ſeiner
Univerſal-Hiſtorie.
beyJohann Chriſtian Dieterich
1773.
Vorbericht.
Wer ſich einmal in den Kopf geſetzt hat,
daß die Vorſtellung meiner Uni-
verſalhiſtorie ein Leſebuch, oder ein Com-
pendium im eigentlichen Verſtande, ſei:
der wird nicht begreifen koͤnnen, wie kri-
tiſche und zum Teil polemiſche Unterſu-
chungen der zweere Teil dieſes Compen-
dii heiſſen ſollen. Wem hingegen gefaͤl-
lig iſt, jene Aufſaͤtze fuͤr das zu halten,
wofuͤr ich ſie in der Vorrede ausdruͤcklich
ausgegeben hatte; naͤmlich fuͤr eine mit
Beweiſen (und einer Probe S. 113-222)
belegte Vorſtellung des Plans, dem ich
in der Behandlung und im Vortrage die-
ſer Wiſſenſchaft folge, und folgen zu muͤſ-
ſen glaube, und dann fuͤr eine Anfrage an
Kenner aus dem Publico, was ſie von der
Materie und Form, und der von beiden
abhangenden Einrichtung der Weltgeſchich-
*te
[]Vorbericht.
te, halten: der wird den Titel eben nicht
unſchicklich finden.
Mit dem Planmachen iſt es freilich
ſo eine Sache ‒ ‒ und Hr. Herder hat
voͤllig recht, daß ſich etwas leichter ſagen
als thun laſſe. Aberhier, wo von Welt-
geſchichte die Rede iſt, meine ich, muß es
auch geſagt werden, ehe es gethan wird.
Der Begriff von Weltgeſchichte iſt ſo leicht
nicht, als mancher waͤhnet; ich weiß ſo
gar nicht einmal, ob bereits eine vollſtaͤn-
dige und ganz untadelhafte Definition von
ihr exiſtire? Jſt man aber in dem Begriffe
nicht einmal eins: wie kan man in den
praktiſchen Negeln der Einrichtung dieſer
Wiſſenſchaft Uebereinſtimmung hoffen?
Der eine wird ſie ſo behandeln, der andre
anders; der eine wird vorſetzlich Dinge
auslaſſen, die der andre durchaus mit hin-
ein haben will; der eine wird Dinge hin-
einſetzen, die der andre, als gar nicht zur
Univerſalhiſtorie gehoͤrig, verſpottet: jeder
wird ſeinen Grundſaͤtzen getreu handeln;
aber um die Streitenden auseinander zu
bringen, muͤſſen dieſe Grundſaͤtze entwik-
kelt, muß ein Plan, eine Theorie, ein
Jdeal dieſer Wiſſenſchaft, verfaſſet werden.
Wenn
[]Vorbericht.
Wenn nun die Geſchichtkunde, uͤ-
berhaupt genommen, eine nicht nur jedem
Gelehrten von Profeßion unentberliche,
ſ[o]ndern auch fuͤr den ganzen cultivirteren
Teil des großen Publici brauchbare und
intereſſante Wiſſenſchaft iſt, und folglich
jeder gelehrte Patriot wuͤnſchen, jeder nach
ſeinen Kraͤften das ſeinige dazu beitragen
muß, daß dieſe Wiſſenſchaft immer mer
und mer in allgemeinen Umlauf komme;
wenn ſie, wegen ihrer unermeßlichen Weit-
laͤuftigkeit, notwendig eine Art von Jnſti-
tutionen, ein Fundamentale, eine allge-
meine Grundlegung, erfodert; und wenn
ſich alle Menſchen unter dieſen hiſtoriſchen
Jnſtitutionen die Univerſalhiſtorie den-
ken, ſo ſehr ſie auch uͤbrigens, in naͤherer
Beſtimmung dieſes Wortes, von einan-
der abweichen moͤgen: ſo kan ich nicht um-
hin, mir die Univerſalhiſtorie, aus dieſem
Geſichtspuncte betrachtet, als eine ſehr
wuͤrdige und wichtige Wiſſenſchaft vorzu-
ſtellen; aller Gedanke, daß ſie ein bloſſes
Schulſtudium fuͤr Kinder und Knaben ſei,
verſchwindet mir; und ich halte es in ho-
hem Grad fuͤr der Muͤhe werth, uͤber die
moͤglichſt beſte Behandlung dieſer Wiſſen-
* 2ſchaft
[]Vorbericht.
ſchaft nicht nur ſelbſt nachzudenken, ſon-
dern auch andre geſcheute Leute zu befra-
gen.
Und wenn der Planmacher nicht blos
Gemeinoͤrter predigt, ausgeſuchte Phra-
ſes haͤuft, und fromme Wuͤnſche decla-
mirt, ſondern ſtatt deſſen ins Detail geht,
und ſo beſtimmte Vorſchlaͤge thut, daß
von ihnen zur Ausuͤbung nur ein kleiner
und evident moͤglicher Uebergang iſt; wenn
er dabei den in litterariſchen Vorſchlaͤgen
aͤuſſerſt eckelhaften Geſetzgeber-Ton ſorg-
faͤltig vermeidet; wenn er endlich nicht
blos vorſchlaͤgt, ſondern ſelbſt Hand an-
legt, und Proben ſeiner Theorien vorzeigt:
ſo ſehe ich nicht ab, wie ein Planmacher
von der Art Verachtung und Geſpoͤtte
verdiene.
Jn dieſen Geſinnungen ließ ich in vori-
gem Jahre die Vorſtellung meiner Uni-
verſalhiſtorie drucken. Da ſie abſicht-
lich eine Anfrage an das Publicum war:
ſo geſtehe ich es, ich war aufmerkſam auf
die Beurteilungen, die das Buch erhal-
ten wuͤrde. Solcher Beurteilungen ſind
mir bis jetzo achte zu Geſicht gekommen.
Sie
[]Vorbericht.
Sie ſcheinen mir alle von Hiſtorikern von
Profeßion zu ſeyn: ich ſage, ſie ſcheinen
mir es, denn alle dieſe Beurteiler ſind
mir, bis auf einen einzigen, noch bis itzo
unbekannt. Alle ihre Erinnerungen waren
lehrreich fuͤr mich; ich will ſie alle, keine
einzige ausgenommen, in dem naͤchſtfol-
genden dritten Stuͤcke dieſer Vorſtellung
ſammlen, und bei jeder insbeſondre die
Anmerkung machen, entweder: ich ha-
be gefehlt, und kan den Feler kuͤnftig ver-
beſſern, oder: ich habe gefehlt, allein aus
folgenden Urſachen ꝛc. kan ich den Feler
nicht verbeſſern, oder: ich glaube, nicht
gefehlt zu haben, und dies aus folgenden
Gruͤnden ꝛc. Eben ſo werde ich es mit
denjenigen freundſchaftlichen Kritiken hal-
ten, die mir blos ſchriftlich in Privatbrie-
fen bisher zugekommen ſind, oder kuͤnftig
noch zukommen moͤchten.
Aber alle die bisher genannten Beur-
teilungen durfte ich nicht mit derjenigen zu-
ſammenſetzen und verunehren, die der Hr.
Conſiſtorialrath Herder in die Frankfur-
ter Zeitungen ſetzen laſſen. Dieſe ſticht,
nicht nur in Grobheit und Ungerechtigkeit,
* 3ſon-
[]Vorbericht.
ſondern auch in laͤcherlicher Unwiſſenheit,
gegen die uͤbrigen allzu ſehr ab: ihr allein
alſo, da ich ihres gleichen anderswo nicht
gefunden, beſtimmte ich zur umſtaͤndlichen
Analyſe dieſes 2te Stuͤck.
Darf ich ergebenſt bitten, daß dieſe
meine Analyſe niemand leſe, der nicht un-
mittelbar vorher des Hrn. Conſiſtorial-
Raths ganze Recenſion im Zuſammenhan-
ge geleſen und erwogen hat? Darf ich bit-
ten, auf allen Seiten deſſen eingedenk zu
ſeyn, daß ich blos der ſich verteidigende
Teil bin, daß ich Hrn. Herdern gar nicht
kenne, und ihm nie Gelegenheit gegeben ha-
ben kan, uͤber mich mißvergnuͤgt zu ſeyn,
noch weniger Urſache, mir im Angeſichte des
Publici ſo beleidigend zu begegnen?
Aber warum beantworte ich, ſo um-
ſtaͤndlich, eine Kritik, die augenſcheinlich
unter aller Kritik iſt? aus der ich nichts
lernte, und aus der ſich auch, nicht einmal
durch Brandiſche Kuͤnſte, fuͤr den kundigen
Leſer ein Phosphor ziehen ließ? eine Kritik
von der Art, die heute gemacht und gedruckt,
morgen geleſen und belacht, und uͤber-
morgen vergeſſen wird?
Aus
[]Vorbericht.
Aus Furcht und Bangigkeit geſchieht
es augenſcheinlich nicht. Die Recenſion
iſt ſchon ſeit mer als einem Jare gedruckt;
ſo lange wartete ich mit Fleiß mit meiner
Antwort. Sie hat gar keinen Ton im
Publico, nicht einmal unter ſpaͤteren Recen-
ſenten, angegeben. Sicher und ruhig haͤtte
ich ſie alſo in ihrer bereits eingetretenen
Vergeſſenheit modern laſſen koͤnnen.
Waͤre ſie immer anonymiſch geblieben:
ſo wuͤrde ich natuͤrlicher Weiſe noch weni-
ger Notiz von ihr genommen haben. A-
ber da es, ich weiß nicht durch einen Zu-
fall, oder mit Hrn. Herders Vorſatze, all-
gemein bekannt wurde, daß die Recenſion
von ihm waͤre: ſo war ich ſeinem bekann-
ten, und zwar nicht durch Hiſtorie, aber
doch durch Belleslettres, beruͤhmten Namen
mer Aufmerkſamkeit ſchuldig, als einem
namenloſen Unbekannten.
Endlich ſah ich dieſe Recenſion von
einer gewiſſen Nebenſeite an, von der ſie
mir wichtig ſchien: — als eine Urkunde
des leidigen Recenſenten-Unfugs, der
ſeit etwa zehen Jaren unſre Deutſche
Litteratur ſchaͤndet.
* 4Zwar
[]Vorbericht.
Zwar ſolche Urkunden werden hie und
da alle Wochen gedruckt; und Schrift-
ſteller, die ihrer Sache gewiß ſind, und
dem deutſchen Publico Einſicht zutrauen,
ſcheinen ſichs durchgaͤngig zum Geſetze ge-
macht zu haben, dergleichen Ungezogen-
heiten zu ignoriren und zu verachten. Sie
ſelbſt verlieren augenſcheinlich nichts dabei;
und zur Ehre meiner Deutſchen weiß ich
wirklich noch kein einziges Beiſpiel, daß
ein wirklich ehrwuͤrdiger Gelerter durch Re-
cenſenten-Complot um ſeine Achtung ge-
kommen waͤre. Allein daß es gut, heil-
ſam, und fuͤr die Aufrechthaltung der
Wuͤrde unſrer vaterlaͤndiſchen Litteratur
notwendig ſei, aus etwa hundert ſolcher
Recenſionen jedesmal Eine heraus zu ne-
men, wenn ſie ſich durch Unwiſſenheit in
hohem und erweislichem Grade, durch vor-
zuͤgliche Ungezogenheit, und durch die Per-
ſon ihres Verfaſſers, beſonders auszeich-
net, und an derſelben ein Exempel zu ſta-
tuiren, ſchließe ich aus folgenden Gruͤnden.
I. Der Unfug nimmt kein Ende, und
verewigt ſich. Diejenige, die ihn treiben,
ſind meiſt Leute in den Jaren der Gaͤhrung,
wo Stillſchweigen und großmuͤthige Ver-
achtung
[]Vorbericht.
achtung keine Wirkung thut, ſondern eher
fuͤr Furcht oder Feigheit ausgelegt wird.
Kommen dieſe Leute endlich zu Jaren und
zu ſich, und beſſern ſich ſelbſt: ſo tritt ih-
nen eine durch jener ihr Beiſpiel bereits
verdorbene und wieder gaͤhrende Genera-
tion auf dem Fuße nach; und faͤngt gerade
da wieder an, wo jene es mit Schaam
und Reue laſſen wollten; und ſtiftet in die
Laͤnge wirklich mer Boͤſes, als es beim
erſten Anſehen ſcheint.
II. Bei gelerten Leſern zwar macht ei-
ne ungerechte und boshafte Recenſion um
ſo weniger Eindruck, je mer ſie ungerecht
und boshaft iſt. Aber der bei weitem groͤſ-
ſere Teil der Leſer ſind junge Leſer, die
nicht urteilen koͤnnen; die zwar uͤberhaupt
den Satz wiſſen, daß in unſerm Zeitalter
Recenſionen nicht zu trauen ſei, die ſich a-
ber doch an den Einfaͤllen und Ausdruͤcken
des Recenſenten, beſonders wenn er den
Styl in ſeiner Macht hat, ergoͤtzen, und
den Mann doch fuͤr Etwas halten, von
dem mißhandelten Verfaſſer aber unver-
merkt laͤcherliche Jdeen bekommen. Wie ge-
ſund muß es dieſen jungen Leſern ſeyn, wenn
man
[]Vorbericht.
man ihnen manchmal, durch eine auch fuͤr
ſie faßliche Analyſe, den armen Jgnoran-
ten, der frech von Schriften urteilt, welche
nur zu verſtehen er noch einige Jare lernen
muͤßte, von allen Schnoͤrkeleien des
Styls entkleidet, in ſeiner Bloͤße zeigt!
III. Noch hat dieſer Recenſenten-Un-
fug eine zweite noch nachteiligere Wirkung
auf dieſe junge Leſer: er hilft ihren mora-
liſchen Character verderben. Sie ver-
lieren dadurch das zarte Gefuͤhl gegen an-
drer Ehre, dieſes große Principe der Ruhe
in der buͤrgerlichen Geſellſchaft; und ge-
woͤhnen ſich, ohne Bedenken gegen ande-
re die Ungezogenheiten im Privat-Leben
zu begehen, welche ſie den feigſten Men-
ſchen, mit der groͤſten Publicitaͤt, ſo gar
durch den Druck, anonymiſch, ungeſtraft,
und ungeruͤgt veruͤben ſehen. Wie heil-
ſam wuͤrde es ihnen ſeyn, wenn man ihnen
durch faßliche Analyſen Eckel und Abſcheu
vor dieſen Ungezogenheiten erregen koͤnnte!
IV. Endlich, was wird der Auslaͤn-
der bei dieſem Unfuge denken? wird er
nicht allmaͤlich Ungeſchliffenheit jetzo,
wie
[]Vorbericht.
wie Pedanterei ehedem, fuͤr den Na-
tional-Character der deutſchen Littera-
tur halten? Zwar in Deutſchland ſelbſt
wiſſen wir den Unterſcheid zwiſchen deut-
ſchem Publico und laͤſternden Zeitungs-
ſchreibern: aber den weiß der Auslaͤnder
nicht; der ließt vielleicht mer deutſche Re-
cenſionen als deutſche Buͤcher; der faͤngt
ſo gar an, jene zu uͤberſetzen (ſiehe die
Maandelykſche Algemeene Bcoordeeling van
Duitſche ‒ ‒ Boeken, Rotterdam 1773),
und beurteilt das ganze heil. Roͤmiſche
Reich nach ſeinen lauteſten Journali-
ſten: ſo wie wir ſelbſt gewohnt ſind, die
Weisheit oder Thorheit eines Volkes nach
ſeinen Reichstags-Schluͤſſen zu beſtimmen,
ohne zu unterſuchen, ob dieſe Schluͤſſe
wirklich der freie Wille der Pluralitaͤt,
oder nur das Privatwerk einiger frechen
complotirenden Schreier, ſind.
Uebrigens fuͤrchte der Leſer nicht, in
denen nun folgenden Bogen lauter Pole-
mik zu finden: es kommen auch univer-
ſalhiſtoriſche Unterſuchungen vor; wor-
unter einige, z. E. uͤber das Periodenma-
chen, vielleicht die Pruͤfung der Kenner
verdie-
[]Vorbericht.
verdienen. Wenn dieſen Kennern die Weit-
ſchweifigkeit lange Weile macht, durch die
ich meinen Saͤtzen den hoͤchſten Grad der
Deutlichkeit zu verſchaffen getrachtet habe:
ſo bitte ich, nicht zu vergeſſen, daß dieſes
zweite Stuͤck nur fuͤr Anfaͤnger beſtimmt
ſei. Jm kuͤnftigen dritten werde ich mich
ungleich kuͤrzer faſſen.
Goͤttingen den 17. Sept. 1773.
Druckfehler.
- S. 289 Z. 7 fuͤr denn ließ den.
- ‒ ‒ 2 von unten, fuͤr 253 ließ 235.
[]
Hrn. Johann Gottfried Herders,
Gräfl. Schaumburg-Lippiſchen Conſiſtorial-Raths
zu Bückeburg
Beurteilung
der
Schloͤzeriſchen
Univerſalhiſtorie
in den
Frankfurter Gel. Anzeig. St. 60, 1772.
mit
Auguſt Ludwig Schloͤzers
Anmerkungen uͤber die Kunſt, Univerſalhiſtorien zu
beurteilen.
[][[1]]
§. 1.
Der Hr. Conſiſtorial-Rath Herder in
Buͤckeburg hat im vorigen Jahre,
eine Recenſion meiner Vorſtellung der Uni-
verſalhiſtorie, in das 60ſte Stuͤck der Frank-
furter gelehrten Anzeigen S. 473–478,
unter dem 28ten Jul. 1772, einruͤcken laſſen.
Der Jnhalt meines Buchs iſt bekannt-
lich hiſtoriſch. Und Hr. Herder iſt bekannt-
lich ſo wenig ein Hiſtoriker, als ich ein
Belletriſte. Und ein purer puter Belletriſte
kann bekanntlich ein großer Jgnorant in der
Hiſtorie ſeyn: dies haben, falls es eines Be-
weiſes bedarf, ohnlaͤngſt noch die Alten-
burger Betrachtungen dem Verfaſſer der
kritiſchen Waͤlder gewieſen. Jch begrei-
fe alſo nicht, wie Hr. H. an die Beurtei-
lung meines Buchs kommt? Hat Hr. H.
ehemals Univerſalhiſtorie auf Schulen ge-
trieben, oder den Boſſuet geleſen; hat er ſie
Pgar
[226[2]] gar in Riga gelehrt: ſo wird er doch leicht
erachten koͤnnen, daß dieſes zur Beurteilung
neuer hiſtoriſcher Schriften nicht hinlaͤng-
lich ſei. Jſt etwa bei der Zeitungs-Expe-
dition eine Jrrung vorgegangen, daß das
zu recenſirende Buch an den unrechten Mann
gekommen? oder hat ſich Hr. Herder ungefo-
dert zugedrungen? Er ſelbſt weiß es viel-
leicht noch, ich weiß es auch.
§. 2
Dieſe Erinnerung mache ich nicht mei-
netwegen; denn der Schriftſteller gewinnet
faſt immer in den Augen des Publici, wenn
ihn ein evident ſchlechter Recenſent hudelt:
ſondern des Hrn. Conſiſtorialraths wegen.
Wirklich thut es mir leid, daß ein Gelerter
von ſeinem Rufe und Stande, durch eine
ſo unbedaͤchtige μεταβασιν ἐις ἀλλο γενος
auch ſeinen anderweitigen mit Recht erwor-
benen Ruhm in Gefar ſetzt; und mit Kennt-
niſſen paradiren will, die er ſichtbar nicht
hat, und deren Mangel ihm niemand uͤbel
deuten wuͤrde, wenn er nur nicht damit pa-
radiren wollte; aber dadurch, daß er ſeine
Unkunde in dieſem Fache zur Verunglimpfung
andrer mißbraucht, das unparteiiſche Pu-
blicum
[227[3]] blicum zu Zweifeln — nicht nur gegen ſeine
Einſichten uͤberhaupt, ſondern auch —
gegen ſein Herz, berechtiget.
Hatte er Auftrag oder Luſt (doch war-
um ſollte er Luſt gehabt haben? er kennet
mich ſo wenig, als ich ihn; nie koͤnnen per-
ſoͤnliche unmittelbare oder mittelbare Belei-
digungen unter uns vorgefallen ſeyn: alſo,
hatte er Auftrag —), Feler in meinem
Buche aufzuſuchen, und ſie oͤffentlich, bit-
ter, und grob, bekannt zu machen: warum
ſuchte er nicht einen tuͤchtigen Subdelegirten
auf, der im Stande war, die wirklichen Fe-
ler aufzufinden, ſie in ihrem ganzen Lichte
vorzuſtellen, oder gar zu verbeſſern? Jch
ſelbſt haͤtte ihm, wenige Monate ſchon nach
dem Abdrucke meiner Schrift, mit ein paar
Duzend von mir ſelbſt gefundenen Felern
dienen koͤnnen: wie leichter muſte die Arbeit
fuͤr jeden andern Hiſtoriker ſeyn, den keine
Vaterliebe gegen ſein eignes Kind blendete?
Nun da er dieſe Arbeit ſelbſt uͤbernahm,
mußte er notwendig tadeln, wo nichts zu ta-
deln war, und ſtatt buͤndiger Gruͤnde Ver-
drehungen, Unwarheiten, Einfaͤlle, und Phra-
ſes, hinwerfen; mußte er notwendig ſtatt ei-
P 2nes
[228[4]] nes denkenden Beurteilers, auf deſſen
Spruch das Publicum horcht, ein unbedeu-
tender boͤsartiger Witzling werden. Da wo
ich in meinem Buche das Product von zehen
Citationen in einzelne Zeilen, mit der Ab-
ſicht: ament meminiſſe periti, zuſammen
gepreßt hatte, konnte er keine Facta greifen,
ſondern fand pure Declamation. Jn dem
weiten Abſtande zwiſchen ihm und Hiſtorie,
kamen ihm, bei ſeinem ungeuͤbten und un-
bewaffneten Auge, Koͤrper von einiger Groͤſ-
ſe wie Linſenkoͤrner vor (Hirſenkoͤrner
wollte er ſagen; denn dieſes Wort ſteht in
dem Geſchichtgen in der Acerra philologica,
auf welches er hier anſpielt). Bei Stellen,
wo andre Hiſtoriker waren ſtehen geblieben,
wenn ich ſie gleich nicht durch Engliſche Stri-
che darum gebeten hatte, konnte der Hr.
Conſiſtorialrath nichts thun, als kleinmei-
ſteriſch ſich auf ein Bein ſtellen, und her-
umdrehen, und dann weghuͤpfen. Ver-
gleichungen alter Begebenheiten mit neuen,
die, beſonders bei jungen Leſern, vortrefliche
Wirkung thun, kamen ihm bloß wie ge-
ſuchte Antitheſen vor. Und an einem
Gewebe, das ſeiner Natur nach zart und
ſchwach iſt, und folglich eine leichte Hand
erfodert,
[229[5]] erfodert, nahm er mir uͤbel, daß die Faͤden
nicht armsdick wie Anker-Taue waͤren, u.
ſ. w.
§ 3
Das alles iſt ſchon ſchlimm fuͤr Hrn.
Herder; aber noch ſchlimmer iſt, was nun
kommt. Der Mann, der, bei allem Vor-
ſatze und guten Willen, durch ein 5½ Seiten
langes Geſchwaͤtz, keinen einzigen wirk-
lichen Feler auf mein Buch erweislich brin-
gen kan: dieſer Mann thut noch dazu hoͤh-
niſch, ſpoͤttiſch, und bitter!
Zwar laͤcherliche Feler duͤrfen hoͤhniſch
und beiſſend geheilet werden: in dieſer Re-
gel der Kritik ſind wir eins. Aber ſind denn
unter den Felern meines Buchs gerade auch
laͤcherliche Feler? Sind ſo viele laͤcherliche
Feler darinne, daß ein Recenſent daruͤber
Recht haͤtte, das ganze Buch nur auszu-
hoͤhnen, anſtatt es zu recenſiren? Und war
Hr. H. der Mann, der dieſe Laͤcherlichkeiten
auffinden konnte? Und ſchickte es ſich fuͤr
ihn und ſeinen Conſiſtorial-Character, in
einer oͤffentlichen Zeitung, bei dieſer Gele-
genheit, mer auf ſeine als meine Koſten, ei-
nen Luſtigmacher zu agiren?
P 3Ehe
[230[6]]
Ehe man wußte, daß der Hr. C. R.
Verfaſſer dieſer Recenſion waͤre, ſahen me-
rere Leute den ganzen Aufſatz fuͤr weiter nichts
als einen literariſchen Pagenſtreich an. Ein
mir unbekannter Hr. R. begieng ſo gar die
Unvorſichtigkeit, dieſes Urteil ohnlaͤngſt (in
dem Schirachiſchen Magazin B. II.
S. 30 folg.) drucken zu laſſen:
zeriſche Univerſalhiſtorie, beſonders von
dem Verfaſſer der Frankfurter Gelehrten
Anzeigen, einem jungen Manne, wie es
ſcheint, bei dem es Schade iſt, daß er
glaubt, das Publicum haͤtte ihn gedungen,
daß er hinter die Gelehrten herlaufen,
und ihnen ſchiefe Geſichter machen ſoll-
te, damit es lachen koͤnnte. Die Rolle
eines gelehrten Luſtigmachers iſt dop-
pelt veraͤchtlich ........’
Dieſes Bild iſt etwas derbe: ein Conſiſto-
rial-Rath, in Geſellſchaft der beſchriebenen
Hinterherlaufenden —. Haͤtte Hr. N. den
Verfaſſer der Recenſion gewußt; er wuͤrde
vermuthlich, aus Achtung fuͤr deſſen Stand
und Wuͤrde, ſein Bild verfeinert haben.
Aber er urteilte, wie es ſcheint, blos ex me-
rito cauſſœ, und war der Perſon wegen
gaͤnzlich unbeſorgt.
§. 4.
[231[7]]
§. 4.
Die ganze Herderſche Recenſion betrift
1. den Titel, 2. die Schreibart, 2. das
Eigentum, 4. die Materie, und 5. die
Form, meiner Univerſalhiſtorie. Die An-
merkungen ſtehen nicht in der Ordnung da,
wie ich ſie hier klaſſificire: ich wage ſie auch
nicht aus einander zu reiſen, weil ein Ge-
danke oft Licht oder Schwaͤrze, Nachdruck
oder Mattigkeit, von ſeinem naͤchſten Ge-
faͤhrten oder ſeiner Stellung erhaͤlt.
Hr. H. ſelbſt hat beliebt, ſeine Recen-
ſion nach den 3 Woͤrtgen des Titels meines
Buchs: Vorſtellung – ſeiner – Univerſalhi-
ſtorie —, in 3 Teile zu teilen. Was Hr.
H. in den beiden erſten Teilen S. 473-477
ſagt, iſt blos gewitzelt und gelaͤſtert. Er
tadelt, und beweiſt ſeinen Tadel nicht, und
nennt die Stellen nicht einmal, auf die ſein
Tadel geht; ſondern ſchwaͤtzt Gemeinoͤrter her,
und ſetzt ſein Fetwa hin wie ein Mufti, und
huͤpft dann weg wie ein Kleinmeiſter:
wie laͤßt ſich da antworten! Nur im drit-
ten Teile ſteht er manchmal, fuͤhrt Bei-
ſpiele an, und wagt ſich ins Detail. Hier
laͤßt ſich alſo mit ihm vor dem Publico ein
Wort der Unterſuchung ſprechen. Und
P 4huͤpft
[232[8]]huͤpft er mir abermals weg, weil ich einige
Bogen lang zu ſprechen habe: ſo bleiben mir
doch wol einige andre ſtehen, die im vori-
gen Jahre ſeine Recenſion geleſen haben.
§. 5.
Den Text meines Hrn. Verfaſſers laſ-
ſe ich, zum Unterſcheid, mit lateiniſchen
Lettern drucken.
Den dritten Teil dieſes Textes liefere
ich vollſtaͤndig, ohne ein Woͤrtgen auszulaſ-
ſen: aus den beiden erſten Teilen aber ſchich-
te ich nur einige der Kritik faͤhige Stellen ge-
legentlich ein, und analyſire ſie.
Die Sprache, in der ich mit ihm ſpre-
chen werde, ſoll nicht witzig, nicht unwitzig,
ſondern ernſthaft und deutlich, ſeyn; nicht
grob, aber offenherzig, kraͤftig, und der Sa-
che angemeſſen; nicht leidenſchaftlich, aber
mit dem Stempel des Gefuͤhls empfangener
grober Beleidigungen gezeichnet: ſo etwa,
wie die Sprache, in der vermutlich meine
Vorfaren am Rhein gegen Roms beredte
Zungendreſcher redeten.
Alles dieß wird einen ſonderbaren Con-
traſt zwiſchen Text und Analyſe geben.
Hr. H. hat Witz, ſagt man: ich wuͤnſche ihm
Gluͤck
[233[9]] Gluͤck dazu, und erinnere nur, daß ein Witz
ohne Bedaͤchtigkeit und Ueberlegung etwas
mitleidenswuͤrdiges, und ein Witz, der zu
andrer unverdienten Verunglimpfung gemiß-
braucht wird, etwas abſcheuliches ſei. Auch
ſeine Recenſion ſoll witzig ſeyn, wie mir zwei
bis drei Leute ſagten: das finde ich nun eben
nicht; wenigſtens deucht mich, mit ſolchem
Herderſchen Recenſions-Witze lieſſe es ſich
immer noch aushalten. Doch hievon kann
ich nicht feſt urteilen: ich weiß gar nicht,
was witziger Styl iſt; mit Unterſuchungen uͤ-
ber Theorien des Styls habe ich mich niemals
abgegeben. Aber koͤnnt ich witzig ſchreiben,
oder haͤtte wenigſtens das Ungluͤck, zu glau-
ben, daß ich es koͤnnte: ſo thaͤt ich es hier
nicht. Compendien-Styl ſoll hier Hr. H. fin-
den, den er in meinem Jdeal vermißte; Satz
fuͤr Satz, Beweis von jedem Satze, und wei-
ter nichts. Laß ſehen, was beim jetzigen deut-
ſchen Publico die mereſte Wirkung thun wird:
Herders Witz und drolligte Phraſes, oder
meine nackte Gruͤnde! Einer meiner Freunde
hat den Auftrag, alle Stellen auszumerzen,
die in den Verdacht des Witzes kommen koͤnn-
ten: jedoch die Stellen ausgenommen, wel-
che Hrn. Herdern ſelbſt gehoͤren, wo ich
P 5ſeine
[432[10]] ſeine Allegorien nur fortſetze, wo ich ihn mit
ſeinem eigenen Fett betraͤufe.
So gern ich ihm ſeinen Witz laſſe,
ſo gleichgiltig ſchenk ich ihm auch ſeine
Grobheiten. Gegen mich war Hr. H.
grob, beleidigend, ungeſchliffen; der Leſer
ſehe unten, und urteile: gegen ihn will ich
es nicht ſeyn, und ihm hoͤchſtens, wie ich
bei ſeinem Witze thue, auch ſeine Grobhei-
ten, jedoch ohne landuͤbliche Jntereſſen, zu-
ruͤcke geben. Auf dieſe Art handeln wir zwar
ſehr verſchieden gegen einander: aber doch
vermutlich jeder nach ſeinen Grundſaͤtzen.
Jn ſeinen Augen bin ich ein deutſcher Uni-
verſitaͤts-Lehrer; das iſt, ein nach ſeinem wie
des ſeel. Abbts Begriffe veraͤchtliches We-
ſen, deſſen literariſche und moraliſche Ehre
mit Zaͤrtlichkeit zu behandeln, Hr. H. eben
fuͤr keine Pflicht haͤlt. Jn meinen Augen
iſt er ein Geiſtlicher, ein Conſiſtorial-Rath;
folglich ein Mann von einem mir ehrwuͤrdi-
gen Stande, welcher Stand aus politiſchen
Gruͤnden geſchonet werden muß, ſelbſt wo
ſich das Jndividunm aller Barmherzigkeit
unwuͤrdig macht. Anzeigen alſo darf ich
bloß die Suͤnden des Recenſenten! und
vergeben
[235[11]]vergeben muß ich ſie dem Conſiſtorial-
Rathe!
§. 6
Ein Kenner, der meinem Buͤchlein
die Ehre der Pruͤfung goͤnnt, pruͤfet die
Materie, und die Form, ſo wol meines
Plans, als der verſuchten Ausfuͤhrung
deſſelben.
Die Univerſalhiſtorie, als Syſtem im
Gegenſatze des Aggregats betrachtet, ſoll
aus der ungeheuren Menge der im Aggregat
vorhandnen Thatſaͤtze * eine gewiſſe Anzal
heraus-
[236[12]] herausheben. Nun welche Anzal denn?
Habe ich richtig beſtimmt, von welcher Art
dieſe Saͤtze ſeyn ſollen? iſt meine Foderung
an ſich in der Ausuͤbung etwa nicht unmoͤg-
lich? oder bin ich wenigſtens, in den weni-
gen Proben der unternommenen Ausuͤbung,
meiner eigenen Theorie nicht untreu worden?
— Materie der Univerſalhiſtorie.
Die herausgehobenen Saͤtze muͤſſen,
da ihrer, auch nach der geizigſten Auswahl,
noch immer eine ſehr groſſe Menge bleibt,
und ihre Stellung, wie in der Moſaik-Ma-
lerei, das ganze Weſen der Wiſſenſchaft
ausmacht, geordnet werden: ſo wie die Bo-
tanik zum leichtern Erlernen ein Syſtem,
ſo
*
[237[13]] ſo wie ein dickes Buch zum bequemern Nach-
ſchlagen ein Regiſter, braucht. Habe ich
uͤberhaupt richtig beſtimmt, daß dieſe An-
ordnung gedoppelt ſeyn muͤſſe, ſynchroni-
ſtiſch und ethnographiſch? Habe ich die ſpe-
cielle Art dieſer gedoppelten Anordnung
richtig beſtimmt? Taugen die Tabellen,
die ich von beiden Anordnungen S. 88–94
und 109—112 entworfen habe[?] Taugen
die Summarien, die ich bloß von der lez-
tern ethnographiſchen Tabelle S. 113–222
zur Probe, unter der Aufſchrift eines An-
hangs, habe abdrucken laſſen? Das heiſt
nicht: ſind dieſe Tabellen, Summarien ꝛc.
vollkommen ohne Feler? wer wird ſich die-
ſes von einem erſten Verſuche, einer bloſ-
ſen Probe, traͤumen laſſen; ſondern, iſt die
Haupt-Jdee richtig, die in ihnen herrſcht?
ließe ſich etwa kuͤnftighin, ohne gaͤnzliche
Umſchaffung, durch Nachhelfen und Aus-
bilden, etwas brauchbareres und vollkom-
meneres daraus machen? — Form der
Univerſalhiſtorie.
So wuͤrde der Kenner pruͤfen; ſo ha-
ben mich Kenner gepruͤft. Aber nun,
was laͤſt Hr. Herder drucken?
§. 7.
[238[14]]
§. 7.
die iſt eine Tabelle, teils ſynchro-
niſtiſch, teils nach Völkern.’
Ich habe nur den Titel zu erklœren,
ſagte Hr. H. am Anfange der Recenſion.
Eine aͤrmliche Art zu recenſiren! Sonſt
warf man einigen Recenſenten als eine Laͤ-
cherlichkeit vor, daß ſie bloß Vorrede und
Regiſter anſaͤhen. Hr. H. iſt noch beque-
mer, und bleibt bloß beim Titel ſtehen,
und geſteht es gar.
Und dieſer Titel heiſt: Vorſtellung ſei-
ner Univerſal-Hiſtorie. Kan ein Titel pla-
ner, deutlicher, weniger erklaͤrungsbeduͤrf-
tig, ſeyn? Da iſt kein Torſo, kein kriri-
ſcher Wald, ſondern: Vorſtellung
meiner Univerſalhiſtorie. Doch Hil-
debrand machte Suͤnden, um etwas zu ſtra-
ſen oder vergeben zu haben: und Hr. H.
traͤgt Dunkel und Torheit in den Titel mei-
nes Buchs hinein, um etwas erklaͤren und
ſchimpfen zu koͤnnen.
§. 8.
[239[15]]
§. 8.
Vorstellung ſei ein Theater-Wort,
meint Hr. Herder, und denkt ſich alſo beim
ganzen Titel und Buche lauter theatrali-
ſches und mimiſches. Aber Vorſtellung
iſt ein ganz allgemeines Wort, ſo gar ein
Kanzelwort (“wir wollen eurer Liebe vor-
ſtellen —„), und nichts weniger als dem
Schauplatze eigen. Freilich hat Hr. Baſe-
dow eine Vorſtellung an Menſchenfreunde
geſchrieben. Freilich ſagt man: heute
wird vorgeſtellet — —; aber iſt deswe-
gen auch heute ein Theaterwort? Hat der
Hr. Conſiſtorial-Rath den Kopf ſo voll von
Theater, Komoͤdien, Komoͤdianten ꝛc., daß
ihm die Woͤrter heute, vorſtellen, nie
vors Trommelfell fallen, ohne ihn im Gei-
ſte aufs Theater zu verſetzen: ſo mag ers.
Nur muß er nicht verlangen, daß ſeine ſo
zufaͤllig und individuell determinirte Ein-
bildungskraft den Sprachgebrauch des deut-
ſchen Publici beſtimme. Bei dem Roͤmi-
ſchen Matroſen war conſcendo ein Schiffs-
wort, und bedeutete an Bord gehen: aber
wer conſcendere equum ſagt, redet deswegen
nicht navigatoriſch, will deswegen nicht, mit
Mohaͤmmed, das Pferd oder das Kameel
ver-
[240[16]] verbluͤmt ein Landſchiff nennen. Jn der
Geſchichte der Wiedergebornen klagt ein ſo
genannter Wiedergeborner ſeinem Beichtva-
ter, er koͤnne nie das Vaterunſer mit An-
dacht beten, weil ihm jedesmal, bei dem
Worte Vater, allerhand garſtige Bilder
vor ſeiner wuͤſten Jmagination herumfladder-
ten. Daran war doch warlich das Vaterunſer
nicht ſchuld! — Dieſe ganze Bemerkung iſt
aus der Sprachphiloſophie. Der Verfaſ-
ſer der Abhandlung uͤber den Urſprung der
Sprache haͤtte ſie ſelbſt machen, und ſich vor
Schaden huͤten koͤnnen.
§. 9.
Bei der Erklaͤrung, die Hr. H. von
dem Worte ſeiner macht, iſt kein Verſehen
von der Art, aber ſtatt deſſen vorſetzliche
Verfaͤlſchung. Hundert mal iſt ſchon von
Univerſitaͤtslehrern auf ihre Programmen ge-
ſetzt worden: N. N. Anzeige ſeiner
Vorleſungen; und nie habe ich ſo eine
Gloſſe uͤber dieſes ſeiner geleſen, als mir
Hr. H. mit folgenden Ausdruͤcken macht:
Seine Weltgeſchichte) nennts S., und
zeigt uns in der Vorrede noch eigent-
licher auf das Beſitztum, auf dieſe Zu-
neigung
[241[17]]neigung des Seinigen — wir zweifeln,
ob mer als Landesherr? oder als Tri-
umphator, d. i. als glücklicher Räuber.
