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Lienhard
und
Gertrud
.

Ein Buch fuͤr’s Volk.

Dritter Theil.

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1785.
Frankfurt und Leipzig..

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Vorrede.


Ich fahre in meinem Buch, ſo wie
in meinem Stillſchweigen uͤber das
— was es ſeyn ſoll — fort.


Zufrieden, das Gefuͤhl rege ge-
macht zu haben, daß Volksbuͤ-
cher nuͤzlich
— erwarte ich fruͤher
oder ſpaͤther aͤhnliche Verſuche. Dieſe
werden dann den Werth des Meini-
gen beſtimmen, die Schwierigkeiten
deſſelben enthuͤllen, und die Unmoͤg-
lichkeit ins Licht ſezen, allen Geſichts-
* 2
[]Vorrede.
punkten, welche ſich mit einem ſolchen
A, B, C Buch der Menſchheit ver-
binden laſſen, in ihrer ganzen Ausdeh-
nung ein Genuͤge zu leiſten. — Ich
komme indeſſen, indem ich mich dem
Ende des Meinigen naͤhere, in den
gewohnten Fall der Schulmeiſter, die
erfahren, daß das P, Q den Kindern
der Menſchen nicht ſo leicht in den
Kopf hinein will, als das A, B, C.


Ich fahre aber in der Ueberzeugung,
daß es in dieſer Lage der Sachen nicht
um mich, ſondern um die Kinder, die
buchſtabieren lernen ſollten, zu thun
iſt, in meiner Ordnung fort: will
[]Vorrede.
auch dem verwoͤhnteſten Kind es nicht
bemaͤnteln, daß es mit ſeinem A, B, C
nichts thun und nichts machen kann,
wenn es nicht bis zum T–Z fort lernt.


Ich kann daruͤber den Namen eines
guten Schulmeiſters — verlieren —
aber ich hielte es wider meine Pflicht,
und meinen erſten Endzwek, darauf
zu achten; und habe desnahen, ohne
einige Aufmerkſamkeit auf gewiſſe
Kinder, die zu glauben geſchienen,
ich habe ihnen meine erſten Buch-
ſtaben blos zum Guggaus und Gugg-
ein damit zu machen, dargeworfen,
fortgefahren, mein A, B, C Buch
* 3
[]Vorrede.
alſo zu ſchreiben, wie es mir gut und
brauchbar geſchienen, ſie buchſtabie-
ren zu lehren, und nicht ihnen zu
helfen, Guggaus und Guggein zu
machen.


  • Geſchrieben in meiner Einſamkeit, den 10ten
    Merz 1785.

[]

Lienhard und Gertrud.
Dritter Theil.


* 4
[][]
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Innhalt.


  • §. Blatt.
  • 1. Ueber das Predigen, aber nicht viel. 1
  • 2. Bauernordnung und Menſchenſinn. 3
  • — Schulordnung und Bauernkuͤchlein. 12
  • 3. Ein ſchoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj ein
    braves Menſch iſt. 16
  • 4. Des Menſchen Herz in drey verſchiedenen
    aber gleich ſchlechten Modeln. 19
  • 5. Weiberjammer und Mutterirrthum. 22
  • 6. Ueberzeugung und Muthwillen in einem
    Mund. 25
  • 7. Der Feuerheerd und ein gutes Weiber-
    wort. 28
  • 8. Ein Reyhen ſchlechter Geſichter. 31
  • 9. Vaterfreuden. 37
  • 10. Folgen der Erziehung. 40
  • 11. Eine Art Wiedergeburt. 44
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 12. Weiberkuͤnſte gegen ein Weib. 46
  • 13. Ein Lieutenant wird Dorfſchulmeiſter; und
    einer ſchoͤnen Frauen wird ohnmaͤchtig. 56
  • 14. Ein Großmuttergemaͤhld. 61
  • 15. Das Menſchenherz; und ein Hans, der
    gut und boͤs iſt. 66
  • 16. Ein Wort daruͤber, was die Bauern ſind —
    wie und wo und wann ſie zeigen, was ſie
    ſind — und was ſie nicht ſeyn doͤrfen. 71
  • 17. Dieſes Gemaͤhld iſt nichts weniger als
    Spaß, ſondern ganz nach der Natur. 75
  • 18. Worauf eine gute Schule ſich gruͤnde? 79
  • 19. Das Fundament einer guten Schule iſt
    das gleiche mit dem Fundament alles Men-
    ſchengluͤks: und nichts anders als wahre
    Weisheit des Lebens. 82
  • 20. Ein Werberſtuͤk. 88
  • 21. Danken muͤſſen, thut alten Leuten allemal
    wehe; aber den Kindern iſt es eine Freude. 92
  • 22. Eine Bruderliebe, um die ich, wenn ich
    Schweſter waͤre, nicht einen Pfifferling
    geben wuͤrde. 96
  • 22. Was iſt ſuͤſſer, als Kinderfreude, und was
    iſt reiner als Kinderguͤte? 99
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 23. Der Junker thut Vaͤterwerke, und macht
    Geißhirtenhuͤtten-Ordnungen. 106
  • 24. Von Jugend auf zwey Bazen ſparen. Ein
    Mittel wider den Urſprung der Verbre-
    chen, gegen die man ſonſt Galgen und
    Rad braucht. 114
  • 25. Der Menſch verglichen mit der ſchoͤnen
    Natur. 120
  • 26. Was iſt Wahrheit, — wenn es nicht die
    Natur iſt? 125
  • 26. Das Andenken an eine Großmutter. 131
  • 27. Das erſte Hinderniß des Wohlſtands und
    der beſſern Erziehung der armen Kinder,
    — ihre eigne Muͤtter — oder ſchlechte
    Weiber. 133
  • 28. Das zweyte Hinderniß der gleichen Sache;
    der Neid der Reichen. 135
  • 29. Die Geſchichte der Erloͤſung dieſer Kinder
    aus der Hand ihrer Feinde, und aus der
    Hand ihrer Muͤtter. 139
  • 30. Ein gutes Naturmenſch, und ein auf die
    rechte Art geſchuletes, neben einander, und
    hinter ihnen das Schikſal der Meiſterka-
    zen, und ihrer Maͤnner Notharbeit. 143
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 31. Es iſt in allem ein Unterſchied. 149
  • 32. Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen
    will, ſo ſchuͤtten die Weiber nur ein paar
    Tropfen kaltes Waſſer darein. 153
  • 33. Eine ſonderbare Heyrathsanfrage 156
  • 34. Wie ſich der Menſch an Seel und Leib
    kruͤmmt und windet — wenn er etwas
    will, und meynt — er wolle es nicht. 160
  • 35. Die Mitternachtſtunde eines Vaters und
    eines Sohns. 162
  • 36. Der Anfang der Morgenangſt. 166
  • 37. Ein Schaaf unter viel Boͤken. 169
  • 38. Das reine landesvaͤterliche Herz meines
    Manns. 171
  • 39. Seine Kraft wider das freche Laſter. 175
  • 40. Bettſchweſterarbeit wird mit Hexenarbeit
    verglichen. 177
  • 41. Wider die Hoffart und wider die Volksko-
    moͤdien vor dem Halseiſen (Pranger.) 181
  • 42. Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn
    es ſich im Vortheil ſpuͤhrt, das Maul
    braucht? 186
  • 43. Zwey Weiber meſſen ihr Maul mit einan-
    der, und die Kleine wird Meiſter. 190
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 44. Die Ueberwundene meiſtert jezt ihren Mann. 199
  • 45. Folgen der Armuth, — und die Ungleich-
    heit drey gleich guter Weiber. 203
  • 46. Das Kind eines Manns, der ſich ſelbſt er-
    henkt; — und ein Ausfall wider das
    Taͤndeln. 206
  • 47. Noch einmal das Kind des Erhenkten. 213
  • 48. Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt,
    und ſich tapfer haltet. 215
  • 49. Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelenſtaͤrke
    gegruͤndet. 219
  • 50. Der Mittelpunkt deſſen, was Arner iſt.
    Sein Vaterſinn, ohne den alles, was er
    thut, nichts anders als Romanenhelden-
    ſtreiche ſeyn, und in unſerer Welt nicht
    angehen wuͤrde. 222
  • 51. Wer Kraͤfte hat, wird Meiſter. 225
  • 52. Es iſt im Kleinen, wie im Groſſen. 228
  • 53. Goldapfel, — Milchſuppe, — Dank-
    barkeit, — und Erziehungsregeln. 230
  • 54. Der Namenstag eines alten Junkers. 235
  • 55. Der Vatername. 240
  • 56. Auch hierinn ſind Grundſaͤze der wahren
    Volkserziehung. 242
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 57. Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde. 249
  • 58. Man ſezt Baͤume. 253
  • 59. Von Volksfeſten und vom Holzmangel. 257
  • 60. Man muß im Innern hohen Adel haben,
    um ohne Gefahr Bauernleute ſo nahe an
    ſich zu abſizen laſſen zu doͤrfen. 262
  • 61. Scenen beym Mondſchein, die ſich mahlen
    laſſen; — und ein blutiges Uebernacht-
    beten. 269
  • 62. Der alte Junker will in kein Horniſſenneſt
    hinein greifen. 274
  • 63. Der neunzigſte Pſalm, und hinten darein
    ein Schulmeiſter, der ſtolz iſt. 281
  • 64. Schuleinrichtungen. 285
  • 65. Fortſezung der Schuleinrichtung. 289
  • 66. Gottes Wort iſt die Wahrheit. 296
  • 67. Um ſo gut zu ſeyn, als menſchenmoͤglich,
    muß man boͤs ſcheinen. 301
  • 68. Wer Rechnungsgeiſt und Wahrheitsſinn
    trennet, der trennet was Gott zuſammen-
    gefuͤgt. 305
  • 69. Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤſe luͤgen-
    hafte Nachreden. 310
  • 70. Narrenwort und Schulſtrafen. 313
  • Innhalt.
    §. Blatt.
  • 71. Das Elend und die Leiden dieſes Narren. 317
  • 72. Allerley wunderliche Wirkungen, die vom
    Duͤrſten herkommen koͤnnen. 323
  • 73. Hauptſachen fuͤr Leute, die ſich einfallen
    laſſen, ſie koͤnnten ein Dorf regieren. 328
  • 74. Fortſezung aͤhnlicher Hauptſachen fuͤr die
    gleichen Leute. 331
  • 75. Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die auf
    Fundamenten ruhet. 338
  • 76. Vom Aendern alter Maſchinen, und vom
    Aufweken von den Todten. 346
  • 77. Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnſte. 356
  • 78. Vom Rathen, Helfen, und Allmoſengeben. 364
  • 79. Von der Wahrheit und vom Irrthum. 368
  • 80. Allerley Narrenlohn. 377
  • 81. Erziehung, und nichts anders, iſt das Ziel
    der Schul. 385
  • — Eine Kinderlehre. 406
[][[1]]
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§. 1.
Ueber das Predigen, aber nicht viel.


Wer zur Kirchethuͤr hinausgieng, ſagte;
das war auch eine Predigt!


Es war naͤmlich eine, wie die ſo predi-
gen, keine halten, und keine halten doͤrfen.
— Denn das was ſie auf der Kanzel ſa-
gen, und was man ſie auf der Kanzel ſa-
gen laſſen darf, iſt in Formen und Model
gegoſſen, in welchen es etwas ganz anders
wird als die Lebensbeſchreibung des Hum-
mels — Ihr werdet vielleicht ſagen; aber
etwas beſſers: ich aber will fortfahren.


Es war dem Junker die ganze Zeit uͤber,
da der Pfarrer redte, nicht als ob er Wor-
te hoͤrte, ſondern als ob ſein Volk und ſein
Dorf ihm vor Augen ſtuͤhnde; und mit je-
dem Wort, das der Pfarrer mehr ſagte,
A
[2] war dem Junker ſchwehrer, denn er ſahe
mit jedem Wort mehr, wie alles Boͤſe das
da iſt, durch ein tauſendfaches Band, mit
allem was im Dorfe ſchwebt und lebt, al-
ſo zuſammenhange, daß Er einzeln nichts
fruchtbahres dagegen ausrichten koͤnne. —
Es war ihm wie einem Menſchen der auf
einer Leiter ſteht, und fuͤhlt daß der Grund
und Boden unter ihm weicht — es er-
ſchuͤtterte ihn, und darauf vertiefte er ſich
in Gedanken, daß er eine Weile nichts mehr
hoͤrte, was der Pfarrer ſagte — In die-
ſem Staunen entwikelte ſich in ihm der Ge-
danke, er muͤſſe nothwendig die Umſtaͤnde
und Leuthe im Dorf naͤher kennen lehrnen;
daͤnn werde es ſich erſt zeigen, was er an-
fangen und wen er vielleicht doch noch, zum
eint und anderen, was er auszurichten wuͤn-
ſche, brauchen koͤnne. Dieſer Gedanke brachte
ihn ſo zu ſagen wieder zu ſich ſelber, daß
ihm vom uͤbrigen Theil der Predigt kein
Wort mehr entgieng.


So bald er dann heim kam, ſagte er
dem Pfarrer, wie es ihm in der Kirche ge-
gangen; und dieſer fiel im Augenblik auf
den Baumwollen Meyer, und ſagte, wann
je ein Menſch im Dorf ſey, der zu demje-
nigen was er zur Abſicht habe, Hand bie-
ten werde und Hand bieten koͤnne, ſo ſey
[3] es dieſer Mann und ſeine Schweſter, und
erzaͤhlte ihm dann uͤber das Eſſen ſoviel von
dieſen zwey ſonderbahren Leuthen, daß der
Junker vor Sehnſucht, ſie naͤher zu kennen,
ſeine Suppe nicht geſchwind genug eſſen
konnte; und ſobald ſie vom Tiſch aufſtuhn-
den, mit dem Pfarrer zu ihm hingieng.


§. 2.
Bauren-Ordnung und Menſchenſinn.


Er ſaß eben mit einem Kind auf der
Schoos vor ſeiner Hausthuͤre, ſahe da
bey ſeinem Brunnen unter einem bluſtvollen
Apfelbaum ſeinen Kindern zu, wie ſie mit
andern Kindern aus dem Dorf ſich luſtig mach-
ten; aber dachte an nichts weniger als daß
die Herren, die er die Kirchgaß hinabkom-
men ſahe, zu ihm wollten.


Erſt da ſie vor ſeiner Gartenthuͤr ſtille
ſtuhnden, und der Pfarrer die Hand gegen
den Riegel zuſtrekte, kam ihm in Sinn, es
koͤnnte ſo kommen: da aber ſtellte er ge-
ſchwind ſein Kind ab, gieng mit ſeiner ſchnee-
weiſſen Sonntagskappe in den Haͤnden, den
Herren entgegen; ſie wollten bey ihm auf
dem ſchoͤnen Plaz vor dem Haus abſizen
— er aber ſagte, es ſey doch am Wind,
A 2
[4] ſie ſollten ſo gut ſeyn, und mit ihm in die
Stube kommen.


Seine Schweſter war eben, wie es am
Sonntag nach dem Eſſen ihre Gewohnheit
iſt, einen Augenblik entnukt (eingeſchlum-
mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber
die Bibel auf dem Tiſch — ſie erwachte
mit einem lauten Herr Je! — da die
Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der-
gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube
wieder zurecht, ehe ſie die Herren gruͤßte;
und denn nahm ſie eilend einen Schwamm
vom gleiſſenden zinnernen Handbeken, wiſchte
die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den
ganzen Tiſch voll gekreidet, durch, und ſag-
te: es iſt eine Ordnung bey uns, daß wir
uns ſchaͤmen muͤſſen Ihr Herren! — Ich
wuͤßte nicht worinn, ſagte der Junker: und
ſezte hinzu, ſtreich doch nichts durch; dein
Bruder brauchts vielleicht noch.


Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie-
der anderſt machen, und fuhr in ſeiner Ar-
beit fort: ſein Bruder aber ſagte auch ſel-
ber, es habe recht, er mache manchmal
den Tiſch im Tag ſieben mal ſo voll, und
ſtreiche alles wieder durch, wenn nur ein
Kreuzer fehle, ſo wenig ſey daran gelegen.


Sobald der Tiſch troken war, brachte es
dann ein groſſes weiſſes Tuch mit breiten
[5] Strichen, neue zinnerne Teller und ſilberne
Loͤffel, Meſſer und Gablen; dann eine groſſe
ſchoͤne Hammen, (Schinken) und Kuͤchlein,
ſchneeweiß von Zuker.


Aber was machſt du auch ſo viel Umſtaͤn-
de, ſagte der Junker, wir kommen eben
vom Eſſen.


Ich glaubs wol, ſagte das Meydlj; aber
ihr muͤßt jezt einmal etwas von der Bau-
ren Ordnung verſuchen Ihr Herren! warum
ſeyt ihr in ein Baurenhaus hinein gegangen.


Das iſt doch keine Bauren Ordnung,
ſagte der Junker: und drehete ein ſchweh-
res ſilbernes Meſſer in der Hand herum.


Wohl freylich iſt das Bauren Ordnung,
wenn’s einer hat und vermag, erwiederte
das Mareylj.


Arner laͤchelte und das Mareylj fieng da
grad zu erzaͤhlen an:


Jaͤ Junker! es war nicht immer ſo bey
uns: da der Herr Pfarrer weißts wohl.
Mein Bruder fieng mit 5 Bazen zu hauſen
an, und ich mußte, weiß Gott! baͤttlen,
bis ich groß genug war, einen Dienſt zu ver-
ſehen: ſo erzaͤhlte es ſeine Hiſtorj vom An-
fang bis zum Ende.


Sein Bruder wollte ihm’s zuerſt abneh-
men, und da er das nicht konnte, entſchul-
digte er ihns, daß es ſo ſchwaze; der Jun-
A 3
[6] ker aber ſagte, er hoͤre nichts lieber als wie
es braven Leuthen aufgegangen.


Ich ſah’s euch wohl an, ſagte das Ma-
reylj, ſonſt haͤtte ich auch ſchweigen koͤnnen;
aber es thut einem auch ſo wohl, wann
euer Gattung Leuthe einem auch das Maul
goͤnnen moͤgen.


Der Junker laͤchelte und fuͤhrte ihns wie-
der drauf, wie es ihnen aufgegangen und
wie ſie es haben: und da es lange erzaͤhlt,
ſagte er dann: ob bey dem Verdienſt, den
die Leuthe jezt mit dem Baumwollen Weſen
haben, nicht auch zu machen waͤr, daß ſie
auch hauſeten, und es auch ihrer Mehrern
ſo aufgieng?


Das Wirthshaus muͤßte einmal aus dem
Dorf weg, wenn man nur an das denken
wollte, erwiederte haſtig der Meyer.


Seine Schweſter ſagte weitlaͤufiger: Seht
Junker, es iſt halt bey uns ſo — wenn
einer nicht duͤrſtet, ſo hungert er, und wenn
er dann in’s Wirthshaus hinein kommt,
und s’Kaͤsli und s’Wuͤrſtli ihm vor den Au-
gen ligt und in die Naſe riecht, ſo ſizt er
in Gotts Namen zu, fangt an zu eſſen;
wann er dann gegeſſen, ſo duͤrſtet er eins,
und ſo kommt dann eins nach dem andern,
bis es morn am Morgen iſt, und er das
halbe was ſeine Leuthe die Woche durch ver-
[7] dient haben, ſizen laſſen; und wann er dann
den Rauſch ausgeſchlaffen, ſo will er ent-
weder wieder ſauffen, oder am Spinnen
von Weib und Kindern wieder erſchinden was
er verlumpet; denn gehet’s ſo Junker —
ich will’s euch zeigen.


Mit dieſen Worten gieng es in ſeine Kam-
mer, brachte einen ganzen Arm voll Garn,
legt’s auf den Tiſch, und ſagte: Sehet Jun-
ker! wie es dann geh’t: wenn die Maͤnner
im Haus ſo leben, ſo werden die Weiber
daheim und die Kinder bis in die Wiege hin-
unter ein Lumpenpak — wie ſie betriegen
und beſtaͤhlen mit wem ſie zu thun haben,
und bringen uns dann dergleichen Garn wie
ihr da ſehet, das voll Unrath und naß iſt
daß man’s koͤnnte auswinden, damit ſie ei-
nige Kreuzer dem Vater ableugnen, und,
wie er, im Wirthshaus verthun und ver-
ſauffen koͤnnen.


Sein Bruder ſezte mit kurzen Worten
hinzu — das Uebel iſt, daß die meiſte Leu-
the bey uns keinen Anfang haben im Hau-
ſen.


Der Junker erwiederte ihm: aber waͤren
ſie nicht dazu zu bringen, daß ſie oder ein-
mal auch die Jungen trachteten zu ſo einem
Anfang im Hauſen zu gelangen —


Meyer. Es waͤre vielleicht wohl moͤg-
A 4
[8] lich, wenigſtens koͤnnten ſie es, wenn ſie
nur wollten; ich hab ſchon hundertmal ge-
ſagt, es waͤr einem jeden Spinnerkind ſo
leicht als nichts moͤglich, auch ſeine 8 oder
10 Dublonen zuſammen zu legen.


Junker. Halteſt du das fuͤr ſo leicht
moͤglich?


Meyer. Es braucht nichts anders als
daß ein Kind von einem Gulden den es in
der Wochen verdient, 6 Kreuzer oder 2 Ba-
zen beyſeits lege, und daß ihm jemand dann
zu dem Geld Sorg trage, ſo waͤre das in
ſeiner Ordnung.


Junker. Aber koͤnnte ich etwas beytra-
gen, daß das ſo kaͤme?


Meyer. Ja freylich! wenn ihr ſo gut
ſeyn wolltet.


Junker. Wie ſo?


Meyer. Wenn ihr z. E. einem jeden
Spinnerkind, das ſo ſeine 10 Dublonen er-
ſpahren wuͤrde, eh’ es ſeine 20 Jahr alt iſt,
etwa eine oder nur eine halbe Juchart Land
fuͤr ſein Lebtag Zehndenfrey laſſen wuͤrdet,
ſo wuͤrdet ihr mehr als etwas dazu beytra-
gen.


Der Junker ohne ſich zu beſinnen, ſagte
darauf: freylich wenn es damit geholfen, ſo
ſoll es an dem nicht fehlen.


Da der Meyer ſo von der Zehend Frey-
[9] heit redete, ſahe das Mareylj dem Junker
auf Maul und Augen; und da er ſo ge-
ſchwind ſagte, es ſoll an ihm nicht fehlen,
ſtuhnd es vor Freuden hart an ihn zu, zupf-
te ihn bey’m Ermel, und ſagte: jaͤ Junker,
wenn ihr einmal das thun wollet, ſo thut
ihr einen groſſen Gottslohn: — aber ihr
muͤßt es nicht machen, wie mein Bruder da
geſagt hat; es gehet ſonſt zu lang, ehe der
Eifer in die Leuthe kommt, und ihr bekommt
die aͤltern Kinder auf dieſe Weiſe gar nicht
in euere Ordnung: denn die koͤnnen jezt bis
ſie 20 Jahr alt ſind, nicht mehr ſoviel Dub-
lonen zuſammen bringen, und darum muͤßt
ihr denen die den Zwanzigen nahe ſo Ze-
hendfreye Aeker geben, wenn ſie nur 2 bis
3 Dublonen zuſammen bringen, und denn
ſo ſteigen; je juͤnger ſie ſind je mehr Dublo-
nen bis auf die ſo jezt 12 Jahr alt ſind.
Die und darunter koͤnnen dann richtig ihre
10 zuſammen bringen.


Der Junker ſtaunte eine Weile uͤber alles
was ihm dieſe Leuthe ſagten — dann fieng
er wieder an und ſagte: aber wann die
Leuthe im Dorf auf dieſe Weiſe mit dem
Baumwollenweſen in Ordnung kaͤmen, wuͤr-
den ſie um deßwillen auch mit ihrem Bau-
renweſen in Ordnung ſeyn?


[10]

Der Meyer erwiederte ihm; einmal mehr
als ſonſt.


Junker. Glaubſt du das?


Meyer. Ganz ſicher: denn fuͤr’s erſte,
iſt ein jeder Menſch, der fuͤr irgend was
in Ordnung kommt, fuͤr alles andere, was
er ſonſt unter den Haͤnden hat, auch beſſer
in der Ordnung: fuͤr’s andere, muß das
Baumwollenſpinner-Kind fuͤr das Bauren-
weſen nur ſo weit in Ordnung kommen als
es daſſelbe treiben kann; und da wiſſet ihr
wohl, das hoͤchſte worauf ſie kommen koͤn-
nen, iſt etwa zu einem Kuh-Heuwachs und
ein paar Hausaͤker: die meiſten muͤſſen ſich
mit einem Garten, oder mit ein oder ein
paar Puͤnten behelfen, und es koͤnnte ſie
doch nichts ſo ſehr zu der Art Baurenwe-
ſen, wie ſie eins treiben koͤnnen, aufmuntern
und machen, daß ſie es ſo weit treiben als
immer moͤglich, als ſolche Zehendfreye Aeker.


Der Junker erwiederte; noch einmal ſey
ihm alles daran gelegen, daß auch die aͤrmſte
Haushaltung ſich nie ganz vom Landbau
weglaſſe, ſonder alles ſo viel es einem jeden
moͤglich iſt, neben ſeinem Hausverdienſt auch
noch etwas Herd baue.


Das Mareylj ſagte ihm darauf; wenn
euch daran ſo viel liegt, ſo thaͤtet ihr dann
gewiß wohl, wenn ihr die Spinnerkinder
[11] alle Jahr, etwa im Fruͤhling einmal und im
Herbſt einmal, mit ihrem Bauren G’ſchirr
zu euch in’s Schloß kommen, und ſie euere
Puͤndten und Garten umgraben, und darein
ſezen, ſteken und austhun lieſſet, was noͤthig:
ihr koͤnntet ſie damit und mit einem dozend
Brod und ein paar Zuͤbern Milch fuͤr das
ganze Jahr, fuͤr das Landweſen, wie ſie es
treiben muͤſſen, eifrig machen.


Es nahm den Junker ſo ein, was dieſe Leu-
the ſagten; daß er beyde bey der Hand nahm
und ihnen ſagte: ich kann euch nicht genug
ſagen wie ich euch danke daß ihr mir ſo den
Weg zeiget, wie ich eueren Dorfleuthen in
Haus und Feld auf eine rechte Art die Hand
bieten kann.


Das freute die Leuthe, daß ſie nicht wuß-
ten was ſie ſagen wollten, und es gieng
wohl ein Vater Unſer lang, ehe ſie ihm ſag-
ten: wenn ſie nur etwas wuͤßten und koͤnn-
ten, das ihm diente, ſo haͤtten ſie keine groͤſ-
ſere Freude als es nicht nur zu ſagen, ſon-
dern auch zu thun.


