[][][][][][][[I]]
Gedichte


Stuttgart und Tübingen.:
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1838.
[[II]][[III]]

Seinem Freunde
Wilhelm Hartlaub
zum Zeichen
unveränderlicher Liebe

gewidmet.

[[IV]][[V]]

Inhalt.


  • Seite
  • An einem Wintermorgen  1
  • Erinnerung  3
  • Naͤchtliche Fahrt  6
  • Der junge Dichter  9
  • Der Knabe und das Immlein  12
  • Rath einer Alten  14
  • Begegnung  16
  • Der Jaͤger  17
  • Jaͤgerlied  19
  • Schoͤn-Rohtraut  20
  • Ein Stuͤndlein wohl vor Tag  22
  • Das verlaſſene Maͤgdlein  23
  • Storchenbotſchaft  24
  • Die ſchlimme Greth und der Koͤnigsſohn  26
  • Die Geiſter am Mummelſee  34
  • Septembermorgen  36
  • Er iſt's  37
  • Erſtes Liebeslied eines Maͤdchens  38
  • Liebesvorzeichen  40
  • Nimmerſatte Liebe  42
  • Suschens Vogel  43
  • In der Fruͤhe  45
  • Im Fruͤhling  46
  • Fußreiſe  47
  • Beſuch in Urach  48
  • Seite
  • An eine Aeolsharfe  52
  • Hochzeitlied  54
  • Jung Volker  59
  • Jung Volkers Lied  60
  • Maſchinka's Lied  61
  • Mein Fluß  62
  • Joſephine  64
  • Auf der Reiſe  66
  • Frage und Antwort  67
  • Heimweh  68
  • Nachts  69
  • Die traurige Kroͤnung  70
  • Chor juͤdiſcher Maͤdchen  72
  • Der Gaͤrtner  73
  • Lied vom Winde  74
  • Agnes  76
  • Elfenlied  77
  • Mausfallen-Spruͤchlein  78
  • Die Schweſtern  79
  • Des Schloßkuͤpers Geiſter zu Tuͤbingen  80
  • Romanze vom wahnſinnigen Feuerreiter  85
  • Erzengel Michaels Feder I. II. 87
  • Idylle  97
  • Akme und Septimius  101
  • Loſe Waare  103
  • Die Herbſtfeier  104
  • Lied eines Verliebten  109
  • An Clara  110
  • Johann Kepler  112
  • Auf das Grab von Schillers Mutter  113
  • Theokrit  114
  • An eine Lieblingsbuche meines Gartens, in deren Stamm ich
    Hoͤlty's Namen ſchnitt  115
  • Tibullus  116
  • An Hermann  117
  • Seite
  • Muſe und Dichter  119
  • Geſpraͤch vor Tage  120
  • An meinen Arzt, Herrn Dr. Elſaͤſſer  121
  • Der Geneſene an die Hoffnung  122
  • Ideale Wahrheit  123
  • Maſchinka  123
  • Schnelle Beute  124
  • Nachts am Schreibepult  124
  • Vicia faba minor 125
  • Auf dem Grabe eines Kuͤnſtlers  125
  • An meine Mutter  126
  • An Dieſelbe  126
  • An H. K.  127
  • Brockes  127
  • Joſeph Haydn  127
  • Auf einen Klavierſpieler  128
  • P. K.  129
  • An Friedrich Viſcher  130
  • Die Anti-Sympathetiker  131
  • An einen Liebesdichter  132
  • Apoſtrophe  133
  • Antike Poeſie  134
  • Eberhard Waͤchter  135
  • Seltſamer Traum  136
  • Troſt  137
  • Zum neuen Jahr  138
  • Der Koͤnig bei der Kroͤnung  139
  • Auf die Vermaͤhlung des Fuͤrſten v. Schwarzburg-Sondershauſen,
    mit Mathilde, Prinzeſſin von Hohenlohe  140
  • Nanny's Traum  141
  • Verborgenheit  143
  • Suspirium 144
  • An den Schlaf  145
  • Wo find' ich Troſt?  146
  • Auf ein altes Bild  147
  • Seite
  • Zurechtweiſung  148
  • Am Walde  150
  • Zu viel  151
  • Liebesgluͤck  152
  • An die Geliebte  153
  • Nur zu!  154
  • Charwoche  155
  • Tag und Nacht  156
  • Die Elemente  158
  • Schiffer- und Nixen-Maͤhrchen.
    • I. Vom Sieben-Nixen-Chor  162
    • II. Nixe Binſefuß  166
    • III. Zwei Liebchen  167
    • IV. Der Zauberleuchtthurm  169
  • Das luſtige Wirthshaus  171
  • Maͤhrchen vom ſichern Mann  175
  • Geſang Weyla's  190
  • Der Tambour  191
  • Die Soldatenbraut  192
  • Auftrag  193
  • Unſer Friz  195
  • Einer verehrten Frau zum Geburtstage  197
  • Die Viſite  198
  • An —  200
  • An Florentine  201
  • Der Liebhaber an die heiße Quelle in B.  202
  • Lammwirths Klagelied  203
  • Der Kanonier  205
  • Charis und Penia  206
  • An meinen Vetter  208
  • Gute Lehre  210
  • Reſtauration  212
  • Zur Warnung  213
  • Alles mit Maas  214
  • Kalter Streich  215
  • Seite
  • Falſche Manier  216
  • Schul-Schmaͤcklein  216
  • Auf die Proſa eines Beamten  217
  • Hanswurſt an der Sandmuͤhle  218
  • Huͤlf' in der Noth  221
  • Selbſtgeſtaͤndniß  222
  • Bei einer Trauung  223
  • Meines Vetters Brautfahrt  224
  • An einen Prediger  225
  • Paſtor an ſeine Zuhoͤrer  226
  • Paſtoral-Erfahrung  226
  • Neutheologiſche Kanzelberedtſamkeit  227
  • Luͤckenbuͤßer  227
  • An —  228
  • Auskunft  228
  • Abſchied  229
  • Tout comme chez nous 230
  • Peregrina I.–V.  231
  • Um Mitternacht  236
[[X]]

An einem Wintermorgen.

Vor Sonnenaufgang.


O flaumenleichte Zeit der dunkeln Fruͤhe!

Welch neue Welt bewegeſt du in mir?

Was iſt's, daß ich auf einmal nun in dir

Von ſanfter Wolluſt meines Daſeyns gluͤhe?
Einem Kryſtall gleicht meine Seele nun,

Den noch kein falſcher Strahl des Lichts getroffen;

Zu fluthen ſcheint mein Geiſt, er ſcheint zu ruh'n,

Dem Eindruck naher Wunderkraͤfte offen,

Die aus dem klaren Guͤrtel blauer Luft

Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Bei hellen Augen glaub' ich doch zu ſchwanken,

Ich ſchließe ſie, daß nicht der Traum entweiche;

Seh' ich hinab in holde Feenreiche?

Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken

Zur Pforte meines Herzens hergeladen,

Die glaͤnzend ſich in dieſem Buſen baden,

Goldfarb'gen Fiſchlein gleich im Gartenteiche?
Mörike, Gedichte. 1[2]
Ich hoͤre bald der Hirtenfloͤten Klaͤnge,

Wie um die Krippe jener Wundernacht,

Bald weinbekraͤnzter Jugend Luſtgeſaͤnge:

Wer hat das friedenſelige Gedraͤnge

In meine traurigen Waͤnde hergebracht?
Und welch Gefuͤhl entzuͤckter Staͤrke,

Indem mein Sinn ſich friſch zur Ferne lenkt?

Vom erſten Mark des heut'gen Tags getraͤnkt,

Fuͤhl' ich mir Muth zu jedem frommen Werke!

Die Seele fliegt, ſo weit der Himmel reicht,

Der Genius jauchzt in mir; — doch ſage,

Warum wird jetzt der Blick von Wehmuth feucht?

Iſt's ein verloren Gluͤck, was mich erweicht?

Iſt es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

— Hinweg, mein Geiſt! hier gilt kein Stilleſtehn;

Es iſt ein Augenblick, und — Alles wird verwehn!
Dort ſieh! am Horizont luͤpft ſich der Vorhang ſchon,

Es traͤumt der Tag, nun ſey die Nacht entflohn,

Die Purpurlippe, die geſchloſſen lag,

Haucht, halbgeoͤffnet, ſuͤße Athemzuͤge,

Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag

Beginnt im Sprung die koͤniglichen Fluͤge!
[3]

Erinnerung.

An C. N.


Jenes war zum lezten Male,

Daß ich mit dir ging, o Claͤrchen!

Ja, das war das lezte Mal,

Daß wir uns wie Kinder freuten.
Als wir durch die ſonnenhellen,

Regneriſchen Straßen liefen,

Unterm ſeidnen Schirme eilend,

Beide heimlich eingeſchloſſen,

Wie in einem Feenſtuͤbchen,

Endlich einmal Arm in Arme!
Wenig wagten wir zu reden,

Denn das Herz ſchlug zu gewaltig,

Beide merkten wir es ſchweigend,

Und ein Jedes ſchob im Stillen

Des Geſichtes gluͤh'nde Roͤthe

Auf den Widerſchein des Schirmes.

Ach, ein Engel warſt du da!

Wie du auf den Boden immer

Blickteſt, und die blonden Locken

Um den hellen Nacken fielen.
1 *[4]
„Jezt iſt wohl ein Regenbogen

An dem Himmel,“ ſagt' ich einmal:

Dann in meinem frohen Muthe

Sprach ich weiter dieſe Worte:

„Kaͤm' auch keiner mehr an Himmel,

Waͤr' es gar nicht zu verwundern,

Denn die Leute ziehn ja ſelber

Seine bunten Bogenſtreifen

Zu ſich nieder auf die Gaſſen.

Sieh nur, wie ſie ſich beeilen!

Jeder mit dem Regendache

Fuͤhret einen andern Farben-

Bogen uͤber ſeinem Haupte,

Jeder ſpringt mit ſeinem Raube,

Blaue, rothe, violete, —

Alles nehmen ſie mit fort.“
Und du laͤchelteſt und bogeſt

Mit mir um die lezte Ecke.
Und ich bat dich um ein Roͤslein,

Das du an der Bruſt getragen,

Und du reichteſt mir's im Gehen

Schnelle hin, das ſuͤße Roͤslein;

Zitternd hob ich's an die Lippen,

Kuͤßt' es bruͤnſtig zwei- und dreimal,

Niemand konnte deſſen ſpotten,

Keine Seele hat's geſehen,

Und du ſelber ſahſt es nicht.
[5]
An dem fremden Haus, wohin

Ich dich zu begleiten hatte,

Standen wir nun, weiß'ſt, ich druͤckte

Dir die Hand und —
Dieſes war zum lezten Male,

Daß ich mit dir ging, o Claͤrchen!

Ja, das war das lezte Mal,

Daß wir uns wie Kinder freuten.
[6]

Nächtliche Fahrt.

Juͤngſt im Traum ward ich getragen

Ueber fremdes Heideland;

Vor den halbverſchloſſ'nen Wagen

Schien ein Trauerzug geſpannt.
Dann durch mondbeglaͤnzte Waͤlder

Ging die ſonderbare Fahrt,

Bis der Anblick offner Felder

Endlich mir bekannter ward.
Wie im luſtigen Gewimmel

Tanzt nun Buſch und Baum vorbei!

Und ein Dorf nun! Guter Himmel!

O mir ahnet, was es ſey.
Sah ich doch vor Zeiten gerne

Dieſe Haͤuſer oft und viel,

Die am Wagen die Laterne

Streift im ſtummen Schattenſpiel.
Ja, dort unterm Giebeldache

Schlummerſt du, vergeßlich Herz!

Und daß dein Getreuer wache,

Sagt dir kein geheimer Schmerz.
[7]
— Ferne waren ſchon die Huͤtten;

Sieh', da flattert's durch den Wind!

Eine Gabe zu erbitten

Schien ein armes, holdes Kind.
Wie vom boͤſen Geiſt getrieben,

Werf' ich raſch der Bettlerin

Ein Geſchenk von meiner Lieben,

Jene goldne Kette, hin.
Ploͤtzlich ſcheint ein Rad gebunden,

Und der Wagen ſteht gebannt,

Und das holde Maͤdchen unten

Haͤlt mich ſchelmiſch bei der Hand.
„Denkt man ſo damit zu ſchalten?

So entdeck' ich den Betrug?

Doch, den Wagen feſtzuhalten,

War die Kette ſtark genug.
Willſt du, daß ich dir verzeihe,

Sey erſt ſelber wieder gut!

Oder wo iſt deine Treue,

Falſches Herze, falſches Blut?“
Und ſie ſtreichelt mir die Wange,

Kuͤßt mir das erfrorne Kinn,

Steht und laͤchelt, weinet lange

Als die ſchoͤnſte Buͤßerin.
[8]
Doch mir bleibt der Mund verſchloſſen,

Und kaum weiß ich, was geſchehn;

Ganz in ihren Arm gegoſſen,

Schien ich ſelig zu vergehn.
Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde,

In die graue Welt hinein!

Unter uns vergeh' die Erde

Und kein Morgen ſoll mehr ſeyn!
[9]

Der junge Dichter.

Wenn der Schoͤnheit ſonſt, der Anmuth

Immer fluͤchtige Erſcheinung

Wie ein heller Glanz der Sonne

Einmal vor die Sinne wieder

Mit der Neuheit Zauber trat,

Daß ein heimlich trunknes Jauchzen

Mir der Ausdruck lautern Dankes

Fuͤr ſolch ſuͤßes Daſeyn war:

O wie drang es da mich armen,

Mich unmuͤnd'gen Sohn Apollens,

Dieſes Alles auch in ſchoͤner,

Abgeſchloſſener Geſtaltung

Feſt, auf ewig feſtzuhalten,

Es durch goldne Leierklaͤnge

So zum Einklang mit mir ſelber

Umzubilden, neu zu ſchaffen,

Daß ich, heiter wie ein Gott,

Ueber der gediegnen Schoͤne,

Die aus mir herausgetreten,

Die ich ganz mein eigen nenne,

Ruhig, klaren Auges ſchwebe.
Doch, wenn mir das tief Empfundne

Nicht alsbald ſo rein und voͤllig,

Wie es in der Seele lebte,

In des Dichters zweite Seele,

Den Geſang, hinuͤberſpielte,

[10]
Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger

Ungelenk die Saiten ruͤhrte,

Sollt' ich dann nicht muthlos werden,

Daß ich ſtets ein Schuͤler bleibe?
Aber, Liebchen, ſieh, bei dir

Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt,

Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen

Bei dem Schimmer dieſer Lampe,

Wo ich deinen Worten lauſche,

Hold beſcheidnen Liebesworten.

Wie du dann geruhig deine

Braunen Lockenhaare ſchlichteſt,

Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet

All dies wirre Bilderweſen,

All des Herzens eitle Sorge,

Viel-zertheiltes Thun und Denken.

Froh begeiſtert, leicht gefiedert,

Flieg' ich aus der Dichtung engen

Roſenbanden, daß ich nur

Noch in ihrem reinen Dufte,

Als im Elemente, lebe.
Oder, Maͤdchen, ſage mir,

Biſt du gar die Muſe ſelber,

Die, wie wahre Dichtung pflegt,

Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey,

Mich in ihren Armen haͤlt,

Daß ich ſelber, eins mit ihr,

Nur ein zart Gedicht erſcheine?
[11]
O du Liebliche, du laͤchelſt,

Schuͤttelſt, kuͤſſend mich, das Koͤpfchen,

Und begreifſt nicht, was ich meine.

Moͤcht' ich ſelber es nicht wiſſen,

Wiſſen nur, daß du mich liebeſt,

Daß ich in dem Flug der Zeit

Deine kleinen Haͤnde halte!
[12]

Der Knabe und das Immlein.

Im Weinberg auf der Hoͤhe

Ein Haͤuslein ſteht ſo windebang,

Hat weder Thuͤr noch Fenſter,

Die Weile wird ihm lang.
Und iſt der Tag ſo ſchwuͤle,

Sind all' verſtummt die Voͤgelein;

Summt an der Sonnenblume

Ein Immlein ganz allein.
Mein Lieb hat einen Garten,

Da ſteht ein huͤbſches Immenhaus:

Kommſt du daher geflogen?

Schickt ſie dich nach mir aus?
„O nein, du feiner Knabe,

Es hieß mich Niemand Boten gehn;

Dies Kind weiß nichts von Lieben,

Hat dich noch kaum geſehn.
Was wuͤßten auch die Maͤdchen,

Wenn ſie kaum aus der Schule ſind!

Dein herzallerliebſtes Schaͤtzchen

Iſt noch ein Mutterkind.
[13]
Ich bring' ihm Wachs und Honig;

Ade! — ich hab' ein ganzes Pfund;

Wie wird das Schaͤtzchen lachen,

Ihm waͤſſert ſchon der Mund.“
Ach, wollteſt du ihr ſagen:

Ich wuͤßte, was viel ſuͤßer iſt:

Nichts Lieblichers auf Erden

Als wenn man herzt und kuͤßt!
[14]

Rath einer Alten.

Bin jung geweſen,

Kann auch mit reden,

Und alt geworden,

Drum gilt mein Wort.
Schoͤn reife Beeren

Am Baͤumchen hangen:

Nachbar, da hilft kein

Zaun um den Garten;

Luſtige Voͤgel

Wiſſen den Weg.
Aber, mein Dirnchen,

Du laß dir rathen:

Halte dein Schaͤtzchen

Wohl in der Liebe,

Wohl im Reſpekt!
Mit den zwei Faͤdlein,

In Eins gedrehet,

Ziehſt du am kleinen

Finger ihn nach.
Aufrichtig Herze,

Doch ſchweigen koͤnnen,

Fruͤh mit der Sonne

[15]
Muthig zur Arbeit,

Geſunde Glieder,

Saubere Linnen,

Das machet Maͤdchen

Und Weibchen werth.
Bin jung geweſen,

Kann auch mit reden,

Und alt geworden,

Drum gilt mein Wort.
[16]

Begegnung.

Was doch heut Nacht ein Sturm geweſen,

Bis erſt der Morgen ſich geregt!

Wie hat der ungebetne Beſen

Kamin und Gaſſen ausgefegt!
Da kommt ein Maͤdchen ſchon die Straßen,

Das halb verſchuͤchtert um ſich ſieht;

Wie Roſen, die der Wind zerblaſen,

So unſtet ihr Geſichtchen gluͤht.
Ein ſchoͤner Burſch tritt ihr entgegen,

Er will ihr voll Entzuͤcken nahn:

Wie ſehn ſich freudig und verlegen

Die ungewohnten Schelme an!
Er ſcheint zu fragen, ob das Liebchen

Die Zoͤpfe ſchon zurecht gemacht,

Die heute Nacht im offnen Stuͤbchen

Ein Sturm in Unordnung gebracht.
Der Burſche traͤumt noch von den Kuͤſſen,

Die ihm das ſuͤße Kind getauſcht,

Er ſteht, von Anmuth hingeriſſen,

Derweil ſie um die Ecke rauſcht.
[17]

Der Jäger.

Drei Tage Regen fort und fort,

Kein Sonnenſchein zur Stunde,

Drei Tage lang kein gutes Wort

Aus meiner Liebſten Munde!
Sie truzt mit mir und ich mit ihr,

So hat ſie's haben wollen;

Mir aber nagt's am Herzen hier,

Das Schmollen und das Grollen.
Willkommen denn, des Jaͤgers Luſt,

Gewitterſturm und Regen!

Feſt zugeknoͤpft die heiße Bruſt,

Und jauchzend euch entgegen!
Nun ſizt ſie wohl daheim und lacht,

Und ſcherzt mit den Geſchwiſtern;

Ich hoͤre in des Waldes Nacht

Die alten Blaͤtter fluͤſtern.
Nun ſizt ſie wohl und weinet laut

Im Kaͤmmerlein, in Sorgen;

Mir iſt es wie dem Wilde traut,

In Finſterniß geborgen.
Moͤrike, Gedichte. 2[18]
Kein Hirſch und Rehlein uͤberall!

Ein Schuß zum Zeitvertreibe!

Geſunder Knall und Widerhall

Erfriſcht das Mark im Leibe. —
Doch wie der Donner nun verhallt

In Thaͤlern in die Runde,

Ein ploͤtzlich Weh mich uͤberwallt,

Mir ſinkt das Herz zu Grunde.
Sie truzt mit mir und ich mit ihr,

So hat ſie's haben wollen,

Mir aber frißt's am Herzen hier,

Das Schmollen und das Grollen.
Und auf! und nach der Liebſten Haus!

Und ſie gefaßt um's Mieder!

„Druͤck' mir die naſſen Locken aus,

Und kuͤſſ' und hab' mich wieder!“
[19]

Jägerlied.

Zierlich iſt des Vogels Tritt im Schnee,

Wenn er wandelt auf des Berges Hoͤh':

Zierlicher ſchreibt Liebchens liebe Hand,

Schreibt ein Brieflein mir in ferne Land'.
In die Luͤfte hoch ein Reiher ſteigt,

Dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:

Tauſendmal ſo hoch und ſo geſchwind

Die Gedanken treuer Liebe ſind.
2 *[20]

Schön-Rohtraut.

Wie heißt Koͤnig Ringangs Toͤchterlein?

Rohtraut, Schoͤn-Rohtraut.

Was thut ſie denn den ganzen Tag,

Da ſie wohl nicht ſpinnen und naͤhen mag?

Thut fiſchen und jagen.

O daß ich doch ihr Jaͤger waͤr'!

Fiſchen und jagen freute mich ſehr.

— Schweig' ſtille, mein Herze!
Und uͤber eine kleine Weil',

Rohtraut, Schoͤn-Rohtraut,

So dient der Knab' auf Ringangs Schloß

In Jaͤgertracht und hat ein Roß,

Mit Rohtraut zu jagen.

O daß ich doch ein Koͤnigsſohn waͤr'!

Rohtraut, Schoͤn-Rohtraut lieb' ich ſo ſehr.

— Schweig' ſtille, mein Herze!
Einsmals ſie ruhten am Eichenbaum,

Da lacht Schoͤn-Rohtraut:

Was ſiehſt mich an ſo wunniglich?

Wenn du das Herz haſt, kuͤſſe mich!

Ach! erſchrak der Knabe!

Doch denket er: mir iſt's vergunnt,

Und kuͤſſet Schoͤn-Rohtraut auf den Mund.

— Schweig' ſtille, mein Herze!
[21]
Darauf ſie ritten ſchweigend heim,

Rohtraut, Schoͤn-Rohtraut;

Es jauchzt der Knab' in ſeinem Sinn:

Und wuͤrd'ſt du heute Kaiſerin,

Mich ſollt's nicht kraͤnken:

Ihr tauſend Blaͤtter im Walde wißt,

Ich hab' Schoͤn-Rohtrauts Mund gekuͤßt!

— Schweig' ſtille, mein Herze!
[22]

Ein Stündlein wohl vor Tag.

Derweil ich ſchlafend lag,

Ein Stuͤndlein wohl vor Tag,

Sang vor dem Fenſter auf dem Baum

Ein Schwaͤlblein mir, ich hoͤrt' es kaum,

Ein Stuͤndlein wohl vor Tag:
Hoͤr' an, was ich dir ſag',

Dein Schaͤtzlein ich verklag':

Derweil ich dieſes ſingen thu',

Herzt er ein Lieb in guter Ruh,

Ein Stuͤndlein wohl vor Tag.
O weh! nicht weiter ſag'!

O ſtill! nichts hoͤren mag!

Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum!

— Ach, Lieb' und Treu iſt wie ein Traum

Ein Stuͤndlein wohl vor Tag.
[23]

Das verlaſſene Mägdlein.

Fruͤh, wann die Haͤhne kraͤhn,

Eh' die Sternlein verſchwinden,

Muß ich am Herde ſtehn,

Muß Feuer zuͤnden.
Schoͤn iſt der Flammen Schein,

Es ſpringen die Funken,

Ich ſchaue ſo drein,

In Leid verſunken.
Ploͤtzlich, da kommt es mir,

Treuloſer Knabe,

Daß ich die Nacht von dir

Getraͤumet habe.
Thraͤne auf Thraͤne dann

Stuͤrzet hernieder,

So kommt der Tag heran, —

O ging' er wieder!
[24]

Storchenbotſchaft.

Des Schaͤfers ſein Haus und das ſteht auf zwei Rad,

Steht hoch auf der Heiden, ſo fruͤhe, wie ſpat.

Und wenn nur ein Mancher ſo'n Nachtquartier haͤtt'!

Ein Schaͤfer tauſcht nicht mit dem Koͤnig ſein Bett.
Und kaͤm' ihm zu Nacht auch was Seltſames vor,

Er betet ſein Spruͤchel und legt ſich auf's Ohr,

Ein Geiſtlein, ein Hexlein, ſo luſtige Wicht',

Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.
Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt,

Es knopert am Laden, es winſelt der Hund,

Nun ziehet mein Schaͤfer den Riegel — ei ſchau!

Da ſtehen zwei Stoͤrche, der Mann und die Frau.
Das Paͤrchen, es machet ein ſchoͤn Kompliment,

Es moͤchte gern reden, ach, wenn es nur koͤnnt'!

Was will mir das Ziefer? iſt ſo was erhoͤrt?

Doch iſt mir wohl froͤhliche Botſchaft beſcheert.
Ihr ſeyd wohl dahinten zu Hauſe am Rhein?

Ihr habt wohl mein Maͤdel gebiſſen in's Bein?

Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,

Sie wuͤnſchet den Herzallerliebſten ſich her?
[25]
Und wuͤnſchet daneben die Taufe beſtellt:

Ein Laͤmmlein, ein Wuͤrſtlein, ein Beutelein Geld? —

So ſagt nur, ich kaͤm' in zwei Tag oder drei,

Und gruͤßt mir mein Buͤbel und ruͤhrt ihm den Brei!
Doch halt! warum ſtellt ihr zu Zweien euch ein?

Es werden doch, hoff' ich, nicht Zwillinge ſeyn? —

Da klappern die Stoͤrche im luſtigſten Ton,

Sie nicken und knixen und fliegen davon.
[26]

Die ſchlimme Greth und der Königsſohn.

Mein Vater iſt ein Muͤller,

Ich bin ſein einzig Kind;

Ich habe keinen Muͤhlbach hier,

Die Muͤhle treibt der Wind.
Die ſtangenlangen Fluͤgel

Sie haspeln leere Luft:

Ich lebe von dem Winde leicht

Und Regenbogenduft.“ —
„Mein Vater war ein Koͤnig,

Ich bin ſein einziger Sohn.

Dreimal verwuͤnſchet ſey der Tag

An dem ich ſtieg zu Thron!
Es riß die rothe Fahn' vom Thurm

Die Windsbraut und ihr Troß,

Es that ſich auf der Erden Grund,

Es fiel mein Koͤnigsſchloß.
Da ſchrien die Prieſter Ach und Weh,

Mein Volk in Waffen ſtand,

Bei Nacht und Nebel mußt' ich fliehn

Aus meiner Vaͤter Land.
[27]
Und drunten an dem Berge

Die Huͤtte dort iſt mein,

Da liegt auch meine Krone,

Geſchmuck und Edelſtein.
Willt du meine Liebſte heißen,

So ſage, wie und wann,

An Tagen und in Naͤchten

Ich zu dir kommen kann?“ —
„Ich bind' eine guͤldne Pfeife

Wohl an den Fluͤgel hin,

Daß ſie ſich helle hoͤren laͤßt,

Wann ich daheime bin.
Doch willt du bei mir wohnen,

Sollt mir willkommen ſeyn:

Mein Haus iſt groß und weit mein Hof,

Da wohn ich ganz allein.“ —
Der Koͤnigsſohn ihr folget

Mit Freuden in ihr Haus;

Sie tiſcht ihm auf, ſie ſpielet ihm

Die Zither fein zum Schmaus.
Und ſchaffet, was ſein Herz begehrt,

Er fragt nicht lang woher;

Ein Kuͤßlein ſie ihm auch gewaͤhrt,

Doch weiter nimmermehr.
[28]
Einsmals da kam der Koͤnigsſohn

Am Morgen von der Jagd,

Er ſah gar ſcheu und bange drein,

Er ſprach zu ſeiner Magd:
„Die Leute reden ſchlimm von dir,

Schatz, ſey auf deiner Hut!

