bey Chriſtian Friedrich Himburg.
Menſchenhaß und Reue.
Schauſpiel
in fuͤnf Aufzuͤgen.
[[2]]
Perſonen.
- General Graf v. Winterſee.
- Die Graͤfin.
- Major von der Horſt, Bruder der Graͤfin in
franzoͤſiſchen Dienſten. - Lotte, Kammermaͤdchen der Graͤfin.
- Ein Kind der Graͤfin von 4 bis 5 Jahren.
- Bittermann, Haushofmeiſter und Verwalter des
- Grafen.
- Peter, ſein Sohn.
- Madam Muͤller oder Eulalia.
- Ein Unbekannter.
- Franz, ſein alter Diener.
- Zwey Kinder von 4 bis 5 Jahren.
- Ein Greis.
Erſter Aufzug.
eine armſelige Huͤtte, zwiſchen einigen Baͤu-
men verſteckt.)
Erſter Auftritt.
dem Hute erhaſcht.)
Aha! — dich hab ich erwiſcht. Ey, der iſt ge-
waltig ſchoͤn, roth und blau und gelb.
ihn an eine Nadel und ſteckt ihn auf den Huth.)
Sapper-
lot! ich bin doch ein geſcheiter Junge, wenn gleich
mein Vater immer ſpricht: dummer Peter! Der
Peter iſt aber gar nicht dumm. Da hat er ſeinen
Hut aufgedonnert, daß jeder Bauerdirne das Herz
im Leibe lachen wird. — Der Vater will immer
ſo geſcheut ſeyn, will immer alles beſſer wiſſen;
bald red’ ich zu viel, bald zu wenig, und wenn
A 2
[4] ich einmal mit mir ſelbſt rede, ſo nennt er mich
gar einen Narren: und ich rede doch am liebſten
mit mir ſelbſt, denn ich verſteh’ mich am beſten;
und ich ſelbſt lache mich auch niemals aus, wie
die andern wohl zu thun pflegen. Das Auslachen
iſt eine abſcheulich aͤrgerliche Gewohnheit. Ja,
wenn Madam Muͤller mich auslacht, das laß ich
noch hingehn; die verzieht das Maͤulchen dabey ſo
ſuͤß und artig, daß man meint, ſie lecke an einer Zu-
ckerpuppe. —
Ach poz Velten! da haͤtt’ ich beynahe vergeſſen,
warum ich kam. Nun ja, da waͤre wieder auf
meine Koſten gelacht worden.
heraus.)
Das Geld ſoll ich dem alten Tobies
bringen, und Madam Muͤller hat mir befohlen,
nicht ein Woͤrtchen davon auszuplaudern. Nun,
nun, da kann ſie ganz ruhig ſeyn: aus meinem
Munde kommt keine Silbe. — Schoͤn iſt Madam
Muͤller, ſehr ſchoͤn! aber dumm, entſetzlich dumm!
denn mein Papa ſagt: wer ſein Geld verthut, der
handelt unvernuͤnftig; aber wer es gar verſchenkt,
den muß man je eher je lieber ins Tollhaus
bringen.
[5]
Zweyter Auftritt.
dem Kopfe. Als er Petern erblickt, bleibt er ſtehn und be-
trachtet ihn mißtrauiſch.)
Endlich zieht er den Hut ab, macht eine linke Verbeugung
und geht in die Hütte.)
Wer iſt der Menſch?
Der Sohn des Verwalters.
Auf dem Schloſſe?
Ja.
Du ſprachſt geſtern
Abend —
Von dem armen Bauer?
Ganz recht.
Sie antworteten mir nicht.
Sprich weiter!
Er iſt arm.
Woher weißt du das?
Er ſagt es.
O ſie ſagen und klagen viel.
Und betruͤgen viel.
A 3
[6]
Richtig.
Dieſer nicht.
Warum nicht?
Das fuͤhlt ſich beſſer, als es ſich ſagt.
Narr!
Ein gefuͤhlvoller Narr iſt mehr werth,
als ein eiskalter Kluͤgler.
Das iſt nicht wahr.
Wohlthaten erzeugen Dank.
Das iſt nicht wahr.
Und begluͤcken mehr den Geber als den
Empfaͤnger.
Das iſt wahr.
Sie ſind ein wohlthaͤtiger Herr.
Ich?
Ich bin hundertmal Zeuge davon ge-
weſen.
Ein wohlthaͤtiger Menſch iſt ein Thor.
O gewiß nicht.
Sie verdienens nicht.
Die meiſten freylich nicht.
Sie heucheln.
Sie betruͤgen.
Sie weinen ins Angeſicht.
[7]
Und lachen hinter dem Ruͤcken.
Menſchenbrut!
Es giebt Ausnahmen.
Wo?
Dieſer Bauer.
Hat er dir ſein Ungluͤck geklagt?
Ja.
Ein wahrhaftig Ungluͤcklicher klagt
nicht.
Aber ſo erzaͤhle!
Man nahm ihm ſeinen einzigen Sohn.
Der Fuͤrſt?
Ja. Zum Soldaten.
Pfuy!
Der Alte darbt.
Schaͤndlich!
Iſt krank und verlaßen.
Da kann ich nicht helfen.
Doch.
Wodurch?
Durch Geld. Er kauft ſeinen Sohn los.
Ich will den Alten ſelbſt ſehn.
Thun Sie das!
Aber wenn er luͤgt — —
Er luͤgt nicht.
A 4
[8]
O die Menſchen ſind gebohrne Luͤgner.
Leider.
Dort in der Huͤtte?
Dort in der Huͤtte.
Dritter Auftritt.
Ein guter Herr — aber das Reden verlernt man
faſt bey ihm. Ein braver Herr — aber ich kann
nicht klug aus ihm werden. Auf jedes Menſchen-
Antlitz ſchimpft er, und kein Armer geht huͤlflos
von ſeiner Thuͤre. Schon drey Jahre bin ich bey
ihm, und noch weiß ich nicht, wer er iſt. Ein
Menſchenfeind, das iſt klar; aber ich wette, ſeine
Mutter hat ihn nicht dazu gebohren. Der Men-
ſchenhaß iſt in ſeinem Kopfe, nicht in ſeinem
Herzen.
Vierter Auftritt.
Spatzieren Sie nur voran!
Narr!
So bald zuruͤck?
[9]
Was ſoll ich da?
Fanden Sie es nicht, wie ich ſagte?
Dieſen Burſchen fand ich.
Was hat der mit ihrer Wohlthaͤtigkeit
zu ſchaffen?
Er ſpielt mit dem Alten unter einer
Decke. — Wie wuͤrden ſie lachen, wenn ſie mich
einmal wieder zum Narren meines Herzens ge-
macht haͤtten!
Aber woher? —
Der Burſche und der Alte, was thaten
ſie zuſammen?
Nun wir wer-
den es hoͤren.
Junger Herr, was ha-
ben Sie dort in der Huͤtte gemacht?
Gemacht? — nichts.
Nun, umſonſt ſind Sie doch nicht da
geweſen?
Umſonſt? warum nicht? Meiner Six!
ich bin umſonſt da geweſen. Pfuy, wer wird ſich
denn alles bezahlen laſſen? Wenn Madam Muͤller
mir ein freundlich Geſicht macht, ſo lauf ich wohl
umſonſt und um nichts bis an den Hals in den
ſchlammigten Schloßgraben.
A 5
[10]
Alſo hat Madam Muͤller Sie geſchickt?
Nun ja; man ſpricht nicht gerne davon.
Wie ſo?
Ja ſeh’ er nur, Madam Muͤller ſagte:
Musje Peter, ſeyn Sie ſo gut und laßen Sie
ſich nichts merken.
Musje
Peter — ſeyn Sie ſo gut — haͤ! haͤ! haͤ! Da
wars mir gerade, als ob mich eine rothbackigte
Bauerdirne kitzelte.
Ey das iſt ein anders. Dann muͤſſen
Sie auch fein verſchwiegen ſeyn.
Das bin ich auch. Ich ſagte dem alten
Tobies, er ſollte nicht etwa denken, daß Madam
Muͤller ihm das Geld geſchickt haͤtte; denn das
wuͤrde ich in meinem Leben nicht ausplaudern.
Daran thaten Sie ſehr wohl. —
Brachten Sie ihm viel Geld?
Nun, ich hab’ es nicht gezaͤhlt. Es
war in einem gruͤnen ſeidenen Beutelchen. Ich
denke, es mochten wohl die Milchpfennige ſeyn,
die ſie ſich ſeit vierzehn Tagen zuſammen ge-
ſpart hat.
Warum denn eben ſeit vierzehn Tagen?
[11]
Ey vor vierzehn Tagen mußt ich ihm ja
auch Geld bringen, und vor einer Woche auch.
Es war gerade an einem Sonntage — nein, es
war an einem Montage — aber ein Feſttag muß es
geweſen ſeyn, denn ich hatte meinen Sonntags-
Rock an.
Und all’ das Geld kam von Madam
Muͤller?
J Herr Je, von wem denn ſonſt? Mein
Papa iſt nicht ſo ein Narr; der ſagt, man muß
das Seinige zu rathe halten, und beſonders im
Sommer muß man gar keine Almoſen geben; denn
da hat der liebe Gott Kraͤuter und Wurzeln genug
wachſen laſſen, von denen der Menſch ſatt wer-
den kann.
Ey der liebe Papa!
Aber Madam Muͤller lacht den Papa
aus. Als vor Weihnachten die Kinder der alten
Lieſe die Blattern hatten — nein, es war nach
Weihnachten. —
Nun, gleichviel!
Ja, da wollte Madam Muͤller mich
auch hinunter ſchicken ins Dorf, zu der alten Lieſe
nehmlich. Aber das ſchlug ich ihr rund ab; denn
[12] es hatte damals geglatteiſt, und die Kinder ſahen
ſo ſchmutzig aus.
Und was that denn Madam Muͤller!
Meiner Six! Sie ging ſelber hin. Ha!
ha! ha! und da hat ſie ſich mit den ſchmutzigen
Kindern ſo viel abgegeben und geſchwazt ha! ha! ha!
Eine ſonderbare Frau.
Ja, ſie iſt manchmal gar zu wunderlich.
Zuweilen weint ſie den ganzen Tag, ohne zu wiſ-
ſen warum. Und wenn ſie dann nur mich zufrie-
den ließe! aber wenn ſie weint, ſo ſchmeckt mir
kein Biſſen; ich muß mit weinen, ich mag wollen
oder nicht.
Sind Sie nun beruhigt?
Schaff mir den Schwaͤtzer vom Halſe!
Ich empfehle mich, Musje Peter.
Wollen Sie ſchon fort?
Madam Muͤller wird auf Antwort
warten.
Ach der Geyer! Sie haben Recht
zieht vor dem Unbek. den Huth)
Gott befohlen, Herr!
Der iſt gewiß boͤſe,
daß er nichts von mir heraus kriegt?
[13]
Es ſcheint beynahe.
Ja, ich bin keine Plaudertaſche.
Fuͤnfter Auftritt.
Nun, Herr?
Was willſt du?
Sie hatten Unrecht.
Hm!
Sie koͤnnen noch zweifeln?
Ich will nichts mehr hoͤren. Dieſe
Madam Muͤller; wer iſt ſie? warum find ich Sie
immer auf meinem Wege? Wo ich hinkomme,
da iſt ſie ſchon geweſen.
Sie ſollten ſich deſſen freuen.
Freuen?
Daß es der guten wohlthaͤtigen Seelen
noch mehrere in der Welt giebt.
O ja.
Sie ſollten ihre Bekanntſchaft ſuchen.
Warum nicht lieber ſie heu-
rathen?
[14]
Auch das, wenn Sie Luſt dazu haben.
Ich ſah ſie einigemal im Garten; ſie iſt eine ſchoͤne
Frau.
Deſto ſchlimmer! Schoͤnheit iſt Larve.
Bey ihr ſcheint ſie Spiegel der Seele.
Ihre Wohlthaten —
Ach, rede mir nicht von ihren Wohl-
thaten! Glaͤnzen und ſchimmern wollen Sie alle;
eine Frau in der Stadt durch ihren Witz, eine
Frau auf dem Lande durch ihr Herz. Oder ſie iſt
eine Betſchweſter, und dann iſt es eitel Gleis-
nerey.
Gleichviel wie das Gute geſtiftet wird.
Nicht gleichviel.
Fuͤr den armen Alten wenigſtens.
Deſto beſſer. So kann er meiner Huͤlfe
entbehren.
Das fragt ſich noch.
Wie ſo?
Seinen dringendſten Beduͤrfniſſen hat
Madam Muͤller abgeholfen; ob Sie ihm aber ſo
viel gab, oder geben konnte, um ſich auch die
Stuͤtze ſeines Alters zuruͤck zu erkaufen —
[15]
Schweig! ich will ihm nichts geben.
Du intreſſierſt dich ja recht warm fuͤr
ihn? Willſt du vielleicht mit ihm theilen?
Pfuy! Das kam nicht aus ihrem
Herzen.
Ver-
gieb mir!
Armer Herr! wie muß Ih-
nen mitgeſpielt worden ſeyn, ehe es der Welt ge-
lang, dieſen fuͤrchterlichen Menſchenhaß, dieſe
ſchauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit
in ihr Herz zu pflanzen.
Du haſt’s errathen. Laß mich zufrieden.
manns Buche über die Einſamkeit aus der Taſche und lieſt)
Nun wieder
geleſen. So geht es den ganzen Tag. Fuͤr ihn
hat die ſchoͤne Natur keine Freude und das Leben
keinen Reiz. Ich hab ihn in drey Jahren nicht
ein einziges mahl lachen ſehen. Was ſoll daraus
werden? ein Selbſtmoͤrder! — Wenn er ſich doch
nur an irgend ein lebendes Weſen in der Welt ket-
tete, und waͤr’ es auch nur ein Hund, ein Cana-
rienvogel! Denn etwas muß der Menſch doch lie-
[16] ben. Oder wenn er Blumen zoͤge, oder Schmet-
terlinge ſammelte! — Nein, er thut nichts, als
leſen. Und wenn er einmal den Mund oͤfnet, ſo
ſprudelt ein Fluch uͤber das ganze Menſchenge-
ſchlecht heraus.
„Da vergißt man nichts. Da
„blutet jede alte Wunde, da roſtet kein Dolch.
„Alles was einſt die Nerven ſpannte und mit tie-
„fen Spuren ſich einpraͤgte in die Imagination,
„iſt ein Geſpenſt, das dich mit unermuͤdeter Wuth
„in deiner Einſamkeit verfolgt.“
hervor).
Ja, ja, der ehrliche Mann hat Recht.
Aber eben deswegen fort! fort aus der Einſamkeit!
fort in einen Wirbel von Zerſtreuungen und Ge-
ſchaͤften!
Sechſter Auftritt.
O wie wohl das thut, ſich ſo nach ſie-
ben langen Wochen einmal wieder von Gottes
Sonne beſcheinen zu laſſen! Faſt haͤtt’ ich im
Rauſch der Freude dem Schoͤpfer zu danken ver-
geſſen.
[17] geſſen.
gen Himmel und betet).
auf ihn).
Dem Alten iſt wohl
wenig Freude in der Welt beſcheert, und doch
dankt er Gott auch fuͤr das wenige.
Weil die Hofnung ihn noch immer an
ihrem Gaͤngelbande leitet.
Deſto beſſer! Hofnung iſt des Lebens
Amme.
Die groͤßte Betruͤgerinn auf dem wei-
ten Erdboden.
nähert ſich).
Gluͤck zu, Alter! Du biſt, wie ich
ſehe, dem Tode entronnen.
Fuͤr dieſes mal, ja. Gott und die
Huͤlfe jener braven Frau haben mir auf ein paar
Jahre das Leben gefriſtet.
Nun freylich, lange wirſt du nicht
mehr mitlaufen. Du ſcheinſt mir ein alter Knabe.
B
[18]
Nahe an die ſiebzig. Habe auch wohl
nicht viel Freude mehr zu hoffen. — Je nun, es
giebt ja noch ein anderes Leben!
Du ſollteſt mit dem Schickſal zuͤrnen,
das dich, ſo nahe dem Grabe, wieder in die Welt
zuruͤckwirft. Fuͤr den Ungluͤcklichen iſt der Tod
kein Uebel.
Bin ich denn ſo ungluͤcklich? Genieß
ich nicht dieſen ſchoͤnen Morgen? Bin ich nicht
wieder geſund? — Glaubt mir, Herr, ein Geneſe-
ter, der zum erſtenmale wieder in die freie Luft
tritt, iſt in dieſem Augenblick das gluͤcklichſte Ge-
ſchoͤpf unter der Sonne.
Ein Gluͤck, an welches ſich der Menſch
nur allzuleicht gewoͤhnt.
Freylich wohl. Doch weniger im Al-
ter. Da wird man haushaͤlteriſch mit der Geſund-
heit. Man ſtuͤrzt den Wein nicht mehr hinun-
ter, ſchlurft die lezten Tropfen. Und ſo iſts auch
mit der Freude. Ich habe freylich viel in der
Welt gelitten und leide noch, aber ich wuͤrde darum
doch nicht gerne ſterben. Als mir vor vierzig Jah-
ren mein Vater dieſe Huͤtte hinterließ; da war ich
ein junger raſcher Kerl, nahm ein gutes flinkes
[19] Weib; Gott ſegnete meine Wirthſchaft reichlich,
und mein Ehebette mit fuͤnf Kindern. Das dauerte
ſo neun Jahr oder zehn. Ein paar von meinen
Kindern ſtarben; ich verſchmerzte das; es kam die
große Hungersnoth; mein Weib half ſie mir ehr-
lich tragen. Aber vier Jahre darauf nahm Gott
ſie zu ſich, und auch von meinen fuͤnf Kindern
blieb mir bald nachher nur ein einziger Sohn. Das
war Schlag auf Schlag. Ich konnte mich lange
nicht erhohlen. Zeit und Gottesfurcht thaten end-
lich das Ihrige. Ich gewann das Leben wieder
lieb. Mein Sohn wuchs heran und half mir ar-
beiten. Nun hat mir der Fuͤrſt auch dieſen einzi-
gen Sohn weggenommen und ihm eine Muskete
zu tragen gegeben. Das iſt freylich hart. Arbei-
ten kann ich nicht mehr; ich bin alt und ſchwach.
Waͤre Madam Muͤller nicht geweſen, ich haͤtte
verhungern muͤſſen.
Und doch hat das Leben noch Reiz
fuͤr dich?
Warum nicht? So lange noch etwas
in der Welt iſt, das an meinem Herzen haͤngt.
Hab’ ich denn nicht einen Sohn?
B 2
[20]
Wer weiß, ob deine Augen ihn je wie-
derſehen?
Er lebt aber doch.
Er kann auch wohl ſchon todt ſeyn.
Ach warum nicht gar! Und wenn auch;
ſo lange ich deſſen nicht gewiß bin, ſo lange lebt
er in meinen Gedanken, und das erhaͤlt mir mein
eigenes Leben. Ja, Herr, ſelbſt wenn mein Sohn
todt waͤre, ſo wuͤrd’ ich darum doch nicht gern ſter-
ben. Denn hier iſt noch eine Huͤtte, in der ich
gebohren und erzogen bin; hier iſt noch eine alte
Linde, die mit mir aufwuchs, und — faſt ſchaͤm’
ich mich, es zu bekennen: ich hab’ auch noch einen
alten treuen Hund, den ich liebe.
Einen Hund?
Ja, einen Hund. Lach’ er, wie er will!
Madam Muͤller, die Herzensgute Frau, war
ſelbſt einmal in meiner Huͤtte. Der alte Fidel
knurrte, als ſie kam. „Warum ſchafft er den gar-
„ſtigen großen Hund nicht ab? fragte ſie mich;
„er hat ja kaum Brodt fuͤr ſich.“ Lieber Gott!
gab ich ihr zur Antwort: wenn ich ihn abſchaffe,
wer wird mich dann lieben?
[21]
Nehmen Sie mir’s
nicht uͤbel, gnaͤdiger Herr! ich wollte, Sie haͤtten
zugehoͤrt.
Das hab’ ich.
Nun ſo wollte ich, Sie naͤhmen ein
Beyſpiel an dieſem Alten.
Da, lege das auf meinen Schreibtiſch.
Wie viel gab dir Madam Muͤller?
Ach! die gute, engliſche Seele hat mir
ſo viel gegeben, daß ich dem kommenden Winter
ruhig entgegenſehen darf.
Nicht mehr?
Wozu denn mehr? — Freylich: um
meinen Hans loszukaufen, koͤnnt’ ich’s wohl brau-
chen; — aber ſie mag wohl ſelbſt nicht mehr ent-
behren koͤnnen.
Da! Kaufe deinen Hans los!
Was war das?
findet ihn voller Goldſtücke.)
Ach Gott!
Mütze ab, kulet nieder und dankt im Stillen).
B 3
[22]
Siebenter Auftritt.
Nun, ſieht er wohl,
Herr? Vertrauen auf Gott laͤßt nicht zu Schan-
den werden.
Hier iſt
Gottes reicher Seegen.
Gluͤck zu! aber wer gab dirs?
Sein braver Herr, dem der Himmel
dafuͤr lohnen wolle.
Amen! — Der ſonderbare Mann! Alſo
deßwegen mußt’ ich das Buch hineintragen? Er
wollte keinen Zeugen ſeiner Wohlthaͤtigkeit.
Auch wollt’ er nicht einmal meinen
Dank mit ſich nehmen. Er war fort, eh’ ich noch
reden konnte.
Das ſieht ihm aͤhnlich.
Nun, Herr, nun will ich gehn, ſo
ſchnell mich die alten Fuͤße tragen wollen. Ach!
ein ſuͤßer Gang! — ich gehe meinen Hans loszu-
kaufen. Wie wird der gute Junge ſich freuen! —
Er hat auch ein Maͤdchen unten im Dorfe, eine
brave Dirne. — Welche Freude! welche Freude! —
[23] Gott, wie guͤtig biſt du! Jahrelange Leiden ver-
moͤgen die Ruͤckerinnerung an ehemalige Freuden
nicht auszuloͤſchen, aber ein einziger froher Au-
genblick tilgt Jahrelange Leiden aus unſerm Ge-
daͤchtniß. — Ich gehe; beſchreib’ er ſeinem Herrn
meine Freude; das wird ihm lieber ſeyn, als mein
Dank. —
Ach! warum kann ich nicht
laufen? warum nicht fliegen? —
ſtille).
Halt! das war unrecht. Mein alter Ge-
ſellſchafter muß mit mir gehen. Er hat mit mir
gehungert und gewinſelt; er ſoll ſich auch mit mir
freuen. Er und mein Sohn ſind alte gute Freunde.
O wie wird der gute Fidel vor uns herſpringen!
Warum bin ich nicht
reich? oder ein Fuͤrſt? Augenblicke, wie dieſe,
ſind es, in welchen ich Fuͤrſten Reichthum beneide.
B 4
[24]
Achter Auftritt.
Das iſt mir nicht lieb. Ich hatte mich ſo ge-
woͤhnt an die ſtille Einſamkeit. Ruhe wohnt frey-
lich nicht immer in der Bruſt des Einſamen, denn
ach! du nimmſt dein Gewiſſen mit in Kloͤſter und
Wuͤſteneyen! Aber ich konnte doch weinen, wenn
mir der Kummer das Herz nagte, und niemand
ſah mein rothgeweintes Auge, und niemand fragte:
warum haben Sie geweint? Ich konnte durch Thal
und Flur umherſchweifen und niemand ſah, daß
mein Gewiſſen mich jagte. — Nun werden Sie
mir auf den Hals kommen, werden mich in Ihre
Geſellſchaften ziehen; da werd’ ich reden und lachen
ſollen, an ſchoͤnen Tagen mit ihnen ſpatzieren gehn,
und bey Regenwetter wohl gar Karte ſpielen. —
Nimmt man einmal ein Buch in die Hand, ſo
heißt’s gleich: was leſen Sie da? erzaͤhlen Sie
doch! was ſteht in dem Buche? oder: werfen Sie
das einfaͤltige Buch auf die Seite! wer wird im-
[25] mer leſen? — Ach! ich wollte, ſie waͤren in der
Stadt geblieben, auf ihren Baͤllen und Clubbs,
auf ihren Aſſembleen und Promenaden, und haͤtten
ſich da begafft und verlaͤumdet, und betrogen und
verfuͤhrt. — Und heute ſchon! —
ach! das iſt mir gar nicht lieb! und ich kann nicht
recht klug aus dem Briefe werden, ob die Reiſe
aufs Land nur ſo eine Grille war, Laune eines
Augenblicks, oder Plan auf laͤngere Dauer. Faſt
befuͤrcht’ ich das letztere: und dann — gute Nacht,
Einſamkeit, die du ſo oft mit deinem magiſchen
Stabe Ruhe in dieſes Herz zuruͤckbrachteſt! Gute
Nacht, Lectuͤre! Schales Plaudern wird dich ver-
draͤngen. Hier, wo die Morgenſonne ſich nur in
meiner Thraͤne ſpiegelte, hier wird Jagdgetoͤſe
und Hundegeheul ſie begruͤßen. — Ach! alles wollt
ich gern ertragen; aber wenn nun die edle Graͤfin
mir Beweiſe ihrer Zuneigung, wohl gar ihrer
Hochachtung giebt, und ich alle Augenblicke fuͤh-
len muß, daß ich daß nicht verdiene — o wie wird
dann mein Gewiſſen mich peinigen! — Oder —
ich bebe vor dem Gedanken! — wenn dieſes Schloß
nun ein Tummelplatz von Geſellſchaften wuͤrde,
unter welche das Ohngefaͤhr wohl gar einige mei-
B 5
[26] ner ehemaligen Bekannten miſchte! — ach! wie
elend iſt man, wenn auch nur zwey Augen in der
Welt ſind, deren Blick man ſcheuen muß.
