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Der
Meſſias

ein
Heldengedicht.

[figure]

HALLE: ,
bey Carl Herrmann Hemmerde.
1749.
[[2]][[3]]
Der Meſſias,
Erſter Geſang.

Sing, unſterbliche Seele, der ſuͤndigen
Menſchen Erloͤſung,

Die der Meſſias auf Erden in ſeiner
Menſchheit vollendet,

Und durch die er Adams Geſchlechte die Liebe der Gottheit

Mit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geſchenkt
hat.

Alſo geſchah des Ewigen Wille. Vergebens erhub ſich

Satan wider den goͤttlichen Sohn: umſonſt ſtand Judaͤa

Wider ihn auf; er thats, und vollbrachte die groſſe Ver-
ſoͤhnung.

Aber, o Werk, das nur GOtt allgegenwaͤrtig erkennet,

Darf ſich die Dichtkunſt auch wohl aus dunkler Ferne
dir naͤhern?

Weihe ſie, Geiſt Schoͤpfer, vor dem ich im ſtillen hier
bete;

A 2Fuͤhre
[4]Der Meſſias.
Fuͤhre ſie mir, als deine Nachahmerinn, voller Ent-
zuͤckung,

Voll unſterblicher Kraft, in verklaͤrter Schoͤnheit, ent-
gegen.

Ruͤfte ſie mit jener tiefſinnigen einſamen Weisheit.

Mit der du, o forſchender Geiſt, die Tiefen GOttes durch-
ſchaueft;

Alſo werd ich durch ſie Licht und Offenbarungen ſehen,

Und die Erloͤſung des groſſen Meſſias wuͤrdig beſingen.

Sterbliche, kennt ihr die Ehre, die euer Geſchlechte
verherrlicht,

Da der Schoͤpfer der Welt, als Erloͤſer, auf Erden ge-
kommen:

So hoͤrt meinen Geſang, ihr beſonders, ihr wenigen
Edlen,

Theure geſellige Freunde des liebenswuͤrdigen Mittlers,

Jhr mit der Zukunft des groſſen Gerichts vertrauliche
Seelen,

Hoͤrt mich, und ſingt den ewigen Sohn durch ein goͤtt-
liches Leben.

Nah an der heiligen Stadt, die ſich itzt durch Blind-
heit entweihte,

Und die Krone der hohen Erwaͤhlung unwiſſend hinweg-
warf,

Ehmals die Stadt der Herrlichkeit GOttes, der heiligen
Vaͤter

Pflegerinn, nun ein Altar des Bluts von Moͤrdern ver-
goſſen:

Hier wars, wo der Meſſias von einem Volke ſich losriß,

Das
[5]Erſter Geſang.
Das ihn zwar itzo verehrte, doch nicht mit jener Ge-
muͤtsart,

Die vorm ſchauenden Angeſicht GOttes untadelhaft
bleibet.

JEſus verbarg ſich vor dieſen Entweihten. Zwar lagen
hier Palmen

Des ihm begegnenden Volks; zwar klang dort ihr lautes
Hoſanna;

Aber umſonſt. Sie kannten den nicht, den ſie Koͤnig
nannten.

Und den Geſegneten GOttes zu ſehn, war ihr Augs zu
dunkel.

GOtt kam ſelber vom Himmel herab. Die gewaltige
Stimme:

Er iſt verherrlicht, und ſoll von neuem verherrlichet
werden!

War die Verkuͤndigerinn der gegenwaͤrtigen Gottheit.

Doch ſie waren, dich, GOtt, zu verſtehn, zu niedrige
Suͤnder.

Unterdeß nahte ſich JEſus dem Vater, der wegen des
Volkes,

Zu dem die Stimme geſchah, voll Zorn zum Himmel hin-
aufſtieg.

Vor ihm wollt er noch einmal ſein goͤttlich freyes Ent-
ſchlieſſen,

Seine Geliebten, die Menſchen, zu heiligen, feyerlich kund
thun.

Gegen die oͤſtliche Seite Jeruſalems liegt ein Gebirge,

Welches ſchon oft den goͤttlichen Mittler auf ſeinen Gi-
pfeln,

A 3Wie
[6]Der Meſſias.
Wie ins Heilige GOttes, verhuͤllt, wenn er einſame Naͤchte

Unter dem Anſchaun des Vaters in groſſen Gebeten
durchwachte.

Nach dem Gebirge begab er ſich itzt. Johannes alleine

Folgt ihm bis zu den Graͤbern der Seher, in heiligen
Grotten,

Wie ſein goͤttlicher Freund, die Nacht im Gebete zu
bleiben.

Von da erhub ſich der Mittler zur oberſten Spitze des
Berges.

Jndem umgab ihn vom hohen Moria ein Schimmer der
Opfer,

Die den ewigen Vater noch itzt vorbildend verſoͤhnten.

Um und um nahm ihn der Oelbaum ins Kuͤhle. Gelin-
dere Luͤfte,

Gleich dem Saͤuſeln der Gegenwart GOttes, umfloſſen
ſein Antlitz.

Der dem Meſſias auf Erden zum Dienſte gegebene
Seraph,

Gabriel iſt ſein himmliſcher Name, ſtand eben am Ein-
gang

Zwoer umdufteten Cedern, und dachte dem Heile der
Menſchen

Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als itzt der Er-
loͤſer

Seinem Vater entgegen vor ihm im ſtillen vorbeygieng.

Gabriel wuſte, daß nun die Zeit der Erloͤſung heran-
kam.

Dieſe Betrachtung entzuͤckt ihn, er ſprach mit zaͤrtlicher
Stimme:

Willſt
[7]Erſter Geſang.
Willſt du die Nacht, o Goͤttlicher, hier im Gebete durch-
wachen?

Oder verlangt dein ermuͤdeter Leib nach ſeiner Erqui-
ckung?

Soll ich zu deinem unſterblichen Haupt ein Lager bereiten?

Sieh, itzt ſtreckt ſchon der Sproͤßling der Ceder den
gruͤnenden Arm aus.

Und die weiche balſamiſche Staude. Beym Grabmal der
Seher

Waͤchſt dort unten das ruhige Moos im kuͤhlenden Erd-
reich.

Soll ich hieraus, o Goͤttlicher, dir ein Lager bereiten?

Wie iſt dein Leib, o Erloͤſer, ermuͤdet! Wie vieles ertraͤgſt du

Hier auf Erden aus bruͤnſtiger Liebe zum Menſchenge-
ſchlechte!

Alſo ſagt er. Der Mittler belohnt ihn mit ſegnenden
Blicken,

Und ſtand voll Ernſt auf der Hoͤhe des Bergs am benach-
barten Himmel.

GOtt war daſelbſt. Hier betet er. Unter ihm toͤnte die
Erde,

Und ein wandeludes Jauchzen durchdrang die Pforten
der Tiefen,

Als ſie von ihm die gewaltige Stimme tief unten ver-
nahmen.

Denn es war nicht mehr die Stimme des Fluchs, die
Stimme von Stuͤrmen

Furchtbar verkuͤndiget, und in donnernden Wettern ge-
ſprochen,

Die die Erde vernahm. Sie hoͤrte des Segnenden Rede,

A 4Der
[8]Der Meſſias.
Der mit unſterblicher Schoͤne ſie einſt zu verneuen be-
ſchloßen.

Um und um lagen die Huͤgel in lieblicher Abenddaͤmmrung,

Gleich als waͤren ſie ſchon neu erſchaffen, und bluͤhend,
wie Eden.

JEſus redte. Nur er und der Vater durchſchauten den
Jnhalt,

Unbegrenzt; dieß nur vermag die Stimme des Menſchen
zu ſprechen:

Goͤttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen
Bundes

Naͤhern ſich mir, die Tage, zu groͤſſern Werken erleſen,

Als ſelbſt die Schoͤpfung, die du durch deinen Sohn ehmals
vollbrachteſt.

Sie verklaͤren ſich mir ſo ſchoͤn und herrlich, als damals,

Da wir die Reihe der Zeiten durchſchauten, und ſie in der
Zukunft,

Durch mein goͤttliches Anſchaun vorzuͤglich bezeichnet, er-
blickten.

Dir nur iſt es bekannt, mit was fuͤr Einmuth wir damals,

Du, mein Vater, und ich, und der Geift die Erloͤſung be-
ſchloſſen.

Jn der Stille der Ewigkeit, einſam und ohne Geſchoͤpfe,

Waren wir beyſammen. Voll unſrer goͤttlichen Liebe,

Sahen wir auf Menſchen, die noch nicht waren, herunter.

Ach das arme Geſchlecht! Ach unſre Geſchoͤpfe, wie elend

Waren ſie, ſonſt unſterblich, nun Staub, von der Suͤnde
verſtellet!

Vater, ich ſah ihr Elend, du meine Thraͤnen. Da ſprachſt
du:
Laßt
[9]Erſter Geſang.

Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menſchen
erſchaffen;

Alſo erfanden wir unſer Geheimniß, das Blut der Ver-
ſoͤhnung,

Und die zum ewigen Bilde verneuerte Schoͤpfung der
Menſchen.

Hier erkohr ich mich ſelbſt, dieß goͤttliche Werk zu vollen-
den.

Ewiger Vater, das weißſt du, das wiſſen die Himmel, wie
bruͤnſtig

Mich ſeit dieſem Entſchluß nach meiner Erniedrung ver-
langte;

Erde, wie oft warſt du, in deiner niedrigen Ferne,

Mein erwaͤhltes geliebteſtes Augenmerk! Und du, o Canan,

Heiliges Land, wie oft hieng mein ſanftthraͤnendes Auge

An dem Huͤgel, den ich vom Blute des Bundes ſchon
voll ſah.

Und, o wie bebt mir mein Herz von ſuͤſſen wallenden
Freuden,

Daß ich ſo lange ſchon Meuſch bin, daß ſchon ſo viele
Gerechte

Zu mir ſich ſammlen, und nun bald alle Geſchlechte der
Menſchen

Durch mich geheiliget werden! Hier lieg ich, goͤttlicher
Vater,

Noch mit den Zuͤgen der Menſchheit, nach deinem Bilde,
gezieret.

Betend vor dir: Bald aber wird mich dein toͤdtend Ge-
richte

Blutig entſtellen, und unter den Staub der Todten be-
graben.

A 5Schon
[10]Der Meſſias.
Schon hoͤr ich dich, du Richter der Welt, allein und von
ferne

Kommen, und unerbittlich in deinen Himmeln daher-
gehn.

Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Gei-
ſtergeſchlechte

Unempfindbar; und wenn du ſie auch im grimmigen
Zorne

Toͤdteteſt, unempfindbar! Schon ſeh ich den naͤchtlichen
Garten

Vor mir liegen, ſchon ſink ich vor dir in niedrigen Staub
hin,

Lieg, und bet, und winde mich, Vater, im Todesſchweiſſe.

Siehe, da bin ich, mein Vater. Jch will dein grimmiges
Zuͤrnen,

Dein Gerichte will ich mit tiefem Gehorſam ertragen.

Du biſt ewig! Kein endlicher Geiſt hat das Zuͤrnen der
Gottheit,

Und den Unendlichen furchtbar und toͤdtend, gedacht und
empfunden.

GOtt nur konnte die Gottheit ertragen. Hier bin ich,
mein Vater,

Toͤdte du mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Ver-
ſoͤhnung.

Noch bin ich frey, noch kann ich dich bitten, ſo thut ſich
der Himmel

Mit Myriaden von Seraphim auf, und fuͤhret mich
jauchzend,

Vater, zu deinem unſterblichen Thron im Triumphe zu-
ruͤcke.

Aber ich will leiden, was keine Seraphim faſſen,

Was
[11]Erſter Geſang.
Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen
einſieht;

Jch will leiden, den furchtbarſten Tod will ich, Ewiger,
leiden!

Weiter ſagt er und ſprach: Jch hebe gen Himmel mein
Haupt auf,

Meine Hand in die Wolken, und ſchwoͤre dir bey mir ſelber,

Der ich GOtt bin, wie du: Jch will die Menſchen erloͤ-
ſen!

JEſus ſprachs, und ſtand auf, und in ſeinem Antlitz
war Hoheit,

Und erbarmender Ernſt, und Seelenruh, als er vor GOtt
ſtand.

Und, unhoͤrbar den Engeln, nur ſich und dem Sohne
vernommen,

Sprach der ewige Vater, und wandte ſein ernſtes Geſichte

Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die
Himmel,

Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch
bin ewig!

Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: Jch will die Suͤnde ver-
geben!

Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſpra-
chen,

Gieng durch die ganze Ratur ein ehrfurchtvolles Erbe-
ben.

Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begon-
nen,

Zitter-
[12]Der Meſſias.
Zitterten, und empfanden zuerſt. Ein gewaltiger
Schauer

Faßte den Seraph, ihm ſchlug ſein Herz, und um ihn lag
wartend,

Wie vorm nahen Gewitter die Erde, ſein furchtſamer
Weltkreis.

Nur in die Seelen zukuͤnftiger Chriſten kam ſanftes Ent-
zuͤcken,

Und ein ſuͤßbetaͤubend Gefuͤhl des ewigen Lebens.

Aber ſinnlos, und nur zur Verzweiflung allein noch em-
pfindlich,

Sinnlos, wider GOtt was zu denken, entſtuͤrzten im Ab-
grund

Jhren Thronen die hoͤlliſchen Geiſter. Als jeder dahin-
ſank,

Stuͤrzt auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe

Ungeſtuͤm ein, und donnernd erklang die unterſte Hoͤlle.

JEſus ſtand noch vor GOtt, und die Leiden ſeiner
Erloͤſung

Fiengen itzt an. Und Gabriel lag auf ſeinem Geſichte

Fern und anbetend, von neuen Gedanken gewaltig er-
hoben.

Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, (ſo lang als
die Seele

Sich die Unendlichkeit denkt, wenn ſie ſich in feurigem
Fluge

Wie aus dem Koͤrper verliert,) ſeit dieſen Jahrhunderten
hatt er

So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gott-
heit

Jhre
[13]Erſter Geſang.
Jhre Verſoͤhnten, die ewige Liebe des goͤttlichen Mittlers

Alles eroͤffnet ſich ihm. GOtt bildete dieſe Gedanken

Jn dem Geiſte des Seraphs. GOtt ſelber dachte ſich itzo,

Als den Erbarmer erſchaffener Weſen. Der Seraph er-
hub ſich,

Stand, und erſtaunt, und betet, und unausſprechliche
Freude

Zitterten durch ſein Herz, und Licht und blendendes
Glaͤnzen

Gieng von ihm aus. Die Erde zerfloß in himmliſchen
Schimmer

Unter ihm, wie es ihm vorkam. Jhn ſah der goͤttliche
Mittler,

Wie er den Gipfel des ganzen Gebirges mit Klarheit er-
fuͤllte.

Gabriel, rief er, verhuͤlle dich itzt, du dienſt mir auf
Erden.

Mache dich auf, dieß Gebet vor meinen Vater zu brin-
gen,

Daß die edelſten unter den Menſchen, die ſeligen Vaͤter,

Daß der verſammelte Himmel der Zeiten Fuͤlle vernehme,

Nach der er ſich ſo bruͤnſtig geſehnt. Hier kanſt du mit
Glanze,

Als der Geſandte des hohen Meſſias, vor GOtt erſchei-
nen.

Schweigend, mit goͤttlich erheiterten Minen, erhub
ſich der Seraph.

JEſus ſah ihm in Niedrigkeit nach, doch erblickt er von
ferne

Schon
[14]Der Meſſias.
Schon ſein ganzes Betragen vorm Sitze der Herrlich-
keit GOttes,

Eh noch der eilende Seraph des Himmels Grentzen er-
reichte.

Jtzo erhuben ſich neue geheimnißvolle Geſpraͤche

Zwiſchen ihm und dem Vater, von hohem tiefſinnigen Jn-
halt,

Selbſt Unſterblichen dunkel, Geſpraͤche von Dingen, die
kuͤnftig

GOttes Erloͤſung vor allen Erloͤſten verherrlichen wer-
den.

Unterdeß war der Seraph zur aͤuſſerſten Grenze des
Himmels

Aufwaͤrts geſtiegen. Hier fuͤllen nur Sonnen den heili-
gen Umkreis.

Hell, gleich einem vom Lichte gewebten aͤtheriſchen Vor-
hang

Zieht ſich ihr Glanz um den Himmel herum. Kein dunk-
ler Planete

Naht ſich des Himmels verderbendem Blick. Entfliehend
und ferne

Geht die bewoͤlkte Natur voruͤber: die Erden fliehn mit
ihr

Klein und unmerkbar dahin, wie unter dem Fuſſe des
Wandrers

Niedriger Staub, von Gewuͤrmen bewohnt, aufwallet
und hinſinkt.

Um den Himmel herum ſind tauſend offene Wege,

Lange, nicht auszuſehende Wege, von Sonnen umgeben.

Hier
[15]Erſter Geſang.
Hier ſchoͤpft mit goldnen Schalen der Seraph das feſt-
liche Feuer,

Welches ſein fliegendes Haupthaar umfließt, wenn er
ſchnell von GOtt eilt,

Und als Schutzgeiſt zu einer unſterblichen Seele geſandt
wird,

Die, dem Geſchlecht der Menſchen zur Ehre, vom Schoͤ,
pfer gebildet

Jugendlich waͤchſt, und voll Muth ſich vor ihre Geſpie-
linnen vordraͤngt,

Und ſchon erhabner und goͤttlicher fuͤhlt. Auch verklaͤrt
hier die Seele

Jhren von Luft nach dem Tode zuſammengefloſſenen
Koͤrper.

Durch den glaͤnzenden Weg, der gegen die Erde ſich
kehret,

Floß nach der Erden Erſchaffung, vom himmliſchen Ur-
quell entſpringend,

Ein verklaͤrter aͤtheriſcher Strom nach Eden herunter.

Auf ihm, oder an ſeinem von Wolken erhobnen Geſtade,

Ka[u]m dazumal bald Engel bald GOtt, zum vertraulichen
Umgang,

Zu den Menſchen. Doch ſchnell ward der Strom zu-
ruͤcke gerufen,

Als ſich durch Suͤnde der Menſch von GOttes Freund-
ſchaft entfernte.

Denn die Unſterblichen wollten nicht mehr, in ſichtbarer
Schoͤnheit,

Gegenden, die die Verwuͤſtung des Todes entſtellte, be-
ſuchen.

Damals
[16]Der Meſſias.
Damals wandten ſie ſchauernd ſich weg. Denn die ſtillen
Gebirge,

Wo noch die Spur des Ewigen war; die rauſchenden
Hayne,

Die das Saͤuſeln der Gegenwart GOttes ſonſt ſanft be-
ſeelte;

Selige friedſame Thaͤler, vordem von der Jugend des
Himmels

Liebreich beſucht; die ſchattigten Lauben, wo ehmals die
Menſchen.

Ueberwallend von Freuden und ſuͤſſen Empfindungen,
weinten,

Daß ſie GOtt ewig erſchuf; die Erde lag unter dem
Fluche,

Jhren vordem unſterblichen Kindern ein allgemein Grab-
mal.

Aber dereinft, wenn ſich die Weltgebaͤude verjuͤngen.

Und aus der Aſche des groſſen Gerichts triumphirend
hervorgehn,

Wenn GOtt alle Bezirke der Welten mit ſeinem Him-
mel

Durch gleich allgegenwaͤrtiges Anſchaun zuſammen ver-
einbart,

Alsdann wird der aͤtheriſche Strom vom himmliſchen
Urquell

Wieder mit hellerer Schoͤne zum neuen Eden ſich ſenken.

Niemals wird dann ſein Geſtade von hohen Verſammlun-
gen leer ſeyn,

Die auf Erden den Umgang der neuen Unſterblichen ſu-
chen.

Dieß
[17]Erſter Geſang.
Dieß iſt der heilige Weg, durch den itzt Gabriel fort-
gieng,

Und ſich von fern dem Himmel der goͤttlichen Herrlich-
keit nahte.

Mitten in dieſer Verſammlung der Sonnen erhebt ſich
der Himmel,

Rund, unermeßlich, das Urbild der Welten, die Fuͤlle

Aller ſichtbaren Schoͤnheit, die ſich, gleich fluͤchtigen Baͤ-
chen,

Um ihn, durch den unendlichen Raum nachahmend er-
gieſſet.

Alſo dreht er ſich, unter dem Ewigen, um ſich ſelber.

Jndem er wandelt, ertoͤnen von ihm, auf Fluͤgeln der
Winde,

An die Geſtade der Sonnen die ſphaͤriſchen Harmonien

Hoch hinuͤber. Die Lieder der goͤttlichen Harfenſpieler

Schallen mit Macht, wie beſeelend, darein. Dies verein-
barte Toͤnen

Fuͤhrt vorm unſterblichen Hoͤrer manch hohes Loblied vor-
uͤber.

Wie ſich ſein freudiger Blick an ſeinen Werken ergetzet,

Alſo vergnuͤgte ſein goͤttliches Ohr itzt dies hohe Getoͤne.

Die du himmliſche Lieder mich lehrſt, Geſpielinn der
Engel,

Seherinn GOttes, du Hoͤrerinn hoher unſterblicher
Stimmen,

Melde mir, Muſe von Tabor, das Lied, das die Himmel
itzt ſangen,

BSey
[18]Der Meſſias.
Sey uns gegruͤſſet, du heiliges Land der Erſcheinungen
GOttes!

Hier erblicken wir GOtt, wie er iſt, wie er war, wie er ſeyn
wird.

Siehe, den Seligen ohne Verhuͤllung, frey, ohne die
Daͤmmrung

Fern nachahmender Welten. Dich ſchauen wir in der
Verſammlung

Deiner Erloͤſten, die du des ſeligen Anblicks auch wuͤr-
digſt.

Wie unendlich vollkommen biſt du! Zwar nennt dich der
Himmel,

Und der Unausſprechliche wird Jehova geheiſſen!

Unſere Lieder, vom Schwung und Harmonien begeiſtert

Suchen dein Bild; doch umſonſt. Auf deine Verklaͤrung
gerichtet,

Koͤnnen Gedanken ſich nur von deiner Gottheit beſpre-
chen.

Ewiger, du biſt allein in deiner Groͤſſe vollkommen!

Jeder Gedanke, mit dem du dein herrliches Weſen durch-
ſchaueſt,

Jſt viel erhabner und heiliger, als die ſtille Betrachtung,

Auf erſchaffene Dinge von dir hernieder gelaſſen.

Dennoch entſchloſſeſt du dich, auch auſſer dir Weſen zu
ſehen,

Und auf ſie dein beſeelendes Hauchen hernieder zu laſſen.

Erſt erſchufſt du den Himmel, dann uns, des Himmels
Bewohner.

Fern wart ihr damals von eurer Geburt, du juͤngerer
Erdkreis,

Und du Sonn, und du Mond, der ſeligen Erde Gefaͤhrten.

Erſtge-
[19]Erſter Geſang.
Erſtgeborner der Schoͤpfung, wie war dir bey dei-
nem Hervorgehn?

Da, nach undencklicher Ewigkeit, GOtt zu dir ſich herab
ließ,

Und dich zum heiligen Wohnplatz von ſeiner Herrlichkeit
weihte.

Dein unermeßlicher Kreis, zum neuen Daſeyn gerufen,

Formte ſich noch in ſeine Geſtalt; die ſchaffende Stimme

Wandelte noch mit dem erſten Getoͤſe kryſtallener Meere;

Jhre gleich irdiſchen Welten zuſammengebirgten Geſtade

Hoͤrten ſie, doch kein Unſterblicher nicht. Da ſtandeſt du,
Schoͤpfer,

Auf dem neuen erhabenen Throne, dich ſelber betrach-
tend,

Einſam und ernſt. O jauchzet der denkenden Gottheit
entgegen!

Damals, ja damals erſchuf er euch, Seraphim, Geiſter-
geſchoͤpfe,

Voll von Gedanken, voll maͤchtiger Kraͤfte, des Ewigen
Bildung,

Die er in euch von ihm ſelber erſchafft, anbetend zu faſſen.

Halleluja, ein feyrendes Hallelujah, o Erſter,

Sey dir von uns unaufhoͤrlich geſungen! Zur Einſam-
keit ſprachſt du:

Sey nicht mehr! Und zu den Weſen: Entwickelt euch,
Hallelujah!

Unter dem Liede, das nach dem erhabenen Dreymal-
heilig,

Allzeit geſungen wird, hatte des Mittlers hoher Ge-
ſandte

B 2Eine
[20]Der Meſſias.
Eine der naͤchſten Sonnen am Himmel helleuchtend be-
treten.

Ueberall ſchweigen die Seraphim itzt, und feyren den An-
blick.

Mit dem der ewige Vater ihr heiliges Loblied belohnte.

Jndem erſchien der Seraph auf dieſer Sonne dem Him-
mel.

GOtt ſah ihn an, der Himmel mit GOtt. Er betete
kniend.

Zweymal die Zeit, in welcher ein Cherub den Namen Je-
hova,

Und das anbetende Dreymalheilig der Ewigkeit aus-
ſpricht,

Ward er des Anſchauns der Gottheit gewuͤrdigt. Drauf
kam ihm der Thronen

Erſtgebohrner, ihn feyrlich vor GOtt zu fuͤhren, entgegen.

GOtt nennt ihn ſeinen Geliebten; der Himmel Eloa.
Vor allen,

Die GOtt erſchuf, iſt er groß, der naͤchſte dem Unerſchaff-
nen.