Die Zeit uͤber da ſie nichts ſagten, ſahen
ſie ihn unverwandt an, und das ſo innig
vergnuͤgt wie nur ein herzlich dankbahres
Kind ſeinen Vater anſiehet, wenn es ihm
die groͤſte Wohlthat erwieſen.


[12]

Schul-Ordnung und Bauren-Kuͤchlein.


Nach einer Weile ſagte der Meyer wieder;
wenn ich’s voͤllig uͤberlege ſo duͤnkt mich ihr
kommet mit allem was ihr thun koͤnnet, doch
nicht zu euerem Zwek wenn ihr nicht den
Kerl, den man Schulmeiſter heißt, fortja-
get, und entweder keine Schul, oder eine
ganz neue Einrichtung darinn machet; Se-
het Junker! es hat ſich ſint 50 Jahren ſo
alles bey uns geaͤndert, daß die alte Schul-
ordnung gar nicht mehr auf die Leuthe, und
auf das was ſie werden muͤſſen, paßt.


Vor altem war alles gar einfaͤltiger, und
es mußte Niemand bey etwas anderm als
bey’m Feldbau ſein Brod ſuchen. Bey die-
ſem Leben brauchten die Menſchen gar viel
weniger geſchulet zu ſeyn — der Baur hat
im Stall, im Tenn, im Holz und Feld, ſei-
ne eigentliche Schul, und findet wo er geht
und ſteht, ſo viel zu thun und zu lehrnen,
daß er ſo zu reden ohne alle Schul das recht
werden kann, was er werden muß —
Aber mit den Baumwollenſpinner-Kindern,
und mit allen Leuthen die ihr Brod bey ſizen-
der oder einfoͤrmiger Arbeit verdienen muͤſ-
ſen, iſt es ganz anderſt. Sie ſind, wie ich
es einmal finde, voͤllig in den gleichen Um-
ſtaͤnden wo die gemeinen Stadtleuthe, die
[13] ihr Brod auch mit Handverdienſt ſuchen
muͤſſen, und wenn ſie nicht wie ſolche wohl-
erzogene Stadtleuthe auch zu einem bedaͤcht-
lichen uͤberlegten Weſen, und zum Ausſpiz-
zen und Abtheilen eines jeden Kreuzers, der
ihnen durch die Hand geht, angefuͤhrt wer-
den, ſo werden die armen Baumwollenleuth,
mit allem Verdienſt und mit aller Hilfe die
ſie ſonſt haͤtten, in Ewigkeit nichts davon
tragen, als einen verderbten Leib und ein
elendes Alter — und Junker! da man nicht
daran ſinnen kann daß die verderbten Spin-
ner-Elteren ihre Kinder zu ſo einem ordent-
lichen und bedaͤchtlichen Leben anhalten und
auferziehen werden, ſo bleibt nichts uͤbrig,
als daß das Elend dieſer Haushaltungen
fortdauret, ſo lang das Baumwollenſpinnen
fortdaurt und ein Bein von ihnen lebt; oder
daß man in der Schul Einrichtungen mache,
die ihnen das erſezen, was ſie von ihren
Elteren nicht bekommen; und doch ſo unum-
gaͤnglich noͤthig haben.


Und jezt wiſſet ihr Junker, was fuͤr ei-
nen Schulmeiſter wir haben, und wie we-
nig er im Stand iſt auch nur ein Quintli
— wann die armen Kinder gut werden
ſollten, in ſie hinein zu bringen.


Er fuhr mit Hize fort zu ſagen:


Der Tropf weis minder als ein Kind in
[14] der Wiegen, was ein Menſch wiſſen muß,
um mit Gott und Ehren durch die Welt zu
kommen — er kan ja nicht einmal leſen —
wenn er leſen will, ſo iſt’s wie wann ein al-
tes Schaaf bloͤket, und je andaͤchtiger er
ſeyn will, je mehr bloͤket er: und in der
Schul hat er eine Ordnung, daß einen der
Geſtank zuruͤkſchlaͤgt, wenn man eine Thuͤre
aufthut. — Auch iſt ſicher kein Stall im
Dorf, darinn man nicht fuͤr Kaͤlber und
Fuͤllen, die man erziehen will, weit beſſer
ſorget, daß das aus ihnen werde, was aus
ihnen werden muß — als in unſrer Schul
dafuͤr geſorgt wird, daß das aus unſeren
Kinderen werde, was aus ihnen werden ſollte.


— So redte der Mann der Erfahrung
hatte in ſeinem Dorf.


Seine Schweſter gieng jezt einmal uͤber
das ander in die Kuͤche; kam dann wieder
in die Stuben, gleich wieder in die Kuͤche,
und kaͤute immer an den Naͤgeln; denn ſie
hatte Luſt dem Junker auch einen Kram von
ihren Bauren Kuͤchlenen heim zu geben, und
— dorfte es nicht und wollte — es doch
— das machte ſie an den Naͤglen kauen,
und wiederkauen, bis ſie endlich fand, ſie
doͤrfe es doch; er ſey ja gar nicht wie ein
andrer Junker, der es erwann uͤbel nehmen
koͤnnte; — doch traute ſie ſich nicht voͤllig
[15] — ſie ſtuhnd zu ihm zu — und ſagte:
wenn ihr einmal nicht der Junker waͤret,
ſo muͤßtet ihr mir auch ein paar von meinen
Kuͤchlenen eurer Frau zu einem Kram heim
nehmen.


Der Junker wußte es ſchon vom Pfarrer
daß ſie es allen Leuthen die zu ihr kommen,
ſo mache; und ſagte mit Lachen: aber weil
ich jezt der Junker bin, ſo gibſt du mir kei-
nen?


Herr Jeſus! ihr nehmet es nicht uͤbel,
ſagte es da, und konnte ſich faſt nicht hin-
terhalten vor Freude zu jauchzen: es ſprang
im Augenblik hinter den Ofen, nahm die
zwey weiſſen Papier, die es ſchon zum vor-
aus darfuͤr verborgen, hervor, pakte ſeine
Kuͤchlj alle die auf dem Tiſch ſind, in zwey
Kraͤm, einen fuͤr den Junker und einen fuͤr
den Pfarrer, trug dann dieſelben in einem
neuen ſchoͤnen Koͤrbchen, das es mit einem
weiſſen Tuch dekte, den Herren nach bis zum
Pfarrhaus: Sie redten den ganzen Weg
uͤber mit ihm, und hielten ihn’s noch im
Pfarrhaus auf, bis der Junker wegfuhr.


[16]

§. 3.
Ein ſchoͤnes Zeugniß, daß das Mareylj
ein braves Menſch iſt.


Denn da es heimgieng, traf es in allen
Eken Leuthe an, die ihre Koͤpfe zuſam-
menſtieſſen und mit einander Rath hielten;
und nahe bey ſeinem Hauſe einen ganzen Hauf-
fen Kinder, die auch nicht ſo bey einander
ſtuhnden wie Kinder bey einander ſtehen, wenn
ihnen wohl ums Herz iſt: und da es merkte
was es war, ſchuͤttelte es den Kopf, ſah’ ih-
nen ſteif in die Augen, und ſagte da ſie ihn’s
gruͤßten, zu ihnen: habt ihr gut Rath mit
einander? Nicht ſo gar gut, antworteten die
Kinder, und durften ihns faſt nicht anſehen:
ſie waren naͤmlich in Aengſten wegen der Frey-
tagsrechnung; denn der Junker hatte am
Sonntag nach der Mittagspredigt verleſen
laſſen, daß am Donſtag die Gemeindwayd
vertheilt und am Freytag Jedermann der dem
Vogt ſchuldig, mit ihm unter der Linden
rechnen muͤſſe; beyde Punkten machten vielen
Leuthen im Dorf den Kopf groß; aber haupt-
ſaͤchlich der lezte.


Das Mareylj aber war kaum von den Kin-
dern weg, ſo ſagte eines, es ſey doch auch
ſonſt ſo gut, und es thuͤe ihnen vielleicht den
Gefallen,
[17] Gefallen, und rede ihnen daheim zum Beſten.
— Die anderen waren im Augenblik alle der
Meynung, und ſagten, ſie wuͤßten einmal
wenn ſie das ganze Dorf ausſinnten, nie-
mand der’s eher thaͤte, und es ſey wie wenn
es Gottes Wille haͤtte ſeyn muͤſſen, daß es
jezt ihnen juſt vor Augen kommen, und ſie
an ihn’s ſinnen muͤßten.


Sie machten nicht lang; das Mareylj hatte
ſeinen Korb kaum hinter dem Ofen abge-
ſtellt, ſo ſtuhnden ſie ihm ſchon in der Stu-
be; aber es durfte lang keines ſagen warum
ſie da ſeyen; eines ſtupfte das andere und
ſagte ihm: brings doch du an: das Ma-
reylj that als wann es nichts merkte, und
ſagte: was geht ihr guts aus mit einander?
Auf das Wort hin zog das Huͤnerbethelj, das
bey ihm zu ſtuhnd, ihn’s beym Fuͤrtuch,
und ſagte: wir ſind in Gotts Nahmen in
einem entſezlichen Kreuz, Mareylj! und er-
zaͤhlte ihm denn ihren Jammer; hinter dem
erzaͤhlen baten ihn’s denn alle: es ſey doch
auch ſeiner Lebtag ſo gut geweſen, und es
ſolle doch um tauſend Gottswillen ſie auch
jezt nicht verlaſſen, u. ſ. w.


So — ſo — ihr ſeyt ſchoͤne Jungfern,
nein, nein, wenn ihr nichts anders habet
ſo koͤnnt ihr nur wieder gehen wo ihr her-
gekommen; aus dem gibt’s gar nichts; es
B
[18] geſchieht euch nur der verdiente Lohn —
euere Elteren moͤgen mit euch machen was
ſie wollen.


Die Kinder aber bathen, heulten und fie-
len faſt vor ihm nieder, daß es doch ſo gut
ſey und es thuͤe.


Es aber fuhr fort ihnen zu predigen was
ſie vor Leuthe ſeyen. Ihr armen Troͤpf, ſagte
es ihnen, in euerem Alter Saufſchulden zu
machen; ſinnet ihr nicht daß ihr an Leib und
Seel Geſpenſter werdet, und Kupfernaſen
und Traͤufaugen bekommt, ehe ihr faſt aus-
gewachſen?


Ah! um tauſend Gottswillen, ſagten die
Kinder, hilf uns nur auch dies mal, wir wol-
lens denn gewiß unſer Lebtag nicht mehr thun:


Es ſagte nicht Ja; aber es fieng doch an
zu erzaͤhlen wie es ſeiner Zeit geweſen, wie
Toͤchteren von ihrer Gattung auch Ehr im Leib
gehabt, und in allem was ſie gethan, Schaam
gezeiget, und wie das junge Volk fruͤh und
ſpaht war, aber wie jezt alles darauf umgehe,
— mit aufrechtem Ruͤcken Brodt zu finden,
mit muͤſſiggehen und ſtaͤhlen eine glatte Haut
davon tragen wolle; aber wie kein Seegen
dabey ſeye, und ſo eine Lumpen- und Diebs-
haut bald aufhoͤre glatt zu ſeyn und alle Far-
ben bekomme.


[19]

So redte das Menſch wohl eine halbe
Stund an einander; am End aber that es
was ſie wollten, verſprach ihnen, mit ihren
Eltern zu reden, wenn ſie es ihr Lebtag nicht
mehr thun wollten; und den Kindern wars
nicht anderſt als ob ſie einen Berg ab dem
Hals haͤtten, da es ihnen das verſprochen. —
Sie waren kaum fort, ſo hatte das Mareyli
wieder nichts anders als den Junker im Kopf;
es konnte ſeit dem er fort war an nichts an-
ders denken als an ihn, ſelber da es ins Bett
gieng, uͤber Nacht bettete, und mit ſeinem
das walt Gott der Vater, der Sohn ꝛc. fertig
war, hielt es noch einmal die Haͤnd zuſammen
und bettete noch: Mein lieber Gott, hilf auch
dem Junker in allem was er vorhat — und
darauf ſagt es, ich will ihm einmal auch hel-
fen ſo viel ich kann und mag; Amen, in Gotts
Namen Amen: und mit dieſem Wort legte es
ſich auch auf ein Ohr.


§. 4.
Des Menſchen Herz in drey verſchiednen
aber gleich ſchlechten Modeln.


Aber die Kinder waren nicht allein; es war
wohl zwey und drey mal Aeltern eben ſo
angſt.


B 2
[20]

Eine Menge Maͤnner und Weiber wußten
ſeit dieſer Mittagskirche nicht was ſie thaten:


Die Spekmolchin vergaß ihre Suppe zu
ſalzen, und ließ das halbe Eſſen die Kaz freſſen
ohne daß ſie es wehrte.


Wo fehlts dir aber, daß du wie ein Narr
thuſt? ſagte ihr Mann der juſt dazu kam. —
Sie murrte zuerſt nur, ſtatt zu antworten. —
Eine Weile darauf beſann ſie ſich, es ſey beſſer,
ſie ſag’s dem Ochſen, es muͤſſe doch ſeyn.


Ja, ſagte ſie dann, ich hab das Tuch da
dem Vogt verſezt.


Der Spekmolch ſperrte das Maul und Au-
gen auf, und ſagte was fuͤr ein Tuch?


Du weiſeſt wohl das an der Woͤſch! ſagte
die Frau. — Das ganze Stuͤk da, wo an
der Woͤſch weggekommen? und wo du alle
Dienſt und alle Woͤſchern in die unterſte Hoͤlle
hinab verflucht haſt, daß ſie es ſollten geſtoh-
len haben; ſagte der Mann, und wollte dann
anfangen jammern, es ſeye doch ſchlimm,
wenn man in ſeinem Haus ſeiner eignen Frau
nicht mehr trauen doͤrfe.


Aber das Weib ſtopfte ihm das Maul bald
zu; ſie hielt ihm ſein achtzehnjaͤhriges uneh-
liches Kind vor, das ihn manch Hundert mal
mehr gekoſtet als das lumpen Stuk Tuch werth
ſey?


Es trieb den armen Spekmolch von der
[21] ungeſalznen Suppe zur Stube hinaus, da ſie
ihm ſo kam.


Die Jooßlin war in gleichem Jammer;
der elende Mantel ob dem ſie ſo oft mit ihrem
lieben Mann gezanket, daß ihn die Baͤttler,
die bey ihnen uͤbernacht waren, geſtohlen,
war jezt leyder auch beym Vogt, und ſie
mußte es bekennen: der Mantel und das Ver-
ſauffen und alles thut mir nicht halb ſo weh
als daß du alleweil mit mir gezanket und er-
zwingen wollen, ich muͤſſe glauben die Baͤtt-
ler, die uns unſer Lebtag nichts geſtohlen,
haben uns das geſtohlen, ſagte ihr Mann, da
ſie jezt ſo bekennte.


Es thut einem auch ſo weh wenn einem ein
Mann lieb iſt, und er einen denn fuͤr eine
Diebin haͤlt, ſagte die Frau.


Noch groͤſſer als alles war der Jammer
der Barbel, die den Nahmen hat, daß ſie eine
Fromme ſey; ſie konnte ſint dieſer Mittags-
kirchen nicht mehr in der Bibel leſen, und nicht
mehr in ihrem liebſten Baͤttbuch baͤtten; die
heiligen Papyr lieſſen ſie lange ohne Troſt in
ihren Noͤthen, — ſo ſehr ſie den Kopf daruͤber
haͤngte und ihre Thraͤnen darauf hinabfallen
ließ; endlich auf einmal war ſie getroͤſtet, es
kam ihr in Sinn, ſie koͤnne es leugnen; —
und ſobald ſie im Kopfe hatte wie, rief ſie ih-
rer Dienſtmagd und Mithalterin ihrer ſtillen
B 3
[22] ehrbaren Abendtruͤnken, aus der Kuche in die
Stuben, wo ſie eben fuͤnf Eyer zum Nacht-
eſſen im Nydel ſchwang; — und ſagte zu ihr,
Gottlob; Gottlob! ich hoffe jezt der liebe
Gott wolle die Schand von mir wegnehmen:
Denk auch was mir der lieb Gott in Sinn ge-
geben, weil ich ihn ſo angeruft hab; das alte
Spinnerbabi heißt wie ich und wenn ich ihm
das Geld in Sak und einen halben Gulden
zum Lohn gebe, ſo gehets gewiß gern fuͤr
mich unter die Linden, und ſagt es ſey die
ſieben Gulden ſchuldig — und der Vogt
bringt mirs nicht aus; er hat mir mein Leb-
tag nichts ausgebracht und hat gewiß auch
nicht ſo ein gar boͤſes Herz wie jezt alle Leuthe
thun — ich will ſo bald es unter Licht iſt,
zu ihm und mit ihm reden.


§. 5.
Weiber Jam̃er und ein Mutter Irrthum.


Und morndes am Morgen, da das Mareyli
zu den Eltern, deren Kinder geſtern bey
ihm geweſen, hinkam, jammerten ihm etli-
che Muͤttern gar vielmehr uͤber dieſen Frey-
tag als ihre Kinder.


Es hatte die Hauen auf der Achſel und
that wie wenn es nur ſonſt ins Feld wollte;
[23] die meiſten Elteren riefen ihm noch ſelber auf
die Gaſſe hinaus, es ſoll auch in die Stube
kommen, und es wußte die Sache ſo gut ein-
zufaͤdlen daß die meiſten Kinder ohne Ohr-
feigen davon kamen.


Aber die Caminfegerin hatte das Waſſer
in den Augen, ſo bald es nur das Wort Frey-
tag ins Maul nahm und ehe es noch ihres
Liſabethlis gedachte, ſieng ſie an zu heulen
und ſagte, ſie ſtehe ins Gottsnahmen auch
in der erſchreklichen Rechnung und wiſſe ih-
res Lebens nicht anzufangen; der Caminfeger
ſchlage ſie zu tod, wenn ers vernehme.


Und die Lismer Gritte ſagte faſt die gleichen
Wort wo die Caminfegerin; beyde bathen das
Mareylj ohngefaͤhr um das gleiche was die
Kinder; naͤmlich daß es doch um tauſend
Gottswillen mit ihren Maͤnnern rede.


Es gab ihnen zuerſt zur Antwort; das
Zuchthaus waͤre beſſer fuͤr ſie als ſein Fuͤrwort;
und es ſtehe ihm nicht an mit ſeinem zum Be-
ſtenreden Schelmen zu pflanzen; am Ende
thats doch was ſie wollten.


Aber zwey Schweſtern die beym Creuzbrun-
nen vor einander uͤber wohnen, (die eine hat
einen Lindenberger und die andre einen Huͤgj;)
ſind bey dieſem Anlaß wie erzgute Muͤtter ob
ihren Kindern verirret.


Die Lindenbergerin merkte, daß ihrer Schwe-
B 4
[24] ſter Kind etwas im Kopf ſtekte und fragte ihns
wo es fehle, daß es ſint dem Mittag immer
herum ſtehe wie wenn es nicht heim doͤrfe.


Das Kind fieng im Augenblik an zu wei-
nen, bekennte alles, und bath ſie dann daß
ſie doch auch mit ihrer Mutter rede, es doͤrfe
ihr nicht unter die Augen — u. ſ. w.


Ich will freylich mit ihr reden und ihr ſagen
was du fuͤr ein Menſch biſt, ſagte die Linden-
bergerin, ſtuhnd im Augenblik auf, ſagte aber,
ehe ſie noch gieng, zum Kind; komm du mir
nur nicht mehr ins Haus wann du ſo ein Kind
biſt, du koͤnnteſt mir meines auch noch ver-
fuͤhren daß es wuͤrde, wie du.


Mit dem gieng ſie zum Haus hinaus und
um den Brunnen herum zu ihrer Schweſter
— da traf ſie, ſo bald ſie die Thuͤre aufthat,
ihr eignes Kind an, das voͤllig wie der Schwe-
ſter ihres daheim am Ofen ſtand und den
Kopf haͤngte: — was thuſt du da, du Muͤſ-
ſtggaͤngerinn; es iſt gar nicht noͤthig daß du
den ganzen Tag da ſteheſt, ſagte ſie im Au-
genblik zu ihm, noch ehe ſie nur ihre Schwe-
ſter gruͤßte.


Das verdroß dieſe, daß ſie auch vor dem
Haus zu ihr ſagte: es iſt doch beſſer, es ſteke
bey mir als im Wirthshaus.


Was? ſagte die Lindenbergerin, meynſt
du ich habe auch ſo ein Kind, das ins Wirths-
[25] haus geht und Saufſchulden hat, wie du eins
haſt.


Behuͤt mich Gott vor dem, daß ich ſo ein
Kind habe; aber du haſt einmal ſo eins, ſagte
die Huͤgin.


Und die Lindenbergerin, ha — ich komm
einmal eben jezt von deinem weg, das da-
heim am Ofen ſteht und mich gebetten hat
ich ſolle dir ſagen, daß es am Freytag unter
die Linde muͤſſe.


Ae mein Gott, ſagte die Huͤgin, und zeigte
mit der Hand gegen den Ofen; den Augenblik
ſteht deines da zu, und bittet mich, daß ich es
dir ſage.


So kamen die zwey Schweſtern faſt bis
zum Zanken, ehe ſie merkten, daß ſie beyde wie
gute Muͤtter ob ihren Kindern verirret. —


Aber ich kan nicht alles erzaͤhlen; es gab
faſt in allen Haͤuſeren dergleichen Auftritt,
ob der armen Rechnung, die der Pfarrer am
Sonntag in der Mittagspredigt verleſen muͤſ-
ſen.


§. 6.
Ueberzeugung und Muthwillen in einem
Mund…


Es war nur Schad um ſeine Morgenpre-
digt, die man ob dieſem Mittagszedel
[26] vergeſſen; wie eine von den andern, die mit
dem Woͤrtlin Amen zugleich vergeſſen und be-
ſchloſſen werden; und doch gieng am Mor-
gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das
nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr
bis Daheim uͤber das Mittageſſen, bis es wie-
der in die Kirche laͤutete, und ſie in den Stuͤh-
len ſaſſen, gieng kein Maul davon zu. —


Es war alles nur Eine Stimme, es ſey wie
wenn der Pfarrer ſint 50 Jahren neben ei-
nem jeden geſtanden waͤr und alles geſehen und
gehoͤrt, was im hinterſten Winkel vorgefallen,
ſo habe er alles ſagen koͤnnen, wie es geweſen.


Graue Maͤnner und graue Weiber wußten
nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit,
von der der Pfarrer ſo viel geredt; und er-
zaͤhlten hundert Geſchichten vom Nachtſchnei-
den, und ſolchen alten Freuden, die jezt ab-
gegangen, weil die Leuthe ſo boshaft ſind;
und konnten nicht genug ſagen wie gut es ge-
weſen, ehe das Baumwollenſpinnen in’s Dorf
gekommen, und das Land ſo verſtuͤkelt und
mit Leuthen uͤberſezt worden.


Eine junge Renoldin kam ſo in’s Feuer
uͤber die Predigt, daß ſie uͤber Tiſch ſagte,
ſie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s
Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr
waͤhre, die Predigt abſchreiben, damit ihre
Kind und Kindskinder wiſſen wie es im Dorf
[27] zugegangen; ſie ſezte hinzu, es ſey ihr die
ganze Predigt auf’s Haar geweſen, ſie hoͤre
ihren Großvater wieder reden; ſo habe er
hundert und hundert mal dieſe Sachen uͤber
Tiſch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal
ob dem brafen Vorgeſezten, der ſich da noch
allein dieſen Bosheiten wiederſezt, und aber
ins Kayſers Landen ſterben muͤſſen, die hel-
len Thraͤnen vergoſſen.


Ihrer viele ſagten, es nehme ſie nur Wun-
der daß er uͤber das Schloß und uͤber den
alten Junker ſo viel habe reden doͤrfen.


Andere ſagten: der Junker laſſe alles ſa-
gen, es moͤge auf Gottes Erdboden ſeyn
was es wolle, wenn es nur wahr ſey.


Etliche behaupteten, es ſeye keine Pre-
digt geweſen, und b’huͤt uns Gott darvor,
es gaͤbe Mord und Todtſchlag, wenn man ſo
predigte.


Es weiſt’s einer nicht, ſagten andre; viel-
leicht gaͤb’s weniger Mord und Todſchlag und
weniger Hurerey und Diebſtahl, wenn man ſo
auf der Canzel ſagen doͤrfte, wo Mord und
Todſchlag, Hurerey und Diebſtahl in einem
jeden Dorf eigentlich hergekommen ſind, noch
herkommen und ferner herkommen werden.


Das glaube ich, ſagte ein junger Mann,
von dem ich naͤchſtens noch mehr reden werde;
ſie iſt ja vom Anfang bis zum Ende nichts als
[28] eine Jagd auf allerley Gattung Menſchen-
woͤlf, die es in der Welt giebt: ihrer etliche
pakten das Wort auf, und ſagten, ja, das
iſt ſicher wahr, und unſer Lebtag hat niemand
ſo viele und gute Huͤnde zu einer Jagd in’s
Dorf gebracht; ſie hielten die Naſen keinen
Augenblik vom Boden, und ſind immer auf
der Spur geblieben, bis an’s Ende.


Verzeihet ihr Leuthe der Bauren-Muth-
willen — ſie machen es ſo.


§. 7.
Der Feuerheerd und ein gutes Weiber-
wort.


Die Gertrud ſchlug die Augen nieder und
zitterte in der Kirche da der Pfarrer
von ihr redte: und da ſie heimkam ſagte ſie,
ſie wollte weiß nicht was geben, ſie waͤre nicht
in der Kirche geweſen.


Aber warum jezt auch das? ſagte der Ni-
klaus.


Haͤ der Herr Pfarrer hat da allerley geſagt
das er haͤtte koͤnnen bleiben laſſen, ſagte die
Mutter.


Es iſt doch recht geweſen, daß er geſagt, wie
es der Hummel uns gemacht, und wie er den
Vater und uns geplagt hat, ſagte der Bub.


[29]

Und Gertrud: Man muß das Boͤſe ver-
geſſen, und Gott danken, wann es voruͤber:
aber dann iſt es einem am woͤhlſten, wenn
Niemand viel von einem redet.


Ich hab jezt gemeynt, es freue dich auch,
ſagte der Bub.


Da laͤchlete ſie. — Es ſcheint es freue dich
doch, ſagte wieder der Bub.