Neunter Auftritt.
Nun, da bin ich.
Schon zuruͤck?
Gelt, ich bin flinck? und ich habe un-
terweges noch obendrein einen Schmetterling ge-
haſcht, und auch wohl ein Viertelſtuͤndchen ver-
plaudert.
Plaudern laß ich gelten; nur nicht aus-
plaudern.
Ey bewahre der Himmel! Nein, ich
ſagte dem alten Tobies, das wuͤrde er in ſeinem
Leben nicht erfahren, daß das Geld von Ihnen
kaͤme.
Allerliebſt!
Und den Musje Franz, hi! hi! hi!
den ließ ich auch mit einer langen Naſe abziehn.
Sie fanden den alten Tobies voͤllig
wieder hergeſtellt?
[27]
J freylich; er will heute zum erſten-
male wieder heraus, in die friſche Luft.
Gott ſey Dank! —
Bin ich
nicht ein Kind? ich freue mich, wie ein Menſch, der
hunderttauſende ſchuldig iſt, und dem es endlich
gelang —
Thaler abzubezahlen.
Er ſagte, das alles haͤtt’ er Ihnen
zu danken; er wollte noch vor dem Eſſen ſelbſt her-
aufkriechen und Ihre Kniee umfaſſen.
Lieber Musje Peter, wollen Sie mir
einen Gefallen thun?
J Herr Je! hundert fuͤr einen. Wenn
Sie mir nur auch erlauben wollen, Sie recht lange
anzuſehen.
Herzlich gern. Geben Sie Achtung,
wenn der alte Tobies kommt, und laſſen Sie ihn
nicht herauf. Sagen ſie ihm, ich haͤtte keine Zeit,
ich waͤre krank, ich ſchliefe, oder was Sie ſonſt
wollen.
Gut, gut. Und wenn er nicht geht, ſo
will ich die Hofhunde auf ihn hetzen.
Ey bewahre Gott! Sie muͤſſen ihm kein
Leid zufuͤgen, hoͤren Sie? den alten Mann ja
nicht kraͤnken.
[28]
Wohl! wohl! alles wie Sie befehlen.
Sonſt iſt der Sultan ein tuͤchtiger Hund, und der
Caro hat wohl eher manchen Bauerluͤmmel in die
Waden gebiſſen.
Zehnter Auftritt.
Guten Morgen, guten Morgen, meine
liebe ſcharmante Madam Muͤller; ich freue mich
recht herzlich, Sie wohl zu ſehen. Hochdieſelben
haben mich rufen laſſen. Vermuthlich etwas Neues
aus der Reſidenz? — Ja, ja, es gehn wichtige
Dinge vor; ich habe auch Briefe. —
Freylich, lieber Herr Bitter-
mann; Sie correſpondiren ja mit der ganzen Welt.
Wenigſtens habe ich in den
Hauptſtaͤdten von Europa meine ſichern Correſpon-
denten.
Und doch zweifle ich, ob Sie wiſſen,
was heute hier im Hauſe vorgehen wird?
Hier im Hauſe? Nichts von Bedeu-
tung. Wir wollten heute ein Paar Tonnen Gerſte
ausſaͤen; aber die Witterung iſt mir zu trocken.
[29] Ich hatte geſtern Briefe aus Siebenbuͤrgen; auch
da mangelt der liebe Regen. Die allgemeine Klage
durch ganz Europa! Doch ein Plaiſirchen koͤnnen
Sie ſich heute machen, wir haben Schafſchur.
Und die Eier der großen Glucke muͤſſen
heut auskommen. Und der wilde braune Hengſt —
Schweig, Toͤlpel!
Nun da haben wir’s! ich darf das Maul
nicht aufthun.
lend ab).
Unſer Graf wird heute hier ſeyn.
Wie? Was?
Nebſt ſeiner Gemahlin und ſeinem
Schwager, dem Major von der Horſt.
Spas apart?
Sie wiſſen, lieber Herr Bittermann;
ich bin eben nicht ſehr ſpashaft.
Peter! — Du lieber Gott! Seine
Hochgebohrne Excellenz, der Herr Graf, in eige-
ner hoher Perſon — Peter! — und die gnaͤdige
Frau Graͤfin — und ſeine Hochwohlgebohrnen Gna-
den, der Herr Major — und hier iſt nichts in der
gehoͤrigen Ordnung — Peter! Peter!
Nu, was giebt’s ſchon wieder?
[30]
Ruf doch geſchwind die Leute zuſam-
men; ſchick nach dem Foͤrſter; er ſoll ein Reh in
die herrſchaftliche Kuͤche liefern — und Lieſe ſoll
die Zimmer fegen und den Staub von den Spie-
geln wiſchen, damit die gnaͤdige Frau Graͤfin ſich
darin beſehen kann — und der Koch ſoll in der Eil
ein paar Kapaunen ſchlachten — und Hans ſoll ei-
nen Hecht aus dem Teiche hohlen — und Fried-
rich ſoll meine Sonntagsperuͤcke friſiren.
Vor allen Dingen laſſen Sie die Bet-
ten luͤften und die Sophas aufklopfen. Sie wiſ-
ſen, der Herr Graf hat es gern ein wenig bequem.
Freylich freylich, meine liebe ſchar-
mante Madam Muͤller, das muß ſogleich geſche-
hen. Verzweifelt! da hab’ ich im gruͤnen Zimmer
Erdaͤpfel aufgeſchuͤttet; die koͤnnen nicht ſo eilig
transportirt werden.
Iſt ja auch nicht noͤthig.
Lieber Gott! wo ſoll denn der Herr
Major von der Horſt logiren?
Geben Sie ihm das kleine rothe Zim-
mer an der Treppe; das iſt ein niedliches Zimmer
und hat eine herrliche Ausſicht.
[31]
Recht gut, liebe Herzens-Madam
Muͤller; aber da hat ſonſt immer der Haus-Se-
cretair des Herrn Grafen gewohnt. Zwar, den
brauchen Seine Excellenz eben nicht nothwendig;
er hat alle Jahr kaum ein paar Briefe zu ſchreiben.
Mann koͤnnte ihm — halt! es kommt mir da ein
vortreflicher Einfall. Sie kennen das kleine Haͤus-
chen am Ende des Parks? Da wollen wir den
Herrn Secretair hinſtopfen.
Sie vergeſſen, lieber Herr Bittermann,
da wohnt der Fremde.
Ach, was geht uns der Fremde an?
Wer hat ihn heißen hineinziehen? er muß heraus.
Das waͤre unbillig. Sie ſelbſt haben
die Wohnung ihm eingeraͤumet, und ich denke, er
bezahlt ſie Ihnen gut.
Er bezahlt wohl, und ſo ein Acci-
dens fuͤr einen armen Verwalter iſt freylich nicht
zu verachten; aber —
Nun, aber?
Aber man weiß doch nicht, wer er
iſt; kein Teufel kann klug aus ihm werden. Ich
habe den Henker von ſeinem Gelde, wenn er mich
fuͤr jeden Groſchen quaͤlen will.
[32]
Er quaͤlt Sie? wodurch?
Zerbrech’ ich mir denn nicht ſchon
ſeit ganzen Monaten vergebens den Kopf, um hin-
ter das Geheimniß zu kommen? Zwar hatt’ ich
vor kurzem einen Brief aus Spanien, in welchem
man mir meldet, daß ſich in hieſigen Gegenden
ein Spion aufhalte; [und] der Beſchreibung nach —
Leicht moͤglich! Der Koͤnig
von Spanien hat von Ihrer vortreflichen Schaf-
zucht gehoͤrt, und da ſeine eigenen Schafe nicht
viel taugen, ſo will er Ihnen die Kunſtgriffe ab-
lauren laſſen. Nein, lieber Herr Bittermann, laſ-
ſen Sie den fremden, geheimnißvollen Mann zu-
frieden. Er iſt mir zwar noch nie in den Wurf ge-
kommen, und ich bin auch eben nicht neugierig,
ihn zu ſehen; aber alles, was ich von ihm hoͤre,
charakteriſirt ihn als einen Menſchen, den man
allenthalben wohl dulden mag. — Er lebt ſtill und
friedlich.
Das thut er.
Er erzeigt manche Wohlthat im Ver-
borgenen.
Das thut er.
Er beleidigt kein Kind.
Bitterm.
[33]
Nein, das thut er nicht.
Er faͤllt niemanden zur Laſt.
Nein, das auch nicht.
Nun, was wollen Sie mehr?
Ich will wiſſen, wer er iſt. — Und
wenn er einem nur Rede ſtuͤnde, daß man ihn bey
Gelegenheit fein aushohlen koͤnnte! Aber wenn er
mir auch einmal im dunklen Lindengange, oder
unten am Bache aufſtoͤßt — das ſind ſo ſeine bey-
den Lieblingsſpatziergaͤnge — ſo heißt es: guten
Tag und guten Weg, und damit holla! — Ich
habe ein paarmal angefangen: es iſt heute ſchoͤnes
Wetter. — Ja. — Die Baͤume fangen ſchon an
auszuſchlagen. — Ja. — Der Herr machen ſich, wie
ich ſehe, eine kleine Bewegung. — Ja. — Nun ſo
geh du und der Teufel! Und wie der Herr, ſo der
Diener; gerade ſo ein Stax. Ich weiß nicht eine
Sylbe von ihm, als daß er Franz heißt.
Sie ereifern ſich, lieber Herr Bitter-
mann, und vergeſſen ganz daruͤber die Ankunft un-
ſers Grafen.
Ach der Teufel! Gott verzeih mir
die Suͤnde! Da ſehn Sie nun, liebe Madam Muͤl-
C
[34] ler, was fuͤr Ungluͤck daraus entſteht, wenn man
die Leute nicht kennt.
Schon neun Uhr!
Wenn der Herr Graf ſich ein Stuͤndchen von ſei-
nem Schlafe abgebrochen hat, ſo kann die Herr-
ſchaft bald hier ſeyn. Ich gehe das Meinige zu
thun; thun Sie das Ihrige.
Eilfter Auftritt.
Ja ja, ich will das Meinige ſchon thun. Die
iſt mir auch ſo eine; man weiß ja auch nicht, wer
ſie iſt. Madam Muͤller! Ja lieber Gott! Ma-
dam Muͤller. Es giebt der Madam Muͤllers viele
in der Welt. — Das weiß ich wohl, daß die gnaͤ-
dige Frau Graͤfin mir vor drei Jahren die Madam
Muͤller ſo unvermuthet ins Haus geſetzt hat, wie
einen Dintenkleks auf einen Bogen Papier; aber
woher? warum? weswegen? ja, da haperts. —
„Sie ſoll die innere Wirthſchaft fuͤhren“, ſagte die
Frau Graͤfin. Je du lieber Gott! hab’ ich denn
[35] nicht etwa der innern und aͤußern Wirthſchaft zwan-
zig Jahre lang mit Ruhm vorgeſtanden? — Frey-
lich, ich werde alt, und das muß ich ihr nachſagen,
ſie giebt ſich viele Muͤhe. Aber hat ſie nicht alles
von mir gelernt? Wie ſie herkam — Gott ver-
zeih mir meine Suͤnde! — Sie wußte ja nicht ein-
mal, daß man aus Flachs Leinewand webt.
Ende des erſten Aufzugs.
C 2
[36]
Zweyter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Bittermann und Peter, welcher während die-
ſer ganzen Scene das Echo und der Affe ſeines
Vaters iſt.)
Ich habe die Ehre, Ew. Hochfreyherrlichen Gna-
den in meiner geringen Perſon den Herrn Haus-
hofmeiſter Bittermann vorzuſtellen, welcher die
Stunde ſelig preiſt, da ihm das Gluͤck zu Theil
worden, den Hochfreyherrlichen Herrn Schwager
Seiner Hochgraͤflichen Excellenz von Angeſicht zu
Angeſicht kennen zu lernen.
Kennen zu lernen.
O, ſchon mehr als zu viel, lieber
Herr Bittermann! Ich bin Soldat, wie Sie
[37] ſehen; ich mache wenig Umſtaͤnde, und begehre der-
gleichen auch nicht von andern.
Bitte, bitte, Herr Major; wenn
man gleich auf dem Lande lebt, ſo kennt man doch
ſeine tiefe Schuldigkeit gegen hohe Perſonen.
Man kennt ſeine Schuldigkeit.
Nun, nun, wir werden ſchon noch
bekannter werden. Sie ſollen wiſſen, Herr Bit-
termann, daß ich wenigſtens ein paar Monate lang
die Einkuͤnfte von Winterſee werde verzehren helfen.
Warum nicht Jahre lang, Ew. Hoch-
freyherrlichen Gnaden? Dem alten Bittermann
iſt’s eben recht. Der hat, ohne Ruhm zu melden,
zuſammen geſcharrt und geſpart, daß Se. Hoch-
graͤfliche Excellenz daruͤber erſtaunen werden.
Deſto beſſer! Ein Sparer will
einen Verthuer, und da finden Sie an meinem
Schwager Ihren Mann. Sie wiſſen doch, daß er
den Dienſt quitiret hat, und in Zukunft ſein Leben
in Fried’ und Ruhe hier auf Winterſee zu beſchlie-
ßen gedenkt?
Was Sie mir ſagen! Nein, nicht
eine Sylbe iſt mir zu Ohren gekommen.
Mir auch nicht.
C 3
[38]
Sie haben unſern alten Fuͤrſten ge-
kannt? Der war kein Liebhaber von Soldaten, hielt
deren nur gerade ſo viel, als noͤthig war, um die
Wache vor ſeinem Schloſſe und an den Thoren zu
beſetzen. Daran that er auch, nach meiner Mei-
nung, ſehr wohl; denn ſein Land vermag fuͤr Ernſt
zu wenig, und ein paar tauſend Mann ſind fuͤr
Spas zu viel. Andere Zeiten, andere Sitten. Der
Alte ſtarb, und der junge Fuͤrſt vertauſchte ſeine hoͤl-
zernen Puppen mit lebendigen. Da ging es nun
an ein Exerciren und Marſchiren den lieben langen
Tag. Fruͤh um vier Uhr ſaß der Fuͤrſt ſchon zu
Pferde. Das ſtand meinem Schwager, dem Herrn
General, nicht an. Er hatte ſich immer im Lehn-
ſeſſel die Rapports bringen laſſen, war hoͤchſtens
in jeder Woche einmal auf der Parade erſchienen,
und nun ſollt’ er dem Kinderſpiel ſeine Bequemlich-
keit aufopfern: — flugs nahm er ſeinen Abſchied.
Ey! ey!
Ey! ey!
Wunderlich, aber vortreflich; beſon-
ders in Ruͤckſicht auf meine Wenigkeit. Nun wird
der alte Bittermann erſt recht zu leben anfangen.
Und der junge Peter auch.
[39]
Der Herr Graf erhalten poſttaͤglich,
wie ich mich noch ganz wohl erinnere, den Ham-
burgiſchen unpartheyiſchen Correſpondenten und den
luſtigen Erlanger. Nichts neues, Herr Major,
aus der politiſchen Welt?
Nichts, als daß der Krieg zwi-
ſchen den [benachbarten] Maͤchten wahrſcheinlich bald
ausbrechen wird.
O, das wiſſen wir ſchon
ſeit zwey Monaten.
Ja, das wiſſen wir ſchon.
Nicht moͤglich, Herr Bit-
termann! Vor zwei Monaten wußten die kriegfuͤh-
renden Maͤchte ſelbſt noch nichts davon.
Ha! ha! ha! das iſt eben der Spas
von der Sache. Man hat Freunde im Miniſterium
— man hat Correſpondenten — man erhaͤlt Briefe
von allen Seiten.
geweile macht, für ſich)
Ich merke wohl, es waͤre beſ-
ſer geweſen, ein paar Stunden auf der Straße die
Langeweile zu ertragen. Da hat man doch Baͤume
um ſich, und den blauen Himmel uͤber ſich.
C 4
[40]
Bedaure nur, daß nicht im Staude
bin, dem gnaͤdigen Herrn die Zeit zu paſſiren.
Bedaure recht ſehr.
Weiß gar nicht, wo Madam Muͤller
ſtecken mag. Das iſt eine Frau, die Mundwerk hat.
Madam Muͤller? Wer iſt dieſe
Madam Muͤller?
Ja, lieber G[o]tt! wer ſie iſt, das weiß
ich ſo eigentlich nicht zu ſagen.
Ich auch nicht.
Keiner meiner Correſpondenten hat
mir daruͤber Nachricht geben koͤnnen. Sie iſt hier
quasi Haushaͤlterin. — Mir deucht, ich hoͤre ihre
Silberſtimme auf der Treppe. Ich werde ſogleich
die Ehre haben, Sie herauf zu ſchicken.
Bemuͤhen ſie ſich nicht.
Was bemuͤhen! Ich bin Ew. Gna-
den allezeit bereitwilliger Diener.
gungen ab.)
zwiſchen den Zähnen, macht viele Kratzſüße und geht.)
Nun werden ſie mir gar ein altes
Weib auf den Hals ſchicken. — Die wird mich zu
Boden ſchwatzen! — O koͤſtliche Geduld!
[41]
Zweyter Auftritt.
das Zimmer.)
Nein, alt iſt ſie nicht.
Beym Henker, nein! und haͤßlich auch nicht.
Ich freue mich, gnaͤdiger Herr, in Ih-
nen den Bruder meiner Wohlthaͤterin kennen zu
lernen.
Madam — jeder Titel iſt koſtbar,
wenn er Anſpruch auf ihre Bekanntſchaft giebt.
Stellung zu erwidern)
Die ſchoͤne Jahreszeit hat den
Herrn Grafen vermuthlich aus der Stadt gelockt?
Das wohl eben nicht. Sie kennen
ihn. Ihm gilt es gleichviel, ob wir Regen oder Son-
nenſchein, Fruͤhling oder Winter haben, wenn nur
in ſeinem eignen Hauſe ein ewiger Sommer herrſcht.
Das heißt nehmlich: eine freundliche Frau, eine
gut beſetzte Tafel und ein paar lachende Freunde.
Der Graf iſt ein liebenswuͤrdiger Epi-
kuraͤer; immer gleichlaunigt, immer genießend jede
C 5
[42] Minute ſeines Lebens — tropfenweiſe, wie das
erſte Glas Rheinwein, welches der Arzt einem Kran-
ken erlaubt. Aber geſtehn Sie, Herr Major, der
Graf iſt ein Schooskind des Gluͤcks. Nicht um
Geburt und Reichthum, nein, um der geſunden
Miſchung ſeiner Saͤfte willen. Ein geſunder Koͤr-
per iſt gerne gepaart mit einer heitern Seele. Kranke
Nerven, traͤgeſchleichendes Blut, wuͤrden den
Grafen elend machen, ſelbſt in den Armen Ihrer
liebenswuͤrdigen Schweſter.
wie Eulaliens Verſtand ſich mehr und mehr ihm entwickelt)
Sehr wahr, Madam! — und mein guter bequemer
Schwager ſcheint ſein Gluͤck zu fuͤhlen und feſthal-
ten zu wollen. Er hat den Dienſt verlaſſen, um
ganz ſich ſelbſt zu leben.
Wirklich? Das macht ſeinem Kopfe Ehre.
Wenn nur die Einſamkeit ihm
nicht am Ende laͤſtig wird.
Ich denke, Herr Major, fuͤr den, der
ein unbefangenes Herz in die Einſamkeit mitbringt,
erhoͤht ſie jede Freude des Lebens.
Zum erſten Male hoͤr’ ich das Lob
der Einſamkeit aus einem ſchoͤnen [Munde].
[43]
Sie ſagen mir da eine Schmeicheley auf
Koſten meines Geſchlechts.
Iſt die Einſamkeit ſchon lange im
Beſitz einer ſo liebenswuͤrdigen Vertheidigerin?
Ich wohne hier ſeit drey Jahren.
Und nie ein leiſer Wunſch nach
Stadt und Menſchengewuͤhl?
Nie, Herr Major.
Das zeugt entweder von einer
ſehr rohen oder von einer ſehr ausgebildeten Seele.
Ihr erſter Blick laͤßt keinen Zweifel uͤbrig, zu wel-
cher Claſſe man ſie rechnen darf.
Es giebt vielleicht
noch einen dritten Fall.
Wirklich, Madam — ohne ih-
rem Geſchlechte zu nahe treten zu wollen — Die
Weiber ſchienen mir immer weniger fuͤr die Ein-
ſamkeit geſchaffen, als die Maͤnner. Wir haben
tauſenderley Beſchaͤftigungen, tauſenderley Zer-
ſtreuungen, welche Ihnen mangeln.
Darf ich fragen: welche?
Wir reiten, wir jagen, wir ſpie-
len, wir leſen, wir ſchreiben Briefe, wir ſchrift-
ſtellern wohl gar ein wenig —
[44]
Die edle Jagd und das noch edlere
Spiel raͤum’ ich Ihnen willig ein; aber ich fuͤrchte,
dabey haben Sie wenig gewonnen.
In der That, Madam, ich
wuͤnſchte einen Tag lang Zeuge ihrer Beſchaͤfti-
gungen zu ſeyn.
O, Sie koͤnnen nicht glauben, Herr
Major, wie ſchnell die Zeit vorbeyeilt, wenn
eine gewiſſe Einfoͤrmigkeit in unſerer Lebensart
herrſcht. Ein Tag, wie der andere; die heutige
Morgenſtunde, wie die geſtrige; o, da fragt man
ſich ſo oft: haben wir heute ſchon Sonnabend? iſt
der Montag ſchon zu Ende? — Wenn ich an einem
heitern Morgen mir den Caffee auf den gruͤnen
Hofplatz hinaustragen laſſe, dann iſt mir das ſuͤße
Bild der auflebenden Geſchaͤftigkeit und Thaͤtig-
keit um mich her immer neu. Die Schwalben
ſchwirren, die Enten und Gaͤnſe ſchnattern, das
Vieh wird ausgetrieben, der Bauer zieht hinaus
aufs Feld, und wuͤnſcht mir im Vorbeygehen einen
freundlichen, guten Morgen, alles lebt und webt
und iſt froh. Wenn ich nun ein paar Stunden
lang Zeuge dieſes erquickenden Schauſpiels gewe-
ſen bin, dann geh’ ich an meine Geſchaͤfte, und eins,
[45] zwey, drey, iſt der Mittag da. Gegen Abend
fang ich an herum zu ſchwaͤrmen, aus dem Garten
in den Park, aus dem Park auf die Wieſen. Ich
fuͤttere mein Feder-Vieh, ich begieße meine Blu-
men, ich pfluͤcke Erdbeeren, ſchuͤttle Kirſchen von
den Baͤumen, oder ich ſehe den Bauerknaben zu,
wie ſie ſpielen.
Alles das ſind Freuden des Som-
mers. Aber der Winter! der Winter!
O, wer wird ſich nun gerade den Win-
ter immer denken, als einen Greis, in Pelz ge-
huͤllt, mit dem Muff in der Hand? Der Winter
hat ſeine eigenen Freuden. Wenn draußen Schnee
und Hagel an die Fenſter ſtuͤrmt, ſo thut einem
ſchon der Gedanke ſo wohl: ich ſitze hier am war-
men Ofen. Und dann iſt’s Zeit, den Buͤcher-
ſchrank zu oͤfnen, durch Leſen die Seele zu erhei-
tern, bis die Fruͤhlings-Sonne wieder waͤrmer
ſcheint. Oder ich laſſe mir mein Clavier ſtimmen,
ſo gut unſer Schulmeiſter das verſteht, und ſpiele
mir ſelbſt eine Sonate von Mozart, oder ſinge mir
eine Arie von Paiſiello.
