Kaiphas aber lag noch, nach Satans dunkelm Geſichte,
Voller Angſt auf dem Lager, von dem die Ruhe geflohn war.
Bald ſchlief er kurze Zeit ein, bald erwacht er wieder, u. warf ſich
Ungeſtuͤm, und voll Gedanken herum. Wie tief in der Feldſchlacht
Sterbend ein Gottesleugner ſich waͤlzt; der kommende Sieger,
Und das baͤumende Roß, der rauſchenden Panzer Getoͤſe,
Und das Geſchrey, und der Toͤdtenden Wut, und der donnernde Himmel
Stuͤrmt uͤber ihm; er liegt, und ſinkt mit geſpaltenem Haupte
Dumm und gedankenlos unter die Todten, und glaubt zu vergehen.
Drauf erhebt er ſich wieder, und iſt noch, und denkt noch, und fluchet,
Daß er noch iſt, und ſpritzt mit bleichen ſterbenden Haͤnden
Blut gen Himmel, Gott flucht er, und wollt ihn gerne noch leugnen.
G 4Alſo
[104]Der Meßias.
Alſo betaͤubt ſprang Kaiphas auf, und ließ die Verſammlung
Aller Prieſter und Aeltſten im Volke ſchnell zu ſich berufen.
Mitten im hohen Pallaſt war ein weiter Saal der Verſammlung,
Aus des erhabenen Libanons Hain ſalomoniſch erbauet.
Allda kamen die Prieſter und Aeltſten im Volke zuſammen.
Mit den Aeltſten kam Joſeph von Arimathaͤa, ein Weiſer!
Unter der ganzen entarteten Nachwelt des goͤttlichen Abrams
Von der Zahl der uͤbergebliebnen wenigen Edlen.
Still, wie der friedſame Mond in daͤmmernden Mitternachtswolken
Ueber uns wallt, ſo gieng in dieſen Verſammlungen Joſeph.
Auch kam Nikodemus, ein Freund des Meßias und Joſephs.
Kaiphas trat itzt herriſch hervor, und ergrimmt, und ſagte:
Endlich, ihr Vaͤter Jeruſalems, muͤſſen wir etwas beſchließen,
Und mit gewaltigem Arm den Widerſacher vertilgen:
Oder er fuͤhrt es hinaus, was er wider uns lange ſchon ausſann,
Und wir halten vielleicht itzo die letzte Verſammlung!
Ja dieß Prieſterthum Gottes, das, hoch auf Sinai, Gott ſelbſt
Durch den groͤßten Propheten der ganzen Nachwelt geſetzt hat,
Das in der langen Gefangenſchaft, ſelbſt babyloniſche Thuͤrme,
Das im Sturme der Waffen die ſchrecklichen ſieben Huͤgel
Nicht zu erſchuͤttern vermocht; das wird ein ſterblicher Seher,
Jſrael, uns, dem Tempel des Herrn zur Schande, vertilgen.
Jſt nicht Jeruſalem ſein? Sind nicht die Staͤdte Judaͤa
Sclavinnen ihres vergoͤtterten Traͤumers? Entfliehet das Volk nicht
Aberglaͤubiſch und blind dem Tempel weiſerer Vaͤter,
Seine verfuͤhrende Wunder in weit entlegenen Wuͤſten
Anzuſtaunen? Die Wunder, die Satan durch ihn verrichtet!
Und
[105]Vierter Geſang.
Und was blendet wohl mehr? Was iſt dem ſtaunenden Poͤbel
Wunderbarer? Als wenn er ſo gar Verſtorbne vom Tode,
Oder vielmehr ohnmaͤchtige Kranke, vom Schlummer erwecket!
Unterdeß ſind wir ruhig, und warten, wenn uns ſein Anhang
Jm entſetzlichen Aufruhr vor ſeinen Augen erwuͤrgt hat,
Daß er uns auch von den Todten erwecke! Ja! Vaͤter, ihr ſeht mich
Stumm und erſtaunungsvoll an! Koͤnnt ihr noch zweifeln? Ja, zweifelt,
Zweifelt nur, und ſchlummert! Nie rief ihn Judaͤa zum Koͤnig
Ungeſtuͤm aus! Das wißt ihr nicht! Nie hats die Wege mit Palmen
Jauchzend beſtreut! Nie haben ſie ihm Hoſanna geſungen!
Daß du ſtatt, Hoſanna! den Fluch des Ewigen hoͤrteſt!
Daß die Stimme des Donnerers dir im betaͤubten Ohre
Statt des Triumphtons erſchallte! Daß tief im Thore des Todes,
Koͤnige dir vom eiſernen Stul aufſtuͤnden, die Kronen
Niederlegten, und bitter und fpoͤttiſch, Hoſanna! Dir riefen!
Ja, unwuͤrdige Vaͤter des Volks! (Verzeiht mir die Rede,
Die itzt ergrimmt im heiligen Zorne, mein wuͤtender Geiſt that!)
Nicht die Klugheit allein, nein, viel was hoͤhers gebeut uns,
Gott gebeut uns, ihn ſchnell vom Antlitz der Erde zu tilgen!
Vormals redte der Herr durch offenbarende Traͤume
Unſern Vaͤtern. Seht, ob nicht dem Hohenprieſter Gottes
Himmliſche Traͤume geſandt ſind. Jch lag zur Mitternachtsſtunde
Sorgenvoll auf dem Lager, und dachte dem endlichen Ausgang
Dieſer neuen Empoͤrungen nach. So dacht ich, und ſchlief itzt
Unentſchloſſen und kummervoll ein. Da war ich im Traume
Jn dem Tempel, und eilte mit Gott das Volk zu verſoͤhnen.
Schon floß Blut der Opfer vor mir; ſchon gieng ich anbetend
G 5Gegen
[106]Der Meßias.
Gegen das Allerheiligſte Gottes; ſchon hatt ich den Vorhang
Aufgethan, da ſah ich (noch zittern mir alle Gebeine!
Noch faͤllt Gottes Schreckniß auf mich, wie toͤdtend, herunter!)
Aaron ſah ich, im heiligen Schmuck, mit drohender Stirne,
Auf mich zugehn, ſein Auge voll Feuer, von goͤttlichem Grimm voll
Toͤdtete! Sein Bruſtbild voll ernſter gewaltiger Stralen,
Blitzte, gleich Horeb, auf mich! Der Cherubim Fittige rauſchten
Fuͤrchterlich auf der Lade des Bundes! Auf einmal entfiel mir
Rauſchend mein Hohesprieſtergewand, wie Aſche, zur Erde.
Fleuch! rief Aaron mit ſchrecklichem Ton, du des Prieſterthums Schande,
Fleuch! Elender, dir ſag ich, daß du die heilige Staͤtte
Kuͤnftig nicht mehr, als Prieſter des Herrn, verwegen entheiligſt.
Biſt du es nicht? (Hier ſah er mich grimmig mit toͤdtendem Blick an,
Wie man auf einen Todfeind herabblickt, und lieber ihn wuͤrgte!)
Biſt du es nicht? Unwuͤrdiger! Der du jenen Verruchten,
Jenen entſetzlichen Mann, ungeſtraft das Heiligthum laͤſtern,
Meinen Bruder, Moſes, und mich, und Abraham ſchmaͤhen,
Und die Sabbathe Gottes mit ſtrafbarer Traͤgheit entweihn ſiehſt!
Geh, Elender! Damit dich nicht ſchnell, wenn du ferner verweileſt,
Dieſer Gnadenſtul Gottes mit heiligem Feuer verzehre.
Alſo ſagt er. Jch floh und kam mit zerfliegenden Haaren,
Und mit Aſch auf dem Haupte, gewandlos, ohn Urim und Thum̃im,
Unter das Volk. Da ſtuͤrmte das Volk, und wollte mich toͤdten.
Drauf erwacht ich. Drey Stunden voll Quaal, drey aͤngſtliche Stunden,
Hab ich ſeit dem, wie ſinnlos, im Todesſchweiße gelegen.
Und noch beb ich, noch zittert mein Herz von geheimen Schauer
Und, der Stimme beraubt, erſtarrt mir die Zung im Munde!
Er
[107]Vierter Geſang.
Er muß ſterben! Von euch, verſammelte Vaͤter, erwart ich,
Wie er ſterben ſoll, ſchleunigen Rath! - - - Mit ſtarrenden Blicke
Stand er hier ſprachlos. Zuletzt erwacht er wieder, und ſagte:
Beſſer, ſtirbt Einer, als daß das ganze Judaͤa verderbe!
Aber noch will die vorſichtige Weishelt. Die Tage des Feſtes
Muß er nicht ſterben, daß ihn ſein ſclaviſcher Poͤbel nicht ſchuͤtze.
Kaiphas ſchwieg. Kein Laut, noch Geraͤuſch von Redenden wurde
Durch die Verſammlung gehoͤrt. Sie blieben uͤberall ſchweigend,
Wie vom Donner geruͤhrt, und ſtarr, und unbewegt ſitzen.
Joſeph ſah die herrſchende Stille. Da wollt er fuͤr Jeſum
Jhn zu vertheidigen, reden; allein ein gefuͤrchteter Prieſter,
Seine Wut, mit der er auf einmal, zu reden hervortrat,
Hielten ihn ab. Philo, war des Prieſters Name. Noch hatt er
Nie von Jeſu geredet. Jhn hielten alle fuͤr weiſe,
Kaiphas ſelbſt, doch haßt ihn der phariſaͤiſche Philo.
Der ſtand auf. Sein tiefes und melancholiſches Auge
Funkelte, da ſprach er mit zornig gefluͤgelter Stimme:
Kaiphas! Du wagſt es, von hohen goͤttlichen Traͤumen
Vor uns zu reden, als wuͤßteſt du nicht, daß der Ewige niemals
Wolluͤſtlingen erſcheinen, daß heimlichen Sadducaͤern
Wohl kein Geiſt was verkuͤndigen wird. Entweder du leugſt uns,
Oder du haſt wirklich dieß Traumgeſichte geſehen.
Jſt das erſte, ſo zeigſt du dich deiner roͤmiſchen Staatskunſt
Und des erhandelten Prieſterthums wuͤrdig: und waͤr auch das letzte,
Hoherprieſter! So wiſſe, daß Gott, Verbrecher zu ſtrafen,
Sonſt auch taͤuſchende Geiſter zu falſchen Propheten geſandt hat.
Daß der Sclave von Jeſabels Baal, daß Ahab verduͤrbe,
Daß
[108]Der Meßias.
Daß des Unſchuldigen Blut, nicht laͤnger vergebens Gott flehte,
Stieg ein Todesengel vom Thron, und gab den Propheten
Falſche Prophezeyung! Und ſiehe, die rollenden Wagen
Trugen den ſterbenden Ahab zuruͤck. Er ſtarb, und ſein Blut floß
Jn das Feld hin, wo Nabot erwuͤrgt ward, ins Feld hin, wo Gott ſtand,
Und wo der Todesengel vor Gott des Suͤnders Blut hingoß.
Zwar es gebietet dein Traum, den Widerſacher zu ſtrafen!
Du haſt keinen gehabt! Doch haſt du mit Weisheit erfunden.
Aber! zitterſt du nicht, da dir der furchtbare Name
Eines Todesengels genennt wird? Vielleicht waͤgt ein ſolcher
Schon dein bald zu vergießendes Blut vor des Ewigen Thron ab.
Nicht, als wenn ich den ſchuldigen Jeſus fuͤr ſchuldlos erkennte!
Gegen ihn verglichen, biſt du ein kleiner Verbrecher!
Du entehrſt nur das Prieſterthum Gottes. Er will es vernichten!
Jhm iſt in der richtenden Wagſchal, die oft ſchon Verbrecher,
Oft ſchon aufgethuͤrmte Bezwinger der Voͤlker zu leicht fand,
Eh er wurde, ſein Blut, zum gewiſſen Tode, gewogen!
Er ſoll ſterben! Und ich, ich will es mit meinen Augen
Sehen, wenn er erblaßt! Vom Huͤgel, wo er erwuͤrgt wird,
Will ich Erde mit Blute bedeckt, ins Heiligthum tragen,
Oder, von ihm noch rauchende Steine beym hohen Altare
Niederlegen, den Jſraeliten ein ewiges Denkmal!
Niedrige Furcht, die uns lehrt den wankenden Poͤbel zu ſcheuen!
Kleinmuth, den Vaͤtern unabgelernet! Wofern wir dem Donner,
Gottes raͤchendem Donner zuvor zu kommen nicht eilen:
Wird Gott mit ihm uns zugleich zerſchmettern! Mit brechenden Augen
Werden wirs ſehn, wenn er ſtirbt, und unrein neben ihm ſterben!
Fuͤrch-
[109]Vierter Geſang.
Fuͤrchtete da der Thisbite den Poͤbel, die Prieſter zu wuͤrgen,
Als der ſchlafende Baal zu keinem Wetter erwachte?
Oder vertraut er dem mehr, der Feuer vom Himmel ihm ſandte?
Steht uns auch kein Gewitter nicht bey: ſo will ich allein mich
Unter das Volk hinſtellen! Und, weh dem! der unter dem Volke
Wider mich ſich auflehnt, und ſagt, der Leichnam des Traͤumers
Blute nicht Gott zu ehren! Den ſoll die ganze Gemeine
Steinigen, ſo bald ihr mein um ſich ſchauender Blick winkt.
Vor den Augen des ganzen Judaͤa, vorm Antlitz der Roͤmer,
Soll er ſterben! Wir wollen alsdann im Gerichte, wie Goͤtter,
Sitzen, und laut feyrend zu Gottes Heiligthum einziehn!
