Nebſt Abhandlungen mit dieſer Dichtungsart
verwandten Inhalts.
bey Chriſtian Friedrich Voß1759.
[][[I]]
Vorrede.
Ich warf, vor Jahr und Tag, einen
kritiſchen Blick auf meine Schriften.
Ich hatte ihrer lange genug vergeſſen, um
ſie völlig als fremde Geburten betrachten zu
können. Ich fand, daß man noch lange
nicht ſo viel Böſes davon geſagt habe, als
man wohl ſagen könnte, und beſchloß, in
dem erſten Unwillen, ſie ganz zu verwerfen.
*Viel
[II]
Viel Ueberwindung hätte mich die Aus-
führung dieſes Entſchluſſes gewiß nicht ge-
koſtet. Ich hatte meine Schriften nie der
Mühe werth geachtet, ſie gegen irgend je-
manden zu vertheidigen; ſo ein leichtes und
gutes Spiel mir auch oft der allzuelende An-
griff dieſer und jener, würde gemacht haben.
Dazu kam noch das Gefühl, daß ich itzt
meine jugendlichen Vergehungen durch beſ-
ſere Dinge gut machen, und endlich wohl
gar in Vergeſſenheit bringen könnte.
Doch indem fielen mir ſo viel freund-
ſchaftliche Leſer ein. — Soll ich ſelbſt Ge-
legenheit geben, daß man ihnen vorwerffen
kann,
[III] kann, ihren Beyfall an etwas ganz Unwür-
diges verſchwendet zu haben? Ihre nach-
ſichtsvolle Aufmunterung erwartet von mir
ein anderes Betragen. Sie erwartet, und
ſie verdienet, daß ich mich beſtrebe, ſie,
wenigſtens nach der Hand, Recht haben
zu laſſen; daß ich ſo viel Gutes nunmehr
wirklich in meine Schriften ſo glücklich hin-
einlege, daß ſie es in voraus darinn be-
merkt zu haben ſcheinen können. — Und
ſo nahm ich mir vor, was ich erſt ver-
werffen wollte, lieber ſo viel als möglich
zu verbeſſern. — Welche Arbeit! —
* 2Ich
[IV]
Ich hatte mich bey keiner Gattung von
Gedichten länger verweilet, als bey der
Fabel. Es gefiel mir auf dieſem gemein-
ſchaftlichen Raine der Poeſie und Moral.
Ich hatte die alten und neuen Fabuliſten
ſo ziemlich alle, und die beſten von ihnen
mehr als einmal geleſen. Ich hatte über
die Theorie der Fabel nachgedacht. Ich
hatte mich oft gewundert, daß die grade
auf die Wahrheit führende Bahn des Aeſo-
pus, von den Neuern, für die blumenrei-
chern Abwege der ſchwatzhaften Gabe zu
erzehlen, ſo ſehr verlaſſen werde. Ich
hatte eine Menge Verſuche in der einfälti-
gen
[V] gen Art des alten Phrygiers gemacht. —
Kurz ich glaubte mich in dieſem Fache ſo
reich, daß ich, vors erſte meinen Fabeln,
mit leichter Mühe, eine neue Geſtalt geben
könnte.
Ich griff zum Werke. — Wie ſehr ich
mich aber wegen der leichten Mühe geirret
hatte, das weis ich ſelbſt am beſten. An-
merkungen, die man während dem Stu-
dieren macht, und nur aus Mißtrauen in
ſein Gedächtniß auf das Papier wirft; Ge-
danken, die man ſich nur zu haben be-
gnügt, ohne ihnen durch den Ausdruck die
nöthige Präciſion zu geben; Verſuchen,
* 3die
[VI] die man nur zu ſeiner Uebung waget, — —
fehlet noch ſehr viel zu einem Buche.
Was nun endlich für eines daraus gewor-
den; — hier iſt es!
Man wird nicht mehr als ſechſe von
meinen alten Fabeln darinn finden; die
ſechs proſaiſchen nehmlich, die mir der
Erhaltung am wenigſten unwerth ſchienen.
Die übrigen gereimten mögen auf eine an-
dere Stelle warten. Wenn es nicht gar
zu ſonderbar gelaſſen hätte, ſo würde ich
ſie in Proſa aufgelöſet haben.
Ohne übrigens eigentlich den Geſichts-
punct, aus welchem ich am liebſten be-
trach-
[VII] trachtet zu ſeyn wünſchte, vorzuſchreiben,
erſuche ich bloß meinen Leſer, die Fabeln
nicht ohne die Abhandlungen zu beur-
theilen. Denn ob ich gleich weder dieſe
jenen, noch jene dieſen zum Beſten ge-
ſchrieben habe; ſo entlehnen doch beyde, als
Dinge, die zu Einer Zeit in Einem Kopfe
entſprungen, allzuviel von einander, als
daß ſie einzeln und abgeſondert noch eben
dieſelben bleiben könnten. Sollte er auch
ſchon dabey entdecken, daß meine Regeln
mit meiner Ausübung nicht allezeit über-
einſtimmen: was iſt es mehr? Er weiß
von ſelbſt, daß das Genie ſeinen Eigen-
* 4ſinn
[VIII] ſinn hat; daß es den Regeln ſelten mit
Vorſatz folget; und daß dieſe ſeine wollü-
ſtigen Auswüchſe zwar beſchneiden, aber
nicht hemmen ſollen. Er prüfe alſo in
den Fabeln ſeinen Geſchmack, und in den
Abhandlungen meine Gründe. —
Ich wäre Willens mit allen übrigen Ab-
theilungen meiner Schriften, nach und
nach, auf gleiche Weiſe zu verfahren. An
Vorrath würde es mir auch nicht fehlen,
den unnützen Abgang dabey zu erſetzen.
Aber an Zeit, an Ruhe — — Nichts
weiter! Dieſes Aber gehöret in keine Vor-
rede; und das Publicum danket es ſelten
einem
[IX] einem Schriftſteller, wenn er es auch in
ſolchen Dingen zu ſeinem Vertrauten zu
machen gedenkt. — So lange der Virtuo-
ſe Anſchläge faſſet, Ideen ſammlet, wäh-
let, ordnet, in Plane vertheilet: ſo lange
genießt er die ſich ſelbſt belohnenden Wol-
lüſte der Empfängniß. Aber ſo bald er
einen Schritt weiter gehet, und Hand an-
leget, ſeine Schöpfung auch auſſer ſich dar-
zuſtellen: ſogleich fangen die Schmerzen
der Geburt an, welchen er ſich ſelten ohne
alle Aufmunterung unterziehet. —
Eine Vorrede ſollte nichts enthalten,
als die Geſchichte des Buchs. Die Ge-
ſchichte
[X] ſchichte des meinigen war bald erzehlt, und
ich müßte hier ſchlieſſen. Allein, da ich
die Gelegenheit mit meinen Leſern zu ſpre-
chen, ſo ſelten ergreiffe, ſo erlaube man
mir, ſie einmal zu mißbrauchen. — Ich
bin gezwungen mich über einen bekannten
Scribenten zu beklagen. Herr Duſch hat
mich durch ſeine bevollmächtigte Freunde,
ſeit geraumer Zeit, auf eine ſehr nichts-
würdige Art mißhandeln laſſen. Ich mei-
ne mich, den Menſchen; denn daß es ſei-
ner ſiegreichen Critik gefallen hat, mich,
den Schriftſteller, in die Pfanne zu hauen,
das würde ich mit keinem Worte rügen.
Die
[XI] Die Urſache ſeiner Erbitterung ſind ver-
ſchiedene Critiken, die man in der Biblio-
thek der ſchönen Wiſſenſchaften, und
in den Briefen die neueſte Litteratur
betreffend, über ſeine Werke gemacht hat,
und Er auf meine Rechnung ſchreibet.
Ich habe ihn ſchon öffentlich von dem Ge-
gentheile verſichern laſſen; die Verfaſſer
der Bibliothek ſind auch nunmehr genug-
ſam bekannt; und wenn dieſe, wie er ſelbſt
behauptet, zugleich die Verfaſſer der Brie-
fe ſind: ſo kann ich gar nicht begreiffen,
warum er ſeinen Zorn an mir ausläßt.
Vielleicht aber muß ein ehrlicher Mann,
wie
[XII] wie Er, wenn es ihn nicht tödten ſoll, ſich
ſeiner Galle gegen einen Unſchuldigen ent-
laden; und in dieſem Falle ſtehe ich ſeiner
Kunſtrichterey, und dem Aberwitze ſeiner
Freunde und ſeiner Freundinnen, gar gern
noch ferner zu Dienſten, und wiederrufe
meine Klage.
Fabeln.
Fabeln.
Erſtes Buch.
[[2]][[3]]
I.
Die Erſcheinung.
In der einſamſten Tiefe jenes Waldes,
wo ich ſchon manches redende Thier be-
lauſcht, lag ich an einem ſanften Waſ-
ſerfalle und war bemüht, einem meiner Mährchen
den leichten poetiſchen Schmuck zu geben, in wel-
chem am liebſten zu erſcheinen, la Fontaine die
Fabel faſt verwöhnt hat. Ich ſann, ich wehlte,
ich verwarf, die Stirne glühte — — Umſonſt, es
kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill ſprang ich
auf; aber ſieh! — auf einmal ſtand ſie ſelbſt, die
fabelnde Muſe vor mir.
Und ſie ſprach lächelnd: Schüler, wozu dieſe
undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die An-
muth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die
A 2Anmuth
[4] Anmuth der Harmonie? Du willſt das Gewürze
würzen. Gnug, wenn die Erfindung des Dich-
ters iſt; der Vortrag ſey des ungekünſtelten Ge-
ſchichtſchreibers, ſo wie der Sinn des Weltweiſen.
Ich wollte antworten, aber die Muſe verſchwand.
„Sie verſchwand? höre ich einen Leſer fragen.
„Wenn du uns doch nur wahrſcheinlicher täuſchen
„wollteſt! Die ſeichten Schlüſſe, auf die dein Un-
„vermögen dich führte, der Muſe in den Mund zu
„legen! Zwar ein gewöhnlicher Betrug —
Vortreflich, mein Leſer! Mir iſt keine Muſe er-
ſchienen. Ich erzehlte eine bloſſe Fabel, aus der
du ſelbſt die Lehre gezogen. Ich bin nicht der erſte
und werde nicht der letzte ſeyn, der ſeine Grillen
zu Orakelſprüchen einer göttlichen Erſcheinung
macht.
II. Der
[5]
II.
Der Hamſter und die Ameiſe.
Ihr armſeligen Ameiſen, ſagte ein Hamſter.
Verlohnt es ſich der Mühe, daß ihr den ganzen
Sommer arbeitet, um ein ſo weniges einzuſam-
meln? Wenn ihr meinen Vorrath ſehen ſoll-
tet! — —
Höre, antwortete eine Ameiſe, wenn er gröſſer
iſt, als du ihn brauchſt, ſo iſt es ſchon recht, daß
die Menſchen dir nachgraben, deine Scheuren
ausleeren, und dich deinen räubriſchen Geitz mit
dem Leben buſſen laſſen!
A 3III. Der
[6]
III.
Der Löwe und der Haſe.
Ein Löwe würdigte einen drolligten Haſen ſeiner
nähern Bekanntſchaft. Aber iſt es denn wahr,
fragte ihn einſt der Haſe, daß euch Löwen ein elen-
der krähender Hahn ſo leicht verjagen kann?
Allerdings iſt es wahr, antwortete der Löwe;
und es iſt eine allgemeine Anmerkung, daß wir
groſſe Thiere durchgängig eine gewiſſe kleine
Schwachheit an uns haben. So wirſt du, zum
Exempel, von dem Elephanten gehört haben, daß
ihm das Grunzen eines Schweins Schauder und
Entſetzen erwecket. —
Wahrhaftig? unterbrach ihn der Haſe. Ja,
nun begreif ich auch, warum wir Haſen uns ſo
entſetzlich vor den Hunden furchten.
IV. Der
[7]
IV.
Der Eſel und das Jagdpferd.
Ein Eſel vermaß ſich, mit einem Jagdpferde um
die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich
aus, und der Eſel ward ausgelacht. Ich merke
nun wohl, ſagte der Eſel, woran es gelegen hat;
ich trat mir vor einigen Monaten einen Dorn in
den Fuß, und der ſchmerzt mich noch.
Entſchuldigen Sie mich, ſagte der Kanzelredner
Liederhold, wenn meine heutige Predigt ſo
gründlich und erbaulich nicht geweſen, als man ſie
von dem glücklichen Nachahmer eines Mosheims
erwartet hätte; ich habe, wie Sie hören, einen
heiſchern Hals, und den ſchon ſeit acht Tagen.
A 4V. Zevs
[8]
V.
Zevs und das Pferd.
Vater der Thiere und Menſchen, ſo ſprach das
Pferd und nahte ſich dem Throne des Zevs, man
will, ich ſey eines der ſchönſten Geſchöpfe, womit
du die Welt gezieret, und meine Eigenliebe heißt
mich es glauben. Aber ſollte gleichwohl nicht noch
verſchiednes an mir zu beſſern ſeyn? —
Und was meinſt du denn, daß an dir zu beſſern
ſey? Rede; ich nehme Lehre an: ſprach der gute
Gott, und lächelte.
Vielleicht, ſprach das Pferd weiter, würde ich
flüchtiger ſeyn, wenn meine Beine höher und
ſchmächtiger wären; ein langer Schwanenhals
würde mich nicht verſtellen; eine breitre Bruſt wür-
de meine Stärke vermehren; und da du mich doch
einmal beſtimmt haſt, deinen Liebling, den Men-
ſchen zu tragen, ſo könnte mir ja wohl der Sattel
anerſchaffen ſeyn, den mir der wohlthätige Reiter
auflegt.
Gut
[9]
Gut, verſetzte Zevs; gedulde dich einen Augen-
blick! Zevs, mit ernſtem Geſichte, ſprach das Wort
der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da
verband ſich organiſirter Stoff; und plötzlich ſtand
vor dem Throne — das häßliche Kameel.
Das Pferd ſah, ſchauderte und zitterte vor ent-
ſetzendem Abſcheu.
Hier ſind höhere und ſchmächtigere Beine, ſprach
Zevs; hier iſt ein langer Schwanenhals; hier iſt
eine breitere Bruſt; hier iſt der anerſchaffene Sat-
tel! Willſt du, Pferd, daß ich dich ſo umbil-
den ſoll?
Das Pferd zitterte noch.
Geh, fuhr Zevs fort; dieſesmal ſey belehrt, ohne
beſtraft zu werden. Dich deiner Vermeſſenheit
aber dann und wann reuend zu erinnern, ſo daure
du fort, neues Geſchöpf — Zevs warf einen er-
haltenden Blick auf das Kameel — — und das
Pferd erblicke dich nie, ohne zu ſchaudern.
A 5VI. Der
[10]
VI.
Der Affe und der Fuchs.
Nenne mir ein ſo geſchicktes Thier, dem ich nicht
nachahmen könnte! ſo prahlte der Affe gegen den
Fuchs. Der Fuchs aber erwiederte: Und du,
nenne mir ein ſo geringſchätziges Thier, dem es
einfallen könnte, dir nachzuahmen.
Schriftſteller meiner Nation! — — Muß ich
mich noch deutlicher erklären?
VII. Die
[11]
VII.
Die Nachtigall und der Pfau.
Eine geſellige Nachtigall fand, unter den Säu-
gern des Waldes, Neider die Menge, aber keinen
Freund. Vielleicht finde ich ihn unter einer andern
Gattung, dachte ſie, und floh vertraulich zu dem
Pfaue herab.
Schöner Pfau! ich bewundere dich. — — „Ich
„dich auch, liebliche Nachtigall! — So laß uns
Freunde ſeyn, ſprach die Nachtigall weiter; wir
werden uns nicht beneiden dürfen; du biſt dem
Auge ſo angenehm, als ich dem Ohre.
Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde.
Kneller und Pope waren beſſere Freunde, als
Pope und Addiſon.
VIII. Der
[12]
VIII.
Der Wolf und der Schäfer.
Ein Schäfer hatte durch eine grauſame Seuche
ſeine ganze Heerde verloren. Das erfuhr der Wolf,
und kam ſeine Condolenz abzuſtatten.
Schäfer, ſprach er, iſt es wahr, daß dich ein ſo
grauſames Unglück betroffen? Du biſt um deine
ganze Heerde gekommen? Die liebe, fromme, fette
Heerde! Du tauerſt mich, und ich möchte blutige
Thränen weinen.
Habe Dank, Meiſter Iſegrim; verſetzte der
Schäfer. Ich ſehe, du haſt ein ſehr mitleidiges
Herz.
Das hat er auch wirklich, fügte des Schäfers
Hylax hinzu, ſo oft er unter dem Unglücke ſeines
Nächſten ſelbſt leidet.
IX. Das
[13]
IX.
Das Roß und der Stier.
Auf einem feurigen Roſſe floh ſtolz ein treuſter
Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem
Roſſe zu: Schande! von einem Knaben ließ ich
mich nicht regieren!
Aber ich; verſetzte das Roß. Denn was für
Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzu-
werfen?
X. Der
[14]
X.
Die Grille und die Nachtigall.
Ich verſichre dich, ſagte die Grille zu der Nachti-
gall, daß es meinem Geſange gar nicht an Be-
wundrern fehlt. — Nenne mir ſie doch, ſprach die
Nachtigall. — Die arbeitſamen Schnitter, ver-
ſetzte die Grille, hören mich mit vielem Vergnü-
gen, und daß dieſes die nützlichſten Leute in der
menſchlichen Republik ſind, das wirſt du doch nicht
leugnen wollen?
Das will ich nicht leugnen, ſagte die Nachtigall;
aber deswegen darfſt du auf ihren Beyfall nicht ſtolz
ſeyn. Ehrlichen Leuten, die alle ihre Gedanken
bey der Arbeit haben, müſſen ja wohl die feinern
Empfindungen fehlen. Bilde dir alſo ja nichts eher
auf dein Lied ein, als bis ihm der ſorgloſe Schäfer,
der ſelbſt auf ſeiner Flöte ſehr lieblich ſpielt, mit
ſtillem Entzücken lauſchet.
XI. Die
[15]
XI.
Die Nachtigall und der Habicht.
Ein Habicht ſchoß auf eine ſingende Nachtigall.
Da du ſo lieblich ſingſt, ſprach er, wie vortreflich
wirſt du ſchmecken!
War es höhniſche Bosheit, oder war es Einfalt,
was der Habicht ſagte? Ich weis nicht. Aber
geſtern hört ich ſagen: dieſes Frauenzimmer, das
ſo unvergleichlich dichtet, muß es nicht ein aller-
liebſtes Frauenzimmer ſeyn! Und das war gewiß
Einfalt!
XII. Der
[16]
XII.
Der kriegriſche Wolf.
Mein Vater, glorreichen Andenkens, ſagte
ein junger Wolf zu einem Fuchſe, das war ein
rechter Held! Wie fürchterlich hat er ſich nicht in
der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr
als zweyhundert Feinde, nach und nach, triumphirt,
und ihre ſchwarze Seelen in das Reich des Verder-
bens geſandt. Was Wunder alſo, daß er endlich
doch einem unterliegen mußte!
So würde ſich ein Leichenredner ausdrücken,
fagte der Fuchs; der trockene Geſchichtſchreiber aber
würde hinzuſetzen: die zweyhundert Feinde über die
er, nach und nach, triumphiret, waren Schafe
und Eſel; und der eine Feind, dem er unterlag,
war der erſte Stier, den er ſich anzufallen er-
kühnte.
XIII. Der
[17]
XIII.
Der Phönix.
Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phö-
nix, ſich wieder einmal ſehen zu laſſen. Er er-
ſchien, und alle Thiere und Vögel verſammelten
ſich um ihn. Sie gaften, ſie ſtaunten, ſie be-
wunderten und brachen in entzückendes Lob aus.
Bald aber verwandten die beſten und geſellig-
ſten mitleidsvoll ihre Blicke, und ſeufzten: Der
unglückliche Phönix! Ihm ward das harte Loos,
weder Geliebte noch Freund zu haben; denn er
iſt der einzige ſeiner Art!
BXIV. Die
[18]
XIV.
Die Gans.
Die Federn einer Gans beſchämten den neuge-
bohrnen Schnee. Stolz auf dieſes blendende Ge-
ſchenk der Natur, glaubte ſie eher zu einem Schwa-
ne, als zu dem was ſie war, gebohren zu ſeyn.
Sie ſonderte ſich von ihres gleichen ab, und
ſchwamm einſam und majeſtätiſch auf dem Teiche
herum. Bald dehnte ſie ihren Hals, deſſen ver-
rätheriſcher Kürze ſie mit aller Macht abhelfen woll-
te. Bald ſuchte ſie ihm die prächtige Bügung zu
geben, in welcher der Schwan das würdigſte An-
ſehen eines Vogels des Apollo hat. Doch verge-
bens; er war zu ſteif, und mit aller ihrer Bemü-
hung brachte ſie es nicht weiter, als daß ſie eine
lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu
werden.
XV. Die
[19]
XV.
Die Eiche und das Schwein.
Ein gefräſſiges Schwein mäſtete ſich, unter einer
hohen Eiche, mit der herabgefallenen Frucht. In-
dem es die eine Eichel zerbiß, verſchlucke es bereits
eine andere mit dem Auge.
Undankbares Vieh! rief endlich der Eichbaum
herab. Du nähreſt dich von meinen Früchten, ohne
einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe
zu richten.
Das Schwein hielt einen Augenblick inne, und
grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke
ſollten nicht auſſenbleiben, wenn ich nur wüßte,
daß du deine Eicheln meinetwegen hätteſt fallen
laſſen.
B 2XVI. Die
[20]
XVI.
Die Wespen.
Fäulniß und Verweſung zerſtörten das ſtolze Ge-
bäu eines kriegeriſchen Roſſes, das unter ſeinem
kühnen Reiter erſchoſſen worden. Die Ruinen des
einen braucht die allzeit wirkſame Natur, zu dem
Leben des andern. Und ſo floh auch ein Schwarm
junger Wespen aus dem beſchmeißten Aaſe hervor.
O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur-
ſprungs ſind wir! Das prächtigſte Roß, der Lieb-
ling Neptuns, iſt unſer Erzeuger!
Dieſe ſeltſame Prahlerey hörte der aufmerkſame
Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner,
die ſich nichts geringers als Abkömmlinge der alten
unſterblichen Römer zu ſeyn einbilden, weil ſie auf
ihren Gräbern gebohren worden.
XVII. Die
[21]
XVII.
Die Sperlinge.
Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzähli-
che Näſter gab, ward ausgebeſſert. Als ſie nun
in ihrem neuen Glanze da ſtand, kamen die Sper-
linge wieder, ihre alten Wohnungen zu ſuchen.
Allein ſie fanden ſie alle vermauert. Zu was,
ſchrieen ſie, taugt denn nun das groſſe Gebäude?
Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!
B 3XVIII. Der
[22]
XVIII.
Der Strauß.
Itzt will ich fliegen; rief der gigantiſche Strauß,
und das ganze Volk der Vögel ſtand in ernſter Er-
wartung um ihn verſammelt. Itzt will ich fliegen,
rief er nochmals; breitete die gewaltigen Fittige weit
aus, und ſchoß, gleich einem Schiffe mit aufgeſpann-
ten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit
einem Tritte zu verlieren.
Sehet da, ein poetiſches Bild jener unpoetiſchen
Köpfe, die in den erſten Zeilen ihrer ungeheuren
Oden, mit ſtolzen Schwingen prahlen, ſich über
Wolken und Sterne zu erheben drohen, und dem
Staube doch immer getreu bleiben!
XIX. Der
[23]
XIX.
Der Sperling und der Strauß.
Sey auf deine Gröſſe, auf deine Stärke ſo ſtolz
als du willſt: ſprach der Sperling zu dem Strauſſe.
Ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du
kannſt nicht fliegen; ich aber fliege, obgleich nicht
hoch, obgleich nur Ruckweiſe.
Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes,
eines kleinen verliebten Geſanges, iſt mehr ein Ge-
nie, als der ſchwungloſe Schreiber einer langen
Hermaniade.
B 4XX. Die
[24]
XX.
Die Hunde.
Wie ausgeartet iſt hier zu Lande unſer Geſchlecht!
ſagte ein gereiſter Budel. In dem fernen Welt-
theile, welches die Menſchen Indien nennen, da,
da giebt es noch rechte Hunde; Hunde, meine
Brüder — — ihr werdet mir es nicht glauben,
und doch habe ich es mit meinen Augen geſehen —
die auch einen Löwen nicht fürchten, und kühn mit
ihm anbinden.
Aber, fragte den Budel ein geſetzter Jagdhund,
überwinden ſie ihn denn auch, den Löwen?
Ueberwinden? war die Antwort. Das kann ich
nun eben nicht ſagen. Gleichwohl, bedenke nur,
einen Löwen anzufallen! — —
O, fuhr der Jagdhund fort, wenn ſie ihn nicht
überwinden, ſo ſind deine geprieſene Hunde in In-
dien — beſſer als wir, ſo viel wie nichts — aber
ein gut Theil dümmer.
XXI. Der
[26]
XXI.
Der Fuchs und der Storch.
Erzehle mir doch etwas von den fremden Laͤndern,
die du alle geſehen haſt, ſagte der Fuchs zu dem
weitgereiſten Storche.
Hierauf fing der Storch an, ihm jede Lache,
und jede feuchte Wieſe zu nennen, wo er die ſchmack-
hafteſten Wuͤrmer, und die fetteſten Froͤſche ge-
ſchmauſet.
Sie ſind lange in Paris geweſen, mein Herr.
Wo ſpeiſet man da am beſten? Was fuͤr Weine ha-
ben Sie da am meiſten nach ihrem Geſchmacke ge-
[funden]?
B 5XXII. Die
[26]
XXII.
Die Eule und der Schatzgraͤber.
Jener Schatzgraͤber war ein ſehr unbilliger Mann.
Er wagte ſich in die Ruinen eines alten Raub-
ſchloſses, und ward da gewahr, daß die Eule eine
magere Maus ergrif und verzehrt. Schickt ſich
das ſprach er, fuͤr den philoſophiſchen Liebling
Minervens?
Warum nicht? verſetzte die Eule. Weil ich ſtille
betrachtungen liebe, kann ich deswegen von der
Luft leben? Jch weis zwar wohl, daß ihr Men-
ſchen es von euren Gelehrten verlanget _ _
XXIII. Die
[27]
XXIII.
Die junge Schwalbe.
Was macht ihr da? fragte eine Schwalbe die ge-
ſchaͤftigen Ameiſen. Wir ſammeln Vorrath auf den
Winter; war die geſchwinde Antwort.
Das iſt klug, ſagte die Schwalbe; das will ich
auch thun. Und ſogleich fing ſie an, eine Menge
todter Spinnen und Fliegen in ihr Neſt zu tragen.
Aber wozu ſoll das? fragte endlich ihre Mutter.
„Wozu? Vorrath auf den boͤſen Winter, liebe
„Mutter; ſammle doch auch! Die Ameiſen haben
„mich dieſe Vorſicht gelehrt.‟
O laß den irrdiſchen Ameiſen dieſe kleine Klug-
heit, verſetzte die Alte; was ſich fuͤr ſie ſchickt, ſchickt
ſich nicht fuͤr beſsere Schwalben. Uns hat die guͤ-
tige Natur ein holdres Schickſal beſtimmt. Wenn
der reiche Sommer ſich endet, ziehen wir von hin-
nen; auf dieſer Reiſe entſchlafen wir allgemach, und
da empfangen uns warme Suͤmpfe, wo wir ohne
Beduͤrfniſſe raſten, bis uns ein neuer Fruͤhling zu
einem neuen Leben erwecket.
[28]
XXIV.
Merops.
Jch muß dich doch etwas fragen; ſprach ein jun-
ger Adler zu einem tiefſinnigen grundgelehrten Uhu.
Man ſagt, es gaͤbe einen Vogel, mit Namen Me-
rops,, der, wenn er in die Luft ſteige, mit dem
Schwanze voraus, den Kopf gegen die Erde ge-
kehret, fliege. Jſt das wahr?
Ey nicht doch! antwortete der Uhu; das iſt eine
alberne Erdichtung des Menſchen. Er mag ſelbſt
ein ſolcher Merops ſeyn; weil er nur gar zu gern
den Himmel erfliegen moͤchte, ohne die Erde, auch
nur einen Augenblick, aus dem Geſichte zu ver-
lieren.
XXV. Der[29]
XXV.
Der Pelekan.
Für wohlgerathene Kinder können Aeltern nicht
zu viel thun. Aber wenn ſich ein blöder Vater für
einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen
zapft; dann wird Liebe zur Thorheit.
Ein frommer Pelekan, da er ſeine Jungen
ſchmachten ſahe, ritzte ſich mit ſcharfem Schnabel
die Bruſt auf, und erquickte ſie mit ſeinem Blute.
Ich bewundere deine Zärtlichkeit, rief ihm ein Adler
zu, und bejammere deine Blindheit. Sieh doch,
wie manchen nichtswürdigen Guckuck du unter dei-
nen Jungen mit ausgebrütet haſt!
So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte
der kalte Guckuck ſeine Eyer untergeſchoben. —
Waren es undankbare Guckucke werth, daß ihr
Leben ſo theuer erkauft wurde?
XXVI. Die
[30]
XXVI.
Der Löwe und der Tieger.
Der Löwe und der Haſe, beyde ſchlafen mit offe-
nen Augen. Und ſo ſchlief jener, ermüdet von der
gewaltigen Jagd, einſt vor dem Eingange ſeiner
fürchterlichen Höhle.
Da ſprang ein Tieger vorbey, und lachte des
leichten Schlummers. „Der nichtsfürchtende Löwe!
„rief er. Schläft er nicht mit offenen Augen, na-
„türlich wie der Haſe!„
Wie der Haſe? brüllte der aufſpringende Löwe,
und war dem Spötter an der Gurgel. Der Tieger
wälzte ſich in ſeinem Blute, und der beruhigte
Sieger legte ſich wieder, zu ſchlafen.
XXVII. Der
[31]
XXVII.
Der Stier und der Hirſch.
Ein ſchwerfälliger Stier und ein flüchtiger Hirſch
weideten auf einer Wieſe zuſammen.
Hirſch, ſagte der Stier, wenn uns der Löwe an-
fallen ſollte, ſo laß uns für einen Mann ſtehen;
wir wollen ihn tapfer abweiſen. — Das muthe mir
nicht zu, erwiederte der Hirſch; denn warum ſollte
ich mich mit dem Löwen in ein ungleiches Gefecht
einlaſſen, da ich ihm ſichrer entlaufen kann?
XXVIII. Die
[32]
XXVIII.
Der Eſel und der Wolf.
Ein Eſel begegnete einem hungrigen Wolfe. Habe
Mitleiden mit mir, ſagte der zitternde Eſel; ich
bin ein armes krankes Thier; ſieh nur, was für
einen Dorn ich mir in den Fuß getreten habe! —
Wahrhaftig, du tauerſt mich; verſetzte der Wolf.
Und ich finde mich in meinem Gewiſſen verbunden,
dich von dieſen Schmerzen zu befreyen. —
Kaum war das Wort geſagt, ſo ward der Eſel
zerriſſen.
XXIX. Der
[33]
XXIX.
Der Springer im Schache.
Zwey Knaben wollten Schach ziehen. Weil ihnen
ein Springer fehlte, ſo machten ſie einen überflüſ-
ſigen Bauer, durch ein Merkzeichen, dazu.
Ey, riefen die andern Springer, woher, Herr
Schritt vor Schritt?
Die Knaben horten die Spötterey und ſprachen:
Schweigt! Thut er uns nicht eben die Dienſte, die
ihr thut?
CXXX.Aeſo-
[34]
XXX.
Aeſopus und der Eſel.
Der Eſel ſprach zu dem Aeſopus: Wenn du wie-
der ein Geſchichtchen von mir ausbringſt, ſo laß
mich etwas recht vernünftiges und ſinureiches
ſagen.
Dich etwas ſinnreiches! ſagte Aeſop; wie würde
ſich das ſchicken? Würde man nicht ſprechen, du
ſeyſt der Sittenlehrer, und ich der Eſel?
[[35]]
Fabeln.
Zweytes Buch.
[[36]][37]
I.
Die eherne Bildſäule.
Die eherne Bildſäule eines vortreflichen Künſt-
lers, ſchmolz durch die Hitze einer wüthenden Feuers-
brunſt in einen Klumpen. Dieſer Klumpen kam
einem andern Künſtler in die Hände, und durch
ſeine Geſchicklichkeit verfertigte er eine neue Bild-
ſäule daraus; von der erſtern in dem, was ſie vor-
ſtellete, unterſchieden, an Geſchmack und Schönheit
aber ihr gleich.