Sie thaͤten dich gern verderben,

Du ſuͤßes junges Blut!“ —
„Sie ſagen, daß ich ein falſches Ding,

Daß ich eine Hexe ſey?“ —

„Ach, Liebſte, ja ſo ſprechen ſie!

Eine Hexe, meiner Treu!
Das macht, du biſt die Schoͤnſt' im Land,

Sie ſind voll Gift und Neid;

O ihr beerſchwarzen Augen, ihr

Seyd dennoch meine Freud'.
Und laͤnger ruh' ich keinen Tag,

Bis daß ich Koͤnig bin,

Und morgen zieh' ich auf die Fahrt:

Aufs Jahr biſt du Koͤnigin!“ —
Sie ſieht ihn an ſo ſchelmiſch,

Sie ſieht ihn an ſo ſchlau:

„Du luͤgſt in deinen Hals hinein,

Du willt keine Hex zur Frau!
[29]
Du willt dich von mir ſcheiden;

Das mag ja wohl geſchehn:

Sollt aber von der ſchlimmen Greth

Noch erſt ein Probſtuͤck ſehn.“ —
„Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch

Dein ſchwarzes Ringelhaar!

Und ruͤhret ſich kein Luͤftchen doch,

O ſage, was es war?
Schon wieder, ach, und wieder!

Du lacheſt und mir graut:

Es ſingen deine Zoͤpfe ... Weh!

Du biſt die Windesbraut!
Du riſſeſt die Fahn' von meinem Thurm!

Mein Schloß verheerteſt du!“ —

„O nein! die Fahne nahm ich zwar,

Dein Schloß ließ ich in Ruh';
Tief unter deinem Felſen haͤlt

Mein Bruder Grabesraſt,

Er baͤumte ſich im Schlafe nur,

Da ſtuͤrzte dein Palaſt.
Und bin ich auch des Windes Braut,

Der Schaden iſt nicht groß;

Komm, kuͤſſe mich! ich halte dich

Und laſſe dich nimmer los!
[30]
O pfui, das iſt ein ſchief Geſicht!

Du wirſt ja kreideweiß!

Friſch, munter, Prinz! ich gebe dir

Ein luſtig Stuͤcklein preis.“ —
Ruͤhrloͤffel in der Kuͤch' ſie holt,

Ruͤhrloͤffel ihrer zwei,

War jeder eine Elle lang,

Waren beide nagelneu.
„Was guckſt du ſo erſchrocken?

Denkſt wohl, es gaͤbe Streich?

Ach nein, Herzliebſter, warte nur,

Dein Wunder ſiehſt du gleich.“
Auf den obern Boden fuͤhrt ſie ihn:

„Schau, was ein weiter Platz!

Wie ausgeblaſen, huͤbſch und rein!

Hie tanzen wir, mein Schatz.
Schau, was ein Nebel zieht am Berg!

Gib Acht, ich thu' ihn ein!“

Sie beugt ſich aus dem Laden weit,

Die Geiſter zu bedraͤu'n;
Sie wirbelt uͤber einander

Ihre Loͤffel ſo wunderlich,

Sie wickelt den Nebel und wickelt,

Und ſchmeißt ihn hinter ſich.
[31]
Sie langt hervor ein Saitenſpiel,

Sah wie ein Hackbret aus,

Sie ruͤhret es nur leiſe,

Es zittert das ganze Haus.
„Theil' dich, theil' dich, du Wolkendunſt!

Ihr Geiſter, geht herfuͤr!

Lange Maͤnner, lange Weiber, ſeyd

Hurtig zu Dienſte mir!“
Da fangt es an zu kreiſen,

Da wallet es hervor,

Lange Arme, lange Schleppen,

Und wieget ſich im Chor.
„Faßt mir den dummen Jungen da!

Geſchwinde wickelt ihn ein!

Er hat mein Herz gekraͤnket ſchwer,

Das ſoll er mir bereun.“
Den Juͤngling von dem Boden hebt's,

Es dreht ihn um und um,

Es traͤgt ihn als ein Wickelkind

Dreimal im Saal herum.
Margreth ein Woͤrtlein murmelt,

Klatſcht in die Hand dazu:

Da fegt es wie ein Wirbelwind

Durch's Fenſter fort im Nu.
[32]
Und faͤhret uͤber die Berge,

Den Juͤngling mitten inn',

Und fort bis wo der Pfeffer waͤchst —

O du Knabe, wie iſt dir zu Sinn?
Und als er ſich beſonnen,

Lag er im gruͤnen Gras,

Gar hoch auf einer Heiden,

Die Liebſte bei ihm ſaß.
Ein Teppich iſt gebreitet,

Koͤſtlich gewirket, bunt,

Darauf ein luſtig Eſſen

In blankem Silber ſtund.
Und als er ſich die Augen reibt

Und ſchaut ſich um und an,

Iſt ſie wie eine Prinzeſſin ſchoͤn,

Wie ein Prinz er angethan.
Sie ſieht ihn an ſo ſchelmiſch,

Sie ſchenkt ihm lieblich ein,

Er will nicht weiter trinken,

Legt ſich zur Buhlin ſein.
Da ging es an ein Kuͤſſen,

Er kriegt nicht ſatt an ihr:

Fuͤrwahr ihr guͤldner Guͤrtel waͤr'

Zu Schaden kommen ſchier.
[33]
„O Liebchen, ſchau, wie wallet hoch

Dein ſchwarzes Ringelhaar!

Warum mich ſo erſchrecken jezt?

Nun iſt meine Freude gar.“ —
„Hu! meine Zoͤpfe ſauſen

Und ſingen wunderſam —

Mir iſt, ich muͤſſe dich wuͤrgen,

Herzliebſter Braͤutigam!
Ruͤck her! ruͤck her! ſey nicht ſo bang!

Nun ſollt du erſt noch ſehn,

Wie lieblich meine Arme thun,

Komm, es iſt gleich geſchehn!“ — —
Sie druͤckt ihn an die Bruͤſte,

Der Athem wird ihm ſchwer,

Sie ſingt ein luſtig Todtenlied

Und traͤgt ihn uͤber das Meer.
Moͤrike, Gedichte. 3[34]

Die Geiſter am Mummelſee.

Wechſelgeſang.


Vom Berge, was kommt dort um Mitternacht ſpaͤt

Mit Fackeln ſo praͤchtig herunter?

Ob das wohl zum Tanze, zum Feſte noch geht?

Mir klingen die Lieder ſo munter.

O nein!

So ſage, was mag es wohl ſeyn?
Das, was du da ſieheſt, iſt Todtengeleit,

Und was du da hoͤreſt, ſind Klagen,

Dem Koͤnig, dem Zauberer, gilt es zu Leid,

Und Geiſter nur ſind's, die ihn tragen.

Ach wohl!

Sie ſingen ſo traurig und hohl.
Sie ſchweben hernieder ins Mummelſeethal,

Sie haben den See ſchon betreten,

Sie ruͤhren und netzen den Fuß nicht einmal,

Sie ſchwirren in leiſen Gebeten:

O ſchau,

Am Sarge die glaͤnzende Frau!
[35]
Jezt oͤffnet der See das gruͤnſpiegelnde Thor;

Gib Acht, nun tauchen ſie nieder!

Es ſchwankt eine lebende Treppe hervor,

Und — drunten ſchon ſummen die Lieder.

Hoͤrſt du?

Sie ſingen ihn unten zur Ruh.
Die Waſſer, wie lieblich ſie brennen und gluͤhn!

Sie ſpielen in gruͤnendem Feuer;

Es geiſten die Nebel am Ufer dahin,

Zum Meere verzieht ſich der Weiher.

Nur ſtill:

Ob dort ſich nichts ruͤhren will?
Es zuckt in der Mitten — o Himmel! ach hilf!

Ich glaube, ſie nahen, ſie kommen!

Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;

Nur hurtig, die Flucht nur genommen!

Davon!

Sie wittern, ſie haſchen mich ſchon!
3 *[36]

Septembermorgen.

Im Nebel ruhet noch die Welt,

Noch traͤumen Wald und Wieſen:

Bald ſiehſt du, wenn der Schleier faͤllt,

Den blauen Himmel unverſtellt,

Herbſtkraͤftig die gedaͤmpfte Welt

In warmem Golde fließen.
[37]

Er iſt's.

Fruͤhling laͤßt ſein blaues Band

Wieder flattern durch die Luͤfte,

Suͤße, wohlbekannte Duͤfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen traͤumen ſchon,

Wollen balde kommen.

— Horch, von fern ein leiſer Harfenton!

Fruͤhling, ja du biſt's,

Fruͤhling, ja du biſt's!

Dich hab' ich vernommen!
[38]

Erſtes Liebeslied eines Mädchens.

Was im Netze? Schau einmal!

Aber ich bin bange;

Greif' ich einen ſuͤßen Aal?

Greif' ich eine Schlange?
Lieb' iſt blinde

Fiſcherin;

Sagt dem Kinde,

Wo greift's hin?
Schon ſchnellt mir's in Haͤnden!

Ach Jammer! o Luſt!

Mit Schmiegen und Wenden

Mir ſchluͤpft's an die Bruſt.
Es beißt ſich, o Wunder!

Mir keck durch die Haut,

Schießt's Herze hinunter,

O Liebe! mir graut!
Was thun, was beginnen?

Das ſchaurige Ding,

Es ſchnalzet da drinnen,

Es legt ſich im Ring.
[39]
Gift muß ich haben!

Hier ſchleicht es herum,

Thut wonniglich graben

Und bringt mich noch um!
[40]

Liebesvorzeichen.

Ich ſtand am Morgen juͤngſt im Garten

Vor dem Granatbaum ſinnend ſtill;

Mir war, als muͤßt' ich gleich erwarten,

Ob er die Knoſpe ſprengen will.
Sie aber ſchien es nicht zu wiſſen,

Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,

Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen

Des goldnen Tages brennen ſoll.
Und dort am Raſen lag Jorinde;

Wie ſchnell bin ich zum Gruß bereit,

Indeß ſie ſich nur erſt geſchwinde

Den Schlummer aus den Augen ſtreut!
Dann leuchtet dieſer Augen Schwaͤrze

Mich an in Lieb' und guter Ruh,

Sie hoͤrt dem Muthwill meiner Scherze

Mit kindiſchem Verwundern zu.
Dazwiſchen dacht' ich wohl im Stillen:

Du gut und unerfahren Kind!

Die Lippen, die von Reife quillen,

Wie bloͤde noch und fromm geſinnt!
[41]
Fuͤrwahr, ſie ſchien es nicht zu wiſſen,

Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,

Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen

Des wildſten Knaben brennen ſoll.
Still uͤberlegt' ich auf und nieder,

Und ging ſo meiner Wege fort,

Doch ſchon der naͤchſte Morgen wieder

Fand mich an dem Granatbaum dort.
Wer hat dem Baum in wenig Stunden

Ein ſolches Wunder angethan?

Die Flammenkrone aufgebunden?

Und was ſagt mir dies Zeichen an?
Ich eile raſch den Gang hinunter,

Dort geht das Kind im Morgenſtrahl,

Und bald, o Wunder uͤber Wunder!

Wir kuͤßten uns zum erſten Mal!
Nun trieb der Baum wohl Bluͤth' auf Bluͤthe

Friſch in die blaue Luft hinaus,

Und noch, ſeitdem er lang vergluͤhte,

Ging uns das Kuͤſſen nimmer aus.
[42]

Nimmerſatte Liebe.

So iſt die Lieb! So iſt die Lieb!

Mit Kuͤſſen nicht zu ſtillen;

Wer iſt der Thor und will ein Sieb

Mit eitel Waſſer fuͤllen?

Und ſchoͤpf'ſt du an die tauſend Jahr,

Und kuͤſſeſt ewig, ewig gar,

Du thuſt ihr nie zu Willen.
Die Lieb, die Lieb hat alle Stund

Neu wunderlich Geluͤſten,

Wir biſſen uns die Lippen wund,

Da wir uns heute kuͤßten.

Das Maͤdchen hielt in guter Ruh,

Wie's Laͤmmlein unter'm Meſſer;

Ihr Auge bat: nur immer zu,

Je weher, deſto beſſer!
So iſt die Lieb, und war auch ſo,

Wie lang es Liebe gibt,

Und anders war Herr Salomo,

Der Weiſe, nicht verliebt.
[43]

Suschens Vogel.

Ich hatt' ein Voͤglein, ach wie fein!

Kein ſchoͤners mag wohl nimmer ſeyn:
Haͤtt' auf der Bruſt ein Herzlein roth,

Und ſung und ſung ſich ſchier zu todt.
Herzvogel mein, ſo wunderſchoͤn,

Jezt ſollt du mit zu Markte gehn! —
Und da ich durch das Staͤdtlein kam,

Es ſaß auf meiner Achſel zahm;
Und als ich ging am Haus vorbei

Des Knaben, dem ich brach die Treu,
Der Knab' juſt aus dem Fenſter ſah,

Mit ſeinem Finger ſchnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf!

Zum Knaben fliegt er huſch! hinauf;
Der koſet ihn ſo lieb und hold,

Ich wußt nicht, was ich machen ſollt,
Und ſtund, im Herzen ſo erſchreckt,

Mit Haͤnden mein Geſichte deckt',
[44]
Und ſchlich davon und weinet' ſehr,

Mir war, als rief' es hinterher:
„Du falſche Maid, behuͤt' dich Gott,

Ich hab' doch wieder mein Herzlein roth!“
[45]

In der Frühe.

Kein Schlaf noch kuͤhlt das Auge mir,

Dort gehet ſchon der Tag herfuͤr

An meinem Kammerfenſter.

Es wuͤhlet mein verſtoͤrter Sinn

Noch zwiſchen Zweifeln her und hin

Und ſchaffet Nachtgeſpenſter.

Aengſte, quaͤle

Dich nicht laͤnger, meine Seele!

Freu' dich! ſchon ſind da und dorten

Morgenglocken wach geworden.
[46]

Im Frühling.

Hier lieg' ich auf dem Fruͤhlingshuͤgel;

Die Wolke wird mein Fluͤgel,

Ein Vogel fliegt mir voraus.

Ach, ſag mir, all-einzige Liebe,

Wo du bleibſt, daß ich bei dir bliebe,

Doch du und die Luͤfte, ſie haben kein Haus.
Der Sonnenblume gleich ſteht mein Gemuͤthe offen,

Sehnend,

Sich dehnend,

In Lieben und Hoffen.

Fruͤhling, was biſt du gewillt?

Wann werd' ich geſtillt?
Die Wolke ſeh' ich wandeln und den Fluß,

Es dringt der Sonne goldner Kuß

Mir tief bis in's Gebluͤt hinein;

Die Augen, wunderbar berauſchet,

Thun, als ſchliefen ſie ein,

Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauſchet.

Ich denke Dies, und denke Das,

Ich ſehne mich, und weiß nicht recht, nach was:

Halb iſt es Luſt, halb iſt es Klage;

Mein Herz, o ſage:

Was webſt du fuͤr Erinnerung

In golden gruͤner Zweige Daͤmmerung?

— Alte unnennbare Tage!
[47]

Fuſsreiſe.

Am friſchgeſchnitt'nen Wanderſtab,

Wenn ich in der Fruͤhe

So durch Waͤlder ziehe,

Huͤgel auf und ab:

Dann wie's Voͤgelein im Laube

Singet und ſich ruͤhrt,

Oder wie die goldne Traube

Wonnegeiſter ſpuͤrt

In der erſten Morgenſonne:

So fuͤhlt auch mein alter, lieber

Adam Herbſt- und Fruͤhlingsfieber,

Gottbeherzte,

Nie verſcherzte

Erſtlings-Paradieſeswonne.
Alſo biſt du nicht ſo ſchlimm, o alter

Adam, wie die ſtrengen Lehrer ſagen:

Liebſt und lobſt du immer doch,

Singſt und preiſeſt immer noch,

Wie an ewig neuen Schoͤpfungstagen

Deinen lieben Schoͤpfer und Erhalter.
Moͤcht' es Dieſer geben,

Und mein ganzes Leben

Waͤr' im leichten Wanderſchweiße

Eine ſolche Morgenreiſe!
[48]

Beſuch in Urach.

Nur faſt ſo wie im Traum iſt mir's geſchehen,

Daß ich in dies geliebte Thal verirrt;

Kein Wunder iſt, was meine Augen ſehen,

Doch ſchwankt der Boden, Luft und Staude ſchwirrt,

Aus tauſend gruͤnen Spiegeln ſcheint zu gehen

Vergang'ne Zeit, die laͤchelnd mich verwirrt,

Die Wahrheit ſelber wird hier zum Gedichte,

Mein eigen Bild ein fremd und hold Geſichte!
Da ſeyd ihr alle wieder aufgerichtet,

Beſonnte Felſen, alte Wolkenſtuͤhle!

Auf Waͤldern ſchwer, wo kaum der Mittag lichtet

Und Schatten miſcht mit balſamreicher Schwuͤle;

Kennt ihr mich noch, der ſonſt hieher gefluͤchtet,

Im Mooſe bei ſuͤß-ſchlaͤferndem Gefuͤhle,

Der Muͤcke Sumſen hier ein Ohr geliehen,

Ach, kennt ihr mich, und wollt nicht vor mir fliehen?
Hier wird ein Strauch, ein jeder Halm zur Schlinge,

Die mich in liebliche Betrachtung faͤngt,

Kein Maͤuerchen, kein Holz iſt ſo geringe,

Daß nicht mein Blick voll Wehmuth an ihm haͤngt;

Ein jedes ſpricht mir halbvergeßne Dinge,

Ich fuͤhle, wie von Schmerz und Luſt gedraͤngt

Die Thraͤne ſtockt, indeß ich ohne Weile,

Unſchluͤſſig, ſatt und durſtig, weiter eile.
[49]
Hinweg! und leite mich, du Schaar von Quellen,

Die ihr durchſpielt der Matten gruͤnes Gold!

Zeigt mir die ur-bemoosten Waſſerzellen,

Aus denen euer ewigs Leben rollt,

Im kuͤhnſten Walde die verwachſ'nen Schwellen,

Wo eurer Mutter Kraft im Berge grollt,

Bis ſie im breiten Schwung an Felſenwaͤnden

Herabſtuͤrzt, euch im Thale zu verſenden.
O hier iſt's, wo Natur den Schleier reißt!

Sie bricht einmal ihr uͤbermenſchlich Schweigen:

Laut mit ſich ſelber redend will ihr Geiſt,

Sich ſelbſt vernehmend, ſich ihm ſelber zeigen.

— Doch ach, ſie bleibt, mehr als der Menſch, verwaiſ't,

Darf nicht aus ihrem eignen Raͤthſel ſteigen!

Dir biet' ich denn, begier'ge Waſſerſaͤule,

Die nackte Bruſt, ach! ob ſie dir ſich theile!
Vergebens! und dein kuͤhles Element

Tropft an mir ab, im Graſe zu verſinken.

Was iſt's, das deine Seele von mir trennt?

Sie flieht, und moͤcht' ich auch in dir ertrinken!

Dich kraͤnkt's nicht, wie mein Herz um dich entbrennt,

Kuͤſſeſt im Sturz nur dieſe ſchroffen Zinken;

Du bleibeſt, was du warſt ſeit Tag und Jahren,

Ohn' ein'gen Schmerz der Zeiten zu erfahren.
Hinweg aus dieſem uͤpp'gen Schattengrund

Voll großer Pracht, die druͤckend mich erſchuͤttert!

Bald gruͤßt beruhigt mein verſtummter Mund

Den ſchlichten Winkel, wo ſonſt halb verwittert

Moͤrike, Gedichte. 4[50]
Die kleine Bank und wo das Huͤttchen ſtund;

Erinn'rung reicht mit Laͤcheln die verbittert —

Bis zur Betaͤubung ſuͤßen Zauberſchalen,

So trink' ich gierig die entzuͤckten Qualen.
Hier ſchlang ſich tauſendmal ein junger Arm

Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen.

O ſaͤh' ich mich, als Knaben ſonder Harm,

Wie einſt, mit Necken durch die Haine wallen!

Ihr Huͤgel, von der alten Sonne warm,

Erſcheint mir denn auf keinem von euch allen

Mein Ebenbild, in jugendlicher Friſche

Hervorgeſprungen aus dem Waldgebuͤſche?
O komm, enthuͤlle dich! dann ſollſt du mir

Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge ſchauen!

Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir,

Uns beiden wird nicht vor einander grauen!

So komm' und laß mich unaufhaltſam hier

Mich deinem reinen Buſen anvertrauen! —

Umſonſt, daß ich die Arme nach dir ſtrecke,

Den Boden, wo du gingſt, mit Kuͤſſen decke!
Hier will ich denn laut ſchluchzend liegen bleiben,

Fuͤhllos, und Alles habe ſeinen Lauf!

Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu ſchreiben:

Hin iſt die Luſt! hab' Alles ſeinen Lauf! —

Da, ploͤtzlich, hoͤr' ich's durch die Luͤfte treiben,

Und ein entfernter Donner ſchreckt mich auf;

Elaſtiſch angeſpannt mein ganzes Weſen

Iſt von Gewitterluft wie neu geneſen.
[51]
Sieh! wie die Wolken finſtre Ballen ſchließen

Um den ehrwuͤrd'gen Trotz der Burgruine!

Von Weitem ſchon hoͤrt man den alten Rieſen,

Stumm harrt das Thal mit ungewiſſer Miene,

Der Kukuk nur ruft ſein einfoͤrmig Gruͤßen

Verſteckt aus unerforſchter Wildniß Gruͤne, —

Jezt kracht die Woͤlbung und verhallet lange,

Das wundervolle Schauſpiel iſt im Gange!
Ja nun, indeß mit hoher Feuerhelle

Der Blitz die Stirn und Wange mir verklaͤrt,

Ruf' ich den lauten Segen in die grelle

Muſik des Donners, die mein Wort bewaͤhrt:

O Thal! du meines Lebens andre Schwelle!

Du meiner tiefſten Kraͤfte ſtiller Herd!

Du meiner Liebe Wunderneſt! ich ſcheide,

Leb wohl! — und ſey dein Engel mein Geleite!
4 *[52]

An eine Aeolsharfe.

Tu semper urges flebilibus modis
Mysten ademptum: nec tibi Vespero
Surgente decedunt amores,
Nec rapidum fugiente Solem.

Hor.
Angelehnt an die Epheuwand

Dieſer alten Terraſſe,

Du, einer luftgebornen Muſe

Geheimnißvolles Saitenſpiel,

Fang' an,

Fange wieder an

Deine melodiſche Klage!
Ihr kommet, Winde, fern heruͤber,

Ach! von des Knaben,

Der mir ſo lieb war,

Friſch gruͤnendem Huͤgel.

Und Fruͤhlingsbluͤthen unterweges ſtreifend,

Ueberſaͤttigt mit Wohlgeruͤchen,

Wie ſuͤß bedraͤngt ihr dies Herz!

Und ſaͤuſelt her in die Saiten,

Angezogen von wohllautender Wehmuth,

Wachſend im Zug meiner Sehnſucht,

Und hinſterbend wieder.
Aber auf einmal,

Wie der Wind heftiger herſtoͤßt,

[53]
Ein holder Schrei der Harfe

Wiederholt, mir zu ſuͤßem Erſchrecken,

Meiner Seele ploͤtzliche Regung;

Und hier — die volle Roſe ſtreut, geſchuͤttelt,

All' ihre Blaͤtter vor meine Fuͤße!
[54]

Hochzeitlied.

Mit einem blauen Kornblumenkranze.


Nicht weit vom Dorf zwei Linden ſtehen,

Einſam, der Felder ſtille Hut,

Wo in der Sommernaͤchte Wehen

Ein Hirte gern, ein Dichter, ruht.
Hell ſchwamm auf Duft und Nebelhuͤlle

Des Mondes leiſer Zaubertag,

Kaum unterbrach die holde Stille

Von fern beſcheidner Wachtelſchlag.
Und wie ich ruhig ſo in Mitten

All dieſer Schoͤnheit lag und ſann,

Da kam mit leichtgehobnen Schritten

Ein goͤttlich Frauenbild heran.
Gewiß, es war der Muſen eine,

Erſchrocken merkt' ich's, luſtbewegt;

Sie ſezt ſich zu mir an dem Raine,

Die Hand auf meinen Arm gelegt.
Und ſchuͤttelt laͤchelnd aus dem Kleide

Blaue Cyanen, Stern an Stern:

„Dich ſtoͤrt's nicht, wenn an deiner Seite

Ich heut' ein Kraͤnzlein baͤnde gern.
[55]
Nicht wahr, mit Schwaͤrmen und mit Plaudern

Verbraͤchte gern mein Freund die Nacht?

Doch flecht' ich ſtill, und ohne Zaudern

Sey du mir auf ein Lied bedacht!
Sieh, wo das Doͤrflein mit der Spitze

Des gelben Thurms heruͤberſchaut,

Dort ſchlummert auf dem Elternſitze

Noch wenig Naͤchte eine Braut.
Sie ſchlaͤft. Der Wange Roſen beben,

Wir beide ahnen wohl, wovon;

Um die halb offne Lippe ſchweben

Die Traͤume gluͤhnder Kuͤſſe ſchon.
Nicht doch! mit lauten Herzensſchlaͤgen

Hoͤrt ſie vielleicht der Glocken Klang,

Hoͤrt am Altar den Vaterſegen

Und eines Engels Brautgeſang.
Sieht unter Weinen ſich umſchlungen

Von Mutter-Lieb', von Schweſter-Treu',

Das Herz von Luſt und Schmerz gedrungen,

Macht ſich mit tauſend Thraͤnen frei.
Und alle dieſe ſel'gen Traͤume,

Der naͤchſte Morgen macht ſie wahr;

Es ſtehen ſchon des Hauſes Raͤume

Geſchmuͤckt fuͤr froher Gaͤſte Schaar.
[56]
Hier aber, wo mit den Geſpielen

Das Maͤdchen oft ſich Veilchen las,

Vielleicht alleine mit Gefuͤhlen

Der ſehnſuchtsvollen Ahnung ſaß,
Hier, unterm Blick prophet'ſcher Sterne,

Weih' ich mit dir dies Feſt voraus:

Tief ſchaut die Muſe in die Ferne

Des braͤutlichen Geſchicks hinaus.
Wie golden winkt die neue Schwelle

Des Lebens jedem jungen Paar!

Doch weiß man, daß nicht ſtets ſo helle

Der Mittag wie der Morgen war.
Bei manchem lauten Hochzeitfeſte

Schlich mit weiſſagendem Gemuͤth

Ich aus dem Kreis entzuͤckter Gaͤſte,

Und ſang ein heimlich Trauerlied.
Heut aber ſeh' ich ſchoͤne Tage

Bluͤhn in gedraͤngter Sternen-Saat,

Entſchieden liegt ſchon auf der Wage,

Was dieſes Paar vom Schickſal bat.
Haſt, Liebchen, du der Jugend Bluͤthe,

Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit,

All deines Herzens lautre Guͤte

Kuͤhn deinem Einzigen geweiht;
[57]
Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen,

So manch ein lang gewohntes Gluͤck,

Um dir den eignen Herd zu bauen,

Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck:
Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen,

Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt;

Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen,

Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt.
Denn Heiterkeit und holde Sitte,

Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,

Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte

Gehn Segensengel ein und aus.“
Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen

Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand,

Indeß zu anſpruchsloſen Reimen

Ich ihre Worte ſtill verband.
Auf einmal hielt ſie mir entgegen

Den fertigen Cyanenkranz,

Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“

Und ſchwand dahin im Nebelglanz.
Ich aber blieb noch lange lauſchen

Von Liedestrunkenheit bewegt,

Das Aehrenfeld begann zu rauſchen,

Von Morgenſchauern angeregt.
[58]
Und lichter ward's und immer lichter

In mir und außer mir; da ging

Die Sonne auf, von der der Dichter

Den erſten Strahl fuͤr Euch empfing.
[59]

Jung Volker.

Geſang der Raͤuber.


Jung Volker, das iſt unſer Raͤuberhauptmann,

Mit Fidel und mit Flinte,

Damit er geigen und ſchießen kann,

Nachdem juſt Wetter und Winde.

