. Hier bin
ich,
ich ſelbſt, mit allen Großen meines Reichs,
Dir Freiheit anzukündigen.
der aus dem Traume erwacht. Seine Augen heften ſich
bald auf den König, bald auf den Todten. Er antwor-
tet nicht.
Empfange
Dein Schwert zurück. Man hat zu raſch
verfahren.
ſich aufrichten.
Mein Sohn iſt nicht an ſeinem Platz. Steh
auf.
Komm in die Arme Deines Vaters.
[441]Fünfter Akt.
beſinnt ſich aber plötzlich, hält inne und ſieht ihn ge-
nauer an.
Dein
Geruch iſt Mord. Ich kann Dich nicht um-
armen.
wegung.
Nein! Steht nicht ſo betroffen da! Was hab’
ich ungeheures denn gethan? Des Himmels
Geſalbten angetaſtet? Fürchtet nichts.
Ich lege keine Hand an ihn. Seht ihr
das Brandmahl nicht an ſeiner Stirne? Gott
hat ihn gezeichnet.
Folgt mir, meine Granden.
Wohin? Nicht von der Stelle, Sire —
kommt mit der einen das Schwert zu faſſen, das der
König mitgebracht hat. Es fährt aus der Scheide.
F f 2
[442]Dom Karlos.
Das Schwert
gezückt auf Deinen Vater?
Königsmord!
in der andern.
Steckt Eure Schwerter ein. Was wollt Ihr?
Glaubt
Ihr, ich ſei raſend? Nein, ich bin nicht ra-
ſend.
Wär’ ich’s, ſo thatet Ihr nicht gut, mich zu
erinnern, daß auf meines Schwertes Spitze
ſein Leben ſchwebt.
König.
Ich bitte, haltet Euch,
entfernt. Verfaſſungen, wie meine, wollen
geſchmeichelt ſein — drum bleibt zurück. Was
ich
mit dieſem König abzumachen habe,
geht Euern Leheneid nichts an. Seht nur
[443]Fünfter Akt.
wie ſeine Finger bluten! Seht ihn recht an!
Seht Ihr? O ſeht auch hieher — Das
hat er
gethan, der große Künſtler!
drängen wollen.
Tretet alle
zurück. Wovor erzittert Ihr? — Sind wir
nicht Sohn und Vater? Ich will doch er-
warten,
zu welcher Schandthat die Natur —
Natur?
Ich weiß von keiner. Mord iſt jetzt die Lo-
ſung.
Der Menſchheit Bande ſind entzwei. Du
ſelbſt
haſt ſie zerriſſen, Sire, in Deinen Reichen.
Soll ich verehren was Du höhnſt? — O
ſeht!
Seht hieher! Es iſt noch kein Mord geſchehen
als heute — Gibt es keinen Gott? Was?
Dürfen
in ſeiner Schöpfung Könige, ſo hauſen?
[444]Dom Karlos.
Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange
Mütter
geboren haben, iſt nur Einer — Einer
ſo unverdient geſtorben — Weißt Du auch,
was Du gethan haſt? Nein, er weiß es nicht,
weiß nicht, daß er ein Leben hat geſtohlen
aus dieſer Welt, das wichtiger und edler
und theurer war, als er mit ſeinem ganzen
Jahrhundert. Ein gemeiner Bettler, der
ein Heiligthum erbrach und eine Perle
draus ſtahl — um zwei Realen zu verdienen!
So heillos mußteſt du dahin! — O es
iſt ſchrecklich!
Wenn ich allzuraſch geweſen,
geziemt es Dir, für den ich es geweſen,
mich zur Verantwortung zu ziehen?
Wie?
Iſt’s möglich? Sie errathen nicht? er-
rathen
noch nicht, wer mir der Todte war? So arm
iſt die Vernunft bei einem armen Herzen!
Der Todte — O ſagt Ihr es ihm — helft
ſeiner
[445]Fünfter Akt.
Allwiſſenheit das ſchwere Räthſel löſen.
Der Todte war mein Freund.
Und wollt Ihr wiſſen,
warum er ſtarb? Für mich iſt er geſtorben.
Ha! meine Ahndung!
Blutender, vergib,
daß ich vor ſolchen Ohren es entweihe!
Doch dieſer große Menſchenkenner ſinke
für Scham dahin, daß ſeine graue Weisheit
der Scharfſinn eines Jünglings überliſtet.
Ja, Sire! Wir waren Brüder! Brüder
durch
ein edler Band, als die Natur es ſchmiedet.
Sein ſchöner Lebenslauf war Liebe. Liebe
für mich ſein großer, ſchöner Tod. Mein
war er,
als Sie mit ſeiner Achtung groß gethan,
als ſeine ſcherzende Beredſamkeit
mit Ihrem ſtolzen Rieſengeiſte ſpielte.
Ihn zu beherrſchen wähnten Sie — und wa-
ren
ein folgſam Werkzeug ſeiner höhern Plane.
[446]Dom Karlos.
Daß ich gefangen bin, war ſeiner Freundſchaft
durchdachtes Werk. Mich zu erretten, ſchrieb
er an Oranien den Brief — O Gott!
er war die erſte Lüge ſeines Lebens!
Mich zu erretten, warf er ſich dem Tod,
den er erlitten hat, entgegen. Sie
beſchenkten ihn mit Ihrer Gunſt — er ſtarb
für mich! — Ihr Herz, Ihr königlich
Vertrauen — Ihre Freundſchaft drangen Sie
ihm auf,
Ihr Zepter war das Spielwerk ſeiner Hände,
er warf es hin, und ſtarb für mich!
auf den Boden geheftet. Alle Granden ſehen betreten
und furchtſam auf ihn.
Und war
es möglich? Dieſer groben Lüge konnten
Sie Glauben ſchenken? Wie gering’ mußt’ er
Sie ſchätzen, da er’s unternahm, bei Ihnen
mit dieſem plumpen Gaukelſpiel zu reichen!
Um ſeine Freundſchaft wagten Sie zu buhlen,
und unterlagen dieſer leichten Probe!
O nein — nein, das war nichts für Sie.
Das war
kein Menſch für Sie! Das wußt’ er ſelbſt
recht gut,
als er mit allen Kronen Sie verſtoßen.
[447]Fünfter Akt.
Dieß feine Saitenſpiel zerbrach in Ihrer
metallnen Hand. Sie konnten nichts, als ihn
ermorden.
und mit ſichtbarer Unruhe die Bewegungen beobachtet,
welche in ſeinem Geſichte arbeiten. Jetzt nähert er ſich
ihm furchtſam.