Der Neid ſah es und knirſchte. Endlich beſann
er ſich auf einen armſeligen Troſt: „Der gute Mann
„würde dieſes, noch ganz erträgliche Stück, auch
„nicht hervorgebracht haben, wenn ihm nicht die
„Materie der alten Bildſäule dabey zu Statten ge-
„kommen wäre.„
C 3II.Her-
[38]
II.
Herkules.
Als Herkules in den Himmel aufgenommen
ward, machte er ſeinen Gruß unter allen Göttern
der Juno zuerſt. Der ganze Himmel und Juno
erſtaunte darüber. Deiner Feindin, rief man ihm
zu, begegneſt du ſo vorzüglich? Ja, ihr ſelbſt; er-
wiederte Herkules. Nur ihre Verfolgungen ſind
es, die mir zu den Thaten Gelegenheit gegeben,
womit ich den Himmel verdienet habe.
Der Olymp billigte die Antwort des neuen Got-
tes, und Juno ward verſöhnt.
III. Der
[39]
III.
Der Knabe und die Schlange.
Ein Knabe ſpielte mit einer zahmen Schlange.
Mein liebes Thierchen, ſagte der Knabe, ich würde
mich mit dir ſo gemein nicht machen, wenn dir das
Gift nicht benommen wäre. Ihr Schlangen ſeyd
die boshafteſten, undankbarſten Geſchöpfe! Ich
habe es wohl geleſen, wie es einem armen Land-
mann ging, der eine, vielleicht von deinen Uhräl-
tern, die er halb erfroren unter einer Hecke fand,
mitleidig aufhob, und ſie in ſeinen erwärmenden
Buſen ſteckte. Kaum fühlte ſich die Böſe wieder,
als ſie ihren Wohlthäter biß; und der gute freund-
liche Mann mußte ſterben.
Ich erſtaune, ſagte die Schlange. Wie par-
theyiſch eure Geſchichtſchreiber ſeyn müſſen! Die
unſrigen erzehlen dieſe Hiſtorie ganz anders. Dein
freundlicher Mann glaubte, die Schlange ſey wirk-
lich erfroren, und weil es eine von den bunten
Schlangen war, ſo ſteckte er ſie zu ſich, ihr zu Hauſe
die ſchöne Haut abzuſtreifen. War das recht?
C 4Ach,
[40]
Ach, ſchweig nur; erwiederte der Knabe. Wel-
cher Undankbare hätte ſich nicht zu entſchuldigen
gewußt.
Recht, mein Sohn; fiel der Vater, der dieſer
Unterredung zugehört hatte, dem Knaben ins Wort.
Aber gleichwohl, wenn du einmal von einem auſſer-
ordentlichen Undanke hören ſollteſt, ſo unterſuche
ja alle Umſtände genau, bevor du einen Menſchen
mit ſo einem abſcheulichen Schandflecke brandmar-
ken läſſeſt. Wahre Wohlthäter, haben ſelten Un-
dankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre
der Menſchheit hoffen, — niemals. Aber die
Wohlthäter mit kleinen eigennützigen Abſichten, die
ſind es werth, mein Sohn, daß ſie Undank anſtatt
Erkenntlichkeit einwuchern.
IV. Der
[41]
IV.
Der Wolf auf dem Todtbette.
Der Wolf lag in den letzten Zügen und ſchickte
einen prüfenden Blick auf ſein vergangenes Leben zu-
rück. Ich bin freylich ein Sünder, ſagte er; aber
doch, hoffe ich, keiner von den größten. Ich habe
Böſes gethan; aber auch viel Gutes. Einsmals,
erinnere ich mich, kam mir ein blöckendes Lamm,
welches ſich von der Heerde verirret hatte, ſo nahe,
daß ich es gar leicht hätte würgen können; und ich
that ihm nichts. Zu eben dieſer Zeit hörte ich die
Spöttereyen und Schmähungen eines Schafes mit
der bewundernswürdigſten Gleichgültigkeit an, ob
ich ſchon keine ſchützende Hunde zu fürchten hatte.
Und das alles kann ich dir bezeugen; fiel ihm Freund
Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort.
Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller Umſtän-
de dabey. Es war zu eben der Zeit, als du dich
an dem Beine ſo jämmerlich würgteſt, das dir der
gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog.
C 5V. Der
[42]
V.
Der Stier und das Kalb.
Ein ſtarker Stier zerſplitterte mit ſeinen Hörnern,
indem er ſich durch die niedrige Stallthüre drengte,
die obere Pfoſte. Sieh einmal, Hürte! ſchrie ein
junges Kalb; ſolchen Schaden thu ich dir nicht.
Wie lieb wäre mir es, verſetzte dieſer, wenn du ihn
thun könnteſt!
Die Sprache des Kalbes iſt die Sprache der klei-
nen Philoſophen. „Der böſe Bayle! Wie manche
„rechtſchaffene Seele hat er mit ſeinen verwegnen
„Zweifeln geärgert!„ — O ihr Herren, wie gern
wollen wir uns ärgern laſſen, wenn jeder von euch
ein Bayle werden kann!
VI. Der
[43]
VI.
Die Pfauen und die Krähe.
Eine ſtolze Krähe ſchmückte ſich mit den ausgefal-
lenen Federn der farbigten Pfaue, und miſchte ſich
kühn, als ſie gnug geſchmückt zu ſeyn glaubte, un-
ter dieſe glänzende Vögel der Juno. Sie ward
erkannt; und ſchnell fielen die Pfaue mit ſcharfen
Schnäbeln auf ſie, ihr den betriegriſchen Putz aus-
zureiſſen.
Laſſet nach! ſchrie ſie endlich; ihr habt nun alle
das eurige wieder. Doch die Pfaue, welche einige
von den eignen glänzenden Schwingfedern der Krä-
he bemerkt hatten, verſetzten: Schweig, armſelige
Närrin; auch dieſe können nicht dein ſeyn! — und
hackten weiter.
VII. Der
[44]
VII.
Der Löwe mit dem Eſel.
Als des Aeſopus Löwe mit dem Eſel, der ihm
durch ſeine fürchterliche Stimme die Thiere ſollte
jagen helfen, nach dem Walde ging, rief ihm eine
naſenweiſe Krähe von dem Baume zu: Ein ſchöner
Geſellſchafter! Schämſt du dich nicht, mit einem
Eſel zu gehen? — Wen ich brauchen kann, ver-
ſetzte der Löwe, dem kann ich ja wohl meine
Seite gönnen.
So denken die Groſſen alle, wenn ſie einen
Niedrigen ihrer Gemeinſchaft würdigen.
VIII. Der
[45]
VIII.
Der Eſel mit dem Löwen.
Als der Eſel mit dem Löwen des Aeſopus, der
ihn ſtatt ſeines Jägerhorns brauchte, nach dem Wal-
de ging, begegnete ihm ein andrer Eſel von ſeiner
Bekanntſchaft, und rief ihm zu: Guten Tag, mein
Bruder! — Unverſchämter! war die Antwort. —
Und warum das? fuhr jener Eſel fort. Biſt
du deßwegen, weil du mit einem Löwen gehſt,
beſſer als ich? mehr als ein Eſel?
IX. Die
[46]
IX.
Die blinde Henne.
Eine blind gewordene Henne, die des Schar-
rens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht
auf, fleiſſig zu ſcharren. Was half es der arbeitſa-
men Närrin? Eine andre ſehende Henne, welche
ihre zarten Füſſe ſchonte, wich nie von ihrer Seite,
und genoß, ohne zu ſcharren, die Frucht des Schar-
rens. Denn ſo oft die blinde Henne ein Korn auf-
geſcharret hatte, fraß es die ſehende weg.
Der fleiſſige Deutſche macht die Collectanea, die
der witzige Franzoſe nutzt.
X. Die
[47]
X.
Die Eſel.
Die Eſel beklagten ſich bey dem Zevs, daß die
Menſchen mit ihnen zu grauſam umgingen. Unſer
ſtarker Rücken, ſagten ſie, trägt ihre Laſten, un-
ter welchen ſie und jedes ſchwächere Thier erliegen
müßten. Und doch wollen ſie uns, durch unbarm-
herzige Schläge, zu einer Geſchwindigkeit nöthigen,
die uns durch die Laſt unmöglich gemacht würde,
wenn ſie uns auch die Natur nicht verſagt hätte.
Verbiete ihnen, Zevs, ſo unbillig zu ſeyn, wenn
ſich die Menſchen anders etwas böſes verbieten laſ-
ſen. Wir wollen ihnen dienen, weil es ſcheinet,
daß du uns darzu erſchaffen haſt; allein geſchlagen
wollen wir ohne Urſach nicht ſeyn.
Mein Geſchöpf, antwortete Zevs ihrem Spre-
cher, die Bitte iſt nicht ungerecht; aber ich ſehe
keine Möglichkeit, die Menſchen zu überzeugen,
daß eure natürliche Langſamkeit keine Faulheit ſey.
Und ſo lange ſie dieſes glauben, werdet ihr geſchla-
gen
[48] gen werden. — Doch ich ſinne euer Schickſal zu
erleichtern. — Die Unempfindlichkeit ſoll von nun
an euer Theil ſeyn; eure Haut ſoll ſich gegen die
Schläge verhärten, und den Arm des Treibers
ermüden.
Zevs, ſchrien die Eſel, du biſt allezeit weiſe und
gnädig! — Sie gingen erfreut von ſeinem Throne,
als dem Throne der allgemeinen Liebe.
XI. Die
[49]
XI.
Das beſchützte Lamm.
Hylax, aus dem Geſchlechte der Wolfshunde,
bewachte ein frommes Lamm. Ihn erblickte Lyko-
des, der gleichfalls an Haar, Schnautze und Ohren
einem Wolfe ähnlicher war, als einem Hunde, und
fuhr auf ihn los. Wolf, ſchrie er, was machſt du
mit dieſem Lamme? —
Wolf ſelbſt! verſetzte Hylax. (Die Hunde ver-
kannten ſich beyde.) Geh! oder du ſollſt es erfah-
ren, daß ich ſein Beſchützer bin!
Doch Lykodes will das Lamm dem Hylax mit Ge-
walt nehmen; Hylax will es mit Gewalt behaupten,
und das arme Lamm — Treffliche Beſchützer! —
wird darüber zerriſſen.
DXII.Ju-
[50]
XII.
Jupiter und Apollo.
Jupiter und Apollo ſtritten, welcher von ihnen
der beſte Bogenſchütze ſey. Laß uns die Probe
machen! ſagte Apollo. Er ſpannte ſeinen Bogen,
und ſchoß ſo mitten in das bemerkte Ziel, daß Ju-
piter keine Möglichkeit ſahe, ihn zu übertreffen. —
Ich ſehe, ſprach er, daß du wirklich ſehr wohl
ſchieſſeſt. Ich werde Mühe haben, es beſſer zu
machen. Doch will ich es ein andermal verſuchen.
— Er ſoll es noch verſuchen, der kluge Jupiter!
XIII. Die
[51]
XIII.
Die Waſſerſchlange.
Zevs hatte nunmehr den Fröſchen einen andern
König gegeben; anſtatt eines friedlichen Klotzes, eine
gefräſſige Waßerſchlange.
Willſt du unſer König ſeyn, ſchrieen die Fröſche,
warum verſchlingſt du uns? — Darum, antwor-
tete die Schlange, weil ihr um mich gebeten habt —
Ich habe nicht um dich gebeten! rief einer von
den Fröſchen, den ſie ſchon mit den Augen ver-
ſchlang. — Nicht? ſagte die Waſſerſchlange. De-
ſto ſchlimmer! So muß ich dich verſchlingen, weil
du nicht um mich gebeten haſt.
D 2XVI. Der
[52]
XIV.
Der Fuchs und die Larve.
Vor alten Zeiten fand ein Fuchs die hohle, einen
weiten Mund aufreiſſende Larve eines Schauſpie-
lers. Welch ein Kopf! ſagte der betrachtende Fuchs.
Ohne Gehirn, und mit einem offenem Munde!
Sollte das nicht der Kopf eines Schwätzers ge-
weſen ſeyn?
Dieſer Fuchs kannte euch, ihr ewigen Redner,
ihr Strafgerichte des unſchuldigſten unſerer Sinne!
XV. Die
[53]
XV.
Der Rabe und der Fuchs.
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleiſch, das
der erzürnte Gärtner für die Katzen ſeines Nach-
bars hingeworfen hatte, in ſeinen Klauen fort.
Und eben wollte er es auf einer alten Eiche ver-
zehren, als ſich ein Fuchs herbey ſchlich, und ihm
zurief: Sey mir geſeget, Vogel des Jupiters! —
Für wen ſiehſt du mich an? fragte der Rabe. —
Für wen ich dich anſehe? erwiederte der Fuchs.
Biſt du nicht der rüſtige Adler, der täglich von der
Rechte des Zevs auf dieſe Eiche herab kömmt, mich
Armen zu ſpeiſen? Warum verſtellſt du dich?
Sehe ich denn nicht in der ſiegreichen Klaue die
erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu
ſchicken noch fortfährt?
Der Rabe erſtaunte, und freute ſich innig, für
einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte
er, den Fuchs aus dieſem Irrthume nicht brin-
D 3gen.
[54] gen. — Großmüthig dumm ließ er ihm alſo ſeinen
Raub herabfallen, und flog ſtolz davon.
Der Fuchs fing das Fleiſch lachend auf, und fraß
es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte ſich
die Freude in ein ſchinerzhaftes Gefühl; das Gift
fing an zu wirken, und er verreckte.
Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erlo-
ben, verdammte Schmeichler!
XVI. Der
[55]
XVI.
Der Geitzige.
Ich Unglücklicher! klagte ein Geitzhals ſeinem
Nachbar. Man hat mir den Schatz, den ich in
meinem Garten vergraben hatte, dieſe Nacht ent-
wendet, und einen verdammten Stein an deſſen
Stelle gelegt.
Du würdeſt, antwortete ihm der Nachbar,
deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir
alſo ein, der Stein ſey dein Schatz; und du biſt
nichts ärmer.
Wäre ich auch ſchon nichts ärmer, erwiederte
der Geitzhals; iſt ein andrer nicht um ſo viel rei-
cher? Ein andrer um ſo viel reicher! Ich möchte
raſend werden.
D 4XVII. Der
[56]
XVII.
Der Rabe.
Der Fuchs ſahe, daß der Rabe die Altäre der
Götter beraubte, und von ihren Opfern mit lebte.
Da dachte er bey ſich ſelbſt: Ich möchte wohl
wiſſen, ob der Rabe Antheil an den Opfern hat,
weil er ein prophetiſcher Vogel iſt; oder ob man
ihn für einen prophetiſchen Vogel hält, weil er
frech genug iſt, die Opfer mit den Göttern zu
theilen.
XVIII.Zevs
[57]
XVIII.
Zevs und das Schaf.
Das Schaf mußte von allen Thieren vieles lei-
den. Da trat es vor den Zevs, und bat, ſein
Elend zu mindern.
Zevs ſchien willig, und ſprach zu dem Schafe:
Ich ſehe wohl, mein frommes Geſchöpf, ich habe
dich allzu wehrlos erſchaffen. Nun wähle, wie
ich dieſem Fehler am beſten abhelfen ſoll. Soll ich
deinen Mund mit ſchrecklichen Zähnen, und deine
Füſſe mit Krallen rüſten? —
O nein, ſagte das Schaf; ich will nichts mit
den reiſſenden Thieren gemein haben.
Oder, fuhr Zevs fort, ſoll ich Gift in deinen
Speichel legen?
Ach! verſetzte das Schaf; die giftigen Schlan-
gen werden ja ſo ſehr gehaſſet. —
Nun was ſoll ich denn? Ich will Hörner auf deine
Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.
D 5Auch
[58]
Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht ſo
ſtöſſig werden, als der Bock.
Und gleichwohl, ſprach Zevs, mußt du ſelbſt
ſchaden können, wenn ſich andere, dir zu ſchaden
hüten ſollen!
Müßt ich das! ſeufzte das Schaf. O ſo laß
mich, gütiger Vater, wie ich bin. Denn das
Vermögen, ſchaden zu können, erweckt, fürchte
ich, die Luſt, ſchaden zu wollen; und es iſt beſſer,
Unrecht leiden, als Unrecht thun.
Zevs ſegnete das fromme Schaf, und es vergaß
von Stund an, zu klagen.
XIX. Der
[59]
XIX.
Der Fuchs und der Tieger.
Deine Geſchwindigkeit und Stärke, ſagte ein
Fuchs zu dem Tieger, möchte ich mir wohl
wünſchen.
Und ſonſt hätte ich nichts, was dir anſtünde?
fragte der Tieger.
Ich wüßte nichts! — — Auch mein ſchönes Fell
nicht? fuhr der Tieger fort. Es iſt ſo vielfärbig
als dein Gemüth, und das Aeuſſere würde ſich vor-
trefflich zu dem Innern ſchicken.
Eben darum, verſetzte der Fuchs, danke ich recht
ſehr dafür. Ich muß das nicht ſcheinen, was ich
bin. Aber wollten die Götter, daß ich meine Haa-
re mit Federn vertauſchen könnte!
XX. Der
[60]
XX.
Der Mann und der Hund.
Ein Mann ward von einem Hunde gebiſſen, ge-
rieth darüber in Zorn, und erſchlug den Hund.
Die Wunde ſchien gefährlich, und der Arzt mußte
zu Rathe gezogen werden.
Hier weis ich kein beſſeres Mittel, ſagte der
Empiricus, als daß man ein Stücke Brodt in die
Wunde tauche, und es dem Hunde zu freſſen gebe.
Hilft dieſe ſympathetiſche Cur nicht, ſo — Hier
zuckte der Arzt die Achſel.
Unglücklicher Jachzorn! rief der Mann; ſie
kann nicht helfen, denn ich habe den Hund er-
ſchlagen.
XXI. Die
[61]
XXI.
Die Traube.
Ich kenne einen Dichter, dem die ſchreien-
de Bewunderung ſeiner kleinen Nachahmer weit
mehr geſchadet hat, als die neidiſche Verachtung
ſeiner Kunſtrichter.
Sie iſt ja doch ſauer! ſagte der Fuchs von der
Traube, nach der er lange genug vergebens geſprun-
gen war. Das hörte ein Sperling und ſprach:
Sauer ſollte dieſe Traube ſeyn? Darnach ſieht ſie
mir doch nicht aus! Er flog hin, und koſtete, und
fand ſie ungemein ſüſſe, und rief hundert näſchiche
Brüder herbey. Koſtet doch! ſchrie er; koſtet doch!
Dieſe treffliche Traube ſchalt der Fuchs ſauer. —
Sie koſteten alle, und in wenig Augenblicken ward
die Traube ſo zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder
darnach ſprang.
XXII. Der
[62]
XXII.
Der Fuchs.
Ein verfolgter Fuchs rettete ſich auf eine Mauer.
Um auf der andern Seite gut herab zu kommen,
ergriff er einen nahen Dornenſtrauch. Er ließ
ſich auch glücklich daran nieder, nur daß ihn die
Dornen ſchmerzlich verwundeten. Elende Helfer,
rief der Fuchs, die nicht helfen können, ohne
zugleich zu ſchaden!
XXIII. Das
[63]
XXIII.
Das Schaf.
Als Jupiter das Feſt ſeiner Vermählung feyerte,
und alle Thiere ihm Geſchenke brachten, vermißte
Juno das Schaf.
Wo bleibt das Schaf? fragte die Göttin. Wa-
rum verſäumt das fromme Schaf, uns ſein wohl-
meinendes Geſchenk zu bringen?
Und der Hund nahm das Wort und ſprach:
Zürne nicht, Göttin! Ich habe das Schaf noch
heute geſehen; es war ſehr betrübt, und jammerte
laut.
Und warum jammerte das Schaf? fragte die
ſchon gerührte Göttin.
Ich ärmſte! ſo ſprach es. Ich habe itzt weder
Wolle, noch Milch; was werde ich dem Jupiter
ſchenken? Soll ich, ich allein, leer vor ihm er-
ſcheinen? Lieber will ich hingehen, und den Hir-
ten bitten, daß er mich ihm opfere!
Indem
[64]
Indem drang, mit des Hirten Gebete, der
Rauch des geopferten Schafes, dem Jupiter ein
ſüſſer Geruch, durch die Wolken. Und itzt hätte
Juno die erſte Thräne geweinet, wenn Thränen
ein unſterbliches Auge benetzten.
XXIV.
[65]
XXIV.
Die Ziegen.
Die Ziegen baten den Zevs, auch ihnen Hörner
zu geben; denn Anfangs hatten die Ziegen keine
Hörner.
Ueberlegt es wohl, was ihr bittet: ſagte Zevs.
Es iſt mit dem Geſchenke der Hörner ein anderes
unzertrennlich verbunden, das euch ſo angenehm
nicht ſeyn möchte.
Doch die Ziegen beharrten auf ihrer Bitte, und
Zevs ſprach: So habet denn Hörner!
Und die Ziegen bekamen Hörner — und Bart!
Denn Anfangs hatten die Ziegen auch keinen Bart.
O wie ſchmerzte ſie der häßliche Bart! Weit mehr,
als ſie die ſtolzen Hörner erfreuten!
EXXV. Der
[66]
XXV.
Der wilde Apfelbaum.
In den hohlen Stamm eines wilden Apfelbau-
mes ließ ſich ein Schwarm Bienen nieder. Sie
füllten ihn mit den Schätzen ihres Honigs, und
der Baum ward ſo ſtolz darauf, daß er alle andere
Bäume gegen ſich verachtete.
Da rief ihm ein Roſenſtock zu: Elender Stolz
auf geliehene Süſſigkeiten! Iſt deine Frucht darum
weniger herbe? In dieſe treibe den Honig herauf,
wenn du es vermagſt; und dann erſt wird der
Menſch dich ſegnen!
XXVI. Der
[67]
XXVI.
Der Hirſch und der Fuchs.
Der Hirſch ſprach zu dem Fuchſe: Nun wehe
uns armen ſchwächern Thieren! Der Löwe hat ſich
mit dem Wolfe verbunden.
Mit dem Wolfe? ſagte der Fuchs. Das mag
noch hingehen! Der Lowe brüllet, der Wolf heu-
let; und ſo werdet ihr euch noch oft bey Zeiten mit
der Flucht retten können. Aber alsdenn, alsdenn
möchte es um uns alle geſchehen ſeyn, wenn es dem
gewaltigen Löwen einfallen ſollte, ſich mit dem
ſchleichenden Luchſe zu verbinden.
E 2XXVII. Der
[68]
XXVII.
Der Dornſtrauch.
Aber ſage mir doch, fragte die Weide den Dorn-
ſtrauch, warum du nach den Kleidern des vorbey-
gehenden Menſchen ſo begierig biſt? Was willſt du
damit? Was können ſie dir helfen?
Nichts! ſagte der Dornſtrauch. Ich will ſie
ihm auch nicht nehmen; ich will ſie ihm nur zer-
reiſſen.
XXVIII. Die
[69]
XXVIII.
Die Furien.
Meine Furien, ſagte Pluto zu dem Bothen der
Götter, werden alt und ſtumpf. Ich brauche
friſche. Geh alſo, Merkur, und ſuche mir auf der
Oberwelt drey tüchtige Weibesperſonen dazu aus.
Merkur ging. —
Kurz hierauf ſagte Juno zu ihrer Dienerin:
Glaubteſt du wohl, Iris, unter den Sterblichen
zwey oder drey vollkommen ſtrenge, züchtige Mäd-
chen zu finden? Aber vollkommen ſtrenge! Ver-
ſtehſt du mich? Um Cytheren Hohn zu ſprechen,
die ſich das ganze weibliche Geſchlecht unterworfen
zu haben, rühmet. Geh immer, und ſieh, wo
du ſie auftreibeſt. Iris ging. —
In welchem Winkel der Erde ſuchte nicht die
gute Iris! Und dennoch umſonſt! Sie kam ganz
allein wieder, und Juno rief ihr entgegen: Iſt es
möglich? O Keuſchheit! O Tugend!
E 3Göttin,
[70]
Göttin, ſagte Iris; ich hätte dir wohl drey
Mädchen bringen können, die alle drey vollkom-
men ſtreng und züchtig geweſen; die alle drey nie
einer Mannsperſon gelächelt; die alle drey den ge-
ringſten Funken der Liebe in ihren Herzen erſtickt:
aber ich kam, leider, zu ſpät. —
Zu ſpät? ſagte Juno. Wie ſo?
„Eben hatte ſie Merkur für den Pluto ab-
„geholt.“
Für den Pluto? Und wozu will Pluto dieſe
Tugendhaften? —
„Zu Furien.“
XXIX.Ti-
[71]
XXIX.
Tireſias.
Tireſias nahm ſeinen Stab, und ging über Feld.
Sein Weg trug ihn durch einen heiligen Hain, und
mitten in dem Haine, wo drey Wege einander
durchkreutzten, ward er ein Paar Schlangen ge-
wahr, die ſich begatteten. Da hub Tireſias ſeinen
Stab auf, und ſchlug unter die verliebten Schlan-
gen. — Aber, o Wunder! Indem der Stab auf
die Schlangen herabſank, ward Tireſias zum Weibe.
Nach neun Monden ging das Weib Tireſias wie-
der durch den heiligen Hain; und an eben dem Orte,
wo die drey Wege einander durchkreutzten, ward ſie
ein Paar Schlangen gewahr, die mit einander
kämpften. Da hub Tireſias abermals ihren Stab
auf, und ſchlug unter die ergrimmten Schlangen,
und — O Wunder! Indem der Stab die kämpfen-
den Schlangen ſchied, ward das Weib Tireſias
wieder zum Manne.
E 4XXX.Mi-
[72]
XXX.
Minerva.
Laß ſie doch, Freund, laß ſie, die kleinen hämi-
ſchen Neider deines wachſenden Ruhmes! Warum
will dein Witz ihre der Vergeſſenheit beſtimmte Na-
men verewigen?
In dem unſinnigen Kriege, welchen die Rieſen
wider die Götter führten, ſtellten die Rieſen der
Minerva einen ſchrecklichen Drachen entgegen.
Minerva aber ergriff den Drachen, und ſchleuderte
ihn mit gewaltiger Hand an das Firmament. Da
glänzt er noch; und was ſo oft groſſer Thaten Be-
lohnung war, ward des Drachen beneidenswürdige
Strafe.
[[73]]
Fabeln.
Drittes Buch.
[[74]][75]
I.
DerBeſitzer des Bogens.
Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Eben-
holz, mit dem er ſehr weit und ſehr ſicher ſchoß, und
den er ungemein werth hielt. Einſt aber, als er
ihn aufmerkſam betrachtete, ſprach er: Ein wenig
zu plump biſt du doch! Alle deine Zierde iſt die
Glätte. Schade! — Doch dem iſt abzuhelfen;
fiel ihm ein. Ich will hingehen und den beſten
Künſtler Bilder in den Bogen ſchnitzen laſſen. —
Er ging hin; und der Künſtler ſchnitzte eine ganze
Jagd auf den Bogen; und was hätte ſich beſſer auf
einen Bogen geſchickt, als eine Jagd?
Der Mann war voller Freuden. „Du verdie-
„neſt dieſe Zierrathen, mein lieber Bogen!“ —
Indem will er ihn verſuchen; er ſpannt, und der
Bogen — zerbricht.
II. Die
[76]
II.
DieNachtigallund dieLerche.
Was ſoll man zu den Dichtern ſagen, die ſo
gern ihren Flug weit über alle Faſſung des größ-
ten Theiles ihrer Leſer nehmen? Was ſonſt, als
was die Nachtigall einſt zu der Lerche ſagte:
Schwingſt du dich, Freundin, nur darum ſo
hoch, um nicht gehört zu werden?
III Der
[77]
III.
DerGeiſtdesSalomo.
Ein ehrlicher Greis trug des Tages Laſt und Hitze,
ſein Feld mit eigner Hand zu pflügen, und mit
eigner Hand den reinen Saamen in den lockern
Schooß der willigen Erde zu ſtreuen.
Auf einmal ſtand unter dem breiten Schatten
einer Linde, eine göttliche Erſcheinung vor ihm da!
Der Greis ſtutzte.
Ich bin Salomo: ſagte mit vertraulicher
Stimme das Phantom. Was machſt du hier,
Alter?
Wenn du Salomo biſt, verſetzte der Alte,
wie kaunſt du fragen? Du ſchickteſt mich in mei-
ner Jugend zu der Ameiſe; ich ſahe ihren Wan-
del, und lernte von ihr fleiſſig ſeyn, und ſam-
meln. Was ich da lernte, das thue ich
noch. —
Du
[78]
Du haſt deine Lection nur halb gelernet: ver-
ſetzte der Geiſt. Geh noch einmal hin zur
Ameiſe, und lerne nun auch von ihr in dem
Winter deiner Jahre ruhen, und des Geſam-
melten genieſſen!
IV. Das
[79]
IV.
DasGeſchenk der Feyen.
Zu der Wiege eines jungen Prinzen, der in der
Folge einer der größten Regenten ſeines Landes
ward, traten zwey wohlthätige Feyen.
Ich ſchenke dieſem meinem Lieblinge, ſagte die
eine, den ſcharfſichtigen Blick des Adlers, dem
in ſeinem weiten Neiche auch die kleinſte Mücke
nicht entgeht.
Das Geſchenk iſt ſchön: unterbrach ſie die
zweyte Feye. Der Prinz wird ein einſichtsvoller
Monarch werden. Aber der Adler beſitzt nicht
allein Scharfſichtigkeit, die kleinſten Mücken zu
bemerken; er beſitzt auch edle Verachtung, ihnen
nicht nachzujagen. Und dieſe nehme der Prinz
von mir zum Geſchenk!
Ich
[80]
Ich danke dir, Schweſter, für dieſe weiſe Ein-
ſchränkung: verſetzte die erſte Feye. Es iſt wahr;
viele würden weit gröſſere Könige geweſen ſeyn,
wenn ſie ſich weniger mit ihrem durchdringenden
Verſtande bis zu den kleinſten Angelegenheiten
hätten erniedrigen wollen.
V. Das
[81]
V.
DasSchafund dieSchwalbe.
Eine Schwalbe flog auf ein Schaf, ihm ein we-
nig Wolle, für ihr Neſt, auszurupfen. Das Schaf
ſprang unwillig hin und wieder. Wie biſt du denn
nur gegen mich ſo karg? ſagte die Schwalbe. Dem
Hirten erlaubeſt du, daß er dich deiner Wolle über
und über entblöſſen darf; und mir verweigerſt du
eine kleine Flocke. Woher kömmt das?
Das kömmt daher, antwortete das Schaf, weil
du mir meine Wolle nicht mit eben ſo guter Art zu
nehmen weißt, als der Hirte.
FVI. Der
[82]
VI.
DerRabe.
Der Rabe bemerkte, daß der Adler ganze dreyßig
Tage über ſeinen Eyern brütete. Und daher
kömmt es, ohne Zweifel, ſprach er, daß die Jun-
gen des Adlers ſo aliſehend und ſtark werden. Gut!
das will ich auch thun.
Und ſeitdem brütet der Rabe wirklich ganze
dreyßig Tage über ſeinen Eyern; aber noch hat er
nichts, als elende Raben ausgebrütet.
VII. Der
[83]
VII.
DerRangſtreit der Thiere,
in vier Fabeln.
(1)
Es entſtand ein hitziger Rangſtreit unter den Thie-
ren. Ihn zu ſchlichten, ſprach das Pferd, laßet
uns den Menſchen zu Rathe ziehen; er iſt keiner
von den ſtreitenden Theilen, und kann deſto unpar-
theyiſcher ſeyn.
Aber hat er auch den Verſtand dazu? ließ ſich
ein Maulwurf hören. Er braucht wirklich den
allerfeinſten, unſere oft tief verſteckte Vollkommen-
heiten zu erkennen.
Das war ſehr weislich erinnert! ſprach der
Hamſter.
Ja wohl! rief auch der Igel. Ich glaube es
nimmermehr, daß der Menſch Scharfſichtigkeit ge-
nug beſitzet.
F 2Schweigt
[84]
Schweigt ihr! befahl das Pferd. Wir wiſſen
es ſchon: Wer ſich auf die Güte ſeiner Sache
am wenigſten zu verlaſſen hat, iſt immer am fer-
tigſten, die Einſicht ſeines Richters in Zweifel
zu ziehen.
VIII. (2)
[85]
VIII.
(2)
Der Menſch ward Richter. — Noch ein Wort,
rief ihm der majeſtätiſche Löwe zu, bevor du den
Ausſpruch thuſt! Nach welcher Regel, Menſch,
willſt du unſern Werth beſtimmen?
Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne
Zweifel, antwortete der Menſch, in welchem ihr
mir mehr oder weniger nützlich ſeyd. —
Vortrefflich! verſetzte der beleidigte Löwe. Wie
weit würde ich alsdenn unter dem Eſel zu ſtehen
kommen! Du kannſt unſer Richter nicht ſeyn,
Menſch! Verlaß die Verſammlung!
F 3IX. (3)
[86]
IX.