Denkt er, ſo iſt ein Gedanke von ihm ſo ſchoͤn, als die
Seele,

Als die ganze Seele des Menſchen vom Staube gebildet,

Wenn ſie, ihrer Unſterblichkeit wuͤrdig, gedankenvoll
nachſinnt.

Sein umſchauender Blick iſt ſchoͤner, als Fruͤhlingsmor-
gen,

Lieblicher als die Geſtirne, da ſie vorm Throne des Schoͤ-
pfers

Jugendlich nen, und voll Licht, mit ihren Tagen, vorbey-
flohn.

GOtt
[21]Erſter Geſang.
GOtt ſchuf ihn erſt. Aus einer helleuchtenden Morgen-
roͤthe

Schuf er ihm einen aͤtheriſchen Leib. Ein Himmel | von
Wolken

Floß um ihn, da er wurde: GOtt hub ihn mit offenen
Armen

Aus den Wolken, und ſagt ihm ſegnend: Da bin ich, Er-
ſchaffner!

Seraph Eloa ſah itzt auf einmal den Ewigen vor ſich,

Schaut ihn entzuͤckungsvoll an, und ſtand, und ſchaut
ihn begeiſtert

Wiederum an, und ſank, verloren in GOttes Anblick.

Endlich redt er, und ſagte dem Ewigen alle Gebanken,

Die er empfand, die neuen unſterblichen Ruͤhrungen alle,

Die ſein groſſes Herz durchwallten. Erſt werden die
Welten

Alle vergehn, und neu aus ihrem Staube ſich ſchwingen,

Ganze Jahrhunderte werden dann erſt in die Ewigkeit
eingehn,

Eh der erhabenſte Chriſt ſo goͤttliche Ruͤhrungen fuͤhlet.

Jtzt kam Eloa von ſeinem Sitze zum Engel des Mitt-
lers

Auf neu erwachenden Strahlen in ſeiner Schoͤnheit her-
nieder,

Jhn zum Altare des Mittlers zu fuͤhren. Er gieng noch
von ferne,

Als er ſchon Gabriel kannte. Wie groß war Eloa Ent-
zuͤckung,

Von den Unſterblichen einen zu ſehn, mit dem er vor
dieſem

B 3Alle
[22]Der Meſſias.
Alle Bezirke der Schoͤpfungen GOttes, und ihre Bewohner

Sah, und mit dem er unnachahmbarere Thaten voll-
fuͤhrte,

Als das Geſchlecht der Menſchen mit ſeinen Edelſten aus-
uͤbt.

Jtzo verklaͤrten ſie ſich ſchon liebreich gegen einander.

Schnell, mit bruͤnſtig eroͤffneten Armen, mit herzlichen
Blicken

Eilten ſie gegen einander. Sie zitterten beyde vor Freuden,

Als ſie ſich umarmten. Wie Bruͤder erzittern, die beyde

Tugendhaft ſind, und beyde den Tod fuͤrs Vaterland
ſuchten,

Wenn ſie, vom Heldenblute noch voll, ſich nach ewigen
Thaten

Wiederſehn, und ſich vor ihrem noch goͤttlichern Vater um-
armen.

GOtt ſah ſie fern, und ſegnete ſie. So giengen ſie beyde,

Herrlicher noch durch die Freundſchaft, dem himmliſchen
Thron entgegen.

Alſo kamen ſie weiter bis ans Allerheiligſte GOttes.

Nah bey der Herrlichkeit GOttes, auf einem himmliſchen
Berge,

Ruht des Allerheiligſten Nacht. Ein lichthelles Glaͤnzen

Wacht inwendig um GOttes Geheimniß. Das heilige
Dunkel

Deckt nur das Jnnre vorm Auge der Engel. Bisweilen
eroͤffnet

GOtt den daͤmmernden Vorhang durch majeſtaͤtiſche
Donner

Vor dem Blicke der himmliſchen Schauer. Sie ſehen
und feyren.

Jtzo
[23]Erſter Geſang.
Jtzo ſtand auf einmal, bey des Allerheiligſten Eingang,

Wie ein Berg GOttes, der Altar des Mittlers, vor Ga-
briels Auge

Wolkenlos da. Er ſah ihn, und gieng, in feſtlicher Schoͤn-
heit,

Prieſterlich zum Altar, und trug zwo goldene Schalen

Voll vom heiligen Raͤuchwerck, und ſtand tiefſinnig am
Altar.

Neben ihm ſtand Eloa, und rief aus ſeiner Harfe

Goͤttliche Toͤne, den opfernden Seraph zum hohen Gebete

Vorzubereiten. Der hoͤrt ihn, und durch die allmaͤchtige
Harfe

Hub ſich ſein Geiſt voll Andacht empor. Wie der Ocean
aufwallt,

Wenn uͤber ihm die Stimme des Herrn in Sturmwinden
wandelt.

Gabriel ſah GOtt an, und ſang mit maͤchtiger Stimme.

Nunmehr hoͤrte der ewige Vater, es horte der Himmel

Deine Gebete, Meſſias. GOtt ſelber zuͤndte das Opfer

Wunderbar an! ein heiliger Rauch ſtieg mit dem Gebete

Still begleitend vom Altar; dann hub er ſich weiter, und
wallte,

Wie von unſern Gebirgen ein ganzer Himmel, zu GOtt
auf.

Bis itzt hatte GOtt ſtets die Erde nachdenckend brtrach-
tet.

Denn ſein Sohn beſprach ſich noch immer aus vollem Ge-
muͤthe

Mit ihm von der erhabenen Seligkeit ſeiner Erloͤſten.

Aber itzt fuͤllte ſein freundlicher Blick den Himmel von
neuem.

B 4Jeder
[24]Der Meſſias.
Jeder begegnete feyrend und ſtill dem goͤttlichen Blicke.

Alles erwartet die Stimme des HErrn. Die himmliſche
Ceder

Rauſcht itzt nicht, der Ocean ſchwieg am hohen Geſtade.

GOttes geiſtiger Wind hielt zwiſchen den ehernen Bergen

Unbeweglich, und wartete mit verbreiteten Fluͤgeln,

Auf die Herabkunft der goͤttlichen Stimmen. Ein Don-
nerwetter

Stieg, da er wartete, ſchnell, vom Allerheiligſten nieder.

Doch GOtt redte noch nicht. Die heiligen Donnerwetter

Waren Verkuͤndiger einer annahenden goͤttlichen Ant-
wort.

Als dies geſchah, that GOtt vorm Angeſichte der Thronen

Offenbarend ſein Heiligthum auf, den wartenden Him-
mel

Zu den hohen Gedanken des Ewigen vorzubereiten.

Und da wandte ſich Urim voll Ernſt, mit goͤttlichem Tief-
ſinn,

Cherub Urim, des ewigen Geiſtes vertraulichſter Engel,

Zu dem hohen Eloa, und ſprach: Was ſiehſt du, Eloa?

Seraph Eloa ſtand auf, gieng langſam vorwaͤrts, und
ſagte:

Dort an den goldenen Pfeilern, da ſind labyrinthiſche
Tafeln

Voll vom Schickſal; dann Buͤcher des Lebens, die unter
dem Hauche

Maͤchtiger Winde ſich oͤffnen, und Namen kuͤnftiger Chri-
ſten

Neue belohnende Namen, des Himmels Unſterblichkeit auf-
thun.

Wie
[25]Erſter Geſang.
Wie ſich die Buͤcher des Weltgerichts hier, gleich wehen-
den Fahnen

Kriegender Seraphim, furchtbar eroͤffnen! Ein toͤdtender
Anblick

Fuͤr die niedrigen Seelen, die wider GOtt ſich empoͤr-
ten!

O wie GOtt ſich enthuͤllt! ach, Urim, in heiliger Stille

Schimmern die Leuchter im Silbergewoͤlk! So gebieret
der Morgen

Thau auf den Bergen, ſo glaͤnzen die Erben der ewigen
Kindſchaft,

Tanſend bey tauſend, der wahren Gemeinen vorbildende
Leuchter.

Zaͤhle ſie, Urim, die heilige Zahl. Die Welten, ſprach Urim,

Tugenden, die Thaten der Geiſter, ſelbſt GOttes Ge-
dancken,

Wenn er ſich, einen groſſen Tag, uns offenbarend eroͤffnet,

Sind uns zaͤhlbar: allein die Folgen der groſſen Erloͤſung,

GOttes Erbarmungen nicht. Eloa ſprach weiter: Jch
ſehe

GOttes Gerichtsſtuhl! Wie ſchrecklich biſt du, Weltrich-
ter, Meſſias!

Schau das Antlitz des hohen Gerichtsſtuhls! Es toͤdtet
von ferne!

Und die zur Nache geruͤſtete Glut! Ein lebendiger Sturm-
wind

Waͤlzet die Raͤder in fliehenden Wolken. Ach ſchone, Meſ-
ſias,

Schone, Weltrichter, mit deinem Verderben von ferne
bewaffnet!

B 5Alſo
[26]Der Meſſias.
Alſo beſprachen Eloa und Urim ſich unter einander.

Siebenmal hatte der Donner das heilige Dunkel eroͤffnet,

Und die Stimme des Ewigen kam ſanftwandelnd hernie-
der:

GOtt iſt die Liebe. Der war ich vorm Daſeyn meiner
Geſchoͤpfe;

Da ich die Welten erſchuf, war ich auch der; itzt, bey der
Vollendung

Meiner geheimſten erhabenſten That, bin ich eben derſelbe.

Schaut den Ewigen an, ihr vorerwaͤhlten Gerechten,

Heilige Kinder. Erkennet mein Herz, ihr wart mir das
Liebſte

Meiner Gedanken, als ich dem kuͤnftigen Heile nachdachte.

Euch hat herzlich verlangt, ich bin euer goͤttlicher Zeuge,

Endlich die Tage des Heils, und meinen Meſſias zu ſe-
hen.

Seyd mir geſegnet, ihr Kinder der Gottheit vom Geiſte ge-
boren!

Weinet nicht, Kinder, hier bin ich, ein Vater, das Weſen der
Weſen,

Siehe, der Erſt und der Letzte, ein ewig treuer Erbarmer.

Der ich von Ewigkeit bin, den keine Geſchoͤpfe begreifen,

Jch, die Gottheit, ich laſſe zu euch, mich vaͤterlich nieder.

Dieſer Bote des Friedens, von meinem Sohne geſen-
det,

Jſt nur um eurentwillen zum hohen Altare gekommen.

Waͤret ihr nicht zu Zeugen der groſſen Erloͤſung erkohren,

O ſo haͤtten wir uns in entfernter Stille beſprochen,

Einſam, geheim, unerforſchlich. Doch ihr, mein the[u]res
Geſchlechte,

Sollt
[27]Erſter Geſang.
Sollt die Tage mit Wonn und unſterblichem Jauchzen vol-
lenden!

Jch, und mein Himmel, wir wollen den ganzen verborge-
nen Umfang

Meiner Erloͤſung durchſchaun, mit viel verklaͤrteren Bli-
cken

Wollen wir dieſe Geheimniſſe ſehn, als eures Erloͤſers

Fromme, weichmuͤthige Freunde, die noch in Dunkelheit
irren,

Oder als ſeine verruchten Verfolger. Die hab ich ſchon
lange

Aus den heiligen Buͤchern vertilgt; und meinen Erloͤſten

Send ich mein Licht, ſie ſollen nun bald das Blut der
Verſoͤhnung

Nicht mehr mit weinendem Auge betrachten. Sie werden
es ſehen,

Wie ſich vor ihnen ſein Strom ins ewige Leben verlie-
ret.

Alsdann ſollen ſie hier, im Schoſſe des Friedens getroͤ-
ſtet,

Feſte des Lichts und der ewigen Ruh triumphirend bege-
hen.

Seraphim, und ihr Seelen, erloͤſte Vaͤter des Mittlers,

Fangt ihr die Feſte der Ewigkeit an. Sie ſollen von itzo

Mit der Unendlichkeit dauern. Die heiligen Kinder der
Erde

Werden ſich allgemach alle zu euch vollendet verſammeln,

Bis ſie zuſammen dereinſt, mit neuen Leibern umgeben.

Nach vollbrachtem Gericht zu meiner Seligkeit kommen.

Unterdeß geht von mir aus, des hohen Thrones Bewoh-
ner,

Meldet
[28]Der Meſſias.
Meldet den Herrſchern der Schoͤpfungen GOttes, daß
ſie ſich zur Feyrung

Dieſer erwaͤhlten verehrungswuͤrdigen Tage bereiten.

Und ihr Frommen des Menſchengeſchlechts, und ihr Vaͤ-
ter des Mittlers,
(Denn von jenem Gebein der Sterblichkeit, das ihr im
Staube

Sterbend zuruͤcke gelaſſen, entſtammt der hohe Meſſias,

GOttes und Menſchenſohn,) auch euch iſt die Freude be-
ſtimmet,

Die ich allein bey mir, mit meiner Gottheit Gedanken,

Ganz empfind; unſterbliche Seelen, auf, eilt zu der
Sonne,

Welche den Kreis der Erloͤſung umleuchtet. Hier ſollt
ihr von ferne

Eures Erloͤſers und Sohns Verſoͤhnung und Thaten be-
trachten.

Laßt euch dieſen Lichtweg hinab. Aus allen Bezirken

Sieht euch meine Natur mit verneuter Schoͤnheit entge-
gen.

Denn ich der HErr will ſelbſt, nach dieſer Jahrhunderte
Kreislauf,

Einen Ruhetag GOttes, den zweyten erhabenen Sabbath,

Bey mir feyren. Der iſt mir viel hoͤher, als jener be-
ruͤhmte,

Jener von euch, ihr Geiſtergeſchoͤpfe, ſeraphiſche Schaa-
ren,

Heilig beſungene Tag, den ihr, nach Vollendung der
Welten,

Einſt am Schoͤpfungsfeſte begiengt. Jhr wißt es, o Gei-
ſter,

Wie
[29]Erſter Geſang.
Wie ſich die neue Natur, in liebenswuͤrdiger Schoͤne,

Damals erhub, wie die Morgenſterne mit eurer Geſell-
ſchaft

Vor mir, dem Schoͤpfer, ſich neigten. Allein itzt ſoll mein
Meſſias,

Mein unſterblicher Sohn, viel groͤſſere Werke vollenden.

Eilt, verkuͤndigt dies meinen Geſchoͤpfen. Mein Sabbath
erhebt ſich,

Jtzt mit dem freyen Gehorſam und Leiden des groſſen
Meſſias.

Jch, der HErr, nenn ihn den Sabbath des Heils und des
ewigen Bundes.

GOtt ſprachs. Ueberall faltete noch die tiefe Ver-
wundrung

Heilige Haͤnde vor ihm. Stillſchweigend ſahe der Himmel

Zum Allerheiligſten GOttes hinauf. Dem Geſandten des
Mittlers

Winkte GOtt; da ſtieg er zur oberſten Stufe des Thro-
nes.

Allda empfing er, an Uriel und die Beſchuͤtzer der Erde

Wegen der Wunder beym Tode des Mittlers, geheime
Befehle.

Unterdeß waren die Thronen von ihren Sitzen geſtie-
gen.

Gabriel folgte. Da er dem Altare der Erde ſich nahte,

Hoͤrt er von fern aus den hohen Gewoͤlben herwallende
Seufzer,

Die mit weinendem Laut das Heil der Menſchen verlang-
ten,

Und
[30]Der Meſſias.
Und die der Opferprieſter am Altar dem Ewigen brachte.

Dies iſt der Altar, von dem du, des neuen Bundes Pro-
phete,

An dem Geſtade der Patmus die himmliſchen Bildungen
ſaheſt;

Hier wars, wo ſich in hohen Gewoͤlben der Maͤrtyrer
Stimme

Klaͤglich erhub; hier weinten die Seelen mit Thraͤnen der
Engel,

Daß der erhabene Richter den Tag der Rache verzoͤgre.

Als itzt zu dieſem Altare der Erde der Seraph hinabſtieg,

Eilt ihm Adam, der Opferprieſter am Altar, entgegen,

Nicht ungeſehn; ein aͤtheriſcher Leib, helleuchtend gebildet,

Huͤllte den ſeligen Geiſt in eine verklaͤrte Behauſung.

Seine Geſtalt war ſo ſchoͤn, wie du vor des Schoͤpfers
Gedanken

Goͤttliches Bild, als er Adam zu ſchaffen gedankenvoll
da ſtand,

Und im geſegneten Schoſſe der paradieſiſchen Fluren

Unter ihm heiliges Erdreich zum werdenden Menſchen
ſich loßwand.

Alſo gebildet kam Adam zum Seraph. Ein liebliches Laͤ-
cheln

Machte ſein Antlitz wie goͤttlich, er ſprach mit verlangen-
der Stimme:

Sey mir gegruͤſſet, begnadigter Seraph, du Friedens-
Bote.

Da die Stimme von deiner erhabnen Geſandſchaft er-
ſchallte,

Hub ſich mein Geiſt jubilirend empor. Du theurer Meſ-
ſias.

Koͤnnt
[31]Erſter Geſang.
Koͤnnt ich dich auch in jener holdſeligen menſchlichen
Schoͤnheit,

Wie der Seraph hier, ſehn! Ach in jener Geſtalt der Er-
barmung,

Jn der du mein gefallnes Geſchlecht zu verſoͤhnen be-
ſchloſſen!

Fuͤhre du mich zu den goͤttlichen Fußtapfen meines Er-
loͤſers,

Meines Erloͤſers und Freundes, ich will ihn nur ferne be-
gleiten!

Ruheſtatt jenes Gebets, wo mein Mittler nieder gefallen,

Duͤrft ich dich ſehn, und daſelbſt die zaͤrtlichen Thraͤnen
hinweinen!

Ach! ich war ja vordem dein erſtgeborner Bewohner,

Muͤtterlichs Land, o Erde, nach dir ſeh ich ſehnlich her-
nieder.

Deine vom Donnerworte des Fluchs zerſtoͤrten Gefilde

Waͤren mir in der Geſellſchaft des Mittlers, den eben der
Koͤrper

Jenes Todes umhuͤllt, den ich dort im Staube zuruͤckließ,

Lieblicher, als dein Gefilde nach himmliſchen Auen er-
ſchaffen,

O Paradies, verlorner Himmel! So ſagt er voll Jnbrunſt.

Deine Verlangen will ich, du Erſtling der Auserwaͤhl-
ten,

Sprach der Seraph mit freundlicher Stimme, dem Mitt-
ler erzaͤhlen.

Jſt es ſein goͤttlicher Wille, ſo wird er dich zu ſich berufen,

Du wirſt ihn ſehn, wie er iſt, die erniederte Herrlichkeit
GOttes.

Jndem
[32]Der Meſſias.
Jndem hatten die goͤttlichen Engel den Himmel ver-
laſſen,

Und ſich uͤberall ſchnell ins Weltgebaͤude vertheilet.

Gabriel nur kam allein zur ſeligen Erden hernieder,

Die der benachbarte Kreis voruͤbergehender Sterne

Still mit einem allgegenwaͤrtigen Morgen begruͤßte.

Ringsum erſchallten zugleich die neuen Namen der Erde.

Gabriel hoͤrte die Namen: Du Koͤnigiun unter den Erden,

Augenmerk aller Geſchoͤpfe, vertrauteſte Freundinn des
Himmels,

Anderer Wohnplatz der Herrlichkeit GOttes, unſterbliche
Zeuginn

Jener geheimen erhabenen Thaten des groſſen Meſſias!

Alſo ertoͤnte der Umkreis von engliſchen Stimmen bele-
bet.

Gabriel hoͤrt es und kam mit verweilendem Fluge zur Er-
den.

Hier ſank Schlummer und Kuͤhlung noch in die Thaͤ-
ler hernieder,

Dunkle geſellige Wolken verhuͤllten noch ihre Gebirge.

Gabriel gieng in der Nacht, und ſuchte mit ſehnlichen Bli-
cken

Seinen Meſſias. Er fand ihn in einem niedrigen Thale,

Das ſich zwiſchen dem Gipfel des himmliſchen Oelbergs
hinabließ.

Hier war der goͤttliche Mittler, von tiefen Gedanken er-
muͤdet,

Eingeſchlafen. Natur, du mußteſt zu ſeinem Haupte,

Alſo ſagtler dir ſchlummernd, leichttragende Blumen er-
ſchaffen.

Gabriel
[33]Erſter Geſang.
Gabriel ſahe den Mittler in ſuͤſſem luftigen Schlafe,

Stand voll Verwunderung ſtill, und ſah unverwandt
nach der Schoͤnheit,

Die die vereinbarte Gottheit der menſchlichen Bildung er-
theilte.

Ruhige Liebe, die Zuͤge des goͤttlichen Laͤchelns voll Gnade,

Huld und Milde, noch Thraͤnen der zaͤrtlichen treuen Er-
barmung,

Zeigten den Geiſt des goͤttlichen Mittlers in ſeinem Ge-
ſichte;

Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes
verdunkelt.

Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde

Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen,

Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel herauf-
geht,

Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun,
herwinkt.

Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und
Stille.

O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher
Stimme,

Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ru-
het,

Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehor-
chet.

Als ich dies that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen,

Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne.

Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchlieſ-
ſung,

CGleich
[34]Der Meſſias.
Gleich von hier, deine Verſoͤhnung auch mit zu verherr-
lichen, eilen.

Unterdeß ſchweigt hier, o nahe Geſchoͤpfe! den fluͤchtigſten
Anblick

Dieſer hineilenden Zeit, da euer Schoͤpfer noch hier iſt,

Muͤßt ihr fuͤr ſeliger, als viel lange Jahrhunderte halten,

Da ihr den Menſchen mit reger ſorgfaͤltiger Aemſigkeit
dienet.

Schweig, Getoͤſe der Luft, in deinen aufruͤhriſchen Hoͤlen,

Oder erhebe dich ſanft mit ſtillem behutſamen Saͤuſeln.

Und du, nahes Gewoͤlk, o treufle du Segen und Waͤrme

Auf die kuͤhlenden Schatten aus deinen Schoͤſſen herunter.

Rauſche nicht, Ceder, ſchweig, heiliger Hain, vorm ſchlum-
mernden Schoͤpfer!

Alſo verlohr ſich mit ſorgſamem Ton die Stimme des
Seraphs.

Und drauf eilt er zu jener Verſammlung der heiligen
Waͤchter,

Die als Vertraute der Gottheit und ihrer verborgenen
Vorſicht,

Mit ihm die Erde zugleich in geheimer Stille beherrſchten.

Dieſen ſollt er noch itzt, vor ſeiner Erhebung zur Sonne,

Jenes Verlangen der ſeligen Geiſter, die nahe Verſoͤh-
nung,

Und den zweyten erhabenen Ruhetag GOttes eroͤffnen.

Der du nach Gabriel itzt den Kreis der Erloͤſung be-
herrſcheſt,

Goͤttlicher Schutzgeiſt der Mutter ſo vieler unſterblichen
Kinder,

Die
[35]Erſter Geſang.
Die ſie, wie ihre Begleiter, die ſchnellen Jahrhunderte,
fluͤchtig

Und unerſchoͤpflich am Reichthum, den hoͤhern Gegenden
ſendet,

Und dann des ewigen Geiſtes zerfallne vermorſchte Behau-
ſung

Unter verlaſſenen Huͤgeln in traurige Dunkelheit ein-
ſchließt;

O du dieſer verherrlichten Erden erwaͤhlter Beſchuͤtzer,

Seraph Eloa, verzeih dies deinem zukuͤnftigen Freunde,

Wenn er deinen feit Edens Erſchaffung verborgenen Wohn-
platz,

Von der heiligen Muſe gelehrt, den Sterblichen zeiget.

Hat er ſich iemals, voll einſamer Wolluſt, in tiefe Gedan-
ken

Und in den hellen Bezirk der ſtillen Entzuͤckung verloh-
ren;

Hat mit Gedanken der Geiſter ſich ſein Gedanke verei-
net,

Und die enthuͤllete Seele die Rede der Goͤtter vernom-
men;

O ſo hoͤr ihn, Eloa, wenn er, wie die himmliſche Ju-
gend,

Kuͤhn und erhaben, nicht modernde Truͤmmern der Vor-
welt beſinget,

Sondern den Buͤrgern der goͤttlichen Erde dein Heilig-
thum aufthut.

Jn dem ſtillen Bezirk des unbetrachteten Nordpols

Herrſchet die Mitternacht ewig einſiedleriſch. Dunkel und
Wolken

C 2Flieſſen
[36]Der Meſſias.
Flieſſen von ihr, wie ein ſinkendes Meer, unaufhoͤrlich
herunter.

So lag unter der Finſterniß GOttes von Moſen geru
fen,

Ehmals der Nil, in vierzehn Geſtade zuſammen gedraͤn-
get,

Und ihr, der Koͤnige Grab, unſterbliche Pyramiden.

Niemals hat noch ein Auge, von kleinern Himmeln um-
grenzet,

Dieſe verlaßnen Gefilde geſehen, wo naͤchtliches Erdreich

Unbewohnt ruht, wo kein Laut von Menſchenſtimmen
ertoͤnet,

Wo kein Todter begraben liegt, wo kein Auferſtehn ſeyn
wird.

Aber zu tiefen Gedanken, und zur Betrachtung gewid-
met,

Machen ſie Seraphim herrlich, wenn ſie auf ihren Ge-
birgen,

Orionen gleich, gehn, und in prophetiſcher Stille

Thraͤnenvoll, der Menſchen zukuͤnftige Seligkeit an-
ſchaun.

Mitten in dieſen Gefilden erhebt ſich die engliſche Pforte,

Durch die der Erde Beſchuͤtzer zu ihrem Heiligthum ein-
gehn.