Nein; du freuſt mich, ſagte die Mutter.


Den Lienert hingegen freute es wie ſeinen
Buben, daß der Pfarrer ſo viel Gutes von
ihr geſagt.


Sie aber gab hieruͤber zur Antwort: Lie-
ber! wenn’s Ruͤhmens gebraucht haͤtte, ſo
waͤr’s in der alten Zeit geweſen, und da hat’s
jedermann bleiben laſſen; jezt mag ich deſſen
nichts mehr. Wenn ich nur dir auf meinem
Heerd eine Suppe machen kan, wie du ſie
gern iſſeſt, und du dann heim kommſt ehe ſie
ab dem Feuer iſt, ſo meyn’ ich, ich hab alles
was ich in der Welt wuͤnſchen ſoll.


Glaubet doch nicht ihr Leuthe! es moͤge
ſich nicht erleiden ſo etwas zu erzaͤhlen; es hat
vielleicht lang kein Mann etwas geſagt, darinn
ſo viel liegt, als in dieſen guten Weiber-Wor-
ten.


Die Alten hielten den Feuerheerd im Haus
fuͤr heilig und ſagten: eine Frau, die bey ih-
rem Feuerheerd viel an ihren Mann und an
[30] ihre Kinder ſinnet, habe nicht leicht ein un-
heiliges und ungeſegnetes Haus.


Aber es iſt freylich in unſern Tagen ſehr
vergeſſen, was die Alten ſagten:


Wenn Gertrud auch nur Erdapfel hatte,
ſo kochte ſie ſo daß ihr Mann es ihnen anſehen
mußte, er ſey ihr nicht aus dem Sinn ge-
kommen, da ſie ſelbige ob dem Feuer hatte.


Denket, was wird eine Frau uͤber ihren
Mann vermoͤgen, der es der Suppe, die ſie
kocht, und dem Strumpf, den ſie ſtrikt, anſehen
muß, daß er ihr nicht aus dem Sinn kommt,
wann ſie ſtrikt und wann ſie kocht.


Der Lienert haͤtte ein Unmenſch ſeyn muͤſ-
ſen, wenn er bey einer ſolchen Frau ſo leicht,
und noch ſo gar in den erſten 14 Tagen wie
einige gemeynt, in ſein altes liederliches Leben
wieder gefallen waͤre; er iſt zwar ein ſchwa-
cher aber ein guter Menſch und jezt entſezlich
froh daß er dem Hummel ab der Ketten, und
des Wirthshauſes los iſt. —


Er geht euch alle Morgen der erſte an ſeine
Arbeit; und noch vor den Sechſen, ehe er auf
den Kirchhof muß, macht er eine Stunde oder
zwey vorher allerhand in Ordnung, das er
ehdem mit keiner Hand angeruͤhrt; er miſtet
den Stall, er melket die Kuh, grabt den Gar-
ten um, ſpaltet Holz, thut alle ſtarke Haus-
werke fuͤr ſeine Frau, und iſt bey dieſer Mor-
[31] genarbeit noch ſo munter als den Tag uͤber
auf dem Kirchhof; ſingt mehrentheils noch
mit ſeiner Frau und mit ſeinen Kindern ihre
Morgenlieder, und toͤnt oft ihre Weiſe fort,
den ganzen Weg uͤber, bis er zu ſeinen Ge-
ſellen kommt. —


§. 8.
Ein Reyhen ſchlechter Geſichter.


Da vergeht ihm aber denn meiſtens das
Liederſingen bald; die Menſchen haben
uͤberhaupt wenig Tagsarbeit, bey deren man
ſo fortſingen kan; und die ſind ſchon gluͤklich
die nur am Morgen und Abend mit frohem
Herzen ſingen.


Des Lienerts ſein Tagwerk iſt nichts we-
niger als leicht: Er hat jezt 9 Geſellen und
8 Tagloͤhner, und mit dieſen leztern faſt alle
Stund Verdruß; mit den Geſellen aber die
fremd ſind, und wiſſen was im Land der
Brauch und Recht iſt, nicht den Zehnden ſo
viel.


Aber die Tagloͤhner meynen gar, es ſey
alles recht, was ſie thun; da ſie aus ſeinem
Dorf ſind, kennen ſie ihn und wiſſen daß er
zu mitleidig, ſie ſo leicht aus der Arbeit zu ſchi-
ken. — Auf dieſe Rechnung hin thun ſie was
[32] ſie wollen, und machen ihm einen Verdruß
nach dem andern; ihrer etliche ſind wie wenn
ſie eine Freude daran haͤtten, wenn nur alles
viel koſtet, und drauf und druͤber geht was
nur moͤglich: dem Kriecher hat er vom er-
ſten Tag an einmal uͤber das andere geſagt;
er ſolle doch den Kalch ſpahren und das Pfla-
ſter nicht ſo fett anmachen; der Grund iſt,
weil man den Kalch wohl 7 Stund uͤbers
Gebirg herfuͤhren muß, und ein jedes Faͤßlj
bis auf 3 Gulden koſtet. —


Aber er konnte lang ſagen; der Kerl ar-
beitete den Kalch, daß die Maurer alle Au-
genblik ganze Schollen, manchmal ſo groß als
ein Baumnuß, lautern unvergangnen Kalch
darinn fanden.


Der Lienert wußte ſich nicht anderſt zu hel-
fen, als ihn und noch einen von dieſer Ar-
beit wegzuthun, und an eine andere zu ſtel-
len; dafuͤr brauchten ſie dann hinter ihm
das Maul, hieſſen ihn Wohldieners-Ungluͤks-
ſtifter und Egyptiſchen Treiber; brummten
unter einander daruͤber wie Baͤren, und ſag-
ten es gehe ihn nichts an, der Junker werde
noch Junker bleiben wenn er das Faͤßlj Kalch,
das er aus ihnen herausſchinden wolle, ſchon
minder habe.


Der Meiſter haͤtte ſie gradzu wegſchiken
und nicht an eine andere Arbeit ſtellen ſollen
die
[33] die Teufelsbuben verderben jezt ihm aus Raach
doppelt ſo viel, und es iſt als ob ſie nicht ab
dem Kirchhof wegkoͤnnten, ohne daß ſie einen
Laden mit den Schuhen ab einander tretten,
oder ein Stuͤk Holz unnuͤz gemacht, oder ſonſt
etwas dergleichen gethan.


Aber dann ſind es dieſe noch nicht allein,
von denen er Verdruß hat. Der Ruͤtj Marx
thut zu allem was er angreifen muß, ſo lahm,
daß wenn er etwas in die Hand nimmt, im-
mer 3 oder 4 die Haͤnde ſtill halten und den
Narren angaffen.


Er und der Kriecher ſind aber doch auch
die ſchlimmſten, und glatterdings zu nichts
nuz, als etwa einen leeren Korb oder einen
Nagel oder ein Seil einem andern zu bringen:
der dann den Korb ausfuͤllen, den Nagel ein-
ſchlagen und das Seil anbinden kann, wenn
er will.


Sie ſperbern auch den ganzen Tag auf ſol-
che Gattung Arbeit.


Dann aber uͤbergehet dem Lenk auch ſicher
die Galle; wenn er ſie ſo etwas auf den Muͤſ-
ſiggang einrichten ſiehet; und es iſt dann noch,
wie wenn er allemal dazu kommen muͤßte;
und das macht ihn ſo haͤßig, daß er ſelber nicht
mehr arbeitet, wie vorher, und daß er erſt
neulich zu ein paar andern geſagt: ſie ſeyen
wohl Narren, daß ſie ſich ſo angreifen moͤ-
C
[34] gen; die ſo an Haͤnd und Fuͤſſen wie lahm
und den ganzen Tag herumſtehen und den
Maulaffen feil haben, bekommen den gleichen
Lohn wo ſie.


Es iſt auch zum Raſend werden wie ſie es
machen; vor kurzem rief ein Maurer dem
Kriecher vom Geruͤſt herunter, ob er keine
Schnur (Bindfaden) bey ſich habe; der Krie-
cher ſchlupfte im Augenblik unter den Pfla-
ſterkorb, den der ſchon am Buckel hatte, her-
vor, ſuchte in allen Saͤken, ob er nicht et-
was finden koͤnne das einem Schnuͤrlein gleich
ſaͤhe; und das er anſtatt des Pflaſterkorbs
die Stege (Treppe) hinauf tragen koͤnnte:
Er fand auch wirklich etwas dergleichen,
nahm es im Augenblik in beyde Haͤnd und
trug es alſo Schritt vor Schritt die Stege
hinauf an eben den Ort wo er den Pflaſter-
korb hintragen ſollen.


Der Lienert ſtuhnd eben neben ihm zu,
da er ſeinen Korb abſtellte und mit dem
Schnuͤrli in den Haͤnden fortgieng.


Ohne ein Wort zu ſagen, nahm er den
Pflaſterkorb ſelber auf die Achſel, und trug
ihn ihm auf dem Fuß nach.


Wer ſeines Wegs fortgieng und nicht der-
gleichen that als ob er nur denkte daß je-
mand hinter ihm hergieng, das war der
Kriecher. —


[35]

Er haͤtte ihn auch ſicher bis an Ort und
Stell ſo hinter ihm her fortſpazieren und
den Korb nachtragen laſſen, wenn ihm nicht
ein Maurer ab dem Geruͤſt zugeruffen haͤtte,
ob er ſich nicht ſchaͤme, den Meiſter ſo hin-
ter ihm her den Pflaſterkorb hinauftragen zu
laſſen, und ihm demſelben nicht abzunehmen;
da kehrte er ſich doch nach einigem Brum-
men, er habe ihn doch nicht geſehen, und
geglaubt es preſſiere mit dem Schnuͤrli, um,
und wollte ihm denſelben abnehmen, aber er
gab ihn ihm nicht, und ſagte: wenn du nicht
ein Muͤſſiggaͤnger waͤreſt, ſo haͤtteſt du ihn
unten wieder nehmen und mit ſamt dem
Schnuͤrli hinauftragen koͤnnen.


Der Kriecher gab zur Antwort: ich meyn’
ich thue meine Sache ſo gut als ein andrer,
und ſchnurrte von ihm weg.


Auch der Lehmann ſteht die halbe Zeit,
herumzuſchauen wo die Voͤgel herumfliegen;
und wenn der Sigriſt, oder der Todtengraͤ-
ber, oder ſonſt ein altes Weib uͤber den
Kirchhof gehet, ſo hat er allemal etwas ganz
nothwendiges mit ihnen zu reden.


Der Marx, der ſtihlt gar, und es iſt kein
Nagel, kein Seil, und ſonſt nichts bis auf
die Spekſchwarten, vor ihm ſicher.


Einmal als er ſein Brod aus ſeinem
Schnappſak herausnahm, war es ſchnee-
C 2
[36] weiß; der Maurer Jakob, der ehrlichſte un-
ter des Lienerten G’ſellen, ſaß eben bey ihm
zu und ſagte ihm: Marx, Marx, es iſt gar
kein gutes Zeichen, wenn einem Maurer das
Brod im Sak weiß wird.


Warum, warum? ſagte der Marx.


Haͤ — es mahnet einen ſo ſtark an’s
Kalch ſtehlen, ſagte der Jakob.


Ich hab einmal keinen geſtohlen, ſagte der
Marx, und ward nicht roth; denn was
ſchwarz und gelb iſt, wird nie roth.


Der Jakob fuhr fort und ſagte: es wird
dir gewiß von den Erdapfeln, die du im
Sak haſt, ſo weiß worden ſeyn.


Einmal nicht vom Kalchſtehlen, erwieder-
te der Marx —


Und der Jakob ſah ihn da nur an, und
machte doch daß ihm das Herz klopfte, und
er ſichtbahr erſchroken hinzuſezte: es iſt Maͤhl
im Sak geweſen; er hatte aber die Hand
mit dem Brod noch im Waſſer da er das
ſagte, und der Maurer fieng noch einmal
an, und ſagte: du muſt doch foͤrchten, der-
gleichen Maͤhl brenne uͤber den Magen, daß
du es ſo waſcheſt.


Ich mags einmal nicht eſſen wie eine Sau,
ſagte der Marx; und der andere, du haſt
gar recht, dergleichen Maͤhl koͤnnte wirklich
eine Sau toͤden, wenn ſie nur ein wenig
zu viel davon eſſen wuͤrde.


[37]

Solche Leuthe hatte der Lienert den Tag
uͤber um ſich; doch auch andre; mit den mei-
ſten G’ſellen war er vollkommen zufrieden,
und von den Tagloͤhneren machten ihm auch
etliche dann und wann Freud.


§. 9.
Vater-Freuden..


Auſſert dem Michel, den er allenthalben
brauchen konnte war ihm keiner ſo lieb
als der junge Baͤrr; dieſer ſang und pfiff
immer bey ſeiner Arbeit, wenn ihm auch
der Schweis tropfenweis von der Stirne lief.


Ihrer viele konnten das nicht an ihm lei-
den, und der Lenk ſagte einmal beym Abend-
brod ihm in’s Geſicht, er koͤnnte mit ſeinem
Singen und Pfeiffen wohl warten bis er auch
ein ganzes Hembd haͤtte; aber der Baͤrr pfiff
ſein Lied nur deſto laͤuter, denn er hatte der-
gleichen Sachen nicht gern im Kopf wie der
da ſagte: erſt da das Lied aus, brach er
noch einen Mundvoll ab, ſagte ihm dann:
meyneſt du etwann es mache einem die
Hembder ganz, wenn man nicht pfeiffe.


Es ſpahrte keiner wie er, den Taglohn,
und keiner ſprang ſo mit ihm heim, ihn ſeiner
Frauen zu bringen und zu zeigen.


C 3
[38]

Den erſten Samſtag war er auſſer Athem
und konnte es faſt nicht zu Worten bringen,
da er ihr die Hand aufthate, und den Tha-
ler, der von Schweiß ganz naß war, ihr
zeigte:


— Gaͤll Frau! ſo hundert, dann waͤr
ich ein brafer Mann — —


Wenn nur ſo zehen zu einander kommen,
ſo bin ich zufrieden, ſagte die Frau; und er
— du muſt auch einmal etwas recht gutes
hoffen; denn nahm er ihr den Bub ab, den
ſie auf dem Schoos hatte, und ritt mit ihm
auf allen Vieren in der Stube herum.


Der Lienert ritt mit ſeinem nicht ſo auf
allen vieren; er war zu alt dafuͤr; aber er
hat eben ſoviel Freud mit ihm. — Er zeigte
ihm wann er am Abend heim kam allemal
etwas von ſeinem Handwerk; jezt machen ſie
ſint etlichen Wochen den Thurn zu Babel,
wie er in der Mutter ihrer Kinderbibel abge-
mahlt iſt, aus einem Haufen Laim mit ein-
ander in der Stube — es hat ihnen faſt
gar nicht gerathen wollen, und ſie mußten
manche halbe Nacht daran probieren, wie
breit unten die Treppen ſeyn muͤſſe, wenn
ſie ſo zwanzig mal um den Leimhaufen her-
umgehen und oben ſich mit ihm ausſpizen
muͤſſe; und viel anders mehr. — Er lehrte
ihn rechnen was es zu den Sachen braucht,
[39] wieviel Kalch und Stein und Sand es zu
einem Klafter heiſcht wenn es ſo oder ſo dik
iſt. — Er lehrte ihn das Bleymaas, das
Richtſcheit und das Winkelmaͤß brauchen, und
zeigte ihm den Vortheil der Steinen wenn ſie
dik — oder duͤnn — glatt oder hokericht. —


Erſt vor kurzem kaufte er ihm eine Pflaſter-
kellen, und ein Fuͤrfell — ich darf wohl ſa-
gen, die Freude eines Koͤnigs Sohns iſt nichts
dagegen, wie es Niklaus freute, daß er ein
Fuͤrfell und eine Pflaſterkelle bekam. — Er
nahm einen Gang an, die Stube hinauf und
hinunter, wie wenn er ſchon ein Maurergeſell
waͤr, und ſprang [dann] im Fell einsmal uͤber
das andere zu Vater und Mutter, nahm ſie
bey der Hand und Rok, ſagte alle Augenblik,
er wolle auf der Welt thun und machen was
ſie wollen, wenn ſie ihn nur auch bald auf-
dingen; der gute Vater wußte nicht was er
machte, ſo nahm ihn das ein, und er konnte
ſeine Thraͤnen nicht hinterhalten, da er ihn
jezt auf die Schoos nahm und zur Mutter
ſagte, wenn ich nur auch noch erlebe, daß er
ein rechter Meiſter wird ſo will ich denn gern
aus der Welt, wann’s Gottes Wille iſt.


Gertrud drukte dem Vater die Hand und
hatte auch Thraͤnen in Augen, da ſie ſagte,
er wird’s wills Gott werden.


Aber der Niklaus meynte, das ſollte jezt
C 4
[40] nicht ſeyn: Er ſaß eben dem Vater auf der
Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn
und mit der andern die Mutter um den Hals
und fieng ſo zwiſchen ihnen beyden auch an zu
wainen. —


Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber ſie
konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen
gegen einander und ſagten ihm, ſie wainen
nur vor Freuden, und er gebe wills Gott,
ein brafer Meiſter. Er aber ward nicht bald
wieder froͤlich — und nahm ſeine Pflaſterkelle
eine Weile nicht mehr vom Boden auf. —


§. 10.
Folgen der Erziehung.


Sie hat alle Tage faſt bis zu Nacht des Ru-
dis Kinder in ihrer Stuben; an den
meiſten Abenden trift er, wenn er von der
Arbeit heimkommt, ſie noch bey ihr an.


Aber es kann Niemand glauben was ſie fuͤr
Muͤhe mit ihnen hat; ſie ſind an gar keine
Ordnung und keine anhaltende Anſtrengung
gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn ſie ſie
ſollen auf dem Garn halten, immer in den
Luͤften; und ſo wird es immer bald zu dik bald
zu duͤnn, und nie recht. — Es wird auch nie
keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen
[41] nicht ſteif darauf haltet, bis ihm der Griff da-
von in die Hand kommt; und dieſer Griff
kommt allen Kindern, die nicht wohl erzogen,
gar ſchwehr in die Hand.


Und denn fuͤhrt eins zum andern; — wenn
ſie denn ihr Garn ſo verderbt, zehrten ſie noch
ganze Haͤnde voll davon ab, warfen es fort in
Bach, zum Fenſter hinaus, und hinter die
Haͤaͤg; aber Gertrud, die ihnen alle Tag ihre
Arbeit wiegt, fand den Fehler gar bald, und
fragte die Kinder wie das komme; — ſie woll-
ten laͤugnen: Aber der Gertrud Heirlj ſagte
dem Liſelj, du mußt jezt nicht laͤugnen; ich
hab es ja geſehen, wie du aufgeſtanden, und
es zum Fenſter hinaus gethan haſt. — Weiſſeſt!
ich hab dir ja geſagt, die Mutter merke es —
aber du haſt mir’s nicht geglaubt.


Dieſes Liſelj war aber auch das unartigſte
von allen, es ſagte die ſchlechteſten Worte von
der Welt; ſelber uͤber die gute Frau, um ſei-
nen Geſchwiſterten die Arbeit und Ordnung,
zu der ſie ſie anhielt und die ihm zur Laſt war,
auch zu erleiden.


Es war ihm gar nicht zu viel zu ſagen: ſie
muͤſſen ſich ja faſt zu tod ſpinnen, und ſie ſeyen
doch jezt reich; es wollte gern, ſie haͤtten es
nur, wie da ſie noch nichts hatten; ſie haben
doch auch koͤnnen ruhig ausſchlafen, und nicht
alle Tag ſo muͤſſen angeſpannt ſeyn wie arme
[42] Huͤnde; und mit der Arbeit war’s immer wie
wenn nichts in ihn’s hineinwollte: bald drehete
es das Rad ſo lahm, daß der Faden ihm in
der Hand von einander fiel; denn einen Au-
genblik darauf wieder ſo ſtark, daß das Garn
ſo krauß wurde wie geringeltes Roßhaar.


Wenn ihm Gertrud etwas ſagte ſo weinte
es ſo lang ſie da ſtuhnd, und murrete wenn
ſie den Ruͤken kehrte; und denn that es noch
den andern zu leid und verderbte ihnen an ih-
rem Garn und an den Raͤderen was es konnte,
damit ſie nicht fortkommen wie es.


Kurz, ſie richtete nichts mit ihm aus, bis
ſie die Ruthe brauchte, da lehrte es ſizen und
ſpinnen, und ſein Garn beſſert ſeitdem in ei-
nem Tag mehr als ſonſt in acht.


Ihr Heirlj wollte es dieſen Kindern von
Anfang her immer zeigen, wenn ſie es nicht
recht machten. Da ſie aber groͤßer waren als
er, ſagten ſie ihm zuerſt nur, du kleiner Pfu-
ker, was wollteſt du wiſſen: — aber ſie nah-
men’s doch von ihm an; er war gar gut,
und munterte immer wer rechts und links ne-
ben ihm ſaß, auf; und wenn eines auch nur
ein wenig ſaur drein ſahe oder das Maul haͤng-
te, weil es nicht gehen wollte, ſagte er zu ih-
nen; ihr muͤßt nicht ſo Augen machen, und
nicht ſo ein Maul, ihr lehret es ſonſt noch viel
laͤnger nicht.


[43]

Die Kinder lachten meiſtens wenn er ſo et-
was ſagte; dann fuhr er fort; — Mey! —
wenn ihr es dann koͤnnet, ſo iſt es luſtig und
geht wie von ihm ſelber.


Ja es wird ſchoͤn von ihm ſelber gehen,
ſagten die Kinder — und der Heirlj — wenn
man doch kann die Augen zuthun und fortſpin-
nen und recht, ſo meyn’ ich — es gehe denn
doch faſt von ihm ſelber. —


Aber kannſt du die Augen zuthun und fort-
ſpinnen? ſagten die Kinder.


Das kan ich, ſagte der Heirlj, und da ſie
es ihm nicht glaubten ſagte er: wartet nur
bis die Mutter aus der Kuche im Garten iſt,
ſo will ich’s euch denn zeigen — dann ſtuhnd
er, ſo bald er die Gartenthuͤr gehen hoͤrte,
auf, ließ ſich die Augen ſteinhart bey ſeinem
Rad verbinden, nahm ſtokblind den Treiber
und den Floken in die Hand und trieb das
Rad ſo munter, wie wenn er beyde Augen
offen haͤtte. —


Die Kinder, die um ihn herſtuhnden, ſag-
ten alle — das iſt doch auch! das iſt doch
auch! und haͤtten ihm bis zu Nacht zugeſehen
wie er ſo blind ſpinne; — aber an 3 Floken
ſo wegſpinnen, hatte er genug, und ſchuͤttelte
die Binde wieder ab — da ſagten die Kinder
zu ihm, aber ſag jezt auch, lehrnen wir’s
auch ſo?


[44]

Warum auch das nicht, ſagte der Heirlj;
ihr habt ja auch Haͤnde und Augen wie ich;
und dann ſezte er hinzu, ich hab zuerſt auch
geglaubt, ich koͤnne es faſt nicht lehrnen, aber
da iſt es mir einsmals gekommen, ich hab faſt
nicht gewußt wie: aber ihr muͤßt mit den Au-
gen dazu ſperbern wie wenn ihr Sommervoͤgel
fangen wolltet.


Dieſes Spiel, und was er dazu ſagte,
machte die Kinder muthiger und eifriger ob
ihrer Arbeit.


Ob ſie wollten oder nicht, ſie mußten ſpin-
nen lehrnen: Gertrud lieſſe ſich keine Muͤhe
dauren; ſie verglich ihr Garn alle Tag vor
ihren Augen; zeigte ihnen den Unterſchied vom
Morgen-Garn und vom Abend-Garn, und
vom geſtrigen und vom vorgeſtrigen; wenn
nur ein Faden darinn ſchlechter war, nahm
ſie ihn uͤber den Finger und hielt ihn ihnen vor
Augen.


§. 11.
Eine Art Wiedergeburth.


So viel thut ſie an den Kindern; aber ſie
thut an derſelbigen Vater nicht minder;
Tag fuͤr Tag kommt ſie ihm in’s Haus, und
wo ſie im Stall, im Tenn oder ſonſt etwas nicht
[45] in der Ordnug findet, ſo muß es ihr recht
ſeyn und in der Ordnung ehe ſie wieder zum
Haus hinausgeht; das macht den Rudj ſo eif-
rig daß er allemal vor den Neunen, um wel-
che Zeit Gertrud mehrentheils ihm in’s Hauß
kommt, in allen Eken herumlauft, daß ſie
nichts in Unordnung finde. Er thut noch
mehr; er macht ſich jezt auch ſelber wieder
in die Ordnung, ſtraͤhlt ſich mehr und kleidet
ſich beſſer, haut den Bart zu rechter Zeit ab,
und ſcheint ſich juͤnger als vor ſechs Wochen:
ſeine Stube, die ein ſchwarzes Rauchloch ge-
weſen, hat er jezt ganz geweißget und die
Loͤcher in der Wand glatt uͤberſtrichen; und
am lezten Markt hat er ſo gar 10 kr. Helgen
(Bilder) gekauft, alle mit ſchoͤnen Farben:
den Heyland am Creuz, die Mutter Gottes
mit dem Kindlein Jeſu, den Nepomuk, den
Kayſer Joſeph II. und den Koͤnig in Preußen;
einen weiſſen und einen ſchwarzen Huſaren,
und hat die Helgen am gleichen Abend, da er
ſie gekauft, noch aufgekleibt, und den Kindern
mit der Ruthe gedrohet, wenn ſie ihm eines
mit einer Hand anruͤhren (antaſten) daß es
ſchwarz werde. — Das gefiel der lieben Ju-
gend nicht — der Heirlj, der uͤber alles ſo ein
Wort findet, ſagte zu ihm: Du kannſt ſie
doch auch Jemand nicht verbieten, ſie ſchwarz
zu machen.


[46]

Wem das? ſagte der Vater:


Aeh, — den Fliegen, erwiederte der Bub;
weiſſeſt du noch, wie ſie der Mutter ſelig ihr
groſſes Creuz und ihre Himmels-Leitern ſo
ſchwarz gemacht, daß man kein Wort mehr
darinn hat leſen koͤnnen?


Es iſt gut, daß ihr keine Fliegen ſeyd, ſagte
da der Vater und lachte, man wuͤrde euch auf
die Haͤnd geben. —


§. 12.
Weiber-Kuͤnſte gegen ein Weib.