(3)
Der Menſch entfernte ſich. — Nun, ſprach der
höhniſche Maulwurf, — (und ihm ſtimmte der
Hamſter und der Igel wieder bey) — ſiehſt
du, Pferd? der Löwe meint es auch, daß der
Menſch unſer Richter nicht ſeyn kann. Der
Löwe denkt, wie wir.
Aber aus beſſern Gründen, als ihr! ſagte der
Löwe, und warf ihnen einen verächtlichen Blick
zu.
X. (4)
[87]
X.
(4)
Der Löwe fuhr weiter fort: Der Rangſtreit,
wenn ich es recht überlege, iſt ein nichtswürdiger
Streit! Haltet mich für den Vornehmſten, oder
für den Geringſten; es gilt mir gleich viel. Genug
ich kenne mich! — Und ſo ging er aus der Ver-
ſammlung.
Ihm folgte der weiſe Elephant, der kühne Tie-
ger, der ernſthafte Bär, der kluge Fuchs, das
edle Pferd; kurz, alle, die ihren Werth fühlten,
oder zu fühlen glaubten.
Die ſich am letzten wegbegaben, und über die
zerriſſene Verſammlung am meiſten murreten, wa-
ren — der Affe und der Eſel.
F 4XI. Der
[88]
XI.
DerBärund derElephant.
Die unverſtändigen Menſchen! ſagte der Bär zu
dem Elephanten. Was fordern ſie nicht alles von
uns beſſern Thieren! Ich muß nach der Muſik tan-
zen; ich, der ernſthafte Bär! Und ſie wiſſen es
doch nur allzuwohl, daß ſich ſolche Poſſen zu mei-
nem ehrwürdigen Weſen nicht ſchicken; denn warum
lachten ſie ſonſt, wenn ich tanze?
Ich tanze auch nach der Muſik: verſetzte der ge-
lehrige Elephant; und glaube eben ſo ernſthaft und
ehrwürdig zu ſeyn, als du. Gleichwohl haben die
Zuſchauer nie über mich gelacht; freudige Bewun-
derung bloß war auf ihren Geſichtern zu leſen.
Glaube mir alſo, Bär; die Menſchen lachen nicht
darüber, daß du tanzeſt, ſondern darüber, daß du
dich ſo albern dazu anſchickſt.
XII. Der
[89]
XII.
DerStrauß.
Das pfeilſchnelle Rennthier ſahe den Strauß,
und ſprach: Das Laufen des Strauſſes iſt ſo
auſſerordentlich eben nicht; aber ohne Zweifel fliegt
er deſto beſſer.
Ein andermal ſahe der Adler den Strauß und
ſprach: Fliegen kann der Strauß nun wohl
nicht; aber ich glaube, er muß gut laufen können.
F 5XIII. Die
[90]
XIII. XIV.
DieWohlthaten,
in zwey Fabeln.
(1)
Haſt du wohl einen gröſſern Wohlthäter unter den
Thieren, als uns? fragte die Biene den Menſchen.
Ja wohl! erwiederte dieſer.
„Und wen?.,
Das Schaf! Denn ſeine Wolle iſt mir nothwen-
dig, und dein Honig iſt mir nur angenehm.
(2)
Und willſt du noch einen Grund wiſſen, warum
ich das Schaf für meinen gröſſern Wohlthäter halte,
als dich Biene? Das Schaf ſchenket mir ſeine
Wolle ohne die geringſte Schwierigkeit; aber wenn
du mir deinen Honig ſchenkeſt, muß ich mich noch
immer vor deinem Stachel fürchten.
XIV. Die
[91]
XV.
DieEiche.
Der raſende Nordwind hatte ſeine Stärke in
einer ſtürmiſchen Nacht an einer erhabenen Eiche
bewieſen. Nun lag ſie geſtreckt, und eine Men-
ge niedriger Sträuche lagen unter ihr zerſchmet-
tert. Ein Fuchs, der ſeine Grube nicht weit
davon hatte, ſahe ſie des Morgens darauf. Was
für ein Baum! rief er. Hätte ich doch nim-
mermehr gedacht, daß er ſo groß geweſen wäre!
XV. Die
[92]
XVI.
DieGeſchichte des alten Wolfs,
in ſieben Fabeln.
(1)
Der böſe Wolf war zu Jahren gekommen, und
faßte den gleiſſenden Entſchluß, mit den Schäfern
auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte ſich
alſo auf, und kam zu dem Schäfer, deſſen Horden
ſeiner Höhle die nächſten waren.
Schäfer, ſprach er, du nenneſt mich den blut-
gierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin.
Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn
mich hungert; denn Hunger thut weh. Schütze
mich nur vor dem Hunger; mache mich nur ſatt,
und du ſollſt mit mir recht wohl zufrieden ſeyn.
Denn ich bin wirklich das zahmſte, ſanftmüthigſte
Thier, wenn ich ſatt bin.
Wenn du ſatt biſt? Das kann wohl ſeyn: ver-
ſetzte der Schäfer. Aber wenn biſt du denn ſatt?
Du und der Geitz werden es nie. Geh deinen Weg!
XVI. (2)
[93]
XVII.
(2)
Der abgewieſene Wolf kam zu einem zweyten
Schäfer.
Du weißt Schäfer, war ſeine Anrede, daß
ich dir, das Jahr durch, manches Schaf wür-
gen könnte. Willſt du mir überhaupt jedes Jahr
ſechs Schafe geben; ſo bin ich zufrieden. Du
kannſt alsdenn ſicher ſchlafen, und die Hunde
ohne Bedenken abſchaffen.
Sechs Schafe? ſprach der Schäfer. Das iſt
ja eine ganze Heerde! —
Nun, weil du es biſt, ſo will ich mich mit
fünfen begnügen: ſagte der Wolf.
„Du ſcherzeſt; fünf Schafe! Mehr als fünf
„Schafe opfre ich kaum im ganzen Jahre dem
„Pan.“
Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und
der Schäfer ſchüttelte ſpöttiſch den Kopf.
„Drey?
[94]
„Drey? — Zwey? — —
Nicht ein einziges; fiel endlich der Beſcheid.
Denn es wäre ja wohl thöricht, wenn ich mich
einem Feinde zinsbar machte, vor welchem ich
mich durch meine Wachſamkeit ſichern kann.
XVII. (3)
[95]
XVIII.
(3)
Aller guten Dinge ſind drey; dachte der Wolf
und kam zu einem dritten Schäfer.
Es geht mir recht nahe, ſprach er, daß ich
unter euch Schäfern als das grauſamſte, gewiſ-
ſenloſeſte Thier verſchrieen bin. Dir, Montan,
will ich itzt beweiſen, wie unrecht man mir thut.
Gib mir jährlich ein Schaf, ſo ſoll deine Heerde
in jenem Walde, den niemand unſicher macht,
als ich, frey und unbeſchädigt weiden dürfen.
Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich groß-
müthiger, könnte ich uneigennütziger handeln? —
Du lachſt, Schäfer? Worüber lachſt du denn?
O über nichts! Aber wie alt biſt du, guter
Freund? ſprach der Schäfer.
„Was geht dich mein Alter an? Immer noch
„alt genug, dir deine liebſten Lämmer zu wurgen.
Erzürne
[96]
Erzürne dich nicht, alter Iſegrim! Es thut
mir Leid, daß du mit deinem Vorſchlage einige
Jahre zu ſpät kömmſt. Deine ausgebiſſenen
Zähne verrathen dich. Du ſpielſt den Uneigen-
nützigen, bloß um dich deſto gemächlicher, mit
deſto weniger Gefahr nähren zu können.
XIX. (4)
[97]
XIX.
(4)
Der Wolf ward ärgerlich, faßte ſich aber doch,
und ging auch zu dem vierten Schäfer. Dieſem
war eben ſein treuer Hund geſtorben, und der
Wolf machte ſich den Umſtand zu Nutze.
Schäfer, ſprach er, ich habe mich mit meinen
Brüdern in dem Walde veruneiniget, und ſo, daß
ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen ausſöh-
nen werde. Du weißt, wie viel du von ihnen zu
fürchten haſt! Wenn du mich aber, anſtatt deines
verſtorbenen Hundes in Dienſte nehmen willſt, ſo
ſtehe ich dir dafür, daß ſie keines deiner Schafe
auch nur ſcheel anſehen ſollen.
Du willſt ſie alſo, verſetzte der Schäfer, gegen
deine Brüder im Walde beſchützen? —
„Was meine ich denn ſonſt? Freylich.“
Das wäre nicht übel! Aber, wenn ich dich nun
in meine Horden einnähme, ſage mir doch, wer
Gſollte
[98] alsdenn meine armen Schafe gegen dich beſchützen?
Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Die-
ben auſſer dem Hauſe ſicher zu ſeyn, das halten
wir Menſchen — —
Ich höre ſchon: ſagte der Wolf; du fängſt an
zu moraliſiren. Lebe wohl!
XX. (5)
[99]
XX.
(5)
Wäre ich nicht ſo alt! knirſchte der Wolf. Aber
ich muß mich, leider, in die Zeit ſchicken. Und ſo
kam er zu dem fünften Schäfer.
Kennſt du mich, Schäfer? fragte der Wolf.
Deines gleichen wenigſtens kenne ich: verſetzte
der Schäfer.
„Meines gleichen? Daran zweifle ich ſehr. Ich
„bin ein ſo ſonderbarer Wolf, daß ich deiner,
„und aller Schäfer Freundſchaft wohl werth bin.“
Und wie ſonderbar biſt du denn?
„Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und
„freſſen, und wenn es mir das Leben koſten ſollte.
„Ich nähre mich blos mit todten Schafen. Iſt
„das nicht löblich? Erlaube mir alſo immer, daß
„ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin-
„den, und nachfragen darf, ob dir nicht —
G 2Spare
[100]
Spare der Worte! ſagte der Schäfer. Du
müßteſt gar keine Schafe freſſen, auch nicht einmal
todte, wenn ich dein Feind nicht ſeyn ſollte. Ein
Thier, das mir ſchon todte Schafe frißt, lernt
leicht aus Hunger kranke Schafe für todt, und
geſunde für krank anſehen. Mache auf meine
Freundſchaft alſo keine Rechnung, und geh!
XXI. (6)
[101]
XXI.
(6)
Ich muß nun ſchon mein Liebſtes daran wenden,
um zu meinem Zwecke zu gelangen! dachte der Wolf,
und kam zu dem ſechſten Schäfer.
Schäfer, wie gefällt dir mein Belz? fragte der Wolf.
Dein Belz? ſagte der Schäfer. Laß ſehen! Er iſt
ſchön; die Hunde müſſen dich nicht oft unter ge-
habt haben.
„Nun ſo höre, Schäfer; ich bin alt, und werde
„es ſo lange nicht mehr treiben. Füttere mich zu
„Tode; und ich vermache dir meinen Belz.“
Ey ſieh doch! ſagte der Schäfer. Kömmſt du
auch hinter die Schliche der alten Geitzhälſe? Nein,
nein; dein Belz würde mich am Ende ſiebenmal
mehr koſten, als er werth wäre. Iſt es dir aber
ein Ernſt, mir ein Geſchenk zu machen, ſo gieb
mir ihn gleich itzt — Hiermit grif der Schäfer nach
der Keule, und der Wolf flohe.
G 3XXII. (7)
[102]
XXII.
(7)
O die Unbarmherzigen! ſchrie der Wolf, und ge-
rieth in die äuſſerſte Wuth. So will ich auch als
ihr Feind ſterben, ehe mich der Hunger tödtet;
denn ſie wollen es nicht beſſer!
Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer
ein, riß ihre Kinder nieder, und ward nicht ohne
groſſe Mühe von den Schäfern erſchlagen.
Da ſprach der Weiſeſte von ihnen: Wir thaten
doch wohl Unrecht, daß wir den alten Räuber auf
das Aeuſſerſte brachten, und ihm alle Mittel zur
Beſſerung, ſo ſpät und erzwungen ſie auch war,
benahmen!
XXIII. Die
[103]
XXIII.
DieMaus.
Eine philoſophiſche Maus pries die gütige Natur,
daß ſie die Mäuſe zu einem ſo vorzüglichen Gegen-
ſtande ihrer Erhaltung gemacht habe. Denn eine
Helfte von uns, ſprach ſie, erhielt von ihr Flügel,
daß, wenn wir hier unten auch alle von den Katzen
ausgerottet würden, ſie doch mit leichter Mühe
aus den Fledermäuſen unſer ausgerottetes Geſchlecht
wieder herſtellen könnte.
Die gute Maus wußte nicht, daß es auch geflü-
gelte Katzen giebt. Und ſo beruhet unſer Stolz
meiſtens auf unſrer Unwiſſenheit!
G 4XXIV. Die
[104]
XXIV.
DieSchwalbe.
Glaubet mir, Freunde; die groſſe Welt iſt nicht
für den Weiſen, iſt nicht für den Dichter! Man
kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! ſie
ſind oft ſchwach genug, ihn mit einem nichtigen zu
vertauſchen.
In den erſten Zeiten war die Schwalbe ein eben
ſo tonreicher, melodiſcher Vogel, als die Nachtigall.
Sie ward es aber bald müde, in den einſamen Bü-
ſchen zu wohnen, und da von niemand, als dem
fleiſſigen Landmanne und der unſchuldigen Schäfe-
rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver-
ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die
Stadt. — Was geſchah? Weil man in der Stadt
nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, ſo
verlernte ſie es nach und nach, und lernte dafür —
bauen.
XXV. Der
[105]
XXV.
DerAdler.
Man fragte den Adler: warum erzieheſt du
deine Jungen ſo hoch in der Luft?
Der Adler antwortete: Würden ſie ſich, er-
wachſen, ſo nahe zur Sonne wagen, wenn ich
ſie tief an der Erde erzöge?
G 5XXVI. Der
[106]
XXVI.
Derjungeund deralte Hirſch.
Ein Hirſch, den die gütige Natur Jahrhunderte
leben laſſen, ſagte einſt zu einem ſeiner Enkel: Ich
kann mich der Zeit noch ſehr wohl erinnern, da der
Menſch das donnernde Feuerrohr noch nicht erfun-
den hatte.
Welche glückliche Zeit muß das für unſer Ge-
ſchlecht geweſen ſeyn! ſeufzete der Enkel.
Du ſchlieſſeſt zu geſchwind! ſagte der alte Hirſch.
Die Zeit war anders, aber nicht beſſer. Der
Menſch hatte da, anſtatt des Feuerrohres, Pfeile
und Bogen; und wir waren eben ſo ſchlimm daran,
als itzt.
XXVII. Der
[107]
XXVII.
DerPfauund derHahn.
Einſt ſprach der Pfau zu der Henne: Sieh
einmal, wie hochmüthig und trotzig dein Hahn
einher tritt! Und doch ſagen die Menſchen nicht:
der ſtolze Hahn; ſondern nur immer: der ſtolze
Pfau.
Das macht, ſagte die Henne, weil der Menſch
einen gegründeten Stolz überſiehet. Der Hahn
iſt auf ſeine Wachſamkeit, auf ſeine Mannheit
ſtolz; aber worauf du? — Auf Farben und
Federn.
XXVIII. Der
[108]
XXVIII.
DerHirſch.
Die Natur hatte einen Hirſch von mehr als
gewöhnlicher Groſſe gebildet, und an dem Halſe
hingen ihm lange Haare herab. Da dachte der
Hirſch bey ſich ſelbſt: Du könnteſt dich ja wohl
für ein Elend anſehen laſſen. Und was that
der Eitele, ein Elend zu ſcheinen? Er hing
den Kopf traurig zur Erde, und ſtellte ſich, ſehr
oft das böſe Weſen zu haben.
So glaubt nicht ſelten ein witziger Geck, daß
man ihn für keinen ſchönen Geiſt halten werde,
wenn er nicht über Kopfweh und Hypochonder klage.
XXIX. Der
[109]
XXIX.
DerAdlerund derFuchs.
Sey auf deinen Flug nicht ſo ſtolz! ſagte der
Fuchs zu dem Adler. Du ſteigſt doch nur des-
wegen ſo hoch in die Luft, um dich deſto weiter
nach einem Aſe umſehen zu können.
So kenne ich Männer, die tiefſinnige Welt-
weiſe geworden ſind, nicht aus Liebe zur Wahr-
heit, ſondern aus Begierde zu einem einträglichen
Lehramte.
XXX. Der
[110]
XXX.
DerSchäferund dieNachtigall.
Du zürneſt, Liebling der Muſen, über die lau-
te Menge des parnaſſiſchen Geſchmeiſſes? — O
höre von mir, was einſt die Nachtigall hören
mußte.
Singe doch, liebe Nachtigall! rief ein Schäfer
der ſchweigenden Sängerin, an einem lieblichen
Frühlingsabende, zu.
Ach! ſagte die Nachtigall; die Fröſche machen
ſich ſo laut, daß ich alle Luſt zum Singen ver-
liere. Höreſt du ſie nicht?
Ich höre ſie freylich: verſetzte der Schäfer.
Aber nur dein Schweigen iſt Schuld, daß ich
ſie höre.
[[111]]
Abhandlungen.
[[112]][[113]]
I.
Von dem Weſen der Fabel.
Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewiſſe
Abſicht verbindet, heißt ſeine Fabel. So
heißt die Erdichtung, welche er durch die
Epopee, durch das Drama herrſchen läßt, die Fa-
bel ſeiner Epopee, die Fabel ſeines Drama.
Von dieſen Fabeln iſt hier die Rede nicht. Mein
Gegenſtand iſt die ſogenannte Aeſopiſche Fabel.
Auch dieſe iſt eine Erdichtung; eine Erdichtung, die
auf einen gewiſſen Zweck abzielet.
Man erlaube mir, gleich Anfangs ein Sprung
in die Mitte meiner Materie zu thun, um eine An-
merkung daraus herzuhohlen, auf die ſich eine ge-
wiſſe Eintheilung der Aeſopiſchen Fabel gründet, de-
ren ich in der Folge zu oft gedenken werde, und die
mir ſo bekannt nicht ſcheinet, daß ich ſie, auf gut
Glück, bey meinen Leſern vorausſetzen dürfte.
HAeſo-
[114]
Aeſopus machte die meiſten ſeiner Fabeln bey
wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben ſich
dergleichen Vorfälle meiſtens erdichtet, oder auch
wohl an ganz und gar keinen Vorſall, ſondern bloß
an dieſe oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfer-
tigung der ihrigen, gedacht. Dieſe begnügten ſich
folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdich-
tete Geſchichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn
jener noch über dieſes, die Aehnlichkeit ſeiner erdich-
teten Geſchichte mit dem gegenwärtigen wirklichen
Vorfalle faßlich machen, und zeugen mußte, daß
aus beyden, ſo wohl aus der erdichteten Geſchichte
als dem wirklichen Vorfalle, ſich eben dieſelbe Wahr-
heit bereits ergebe, oder gewiß ergeben werde.
Und hieraus entſpringt die Eintheilung in ein-
fache und zuſammengeſetzte Fabeln.
Einfach iſt die Fabel, wenn ich aus der erdich-
teten Begebenheit derſelben, bloß irgend eine allge-
meine Wahrheit folgern laſſe. —
„Man machte
„der Löwin den Vorwurf, daß ſie nur ein Jun-
„ges zur Welt brächte. Ja, ſprach ſie, nur
„eines; aber einen Löwen *.“
— Die Wahrheit,
welche
[115] welche in dieſer Fabel liegt,
ὁτι το καλον ȣ̍κ ἐν
πληϑει, ἀλλ’ ἀρετῃ,
leuchtet ſogleich in die Augen;
und die Fabel iſt einfach, wenn ich es bey dem
Ausdrucke dieſes allgemeinen Satzes bewenden
laſſe.
Zuſammengeſetzt hingegen iſt die Fabel, wenn
die Wahrheit, die ſie uns auſchauend zu erkennen
giebt, auf einen wirklich geſchehenen, oder doch,
als wirklich geſchehen, angenommenen Fall, weiter
angewendet wird. — „Ich mache, ſprach ein
„höhniſcher Reimer zu dem Dichter, in einem
„Jahre ſieben Trauerſpiele; aber du? In ſieben
„Jahren eines! Recht; nur eines! verſetzte der
„Dichter; aber eine Athalie!„ — Man mache die-
ſes zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fa-
bel wird zuſammengeſetzt. Denn ſie beſtehet nun-
mehr gleichſam aus zwey Fabeln, aus zwey ein-
zeln Fällen, in welchen beyden ich die Wahrheit
eben deſſelben Lehrſatzes beſtätiget finde.
Dieſe Eintheilung aber — kaum brauche ich es
zu erinnern — beruhet nicht auf einer weſentlichen
Verſchiedenheit der Fabeln ſelbſt; ſondern bloß auf
H 2der
[116] drr verſchiednen Bearbeitung derſelben. Und aus
dem Exempel ſchon hat man es erſehen, daß eben
dieſelbe Fabel bald einfach, bald zuſammenge-
ſetzt ſeyn kann. Bey dem Phädrus iſt die Fabel
von dem kreiſſenden Berge, eine einfache
Fabel.
‘— — — Hoc ſcriptum eſt tibi,
Qui magna cum minaris, extricas nihil.’ ()
Ein jeder, ohne Unterſchied, der große und fürch-
terliche Anſtalten einer Nichtswürdigkeit wegen
macht; der ſehr weit aushohlt, um einen ſehr klei-
nen Sprung zu thun; jeder Prahler, jeder viel-
verſprechende Thor, von allen möglichen Arten,
ſiehet hier ſein Bild! Bey unſerm Hagedorn
aber, wird eben dieſelbe Fabel zu einer zuſammen-
geſetzten Fabel, indem er einen gebährenden ſchlech-
ten Poeten zu dem beſondern Gegenbilde des kreiſ-
ſenden Berges macht.
Ihr Götter rettet! Menſchen flieht!Ein ſchwangrer Berg beginnt zu kreiſſen,Und wird itzt, eh man ſichs verſieht,Mit Sand und Schollen um ſich ſchmeiſſen ꝛc.
Suffenus
[117]Suffenus ſchwitzt und lermt und ſchäumt:Nichts kann den hohen Eifer zähmen;Er ſtampft, er knirſcht; warum? er reimt,Und will itzt den Homer beſchämen ꝛc.Allein gebt Acht, was kömmt heraus?Hier ein Sonnet, dort eine Maus.
Dieſe Eintheilung alſo, von welcher die Lehr-
bucher der Dichtkunſt ein tieſes Stillſchweigen beob-
achten, ohngeachtet ihres mannichfaltigen Nutzens
in der richtigern Beſtimmung verſchiedener Regeln:
dieſe Eintheilung, ſage ich, vorausgeſetzt; will ich
mich auf den Weg machen. Es iſt kein unbetrete-
ner Weg. Ich ſehe eine Menge Fußtapfen vor
mir, die ich zum Theil unterſuchen muß, wenn ich
überall ſichere Tritte zu thun gedenke. Und in die-
ſer Abſicht will ich ſogleich die vornehmſten Erklärun-
gen prüfen, welche meine Vorgänger von der Fabel
gegeben haben.
De la Motte.
Dieſer Mann, welcher nicht ſo wohl ein großes
poetiſches Genie, als ein guter, aufgeklärter Kopf
war, der ſich an mancherley wagen, und überall
H 3erträg-
[118] erträglich zu bleiben hoffen durſte, erklärt die Fabel
durch eine unter die Allegorie einer Handlung
verſteckte Lehre*.
Als ſich der Sohn des ſtolzen Tarquinius bey
den Gabiern nunmehr feſt geſetzt hatte, ſchickte er
heimlich einen Bothen an ſeinen Vater, und ließ
ihn fragen, was er weiter thun ſolle? Der König,
als der Bothe zu ihm kam, befand ſich eben auf dem
Felde, hub ſeinen Stab auf, ſchlug den höchſten
Mahnſtängeln die Häupter ab, und ſprach zu dem
Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich
itzt gethan habe! Der Sohn verſtand den ſtummen
Befehl des Vaters, und ließ die Vornehmſten der
Gabier hinrichten **. — Hier iſt eine allegoriſche
Handlung; hier iſt eine unter die Allegorie dieſer
Handlung verſteckte Lehre: aber iſt hier eine Fabel?
Kann man ſagen, daß Tarquinius ſeine Meinung
dem Sohne durch eine Fabel habe wiſſen laſſen? Ge-
wiß nicht!
Jener
[119]
Jener Vater, der ſeinen uneinigen Söhnen die
Vortheile der Eintracht an einem Bündel Ruthen
zeigte, das ſich nicht anders als ſtückweiſe zerbrechen
laſſe, machte der eine Fabel *?
Aber wenn eben derſelbe Vater ſeinen uneinigen
Söhnen erzählt hätte, wie glücklich drey Stiere, ſo
lange ſie einig waren, den Löwen von ſich abhiel-
ten, und wie bald ſie des Löwen Raub wurden, als
Zwietracht unter ſie kam, und jeder ſich ſeine eigene
Weide ſuchte **: alsdenn hätte doch der Vater ſei-
nen Söhnen ihr Beſtes in einer Fabel gezeigt? Die
Sache iſt klar.
Folglich iſt es eben ſo klar, daß die Fabel nicht
bloß eine allegoriſche Handlung, ſondern die Er-
zehlung einer ſolchen Handlung ſeyn kann. Und
dieſes iſt das erſte, was ich wider die Erklärung des
de la Motte zu erinnern habe.
Aber was will er mit ſeiner Allegorie? — Ein
ſo fremdes Wort, womit nur wenige einen beſtimm-
ten Begriff verbinden, ſollte überhaupt aus einer
H 4guten
[120] guten Erklärung verbannt ſeyn. — Und wie, wenn
es hier gar nicht einmal an ſeiner Stelle ſtünde?
Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der
Fabel an ſich ſelbſt allegoriſch ſey? Und wenn ſie es
höchſtens unter gewiſſen Umſtänden nur werden
könnte?
Quintilian lehret:
‘Αλληγορια, quam Inverſio-nem interpretamur, aliud verbis, aliud ſenſu oſten-
dit, ac etiam interim contrarium*.’ ()
Die Allegorie
ſagt das nicht, was ſie nach den Worten zu ſagen
ſcheinet, ſondern etwas anders. Die neuern Lehrer
der Rhetorik erinnern, daß dieſes etwas andere
auf etwas anderes ähnliches einzuſchränken ſey,
weil ſonſt auch jede Ironie eine Allegorie ſeyn
würde **. Die letztern Worte des Quintilians,
etiam interim contrarium,’ ()
ſind ihnen hierinn zwar
offenbar zuwider: aber es mag ſeyn.
Die
[121]
Die Allegorie ſagt alſo nicht, was ſie den Wor-
ten nach zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas ähnli-
ches. Und die Handlung der Fabel, wenn ſie alle-
goriſch ſeyn ſoll, muß das auch nicht ſagen, was
ſie zu ſagen ſcheinet, ſondern nur etwas ähnliches?
Wir wollen ſehen! — „Der Schwächere wird
„gemeiniglich ein Raub des Mächtigern.“
Das iſt ein allgemeiner Satz, bey welchem ich mir
eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer
ſtärker iſt als das andere; die ſich alſo, nach der Fol-
ge ihrer verſchiednen Stärke, unter einander auf-
reiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer
wird lange und gern den öden Begriff eines Din-
ges denken, ohne auf dieſes oder jenes beſondere
Ding zu fallen, deſſen Eigenſchaften ihm ein deut-
liches Bild gewähren? Ich will alſo auch hier, an-
ſtatt dieſer Reihe von unbeſtimmten Dingen, eine
Reihe beſtimmter, wirklicher Dinge annehmen.
Ich könnte mir in der Geſchichte eine Reihe von
Staaten oder Königen ſuchen; aber wie viele ſind
in der Geſchichte ſo bewandert, daß ſie, ſo bald ich
meine Staaten oder Könige nur nennte, ſich der
H 5Verhält-
[122] Verhältniſſe, in welchen ſie gegen einander an Größe
und Macht geſtanden, erinnern können? Ich wür-
de meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht ha-
ben; und ich möchte ihn gern allen ſo faßlich, als
möglich, machen. Ich falle auf die Thiere; und
warum ſollte ich nicht eine Reihe von Thieren wäh-
len dürfen; beſonders wenn es allgemein bekannte
Thiere wären? Ein Auerhahn — ein Marder —
ein Fuchs — ein Wolf — Wir kennen dieſe Thiere;
wir dürfen ſie nur nennen hören, um ſogleich zu
wiſſen, welches das ſtärkere oder das ſchwächere iſt.
Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den
Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der
Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht.
Das iſt mir noch nicht gewiß genug. Ich ſage alſo:
er fraß. Und ſiehe, mein Satz iſt zur Fabel ge-
worden!
Was kann ich nun ſagen, daß in dieſer Fabel für
eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwäch-
ſte;
[123] ſte; der Marder, der Schwache; der Fuchs, der
Starke; der Wolf der Stärkſte. Was hat der Auer-
hahn mit dem Schwächſten, der Marder mit dem
Schwachen, u. ſ. w. hier ähnliches? Aehnli-
ches! Gleichet hier bloß der Fuchs dem Starken,
und der Wolf dem Stärkſten; oder iſt jener hier
der Starke, ſo wie dieſer der Stärkſte? Er iſt es. —
Kurz; es heißt die Worte auf eine kindiſche Art
mißbrauchen, wenn man ſagt, daß das Beſondere
mit ſeinem Allgemeinen, das Einzelne mit ſeiner
Art, die Art mit ihrem Geſchlechte eine Aehn-
lichkeit habe. Iſt dieſer Windhund, einem Wind-
hunde überhaupt, und ein Windhund über-
haupt, einem Hunde ähnlich? Eine lächerliche
Frage! — Findet ſich nun aber unter den beſtimm-
ten Subjecten der Fabel, und den allgemeinen
Subjecten ihres Satzes keine Aehnlichkeit, ſo
kann auch keine Allegorie unter ihnen Statt haben.
Und das Nehmliche läßt ſich auf die nehmliche Art
von den beyderſeitigen Prädicaten erweiſen.
Vielleicht aber meinet jemand, daß die Allegorie
hier nicht auf der Aehnlichkeit zwiſchen den beſtimm-
ten
[124]ten Subjecten oder Prädicaten der Fabel und den
allgemeinen Subjecten oder Prädicaten des Satzes,
ſondern auf der Aehnlichkeit der Arten, wie ich
ebendieſelbe Wahrheit, itzt durch die Bilder der Fa-
bel, und itzt vermittelſt der Worte des Satzes er-
kenne, beruhe. Doch das iſt ſo viel, als nichts.
Denn käme hier die Art der Erkenntniß in Betrach-
tung, und wollte man bloß wegen der anſchauen-
den Erkenntniß, die ich vermittelſt der Handlung
der Fabel von dieſer oder jener Wahrheit erhalte,
die Handlung allegoriſch nennen: ſo würde in allen
Fabeln ebendieſelbe Allegorie ſeyn, welches doch nie-
mand ſagen will, der mit dieſem Worte nur einigen
Begriff verbindet.
Ich befürchte, daß ich von einer ſo klaren Sache
viel zu viel Worte mache. Ich faſſe daher alles zu-
ſammen und ſage: die Fabel, als eine einfache
Fabel, kann unmöglich allegoriſch ſeyn.
Man erinnere ſich aber meiner obigen Anmerkung,
nach welcher eine jede einfache Fabel auch eine zu-
ſammengeſetzte werden kann. Wie wann ſie als-
denn allegoriſch würde? Und ſo iſt es. Denn in
der
[125] der zuſammengeſetzten Fabel wird ein Beſonderes
gegen das andre gehalten; zwiſchen zwey oder mehr
Beſondern, die unter eben demſelben Allgemeinen be-
griffen ſind, iſt die Aehnlichkeit unwiderſprechlich,
und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur
muß man nicht ſagen, daß die Allegorie zwiſchen
der Fabel und dem moraliſchen Satze ſich befinde.
Sie befindet ſich zwiſchen der Fabel und dem wirk-
lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat,
in ſo fern ſich aus beyden ebendieſelbe Wahrheit er-
giebt. — Die bekannte Fabel vom Pferde, daß ſich
von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn
auf ſeinen Rücken nahm, damit er ihm nur in ſeiner
Nache, die es an dem Hirſche nehmen wollte, be-
hülflich wäre: dieſe Fabel ſage ich, iſt ſo fern nicht
allegoriſch, als ich mit dem Phädrus* bloß die all-
gemeine Wahrheit daraus ziehe:
‘Impune potius lædi, quam dedi alteri.’ ()
Bey der Gelegenheit nur, bey welcher ſie ihr Er-
finder Steſichorus erzehlte, ward ſie es. Er er-
zehlte ſie nehmlich, als die Himerenſer den Pha-
laris
[126]laris zum oberſten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker
gemacht hatten, und ihm noch dazu eine Leibwache
geben wollten.