I. Unten ſpricht Hr. H. von ſeinem Ge-
daͤchtniße. Man wende jene ſeine eigene Gloſ-
ſe auf dieſen ſeinen eigenen Ausdruck an, um
alles Schaale des Herderſchen Witzes zu fuͤh-
len.
II. Wie habe ich in meiner Vorrede noch
eigentlicher auf das Beſitztum, auf dieſe Zu-
neigung des Meinigen, gezeigt? Hier ſind
meine Worte:
meiner Univerſalhiſtorie, das iſt, eine
mit Beweiſen belegte Vorſtellung des Plans,
der Ordnung, und des zwar etwas erwei-
terten, mir aber immer noch zu eugen Um-
fangs, wornach ich dieſe Wiſſenſchaft in
halbjaͤrigen Vorleſungen noch zur Zeit
vorzutragen im Stande bin”.’
Warum hüpft mir Hr. H. uͤber alle dieſe mit
Schwabacher gedruckte Worte weg, und ſetzt
eine erweislich falſche und boshafte Ausle-
gung davon in ſeine Recenſion, in der Hoff-
nung, daß ſein Leſer nicht auf der Stelle mei-
ne Vorrede nachſchlagen werde? Schreibe,
docire, jeder eine Weltgeſchichte, wie er will;
Qich
[242[18]] ich glaube aufrichtig, es giebt 10 Methoden
von Weltgeſchichte, und alle 10 ſind gut:
aber anzeigen mußte ich, nicht der Welt,
ſondern meinem Goͤttingiſchen Publico, wel-
cher unter dieſen 10 moͤglichen Methoden
ich in meinen Vorleſungen wirklich folgte,
und warum ich ihr folgte? Das thut jeder
Profeſſor, der entweder ein neues Collegium
unter einem alten Namen, oder ein altes un-
ter einem neuen Namen, lieſt; das darf jeder
thun: mich aber noͤtigten noch auſſerdem Lo-
cal-Umſtaͤnde dazu, die ich damals unter-
druͤckte, nun aber, da ich ſeitdem gedruckte
Texte zu einem Commentar erhalten, an ei-
nem andern Orte umſtaͤndlich erzaͤlen darf
und muß.
III. Seit der Erſcheinung der Allgem.
Hiſtor. Bibliothek hoͤrte ich ſo viel von
hiſtoriſcher Geſetzgebung ſprechen. Haͤt-
te ich Titel und Ausfuͤhrung meines Plans
ſo eingerichtet, daß ich dieſen Plan fuͤr den
einzigen richtigen hielte: ganz gewiß haͤtte
ein Recenſent, von Hrn. Herders Art, auch
mich hiſtoriſcher Geſetzgebung beſchuldiget.
Thut es doch Hr. H., bei aller meiner deut-
lichen und feierlichen Erklaͤrung, gleichwol,
und ſpricht irgendwo in ſeiner Recenſion von
Rath
[243[19]]Rath, Befehl, und Vorſchlag. War es nun
nicht beſcheidener, zu ſagen: “dieſen Plan
halte ich fuͤr nuͤtzlich, nach dieſem lere ich
dieſe Wiſſenſchaft”, als: “ſo muß der Plan
ſeyn, nach dieſem muͤſſen alle und jede die
Weltgeſchichte dociren”?
IV. Hr. H. hat Recht: die ganze Ge-
ſchichte iſt, nach ſeinem ſtarken Ausdrucke,
Rœuberei; und der beſte Geſchichtſchreiber iſt
der glücklichſte Räuber. Jch kan ihm Stel-
len in meinem Buche (z. Ex. S. 9‒12 ꝛc.)
zeigen, wo ich bei mancher einzelnen Zeile
ſechs Schriftſteller, alte und neue, beraubt
habe: darunter ſind ſo gar kahle Moͤnche,
denen Hr. H. gar nicht zutrauen ſollte, daß
etwas von ihnen zu holen waͤre. Solche
Raͤuber waren auch Maſkou und Schoͤpflin
in ihrer Deutſchen und Badenſchen Geſchich-
te: ganze Blaͤtter lieſt man weg, wo kaum
Eine Zeile dieſer Leute Eigentum, ſondern
alles aus Urkunden und Annalen geraubt, iſt.
Und dabei ſind ſie noch ſo unverſchaͤmt, und
weiſen einem gar die Orte und Winkel nach,
wo ſie geraubt haben. Und gleichwol ſtar-
ben beide im Frieden, von Juſtiz und Poli-
zei unangetaſtet! — Dieſe Jdee, daß der
Geſchichtſchreiber kein Eigentum habe, ſon-
Q 2dern
[244[20]] dern bloß von fremdem Gute lebe, ſchwebt
Hrn. H. ſo lebhaft vor, daß er ſie auch an-
derswo in ſeiner Recenſion, unter einem an-
dern aus der Weberkunſt entliehenen Bilde,
anbringt. Er wirft mir vor, mein Buch
ſei ein aus mancherlei Schrifften aufgewun-
denes ſchönes Krausgewinde; es ſei aus ei-
ner andern fremden Textur, wo es eigent-
lich ſeinen Sitz hätte. Er hat wieder Recht.
Wir Hiſtoriker nemen Zettel und Eintrag
von andern, und verweben es nur: wie
der Hollaͤnder Linnengarn vom Weſtfaͤlinger
kauft, und Battiſt daraus webt. Jn wel-
chem Verſtande aber man ſagen koͤnne, daß
z. Ex. der Satz: Lukull brachte Kirſchen
nach Jtalien, im Plinius oder im Ander-
ſon eigentlich ſeinen Sitz habe, verſtehe ich
eben ſo wenig, als wenn man oben, dem
Hollaͤnder zum Schimpfe, ſagen wollte: das
Linnengarn habe eigentlich in Weſtfa-
len ſeinen Sitz.
V. Solche Begriffe vom Weſen der Ge-
ſchichte hat der Richter hiſtoriſcher Buͤcher,
Hr. Herder. Nun erſt begreife ich — denn
ſonſt wuſte ich nicht, daß jemand dergleichen
Begriffe haben koͤnne —, warum einige
junge Leute, die ſich die Mine von Schoͤnen
Gei-
[245[21]]Geiſtern geben, und nichts lernen moͤgen, ſo
veraͤchtlich von aller Hiſtorie denken, und be-
reit ſind, einen Roman jeder Geſchichte, und
waͤre dieſe auch eben ſo niedlich, wie ein Ro-
man, geſchrieben und gedruckt, vorzuziehen.
Der Romanſchreiber naͤmlich, denken ſie,
iſt ein ſchoͤpferiſches Genie, das erſchafft
ſeinen Stoff aus nichts: der Hiſtoriker hin-
gegen erſchaffet nichts, man nimmt es ihm ſo
gar uͤbel, wenn er erſchafft; er iſt nur ein
compilirendes Weſen, und traͤgt alles,
was er ſagt, gibeonitiſch aus andern Buͤ-
chern zuſammen. — Nun begreife ich auch,
warum wir mer ſchoͤne Romane als ſchoͤne
Geſchichtsbuͤcher zu leſen kriegen. Ehe der
Hiſtoriker Eine Seite durch Aufſchlagung
von 10 Folianten berichtiget, macht der Ro-
manſchreiber, ohne ſich vom Lehnſtule zu er-
heben, einen ganzen Bogen von der Fauſt
weg, fertig. Jſt jener einmal im Fluge, ſo
wird er alle Augenblicke durch das immer
noͤtige Nachſchlagen unterbrochen. Sein Ge-
nie ermattet unter den Feſſeln der Kritik oder
hiſtoriſchen Warheit; ſein Styl wird holpe-
richt, und dem ganzen Vortrage geht Ein-
heit und Leichtigkeit verloren: denn die ewi-
ge bange Ruͤckſicht auf die Warheit jedes
Q 3Bei-
[246[22]] Beiwortes und jeder Verbindungs-Partikel
macht Furchen und Abſaͤtze darinnen. Haͤt-
te er auch Ueberwindung genug, ſein aus
der Kritik herausgearbeitetes Werk Jahre
lang liegen zu laſſen, um indeſſen alle Fur-
chen auszuglaͤtten, und alle Tropfen des kri-
tiſchen-Schweiſes abzuwiſchen: was hat er
fuͤr ſeine Muͤhe? Compilator, Raͤuber,
Weber, iſt er doch nur, ſagt Hr. Herder:
und der Romanſchreiber iſt fuͤr ſeine wolluͤ-
ſtige Arbeit Schoͤpfer!
VI. Wem uͤbrigens Hrn. Herders Aus-
druck Rauberei, in obberegtem Falle, nicht
bloß ſtark, ſondern fuͤr einen Schoͤnen Geiſt
zu plump und ungeſchliffen vorkommen moͤch-
te; dem dienet zur Nachricht, daß ſchon Pli-
nius ſich eben dieſes ſtarken Ausdrucks in
Form eines Compliments von ſeinen eigenen
Roͤmern bedient habe: er nennet ſie omnium
utilitatum et virtutum rapaciſſimos, hist.
natur. XXV, 2, 1.
VII. Jch habe mich uͤber die hiſtoriſche
Rauberei erklaͤrt, deren Hr. H. mich beſchul-
diget. Nun hat ſich der Hr. Conſiſtorial-
Rath uͤber eine andere Art von Rauberei zu
erklaͤren, deren ihn ohnlaͤngſt ein Recenſent
in der Lemgoer Bibliothek, in puncto ſeiner
Ab-
[247[23]] Abhandlung uͤber den Urſprung der Spra-
che, mit bedenklichen Umſtaͤnden angeklagt
hat. Kan er ſich eben ſo gut heraus helfen,
ſo ſolls mir lieb ſeyn.
§. 10.
Das dritte Wort im Titel meines Buchs,
das Hr. H. ſeinem Plane nach erklaͤren ſoll,
iſt Universalhistorie. An dieſem
Worte war nun ohnmoͤglich etwas zu erklaͤ-
ren: es iſt allzu klar, deutlich, und unſchul-
dig. Wol mir, daß ich den gewoͤnlichen alt-
fraͤnkiſchen Titel beibehalten, und nicht da-
fuͤr Weltgeſchichte, oder gar Geſchichte
der Menſchheit, Geſchichte des menſch-
lichen Verſtandes ꝛc., geſetzt. Hr. H.
muß alſo ſeine anfaͤnglich gethane Verſiche-
rung aufrufen: ſeine Kritik geht vom Titel
auf den Jnhalt, von Worten auf Saͤtze, uͤber,
und verſpricht dadurch etwas erheblicheres.
Da iſt ſie:
§. 11.
ſche teils ethnographiſche Tabelle.’
Nicht doch. Der Jnhalt meines Buches iſt:
Q 41. An-
[248[24]]
- 1. Anzeige, Programm, oder zu reden
mit Hrn. H., fliegender Anſchlagzettel,
nach welchem Plane ich meine pflicht-
maͤſſige Vorleſungen einrichte: oder
hoͤchſtens Plan, Vorſchlag, unvor-
greiflicher Entwurf, wie meinem Be-
duͤnken nach die Materie und Form ei-
ner Weltgeſchichte, nach den Beduͤrf-
niſſen unſrer zeitigen Litteratur, am
nuͤtzlichſten eingerichtet werden koͤnne,
S. 1-112. - 2. Tabellen, einmal uͤber die ſynchro-
niſtiſche S. 89-93, und dann uͤber
die ethnographiſche Form derſelben
S. 109, 110. - 3. Summarien, bloß uͤber die letztere,
die ethnographiſche Tabelle S. 113-
222.
Alſo mer als Tabelle, aber lange noch nicht
Univerſalhiſtorie. Wer wird Plan, Ta-
bellen, und bloße Summarien uͤber bloß Ei-
ne Tabelle, Univerſalhiſtorie ſelbſt nen-
nen? Wer wird Regiſter und Buch mit
einander vermengen? Der Augenſchein leret,
was ich ſage; und zum Ueberfluße ſagte ich
noch in der Vorrede ausdruͤcklich:
„Die
[249[25]]
„hoffe ich, niemand verkennen wollen:
„ſie ſind ſo wenig eine Univerſalhiſto-
„rie, als eine hiſtoriſche Geſetzgebung”.’
Alſo dem ganzen Buche, ſelbſt die Sum-
marien mit eingerechnet, ſpreche ich ſelbſt
den Namen einer Univerſalhiſtorie ab: wie
kommen die bloßen Tabellen dazu, von Hrn.
H. mit dieſem Titel, gegen meine klare Er-
klaͤrung, beehret zu werden? Wie wird mein
Torſo ein Herkules?
Was mir nicht Hr. H. alle, wider mei-
nen Dank und Willen, aus meinem Buͤch-
lein macht! Eine Univerſalhiſtorie, —
ein Compendium, dann gar ein Elemen-
tarbuch fuͤr Kinder und Schuͤler (ſiehe un-
ten)!
§. 12.
erleichterndes, und gedachtes,
daß niemanden die Mühe ge-
reuen wird, ſie angeſehen zu ha-
ben. —’
Jch danke.
Nur wofuͤr muß ich mich eigentlich be-
danken: das iſt, von welcher Tabelle iſt die
Q 5Re-
[250[26]] Rede; von der ethnographiſchen? oder der
ſynchroniſtiſchen? oder von beiden? oder gar
auch von den Summarien uͤber die erſtere
Tabelle? Praͤciſion fodere ich von einem
wuͤrdigen Recenſenten, nicht blos wo er ta-
delt, ſondern auch wo er lobt.
Und dann, iſt in meiner Tabelle wirk-
lich etwas ſchönes, erleichterndes, und gedach-
tes, iſt in meiner Schrift wirklich etwas ge-
dachtes und nützliches, haͤlt der Hr. Conſiſto-
rial-Rath mein Buͤchlein wirklich fuͤr be-
trœchtlich, wie er ſich an zwei andern Orten
zu aͤuſſern die Guͤtigkeit gehabt; gehen ihm
dieſe Zeugniſſe wirklich von theologiſchem
Herzen, und muͤſſen ſie nicht aus dem Spru-
che: Peſſimum genus inimicorum laudan-
tes (dieſen Spruch hat Tacitus,der doch
auch kein Barbar war), ihre Auslegung er-
halten: warum laͤſt er mir dieſes eingeſtan-
dene Credit nicht bei meinem Debet zu gu-
te kommen, geſetzt auch, daß das ein wa-
res Debet waͤre, was er dafuͤr haͤlt? An-
zeigen, bekanntmachen, ſoll er immer, nach
Herzensluſt, alle Feler in einem auch ſonſt
nuͤtzlichen Buche, wo er welche aufjagen
kann: von Schonung und Barmherzigkeit
iſt gar die Rede nicht. Aber toͤnen, lermen,
poſſen-
[251[27]] poſſenreiſſen, ſoll nur der Hr. Conſiſtorial-
Rath nicht, und wegen einiger Feler nicht
ein ganzes Buch in die Pfanne hauen.
Mich deucht, ſehr viele Recenſenten ſuͤn-
digen gegen dieſe Abrechnungs-Regel der
Billigkeit. So eben leſe ich ein neues Bei-
ſpiel davon: Chalotais wird von jemanden
ausgeſcholten, weil er “ſehr ſchwache Stel-
len habe, und hin und wieder fuͤr Deutſch-
land unanwendbar ſei„. Eingeſtanden, Cha-
lotais hat ſchwache Stellen, ſo ſchwache,
daß ich nicht einmal fuͤr noͤtig hielt, ſie in
den Anmerkungen zu ruͤgen: aber hat er
nicht ſehr gute, ganz neue, ſehr viele gute
und neue Stellen? Und welcher Leſer iſt ſo
eckel oder ſo unoͤkonomiſch, der lieber 90
gute Stellen entraten wollte, nur um nicht
10 ſchlechte mit leſen zu muͤſſen?
Eine andre Regel von Recenſentenbil-
ligkeit liegt in der Verſchiedenheit der Ma-
terie, die die Schriftſteller in gleichem Rau-
me von Bogen bearbeiten. Zwanzig Feler
in Einem Alphabete alter Nordiſcher Ge-
ſchichte machen dem Jrrenden weniger Schan-
de, als 10 Feler von der Art in zwei Al-
phabeten deutſcher Geſchichte: wie ungleich
gut iſt in dieſer, wie ſchlecht in jener, vorge-
arbeitet;
[252[28]] arbeitet; wie viel Anſpruch auf Verzeihung
hat der Hiſtoriker dort, wie wenig hier!
— Nun Univerſalhiſtorie, “unter allen
Arten der Geſchichte allemal die ſchwerſte„;
das dachte ich laͤngſt, aber nun erſt hat mich
der Greifswalder Recenſent dreiſt gemacht,
es laut zu ſagen. Hebe ſich doch der Hr.
Conſiſtorial-Rath einmal von den winzigen
Teilgen der Geſchichte, mit denen er manch-
mal in verlornen Stunden ſpielt, zum Gan-
zen der Weltgeſchichte hinauf, und – fuͤhle.
§. 13.
Und ich moͤchte die Univerſalhiſtorie ſe-
hen, bei der keine Zweifel waͤren! Was
giebt es fuͤr Diſpuͤten uͤber die Methoden in
der Botanik, Zoologie, und Mineralogie:
und doch iſt hier bei weitem ſo viel Schwie-
rigkeit nicht, wie bei der Weltgeſchichte.
Einmal, uͤber die Materie der Welt-
geſchichte iſt man noch nicht eins: was fuͤr
Facta gehoͤren in die Weltgeſchichte? Der ei-
ne
[253[29]] ne wird Eſaus Linſengericht und die Koͤnige
von Mycenaͤ nicht heraus, und der andre
wird die Ankunft des Pfeffers und der Kar-
toffeln in Europa nicht hinein, laſſen wol-
len. Dem einen wird die Schlacht bei Kar-
chemiſch ein Hirſenkorn, dem andern eine
Kalabaſſe, ſeyn. Da iſt der Botaniker beſ-
ſer an, als der Univerſalhiſtoriker. Jener
hat eine ausgemachte Materie ſeiner Wiſſen-
ſchaft, — alle Kraͤuter: und wo ſich die
Herren noch etwas zanken, da betrift es nur
Varietaͤten, die einige fuͤr Species halten.
Aber alle vorhandene Facta verlangt nie-
mand in der Weltgeſchichte, ſondern nur —
Hauptfacta, nur Weltbegebenheiten,
nur große, wichtige, auſſerordentli-
che Begebenheiten. Nun aber was ſind
Hauptfacta, was ſind große wichtige Bege-
benheiten? “Unſer Geiſt, ſagt Hr. Hau-
ſen, muß das allein entſcheiden„. Richtig:
aber jeder Menſch, und folglich jeder Uni-
verſalhiſtoriker, hat ſeinen eignen Geiſt.
Folglich iſt der menſchliche Geiſt fuͤr die Be-
ſtimmung der Materie der Weltgeſchichte
ein eben ſo allgemeines und daher unbrauch-
bares Richtmaß, als die Bibel fuͤr die vie-
len chriſtlichen Religions-Parteien, als die
Sonne
[254[30]] Sonne fuͤr die Zeitrechner und Kalenderma-
cher. So weit ſind wir noch in unſerer
Theorie von Univerſalhiſtorie zuruͤck: noch
keine ſpecielle Regel iſt einmal beſtimmt,
was fuͤr Saͤtze das Syſtem ausmachen ſol-
len; wie wird es erſt bei der Anwendung
der Regel gehen?
Zweitens, und waͤren auch zwei Leute
uͤber die Materie der Weltgeſchichte ſo eins,
wie zwei correſpondirende Uhren, und bei-
de haͤtten Thatſaͤtze von Einer Art, und bei-
nahe einer ſo viel wie der andre, geſamm-
let: ſo koͤnnen ſie ſolche gleichwol auf ſehr
verſchiedene Art anordnen; ſo wie vielleicht
ein Moſaikmaler, aus einer beinahe gleichen
Art und Summe farbigter Steinchen, ei-
nen Nepomuck, und einen Paulus, bildet.
Das iſt, ſie koͤnnen ihnen eine verſchiedene
Form geben: und eines jeden Form oder
Methode kan Vollkommenheiten haben, die
des andern ſeine nicht hat; aber eben des-
wegen kan ſie auch Maͤngel haben, von de-
nen des andern ſeine frei iſt. Dies nennet
man Colliſion der Regeln der Ordnung.
Man denke hier abermals an die verſchied-
nen Syſteme in der Zoologie und Bota-
nik ꝛc.
Auf
[255[31]]
Auf eine natuͤrliche Methode hofft die
Botanik, — auf den Fall, wenn dereinſt
alle Pflanzen des Erdbodens entdeckt und
regiſtrirt werden ſollten: bis dahin muß ſie
ſich mit kuͤnſtlichen d. i. unvollkommnen
Methoden behelfen. Auf eine Wiederentdek-
kung aller univerſalhiſtoriſchen Thatſaͤtze
kan die Weltgeſchichte niemals hoffen: folg-
lich wird die Anordnung der noch geretteten
immer nur kuͤnſtlich, willkuͤrlich, unvollkom-
men, folglich immer Zweifeln ausgeſetzt,
ſeyn. Die Naturkunde hat Species zum Ge-
genſtande, die Geſchichte Indiuidua: jene ver-
lieren ſich nie aus der Welt, dieſe werden
und ſterben. Gienge eine Sammlung neuer
Pflanzen aus Otaheiti verloren; der Verluſt
waͤre erſetzlich, ein andrer Europaͤer wuͤrde
ſie wieder in Otaheiti wachſend finden. Aber
vergeſſene Facta, wie eingeſchmolzene Muͤn-
zen, ſind auf immer verloren; und leider
ſolcher hauptwichtigen univerſalhiſtoriſchen
Thatſaͤtze haben wir ſehr viele vergeſſen. Al-
ſo mit den bloß uͤbergebliebenen operirt der
ſyſtematiſche Univerſalhiſtoriker, und ordnet
ſie, ſo gut ſichs thun laͤßt. Solon gab
den Athenern, nicht die beſten Geſetze, ſon-
dern nur diejenige beſte, welche Athener ver-
tragen
[256[32]] tragen konnten. Was hier ein verdorbenes
Volk war, ſind dort Bruchſtuͤcke einer zer-
truͤmmerten Weltgeſchichte: — nichts als
ein leidiger Torſo.
Folglich lauft bei jeder Methode der
Weltgeſchichte, wenn, nicht Hr. Herder,
ſondern ein Mann ſie unterſucht, der die not-
duͤrftigen Kenntniſſe hat, und Warheit ſucht,
nicht aber bloß tadeln will, alles auf folgen-
de Fragen hinaus:
- 1. Bei welcher Methode ſind die we-
nigſten Zweifel: bei der Tournefort-
ſchen, Linneiſchen, oder Hallerſchen? - 2. Sind die Zweifel Wirklich in der Me-
thode, oder etwa nur in der Vorſtel-
lungskraft des Zweifelnden, oder gar
in ſeinem Willen? - 3. Sind dieſe Zweifel, falls ſie wirklich
da ſind, ſchlechterdings, ohne Zerſtoͤ-
rung der ganzen Methode, nicht zu
heben[?] - 4. Sind ſie ſo wichtig, daß, falls ſie
wirklich nicht zu heben ſind, lieber die
ganze Methode daruͤber aufgegeben
werden muß? Und waͤre das, - 5. Welche andre Methode ſoll nun der
verworfenen ſurrogirt werden? denn
eine
[257[33]] eine Methode muß doch ſeyn. Sol-
len die Facta, uͤber die man einmal
einig geworden, nach dem Alphabethe,
oder nach ihrer innern Aehnlichkeit,
oder nach den Jaren ihrer Ereigniß,
geordnet werden?
§. 14.
Man ſiehet, ich neme hier als ausge-
macht an, I. daß wir bei unſerm heutigen
Studiren eine Univerſalhiſtorie brauchen,
und II. daß ſolche nach einem gewiſſen Plane
verfaßt ſeyn muͤſſe.
Beide Saͤtze ſcheinen mir Axiomen zu
ſeyn. Allein Hr. H. macht, in dem 2ten Ab-
ſchnitte ſeiner Recenſion, einen Galimathias
dagegen, aus dem niemand recht rathen kan,
was er eigentlich wolle. Soll gar keine Uni-
verſalhiſtorie ſeyn? Soll wenigſtens noch zur
Zeit, da wir den Zopf, Eßich, und Boſſuet
haben, keine andre geſchrieben werden? Soll
keine gewiſſe Methode darinnen feſt geſetzt
ſeyn? Jſt der Plan, den ich dazu vorſchla-
ge, an ſich unmoͤglich? Oder bin ich wenig-
ſtens, noch nicht, gar nie, im Stande, ihn
auszufuͤhren? — Etwas von dieſen Saͤtzen,
oder alle zuſammen, liegen darinn, oder
Rſcheinen
[258[34]] ſcheinen darinn zu liegen. Damit ich Hrn. H.
nicht unrecht thue, will ich, ehe ich weiter
gehe, den ganzen Galimathias woͤrtlich aber
Saͤtzeweis herſetzen, und analyſiren. Mit
Hrn. Herders Worten: ich will ihm ſeine
Luftblaſen — ganz leicht, ohne Lanzette, es
ſind nur Schaumblaſen — aufſtechen.
§. 15.
den verunglückten Verſuchen (vieler
andren, von denen vorhin geredet wurde)
zu zeigen, daß ſich das alles weit leich-
ter ſagen als thun laſſe (was ich in den
2 erſten Kapiteln meines Jdeals geſagt).’
I. Daß ſich das leichter ſagen als thun
laſſe, da hat Hr. H. voͤllig Recht: kein
Menſch laͤugnet ihm das. Aber geſagt
muß es auch werden, ehe es gethan wird:
und ſagen kann es nicht eimal einer, beur-
teilen das geſagte kan nicht einmal einer, als
wer einige Praͤſumtion vor ſich hat, daß er
es auch thun koͤnne. Ein Haus bauen, iſt
ſchwerer, als den Riß und Bauanſchlag
dazu machen. Aber kein Vernuͤnftiger baut
ein betraͤchtliches Haus ohne beides.
II. Aber, ſagte Hr. H. vorhin, ſo ei-
nen Plan und Bauriß haben wir ſchon laͤngſt.
Das
[259[35]]
Das Ideal ſeiner Weltgeſchichte als
Ideal als Geprænge hat ſchon lange, zu
lange, exiſtirt:
und ſelbſt die ſo gelehrt ſcheinende
griechiſche Seite aus Polyb, iſt ja, wie
das der Verf. warſcheinlich aus der hi-
ſtoriſchen Bibliothek weiß, ſchon vom
Schottlænder Moor, und zwar zu eben
dem Zwecke, benutzt worden.
Die meiſten Feler der gemeinen
Weltgeſchichte haben ſchon ſo viel an-
dre, und wer mer als Voltaire? und
kræftiger als er? gerüget ‒ ‒ ‒
Und hinter alle dem, was S. hier an
Geiſt der Geſchichte, an Plan, an Ide-
al das ſeine nennt, iſt doch das gewiſ-
ſermaßen ſchon alles (Behandlung der
Geſchichte als ein Großes Ganzes, ſyn-
chroniſtiſch, ethnographiſch — —) auch
ſo gar ſchon geſchehen.
Jch antworte: 1. Feler der gemeinen Welt-
geſchichte ruͤgen, und den Plan zu einer beſ-
ſern machen, ſind doch wol verſchiedene Din-
ge! Auf der Kanzel uͤber Teurung klagen,
heiſt nicht, der Regierung Plane vorgeben,
wie das Brod wolfeiler werden koͤnne. 2.
Jdeal und Gepraͤnge ſind nicht Synonyma:
aber daß es Hr. H. ſo gebraucht, iſt Grob-
heit. 3. Wo exiſtirt dann ſchon mein Jdeal?
wo hat es ſchon lange, wo zu lange, exiſtirt?
R 2Jch
[260[36]] Jch weiß es nicht: und ſechs Recenſenten
meines Buchs, die meiſt Hiſtoriker von Pro-
feßion zu ſeyn ſcheinen, wiſſen es gleichfalls
nicht; ſie wuͤrden es ſonſt vermutlich ange-
zeigt haben. Unerwartet waͤre es immer,
wenn ein Unhiſtoriker, der nicht ſucht, durch
Zufall auf Buͤcher geraten waͤre, die dem
ſuchenden Hiſtoriker entgangen ſind: eben
ſo unerwartet, als daß Hr. H., bei aller ſei-
ner bekannten Unbekanntheit mit der Natur-
kunde, ein Problem (die thieriſchen Kunſt-
triebe) aufgeloͤßt zu haben ſich einbildete,
das noch kein Reimarus loͤſen koͤnnen. A-
ber in dieſem Falle muß der Finder fein an-
zeigen, wenigſtens charakteriſiren: ſo hat
es der Lemgoer mit dem Memoire uͤber die
Sprache gemacht. Hr. H. habe alſo die
Guͤte, und weiſe uns gelegentlich die erwaͤhn-
ten alten Buͤcher nach, die wir nicht kennen.
4. Nur verſteht es ſich, Gemeinoͤrter, flie-
gende Gedanken, Seufzer und Klagen, muß
er mir nicht nachweiſen: ich fodere einen
Plan. Wer ein Gartenhaus anlegen will,
dem ſage man nicht: “euer Gartenhaus
muß recht ſchoͤn, recht bequem, allerliebſt,
Tuſ kulaniſch ‒ reizend ſeyn, nicht wie das
Gartenhaus dieſes und jenes Nachbars„.
Dreißig
[261[37]] Dreißig Stellen aus griechiſchen und latei-
niſchen Dichtern, uͤber ſchoͤne oder ſchlechte
Gartenhaͤuſer, und ganze Oden daruͤber,
ſind, in dieſem Falle, nicht Einen Riß des
Architects werth. 5. Die Grund-Jdee mei-
nes Plans habe ich aus der bekannten Stel-
le des Polybs, und eben deswegen lies ich
die ganze Stelle woͤrtlich abdrucken. Hr.
H. nennt ſie gelehrt ſcheinend. “C’eſt du
Grec„, hieſſe das in der Abbe’-Sprache;
ein reiſender Schwede ſollte vor 3 Jaren in
Avignon durchaus ein Proſelyt ſeyn, weil
er Hebraͤiſch verſtund: aber in Deutſchland
erlaubt man noch einem Profeſſor, grie-
chiſch und hebraͤiſch zu koͤnnen; er darf ſich
ſolches am ſchicklichen Orte auch merken laſſen,
ohne zu fuͤrchten, daß man ihn fuͤr einen
Pedanten oder Praler halte. 6. Polybs
Stelle hat ſchon Simſon, hat ſchon der
alte Buno, hat am beſten ein Ungenann-
ter in den Hannoͤver. Beitraͤgen 1762
S. 109, zu eben dem Zwecke benutzt. Jch
fuͤhrte ſie an, nicht als neu und unbekannt,
ſondern als auf meine Materie paſſend. Ob
ſie auch in der hiſtor. Bibl. ſtehe, weiß
ich, aufrichtig zu geſtehen, bis dieſe Stun-
de nicht. Lieſt Hr. H. mein Buch einmal
R 3zeilweiſe
[262[38]] zeilweiſe durch, ſo wird er wahrſcheinlich
auf Zeilen ſtoßen, die auch im Boſſuet und
Huͤbner ſtehen, und ſich freuen, wie ſein
Forſchgeiſt meiner Compilation ſo gluͤcklich
auf die letzten Spuren kommt. 7. Wo im
ganzen Buche habe ich dann etwas das mei-
ne an Geiſt der Geſchichte, an Plan, an
Ideal genannt? Wo habe ich mir eine un-
beſcheidene Sylbe entwiſchen laſſen, um Er-
findungs. Recht, Beſitztum, und Eigentum
von dem mir beſchriebenen Plane zu behaup-
ten (vergl. mit §. 9 oben)? Der Hr. Con-
ſiſtorial-Rath iſt bei ſeinem Laͤſtern allzu
unvorſichtig: mein Buch beſteht ja nur
aus wenigen Bogen, die lieſt vielleicht ein
unparteiiſcher Leſer bei der Gelegenheit von
Anfang bis zu Ende durch, und ſucht die
Stellen, worauf ſich deſſen harte Vorwuͤrfe
gruͤnden ſollen; und findet er keine, was
muß er alsdenn von des Hrn. Conſiſtorial-
Raths — ich will nicht ſagen geiſtlichem,
ſondern nur — moraliſchem Character den-
ken? 8. Endlich, weiß Hr. H. eine alte
oder neue Univerſalhiſtorie, worinn gewiſ-
ſermaßen ſchon alles, was ich in meinem *
Plan
[263[39]] Plan fodere, ſo gar ſchon geſchehen wœre,
und waͤre es auch nur durch verunglückte Ver-
ſuche geſchehen: ſo nenne er mir ſie ja. Jch
mache mir ſchon lange ein eigenes Studium
aus der Litteraͤrgeſchichte der Univerſalhiſto-
rie; ich ſtoͤbere alle moͤgliche Compendien
aus allen Winkeln zuſammen: aber ſo eins,
wie Hr. H. meldet, iſt mir, ich geſtehe es,
noch nicht vorgekommen. Dankbar neme
ich ſeinen Beitrag an.
III. Doch dem allem ſei, wie ihm wolle,
ſo hat Hr. H. der verunglückten Verſuche
gar nicht noͤtig, um ſeinen Gemeinort dar-
aus zu beweiſen, daß ſich das alles weit leich-
ter ſagen als thun laſſe. Das weiß man,
auch ehe noch je ein Verſuch angeſtellt wor-
den und verungluͤckt iſt. Aber ein verun-
gluͤckter Verſuch beweißt auch nicht, daß
keiner je gelingen koͤnne. Hrn. Herdern iſt
der Verſuch verungluͤckt, Feler in meinem
Buche zu finden: iſt es deswegen Felerfrei?
2. Zu
[264[40]]
noch lange nicht Vorarbeiten genug.’
Wenn die jetzigen Unhiſtoriker von
Grundſaͤtzen der Hiſtoriographie lallen: ſo
haben ſie ſolche ſicher aus der Allgem. hiſt.
Bibl. Das iſt ihr Promus-Condus, auſ-
ſer dem wiſſen ſie nichts. Ein Beiſpiel von
Polybs Stelle iſt ſo eben da geweſen.
Und wenn ſie von Vorarbeiten ſprechen:
ſo muß man ſich immer darunter, auſſer
den gaͤng und geben Compendien, die große
Engliſche Welthiſtorie denken; außer
der wiſſen die Herren nichts. Dies iſt ihr
Maasſtock, wornach ſie alle Hiſtoriker, und
mit unter die Hiſtorie ſelbſt, meſſen. Aller-
dings iſt die Engliſche Welthiſtorie eine herr-
liche Vorarbeit: wo wuͤrden alle Compen-
dia ſeit 20 Jaren, mein eignes Buch mit ein-
geſchloſſen, ohne dieſe Vorarbeit geblieben
ſeyn! Aber außer ihr weiß jeder Hiſtoriker
eine Menge andrer Vorarbeiten, von denen
kein Pſalmanazar je gehoͤrt hat (Vorſtell.
S. 44).
Und waͤren dieſe Vorarbeiten auch noch
lange nicht genug: nun ſo nuͤtze und ordne
der Univerſalhiſtoriker wenigſtens die bereits
vorhandenen. Ein Kaufmann hat 20000
Thlr.,
[265[41]] Thlr., er hofft mit der Zeit fuͤnfmal ſo viel
zu gewinnen: ſoll er aber nicht einſtweilen
das bloße Fuͤnftel zu Buche bringen? Ein
Bibliothekar hat 20000 Buͤcher unter Haͤn-
den; er hofft mit der Zeit den Vorrath ſuͤnf-
mal groͤßer werden zu ſehen: ſoll er aber
nicht fuͤrs erſte uͤber den gegenwaͤrtigen Vor-
rath einen Catalogum machen? — Zuver-
laͤßig giebt es jetzo doch mer Vorarbeiten als zu
Boſſuets und Huͤbners Zeiten: alſo iſt doch,
wenigſtens vergleichungsweiſe, itzo ſchon
eine ungleich beſſere Univerſalhiſtorie, als
Boſſuets fades Kanzelgeſchwaͤtze, moͤglich.
Warum ſollen wir warten, bis alle Vorar-
beiten gethan ſind? Und wenn werden ſie alle
gethan ſeyn? Noch wiſſen wir nicht einmal,
was fuͤr welche noch felen. Das geſchickte
Summiren und Anordnen des jetzigen Kapi-
tals wird ſeine Circulation vermeren; und
durch die Circulation wird ſelbſt das Kapi-
tal wachſen. Jch wende des Hrn. Geh. Ju-
ſtiz-Rath Puͤtters Ausdruͤcke von der deut-
ſchen auf die Weltgeſchichte an: “es waͤre
nunmero Zeit, einen Blick auf das Ganze zu
werfen, um wenigſtens zu uͤberſehen, ob
und wo irgend noch ein Stuͤck Feld unbe-
baut ſeyn moͤchte, und um allmaͤlig den Weg
R 5dazu
[266[42]] dazu zu bahnen, daß einmal ein vollſtaͤndi-
ges Lehrgebaͤude der Revolutionen des Erd-
bodens und Menſchengeſchlechts darauf ge-
bauet werden koͤnnte”.
Noch bitte ich, die laͤcherliche Eitelkeit
zu bemerken, die in Hen. Herders obigem
Tadel liegt. Der gute Leſer ſoll glauben,
Hr. Herder wiſſe alles, teils was bisher
ſchon in der Weltgeſchichte geſchehen, teils
was kuͤnftig noch darinn geſchehen muͤſſe!
Wie weiß er das eine, wie kan er das zwei-
te meſſen? Das ſind Kenntniſſe, die der Him-
mel, ſeinen Freunden nicht einmal, im Schla-
fe giebt: Studium, langes Studium, ge-
hoͤrt dazu. Hiſtoricus non naſcitur, ſed fit.
let noch die ware Reinigung des Grun-
des.’
Reinigung des Grundes, ein pompeuſer
Ausdruck! Platter und verſtaͤndlicher wuͤrde
der Einwurf ſo lauten: “Viele alte Schrift-
ſteller, aus denen wir Facta fuͤr die alte Welt-
geſchichte holen, ſind noch zur Zeit ſchlecht
edirt (Strabo z. E. und Mela!). Die Her-
ausgeber waren meiſt bloße Philologen, und
unfaͤhig, dem Hiſtoriker in die Haͤnde zu ar-
beiten. Selbſt in der kleinen Kritik iſt den
Leuten
[267[43]] Leuten wenig zu trauen: ſie haben ihre Tex-
te nicht aus Handſchriften, nicht aus vielen,
nicht aus guten Handſchriften, abdrucken laſ-
ſen; ſie haben nicht verglichen, falſch gele-
ſen, unrecht uͤberſetzt. Es felen uns noch
viele Varianten, und auf dieſe kommt manch-
mal in der Geſchichte vieles an: an Einer
Variante haͤngt die ganze Ehre der Koͤnigin
Blanca .....„.