Fidel und die Flint,

Fidel und die Flint!

Volker ſpielt auf.
Ich ſah ihn hoch im Sonnenſchein

Auf einem Huͤgel ſitzen:

Da ſpielt er die Geig' und ſchluckt rothen Wein,

Seine blauen Augen ihm blitzen.

Fidel und die Flint,

Fidel und die Flint!

Volker ſpielt auf.
Auf einmal, er ſchleudert die Geig' in die Luft,

Auf einmal, er wirft ſich zu Pferde;

Der Feind kommt! Da ſtoͤßt er in's Pfeifchen und ruft:

Brecht los, wie der Wolf in die Herde!

Fidel und die Flint,

Fidel und die Flint!

Volker ſpielt auf.
[60]

Jung Volkers Lied.

Und die mich trug in Mutterleib,

Und die mich ſchwang im Kiſſen,

Die war ein ſchoͤn frech braunes Weib,

Wollte nichts vom Mannsvolk wiſſen.
Sie ſcherzte nur und lachte laut,

Und ließ die Freier ſtehen:

Moͤcht' lieber ſeyn des Windes Braut,

Denn in die Ehe gehen!
Da kam der Wind, da nahm der Wind

Als Buhle ſie gefangen:

Von dem hat ſie ein luſtig Kind

In ihren Schoos empfangen.
[61]

Maſchinkas Lied.

Herz! und weißt du ſelber denn zu ſagen,

Was dich druͤckt und quaͤlt?

Oder kann man ſo um Nichts verzagen?

Herz, ich habe ſchwer an dir zu tragen,

Schwer! Schwer!

Daß ich mit dir im Grabe waͤr'!
Die Geſchwiſter kommen mich zu fragen,

Was mir immer fehlt?

O ich darf nicht wagen,

Die verweinten Augen aufzuſchlagen,

Wenn ich denke, was du mir verhehlt!

Herz! ich habe ſchwer an dir zu tragen,

Schwer! Schwer!

Daß ich im Grabe waͤr'!
[62]

Mein Fluſs.

O Fluß, mein Fluß im Morgenſtrahl!

Empfange nun, empfange

Den ſehnſuchtsvollen Leib einmal

Und kuͤſſe Bruſt und Wange!

— Er fuͤhlt mir ſchon herauf die Bruſt,

Er kuͤhlt mit Liebesſchauerluſt

Und jauchzendem Geſange.
Es ſchluͤpft der goldne Sonnenſchein

In Tropfen an mir nieder,

Die Woge wieget aus und ein

Die hingegeb'nen Glieder;

Die Arme hab' ich ausgeſpannt,

Sie kommt auf mich herzugerannt,

Sie faßt und laͤßt mich wieder.
Du murmelſt ſo, mein Fluß, warum?

Du traͤgſt ſeit alten Tagen

Ein ſeltſam Maͤhrchen mit dir um,

Und muͤh'ſt dich, es zu ſagen;

Du eilſt ſo ſehr und laͤufſt ſo ſehr,

Als muͤßteſt du im Land umher,

Man weiß nicht, wen? drum fragen.
Der Himmel blau und kinderrein,

Worin die Wellen ſingen,

Der Himmel iſt die Seele dein:

[63]
O laß mich ihn durchdringen!

Ich tauche mich mit Geiſt und Sinn

Durch die vertiefte Blaͤue hin,

Und kann ſie nicht erſchwingen!
Was iſt ſo tief, ſo tief wie ſie?

Die Liebe nur alleine.

Sie wird nicht ſatt und ſaͤttigt nie

Mit ihrem Wechſelſcheine.

— Schwill an, mein Fluß, und hebe dich!

Mit Grauſen uͤbergieße mich!

Mein Leben um das deine!
Du weiſeſt ſchmeichelnd mich zuruͤck

Zu deiner Blumenſchwelle;

So trage denn allein dein Gluͤck,

Und wieg' auf deiner Welle

Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh,

Die lieben Sterne fuͤhre du

Zur ew'gen Mutterquelle!
[64]

Joſephine.

Das Hochamt war. Der Morgenſonne Blick

Glomm wunderbar im ſuͤßen Weihrauchſcheine;

Der Prieſter ſchwieg; nun brauſte die Muſik

Vom Chor herab zur Tiefe der Gemeine.

So ſtuͤrzt ein ſonnetrunkner Aar

Vom Himmel ſich mit herrlichem Gefieder,

So laͤßt Jehovens Mantel unſichtbar

Sich ſtuͤrmend aus den Wolken nieder.
Dazwiſchen hoͤrt' ich eine Stimme wehen,

Die ſanft den Sturm der Choͤre unterbrach,

Sie ſchmiegte ſich mit ſchweſterlichem Flehen

Dem ſuͤß verwandten Ton der Floͤte nach.
Wer iſt's, der dieſe Himmelsklaͤnge ſchickt?

Das Maͤdchen dort, das ſo beſcheiden blickt.

Ich eile ſachte auf die Galerie,

Zwar klopft mein Herz, doch tret' ich hinter ſie.
Hier konnt' ich denn in unſchuldvoller Luſt

Mit leiſer Hand ihr feſtlich Kleid beruͤhren,

Ich konnte ſtill, ihr ſelber unbewußt,

Die nahe Regung ihres Weſens ſpuͤren.
[65]
Doch, welch ein Blick und welche Miene,

Als ich das Wort nun endlich nahm,

Und nun der Name Joſephine

Mir herzlich auf die Lippen kam!

Welch zages Spiel die braunen Augen hatten!

Wie barg ſich unterm tiefgeſenkten Schatten

Der Wimper gern die roſ'ge Schaam!
Und wie der Mund, der eben im Geſang

Die Gottheit noch auf ſeiner Schwelle hegte,

Sich von der Toͤne heil'gem Ueberſchwang

Zu mir mit ſchlichter Rede herbewegte!
O dieſer Ton, — ich fuͤhlt' es nur zu bald,

Schlich ſich in's Herz und macht es tief erkranken;

Ich ſtehe wie ein Traͤumer in Gedanken,

Indeß die Orgel nun verhallt,

Die Saͤngerin voruͤberwallt,

Die Kirche aufbricht und die Kerzen wanken.
Moͤrike, Gedichte. 5[66]

Auf der Reiſe.

Zwiſchen ſuͤßem Schmerz,

Zwiſchen dumpfem Wohlbehagen

Sitz' ich naͤchtlich in dem Reiſewagen,

Laſſe mich ſo weit von dir, mein Herz,

Weit und immer weiter tragen.
Schweigend ſitz' ich und allein,

Ich wiege mich in bunten Traͤumen,

Das muntre Poſthorn klingt darein,

Es tanzt der liebe Mondenſchein

Nach dieſem Ton auf Quellen und auf Baͤumen,

Sogar zu mir durch's enge Fenſterlein.
Ich wuͤnſche mir nun Dies und Das.

O koͤnnt' ich jetzo durch ein Zauberglas

In's Goldgewebe deines Traumes blicken!

Vielleicht dann ſah' ich wieder mit Entzuͤcken

Dich in der Laube wohlbekannt,

Ich ſaͤhe Genofevens Hand

Auf deiner Schulter traulich liegen,

Am Ende ſaͤh' ich ſelber mich,

Halb keck und halb beſcheidentlich,

An deine holde Wange ſchmiegen.

Doch nein! wie duͤrft' ich auch nur hoffen,

Daß jezt mein Schatten bei dir ſey!

Ach, ſtuͤnden deine Traͤume fuͤr mich offen,

Du winkteſt wohl auch wachend mich herbei!
[67]

Frage und Antwort.

Fragſt du mich, woher die bange

Liebe mir zum Herzen kam,

Und warum ich ihr nicht lange

Schon den bittern Stachel nahm?
Sprich, warum mit Geiſterſchnelle

Wohl der Wind die Fluͤgel ruͤhrt,

Und woher die ſuͤße Quelle

Die verborgnen Waſſer fuͤhrt?
Banne du auf ſeiner Faͤhrte

Mir den Wind in vollem Lauf!

Halte mit der Zaubergerte

Du die ſuͤßen Quellen auf!
5 *[68]

Heimweh.

Anders wird die Welt mit jedem Schritt,

Den ich weiter von der Liebſten mache;

Mein Herz, das will nicht weiter mit!

Hier ſcheint die Sonne kalt in's Land,

Hier daͤucht mir Alles unbekannt,

Sogar die Blumen am Bache!

Hat jede Sache

So fremd eine Miene, ſo falſch ein Geſicht.

Das Baͤchlein murmelt wohl und ſpricht:

Armer Knabe, komm' bei mir voruͤber,

Siehſt auch hier Vergißmeinnicht!

— Ja, die ſind ſchoͤn an jedem Ort,

Aber nicht wie dort!

Fort, nur fort!

Die Augen gehn mir uͤber!
[69]

Nachts.

Wie ſuͤß der Nachtwind nun die Wieſe ſtreift!

Und klingend jezt den jungen Hain durchlaͤuft!

Da noch der freche Tag verſtummt,

Hoͤrt man der Erdenkraͤfte fluͤſterndes Gedraͤnge,

Das aufwaͤrts in die zaͤrtlichen Geſaͤnge

Der reingeſtimmten Luͤfte ſummt.
Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,

Durchſicht'ger ſtets und leichter aufzuwehen,

Dazwiſchen hoͤrt man weiche Toͤne gehen,

Von ſel'gen Feen, die im Sternenſaa!

Beim Sphaͤrenklang,

Und fleißig mit Geſang

Die goldnen Spindeln hin und wieder drehen.
[70]

Die traurige Krönung.

Es war ein Koͤnig Mileſint,

Von dem will ich euch ſagen;

Der meuchelte ſein Bruders-Kind,

Wollte ſelbſt die Krone tragen.

Die Kroͤnung ward mit Prangen

Auf Liffey-Schloß begangen.

O Irland! Irland! wareſt du ſo blind?
Der Koͤnig ſizt um Mitternacht

Im oͤden Marmorſaale,

Er freut ſich ſeiner neuen Pracht

Beim einſamen Pokale;

Er ſpricht zu ſeinem Sohne:

„Noch einmal bring' die Krone!

Doch ſchau, wer hat die Pforten aufgemacht?“
Da kommt ein ſeltſam Todtenſpiel,

Ein Zug mit leiſen Tritten,

Vermummte Gaͤſte groß und viel,

Eine Krone ſchwankt in Mitten;

Es draͤngt ſich durch die Pforte

Mit Fluͤſtern ohne Worte;

Dem Koͤnige, dem wird ſo geiſterſchwuͤl.
Und aus der ſchwarzen Menge blickt

Ein Kind mit friſcher Wunde,

Es laͤchelt ſterbensweh und nickt,

Es macht im Saal die Runde,
[71]
Es trippelt zu dem Throne,

Es reichet eine Krone

Dem Koͤnige, deß Herze tief erſchrickt.
Darauf der Zug von dannen ſtrich,

Von Morgenluft berauſchet;

Die Kerzen flackern wunderlich,

Der Mond am Fenſter lauſchet;

Der Sohn mit Angſt und Schweigen

Zum Vater thaͤt ſich neigen, —

Er neiget uͤber eine Leiche ſich.
[72]

Chor jüdiſcher Mädchen.

Aus einer unvollendeten Oper.


Wir fuͤrchten uns nicht in des Koͤniges Saale:

Er lud uns zum Mahle;

So ſind wir nun da.

Eia la la! Eia la la!

Iſt doch auch des Koͤnigs ſein Toͤchterlein da!
Duftende Quellen

Springen im Saal,

Und wie Gazellen

Wir huͤpfen um's Mahl.
Keine ſoll ſtocken im Tanz!

Schuͤttelt nur Locken und Kranz!

Luſtig! im Taumel muthwilliger Taͤnze

Fliegen die Kraͤnze,

Fliegt es mit Roſen und Baͤndern im Saal!

Eia la la! Eia la la! u. ſ. w.
[73]

Der Gärtner.

Auf ihrem Leib-Roͤßlein,

So weiß wie der Schnee,

Die ſchoͤnſte Prinzeſſin

Reit't durch die Allee.
Der Weg, den das Roͤßlein

Hintanzet ſo hold,

Der Sand, den ich ſtreute,

Er blinket wie Gold!
Du roſenfarbs Huͤtlein,

Wohl auf und wohl ab!

O wirf eine Feder

Verſtohlen herab!
Und willſt du dagegen

Eine Bluͤthe von mir,

Nimm tauſend fuͤr Eine,

Nimm alle dafuͤr!
[74]

Lied vom Winde.

Sauſewind! Brauſewind!

Dort und hier,

Deine Heimath ſage mir!
„Kindlein, wir fahren

Seit viel vielen Jahren

Durch die weit weite Welt,

Und moͤchten's erfragen,

Die Antwort erjagen,

Bei den Bergen, den Meeren,

Bei des Himmels klingenden Heeren,

Die wiſſen es nie.

Biſt du kluͤger als ſie,

Magſt du es ſagen.

— Fort, wohlauf!

Halt' uns nicht auf!

Kommen Andre nach, unſre Bruͤder,

Da frag' wieder.“
Halt an! Gemach,

Eine kleine Friſt!

Sagt, wo der Liebe Heimath iſt,

Ihr Anfang, ihr Ende?
„Wer's nennen koͤnnte!

Schelmiſches Kind,

[75]
Lieb iſt wie Wind,

Raſch und lebendig,

Ruhet nie,

Ewig iſt ſie,

Aber dein Schatz nicht beſtaͤndig.

— Friſch, wohlauf!

Halt uns nicht auf!

Fort uͤber Stoppel und Waͤlder und Wieſen!

Wenn ich dein Schaͤtzchen ſeh',

Will ich es gruͤßen;

Kindlein — Ade!
[76]

Agnes.

Roſenzeit! wie ſchnell vorbei,

Schnell vorbei,

Biſt du doch gegangen!

Waͤr' mein Lieb nur blieben treu,

Blieben treu,

Sollte mir nicht bangen.
Um die Ernte wohlgemuth,

Wohlgemuth,

Schnitterinnen ſingen.

Aber, ach! mir kranken Blut,

Mir kranken Blut,

Will nichts mehr gelingen.
Schleiche ſo durch's Wieſenthal,

So durch's Thal,

Als im Traum verloren,

Nach dem Berg, da tauſend Mal

Tauſend Mal,

Er mir Treu geſchworen.
Oben auf des Huͤgels Rand,

Abgewandt,

Wein' ich bei der Linde,

An dem Hut mein Roſenband,

Von ſeiner Hand,

Spielet in dem Winde.
[77]

Elfenlied.

Bei Nacht im Dorf der Waͤchter rief:

Elfe!

Ein ganz kleines Elfchen im Walde ſchlief,

Wohl um die Elfe;

Und meint, es rief ihm aus dem Thal

Bei ſeinem Namen die Nachtigall,

Oder Silpelit haͤtt' ihn gerufen.

Reibt ſich der Elf die Augen aus,

Begibt ſich vor ſein Schneckenhaus,

Und iſt als wie ein trunken Mann,

Sein Schlaͤflein war nicht voll gethan,

Und humpelt alſo tippe tapp

Durch's Haſelholz in's Thal hinab,

Schlupft an der Weinbergmauer hin,

Daran viel Feuerwuͤrmchen gluͤhn:

„Was ſind das helle Fenſterlein?

Da drin wird eine Hochzeit ſeyn;

Die Kleinen ſitzen beim Mahle,

Und treiben's in dem Saale,

Da guck' ich wohl ein wenig 'nein!“

— Pfui, ſtoͤßt den Kopf an harten Stein!

Elfe, gelt, du haſt genug?

Gukuk! Gukuk!
[78]

Mausfallen-Sprüchlein.

Das Kind geht dreimal um die Falle und ſpricht:


Muse-Maͤuschen, ſtell dich ein

Heut Nacht bei Mondenſchein!

Mach' aber die Thuͤr fein hinter dir zu,

Hoͤrſt du?

Dabei huͤte dein Schwaͤnzchen!

Nach Tiſche ſingen wir,

Nach Tiſche ſpringen wir

Und machen ein Taͤnzchen:

Witt witt!

Meine alte Katze tanzt wahrſcheinlich mit.
[79]

Die Schweſtern.

Wir Schweſtern zwei, wir ſchoͤnen,

So gleich von Angeſicht,

So gleicht kein Ei dem andern,

Kein Stern dem andern nicht.
Wir Schweſtern zwei, wir ſchoͤnen,

Wir haben lichtbraune Haar,

Und flichſt du ſie in Einen Zopf,

Man kennt ſie nicht fuͤrwahr.
Wir Schweſtern zwei, wir ſchoͤnen,

Wir tragen gleich Gewand,

Spazieren auf dem Wieſenplan

Und ſingen Hand in Hand.
Wir Schweſtern zwei, wir ſchoͤnen,

Wir ſpinnen in die Wett',

Wir ſitzen an Einer Kunkel,

Wir ſchlafen in Einem Bett.
O Schweſtern zwei, ihr ſchoͤnen!

Wie hat ſich das Blaͤttchen gewend't!

Ihr liebet einerlei Liebchen —

Jezt hat das Liedel ein End'.
[80]

Des Schloſsküpers Geiſter zu Tübingen.

Ballade, beim Weine zu ſingen.


In's alten Schloßwirths Garten

Da klingt ſchon viele Jahr kein Glas,

Kein Kegel faͤllt, keine Karten,

Waͤchst aber ſchoͤn lang Gras.
Ich mutterſeelalleine

Sazt' mich an einen langen Tiſch;

Der Schloßwirth regt die Beine,

Vom Rothen bringt er friſch.
Und laͤßt ſich zu mir nieder;

Von alten Zeiten red't man viel,

Man ſeufzet hin und wieder;

Der Schoͤpplein wird kein Ziel.
Da nun der Tag gegangen,

Der Schloßwirth ſagt kein Woͤrtlein mehr;

Neun Lichter thaͤt er langen,

Neun Stuͤhle ſezt er her.
Als wie zum groͤßten Feſte

Auftiſcht er, daß die Tafel kracht:

Was kaͤmen noch fuͤr Gaͤſte?

Iſt doch ſchier Mitternacht!
[81]
Der Narr, was kann er wollen?

Er macht ſich an die Kugelbahn,

Laͤßt eine Kugel rollen,

Ein Hoͤllenlaͤrm geht an.
Es fahren gar behende

Acht Kegel hinter'm Brett herauf,

Schrei'n: Hagel und kein Ende!

Wer Teufel weckt uns auf?
Und waren acht Studioſen,

Wohl aus der Zopf- und Puderzeit:

Rothe Roͤcklein, kurze Hoſen,

Und ganz charmante Leut'.
Die ſehen mit Ergetzen

Den edelen Karfunkelwein,

Gleich thaͤten ſie ſich letzen

Und zechen und juchhein.
Den Wirth erbaut das wenig;

Er ſprach: Ihr Herren, wollt verzeihn:

Wo iſt der Schoppenkoͤnig?

Wann ſeyd Ihr denn zu Neun?
Ach Kuͤper, lieber Kuͤper!

Wie macheſt uns das Herze ſchwer!

Wohl funfzig Jahr und druͤber

Begraben lieget er.
Moͤrike, Gedichte. 6[82]
Gott hab' den Herren ſelig,

Mit ſeiner rothen Habichtsnaſ'!

Regierete ſo froͤhlich,

Kam Tags auf ſieben Maß.
Einſt thaͤt er uns beſcheiden,

Sprach: Maͤnniglich kennt mein Gebot:

Den Gerſtenſaft zu meiden;

Man buͤßet's mit dem Tod.
Mit ein paar lauſigen Dichtern

Traf man beim ſauren Bier euch an,

Verſteht ſich, nudelnuͤchtern,

Wohl auf der Kugelbahn.
Kommt alſo her, ihr Luͤmmel!

— Er zog ſein' Zauberſtab herfuͤr —

Wir ſtuͤrzten wie vom Himmel —

Acht Kegel waren wir!
Jezt ging es an ein Hudeln,

Einen hoͤlzern Koͤnig man uns gab,

Doch ſchoß man nichts wie Pudel,

Da ſchafften ſie uns ab. —
Nun dauert es nicht lange,

So zieht das Burſchenvolk einmal

Auf's Schloß mit wildem Sange,

Zum Koͤnig in den Saal:
[83]
Wir woll'n dich Lands verweiſen,

So du nicht ſchwoͤreſt ab den Wein;

Bierkoͤnig ſollt du heißen!

— Er aber ſaget: Nein;
Da habt ihr meine Krone!

An mir iſt Hopfen und Malz verlor'n. —

So ſtieg er von dem Throne

In ſeinem edlen Zorn.
Fuͤr Kummer und fuͤr Graͤmen

Der Herre wurde krank und alt,

Zerfiele wie ein Schemen

Und holt der Tod ihn bald.
Mit Purpur ward gezieret

Sein Leichnam als ein Koͤnig groß;

Ein tief Gewoͤlb man fuͤhret

Zu Tuͤwingen im Schloß.
Vier ſchwarze Edelknaben

Sein' Becher trugen vor der Bahr';

Der iſt mit ihm begraben,

War doch von Golde gar.
Damal ward prophezeihet:

Wenn nur erſt hundert Jahr herum,

Da wuͤrd' der Thron erneuet

Vom alten Koͤnigthum.
6 *[84]
So muͤſſen wir halt warten,

Bis daß die Zeit erfuͤllet was;

Und in des Schloßwirths Garten

Derweil waͤchſt langes Gras.
Ach Kuͤper, lieber Kuͤper!

Jezt geige du uns wieder heim!

Die Nacht iſt ſchier voruͤber:

Acht Kegel muͤſſen wir ſeyn.
Der Schloßwirth nimmt die Geigen

Und ſtreicht ein Deo gloria,

Sie tanzen einen Reigen

Und Keiner iſt mehr da.
[85]

Romanze vom wahnſinnigen Feuerreiter.*

Sehet ihr am Fenſterlein

Dort die rothe Muͤtze wieder?

Muß nicht ganz geheuer ſeyn,

Denn er geht ſchon auf und nieder;

Und was fuͤr ein toll Gewuͤhle

Ploͤtzlich auf den Gaſſen ſchwillt!

Horch! das Jammergloͤcklein grillt:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's in einer Muͤhle!
Schaut! da ſprengt er wuͤthend ſchier

Durch das Thor, der Feuerreiter,

Auf dem rippenduͤrren Thier,

Als auf einer Feuerleiter!
[86]
Durch den Qualm und durch die Schwuͤle

Rennt er ſchon wie Windesbraut!

Aus der Stadt, da ruft es laut:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's in einer Muͤhle!
Keine Stunde hielt es an,

Bis die Muͤhle borſt in Truͤmmer,

Doch den wilden Reitersmann

Sah man von der Stunde nimmer;

Darauf ſtiller das Gewuͤhle

Kehret wiederum nach Haus;

Auch das Gloͤcklein klinget aus:

Hinter'm Berg, hinter'm Berg

Brennt's! —
Nach der Zeit ein Muͤller fand

Ein Gerippe ſammt der Muͤtzen

Ruhig an der Kellerwand

Auf der beinern' Maͤhre ſitzen:

„Feuerreiter, wie ſo kuͤhle

Reiteſt du in deinem Grab!“

Huſch! da faͤllt's in Aſche ab!

Ruhe wohl! Ruhe wohl

Drunten in der Muͤhle!
[87]

Erzengel Michaels Feder.

Frau Marie Niethhammer, geb. Kerner, gewidmet.


I.

Weil ſchon vor ſo viel hundert Jahren,

Da unſre Vaͤter noch Heiden waren,

Unſer geliebtes Schwabenland

So luſtig wie ein Garten ſtand,

So ſah der Teufel auch einmal

Vom Michelsberg in's Maienthal

Und auf das weit bebaute Feld.

Er ſprach: das iſt ja wohlbeſtellt;

Hier bluͤht, wie einſt im Paradies,

Der Apfelbaum und ſchmeckt ſo ſuͤß!

Wir wollen dieſes Gartens pflegen,

Und ſoll ſich erſt kein Pfaff drein legen!

— Solch Frevelwort des Satans hoͤrt

Der Herr im Himmel ungeſtoͤrt,

War aber gar nicht ſehr ergezt,

Daß ſich der Bock zum Gaͤrtner ſezt.

Er ſandte Bonifazium

Damals im deutſchen Reich herum,

Daß er, des heiligen Geiſtes voll,

Den himmliſchen Weinſtock pflanzen ſoll;

So ruͤckt er nun auch zum Michelsberg.

Das kam dem Satan uͤberzwerch,

Thaͤt ihm ſogleich den Weg verrennen,

Ließ den Boden wie Schwefel brennen,

[88]
Huͤllet mit Dampf und Wetterſchein

Das ganze Revier hoͤchſt grauſam ein,

Geht ſelber auf den Heiligen los,

Der ſtand aller irdiſchen Waffen bloß,

Die Haͤnde ſein zum Himmel kehrt,

Rief: Starker Gott! leih mir ein Schwert!

Da zuͤckt herab, wie ein Donnerſtreich,

Erzengel Michael ſogleich.

Sein Fluͤgel und ſein Fußtritt daͤmpft

Das Feuer ſchnell, er ficht und kaͤmpft

Und wuͤrgt den Schwarzen blau und gruͤn,

Der haͤtte ſchier nach Gott geſchrien;

Schmeißt ihn der Engel auch alsbald

Kopfunter in den Hoͤllenſpalt,

Schließt ſich der Boden eilend zu,

Da war's auf Erden wieder Ruh,

Die Luͤfte floſſen leicht und rein,

Der Engel ſah wie Sonnenſchein.

Unſer heiliger bedankt ſich ſehr,

Moͤcht' aber noch ein Woͤrtlein mehr

Mit dem Patronen gern verkehren,

Deß wollte Jener ſich erwehren,

Sprach: Jetzo hab' ich keine Zeit.

Da ging Herr Bonifaz ſo weit,

Daß er ihn faßt an ſeiner Schwingen,

Der Engel ließ ſich doch nicht zwingen,

War wie ein Morgenrauch entſchluͤpft.

Der Mann Gottes ſtund ſehr verbluͤfft.

Ihm war, wie er mit dem Erzengel rang,

Eine Feder, guͤlden, ſchoͤn und lang

[89]
Aus dem Fittig in der Hand geblieben.

Jezt thaͤt er ſie ſchnell in Mantel ſchieben,

Ging eine Strecke fort und ſann:

Was fang ich mit der Feder an?
Nun aber auf des Berges Rand

Ein kleiner Heidentempel ſtand,

Noch in der lezten Roͤmerzeit

Luna, der Mondsgoͤttin, geweiht

Von Trephon, dem Feldhauptmann.

Da nahm Bonifaz ein Aergerniß dran,

Ließ alſo das Bethaus gleich fegen und lichten,

Zur chriſtlichen Kapell herrichten

Und weihte ſie auch auf der Stell'

Dem theuren Erzengel Michael.

Sein Bild, uͤber'n Altar geſtellt,

Mit der rechten Hand die Feder haͤlt,

Die denn bei mancher Pilgerfahrt,

Noch bis heute, hochverehret ward.
Zu guter Lezt ich melden will:

Da bei dem Berg liegt auch Tripstrill,

Wo, wie ihr ohne Zweifel wißt,

Die beruͤhmte Pelzmuͤhl' iſt.
[90]

ll.

Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,

Fuͤrwahr ein halber Salomon;

Mit ſeinen Thalern haͤtt' man moͤgen

Den Markt wohl zwiefach pflaͤſtern und legen;

Zwar ſeines Glaubens nur ein Juͤd,

Jedoch ein aͤcht und fromm Gemuͤth,

Machte manchen Chriſtenbettler ſatt.

Er hatte drei Haͤuſer in der Stadt,

Indeß er ſelbſt das ganze Jahr,

Oft uͤber Meer, verreiſet war.

Weil aber in guter Chriſten Mitte,

Sein Volk damals viel Tort erlitte,

Ließ Herr Aaron ſeiner Frauen

Auf dem Land ein Schloͤßlein bauen,

Ringsum mit Wieſen, See und Wald,

Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.