„O ihr Himerenſer, rief er, die ihr
„ſo feſt entſchloſſen ſeyd, euch an euren Feinden zu
„rächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird
„euch wie dieſem Pferde ergehen! Den Zaum habt
„ihr euch bereits anlegen laſſen, indem ihr den Pha-
„laris zu eurem Heerführer mit unumſchränkter
„Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine
„Leibwache geben, wollt ihr ihn auſſitzen laſſen, ſo
„iſt es vollends um eure Freyheit gethan.“*
— Alles
wird hier allegoriſch! Aber einzig und allein dadurch,
daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten,
ſondern auf die beleidigten Himerenſer; der Hirſch
nicht auf jeden Beleidiger, ſondern auf die Feinde
der Himerenſer; der Mann nicht auf jeden liſtigen
Unterdrücker, ſondern auf den Phalaris; die An-
legung des Zaums nicht auf jeden erſten Eingriff in
die Rechte der Freyheit, ſondern auf die Ernennung
des Phalaris zum unumſchränkten Heerführer;
und das Aufſitzen endlich, nicht auf jeden letzten
tödtlichen Stoß, welcher der Freyheit beygebracht
wird,
[127] wird, ſondern auf die dem Phalaris zu bewilligen-
de Leibwache, gezogen und angewandt wird.
Was folgt nun aus alle dem? Dieſes: da die Fa-
bel nur alsdenn allegoriſch wird, wenn ich dem er-
dichteten einzeln Falle, den ſie enthält, einen an-
dern ähnlichen Fall, der ſich wirklich zugetragen hat,
entgegen ſtelle; da ſie es nicht an und für ſich ſelbſt iſt,
in ſo fern ſie eine allgemeine moraliſche Lehre enthält:
ſo gehöret das Wort Allegorie gar nicht in die Er-
klärung derſelben. — Dieſes iſt das zweyte, was
ich gegen die Erklärung des de la Motte zu erin-
nern habe.
Und man glaube ja nicht, daß ich es bloß als ein
müſſiges, überflüſſiges Wort daraus verdrengen will.
Es iſt hier, wo es ſteht, ein höchſt ſchädliches Wort,
dem wir vielleicht eine Menge ſchlechter Fabeln zu
danken haben. Man begnüge ſich nur, die Fabel,
in Anſehung des allgemeinen Lehrſatzes, bloß al-
legoriſch zu machen; und man kann ſicher glauben,
eine ſchlechte Fabel gemacht zu haben. Iſt aber
eine ſchlechte Fabel eine Fabel? — Ein Exempel
wird die Sache in ihr völliges Licht ſetzen. Ich
wehle
[128] wehle ein altes, um ohne Mißgunſt Recht haben
zu können. Die Fabel nehmlich von dem Mann
und dem Satyr.
„Der Mann bläſet in ſeine kal-
„te Hand, um ſeine Hand zu wärmen; und bläſet
„in ſeinen heiſſen Brey, um ſeinen Brey zu kühlen.
„Was? ſagt der Satyr; du bläſeſt aus einem Mun-
„de Warm und Kalt? Geh, mit dir mag ich nichts
„zu thun haben!*„
— Dieſe Fabel ſoll lehren,
ὁτι δει φευγειν ἡμας τας φιλιας, ὡναμφιβολος ἐςι[ι] [...]
ἡ διαϑεσις;
die Freundſchaft aller Zweyzüngler, aller
Doppelleute, aller Falſchen zu fliehen. Lehrt ſie
das? Ich bin nicht der erſte der es leugnet, und
die Fabel für ſchlecht ausgiebt. Richer** ſagt, ſie
ſündige wider die Richtigkeit der Allegorie; ihre
Moral ſey weiter nichts als eine Anſpielung, und
gründe ſich auf eine bloſſe Zweydeutigkeit. Richer
hat richtig empfunden, aber ſeine Empfindung falſch
ausgedrückt. Der Fehler liegt nicht ſowohl darinn,
daß die Allegorie nicht richtig genug iſt, ſondern
darinn,
[129] darinn, daß es weiter nichts als eine Allegorie iſt.
Anſtatt daß die Handlung des Mannes, die dem
Satyr ſo anſtöſſig ſcheinet, unter dem allgemeinen
Subjecte des Lehrſatzes wirklich begriffen ſeyn ſoll-
te, iſt ſie ihm bloß ähnlich. Der Mann ſollte
ſich eines wirklichen Widerſpruchs ſchuldig machen;
und der Widerſpruch iſt nur anſcheinend. Die
Lehre warnet uns vor Leuten, die von ebenderſel-
ben Sache ja und nein ſagen, die ebendaſſelbe
Ding loben und tadeln: und die Fabel zeiget uns
einen Mann, der ſeinen Athem gegen verſchiede-
ne Dinge verſchieden braucht; der auf ganz etwas
anders itzt ſeinen Athem warm haucht, und auf
ganz etwas anders ihn itzt kalt bläſet.
Endlich, was läßt ſich nicht alles allegoriſiren!
Man nenne mir das abgeſchmackte Mährchen, in
welches ich durch die Allegorie nicht einen moraliſchen
Sinn ſollte legen können! —
„Die Mitknechte des
„Aeſopus gelüſtet nach den trefflichen Feigen ihres
„Herrn. Sie eſſen ſie auf, und als es zur Nach-
„frage kömmt, ſoll es der gute Aeſop gethan ha-
„ben. Sich zu rechtfertigen, trinket Aeſop in
J„groſſer
[130] „groſſer Menge laues Waſſer; und ſeine Mitknechte
„müſſen ein gleiches thun. Das laue Waſſer hat
„ſeine Wirkung, und die Näſcher ſind entdeckt.“ — —
Was lehrt uns dieſes Hiſtörchen? Eigentlich wohl
weiter nichts, als daß laues Waſſer, in groſſer
Menge getrunken, zu einem Brechmittel werde?
Und doch machte jener perſiſche Dichter * einen weit
edlern Gebrauch davon.
ſpricht
er,
„an jenem groſſen Tage des Gerichts, von die-
„ſem warmen und ſiedenden Waſſer wird zu trin-
„ken geben: alsdann wird alles an den Tag kommen,
„was ihr mit ſo vieler Sorgfalt vor den Augen der
„Welt verborgen gehalten; und der Heuchler, den
„hier ſeine Verſtellung zu einem ehrwürdigen Man-
„ne gemacht hatte, wird mit Schande und Ver-
„wirrung überhäuft daſtehen!„
— Vortrefflich!
Ich
[131]
Ich habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklä-
rung des de la Motte auszuſetzen. Das Wort
Lehre (inſtruction) iſt zu unbeſtimmt und allgemein.
Iſt jeder Zug aus der Mythologie, der auf eine
phyſiſche Wahrheit anſpielet, oder in den ein tief-
ſinniger Baco wohl gar eine tranſcendentaliſche
Lehre zu legen weis, eine Fabel? Oder wenn der
ſeltſame Holberg erzehlet:
„Die Mutter des Teuſels
„übergab ihm einsmals vier Ziegen, um ſie in ihrer
„Abweſenheit zu bewachen. Aber dieſe machten
„ihm ſo viel zu thun, daß er ſie mit aller ſeiner Kunſt
„und Geſchicklichkeit nicht in der Zucht halten konnte.
„Diesfalls ſagte er zu ſeiner Mutter nach ihrer Zu-
„rückkunft: Liebe Mutter, hier ſind eure Ziegen!
„Ich will lieber eine ganze Compagnie Reuter be-
„wachen, als eine einzige Ziege.“ — Hat Holberg
eine Fabel erzehlet? Wenigſtens iſt eine Lehre in
dieſem Dinge. Denn er ſetzet ſelbſt mit ausdrück-
lichen Worten dazu: „Dieſe Fabel zeiget, daß keine
„Kreatur weniger in der Zucht zu halten iſt, als
„eine Ziege.*„
— Eine wichtige Wahrheit! Nie-
J 2mand
[132] mand hat die Fabel ſchändlicher gemißhandelt, als
dieſer Holberg! — Und es mißhandelt ſie jeder,
der eine andere als moraliſche Lehre darinn vor-
zutragen, ſich einfallen läßt.
Richer.
Richer iſt ein andrer franzöſiſcher Fabuliſt, der
ein wenig beſſer erzehlet als de la Motte, in An-
ſehung der Erfindung aber, weit unter ihm ſtehet.
Auch dieſer hat uns ſeine Gedanken über dieſe Dich-
tungsart nicht vorenthalten wollen, und erklärt die
Fabel durch ein kleines Gedicht, das irgend eine
unter einem allegoriſchen Bilde verſteckte Re-
gel enthalte*.
Richer hat die Erklärung des de la Motte of-
fenbar vor Augen gehabt. Und vielleicht hat er ſie
gar verbeſſern wollen. Aber das iſt ihm ſehr ſchlecht
gelungen.
Ein kleines Gedicht? (Poeme) — Wenn Ri-
cher das Weſen eines Gedichts in die bloſſe Fiction
ſetzet: ſo bin ich es zufrieden, daß er die Fabel ein
Gedicht nennet. Wenn er aber auch die poetiſche
Sprache
[133] Sprache und ein gewiſſes Sylbenmaaß, als noth-
wendige Eigenſchaften eines Gedichtes betrachtet:
ſo kann ich ſeiner Meinung nicht ſeyn. — Ich wer-
de mich weiter unten hierüber ausführlicher er-
klären.
Eine Regel? (Precepte) — Dieſes Wort iſt
nichts beſtimmter, als das Wort Lehre des de la
Motte. Alle Künſte, alle Wiſſenſchaften haben
Regeln, haben Vorſchriften. Die Fabel aber ſtehet
einzig und allein der Moral zu. Von einer andern
Seite hingegen betrachtet, iſt Regel oder Vor-
ſchrift hier ſo gar noch ſchlechter als Lehre; weil
man unter Regel und Vorſchrift eigentlich nur ſolche
Sätze verſtehet, die unmittelbar auf die Beſtim-
mung unſers Thuns und Laſſens gehen. Von die-
ſer Art aber ſind nicht alle moraliſche Lehrſätze der
Fabel. Ein groſſer Theil derſelben ſind Erfahrungs-
ſätze, die uns nicht ſowohl von dem, was geſchehen
ſollte, als vielmehr von dem, was wirklich geſchie-
het, unterrichten. Iſt die Sentenz:
‘In principatu commutando civium
Nil præter domini nomen mutant pauperes;’ ()
J 3eine
[134]
eine Regel, eine Vorſchrift? Und gleichwohl iſt ſie
das Reſultat einer von den ſchönſten Fabeln des
Phädrus*. Es iſt zwar wahr, aus jedem ſolchen
Erfahrungsſatze können leicht eigentliche Vorſchrif-
ten und Regeln gezogen werden. Aber was in
dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum
auch in der Fabel. Und was müßte das für eine
Fabel ſeyn, in welcher ich den Satz mit allen ſeinen
Folgerungen auf einmal, anſchauend erkennen
ſollte?
Unter einem allegoriſchen Bilde? — Ueber
das Allegoriſche habe ich mich bereits erkläret. Aber
Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieſes
Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es viel-
leicht nur ergriffen, um vom de la Motte lieber
auf Gerathewohl abzugehen, als nach ihm Recht
zu haben? — Ein Bild heißt überhaupt jede ſinn-
liche Vorſtellung eines Dinges nach einer einzigen
ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir
nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderun-
gen, deren das Ding fähig iſt, ſondern allein die,
in
[135] in der es ſich in einem und eben demſelben Augen-
blicke befindet. In einem Bilde kann ich zwar alſo
wohl eine moraliſche Wahrheit erkennen, aber es iſt
darum noch keine Fabel. Der mitten im Waſſer
dürſtende Tantalus iſt ein Bild, und ein Bild,
das mir die Möglichkeit zeiget, man könne auch bey
dem größten Ueberfluſſe darben. Aber iſt dieſes
Bild deswegen eine Fabel? So auch folgendes kleine
Gedicht:
‘Curſu veloci pendens in novacula,
Calvus, comoſa fronte, nudo corpore,
Quem ſi occuparis, teneas; elapſum ſemel
Non ipſe poſſit Jupiter reprehendere;
Occaſionem rerum ſignificat brevem.
Effectus impediret ne ſegnis mora
Finxere antiqui talem effigiem temporis.’ ()
Wer wird dieſe Zeilen für eine Fabel erkennen, ob
ſie ſchon Phädrus als eine ſolche unter ſeinen Fa-
beln mit unterlaufen läßt? * Ein jedes Gleichniß,
ein jedes Emblema würde eine Fabel ſeyn, wenn
ſie nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und
zwar zu Einem Zwecke übereinſtimmenden Bildern;
wenn ſie, mit einem Worte, nicht das nothwen-
J 4dig
[136]dig erforderte, was wir durch das Wort Hand-
lung ausdrücken.
Eine Handlung nenne ich, eine Folge von
Veränderungen, die zuſammen Ein Ganzes
ausmachen.
Dieſe Einheit des Ganzen beruhet auf der
Uebereinſtimmung aller Theile zu einem
Endzwecke.
Der Endzweck der Fabel, das, wofür die Fabel
erfunden wird, iſt der moraliſche Lehrſatz.
Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn
das, was ſie erzehlt, eine Folge von Veränderun-
gen iſt, und jede dieſer Veränderungen etwas dazu bey-
trägt, die einzeln Begriffe, aus welchen der moraliſche
Lehrſatz beſtehet, anſchauend erkennen zu laſſen.
Was die Fabel erzehlt, muß eine Folge von
Veränderungen ſeyn. Eine Veränderung, oder
auch mehrere Veränderungen, die nur neben ein-
ander beſtehen, und nicht auf einander folgen,
wollen zur Fabel nicht zureichen. Und ich kann es
für eine untriegliche Probe ausgeben, daß eine Fa-
bel ſchlecht iſt, daß ſie den Namen der Fabel gar
nicht
[137] nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung,
ſich ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein
bloſſes Bild, und der Mahler hat keine Fabel, ſon-
dern ein Emblema gemahlt. —
„Ein Fiſcher, in-
„dem er ſein Netz aus dem Meere zog, blieb der
„gröſſern Fifche, die ſich darinn gefangen hatten,
„zwar habhaft, die kleinſten aber ſchlupften durch
„das Netz durch, und gelangten glücklich wieder ins
„Waſſer.“
— Dieſe Erzehlung befindet ſich unter
den Aeſopiſchen Fabeln *, aber ſie iſt keine Fabel;
wenigſtens eine ſehr mittelmäſſige. Sie hat keine
Handlung, ſie enthält ein bloſſes einzelnes Factum,
das ſich ganz mahlen läßt; und wenn ich dieſes ein-
zelne Factum, dieſes Zurückbleiben der gröſſern und
dieſes Durchſchlupfen der kleinen Fiſche, auch mit
noch ſo viel andern Umſtänden erweiterte, ſo würde
doch in ihm allein, und nicht in den andern Um-
ſtänden zugleich mit, der moraliſche Lehrſatz liegen.
Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt,
eine Folge von Veränderungen iſt; alle dieſe Verände-
rungen müſſen zuſammen nur einen einzigen an-
J 5ſchauen-
[138] ſchauenden Begriff in mir erwecken. Erwecken ſie deren
mehrere, liegt mehr als ein moraliſcher Lehrſatz in der
vermeinten Fabel, ſo fehlt der Handlung ihre Einheit,
ſo fehlt ihr das, was ſie eigentlich zur Handlung macht,
und kann, richtig zu ſprechen, keine Handlung, ſon-
dern muß eine Begebenheit heiſſen. — Ein Exempel:
‘Lucernam fur accendit ex ara Iovis,
Ipſumque compilavit ad lumen ſuum;
Onuſtus qui ſacrilegio cum diſcederet,
Repente vocem ſancta miſit Religio:
Malorum quamvis iſta fuerint munera,
Mihique inviſa ut non offendar ſubripi;
Tamen, ſceleſte, ſpiritu culpam lues,
Olim cum adſcriptus venerit pœnæ dies.
Sed ne ignis noſter facinori præluceat,
Per quem verendos excolit pietas Deos,
Veto eſſe tale luminis commercium.
Ita hodie, nec lucernam de flamma Deùm
Nec de lucerna fas eſt accendi ſacrum.’ ()
Was hat man hier geleſen? Ein Hiſtörchen; aber
keine Fabel. Ein Hiſtörchen trägt ſich zu; eine
Fabel wird erdichtet. Von der Fabel alſo muß ſich
ein Grund angeben laſſen, warum ſie erdichtet wor-
den; da ich den Grund, warum ſich jenes zugetra-
gen, weder zu wiſſen noch anzugeben gehalten bin.
Was
[139] Was wäre nun der Grund, warum dieſe Fabel er-
dichtet worden, wenn es anders eine Fabel wäre?
Recht billig zu urtheilen, könnte es kein andrer als
dieſer ſeyn: der Dichter habe einen wahrſcheinlichen
Anlaß zu dem doppelten Verbote, weder von dem
heiligen Feuer ein gemeines Licht, noch von
einem gemeinen Lichte das heilige Feuer an-
zuzünden, erzehlen wollen. Aber wäre das eine
moraliſche Abſicht, dergleichen der Fabuliſt doch
nothwendig haben ſoll? Zur Noth könnte zwar die-
ſes einzelne Verbot zu einem Bilde des allgemeinen
Verbots dienen, daß das Heilige mit dem Un-
heiligen, das Gute mit dem Böſen in keiner
Gemeinſchaft ſtehen ſoll. Aber was tragen als-
denn die übrigen Theile der Erzehlung zu dieſem
Bilde bey? Zu dieſem gar nichts; ſondern ein jeder
iſt vielmehr das Bild, der einzelne Fall einer ganz
andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat es
ſelbſt empfunden, und hat ſich aus der Verlegenheit,
welche Lehre er allein daraus ziehen ſolle, nicht beſſer zu
reiſſen gewußt, als wenn er deren ſo viele daraus zöge,
als ſich nur immer ziehen lieſſen. Denn er ſchließt:
Quot
[140]‘Quot res contineat hoc argumentum utiles
Non explicabit alius, quam qui repperit.
Significat primo, ſæpe, quos ipſe alueris,
Tibi inveniri maxime contrarios.
Secundo oſtendit, ſcelera non ira Deum,
Tatorum dicto ſed puniri tempore.
Noviſſime interdicit, ne cum malefico
Uſum bonus conſociet ullius rei.’ ()
Eine elende Fabel, wenn niemand anders als ihr
Erfinder es erklären kann, wie viel nützliche Din-
ge ſie enthalte! Wir hätten an einem genug! —
Kaum ſollte man es glauben, daß einer von den Al-
ten, einer von dieſen groſſen Meiſtern in der Ein-
falt ihrer Plane, uns dieſes Hiſtörchen für eine Fa-
bel * verkaufen können.
Breitinger.
Ich würde von dieſem groſſen Kunſtrichter nur
wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken
noch überall Recht hätte. — Er giebt uns aber
eine doppelte Erklärung von der Fabel **. Die
eine hat er von dem de la Motte entlehnet; und
die andere iſt ihm ganz eigen.
Nach
[141]
Nach jener verſteht er unter der Fabel, eine un-
ter der wohlgerathenen Allegorie einer ähn-
lichen Handlung verkleidete Lehre und Unter-
weiſung. — Der klare, überſetzte de la Motte!
Und der ein wenig gewäſſerte: könnte man noch
dazuſetzen. Denn was ſollen die Beywörter:
wohlgerathene Allegorie; ähnliche Handlung?
Sie ſind höchſt überflüſſig.
Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung
auf ihn verſparet. Richer ſagt: die Lehre ſolle
unter dem allegoriſchen Bilde verſteckt (caché) ſeyn.
Verſteckt! welch ein unſchickliches Wort! In man-
chem Räthſel ſind Wahrheiten, in den Pythagori-
ſchen Denkſprüchen ſind moraliſche Lehren verſteckt;
aber in keiner Fabel. Die Klahrheit, die Lebhaf-
tigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Theilen einer
guten Fabel auf einmal hervor ſtrahlet, hätte durch
ein ander Wort, als durch das ganz widerſprechen-
de verſteckt, ausgedrückt zu werden verdienet.
Sein Vorgänger de la Motte hatte ſich um ein
gut Theil feiner erklärt; er ſagt doch nur, verkleidet
(deguiſé). Aber auch verkleidet iſt noch viel zu
unrichtig,
[142] unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff
einer mühſamen Erkennung mit ſich führet. Und
es muß gar keine Mühe koſten, die Lehre in der
Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich
ſo reden darf, Mühe und Zwang koſten, ſie darinn
nicht zu erkennen. Aufs höchſte würde ſich dieſes
verkleidet nur in Anſehung der zuſammengeſetz-
ten Fabel entſchuldigen laſſen. In Anſehung der
einfachen iſt es durchaus nicht zu dulden. Von
zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch
den andern ausgedrückt, einer in den andern ver-
kleidet werden: aber wie man das Allgemeine in
das Beſondere verkleiden könne, das begreife ich
ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt
ein ähnliches Wort hier brauchen, ſo müßte es an-
ſtatt verkleiden wenigſtens einkleiden heiſſen.
Von einem deutſchen Kunſtrichter hätte ich über-
haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä-
rung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den
ſchön vernünſtelnden Franzoſen überlaſſen ſollen, ſich
damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde
es ſehr wohl angeſtanden haben, wenn er uns mit
den
[143] den trocknen Worten der Schule belehrt hätte, daß
die moraliſche Lehre in die Handlung weder ver-
ſteckt noch verkleidet, ſondern durch ſie der an-
ſchauenden Erkenntniß fähig gemacht werde.
Ihm würde es erlaubt geweſen ſeyn, uns von der
Natur dieſer auch der roheſten Seele zukommenden
Erkenntniß, von der mit ihr verknüpften ſchnellen
Ueberzeugung, von ihrem daraus entſpringenden
mächtigen Einfluſſe auf den Willen, das Nöthige zu
lehren. Eine Materie, die durch den ganzen ſpe-
culativiſchen Theil der Dichtkunſt von dem größten
Nutzen iſt, und von unſerm Weltweiſen ſchon
gnugſam erläutert war*! — Was Breitinger aber
damals unterlaſſen, das iſt mir, itzt nachzuhohlen,
nicht mehr erlaubt. Die philoſophiſche Sprache iſt
ſeit dem unter uns ſo bekannt geworden, daß ich
mich der Wörter anſchauen, anſchauender Er-
kenntniß, gleich von Anfange als ſolcher Wörter
ohne
[144] ohne Bedenken habe bedienen dürfen, mit welchen
nur wenige nicht einerley Begriff verbinden.
Ich käme zu der zweyten Erklärung, die uns
Breitinger von der Fabel giebt. Doch ich bedenke
daß ich dieſe bequemer an einem andern Orte werde
unterſuchen können. — Ich verlaſſe ihn alſo
Batteux.
Batteux erkläret die Fabel kurz weg durch die
Erzehlung einer allegoriſchen Handlung*.
Weil er es zum Weſen der Allegorie macht, daß ſie
eine Lehre oder Wahrheit verberge, ſo hat er ohne
Zweifel geglaubt, des moraliſchen Satzes, der in
der Fabel zum Grunde liegt, in ihrer Erklärung gar
nicht erwähnen zu dürfen. Man ſiehet ſogleich,
was von meinen bisherigen Anmerkungen, auch
wider dieſe Erklärung anzuwenden iſt. Ich will
mich daher nicht wiederhohlen, ſondern bloß die
fernere Erklärung, welche Batteux von der Hand-
lung giebt, unterſuchen.
„Eine
[145]‘„Eine Handlung,’ ()
ſagt Batteux,
iſt eine Un-
„ternehmung, die mit Wahl und Abſicht geſchie-
„het. — Die Handlung ſetzet, auſſer dem Leben
„und der Wirkſamkeit, auch Wahl und Endzweck
„voraus, und kömmt nur vernünftigen Weſen zu.“
Wenn dieſe Erklärung ihre Richtigkeit hat, ſo
mögen wir nur neun Zehntheile von allen exiſtiren-
den Fabeln ausſtreichen. Aeſopus ſelbſt wird als-
dann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben,
welche die Probe halten. —
„Zwey Hähne kämpfen
„mit einander. Der Beſiegte verkriecht ſich. Der
„Sieger fliegt auf das Dach, ſchlägt ſtolz mit den
„Flügeln und krähet. Plötzlich ſchießt ein Adler
„auf den Sieger herab, und zerfleiſcht ihn *. —
Ich habe das allezeit für eine ſehr glückliche Fabel
gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteux,
die Handlung. Denn wo iſt hier eine Unterneh-
mung, die mit Wahl und Abſicht geſchähe? —
„Der Hirſch betrachtet ſich in einer ſpiegelnden
„Quelle; er ſchämt ſich ſeiner dürren Läufte; und
„freuet ſich ſeines ſtolzen Geweihes. Aber nicht
K„lange!
[146] „lange! Hinter ihm ertönte die Jagd; ſeine dürren
„Läufte bringen ihn glücklich ins Gehölze; da ver-
„ſtrickt ihn ſein ſtolzes Geweih; er wird erreicht*. —
Auch hier ſehe ich keine Unternehmung, keine Ab-
ſicht. Die Jagd iſt zwar eine Unternehmung, und
der fliehende Hirſch hat die Abſicht ſich zu retten;
aber beyde Umſtände gehören eigentlich nicht zur
Fabel, weil man ſie, ohne Nachtheil derſelben,
weglaſſen und verändern kann. Und dennoch fehlt
es ihr nicht an Handlung. Denn die Handlung
liegt in dem falſch befundenen Urtheile des Hir-
ſches. Der Hirſch urtheilet falſch; und lernet gleich
darauf aus der Erfahrung, daß er falſch geurtheilet
habe. Hier iſt alſo eine Folge von Veränderungen,
die einen einzigen anſchauenden Begriff in mir er-
wecken. — Und das iſt meine obige Erklärung der
Handlung, von der ich glaube, daß ſie auf alle gute
Fabeln paſſen wird.
Giebt es aber doch wohl Kunſtrichter, welche
einen noch engern, und zwar ſo materiellen Begriff
mit dem Worte Handlung verbinden, daß ſie nir-
gends
[147] gends Handlung ſehen, als wo die Körper ſo thätig
ſind, daß ſie eine gewiſſe Veränderung des Rau-
mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerſpiele
Handlung, als wo der Liebhaber zu Füſſen fällt,
die Prinzeſſin ohnmächtig wird, die Helden ſich
palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs
ſpringt, der Wolf zerreiſſet, und der Froſch die
Maus ſich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie
beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von
Leidenſchaften, jede Folge von verſchiedenen Ge-
danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung
ſey; vielleicht weil ſie viel zu mechaniſch denken und
ſühlen, als daß ſie ſich irgend einer Thätigkeit dabey
bewußt wären. — Ernſthafter ſie zu widerlegen,
würde eine unnütze Mühe ſeyn. Es iſt aber nur
Schade, daß ſie ſich einigermaſſen mit dem Bat-
teux ſchützen, wenigſtens behaupten können, ihre
Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abſtrahiret
zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er-
klärung des Batteux paſſet, paſſet auch ihre, ſo
abgeſchmackt ſie immer iſt.
K 2Batteux,
[148]
Batteux, wie ich wohl darauf wetten wollte,
hat bey ſeiner Erklärung nur die erſte Fabel des
Phädrus vor Augen gehabt; die er, mehr als ein-
mal, une des plus belles \& des plus celebres de l’an-
tiquité nennet. Es iſt wahr, in dieſer iſt die Hand-
lung ein Unternehmen, das mit Wahl und Abſicht
geſchiehet. Der Wolf nimmt ſich vor, das Schaf
zu zerreiſſen,
er will es
aber nicht ſo plump zu, er will es mit einem Schei-
ne des Rechts thun, und alſo
—
Ich ſpreche dieſer Fabel ihr Lob nicht ab; ſie iſt ſo
vollkommen, als ſie nur ſeyn kann. Allein ſie iſt
nicht deswegen vollkommen, weil ihre Handlung
ein Unternehmen iſt, das mit Wahl und Abſicht
geſchiehet; ſondern weil ſie ihrer Moral, die von
einem ſolchen Unternehmen ſpricht, ein völliges
Genüge thut. Die Moral iſt *:
ὁις προϑεσις ἀδι-
κειν, παρ᾿ ἀυτοις ȣ̍ δικαιολογια ἰσχυει.
Wer den
Vorſatz hat, einen Unſchuldigen zu unterdrücken,
der wird es zwar
zu thun ſuchen;
er wird einen ſcheinbaren Vorwand wählen; aber
ſich
[149] ſich im geringſten nicht von ſeinem einmal gefaßten
Entſchluſſe abbringen laſſen, wenn ſein Vorwand
gleich völlig zu Schanden gemacht wird. Dieſe Mo-
ral redet von einem Vorſatze (deſſein); ſie redet
von gewiſſen, vor andern vorzüglich gewählten
Mitteln, dieſen Vorſatz zu vollführen (choix): und
folglich muß auch in der Fabel etwas ſeyn, was
dieſem Vorſatze, dieſen gewählten Mitteln ent-
ſpricht; es muß in der Fabel ſich ein Unternehmen
ſinden, das mit Wahl und Abſicht geſchiehet. Bloß
dadurch wird ſie zu einer vollkommenen Fabel;
welches ſie nicht ſeyn würde, wenn ſie den geringſten
Zug mehr oder weniger enthielte, als den Lehrſatz an-
ſchauend zu machen nöthig iſt. Batteux bemerkt alle
ihre kleinen Schönheiten des Ausdrucks und ſtellet
ſie von dieſer Seite in ein ſehr vortheilhaftes Licht;
nur ihre weſentliche Vortrefflichkeit läßt er unerör-
tert, und verleitet ſeine Leſer ſogar, ſie zu verken-
nen. Er ſagt nehmlich, die Moral die aus dieſer
Fabel flieſſe, ſey:
mé par le plus fort.’ ()
Wie ſeicht! Wie falſch! Wenn
ſie weiter nichts als dieſes lehren ſollte, ſo hätte
K 3wahrlich
[150] wahrlich der Dichter die fictæ cauſæ des Wolfs ſehr
vergebens, ſehr für die lange Weile erfunden; ſeine
Fabel ſagte mehr, als er damit hätte ſagen wollen,
und wäre, mit einem Worte, ſchlecht.
Ich will mich nicht in mehrere Exempel zerſtreuen.
Man unterſuche es nur ſelbſt, und man wird durch-
gängig finden, daß es bloß von der Beſchaffenheit
des Lehrſatzes abhängt, ob die Fabel eine ſolche
Handlung, wie ſie Batteux ohne Ausnahme fodert,
haben muß oder entbehren kann. Der Lehrſatz der
itzt erwehnten Fabel des Phädrus, machte ſie
wie wir geſehen, nothwendig; aber thun es deswe-
gen alle Lehrſätze? Sind alle Lehrſätze von dieſer
Art? Oder haben allein die, welche es ſind, das
Recht, in eine Fabel eingekleidet zu werden? Iſt z. E.
der Erfahrungsſatz:
‘Laudatis utiliora quæ contemſeris
Sæpe inveniri’ ()
nicht werth, in einem einzeln Falle, welcher die
Stelle einer Demonſtration vertreten kann, er-
kannt zu werden? Und wenn er es iſt, was für ein
Unternehmen, was für eine Abſicht, was für eine
Wahl
[151] Wohl liegt darinn, welche der Dichter auch in der
Fabel auszudrücken gehalten wäre?
So viel iſt wahr: wenn aus einem Erfahrungs-
ſatze unmittelbar eine Pflicht, etwas zu thun oder
zu laſſen, folget; ſo thut der Dichter beſſer, wenn
er die Pflicht, als wenn er den bloſſen Erfahrungs-
ſatz in ſeiner Fabel ausdrückt. — „Groß ſeyn, iſt
„nicht immer ein Glück“ — Dieſen Erfahrungsſatz
in eine ſchöne Fabel zu bringen, möchte kaum mög-
lich ſeyn. Die obige Fabel von dem Fiſcher, wel-
cher nur der größten Fiſche habhaft bleibet, indem
die kleinern glücklich durch das Netz durchſchlupfen,
iſt, in mehr als einer Betrachtung, ein ſehr mißlun-
gener Verſuch. Aber wer heißt auch dem Dichter,
die Wahrheit von dieſer ſchielenden und unfrucht-
baren Seite nehmen? Wenn groß ſeyn nicht immer
ein Glück iſt, ſo iſt es oft in Unglück; und wehe
dem, der wider ſeinen Willen groß ward, den das
Glück ohne ſeine Zuthun erhob, um ihn ohne ſein
Verſchulden deſto elender zu machen! Die großen
Fiſche mußten groß werden; es ſtand nicht bey ihnen,
klein zu bleiben. Ich danke dem Dichter für kein
K 4Bild,
[152] Bild, in welchem eben ſo viele ihr Unglück, als ihr
Glück erkennen. Er ſoll niemanden mit ſeinen Um-
ſtänden unzufrieden machen; und hier macht er
doch, daß es die Groſſen mit den ihrigen ſeyn müſ-
ſen. Nicht das Groß Seyn, ſondern die eitele Be-
gierde groß zu werden (κενοδοξιαν), ſollte er uns als
eine Quelle des Unglücks zeigen. Und das that
jener Alte *, der die Fabel von den Mäuſen und
Wieſeln erzehlte.
