fuͤr den neueſten Zuſtand
der
Naturkunde
Huͤlfswiſſenſchaften
herausgegeben
von
Johann Heinrich Voigt,
D. W. D. H. S. Weimar. Hofrath, Profeſſor der Ma-
thematik zu Jena, Mitglied der koͤn. Soc. der Wiſſenſch.
zu Goͤttingen, der bataviſchen zu Haarlem, der na-
turforſchenden zu Jena und Brockhaußen, der
mineralogiſchen zu Jena und der phyſiſch-ma-
thematiſchen zu Erfurt.
im Verlage des Landes-Induſtrie-Comptoirs.
1802.
5.
Auszug aus einem Briefe des
Hrn. v. Humboldt an Hrn. Four-
croy. A. d. Schriften des Na-
tionalinſtituts.
Cumana d. 16. Oct. 1800.
Waͤhrend der 16 Monate die wir mit Berei-
ſung des großen Landſtrichs zwiſchen der Kuͤſte,
dem Oronoco, dem ſchwarzen- und Amazonenfluſſe
zubrachten, hat der B. Bonpland mit den Dou-
bletten uͤber 6000 Pflanzen getrocknet. Ich habe
mit ihm an Ort und Stelle auf 1200 Species be-
ſchrieben worunter eine große Menge zu ſeyn
ſcheint die noch nicht von Aublet, Jacquin,
Mutis und Dombey beſchrieben ſind. Wir
haben Inſecten, Schalthiere und Faͤrbehoͤlzer ge-
ſammter; Crocodile, Seekuͤhe (Lamantins) Af-
fen, Zitteraale (Gymaotus elect.) wo die Fluͤſ-
ſigkeit lediglich galvaniſch, und nicht elektriſch
iſt — zergliedert. Wir haben viele Schlangen,
Eidexen, einige Fiſche u. f. w. beſchrieben.
Ich habe eigentlich zwey Reiſen unternommen:
eine nach den Miſſionen der Chaymas-Indianer
zu Paria und die andere in das unermeßliche
Land
[189] Land nordwaͤrts des Amazonenfluſſes zwiſchen Po-
payan und die Gebirge des franzoͤſiſchen Guyana.
Wir ſind zweymal vor den großen Waſſerfallen
des Oronoco, unterm 5° 12′ ſuͤdl Breite u. 4 St.
43 Min. weſtl. Laͤnge von Paris, — und denen
von Atures und Maypures im 5° 39′ Br. und
4 St. 41. M. 40 S. Laͤnge, vorbeygekommen;
von der Muͤndung des Guaviare und der Fluͤſſe
Arabaya, Temi und Tuamini. Ich ließ meine
Pirogue zu Lande, nach dem ſchwarzen Fluſſe
ſchaffen. Wir gingen zu Fuß durch die Waͤlder
der Hevea (die das elaſtiſche Harz liefert) der Cin-
chena (wo die Chinarinde herkommt) und der
Winterana-Canella. Ich ſtieg vom Rio-Ne-
gro bis San-Carlos um die Laͤnge durch den Zeit-
halter von Berthond zu beſtimmen, mit welchem
ich noch immer ſehr zufrieden bin. Ich beſuchte
alsdann die Gegend von Caſigniare welche von
den Ydapaminaren bewohnt wird welche blos von
geraͤucherten Ameiſen leben. Ich drang bis zu
den Quellen des Oronoco, bis jenſeits dem Vul-
can von Duida vor, ſo weit als es die Wildheit
der Guarcas- und Guakaribos-Indianer verſtat-
tete; ich fuhr den ganzen Oronoco hinab bis zur
Hauptſtadt von Guyana wo ich 500 L [...]ues in 26
Tagen machte ohne die Raſttage zu rechnen.