Wie zur Zeit des belebenden Winters ein heiliger
Feſttag

Ueber beſchneyten Gebirgen nach truͤben Tagen hervor-
geht;

Wolken und Nacht entfliehen vor ihm, die beeiſten Ge-
filde

Hohe
[37]Erſter Geſang.
Hohe durchſichtige Waͤlder entnebeln ihr Antlitz, und
glaͤnzen:

Alſo gieng Gabriel itzt auf den mitternaͤchtlichen Ber-
gen,

Und ſchon ſtand ſein unſterblicher Fuß an der heiligen
Pforte

Die ſich vor ihm, wie Fluͤgel der rauſchenden Cherubim,
aufthat.

Schon war ſie hinter ihm wieder geſchloſſen. Nun gieng
der Seraph

Jn den Tiefen der Erde. Da waͤlzten ſich Oceane

Um ihn mit langſamer Flut zum menſchenloſen Geſtade.

Alle Soͤhne der Oceane, gewaltige Fluͤſſe,

Floſſen, wie Ungewitter ſich aus den Wuͤſten heraufziehn,

Fern und rauhtoͤnend ihm nach. Er gieng, und ſein hei-
liger Wohnplatz

Zeigte ſich ſchon in der Naͤhe. Die Pforte von Wolken
erbauet

Wich ihm itzt aus, wie auf blumichten Huͤgeln dem Mor-
gen die Nacht weicht.

Unter dem Fuß des Unſterblichen floß die fluͤchtige Daͤmm-
rung

Wallend hinweg. Weit hinter ihm, an den dunkeln Ge-
ſtaden,

Blieben wehende Flammen in ſeinem Fußtritt zuruͤcke.

Nunmehr hatte der Seraph den heiligen Wohnplatz be-
treten.

Da, wo ſich fern von uns die Erde zum Mittelpunct
kehret,

Woͤlbt ſich in ihr ein weiter Bezirk voll himmliſcher Luͤfte.

C 3Mitten
[38]Der Meſſias.
Mitten darinnen erhebt ſich mit fluͤßigem Schimmer be-
kroͤnet

Eine ſanftleuchtende Sonne. Von ihr fließt Leben und
Waͤrme

Jn die Adern der Erden empor. Die oberſte Sonne

Bildet mit dieſer vertrauten Gehuͤlfinn den blumichten
Fruͤhling,

Und den feurigen Sommer, von ſinkenden Halmen bela-
ſtet,

Und dich, o Herbſt, auf Traubengebirgen. Jn ihren Be-
zirken

Jſt ſie niemals nicht auf und niemals nicht untergegangen.

Um ſie laͤchelt ein ewiger Morgen in thauenden Wol-
ken.

Unterweilen thut der, der die Himmel zuſammen erfuͤllet,

Seine Gedanken den Engeln daſelbſt durch Zeichen in
Wolken

Wunderbar kund; da erſcheinen alsdann die Folgen des
Schickſals.

Alſo entdeckt ſich GOtt, wenn nach wohlthaͤtigen Wet-
tern

Ueber beſaͤnftigten Wolken der Regenbogen hervorgeht,

Und dir, Erde, den Bund und die Fruchtbarkeit GOt-
tes verkuͤndigt.

Gabriel ließ itzo auf dieſer Sonne ſich nieder.

Um ihn verſammelten ſich der Koͤnigreiche Beſchuͤtzer,

Engel des Kriegs und des Todes, die im Labyrinthe des
Schickſals

Bis zur goͤttlichen Hand den fuͤhrenden Faden beglei-
ten;

Die
[39]Erſter Geſang.
Die im Verborgenen uͤber die Werke der Koͤnige herr-
ſchen,

Wenn ſie damit triumphirend, als ihrer Schoͤpfung, ſich
bruͤſten.

Dann die Huͤter der tugendhaften und wenigen Edlen,

Die den denckenden Weiſen in ſeiner Entfernung beglei-
ten,

Wenn er das Menſchengewebe der irdiſchen Seligkeit
fliehet,

Und die Buͤcher der ewigen Zukunft im Stillen eroͤffnet.

Auch ſind ſie oft insgeheim bey einer Verſammlung zu-
gegen

Wo der feurige Chriſt die Herabkunft GOttes empfindet,

Wenn ein bruͤderlich Volk, durch das Blut des Bundes ge-
heiligt,

Seinem unſterblichen Lamme zu Sion ein Loblied erhe-
bet.

Wenn die Seelen entſchlafner Chriſten ihr todtes Antlitz

Und den Schweis, und die traurigen Zuͤge des ſiegen-
den Todes,

Und die bezwungne Natur auf ihrem Leichnam erbli-
cken:

So empfangen ſie dieſe Gefaͤhrten mit troͤſtendem Anblick:

Lieber, wir wollen dereinſt die Truͤmmern alle ver-
ſammeln;

Eben dieſe Behauſung der Sterblichkeit, dieſes Gebeine,

Durch die Hand des gewaltigen Todes ſo traurig ent-
ſtellet,

Soll mit dem Morgen des Richters zur neuen Schoͤ-
pfung erwachen.

C 4Kommt
[40]Der Meſſias.
Kommt nur, des Himmels zukuͤnftige Buͤrger, ein helle-
res Anſchaun,

Selbſt die Umarmung des goͤttlichen Mittlers erwartet
euch liebreich.

Auch die Seelen, die dem kaum gebornen Koͤrper ent-
flohen,

Sammelten ſich um den Seraph herum. Sie flohen mit
Weinen,

Mit dem zaͤrtlichen Weinen der Kindheit. Jhr ſchuͤch-
ternes Auge

Hatte die Oberflaͤche der Erde kaum ſtaunend erblicket;

Darum durften ſie ſich auf den groͤſſern Schauplatz der
Welten

Noch ungebildet ſo bald hervorzutreten nicht wagen.

Jhre Beſchuͤtzer begleiten ſie zu ſich, und lehren ſie rei-
zend,

Unter dem Klange belebender Harfen, in lieblichen Lie-
dern:

Wie und woher ſie entſtanden; wie groß die menſchliche
Seele

Von dem vollkommenſten Geiſte gemacht ſey; wie ju-
gendlich heiter

Sonnen und Monde nach ihrer Geburt zum Schoͤpfer
gekommen.

Euch erwarten vollendete Vaͤter; ein herrliches An-
ſchaun

Eures Erbarmers erwartet euch dort am ewigen Throne.

Alſo lehren ſie dieſe der Weisheit wuͤrdige Schuͤler,

Jener erhabenen Weisheit, nach deren fluͤchtigen Schat-
ten
Durch
[41]Erſter Geſang.
Durch ihr Glaͤnzen geblendet, die irren Sterblichen eilen.

Jtzo hatten ſie haͤufig die ſchimmernden Lauben ver-
laſſen,

Und ſich zu ihren Vertrauten, den Engeln der Erde, ver-
ſammelt.

Gabriel that itzo der ganzen Geiſterverſammlung

Alles das kund, was GOtt ihm befahl vom Meßias zu
ſagen.

Dieſe blieb wie entzuͤckt um den hohen goͤttlichen Lehrer,

Und ließ ihre Gedancken in tiefe Betrachtungen nieder.

liebenswuͤrdiges Paar, zwo befreundete See-
len,

Benjamin und Dudaim, umarmten einander, und ſpra-
chen:

Jſt das nicht, o Dudaim, der holde vertrauliche Leh-
rer?

Jſts nicht JEſus, von welchem der Seraph dies alles
erzaͤhlte?

Ach, ich weiß es noch wohl, wie er uns inbruͤnſtig um-
armte,

Wie er uns an die klopfende Bruſt mit Zaͤrtlichkeit
druͤckte.

Eine getreue leutſelige Zaͤhre, die ſeh ich noch immer,

Netzte ſein Antlitz, ich kuͤßte ſie auf, die ſeh ich noch immer.

Und drauf ſagt er, o Benjamin, unſern umſtehenden
Muͤttern:

Werdet, wie Kinder, ſonſt koͤnnt ihr das Reich des Vaters
nicht erben.

C 5Ja,
[42]Der Meſſias.
Ja, ſo ſagt er, Dudaim, und der iſt unſer Erloͤſer;

Durch den ſind wir ſo ſelig, umarme mich, lieber Du-
daim!

Alſo beſprachen ſie ſich mit Zaͤrtlichkeit unter einan-
der.

Gabriel aber bereitete ſich zur neuen Geſandſchaft,

Nahm ſein helles Gewand, mit dem er beym Engel der
Sonnen

Allzeit erſchien. Ein feſtliches niederwallendes Glaͤnzen

Floß, da er gieng, den Fuß des Unſterblichen praͤchtig her-
unter.

Alſo ſehen des Mondes Bewohner den Tag der Erde,

Jhren Naͤchten zu leuchten, in ſtillen thauenden Wolken

Auf die Gipfel von ihren Olympen herunterwallen.

Alſo geſchmuͤckt ſtand Gabriel auf, und unter dem Nach-
ruf

Jauchzender Engel und Seelen betrat er den freyeren
Luftkreis.

Rauſchend, wie Pfeile vom ſilbernen Bogen, zum Sie-
ge befluͤgelt,

Schoß er neben Geſtirnen vorbey, und eilte zur Sonne.

Jtzo ſank er auf Uriels Burg ſchon ſchwebend hernie-
der.

Hier fand er auf der Zinne der Burg die Seelen der Vaͤ-
ter,

Die unverwandt den feurigen Blick zu den Strahlen ge-
ſellten,

Welche den Tag in die canaanitiſchen Gegenden ſen-
den.

Unter
[43]Erſter Geſang.
Unter den Vaͤtern war einer von hohem denkenden An-
ſehn,

Adam, der Sohn der erwachenden Erd und der Bildun-
gen GOttes.

Gabriel, er, und der Herrſcher der Sonnen erwarteten
ſehnlich,

Unter Geſpraͤchen vom Heile der Menſchen, den Anblick
des Oelbergs.


Zweyter Geſang.
Jtzo ſtieg uͤber die Cedernwaͤlder der Morgen her-
unter.

JEſus erhub ſich, ihn ſahn in der Sonne die See-
len der Vaͤter.

Als ſie ihn ſahn, da ſangen zwo Seelen ſo gegeneinan-
der,

Adams Seele, mit ihr die Seele der goͤttlichen Eva:

Schoͤnſter der Tage, du ſollſt vor allen kuͤnftigen Tagen

Feſtlich und heilig uns ſeyn, dich ſoll vor deinen Gefaͤhr-
ten,

Kehrſt du wieder zuruͤck, die Seele des Menſchen der Se-
raph

Und der Cherub, beym Aufgang und Untergange, begruͤſſen.

Steigſt du zur Erden herab; verbreiten dich Orione

Durch die Himmel; und gehſt du beym Throne der Herr-
lichkeit GOttes

Heilig hervor, ſo wollen wir dir in feyrendem Aufzug

Jauch-
[44]Der Meſſias.
Jauchzend mit Hallelujageſaͤngen entgegen ſegnen!

Dir, unſterblicher Tag, der du unſern getroͤſteten Augen

GOtt, den Meßias, auf Erden in ſeiner Erniedrung
entdeckeſt!

Wie er ſo ſchoͤn iſt! O, unſer Meßias in menſchlicher
Bildung!

Wie ſich in ſeinem erhabenen Anſehn die Gottheit ent-
huͤllet!

Selig biſt du und heilig, die du den Meßias gebareſt,

Seliger als Eva, die Mutter der Menſchen. Unzaͤhlbar

Sind zwar die Soͤhne von ihr, doch zugleich unzaͤhlbare
Suͤnder.

Aber du haſt einen, nur einen goͤttlichen Menſchen

Einen gerechten, ach einen unſchuldigen theuren Meßias

Einen Sohn GOttes, unſterbliche Tochter der Erde, ge-
boren!

Zaͤrtlich mit irrendem Blick ſeh ich zur Erden hernieder,

Dich, Paradieß, dich ſeh ich nicht mehr. Du biſt in den
Waſſern

Weggeſchwemmt, in Waſſern der allgegenwaͤrtigen Suͤnd-
flut.

Deiner erhabnen umſchattenden Cedern, die GOttes
Hand pflanzte,

Deiner friedſamen Lauben, der jungen Tugend Behauſung,

Hat kein Sturmwind, kein Donner, kein Todesengel ge-
ſchonet!

Bethlehem, wo ihn Maria gebar, und ihn bruͤnſtig um-
armte,

Sey du mir mein Eden; du Brunnen Davids, die Quelle,

Wo ich goͤttlich erſchaffen zuerſt mich ſahe, du Huͤtte,

Wo
[45]Zweyter Geſang.
Wo er weinte, ſey du mir die Laube der erſten Unſchuld!

Ach haͤtt ich dich in Eden geboren, du Goͤttlicher! haͤtt ich

Gleich nach vollbrachter entſetzlichen That dich, Sohn,
geboren!

Siehe, ſo waͤr ich mit dir zu meinem Richter gegangen;

Da, wo er ſtand, wo unter ihm Eden zum Grabe ſich
aufthat,

Wo der Erkentniſſe Baum mir fuͤrchterlich rauſchte, wo
Stimmen

Seiner Donner den Fluch uns und der Erde zuriefen,

Wo ich im bangen Erdbeben dahin ſank, und ſterben wollte,

Da waͤr ich zu ihm gegangen; dich, Sohn, haͤtt ich wei-
nend umarmet

Und an mein Herze gedruͤckt, und geſagt: Ach zuͤrne
nicht, Vater!

Zuͤrne nicht mehr, ich habe den Mann Jehova geboren!

Heilig biſt du, und anbetenswuͤrdig und ewig, o Er-
ſter!

Der du dir deinen goͤttlichen Sohn von Ewigkeit zeug-
teſt,

Und ihn, nach deinem Bilde gezeugt, zum Erloͤſer der
Menſchen,

Meines von mir beweinten Geſchlechts, erbarmend er-
waͤhlteſt.

GOtt hat meine Thraͤnen geſehen; ihr habt ſie geſehen,

Seraphim, und ſie gezaͤhlt; auch ihr, ihr Seelen der Tod-
ten,

Seelen meines entſchlafnen Geſchlechts, habt ſie alle ge-
zaͤhlet.

Waͤreſt du nicht, o Meſſias, geweſen, die ewige Ruhe

Haͤtte
[46]Der Meſſias.
Haͤtte mir ſelbſt traurig, und ungenießbar geſchienen.

Aber in deinem goͤttlichen Umgang, von deiner Erbar-
mung,

Stifter des ewigen Bundes, ſanft uͤberſchattet, da lernt
ich

Selbſt in zaͤrtlicher Wehmuth mehr Seligkeiten empfin-
den.

Und nun traͤgſt du ſein Bild, das Bild des ſterblichen
Menſchen!

GOttmenſch Erloͤſer, dich beten wir an! Vollende dein
Opfer,

Das du fuͤr uns, unſterblicher GOtt, zu vollenden her-
abſtiegſt.

Mache die Erde bald neu, die du zu verneuen beſchloſſeſt,

Dein und unſer Geburtsland. Komm bald gen Himmel
zuruͤcke!

Komm, ſey gegruͤſſet in deinen Erbarmungen, GOttmenſch
Erloͤſer;

Alſo ertoͤnte mit maͤchtigem Klang die Stimme der
Seelen

Durch die Gewoͤlbe der engliſchen Burg. Der Meſſias
vernahm ſie

Fern in der Tiefe. Wie mitten in dichtriſchen Einſied-
leyen,

Jn zukuͤnftige Folgen vertieft, prophetiſche Weiſen

Dich von fern, ſanftwandelnde Stimme des Ewigen, hoͤ-
ren.

JEſus gieng den Oelberg hinab. An der Mitte des Oel-
bergs

Stand
[47]Zweyter Geſang.
Stand ein Palmbaum auf niedrigen Huͤgeln vor allen er-
haben,

Von leichtſchimmernden Wolken des Morgennebels um-
floſſen.

Unter dem Palmbaum vernahm der Meſſias den Schutz-
geiſt Johannes,

Raphael iſt ſein Name, der ihn hier betend verehrte.

Liebliche Winde zerfloſſen vom Oelbaum, und trugen die
Stimme,

Die ſonſt kein Geſchoͤpfe nicht hoͤrten, zum Mittler her-
nieder.

Raphael komm, rief ihn der Meſſias mit freundlichem
Anblick,

Wandle mir hier ungeſehen zur Seite. Wie haſt du die
Nacht durch

Unſers lieben Johannes unſchuldige Seele bewachet?

Was fuͤr Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael,
glichen,

Hatte ſie? Wo iſt er itzt? Jch bewacht ihn, ſagte der Se-
raph,

Wie man die Erſtlinge deiner Erwaͤhlten, o Mittler, be-
wachet.

Seinen eroͤffneten Geiſt umſchatteten heilige Traͤume,

Traͤume von dir. O haͤtteſt du ihn da ſchlummern geſehen,

Als er dich, Goͤttlicher, ſah! Ein heiliges Fruͤhlingslaͤ-
cheln

Fuͤllte ſein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Ge-
filden

Adam geſehn, da er ſchlief, und das Bild der werdenden
Eva

Und
[48]Der Meſſias.
Und des bauenden Schoͤpfers vor ſeine Gedanken herab-
kam.

Aber ſo ſchoͤn war er nicht, wie dein goͤttlicher Juͤnger Jo-
hannes.

Doch itzt iſt er dort unten in traurigen naͤchtlichen Graͤ-
bern,

Und klagt einen beſeſſenen Mann, der im Staube der
Todten

Fuͤrchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hinausge-
ſtreckt lieget.

JEſus, du ſolteſt ihn ſehn, du ſolteſt den zaͤrtlichen Juͤnger

Neben ihm voller mitleidigen Kummers und Wehmuth
erblicken,

Wie ihm vor Menſchenliebe ſein Herz erbarmend zerflieſ-
ſet,

Wie er erbebt. Mir ſelbſt drang eine wehmuͤthige Thraͤne

Zitternd ins Auge. Da wandt ich mich weg. Das Leiden
der Geiſter,

Die du zur Ewigkeit ſchufſt, iſt mir ſtets durch die Seele
gedrungen.

Raphael ſchwieg. Das Auge des Mittlers ſah zuͤrnend
gen Himmel.

Groſſer Vater, erhoͤre mich itzt. Der Menſchenfeind werde

Deinen Gerichten ein ewiges Opfer, das jauchzend der
Himmel,

Das voll Beſtuͤrzung und Schand und Schmach die Hoͤlle
betrachte!

Alſo ſagt er, und naͤherte ſich den Graͤbern der Todten.

Unten am mitternaͤchtlichen Oelberge waren die Graͤber

Jn
[49]Zweyter Geſang.
Jn zuſammengebirgte zerruͤttete Felſen gehauen.

Dick und finſter verwachſene Waͤlder verwahrten den Ein-
gang

Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger
Morgen

Stieg, wenn uͤber Jeruſalem ſchon der Mittag ſich ſenkte,

Zu den Graͤbern noch daͤmmernd mit kuͤhlem Schauer hin-
unter.

Samma, ſo hieß der beſeſſene Mann, lag neben dem
Grabe

Seines juͤngſten geliebteſten Sohns in klaͤglicher Ohn-
macht,

Satan ließ ihm die Ruh, ihn deſto ergrimmter zu quaͤlen.

Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und
Aſche,

Neben ihm ſtand ſein anderer Sohn, und weinte zu GOtt
auf.

Jenen verſtorbenen, welchen der Vater und Bruder be-
weinten,

Hatte vordem die zu zaͤrtliche Mutter, durch Flehen erwei-
chet,

Mit in die Graͤber zum Vater hinab gebracht, welchen der
Satan

Ungeſtuͤm und voll grimmiger Wut bey den Todten her-
umtrieb,

Ach mein Vater! ſo rief der kleine geliebte Benoni,

Und entfloh den Armen der Mutter, die aͤngſtlich ihm nach-
lief;

Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt ſeine
Haͤnde,

Druͤckte ſie an ſein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte

DDa
[50]Der Meſſias.
Da nun der Knabe mit kindlicher Jnbrunſt ihn zaͤrtlich
umhalſte,

Da er mit ſtillem liebkoſenden Laͤcheln ihn jugendlich an-
ſah,

Warf ihn der Vater an einen entgegenſtehenden Felſen,

Daß ſein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann,

Und die unſchuldige Seele, mit leiſem Roͤcheln, entflohe.

Nunmehr klagt er ihn troſtlos, und faßt das kalte Behaͤlt-
niß

Seiner Gebeine mit ſterbendem Arm. Mein Sohn, ach
Benoni!

Ach Benoni, mein Sohn! ſo ſagt er, und jammernde
Thraͤnen

Stuͤrzen vom Auge, das bricht und langſam ſtarrend
erſtirbet.

Alſo lag er und aͤngſtete ſich, da der Mittler hinabkam.

Joel, der andere Sohn, verwandte ſein thraͤnendes Ant-
litz.

Von dem Vater, und ſah den Meſſias im Grabmal daher-
gehn.

Ach! mein Vater, erhub er voll froher Verwundrung| die
Stimme,

JEſus der groſſe Prophet, koͤmmt in die Graͤber hernie-
der.

Satan hoͤrt es, und ſahe beſtuͤrzt durch die Oeffnung des
Grabmals.

Alſo ſehn Gottesleugner, der Poͤbel, aus duͤſtern Ge-
woͤlben,

Wenn das hohe Gewitter am donnernden Himmel herauf-
zieht,

Und der Rache gefuͤrchtete Wagen in Wolken ſich waͤlzen.

Satan
[51]Zweyter Geſang.
Satan hatte bisher nur Samma von ferne gepeinigt,

Aus den tiefſten entlegenſten Enden des naͤchtlichen Grab-
mals

Sandt er langſame Plagen hervor. Jtzt erhub er ſich
wieder

Ruͤſtete ſich mit Todesſchrecken, und ſtuͤrzt auf Samma.

Samma ſprang auf, dann fiel er von neuem ohnmaͤchtig dar-
nieder.

Seine dem Tode noch kaum entgegenringende Seele

Trieb ihn, von dem moͤrdriſchen Feind zur Verzweiflung
empoͤret,

Felſen an. Hier wolt ihn vor deinen goͤttlichen Au-
gen

Groſſer Meſſias, der Satan am ſchroffen Felſen zer-
ſchmettern.

Doch du wareſt ſchon da, und deine voreilende Gnade

Trug dein verlaſſnes Geſchoͤpf auf treuen allmaͤchtigen Fluͤ-
geln,

Daß er nicht ſank. Da ergrimmte der Geiſt des Men-
ſchenverderbers

Und erbebte. Die kommende Gottheit erſchreckt ihn von
ferne.

Jndem richtete JEſus ſein helfendes Antlitz auf Sam-
ma.

Eine belebende goͤttliche Kraft, mit dem Blicke verein-
bart,

Gieng von ihm aus. Da erkannte der arme verlaſſene
Samma

Seinen Erloͤſer. Jns bleiche ſchon halbverweſte Geſichte

Kam die Menſchheit zuruͤck, er ſchrie, und weinte gen
Himmel.

D 2Jtzt
[52]Der Meſſias.
Jtzt wollt er reden, allein kaum kont er von Freuden
erſchuͤttert

Bebend ſtammeln. Doch breitet er ſich mit ſehnlichen
Armen

Nach dem Ewigen aus, und ſah mit getroͤſteten Augen,

Voll von Entzuͤckung, nach ihm von ſeinem Felſen herun-
ter.

Wie die Seele truͤbſinniger Weiſen, die, in ſich gekehret,

An der Unſterblichkeit ihrer zukuͤnftigen Dauer verzwei-
felt,

Jnnerlich bebt; der Ewigen ſchauert vor ihrer Zernich-
tung;

Aber itzt nahet ſich ihr der weiſern Freundinnen eine,

Jhrer Unſterblichkeit ſicher, und ſtolz auf GOttes Ver-
heiſſung,

Koͤmmt ſie zu ihr mit troͤſtendem Blick. Die truͤbe Ver-
laßne

Heitert ſich auf, und windet mit Macht von jammerndem
Kummer

Ungeſtuͤm freudig ſich los; nun jauchzt die ewige ſegnend,

Wie im Triumph, uͤber ihrer verneuten unſterblichen
Groͤſſe.

Alſo empfand der beſeſſene Mann die Beruhigung GOt-
tes.

Und drauf ſprach der Meſſias mit maͤchtiger Stimme zu
Satan:

Geiſt des Verderbens, wer biſt du, der du vor meinem
Geſichte

Dies zur Erloͤſung erwaͤhlte Geſchlecht, die Menſchen, ſo
quaͤleſt?

Jch bin Satan, antwortet ein zorniges tiefes Gebruͤlle,

Koͤnig
[53]Zweyter Geſang.
Koͤnig der Welt, die oberſte Gottheit unſclaviſcher Gei-
ſter,

Die mein Anſehn zu etwas erhabnerm, als zu den Ge-
ſchaͤften

Himmliſcher Saͤnger beſtimmt hat. Dein Ruf, o ſterb-
licher Seher,
(Denn Maria wird wohl Unſterbliche niemals gebaͤren!)

Dieſer dein Ruf drang, wer du auch biſt, zur unterſten
Hoͤlle.

Selbſt ich verließ ſie, ſey ſtolz auf deines Koͤnigs Bemuͤ-
hung!

Dich von himmliſchen Sclaven verkuͤndigten Heiland, zu
ſehen.

Doch du wurdeſt ein Menſch, ein goͤttertraͤumender Se-
her,

Wie die, welche mein maͤchtiger Tod in die Erde begra-
ben.

Darum gab ich nicht Acht, was die ueuen Unſterblichen
thaten.