Philo ſprach dieß, und gieng mit aufgehabenen Armen
Vorwaͤrts in die Verſammlung, und ſtand, und rief von neuem:
Seliger Geiſt, wo du itzo auch biſt, wenn du, himmliſch bekleidet,
Neben Abraham ſitzeſt, und um dich Propheten verſammelſt,
Oder, wenn du vielleicht in deiner Kinder Verſammlung
Wuͤrdigſt einzukehren, und unter Sterblichen wandelſt:
Moſes Geiſt! Dir ſchwoͤr ich, bey jenem ewigen Bunde,
Den du, gelehrt von Gott, aus Donnerwettern uns brachteſt:
Jch will eher nicht ruhn, als bis dein großer Feind todt iſt!
Als bis ich von vergoſſenem Blute des Nazaraͤers
Volle Haͤnde zum hohen Altare des Suͤndopfers bringe,
Und ſie uͤber mein graues Haupt, Gott zu danken, erhebe!
Aber Nikodemus ſaß, und betrachtete ſchweigend
Aller Antlitz. So wie ein Mann, der ein Suͤnder iſt, zitternd
Daſteht, und bleich wird, wenn uͤber ihm nah der Olympus donnert,
Alſo
[112]Der Meßias.
Alſo war die Verſammlung. Selbſt Philo und Kaiphas ſchienen
Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht und Verachtung
Sah ſie Nikodemus, ſtand auf, und wagt es, zu reden.
Lang gebildet, ein Mann von menſchenfreundlichem Anſehn,
Stand er. Wehmuth und Ernſt erfuͤllten ſein Antlitz; und Adel,
Adel eines empfindenden unbefleckten Gewiſſens
Sprach ſein ganzes Geſicht. Sein treuer Zeuge, das Auge
Weint, und verbarg nicht die Thraͤnen. Er glaubt, er ſpraͤche vor Menſchen.
Alſo ſagt er: Geſegnet ſey, mir, Gamaliel, ewig
Unter den Maͤnnern! Geſegnet ſey, o Mann Gottes, die Rede
Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum Helden geſetzet,
Und ein ſchneidendes Schwert in deinen Mund dir gegeben!
Noch bebt unſer Gebein, das deine Rede getheilt hat!
Noch ſinkt unſer ohnmaͤchtiges Knie! Noch decket Dunkel
Unſer Auge! Noch ſehen wir Gott in ſtrafenden Wettern,
Daß die Empoͤrer wider ſein Thun des Staubs ſich erinnern,
Der ſie gebar! Der Gott, der dieſe Weisheit dich lehrte,
Der dir, ein mehr als koͤniglichs Herz, und maͤnnlichen Mut gab!
Schuͤtze, Gamaliel, dich! Und iſt er der hohe Meßias,
Sey er auch dein Meßias, und deines Saamens Meßias!
Aber euch kann ich nicht ſegnen, die Gottes erhabnen Propheten
Alſo verfolgen! Philo, dich nicht! dich, Kaiphas, auch nicht!
Weinen kann ich vor euch! Wenn anders die Stimme des Weinens
Euerm Herzen hoͤrbar noch iſt! Und wenn, fuͤr die Unſchuld
Menſchlich vergoſſene Thraͤnen, noch eure Seele bewegen!
Jtzo klagt noch die Stimme der Thraͤnen, die Unſchuld zu retten.
Hoͤret ſie, Vaͤter. Jſt erſt ihr heiliges Blut vergoſſen:
Als-
[113]Vierter Geſang.
Alsdann rufet, gleich Gottes Wettern, erhabner die Stimme
Des vergoſſenen Bluts! Sie ruft, und ſteigt in den Himmel
Zu des Ewigen Ohr. Der wird ſie hoͤren, und kommen,
Und, im Gericht ohne Gnade, nach ſeinem Getoͤdteten fragen:
Juda, Juda! wo iſt dein Meßias? Und, wenn er nicht da iſt,
Wird er vom Aufgang herauf bis hin zum Niedergang toͤdten,
Alle Maͤnner des Bluts, die ſeinen Heiligen wuͤrgten.
Nikodemus trat ruͤckwaͤrts. Noch ſaß mit drohendem Auge
Philo da, und erbebte vor Wut und grimmigen Zorne
Jn ſich ſelber, und zwang ſich aus Stolz, den Zorn zu verbergen.
Aber er zwang ſich umſonſt. Sein Auge ward dunkel, und Nacht lag
Dicht um ihn her, und Finſterniß deckte vor ihm die Verſammlung.
Jtzo muſt er entweder ohnmaͤchtig niederſinken:
Oder ſein ſtarrendes Blut muſt auf einmal feuriger werden,
Und ihn von neuem gewaltig beleben. Es hub ſich, und wurde
Feuriger, und goß ſich vom hoch aufſchwellenden Herzen
Jn die Minen empor. Die Minen verkuͤndigten Philo.
Und er ſprang auf, und trat hoch aus ſeiner Reih, und ergrimmte.
So, wenn ſich auf unerſtiegnen Gebirgen ein nahes Gewitter
Furchtbar gelagert hat, reißet ſich eine der naͤchtlichſten Wolken
Mit den meiſten Donnern bewaffnet, im Schoß das Verderben,
Einſam hervor. Wenn andre den Wipfel der Ceder nur faſſen,
Wird ſie von einem Olympus zum andern, dichtwaldichte Berge,
Oder hochthuͤrmende Koͤnigsſtaͤdte, die meilenlang liegen,
Tauſendfach donnernd, entzuͤnden und in Ruinen begraben.
So riß ſich Philo hervor. Jhn ſahſt du, Satan, und ſagteſt
Bey dir ſelber: o ſey mir zu deiner Rede geweihet!
HWie
[114]Der Meßias.
Wie wir unten im Abgrunde weihn, ſo weih ich dich, Philo!
Gleich der Hoͤlle gefuͤrchteten Waſſern, ſo ſtroͤme ſie wild hin!
Stark, wie das flammende Meer! Wie vom Hauche der Donner gefluͤgelt,
Die mein Mund ſpricht, wenn er gebeut! Wie jemals im Abgrund
Menſchenfeindlich und zornig an ſeinen unendlichen Bergen
Von den Goͤttern hinuntergeſprochen ward, daß es die Stroͤme
Horchend lernten, und anderen Stroͤmen weit um ſich erzaͤhlten!
So ſprich, Philo! So fuͤhre dieß Volk im Triumphe gebunden!
Alſo denke! So fließe dein Herz von Empfindungen uͤber,
Derer ſich, waͤr er ein Menſch, ſelbſt Adramelech nicht ſchaͤmte.
Sprich dem Nazaraͤer den Tod! Jch will dich belohnen!
Und dein Herz mit Freuden der Hoͤlle, ſo bald du ſein Blut ſiehſt,
Ganz erfuͤllen! Und, koͤmmſt du zu uns, dein Fuͤhrer ſelbſt werden,
Und zu den Seelen dich fuͤhren, die Helden waren, und wuͤrgten!
So ſprach Satan vor ſich, und Seraph Jthuriel hoͤrt ihn.
Aber Philo ſtand da, ſah ernſt gen Himmel, und ſagte:
Altar des Bluts, wo Gott das Lamm der Verſoͤhnung gebracht wird,
Und ihr uͤbrigen hohen Altaͤre, wo vormals die Opfer,
Gott ein ſuͤßer Geruch, ſich unentheiligt erhuben!
Und du Allerheiligſtes ſelbſt! Du Lade des Bundes!
Und, ihr Cherubim, Todesengel! Du Gnadenſtul Gottes,
Wo, von Menſchen unangefeindet, der Ewige vormals
Saß, und uͤber die Suͤnder aus heiligem Dunkel Gericht hielt!
Tempel des Herrn, den Gott mit ſeiner Herrlichkeit fuͤllte!
Und, du Hoͤrer der goͤttlichen Stimmen, Moria! Moria!
Wenn euch der Nazaraͤer verwuͤſtet; wenn dieſe Maͤnner,
Dieſe zween Maͤnner der Bosheit euch unter ſeiner Beſchuͤtzung
Mit
[115]Vierter Geſang.
Mit verwuͤſten: ſo bin ich unſchuldig an eurer Verwuͤſtung!
Ja, unſchuldig, wenn unſere Kinder mit aͤngſtlichen Blicken,
Und mit bebendem Knie, und mit bang zerrungenen Haͤnden,
Gehn, und ihrer Vaͤter Gott tief in dem Heiligthum ſuchen,
Und ihn nicht finden! Wenn ſeinen Thron da der Traͤumer geſetzt hat,
Wo Gott uͤber den Cherubim ſaß! Wenn vor aller Antlitz
Goͤtzenſclaven dem Suͤnder da opfern und Rauchwerke bringen,
Wo der Vorhang ſonſt hieng! Wo ſonſt nur der Hoheprieſter
Mit verhuͤlltem Geſicht und betend zum Gnadenſtuhl hintrat!
Laß mich den Jammer nicht ſehn! Laß, Gott, mein ſterbendes Auge
Eher brechen, als dieſer Graͤul der Verwuͤſtung dein Volk trift.
Unterdeß, was ich noch thun kann, dem nahen Verderben zu wehren,
Dieſes thu ich vor Gott! Hier ſteh ich vor deinem Antlitz!
Hoͤre, Gott Jſrael, mich; wenn du jemals im Himmel gehoͤrt haſt,
Was von dir auf Erden ein Menſch im Staube gefleht hat!
Traf, auf Elias Gebet, die geſandten Moͤrder des Koͤnigs
Feuer vom Himmel, und fraß es ſie weg vom Gipfel des Carmels!
Riß der Abgrund, da Moſes dich bat, in ſeine Tiefen
Corah, und Dathan und Abiramiden lebendig hinunter:
O ſo hoͤre, Gott Jſrael, mich! Jch fluche den Maͤnnern,
Die dich ſchmaͤhn, und den Suͤnder, der Moſes Feind iſt, beſchuͤtzen.
Nikodemus! Dein Ende ſey, wie das Ende des Traͤumers!
Und dein Grab, wie das Grab des Empoͤrers! Nah unter den Moͤrdern,
Welche, fern von dem Tempel und Altar, geſteiniget werden!
Hart ſey dein Herz, wenn du ſtirbſt, und ununterwuͤrfig der Gottheit!
Thraͤnenlos ſey dein Auge! Das Weinen muͤß ihm verſagt ſeyn,
Wenn du zu Gott dich ſterbend bekehren willſt! Weil du geweint haſt.
H 2Einen
[116]Der Meßias.
Einen Verruchten zu ſchuͤtzen, und weil dein dienſtbares Auge
Wider den Ewigen ſtritt, und unheilige Thraͤnen dahingoß!
Auch du ſchuͤtzeſt den Traͤumer, Gamaliel! Finſterniß decke
Und entſetzliches Dunkel dein Auge! Dann ſitz und warte
Auf die Huͤlfe des Nazaraͤers, und ſchmachte vergebens!
Taubheit ſchließe dein Ohr, ein ſchreckliches Ende dein Leben!
Lieg dann, und harre, bis dich der Nazaraͤer erwecke!
Lieg, und verweſ und harre vergebens! Und, wenn du zum Poͤbel,
Der ihn, wie du, fuͤr wunderthaͤtig und goͤttlich haͤlt, ſagteſt:
Merket darauf, er wird mich erwecken! So trete der Poͤbel
Auf dein Grab hin und ſpotte daſelbſt des Propheten und deiner:
Warum liegt ihr ſo ſtill, der Auferſtehung Gebeine?
Warum ſchlaͤfſt du ſo ewig, Gamaliel? Komm doch, du Frommer!
Komm doch hervor! Dich rufet der Mann, der Meßias, ins Leben!
Hoͤrſt du uns nicht? Und traͤumſt du vielleicht, wie vormals im Leben?
Alſo trete der Poͤbel auf deine Gebeine mit Hohn hin!
Dann ſteh dein Geiſt vor dem ernſten Gericht, und hoͤre ſein Urtheil!
Heb auch deinen gefuͤrchteten Arm auf und ſchlage den Suͤnder,
Schlage Nikodemum, Gott! Und vollende die Fluͤche,
Die ich zu Ehren dir that! Den andern, der nebſt ihm ſein Knie bog,
Leg auch ihn in den Staub, Gamaliel hin, wo der Tod wohnt!
Aber deinen grimmigen Zorn, worunter die Hoͤlle,
Wenn du dahergehſt, worunter die Berge der Erden erzittern,
Deine Donner die vor dir, und nach dir, und um dich her donnern!
Nimm, Gott, und ſchlag den noch groͤſſeren Suͤnder, den Nazaraͤer!
Jch bin jung geweſen, und bin zum Greiſe geworden,
Habe dir ſtets nach der Weiſe der V[aͤt]er gedient und geopfert:
Aber,
[117]Vierter Geſang.
Aber, Gott, laͤßt du mein ſterbendes Auge den Jammer erblicken,
Daß der Traͤumer von Nazaret ſiegt! Daß dein ewiger Bund nichts,
Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein Eid und dein Segen,
Den du Abraham ſchwurſt, und nach ihm, den Abrahamiden:
So entſag ich hiermit, vor dem Antlitz des ganzen Judaͤa,
Deinem Recht und Geſetz! So will ich ohne Gott leben!
Ohne Gott, ſoll mein graues Haupt ſich, ins Grabmal hin legen!
Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Traͤumer nicht wegtilgſt:
So biſt du nicht Moſes erſchienen! So war es ein Blendwerk,
Was er im heiligen Buſch am Fuße des Horeb erblickte!