Aber mehr als die Kinder, freuete es die
Gertrud, daß er ſeine Stube und ſich ſel-
ber ſo in Ordnung brachte; denn ſie ſuchte
ihm eine Frau.


Sie ſtuhnd wohl eine Viertelſtund vor dem
neuen Heiland, dem Nepomuk und dem Koͤ-
nig in Preuſſen und der Mutter Gottes zu,
und ſagte, da ſie jezt lange genug geſehen,
wenn ich jezt nur bald die Meyerin in dieſe
Stube hinein bringen koͤnnte.


Es gerieth ihr bald; ſchon am Mitwo-
chen, da der Rudi am Samſtag die Helgen
aufmachte, gieng ſie vor ſeinem Haus vor-
bey; Gertrud that im Augenblik das Fenſter
auf, rief ihr uͤber die Gaſſe einen guten Tag
zu. —


[47]

Die Meyerin dankte ihr lachend und ſag-
te: biſt du daheim?


Das bin ich, erwiederte Gertrud, und
ich hab’s gar luſtig.


Ich glaub dir’s, ich glaub dir’s, ſagte
die Meyerin —


Gertrud aber: Komm auch ſchauen ob’s
wahr ſey —


In einem Sprung war die Meyerin an
der Thuͤr, und that Maul und Augen auf,
da ſie die neue weiſſe Wand und die ganze
Ordnung in der Stube ſahe.


Sie gieng von einem Helgen zum ande-
ren, ſchaute in allen Eken alles aus, und
ſagte einmal uͤber das andere: da iſt es auch
anderſt worden. Gertrud aber fuͤhrte ſie aus
der Stube in Stall, zu Arners Kuh, die
jezt dem Rudi iſt; die Meyerin aber ſtuhnd
der Kuh bald auf die, bald auf dieſe Seite,
taͤtſchelte ſie, ſtrich ſie uͤber Ruken, Kopf und
Hals, und ſagte da: ſo ſteht einmal ſonſt
keine im Dorf; und bald darauf: es muß
doch eine Luſt ſeyn, ſo eine zu melchen.


Moͤchteſt du ſo eine melchen, ſagte die
Gertrud?


Ja! das moͤchte ich, erwiederte die Meye-
rin —


Aber die Gertrud konnte das Lachen faſt
nicht hinterhalten, da ſie ihr erwiederte: du
haſt doch auch zwey ſchoͤne daheim.


[48]

Sie ſind nichts gegen dieſe, ſagte die
Meyerin; und Gertrud: es iſt wahr, es iſt
weit und breit keine ſolche; und ruͤhmte
dann das Thier, wie ſie ſo viel Milch gebe,
und wie gut dieſe ſey, wie ſie Nidle, und
viel Anken (Butter) ſie gebe; denn auch,
wie treu ſie ſeye, und wie freundlich, und
wie ein jedwedes Kind mit ihr machen koͤnne
was es wolle.


Die Meyerin hoͤrte ihr zu, wie in einer
Predigt; ſagte da: man ſiehet ihr wohl an,
daß ſie ein gutes Thier iſt; und erzaͤhlte denn,
wie ſie daheim auch eine haben, die ſo gut
ſey, und wie die vorige Woche ihres Bru-
ders Kind unter ſie herunter gefallen, und
mehr als eine Viertelſtund unter ihr auf dem
Boden gelegen, ohne daß es jemand gewußt;
und die Kuh haͤtte nicht mehr Sorg zu ihm
tragen koͤnnen, wenn es ihr Kalb geweſen
waͤre, bis jemand dazu gekommen, und ihn’s
weggenommen.


Da ſie das erzaͤhlte, lehnte ſie ſich mit dem
Arm dem Flek uͤber den Hals, und Gertrud
hielte ihr da das Futter faſt vor; da nahm ſie
eine Handvoll Salz und Geleck nach der ande-
ren, ließ das Thier eine Weile aus der Hand
freſſen; und da ſie fortgieng, that ſie noch ſo
freundlich mit ihr, daß es nicht anderſt war,
wie wenn ſie noch b’huͤte Gott zu ihr ſagte.


Von
[49]

Von da mußte die Meyerin mit ihr in die
neue Matte; ſie fuͤhrte ſie vom Haus weg,
durch die groſſe Reihe von Fruchtbaͤumen, die
alle bluͤhten, bis zu oberſt an den Haag.


Es iſt keine Matte ſo ſchoͤn im ganzen Dorf;
und die Meyerin ſagte einmal uͤber das andere,
es iſt doch ſchade, daß wir das Gras darinn
ſo vertretten.


Das macht jezt nichts, erwiederte ihr dann
Gertrud; du muſt doch auch einmal ſehen,
wie es dem guten Mann wieder ſo aufgegan-
gen.


Ja es muß ihm jezt doch wohl ſeyn, auf
alles was er gehabt hat, ſagte die Meyerin,
und fragte denn ſelber wo ſeine Kinder ſeyen.


Ich will dir ſie zeigen; — Meyn! ſie ſind
auch anderſt worden. —


Aber der Vater, iſt er auch anderſt worden?
erwiederte die Meyerin.


Das glaub ich, du wuͤrdeſt ihn nicht mehr
kennen, ſo hat er ſein Haar, ſeinen Bart, und
ſeine Kleider in der Ordnung, ſagte Gertrud.


Es wird gut ſeyn, wenn er einmal wieder
heyrathen will, ſagte die Meyerin in aller Un-
ſchuld.


Gertrud aber fuhr in ihrer Arbeit fort: bey
der Kuh, in der Stube und auf der Matten
war’s noch nichts; aber nun bey den Kin-
dern — Meyerin — Meyerin, wie wird’s
D
[50] dir noch gehen; ſie ſtreicht jezt dem Rudelj
ſeine gelben Loken, die uͤber die breite weiſſe
Stirne herunter hiengen, zuruͤk: die Loke
rollet ſich uͤber ihre Hand; die weiſſe Stirne
iſt blos; der Bub liegt zuruͤk in ihren Arm,
und thut ſein blaues groſſes Aug weit auf ge-
gen die Meyerin, die vor ihm ſteht.


Das Naͤnnlj (Nanette) iſt ſchwaͤchlich, aber
ein Blizaug tief im kleinen runden Kopf, und
im Haar, fein wie Seiden, ſchwarz wie ſein
Aug, und glatt wie ſeine Haut, machte die
Meyerin ſelber ſagen, das wird ein Engel.


Vom Liſelj (Liſette) ſagte Gertrud, das
wird, wills Gott, auch braf.


Es iſt einmal geſund und ſtark, erwiederte
die Meyerin.


Dieſes Kind trieb ſein Rad, wie noch nie;
und machte Garn, wie noch nie; Gertrud, die
das im Vorbeygehen ſah’, bog ſich zu ihm hin-
unter, und ſagte ihm in’s Ohr, Augendienſt.


Der Heirlj ſaß mit ſeinem Rad hinter dem
Ofen, da ſie ihm rief er ſoll hervor kommen,
und ihnen ſein Garn bringen.


Sehet mir jezt den Buben, wie er vor Eifer
das Maul zuſammenbeißt, ſein Garn in bey-
den Haͤnden vor ſich hertragt — und den zwey
Weibern kek in die Augen ſieht, was ſie dazu
ſagen wollen.


Sie ruͤhmen ihm’s jezt, und der Bub jauch-
[51] zet, ſpringt uͤber Tiſch und Baͤnk an’s Fenſter
und nimmt da die Hand vor’s Maul vor La-
chen.


Das iſt ein wilder, ſagte da die Meyerin. —
Nicht ſo gar, ſagte die Gertrud, rief dem
Buben wieder — er kam im Augenblik —
und ſie ſagte ihm: ſteh mir jezt da ſtill, du
weiſſeſt, es giebt Staub in der Stube, wenn
man ſo darinn herumſpringt.


Ich hab es jezt vergeſſen; es hat mich auch
ſo gefreut, daß mein Garn recht iſt, ſagte
der Bub und ſtuhnd ſtill an ihrer Hand wie ein
Schaaf.


Da gieng ſie noch in die Nebenkammer,
brachte des Rudis kleines Buͤbelj an ihrem
Arm heraus und gab es der Meyerin.


Sie tragt’s alle Tag, wenn’s ſchoͤn Wetter
iſt, und die andern zu ihr kommen und ſpin-
nen, auch mit ihr heim, legt’s wenn es ſchla-
fen will, mit ihrem Grittelj in die Nebenkam-
mer ins Beth.


Jezt war es eben erwacht und hatte die
ganze volle Farbe des geſunden Saug-Kinds
das eben aus dem Schlaf kommt; es ſchuͤt-
telte ſich, ranggelte auf der Meyerin Arm und
riebe ſich die Augen, bis es recht erwachet,
da war es gar freundlich mit ihr; ſie machte
ihm mit ihrem Finger ſo uͤber die Lippen herauf
und herunter, daß es toͤnte; das duͤnkte ihns
D 2
[52] luſtig; es langte mit ſeinen Haͤndlj ihr auch
gegen das Maul, und wollte ihr auch ſo dar-
an machen, daß es toͤne; da ſchnappete ſie ihm
das Haͤndlj ins Maul, druͤkte es mit den Lippen
zu, und es wandte und ſtraͤubte ſich und zog
was es vermochte, bis das Haͤndchen wieder
aus ihrem Mund war, und ſchottelte dann
vor Lachen. —


Jezt mitten in der Freude uͤber dieſes Kind
ſagte Gertrud dann, wenn das arme Naͤrlj
(Naͤrrchen) doch auch nur wieder eine Mutter
haͤtte!


Aber wie ein Bliz ſpuͤhrte die Meyerin in
ihren Augen, daß ſie etwas anders wolle; es
fuhr ihr durch alle Adern, daß ſie in dieſem
Augenblik den Arm, auf dem ſie das Kind
hielt, ſo wenig fuͤhlte, als wenn ſie keinen haͤtte:
ſie konnte auch nicht reden; was ſie that, war;
ſie gab das Kind ab ihrem Arm der Gertrud
wieder.


Was iſt jezt das? ſagte da dieſe.


Und die Meyerin, die ſich wieder etwas
erholt, ſagte: es iſt mir ich ſey genug da
geweſen; ſie blieb aber doch ſtehen.


Gertrud aber nahm ſie bey der Hand und
ſagte: aber findſt jezt auch nicht, ſie haben
wieder eine noͤthig?


Die Meyerin aber fuͤhlte jezt vollends wie-
der, wo ſie ihre Finger und ihre Zehen,
[53] will geſchweigen ihren Arm hatte, und ſagte
der Gertrud mit einem Blik — wie ſie ihr
noch keinen gab — wer ſagt aber nein?


Gertrud erwiedert: es ſind gewiß im gan-
zen Dorf keine die es ſo noͤthig haͤtten.


Die Meyerin aber ſagte ihr: das iſt ein-
mal fuͤr eins nicht wahr.


Und Gertrud: wie meynſt du jezt auch
das?


Meyerin. Ich meyne wie ich ſage; es
ſind vielleicht im ganzen Dorf keine die we-
niger eine Mutter noͤthig haben als dieſe.


Das war Gertrud ein Raͤthſel; ſie ſagte:
ich weiß nicht wie du das verſtehſt?


Und die Meyerin: du geheſt ihnen fuͤr 7
Muͤtter —


Und dann zu den Kindern: Gaͤllet (nicht
wahr?) Kinder? ihr wolltet die Frau lieber
als eine neue Mutter?


Das glaub ich, das glaub ich — riefen
die Kinder: lieber als hundert Muͤtter.


Es iſt doch dumm, wie du mir’s machſt,
ſagte da Gertrud —


Und die Meyerin: du haſt mir’s nur zu
geſcheid machen wollen.


Gertrud. Ha, ich meyn einmal, er doͤrf
ſich jezt anmelden, wo er wolle.


Meyerin. Laͤchlend — das wird ihm
niemand wehren.


D 3
[54]

Gertrud. Du ſagſt das ſo ſpoͤttiſch.


Meyerin. Willſt du daß ich dir ſage wa-
rum?


Gertrud. Ja!


Meyerin. Weil du ſo partheyiſch biſt.


Gertrud. Worinn bin ich denn partheyiſch?


Meyerin. Daß du meynen kannſt es wer-
de jedermann nach ſieben Kindern die Fin-
ger ausſtreken.


Gertrud. Mir einmal wuͤrde das nichts
machen.


Meyerin. Es weiß einer noch nicht.


Gertrnd. Sie ſind ja ſo gut.


Meyerin. Darwieder hab ich gar nichts.


Gertrud. Und er iſt wie die liebe Stund.


Meyerin. Ich dachte, du bringeſt das
auch noch.


Gertrud. Es iſt einmal wahr.


Meyerin. Und dann iſt er auch noch gar
jung.


Gertrud. Das hab ich jezt doch nicht
geſagt.


Meyerin. Es nihmt mich eben Wunder.


Gertrud. Aber er ſcheint doch gewiß
juͤnger.


Meyerin. Als vor 6 Wochen.


Gertrud. Sicher.


Meyerin. So.


Gertrud. Duͤnkts dich denn nicht?


[55]

Meyerin. Ja ich gib darauf Achtung.


Gertrud. Es waͤr nicht geſchworen.


Meyerin. Aber genarret.


Gertrud. Ich meyne es nicht.


Meyerin. Aber was denkſt du auch?


Gertrud. Du weiſſeſt es wohl.


Meyerin. Ich will jezt heim.


Gertrud. Wart nur auch noch einen
Augenblik.


Meyerin. Nicht einen halben. (Sie
blieb doch ſtehen.)


Gertrud. Ich bitte —


Meyerin. Nein, ich muß gehen. (Sie
will nach der Thuͤr.)


Gertrud ſagt: So unfreundlich laſſe ich
dich einmal nicht von den Kinderen fort.


Was muß ich dann machen, ſagte die
Meyerin —


Und Gertrud: Einmal auch b’huͤte Gott
zu ihnen ſagen.


Meyerin. Nu! das kan ich ja wohl;
b’huͤte Gott ihr Kinder!


Und dann lachend zur Gertrud: haſt jezt
g’hoͤrt, ich habe jezt b’huͤte Gott zu ihnen
geſagt.


Gertrud. Und wenn du denn wieder komſt,
ſo ſagſt du denn wieder Gott gruͤß euch.


Mit dieſem that ſie denn die Thuͤre auf,
und gieng fort; aber ſie war feuerroth, ſah
D 4
[56] noch unter der Thuͤr gegen die Seithe der
Stube, wo des Rudis Kinder ſaſſen, und
gieng einen ganz anderen Schritt die Treppe
hinunter und uͤber die Gaß, als ſonſt.


Gertrud ſah’ ihr vom Fenſter nach, und
fand an dieſem Schritt und an allem; der
erſte Wurf fuͤr den Rudi ſey nicht uͤbel aus-
gefallen.


§. 13.
Ein Lieutenant wird Dorf-Schulmei-
ſter; und einer ſchoͤnen Frau wird
ohnmaͤchtig.


Es war Nacht, und man hatte mit dem
Eſſen ſchon lange gewartet, als der
Junker am Sonntag von Bonnal heim kam.
Er brachte Thereſen des Mareyli Kram ſel-
ber in der Hand auf den Tiſch, und ſie red-
ten das ganze Eſſen von nichts als ihm und
ſeinem Bruder; und wer am Tiſch ſaß,
aſſe mit Freuden von ſeinen Bauren-Kuͤch-
lenen. (Kuchen)


Der Junker aber blieb mit ſeinem Gluͤ-
phi bis um Mitternacht auf, und redte mit
ihm uͤber das was dieſe Leuthe von den Um-
ſtaͤnden des Dorfes und der Schul mit ihm
geredet.


[57]

Der Gluͤphi iſt ein bleſſierter abgedankter
Lieutenant, den der Junker zum Feldmeſſen
und dergleichen Sachen, ſchon uͤber Jahr
und Tag im Schloß hatte; dieſer Mann
lehrte in dieſer Zeit, ohne daß es jemand
von ihm forderte, den Hauslehrer des Jun-
kers viel ſchoͤner ſchreiben, grundlicher und
vortheilhafter rechnen, etwas zeichnen, Land
ausmeſſen, auf’s Papyr tragen, und noch
mehr ſolche Sachen; hauptſaͤchlich aber ge-
gen ſeinen Carl mit einer militariſchen Ord-
nung und Feſtigkeit zu Werk gehen; es war
ihm wie nichts was der dem Stollenberger
zeigte, und er brachte ihm alles, wenn er
auch vorher nicht den geringſten Begriff da-
von hatte, ſo leicht in Kopf, daß der jun-
ge Mann nothwendig auf den Gedanken fal-
len mußte, wenn ein Menſch im Stand ſey,
eine Schule einzurichten, wie es der Jun-
ker im Sinn habe, um ein ganzes Dorf
durch ſie in ein ander Modell zu gieſſen, ſo
ſey es dieſer Mann.


Der Stollenberger hat ſich nicht betrogen;
und der Gluͤphi hat den Poſten, Schulmei-
ſter in Bonnal zu werden, angenohmen,
ſobald ihm der Junker davon redte, und
ſich das einige Bedingniß vorbehalten, daß
er im Ernſt Meiſter darinn ſeyn wolle.


Und das iſt der Mann, mit dem der Jun-
[58] ker jezt bis nach Mitternacht uͤber das redte,
was ich eben geſagt.


Der Junker hatte jezt vollends nichts im
Kopf, als dieſe neue Schul; er redete mit
jedermann, der ihm lieb war, von ihr, und
brauchte manchmal die ſonderbahrſten Aus-
druͤke; Er ſagte einmal zum Lieutenant, das
ſeye jezt ſein Feldzug, und es werde ſich
hierinn zeigen, ob er ein Mann ſey oder nicht.


Zum Rollenberger ſagte er: er vergeſſe
ob dieſem ſeinen Buben;


Und zur Thereſe: dieſes Weſen ſey jezt
ſeine zweyte Braut, und liege ihm im Kopf
wie ſie vor 12 Jahren.


Es iſt recht, ſagte Thereſe; ein Mann iſt
kein Mann, wenn er in deinem Alter nicht
etwas hat das ihn mit Leib und Seel einnihmt.


Ja — aber wenn mich das neue Weſen
nur nicht ſo lang warten laßt eh’ es mir zeiget,
wie ich’s mit ihm habe — wie du — ſagte
Arner.


Thereſe lachte und ſagte: es machte nichts.


Aber er war allzuſehr uͤberlaufen; er hatte
jezt den Nahmen eines guten Manns; und
wo dieſer Nahme laut wird, da laufen allemal
Narren und Schelmen zu, einem, Zeit und
Geld zu ſtehlen.


Und ſo giengs ihm: es meynte ein jeder,
er koͤnne nur zu ihm laufen und ihm einſchwa-
zen und abbaͤttlen was er wolle.


[59]

Er wußte es nicht; und meynte noch erſt
vor kurzem, er muͤſſe einen jeden anhoͤren ſo
lang er rede; und Antwort geben wenn er
komme; aber er fieng an zu ſpuͤhren, daß man
ihm taͤglich mehr unnuͤzes Geſchwaͤz, und oft
noch gar Luͤgen in die Stube hinein bringe;
und ſo uͤberladen als er jezt war, fuͤhlte er die
ganze Laſt dieſes Jugendfehlers, und nahm
den Entſchluß, den erſten Anlaß zu ergreifen,
dieſer Zudringlichkeit ein Ende zu machen,
und den erſten beſten, der es ein wenig arg
machen werde, alſo zu beſchaͤmen, daß die
andern bey Haus bleiben wenn ſie nichts bey
ihm zu thun haben. — Es traf eine Linden-
bergerin. — Als dieſe vernahm wie und was
er mit dem Baumwollen-Meyer und ſeiner
Schweſter geſchwazt, ſtellte ſie ſich vor, ſie ſeye
gar viel mehr als dieſe Schnattergans, und
wiſſe gar viel beſſer wie es im Dorf ſtehe als
ſie und ihr Bruder der Heinimuch: ſie meynte
oben darein ſie ſey auch aufs wenigſte ſo artig
als Gertrud; und koͤnne ſicher beſſer ſchwazen
als ſie.


Da puzte ſie ſich auf als wenn ſie an eine
Hochzeit wollte, traͤumte den ganzen Weg
uͤber von den hundert Sachen die ſie dem
Junker uͤber das Dorf erzaͤhlen wolle, und
von denen das Mareylj und der Meyer ihr
Lebtag kein Wort vernohmen.


[60]

Der Junker ließ ſie munter reden; gab
genau von Wort zu Wort Achtung was ſie
ſage; aber nicht ein Wort Antwort. — Im
Anfang meynte ſie, das mache nichts, es
werde ſchon kommen: aber bald verwirrte es
ſie, daß es nicht mehr gut fort wollte, und
die Sachen ihr durch einander kamen, wie
ſie ihr nicht durch einander kommen ſollten.


Je mehr ſie ſich verwirrte, je ſteifer ſah’
ſie Arner an.


Das Herz entfiel ihr; ſie dorfte nicht mehr;
ſie kehrte die Verlaͤumdungen um, entſchul-
digte was ſie verlaͤumdet, ſtotterte im Reden,
ſchlug die Augen nieder, verlohr ihre Farb
und wußte nicht was ſie mit ihren Haͤnden
machen wollte.


Da er ſie ſo weit gebracht, that er endlich
den Mund auf, und fragte: biſt du jezt fertig?


Es ſtarrte ihr im Mund, was ſie reden
wollte: — Arner klinglete: — ließ die Au-
dienz-Thuͤr ſpeer aufmachen, und befahl denn
vor allen Leuthen, die da ſtuhnden, dem Har-
ſchier, daß Menſch am hellen Mittag heim und
das Dorf auf- und abzufuͤhren, damit es ein-
andermal lehrne daheim bleiben und ſein Dorf
und ſeine Nachbarn nicht ohne Noth und Ur-
ſach verlaͤumden.


Es war dem armen Mutterkind faſt ohn-
maͤchtig, da das begegnete; es zitterte ſprach-
[61] los zu ſeinen Fuͤſſen: Er aber kehrte ſich von
ihr weg und ſagte, du haſt eine wuͤſte garſtige
Seele.


Zu ihrem Gluͤk gieng Thereſe eben durch
den Gang, vor der Audienz-Thuͤre, in eine
hintere Stube, ſah’ das ſchoͤne Menſch am
Boden; horte warum, und ein Wort, das
ſie lachend fallen ließ, machte daß der Junker
das Menſch ohne Harſchier heimgehen ließ.


Von dieſer Stund an aber lieſſen ihn doch
die Leuthe ruhig, die nichts bey ihm zu thun
hatten.


§. 14.
Ein Großmutter-Gemaͤhld.


Es kam Arner wohl, beſonders jezt, da
die zwey Tage, die er am Sonntag
verleſen laſſen, vor der Thuͤre waren.


Er hatte bis dann alle Haͤnd voll zu thun;
des Vogts Rechnungen mußten zum voraus
eingeſehen und unterſucht ſeyn.


Das Ried, das man vertheilen wollte,
mußte abgeſtekt und ausgemeſſen ſeyn.


Er hatte mit Gluͤphi hundert Sachen we-
gen den Schuleinrichtungen abzureden.


Die Einrichtungen mit den Geiſſen und
Baͤumen, die er austheilen wollte, forder-
ten Ueberlegung und Zeit.


[62]

Und er wollte noch die Urkunden des
Feſts, das er in Bonnal ſtiften wollte, fer-
tig haben, und dem Pfarrer einhaͤndigen.


Er war am Mittwoch Abends ſo zimlich
mit dieſem allem fertig; am Donſtag Mor-
gens gieng e[r] denn ſo fruͤh, daß es noch
nicht heiter war, mit ſeinem Lieutenant zu
Fuß nach Bonnal; die Kutſche war ſchon
angeſpannt, aber der Tag duͤnkte ſie, als ſie
eben einſteigen wollten, zu ſchoͤn, daß ſie lie-
ber zu Fuß uͤber den Berg giengen.


Sobald ſie ankamen, ſandte er ſeinen
Klaus zum Mareylj, mit einem Gruß von
ſeiner Frauen, und einem Geſchenk fuͤr die
Kuchen die es ihr geſchikt.


Aber da das Mareylj das Papyr aufthat,
und die ſchoͤne Leinwand, die ihm die Jun-
kerin ſandte, ſahe, ſagte es wohl dreymal;
biſt doch auch nicht verirret? und iſt’s doch
auch wahr, daß die Junkerin mir das ſchikt?
— Der Klaus mußte lachen, und ſagte
eben ſo manchmal, er ſey gewiß nicht ver-
irret; der Junker und die Frau haben es
ihm beyde befohlen. Es aber ſtellte dem
Klaus vor was es im Haus hatte; Brentz,
und Wein, und Kaͤß; und bath ihn wenn er
etwa noch nuͤchtern, und etwas anders wolle,
ſo ſolle er es doch ſagen. —


Es lief mit ſeinem ſchoͤnen Tuch die Trep-
[63] pe hinauf zu ſeinem Bruder, der noch im
Bett war; und zu einem Kind nach dem
anderen, und zeigte ihnen, was es heute
am Morgen ſchon von der Junkerin fuͤr ei-
nen Kram bekommen.


Es kam aber bald wieder herunter und
ſuchte dem Klaus vom feinſten Garn das es
im Haus hatte, aus, zu einem paar Kap-
pen, legte ihm wohl das halbe gutes Tuͤr-
kengarn und dunkelblaues dazu, daß ſie recht
ſchoͤn werden; und er mußte das abnehmen;
es lieſſe ihn nicht zum Haus hinaus bis er’s
im Sak hatte.


Dem Junker aber hieſſe es ihn nicht dan-
ken, es lief mit ihm in’s Pfarrhaus und
that es ſelber.


Der Junker ſagte ihm mit Lachen, wenn
es ihn’s ſo freue, ſo ſolle es einmal in’s
Schloß kommen, und ſeiner Frauen ſelber
danken.


Wie wollte ich auch das doͤrfen? ſagte
das Mareylj — und der Junker: warum
ſollteſt du das nicht doͤrfen?