Sire — nicht dieſe Todtenſtille. Sehen
Sie um Sich. Reden Sie mit uns.
Sie waren
ihm nicht gleichgültig. Seinen Antheil hatten
Sie längſt. Vielleicht! Er hätte Sie noch
glücklich
gemacht. Sein Herz war reich genug, Sie
ſelbſt
von ſeinem Überfluſſe zu vergnügen.
Die Splitter ſeines Geiſtes hätten Sie
zum Gott gemacht. Sich ſelber haben Sie
beſtohlen — O der königlichen Dummheit,
die ſo viel göttliches zerſtört! Was werden
Sie bieten, eine Seele zu erſtatten,
wie dieſe war? Und könnten Sie noch einmal
die Blüthenzeit des Lebens wiederhohlen,
ja, könnten Sie, das unerbittliche
[448]Dom Karlos.
Geſetz der Sterblichkeit beſtechen, mit
der Weltgeſchichte altern, Ihre Krone
bis zu der großen Auferſtehung tragen —
Umſonſt! Vergebens! Sie erſchwingen keinen
Gedanken, keinen, wie der ſchlechteſte
in dieſem blutenden Gehirne. Das
erſchafft in ihrem langen Greiſenalter
nur Einmal die Natur — und hier — hier —
Heiland
der Welt! Da liegt er todt zu meinen Füßen.
weg oder verhüllen das Geſicht in ihren Mänteln.
O die ihr hier verſammelt ſteht, und vor Ent-
ſetzen
und vor Bewunderung verſtummt — ver-
dammet
den Jüngling nicht, der dieſe Sprache gegen
den Vater und den König führt — Seht
hieher!
Für mich iſt er geſtorben! Habt Ihr Thränen?
Fließt Blut, nicht glühend Erz, in Euern
Adern?
Seht hieher und verdammt mich nicht.
Gelaſſenheit.
[449]Fünfter Akt.
Vielleicht
erwarten Sie, wie dieſe unnatürliche Ge-
ſchichte
ſich enden wird? — Hier iſt mein Schwert.
Sie ſind
mein König wieder. Denken Sie, daß ich
vor Ihrer Rache zittre? Morden Sie
mich auch, wie Sie den Edelſten gemordet.
Mein Leben iſt verwirkt. Ich weiß. Was iſt
mir jetzt das Leben? Hier entſag’ ich allem,
was mich auf dieſer Welt erwartet. Suchen
Sie unter Fremdlingen Sich einen Sohn —
Da liegen meine Reiche —
dem folgenden keinen Antheil mehr. Man hört unter-
deſſen von ferne ein verworrenes Getöſe von Stimmen,
ein Zuſammenlauten von Glocken, und ein Gedräng
vieler Menſchen. Um den König herum iſt eine tiefe
Stille. Seine Augen durchlaufen den ganzen Kreis,
aber niemand begegnet ſeinen Blicken.
Nun? Will niemand
antworten? — Jeder Blick am Boden —
jedes
Geſicht verhüllt! — Mein Urtheil iſt ge-
ſprochen.
In dieſen ſtummen Mienen leſ’ ich es
[450]Dom Karlos.
verkündigt. Meine Unterthanen haben mich
gerichtet.
näher und wird lauter. Durch die umſtehenden Granden
läuft ein Gemurmel, ſie geben ſich unter einander ver-
legene Winke; Graf Lerma ſtößt endlich leiſe den Her-
zog von Alba an.
Warlich! Das iſt Sturm!
So fürcht’ ich.
Iſt das nicht Sturm?
Sturm! Sturm von allen Thürmen!
Man dringt herauf. Man kommt.
[451]Fünfter Akt.
Fünfter Auftritt.
Vorigen.
Rebellion!
Wo iſt der König?
König.
Ganz Madrid in Waffen!
Zu Tauſenden umringt der wüthende
Soldat, der Pöbel den Pallaſt. Prinz Karlos,
verbreitet man, ſei in Verhaft genommen,
ſein Leben in Gefahr. Das Volk will ihn
lebendig ſehen oder ganz Madrid
in Flammen aufgehn laſſen.
Rettet! Rettet
den König!
Flüchten Sie Sich, Sire — Es hat
[452]Dom Karlos.
Gefahr — Noch wiſſen wir nicht, wer
den Pöbel waffnet —
Durch die Souterrains
hinunter nach Aranjuez —
Sie geben
uns nichts zur Antwort — Sire — Rebel-
lion —
Rebellion — Sie ſchweigen.
mit Majeſtät unter ſie.
Steht mein Thron noch?
Bin ich noch König dieſes Landes? — Nein.
Ich bin es nicht mehr. Dieſe Memmen weinen,
von einem Knaben weich gemacht. Man
wartet
nur auf die Loſung, von mir abzufallen.
Ich bin verrathen von Rebellen.
Sire,
welch fürchterliche Phantaſie!
[453]Fünfter Akt.
Dorthin!
Dort werft Euch nieder! Vor dem blühenden,
dem jungen König werft Euch nieder — Ich
bin nichts mehr — ein ohnmächt’ger Greis!
Dahin
iſt es gekommen!
Spanier!
mit gezogenen Schwertern vor ihm nieder. Karlos bleibt
allein und von allen verlaſſen bei dem Leichnam.
Bekleidet
ihn mit dem königlichen Schmuck — Auf
meiner
zertretnen Leiche tragt ihn —
Hülfe! Gott!
Gott! welcher Zufall!
[454]Dom Karlos.
Er iſt von ſich — Jetzt!
Nur eine Ohnmacht — Keinen Laut —
Dort unten.
Bei Eurem Leben! athmet es nicht weiter.
Rebellion im Herzen ſeiner Hauptſtadt,
und ohne Oberhaupt das Reich!
Wer ſagt das?
Bringen
Sie ihn zu Bette. Unterdeſſen geb’ ich
Madrid den Frieden.
Granden begleiten ihn.
[455]Fünfter Akt.
Sechster Auftritt.
Leichnam zurücke. Nach einigen Augenblicken
erſcheint Ludwig Merkado, ſieht ſich ſchüch-
tern um, und ſteht eine Zeit lang ſtillſchweigend
hinter dem Prinzen, der ihn nicht bemerkt.
Ich komme
von Ihrer Majeſtät der Königinn.
Mein Name iſt Merkado — Ich bin Leib-
arzt
bei Ihrer Majeſtät — und hier iſt meine
Beglaubigung.
harrt in ſeinem Stillſchweigen.
Die Königinn wünſcht ſehr
Sie heute noch zu ſprechen — wichtige
Geſchäfte —
G g
[456]Dom Karlos.