Zu all dem ſah ſein jung Gemahl

Nur wie das Klagweib im Hochzeitſaal:

Ging weder fiſchen, weder jagen,

Ließ ſich auch nicht vom Maulthier tragen

Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,

Wollte kein Saitenſpiel, noch Geſang:

Denn ihr einzig Kind, ein Maͤgdlein zart,

Wie ein Fuͤrſtenblut ſo ſchoͤn von Art,

War leider taub und ſtumm geboren,

Auch Kunſt und Hoffnung ganz verloreu.
Als nun das Maͤgdlein, endlich groß

Gleich einer Lilien aufſchoß,

[91]
Ging es und ritte manches Mal

Ohne Diener durch's Wieſenthal.

Dann ſprachen die Leute insgemein:

„Seht da, des Sultans Toͤchterlein!“

War weiß von Haut und ſchwarz von Haar,

Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.

Ihr Auge gab ſo edlen Glanz,

Sah munter drein beim Schaͤfertanz;

Ihr rother Mund zwar red'te nicht,

Konnt' aber lachen inniglich.
Einsmals ſchoͤn Rahel ſaß allein

Beim Birkenwald am gruͤnen Rain,

Dacht' einem Traumgeſichte nach,

Darin ihr Gott der Herr verſprach,

Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:

Sie ſollte werden ganz geſund,

Wenn ſie ihm thaͤte Dies und Das —

Sie wußte leider nicht mehr Was?

Haͤtt' ſie's gewußt, ſie koͤnnt's nicht ſagen,

Muͤßt' es ewig bei ihr ſelbſten tragen.

Das fiel ihr nun auf's Herz ſo ſchwer,

Daß ſie ſeufzet laut und weinet ſehr.
Nun kam den Pfad ein Buͤblein her,

Dem war die Rahel wohlgeſinnt,

Es war des Juden Paͤchters Kind,

Kam von der Synagoge warm,

Hatt' Buch und Taͤflein unter'm Arm.
[92]
Sie macht ihm Platz an ihrer Rechten,

Lehrt ihm ein luſtig Kraͤnzlein flechten,

Am Bach da hatt's der Blumen viel;

Der Tag war aber gar zu ſchwuͤl:

Der Knabe nickt, dann ſchlaͤft er ein,

Schoͤn Rahel ſizt fuͤr ſich allein.
Sie kriegt des Knaben Buch zur Hand,

Davon ſie leider nichts verſtand,

Sie nimmt das Taͤflein auf den Schoos,

Da wurden ihr die Thraͤnen los.

Mit Haͤnden deckt ſie ihr Geſicht,

Sie bet't im Stillen und weiß es nicht.
Und wie ſie wieder aufgeblickt,

Ein friſches Aug ins Blaue ſchickt, —

Vom Michelsberg was blinkt ſo hell,

Als wie das Kreuz auf der Kapell?

Streicht es nicht durch die Luft daher?

Kommt es nicht nah und immer mehr?

Ein Vogel, ei! ein Schwaͤlblein hold!

Im Schnabel hat's ein klares Gold.

Der Jungfrau legt's, o Wunder, ſieh!

Ein' guͤldene Feder auf ihr Knie,

Fliegt auf den naͤchſten Erlenbaum:

Der Jungfrau iſt es als ein Traum.

Wie wird es ihr im Geiſt ſo licht!

Sie weiß ihr ganzes Traumgeſicht!

Ihr klinget, was der Engel ſprach,

Hell, wie Geſang, im Herzen nach.
[93]
Im Taumelſinn, in ſeliger Haſt,

Hat ſie den guͤldnen Kiel gefaßt:

Er lebt und ſchreibt, kaum haͤlt ſie ihn,

So raſch geht's uͤber's Taͤflein hin,

Mit goldiger Hebraͤer-Schrift

(Wohl feiner, denn mit Schiefer-Stift!):

„Schoͤn Rahel! Friede ſey mit dir!

Der ewig' Vater gruͤßt dich hier,

Will loͤſen deiner Zunge Band,

Aufthun dein Ohr mit ſeiner Hand,

So du mit Vater und Mutter dein

Dem Heiland willt zu eigen ſeyn.“
Die Feder ruht; das Schwaͤlblein keck

Fliegt ab dem Baum und nimmt ſie weg,

Und auf und fort in einem Nu,

Dem Michelsberg da wieder zu.
Indeſſen war der Knab erwacht,

Nahm auch das Wunder wohl in Acht.

Die Jungfrau winket ihm aufzuſtehn,

Alle Beide ſtumm nach Hauſe gehn.

Wie ſie noch wenig Schritt vom Hofe,

Entgegen rennet ſchon die Zofe,

Bedeutend, daß der Vater kommen.

Von tauſend Freuden uͤbernommen

Es eilet das gluͤckſelig Kind

Ins Haus noch zehnmal ſo geſchwind.

Herr Aaron ſtund juſt in der Thuͤr,

Faßt ſie in Arm, ſie zittert ſchier,

[94]
Und Thraͤnen, ſo ſonſt nicht ſein' Art,

Ihm maͤchtig tropfen in den Bart.

Sie dringet ihm das Taͤflein auf,

Dann eilet ſie in Einem Lauf,

Holt ihre Mutter in den Saal,

Herzet und kuͤßt ſie tauſendmal,

Winket des Paͤchters Kind herbei,

Das ſaget, was geſchehen, frei.

Der Alte lieſt und ſtaunt und ſchweigt,

Seiner Frauen dar das Wunder reicht,

Und murmelt fuͤr ſich unbewußt;

Schlaͤgt dann laut an ſeine Bruſt,

Und ruft: „Dein Knecht, Herr, iſt nicht werth,

Daß ihm ſo Großes widerfaͤhrt!

Ich ſeufzet' oft in Naͤchten tief

Nach deines Sohnes Heil und rief;

Doch Zweifels Angſt und Spott der Welt

Hat mir ſo theures Licht verſtellt:

Ich war verſtocket, taub und blind:

Muß mich noch retten mein armes Kind!

Dafuͤr ſey Preis und Ehre dein!

Laß mich jezt auch der Erſte ſeyn,

So bruͤnſtig dir, Herr Jeſu Chriſt,

Weh! die durchgrabnen Fuͤße kuͤßt!

Und wie, zu deinem Stern gewandt,

Drei Koͤnige aus Morgenland

Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:

Vergoͤnne, daß dein Knecht dir zollt,

Was Alles du ſeit ſo viel Jahren

Durch ihn der Kirche wollen ſparen!

[95]
— O du an deines Sohnes Seite

Vertritt uns Mutter, benedeyte!“
So ſprach Herr Aaron jenen Tag;

Hoͤrt an, was weiter werden mag.

Zu Pfingſten, fruͤh vor Tage ſchon,

Zieht, groß und lang, eine Prozeſſion

Mit hellen Kerzen ohne Zahl

Langſam dahin durch's gruͤne Thal,

Soͤhne und Toͤchter Iſrael,

Zum Berg des Engels Michael.
Zuvorderſt thaͤt Herr Aaron gehn

Mit ſeiner Frauen und Rahel ſchoͤn;

Kam hierauf ſeine Dienerſchaft,

Lobpreiſend Gottes Wunderkraft,

Aber zulezt, in langen Reihn,

An die zweihundert von ſeiner Gemein:

Die kamen nicht, zu ſehn und zu gaffen,

Sondern geſchlagen von Gottes Waffen,

Wollten ſich alle taufen laſſen.

Das Kirchlein nicht ein Drittel faßt

Der Meng', ſo an den Pforten paßt.
Jetzo die Orgel hell erklingt,

Man freudig Hallelujah ſingt.

Dann, voller Demuth, holder Sitte,

Schoͤn Rahel vor den Taufſtein ſchritte.

Ihr Haupt gebeuget und ihr Knie,

Empfaͤnget Bad und Segen ſie.
[96]
Und als der Prieſter feierlich

Sprach: Gotteskind, ich taufe dich,

So jetzo Dorothea heißt,

Auf Vater, Sohn und heiligen Geiſt: —

Glaubſt du an des Dreieinigen Namen?

Schoͤn Dorothe' ſprach: Ja und Amen.
[97]

Idylle.

An J. M.


Unter die Eiche geſtreckt, im jung belaubten Gehoͤlze

Lag ich, ein Buͤchlein vor mir, das mir das lieblichſte
bleibt;

Jene Maͤhrchen erzaͤhlt's von der Gaͤnſemagd und von
dem Fiſcher,

Von dem Machandelboom; wahrlich, man wird ſie
nicht ſatt.

Gruͤnlicher Maienſchein warf mir geringelte Lichter

Auf's beſchattete Buch, neckiſche Bilder zum Text.

Ferne hoͤr' ich die Holzart fallen, ich hoͤre den Gukuk

Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir.

Maͤhrchenhaft fuͤhl' ich mich ſelbſt, mit aufgeſchloſſenen
Sinnen

Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk,
wie fremd!

Ploͤtzlich rauſcht es im Laub, — wird doch Sneewittchen
nicht kommen,

Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder
geſchieht;

Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges
Schaͤtzchen!

Muͤßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß,

Ehrbar ſetzet es ſich an meine Seite, vertraulich

Plaudern wir Dieſes und Das, und ich erzaͤhle ſofort

Moͤrike, Gedichte. 7[98]
Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens,

Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod ſchon gedroht.

Denn die Eitle, die Koͤnigin, haßte ſie, weil ſie ſo ſchoͤn war,

Grimmig, da mußte ſie fliehn, wohnte bei Zwergen
ſich ein.

Aber die Koͤnigin findet ſie bald; ſie klopfet am Hauſe,

Bietet, als Kraͤmerin, ſchlau, lockende Waare zu Kauf.

Arglos oͤffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergeſſend,

Und das Liebchen empfaͤngt, ach! den vergifteten Kamm.

Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hauſe ge¬
kommen!

Welcher Kuͤnſte bedarf's, bis die Erſtarrte erwacht!

Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬
kleidet,

Die Verderberin, leicht hat ſie das Maͤdchen beſchwazt,

Schnuͤrt in das zierliche Leibchen ſie ein, den Athem er¬
ſtickend

In dem Buſen; zuletzt bringt ſie die toͤdtliche Frucht.

Nun iſt alle Huͤlfe umſonſt; wie weinen die Zwerge!

Ein kryſtallener Sarg ſchließet die Aermſte nun ein,

Frei geſtellt auf den Berg, ein Anblick allen Geſtirnen,

Unverwelklich ruht innen die ſuͤße Geſtalt.

— So weit war ich gekommen, da drang aus dem naͤch¬
ſten Gebuͤſche,

Hinter mir Nachtigallſchlag herrlich auf Einmal hervor,

Troff wie Honig durch das Gezweig und ſpruͤhte wie Feuer

Zackige Toͤne, mir traf freudig ein Schauer das Herz,

Wie wenn der Goͤttinnen Eine, voruͤberfliehend, dem
Dichter

Durch ambroſiſchen Duft ihre Begegnung verraͤth.

[99]
Leider verſtummte die Saͤngerin bald, ich horchte noch lange,

Doch vergebens, und ſo bracht' ich mein Maͤhrchen
zum Schluß. —

Jetzo deutet das Kind und ruft: „Margrete! da kommt ſie!

In dem Korbe, ſiehſt du, bringt ſie dem Vater die
Milch!“

Durch die Luͤcke ſogleich erkannt' ich die aͤltere Schweſter;

Von der Wieſe herauf beugt nach dem Walde ſie ein,

Ruͤſtig, die braͤunliche Dirne; ihr brennt auf der Wange
der Mittag,

Gern erſchreckten wir ſie, aber ſie gruͤßet bereits.

„Haltet's mit, wenn Ihr moͤgt! es iſt heiß, da mißt
man die Suppe

Und den Braten zur Noth, fett iſt und kuͤhle mein
Mahl.“

Und ich ſtraͤubte mich nicht, wir folgten dem Schlage der
Holzart;

Statt des Kindes wie gern haͤtt' ich die Schweſter
gefuͤhrt!
— Freund! du ehreſt die Muſe, die jene Maͤhrchen vor Alters

Wohl zu Tauſenden ſang; aber nun ſchweiget ſie laͤngſt,

Die am Winterkamin, bei der Schuſterbank, oder am
Webſtuhl

Dichtendem Volkswitz oft koͤſtliche Nahrung gereicht.

Das Unmoͤgliche war ihr Feld; leichtfertig verknuͤpft ſie

Das Entfernteſte, reicht luſtig dem Bloͤden den Preis.

Sind drei Wuͤnſche erlaubt: ihr Held wird das Albernſte
waͤhlen;

Ihr zu Ehren ſey dir nun das Geſtaͤndniß gethan,

7 *[100]
Wie an der Seite der Dirne, der vielgeſpraͤchigen, ſachte

Im bewegten Gemuͤth bruͤnſtig der Wunſch mich be¬
ſchlich:

Waͤr' ich ein Jaͤger, ein Hirt, waͤr' ich ein Bauer geboren,

Truͤg' ich Knuͤttel und Beil, waͤrſt, Margarete, mein
Weib!

Nie beklagt' ich die Hitze des Tags, ich wollte mich herzlich

Auch der rauheren Koſt, wenn du ſie braͤchteſt, erfreun.

O wie herrlich wuͤrde mir jeder Morgen begegnen,

Und das Abendroth uͤber dem reifenden Feld!

Balſam wuͤrde mein Blut im friſchen Kuſſe des Weibes,

Kraftvoll bluͤhte mein Haus, doppelt, in Kindern
empor.

Aber im Winter, zu Nacht, am Ofen und auf der Schnitz¬
bank

Rief' ich, o Muſe, dich auch, maͤhrchenerfindende, an!
[101]

Akme und Septimius.

Nach Catull.


Akme, ſeine Geliebte, auf dem Schooſe

Haltend, ſagte Septimius: „Meine Akme!

Uebermaͤßig hab' ich dich lieb und will auch

Jahr fuͤr Jahr dich beſtaͤndig alſo lieben,

So arg wie nur ein Menſch jemals im Stand iſt;

Sieh, ſonſt mag mir's geſchehn, daß ich, ganz einſam,

Sey's in Libyen, ſey's im heißen Inder-

Land, dem toͤdtlichen Blick des Leu'n begegne!“

Wie er dieſes geſagt, nieſ't Amor, herzlich

Es bekraͤftigend (ſonſt war er ihm abhold).

Akme, ruͤckwaͤrts ihr Koͤpfchen leicht gebogen,

Und die trunkenen Augen ihres ſuͤßen

Knaben kuͤſſend mit jenem Purpurmunde,

Sprach: „Mein Leben! o du mein Septiminchen!

kuͤnftig dienen wir dieſem Herrn alleine,

Ich, wie du, — ſo gewiß als mir noch weit ein

Heißer Feuer im zarten Marke gluͤhet!“

Wie ſie dieſes geſagt, nieſ't Amor, herzlich

Es bekraͤftigend (ſonſt war er ihr abhold).

Auf ſo guͤnſtige Zeichen nunmehr bauend

Tauſchen Beide von Herzen Lieb' um Liebe.

Nur in Akme allein lebt noch Septimius,

[102]
Die ihm theurer als Syrien und Britannien,

Nur Septimius widmet Akme treulich

All' ihr Suͤßes und alle Liebeswonnen.

Kein gluͤckſeliger Paar hat man geſehen,

Keine Liebe, ſo ſchoͤn vom Gott beſiegelt!
[103]

Loſe Waare.

„Tinte! Tinte kauft ab! Schoͤn ſchwarze Tinte verkauf' ich:“

Rief ein Buͤblein gar hell Straßen hinauf und hinab.

Lachend traf ſein feuriger Blick mich oben im Fenſter,

Eh' ich mich's irgend verſah, huſcht er ins Zimmer herein.

Knabe, dich rief Niemand! — „Herr! meine Waare ver¬
ſucht nur!“

Und ſein Faͤßchen behend ſchwang er vom Ruͤcken
herum.

Da verſchob ſich das halbzerriſſene Jaͤckchen ein wenig

An der Schulter und hell ſchimmert ein Fluͤgel hervor.

Ei, laß ſehen, mein Sohn! du fuͤhrſt auch Federn im
Handel?

Amor, verkleideter Schelm! ſoll ich dich rupfen ſogleich?

Und er laͤchelt, entlarvt und legt auf die Lippen den
Finger:

„Stille! ſie ſind nicht verzollt — ſtoͤrt die Geſchaͤfte
mir nicht!

Gebt das Gefaͤß, ich fuͤll' es umſonſt, und bleiben wir
Freunde!“

Dies geſagt und gethan, ſchluͤpft er zur Thuͤre hinaus. —

Angefuͤhrt hat er mich doch: denn will ich was Nuͤtzliches
ſchreiben,

Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.
[104]

Die Herbſtfeier.

Auf! im traubenſchwerſten Thale

Stellt ein Feſt des Bacchus an!

Becher her und Opferſchale!

Und des Gottes Bild voran!

Floͤte mit Geſang verkuͤnde

Gleich des Tages letzten Reſt,

Mit dem Abendſtern entzuͤnde

Sich auch unſer Freudenfeſt!
Braune Maͤnner, ſchoͤne Frauen

Soll man hier verſammelt ſeh'n,

Greiſe auch, die ehrengrauen,

Duͤrfen nicht von ferne ſteh'n;

Knaben, ſo die Kruͤge fuͤllen,

Und, daß er vollkommen ſey,

Treten zoͤgernd auch die ſtillen

Maͤdchen unſerm Kranze bei.
Noch iſt vor der nahen Feier

Suͤß beklommen manche Bruſt,

Aber weiter bald und freier

Uebergibt ſie ſich der Luſt.

Thaut euch nicht wie Fruͤhlingsregen

Lieblicher Gedankenſchwarm?

Erdenleben, laß dich hegen,

Uns iſt wohl in deinem Arm!
[105]
Wahrlich und ſchon mit Entzuͤcken

Iſt der Gott in vollem Lauf,

Schließt vor den erwaͤrmten Blicken

Seine goldnen Himmel auf.

Amor auch hat nichts dawider,

Wenn ſich Wang' an Wange neigt,

Und der Mund, im Takt der Lieder,

Sich dem Mund entgegen beugt.
Maͤdchen! ſchlingt die wildſten Taͤnze!

Reißt nur euren Kranz entzwei!

Ohne Furcht, denn ſolche Kraͤnze

Flicht man immer wieder neu;

Doch den andern, den ich meine,

Nehmt, ihr Zaͤrtlichen, in Acht!

Und zumal im Mondenſcheine,

Und zumal in ſolcher Nacht.
Laßt mir doch den Alten machen,

Der ſich dort zum Korbe buͤckt

Und den Krug mit hellem Lachen

Kindiſch an die Wange druͤckt!

Wie ſein kleiner Sohn geſchaͤftig

Sorge um den Zecher traͤgt

Und ihm mit der Fackel kraͤftig

Den gekruͤmmten Ruͤcken ſchlaͤgt!
Aber ſchaut nach dem Gebuͤſche,

Wo gedrungner Epheu webt,

Wie ſich dort das traͤumeriſche

Marmorbild des Gottes hebt!

Laſſet uns ihm naͤher treten,

Schließt mit Fackeln einen Kreis!

Flehet zu ihm in Gebeten,

Doch geheimnißvoll und leiſ'.
[106]
Wie er laͤchelnd abwaͤrts blicket!

Er beſinnet ſich nur kaum.

Herrlicher! dein Auge nicket,

Doch dies Alles iſt kein Traum;

Luna ſucht mit frommer Leuchte

Dich, o ſchoͤner Juͤngling, hier,

Schoͤpfet zaͤrtlich ihre feuchte

Klarheit auf die Stirne dir.
Wie der Menſchen, ſo der Goͤtter

Liebſter Liebling heißeſt du:

Selber Zeus rief ſeinem Retter

Herzliches Willkommen zu;

Dumpf iſt des Olympus Droͤhnen,

Aber wie melodiſch Gold

Muß ſein ſtarres Erz ertoͤnen,

Wenn dein Thyrſus auf ihm rollt.
Und eh Mars im Kriegerſchwarme

Sich zur Ebne niederlaͤßt,

Schließet er in ſeine Arme

Dich, wie die Geliebte, feſt,

Fuͤhlet nun an Goͤttermarke

Sich gedoppelt einen Gott,

Dann erſt bruͤllt der Himmliſch-Arge

Todesluſt und Siegerſpott.
[107]
Wie dir Alle dienen muͤſſen,

Schmiegt auch Eros' hohe Macht

Leiſe todt ſich dir zu Fuͤßen,

Oder ſchauert auf und wacht.

Und Apollo mit der Leyer

Rufet Welt und Sternenbahn

Gern aus dem verklaͤrten Feuer

Deines holden Wahnes an.
Herr! wie muͤſſen wir dich loben?

Soll mit wild geſchlagner Bruſt

Die Maͤnade um dich toben?

Fluchſt du unſrer keuſchen Luſt?

Gib, o Fuͤrſt, gib uns ein Zeichen,

Daß wir deine Kinder ſey'n!

Wunderthaͤter ohne Gleichen,

Laß ein Wunder uns erfreun!
Tritt in unſre bunte Mitte,

Oder winke mit der Hand,

Wandle drei gemeſſ'ne Schritte

Laͤngs der hohen Rebenwand!

— Ach, er laͤßt ſich nicht bewegen ..

Aber, horcht, es bebt das Thal!

Ja, das iſt von Donnerſchlaͤgen:

Horch, und ſchon zum dritten Mal!
Selber Zeus hat nun geſchworen,

Daß ſein Sohn uns guͤnſtig ſey

So iſt kein Gebet verloren,

So iſt der Olymp getreu.

[108]
— Doch nach ſolcher Goͤtterfuͤlle

Ungeſtuͤmem Ueberſchwang

Werden alle Herzen ſtille,

Alle Gaͤſte zauberbang.
Stimmet an die letzten Lieder!

Und ſo, Paar an Paar gereiht,

Steiget nun zum Fluß hernieder,

Wo ein feſtlich Schiff bereit.

Auf dem vordern Rand erhebe

Sich der Gott und fuͤhr' uns an,

Und der Kiel, mit Fluͤſtern, ſchwebe

Durch die mondbeglaͤnzte Bahn!
[109]

Lied eines Verliebten.

In aller Fruͤh', ach, lang vor Tag

Weckt mich mein Herz, an dich zu denken

Da doch geſunde Jugend ſchlafen mag.
Hell iſt mein Aug' um Mitternacht,

Heller als fruͤhe Morgenglocken:

Wann haͤtt'ſt du je am Tage mein gedacht?
Waͤr' ich ein Fiſcher, ſtuͤnd' ich auf,

Truͤge mein Netz hinab zum Fluſſe,

Truͤg' herzlich froh die Fiſche zum Verkauf.
In der Muͤhle, bei Licht, der Muͤllerknecht

Tummelt ſich, alle Gaͤnge klappern;

So ruͤſtig Treiben waͤr' mir eben recht!
Weh, aber ich! o armer Tropf!

Muß auf dem Lager mich muͤßig graͤmen,

Ein ungebaͤrdig Mutterkind im Kopf!
[110]

An Clara.

Hoͤre das lieblichſte Wunder, das ich fuͤrwahr nicht er¬
dichte,

Auch erdichtet waͤr' es wohl ſchoͤn, doch ſah ich's mit
Augen.

Unter dem bluͤhenden Apfelbaum ſaß ich auf dem be¬
mooſten

Maͤuerchen, ſtill in Gedanken vertieft; es ruhte das neue

Teſtament mir halbgeoͤffnet zwiſchen den Fingern,

Klein und zierlich gebunden: (es kam vom treueſten
Herzen —

Ach, du ruheſt nun auch, mir unvergeſſen, im Grabe!)

Lange ſaß ich und blickte nicht auf; mit Einem ſo laͤßt ſich

Mir ein Schmetterling nieder auf's Buch, er hebet und
ſenket

Dunkle Fluͤgel mit ſchillerndem Blau, er dreht ſich und
wandelt

Hin und her auf dem Rande. Was ſuchſt du, reizender
Sylphe?

Lockte die blaue Decke dich an, der glaͤnzende Goldſchnitt?

Sahſt du, getaͤuſcht, im Buͤchlein die herrlichſte Wunder¬
blume?

Oder zogen geheim dich himmliſche Kraͤfte hernieder

Des lebendigen Worts? Ich muß es glauben, denn
immer

Weileſt du noch, wie gebannt und ſcheinſt wie trunken,
ich ſtaune!

[111]
Aber von nun an biſt du auf alle Tage geſegnet!

Unverletzlich dein Leib, dir altern nimmer die Schwingen!

Und wohin du kuͤnftig die zarten Fuͤße wirſt ſetzen,

Thauet Segen von dir. Jezt eile hinunter zum Garten,

Den das beſte Maͤdchen beſucht am fruͤheſten Morgen,

Eile zur Lilie du, gleich wird die Knospe ſich oͤffnen

Unter dir, dann kuͤſſe ſie tief in den Buſen: von Stund an

Goͤttlich befruchtet, athmet ſie Geiſt und himmliſches Leben.

Wenn die Gute nun kommt, vor den hohen Stengel ge¬
treten,

Steht ſie befangen, entzuͤckt von paradieſiſcher Naͤhe,

Ahnungsvoll wie im Traum die holde Seele verſunken.
[112]

Johann Kepler.

Geſtern, als ich vom naͤchtlichen Lager den Stern mir
in Oſten

Lang' betrachtete, den dort mit dem roͤthlichen Licht,

Und des Mannes gedachte, der ſeine Bahnen zu meſſen,

Von dem Gotte gereizt, himmliſcher Pflicht ſich ergab,

Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel

Zu verſoͤhnen, umſonſt, und zu verachten bemuͤht:

Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach!
dacht' ich,

Wußten die Himmliſchen dir, Meiſter, kein beſſeres
Loos?

Wie ein Dichter den Helden ſich waͤhlt, wie Homer von
Achilles

Goͤttlichem Adel geruͤhrt, ſchoͤn im Geſang ihn erhob.

Alſo wandteſt du ganz die Kraͤfte nach jenem Geſtirne,

Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied.

Doch ſo bewegt ſich kein Gott von ſeinem goldenen Sitze,

Holdem Geſange geneigt, den zu erretten, herab,

Dem die hoͤhere Macht die dunkeln Tage beſtimmt hat,

Und euch Sterne beruͤhrt nimmer ein Menſchengeſchick;

Ihr geht uͤber dem Haupte des Weiſen oder des Thoren

Euern ſeligen Weg ewig gelaſſen dahin!
[113]

Auf das Grab von Schillers Mutter.

Cleverſulzbach, im Mai.


Nach der Seite des Dorf's, wo jener alternde Zaun dort

Laͤndliche Graͤber umſchließ't, wall' ich in Einſamkeit
oft.

Sieh' den geſunkenen Huͤgel! es kennen wenige Greiſe

Kaum ihn noch und es ahnt Niemand ein Heiligthum
hier.

Jegliche Zierde fehlt und jedes deutende Zeichen;

Duͤrftig breitet ein Baum ſchuͤtzende Arme umher.

Wilde Roſe! dich find ich allein ſtatt anderer Blumen;

Ja, beſchaͤme ſie nur, brich als ein Wunder hervor!

Tauſendblaͤttrig eroͤffne dein Herz! entzuͤnde dich herrlich

Am begeiſternden Duft, den aus der Tiefe du ziehſt!

— Eines Unſterblichen Mutter liegt hier beſtattet; es
richten

Deutſchlands Maͤnner und Frau'n eben den Marmor
ihm auf.
Moͤrike. Gedichte. 8[114]

Theokrit.

Sey, Theokritos, mir, du Anmuthsvollſter, geprieſen!

Lieblich biſt du zuerſt, aber auch herrlich fuͤrwahr.

Wenn du die Grazien ſchickſt in die Palaͤſte der Reichen,

Unbeſchenkt kehren ſie dir, nackenden Fußes, zuruͤck.

Muͤßig ſitzen ſie dort im aͤrmlichen Hauſe des Dichters,

Auf die frierenden Knie' traurig die Stirne geſenkt.

Oder fuͤhre das Maͤdchen mir vor, das, raſend in Liebe,

Da ihm der Juͤngling entfloh, Hekate's Kuͤnſte ver¬
ſucht.

Oder ſinge den jungen Herakles, welchem zur Wiege

Dient der eherne Schild, wo er die Schlangen erwuͤrgt:

Klangvoll faͤhrſt du dahin! dich kraͤnzte Kalliope ſelber:

Aber beſcheiden, ein Hirt, haſt du die Syrinx er¬
waͤhlt.
[115]

An eine Lieblingsbuche meines Gartens,
in deren Stamm ich Hoͤlty's Namen ſchnitt.