Selig, wer den Faden ſeiner Be-
ſchaͤftigungen ſo ganz aus ſich ſelbſt zu ſpinnen vermag!
[46]
Und, lieber Gott! wie unerſaͤttlich frißt
das Stadtleben die koſtbare Zeit! Da muß ich heute
Viſiten geben, morgen laͤſtige Beſuche empfangen,
heute mir eine Haube ſtekken, morgen mir ein
Kleid garniren. Hier fragt Niemand darnach;
fuͤr die Frau Paſtorin iſt meine Haube noch im-
mer nach dem neueſten Geſchmack.
Aber man will doch zuweilen ein
Menſchen-Antlitz ſehen.
Fehlt es mir etwa daran? O Herr Ma-
jor, ich ſehe Menſchengeſichter, die geſunder und
froher um ſich blicken, als Ihre ſtaͤdtiſchen Ge-
rippe. Und dann hab’ ich, außer dem Herrn Bit-
termann und ſeinem Peter, noch ſo eine ganz ei-
gene Geſellſchaft, die mich zuweilen herzlich belu-
ſtiget, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe.
Die kommen im Winter mit ihren Spinnraͤdern;
da ſetz’ ich mich mitten unter ſie, und da erzaͤhlen
ſie mir und belehren mich, uͤber Flachs und Hanf,
uͤber Milch und Butter, und was dergleichen mehr
iſt. Die guten Seelen haben mich alle lieb, weil
ich ſie immer um Rath frage, und weil ſie ſich da-
bey ſo wichtig fuͤhlen.
[47]
Gewiß, Madame, wenn jemand
auf der Welt verſteht, aus jeder Blume Honig zu
ſaugen, ſo ſind Sie es.
Dritter Auftritt.
Ja, ich kann ihn nicht halten; er iſt
ſchon auf der Treppe.
Wer?
Der alte Tobies. Haͤtten Sie mir er-
laubt, den Sultan auf ihn zu hetzen; meiner Six!
er waͤre nicht uͤber die Schwelle gekommen.
Ich muß — guter
Gott! ich muß! —
Ich habe jezt keine Zeit,
Alter. Ihr ſeht, ich bin nicht allein.
Ach! der gnaͤdige Herr wird mir ver-
zeihen.
Was wollt Ihr?
Danken will ich! Empfangene Wohl-
thaten ſind ja auch eine Buͤrde, wenn man nicht
danken darf.
[48]
Morgen, lieber Alter, Morgen.
Keine falſche Beſcheidenheit,
Madam! Erlauben Sie ihm, daß er ſeinem Her-
zen Luft mache, und geſtatten ſie mir, Zeuge
eines Auftritts zu bleiben, welcher redender als
ihr Geſpraͤch mich belehrt, wie edel Sie Ihre Zeit
zubringen. — Rede, Alter, rede!
O, daß jedes meiner Worte Seegen
auf Sie herunter beten koͤnnte! — Verlaſſen lag
ich in meiner Huͤtte, Fieberfroſt klapperte mir in
den Zaͤhnen. Der Wind ſauſte durch die Spalten
meiner zerfallenen Wohnung, und der Regen ſchlug
durch die zerbrochenen Fenſter. Da hatt’ ich keine
Decke, meine Fuͤße drein zu wickeln; nur mein
alter treuer Hund waͤrmte mich und wedelte mir
Troſt zu. Aber nicht einmal ein Biſſen Brodt
war mir uͤbrig geblieben fuͤr den treuen Gefaͤhrten
meiner alten Tage. Ach! da erſchienen Sie mir
in der Geſtalt eines Engels, reichten mir Arze-
neyen, und Ihre troͤſtende liebliche Stimme wirkte
kraͤftiger, als Ihre Arzeneyen, kraͤftiger als die
Huͤhnerbruͤhen, die Sie mir taͤglich ſchickten, und
der Wein, womit Sie mich labten. Ich bin ge-
neſen; ich habe heute zum erſten Male, im Ange-
ſicht
[49] ſicht der Sonne, Gott meinen Dank dargebracht,
und nun komme ich zu Ihnen, edle Frau. Laſſen
Sie mich meine Thraͤnen auf Ihre wohlthaͤtige
Hand weinen! Laſſen Sie mich Ihre Kniee umfaſſen!
Um Ihrent-
willen hat Gott mein Alter geſegnet. Der fremde
Herr, der dort in meiner Nachbarſchaft wohnt,
hat mir heute einen Beutel mit Gold geſchenkt,
um meinen Hans loszukaufen. Ich bin auf dem
Wege nach der Stadt; ich kaufe meinen Hans
los; dann giebt er mir eine brave Schwiegertoch-
ter; dann ſchaukele ich vielleicht noch Enkel auf
meinen Knieen — und Sie, wenn Sie dann vor
meiner gluͤcklichen Huͤtte voruͤbergehen — o wie
wohl muß Ihnen zu Muthe werden, wenn Sie ſich
ſagen: das iſt mein Werk!
Genug, Alter, genug!
Ja wohl genug! denn ich kann’s doch
nicht ſo von mir geben, wie es hier in meinem
Herzen geſchrieben ſteht. Gott weiß das beſſer.
Gott und Ihr Herz moͤgen es Ihnen vergelten!
D
[50]
Vierter Auftritt.
Verwirrung einer ſchönen Seele, welche man auf einer gu-
ten That ertappt hat).
Zeit zu Zeit Blicke auf Sie, in welchen ſein Herz ſchwimmt).
Mir deucht, der Herr Graf koͤnnte nun bald hier
ſeyn.
Nicht doch, Madam. Er mag
immer langſam fahren; die Wege ſind holpericht.
Sein Außenbleiben hat mir eine Unterhaltung ver-
ſchaft, die ich nie vergeſſen werde.
Ey, Herr Major, Sie ma-
chen eine Satyre auf die Menſchen.
Wie ſo?
Weil dergleichen Auftritte Ihnen ſel-
ten ſcheinen.
Wirklich, Madam, Sie haben’s
errathen. — Und heute — ich geſtehe es — ich
war ſo wenig vorbereitet auf eine Bekanntſchaft,
wie die Ihrige — ich fuͤhle mich ſo ſehr uͤberraſcht —
[51] Als mir Bittermann Ihren Namen nannte; — wer
haͤtte glauben ſollen, daß hinter einem ſo alltaͤg-
lichen Namen —
Ein nicht ganz all-
taͤgliches Weib verborgen waͤre? —
Darum rathe ich Ihnen — was ſchon mancher Sit-
tenlehrer ohne Erfolg angeprieſen hat — einen gu-
ten Menſchen ohne Namen immer hoͤher zu ſchaͤ-
tzen, als einen Thoren, deſſen Name [dreyhundert]
Jahre alt iſt. — Verzeihen Sie! Ich werde
muthwillig. Weiber kommen ſo leicht ins
Plaudern.
Und wiſſen ſo fein von der Straße
abzulenken. — Von Ihrem Namen war die Rede.
Nun ja, ich denke ihn nicht beruͤhmter
zu machen, als er iſt.
Verzeihen Sie meine Neubegier.
Sie waren —
oder ſind verheurathet?
Ernſt fallend)
Ich war verheurathet, Herr Major.
mer in den Grenzen des feinſten Anſtandes bleiben)
Witt-
we alſo? —
D 2
[52]
Ich bitte Sie — es giebt Saiten im
menſchlichen Herzen, deren Beruͤhrung zuweilen
einen ſo traurigen Mißton hervorbringt — ich
bitte Sie —
Ich verſtehe.
künſtelnd)
Wahrhaftig, ich werde anfangen, dem
Herrn Bittermann ſeine Kunſtgriffe abzulernen.
Nichts Neues aus der Reſidenz, Herr Major?
Nichts von Bedeutung. Doch —
ich kann nicht wiſſen, was Sie dort intereſſirt,
welche Bekanntſchaften Sie haben.
Ich? nicht eine einzige.
Alſo wohl gar nicht einmal in
unſerm Lande gebohren?
Weder gebohren, noch erzogen.
Darf ich fragen, welcher Him-
melsſtrich —
So gluͤcklich geweſen, meine Wenig-
keit hervorzubringen? Ich bin eine Deutſche; das
heilige roͤmiſche Reich iſt mein Vaterland.
Wirklich, Sie wiſſen alles in
einen geheimnißvollen Schleier zu huͤllen; nur
Ihre Vorzuͤge nicht.
[53]
Das muͤſſen Sie ſchon der weihlichen
Eitelkeit zu Gute halten.
Fuͤnfter Auftritt.
treten herein der Graf und die Graͤfin mit i[h]-
rem Kinde an der Hand.
Nun, da waͤren wir. Gott ſegne
unſern Ein- und Ausgang! — Madam Muͤller, ich
bringe Ihnen einen Invaliden, der in Zukunft zu
keiner andern Fahne ſchwoͤren will, als zu der
Ihrigen.
Meine Fahne weht fuͤr die Einſamkeit.
Und iſt mit Liebesgoͤtterchen auf
allen Seiten bemahlt.
lich umarmt und von ihr bewillkommt wird).
Sie vergeſ-
ſen, Herr Gemahl, daß ich dabey bin.
Zum Henker! Frau Gemahlin, ich
kann doch nicht weniger thun, als ihr ſuͤßer Herr
Bruder. Der hat meine vier Schimmel halb todt
gefahren, um nur ein paar Minuten fruͤher an-
zukommen.
D 3
[54]
Haͤtt’ ich alle Reize dieſes Auf-
enthalts gekannt, ſo moͤgten Sie wohl recht haben.
Iſt mein Wilhelm nicht
recht groß geworden?
Das ſuͤße [Kind]!
nieder und tiefe Melancholie überſchattet ihr Geſicht).
Nun, Bittermann, ich denke, er
hat fuͤr eine gute Mahlzeit Sorge getragen?
So gut ſichs in der Eile hat wollen
thun laſſen.
deſſen zieht der Major die Gräfin auf die Seite).
Ich bitte dich, Schweſter, wel-
che Perle haſt du da auf dem Lande verſcharrt?
Ha! ha! ha! Herr Weiberhaſſer! iſt
er gefangen?
Gieb Antwort!
Nun, Sie heißt Madam Muͤller.
Das weiß ich; aber —
Aber mehr weiß ich auch nicht.
Scherz bey Seite! ich wuͤnſchte zu
wiſſen —
Scherz bey Seite, Herr Bruder! ich
wuͤnſchte, du ließeſt mich in Ruhe.
Mein
[55] Gott! ich habe ja noch zehnmahl hunderttauſend
Dinge zu beſorgen. Das erſte und wichtigſte, mein
Kopfputz. Ich wette, daß der Paſtor und der
Amtmann mir noch heute ihre unterthaͤnige Auf-
wartung machen werden; nun, da muß man wohl
den Spiegel ein wenig zu Rathe ziehen. Komm,
Wilhelm, wir wollen uns ankleiden. Auf Wie-
derſehn, liebe Madam Muͤller!
Kinde ab).
Ich bin in einer ſonderbaren
Stimmung.
Wohin, Herr Schwager?
Auf mein Zimmer.
Ey ſo bleiben Sie doch! Wir wollen
vor dem Eſſen noch einen Spatziergang in den Park
machen.
Verzeihen Sie! Es ſpatzieren mir ſo
viele Dinge im Kopfe herum, daß ich an keinen
andern Spatziergang denken kann.
D 4
[56]
Sechſter Auftritt.
vorgezogen und wiſcht ſich dann und wann eine Thräne aus
den Augen).
Nun, Bittermann, er iſt doch immer
ein naͤrriſcher Kerl.
Ewr. Hochgraͤflichen Excellenz unter-
thaͤnigſt aufzuwarten.
Ich denke, wir wollen recht viel Spas
mit einander haben.
Das wollen wir, geliebt es Gott!
Wer iſt denn der große
Maulaffe da?
Das iſt, mit Reſpect zu melden,
mein leiblicher Sohn, mit Namen Peter.
So ſo. — Wie ſieht’s in der Wirth-
ſchaft aus?
Alles wohl und gut. Hab, ohne
mich zu ruͤhmen, gearbeitet, wie ein Pferd.
Warum nicht gar, wie ein Eſel?
[57]
Oder wie ein Eſel, wenn Ew. Hoch-
graͤfl. Excellenz ſo befehlen. — Das Heu iſt die-
ſes Jahr vortreflich gerathen. Dem Roggen hat
der Wurm Schaden gethan.
Wie ſieht’s mit der Jagd aus?
Federwildpret in Menge, und die
Haſen haben im Fruͤhjahr dem Roggengras weid-
lich zugeſprochen.
Iſt er auch ein Jaͤger?
Vor dieſem wohl; aber ſeit vier Jah-
ren, als mir das Ungluͤck begegnete, daß ich drey
zahme tuͤrkiſche Gaͤnſe ſchoß, die ich fuͤr Trap-
pen anſah, habe ich keine Flinte wieder losge-
brannt. Mein Peter ſchießt zuweilen Sperlinge.
Ich ſchieße Sperlinge.
Ich habe lieber nebenher fuͤr Ew.
Hochgraͤfl. Excellenz hohes Plaiſirchen geſorgt.
Den Park ſollen der Herr Graf ſehen, wie ich den
zugeſtutzt habe; Sie werden ihn nicht wieder ken-
nen. Eine Einſiedeley, krumme Gaͤnge, ein Obe-
lisk, Ruinen eines alten Raubſchloſſes. Und alles
mit Dekonomie, alles mit der ſparſamſten Spar-
ſamkeit. Haͤ! haͤ! haͤ! Da hab ich, zum Beyſpiel,
uͤber den kleinen Fluß eine chineſiſche Bruͤcke ge-
D 5
[58] baut[.] Was meynen der Herr Graf, wo ich das
Holz dazu hernahm? Haͤ! haͤ! haͤ! von dem al-
ten eingefallenen Huͤhnerſtall.
Das mußte ja muͤrbes Holz ſeyn. Und
die Bruͤcke ſteht noch?
Sie ſteht noch bis auf den heutigen
Tag.
Nun, ich will doch die Herr-
lichkeiten beſehen. Laß er unterdeſſen die Tafel decken!
Iſt ſchon beſorgt. Ich werde die Ehre
haben, Ew. [Hochgraͤfl.] Excellenz in Unterthaͤnig-
keit zu begleiten.
Werde auch die Ehre haben.
Sie ſind ja ſo fleißig, liebe
Madam Muͤller, als ob Sie ihr Brod mit Stricken
verdienen muͤßten.
[Siebenter] Auftritt.
Was iſts, das mich ſo fuͤrchterlich erſchuͤttert
hat? Mein Herz blutet; meine Thraͤnen fließen.
Schon war es mir gelungen, Herr uͤber meinen
Kummer zu ſcheinen, und mindeſtens jene frohe
[59] Laune zu erheucheln, die einſt mir ſo eigen war.
Ach! da ſchlaͤgt der Anblick dieſes Kindes mich tief,
tief zu Boden. — Als die Graͤfin den Namen Wil-
helm nannte — ach! ſie wußte nicht, daß ſie mir
einen gluͤhenden Dolch durchs Herz ſtieß. — Ich
habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt ſo groß
ſeyn, als dieſer, wenn er noch lebt — ja, wenn
er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine
Amalia nicht ſchon lange vor Gottes Richterſtuhl
Wehe! uͤber mich ſchreyen! — Warum quaͤlſt du
mich, marternde Phantaſie? warum kreiſcheſt du
mir ihr huͤlfloſes Wimmern in die Ohren? war-
um mahlſt du mir die armen Kleinen, kaͤmpfend
gegen Maſern- und Blatterngift, lechzend mit duͤr-
rer Zunge nach einem Trunck, den die Hand eines
Miethlings ihnen darreicht — vielleicht auch ver-
ſagt. — Denn ach! Sie ſind ja verlaſſen von ih-
rer unnatuͤrlichen Mutter. —
O
ich bin ein elendes, verworfenes Geſchoͤpf! Und
daß eben heute dieß ganze ſchreckliche Gefuͤhl in
mir rege werden mußte! eben heute, da mein Ge-
ſicht einer Larve ſo beduͤrftig war!
[60]
Achter Auftritt.
Nun ja, das waͤre mir eben recht. Warum nicht
lieber gar in den Stall? — Ihre Dienerin, Madam
Muͤller. Ich bitte mir ein Zimmer aus, wie es
ſich fuͤr eine honette Perſon geziemt.
Ich denke, man hat Ihnen ein recht
artiges Zimmerchen eingeraͤumt.
Ein artiges Zimmerchen? ſeht doch!
hinten an der Treppe, gerade uͤber dem Kuhſtall.
[Ey]! Da koͤnnt’ ich vor Geſtank kein Auge zu thun.
Ich habe ſelbſt ein ganzes
Jahr lang da geſchlafen.
Wahrhaftig? Nun ſo rathe ich Ihnen,
je eher je lieber wieder hinein zu ziehen. Meine
liebe Madam, es iſt ein großer Unterſchied zwiſchen
gewiſſen Perſonen und gewiſſen Perſonen; es kommt
gar viel darauf an, wie man es von Jugend auf
gewohnt geweſen. Mein ſeeliger Papa war Hof-
kutſcher, und trug die Livree Sr. Durchlaucht. Ge-
wiſſe Perſonen ſind ſo aus der Luft herunterge-
ſchneyt, und moͤgen freylich wohl ihre Naſen von
[61] Kindheit auf au den Geruch von Kuhſtaͤllen ge-
woͤhnt haben. — Ich daͤchte, Madam, Sie traͤten
mir Ihr Zimmer ab.
Wenn die Frau Graͤfin es befiehlt, recht
gern.
Wenn die Frau Graͤfin es befiehlt?
Seht doch! Wer wird denn hohe Herrſchaften
mit ſolchen Bagatellen uͤberlaufen? Ich werde mei-
nen Koffer dahin bringen laſſen, wohin es mir
beliebt.
Das moͤgen Sie thun; nur nicht auf
mein Zimmer.
Auf Ihr Zimmer, Madam.
Ich trage den Schluͤſſel in meiner Taſche.
So bitt’ ich mir ihn aus.
Auf Befehl der Frau Graͤfin augenblicklich.
Verdammt! Doch warum ſuch ich auch
Lebensart unter Huͤhnern und Gaͤuſen?
Neunter Auftritt.
Ach Herr Jemine!
ach Herr Jemine!
Was giebts?
[62]
Der gnaͤdige Herr iſt ins Waſſer gefal-
len! Die Excellenz iſt erſoffen!
und
Wer? Was?
Der gnaͤdige Herr Graf —
Iſt ertrunken?
Ja.
Todt?
Nein, todt iſt er nicht.
Nun ſo ſchreyen Sie nur nicht ſo, daß
die Frau Graͤfin nichts davon erfaͤhrt.
Ich nicht ſchreyen? Ach Herr Jemine!
Herr Jemine! Die Excellenz trieft, wie ein Budel,
am ganzen Leibe.
Zehnter Auftritt.
Die Vorigen.
Was giebts?
Welch Geſchrey?
Ein Zufall, gnaͤdige Graͤfin; ich ver-
muthe, ein unbedeutender Zufall. Der Herr Graf
iſt dem Waſſer zu nahe gekommen und hat ſich die
Fuͤße ein wenig naß gemacht.
[63]
Die Fuͤße? ja, proſit die Mahlzeit! Er
iſt bis uͤber den Kopf hineingeplumpt.
Barmherziger Gott!
Ich eile —
Bleiben Sie, Herr Major; beruhigen
Sie ſich, gnaͤdige Frau! Es ſey geſchehen, was da
wolle, der Herr Graf iſt zum mindeſten gerettet.
Nicht wahr, Musje Peter?
Meiner Six! die Excellenz iſt eben nicht
todt, aber ſie iſt ſehr naß.
Rede, junger Menſch, rede!
Erzaͤhle alles, was du weißt!
Von Anfang bis zu Ende?
Ja, ja, nur geſchwind.
Nun, ſehn Sie nur, wir waren alle
drey hier im Zimmer; ich, mein Papa, und der
Herr Graf.
Ich merke wohl, auf dieſe Art wird
Monſieur Peter vor Abend mit ſeiner Erzaͤhlung
nicht fertig. Kurz und gut, Sie waren hier im
Zimmer, und begleiteten den Herrn Grafen hinaus —
Richtig.
In den Park —
Richtig.
[64]
Und da gingen Sie ſpatzieren —
Ganz recht! ich glaube, Sie koͤnnen hexen.
Nun, was trug ſich ferner zu?
J Herr Je! Wir gingen am Bache hin-
unter und kamen an die chineſiſche Bruͤcke, die
mein Papa aus dem alten Huͤhnerſtall zuſammen-
geſchlagen hat. Da ging nun der Herr Graf auf
die Bruͤcke, und da ſagte er, es waͤre recht fein
und lieblich anzuſehen, wie der Fluß ſich durch
den Buſch ſchlaͤngelte, und da lehnte er ſich ein we-
nig auf das Gelaͤnder; krach! brach das Gelaͤnder
entzwey; plumps! lag die Excellenz im Waſſer.
Aber Sie zogen ihn doch gleich wieder
heraus?
Ich nicht. —
Aber der Papa?
Der Papa auch nicht. —
Sie ließen ihn alſo liegen?
Wir ließen ihn liegen. Aber wir ſchrieen
alle beyde aus Leibeskraͤften. Ich glaube, man
hat es bis hinunter ins Dorf hoͤren koͤnnen.
Und da eilten Leute herbey?
Der fremde Herr kam, der dort unten
neben dem alten Tobies wohnt, und immer kein
Wort
[65] Wort ſpricht. Das iſt ein Teufelskerl! Mit einem
Sprung war er im Waſſer; da patſchte er drin her-
um, wie eine Ente, erwiſchte die Excellenz bey den
Haaren, und ſchleppte ſie gluͤcklich ans Ufer.
Gott ſegne den fremden Mann!
Wo bleiben ſie denn alle?
Sie kommen die Allee herauf.
Auch der Fremde?
Meiner Six! Der lief davon. Der Herr
Graf wollte ſich bey ihm bedanken; aber er war
ſchon uͤber alle Berge.
Eilfter Auftritt.
ſchließend)
Ach mein Beſter!
Drey Schritt vom Leibe! Sie ſehen ja,
daß ich triefe.
Um Gottes willen! geſchwind trockene
Waͤſche!
Nun ja, ja! Seyn Sie ruhig; es hat
keine Gefahr. Ein alter Soldat iſt wohl eher ein
bischen in der Schwemme geweſen. Aber es haͤtte
E
[66] uͤbel ablaufen koͤnnen, wenn nicht der großmuͤthige
Fremde — Wer iſt der Mann? wer kennt ihn?
Bittermann hat mir da allerley verworrenes Zeug
vorgeſchwazt.
Man kann nicht klug aus ihm werden.
Er kam vor einigen Monaten in dieſe Gegend
und miethete von Bittermann das kleine Haus am
Ende des Parks. Da lebt er ganz im Stillen; er
ſieht niemand, er ſpricht mit niemand; ich ſelbſt
ſah ihn nur ein paarmal von ferne. Scheu und
gebuͤckt ſchleicht er umher und weicht jedermann
aus; aber er thut viel Gutes im Verborgenen.
Lotte, geh hin und bitt’ ihn auf den
Abend zum Eſſen. Er moͤgte vorlieb nehmen, hoͤrſt
du? er kaͤme in das Haus eines Freundes.
Sie vergeſſen ſich umzukleiden.
Gleich, gleich.
Und niederſchlagendes Pulver einzu-
nehmen.
Ich habe den Henker von Ihrem nieder-
ſchlagenden Pulver. Ein Glas Mallaga, um das
Blut ein wenig lebhafter durch die Adern zu jagen.
— Hoͤr er, Bittermann, das muß ich ihm nach-
ſagen, er hat eine helle durchdringende Stimme;
[67] er kann bruͤllen, daß mans bis unter das Waſ-
ſer hoͤrt.
Ew. Hochgraͤflichen Excellenz unter-
thaͤnigſt aufzuwarten.
Aber mit ſeiner chineſiſchen Bruͤcke kann
er zum Teufel gehn.
Komm, Bruder, wir muͤſſen ihn uͤber-
reden, daß er ein paar Theeloͤffel voll Unzeriſch
Pulver einnimmt. Sie haben doch welches im
Hauſe, liebe Madam Muͤller?
Augenblicklich.
ſeln [und] geht ab.)
und
Zwoͤlfter Auftritt.
Ha! ha! ha! mein lieber Herr Bitter-
mann, Sie haben ſich ein wenig blamirt.