Wichtig iſt mir nichts mehr
auf dieſer Welt.
Ein Auftrag, ſagte ſie,
den Marquis Poſa hinterlaſſen —
Was?
Sogleich.
Nein! Jetzt nicht, gnäd’ger Prinz. Sie
müſſen
die Nacht erwarten. Jeder Zugang iſt
beſetzt und alle Wachen dort verdoppelt.
Unmöglich iſt es, dieſen Flügel des
Pallaſtes ungeſehen zu betreten.
Sie würden alles wagen —
Aber —
[457]Fünfter Akt.
Nur
Ein Mittel, Prinz, iſt höchſtens noch vorhan-
den —
Die Königinn hat es erdacht. Sie legt
es Ihnen vor — Doch es iſt kühn und ſelt-
ſam
und abentheuerlich.
Das iſt?
Schon längſt
geht eine Sage, wie Sie wiſſen, daß
um Mitternacht in den gewölbten Gängen
der königlichen Burg, in Mönchsgeſtalt,
der abgeſchiedne Geiſt des Kaiſers wandle.
Der Pöbel glaubt an dieß Gerücht, die Wachen
beziehen nur mit Schauer dieſen Poſten.
Wenn Sie entſchloſſen ſind, Sich dieſer
Verkleidung zu bedienen, können Sie
durch alle Wachen frei und unverſehrt
bis zum Gemach der Königinn gelangen,
das dieſer Schlüſſel öffnen wird. Vor jedem
Angriff
ſchützt Sie die heilige Geſtalt. Doch auf
G g 2
[458]Dom Karlos.
der Stelle, Prinz, muß Ihr Entſchluß gefaßt
ſein,
Das nöth’ge Kleid, die Maſke, finden Sie
in Ihrem Zimmer. Ich muß eilen, Ihrer
Majeſtät
Antwort zu bringen.
Und die Zeit?
Die Zeit
iſt zwölf Uhr.
Sagen Sie ihr, daß ſie mich
erwarten könne.
[459]Fünfter Akt.
Siebenter Auftritt.
Retten Sie Sich, Prinz.
Der König wüthet gegen Sie. Ein Anſchlag
auf Ihre Freiheit — wo nicht auf Ihr Leben.
Befragen Sie mich weiter nicht. Ich habe
mich weggeſtohlen, Sie zu warnen. Fliehen
Sie ohne Aufſchub. Noch iſt’s Zeit. Bald
dürft’ es
zu ſpät ſein.
Ich bin in den Händen
der Allmacht.
Wie die Königinn mich eben
hat merken laſſen, ſollen Sie noch heute
Madrid verlaſſen und nach Brüſſel flüchten.
Verſchieben Sie es nicht, ja nicht! Der
Aufruhr
begünſtigt Ihre Flucht. In dieſer Abſicht
hat ihn die Königinn veranlaßt. Jetzt
wird man ſich nicht erkühnen, gegen Sie
[460]Dom Karlos.
Gewalt zu brauchen. Im Karthäuſerkloſter
erwartet Sie die Poſt, und hier ſind Waffen,
wenn Sie gezwungen ſollten ſein —
Ich bin Ihr
dankbarer Schuldner, Graf von Lerma.
Reiſen
Sie glücklich — Ihre heutige Geſchichte
hat mich im Innerſten gerührt. So liebt
kein Freund mehr! Alle Patrioten weinen
um Sie. Mehr darf ich jetzt nicht ſagen.
Graf
von Lerma! Dieſer Abgeſchiedne nannte
Sie einen edlen Mann.
Noch einmal! Reiſen
Sie glücklich. Schön’re Zeiten werden kommen;
dann aber werd’ ich nicht mehr ſein. Empfan-
gen
Sie meine Huldigung ſchon hier.
[461]Fünfter Akt.
Nicht alſo —
Nicht alſo, Graf — Sie rühren mich — Ich
möchte
nicht gerne weich ſein —
König meiner Kinder!
O meine Kinder werden ſterben dürfen
für Sie. Ich darf es nicht. Erinnern Sie
Sich meiner
in meinen Kindern — Kehren Sie in Frie-
den
nach Spanien zurücke. Seien Sie
ein Menſch auf König Philipps Thron. Sie
haben
auch Leiden kennen lernen. Unternehmen Sie
nichts blut’ges gegen Ihren Vater! Ja
nichts blutiges, mein Prinz! Philipp der zweite
zwang Ihren Ältervater von dem Thron
zu ſteigen — Dieſer Philipp zittert heute
vor ſeinem eignen Sohn! Daran gedenken
Sie, Prinz — und ſo geleite Sie der Him-
mel!
[462]Dom Karlos.
einem andern Wege fortzueilen, kehrt aber plötzlich um
und wirft ſich vor dem Leichnam des Marquis nieder,
den er noch einmal in ſeine Arme ſchließt. Dann zieht
er ihm einen Ring vom Finger, ſteht auf und verläßt
ſchnell das Zimmer.
Achter Auftritt.
und Lichter werden angezündet.
Herzog von Alba und Herzog von Fe-
ria kommen im Geſpräch.
Die Stadt iſt ruhig. Wie verließen Sie
den König?
In [...] fürchterlichſten Laune.
Er hat ſich eingeſchloſſen. Was ſich auch
ereignen würde, keinen Menſchen will
er vor ſich laſſen. Die Verrätherei
des Marquis hat auf einmal ſeine ganze
[463]Fünfter Akt.
Natur verändert. Wir erkennen ihn
nicht mehr.
Ich muß zu ihm. Ich kann ihn dießmal
nicht ſchonen. Eine wichtige Entdeckung,
die eben jetzt gemacht wird —
Eine neue
Entdeckung.
Ein Karthäuſermönch, der in
des Prinzen Zimmer heimlich ſich geſtohlen,
und mit verdächt’ger Wißbegier den Tod
des Marquis Poſa ſich erzählen laſſen,
fällt meinen Wachen auf. Man hält ihn an.
Man unterſucht. Die Angſt des Todes preßt
ihm ein Geſtändniß aus, daß er Papiere
von großem Werthe bei ſich trage, die
ihm der Verſtorbne anbefohlen, in
des Prinzen Hand zu übergeben — wenn
er ſich vor Sonnenuntergang nicht mehr
ihm zeigen würde.
Nun?
[464]Dom Karlos.
Die Briefe lauten,
daß Karlos binnen Mitternacht und Morgen
Madrid verlaſſen ſoll.
Was?