Holde Dryas, halte mir ſtill! es ſchmerzet nur wenig;

Mit wolluͤſtigem Reiz ſchließt ſich die Wunde geſchwind.

Eines Dichters Namen zu tragen biſt du gewuͤrdigt,

Keinen Lieberen hat Wieſe noch Wald mir genannt.

Kuͤnftig ſey du die Erſte von allen deinen Geſchwiſtern,

Welche der kommende Lenz wecket und reichlich belaubt.

Und ein liebendes Maͤdchen, von deinem Dunkel umduftet,

Sieht den Namen, der, halb nur verborgen, ihr winkt;

Leiſe druͤckt ſie, gedankenvoll, die Lippen auf dieſe

Lettern, es dringet ihr Kuß dir an das innerſte Mark.

Wehe der Hand, die dich zu ſchaͤdigen waget! Ihr gluͤcke

Nimmer, in Feld und Haus, nimmer ein friedliches
Werk!
8 *[116]

Tibullus.

Wie der wechſelnde Wind nach allen Seiten die hohen

Saaten im weichen Schwung niedergebogen durchwuͤhlt:

Liebekranker Tibull! ſo unſtet fluthen, ſo reizend

Deine Geſaͤnge dahin, waͤhrend der Gott dich beſtuͤrmt.
[117]

An Hermann.

Unter Thraͤnen riſſeſt du dich von meinem Halſe;

In die Finſterniß lang' ſah ich verworren dir nach;

Wie? auf Ewig? ſagteſt du ſo? Dann laͤſſet auf Ewig

Meine Jugend von mir, laͤſſet mein Genius mich!

Und warum? bei Allem, was heilig, weißt du es
ſelber?

Wenn es der Uebermuth ſchwaͤrmender Jugend nicht iſt?

O verwegenes Spiel! Komm! nimm das Wort, ruf es
zuruͤcke!

— Aber du hoͤrteſt nicht, ließeſt mich ſtaunend allein.

Monde vergingen und Jahre; die heimliche Sehnſucht im
Herzen,

Standen wir fremd, es fand Keiner ein muthiges
Wort,

Um den falſchen Bann, den luftgewebten, zu brechen,

Und der gemeine Tag loͤſchte bald jeglichen Wunſch.

Aber heutige Nacht erſchien mir wieder im Traume

Deine Knabengeſtalt — Wehe! wo rett' ich mich hin

Vor dem lieblichen Bild! Ich ſah dich unter den hohen

Maulbeerbaͤumen im Hof, wo wir zuſammen geſpielt.

Und du wandteſt dich ab, wie beſchaͤmt, ich ſtrich dir die
Locken

Aus der Stirne: O du, rief ich, was kannſt du dafuͤr!

Weinend erwacht' ich zulezt, truͤb ſchien der Mond auf
mein Lager,

Aufgerichtet im Bett ſaß ich und dachte dir nach;

[118]
O wie tobte mein Herz! Du fuͤllteſt wieder den
Buſen

Mir, wie kein Bruder vermag, wie die Geliebte nicht
kann!
[119]

Muſe und Dichter.

„Graben kann ich nicht: nun vollends krank! und zu
betteln

Schaͤme ich mich. Du ſchweigſt, Muſe? O rathe mir!
hilf!

Gib die Leyer!“ — Nicht doch! Dir iſt die Ruhe
geboten.

Schlafe, traͤume nur! ſtill ruf' ich dir Huͤlfe herab.

Deinem Haupte noch bluͤhet ein Kranz; und ſey es zum
Leben,

Sey's zum Tode; getroſt! meine Hand windet ihn dir.

„Keinen Lorbeer will ich, die kalte Stirne zu ſchmuͤcken:

Laß mich leben! und gib froͤhliche Blumen zum Strauß.“
[120]

Geſpräch vor Tage.

„Sage, wird es denn heute nicht Tag? es daͤmmert ſo
lange!

Und zu Hunderten, horch! ſingen die Lerchen im Feld.“

Wohl; ihr lichtbegieriges Auge ſauget die erſten

Strahlen des Tages hinweg und ſo waͤchſt langſam
er nur.
[121]

An meinen Arzt,

Herrn Dr. Elſaͤſſer.


Siehe! da ſtuͤnd' ich wieder auf meinen Fuͤßen! und blicke

Froh erſtaunt in die Welt, die mir im Ruͤcken ſchoͤn
lag;

Aber ich ſpreche von Danke dir nicht: du lieſeſt ihn beſſer

Mir im Auge, du fuͤhlſt hier ihn im Drucke der Hand.

— Ich gluͤckſeliger Thor, daß ich meine, du ſollteſt ver¬
wundert

Ueber dich ſelber ſeyn, oder geruͤhrt, ſo wie ich!

Doch daran erkennen wir dich! — Den ſchwindelnden
Nachen

Herrlich meiſternd faͤhrt ruhig der Schiffer an's Land,

Wirft in den Kahn das Ruder, das, ach! ſo Viele ge¬
rettet,

Laut aufjauchzen ſie ihm, aber er achtet es kaum,

Kettet das Schiff an den Pflock; und Abends ſizt er beim
Kruge

Wie ein anderer Mann, fuͤllet ſein Pfeifchen und ruht.
[122]

Der Geneſene an die Hoffnung.

Toͤdtlich graute mir der Morgen:

Doch ſchon lag mein Haupt, wie ſuͤß!

Hoffnung, dir im Schoos verborgen,

Bis der Sieg gewonnen hieß.

Opfer bracht' ich allen Goͤttern,

Doch vergeſſen wareſt du;

Seitwaͤrts von den ew'gen Rettern

Saheſt du dem Feſte zu.
O vergib, du Vielgetreue!

Tritt aus deinem Daͤmmerlicht,

Daß ich dir in's ewig neue,

Mondenhelle Angeſicht

Einmal ſchaue recht von Herzen,

Wie ein Kind und ſonder Harm;

Ach, nur Einmal ohne Schmerzen

Schließe mich in deinen Arm!
[123]

Ideale Wahrheit.

Geſtern entſchlief ich im Wald: da ſah ich im Traume
das kleine

Maͤdchen, mit dem ich als Kind immer am liebſten
verkehrt.

Und ſie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk,

Wie die Kindheit ihn denkt, praͤchtig gefiedert und
groß.

Drum! — ſo rief ich — dieß iſt der aͤchte Gukuk! Wer
ſagte

Mir doch neulich, er ſey klein nur, unſcheinbar und
grau!

Maſchinka.

Dieſer ſchwellende Mund, den Reiz der Heimath noch
athmend,

Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn ſo lieblich ge¬
formt;

Halb verdrießlich greifet die Schoͤne nach der Grammatik,

Stammelt ruſſiſchen Laut, weil es der Vater befiehlt.

Euer Stammeln iſt ſuͤß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen,

Heimlich ein ander Geſchaͤft, das euch vor allem ver¬
ſchoͤnt!
[124]

Schnelle Beute.

Hat der Dichter im Geiſt ein koͤſtliches Liedchen empfangen,

Ruht und raſtet er nicht, bis es vollendet ihn gruͤßt:

Schoͤnſte! ſo ſah ich dich neulich zum erſten Mal fluͤchtig
am Fenſter,

Und ich brannte; nun liegſt heute du mir ſchon im
Arm!

Nachts am Schreibepult.

Primeln, Sterne, Syringen, von ſtiller Kerze beleuchtet,

Hier im Glaſe: wie fremd blickt ihr, wie feenhaft, her!

Sonne ſchien, als die Liebſte euch trug; da wart ihr ſo
freudig:

Mitternacht ſummt nun um euch, ach! und kein Lieb¬
chen iſt hier.
[125]

Vicia faba minor.

Fort mit dieſem Geruch, dem zauberhaften! Er mahnt
mich

An die Haare, die mir einſt alle Sinne beſtrickt.

Weg mit dieſer Bluͤthe, der ſchwarz und weißen! Sie
ſagt mir,

Daß die Verfuͤhrerin, ach! ſchwer mit dem Tode ge¬
buͤßt.

Auf dem Grabe eines Künſtlers.

Tauſende liegen hier, ſie kannten keinen Homerus:

Selig ſind ſie gleichwohl, aber nicht eben wie du.
[126]

An meine Mutter.

Siehe, von alle den Liedern nicht Eines gilt dir, o Mutter!

Dich zu preiſen, o glaub's, bin ich zu arm und zu
reich.

Ein noch ungeſungenes Lied ruhſt du mir im Buſen,

Keinem vernehmbar ſonſt, mich nur zu troͤſten beſtimmt,

Wenn ſich das Herz unmuthig der Welt abwendet und
einſam

Seines himmliſchen Theils bleibenden Frieden bedenkt.

An Dieſelbe.

Ach wie liebreich warſt du der Welt und dieneteſt Allen!

Und wie klein doch, wie plump hat ſie dich endlich
verkannt!

Da entſagteſt du ihr; doch laͤchelnd wehren die Deinen

Heute wie geſtern der Hand, die ſich in Liebe vergißt.
[127]

An H. K.

Sey mir beſtens willkommen! denn wahrlich Dir hat die
Muſe

Heiter Lippen und Stirn und beide glaͤnzende Augen

Mit unſproͤdem Kuſſe beruͤhrt, ſo kuͤſſe mich wieder!

Brockes.

Alter, fuͤhre mich nur in deinen geſchnoͤrkelten Fruͤhlings-

Garten! noch duftet und thaut friſch und gewuͤrzig
ſein Flor.

Joſeph Haydn.

Manchmal iſt ſein Humor altfraͤnkiſch, ein zierliches
Zoͤpflein,

Das, wie der Zauberer ſpielt, ſchalkhaft im Ruͤcken
ihm tanzt.
[128]

Auf einen Klavierſpieler.

Hoͤrt ihn und ſeht ſein duͤrftig Inſtrument!

Die alte, klepperduͤrre Maͤhre,

An der ihr jede Rippe zaͤhlen koͤnnt,

Verwandelt ſich im Griffe dieſes Knaben

Zu einem Pferd von wilder, edler Art,

Das in Arabiens Gluth geboren ward!

Es will nicht Zeug, noch Zuͤgel haben,

Es baͤumt den Leib, zeigt wiehernd ſeine Zaͤhne,

Dann ſchuͤttelt ſich die weiße Maͤhne,

Wie Schaum des Meers zum Himmel ſprizt,

Bis ihm, beſiegt von dem gelaſſ'nen Reiter,

Im Aug' die bittre Thraͤne blizt —

O horch! nun tanzt es ſanft auf goldner Toͤne Leiter!
[129]

P. K.

Wer ergoͤzte ſich nicht am derben Witze des Mannes!

Heute verwuͤnſchet man ihn, morgen heißt's: waͤr er
nur da!

Trocken ſitzt er im Kreis der Gaͤſte; bald wagt es ein
Schlaukopf,

Reizt ihn leiſe von fern, ſcheinbar bemerkt er es nicht.

Jetzo faßt er den Mann ſich in's Auge, ſchweigt noch und
wieget

Sachte, ſachte das Haupt, und — nun, ihr kennt ja
das Spiel

Mit dem Vogel von Holz? Erſt zielt der eiſerne Schnabel,

Trifft ins Schwarze: — herauf rauſchet mit Lachen
Hanswurſt.
Moͤrike, Gedichte. 9[130]

AnFriedr. Viſcher

Prof. der Aeſthet. etc.


Mit meinen Gedichten.


Oft hat mich der Freund vertheidigt,

Oft ſogar gelobt, doch nun?

Der Profeſſor iſt beeidigt

Und da hilft kein Traulich-thun.
Alſo geht, ihr braven Lieder,

Daß man euch die Koͤpfe waſcht!

Seht auch, daß ihr hin und wieder

Einen guten Blick erhaſcht.
Er iſt Vater: um ſo minder

Denk' ich ihn euch abgeneigt;

Sind doch ſeine eignen Kinder

Auf der Schulbank nicht gezeugt!
[131]

Die Anti-Sympathetiker.

An Juſtin Kerner.


Von lauter Geiſte die Natur durchdrungen,

Wie wuͤrde ſie nicht durch den Geiſt bezwungen?

Wenn ſich getrennte Kraͤfte wiederkennen,

Auf ein Erinn'rungswort entbrennen,

Die Krankheit weicht, das Blut ſich ploͤtzlich ſtillt,

Das iſt das Wunder, wie's die Dummheit ſchilt!

— Laß die Schwachmatiker nur immer raͤſonniren,

Und rechn' es ihnen allzu hoch nicht an!

Denn, wenn ſie Gott und die Natur borniren,

Es ſtreckt ſich Keiner laͤnger als er kann.
9 *[132]

An einen Liebesdichter.

Von Liebe ſingt ſo mancher Mann,

Damit er auch von Liebe ſinge,

Und hebt ein maͤchtig Klagen an,

Der Ruhm iſt groß, die Pein geringe.
Nun biſt du nicht im ſelben Fall,

Und laͤſſeſt auch Geſang erſchallen,

Obwohl noch keine Nachtigall,

Doch mehr als jene Nachtigallen.
Was iſt denn wohl der Unterſchied,

Freund, zwiſchen dir und zwiſchen jenen?

— Sie ſingen froh ein traurig Lied,

Und du ein froͤhlichs unter Thraͤnen.
[133]

Apoſtrophe.

Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte
las, worin Ruͤckerts geniale Formen auf eine geißloſe
Weiſe nachgeahmt und uͤberboten waren.


Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen,

Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen!

Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen

Waldteufeln angehoͤrigen!

Ihr lang von wuthbefliſſenen

Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen!

Nun angeweht von weichlichen

Mailuͤftchen, unvergleichlichen;

Und euer Fuß, der tuͤchtige,

Den grimmig der bergſchluͤchtige,

Von Felſen uͤberpurzelte

Waldſtrom ſo gern entwurzelte,

Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun,

Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn:

Von Grund des Herzens preiſ' ich euch,

Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch,

Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt

Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt,

Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen,

So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen

Reimweiſen eben vorgeſungen,

Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.
[134]

Antike Poeſie.

Ich ſah den Helicon in Wolkendunſt,

Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle;

Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male

Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt.
Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt

Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale:

Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale,

Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt?
Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn?

Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken?

— Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn:
Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn

So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken.

Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n.
[135]

Eberhard Wächter.

In ſeine hohen Waͤnde eingeſchloſſen,

Mit traurig ſchoͤnen Geiſtern im Verkehr,

Geſtaͤrkt am reinen Athem des Homer,

Von Goldgewoͤlken Attikas umfloſſen:
So ſtets vor ſeinen Tuͤchern unverdroſſen,

Fern von dem Markt der Kuͤnſte, ſizet er;

Kein Neid verlezt, kein Lob berauſcht ihn mehr,

Ihm bluͤht ein Kranz bei herrlichern Genoſſen.
O kommt und ſchaut ein ſelig Kuͤnſtlerleben!

Beſuchet ihn am abendlichen Herd,

Wenn dieſe Stirne ſich der Wunderſchwingen
Des Genius erwehrend, nun ſoeben

Sich munter zu dem Alltagskreiſe kehrt,

Den Weib und Kinder ſcherzend um ihn ſchlingen.
[136]

Seltſamer Traum.

Als Nachbild eines gluͤcklichen Theaterabends bei und nach Auffuͤhrung
von Mozarts Figaro,
dem liebenswuͤrdigen Schweſterpaar
Marie und Pauline,
Rudolph und Friedrich,
gewidmet von dem Luſtigſten aus der Geſellſchaft.


Stuttgart 1828.


Ich ſahe naͤchtlich hinter Traumgardinen

Viel Fruͤhlingsgaͤrten bluͤhn und immer aͤndern;

Es tanzten, klein, auf zierlichen Gelaͤndern

An hundert Figaros mit Cherubinen.
Wie alle Dinge hundertfach erſchienen,

So ſah ich zwiſchen „Masken, Blumen, Baͤndern,“

Und zwiſchen all den „ſeidenen Gewaͤndern“

Einfach die Einzigen, Marien, Paulinen.
Und aus dem ſammtnen Fruͤhlingsboden ſtiegen,

Gehoben von melodiſchen Gewalten,

Die Leidenſchaften auf als ernſte Schatten;
Da ſah ich, ſtill, mit tief gefurchten Zuͤgen,

Einfach zwei edle baͤrtige Geſtalten,

Und ich ſang, als Hanswurſt, auf Blumenmatten.
[137]

Troſt.

Ja, mein Gluͤck, das lang gewohnte,

Endlich hat es mich verlaſſen!

— Ja, die liebſten Freunde ſeh ich

Achſelzuckend von mir weichen,

Und die gnadenreichen Goͤtter,

Die am beſten Huͤlfe wuͤßten,

Kehren hoͤhniſch mir den Ruͤcken.

Was beginnen? werd' ich etwa,

Meinen Lebenstag verwuͤnſchend,

Raſch nach Gift und Meſſer greifen?

Das ſey ferne! vielmehr muß man

Stille ſich im Herzen faſſen.
Und ich ſprach zu meinem Herzen:

Laß uns feſt zuſammenhalten!

Denn wir kennen uns einander,

Wie ihr Neſt die Schwalbe kennet,

Wie die Cither kennt den Saͤnger,

Wie ſich Schwert und Schild erkennen,

Schild und Schwert einander lieben.

Solch ein Paar, wer mag es ſcheiden?
Als ich dieſes Wort geſprochen,

Huͤpfte mir das Herz im Buſen,

Das noch erſt geweinet hatte.
[138]

Zum neuen Jahr.

Kirchengeſang.
(Melodie aus Axur: Wie dort auf den Auen.)


Wie heimlicher Weiſe

Ein Engelein leiſe

Mit roſigen Fuͤßen

Die Erde betritt:

So nahte der Morgen.

Jauchzt ihm, ihr Frommen,

Ein heilig Willkommen,

Ein heilig Willkommen!

Herz, jauchze du mit!
In Ihm ſey's begonnen,

Der Monde und Sonnen

An blauen Gezelten

Des Himmels bewegt.

Du, Vater, du rathe!

Lenke du und wende!

Herr, dir in die Haͤnde

Sey Anfang und Ende,

Sey Alles gelegt!
[139]

Der König bei der Krönung.

Dir angetrauet am Altare,

O Vaterland! wie bin ich dein!

Laß fuͤr das Rechte mich und Wahre

Nun Prieſter oder Opfer ſeyn!
Geuß auf mein Haupt, Herr! deine Schale,

Ein koͤſtlich Oel des Friedens, aus,

Daß ich wie eine Sonne ſtrahle

Dem Vaterland und meinem Haus!
[140]

Auf die Vermaͤhlung des
Fürſten von Schwarzburg-Sondershauſen
mit
Mathilde, Prinzeſſin von Hohenlohe.

Zum Empfang in der Kirche.


Hebt euch, ſanftbeſchwingte Lieder,

Und empfangt ein edel Paar!

Ew'ge Liebe blick' hernieder!

Denn dir ſchmuͤckt ſich der Altar;
Wo der Fuͤrſt, der Hochbegluͤckte,

Staunend deiner Wege denkt,

Tief in Wehmuth die entzuͤckte

Braut die reine Stirne ſenkt.
Leis' auf goldner Wage waͤget,

Engel, guͤtig Ihr Geſchick,

Und zu ew'gen Kraͤnzen leget

Jedes holde Erdengluͤck!
[141]

Nannys Traum.

Der Mutter zum Geburtstage.
Mit einer rothen Roſe.


Ich ging auf gruͤnen Wieſengruͤnden,

Ich wollte gar zu gern fuͤr Dich

Ein herzig Bluͤmelein wo finden,

Und lief und ſuchte emſiglich.
Ach, nirgend ſah ich eines ſtehen,

Da fing ich laut zu weinen an:

„Den Fruͤhling hab' ich kaum geſehen,

Und kommt der Winter ſchon heran!“
So lief ich fort und fort mit Trauern,

Erſt bei dem letzten Abendſchein

Hielt ich vor heil'gen Kirchenmauern,

Das Thor ſtand auf, ich trat hinein
Und kam in einen ſtillen Garten

Und vor ein friſch bereites Grab,

Dran ſah ich einen Engel warten,

Gelehnt auf einen Hirtenſtab.
Der ſchaut mich traurig an und bange

Und nickt und winket mich herbei;

Mir war, als kennt' ich ihn ſchon lange

An ſeinen Augen fromm und treu.
[142]
Er winkt, und aus des Grabes Schooſe

Steigt bluͤhend, wie der Schnee ſo rein,

Hervor die weiße Todtenroſe

Und neiget ſich im Mondenſchein.
Begierig ſchnell will ich ſie pfluͤcken,

Doch mir verſagt die kleine Hand,

Indeß mit freudehellen Blicken

Ein zweiter Engel vor mir ſtand.
Er zog mich ſachte weg zur Pforte

Und ſprach: „Du gutes, krankes Kind,

O laß die Roſen hier am Orte,

Die bleich wie deine Wangen ſind!
Auf's Neue ſollſt du froͤhlich ſpringen,

Ihr Waͤnglein bluͤhet friſch und roth!

Dies Pfand magſt du der Mutter bringen,

Das dir dein guter Engel bot.“
[143]

Verborgenheit.

Laß, o Welt, o laß mich ſeyn!

Locket nicht mit Liebesgaben!

Laßt dies Herz alleine haben

Seine Wonne, ſeine Pein!
Was ich traure weiß ich nicht,

Es iſt unbekanntes Wehe;

Immerdar durch Thraͤnen ſehe

Ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewußt,

Und die helle Freude zuͤcket

Durch die Schwere, ſo mich druͤcket

Wonniglich in meiner Bruſt.
Laß, o Welt, o laß mich ſeyn!

Locket nicht mit Liebesgaben!

Laßt dies Herz alleine haben

Seine Wonne, ſeine Pein!
[144]

Suspirium.

Jesu benigne!

A cujus igne

Opto flagrare

Et Te amare:

Cur non flagravi?

Cur non amavi

Te, Jesu Christe?

— O frigus triste!

(Altes Lied.)

Seufzer.

Dein Liebesfeuer,

Ach Herr! wie theuer

Wollt' ich es hegen,

Wollt' ich es pflegen!

Hab's nicht geheget

Und nicht gepfleget,

War Eis im Herzen —

O Hoͤllenſchmerzen!
[145]

An den Schlaf.

Somne levis! quanquam certissima mortis imago;

Consortem cupio te tarnen esse tori.

Alma quies, optata, veni! nam sic sine vita

Vivere, quam suave est, sic sine morte mori!
Meibom.
Schlaf! ſanfter Schlaf! obwohl dem Tod wie du Nichts
gleicht:

Komm! theilen wir dies Lager bruͤderlich!

So ohne Leben, ach wie lieblich lebt es ſich!

So ohne Tod, wie ſtirbt es ſich ſo leicht!
Moͤrike, Gedichte. 10[146]

Wo find' ich Troſt?

Eine Liebe kenn' ich, die iſt treu,

War getreu, ſo lang ich ſie gefunden,

Hat mit tiefem Seufzen immer neu,

Stets verſoͤhnlich, ſich mit mir verbunden.
Welcher einſt mit himmliſchem Gedulden

Bitter bittern Todestropfen trank,

Hing am Kreuz und buͤßte mein Verſchulden,

Bis es in ein Meer von Gnade ſank.
Und was iſt's nun, daß ich traurig bin,

Daß ich angſtvoll mich am Boden winde?

Frage: Huͤter, iſt die Nacht bald hin?

Und: was rettet mich von Tod und Suͤnde?
Arges Herze! ja geſteh es nur,

Du haſt wieder boͤſe Luſt empfangen;

Frommer Liebe, frommer Treue Spur,

Ach, das iſt auf lange nun vergangen.
Ja, das iſt's auch, daß ich traurig bin,

Daß ich angſtvoll mich am Boden winde!

Huͤter, Huͤter, iſt die Nacht bald hin?

Und was rettet mich von Tod und Suͤnde?
[147]

Auf ein altes Bild.

In gruͤner Landſchaft Sommerflor,

Bei kuͤhlem Waſſer, Schilf und Rohr,

Schau, wie das Knaͤblein Suͤndelos

Frei ſpielet auf der Jungfrau Schos!

Und dort im Walde wonneſam,

Ach, gruͤnet ſchon des Kreuzes Stamm!
10 *[148]

Zurechtweiſung.

In dieſer Winterfruͤhe

Wie iſt mir doch zu Muth!

O Morgenroth, ich gluͤhe

Von deinem Jugendblut.
Es gluͤht der alte Felſen,

Die Waͤlder Funken ſpruͤhn,

Berauſchte Nebel waͤlzen

Sich in der Tiefe hin.
Wie von der Hoͤhe nieder

Der reinſte Himmel flimmt,

Der um die Roſenglieder

Entzuͤckter Engel ſchwimmt!
Mit thatenfroher Eile

Erhebt ſich Geiſt und Sinn,

Und fluͤgelt goldne Pfeile

Durch alle Ferne hin.
Auf Burgen moͤcht' ich ſpringen,

In alter Fuͤrſten Schloß,

Moͤcht' hohe Lieder ſingen,

Mich ſchwingen auf das Roß.
[149]
Und ſtolzen Siegeswagen

Stuͤrzt' ich mich brauſend nach,

Die Harfe wird zerſchlagen,

Die nur von Liebe ſprach.
Wie? ſingſt du ſo vermeſſen,

Herz, haſt du nicht bedacht,

Haſt, Naͤrrchen, ganz vergeſſen,

Was dich ſo trunken macht?
Ach, wohl! was aus mir ſinget,

Iſt nur der Liebe Gluͤck,

Die wirren Toͤne ſchlinget

Sie ſanft in ſich zuruͤck.
Was hilft, was hilft mein Sehnen?

Geliebte, waͤrſt du hier!

In tauſend Freudethraͤnen

Verging' die Erde mir.
[150]

Am Walde.

Am Waldſaum kann ich lange Nachmittage,

Dem Gukuk horchend, in dem Graſe liegen,

Er ſcheint das Thal gemaͤchlich einzuwiegen

Im friedevollen Gleichklang ſeiner Klage.
Da iſt mir wohl, und meine ſchlimmſte Plage,

Den Fratzen der Geſellſchaft mich zu fuͤgen,

Hier wird ſie mich doch endlich nicht bekriegen,

Wo ich auf eigne Weiſe mich behage.
Und wenn die feinen Leute nur erſt daͤchten,

Wie ſchoͤn Poeten ihre Zeit verſchwenden,

Sie wuͤrden mich zuletzt noch gar beneiden.
Denn des Sonetts gedraͤngte Kraͤnze flechten

Sich wie von ſelber unter meinen Haͤnden,

Indeß die Augen in der Ferne weiden.
[151]

Zuviel.

Der Himmel glaͤnzt vom reinſten Fruͤhlingslichte,

Ihm ſchwillt der Huͤgel ſehnſuchtsvoll entgegen,

Die ſtarre Welt zerfließt in Liebesſegen,

Und ſchmiegt ſich rund zum zaͤrtlichſten Gedichte.
Am Dorfeshang, dort bei der luft'gen Fichte,

Iſt meiner Liebſten kleines Haus gelegen —

O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Waͤgen,

Daß all' der Wonne-Streit in dir ſich ſchlichte!
Du, Liebe, hilf den ſuͤßen Zauber loͤſen,

Womit Natur in meinem Innern wuͤhlet!

Und du, o Fruͤhling, hilf die Liebe beugen!
Liſch aus, o Tag! Laß mich in Nacht geneſen!

Indeß ihr ſanften Sterne goͤttlich kuͤhlet,

Will ich zum Abgrund der Betrachtung ſteigen.
[152]

Liebesglück.

Wenn Dichter oft in warmen Phantaſieen,

Von Liebesgluͤck und ſchmerzlichem Vergnuͤgen

Sich oder uns, nach ihrer Art, beluͤgen,

So ſey dies Spielwerk ihnen gern verziehen.
Mir aber hat ein guͤt'ger Gott verliehen,

Den Himmel, den ſie traͤumen, zu durchfliegen,

Ich ſah die Anmuth mir im Arm ſich ſchmiegen,

Der Unſchuld Blick von raſchem Feuer gluͤhen.
Auch ich trug einſt der Liebe Muͤh' und Laſten,

Verſchmaͤhte nicht, den herben Kelch zu trinken,

Damit ich ſeine Luſt nun ganz empfinde.
Und dennoch gleich' ich jenen Erz-Phantaſten:

Mir will mein Gluͤck ſo unermeßlich duͤnken,

Daß ich mir oft im wachen Traum verſchwinde.
[153]

An die Geliebte.