Doch nicht muͤßig zu ſeyn, ſo plagt ich, das haſt du geſe-
hen!

Deine Geliebten, die Menſchen. Da ſieh des Todes Ge-
ſtalten,

Meine Geſchoͤpf, auf dieſem Geſicht! Jtzt eil ich zur Hoͤlle.

Unter mir ſoll mein allmaͤchtiger Fuß das Meer und die
Erde,

Mir anſtaͤndige Wege zu bahnen, gewaltſam verwuͤſten.

Dann ſoll die Hoͤll im Triumph mein koͤniglich Angeſicht
ſchauen.

Willſt du was thun, ſo thu es alsdann. Jch kehre zu-
ruͤcke,

D 3Hier
[54]Der Meſſias.
Hier auf der Welt mein erobertes Reich, als Koͤnig, zu
ſchuͤtzen.

Unterdeß ſtirb noch, Verlaſſner, vor mir! So ſagt er, und
ſtuͤrtzte

Stuͤrmend auf Samma. Allein des ruhigſchweigenden
Mittlers

Stille verborgne Gewalt kam, gleich der Allmacht des
Vaters,

Wenn er Welten geheim und ſtill den Untergang zuwinckt,

Satan im Zorne zuvor; er floh, und vergaß im Entflie-
hen,

Unter allmaͤchtigem Fuſſe das Meer und die Erde zu
ſchlagen.

Unterdeß ſtieg Samma von ſeinem Felſen hernieder.

Alſo entfloh vom hohen Euphrates Nebucadnezar,

Da ihm der Rathſchluß der heiligen Waͤchter die menſch-
liche Bildung

Wiederum gab, und ihn zum Anſchaun des Himmels er-
hoͤhte.

GOttes Schreckniſſe gingen nicht mehr, mit dem Rau-
ſchen Euphrates,

Vor ihm in dunklen ſinaiſchen Donnerwettern voruͤber.

Nebucadnezar kam auf die ſtolzen Hoͤhen zu Babel,

Nicht mehr als GOtt; er lag, von da gen Himmel ver-
breitet,

Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigern anzubeten.

Alſo kam Samma zu JEſu herab, und fiel vor ihm nieder!

Darf ich dir folgen, du heiliger Mann? ach laß mich mein
Leben

Das du mir wieder geſchenkt, bey dir, Mann GOttes,
vollenden!

Alſo
[55]Zweyter Geſang.
Alſo ſagt er, und ſchlung ſich mit |bruͤnſtigen zitternden
Armen

Um den Erloͤſer, der ihm, mit menſchenfreundlichen
Blicken,

Dieſes erwiederte: Folge mir nicht, doch verweile dich
kuͤnftig

Mehr als ſonſt um Golgathas Huͤgel, da wirſt du |die
Hoffnung

Abrahams und der Propheten mit deinen Augen erbli-
cken.

Jndem JEſus zu Samma ſo ſprach, da wandte ſich
Joel

Zu Johannes, und ſagte zu ihm, |mit |ſchuͤchterner Un-
ſchuld:

Ach du lieber Mann, fuͤhre du mich zum groſſen Propheten,

Daß er mich hoͤre, du kenneſt ihn ja. Der zaͤrtliche
Juͤnger

Nahm ihn, und fuͤhrt ihn zu JEſu, da ſagt er in ſeiner
Unſchuld:

GOttes Prophet, ſo kann denn mein Vater und ich
dir nicht folgen?

Aber, o darf ichs wohl ſagen, warum verweileſt du itzo

Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der
Todten erſtarret?

Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Be-
hauſung.

Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth be-
dienen.

Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren
Baͤumen,

D 4Sollſt
[56]Der Meſſias.
Sollſt du genieſſen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in
Auen

Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o GOttes Pro-
phete,

Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤu-
me begleiten,

Die mir mein Vater im Garten geſchenkt. Mein lieber
Benoni!

Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zu-
ruͤcke.

Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht
traͤncken!

Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich
wecken!

Ach Benoni! ach GOttes Prophet, da liegt er im Staube!

JEſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Jo-
hannes:

Wiſche dem Juͤngling die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn
viel edler

Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden.

Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den
Graͤbern.

Nah beym ſtillen Gebein des entſchlafnen kleinen Benoni

Stand der Koͤnig zu Salem, Melchiſedeck, marmorn ge-
bildet,

GOttes Prieſter, Prophet und Koͤnig. Er ſtand und
ſchaute

Sterbend in ſein Grabmahl, nicht mit jenem traurigen
Antlitz

Welches
[57]Zweyter Geſang.
Welches ſterbende Suͤnder entſtellt; nein, mit einem Ge-
ſichte,

Das ſich mit maͤnnlichen Laͤcheln die Auferſtehung der
Todten,

GOttes Tag, und das Erwachen zum Bilde des Ewi-
gen weiſſagt.

Um ihn ſchlug kein weinender Greis ſein Vaterhertz; um
ihn

Jammerte keine verlaſſene Mutter; er ſtand ganz einſam

Vor der Gottheit, und horchte, gehorſam ins Grab ſich
zu legen.

Allda blieb mit ſeinem Johannes der goͤttliche Mittler.

Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolcken um-
huͤllet,

Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hin-
uͤber.

Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen
Himmel.

Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen
Weltbau,

Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Er-
ſchaffung,

Jn der erſten von GOtt ihm gegebnen Herrlichkeit
glaͤnzte.

Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten

Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgen-
ſterne

Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte,

Ueber ſein finſtres Anſehn in ſtillem Triumphe ſich freu-
ten.

D 5Doch
[58]Der Meſſias.
Doch dies helle Gewand war ihm ſchon unertraglich; er
eilte,

Aus den Bezirken der goͤttlichen Herrſchaft zur Hoͤlle zu
kommen.

Jtzo hatt er ſich ſchon bey den aͤuſſerſten Weltgebaͤuden

Stuͤrmiſch herunter geſenkt. Unermeßliche daͤmmernde
Raͤume

Thaten vor ihm wie unendlich ſich auf. Die nennt er
den Anfang

Seiner von ihm durchherrſchten Bezirke. Hier ſah er von
ferne

Fluͤchtigen Schimmer, ſo weit die aͤuſſerſten Sterne der
Schoͤpfung

Noch das unendliche Leere mit matten Strahlen durchirr-
ten.

Doch hier ſah er die Hoͤlle noch nicht; die hatte die Gott-
heit

Fern von ſich und ihren Geſchoͤpfen, den ſeligen Gei-
ſtern,

Weiter hinunter in ewige Dunckelheit eingeſchloſſen.

Denn in unſerer Welt, dem Schauplatz ihrer Erbarmung,

War kein Raum fuͤr Oerter der Quaal. Der Ewige
ſchuf ſie

Furchtbar, zum Verderben, zu ſeinem ſtrafenden Endzweck,

Praͤchtig und vollkommen. Jn drey erſchrecklichen Naͤch-
ten

Schuf er ſie, und verwandte von ihr ſein Antlitz auf ewig,

Jenes, mit welchem er huldreich nach ſeinen Geſchoͤpfen
herabſieht.

Zween von den heldenmuͤthigſten Engeln bewachten die
Hoͤlle.

Dies
[59]Zweyter Geſang.
Dies war GOtes Befehl, da er ſie mit allmaͤchtiger
Ruͤſtung

Segnend umgab. Sie ſollten den Ort der dunklen Ver-
damniß

Ewig in ſeinen Bezircken erhalten, damit nicht der Satan

Kuͤhn mit ſeiner verfinſterten Laſt die Schoͤpfung be-
ſtuͤrmte.

Und das Antlitz der ſchoͤnen Natur durch Verwuͤſtung
entſtellte.

Wo ſie beym Eingang der Hoͤlle mit herrſchendem Ange-
ſicht ſitzen,

Von da ſenkt ſich ein ſtrahlender Weg, wie von Zwillings-
quellen

Ein kryſtallener Strom, in geradefortlaufender Laͤnge

Gegen den Himmel gekehrt, nach GOttes Welten hin-
uͤber,

Daß es ihnen in ihrer Entfernung an frommen Vergnuͤ-
gen,

Ueber die mannichfaltige Schoͤnheit der Schoͤpfung, nicht
ſehle.

Neben dieſem helleuchtenden Wege kam Satan zur Hoͤlle,

Und ging unſichtbar durch die eroͤffneten Hoͤllenpfor-
ten.

Drauf hub er ſich in einem vom Schwefel dampfenden
Nebel

Langſam auf ſeinen gefuͤrchteten Thron. Jhn ſahe kein
Auge

Unter den Augen, die Nacht und Verzweiflung truͤbe
verſtellten.

Zophiel nur, ein Herold der Hoͤllen, entdeckte den Ne-
bel,

Der
[60]Der Meſſias.
Der die erhabenen Stufen hinaufzog, und ſagte zu ei-
nem,

Der gleich neben ihm ſtand: Kehrt Satans oberſte
Gottheit

Etwa zur Hoͤlle zuruͤck? Verkuͤndigt der dampfende Nebel

Seine von allen Goͤttern ſo lange gewuͤnſchte Zuruͤck-
kunft?

Jndem, da er noch ſprach, ſo floß der umhuͤllende Nebel

Ringsum vom Satan; er ſaß auf einmal mit zornigem
Antlitz

Fuͤrchterlich da. Gleich eilte der fluͤchtige ſclaviſche He-
rold

Gegen die Feuergebirge, die ſonſt mit Stroͤmen und Flam-
men

Satans Ankunft dem Abgrund in allen Gegenden kund
thun.

Zophiel ſtieg auf Fluͤgeln des Sturms durch die Hoͤlen
des Berges

Gegen die dampfende Muͤndung empor. Ein feuriges
Wetter

Machte darauf den ganzen Bezirk der Finſterniß ſicht-
bar.

Jeder erblickte den ſchrecklichen Koͤnig in ſchimmernder
Ferne.

Alle Bewohner des Abgrunds erſchienen. Die waͤchtig-
ſten eilten

Neben ihm auf die Stufen des Throns ſich niederzuſetzen.

Die du entzuͤckt voll Feuer und Ernſt nach der Hoͤl-
len hinabſieheſt,

Weil du zugleich im Angeſicht GOttes Klarheit erblickeſt,
Und
[61]Zweyter Geſang.

Und Zufriedenheit uͤber ſich ſelbſt, wenn er Suͤnder be-
ſtrafet,

Zeige ſie mir, Goͤttin, doch laß die maͤchtige Stimme

Rauſchend, wie den Sturmwind, wie Gewitter GOttes,
ertoͤnen.

Adramelech kam erſt, ein Geiſt, boshafter als Satan

Und verdeckter. Noch brannte ſein Herz von grimmigem
Zorne

Wider Satan, daß dieſer zuerſt den Abfall gewaget.

Denn er hatte ſchon lange bey ſich den Abfall beſchloſſen.

Wenn er was that, ſo that ers nicht, Satans Reiche zu
ſchuͤtzen;

Seinentwegen that ers. Seit langen undenklichen Jah-
ren

Hatt er darauf ſchon gedacht, wie er ſich zur Herrſchaft
erhuͤbe,

Wie er Satan von neuem mit GOtt zu kriegen bewegte,

Oder ihn in den unendlichen Raum auf ewig entfernte,

Oder zuletzt, waͤr alles umſonſt, durch Waffen bezwaͤnge.

Damals ſchon, als die gefallenen Engel vorm Donnerer
flohen,

Sann er darauf. Als alle zuſammen die Hoͤlle ſchon ein-
ſchloß,

Kam er zuletzt, und trug vor ſeinem kriegriſchen Harniſch

Eine helleuchtende goldene Tafel, und rief durch den Ab-
grund:

Warum fliehen die Koͤnige ſo? Jn hohem Triumphe

Soltet ihr, o Krieger, fuͤr unſre behauptete Freyheit

Jn die neue Behauſung der Pracht und Unſterblichkeit
einziehn!
Denn
[62]Der Meſſias.

Denn da Meſſias und GOtt den neuen Donner erfan-
den,

Und im Kriegesgeſchaͤfte vertieft euch zornig verfolgten,

Stieg ich ins Allerheiligſte GOttes, da fand ich die Tafel

Voll vom Schickſal, das unſre zukuͤnftige Groͤſſe ver-
kuͤndigt.

Sammelt euch, ſeht die heilige Reih offenbarender
Schriften:

Einer von denen, die GOtt als dienſtbare Geiſter be-
herrſchet,

Wird, daß er GOtt ſey, erkennen, er wird den Himmel ver-
laſſen,

Und mit ſeinen vergoͤtterten Freunden im einſamen
Raume

Wohnungen finden. Die wird er zwar erſt mit Abſcheu
bewohnen;

Wie der GOtt, der ihn vertrieb, eh ich ihm den Weltkreis
erbaute.

Lange Zeit, dies war mein Wille, des Chaos Tiefen, be-
wohnte.

Aber er ſoll nur das Reich der Hoͤlle muthig betreten;

Denn aus ihr eutſtehet dereinſt ein herrlicher Weltbau.

Den wird Satan erſchaffen, doch ſoll er den goͤttlichen
Grundriß

Selber von mir vor meinen erhabenen Sitzen empfangen.

Alſo ſaget der GOtt der Goͤtter, ich, der ich alleine

Alle Bezirke des Raums, mit ihren Goͤttern und Welten

Ringsum, mit meiner vollkommenſten Welt, unendlich
umgrenze!

GOtt
[63]Zweyter Geſang.
GOtt Jehova, der Ewige, hoͤrte die Stimme der
Laͤſtrung.

Ruhig in ſich ſelber, in ſeiner unendlichen Groͤſſe,

Hoͤrt er ſie, ſagte zu ſich: Jch werde ſeyn, der ich ſeyn
werde!

Aber, du Sclave des Elends, ſollſt ſehn, wen du itzo ge-
ſchmaͤht haſt!

Alſobald gieng das ernſte Gericht vom Angeſicht GOt-
tes.

Tief in der innerſten Hoͤllen erhebt ſich ein feuriger Klum-
pen

Aus dem Flammenmeer, und geht in des Todesmeer un-
ter.

Der ſtuͤrzt Adramelech ins Meer des Todes. Da wurden

Sieben Naͤchte, ſtatt einer! Die Naͤchte lag er im Ab-
grund.

Lange darauf erbaut er der oberſten Gottheit den Tem-
pel,

Wo er als ihr Prieſter die goldnen Tafeln des Schickſals

Ueber die hohen Altaͤre geſtellt hat. Hier ehret die Hoͤlle

Die dich, Jehova, verwarf, ein unendliches ewiges Un-
ding.

Selber Satan erſcheinet hier oft, und fraget den Prieſter,

Wegen der Reiſ ins Unendliche, die er ſchon vielmal gewagt
hat,

Doch nicht ſo weit, als Adramelech aus Herrſchſucht es
wuͤnſchte.

Jtzo kam Adramelech vom Tempel, und ſaß auf dem
Throne

Mit verborgenem Grimm, bey Satans linker Hand nieder.
Drauf
[64]Der Meſſias.

Drauf kam Moloch ein kriegriſcher Geiſt von ſeinen Ge-
birgen,

Die er, wenn etwa der donnernde Krieger, ſo nennt er
Jehova,

Jn die Gefilde der Hoͤlle, ſie einzunehmen, herabkaͤm,

Sich zu vertheidigen, ſtolz mit neuen Bergen umthuͤrmt
hat.

Oft wenn der traurige Tag an des flammenden Oceans
Ufern

Dampfend hervorſteigt, erblicken ihn ſchon der Hoͤlle
Bewohner

Wie er unter der Laſt, vom eiſernen Rauſchen umſtuͤrmet,

Muͤhſam geht, und ſich dem hohen Gipfel des Berges

Endlich naͤhert. Und wenn er alsdann die neuen Ge-
birge

Auf die Hoͤh, dem Gewoͤlbe der Hoͤllen entgegen gethuͤrmt
hat,

Steht er in Wolken, und donnert daraus mit ſchwerer Ar-
beit

Langſam hervor. Jhn ſehen die Seelen der Erdenbezwin-
ger

Unten erſtaunungsvoll an. Er rauſchte von ſeinen Gebir-
gen

Durch ſie gewaltig einher. Sie wichen auf beyden Seiten

Schuͤchtern hinweg. Er gieng, von ſeiner toͤnenden Ruͤ-
ftung,

Dunkel, wie der Donner von ſchwartzen Wolken, umge-
ben.

Vor ihm bebte der Berg und hinter ihm ſanken die Felſen

Sandig herab. So gieng er, und kam zum Throne des
Satans.

Nach
[65]Zweyter Geſang.
Nach ihm erſchien Belielel. Er kam in trauriger
Stille

Aus den Waͤldern und Auen, wo ſich die Baͤche des To-
des

Dunkel aus nebelndem Quell nach Satans Throne zuwaͤl-
zen.

Allda wohnt Belielel. Umſonſt iſt ſeine Bemuͤhung,

Ewig umſonſt, die Gegend des Fluchs nach den Welten
des Schoͤpfers

Umzuſchaffen. Jhm ſiehſt du mit hohem erhabenen Laͤ-
cheln,

Ewiger, zu, wenn er den furchtbar brauſenden Sturm-
wind

Sehnſuchtsvoll, mit ohnmaͤchtigem Arm, gleich kuͤhlenden
Zephyrn,

Vor ſich am traurigen Bache voruͤber zu fuͤhren bemuͤht
iſt!

Denn der brauſt unaufhaltſam dahin, die Schreckniſſe
GOttes

Nauſchen auf ſeinen verderbenden Fluͤgeln. Die oͤde Ver-
wuͤſtung

Bleibt ungeſtalt im erſchuͤtterten Abgrund hinter ihm lie-
gen.

Unmuthsvoll denkt Belielel an jenen unſterblichen Fruͤh-
ling,

Der die himmliſche Flur wie ein junger Seraph umlaͤ-
chelt!

Jhn will er in den Wuͤſten der Hoͤllen von ferne nachbil-
den.

Doch er ergrimmt, und ſeufzet vor Wut; die traurigen
Auen
ELiegen
[66]Der Meſſias.

Liegen vor ihm in entſetzlichem Dunkel unbildſam, und
oͤde,

Ewig unbildſam, unendliche lange Gefilde voll Jammer.

Belielel kam traurig zu Satan. Noch brannt er vor Nach-
ſucht

Wider den, der ihn von himmliſchen Auen zur Hoͤllen
hinabſtieß,

Und ſie, ſo dacht er, mit jedem Jahrhundert, erſchreck-
licher machte.

Auch du ſaheſt in deinen Gewaͤſſern die Wiederkunft Sa-
tans,

Magog, des todten Meeres Bewohner. Aus brauſenden
Strudeln

Kamſt du hervor. Die Meere zerfloſſen in lange Gebirge,

Da die Roſſe vor dir die ſchwarzen Fluthen zertheilten.

Magog fluchte dem HErrn, der wilden Laͤſterung Stimme

Bruͤllt unaufhoͤrlich aus ihm. Seit ſeiner Verwerfung vom
Himmel

Flucht er dem Ewigen. Voll von Rachſucht will er die
Hoͤlle,

Braucht er auch Ewigkeiten dazu, doch endlich vernich-
ten.

Jtzo, da er das Trockne betrat, da warf er verwuͤſtend

Noch ein ganzes Geſtade mit ſeinen Bergen in Abgrund.

Alſo verſammelten ſich die Fuͤrſten der Hoͤlle zu Sa-
tan.

Wie die Jnſeln des Meers aus ihren Sitzen geriſſen,

Rauſchten ſie hoch, unaufhaltſam einher. Der Poͤbel der
Geiſter
Floß
[67]Zweyter Geſang.

Floß mit ihnen unzaͤhlbar, wie Wogen des kommenden
Weltmeers

Gegen den Fus vorgebirgter Geſtade, zum Sitze des Sa-
tans.

Tauſend geiſtige Voͤlker erſchienen. Sie giengen und
ſangen

Eigene Thaten, zur Schmach und unſterblichen Schande
verdammet.

Unterm Getoͤſe vom Donner geruͤhrter entheiligter Har-
fen

Sangen ſie. So rauſchen in mitternaͤchtlicher Stun-
de

Cedern, die ihr benachbarter Himmel im Donnerwetter

Spaltete, wenn brauſend auf ehernen Wagen der Nord-
wind

Ueber ſie faͤhrt, und Libanon bebt, und Hermon erzittert.

Satan ſah und hoͤrte ſie kommen. Vor wilder Entzuͤ-
ckung

Stand er mit Ungeſtuͤm auf, und uͤberſah ſie alle.

Fern, beym unterſten Poͤbel erblickt er in ſpoͤttiſcher Stel-
lung

GOttesleugner, ein niedriges Volk. Jhr ſchrecklicher
Fuͤhrer,

Gog, war darunter, erhabner als alle vom Anſehn und
Unſinn.

Daß das alles ein Traum ſey, ein Spiel verirrter Ge-
danken,

Was ſie im Himmel geſehen, Jehova erſt Vater dann
Richter,

Konnten ſie leicht, labyrinthiſch in Schluͤſſe verirret, be-
greifen.
E 2Satan
[68]Der Meſſias.

Satan ſah ſie mit Hohn; Denn mitten in ſeiner Verfin-
ſtrung

Sah er doch noch, daß der Ewige ſey. Bald ſtand er
voll Tiefſinn,

Bald ſah er uͤberall langſam herum, und ſetzte ſich wie-
der.

Wie auf hohen unwirthbaren Bergen olympiſche Wet-
ter

Langſam und verweilend ſich lagern, ſo ſaß er, und
dachte.

Nun that ſein Mund ſich ungeſtuͤm auf, und tauſend Don-
ner

Sprachen aus ihm, da er ſprach. Wenn ihrs, o furcht-
bare Schaaren,

Wenn ihrs noch ſeyd, die mit mir die drey erſchrecklichen
Tage

Auf den himmliſchen Ebnen aufhielten, ſo hoͤrt im Trium-
phe,

Was ich euch itzt von meiner Verweilung auf Erden er-
oͤffne.

Doch nicht die Nachricht allein, ihr ſollt auch den maͤch-
tigen Rathſchluß,

Unſere Gottheit dem Ewgen zur Schmach zu verherrlichen,
hoͤren.

Eh ſoll die Hoͤlle vergehn, eh ſoll der ſeine Geſchoͤpfe,

Der, wie man ſagt, vor dieſem einmal im Chaos gebaut
hat,

Um ſich vernichten, und wieder allein in der Einſamkeit
wohnen,

Eh er uͤber die ſterblichen Menſchen die Herrſchaft uns
raubet.
Goͤtter,
[69]Zweyter Geſang.

Goͤtter, ſtets unbeſiegt, unſelaviſch, die wollen wir blei-
ben,

Wenn er auch gegen uns ſeine Verſoͤhner zu tauſenden
ſchickte,

Wenn er auch ſelbſt, ein Meßias zu werden, die Erde
betraͤte.

Doch was erzuͤrn ich mich ſo? Wer iſt der niedre Meſ-
ſias,

Der die erdichtete Gottheit im ſterblichen Koͤrper herum-
traͤgt,

Daß daruͤber die Goͤtter ſo ſinnen, als wenn ſie von
neuem

Hohe Gedanken von ihrer Vergoͤttrung und Schlachten
erfaͤnden?

Sollte der Ewigen einer, um uns den Sieg zu erleich-
tern,

Aus den Schoͤſſen ſterblicher Muͤtter, die bald die Ver-
weſung

Nehmen wird, gegen uns, die er doch kennt, zu kaͤmpfen
hervorgehn?

Das ſey ferne! So handelt der nicht, den Satan be-
krieget.

Zwar ſtehn einige hier, die vor ihm furchtſam entflohen,

Und aus der morſchen Behauſung beſeßner Sterblichen
wichen;

Furchtſame, zittert vor dieſer Verſammlung, umhuͤllt
euer Antlitz

Mit verfinſternder Schaam! die Goͤtter hoͤrens, ihr flohet!

Warum flohet ihr ſo, Elende? Was nanntet ihr JEſum

Euer und meiner unwuͤrdig den Sohn des ewigen GOt-
tes?
E 3Doch
[70]Der Meſſias.

Doch daß ihr wißt, wer der ſey, der unter den Jſraeliten

Auch gern ein GOtt waͤr, ſo hoͤret von mir des Traͤu-
mers Geſchichte.

Hoͤr dus auch im hohen Triumphe, Verſammlung | der
Goͤtter.

Unter dem Volke der Juden iſt ſeit undenklichen Zeiten

Eine prophetiſche Sage geweſen; denn unter der Sonne

Hat dies Volk vor allen Geſchlechten am meiſten ge-
traͤumet.

Nach der Prophezeyung entſpringt von ihnen ein Hei-
land,

Der ſie von ihren umliegenden Feinden auf ewig erloͤſet,

Und vor allen Voͤlkern ihr Reich zum herrlichſten Reich
macht.

Auch wißt ihr wohl, daß vor wenigen Jahren von unſrer
Geſellſchaft

Einige kamen und ſagten, ſie haͤtten auf Tabors Gebir-
gen

Eine Verſammlung der Engel geſehn, die haͤtten den Na-
men,

JEſus, unaufhoͤrlich voll Entzuͤckung und Ehrfurcht ge-
nennet,

Daß die Cedern davon bis in die Wolken erbebten,

Daß die Stimmen des hohen Geraͤuſches die Palmen-
waͤlder

Ganz durchruften, und JEſus allein den Tabor erfuͤllte.

Drauf gieng mit uͤbermuͤthigem Stolz, hoch, wie im
Triumphe,

Gabriel vom Tabor zu der Jſraelitinnen einer,

Gruͤßte ſie, wie man Unſterbliche gruͤßt, und ſagt ihr voll
Ehrſurcht,
Von
[71]Zweyter Geſang.