„Die Mäuſe glaubten, daß ſie
„nur deswegen in ihrem Kriege mit den Wieſeln ſo
„unglücklich wären, weil ſie keine Heerführer hät-
„ten, und beſchloßen dergleichen zu wählen. Wie
„rang nicht dieſe und jene ehrgeitzige Maus, es zu
„werden! Und wie theuer kam ihr am Ende dieſer
„Vorzug zu ſtehen! Die Eiteln banden ſich Hörner
„auf,
— — — ut conſpicuum in prælio
Haberent ſignum, quod ſequerentur milites.
„und dieſe Hörner, als ihr Heer dennoch wieder ge-
„ſchlagen ward, hinderten ſie, ſich in ihre engen
„Löcher zu retten,
Hæſere in portis, ſuntque capti ab hoſtibus
Quos
[153]Quos immolatos victor avidis dentibus
Capacis alvi merſit tartareo ſpecu.
Dieſe Fabel iſt ungleich ſchöner. Wodurch iſt ſie es
aber anders geworden, als dadurch, daß der Dich-
ter die Moral beſtimmter und fruchtbarer angenom-
men hat? Er hat das Beſtreben nach einer eiteln
Größe, und nicht die Größe überhaupt, zu ſeinem
Gegenſtande gewählet; und nur durch dieſes Be-
ſtreben, durch dieſe eitle Größe, iſt natürlicher
Weiſe auch in ſeine Fabel das Leben gekommen, das
uns ſo ſehr in ihr gefällt.
Ueberhaupt hat Batteux die Handlung der Ae-
ſopiſchen Fabel, mit der Handlung der Epopee und
des Drama viel zu ſehr verwirrt. Die Handlung
der beyden letztern muß außer der Abſicht, welche
der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr
ſelbſt zukommende Abſicht haben. Die Handlung
der erſtern braucht dieſe innere Abſicht nicht, und
ſie iſt vollkommen genug, wenn nur der Dichter ſeine
Abſicht damit erreichet. Der heroiſche und drama-
tiſche Dichter machen die Erregung der Leidenſchaf-
K 5ten
[154] ten zu ihrem vornehmſten Endzwecke. Er kann ſie
aber nicht anders erregen, als durch nachgeahmte
Leidenſchaften; und nachahmen kann er die Leiden-
ſchaften nicht anders, als wenn er ihnen gewiſſe
Ziele ſetzet, welchen ſie ſich zu nähern, oder von
welchen ſie ſich zu entfernen ſtreben. Er muß alſo
in die Handlung ſelbſt Abſichten legen, und dieſe
Abſichten unter eine Hauptabſicht ſo zu bringen wiſ-
ſen, daß verſchiedene Leidenſchaften neben einander
beſtehen können. Der Fabuliſte hingegen hat mit
unſern Leidenſchaften nichts zu thun, ſondern allein
mit unſerer Erkenntniß. Er will uns von irgend einer
einzeln moraliſchen Wahrheit lebendig überzeugen.
Das iſt ſeine Abſicht, und dieſe ſucht er, nach Maaß-
gebung der Wahrheit, durch die ſinnliche Vorſtel-
lung einer Handlung bald mit, bald ohne Abſichten,
zu erhalten. So bald er ſie erhalten hat, iſt es ihm
gleich viel, ob die von ihm erdichtete Handlung ihre
innere Endſchaft erreicht hat, oder nicht. Er läßt
ſeine Perſonen oft mitten auf dem Wege ſtehen, und
denket in geringſten nicht daran, unſerer Neugierde
ihretwegen ein Genüge zu thun.
„Der Wolf be-
„ſchuldi-
[155] „ſchuldiget den Fuchs eines Diebſtahls. Der Fuchs
„leugnet die That. Der Affe ſoll Richter ſeyn. Klä-
„ger und Beklagter bringen ihre Gründe und Gegen-
„gründe vor. Endlich ſchreitet der Affe zum Urtheil *:
Tu non videris perdidiſſe, quod petis;
Te credo ſurripuiſſe, quod pulchre negas.
Die Fabel iſt aus; denn in dem Urtheil des Affen
lieget die Moral, die der Fabuliſt zum Augenmerke
gehabt hat. Iſt aber das Unternehmen aus, das
uns der Anfang derſelben verſpricht? Man bringe
dieſe Geſchichte in Gedanken auf die komiſche Büh-
ne, und man wird ſogleich ſehen, daß ſie durch
einen ſinnreichen Einfall abgeſchnitten, aber nicht
geendigt iſt. Der Zuſchauer iſt nicht zufrieden,
wenn er voraus ſiehet, daß die Streitigkeit hinter
der Seene wieder von vorne angehen muß. —
„Ein
„armer geplagter Greis ward unwillig, warf ſeine
„Laſt von dem Rücken, und rief den Tod. Der
„Tod erſcheinet. Der Greis erſchrickt und fühlt be-
„troffen, daß elend leben doch beſſer als gar nicht
„leben iſt. Nun, was ſoll ich? fragt der Tod. Ach,
„lieber
[156] „lieber Tod, mir meine Laſt wieder aufhelfen *.
—
Der Fabuliſt iſt glücklich, und zu unſerm Vergnügen
an ſeinem Ziele. Aber auch die Geſchichte? Wie
ging es dem Greiſe? Ließ ihn der Tod leben, oder
nahm er ihn mit? Um alle ſolche Fragen beküm-
mert ſich der Fabuliſt nicht; der dramatiſche Dich-
ter aber muß ihnen vorbauen.
Und ſo wird man hundert Beyſpiele finden, daß
wir uns zu einer Handlung für die Fabel mit weit
wenigerm begnügen, als zu einer Handlung für das
Heldengedichte oder das Drama. Will man daher
eine allgemeine Erklärung von der Handlung ge-
ben, ſo kann man unmöglich die Erklärung des
Batteux dafür brauchen, ſondern muß ſie nothwen-
dig ſo weitläuftig machen, als ich es oben gethan
habe. — Aber der Sprachgebrauch? wird man ein-
werffen. Ich geſtehe es; dem Sprachgebrauche
nach, heißt gemeiniglich das eine Handlung, was
einem gewiſſen Vorſatze zu Folge unternommen wird;
dem Sprachgebrauche nach, muß dieſer Vorſatz
ganz erreicht ſeyn, wenn man ſoll ſagen können,
daß
[157] daß die Handlung zu Ende ſey. Allein was folgt
hieraus? Dieſes: wem der Sprachgebrauch ſo gar
heilig iſt, daß er ihn auf keine Weiſe zu verletzen
wagt, der enthalte ſich des Wortes Handlung, in-
ſofern es eine weſentliche Eigenſchaft der Fabel
ausdrücken ſoll, ganz und gar. —
Und, alles wohl überlegt, dem Rathe werde ich
ſelbſt folgen. Ich will nicht ſagen, die moraliſche
Lehre werde in der Fabel durch eine Handlung aus-
gedrückt; ſondern ich will lieber ein Wort von einem
weitern Umfange ſuchen und ſagen, der allgemeine
Satz werde durch die Fabel auf einen einzeln
Fall zurückgeführet. Dieſer einzelne Fall wird
allezeit das ſeyn, was ich oben unter dem Worte
Handlung verſtanden habe; das aber, was Batteux
darunter verſtehet, wird er nur dann und wann
ſeyn. Er wird allezeit eine Folge von Veränderun-
gen ſeyn, die durch die Abſicht, die der Fabuliſt da-
mit verbindet, zu einem Ganzen werden. Sind
ſie es auch auſſer dieſer Abſicht; deſto beſſer! Eine
Folge von Veränderungen — daß es aber Verän-
derungen freyer, moraliſcher Weſen ſeyn müſſen,
verſtehet
[158] verſtehet ſich von ſelbſt. Denn ſie ſollen einen Fall
ausmachen, der unter einem Allgemeinen, das ſich
nur von moraliſchen Weſen ſagen läßt, mit be-
griffen iſt. Und darinn hat Batteux freylich Recht,
daß das, was er die Handlung der Fabel nennet,
bloß vernünftigen Weſen zukomme. Nur kömmt es
ihnen nicht deswegen zu, weil es ein Unternehmen
mit Abſicht iſt, ſondern weil es Freyheit voraus-
ſetzt. Denn die Freyheit handelt zwar allezeit aus
Grunde, aber nicht allezeit aus Abſichten. — —
Sind es meine Leſer nun bald müde, mich
nichts als widerlegen zu hören? Ich wenigſtens
bin es. De la Motte, Richer, Breitin-
ger, Batteux, ſind Kunſtrichter von allerley
Art; mittelmäßige, gute, vortreffliche. Man
iſt in Gefahr ſich auf dem Wege zur Wahrheit zu
verirren, wenn man ſich um gar keine Vorgän-
ger bekümmert; und man verſäumet ſich ohne
Noth, wenn man ſich um alle bekümmern will.
Wie weit bin ich? Huy, daß mir meine Le-
ſer alles, was ich mir ſo muhſam erſtritten habe,
von
[159] von ſelbſt geſchenkt hätten! — In der Fabel wird
nicht eine jede Wahrheit, ſondern ein allgemei-
ner moraliſcher Satz, nicht unter die Allegorie
einer Handlung, ſondern auf einen einzeln Fall,
nicht verſteckt oder verkleidet, ſondern ſo zurück-
geführet, daß ich, nicht bloß einige Aehnlich-
keiten mit dem moraliſchen Satze in ihm ent-
decke, ſondern dieſen ganz auſchauend darinn erkenne.
Und das iſt das Weſen der Fabel? Das iſt es,
ganz erſchöpft? — Ich wollte es gern meine Leſer
bereden, wenn ich es nur erſt ſelbſt glaubte. —
Ich leſe bey dem Ariſtoteles*:
„Eine obrigkeitli-
„che Perſon durch das Looß ernennen, iſt eben als
„wenn ein Schiffsherr, der einen Steuermann
„braucht, es auf das Looß aukommen lieſſe, wel-
„cher von ſeinen Matroſen es ſeyn ſollte, anſtatt
„daß er den allergeſchickteſten dazu unter ihnen mit
„Fleiß ausſuchte.“
— Hier ſind zwey beſondere
Fälle, die unter eine allgemeine moraliſche Wahr-
heit gehören. Der eine iſt der ſich eben itzt äuſſern-
de; der andere iſt der erdichtete. Iſt dieſer erdich-
tete,
[160] tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten
laſſen. — Aber wenn es bey dem Ariſtoteles ſo
hieſſe:
„Ihr wollt euren Magiſtrat durch das Looß
„ernennen? Ich ſorge, es wird euch gehen wie
„jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem
„Steuermanne fehlte ꝛc.“
Das verſpricht doch eine
Fabel? Und warum? Welche Veränderung iſt da-
mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und
man wird keine finden als dieſe: Dort ward der
Schiffsherr durch ein als wenn eingeführt, er ward
bloß als möglich betrachtet; und hier hat er die
Wirklichkeit erhalten; es iſt hier ein gewiſſer, es
iſt jener Schiffsherr.
Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus
welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vor-
geſtellet werden. Begnüge ich mich an der Mög-
lichkeit deſſelben ſo iſt es ein Beyſpiel, eine Para-
bel. — Es verlohnt ſich der Mühe dieſen wichtigen
Unterſchied, aus welchem man allein ſo viel zwey-
deutigen Fabeln das Urtheil ſprechen muß, an eini-
gen Exempeln zu zeigen. — Unter den Aeſopiſchen
Fabeln des Planudes lieſet man auch folgendes:
„Der
[161]
„Der Biber iſt ein vierfüſſiges Thier, das meiſtens
„im Waſſer wohnet, und deſſen Geilen in der Me-
„dicin von groſſem Nutzen ſind. Wenn nun dieſes
„Thier von den Menſchen verfolgt wird, und ihnen
„nicht mehr entkommen kann; was thut es? Es
„beißt ſich ſelbſt die Geilen ab, und wirft ſie ſeinen
„Verfolgern zu. Denn es weis gar wohl, daß
„man ihm nur dieſerwegen nachſtellet, und es ſein
„Leben und ſeine Freyheit wohlfeiler nicht erkaufen
„kann *.“
— Iſt das eine Fabel? Es liegt wenig-
ſtens eine vortreffliche Moral darinn. Und dennoch
wird ſich niemand bedenken, ihr den Namen einer
Fabel abzuſprechen. Nur über die Urſache, warum
er ihr abzuſprechen ſey, werden ſich vielleicht die
meiſten bedenken, und uns doch endlich eine falſche
angeben. Es iſt nichts als eine Naturgeſchichte:
würde man vielleicht mit dem Verfaſſer der Criti-
ſchen Briefe** ſagen. Aber gleichwohl, würde
ich mit eben dieſem Verfaſſer antworten, handelt
hier der Biber nicht aus bloſſem Inſtinkt, er han-
Ldelt
[162] delt aus freyer Wahl und nach reifer Ueberlegung;
denn er weis es, warum er verfolgt wird (
γινωσ-
κων ȣ̍ χαριν διωκεται
). Dieſe Erhebung des In-
ſtinkts zur Vernunft, wenn ich ihm glauben ſoll,
macht es ja eben, daß eine Begegniß aus dem Rei-
che der Thiere zu einer Fabel wird. Warum wird
ſie es denn hier nicht? Ich ſage: ſie wird es deswe-
gen nicht, weil ihr die Wirklichkeit fehlet. Die
Wirklichkeit kömmt nur dem Einzeln, dem Indivi-
duo zu; und es läßt ſich keine Wirklichkeit ohne die
Individualität gedenken. Was alſo hier von dem
ganzen Geſchlechte der Biber geſagt wird, hätte
müſſen nur von einem einzigen Biber geſagt werden;
und alsdenn wäre es eine Fabel geworden. — Ein
ander Exempel:
„Die Affen, ſagt man, bringen
„zwey Junge zur Welt, wovon ſie das eine ſehr
„heftig lieben und mit aller möglichen Sorgfalt pfle-
„gen, das andere hingegen haſſen und verſäumen.
„Durch ein ſonderbares Geſchick aber geſchieht es,
„daß die Mutter das Geliebte unter häuffigen Lieb-
„koſungen erdrückt, indem das Verachtete glücklich
„aufwächſet *.“
Auch dieſes iſt aus eben der Ur-
ſache,
[163] ſache, weil das, was nur von einem Jndividuo ge-
ſagt werden ſollte, von einer ganzen Art geſagt
wird, keine Fabel. Als daher Leſtrange eine Fabel
daraus machen wollte, mußte er ihm dieſe Allgemein-
heit nehmen, und die Individualität dafür erthei-
len *.
„Eine Aeffin, erzehlt er, hatte zwey Junge;
„in das eine war ſie närriſch verliebt, an dem andern
„aber war ihr ſehr wenig gelegen. Einsmals überfiel
„ſie ein plötzlicher Schrecken. Geſchwind raft ſie
„ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt
„davon, ſtürzt aber, und ſchlägt mit ihm gegen einen
„Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerſchmetter-
„ten Schedel ſpringt. Das andere Junge, um das
„ſie ſich im geringſten nicht bekümmert hatte, war ihr
„von ſelbſt auf den Rücken geſprungen, hatte ſich
„an ihre Schultern angeklammert, und kam glück-
„lich davon.“
— Hier iſt alles beſtimmt; und was
dort nur eine Parabel war, iſt hier zur Fabel ge-
worden. — Das ſchon mehr als einmal angeführte
Beyſpiel von dem Fiſcher, hat den nehmlichen Feh-
ler; denn ſelten hat eine ſchlechte Fabel einen Fehler
L 2allein.
[164] allein. Der Fall ereignet ſich allezeit, ſo oft das
Netz gezogen wird, daß die Fiſche welche kleiner ſind,
als die Gitter des Netzes, durchſchlupfen und die
gröſſern hangen bleiben. Vor ſich ſelbſt iſt dieſer
Fall alſo kein indwidueller Fall, ſondern hätte es
durch andere mit ihm verbundene Nebenumſtände
erſt werden müſſen.
Die Sache hat alſo ihre Richtigkeit: der beſon-
dere Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als
wirklich vorgeſtellt werden; er muß das ſeyn, was
wir in dem ſtrengſten Verſtande einen einzeln Fall
nennen. Aber warum? Wie ſteht es um die phi-
loſophiſche Urſache? Warum begnügt ſich das Exem-
pel der practiſchen Sittenlehre, wie man die Fabel
nennen kann, nicht mit der bloſſen Möglichkeit, mit
der ſich die Exempel andrer Wiſſenſchaften begnü-
gen? — Wie viel lieſſe ſich hiervon plaudern, wenn
ich bey meinen Leſern gar keine richtige pſychologi-
ſche Begriffe vorausſetzen wollte. Ich habe mich
oben ſchon geweigert, die Lehre von der anſchauen-
den Erkenntniß aus unſerm Weltweiſen abzuſchrei-
ben. Und ich will auch hier nicht mehr davon bey-
bringen,
[165] bringen, als unumgänglich nöthig iſt, die Folge
meiner Gedanken zu zeigen.
Die anſchauende Erkenntniß iſt vor ſich ſelbſt klar.
Die ſymboliſche entlehnet ihre Klarheit von der an-
ſchauenden.
Das Allgemeine exiſtiret nur in dem Beſondern,
und kann nur in dem Beſondern anſchauend erkannt
werden.
Einem allgemeinen ſymboliſchen Schluſſe folglich
alle die Klarheit zu geben, deren er fähig iſt, das
iſt, ihn ſo viel als möglich zu erläutern; müſſen wir
ihn auf das Beſondere reduciren, um ihn in dieſem
anſchauend zu erkennen.
Ein Beſonderes, in ſo fern wir das Allgemeine in
ihm anſchauend erkennen, heißt ein Exempel.
Die allgemeinen ſymboliſchen Schlüſſe werden
alſo durch Exempel erläutert. Alle Wiſſenſchaften
beſtehen aus dergleichen ſymboliſchen Schlüſſen; alle
Wiſſenſchaften bedürfen daher der Exempel.
Doch die Sittenlehre muß mehr thun, als ihre
allgemeinen Schlüſſe bloß erläutern; und die Klar-
L 3heit
[166] heit iſt nicht der einzige Vorzug der anſchauenden
Erkenntniß.
Weil wir durch dieſe einen Satz geſchwinder über-
ſehen, und ſo in einer kürzern Zeit mehr Bewegungs-
gründe in ihm entdecken können, als wenn er ſym-
boliſch ausgedrückt iſt: ſo hat die anſchauende Er-
kenntniß auch einen weit gröſſern Einfluß in den
Willen, als die ſymboliſche.
Die Grade dieſes Einfluſſes richten ſich nach den
Graden ihrer Lebhaftigkeit; und die Grade ihrer
Lebhaftigkeit, nach den Graden der nähern und
mehrern Beſtimmungen, in die das Beſondere ge-
ſetzt wird. Je näher das Beſondere beſtimmt wird,
je mehr ſich darinn unterſcheiden läßt, deſto gröſſer
iſt die Lebhaftigkeit der anſchauenden Erkenntniß.
Die Möglichkeit iſt eine Art des Allgemeinen;
denn alles was möglich iſt, iſt auf verſchiedene Art
möglich.
Ein Beſonderes alſo, bloß als möglich betrach-
tet, iſt gewiſſermaaſſen noch etwas Allgemeines
und hindert, als dieſes, die Lebhaftigkeit der an-
ſchauenden Erkenntniß.
Folglich
[167]
Folglich muß es als wirklich betrachtet werden
und die Individualität erhalten, unter der es allein
wirklich ſeyn kann, wenn die anſchauenden Erkennt-
niß den höchſten Grad ihrer Lebhaftigkeit erreichen,
und ſo mächtig, als möglich, auf den Willen wir-
ken ſoll.
Das Mehrere aber, das die Sittenlehre, auſſer
der Erläuterung, ihren allgemeinen Schlüſſen ſchul-
dig iſt, beſtehet eben in dieſer ihnen zu ertheilenden
Fähigkeit auf den Willen zu wirken, die ſie durch
die anſchauende Erkenntniß in dem Wirklichen er-
halten, da andere Wiſſenſchaften, denen es um die
bloſſe Erläuterung zu thun iſt, ſich mit einer gerin-
gern Lebhaftigkeit der anſchauenden Erkenntniß,
deren das Beſondere, als bloß möglich betrachtet,
fähig iſt, begnügen.
Hier bin ich alſo! Die Fabel erfordert deswegen
einen wirklichen Fall, weil man in einem wirklichen
Falle mehr Bewegungsgründe und deutlicher unter-
ſcheiden kann, als in einem möglichen; weil das
Wirkliche eine lebhaftere Ueberzeugung mit ſich füh-
ret, als das bloß Mögliche.
L 4Ariſto-
[168]
Ariſtoteles ſcheinet dieſe Kraft des Wirklichen
zwar gekannt zu haben; weil er ſie aber aus einer
unrechten Quelle herleitet, ſo konnte es nicht feh-
len, er mußte eine falſche Anwendung davon ma-
chen. Es wird nicht undienlich ſeyn, ſeine ganze
Lehre von dem Exempel ‘(περι παραδειγματος)’ () hier
zu überſehen*. Erſt von ſeiner Eintheilung des
Exempels: ‘Παραδειγματων δ̛ ἐιδη δυο ἐϛιν,’ () ſagt er,
ἑν μεν γαρ ἐϛι παραδειγματος ἐιδος, το λεγειν πραγ-
ματα προγεγε νημενα, ἑν δε, το ἁυτα ποιειν. Τουτου
δ̛ ἑν μεν παραβολη: ἑν δε λογοι: οἱον ὁι αισωπειοι και
λιβυκοι. Die Eintheilung überhaupt iſt richtig;
von einem Commentator aber würde ich verlangen,
daß er uns den Grund von der Unterabtheilung der
erdichteten Exempel beybrächte, und uns lehrte,
warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, und
mehrere nicht geben könne. Er würde dieſen Grund,
wie ich es oben gethan habe, leicht aus den Bey-
ſpielen ſelbſt abſtrahiren können, die Ariſtoteles da-
von giebt. Die Parabel nehmlich führt er durch
ein ‘ὡσπερ ἐι τις’ () ein; und die Fabeln erzehlt er als
etwas
[169] etwas wirklich Geſchehenes. Der Commentator
müßte alſo dieſe Stelle ſo umſchreiben: Die Exem-
pel werden entweder aus der Geſchichte genommen,
oder in Ermanglung derſelben erdichtet. Bey jedem
geſchehenen Dinge läßt ſich die innere Möglichkeit
von ſeiner Wirklichkeit unterſcheiden, obgleich nicht
trennen, wenn es ein geſchehenes Ding bleiben ſoll.
Die Kraft, die es als ein Exempel haben ſoll, liegt alſo
entweder in ſeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in
ſeiner Wirklichkeit. Soll ſie bloß in jener liegen, ſo
brauchen wir, in ſeiner Ermanglung, auch nur ein bloß
mögliches Ding zu erdichten; ſoll ſie aber in dieſer
liegen, ſo müſſen wir auch unſere Erdichtung von der
Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er-
ſten Falle erdichten wir eine Parabel, und in dem
andern eine Fabel. — (Was für eine weitere Ein-
theilung der Fabel hieraus folge, wird ſich in der
dritten Abhandlung zeigen).
Und ſo weit iſt wider die Lehre des Griechen eigent-
lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er
auf den Werth dieſer verſchiedenen Arten von Exem-
peln, und ſagt: Εισι δ̛ οἱ λογοι δημηγορικοι: ϰαι
L 5ἐχουσον
[170] ἐχουσιν ἀγαϑον τουτο, ὁτι πραγματα μεν ἑυρειν ὁμοια
γεγενημενα, χαλεπον, λογους δε ῥαον. Ποιησαι γαρ
δει ὡσπερ και παραβολας, ἀν τις δυνηται το ὁμοιον
ὁρᾳν, ὁπερ ῥαον ἐϛιν ἐκ φιλοσοφιας. Ρᾳω μεν ου᾽ν πο-
ρισασϑαι τα δια των λογων: χρησιμοτερα δε προς το
βουλευσασϑαι, τα δια των πραγματων: ὁμοια γαρ, ὡς
ἐπι το πολυ, πα μελλοντα τοις γεγονοσι. Ich will
mich itzt nur an den letzten Ausſpruch dieſer Stelle
halten. Ariſtoteles ſagt, die hiſtoriſchen Exem-
peln hätten deswegen eine gröſſere Kraft zu überzeu-
gen, als die Fabeln, weil das Vergangene gemei-
niglich dem Zukünftigen ähnlich ſey. Und hierinn,
glaube ich, hat ſich Ariſtoteles geirret. Von der
Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht ſelbt erfah-
ren habe, kann ich nicht anders als aus Gründen
der Wahrſcheinlichkeit überzeugt werden. Ich glaube
bloß deswegen, daß ein Ding geſchehen, und daß
es ſo und ſo geſchehen iſt, weil es höchſt wahrſchein-
lich iſt, und höchſt unwahrſcheinlich ſeyn würde,
wenn es nicht, oder wenn es anders geſchehen wäre.
Da alſo einzig und allein die innere Wahrſchein-
lichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles
glauben
[171] glauben macht, und dieſe innere Wahrſcheinlichkeit
ſich eben ſo wohl in einem erdichteten Falle finden
kann: was kann die Wirklichkeit des erſtern für eine
gröſſere Kraft auf meine Ueberzeugung haben, als
die Wirklichteit des andern? Ja noch mehr. Da
das hiſtoriſche Wahre nicht immer auch wahrſchem-
lich iſt; da Ariſtoteles ſelbſt die Sentenz des Aga-
tho billiget:
Ταχ̛ ἀν τις ἐικος αυτο τουτ̛ ἐιναι λεγοι:
Βροτοισι πολλα τυγχανειν ου᾽κ ἐικοτα:
da er hier ſelbſt ſagt, daß das Vergangene nur
gemeiniglich‘(ἑπι το πολυ)’ () dem Zukünftigen ähn-
lich ſey; der Dichter aber die freye Gewalt hat, hier-
inn von der Natur abzugehen, und alles, was er
für wahr ausgiebt, auch wahrſcheinlich zu machen:
ſo ſollte ich meinen, wäre es wohl klar, daß den
Fabeln, überhaupt zu reden, in Anſehung der Ueber-
zeugungskraft, der Vorzug vor den hiſtoriſchen
Exempel gebühre ꝛc.
Und nunmehr glaube ich meine Meinung von
dem Weſen der Fabel genugſam verbreitet zu haben.
Ich faſſe daher alles zuſammen und ſage: Wenn
wir
[172]wir einen allgemeinen moraliſchen Satz auf
einen beſondern Fall zurückführen, dieſem be-
ſondern Falle die Wirklichkeit ertheilen, und
eine Geſchichte daraus dichten, in welcher
man den allgemeinen Satz anſchauend er-
kennt: ſo heißt dieſe Erdichtung eine Fabel.
Das iſt meine Erklärung, und ich hoffe, daß
man ſie bey der Anwendung, eben ſo richtig als
fruchtbar finden wird.
II. Von
[[173]]
II.
Von dem Gebrauche der Thiere in der
Fabel.
Der größte Theil der Fabeln hat Thiere, und wohl
noch geringere Geſchöpfe, zu handelnden Perſo-
nen. — Was iſt hiervon zu halten? Iſt es
eine weſentliche Eigenſchaft der Fabel, daß die Thiere
darinn zu moraliſchen Weſen erhoben werden? Iſt
es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung
ſeiner Abſicht verkürzt und erleichtert? Iſt es ein Ge-
brauch, der eigentlich keinen ernſtlichen Nutzen hat,
den man aber, zu Ehren des erſten Erfinders, bey-
behält, weil er wenigſtens ſchnackiſch iſt — quod
riſum movet? Oder was iſt es?
Batteux hat dieſe Fragen entweder gar nicht vor-
ausgeſehen, oder er war liſtig genug, daß er ihnen
damit zu entkommen glaubte, wenn er den Gebrauch
der Thiere ſeiner Erklärung ſogleich mit anflickte.
Die Fabel, ſagt er, iſt die Erzehlung einer allegori-
ſchen
[174] ſchen Handlung, die gemeiniglich den Thieren
beygelegt wird. — Vollkommen à la Françoiſe!
Oder, wie der Hahn über die Kohlen! — Warum,
möchten wir gerne wiſſen, warum wird ſie gemei-
niglich den Thieren beygelegt? O, was ein lang-
ſamer Deutſcher nicht alles fragt!
Ueberhaupt iſt unter allen Kunſtrichtern Breitin-
ger der einzige, der dieſen Punkt berührt hat. Er
verdient es alſo um ſo viel mehr, daß wir ihn hören.
„Weil Aeſopus, ſagt er, die Fabel zum Unter-
„richte des gemeinen bürgerlichen Lebens angewen-
„det, ſo waren ſeine Lehren meiſtens ganz bekannte
„Sätze und Lebensregeln, und alſo mußte er auch
„zu den allegoriſchen Vorſtellungen derſelben ganz
„gewohnte Handlungen und Beyſpiele aus dem ge-
„meinen Leben der Menſchen entlehnen: Da nun
„aber die täglichen Geſchäfte und Handlungen der
„Menſchen nichts ungemeines oder merkwürdig
„reitzendes an ſich haben, ſo mußte man nothwendig
„auf ein neues Mittel bedacht ſeyn, auch der alle-
„goriſchen Erzehlung eine anzügliche Kraft und ein
„reitzendes Anſehen mitzutheilen, um ihr alſo da-
„durch
[175] „durch einen ſichern Eingang in das menſchliche
„Herz aufzuſchlieſſen. Nachdem man nun wahrge-
„nommen, daß allein das Seltene, Neue und Wun-
„derbare, eine ſolche erweckende und angenehm ent-
„zückende Kraft auf das menſchliche Gemüth mit
„ſich führet, ſo war man bedacht, die Erzehlung
„durch die Neuheit und Seltſamkeit der Vorſtellun-
„gen wunderbar zu machen, und alſo dem Körper
„der Fabel eine ungemeine und reizende Schönheit
„beyzulegen. Die Erzehlung beſtehet aus zween
„weſentlichen Hauptumſtänden, dem Umſtande der
„Perſon, und der Sache oder Handlung; ohne
„dieſe kann keine Erzehlung Platz haben. Alſo muß
„das Wunderbare, welches in der Erzehlung herr-
„ſchen ſoll, ſich entweder auf die Handlung ſelbſt,
„oder auf die Perſonen, denen ſelbige zugeſchrieben
„wird, beziehen. Das Wunderbare, das in den
„täglichen Geſchäften und Handlungen der Men-
„ſchen vorkömmt, beſtehet vornehmlich in dem Un-
„vermutheten, ſowohl in Abſicht auf die Vermeſſen-
„heit im Unterfangen, als die Boßheit oder Thor-
„heit im Ausführen, zuweilen auch in einem ganz
„uner-
[176] „unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber
„dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge-
„meinen Leben der Menſchen etwas ungewohntes
„und ſeltenes ſind; da hingegen die meiſten gewöhn-
„lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder
„merkwürdiges an ſich haben; ſo ſah man ſich ge-
„müſſiget, damit die Erzehlung als der Körper
„der Fabel, nicht verächtlich würde, derſelben
„durch die Veränderung und Verwandlung der
„Perſonen, einen angenehmen Schein des Wun-
„derbaren mitzutheilen. Da nun die Menſchen,
„bey aller ihrer Verſchiedenheit, dennoch überhaupt
„berrachtet in einer weſentlichen Gleichheit und Ver-
„wandtſchaft ſtehen, ſo beſann man ſich, Weſen
„von einer höhern Natur, die man wirklich zu ſeyn
„glaubte, als Götter und Genios, oder ſolche die
„man durch die Freyheit der Dichter zu Weſen er-
„ſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele,
„das Glück, die Gelegenheit ꝛc. in die Erzehlung
„einzuführen; vornehmlich aber nahm man ſich die
„Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und
„noch geringere Weſen, nehmlich die lebloſen Ge-
„ſchöpfe,
[177] „ſchöpfe, zu der höhern Natur der vernünftigen
„Weſen zu erheben, indem man ihnen menſchliche
„Vernunft und Rede mittheilte, damit ſie alſo fähig
„würden, uns ihren Zuſtand und ihre Begegniſſe
„in einer uns vernehmlichen Sprache zu erklären,
„und durch ihr Exempel von ähnlichen moraliſchen
„Handlungen unſre Lehrer abzugeben ꝛc.“ —
Breitinger alſo behauptet, daß die Erreichung
des Wunderbaren die Urſache ſey, warum man in
der Fabel die Thiere, und andere niedrigere Geſchö-
pfe, reden und vernunftmäſſig handeln laſſe. Und
eben weil er dieſes für die Urſache hält, glaubt er,
daß die Fabel überhaupt, in ihrem Weſen und Ur-
ſprunge betrachtet, nichts anders, als ein lehrrei-
ches Wunderbare ſey. Dieſe ſeine zweyte Erklä-
rung iſt es, welche ich hier, verſprochnermaaſſen,
unterſuchen muß.