Darauf ſagte es wieder: es iſt jezt uͤber
30 Jahr ſint dem ich niemal mehr in eue-
rem Schloß geweſen; Da einmal euere
Großmutter — nein — euers Großvaters
Mutter hat noch gelebt; aber ſie iſt da juſt
in dem Sommer darauf geſtorben — da
[64] bin ich einmal darinn geweſen; und fieng
dann an zu erzehlen:


Es war um die Weyhnacht herum, und
ich hab in Gottes Nahmen gebettlet, und
bin vor Kaͤlte faſt erſtarret, ehe mich je-
mand geſehen; da iſt die ſteinalte Frau, die
mich am Fenſter muß geachtet haben, die
beyden Treppen vor dem Schloß zu mir hin-
untergekommen — und Junker! wenn ſie
ſchon meine Mutter geweſen waͤre, ſie haͤtte
nicht koͤnnen beſſer mit mir ſeyn — Sie
hat mich im Augenblik an der Hand in ei-
ne warme Stube gefuͤhrt, die unten im
Hof war. Aber man ſagt: es ſey jezt al-
les anderſt — Sie ließ mir eine Milchſup-
pe kochen und Brod geben ſo viel ich mochte;
ich konnte vor frieren im Anfang faſt nicht
eſſen, und waͤrmte mich zuerſt am Ofen und
weinete; da iſt ſie zu mir geſtanden, und
hat Stuk fuͤr Stuk alle Fezzen, (Kleider)
die ich angehabt, in die Haͤnde genohmen;
und es iſt mir ich ſehe ſie noch jezt vor mir
zu, den Kopf ſchuͤttlen, und ein paar mal
ſeufzen, da ich auch gar nichts ganzes und
nichts warmes an mir hatte: Sie iſt da fort-
gegangen, und eine Viertelſtund darauf mit
einem ganzen Buͤndel Kleider wieder herunter-
gekommen und hat ſie mir ſelber vom Kopf
bis zu den Fuͤſſen anlegen helfen, und Schuh
gegeben;
[65] gegeben; und beyde Saͤk im Rok ſind denn
noch voll gedoͤrrte Biren und Zwetſchgen ge-
weſen.


Jezt einsmals ſah das Mareylj den Jun-
ker an, wie wenn es ihn durchſehen wollte,
und ſagte denn: Herr Jeſus! ihr ſehet ihr
auch gleich — es iſt mir ſie ſtehe jezt wie-
der vor mir. —


Und ich meyne denn noch, ſie habe euch an
der Hand gehabt, da ſie das andere mal die
Treppe hinunter kam; einmal hat ſie einen
ſchoͤnen jungen Buben, der ihr nahe am Her-
zen gelegen ſeyn muß, bey ſich gehabt, und hat
die ganze Zeit, da ſie mich angekleidet hat,
faſt nur mit ihm geredt; und ich meyne ich woll-
te noch ſagen koͤnnen, was ſie zu ihm geſagt.


Der Junker konnte es nicht mehr aushal-
ten; er mußte beyſeits gehen und ſeinen Thraͤ-
nen den Lauf laſſen: Es war ſein leztes Den-
ken, und er wußte ſich noch aller Umſtaͤnden
zu erinneren wie ihn die liebe Ahnfrau in des
Bauren Stuben neben das Kind auf den
Ofenbank hingeſezt, und waͤhrend ſie ihn an-
kleidete, zu ihm geſagt, lieber Carl! Ich bin
nicht mehr lang bey dir, aber denk an das;
die Zeiten werden ſchlimm, und man macht
ſich nichts mehr draus, ob die Menſchen die
einem zugehoͤren, verfaulen oder verderben.
Um Gottes willen Carl! trachte daß du mit
E
[66] Ruhe alt werdeſt, und nichts ſo auf deinem
Gewiſſen habeſt: wehre den Anfaͤngen, und
mach daß dein Lebtag dir kein Kind aus dei-
nen Doͤrferen ſo vor die Augen komme wie
das.


Der Junker ließ das Mareylj gehen, und
war jezt allein bis es neune ſchlug.


Man ſagt ſo viel was es brauche, Land und
Leuth zu regieren; ich moͤchte jezt ſagen; es
braucht ſo eine Großmutter und ein Herz das
dreyßig Jahr ſo an ein Groß-Mutterwort
ſinnet (denkt) ohne es zu vergeſſen, dazu; ein-
mal wer das hat, kann viel anders entbeh-
ren. —


Der Werth der Menſchen war in dieſer
Stund groß in Arners Augen.


§. 15.
Das Menſchen-Herz; und ein Hans,
der gut und boͤs iſt.


Er ſtuhnd noch da wie in einem Traum,
da es 9 Uhr ſchlug, und er an ſeine Ge-
ſchaͤfte unter die Linde ſollte.


Das Vertheilen des Rieds that den Reichen
noch immer gleich weh, ſie ſuchten es zwahr zu
verbergen; doch floß hie und da ein Wort,
das deutlich zeigte, wie es immer noch dieß-
[67] falls unter dem Bruſtflek daruͤber bey ihnen
ausſahe.


Wenn’s Niemand hoͤrte, warfen ſie ſo die
Koͤpf gegen einander und ſagten; es iſt jezt
das.


Der Stieren Bauer fluchte bey einem Nach-
bar, dem er wohl traute, aber auch nur in’s
Ohr: es ſchade ihm mehr als hundert Gulden;
er habe das Jahr durch immer 10 bis 12 Stuͤk
Vieh darauf gehalten, und ſie ſeyen ihm ſtokfett
geblieben.


Ein anderer ſagte: Er habe ſie nicht genuzt:
aber er wollte doch ein gutes Stuͤk Geld ge-
ben, es waͤre noch wie es geweſen.


Und noch andere: Das Lumpenvolk ſtreke
alles die Koͤpf, und ein jeder Baͤttelhund la-
che in die Fauſt, wenn er unſer einen ſehe, daß
ſie ſo Meiſter worden.


Die Armen machten’s nicht beſſer.


Wo ſie allein waren, verſpotteten ſie die
Reichen, ob dem Verdruß den ſie haben, daß
der Teufel ihnen einmal einen Schuhbreit
Land aus den Klauen genohmen; wenn denn
aber ein Dikbauch um die wege war, ſo zogen
ſie ihm den Spek durchs Maul, ſagten dieß
und das uͤber das neue Land, ob es noch eine
Frage ſey, daß es einen ſo groſſen Vortheil
abtrage, als jezt einige dergleichen thuͤen? —
Und noch eine groͤſſere; ob das Weſen denn
E 2
[68] Beſtand haben werde? Ihrer etliche thaten
noch gar, wie wenn ſie ſich entſchuldigen woll-
ten, und ſagten: Ihrenthalber waͤr es ihr
Lebtag gut geweſen, wie es geweſen, und ſie
ſeyen einmal nicht Schuld.


Der Marx unter anderen ſagte dem Ge-
vatter Aebj, bey dem er ſaß; er meyne ein-
mal, ſo alt er ſey, ſo erlebe er es doch noch,
daß es mit dieſen Aekern anderſt komme; und
er ſeinethalben habe einmal nicht darauf ge-
ſehen. Aber der Vorgeſezte kehrte ſich von
ihm weg, und ſagte ihm: Es iſt kein Hund
ſo froh uͤber ein Stuͤk Brod als du uͤber dieſe
Aecker.


So bald der Hans aus dem Pfarrhaus un-
ter die Linde kam, ſezte er ſich neben den Kal-
berleder nieder; das gefiel dieſem ſchon nicht;
er wollte aufſtehen und an ein ander Ort hin-
ſizen: aber der Hans dupfte ihn mit ſeiner
breiten Hand auf die Hoſen, daß er im Au-
genblik wieder auf dem Bank ſaß.


Was iſt das unverſchaͤmtes? ſagte da dieſer.


Ha! — Wir haben etwas mit einander zu
reden; erwiederte der Hans.


Kalberleder. Was iſt’s? was haſt mit
mir?


Hans. Nichts anders als daß du mich und
den Herrn Pfarrer mit dem Nußbaum fuͤr
einen Narren gehalten. —


[69]

Kalberleder. Das iſt nicht wahr; nicht
wahr: ich habe Niemand fuͤr einen Narren
gehalten.


Hans. Du haſt doch den Baum nicht ab-
gehauen, wie du geſagt haſt.


Kalberleder. — Ja, ja — das war ein
Mißverſtand — ein Mißverſtand.


Hans. Was fuͤr ein Mißverſtand?


Kalberleder. Der Vater hat einen ganz
andern Baum gemeynt; ich hab ihn nur un-
recht verſtanden.


Hans. So — aber was fuͤr einen auch?


Kalberleder. Einen andern hoͤrſt wohl.


Hans. Wo ſteht der andere?


Kalberleder. Das geht dich nichts an —
ich bin dir’s gar nicht ſchuldig zu ſagen.


Hans. Aber wenn ich dich waͤr, ich wollte
dießmal ſo gut ſeyn und es nun ſagen.


Kalberleder. Wenn du’s wiſſen willſt;
er ſteht im Tobel.


Hans. So? —


Kalberleder. Ja, ja; das iſt ganz ſicher.


Hans. Haſt du einen Nußbaum im To-
bel?


Kalberleder. Ja, mehr als einen.


Hans. Haſt aber auch einen umgehauen
im Tobel?


Kalberleder. Nein, noch nicht; aber was
nicht iſt, kann geſchehen.


E 3
[70]

Hans. So! Du haſt hiemit noch keinen
umgehauen, wenn du ſchon ſo verirret?


Kalberleder. Preſſiert es?


Hans. Mir gar nicht — aber dir hat’s
preſſieren ſollen — wenn du dich mit Ehren
haſt heraus laͤugnen wollen.


Kalberleder. Was heraus laͤugnen?


Hans. Ich mag jezt nicht mit dir zanken:
ich will dir gar kurz ſagen:


Wann du unſern Garten-Nachbar, nicht
vor Sonnen Untergang vom Leben zum Tod
bringſt, ſo will ich morn am Morgen auf eine
Art mit dir reden, daß du ſieben Nußbaͤum
dafuͤr gaͤbeſt, du haͤtteſt meinem guten Rath
gefolget. —


Der Kalberleder wußte nicht wie ihm war,
und konnte nicht begreifen, wo der Lumpen-
hans das Herz hernehme, ſo mit ihm zu reden.


Der Hans aber ließ ihn das Maul nicht auf-
thun, und ſagte grad darauf wieder, du kanſt
jezt nur gehen und ſizen, wo es dich wohl
freut — ich hab dir nichts mehr zu ſagen. —


Der Kalberleder antwortete: es iſt mir
wohl genug da.


— Aber mir nicht: ſagte der Hans; ſtuhnd
auf, ſezte ſich etliche Schritt von ihm bey ei-
nem alten armen Mann ab, der ſein Vetter
war, und gab dieſem denn bald ſein Morgen-
brod, das er bey ſich hatte, aus dem Sack.
[71] — Er ſchob es ihm unter den Rok, damit es
niemand ſehe. — Der Alte nahm einen Mund
voll nach dem andern davon ins Maul und
kauete den ganzen Morgen daran.


§. 16.
Ein Wort daruͤber, was die Bauren
ſind — wie und wo und wann ſie zei-
gen, was ſie ſind — und was ſie nicht
ſeyn doͤrfen.


Sie hatten auf der Allment nichts zu thun
als die Aecker, die ſchon abgeſtekt und
ausgemeſſen waren, durch das Loos zu ver-
theilen.


Neunzig Juchart von dieſem Land, welche
zu einer Waͤſſermatten beſtimmt waren, konnte
man noch nicht vertheilen: das Waſſer war
noch nicht vollends bey einander, und die Graͤ-
ben, die man zuerſt machen muß, waren noch
nicht abgeſtekt: aber Waſſer ſelber war ſchon
ſo viel da, daß es ein Muͤhlerad getrieben haͤtte,
und das vom allerbeſten zum Gras treiben.
Es rinnt auf allen Seiten uͤber die Aecker;
und wo ein Tropfen davon hinkommt, da
grunet es, daß kein Menſch im Dorf mehr
iſt, der daran zweifelt, dieſe 90 Jucharten
ſeyen ſo viel als eine gerathene Matten.


E 4
[72]

Arner ließ die Bauren jezt machen, wie
wenn er nicht da waͤre; er wußte daß die
Bauren, wenn ſie Land theilen und wie al-
lein ſind, ſich ganz anders zeigen als wenn
ſie mit dem Hut in der Hand vor dem Erb-
herrn ſtehen und gerne haͤtten daß er ſie fuͤr
arme Troͤpf und Halbnarren hielt.


Mein Großvater hatte zum Sprichwort:
das Theilen zeiget was die Leuthe ſind, und
das Haben macht aus ihnen was ſie ſind.


Der Junker nuͤzte den Anlaß, den er
hatte, ſeine Leuthe kennen zu lehrnen; Er
entzog ihnen keinen Blik, und ſah’ bey je-
dem beſſeren Stuͤk Land, wie ſie ihre Gie-
rigkeit auf hunderterley Art aͤuſſerten.


Es war dem einten im Mund, dem an-
dern im Aug, dem dritten in Haͤnden, dem
vierten in Fuͤſſen, wie man ihn anſah; je
nachdem er einen dikeren Bauch, oder laͤn-
gere Beine, oder einen platten oder einen
ſpizigen Kopf, ein ſchmales oder ein breites
Maul, oder ſo oder eine andere Naſe und
Stirn hatte, ſo zeigte er auch dieſe Gierig-
keit anderſt als alle anderen.


Das war Eins. — Neben dem hoͤrte er
in dieſen paar Stunden mehr wahres uͤber
den eigentlichen Feldbau und uͤber die hun-
derterley Umſtaͤnde, auf welche es dem Baur,
ohne daß er davon redt, hauptſaͤchlich an-
[73] kommt, wenn er uͤber ein Stuͤk Land den
geraden Weg urtheilt, was es ihm werth
ſey — Man kan nicht glauben was fuͤr al-
lerley kleine Umſtaͤnde in ſolchen Faͤllen vor-
kommen, die ſie in Anſchlag bringen, und
weder vorher noch darnach das Maul dar-
uͤber aufthun.


Bald iſt’s mehr hinter dem Wind, bald
iſt’s den Regenguͤſſen mehr ausgeſezt, bald
iſt eine verborgene Naͤſſe, bald etwa ein groſ-
ſer Stein unter dem Herd verborgen —
bald Sand oder Grien, der den Miſt frist
— bald ein Vortheil oder Nachtheil im
zu- oder wegfahren — bald ein guter oder
boͤſer Nachbar, und hundert dergleichen Um-
ſtaͤnd, und warum ein Stuͤk oft das dop-
pelte mehr oder minder gilt als ein anders;
und es iſt einem Erbherrn Gold werth, den
Feldbau ſeines Lands biß auf dieſe kleine
Umſtaͤnde herab zu kennen.


Ein drittes das ihm, und beſonders dem
Lieutenant Freud machte, war; Sie ſahen
dann und wann einen armen Mann, wann
er ein gutes Loos zog, jauchzend auf die
Allment ſpringen, und dann keker als vorher,
etwann gar mit dem Hut auf dem Kopf,
neben einem Dikbauch abſizen.


Aber je mehr Arme gluͤklich zogen und
ihre Freude zeigten, je mehr zeigten auch
[74] die Dikbaͤuch ihren Unmuth, und fiengen
links und rechts an Stichelwort fallen zu laſſen.


Aber es war zur Unzeit; ein paar Bu-
ben riefen in voller Freude uͤber ihr Loos,
uͤberlaut, wenn die Maulhaͤnger nichts an-
ders koͤnnen, als uns unſere Freude verder-
ben, ſo koͤnnten ſie wohl heim gehen.


Das gab ein Gelaͤchter; der am lauteſten
lachte, war der Lieutenant; er ſagte zum
Junker: ſo muß es kommen, wenn der
Baur im feißten Fell lernen ſoll, daß er
nicht mehr iſt als der im magern: und
wann ich Schul halte, ſo iſt das eine von
den erſten Sachen, die ich meinen Kinderen
in ihren Kopf hineinbringen will —


Ja! ſagte Arner, wann denn die Herren
und Junkern nur auch ſo Schulmeiſter haͤt-
ten, die es ihnen in den Kopf hineinbraͤch-
ten, Fellshalber ſich weniger einzubilden.


Das iſt auch wahr, ſagte der Lieutenant:
und ſezte hinzu, der Baur iſt nur das Kind
— und die Staͤnde ob ihm ſind die eigent-
liche Vaͤter des Unſinns — den Werth der
Menſchen mit ihrem Fell zu wechſeln.


Er ſagte noch mehr: ich erzaͤhle es euch
nicht, ihr moͤchtet meynen, ihr doͤrftet auch
ſo reden, und das geht nicht an: So ein
Herr, der weit und breit die Welt erfahren,
und den man zu etwas braucht das mehr
[75] als Schweffelhoͤlzli machen iſt, darf, wenn
er auch ſchon ein armer Herr iſt, inſonder-
heit neben ſo einem Junker zu, wohl ſo ein
Wort fallen laſſen — Aber wenn ein Baur
frech redet, ſo Gnad Gott ſeinem Haus und
Heimath — es iſt wie wenn er Zaun und
Marchen von ſeinem Hoof verlohren.


§. 17.
Dieſes Gemaͤhld iſt nichts weniger als
Spaß, ſondern ganz nach der Natur.


Es war ſo des Lieutenants Soldatenart,
heraus zu ſagen was er denkte. Am glei-
chen Tag uͤber das Mittageſſen ſagte er zum
Pfarrer, ich will einmal mit dem Liri Lari-
weſen, das man ſonſt in der Schul treibt,
nicht zu thun haben.


Es iſt nur die Frage, was ihr unter dem
Liri Lariweſen verſteht: ſagt der Pfarrer. —


Da habt ihr auch recht, erwiederte der Lieu-
tenant; nahm eine Priſe Tabak und hielt ei-
nen Augenblik die Lippen veſter, als ſonſt,
uͤber einander, und — was er ſelten that —
die Augen im Kopf ſtill.


Als ſie wieder giengen, ſagte er denn, Herr
Pfarrer! fuͤr Liri Lariweſen in der Schul hal-
te ich alles was den Kinderen ſo eine Art giebt,
[76] mit dem Maul ein Weit und Breites uͤber die
Sachen zu machen und ihnen die Einbildung
im Kopf ſo anfuͤllt, daß das rechte Alltags-
hirn und der Brauchverſtand im menſchlichen
Leben darunter leidet.


Pfarrer. Gut erklaͤrt Herr Profeſſor! ich
bin des Liri Lariweſens halber jezt voͤllig Ihrer
Meynung.


Der Lieutenant. Den Pfarrer ſteif anſe-
hend; ſo weit ſie langt?


Pfarrer. Ja, ſo weit ſie langt — ich bin
uͤberzeugt daß man die Menſchen unverhaͤlt-
nißmaͤßig viel mit dem Maul lehrt, und daß
man ihre beſten Anlagen verderbt, und das
Fundament ihres Hausgluͤks zerſtoͤrt; indem
man ihnen den Kopf voll Woͤrter macht, ehe
ſie Verſtand und Erfahrung haben.


Lieutenant. Nun! ſo haͤtte ich nicht aus-
druͤken koͤnnen was ich meyne.


Pfarrer. Sie ſcherzen. — Aber wie ha-
ben Sie in ihrem Stand, den Schaden des
Wortweſens, der, wenn man das Kind mit
ſeinem rechten Nahmen taufen wollte, der
Pfrund- und Pfarrer-Schaden heiſſen ſollte,
ſo kennen gelehrnt?


Lieutenant. Mein lahmes Bein und mein
vieljaͤhriges Brodſuchen hat mich gar vieles
kennen gelehrnt; und ſo gewiß als mir ein Herr
lahm vorgeprediget, was er mir vor eine Ar-
beit auftrage, ſo gewiß gab’s hinten nach dieß
[77] oder jenes daraus, daraus ich ſehen koͤnnen,
daß es ein ſchlechter Herr war: und auch in
denen 2 Jahren, da ich gedienet, hab ich er-
fahren was aus dem Menſchen wird, wenn
er mit dem Maul zu viel kann.


Es iſt kein untreuerer Hund unter den
Truppen, als mein Obriſt war; er gab mir
auch wie ein Gaudieb den Abſcheid; ſein Hun-
dengeiz machte, daß das Regiment alle Monath
Noth litt; aber wenn’s bis auf den lezten
Mann zu Grund gegangen waͤr, ſo haͤtte er
ſich immer heraus liegen koͤnnen. — Es iſt
in allen vier Welttheilen nichts Gutes, von
dem er nicht redte; aber wenn der Teufel ſelbſt
neben ihm zu geſtanden waͤr, ſo haͤtte er nicht
zu zoͤrnen gehabt von allem was er daruͤber
ſagte: denn er redte nur. — Und es iſt in
allen vier Welttheilen kein Punkt Gutes, das
er nur mit einem Wort befordert haͤtte; und
doch war bis auf den Profoſen herunter Nie-
mand, dem er nicht an den Fingern her er-
zaͤhlte, was und wie viel er in ſeinem Fach
und an ſeinem Plaz beſſer einrichten koͤnnen;
und wenn’s an’s Mezgen gieng, konnte er
vor der Fronte reden wie ein Engel, und den
armen Tropfen, denen oft der Bauch vor Hun-
ger klirrte, ſo laut, daß es durch Berg und
Thal ertoͤnte, zurufen: G’hinder, es iſt fuͤr
eueren G’hoͤnig und fuͤr euer H’atterland —
’altet euch wohl! —


[78]

Alles was am Tiſch war, mußte vor Lachen
den Bauch halten uͤber das G’hinder, H’at-
terland und ’altet euch wohl: das der Lieu-
tenant, ſo viel er aus dem Hals vermochte,
ausſchrie.


Der Pfarrer lachte nicht: Ernſt, wie der
Tod, ſagte er: wir Pfarrer ſind auch ſolche
Oberſte, wenn wir einem armen, an Leib und
Seel unverſorgten Volk in den Tag hinein
Predigten vorſagen, und Kinder, die ſichtbar
ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden
Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un-
terrichten oder mit Worten abſpeiſen: es ge-
het mir durch Mark und Bein — es iſt bis auf
den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder,
Koͤnig, Vaterland, — die gleiche Sache,
wenn man mit einem leeren Wortunterricht
das unverſorgte Volk auf den ewigen Koͤnig
und auf das ewige Vaterland hinweißt, und
ihm eben ſo zuruft, haltet euch wohl. — Am
Ende ſagte er: was mich troͤſtet, iſt, wir ſind
meiſtens auch nicht Schuld — und viele von
uns thaͤten gewiß mehr wenn ſie koͤnnten:
aber ewig iſt es wahr, der Schade iſt nicht
abzuſehen, daß man den Unterricht und den
Troſt der Menſchen ſo ſehr an vieles Wort-
brauchen bindet.


Ja, ja, — ſagt der Lieutenant; Thaten
lehren den Menſchen, und Thaten troͤſten ihn
[79] — fort mit den Worten! — Und der Degen-
knopf hat recht.


§. 18.
Worauf eine gute Schule ſich gruͤnde.


Der Junker hatte, ſint dem er vom Baum-
wollen-Meyer heimgekommen, jeden
Augenblik, den er ſtaͤhlen konnte, mit dem
Lieutenannt zugebracht, um mit ihm von
den Einrichtungen zu reden die ſie wegen ih-
rer neuen Schul machen wollten.


Sie fanden beyde: ein Kind ſeye in aller
Welt vorzuͤglich gut erzogen, wenn es daͤsje-
nige, was in aller Abſicht im Alter das ſeini-
ge ſeyn wird, wohl zu aͤufnen und in der Ord-
nung zu halten, und zu ſeinem und der ſeini-
gen guten Wohlſtand zu gebrauchen gelehrnt
hat.


Dieſer vorzuͤgliche Endzwek aller Erziehung
ſchien ihnen ohne weiters das erſte Beduͤrfniß
einer vernuͤnftigen Menſchenſchul.


Sie ſahen desnahen, daß der Lieutenannt
und jedermann der fuͤr Bauren und Baum-
wollenſpinner eine rechte Schul errichten wol-
le, entweder ſelber wiſſen und verſtehen muͤſ-
ſen, was Bauren und Baumwollen-Kinder
wiſſen und thun muͤſſen, wenn ſie rechte Land-
[80] und rechte Baumwollen-Arbeiter ſeyn muͤſ-
ſen; oder wenu er’s nicht ſelber wiſſe, fra-
gen, lehrnen, und Leuthe an die Hand neh-
men muͤſſe, die das wiſſen und ihm zeigen
koͤnnen.


Sie dachten natuͤrlich zu erſt an den Baum-
wollen-Meyer, und giengen grad nach dieſem
Geſpraͤch von dem Eſſen weg zu ihm hin.


Das iſt jezt der Mann, von dem ich euch
ſo viel geredt, ſagte der Junker zum Lieute-
nannt und zum Meyer; und das iſt ein Herr
der dich eurer Schul halber hoffe ich, troͤſten
wird.


Der Meyer wußte nicht, was das ſagen
wollte; der Junker aber erklaͤrte es ihm, und
ſagte daß der Herr ihr Schulmeiſter ſeyn wer-
de.


Er konnte ſich nicht genug daruͤber verwun-
deren. Nach einer Weile ſagte er: wenn der
Herr ſo viel Muͤhe nehmen will, ſo werden
wir ihm nicht genug danken koͤnnen; aber es
wird Zeit brauchen bis er unſere Ordnung
und unſer Weſen im Dorf recht wird kennen
lehrnen.


Das glaub ich auch, ſagte der Lieutenannt;
aber man muß einmal anfangen: und ich will
mir keine Muͤhe dauren laſſen, ſo viel immer
moͤglich nachzuforſchen, was es eigentlich er-
fordere, und was euere Kinder eigentlich lehr-
nen
[81] nen koͤnnen; damit ſie fuͤr ihr Bauren und
Baumwollen-Weſen recht in Ordnung kom-
men:


Meyer. Das iſt brav: daß ihr damit an-
fangen wollet. —


Lieutenant. Ich wuͤßte nicht, womit ich
anderſt anfangen ſollte, und ich werde, wo
ich immer Anlaß hab, alle Gattung von
Haus und Feldarbeit ins Aug zu faſſen ſuchen
damit es recht in mich hinein komme, was
fuͤr eine Art und Schnitt euere Kinder haben
muͤſſen, wenn ſie fuͤr ihren Beruf und Umſtaͤnd
recht erzogen werden muͤſſen.


Das Mareylj war mit ihm wie daheim;
es zeigte ihm allenthalben im Haus, und
um’s Haus und in den Staͤllen was die Kin-
der machen und lehrnen muͤſſen, wenn ſie das
alles was da ſey, recht in der Ordnung zu hal-
ten lehrnen muͤſſen; es ließ ſie im Garten ha-
ken, Herd ſtoſſen, auf die Buͤhne ſteigen, Fut-
ter machen. Je mehr er ſahe, je mehr fragte
er; er fragte ſo gar, wie man den Zehnden
rechne, wie man das Heu meſſe, und dann
wie man das Baumwollweſen rechne, was
fuͤr ein Unterſchied zwiſchen dem Lohn und
der Wolle; und hundert dergleichen Sachen
mehr.