Von ihr ſollt ein Koͤnig entſtehn, der die Herrſchaften
Davids

Maͤchtig beſitzen und Jſraels Erbe verherrlichen wuͤrde.

Er hieß JEſus, ſo ſollte ſie ihn, den Goͤtterſohn, nennen.

Ewig ſollte die Macht des großen Koͤnigreichs dauern.

Dieſes vernahmt ihr, Warum erſtaunten die Goͤtter der
Hoͤlle,

Da ſie dies hoͤrten? Jch ſelber, ich habe viel mehr noch
geſehen;

Doch mich erſchreckt nichts. Jch will euch alles treulich
entdecken.

Nichts will ich euch verſchweigen, damit ihr ſehet, wie
feurig,

Sich mein Muth in Gefahren erhebt; ſinds anders Ge-
fahren,

Wenn ſich auf unſerer Welt ein ſterblicher Traͤumer ver-
goͤttert.

Jch war auf Erden, und wartete dort auf des goͤttlichen
Knabens

Hohe Geburt. Jtzt wird aus deinem Schoſſe, Maria,

Dacht ich, der Goͤttliche kommen. Geſchwinder als Au-
genblicke,

Schneller noch als die Gedanken der Goͤtter vom Zorne
befluͤgelt,

Wird er gen Himmel erwachſen. Jtzt deckt er in ſeiner
Erhoͤhung

Mit dem einen Fuſſe das Meer, mit dem andern den Erd-
kreis.

Jtzt waͤgt er in der erſchrecklichen Rechte den Mond und
die Sonne,

Jn der Linken die Morgenſterne. Da koͤmmt er und toͤdtet!
E 4Mitten
[72]Der Meſſias.

Mitten in Stuͤrmen, die er aus allen Welten herbeyrief,

Rauſcht er zum Sieg unaufhaltſam daher. Ach fliehe nur,
Satan!

Fliehe, damit er dich nicht mit ſeinem allmaͤchtigen Don-
ner

Ungeſtuͤm faſſe, bis du durch tauſend Erden geworfen,

Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unerweßlichen liegeſt.

Seht, ſo dacht ich, ihr Goͤtter; allein ihm gefiel es noch
itzo,

Daß er ein Menſch blieb, ein weinendes Kind, wie die
Soͤhne der Erde,

Die ſchon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.

Zwar ſang um ſeine Geburtszeit ein Chor der himmliſchen
Geiſter.
(Denn ſie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu ſehen,

Wo wir herrſchen; da Huͤgel der Todten und Gruͤfte zu
ſehen,

Wo vordem Paradieſe nur ſtunden: dann kehren ſie
thraͤnend,

Um ſich zu troͤſten, mit feyrenden Liedern gen Himmel
zuruͤcke;

Alſo war es auch itzt) Sie eilten, und lieſſen den Knaben,

Oder hoͤrt ihrs ſo lieber, die weinende Gottheit, alleine.

Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.

Einen ſo furchtſamen Feind zu verfolgen, war meiner
nicht wuͤrdig.

Unterdeß ließ ich, nicht muͤßig zu ſeyn, durch meinen Er-
waͤhlten,

Meinen Koͤnig, und Opferprieſter Herodes, zu Bethlem

Saͤuglinge wuͤrgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden
Winſeln,
Und
[73]Zweyter Geſang.

Und die Verzweiflung untroͤſtbarer Muͤttter, der Ausfluß
der Leichen,

Der, mit Seelen vermiſcht, mir wallend entgegen dampfte,

Waren fuͤr meine befriedigte Gottheit ein liebliches
Opfer.

Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene
Seele,

War ichs nicht ſelbſt, der in dir den Gedanken, die Beth-
lehemiten

Umzubringen, erſchuf? Kann etwa des Himmels Bewoh-
ner

Seiner Bildungen muͤhſames Werk, die unſterblichen
Seelen,

Vor mir beſchuͤtzen, daß ich ſie mit meiner verborgnen
Begeiſtrung

Nicht umſchatte, und uͤber ſie nicht zum Verderben mich
breite?

Ja, Verlaßner, dein klaͤgliches Winſeln, dein banges
Verzweifeln,

Und der Seelen Geſchrey, die du ſonſt noch unſchuldig
erwuͤrgteſt,

Daß ſie ſuͤndigend ſtarben, und dir, und der Vorſehung
fluchten,

Jſt nun deinem befriedigten GOtt auch ein liebliches
Opfer

Als er ſtarb, verſammelte Goͤtter, da kehrte der Knabe

Aus Alegyptens Gefilden zuruͤck. Die Jahre der Jugend

Bracht er im Schoſſe der zaͤrtlichen Mutter, in ihrer Um-
armung

Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erkuͤh-
nen
E 5Trieb
[74]Der Meſſias.

Trieb ihn zu Unternehmungen an, ſich furchtbar zu ma-
chen.

Doch, ihr Goͤtter, im einſamen Wald, am oͤden Geſtade,

Wo er oft war, da hat er vielleicht auf Dinge geſon-
nen,

Die, aus ſchrecklicher Ferne, der Hoͤlle den Untergang
drohen,

Und die von uns verneuerten Muth und Wachſamkeit
fordern?

Seht, dies glaubt ich vielleicht, haͤtt er ſich mit tiefen
Gedanken

Mehr beſchaͤftigt, als mit der Betrachtung der Blumen
und Felder

Und der Kinder um ihn, und mit dem ſclaviſchen Lobe

Des, der ihn mit den Wuͤrmern aus niedrigem Staube
gemacht hat.

Ja, ich waͤre vor Ruh und langer Muſſe vergangen,

Haͤtte mir nicht der Menſchen Geſchlecht ſtets Seelen
geopfert,

Die ich, vorm Himmel voruͤber, hieher zur Bevoͤlkerung
ſandte.

Endlich ſchien es, als wollt er auch einmal bemerkens-
werth werden.

GOttes Herrlichkeit kam, als er einſt am Jordan her-
umgieng,

Praͤchtig vom Himmel. Sie hab ich mit dieſen unſterb-
lichen Augen

Selbſt am Jordan geſehn; kein Bild, kein himmliſches
Blendwerck

Hat mich getaͤuſcht; ſie wars, wie ſie vom Throne des
Himmels
Durch
[75]Zweyter Gefang.

Durch die langen anbetenden Reihen der Seraphim
wandelt.

Aber, warum, und ob ſie, dem Erdenkinde zu Ehren,

Oder um unſere Wachſamkeit auszuſorſchen, herabſtieg.

Dies weiß ich nicht. Zwar hoͤrt ich darunter gewaltige
Donner,

Donner mit dieſer Stimme vermengt: Das iſt mein Ge-
liebter,

Und mein Sohn, der mit innig gefaͤllt! Der war wohl
Eloa,

Oder ſonſt einer vom Throne, der, mich zu verwirren, dies
ausrief.

GOttes Stimme wars nicht; zum mindſten klang ſie viel
anders,

Als er uns Goͤttern vordem den Sohn der Ewigkeit auf-
drang

Auch war ein finſtrer Prophet dabey, der dort in der
Wuͤſte

Menſchenfeindlich die Felſen durchirrt; der rief ihm ent-
gegen:

Siehe das Lamm GOttes, daß der Erden Suͤnde ver-
ſoͤhnet!

Der du von Ewigkeit biſt, der du lange ſchon vor mir
geweſen,

Sey mir gegruͤßt! Aus dir, o du der Erbarmungen Fuͤlle!

Nehmen wir Gnad um Gnade. Durch Moſen gab GOtt
die Geſetze,

Aber durch den Geſalbten des HErrn koͤmmt Wahrheit
und Gnade.

Jſt das nicht hoch und prophetiſch genug? So iſt es,
wenn Traͤumer
Traͤumer
[76]Der Meſſias.

Traͤumer beſingen, da bauen ſie ſich ein heiliges Dunckel.

Und ach! die armen unſterblichen Goͤtter ſind viel zu ge-
ringe,

Bis ins innre Gebaͤu der Geheimniſſe durchzuſchauen.

Will er uns nicht den hohen Meßias, den Koͤnig des Him-
mels

Jenen Donnerer GOttes, der in der gewaltigen Ruͤ-
ſtung

Wider |uns ſtritt, bis wir die neuen Welten erreichten,

Unſern wuͤrdigen Feind und erhabenen Widerſacher,

Will er den nicht in jene Geſtalt, die wir toͤdten, ver-
kleiden?

Zwar er ſelber, das Erdengeſchoͤpf, von dem der Prophet
traͤumt,

Duͤnkt ſich nicht wenig zu ſeyn. Bald hat et die Todten
erwecket,

Die doch der Ewige muͤhſam, ja muͤhſam, ſonſt thaͤt
ers wohl oͤfters!

Seine veraltete Macht nicht ganz zu vergeſſen, erwecket.

Bald will er gar das ganze Geſchlecht der ſterblichen Men-
ſchen

Von der Suͤnd und vom Tode befreyn: Von der Suͤnde,
die allen

Eingepflauzt iſt, und immer empoͤrend und ungeſtuͤm im-
mer

GOtt in ihren unſterblichen Seelen entgegen ſich auf-
lehnt,

Unbezwingbar der ſclaviſchen Pflicht: Auch vom Tode,
der alle,

Der das ganze Geſchlecht, ſo oft wir ihm winken, durch-
wuͤrget,
Will-
[77]Zweyter Geſang.

Will er ſie alle befreyn; euch auch, verworfene Seelen,

Die ich ſeit der Schoͤpfung zu mir, wie den Ocean, ſammle,

Wie die Geſtirne, wie GOtt die anbetenden ſclaviſchen
Saͤnger;

Ja, euch auch, die die ewige Nacht im Abgrunde quaͤlet,

Und in der Nacht ein ſtrafendes Feuer, im Feuer Ver-
zweiflung,

Jn den Verzweiflungen ich! euch will er vom Tode be-
freyen.

Wir, wir werden alsdann, der Gottheit uneingedenck, ſcla-
viſch

Vor ihm liegen, vor ihm, dem neuen vergoͤtterten Men-
ſchen.

Was der mit dem allmaͤchtigen Donner nie von uns er-
zwinget,

Wird der aus des Todes Bezirk unbewaffnet vollen-
den.

Armer Verwegner! befreye dich erſt, dann erwecke die Tod-
ten.

Er ſoll ſterben, ja ſterben! er, der das Geſchlechte der
Menſchen

Eigenmaͤchtig vom Tode befreyte. Dich leg ich in Staub
hin

Bleich und entſtellt, in den Staub der Todten! Dann
will ich den Augen,

Die nicht ſehen, die Dunkel und Nacht nun ewig um-
nebeln,

Sagen: Ach ſeht, da erwachen die Todten; dann will ich
den Ohren,

Die nicht hoͤren, die ewig dem Ton die Unfuͤhlbarkeit zu-
ſchließt,
Sagen:
[78]Der Meſſias.

Sagen: Ach hoͤrt! Es rauſchet das Feld, die Todten er-
wachen.

Und der Seele will ich, wenn ſie zur Hoͤllen entflichet,
(Denn ſie ſoll noch von mir, und von Todesquaalen er-
ſchuͤttert,

Suͤndigen und GOtt ſchmaͤhn; ſo grauſam will ich ihn toͤd-
ten!)

Dann will ich ihr, wenn ſie flieht, wenn ſie im furchtba-
ren Sturme

GOttes Verfolgungen treiben, mit donnernder Stimme
nachrufen:

Eile, die du ſiegteſt, ja eil in deinem Triumphe!

Dich erwartet ein praͤchtiger Einzug, die Pforten der
Hoͤlle

Thun vor dir einladend ſich auf! Dir jauchzet der Ab-
grund!

Gegen dich wallen in ſeyrenden Choͤren die Seelen und
Goͤtter!

Doch du laͤßt ja die Gottheit zuruͤck! Jſts etwa der Leich-
nam,

Der ſie noch deckt? oder eilt ſie vielleicht ungeſehen gen
Himmel?

GOtt muß entweder anitzt, da ich hier bin, den fliehen-
den Erdkreis

Mit ihm und dem Geſchlechte der Menſchen gen Himmel
erheben:

Oder ich fuͤhr es hinaus, was ich maͤchtig bey mir be-
ſchloſſen.

Er ſoll ſterben! ſo wahr ich des Todes Erhalter und Schoͤ-
pfer
Unbe-
[79]Zweyter Geſang.

Unbeſiegt die Zukunft der Ewigkeiten durchlebe.

Er ſoll ſterben! Bald will ich von ihm den Staub der
Verweſung

Auf dem Wege zur Hoͤlle, vorm Antlitz des Ewigen, aus-
ſtreun.

Seht den Entwurf von meiner Entſchlieſſung. So raͤchet
ſich Satan!

So ſprach Satan. Die Hoͤlle blieb noch vor Verwunde-
rung ſtille.

Unten am Throne ſaß einer einſiedleriſch, finſter und trau-
rig,

Seraph Abdiel Abbadonaa. Er dachte der Zukunft

Und dem Vergangnen voll Seelenangſt nach. Vor ſeinem
Geſichte,

Aus dem ein truͤbes entſetzliches Dunkel mit Schwermuth
hervorbrach,

Sah er nur Quaalen auf Quaalen gehaͤuft in die Ewigkeit
eingehn.

Jtzo erblickt er die vorigen Zeiten; da war er voll Un-
ſchuld

Jenes erhabenen Abdiels Freund, der am Tage des Auf-
ruhrs,

Nach dem Meſſias, im Himmel die groͤßten Thaten voll-
fuͤhrte;

Denn er kehrte zu GOtt allein und unuͤberwindlich

Wieder zuruͤck. Mit ihm, dem edelmuͤthigen Seraph,

War ſchon Abbadonaa den Blicken der Feinde GOttes

Faſt entgangen: Allein die Kriegeswagenburg Satans

Die, im Triumph ſie wieder zu holen, ſchnell um ſie
herum kam,
Und
[80]Der Meſſias.

Und der gewaltig einladende Lerm der Kriegespoſaunen,

Und die Heldenſchaar, jeder ein GOtt, vor ihm ausge-
breitet,

Uebermannten ſein Herz, und riſſen ihn ſtuͤrmiſch zu-
ruͤcke.

Hier noch wollt ihn ſein Freund mit Blicken drohender
Liebe

Fortzueilen bewegen, allein von kuͤnftiger Gottheit

Trunken und umnebelt ſah er die ſonſt maͤchtigen Blicke

Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu
Satan.

Jammernd und in ſich verhuͤllt, denkt er an dieſe Ge-
ſchichte

Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen

Seiner Geburtszeit zuruͤck; der Ewige ſchuf ſie auf ein-
mal.

Damals beſprachen ſie ſich mit angeborner Entzuͤckung

Unter einander: Ach, Seraph, was ſind wir? Woher,
mein Geliebter?

Sahſt du zuerſt mich? Wie lange biſt du? Ach, ſind wir
auch wirklich?

Komm, umarme mich, goͤttlicher Freund, erzaͤhle, was
denkſt du?

Jndem kam die Herrlichkeit GOttes aus lichtheller Ferne

Segnend einher. Sie ſahen um ſich nicht zu zaͤhlende
Schaaren

Neuer Unſterblichen wandeln. Ein wallend ſilbern Ge-
woͤlke

Hub ſie zum Ewigen auf: Sie ſahn ihn, und nannten ihn,
Schoͤpfer.

Dieſe Gedanken zermarterten Abbadonaa, ſein Auge
Floß
[81]Zweyter Geſang.

Floß von jammernden Thraͤnen. So floß von Bethlehems
Bergen

Rinnendes Blut, da die Saͤuglinge ſtarben. Er hatte den
Satan

Schauernd gehoͤrt, doch ermuntert er ſich, und erhub
ſich, zu reden.

Dreymal ſeufzt er noch, eh er was ſprach. Wie in
blutigen Schlachten

Bruͤder, die ſich erwuͤrgt, und, da ſie ſterben, ſich ken-
nen,

Neben einander aus roͤchelnder Bruſt ohnmaͤchtig er-
ſeufzen.

Drauf fieng er an zu reden: Ob mir gleich dieſe Ver-
ſammlung

Ewig entgegen ſeyn wird, ſo will ich dennoch frey reden!

Reden will ich, damit des Ewigen ſchwere Gerichte

Nicht ſo ungeſtuͤm uͤber mich kommen, wie uͤber dich, Sa-
tan!

Ja, ich haſſe dich, Satan, dich haß ich, Verruchter! Dies
Weſen

Dieſen unſterblichen Geiſt, den du dem Schoͤpfer entriſſen,

Fordert, dein Nichter, auf ewig von dir! Ein unendliches
Wehe

Schreye die ganze Verſammlung der Geiſterwelt, die du
verfuͤhrt haſt,

Ueber dich, Satan! Jch habe kein Theil an dir, ewiger
Suͤnder,

GOttesleugner! kein Theil, an deiner finſtern Ent-
ſchlieſſung,

GOtt den Meſſias zu toͤdten. Ach! wider wen redeſt du,
Satan?
FWider
[82]Der Meſſias.

Wider den, der, wie du ſelbſt zu bekennen gezwungen
biſt, furchtbar

Maͤchtiger, als du, iſt? Jſt fuͤr die ſterblichen Menſchen

Eine Befreyung vorhanden, du wirſt ſie nicht hintertreiben;

Du willſt den Leib des Meſſias, den willſt du, Satan, er-
wuͤrgen?

Kenneſt du ihn nicht mehr? Hat ſein allmaͤchtiges Donnern

Dich nicht genug an dieſer verwegnen Stirne gezeichnet?

Oder kann ſich GOtt nicht vor uns Ohnmaͤchtigen ſchuͤ-
tzen?

Wir, die die Menſchen zum Tode verfuͤhrten; ach wehe
mir, wehe!

Jch that es auch! Wir wollen uns nun an ihrem Erloͤſer

Wuͤtend vergreifen? Den Sohn, den Donnergott, wol-
len wir toͤdten?

Ja, den Zugang zu einer vielleicht zukuͤnftigen Rettung,

Oder, zum mindſten zur Lindrung der Quaal, den wollen
wir ewig

Uns, ſo vielen vordem vollkomnen Geiſtern, verſchlieſſen?

Satan! ſo wahr wir alle die Quaal nur gewaltiger fuͤh-
len,

Wenn du dieſe Behauſung der Nacht und der dunkeln
Verdamniß

Koͤniglich nennſt, ſo wahr kehrſt du mit Schande belaſtet,

Statt des Triumphs, von GOtt und ſeinem Meſſias zu-
ruͤcke!

Satan hoͤrt ihn voll grimmiger Ungedult alſo reden

Jtzt wollt er auf ihn donnern, allein die ſchreckliche Rechte

Sank ihm zitternd im Zorne dahin, er ſtampft und erbebte,

Dreymal bebt er vor Wut, dreymal ſah er Abbadonaa.
Ungeſtuͤm
[83]Zweyter Geſang.

Ungeſtuͤm an, und ſchwieg. Sein Auge ward dunkel vor
Grimme,

Jhn zu verachten, ohnmaͤchtig; doch Abbadonaa blieb
ernſthaft

Und unerſchrocken vor ihm mit traurigem Angeſicht ſtehen.

Aber GOttes, der Menſchen, und Satans Feind, Adra-
melech

Sprach: Aus finſtern Wettern will ich mit dir reden,
Verzagter

Dir ſoll ein Ungewitter die Antwort entgegen donnern!

Darfſt du die Goͤtter ſo ſchmaͤhn? darf einer der niedrig-
ſten Geiſter

Wider Satan und mich aus ſeiner Tiefe ſich ruͤſten?

Wirſt du gepeinigt, ſo wirſt du von deinen niedern Ge-
danken,

Sclave, gepeinigt! Entfleuch, Verzagter, aus dieſen
Bezirken

Unſrer Herrſchaft, wo Koͤnige ſind! Entfleuch in die Tiefe,

Laß dir von deinem Allmaͤchtigen dort ein Quaalenreich
bauen!

Allda bring die Unſterblichkeit zu! Doch du ſtuͤrbeſt wohl
lieber!

Stirb denn, vergeh, anbetend und ſclaviſch gen Himmel
gebuͤcket!

Der du mitten im Himmel dein Goͤtterweſen erkanteſt,

Und dem berufnen Allmaͤchtigen kuͤhn, mit heiligem
Zuͤrnen,

Widerſtandeſt, zukuͤnftiger Schoͤpfer unzaͤhlbarer Welten,

Komm, Gott Satan, wir wollen den kleinen niedrigen
Geiſtern

Unſern furchtbaren Arm durch Unternehmungen zeigen,
F 2Die,
[84]Der Meſſias.

Die, wie ein Wetter, auf einmal ſie blenden und nieder-
ſchlagen!

Komm! Labyrinthe verborgener Liſt, zum Verderben ver-
wirret,

Zeigen ſich mir! der Tod iſt darinn. Kein oͤffnender Aus-
gang

Und kein Fuͤhrer ſoll ihn den Labyrinthen entreiſſen.

Doch entfloͤh er auch unſerer Liſt, gaͤbſt du im Olym-
pus,

Uns zu entrinnen, ihm Goͤtterverſtand: ſo ſollen im Grim-
me

Feurige Wetter ihn ſchnell vor unſern Augen verderben!

Wie die Wetter, womit wir vordem den Geliebteſten
GOttes,

Seinen gluͤckſeligen Job, vorm Antlitz des Himmels be-
ſtritten.

Fleuch, fleuch, Erde, wir kommen mit Tod und Hoͤlle
bewaffnet!

Wehe dem, der auf unſerer Welt ſich wider uns auf-
lehnt!

Alſo ſprach Adramelech. Nun fiel die ganze Verſamm-
lung

Satan auf einmal mit Ungeſtuͤm bey. Gleich ſtuͤrzenden
Felſen

Stampft ihr gewaltiger Fuß, daß die Tiefe davon er-
bebte,

Jauchzend und ſtolz auf kuͤnftigen Sieg erregten ſie um
ſich

Ein entſetzlich Getoͤſe von Stimmen. Die giengen vom
Aufgang
Bis
[85]Zweyter Geſang.

Bis zum Niedergang hin; der Satane ganze Verſamm-
lung

Willigt darein, den Meßias zu toͤdten. Dergleichen
That ſahe

Seit der Schoͤpfung die Ewigkeit nicht. Jhr unſelger
Erfinder,

Satan, und Adramelech, voll Rachſucht und grimmigen
Tiefſinns,

Stiegen vom Throne. Die Stufen ertoͤnten, wie eher-
ne Berge,

Da ſie gingen. Ein lauter zum Sieg empoͤrender
Zuruf

Leitete ſie jauchzend bis zu den Pforten der Hoͤlle.

Abbadonaa, (der einzige war unbeweglich geblieben,)

Folgte von fern, entweder ſie noch von der Bosheit zu
wenden,

Oder den Ausgang der ſchrecklichen Thaten mit anzu-
ſehen.

Jtzo naͤhert er ſich mit ſaͤumendem Tritte den Engeln,

Die die Pforte bewachten. Wie war dir, Abbadonaa?

Da du hier deinen ehmaligen Freund, den Abdiel, wahr-
nahmſt.

Seufzend ſchlug er ſein Angeſicht nieder. Jtzt wollt er
zuruͤckgehn,

Jtzo wollt er ſich naͤhern, dann wollt er verlaſſen und
ſchuͤchtern

Jns Unermeßliche fliehen; allein noch blieb er mit
Zittern

Wehmuthsvoll ſtehn. Nun faßt er ſich ganz auf einmal
zuſammen,
F 3Ging
[86]Der Meſſias.

Gieng auf ihn zu. Jhm klopfte ſein Herz mit maͤchtigen
Schlaͤgen;

Stille, den Engeln nur weinbare Thraͤnen bedeckten ſein
Antlitz;

Seufzer aus tiefer erbebender Bruſt; ein langſamer
Schauer,

Sterbenden ſelbſt unempfindbar, erſchuͤtterten Abbado-
naa,

Jndem er gieng. Doch Abdiels ruhig eroͤffnetes Auge

Sah unverwandt nach der Welt des Schoͤpfers, dem er
getreu blieb!

Jhn ſah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie
Fruͤhlingstage,

Die in den Schoß der kaum erſchaffnen Erde ſich ſenkten,

Glaͤnzte der Seraph, doch nicht fuͤr den traurigen Ab-
badonaa.

Dieſer gieng fort, und ſeufzte bey ſich verlaſſen und ein-
ſam:

Abdiel, mein Bruder, du willſt dich mir ewig entzie-
hen!

Ewig willſt du mich ferne von dir in der Einſamkeit laſſen!

Welnet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich
nicht wieder,

Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verbluͤhet, ihr
Lauben,

Wo wir von GOtt und unſerer Freundſchaft uns zaͤrtlich
beſprachen!

Himmliſche Baͤche, verſiegt, wo wir, in ſuͤſſer Umarmung,

GOttes des Ewigen Lob mit reiner Stimme beſangen!

Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben!
Du
[87]Zweyter Geſang.

Du mein finſterer Aufenthalt, Hoͤlle, du Mutter der
Quaalen,

Ewige Nacht, beklag ihn mit mir! Ein traurig Geheule

Steige, wenn mich GOtt ſchreckt, von deinen Bergen
hernieder.

Abdiel, mein Bruder, der iſt mir auf ewig geſtorben!

Alſo jammert er ſeitwaͤrts gekehrt. Drauf ſtand er
am Eingang

Jn das goͤttliche Weltgebaͤu, zwiſchen zween Orionen.