So ſtiegſt du auf die Spitze des Sina nicht wunderbar nieder!
So klang keine Poſaune! Kein Donner! So bebte der Berg nicht!
So ſind unſere Vaͤter und wir, ſeit undenkbaren Zeiten,
Unter den Voͤlkern der Welt die beweinenswuͤrdigſten Menſchen!
So iſt kein himmliſch Geſetz! So biſt du Jſraels Gott nicht!
Philo ſprachs, und trat grimmig zuruͤck. Und Nikodemus
Stand mit niederſchauendem Angeſicht. So, wie ein Mann ſteht
Welcher von Laſterhaften erduldet, und bey ſich den Vorzug
Und die Erhabenheit ſeiner Tugend und Unſchuld empfindet.
Ernſt iſt in ſeinem Geſicht; tief in der Seele der Himmel!
Jtzo dachte der goͤttliche Mann voll Gedanken der Ehrfurcht
An die heilige Nacht, wo allein mit ihm der Meßias
Von der Ewigkeit ſprach und von den Geheimniſſen Gottes:
Wo er tiefſinnig, mit Minen voll Seele, mit himmliſchen Laͤcheln
Neben ihm ſtand, und ſprach. Er ſah ſein Antlitz voll Gnade
Und den mehr als menſchlichen Geiſt der goͤttlichen Augen,
H 3Und
[118]Der Meßias.
Und die Enthuͤllung der anerſchaffnen und erſten Unſchuld;
Lichthelle Zuͤge des ewigen Bildes, den Sohn des Vaters!
Nikodemus ſtand ſtillanbetend, zu ſelig, vor Menſchen
Sich noch zu fuͤrchten. Ein maͤchtiges Feuer, ein Schauer vom Himmel,
Hub ihn empor. Es war ihm, als wenn er vor Anſchaun der Gottheit,
Vor der Verſam̃lung des Menſchengeſchlechts, und vorm Weltgericht ſtuͤnde.
Auf ihn ſchaute die ganze Verſammlung. Sein Auge voll Ruhe,
Voll des unwiderſtehlichen Feuers der furchtbaren Tugend,
Schreckte die Suͤnder. Sie fuͤhlten ihn grim̃voll. Er zwang ſie; ſie hoͤrten:
Heil mir! Daß ich mit meinen Augen dich, Goͤttlicher, ſchaute!
Heil mir! Daß ich, die Hofnung der Vaͤter, den Retter, erblickte!
Welchen zu ſehn, im Haine zu Mamre ſelbſt Abraham oftmals
Einſam ſeufzte: Den David, der Mann zum Beten geſchaffen,
Gern aus den Armen des Vaters herunter gebetet haͤtte!
Den, im Staube gebuͤckt, Propheten mit Thraͤnen verlangten,
Die Gott ſammelt und zaͤhlte! Den uns Unwuͤrdigen Gott gab!
Ja, du haſt die Himmel getheilt! Du kameſt hernieder
Unter dein Volk, es zu ſegnen, du Erſtgeborner des Vaters!
Oder, wie dieſe Maͤnner dich nennen, du Traͤumer, und Suͤnder!
Ach, unſchuldiger Mann, wer ſind ſie, die alſo dich nennen?
Und, wenn haſt du Luͤgen getraͤumt? Wenn haſt du geſuͤndigt?
Stand er nicht vor dem Geſicht der verſammelten Jſraeliten?
Standſt du nicht, Philo! dabey? Und rief er nicht alſo? und ſagte:
Wer kann einer Suͤnde mich uͤberzeugen? Wo war da,
Philo! der grimmige Zorn auf dieſen Lippen der Laͤſtrung?
Warum ſtandſt du, und um dich herum dein Haufen, ſo ſprachlos?
Erſt war ein uͤberall herrſchendes Schweigen, und wartende Blicke!
Wilde
[119]Vierter Geſang.
Wilde Geſichter voll Freude! Geſichter von ſorgender Furcht voll!
Still und verſtummend ſtand die Verſammlung, und wartete, bis ſich
Einer erhuͤb, und wider ihn zeugte. Da aber nicht einer
Unter dieſer ſo dichten Verſammlung unzaͤhlbarer Menſchen,
Wider den Goͤttlichen aufſtand, und zeugte: da hub ſich die Stimme
Des zuſegnenden Volks von allen Seiten gen Himmel,
Daß Moria davon, daß des Oelbergs waldichte Gipfel,
Von der Stimme des Rufens erbebten! Da drangen die Blinden,
Und die vormals Tauben herzu, und dankten und jauchzten!
Da kam ein unzaͤhlbares Volk, das er wunderbar vormals
Jn den Wuͤſten geſpeiſt hat, und dankte dem Menſchenfreunde.
Da rief unter dem Volk mit lauter Stimme der Juͤngling,
Den er vor Nains Thoren erweckte, der rief, und ſagte:
Du biſt warlich mehr, als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!
Du biſt Gottes Sohn! Dieſe Hand, die ich gegen dich ſtrecke,
War mir erſtarrt! Dieß Auge, das weint, das dir, Goͤttlicher, zuweint!
War mir geſchloſſen! Die Seele, die freudig und dankbar dir betet,
War nicht bey mir! Man trug mich hinaus zum Grabe der Todten!
Aber du gabeſt der ſtarrenden Hand, du gabeſt dem Auge
Leben und Feuer! Jch ſahe von neuem die Erd und den Himmel,
Und die zitternde Mutter bey mir! Du riefeſt die Seele
Wieder zuruͤck! Man trug mich nicht mehr zum Grabe der Todten!
Du biſt warlich, mehr als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!
Du biſt des Ewigen Sohn! Die Hoffnung der Jſraeliten!
Alſo rief er. Du aber ſtandſt ſtill, und ſchwiegſt und ſahſt nieder!
Warum verſtummteſt du ſo vorm Antlitz des ganzen Judaͤa?
Philo! … Zwar, was erzaͤhl ich dieß hier? Jhr wißt es ja alle!
H 4Haͤt-
[120]Der Meßias.
Haͤtteſt du Augen, zu ſehn! Und Ohren zu hoͤren, und waͤre
Nicht dein Verſtand mit Dunkel umhuͤllt, und dein Herz voll Vosheit:
O, ſo haͤtteſt du lange den Sohn des ewigen Vaters
Jn ihm erkannt! Und waͤrſt du hierzu, zu niedrig geweſen
Haͤtteſt du Gott doch geſcheut! Und tief im Staube gewartet,
Bis ihn der Richter der Welt vom Himmel gerechtfertigt haͤtte:
Oder uͤber ſein Haupt dem Untergange gerufen.
Religion der Gottheit! Du heilige Menſchenfreundinn!
Tochter Gottes, der Tugend erhabenſte Lehrerinn, Ruhe,
Beſter Segen des Himmels, wie Gott dein Stifter, unſterblich!
Schoͤn wie der Seligen einer! Suͤß, wie das ewige Leben!
Schoͤpferinn hoher Gedanken! Der Froͤmmigkeit ſeligſter Urquell!
Oder wie ſonſt noch ein Seraph dich, Unausſprechliche! nennet;
Wenn dein lichtheller Stral in edlere Seelen ſich ſenket:
Aber ein Schwert in des Raſenden Hand! des Bluts und des Wuͤrgens
Prieſterinn! Tochter des erſten Empoͤrers! Nicht Religion mehr!
Schwarz, wie die ewige Nacht! Furchtbar, wie das Blut der Erwuͤrgten,
Die du ſchlachteſt, und uͤber Altaͤren auf Todten dahergehſt!
Raͤuberinn des Donners, den Gottes rechte Hand ſich nur
Vorbehielt! Dein Fuß ſteht, tief auf der Hoͤlle, dein Haupt droht
Gegen den Himmel empor; wenn dich die Seele des Suͤnders
Ungeſtalt macht, wenn ein Menſchenfeind dich, zur Abſcheulichen, umſchaft!
Religion der Gottheit! Du alſo lehrſt uns den wuͤrgen,
Ohne den du nichts waͤrſt, den deine goͤttlichſten Kinder
Sangen, eh du zu Menſchen noch kamſt, entheiligt zu werden,
Deinen Stifter zugleich und deinen goͤttlichen Jnhalt,
Religion! Den lehrteſt du wuͤrgen? Das lehreſt du uns nicht!
Das
[121]Vierter Geſang.
Das ſey ferne von dir, die du des Ewigen Kind biſt,
Stifterinn des Friedens! Heil Gottes! Bund! Ewiges Leben!
Meine Seele bewegt ſich in mir! Mein bebendes Knie ſinkt,
Schwermut, und Mitleid, und Angſt, erſchuͤttern meine Gebeine,
Wenn ich dieß alles in ernſten Betrachtungen uͤberdenke.
Und ein Abſcheu vor Menſchen, ein Schauer vor denen, die Gott ſchuf,
Ueberfaͤllt mich, ſo oft ich bedenke, wie wenig ihr dieſes
Bey euch empfindet, wie niedrig ihr ſeyd, nur menſchlich zu fuͤhlen;
Wie ohnmaͤchtig, die Religion, und die Mordſucht zu ſondern,
Und wie poͤbelhaft klein, die lichten Stralen der ſchoͤnen
Und der liebenswuͤrdigen Unſchuld, nur dunkel zu ſchauen!
Zwar was ſorget die Unſchuld, von euch geſehen zu werden!
Gott ſieht ſie, der Himmel mit Gott! Sie wird nicht erzittern,
Wenn ſie niedrige Suͤnder verdammen! Wenn Seraphim daſtehn,
Und ſie bewundern, wenn hoch vom Olymp ihr der Ewige laͤchelt;
Wenn wir alsdann, in unſerm einheimiſchen niedrigen Staube,
Stehn, und wider ſie zeugen: wie klein und verachtungswuͤrdig
Werden wir daſtehn, und wider ſie zeugen! Und wenn im Gericht einſt,
Wenn einſt vor der ganzen Verſammlung erwachender Todten,
Seraphim dahergehn, und da ſtehn, und wider uns zeugen;
Wenn die Stimme der Cherubim ruft, und auf uns donnernd,
Gottes Heilige nennt; wenn Gott ſpricht, und ſeine Gerechten
Zu ſich, im hohen Triumph, zu ſeiner Herrlichkeit, einfuͤhrt:
O, wie werden wir da den Huͤgeln flehen: Bedeckt uns!
Und den Bergen: Fallt uͤber uns her! Und den Meeren: Verſchlingt uns!
Und dem Verderben: Vernicht uns, Verderben! Daß die uns nicht ſehen,
Die wir verdammten! Daß ſie uns nicht ſehen die ſchrecklichen Frommen!
H 5Daß
[122]Der Meßias.
Daß uns der Vater ſo furchtbarer Kinder im Grimme nicht anſchau!
Staͤrke mich groſſer Gedanke, Gedanke vom Weltgerichte!
Sey mir ein Berg Gottes, zu dem ich fliehen kann, wenn mich,
Sterbender Meßias! Dein letzter Anblick erſchuͤttert.
Ach, ich fuͤhl es zu ſehr, wie meine Seele bewegt wird,
Welch ein zweyſchneidiges Schwert auf meinen Scheitel daher blinkt,
Wenn ich deinen annahenden Tod von ferne betrachte!
Ach vergebens, erhabner Gedanke! Vergebens erhoͤhſt du
Meine Seele! Dem fuͤhlenden Herzen, dem Herzen voll Mitleids,
Voll von Jammer, voll Angſt, ſind deine Donner nicht hoͤrbar!
Du ſollſt ſterben, du goͤttlicher Juͤngling! Du, welchen mein Arm hielt,
Als du ein Knabe noch warſt; umſchloſſen hielt dich mein Arm da,
Druͤckte dich an mein Herz, du aber ſagteſt voll Wehmut:
Wenn doch alle Menſchen durch mich gluͤckſeliger wuͤrden!
Um dich ſtanden die Weiſen herum, und hoͤrten dich lehren,
Und bewunderten dich! Unfehlbar ſtand auch der Himmel,
Aus den ewigen Pforten, zu Legionen, gegoſſen,
Um dich herum, und hoͤrte dich lehren, und jauchzte dir Lieder!
Dein Arm weckte die Todten, dein Auge gebot den Gewittern,
Und die Gewitter gehorchten dir gern. Da ruhte der Sturmwind!
Du erhubſt dich, und giengeſt daher, da ſanken die Waſſer,
Wie Gebirge, vor dir, und wurden Ebnen! Da giengſt du
Auf der Stille der Waſſer! Die Himmel ſahen dich wandeln,
Du ſollſt ſterben? … So ſtirb dann! Wenns deines erhabenen Vaters
Heiliger Rathſchluß iſt, ſtirb! Jch aber will gehen, und weinen
An dein Grab hin! Zum heiligen Quell der Bethlehemiten,
Wo dich Maria gebar, da will ich weinen und ſterben!
Beſter
[123]Vierter Geſang.
Beſter unter den Menſchen! Sohn Gottes! Engel des Bundes!
Theurer Juͤngling! … Mein Ende ſey, wie dein Ende! Mein Grab ſey,
Bey dem Grabe dieſes Gerechten! Nah bey den Gebeinen,
Die in Sicherheit ruhn, und zum ewigen Leben erwachen!
Doch, was ſaͤumet mein Fuß aus dieſer Verſammlung zu gehen?
Heilig und rein geh ich von euch hinaus! Gott hat mich gehoͤret!
Rein des gerechten unſchuldigen Bluts! Nun rufe mich zu dir,
Richter der Welt! Jch habe kein Theil am Rathe der Suͤnder!