Wir
[190]
Wir haben Ihnen den Milchſaft eines Bau-
mes geſchickt welchen die Indianer die Kuh
nennen, weil ſie die Milch davon trinken die nicht
ſchaͤdlich ſondern vielmehr ſehr naͤhrend iſt. Mit
Huͤlfe der Salpeterſaͤure habe ich Caoutchouc oder
Federharz daraus bereitet. Unter das fuͤr Sie
beſtimmte miſchte ich etwas Soda und zwar ganz
nach den Grundſaͤtzen die Sie ſelbſt davon aufge-
ſtellt haben. *)
Ich habe auch verſucht Ihnen das Curare
oder das beruͤchtigte Gift der Indianer vom ſchwar-
zen Fluß, in ſeiner ganzen Reinigkeit, zu verſchaf-
fen. Ich machte ausdruͤcklich deshalb eine Reiſe
nach Esmaralda um die Pflanze zu ſehen welche
dieſen Saft liefert. Ungluͤcklicherweiſe aber ſtand
ſie nicht in der Bluͤthe. Ich werde Ihnen ein
andermal die genaue Bereitungsart dieſes Giftes
mittheilen, wie ſie bey den Catarapeici- und
Magnixitaſes-Indianern gewoͤhnlich iſt. Hier
nur einiges: Die Pflanze die das Gift enthaͤlt
heißt Maracury, ich ſende Ihnen hier die Zweige
dieſer Liana; ſie waͤchſet ſparſam zwiſchen den
Gra-
[191] Granitgebirgen von Guanaja und Yumari-
quin, im Schatten der Theobroma-Cacao
und der Caryocas. Nachdem man das Ober-
haͤutchen aufgehoben hat, uͤbergießt man ſie mit kal-
tem Waſſer, man druͤckt alsdann den Saft aus, laͤßt
etwas Waſſer uͤber dem ſchon halb ausgedruͤckten
Oberhaͤutchen ſtehen und filtert den Aufguß. Die
durchgegangene Fluͤſſigkeit iſt gelblich. Hierauf
kocht man ſie und laͤßt ſie bis zur Conſiſtenz des
Syrupzuckers abdampfen. Dieſer Syrup ent-
haͤlt ſchon das Gift ſelbſt, iſt aber noch nicht dick
genug um die Pfeile damit zu uͤberziehen. Man
vermiſcht ihn deshalb mit dem glutinoͤſen Saft ei-
nes andern Baums welchen die Indianer Kina-
cagnera nennen. Dieſe Miſchung wird wie-
der ſo lange gekocht bis ſie ſich zu einer braͤunli-
chen Maſſe verdickt. Sie wiſſen daß der Curare
innerlich als ein Magenmittel gebraucht wird
und er iſt auch in der That nicht eher ſchaͤdlich
als wenn er mit dem Blute gemiſcht wird wel-
ches er desoxidirt. Ich habe nur erſt ſeit etli-
chen Tagen Verſuche damit angeſtellt, aber be-
reits bemerkt daß er die atmoſphaͤriſche Luft zer-
ſetzt.
Ich fuͤge dieſer Subſtanz noch 3 andre bey;
das Dapiche,le Dapiche (ausgeſprochen: Da-
pitſche) das Pendarenharz (le leche de Pen-
dare)
[192]dare) und die Otomaken-Erde (la terre des Oto-
maques).
Das Dapiche iſt eine Art von elaſtiſchem
Gummi das Ihnen wahrſcheinlich nicht bekannt
iſt. Wir haben es an einem Ort entdeckt wo ſich
keine Hevea findet in den Moraͤſten des Javi age-
birgs in einer Breite von 2 [...] [...]. Dieſe Suͤmpfe
ſind durch die fuͤrchterlichen Boa-Schlangen die
darinn leben, beruͤchtigt. Wir fanden bey den
Poimaſanos- und Paragini-Indianern
muſicaliſche Inſtrumente die aus Caoutchouc verfer-
tigt waren und die Einwohner ſagten, daß ſich dieſe
Subſtanz in der Erde faͤnde. Das Dapiche oder
Zavis iſt ein weiße ſchwammige Maſſe die man un-
ter den Wurzeln der beyden Baͤume Iacia und Cur-
vara findet; dieſe Baͤume ſcheinen uns neue Gat-
tungen zu ſeyn und wir werden zu ſeiner Zeit die
Beſchreibung davon geben. Der Saft dieſer Baͤu-
me iſt eine ſehr waͤßrige Milch; indeſſen ſcheint
es eine Krankheit fuͤr ſie zu ſeyn wenn ſie dieſen
Saft durch die Wurzeln verlieren und wirklich
ſtirbt der Baum durch dieſe Art von Haͤmorrhagie
ab und der Saft gerinnt in der feuchten Erde ohne
die freye Luft zu beruͤhren. Ich ſende Ihnen hier
ſowohl das Dapiche ſelbſt als auch eine Art von
Caoutchouc welches daraus bereitet iſt indem man
es blos dem Feuer ausſetzt und es darinn ſchmelzt.