Hier ſtand er ſtill. Er ſahe die Welt und den goͤttlichen
Himmel,

Weil er ſich ſtets, in ſein Elend vertieft, in Einſamkeit
einſchloß,

Seit Jahrhunderten nicht. Er ſtand betrachtend und
ſagte:

Seliger Eingang, o duͤrft ich durch dich in die Welten
des Schoͤpfers

Wiederkehren! Und niemals das Reich der dunkeln Ver-
damniß

Wieder betreten! Jhr Sonnen, unzaͤhlbare Kinder der
Schoͤpfung,

War ich nicht ſchon, da der Ewige rief, da ihr glaͤnzend
hervorgiengt,

Heller als ihr, da ihr itzt aus der Hand des Schoͤpfers
herabkamt?

Nun ſteh ich da in meiner Verfinſtrung, verworfen, ein
Abſcheu

Dieſer herrlichen Welt? Und ach, du ſeliger Himmel,

Jtzo erbeb ich erſt, da ich dich ſehe! Dort bin ich gefallen,
F 4Dort
[88]Der Meſſias.

Dort ſtand ich wider den Ewigen auf. Du, unſterbliche
Ruhe,

Meine Geſpielinn im Thale des Friedens, wo biſt du ge-
blieben?

Ach, an deiner Stat laͤßt mir mein Nichter ein traurig
Erſtaunen

Kaum noch uͤber ſein Weltgebaͤu zu! O duͤrft ichs nur
wagen,

Ohne zu zittern, ihn Schoͤpfer zu nennen, wie willig und
gerne

Wollt ich alsdann den zaͤrtlichen Vaternamen entbehren,

Mit dem ihn ſeine Getreuen, die Seraphim, kindlich
nennen.

O du Richter der Welt! dir darf ich Aermſter nicht flehen,

Daß du mit einem Blicke mich nur im Abgrund hier an-
ſaͤhſt.

Finſtrer Gedanke, Gedancke voll Quaal, Und du, wilde
Verzweiflung!

Wuͤte, Tyrannin, ja wuͤte nur fort! - - - Wie bin ich
ſo elend! - - -

Waͤr ich nur nicht! - - - Jch fluche dir, Tag, da der
Schoͤpfung GOtt ſagte:

Werde! Da er von Oſten mit ſeiner Herrlichkeit ausgieng!

Ja, dir fluch ich, o Tag, da die neuen Unſterblichen
ſprachen:

Unſer Bruder iſt auch! Du, Mutter unendlicher Quaalen,

Warum gebahreſt du, Ewigkeit, ihn? Und mußt er ja
werden,

Warum ward er nicht finſter und traurig, der ewigen
Nacht gleich,

Jn der mit Ungewitter geruͤſtet der Donnerer auszieht,
Leer
[89]Zweyter Geſang.

Leer von Geſchoͤpfen, vom Zorn und Fluche der Gottheit
belaſtet?

Aber, ach wlder wen redeſt du hier im verlaſſenen Ab-
grund,

Laͤſtrer! Auf, Sonnen fallt uͤber mich her, bedeckt mich,
ihr Sterne,

Vor dem grimmigen Zorn des, der vom Throne der Rach-

Ewig als Feind und Richter mich ſchreckt! Du, in dei-
nen Gerichten

Ganz Unerbittlicher! iſt denn in deiner Ewigkeit kuͤnftig

Nichts mehr von Hoffnungen uͤbrig? Ach, wird denn,
goͤttlicher Richter,

Schoͤpfer, Vater, Erbarmer! - - - Ach, nun ver-
zweifl ich von neuem,

Denn ich habe Jehova gelaͤſtert! Jhn hab ich mit Namen,

Die ich ohne Verſoͤhner nicht nennen darf, angeredet

Jch entfliehe! Schon rauſchet von ihm ein allmaͤchtiger
Donner

Durch das Unendliche furchtbar daher! Doch wohin? - - -
Jch entfliehe!

Alſo ſagt er, und ich ſahe betaͤubt in die Tiefe des Abgrunds.

Schaffe da Feuer, ein toͤdtendes Fener, das Geiſter
verzehre,

GOtt, Verderber der Weſen, die du ohn ihr Wollen er-
ſchufeſt!

Rief er im Hinabſehn, doch da wurde kein toͤdtendes
Feuer.

Darum wandt er ſich um, und floh in die Welten zu-
ruͤcke.

Jtzo ſtand er ermuͤdet auf einer erhabenen Sonne,
F 5Schaute
[90]Der Meſſias.

Schaute von da in die Tiefen hinab; da draͤngten
Geſtirne

Andre Geſtirne, wie gluͤhende Seen. Ein irrender
Erdkreis

Raͤherte ſich, ſchon dampft er, ſchon war ſein Weltge-
richt nahe.

Auf den ſtuͤrzte ſich Abbadonaa, um mit zu vergehen;

Doch er vergieng nicht, und ſenkte, betaͤubt vom ewigen
Kummer,

Wie ein gebeinvoller Berg, wo vormals Menſchen ſich
wuͤrgten,

Jm Erdbeben verſinkt, langſam zur Erde ſich nieder.

Unterdeß war Satan nebſt Adramelech der Erde

Auch ſchon naͤher gekommen. Sie giengen neben einan-
der,

Jeder allein, und in ſich gekehrt. Jtzt ſahe den Erdkreis

Adramelech vor ſich in ferner Dunkelheit liegen.

Das iſt ſie alſo, ſo ſagt er bey ſich, ſo draͤngten Gedan-
ken

Andre Gedanken, wie Wogen des Meers, wie der Ocean
draͤngte,

Als er von drey Welten dich, fernes Amerika, losriß;

Das iſt ſie alſo, die ich, ſo bald ich Satan entfernet,

Oder mich uͤber ihn ſiegend vor allen verherrlichet habe,

Die ich alsdann, als Schoͤpfer des Boͤſen, allein be-
herrſche!

Aber warum nur ſie? Warum nicht auch jene Geſtirne

Die zu lange ſchon ſelig, um mich, durch die Himmel daher
gehn?
Ja,
[91]Zweyter Geſang.

Ja, auch dort ſoll der Tod von einem Geſtirne zum
andern

Bis an die Grenze des Himmels vorm Antlitz des Ewigen
toͤdten!

Dann wuͤrg ich nicht die vernuͤnftigen Weſen, wie Sa-
tan, nur einzeln;

Nein, zu ganzen Geſchlechtern! Die ſollen von mir ſich in
Staub hin

Niederlegen, ohnmaͤchtig ſich kruͤmmen, und winden, und
jammern.

Wenn ſie ſich winden und kruͤmmen und jammern, ſo ſol-
len ſie ſterben!

Dann will ich hier, oder dort, oder da, triumphirend
und einſam

Sitzen, und mich umſehn. Die du nun deinen Ge-
ſchoͤpfen

Durch mich zum Grabe geworden, Natur, auf deine
Verweſten,

Jn dein tiefes unendliches Grab will ich lachend hinab-
ſehn!

Auch will ich ihn, wenn er flieht, wenn ihn das Anſchaun
der Todten

Ueberall umringend vom alten Throne vertreibet,

Selbſt den Ewigen will ich alsdann auch lachend be-
trachten.

Oder gefaͤllts ihm vielmehr im duͤſtern Grabe der Welten

Neue Geſchoͤpfe zu baun, daß ich ſie von nenem verderbe:

Auch die will ich alsdann, mit eben der Allmacht, wie
vormals,

Wieder von einem Geſtirne zum andern verfuͤhren und
toͤdten.
Adrame-
[92]Der Meſſias.

Adramelech, das biſt du! Doch moͤcht es dir endlich ge-
lingen,

Daß du auch das Sterben der Geiſter erfaͤndeſt, daß
Satan

Durch dich verging, und von dir verderbt in ein Unding
zerfloͤſſe!

Unter ihm ſollſt du kein Werk, das deiner nur wuͤrdig iſt,
enden!

Feuriger Geiſt, der du Adramelech beſeeleſt, erſchaffe!

Toͤdte die Geiſter, ich fluche dir, toͤdte ſie, oder vergehe!

Ja, vergehe, ſey lieber nicht mehr, eh du lebſt und nicht
herrſcheſt!

Ja, ich will hingehn, gehn will ich, und alle meine Ge-
danken

Jn mir, wie Goͤtter, verſammeln, ſie ſollen erfinden
und toͤdten.

Jtzt iſt es Zeit, worauf ich ſeit Ewigkeiten ſchon dachte,

Das zu vollenden. Ja itzo, da GOtt von neuem er-
wachet,

Und, wenn Satan nicht irrt, uns einen Erloͤſer der
Menſchen,

Unſer erobertes Reich uns abzunehmen, herabſchickt

Doch er mag immer nicht irren, der Menſch ſey der groͤßte
Prophete

Unter den Propheten ſeit Adam, er heiſſe Meſſias

Oder auch GOtt, ſo ſoll er nur mir zur Verherrlichung
da ſeyn!

Seine Vernichtung ſoll mich vor der ganzen Geiſter-
verſammlung

Zu der Beſitzung des hoͤlliſchen Thrones zum wuͤrdigſten
machen:
Oder,
[93]Zweyter Geſang.

Oder, was ich vielmehr von meiner Gottheit erwarte!

Was du vielmehr, unſterblicher Adramelech, vollendeſt,

Wenn ich Satan vor ihm noch verderbe, ſo ſey er der
Erſtling

Meiner Beſiegten, mit deren Vernichtung mein neues
Reich anfaͤngt.

Armer Satan, wie ſchwer wird dirs, den Leib des Meſſias

Nur zu erwuͤrgen! Erwuͤrg ihn nur! Ja, ſo kleine Ge-
ſchaͤffte

Laß ich dir, eh du vergehſt; ich aber toͤdte die Seele!

Die vernicht ich; den ſterblichen Staub magſt du muͤhſam
zerſtreuen!

Und wenn der Ewige ſie vor andern Seelen erwaͤhlte,

Wenn er ſie, ſich zu verherrlichen, ſchuf: ſo ſoll er voll
Jammer

Um ſie in einſamer Ewigkeit klagen! Drey ſchreckliche
Naͤchte

Soll er um ſie klagen! Wenn er ſich ins Dunkle verhuͤllt
hat,

Soll drey ſchreckliche Naͤchte kein Seraph ſein Angeſicht
ſehen!

Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheule

Hoͤren, ein tiefes Geheul, am dunkeln verfinſterten
Throne,

Und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den
Sternen,

Da, wo der Ewige wandelt, das will ich hoͤren, und GOtt
ſeyn!

Alſo verlohr ſich ſein Geiſt, vom wuͤnſchenden Herzen
empoͤret,
Jn
[94]Der Meſſias.

Jn verruchte Gedanken. GOtt, der die Zukunft durch-
ſchaute,

Hoͤrt ihn, und ſchwieg. Voll ermuͤdenden Tiefſinns blieb
Adramelech

Unvermerkt auf einer ſich um ihn ſammelnden Wolke,

Starr mit gluͤhender Stirn, die der Grimm durchfaltete,
ſitzen.

Doch das Getoͤſe der wandelnden Erde, die itzt mit der
Nacht kam,

Weckte den Verruchten von ſeinen ſchwarzen Gedanken.

Jtzo geſellt er ſich wieder zu Satan. Sie giengen und ſtuͤrm-
ten

Gegen den Oelberg, den Mittler daſelbſt mit ſeinen Ver-
trauten

Aufzuſuchen. So ſtuͤrzen zween toͤdtende Kriegeswagen

Jn die Thaͤler, dem ruhigen Feldherrn des Feindes ent-
gegen.

Jtzo ſandten ſie, hoch von dunkeln donnernden Bergen,

Eherne Krieger; ſie rauſchen mit eiſernem wilden Gotoͤſe

Ueber die Felſen, und krachen, und donnern, und toͤdten von
ferne.

Alſo kam Adramelech und Satan zum Oelberg hernieder.


Dritter Geſang.
Hey mir gegruͤßt! ich ſehe dich wieder, die du mich
gebahreſt,

Erde, mein muͤtterlich Land, die du mich im
kuͤhlenden Schoſſe
Einſt
[95]Dritter Geſang.

Einſt zu den Schlafenden GOttes begraͤbſt, und meine
Gebeine

Sanft bedeckſt; doch dann erſt, dies hoff ich zu meinem
Erloͤſer,

Wenn von ihm mein heiliges Lied zu Ende gebracht iſt.

Alsdann ſollen die Lippen ſich erſt, die ihn zaͤrtlich beſan-
gen;

Dann erſt ſollen die Augen, die ſeinentwegen vor Freuden

Oftmals weinten, ſich ſchlieſſen; dann ſollen erſt meine
Freunde

Und die Engel mein Grab mit Lorbeern und Palmen
umpflanzen,

Daß, wenn ich einſt nach himmliſcher Bildung vom Tod
erwache,

Meine verklaͤrte Geſtalt aus ſtillen Hainen hervorgeh.

Und du, die du zur Hoͤlle mich fuͤhrteſt, unſterbliche
Muſe,

Und nun meinen noch bebenden Geiſt zuruͤcke gebracht
haſt,

Du, die vom goͤttlichen Blick die ernſte Gerechtigkeit
lernte,

Aber auch ihren Vertrauten mit ſuͤſſer Freundlichkeit
laͤchelt,

Heitre die Seele, die noch von ihren Geſichten umgeben

Jnnerlich bebt, mit himmliſchem Licht auf, und lehre ſie
ferner,

Jhren erhabnen anbetungswuͤrdigen Mittler beſingen.

JEſus war noch allein mit Johannes im Grabmal der
Todten.
Unter
[96]Der Meſſias.

Unter zerſtreuten Gebeinen, von Nacht und Schatten
umgeben,

Saß er, und uͤberdachte ſich ſelber, den Sohn des
Ewgen,

Und den Menſchen zum Tode beſtimmt. Vor ſeinem Ge-
ſichte

Sah er die Suͤnden der Menſchen, die alle, die ſeit der
Erſchaffung

Adams Kinder vollbrachten, auch die, ſo die ſchlimmere
Nachwelt

Suͤndigen wird, ein unzaͤhlbares Herr, GOtt fliehend,
vorbeygehn.

Satan war mitten darinnen, und herrſchte. Vom Ange-
ſicht GOttes

Trieb er, den Suͤnder, das Menſchengeſchlecht, und
verſammelt es zu ſich,

Wie die Ebnen des Meers ein mitternaͤchtlicher Strudel

Ringsum in ſich verſchlingt, und immer zum Untergang
offen,

Unſichtbar unter den Wolken des niederſteigenden
Himmels,

Alle zu ſichre Bewohner des Meers in die Tiefen hinab-
zieht.

JEſus ſah die Suͤnden und Satan. Drauf ſah er zu
GOtt auf.

GOtt, ſein Vater, ſah auch nach ihm tiefſinnig hernie-
der.

Zwar brach aus ſeinem erhabenen Blick das ernſte Ge-
richte

Langſam hervor; zwar donnerte GOtt, und ſchreckt ihn
von ferne.
Gleich-
[97]Dritter Geſang.

Gleichwohl blieben noch Zuͤge des unausſprechlichen Laͤ-
chelns

Jn dem Antlitz voll Gnade zuruͤck. Die Seraphim ſagen,

Damals habe der ewige Vater die andere Thraͤne

Stille geweint. Er weinte die erſte, da Adam verflucht ward.

Alſo ſahn ſie ſich an. Jn feyrender Sabbathſtille

Neigt ſich vor ihnen die ganze Natur. Voll Ehrfurcht und
wartend

Bleiben die Weltgebaͤu ſtehn, und, auf beyder Anſchaun
gerichtet,

Geht der betrachtende Cherub in ſtillen Wolken voruͤber,

Auch kam Seraph Eloa, von himmliſchen Wolken umgeben,

Zu der Erden herunter, und ſah von Antlitz zu Antlitz

Den Meſſias, und zaͤhlte die menſchenfreundlichen Thraͤ-
nen

Alle Thraͤnen, die JEſus weinte. Drauf ſtieg er gen
Himmel.

Als er hinaufſtieg, erblickt ihn Johannes. Jhm oͤffnete
JEſus,

Daß er den Seraph erblickte, die Augen. Er ſah ihn und
ſtaunte,

Und umarmte voll Jnbrunſt den Mittler, und nant ihn
mit Seufzern

Seinen Erloͤſer und GOtt, mit unausſprechlichen Seuf-
zern

Nannt er ihn ſo, und blieb bey ihm in ſuͤſſer Umarmung.

Aber die uͤbrigen Eilfe, die JEſum ſchon lange nicht
ſahen,

Giengen im Dunkeln am Fuſſe des Oelbergs, und ſuchten
ihn traurig.
GAuſſer
[98]Der Meſſias.

Auſſer einem der JEſum, wie ſie, nicht mehr zaͤrtlich
verehrte,

Waren ſie Maͤnner voll Unſchuld. Die Goͤttlichkeit ihrer
Herzen

Kannten ſie nicht. GOtt kannte ſie beſſer. Er ſchuf ſie
zu Seelen,

Welche dereinſt des Ewigen Offenbarungen ſchauten.

Doch nicht jener zugleich, der, der himmliſchen Juͤnger-
ſchaft unwerth,

JEſum verrieth. Er konnte ſie ſchaun, verrieth er nicht
JEſum.

Jhnen wurden ſchon, eh ſie der Leib der Sterblichkeit
einſchloß,

Neben den Stuͤlen der vier und zwanzig Aeltſten im Him-
mel

Goldene Stuͤle geſetzt; doch einer der goldenen Stuͤle

Ward einſt mit Wolken bedeckt, bald aber entflohen die
Wolken,

Und ein lichtheller ewiger Glanz gieng wieder vom Stul
aus.

Dazumal rief Eloa und ſprach: Er iſt ihm genommen,

Und iſt einem andern gegeben, der beſſer als er iſt!

Jhre Beſchuͤtzer, zwoͤlf Engel der Erde, die unter der
Aufſicht

Gabriels ſtehn, erhuben ſich itzt auf die Hoͤhen des Oel-
bergs,

Und betrachteten da mit freundſchaftsvollem Vergnuͤgen

Unſichtbar ihre Geſpielen, wie ſie den goͤttlichen Mittler

Ueberall thraͤnenvoll ſuchten. Da kam mit fluͤchtigen
Schritten
Aus
[99]Dritter Geſang.

Aus der Sonnen ein Seraph, und ſtund auf einmal bey
ihnen.

Dieſer war einer von Vieren, die gleich nach Uriel herr-
ſchen.

Selia, ſo hieß er, itzt ſprach er alſo zu ihnen:

Sagt mir, himmliſche Freunde, wo iſt er, in welchen
Gefilden

Wandelt er itzt, der groſſe Meſſias? Die Seelen der Vaͤter

Senden mich, ich ſoll ihn auf allen goͤttlichen Wegen

Still begleiten, und jegliche That der groſſen Erloͤſung

Achtſam bemerken; kein heiliges Wort, kein zaͤrtlicher
Seufzer

Soll mir von ſeinem unſterblichen Mund ungehoͤret ent-
fliehen;

Himmliſche Freunde, kein troͤſtender Blick, und keine der
Zaͤhren,

Jener getreuen der Gottheit und Menſchheit ſo wuͤrdigen
Zaͤhren

Sollen unangemerkt mir im goͤttlichen Auge ſich zeigen.

Ach zu fruͤh entziehſt du dem Blicke der heiligen Vaͤter,

Erde, dein ſchoͤnſtes Gefilde, wo GOtt in Huͤllen der
Menſchheit

Wandelt, und das Opfer des groſſen Mittleramts an-
faͤngt!

Ach zu fruͤh entfliehſt du dem Tag und Uriels Antlitz,

Der nun ungern und traurig den unterſten Welttheil
umleuchtet!

Dort iſt ihnen kein aͤnderndes Thal, kein erwachend Ge-
birge

Angenehm; denn hier wandelt er nicht, der groſſe Meſſias!

G 2Selia
[100]Der Meſſias.
Selia endigte ſo. Jhm erwiederte Seraph Orion,

Simons Schutzgeiſt. Dort unten, wo ſich die traurigen
Gruben

Oeffnen, und ſich ſinkend mit des Oelbergs Fuſſe vertiefen,

Dort ſteht, himmliſcher Freund, der hohe Meſſias und
denket

Selia ſah ihn, und blieb unverwandt in ſtiller Entzuͤ-
ckung

Stehn. Schon waren mit leichtem Gefieder zwo fliehende
Stunden

Ueber ſein Haupt mit der Stille der Nacht voruͤber geflo-
gen,

Als er noch ſtand. Jndem kam der letzte vertrauliche
Schlummer

Jn das Auge des Mittlers herab, die heilige Ruhe

Eilte, geſandt von GOtt, vom Allerheiligſten GOttes,

Auf ihn, mit kuͤhlendem Saͤuſeln, in ſtillen Duͤften her-
nieder.

JEſus ſchlief ein. Drauf wandte ſich Selia zu der Ver-
ſammlung,

Und trat mitten hinein und ſprach vertraulich zu ihnen:

Meldet mir, himmliſche Freunde, wer ſind die Maͤnner
dort unten,

Die da wandeln, und wie verlaſſen, und traurig herum-
gehn?

Sehet, ein ſtiller einnehmender Schmerz deckt ihre Ge-
ſichter,

Doch entſtellt er ſie nicht. So druͤcken ſich edle Gemuͤter

Wehmuthsvoll aus. Sie weinen vielleicht um einen
geliebten
Und
[101]Drittter Geſang.

Und entſchlafenen Freund, der ihnen an Tugenden
gleich war.

Jhm erwiedert Orion: Das ſind die Heiligen Zwoͤlfe,

Selia, die JEſus ſich zu Vertrauten erwaͤhlte.

Ach wie ſelig ſind wir, daß uns ihr Meiſter erleſen,

Jhre Beſchuͤtzer und Freunde zu ſeyn! Da ſehen wir
immer,

Wie er mit ſuͤſſer geſelliger Liebe ſich ihnen eroͤffnet.

Wie er ſie lehrt, wie er bald mit maͤchtigen Reden den
Eingang

Zu den hohen Geheimniſſen zeigt, bald in menſchlichen
Bildern

Dich, unſterbliche Tugend, verklaͤrter und fuͤhlbarer
zeiget,

Und nach und nach ihr empfindendes Herz zur Ewigkeit
bildet.

O wie viel erlernen wir da! wie macht uns ſein Bey-
ſpiel

Aufmerkſam, und wie reizet er uns, ihm anbetend zu
folgen!

Selia, ſollteſt du ihn und ſeinen goͤttlichen Wandel,

Und ſein edles, des ewigen Vaters ſo wuͤrdiges Leben

Taͤglich ſehen, dein Herz zerfloͤß in ſtiller Entzuͤckung!

Auch iſt es ſchoͤn, und klinget auch ſelbſt in unſterblichen
Ohren

Lieblich, wenn ſeine Vertrauten von ihm ſich zaͤrtlich
beſprechen.

Freund, wie wir uns, ſo lieben ſie ihn. Jch hab es hier
oͤfters

Jn der Verſammlung geſagt, und wiederhol es auch itzo:
G 3Vielmals
[102]Der Meſſias.

Vielmals wuͤnſch ich von| Adams Geſchlecht, ja ſelber auch
ſterblich

Mit den Menſchen zu ſeyn; wenn anders ohne die Suͤn-
de

Eine Sterblichkeit ſeyn kan. Vielleicht verehrt ich ihn
treuer.

Meinen Bruder von eben dem Fleiſch und Blute ge-
boren

Liebt ich vielleicht weit bruͤnſtiger noch. Mit welcher Ent-
zuͤckung

Wollt ich fuͤr ihn, der zuerſt fuͤr mich ſtarb, mein Leben
verlieren!

Mitten im heiſſen unſchuldigen Blute, mit brechenden
Augen

Wollt ich ihn loben; mein ſchwaches Geſeufz, mein ſter-
bendes Stammeln

Sollte ſo harmoniſch, wie die hohen Lieder Eloa,

Wenn er am Throne vorbeygeht, in goͤttlichen Ohren
ertoͤnen.

Alsdann ſollteft du, Selia, mir, oder einer von dieſen

Sanft mit unſichtbarer Hand die gebrochnen Augen zu-
druͤcken,

Und die entfliehende Seele zum Thron des Ewigen fuͤh-
ren

Selia ſprach: Wie ruͤhreſt du mich! Wie nimmt mich
dein Wuͤnſchen,

Edler Orion, mit Zaͤrtlichkeit ein! Die Maͤnner dort
unten

Die ſind alſo die heiligen Zwoͤlfe, die Freunde des Mitt-
lers?
Welche
[103]Dritter Geſang.

Welche zu ſeyn, ſelbſt Seraphim, auch mit der Sterb-
lichkeit, wuͤnſchen.

Seyd mir geſegnet! Jhr ſeyd es auch wuͤrdig, Unſterb-
liche, denn euch

Liebt der Erloͤſer, wie Bruͤder, ihr werdet auf goldenen
Stuͤlen

Sitzen, und den Weltkreis mit eurem Koͤnige richten.

Seraphim, nennet ſie mir! Jch will die Namen auch
hoͤren,

Die ſchon lange mit glaͤnzenden Zuͤgen im Lebensbuch
ſtehen.

Nennt mir jenen zuerſt, der dort mit feurigen Augen

Um ſich blickt, und im ſchattichten Walde mit Ungeduld
ſuchet;

JEſum vielleicht. Muth, und ein kuͤhnes entſchloſſenes
Weſen

Seh ich in ſeinem Geſicht. Aufrichtig ſagt es mir alles,

Was vom fuͤhlenden Herzen belebt die Seele gedenket.