Meint Hr. H. das, ſo gebe ich ihm alles
zu. Nur folgt nicht daraus, daß deswe-
gen keine Weltgeſchichte, wenigſtens nach
meinem Plane nicht, moͤglich ſei. Jmmer-
hin baue der Hiſtoriker auf dieſen obgleich
noch nicht ganz reinen Grund fort: die
Mauer wird nicht weichen. So ein Moſe,
Herodot, und Plinius, wie ihn Michae-
lis Weſſeling und Harduin edirt oder erklaͤ-
ret haben, befriedigen auch den vorſichtigſten
Hiſtoriker. Kommen kuͤnftig noch beſſere
Ausgaben und Auslegungen zum Vorſchein,
dann ſchreibt man neue Weltgeſchichten. Re-
volutionen aber erwarte ich von ſolchen neuen
Ausgaben nicht: 50000 Kennicottſche Va-
rianten werden uns ſo wenig eine neue vor-
ſuͤndflutige oder hebraͤiſche Geſchichte, als
eine neue Dogmatik, ſchaffen.
Mancher
[268[44]]
Mancher Leſer dachte wol Wunder, was
fuͤr Weisheit hinter Hrn. Herders warer
Reinigung des Grundes liege! Und nun liegt
nichts, weniger als nichts, gar eine falſche
Folge aus einer waren obgleich ganz alltaͤg-
lichen Praͤmiſſe gezogen, dahinter.
werden ſchwerer, wenn man Hand an-
legt, als es bei einer Tabelle ſcheint.’
Ja wol ſchwerer! Und gar unmoͤglich
fuͤr Hrn. Herder. Alſo lege er nie Hand
an: das iſt des Hiſtorikers Werk.
Aber den gedultigen Hiſtoriker ver-
ſcheucht das Schwere nicht. Nur der taͤn-
delnde Kleinmeiſter hüpft weg, ſo bald man
ihm mit Arbeit droht.
Sollte auch wol jemand des Einfalls faͤ-
hig ſeyn, daß man von einer bloßen Tabel-
le ſogleich zur Handanlegung ausgehen koͤn-
ne? Jch neme Sprengels Handwerks-Ta-
bellen vor mich vom Schuſterweſen; mir
kommt nicht bei, zu ſchließen: der Mann,
der dieſe Tabelle gemacht hat, macht
eben ſo leicht einen Schuh. Noch weni-
ger wuͤrde ich dem Verf. in einer Recenſion
den Tadel hingeworfen haben: die Puncte
der Zuſammenfügung des Leders werden
ſchwe-
[269[45]]ſchwerer, wenn man die Ahle in die Hand
nimmt, als es bei dieſer Tabelle ſcheint. Und
am allerwenigſten wuͤrde ich geſchloſſen ha-
ben: weil ich aus der Tabelle keinen Schuh
fabriciren kan, alſo kan gar niemand Schu-
he machen. Du biſt ja kein Schuſter,
wuͤrde ich denken.
einzelnen Geſchichten wird nur zu offt
ein Gemiſche, wo die Teile nicht hal-
ten wollen, — auseinander fließen, o-
der auseinander fallen.’
Richtig. Es iſt ſchon ſchwer, einzelne
Teile zuſammenhaͤngend abzuhandeln (N.
4); aber noch ſchwerer, alle dieſe einzelne
Teile in Ein Ganzes zu flechten, in Einen
großen Knauel aufzuwinden, das iſt, aus
dem Aggregat ein Syſtem, das iſt eine wa-
re Univerſalhiſtorie, zu machen.
Aber was ſchwer iſt, iſt nicht unmoͤglich.
Was Hrn. Herdern unmoͤglich iſt, iſt des-
wegen dem Hiſtoriker nicht unmoͤglich. Und
eben deswegen, weil die Sache ſchwer iſt,
ſammle ich Stimmen aus dem Publico, ver-
ſtehts ſich, Stimmen der Kenner, wie die-
ſen Schwierigkeiten am bequemſten abgehol-
fen werden koͤnne.
Oder
[270[46]]
Oder iſt Hrn. Herders Meinung dieſe:
“weil in der Aggregation einzelner Geſchich-
ten ſehr oft ein Gemiſche wird; ſo aggregi-
re man lieber gar nicht, man ſetze die Voͤl-
ker nur ſo inſulariſch nach dem Alphabete
hin, man ſchreibe die Weltgeſchichte in Form
eines Dictionnaire”? — Will Hr. H. das?
Jſt das ſeine Meinung? Der Einfall waͤre
eines franzoͤſiſchen Abbe’s werth.
Die Teile wollen nicht halten, – ſie flieſ-
ſen auseinander, ſie fallen aus einander: aͤchter
Poſtillantenſtyl in einer Recenſion! Wozu 3
Phraſes und 1 Engliſcher Strich zu Einem
— ganz alltaͤglichen — und hier zu einer fal-
ſchen Schlußfolge mißbrauchten — Ge-
danken?
Einen in der Geſchichte “fürs menſch-
liche Geſchlecht” betrachtet, immer für
uns Menſchen eine ſo problematiſche
Sache.’
Nicht für uns Menſchen, ſondern für
mich Conſiſtorial-Rath Herder. Welche Ei-
telkeit, ſich und ſeine Wenigkeit mit dem
Menſchengeſchlechte zu vermengen! Kan denn
nicht fuͤr ihn unendlich vieles problematiſch
ſeyn, was es fuͤr andre nicht iſt? Boſſuets
Schuͤler
[271[47]] Schuͤler ſpricht wie ein Hiſtoriker, ſpricht
gar wie der Depoſitaͤr der geſammten Ge-
ſchichtswiſſenſchaft.
Vermutlich verſteht Hr. H. ſeinen eige-
nen hier geaͤuſſerten Zweifel nicht. Jch will
ihn ihm erklaͤren; und ihm faßlich machen,
daß dieſes Eine in der Weltgeſchichte zwar
eine ſchwere, aber doch nicht unmoͤgliche Sa-
che, ſei. I. Das Menſchengeſchlecht iſt ei-
ne Einheit: es ſtammt von Einem Anherrn,
wohnt auf Einem Planeten, behaͤlt bei aller
ſeiner Zerſtreuung einerlei Natur, und ſei-
ne zerſtreuete Teile wirken durch weite Diſtan-
zen von Raum und Zeit, durch Eroberun-
gen, Reiſen, und Handel, kenntlich und un-
ſichtbar, in einander. II. Dieſe gegenſeiti-
ge Wirkungen des einen Teils (oder Volks)
in den andern, des andern in den dritten,
des dritten in den vierten, u. ſ. w. nach allen
Directionen von Oſten nach Weſten, von Suͤ-
den nach Norden hin, in den Annalen zu be-
merken, zu erklaͤren, zu ſammlen, und in
Harmonie zu bringen: das iſt das große Ge-
ſchaͤfte der Univerſalhiſtorie. Mohaͤm-
med ſchwaͤrmt, und niemand faͤngt ihn ein:
in Mecka geht daruͤber eine Bewegung vor,
deren Undulationen ſich bis nach Sina, Tur-
keſtan,
[272[48]] keſtan, Portugall, und die Kanarien, erſtre-
cken. Raleigh bringt A. 1623 eine neue
Wurzel aus Virginien nach Jreland; und
meine naͤchſte Mitbuͤrger erſparen dadurch
im J. 1772, viele tauſend Thaler, und wer
weiß wie viele hundert Leben. III. Spuͤrt
man ſolchen Vorfaͤllen in ihren Verkettun-
gen und Wirkungen durch Laͤnder und Jahr-
hunderte, durch Weltteile und Jahrtauſen-
de, ununterbrochen nach: ſo zeigt ſich de-
ren eine ſo unerwartete Menge, daß der Uni-
verſalhiſtoriker endlich Muth genug zu fol-
genden dreiſten Saͤtzen bekoͤmmt. Alle Voͤl-
ker des Erdbodens ſind immer mit einander
in Verbindung geweſen, obgleich die meiſten
ſehr mittelbar; alle haben durch 10, 100,
oder 1000 Mittelg lieder in einander gewirkt.
So wie die Eiferſucht der Haͤuſer Habsburg
und Bourbon aus unſerm kleinen Europa
Eine Republik erſchuf: ſo hat die Vorſehung
von je her, durch obige Mittel, die Men-
ſchenkinder auch nach dem Thurnbau in einer
ſteten obgleich ſchwer zu bemerkenden Ver-
bindung erhalten. Die Gaͤnge dieſer Ver-
bindung aber ſuche der Weltgeſchichtforſcher
ja nicht bloß, wie bisher geſchehen, auf Heer-
ſtraßen, wo Conqueranten und Armeen un-
ter
[273[49]] ter Paukenſchall marſchiren; ſondern auch
auf Nebenwegen, wo unbemerkt Kaufleute,
Apoſtel, und Reiſende, ſchleichen. Rauſchend
trug Alexander die Kenntniſſe Griechenlan-
des an den Oxus hin; ſtiller ſtal ſich der Koch
Kadmus aus Sidon nach Boͤotien, und
brachte die Schreibkunſt mit. Jn lautem
Triumph verpflanzte Lukull Kirſchen aus dem
Pontus nach Jtalien: unbemerkt ſaͤete, ver-
mutlich ein Moͤnch, den erſten Weizen in
Schweden aus, und niemand ſchrieb ſeinen
Namen auf. IV. Aber, wird man ſagen,
dieſe allgemeine Verbindung aller Voͤlker
und Zeiten wird doch keine Welthiſtorie je-
mals vollſtaͤndig zeigen koͤnnen: jeder Welt-
teil, in jedem Zeitraume, wenigſtens vor
Chriſtoph Colom, wird ſeine große Diſtric-
te haben, die, abgeſchieden von allen andern,
keine andre als ihre eigne Wirkungs-Sphaͤ-
re zu haben ſcheinen. Jch antworte: man-
che Nationen koͤnnen in ſehr naher, ob gleich
mittelbarer, Verbindung geſtanden ſeyn, oh-
ne daß wirs jetzo wiſſen; aber Spuren fin-
den ſich doch in den noch vorhandnen Jahr-
buͤchern der Welt, in denen manches ſteht,
was noch kein Hiſtoriker darinnen geleſen
hat. Und waͤren durch die Zeit auch bei vie-
Slen
[274[50]] len Voͤlkern alle Spuren verblichen; ſo ſchlieſ-
ſe ich analogiſch, etwa wie jener Weltweiſe
von den ihm unbemerkbaren Schoͤnheiten der
Welt: “uͤberall, wo ich Licht und Helle der
Geſchichte uͤber den entferntſten Laͤndern fin-
de, ſehe ich Verbindung, gegenſeitige Wir-
kungen, und Einheit, unter ihnen; ich glau-
be alſo, auch da ſind Verbindungen, wo ich
keine ſehe”. So glaube ich, daß Otaheiti
ſchon lange vorher Einfluͤſſe von unſerm Eu-
ropa bekommen, ehe neulich das erſte Euro-
paͤiſche Schiff an ſeiner Kuͤſte landete. Sei-
ne Verbindung mit den Suͤdlaͤndern glaube
ich nicht bloß, ſondern weiß ſie aus Annalen,
deren Stelle hier die Otaheitiſche Sprache
vertritt.
Doch ich muß hier abbrechen: und bit-
te nur Hrn. Herdern, das geſagte nicht aber-
mals fuͤr bloße Declamation zu halten, weil
ers etwa nicht verſteht. Weghüpfen mag er
immer: aber allenfalls kan er einen Hiſtori-
ker um weitern Beſcheid anſprechen, den
ich ihm hier in der Kuͤrze ohnmoͤglich geben
kan.
Antw.Auf dem Ararat bei Noahs Ka-
ſten; oder — will Hr. Herder, da er ſchwim-
men
[275[51]] men und tauchen kan N. 12, durch die Suͤnd-
fluth waten — in Eden am Eufrat, bei A-
dam und Eva.
Antw.Von Bückeburg und Göttingen
durch Ungern übers ſchwarze Meer.
Wie mag aber der Hr. Conſiſtorial-Rath
ſo wunderliches Zeug fragen? Und dieſe wun-
derliche Fragen gar in die Frankfurter Ge-
lerte Anzeigen drucken laſſen? Endpfahl, groſ-
ſer Endpfahl, der Eine große Endpfahl des
menſchlichen Geſchlechts; wo ſteht er? heiſt
in ordentlichem Deutſch: wie heißen die
Stamm-Eltern aller Menſchen? Hof-
fentlich wird in Hrn. Herders ganzer Ge-
meine kein Erwachsner ſeyn, der dieſe Fra-
ge nicht zu beantworten wiſſe, wenn man
ſie ihm in ordentlichem Deutſch vorlegt. Wo-
zu das Herderſche ὑψος am unrechten Orte?
Der große Endpfahl macht nur den Ge-
fragten ſtutzig, daß ihm, im Schrecken uͤber
das fremde Bild humano non dictum ore
prius, eine Katechismus-Frage wie die Preis-
Aufgabe einer Akademie der Wiſſenſchaften
vorkoͤmmt.
S 29.
[276[52]]
lichen Geſchlechts? iſts Aufklärung?
Verbeſſerung? Vervollkommnung? me-
rere Glückſeeligkeit„.’
Jn meinem Buche S. 1 brauche ich den
Ausdruck, Veredlung und Verſchlim-
merung des menſchlichen Geſchlechts
auf allen ſeinen Wegen, zur Erklaͤrung
des vorhergegangenen unbeſtimmteren Aus-
drucks Revolutionen des menſchlichen
Geſchlechts. S. 97 habe ich wieder eben
dieſen Ausdruck: ſtufenmaͤßige Vered-
lung oder Verſchlimmerung. Noch
umſtaͤndlicher ſind dieſe Ausdruͤcke S. 6 und
7 entwickelt.
Veredlung und Verſchlimmerung
iſt deutlich und praͤcis geredet. Warum ſetzt
mir Hr. H. abermals einen Endpfal vor,
“Fortgang des menſchlichen Geſchlechtes”,
und verrammelt dadurch, oder erſchweret we-
nigſtens, den ſonſt leichten Zugang zum Ver-
ſtaͤndniſſe meines Satzes! Etwa weil er ſonſt
nichts wuͤrde zu fragen gehabt haben?
Daß Veredlung ſo viel als Verbeſſe-
rung und Vervollkommnung in allen Kraͤften,
woraus der Menſch beſteht, ſei; wiſſen alle
Menſchen. Daß von einer Univerſal-Ver-
edlung
[277[53]] edlung in Kraͤften des Geiſtes, Herzens, und
Koͤrpers, merere Gluͤckſeligkeit erfolge,
iſt auch bekannt.
Aber warum ſagt Hr. H. von Ver-
ſchlimmerung gar nichts? Merkte er et-
wa nicht S. 6, daß ich zum Character der
Menſchheit mit Reimarus die Unbeſtimmt-
heit, das iſt, nicht bloße Perfectibilitaͤt,
ſondern auch Deterioribilitaͤt (harte Worte,
die ihr Schoͤpfer ſchleifen mag), wolbedaͤchtig
angenommen habe? Selbſt Veredlung, wann
ſie nur partial oder einſeitig iſt, kan verſchlim-
mern. Kein Karaibe hat ſich je durch eine
haͤmiſche Recenſion verſuͤndigt: nicht weil er
ein tugendhafterer Menſch iſt, ſondern weil
er nicht ſchreiben kan.
10. Wo iſt Maas?
11. Wo ſind Data zum Maaße in ſo ver-
ſchiedenen Zeiten und Völkern, wo wir
die beſten Nachrichten der Auſſenſeite
haben?
Entweder ich verſtehe dieſe Fragen nicht;
oder ich habe ſie ſchon in meinem Buche S.
44 beantwortet: “dieſe Data finden ſich in
Winkeln, wo ſie nicht die Pſalmanazars und
Herders ſuchen”.
S 3Das
[278[54]]
Das muͤſte ſchlecht ſeyn, wenn von der
Auſſenſeite eines Volks die beſten Nachrich-
ten vorhanden ſind, daß nicht der Hiſtoriker
auch hin und wieder richtige Schluͤſſe daraus
auf die Jnnenſeite machen koͤnnte. Jener
Neiſende fand auf einer Kuͤſte einen Zirkel im
Sande: hier wonen Menſchen, ſagte er.
Jn welchem Maaße Menſchen?
wird Hr. H. wiſſen wollen. Jch moͤchte es
auch wiſſen: aber in Vorfallenheiten unſrer
Zeiten fodern wir ſelten Maaß- und Grad-
beſtimmungen; und von alten Zeiten wollen
wir ſo ſtrenge ſeyn? Die Leſer ſehen durch-
gaͤngig aus der Analyſe dieſer Recenſion,
daß Hr. H. in Abſicht auf die Geſchichts-
wiſſenſchaft ſehr unwiſſend ſei: aber keinem
faͤllt wol bei, von mir zu verlangen, daß ich
auch das Maaß und den Grad ſeiner hiſtori-
ſchen Jgnoranz barometriſch beſtimmen ſolle.
Doch Hr. H. ſehe ſich auf obiger Kuͤſte
weiter um: vielleicht findet er merere Figu-
ren im Sande, aus denen er, wann er Ma-
thematik verſteht, ſicher rathen kan, ob das
Volk, oder der Mann, der ſie gemacht, Heka-
tomben geopfert haben wuͤrde oder nicht,
wenn ihn jemand das Pythagoriſche Theo-
rem geleret haͤtte; das iſt, ob ſeine Geome-
trie
[279[55]] trie einige Grade hoͤher oder tiefer, als die
Griechiſche im 6ten Saͤc. vor Chriſto, ſtehe?
— Er gebe einem Kenner ein par hundert
aͤgyptiſcher, etruſkiſcher, und mexikaniſcher
Scherben vor: der Kenner wird in dieſen
Scherben Data finden, nicht blos von der
Cultur dieſer Voͤlker in der Toͤpferkunſt,
ſondern auch von dem Grade der Cultur, auf
dem jedes dieſer Voͤlker, verglichen mit dem
andern, ſtand.
Von der hiſtoriſchen Hevriſtik hat
wol Hr. H. nie was gehoͤrt? Sie iſt das
in der Hiſtorie, was bei Romanen das
Schoͤpferiſche iſt. Wer dieſe Kunſt kan, oder
richtiger zu reden, wer dieſes Talent beſitzt;
der fragt dem einfaͤltigſten Annaliſten, wie
einem Kinde, Dinge ab, an die er ſelbſt
nie gedacht hat: der graͤbt aus den Wundern
des heil. Januars eine phyſiſche Geſchichte
der Auswuͤrfe des Veſuvs und der Verwuͤ-
ſtungen von Neapel heraus: der lieſt auf
einer zerbrochnen Scherbe die Saͤtze einer
ſchon ſeit Jartauſenden verlornen Dogma-
tik. Es verlohnte ſich der Muͤhe, — nicht
mit hiſtoriſcher Kunſt eine Theorie dieſer He-
vriſtik zu verfertigen, ſondern — eine Menge
treffender Beiſpiele zu ſammlen, wie viele
S 4wichtige
[280[56]] wichtige Thatſaͤtze unabſichtlich auf die Nach-
welt gekommen, und ihre Erhaltung blos
dieſer Hevriſtik zu danken haben.
ſeinem Ideal über das alles weg, aber der
Taucher? —’
Der taucht unter, ſammelt auf, und
ſchwimmt dann weiter.
Aber auch der Taucher kan ohne Jde-
al nicht tauchen. Er muß wiſſen, ob er Per-
len, oder Krabben, oder Gries, fiſchen ſoll.
Die Taucherkunſt ſoll, wie ich mir habe ſa-
gen laſſen, eine eigene Kunſt ſeyn, die ihre
viele eigene Kenntniſſe erfodert. Der Jn-
begriff von Kenntniſſen und Regeln aber,
heiſt Jdeal.
Und denn will doch der Hr. Conſiſtorial-
Rath den Leſer nicht glauben machen, als
wenn er ein hiſtoriſcher Taucher ſei?
Zuverlaͤßig iſt er nie bis an die Knoͤchel in
den hiſtoriſchen Ocean gegangen: er ſieht ja
als hiſtoriſcher Recenſent ſo trocken aus!
Zwar Grimaſſen wird er naͤchſtens machen,
als wann er tauchen wollte: aber — “komm
naͤher ans Ufer, Zuſchauer! er legt zwar
den Mantel ab, wirft die Arme um ſich, und
rudert — aber nur in die Zephyrs, nicht
in
[281[57]] in die Wellen; er ſchwimmt nicht, er taucht
nicht, er geſticuliret nur”.
§. 16.
Bisher ſchien Hr. H. uͤberhaupt zu be-
ſtreiten, ob eine Univerſalhiſtorie nach mei-
nem Plane an ſich moͤglich ſei. Seine
Gruͤnde habe ich nach allen 12 Numern be-
leuchtet.
Nun dreht er ſich, und kommt auf ei-
nen andren Zweifel, ob ich die Univerſal-
hiſtorie nach dieſem Plane vorzutragen im
Stande ſei? Dieſen Zweifel ſoll ich heben:
und vorausgeſetzt, daß ich hiezu verpflichtet
ſei, fodert er mich zur Publicirung einer gan-
zen Weltgeſchichte ungeſtuͤmmer und unge-
zogener auf, als Lavater Mendelsſohnen zur
Taufe auffoderte. Bald neckt er bloß, bald
wird er arg, bald ganz beleidigend und un-
geſchliffen. Es ſei gewagt, ich ſetze die gan-
ze grobe Stelle her. Des Hrn. Conſiſtorial-
Raths ganzes Herz ergießt ſich darinnen,
und petillirt; ſein vorzuͤgliches Talent, den
unſchuldigſten oder gar pflichtmaͤßigen Hand-
lungen Schwaͤrze und ſeinen eigenen An-
ſtrich zu geben, glaͤnzt hier in vollem Lichte.
S 5Wenn
[282[58]]
Wenn S. wirklich ſeine Univerſalhi-
ſtorie nach dieſem Deklamationsplan
ausgearbeitet hat, wie er ſeine Zuhörer
durch dieſen “Leitfaden„ beredet: ſo
mache er ſich das Verdienſt auch um
die Welt, ſie ganz bekannt zu machen —
Welch ein Originalwerk! welch ein
großes Verdienſt!
Das wære alsdenn gewiß ſeine Uni-
verſalhiſtorie, wie das nur die Reprœ-
ſentation derſelben iſt: und jeder gute
Apotheker repræſentiret doch nichts an-
ders auf Schild und Fenſterlade, als
ſeine Apothek wirklich beſitzt.
Vielleicht alſo haben wir næchſtens
das Vergnügen, ein gröſſeres Buch an-
gezeigt zu ſehen, zu dem dies nur der
fliegende Anſchlagzettel, der aufmun-
ternde “hier iſt zu haben oder hier lœſt
ſich ſehen„ ſeyn ſollte.
Jch will nicht fragen, was ein Leſer von
Welt und Sitten von einem Menſchen hal-
ten wuͤrde, der in einer guten Privat-Geſell-
ſchaft (nicht vor dem Publico), mit einem
Unbekannten, in ſolchem Tone, muͤndlich
(nicht gedruckt) ſpraͤche. Das will ich nicht
fragen, ſondern — antworten.
I. Weil ich einen Plan, einen Riß, ei-
nen Bauanſchlag, bekannt mache; bin ich
deswegen, zum Beweiſe, daß mein Plan et-
was
[283[59]] was tauge, ſchuldig, ſelbſt zu bauen, ſo-
gleich ſelbſt zu bauen? Weil Hr. H. Klop-
ſtocks Oden kritiſirt; iſt er ſchuldig, zum
Beweiſe, daß er Faͤhigkeit und Beruf zu
einer ſolchen Kritik habe, ſelbſt Klopſtock-
ſche Oden zu machen?
II. Wenn auch ich meinen Plan nie aus-
fuͤhren koͤnnte: folgte daraus, daß der Plan
an ſich nichts tauge? Nein, es folgte nur,
daß ich der Ausfuͤhrung nicht gewachſen
waͤre. Damit verloͤre ich etwas, aber nicht
alles. Ein guter moͤglicher Bauriß auf
dem Papier iſt immer etwas: der ihn aus-
fuͤhrt, thut mer; aber der ihn gemacht hat,
hat doch etwas gethan. Bekaͤme ich auf der
naͤchſten Meſſe ſchon eine ganze Weltgeſchich-
te nach meinem Jdeal zu leſen; ich wuͤrde
mich freuen, und dem Verfaſſer, ohnge-
fehr wie der Saͤnger der Alceſte ſeinem Com-
poniſten, ſagen: “wie machten Sie es, daß
Sie ſich des Jdeals ſo geſchwinde bemaͤchtig-
ten, welches meinem Geiſte vorſchwebte,
und welches in der Ausfuͤhrung voͤllig zu er-
reichen, ich noch itzo unvermoͤgend bin, und
vielleicht nie vermoͤgend werden werde„?
III. Daß ich mich beſtrebe, nach dieſem
Jdeal meine Vorleſungen uͤber die Weltge-
ſchichte
[284[60]] ſchichte einzurichten, habe ich in der Vor-
rede meiner Vorſtellung geſagt. Jn wie
ferne aber mir mein Beſtreben gelingt: bin
ich daruͤber Hrn. Herdern oder gar dem gan-
zen Publico Rechenſchaft ſchuldig? Weil
ich uͤber die Weltgeſchichte Vorleſungen hal-
te: bin ich ſchuldig, dieſe Vorleſungen je-
mals, oder ſo gleich, oder einen vollſtaͤn-
digen Extract daraus, das iſt ein Compen-
dium, drucken zu laſſen? Laͤßt jeder Pro-
feſſor alle ſeine Collegia, laͤßt der Hr. Con-
ſiſtorial-Rath alle ſeine Predigten, drucken?
Hr. H. bekleidet ein geiſtliches Amt, und
heiſt Conſiſtorial-Rath; meines Wiſſens
hat er ſich nie zu dieſem Amte und Titel oͤf-
fentlich legitimiret, nie hat er durch Eine
Zeile ſeine theologiſche oder Conſiſtorial-Faͤ-
higkeit erwieſen. Das fodert auch niemand
von ihm; aber warum fodert er von mir in
meinem Falle eine Legitimation, die ich ihm
in ſeinem Falle willigſt ſchenke?
IV. Daß ich willens ſei, ein größeres
Buch uͤber die Weltgeſchichte zu ſchreiben,
habe ich bereits in der Vorrede meiner Vor-
ſtellung zu verſtehen gegeben: und Hrn. Her-
ders ungezogene Auffoderung hat mich in
meinem Vorſatze nicht irre gemacht. Nur
koſtet
[285[61]] koſtet ſo ein Buch nach ſo einem Plan, von
etwa 50 Bogen, mer Zeit, als eine unwitzi-
ge Recenſion von 5½ Seiten. Wenn ich
mir nun die benoͤtigte Zeit dazu neme, und
noch etliche Jare, in taͤglicher Nuͤtzung der
hieſigen Bibliothek, darauf verwende; wenn
ich vorlaͤufig Stimmen aus dem Publico,
uͤber die moͤglichſt beſte Einrichtung eines
ſolchen Buchs, durch fliegende Anſchlag-
zettel ſammle, und keine einzige Erinnerung,
ſie mag mir in gedruckten Aufſaͤtzen oder in
Privatbriefen zukommen, ungepruͤft und un-
genuͤtzt laſſe; wenn ich durch ſolches Zau-
dern, das kein Vernuͤnftiger mir uͤbel deu-
ten wird, (da ich mich zu keiner beſtimm-
ten Lieferungszeit verpflichtet habe, und dem
Publico weder durch angenommene Praͤnu-
meration noch Subſcription verhafftet bin),
der Ehrerbietung, die ich dieſem Publico
ſchuldig bin, und dem Zutrauen, mit dem
mich einige Glieder des Publici beehren, ge-
maͤß handle: habe ich die Grobheiten und
Laͤſterungen verdient, die der Hr. Conſiſto-
rial-Rath bei dieſer Gelegenheit gegen
mich drucken laſſen? Habe ich es verdient,
daß er meiner nicht einmal zweideutigen, ſon-
dern erweislich unſchuldigen, und zum Teil
pflicht-
[286[62]] pflichtmaͤßigen Handlung, durch eine bos-
hafte Auslegung, die unter der Wuͤrde des
ehrlichen Manns, und noch tiefer unter dem
Decoro des Geiſtlichen iſt, einen laͤcherli-
chen und gehaͤßigen Anſtrich giebt?
V. Jch thue, was hundert Profeſſo-
res vor mir gethan haben, und hundert nach
mir thun werden: ich publicire eine Anzei-
ge meiner Vorleſungen, eine umſtaͤnd-
liche Erklaͤrung des Plans, dem ich in mei-
nen Vorleſungen folge; das nennt Hr. H.
einen fliegenden Anſchlagzettel, einen auf-
munternden Hier iſt zu haben oder Hier
lœſt ſich ſehen. — Da ſich der Hr. Conſiſto-
rial-Rath wol beſcheiden wird, daß allen
und jeden das gegen ihn frei ſteht,
was er ſich gegen andre erlaubt; da
er vermuten konnte, daß unter 8000 Men-
ſchen, die etwa in Goͤttingen ſind, auch wol
Ein Genie von ſeinem Witz und Herzen ſeyn
moͤchte: warum verſah er ſichs nicht, daß
an dem Tage ſeiner zweiten Ankunft in Goͤt-
tingen ein ſolches Genie in ein hieſiges oͤf-
fentliches Blatt drucken ließ:
Hier in Göttingen iſt zu haben,
Heute lœßt ſich ſehen, für einen
Skrupel
[287[63]]Skrupel Weihrauch, der weitbe-
rühmte Belletriſte, Hr. Conſiſto-
rial-Rath Herder!
Daß Hr. H. durch Goͤttingen reiſt, halte
ich fuͤr eine voͤllig gleichgiltige Handlung.
Daß ich einen Plan meiner Vorleſungen
uͤber die Weltgeſchichte drucken laſſe, ſollte
Hr. H. auch fuͤr eine wenigſtens gleichgil-
tige Sache halten. Aber kan ein Gott, ein
Sokrates, eine noch ſo gleichgiltige oder gar
lobwuͤrdige Handlung verrichten, die ein
Skurre nicht laͤcherlich oder gar ſchwarz
machen koͤnnte?
VI. Wenn ich jetzo blos den Plan, und
nicht meine Univerſalhiſtorie ſelbſt, drucken
laſſe: entſteht daraus ein gegruͤndeter Ver-
dacht, daß ich ſie nicht nach meinem Plane
in meinen Vorleſungen vortrage? Jeder gu-
te Apotheker repræſentirt zwar nichts anders
auf Schild und Fenſterlade, als ſeine Apo-
thek wirklich beſitzt. Aber 1. Repraͤſen-
tiren darf er doch, ohne ſeine Materialien
ſelbſt vor den Fenſterladen hinzuſetzen: und
das Repraͤſentiren ſelbſt erregt keinen Ver-
dacht, daß es bloße Repraͤſentation, daß
nichts in der Apotheke ſei. 2. Repraͤſenti-
ren
[288[64]] ren muß er gar, manche Materialien darf
er gar nicht vor den Fenſterladen ſetzen: die
Schmeißfliegen wuͤrden ſie ihm in den Hunds-
tagen verderben. 3. Ob er aber nicht falſch
repraͤſentire, das iſt, ob die angezeigten Ma-
terialien wirklich in ſeiner Apotheke, und
zwar in erfoderlicher Menge und Guͤte, vor-
handen ſeyn: das muß der bevollmaͤchtigte
Viſitator wiſſen. Aber 4. hat denn Hr. H.,
um bei ſeiner beliebten Allegorie zu bleiben,
je meine Apotheke viſitirt? hat er je in mei-
ne Buͤchſen geguckt? Und 5. wollte er viſi-
tiren: was hat der Buͤckeburger Conſiſtorial-
Rath fuͤr Recht, dem Goͤttingiſchen Pro-
feſſor ſeine Collegia zu viſitiren? — Und 6.
wollt ich ihm die Erlaubniß zur Viſitation
meiner Collegien freiwillig erteilen, die ich
ihm und einem jeden andern hiedurch feier-
lich gebe: was hat er fuͤr Geſchicke dazu?
Apotheken kan nur ein Arzt, das Kammer-
gericht nur ein Rechtsgelehrter, und Univer-
ſalhiſtorien kein Herder, viſitiren. Und end-
lich 7. der Apotheker, der das allervollſtaͤndig-
ſte Diſpenſatorium auf ſeinem Tiſche liegen
haͤtte, und ſolches den Leuten etwa auf die
Art vorwieſe: “alles das muß eine vollſtaͤndi-
ge Apothek beſitzen, die meinige ſuche ich all-
maͤlich
[289[65]] maͤlich darnach zu completiren, aber es geht
langſam, ich muß mich nach meinem Ver-
moͤgen und nach dem Abſatze richten„; der
Apotheker, der ſo ein Diſpenſatorium gar
drucken lieſſe, aber bemeldte Erklaͤrung mit
Schwabacher in die Vorrede ſetzte: repraͤſen-
tirte der falſch? muͤßte denn Hr. H. laͤſtern?
VII. Aber ich berede bloß meine Zu-
hoͤrer, daß ich meine Univerſalhiſtorie nach
meinem gedruckten Plane ausgearbeitet ha-
be, — ſagt Hr. Herder wild und duͤrre weg.
Hat der Mann jenes großgedruckte Wort
uͤberdacht, ehe er es nieder ſchrieb; oder will
er es fuͤr einen Druckfeler erklaͤren? Will
er dieſes nicht: ſo beweiſe er. Es iſt ſchon
ſchaͤndlich genug, einen ſo harten Vorwurf,
ohne Beweis, und nahmenlos, in eine oͤf-
fentliche Zeitung hinzuwerfen: aber was
hat er fuͤr Data zu dieſem harten Vor-
wurfe? er nenne ſie naͤchſtens. Was kan
er fuͤr welche haben? Kennt er meine
Vorleſungen anders, als vom Hoͤrenſagen
zweier oder dreier Leute? Wer ſind dieſe 2
oder 3 Leute? er nenne ſie oͤffentlich, wenn
er Herz und Gewiſſen hat. – – Kein Wort
weiter: die erſte Zeile oben S. 253 iſt ſchon
abgedruckt, und ich kehre zu §. 13 zuruͤck.
T§. 17.
[290[66]]
§. 17.
nach ſolchen “runden Zeiten und
verminderten Perioden dann fürs
Gedæchtnis die einzige und be-
ſte Hülfe?’
Hier und in den naͤchſtfolgenden Erin-
nerungen ſind eine Menge ganz verſchiede-
ner Dinge voͤllig durch einander geworfen:
der Leſer urteile, ob aus Unkunde der Sache,
oder aus Vorſatz, um tadeln zu koͤnnen,
oder aus beiden Urſachen zugleich? Jch will
ſie aus einander ſetzen. Hr. H. faͤngt von
runden Zalen an, und ſchiebt ſodann ein-
foͤrmige unter, uͤberſieht kleine, wenige,
leichte, gar keine Zalen, will viele Pe-
rioden, und ſchließt mit Zalenneuerung.
Sind folgende Grundregeln der hiſtori-
ſchen Periodirung nicht Axiomen im ei-
gentlichſten Verſtande, die mir jeder Kenner
der Mnemonik und Menſchenſeele zugeben
wird? Schullerer hauptſaͤchlich, welche die
Hiſtorie lange Zeit mit jungen Leuten getrie-
ben haben, ſollen hierinn Richter zwiſchen
Hrn. H. und mir ſeyn. Die meiſten dieſer
Saͤtze ſind ſo evident, zum Teil ſo identiſch,
daß
[291[67]] daß ich mich faſt ſchaͤme, ſie einzeln herzu-
rechnen. Aber wozu noͤtigt einen ein duͤrf-
tiger und doch dreiſter Recenſent nicht!
§. 18.
1. Wenige Zalen ſind leichter zu be-
halten, als viele.
Mir faͤllt auf der Bibliothek ein Buch
vor, in welchem ich 3 mir ſonſt unbekannte
Facta, S. 3, 114, 570, finde: ohne ſie
aufzuſchreiben, behalt ich dieſe 3 Zalen zu-
verlaͤßig, bis ich nach Hauſe komme, und
die Citata in meine Heffte eintrage. Aber
wollt ich weiter blaͤttern, und faͤnde noch 7
Facta, und wollte von allen die Zalen be-
halten: ſo liefe ich Gefar, ſelbſt die 3 erſten
mit den 7 letzten zu vergeſſen. Das heißt:
3 Zalen behalte ich leichter und ſichrer, als 7.
2. Kleine Zalen ſind leichter zu be-
halten, als große.
Daher rechne ich nicht nach Anno Mun-
di. Abraham ward geboren 300 J. nach
der Suͤndfluth (A. M. 1947). Sulla ward
Dictator 40 J. vor Caͤſarn, 80 J. vor
Chriſto, 60 J. nach Karthago’s Untergang
(A. M. 3902): man mache den Verſuch mit
achtjaͤhrigen Kindern, ob ſie nicht leichter die
drei kleinen Zalen 40, 80, 60, als die einzige
T 2große
[292[68]] große 3902, behalten; beſonders wenn mit
dem Realzuſammenhange etwas nachgehol-
fen wird.
3. Runde Zalen ſind leichter zu behal-
ten, als nicht runde.
Urſache: dort ſind wenigere Zalen zu
behalten wie hier, nur Hunderte und Zehe-
ner, keine Einheiten; oder auch, durch die
Ruͤndung werden ſie unter ſich erinnernd
(ſiehe unten). Z. Ex. Karthago war
- klein und unbekannt 375 J. — 364
- groß und uͤbermuͤthig 250 J. — 245
- ungluͤcklich und nichts 125 J. — 115
Die erſten runden Zalen behaͤlt mir der Er-
wachſene, der die Progreßion darinnen merkt,
beim erſten Hoͤren; ſchwerlich aber die an-
dren wahren. — Ob es aber erlaubt ſei, run-
de Zalen ſtatt der wahren zu ſetzen; ob das
nicht heiſſe, die Geſchichte verfaͤlſchen, oder
einen Hochverrath an der hiſtoriſchen War-
heit begehen: beantworte ich hier nicht,
weil ich hier nicht gefragt werde; mein
Satz iſt nur, daß ſie leichter zu behalten
ſind. An einem andern Orte beſpreche ich
mich umſtaͤndlich mit ein par hiſtoriſchgeler-
ten Recenſenten, denen meine Zalenruͤn-
dung anſtoͤßig geweſen iſt.
4. Ein-
[293[69]]
4. Einfoͤrmige Zalen ſind leichter zu
behalten, als nicht einfoͤrmige.
Die Hebraͤer waren
- ein Haufe Nomaden 450 J.
- eine Demokratie 450 J.
- eine Monarchie 450 J.
Wenn doch alle Perioden 450 Jahre haͤtten;
oder wenigſtens alle Perioden Eines Zeitrau-
mes oder nur Eines Volks einfoͤrmig in ihrer
Laͤnge waͤren: es thut dem menſchlichen Ge-
daͤchtniſſe unendlich ſanfte! Eben ſo
- Rom entſteht und wehret ſich 250 J.
- erobert Jtalien 250 J.
- erobert die Welt 250 J.
Ob eine ſolche Einfoͤrmigkeit Anlaß zur Ver-
wirrung geben koͤnne, ſoll nachher unterſucht
werden.
5. Leichte Zalen ſind leichter zu be-
halten, als nicht leichte (Vorſtell. S. 53
folg.)