Sie erklaͤhrten ihm was ſie konnten. Zulezt
wollte er ſeine Kinder auch ſpinnen lehrnen;
F
[82] Aber das Mareylj ſagte ihm, wir nehmen
des Jahrs etliche hundert Centner Garn ein,
und ich hab die Kinder nie dazu bringen koͤn-
nen, daß ſie auch recht ſchoͤn ſpinnen: kann
zwar auch nicht alles klagen, ſie haben viel im
Land und um das Vieh zu thun; und da giebt’s
nie recht ſchoͤnes garn; aber wenn ihr wollet
eine gute Spinner-Ordnung ſehen, ſo muͤßt
ihr zu des Maurers Frau gehen; da iſt uͤber
dieſen Punkt etwas zu ſehen, bey uns nicht.


Heißt die Maurers Frau, von der ihr redet,
Gertrud? ſagte der Lieutenant.


Es ſcheint ihr kennet ſie auch ſchon, erwie-
derte das Mareylj.


Rein — aber der Junker hat mit mir
abgeredt, grad von euch weg, zu ihr zu ge-
hen — ſagte der Lieutenannt. —


Nun ſo ſehet ihr doch auch, daß ich euch
recht gewieſen hab, ſagte das Mareylj.


§. 19.
Das Fundament einer guten Schul iſt
das gleiche mit dem Fundament alles
Menſchengluͤks: und nichts anders
als wahre Weisheit des Lebens.


Ihre Stube war ſo voll, als ſie hinein ka-
men, daß ſie vor Raͤderen faſt nicht hin-
ein konnten.


[83]

Gertrud, die an keinen fremden Menſchen
dachte, da ſie die Thuͤre aufmachten, hieß die
Kinder aufſtehen und Plaz machen: aber der
Junker wollte nicht, daß ſich nur eines von ſei-
nem Orth bewege, bott dem Pfarrer und dem
Lieutenannt, einem nach dem anderen die
Hand, ſie hinter den Kinderen der Wand nach
zu ihrem Tiſch herfuͤr zu fuͤhren. —


Ihr koͤnnet nicht glauben, wie dieſe Stube
die Herren ergoͤzte. Es ſchien ihnen nichts da-
gegen was ſie beym Baumwollen-Meyer ſa-
hen.


Es iſt natuͤrlich — die Ordnung und der
Wohlſtand bey einem reichen Mann nimmt
nicht ſo ein, man denkt gleich, hundert ande-
re koͤnnen das nicht ſo machen, ſie haben das
Geld nicht; aber der Segen und Wohlſtand
in einer armen Huͤtten, die ſo unwiederſprech-
lich beweißt, daß es allen Menſchen in der Welt
wohl ſeyn koͤnnte, wenn ſie Ordnung haͤtten
und wohl erzogen waͤren, dieſes nimmt ein
gutes Gemuͤth ein bis zum Sinnen verlieren.
— Jezt hatten die Herren eine ganze Stube
voll ſolcher armen Kinder in vollem Hausſe-
gen vor ihren Augen.


Es war dem Junker eine Weile nicht an-
derſt als er ſehe das Bild des erſtgebornen
ſeines beſſer erzogenen Volks wie in einem
Traum vor ſeinen Augen: und der Lieutenant
F 2
[84] ließ ſeine Falkenaugen wie ein Bliz herumge-
hen, von Kind auf Kind, von Hand auf Hand,
von Arbeit auf Arbeit, von Aug auf Aug; je
mehr er ſah, je mehr ſchwoll ſein Herz vom
Gedanken; ſie hat’s gethan und vollendet was
wir ſuchen: die Schule, die wir ſuchen, iſt
in ihrer Stube.


Es war eine Weile ſo ſtill, wie der Tod,
in dieſer Stube — die Herren konnten nichts
als ſehen und ſehen, und — ſchweigen.


Der Gertrud ſchlug das Herz vor dieſer
Stille, und ein paar Zeichen von Achtung,
die an Ehrerbietung graͤnzt, welche der Lieute-
nant waͤhrend dieſer Stille ihr erzeigte.


Die Kinder aber ſponnen munter fort:
lachten mit den Augen gegen einander; denn
ſie ſahen daß die Herren um ihrentwillen da
ſeyen und auf ihr Arbeit ſahen.


Das erſte, was der Lieutenant redte,
war; ſind dieſe Kinder alle Ihr, Frau?


Nein, ſie ſind nicht alle mein, ſagte Ger-
trud; zeigte ihm dann von Rad zu Rad die
welche dem Rudi und die welche ihr gehoͤren.


Denket, Herr Lieutenant, ſagte der Pfar-
rer, die Kinder ſo dem Rudi gehoͤren, haben
vor 4 Wochen alle noch keinen Faden ſpin-
nen koͤnnen.


Der Lieutenant ſah den Pfarrer und die
Frau beyde an und ſagte, aber iſt das moͤglich?


[85]

Das iſt nichts anders, erwiederte Gertrud,
in ein paar Wochen ſoll ein Kind recht ſpin-
nen lehrnen; ich hab welche gekannt, die es
in ein paar Tagen gelernt.


Das iſt nicht was mich in dieſer Stube
verwundert, ſondern etwas ganz anders —
ſagte der Junker — dieſe fremden Kinder
ſehen ſint 3 oder 4 Wochen, da die Frau ſich
ihrer annimmt, aus, daß ich bey Gott keines
von allen mehr gekannt haͤtte. Der lebendi-
ge Tod und das aͤuſſerſte Elend redte aus ih-
ren Geſichteren und das iſt weggewiſcht, daß
man keine Spuhr mehr davon ſtehet.


Der Lieutenant antwortete franzoͤſiſch —
aber was macht dann die Frau mit den Kin-
deren?


Das weiß Gott, ſagte der Junker.


Und der Pfarrer: wenn man den ganzen
Tag bey ihr iſt, ſo hoͤrt man keinen Ton und
ſiehet keinen Schatten der etwas beſonders
ſcheint, man meynet immer und bey allem
was ſie thut, eine jede andere Frau koͤnnte
das auch ſo machen: und ſicher wird es dem
gemeinſten Weib im Dorf nicht in Sinn kom-
men, ſie thue etwas oder koͤnne etwas, daß ſie
nicht auch koͤnne.


Ihr koͤnntet nicht mehr ſagen, ſie in mei-
nen Augen groß zu machen, ſagte der Lieute-
nant; und ſezte hinzu, die Kunſt endet wo
F 3
[86] man meynet, es ſey uͤberall keine. Und das
hoͤchſte Erhabene iſt ſo einfach, daß Kinder
und Buben meynen, ſie koͤnnen gar vielmehr
als nur das. —


Da die Herren mit einander franzoͤſiſch red-
ten, fiengen die Kinder an einander Blik zu
geben und zu lachen: Heirlj und das, ſo ge-
gen ihm uͤberſaß, machten ſo gar gegen ein-
ander mit dem Maul: parlen, parlen, par-
len.


Gertrud winkte nur, und es war im Au-
genblik ſtill. — Und da der Lieutenant auf
allen Raͤderen Buͤcher liegen ſah, fragte er
Gertrud was ſie damit machen. —


Sie ſah ihn an und ſagte: aͤh, ſie lernen
darinn.


Aber doch nicht wenn ſie ſpinnen? ſagte
der Lieutenant.


Ja freylich, ſagte Gertrud.


Das moͤchte ich jezt doch auch ſehen, ſagte
der Lieutenant.


Und der [Junker:] Ja, du muſt uns das
zeigen, Gertrud.


Kinder, nehmet eure Buͤcher in die Haͤnd,
und lehrnet! ſagte dieſe.


Laut wie ſonſt? fragten die Kinder.


Ja, laut wie ſonſt — aber auch recht:
ſagte Gertrud.


Da thaten die Kinder ihre Buͤcher auf: ein
[87] jedes legte die ihm gezeichnete Seite vor ſich
zu und lehrnte an der Lezgen die ihm vor
heut aufgegeben war.


Die Raͤder aber giengen wie vorhin, wann
die Kinder ſchon ihre Augen voͤllig auf den
Buͤcheren hatten.


Der Lieutenant konnte nicht genug ſehen,
und bath ſie, ſie moͤchte ihnen doch alles zeigen,
was ſie mit den Kinderen mache, und was
ſie ſie lehrne.


Sie wollte ſich zwar entſchuldigen, und
ſagte, es ſey ja nichts, als was die Herren
tauſendmal beſſer wiſſen.


Aber der Junker ſagte auch, ſie ſoll es thun:
da hieß ſie im Augenblik die Kinder ihre Buͤ-
cher zuthun und lehrnte mit ihnen auswendig.


  • — Dießmal der Abſchnitt vom Lied:
    „Wie ſchoͤn, wie herrlich ſtrahlet ſie,
    „Die Sonne dort: wie ſanft! und wie
    „Erquikt, erfreut ihr milder Glanz
    „Das Aug — die Stirn, die Seele ganz!

Der 3te Abſchnitt, den ſie jezt lehrnten heißt:


  • „Verſunken iſt ſie; ſo verſinkt
    „Wenn Er der Herr der Sonne winkt,
    „Des Menſchen Herrlichkeit und Pracht
    „Und aller Glanz wird Staub und Nacht.

Sie ſagte eine Zeile nach der anderen von
dieſem Abſchnitt laut und langſam vor, und
die Kinder ſprachen es ihr eben ſo langſam
und ſehr deutlich nach; das wiederholte ſie ſo
F 4
[88] vielmal bis eins ſagte; ich kan’s jezt: dann
ließ ſie dieſes den Abſchnitt allein ſagen; und
da es keine Sylbe fehlte, ließ ſie ihn’s denſel-
ben den anderen vorſagen, und alle nachſpre-
chen bis ſie es konnten: dann ſange ſie noch
mit ihnen die 3 Abſchnitt dieſes Lieds, wovon
ſie die 2 erſten ſchon konnten.


Nach allem dem zeigte ſie noch den Herren,
wie ſie mit ihnen rechne; und auch das war
das einfachſte und brauchbarſte das man ſich
vorſtellen kann — aber ich rede ein andermal
davon.


§. 20.
Ein Werberſtuk.


Der Lieutenant fand alle Augenblik mehr,
das alles laſſe ſich in ſeiner Schule ma-
chen; aber er fand eben ſowohl, daß es eine
Frau, wie dieſe, dazu brauche, wenn das
nicht nur moͤglich, ſondern wirklich werden
ſollte.


Ein Werber aus Preuſſen ſpizt nicht ſo dar-
auf, einen Purſchen, der das Maß hatte, in
Dienſt zu kriegen, als der Lieutenant jezt dar-
auf ſpizte, dieſe Frau, die ihm fuͤr den Schul-
dienſt das Maß hatte, wie keine andere, dafuͤr
ins Garn zu loken.


[89]

Aber Frau, ſieng er an, koͤnnte man die
Ordnung, die ſie da in der Stube hat, nicht
auch in der Schul einfuͤhren.


Sie beſinnte ſich einen Augenblik, und ſagte
dann: ich weiß nicht, aber man ſollte meynen,
was mit zehen Kinderen moͤglich waͤr, waͤre
mit vierzigen auch moͤglich. — Einen Augen-
blik darauf aber ſagte ſie, — doch es wuͤrde
viel brauchen — und ich glaube nicht daß
man leicht einen Schulmeiſter finden wuͤrde,
der ſo eine Ordnung in ſeiner Schul leiden
wuͤrde.


Lieutenant. Aber wenn ſie einen wuͤßte,
der ſo eine Ordnung machen wollte, wuͤrde ſie
ihm dazu helfen?


Gertrud. Mit Lachen: Ja freylich, ſo
viel ich koͤnnte und moͤchte.


Lieutenant. Und wenn ich es bin?


Gertrud. Was — bin?


Lieutenant. Der Schulmeiſter, der gern
eine Schul einrichtete, wie ſie eine in der Stu-
be hat.


Gertrud. Ihr ſeyt kein Schulmeiſter.


Lieutenant. Ich bin’s: fraget nur die
Herren.


Gertrud. Ja — vielleicht in einer Stadt,
und in etwas, von dem wir weder Gig’s noch
Gag’s verſtehen.


Lieutenant. Nein, wahrlich in einem
Dorf.


[90]

Gertrud. — (Mit dem Finger auf ihr
Rad deutend) — bey dergleichen Kinderen?


Lieutenant. Ja, bey dergleichen Kin-
deren. —


Gertrud. Es ſoll mir doch weit ſeyn bis
an den Ort, wo die Schulmeiſter fuͤr derglei-
chen Kinder ſo ausſehen?


Lieutenant. Nicht ſo gar.


Gertrud. Ich meyn’s doch.


Lieutenant. Aber ſie hilft mir doch? wenn
ich ſo eine Schul einrichten will.


Gertrud. Wenn’s einmal weit iſt, ſo gehe
ich nicht mit euch.


Lieutenant. Ich will nur da bleiben.


Gertrud. Und Schul halten?


Lieutenant. Ja.


Gertrud. Da in der Stube?


Lieutenant. Nein, in der Schulſtube.


Gertrud. Es wuͤrde euch leid ſeyn, wenn
man Euch beym Wort nehmen wuͤrde.


Lieutenant. Ihr noch viel mehr, wenn
ſie mir helfen muͤßte.


Gertrud. Das denn nicht, — es wuͤrde
mich noch freuen.


Lieutenant. Jezt hat ſie zweymal geſagt;
ſie wolle mir helfen;


Gertrud. Ja freylich, dreymal ſag ich
Ja, wenn ihr unſer Schulmeiſter ſeyt.


Jezt fieng er und die Herren alle an zu la-
[91] chen: und der Ikr. ſagte ſelbſt; jaͤ Gertrud,
er iſt einmal euer Schulmeiſter.


Das machte ſie betroffen; ſie ward roth,
und wußte nicht was ſie ſagen wollte.


Warum wird ſie ſo ſtill? ſagte der Lieute-
nant.


Es duͤnkt mich es waͤre gut, wenn ich vor
einer Viertelſtund ſo ſtill geweſen.


Lieutenant. Warum jezt das?


Gertrud. Wie wollt ich Euch koͤnnen hel-
fen, wenn Ihr Schulmeiſter ſeyt.


Lieutenant. Sie ſucht jezt Ausfluͤchte,
aber ich laſſe ſie nicht los.


Gertrud. Ich will gebaͤtten haben.


Lieutenant. Daraus gibt’s nichts; wenn
ſie mir die Ehe verſprochen, ſie muͤßte mir
halten.


Gertrud. Oeppen (etwann) nicht?


Lieutenant. Oeppen wohl.


Gertrud. Es kann nicht ſeyn.


Weiſt du was, Gertrud, ſagte der Ikr.
halt’s du ſo gut du kannſt, und mehr wird
er nicht fordern: aber was du immer thun
wirſt, ihm zu helfen, das wirſt du mir thun.


Gertrud. Ich will wohl gern, aber Sie
ſehen die Stube voll Kinder, und wie ich an-
gebunden bin: wenn’s aber um Rath und
Huͤlfe in Arbeitsſachen, die ſo ein Herr frey-
lich nicht verſtehen kan, zu thun iſt, ſo weiß
[92] ich eine Frau, die das viel beſſer verſteht als
ich; und was ich nicht Zeit hab, das kann
dieſe vollkommen.


Junker. Richte es ein wie du kannſt, aber
gehe ihm an die Hand.


§. 21.
Danken muͤſſen, thut alten Leuthen alle-
mal wehe; aber den Kinderen iſt es
eine Freude.


Waͤhrend der Zeit ſpizte der Heirlj immer
darauf, ſeiner Mutter etwas zu ſagen,
aber ſie ſah’ ihm nie ins Geſicht, daß er ihr
winken, und ſtuhnd ihm nie ſo nahe, daß er
ſie erlangen koͤnnte. — Endlich gerieth es,
und er konnte ihr in’s Ohr ſagen: doͤrfen
wir dem Junker nicht auch [fuͤr] die neuen Ba-
zen danken? Der gute Bub drukte mit ſeiner
Hand ihren Kopf hart an den ſeinen an, und
nahm ihr das halbe Ohr ins Maul, wie wenn
er’s abbeiſſen wollte. — Sie gab ihm eins
mit den Baken, und ſagte; ja freylich muͤßt
ihr ihm danken: ich hab es nur vergeſſen. Im
Augenblik legte der Bub ſeinen Baumwollen-
floken auf den Radbank, ſchlich hinter den
Raͤderen zu ſeinen Geſchwiſterten, ſagte ei-
nem nach dem anderen: Wir muͤſſen dem Jun-
[93] ker fuͤr die neuen Bazen danken. Sie ſtuhnden
denn alle von ihren Raͤderen auf und giengen
mit dem Heirlj zu ihm hervor: aber da ſie da
ſtuhnden, dorfte keines reden.


Der Junker ſagte zu ihnen: was machet
ihr da, Kinder, was wollet ihr?


Und Gertrud zum Heirlj: Kannſt du jezt
nicht reden: da ſtuhnd er an ihn zu und ſagte;
wir wollen dir fuͤr die ſchoͤnen Bazen danken:


Es freute den Junker: Er gab einem nach
dem andern die Hand und ſagte: Kinder! euer
Vater und euere Mutter ſind mir lieb: und
wenn ihr recht thut, ſo ſeyt ihr mir auch lieb
euer Lebtag.


Denn nahm er den guten Heirlj vom
Boden auf ſeinen Arm, ſah’ ihm eine Weile
ins Geſicht, und ſagte ihm dann, gaͤll, (gelt’s)
du giebſt einmal auch ein braver Bub?


Ja gewiß, ſagte der Heirlj; und gaͤll ich
bin dir auch dann dein Lebtag lieb?


Er war im Augenblik auf ſeinem Arm wie
daheim — ſah’ ihm beſtaͤndig in die Augen,
und ſtreichelte ihm mit der Hand uͤber die
Baken.


Arner ſagte ihm da: Sag, bin ich dir auch
lieb?


Das denk ich, ſagte der Bub; du biſt ja
noch mehr gut als die Mutter geſagt hat.


Arner. Wie gut hat die Mutter geſagt
daß ich ſeye?


[94]

Heirlj. Sie hat geſagt: wenn ich dir danke,
ſo gaͤbeſt du mir die Hand; und jezt nihmſt
mich noch gar auf deinen Arm.


Arner. Haſt du das ſo gern, wenn man
dich auf den Arm nihmt.


Heirlj. Ja; — und einen Augenblik dar-
auf — aber ich haͤnge dir Baumwollen an. —


Arner. Es ſchadet nichts. —


Nein, wart, ſagte der Heirlj, ich will dir
ſie wieder ableſen, — ſchnakete denn ihm uͤber
die Achſel — langte mit der Hand den Ruͤken
und auf beyden Seiten hinunter, ſo weit er
konnte, und las ihm die Baumwolle ab, die
er ihm angehaͤngt:


Indeß riethen des Rudis Kinder unter ein-
ander und ſie wollen ihm fuͤr ihre Kuh und
fuͤr ihre Matte danken. — Geſagt — gethan.
— Sie draͤngten ſich durch die anderen —
das mit dem ſchwarzen Kohlaug voraus. —
Es war das erſte bey ihm, und ſagte, wir wol-
len dir auch danken:


Wofuͤr ſagte der Junker, und hatte den
Heirlj noch auf dem Arm.


Haͤ, fuͤr die Kuh und die Matten ſagte das
Kind. Da ſtellte der Junker den Heirlj ab,
nahm ihns auf den Arm, und ſagte, wie geht
es euch jezt ihr Lieben! iſt euch jezt auch wohl?


Ja wahrlich, ſagte das Naͤnnlj, ſint dem
wir auch Milch haben, und dieſe Frau da
kennen.


[95]

Aber folget ihr auch der Frauen, ſagte
Arner.


Ich weiß nicht: Du muſt ſie fragen, ſagte
das Kind auf ſeinem Arm.


Und Gertrud: Es muß gut ſeyn, bis es
beſſer wird.


Folget ihr ordentlich, und thut recht, wenn
ihr mir lieb ſeyn wollet, ſagte der Junker.


Wir wollen ihr gewiß folgen, ſagten die
Kinder alle, bis auf das Liſelj; das murrete
ſo zwiſchen den Zaͤhnen; daß es auch ſo toͤnte,
und man meyne es ſage es auch.


Das Naͤnnlj auf ſeinem Arm war ſo ge-
ſchwind erwarmet als der Heirlj; es gieng
nicht lang, ſo ſagte es, haſt du viel ſo ſchoͤne
Bazen, wie du da den Kindern gegeben?


Schweig doch! ſchweig doch du unver-
ſchaͤmtes Kind, riefen ihm die anderen auf al-
len Seiten.


Der Junker ſagte ihnen: Laßt ihns reden,
— und zum Kind: moͤchteſt du auch?


Kind. Ja, wenn du mir giebſt. —


Junker. Ich hab jezt keine bey mir.


Kind. Haſt nicht immer bey dir?


Junker. Nein, aber wenn ich wieder kom-
me, denn hab ich bey mir. —


Kind. Kommſt du bald wieder? —


Junker. Ja. —


Kind. Giebſt mir denn auch?


[96]

Junker. Was willt mit thun?


Kind. Zuſammenbehalten, und ſpahren.


Junker. Und denn? —


Kind. Und denn, wenn ich groß bin, et-
was daraus kaufen.


So verweilte ſich Arner mit dem Kind auf
dem Arm, und redete denn noch mit allen an-
dern — gleich gut wie mit ihm und wie ein
Vater. —


§. 22.
Eine Bruderliebe um die ich, wenn ich
Schweſter waͤre, nicht einen Pfiffer-
ling geben wuͤrde.


So lang er ihns ſo auf dem Arm hielt, und
mit des Rudis Kindern allen ſo redte,
ware der Gertrud immer, wie wenn ſie je-
mand ſtieß und trieb, ihm ein Wort von ihrer
Meyerin fallen zu laſſen.


Es trieb ihr den Schweiß aus; ſie dorfte
es nicht, und wollte es doch; und haͤtte es
doch nicht gethan, wenn nicht juſt da es am
ſtaͤrkſten in ihr kaͤmpfte noch der Meyerin Bru-
der, der Untervogt in die Stube hineinge-
kommen waͤre. Da konnte ſie nicht mehr an-
derſt, — es war ihr als er die Thuͤr aufthat,
es reiſſe es ihr jemand zum Maul hinaus,
daß
[97] daß ſie zum Junker, der das Naͤnnli noch im-
mer auf dem Arm hatte, ſagen muͤßte, —
ja wenn jezt das gute Naͤrrchen nur auch wie-
der eine Mutter haͤtte.


Der Untervogt kam, dem Junker zu ſagen,
daß alles auf dem Ried auf ihn warte, und
die Leuth mit den Geiſſen, und der Wagen
mit den Baͤumen, und alles parat ſey. —


Er hatte den Thuͤren-Nagel noch in den
Haͤnden als Gertrud das ſagte, und es machte
ihm das Herz klopfen, — daß er in ſeinem
Bericht von den Leuthen und den Baͤumen, und
den Geiſſen ſtotterte, — denn er wußte ſchon,
was zwiſchen ſeiner Schweſter und der Ger-
trud vorgefallen, und hatte, noch mehr aber
ſeine Frau, etwas ganz anders mit ihr im
Sinn als das.


Ich will gleich kommen, ſagte da der Jun-
ker zum ſtotternden Vogt; und zur Gertrud,
man ſollte denken, der Mann wuͤrde wie er’s
jezt hat, eine Frau finden, wo er wollte.


Gertrud. Ja, das wohl! — aber. —


Junker. Was aber? —


Gertrud. Er ſollte auch eine rechte haben.


Junker. Thue ihm eine zu. —


Gertrud. Wenn ich kann, ich thue es
gewiß, — aber da der Herr Untervogt koͤnnte,
wenn er wollte ſo gut ſeyn, das Beſte dabey
G
[98] thun, wenn er ihm bey ſeiner Schweſter ein
gutes Wort verleihen wuͤrde.


Ich weiß nichts, — ich weiß nichts; —
ich weiß von allem kein Wort, — ſtotterte
der Untervogt.


Du hoͤrſt ja, was ſie ſagt, ſagte der Jun-
ker, und wie iſts? Was meynſt, wuͤrde es
dir ſo gar mißfallen?


Nein, nein, das gar nicht, das gar nicht,
ſagte der Tropf. — Nun! ſo ſage deiner
Schweſter, wie du weiſſeſt, daß ich gegen die-
ſe Haushaltung denke, und daß es mich freuen
wuͤrde, wenn das ein Grund waͤre, daß ſie
deſto eher in dieſe Haushaltung hineinſtehen
wuͤrde, ſagte der Junker.


Der Meyer wollte der gute Mann ſeyn,
und da der Junker zeigte, daß ihm daran ge-
legen, daß der Rudi wohl verſorgt werde,
ſagte er immer ja freylich, und Ja, — Ja. —


Er mag jezt ſeine Schweſter, oder ſonſt je-
mand zur Frau bekommen, ſo kann eine jede
verſichert ſeyn, ich werde mich dieſer Haus-
haltung annehmen, ſo lang ich lebe, ſagte
da der Junker noch zur Gertrud, — und
dann zum Vogt; — aber es wuͤrde ihn doch
freuen, wenn er diejenige bekommen wuͤrde,
die dieſe Frau da, fuͤr die beſte fuͤr ihn halte.


Und der Vogt ſagte noch einmal, es ſoll an
ihm nicht fehlen, er wolle ſein moͤglichſtes
[99] thun. — Aber er keuchte, — ſo angſt machte
ihm das Geſpraͤch. —


Der Junker ſah ihn ſo keuchen, und ahnde-
te, es bedeute, was es bedeutete, und wie er
iſt; er ſagte im Augenblik: aber nicht, daß
es ſeyn muͤſſe, wenn es dir etwann zuwider,
der Mann wird wohl verſorget werden, und
muß verſorget werden, daran hats kein Noth.


Der Erztropf haͤtte jezt noch einmal ſich
mit Ehren herausziehen koͤnnen, aber ein Eſel
bleibt ein Eſel, man mag mit ihm anfangen,
und ihn aufzaͤumen wie man will. — Der
Narr wollte lieber noch einmal liegen, und
ſagte wieder, es ſeye ihm nichts weniger als
zuwider; — es glaubte ihms niemand, und
Gertrud ſagte zum Junker; es kommt zulezt
nicht alles auf ihn an.


§. 22.
Was iſt ſuͤſſer, als Kinderfreude, und
was iſt reiner als Kinderguͤte.