Daß ein Schiff
in Cadix ſegelfertig liege, ihn
nach Vliſſingen zu bringen — daß die Staa-
ten
der Niederlande ſeiner nur erwarten,
die Span’ſche Ketten abzuwerfen.
Ha!
Was iſt das?
Andre Briefe melden,
daß eine Flotte Solimans bereits
von Rhodus ausgelaufen — den Monarchen
von Spanien, laut des geſchloßnen Bundes,
im mittelländ’ſchen Meere anzugreifen.
Iſt’s möglich?
[465]Fünfter Akt.
Eben dieſe Briefe lehren
die Reiſen mich verſtehn, die der Maltheſer
durch ganz Europa jüngſt gethan. Es galt
nichts kleineres, als alle nord’ſchen Mächte
für der Flamänder Freiheit zu bewaffnen.
Das war er!
Dieſen Briefen endlich folgt
ein ausgeführter Plan des ganzen Krieges,
der von der Span’ſchen Monarchie auf immer
die Niederlande trennen ſoll. Nichts, nichts
iſt überſehen, Kraft und Widerſtand
berechnet, alle Quellen, alle Kräfte
des Landes pünktlich angegeben, alle
Maximen, welche zu befolgen, alle
Bündniſſe, die zu ſchließen. Der Entwurf
iſt teufliſch, aber warlich — göttlich.
Welch undurchdringlicher Verräther!
Noch
beruft man ſich in dieſem Brief auf eine
[466]Dom Karlos.
geheime Unterredung, die der Prinz
am Abend ſeiner Flucht mit ſeiner Mutter
zu Stande bringen ſollte.
Wie? Das wäre
ja heute.
Dieſe Mitternacht. Auch hab’ ich
für dieſen Fall Befehle ſchon gegeben.
Sie ſehen, daß es dringend iſt. Wir dürfen
auch keinen Augenblick verlieren.
Wo aber iſt
der Prinz? Wird keine Anſtalt noch getrof-
fen,
ſich ſeiner zu verſichern?
Haben Sie
etwa —
Ich? Nein.
[467]Fünfter Akt.
Und iſt der König außer
Gefahr, ſo lange dieſer Raſende
noch frei umher geht, ſeiner Waffen mächtig?
Ich dringe in das Kabinet.
Umſonſt.
Die Thüren ſind verſchloſſen.
Ich
erbreche ſie — Die wachſende Gefahr
rechtfertigt dieſe Majeſtätsverletzung.
Der König muß gerettet ſein.
König tritt heraus.
[468]Dom Karlos.
Neunter Auftritt.
und laſſen ihn ehrerbietig mitten durch. Er kommt in
einem wachen Traume, wie eines Nachtwandlers —
Sein Anzug und ſeine Geſtalt zeigen noch die Unordnung,
worein ihn die gehabte Ohnmacht verſetzt hat. Mit lang-
ſamen Schritten geht er an den anweſenden Granden
vorbei, ſieht jeden ſtarr an, ohne einen einzigen wahr-
zunehmen. Endlich bleibt er gedankenvoll ſtehen, die
Augen zur Erde geſenkt, bis ſeine Gemüthsbewegung
nach und nach laut wird.
Gib dieſen Todten mir heraus. Ich muß
ihn wieder haben.
Reden Sie ihn an.
Er dachte klein von mir und ſtarb. Ich muß
ihn wieder haben. Er muß anders von
mir denken.
[469]Fünfter Akt.
Sire —
Wer redet hier?
Hat man
vergeſſen wer ich bin? Warum nicht auf
den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin
ich König. Unterwerfung will ich ſehen.
Setzt alles mich hintan, weil Einer mich
verachtet hat?
Vergeſſen Sie jetzt dieſen
Nichtswürd’gen, Sire —
Nichtswürdigen! Wie heißt
der Raſende, der ſolche Läſt’rung ſich
erlauben darf — Nichtswürdigen! Bei mei-
ner
Unſterblichkeit! Es wär’ Euch leichter, ohne
Sünde zu ſterben, als zu dieſer
Nichtswürdigkeit empor zu ſteigen.
[470]Dom Karlos.
Gönnen
Sie uns Gehör, mein gnädigſter Gebieter.
Ein neuer Feind, bedeutender als dieſer,
ſteht auf im Herzen Ihres Reichs —
Prinz Karlos —
Er hatte einen Freund, der in den Tod
gegangen iſt für ihn — für ihn! Mit mir
hätt’ er ein Königreich getheilt! — O
Scham!
Scham! Furie der Knechte! Auch die
Wangen
der Könige befleckt Dein ſchimpflich Feuer!
Für einen Knaben aufgeopfert — Mitten
in meinem Königreich verſchmäht! Wie ein
gemeiner Menſch, ein Überläſtiger
aus dieſem Bund geſtoßen — Das ſind
Menſchen
für mich!
Erkennen Sie uns nicht mehr, Sire?
Nicht Ihre treuen Diener mehr?
[471]Fünfter Akt.
Wie er
auf mich herunterſah! So ſtolz ſieht man
von Thronen nicht herunter. War’s nicht ſicht-
bar,
wie viel er ſich mit der Erobrung wußte?
Was er verlor, geſtand ſein Schmerz. So
wird
um nichts vergängliches geweint — um kein
Phantom zwei Leben weggeſchleudert,
zweimal mein Diadem verſchmäht. Er
wußte,
was er verlor. Ich glaub’ es ihm, vergeb’
es ihm, daß ihn der Muth verließ, dieß
Schickſal
auf einem Throne zu verſchmertzen.
Herzog,
wir dürfen länger nicht —
Daß er noch lebte!
Ich gäb’ ein Indien dafür. Troſtloſe All-
macht,
H h
[472]Dom Karlos.
die nicht einmal in Gräber ihren Arm
verlängern, eine kleine Übereilung
mit Menſchenleben nicht verbeſſern kann!
Die Todten ſtehen nicht mehr auf. Wer darf
mir ſagen, daß ich glücklich bin? Seht
nun,
wie Eure Lügen mich verlaſſen. Füllt mein
Ohr
mit Eures Lobes Glockenſpiel, laßt Eurer
Bewunderung Maſchinenwerke ſpielen,
lügt mich zum Gott und betet an. Weiß ich
nicht längſt, wie meine Spiegel wiederge-
ben?
Euch hab’ ich. Ihr ſeid mir gewiß. Im
Grabe
wohnt einer, der mir Achtung vorenthalten.
Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geiſt,
Ein freier Mann ſtand auf in dieſem gan-
zen
Jahrhundert — Einer — Er verachtet mich
und ſtirbt.