Es wird aber bey dieſer Unterſuchung vornehm-
lich darauf ankommen, ob die Einführung der Thie-
re in der Fabel wirklich wunderbar iſt. Iſt ſie es,
ſo hat Breitinger viel gewonnen; iſt ſie es aber
Mnicht,
[178] nicht, ſo liegt auch ſein ganzes Fabelſyſtem, mit
einmal, über dem Hauffen.
Wunderbar ſoll dieſe Einführung ſeyn? Das
Wunderbare, ſagt eben dieſer Kunſtrichter, legt
den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Die-
ſe anſcheinende Unmöglichkeit alſo gehöret zu dem
Weſen des Wunderbaren; und wie ſoll ich nunmehr
jenen Gebrauch der Alten, den ſie ſelbſt ſchon zu
einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die
Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebſten mit
dem Φασι, und dem darauf folgenden Klagefalle
an. Die griechiſchen Rhetores nennen dieſes kurz,
die Fabel in dem Klagefalle ‘(ταις ἀιτιατικαις)’ () vor-
tragen; und Theon, wenn er in ſeinen Vorübun-
gen* hierauf kömmt, führet eine Stelle des Ari-
ſtoteles an, wo der Philoſoph dieſen Gebrauch
billiget, und es zwar deswegen für rathſamer er-
kläret, ſich bey Einführung einer Fabel lieber auf
das Alterthum zu beruffen, als in der eigenen Per-
ſon zu ſprechen, damit man den Anſchein, als
erzehle man etwas unmögliches, vermindere.
(ἱνα
[179]‘(ἱνα παραμυδησονται το δοκειν ἀδυνατα λεγειν).’ ()
War
alſo das der Alten ihre Denkungsart, wollten ſie
den Schein der Unmöglichkeit in der Fabel ſo viel
als möglich vemindert wiſſen: ſo mußten ſie noth-
wendig weit davon entfernt ſeyn, in der Fabel etwas
Wunderbares zu ſuchen, oder zur Abſicht zu haben;
denn das Wunderbare muß ſich auf dieſen Schein
der Unmöglichkeit gründen.
Weiter! Das Wunderbare, ſagt Breitinger
an mehr als einem Orte, ſey der höchſte Grad des
Neuen. Dieſe Neuheit aber muß das Wunderbare,
wenn es ſeine gehörige Wirkung auf uns thun ſoll,
nicht allein bloß in Anſehung ſeiner ſelbſt, ſondern
auch in Anſehung unſrer Vorſtellungen haben. Nur
das iſt wunderbar, was ſich ſehr ſelten in der Rei-
he der natürlichen Dinge eräugnet. Und nur das
Wunderbare behält ſeinen Eindruck auf uns, deſſen
Vorſtellung in der Reihe unſrer Vorſtellungen eben
ſo ſelten vorkömmt. Auf einen fleiſſigen Bibelleſer
wird das größte Wunder, das in der Schrift auf-
gezeichnet iſt, den Eindruck bey weiten nicht
mehr machen, den es das erſtemal auf ihn gemacht
M 2hat.
[180] hat. Er lieſet es endlich mit eben ſo wenigem Er-
ſtaunen, daß die Sonne einmal ſtille geſtanden, als
er ſie täglich auf und niedergehen ſieht. Das Wun-
der bleibt immer daſſelbe; aber nicht unſere Ge-
müthsverfaſſung, wenn wir es zu oft denken. —
Folglich würde auch die Einführung der Thiere uns
höchſtens nur in den erſten Fabeln wunderbar vor-
kommen; fänden wir aber, daß die Thiere faſt in
allen Fabeln ſprächen und urtheilten, ſo würde dieſe
Sonderbarkeit, ſo groß ſie auch an und vor ſich
ſelbſt wäre, doch gar bald nichts Sonderbares mehr
für uns haben.
Aber wozu alle dieſe Umſchweiffe? Was ſich auf
einmal umreiſſen läßt, braucht man das erſt zu er-
ſchüttern? — Darum kurz: daß die Thiere, und
andere niedrigern Geſchöpfe, Sprache und Vernunft
haben, wird in der Fabel vorausgeſetzt; es wird
angenommen; und ſoll nichts weniger als wunder-
bar ſeyn. — Wenn ich in der Schrift leſe: *„Da
„thät der Herr der Eſelin den Mund auf und ſie
„ſprach zu Bileam ꝛc.“ ſo leſe ich etwas wunderba-
res.
[181] res. Aber wenn ich bey dem Aeſopus leſe *: Φασιν,
ὁτε φωνεεντα ἠν τα ζωα, την ὀϊν προς τον δεσποτην
εἰπειν: „Damals, als die Thiere noch redeten, ſoll
„das Schaf zu ſeinem Hirten geſagt haben:„ ſo iſt
es ja wohl offenbar, daß mir der Fabuliſt nichts
wunderbares erzehlen will; ſondern vielmehr etwas,
das zu der Zeit, die er mit Erlaubniß ſeines Leſers
annimmt, dem gemeinen Lauffe der Natur vollkom-
men gemäß war.
Und das iſt ſo begreifflich, ſollte ich meinen, daß
ich mich ſchämen muß, noch ein Wort hinzuzuthun.
Ich komme vielmehr ſogleich auf die wahre Urſa-
che, — die ich wenigſtens für die wahre halte, —
warum der Fabuliſt die Thiere oft zu ſeiner Abſicht
bequemer findet, als die Menſchen. — Ich ſetze ſie
in die allgemein bekannte Beſtandtheit der
Charaktere. — Geſetzt auch, es wäre noch ſo leicht,
in der Geſchichte ein Exempel zu finden, in welchem
ſich dieſe oder jene moraliſche Wahrheit anſchauend
erkennen lieſſe. Wird ſie ſich deswegen von jedem,
ohne Ausnahme, darinn erkennen laſſen? Auch von
M 3dem,
[182] dem, der mit den Charakteren der dabey intereſſir-
ten Perſonen nicht vertraut iſt? Unmöglich! Und
wie viel Perſonen ſind wohl in der Geſchichte ſo all-
gemein bekannt, daß man ſie nur nennen dürfte,
um ſogleich bey einem jeden den Begriff von der
ihnen zukommenden Denkungsart und andern Eigen-
ſchaften zu erwecken? Die umſtändliche Charakteri-
ſirung daher zu vermeiden, bey welcher es doch
noch immer zweifelhaft iſt, ob ſie bey allen die
nehmlichen Ideen hervorbringt, war man gezwun-
gen, ſich lieber in die kleine Sphäre derjenigen We-
ſen einzuſchränken, von denen man es zuverläſſig
weis, daß auch bey den Unwiſſendſten ihren Be-
nennungen dieſe und keine andere Idee entſpricht.
Und weil von dieſen Weſen die wenigſten, ihrer
Natur nach geſchickt waren, die Rollen freyer We-
ſen über ſich zu nehmen, ſo erweiterte man lieber
die Schranken ihrer Natur, und machte ſie, unter
gewiſſen wahrſcheinlichen Vorausſetzungen dazu
geſchickt.
Man hört: Britannicus und Nero. Wie viele
wiſſen, was ſie hören? Wer war dieſer. Wer jener?
In
[183] In welchem Verhältniſſe ſtehen ſie gegen einan-
der? — Aber man hört: der Wolf und das
Lamm; ſogleich weis jeder, was er höret, und
weis, wie ſich das eine zu dem andern verhält. Dieſe
Wörter, welche ſtracks ihre gewiſſen Bilder in uns
erwecken, befördern die anſchauende Erkenntniß, die
durch jene Namen, bey welchen auch die, denen ſie
nicht unbekannt ſind, gewiß nicht alle vollkommen
eben daſſelbe denken, verhindert wird. Wenn daher
der Fabuliſt keine vernünftigen Individua auftreiben
kann, die ſich durch ihre bloſſe Benennungen in un-
ſere Einbildungskraft ſchildern, ſo iſt es ihm erlaubt,
und er hat Fug und Recht, dergleichen unter den
Thieren oder unter noch geringern Geſchöpfen zu
ſuchen. Man ſetze, in der Fabel von dem Wolfe
und dem Lamme, anſtatt des Wolfes den Nero,
anſtatt des Lammes den Britannicus und die Fabel
hat auf einmal alles verloren, was ſie zu einer Fabel
für das ganze menſchliche Geſchlecht macht. Aber
man ſetze anſtatt des Lammes und des Wolfes, den
Rieſen und den Zwerg, und ſie verlieret ſchon we-
niger; denn auch der Rieſe und der Zwerg ſind
M 4In-
[184] Individua, deren Charakter, ohne weitere Hinzu-
thuung, ziemlich aus der Benennung erhellet. Oder
man verwandle ſie lieber gar in folgende menſchliche
Fabel: „Ein Prieſter kam zu dem armen Manne
„des Propheten * und ſagte: Bringe dein weiſſes
„Lamm vor den Altar, denn die Götter fordern ein
„Opfer. Der Arme erwiederte: mein Nachbar hat
„eine zahlreiche Heerde, und ich habe nur das ein-
„zige Lamm. Du haſt aber den Göttern ein Ge-
„lübde gethan, verſetzte dieſer, weil ſie deine Fel-
„der geſegnet. — Ich habe kein Feld; war die Ant-
„wort. — Nun ſo war es damals, als ſie deinen
„Sohn von ſeiner Krankheit geneſen lieſſe — O,
„ſagte der Arme, die Götter haben ihn ſelbſt zum
„Opfer hingenommen. Gottloſer! zürnte der Prie-
„ſter; du läſterſt! und riß das Lamm aus ſeinem
„Schooſſe ꝛc. — — Und wenn in dieſer Verwand-
lung die Fabel noch weniger verloren hat, ſo kömmt
es bloß daher, weil man mit dem Worte Prieſter
den Charakter der Habſüchtigkeit, leider, noch weit
geſchwinder verbindet, als den Charakter der Blut-
dür-
[185] dürſtigkeit mit dem Worte Rieſe; und durch den
armen Mann des Propheten die Idee der unter-
drückten Unſchuld noch leichter erregt wird, als
durch den Zwerg. — Der beſte Abdruck dieſer Fa-
bel, in welchem ſie ohne Zweifel am aller wenigſten
verloren hat, iſt die Fabel von der Ratze und dem
Sahne*. Doch weil man auch hier ſich das Ver-
hältniß der Katze gegen den Sahn nicht ſo geſchwind
denkt, als dort das Verhältniß des Wolfes zum
Lamme, ſo ſind dieſe noch immer die allerbequem-
ſten Weſen, die der Fabuliſt zu ſeiner Abſicht hat
wehlen können.
Der Verfaſſer der oben angeführten Critiſchen
Briefe iſt mit Breitingern einerley Meinung,
und ſagt unter andern, in der erdichteten Perſon
des Hermann Axels:**„Die Fabel bekömmt durch
„dieſe ſonderbare Perſonen ein wunderliches An-
„ſehen. Es wäre keine ungeſchickte Fabel, wenn
„man dichtete: Ein Menſch ſah auf einem hohen
„Baume die ſchönſten Birnen hangen, die ſeine Luſt
„davon zu eſſen, mächtig reitzeten. Er bemühte
M 5„ſich
[186] „ſich lange, auf denſelben hinauf zu klimmen, aber
„es war umſonſt, er mußte es endlich aufgeben. In-
„dem er weggieng, ſagte er: Es iſt mir geſunder,
„daß ich ſie noch länger ſtehen laſſe, ſie ſind doch
„noch nicht zeitig genug. Aber dieſes Geſchichtchen
„reitzet nicht ſtark genug; es iſt zu platt ꝛc. — Ich
geſtehe es Hermann Axeln zu; das Geſchichtchen
iſt ſehr platt, und verdienet nichts weniger, als den
Namen einer guten Fabel. Aber iſt es bloß des-
wegen ſo platt geworden, weil kein Thier darinn
redet und handelt? Gewiß nicht; ſondern es iſt es da-
durch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs,
mit deſſen bloſſem Namen wir einen gewiſſen Cha-
rakter verbinden, aus welchem ſich der Grund von
der ihm zugeſchriebenen Handlung angeben läßt, in
ein anders Individuum verwandelt hat, deſſen Name
keine Idee eines beſtimmten Charakters in uns er-
wecket. „Ein Menſch“! Das iſt ein viel zu allge-
meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art
von Menſchen ſoll ich dabey denken? Es giebt deren
ſo viele! Aber „ein Fuchs!“ Der Fabuliſt weis nur
von Einem Fuchſe, und ſobald er mir das Wort
nennt,
[187] nennt, fallen auch meine Gedanken ſogleich nur auf
Einen Charakter. Anſtatt des Menſchen überhaupt
hätte Hermann Axel alſo wenigſtens einen Gas-
conier ſetzen müſſen. Und alsdenn würde er wohl
gefunden haben, daß die Fabel, durch die bloſſe
Weglaſſung des Thieres, ſo viel eben nicht verlöre,
beſonders wenn er in dem nehmlichen Verhältniſſe
anch die übrigen Umſtände geändert, und den Gas-
conier nach etwas mehr, als nach Birnen, lüſtern
gemacht hätte.
Da alſo die allgemein bekannten und unverän-
derlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Urſache
ſind, warum ſie der Fabuliſt zu moraliſchen Weſen
erhebt, ſo kömmt mir es ſehr ſonderbar vor, wenn
man es Einem zum beſondern Ruhme machen will,
„daß der Schwan in ſeinen Fabeln nicht ſinge, noch
„der Pelican ſein Blut für ſeine Jungen vergieſſe *. —
Als ob man in den Fabelbüchern die Naturgeſchichte
ſtudieren ſollte! Wenn dergleichen Eigenſchaften all-
gemein bekannt ſind, ſo ſind ſie werth gebraucht zu
werden, der Naturaliſt mag ſie bekräftigen oder
nicht. Und derjenige der ſie uns, es ſey durch ſeine
Exempel
[188] Exempel oder durch ſeine Lehre, aus den Händen
ſpielen will, der nenne uns erſt andere Individua,
von denen es bekannt iſt, daß ihnen die nehmlichen
Eigenſchaften in der That zukommen.
Je tiefer wir auf der Leiter der Weſen herabſtei-
gen, deſto ſeltner kommen uns dergleichen allgemein
bekannte Charaktere vor. Dieſes iſt denn auch die
Urſache, warum ſich der Fabuliſt ſo ſelten in dem
Pflanzenreiche, noch ſeltener in dem Steinreiche
und am aller ſeltenſten vielleicht unter den Werken
der Kunſt finden läßt. Denn daß es deswegen ge-
ſchehen ſollte, weil es ſtuffenweiſe immer unwahr-
ſcheinlicher werde, daß dieſe geringern Werke der
Natur und Kunſt empfinden, denken und ſprechen
könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem
ehernen und dem irdenen Topfe iſt nicht um ein Haar
ſchlechter oder unwahrſcheinlicher als die beſte Fabel,
z. E. von einem Affe, ſo nahe auch dieſer dem Men-
ſchen verwandt iſt, und ſo unendlich weit jene von
ihm abſtehen.
Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur
eigentlichen Urſache ihres vorzüglichen Gebrauchs
in
[189] in der Fabel mache, will ich nicht ſagen, daß die
Thiere dem Fabuliſten ſonſt zu weiter gar nichts nütz-
ten. Ich weis es ſehr wohl, daß ſie unter andern
in der zuſammen geſetzten Fabel das Vergnügen
der Vergleichung um ein groſſes vermehren, welches
alsdenn kaum merklich iſt, wenn ſowohl der wahre
als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden
Perſonen von einerley Art, aus Menſchen, beſtehen.
Da aber dieſer Nutzen, wie geſagt, nur in der zu-
ſammen geſetzten Fabel Statt findet, ſo kann er
die Urſache nicht ſeyn, warum die Thiere auch in
der einfachen Fabel, und alſo in der Fabel über-
haupt, dem Dichter ſich gemeiniglich mehr empfeh-
len, als die Menſchen.
Ja, ich will es wagen den Thieren, und andern
geringern Geſchöpfen in der Fabel noch einen Nu-
tzen zuzuſchreiben, auf welchen ich vielleicht durch
Schlüſſe nie gekommen wäre, wenn mich nicht mein
Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unſere
klare und lebendige Erkenntniß eines moraliſchen
Satzes zur Abſicht. Nichts verdunkelt unſere Er-
kenntniß mehr als die Leidenſchaften. Folglich muß
der
[190] der Fabuliſt die Erregung der Leidenſchaften ſo viel
als möglich vermeiden. Wie kann er aber anders,
z. E. die Erregung des Mitleids vermeiden, als
wenn er die Gegenſtände deſſelben unvollkommener
macht, und anſtatt der Menſchen Thiere, oder noch
geringere Geſchöpfe annimmt? Man erinnere ſich
noch einmal der Fabel von dem Wolfe und Lam-
me, wie ſie oben in die Fabel von dem Prieſter und
dem armen Manne des Propheten verwandelt
worden. Wir haben Mitleiden mit dem Lamme;
aber dieſes Mitleiden iſt ſo ſchwach, daß es unſerer
anſchauenden Erkenntniß des moraliſchen Satzes
keinen merklichen Eintrag thut. Hingegen wie iſt es
mit dem armen Manne? Kömmt es mir nur ſo
vor, oder iſt es wirklich wahr, daß wir mit dieſem
viel zu viel Mitleiden haben, und gegen den Prie-
ſter viel zu viel Unwillen empfinden, als daß die an-
ſchauende Erkenntniß des moraliſchen Satzes hier
eben ſo klar ſeyn könnte, als ſie dort iſt?
III. Von
[[191]]
III.
Von der Eintheilung der Fabeln.
Die Fabeln ſind verſchiedener Eintheilungen fähig.
Von einer, die ſich aus der verſchiednen Anwen-
dung derſelben ergiebt, habe ich gleich Anfangs ge-
redet. Die Fabeln nehmlich werden entweder bloß
auf einen allgemeinen moraliſchen Satz angewen-
det, und heiſſen einfache Fabeln; oder ſie werden
auf einen wirklichen Fall angewendet, der mit der
Fabel unter einem und eben demſelben moraliſchen
Satze enthalten iſt, und heiſſen zuſammengeſetzte
Fabeln. Der Nutzen dieſer Eintheilung hat ſich be-
reits an mehr als einer Stelle gezeiget.
Eine andere Eintheilung würde ſich aus der ver-
ſchiednen Beſchaffenheit des moraliſchen Satzes her-
holen laſſen. Es giebt nehmlich moraliſche Sätze,
die ſich beſſer in einem einzeln Falle ihres Gegen-
theils, als in einem einzeln Falle der unmittelbar
unter
[192] unter ihnen begriffen iſt, anſchauend erkennen laſſen.
Fabeln alſo, welche den moraliſchen Satz in einem
einzeln Falle des Gegentheils zur Intuition bringen,
würde man vielleicht indirecte Fabeln, ſo wie die
andern directe Fabeln nennen können.
Doch von dieſen Eintheilungen iſt hier nicht die
Frage; nach vielweniger von jener unphiloſophiſchen
Eintheilung noch den verſchiedenen Erfindern oder
Dichtern, die ſich einen vorzüglichen Namen damit
gemacht haben. Es hat den Kunſtrichtern gefallen,
ihre gewöhnliche Eintheilung der Fabel von einer
Verſchiedenheit herzunehmen, die mehr in die Augen
fällt; von der Verſchiedenheit nehmlich der darinn
handelnden Perſonen. Und dieſe Eintheilung iſt
es, die ich hier näher betrachten will.
Aphthonius iſt ohne Zweifel der älteſte Seribent,
der ihrer erwähnet. ‘Του δε μυϑου,’ () ſagt er in ſeinen
Vorübungen, το μεν ἐϛἰ ??λοιϰον, το δε ??ἠϑιϰον
το δε ??μιϰτον. Και ??λογιϰον μεν ἐν ᾡτι ποιων ἀν-
ϑρωπος πεπλαϛαι: ??ἠϑιϰον δε το τωο ἀλογων ἠϑος
ἀπομιμουμενον: μικτον δε το ἐξ ἀμφοτερων ἀλογου
και
[193] και λογικου. Es giebt drey Gattungen von Fabeln;
die vernünftige, in welcher der Menſch die han-
delnde Perſon iſt; die ſittliche, in welcher unver-
nünftige Weſen aufgeführet werden; die ver-
miſchte, in welcher ſo wohl unvernünftige als
vernünftige Weſen vorkommen. — Der Hauptfeh-
ler dieſer Eintheilung, welcher ſogleich einem jeden
in die Augen leuchtet, iſt der, daß ſie das nicht er-
ſchöpft, was ſie erſchöpfen ſollte. Denn wo bleiben
diejenigen Fabeln, die aus Gottheiten und allego-
riſchen Perſonen beſtehen? Aphthonius hat die
vernünftige Gattung ausdrücklich auf den einzigen
Menſchen eingeſchränkt. Doch wenn dieſem Fehler
auch abzuhelfen wäre; was kann dem ohngeachtet
roher und mehr von der oberſten Fläche abgeſchöpft
ſeyn, als dieſe Eintheilung? Oefnet ſie uns nur
auch die geringſte freyere Einſicht in das Weſen der
Fabel?
Batteux würde daher ohne Zweifel eben ſo wohl
gethan haben, wenn er von der Eintheilung der
Fabel gar geſchwiegen hätte, als daß er uns mit
jener kahlen aphthonianiſchen abſpeiſen will. Aber
Nwas
[194] was wird man vollends von ihm ſagen, wenn ich
zeige, daß er ſich hier auf einer kleinen Tücke tref-
fen läßt? Kurz zuvor ſagt er unter andern von den
Perſonen der Fabel: „Man hat hier nicht allein den
„Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf,
„ſondern auch den eiſernen und den irdenen Topf
„ihre Rollen ſpielen ſehen. Nur der Herr Ver-
„ſtand und das Fräulein Einbildungskraft, und
„alles, was ihnen ähnlich ſiehet, ſind von dieſem
„Theater ausgeſchloſſen worden; weil es ohne Zwei-
„fel ſchwerer iſt, dieſen bloß geiſtigen Weſen einen
„charaktermäſſigen Körper zu geben; als Körpern,
„die einige Analogie mit unſern Organen haben,
„Geiſt und Seele zu geben *.“ — Merkt man wi-
der wen dieſes geht? Wider den de la Motte, der
ſich in ſeinen Fabeln der allegoriſchen Weſen ſehr
häuffig bedienet. Da dieſes nun nicht nach dem
Geſchmacke unſers oft mehr eckeln als feinen Kunſt-
richters war, ſo konnte ihm die aphthonianiſche
mangelhafte Eintheilung der Fabel nicht anders als
willkommen ſeyn, indem es durch ſie ſtillſchweigend
gleich-
[195] gleichſam zur Regel gemacht wird, daß die Gotthei-
ten und allegoriſchen Weſen gar nicht in die Aeſo-
piſche Fabel gehören. Und dieſe Regel eben möchte
Batteux gar zu gern feſtſetzen, ob er ſich gleich nicht
getrauet mit ausdrücklichen Worten darauf zu drin-
gen. Sein Syſtem von der Fabel kann auch nicht
wohl ohne ſie beſtehen. „Die äſopiſche Fabel, ſagt
„er, iſt eigentlich zu reden, das Schauſpiel der Kin-
„der; ſie unterſcheidet ſich von den übrigen nur durch
„die Geringfügigkeit und Naivität ihrer ſpielenden
„Perſonen. Man ſieht auf dieſem Theater keinen
„Cäſar, keinen Alexander: aber wohl die Fliege
„und die Ameiſe ꝛc.“ — Freylich; dieſe Geringfü-
gigkeit der ſpielenden Perſonen vorausgeſetzt, konnte
Batteux mit den höhern poetiſchen Weſen des de
la Motte unmöglich zufrieden ſeyn. Er verwarf
ſie alſo, ob er ſchon einen guten Theil der beſten
Fabeln des Alterthums zugleich mit verwerfen muß-
te; und zog ſich, um den kritiſchen Anfällen des-
wegen weniger ausgeſetzt zu ſeyn, unter den Schutz
der mangelhaften Eintheilung des Aphthonius.
Gleich als ob Aphthonius der Mann wäre, der
N 2alle
[196] alle Gattungen von Fabeln, die in ſeiner Einthei-
lung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen
könnte! Und dieſen Mißbrauch einer erſchlichenen
Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren
ſich Batteux in Anſehung des de la Motte hier
ſchuldig gemacht hat.
Wolf* hat die Eintheilung des Aphthonius
gleichfalls beybehalten, aber einen weit edlern Ge-
brauch davon gemacht. Dieſe Eintheilung in ver-
nünftige und ſittliche Fabeln, meinet er, klinge
zwar ein wenig ſonderbar; denn man könnte ſagen,
daß eine jede Fabel ſowohl eine vernünftige als eine
ſittliche Fabel wäre. Sittlich nehmlich ſey eine
jede Fabel in ſo fern, als ſie einer ſittliche Wahrheit
zum Beſten erfunden worden; und vernünftig in
ſo fern, als dieſe ſittliche Wahrheit der Vernunft
gemäß iſt. Doch da es einmal gewöhnlich ſey, dieſen
Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, ſo wolle
er keine Neuerung machen. Aphthonius habe
übrigens bey ſeiner Eintheilung die Abſicht gehabt,
die Verſchiedenheit der Fabeln ganz zu erſchöpfen,
und mehr nach dieſer Abſicht, als nach den Worten,
deren
[197] deren er ſich dabey bedient habe, müſſe ſie beurthei-
let werden. ‘Abſit enim,’ () ſagt er — und o, wenn
alle Liebhaber der Wahrheit ſo billig dächten! —
‘abſit, ut negemus accurate cogitaſſe, qui non ſatis
accurate loquuntur. Puerile eſt, erroris redarguere
eum, qui ab errore immunem poſſedit animum, propte-
rea quod parum apta ſuccurrerint verba, quibus men-
tem ſuam exprimere poterat.’ () Er behält daher die
Benennungen der aphthonianiſchen Eintheilung bey,
und weis die Wahrheit, die er nicht darinn gefunden,
ſo ſcharfſinnig hinein zu legen, daß ſie das vollkom-
mene Anſehen einer richtigen philoſophiſchen Ein-
theilung bekömmt. „Wenn wir Begebenheiten er-
„dichten, ſagt er, ſo legen wir entweder den Sub-
„jecten ſolche Handlungen und Leidenſchaften, über-
„haupt ſolche Prädicate bey, als ihnen zukommen;
„oder wir legen thnen ſolche bey, die ihnen nicht zu-
„kommen. In dem erſten Fallen heiſſen es vernünf-
„tige Fabeln; in dem andern ſittliche Fabeln; und
„vermiſchte Fabeln heiſſen es, wenn ſie etwas ſo
„wohl von der Eigenſchaft der ſittlichen als vernünf-
„tigen Fabel haben.“
N 3Nach
[198]
Nach dieſer Wolfiſchen Verbeſſerung alſo, beruhet
die Verſchiedenheit der Fabel nicht mehr, auf der
bloſſen Verſchiedenheit der Subjecte, ſondern auf
der Verſchiedenheit der Prädicate, die von dieſen
Subjecten geſagt werden. Ihr zu Folge kann eine
Fabel Menſchen zu handelnden Perſonen haben,
und dennoch keine vernünftige Fabel ſeyn; ſo wie
ſie eben nicht nothwendig eine ſittliche Fabel ſeyn
muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die
oben angeführte Fabel von den zwey kämpfenden
Hähnen, würde nach den Worten des Aphtho-
nius eine ſittliche Fabel ſeyn, weil ſie die Eigen-
ſchaften und das Betragen gewiſſer Thiere nachah-
met; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphtho-
nius genauer beſtimmt hat, iſt ſie eine vernünf-
tige Fabel, weil nicht das geringſte von den Häh-
nen darinn geſagt wird, was ihnen nicht eigentlich
zukäme. So iſt es mit mehrern: Z. E. der Vo-
gelſteller und die Schlange *; der Hund und der
Koch **; der Hund und der Gärtner ***; der Schä-
fer
[199] fer und der Wolf*: lauter Fabeln, die nach der
gemeinen Eintheilung unter die ſittlichen und ver-
miſchten, nach der verbeſſerten aber unter die ver-
nünftigen gehören.
Und nun? Werde ich es bey dieſer Eintheilung
unſers Weltweiſen können bewenden laſſen? Ich
weis nicht. Wider ihre logicaliſche Richtigkeit habe
ich nichts zu erinnern; ſie erſchöpft alles, was ſie
erſchöpfen ſoll. Aber man kann ein guter Dia-
lektiker ſeyn, ohne ein Mann von Geſchmack zu
ſeyn; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht.
Wie, wenn es auch ihm hier ſo gegangen wäre, als
er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar
richtig gedacht, aber ſich nicht ſo vollkommen gut aus-
gedruckt hätte, als es beſonders die Kunſtrichter wohl
verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in wel-
chen den Subjecten Leidenſchaften und Handlungen,
überhaupt Prädicate, beygelegt werden, deren ſie
nicht fähig ſind, die ihnen nicht zukommen. Die-
ſes nicht zu kommen, kann einen übeln Verſtand
machen. Der Dichter, kann man daraus ſchlieſ-
N 4ſen,
[200] ſen, iſt alſo nicht gehalten, auf die Naturn der Ge-
ſchöpfe zu ſehen, die er in ſeinen Fabeln auffuhret?
Er kann das Schaf verwegen, den Wolf ſanftmü-
thig, den Eſel feurig vorſtellen; er kann die Tau-
ben als Falken brauchen und die Hunde von der
Haſen jagen laſſen. Alles dieſes kömmt ihnen nicht
zu; aber der Dichter macht eine ſittliche Fabel,
und er darf es ihnen beylegen. — Wie nöthig iſt es
dieſer gefährlichen Auslegung, dieſen mit einer Ueber-
ſchwemmung der abgeſchmackteſten Mährchen dro-
henden Folgerungen, vorzubauen!
Man erlaube mir alſo, mich auf meinen eigenen
Weg wieder zurückzuwenden. Ich will den Welt-
weiſen ſo wenig als möglich aus dem Geſichte ver-
lieren; und vielleicht kommen wir, am Ende der
Bahn, zuſammen. — Ich habe geſagt, und glaube
es erwieſen zu haben, daß auf der Erhebung des
einzeln Falles zur Wirklichkeit, der weſentliche Un-
terſchied der Parabel, oder des Exempels über-
haupt, und der Fabel beruhet. Dieſe Wirklich-
keit iſt der Fabel ſo unentbehrlich, daß ſie ſich eher
von ihrer Möglichkeit, als von jener etwas abbre-
chen
[201] chen läßt. Es ſtreitet minder mit ihrem Weſen, daß
ihr einzelner Fall nicht ſchlechterdings möglich iſt,
daß er nur nach gewiſſen Vorausſetzungen, unter ge-
wiſſen Bedingungen möglich iſt, als daß er nicht
als wirklich vorgeſtellt werde. In Anſehung dieſer
Wirklichkeit folglich, iſt die Fabel keiner Verſchieden-
heit fähig; wohl aber in Anſehung ihrer Möglich-
keit, welche ſie veränderlich zu ſeyn erlaubt. Nun
iſt, wie geſagt, dieſe Möglichkeit entweder eine un-
bedingte oder bedingte Möglichkeit; der einzelne
Fall der Fabel iſt entweder ſchlechterdings möglich,
oder er iſt es nur nach gewiſſen Vorausſetzungen,
unter gewiſſen Bedingungen. Die Fabeln alſo, deren
einzelner Fall ſchlechterdings möglich iſt, will ich
(um gleichfalls bey den alten Benennungen zu blei-
ben) vernünftige Fabeln nennen; Fabeln hingegen,
wo er es nur nach gewiſſen Vorausſetzungen iſt,
mögen ſittliche heiſſen. Die vernünftigen Fa-
beln leiden keine fernere Unterabtheilung; die ſittli-
chen aber leiden ſie. Denn die Vorausſetzungen
betreffen entweder die Subjecte der Fabel, oder die
Prädicate dieſer Subjecte: der Fall der Fabel iſt
N 5ent-
[202] entweder möglich, vorausgeſetzt, daß dieſe und jene
Weſen exiſtiren; oder er iſt es, vorausgeſetzt, daß
dieſe und jene wirklich exiſtirende Weſen (nicht an-
dere Eigenſchaften, als ihnen zukommen; denn ſonſt
würden ſie zu andere Weſen werden, ſondern) die
ihnen wirklich zukommenden Eigenſchaften in einem
höhern Grade, in einem weitern Umfange be-
ſitzen. Jene Fabeln, worinn die Subjecte voraus-
geſetzt werden, wollte ich mythiſche Fabeln nen-
nen; und dieſe, worinn nur erhöhtere Eigenſchaf-
ten wirklicher Subjecte angenommen werden, wür-
de ich, wenn ich das Wort anders wagen darf,
hyperphyſiſche Fabeln nennen. —
Ich will dieſe meine Eintheilung noch durch einige
Beyſpiele erläutern. Die Fabel, der Blinde und
der Lahme; die zwey kämpfenden Hähne; der Vo-
gelſteller und die Schlange; der Hund und der
Gärtner, ſind lauter vernünftige Fabeln, ob ſchon
bald lauter Thiere, bald Menſchen und Thiere
darinn vorkommen; denn der darinn enthaltene
Fall iſt ſchlechterdings möglich, oder mit Wolfen
zu reden, es wird den Subjecten nichts darinn bey-
gelegt,
[203] gelegt, was ihnen nicht zukomme. — Die Fabeln,
Apollo und Jupiter*; Herkules und Plutus **;
die verſchiedene Bäume in ihren beſondern Schutz
nehmende Götter***; kurz alle Fabeln, die aus Gott-
heiten, aus allegoriſchen Perſonen, aus Geiſtern
und Geſpenſtern, aus andern erdichteten Weſen,
dem Phoenix z. E. beſtehen, ſind ſittliche Fabeln,
und zwar mythiſch ſittliche; denn es wird darinn
vorausgeſetzt, daß alle dieſe Weſen exiſtiren oder exiſti-
ret haben, und der Fall, den ſie enthalten iſt nur
unter dieſer Vorausſetzung möglich. — Der Wolf
und das Lamm †; der Fuchs und der Storch ††;
die Natter und die Feile †††; die Bäume und der
Dornſtrauch *†; der Oelbaum und das Rohr ꝛc. **†
ſind gleichfalls ſittliche, aber hyperphyſiſch ſitt-
liche Fabeln; denn die Natur dieſer wirklichen We-
ſen
[204] ſen wird erhöhet, die Schranken ihrer Fähigkeiten
werden erweitert. Eines muß ich hierbey erinnern!