Was Haͤnd und Fuͤß hatte gienge jezt auf
das Ried, zu ſehen, was er mit dem
Wagen voll Baͤume, und mit der Heerd Geiſ-
ſeſt anſtellen wollte; auch der Gertrud ihre
Kinder lieffen, ſo bald die Herren zur Stube
hinaus waren, und ſie ihr Abendbrod hatten,
G 2
[100] dahin. — Die gute Mutter gab ihnen in der
Freud uͤber dieſen Tag doppelt ſo viel als ſonſt;
denn ſprangen ſie fort, was ſie ſpringen moch-
ten, und waren lang vor den Herren droben.


Des Junkers Carl war auch da, und die
Buben die da waren, fragten ihn, was doch
der Papa mit ſo viel Geiſſen machen wolle?


Ihr muͤßt alleſamen, Buben und Kinder,
ſo Geiſſen haben, der Papa hat’s geſagt, ant-
wortete ihnen der Carl.


Du weiſſeſt aber einmal viel, daß du dein
Maul ſo brauchſt, ſagte der Clauß, es ſind
ſind ſieben Kinder da, wo eine Geiß. —


Und die groͤſſern Buben ſagten ihm auch,
es iſt wahr, es ſind mehr Buben als Geiſſen.


Die armen Thiere waren geplagt: Die Kin-
der nekten ſie an Bart und Hoͤrnern, daß ſie
ihnen maͤh, maͤh, machen.


Ihrer etliche wollten nicht blos die Thiere
plagen, ſie ſagten noch zu des krummen Schnei-
ders Liſelj, es habe ſo viel Geſchwiſterte hier.
— Es aber zeigte mit der Hand in das Thal
hinunter, wo Ochſen und Kuͤh weideten, und
ſagte, da unten ſind Euere.


Aber die Geiſſen waren hungerig, die mei-
ſten kamen einen weiten Weg, und wenn die
Kinder ihnen den Kopf anruͤhrten, ſtieſſen ſie
manchmal fuͤr gut mit den Hoͤrnern.


Die Kinder merkten bald wo es ihnen fehle,
[101] zehrten ihnen Laub und Gras ab, und gaben
ihnen Brod aus dem Sak, ſo viel ſie hatten,
da wurden die Ziegen zaͤhmer, und ſtoßten
minder.


Des Maurers Heirlj ſaß an einem Haag,
zeigte einer ſein groſſes Stuͤk Brod, und ließ
es ſo halb aus dem Sak hervor guken; dann
wann die Geiß den Kopf halb in Sak herein
hatte, ſo zog er das Brod wieder zuruͤk, denn
triebe das hungerige Thier ſo ſtark gegen das
Brod, daß es ihn einmal mit ſamt dem Sak
auf den Boden warf.


Ja, ja jezt haſt Brod, wenn du mich brav
umſtoſſeſt, ſagte er, als er wieder aufſtuhnd;
und es dunkte ihn ſo luſtig, daß er nicht merk-
te, daß er nah bey einem Ameiſſenhaufen ab-
geſeſſen, bis er voll von dieſen Thieren lief.


Da iſt nicht gut Wetter, wir muͤſſen wei-
ter, ſagte er da zur Geiß, nahm, damit ſie
auch komme, das Brod in die Hand. Hinter
dem Haag ſahe er jezt doch, ob es richtig am
Boden, eh er abſaß, denn ſieng er an, der
Geiß im Ernſt Brod zu geben: aber da er den
erſten Mundvoll fuͤr ſie noch in der Hand hatte,
ſah er des Reutj Marxen Bethelj, das nahe
bey ihm zuſtuhnd, und ihm auf die Hand und
der Geiß ins Maul hineinſchaute, und ſagte
im Augenblik zu ihm, willt auch Brod?


G 3
[102]

Roth und nur halb laut, antwortete es:
Ja, wenn du mir giebſt. —


Ja freylich, ſagte der Heirlj, und theilte
dann ſein Brod Mundvoll fuͤr Mundvoll zwi-
ſchen dem Kind und der Geiß; er gab allemal
den groͤſſern Mundvoll dem Bethelj, den an-
dern der Geiß, und ſagte dann wann das Thier
ſeinen hatte, wart jezt Geißli, — es iſt jezt
wieder am Bethelj — und dann darnach, jezt
iſt es wieder am Geißlj. —


Das Kind zitterte mit der Hand als es ihm
den erſten Mundvoll abnahm, und etwann
beym dritten, da er ſelber keinen nahm, ſagte
es, warum iſſeſt du nicht auch? Nein, nein,
ich kann wieder haben, wenn ich heimkomme
und der Mutter heiſche, ſagte der Heirlj. —


Und das Bethelj, — kannſt du haben, ſo
viel du willt? Heirlj; — Ja, jezt giebt mir die
Mutter bis genug, aber es iſt noch nicht lang,
ſie hat mir auch nicht koͤnnen genug geben. —


Das Bethelj ſeufzete, und der Heirlj ſagte
wieder, weiſſeſt du was? Komm nur am
Abend um Sechſe, wenn wir Feyerabend ha-
ben, an unſere Gaß, ich will dir denn allemal
davon aufſpahren, und dir’s dann geben.


Aber haſt du dann doch genug, wenn du
mir ſo giebſt? erwiederte das Bethelj.


Und der Heirlj, ich will dann das ſchon
machen, komm du nur! —


[103]

So redten ſie mit einander waͤhrend er das
Brod theilte, bis auf den lezten Mund voll
der noch groß war; er ſah ihn an ob er ihn
auch theilen wollte, aber er machte mit dem
Kopf Nein — ſagte, Geiß! du muſt jezt
genug haben, und gab ihn ganz dem Betheli;
— denn ſtuhnd er auf, fuͤhrte ſeine Geiß
weiter an der Hand am Haag hinauf, wo ſie
Laub fand; das Bethelj aber blieb bey ſeinem
Mund voll ſizen und aß.


Des Junkers Klaus ſah dem ganzen Spiel
zu, und da der Heirlj fort war, kam er hin-
ter der Brombeer Staude hervor und legte
ohne ein Wort zu reden dem Kind ein groſ-
ſes Stuͤk Brod in den Schoos. Es erſchrak,
als er hinter der Staude hervor kam, aber
da es das Stuͤk Brod im Schoos hatte, lach-
te es, und rief ihm laut nach, dank dir Gott,
Mann! Der Heirlj hoͤrte es oben am Haag
dank dir Gott [ruffen], und fragte, was haſt
jezt? da ſprang es mit dem Brod in der Hand
zu ihm hinauf, zeigte ihm den Mann, der jezt
wieder beym Wagen voll Baͤume ſtuhnd, und
der ihms gegeben, dann theilte es auch mit
der Geiß, aber es gab ihr doch die kleinern
und aß die groͤſſern. Der Heirlj wollte ihm
keines abnehmen, es bat ihn, nimm nur auch
einen einzigen Mund voll, und dieſen nahm
er ihm ab. —


G 4
[104]

Jezt einmals koͤnte ein Geſchrey und ein
Ruffen: Er kommt; — Er kommt — es iſt
ihn, es iſt ihn. Es war der Junker, der mit
ſeinem Lientenant langſam aus dem Foͤrenholz
heraus dem Bach nach gegen die Anhoͤhe kam.
Da machte das junge Volk den Anſchlag ihm
bis unten an den Huͤgel, in einem Zug, ent-
gegen zu gehen, und der Carlnahm ſein groſſes
buntes Nastuch aus dem Sak, und rufte: —
He — wer macht uns einen Fahnen? Wenn
wir einen Zug machen, ſo muͤſſen wir einen
Fahnen haben; ſein Claus erwiederte ihm,
ich will euch einen machen, und band ihm
das ſchoͤne Tuch an einen ſchneeweiſſen Ste-
ken.


Aber wer muͤßte dann Hauptmann ſeyn,
und den Fahnen haben? ſagte der Carl. —


Der Fahne iſt dein, und du muſt ihn tra-
gen, ſagten die Buben. Nein: ſagte Claus,
der Bub da, auf des Maurers Heirlj deutend,
muß jezt der Hauptmann ſeyn.


Aber warum jezt auch das, ſagten alle Bu-
ben, und auch Carl ſtuhnd da, wie wenn er
das lieber anderſt haͤtte, und ſah den Claus
mit runden Augen an.


Es muß jezt ſo ſeyn ihr Buben, ſagte Claus
und Meiſter Carli Kayſer! Sieh mich nur nicht
ſo an, ich weiß wenn der Papa kommt, er
ſagt, ich habe recht.


[105]

Nun ſo gieb ihm den Fahnen — nur —
wenn’s Nastuch ſchon mein iſt, ſagte der
Carl. —


Der Claus thats, und der erſte der am
Zug jauchzte, war Carl — aber da ſie na-
he beym Junker waren, ſprang er aus dem
Reihen heraus ſeinem Vater an die Hand.


Warum biſt du ſo aus der Reihe heraus-
geſprungen? ſagte der Junker, und hob ihn
in die Hoͤhe.


Dann gruͤßte er die andern alle, gab dem
Heirlj ſeine Hand, fragte ihn, wer ihn ſo
zum Hauptmann gemacht?


Da dieſer Mann hat wollen, ich muͤſſe es
ſeyn, ſagte der Heirli und deutete mit der Hand
auf den Claus! und dieſer erzaͤhlte dann, daß
er eben vorher dem Buben hinter einer Brom-
beer-Staude zugeſehen, wie er ſein Stuͤk Brod
mit einem Kind und einer Geiß getheilt, und
dann dem armen Kind dann noch alle Abend
von ſeinem Brod verſprochen, ſezte dann hin-
zu, und ich moͤchte jezt den ſehen, der es
beſſer verdient haͤtte!


Ja — ſagte der Carl, wenn du das zu
erſt geſagt haͤtteſt, ich haͤtte denn auch gewuͤßt,
daß es recht waͤre.


Und nicht alſo das Maul gehaͤngt, ſagte
der Claus ihm leiß, und ſeitwaͤrts. —


Das iſt recht Claus, der braͤvſte muß auch
der Hauptmann ſeyn, ſagte der Junker.


[106]

Das iſt nichts ſo braves, ich habe mich nur
luſtig gemacht, und es hat mich nicht gehungert,
ſagte der Heirlj, und dann zog alles froͤhlich
mit einander den Berg an.


§. 23.
Der Junker thut Vaͤter-Werke und
macht Geißhirten-Huͤtten Ordnun-
gen.


Nun ſtuhnd er auf der Anhoͤhe, auf welcher
Bonnal einſt das Feſt feyren ſollte, deſ-
ſen Stiftung er beſchloſſen. — Die Frucht-
baͤume zum groſſen bedeutungsreichen Obs-
wald, unter deſſen Schatten ſein Volk den
Erden-Segen, den Gott dem Menſchenge-
ſchlecht und niemand ausſchlieſſend gegeben,
einſt feyren ſoll, lagen jezt vor ſeinen Augen
ſchon auf dem Wagen.


Wie ein Prieſter Gottes in ſeiner feyer-
lichſten Stunde ſtill vor ſeinem Altar ſtehet,
ſo voll hoher Gefuͤhlen mit dem menſchlichſten
Opfer, das noch auf Gottes Altar geopfert
worden, ſtuhnd jezt Arner auf dieſer Stelle
und warf ſeinen Segenblik auf die ihn umge-
bende Menge. Er hatt’ in dieſem Staunen
ſeinen Carl aus den Augen verlohren, ihn
zu ſuchen warf er ſein Aug noch einmal auf
[107] den Haufen Kinder, und fand ihn unter Bon-
nals Buben, zween von den ſchoͤnſten an bey-
den Haͤnden haltend. Er winkte ihm, und
ſagte zu ſich ſelber, wenn er doch nur ſein leb-
tag ſo gluͤklich unter den Kindern ſeines Volks
iſt, und niemand ſo gern am Arm hat als
ſeine Leuthe!


Bald darauf ſagte er, es koͤnne jezt ein je-
der Hausvater hingehen und von den Baͤumen
auf dem Wagen ſo manchen nehmen als ei-
ner Kinder habe.


Auf das Wort draͤngten ſich Reiche, Freche,
und Geizige vor, geſchwind vor den andern
die erſten zu ſeyn, und die ſchoͤnſten weg zu
ſchnappen, denn wenn ſchon alles gute Baͤu-
me waren, und von feinem Obs, ſo war doch
immer ein Unterſchied im Alter und an den
Wurzeln. Aber der Junker merkte das Lauf-
fen, und machte ihm Halt, ehe ſie noch am
Wagen waren. Als ſie ſtill ſtuhnden, befahl
er, ſie ſollen warten, bis der Claus mit ein
paaren die Baͤume alle ab dem Wagen genom-
men, und ſie wie ſie ihm in die Haͤnde kom-
men, die groͤſſern und die kleinern durch einander
an Boden gelegt, und indeſſen ſich auch an ei-
ne Reihe ſtellen, und denn einer nach dem an-
dern die Baͤume wie ſie am Boden liegen und
auf einander folgen, jeder die ſeinen voran
wegnehmen.


[108]

Es haͤngte zwar der eint und andere das
Maul ob dieſer Ordnung als ob ihm unrecht
geſchehen, aber ſie nahmen die Baͤume doch —
die andern lachten, daß ihnen ſo recht geſche-
hen — und der Junker ſagte dann — als
ſie ihre Baͤum hatten, und alles wieder in ei-
nem Kreiß um ihn her ſtuhnd: —


Ich haͤtte gern, daß es auch der aͤrmſten Haus-
haltung nicht an der noͤthigen Milch fehlte,
ihren jungen Kindern eine gute und ihrem Al-
ter angemeſſene, und fuͤr ihr Wachſen und Zu-
nehmen nothwendige Suppe machen zu koͤnnen,
— darum habe ich dieſe Geiſſen machen hie-
her kommen, und will denen, die das Geld
nicht haben fuͤr ihre Kinder eine zu kauffen, daſ-
ſelbe gern vorſchieſſen, und hiemit befahl er
denen, die einen ſolchen Vorſchuß gern haͤtten,
naͤher zu ihm zu kommen.


Es kamen ihrer ſieben und zwanzig; aber
ſie ſahen aus, daß es ihm durch Leib und Seel
fuhr, — ohne Hut, — ohne Kappe, —
ohne Schuh und Struͤmpf, und alles an ihren
Kleidern zerriſſen.


Das war noch nicht ihr Elend; der Lump,
der Schlaͤgler, der Troͤhler, der Spieler und
Saͤuffer war nicht nur auf ihren Roͤken, war
auf ihren Geſichtern wie abgemahlt.


Es erſchuͤtterte Arner, da er ſie anſah; mit
Ernſt und Unwillen ſagte er ihnen, ihr ſehet
doch auch gar aus.


[109]

Ein Sigmund Reich hatte das Herz ihm
zu antworten; Es vermoͤgen in Gottes Namen
nicht alle Leuthe gut auszuſehen.


Das brachte Arner auf. Er antwortete
ihm, unverſchaͤmter Mann, es vermag ein je-
der Menſch ſich an Leib und Seel nicht zu ver-
hunden, und wie ein Schurk, ein Lump, und
wie du auszuſehen.


Die andern Sechs und zwanzig haͤtten ihm
gern das Maul eingeſchlagen, daß er dieſes
Wort geredt, und die in den Baͤnken, ſeye
es aus Neid wegen den Geiſſen oder ſonſt,
lachten uͤberlaut, und ſagten: der Junker ha-
be wohl recht, es habe viele von ihnen noch
ihr gutes Geld gekoſtet, bis ſie es dahingebracht
auszuſehen, wie ſie ausſehen.


Der Junker fragte indeſſen den Pfarrer ob
ihre Weiber und Kinder auch ſo ausſehen?


Leider Gott erbarm, wie ab ihnen geſchnit-
ten, ſagte der Pfarrer.


Der Junker ſchuͤttelte den Kopf und erwie-
derte, denn iſts boͤs, und hier wendete er ſich
wieder an die Maͤnner, und ſagte ihnen, wo
es euch eigentlich fehlt iſt weder mit Land noch
mit Geiß-Milch zu helfen, und ich weiß wirk-
lich nicht was ich thun will.


Einen Augenblik darauf, — wenns mir
nicht um euere Kinder zu thun waͤre, ſo ſchikte
ich die Geiſſen wieder, wo ſie hergekommen.


[110]

Er ſchwieg wieder eine Weile, ſagte dann,
geht in Gottes Nahmen, und leſet die Geiſſen
aus, aber das ſag ich euch, wann ihr die
Milch euern Kinderen vorenthaltet, oder
ſonſt machet, daß ſie um euertwillen ſerben
muͤſſen und nicht geſund ſeyn und truͤhen koͤn-
nen, ſo will ich die armen Geſchoͤpf euch weg-
nehmen, und ſelber dazu ſehen, daß ſie wie
Chriſten-Menſchen erzogen werden, es mag
mich koſten was es will. Aber das ſag ich
euch auch, ſo gewiß als mich einer von euch
noͤthiget, ihm ſein Kind wegzunehmen, weil
er ein Unmenſch an ſeinem Fleiſch und Blut
iſt, ſo ſteke ich ihn auch dafuͤr ins Zuchthaus,
und laſſe ihn unter Pruͤgeln ziehen, bis er ein
Menſch iſt.


Mit dem ließ er ſie dann gehen und Geiſſen
ausleſen.


Es machte ihnen aber ſo ſturm im Kopf,
was er ihnen ſagte, daß ſie wahrlich mit den
Geiſſen-Maͤnnern uͤbel gehandelt haͤtten, wenn
der Claus nicht mit ihnen gegangen, und ihnen
geholfen haͤtte. Die Kinder aber die Geiſſen
bekamen, hatten eine unbeſchreibliche Freude,
und alle andere Buben hiengen ihren Vaͤtern
an, daß ſie ihnen auch ſo Geiſſen kauften. —
Mit Bitten und Baͤtten, und mit Erzaͤhlen,
daß der Junker Carl auch eine habe, brachten
es ihrer 32 dahin, daß ihre Vaͤter ihnen auch
kauften.


[111]

Und da die 27 ihre Kinder zum Junker
hervor brachten, brachten die 32 die ihre auch,
aber doch kamen ſie allein, und ſtellten ſich
mit ihnen nicht unter die 27.


Habt ihr euern Kindern auch ſo Geiſſen
gekauft? ſagte da der Junker.


Etliche antworteten wir haben wohl muͤſ-
ſen, ſie haben uns faſt verriſſen und verzehrt,
bis wir es gethan; andere ſagten, weil ihr
euerm auch eine gekauft hattet, ſo hat es uns
deſto mehr gefreut.


Und muͤſſen euere ihre Geiſſen auch huͤten?
ſagte der Junker. —


Warum das nicht, ſagten die Vaͤter? —
Nun ſo machet jezt alle Kinder, die ihre Geiſ-
ſen huͤten, um mich herum ſizen, ich muß
mit ihnen reden, ſagte der Junker.


Da ſtellten die 27 und die 32 Vaͤter, ihre
Kinder die den Geiſſen huͤten muͤßten, in ei-
nen Kreiß um ihn herum, und ſich denn ſelber
gerade hinter ihnen auch in einen Kreis. Da
ſagte Arner, das Weidhirten-Leben ſeye ein
Leben, in welchem ſie leichter als in keinem
andern, zu wilden, ungezogenen und dadurch
ungluͤklichen und boͤſen Menſchen werden koͤn-
nen, ſie muͤſſen desnahen Einrichtungen machen,
daß ſie bey ihrem Geiſſen huͤten ſich nicht ſo leicht
die Fehler des Huͤter-Lebens angewoͤhnen.


Zuerſt muͤſſet ihr unter einander abreden,
[112] wie viel alle Wochen von euch huͤten muͤſſen,
damit darinn keine Unordnung ſeye, und kei-
nes unnoͤthiger Weiſe die Zeit ob dem huͤten
verliere.


Und denn fuhr er fort; muͤßt ihr mir ver-
ſprechen:


Erſtlich: Ihr wollet dasjenige aus euch
fuͤr keinen braven Huͤterbuben, und kein bra-
ves Huͤtermaͤdchen halten, und nicht mehr un-
ter euch zaͤhlen, noch mit euch huͤten laſſen,
welches auf der Weid uͤber ſeine Geiß flucht
und ſchwoͤrt, ſie ſiark ſchlaͤgt, oder ihr Steine
nachwirft. —


Zweytens: Ihr wollet auch das fuͤr kein
braves Huͤterkind halten, und nicht mit euch
weiden laſſen, welches ſeinen Mithirten boͤſe
Wort giebt, ſie ſchimpft, und ſchiltet, — oder
gar uͤber ſie fluchet, und ſie ſchlaͤgt. —


Drittens: Daß ihr eines nicht fuͤr ein bra-
ves Huͤterkind haltet, noch neben euch huͤten
laſſet, wenn es mit Fleiß oder aus Liederlich-
keit, die Geiſſen in Holz und Feld zu Schaden
gehen laͤßt, noch viel weniger, wenn es ſelber
in Holz und Feld, Schaden ſtiften und frevlen
wuͤrde.


Viertens: Daß ein gutes Huͤterkind, eine
Arbeit auf die Weid, an ſeinem Huͤtertag
mitnehmen, und dann am Samſtag ſeinem
Schulmeiſter vor allen Kindern angeben ſolle,
was
[113] was es an ſeinem Huͤtertag bey der Heerde ge-
than, ſey es dann, es habe Stroh geflochten,
oder Wolle geſtrikt, oder Holz aufgehauen. —


Die Kinder verſprachen laut und freudig,
daß ſie die Punkten alle gewiß, gewiß, und
gern, gern halten wollen.


Aber etliche Vaͤter, die hinter den Kindern
zuſtuhnden, buͤkten ſich zu ihnen herunter, und
ſagten ihnen, ja — Kinder — Kinder —
es iſt geſchwind ja geſagt, wenn es denn nur
auch ſo munter geht, wanns ums halten zu
thun iſt.


Der Junker hoͤrte was dieſe Vaͤter ſagten,
es freute ihn, und er ſagte auch; es iſt recht,
was ſie euch ſagen, ihr Lieben! Verſprechet
mir nichts, was ihr hinten nach dann nicht
haltet. —


Die Kinder verſprachen wieder, ſie wollens
gewiß halten. Und der Carl, der auch bey
ihnen ſtuhnd, nahm ſeinen Papa bey der Hand
und ſagte, Nein — Papa, glaub es ihnen
auch, es iſt ihnen gewiß Ernſt. —


Jaͤ, jaͤ, Carl, wie oft haſt du ſchon etwas
verſprochen, und hinten nach nur halb gethan,
ſagte der Junker, und laͤchelte.


Eine Weile darauf ſagte er: aber wenn ſit
es thun, und huͤten wie recht und brav und
wie ſie verſprochen, ſo muͤſſen ſie denn im
Herbſt einen ganzen Tag mit ihrem Geiſſen zu
H
[114] dir kommen; ich will ſie denn an der Burghal-
den, neben den Reben weiden laſſen, und ſe-
hen, wir jedes ſeine Geiß in der Ordnung
hat, und die Mama macht dann allen zuſam-
men ein Reis.


Und Fliegen darauf, ſagte der Carl. —
Ja — und Fliegen darauf bis es ganz ſchwarz
iſt, ſagte der Junker. Sie meynten Roſinen,
aber die Buben wußten es nicht, und zehrten
den Carl beym Sak und Ermel, und fragten
ihn was das auch ſeye?


Es iſt gut, gut, ſuͤß wie Zuker, und kohl-
ſchwarz wie Fliegen, aber ohne Fluͤgel, und
ihr werdets dann ſchon ſehen, ſagte der Carl.


§. 24.
Von Jugend auf zwey Bazen ſparen.
Ein Mittel wieder den Urſprung
der Verbrechen, gegen die man
ſonſt Galgen und Rad braucht.


Als der Spaß aus war, redte der Junker
mit den Haus Vaͤtern von den zehndfreyen
Aekern, die er den Spinnerkindern ſchenken
wollte, wenn ſie, ehe ſie zwanzig Jahre alt ſeyen,
8 bis 10 Dublonen erſpart haͤtten, und beyſeits
legen wuͤrden. Es wollte ihnen zwar nicht
[115] leicht in den Kopf wie das moͤglich, und wie
die Spinnerkinder 8, — 10 Dublonen zu-
ſammenbringen ſollen, ehe ſie 20 Jahre alt
ſind. — Aber das Wort Zehndfreyheit,
das ſo rar iſt als der Vogel Phoͤnix, machte,
daß ſie mehr Verſtand bekamen, als ſie ſonſt
hatten, und ausrechnen lehrnten, es brauche
nicht mehr als daß eines in der Woche 2 bazen
beyſeitslege, und denn waͤrs in der Ordnung.


Er trug es ihnen vor, wie es ihm das Baum-
wollen-Mareylj angegeben; ein Kind das jezt
ſchon 17 Jahr alt, muͤſſe Gulden dreyßig, ei-
nes das 16 Jahr, vierzig, eines das 15 Jahr
fuͤnfzig, eins das 14 Jahr ſechzig, eins das 13
Jahr ſiebenzig — und nur die wo unter 13
Jahren muͤſſen ihre volle achzig Gulden zuſam-
menbringen, um dieſe Zehndfreyheit zu er-
langen.


Und mit jedem Augenblik begriffen ihrer
mehrere, daß die Sache moͤglich und thunlich,
und ihrer etliche fiengen bald an ſo warm zu
werden, daß ſie ſagten, der Teufel, man muß
das Eiſen ſchmieden weils warm iſt. Kind
und Kindskinder erlebens vielleicht nicht mehr,
daß einem Junker ſo ein Wort zum Maul
hinaus jukt. —


Und hie und da nahm jezt ein Bauwollen
ſpinner-Vater ſein Kind beyſeits, und ſagte
ihm, was iſts? willt du in der Woche ein hal-
H 2
[116] bes Pfund mehr ſpinnen, daß ich dir ſo einen
Sparhafen machen koͤnne? du haſt dann dei-
ner Lebtag einen Vortheil. —


Das glaub ich, ſagten die Kinder — und
gern ein ganzes Pfund, wenn du mir das thuſt,
Aetj — (Vater)! —


Bald darauf riefen ein paar Spinner-Vaͤter:
wir haben zu danken Junker, und wir wollen
mit unſern Haushaltungen das anfangen, was
ihr ſaget. — Wir auch — wir auch, Jun-
ker, ſagten jezt eine Menge. —


Uebereilet euch nicht, ſagte da der Junker,
und beſinnet euch mit euern Weibern bis Mor-
gen, ob ihrs verſprechen wollet, denn es iſt
mir, wie mit den Huͤterkindern, wenns einmal
verſprochen iſt, ſo muß es gehalten ſeyn.