So lebten wir umſonſt! — Laßt uns
zu Grabe gehen, Spanier. Auch noch
im Tode raubt uns dieſer Menſch das Herz
des Königs!
[473]Fünfter Akt.
Wär’ er mir alſo geſtorben!
Ich hab’ ihn lieb gehabt, ſehr lieb. Er
war
mir theuer wie ein Sohn. In dieſem Jüng-
ling
ging mir ein neuer, ſchönrer Morgen auf.
Wer weiß, was ich ihm aufbehalten. Er
war meine erſte Liebe. Ganz Europa
verfluche mich! Europa mag mir fluchen.
Von dieſem hab’ ich Dank verdient.
Durch welche
Bezauberung —
Und wem bracht’ er dieß Opfer?
Dem Knaben meinem Sohne? Nimmer-
mehr.
Ich glaub’ es nicht. Für einen Knaben ſtirbt
ein Poſa nicht. Der Freundſchaft arme
Flamme
füllt eines Poſa Herz nicht aus. Das ſchlug
der ganzen Menſchheit. Seine Neigung war
H h 2
[474]Dom Karlos.
die Welt mit allen kommenden Geſchlechtern.
Sie zu vergnügen fand er einen Thron —
und geht vorüber? Dieſen Hochverrath
an ſeiner Menſchheit ſollte Poſa ſich
vergeben? Nein. Ich kenn’ ihn beſſer. Nicht
den Philipp opfert er dem Karlos, nur
den alten Mann dem Jüngling ſeinem Schü-
ler.
Des Vaters untergeh’nde Sonne lohnt
das neue Tagwerk nicht mehr. Das verſpart
man
dem nahen Aufgang ſeines Sohns — O es
iſt klar und helle. Iſt es nicht? —
Auf meinen Hintritt wird gewartet.
Leſen
Sie die Bekräftigung in dieſen Briefen.
Er könnte ſich verrechnet haben. Noch,
noch bin ich. Habe Dank, Natur. Ich fühle
in meinen Sehnen Jünglingskraft.
Ich will
ihn zum Gelächter machen. Seine Tugend
[475]Fünfter Akt.
ſei eines Träumers Hirngeſpinſt geweſen.
Er ſei geſtorben als ein Thor. Sein Sturz
erdrücke ſeinen Freund und ſein Jahrhun-
dert!
Laß ſehen, wie man mich entbehrt. Die
Welt
iſt noch auf einen Abend mein. Ich will
ihn nützen dieſen Abend, daß nach mir
kein Pflanzer mehr in zehen Menſchenaltern
auf dieſer Brandſtatt ärnten ſoll.
Er brachte
der Menſchheit, ſeinem Götzen, mich zum
Opfer.
Die Menſchheit büße mir für ihn! — Und
jetzt —
Mit ſeiner Puppe fang’ ich an.
Was war’s
mit dem Infanten? Wiederhohlt es mir.
Was lehren
mich dieſe Briefe?
Dieſe Briefe, Sire,
enthalten die Verlaſſenſchaft des Marquis
von Poſa an Prinz Karl.
[476]Dom Karlos.
ſcharf beobachtet wird. Nachdem er eine Zeit lang ge-
leſen, legt er ſie weg, und geht ſtillſchweigend durch das
Zimmer.
Man ſende zum
Großinquiſitor Kardinal. Ich laß’
ihn bitten, eine Stunde mir zu ſchenken.
iſt auf jedem Geſichte. Alba und Domingo geben ein-
ander bedeutende Winke. Der König nimmt die Pa-
piere wieder, lieſ’t fort, und legt ſie abermals weg.
In dieſer Nacht alſo?
Schlag zwei Uhr ſoll
die Poſt vor dem Karthäuſerkloſter halten.
Und Leute, die ich ausgeſendet, ſahen
verſchiednes Reiſ’geräthe, an dem Wappen
der Krone kenntlich, nach dem Kloſter tragen.
Auch, ſagt man, ſollen große Summen
auf den Namen
[477]Fünfter Akt.
der Königinn bei Mauriſchen Agenten
betrieben worden ſein, in Brüſſel zu
erheben.
Wo verließ man den Infanten?
Beim Leichnam des Maltheſers.
Den er jetzt
für ein Geſchäft, das dringender iſt, möchte
verlaſſen haben —
Iſt noch Licht in ihrem
Pavillon?
Dort iſt alles ſtill. Auch hat
ſie ihre Kammerfrauen zeitiger,
als ſonſten zu geſchehen pflegt, entlaſſen.
Die Herzoginn von Arkos, die zuletzt
aus ihrem Zimmer ging, verließ ſie ſchon
in tiefem Schlafe.
[478]Dom Karlos.
den Herzog von Feria auf die Seite und ſpricht leiſe mit
ihm. Dieſer wendet ſich betreten zum Herzog von Alba,
andre drängen ſich hinzu, und es entſteht ein Gemurmel.
Sonderbar!
Was gibt es?
Eine Nachricht, Sire, die kaum
zu glauben iſt —
Zween Schweizer, die ſo eben
von ihrem Poſten kommen, melden — Es
iſt lächerlich es nachzuſagen.
Nun?
Daß in dem linken Flügel des Pallaſts
der Geiſt des Kaiſers ſich erblicken laſſen
[479]Fünfter Akt.
und mit beherztem, feierlichen Schritt an ih-
nen
vorbei gegangen. Eben dieſe Nachricht
bekräft’gen alle Wachen, die durch dieſen
Pavillon verbreitet ſtehn, und ſetzen
hinzu, daß die Erſcheinung in den Zimmern
der Königinn verſchwunden.
Ein Betrug
kann hier nicht unterlaufen.
Und in welcher
Geſtalt erſchien er?
In dem nämlichen
Gewand, das er zum letztenmal in Juſti
als Hieronymitermönch getragen.
Als Mönch? Und alſo haben ihn die Wachen
im Leben noch gekannt? denn woher wußten
ſie ſonſt, daß es der Kaiſer war?
[480]Dom Karlos.
Daß es
der Kaiſer müſſe ſein, bewies das Zepter,
das er in Händen trug.
Auch will man ihn
ſchon öfters, wie die Sage geht, in dieſer
Geſtalt geſehen haben.
Angeredet hat
ihn niemand?
Niemand unterſtand ſich. Die
Soldaten ſprachen ihr Gebet und ließen
ihn ehrerbietig mitten durch.
Und in den Zimmern
der Königinn verlor ſich die Erſcheinung?
Im Vorgemach der Königinn.
[481]Fünfter Akt.
Wie ſagt Ihr?
Sire — wir ſind ſtumm.