Alſo ſpricht er, bleibt wiederum ſtehn, faͤllt nieder, und betet:
Der du vor Abraham warſt, Meßias! Sey du auch mein Zeuge,
An dem Tage des groſſen Gerichts! Dich bet ich, als Gott, an;
Und er ſtand auf, und redte zu Philo; ſein Antlitz war heiter,
Wie der Seraphim Angeſicht iſt. Du haſt mir gefluchet!
Aber ich ſegne dich, Philo! Der hats mich alſo gelehret,
Den ich, als Gott, anbetete. Philo, vernimm mich, und kenn ihn!
Wenn du nun ſterben willſt, Philo! Wenn itzt des Unſchuldigen Blut dich
Schreckt, und auf dich, wie ein Weltmeer herabſtuͤrzt! Wenn deinem Ohre,
Wie ein Wetter des Herrn, die Stimme der Rache donnert!
Wenn du nun hoͤren wirſt um dich herum im Dunkeln dahergehn
Gottes Fußtritt, den eiſernen Gang des wandelnden Richters,
Und den Kriegsklang der Panzer um ihn! Des blinkenden Schwerts Schlag,
Welches er wetzt, und den trunkenen Pfeil vom Blute der Suͤnder!
Wenn von Gottes Angeſicht her die Todesangſt ausgeht,
Und dich erſchuͤttert! Wenn mit ganz andern Gedanken die Seele
Jtzt erfuͤllt iſt! Und um dein ſtarres ſterbendes Auge
Lauter Gericht iſt! Wenn du dich alsdenn vor dem toͤdtenden Richter
Windeſt und kruͤmmſt, und mit bebender Stimme lautweinend zu Gott flehſt
Um
[124]Der Meßias.
Um Erbarmung: ſo hoͤre dich Gott, und erbarme ſich deiner!
Alſo ſagt er, und geht durch ſie hin. Jhn begleitete Joſeph.
Aber Jthuriel ſah Nikodemum, den goͤttlichen Mann, gehn.
Und der Seraph erhub ſich und gieng in hoher Entzuͤckung
Mit weit ausgebreiteten Armen. Sein freudiges Auge
Schaute gen Himmel nach Gottes Thron hin. Ein goͤttliches Laͤcheln
Hellte die ſelige Stirn, und unausſprechliche Freude
Floß um ſein Haupt, da er gieng. So, wie der Himmliſchen einer,
Der, als Waͤchter, zween Liebende ſchuͤtzt, die edler ſich lieben,
Tief verloren in ſeiner Entzuͤckung, auf bluͤhenden Huͤgeln,
Unten am ewigen Thron ſteht, wenn Seraph Eloa vor Gott ſingt,
Und der toͤnenden Harfe die himmliſche Sprache gebietet.
Von der Belohnung der Tugend, vom Widerſehen der Freunde
Und der Liebenden ſingt dann Eloa. Der laͤchelnde Seraph
Stehet entzuͤckt. Die Harfe toͤnt fort mit gefluͤgelten Stimmen,
Schlag auf Schlag, Gedank auf Gedanke! Der hoͤrende Juͤngling
Jauchzt, und zerfließt im ſuͤßen Gefuͤhl unausſprechlicher Freuden.
Alſo entzuͤckt ſtand Jthuriel da, und ſprach zu ſich ſelber:
Welche Seligkeit wird, nach des Mittlers Tode, dich kroͤnen;
Wenn du ſolche unſterbliche Seelen, o Menſchengeſchlecht, haſt!
Und nun bald die Chriſten ſo ſind, wie dieſer Gerechte!
Dieſes ſagt er, und achtet nicht Satan, ihn hoͤren zu laſſen,
Was er ſagt. Doch Satan erblickt ihn in ſeiner Entzuͤckung,
Und empfand den gewiſſen Triumph des erhabneren Seraphs.
Aber Nikodemus gieng neben Joſeph und ſagte,
Als er von ihm ſich wandte: du aber ſchaͤmteſt dich ſeiner,
Theurer Joſeph! Das gieng ihm durchs Herz. Der froͤmmere Joſeph
Hatte
[125]Vierter Geſang.
Hatte geheim ſchon geweint, daß er unentſchloſſen verſtummt war.
Zitternd gieng er von Nikodemus, und konnte vor Wehmut
Gar nicht ſprechen. Er hub nur ſein Auge voll Unſchuld gen Himmel.
Nikodemus ließ die Verſammlung ſtaunend zuruͤcke,
Und, auf den Tag des Gerichts, mit Wunden der Seele gebrandmarkt;
Wunden, deren Gefuͤhl ſie itzt zu betaͤuben ſich zwangen,
Aber die offen ſeyn werden, weit offen, den Tag der Vergeltung,
Ewig zu bluten, wenn nun der Zeuge nicht mehr betaͤubt wird,
Den der Richter der Welt ins Herz des Menſchen geſandt hat.
Alle ſchwiegen. Es haͤtte ſich itzt die Verſammlung getrennet;
Waͤre nicht eben ein Juͤnger von dem, den ſie haßten, gekommen.
Judas Jſchariot ward hereingefuͤhret. Sie ſahn ihn
Voll Verwundrung die Reihn der tiefen Verſammlung vorbeygehn,
Und mit ruhiger Mine dem Hohenprieſter ſich naͤhern.
Der empfieng ihn, und neigte ſein frohes Antlitz auf Judas.
Judas ſpricht ins Geheim mit dem Hohenprieſter. Der kehrt ſich
Zu der Verſammlung und ſagt: noch ſind in Jſrael uͤbrig,
Die ihr Knie vor dem Goͤtzen nicht beugen. Der Mann iſt ſein Juͤnger,
Und doch herzhaft genug, daß Geſetz der Vaͤter zu halten!
Er verdienet Belohnung! Jſchariot nahm die Belohnung.
Und, erfuͤllet von Stolz, daß ihn die Vaͤter ſo ehrten,
Gieng er aus der Verſammlung! Nur war ihm der Lohn zu geringe.
Doch ermuntert er ſich mit der Hoffnung, mehr zu beſitzen,
Wenn er mit Eifer und Weisheit die That erſt ausgefuͤhrt haͤtte.
Philo ſah den Juͤnger vorbeygehn, und haßt ihn. Daß einer
Von den Geringen des Volks an ſeiner Ehre den Antheil
Nehmen ſollte, das quaͤlt ihn. Doch ſah er mit winkendem Laͤcheln
Au
[126]Der Meßias.
Auf ihn herab, und feuert ihn an, unmenſchlich zu werden.
Lange ſchaut er Jſchariot nach. So ſchaut dem Erobrer,
Der in die Schlacht eilt, der Erſtling der Moͤrder, mit Spott u. Triumph nach.
Dieſer wars, der zuerſt ihn ruhige Grauſamkeit lehrte,
Und der Menſchlichkeit zartes Gefuͤhl zum Poͤbel herabſtieß.
Jtzo flattern Phantomen des ewigen Ruhms um ſein Auge!
Bluͤhende Lorbern entſproſſen des Siegers Stirne. Nur Menſchen,
Die, dem Unſterblichen nachzuahmen, auch Thiere, wie er, ſind,
Haͤlt er ſchaͤtzbar. Es fliegt der Loͤwe, den Tod zu gebieten.
Schon ertoͤnen ihm ſuͤß im Ohre des eiſernen Feldes
Dumpfe Gewitter! Schon hoͤrt er geſetzt der Sterbenden Winſeln!
Und erinnert ſich nicht, daß er auch ein Chriſt war geboren,
Und des Weltgerichts Donner auch ihn mit den Todten wird wecken!
Judas, vom Aug und den Wuͤnſchen des Phariſaͤers begleitet,
Und in goldene Traͤume vertieft, gieng, Jeſum zu ſuchen.
Jeſus koͤmmt aus den Schatten des nahen Kidron, und wandelt
Durch die Palmen im Thal. Er ſieht Jeruſalem liegen,
Und den Tempel, ſein Bild; ſieht ſeiner Feinde Verſammlung,
Und die Erſten der Chriſten. Seht da die Zeuginn! (So ſprach er
Zu den Juͤngern,) Jch weine nicht mehr um Jeruſalems Kinder.
Schaut der Heiligen Graͤber! Die alle hat ſie getoͤdtet.
Zwar von ihren Soͤhnen ſind viel, die werden einſt mein ſeyn,
Meine Zeugen mit euch! Jtzt will ich ruhig den Rathſchluß
Meines Vaters vollenden. Bald wird euch alles enthuͤllt ſeyn.
Geh du, Petrus, und du, Johannes, geht beyde zur Stadt hin.
Euch wird in Jeruſalems Mauern ein Juͤngling begegnen;
Einen Waſſerkrug traͤgt der Juͤngling, und ſieht ſich verwundernd
Oft
[127]Vierter Geſang.
Oft nach euch um, und liebet die beyden Fremdlinge! Folgt ihm,
Wo er hingeht. Und, kommt ihr ins Haus, ſo ſagt dem Bewohner:
Unſer Lehrer ſendet uns her, das Feſt hier zu feyern.
Und der redliche Mann wird auf einen erhabenen Saal euch
Eilig fuͤhren. Der iſt ſchon bereitet. .. Es fanden die Juͤnger
Alles ſo, und ließen das Lamm zum Male bereiten.
Petrus ſaͤumte ſich nicht, das Mal bereiten zu ſehen,
Eilt auf den hohen Soͤller des Hauſes, und ſchaute mit Sehnſucht
Nach der Seite der Stadt, die auf Bethanien fuͤhrte,
Jeſum kommen zu ſehn. Da er ſo mit gefluͤgeltem Blicke
Jede Ferne durcheilt, da ſieht er die liebende Mutter
Seines Meßias, von wenigen Freunden begleitet, dahergehn.
Muͤd und voll Schmerz, (ſie hatte den Sohn ſchon Tage geſuchet,
Vielmehr Naͤchte geweint!) Doch durch den Schmerz nicht entſtellet,
Gieng die hohe Maria, unwiſſend der eigenen Wuͤrde,
Die die Unſchuld ihr gab, und ſtrenge Tugend bewachte;
Reines Herzens, vom Stolz nie entehrt, die menſchlichſte Seele!
Wuͤrdig, wenns eine der Sterblichen war, der Toͤchter von Eva
Erſtgeborne zu ſeyn, waͤr Eva unſchuldig geblieben:
Hoch, wie ihr Lied, holdſelig, wie Jeſus, und von ihm geliebet.
Und ſie gieng von Freunden umgeben, die immer ihr folgten.
Lazarus, den der Meßias vor kurzem vom Tode erweckte,
Lazarus himmliſch geſinnt, und gewiß des ewigen Lebens,
Gieng am naͤchſten bey ihr. Sein niederſchauendes Auge
Schaute Tiefſinn herab, mit einer Hoheit vereinbart,
Die, unausſprechlich der Sprache des Menſchen, nur ſterbende Chriſten
Fuͤhlen, und durch Laͤcheln im Tode beym Namen ſie nennen.
Laza-
[128]Der Meßias.
Lazarus dachte den Tod, und die Auferſtehung vom Tode.
Da er, wie zu des Ewigen Anſchaun, zum großen Meßias,
Aus dem Staube, gefaßt vom Schauer Gottes, heraufſtieg.
Seine Schweſter, die junge Maria, die Hoͤrerinn Jeſu,
Die, in ihrer Unſchuld und Ruh vor ihn hingegoſſen,
Da den ewigern Theil zu ſeinen Fuͤßen erwaͤhlte,
Dieſe folgte dem himmliſchen Bruder. Jhr ruhiges Antlitz,
War mit Todesblaͤſſe bedeckt. Jm Auge voll Wehmut,
Hielt ſie die ruͤhrendſte Thraͤne zuruͤck, die jemals geweint ward.
Von Nathanael, ihrem Geliebten, dem Jeſus den Namen
Des Rechtſchaffenen gab, zu ihrem himmliſchen Bruder,
Welcher geſtorben, und ihr von den Todten wieder geſchenkt war,
Zitterten hin und wieder des heiligen Maͤdchens Gedanken.
Ruhig fuͤhlt ſie den kommenden Tod. Um Nathanaels willen,
Nur um ihres himmliſchen Bruders, um Lazarus willen,
Trauert ſie wegen der Blaͤſſe, von der die Geſpielinn oft redet.
Neben ihr gieng die ſittſame Cidli, die Tochter Jairus.
Still in Unſchuld waren ihr kaum zwoͤlf Jahre verfloſſen,
Als, aus dem jungen Leben wegbluͤhend, ſie heiter und freudig
Jn die Gefilde des Friedens hinuͤber ſchlummerte. Todt lag
Cidli vor dem Auge der Mutter. Da kam der Meßias,
Rief ſie aus dem Schlummer zuruͤck, und gab ſie der Mutter.
Heilig traͤgt ſie die Spuren der Auferſtehung; doch kennt ſie
Jene Herrlichkeit nicht, mit der ihr Leben gekroͤnt iſt,
Nicht die zart aufbluͤhende Schoͤnheit der werdenden Jugend
Noch ihr goͤttliches Herz, dir, edlere Liebe, gebildet.
So gieng, da ſie erwuchs, der Jſraelitinnen ſchoͤnſte,
Sula-
[129]Vierter Geſang.
Sulamith, als die Mutter ſie unter dem Apfelbanm weckte,
Wo ſie die Tochter gebar, die hernach hier auch Salomo weckte.