Jſt es moͤglich, daß einer, der vor und
nach Chriſti Geburt rechnen kan, und im
J. 1773 in der Welt lebt, es wieder vergeſ-
ſe, daß Jakob und Joſef um das J. 1773
vor Chriſto in der Welt geweſen? — Man
ſehe die uͤbrigen im Buche gegebenen Pro-
ben von leichten Zalen nach. Nur ſchaͤme
T 3man
[294[70]] man ſich nicht, das Gedaͤchtniß mit unter
ſelbſt durch kleine Spielwerke zu beſchleichen:
auch ein altes Gedaͤchtniß nimmt es nicht uͤ-
bel, wenn man es manchmal kindiſch trac-
tirt, um ihm weſentliche Erleichterungen
zu verſchaffen. Nur huͤte man ſich, nicht bloß,
nicht zu offt, zu ſpielen: der geſundeſte An-
ſchlag, wenn er uͤbertrieben wird, kan laͤ-
cherlich und ſchaͤdlich werden. Nur verſtehe
man es nicht ſo, daß man dergleichen Za-
len Schockweiſe auf einmal der jungen oder
alten Seele bieten duͤrfe: ſonſt vernichtet
freilich die Verwirrung, die Tochter der
Menge, alles Gute wieder, was ſonſt die
Leichtigkeit und Einfoͤrmigkeit unausbleib-
lich ſtiftet.
6. Gar keine Zalen behalten zu duͤr-
fen, iſt leichter, als Zalen merken zu
muͤſſen.
Mit andren Worten (Vorſtell. S. 52):
“man laſſe Zalen gaͤnzlich weg, wenn man
ſeine Abſicht (die Einſicht in den Synchro-
nismus) ohne ſie erreichen kan„, naͤmlich
durch den Realzuſammenhang S. 54 —
57. Wer die Reihe der Perſiſchen Kai-
ſer in Ordnung weiß, und nun hoͤrt, daß
Pythagoras, bei Gelegenheit der Eroberung
Aegyptens
[295[71]] Aegyptens durch Kambyſen, nach Perſien
und Jndien gekommen: der braucht nicht
erſt durch Zalen heraus zu finden, ob Py-
thagoras aͤlter als Cyrus oder juͤnger als
Kodomann ſei; der findet ohne Recherchen,
wer Vater zu den Kindern Zebedaͤi ſei.
7. Wenige Perioden ſind leichter zu
behalten, als viele.
Aus eben der Urſache N. 1, warum
wenige Zalen leichter ſind, als viele. —
Haner im Koͤnigl. Siebenbuͤrgen teilt
die Ungriſche Geſchichte, blos vom J. 997
— 1540, in 17 Perioden; nach Propor-
tion alſo muͤßte die ganze Ungriſche Geſchich-
te gegen 30 Perioden haben. Jſt damit
etwas fuͤrs Gedaͤchtniß gewonnen? 30 Pe-
rioden, oder gar keine in Einem Continuo
weg, iſt beinahe einerlei.
8. Perioden, die wieder unter ſich
erinnern, ſind leichter zu behalten, als
die es nicht ſind.
Dieſe Eigenſchaft, woran ſonſt die hi-
ſtoriſchen Periodenmacher eben nicht zu den-
ken pflegen, haben meine Perioden von
Rom S. 153, von Karthago S. 121,
vom Papſte S. 181: ſie fehlt bei Syra-
kus S. 137, bei Byzant S. 173, und
T 4vielen
[296[72]] vielen andern. Vielleicht fragt mich Hr.
H., warum ich nicht, meiner eigenen Theo-
rie gemaͤß, alle Voͤlker in ſolche wieder un-
ter ſich erinnernde Perioden, denen er ſelbſt
(§. 22, II) geneigt iſt, verteilet habe? Jch
antworte: ſolche Perioden laſſen ſich nicht
im Fluge aus unſern gewoͤhnlichen an Factis
armen und an Raiſonnemens reichen hiſto-
riſchen Compendien machen; ſondern nur
alsdenn erſt, nachdem man eine Voͤlkerge-
ſchichte in ihrem ganzen Umfange und De-
tail, folglich aus Quartanten, ſtudiret hat.
Nun umfaſſet doch die Weltgeſchichte merere
Duzende von Specialgeſchichten; und jede
einzelne Specialgeſchichte, um ſie, noch nicht
aus Quellen, ſondern nur aus vollſtaͤndigen
Hauptauctoren im Detail zu ſtudiren, und
ſie ſodann in Perioden auf ein paar Seiten
zu preſſen, koſtet Gibeoniten-Fleiß mererer
Monate. Jch laſſe mir die Arbeit gefallen,
und hüpfe nicht weg: aber der Tag iſt in Goͤt-
tingen wie anderswo nur 24 Stunden lang;
man ſei alſo ſo billig, und laſſe mir Zeit.
So oft ich bisher uͤber die Weltgeſchichte ge-
leſen habe, habe ich jedesmal ein oder zwei
Voͤlker auf die Art ausgearbeitet. Eben
jetzo bin ich mit den Longobarden (Vor-
ſtell.
[297[73]] ſtell. S. 170) fertig: ich habe mer Tage
auf ſie verwandt, als ihre Geſchichte in mei-
nem kuͤnftigen Compendio Zeilen machen
wird; das werde ich in keiner Note dabei
ſagen, aber der Kenner wird es merken,
und Hr. H. wird dieſe gepreßten Zeilen wie-
der Declamation nennen, und wieder kei-
ne Facta finden, wieder vor den vielen Baͤu-
men den Wald nicht ſehen koͤnnen.
§. 19.
Nach dieſen ſimpeln und — ich wider-
hole es — ausgemachten Regeln, habe ich
meine ſowol chronologiſche als ethnographi-
ſche Perioden einzurichten geſucht. Nun
kehre ich zu Hrn. Herders obigen Fragen zu-
ruͤck.
Iſt die Erleichterung nach runden Zah-
len und verminderten Perioden eine Hülfe fürs
Gedæchtniß? Zuverlaͤßig iſt ſie es. Doch
das ſcheint Hr. H. auch nicht zu laͤugnen oder
nur zu fragen.
Sind runde Zalen und verminderte Perio-
den die einzige Hülfe fürs Gedæchtniß?
Nichts weniger. Aber wer ſagt denn das,
und wen fragt der Hr. Conſiſtorial-Rath?
T 5Man
[298[74]] Man kan ſich nicht deutlicher daruͤber aus-
drucken, als ich S. 51 folg. gethan.
Sind runde Zalen und verminderte Perio-
den die beſte Hülfe fürs Gedæchtniß? Nichts
weniger. Aber wer ſagt denn das, und
wen fragt der Hr. Conſiſtorial-Rath? Hil-
debrandiſire er doch nicht immer! Meine
beſte Huͤlfe iſt der Realzuſammenhang S.
54: Zalen uͤberhaupt ſind mir nur eine Not-
huͤlfe. Auch Perioden mache ich nur, wenn
mich die Menge der Begebenheiten dazu
zwingt. Aber mache ich auch wieder eine
Menge von Perioden: ſo hoͤrt die Huͤlfe
auf, eine Huͤlfe zu ſeyn.
§. 20.
moniſcher, aus der Geſchichte
mer Bild, ganzes Continuum, ma-
chen zu können?’
Entweder dieſer Vorſchlag iſt warer
Nonſenſe; oder er verraͤth einen Projetteur,
der ganz friſch von Freyern und Boſſuet her-
kommt.
Bild, ganzes Continuum, aus der Ge-
ſchichte machen, iſt Abſicht:Perioden ſind
das
[299[75]] das Mittel dazu. Vom allgemeinen Blick,
vom Ueberſchauen, vom ὑπο μιαν συνοψιν
ἀγειν und σωματοποιειν (c’eſt du Grec,
S. 261) des Polybs, habe ich doch im gan-
zen Buche genug, und mer als Hr. H. lieb
war, geſprochen. Nun iſt die Frage: wie
und durch welche Mittel erreicht man dieſe
Abſicht?
Ein Endzweck iſt gegeben: nun rath-
ſchlagt man uͤber die ſchicklichſten Mittel,
zum Endzwecke zu kommen. Ein weiſer
Herr huſtet, und votiret mit bedeutender
Mine: aber wære es nicht weit beſſer, den
Endzwek ohne Mittel zu erreichen?
Viele nutzbare zuſammenhaͤngende Zimmer
in Einem Hauſe neben und uͤber einander zu
haben, iſt Abſicht: Geruͤſte ſind das Mit-
tel, ſie uͤbereinander zu kriegen; Treppen
ſind das Mittel, ſie Etagenweiſe zuſam-
menhaͤngend zu machen. Aber wære es nicht
weit architectoniſcher, die Gerüſte wegzu-
laſſen, und ohne Treppen in alle Zimmer zu
kommen? Ja wenn wir ein Haus wie das
Congreßhaus zu Fokezani bauten. Aber ge-
meiniglich muß man nun einmal mit Eta-
gen bauen, und dann muß man nun ein-
mal Treppen und Geruͤſte haben. — Dies
iſt
[300[76]] iſt der Fall in der Weltgeſchichte. Moſe,
Herodes, Timur, und Doctor Luther, koͤn-
nen nicht in einem Stocke wonen. Moſe,
Thutmoſis, und Cekrops, wol allenfalls: a-
ber auch dieſe muͤſſen doch durch Waͤnde oder
Vertaͤfelungen abgeteilte Zimmer haben.
Soll Hrn. Herders Frage ſo viel ſagen,
daß Abteilungen oder Perioden nicht nur
kein notwendiges, nicht nur kein ſchickliches
Mittel, ſondern ſo gar ein Hinterniß, der
Abſicht ſind? Dann mag er leider in Ei-
nem Falle Recht haben: dann hat er naͤm-
lich eine elende Trivial-Schule im Kopf,
wo man Perioden, alberne ſchwere viele Pe-
rioden, und weiter nichts als Perioden,
auswendig lernen laͤßt, und dieſes Ge-
ſchichte nennt; wo man ewig Treppen und
Geruͤſte baut, und nie ans Haus ſelbſt
kommt. Aber ſo braucht man ſie in Han-
nover, Weilburg, Darmſtadt ꝛc. nicht.
Und wenn von vernuͤnftigen Perioden die
Rede iſt; wenn dieſe ausdruͤcklichnicht fuͤr
Geſchichte ſelbſt, ſondern nur fuͤr Mittel
der bequemern Erlernung der Geſchichte,
erklaͤret werden; wenn Hr. H. weiß, daß
es in der Weltgeſchichte, beſonders in der
alten, ſehr viele inſulariſche Begebenhei-
ten
[301[77]] ten giebt, die ihrer Natur nach keiner
Continuitaͤt, weder in die Laͤnge noch in
die Breite (Vorſtell. S. 50, 57, 58), faͤ-
hig ſind; wenn er endlich begreift, daß ſelbſt
bei in einander geflochtenen Begebenheiten,
wenn deren zu viele werden, die Menſchen-
ſeele Ruhepuncte und Abſaͤtze fodert: wird
er noch fragen wollen, ob es nicht mnemo-
niſcher, weit mnemoniſcher, ſei, aus der
Geſchichte Ein Bild, Ein Continuum, ohne
alle Abſaͤtze, Ruhepunkte, und Perioden,
zu machen?
Wer einmal der allgemeinen Ueberſchau-
ung der Weltgeſchichte faͤhig iſt, braucht
keine Perioden mer. Jſt das Haus fertig,
ſo ſchafft man das Geruͤſte bei Seite. Aber
ich zweifle doch, ob je ein Sterblicher dieſer
Ueberſchauung ſo maͤchtig werde, ohne ſich
mit unter immer noch an Perioden halten
zu muͤſſen: ich ſehe daher dieſe Perioden
nicht blos wie Geruͤſte, ſondern auch wie
Treppen, an. Nun ohne Geruͤſte laͤßt ſich
ein hohes Haus nicht fertig machen, und
ohne Treppen laͤßt ſich auch ein fertiges Haus
nicht nutzen.
Abteilungen muͤſſen uͤberall ſeyn, wo
viele Einheiten ſind, deren Vermiſchung
ſchaͤdlich
[302[78]] ſchaͤdlich waͤre. Da nimmt der Apotheker
Buͤchſen, da nimmt der Naturkuͤndige Sy-
ſtemen, da nimmt der Recenſent (wie Hr.
H. ſelbſt) ſein Erſtlich und Zweitens zu
Huͤlfe. Abbt nannte es eine deutſche Pro-
feſſor-Pedanterei, wenn man in §phen ſchrieb:
Hr. Herder will gar eine Univerſalhiſtorie
ohne Abteilungen haben.
Wer jemals Kinder oder Erwachſene in
der Geſchichte unterrichtet hat: iſt vollends
dieſes Herderſchen Einfalls nicht faͤhig, daß
ſich alles durch Continuitæt zwingen laſſe.
Man ſage auch dem aufmerkſamſten Zuhoͤ-
rer, und waͤre er auch von Hrn. Herders
Alter, und minder fluͤchtig und weghüpfend
wie er, drei Monate lang in der ſchoͤnſten
ununterbrochnen Ordnung, die Begeben-
heiten der Araber vor: noch hat er in der
6ten Lection den Faden nicht verloren, aber
gewiß in der 16ten, und noch mer in der
60ſten Lection, falls man ihm nicht durch
Abteilungen die Wiederfindung des Fadens
leicht und moͤglich macht. Wer kann einen
dicken, ganz ordentlich geſchriebenen, aber
ohne alle Abſaͤtze in Einem fortlaufenden
Quartanten, in Einem Zuge leſen, und
den Jnhalt am Ende voͤllig uͤberſchauen?
§. 21.
[303[79]]
§. 21.
ſeinem Gedæchtniß, das aller-
dings eigenſinnig ſeyn kan, aber
hier ehe in den einförmigen Zalen
Anlaß zur Verwirrung als zu me-
rerer Unterſcheidung findet: und
an dieſer war doch gelegen!’
Ein neuer von dem vorhergehenden ganz
verſchiedener Tadel. Vorhin ſprach Hr. H.
von runden Zalen und verminderten Perio-
den, und moͤchte lieber gar keine Perioden,
ſondern ganzes Continuum. Nun kommt
er auf einförmige Zalen, und die Frage iſt:
taugen einfoͤrmige Zalen in den Zeitbe-
ſtimmungen der Perioden? Z. Ex. die Ge-
ſchichte eines Volks ſei 1000 Jahre lang.
Wenn ich ſie bequem in 4 Teile zerſchneiden
kan, und jedesmal nach 250 Jaren ein
ſchickliches Erinnerungsmal finde, derge-
ſtalt, daß alle Perioden von gleicher Laͤnge,
oder ihre Zalen einfoͤrmig, werden: ſoll ich
dieſe Erinnerungsmale begierig ergreifen;
oder gerade deswegen andre ſuchen, damit
die Diſtanzen ſich ungleich werden, etwa
200, 300, 175, 325?
Die
[304[80]]
Die Mnemonik und Didaktik hat einen
Satz, den Hr. Hofrath Michaelis ſchoͤn
erlaͤutert hat: eine gewiſſe Art der Un-
ordnung iſt oft eine große Huͤlfe, und
eine gewiſſe Art von Ordnung, die
groͤſſeſte Hinterniß, des Gedaͤchtniſ-
ſes. So koͤnnte ein Lerer der Geſchichte
glauben, recht ordentlich zu verfahren, wenn
er in dem einen Monate lauter Schlachten,
im andern lauter Geſetzgeber, im dritten
lauter Gelahrte u. ſ. w., beſchriebe: allein
ich moͤchte nicht ſein Zuhoͤrer ſeyn.
Dieſen ſehr richtigen und ſehr wichtigen
Satz wendet hier Hr. H. ſehr ungluͤcklich
auf einfoͤrmige Zalen an. Wenn ich ſage,
Roms Geſchichte vor Chriſto hat 3 Perio-
den, wovon jede 250 J. lang iſt: gebe ich
dadurch zur Verwirrung Anlaß? Kan
ich nicht vielmer dadurch die Laͤngen der Pe-
rioden auf das allerſicherſte behalten? Haͤtte
die erſte Periode 200, die andre 300, und
die dritte 250 Jare: dann liefe ich ehe Ge-
fahr, die Zal 300 der dritten, und 250 der
erſten ꝛc. Periode, aufzuheften, und mich
folglich zu verwirren.
Ein
[305[81]]
Ein Gedaͤchtniß, das bei ſolcher Ein-
foͤrmigkeit Anlaß zur Verwirrung faͤnde, wuͤr-
de ich nicht eigenſinnig, ſondern widerſinnig,
unnatuͤrlich, oder krank nennen; denn es han-
delte ja allen Gedaͤchtniß-Geſetzen entgegen.
Allerdings iſt an der Unterſcheidung
gelegen,recht viel gelegen! Und gerade ei-
nes der allerwirkſamſten Mittel, der Ver-
wirrung vorzubeugen, (Schade nur, daß es
nicht in der Macht des Periodenmachers
ſteht, es uͤberall zu gebrauchen), tadelt und
widerraͤth Hr. Herder?
§. 22.
gerichtet, und dieſe nur in ein
großes Ganze des Bildes gebracht
werden können, daß ſie wieder
unter ſich erinnern; deſto ſich-
rer.’
Das war eine Lufftblaſe, die ſo gar mit
Farben ſpielt! Sie ſoll mit Vorbereitung
aufgeſtochen werden. Zwar ſie verdient es
nicht: aber vielleicht habe ich einen Leſer, der
ſie voriges Jar zum erſten male ſah, und
Uanſtaun-
[306[82]] anſtaunte, wie Kinder farbigte Blaſen
anſtaunen.
Erinnerungsmale pflegen wir Hiſtoriker,
mit einem alten griechiſchen Worte, Epo-
chen, zu nennen. Dieſe Epochen ſind al-
lerdings Erinnerungsmale fuͤr den be-
trachtenden Reiſenden; ſie ſind zugleich Sta-
tionen fuͤr den ermuͤdenden Reiſenden. Die
Diſtanz zwiſchen zwei ſolchen Epochen heiſt
Periode. Begreift der Hr. Conſiſtorial-
Rath dieſe Definitionen, und giebt er ſie zu;
ſo fare ich nun weiter fort.
I. Erinnerungsmale ſollen alſo doch auf-
gerichtet, d. i. Epochen beſtimmt, Perio-
den und Abteilungen gemacht, werden? Jch
dachte, es waͤre (§. 20) weit mnemoni-
ſcher, aus der Geſchichte nur Bild und Con-
tinuum zu machen.
II. Die Erinnerungsmale muͤſſen wieder
unter ſich erinnern. Eine herrliche Regel!
Jch moͤchte wiſſen, wo ſie Hr. H. her hat;
denn in den gewoͤhnlichen Buͤchern ſteht ſie
nicht. Und wenn ich noch 30 Jare lebe:
ſo hoffe ich uͤber alle Voͤlkergeſchichten, die
in der Univerſalhiſtorie ſeyn muͤſſen, ſolche
wieder unter ſich erinnernde Perioden zu ma-
chen. Wollte mir jeder jetztlebender Hiſto-
riker
[307[83]] riker nur 2 dazu ſpendiren, ſo wuͤrde ich
eher fertig. Jch fodere ſie nicht als Colle-
cten: ich erbitte ſie mir als Muſter, wor-
nach ich die meinigen formen koͤnnte.
III. Die ganze Univerſalhiſtorie muß
nur Ein großes Ganze ſeyn. Dieſes giebt
mir alſo Hr. H. zu. Nun um dieſes große
Ganze als ganz auf die Seele des Kindes,
Schuͤlers, Zuhoͤrers, oder Leſers, aufzutra-
gen, muß man ſtuͤckweiſe verfaren, das
große Bild in Teile zerſchneiden, aus je-
dem Teil ein eignes Bild, ein kleineres
Ganze, machen, aber ſchon beim Auftragen da-
hin ſehen, daß kuͤnftig ſo viel moͤglich kein Teil
inſulariſch da ſtehe, ſondern ſich ſogleich in
ſeiner Verbindung mit andern auf allen Sei-
ten zeige, und folglich am Ende der Arbeit
Ein Bild, aus vielen kleinen zuſammenge-
ſetzt, dem Auge entgegen komme. Dies iſt
der Gang der Natur bei der Menſchenſeele,
die ſo wenig, als das koͤrperliche Auge, ein
allzugroßes Bild auf einmal faſſen kan:
Trennung des großen in kleinere Bilder,
Verweilen bei dieſen einzelnen Bildern, end-
lich Ruͤckkehr zum großen Bilde, und Zu-
ſammenſetzung aller in Eins, — dies iſt der
Gang der Menſchenſeele. So lernen unſre
U 2Kinder
[308[84]] Kinder Kosmographie: ſie ſollen ſich die
Welt als eine Einheit, als ein Continuum,
denken lernen; aber ſie fangen von einem
Riſſe ihrer Stadt und der umliegenden Doͤr-
fer an, gehen ſodann z. Ex. zur Wetterau,
dann zu Weſtfalen ꝛc., dann zu Deutſch-
land, dann zu Europa, dann zu der Welt
fort: jede Karte ſtudiren ſie beſonders,
und doch wird zuletzt aus allen Eine Ge-
neral-Karte in ihrer Vorſtellung. Aber
“waͤre es nicht weit mnemoniſcher, aus der
ganzen Kosmographie anfangs gleich Ein
Bild und ganzes Continuum zu machen„, das
iſt, nicht viele einzelne Karten vorzulegen,
ſondern durch Continuitaͤt und Zuſammen-
kleben eine einzige Karte zu verfertigen, die
ſo hoch wie ein Thurm, und ſo breit wie
eine Straße, waͤre? Da waͤre wirklich gleich
ein großes Ganze, aber nur fuͤr Augen der
Bewoner des Saturns brauchbar, und fuͤr
unſre nicht. Doch vielleicht weiß Hr. H. neue
Kuͤnſte, durch die der Docent oder Schrift-
ſteller ſeinen Zuhoͤrer oder Leſer faͤhig machen
kan, ſich dieſes Ganze ſogleich als ganz,
als Continuum, vorzuſtellen. Wir wollen
ſie ſorgfaͤltig abhoͤren.
IV. Je
[309[85]]
VI. Je mer Erinnerungsmale aufgerich-
tet werden, deſto ſicherer. Wider alle Mne-
monik, wider alle Erfarung! Waͤre das, ſo
brauchten wir ja gar keine Epochen, Perioden,
und Abteilungen: jedes Factum waͤre Er-
innerungsmal fuͤr ſich. Alſo glaubt Hr.
H., es ſei beſſer, ſichrer, leichter, uͤber die
deutſche Geſchichte von Arioviſt bis Joſeph II,
600 Perioden zu machen, oder 600 Erin-
nerungsmale aufzurichten, als 6? Jch wuͤn-
ſche ihm zu ſeinem Gedaͤchtniße Gluͤck, das
ſo viele Laſten traͤgt. Meines thut das nicht:
wenn ich von einer mir ganz neuen Geſchich-
te viel mer als 6 Perioden auf einmal faſſen
ſoll; ſo werde ich gerade wieder ſo verwirrt,
als wenn ich gar keine Perioden haͤtte. Ver-
ſuche es doch ein Docent der Weltgeſchichte,
in der doch wenigſtens 30 Specialgeſchich-
ten concentrirt (aus dreißig kleinen Bildern
Ein großes gemacht) werden ſoll, und bie-
te dem Zuhoͤrer uͤber jede Specialgeſchichte
wieder 30 Perioden an, nach Hrn. Herders
Grundſatze: je mer Erinnerungsmale aufge-
richtet werden, deſto ſichrer! — — Aber
wie, 1) wenn nun der Begebenheiten in Ei-
nem Ganzen ſo viele ſind, daß wenn ich ſie
auch in 6 Faͤcher lege (und mer als 6 Faͤ-
U 3cher
[310[86]] cher will ich nicht, darf ich nicht, machen),
gleichwol noch in jedem Fache zu viele Facta
liegen? Antw. Dann macht man Unterab-
teilungen. Aber 2) wird dadurch die Ge-
ſchichte nicht eine Tabelle? Antw. Je nach-
dem mans anfaͤngt. Und 3) ſind 6 Perio-
den, jede wieder in 4 Unterabteilungen zer-
ſchnitten, fuͤrs Gedaͤchtniß nicht eben eine
ſolche Laſt, als 24 Perioden? Antw.
Nichts weniger. Doch ich ſchreibe ja hier
keine Anfangsgruͤnde der Mnemonik, keine
vollſtaͤndige Theorie des hiſtoriſchen Perio-
denmachens.
V. Die Erinnerungsmale müßen in das
große Ganze gebracht werden können. Hat
Hr. H. bei dieſem Ausdrucke etwas gedacht,
ſo ſage ers: ich kans unmoͤglich erraten. Jn
der Syrakuſiſchen Geſchichte z. Ex., einem
kleinen Ganzen, ſind Erinnerungsmale Ar-
chias, Gelon, Diokles, Dionys, Timo-
leon, und Agathokles: dieſe liegen ſchon
drinn, ſie ſind nur herausgehoben (zu
Epochen gemacht), nicht hineingebracht
worden. Wird nun das kleine Bild auf
das Große aufgetragen, wird die Syraku-
ſiche Geſchichte in die Univerſalhiſtorie ein-
geſchichtet: ſo folgen jene Erinnerungsmale
von
[311[87]] von ſelbſten mit; und wenn das Ganze hin-
ein paßt, ſo paſſen natuͤrlicher Weiſe auch
die Teile ein. Was wollte nun Hr. H.
mit aller ſeiner dunkeln Weisheit ſagen?
Die Materie von hiſtoriſchen Perioden
iſt feiner Speculationen faͤhig. Aber weil
auch in den verworfenſten Handbuͤchern Pe-
rioden ſtehen, ſo ſchwatzen alle Menſchen
von ihnen. Auch Feur und Waſſer kennt
jeder Menſch: aber wenn der Phyſiker von
dieſen Gegenſtaͤnden handelt; ſo hoͤrt der Be-
griff des Unphyſikers auf, und folglich auch
ſein Recht zu urteilen.
§. 23.
Vielleicht fehlt das hier?
Fehlte es aber auch nicht: war
dieſe Zalenneuerung des Tons,
des Aufhebens werth?
Was fehlt hier? 1) Daß der Erinne-
rungsmale zu wenig ſind? Das iſt recht vor-
ſetzlich geſchehen, S. 295,7. 2) Daß ſie nicht
in Ein großes Ganze gebracht werden koͤn-
nen[?] Das brauchen ſie nicht, ſie liegen
ihrem Weſen nach ſchon drinne. 3) Daß
ſie nicht unter ſich erinnern[?] Verſchiede-
U 4ne
[312[88]] ne thun es ja, und warum es nicht alle
thun, leret §. 18, 8. 4) Daß ich die Di-
ſtanzen zwiſchen den Erinnerungsmalen
durch runde, einfoͤrmige Zalen angege-
ben? Auch dies iſt vorſetzlich geſchehen. Und
uͤberhaupt geſtehe ich, daß mir die Begehung
der meiſten dieſer Feler manchmal ſauer ge-
nug geworden.
Fehlte es aber auch nicht. Warum ſo zwei-
felhaft? Vierzehn Bogen, ſollt ich denken,
laſſen ſich doch noch durchleſen, wenn man
kunſtrichterlich entſcheiden will, ob etwas
darinnen fele oder nicht. Und welche Art
zu recenſiren: wer A ſagt, der fehlt; ob
der Auctor A ſage, weis ich nicht, mag ich
nicht nachſehen: genug wer A ſagt, der
fehlt.
War dieſe Zalenneuerung. Jſt denn
nichts als Zalenneuerung im Buche? Der
Perioden, der Abteilungen, und vieler an-
dern Dinge, hatte doch vorhin Hr. H. ſelbſt
zu erwaͤhnen die Guͤte gehabt.
War ſie des Tons, des Aufhebens werth?
Und wer toͤnt denn druͤber, wer macht denn
Aufhebens von? Erklaͤrt habe ich meine
Neuerung, falls es eine iſt, und meine Gruͤn-
de angegeben, und weiter nichts. War ich
etwa
[313[89]] etwa zu weitlaͤuftig in meinem Erklaͤren?
Aber zu weitlaͤuftig ſeyn, heiſt noch nicht
Auf hebens machen. Und dann, ich war
wirklich zu kurz: Hr. H. hat mich ja nicht
einmal verſtanden. Doch ſchriebe ich ſtatt
4 Blaͤtter 4 Bogen uͤber dieſe Materie: bei
ihm gewoͤnne ich doch nichts. Er lieſt ſie
nicht, er durchdenkt ſie nicht, er hüpft weg.
Daß indeſſen dieſe Zalenneuerung nicht
ganz unerheblich ſei, ſchlieſſe ich aus dem
Satze eines alten Paͤdagogen: nichts iſt
klein, ohne welches große Dinge nicht
erhalten werden. Warum ſehen Schul-
knaben die amuſante Univerſalhiſtorie als ei-
ne Folter an? Warum hat ſich dieſe unent-
behrliche Wiſſenſchaft von ſo vielen deut-
ſchen Univerſitaͤten verloren? Das mag
wol merere Urſachen haben; aber zuverlaͤßig
iſt Eine davon, man frage Junge und Alte:
ich kan nicht, ich mag nicht, Zalen behalten.
Noch erheblicher kommt mir das geſchick-
te Abteilen in hiſtoriſchen Schriften vor.
Seit einigen Jaren ſeufzen deutſche Patrio-
ten laut uͤber den einreiſenden Geſchmack
an Romanenleſen; und fuͤrchten, unſer
vaterlaͤndiſches Publicum werde daruͤber
bald ſo fade, wie unſre Nachbarn jenſeit
U 5des
[314[90]] des Rheins, und bald ſo barbariſch, wie
die Roͤmer zu Ammians Zeiten (ſiehe den
Denina), werden. Sie wuͤnſchen daher
ſchoͤne Hiſtorien: und warſcheinlich wuͤr-
den Ernſt und Gruͤndlichkeit, — doch noch
immer, falls mich kein Nationalſtolz triegt,
der Grundſtoff meiner Nation —, ſolche bald
zum Surrogato der Romane machen. A-
ber bloß ſchoͤn geſchriebene Hiſtorien machen
es nicht aus: ſie muͤſſen auch ordentlich
geſchrieben ſeyn. Mit zaͤrtlicher Sorgfalt
muß, durch allerhand Kuͤnſte, fuͤr das unge-
uͤbte Gedaͤchtniß des unſtudirten Leſers (von
dem bei ſolchen Schriften eigentlich die Re-
de iſt), geſorget werden, damit er nicht bloß
leſe, ſondern auch behalte, und im ganzen
Zuſammenhange behalte. Sonſt amu-
ſirt er ſich nur durch die Lectur, [und] nuͤtzt
ſie nicht; ſonſt faͤngt er nur einzelne Hiſto-
rietten auf: eine auch noch ſo ſyſtematiſch
geſchriebene Geſchichte wird fuͤr ihn eine bloſ-
ſe Acerra Philologica; und iſt er am Ende
des Buchs, ſo geht es ihm, wie mancher
Liſeuſe, die einen dicken Roman nach dem
andern von vorne bis hinten woͤrtlich durch-
lieſt, und in Empfindungen dahin ſchmilzt,
und vor lauter Gefuͤhl am Ende von alle
dem,
[315[91]] dem, was ſie geleſen hat, — kein Woͤrtgen
weiß.
Wenn indeſſen ſo wenige, auch ſchoͤne
Geſchichtſchreiber, fuͤr dieſe Eigenſchafft
(Abteilung, Ordnung, Leichtigkeit im Be-
halten und Ueberſchauen des Ganzen) Sor-
ge tragen: ſo glaube man nur nicht, daß
es par Theorie geſchehe, oder weil ſie die
Wichtigkeit des Abteilens nicht wuͤßten;
nein, es geſchieht aus Bequemlichkeit.
Eine ſaurere Arbeit kenne ich gar nicht in der
ganzen Hiſtoriographie. Hat der Geſchicht-
ſchreiber einen ganzen Quartanten excerpiret,
und in Ein halbes ſchoͤnes Alphabet gepreßt;
ſo darf er damit noch nicht in die Druckerei.
Nun muß er erſt alles von Anfang bis zu
Ende wieder durchgehen, alles wieder durch-
denken, und die ſchicklichſten Ober- und Un-
terabteilungen ſuchen. Das iſt muͤhſam:
alſo — laͤßt ers bleiben.
§. 24.
II. dünken uns bei der ſyn-
chroniſtiſchen Tabelle die zuſam-
mengefügten Namen offt wieder zu
ſehr einem Spielwerk,
hie und da einem Gepränge des
Unbe-
[316[92]]
Unbekannten
und Poſſierlichen,
als der ſtarken Kette des natür-
lichen Wahren nahe zu kommen,
die allein dem Gedächtniſſe hilft.
Wenn man hier Semiramis und
Dodona, Sicyon und die Kabiren,
Abraham und Ninus, Jacob und
Inachus, Karthago und Athalia, Bo-
nifacius Suintila und Moawija, Gut-
tenberg Babur Iwan Diaz Ismael und
Luther, zuſammen lieſt;
und denn zugleich die vielen
Abſchnitte dieſer Zuſammenord-
nung lieſt:
ſo denktman, der Autor habe mer
ſpielen,
und Bunoniſche Namen-Epigram-
men machen,
als dem Gedächtniſſe helfen wollen.
Alſo meine ſynchroniſtiſche Tabelle, oder
die in ſolcher ſynchroniſtiſch zuſammen gefuͤg-
te Namen, werden von Hrn. H. hier geta-
delt, und mit Buno’s Malereien verglichen.
Zu meinem Gluͤcke hat Hr. H. Beiſpiele ei-
niger
[317[93]] niger Zuſammenfuͤgungen, die ihm anſtoͤßig
ſind, angefuͤhrt: ſonſt haͤtte ich ihn, ich ge-
ſtehe es, wieder nicht verſtehen koͤnnen.
Was ſind I. meine zuſammengefuͤgte Na-
men? Was ſind II. Bunoiſche Namen-Epi-
grammen? Beides muß der Leſer wiſſen;
damit er, auch ohne mein Buch und den ſel-
tenen Buno bei der Hand zu haben, von
Hrn. Herders Vorwurf, und meiner Ant-
wort, urteilen koͤnne.
§. 25.
I. Niemand verſteht Weltgeſchichte, wer
nicht zugleich den Synchronismus weiß.
Dies iſt ein Axiom; ſelbſt Hr. H. giebt es
zu, denn auch ihm behagt das große Gan-
ze. Muß nun zum Aggregat noch Syſtem
kommen: ſo muß ich z. E. nicht bloß Timurn
und Margareta kennen; ſondern ich muß
auch wiſſen, daß beide zugleich mit einander
gelebt haben. Jch muß mir das ganze Zeit-
alter in Einem Blicke vorſtellen koͤnnen, in
dem dieſe beide Perſonen ſich und andern be-
gegneten, wenn ſie gleich nicht unmittelbar
mit einander agirten.
II. Nun iſt es an ſich unmoͤglich, die
Weltbegebenheiten zu gleicher Zeit in die
Laͤnge
[318[94]] Laͤnge und in die Breite zu leſen, oder zu
gleicher Zeit ſie ethnographiſch und ſynchro-
niſtiſch vorzutragen. Beides aber muß ge-
ſchehen. Folglich entſteht die Frage: welche
Methode ſoll man zuerſt, welche nachher,
brauchen? Die Natur ſpricht: gehe von den
Teilen zum Ganzen fort, nicht umgekehrt.
Alſo mache ich es, wie faſt alle meine Vor-
gaͤnger, und ſchicke die ethnographiſche Ab-
handlung in jedem großen Zeitraume voraus.
III. Alſo fange ich, z. E. im dritten Zeit-
raume, von Cyrus an, und fare wenigſtens
bis auf Kodomannen mit lauter Perſiſchen
in einander gegruͤndeten Begebenheiten fort;
ſo bin ich ein andermal, von Karan oder Per-
dickas an, bis zum falſchen Perſeus, lauter
Macedonien, und werfe hoͤchſtens Seiten-
blicke auf andre Voͤlker hin, die in Mace-
doniens Schickſale eingeflochten waren: und
ſpreche diesmal weder von Tarquin in Rom,
noch von Ljeupan in Sina.
IV. Die ethnographiſche Arbeit iſt
gethan. Jch habe zum Beiſpiel, in einem
Zeitraume von 500 Jaren, 6 ethnographi-
ſche Parallel-Linien gezogen: das heiſt, ich
habe 6 verſchiedene Voͤlker, jedes fuͤr ſich, in
ſeinem Realzuſammenhange beſchrieben.
Nun
[319[95]] Nun geht die zweite, meiner Meinung nach
eben ſo weſentliche, aber gemeiniglich ver-
nachlaͤßigte, die ſynchroniſtiſche Arbeit,
an. Neue Begebenheiten lere ich nun nicht
mer; neue Perſonen fuͤhre ich nun nicht mer
auf: alle ſind ſchon da geweſen, nur im Zeit-
zuſammenhange hat der Leſer den Xerxes,
Perdickas, Servius, und Ljeupan, noch
nicht zuſammengedacht; und das ſoll er doch.
Deme zufolge
- 1. mache ich Zeitabſchnitte. Dieſe muͤſ-
ſen einfoͤrmig, nicht zu groß, nicht zu
klein, ſeyn: alſo nicht Jartauſende,
nicht Jarzehende, ſondern, wie faſt al-
le meine Vorgaͤnger thun, — Jar-
hunderte. - 2. ſuche ich Namen zuſammen, die ein-
ander gleichzeitig, dem Zuhoͤrer oder Le-
ſer bereits bekannt, aber von ihm nur
noch nicht als gleichzeitig gedacht, ſind,
und ſetze ſie fuͤr jedes Jarhundert in Eine
Zeile. Und zwar A.Bloße Namen, und
weiter nichts, ohne alles Praͤdicat, ſetze
ich hin. Denn erklaͤrt und beſchrie-
ben waren ſie ſchon in dem ethnogra-
phiſchen Curſu. Nun braucht das Ge-
daͤchtniß nur einen ſanften Anſtoß: beim
bloßen
[320[96]] bloßen Namen kehren ihm alle daran
geheftete Begebenheiten zuruͤck. B.
Nur wenige Namen. Erſtlich, aus
dem ſchon oͤffters angezogenen Geſetze
der Sparſamkeit, dem zufolge das Ge-
daͤchtniß nicht uͤberladen ſeyn will.
Zweitens, weil ich meine Abſicht auch
durch wenige Namen erhalte, und ſehr
viele der uͤbrigen durch Soriten (Vor-
ſtell. S. 55) hinzugeſchloſſen werden
koͤnnen. Bei Salmanaſſar z. E. faͤllt
mir auch die Zerſtoͤrung von Samaria,
und bei Nebukadnezar das Ende des
Juͤdiſchen Reichs, ein. Aber eben des-
wegen muͤſſen C. alle dieſe ausſortir-
te Namen auch hauptwichtig ſeyn.
Haͤlt nun jemand die ſynchroniſtiſche Ueber-
ſchauung fuͤr eben ſo wichtig bei Erlernung
der Weltgeſchichte, wie ich; und weiß mir
gleichwol eine leichtere oder nuͤtzlichere Me-
thode, ſie zu leren, anzugeben: der ſoll mir,
und vermutlich auch vielen andern Docen-
ten der Univerſalhiſtorie, unendlich will-
kommen ſeyn.