Laßt meine Garden unter
die Waffen treten und jedweden Zugang
zu dieſem Flügel ſperren. Ich bin lüſtern,
ein Wort mit dieſem Geiſt zu reden.
Der
Großinquiſitor, Sire —
Verlaßt uns.
zig Jahren und blind, auf einen Stab geſtützt und von
zwei Dominikanern geführt. Wie er durch ihre Reihen
[482]Dom Karlos.
geht, werfen ſich alle Granden vor ihm meder und be-
rühren den Saum ſeines Kleides. Er ertheilt ihnen
den Segen. Alle entfernen ſich. Der König folgt ih-
nen durch zwei Zimmer und riegelt alle Thüren.
Zehnter Auftritt.
Steh’
ich vor dem König?
Ja.
Ich war mir’s nicht mehr
vermuthend.
[483]Fünfter Akt.
Ich erneure einen Auftritt
vergangner Jahre. Philipp der Infant
hohlt Rath bei ſeinem Lehrer.
Rath bedurfte
mein Zögling Karl ihr großer Vater niemals.
Um ſo viel glücklicher war er. Ich habe
Sie bitten laſſen, weil ich Ihren Beiſtand
erborgen muß.
Der Kirche oder meinen?
Der Kirche Arm und Ihren Geiſt.
Ich habe
gemordet, Kardinal, und keine Ruhe —
Weßwegen haben Sie gemordet?
[484]Dom Karlos.
Ein
Betrug, der ohne Beiſpiel iſt —
Ich weiß ihn.
Was wiſſen Sie? Durch wen? Seit
wann?
Seit Jahren,
was Sie ſeit Sonnenuntergang.
Sie haben
von dieſem Menſchen ſchon gewußt?
Sein Leben
liegt angefangen und beſchloſſen in
der Santa Caſa heiligen Regiſtern.
Und er ging frei herum!
[485]Fünfter Akt.
Das Seil, an dem
er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.
Er war ſchon außer meines Reiches Gränzen.
Wo er ſein mochte, war ich auch.
Man wußte,
in weſſen Hand ich war — Warum verſäumte
man, mich zu warnen?
Dieſe Frage geb’ ich
zurücke — Warum fragten Sie nicht an,
da Sie in dieſes Menſchen Arm Sich war-
fen?
Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte
Ihnen
den Ketzer — Was vermochte Sie, dieß
Opfer
dem heil’gen Amt zu unterſchlagen? Spielt
[486]Dom Karlos.
man ſo mit uns? Wenn ſich die Majeſtät
zur Hehlerinn erniedrigt — Könige
zweizüngeln — hinter unſerm Rücken
mit unſern ſchlimmſten Feinden ſich verſtehen,
was wird mit uns? Wenn Einer Gnade
finden
darf — Warum wurden dreimal hundert tau-
ſend
geopfert?
Er iſt auch geopfert.
Nein!
Er iſt ermordet — Ruhmlos! Liederlich! —
Das Blut,
das unſrer Ehre glorreich fließen ſollte,
hat eines Bravo Hand verſpritzt — Der
Menſch
war unſer — Was berechtigt Sie
des Ordens heil’ge Güter anzutaſten?
Durch uns zu ſterben war er da. Ihn
ſchenkte
der Nothdurft dieſes Zeitenlaufes Gott,
in ſeines Geiſtes feierlicher Schändung
[487]Fünfter Akt.
die prahlende Vernunft zur Schau zu führen.
Ihn hätten wir — auf langer Seelenfolter
zur Mißgeburt verzerrt — dem ſchaudernden
Gelächter ſeiner Rotte vorgewieſen.
Das war mein überlegter Plan. Nun liegt
ſie hingeſtreckt, die Arbeit vieler Jahre!
Wir ſind beſtohlen, und Sie haben nichts,
als blut’ge Hände.
Leidenſchaft riß mich
dahin. Vergib mir.
Leidenſchaft! — Antwortet
mir Philipp der Infant? Bin ich allein
zum alten Mann geworden? — Leidenſchaft!
Gib die Gewiſſen frei in Deinen Reichen,
wenn Du in Deinen Ketten gehſt.
Ich bin
in dieſen Dingen noch ein Neuling. Habe
Geduld mit mir.
I i
[488]Dom Karlos.
Nein! Ich bin nicht mit Ihnen
zufrieden — Ihren ganzen vorigen
Regentenlauf zu läſtern! Wo war damals
der Philipp, deſſen feſte Seele wie
der Angelſtern am Himmel unverändert
und ewig um ſich ſelber treibt? War eine
ganze
Vergangenheit verſunken hinter Ihnen?
War in dem Augenblick die Welt nicht mehr
die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?
Gift nicht mehr Gift? War zwiſchen Gut
und Übel
und Wahr und Falſch die Scheidewand gefal-
len?
Was iſt ein Vorſatz? Was Beſtändigkeit?
Was Männertreue, wenn in einer lauen
Minute eine ſechzigjähr’ge Regel
wie eines Weibes Laune ſchmilzt?
Ich ſah in ſeine Augen — Halten Sie
mir dieſen Rückfall in die Sterblichkeit
zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger
zu Ihnen. Ihre Augen ſind erloſchen.
[489]Fünfter Akt.
Was ſollte Ihnen dieſer Menſch? Was
konnte
er neues Ihnen vorzuzeigen haben,
worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen
Sie Schwärmerſinn und Neuerung ſo wenig?
Der Weltverbeßrer prahleriſche Sprache
klang Ihrem Ohr ſo ungewohnt? Wenn das
Gebäude Ihrer Überzeugung ſchon
von Worten fällt — mit welcher Stirne,
muß
ich fragen, ſchrieben Sie das Bluturtheil
der hunderttauſend ſchwachen Seelen, die
den Holzſtoß für nichts ſchlimmeres beſtiegen?
Mich
gelüſtete nach einem Menſchen. Dieſe
Domingo, die man fälſchlich mir dafür
verkaufte —
Wozu Menſchen? Menſchen ſind
für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich
die Elemente der Monarchenkunſt
mit meinem grauen Schüler überhören?
[490]Dom Karlos.
Der Erde Gott verlerne zu bedürfen,
was ihm verweigert werden kann? — Wenn
Sie
um Mitgefühle wimmern, haben Sie
der Welt nicht Ihres Gleichen zugeſtanden?
Und welche Rechte, möcht’ ich wiſſen, haben
Sie aufzuweiſen über Ihres Gleichen?
Ich bin ein kleiner Menſch, ich ſühl’s —
Du forderſt
von dem Geſchöpf, was nur der Schöpfer
leiſtet.