Lieber Gott! hochedle Mamſell, man
will doch alles oͤkonomiſch einrichten; die hohen Herr-
ſchaften ſehen das ſelbſt gern.
Ja, aber man muß doch keine Bruͤcken
von faulem Holz bauen.
E 2
[68]
Nun, ſo gar ſehr verfault war es doch
auch eben nicht. Seine Excellenz, der Herr Graf,
ſind nur ein wenig ſchwer bey Leibe.
Aber warum ſprangen Sie denn nicht
ſelbſt ins Waſſer, um den gnaͤdigen Herrn zu retten?
Gott behuͤte! Ich waͤre untergeſunken,
wie ein Stuͤck Bley. Nein, was deines Amts nicht iſt,
davon laß deinen Fuͤrwitz. Und ich hatte uͤberdies
eben einen wichtigen Brief in der Taſche; der waͤre mir
ja ganz naß und unleſerlich geworden; einen Brief
aus Frankreich vom Chevalier — wie heißt er doch
nun gleich?
gleich wieder ein)
Sehn Sie, Sie koͤnnten denken,
es waͤre nicht wahr. O! der enthaͤlt intereſſante
Dinge.
Die
Welt wird erſtaunen, wenn das oͤffentlich bekannt
wird, und kein Menſch wird auf den Einfall ge-
rathen, daß der alte Bittermann die Hand mit im
Spiele hatte.
Nein, wahrlich nicht.
Ich muß doch gehen und die chineſi-
ſche Bruͤcke ein wenig repariren laſſen, wenn etwa
die Frau Graͤfin Luſt haben ſollte —
Sich auch ein wenig zu haden?
[69]
Nicht doch, nicht doch! wir wollens
ſchon befeſtigen. Gehorſamer Diener, hochedle
Mamſell!
Ihre Dienerin!
Da iſt der Brief aus
Frankreich. Den hat mein Vetter geſchrieben.
Ihr Vetter? Wer iſt der?
J Herr Je, kennen Sie den nicht? Der
Schneider Fummel in der Reſidenz.
Ihr Vetter ein Schneider? Ha! ha! ha!
Mein Vater war Hofkutſcher.
Nun, da war er auch was rechts. Aber
warum ſagt denn der Papa, der Brief kaͤme aus
Frankreich? Hm! hm! Was er nun da davon
hat?
Ende des zweyten Aufzugs.
E 3
[70]
Dritter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Franz kommt).
Das Eſſen iſt fertig.
Ich mag nicht eſſen.
Junge Erbſen und ein gebratenes Huhn.
Fuͤr dich, wenn du willſt.
Sie ſind nicht hungrig.
Nein.
Die Mittagshitze benimmt allen Appetit.
Ja.
Ich werde das Huͤhnchen verwahren.
Vielleicht auf den Abend —
Vielleicht.
Gnaͤdiger Herr, darf
ich reden?
Rede.
[71]
Sie haben eine ſchoͤne That gethan.
Welche?
Sie haben einem Menſchen das Leben
gerettet.
Schweig.
Wiſſen Sie auch, wem?
Nein.
Dem Grafen von Winterſee.
Gleichviel.
Wahrlich! ſo was kann einem alten
Auge Thraͤnen entlocken.
Altes Weib!
Ein ſo edler, ein ſo braver Herr —
Willſt du mir ſchmeicheln? Pack
dich fort!
Bey meiner armen Seele! es geht mir
von Herzen. Wenn ich ſo im Stillen zuſehe, wie
Sie um ſich her Gutes wirken, wie Sie ſo die
Noth eines jeden zu Ihrer eigenen machen und doch
ſelbſt nicht gluͤcklich ſind — ach! da blutet mir
das Herz.
Ich danke dir.
Lieber Herr, nehmen Sie mirs nicht
uͤbel! Sollte vielleicht nur dickes, ſchwarzes Blut
E 4
[72] Sie ſo ſchwermuͤthig machen? Ich hoͤrte einmal von
einem beruͤhmten Arzt: der Menſchenhaß habe ſei-
nen Sitz im Blute, oder in den Nerven, oder im
Eingeweide.
Das iſt nicht mein Fall, guter Franz.
Alſo wirklich ungluͤcklich? und doch ſo
gut! Das iſt ein Jammer!
Ich leide unverſchuldet.
Armer Herr!
Haſt du vergeſſen, was der Greis dieſen
Morgen ſagte? „Es giebt noch ein anderes, beſſe-
res Leben!“ Laß uns hoffen — und muthig tragen!
Amen!
Zweyter Auftritt.
Mit Permiſſion, Sie ſind doch der
fremde Herr, der meinen gnaͤdigen Grafen aus dem
Waſſer gezogen?
Oder ſind Sie es?
Sind die Herren beyde ſtumm?
tet ſie wechſelsweiſe; beyde ſehen ihr ſtarr ins Geſicht)
[73]
Nun, das iſt luſtig, ha! ha! ha!
So lachen Sie doch wenigſtens mit. — Nein wahr-
lich! nicht eine Miene, nicht eine Falte. Ein paar
Puppen, in Wachs formirt. Ich moͤchte lachen
oder weinen, ſeufzen oder ſchreyen; das bringt die
Herren ſo wenig aus ihrer Faſſung, als den Tom
Pipes im Peregrine Pickle. — Sollte der ſpashafte
Herr Bittermann ein paar Bildſaͤulen aufgeſtutzt
haben?
Aber nein, das
lebt, das holt Athem, das verdreht die Augen.
Guter Freund!
Ich bin nicht taub.
Und auch nicht ſtumm, wie ich endlich
ein wenig ſpaͤt erfahre. Iſt jener Lebloſe dort
ſein Herr?
Jener brave Mann iſt mein Herr.
Der nehmliche, der —
Der nehmliche.
Meine gnaͤdige
Herrſchaft, der Herr Graf von Winterſee und die
Frau Graͤfin, laſſen ſich Ihnen ſchoͤnſtens empfeh-
len und angelegentlich bitten, dieſen Abend auf
dem Schloſſe mit einem Gerichte Gernegeſehn vor-
lieb zu nehmen.
E 5
[74]
Ich eſſe nicht.
Nun, ſo kommen Sie wenigſtens.
Ich komme nicht.
So trocken werden Sie mich doch nicht
abfertigen? — Kein Wort weiter? — Der Herr
Graf iſt durchdrungen vom Gefuͤhl der Dankbar-
keit. Sie haben ihm das Leben gerettet.
Iſt gern geſchehen.
Und wollten nicht einmal ein kahles
Gottvergelt’ es! dafuͤr in Empfang nehmen?
Nein.
Wirklich, mein Herr, Sie ſind grau-
ſam. Ich muß Ihnen ſagen, daß unſer drey Frauen-
zimmer im Schloſſe ſind, und daß wir alle drey vor
Begierde brennen, zu wiſſen, wer Sie ſind.
Der Herr iſt ein ſauertoͤpfiſcher Grobian.
Ich muß ſehen, wie weit ich es mit dem Bedien-
ten bringe.
Der Anfang verſpricht blutwenig. Gu-
ter Freund! warum ſieht er mich nicht an?
Weil ich lieber gruͤne Baͤume, als gruͤne
Augen ſehe.
[75]
Gruͤne Augen? Verflucht! Wer hat ihm
denn geſagt, daß meine Augen gruͤn ſind? Man
hat wohl eher Verſe auf meine Augen gemacht.
Doch an ſeinem Beyfall iſt mir wenig gelegen. Aber
wenn er mich nicht anſehen will, ſo ſprech’ er we-
nigſtens mit mir.
Ich ſpreche mit keiner Meerkatze.
Hoͤr er, mein Freund! ich daͤchte, er
ließe ſich an eine Kette legen und wie ein polniſcher
Baͤr fuͤr Geld ſehen. Etwas ſo Grobes, Unge-
ſchliffenes ſieht man nicht alle Tage. Aber er ſoll
wiſſen, das ich von gutem Hauſe bin, und daß
meine Erziehung mich dergleichen Sottiſen verach-
ten lehrt.
Das freut mich.
Alſo kurz und gut zur Sache: wer iſt
ſein Herr?
Ein Mann.
Nun freylich iſt er kein Weib; denn
ſonſt waͤre er hoͤflicher, und ließe ſich auch nicht von
einem ſolchen Grobian bedienen. Aber wie heißt er?
Man nannte ihn nach ſeinem Vater.
Und der war? —
Verheurathet.
[76]
Mit einem Frauenzimmer ver-
muthlich.
Getroffen!
Vielleicht hat er im Duell —
Einen Haſen geſchoſſen.
Oder als falſcher Muͤnzer —
Paſteten gebacken.
Oder er iſt als Deſerteur —
Seinem Maͤdchen entlaufen.
Oder er iſt —
Ein Jeſuit.
Guter Freund! wer ſein Herr
iſt, werd’ ich wohl freylich nicht erfahren, und
mags auch nun nicht wiſſen; aber wer Er iſt, das
weiß ich.
Nun?
Er iſt ein Toͤlpel.
Schoͤnen Dank! Wer den Weibern ihren
Willen thut, der iſt ein homme comme il faut,
und wer ſich nicht von ihnen zum Narren brauchen
laͤßt, der iſt ein Toͤlpel. Aber Sie moͤgen dich
nun bezahlen in dieſer oder in jener Muͤnze; du
biſt immer betrogen.
[77]
Dritter Auftritt.
Iſt das Weib fort?
Ja.
Franz!
Gnaͤdiger Herr!
Wir muͤſſen auch fort.
Wohin?
Das weiß Gott!
Ich folge Ihnen.
Allenthalben?
In den Tod.
Wollte der Himmel! Dort iſt Ruhe.
Ueberall iſt Ruhe. Mags von außen
ſtuͤrmen, wenn nur das Herz nicht tobt. Und dann
iſts hier wohl noch immer eben ſo gut, als in ei-
nem andern Winkel der Welt. Die Gegend iſt
herrlich, die einladende Natur verſchwenderiſch
mit Schoͤnheiten und Fruͤchten.
Aber ich bin kein fremdes Thier; ich
will mich nicht begaffen laſſen.
Wie Sie dem Dinge nun wieder eine
Deutung geben, nach Ihrer eigenen Manier! Daß
[78] ein Menſch, dem man das Leben gerettet hat, ei-
nen zum Eſſen bitten laͤßt, das find’ ich ſehr na-
tuͤrlich.
Aber man ſoll mich nicht zum Eſſen bitten.
Seyn Sie ruhig! Man wird es ſchwer-
lich zum zweiten Male verſuchen.
Die Schranzen! Sie bilden ſich ein,
der wichtigſte Dienſt ſey vergolten, wenn man ein-
mal das Gluͤck haben darf, mit Ihnen zu ſpeiſen.
Recht, Herr! Lieber Kartoffeln zu
Hauſe, wo man nicht jeden Biſſen mit Schmeiche-
leyen verzollen muß, wo man nicht gezwungen iſt,
uͤber froſtige Spaͤschen zu lachen, oder den ehrli-
chen Namen eines Dritten zu zerreißen.
Wir wollen fort.
Aber Geduld, gnaͤdiger Herr! Vielleicht
zerſtreut ſich das Menſchengewuͤhl wieder. Die
kommen allzumal aus der Reſidenz, werden’s im
Schatten der einfachen Natur bald ſatt kriegen,
finden hier weder Karten noch Hanswuͤrſte, wenn
ſie nicht ſelbſt welche mitgebracht haben. Denn
heut zu Tage hat jeder Narr ſeinen Hanswurſt bey
der Hand. Geben Sie Acht, Herr, das ſind die
Drohnen aus dem Bienenſtocke des Hofes; die ſind
[79] ausgeflogen, nicht um hier in der Einſamkeit Ho-
nig zu ſammeln; nein, um der lieben Mode wil-
len. Wenn der Herbſt herbeykommt, fliegen
Sie alle wieder zuruͤck und treiben dort ihr Weſen.
Dein Scherz wird bitter.
Was iſt Speiſe ohne Salz?
Und es laͤßt ſich vermuthen, daß, wenn
jenes Ziel deines Spottes dir aus den Augen ge-
ruͤckt worden, du deinen Herrn zum Ziele nehmen
werdeſt. Ich kannte dich noch nicht von der Seite.
Schon wieder menſchenfeindliches Mis-
trauen! Lieber Herr, ich will Ihnen gerne ohne
Lohn dienen, aber halten Sie mich fuͤr einen ehr-
lichen Kerl.
Ohne Lohn? Alſo laͤßt dein ehrlicher
Name ſich taxiren. Ohngefaͤhr ſo hoch, als dein
Lohn?
Nein, das iſt zu arg.
Thu ich dir Unrecht?
Wahrlich.
Du biſt mein einziger Freund.
Der Titel, den Sie mir da geben, macht
alles wieder gut.
[80]
Siehſt du, Franz? Schimmern dort
nicht ſchon wieder Uniformen und Kopfzeuge die
Allee herauf? — Nein, ich muß fort. Hier iſt
meines Bleibens nicht mehr.
Wohl, ich ſchnuͤre mein Buͤndel.
Je eher, je lieber. Da muß ich an
dem herrlichen Tage mich zwiſchen vier Mauern
ſperren, um den Maulaffen aus dem Wege zu ge-
hen. Und iſt es wahres Hofgeſchmeiß, ſo ſind
ſie wohl keck genug, ſich bis in mein Zimmer zu
draͤngen.
Franz, ich verriegle meine
Thuͤre.
Und ich halte Schildwacht von außen.
Wenn die Herrſchaften eben ſo neugie-
rig ſind, als das Kammermaͤdchen, ſo werd’ ich
meinen Vorrath von Impertinenz wieder auskra-
men muͤſſen. Aber ſie haben gut fragen und ich
habe gut antworten. Von mir werden ſie wenig
erfahren; denn ich weiß ſelbſt nichts.
Vierter
[81]
Vierter Auftritt.
Sieh da, ein fremdes Geſicht! Ver-
muthlich der Diener.
Mein Freund, kann man ſeinen Herrn
nicht ſprechen?
Nein.
Nur auf wenige Minuten.
Er hat ſich eingeſchloſſen.
Sag er ihm, daß eine Dame hier auf
ihn warte.
Dann macht er gar nicht auf.
Haßt er unſer Geſchlecht?
Er haßt das Menſchengeſchlecht uͤber-
baupt, und das weibliche insbeſondere.
Warum denn?
Er mag wohl betrogen worden ſeyn.
Ey, da iſt er aber nicht galant.
Galant iſt mein Herr nicht, aber wenn
es darauf ankommt, einem Menſchen das Leben
zu retten, ſo thut er es mit Gefahr ſeines eigenen.
Und das iſt mehr werth, als kahle
Galanterie. Er hat Recht. Auch uns fuͤhrt Ga-
F
[82] lanterie nicht hieher. Die Frau und der Schwa-
ger des Geretteten wuͤnſchten ſeinem Herrn ihre
Erkenntlichkeit zu bezeugen.
Er liebt das nicht.
Ein ſonderbarer Mann!
Der keinen andern Wunſch hegt, als
den, in Ruhe und Friede zu bleiben.
Er ſcheint ſich mit dem Schickſal uͤber-
worfen zu haben.
So ſcheint es.
Vielleicht eine Ehrenſache, oder un-
gluͤckliche Liebe?
Vielleicht.
Oder er iſt ein Schwaͤrmer?
Kann ſeyn.
Dem ſey wie ihm wolle, ich wuͤnſchte
zu wiſſen, wer er iſt.
Ich auch.
Wie? er kennt ihn ſelbſt nicht?
O ihn kenn’ ich wohl, das heißt, ſein
eigentliches Ich, ſein Herz, ſeine Seele; oder
glauben Sie, daß man die Menſchen kennt, wenn
man ihren Namen weiß?
[83]
Brav! er gefaͤllt mir, und nun wuͤnſchte
ich auch ſeine Bekanntſchaft zu machen. Wer iſt
er denn?
Ihr gehorſamer Diener.
Fuͤnfter Auftritt.
Bizarrerie! Sucht ſonderbar zu ſchei-
nen! Jedermann will ſich unter ſeinen Bruͤdern
auszeichnen; der eine umſegelt die Welt, der an-
dere verkriecht ſich in eine Huͤtte.
Und der Diener aͤfft dem Herrn nach.
Komm, Bruder, wir wollen meinen
Mann aufſuchen; er ging mit Madam Muͤller dort
uͤber die Wieſe.
Vorher ein paar Worte. — Schwe-
ſter, ich bin verliebt!
Zum wie vielſten Male?
Zum erſten Male in meinem Leben.
Gratulire.
Du biſt mir ausgewichen bis jetzt. Wer
iſt ſie? Ich bitte dich, Schweſter, ſey ernſthaft!
Lachen hat ſeine Zeit.
F 2
[84]
Um aller Grazien willen, du ſiehſt aus,
als wollteſt du Geiſter citiren. Rolle deine wilden
Augen nicht ſo auf mir herum; ich gehorche ſchon.
Ernſthaft alſo uͤber die naͤrriſchſte Materie von der
Welt, uͤber die Liebe! Wer Madam Muͤller iſt,
weiß ich nicht, das hab’ ich dir ſchon geſagt. Was
ich aber ſonſt noch von ihr weiß, das ſoll dir un-
verholen bleiben. Es moͤgen nun ungefaͤhr drey
Jahre ſeyn, als man mir eines Abends in der Daͤm-
merung ein fremdes Frauenzimmer meldete, wel-
ches mich allein zu ſprechen begehre. Ich nahm
den Beſuch an, und Madam Muͤller erſchien, mit
all’ dem Anſtande, all’ der Beſcheidenheit, welche
auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Zuͤge
damals noch das ſichtbare Gepraͤge der Angſt und
Verwirrung, welche jetzt in ſanfte Melancholie ver-
ſchmolzen ſind. Sie warf ſich zu meinen Fuͤßen
und bat mich, eine Ungluͤckliche zu retten, die der
Verzweifelung nahe ſey. Sie verſicherte, man
habe ihr viel Gutes von mir geſagt, und erbot ſich,
mir als Kammermaͤdchen zu dienen. Ich forſchte
vergebens nach der Urſache ihrer Leiden, ſie ver-
ſchleyerte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem
Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tu-
[85] gend zum Tempel erkohren, und einen Verſtand,
durch die ausgeſuchteſte Lectuͤre gebildet. Ich ließ ab,
mich in ihr Vertrauen eindraͤngen zu wollen; aber
ſie war nun nicht mehr mein Kammermaͤdchen, ſie
ward meine Freundin. Als ſie mich einſt auf einer
Spatzierfahrt hieher begleitete, und ich in ihren
Augen das ſtille Entzuͤcken las, mit welchem ihre
Seele an den Schoͤnheiten der Natur hing, that
ich ihr den Vorſchlag, hier zu bleiben, und ſich
der haͤuslichen Wirthſchaft anzunehmen. Sie er-
griff meine Hand, und druͤckte ſie an ihre Lippen
mit ungewoͤhnlichem Feuer. Ihre dankbare Seele
ſchwamm in ihren ſtummen Thraͤnen. Seitdem iſt
ſie hier, und wirkt unzaͤhliges Gute im Verborge-
nen, und wird angebetet von jedem Geſchoͤpfe, das
ſich ihr naͤhert.
Ich bin fer-
tig, Herr Bruder.
Zu wenig, um meine ganze Wißbe-
gierde zu befriedigen, aber doch genug, um den
Vorſatz zur That werden zu laſſen. — Schweſter,
ſteh mir bey! — ich heurathe ſie.
Du?
Ich.
Baron von der Horſt?
F 3
[86]
Pfuy! — wenn ich dich recht verſtehe.
Nur nicht gleich ſo bitter! Die großen,
erhabenen Grundſaͤtze von Gleichheit aller Staͤnde,
und ſo weiter, ſind herrlich in einem Roman; aber
wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der
Herr Baron will ſeine Gemahlin nach Hofe fuͤhren,
das geht nicht an; er will ſeine Soͤhne zu Dom-
herrn machen, das geht nicht an; er will ſeine
Toͤchter in einem Stift verſorgen, das geht wieder
nicht an.
Predige mir nicht Gemeinſpruͤche! Ich
duͤrfte dir nur antworten, daß ich liebe, leiden-
ſchaftlich liebe, und du muͤßteſt ſchweigen; denn
die Liebe kehrt ſich weder an Domherrn, noch an
Stiftsfraͤulein. Aber ich bin kein brauſender Juͤng-
ling mehr; du haſt einen Mann vor dir, der —
Der eine Frau nehmen will.
Nein, der vernuͤnftig und kalt Vor-
theil gegen Nachtheil abgewogen, haͤusliche Ruhe
und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Gluͤck
des Lebens gegen eitle Convenienz. Ich kenne die
Verhaͤltniſſe in der buͤrgerlichen Geſellſchaft; ich
kenne und ehre ſie. Sie waren einſt ſehr nothwen-
dig, und ſind es vielleicht noch. Ich werde nie
[87] thoͤricht genug ſeyn, zu verlangen, daß man um
meinetwillen auch nur ein Tuͤttelchen an der wohl-
hergebrachten Hofetikette aͤndre, oder ein Quent-
chen vom uralten Adelswahn fahren laſſe. Meine
Frau wird alſo nicht bey Hofe erſcheinen; und da
fragt ſichs nur noch, ob wir dabey gewinnen oder
verlieren werden?
Darum mußt du den alten Hofmar-
ſchall fragen; der kann dir das am beſten erklaͤren.
Meine Soͤhne werden weder Domherrn,
noch meine Toͤchter Stiftsfraͤulein ſeyn. Das heißt
mit andern Worten: meine Soͤhne werden da nicht
erndten, wo ſie nicht geſaͤet haben, und meinen
Toͤchtern — wenn ſie die Tugenden ihrer Mutter
erben — wird es nie an braven Maͤnnern fehlen.
Beſonders, wenn ſie ſich nach ihrer
Tante bilden.
Ich ziehe aufs Land; ich bin mir ſelbſt
genug. Um meine Bauern gluͤcklich zu machen, be-
darf ich keines Titels, und mein eignes Gluͤck zu
fuͤhlen, lehrt mich mein Herz. Eine Frau, wie
dieſe — einſt Vater von Kindern, die ihr gleichen —
reich genug, um Wohlſtand um mich her zu ver-
breiten — was will der Menſch mehr? Oder wenn
F 4
[88] du mich nun auch fuͤr ein ſo gar geſelliges Thier
haͤlſt, daß ich ſelbſt meiner Frau gegenuͤber, dann
und wann Langeweile empfinden muͤßte; hab’ ich
denn nicht Freunde? eine zaͤrtliche, muthwillige
Schweſter? einen jovialiſchen Schwager? — oder
— wie? — waͤre dieſe Schwaͤgerin der Frau Graͤ-
fin vielleicht nicht anſtaͤndig?
Du wirſt unartig.
Nun, was hindert denn noch?
Das iſt alles ſehr ſchoͤn und ruͤhrend.
Der Plan iſt vortreflich; nur einen kleinen Um-
ſtand haſt du vergeſſen.
Der waͤre?
Ob Madam Muͤller dich haben will.
Das iſt es eben, liebe Schweſter, wo-
zu ich deinen Beyſtand noͤthig habe.
Hand faſſend)
Gute Henriette! du kennſt mein Herz,
du weißt, daß ich nicht faſele. In franzoͤſiſchen
Dienſten aufgewachſen, unter geſchminkten, ver-
buhlten Weibern, ward euer Geſchlecht mir ver-
haßt. Der Hof bot mir ein ewiges, ekelhaftes
Einerley, und in Privathaͤuſern fand ich, wenns
hoch kam, Eheleute, die ſich ertrugen, weil ſie
mußten, und einander liebkoſten, weil es nun ein-
[89] mal ſo Sitte, iſt. Ueberall Bilder des Ueberdruſſes
und der Reue; uͤberall eitle Weiber und zu Grunde
gerichtete Maͤnner, thoͤrichte Muͤtter und verzogene
Kinder.
Ein ſauberes Gemaͤhlde! aber — nimm
mirs nicht uͤbel, — mit Hogarths Pinſel entwor-
fen — Carricatur.
Ach liebe Henriette, auch meine Stun-
de iſt gekommen.
Es geſchieht dir ſchon Recht. Nur
Schade, daß du eben an eine ſanfte holde Seele ge-
rathen biſt. Eine Xantippe haͤtte den Herrn Bru-
der an ihren Triumphwagen ſpannen ſollen.
Nur eine ſolche Seele vermochte dieß
widerſpenſtige Herz zu feſſeln. Und nun — liebe
Henriette — du, mit der ich an einer Bruſt lag —
Um Vergebung! Ich hatte eine Amme.
Grauſamer Muthwille!