V. Nach dieſer Theorie iſt meine Tabel-
le S. 89-93 gemacht. Wer ſie pruͤfen
will, der unterſucht:
1. ob
[321[97]]
- 1. ob die Namen, die ich in jedes Saͤ-
culum gebracht, hiſtoriſch wahr ſind?
ob die Leute wirklich exiſtirt haben?
Bei der Semiramis z. E. koͤnnte dieſe
Frage wol entſtehen. - 2. ob ſie chronologiſch wahr ſind? ob
die Leute juſt in dem Saͤculo exiſtirt
haben, wo ich ſie hingebracht? Beim
Pythagoras waͤre dieſe Frage moͤglich. - 3. ob nicht unwichtige, unfruchtbare,
darinnen ſtehen? z. Ex. Odoacher. - 4. ob nicht hauptwichtige darinnen felen,
die ſich durch keine mnemoniſche So-
riten hinein denken laſſen? Z. Ex. Sal-
vino d’ Armato.
So wird ſie der Kenner kritiſiren, und bei
meinem erſten Verſuche Anlaͤße genug zu
Verbeſſerungen, Zuſaͤtzen, und Ausſtreichun-
gen finden. Aber nun Hr. Herder, wie
kritiſiret der?
Doch vorher noch von Buno’s Na-
men-Epigrammen. Denn ſchwerlich
kennen ſie viele Leſer; und ſie verdienen gleich-
wol, gekannt zu ſeyn: nicht bloß, um den
Hrn. Conſiſtorial-Rath uͤber einer recht vor-
ſetzlichen Unwarheit in flagrante zu ertappen;
Xſon-
[322[98]] ſondern auch als eine wichtige Urkunde der
unſeeligen deutſchen Paͤdagogik im vorigen
Jarhunderte.
§. 26.
Nun gerade vor hundert Jaren gab Jo-
hann Buno, Profeſſor der Geſchichte
in Luͤneburg, ein Handbuch der Weltgeſchich-
te, mit Kupfern, die der Maler Schor-
mann nach Buno’s Jdeal inventiret hat-
te, in eigenem Verlage, und unter folgen-
dem vollſtaͤndigen Titel, heraus:
Hiſtoriſche Bilder, darinnen Idea hiſto-
riae univerſalis, eine kurtze Summariſche
Abbildung der fuͤrnehmſten geiſt- und welt-
lichen Geſchichte durch die vier Monarchien;
wie auch der beruͤhmteſten und gelaͤhrteſten
Maͤnner, ſampt den merkwuͤrdigſten En-
derungen, ſo in der Kirchen, in Koͤnigrei-
chen und Regierungen, von den erſten Zei-
ten der Welt an biß auf das jetzige 1672te
Jahr nach Chriſti unſres Heilandes Geburt
vorgangen, kuͤrtzlich verfaſſet, in Mille-
narios, Secula und Decennia; in Tau-
ſend, Hundert und Zehen Jahre abgethei-
let, und in annehmlichen Bildern alſo deut-
lich fuͤrgeſtellet, daß ſowol Alte als Jun-
ge Leute, auch diejenige, ſo eben keine Pro-
feſſion vom ſtudiren machen, eine richtige
Ordnung der geiſt- und weltlichen Hiſto-
rien
[323[99]]rien leichtlich faſſen und im Gedaͤchtniß be-
halten, auch andere Geſchichte hiedurch
in ihre Zeiten bringen und ſetzen koͤnnen,
verfertigte und gab heraus iohannes bv-
no Hiſtor. Prof. und R.
Luͤneburg in Verlegung des Autoris, druckts
Bertold Elers 1672, 4, 192 Seiten, ohne
4 Bogen Zuſchrift, Vorrede, und Gluͤckwuͤnſche.
I. Der Profeſſor Buno war ein wol-
meinender Mann. Er wollte die Welt-
geſchichte leicht und amuſant, und auch un-
ter Unſtudirten gaͤng und gebe, machen. Nur,
wie fieng ers an?
II. Er teilt erſtlich die ganze Weltge-
ſchichte in gleiche Zeitabſchnitte: vor Chriſto
in groͤßere, naͤmlich in Jartauſende und
Jarhunderte; und nach Chriſto in kleinere,
naͤmlich jedes Jarhundert wieder in Jarze-
hende. Dieſen Einfall hatte, laut der Vor-
rede, zu allererſt, der große Gieſſenſche Paͤ-
dagog, D. Helwich, gehabt; außer daß
Helwich, ſtatt der Jarzehenden, jedes Saͤ-
culum nur in Drittel teilte. — Nun zwei-
tens, fuͤr jeden ſolchen Zeitabſchnitt macht
Buno, ethnographiſch, und technographiſch,
2, 3, oder 4 Reihen von Begebenheiten, die
er neben oder untereinander ſetzt. Z. Ex.
in Cyri Saͤculo: Koͤnige in der Perſiſchen
X 2Monar-
[324[100]] Monarchie, zu Athen, Roͤmiſche Geſchich-
te, Gelaͤhrte Leute. Oder im Jarzehend
von 1241-1250: geiſtliche Geſchichte,
deutſche Kaiſer, franzoͤſiſche Geſchichte,
Engliſche Geſchichte, Ungriſche und Ta-
tariſche Geſchichte. [Hier ſchon bemer-
ke man den Unterſcheid zwiſchen Helwich’s
und Buno’s hiſtoriſchem Genie. Was muſte
es mit den Abſchnitten in 10 Jare fuͤr ein Ge-
hacke geben! Helwich nahm doch immer 33
Jare zuſammen. Jndeſſen Gehacke blieb es
doch, bis auf Freyern und Zopfen herab:
und wird es immer bleiben, wenn man nicht
zwei eigene Curſus der Weltgeſchichte, erſt-
lich einen ethnographiſchen, und nachmals
erſt einen ſynchroniſtiſchen, macht].
III. Vor allen Dingen muß man wiſſen,
worein Buno, und vielleicht alle Menſchen
damals, das Weſen der Geſchichtkunde ſetz-
ten. “Wir haben (ſagt er, hier in Luͤne-
„burg) einen Knaben von 10 Jahren,
„welcher darin ſo fertig, daß er die Impe-
„ratores Romanos ſamt den Jahren, in
„welchen ſie zum Regiment kommen, und
„wie viel Jahre ſie regiert, ruͤckwerts, vor-
„werts, nach und auſſer der Ordnung, ohne
„Feler zu erzaͤlen weiß; welches denn in Hi-
„ſtorien
[325[101]] „ſtorien kein geringes, und bei denen, ſo
„der Vorteil unbekannt, fuͤr ein Wunder
„geachtet wird”. [Der Leſer erſchrecke nicht
uͤber dieſe Begriffe, die ein Profeſſor der
Geſchichte im J. 1672 von der Geſchichte
hatte. Wer weiß, giebt es noch A. 1773
hin und wieder in Deutſchland Schulen,
wo man ſo denkt, wenigſtens ſo docirt: denn
es iſt die bequemſte Art, Hiſtorie zu do-
ciren. Auch ich, muſte noch A. 1748 in ei-
ner Schule, die keine der ſchlechteſten war,
alle Namen von Kaiſern, von Auguſt bis
Franz I, auswendig herſagen].
IV. Darauf alſo gieng Buno aus: Na-
men der Kaiſer, und Jarzalen, ruͤckwaͤrts und
vorwaͤrts, ſollten ſeine Schuͤler wiſſen. A-
ber hier fand er eine Schwierigkeit bei den
gewoͤhnlichen Helwichiſchen chronologiſchen
Tabellen. “Weil ſolche Tabellen (ſagt er)
„einerlei Form, und auf einerlei Weiſe ein-
„gerichtet; und dann nur Ziffern und Woͤr-
„ter in denſelben enthalten; ſo moͤgen die Zei-
„ten und Jahre auf ſolche Art dem Gedaͤcht-
„niß nicht feſte eingedruckt werden„. Dieſe
Schwierigkeit zu heben, dieſen feſteren Ein-
druck der Zalen oder Zeitrechnung ins Ge-
daͤchtniß zu bewirken, hat Buno den Einfall,
X 3– ihn
[326[102]] ihn mit zwei Worten zu ſagen —, ſtatt der
Buchſtabenſchrift Bilderſchrift zu gebrau-
chen, oder chronologiſche Tabellen nicht mit
Worten, wie Helwich, ſondern mit Bil-
dern und Hieroglyphen, mexikaniſch zu
ſchreiben. Anſtatt daß Helwich z. E. in Ein
Saͤculum hin drucken ließ, die Worte, Kar-
thago condita, Lycurgus Spartae Legislator,
Athalia imperio deiecta, Sardanapalus Aſ-
ſyriorum regum vltimus, oder doch ſo et-
was: ſo mahlt Buno die Erbanung von
Karthago, die Geſetzgebung des Sparta-
ners, die Entthronung der uſurpirenden He-
braͤerin, oder den Brand von Ninive, in
ein Viereck hin. — Den Einfall ſelbſt
hatte Buno, wie er ehrlich in der Vorrede
geſteht, nicht aus ſich ſelbſt, ſondern von dem
poſſirlichen Theologen D. Schupp in Mar-
purg, Helwichs Schwiegerſohne: auſſer die-
ſem nennt er noch viele andre mit Namen,
die dergleichen gemahlte chronologiſche Ta-
bellen von allerhand Art inventiret hatten.
Aber die neue Wendung, die Buno dem
Einfalle gab, ſcheint Buno’s Eigentum zu
ſeyn. Der Luͤneburgiſche Kanzler Langer-
beck fand ſo viel Geſchmack daran, daß er
dem Prof. Buno befahl, “beſonders den
jungen
[327[103]] jungen Edelleuten im Lande auf dieſe Art
Univerſalhiſtorie in den Kopf zu bringen”.
V. Ueber den Einfall ſelbſt (gemahlte
chronologiſche Tabellen) lache niemand
ſchlechtweg: er waͤre immer einer Pruͤfung
werth, wenigſtens wenn vom Kinderunter-
richte die Rede iſt. Schon manches vier-
jaͤhrige Kind iſt faͤhig, ſich von Salomo’s
Tempel, von aͤgyptiſchen Piramyden, und
vom Homer, etwas vorerzaͤlen zu laſſen.
Nun mahle man dieſe drei Gegenſtaͤnde auf
Ein Blatt hin, ſage dem Kinde gelegent-
lich, daß um eben die Zeit, da Salomo
ſeinen Tempel, und die Pharaonen Piramy-
miden gebaut, Homer geſungen habe, und
laſſe das Kind Wochen lang mit dem gemal-
ten Blatte ſpielen: ſo werden ſich, nicht nur
dieſe drei Gegenſtaͤnde ſelbſt, der jungen
Seele lebhafter durch Gemaͤlde als durch
bloßen Discurs einpraͤgen; ſondern auch der
Satz von der Gleichzeitigkeit dieſer Gegen-
ſtaͤnde, oder der Synchronismus, wird
vermoͤge des Geſetzes von der Aſſociation der
Jdeen unausloͤſchlich in ſeiner Seele bleiben.
— Allein ich habe doch zwei Bedenklichkei-
ten bei dem ganzen Einfalle. 1. Wo krie-
gen wir einen der Hiſtorie kundigen Maler,
X 4oder
[328[104]] oder einen der Malerei kundigen Hiſtoriker,
zum Jnventiren her? 2. So geſund und
unſchuldig der Einfall an ſich iſt: ſo iſt er
doch, in den Haͤnden eines taͤndelnden oder
unwiſſenden Lerers, allzuleicht dem Mißbrau-
che ausgeſetzt, und wuͤrde ſchon in der drit-
ten Generation in bloßes Spielwerk aus-
arten. Unter dem 2ten Maͤrz 1772 erzaͤlte
uns die Frankfurter Zeitung, Hr. Le Mai-
tre, Profeſſor der Hiſtorie und Geographie
zu Paris, habe ein neues Wuͤrfelſpiel fuͤr
Kinder erfunden, durch welches ſie die Uni-
verſalhiſtorie lernen koͤnnten.
VI. Aber nun hoͤre man Wundershal-
ber die neue Wendung an, die Buno
dem Schuppiſchen Einfalle von gemalten
chronologiſchen Tabellen giebt. Dem Man-
ne iſt einmal in der Hiſtorie an Namen
und Zalen alles, oder doch mer als an Sa-
chen, gelegen. Nun Namen, ſollte man
denken, laſſen ſich doch nicht malen! Aber
das iſt eben Buno’s neue Erfindung: er
verbindet Bilderſchrift wieder mit Buchſta-
benſchrift, und inventirt ſolche Vorſtellungen
von den Begebenheiten, daß der Schuͤler
aus dem Bilde nicht bloß die Perſon und
Sache, ſondern auch den deutſchen Namen
der
[329[105]] der Sache, mit einigem Nachhelfen erraten
kan. Statt alles weiteren will ich einige
Exempel herſetzen.
Jm 8ten Jarhunderte des 2ten Jartau-
ſends finden ſich: Heber, Peleg, der Thurnbau,
und Ninus. Der Leſer wird neugierig, wie
man dieſe 4 Dinge malen, und zwar ſo ma-
len koͤnne, daß der Anſchauer zugleich die
Namen dieſer 4 Dinge errate? — Auf Bu-
no’s Bilde ſteht ein alter Mann, der uͤber
dem Kopf einen Heber, und auf dem Arme
ein Kind hat, das er kuͤßt: weiter hin kommt
ein Thurm, oben drauf ein Bild mit einem
Beil; und weiter hin eine Stadt. Noch
immer nicht deutlich genug; nun ſo hoͤre
man die Erklaͤrung, die Buno S. 3 woͤrt-
lich von ſeiner Zeichnung macht.
Sec. 8. Jm 8ten hundert Jahr
iſt geboren
Heber (bedeut derHeber,damit man
Wein oder Bier aus den Faͤſſern hebet)
von deme die Hebreer:
Peleg (ihn hatt ſeinen Vater ſo lieb,
daß er ihn im Kuͤſſenbeleckt). Der
Babyloniſche Thurn iſt zu dieſer Zeit ge-
bauet; auff welchem des Beli Bild hernach
geſetzet worden (das Bild hat einBeil,
bedeutBelus,in der Hand). Jnglei-
X 5chen
[330[106]]chen ſind die Sprachen verwirret worden;
alſo daß die Bauleute anſtatt vernehmlicher
Worte Babbelten, das iſt, unverſtaͤnd-
lich redeten: welche darumb das Bau-
en unterlaſſen, und ein jeder ſeinen
Sack nimmet und ſeinen Weg wan-
dert, (denn obwol die Sprachen verwir-
ret: ſo iſt doch das Wort Sack in vielen
Sprachen blieben). Die Bauleute gehen
nach der StadtNinive,ſo hernach der
Aſſyrer KoͤnigNinus(welcher in der
Stadt mit Scepter und Krone ſtehet)
gebauet.
Dann folgt im 9ten Saͤc. ein Weib auf ei-
ner Mauer liegend, welcher ein Kerl einen
Degen in den Leib ſtoͤßt. Das iſt, laut
beigedruckter Erklaͤrung, “Semiramis, Se oder
Sie auf der Mür oder Mauer liegend muß
am erſten ſterben, indem ſie von ihrem Sohn
erwuͤrget wird, welchem ſie Blutſchande an-
gemuthet hatte. Ninias (er ſagte zu ihr:
du biſt des Nini Aaß meines Vaters, wel-
chen du haſt umbringen laſſen, und willſt
mich auch zu Laſtern verleiten)„. — Jacob
hat ja einen dicken Kopf. Ogyges ſchwimmt
in ſeiner Fluth, und da er ſeiner Geigen ge-
wahr wurde, ſprach er: O Gyge,an dich
muß ich mich halten; aber vergebens,
denn ſie war zu ſchwach, ihn zu halten. Mo-
ſes
[331[107]]ſes liegt auf Mooß. Prometheus brommet
auf der eyſern Trompete, und lockt die Leute
zum Feur. Ehud, he hat einen ſchoͤnen Hutt
auf. Ganymed mußte gahn medde, gehen
mit des Tros Sohne, und wird geraubt.
Phryxus ſitzt friſch auf dem Widder. Juſti-
nus kan juſt in das Schwarze ſtoßen. Eu-
tropius hat ein Ey, ſo troppet. Priſcillianus
der Ketzer, er pritſchet ſeinen anum, und tritt
auf die Bibel. Bonaventura S. 120, Boh-
nen wendet bei der Uhr der Moͤnch …
VII. Den Menſchen von geſundem Men-
ſchenverſtande im 18ten Saͤc. kommt hiebei
Eckel und Grauen an. Allein damals fand
Buno Nachahmer: Juſt Winkelmann
in ſeiner Cæſareologia ſiue quartæ Monar-
chiæ deſcriptio (Leipzig 1698, 12°) raſt
eben ſo. Z. Ex. um den Namen Julius Cæ-
ſar und Valerianus einzupraͤgen, mahlt er
beim erſtern eine Ule (Eule), die mit den
Klauen im Kæſe ſcharrt; und beim leztern
ſchreibt er: er ſagt zu ſeinem Sohne vale,
und ritt auf einer anus hinweg ....
Nun von Johann Buno und Juſt
Winkelmann kehre ich zu Hrn. Herdern
zuruͤck.
§. 27.
[332[108]]
§. 27.
I. Die zuſammengefügten Namen bei
der ſynchroniſtiſchen Tabelle dünken mir
offt wieder zu ſehr einem Spielwerk nahe zu
kommen. Jn aller Welt, wie kan Hr. H.
hier Spielwerk finden? wie kan uͤberhaupt
bei einer Helwichiſchen Art von chronologi-
ſcher Tabelle Spielwerk ſeyn? Trockne oͤ-
de Namen, nichts als Namen, ſtehen in
meiner Tabelle in jedem Saͤculo wie in einem
Regiſter da: wie kan man in einem trocknen
Regiſter Spielen! Was findet Hr. H. dann
geſpielt? Daß Ceres und Bacchus neben ein-
ander ſtehen, das iſt, daß Getreide- und
Weinbau in Einem Saͤculo nach Griechen-
land gekommen? dafuͤr kan ich nichts, ſie ka-
men nun einmal zu gleicher Zeit dahin. Haͤtten
zwei große Eroberer, Namens Kunz und
Dunz, in Einem Saͤculo gelebt: ich haͤtte
nicht umhin gekonnt, ſie neben einander zu
ſetzen; und außer Hrn. H. wuͤrde kein Sterb-
licher auf den Einfall geraten ſeyn, “ich
haͤtte ſpielen wollen, ich haͤtte dieſe zwei Na-
men zuſammen geſetzt, etwa weil ſie ſich auf
einander reimten”.
II.
[333[109]]
II. Sie dünken mir hie und da einem
Gepränge des Unbekannten nahe zu kom-
men.Antw. 1) Gerne glaube ich, daß
Hr. H. einige Namen in meiner Tabelle
vorgefunden, die er all ſein Tage nie gehoͤrt
hat. Von Suintila z. Ex., Babur, Ismael Sofi
\&c. \&c. ſteht wol im ganzen Boſſuet nichts.
Aber 2) die Regel, wornach ich meine Ta-
belle machte, war nicht: in der Tabelle
muͤſſen keine Namen ſtehen, die dem
Hrn. CR. Herder unbekannt ſind; ſon-
dern ganz andre Regeln, ſiehe oben §. 319
Soll das kurze Maaß ſeiner hiſtoriſchen Kennt-
niß das Maaß der Univerſalhiſtorie werden?
Oder haͤtte ich insbeſondere bei meiner
Weltgeſchichte auf ſeine Unwiſſenheit Ruͤck-
ſicht nemen ſollen? im Ernſt, verlangt er das
von mir? Als er einſt Torſo auf den Ti-
tel eines ſeiner Buͤcher ſetzte, wuſte ich noch
nicht, was der Torſo waͤre: aber daran kehr-
te ſich Hr. H. nicht, und that wol daran;
wir ſchreiben ja unſre Buͤcher nicht fuͤr ein-
ander. Alſo 3) durft ich, mußt ich, auch
Namen hineinbringen, die Boſſuets Schuͤ-
ler nicht wiſſen, aber wiſſen ſollten: voraus-
geſetzt naͤmlich, daß dieſe Namen univer-
ſalhiſtoriſch-wichtig waren. Und 4)
wenn
[334[110]] wenn ich es that, that ich es nicht, um zu
prangen, wie Hr. H. laͤſtert, ſondern weil
es der Grundbegriff einer chronologiſchen
Tabelle ſo mit ſich brachte. Hr. H. aber
haͤtte 5) bei dem erſten ihm unbekannten Na-
men, der ihm hier aufſties, falls er noch
einiger Selbſterkenntniß faͤhig war, die na-
tuͤrliche Folge ziehen ſollen: ”nicht einmal
alle Namen der Tabelle, folglich nicht
einmal die Elemente der Wiſſenſchaft,
verſteheſt du; alſo unterſtehe dich
nicht, ein Urteil uͤber das Buch auszu-
ſprechen, ſondern entweder laß es lie-
gen, oder lerne draus„. War dieſe Fol-
ge nicht weit ſchicklicher, als die: ”da ſind
Namen in der Tabelle, die ich Unhiſto-
riker nicht verſtehe; alſo braucht ſie
auch niemand zu verſtehen, alſo hat
ſie der Verfaſſer nur aus Pralerei hin-
geſetzt: denn wer ſich merken laͤßt,
daß er inquocunque ſcibilietwas wiſſe,
was ich nicht weiß, der prangt und
pralet nur„. 6) Eine der noͤtigſten Refor-
men, deren die Weltgeſchichte bedarf, iſt
dieſe: man muß ihre allzuenge Sphaͤre er-
weitern, und die unendlich vielen wichtigen
Perſonen und Begebenheiten einruͤcken, die
noch
[335[111]] noch immer darinn fehlen. Zacharias Janſ-
ſen und Babur ſtehen noch in vielen Compen-
dien nicht, wo gleichwol Kedarlaomor und A-
jax ſtehen. Den Maͤcen kennt Hr. H. gewiß,
den Jlidſchuzaj kennt er gewiß nicht: jener
hatte kein anderes Verdienſt, als daß er ſich
von hungrigen Poeten beſchmaußen ließ;
aber dieſer — —? Wenn ich nun zu dieſer
durchaus noͤtigen Erweiterung der univerſal-
hiſtoriſchen Sphaͤre mein Scherflein beitra-
ge: habe ich, zum Danke dafuͤr, die Laͤſte-
rung von Hrn. H. verdient, daß ich bloß
mit dem Unbekannten Gepränge mache?
III. Dieſe zuſammengeſezte Namen
dünken Hrn. H. einem Gepränge des Poſſir-
lichen nahe zu kommen. Antw. 1) Wie
man mit dem Poſſirlichen prangen koͤn-
ne, ſehe ich nicht ein: eher ſchaͤmen muß
man ſich deſſen. Hr. H. iſt in ſeiner Re-
cenſion hie und da augenſcheinlich poſſirlich:
ich denke, nicht mit Vorſatz, nicht aus Ei-
telkeit, nicht in Hoffnung, daß ihm vernuͤnf-
tige Leſer Beifall dafuͤr zujauchzen werden;
ſondern bloß aus Unbedacht, und Vergeſſen-
heit ſeines Standes, entfuhren ihm die
Schnurren. 2) Aber welches ſind dann die
poſſirlichen Stellen in meiner Tabelle?
Nenne
[336[112]] Nenne mir doch Hr. H. eine einzige! 3)
Und waͤren auch welche poſſirlich, das iſt,
waͤren einmal zwei Perſonen in Ein Saͤcu-
lum zuſammen gekommen, die mit einander
poſſirlich contraſtirten: was kan ich dafuͤr,
wenn ſie nun beide univerſalhiſtoriſch wich-
tig ſind, und beide in Einem Saͤculo gelebt
haben? Der Maler, der einen Aeſop malen
ſoll, und ihn dem Ausſehen nach ſo poſſirlich
malt, als er wirklich iſt, iſt doch ein guter
Maler. Ein Recenſent, der uͤber dieſen
2ten Teil meiner Vorſtellung koͤmmt, und wie
Hr. H. bloß deſſen Titel recenſirt, wird den
einen Titel vielleicht poſſirlich finden: “Her-
ders … Beurtheilung einer Univer-
ſalhiſtorie„. — Da iſt Subject und Praͤdi-
cat beiſammen, wo l’ un s’ étonne de l’ autre:
hier ein hiſtoriſches Buch, dort ein Unhi-
ſtoriker; hier ein literariſcher mutwilliger
Pagenſtreich, dort ein Conſiſtorial-Rath.
Aber dieſe poſſirliche Combination habe ich
nicht gemacht, ſondern Hr. Herder: der
prange damit, oder ſchaͤme ſich ihrer.
IV. Sie kommen nicht der ſtarken Ket-
te des natürlichen Wahren nahe. Wieder ei-
ne Lufftblaſe, die operirt werden muß:
wieder ein Endpfahl, den wir abkippen
wollen.
[337[113]] wollen. Zu deutſch hieſſe wol die Herder-
ſche Phraſis: die zuſammengefügten Na-
men ſind nicht wahr, und das muͤſſen ſie
doch, nach meiner eignen Theorie S. 321;
ſie muͤſſen hiſtoriſch und chronologiſch wahr
ſeyn. Nun ſo nenne mir doch Hr. H. nur
ein einziges Beiſpiel von unwahren Na-
men in meiner Tabelle!
V. Die ſtarke Kette des natürlichen Wah-
ren iſt es allein, die dem Gedæchtniße hilft.
Nichts weniger als das. Falſche Namen,
und erdichtete Erzaͤlungen, behaͤlt das Ge-
daͤchniß eben ſo leicht, als wahre. Roma-
nen ſind ſo gar noch leichter zu behalten, als
Hiſtorien; dort haͤngt alles zuſammen, der
Romanſchreiber ſpricht: es werde eine
Kette, und es wird eine. Das muß der
Hiſtoriker bleiben laſſen.
VI. Auch uͤber die vielen Abſchnitte mei-
ner Zuſammenordnung klagt Hr. H. Antw.
1) Jch mache ſo viel Abſchnitte, als Jar-
hunderte: dawider hat doch Hr. H. nichts?
denn das thun ja ſeit Helwichs Zeiten alle
Verfaſſer chronologiſcher Tabellen. 2) Wenn
nun von Moſe zu Chriſto 15 Saͤcula ſind,
und von Chriſto zu Luthern eben ſo viel: ſo
muß ich notwendig 2 mal 15 Abſchnitte ma-
Ychen.
[338[114]] chen. Kan Hr. H. das aͤndern? Jch woll-
te, er koͤnnte es. Eine Kunſt, durch die
man die ganze Weltgeſchichte ſo ſanft als
eine anakreontiſche Ode faßte, waͤre mir
mer werth, als Le Maitre’s univerſalhiſtori-
ſches Wuͤrfelſpiel. 3) Andre machen noch
weit kleinere Abſchnitte, wie ich, und krie-
gen folglich deren noch weit merere. Hel-
wich teilt jedes Saͤculum wieder in Drittel,
und Buno gar in Zehntel. Auch Offer-
haus macht kleinere Abſchnitte. Sind aber
4) meine Abſchnitte bloß in Saͤcula, Hrn. H.
doch noch zu viel: nun ſo halte er ſich bloß
an die Perioden oder groͤßere Abſchnitte S.
86. Nur 5) glaube er nicht, daß er fuͤr
ſo gar wenig Aufwand von Muͤhe auch nur
eine Elementar-Weltgeſchichte in den Kopf
kriegen werde. Univerſalhiſtorie iſt nicht
die ſtrengſte Wiſſenſchaft, wie ſie Hr. H.
ſehr ungelehrt nennt: aber gelernt will ſie
doch ſeyn. Und wer ſo auſſerordentlich be-
quem iſt, und nicht einmal Saͤcula behalten
mag: der iſt zu dieſer Wiſſenſchaft verdor-
ben.
VII. Als Beiſpiele von Namen, die ich
zum Spielwerk, zum Gepraͤnge des Un-
bekannten und Poſſirlichen, in meiner
Tabelle
[339[115]] Tabelle zuſammengefuͤgt haͤtte, oder die gar
unwahr waͤren, fuͤhrt Hr. H. an: Semi-
ramis und Dodona, Sicyon und die Kabi-
ren, Abraham und Ninus, Jacob und Ina-
chus, Karthago und Athalia, Bonifacius
Suintila und Moawija, Guttenberg Babur
Iwan Diaz Ismael uud Luther. Wenn man
kier, ſagt er, 1. dieſe Namen zuſammen
lieſt, und denn 2. zugleich die vielen Ab-
ſchnitte dieſer Zuſammenordnung lieſt: ſo
denkt man, der Auctor habe a) mer ſpielen,
und b) Bunoniſche Namen-Epigrammen
machen, als c) dem Gedæchtniſſe helfen wol-
len. 1) Zuſammengeleſen ſollen dieſe Na-
men werden, dazu ſtehen ſie da. 2) Dem
Gedaͤchtniſſe ſollen ſie zur Ueberſchau-
ung des Ganzen helfen, dazu ſtehen ſie da.
3) Wie ſie aber ſollen zuſammen geleſen
werden, um dieſe Abſicht zu erreichen, weiß
jeder, der von chronologiſchen Tabellen nur
Begriffe hat, und habe ich noch zum Ueber-
fluſſe oben S. 319 naͤher beſchrieben. Man
ließt ſie in die Laͤnge und Breite, ruͤckwaͤrts
und vorwaͤrts, zuſammen, und denkt ſich
weiter nichts als Gleichzeitigkeit, oder Ver-
ſchiedenheit der Zeit, und einiges Maaß die-
ſer Verſchiedenheit, dabei. Z. Er.
Y 2ABRA-
[340[116]]
ABRAHAM \& NINUS, heiſt
- 1. in die Breite geleſen: abraham vixit
eodem Sæc. IV poſt diluuium, quo
Ninus Aſſyrium imperium condidiſſe
fertur. - 2. in die Laͤnge, und zwar
- a.ruͤckwaͤrts:Ninus duobus fere Sæ-
culis Mene \& Belo junior eſſe perhi-
betur, \&c. - b.vorwaͤrts:Ninus duobus fere Sæ-
culis ante Inachum, quatuor ante
Mosen, regnaſſe dicitur, \&c.
- a.ruͤckwaͤrts:Ninus duobus fere Sæ-
Verzeihe mir doch der kuͤndige Leſer, daß
ich halbe Seiten mit ſo bekannten Sachen
verderben muß. Hr. H. iſt ſchuld daran.
§. 28.
Aber nun halte eben dieſer Leſer meine
Tabellir-Art mit der Bunoiſchen §. 26 zu-
ſammen, und richte, ob ſich zwiſchen beiden
nur die mindeſte Aehnlichkeit finde. Mei-
ne Tabellir-Art iſt in der Hauptſache ge-
rade die Helwichſche, Schraderſche, Koͤh-
lerſche ꝛc.: auſſer daß ich 1) weit mer con-
centrire (ſtatt einer Folio-Seite nur Eine
oder zwei Zeilen), folglich 2) weniger Facta
in jedem Saͤculo bemerke (mit Zuverſicht
auf
[341[117]] auf die vorhergegangene ethnographiſche Ab-
handlung und auf mnemoniſche Soriten),
und 3) nur Subject ohne Praͤdicat hinſetze
(Ninus, nicht Ninus condit imperium Aſſy-
rium). Mit D. Schuppii neuem Einfalle
zur Verbeſſerung des Helwichſchen, habe ich
nichts zu thun; und noch weniger mit Bu-
no’s neuer Wendung, die er dem Schuppi-
ſchen Einfalle giebt. Gerade was bei Bu-
no charakteriſtiſch iſt, iſt bei meinen Tabellen
nicht: ich ſchreibe meine Namen, und male
ſie nicht; noch minder male ich ſie ſo, daß
man aus dem Gemaͤlde einen deutſchen Laut
erraͤth, der einen auf den hebraͤiſchen, aͤgyp-
tiſchen, oder griechiſchen Namen fuͤhrt.
Und doch dieſes nur, nicht Helwichiſche
Simplicitaͤt, kan man Bunoiſche Na-
men-Epigrammen nennen.
Was dachte nun der Hr. Conſiſtorial-
Rath Herder, da er mir auf eine ſo augen-
ſcheinlich ungerechte Art Bunoiſchen Un-
ſinn ſchuld giebt? Warum that er das?
War es Vorſatz? Allein wie unbe-
dachtſam! Buno iſt zwar ein ſeltnes Buch,
aber vorhanden iſt es doch noch: mußte ers
ſich alſo nicht verſehen, daß unter hundert
Leſern ſeiner Recenſion Einer das Buch ken-
Y 3nen,
[342[118]] nen, und uͤber einen Vorſatz von der
Art Gloſſen, nicht zur Ehre des Hrn. Con-
ſiſtorial Raths, entweder in der Stille,
oder laute, machen moͤchte?
War es Uebereilung und weghüpfende
Fluͤchtigkeit? Aber 1) ein vernuͤnftiger und
fuͤr ſeine eigne Ehre zaͤrtlicher Mann uͤber-
eilt ſich nicht, wo er im Begriff iſt, einem
andren Unſinn aufzubuͤrden. Er bedenkt die
Folgen, die das Ding haben koͤnnte, wenn
er ſelbſt unrecht haͤtte. Zudem 2) iſt hier
eine Uebereilung kaum moͤglich. Man le-
ge auf die eine Seite meiner Tabellen den
Buno, und auf die andre den Helwich,
Schrader, oder welche chronologiſche Tabel-
len man will: der allererſte Blick muß ihren
totalen Abſtand von dem erſtern, und ihre
nahe Verwandtſchaft mit den letztern, zeigen.
Jſt etwas neues in der meinigen: ſo bringt
dieſe Neuerung ſie den Bunoiſchen nicht nur
um keinen Schritt naͤher, ſondern entfernt
ſie nur noch mer von ihnen.
Doch mir faͤllt eine pſychologiſche Be-
merkung ein, aus der ich mir dieſe ſonſt un-
begreifliche Uebereilung zu erklaͤren getraue.
— Hr. H. hat eine ſehr ſpeciell determinirte
Einbildungskraft (S. 239 oben), und
nicht
[343[119]] nicht Beſonnenheit genug, ſich und das
Menſchengeſchlecht fuͤr Maſſen von verſchie-
dener Art und Groͤße zu halten (S. 270).
Oben las er den Titel meines Buchs Vor-
ſtellung: flugs fiel ihm ein, heute wird
vorgeſtellt: flugs glaubte er, das fiele al-
len Menſchen bei dem Worte Vorſtellung ein,
und ſchrieb hin, der Titel meines Buchs
ſei theatraliſch, und nannte mein Programm
ein Hier læßt ſich ſehen. Nun lieſt er mei-
ne chronologiſche Tabellen, vielleicht die er-
ſten, die er all ſein Tage geleſen; er findet
Abraham und Ninus, Jacob und Inachus,
beiſammen; nun dachte er: “Was mag der
Auctor fuͤr Urſachen gehabt haben, dieſe
Namen in Eine Zeile zu ſetzen„? Die wah-
re Urſache wußte er nicht: alſo erſann er
ſich einige. „Jacob und Inachus ſtehen bei-
ſammen, vermuthlich weil beide mit einem
I anfangen. Abraham und Ninus, was
mag da der Auctor gedacht haben? Gleich-
wie Abraham …: alſo Ninus …„
Nun ſchoſſen ihm ſtromweiſe alberne Bu-
noiſche Gleichniſſe und Tertia comparatio-
nis zu: und je alberner und Bunoiſcher ſie
waren, deſto willkommner waren ſie ihm;
denn nun ſetzte er voraus, auch ich haͤtte
Y 4dieſe
[344[120]] bieſe ungluͤckliche Vergleichungsgruͤnde im
Kopf gehabt, und dieſer wegen haͤtte ich
Abraham und Ninus, nicht Abraham und
Nebukadnezarn, in Eine Zeile gebracht.
Aber meine Jmagination und meine Ta-
bellen ſind ſo rein von dieſen Herderſchen
Tertiis comparationis, als oben S. 240
das Vaterunſer von den ſchmutzigen Bildern
war, die vor dem kranken oder geilen Wie-
dergebornen herumflad derten.
Ein Original-Exempel, wie eine wirk-
ſame Einbildungskraft, wenn ſie nicht un-
ter der Vormundſchaft einer hoͤheren Seelen-
kraft wirkt, uͤberſchnappen, den vernuͤnftig-
ſten Einfall verderben, und die unſchuldigſte
Handlung laͤcherlich machen koͤnne! Hr. H.
hat Urſache, in dieſem Puncte ſehr auf ſei-
ner Hut zu ſeyn. Kaͤme er einſt ganz warm
von alten Nordiſchen Bardenliedern her,
und fiele von ohngefer auf das Regiſter in
der Buͤſchingiſchen Geographie: er liefe Ge-
far, den Verfertiger dieſes nuͤtzlichen Regi-
ſters fuͤr einen Skald zu halten, und in der
alphabetiſchen Anordnung der Namen, æhn-
liche Anfangsbuchſtaben zum Anſtoß, zum
Schallen des Bardengeſangs in die Schilde,
zu erblicken.
Ein
[345[121]]
Ein Vorgaͤnger von Cellarius ſchrieb zu
Anfang des vorigen Saͤculi einen lateini-
ſchen Liber memorialis, wo natuͤrlicher Wei-
ſe die Woͤrter in alphabetiſcher Ordnung
ſtanden. Nun kam Vogel, Conrector in
Goͤttingen um das J. 1631, und ſchrieb
Ephemerides linguæ latinœ, worinn er, um
dem Gedaͤchtniſſe zu helfen, die Woͤrter
abacus, abdomen \&c., in ganze Saͤtze und
Phraſes knetete.
Ein Sprachlerer ſammlete alle Woͤrter
auf Einen Haufen, welche Ausnamen von ei-
ner gewiſſen Regel waren: als panis, cri-
nis \&c. Ein andrer, um dem Gedaͤcht-
niſſe durch das Sylbenmaaß nachzuhelfen,
brachte ſie ganz ſchicklich in Hexameter, doch
ohne andre Real-Verbindung: als, Maſcu-
la ſunt panis \&c. Ein dritter wollte es noch
beſſer machen, und ſuchte zwiſchen dieſen
Woͤrtern, ſo wie ſie der Hexametriſt der
Scanſion wegen geordnet hatte, Tertia
comparationis und Realverbindungen: als,
“panisBrod,penisRehrwiſch; denn
wenn man Brod backt, muß man einen
Rehrwiſch haben„ (Evenii Methodus
p. 63).
Y 5Der
[346[122]]
Der vernuͤnftige Abclerer, um ſein Kind
in der feinen Unterſcheidung zweier oder me-
rerer ſonſt verwandten Toͤne zu uͤben, ſucht
Woͤrter zuſammen, in denen dieſe Toͤne vor-
kommen, und ſtellt ſie bloß einander gegen
uͤber. Allein Hr. Baſedow, um dem Ge-
daͤchtniße zu helfen, bindet dieſe Woͤrter
durch Partikeln, wie durch Kuͤtt, in Saͤtze
zuſammen, daß ſie wie Gedanken ausſehen,
als: der Schwaan liebt Brei, aber nicht
einen Steinwurf oder Quaal.