Sanft rief ſie der ſchlummernden Tochter; mit lispelnder Stimme
Rief ſie: Sulamith! Sulamith folgte der fuͤhrenden Mutter,
Unter die Myrrhen, und unter die Schauer einladender Schatten,
Wo, in Wolken ſuͤßer Geruͤche, die himmliſche Liebe
Unſichtbar ſtand, in ihr Herz die erſten Empfindungen hauchte,
Und das verlangende Zittern ſie lehrte, den Juͤngling zu finden,
Der, erſchaffen fuͤr ſie, dieß heilige Zittern auch fuͤhlte.
So gieng Cidli. Sie hieng an der Hand der jungen Maria.
Aber die Mutter Jeſu erhub ihr Antlitz und ſahe
Petrum ſtehn. Da eilte ſie ſchnell, den Meßias zu finden.
Petrus war in den Saal herunter gegangen, und kam ihr
Mit Johannes entgegen. Sie ſahn ſie kommen, und ſtaunten,
Als ſie ſie ſahn. So viel ſprach von dem Adel des Geiſtes
Jhre Bildung! So hatte ſie der mit Wuͤrde bekleidet,
Der, eh er Menſch ward, Schoͤpfer geweſen, und wieder es ſeyn wird,
Wenn er neue, nicht ſterbliche Leiber den ewigen Seelen
Aus dem Staube der Auferſtehung wird heißen hervorgehn?
Jhre Begleiterinnen, die unter den Toͤchtern Judaͤa
Zwo der liebenswuͤrdigſten waren, und werth, von der Mutter
Des Propheten geliebt, und uͤbertroffen zu werden,
Giengen mit ſanfter vertraulicher Demuth neben Maria.
Wie vor allen Bergen Judaͤa Tabor hervorragt,
Und ein Zeug iſt der Herrlichkeit Jeſu; zwar ruhet auch Sion
Lieblich vor Gott; zwar nahm auch der Oelberg den großen Meßias
Auf, wenn er rang im Gebet; zwar traͤgt auch die Stirne Moria
JHoch
[130]Der Meßias.
Hoch das allerheiligſte Gottes, und zittert darunter:
Aber vor allen Bergen Judaͤa iſt Tabor doch herrlich,
Tabor, verbreitet vor Gott, ein Zeuge der hohen Verklaͤrung.
Alſo war unter den goͤttlichen Frauen die hohe Maria.
Als ſie bey ſeinen geliebteſten Juͤngern Jeſum nicht ſahe,
Blieb ſie wehmutsvoll ſtehn …. Da ſie zu reden vermochte,
Wandte ſie gegen Johannes ihr Antlitz, und laͤchelte weinend:
Ach, den mein Arm getragen, der oft mit kindlichem Blicke
An mein Herz ſich geneigt hat, zwar zittr’ ich, Sohn ihn zu nennen!
Denn er iſt viel zu erhaben fuͤr eine ſterbliche Mutter!
Viel zu wunderthaͤtig und groß, von Maria gebohren,
Und geliebet zu ſeyn! Wo iſt er, theurer Johannes,
Wo iſt Gottes Sohn, unſer Prophet? Jch hab ihn ſchon lange
Ueberall aͤngſtlich geſucht, daß er nicht nach Jeruſalem komme,
Jn die entheiligte wuͤtende Stadt. Sie wollen ihn toͤdten!
Ach, ſie wollen ihn toͤdten, den meine Haͤnde getragen,
Meine Bruͤſte geſaͤugt, den meine weinenden Augen
Muͤtterlich angeblickt haben, als er ein bluͤhendes Kind war.
Sanft erwiedert der fromme Johannes: er hat uns befohlen,
Hier ihm ein Mahl zu bereiten, das Lamm des Bundes zu ſchlachten.
Bald wird er ſelbſt von Bethanien kommen. Erwart ihn, Maria!
Rede mit ihm, wenn er koͤmmt, was dir dein Herz dann gebietet,
Das ſo muͤtterlich iſt, ſo wuͤrdig unſers Propheten!
Alle ſchwiegen, und Lazarus Schweſter, die junge Maria,
Neigte ſich ſanft an ihre geliebteſte Cidli; ihr Bruder
Stand bey Cidli, und ſah mit ſchweigender Traurigkeit nieder.
Dieſe kannte den Schmerz, der lange ſchon Lazarus Herz traf,
Und
[131]Vierter Geſang.
Und ſie blickte ſeitwaͤrts ihn an, und ſah die Empfindung
Seiner Seelen im Auge voll Wehmut, ſahe die Hoheit,
Welche mit Zuͤgen der Himmliſchen ſchmuͤckt die leidende Tugend.
Da zerfloß ihr das Herz, und lispelte dieſe Gedanken:
Edler Juͤngling, um mich bringſt du dein Leben mit Wehmut,
Deine Tage mit Traurigkeit zu! Ach, war ichs auch wuͤrdig?
Daß du ſo himmliſch mich liebſt, wars deine Cidli auch wuͤrdig?
Lange ſchon wuͤnſch ich, die Deine zu ſeyn, und von dir zu lernen,
Wie ſie ſo ſchoͤn iſt, die ſelige Tugend! Dich zaͤrtlich zu lieben,
Wie zu den Zeiten der Vaͤter die Toͤchter Jeruſalems liebten;
Wie ein jugendlich Lamm um deine Winke zu ſpielen;
Gleich den Roſen im Thal, die der fruͤhe Tag ſich erziehet,
So in deiner reinen Umarmung gebildet zu werden,
Dein zu ſeyn, und dich ewig zu lieben! Ach, meine Mutter,
Warum geboteſt du doch das himmliſche ſtrenge Gebot mir?
Zwar ich ſchweig, und gehorche der Weisheit der liebenden Mutter,
Und der Stimme Gottes in ihr! Dem bin ich gewidmet!
Jch bin auferſtanden! Jch bin zu heilig, die Mutter
Sterblicher Soͤhne zu werden! Nur du muſt deine Betruͤbniß,
Deine zaͤrtlichen Klagen, du edler Juͤngling, auch mindern!
Wuͤrde doch meinem Leben der Troſt noch einmal gegeben,
Daß ich in deinem Geſicht das ſuͤße Laͤcheln erblickte,
Da du keine Thraͤnen noch kannteſt, als Thraͤnen der Freude,
Da du ein Knabe noch warſt, und ich aus dem ſchmeichelnden Arme
Deiner ſchoͤnen Schweſter, Maria, in deinen Arm hinflog.
Alſo denkt ſie. Es bricht ihr das Herz, ſie kann ſich nicht halten,
Stille Thraͤnen zu weinen. Es ſah ſie Lazarus weinen,
J 2Ob
[132]Der Meßias.
Ob ſie mit ihrem ſilbernen Schleyer ihr Antlitz gleich deckte.
Lazarus geht ſtill aus der Verſammlung, und da er hinauskoͤmmt,
Sieht er mit traurigem Angeſicht nieder, und denkt bey ſich ſelber:
Warum weint ſie? Jch konnte ſie laͤnger weinen nicht ſehen,
Denn es brach mir mein Herz! Ach, theure zaͤrtliche Thraͤnen,
Schoͤne Thraͤnen, ſo ſtill, ſo zitternd im Auge gebildet!
Waͤre nur eine von euch um meinentwillen geweinet;
O ſo wollt ich noch ſelig mich preiſen. Jch klage noch immer,
Jmmer um ſie! Mein Leben voll Quaal, mein trauriges Leben,
Jſt noch immer von ihr, ein einziger langer Gedanke!
O du! welches in mir unſterblich iſt, dieſer Huͤtte
Hohe Bewohnerinn, Seele, Hauch Gottes, Tochter des Himmels,
Des Erſchaffenden Bild, der nahen Ewigkeit Erbinn!
Oder wie ſonſt dich bey deiner Geburt die Unſterblichen nannten,
Red, ich frage dich, lehre du mich! Enthuͤlle das Dunkle
Meines Schickſals! Eroͤfne die Nacht, die uͤber mich herhaͤngt!
Red, ich frage dich, antworte mir! Jch bin muͤde, zu weinen!
Muͤd, in ewige Wehmut ergoſſen, mein Leben zu trauern!
Muͤde des unausſprechlichen Kummers! Der Todesangſt muͤde!
Warum fuͤhl ich in mir, wenn ich die Unſterbliche ſehe,
Oder, von ihrem himmliſchen Anblick entfernet, ſie denke,
Warum fuͤhl ich alsdann, im hoch aufwallenden Herzen,
Neue Gedanken, von denen mir vormals keiner gedacht war?
Bebende, ganz in Liebe zerfließende, große Gedanken!
Jeden von ihnen mit ſeligem Laͤcheln und Hoheit bekleidet!
Jeden mit Klarheit umſtralt, und der Unvergaͤnglichkeit wuͤrdig!
Tauſend bey tauſend ſteigen ſie auf, wie auf goldenen Stufen,
Hoch
[133]Vierter Geſang.
Hoch gen Himmel, ſich unter der Engel Gedanken zu miſchen.
Warum weckt von der Lippe der Cidli die ſilberne Stimme,
Warum vom Auge der maͤchtige Blick, mein ſchlagendes Herz mir
Zu Empfindungen auf, die mich allmaͤchtig ergreifen?
Die ſich rund um mich her, wie in helle Verſammlungen, draͤngen,
Jede, gleich einer ſchoͤnen That, edel, und rein, wie die Unſchuld!
Warum decket der Schmerz, mit mitternaͤchtlichem Fluͤgel
Ewig mein Haupt; und begraͤbt mich hinab in die Schlummer des Todes?
Ach, dann ſitz ich, und weine, hin auf mein Grabmal gebeuget,
Meinen Jammer. Mir horchet die ſchauernde Todesſtille.
Oft will ich dann mit gewaltigem Arm den Kummer beſtreiten.
Meine Seele verſammelt in ſich die Empfindungen alle,
Die ihr, von ihrer hohen Geburt, und Unſterblichkeit zeugen.
Sey, (ſo red ich ſie an,) ſey wieder dein, die du himmliſch,
Die du biſt unſterblich erſchaffen! So red ich ihr Hoheit
Und Standhaftigkeit zu. Sie aber verſtummt, ſich zu troͤſten,
Schaut auf ihre Wunden herab, und weinet, und zittert.
Warum bin ichs allein, der ſo ewig, ungeliebt, liebet?
Warum erhebt ſich mein Herz, auch uͤber die edelſten Herzen,
Groß und elend zu ſeyn? Was iſt, das in mir, das noch immer,
Sie beym Namen mir nennt? Will ich ihr Gedaͤchtniß vertilgen!
Welche Stimme Gottes iſt das? Die mit heiligem Lispeln,
Und mit Harmonien, den zaͤrtern Seelen nur hoͤrbar,
Meinem Herzen leiſe gebietet, ſie ewig zu lieben!
Und ſo will ich denn ewig dich lieben! Du ſeyſt noch ſo ſchweigend,
Noch ſo verſtummend vor mir! Ach, da ichs, Cidli, noch wagte,
Zitternd zu denken, du ſeyſt mir geſchaffen; wie war ich ſo ſelig!
J 3Welchen
[134]Der Meßias.
Welchen Himmel erſchuf ſich mein Geiſt, wenn du, Cidli, mich liebteſt!
Welche Gefilde der Ruh um mich her! O, darf ich noch einmal,
Suͤßer Gedanke, dich denken? Und wird dich mein Schmerz nicht entweihẽ?
Du warſt, Goͤttliche, mein! Durch keine kuͤrzere Dauer,
Als durch die Ewigkeit, mein! Das nannt ich, fuͤr mich geſchaffen!
Jeder Tugend erhabenen Wink, der mir unſichtbar ſonſt war,
Lernt ich durch deine Liebe verſtehn! Mit zitternder Sorgfalt
Folgte mein Herz dem gebietenden Winke. Die Stimme der Pflichten
Hoͤrt ich von fern! Jhr werdendes Lispeln, ihr Wandeln im Stillen,
Jhren goͤttlichen Laut, wenn keiner ſie hoͤrte, vernahm ich!
Und nicht umſonſt! Wie ein Kind voll Unſchuld, mit biegſamen Herzen,
Folgt ich dem leichten Geſetz, der ſanft gebietenden Stimme,
Daß ich deinen Beſitz, die du mir theurer, als alles,
Was die Schoͤpfung hat, warſt, durch keinen Fehltritt entweihte.
Gott ſelbſt liebt ich noch mehr, weil du ſein hohes Geſchenk warſt;
Weil ich, wie auf Fluͤgeln, von deiner Unſchuld getragen,
Naͤher dem Liebenswuͤrdigen kam, der ſo ſchoͤn dich gebildet,
Der ſo fuͤhlend mein Herz, und deins ſo himmliſch gemacht hat.
Wie, ganz in Entzuͤckungen aufgeloͤſt, deine Mutter,
Da du gebohren warſt, uͤber dir hieng, und wie ſie ſich neigte
Ueber dein Antlitz mit Todesangſt hin, da du ihrer Umarmung
Still entſchlummerteſt, und ſie den Schall der kommenden Fuͤße
Noch nicht vernahm, noch die lockende Stimme des Helfers in Juda:
So hat meine Seele ſich oft mit jeder Empfindung
Und mit jeder Entzuͤckung in ihr, die ſie maͤchtig erſchuͤttert,
Auf den großen Gedanken gerichtet: du ſeyſt ihr geſchaffen!
Ausgebreitet hieng uͤber ihn hin; die ſchauende Seele
Sah
[135]Vierter Geſang.
Sah ihn ganz, den Gedanken der Ewigkeit; ſahe den Endzweck
Jhres Daſeyns in ihm; von einer Seligkeit trunken,
Welche ſelten ins Herz des Menſchen vom Himmel herabſteigt.