Wenn ich, von deinem Anſchaun tief geſtillt,

Mich ſtumm an deinem heil'gen Werth vergnuͤge,

Dann hoͤr' ich recht die leiſen Athemzuͤge

Des Engels, welcher ſich in dir verhuͤllt.
Und ein erſtaunt, ein fragend Laͤcheln quillt

Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betruͤge,

Daß nun in dir, zu ewiger Genuͤge,

Mein kuͤhnſter Wunſch, mein einz'ger ſich erfuͤllt?
Von Tiefe dann zu Tiefen ſtuͤrzt mein Sinn,

Ich hoͤre aus der Gottheit naͤcht'ger Ferne

Die Quellen des Geſchicks melodiſch rauſchen.
Betaͤubt kehr' ich den Blick nach Oben hin,

Zum Himmel auf — da laͤcheln alle Sterne;

Ich kniee, ihrem Lichtgeſang zu lauſchen.
[154]

Nur zu!

Schoͤn prangt im Silberthau die junge Roſe,

Den ihr der Morgen in den Buſen rollte,

Sie bluͤht, als ob ſie nie verbluͤhen wollte,

Sie ahnet nichts vom lezten Blumen-Looſe.
Der Adler ſtrebt hinan in's Grenzenloſe,

Sein Auge trinkt ſich voll von ſpruͤhndem Golde,

Er iſt der Thor nicht, daß er fragen ſollte,

Ob er das Haupt nicht an die Woͤlbung ſtoße.
Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,

Noch glaͤnzet ſie und reizt unwiderſtehlich,

Wer will ſo holdem Trug zu bald entſagen?
Und Liebe, darf ſie nicht dem Adler gleichen?

Doch fuͤrchtet ſie; auch fuͤrchten iſt ihr ſelig,

Denn all' ihr Gluͤck, was iſt's? ein endlos Wagen!
[155]

Charwoche.

O Woche, Zeugin heiliger Beſchwerde!

Du ſtimmſt ſo ernſt zu dieſer Fruͤhlingswonne,

Du breiteſt im verjuͤngten Strahl der Sonne

Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,
Und ſenkeſt ſchweigend deine Floͤre nieder:

Der Fruͤhling darf indeſſen immer keimen,

Das Veilchen duftet unter Bluͤthenbaͤumen

Und alle Voͤglein ſingen Jubellieder.
O ſchweigt, ihr Voͤglein auf den gruͤnen Auen!

Es ſchallen rings die dumpfen Glockenklaͤnge,

Die Engel ſingen leiſe Grabgeſaͤnge:

O ſtill, ihr Voͤglein hoch im Himmelblauen!
Ihr Veilchen, kraͤnzt heut keine Lockenhaare!

Euch pfluͤckt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,

Ihr wandert mit zum Muttergotteshauſe,

Da ſollt ihr welken auf des Herrn Altare.
Ach dort, von Trauermelodieen trunken

Und ſuͤß betaͤubt von ſchweren Weihrauchduͤften,

Sucht ſie den Braͤutigam in Todesgruͤften:

Und Lieb' und Fruͤhling, Alles iſt verſunken!
[156]

Tag und Nacht.

(Orientaliſch.)


Schlank und ſchoͤn ein Mohrenknabe

Bringt in himmelblauer Schuͤrze

Manche wunderſame Gabe,

Kuͤhlen Duft und ſuͤße Wuͤrze.

Wenn die Abendluͤfte wehen,

Naht er ſachte, kaum geſehen,

Hat ein Harfenſpiel zur Hand.
Auch der Saiten ſanftes Toͤnen

Kann man naͤchtlich lauſchend hoͤren;

Doch ſcheint Alles ſeiner Schoͤnen,

Ungetreuen zu gehoͤren.

Und er wandelt, bis am Haine,

Bis am See und Wieſenraine

Er die Spur der Liebſten fand.
Wohl ein Laͤcheln mag ſich leiſe

Dann ins ernſte Antlitz neigen,

Weiße Zaͤhne, ſchneeig-weiße,

Sich wie Sternenlichter zeigen.

Doch ihn faßt ein reizend Bangen,

Kommt von Ferne Sie gegangen,

Und er ſucht ſein dunkel Haus.
[157]
Liebchen tritt von Bergeshoͤhen

In das Thal: da wird es Freude!

Wald und Flur wie neu erſtehen

Vor dem Kind im Roſenkleide;

Alles draͤngt ſich nach der Suͤßen,

Alt und Jung will ſie begruͤßen,

Nur der Knabe bleibet aus.
Und doch iſt ein tiefes Ahnen

Von dem Fremdling ihr geblieben;

Wie ein Traum will ſie's gemahnen

An ein fruͤh gehegtes Lieben.

Glaͤnzen dann auf allen Wegen

Schmuck und Perlen ihr entgegen,

Denkt ſie wohl, wer es gebracht.
Schnell den Schleier vorgezogen,

Steht das Toͤchterchen in Thraͤnen,

Und der Mutter Friedensbogen

Neigt ſich thauend ihrem Sehnen;

Erd' und Himmel haben Frieden,

Aber ach, ſie ſind geſchieden,

Sind getrennt, wie Tag und Nacht.
[158]

Die Elemente.

῾Н γάϱ ἀποϰαϱαδοϰία τῆϛ ϰτίσεως
τήν ἀποϰάλυψιν τῶν υἱῶν τοῦ ϑεοῦ
ἀπεϰδέχεται.

Paulus a. d. Roͤm. 8, 19.
Am ſchwarzen Berg da ſteht der Rieſe,

Steht hoch der Mond daruͤber her;

Die weißen Nebel auf der Wieſe

Sind Waſſergeiſter aus dem Meer:

Ihrem Gebieter nachgezogen,

Vergiften ſie die reine Nacht,

Aus deren hochgeſchwungnem Bogen

Das volle Heer der Sterne lacht.
Still ſchaut der Herr auf ſeine Geiſter,

Die Fauſt am Herzen feſt geballt;

Er heißt der Elemente Meiſter,

Heißt Herr der toͤdtlichen Gewalt;

Ein Gott hat ſie ihm uͤbergeben,

Ach, ihm die ſchmerzenreichſte Luſt!

Und namenloſe Seufzer heben

Die ehrne, goͤttergleiche Bruſt.
Die Keule ſchwingt er jezt, die alte,

Vom Schlage droͤhnt der Erde Rund,

Dann ſpringt durch die gewalt'ge Spalte

Der Rieſenkoͤrper in den Grund.

[159]
Die feſt verſchloſſnen Feuer tauchen

Hoch aus uraltem Schlund herauf,

Da fangen Waͤlder an zu rauchen

Und praſſeln wild im Sturme auf.
Er aber darf nicht ſtill ſich fuͤhlen,

Beſchaulich im verborgnen Schacht,

Wo Gold und Edelſteine kuͤhlen

Und hellen Augs der Elfe wacht:

Nach einem unverruͤckten Willen,

Der bluͤht in der Geſtirne Flur,

Muß er die ew'gen Kraͤfte ſtillen

Mit Luſt und Schrecken der Natur.
Soll er den Flug von hundert Wettern

Laut donnernd durcheinander ziehn,

Des Menſchen Huͤtte niederſchmettern,

Verderben auf das Meerſchiff ſpruͤhn,

Da will das edle Herz zerreißen,

Da ſieht er ſchrecklich ſich allein:

Und doch kann er nicht wuͤrdig heißen,

Mit Goͤttern ganz ein Gott zu ſeyn.
Noch aber blieb ihm eine Freude,

Nachdem er Land und Meer bewegt,

Wenn er bei Nacht auf oͤder Haide

Die Sehnſucht ſeiner Seele pflegt.

Da haͤngen ungeheure Ketten

Aus tiefſtem Wolkenraum herab,

Dran er, als muͤßten ſie ihn retten,

Sich ſchwingt zum Himmel auf und ab.
[160]
Dort weilen roſige Geſtalten

In heitern Hoͤhen, himmliſch klar,

Und feſt an goldnen Seilen halten

Sie ſchweſterlich das Kettenpaar;

Sie liegen aͤngſtlich auf den Knieen

Und ſehen ſanft zum wilden Spiel,

Und wie ſie im Gebete gluͤhen,

Loͤst, wie ein Traum, ſich ſein Gefuͤhl.
Denn ihr Geſang toͤnt mild und leiſe,

Er ruͤhrt beruhigend ſein Ohr:

O folge harmlos deiner Weiſe,

Dazu Allvater dich erkor!

Dem Wort der Sterne kannſt du trauen,

Laß dein Gemuͤth in ihnen ruhn!

Das Tiefſte wirſt du endlich ſchauen,

Begreifen lernen all dein Thun.
Und wirſt nicht laͤnger menſchlich hadern,

Wirſt ſchaun der Dinge heil'ge Zahl,

Wie in der Erde warmen Adern,

Wie in dem Fruͤhlingsſonnenſtrahl,

Wie in des Sturmes dunkeln Falten

Des Vaters goͤttlich Weſen ſchwebt,

Den Faden freundlicher Gewalten,

Den Geiſt der holden Eintracht webt.
Einſt wird es kommen, daß auf Erden

Sich hoͤhere Geſchlechter freun,

Und heitre Angeſichter werden

Des Ewig-Schoͤnen Spiegel ſeyn,

[161]
Wo aller Engelsweisheit Fuͤlle

Der Menſchengeiſt in ſich gewahrt,

In neuer Sprachen Kinderhuͤlle

Sich alles Weſen offenbart.
Und auch die Elemente moͤgen

Die freie, gottbewußte Kraft

In Frieden auf und niederregen,

Die nimmermehr Entſetzen ſchafft;

Dann, wie aus Nacht und Duft gewoben,

Vergeht dein Leben unter dir,

Mit lichtem Blick ſteigſt du nach Oben,

Denn in der Klarheit wandeln wir.
Moͤrike, Gedichte. 11[162]

Schiffer- und Nixen-Mährchen.

I.
Vom Sieben-Nixen-Chor.

Manche Nacht im Mondenſcheine

Sizt ein Mann von ernſter Schoͤne,

Sizt der Magier Drakone

Auf dem Gartenhausbalkone

Mit Prinzeſſin Liligi;

Lehrt ſie allda ſeine Lehre

Von der Erde, von dem Himmel,

Von dem Traum der Elemente,

Vom Geſchick im Sternenkreiſe.
Laß es aber nun genug ſeyn,

Mitternacht iſt lang voruͤber, —

Spricht Prinzeſſin Liligi, —

Und nach ſolchen Wunderdingen,

Maͤchtigen und ungewohnten,

Luͤſtet mich nach Kindermaͤhrchen,

Lieber Mann, ich weiß nicht wie!
„Hoͤrſt du gern das Lied vom Winde,

Das nicht End' noch Anfang hat,

Oder gern vom Koͤnigskinde,

Gerne von der Muſchelſtadt?“
[163]
Singe du ſo heut wie geſtern

Von des Meeres Luſtrevier,

Von dem Haus der ſieben Schweſtern,

Und vom Koͤnigsſohne mir.
„Zwiſchen gruͤnen Waſſerwaͤnden

Sizt der Sieben-Nixen-Chor;

Waſſerroſen in den Haͤnden,

Lauſchen ſie zum Licht empor.
Und wenn oftmals auf der Hoͤhe

Schiffe fahren, ſchattengleich,

Steigt ein ſiebenfaches Wehe

Aus dem ſtillen Waſſerreich.
Dann, beim Spiel von Zauberglocken,

Drehn die Schweſtern ſich im Tanz,

Schuͤtteln wild die gruͤnen Locken

Und verlieren Gurt und Kranz.
Und das Meer beginnt zu ſchwanken,

Well' auf Welle ſteigt und ſpringt,

Alle Elemente zanken

Um das Schiff, bis es verſinkt.“
Alſo ſang in Zaubertoͤnen

Suͤß der Magier Drakone

Zu der lieblichen Prinzeſſin;

Und zuweilen, im Geſange,

Neiget er der Lippen Milde

11 *[164]
Zu dem feuchten Roſenmunde,

Zu den hyazintheblauen,

Schon in Schlaf geſenkten Augen

Der bethoͤrten Jungfrau hin.

Dieſe meint im leichten Schlummer,

Stets noch hoͤre ſie die Lehre

Von der Erde, von dem Himmel,

Vom Geſchick im Sternenkreiſe,

Doch zulezt erwachet ſie:
Laß es aber nun genug ſeyn!

Mitternacht iſt lang voruͤber,

Und nach ſolchen Wunderdingen,

Maͤchtigen und ungewohnten,

Luͤſtet mich nach Kindermaͤhrchen,

Lieber Mann, ich weiß nicht wie!
„Wohl! — Schon auf des Meeres Grunde

Sizt das Schiff mit Mann und Maus,

Und die Sieben in die Runde

Rufen: Schoͤnſter, tritt heraus!
Rufen zierlich mit Verneigen:

Komm! es ſoll dich nicht gereu'n;

Woll'n dir unſre Kammer zeigen,

Wollen deine Maͤgde ſeyn.
— Sieh, da tritt vom goldnen Borde

Der bethoͤrte Koͤnigsſohn,

Und zu der korallnen Pforte

Rennen ſie mit ihm davon.
[165]
Doch man ſah nach wenig Stunden,

Wie der Nixenbraͤutigam

Todt, mit ſieben rothen Wunden,

Hoch am Strand des Meeres ſchwamm.“
Alſo ſang in Zaubertoͤnen

Suͤß der Magier Drakone;

Und zuweilen, im Geſange,

Neiget er der Lippen Milde

Zu dem feuchten Roſenmunde,

Zu den hyazintheblauen,

Schon in Schlaf geſenkten Augen

Der bethoͤrten Jungfrau hin.
Sie erwacht zum andern Male,

Sie verlanget immer wieder:

Lieber Mann, ein Kindermaͤhrchen

Singe mir zu guter Lezt'!
Und er ſingt das lezte Maͤhrchen,

Und er kuͤßt die lezten Kuͤſſe;

Lied und Kuß hat ausgeklungen,

Aber ſie erwacht nicht mehr.

Denn ſchon war die dritte Woche,

Seit der Magier Drakone

Bei dem edeln Koͤnigskinde

Seinen falſchen Dienſt genommen;

Wohlberechnet, wohlbereitet,

Kam der lezte Tag heran.
[166]
Jetzo faſſet er die Leiche

Schwingt ſich hoch im Zaubermantel

Durch die Luͤfte zu dem Meere,

Rauſchet nieder in die Wogen,

Klopft an dem korall'nen Thor,

Fuͤhret ſo die junge Fuͤrſtin,

Daß auch ſie zur Nixe werde,

Als willkommene Genoſſin

In den Sieben-Nixen-Chor.

II.
Nixe Binſefuß.

Des Waſſermanns ſein Toͤchterlein

Tanzt auf dem Eis im Vollmondſchein,

Sie ſingt und lachet ſonder Scheu

Wohl an des Fiſchers Haus vorbei.
„Ich bin die Jungfer Binſefuß,

Und meine Fiſch' wohl huͤten muß,

Meine Fiſch' die ſind im Kaſten,

Sie haben kalte Faſten;

Von Boͤhmer-Glas mein Kaſten iſt,

Da zaͤhl' ich ſie zu jeder Friſt.
Gelt, Fiſcher-Matz? gelt, alter Tropf,

Dir will der Winter nicht in Kopf?

Komm' mir mit deinen Netzen!

Die will ich ſchoͤn zerfetzen!
[167]
Dein Maͤgdlein zwar iſt fromm und gut,

Ihr Schatz ein braves Jaͤgerblut.
Drum haͤng' ich ihr, zum Hochzeitſtrauß,

Ein ſchilfen Kraͤnzlein vor das Haus,

Und einen Hecht, von Silber ſchwer,

Er ſtammt von Koͤnig Artus her,

Ein Zwergen-Goldſchmieds-Meiſterſtuͤck,

Wer's hat, dem bringt es eitel Gluͤck:

Er laͤßt ſich ſchuppen Jahr fuͤr Jahr,

Da ſind's fuͤnf hundert Groͤſchlein baar.
Ade, mein Kind! Ade fuͤr heut!

Der Morgenhahn im Dorfe ſchreit.“

III.
Zwei Liebchen.

Ein Schifflein auf der Donau ſchwamm,

Drin ſaßen Braut und Braͤutigam,

Er huͤben und ſie druͤben.
Sie ſprach: Herzliebſter, ſage mir,

Zum Angebind' was geb' ich dir?
Sie ſtreift zuruͤck ihr Aermelein,

Sie greift in's Waſſer friſch hinein.
Der Knabe, der thaͤt gleich alſo,

Und ſcherzt mit ihr und lacht ſo froh.
[168]
Ach, ſchoͤne Frau Done, geb' ſie mir

Fuͤr meinen Schatz eine huͤbſche Zier!
Sie zog heraus ein ſchoͤnes Schwert,

Der Knab' haͤtt' lang ſo eins begehrt.
Der Knab', was haͤlt er in der Hand?

Milchweiß ein koͤſtlich Perlenband.
Er legt's ihr um ihr ſchwarzes Haar,

Sie ſah wie eine Fuͤrſtin gar.
Ach, ſchoͤne Frau Done, geb' ſie mir

Fuͤr meinen Schatz eine huͤbſche Zier!
Sie langt hinein zum andern Mal,

Faßt einen Helm von lichtem Stahl.
Der Knab' vor Freud' entſezt ſich ſchier,

Fiſcht ihr einen goldnen Kamm dafuͤr.
Zum Dritten ſie in's Waſſer griff:

Ach weh! da faͤllt ſie aus dem Schiff.
Er ſpringt ihr nach, er faßt ſie keck,

Frau Done reißt ſie Beide weg;
Frau Done hat ihr Schmuck gereut,

Das buͤßt der Juͤngling und die Maid.
Das Schifflein leer hinunter wallt;

Die Sonne ſinkt hinter die Berge bald.
[169]
Und als der Mond am Himmel ſtand,

Die Liebchen ſchwimmen todt an's Land,

Er huͤben und ſie druͤben.

IV.
Der Zauberleuchtthurm.

Des Zauberers ſein Maͤgdlein ſaß

In ihrem Saale, rund von Glas.

Sie ſpann beim hellen Kerzenſchein,

Und ſang ſo glockenhell darein;

Der Saal, als eine Kugel klar,

In Luͤften aufgehangen war

An einem Thurm auf Felſenhoͤh',

Bei Nacht hoch ob der wilden See,

Und hing in Sturm und Wettergraus

An einem langen Arm hinaus.

Wenn nun ein Schiff in Naͤchten ſchwer

Sah weder Rath noch Rettung mehr,

Der Lootſe zog die Achſel ſchief,

Der Hauptmann alle Teufel rief,

Auch der Matroſe wollt' verzagen:

O weh mir armen Schwartenmagen!

Auf einmal ſcheint ein Licht von fern

Als wie ein heller Morgenſtern;

Die Mannſchaft jauchzet uͤberlaut:

Heida! jezt gilt es trockne Haut!

Aus allen Kraͤften ſteuert man

Jezt nach dem theuren Licht hinan,

[170]
Das waͤchſt und waͤchſt und leuchtet faſt

Wie einer Zauberſonne Glaſt,

Darin ein Maͤgdlein ſizt und ſpinnt,

Sich beuget ihr Geſang im Wind;

Die Maͤnner ſtehen wie verzuͤckt,

Ein Jeder nach dem Wunder blickt

Und horcht und ſtaunet unverwandt,

Dem Steuermann entſinkt die Hand,

Hat Keiner auf das Schiff mehr Acht,

Bis es am Felſenriffe kracht.

Die Luft zerreißt ein Jammerſchrei:

Herr Gott im Himmel, ſteh' uns bei!

Da loͤſcht die Zauberin ihr Licht;

Noch einmal aus der Tiefe bricht

Verhallend Weh aus Einem Munde:

Da zuckt das Schiff und ſinkt zu Grunde.
[171]

Das luſtige Wirthshaus.

Ballade, beim Weine zu ſingen.


Nichts fuͤr ungut, lieber Leſer!
Jugendblut hat Uebermuth.


Die Burſchen.


Man lebet doch wie im Schlaraffenland hier,

Da ſchmauſet man fruͤhe wie ſpat;

Schon dreht ſich der Boden vor Wonne mit mir,

Kaum daß ich die Schwelle betrat!
Der Becher, ihr Herrn, wird nur gratis gefuͤllt:

Der Wirth iſt kein knauſiger Tropf,

Er fuͤhrt den Hanswurſt nicht vergeblich im Schild,

Man wirft euch das Geld an den Kopf.
Der Alte, man ſagt's, ſoll ein Zauberer ſeyn,

Er laͤchelt auch immer ſo ſchlau;

— Und ſeht nur, was treten fuͤr Kerl da herein!

Die Eule, der Storch und der Pfau!
Seht nur, wie manierlich die Racker ſich drehn!

Die Kratzfuͤß'! Ei Wetter, ſo ſchlag!

Sie nehmen ſich Stuͤhle — das muß ich geſtehn,

So was ſieht man nicht alle Tag.
Mein Alter am Faͤßchen, er zapfet den Wein

Und haͤlt ſich vor Lachen den Bauch;

Rebekke ſchenkt ihnen vom feurigſten ein

Und zierlich kredenzt ſie ihn auch.
[172]
Nun ſitzen ſie ſteif wie Profeſſorsleut' da,

Und laſſen das Glas unberuͤhrt,

Wir Herren vom Humpen ſind ihnen zu nah':

Man hat ſich leicht compromittirt.
Nur ruhig, und kehrt euch noch gar nicht an ſie!

Die fuͤhren ihr Muͤthlein im Sack;

Es iſt nur erlogene Pedanterie,

Sie ſind das verſoffenſte Pack.
Inzwiſchen, mein ſchoͤnes, ſchwarzaugiges Kind,

Komm, ſing' uns was Luſtiges vor!

Das Maͤdchen.


Das kann ja geſchehen; die Herren dann ſind

So guͤtig und machen den Chor.

(Dieſelbe faͤhrt fort mit der Zither:)


— Mein Vater, der hatte drei Krebſe zum Schild,

Da ſprachen die Leute nicht ein:

Nun fuͤhrt er den ſcheckigen Narren im Bild,

Er ſelber trinkt aber den Wein.

Chor.


Heida! ſa ſa!

Er ſelber trinkt aber den Wein.

Maͤdchen.


Auch ſeht ihr ja wohl, wie ſo herrlich das lauft,

Man denkt, es waͤr Kirmeß im Haus;

Und wenn man uns Betten und Stuͤhle verkauft,

Wir lachen die Leute noch aus.
[173]

Chor.


Heida! ſa ſa!

Ihr lachet die Leute noch aus.

Maͤdchen.


Mein Vater, heißt's, hab' ein klein Maͤnnlein im Sold,

Ein Maͤnnlein, ſo fein und ſo klug,

Und wenn er nur moͤchte und wenn er nur wollt',

Wir haͤtten Dukaten genug.

Chor.


Heida! ſa ſa!

Ihr haͤttet Dukaten genug.

Maͤdchen.


Das laſſ' ich nun gerne dahin geſtellt ſeyn;

Was kuͤmmert mich Silber und Gold!

Und zoͤg' ich auf Bettel Land aus und Land ein,

Mein Schaͤtzchen das bliebe mir hold.

Chor.


Heida! ſa ſa!

Dein Schaͤtzchen das bliebe dir hold.

Maͤdchen.


Denn ich und des Schaͤfers ſein luſtiger Franz,

Wir ziehn wie die Voͤgel ſo frei,

Ich ſpiele die Zither, das Hackbrett zum Tanz,

Mein Liebſter, der ſpielt die Schalmei.

Chor.


Heida! ſa ſa!

Dein Liebſter, der ſpielt die Schalmei.
[174]

Maͤdchen.


Und wenn meine Mutter Frau Kaiſerin waͤr',

Haͤtt' ich Kleider und ſeidene Schuh',

Ich gaͤb' doch den herzigen Jungen nicht her,

Gaͤb' ihm Kron' und Zepter dazu.

Chor.


Heida! ſa ſa!

Gaͤbſt ihm Kron' und Zepter dazu.

Maͤdchen.


Doch ſeht mir nur dort das Profeſſorsvolk an!

Das jauchzet und tanzet und hopft!

Der Storch und der Pfau und die Eule voran!

Mein Seel, ſie ſind Alle bezopft!

Chor.


Heida! ſa ſa!

Mein Seel, ſie ſind Alle bezopft!
[175]

Mährchen vom ſichern Mann.

An Louis B.


Soll ich vom ſicheren Mann ein Maͤhrchen erzaͤhlen, ſo
hoͤre!

— Etliche ſagen, ihn habe die ſteinerne Kroͤte geboren:

Alſo heißt ein maͤchtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬
walds,

Bauchig und oben platt, der haͤßlichen Kroͤte vergleichbar.

Darin lag er und ſchlief bis nach den Tagen der Suͤnd¬
fluth.

Naͤmlich es war ſein Vater ein Waldmenſch, tuͤckiſch und
grauſam,

Allen Goͤttern ein Graͤul und allen Nymphen gefuͤrchtet.

Ihm nicht voͤllig gleich iſt der Sohn, doch immer ein Un¬
hold;

Rieſenhaft an Geſtalt, von breitem Ruͤcken und Schultern.

Ehmals ging er faſt nackt, unehrbarlich, aber ſeit Menſchen-

Denken im grauen wollenen Rock, mit ſchrecklichen Stiefeln.

Graue Borſten traͤget ſein Haupt, es ſtarret der Bart ihm.

(Heimlich, ſo heißt's, beſucht ihn der Igelslocher Balbierer

In der Hoͤhle, wo er ihm dient wie der ſorgſame Gaͤrtner,

Wenn er die Hecken ſtuzt mit der unermeßlichen Scheere.)

Lauter Nichts iſt ſein Thun und voller thoͤrichter Grillen:

Wenn er niederſteigt vom Gebirg bei naͤchtlicher Weile,

Laut mit ſich ſelber redend, und oft ingrimmigen Herzens

Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt

[176]
(Dieſe haſſet er auf den Tod, gewißlich ohn' Urſach'),

Oder wenn er zur Winterzeit in's beſchneiete Blachfeld

Sich der Laͤnge nach ſtreckt und, aufgeſtanden, an ſeinem

Conterfei ſich ergoͤzt mit bergerſchuͤtterndem Lachen.
Aber nun lag er einmal Mittags in ſeiner Behauſung,

Seinen Ruͤbenfraß zu verdauen, welcher ihm ſuͤß daͤucht.

Ploͤtzlich erfuͤllet wonniger Glanz die Waͤnde der Hoͤhle,

Lolegrin tritt herein, der liebliche Goͤtterjuͤngling,

Welcher ein Luſtigmacher heißt der ſeligen Goͤtter,

(Sonſt nur auf Orplid * geſehn, die andern Lande ver¬
meidend)

Weyla's ſchalkiſcher Sohn, mit dem Narrenkranz um die
Schlaͤfe,

Zierlich aus blauen Glocken und Kuͤchenſchelle geflochten.

Er nun redet den Ruhenden an mit truͤglichem Ernſte:

„Suckelborſt, ſicherer Mann, ſey gegruͤßt! und hoͤre ge¬
traulich,

Was die Himmliſchen dir durch meine Sendung entbieten.

— Saͤmmtlich ehren ſie deinen Verſtand und gute Ge¬
muͤthsart,

So wie deine Geburt: es war dein Vater ein Halbgott,

Und deßgleichen hielten ſie dich ſtets; aber in Einem

Biſt du ihnen nicht recht: das ſollſt du jetzo vernehmen.

Lieber, bleibe nur liegen getroſt! ich ſetze mich unten

Auf den Abſatzrand hier deines wuͤrdigen Stiefels,

Der wie ein Felsblock ragt, und unſchwer bin ich zu tragen.