Es ſollte mir leid thun, wenn jemand
meinen Abraham und Ninus ſo zuſammen-
kuͤtten wollte, wie in den angefuͤhrten Bei-
ſpielen mit abacus und abdomen, mit panis
und penis, mit Schwaan und Quaal, geſche-
hen. Aber noch mer thaͤt es mir leid, wenn,
auſſer Hrn. Herdern, jemand in der Welt
mich in Verdacht haͤtte, als haͤtte ich ſelbſt
in Gedanken ſo zuſammen gekuͤttet; als haͤt-
te ich meine ganze ſynchroniſtiſche Tabelle
abſichtlich deswegen drucken laſſen, damit
andre ſo zuſammen kuͤtten ſollen.
§. 29.
III. Und denn, iſt ſelbſt bei die-
ſer Tabelle alles bewieſen?
nichts
[347[123]]
nichts zu gewagt?
nichts des lieben Einfalls wegen
da?
Tabelle nimmt hier Hr. H. in einer ſehr
weitlaͤuftigen Bedeutung. Er verſteht auch
meine Summarien S. 113-222 mit dar-
unter: dies beweiſen die ſogleich folgenden
Beiſpiele. De verbibus non curat Recen-
ſens.
Albern waͤre der Schriftſteller, der
bloß des lieben Einfalls wegen etwas in die
Weltgeſchichte braͤchte. Der Raum iſt oh-
nehin ſo enge, daß man ſich vor der Menge
unentberlicher Thatſaͤtze kaum zu laſſen weiß.
Noch alberner waͤre er, wenn er ſo was
gar in die Tabelle braͤchte: dieſe muß die
Quinteſſenz der ganzen Weltgeſchichte enthal-
ten, da muß jedes Woͤrtgen abgewogen ſeyn.
Unvorſichtig waͤre der, der gewagte,
unbewieſene, fliegende Gedanken, und bloße
Hypotheſen, in die Tabelle ruͤcken wollte: da
gehoͤren nur ausgemachte, oder doch allge-
mein anerkannte Saͤtze hin. So bloͤde war
ich, daß ich den Ninus und die Semiramis
noch, aus Achtung fuͤr das Herkommen,
in ihrer alten Stelle ließ, ungeachtet ſie mir
aus
[348[124]] aus Gruͤnden, welche in der Tabelle auszu-
kramen unſchicklich war, erſt in das Jar-
hundert des Seſoſtris zu gehoͤren ſcheinen.
Aber Allwiſſend muͤßte derjenige
ſeyn, der nichts als im ſtrengſten Verſtande
bewieſene Saͤtze liefern wollte. Und nur ein
Unwiſſender kann ſolche, in den erſten Zei-
ten der Welt bis auf den Cyrus, fodern.
Doch Hr. H. ſchwaͤtzt hier nur wieder
ins Allgemeine: wir wollen ſeine Beiſpiele,
das iſt, ſeine Beweiſe, hoͤren.
§. 30.
Steht der Satz des lieben Einfalls wegen
S. 88 in meinem Buche? Meint Hr. H.
das? das ſollt er nicht meinen. Er weiß
vielleicht, daß ich nicht bloß Revolutionen
des Menſchengeſchlechts, ſondern auch
Revolutionen des Erdbodens, in die
Weltgeſchichte nehme. Folglich iſt ihr eine
Nachricht vom Anfange und der Entſtehung
der Wonung der Adamiten eben ſo weſent-
lich, als die Nachrichten vom Anfange der
Menſchen ſelbſt. Faͤngt doch jeder Moͤnch
die Geſchichte ſeines Kloſters mit der Erbau-
ung deſſelben an, falls er ſie weiß.
Doch
[349[125]]
Doch das UMſchaffen geht vielleicht
Hrn. H. im Kopfe herum: warum nicht
ERſchaffen? Jſt der Satz von Umſchaffung
der Erde bewieſen, iſt er nichtzu gewagt?
— — — Jch will nicht hoffen, daß Hr.
H. im Ernſte glaubt, daß unſre Erde, oder
gar das Große All, netto 6 mal 24 Stun-
den vor Adam, erſt erſchaffen, erſt aus dem
Nichts hervorgerufen, worden? Glaubt ers
wirklich: ſo iſt hier der Ort nicht, wo man
ihm in Kuͤrze den noͤtigen Unterricht geben
kan.
Von der Erſchaffung der Erde weiß die
Hiſtorie nichts: nur die Metaphyſik lallt
von ihr, wie Hr. H. von Grundesreinigung
und Erinnerungsmalen, und wie ich vom
Torſo lalle. Aber die letzte Umſchaffung
derſelben, oder diejenige große Revolution,
da ſie, nachdem ſie vielleicht Myriaden von
Jaren ein Ocean geweſen, trocknes, und fuͤr
Geſchoͤpfe unſrer Art, (die wir nicht alle
ſchwimmen und tauchen koͤnnen), bewonba-
res Land geworden, kennt die Tradition im
Moſe, Sanchuniathon, Beroſus, und der
Orphiſchen Philoſophie, und beweiſen die
Urkunden von Muſcheln und Verſteinerun-
gen im Jnnerſten der hoͤchſten Berge. Und
noch
[350[126]] noch andre vorhergegangene Umſchaffungen
oder Revolutionen des Erdbodens durch
Brand und Waſſer, die vielleicht noch laͤn-
ger wie die letzte gedauert haben, weiſt uns
der Phyſiker augenſcheinlich nach. Auch
damals, wie Elefanten in ganzen Horden
am Eis-Meer herumzogen, und Amerika-
niſche Kraͤuter bei Lyon wuchſen, muß eine
andre Erde geweſen ſeyn, als wie ſie neuer-
lich ſeit des jungen Adams Zeiten iſt …
Doch vielleicht glaubt Hr. H. lieber noch
mit Abraham Calovius, (mit dem er doch
ſonſt, ſo wenig wie ich, in allen Stuͤcken har-
moniren ſoll), daß dieſe Muſcheln und
Elefanten, durch Noah’s Suͤndfluth, in ihre
heutige Abgruͤnde geſchwemmet worden. O-
der er glaubt mit ſeinem lieben Voltaire,
daß die Muſcheln erſt von den Pilgrimen
aus den Kreuzzuͤgen nach Hauſe gebracht,
und in die Europaͤiſchen Alpen verzettelt
worden.
Das kan er glauben. Wenigſtens iſt
fuͤr ihn die ganze ſchwere Materie von Um-
ſchaffung der Erde entberlich: ja er wuͤr-
de ſogar unbedaͤchtig und gegen die Paſtoral-
klugheit handeln, wenn er beim Predigen
oder Katechiſiren davon Gebrauch machen
wollte.
[351[127]] wollte. Der gemeine Mann glaubt allzu-
gern, daß die Sterngen, die bei heller Nacht
da oben am Firmamente flinkern, blos fuͤr
ihn da waͤren, wie die Pracht des Dianen-
tempels fuͤr Gellerts Fliege. Auch zittert
er zuruͤck, ſo bald er von Myriaden Jahren
hoͤrt; und meint, beim erſten Schritte jen-
ſeits der 6000 Jahre trete man in die Ewig-
keit ein ......
Aber mit der Univerſalhiſtorie hat es
eine andre Bewandtniß: da finden ſich nicht
ſelten Zuhoͤrer ein, die Mineralogie verſte-
hen, und bereits Gruben befaren haben,
oder ſolches naͤchſtens thun werden. Wenn
ich nun denen die ſogenannte Schoͤpfungs-
geſchichte auf Caloviſchen Fuß erklaͤre: ſo
verachten ſie mich wegen meiner Unwiſſen-
heit. Und wenn ich ihnen gar ſage, ſo
ſagt Moſe: was fuͤr ſchlimme Folgen kan
mein unphyſiſcher Vortrag alsdenn nicht bei
gruͤbelnden Koͤpfen haben?
§. 31.
de in Egypten!’
Den Ausdruck verſteht Hr. H. wol nicht.
Aber was thut man in dem Falle? — Man
fragt,
[352[128]] fragt, ſtudirt, ſchlaͤgt nach, und faͤhrt nicht
zu: das muß nicht wahr ſeyn, daß es in
Aegypten eine Obeliſken und Piramyden-
Perioden giebt, oder, das muß bloß des
lieben Einfalls wegen da ſtehen.
Aegyptens alte Geſchichte lauft 1652
Jahre fort: ihr einer Endpfahl ſteht nicht
weit von der Suͤndfluth, ihr andrer ſteht
beim Kambyſes. Nun mit Hrn. Herders
Erlaubniß ſchlage ich unterwegens, da der
Raum ſo gar lang iſt, merere Pfœhle ein.
Moͤris und Pſammirich ſind natuͤrliche,
und daher auch von vielen andren gebrauch-
te, Epochen. Nur weil zwiſchen beiden 700
Jare ſind; ſo ſuche ich zwiſchen ihnen noch
einen Pfahl ſchicklich anzubringen. Mir
faͤllt kein andrer Teilungsgrund ein, als
daß in den letzten 300 Jaren, warſcheinlich
nicht fruͤher und nicht ſpaͤter, die beruͤhmten
Piramyden, vorher aber ſchon die gleich-
falls wichtigen Obeliſken, errichtet wor-
den. Da ich nun kurze praͤciſe Trivial-Na-
men zu meinen Perioden brauche: ſo nehme
ich dieſe Namen von ermeldten beiden Din-
gen her. Nun lernt mir noch gelegentlich
der Anfaͤnger gleich anfangs zwei Haupt-
gegenſtaͤnde der Aegyptiſchen Geſchichte ken-
nen:
[353[129]] nen: er lernt zugleich mechaniſch, die bei-
den Dinge unterſcheiden, die viele verwech-
ſeln: er lernt den Satz, daß Obeliſken aͤl-
ter als Piramyden ſind ꝛc. Hat jemand et-
was an dieſer Periodirung auszuſetzen, der
— gebe mir eine beſſere; ich nehme ſie dank-
bar an.
Nun wird aber Hr. H. doch noch nicht
wiſſen, warum ich Obeliſ ken und Piramy-
den fuͤr Hauptgegenſtaͤnde der Aegyptiſchen
Geſchichte ausgebe: und fragen will er doch
nicht! Hilfft ihm nun ſein guter Boſſuet nicht
aus, ſo habe ich zuverlaͤßig in ſeinen Augen
abermals Unrecht.
Auch daß ich Aegypten und Piramy-
den ſchreibe, hat er entweder gar nicht be-
merkt, ſondern iſt daruͤber weggehüpft; oder
er haͤlt es fuͤr einen Druckfeler, wie ich ſei-
nen Polyp und ſein Bereden.
§. 32.
einzige Volk, deſſen Geſetzgebung
und Sitten ſeinen Staat überlebt
(und keine Bramanen? keine Scha-
manen?)’
ZSchama-
[354[130]]
Schamanen kennt Hr. H.? er, der ſei-
nem eigenen Geſtaͤndniſſe nach, manche Na-
men in meiner Tabelle, die doch alle elemen-
tariſch ſind, nicht kennt? Eine unerwarte-
te Erſcheinung! — wenn er nur nicht wieder
eine Schaumblaſe ſiedet.
Schamanen ſind, Hr. H. nehme mirs
nicht uͤbel, eine Art von Bettelmoͤnchen
und Waldbruͤdern jenſeits dem Ganges. Sie
haben nie einen Stat, nie eine Geſetzgebung,
ſo wenig als alle Bettelmoͤnche, gehabt.
Sehr ungluͤcklich ſetzt ſie Hr. H. mit den
Hebraͤern zuſammen: ſehr uͤbel bekommt
ihm das Geprænge des Unbekannten; ſo uͤ-
bel, wie der Torſo dem Verf. der Conſide-
rations ſurl’ Etat preſent de la litterature en
Europe*. — Noch mer, alt ſind die Scha-
manen zwar, denn ſchon Strabo, Klemens,
und Porphyr, nennen ſie bei Namen; aber
ob ſie ſo alt wie Hebraͤer ſind; ob ihre heu-
tige Sitten und Moͤnchs- und Religionsge-
ſetze noch ſo viel Uebereinſtimmung mit ih-
ren aͤlteſten haben, als die heutigen hebraͤi-
ſchen mit den Moſaiſchen: weiß ich aus
Mangel
[355[131]] Mangel an Nachrichten nicht, und Hr. H.
vermutlich noch weniger.
Auch Braminen ſind kein Volk, kein
Stat, ſondern eine Secte und Religions-
partei. Die Stellen alter Griechen, wo
von einer Braminen-Nation geredet wird,
und die auch die Rußiſchen Annaliſten kopi-
ret haben, kenne ich, und weiß ſie zu erklaͤ-
ren. — Auch ob die heutigen Braminen zu
den uralten ein naͤheres Verhaͤltniß haben,
als die heutigen Karmeliter zu denen zu des
Propheten Elias Zeiten: weiß ich bis dieſe
Stunde nicht.
Bei den Gauren dacht ich mir ſonſt
eine eben ſolche Verflechtung der Religion
mit der Geſetzgebung, wie bei den Hebraͤern:
aber ſeit einiger Zeit bin ich zweifelhaft.
Wer Zeit hat, den Hyde und D’Anquetil
einige Monate lang durchzuſtudiren, wird
die Sache entſcheiden koͤnnen.
§. 33.
Ja, Jonier ſind ſo gewiß Javaner (dies
iſt mein Ausdruck S. 129: von Javan
ſeyn, ſpricht kein Hiſtoriker in einem Com-
pendio; das ließe ſonſt, als glaubte er ei-
Z 2nen
[356[132]] nen gewiſſen Mann, Namens Javan),
als ſich ein Thatſatz aus dem erſten Jahrtau-
ſende nach der Suͤndflut nur immer bewei-
ſen laͤßt. Jch koͤnnte Hrn. Herdern zwei
Hauptſchriftſteller davon citiren: allein es
ſind ſchwerfaͤllige Kritiker, keine gute Geſell-
ſchaft fuͤr Weghüpfer.
Aber warum zweifelt denn Hr. H. daran?
Jch denke, ich errate es. Gleich nachher
ſpricht er von Ableitungen. Nun hat er
vielleicht einmal gehoͤrt, daß, mit unter den
Beweiſen fuͤr die Abſtammung der Jonier
von den Javanern, auch der etymologiſche
ſtehe, “Ιων und [ןוי] waͤren aͤhnliche Namen”.
Nun meint er wol, daß der ganze Satz
auf dieſer Ableitung beruhe. Meint er das?
§. 34.
mehr).’
Wie? Ableitungen haͤtte ich, ſo gar vie-
le Ableitungen, in meinem Buche gemacht?
das nenne ich in den Tag hinein ſprechen!
Entweder Hr. H. gebe mir ein Regiſter von
meinen vielen Ableitungen: oder er reibe
ſeine Stirne, damit ſie weicher werde.
We-
[357[133]]
Weder etymologiſche, noch geogra-
phiſch-hiſtoriſche Ableitungen, ſtehen in
meinem Buche. Recht vorſetzlich nahm ich
mich, ſelbſt vor den allerwarſcheinlichſten,
in Acht. Denn einmal hatte ich den Grund-
ſaͤtz, daß in ein ſolches Buch nur ausgemach-
te Warheiten kommen muͤßten. Und zwei-
tens erwartete ich, daß, weil ich ſonſt ety-
mologiſire, man mir hier auf den Dienſt
lauern wuͤrde. Dieſe Freude wollte ich kei-
nem Laurer machen: aber Hr. H. tappt in
die Falle, die ich ihm nicht gelegt hatte.
Es geht mir doch ſonderbar mit meinen
Ableitungen. Jn meiner Nordiſchen Ge-
ſchichte machte ich einige; ich glaube, am
rechten Orte, und ſo vorſichtig, als man
immer thun kan. Auch die beſte Ableitung
iſt mir nur ein halber Beweis; ſie ſteht
und faͤllt mit den Hauptbeweiſen. Nun
greift mir Hr. Thunmann meine Ableitun-
gen an, haut ſie in die Pfanne, und trium-
phirt, und laͤßt mir meine Hauptbeweiſe,
oder meine Grundirrtuͤmer, unangeruͤhrt.
Mich dauert ſeine verlorne Muͤhe! Greife
er doch meine Hauptbeweiſe an: und fal-
len dieſe, ſo muͤſſen ſich ihm die halben oh-
nehin auf Gnade und Ungnade ergeben. —
Z 3Hr.
[358[134]] Hr. H. aber ſchilt mich uͤber mein Etymolo-
giſiren aus, wo ich nicht einmal etymologi-
ſire. Er ſieht Komoͤdie auf meinem Ti-
telblatte, er ſieht Vergleichungen zwiſchen
Jacob und Inachus, er ſieht viele Ablei-
tungen im ganzen Buche: — der Seher!
§. 35.
Der Papſt als Pfarrherr, Biſchof,
Patriarch, Oberpatriarch, Dalai-La-
ma
und wie an andern Orten die Lin-
neiſche Nachäffung ſich mehr zeige,
für die Hiſtorie nicht zu geſpielt?
Die beſten Abteilungen in den Staten-
geſchichten ſind unſtreitig die genetiſchen,
die den ſtuffenmaͤßigen Anwachs und Ver-
fall der Staten beſtimmen. Das Paͤpſtliche
Reich betrachte ich in der Weltgeſchichte als
einen Stat: dieſer faͤngt zwar erſt nach den
Franken an, univerſalhiſtoriſch zu werden;
allein ich laufe bis an ſeine Wiege zuruͤck,
und finde den Monarchen durch vier obbe-
meldte Metamorphoſen, wie durch Verhaͤu-
tungen, gehen. Hiſtoriſch wahr ſind al-
ſo dieſe Gradationen, ich habe ſie aus der
Wal-
[359[135]] Walchiſchen Geſchichte der Paͤpſte abſtrahirt.
Duͤnken ſie dem Hrn. CR. geſpielt zu ſeyn,
ſo kan ich nichts dafuͤr: die Natur ſpielt,
und ich zeichne ſie, ſiehe oben S. 336.
Oder iſt ihm hier der Ausdruck nicht
recht? Fuͤr Pfarrherr lieber Paſtor, fuͤr
Patriarch lieber Conſiſtorialpraͤſident?
Kan er den Dalai-Lama nicht verdauen? Jch
vermute, er kennt den Mann, der Nachbar-
ſchaft mit den Schamanen wegen; und be-
greift alſo, daß ſich weit und breit kein ſchick-
licherer Name auftreiben laſſe, um einen
Geiſtlichen zu bezeichnen, der ſich durch den
dummſten Aberglauben das Anſehen eines
Vice-Gottes, mit allen damit verbundenen
Rechten, zu verſchaffen gewußt hat.
Jm Vorbeigehen, oben ſtotterte Hr.
H. etwas von Perioden-Theorie; hier tadelt
er namentlich eine meiner gemachten Perio-
den: warum gab er doch nicht eine einzige
Probe von untadelicher Periodirung aus ſei-
ner eigenen Fabrike zum Beſten?
§. 36.
neiſche Nachäffung ſich mer zeige,’
Z 4Die
[360[136]]
Die andern Orte giebt Hr. H. nicht an;
ich muß mich alſo bloß an den gegenwaͤrti-
gen, die Periodirung des Paͤpſtlichen Rei-
ches, halten. Alſo wem eine genetiſche,
aus der Natur der auf einander folgenden
Begebenheiten herausgenommene Abteilung
gelingt, der æfft Linné nach: oder welches
wol einerlei iſt, der iſt Linnés Affe? Noch
Linneiſcher, wie ich, teilt Florus die Roͤmiſche
Geſchichte ab: alſo iſt Florus Linnés Affe?
Haͤtte Hr. H. den Batteux uͤberſetzt, er haͤt-
te alſo Dichter Maler und Taͤnzer Affen der
Natur genannt. Notoriſch ahmt er Hrn.
Hamann im Style nach: wie hieße er da
in ſeiner eigenen Sprache? .... Jn
gegenwaͤrtiger Recenſion ſind einige charak-
teriſtiſche Zuͤge, wo er den Abbé macht:
wie hieße er da in ſeiner eigenen Sprache? ..
Der Hr. Conſiſtorial Rath noͤtigt mich,
ihm hier unter vier Augen eine Erinnerung
zu geben, die ſonſt nur fuͤr die niedrigſte
Klaſſe von Recenſenten noͤtig war. Er ſuͤn-
digt allzugrob und allzuoft gegen das, was
man Lebensart und gute Sitten nennt,
iſt plump in ſeinen Ausdruͤcken, hat gemei-
ne Schimpfwoͤrter an ſich, und ſcheint gar
kein Gefuͤhl vom Decoro zu haben, das ihm
gleich-
[361[137]] gleichwol ſein Stand eines renommirten Ge-
lerten, eines Belletriſten, und eines Geiſt-
lichen, dreifach zur Pflicht macht. Kan
man nicht einen andern, dem man ein un-
angenemes Stuͤndlein machen will, haͤmiſch
und boshaft recenſiren; und gleichwol aus
Achtung gegen das Publicum, oder gegen
ſich ſelbſt, um nicht ſelbſt eckelhaft zu wer-
den, eine gewiſſe Zaͤrtlichkeit gegen den aͤuſ-
ſeren Wolſtand beobachten? Haͤtte er mir
die Vorwuͤrfe von Rauberei, Bereden, Nach-
æffen, nicht eben ſo ſtark in weit geſchliffenern
Ausdruͤcken machen koͤnnen? Vielleicht haͤt-
ten ſie um ſo viel eher beim Leſer gehaftet,
und das war doch Hrn. Herders Abſicht. —
Doch ſeine Ungezogenheit beſteht nicht bloß
in ſchlechten Woͤrtern, die ihm ſo von ungefer
entfaren: hier ſind einige Proben von andrer
Art.
Einmal, er ſagt dem Gattererſchen hi-
ſtoriſchen Inſtitut eine beleidigende Grobheit
vor. Vermutlich glaubte er, daß auch ich
Mitglied dieſes Jnſtituts waͤre: allein dar-
inn irrt er ſich. Waͤre es aber ſo: ſo weiß
Hr. H. doch, daß ſein eigener gnaͤdigſter
Landesherr dieſem Jnſtitut die Ehre erwie-
ſen, von demſelben ein Diplom als Mitglied
Z 5anzu-
[362[138]] anzunemen. Und dieſer einzige Umſtand
ſchon haͤtte einen Mann von Welt und
Sitten, entweder zu einer ehrerbietigeren
Sprache, oder doch zum Stillſchweigen, ge-
bracht.
Zweitens, er bittet meine Zuhoͤrer, (die
ihm uͤberhaupt ſehr am Herzen zu liegen
ſcheinen), meine Vorſtellung, die ich, was
die Summarien betrift, einen Leitfaden
fuͤr ſie genannt habe, als Leitfaden nirgends
zu ſtark anzufaſſen*. Dieſe Erinnerung
findet wol die Brabanter Nonne gegen den
Matroſen noͤtig, der ihre Spitzen wie Tau-
werk anpackt: aber einem goͤttingiſchen Pro-
feſſor koͤmmt kein Valentinianus Funarius
ins Collegium.
Drittens, er nennet meine Zuhoͤrer
Schüler und Kinder. Kaͤme Hr. Herder,
wie Baretti, von Cervera her, wo Schul-
knaben Straſſenjungen und Studenten Sy-
nonyma ſind: ſo wuͤrde er hier keine Ungezo-
genheit
[363[139]] genheit, ſondern nur eine Unwiſſenheit, be-
gangen haben. Aber wie er die Recenſion
meines Buches machte, kam er ſo eben
von Goͤttingen her, und mußte alſo
notwendig wiſſen, daß das Wort Zuhoͤrer
in Goͤttingen, ſo wie auf allen deutſchen
Univerſitaͤten, eine ganz andere Bedeutung
als in Spanien und Frankreich habe. Denn
nicht zu gedenken, daß es hier in Goͤttingen
gar nicht nugewoͤnlich iſt, daß ein Profeſ-
ſor bei dem andern ein Collegium hoͤrt, oder
deſſen Zuhoͤrer wird: ſo ſind die Fremden,
die ſich der Vorleſungen wegen hier einfin-
den, keine Kinder, ſondern erwachsne Leu-
te, oft aͤlter wie ihr Docent; und unter die-
ſen Fremden, die freilich in der Univerſitaͤts-
Sprache alle Studenten heiſſen, ſind wirk-
liche Kammerherren, auswaͤrtige Profeſſo-
ren, Hofraͤthe, Raͤthe, Oberofficiers, und
dergl. Nun begreift doch wol Hr. H., daß
Zuhoͤrer von der Art von niemand anders
als von ihmSchüler und Kinder betitelt wer-
den koͤnnen; daß Leute von der Art ſo
wenig Objecte der Paͤdagogik, als Conſiſtori-
al-Raͤthe, ſind; und daß folglich gegen dieſe
keine pœdagogiſche Treue, die er an meinem
Buche vermißt, Statt finde.
Ver-
[364[140]]
Vermutlich iſt der geneigte Leſer neugie-
rig, die Urſache zu wiſſen, warum ſich
der Hr. CR. ſo ungebuͤhrlich gegen meine
Hrn. Zuhoͤrer auffuͤhre, die ihn doch wol
ſo wenig, wie ich, jemals beleidiget haben?
— — Ein gemeiner Recenſentenkniff ſteckt
dahinter. Mein Buch iſt, meinem eigenen
Geſtaͤndniſſe nach, fuͤr meine Zuhoͤrer ge-
ſchrieben; ſind nun meine Zuhoͤrer Schüler
und Kinder, ſo iſt folglich mein Buch ein
Elementarbuch; und da es faſt alle Eigen-
ſchaften nicht hat, die ein Elementarbuch
haben muß, ſo kan nun Hr. H. mit Recht
ſeufzen, klagen, und fragen:
ſer Schrift Gedachtes und Nützliches ſei
—: wo aber pœdagogiſche Treue? Zweck
und Würde eines akademiſchen Lerers?
Soll der für ſeine Zuhörer! — Schüler!
— Kinder! — ſo glänzen wollen?’
Aber wenn ich nun Hrn. Herdern ſagte: ein
guter Katechismus muß in Frag und Ant-
wort ſeyn; es muß kein Endpfahl, kein
perlendes Krausgewinde, kein Luftſchwär-
mer, noch weniger eine grobe Unwarheit,
oder ein pöbelhaftes Schimpfwort, darinnen
ſtehen. Alle dieſe Eigenſchaften felen dem
gedruck-
[365[141]]gedruckteu Auffatze, den ich bisher analy-
ſiret habe: wo iſt katechetiſche Treue?
Zweck und Würde des Katecheten! ſoll
der. … Doch ehe ich ausgefragt haͤtte,
wuͤrde mir Hr. H. zurufen: ichrecensire
hier, undkatechisirenicht.
Wie wird es meiner Probe Rußiſcher
Annalen ergehen, wenn Hr. H. ſie einſt
nach den Regeln eines Elementarbuchs pruͤft!
— Wie ſeinen verſprochnen chriſtlichen
Dithyramben, wenn einer ſeiner Collegen
ſie wie eine Dogmatik recenſirt? —
§. 37.
Länge unſrer Recenſion, daß wir
das Buch beträchtlich halten.’
Jch danke.
Siehe oben S. 250.
§. 38.
die Feler eines Autors, der mer als
eitel werden ſollte, freier gerügt.’
Hr.
[366[142]]
Hr. H. iſt ein wolmeinender Mann:
auch dafuͤr danke ich. I. Dunkel giebt er
mir zu verſtehen, daß ich entweder bereits
eitel ſei, oder doch in Gefar ſtehe, es naͤch-
ſtens zu werden. II. Beſcheiden haͤlt er ei-
ne Recenſion, wie die ſeinige, fuͤr ein Praͤſer-
vatif gegen dieſes Uebel. III. Wolmeinend
applicirte er mir dieſes Praͤſervatif.
§. 39. Erſtlich,
Jch waͤre eitel, meint Hr. H. Nun ſo
zeige er mir Eine Stelle in meinem gan-
zen Buche, wo auch nur ein Haͤkchen waͤre,
an die er ſeine Laͤſterung aufhaͤngen koͤnnte!
Nur verbitte ich, daß er mir, in unſchuldige
Stellen, nicht erſt durch ſeinen Commentar Ei-
telkeit hineintrage, wie er bei dem Woͤrtgen
ſeiner S. 240 gethan: mit dieſer Logik koͤnn-
te man ihm ſonſt jeden Faden, den er am
Leibe traͤgt, zur Urkunde ſeiner Eitelkeit de-
monſtriren. Auch muß er es nicht Eitel-
keit und Geprænge nennen, daß ich in mei-
ne Tabellen ihm unbekannte Namen ge-
bracht: denn da bin ich nicht eitel, ſondern
er iſt unwiſſend — und eitel zugleich S. 333.
Widerſinnig iſt es immer, daß mir Hr.
H. hier Eitelkeit vorruͤckt, da er mich anders-
wo,
[367[143]] wo, wegen meiner nach ſeinem Begriffe zu
großen Beſcheidenheit, derbe aushoͤhnt.
Jch ſoll den Plan meiner Univerſalhiſtorie
nicht erſt dem Kenner vorweiſen, ich ſoll
uͤber deſſen moͤgliche Verbeſſerung nicht erſt
Stimmen aus dem Publico ſammlen, ich
ſoll die Ausfuͤhrung deſſelben nicht nonum
in annum premere; ſondern — nun gleich,
friſch von der Fauſt weg, eine Univerſalhi-
ſtorie ſchreiben.
§. 40.
Jch leſe mein Buch nochmals von An-
fang bis Ende durch, um Stellen zu finden,
auf die Hr. H. ſeinen mir gemachten Vor-
wurf von Eitelkeit mit einigem Schein des
Rechtens bauen koͤnnte: und finde — keine.
Jch leſe nochmals ſeine ganze Recenſi-
on im Zuſammenhange durch, um wenig-
ſtens eine Spur zu finden, worauf er die-
ſen Vorwurf gebauet haben moͤchte: und
finde endlich eine, wo ich nicht irre. Mein
Jdeal, oder die 7 erſten Bogen meines Buͤch-
leins, ſind ein “Univerſitaͤts-Compendi-
um; ſie ſind fuͤr Kinder und Schuͤler
geſchrieben; ſie ſind eine Rede, die ich von
dem Lehrſtul gehalten”: das ſetzt nun ein-
mal
[368[144]] mal Hr. H. trotz alles Augenſcheins, trotz
aller meiner Proteſtation in der Vorrede,
voraus. Nun aber iſt der Styl darinnen
nicht compendienmaͤßig: logiſche Saͤtze ha-
be ich manchmal hinten mit einem Fragzei-
chen geſetzt; 3 oder 4 Saͤtze habe ich manch-
mal in Einen zuſammengezogen; und uͤber-
haupt habe ich geſucht, die Magerheit und
Dürre zu vermeiden, die Hr. Herder an den
deutſchen Compendien — lobt oder tadelt?
Daruͤber hat Hr. H. ſeinen Gram; er nennt
meinen Styl bloße declamation, gar fran-
zöſiſche Declamation: und nun iſt freilich der
Vorwurf, daß man glänzen wolle, oder
der Verdacht der Eitelkeit, nicht mer weit.
Hier ſind Hrn. Herders grobe Worte:
Die erſten Capitel, “Begriff der all-
gemeinen Weltgeſchichte! Zuſammen-
hang der Begebenheiten! ſynchroniſti-
ſche Anordnung, und im ganzen Ver-
folg alle Stellen, die es nur einiger mas-
ſen werden konnten, ſind bloße Decla-
mation geworden, und in ſo lautem ge-
ſtikulirenden Ton, daß man ſich wun-
dern ſollte, wie das der Grundriß zu ei-
nem academiſchen Collegio, und Grund-
riß zur ſtrengſten Wiſſenſchaft, der Hi-
ſtorie„, ſeyn ſolle ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Wo
[369[145]]
Wo pœdagogiſche Treue? “Zweck und
Würde eines academiſchen Lehrers? Soll
derfür ſeine Zuhörer! — Schüler! — Kin-
der! — ſo glœnzen wollen? Antitheſen
ſuchen, und Schaumblaſen ſieden, und
Linſenkörner ſpieſen — ſoll ers? lohnts
der Mühe? iſts nützlich und würdig?
Wir Deutſche haben bisher den Vor-
zug gehabt, daß unſre Lehrbücher bei
aller Magerkeit und Dürre, wenigſtens
Richtigkeit, Beſtimmtheit gehabt haben,
an der dem Lehrlinge auch gewiß am
meiſten gelegen iſt. —
Die Academie, auf der der Verfaſſer
lehrt, hat dieſen Vorzug vorzüglich,
und hat “als Lehrbücher betrachtet, in
den meiſten Wiſſenſchaften die beſten ih-
rer Art.
Iſt die franzöſiſche Declamation nach
dieſem Schnitte eine nützliche Neuigkeit?
gewinnen oder verlieren unſre Lehrſtüh-
le, wenn ſie ſtatt Vorleſungen Reden,
und ſtatt Lehrbücher zierliche Feuerwer-
ke von Luſtſchwærmern bekommen?
Und nun wie anders, wenn aus dieſen
Capiteln Declamation, Capitel voll Facta
und Geſchichte (etwa im Ton Tacitus,
der doch auch kein Barbar war) gewor-
den wæren — wie anders! aber auch wie
ſchwerer! wir nemen den Verfaſſer ſelbſt
zum Zeugen, wie ſchwerer —.
Nun iſts ja aber ein zu alter Kunſtgriff,
daß wenn der Kleinmeiſter dem Geſpræch
A anicht
[270[146]]nicht zu ſtehen weiß, er weghüpfet, die
Bulerin ihr Schminkpflæſterchen eben
nicht auf den Ort eines Reizes, ſondern
einer Blaſe einer Narbe legt, und der
Profeſſor gewiß am liebſten declamirt,
wenn er — nicht lehren will, oder kan,
oder mag — was weis ich?
Und hier ſind meine kalte Antworten.
— Doch vorher frage ich noch: was iſt De-
clamation? iſt mein Buch ein Compendi-
um? muß der Profeſſor gerade uͤber ein
Compendium leſen? declamire ich in mei-
nem Buche?
I. Aus Roth teile ich allen proſaiſchen
Styl der Welt in zwei Klaſſen ein: Com-
pendien-Styl, und Nichtcompendien-
Styl. — Mein Buͤchlein beſteht aus zwei
Teilen: 1) den Summarien; die ſind
nichts als Mſct fuͤr meine Zuhoͤrer, 2) dem
Jdeal; das war hauptſaͤchlich fuͤr Ken-
ner der Wiſſenſchaft uͤberhaupt, dann be-
ſonders fuͤr einige meiner Hrn. Collegen,
denen ich zufaͤlliger Urſachen wegen eine Art
von Rechenſchaft uͤber die Einrichtung mei-
ner univerſalhiſtoriſchen Vorleſungen ſchul-
dig war, und nebenher zugleich mit fuͤr
meine Zuhoͤrer. — Jn den Summarien iſt
Compendien-Styl, das behaupte ich: im
Jdeal
[371[147]] Jdeal iſt Nichtcompendien-Styl, das
geſtehe ich.
II. Bei Univerſitaͤts-Collegien muß
nicht allemal ein Compendium in eigentlichem
Compendienſtyl zum Grunde gelegt werden.
Man lieſt auch uͤber ein Programm, uͤber
den Eſprit des Loix, uͤber die Jliade, uͤber
den Tacitus de Moribus Germanorum \&c.
(Hier ſei nur Hr. H. wegen ſeiner falſchen
Jmagination auf der Hut, damit er nicht
wieder etwa ein falſches Tertium comparatio-
nis ertappe, oben S. 343). Haͤtte Hrn.
Herders Abhandlung uͤber den Urſprung der
Sprache die uͤbrigen weſentlichen Eigenſchaf-
ten einer guten Abhandlung (Wahrheit, Be-
ſtimmtheit, und Neuheit der Jdeen): ſo
wuͤrde kein Univerſitaͤtsdocent Anſtand ne-
men, ſie bei Vorleſungen uͤber dieſe wichti-
ge Materie zum Grunde zu legen; wenn ſie
gleich nichts weniger als im Compendien-
ſtyl geſchrieben, und folglich nach Hrn. Her-
ders Begriffe kein Lehrbuch, iſt.
III. Bei meinem Jdeal hatte ich folgen-
de Abſicht auf meine Zuhoͤrer. Weitlaͤufti-
ge Prolegomenen ſcheue ich bei meinen Vor-
leſungen; aber ganz ohne Prolegomenen durf-
te ich die Weltgeſchichte nicht leſen. Jch
A a 2mußte
[372[148]] mußte meinen Zuhoͤrern wenigſtens ſagen,
was ich zu dieſer Wiſſenſchaft rechnete,
und warum ich es dazu rechnete: warum
ich umſtaͤndlicher bei der Geſchichte des Feu-
ers und Geldes, als bei den Namen der
Patriarchen und Roͤmiſchen Kaiſer, waͤre:
ſie haͤtten ſonſt glauben koͤnnen, ſie lernten
bei mir das gar nicht, was man ſonſt Uni-
verſalhiſtorie nennt. Nun uͤber dieſe Pro-
legomenen, die mir ſonſt 3 Wochen Zeit
verdarben, arbeitete ich den unter dem Namen
Jdeal gedruckten Aufſatz aus: 10 Stun-
den handle ich jetzo noch im Collegio davon,
dann verweiſe ich auf die gedruckten 7 Bo-
gen. Kinder und Schüler habe ich nicht zu
Zuhoͤrern: viele verſtehen die gedruckten
Prolegomenen ſchon ohne alle Vorbereitung;
die uͤbrigen verſtehen ſie gewiß, nachdem
ſie den 10ſtuͤndigen Discurs angehoͤret ha-
ben. Und nun, da mir Hr. H. den 2ten
Teil meiner Vorſtellung abgenoͤtiget, das
iſt, da er mich gezwungen hat, einiges aus
dem Commentar uͤber mein Jdeal, den ich
ſonſt fuͤr den Druck zu geringe hielt, drucken
zu laſſen, komme ich kuͤnftig ſtatt 10 mit 6
Stunden ab. (Hr. H. laͤchelt doch nicht
uͤber mein karges Stundenzaͤhlen?
IV. Mein
[373[149]]
IV. Mein Jdeal iſt nicht in Compen-
dien-Styl: was thut das? Schreibe mir
doch ein Schoͤner Geiſt eine Univerſalhiſto-
rie ſo ſchoͤn wie Uſong und den goldnen Spie-
gel: ich daͤchte, es lieſſe ſich mit großem Nu-
tzen daruͤber leſen. Der Anfaͤnger ſchluͤge
z. Ex. darinn das Buch von alter Aegypti-
ſcher Geſchichte auf, und — verſtuͤnde nichts:
nun hoͤrte er aber 14 Tage lang den Docen-
ten, mit ſteter Ruͤckſicht auf jenes gedruckte
Buch, von Aegypten plan und methodiſch
ſprechen; nun kehrte er zu dem Buche zuruͤck,
und — verſtuͤnde alles, klaubte Saͤtze aus
einzelnen Beiwoͤrtern heraus, merkte die
verſteckten Anſpielungen, begriffe die einge-
webten Raiſonnemens, und genoͤße dabei
das Vergnuͤgen eines Erfinders. So eine
Univerſalhiſtorie waͤre kein Lehrbuch, wenn
Compendienſtyl einem Lehrbuche notwendig
iſt: aber wuͤrde es deswegen Hr. H. ein zier-
liches Feuerwerk von Luftſchwœrmern nen-
nen?