Nein, Sire. Mich hintergeht man nicht. Sie
ſind
durchſchaut — Uns wollten Sie entfliehen.
Des Ordens ſchwere Ketten drückten Sie;
Sie wollten frei und einzig ſein.
Wir ſind
gerochen — Danken Sie der Kirche,
[491]Fünfter Akt.
die ſich begnügt, als Mutter Sie zu ſtra-
fen.
Die Wahl, die man Sie blindlings treffen
laſſen,
war Ihre Züchtigung. Sie ſind belehrt.
Jetzt kehren Sie zu uns zurücke — Stünd’
ich heute nicht vor Ihnen — beim
lebend’gen Gett! Sie wären morgen ſo
vor mir geſtanden.
Mäßige Dich, Prieſter.
Ich duld’ es nicht. Ich kann nicht alſo mit
mir ſprechen hören.
Warum rufen Sie
den Schatten Samuels herauf? — Ich
gab
zwei Könige dem Span’ſchen Thron, und hoffte
mein Tagwerk nun gethan. Umſonſt ge-
lebt
zu haben, ſchmertzt an des Jahrhunderts
Neige.
Verzeihung, Sire — Und jetzt — Wozu
bin ich
[492]Dom Karlos.
gerufen? Meine Zeit iſt edel. Die
Minute ſteigt bei Neunzigern im Preiſe.
Was ſoll ich hier? — Ich bin nicht Wil-
lens, dieſen
Beſuch zu wiederhohlen.
Eine Arbeit!
Die letzte noch — dann überlaß’ ich Dich
dem ſtärkern Schickſal. Alſo Friede ſei
geſchloſſen zwiſchen Dir und mir. Vorbei
ſei das Vergangene. Wir ſind verſöhnt?
Wenn Philipp ſich in Demuth beugt.
Mein Sohn
iſt Hochverraths verdächtig.
Was beſchließen
Sie?
[493]Fünfter Akt.
Alles oder nichts.
Was heißt hier alles?
Ich laß’ ihn fliehen, wenn ich ihn
nicht ſterben laſſen kann.
Nun?
Können
Sie einen neuen Glauben mir erdenken,
der Kindermord des Gräßlichen entkleidet?
Die ewige Gerechtigkeit zu ſühnen,
ſtarb an dem Holze Gottes Sohn.
[494]Dom Karlos.
Sie wollen
durch ganz Europa dieſe Lehre pflanzen?
So weit, als man das Kreuz verehrt.
Ich gehe
in Kampf mit der beleidigten Natur.
Auch dieſen Richterſtuhl getrauen Sie
Sich zu beſtechen?
Vor dem Glauben
gilt keine Stimme der Natur.
Ich lege
mein Richteramt in Ihre Hände — Kann
ich ganz zurücke treten?
Geben Sie
ihn mir.
[495]Fünfter Akt.
Es iſt mein einz’ger Sohn — Wem hab’ich
geſammelt?
Der Verweſung lieber, als
der Freiheit.
Wir ſind einig. Kommen Sie.
Wohin?
Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.
[496]Dom Karlos.
Letzter Auftritt.
letzt der König mit Gefolge.
die er eben jetzt abnimmt, unter dem Arme ein bloßes
Schwert. Es iſt ganz finſter. Er nähert ſich einer
Thüre, welche geöffnet wird. Die Königinn tritt her-
aus, im Nachtkleide, mit einem brennenden Licht, wel-
ches ſie auf einen Gueridon niederſetzt. Karlos läßt
ſich vor ihr auf ein Knie nieder.
Eliſabeth!
So ſehen wir uns wieder!
So ſehen wir uns wieder!
[497]Fünfter Akt.
Stehn Sie auf. Wir wollen
einander nicht erweichen, Karl. Nicht durch
ohnmächt’ge Thränen will der große Todte
gefeiert werden. Thränen mögen fließen
für klein’re Leiden! — Er hat ſich geopfert
für Sie! Mit ſeinem theuren Leben
hat er das Ihrige erkauft — Sie fühlen
den Werth, den er durch dieſes Opfer auf
das Ihrige gelegt! — Und dieſes Blut
wär’ einem Hirngeſpinſt gefloſſen? — Kar-
los!
Ich ſelber habe gut geſagt für Sie.
Auf meine Bürgſchaft ſchied er freudiger
von hinnen. Werden Sie zur Lügnerinn
mich machen?
Einen Leichenſtein will ich
ihm ſetzen, wie noch keinem Könige zu Theil
geworden — Über ſeiner Aſche blühe
ein Paradies!
[498]Dom Karlos.
So hab’ ich Sie gewollt!
Das war die große Meinung ſeines To-
des!
Mich wählte er zu ſeines letzten Willens
Vollſtreckerinn. Ich mahne Sie. Ich werde
auf die Erfüllung dieſes Eides halten.
Und noch ein anderes Vermächtniß legte
der Sterbende in meine Hand — Ich gab
ihm
mein Wort — Und — Warum ſoll ich es
verſchweigen?
Er übergab mir ſeinen Karl — Ich trotze
dem Schein — Ich will vor Menſchen nicht
mehr zittern.
Sie ſehen, Karl, mir bangte nicht, mit Ih-
nen
allein zu ſein in dieſer Stunde — Ich
will einmal kühn ſein wie ein Freund. Mein
Herz
ſoll reden. Tugend nannt’ er unſre Liebe?
Ich glaub’ es ihm, und will mein Herz nicht
mehr — —
[499]Fünfter Akt.
Vollenden Sie nicht, Mutter! — Dieſe Lip-
pen
beflecke keine Unwahrheit! Sie haben
den Göttlichen gekannt — Eliſabeth,
das Weib, das ich anbeten ſoll, ſinkt nicht
zu mir herab und kannte dieſen — Mutter,
wir wollen uns nicht hintergehn — Ich
habe
in einem langen, ſchweren Traum gelegen.
Ich liebte — jetzt bin ich erwacht. Vergeſ-
ſen
ſei das Vergangne! Hier ſind Ihre Briefe
zurück. Vernichten Sie die meinen. Fürch-
ten
Sie keine Wallung mehr von mir. Es iſt
vorbei. Ein reiner Feuer hat mein Weſen
geläutert. Meine Leidenſchaft wohnt in den
Gräbern
der Todten. Keine ſterbliche Begierde
theilt dieſen Buſen mehr.
Ich kam, um Abſchied
zu nehmen.
K k
[500]Dom Karlos.
mit halber Stimme.
Karl —
Erſtaunen Sie nicht, Mutter.