Aber in Traurigkeit, welche kein Maß, kein endendes Ziel kennt,
Und in Schauer der Angſt ohne Namen, in Schlummer des Todes,
Loͤſte meine Seele ſich auf, wenn ich jenen Gedanken,
Jenen andern Gedanken der Nacht und der Einſamkeit, dachte!
Ach, dann war ich von allen verlaſſen! Dann war ich ganz einſam!
Du warſt mir nicht mehr da! Jch war allein in der Schoͤpfung!
O, bey allem, was heilig iſt! Um der Tugend und Liebe,
Um der Goͤttlichkeit willen, die deine Seele voll Unſchuld
Ueber den Staub der Erden erhoͤht: Und wenn was noch theurer,
Wenn was erhabner noch iſt: bey deinem Erwachen vom Tode,
Und bey jeder Unſterblichkeit, die du mit Lichte bekleidet,
Unter des Himmels Bewohnern wirſt leben! Ach, um der Kronen,
Um der Tugend Belohnungen willen, beſchwoͤr ich dich, Cidli!
Sage, was denkt da dein Herz? Was fuͤhlt es? Wie iſt es ihm moͤglich?
Dieß mein Herz, das ſo liebt, mein blutendes Herz zu verkennen!
Um die Mitternachtzeit, bey daͤmmernden traurigen Lampen,
Jn die Stille des Todes verhuͤllt, auf meinem Grabe,
Saß ich, und forſchte den baͤngſten Gedanken durch ihr Labyrinth nach,
Und verſtummte. Wie hat mich der Schmerz mit ehernen Mauren
Jn mich hinein verſchloſſen; und meinen bluͤhenden Jahren
Jhre Kronen geraubt; und das Antlitz der laͤchelnden Freude
Vor dem Verlaſſenſten unter den Menſchen auf ewig verborgen!
Schau her, der du mich ſchufſt! Jſt unter den baͤngſten der Schmerzen
Meinem Schmerz ein Schmerz zu vergleichen? Jch lag ja im Sichern,
J 4Zu
[136]Der Meßias.
Zu den Todten hinunter begraben, im Schoße der Erde,
Welche mit Mutterhaͤnden den muͤden Wanderer aufnimmt,
Seine Thraͤnen, und ihn! Wie iſt mein dauernder Jammer
Ohne Maß! Jch verkenne die Herrlichkeit meines Lebens!
Und die Stimme des Sohnes Gottes, die zu mir hinabkam
Jn die Graͤber! Vergebens vernahm ich den Fußtritt der Allmacht,
Jhren donnernden Gang, daß jeder gebeinvolle Huͤgel
Unter mir bebte, daß uͤber mir klangen die Halleluja
Derer, die niemals die Schauer der Auferſtehung empfanden.
Hier verſtummt er, und neigte ſein Haupt, und verhuͤllte ſein Antlitz.
Aber die Mutter Jeſu ſtand auf. Er koͤmmt nicht, Johannes,
Sagte ſie aͤngſtlich; ich eil ihm entgegen. Wenn ihn nun die Mordſucht
Seiner Feinde nicht ſchon zu den todten Propheten geſandt hat!
Wenn er noch lebt, wenn mein Sohn noch lebt, und wenn ich es werth bin,
Jhn noch einmal zu ſehn; mit meinen Augen zu ſchauen,
Des Propheten Geſtalt, und meines Sohnes Geberde!
Und dann ſein gnaͤdiges Antlitz auf ſeine Mutter noch einmal
Wuͤrdigt herunter zu laͤcheln; ſo will ich zitternd es wagen,
Hin zu ſeinen goͤttlichen Fuͤſſen … (Es hat ja begnadigt
Magdale Maria zu ſeinen Fuͤſſen geweinet,
Die doch ſeine Mutter nicht iſt!) Da will ich es wagen,
Zitternd mich nieder zu werfen! Jch will ſie feſt an mich halten,
Und laut weinen! Und wenn dann mein Auge ſich muͤde geweint hat,
Will ich muͤtterlich ihn in ſein Antlitz anſehn, und ſagen:
Um der Thraͤnen willen, der Erſtlinge deiner Erbarmung,
Die du, als du geboren warſt, weinteſt! Um jener Entzuͤckung,
Jener Seligkeit willen, die in mein Herze ſich ausgoß,
Da
[137]Vierter Geſang.
Da die Unſterblichen deine Geburt im Triumphe beſangen!
Wenn ich dir jemals bin theuer geweſen, und wenn du dran denkeſt,
Wie du mit kindlicher Huld der Mutter Freude belohnteſt,
Als ich nach bangem Suchen dich fand; an der heiligen Staͤtte,
Unter den Prieſtern, die dich mit ſtummer Bewunderung anſahn!
Wie ich jauchzend, mit offenen Armen, entgegen dir eilte,
Tempel und Lehrer nicht ſah, nur dich ans Herze gedruͤckt hielt,
Und anbetend mein Auge, zu dem, der ewig iſt, aufhub!
Ach, um dieſer himmliſchen Freude, der Ewigkeit Vorſchmack!
Aber du blickſt mich nicht an! .. Um deiner Menſchlichkeit willen,
Durch die du jeden begnadigſt! Um jener Entſchlafenen willen,
Die du auferweckt haſt! Erbarme dich meiner, und lebe!
Alſo ſpricht ſie, und eilt. So fliegt ein großer Gedanke
Feurig gen Himmel empor zu dem, von dem er gedacht war.
Und der ewige Sohn ſah ſeine Mutter dahergehn,
Nicht mit dem menſchlichen Auge; mit jenem Auge, mit dem er
Jedes Wurmes Geburt, den Staub, auf welchem er wohnet,
Den, wo ſein Leben verfliegt, und des Seraphs Gedanken, vorherſieht.
Ach, ich will mich deiner erbarmen! Noch mehr, als die Mutter
Eines Sohns ſich erbarmet, will ich mich deiner erbarmen,
Wenn ich auferweckt bin! So dacht er bey ſich, und nahm drauf
Einen anderen Weg. Die Abenddaͤmmerung kam itzt.
Alle ſchwiegen um ihn, auch die ungeſehnen Begleiter.
Alſo giengen ſie ſtill, und kamen mit langſamen Schritte
An den Huͤgel, der Golgatha heißt. Nicht fern von dem Huͤgel
War ein einſames Grab in hangende Felſen gehauen.
Noch kein Todter verweſte daſelbſt. Hier wollte der Weiſe,
J 5Joſeph
[138]Der Meßias.
Joſeph von Arimathaͤa, die Auferſtehung erwarten.
Jeſus ſteht bey dem Grabmal: er richtet auf Golgathas Huͤgel,
Blicke voll goͤttlichen Tiefſinns. Und alſo denket der Gottmenſch:
Nun entweichet der Tag. Sie koͤmmt mit ſchlummernden Luͤften,
Die erbetete Nacht ruht auf Gethſemane. Bald wird
Wieder ein Tag den Huͤgel erleuchten, der daͤmmernd dort aufſteigt;
Golgatha! Den das Gebein der niedrigſten Suͤnder bedecket!
Du biſt zum Altare geworden! Das Opfer iſt willig,
Auf dir geſchlachtet zu werden! Bald wird es bluten! Willkommen,
Tod fuͤrs Menſchengeſchlecht! Dann wird mein Vater mich ſehen,
Von dem Thron, wo ich war. Die Seraphim werden mich ſehen,
Und viel Zeugen von denen, fuͤr die ich ſterbe! Willkommen,
Tod, fuͤr die Erben des ewigen Lebens! Zur Rechte des Vaters
Saß ich mit Herrlichkeit uͤberkleidet, voll ſchoͤner Wunden,
Und der Freund der Erſchaffnen! Jch bin ihr Bruder geworden!
Auch mit Herrlichkeit uͤberkleidet, voll ſchoͤner Wunden,
Will ich mein Leben fuͤr ſie auf deinen Hoͤhen verbluten,
Golgatha! … Dann, (hier wandt er ſich um, und ſchaut auf das Grabmal.)
Dann will ich hier im ſtillen Gewoͤlbe des kuͤhlenden Grabes,
Wenige Tage, wie in den Gefilden der Seligen, ſchlummern,
Einen ſanfteren Schlaf, als der, den Adam ſich dachte,
Da das große Raͤthſel vom Tod ihm ſelber enthuͤllt ward,
Und er, an einem traurigen Abend, der heiligen Waͤchter
Hohen Rathſchluß vernahm: er ſollte ſich legen, und ſterben;
Viel Jahrhunderte ſchlafen; und uͤber ihn ſollten die Fuͤße
Seiner Nachkommen wandeln; er ihre Stimme nicht hoͤren!
Aber auch die ſind geſtorben, und uͤber ihren Gebeinen
Hat
[139]Vierter Geſang.
Hat der Nachkommen Fuß, mit ſaͤumendem Schritte, gewandelt!
Ach, iſt unter den Freuden der jauchzenden Ewigkeit eine
Meiner Seligkeit zu vergleichen? Sie werden erwachen!
All, an einem Tage der Wonne, des lauten Weinens,
Und des Triumphs, der Feyer, der Jubellieder erwachen!
Weil mein Koͤrper in dieſem Bezirke von Erde geſchlummert,
Und ich des Menſchenſohnes Gebein, zum Leben ohn Ende,
Auferweckt habe! Dann wird des zweifelnden Staubes Beſorgniß,
Jede Thraͤne wird ſchweigen. Der Tod wird werden des Laͤchelns
Und des Triumphs ein ſuͤßer Gedanke. Kein drohendes Grabmal,
Und kein Tod wird mehr ſeyn auf der neuen Erde Gefilden.
Sinn ich ihm nach, ſo zittert Entzuͤckung durch meine Gebeine,
Und der Menſchheit Empfindung verſtummt! Sie kommen und wandeln,
Hell, mit weißen Kleidern geſchmuͤckt. Viel tragen auch Wunden
Wie der Menſchenſohn, ſchimmernde Wunden! Sie jauchzen dem Sieger
Jubellieder! Und nennen ihn, Sohn! und nennen ihn, Bruder!
Wer kann auf Erden ſie zaͤhlen? Wer unter den Himmeln? Jhr Nam iſt
Myriade! Die alle ſind mein! Das Alt iſt vergangen!
Alles hab ich verjuͤngt zur erſten Unſchuld! … Doch erſt muß,
Golgatha ſterben mich ſehn, und dieſes Grabmal mich decken!
Alſo denkt er, und eilt. Jhn fand an Jeruſalems Mauren,
Judas, der in der Daͤmmerung ſtund. Er miſchte ſich ſchweigend
Unter die Heiligen; bildete ſchon die Mine der Unſchuld
Jm betruͤgenden heitern Geſicht. Doch ſchlug ihm ſein Herz noch.
Aber Jthuriel geht vor ihm her, und hoͤrt von dem Wipfel
Eines Oelbaums dem kommenden Fuß des Meßias entgegen.
Schluͤpft aus den Aeſten herunter, da Jeſus den Oelbaum vorbeygeht,
Wan-
[140]Der Meßias.
Wandelt neben ihm unſichtbar her, und redt, wie die Seele
Eines entſchlafenden Chriſten die letzten Empfindungen denket.
Sanft, mit leiſen Worten, ihn an: Jſchariots Elend
Jſt ſchon vor deiner Allwiſſenheit Auge voruͤber gegangen,
Und du kennſt des Unwuͤrdigen That. .. Er hat dich verrathen!
Er, den dein Wandel gelehrt, der deine Wunder geſehen,
Dem dein Mund das Geheimſte von jenem Leben enthuͤllt hat,
Den du wuͤrdigteſt, Juͤnger zu nennen! Er hat dich verrathen!
Noch ertoͤnt mir die fliegende Stimme des hohen Eloa
Suͤß im Ohre, noch oͤffnen ſich mir die Lippen des Seraphs,
Als er zu deinem Throne mich rief; auf die Erde zu eilen,
Und Jſchariots Engel zu ſeyn! Jtzt verlaß ich den Suͤnder!
Bin ſein Engel nicht mehr! Sein Zeuge, den Tag der Vergeltung,
Der will ich ſeyn! Und gegen ihn mit der Stimme der Donner
Meine Rede bewaffnen! Und zwiſchen den glaͤnzenden Stuͤlen
Derer, die wuͤrdiger waren, mit dir den Erdkreis zu richten,
Dunkel hervorgehn, und gegen die Nacht am Throne verbreitet,
Meine rechte Hand aufthun, und ſagen: bey dem, der geblutet;
Von den Hoͤhen des Kreuzes herab, ſein Leben geblutet!
Durch die Hand des Geliebten: Jſchariot hat ſich gebrandmarkt
Auf den furchtbaren Tag! Er ſelber hat das Verderben
Ueber ſein Haupt gerufen! Durch laute Thaten das Schickſal
Der Verworſnen gerufen! Er iſt es wuͤrdig, gerichtet,
Und von dem Antlitz des Menſchenſohnes verworfen zu werden!
Wuͤrdig, die Wege des ewigen Todes zu wandeln! Sein Blut ſey
Ueber ihn ſelber! Jch bin unſchuldig am Blute des Suͤnders!
Ach, ganz andre Gedanken, von einer helleren Ausſicht,
Hat’
[141]Vierter Geſang.
Hatt’ ich vor demvon dem Juͤnger des Menſchenfreundes! Du ſollteſt
Juda, von ſeinem Tode, durch ſchoͤne Wunder einſt zeugen,
Auch ein Maͤrtyrer ſeyn! Die hohen Lieder auch hoͤren,
Die wir ſingen den Ueberwindern! So waͤrſt du geſtorben!