Wunderlicher Menſch! wozu denn
ſtoͤhnen und ſeufzen, da ſich dir die reizendſte Aus-
ſicht oͤffnet? Hier haſt du meine Hand! Ohne
glaͤnzendes Wortgepraͤnge, ich thue, was ich ver-
mag. St! beynahe waͤren wir uͤberraſcht wor-
den. Sie kommen. Weg mit der Eheſtands-
F 5
[90] Falte. Warte dein Spiel ruhig ab; ich will die
Karten ſchon miſchen.
Sechſter Auftritt.
Zuletzt Peter.
Potz Stern! Madam, Sie ſind gut zu
Fuße. Mit Ihnen mag ein Anderer um die Wette
laufen.
Die Gewohnheit, Herr Graf. Sie duͤr-
fen nur vier Wochen hintereinander alle Tage einen
ſolchen Spatziergang machen.
O ja! wenn ich Luſt habe, meinen Wind-
hunden aͤhnlich zu werden.
Wo war’t ihr? Wir ſuchten euch.
Wo wir waren? Ja ſieh nur, mein
Schatz! wenn man mit Madam Muͤller geht, ſo
weiß man nicht ſo eigentlich, wo man iſt.
Ich fuͤhrte den Herrn Grafen auf jenen
Huͤgel, von deſſen Spitze man das ganze Thal und
den Fluß, der ſich unten im Thale ſchlaͤngelt, uͤber-
ſehen kann.
[91]
Ja, ja, die Ausſicht iſt ſchoͤn, und ſo
neben Madam Muͤller zu ſtehen, und zuzuhoͤren,
wie ſie die Reize der Schoͤpfung ein wenig dichte-
riſch und ſchwaͤrmeriſch beſchreibt, das iſt noch ſchoͤ-
ner; aber nehmen Sie mir’s nicht uͤbel! mich krie-
gen Sie doch nicht wieder hinauf. Meine Fuͤße
ſind klagbar geworden, und haben wahrlich die ge-
rechteſte Sache von der Welt.
So laſſen Sie uns nach Hauſe gehen.
Ein wohlgepolſteter Sopha ladet Sie ein.
Der bloße Gedanke iſt erquickend. Aber
ich bin ſo muͤde und ſo durſtig, daß ich durchaus
erſt Raſttag halten, und meinen trockenen Gaumen
durch eine Libation auf ſeinem Grund und Boden
ausſoͤhnen muß. Wie waͤr’s, Herr Schwager,
wenn wir uns dort in die Laube ein paar Pfeifen
und eine Bouteille engliſch Oel bringen ließen?
Thut das! Wir Weiber laufen indeſ-
ſen noch ein wenig herum.
einen Wink.)
Ich bin von der Parthie.
Schoͤn! He da! — Verdammt! nun
haben wir niemand zu ſchicken. Ich kann es vor
den Henker nicht leiden, wenn auf Spatziergaͤngen
[92] immer ein großer Maulaffe hinter mir hertritt;
aber diesmal waͤre mir’s doch lieb, wenn ich einen
Bedienten mitgenommen haͤtte.
die Ferne ſchauend)
Seht doch, iſt das nicht Pe-
ter, der dort unten am Wege den Birnbaum ſchuͤt-
telt? Ja, er iſt’s. Peter! He! Peter!
He! holla! he!
Hieher! Friß auf einander mal mehr!
Da bin ich ſchon.
Spring geſchwind aufs Schloß, und
hohle Pfeifen fuͤr uns und eine Flaſche engliſch Oel.
Geſtopfte Pfeifen fuͤr uns; hoͤrſt du?
Geſtopfte Pfeifen fuͤr uns; ich hoͤre.
Kommen Sie, Herr Schwager, wir wol-
len uns indeſſen einen Lagerplatz ausſuchen. Die
Damen ſcheinen nicht Luſt zu haben, uns zu fol-
gen. Ihre feinen Naſen koͤnnen den Tabacksdampf
nicht vertragen.
Winke mit ſeiner Schweſter gewechſelt.)
[93]
Siebenter Auftrjtt.
Nun, liebe Madam Muͤller, wie ge-
faͤllt Ihnen der Mann, der eben von uns ging?
Wer?
Meine bruͤderliche Liebe.
Er verdient, ihr Bruder zu ſeyn.
Unterthaͤnige Diene-
rin! Das ſchreib ich in mein Taſchenbuch.
Ohne Schmeicheley, gnaͤdige Frau, ich
halte ihn fuͤr einen wackern Mann.
Und fuͤr einen ſchoͤnen Mann.
O ja.
O ja? Das klang beynahe wie: o nein!
Aber ich muß Ihnen ſagen, daß er Sie fuͤr eine
ſchoͤne Frau haͤlt.
Sie ſagen nichts
dazu?
Was ſoll ich ſagen? Spott kann nicht
aus Ihrem Munde kommen; alſo Scherz war es;
und ich bin ſo wenig dazu gemacht, einen Scherz
zu unterhalten. —
Eben ſo wenig, als ihn zu veranlaſ-
ſen. Nein, es war Ernſt. — Nun?
[94]
Sie ſetzen mich in Verlegenheit. Nun
ja, ich will mich nicht zieren. Es war eine Zeit,
wo ich mich ſelbſt fuͤr ſchoͤn hielt; aber der Kummer
hat an meiner Geſtalt genagt. — Ach! die Her-
zensruhe iſt es, die den ſchoͤnſten Zauber uͤber ein
weibliches Geſicht gießt. Der Blick, der brave
Maͤnner feſſelt, iſt nur der Abglanz einer ſchoͤnen
Seele.
Nun, Gott gebe mir immer ein ſo rei-
nes Herz, als aus Ihren Augen leuchtet.
Ach! Gott behuͤte Sie dafuͤr!
Wie?
Verſchonen Sie
mich! — Ich bin eine Ungluͤckliche. — Dreyjaͤh-
rige Leiden geben mir zwar keine Anſpruͤche auf
Freundſchaft einer edlen Seele, — aber auf Mit-
leid! — Verſchonen Sie mich!
Bleiben Sie, liebe Ma-
dam Muͤller! Wirklich, Sie muͤſſen bleiben. Was
ich Ihnen zu ſagen habe, iſt vielleicht des Anhoͤrens
werth. Ihre Selbſtanklage ſchreckt mich nicht ab.
Mich duͤnkt, Sie ſehen, wie der gute Paſcal, ne-
ben Ihrem Stuhl eine Hoͤlle; aber die Teufelchen
exiſtiren nur in Ihrer Einbildung.
[95]
Wollte Gott, ich ſaͤhe die Hoͤlle nur
neben meinem Seſſel! — Ach! ich trage ſie raſtlos
im Herzen mit mir herum.
Freundſchaft hat Balſam fuͤr manche
Wunde. Ich bitte zum erſten Male um Ihr Ver-
trauen. Sie wiſſen, ob ich in dieſen drey Jahren
unſerer Bekanntſchaft Ihnen je durch unbefugte
Neugier laͤſtig wurde. Heute treibt mich ein edle-
res Intereſſe. Ich bitte mit Schweſterliebe um
Ihr Vertrauen. Mein Bruder liebt Sie.
ins Geſicht)
Fuͤr Scherz zu viel — fuͤr Ernſt zu traurig!
Ehe ich weiter in Sie dringe, erlau-
ben Sie mir, Ihnen den Charakter meines Bru-
ders zu ſchildern, und ich gebe Ihnen mein Wort:
nicht die Hand der Schweſter ſoll den Pinſel fuͤh-
ren. — Sie moͤchten ihn leicht fuͤr einen Leichtſin-
nigen halten; denn ſah’ er Sie nicht heute zum er-
ſten Male? und ſchon Liebe? — Aber, liebe Freun-
din! er iſt ein ernſter Mann, von gepruͤften
Grundſaͤtzen. Schon zaͤhlten ihn die Damen unſers
Hofs unter die Claſſe der Hageſtolze; denn unter
ihnen fand er nicht, was er ſuchte; verzweifelte
oft daran, es je zu finden. Nicht Geſtalt, nicht
[96] Reichthum und Rang ſollten ſeine Wahl beſtimmen;
er wollte ein Herz, von der Natur, einen Geiſt,
durch Erziehung gebildet. Von beyden gaben Sie
ihm Proben. Ihre geheime Wohlthaͤtigkeit blieb
unverborgen, und Ihr Verſtand — ich ehre dieſe
beſcheidene Schaamroͤthe — genug, mein Bru-
der iſt ein Kenner in dieſem Punkt. — Hier haben
Sie mein Creditiv. Entſcheiden Sie, ob ich be-
rechtigt bin, um Ihr Zutrauen zu bitten. Ent-
decken Sie ſich mir! Sie wagen nichts. Schuͤtten
Sie Ihren Kummer in den verſchwiegenen Buſen
einer Schweſter aus!
Ach! ich fuͤhl’ es: das hoͤchſte Opfer,
welches wahre Reue zu bringen vermag, iſt frey-
williger Verzicht auf die Hochachtung einer ſchoͤ-
nen Seele. Ich will dieſes Opfer bringen — und
hab’ ich dann genug gebuͤßt?
Hoͤrten Sie
nie — verzeihen Sie mir! — hoͤrten Sie nie —
o, es iſt ſehr ſchwer, eine Taͤuſchung zu zerſtoͤh-
ren, welcher allein ich bis jetzt ihre Guͤte verdankte.
— Aber es muß ſeyn; — Pfuy Eulalia! Ziemt
Stolz dir? — Hoͤrten Sie nie von einer gewiſſen
Baroneſſe Meinau reden?
Graͤfin.
[97]
Am benachbarten Hofe? Mich duͤnkt,
ich hoͤrte von einer ſolchen Creatur. Sie ſoll einen
ſehr braven Mann hoͤchſt elend gemacht haben.
O Gott! — Ja, einen ſehr braven Mann.
Sie lief mit einem Landſtreicher davon.
Ja, das that ſie. — —
ſich zu den Füßen der Gräfin.)
Verſtoßen Sie mich nicht!
— Nur ein Plaͤtzchen, auf welchem ich ſterben kann! —
Um Gottes willen! Sie ſind —
Ich bin dieſe Creatur.
Ha!
nige Schritte, ihr Herz zieht ſie zurück.)
— Aber ſie iſt un-
gluͤcklich — ſie buͤßt ſtreng — weg mit dem Kopfe,
der immer bereit iſt, ein Verdammungsurtheil zu
ſprechen! —
Ach! ſie iſt
ſo ungluͤcklich! — Stehn Sie auf! ich bitte Sie,
ſtehn Sie auf! Mein Mann und mein Bruder ſind
nicht weit. Dieſe Scene leidet keine Zeugen. Ich
gelobe Ihnen Verſchwiegenheit.
Ach mein Gewiſſen! mein Gewiſſen! das
wird nie ſchweigen.
Gräfin ergreifend.)
Verſtoßen Sie mich nicht!
Nein, ich verſtoße Sie nicht. Ihr Betra-
gen in den letzten drey Jahren, Ihr ſtiller Kummer,
G
[98] Ihre Reue, tilgen freylich nicht ihr Verbrechen;
aber eine Freyſtatt wird mein Herz Ihnen nie ver-
ſagen; eine Freyſtatt, wo Sie ungeſtoͤhrt um den
Verluſt Ihres Gemahls weinen duͤrfen. — Ach!
ich fuͤrchte, ein unerſetzlicher Verluſt!
Unerſetzlich!
Armes Weib!
Ich hatte auch
Kinder.
Genug!
Gott weiß, ob ſie leben oder todt ſind.
Arme Mutter!
Ich hatte einen liebenswuͤrdigen Gemahl.
Faſſen Sie ſich!
Gott weiß, ob er lebt oder todt iſt.
Ihr Blick wird graͤßlich.
Fuͤr mich iſt er todt.
Sie buͤßt ſtrenge.
Ich hatte einen alten Vater.
O, um Gottes willen! Hoͤren Sie auf!
Der Gram um mich hat ihn gemordet.
Wie ſchrecklich raͤcht ſich die beleidigte
Tugend!
[99]
beyden Händen ihr Geſicht verhüllend)
Und ich lebe noch!
Wer koͤnnte dieſe Buͤßende haſſen?
Nein, Sie ſind nicht
laſterhaft. Der Augenblick Ihrer Verirrung war
ein Traum, ein Rauſch, ein Wahnſinn.
O verſchonen Sie mich! Wenn Sie
wuͤßten, daß jede Milderung meiner Verbrechen
mir ein Dolchſtich iſt — daß mein Gewiſſen nie
mich heftiger martert, als wenn mein Kopf nach
Entſchuldigungen gruͤbelt. — Nein, ich kann mich
mit gar nichts entſchuldigen! und die einzige, trau-
rige Beruhigung meines Herzens iſt die, mich ohne
alle Einſchraͤnkung ſtrafbar zu bekennen.
Dieſer Zug iſt echte Reue.
O wenn Sie ihn gekannt haͤtten! — als ich
ihn zum erſten Male ſah, den ſchoͤnen, den edlen
Mann — ich war damals kaum vierzehn Jahr alt —
Und ihre Verbindung?
Wenig Monden nachher.
Und Ihre Flucht?
Zwey Jahre war ich ſeine Gattin.
O meine Liebe! dann laſſen Sie
Ihre Jugend buͤßen, was nicht Ihr Herz verbrach.
G 2
[100]
Das iſt die Sprache meines Kopfes in
Stunden, wo Sehnſucht und Liebe den Sieg uͤber
die Reue davon tragen. — Nein, meine Jugend
entſchuldigt mich nicht.
Alter,
ehrwuͤrdiger Vater! Das hieße dich anklagen! Du
hatteſt mir Grundſaͤtze der Ehre und Tugend ins
Herz gepflanzt. Du hatteſt mich gewarnt vor dem
Gift der Schmeicheley und Verfuͤhrung. —
Was vermag Erziehung gegen einen
Lovelace?
Ach! Sie ſtoßen da auf eine Unbegreif-
lichkeit in meiner Geſchichte. Nein, er war kein
Lovelace, dieſer Menſch, in jeder Ruͤckſicht tief,
tief unter meinem Gemahl. Nur daß dieſer nicht
mehr taͤndelte, nicht mehr jeder meiner Launen
und Grillen ſchmeichelte, mir neue Equipagen, Li-
vreen und Schmuck verſagte, wenn der Aufwand
unſre Kraͤfte uͤberſtieg. Alles das bot mir des Ver-
fuͤhrers Schlangenzunge, und ich war Kind genug,
mich an den bunten Bildern zu ergoͤtzen; war ver-
blendet genug, Kinder, Vater und Gemahl zu ver-
laſſen, um einem Nichtswuͤrdigen zu folgen, der
— doch genug! er ſteht nun vor Gott, wo meine ge-
[101] mordete Tugend das Maas ſeiner Bubenſtuͤcke bis
an den Rand fuͤllen wird.
Schrecklich! aber mit dieſem Herzen
konnte meine Freundin nicht lange irren.
Lange genug, um nie es buͤßen zu koͤn-
nen. Freylich verflog der Rauſch in wenig Wochen;
ich rief den Namen meines biedern Gatten — ver-
gebens! — ich horchte auf das Lallen meiner Kin-
der — umſonſt! Ach! was ich damals empfand,
als der Nebel vor meinen Augen zerfloß! —
Weg mit dieſer Ruͤckerinnerung! —
Ich errathe das Ende Ihrer Geſchichte. Sie ver-
ließen Ihren Verfuͤhrer.
Das that ich — und fluͤchtete zu einer
edlen Seele, die mir ein Plaͤtzchen gab, auf dem
ich weinen darf — und mir auch ein Plaͤtzchen ge-
ben wird, auf dem ich ſterben koͤnne.
Hier, nur hier
an meinem Buſen ſollen in Zukunft Ihre Thraͤnen
fließen, und moͤcht’ es mir gelingen, dich, arme
Leidende! wieder mit der Hoffnung vertraut zu
machen!
Ach nein! ach nein!
G 3
[102]
Hoͤrten Sie ſeitdem gar nichts von
Ihrem Gemahl?
Er verließ die Stadt, niemand weiß
wohin.
Und Ihre Kinder?
Die nahm er mit ſich.
Wir muͤſſen Erkundigungen einziehen;
wir muͤſſen — Stille! mein Mann und mein Bru-
der. Ach! mein armer Bruder; den hatt’ ich ganz
vergeſſen. — Geſchwind, liebe Madam Muͤller,
ein anderes Geſicht!
Achter Auftritt.
(alle drey Toback rauchend). Die Vorigen.
Friſch, Kinder! ich wittre Abendluft.
Wir muͤſſen nach Hauſe.
Es iſt ja kaum ſechs Uhr.
Nun, ſo iſt’s Zeit, Thee zu trinken.
Und meynt Ihr denn, ob ich gleich Soldat war,
daß ich heute noch nicht genug Strapazen ausge-
ſtanden? Erſt die Reiſe, dann das kalte Bad, dann
[103] der forcirte Marſch unter Commando der Madam
Muͤller.
Wohlan, wir ſind bereit.
Da, Peter, bring’ die Pfeifen zuruͤck.
— Was zum Henker! Du rauchſt ja gar ſelbſt?
Ja freylich rauch ich ſelbſt. Es wird mir
ſauer genug.
Wer Teufel hat dir’s geheißen?
Die Excellenz hat mir’s geheißen.
Ich?
Ja; ſagten Sie nicht, ich ſollte Pfeifen
hohlen fuͤr uns?
Fuͤr mich und den Major.
Nun, ich ſtand ja auch dabey.
Burſche, du biſt ein Eulenſpiegel. —
Vorwaͤrts! Marſch! — Apropos! Wie iſt’s mit
dem Fremden? Wird er kommen?
Nein. Er hat es der Lotte rund abge-
ſchlagen.
Ein wunderlicher Heiliger! Aber das
geht doch nicht an; ich muß ihm doch meine Dank-
barkeit auf irgend eine Art an den Tag legen. — Wiſ-
ſen Sie was, lieber Major, ich kann Ihnen nicht
G 4
[104] helfen; fuͤhren Sie meine Frau nach Hauſe, und
kommen Sie dann zuruͤck, ihn ſelbſt zu hohlen.
Wenn Ihnen ein Gefallen dadurch ge-
ſchieht, recht gern.
Ich muß dem Manne doch einen Biſſen
Brod vorſetzen.
der Gräfin. Sie gehen ab.)
Neunter Auftritt.
Nun, da will
ich doch jeden vernuͤnftigen Chriſtenmenſchen zum
Schiedsrichter nehmen! wenn ihrer drey beyſam-
men ſtehn, und die Excellenz ſpricht: „hohl Pfei-
fen fuͤr uns“, ob ich nicht auch mit unter die uns
gehoͤre? Daß ich auch ſo ein gutherziger Narr war!
Ich habe in meinem Leben noch nicht geraucht, und
thue es da der Excellenz zu Gefallen. Pfuy! das
Zeug ſchmeckt abſcheulich; es iſt mir ganz uͤbel dar-
nach geworden. (ab.)
Ende des dritten Aufzugs.
[105]
Vierter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Hand, wovon er ſich dann und wann einen [Biſſen] her-
unterſchneidet. Gleich darauf der Major.
Als ich noch in der Stadt auf’m Kaffeehauſe diente,
da war ich ein lockerer Geſelle; Karten und Wuͤr-
fel mein Zeitvertreib vom Abend bis an den Mor-
gen; Braten und Wein zu jeder Stunde, wenn es
mir beliebte den Speiſeſchrank [heimzuſuchen]. Und
doch ſchmeckte mir kein Biſſen! Dem Braten fehlte
das Salz der innern Zufriedenheit, dem Wein man-
gelte das Zuckerbrod eines guten Gewiſſens. —
Wie anders, ſeit ich dieſem Herrn diene! Ich habe
heute [nichts] Boͤſes gethan; ich habe mein Tagewerk
redlich vollbracht. Du guter Kaͤſe! du ſchwarzes
Brod! vortreflich ſchmeckt ihr mir!
Major in der Ferne.)
Pfuy, daß ich ſchon wieder ge-
G 5
[106] ſtoͤhrt werde. Ich dachte mein Abendbrod unter
freyem Himmel zu verzehren; aber ſie ſind wie die
Spuͤrhunde hinter uns drein.
Pſt! guter Freund!
Lieber Gott! welch eine Maͤcke-
ley die Menſchen treiben mit dem Titel: guter
Freund.
Ich muß ſeinen Herrn ſprechen.
Kann nicht dienen.
Warum nicht?
Iſt mir verboten worden.
Da! mel-
de er mich.
Brauche kein Geld.
Nun, ſo melde er mich nur.
Ich will Sie melden, gnaͤdiger Herr;
aber was kann das helfen? ich werde ausgeſchol-
ten, und Sie bekommen eine abſchlaͤgige Antwort.
Wer weiß? Sag’ er ihm, ich baͤte nur
um eine einzige Minute; ich wollte ihm auf keine
Weiſe beſchwerlich fallen; kurz, ſag er ihm alles,
was man bey dergleichen Gelegenheiten zu ſagen
pflegt. Wenn ſein Herr ein Mann von Erziehung
[107] iſt, ſo wird er mich nicht hier unter freyem Him-
mel vergebens auf ſich warten laſſen.
Nun, in Gottes Namen, wir wollens
verſuchen.
Hoͤrt er? nur um eine
halbe Minute laß ich bitten.
Schon gut.
Aber wenn er nun kommt; wie ſoll ich
ihn behandeln? Ein Menſchenfeind iſt mir im
Laufe meines Lebens noch nicht vorgekommen.
Knigge hat ein ſchoͤnes Buch uͤber den Umgang mit
Menſchen geſchrieben; aber wie man mit einem
ſolchen Geſchoͤpf umgehen ſoll, dem die ganze Welt
und ſein eigenes Ich zur Laſt geworden, daruͤber
hat er Vorſchriften zu ertheilen vergeſſen. Wohl-
an! auf gut Gluͤck! Ein offenes, freundliches Ge-
ſicht, nicht zu bloͤde, nicht zu dreiſt, damit kommt
man ſo ziemlich bey jedermann fort.
Zweyter Auftritt.
Was ſteht zu Befehl?
Verzeihen Sie, mein Herr —
plötzlich erkennend)
Meinau!
[108]
Horſt!
Biſt du es wirklich, alter Freund?
Ich bins.
Mein Gott, wie hat der Gram dich
entſtellt!
Die Hand des Ungluͤcks liegt ſchwer
auf mir. — Stille! — Wie kommſt du hieher?
was willſt du?
Wunderlich! Ich ſtehe hier und ſinne,
wie ich den einſiedleriſchen Fremden anreden, was
ich ihm ſagen ſoll — er erſcheint — und ſiehe da,
ich finde meinen braven Meinau.
Du haſt mich alſo nicht erforſcht? Du
wußteſt nicht, daß ich der Bewohner dieſer Huͤtte ſey?
So wenig, als ich weiß, wer auf der
Spitze des Kaukaſus wohnt. Du haſt dieſen Mor-
gen meinem Schwager das Leben gerettet; eine
dankbare Familie wuͤnſchte dich in ihrer Mitte zu
ſehen; [du] ſchlugſt es dem Kammermaͤdchen meiner
Schweſter ab, und um der Einladung mehr Ge-
wicht zu geben, ſandte man mich ſelbſt. Siehe da
das Vehikel, deſſen ſich der Zufall bedient hat, mir
den Freund wieder zu ſchenken, deſſen mein Herz
[109] ſo lange entbehrt, und deſſen es gerade in dieſem
Augenblick ſo ſehr bedarf.
Ja, ich bin dein Freund, dein wahrer
Freund. Du biſt ein guter Menſch, ein ſeltner
Menſch. Mein Herz iſt unveraͤndert gegen dich.
Iſt aber dieſe Verſicherung dir lieb und werth —
ſo — Horſt! — ſo verlaß mich und komme nie wie-
der zu mir.
Alles, was ich von dir ſehe, alles,
was ich von dir hoͤre, iſt mir ein Raͤthſel. Du
biſt es, dein Geſicht ſchwebt vor mir, aber das
ſind nicht die Zuͤge, welche einſt unſere franzoͤſi-
ſchen Maͤdchen bezauberten, Freude in jede Ver-
ſammlung brachten, dir Freunde erwarben, ehe
du noch den Mund aufthateſt.
Du vergiſſeſt, daß ich ſieben Jahre aͤl-
ter geworden bin.
Freylich, dann biſt du ein paar Jahre
uͤber dreyßig. — Warum vermeideſt du mich an-
zuſehn? iſt Freundesantlitz dir zuwider geworden?
oder biſt du ſcheu, dein Auge zum Spiegel deiner
Seele zu machen? Wo iſt der offene Feuerblick, der
ſonſt in aller Herzen las?