V.Nichtcompendien-Styl und De-
clamation ſind nicht Synonyma. Raͤu-
me ich alſo gleich Hrn. Herdern ein, daß
die Haͤlfte meines Buchs nicht in Compen-
dien-Styl geſchrieben ſey: ſo fodere ich ihm
A a 3doch
[374[150]] doch noch den Beweis ab, daß ich darinnen
declamire. Meiner Meinung nach liegt
das Weſen des Declamirens nicht im Ge-
brauche der Figuren, nicht in ungewoͤhnli-
chen kraͤftigen koͤrnichten Woͤrtern, nicht im
Schmucke des Ausdrucks, nicht im Gedren-
ge einzelner Jdeen: ſondern darinnen, wenn
unter den helltoͤnenden Woͤrtern entweder gar
keine, oder falſche, oder wahre aber nur all-
taͤgliche Gedanken ſtecken, oder zwar einzel-
ne wichtige und neue Jdeen, die aber am un-
rechten Orte ſtehen, und zuſammen geſcho-
ben einen Nonſenſe machen. Das faßlichſte
Beiſpiel hievon giebt Hrn. Herders Endpfahl
oben S. 237. Auch paßt dieſe Definition treff-
lich auf deſſen Abh. vom Urſprung der Spra-
che. Drei Kenner haben bisher unter der
Huͤlle ſeiner Bombaſte Jdeen, neue Jdeen,
wahre Jdeen geſucht, und ihm bereits drei
oͤffentliche Non-Recepiſſe daruͤber ausgeſtellt.
Andre aber lieſſen ſich vors erſte von dem
Geraͤuſche der ſchallenden Worte betaͤuben,
und ſuchten gar nicht, oder konnten nicht ſu-
chen, oder wollten nicht — was weiß ich?
VI. Suche nun Hr. H. in allen meinen
Stellen, die nicht compendienmaͤßig ſind, un-
ter der Huͤlle ſolcher Worte, die ihm ſchwer-
faͤllig
[375[151]] faͤllig ſcheinen, nach, ob Jdeen darunter lie-
gen, und was fuͤr welche? Doch er hat ſchon
geſucht, und — nichts gefunden, folglich
“declamire ich auch„? Um Vergebung, es
giebt eine Kunſt zu ſuchen, die Hr. H.
erſt lernen muß. Wenn ich in der beſten chy-
miſchen Abhandlung, ſogar mit Sorgfalt,
Jdeen ſuche: ſo finde ich keine. Nun doch
Geſchichtkunde fuͤr ihn, was fuͤr mich Chy-
mie!
VII. Das war Ein Paralogismus: “wer
in Nichtcompendienſtyl ſchreibt, und in ei-
ner Hrn. H. voͤllig fremden Sache ſo ſchreibt,
daß Hr. H. nichts bei ſeinen Worten denken
kan, der declamirt„. Nun kommt ein zwei-
ter: “wer in ſolchem Nichtcompendienſtyl,
das Sujet mag ſeyn, wie es will, nicht
Facta und Geſchichte anbringt, der decla-
mirt„. 1) Jch will hoffen, Hr. H. redet
blos von meinem Jdeal: denn daß es in den
Summarien an Factis und Geſchichte fele,
das wird er doch nicht meinen? Das hieße
doch wirklich, vor den vielen Baͤumen den
Wald nicht ſehen koͤnnen. 2) Ein Jdeal
von Welthiſtorie iſt eine theoretiſche Abhand-
lung, wie eine Welthiſtorie geſchrieben wer-
den ſoll; nicht die Welthiſtorie ſelbſt. Aus
A a 4die-
[376[152]] dieſem Jdeal moͤchte Hr. H. lieber Capitel
voll Facta und Geſchichte etwa im Tone Ta-
citus haben. Moͤchte er nicht auch einen
Katechismus etwa im Tone Tacitus;
oder eine Dithyrambe, die aus lauter Ka-
piteln vollFacta beſtuͤnde? — K. Johann
V von Portugall ließ ſich in Rom einen Riß
zu ſeinem Matra machen. Ein Bote brach-
te den Riß in der Taſche: wie anders, ſagte
ein Portugieſiſcher Herder, wenn der Mann
Steine und Kalk, oder das ganze Gebæude
fertig, mitgebracht hætte (etwa wie die En-
gel das Haus von Nazareth); wie anders!
aber auch wie ſchwerer! wir nemen den
(tragenden) Boten ſelbſt zum Zeugen, wie
(phyſiſch) ſchwerer! — * 3) Da wo in
mei-
[377[153]] meinem Jdeal Facta als Beiſpiele anzubrin-
gen waren, oder angebracht werden mußten,
da
*
A a 5nicht
[378[154]] da liegen ſie dichte auf einander. Aber was
kan ich dafuͤr, daß ſie Hr. H. wieder nicht
finden konnte? Er lieſt mir z. Ex. in mei-
ner Vorſtellung S. 36:
ro —, durch fremde Mietſoldaten. Hlo-
dowichs — Reich ermattet, wie die Staten
Mohaͤmmeds — und Dſchinkis Chans —,
durch Major Domus —, Weßire —, und
Novianen —. Der Papſt —, der Chali-
fe —, der Dairo —, und der Dalai – La-
wa —, ſind bloß verſchiedene Arten ein
und eben derſelben Gattung.’
Hier ſind doch Facta, und zwar viele in engen
Raum gepreßt: folglich nicht Declamation.
Warum griff ſie Hr. H. nicht? entweder weil
in meiner Vorſtell. die langen Striche fe-
len, die manchmal fuͤr die Weghüpfer Fuß-
angeln ſind, um ſie zum Stehen zu brin-
gen; oder weil er die ganze Materie nicht
verſteht. Jch leſe in einer ſehr guten Diſ-
putation die Stelle:
ratarum drachmae tres deſtillationi in re-
torta
[379[155]]torta vitrea commiſſae, ab initio quas-
dam aceti puri guttulas dimittebant; li-
quor poſtea tranſcendit pondere drachmae
ſemis circiter, magis magisque dulceſ-
cens, atque empyreuma parum olens;
eodem tempore ſublimati quidquam ſub
ſorma florum in collo retortae conſpicie-
batur.
Mir gehts mit dieſer Stelle gerade ſo, wie
es Hrn. Herdern mit den meinigen geht: ich
— verſtehe nichts von, denn ich bin kein Chy-
miker. Aber ich bin Gottlob! des Schluſſes
nicht faͤhig, daß der mir unverſtandne Auctor
nur declamire, Schaumblaſen ſiede, Linſen-
körner ſpieſe.
VIII.JmTone Tacitus kan ich nicht
ſchreiben: wer kann das? Auch laſſen ſich
dogmatiſche Abhandlungen, wie Jdeale, ih-
rer Natur nach nicht in deſſen Tone ſchreiben,
ſondern nur Hiſtorien: Lebenslaͤufe wol, aber
nicht Leichenpredigten. Nur eine Eigenſchaft
des Schriftſtellers Tacitus laͤßt ſich bei allen
Gattungen von Aufſaͤtzen anbringen, die
Gedrungenheit. Mein Styl kan alle moͤg-
liche Fehler haben, die Hr. H. nur erſinnen
kan: aber ſollte unter dieſen Felern auch Weit-
ſchweifigkeit und Jdeen-Leere ſeyn? —
Uebrigens iſt Tacitus wirklich kein Barbar.
ich
[380[156]] ich danke Hrn. H. fuͤr die Belerung: etwas
aͤhnliches hatte ich ſelbſt ſchon in meiner
Nordiſchen Geſchichte S. 147 geſagt.
Zur ſchuldigen Gegenbelerung habe ich die
Ehre, Hrn. H. zu melden, daß Homer kein
Dummkopf, und Anakreon kein Barden-
ſaͤnger, ſei.
IX. Hr. H. ruͤhmt an unſern deutſchen
Compendien, daß ſie bei aller Magerkeit und
Dürre wenigſtens Richtigkeit und Beſtimmt-
heit gehabt, an der dem Lehrlinge auch ge-
wiß am meiſten gelegen wäre. Aber 1)
kan dann nicht auch in fetten Compendien
Richtigkeit und Beſtimmtheit ſeyn? Kan nicht
in einem fetten Koͤrper eine richtig denkende
Seele wonen? Umgekehrt giebt es doch auch
magre und duͤrre Compendia, mit ſehr viel
Unrichtigkeit und Unbeſtimmtheit. Mich
deucht, ich hoͤre hier einen alten Wolfianer
ſprechen, der der Philoſophie und dem Men-
ſchenverſtande nahen Untergang weiſſagte,
wie man anfieng, Moral und Metaphyſik
in andrem als Wolfianiſchem Styl vorzu-
tragen. 2) Jch habe bei meinem Aufſatze
Magerkeit und Dürre zu vermeiden geſucht:
es iſt moͤglich, daß ich daruͤber in entgegen
geſetzte noch unausſtehlichere Feler gefallen
bin;
[381[157]] bin; dieſe Feler koͤnnen da ſeyn, und doch
der Richtigkeit und Beſtimmtheit der Sachen
unbeſchadet. Den Mangel der leztern haͤt-
te alſo Hr. H. noch beſonders durch Beiſpie-
le erweiſen muͤſſen. Endlich 3), was ich
ſchon ſo oft erinnert habe, ein Compendium,
ein Grundriß, iſt mein Jdeal nicht, und
ſoll es nicht ſeyn, ſo wenig als ein Elemen-
tarbuch.
X. Hr. H. glaubt, unſre Lehrſtühle
würden verlieren, wenn ſie ſtatt Vorleſun-
gen Reden bekämen. Das glaub ich auch.
Aber meint dann Hr. H., ich haͤtte mein
Jdeal vom Lehrſtuhle abgeleſen? Unſre Ka-
techiſir-Altaͤre wuͤrden verlieren, wenn man
ſie mit Endpfählen (S. 237) verpalliſadirte,
und der Paſtor in Herderſchem Recenſenten-
Phoͤbus herausdocirte: aber ich denke nicht,
daß Hr. H. ſo katechiſirt, wie er recenſirt.
XI. Wenn der Kleinmeiſter dem Geſprä-
che nicht zu ſtehen weiß; ſo hüpft er weg.
Das iſt der Kleinmeiſter in der Perſon des
Docenten. Aber es giebt auch einen Klein-
meiſter in der Perſon des Zuhoͤrers, Leſers,
und Recenſenten: wenn der ſeinen Lerer oder
Auctor nicht faſſen kan, ſo hüpft er gleich-
falls weg. Der Auctor will mit Richtigkeit
und
[382[158]] und Beſtimmtheit den Deſpotism beſchrei-
ben, und ſagt:
lent avoir du fruit, ils coupent l’arbre
au pié et cueillent le fruit,’
und nichts weiter. Nun hüpft er weg? —
Nicht doch, der Auctor bleibt ſtehen, und
denkt weiter, und verlangt, daß auch ſein Le-
ſer weiter denken ſoll: aber der Kleinmeiſter
unter ſeinen Leſern, deſſen Sache das Wei-
terdenken nicht iſt, verſteht ihn nicht, zieht
aus, und trillert im Weghuͤpfen, und ſagt
den Leuten wol gar, nicht Er ſondern ſein
Auctor ſei weggehüpft.
XII. Ob unter dem Schminkpfläſter-
chen einer Bulerin immer eine Blaſe oder
Narbe liege, ob es nicht manchmal auch auf
einem Orte des Reizes angebracht ſei, daran
zweifle ich: doch wage ich es nicht, dem
Hrn. Conſiſtorial-Rathe hierinne zu wider-
ſprechen. Das moͤgen Leute entſcheiden, die
in dieſer Art von Grundesreinigung Einſich-
ten und Erfarung haben. Aber Beſtimmt-
heit fehlt ſeinem Bilde gewiß: ich will ſie
in wenig Worten ergaͤnzen. Eine Geſchich-
te in Compendienſtyl iſt die ehrbare Ma-
trone. Eine Geſchichte in Moͤnchsſtyl iſt
der
[383[159]] der Aſchenbuͤdel; ein ganz nuͤtzliches zuͤch-
tiges Ding, aber nur ein Aſchenbuͤdel.
Eine Geſchichte voll Declamation, Bom-
baſt, und Flitterwerk, iſt die Bulerin mit
den Schminkpflaͤſterchen. Eine Geſchichte
in wirklich ſchoͤnem Styl, Voltairiſch-ſchoͤn
und Maſcouiſch-richtig, iſt das Schnitter-
mädchen des Himmels. So ein niedliches hiſto-
riſches Schnittermaͤdchen kenne ich nun frei-
lich noch in keiner Sprache: aber moͤglich
iſt es doch. Und meine ganze Bitte iſt, daß
Hr. H. dem Linne nachahme, und im Klaſ-
ſificiren keine Spruͤnge thue, keine Glieder
auslaſſe: ſo wie er gleich darauf ſich beim
Profeſſor nur lehren (im Compendienſtyl
ſchreiben) und declamiren denkt; zwiſchen
welchen beiden Dingen doch wenigſtens
Ein Drittes in der Mitte liegt.
XIII. Es iſt nicht moͤglich, daß Hr. H.
dieſes Dritte nicht kennen ſoll. Wenn ich
nun alles zuſammen neme, was er hier in
einem Odem weg declamirt, im eigentlichſten
Verſtande declamirt; wenn ich aus ſeinen
Nonſenſen wenigſtens ſeine Abſicht, und
was er auf dem Herzen hat, ergruͤnden will:
ſo duͤnkt mir ſeine Meinung dieſe zu ſeyn,
die mir zugleich auf einmal die Urſache alles
auf
[384[160]] auf mich geworfenen Verdachtes der Eitel-
keit aufſchließt. Er will einmal nicht, daß
ein Hiſtoriker anders als im Annalen- und
Compendienſtyl ſchreibe: Facta ſoll er gibeo-
nitiſch zuſammenſchleppen, und die Anord-
nung, den Schmuck, die gefaͤllige Einklei-
dung derſelben, den Schoͤnen Geiſtern und
Herders uͤberlaſſen. Das ſind allein die Leu-
te von Geſchmack und Genie; die muͤſſen
ein ausſchlieſſendes Privilegium haben, je-
ner ihre geiſtloſe Compilationen zu verarbei-
ten, und im weichen Lehnſtule Betrachtun-
gen daruͤber anzuſtellen, wie Abbt mit der
Compilation der Engliſchen Weltgeſchichte
vorhatte. Jeder bleibe alſo bei ſeinem Fa-
che: der Weſtfaͤlinger ſpinne Garn, und
der Niederlaͤnder verwebe es; der Spanier
ziehe Wolle, und der Britte mache Laken
draus; der Hiſtoriker ſchleppe Facta zuſam-
men, ganze Capitel voll Facta, und Hr.
Herder verarbeite ſie zu ſchoͤnen Geſchichten.
Es iſt wider alle gute Polizei, die Staͤnde
und Narungsarten unter ſich, den Dorfhan-
del mit dem Stadthandel, zu vermengen. Der
Flachsbauer, der Schaͤfer, der Hiſtoriker,
vielleicht der Profeſſor uͤberhaupt, bleibe bei
ſeinem Productenhandel: zum Manufactu-
riren
[385[161]] riren ſind andre Leute da. — Jſt das Hrn.
Herders Meinung, will ers, ſoll ers, iſts
nützlich und würdig?
§. 41.
Das war alſo meine Eitelkeit! Weil ich
mein Jdeal nicht in Compendienſtyl geſchrie-
ben habe: ſo hab ich nur glänzen wollen,
nur declamirt, und ſtatt eines Lehrbuchs ein
zierliches Feuerwerk von Lufftſchwärmern
gemacht. Andre Beweiſe von meiner Eitel-
keit hat Hr. H. nicht angefuͤhrt: er muß auch
keine andre haben, ſonſt haͤtt er ſie wol an-
gefuͤhrt.
Und nun Hrn. Herders Eitelkeit? —
Von der, deucht mich, habe ich buͤndigere
Beweiſe. Vielleicht irre ich mich bei ihm
ſo gut, wie er bei mir: allein ich meine es
doch nicht, daß ich mich irre. Mit hiſtori-
ſcher Heuriſtik (S. 279) grabe ich dieſe
Beweiſe aus ſeiner eigenen Recenſion her-
aus; und mit eben der muſterhaften Frei-
muͤtigkeit, die er ſich gegen mich erlaubt,
lege ich ſie der Beurteilung eines ehrſamen
Publici vor.
Als Hr. H. im J. 1767 zuerſt ſich in
dem Publico ſehen ließ, da war er ein be-
B bſcheidener
[386[162]] ſcheidner Mann. Da ſagte er: ich werfe
mich nicht zu einem Richter im Namen des
Publicum auf, ein Amt, wozu ich mir nicht
Beruf genug zutraue (Fragm. Vorr. S.
2). Und da war doch von Belleslettres
die Rede, nicht von Geſchichtkunde! Aber
da die Supplik fruchtete, die er S. 380
bei fuͤnf Marſchaͤllen des Publici eingab:
kam er nach einigen Jaren aus dem Felde
des Autor-Ruhms ſiech zurück, und brach-
te Belletriſtenſtolz und Autorſtolz mit.
Die erſte Art von Stolz muß ich, um eini-
ger Leſer willen, erklaͤren.
I. Deutſchland hat in unſern Tagen vie-
le wahre Belletriſten, aͤchte Kenner des Schoͤ-
nen, die der Stolz unſrer Nation, und die
Zierde unſrer Litteratur ſind. Aber ſo wie
die woltaͤtigen Ueberſchwemmungen des Nils
zugleich Peſt und Gewuͤrme erzeugen: ſo
kommt ſeit einiger Zeit hie und da eine Art
junger unausſtehlicher Leute zum Vorſchein,
die ſich Belletriſten nennen, und ſich durch
Traͤgheit, Fluͤchtigkeit, Unwiſſenheit, und
andre uͤble Eigenſchafren, am meiſten aber
durch einen Stolz von niegeſehener Art,
auszeichnen. Dieſe Leutgen haben 1) er-
ſtaunlich hohe Begriffe von alle dem, was
zu
[387[163]] zu ihrem Gebiete gehoͤret. Theater iſt ih-
nen, bei weitem, die allerwichtigſte Staats-
Einrichtung: gegen einen naiven Gaſſen-
hauer iſt ihnen Metaphyſik, Dogmatik, und
Acten nichts: und fuͤr Virgils Culex wuͤr-
den ſie das ganze buͤrgerliche peinliche und
Stats-Recht hingeben *. 2) Sie vergeſſen,
daß
[388[164]] daß Belleslettres zwar ein ſehr ſchaͤtzbarer,
aber doch nur ein Teil, von der unermeßli-
chen ganzen Gelerſamleit ſei; und waͤhnen,
wer Belleslettres verſtuͤnde, der verſtuͤnde
alles. Daher lernen ſie nichts. 3) Da zu
dieſem Teilgen der Gelehrſamkeit, vorzuͤg-
licher als zu andern Wiſſenſchaften, Genie
gehoͤrt, aber nur aus dem Grunde, weil
ein Belletriſte ohne Genie ein voͤllig un-
brauchbares und erbaͤrmliches Weſen iſt,
hingegen z. E. ein Hiſtoriker, ein Juriſt etc.
auch bei wenigem Genie durch bloßen Fleiß
ein ſehr nuͤtzlicher Mann ſeyn kan: ſo ſehen
ſich dieſe Herren fuͤr Genies κατ᾽ ἐζοχην
an; verachten alle andre Wiſſenſchaften, in
denen Fleiß und Studium oft mer als Ge-
nie thut; und glauben, ſich alles deſſen,
was noch in andren Wiſſenſchaften wuͤrdi-
ges iſt, durch ihr Genie bemaͤchtigen zu
koͤnnen. Daher 4) fallen ſie, bei aller ih-
rer
*
[389[165]] rer Traͤgheit, gleichwol uͤber alles her, fou-
ragiren weit und breit **, machen hin und
wieder Beute, und ſchleppen es nach Hau-
ſe, und meinen bei der Ruͤckkunft, die Laͤn-
der, in die ſie Streifereien gethan, waͤren
nun ihr Grund und Boden, uͤber den ſie
Herr und Meiſter waͤren. — — Ungerne
muß ich hier einige Anwendung auf meinen
Hrn. Recenſenten machen. Hr. H. fuͤhlet
ſeine Kraͤfte in den ſogenannten ſchoͤnen Wiſ-
ſenſchaften: auch ich erkenne dieſe ſeine Kraͤf-
te, und reſpectire ſie. Aber denkt Hr. H. von
ſeinem Fache nicht gar zu hoch? Siehe das
Excerpt von Volksliedern S. 387. Und ſind
Belles-
B b 3
[390[166]] Belleslettres und Hiſtorie nicht ganz verſchie-
dene Dinge? So groß er in jenen ſeyn
mag, ſo nichts iſt er in dieſer: das muß
ihm ſein Herz ſagen, das verraten alle ſeine
Schriften, das beweiſet gegenwaͤrtige Recen-
ſion urkundlich. Zwar fouragiret hat er
weit und breit in hiſtoriſchen Schriften;
das ſehe ich aus ſeinen Fragmenten, und aus
ſeiner Abhandl. uͤber den Urſprung der Spra-
che. Aber glaubt er nicht, daß es auch Hi-
ſtoriker gebe, die Jar aus Jar ein eben ſo
viel Gedichte und andre Werke des Witzes,
wie er Hiſtorien, zum Vergnuͤgen leſen, und
die er doch nimmermer fuͤr Zunftgenoſſen er-
kennen wird? Wie kam er nun auf den un-
gluͤcklichen Einfall, in einem hiſtoriſchen
Buche, das offenbar nur von Zunftgenoſ-
ſen verſtanden werden kan und beurteilt wer-
den ſoll, — nicht zu fouragiren, ſondern
— ſich daruͤber zum Richter aufzuwerfen,
und was noch mer iſt, ſein ihn entehrendes
Urteil ſo patzig, ſo ſpoͤttiſch, mit ſo vieler
Zuverſicht, mit ſo ſuͤſſer Selbſtgenugſam-
keit, abzufaſſen, und es drucken zu laſſen,
in eine gelerte Zeitung drucken zu laſſen! Er-
klaͤre er mir doch dieſen Einfall anders, als
aus der eiteln Jdee, daß ein Belletriſte
ein
[391[167]] ein Univerſalmann, ein General-Richter
aller Wiſſenſchaften, ſei! Fuͤhle er doch leb-
haft den laͤcherlichen Stolz, der in dem
Schluſſe ſeiner Recenſion liegt: ich Herder
habe die Feler des Verfaſſers eines hiſtoriſchen
Buchs freier gerügt! Und fuͤhlt er ihn noch
nicht: ſo denke er ſich einen guten Homileti-
ker, der ſeinem Nachbar, einem Publiciſten,
wer weiß warum? zu Leibe will, oder zu
Leibe ſoll, und in deſſen Deduction Feler
ſucht, und aus leidiger Unwiſſenheit wirk-
lich glaubt, Feler darinn gefunden zu haben,
und nun ſich auf die Zinne einer Zeitung
ſtellt, und herabkraͤhet: ich Homiletiker ha-
be die Feler dieſes Publiciſten freier gerügt!
II. Vom Belletriſten-Stoltze unterſchei-
de ich ſeinen Auctor-Stolz. Jch fuͤrchte,
ich fuͤrchte, Hr. H. haͤlt ſich fuͤr einen furcht-
baren Mann! hier ſind meine Beweiſe. Ein-
mal, Hrn. Herders Betragen gegen mich
bei dieſer Recenſion iſt unlaͤugbar ſehr belei-
digend: haͤtte er auch in den meiſten Stuͤ-
cken Recht, wie er doch in keinem einzi-
gen hat; ſo haͤtte er doch nicht ſo grob und
B b 4hoͤniſch
[392[168]] hoͤniſch thun ſollen. Zweitens, da ich kei-
ne Pflichten gegen ihn habe, die er nicht ge-
gen mich haͤtte: ſo mußte er erwarten, daß
ich mein Recht der Selbſtverteidigung nuͤtzen,
und ihm begegnen wuͤrde, wie er mir. Ent-
weder er erwartete dieſes, und ließ ſich
gleichwol in ſeinem Vorſatze nicht irre ma-
chen: — das will ich nicht hoffen. Von
der Klaſſe von Leuten, die fertig ſind, an
andren alles zu veruͤben, und bereit, auch
dagegen alles von andren zu leiden; die kei-
ne Zaͤrtlichkeit gegen andrer Ehre haben,
weil ihnen ihre eigene voͤllig gleichgiltig iſt:
kan ich mir keinen renommirten Gelerten,
noch weniger einen Conſiſtorial-Rath, den-
ken. Alſo — er erwartete es nicht. Nun
warum denn nicht? 1) Jch bin ja kein Colle-
ge von ihm, daß er haͤtte hoffen koͤnnen,
ich wuͤrde aus Eſprit du Corps, oder aus
Anerinnerung beſchworner Statuten, mei-
nem Rechte Einmal entſagen! 2) Dachte er et-
wa, unbekannt zu bleiben? Das wollte er nicht
einmal: bald nach dem Abdrucke ſeiner Re-
cenſion wußte es jedermann hier und anders-
wo, daß er der Verfaſſer waͤre. Alſo bleibt
kein andrer als der 3)te Fall uͤbrig: er hielt
ſich fuͤr einen furchtbaren Mann, an den
ſich
[393[169]] ſich nach Klotzens Tode niemand mer, nicht
einmal defenſive, wagen wuͤrde. Wo die-
ſe Furchtbarkeit herkommen ſolle, weiß ich
eben nicht. Commandirt er etwa ein hal-
bes Duzend Zeitungen und Journale? Mag
ers doch; aber wer ſeiner guten Sache gewiß
iſt, wird dadurch im Jar 1773 nicht mer
bloͤde. Er laͤſtere, und laſſe laͤſtern, ſo viel
er will, und noch mer, als er bereits in der
Frankfurter Zeitung auf mich und andre ge-
laͤſtert hat. Das deutſche Publicum hoͤret
Gruͤnde, und laͤßt ſich nicht durch Recen-
ſionen und Laͤſterungen betaͤuben. Hr. Her-
der, als ein Nichtdeutſcher, ſcheint dieſes
Publicum noch nicht genau genug zu ken-
nen; oder er ſieht es immer nur von Einer,
und zwar der geringfuͤgigen, der belletriſti-
ſchen, Seite an.
§. 42. Zweitens
Doch vorausgeſetzt, daß ich eitel ſei,
oder in Gefahr ſtuͤnde, es zu werden: wie
konnte Hr. H. glauben, daß mir eine Recen-
ſion de ſa façon ein ſchickliches Heilungs-
oder Verwarungsmittel dagegen ſeyn wuͤrde?
Ungluͤcklicher iſt wol niemand in der Wahl
ſeiner Mittel zur Erreichung eines End-
B b 5zwecks
[394[170]]zwecks geweſen, als Hr. H. hier: ſein Mit-
tel, fuͤr ſich genommen, bringt notwendig die
entgegen geſetzte Wirkung hervor. Kein
groͤßrer Triumph iſt fuͤr einen Auctor, als
wenn ein ſchwacher Recenſent ihn demuͤtigen
will, der ihm aber nichts als guten Wil-
len bieten kan; keine ſtaͤrkendere Narung iſt
fuͤr jenes Eitelkeit, als wenn ihm dieſer mit
Toben Schreiben und Hoͤhnen Feler vorruͤckt,
die erweislich keine Feler ſind. Dann ſchließt
der Auctor: “kan ein Recenſent, der aus-
druͤcklich darauf ausgeht, dir Feler zu zeigen,
keinen einzigen wahren an dir finden; was
muſt du nicht fuͤr ein gewaltiger Mann ſeyn„!
Und ſo denkt nicht bloß der Auctor, ſondern
ſelbſt ein großer Teil des zuſchauenden Pub-
lici. — Wem anders, ich nehme Hrn. Her-
dern ſelbſt zum Zeugen, hat Hr. H. ſelbſt
ſeinen ganzen Belletriſtiſchen Ruhm in
Deutſchland, folglich ſeine ganze Eitelkeit,
zu danken, als der zu ſchwachen Partei, mit
der er ſich merere Jare herumbalgte, und
der er, eben wegen ihrer ſichtbaren Schwaͤ-
che, ſichtbar uͤberlegen war? Er arbeitet hier
alſo ſeiner eignen Abſicht ſchnurſtracks ent-
gegen: er will mich demuͤtigen, und braucht
gerade das Mittel dazu, das ihn ſelbſt eitel
gemacht hat.
Doch
[395[171]]
Doch ſei er nicht bange, daß dieſes Mit-
tel auch bei mir ſo anſchlagen werde, wie
bei ihm: meine ganze Conſtitution iſt nicht
darnach. Jch bin von ſeiner Unfaͤhigkeit,
gutes oder boͤſes von meinem Buche richter-
lich zu ſagen, zu lebendig uͤberzeugt; und
alſo ſchlieſſe ich nimmermer: weil mir Hr. H.
keinen einzigen Feler darinnen hat weiſen
koͤnnen, alſo iſt auch keiner drinnen. Ver-
ſchiedene andere Recenſenten haben mich be-
reits, obgleich minder abſichtlich, von dem
Gegenteile uͤberfuͤhrt. Und ich ſelbſt habe hie-
von taͤglich neue Beweiſe gefunden, da, ſeit
dem Abdrucke meines Buchs, die Univerſal-
hiſtorie noch immer mein taͤgliches Geſchaͤfte
geweſen. Dieſe Beweiſe will ich ſelbſt, ohne
mich zu ſchaͤmen, in dem kuͤnftigen dritten
Teile dieſer Vorſtellung, oder in der neuen
Auflage des erſten Teils, regiſtriren: Hr. H.
ſoll ſeine Freude daran haben, und nur be-
dauren, daß Er dieſe Beweiſe nicht gefun-
den hat.
§. 43. Drittens,
aber Hr. H. meinte es gleichwol gut:
er hielt einmal das fuͤr wirkliche Feler an mir
und meinem Buche, was er dafuͤr ausgiebt;
was
[396[172]] was kan er dafuͤr, daß ers nicht beſſer ver-
ſtand?
Gut, es ſei ihm verziehen, daß er ſich
geirret hat. Jch will nicht einmal unterſu-
chen, ob das heiſſe verzeihlich irren, wenn
man auf die Art, und unter den Umſtaͤn-
den irrt, wie Hr. H. hier geirret hat.
Aber der Ton, in dem er ſeine Jrrtuͤ-
mer von ſich giebt, die Mine, die er dabei
annimmt: warum ſo ſpoͤttiſch, ſo hoͤhniſch,
ſo beleidigend? Wer iſt denn Herr Herder,
oder wer glaubt er, daß er waͤre, um mit
mir in dieſem Tone vor dem Publico ſprechen
zu duͤrfen? Schaut der Mann nicht tief auf
mich herab! Spricht er nicht mit mir, wie
Doct. Stauzius mit Sebaldus Nothankern,
ehe der Major ihn Mores lehrte: ſo vertraut,
ſo offenherzig, ſo familiaͤr; und wir kennen
doch einander nicht! Non putaram, me ti-
bi eſſe tam familiarem, ſagte ein ohnlaͤngſt ver-
ſtorbner Superintendent einem Kaufmann,
der ihn — nicht haͤmiſch recenſirt, ſondern
— nur auf ein zu kurzes Abendeſſen zu Gaſte
gebeten hatte.
Eine Ehre iſt der andern werth. Unge-
rufen von mir, arbeitete Hr. H. an meiner
Erleuchtung und Beſſerung; gerufen von
ihm
[397[173]] ihm ſelbſt, will ich an der ſeinigen arbeiten.
Empfange er alſo hier von mir, zum Schluſ-
ſe dieſer Analyſe, folgende treugemeinte Vor-
ſtellungen, Ermanungen, und Warnungen,
die, wenn er ſie gehoͤrig beherziget, ihm als
Gelerten, als Schriftſteller, als Recenſen-
ten, und als Geiſtlichen, heilſam ſeyn koͤnnen.
I.
Der Recenſions-Unfug, der ſeit zehen Jaren
in Deutſchland, zur tiefen Herabſetzung unſrer
ganzen vaterlaͤndiſchen Litteratur, getrieben wird,
iſt leider bekannt. Nur zum Gluͤcke war es auch
bekannt, oder man glaubte es wenigſtens durch-
gaͤngig, daß diejenige, die dieſen Unfug trieben,
nicht Maͤnner von Wuͤrde, nicht Gelerte von An-
ſehen, ſondern junge, unwiſſende, mutwillige,
und groͤſtenteils hungrige Leute, waͤren. So ant-
wortete ſonſt ein patriotiſcher Deutſcher, wenn
ihn Auslaͤnder uͤber dieſen Unfug befragten: und
damit war die Ehre ſeiner Nation wenigſtens
halb gerettet.
Nun aber, die Recenſion, von der hier die
Rede iſt, ein Muſter von Recenſions-Unfuge,
voll in die Augen fallender Unwiſſenheit, Unge-
rechtigkeit, und Mutwillen, — hat zum Ver-
faſſer — Hrn. Herdern, einen durch Belleslet-
tres beruͤhmten Gelerten, einen Geiſtlichen, ei-
nen Conſiſtorial-Rath ..... Saul unter den
Propheten konnte fuͤr die Hebraͤer kein frappante-
rer Anblick ſeyn, als ein Conſiſtorial-Rath mit-
ten
[398[174]] ten in Deutſchland unter dieſer verworfenen Re-
cenſentenbande fuͤr jeden patriotiſchen Deutſchen
ſeyn muß!
Haͤtte er doch wenigſtens, wie bei ſeinen uͤbri-
gen Recenſionen geſchehen ſeyn ſoll, verhuͤtet,
daß es nicht ſo allgemein bekaunt worden waͤre,
daß er der Verfaſſer dieſer ſanbern Recenſion ſei:
ſo waͤre das Aergerniß minder groß geweſen.
Nun aber, was wird ſeine Gemeine denken! —
Denn dieſer ihr Heil liegt mir eben ſo am Herzen,
wie ihm das Heil meiner Hrn. Zuhoͤrer.
II.
Hr. Herder iſt ein Geiſtlicher, und heißt Con-
ſiſtorial-Rath. Hat er gar kein Gefuͤhl fuͤr an-
drer Ehre, auch ſolcher nicht einmal, die ihn im
geringſten nie beleidiget haben; hat er kein Ge-
fuͤhl fuͤr ſeine eigne Ehre: ſo habe ers doch fuͤr
die Ehre ſeines Standes. Dieſer Stand muß in
Achtung bleiben; jeder Vernuͤnftige, und haͤtte
er auch das Ungluͤck, die Religion bloß fuͤr eine
Stats-Einrichtung zu halten, behauptet das: er
kan es aber unmoͤglich bleiben, wenn die Glieder
dieſes Standes ſich durch tadelhafte Auffuͤhrung
um alle perſoͤnliche Achtung bringen.
Nun dieſer Eigenduͤnkel, uͤber Dinge zu ur-
teilen, die man nicht verſteht; dieſes blinde boͤſe
Herz, das Feler an ſeinem Naͤchſten ſieht, wo
keine ſind; dieſe Sorgloſigkeit gegen anderer lit-
terariſche und moraliſche Ehre; dieſes Brum-
migt-witzelnde im Tadel; dieſes Ungeſchliffene
im Beſſern: — was iſt das fuͤr eine Auffuͤhrung
fuͤr
[399[175]] fuͤr einen proteſtantiſchen Geiſtlichen! was wird
Hrn. Herders Gemeine denken!
Unſre Kirche hat ſo viel gelitten durch die
Heshuſier, die Oſiandre, und viele andre mo-
raliſche Schandflecken der evangeliſchen Chri-
ſtenheit *). Wir ſchaͤmen uns dieſer Leute nun
in ſolchem Grade, daß ſo gar der Name Ortho-
dox, der den meiſten unter ihnen ſonſt, bei allen
ihren moraliſchen Felern, als ein Lobſpruch ge-
buͤhrte, daruͤber allmaͤlich faſt ſeine Wuͤrde ver-
liert. Aber die jetzigen Skoliodoxen**, die-
ſe neue Race von Theologen, die ſeit wenigen
Naͤchten hervor waͤchſt, dieſe galante witzige Her-
ren, die uͤber Kanon Apokalypſe und ſymboliſche
Buͤcher kurzweilen, und denen Volkslieder, die
auf Straßen und Fiſchmaͤrkten ertoͤnen, ſo in-
tereſſant wie Dogmatiken ſind; erbauen die durch
ihren Lebenswandel das Corpus Evangelicum
mer, als jene alte Orthodoxen?
III.
Faͤhrt Hr. H. fort zu recenſiren: ſo recenſire
er keine andre Buͤcher, als belletriſtiſche. Jn
dem
[400[176]] dem Buche, aus dem er das Hiſtoͤrchen vom Hir-
ſenkorn gelernt hat, ſteht auch ein anders: Ne
ſutor ultra crepidam.
Hoͤrt er etwas Boͤſes von ſeinem Nebenmen-
ſchen: ſo glaube ers nicht gleich, noch weniger
laſſe ers drucken. Audiatur et altera pars, iſt
nicht bloß eine Regel der Juſtiz, ſondern auch
des Menſchenverſtandes. Jmmer denke er in ſol-
chem Falle: “ich bin doch nicht beſſer wie andre;
wie wuͤrde es mir gefallen, wenn andre das ge-
gen mich veruͤbten, was ich ihnen zu thun im
Begriffe bin„?
Er leihe ſeine Recenſenten-Finger nie her,
um fuͤr andre Kaſtanien aus gluͤhender Aſche zu
holen. Warum ſoll ER ſich juſt verbrennen?
Endlich laſſe er ſich nie zum Ausleerungsge-
faͤſſe fremder Galle verunehren. Haͤlt Hr. H. ſich
nicht ſelbſt fuͤr zu gut zu dieſer Vernuehrung: ſo
dauret mich doch der Conſiſtorial-Rath.
[401[177]]
Species Facti
Num. I.
Dieſe Species Facti hat mit der vorhergehenden
Analyſe keinen andern Zuſammenhang, als daß
ſie gleichfalls, teils meine Univerſalhiſtorie, teils mei-
ne Goͤttingiſche Vorleſungen uͤber dieſelbe, betrifft.
Nur aus dieſem Grunde alſo fuͤge ich ſie einigen Ab-
druͤcken der Analyſe, die nicht auf die Meſſe kom-
men, als einen Anhang bei.
Ungeachtet aller Vorſicht und Maͤßigung, die ich ſichtbar
bei dieſem Aufſatze gebraucht habe, werden gleich-
wol patriotiſche Leſer wuͤnſchen, daß ſolcher, zur Eh-
re des Gelehrtenſtandes, ungedruckt geblieben waͤre.
Daß auch ich dieſes ernſtlich gewuͤnſcht, erweiſet klar
mein langes gedultiges Stillſchweigen. Allein nach
Erwaͤgung der Folgen, die dieſes Stillſchweigen be-
reits fuͤr mich gehabt, und kuͤnftig noch haben wuͤr-
de, uͤberlaſſe ich unparteiiſchen Leſern das Urteil,
ob ich ihrem und meinem eigenen Wunſche laͤnger ha-
he gemaͤß handeln koͤnnen?