Es iſt kein Opfer, hat mir keinen Kampf
gekoſtet. Endlich ſeh’ ich ein, es gibt
ein höher, wünſchenswerther Gut, als Dich
beſitzen. Eine kurze Nacht
hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
frühzeitig mich zum Mann gereift. Ich
habe
für dieſes Leben keine Arbeit mehr,
als die Erinnerung an ihn! In Einem
Abend
hab’ ich den Vorrath auf mein ganzes Da-
ſein
voraus empfangen und verpraßt. Vorbei
ſind alle meine Ärnten —
verhüllt.
Sagen Sie
mir gar nichts, Mutter?
[501]Fünfter Akt.
Kehren Sie Sich nicht
an meine Thränen, Karl — Ich kann nicht
anders —
Doch glauben Sie mir, ich bewundre Sie.
Sie waren unſers Bundes einzige
Vertraute — Unter dieſem Namen wer-
den
Sie auf der ganzen Welt das Theuerſte
mir bleiben. Meine Freundſchaft kann ich
Ihnen
ſo wenig, als noch geſtern meine Liebe
verſchenken an ein andres Weib — Doch
heilig
ſei mir die königliche Wittwe, führt
die Vorſicht mich auf dieſen Thron.
nen Granden, erſcheint im Hintergrunde, ohne bemerkt
zu werden.
Jetzt geh’ ich
aus Spanien, und ſehe meinen Vater
nicht wieder — Nie in dieſem Leben wieder.
[502]Dom Karlos.
Ich ſchätz’ ihn nicht mehr. Ausgeſtorben iſt
in meinem Buſen die Natur — Sein
Sie
ihm wieder Gattinn. Er hat einen Sohn
verloren. Treten Sie in Ihre Pflichten
zurück — Ich eile, mein bedrängtes Volk
zu retten von Tirannenhand. Madrid
ſieht nur als König oder Nie mich wieder.
Und jetzt zum langen Abſchied, Mutter. Küſ-
ſen
Sie Ihren Sohn.
O Karl! Was machen Sie
aus mir? — Ich kann — ich darf mich
nicht
empor zu dieſer Männergröße wagen;
doch faſſen und bewundern kann ich Sie.
Bin ich nicht ſtark, Eliſabeth? Ich halte
in meinen Armen Sie und wanke nicht.
Von dieſer Stelle hätten mich noch geſtern
des Weltgerichts Poſaunen nicht geriſſen.
[503]Fünfter Akt.
Das iſt vorbei. Jetzt trotz’ ich jedem Schick-
ſal
der Sterblichkeit. Ich hielt Sie in den Ar-
men
und wankte nicht — — — Still! was war
das?
Wie?
Hörten
Sie hinter uns nicht Athem hohlen? —
Horch!
Nichts hör’ ich, als die fürchterliche Glocke,
die uns zur Trennung lautet.
Gute Nacht denn, Mutter.
Aus Gent empfangen Sie den erſten Brief
[504]Dom Karlos.
von mir, der das Geheimniß unſ’res Um-
gangs
laut machen ſoll. Ich gehe, mit Dom Phi-
lipp
jetzt einen öffentlichen Gang zu thun.
Von nun an, will ich haben, ſei
nichts heimliches mehr unter uns. Sie
brauchen
vor der Entdeckung nicht zu zittern. Leben
Sie glücklich, Mutter. Dieß hier ſei mein
letzter
Betrug.
zwiſchen ihnen.
Es iſt Dein letzter!
Iſt Sie todt? O Himmel
und Erde!
[505]Fünfter Akt.
Kardinal! Ich habe
das Meinige gethan. Thun Sie das Ihre.
Appendix A
Leipzig,
gedruckt bei Chriſtian Friedrich Solbrig.
[]
Appendix B Druckfehler und Verbeſſerungen.
S. 39 Z. 17 ſtatt die Ketzer-Königinn lies der
Ketzer Königinn
S. 64 Z. 10 ſt. bleiben l. blieben
S. 70 Z. 22 ſt. Irrende l. Irrenden
S. 76 Z. 15 ſt. aus. l. auf.
S. 88 Z. 17 ſt. für Vergütung l. zur Vergütung
S. 131 Z. 20 ſt. Nichts beſſeres l. Nichts beß’res
S. 133 Z. 14 ſt. Ach Prinz Karlos? l. Ah Prinz
Karlos?
S. 163 Z. 25 ſt. gemeinet, wo ich gränzenlos, lies
gemeint, wo ich ſo granzenlos,
S. 164 Z. 2 ſt. ihm l. ihr
S. 171 Z. 20 ſt. rufen l. reifen
S. 196 Z. 12 ſt. Hinterließ er’s l. Hinterließ er
S. 201 Z. 17 ſt. wir ſchon l. wir’s ſchon
S. 210 Z. 15 ſt. kühnen l. kühnern
S. 215 Z. 14, 15 ſt. wer kann, l. wer
S. 251 Z. 6 ſt. San Elmo l. St Elmo
S. 266 Z. 2 ſt. Vor dieſem l. Vor dieſem Glücke
würde
S. 278 Z. 16 ſt. Rieſenarm entgegen. — l. Rieſen-
arm entgegen
S. 307 Z. 13 ſt. Souterreins l. Souterrains
S. 313 Z. 3 ſt. mir dünkt, l. mir denkt,
S. 316 Z. 2 ſt. Ach Du biſt’s. l. Ah! Du biſt’s!
S. 331 Z. 4 ſt. Ach! Sehn Sie, l. Ah! Sehn Sie,
S. 334 Z. 11 ſt. drängend l. dringend
S. 342 Z. 6 ſt. Ach! Da kommt l. Ah! Da kommt
S. 351 Z. 16 ſt. drängende l. dringende
S. 357 Z. 17 ſt. für Einen Freund l. für einen
Freund
[] S. 375. Z. 15 ſt. iſt keine Rettung mehr! l. iſt keine
Rettung mehr. Er ſtirbt.
S. 424 Z. 16. ſt. hat Lügen nie gelernt. l. hat lügen
nie gelernt.
S. 436 Z. 13 ſt. vergibt er nimmermehr? l. vergibt
er nimmermehr.
S. 454 Z. 5 ſt. Keinen Laut — Dort unten.
l. Keinen Laut dort unten.
S. 466 Z. 13 ſt. Wo aber iſt l. Wo iſt aber
S. 490 Z. 2 l. kann? ohne Fragzeichen.
S. 494 Z. 3 ſt. Lehre l. Meinung
[][][]
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 2. Dom Karlos. Dom Karlos. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmr5.0