[110]
Mein Blick las in aller Her-
zen? Ha! ha! ha!
O Gott! lieber haͤtt’ ich gewuͤnſcht,
dich nie lachen zu hoͤren, als in dieſem Tone. —
Freund, was iſt dir widerfahren?
Alltaͤgliche Dinge — der Welt Lauf —
Begebenheiten, wie man ſie auf allen Straßen
hoͤrt. — Horſt! wenn ich dich nicht haſſen ſoll, ſo
verſchone mich mit Fragen; und wenn ich dich lie-
ben ſoll, ſo verlaß mich!
Pfuy, wie das Schickſal einen Men-
ſchen verhunzen kann! Ich bitte dich, wecke die
ſchlummernden Ideen von Freuden der Vergangen-
heit, daß dein Herz wieder warm werde, und
fuͤhle, daß ein Freund ihm nahe iſt. Erinnere dich
unſerer froh durchlebten Tage im Elſaß, nicht jener
tollen Schwaͤrmereyen im laͤrmenden Gewuͤhl unſe-
rer Kriegskameraden; nein, jener heitern ſanften
Stunden, wo wir uns von allem, was uns umgab,
losriſſen, wo wir einſam wandelten, Arm in Arm,
auf den Waͤllen von Strasburg, oder am Ufer des
Rheins, wo die Schoͤnheiten der Natur unſere
Herzen oͤfneten, und ſie fuͤr Wohlwollen und Freund-
ſchaft empfaͤnglich machten. In jenen ſeligen Au-
[111] genblicken ward der Bund geknuͤpft, der unſere
Seelen an einander kettete; in einem jener ſeligen
Augenblicke gabſt du mir dieſen Ring zum Pfande
deiner Liebe. Erinnerſt du dich deſſen noch?
O ja.
Bin ich ſeitdem deines Vertrauens un-
werth geworden?
Nein, nein.
Waren wir je bloße Alltagsfreunde,
durch Laune, Zufall und Luſtbarkeiten an einander
geknuͤpft? Haben wir uns nur in bunten Zirkeln
mit einander herumgetrieben? oder haben wir auch
dem Tode unter den Batterien von Gibraltar,
Hand in Hand, getrotzt? — Karl! es thut mir
weh, daß ich meine Rechte auf dich ſo geltend
machen muß. — Kennſt du dieſe Narbe?
Bruder! Es war der Hieb, der mir
den Kopf ſpalten ſollte. Ich hab’ es nicht vergeſ-
ſen. Ach! du wußteſt freylich nicht, welch ein
elendes Geſchenk du mir machteſt.
So rede, ich bitte dich!
Du kannſt mir doch nicht helfen.
So kann ich mit dir trauren.
[112]
Pfuy, das mag ich nicht. Auch hab’
ich ſelbſt ſchon lange keine Thraͤnen mehr.
So gieb mir Worte ſtatt Thraͤnen;
beyde erleichtern das Herz.
Das meinige iſt gleich einem lange ver-
ſchloſſenen Grabe. Laß faulen und verweſen, was
dort verſcharrt wurde! Warum es oͤfnen und die
Luft umher verpeſten?
Luͤften wollen wirs und reinigen, da-
mit das ganze Gebaͤude ein anderes Anſehen ge-
winne. — Wie du ausſiehſt! Schaͤme dich! Ein
Mann von deinem Kopfe, von deinen Talenten;
ein Mann wie du, der immer die Weltweisheit
praktiſch uͤbte; und ſich ſo unter dem Pantoffel des
Schickſals zu beugen! — Biſt du von Schurken
verfolgt und von Buben geneckt worden, ſo mag es
hingehn; haſt du Jahre lang in Ketten geſeſſen, ſo
will ich dir verzeihen.
Horſt, du thuſt mir Unrecht. Zwar
glaubt’ ich, es ſey mir gleichguͤltig geworden, was
irgend ein Menſch in der Welt von mir denken mag;
aber ich fuͤhle in dieſem Augenblicke, es iſt nicht
ganz ſo. Der Freund ſoll den abgeſchiedenen Schat-
ten des Freundes nicht verlaſſen, ohne zu erfahren,
wie
[113] wie die Hand des Schickſals ihn fuͤr jede Freude
des Lebens mordete. — Wohlan! — Ja, in ein
paar Worte laͤßt ſich viel Ungluͤck faſſen. — Bru-
der! ich verließ dich und die franzoͤſiſchen Dienſte;
von jenem Augenblicke an floh mich das Gluͤck.
Mir winkte mein Vaterland. Was traͤumt’ ich mir
nicht fuͤr ſuͤße Bilder, wie ich da leben und wirken
wollte, manchen alten Schlendrian verbeſſern, man-
che Thorheit, die ſich in hundertjaͤhrigen Nebel huͤllt,
zu Schanden machen. O wem ſeine Ruhe lieb iſt,
der wage ſie nicht an die Thorheiten der Menſchen!
Ich wurde verfolgt, geneckt, fuͤr einen gefaͤhrlichen
Menſchen ausgeſchrieen. „Witz hat er“, ſo ſprach
man uͤberall, „aber ein boͤſes Herz“. Das aͤrgerte
mich. Ich ſchwieg, tadelte nichts mehr, lobte
alles, buhlte um das Zutrauen der Menſchen —
vergebens! Sie konnten mir’s nie vergeſſen, daß ich
einſt hatte kluͤger ſeyn wollen, als ſie. Ich zog
mich in mich ſelbſt zuruͤck, war mir ſelbſt genug,
und lebte einſam mitten in der Reſidenz. Man
hatte mich zum Obriſtlieutenant gemacht; denn
man wollte mein Vermoͤgen gerne im Lande behal-
ten. Ich verſah meinen Dienſt mit Puͤnktlichkeit
und Eifer, ohne empor zu ſtreben, ohne Auszeich-
H
[114] nung zu begehren. Mein Obriſter ſtarb; es gab
eine Menge Obriſtlieutenants, die weit laͤngere
Zeit gedient hatten, als ich. Ich erwartete einen
von dieſen befoͤrdert zu ſehen, und das ließ ich mir
gern gefallen. Aber ſiehe da, der Fuͤrſt hatte eine
Maͤtreſſe, und dieſe hatte einen Vetter, einen al-
bernen eingebildeten Laffen, der ſeit ſechs Monaten
die Uniform trug; der wurde mein Obriſter. Es
verſteht ſich, daß ich den Abſchied foderte und er-
hielt. — Einige Spoͤttereyen uͤber den Einfluß der
Dame machten mich zum Gefangenen auf der
Feſtung. Da ſaß ich ein halbes Jahr und kauete
an den Naͤgeln. Man gab mir meine Freyheit. Ich
raffte mein Vermoͤgen zuſammen und ging aus dem
Lande. Mit Menſchenkenntniß gewaffnet — ſo
bildete ich mir ein — ſollte es mir nun leicht wer-
den, mit und unter den Menſchen fortzukommen.
Ich waͤhlte Caſſel zu meinem Aufenthalte. Alles
ging vortreflich. Ich fand Freunde, die mir lieb-
koſeten, mich verhaͤtſchelten, mir mein Geld ab-
borgten und meinen Wein austranken. Endlich
fand ich auch ein Weib, ein ſchuldloſes, herrliches
Geſchoͤpf, von kaum funfzehn Jahren. O wie liebt
ich ſie! ja, damals war ich gluͤcklich! Sie gebahr
[115] mir einen Sohn und eine Tochter; beyde hatte die
Natur mit der Schoͤnheit ihrer Mutter geſtempelt.
O wie liebt’ ich mein Weib und meine Kinder! ja,
damals war ich recht gluͤcklich!
Sieh da, noch eine Thraͤne; haͤtt’ ichs doch kaum
gedacht. Willkommen, ihr alten Freunde! wir
haben uns lange nicht geſehen. — Nun, Bruder,
meine Geſchichte iſt gleich zu Ende. Der Eine mei-
ner Freunde, den ich fuͤr einen ehrlichen Kerl hielt,
betrog mich um mein halbes Vermoͤgen. Ich ver-
ſchmerzte das, ich ſchraͤnkte mich ein; Zufriedenheit
bedarf wenig. Da kam wieder ein anderer Freund,
ein Juͤngling, an dem ich Behagen gefunden, den
ich mit meinem Gelde unterſtuͤtzt, dem ich durch
mein Anſehen empor geholfen, der verfuͤhrte mir
mein Weib — und lief mit ihr davon! — Iſt dir
das genug, um mir meinen Menſchenhaß, meine
Abgeſchiedenheit von der Welt zu verzeihen? —
Bin ich etwa ein Phantaſt, der Verfolgung ahndete,
wo niemand an ihn dachte? Oder bin ich blos ein
Opfer der Gewalt eines Einzelnen? Wollte Gott!
Ein Koͤnig kann nur in Feſſeln ſchmieden, oder
toͤdten: ach! was ſind Feſſeln [und] Tod gegen die
Untreue eines geliebten Weibes?
H 2
[116]
Das deiner unwerth war. Pfuy, Mei-
nau! Daß ein Mann ſich um ein gutes Weib
quaͤlen kann, — iſt ſchon eine Thorheit; aber um
ein untreues Weib auch nur eine Thraͤne ver-
gießen, iſt Raſerey.
Nenn es wie du willſt, ſprich was du
willſt, das Herz kehrt ſich an kein Vernunftge-
ſchwaͤtz. Ach! ich liebe ſie noch.
Und wo iſt ſie?
Das weiß ich nicht, verlang’ es auch
nicht zu wiſſen.
Und deine Kinder?
Die ließ ich in einem Landſtaͤdtchen nicht
weit von hier bey einer Buͤrgerswittwe, die mir
ehrlich genug ſchien, weil ſie dumm genug war.
Schon wieder ein menſchenfeindlicher
Seitenhieb! Doch warum behielteſt du deine Kinder
nicht bey dir? Sie wuͤrden dir manche ſchwermuͤ-
thige Stunde weggegaukelt haben.
Daß die Aehnlichkeit mit ihrer Mutter
mir taͤglich das Bild entflohener Freuden zuruͤck-
gerufen haͤtte? Nein! ich habe ſie in drey Jahren
nicht geſehen. Ich mag keinen Menſchen um mich
haben, weder Kind noch Greis; das Kind iſt ein
[117] werdender Boͤſewicht, und der Greis ein vollende-
ter Schurke! Wahrlich! haͤtte unſere vornehme
Erziehung mir nicht einen Bedienten zum Beduͤrf-
niß gemacht; ich wuͤrde den meinigen laͤngſt weg-
gejagt haben, ob er gleich nicht der ſchlechteſte un-
ter den ſchlechten iſt.
Das kommt dabey heraus, wenn man
eine Frau von unſern ſogenannten guten Familien
heurathet; die beobachten von Jugend auf in ihren
Eheſtandsbegriffen die late Obſervanz. Drum,
Meinau, ſiehſt du mich entſchloſſen, ein Weib aus
dem Buͤrgerſtande zu heurathen.
Du heurathen? Ha! ha! ha!
Du ſollſt ſie ſehn. Komm mit mir!
Meine Familie erwartet dich mit Sehnſucht.
Ich mich wieder unter Menſchen her-
umtreiben! Hab’ ich mich noch nicht beſtimmt ge-
nug erklaͤrt?
Das haſt du freylich. Aber ich er-
klaͤre dir hiemit feyerlich, daß du alle Zartheit der
Empfindung beleidigen wuͤrdeſt, wenn du nicht we-
nigſtens dieſen Abend kaͤmeſt, eine Suppe bey mei-
nem Schwager zu eſſen. Jemand eine Wohlthat
erzeigen und keinen Dank fodern, iſt edel und ſchoͤn;
H 3
[118] aber dieſem Dank ſo gefliſſentlich ausweichen, daß
die Wohlthat dem andern zur Laſt wird, iſt Affec-
tation.
Gilt das mir?
Ich will gern glauben, daß es nicht
dein Fall iſt; denn ich kenne dich beſſer: aber ich
bitte dich, was ſollen die Meinigen von dir den-
ken? Es giebt ſchoͤne Dinge in der Welt, die man
nicht zu weit treiben darf; Dinge, die anfaͤnglich
Bewunderung erregen, hinterdrein Verdruß, und
am Ende eine Art von bittrer Gleichguͤltigkeit.
Bruder, es giebt auch Dinge in der
Welt, die ſich beſſer predigen, als befolgen laſſen.
Wenn du wuͤßteſt, wie mich jedes fremde Men-
ſchengeſicht anekelt, wie ich lieber auf Millionen
Nadeln ſitzen moͤchte, als auf einem gepolſterten
Stuhle in euren eleganten Zirkeln; wie mir das
auf den ganzen Tag meine beſte Laune verderbt,
wenn ich nur von ferne einen Menſchen auf mich zu-
kommen ſehe, dem ich nicht mehr ausweichen kann,
und vor dem ich alſo meinen Hut ziehen muß. —
O laß mich! laß mich in Ruhe! — Jeder Menſch
ſucht um ſich her ſich einen eigenen Zirkel zu bil-
den, deſſen Mittelpunkt er ſelbſt iſt; ſo ich den
[119] meinigen. So lange noch eine Vogelkehle in die-
ſem Walde iſt, welche die Morgenſonne begruͤßt;
ſo lange wird mir’s an Geſellſchaft nicht fehlen.
Thu morgen und uͤbermorgen, was dir
gefaͤllt; aber leere heute ein Glas Wein mit mir.
Nein! nein!
Auch dann nicht, wenn du vielleicht
im Stande waͤreſt, durch dieſen einzigen Beſuch
das Gluͤck deines Freundes zu gruͤnden?
Dann — ja! Aber laß hoͤren!
Du ſollſt mein Freywerber ſeyn bey
Madam Muͤller.
Ich? — Guter Horſt! wenn ich auch einſt
Talente zu ſolch einem Auftrage hatte, ſo ſind ſie
ſchon lange verroſtet.
Nicht doch. Sieh, Bruder, ich liebe
ernſtlich, und meine Liebe iſt eine Frucht der Hoch-
achtung. Sie iſt ein herrliches Weib! Und wenn
ich ſo vor ihr ſtehe; von allem kann ich mit ihr
ſchwatzen, nur nicht von meiner Liebe. Denn ſie
hat da einen Blick in ihrer Gewalt — einen Blick,
der die Zunge feſſelt. Zwar hatte meine Schweſter
uͤbernommen — aber das frommt nicht; ihr Lob
klingt partheyiſch. Du hingegen — einem ſo ſauer-
H 4
[120] toͤpfiſchen Geſicht, wie das Deinige, glaubt man
am erſten. Bruder, wenn du meine paar guten
Eigenſchaften ein wenig gegen ſie herausſtreicheſt —
Sieh da, wieder ein Menſch, der be-
truͤgen will.
Nun, ich denke nicht, daß ſie uͤbel
mit mir fahren ſoll. Ich bitte dich, Meinau; es
gilt Wohl und Weh deines Freundes. Ich ſchaffe
dir Gelegenheit, ſie allein zu ſprechen. Willſt du?
Ich will. Aber unter
einer Bedingung.
Sprich!
Daß du mich morgen ohne Widerrede
abreiſen laͤſſeſt.
Abreiſen? Wohin?
Wohin Gott will! unter Menſchen,
die mich nicht kennen.
Halsſtarriger!
Du verſprichſt das — oder ich komme
gar nicht.
Wohlan, ich verſpreche es. Vielleicht
ſind deine Ideen heiterer beym Aufgang der Sonne.
Folge mir!
Ich muß mich doch erſt ein wenig ankleiden.
[121]
So erwarten wir dich in einer halben
Stunde. Du gabſt mir dein Wort.
Ich gab es.
Leb’ wohl!
Dritter Auftritt.
ſich gekehrt und trübe. Endlich bleibt er ſtehn, und ruft)
Franz!
Herr!
Morgen reiſen wir.
Mir recht.
Vielleicht in ein anderes Land.
Mir auch recht.
Vielleicht in einen andern Welttheil.
Mir alles recht.
Ihr friedlichen Inſulaner der Suͤdſee!
zu euch will ich; ihr ſeyd noch unverdorben. Eure
einzige Schwachheit iſt Stehlen. — Immerhin!
ich bringe keine Schaͤtze mit. Das koͤſtlichſte Kleinod,
das ich hatte, meine Ruhe, hat man mir in
Europa geſtohlen. — Oder zu euch, ihr wackern
Bewohner von Bisnapore; zu euch, deren verfuͤh-
reriſches Gemaͤhlde Raynal mit unnachahmlichem
H 5
[122] Pinſel uns darſtellt — oder — nun ja, wohin
Gott will! Fort! fort aus dieſem cultivirten, mo-
raliſchen Lazareth! — Hoͤrſt du, Franz? morgen
mit dem fruͤheſten.
Ganz wohl.
Doch vorher, Franz, noch ein kleines
Geſchaͤft fuͤr dich. Geh hinunter ins Dorf, miethe
dir Pferde und Wagen von einem Bauern, und eile
in das benachbarte Staͤdtchen. Du kannſt vor Son-
nenuntergang noch zuruͤck ſeyn. Ich will dir einen
Brief an eine Buͤrgersfrau mitgeben, die ich kenne.
Dort wirſt du zwey Kinder finden; es ſind meine
Kinder —
Ihre Kinder, Herr?
Nimm ſie, packe ſie auf den Wagen,
und bringe ſie hieher.
Ihre Kinder, Herr?
Nun ja doch, meine Kinder; iſt denn
das ſo unbegreiflich?
Ich begreife wohl, daß Sie Kinder
haben koͤnnen; aber daß ich nun ſchon drey Jahre
in Ihren Dienſten bin, und noch nie ein Woͤrtchen
davon erfuhr, das iſt doch ſonderbar.
[123]
Viel von ſeinen Kindern ſprechen, iſt
Narrheit.
Es iſt ein Unterſchied zwiſchen viel und
garnicht. Sie waren alſo verheurathet?
Belaͤſtige mich nicht mit unnuͤtzen Fra-
gen! Geh, mach dich reiſefertig!
Dazu brauch ich fuͤnf Minuten.
Ich folge dir ſogleich, um den Brief
zu ſchreiben.
Vierter Auftritt.
Ich will ſie mit mir nehmen. Ich will mich an
ihren Anblick gewoͤhnen. Die unſchuldigen Ge-
ſchoͤpfe ſollen nicht vergiftet werden, weder durch
ein Philanthropin, noch durch eine Penſion. Moͤ-
gen ſie lieber auf irgend einer wuͤſten Inſel ihren
taͤglichen Unterhalt mit Bogen und Pfeil erjagen,
oder ſich, wie die Hottentotten, in einen Winkel
kauern und die Spitze ihrer Naſe betrachten. Beſ-
ſer nichts thun, als Boͤſes. — Narr, der ich war!
Mir das Verſprechen entlocken zu laſſen, mich noch
einmal unter die Affengeſichter zu mengen. Welch’
[124] eine laͤcherliche Figur werd’ ich da ſpielen! Und gar
als Freywerber. Ha! ha! ha! — Nun, ich habe
ſo manches ertragen; warum ſollt’ ich nicht, einem
Freunde zu Liebe, eine boͤſe Stunde mehr in den
Kalender meines Lebens ſchreiben?
Fuͤnfter Auftritt.
Nein, Frau Graͤfin, wenn Sie ſich hier auf dem
Lande einſperren wollen; ſo bin ich Ihre gehorſame
Dienerin. Ich bin nicht fuͤr das Landleben geſchaf-
fen; ich bin in der großen Welt erzogen.
Wahrhaftig, ich habe in den paar Stunden ſchon
oͤfter gegaͤhnt, als in allen Predigten zuſammen ge-
nommen, die ich in meinem Leben gehoͤrt habe. —
Unertraͤglich! Nicht einmal ein vernuͤnftiger Kam-
merdiener, der mir die Cour machte. Und wenn
ich vollends an die Madam Muͤller denke; da
moͤchte ein Maͤdchen von Stande ſich die gelbe
Sucht an den Hals aͤrgern.
[125]
Sechſter Auftritt.
Ey, ey,
warum nicht gar? Wer hat Ihnen Leides gethan,
mein ſchoͤnes Kind?
Mir, Herr Bittermann? Ich
bin nicht die Perſon, die ſich von irgend jemand in
der Welt etwas zu Leide thun laͤßt. Wenn auch
gewiſſe Leute, die ich nicht nennen will, ſich gegen
gewiſſe Leute uͤbermuͤthig betragen, denen ſie kaum
werth ſind, die Schuhriemen aufzuloͤſen; ſo habe
ich doch zu viel Erziehung genoſſen, um mir auch
nur ein graues Haar deshalb wachſen zu laſſen.
Die hochedle Mamſell ſprachen auch
vorhin nicht von grauen Haaren, ſondern von der
gelben Sucht.
Nun ja, ich meynte, es waͤre Schade,
daß Madam Muͤller, die ſonſt eine ganz ertraͤgliche
Figur macht, eine ſo gelbe Haut hat.
Lieber Gott! es giebt gelbe, ſchwarze
und bronzirte Menſchen in der Welt. Ich habe
daruͤber noch vor kurzem Briefe vom Vorgebirge
der guten Hoffnung gehabt; und wenn Madam
[126] Muͤller gelb iſt, ſo mag das vielleicht in ihrem Va-
lande ſo gebraͤuchlich ſeyn.
In ihrem Vaterlande? Allerliebſter Herr
Bittermann! Sie koͤnnen mir alſo ſagen, wer dieſe
Creatur iſt? und ob ſie in Anſehung ihrer Geburt
und Herkunft ſich mit gewiſſen Perſonen meſſen darf?
Nein, hochedle Mamſell, ich habe
daruͤber keine Briefe, weder aus Europa, noch
aus irgend einem andern Welttheile.
Wenn eine hochgetragene Naſe immer
das Zeichen eines vornehmen Standes iſt; wirk-
lich, ſo muß ſie eine Prinzeſſin ſeyn.
In der That, wenn man ſie zuweilen
reden hoͤrt, ſollte man denken, man habe eine Hoch-
wohlgebohrne Frau Baronin vor ſich.
Aber wer iſt Schuld daran, als die ho-
hen Herrſchaften ſelbſt? War das auch heute eine
Auffuͤhrung fuͤr einen Grafen? er tritt kaum in die
Thuͤre — ich ſtand auf dem Vorſaal — ſo laͤuft
er auf Madam Muͤller zu und umarmt ſie, recht
als ob ſie ſeines Gleichen waͤre.
Ja, ja, davon bin ich Zeuge geweſen.
Eben ſo die Frau Graͤfin. Sie ſpeiſ’t
mit den Herrſchaften, ſie geht mit ihnen ſpatzieren,
[127] und jetzt in dieſem Augenblick ſitzt ſie mitten unter
ihnen am Theetiſche.
Leider alles wahr.
Schickt ſich das fuͤr einen Grafen?
Ganz und gar nicht.
Muß ein Graf nicht immer einen gewiſ-
ſen Stolz, eine edle Selbſtgenuͤgſamkeit in allen
ſeinen Handlungen blicken laſſen, wenn er auch
ſonſt nichts auf der Welt waͤre, als Graf?
Ey freylich! freylich!
Eben ſo, als wenn ich, die Tochter
eines Hofkutſchers, mich mit den Bauern im Dorfe
familiariſiren wollte.
Bewahre der Himmel!
Nein, das leide ich durchaus nicht.
Morgen fruͤh beym Ankleiden werde ich mit der
Graͤfin ſprechen. Eine von uns beyden muß das
Feld raͤumen, entweder ich oder Madam Muͤller.
St!
[128]
Siebenter Auftritt.
Müller hat nennen hören)
War hier nicht die Rede
von Madam Muͤller?
Ja, ſo vel quasi.
Lotte, ſage Sie meiner Schweſter,
ich wuͤnſchte mit ihr zu ſprechen, ſobald der Thee-
tiſch abgeraͤumt worden.
Darf man erfahren, was geſprochen
wurde?
Wir ſprachen ſo hin und her, dieß
und jenes, heruͤber und hinuͤber.
Bald ſollt’ ich vermuthen, es ſtecke ein
Geheimniß dahinter.
Ein Geheimniß? Behuͤte der Him-
mel! Da muͤßt’ ich Briefe haben. Nein, es bleibt
alles in den Grenzen der Publicitaͤt.
Um ſo eher darf ich bitten, Theil am
Geſpraͤche zu nehmen.
Viel Ehre, Hochwohlgebohrner Herr
Major, viel Ehre! Je nun, wir machten anfaͤng-
lich
[129] lich einige ganz alltaͤgliche Bemerkungen. Die
hochedle Mamſell vermeynte, jeder Menſch habe
ſeine Fehler, und da ſagte ich ja. Bald darauf
merkte ich an, daß auch der beſte Menſch auf der
Welt ſeine kleinen Schwachheiten habe, und da
ſagte die Mamſell ja.