Dieſer iſt Simon Petrus, erwiederte Seraph Orion,

Einer der groͤßten. Mich waͤhlte der Mittler zu ſeinem
Beſchuͤtzer.

Wie du ſagteſt, ſo iſt auch mein Freund. Du ſollteſt ihn
immer

Nebſt mir in allem ſeinen Betragen, in JEſu Geſellſchaft,

Wenn er inbruͤnſtig ihn hoͤrt, auch wenn er am fernen
Geſtade

Von ihm getrennt, und von mir begleitet und von mir
begeiſtert,

Schlummert und von GOtt traͤumt, da ſollteſt du immer
ihn ſehen,
G 4Seraph,
[104]Der Meſſias.

Seraph, du wuͤrdeſt ſein fuͤhlendes Herz noch goͤttlicher
nennen.

Juͤngſt als JEſus die Juͤnger befragte, fuͤr wen ſie ihn
hielten,

Sprach er: du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen
GOttes!

Dieſes ſagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten
auch, Seraph,

Als er die Worte vor unausſprechlichen Seufzern kaum
ganz ſprach.

Aber ach! haͤtt ich nur nicht ſelbſt aus dem Munde des
Mittlers

Dies vom Petrus gehoͤrt: du wirſt mich dreymal verleug-
nen.

Traurige Worte, was ſagtet ihr mir! Ach Simon, mein
Bruder,

Hoͤrteſt du ſie? Und wenn du ſie hoͤrteſt, was dachte dein
Herze?

Simon, du ſagteſt zwar kuͤhn: Du wollteſt ihn niemals
verleugnen,

Deinen Erloͤſer und GOtt! Doch JEſus ſagt es noch
einmal.

Wenn du es wuͤßteſt, wie mir mein Herz fuͤr Wehmuth
zerflieſſet,

Wenn ich dran denke, du ſtuͤrbeſt viel lieber, als daß
du den beſten,

Deinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verkenn-
teſt.

Doch du weißt ja, wie JEſus dich liebt. Du ſahſt ja
ſein Auge,

Das voll goͤttlicher Huld bey dieſen Worten dich anſah.
Simon
[105]Dritter Geſang.

Simon Petrus, du wirſt ihn doch nicht unedel verken-
nen.

Selia hoͤrt ihn. Den Seraph durchdrang ein zaͤrtlicher
Kummer.

Nein, ſo ſagt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird
nicht

Seinen getreuſten unſterblichen Freund | unedel verleug-
nen!

Schau ihn nur an, welch redliches Herz dies Angeſicht
ausdruͤckt!

Aber, wer iſt jener, der dort auf maͤnnlicher Stirne

Feuer zur Tugend, und zuͤrnenden Haß der Laſter ver-
breitet,

Unerbittlich den ſclaviſchen Suͤndern, die GOtt verken-
nen?

Jſt er nicht Simons Vertrauter? O wie er ſich um ihn
beſchaͤfftigt!

Waͤr er ſein Bruder, ſo koͤnnt er ihm nicht vertrauter be-
gegnen!

Sipha, ſein Engel, nahm itzo das Wort: Du irreſt
nicht, Seraph,

Dieſer iſt Simons Bruder, Andreas. Sie wuchſen zu-
gleich auf,

Und Orion, und ich, wir erzogen der Juͤnglinge Seelen

Neben einander mit Sorgſamkeit auf. Oft hab ich ihn
damals,

Wenn mit Zaͤrtlichkeit beyde die bruͤnſtige Mutter um-
armte

Unvermerkt zu jener vollkommnern Liebe gebildet,
G 5Die
[106]Der Meſſias.

Die er dereinſt dem groſſen Meſſias heiligen ſollte.

Als ihm JEſus am Jordane rief, da war er noch einer

Von den Juͤngern Johannes. Noch klang ihm die Re-
de Johannes

Von dem kommenden Mittler in ſeinem aufmerkſamen
Ohre;

Als ihn mit einem durchdringenden Blick, voll ſegnender
Liebe,

JEſus berief. Jch hab ihn geſehn, ein goͤttliches Feuer

Drang gewaltig in ihn, er flog dem Meſſias entgegen!

Jtzo ſprach, Philippus Schutzgeiſt, Libaniel, alſo:

Den du dort unten um beyde geſellig und friedſam erbli-
ckeſt,

Dieſer iſt Philippus. Ein menſchenfreundliches Laͤcheln

Bildet die Zuͤge des ſtillen Geſichts. Ein treues Beſtre-
ben,

Alle, die GOtt zum Bilde ſich ſchuf, wie Bruͤder zu lieben,

Jſt der geliebteſte Trieb in ſeinem goͤttlichen Herzen.

Auch hat ſein Schoͤpfer in ihn der ſuͤſſen Beredſamkeit
Gaben

Reichlich gelegt. Wie von Hermon der Thau, wenn der
Morgen erwacht iſt,

Treufelt, und wie wohlriechende Luͤfte dem Oelbaum ent-
flieſſen,

Alſo flieſſet die liebliche Rede vom Munde Philippus.

Selia ſprach weiter: Der dort mit langſamen Schrit-
ten

Unter den Cedern heraufgeht, wer iſt der? Auf ſeinem
Geſichte
Gluͤht
[107]Dritter Geſang.

Gluͤht die edle Begierde nach Ruhm. Da geht er, wie
einer

Von den unſterblichen, welche der Nachwelt ihre Ge-
ſchaͤffte

Heiligen, und von Enkel zu Enkel unſterblicher werden.

Oft bleibt ihr Ruhm nicht auf Erden allein. Unbegrenz-
ter und ewig

Geht er von einem Geſtirne zum andern. Und war ihr
Geſchaͤffte,

Wuͤrdige Lieder von GOtt und ſeinem Meſſias zu ſingen,

Seraphim, ſo wißt ihr, wie wir ſie den Himmeln erzaͤhlen.

Seraph Adona ſprach itzt: Jakobus der Zebedaͤide

Jſt der, welchen du ſiehſt. Sein edelmuͤthiger Ehrgeiz

Jſt nur auf goͤttliche Dinge gerichtet. Vor jener Ver-
ſammlung

Aller Menſchen, vorm groſſen Gericht der erwachenden
Todten,

Durch den Ausſpruch des ewigen Erſten und ſeines Ge-
ſalbten,

Da noch verehrungswuͤrdig zu ſeyn, iſt ſein groſſes Be-
ſtreben;

Weniger Ehre waͤr Schmach fuͤr ſeine goͤttliche Seele.

Wenn er den Mittler erblickt, ſo geht er entzuͤckt und be-
friedigt

Jhm entgegen, als gieng er ihm ſchon am ewigen
Throne

Jauchzend entgegen. Jch hab ihn geſehn, da auf Ta-
bors Gebirge

GOttes Geſandten, Elias und Moſes dem Mittler er-
ſchienen.
Siehe
[108]Der Meſſias.

Siehe! der Himmel umzog ſich mit hellen umſchattenden
Wolken.

JEſus wurde verklaͤrt. Sein Antlitz war, wie die Sonne,

Wenn ſie allgegenwaͤrtig und hoch im Mittage glaͤnzet.

Seine Bekleidung war ſilbern, wie Licht. Da eilte Ja-
kobus,

Wie ins Allerheiligſte GOttes der oberſie Prieſter,

Aron, zur Lade des Bundes zu GOtt und dem Gnaden-
ſtul eilte.

Alſo eilte Jakobus, erfuͤllt von der Ehre des Anſchauns,

Deß ihn GOtt wuͤrdigte, kuͤhn der hohen Erſcheinung
entgegen.

Unter den Heiligen Zwoͤlfen iſt dieſer der Maͤrtyrer Erſt-
ling.

Alſo ſagen die Tafeln des Schickſals. Jhm iſt es beſtimmet,

Bald im Triumph auf den weitern Schauplatz der Zukunft
zu treten,

Und die Begierde des ewigen Geiſtes unendlich zu ſtillen.

Simon, der Kananite, den du dort ſitzend erblickeſt,

Sagte ſein Engel, Megiddon, war ehmals ein heiliger
Schaͤfer.

JEſus rief ihn vom Felde. Sein ſtilles unſchuldiges
Weſen,

Und die Demuth, mit welcher er ihn voll Einfalt bediente,

Wandte das Herz des Erloͤſers ihm zu. Dann da er im
Reiſen

Einſt zu ihm kam, ſo ſchlachtet er ihm mit ſorgſamer
Eile

Gleich ein jugendlich Lamm, und ſtand, und dient ihm
voll Unſchuld,
Segnete
[109]Dritter Geſang.

Segnete ſich, und die niedrige Huͤtte, wo GOttes Pro-
phet war.

JEſus aß ſo vergnuͤgt, wie er einſt im Haine zu Mamre

Mit zween Engeln und Abraham aß. Komm, folge mir,
Simon,

Sagt er zu ihm, laß deinen Geſpielen die Heerden der
Laͤmmer.

Jch bin der, von dem du das Lied der himmliſchen
Schaaren,

Bey dem bethlehemitiſchen Quell, als ein Knabe, vernah-
meſt.

Dort ſeh ich meinen Geliebten hervorgehn, ſprach
Seraph Adoram,

Schau, Jakobus, der Alphaͤide! Dies ernſte Geſichte,

Jſt verſchwiegene Tugend, die weniger ſaget, als ausuͤbt

Kennt ihn der Ewige nur, wenn ihn von Nachwelt zu
Nachwelt

Menſchen auch nicht kennten, wenn er uns auch unbekannt
bliebe,

Dennoch wuͤrd er, vom Ruhm unbelohnt, ſtets Tugenden
uͤben.

Umbiel ſprach ferner: Der dort voll Gedanken und ein-
ſam

Tief im Walde ſich zeigt, iſt Thomas, ein feuriger Juͤng-
ling.

Stets zeugt ſein Geiſt aus Gedanken Gedanken, davon
er das Ende

Vielmal nicht ſieht, wenn ſie, wie Meere, vor ihm ſich
verbreiten.
Bald
[110]Der Meſſias.

Bald haͤtt er ſich im finſtern Gebaͤu ſadducaͤiſcher Traͤu-
me

Klaͤglich verlohren: allein des Meſſias gewaltige Wunder

Retteten ihn, er verließ das Bezirk labyrinthiſcher Jrren,

Und kam zu JEſu. Doch wuͤrd ich mich ſeinetwegen noch
oͤfters

Zaͤrtlich bekuͤmmern, haͤtt ihm zu dieſer denkenden Seele

Nicht die Natur ein redliches Herz und Tugend gegeben.

Jener iſt Matthaͤus, ſprach Seraph Bildai, ein Juͤnger,

Der, im Schoſſe beguͤterter Eltern wolluͤſtig erzogen,

Doch auch zugleich zum niedern Geſchaͤffte der Reichen
verwoͤhnt ward,

Die des unſterblichen Geiſtes uneingedenk, niemals er-
ſaͤttigt,

Wie fuͤr die Ewigkeit ſammeln. Allein die maͤchtigen
Triebe

Seines Geiſtes erhuben ſich bald, da er JEſum erblickte.

JEſus rief ihn kaum zu ſich, ſo folgt er, und ließ die
Geſchaͤfte,

Die ihn bisher zur Erde gedruͤckt, den Thieren zuruͤcke.

So entreißt ſich ein Held der Koͤnige weichlichen Toͤch-
tern,

Wenn ihn der Tod fuͤrs Vaterland ruft. Jns Feld hin,
wo GOtt ſteht,

Und dem Tode, geruͤſtet mit Rache, die Schuldigen zu-
zaͤhlt,

Ruft ihn mehr als ewiger Ruhm, die Stimme der Un-
ſchuld.

Jhn wird danckbar und froh erretteter Voͤlker Mund eh-
ren,
Denn
[111]Dritter Geſang.

Denn ſein Krieg war gerecht. Und bleibt er, mitten im
Wuͤrgen,

Da noch ein Menſch, ſo wollen wir ihn vor dem Ewigen
fingen.

Seraph Siona fuhr fort. Der dort mit dem ſilber-
nen Haupthaar

Jener freundliche Greis, iſt Bartholomaͤus, |mein Juͤn-
ger.

Schau ſein frommes einnehmendes Antlitz. Die goͤttli-
che Tugend

Wohnet da gern. Den Sterblichen wird ihr ſtrenges
Betragen,

Wenn er vor ihnen ſie uͤbt, weit liebenswuͤrdiger werden.

Du wirſt viel zu JEſu verſammeln. Sie werden dein
Ende

Sehen und ſich wundern, wenn du im Schweiſſe des
Todes

Deinen Moͤrdern und Bruͤdern, gleich jungen Seraphim,
laͤchelſt.

Wiſchet mit mir, wenn er ſtirbt, das Blut von ſeinem
Geſichte,

Himmliſche Kraͤfte, damit ſein abſchiednehmendes Laͤcheln

Alle Verſammlungen ſehn, und ſich zu JEſu bekehren.

Jener blaſſe verſtummende Juͤngling, ſprach Elim itzt
weiter,

Jſt mein auserwaͤhlter Lebbaͤus. So zaͤrtlich und fuͤhlend,

Als die Seele des ſtillen Lebbaͤus, ſind wenig eeſchaffen.

Da ich aus jenem Gefilde ſie rief, wo die Seelen der
Menſchen
Vor
[112]Der Meſſias.

Vor des Leibes Geburt, ſich ſelbſt noch unbekannt,
ſchweben,

Fand ich ſie im Truͤben naͤchſt einer rinnenden Quelle,

Die, wie von fern herweinende Stimmen, langrauſchend ins
Thal floß.

Hier hat einmal, wie die Engel erzaͤhlen, der traurige
Seraph

Abbadonaa geweint, als er einſt aus Eden zuruͤck kam,

Und das erſte Paar Menſchen der heiligen Unſchuld be-
raubt ſah.

Auch wißt ihr wohl, daß Seraphim oft hier die Seelen
beklagen,

Denen ſie GOtt zu Vertrauten erkohr, die aber auf Er-
den

Erſt die heilige Jugend mit Unſchuld lieblich bekroͤnen,

Dann den Anfang des goͤttlichen Lebens entheiligen wer-
den.

Ach, ſie wird, vom Laſter entſtellt, ein ſchreckliches Ende

Nehmen. Sie ſinds, um die vor ihrer unſelgen Geburts-
zeit

Bruͤderlich, mit Seufzern der himmliſchen Freundſchaft,
mit Thraͤnen,

Menſchen unweinbar, die Seraphim klagen. Hier fand
ich die Seele

Meines geliebten Lebbaͤus in ruhige Wolken gehuͤllet.

Alſo vernahm ſie den traurigen Ton mit ſchwacher Empfin-
dung

Die nun ſo lang, als das ſtaͤrckre Gefuͤhl der Sinne ſie
einnimmt,

Ausgeloͤſcht iſt, doch wieder erweckt wird und maͤchtiger
wirket,
Wenn
[113]Dritter Geſang.

Wenn die Seele mit Lichte bekleidet dem Koͤrper entflie-
het.

Doch blieb dieſes zwar leiſe Gefuͤhl der traurigen Stim-
men

Maͤchtig genung, die erſte Geſtalt der Seele zu bilden.

Sie hab ich ſanft im Schoſſe leichtflieſſender Morgen-
wolken

Bis zur ſterblichen Huͤtte gebracht. Die Mutter gebahr ihn,

Unter den Palmen. Da kam ich vom Wipfel der rauſchen-
den Palmen

Unſichtbar her, und kuͤhlte den Knaben mit lieblichen
Luͤften.

Aber er weinte ſchon dazumal mehr, als die Sterblichen
weinen,

Wenn ſie mit dunkler Empfindung den Tod von ferne
ſchon fuͤhlen.

Alſo bracht er bey jeglicher Thraͤne, die Freunde ver-
goſſen,

Zaͤrtlich geruͤhrt, beym leichteſten Schmerz der Menſchen
empfindlich,

Seine wehmuͤthige Jugendzeit hin. So iſt er bey JEſu

Jmmer geweſen. Wie ſehr bin ich deinentwegen bekuͤm-
mert!

Wenn der Erloͤſer erſt ſtirbt, da wirſt du, heiliger Juͤng-
ling,

Unter der Laſt des Elends vergehn. Ach ſtaͤrk ihn, Er-
loͤſer,

Staͤrk ihn alsdann, erbarmender Heiland, damit er
nicht ſterbe.

Siehe! dort koͤmmt er ſelbſt, tiefſinnig mit wankenden
Schritten,
HZu
[114]Der Meſſias.

Zu uns herauf, hier kanſt du ihn, Seraph, naͤher be-
trachten,

Und von Antlitz zu Antlitz die zaͤrtlichſte Seele bemerken

Jndem, als er noch ſprach, da trat der ſtille Lebbaͤus

Unter ſie hin. Die hohe Verſammlung wich ungemerkt
ſeitwaͤrts

Vor dem Sterblichen aus. So zertheilen ſich Fruͤhlings-
luͤfte,

Durch der Nachtigall klaͤglichen Ton, wenn ſie muͤtterlich
jammert.

Jtzo umgaben ſie ihn, und ſtanden, wie Menſchen, voll
Liebe,

Um ihn herum. Von keinem Geſchoͤpf, wie er glaubte/
vernommen,

Klagte der ſtille Lebbaͤus, und ſchlug im zaͤrtlichen Kla-
gen

Ueber ſein Haupt die Haͤnde zuſammen. So find ich ihn
nirgends!

Schon iſt ein trauriger Tag und faſt zwo Naͤchte verfloſ-
ſen,

Daß wir ihn nicht ſehen! Ja ſeine verruchten Verfolger

Haben gewiß ihn endlich ergriffen! Jch armer Verlaßner

Kann noch leben, da JEſus ſchon todt iſt? Dich haben
die Suͤnder

Klaͤglich erwuͤrgt, du goͤttlicher Mann! Und ich ſah dich
nicht ſterben!

Und ich habe nicht ſanft dein goͤttliches Auge geſchloſ-
ſen!

Sagt, Verruchte, wo wuͤrgtet ihr ihn? Jn welche Ge-
filde,

Ach! in welche veroͤdete Wuͤſte, zu welchen Gebeinen
Unter
[115]Dritter Geſang.

Unter den Todten entſuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm
ſein Leben?

Ach wo liegſt du goͤttlicher Freund? Ja, unter den
Todten,

Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmli-
ſchen Laͤchelns,

Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet,

Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſe-
hen!

Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr
ſchluͤge!

Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dies duͤſtre
Gewoͤlke,

Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Ge-
beine

Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier
einſam

Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit
wuͤrden!

Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer
danieder.

Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden
Oelbaums,

Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes
Antlitz

Unſichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlum-
mer

Ueber ſein Haupt. Er ſchlief und ſah im heiligen
Traume,

Durch den Engel, den Mittler vor ſich lebendig herumgehn.

H 2Selia
[116]Der Meſſias.
Selia hieng noch mit thraͤuendem Blick, und zaͤrtlichem
Mitleid

Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber
heraufftieg.

Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am
Berge

Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes
Haupthaar;

Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Ge-
ſichte

Jſt voll maͤnnlicher Schoͤne. Dies Haupt, das uͤber die
Haͤupter

Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches An-
ſehn.

Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche
Freunde?

Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh ent-
decke,

Und in jenem nicht edles genung. Nein, er iſt ja ein
Juͤnger,

Und er wird ja mit JEſu dereinſt das Weltgericht hal-
ten!

Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen
Geliebten

Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himm-
liſche Freunde?

Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger ver-
kannte?

Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger,

Zuͤrne du nicht, ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer
GOtt ehrſt,
Und
[117]Dritter Geſang.

Und im Triumph die Unſterblichen ſiehſt, da will ich den
Fehler

Durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft vor dieſen Seraphim
gut thun.

Ach! ſo muß ich denn reden? ſprach Seraph Jthuriel
ſeufzend,

Und gieng mit klaͤglich gerungenen Haͤnden dem Seraph
entgegen,

Ach! ſo muß ich denn reden, mein Freund? Ein ewiges
Schweigen

Waͤre fuͤr meine Betruͤbniß und deine Beruhigung beſſer!

Doch du wilſt es, ich red, o Seraph. Jſcharioth heißt er,

Welchen du ſiehſt. Ja, Seraph, ich wollte nicht uͤber ihn
weinen,

Ungeruͤhrt wollt ich ihn ſehn, unbethraͤnt und ohne Be-
truͤbniß

Wollt ich ihn ſehn, und in heiligem Zorne den Strafbaren
meiden;

Haͤtt ihm nicht GOtt ein edles Gemuͤth, und ein tugend-
haft Herze,

Und in der unentheiligten Jugend viel Unſchuld gege-
ben;

Haͤtt ihn nicht ſelbſt der Meſſias der Juͤngerſchaft wuͤrdig
geachtet,

Jn der er anfangs auch heilig und fromm und untadel-
haft lebte.

Aber ach nun! - - Doch ich ſchweige, mein Leid nicht
unendlich zu haͤufen!

Ja nun weis ich, warum, da wir uns von den Seelen der
Juͤnger
H 3Einſt
[118]Der Meſſias.

Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz GOttes, be-
ſprachen;

Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa

Traurig herabſtieg, und einen der hohen goldenen
Stuͤle,

Die den heiligen Zwoͤlfen GOtt gab, mit Wolken bedeckte.

Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte

Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde

Seine verlaſſene Mutter gebar. Waͤrſt du nur nicht ge-
boren!

Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſpro-
chen,

Armer verlohrner! dies waͤre dir beſſer, als daß du den
Mittler

Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt.

Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Bli-
cken

Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt
mir,

Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmrung, umnebelt mein
Auge!

Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe,

Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen kei-
ner

Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum
ausſpricht!

Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mitt-
ler?

Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der
Verlorne?
Das
[119]Dritter Geſang.

Das ihn vor JEſu und dir und allen Geiſtern entehrte.

Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthu-
riel, ſag es!

Seraph, ein heimlicher Haß, ein feindſchaftsvolles Be-
ſtreben,

Sprach Jthuriel, hat den ungluͤckſeligen Juͤnger

Wider den goͤttlichen Mittler empoͤrt. Er haſſet Johan-
nes,

Weil den JEſus vor allen mit inniger Zaͤrtlichkeit liebet;

Und, was er noch vor ſich ſelbſt zu verbergen ſucht, auch
den Erloͤſer.

Auch ſind in einer erſchrecklichen Stunde Begierden nach
Reichthum

Noch dazu in ſeiner ſonſt edleren Seele gewurzelt.

Denn die kannt ich im Juͤnglinge nicht. Von ihnen ver-
blendet,

Glaubt er, nun werde Johannes dereinſt vor den uͤbrigen
Juͤngern

Und auch beſonders vor ihm im neuen Reiche des Mitt-
lers

Schaͤtze, die herrlichſten Schaͤtze, des Reichthums Erſt-
linge, ſammeln!

Dies hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem
bemerket,

Einſam herumgieng, von ihm aus klagendem Munde
vernommen.

Einſt als er auch, (dies ſchreckliche Bild wird mir ewig
vor Augen

Schweben, und ewig mein Herz mit ſtillem Kummer er-
fuͤllen!)
H 4Einſt
[120]Der Meſſias.

Einſt, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dies
ſagte,

Und in Wuͤnſche voll Bosheit bey ſeiner Beſchuldigung
ausbrach;

Als ich dabey, wie untroͤſtbar und wehmutsvoll in mich
gekehret

Stand, und mein Angeſicht aufhub, da ſah ich, wie Sa-
tan vorbey gieng,

Und mit bitterm Geſpoͤtt und triumphirendem Laͤcheln

Von Jſcharioth kam, und ſtolz mitleidig mich anſah.

Jtzt iſt ſein Herz dem Zugang des Laſters ſo bloß und
eroͤffnet,

Daß ich fuͤr ieden Gedanken, fuͤr iede Bewegung des
Herzens

Jnnig beſorgt bin, daß ſie zum ſchnellen Verderben ihn
fuͤhren.

GOtt! daß deine gefuͤrchtete Hand itzt im Abgrunde Sa-
tan

Mit diamantenen Ketten der tiefſten Finſterniß hielte!

Daß die unſterbliche Seele, die du, erhabner Meſſias,

Auch zur ſeligen Ewigkeit ſchufft, von ihrer Verirrung

Wiederzukehren die theuren Minuten noch lange ge-
noͤſſe!

Daß ſie, wuͤrdig der hohen Geburt und der ſchaffenden
Stimme,

Mit der ſie GOtt zur Unſterblichkeit rief, und zur Juͤn-
gerinn weihte,

Jhrem ergrimmten Verderber unuͤberwindlich und furcht-
bar,

Gleich dem muthigſten Seraph, mit Heiligkeit wider-
ſtuͤnde!

Theu-
[121]Dritter Geſang.
Theurer Seraph, was ſagt denn der Mittler, ſprach
Selia ferner,

Ach was ſagt denn der goͤttliche Mittler von ſeinem Ver-
lornen?

Kann er den Verruchten vor ſeinem Geſichte noch ſehen?

Liebt er ihn noch? Und wenn er ihn liebt, wie entdeckt
er ſein Mitleid?

Selia, du zwingſt mich, ich muß dir alles entdecken,

Was ich ſo gern vor mir ſelbſt, vor dir, und den Engeln
verbuͤrge.

JEſus liebt den Unwuͤrdigen noch. Voll ſorgſamer Liebe,

Zwar mit Worten nicht, aber mit Blicken der goͤttlichſten
Freundſchaft,

Sagt er ihm juͤngſt, bey einem zufriednen vertraulichen
Mahle,

Vor der Verſammlung der Juͤnger, er ſey es, er werd
ihn verrathen.