Man bilde ſich nicht ein, daß dieſe Gattung von
Fabeln ſich bloß auf die Thiere, und anderer geringere
Geſchöpfe einſchränke: der Dichter kann auch die
Natur des Menſchen erhöhen, und die Schran-
ken ſeiner Fähigkeiten erweitern. Eine Fabel z. E.
von einem Propheten würde eine hyperphyſiſch
ſittliche Fabel ſeyn; denn die Gabe zu prophezeyen,
kann dem Menſchen bloß nach einer erhöhtern Na-
tur zukommen. Oder wenn man die Erzehlung von
den himmelſtürmenden Rieſen, als eine aeſopiſche
Fabel behandeln und ſie dahin verändern wollte, daß
ihr unſinniger Bau von Bergen auf Bergen, endlich
von ſelbſt zuſammen ſtürzte und ſie unter den Rui-
nen begrübe: ſo würde keine andere als eine hyper-
phyſiſch ſittliche Fabel daraus werden können.
Aus den zwey Hauptgattungen, der vernünfti-
gen und ſittlichen Fabel, entſtehet auch bey mir
eine vermiſchte Gattung, wo nehmlich der Fall
zum Theil ſchlechterdings, zum Theil nur unter ge-
wiſſen Vorausſetzungen möglich iſt. Und zwar kön-
nen
[205] nen dieſer vermiſchten Fabeln dreyerley ſeyn; die
vernünftig mythiſche Fabel, als Herkuies und
der Kärner*, der arme Mann und der Tod**; die
vernünftig hyperphyſiſche Fabel, als der Holz-
ſchläger und der Fuchs***, der Jäger und der Lö-
we†; und endlich die hyperphyſiſch mythiſche
Fabel, als Jupiter und das Kameel ††, Jupiter
und die Schlange ꝛc. †††.
Und dieſe Eintheilung erſchöpft die Mannigfal-
tigkeit der Fabeln ganz gewiß, ja man wird, hoffe
ich, keine anführen können, deren Stelle, ihr zu
Folge, zweifelhaft bleibe, welches bey allen andern
Eintheilungen geſchehen muß, die ſich bloß auf die
Verſchiedenheit der handelnden Perſonen beziehen.
Die Breitingerſche Eintheilung iſt davon nicht aus-
geſchloſſen, ob Er ſchon dabey die Grade des Wun-
derbaren zum Grunde gelegt hat. Denn da bey
ihm die Grade des Wunderbaren, wie wir geſehen
haben,
[206] haben, größten Theils, auf die Beſchaffenheit der
handelnden Perſonen ankommen, ſo klingen ſeine
Worte nur gründlicher, und er iſt in der That in
die Sache nichts tiefer eingedrungen. „Das Wun-
„derbare der Fabel, ſagt er, hat ſeine verſchiedene
„Grade — Der niedrigſte Grad des Wunderbaren
„findet ſich in derjenigen Gattung der Fabeln, in
„welchen ordentliche Menſchen aufgeführet werden —
„Weil in denſelben das Wahrſcheinliche über das
„Wunderbare weit die Oberhand hat, ſo können
„ſie mit Fug wahrſcheinliche, oder in Abſicht auf
„die Perſonen menſchliche Fabeln benennet werden.
„Ein mehrerer Grad des Wunderbaren äuſſert ſich
„in derjenigen Claſſe der Fabeln, in welchen ganz
„andere als menſchliche Perſonen aufgeführet wer-
„den. — Dieſe ſind entweder von einer vortreflichern
„und höhern Natur, als die menſchliche iſt, z. E.
„die heidniſchen Gottheiten; — oder ſie ſind in
„Auſehung ihres Urſprungs und ihrer natürlichen
„Geſchicklichkeit von einem geringern Rang als die
„Menſchen, als z. E. die Thiere, Pflanzen ꝛc. —
„Weil in dieſen Fabeln das Wunderbare über das
„Wahr-
[207] „Wahrſcheinliche nach verſchiedenen Graden herr-
„ſchet, werden ſie deswegen nicht unſüglich wun-
„derbare, und in Abſicht auf die Perſonen entwe-
„der göttliche oder thieriſche Fabeln genennt —
Und die Fabel von den zwey Töpfen; die Fabel von
den Bäumen und dem Dornſtrauche? Sollen die
auch thieriſche Fabeln heiſſen? Oder ſollen ſie, und
ihres gleichen, eigne Benennungen erhalten? Wie
ſehr wird dieſe Namenrolle anwachſen, beſonders
wenn man auch alle Arten der vermiſchten Gattung
benennen ſollte! Aber ein Exempel zu geben, daß
man, nach dieſer Breitingerſchen Eintheilung, oft
zweifelhaft ſeyn kann, zu welcher Claſſe man dieſe
oder jene Fabel rechnen ſoll, ſo betrachte man die
ſchon angeführte Fabel, von dem Gärtner und ſeinem
Hunde, oder die noch bekanntere, von dem Ackers-
manne und der Schlange; aber nicht ſo wie ſie
Phädrus erzehlet, ſondern wie ſie unter den grie-
chiſchen Fabeln vorkömmt. Beyde haben einen ſo
geringen Grad des Wunderbaren, daß man ſie noth-
wendig zu den wahrſcheinlichen, das iſt menſch-
lichen Fabeln, rechnen müßte. In beyden aber
kommen
[208] kommen auch Thiere vor; und in Betrachtung dieſer
würden ſie zu den vermiſchten Fabeln gehören,
in welchen das Wunderbare weit mehr über das
Wahrſcheinliche herrſcht, als in jenen. Folglich
würde man erſt ausmachen müſſen, ob die Schlan-
ge und der Hund hier als handelnde Perſonen der
Fabel anzuſehen wären oder nicht, ehe man der
Fabel ſelbſt ihre Claſſe anweiſen könnte.
Ich will mich bey dieſen Kleinigkeiten nicht län-
ger aufhalten, ſondern mit einer Anmerkung ſchlieſ-
ſen, die ſich überhaupt auf die hyperphyſiſchen
Fabeln beziehet, und ich, zur richtigern Beurthei-
lung einiger von meinen eigenen Verſuchen, nicht
gern anzubringen vergeſſen möchte. — Es iſt bey
dieſer Gattung von Fabeln die Frage, wie weit
der Fabuliſt die Natur der Thiere und andrer nie-
drigern Geſchöpfe erhöhen, und wie nahe er ſie
der menſchlichen Natur bringen dürffe? Ich ant-
worte kurz: ſo weit, und ſo nahe er immer will.
Nur mit der einzigen Bedingung, daß aus allen,
was er ſie denken, reden, und handeln läßt, der
Charakter hervorſcheine, um deſſen willen er ſie ſei-
ner
[209] ner Abſicht bequemer fand, als alle andere Indi-
vidua. Iſt dieſes; denken, reden und thun ſie
durchaus nichts, was ein ander Individuum von
einem andern, oder gar ohne Charakter, eben ſo gut
denken, reden und thun könnte: ſo wird uns ihr
Betragen im geringſten nicht befreinden, wenn es
auch noch ſo viel Witz, Scharfſinnigkeit und Ver-
nunft vorausſetzt. Und wie könnte es auch? Ha-
ben wir ihnen einmal Freyheit und Sprache zuge-
ſtanden, ſo müſſen wir ihnen zugleich alle Modifi-
cationen des Willens und alle Erkenntniſſe zugeſte-
hen, die aus jenen Eigenſchaften folgen können, auf
welchen unſer Vorzug vor ihnen einzig und allein
beruhet. Nur ihren Charakter, wie geſagt, müſ-
ſen wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir
dieſen, ſo erfolgt die Illuſion, daß es wirkliche
Thiere ſind, ob wir ſie gleich reden hören, und ob
ſie gleich noch ſo feine Anmerkungen, noch ſo ſcharf-
ſinnige Schlüſſe machen. Es iſt unbeſchreiblich, wie
viel Sophismata non cauſæ ut cauſæ die Kunſtrichter
in dieſer Materie gemacht haben. Unter andern
der Verfaſſer der Critiſchen Briefe, wenn er
Ovon
[210] von ſeinem Hermann Axel ſagt: „Daher ſchreibt
„er auch den unvernünftigen Thieren, die er auf-
„führt, niemals eine Reihe von Anſchlägen zu, die
„in einem Syſtem, in einer Verknüpfung ſtehen,
„und zu einem Endzwecke von weiten her angeord-
„net ſind. Denn dazu gehöret eine Stärke der Ver-
„nunft, welche über den Inſtinkt iſt. Ihr Inſtinkt
„giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Ver-
„nunft von ſich, die ſich nicht lange empor halten
„kann. Aus dieſer Urſache werden dieſe Fabeln mit
„Thierperſonen ganz kurz, und beſtehen nur aus
„einem ſehr einfachen Anſchlage, oder Anliegen.
„Sie reichen nicht zu, einen menſchlichen Charakter
„in mehr als einem Lichte vorzuſtellen; ja der Fabu-
„liſt muß zufrieden ſeyn, wenn er nur einen Zug
„eines Charakters vorſtellen kann. Es iſt eine aus-
„ſchweiffende Idee des Pater Boſſne, daß die
„aeſopiſche Fabel ſich in dieſelbe Länge, wie die epi-
„ſche Fabel ausdehnen laſſe. Denn das kann nicht
„geſchehen, es ſey denn daß man die Thiere nichts
„von den Thieren behalten laſſe, ſondern ſie in Men-
„ſchen verwandle, welches nur in poſſirlichen Ge-
„dichten
[211] „dichten angehet, wo man die Thiere mit gewiſſem
„Vorſatz in Masken aufführet, und die Verrich-
„tungen der Menſchen nachäffen läßt. ꝛc.“ — Wie
ſonderbar iſt hier das aus dem Weſen der Thiere
hergeleitet, was der Kunſtrichter aus dem Weſen
der anſchauenden Erkenntniß, und aus der Einheit
des moraliſchen Lehrſatzes in der Fabel, hätte her-
leiten ſollen! Ich gebe es zu, daß der Einfall des
Pater Boſſue nichts taugt. Die aeſopiſche Fabel,
in die Länge einer epiſchen Fabel ausgedehnet, hö-
ret auf eine aeſopiſche Fabel zu ſeyn; aber nicht des-
wegen, weil man den Thieren, nachdem man ihnen
Freyheit und Sprache ertheilt hat, nicht auch eine
Folge von Gedanken, dergleichen die Folge von
Handlungen in der Epopee erfordern würde, erthei-
len dürfte; nicht deswegen, weil die Thiere alsdenn
zu viel menſchliches haben würden: ſondern deswe-
gen, weil die Einheit des moraliſchen Lehrſatzes ver-
lohren gehen würde; weil man dieſen Lehrſatz in
der Fabel, deren Theile ſo gewaltſam auseinander
gedehnet und mit fremden Theilen vermiſcht wor-
den, nicht länger auſchauend erkennen würde. Denn
O 2die
[212] die anſchauende Erkenntniß erfordert unumgänglich,
daß wir den einzeln Fall auf einmal überſehen kön-
nen; können wir es nicht, weil er entweder allzu-
viel Theile hat, oder ſeine Theile allzuweit ausein-
ander liegen, ſo kann auch die Intuition des All-
gemeinen nicht erfolgen. Und nur dieſes, wenn
ich nicht ſehr irre, iſt der wahre Grund, warum
man es dem dramatiſchen Dichter, noch williger
aber dem Epopeendichter, erlaſſen hat, in ihre Wer-
ke eine einzige Hauptlehre zu legen. Denn was
hilft es, wenn ſie auch eine hineinlegen? Wir kön-
nen ſie doch nicht darinn erkennen, weil ihre Werke
viel zu weitläuftig ſind, als daß wir ſie auf einmal
zu überſehen vermöchten. In dem Squelette der-
ſelben müßte ſie ſich wohl endlich zeigen; aber das
Squelett gehöret für den kalten Kunſtrichter, und
wenn dieſer einmal glaubt, daß eine ſolche Haupt-
lehre darinn liegen müſſe, ſo wird er ſie gewiß her-
ausgrübeln, wenn ſie der Dichter auch gleich nicht
hinein gelegt hat. Daß übrigens das eingeſchränkte
Weſen der Thiere von dieſer nicht zu erlaubenden
Ausdehnung der aeſopiſchen Fabel, die wahre Ur-
ſach
[213] ſach nicht ſey, hätte der kritiſche Briefſteller gleich
daher abnehmen können, weil nicht bloß die thieri-
ſche Fabel, ſondern auch jede andere aeſopiſche Fabel,
wenn ſie ſchon aus vernünftigen Weſen beſtehet, der-
ſelben unfähig iſt. Die Fabel von dem Lahmen und
Blinden, oder von dem armen Manne und dem Tode,
läßt ſich eben ſo wenig zur Länge des epiſchen Ge-
dichts erſtrecken, als die Fabel von dem Lamme und
dem Wolfe, oder von dem Fuchſe und dem Raben.
Kann es alſo an der Natur der Thiere liegen? Und
wenn man mit Beyſpielen ſtreiten wollte, wie viel
ſehr gute Fabeln lieſſen ſich ihm nicht entgegen
ſetzen, in welchen den Thieren weit mehr, als flüch-
tige und dunkle Strahlen einer Vernunft bey-
gelegt wird, und man ſie ihre Anſchläge ziemlich von
weiten her zu einem Endzwecke anwenden ſiehet.
Z. E. der Adler und der Käfer*; der Adler, die
Katze und das Schwein ꝛc. **.
Unterdeſſen, dachte ich einsmals bey mir ſelbſt,
wenn man dem ohngeachtet eine aeſopiſche Fabel
von einer ungewöhnlichen Länge machen wollte, wie
O 3müßte
[214] müßte man es anfangen, daß die itztberührten Un-
bequemlichkeiten dieſer Länge wegfielen? Wie müßte
unſer Reinicke Fuchs ausſehen, wenn ihm der
Name eines aeſopiſchen Heldengedichts zukommen
ſollte? Mein Einfall war dieſer: Vors erſte müßte
nur ein einziger moraliſcher Satz in dem Ganzen
zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie-
len und mannigfaltigen Theile dieſes Ganzen, unter
gewiſſe Haupttheile gebracht werden, damit man ſie
wenigſtens in dieſen Haupttheilen auf einmal über-
ſehen könnte; vors dritte müßte jeder dieſer Haupt-
theile ein beſonders Ganze, eine für ſich beſtehende
Fabel ſeyn können, damit das groſſe Ganze aus
gleichartigen Theilen beſtünde. Es müßte, um alles
zuſammenzunehmen, der allgemeine moraliſche Satz
in ſeine einzelne Begriffe aufgelöſet werden; jeder
von dieſen einzelnen Begriffen müßte in einer beſon-
dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle
dieſe beſondern Fabeln müßten zuſammen nur eine
einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Rei-
nicke Fuchs von dieſen Requiſitis! Am beſten alſo,
ich mache ſelbſt die Probe, ob ſich mein Einfall auch
wirklich
[215] wirklich ausführen läßt. — Und nun urtheile man,
wie dieſe Probe ausgefallen iſt! Es iſt die ſechzehnte
Fabel meines dritten Buchs, und heißt die Ge-
ſchichte des alten Wolfs, in ſieben Fabeln.
Die Lehre welche in allen ſieben Fabeln zuſammen-
genommen liegt, iſt dieſe: „Man muß einen alten
„Böſewicht nicht auf das äuſſerſte bringen, und ihm
„alle Mittel zur Beſſerung, ſo ſpät und erzwungen
„ſie auch ſeyn mag, benehmen. Dieſes Aeuſſerſte,
dieſe Benehmung aller Mittel zerſtückte ich; machte
verſchiedene mißlungene Verſuche des Wolfs daraus,
des gefährlichen Raubens künftig müſſig gehen zu
können; und bearbeitete jeden dieſer Verſuche als
eine beſondere Fabel, die ihre eigene und mit der
Hauptmoral in keiner Verbindung ſtehende Lehre
hat. — Was ich hier bis auf ſieben, und mit dem
Rangſtreite der Thiere auf vier Fabeln, gebracht
habe, wird ein andrer mit einer andern noch frucht-
barern Moral leicht auf mehrere bringen können.
Ich begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt zu haben.
O 4IV. Von
[[216]]
IV.
Von dem Vortrage der Fabeln.
Wie ſoll die Fabel vorgetragen werden? Iſt hier-
inn Aeſopus, oder iſt Phädrus, oder iſt la Fon-
taine das wahre Muſter?
Es iſt nicht ausgemacht, ob Aeſopus ſeine Fa-
beln ſelbſt aufgeſchrieben, und in ein Buch zuſam-
men getragen hat. Aber das iſt ſo gut als aus-
gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch
keine einzige davon durchaus mit ſeinen eigenen Wor-
ten auf uns gekommen iſt. Ich verſtehe alſo hier
die allerſchönſten Fabeln in den verſchiedenen grie-
chiſchen Sammlungen, welchen man ſeinen Namen
vorgeſetzt hat. Nach dieſen zu urtheilen, war ſein
Vortrag von der äuſſerſten Präciſion; er hielt ſich
nirgends bey Beſchreibungen auf; er kam ſogleich
zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum
Ende; er kannte kein Mittel zwiſchen dem Noth-
wendigen
[217] wendigen und Unnüzen. So charakteriſirt ihn de
la Motte; und richtig. Dieſe Präciſion und
Kürze, worinn er ein ſo groſſes Muſter war, fan-
den die Alten der Natur der Fabel auch ſo angemeſ-
ſen, daß ſie eine allgemeine Regel daraus machten.
Theon unter andern dringet mit den ausdrück-
lichſten Worten darauf.
Auch Phädrus, der ſich vornahm die Erfindun-
gen des Aeſopus in Verſen auszubilden, hat offen-
bar den feſten Vorſatz gehabt, ſich an dieſe Regel
zu halten; und wo er davon abgekommen iſt, ſchei-
net ihn das Sylbenmaaß und der poetiſchere Styl,
in welchen uns auch das allerſimpelſte Sylbenmaaß
wie unvermeidlich verſtrickt, gleichſam wider ſeinen
Willen davon abgebracht zu haben.
Aber la Fontaine? Dieſes ſonderbare Genie!
La Fontaine! Nein wider ihn ſelbſt habe ich nichts;
aber wider ſeine Nachahmer; wider ſeine blinden
Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut,
als daß er nicht hätte wiſſen ſollen, was ihre Muſter
und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erfor-
derten. Er wußte es, daß die Kürze die Seele der
O 5Fabel
[218] Fabel ſey; er geſtand es zu, daß es ihr vornehmſter
Schmuck ſey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha-
ben. Er bekannte* mit der liebenswürdigſten Auf-
richtigkeit, „daß man die zierliche Präciſion und
„die auſſerordentliche Kürze, durch die ſich Phä-
„drus ſo ſehr empfehle, in ſeinen Fabeln nicht finden
„werde. Es wären dieſes Eigenſchaften, die zu
„erreichen, ihn ſeine Sprache zum Theil verhindert
„hätte; und bloß deswegen, weil er den Phädrus
„darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt,
„qu’il falloit en recompenſe egayer l’ouvrage plus qu’il
„n’a fait. Alle die Luſtigkeit, ſagt er, durch die ich
meine Fabeln aufgeſtützt habe, ſoll weiter nichts als
eine etwanige Schadloshaltung für weſentlichere
Schönheiten ſeyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un-
vermögend geweſen bin. — Welch Bekenntniß! In
meinen Augen macht ihm dieſes Bekenntniß mehr
Ehre, als ihm alle ſeine Fabeln machen! Aber wie
wunderbar ward es von dem franzöſiſchen Publico
aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein
bloſſes Compliment machen, und hielt die Schad-
löshal-
[219] loshaltung unendlich höher, als das, wofür ſie ge-
leiſtet war. Kaum konnte es auch anders ſeyn;
denn die Schadloshaltung hatte allzuviel reitzendes
für Franzoſen, bey welchen nichts über die Luſtig-
keit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der her-
nach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu blei-
ben*, meinte ſo gar, la Fontaine habe ſich aus
bloſſer Albernheit(par betiſe) den Phädrus nach-
geſetzt; und de la Motte ſchrie über dieſen Einfall:
‘mot plaiſant, mais ſolide!’ ()
Unter deſſen, da la Fontaine ſeine luſtige Schwaz-
haftigkeit, durch ein ſo groſſes Muſter, als ihm
Phädrus ſchien, verdammt glaubte, wollte er doch
nicht ganz ohne Bedeckung von Seiten des Alter-
thums bleiben. Er ſetzte alſo hinzu: „Und meinen
„Fabeln dieſe Luſtigkeit zu ertheilen, habe ich um ſo
„viel eher wagen dürffen, da Quintilian lehret,
„man könne die Erzehlungen nicht luſtig genug ma-
„chen (egayer). Ich brauche keine Urſache hiervon
„anzugeben; genug, daß es Quintilian ſagt. — Ich
habe wider dieſe Autorität zweyerley zu erinnern.
Es
[220] Es iſt wahr Quintilian ſagt: ‘Ego vero narrationem,
ut ſi ullam partem orationis, omni, qua poteſt, gra-
tia \& venere exornandam puto**;’ () und dieſes muß
die Stelle ſeyn, worauf ſich la Fontaine ſtützet.
Aber iſt dieſe Grazie, dieſe Venus, die er der
Erzehlung ſo viel als möglich, obgleich nach Maaß-
gebung der Sache***, zu ertheilen befiehlet, iſt die-
ſes Luſtigkeit? Ich ſollte meinen, daß grade die
Luſtigkeit dadurch ausgeſchloſſen werde. Doch der
Hauptpunkt iſt hier dieſer: Quintilian redet von
der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede,
und was er von dieſer ſagt, ziehet la Fontaine,
wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa-
bel. Er hätte dieſe Regel unter andern bey dem
Theon finden können. Der Grieche redet von dem
Vortrage der Erzehlung in der Chrie, — wie plan,
wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie ſeyn! —
und ſetzt hinzu: ἐν δε τοις μυϑοις ἀπλουϛεραν την ἐρ-
μηνειαν ἐινα[μ] δει ϰαι προσφυη· ϰαι ὡς δυνατον, ἀϰα-
τασϰευον τε ϰα[μ] σαφη: Die Erzehlung der Fabel ſoll
noch
[221] noch planer ſeyn, ſie ſoll zuſammen gepreßt, ſo viel
als möglich ohne alle Zierrathen und Figuren, mit
der einzigen Deutlichkeit zufrieden ſeyn.
Dem la Fontaine vergebe ich den Mißbrauch
dieſer Autorität des Quintilians gar gern. Man
weis ja, wie die Franzoſen überhaupt die Alten
leſen! Leſen ſie doch ihre eigene Autores mit der un-
verzeihlichſten Flatterhaftigkeit. Hier iſt gleich ein
Exempel! De la Motte ſagt von dem la Fon-
taine:‘Tout Original qu’il eſt dans les manieres, il
etoit Admirateur des Anciens jusqu’a la prevention,
comme ſ’ils euſſent été ſes modeles. La brieveté dit-il,
eſt l’ame de la Fable, \& il eſt inutile d’en apporter des
raiſons, c’eſt aſſez que Quintilien l’ait dit*.’ () Man kann
nicht verſtümmelter anführen, als de la Motte hier
den la Fontaine anführet! la Fontaine legt es
einem ganz andern Kunſtrichter in den Mund, daß
die Kürze die Seele der Fabel ſey, oder ſpricht es
vielmehr in ſeiner eigenen Perſon; er beruft ſich
nicht wegen der Kürze, ſondern wegen der Munter-
keit, die in den Erzehlungen herrſchen ſolle, auf das
Zeug-
[222] Zeugniß des Quintilians, und würde ſich wegen
jener ſehr ſchlecht auf ihn berufen haben, weil man
jenen Ausſpruch nirgend bey ihm findet.
Ich komme auf die Sache ſelbſt zurück. Der
allgemeine Beyfall, den la Fontaine mit ſeiner
muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, daß man
nach und nach die aeſopiſche Fabel von einer ganz
andern Seite betrachtete, als ſie die Alten betrach-
tet hatten. Bey den Alten gehörte die Fabel zu dem
Gebiethe der Philoſophie, und aus dieſem hohlten
ſie die Lehrer der Redekunſt in das ihrige herüber.
Ariſtoteles hat nicht in ſeiner Dichtkunſt, ſondern
in ſeiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aph-
thonius und Theon davon ſagen, das ſagen ſie
gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch
bey den Neuern muß man das, was man von der
aeſopiſchen Fabel wiſſen will, durchaus in Rheto-
riken ſuchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine.
Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poe-
tiſchen Spielwerke zu machen; er bezauberte; er
bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen
eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können
glaubten,
[223] glaubten, als durch ſolche in luſtigen Verſen ausge-
dehnte und gewäſſerte Fabeln; die Lehrer der Dicht-
kunſt griffen zu; die Lehrer der Redekunſt lieſſen den
Eingriff geſchehen; dieſe hörten auf, die Fabel als
ein ſicheres Mittel zur lebendigen Ueberzeugung an-
zupreiſen; und jene fingen dafür an, ſie als ein
Kinderſpiel zu betrachten, das ſie ſo viel als möglich
auszuputzen, uns lehren müßten. — So ſtehen wir
noch! —
Ein Mann, der aus der Schule der Alten
kömmt, wo ihm jene ἐρμηνεια ἀκατασκευος der Fa-
bel ſo oſt empfohlen worden, kann der wiſſen,
woran er iſt, wenn er z. E. bey dem Batteux ein
langes Verzeichniß von Zierathen lieſet, deren die
Erzehlung der Fabel fähig ſeyn ſoll? Er muß voller
Verwunderung fragen: ſo hat ſich denn bey den
Neuern ganz das Weſen der Dinge verändert?
Denn alle dieſe Zierrathen ſtreiten mit dem wirkli-
chen Weſen der Fabel. Ich will es beweiſen.
Wenn ich mir einer moraliſchen Wahrheit durch
die Fabel bewußt werden ſoll, ſo muß ich die Fabel
auf einmal überſehen können; und um ſie auf einmal
über-
[224] überſehen zu können, muß ſie ſo kurz ſeyn, als
möglich. Alle Zierathen aber ſind dieſer Kürze ent-
gegen; denn ohne ſie würde ſie noch kürzer ſeyn kön-
nen: folglich ſtreiten alle Zierathen, in ſo fern ſie
leere Verlängerungen ſind, mit der Abſicht der Fabel.
Z. E. Eben mit zur Erreichung dieſer Kürze,
braucht die Fabel gern die allerbekannteſten Thiere;
damit ſie weiter nichts als ihren einzigen Namen
nennen darf, um einen ganzen Charakter zu ſchil-
dern, um Eigenſchaften zu bemerken, die ihr ohne
dieſe Namen allzuviel Worte koſten würden. Nun
höre man den Batteux:„Dieſe Zierathen beſte-
„hen Erſtlich in Gemählden, Beſchreibungen,
„Zeichnungen der Oerter, der Perſonen, der Stel-
„lungen.“ — Das heißt: Man muß nicht ſchlecht-
weg z. E. ein Fuchs ſagen, ſondern man muß fein
ſagen:
‘Un vieux Renard, mais de plus fins,
Grand croqueur de poulets, grand preneut de lapins,
Sentant ſon Renard d’une lieuë \&c.’ ()
Der Fabuliſt brauchte Fuchs, um mit einer einzi-
gen Sylbe ein individuelles Bild eines witzigen
Schalks zu entwerfen; und der Poet will lieber
von
[225] von dieſer Bequemlichkeit nichts wiſſen, will ihr ent-
ſagen, ehe man ihm die Gelegenheit nehmen
ſoll, eine laſtige Beſchreibung von einem Dinge zu
machen, deſſen ganzer Vorzug hier eben dieſer iſt,
daß es keine Beſchreibung bedarf.
Der Fabuliſt will in Einer Fabel nur Eine Mo-
ral zur Intuition bringen. Er wird es alſo ſorg-
fältig vermeiden, die Theile derſelben ſo einzurichten,
daß ſie uns Anlaß geben, irgend eine andere Wahr-
heit in ihnen zu erkennen, als wir in allen Theilen
zuſammen genommen erkennen ſollen. Vielweniger
wird er eine ſolche fremde Wahrheit mit ausdrückli-
chen Worten einflieſſen laſſen, damit er unſere Auf-
merkſamkeit nicht von ſeinem Zwecke abbringe, oder
wenigſtens ſchwäche, indem er ſie unter mehrere all-
gemeine moraliſche Sätze theilet. — Aber Batteux,
was ſagt der? „Die zweyte Zierath, ſagt er, be-
„ſtehet in den Gedanken; nehmlich in ſolchen Gedan-
„ken, die hervorſtechen, und ſich von den übrigen
„auf eine beſondere Art unterſcheiden.
Nicht minder widerſinnig iſt ſeine dritte Zierath,
die Alluſion — Doch wer ſtreitet denn mit mir?
Batteux ſelbſt geſteht es ja mit ausdrücklichen Wor-
Pten,
[226] ten, „daß dieſes nur Zierathen ſolcher Erzehlungen
„ſind, die vornehmlich zur Beluſtigung gemacht
„werden. Und für eine ſolche Erzehlung hält er die
Fabel? Warum bin ich ſo eigenſinnig, ſie auch nicht
dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen
im Sinne? Warum glaube ich, daß dieſer Nutzen
ſeinem Weſen nach ſchon anmuthig genug iſt, um
aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön-
nen? Freylich geht es dem la Fontaine, und allen
ſeinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem
Bogen*; der Mann wollte, daß ſein Bogen mehr
als glatt ſey; er ließ Zierathen darauf ſchnitzen; und
der Künſtler verſtand ſehr wohl, was für Zierathen
auf einen Bogen gehörten; er ſchnitzte eine Jagd
darauf: nun will der Mann den Bogen verſuchen,
und er zerbricht. Aber war das die Schuld des
Künſtlers? Wer hieß den Mann, ſo wie zuvor da-
mit zu ſchieſſen? Er hätte den geſchnitzten Bogen
nunmehr fein in ſeiner Rüſtkammer aufhängen, und
ſeine Augen daran weiden ſollen! Mit einem ſolchen
Bogen ſchieſſen zu wollen! — Freylich würde nun auch
Plato, der die Dichter alle mit ſamt ihrem Ho-
mer, aus ſeiner Republick verbannte, dem Aeſopus
aber
[227] aber einen rühmlichen Platz darinn vergönnte, frey-
lich würde auch Er nunmehr zu dem Aeſopus, ſo
wie ihn la Fontaine verkleidet hat, ſagen: Freund,
wir kennen einander nicht mehr! Geh auch du dei-
nen Gang! Aber, was geht es uns an, was ſo ein
alter Grillenfänger, wie Plato, ſagen würde? —
Vollkommen richtig! Unterdeſſen, da ich ſo ſehr
billig bin, hoffe ich, daß man es auch einigermaaſ-
ſen gegen mich ſeyn wird. Ich habe die erhabene
Abſicht, der Welt mit meinen Fabeln zu beluſtigen,
leider nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur
immer auf dieſe oder jene Sittenlehre, die ich, meiſtens
zu meiner eigenen Erbauung, gern in beſondern Fällen
überſehen wollte; und zu dieſem Gebrauche glaubte
ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken ge-
nug aufſchreiben zu können. Wenn ich aber itzt die
Welt gleich nicht beluſtige; ſo könnte ſie doch mit
der Zeit vielleicht durch mich beluſtiget werden. Man
erzehlt ja die neuen Fabeln des Abſtemius, eben
ſowohl als die alten Fabeln des Aeſopus in Verſen;
wer weis was meinen Fabeln aufbehalten iſt, und
ob man auch ſie nicht einmal mit aller möglichen
Luſtigkeit erzehlet, wenn ſie ſich anders durch ihren
P 2innern
[228] innern Werth eine Zeitlang in dem Andenken der
Welt erhalten? In dieſer Betrachtung alſo, bitte
ich voritzo mit meiner Proſa —
Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte
nicht einmal ausſagen läßt. Wenn ich mit der all-
zumuntern, und leicht auf Umwege führenden Erzeh-
lungsart des la Fontaine nicht zufrieden war, mußte
ich darum auf das andere Extremum verfallen?