Deine Seele, mit Lichte bekleidet, die haͤtte dein Freund dann,
Bey der Hand im Triumphe daher zum Meßias gefuͤhret,
Zu dem Erſten der Ueberwinder! Jch haͤtte von ferne
Unter den goldenen Stuͤlen der zwoͤlf erwaͤhlten des Mittlers,
Deinen erhabenen Stul dir gezeigt! Du waͤrſt in Entzuͤckung,
Bey dem Anblick des glaͤnzenden Stuls, und deß auf dem Throne,
Ueberfloſſen! Jch haͤtte dich, Freund, ich haͤtte dich, Bruder,
Ach, ich haͤtte mit ſuͤßer Stimme dich, Seraph, genennet!
Mein Jſchariot haͤtte mich dann im Geheimniß der Chriſten
Unterrichtet: was er in ſeiner Seele da fuͤhlte,
Da der Geiſt der Propheten auf ihn vom Himmel herabkam,
Da du den Muth, zu ſterben, empfiengſt; und vom Geiſte gelehret,
Beteteſt unausſprechliche Worte; nicht ſuͤndigen konnteſt,
Weil dein Herz zu der Unſchuld des Paradieſes verjuͤngt war.
Aber ſie ſind nun dahin der frommen Entzuͤckung Gedanken!
Wie ein laͤchelnder Fruͤhling verbluͤht, wie die Blume des Lebens,
Bald im hoffenden Juͤnglinge ſtirbt, vor der Reife der Jahre!
Alſo ſind ſie voruͤbergegangen. Mein Juͤnger verlaͤßt mich!
Kurz noch eines Heiligen Schutzgelſt|, wandl’ ich itzt einſam
Unter den Engeln, die um mich vor Wehmut verſtummen. Gebiete,
Großer Meßias! Soll ich mich von neuem zum Himmel erheben.
Oder bin ich gewuͤrdiget worden, dich ſterben zu ſehen?
Jeſus wandt auf den Seraph ſein ernſtes Antlitz, und ſagte:
Simon
[142]Der Meßias.
Simon Petrus wird auch von der Wut des Verderbers geſuchet.
Sey ſein Engel! Es hat mein Johannes zween heilige Waͤchter.
Petrus ſoll ſie auch haben. Er wird die Lieder einſt hoͤren,
Die den Ueberwindern ihr ſingt, und im Tode mir gleichen.
Kaum vernahm dieß der Seraph, ſo ſtralt er vor wallender Freude
Jn Orious Umarmung, der ihren Juͤnger beſchuͤtzte.
Jeſus eilte nunmehr, mit ſeinen Juͤngern das letzte
Feſtliche Mahl zu halten. Er gieng viel hohe Palaͤſte
Praͤchtiger Suͤnder vorbey, trat itzt in die ſtillere Wohnung
Eines verkannten und redlichen Manns. Sie legten ſich ſchweigend
Um das bereitete Lamm des Bundes. Zu naͤchſt am Meßias
Lag Johannes, und laͤchelte ſanft. Viel heitrer ſah Jeſus
Jn die Verſammlung herum. Von ſeinem Auge floß Ruhe,
Frohe, tiefſinnige Wehmut, und Seligkeit, in die Verſammlung.
So iſt, nach dem Gefuͤhl der erſten Entzuͤckungen, Joſeph
Unter ſeinen Bruͤdern geweſen, da itzo die Thraͤnen,
Da die lauten Thraͤnen im ſehenden Auge verſtummten,
Da die Sprache zuruͤckkam, nicht mehr, am Halſe des Bruders,
Benjamin hieng, und nun ſein alter Vater noch lebte.
Meld itzt, mein Lied, den Abſchied des Liebenden von dem Geliebten,
Und die Reden der trauernden Freundſchaſt. Wie damals der Juͤnger,
Der mit dem hohen Jakobus ein Sohn des Donners genennt ward,
Und in der einſamen Patmus die Offenbarung auch ſahe,
An der Bruſt des Meßias des vollen Herzens Empfindung
Sprach, und gen Himmel vom Auge des Liebenswuͤrdigen aufſah;
Alſo fließe mein Lied voll Empfindung und ſeliger Einfalt.
Jeſus ſprach, und ſein Auge ſah wehmutsvoll in die Verſammlung:
Mich
[143]Vierter Geſang.
Mich hat herzlich verlangt, mit euch dieß Mahl noch zu halten,
Eh ich leide. .. Bald ſind ſie erfuͤllt die Worte der Zeugen,
Welche von mir verkuͤndiget haben. Jhr kennt den Propheten,
Der gewuͤrdiget ward der Gottheit Erſcheinung zu ſehen,
Der der Seraphim Stimme vernahm, die den auf dem Throne
Mit dem feſtlichen Halleluja der Himmel empfiengen,
Daß vom Schalle der Lieder des Tempels Schwellen erbebten,
Und das Heiligthum ganz von Opferwolken erfuͤllt ward.
Damals war ich zugegen mit meinem Vater. Auch ich ward
Heilig! Heilig! genannt. Auch mir erhuben ſich Opfer
Von den goldnen Altaͤren! Auch mir erbebte der Tempel!
Denn ich bin lange vor Abram geweſen. Eh aus den Gewaͤſſern
Dieſes heilige Land mit Gottes Bergen hervorſtieg,
Eh die Welt war, bin ich geweſen! Doch dieſen Gedanken
Faßt ihr in ſeiner Groͤße noch nicht! .. Der himmliſche Seher,
Der des Vaters Herrlichkeit ſah, hat auch in der Zukunft
Einen Menſchen, wie ihr ſeyd, geſehn, und, vom Geiſte gelehret,
Alſo von ihm geweiſſagt: die Schoͤnheit des goͤttlichen Mannes,
Seine Geſtalt iſt vergangen! Das Laͤcheln der friedſamen Jahre
Jede Ruhe des Lebens iſt hin. Das Elend der Suͤnder
Jſt ganz uͤber ſein Haupt gekommen! Die Menſchen verſtummen,
Wenn ſie ſehen den Jammer in ſeiner Seele! Sie wenden
Von ihm ihr Angeſicht weg. Er aber hat unſere Schmerzen
Unſer Elend getragen, wir waͤhnten, er truͤge die Laſten
Seiner Schuld! Es haͤtte der Raͤcher den Suͤnder erſchuͤttert!
Aber um unſerntwillen ſind jene Wunden geoͤffnet,
Die er blutet. Wir ſind die Verbrecher! Die Hand des Verderbens
Hatt’
[144]Der Meßias.
Hat ihn um unſerntwillen ergriffen! Er leidet, daß Friede
Ueber uns komme, daß Heil mit ſeinen Fluͤgeln uns decke!
Denn wir wandelten alle den Weg der Jrre. Wir alle
Waren elend genung, uns ſelber Weisheit zu waͤhlen.
Darum hat unſere Schuld auf ihn der Raͤcher geleget!
Er iſt unſer Verſoͤhner, geht ins Gericht hin, und leidet,
Wird bis zum Tode gehorſam, und oͤffnet den goͤttlichen Mund nicht.
Wie ein verſtummendes Lamm zum Opferaltare gefuͤhrt wird;
Alſo geht er geduldig daher, und ſchweigt. .. Nun iſt er
Aus dem Gericht genommen! Wer kann nun ſeine Verſoͤhuten,
Wer die Schaaren der Heiligen zaͤhlen, die durch ihn gerecht ſind?
Weil er fuͤr die Suͤnder zum Opfer ſein Leben gebracht hat,
Werden ihm ganze Geſchlechter zur neuen Schoͤpfung erwachen,
Und ſein Leben wird Ewigkeit ſeyn! … So ſagt der Erloͤſer;
Schaut gen Himmel, und ſchweigt. Er hatte lange geſchwiegen,
Als er fortfuhr: es iſt das letztemal, daß wir zuſammen
So ein Abendmal halten! Jch werde mit meinen Geliebten
Nun nicht mehr das Gewaͤchs des frohen Weinſtocks genießen,
Noch die Laͤmmer im Thal. Doch in meines Vaters Behauſung,
Wo viel Wohnungen ſind, dort werdet ihr euern Meßias
Wiederſehen, und, nebſt den verſammelten Vaͤtern des Bundes,
Neue Feſte begehn, die kein Abſchiednehmen mehr trennet.
Jeſus ſchwieg, und die Juͤnger um ihn. So ſchwieg in den Hallen
Auf Moria das heilige Volk, da der goͤttlichſte Juͤngling
Unter den Soͤhnen von Abram, da Salomo bey den Altaͤren
Seine Krone vor dem, der ewig iſt, niedergeworfen,
Und der Einweihung Gebet vollendet hatte; da ſichtbar
Von
[145]Vierter Geſang.
Von den Wolken der Herrlichkeit Gottes der Tempel erfuͤllt ward,
Daß die ſchauenden Prieſter nicht mehr zu opfern vermochten,
Und der Jubelgeſang der Halleluja verſtummte.
Jeder ſchwieg. Nur daß unterweilen der Betenden einer,
Schnell vom heiligen Schauer ergriffen, ſein Angeſicht aufhub,
Gegen die Nacht der Erſcheinungen ſah, und mit bebender Stimme,
Heilig! Heilig! ſprach, und die Arme gen Himmel emporhielt.
Alſo ſchwiegen die Juͤnger, und alſo redte Lebbaͤus,
Da er mit leiſer Stimme ſich gegen Jſchariot wandte:
Ach, nun weis ichs gewiß! Der Sohn des Menſchen wird ſterben,
Was die uͤbrigen Juͤnger von ſeinen Reden auch denken,
Die er ſo oft vom Tod an uns haͤlt! Komm, Ruhe vom Elend,
Tod! Des muͤden Wanderers Schlaf, und erbarme dich meiner!
Wenn, wie ein Lamm zum Altar, der beſte der Menſchen gefuͤhrt wird;
Komm dann, mein einziger Troſt! .. Hier ſprach er lauter, und Seufzer
Unterbrachen die Rede des Juͤnglings. Jhn ſah der Meßias;
Dich, Jſchariot, auch. Mit menſchenfreundlicher Wehmut
Schaut er in der Verſammlung herum, und ſagte zu ihnen:
Ja, ich muß es euch ſagen! Hier, unter meinem Geliebten,
Jſt ein Juͤnger, der mich verrathen wird, einer der Zwoͤlfe!
Banges Erſtaunen ergriff die Verſammlung. Sie fragten ihn alle:
Herr, bin ichs. Der Meßias erwiedert: ja, einer der Zwoͤlfe!
Einer von euch, die mit mir das Mahl des Bundes itzt halten.
Zwar, (hier deckte ſein Antlitz die ernſte Mine des Richters!)
Zwar des Menſchen Sohn geht, wie es durch die Propheten geſagt iſt,
Seinen erhabenen goͤttlichen Weg: doch, wehe dem Menſchen!
Der ihn verraͤth. Es waͤre dir beſſer, du waͤrſt nicht geboren!
KJeſus
[146]Der Meßias.
Jeſus ſchaute voll Ernſt. Jhn fragte Judas noch einmal.
Jeſus erwiedert mit leiſerer Stimme: du ſageſt es ſelber.
Doch Gedanken voll Ruh erheiterten wieder den Mittler,
Suͤße Gedanken vom ewigen Heil. Er ſtand das, Gedaͤchtniß
Seines Todes zu ſtiften. Jtzt ſprach er die feyrlichen Worte,
Die ſo viele Prieſter der Chriſten, ſo viele Gemeinen
Kuͤhn entweihn, und in lauten Geſaͤngen das Urtheil des Todes
Ueber ſich rufen. Er kennet ſie nicht, der goͤttlicher lebte,
Und am Kreuze nicht ſtarb, fuͤr ewige Suͤnder zu buͤßen!
All empfiengen von ihm das Brodt, das er eingeweiht hatte,
Und den heiligen Kelch. Sie kamen alle mit Demut,
Und in trauernder Stille, von ſeiner Hand es zu nehmen.
Da Johannes hinzugieng, und auf den glaͤnzenden Kelch ſah,
Warf er zu Jeſu Fuͤßen ſich nied er, und kuͤßte ſie weinend,
Trocknete dann die Thraͤnen mit ſeinen fallenden Locken.
Laß ihn meine Herrlichkeit ſehn! Sprach Jeſus und ſchaute
Zu dem Vater empor. Johannes erhub ſich, und ſahe
Jn der Tiefe des Saals der Seraphim helle Verſammlung.
Und die Seraphim wußten, daß er ſie ſahe. Johannes
Stand in Entzuͤckung verloren. Er ſchaute Gabriels Hoheit
Starr, mit Ehrfurcht. Er ſchaute des himmliſchen Raphaels Glaͤnzen,
Und verehrt ihn. Er ſah auch Salem mit menſchlicherm Schimmer,
Und mit ausgebreiteten Armen entgegen ihm laͤcheln,
Und er liebte den Seraph. Er wandte ſich um, und erblickte
Jn des Meßias ruhigem Auge die Spuren der Gottheit!
Und er ſank verſtummend ans Herz des hohen Meßias.
Gabriel aber erhub ſich mit leiſen Luͤften, und ſagte
Feurig
[147]Vierter Geſang.
Feurig zu Jeſu: umarme mich auch, wie du dieſen umarmeſt,
Gottmenſch, Erloͤſer! Jhm ſagt der Meßias: du wirſt mir am Throne
Meiner Herrlichkeit dienen! Du wirſt auf dem glaͤnzenden Stule,
Wo Eloa war, ſtehn, am Allerheiligſten Gottes!