[177]
— Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Rieſenkroͤte,

Seine Goͤtterkraft in ihrem Leibe verſchließend,

Da ſie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfaͤngniß

Ward ſie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte
den Geiſt aus;

Ader du ſchliefeſt im Mutterleibe neun Monden und druͤber,

Denn im zehnten kamen die großen Waſſer auf Erden.

Vierzig Tage lang ſtroͤmte der Regen und vierzig Naͤchte

Auf die ſuͤndige Welt, ſo Thiere wie Menſchen erſaͤufend;

Eine einzige See war uͤber die Lande ergoſſen,

Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel.

Aber du lageſt zufrieden in deinem Felſen verborgen,

So wie die Auſter ruht in feſt verſchloſſenen Schalen,

Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.

Goͤtter ſegneten deinen Schlaf mit hohen Geſichten,

Zeigten der Schoͤpfung Heimliches dir, wie Alles geworden;

Erſt, wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤn¬
gert,

Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte, zuſammt den Ge¬
ſtirnen,

Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden begruͤnte,

Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,

Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt
wohnt,

Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind Beide.

Ferner ſang dir dein Traum der Voͤlker ſpaͤteſte Zukunft,

Auch der Throne Wechſelgeſchick, der Koͤnige Thaten,

Ja, du ſahſt den verborgenen Rath der ewigen Goͤtter.

Solches goͤnnten ſie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer

Oder Seher, das Unerhoͤrte wiederum kuͤndeſt,

Moͤrike, Gedichte. 12[178]
Nicht den Menſchen ſowohl, die da leben und wandeln
auf Erden, —

Ihnen dient nur wenig zu wiſſen —, ſondern den Geiſtern

In der Schattenwelt, den alten Weiſen und Helden,

Welche traurig ſitzen und forſchen das hohe Verhaͤngniß,

Schweigſam immerdar, des erquicklichen Wortes entbehrend.

Aber vergebens harren ſie dein, dieweil du ja gaͤnzlich

Deines erhabnen Berufs vergiſſeſt. Laß mich nur offen

Dir geſtehen, ſo wie du es bisher getrieben, erſcheinſt du

Weder ein Halbgott, noch ein Begeiſteter, ſondern ein
Schweinpelz,

Graͤulichem Ruͤbenfraß ergeben, ſinnſt du nur Unheil;

Steigeſt des Nachts in den Fluß, bis uͤber die Kniee ge¬
ſtiefelt,

Trennſt die Baͤnder los an den Floͤßen und ſchleuderſt die
Balken

Weit hinein in das Land, den ehrlichen Floͤßern zum
Torten.

Tagelang trollſt du muͤßig umher im wilden Gebirge,

Ahmeſt das Grunzen des Keulers nach und lockeſt ſein
Weibchen,

Greifeſt, wenn ſie nun rennt durch den Buſch, die Sau
bei den Ohren,

Zwickſt die Wuͤthende, grauſam dich weidend an ihrem
Geſchreie.

Siehe, dies wiſſen wir wohl, denn Alles ſehen die Goͤtter.

Aber reize ſie laͤnger nicht mehr, es moͤchte dich reuen!

Schmeidige doch ein Weniges deine borſtige Seele!

Suche zuſammen dein Wiſſen und lichte die rußigen
Kammern

[179]
Deines Gehirns, beſinne dich wohl auf Alles und Jedes,

Was dir offenbart iſt, dann nimm den Griffel und
zeichn' es

Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;

Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! ſicherlich weißt du

Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht
ſchreckt,

Denn du biſt ja der ſichere Mann mit den wackeren
Stiefeln.

Jetzo ſey es genug. Bewahre mein Wort im Gedaͤchtniß,

Lieber! und alſo ſcheid' ich. Ade! wir ſehen uns wieder.“
Sprach's, der ſchelmiſche Gott, und ließ den Alten
alleine.

Dieſer war wie verſtuͤrzt, und ſtand ihm faſt der Verſtand
ſtill.

Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,

Schandbare Worte zumal, gottloſe, nicht zu beſchreiben.

Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empoͤrung,

Hielt er inne und ſchwieg, denn es gemahnte der Geiſt
ihn,

Nicht zu trotzen den Himmliſchen, deren doch immer die
Macht iſt,

Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wuͤhlt ſein
Gedanke

Ruͤckwaͤrts durch der Jahrtauſende Wuſt, bis tief wo er
ſelber,

Noch ein Ungeborener, traͤumte die Wehen der Schoͤ¬
pfung,

(Denn ſo ſagte der Gott, und Goͤtter werden nicht luͤgen).

12 *[180]
Aber da daͤucht' es ihm Nacht, dickfinſtere; wo er umher¬
tappt,

Nirgend iſt noch ein Halt und noch kein Nagel geſchlagen,

Anzuhaͤngen die Wucht der zentnerſchweren Gedanken,

Welche der Gott ihm erregt' in ſeiner erhabenen Seele.

Und ſo kam er zu Nichts und ſchwitzete wie ein Ma¬
giſter.

Endlich ward ihm geſchenkt, daß er ſich dahin bedachte:

Erſt ein Buch ſich zu ſchaffen, ein unbeſchriebenes, großes,

Seinen Faͤuſten gerecht und werth des kuͤnftigen Inhalts.

Wie er Solches erreicht, o Muſe, dies hilf mir verkuͤnden!
Laͤngſt war die Sonne hinab und Nacht beherrſchte den
Erdkreis

Seit vier Stunden, da hebt der ſichere Mann ſich vom
Lager,

Setzet den runden Hut auf das Haupt, den Wanderſtab
faßt er

Und verlaͤſſet die Hoͤhle. Gemaͤchlich ſteigt er bergaufwaͤrts,

Redt mit ſich ſelber dabei und brummt nach ſeiner Ge¬
wohnheit.

Aber jetzo hub ſich der Mond in leuchtender Schoͤne

Rein am Forchenwalde herauf und erhellte die Gegend,

Sammt der Hoͤhe von Igelsloch, wo nun Suckelborſt an¬
langt.

Eben hatte der Waͤchter die zwoͤlfte Stunde gerufen,

Alles iſt ruhig im Dorf und nirgend Licht mehr zu ſehen,

Nicht in den Kunkelſtuben geſellig ſpinnender Maͤgdlein,

Nicht am einſamen Stuhle des Webers oder im Wirthshaus,

[181]
Mann und Weib liegt im Bette, die Laſt des Tages
verſchlafend.

Sachte tritt Suckelborſt nun vor die naͤchſtgelegene Scheuer,

Mißt mit wohlgefaͤlligem Aug' ſo Hoͤhe wie Breite

Beider Fluͤgelthore (ſie waren nicht von den kleinſten,

Aber er ſelbſt war groͤßer denn ſie, dieweil er ein Rieſe),

Dann betrachtet er Schloß und Riegel, kneipt mit dem
Finger

Ab den Globen und oͤffnet das Thor und hebet die Fluͤgel

Aus den Angeln und lehnt an die Wand ſie uͤbereinander.

Alsbald ſchaut er ſich um nach des Nachbars Scheuer und
ſchreitet

Zu demſelben Geſchaͤft und raubt die maͤchtigen Thore,

Stellt zu den vorigen ſie an die Wand, und alſofort
macht er

Weiter im Gaͤßchen hinauf, bis er dem fuͤnften und
ſechsten

Bauern auf gleiche Weiſe die Tenne geluͤftet. Am Ende

Ueberzaͤhlt er die Stuͤcke: es waren eben ein Dutzend

Blaͤtter, und fehlte nur noch, daß er mit ſauberen
Stricken

Hinten die Angel-Oehre verband, da war es ein Schreib¬
buch,

Gar ein ſtattliches; doch dies war ein Geſchaͤft fuͤr da¬
heime.

Alſo nimmt er es unter den Arm, das Werk, und trollt ſich.
Unterdeß war der ſchnarchenden Bauern Einer vom
Schlafe

Aufgeſchauert und hoͤrte des ſchwer-Entwandelnden Fußtritt.

[182]
Haſtig entrauſcht er dem Lager und ſtoͤßt am niedrigen
Fenſter

Raſch den Schieber zuruͤck und horcht und ſieht mit Ent¬
ſetzen

Rings im mondlichen Dorf der Scheuern finſtere Nachen

Offen ſtehn; da faͤhrt er voll Angſt in die lederne Hoſe

(Beide Fuͤße verkehrt den linken macht er zum rechten),

Ruͤttelt ſein Weib und redet zu ihr die eifrigen Worte:

„Kaͤthe, ſteh' auf! der ſichere Mann — ich hab' ihn ver¬
nommen —

Hat im Flecken uͤbel handthiert und die Scheuern ge¬
pluͤndert!

Sieh mir im Hauſe nach und im Stall! Ich laufe zum
Schulzen.“

Alſo ſtuͤrmt er hinaus. Doch im Hofe thut er erſt ſelber

Einen Blick in die Staͤlle, ob auch das Vieh noch vor¬
handen.

Aber da fehlte kein Stuͤck, und die Schecke muht ihm
entgegen,

Meint, es waͤr' Fuͤtternszeit; er aber eilt in die Gaſſe,

Klopft unterwegs dem Buͤttel am Laden und ruft ihm
das Wort zu:

„Michel, ſteh' auf! mach' Laͤrm! der Suckelborſt hat den
Flecken

Heimgeſucht und die Scheuern erbrochen und uͤbel gewirth¬
ſchaft't!“

Solches noch redend war er ſchon weiter und weckte den
Schultheiß,

Weckte den Burgermeiſter und alle ſeine Gefreundte.
[183]
Alsbald werden die Straßen lebendig, es ſtaunen die
Maͤnner,

Stoßen Verwuͤnſchungen aus, es lamentiren die Weiber.

Jeder durchſuchet ſeinen Beſitz und, halb nur getroͤſtet,

Keinen groͤßeren Schaden zu finden, fallen mit Unrecht

Etliche uͤber den Nachtwaͤchter her und ſchreien: „Du
Schlafratz!

Du keinnuͤtziger Tropf!“ und ballen die baͤuriſchen Faͤuſte,

Ihn zu blaͤuen, und nehmen auch nur mit Muͤhe Ver¬
nunft an.

Endlich zerſtreuen ſie ſich zur Ruhe; doch ordnet der
Schultheiß

Wachen an auf den Fall, daß der Unhold noch einmal
kaͤme.
Suckelborſt hatte nunmehr die Hoͤhle wieder gewonnen,

Welche von vorne gar weit und hoch in den Felſen ſich
woͤlbte,

Duftende Kiefern umſchatteten rieſenmaͤßig den Eingang.

Hier dann leget er nieder die ungeheueren Thore,

Und ſich ſelber zugleich, des goldenen Schlafes genießend.
Aber ſobald die Sonne nur zwiſchen den Baͤumen
hereinſchien,

Gleich an die Arbeit machet er ſich, die Thore zu heften,

Saubere Stricke lagen bereit, geſtohlene freilich;

Und er ordnet die Blaͤtter mit ſinnigen Blicken und fuͤget

Vorn und hinten die ſchoͤnſten zur Decke (ſie waren des
Schulzen,

Kuͤnſtlich uͤber das Kreuz mit rothen Leiſten beſchlagen).
[184]
Aber auf einmal nun in des ſtattlichen Werkes Be¬
trachtung

Waͤchst ihm der Geiſt, und er nimmt die maͤchtige Kohle
vom Boden,

Legt vor das offene Buch ſich nieder und ſchreibet aus
Kraͤften,

Grad' und krumme Strich', in unnachſagbaren Sprachen,

Krazt und ſchreibt und brummelt dabei nach ſeiner Ge¬
wohnheit.

Anderthalb Tag handthieret er ſo, kaum goͤnnet er Zeit
ſich,

Speiſe zu nehmen und Trank, bis die lezte Seite ge¬
fuͤllt iſt.

Endlich folget am Schluſſe das Punktum, groß wie ein
Kindskopf.

Tief aufathmend erhebet er ſich, das Buch zuſchmetternd.
Jetzo, nachdem er das Herz ſich geſtaͤrkt mit reichlicher
Mahlzeit,

Nimmt er den Hut und den Stock und reiſet. Auf ein¬
ſamen Pfaden

Immer gen Mitternacht laͤuft er: dies iſt der Weg zu
den Todten.

Schon mit dem fuͤnften Morgen erreicht er die finſtere
Pforte.

Purpurn ſtreifte ſo eben die Morgenroͤthe den Himmel,

Welche den lebenden Menſchen das Licht des Tages ver¬
kuͤndet,

Als er hinunterſtieg, furchtlos, die felſigen Hallen.

Aber er hatte der Stunden noch zweimal zwoͤlfe zu wandeln

[185]
Durch der Erde gewundenes Ohr, wo ihn Lolegrin heimlich

Fuͤhrete, bis er die Schatten erſah, die, luftig und
ſchwebend,

Daͤmmernde Raͤume bewohnen, die Boͤſen ſo wie die Guten.
Vorn am Eingang ſammelte ſich unliebſamer Kehricht

Niederen Volks, betruͤgliche Kraͤmer, Kuppler und Metzen,

Lauſige Dichter auch und unzaͤhlbares Geſindel.

Dieſe, zu ſchwatzen gewohnt, zu ſcherzen oder zu fluchen,

Muͤhten vergebens ſich ab, zu erheben die lispelnde
Stimme —

Denn hellklingendes Wort iſt nicht den Todten verliehen —

Und ſo winkten ſie nur mit heftig bewegter Geberde,

Stießen und zerrten einander wie im Gewuͤhle des Jahr¬
markts.

Aber weiter hinein ſah man die edleren Geiſter,

Prieſter, Koͤnige, Helden; geſchmuͤckt mit ewigem Lorbeer,

Ruhig ergingen ſie ſich und ſaßen, Manche zuſammen,

Manche fuͤr ſich, und es ſchied die weit zerſtreueten Gruppen

Huͤgel und Fels und Gebuͤſch und die finſtere Wand der
Cypreſſen.
Kaum nun war der ſichere Mann in der Pforte er¬
ſchienen,

Aufrecht die hohe Geſtalt, mit dem Welt-Buch unter dem
Arme:

Sieh, da betraf die Schatten am Eingang toͤdtliches Schrecken.

Auseinander ſtoben ſie all', wie Kinder vom Spielplatz,

Wenn es im Dorfe nun heißt: „Der Hummel iſt los!“
und „da kommt er!“

[186]
Doch der ſichere Mann, vorſchreitend, winkete gnaͤdig

Rings herum, da kamen ſie naͤher, ſtanden und gafften.
Suckelborſt lehnet nunmehr ſein maͤchtiges Manu¬
ſcriptum

Gegen den kleinen Huͤgel, den rundlichen, welchem gen¬
uͤber

Er ſelbſt Platz zu nehmen gedenkt auf mooſigem Felsſtuͤck.

Doch erſt leget er Hut und Stock bedaͤchtig zur Seite,

Streicht mit der breiten Hand den beißenden Schweiß von
der Stirne,

Raͤuſpert ſich, daß die Hallen ein praſſelndes Echo ver¬
ſenden,

Sitzet nieder ſodann und beginnt den erhabenen Vortrag;

Wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤngert,

Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte zuſammt den Ge¬
ſtirnen,

Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden be¬
gruͤnte,

Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,

Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt
wohnt,

Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind
Beide.
Solches lehrte der Alte, und ſtill aufhorchten die
Schatten.

Aber es hatte der Teufel, das ſchwarze, gehoͤrnete Scheuſal,

Sich aus fremdem Gebiet des unterirdiſchen Reiches

Unberufen hier eingedraͤngt, neugierig und boshaft —

[187]
So wie er manchmal pflegt, wenn er Kundſchaft ſuchet
und Kurzweil —

Und er ſtellte ſich hinter den Alten, ihn zu verhoͤhnen,

Schnitt Geſichter, reckte die Zung' und machete Purzel-

Baͤum', als ein Aff', und reizte die Seelen beſtaͤndig, zu
lachen.

Wohl bemerkt' es der ſichere Mann, doch that er nicht
alſo,

Sondern redete fort, in wuͤrdiger Ruhe beharrend.

Indeß trieb es der Andere nur um deſto verwegner:

Schob am Ende den Schwanz, den wuchtigen, langen, dem
Alten

In die Hintertaſche des Rocks, als wenn es ihn froͤre:

Ploͤtzlich greifet der ſichere Mann nach hinten und packet

Mit der Rechten den Schweif gewaltig und reißet ihn
ſchnellend

Bei der Wurzel heraus, daß es kracht' — ein graͤßlicher
Anblick!

Lautauf bruͤllet der Boͤſe, die Tatzen gedeckt auf die
Wunde,

Dreht im raſenden Schmerz wie ein Kreiſel ſich, ſchreiend
und winſelnd,

Und es ſchoß ihm das Blut wie heißes Pech aus der
Wunde.

Jezt, wie ein Pfeil, zur Seite gewendet, ſchmaͤhlich ent¬
rinnt er

Durch die ſchnell eroͤffnete Gaſſe der ſtaunenden Seelen,

Nach der eigenen Hoͤlle verlangend, wo er zu Haus war.

Und man hoͤrte noch weit aus der Ferne des Fluͤchtigen
Wehlaut.
[188]
Aber es ſtanden die Schaaren umher von Grauſen ge¬
feſſelt,

Ehrfurchtsvoll die Augen zum ſicheren Manne erhoben.

Dieſer hielt noch und wog den wuchtigen Schweif in den
Haͤnden,

Den bisweilen zuckender Schmerz noch leiſe bewegte;

Sinnend ſchaut' er ihn an und ſprach die prophetiſchen
Worte:
„Wie viel Mal thut der ſichere Mann dem Teufel ein
Leides?

Erſtlich heute, wie eben geſchehn, ihr ſaht es mit Augen.

Dann ein zweites, ein drittes Mal in der Zeiten Voll¬
endung:

Dreimal rauft der ſichere Mann dem Teufel den Schweif
aus.

Solcher ſproſſet ihm zwar von Neuem, aber nicht ganz mehr,

Sondern kuͤrzer, je um ein Drittel, bis daß er welket.

Gleichermaßen vergeht dem Boͤſen der Muth und die
Staͤrke,

Kindiſch wird er und alt und ein Bettler, Allen verachtet.

Dann wird ein Jubel ſeyn in der Unterwelt und auf
der Erde,

Aber der ſichere Mann wird ein lieber Genoſſe den Goͤttern.“
Dies geſprochen, legt er den Schweif in das Buch als
ein Zeichen,

Sorgſam, daß oben noch juſt der haarige Buͤſchel herausſah:

„So! da machen wir denn ein ander Mal weiter!“ und
— Baſta

[189]
Schlaͤgt er den Deckel zu des ungeheueren Werkes,

Faßt es unter den Arm, nimmt Hut und Stock und em¬
pfiehlt ſich.
Unermeßliches Beifallklatſchen des ſaͤmmtlichen Poͤbels

Folgte dem Trefflichen nach, bis er ganz in der Pforte
verſchwunden,

Und es rauſchte noch lang und toſete ſchwaͤrmende Freude.
Aber Lolegrin hatte, der Gott, das ganze Spektakel

Heimlich mit angeſehn und gehoͤrt, in Geſtalt der Cicade

Auf dem hangenden Zweig der ſchwarzen Weide ſich wiegend.

Jetzo verließ er den Ort und ſchwang ſich empor zu den
Goͤttern,

Ihnen treulich zu melden die Thaten des ſicheren Mannes

Und das himmliſche Mahl mit ſuͤßem Gelaͤchter zu wuͤrzen.
[190]

Geſang Weyla's.

Du biſt Orplid, mein Land!

Das ferne leuchtet;

Vom Meere dampfet dein erwaͤrmter Strand

Den Nebel, ſo der Goͤtter Wange feuchtet.
Uralte Waſſer ſteigen

Verjuͤngt um deine Huͤften, Kind!

Vor deiner Gottheit beugen

Sich Koͤnige, die deine Waͤrter ſind.
[191]

Der Tambour.

Wenn meine Mutter hexen koͤnnt',

Da muͤßt' ſie mit dem Regiment

Nach Frankreich, uͤberall mit hin,

Und waͤr' die Markedenterin.

Im Lager, wohl um Mitternacht,

Wenn Niemand auf iſt als die Wacht,

Und Alles ſchnarchet, Roß und Mann,

Vor meiner Trommel ſaͤß' ich dann:

Die Trommel muͤßt' eine Schuͤſſel ſeyn,

Ein warmes Sauerkraut darein,

Die Schlegel Meſſer und Gabel,

Eine lange Wurſt mein Sabel,

Mein Tſchako waͤr' ein Humpen gut,

Gefuͤllet mit Burgunderblut,

Und weil es mir an Lichte fehlt,

Da ſcheint der Mond in mein Gezelt,

Scheint er auch auf Franzoͤ'ſch herein,

Mir faͤllt doch meine Liebſte ein:

Ach weh! jezt hat der Spaß ein End'!

— Wenn nur meine Mutter hexen koͤnnt'!
[192]

Die Soldatenbraut.

Ach, wenn's nur der Koͤnig auch wuͤßt',

Wie wacker mein Schatzelein iſt!

Fuͤr den Koͤnig, da ließ er ſein Blut,

Fuͤr mich aber eben ſo gut.
Mein Schatz hat kein Band und kein' Stern,

Kein Kreuz wie die vornehmen Herrn,

Mein Schatz wird auch kein General:

Haͤtt' er nur ſeinen Abſchied einmal!
Es ſcheinen drei Sterne ſo hell

Dort uͤber Marien-Kapell;

Da knuͤpft uns ein roſenroth Band,

Und ein Hauskreuz iſt auch bei der Hand.
[193]

Auftrag.

An S.


In poetiſcher Epiſtel

Ruft ein deſperater Wicht

Aus dem Ton der hoͤchſten Fiſtel:

Schurke, warum ſchreibt Er nicht?!
Weiß Er doch, es laſſen Herzen,

Die die Liebe angeweht,

Ganz und gar nicht mit ſich ſcherzen,

Und nun vollends ein Poet!
Denn ich bin von dem Gelichter,

Dem der Kopf beſtaͤndig voll:

Bin ich auch nur halb ein Dichter,

Bin ich doch zur Haͤlfte toll.
Amor hat Ihn mir verpflichtet,

Und fuͤrwahr, der durft' es ſchon,

Denn der Mund, der Ihm berichtet,

Reicht zugleich den Botenlohn.
Paſſ' Er denn zur guten Stunde,

Wenn Sein Schatz durch's Laͤdchen ſchaut

Lock' ihr jedes Wort vom Munde,

Das mein Schaͤtzchen ihr vertraut.
Moͤrike, Gedich[t][e] 13[194]
Schreib' Er mir dann von dem Maͤdchen

Ein halb Dutzend Bogen voll,

Und daneben ein Traktaͤtchen,

Wie ich mich verhalten ſoll.
[195]

Unſer Friz.

(d. 3. Maͤrz 1827.)


Unſer Friz richt't ſeinen Schlag,

Wollt' ein Meislein fangen,

Doch weil ihm denſelben Tag

Keines drein gegangen,

Wird dem Friz zu lang die Zeit,

Denkt: ich hab' umſonſt geſtreut,

Will ja keine kommen.
Nach acht Tagen faͤllt ihm ein,

Im Garten zu ſpazieren:

Es iſt ſchoͤner Sonnenſchein,

Man kann nicht erfrieren;

Und am alten Apfelbaum

Kommt's ihm ploͤtzlich wie im Traum:

Ob der Schlag gefallen?
„Ja! es ſizt ein Vogel drinn!

Aber, weh! o wehe!

Das iſt trauriger Gewinn:

Todt, ſo viel ich ſehe!

— Aber was kann ich dafuͤr?

Sicher hat das dumme Thier

Sich zu todt gefreſſen!“
13 *[196]
So troͤſt't ſich dein Moͤrder wohl,

Der dich hungern laſſen,

Aber ich vor Leid und Groll

Weiß mich nicht zu faſſen!

Haſt alle Broͤslein aufgepickt,

Haſt dann vergebens umgeblickt,

Wo noch ein Koͤrnlein waͤre!
Ihr andern Voͤglein alleſammt,

Wohl unterm blauen Himmel!

Ihr habt mit Wehgeſang verdammt

Den Vogelſteller-Luͤmmel.

Ach, Eines ſtarb ſo balde, bald!

Eben da in Feld und Wald

Der Fruͤhling wollte kommen.
[197]

Einer verehrten Frau
zum Geburtstage, mit einem Blumenſtock.

Man ſagt, an ſolchen Tagen ſey es Pflicht,

Sich ſelber einen Spiegel vorzuhalten;

Ich bring' ihn Dir; verſchmaͤh' dies Bluͤmchen nicht,

Es ſoll Dir Deinen eignen Werth entfalten.
Sieh' der beſcheidenen Reſeda Bluͤthe,

Ein Bild der Menſchenfreundlichkeit,

Die ohne Prunk, voll innerer Herzensguͤte,

Den Wohlgeruch der thaͤt'gen Liebe ſtreut.
[198]

Die Viſite.

Philiſter kommen angezogen:

Man ſucht im Garten mich und Haus;

Doch war der Vogel ausgeflogen

Zum vielgeliebten Wald hinaus.

Sie kommen, mich auch da zu ſtoͤren;

Schon heißt es: Horcht! die Nachtigall!

— Gleich laſſ' ich mich als Gukuk hoͤren,

Bin nirgends und bin uͤberall.
So fuͤhrt' ich ſie, nur wie im Traume,

Als Puck im ganzen Wald herum;

Ich pfiff und ſang von jedem Baume,

Sie ſahn ſich faſt die Haͤlſe krumm.

Nun ſchalten ſie: Verfluchte Poſſen!

Der Sonderling, der Grobian!

Da komm' ich grunzend angeſchoſſen,

Ein Eber, mit gefletſchtem Zahn.
Mit Schrei'n, als wenn der Boden brennte,

Zerſtob ein Theil im wilden Lauf,

Die Andern kletterten behende

Den naͤchſten beſten Baum hinauf;

Sie krochen weislich bis zum Wipfel,

Und ſahen nicht einmal zuruͤck,

Doch ich als Eichhorn ſaß im Gipfel:

Ich gruͤße ſie und wuͤnſche Gluͤck.
[199]
„Ei, welch ein allerliebſtes Spaͤßchen!

Gott gruͤß' euch, ſchoͤne Fraun und Herrn!

Sie kommen, hoff' ich, auf ein Taͤßchen

Eichel-Kaffee? Von Herzen gern!“

— Allein ſie fanden's nicht gemuͤthlich

In dieſer ungewohnten Hoͤh'.

So ſchieden wir fuͤr heute guͤtlich;

Doch wehe meiner Renommée!
[200]

An —

Ei, wer haͤtt' es je gemeint,

Fraͤulein Ludovike!

Hat man denn, ſo lieb man ſcheint,

Auch geheime Tuͤcke?
Maͤdchen! wer ergruͤndet euch?

Raͤthſel ohne Ende!

Arg und falſch und engelgleich,

Wer das reimen koͤnnte!
O, nicht ſuͤßen Honig nur

Fuͤhren eure Lippen;

Und ſo ſeyd ihr von Natur

Liebliche X — — —.
[201]

An Florentine.

Wildes Maͤdchen! ſchau mir doch

Einmal recht in's Auge!

Ob ſo gar nichts dir darin

Nur ein wenig tauge?
Zwar dein liebes Bild haſt du

Oefters drin geſehen,

Freuteſt auch des Spiegels dich,

Laͤß'ſt ihn wieder ſtehen.
Doch ſo mußt du mehr und mehr

Dir darin gefallen,

Und am Ende bleibt er dir

Lieb und werth vor allen.
[202]

Der Liebhaber
an die heiße Quelle in B.

Du heileſt Den und troͤſteſt Jenen,

O Quell, ſo hoͤr' auch meinen Schmerz!

Ich klage dir mit bittern Thraͤnen

Ein hartes, kaltes Maͤdchenherz.
Es zu erweichen, zu durchgluͤhen,

Dir iſt es eine leichte Pflicht;

Man kann ja Huͤhner in dir bruͤhen,

Warum ein junges Gaͤnschen nicht?
[203]

Lammwirths Klagelied.