Iſt das eine Einleitung in die Fehler
und Schwachheiten der Madam Muͤller, ſo bin ich
begierig mehr zu hoͤren.
Ja, lieber Gott! Madam Muͤller iſt
wohl eine kreuzbrave Frau, aber ſie iſt doch auch
noch lange kein Engel. Als einem alten treuen
Diener des Hochgraͤflich Winterſeeiſchen Hauſes,
liegt es mir ob, der gnaͤdigen Herrſchaft allerley
ins Ohr zu raunen, was den Einkuͤnften merkli-
chen Schaden und Nachtheil bringt.
Nun?
Der Herr Graf zum Beyſpiel wird
denken, er habe da zum wenigſten noch ein vierzig
bis funfzig Bouteillen von dem alten ſechs und
zwanziger Rheinwein im Keller liegen. Ja proſit
die Mahlzeit! Kaum zehn oder funzehn moͤgen noch
uͤbrig ſeyn. Ueber meine Zunge iſt nicht ein Tropfen
gekommen, nicht einmal an hohen Feſttagen.
J
[130]
Madam Muͤller wird ihn doch
wohl nicht ausgetrunken haben?
Sie ſelbſt nun wohl eben nicht; denn
ſie trinkt keinen Wein. Aber wenn ein Kranker im
Dorfe iſt, der ſich doch wohl mit einem Schluck
Branntewein behelfen koͤnnte, da ſchickt ſie flugs
eine Flaſche von dem koͤſtlichen Sechsundzwanzi-
ger hin. Ich habe ihr verſchiedentlich und wieder-
hohlentlich Vorſtellungen daruͤber gemacht; aber
ſie antwortet mir immer ganz ſchnippiſch: „ich will
es ſchon verantworten.“
Ich auch, lieber Herr Bittermann.
In Gottes Namen! Mich geht es
nichts an. Ich habe dem Keller zwanzig Jahre
lang vorgeſtanden; von mir haben die Armen nicht
einen Tropfen bekommen. — Und wenn ſie auf der
einen Seite verſchwendet, da knauſert ſie wieder
auf der andern zur unrechten Zeit. Als ich im ver-
gangenen Herbſt einen Brief aus Ungarn erhielt,
in welchem man mir die Einnahme von Novi durch
den Feldmarſchall Laudon meldete, da wollt’ ich,
als ein Mitglied des heiligen roͤmiſchen Reichs,
meine Freude an den Tag legen. Ich bat den
Herrn Pfarrer und den Herrn Gerichtshalter zu
[131] mir, um in Froͤhlichkeit des Herzens ein paar Fla-
ſchen alten Wein mit ihnen auszuſtechen. — Den-
ken Sie nur, Hochwohlgebohrner Herr Major,
da ſpeiſ’te ſie mich mit Frankenwein ab.
Unerhoͤrt!
Man kann uͤberhaupt gar nicht aus
der Frau klug werden. Der Umgang der Frau
Paſtorin und der Frau Gerichtshalterin iſt ihr nicht
gut genug, und dann ſitzt ſie doch zuweilen wieder
mitten unter den Bauerweibern. Wir beyde ver-
tragen uns noch ſo ziemlich; denn, unter uns, ſie
hat ein Auge auf meinen Peter geworfen.
Ey, ey!
Ja, der Peter iſt ein vertrakter Jun-
ge; er lernt vom Schulmeiſter ſchreiben. Wenn
der Hochwohlgebohrne Herr Major Belieben tra-
gen, ein Proͤbchen zu ſehen; er mahlt ſeine Buch-
ſtaben, daß es eine Art hat.
Ein andermal, lieber Herr Bittermann,
ein andermal. Fuͤr jetzt empfehle ich mich Ihnen.
einem Buche, das auf dem Tiſche liegt.)
Ich finde da
eben ein ſehr intereſſantes Buch. Wirklich, das
muß ich leſen; leben Sie wohl!
J 2
[132]
Unterthaͤni-
ger Diener.
Das iſt zu arg. Herr Verwalter, ich
wuͤnſchte allein zu ſeyn.
Der gnaͤdige Herr haben zu befehlen.
Wenn Ihnen einmal die Zeit lang werden ſollte,
und Sie wuͤnſchten, die neueſten Neuigkeiten vom
ungariſchen Kriegestheater zu erfahren, ſo duͤrfen
Sie ſich nur an mich wenden. Ich habe Briefe —
Schon gut.
Briefe aus dem Bannat, Briefe von der tuͤrkiſchen
Grenze, Briefe aus Rußland, Briefe vom Pacha
von Scutari —
Unertraͤglicher Schwaͤtzer! — Doch
nein! Sprach er nicht von Madam Muͤller? Ver-
ziehen ſey ihm ſeine politiſche Wuth!
Achter Auftritt.
Wahrhaftig, die Verliebten denken,
man hungere nicht, man durſte nicht, weil ſie
ſelbſt von Roſenduft und Mondſchein leben. Kaum
[133] hab’ ich ein paar Taſſen Thee hinunter geſchluͤrft,
ſo laͤßt mich der Herr Bruder ſchon abrufen; und
was ſteht zu Befehl?
Du kannſt noch fragen? Haſt du mit
Madam Muͤller geſprochen?
Ja.
Nun?
Nichts.
Nichts?
Das heißt, wenn der Herr Bruder
nicht bald einen andern Hafen ſucht, ſo wird er
bis ans Ende ſeines Lebens auf offener See herum-
treiben muͤſſen.
Iſt ſie verheurathet?
Das weiß ich nicht.
Iſt ſie von guter Geburt?
Das darf ich nicht ſagen.
Kann ſie mich etwa nicht leiden?
Darauf muß ich dir die Antwort ſchul-
dig bleiben.
So ſo, ich bewundere deine ſchweſterliche
Zuneigung; ſie iſt exemplariſch. Gut, daß ich gleich
Anfangs nicht ſehr darauf baute. Gut, daß ich
J 3
[134] einen Freund wieder fand, der die Frau Schweſter
beſchaͤmen wird.
Einen Freund?
Aufzuwarten. Der Fremde, der dieſen
Morgen deinem Manne das Leben gerettet, iſt mein
alter Freund.
Wie heißt er?
Das weiß ich nicht.
Iſt er von guter Geburt?
Das darf ich nicht ſagen.
Wird er herkommen?
Darauf muß ich dir die Antwort ſchul-
dig bleiben.
Du biſt unertraͤglich.
Magſt du denn deine eigene Compoſi-
tion nicht einmal da Capo hoͤren?
Neunter Auftritt.
Zum Henker! denkt ihr denn, ich bin
ein Xenokrat, oder ich habe ein paar marmorne
Spindelbeine, wie der arme Sultan Uzim Oſchan-
ty? Da laſſen Sie mich immer, in Gottes Na-
[135] men, mit Madam Muͤller allein, und bedenken
nicht, daß mein Herz kein Kieſelſtein iſt. Ich ſage
es Ihnen, Frau Gemahlin, wenn es noch einmal
geſchieht, ſo habe ich meine Liebeserklaͤrung ſchon
in petto.
Vermuthlich von Ihrem Kammerdie-
ner entworfen.
Nein, Madam, aus einem von Ihnen
aufgefangenen Liebesbriefchen entlehnt.
Alſo doch immer geborgt?
Nicht doch! Alte einkaſſirte Schuld,
abgeſchrieben von einem Billet doux, das Sie vor
ſechs Jahren von mir erhielten.
Wie oͤkonomiſch! und das wollen Sie
nun zum zweyten Male brauchen? Wiſſen Sie
denn nichts neues zu ſagen?
Sie haben mich erſchoͤpft, Madam.
Ein [trauriges] Bekenntniß in Gegen-
wart Ihrer neuen Geliebten!
Verdammtes Weib! ich kom-
me nicht gegen ſie auf. — Herr Schwager, wie
ſtehts? wird der Fremde kommen?
Ich erwarte ihn jeden Augenblick.
J 4
[136]
Das iſt mir lieb. Wieder eine Geſell-
ſchaft mehr! Auf dem Lande kann man deren nicht
zu viel haben.
Durch dieſen Fremden wird unſer Zir-
kel eben nicht erweitert werden. Er reiſet mor-
gen ab.
Das ſoll er wohl bleiben laſſen. Nun,
Frau Graͤfin, nun einmal alle Ihre Reize aufge-
boten! Es iſt keine Kunſt, ſich an einem Ehemanne
zu reiben; der iſt ſchon abgeſchliffen; aber ſo ein
fremder Sonderling, der hat ſcharfe Ecken. Da
verſuchen Sie Ihr Heil.
Wahrhaftig, die Eroberung waͤre ſchon
der Muͤhe werth. Aber was Madam Muͤller in
vier Monaten nicht zu Stande gebracht hat, wird
mir nie gelingen.
Doch, gnaͤdige Frau. Er hat
mir nie Gelegenheit gegeben, meine Reize auf ihn
wirken zu laſſen. Wir haben in dieſen vier Mona-
ten einen ſehr geiſtigen Umgang mit einander ge-
[habt]; denn wir haben uns auch nicht ein einzi-
ges Mal geſehen.
Er iſt ein Narr, und Sie ſind ein
Naͤrrchen.
[137]
Der fremde Herr will die
Ehre haben aufzuwarten.
Herzlich willkommen! Immer herein!
Zehnter Auftritt.
Zimmer.)
fällt in Ohnmacht.)
nen in ſeinen Gebehrden, rennt er ſchleunig zur Thüre hinaus.)
lalien.)
Ende des vierten Aufzugs.
J 5
[138]
Fuͤnfter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Ehemals zog ich gegen Menſchen zu Felde, und
nun gegen Fliegen. Beyde ſind impertinentes Ge-
ſchmeiß. Den heutigen Feldzug eroͤffne ich blos aus
langer Weile, wie es die großen Herrn gewoͤhnlich
zu machen pflegen, wenn ſie nichts beſſers zu thun
wiſſen. — Kayſer Domitian ſchlug Fliegen todt,
ſo gut, als ich; daruͤber lacht die ganze Welt: aber
daß Kayſer Karl der Große Menſchen todt ſchlug,
wie Fliegen, weil ſie nicht beten wollten wie er,
daruͤber lacht niemand; und es iſt doch, bey Gott!
ſehr laͤcherlich. — Guter Domitian! deine Aſche
ruhet in Frieden, die Seelen der ermordeten Flie-
gen laſſen dich ungehudelt. Selig iſt der Kayſer, der
fein zu Hauſe bleibt und Fliegen todt ſchlaͤgt.
[139]
Zweyter Auftritt.
Ich habe die Ehre, Ew. Hochgraͤfl.
Excellenz zu vermelden, daß die Tafel ſervirt iſt.
Womit iſt die Tafel ſervirt?
Fuͤrs erſte ſind da delicate junge Huͤh-
ner und zuckerſuͤße junge Erbſen. Alsdann ein
Hecht, ſo lang als ein Wallfiſch, ein gebratener
Kapaun, ſo zart als ein Milchbrey, und Krebſe,
ſo groß als die Schildkroͤten.
Lieber Bittermann, wenn er auch noch
zwanzig der ſchmackhafteſten Schuͤſſeln auf die Ta-
fel ſetzt, ſo wird er meinen Appetit doch nicht eher
rege machen, als bis er die Tafel auch mit einigen
Menſchen ſervirt. Allein ſchlafen kann ich zur Noth;
aber allein eſſen iſt mir unmoͤglich. Je mehr Men-
ſchen um mich her ſitzen, je voller ſie die Backen
ſtopfen, je begieriger ſie einhauen, deſto beſſer
ſchmeckt es mir ſelbſt.
Da koͤnnt ich Ew. Hochgraͤfl. Excel-
lenz meinen Peter recommandiren; der frißt, als
wollt’ er die Schuͤſſeln zuſammt den Speiſen ver-
ſchlingen.
[140]
Wo bleibt denn meine werthe Haus-
genoſſenſchaft? — Liegt Madam Muͤller noch in
Ohnmacht?
So viel ich im Vorbeygehen am
Schluͤſſelloch erlauſchen konnte, iſt ſie nunmehro
wieder zu ſich ſelbſt gekommen. Iſt das nicht ein
geziertes, geſchraubtes, gedrechſeltes Weſen mit
ſo einem verlaufenen Daͤmchen! Da wurde nach
Hirſchhorn geſchickt, nach Riechſpiritus, nach wei-
ßem Pulver; die arme hochedle Mamſell Lotte laͤuft
Treppe auf, Treppe nieder, daß ſie ihre allerlieb-
ſten Beinchen kaum mehr fuͤhlt. Ein paar Kannen
kaltes Waſſer uͤber den Kopf gegoſſen, das iſt das
kraͤftigſte Mittel gegen alle Ohnmachten. Ich wun-
dere mich nur uͤber die gnaͤdige Frau Graͤfin und
uͤber den Hochwohlgebohrnen Herrn Major; die
ſind ſo emſig und aͤngſtlich um ſie her beſchaͤftigt,
als ob das Frauenzimmerchen zu Ew. Hochgraͤfl.
Excellenz hohen Familie gehoͤrte.
Wer weiß!
Bey meiner armen Seele! ich glau-
be, wenn ein alter treuer Diener, der ſeit zwan-
zig Jahren die Ehre hat, Ew. Hochgraͤfl. Excel-
lenz aufzuwarten, einmal das Ungluͤck haͤtte, in
[141] Ohnmacht zu fallen; es wuͤrde nicht halb ſo viel
Laͤrm entſtehen.
Das glaub’ ich beynahe ſelbſt.
Und lieber Gott! niemand weiß doch,
wer das Frauenzimmer iſt. Ich habe Briefe uͤber
Briefe geſchrieben, ich habe Antworten uͤber Ant-
worten erhalten; keiner meiner Correſpondenten
kann mir Auskunft geben.
Weiß er was, Bittermann? Da will
ich ihm einen guten Rath ertheilen.
Ich bin ganz Ohr
Ich ſchließe aus dem heutigen Vorfall,
daß Madam Muͤller und der Fremde ſich ziemlich
genau kennen muͤſſen. Wenn er alſo nur von dem
Fremden naͤhere Nachricht einziehen koͤnnte!
Ach theurer Herr Graf!
habe ich mir denn nicht ſchon die unſaͤglichſte Muͤhe
deshalb gegeben? Seit vier Monaten iſt all’ mein
Dichten und Trachten auf dieſen wichtigen Gegen-
ſtand gelenkt; aber da iſt egyptiſche Finſterniß,
undurchdringlicher Nebel. Und ohne Ruhm zu
melden, was ich nicht zu Tage foͤrdere, das muß
im tiefſten Schacht vergraben liegen. Ich habe
meine Correſpondenten weit und breit, und dann
[142] habe ich ſo meine eigene Manier, ein Geheimniß
unter die Leute zu bringen. Mit meinen Briefen
in der Taſche halte ich die Leute auf den Straßen
an; ich leſe ſie in der Canzeley des Herrn Gerichts-
halters vor, ich publicire ſie in der Kirche —
Ja, ja; und wenn er keine Briefe be-
kommt, ſo ſchmiedet er ſie ſelbſt.
Auch wohl mit unter, Ew. Hochgraͤfl.
Excellenz. Die Correſpondenten ſind zuweilen
ſaumſelig.
Dritter Auftritt.
Nun, endlich kommt doch
einer, der die Krebſe wird verzehren helfen, die
ſo groß ſind, als die Schildkroͤten. — Aber mein
Himmel! welch ein O Jeminesgeſicht! Kommen
Sie, Herr Schwager; ein Glas Burgunder auf
den Schrecken!
Verzeihen Sie! ich habe weder Hun-
ger noch Durſt.
Hoͤren Sie! unter allen Dingen auf der
Welt verzeihe ich das gerade am wenigſten, wenn
man in meinem Hauſe nicht luſtig und froh iſt.
[143] Wenn ich ein Koͤnig waͤre, ich wuͤrde meine Unter-
thanen gluͤcklich machen, ſo viel in meinen Kraͤften
ſtuͤnde; wen ich aber nicht gluͤcklich machen koͤnnte,
der muͤßte uͤber die Grenze.
Alſo wuͤrden Sie die Menſchen nur
gluͤcklich machen, um keine traurigen Geſichter um
ſich her zu ſehen?
Allerdings.
Ein ſehr egoiſtiſcher Grundſatz.
Ach lieber Herr Bruder! Egoiſten ſind
wir alle; der eine mehr, der andere weniger; der
eine laͤßt ſeinen Egoismus nackend laufen, der an-
dere haͤngt ihm ein Maͤntelchen um.
Daß ich jetzt nicht geſtimmt bin; mit
Ihnen daruͤber zu diſputiren!
Auf ein anderes Mal, bey einer Pfeife
Toback. — Apropos! was macht Madam Muͤller?
Apropos? ein allerliebſtes Apropos!
Nun dann, ohne Apropos!
Sie hat ſich erhohlt.
Wird ſie zum Eſſen kommen?
Nein.
Meine Frau auch nicht?
Ich zweifle.
[144]
Nun ſo hohl euch alle der Henker! Komm
er, Bittermann, er ſoll mir bey Tiſche ein paar
von ſeinen Briefen vorleſen.
Mit dem groͤßten Vergnuͤgen, Ew.
Hochgraͤfl. Excellenz.
O die
taͤuſchende Hoffnung! — Wolkenbild von ſeliger
Zukunft! ich breite die Arme nach dir aus — und
du zerfließeſt in Luft. — Armer Horſt! die Raͤth-
ſel ſind geloͤſt. Sie iſt das Weib deines Freundes.
— Wohlan! nicht durch trockene Wortzaͤnckerey,
durch That will ich widerlegen, was der Graf da
eben herdeclamirte. Ich kann nicht ſelbſt gluͤcklich
ſeyn, aber es ſteht vielleicht in meiner Macht, zwey
ſchoͤne Seelen wieder zu vereinigen, die des Schick-
ſals tuͤckiſche Laune trennte. — Auf, Horſt! kleine
Geiſter jammern uͤber mißlungene Plane; ein Mann
erſtickt in edler Thaͤtigkeit den Kleinmuth, der ihn
zu Boden druͤcken will.
Vier-
[145]
Vierter Auftritt.
In den Garten, liebe Freundin, in
die friſche Luft!
Mir iſt recht wohl — Wenn Sie ſich
nur um mich nicht beunruhigten;
wenn
Sie mich lieber ganz allein ließen! —
Nicht doch, gnaͤdige Frau, die Zeit
iſt koſtbar. Er will fort, morgen ſchon. Laſſen
Sie uns gemeinſchaftlich auf Mittel denken, Sie
mit Ihrem Gemahl auszuſoͤhnen.
Wie, Herr Major? Sie ſcheinen mit
meiner Geſchichte bekannt zu ſeyn.
Das bin ich. Meinau iſt mein Freund
ſeit meinen erſten Jugendjahren; wir haben vom
Cadet bis zum Hauptmann mit einander gedient.
Seit ſieben Jahren waren wir getrennt: der Zu-
fall fuͤhrte uns heute wieder zuſammen, und ſein
Herz ſchloß ſich mir auf.
Nun fuͤhl’ ich, was es heißt: den Blick
eines ehrlichen Mannes nicht ertragen zu koͤnnen! —
O Graͤfin! verbergen Sie mich vor mir ſelbſt!
K
[146]
Wenn ungeheuchelte Reue, ein Leben
ohne Tadel, nicht einmal Anſpruch auf Verzeihung
der Menſchen geben; was haͤtten wir denn einſt
vor Gott zu hoffen? — Nein! Sie haben genug
gebuͤßt. Der ſchlummernden Tugend entriß das
Laſter auf einen Augenblick die Herrſchaft in Ihrem
Herzen. Die erwachte Tugend bedurfte nur eines
Blicks, um es fuͤr ewig daraus zu verſcheuchen. —
Ich kenne meinen Freund. Er denkt ſtark wie ein
Mann, und fuͤhlt fein, wie eine Frau. Ich eile
zu ihm, Madam, als ihr Geſchaͤftstraͤger. Mit
dem Feuer der Freundſchaft will ich das Werk be-
ginnen, damit ich, wenn ich einſt auf den Lauf
meines Lebens zuruͤckblicke, verweilen koͤnne bey
einer guten That, die mir Zufriedenheit im Alter ge-
waͤhre. — Auf froͤhliches Wiederſehen.
Was wollen Sie thun, Herr Major?
— Nein, nimmermehr! — Die Ehre meines Ge-
mahls iſt mir heilig. Ich liebe ihn unausſprech-
lich; aber ich kann nie wieder ſeine Gemahlin wer-
den, ſelbſt wenn er großmuͤthig genug waͤre, mir
verzeihen zu wollen.
Iſt das Ernſt, gnaͤdige Frau?
[147]
Nicht dieſe Benennung; ich bitte Sie.
Ich bin kein Kind, das ſich der Strafe entziehen
will. Was waͤre meine Reue, wenn ich einen an-
dern Vortheil dadurch zu erlangen hofte, als den,
eines minder tobenden Gewiſſens?
Aber wenn nun Ihr Gemahl ſelbſt —
Das wird er nicht, das kann er nicht.
Aber er liebt Sie noch.
Nun ſo muß er nicht! er muß ſein Herz
von einer Schwachheit losreißen, die ihn entehrt.
Unbegreifliche Frau! Sie haben mir
alſo gar keinen Auftrag zu ertheilen?
Doch, Herr Major. Ich habe zwey Bit-
ten, deren Erfuͤllung mir ſehr am Herzen liegt.
Oft, wenn ich im Uebermaaß meines Kummers an
jedem Troſt verzweifelte, kam es mir vor, als
wuͤrd’ ich dann ruhiger ſeyn, wenn das Schickſal
mir den Wunſch gewaͤhrte, meinen Gemahl nur
noch ein einziges Mal zu ſehen, ihm mein Unrecht
zu bekennen, und dann auf ewig von ihm zu ſchei-
den. — Das alſo meine erſte Bitte. Eine Unter-
redung von wenig Minuten, wenn er meinen
Anblick nicht verabſcheut. Aber daß er ja nicht
waͤhne, ich wolle auch nur den mindeſten Verſuch
K 2
[148] machen, ſeine Verzeihung zu erhalten. Daß er ja
uͤberzeugt ſey, ich wolle meine Ehre nicht auf Koſten
der ſeinigen wieder herſtellen. — Meine zweyte
Bitte — iſt — um Nachricht von meinen Kindern.
Wenn Menſchlichkeit und Freundſchaft
etwas uͤber ihn vermoͤgen, ſo wird er keinen Augen-
blick anſtehn, in Ihr Verlangen zu willigen.
Ich eile —
Gott ſey mit dir!
Und mein Gebet!
Ihm nach, liebe Freundin! Einen Gang
im Schatten der Linden, bis er mit Hoffnung und
Troſt zuruͤckkehrt.
Wie ſich das in mei-
nem armen Herzen durchkreuzt! Hier mein Ge-
mahl, dort meine Kinder. — Hier entflohene Freu-
den und Schrecken der Zukunft — dort die muͤtter-
liche Wonne des Wiederſehens. — Ach! theure
Graͤfin! es giebt Augenblicke, in welchen man
Jahre durchlebt; Augenblicke, welche ſchwarzes
Haar in grau zu wandlen vermoͤgen, und tiefe Run-
zeln auf jugendliche Wangen furchen.
[149]
Das heißt: der Kummer zerſtoͤhrt maͤch-
tiger, als das Alter. Aber ſolchen Augenblicken
muß man aus dem Wege eilen. Fort! hinunter in
den Lindengang! Die Sonne wird bald untergehen.
Ein ſolches Schauſpiel der Natur zerſtreut.
Recht! Die untergehende Sonne iſt ein
Schauſpiel fuͤr einen Ungluͤcklichen.
Der des kommenden Morgens nie dabey vergeſſen
darf.
Fuͤnfter Auftritt.
vor Meinaus Wohnung.)
Unter Sonn’ und Mond iſt nur ein ſolches Paar.
Sie duͤrfen nicht getrennt werden; er muß ihr ver-
zeihen. — Aber die Rolle, die ich zu ſpielen uͤber-
nommen habe, iſt ſchwerer, als ich anfangs dachte.