Gabriel betet’ ihn an. Zuletzt kam Judas, und warf ſich,
Wie Johannes, zu Jeſu Fuͤßen. Jhm ſagte der Gottmenſch:
Juda, ſteh auf! Und gab ihm den Kelch, des Todes Gedaͤchtniß!
Er empfieng ihn mit Ruh. Jhm ſah der Meßias ins Antlitz,
Ward erſchuͤttert im Geiſt, und ſprach mit erhabener Stimme:
Jch weis alle, die ich erwaͤhlet habe. Doch einer
Wird mich verrathen! Jch ſag es euch itzt, daß ihr glaubt, wenns geſchehn iſt.
Und daß ihr wiſſet, wie der belohnet wird, welcher getreu bleibt;
So vernehmet von mir die Wuͤrde der Ueberwinder:
Wer, wen ich ſend, aufnimmt, der nimmt mich ſelbſt auf! Wer aber
Alſo mich aufnimmt, der nimmt auch den auf, der mich geſandt hat!
Dieſe Kron empfaͤngt kein Verraͤther! Jch ſag es noch einmal:
Einer von euch wird gewiß den Sohn des Menſchen verrathen!
Jeder ſahe den andern von neuem mit ſorgender Angſt an.
Petrus winket Johannes. Der neigt ſich ans Herz des Meßias:
Herr, wer iſt es? So fragte, mit ſanfter Stimme, Johannes.
Dem ich dieß Brodt eintauche, dem ichs mit vertraulicher Liebe,
Und mit Bruderfreundlichkeit gebe, der iſt es, Johannes!
Alſo ſagt der Meßias, und reicht den Biſſen voll Freundſchaft
Judas Jſchariot hin. Johannes ſah dieß, und bebte.
Doch verſchwieg er, aus Menſchenliebe, den nahen Verraͤther.
Judas gieng mit Ungeſtuͤm fort. Die Nacht war gekommen.
Jhn umgaben die Schrecken der Nacht. Mit ſtarrenden Blicken
K 2Schaut
[148]Der Meßias.
Schaut er in die Finſterniß aus, und ſprach zu ſich ſelber:
Alſo weis ers gewiß! .. Nun wird es der ſanfte Johannes,
Der ſtets laͤchelt, wenn man um ihn zugegen iſt, ſagen;
Alles ſagen, was ihm an dem Herzen Jeſu vertraut iſt.
Alle werden es wiſſen! Es ſey! Die neuen Beherrſcher
Muͤſſen erſt fliehn, eh ſie Koͤnige werden! Vielleicht, daß Johannes
Bald ſein Laͤcheln verlernt, und Petrus in Banden nicht kuͤhn iſt!
Und ſelbſt Jeſus, wie ſtreng, wie hochgebietend befahl er:
Juda, ſteh auf! So gebietet er nicht dem Liebling, Johannes!
Zwar den Koͤnigen wird nicht befohlen! Jch will ſie noch ſehen,
Eh ſie Koͤnige ſind; in Banden will ich ſie ſehen!
Aber ihr Freund will ſterben! .. Was iſt das? Welch ein Gedanke
Jſt das Sterben fuͤr den, der ſelbſt die Todten erweckt hat?
Sterben! .. Will er mein Herz nur erweichen? Sey du nicht zu menſchlich,
Leidendes Herz! .. Wenn er ſtirbt, ſo iſts nur ein Zufall geweſen,
Daß er ſo oft den Feinden entgieng! So iſt er ein Traͤumer,
Und von Gott nicht geſandt! Auch unſre Prieſter ſind Weiſe,
Und geweihet von Gott. Sie haben ihn immer gehaſſet!
Und ſie handeln nach Moſes Geſetz: Jch bin ihr Vertrauter!
Aber er wird nicht ſterben! .. Doch will ich gebunden ihn ſehen,
Wie er da redet? Vielleicht, daß er dann der geliebteren Juͤnger
Hohe Wuͤrde vergißt, und den niedrigen Judas auch anſieht!
Doch ich muß eilen! Es warten auf mich Jeruſalems Herrſcher.
Alſo denkt er, und eilt zu des Hohenprieſters Behauſung.
Nunmehr war die Verſammlung ganz heilig. Wie damals der Frommen
Heiliges Volk, in reinerer Schoͤnheit, vorm Antlitz des Siegers,
Deſſen Wunden nun glaͤnzten, erſchien, da die Jugend der Chriſten,
Von
[149]Vierter Geſang.
Von dem Grab Ananias, der Gott log, wieder gekommen;
Und kein Unedler mehr war, der Heiligen Bund zu entweihen.
Jeſus, ſeiner Groͤſſe gewiß, und wegen der Naͤhe
Seiner Verſoͤhnung, ins Helle der Ewigkeit ausgebreitet,
Sprach mit goͤttlicher Hoheit und Ruh zu ſeinen Erwaͤhlten:
Nun iſt der Sohn des Menſchen verherrlicht! Und, ob er gleich Menſch iſt,
Dennoch iſt Gott durch ihn auch verherrlicht. Da durch ihn des Himmels
Hoͤchſtes Geheimniß, da durch ihn die Gottheit den Menſchen enthuͤllt wird;
So wird der Vater ihn auch, durch Erbarmung ohn Ende, verklaͤren.
Bald wird er ihn den Menſchen in ſeiner Schoͤnheit entdecken!
Eure Traurigkeit unterbricht mich. Was weinet ihr? Kinder.
Ja, es iſt wahr, ich werd euch verlaſſen! Jhr werdet mich ſuchen;
Aber nicht finden. Jhr koͤnnet den Weg, den ich gehe, nicht gehen.
Aber weinet nicht mehr. Jhr werdet mich wieder erblicken!
Kinder, ich geb euch ein neues Gebot, ein Gebot, das viel edler,
Viel erhabener iſt, als was die Satzungen lehren.
Liebet euch unter einander! Wie euer Meßias euch liebte;
Alſo liebet euch untereinander! Dann wiß es der Erdkreis,
Daß ihr mein ſeyd! Wenn ihr ſo untereinander euch liebet.
Simon Petrus ſtand auf, trat naͤher zu Jeſu, und ſagte:
Herr, wo geheſt du hin? Du kannſt mir itzo nicht folgen!
Sprach der Erloͤſer. Einſt wirſt du mir folgen, die Wege zu wandeln,
Die ich wandle. Hierauf erwiederte Petrus mit Feuer:
Warum ſollt ich dir itzo nicht folgen? Jch laſſe mein Leben
Fuͤr dein Leben! Du lieſſeſt dein Leben! Jch ſag es noch einmal:
Simon, du wirſt, vorm Anbruch des Tags, mich dreymal verleugnen!
Jeſus war aufgeſtanden. Er kniete nieder, zu beten.
K 3Um
[150]Der Meßias.
Um ihn knieten die Juͤnger. Seyd ihr auch alle zugegen?
Sprach der Erloͤſer mit Wehmut. Hier ſind wir! Sprachen die Juͤnger.
Eines Stimme hoͤr ich nicht mehr! Seyd ihr alle zugegen?
Judas Jſchariot fehlt! .. Sprach mit ſchwachem Laute Lebbaͤus,
Und ſank nieder. Der Gottmenſch erhub ſein Antlitz gen Himmel,
Betete mit erhabener Stimme: die Stund iſt gekommen,
Deinen Erſtgebornen in ſeiner Schoͤnheit zu zeigen!
Zeig ihn nun, Vater, daß du durch ihn auch verherrlichet werdeſt!
Denn du haſt ihm Gewalt uͤber alle Menſchen gegeben,
Daß er ſie auferwecke vom Tod, und ewiges Leben
Jhnen gebe. Das aber iſt ewiges Leben, dich, Vater,
Der du der Ewige biſt, und den du geſandt haſt, erkennen,
Jeſum, den Sohn und Koͤnig! Jch ſehe, Vater, im Geiſte
Schon, die Fuͤlle der ganzen Vollendung. Jch hab auf der Erde
Dich verherrlicht! Jch hab ihn vollfuͤhrt den Rathſchluß der Gottheit!
Nun erwarten mich Kronen zu deiner Rechte! Du wirſt mir
Wieder die Herrlichkeit geben, die mein war, eh wir erſchufen.
Deinen gefuͤrchteten Namen hab ich den Erwaͤhlten verkuͤndigt
Aus den Suͤndern. Du gabeſt ſie mir. Sie haben die Weisheit,
Die ich ſie lehrte, (ſelbſt ich bin ihr Zeuge!) mit Treue gehalten!
Nun erkennen ſie auch, daß, was ich habe, von dir iſt.
Denn ich habe ſie alles gelehrt, was du ſelber mich lehrteſt!
Alſo haben ſies aufgenommen! Die goͤttliche Wahrheit
Tief ins Herze gefaßt: daß ich vom Vater geſandt bin!
Fuͤr ſie bitt ich, nicht fuͤr die Suͤnder! Weil ſie auch dein ſind;
Weil wir in jedem Beſitz der Seligkeiten vereint ſind!
Vater ich bitte fuͤr ſie! Denn, auch durch ſie, bin ich herrlich!
Jch
[151]Vierter Geſang.
Jch verlaſſe die Erde; ſie aber ſind auf der Erde,
Sehn noch lange die Muͤhe der Suͤnder, und fuͤhlen ihr Elend!
Laß ſie, heiliger Vater, der hohen Erkenntniß getreu ſeyn,
Die ſie haben werden von dem, der itzo verſoͤhnt iſt.
Laß ſie eins ſeyn, wie wir; ein Haus voll Bruͤder! Jch ſorgte
Selber fuͤr ſie, da ich noch, gleich ihnen, ein Menſch war. Jch wachte
Ueber ihren unſterblichen Geiſt. Hier ſind ſie, mein Vater!
Keinen hab ich verloren! Nur hat der Sohn des Verderbens
Mich verlaſſen, und iſt den Propheten ein Zeuge geworden!
Nunmehr komm ich zu dir! Das ſag ich, da ich bey ihnen
Noch auf der Welt bin, damit ſie an meine Herrlichkeit denken,
Und ſich freuen, wie ich mich freue! Sie haben die Worte
Deines Lebens gehoͤrt. Der Suͤnder hat ſie gehaſſet,
Wie er mich haßte! Nicht bitt ich, daß du der Erde ſie nehmeſt!
Schuͤtze ſie nur vor ihrem Verfolger, dem Geiſt des Verderbens!
Denn ſie gehoͤren den Suͤndern nicht zu. Sie wandeln in Unſchuld,
Wie ich wandle. Die Welt hat kein Theil an deinen Verſoͤhnten,
Heilige ſie in deiner Wahrheit. Dein Wort iſt die Wahrheit!
Wie du in die Welt mich geſandt haſt, ſo ſend ich ſie wieder;
Laſſe mein Leben fuͤr ſie, damit ſie, rein und geheiligt,
Vor dem, der nun verſoͤhnt iſt, erſcheinen. Doch bitt ich, o Vater,
Nicht fuͤr die Juͤnger allein! Der neuen Schoͤpfungen Kinder,
Werden, wie aus dem Morgen der Thau, geboren mir werden!
Auch fuͤr dieſe bitt ich, mein Vater, daß alle ſie eins ſeyn,
Wie wir eins ſind! Und daß der Erdkreis endlich vernehme,
Daß du mich, Vater geſandt haſt! Und daß ich das ewige Leben,
Meine Herrlichkeit, denen gebe, die du mir geſchenkt haſt!
K 4Daß
[152]Der Meßias.
Daß ſie eins ſeyn, wie wir! Zu einem goͤttlichen Endzweck
Alle vollendet! Und daß es die Suͤnder der Erde vernehmen:
Jeſus ſey vom Himmel geſandt! Gott liebe die Kinder
Der Verſoͤhnung, wie er den Erſtling der Soͤhne geliebt hat.
Vater, es ſollen meine Verſoͤhnten ſich zu mir verſammeln,
Daß ſie ſeyn, wo ich bin, und meine Herrlichkeit ſehen.
Dich verkennet die Welt, gerechter Vater! Jch aber
Kenne dich! Meinen Erwaͤhlten hab ich das erhabne Geheimniß
Deiner Gottheit enthuͤllt, und wills noch naͤher enthuͤllen;
Daß die Liebe, mit der du mich liebteſt, ihr Herz auch ergreife,
Und den unſterblichen Geiſt nur ſein Verſoͤhner erfuͤlle.
Nun erhub ſich der Gottmenſch, dem Vater entgegen zu gehen,
Ueber Kidron in das Gericht. Jhm folgten die Juͤnger.
Als er naͤher den Bach, und das naͤchtliche Rauſchen des Oelbaums
Lauter vernahm, da ſtand er an einem Huͤgel, und ſagte:
Gabriel, in der Tiefe des Gartens, am ſteigenden Berge,
Jſt ein einſamer Ort von zwanzig Palmen umſchattet;
Gegen die hohen Wipfel der Palmen ſenkt ſich vom Himmel,
Gleich herhangenden Bergen, die Nacht; dort verſammle die Engel!
Alſo ſagt er, und nahete ſich erhabneren Thaten,
Als ſeit der Engel Geburt, als ſeit Erſchaffung der Erden
Und der Himmel geſchehn ſind; auf jeder Unendlichkeit Schauplatz,
Jemals geſchehn ſind! Er nahte ſich ſtill den goͤttlichen Thaten.
Aeuſſerliches Geraͤuſch, und Lerm, ſuͤßtoͤnend dem Eiteln,
Klein genung, den Thaten der Helden, die Staub ſind, zu folgen,
War nicht um den hohen Meßias! War nicht um den Vater,
Als er vor dem die kommenden Welten dem Unding entwinkte.