C cVor-
[402[178]]
Vorerinnerungen.
§. 1.
Wir haben hier in Göttingen, Gott Lob! Denk- und
Druck-Freiheit. Ohne alle Cenſur darf jeder Profeſ-
ſor alles drucken laſſen, was er ſich vor ſeiner Obrigkeit und
der ehrliebenden Welt zu verantworten getrauet.
Dieſe glückliche Denk- und Druck-Freiheit gilt natürlicher
Weiſe auch unter den Profeſſoren ſelbſt gegen einander, in An-
ſehung ihrer Lehrſätze. Jeder darf nicht nur andrer Meinung
ſeyn, als ſein College: er darf es auch ſagen und drucken laſ-
ſen, er kan öffentlich den Collegen eines Jrrtums zeihen; das
indicare diſſenſum, ſi opus eſſe videatur, iſt ihm ausdriicklich
erlaubt.
Nur die Art und Weiſe, wie ein College dieſes Recht ge-
gen den andern ausüben ſoll, iſt durch unſre Statuten be-
ſchränkt, welche jeder Profeſſor bei ſeiner Aufname, meines
Wiſſens, beſchwört. Es ſoll modeſte, und tacito collegae no-
mine, und ohne Nachteil der Ehre des Jrrenden, geſchehen:
nemo de altero vel publice vel priuatim detrahat; nemo al-
terius ſententias in riſum contemtumue adducere ſtudeat.
Nuhe der bürgerlichen Geſellſchaft, Würde des Gelehrten-
ſtandes, und Wolſtand und gute Sitten, müſſen dieſe Ein-
ſchränkung ſchon jedem heilig machen, wenn ihr auch die aus-
drückliche Sanction des Geſetzgebers fehlte.
§. 2.
Wenn nun aber 1. ein College dem andern als Jrrtum
aufmutzt, was erweislich kein Jrrtum iſt; wenn er 2. dieſes
gar nicht modeſte, ſondern mit offenbarer Abſicht thut, den ver-
meintlich Jrrenden zugleich verächtlich oder lächerlich zu ma-
chen; wenn er 3. ihn nicht bloß Jrrtums zeihet, ſondern ihm
weit empfindlichere Vorwürfe macht, und dieſes 4. nicht priua-
tim, ſondern mit dem höchſten Grad der Publicität, in gedruck-
ten
[403[179]] ten Schriften, und dieſes 5. nicht einmal oder zweimal, ſondern
unaufhörlich, zu oft wiederholten malen; wenn 6. dieſe Vor-
würfe in Facto erweislich falſch ſind; wenn 7. der vor dem
Publico unaufhörlich Angeklagte dem Kläger durchaus keine
Urſache zu ſeinem widerrechtlichen Betragen gegeben, auch gegen
ihn niemals Repreſſalien gebraucht, ſondern ſich bei allen An-
griffen blos leidentlich und ſtillſchweigend verhalten hat; wenn
endlich 8. der Veleidiger, nachdem man ihm priuatim Vorſtel-
lungen über ſein ſtatutenwidriges Betragen gemacht, anſtatt
ſich zu erklären, oder zu beweiſen, daß er recht gehandelt, ent-
weder mit der Juſtiz drohet, oder den ihm gemachten Vorwurf
von ſtatutenwidriger Aufführung als Chriſt zu verzeihen ver-
ſpricht:
was darf, was muß, in ſolchem Falle der Beleidigte thun?
§. 3.
Seit dem J. 1770 habe ich die Ehre, ein wirkliches Mit-
glied hieſiger Univerſität zu ſeyn.
Collegia leſen mußte ich; dafür war ich ein deutſcher Uni-
verſitäts-Profeſſor. Was ich für Wiſſenſchaften zu meinen
Collegien wählen wollte, ſtund bei mir; und nach der Freiheit
unſrer Verfaſſung, die jedem auch Privat-Docenten zu Gute
kommt, hatte ich von meiner Wahl niemanden Red und Ant-
wort zu geben.
Aber ſchicklich iſt es immer, wenn, beſonders auf einer
blühenden und ſtark beſuchten Univerſität, der neuankommende
Docent bei dieſer Wahl Nückſicht auf ſeine vorgefundene Colle-
gen nimmt. Der Applauſus iſt in den Augen mancher ein
Götze, den man ohne Stöhrung der geſellſchaftlichen Nuhe nicht
antaſten darf: oft iſt er mer wie Götze, und wegen der Hono-
rarien, falls ſie bezalt werden, zugleich einträglich, folglich nicht
ganz gleichgiltig, auch für ſolche nicht einmal, die auch ohne
Honorarien leben können.
C c 2Zwei
[404[180]]
Zwei Lerer waren damals hier, mit denen ich in meinen
Vorleſungen unvermeidlich collidiren mußte. — Der eine, ſelbſt
mein ehemaliger Lerer, las Politik und Statiſtik: mit dem teil-
te ich die Politik, doch mit der Vorſicht, daß ich ſie nur in dem-
jenigen halben Jahre las, wo er ſie nicht las. Die ungleich
ſtärker beſuchte Statiſtik überließ ich ihm gänzlich, ſo lang er lebte.
Jch habe Zeugen, daß mich einige dringend auch um dieſes Col-
legium angiengen, denen ich aber mer als einmal verſicherte, ich
würde es nie leſen, ſo lang der ſeel. A. es läſe. — Der andre las
hiſtoriſche Collegia: mit dem wollte ich die Univerſalhiſtorie
teilen. Dieſe Wiſſenſchaft, unſtreitig ein Studium für alle
Studirende aus allen Facultäten, war bisher nur von Einem
geleſen worden: auf ſie paßte vorzüglich, was Hr. HR. Gatte-
rer noch im Dec. 1770 (in ſeiner Vorleſung auf Münchhauſen
S. 16) von dem Nutzen bemerkte, den Wiſſenſchaften und
Studirende hätten, wenn merere zugleich Eine Wiſſenſchaft ler-
ten. Einträglichkeit konnte hier unmöglich mein Beſtim-
mungsgrund ſeyn, weder dieſes Collegium für mich zu wählen,
noch es, wie ich bei der Statiſtik gethan, ſeinem alten Beſitzer
zu überlaſſen. Die Zal der Zuhörer bei dieſem war ſeit mereren
Jahren, wo ich nicht irre, nur zwiſchen 20 und 30: der Ertrag
war alſo nicht Nennens werth; und nun vollends, da ſich
zwei Docenten in dieſen Verdienſt teilen ſollten, fiel aller Ge-
danke von Einträglichkeit weg.
Da Hr. G. bisher die Univerſalhiſtorie alle halbe Jahre ge-
leſen hatte: ſo ließ ich ihm, aus erſtbemeldter Urſache der We-
nigkeit der Zuhörer, durch einen unſrer Collegen und gemein-
ſchaftlichen Freunde, das auch unter andern hieſigen Docenten
übliche Abwechſeln antragen, dergeſtalt, daß der eine das Col-
legium im Sommer, und der andre im Winter, läſe. Allein
Hr. G. verwarf dieſen Antrag.
Jch las alſo mit ihm zugleich im Sommer 1770: in den
erſten Tagen für 8, und das ganze halbe Jahr für 12 Zuhörer;
jedoch
[405[181]] jedoch, ohne Rückſicht auf die kleine Zahl, mit demjenigen Fleiſſe,
den mir das Bewußtſeyn, daß Collegienleſen für einen deutſchen
Univerſitätsdocenten eine pflichtmäßigere Arbeit als Bücher-
ſchreiben wäre, abnötigte.
Jn den beiden folgenden halben Jaren mehrte ſich all-
mälich die Anzal meiner Zuhörer: teils weil fünfe meiner Hrn.
Collegen, denen mein Plan aus dem Gerüchte bekannt worden
war, mir ihre Söhne zuſchickten; teils weil des verſtorbenen
Hrn. Generals von Zaſtrow Exc. das Studium der Weltge
ſchichte Jhren Hrn. Officiers empfalen. Weiß jemand, daß ich
irgend eine malam artem plauſus quaerendi, wie ſich die Sta-
tuten ausdrucken, gebraucht: der melde und beweiſe es, wenn
wie und wo er will! Dennoch hörte ich bereits von allerhand
Vorwürfen ſprechen, die man dieſem meinem Collegio machte.
Allein da dieſes nur noch priuatim geſchah, ſo nahm ich keine
andre Notiz davon, als daß ich meinen Plan drucken ließ;
zwar eigentlich und abſichtlich als eine Apologie meines ver-
läumdeten Collegii, aber eine ſo behutſame Apologie, daß kein
einziger auswärtiger Recenſent dieſes Abſichtliche darinnen ge-
merket hat.
Seit dem Herbſte 1771 war die Anzal meiner Zuhörer
in der Weltgeſchichte über 70, und nachher gegen 100, und in
meinen übrigen Vorleſungen nach Proportion, geſtiegen. Und
gerade ſeit der Zeit wagten es einige, ihre Unzufriedenheit über
mich mit mererer Publicität zu erkennen zu geben.
Der Zeitpunct war übel gewählt. Warum lieſſen ſie mich
vorher in Ruhe, und fiengen nun juſt ihren Unfug an? So
gewöhnlich von Leuten, die etwas leicht Geld zu verdienen ſchei-
nen, der Verdacht iſt, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe:
eben ſo gewöhnlich iſt von andern, die jene darüber anfeinden,
die Vermutung, daß ſie jene nur aus Neid anfeinden, und daß
ſie ſelbſt zu der zalreichen Klaſſe von Menſchen gehören, die Hun-
ger zu fühlen meinen, ſo oft ſie einen andern eſſen ſehen.
C c 3Hr.
[406[182]]
Hr. G. beſonders machte ſich ſeit der Zeit ein Geſchäfte
daraus, faſt in allen ſeinen Schriften und Aufſätzen auf mich zu
hacken. Jch erführ die erſten Angriffe, und ſchwieg: mein
Schweigen aber, das mir bei meinem hieſigen Publico augen-
ſcheinlich nicht ſchädlich, ſondern vorteilhaft, war, machte ihn
nur zu neuen und mereren Angriffen dreiſte. Dieſe neuen
Verunglimpfungen wußte ich nicht: ich erfuhr ſie, teils durch
meine auswärtige Correſpondenten teils durch ein auswärtiges
ohnlängſt gedrucktes Zeitungsblatt. Nun ſuchte ich; und oh-
ne langes Suchen fand ich wenigſtens 6 Stellen, (ſie ſollen
künftig ſpecificiret werden), wo Hr. G., wenn er auf Ehre und
Gewiſſen ſprechen will, ſelbſt nicht läugnen wird, daß er auf
mich geſtichelt habe; und dies auf eine Art, die kein Unpartei-
iſcher den beſondern Pflichten, die wir als Collegen einander
gegenſeitig ſchuldig ſind, gemäß finden wird.
§. 4.
Verantworten darf ich mich. Oeffentlichen Angriff ver-
wehren unſre Statuta, aber öffentliche Verteidigung nicht.
Verantworten muß ich mich. Wären auch die Din-
ge ſelbſt, die man mir fälſchlich aufbürdet, an ſich ſo uner-
heblich, daß ich ſie ohne Schaden auf mir ſitzen laſſen könnte:
ſo werden ſie mir doch durch den Ton, in dem man mir ſie ſchuld
giebt, und die Abſicht, in der man ſie publicirt, erheblicher. —
Und dann iſt nicht blos von Jrrtümern, ſondern von weit em-
pfindlicheren Beſchuldigungen, die Rede. — Noch mer,
Ein und eben derſelbe Mann ſetzt ſeine Angriffe oh-
ne Aufhören fort. Dieſe Beſchuldigungen kommen an Orte,
wo ich mich nicht verantworten kann, weil ich nicht gefragt
werde. Auswärtige können mir mein beſtändiges Stillſchwei-
gen, als Feigheit, und meinem Ankläger ſeine beſtändige unge-
rügte Verunglimpfungen, als Furchtbarkeit, auslegen; ſie kön-
nen argwohnen, daß wenigſtens etwas wahres daran ſei; ſie
haben
[407[183]] haben wirklich aus der Menge der Angriffe den mir äuſſerſt
empfindlichen Schluß gezogen, daß ſehr viele meiner Hrn. Col-
legen mit mir unzufrieden wären, weil ſie nicht wußten, daß
alle dieſe unaufhörliche Ausfälle nur von zwei oder drei Leuten
kämen. — Und endlich ſind dieſe meine Ankläger, von denen
ich hier ſpreche, nicht namenloſe junge Leute, gegen deren Mut-
willen Verachtung ein hinlängliches Mittel iſt: es ſind Leute
von Jahren, und die in eben dem öffentlichen Amte ſtehen,
wie ich.
Verantworten muß ich mich alſo: und zwar öffentlich,
vor eben dem Richter, vor dem man mich ſo oft ſo laut ver-
klagt, d. i. vor dem Publico; und zwar mer vor dem auswär-
tigen Publico, dem die Data meiner Verteidigung unbekannt
ſind, als vor dem hieſigen, welches zwar mir als Bürgern das
wichtigſte iſt, das aber aus dem Zuſammenhange der Dinge,
den es vor Augen hat, meine Rechtfertigung, auch wenn ich
ſchwiege, leſen kann, und bereits bisher geleſen hat.
§. 5.
Wenn ich nun meine Verautwortungen künftig nach de-
nen jetzo folgenden Grundſätzen und Regeln einrichte, und kei-
ne dieſer Regeln bei der mir abgedrungenen Selbſtverteidigung
jemals überſchreite: erfülle ich alsdenn nicht eine Pflicht, die ich
mir ſelbſt ſchuldig bin, ohne diejenige zu verletzen, an die mich
unſre Statuten binden? brauche ich alsdenn nicht ein mir
zuſtändiges Recht, ohne anderer ihre Rechte zu kränken?
I. Freundſchaft und Wolwollen erbitte ich mir als eine
Gefälligkeit: aber Ruhe und Sicherheit fodere ich als ein
Recht. Das iſt doch das allergeringſte, was ein ſelbſt ruhi-
ger Bürger, er ſei in den Wäldern von Kanada, oder am Fuße
des Heimbergs, fodern kan!
II. Dieſes Rechtes werde ich auch dadurch nicht verluſtig,
wenn ich in Einem Jahre ſtatt 100, 1000 Zuhörer hätte;
wenn ich in Einem Jahre ſtatt 100, 1000 Thaler einnähme;
C c 4wenn
[408[184]] wenn ich gar das groſſe Loos in der größten Lotterie gewönne:
ſo lange man mir nicht beweiſen kann, daß ich dieſes wirkliche
oder vermeintliche Glück durch unerlaubte oder doch niedrige
Mittel erhalten.
III. Von Verläumdungen, ſo lange ſie ſich in den Schran-
ken der Privat-Geſellſchaft halten, nehme ich keine Notiz: aber
wenn ſie zur Publicität gedeihen, dann verantworte ich mich.
IV. Giebt man mir öffentlich Schuld, daß ich irre, wo
ich nicht irre: ſo beweiſe ich öffentlich, daß ich nicht irre. Thut
man dieſes in einem hämiſchen ungezogenen Tone: ſo ant-
worte ich nicht in dieſem Tone. Ein Teil des Publici wird
freilich alsdenn glauben, daß ich nicht ſo viel Witz wie mein
Gegner habe; ein andrer hingegen mir wichtigerer Teil wird,
ſo wie ich, an unſre Statuten denken.
V. Macht man mir öffentlich noch härtere Beſchuldigun-
gen, die gleichwol in facto erweislich falſch ſind: ſo melde ich
dieſes mit gehörigem Anſtande öffentlich. Rache will ich da-
durch nicht ausüben. Genugtuung verlange ich nicht. Nur
dem falſch berichteten Publico will ich Data melden, die es nicht
weiß, und zur Veurteilung der Beſchuldigung wiſſen muß.
Nur die Eindrücke will ich tilgen, die wiederholte Verläumdun-
gen in die Länge machen müſſen. Nur vor Schaden will ich
mich ſelbſt bewaren, nicht andern Schaden thun: und die mir
gebührende Genugtuung in dem Richterſpruche der ehrliebenden
Welt ſuchen.
Num. I.
[409[185]]
Num.I.
Ueber eine Stelle in dem hieſigen
Wochenblatte.
I.
Hr. G. klagt, er verdiene jezt wenig Geld
mit ſeinen Collegien; und dieſes Geld
naͤhme ich fuͤr ihn ein.
Antwort.
- 1. Nur ein einziges Collegium, die Univerſalhiſtorie,
leſe ich gemeinſchaftlich mit ihm: von allen uͤbrigen,
die er je teils geleſen teils leſen wollen, habe ich
mir kein einziges zugeeignet. Kan der Verluſt eines
einzigen Collegii den Profeſſor einer der ausgebrei-
tetſten Wiſſenſchaften verlegen machen, oder gar
in Schaden bringen? - 2. Noch dazu konnte ihm dieſes Collegium, wegen der
Wenigkeit der Zuhoͤrer, die er ſchon ſeit merern Jaren
hatte, ohnmoͤglich eintraͤglich ſeyn. Und - 3. Bei eben dieſem Collegio hatte ich ihm (S. 404) das
Abwechſeln angeboten, das er aber von der Hand
wies. - 4. Ob ich Geld fuͤr dieſes Collegium einnehme, und
wie viel oder wie wenig: iſt keine Frage, die ich ihm
hier oͤffentlich beantworten muß. Vermutet er nach
der Menge der Zuhoͤrer viel: ſo kaͤme dieſes Viele
großenteils von der Erhoͤhung des Honorarii von 3
C c 5rthlr.
[410[186]] rthlr. auf 1 Louisdor her; dieſe billige Erhoͤhung
fand ich, von ihm ſelbſt ſchon vor merern Jaren ge-
macht, vor, und durfte ſie alſo nicht aͤndern. Was
wuͤrde er vollends ſagen, wenn ich niedrigere Preiſe
einfuͤhrte? - 5. Nehme ich Geld dafuͤr ein; ſo nehme ich es gewiß
nicht fuͤr ihn ein. Das iſt, laͤſe ich von heute an
nicht mer: ſo wuͤrden die Louisdors, die dadurch
nicht mer an mich kaͤmen, doch nicht an ihn, ſon-
dern wer weis wohin? kommen. Die meiſten Stu-
direnden wuͤrden vermutlich wieder, wie vor dem
J. 1770, die Univerſalhiſtorie ungehoͤrt laſſen. - 6. Und naͤhme ich ſie wirklich fuͤr ihn ein: ſo handel-
te ich nicht widerrechtlich; ich thaͤte bloß, was ſo
gar jeder Privat-Docent thun darf. Collegien-Gel-
der ſind Univerſitaͤts-Lerern nicht wie Gnaden-Pen-
ſionen angewieſen. Hr. G. ſelbſt las in den erſten
Jaren ſeines Hierſeyns Reichshiſtorie: er gab ſie
nachher wieder auf; wol nicht aus der Urſache, weil
er fuͤr ſeinen Collegen kein Geld einnemen wollte! - 7. Die ganze Klage, vor den Ohren des Studenten-
Publici von einem Profeſſor ausgeſchuͤttet, hat etwas,
das ich fuͤhle, und jeder Profeſſor fuͤhlen wird, da-
her ich es nicht ſagen will.
II.
Hr. G. nennet mich bei dieſer Gelegen-
heit den ProfeſſorQuaſimodoge-
nitus.
1. Der
[411[187]]
- 1. Der Name iſt gemeiner und nunmer abgenutzter
Studentenwitz. Seit der Abſchaffung des Penna-
lismus hoͤrt man ihn ſelten mer. - 2. Auch wurde er ſonſt nur von Studenten unter ſich,
nie von Profeſſoren unter ſich, gebraucht. - 3. Dadurch, daß mir Hr. G. dieſen Namen aufheftete,
zog er ſich ſelbſt, wie leicht vorher zu ſehen war,
beim ſkurriliſchen Publico den Correlat-Namen
Prof. Quaſimodomortuus zu. Jch weiß nicht, wel-
cher von uns beiden ſeinen Namen am laͤngſten be-
halten wird. - 4. Auf mich, in Vergleich gegen ihn, paßt der mir
von ihm gegebene Name ſehr ſchlecht. Jm Alter
ſind wir 8 Jahre verſchieden. Profeſſor von Goͤt-
tingen heiſt er ſeit 1759, und ich ſeit 1764. Meine
erſte oͤffentliche univerſalhiſtoriſche Arbeit war die
phoͤniciſche Geſchichte im J. 1758; ſeine erſte war
ſein Handbuch vom J. 1761: folglich bin ich in die-
ſem Studio, wovon hier die Rede iſt, gar 3 Jare
aͤlter wie er.
III.
Einen naͤchſtfolgendenVorwurf
uͤbergehe ich ganz. Er iſt ſo hart und grob, daß er
verdiente, gerichtlich geahndet zu werden; und zugleich
ſo unbeſtimmt, daß er nicht juriſtiſch erwieſen werden
kan. Jſt es nur begreiflich, daß ein Mann, der mit
einer nie erhoͤrten Publicitaͤt eine Louisdors-Klage ge-
gen
[412[188]] gen ſeinen Collegen anſtellt, daß eben der den Colle-
gen einer uͤbertriebenen Louisdors-Liebe beſchuldige?
— Doch ich will den Vorwurf ſelbſt dem oͤffentlichen
Beweiſe oder der geheimen Reue des Hrn. G — s,
und meine Rechtfertigung dem hieſigen Publico, uͤber-
laſſen, das uns beide aus unſern Handlungen in der
Naͤhe kennt.
IV.
Hr. G. ſagt zulezt: er hingegen koͤnne ſich
allenfalls durch das Vergnuͤgen bezahlt
halten, daß ich dochſeine Erfindun-
genzu etwas zu gebrauchen wiſſe.
Antw.
- 1. Bekanntlich hat Hr. G. bis auf den heutigen Tag
nur ein einziges hiſtoriſches Hauptwerk geliefert, die
Holzſchuherſche Geſchichte. Jch vermute, daß er
darinn Entdeckungen gemacht; aber geleſen habe ich
dieſes Buch nie: auch wird kein Menſch, ſo wenig
wie ich, vermuten, daß in einer Holzſchuherſchen
Geſchichte Beute fuͤr die Weltgeſchichte zu machen
waͤre. - 2. Von andern univerſalhiſtoriſchen Erfindungen des
Hrn. G. weiß ich nichts; und hat er welche gemacht,
ſo kan ich ehronologiſch beweiſen, daß ich ſolche
nicht gebraucht habe. Hier iſt mein Beweis. - 3. Von 1761 bis 1773 hat Hr. G. 6 Arten von Com-
pendien uͤber die Univerſalhiſtorie drucken laſſen: 4
vor
[413[189]] vor dem J. 1770, da ich meine Univerſalhiſtorie zu-
erſt durch Vorleſungen publicirte; und 2 nach die-
ſem J. 1770. — Die vier erſten ſind 1. das Hand-
buch 1761, II. der Abriß 1765, III. des Handbuchs
zweite Auflage 1765, IV. die Synopſis oder chro-
nologiſche Tabellen 1766. Die zwei lezten ſind V.
die Einleitung 1772, und VI. des Abriſſes zweite.
Auflage 1773. - 4. Wegen der vier erſten werde ich auſſer allem Ver-
dacht ſeyn, Hrn. G. Erfindungen daraus genommen
zu haben. Denn G — ſche Erfindungen finden ſich
zuverlaͤßig nicht darinne. Das Handbuch iſt, wie
der Augenſchein lehrt, nach der Engliſchen Welt-
hiſtorie, im inneren und aͤuſſeren, geformt. Zwar
wurde damals dieſes Handbuch in den hieſigen Gel.
Anz. mit vielen Lobſpruͤchen als etwas neues ange-
prieſen: allein dieſe vorteilhafte Recenſion hatte Hr.
G. ſelbſt gemacht; in ſeiner eigenen Sache aber
kan niemand zeugen. — Die neue Auflage die-
ſes Handbuchs iſt im Grunde voͤllig wie die er-
ſte Ausgabe; ich berufe mich abermals auf den
Augenſchein. — Der Abriß, nach der erſten Aus-
gabe, iſt ein bloßer Auszug aus dem Handbuche[,]
folglich ein Auszug aus einem Auszuge. — Und
was in den chronologiſchen Tabellen der Engl.
Welthiſt. nicht abgeborgt iſt, gehoͤrt erweislich teils
dem etwas unbekannt gewordenen ſeel. Prof. Haſe,
welcher haͤtte genannt werden ſollen, teils dem be-
kannten Deguignes.
5.
[414[190]]
- 5. Wegen der beiden leztern aber muß ich mich etwas
naͤher erklaͤren. Beide ſind von den 4 erſten weſent-
lich verſchieden: die 2te Auflage des Abriſſes hat mit
der erſten nichts als den Namen gemein. Beide ſind
nicht mer nach der Engliſchen Welthiſtorie geformt;
beide haben mit meiner Vorſtellung eine ſichtbare
Uebereinſtimmung. - Vorausgeſetzt alſo die unlaͤugbare und von mir
ſelbſt eingeſtandene Aehnlichkeit meiner Vorſtellung
mit der Einleitung und dem neuen Abriſſe, ſind
drei moͤgliche Faͤlle. Entweder ich habe Hrn. G. s Er-
findungen gebraucht. Oder Hr. G. hat ſich einige
meiner Aenderungen belieben laſſen. Oder zufaͤlliger
Weiſe fielen wir beide zugleich auf einerlei Neue-
rungen, ohne daß einer den andern nutzte; und ge-
rade in dem J. 1770, da ich meine Univerſalhiſtorie
durch Vorleſungen publicirte, fieng zufaͤlliger Weiſe
Hr. G. gleichfalls an, ſeinen in 4 vorhergegangenen
Compendien beliebten Plan gaͤnzlich umzuſchmelzen. - Daß ich Hrn. G — s neuen Abriß genutzt,
iſt nicht moͤglich: denn dieſer iſt jetzo erſt (etwa im Sept.
1773) ausgegeben worden, ungeachtet unter der
Vorrede bereits das Datum vom 13 Apr. 1773 ſteht. - Meine Univerſalhiſtorie leſe ich ſeit Oſtern 1770.
Die Vorſtellung von dem Plan, wie ich ſie damals
las, und was das Weſentliche betrifft noch jetzo leſe,
fieng ich an um Oſtern 1771 drucken zu laſſen; im
Jun. 1771 waren die 6 erſten Bogen (wie ich in der
Vorrede bemerkte) ſchon in den Haͤnden aller mei-
ner Hrn. Zuhoͤrer: die uͤbrigen 8 Bogen aber kamen
erſt allmaͤlig bis zum 4 Jan. 1772 hinzu. - Hrn. G — s Einleitung ward um eben die
Zeit, etwa im Jan. 1772, wo nicht ſpaͤter, fertig; ſie
ward ſo gleich in den hieſigen Zeitungen, vermutlich
abermals vom Hrn. Verf. ſelbſt (die Parentheſen aus-
genommen), recenſirt. Aber die Vorrede hat derſelbe
abermals um 9 Monate zu autedatiren, und auf den
15 Apr. 1771 zu ſetzen, beliebt. Dieſes Antedatiren
und Verwirren der Zeitrechnung hat einen Recen-
ſenten
[415[191]] ſenten in den Altenburger Betrachtungen verleitet,
zu ſagen: ich haͤtte in meiner Vorſtell. S. 89 die in
Hrn. G. s Einleitung S. 1091 befindliche Tabelle zur
Ueberſicht des Ganzen, verbeſſert. Dies iſt nicht
moͤglich: denn meine Tabelle war ſchon im Jun.
1771 gedruckt; aber Hrn. G. s ſeine wurde wol nicht
vor dem Decemb. gedruckt. Nicht zu gedenken, daß
ich eben dieſe Tabelle, bereits im erſten halben Jahre
1770 meiner Vorleſungen, meinen Hrn. Zuhoͤrern
zum Abſchreiben preis gegeben hatte. - 6. Nichts kommt mir aͤrmlicher vor, als Prozeſſe uͤber
das gelehrte Mein und Dein. Pluͤndere mich, wer
da will, ſo bald ich etwas habe drucken laſſen: nie
werde ich Klage fuͤhren, daß ein andrer meine Er-
findungen zu brauchen wiſſe. Nur zum Danke da-
fuͤr, wenn ich mich phlegmatiſch von andern pluͤndern
laſſe, moͤchte ich nicht den Vorwurf leiden, daß ich
ſelbſt der Pluͤndernde, nicht der Gepluͤnderte, waͤre.
V.
Nun wird Hr. G. vielleicht ſpaſſen, und ſagen:
er haͤtte mich bei dem bisher beantworteten Aufſat-
ze nicht gemeint. Jch koͤnnte wieder ſpaſſen, und ſa-
gen: nun ſo haͤtte ich ihn unter dem Hrn. G. auch
nicht gemeint. Aber, iſt es anſtaͤndig fuͤr ernſthafte
Maͤnner, in einer Sache zu ſpaſſen, die das Betra-
gen zweier durch Statuten gebundenen Collegen ge-
gen einander betrifft?
Hr. G. nennt den ganzen Aufſatz eine Geſchich-
te aus ſeinen Studenten-Jahren. Daran zweifle
ich ſchon deswegen, weil er darinn von Louisdors
ſpricht; auf derjenigen Univerſitaͤt aber, wo Hr.
G. Student geweſen, werden bekanntlich nicht Louis-
dors, ſondern Gulden und Kopfſtuͤcke, genannt, wenn
von Honorarien die Rede iſt.
Aber waͤre es auch: glaubt dann nicht Hr. G., daß
ich zehen Hiſtorien fuͤr Eine von der Art, noch weit
aͤrgere aber wirklich geſchehene Hiſtorien, ſo gar im
Dionys von Halikarnaß oder Livius befindliche Ht-
ſtorien
[416[192]] ſtorien, erzaͤlen koͤnnte, von denen gleichwol unſer
ganzes Publicum glauben ſoll, daß ich ſie auf ihn
gezogen haben wolle? Dazu gehoͤrt ſo wenig Witz,
als damit dem tacito Collegae nomine der Statuten
ein Genuͤge geſchieht. Noch mer, dieſe Art, Col-
legen zu beleidigen, gehoͤret unter die niedrigſten
und heimtuͤckiſchen Arten: ſie zeigt Feigheit des Be-
leidigenden, der, ſeiner Sache nicht gewiß, ſich zum
voraus eine Ausflucht macht, um durch Laͤugnen der
etwa vermuteten Strafe der Verlaͤumdung entwei-
chen zu koͤnnen; ſie iſt zweifache Ungerechtigkeit ge-
gen den Beleidigten, den man dadurch ſo gar um
die Woltat oder das Recht der Verteidigung zu
bringen ſucht.
Freilich wenn man Hrn. G. fragt, ob er mich gemeint
habe: ſo wird er ſagen, Nein.
Aber die Frage iſt, I. Hat nicht unſer ganzes Publi-
cum von dem Aufſatze, ſo bald er im Drucke erſchien,
die bisher beſchriebene Deutung gemacht? II. Hat
Hr. G. nicht vorausgeſehen, daß es dieſe Deutung
machen wuͤrde? III. Hat er dieſes Geſchichtgen nicht
abſichtlich, damit das Publicum dieſe Deutung ma-
chen moͤchte, anfangs in der deutſchen Geſellſchaft
hergeleſen, und nachher in unſer Wochenblatt dru-
cken laſſen? eben ſo abſichtlich, als er einem andern
unſrer Collegen durch einen andern gleichfalls ge-
druckten Einfall Num. 17 einen Hieb verſetzte? IV.
Was verlaugt denn nun der Hr. Collega von mir,
wenn ich vor ihm Ruhe haben ſoll: ſoll ich in Goͤt-
tingen gar keine Collegia mer leſen? oder ſoll ich
diejenige Zuhoͤrer, die ungerufen zu mir kommen,
wegweiſen? oder ſoll ich keine Honoraria mer von
ihnen nemen?
(Die Fortſetzung kuͤnftig).
[[193]][[194]][][][]
biegſamen factum hiſtoricum brauchen?
Begebenheit paßt nicht allemal. Ueber-
haupt muß man der Weltgeſchichte, wenn
ſie ſcientifiſch vorgetragen werden ſoll,
ein wenig Neologie nicht uͤbel nemen: ſie
hat noch lange nicht ſo viel Kunſtwoͤrter, als
ſie zum runden Ausdrucke braucht. Jar-
hundert, Jartauſend, wagte noch nicht
Buno einmal; noch weniger Jarzehend –.
Hr. Herder nennt meine Worte ſynchro-
niſtiſch, ethnographiſch, und andre,
harte Worte, für die er hie und da kei-
nen Schleifſtein wiſſe. Allein 1. ſynchro-
niſtiſch iſt gewiß nicht nen; ob ethnogra-
phiſch
neu; ſo iſt es nicht hart, ſondern ganz ana-
logiſch, wie zum Ex. geo ‒ kosmo ‒ hydro ‒
graphiſch. 3. Waͤre es neu und hart; ſo
bleibt die Frage: iſt es aber nicht notwen-
dig? nicht notwendiger als Beſonnen-
heit? 4. Jſt es neu und hart, aber not-
wendig; nun ſo ſchaffe mir Hr. H. ein wei-
cheres. 5. Hat er keines, und doch auch kei-
nen Schleifſtein fuͤr meines; nun ſo laß
er mirs. Jch weiß keinen Schleifſtein fuͤr
ſeine Recenſenten-Sitten: nun – ſo behalt
er ſie.
poſſeſſi-
allemal auf den obigen §. 9 verwieſen ha-
ben. Mein Plan, meine Univerſalhiſto-
rie, ſage ich, wie Hr. Herder ſagt: mein
Gedaͤchtniß, meine Recenſion.
R 4
tznActa litteraria III. 1. p. 76.
Leitfaden ein Krausgewinde, und klagt ſehr
daruͤber. Jn einer niedlichen altdeutſchen
Fabel, die Hr. H. ganz kuͤrzlich publiciret
hat, klagt gleichfalls S. 55 ein Kunſtrichter:
— Du machſt mirs kraus,
Ich kans in Kopf nicht bringen.
daß ich bloß ein Jdeal, einen Plan, ei-
nen Riß gemacht habe, und nicht lieber das
ganze Gebaͤude (ſ. oben S. 283)! Ma-
chen dann nicht andre Leute auch Jdeale,
und niemand ſchmaͤhlt auf ſie, wie Hr. H.
auf mich. Eben leſe ich einen beruͤhmten
Schriftſteller, der ſchon vor 6 Jaren den
Plan zu einer pragmatiſchen Geſchichte der
Litteratur entworfen, aber ihn noch nicht
ansgefuͤhrt hat, auch nicht einmal verſpro-
chen, daß er ihn ausfuͤhren wolle, und da
ſein
Seite, die ſchoͤnen Phraſes und Similia
abgerechnet) fuͤllt, auch gar keinen Ver-
dacht von ſich erreget, daß er ihn ausfuͤh-
ren koͤnne. Dieſer Schriftſteller braucht ſo
gar die Ausdruͤcke: jetzt mache ich den
Riß zu dem Gebæude ‒ ‒ Dies alles
zeige ein Kunſtrichter im Plan, der Ge-
lerte übe es aus ‒ ‒ ‒ Ich ſehe ſelbſt die
Schwierigkeiten ein, die dieſen ſchönen
Plan, im Lehnſtul ausgeheckt, ſchwer
genug machen; allein unmöglich iſt er
nicht ‒ ‒ Sind das nicht Zeugniße, daß man
mit allen Ehren Plane machen koͤnne, und
mit dem Ideale wegſchwimmen, und gar
geſtehen duͤrfe, daß man deſſen Ausfuͤhrung
nicht gewachſen ſei? Nun rathe, lieber Le-
ſer, wer iſt der Schriftſteller, der mit mir in
Sachen, das Planmachen betreffend, ſo ein-
foͤrmig, und von dem Verf. der hier ana-
lyſirten Recenſion ſo verſchieden, denkt?
— Es iſt Hr. Herder ſelbſt, in den Frag-
menten S. 7 und 13.
Es verlohnte ſich der Muͤhe, dieſe Frag-
mente von Anfang bis zu Ende mit dieſer
Recenſion zu confrontiren, und die geſun-
den Lehren dort, mit den ungeſunden
Handlungen hier, auf zwo Kolumnen neben
einander, zu vergleichen. Doch ich will es
uͤber das Dicunt \& non faciunt muͤßte ei-
nem Prediger zu empfindlich ſeyn, oder
ſeiner Gemeine wenigſtens ein zu großes
Aergerniß geben.
aber eben finde ich in den Leipz. Zeitung.
folgende Ausdruͤcke eines Belletriſten vom
Theaterweſen ausgezeichnet: wer erkennet
nicht die Schaubühne für die edelſte Schu-
le der Tugend und Sitten, für die Zier-
de eines Volks, auf deſſen erlangte mora-
liſche Größe ſich von der Vollkommenheit
ſeines Theaters nicht unſicher ſchließen
lœßt. Bei dieſer moraliſchen Größe faͤllt
einem Hiſtoriker notwendig der Janhagel
von Athen zu Demoſthenis Zeiten, und das
panem \& Circenſes der ſpaͤteren Roͤmer
ein. — So wuͤnſcht Hr. Herder (von
deutſcher Art und Kunſt S. 52) mit
Recht, daß man unſre deutſche Volkslie-
der, und waͤre es auch auf Straſſen und
Gaſſen und Fiſchmaͤrkten, ſammlen ſolle;
aber ſeine Klage, daß ſich niemand darum
bekuͤmmert, ſollte er nicht mit dem hoͤhni-
ſchen Zuſatze ſchlieſſen: wir haben ja Me-
taphyſik und Dogmatik und Acten. Moͤch-
B b 2te
Juſtizbediente aus ihren Stuben liefen,
und, anſtatt Acten zu leſen, Volkslieder
ſammleten? Eins kan geſchehen, und das
andre auch: ſollte aber eins von beiden fe-
len; ſo wollt ich doch lieber den Samm-
ler von Volksliedern, als den Actenmann,
miſſen.
gewiſſe Striche, wie Zugvoͤgel und Heu-
ſchrecken, zu halten. Vor 10 Jaren fie-
len ſie auf das Gebiete der Malerei und
Bildhauerei, und kamen mit Skizzen Grup-
pen und Torſen beladen zuruͤck: mit denen
ſie ſich eben ſo ungeſchickt ausſtaffirten, wie
die Mogolen des Kajuk mit den im Weſten
erbeuteten Koſtbarkeiten (DeguignesIII,
S. 124). Seit einigen Meſſen drohen ſie
der Hiſtorie und Naturkunde mit aͤhnlichen
Einfaͤllen, recenſiren ſchon hiſtoriſche Buͤ-
cher, wollen ſchon die Kunſttriebe der Thie-
re erklaͤren u. ſ. w.
te von der Art, finden ſich in der Preußiſchen Re-
formations- und Kirchengeſchichte.
des Orthodoxen machen, denn es riecht nach dem
Scheiterhaufen. Auch ſtehet dem ὀρϑος nicht ἑτερος,
ſondern σκολιος, entgegen: dem Geradedenker der
Krummdenker.
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-
CC-BY-4.0
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Schlözer, August Ludwig von. August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bmkz.0