Was werd’ ich ihm antworten, wenn er mir das
Phantom der Ehre entgegenſtellt? wenn er mich
fragt, ob ich ihn zum Spott der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft herabwuͤrdigen will? was werd’ ich ihm
K 3
[150] antworten gegen meine eigene, beſſere [Ueberzeu-]
gung? Denn bey Gott! Er hat Recht. Ein ehe-
brecheriſches Weib iſt ein Schandfleck ihres Ge-
ſchlechts, und ihr verzeihen, heißt ihre Schande
theilen. Wenn auch ein Weib, wie Eulalia, hier
eine Ausnahme macht, ein funfzehnjaͤhriges, ver-
fuͤhrtes Geſchoͤpf, das ſo lange, ſo ſtrenge, ſo auf-
richtig buͤßte, ſo kehrt ſich doch die Welt nicht dar-
an. — Die Welt? Nun, die muß er fliehen; der
muß er auf immer entſagen. Eulalia gewaͤhrt zehn-
fachen Erſatz fuͤr ſie. Sie herrſcht noch in ſeinem
Herzen, und auf dieſe Herrſchaft gruͤnd’ ich den
gluͤcklichen Ausgang meines Unternehmens.
Sechſter Auftritt.
chen. Der Major.
Ich bin muͤde.
Ich auch.
Haben wir noch weit bis nach Hauſe!
Nein, wir ſind gleich da.
Halt! was ſind das fuͤr Kinder?
Die Kinder meines Herrn.
[151]
Iſt das der Papa?
Wie ein Blitzſtrahl faͤhrt mirs durch
den Kopf. — Ein Wort, Alter! Ich weiß, du
liebſt deinen Herrn. Hier ſind wunderliche Dinge
vorgefallen.
Zum Exempel?
Dein Herr hat ſeine Frau wieder ge-
funden.
Se? Das iſt mir lieb.
Madam Muͤller.
Iſt die ſeine Frau? Das iſt mir noch
lieber.
Aber er will ſich von ihr trennen.
O weh!
Man muß das zu hindern ſuchen.
Ey freylich.
Der unvermuthete Anblick der Kinder
koͤnnte dem Dinge vielleicht noch eine andere Wen-
dung geben.
Wie das?
Nimm die Kleinen und verbirg dich
mit ihnen dort in der Huͤtte. Ehe eine Viertel-
ſtunde verlaͤuft, ſollſt du mehr erfahren.
Aber —
K 4
[152]
Ich bitte dich, Alter, frage nicht viel;
die Zeit iſt koſtbar.
Nun, nun, fragen iſt ſo eben meine
Sache nicht. Kommt, Kinder!
die Hütte.)
Herrlich! Ich verſpreche mir viel von
dieſem kleinen Kunſtgriff. Wo der ſanfte Blick der
Mutter nicht durchzudringen vermag, da wird das
unſchuldige Laͤcheln der Kinder den Weg zu ſeinem
Herzen finden.
Siebenter Auftritt.
Ich wuͤnſche dir Gluͤck,
Meinau.
Wozu?
Du haſt ſie wieder gefunden.
Zeig’ einem Bettler den Schatz, den
er ehemals beſaß, und nenn’ ihn gluͤcklich! Wie
albern!
Warum nicht? wenn es nur an ihm
liegt, wieder eben ſo reich zu ſeyn, als ehemals.
Ich verſtehe. Du biſt ein Abgeordneter
meiner Frau. Daraus wird nichts.
[153]
Lerne deine Frau beſſer kennen! Ja,
ich bin ein Abgeordneter von ihr; doch ohne alle
Vollmacht, Frieden zu ſtiften. Sie, die dich un-
ausſprechlich liebt, die ohne dich nie gluͤcklich ſeyn
kann und wird, ſie entſagt deiner Verzeihung,
weil — ſo druͤckt ſie ſich aus — deine Ehre mit
einer ſolchen Schwachheit nicht vereinbar ſey.
Poſſen! mich faͤngt man nicht.
Meinau, beſinne dich wohl! Sie iſt
ein herrliches Weib.
Soll ich dir ſagen, Bruder, wie das
alles zuſammenhaͤngt? Seit vier Monaten wohne
ich hier; das wußte Eulalia —
Das wußte ſie? Sie ſah dich heute
zum erſten Male.
Das mag ſie einem Narren weiß machen.
Hoͤre nur weiter! Sie wußte ferner recht gut, daß
ich kein ganz gewoͤhnlicher Schlag von Menſchen
bin, daß auf der großen Heerſtraße meinem Herzen
nicht beyzukommen iſt. Deshalb legte ſie einen
feinen, tief verſteckten Plan an. Sie ſpielte die
Wohlthaͤtige; doch ſo, daß ich es jedesmal erfah-
ren mußte. Sie ſpielte die Fromme, die Sitt-
ſame, die Eingezogene, um meine Neugier rege
K 5
[154] zu machen. Und endlich heute ſpielt ſie die Sproͤde;
ſie ſchlaͤgt meine Verzeihung aus, um mir durch
dieſen kuͤnſtlichen Edelmuth meine Verzeihung zu
entlocken.
Meinau, ich habe dir mit Bewunde-
rung zugehoͤrt. Vergieb mir; nur einem Menſchen,
der ſo oft in der Welt betrogen wurde, verzeiht
man ſolchen Unſinn. Schade, daß das ganze ſcharf-
ſinnige Gebaͤude durch einen Hauch uͤber den Hau-
fen faͤllt. Deine Frau hat ſich ausdruͤcklich und
ſtandhaft erklaͤrt, ſie werde deine Verzeihung nie
annehmen; auch dann nicht, wenn du ſelbſt ſchwach
genug ſeyn koͤnnteſt, die Ehre der Liebe aufzuopfern,
Wozu denn alſo der tief verſteckte Plan? Wahr-
lich, Bruder! ſolche Maſchinerie kann nur der Kopf
eines Menſchenfeindes argwoͤhnen.
So ſag’ mir doch, warum biſt du denn
eigentlich hier?
Aus mehr, als einer Urſach. Zuerſt
in meinem eigenen Namen, als der Freund meines
alten Kriegskameraden, dich feyerlich zu beſchwoͤ-
ren, dieß Weib nicht von dir zu ſtoßen; denn bey
Gott! du findeſt ihres Gleichen nicht wieder.
Gieb dir keine Muͤhe!
[155]
Aufrichtig, Meinau, du liebſt ſie noch.
Leider ja!
Ihre ungeheuchelte Reue hat ihre Schuld
laͤngſt getilgt. Was haͤlt dich ab, wieder ſo gluͤck-
lich zu ſeyn, als du einſt warſt?
Ein Weib, das faͤhig war, einmal
die eheliche Treue zu verletzen, iſt es auch zum
zweyten Male.
Nicht ſo Eulalia. Vergieb mir, Bru-
der, wenn ich den groͤßten Theil ihrer Schuld auf
dich ſelbſt zuruͤck ſchiebe.
Auf mich?
Auf dich. Wer hieß dich, ein junges,
unerzogenes Maͤdchen heurathen? Von einem
Manne von fuͤnf und zwanzig Jahren fodert man
kaum feſte Grundſaͤtze; und du ſuchteſt dergleichen
bey einem weiblichen Geſchoͤpf von vierzehn Jah-
ren? Doch das bey Seite. Sie hat gefehlt, ſie
hat gebuͤßt, und in einer Zeit von drey Jahren ſich
ſo untadelich betragen, daß auch die ſchwaͤrzeſte
Verleumdung durch ihr vergroͤßerndes Sehrohr in
dieſer Sonne keinen Flecken entdecken wuͤrde.
Und wenn ich auch das alles glaube —
denn ich geſtehe dir, ich glaube es gern — ſo kann
[156] ſie doch nie wieder die Meinige werden.
Ha! ha! ha! Das waͤre ein Schmaus fuͤr die ge-
ſchminkten Weiber und all’ das fade Hofvolk, wenn
ich ſo wieder mitten unter ſie traͤte, mit meinem
verlaufenen Weibe am Arm. Wie ſie hohnlaͤcheln,
ſich in die Ohren wiſpern, mit Fingern auf mich
zeigen wuͤrden. O das waͤre ein Schauſpiel, um
des Teufels zu werden!
Nun, jenem abgeſchmackten Zirkel zu
entſagen, wird doch wohl meinem Freunde Meinau
keinen Seufzer koſten? Ich denke, wer drey Jahre
lang ſich ſelbſt genug war, der kann in Eula-
liens Armen kuͤhn der Einſamkeit ſein ganzes Leben
weyhen.
Ich begreife. Ihr habt ein Complot
gemacht, habt euch mit meinem Herzen gegen mei-
nen Kopf verſchworen; aber vergebens! Ich bitte
dich Bruder: kein Wort weiter, oder ich gehe.
Wohlan, ſo hab’ ich als Freund meine
Pflicht erfuͤllt. Jetzt erſcheine ich als Abgeordneter
deines Weibes. Sie bittet dich um eine letzte Un-
terredung; ſie will Abſchied von dir nehmen. Die-
ſen Troſt kannſt du ihr nicht verſagen.
[157]
O ich verſtehe auch das. Sie ſchmei-
chelt ſich mit dem Gedanken, meine Standhaftig-
keit werde vor ihren Thraͤnen hinwegſchmelzen;
aber ſie irrt ſich: ſie mag kommen!
Und dich fuͤhlen laſſen, wie ſehr du
ihren Charakter verkennſt. Ich hohle ſie.
Noch eins, Horſt. Hier, gieb ihr dieſen
Schmuck; er gehoͤrt ihr zu.
Das magſt du ſelbſt thun.
Achter Auftritt.
Nun, Meinau, der letzte gluͤckliche Augenblick
deines Lebens naht heran. Du wirſt noch einmal
ſie ſehen; ſie, an der deine ganze Seele haͤngt. O
daß ich ihr nicht entgegen fliegen, an dieß klopfende
Herz ſie druͤcken darf! — Pfuy! iſt das die Sprache
des beleidigten Gatten? Ach, ich fuͤhl’ es: das
Hirngeſpenſt, das wir Ehre nennen, iſt nur in un-
ſerm Kopfe, nicht in unſerm Herzen. — Stand-
haft! es darf nun einmal nicht anders ſeyn. —
Ernſt will ich mit ihr reden; aber ſanft. — Huͤte
dich, daß kein Vorwurf deinem Munde entwiſche!
Ja, ihre Reue iſt wahrhaftig; mein argwoͤhniſches
[158] Gehirn mag dagegen einwenden, was es will. —
Nun, ſo ſoll wenigſtens ihr Schickſal ertraͤglich
ſeyn. Sie ſoll nicht dienen duͤrfen um des Bis-
chen taͤglichen Brods willen. Sie ſoll unabhaͤngig
leben, und noch ſo viel uͤbrig behalten, ihren
wohlthaͤtigen Hang zu befriedigen.
und fährt zuſammen.)
Ha! Sie kommen! Beleidig-
ter Stolz, erwache! gekraͤnkte Ehre, ſchuͤtze mich!
Neunter Auftritt.
Der Major.
der Gräfin, welche ſie unterſtützen will)
Laſſen Sie mich,
gnaͤdige Frau! Ich hatte einſt Staͤrke genug zu ſuͤn-
digen; Gott wird mir heute Kraft verleihen zu
buͤßen.
gewandtem Geſicht in großer Bewegung ihre Anrede erwartet.)
Herr Oberſter —
wandtem Geſicht)
Was willſt du von mir, Eulalia?
Nein — um Gottes wil-
len! — darauf war ich nicht vorbereitet. — O,
dieſer Ton ſchneidet mir durchs Herz! — Dieſes
[159]Du — dieſes vertrauliche Du — nein! — um
Gottes willen! — großmuͤthiger Mann! einen rau-
hen, harten Ton fuͤr das Ohr der Verbrecherin!
Nun, Madam —
Ach! wenn Sie mein Herz erleichtern,
wenn Sie ſich herablaſſen wollten, mir Vorwuͤrfe
zu machen —
Vorwuͤrfe? — Hier ſtehn ſie auf mei-
ner blaſſen Wange, hier in meinem eingefallenen
Auge: dieſe Vorwuͤrfe konnt’ ich Ihnen nicht er-
ſparen — mein Mund ſchont Ihres Elends.
Waͤr’ ich eine verhaͤrtete Verbrecherin;
ſo wuͤrde dieſes Schweigen mir Wohlthat ſeyn:
aber ich bin eine reuige Buͤßende, und dieſes edel-
muͤthige Schweigen druͤckt mich ganz zu Boden. —
Ach! ſo muß ich denn ſelbſt der Herold meiner
Schande werden! Denn wo waͤre Ruhe fuͤr mich,
ehe dieß Bekenntniß von meinem Herzen abgewaͤlzt
worden?
Kein Bekenntniß, Madam! Ich weiß
alles, und erlaſſe Ihnen jede Demuͤthigung. Doch
werden Sie ſelbſt einſehen, daß nach dem, was vor-
gefallen iſt, wir uns auf ewig trennen muͤſſen.
[160]
Ich weiß es. Auch kam ich nicht hieher,
Verzeihung zu erflehen; auch regte ſich nicht die
leiſeſte Hoffnung in mir, Verzeihung zu erhalten.
Es giebt Verbrechen, welche doppelt ſchaͤnden, wenn
man auch nur den Gedanken hegen kann, ſie jemals
ganz auszuloͤſchen. Alles, was ich zu hoffen wage,
iſt: die Verſicherung aus ihrem Munde zu hoͤren,
daß Sie meinem Andenken nicht fluchen wollen.
Nein, Eulalia, ich fluche dir
nicht. — Deine Liebe hat mir in beſſern Tagen ſo
manche ſuͤße Freude gewaͤhrt. — Nein, ich werde
dir nie fluchen!
Mit dem innigen Ge-
fuͤhl, daß ich Ihres Namens unwerth bin, hab[’]
ich ſchon ſeit drey Jahren einen andern, unbekann-
ten getragen. — Aber das iſt noch nicht genug. —
Sie muͤſſen einen Scheidebrief haben — der Sie
in den Stand ſetze, eine wuͤrdigere Gattin zu waͤh-
len — in deren Armen Gott ſeinen mildeſten Se-
gen auf Sie herabſchuͤtten wolle! — Dazu wird
dieſes Papier Ihnen nothwendig ſeyn; — es ent-
haͤlt ein ſchriftliches Bekenntniß meiner Ver-
hrechen.
Unbek.
[161]
Es ſey auf ewig
vernichtet! Nein, Eulalia! Du allein haſt in mei-
nem Herzen geherrſcht, und — ich ſchaͤme mich
nicht, es zu bekennen — Du allein wirſt ewig dar-
in herrſchen! Dein eigenes Gefuͤhl fuͤr Tugend und
Ehre verbietet dir, dieſe Schwachheit nutzen zu
wollen; und waͤr’ es — nun bey Gott! dieſe
Schwachheit iſt meiner Ehre untergeordnet. Aber
nie, nie wird ein anderes Weib mir Eulalien er-
ſetzen!
Nun, ſo bliebe mir nichts weiter
uͤbrig — als Abſchied von Ihnen zu nehmen.
Halt! Noch einen Augenblick. Wir ha-
ben einige Monate lang, ohne es zu wiſſen, ein-
ander ſehr nahe gelebt; ich habe viel Gutes von
Ihnen erfahren; Sie haben ein Herz, weich ge-
ſchaffen fuͤr die Noth Ihrer armen Bruͤder. Das
freut mich. Es muß Ihnen nie an Mitteln fehlen,
dieſen Hang zu befriedigen — auch Sie ſelbſt muͤſ-
ſen nie Mangel leiden. Dieſe Schrift verſichert
Ihnen eine Leibrente von tauſend Thalern, welche
der Banquier Schmidt in Caſſel Ihnen alljaͤhrlich
auszahlen wird.
L
[162]
Nimmermehr! Die Arbeit meiner Haͤn-
de muß mich ernaͤhren. Ein Biſſen Brod, von ei-
ner Thraͤne der Reue befeuchtet, wird mir mehr
Ruhe gewaͤhren, als das Bewuſtſeyn, von dem
Vermoͤgen eines Mannes zu ſchwelgen, den ich
einſt ſo ſchaͤndlich verrathen konnte.
Nehmen Sie, Madam, nehmen Sie!
Ich habe dieſe Demuͤthigung verdient
— aber ich fluͤchte zu Ihrer Großmuth. Verſcho-
nen Sie mich!
Gott! welch ein Weib hat
der Bube mir entriſſen!
ſich.)
Wohl, Madam, ich ehre Ihre Gruͤnde, ich
ſtehe ab von meinem Begehren: doch nur unter der
Bedingung, daß, wenn es Ihnen je an etwas man-
gelt, ich der erſte und Einzige ſey, an den Sie
ſich freymuͤthig wenden.
Ich verſpreche es.
Und nun darf ich wenigſtens verlangen,
daß Sie Ihr Eigenthum zuruͤcknehmen, Ihren
Schmuck.
Thränen ſtürzen darauf)
Ach! da ſchwebt es vor mei-
ner Seele, das ſuͤße Bild jenes ſchoͤnen Abends,
[163] an welchem Sie mir dieſen Schmuck ſchenkten. An
jenem Abend legte mein alter Vater unſere Haͤnde
in einander, und froh ſprach ich ihn aus, den
Schwur ewiger Treue. — Er iſt gebrochen! —
Damals hatt’ ich ein reines, ſchuldloſes Herz —
ach! dieß Gefuͤhl kauft keine Reue zuruͤck! — Dieß
Halsband ſchenkten Sie mir vor fuͤnf Jahren an
meinem Geburtstage. Das war ein gluͤcklicher
Tag. Sie hatten ein kleines, laͤndliches Feſt ver-
anſtaltet. O! wie waren wir alle ſo heiter und
froh! — Dieſe Schmucknadel erhielt ich, als ich
meinen Wilhelm gebohren hatte. — O wie ſchwer
druͤckt die Erinnerung an entflohene Freuden, wenn
du ſelbſt ihr Moͤrder warſt! — Nein, auch dieſen
Schmuck kann ich nicht behalten; — es muͤßte
denn Ihre Abſicht ſeyn, mir durch ſeinen Anblick
endloſe Vorwuͤrfe zu bereiten. — Nehmen Sie ihn
zuruͤck!
nur die Nadel herausgenommen.)
lalia, welche er aber zu verbergen ſucht, nimmt den Schmuck
mit weggewandtem Geſicht und ſteckt ihn ein.)
Nur dieſe Nadel ſey mir ein Andenken
an die Geburt meines Wilhelms.
L 2
[164]
Nein, laͤnger halte ich’s nicht
aus.
nicht ſanft, nicht feſt und nicht weich, ſondern ſchwankt zwi-
ſchen allen dieſen.)
Leben Sie wohl!
O nur noch eine Minute, nur noch
Beantwortung einer Frage; Beruhigung des
Mutter-Herzens! — Leben meine Kinder noch?
Sie leben.
Und ſind geſund?
Geſund.
Gott ſey Dank! — Mein Wilhelm iſt
wohl ſchon recht groß geworden?
Ich vermuthe.
Und Malchen — iſt ſie noch Ihr Liebling?
bleibt ſtumm im Kampf mit Ehre und Liebe.)
O großmuͤthiger Mann! ich bitte Sie,
laſſen Sie mich meine Kinder noch einmal ſehen,
ehe wir ſcheiden, daß ich ſie an mein Herz druͤcke,
daß ich ſie ſegne, daß ich die Zuͤge ihres Vaters
in ihnen kuͤſſe.
Ach! wenn Sie
wuͤßten, wie in dieſen drey fuͤrchterlichen Jahren mein
[165] Herz an meinen Kindern hing; wie mir die Thraͤ-
nen in die Augen ſchoſſen, ſo oft ich einen Knaben
oder ein Maͤdchen gleiches Alters erblickte; wie ich
zuweilen in der Daͤmmerung in meiner einſamen
Kammer ſaß, mich an den Zauberbildern meiner
regen Phantaſie letzend, bald Wilhelm, bald Mal-
chen auf meinem Schooße wiegend. — O! erlau-
ben Sie mir immer, ſie noch einmal zu ſehen!
nur eine muͤtterliche Umarmung! und wir trennen
uns dann auf ewig.
Gern, Eulalia — noch dieſen Abend
— ich erwarte die Kinder jeden Augenblick — ſie
wurden im naͤchſten Staͤdtchen erzogen — ich habe
meinen Bedienten dahin geſandt — er koͤnnte ſchon
zuruͤck ſeyn — ich gebe ihnen mein Wort, ſo bald
ſie kommen, ſende ich ſie aufs Schloß. Da moͤgen
ſie, wenn es Ihnen gefaͤllt, bis zum Anbruch des
morgenden Tages bey Ihnen bleiben — dann
nehme ich ſie wieder mit mir. —
da, der ganzen Unterredung mit innigſter Theilnahme
zuhörten, geben ſich verſtohlne Winke. Der Major
geht in die Hütte, und kommt bald darauf mit Franz
und den beyden Kindern zurück. Er übergiebt den Kn[a]-
L 3
[166]
er ſelbſt tritt mit dem kleinen Mädchen hinter Meinau.)
So haͤtten wir uns denn in dieſem Leben
nichts weiter zu ſagen.
menraffend.)
Leben Sie wohl, edler Mann!
greift ſeine Hand.)
Vergeſſen Sie eine Ungluͤckliche,
die Sie nie vergeſſen wird!
Laſſen
Sie mich noch einmal dieſe Hand an meine Lippen
druͤcken; dieſe Hand, die einſt mein war!
Keine Erniedrigung, Eu-
lalia!
Leben Sie wohl!
Auf ewig.
Auf ewig!
Wir ſcheiden ohne Groll —
Ohne Groll.
Und wenn ich einſt genug gebuͤßt habe;
wenn wir in einer beſſern Welt uns wiederſehen —
Dort herrſchen keine Vorurtheile; dann
biſt du wieder mein!
beyder Blicke begegnen ſich wehmüthig. Sie ſtammeln noch ein
Lebewohl! und trennen ſich, aber indem ſie gehen wollen,
ſtößt Eulalia auf den kleinen Wilhelm, und Meinau auf
Malchen.)
Vater —
[167]
Mutter —
Arme.)
Lieber Vater —
Liebe Mutter —
einander an, breiten die Arme aus, und ſtürzen ſich
einer in des andern Arme.)
Ich verzeihe dir!
Höhe, welche ſich an ihre Eltern anklammern, und
lieber Vater! liebe Mutter! ruſen.)
1
[]
Verzeichniß
einiger meiner Verlagsbuͤcher aus der
angenehmen Lectuͤre
- Abentheuer Philipp Quarls. Aus dem Engliſchen.
Mit einem Frontispitz. 8. 1790. 20 gr. - Auszug des engliſchen Zuſchauers, nach einer neuen
Ueberſetzung des Hrn. Ramlers und Benzlers.
8 Baͤnde. 8. 1784. 6 thlr. 16 gr[.] - Blumenleſe, romantiſche, aus verſchiedenen Spra-
chen. Mit einem Frontispitz von Chodowiecki.
8. 1789. 1 thlr. - Comoͤdien. Maſaniello von Neapel. Original-
Trauerſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen. 8. 1789. 12 gr. - — — Menſchenhaß und Reue. Schauſpiel in fuͤnf
Aufzuͤgen von Auguſt von Kotzebue. 8. 1790. 12 gr. - — — Otto von Wittelsbach. Trauerſpiel in fuͤnf
Aufzuͤgen. Mit einem Frontispitz. 8. 1789[.]10 gr. - — — Toilette, die große. Luſtſpiel in fuͤnf Auf-
zuͤgen. 8. 1788. 10 gr. - de Fontenelle, Bernhard, Dialogen uͤber die Mehr-
heit der Welten. Aus dem Franz. Mit vielen An-
merkungen und Kupfern. 2te vermehrte und ver-
beſſerte Auflage. 8. 1789. 1 thlr. 4 gr. - Kandide, oder die beſte Welt. Aus dem Franz. des
Hrn. von Voltaire. 3te neu uͤberſetzte Auflage. Mit
Kupfern von D. Chodowiecki. 8. 1785. 1 thl. 4 gr. - Klimms (Niels) unterirdiſche Reiſen. Neu uͤberſetzt.
8. [1788]1 thlr. 8 gr. - Der Mann von Gefuͤhl. 3te Auflage. Mit Kupfern.
8. 1785. 20 gr. - Narr Jak, Welt und Hoff, ein ſatyriſcher Roman,
voll Wahrheiten aus dem 18ten Jahrhundert.
2 Baͤnde. 8. 1788. 1 thlr. 8 gr. - Peregrine Pickle. Neu uͤberſetzt in 4 Baͤnden. 2te
verbeſſerte Auflage. 8. 1789. 3 thlr. - Thomſons, Jakob, die Jahreszeiten. Neu uͤber-
ſetzt von Ludwig Schubart. Mit 5 Landſchaften
von Genelly nach Woollett in Kupfer geſtochen.
gr. 8. 1789. 2 thlr. 8 gr.
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Kotzebue, August von. Menschenhaß und Reue. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmr1.0