Warum wandte ich mich nicht auf die Mittelſtraſſe
des Phädrus, und erzehlte in der zierlichen Kürze
des Römers, aber doch in Verſen? Denn proſai-
ſche Fabeln; wer wird die leſen wollen! — Dieſen
Vorwurf werde ich unfehlbar zu hören bekommen.
Was will ich im voraus darauf antworten? Zweyer-
ley. Erſtlich; was man mir am leichteſten glauben
wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene zierliche
Kürze in Verſen zu erreichen. La Fontaine der
eben das bey ſich fühlte, ſchob die Schuld auf ſeine
Sprache. Ich habe von der meinigen eine zu gute
Meinung, und glaube überhaupt, daß ein Genie
ſeiner angebohrnen Sprache, ſie mag ſeyn welche
es will, eine Form ertheilen kann, welche er will.
Für ein Genie ſind die Sprachen alle von einer Na-
tur;
[229] tur; und die Schuld iſt alſo einzig und allein meine.
Ich habe die Verſification nie ſo in meiner Gewalt
gehabt, daß ich auf keine Weiſe beſorgen dürffen,
das Sylbenmaaß und der Reim werde hier und da
den Meiſter über mich ſpielen. Geſchähe das, ſo
wäre es ja um die Kürze gethan, und vielleicht noch
um mehr weſentliche Eigenſchaften der guten Fabel.
Denn zweytens — Ich muß es nur geſtehen; ich
bin mit dem Phädrus nicht ſo recht zu frieden.
De la Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen,
als „daß er ſeine Moral oft zu Anfange der Fabeln
„ſetze, und daß er uns manchmal eine allzu unbe-
„ſtimmte Moral gebe, die nicht deutlich genug aus
„der Allegorie entſpringe. Der erſte Vorwurf be-
trift eine wahre Kleinigkeit; der zweyte iſt unendlich
wichtiger, und leider gegründet. Doch ich will nicht
fremde Beſchuldigungen rechtfertigen; ſondern meine
eigne vorbringen. Sie läuft dahin aus, daß Phä-
drus ſo oft er ſich von der Einfalt der griechiſchen
Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plum-
pen Fehler begehet. Wie viel Beweiſe will man? z. E.
‘Fab. 4. Libri I.
Canis per flumen, carnem dum ferret natans,
Lympharum in ſpeculo vidit ſimulacrum ſuum \&c.’ ()
P 3Es
[230] Es iſt unmöglich; wenn der Hund durch den Fluß
geſchwommen iſt, ſo hat er das Waſſer um ſich
her nothwendig ſo gedrübt, daß er ſein Bildniß
unmöglich darinn ſehen können. Die griechiſchen
Fabeln ſagen: ‘Κυων κρεας ἐχουσα ποταμον διεβαινε’ (); das
braucht weiter nichts zu heiſſen, als: er ging über
den Fluß; auf einem niedrigen Steige, muß man
ſich vorſtellen. Aphthonius beſtimmt dieſen Um-
ſtand noch behutſamer: Κρεας ἁρπασα τις κυω [...]
π [...]ῤ ἀυτην διηει την οχϑην; der Hund ging an dem
Ufer des Fluſſes.
‘Fab. 5. Lib. I.
Vacca \& capella, \& patiens ovis injuriæ,
Socii fuere cum leone in ſaltibus.’ ()
Welch eine Gefellſchaft! Wie war es möglich, daß
ſich dieſe viere zu einem Zwecke vereinigen konnten?
Und zwar zur Jagd! Dieſe Ungereimtheit, haben
die Kunſtrichters ſchon öfters angemerkt; aber noch
keiner hat zugleich anmerken wollen, daß ſie von des
Phädrus eigener Erfindung iſt. Im Griechiſchen
iſt dieſe Fabel zwiſchen dem Löwen und dem wilden
Eſel (Οναγρος). Von dem wilden Eſel iſt es be-
kannt, daß er ludert; und folglich konnte er an der
Beute Theil nehmen. Wie elend iſt ferner die Thei-
lung bey dem Phädrus:
Ego
[231]‘Ego primam tollo, nominor quia leo,
Secundam, quia ſum fortis, tribuetis mihi;
Tum quia plus valeo, me ſequetur tertia;
Male afficietur, ſi quis quartam tetigerit.’ ()
Wie vortreflich hingegen iſt ſie im Griechiſchen! Der
Löwe macht ſo gleich drey Theile; denn von jeder
Beute ward bey den Alten ein Theil für den König
oder für die Schatzkammer des Staats, bey Seite ge-
legt. Und dieſes Theil, ſagt der Löwe, gehöret
mir, ‘βασιλευς γαρ ἐιμι;’ () das zweyte Theil gehört
mir auch, ‘ὡς ἐξ ἰσου κοινωνων,’ () nach dem Rechte der
gleichen Theilung; und das dritte Theil κακον μεγα
σοι ποιησει, εἰ μη ἑϑελης φυγειν.
‘Fab. 11. Lib. I.
Venari aſello comite cum vellet leo,
Contexit illum frutice, \& admonuit ſimul,
Ut inſueta voce terreret feras \&c.
— — — —
Quæ dum paventes exitus notos petunt,
Leonis affliguntur horrendo impetu.’ ()
Der Löwe verbirgt den Eſel in das Geſträuche; der
Eſel ſchreyet; die Thiere erſchrecken in ihren Lagern,
und da ſie durch die bekannten Ausgänge davon
fliehen wollen, fallen ſie dem Löwen in die Klauen.
Wie ging das zu? Konnte jedes nur durch Einen
Ausgang davon kommen? Warum mußte es gleich
den wählen, an welchem der Löwe lauerte? Oder
konnte der Löwe überall ſeyn? — Wie vortreflich
P 4fallen
[232] fallen in der griechiſchen Fabel alle dieſe Schwierig-
keiten weg! Der Löwe und der Eſel kommen da vor
eine Höhle, in der ſich wilde Ziegen aufhalten. Der
Löwe ſchickt den Eſel hinein; der Eſel ſcheucht mit
ſeiner fürchterlichen Stimmen die wilden Ziegen
heraus, und ſo können ſie dem Löwen, der ihrer an
dem Eingange wartet, nicht entgehen.
‘Fab. 9. Libr IV.
Peras impoſuit Jupiter nobis duas,
Propriis repletam vitiis poſt tergum dedit,
Alienis ante pectus ſuſpendit gravem.’ ()
Jupiter hat uns dieſe zwey Säcke aufgelegt? Er
iſt alſo ſelbſt Schuld, daß wir unſere eigene Fehler
nicht ſehen, und nur ſcharſſichtige Tadler der Fehler
unſers Nächſten ſind? Wie viel fehlt dieſer Unge-
reimtheit zu einer förmlichen Gottesläſterung? Die
beſſern Griechen laſſen durchgängig den Jupiter hier
aus dem Spiele; ſie ſagen ſchlecht weg: Ανϑρωπος
δυο πηρας ἐκαϛος φουρει; oder: δυο πηρας ἐξημμεϑα
του τραχηλου u. ſ. w.
Genug für eine Probe! Ich behalte mir vor,
meine Beſchuldigung an einem andern Orte um-
ſtändlicher zu erweiſen; und vielleicht durch eine
eigene Ausgabe des Phädrus.
V.Von
[[233]]
V.
Von einem beſondern Nutzen der Fabeln in
den Schulen.
Ich will hier nicht von dem moraliſchen Nutzen der
Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti-
ſche Philoſophie: und würde ich mehr davon ſagen
können, als Wolf geſagt hat? Noch weniger will
ich von dem geringern Nutzen itzt ſprechen, den die
alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln
zogen; indem ſie ihren Schülern aufgaben, bald eine
Fabel durch alle caſus obliquos zu verändern, bald
ſie zu erweitern, bald ſie kürzer zuſammenzuziehen ꝛc.
Dieſe Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil
der Fabel ſelbſt vorgenommen werden; und da jede
kleine Geſchichte eben ſo geſchickt dazu iſt, ſo weis
ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau-
chen muß, die ſich, als Fabel, ganz gewiß nur auf
eine einzige Art gut erzehlen läßt.
Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um-
ſtändlich erörten will, würde man den hevriſti-
ſchen Nutzen der Fabeln nennen können. — War-
um fehlt es in allen Wiſſenſchaften und Künſten ſo
P 5ſehr
[234] ſehr an Erfindern und ſelbſtdenkenden Köpfen? Dieſe
Frage wird am beſten durch eine andre Frage be-
antwortet: Warum werden wir nicht beſſer erzo-
gen? Gott giebt uns die Seele; aber das Genie
müſſen wir durch die Erziehung bekommen. Ein
Knabe, deſſen geſammte Seelenkräfte man, ſo viel
als möglich, beſtändig in einerley Verhältniſſen aus-
bildet und erweitert; den man angewöhnet, alles,
was er täglich zu ſeinem kleinen Wiſſen hinzulernt,
mit dem, was er geſtern bereits wußte, in der Ge-
ſchwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob
er durch dieſe Vergleichung nicht von ſelbſt auf
Dinge kömmt, die ihm noch nicht geſagt worden;
den man beſtändig aus einer Scienz in die andere
hinüber ſehen läßt; den man lehret ſich eben ſo leicht
von dem Beſondern zu dem Allgemeinen zu erheben,
als von dem Allgemeinen zu dem Beſondern ſich
wieder herab zu laſſen: Der Knabe wird ein Genie
werden, oder man kann nichts in der Welt werden.
Unter den Uebungen nun, die dieſem allgemeinen
Plane zu Folge angeſtellet werden müßten, glaube
ich, würde die Erfindung aeſopiſcher Fabeln eine
von denen ſeyn, die dem Alter eines Schülers am
aller
[235] aller angemeſſenſten wären: nicht, daß ich damit
ſuchte, alle Schüler zu Dichtern zu machen; ſondern
weil es unleugbar iſt, daß das Mittel, wodurch die
Fabeln erfunden worden, gleich dasjenige iſt, das
allen Erfindern überhaupt das allergeläufigſte ſeyn
muß. Dieſes Mittel iſt das Principium der Re-
duction, und es iſt am beſten, den Philoſophen
ſelbſt davon zu hören:
Videmus adeo, quo artificio
utantur fabularum inventores, principio nimirum re-
ductionis: quod quemadmodum ad inveniendum in ge-
nere utiliſſimum, ita ad fabulus inveniendas abſolute
neceſſarium eſt. Quoniam in arte inveniendi princi-
pium reductionis ampliſſimum ſibi locum vindicat,
absque hoc principio autem nulla effingitur fabula; ne-
mo in dubium revocare poterit, fabularum inventores
inter inventores locum habere. Neque eſt quod inven-
tores abjecte de fabularum inventoribus ſentiant: quod
ſi enim fabula nomen ſuum tueri, nec quicquam in
eadem deſiderari debet, haud exiguæ ſaepe artis eſt
eam invenire, ita ut in aliis veritatibus inveniendis ex-
cellentes hic vires ſuas deficere agnoſcant, ubi in rem
praeſentem veniunt. Fabulae aniles nugae ſunt, quae
nihil veritatis continent, \& earum autores in nugata-
rum
[236]rum non inventorum veritatis numero ſunt. Abſit au-
tem ut hiſce aequipares inventores fabularum vel fa-
bellarum, cum quibus in praeſente nobis negotium
eſt, \& quas vel inviti in Philoſophiam practicam ad-
mittere tenemur, niſi praxi officere velimus*.
Doch dieſes Principium der Reduction hat ſeine
groſſen Schwierigkeiten. Es erfordert eine weit-
läuftige Kenntniß des Beſondern und aller individuel-
len Dingen, auf welche die Reduction geſchehen
kann. Wie iſt dieſe von jungen Leuten zu verlan-
gen? Man müßte dem Rathe eines neuern Schrift-
ſtellers folgen, den erſten Anfang ihres Unterrichts
mit der Geſchichte der Natur zu machen, und dieſe
in der niedrigſten Claſſe allen Vorleſungen zum
Grunde zu legen**. Sie enthält, ſagt er, den
Saamen aller übrigen Wiſſenſchaften, ſogar die
moraliſchen nicht ausgenommen. Und es iſt kein
Zweifel, er wird mit dieſem Saamen der Moral,
den er in der Geſchichte der Natur gefunden zu ha-
ben glaubet, nicht auf die bloſſen Eigenſchaften der
Thiere, und andern geringern Geſchöpfe, ſondern
auf
[237] auf die Aeſopiſchen Fabeln, welche auf dieſe Eigen-
ſchaften gebauet werden, geſehen haben.
Aber auch alsdenn noch, wenn es dem Schüler
an dieſer weitläuftigen Kenntniß nicht mehr fehlte,
würde man ihn die Fabeln Anfangs müſſen mehr
finden, als erfinden laſſen; und die allmäligen
Stuffen von dieſem Finden zum Erfinden, die
ſind es eigentlich, was ich durch verſchiedene Ver-
ſuche meines zweyten Buchs habe zeigen wollen.
Ein gewiſſer Kunſtrichter ſagt: „Man darf nur im
„Holz und im Feld, inſonderheit aber auf der Jagd,
„auf alles Betragen der zahmen und der wilden
„Thiere aufmerkſam ſeyn, und ſo oft etwas ſonder-
„bares und merkwürdiges zum Vorſchein kömmt,
„ſich ſelber in den Gedanken fragen, ob es nicht
„eine Aehnlichkeit mit einem gewiſſen Charakter der
„menſchlichen Sitten habe, und in dieſem Falle in
„eine ſymboliſche Fabel ausgebildet werden kön-
„ne*. Die Mühe mit ſeinem Schüler auf die
Jagd zu gehen, kann ſich der Lehrer erſparen, wenn
er in die alten Fabeln ſelbſt eine Art von Jagd zu
legen weiß; indem er die Geſchichte derſelben
bald
[238] bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald die-
ſen oder jenen Umſtand derſelben ſo verändert, daß
ſich eine andere Moral darinn erkennen läßt.
Z. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und
Eſel fängt ſich an: Λεων και ὀνος, κοινανιαν ϑεμενοι,
ἐξηλϑον ἑπι ϑηραν — Hier bleibt der Lehrer ſtehen.
Der Eſel in Geſellſchaft des Löwen? Wie ſtolz wird
der Eſel auf dieſe Geſellſchaft geweſen ſeyn! (Man
ſehe die achte Fabel meines zweyten Buchs)
Der Löwe in Geſellſchaft des Eſels? Und hatte ſich
denn der Löwe dieſer Geſellſchaft nicht zu ſchämen?
(Man ſehe die ſiebende) Und ſo ſind zwey Fabeln
entſtanden, indem man mit der Geſchichte der alten
Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch
zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet,
als Aeſopus ſich dabey geſteckt hatte.
Oder man verfolgt die Geſchichte einen Schritt
weiter: Die Fabel von der Krähe, die ſich mit den
ausgefallenen Federn andrer Vögel geſchmückt hatte,
ſchließt ſich; ‘και ὁ κολοιος ἠν παλιν κολοιος.’ () Viel-
leicht war ſie nun auch etwas ſchlechters, als ſie vor-
her geweſen war. Vielleicht hatte man ihr auch
ihre eigene glänzenden Schwingfedern mit ausge-
riſſen,
[239] riſſen, weil man ſie gleichfalls für fremde Federn
gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man er-
tappt ihn hier, man ertappt ihn da; und endlich
glaubt man, daß er auch das, was wirklich ſein ei-
gen iſt, geſtohlen habe. (S. die ſechſte Fabel mei-
nes zweyten Buchs.)
Oder man verändert einzelne Umſtände in der
Fabel. Wie wenn das Stücke Fleiſch, welches der
Fuchs dem Raben aus dem Schnabel ſchmeichelte,
vergiftet geweſen wär? (S. die funfzehnte) Wie
wenn der Mann die erfrorne Schlange nicht aus
Barmherzigkeit, ſondern aus Begierde ihre ſchöne
Haut zu haben, aufgehoben und in den Buſen geſteckt
hätte? Hätte ſich der Mann auch alsdenn noch über
den Undank der Schlange beklagen können? (S.
die dritte Fabel.)
Oder man nimmt auch den merkwürdigſten Um-
ſtand aus der Fabel heraus, und bauet auf denſelben
eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe iſt ein Bein in
dem Schlunde ſtecken geblieben. In der kurzen Zeit,
da er ſich daran würgte, hatten die Schafe alſo vor ihm
Friede. Aber durfte ſich der Wolf die gezwun-
gene Enthaltung als eine gute That anrechnen?
(S. die
[240] (S. die vierte Fabel). Herkules wird in den Him-
mel aufgenommen, und unterläßt dem Plutus
ſeine Verehrung zu bezeigen. Sollte er ſie wohl
auch ſeiner Todfeindin, der Juno, zu bezeigen un-
terlaſſen haben? Oder würde es dem Herkules an-
ſtändiger geweſen ſeyn, ihr für ihre Verfolgungen
zu danken? (S. die zweyte Fabel).
Oder man ſucht eine edlere Moral in die Fabel zu
legen; denn es giebt unter den griechiſcheu Fabeln
verſchiedene, die eine ſehr nichtswürdige haben. Die
Eſel bitten den Jupiter, ihr Leben minder elend
ſeyn zu laſſen. Jupiter antwortet:
τοτε ἀυτους ἀ-
παλλαγησεσϑαη της κακοπαϑειας, ὀταν ου᾽ρουντες ποιη-
σωσι ποταμον.
Welche eine unanſtändige Antwort
für eine Gottheit! Ich ſchmeichle mir, daß ich den
Jupiter würdiger antworten laſſen, und überhaupt
eine ſchönere Fabel daraus gemacht habe. (S. die
zehnte Fabel.)
— Ich breche ab! Denn ich kann mich unmög-
lich zwingen, einen Commentar über meine eigene
Verſuche zu ſchreiben.
[[241]]
Appendix A Inhalt.
- 1. Die Erſcheinung S. 3
- 2. Der Hamſter und die Ameiſe 5
- 3. Der Löwe und der Haſe 6
Aelianus de natura animalium libr. I. cap. 38.
Ορ᾽ρ᾽ωδει ὁ ἐλεφας κεραϛην κριον και χοιρου βοην.
Idem lib. III. cap. 31. Αλεκτρυονα φοβειται
ὁ λεων. - 4. Der Eſel und das Jagdpferd 7
- 5. Zevs und das Pferd 8
Καμηλον ὡς δεδοικεν ἱππος, ἐγνω Κυρος τε και
Κροισος. Aelianus de nat. an. lib. III. cap. 7. - 6. Der Affe und der Fuchs 10
- 7. Die Nachtigall und der Pfau 11
- 8. Der Wolf und der Schäfer 12
- 9. Das Roß und der Stier 13
- 10. Die Grille und die Nachtigall 14
- 11. Die Nachtigall und der Habicht 15
- 12. Der kriegeriſche Wolf 16
- 13. Der Phoenix 17
- 14. Die Gans 18
- 15. Die Eiche und das Schwein 19
- 16. Die Wespen 20
Ιππος ἐρ᾽ρ῾ιμμενος σφηκων γενεσις ἐϛιν. Aelianus
de nat. animal. lib. I. cap. 28. - 17. Die Sperlinge 21
- 18. Der Strauß 22
Η ϛρουϑος ἡ μεγαλη λασιοις μεν τοις πτεροις
ἐπτερωται, ἀρϑηναι δε και ἐις βαϑυν ἀερα μετεω-
ρισϑηναι φυσιν οὐκ ἐχει · ϑει δε ὠκιϛα, και τας
παρα την πλευραν ἑκατεραν πτερυγας ἁπλοι, και
ἐμπιπτον το πνευμα κολποι δικην ἱϛιων αυτας·
πτησιν δε ου᾽κ ὀιδεν. Aelianus lib. II. c. 26. - 19. Der Sperling und der Straus 23
- 20. Die Hunde 24
Κεοντι ομοσε χορει κυιν Ινδικος — και πολλα ἀυ-
τον λυπησας και κατατρωσας, τελευτων ἡτταται
ὁ κυων. Aelianus lib. IV. cap. 19.
21. Der Fuchs und der Storch 25 - 22. Die Eule und der Schatzgräber 26
- 23. Die junge Schwalbe 27
- 24. Merops 28
Ο Μεροψ το ὀρνεοε εμπαλιν, φασι, τοις ἀλλοις
ἁπασι πετεται· τα μεν γαρ ἐις τουμπροσϑεν
ἰεται και κατ᾽ οφϑαλμους, το δε ἐις τουπεσω.
25. Der[243] - 25. Der Pelekan 29
Aelianus; de nat. animal. libr. III. cap. 30. - 26. Der Löwe und der Tieger 30
Aelianuſ de natura animal. libr. II. cap. 12. - 27. Der Stier und der Hirſch 31
- 28. Der Eſel und der Wolf 32
- 29. Der Springer im Schache 33
- 30. Aeſopus und der Eſel 34
- 1. Die eherne Bildſäule S. 37
- 2. Herkules 38
Fab. Aeſop. 192. edit. Hauptmannianæ. Phæ-
drus lib. IV. Fab. 11. - 3. Der Knabe und die Schlange 39
Fab. Aeſop. 170. Phædrus lib. IV. Fab. 18. - 4. Der Wolf auf dem Todbette 41
Eab. Aeſop. 144. Phædrus lib. I. Fab. 8. - 5. Der Stier und das Kald 42
Phædrus lib. V. Fab. 9. - 6. Der Pfauen und die Krähe 43
Fab. Aeſop. 188. Phædrus lib. I. Fab. 3. - 7. Der Löwe mit dem Eſel 44
Phædrus lib. I. Fab. 11. - 8. Der Eſel mit dem Löwen 45
Phædrus lib. I. Fab. 11. - 9. Die blinde Henne 46
Phædrus libr. III. Fab. 12. - 10. Die Eſel 47
Fabul. Aeſop. 112. - 11. Das beſchützte Lamm 49Fab. Aeſop. 157.
- 12. Jupiter und Apollo 50
Fab. Aeſop. 187. - 13. Die Waſſerſchlange 51
Fab. Aeſop. 167. Phædrus lib. I. Eab. 2. - 14. Der Fuchs und die Larve 52
Fab. Aeſop. 11. Phædrus lib. I. Fab. 7. - 15. Der Rabe und der Fuchs 53
Fab. Aeſop. 205. Phædrus lib. I. Fab. 13. - 16. Der Geitzige 55
Fab. Aeſop. 59. - 17. Der Rabe 56
Fab. Aeſop. 132. - 18. Zevs und das Schaf 57
Fab. Aeſop. 119. - 19. Der Fuchs und der Tieger 59
Fab. Aeſop. 159. - 20. Der Mann und der Hund 60
Fab. Aeſop. 25. Phædrus lib. II. Fab. 3. - 21. Die Traube 61
Fab. Aeſop. 156. Phædrus lib. IV. Fab. 2. - 22. Der Fuchs 62
Fab. Aeſop. 8. - 23. Das Schaf 63
Fab. Aeſop. 189. - 24. Die Ziegen 65
Phædrus lib. IV. Fab. 15. - 25. Der wilde Apſelbaum 66
Fab. Aeſop. 173. - 26 Der Hirſch und der Fuchs _ 67
Fab. Aeſop. 226. Phædrus lib. I. Fab. 11. \&
lib. I. Fab. 5. - 27. Der Dornſtrauch 68
Fab. Aeſop. 42. - 28. Die Furien 69
Suidaſ in Αειπαρϑενος. - 29. Tireſias 71
Antonius Liberaliſ c. 16. - 30. Minerva 72
- 1. Der Beſitzer des Bogens S. 75
- 2. Die Nachtigall und die Lerche 76
- 3. Der Geiſt des Salomo 77
- 4. Das Geſchenk der Feyen 79
- 5. Das Schaf und die Schwalbe 81
Η Χελιδων — ἐπι τα νωτα των προβατων ἱζανει,
και ἀποσπα του μαλλου, και ἐντευϑεν τοις ἑαυτης
βρεφεσι το λεχος μαλακον ἐϛρωσεν. Aelianus
lib. III. c. 24. - 6. Der Rabe 82
- 7—10. Der Rangſtreit der Thiere _ _ 83—87
- 11 Der Bär und der Elephant 88
Aelianus de nat. animal. libr. II. cap. 11. - 12. Der Strauß 89
- 13. 14. Die Wohlthaten 90
- 15. Die Eiche 91
- 16—22. Die Geſchichte des alten Wolfs 92—102
Aelianus libr. IV. cap. 15. - 23. Die Maus 103
- 24. Die Schwalbe 104
- 25. Der Adler 105
- 26. Der junge und der alte Hirſch 106
- 27. Der Pfau und der Hahn 107
- 28. Der Hirſch 108
- 29. Der Adler und der Fuchs 109
- 30. Der Schäfer und die Nachtigall 110
[247]
Appendix B
Appendix B.1 Abhandlungen.
- I.Von dem Weſen der Fabel. S. 113. Fa-
bel, was es überhaupt heiſſe. Eintheilung der
Fabel in einfache und zuſammengeſetzte S. 114.
u. f. Die Erklärung des de la Motte wird un-
terſucht S. 117. Die Fabel iſt nicht bloß eine
allegoriſche Handlung, ſondern die Erzehlung
einer ſolchen Handlung, 118. 119. Allegorie,
was ſie iſt, 120. Die einfache Fabel iſt nicht
allegoriſch, 124. Blos die zuſammengeſetzte Fa-
bel iſt es, 125 u. f. Warum das Wort Allego-
rie gänzlich aus der Erklärung der Fabel zu laſſen,
127. u. ſ. Die Lehre der Fabel muß eine mora-
liſche Lehre ſeyn, 131. Unterſuchung der Erklä-
rung des Richer, 132 u. f. Wie fern die Fabel
ein Gedicht zu nennen, 132. Die moraliſche
Lehre der Fabel iſt nicht immer eine eigentliche
Vorſchrift, 133. Ein bloſſes Bild macht keine
Fabel aus, 134 u. f. Was eine Handlung ſey?
136 u. f. Worinn die Einheit einer aeſopiſchen
Handlung beſtehe, 138 u. f. Breitingers Er-
klärung wird geprüft, 140 u. f. Er hat die Er-
klärung des de la Motte überſetzt und gewäſ-
ſert, 141. Die Lehre muß in die Fabel weder
verſteckt noch verkleidet ſeyn, 142 u. f. Von
der Erklärung des Batteux, 144 u. f. Seine
Erklärung der Handlung iſt für die aeſopiſche Fa-
bel zu eingeſchränkt, 145 u. f. Er hat ſie mit der
Q 4Hand-
[248] Handlung der Epopee verwirrt, 153 u. f. Wor-
inn die Fabel von der Parabel unterſchieden, 159.
Der einzelne Fall der Fabel muß nothwendig als
wirklich vorgeſtellt werden, 160. Exempel von
Fabeln, die wider dieſe Regel verſtoſſen, 161 u. f.
Philoſophiſche Gründe dieſer Regeln, 163 u. f.
Die Lehre des Ariſtoteles von dem Exempel, 168.
Worauf ſich ſeine Eintheilung des erdichteten
Expempels gründet, 169. Er ſchreibt der hiſto-
riſchen Wahrheit zuviel zu, 170 u. f. Geneti-
ſche Erklärung der Fabel, 171. - II.Von dem Gebrauche der Thiere in der
Fabel, S. 173 u. f. Liſt des Batteux, keine
Urſache davon angeben zu dürfen, 173. 174.
Breitinger nimmt die Erreichung des Wunder-
baren dafür an, 174 u. f. Die Einführung der
Thiere in der Fabel iſt nicht wunderbar, 177 u. f.
Die wahre Urſache derſelben iſt die allgemein be-
kannte Beſtandtheit der thieriſchen Charaktere,
181 u. f. Wider den Verfaſſer der critiſchen
Briefe, 185 u. f. Warum der Fabuliſt ſeine
Perſonen weit ſeltner aus dem Pflanzenreiche und
Steinreiche, und aus den Werken der Kunſt
nimmt, 188. Nutzen des Gebrauchs der Thiere
in der zuſammengeſetzten Fabel, 189. Nutzen
deſſelben in Anſehung der nicht zu erregenden Lei-
denſchaften, 189. 190. - III.Von der Eintheilung der Fabel, S. 191.
In einfache und zuſammengeſetzte, 191. In
directe und indirecte, 191. 192. Von der Ein-
theilung des Aphthonius, 192 u. f. Warum
Batteux dieſe Eintheilung angenommen, 193. u. f.
Wolfs Verbeſſerung der Aphthonianiſchen Ein-
theilung, 196 u. f. Was wider dieſe Verbeſſe-
rung zu erinnern, 199. Die Eintheilung der
Fabel wird aus der verſchiednen Möglichkeit des
einzeln Falles in der Fabel hergeholt, 200 u. f.
Fernere Eintheilung der ſittlichen Fabeln in my-
thiſche und hyperphyſiſche, 201. 202. Be-
ſondere Arten der vermiſchten Fabel, 204.
Beurtheilung der Breitingerſchen Eintheilung,
205 u. f. Wie weit in den hyperphyſiſchen
Fabeln die Natur der Thiere zu erhöhen, 208. 209.
Von der Ausdehnung der aeſopiſchen Fabel zu der
Länge des epiſchen Gedichts, wider den Verfaſ-
ſer der critiſchen Briefe, 209 u. f. Idee von
einem aeſopiſchen Heldengedichte, 213 u. f. - IV.Von dem Vortrage der Fabeln, S. 216.
Von dem Vortrage des Aeſopus, 216. Des
Phädrus, 217. Des la Fontaine, 217. 218.
LA Fontaine mißbraucht eine Autorität des
Quintilians, 219. De la Motte führet den
la Fontaine verſtümmelt an, 221. Die Alten
handeln von den Fabeln in ihren Rhetoriken,
wir in der Dichtkunſt, 222. Wodurch dieſe Ver-
änderung veranlaßt worden, 223. Die Zierra-
then,
[249[250]] then, welche Batteux den Fabeln ertheilt wiſ-
ſen will, ſtreiten mit dem Weſen der Fabel,
223 u. f. Warum der Verfaſſer den proſalſchen
Vortrag gewehlet, 226 u. f. Fehler des Phä-
drus, ſo oft er von den griechiſchen Fabeln ab-
weicht, 229 u. f. - V.Von einem beſondern Nutzen der Fabel in
den Schulen 233 u. f. Die rhetoriſchen Uebun-
gen mit der Fabel werden gemißbilliget, 233.
Von dem hevriſtiſchen Nutzen der Fabel, in
Abſicht auf die Bildung des Genies, 234. 235.
Wie die Fabel erfunden werde, 236. Wie der
Jugend die Erfindung zu erleichtern, 237 u. f.
Exempel an verſchiednen eignen Fabeln des Ver-
faſſers, 238 u. f.
action. Diſcours ſur la fable.
νοει. Et iſtud ἀλλο reſtringi debet ad aliud ſimile, alias
etiam omnis Ironia Allegoria eſſet. Voſſius Inſt. Orat.
libr. III.
ne alluſion, \& n’eſt fondée que ſur un jeu de mots équi-
voque. Fables nouvelle, Preface, p. 10.
boire de cette eau chaude \& brulante, dans la queſtion
du Jugement dernier, tout ce que vous avez caché avec
tant de ſoin, paroitra aux yeux de tout le monde, \&
celui qui aura acquis de l’eſtime par ſon hypocriſie \&
par ſon deguiſement, ſera pour lors couvert de honte \&
de confuſion.
ſous une image allegorique. Fables nouvelles Preſace p. 9.
ſchnitt, S. 194
Breitinger das, was Wolf ſchon damals von der Fabel
gelehret hatte, auch nicht im geringſten gekannt zu haben
ſcheinet. Wolfii Philoſophiæ practicæ univerſalis Pars po-
ſterior §. 302-323. Dieſer Theil erſchien 1734, und die
Breitingerſche Dichtkunſt erſt das Jahr darauf.
logue eſt le recit d’une action allegorique \&c.
die 187te.
mus. Idem, ibidem.
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- TextGrid Repository (2025). Lessing, Gotthold Ephraim. Fabeln. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmn3.0