Theurer Seraph, er wird ihn verrathen! Der Strafbare
fuͤhlte

JEſu erbarmende Blicke nicht mehr. Er wird ihn ver-
rathen!

Selia, ſiehe, da koͤmmt er herauf. Jch will den Ver-
ruchten

Ferner nicht ſehn, komm mit mir. Jthuriel ſagt es, und
eilte.

Selia folgte betruͤbt. Johannes zweyter Beſchuͤtzer,

Salem, ein himmliſcher Juͤngling, begleitete beyde von
ferne.

JEſus gab dem geliebten Johannes zween heilige Waͤch-
ter,
H 5Raphael,
[122]Der Meſſias.

Raphael, einer vom Throne, der hohen Seraphim einer,

Und aus Gabriels Ordnung, der ward ſein erſter Be-
ſchuͤtzer.

Selia, und Jthuriel gingen beyde zu JEſu

Jn die Graͤber. Da trat mit erheitertem Angeſicht Sa-
lem

Unter ſie hin, und blickte ſie an, und umarmte ſie zaͤrtlich

Frohe beſaͤnftigte Zuͤge verklaͤrten das Angeſicht Salems,

Und ein jugendlich Laͤcheln umfloß die unſterbliche Stir-
ne,

Da, wie die Pforten des lieblichen Morgens im Fruͤhling
ſich oͤffnen,

Sich ſein heiliger Mund voll ſuͤſſer Beredſamkeit auf-
that,

Und von ſeinen Lippen die Stimme ſanfttoͤnend herab-
floß:

Seraph, beruhige dich, der dort in den Graͤbern bey
JEſu,

Jener iſt Johannes der liebenswuͤrdigfte Juͤnger.

Schau ihn nur an, bald wirſt du nicht mehr an Jſcha-
rioth denken!

Heilig, wie ein Seraph, ja wie der unſterblichen einer,

Lebt er beym Meſſias, der ſein Herz vor allen ihm oͤffnet,

Der ihn, mit goͤttlicher Huld, ſich zum vertrauteſten
waͤhlte.

Wie die Freundſchaft des hohen Eloa und Gabriels
Freundſchaft:

Oder wie Abdiels Liebe zu Abbadonaa geweſen!

Als er mit ihm in anerſchaffener Unſchuld noch lebte:

Alſo iſt Johannes und JEſu goͤttliche Freundſchaft,
Und
[123]Dritter Geſang.

Und er iſt es auch wuͤrdig. Noch ward in heiligen Stun-
den

Keine ſo goͤttliche Seele vom groſſen Schoͤpfer gebildet,

Als die unſchuldige Seele Johannes. Jch hab es geſe-
hen,

Da die Unſterbliche kam. Sie prieſen glaͤnzende Reihen

Himmliſcher Juͤnglinge ſelig, und ſangen von ihrer Ge-
ſpielinn:

Sey uns gegruͤßt bey deinem Hervorgehn, unſterb-
liche Freundinn,

Heilige Tochter des goͤttlichen Hauchs, komm, ſey uns
geſegnet!

Du biſt ſchoͤn und zaͤrtlich, wie Salem, wie Raphael,
himmliſch

Und erhaben. Dir werden aus deiner heiteren Fuͤlle,

Wie aus der Morgenroͤthe der Thau, die Gedanken ge-
boren,

Und dein menſchliches Herz, dein Herz voll zaͤrtlicher Trie-
be

Fließt, wie der Seraphim Auge, das bey Erblickung der
Tugend

Voller Entzuͤckungen weint, von ſuͤſſen Empfindungen
uͤber!

Tochter des goͤttlichen Hauchs, vertraulichſte Schweſter
der Seele,

Die in ihrer unſchuldigen Jugend einſt Adam belebte,

Komm, wir fuͤhren dich itzt zu deinem Vertrauten, dem
Koͤrper,

Den die Natur ſchoͤn bildet, damit du im Laͤcheln, o
Seele,
Dein
[124]Der Meſſias.

Dein holdſeliges Weſen vom heitern Angeſicht redeſt.

Ja er wird ſchoͤn ſeyn, und deinem Leibe, Meſſias, glei-
chen,

Den nun bald der goͤttliche Geiſt zum ſchoͤnſten der Men-
ſchen

Bilden wird, zum ſchoͤnſten vor allen Kindern von
Adam.

Ach daß dieſes dein zartes Gebaͤu in Staub hin ſich le-
gen

Und verweſen muß! Aber dich wird bey den Todten dein
Salem

Suchen und auferwecken, und wenn du erwacht biſt, ver-
klaͤren!

Herrlich nach himmliſcher Bildung mit neuer Schoͤnheit
umkraͤnzet,

Wird er dich hoch in kommenden Wolken, du Richter der
Menſchen,

Deinem Meſſias entgegen, zu ſeinen Umarmungen fuͤh-
ren.

Alſo ſang von meinem Johannes die himmliſche Ju-
gend.

Salem ſagt es, und ſchwieg. Er und die Seraphim
blieben

Um Johannes herum, voll ſuͤſſer Zaͤrtlichkeit, ſtehen.

Alſo ſtehen drey Bruͤder um eine geliebteſte Schweſter

Zaͤrtlich herum, wenn ſie auf weich verbreiteten Raſen

Unbeſorgt ſchlaͤft, und in bluͤhender Jugend Unſterbli-
chen gleichet.

Ach ſie weis es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater

Seiner Tugenden Ende ſich naht. Jhr dieſes zu ſagen,
Kamen
[125]Dritter Geſang.

Kamen die Bruͤder; allein ſie ſahen ſie ſchlummern, und
ſchwiegen.

Unterdeß ſchliefen die uͤbrigen Juͤnger vom Kummer
ermuͤdet

An den Hoͤhen des Oelberges ein. Der unter dem
Oelbaum,

Wo er ſein en bedeckenden Arm am tiefſten herabließ;

Jener im Thal, das ſich bey kleinen Huͤgeln verſenkte;

Dieſer am Fuſſe der himmliſchen Ceder, die hoch und er-
haben

Stand, und mit leiſem Geraͤuſch vom ſtillen waldigten
Wipfel

Schlummer und Thau auf die Ruhenden traͤufte. Viel
ſchliefen im Grabmal,

Welches die Kinder der moͤrdriſchen Stadt den Prophe-
ten erbauten.

Petrus und Jakobus bey des hohen Heſekiels Denk-
mal,

Wo er auf dem Marmor mit ernſtem entzuͤckten Geſichte

Stand, und um ſich herum erwachende Todten er-
blickte.

Judas Jſcharioth war, nicht weit vom ſtillen Lebbaͤus,

Der ſein Verwandter und Freund war, aus Ungeduld
eingeſchlafen.

Aber Satan, der ſeitwaͤrts in einer verborgenen Hoͤle

Alles, was die Engel von ihren Juͤngern erzaͤhlten,

Angehoͤrt hatte, brach zuͤrnend hervor, und ließ voll Ge-
danken

Zum Verderben erhitzt, ſich bey Jſcharioth nieder.

Alſo naht ſich die Peſt im mitternaͤchtlichen Stunden.
Schlum-
[126]Der Meſſias.

Schlummernden Staͤdten. Der Tod liegt auf ihren
verbreiteten Fluͤgeln

An den Mauern, und hauchet um ſich verderbende
Duͤnſte.

Jtzo liegen die Staͤdte noch ruhig: Bey naͤchtlicher
Lampe

Wacht noch der Weiſe; noch unterreden ſich goͤttliche
Freunde

Unter den Roſen des Fruͤhlings beym unentheiligten
Weine

Von der unſterblichen Dauer der Seelen und ihrer
Freundſchaft:

Aber bald wird ſich der furchtbare Tod am Tage des
Jammers

Ueber ſie breiten, am Tage der Quaal und des ſterbenden
Winſelns,

Wo mit gerungenen Haͤnden die Braut um den Braͤutigam
jammert;

Wo nun aller Kinder beraubt die verzweifelnde Mutter

Wuͤtend dem Tag, an dem ſie gebahr und geboren ward,
fluchet;

Wo mit tiefen verfallenen Augen die Todtengraͤber

Durch die Leichname wandeln bis hoch vom truͤben
Olympus

Mit tiefſinniger Stirn der Todesengel herabſteigt,

Und ſich umſieht, und alles veroͤdet und ſtill und einſam

Sieht, und auf den Graͤbern voll ernſter Betrachtungen
ſtehn bleibt.

Alſo kam uͤber Jſcharioth Satan zum nahen Verderben,

Und ließ einen verfuͤhrenden Traum in ſein offnes Ge-
hirne.
Schnell
[127]Dritter Geſang.

Schnell empoͤrt er ſein klopfendes Herz zu Begierden der
Bosheit;

Senkte zuerſt empfundne Gedanken, voll Feuer und
ſtuͤrmend,

Jn die Seele. So wie ſich ein Donner in ſchweflichte
Berge

Himmelab ſtuͤrzt, ſie entzuͤndt, neue Donner zu ſich
verſammelt,

Dann durch die Tiefen, nunmehr ein ganzes Gewitter, ſich
fortwaͤlzt.

Denn der Seraphim hohes Geheimniß, den Seelen der
Menſchen

Edle Gedanken, der Ewigkeit wuͤrdige groſſe Gedanken

Einzugeben, war Satan zu ſeiner groͤſſern Verdammniß

Annoch bekannt. Zwar kam aus treuer ſorgſamer
Ahndung

Seraph Jthuriel wieder zuruͤck, bey dem Juͤnger zu blei-
ben.

Aber da er wahrnahm, wie uͤber Jſcharioth Satan

Sich verbreitete, bebt er und ſtand, und ſahe zu GOtt
auf,

Und entſchloß ſich, vom Schlaf Jſcharioth aufzuwecken.

Dreymal ſchwebt er auf Fluͤgeln des Sturms durch
brauſende Cedern

Ueber ſein Angeſicht hin, gieng dreymal mit maͤchtigen
Schritten,

Bey dem Juͤnger vorbey, daß des Bergs Haupt unter
ihm bebte.

Aber Jſcharioth blieb mit kalten erblaſſenden Wangen,

Wie in toͤdtlichem Schlummer. Der Seraph gieng ſeit-
waͤrts, und ſeufzte.
Jndem
[128]Der Meſſias.

Jndem erſchien dem Juͤnger im Traume ſein Vater und
ſah ihn

Mit der Mine, mit der er den Geiſt voll Seelenangſt
ausblies,

Und noch mit ſterbendem Ton von des Reichthums Se-
ligkeit ſeufzte,

Troſtlos und ſorgenvoll an, und ſprach mit bebender
Stimme:

Und du ſchlaͤfft, Jſcharioth, hier unbekuͤmmert und
ruhig?

Und entfernſt dich ſo lange von JEſu, als wenn du nicht
wuͤßteſt,

Daß er dich haßt, und die uͤbrigen Juͤnger dir insgeſammt
vorzieht!

Warum biſt du nicht immer bey ihm, und um ihn zuge-
gen?

Warum ſucheſt du nicht von neuem ſein Herz zu gewin-
nen?

Wem uͤberließ, Jſcharioth, dich dein ſterbender Vater!

GOtt! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem
Verbrechen

Hats mein Geſchlecht verdient, daß ich aus dem Reiche
der Schatten

Kommen, und um Jſcharioth hier und ſein trauriges
Schickſal

Weinen muß? Ach meynſt du, du werdeſt im Reiche des
Mittlers,

Das er errichten wird, gluͤcklicher ſeyn: ſo betruͤgſt du
dich, Aermſter,

Kenneſt du nicht Petrum, kennſt du die Zebedaͤiden,
Dieſe
[129]Dritter Geſang.

Dieſe geliebteſten Juͤnger nicht mehr? Die ſind es, die
werden

Groͤſſer, als du, und herrlicher ſeyn! die werden bey
JEſu

Schaͤtze, wie Stroͤme, zu ſich von des Landes Milde ver-
ſammeln.

Auch die uͤbrigen werden ein viel gluͤckſeliger Erbtheil,

Als du, verlgſſener Sohn! von ihrem Meſſias empfan-
gen.

Komm, ich will dir ihr Reich in ſeiner Herrlichkeit zeigen.

Steig auf dieſen Berg! Wanke nicht, Sohn! es iſt ein-
mal dein Schickſal!

Sieheſt du dort vor uns das unendliche breite Gebirge,

Welches ins fruchtbare Thal verlaͤngerte Schatten hinab-
ſtreckt?

Hier wird unaufhoͤrlich, wie aus Ophiriſchen Jnſeln,

Gold ausgegraben! hier triefet das Thal, durch ſelige
Jahre

Reich und unerſchoͤpflich, vom Ueberfluſſe des Segens.

Dies iſt des auserwaͤhlten Johannes geſegnetes Erbe.

Jene mit hohen Traubengelendern umhangenen Huͤgel,

Dieſe von wallendem Korn weit uͤberflieſſenden Auen

Sind dem geliebteſten Petrus von ſeinem Meſſias gege-
ben,

Siehſt du den ganzen Reichthum des Landes? Wie hier
ſich die Staͤdte,

Gleich der Koͤnigstochter, Jeruſalem, unter der Sonne

Glaͤnzend und hoch, voll unzaͤhlbarer Menſchen im Thale
verbreiten!

Wie ſich neue Jordane dort, die Staͤdte zu waͤſſern,

Unter der Umwoͤlbung der hohen Mauren dahinziehn?

Gaͤrten, gleich dem befruchteten Eden, umſchatten den
Goldſand

Jhrer Geſtade. Dies ſind die Koͤnigreiche der Juͤnger.

Aber erblickſt du, Jſcharioth, auch in jener Entfernung

Dieſes kleine gebirgigte Land? Da liegt es veroͤdet

Wild, unbewohnt und ſteinigt mit duͤrren Gehoͤlzen
durchwachſen.
JAuf
[130]Der Meſſias.

Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,

Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren
Tiefen,

Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft ver-
dammet,

Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durch-
irren.

Dieſes iſt dein Erbtheil. Wir werden, verachteter Juͤn-
ger,

Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne

Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich
merken!

Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne!

Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤ-
nen,

Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt
dir nicht beyſtehſt!

Hoͤre mich an! Jch ſchlieſſe dir ganz mein vaͤterlich Herz
auf.

Siehe, der Meſſias verzieht mit ſeiner Erloͤſung,

Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten ver-
heiſſen.

Nichts iſt den Groſſen in Juda verhaßter, als dieſes Reich
JEſu!

Taͤglich ſinnen ſie ihm den Tod aus. Verſtelle dich,
Juda.

Thu, als wollteſt du ihn in die Hand der wartenden
Prieſter

Ueberliefern; nicht Rache zu uͤben, weil er dich haſſet,

Das ſey ferne von dir! er wuͤrd ihr ſpotten, und immer

Unuͤberwindlich dem Arm der Widerſacher entrinnen:

Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er ſich
endlich

Jhrer Verfolgungen uͤberdruͤſſig und furchtbarer zei-
ge.

Und, ſie mit Schande, Beſtuͤrzung und Schmach zu Bo-
den zu ſchlagen,

Sein ſo lang erwartetes Reich auf einmal errichte.
Alsdann
[131]Dritter Geſang.

Alsdann waͤrſt du ein Juͤnger von einem gefuͤrchteten
Meiſter!

Alsdan wuͤrdeſt du auch dein Erbtheil fruͤher erlangen!

Jſt es gleich klein; ſo kannſt du es doch, erlangſt dus nur
fruͤhe,

Endlich mit unermuͤdendem Fleiß, mit Wachen und Ar-
beit,

Durch Anbauung und Handeln bereichern, damit es der
andern

Groſſen geſegnetem Erbe, wiewol von ferne nur, glei-
che.

Hierzu fuͤllen gewis, fuͤr die Ueberlieferung JEſu,

Dir die dankbaren Prieſter mit ihrem Reichthum die
Haͤnde.

Dies iſt der Nath, den dir |dein bekuͤmmerter Vater er-
theilet.

Schaue mich an! Jſt dies nicht mein blaſſes erſtorbenes
Antlitz!

Ja, aus dem Reiche der Schatten, da deinentwegen noch
zaͤrtlich,

Komm ich hieher! Ein Engel des Lichts, der war wohl
dein Schutzgeiſt,

Leitete mich zu dir, da zeigt ich dir dieſes im Traume.

Doch du erwacheſt. Verachte nicht, Sohn, die ermah-
nende Stimme

Deines Vaters, und laß mich nicht traurig in meine
Behauſung

Unter die Seelen der Todten mit Herzeleid wiederkehren.

Satan richtete ſich, nach Vollendung ſeiner Geſichte

Ueber ihm auf. So richtet ſich hoch ein olympiſcher Berg
auf,

Welcher ein Thal war, wenn Thaͤler um ihn, bey Er-
ſchuͤttrung der Erde,

Mit unermeslichem ſinkenden Schritt in die Tiefe ſich
ſtuͤrzen.

Judas erwacht und ſprang ungeſtuͤm auf. Ja, ſie war
es, die Stimme
J 2Meines
[132]Der Meſſias.

Meines verſtorbenen Vaters, ſo redt er, ſo ſah ich ih
ſterben!

Alſo iſt es gewiß, man haßt mich! Selbſt unter den Todten

Jſt es bekannt; was du immer voll Furcht, und zitternd
vermuthet

Armer Verlasner, das melden dir itzt die Seelen der
Todten?

Nun wohlan! ſo will ich denn hingehn, und alles vollen-
den,

Was dies hohe Geſicht mir befahl! Doch ſo handl ich ja
untreu

An dem Meſſias! Entfleuch, zu furchtſamer kleiner Ge-
danke!

Meinem Vater befahl es ein Geiſt; unfehlbar befahl es

GOtt dem Geiſte! ſo thu ich, was GOtt will; ſo hand|
ich nicht untreu!

Was ich thue, geſchieht ſelbſt zur Verherrlichung JEſu!

Aber ich fuͤhle ja bey mir nach Reichthum heiſſe Begierden!

Heiſſe Begierden nach Rache! Was biſt du, Seele, ſo
zaͤrtlich,

Und ſo empfindlich mit ſchwachen Gedanken dich aͤngſtlich
zu quaͤlen?

GOtt ſchickt Geſichte; die hohen Geſichte befehlen die Rache;

Wenn ſie der Ewige will, ſo iſt die Rache geheiligt!

Satan hoͤrt ihn, den GOttes Gerichte von ferne ſchon
trafen,

Weil er die Unſchuld der Seele vorher entheiliget hatte,

Alſo reden. Er ſtand, und ſah mit ſchweigendem Stolze

Und mit grimmen Geberden auf ihn triumphirend herun-
ter:

Alſo ſieht ein gefuͤrchteter Fels vom hohen Olympus

Jn das gebirgigte Meer aufſchwimmende Leichname
nieder!

Aber bald wird ihn der Donner faſſen; bald wird er
zertruͤmmert

Tief im Meer ein Thal ſeyn, und liegen; ihn werden die
Jnſeln
Fallen
[133]Dritter Geſang.

Fallen ſehn, und ringsum dem raͤchenden Donner zu-
jauchzen.

Satan verließ den Oelberg, und gieng mit erhabenen
Schritten

Ueber Jeruſalem hin, und ſucht in ſtillen Pallaͤſten

Kaiphas auf, den Feind und Hohenprieſter der Gott-
heit,

Ueber ſein boshaftes Herz noch viel boshaftre Gedanken

Auszugieſſen, und ihn mit dunkeln Geſichten zu taͤuſchen.

Judas Jſcharioth blieb noch, in irre Gedanken vertiefet,

Auf dem Gebirge. Der Morgen gieng itzt der ſchlum-
mernden Welt auf.

JEſus erwachte, Johannes mit ihm. Sie giengen zu-
ſammen

Auf den Oelberg, und fanden daſelbſt die Juͤnger noch
ſchlafend.

JEſus ergriff den frommen Lebbaͤus bey ſinkenden
Haͤnden,

Und ſprach, als er erwachte, zu ihm: Da bin ich, und
lebe,

Frommer Lebbaͤus! Der Juͤnger ſprang auf, umarmt ihn
mit Thraͤnen,

Lief, und weckte die uͤbrigen Juͤnger, und brachte ſie
JEſu,

Als ſie ihn ringsum vertraulich umgaben, ſo ſprach er zu
ihnen:

Komm, du heilige Schaar, wir wollen uns unter ein-
ander

Dieſen noch uͤbrigen Tag vor dem Abſchiedskuſſe vergnuͤ-
gen!

Komm, itzt ſtehet uns Saron noch offen, itzt thaut noch
der Himmel

Ueber uns, aus des Morgens Gewoͤlk, in die Segens-
gefilde

Jtzt laͤßt die himmliſche Ceder, von meinem Vater erzogen,

Auf uns noch kuͤhlende Schatten herab. Noch ſeh ich den
Menſchen
J 3Von
[134]Der Meſſias.

Von ſo goͤttlicher Bildung bey meinen Unſterblichen
wandeln!

Aber bald wird dies gar nicht mehr ſeyn! Bald wird ſich
der Himmel

Dunkel mit ſchreckenden Wolken umziehn! Bald werden
die Tiefen

Ungeſtuͤm erzittern, und dieſe Gefilde voll Segen,

Dieſe geliebten Gefilde verwuͤſten! Bald werden die
Menſchen

Moͤrderiſch mich anſehn! Bald werdet ihr alle mich flie-
hen!

Weine nicht, Petrus, und du, mein zaͤrtlich bekuͤmmerter
Juͤnger,

Weine du nicht! wenn der Braͤutgam noch da iſt, ſo
weinet die Braut nicht.

Ach! ihr werdet mich wieder erblicken, ihr werdet mich
ſehen,

Wie bey erwachenden Todten die Mutter ein theurer
Sohn ſehn wird.

Dieſes ſagt er, und ſtand mit goͤttlich erheitertem Ant-
litz

Unter ihnen; allein in ſeinem Herzen empfand er

Jnnerlich Seelenangſt und der Erloͤſung erhabene Leiden.

Alſo gieng er, und wurde von allen vertraulich be-
gleitet;

Nur von Jſcharioth nicht. Der hatt ihn unter den
Schatten

Waldigter Wipfel von ferne gehoͤrt. So weis ers ja
ſelbſt ſchon,

Sagt er vor ſich, da er JEſu im weggehn von ferne
noch nachſah,

Daß ihm ein Tag der Verfolgung bevorſteht; ſo wird ers
auch wiſſen,

Wie er ſeinen Verfolgern begegnen, und unuͤberwind-
lich

Seine Verherrlichung endigen ſoll. Doch ſieht er auch
Juda,
Dich
[135]Dritter Geſang.

Dich, als ſeinen Gehuͤlfen auf dieſem erhabenen Schau-
platz?

Weis er dein Unternehmen auch ſchon? Du willſt ihn
verrathen!

Ach wie ſind vor dem ſterblichen Auge des Ewigen Wege

Wunderbar! Wie unerforſchlich iſt GOtt in ſeinen Ge-
richten?

Meinen Meßias, den ſoll ich, zu ſeiner Erhoͤhung ver-
rathen?

Aber, wenn mein Geſicht mich nun taͤuſcht? Wenn mein
Traum mich betrieget?

Taͤuſcht mich mein Traum; ſchickt der Ewge Geſichte, die
Menſchen zu quaͤlen:

So ſey die Stunde verflucht, in der ich unmuthsvoll ein-
ſchlief,

Jn der uͤber mein Haupt des Vaters Schatten herab
kam!

Jn ihr muͤſſe man auf den Gebirgen ein ſterbendes Win-
ſeln

Hoͤren! Ein ſterbendes Winſeln in tiefen verfallenen Graͤ-
bern

Muͤſſe man hoͤren! Verflucht ſey der Ort, wo ich lag und
einſchlief!

Allda muͤß ein entſetzlicher Sohn den Vater erwuͤr-
gen!

Allda flieſſe das Blut von meinem geliebteſten Freun-
de,

Wenn er verzweifelnd mit eignen Haͤnden daſelbſt ſich er-
erwuͤrgt hat!

Juda, wohin verirreſt du dich? Ja wohin! Was zuͤrnſt
du

Ueber dich ſelbſt? Du verirreſt dich nicht, wenn du alſo
getaͤuſcht wirſt!

Lehrt mich ein goͤttlich Geſicht den hohen Meſſias verra-
then,

Und ich ſuͤndige dran: ſo ſeyſt du, unter den Tagen

Schrecklichſter Tag, auch verflucht! da mich der Meſſias
erwaͤhlte,
Da
[136]Der Meſſias.

Da er voll Liebe mit holden einnehmenden Blicken mir
ſagte:

Folge mir nach! Du muͤßeſt umwoͤlkt und dunkel und
Nacht ſeyn;

An dir muͤſſe die Peſt in Finſterniſſen herumgehn!

An dir muͤßen verderbende Seuchen im Mittage toͤdten!

Dich, Tag, nenne kein Menſch! GOtt vergeſſe dich unter
den Tagen;

Ach! wie wird mir ſo angſt! mir zittern alle Gebeine!

Juda, wo biſt du? erwache! ſey ſtark! Was quaͤlſt du
dich, Aermſter?

GOttes Geſichte betriegen dich nicht! Der Tag ſey ge-
ſegnet!

Wenn der Meſſias durch dich ein neues Koͤnigreich an-
faͤngt.

Alſo ſagt er. Jndem war er, ſeit dem unſelgen Ge-
ſichte,

Zwo erſchreckliche Stunden der Ewigkeit naͤher gekom-
men.

Appendix A Druckfehler.

S. 15. Z. 12. lies kam ſtat kaum.



[[137]][[138]][[139]][[140]][[141]]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Der Messias. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmnm.0