Da droben auf dem Markte

Spazier' ich auf und ab,

Den ganzen lieben langen Tag,

Und ſchaue die Straße hinab.
Es ſteht ein Regenbogen

Wohl uͤber jenem Haus,

Mein Schild iſt eingezogen,

Ein andrer hangt heraus!
Heraus hangt uͤber der Thuͤre

Ein Hahn mit rothem Kamm;

Als ich die Wirthſchaft fuͤhrte,

War es ein guͤldenes Lamm.
Mein Schaͤflein wohl zu ſcheeren,

Ich ſparte keine Muͤh',

Ich bin herunter gekommen,

Und weiß doch ſelber nicht, wie.
Nun laͤuft es mit Koͤchen und Kellnern

Im ganzen Hauſe ſo voll,

Ich weiß nicht, wem ich von Allen

Zuerſt den Hals brechen ſoll.
[204]
Da kommen die Chaiſen gefahren!

Der Hausknecht ſpringt in die Hoͤh'.

Voruͤber, ihr Roͤßlein, voruͤber,

Dem Lammwirth iſt gar ſo weh!
[205]

Der Kanonier.

(Mit einer Zeichnung.)


Auf der Erde begegneten ſich die Schaaren des Himmels

Und der Hoͤllen; es kommt eben zur foͤrmlichen Schlacht.

Vorn am Huͤgel ſteht ein Teufel bei der Kanone;

Sein ſtets rauchender Schwanz dient ihm als Lunte dabei.

(Etwas phantaſtiſch geformt iſt der Feuerſchlund, Fluͤgel
des Drachen,

Statt der Raͤder, ſtehn huͤben und druͤben empor:

Denn man braucht dies Geſchuͤtz zuweilen uͤber den Wolken

Bei Blokaden, da fliegt es durch die hoͤlliſche Kunſt.)

Aber der Kerl iſt feige; denn waͤhrend langſam der
Schweif ſich

Nach dem Zuͤndloch bewegt, haͤlt er die Ohren ſich zu,

Seitwaͤrts uͤber die Achſel nur ſchielend, jetzo die Augen

Feſt zudruͤckend: Tupf! folgt der entſetzliche Knall.
[206]

Charis und Penia.

A.


Seht doch den Schlaͤfer dort in's Gras geſtreckt!

Es iſt des Gauklers Sohn, der ſchoͤne Knabe,

Den geſtern wir ſo lieblich tanzen ſahn.

Fuͤr jezt das bunte Jaͤckchen abgeworfen,

Den Schatten ſuchend vor der Mittagsſchwuͤle,

Warf er ſich in des Wirthes Garten, faul.

Hier unter den Syringenbuſch.

B.


Frei, losgebunden ruht ein jedes Glied;

Nur bei den Knoͤcheln ſchmiegen ſich die Fuͤße,

Das rothe Paar der Stiefeln, um einander,

Dem Bluͤthenknopfe des Granatbaums gleich,

Der eben aufzubrechen Willens iſt;

Es ſcheinen ſeine Fuͤße wie zum Tanz

In jedem Augenblicke ſich zu oͤffnen.

C.


Es iſt, als athmen ſie im Schlafe ſelbſt

Den holden Geiſt des Tanzes! Ja gewiß,

Er traͤumt Muſik zu hoͤren.

A.


Aber ſeht,

Wie ruͤhrend ſpricht aus dieſen fremden Zuͤgen

Jezt offne, reine Menſchlichkeit ſich aus!
[207]
Bajazzo's rohe Stimme iſt entfernt,

Die Peitſche, die zum Scherze, doch empfindlich,

Den Kleinen traf, der ſich zum Lachen zwang.

B.


Ich weck' ihn auf! und ſtuͤrzt er auch im Traum

Von ſeinem Seil, er faͤllt in's weiche Gras.

Knabe im Schlaf.


No! No! per Dio santο! Mein iſt die Wurſt,

Du Immeldonnerwetter!

Die Freunde.


Ach ſo! Das war's!

Nun, das iſt luſtig!

C.


Er erwacht und hebt

Den Kopf; verſtoͤrt, beſchaͤmt ſchaut er uns an.

B.


Komm, guter Junge, dort an unſern Tiſch!

So recht — nur munter!

Magſt du denn Wurſt?

Knabe.

Si, si, cari Signori!

Gern, das ik freß'.

A.


O Charis! O Penia!

Wie ſeyd ihr einzig, wenn ihr euch umarmt!
[208]

An meinen Vetter.

Lieber Vetter! Er iſt eine

Von den freundlichen Naturen,

Die ich Sommerweſten nenne.

Denn ſie haben wirklich etwas

Sonniges in ihrem Weſen.

Es ſind weltliche Beamte,

Rechnungsraͤthe, Reviſoren,

Oder Cameralverwalter,

Auch wohl manchmal Herrn vom Handel,

Aber meiſt vom aͤltern Schlage,

Keinesweges Petitmaitres,

Haben manchmal huͤbſche Baͤuche,

Und ihr Vaterland iſt Schwaben.
Neulich auf der Reiſe traf ich

Auch mit einer Sommerweſte

In der Poſt zu Beſigheim

Eben zu Mittag zuſammen.

Und wir ſpeisten eine Suppe,

Darin rothe Krebſe ſchwammen,

Rindfleiſch mit franzoͤ'ſchem Senfe,

Dazu liebliche Radieschen,

Dann Gemuͤſe, und ſo weiter;

Schwazten von der neu'ſten Zeitung,

Und daß es an manchen Orten

Geſtern ſtark gewittert habe.
[209]
Druͤber zieht der wackre Herr ein

Silbern Buͤchslein aus der Taſche,

Sich die Zaͤhne auszuſtochern;

Endlich ſtopft er ſich zum ſchwarzen

Kaffee ſeine Meerſchaumpfeife,

Dampft und discurrirt und ſchaut in¬

mittelſt einmal nach den Pferden.
Und ich ſah ihm ſo von hinten

Nach und dachte: Ach, daß dieſe

Lieben, hellen Sommerweſten,

Die bequemen, angenehmen,

Endlich doch auch ſterben muͤſſen!
Moͤrike, Gedichte. 14[210]

Gute Lehre

In unſers Pfarrers Garten,

Es faͤllt ein warmes Regelein,

Wie duften da die Blumen,

Die Apfelbluͤth' ſo fein!
Im Haͤuſelein da druͤben

Ein Bauer veſpert wohlgemuth,

Hat's Fenſterlein halb offen,

Das Luͤftlein thaͤt ihm gut.
Ei, ſpricht er bei ſich ſelbſten,

Ein Sonntagsſtraͤuschen haͤtt' ich gern,

Auf morgen in die Predigt,

Tulipanen oder Stern.
Ein Voͤglein hat's vernommen,

Das denkt: dir ſoll geholfen ſeyn;

Thaͤt ſchnell ein Bluͤmlein holen,

Und bringt's im Schnaͤbelein.
Ei, lachte da mein Peter!

Hat flugs ſein Fenſter zugemacht,

Hat's Voͤgelein gefangen

Und in den Kaͤfig bracht.
[211]
Ach, muß das Voͤglein trauern!

Und war auch von der Stunde krank;

Sind feine Kerl die Bauern,

Die geben Stank fuͤr Dank!
14 *[212]

Reſtauration

nach Durchleſung eines Manuſcripts mit Gedichten.


Das ſuͤße Zeug ohne Saft und Kraft!

Es hat mir all mein Gedaͤrm erſchlafft.

Es roch, ich will des Henkers ſeyn,

Wie lauter welke Roſen und Camille-Bluͤmlein.

Mir ward ganz uͤbel, mauſerig, dumm,

Ich ſah mich ſchnell nach was Tuͤchtigem um,

Lief in den Garten hinter'm Haus,

Zog einen herzhaften Rettig aus,

Fraß ihn auch auf bis auf den Schwanz,

Da war ich wieder friſch und geneſen ganz.
[213]

Zur Warnung.

Einmal nach einer luſtigen Nacht

War ich am Morgen ſeltſam aufgewacht:

Durſt — Waſſerſcheu — ungleich Gebluͤt,

Dabei geruͤhrt und weichlich im Gemuͤth,

Beinah poetiſch, ja, ich bat die Muſe um ein Lied;

Sie, mit verſtelltem Pathos, ſpottet' mein,

Gab mir den ſchnoͤden Bafel ein:
Es ſchlagt eine Nachtigall

Am Waſſerfall;

Und ein Vogel ebenfalls,

Der ſchreibt ſich Wendehals,

Johann Jakob Wendehals;

Der thut tanzen

Bei den Pflanzen

Obbemeldten Waſſerfalls —
So ging es fort: mir wurde immer baͤnger;

Jezt ſprang ich auf — zum Wein; der war denn auch
mein Retter.

— Merkt's euch, ihr thraͤnenreichen Saͤnger,

Im Katzenjammer ruft man keine Goͤtter!
[214]

Alles mit Maas.

Mancherlei ſind der Gaben, die guͤtige Goͤtter den Menſchen

Zum Genuſſe verliehn und fuͤr die taͤgliche Nothdurft.

Aber vor jeglichem Ding begehr' ich gebratenen Schweinsfuß.

Meine Frau Wirthin, die merkt's, nun hab' ich alle Tag'
Schweinsfuͤß'.

Oefters ahnt' mir im Geiſt: jezt iſt kein einziger
Schweinsfuß

In der Stadt mehr zu finden: Was krieg' ich zu Mit¬
tage? Schweinsfuͤß'!

Spraͤche der Koͤnig nun gleich zu ſeinem Koch: Schaff'
mir Schweinsfuͤß'!

Gnade der Himmel dem Mann! denn nirgend mehr wan¬
delt ein Schweinsfuß.

Und ich ſagte zur Wirthin zulezt: Nun laßt mir die
Schweinsfuͤß'!

Denn er ſchmeckt mir nicht mehr wie ſonſt, der braͤun¬
liche Schweinsfuß.

Aber ſie denkt, aus Zartgefuͤhl nur verbaͤt' ich die Schweins¬
fuͤß',

Laͤchelnd bringet ſie mir auch heute gebratenen Schweins¬
fuß —

Ei ſo hole der Teufel auf ewig die hoͤlliſchen Schweinsfuͤß'!
[215]

Kalter Streich.

A.


Ich will mich ſelber juſt nicht ruͤhmen;

Doch darf ich ſagen: Es iſt ſo im Geiſt

Von „Stunden der Andacht.“

B.


Ja? Und wie heißt —

A.


Der Titel? „Amor und Hymen;

Eine chriſtliche Gabe fuͤr beide Geſchlechter,

Beſonders fuͤr gebildete Toͤchter.“

B.


Pfui Teufel!

A.


Was? Mein Werk? Sind Sie bei Verſtand?

So eben meldete ſich der achthundertſte Praͤnumerant!

B.


Ich glaub's; die lieben Eltern gegenwaͤrtig

Sind ſelber ungemein davon charmirt,

Wenn bei der ſuͤßen Jugend allzeit' fertig

Amor dem Hymen praͤnumerirt.
[216]

Falſche Manier.

Ach, ich merke, Freund, du moͤchteſt

Gern pikant dein ſuͤß Gedicht;

Aber in der Pfeffermuͤhle

Mahlt man keinen Zucker nicht.

Schul-Schmäcklein.

Ei ja! es iſt ein vortrefflicher Mann,

Wir laſſen ihn billig ungerupft;

Aber ſeinen Verſen merkt man an,

Daß der Verfaſſer Lateiniſch kann

Und ſchnupft.
[217]

Auf die Proſa eines Beamten.

A.


Welch ein Gedankendrang in den Perioden! ein wahrer

Stilus infarctus, von dem Quinctilian nichts gewußt!

B.


Ganz wurſtartig, auf Ehre! Die Schrift iſt ein einzig
farcimen,

Und der Zipfel guckt hinten und vorne heraus.
[218]

Bei Gelegenheit eines Kinderſpielzeugs,
vorſtellend:
Hanswurſt an der Sandmühle.

Hanswurſt.


Schauen's gefaͤlligſt, meine Lieben,

Ein huͤbſch Geſchaͤft wird hier betrieben.

Geht wohl einem Muͤller im ganzen Land

Sein Metier ſo luſtig aus der Hand?

Zwar das bekenn' ich frank und frei,

Beſonderer Segen iſt nicht dabei:

Sand gießt man ein, Sand kommt heraus;

Man daͤchte faſt, hier waͤr' ein Narr zu Haus.

Sobald ich uͤbrigens inſoweit fertig bin,

Hab' ich etwas wirklich Gemeinnuͤtziges im Sinn.

Ein Bürger.


Was denn, Hans?

Hanswurſt.


Ein neues Augenpulver.

Zweiter Bürger.


Aus Streuſand, Kerl? o weh!

Hanswurſt.


Ein herrlich Volksmittel.

Erſter Bürger.


Volksmittel? Ich verſteh'

Spitzbub! Schlagt ihm den Schaͤdel ein!
[219]

Hanswurſt.


Ihr Herrn, da muß ein Irrthum ſeyn.

Beide Bürger.


Hundsfott! dich hat die Regierung im Sold!

Hanswurſt.


Ich will des Teufels ſeyn, ich weiß nicht, was ihr wollt.

Huͤlfe! zu Huͤlfe!

Andere.


Was gibt's?

Erſter und Zweiter.


Da! Sand will man uns in die Augen ſtreu'n!

Der Polignac ſteckt dahinter!

Andere.


Seyd geſcheidt.

Der Narr hatt' euch zum Beſten, gute Leut'!

Ihr kennt ihn ja, es iſt der Alte.

Hanswurſt.


Gleich beißen und kratzen! Gott verdamm's!

Hab' doch tauſend Farben an Hoſen und Wamms,

Zum Zeichen, daß ich's mit keiner halte!

Wenn ich meinen Purzelbaum machen kann,

Was ficht die Politik mich an?

Ein Bürger.


Ich glaub's ihm gern; der Sand iſt nur ſo nebenher.

Hanswurſt.


Mein Seel! treibt ihr mein Rad, ich mahl' euch lotterleer!
[220]

Erſter Bürger.


Der Tagdieb!

Hanswurſt.


Was, du Schuft?

Gott der Herr ſchlaͤgt am luſtigen Sommertage

Seinen bunten Reifen in die Luft, —

Was guckſt du ſcheel, wenn ich den meinen ſchlage?

Der eine nuzt ſo wenig wie der ander',

Aber Kinder und Narren ſehen's gern.

Ich bin nicht Bonapart' und bin nicht Alexander,

Und hab' doch meinen Sparr'n ſo gut wie dieſe Herrn.

— Was fuͤhrt ihr uͤberhaupt ſo hohen Ton

Und ſchaͤmt euch ſchier, mich auch nur zu belachen?

Ich ſah die ganze wuͤrdige Nation

Schon viel poſſierlichere Spruͤnge machen!
Aus jezt — wem ſein Kopf lieb iſt!
[221]

Hülf' in der Noth.

Ein rechter Freund erſcheint uns in der Noth

Zu rechter Zeit und ſicher wie der Tod.

Doch offen, Beſter, ſag' ich dir,

Du haſt eine ganz verwuͤnſchte Manier!

Du trockneſt mir den Jammerſchweiß,

Und machſt mir doch die Hoͤlle heiß,

Du bringſt das ganze juͤngſte Gericht

Mit dir; — bei Gott, ſo meint' ich's nicht!
[222]

Selbſtgeſtändniſs.

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,

Und weil die andern ausblieben ſind,

Was weiß ich wie viel, die Sechs oder Sieben,

So iſt eben Alles an mir haͤngen blieben;

Ich hab' muͤſſen die Liebe, die Treue, die Guͤte

Fuͤr ein ganz halb Dutzend allein aufeſſen,

Ich will's mein Lebtag nicht vergeſſen.

Es haͤtte mir aber noch wohl moͤgen frommen,

Haͤtt' ich nur auch Schlaͤg' fuͤr Sechſe bekommen.
[223]

Bei einer Trauung.

Vor lauter hochadligen Zeugen

Copulirt man ihrer Zwei;

Die Orgel haͤngt voll Geigen,

Der Himmel nicht, mein' Treu!

O weh', ſie weint ja graͤulich,

Er macht ein Geſicht abſcheulich!

Denn leider, freilich, freilich

Keine Lieb' iſt nicht dabei.
[224]

Meines Vetters Brautfahrt.

Ach, wie wird er ſich freun, die liebe Braut zu begruͤßen!

— Aber wo bleibt er ſo lang? Sagt ihm, die Kutſche
ſey da!

Droben liegt er im Bett, verdrießlich, und lieſet in Schellers

Lexikon! als ich ihn ſchalt, rief er halb grimmig:
„Nun ja,

Gebt mir andere Struͤmpf'! die haben Loͤcher — ach freilich

Eine Frau muß in's Haus, die mich von Fuß auf
kurirt!“
[225]

An einen Prediger.

Lieber! ganz im Vertrauen geſagt: Es buhlt mit dem
Ehrgeiz

Deine Andacht: Du traͤgſt Hoͤrnlein, und Satanas
lacht.
Moͤrike, Gedichte. 15[226]

Paſtor an ſeine Zuhörer.

Gefall' ich euch nicht, ei ſo bleibt doch zu Haus,

Oder geht zu einem Andern!

Der zieht euch die Zaͤhn' mit dem Stiefelknecht aus;

Wir ſind noch von den Galantern.

Paſtoral-Erfahrung.

Meine guten Bauern freuen mich ſehr;

Eine „ſcharfe Predigt“ iſt ihr Begehr.

Und wenn man mir es nicht verdenkt,

Sag' ich, wie das zuſammenhaͤngt.

Sonnabend, wohl nach Elfe ſpat,

Im Garten ſtehlen ſie mir den Salat;

In der Morgenkirch' mit guter Ruh'

Erwarten ſie den Eſſig dazu;

Der Predigt Schluß fein linde ſey:

Sie wollen gern auch Oel dabei.
[227]

Neutheologiſche Kanzelberedtſamkeit.

A.


Der bibliſche Text iſt gar nicht ſchlecht,

Nur ſing' ich nach eigenen Noten.

B. bei Seite.


Ja, unterſucht nur ſeine Kanzel recht:

Sie hat einen doppelten Boden!

Lückenbüſser.

„Hochehrwuͤrdiger Herr“, ſo haͤtt' ich gerne geſchrieben,

Aber die Ehre ſchien mir faſt und die Wuͤrde zu hoch;

Euch verdroß indeß mein P. P.; doch ſetz ich es wieder

Ueber den Brief; denkt Euch pater peccavi dabei.
15 *[228]

An

Laß doch dein Dichten! haſt ja Geld;

Tropf! brauch's, die Poeſie lebendig zu betreiben!

Was gilt's? dich freut das Schoͤnſte in der Welt

Nur halb, vor lauter Angſt, du muͤſſeſt es beſchreiben.

Auskunft.

Dumme Tadler und Lober auf beiden Seiten! Doch darum

Hat mir mein Schoͤpfer den Kopf zwiſchen die Ohren
geſezt.
[229]

Abſchied.

Unangeklopft ein Herr tritt Abends bei mir ein:

„Ich habe die Ehr', Ihr Recenſent zu ſeyn.“

Sofort nimmt er das Licht in die Hand,

Beſieht lang meinen Schatten an der Wand,

Ruͤckt nah und fern: „Nun, lieber junger Mann,

Sehn Sie doch gefaͤlligſt 'mal Ihre Naſ' ſo von der Seite an!

Sie geben zu, daß das ein Auswuchs is.“

— Das? Alle Wetter — gewiß!

Ei Haſen! ich dachte nicht,

All mein Lebtage nicht,

Daß ich ſo eine Welts-Naſe fuͤhrt' im Geſicht!!
Der Mann ſprach noch Zerſchiednes hin und her,

Ich weiß, auf meine Ehre, nicht mehr;

Meinte vielleicht, ich ſollt' ihm beichten.

Zulezt ſtand er auf; ich that ihm leuchten.

Wie wir nun an der Treppe ſind,

Da geb' ich ihm, ganz froh geſinnt,

Einen kleinen Tritt

Nur ſo von hinten auf's Geſaͤße mit —

Alle Hagel! ward das ein Gerumpel,

Ein Gepurzel, ein Gehumpel!

Dergleichen hab' ich nie geſehn,

All mein Lebtage nicht geſehn

Einen Menſchen ſo raſch die Trepp' hinab gehn!
[230]

Tout comme chez nous.

Erſte Henne.


Nur Einen Dotter hat doch ſonſt ein Ei,

Das meine hier hat ihrer zwei!

Andere Henne.


Ach, Frau Gevatter, ich bitte Sie!

Das gibt wahrhaftig ein Genie.

Dritte Henne.


Ja wohl, Natur treibt gern ſo loſes Spiel,

Hat manchmal einen Sparren zu viel.

Der Hahn halblaut.


Ich glaub', der Wind blaͤst wo anders her:

Die legt ſchon Jahr und Tag nicht mehr.

Kikeriki!
[231]

Peregrina.

I.

Der Spiegel dieſer treuen, braunen Augen

Iſt wie von innerm Gold ein Widerſchein;

Tief aus dem Buſen ſcheint er's anzuſaugen,

Dort mag ſolch Gold in heil'gem Gram gedeih'n.

In dieſe Nacht des Blickes mich zu tauchen,

Unwiſſend Kind, du ſelber laͤdſt mich ein,

Willſt, ich ſoll kecklich mich und dich entzuͤnden,

Reichſt laͤchelnd mir den Tod im Kelch der Suͤnden!

II.

Aufgeſchmuͤckt iſt der Freudenſaal.

Lichterhell, bunt, in laulicher Sommernacht

Stehet das offene Gartengezelte;

Saͤulengleich ſteigen,

Reichlich durchwirket mit Laubwerk,

Die ſtolzen Leiber

Sechs gezaͤhmter, rieſiger Schlangen,

Tragend und ſtuͤtzend das

Leichtgegitterte Dach.
Aber die Braut noch wartet beſcheiden

In dem Kaͤmmerlein ihres Hauſes;

Endlich bewegt ſich der Zug der Hochzeit,

[232]
Fackeln tragend,

Feierlich ſtumm.

Und in der Mitte,

Mich an der rechten Hand,

Schwarzgekleidet geht einfach die Braut,

Schoͤngefaltet ein Scharlachtuch

Liegt um den zierlichen Kopf geſchlagen;

Laͤchelnd geht ſie dahin;

Das Mahl ſchon duftet.
Spaͤter im Laͤrmen des Feſts

Stahlen wir ſeitwaͤrts uns Beide

Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,

Wo im Gebuͤſche die Roſen brannten,

Wo der Mondſtrahl um Lilien zuckte,

Wo die Baͤume vom Nachtthau troffen.
Und nun ſtrich ſie mir, ſtilleſtehend,

Seltſamen Blicks mit dem Finger die Schlaͤfe,

Jaͤhlings verſank ich in tiefen Schlummer,

Aber geſtaͤrkt vom Wunderſchlafe

Bin ich erwacht zu gluͤckſeligen Tagen,

Fuͤhrte die ſeltſame Braut in mein Haus ein.

III.

Ein Irrſal kam in die Mondſcheingaͤrten

Einer einſt heiligen Liebe.

Schaudernd entdeckt' ich verjaͤhrten Betrug.

[233]
Und mit weinendem Blick, doch grauſam,

Hieß ich das ſchlanke,

Zauberhafte Maͤdchen

Ferne gehen von mir.

Ach, ihre hohe Stirn,

Drin ein ſchoͤner, ſuͤndhafter Wahnſinn

Aus dem dunkelen Auge blickte,

War geſenkt, denn ſie liebte mich;

Aber ſie zog mit Schweigen

Fort in die graue,

Stille Welt hinaus.
Von der Zeit an

Kamen mir Traͤume voll ſchoͤner Truͤbe,

Wie geſponnen auf Nebelgrund;

Wußte nimmer, wie mir geſchah,

War nur ſchmachtend ſeliger Krankheit voll.
Oft in den Traͤumen zog ſich ein Vorhang

Finſter und groß in's Unendliche

Zwiſchen mich und die dunkle Welt;

Hinter ihm ahnt' ich ein Haideland,

Hinter ihm hoͤrt' ich's wie Nachtwind ſauſen;

Auch die Falten des Vorhangs

Fingen bald an, ſich im Sturme zu regen:

Gleich einer Ahnung ſtrich er dahinten,

Ruhig blieb ich und bange doch:

Immer leiſer wurde der Haideſturm —

Siehe! da kam's.
[234]
Aus einer Spalte des Vorhangs guckte

Ploͤtzlich der Kopf des Zaubermaͤdchens,

Lieblich war er und doch ſo beaͤngſtend.

Sollt' ich die Hand ihr nicht geben

In ihre liebe Hand?

Bat denn ihr Auge nicht,

Sagend: da bin ich wieder

Hergekommen aus weiter Welt?

IV.

Warum, Geliebte, denk' ich dein

Auf Einmal mit viel tauſend Thraͤnen,

Und kann gar nicht zufrieden ſeyn,

Und will die Bruſt in alle Ferne dehnen?
Ach, geſtern in den hellen Kinderſaal

Beim Flimmer zierlich aufgeſteckter Kerzen,

Wo ich mein ſelbſt vergaß in Laͤrm und Scherzen,

Tratſt du, o Bildniß mitleid-ſchoͤner Qual;

Es war dein Geiſt, er ſezte ſich an's Mahl,

Wir ſaßen fremd mit ſtumm verhaltnen Schmerzen,

Zulezt brach ich in lautes Schluchzen aus,

Und Hand in Hand verließen wir das Haus.

V.

Die Liebe, ſagt man, ſteht am Pfahl gebunden,

Geht endlich arm, verlaſſen, unbeſchuht,

Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,

Mit ihren Thraͤnen nezt ſie bittre Wunden.
[235]
Ach, Peregrinen hab' ich ſo gefunden!

Schoͤn war ihr Wahnſinn, ihrer Wange Gluth,

Noch ſcherzend in der Fruͤhlingsſtuͤrme Wuth,

Und wilde Kraͤnze in das Haar gewunden.
Wie? ſolche Schoͤnheit konnteſt du verlaſſen?

So kehrt nun doppelt ſchoͤn das alte Gluͤck!

O komm', in dieſe Arme dich zu faſſen!
Doch weh'! o weh'! was ſoll mir dieſer Blick?

Sie kuͤßt mich zwiſchen Lieben, zwiſchen Haſſen,

Sie kehrt ſich ab — und kehrt mir nie zuruͤck.
[236]

Um Mitternacht.

Bedaͤchtig ſtieg die Nacht an's Land,

Lehnt traͤumend an der Berge Wand,

Ihr Auge ſieht die goldne Wage nun

Der Zeit in gleichen Schalen ſtille ruhn,

Und kecker rauſchen die Quellen hervor,

Sie ſingen der Mutter, der Nacht, in's Ohr

Vom Tage,

Vom heute geweſenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied,

Sie achtet's nicht, ſie iſt es muͤd';

Ihr klingt des Himmels Blaͤue ſuͤßer noch,

Der fluͤcht'gen Stunden gleichgeſchwungnes Joch.

Doch immer behalten die Quellen das Wort,

Es ſingen die Waſſer im Schlafe noch fort

Vom Tage,

Vom heute geweſenen Tage.
[][][]
Notes
*
Iſt aus dem Roman: „Maler Nolten.“ In einer alten Stadt,
ſo wird erzaͤhlt, habe im Giebeldache eines kleinen Hauſes ein
junger fremder Mann gewohnt, von deſſen Lebensweiſe Niemand
naͤher wußte, der ſich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe
blicken laſſen, außer — nach dem Volksglauben — regelmaͤßig
vor dem Ausbruch einer Feuersbrunſt. Dann ſah man ihn in
einer ſcharlachrothen, netzartigen Muͤtze unruhig am kleinen
Fenſter auf und nieder gehen, zum ſichern Vorzeichen des nahe
drohenden Ungluͤcks. Mit dem erſten Feuerlaͤrmen kam er auf
einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorgeſprengt
und nahm pfeilſchnell, unfehlbar ſeinen Lauf nach dem Orte des
Brandes.

*
Orplid, eine fabelhafte Inſel, deren Beſchuͤtzerin die Goͤttin
Weyla iſt. Man vergleiche uͤberhaupt zu dieſem Stuͤck: Maler
Nolten
, 1r Thl. S. 142 und 171.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Gedichte. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmqf.0