Das
[193]
Das Pendarenharz iſt eine getrocknete Milch
des Baums Pendare und ſtellt einen weißen
natuͤrlichen Firniß vor. Man uͤberzieht mit die-
ſer Milch wenn ſie noch friſch iſt, die Gefaͤße der
Tatuna's. Sie trocknet ſchnell und iſt ein ſehr
ſchoͤner Firniß; ungluͤcklicherweiſe aber wird ſie
gelblich wenn man ſie in großer Maſſe trock-
net.
Die Erde der Otomaguen iſt 3 Monate lang faſt
die einzige Nahrung dieſer durch ihre bemahlten
Koͤrper ſcheußlichen Nation. Dieſe Leute eſſen die
erwaͤhnte Erde ſo lange als der Oronoco ſehr hoch
iſt und man viele Schildkroͤten daſelbſt findet. Es
iſt eine Art von fettiger Erde und es giebt Leute
die 1 bis 1½ Pfund des Tages davon verzehren.
Einige Moͤnche haben behauptet daß ſie das Fett
aus den Crocodillſchwaͤnzen damit vermiſchten;
aber dieß iſt falſch. Wir haben bey den Otoma-
guen Vorraͤthe von ganz reiner Erde gefunden,
die ſie aßen, und ſie geben ihr keine andere Zu-
bereitung als daß ſie ſelbige ein wenig roͤſten und
anfeuchten. Mir ſcheint es ſehr wunderbar wie
man rubuſt ſeyn und taͤglich 1½ Pf. Erde eſſen
kann, da es doch bekant iſt was fuͤr traurige Wir-
kungen die Erde bey Kindern hat. Indeſſen ha-
ben mich meine eignen Erfahrungen uͤber die Er-
de und ihre Eigenſchaft, im feuchten Zuſtande
Voigts Mag. IV. B. 2. St. Odie
[194] die Luft zu zerſetzen, gelehrt, daß ſie wirklich
naͤhren, das heißt, durch chemiſche Verwandtſchaf-
ten wirken koͤnne.
Ich fuͤge fuͤr das Muſeum eine Tabaksdoſe
eben dieſer Otomaken und das Hemd einer Na-
tion aus der Nachbarſchaft der Piroas bey.
Dieſe Doſe iſt ſehr groß, eigentlich eine Schuͤſſel
auf welche man eine Miſchung von einer geriebe-
nen und verweſeten Mimoſerfrucht nebſt etwas
Salz und gebrannten Kalk ſchuͤttet. Der Otomak
haͤlt die Schuͤſſel in der einen Hand, und in der
andern eine Roͤhre wovon 2 Oeffnungen in ſeine
Naſenloͤcher paſſen um dieſen ſtimulirenden Taback
dadurch einzuziehen. Dieſes Werkzeug hat ein
hiſtoriſches Intereſſe: es iſt blos bey den Oto-
maken und Omeguas im Gebrauch wo es Con-
damine geſehen hat; folglich bey zwey Nationen
die jetzt auf 300 Lienes von einander entfernt woh-
nen; es beweißt daß die Omekas die nach einer
alten Tradition von Guaviare gekommen ſind,
vielleicht von den Otomaken abſtammen und daß
die Stadt Menoa von Phillipp von Urre zwi-
ſchen Meta und Guaviare geſehen worden iſt.
Dieſe Thatſachen koͤnnen Aufſchluß uͤber die Fabel
des Dorada geben.
Das
[195]
Das Hemd der Nation in der Nachbarſchaft
der Piroas iſt von der Rinde des Baums Marisna
der man weiter keine Zubereitung giebt, hier wach-
ſen alſo die Hemden auf den Baͤumen! Eben ſo
iſt es auch in der Naͤhe des Dorada, wo ich keine
mineraliſche Merkwuͤrdigkeit als Talk und etwas
Titaneum geſehen habe.
Es wird bemerkt daß Fourcroy noch keins
von allen den hier erwaͤhnten Dingen erhalten
hatte.
O 2
6.
Hevea den man in Flaſchen verſenden wollte, mit
aͤtzendem Laugenſalze zu verbinden um den Nieder-
ſchlag des Caoutchouc zu verhuͤten.
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CC-BY-4.0
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- TextGrid Repository (2025). Humboldt, Alexander von. Auszug aus einem Briefe des Hrn. v. Humboldt an Hrn. Fourcroy. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmp5.0