Es iſt verſprochen, es iſt verſprochen, und
es muß gehalten ſeyn, ſagten viele Maͤnner
und andere. Es braucht ſich da nichts zu be-
ſinnen, wir muͤßten uns und unſern Kindern
Spinnenfeind ſeyn, wenn wir uns einen Au-
genblik beſinnten. —


Aber die Reichen im Dorf, und die Groſ-
ſen, als ſie ſahen, wie das kommen wolle
fiengen an die Koͤpf zuſammen zu ſtoſſen, und
zu einander zu ſagen, jaͤ — und denn unſere
Toͤchteren, was haben dann ſie? wenn die
Spinnerkinder ſo zehndfreye Aeker bekommen.


Der Junker merkte, daß den Dikbaͤuchen
[117] etwas nicht recht lag. Sie ſtuhnden bey drey,
vieren zuſammen, verwarfen die Haͤnde, und
ſchuͤttelten die Koͤpfe. Es wunderte ihn, was
es ſeye, er winkte dem Untervogt, der bey ih-
nen ſtuhnd, und fragte ihn, was ſie haben?


Ha — ſie meynen eben ſo zehndfreye Aeker
wuͤrden ihre Toͤchter auch freuen, und ihnen
auch wohl thun, wie den Spinnerkindern,
ſagte der Untervogt.


Und der Junker: So — moͤchten ſie das
auch noch? haben ſie ſonſt nicht genug?


Sie meynen auch, ſagte der Untervogt, ſie
verdienen es wie die andern, und wenn man
die Wahrheit ſagen muß, ſo muͤſſen ſie zehen-
mal mehr arbeiten, als die andern.


Das iſt nur, weil ſie hundertmal mehr ver-
moͤgen als die andern, ſagte der Junker.


Und es iſt ſo, — es iſt ſo — erwiederte
der Vogt, fuhr aber doch fort, ihnen das Wort
zureden, und ſagte, wenns nur nicht der Zehn-
den waͤre, moͤchte ſonſt ſeyn, was es wollte;
aber der Zehnden iſt ſo eine eigentliche Bau-
ren Sache, und es ſezt den groͤſſeſten Verdruß
ab, wenn die Baumwollen-Kinder darinn
einen Vortheil bekommen. —


Verwundert euch nicht, daß der Untervogt
das ſagte. Der Huͤgj hat ihm, da ihm der Jun-
ker winkte, zugeruffen, er ſolle ihms ſagen.
Dieſer aber bedachte ſich einen Augenblik und
H 3
[118] ſagte denn — Sie muͤſſen auch ſolche Aeker
haben, wann ſie wollen, und wandte ſich dann
an eine Sammlung von Dikbaͤuchen, die in
der Naͤhe von ihm bey einander ſtuhnden, und
ihm, und dem Untervogt ins Maul hineinſa-
hen, was ſie redten.


Er ſagte ihnen, wenn euch ſo viel daran
liegt, daß euere Toͤchtern auch ſo zehndfreye
Aeker zur Ausſteuer bekommen, ſo will ich das
thun. Ich will einer jeden Bauren Tochter,
deren Eltern ein Wayſenkind das nicht uͤber
ſieben Jahr alt iſt, ins Haus aufnemmen,
und brav und unklagbar erziehen ſo eine Zehnd-
freyheit zur Ausſteuer ſchenken, wie einem Spin-
nerkind, das ſeine achzig Gulden verdient hat,
und noch lieber will ich das thun, wenn eine
von euern Tochtern aufweiſen kann, daß ſie
ſelber etwas gethan, das ſo brav und gut iſt,
als ein armes Kind erziehen, oder ſo viel Jah-
re in der Ordnung ſparen, als die Spinnerkin-
der dafuͤr ſparen muͤſſen. Aber verſtehet mich
wohl, es muß etwas ſeyn, das nicht bloß in
ihren Sak gut iſt.


Die Sammlung der Bauren that kein Maul
auf uͤber das was er ſagte. Ihrer viele aber
kehrten ſich von ihm weg, da er ihnen ins Ge-
ſicht ſah. — Eine Weile darauf fiengen ſie
unter einander an zu brummen, das ſeye
nichts —


[119]

Einer ſagte, ſie muͤßten ja aus ihrem Geld
kauffen, was er den andern verehre. —


Ein anderer ſagte, ſo ein Narr bin ich
nicht, und ſalze mir ſo eine Plage auf, ich hab
genug an meinen eignen. —


Noch einer ſagte, wenn ich etwas froͤmdes
erziehen will, ſo muß es mir im Stall ſchlaffen,
und am Bahren freſſen.


Ja — ja — ſagte wieder einer, ſo eins
das man anbinden kann, geht wohl an, aber
mit den andern mag ich nichts zu thun haben.


Einer oder zween, die gar hochmuͤthig wa-
ren, fanden doch, ſo ein Kind aͤſſe zulezt mit
den andern, und ſie koͤnnten es immer brau-
chen, wenns auch nur zum Huͤner futern und
Gras ausrauffen waͤre. —


Aber es hat ein a propos, — ſagten wieder
andere. Wer weiß, was er unter dem wohl
und unklagbar erziehen verſteht? und wenn
einer Jahr und Tag Muͤhe und Arbeit gehabt
haͤtte, und er denn ſagte, es waͤre nicht brav
und unklagbar erzogen, was wollte einer denn
machen?


Und wenn ſo ein Kind ſtuͤrbe? ſo waͤre
wieder das, man koͤnnte noch s’teufels Verdruß
davon haben, und wenn mans 10 Jahr haͤt-
te, waͤre einem denn noch niemand nichts
ſchuldig.


Der Junker ſahe, daß ſie nicht mit ihm
H 4
[120] reden wollten, ſondern nur unter einander
brummelten; er zweifelte nicht daran, es ge-
falle ihnen nicht, und er wollte die Gemeind
entlaſſen.


§. 25.
Der Menſch verglichen mit der ſchoͤnen
Natur.


Da kam noch der Michel zu ihm hervor,
und ſagte, es ſey von der aͤrmſten Haus-
haltung, die gewiß mehr als keine andere eine
Geiß noͤthig habe, — Niemand da, — die
Frau liege auf dem Todbeth, und der Mann
habe gewiß darum nicht koͤnnen wegkommen.


Der Junker befahl ihm im Augenblik, das
beſte Thier, das er noch finde, fuͤr den Kien-
aſt zu kaufen.


Und er, wenn er fuͤr ſich ſelber eine gekauft
haͤtte, haͤtte ſie nicht ſorgfaͤltiger ausſuchen
koͤnnen. Denn warf der Junker noch einen
Blik auf das Volk, das jezt von ihm weg-
gieng. Es erquikte ihn, daß die Armen und
Kinder, ſich zu ihm draͤngten, und ihm dank-
ten, aber es that ihm auch weh, daß die Rei-
chen faſt alle die Koͤpfe von ihm weghielten,
und thaten, als wenn ſie ihn nicht ſaͤhen, ſo
nahe ſie an ihm vorbeygiengen. —


[121]

Sein Carl machte ihn ihre Unart vergeſſen.
Er ſtuhnd, den Baum auf der Achſel, und die
Geiß an der Hand, die Beine wie ein Bauer-
bub verſpreitend vor ihm, und ſagte: —


Aber du Papa! Die andern Aettj ſezen
morn alle ihren Buben die Baͤume, willſt du
mir meinen auch ſezen?


Ja freylich, ſagte der Junker.


Aber kannſt du es auch? ſagte der Bub —
und, ich wills dann probieren, der Junker. —
Sieheſt du, man muß ein Loch in Boden ma-
chen, aber ein groſſes und tiefes, und Schor-
herd drein thun, aber faulen alten, der nicht
brennt, und denn erſt den Baum darauf,
nicht tief, und die Grasmotten, die man dazu
legt, muß man umkehren, daß ſie nicht an-
wachſen, denn brauchts noch viel viel, bis er
recht ſtehet, und verdoͤrnt iſt.


Junker. Wer hat dir das alles geſagt?


Carl. Meynſt du Papa! Die Buben reden
jezt nichts als vom Baumſezen? Sie haben
geglaubt, ich wiſſe nichts von dieſem, aber
meyn, — ich habe mehr gewußt als ſie, und
ſie ſind doch Baurenbuben.


Junker. Wer hat dirs geſagt?


Carl. Der Herr Rollenberger, der weiß
mehr als alle Bauren — aber ich muß jezt
gehen, die andern Buben gehen auch mit ih-
ren Geiſſen. Jezt ſtand Arner mit ſeinem
[122] Lieutenant bald allein auf dieſer Anhoͤhe. —
Die glatte Itte zitterte im reinſten Silber-
licht zu ihren Fuͤſſen. — Die Sonne neigte
ſich — und der Waſſerſpiegel des Schlangen-
bachs glaͤnzte von Bonnal aus, bis Ends zu
den blauen Bergen, die wie ein Vorhang Ar-
ners Land von der uͤbrigen Welt ſcheideten.


Arner ſah eine Weile ſtaunend ſtill in Thal
und Bach, — denn ſagte er zum Lieutenant,
der neben ihm ſtuhnd, es iſt mir jezt ich ſehe
die Arbeit die wir hier anfangen, auch ſo mit
dem Bach von Bonnal weg, fortrinnen und
von einem Dorf ins andere kommen, bis an den
Thurm wo ſich Gottlob meine Sorgen und
meine Pflichten enden. Er zeigte ihm dann
mit dem Finger, die graue Spize des Kirch-
thurms von Arnheims End? Die Itte glaͤnzt
da nur noch wie ein duͤnner Silberfaden, und
verliert ſich im Vorhang der Bergen, und Ar-
ner ſagte, das iſt das lezte Ort meines Thals.
— Er ſezte mit einer Art von Wehmuth hin-
zu, — erleb ichs noch, daß wir mit unſerer
Arbeit bis nach Arnheims End kommen?


Es geht vielleicht nicht ſo lang, als Sie ſich
vorſtellen, ſagte der Lieutenant.


Es iſt moͤglich, ſagte Arner, einmal wird
unſere Arbeit gewiß leichter, je weiter wir vom
Schloß wegkommen.


Daruͤber laͤchelte der Lieutenant und ſagte,
[123] uͤber dieſen Punkt habe ich einmal einen Geiſt-
lichen vor einem Tiſch voll Junkeren und
Pfaffen eine derbe Wahrheit ſagen hoͤren.


Es war in der Steinmarch, und man re-
dete an der Tafel von dem Unterſchied der
Pfruͤnden, die in einem Marchamt gegen der
Gewohnheit in der Naͤhe von den Schloͤſſern,
beſſer ſind als in der Ferne davon. Da ſagte
ein magerer Pfarrer, der unten am Tiſch
ſaß, mit einer hellen, langſamen Stimm, die
hinauf toͤnte, daß alle Maͤuler ſchwiegen;
wenn’s recht waͤre Ihr Gnaden und Ihr Hoch-
wuͤrden, ſo waͤrs allenthalben ſo. —


Warum? Warum? Riefen ihm Ritter und
Pfaffen hinab? Warum Ihr Hochwuͤrden
und Gnaden? In der Naͤhe von Schloͤſſern
hat man Teufel auszutreiben; wenn man da-
von weg iſt, nur Kinder zu erziehen.


Die Augen blizten den Hochwuͤrden und
den Gnaden, da das Wort heraus war, aber
ein Geſcheider unter ihnen, fieng an zu lachen,
und des Pfarrers Geſundheit zu trinken. Da
merkten die andern, daß das ihr Spiel, und
vom Schleſiſchen Commandeur der oben an
ſaß, bis zum juͤngſten Degen, lachte jezt alles,
und alles trank dem Pfarrer auf ſeine Geſund-
heit.


Aber noch vor dem Abend machten, das
weiß ich, vom Schleiſiſchen Kommandeur bis
[124] zum geringſten Degen ein jeder auf ſeinem
Schloß wieder Sachen, die der Grund ſind,
warum die Geiſtlichen in der Naͤhe von Schloͤſ-
ſern Teufel auszutreiben haben.


Ach! die Menſchen ſind ſo haͤßlich, und
was man auch mit ihnen macht, ſo bringt
man’s nicht dahin daß ſie auch nur ſind, wie
dieſes Thal, ſagte da der Junker. — Aber der
Anblik des Thals und des Sonnen Untergangs
war auch herrlich. —


Das iſt jezt auch nicht, erwiederte der Lieu-
tenant, und als ers ſagte, trieb ein Hirten-
bub unter dem Felſen, auf dem ſie ſtahnden,
eine magere Geiß (Ziege) vor ihm her. Er
ſtuhnd zu ihren Fuͤſſen ſtill, und ſah gegen die
Sonne hin, lehnte ſich auf ſeinen Hirtenſtok
und ſang ein Abendlied; — er war die Schoͤn-
heit ſelber — und Berg und Thal, die Itte,
und die Sonne verſchwand vor ihren Augen!
Sie ſahen jezt nur den Juͤngling, der in Lum-
pen gehuͤllt, vor ihnen ſtuhnd, und Arner ſagte:
ich hatte unrecht, die Schoͤnheit der Menſchen
iſt die groͤßte Schoͤnheit der Erde.


[125]

§. 26.
Was iſt Wahrheit, — wenn es nicht
die Natur iſt.


Der Lieutenant und der Junker ſagten bey-
de, der Pfarrer ſollte auch da ſeyn,
als die Pracht der Gegend vor der Schoͤnheit
des Hirten vor ihren Augen verſchwand. Er
war nicht da, er war bey der kranken Kiena-
ſtin, fuͤr die der Michel dem Junker eine Geiß
bettelte.


Es kann nicht wohl etwas traurigers ſeyn
als das Leben und das Todbeth dieſer Frau.
Sie iſt mit dem beſten Herzen das elendeſte
Menſch worden, weil ſie ſich ob dem groͤßten
Weltgift unſerer Zeit, ob armen Buͤcherſachen
verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem
Ungluͤk ſchuld. Er war ein Herzguter Mann,
wie ſie auch in ihren guten Tagen; aber er
war mit ſeinen Sinnen nicht in der Welt,
ſondern in den Buͤchern, und hat das arme
Menſch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit
ſeiner Jugendlehre aus dieſer Welt hinaus
und in eine einbildiſche verſezt, die ihr weder
Brod noch Ruh noch Segen zeigte, ſondern
alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih-
res Scheidens.


Es ſteht im Anfang des Worts Gottes oder
[126] im Erſten Buch Moſis im 1 Cap. Im Schweiß
deines Angeſichts ſollſt du dein Brod eſſen,
und mein Großvater, wenn er dieſen Spruch
ſagte, ſezte allemal noch hinzu, wenn du nicht
ein Narr werden willſt und ein Lump oben
drauf.


Davon wußte der Pfarrer Flieg in Him-
mel, weniger als nichts, er meynte wenn ſei-
ne Kinder nur ordentlich ſtill ſaͤſſen und den
frommen Sachen von denen er alle Sonntag
und Donſtag die Ohren voll zahlte, die Woche
durch fein ordentlich nachſinnten, und links
und rechts der Gruͤnden Menge wuͤßten und
an den Fingern her zaͤhlen konnten, warum
er der Pfarrer Flieg in Himmel dieſes oder
jenes fuͤr wahr halte, u. ſ. w. Dieſer Pfarrer
hat eine Menge Kinder ungluͤklich gemacht,
und die Leuthe, die die ſchlechteſten im Dorf
ſind, ſind im eigentlichſten Verſtand ſeine Zucht.


Es verblendete ſich im Anfang jedermann
an ihm, und es toͤnte wie aus einem Mund
das Lob, er thuͤe einen Gotteslohn an den
Kindern, ſo eifrig ſey er, und mache weiß nicht
was aus ihnen. Nur hier und da machte
etwann ein alter Mann oder eine alte Frau,
und etwann ſonſt ein Menſch, der nicht viel
in den Buͤchern las, die Anmerkung, ſeine
Kinder werden ſo geſchwind muͤde, und haben
ihren Kopf und ihre Sinnen nicht auch ſo
[127] wie es ſeyn ſollte, bey ihren Sachen. Aber
man dorfte es kaum ſagen; ein jedes Wort
aͤrgerte, das man wieder dieſen Pfarrer ſag-
te. — Es iſt natuͤrlich, ſeine Kinder waren
ſo artig und konnten ſo viel aus der Bibel er-
zaͤhlen, und ſonſt gereimtes und ungereimtes
auswendig ſagen, daß ihre Eltern vor Freude
daruͤber ihnen die Haͤnde unter die Fuͤſſe leg-
ten, oder wenigſtens einmal die Suppe ohne
ihre Muͤh auf den Tiſch ſtellten, damit ſie alle
Wochen bis den Sontag ja recht viel auswen-
dig lehrnen, und dann in der Kirchen aufſa-
gen koͤnnten. —


Es gieng ſo weit mit der Verirrung im
Lob dieſes Pfarrers, daß man einmal einen
natuͤrlichen Menſchen, der es in aller Un-
ſchuld herausſagte, — es dunke ihn, wie
eine Komoͤdie, — faſt mit Steinen geworfen.
— Der Mann hatte ſich unrecht ausgedruckt;
[man] heiſſet ſolche Wunderſachen, wenn ſie ſich
mit Ungluͤk enden, nicht Komoͤdien ſondern
Tragoͤdien; und dieſe Pfarrer-Hiſtorie endete
ſich mit dem bitterſten Elend des Lebens, mit
dem Elend guter Menſchen, die ihre Haushal-
tungen in der Schwaͤche ihres Traͤumer-Le-
bens zerruͤttet.


Der arme Pfarrer machte, daß ſeine beſte
Kinder den Kopf in den Luͤften hielten, und
die gute Kienaſtin, die dieſer Mann ſelig, mit
[128] ſeinen Meyuungen ſelig, ſo verdorben, war
ſein Herzens Kaͤfer. Himmliſches Kind, und
Engels Seele waren die gewohnten Ausdruͤke
die er brauchte, wann er von ihr redte. —


Ein gutes Kind war ſie, das iſt wahr: aber
ein ſchwaches, zur Liederlichkeit und zum Traͤu-
mer-Leben hoͤchſtgeneigtes Geſchoͤpf, das ſich
noch dazu auf die Erkanntniß, die ſie in geiſt-
lichen Dingen hatten, weiß nicht was einbil-
dete. Dieſe Erkanntniß aber war ein armer
unverdaͤuter Wortkram, der ihr Kopf und
Herz, und Sinn und Gedanken zu allem was
ſie in der Welt haͤtte ſeyn ſollen, wie wegge-
nommen, ſo daß ihr Mann und ihre Kinder
ſeit 20 Jahren weniger mit ihr verſorgt gewe-
ſen, als wenn ſie in Gottes Namen geſtorben
waͤre. —


Der jezige Pfarrer in Bonnal, der mit ſei-
nem Kopf nicht in den Luͤften ſchwebt, ſagte
ihr es im erſten Jahr, wo er glaube, daß ſie
zu Hauſe ſeye; wo er immer ſein Aug hin-
kehrte, fand er in ihrem Hauſe nichts, das
ihm zeigte, es wohne eine Hausfrau und
eine Mutter hier, hingegen war ihr das
Maul im Augenblik offen, von Religions-
ſachen mit ihm zu reden, und ihn zu fra-
gen, wie er dieſes und jenes anſehe? Er
ſagte aber deutſch, du frageſt mich da Sachen,
an die ich noch nie Zeit gehabt zu denken, und
es
[129] es nimmt mich Wunder, wie du Zeit gehabt
habeſt ſo weit zu kommen? Sie wollte anfan-
gen, ich habe da vom Herr Pfarrer ſelig etli-
che Buͤcher. — Aber — er unterbrach ſie,
und ſagte, ich halte gar nicht viel auf vielen
Buͤchern in Baurenhaͤuſern. Die Bibel und
ein Herz das in Einfalt nur nicht daran ſinnt
etwas zu erklaͤren, was es nicht geradezu ver-
ſteht, das ſuche ich in Baurenhaͤuſern, und
dann Karſt und Hauen, die alles unnoͤthig er-
klaͤren, aus dem Kopf hinaustreiben: und ſo
einer jungen Frauen ſoll das Waͤſchbeken, die
Nadel und der Strehl (Kamm) hundertmal
lieber in Haͤnden ſeyn als alle Buͤcher. —


Die arme Frau meynte faſt, der Pfarrer
laͤſtre und rede wider Gott, da er wider ihre
Thorheit redte, auch trug ſie ihm dieſe Rede
faſt bis an ihr Todbeth nach; — doch kam ſie
in ihrer lezten Krankheit noch dahin, zu er-
kennen, daß ſie in ihrer Pilgrimſchaft auf der
Irre herumgelaufen, und daß der gute Pfar-
rer ſie auf den rechten Weg weiſen wollen.
Sie kam ſo weit zuruͤk, daß ſie jezt keine
groͤſſere Freude und keinen groͤſſern Troſt hatte,
als wenn dieſer Mann, den ſie waͤhrend ihrer
Verirrung fuͤr ſo ſchlimm achtete, bey und ne-
ben ihr war.


Er war gern um ſie, und es war ihm wich-
tig um ſie zu ſeyn. Er war auch heute bey
J
[130] ihr, und ſaß auf ihrem Beth als der Michel
mit des Junkers Geiß in ihre Stube hinein-
kam.


Weder der Mann noch die Frau konnten
ein Wort herausbringen. Ohne zu danken
uͤbernahm ſie das Thier. Der Michel ver-
ſtuhnd ihre ſtumme Sprache, und es trieb ihn
ſchnell wieder zur Stube hinaus, daß dieſen
Leuthen leichter werde. Aber der Pfarrer
dankte ihm fuͤr ſie, und dann theilte er auch
ihre Freude mit ihnen als ſie ſich wieder er-
hohlt.


In ihrer Freude trieben die guten Kinder
das Thier ihm wie auf den Schooß, und es
war ihm innig wohl, da es den Kopf auf ſei-
nem Schooß hatte.


Es erquikte die Frau im Beth ſelber, ſie
nahm die welke Hand, unter ihrer Deke her-
vor, taͤtſchelte das Thier, und krebelte ihm
zwiſchen den Hoͤrnern.


Und waͤhrend daß ſie ihns taͤtſchelte und ihm
krebelte, dankte ſie dem lieben Gott, der ihr
das End ihres Lebens noch ſo erquikt; aber ſie
ſeufzete dabey, und empfand, daß ſie dieſen
allgemeinen guten Menſchen-Gott, bis an ihr
End nicht erkannt, und ihr ganzes Leben ei-
nen Meynungen-Gott verehret. Sie troͤſte-
te ſich ihres Irrthums und ſah zufrieden das
Thier an, und geluſtete ſo gar von ſeiner
[131] Milch, da ſie doch ſchon etliche Tage nicht das
geringſte als ihr Kraͤuterwaſſer zu ſich genom-
men. — Da melchte ihr Mann die Geiß in
ein brandſchwarzes Beken; es war das einige
das ſie im Haus hatten. Er zitterte als er da
mit der einen Hand ihr den Loͤffel vor’s Maul
hielt, und mit der andern, die ihre an ſich zu-
druͤkte, und Thraͤnen fielen auf ſie herab, und
als er wohlbekomms dir liebe Frau! Mutter!
dazu ſagte. — Die Kinder fuͤhrten dann das
Thier in ihren Stall, und ſuchten ihr an al-
len Heken Laub und Streue.


§. 26.
Das Andenken an eine Großmutter.


In des Rudis Stube ſinneten die guten Kin-
der, da ſie ihre Geiß unter den Haͤnden
hatten, an die liebe Großmutter ſelig. Da
der Vater und alle Kinder ſo um ſie herum
ſtuhnden, ſagte das Naͤnnlj, weiſt du auch noch
Vater, die Großmutter hat noch geſagt, wir
muͤſſen noch eine Geiß haben. —


Ja freylich, weiß ich es noch, ſagte der
Vater. —


Und das Kind: es iſt doch auch wie wenn
ſie gewuͤßt haͤtte, wie es gehen werde, ſo hat
ſie noch allerley geſagt, wie es da gekommen.


J 2
[132]

Vergeſſet es einmal euer Lebtag nicht, was
ſie zu euch geſagt hat, ſagte da der Vater. —
Und — ich wills einmal meiner Lebtag nicht
vergeſſen, was ſie zu mir geſagt hat, erwie-
derte ihm Rudelj, und dann alle Kinder; —
und wir auch nicht, — und wir auch nicht.


Wiſſet ihr was Kinder? Wir wollen nach
dem Nachteſſen zu einander ſizen, und dann
alle Worte zuſammentragen, die ſie zu einem
jeden geſagt hat; denn will ichs auf einen Bo-
gen Papier aufſchreiben, daß ihrs euer Lebtag
behalten, und leſen koͤnnet.


Das freuete die Kinder gar, daß der Vater
ihnen alle Wort aufſchreiben wolle, die die
liebe Großmutter noch geredet, da ſie bald von
ihnen weg und in Himmel gegangen. Sie
vergaſſen darob faſt ihre Geiß im Stall, und
redten das ganze Eſſen uͤber von nichts, als
wie ſie alle Worte zuſammentragen wollen,
die ſie von ihrer lieben Großmutter noch wiſſen.


Der Rudelj ſagte da, gaͤll Vater, es iſt dann
wie es die Imblj (Bienen) in ihren Korb zu-
ſammentragen. Ja lieber, es iſt dann, wie
es die Imblj machen, wenn wir ſo zuſammen-
tragen, ſagte der Vater; — und der Rudelj,
gaͤll Vater, das Papier iſt dann der Imbli-
korb? —


Ja, wir wollen ihm dann ſo ſagen, wann
du es darauf geſchrieben haſt, ſagte das Naͤnnlj.


[133]

Aber koͤnnen wir dann auch Honig daraus
eſſen, ſagte das Liſelj? —


Ja freylich, koͤnnen wir Honig daraus eſſen,
ſagte das Naͤnnlj und der Rudelj. —


Und der Vater, ich hoff es zum lieben Gott,
der Großmutter Abſcheid duͤnk’ euch beſſer als
Honig, und alles was ihr eſſen koͤnnet. —


Ja Vater, ſagte der Rudelj, ſie iſt jezt im
Himmel, und dann iſt das wie Himmelbrod.


So redten ſie bey ihrer Erdapfelſuppe, und
da ſie ausgeeſſen, gieng dann der Rudj zum
Baumwollen-Mareylj, und entlehnte bey ihm
Dinten, Federn und einen Bogen Papier.


§. 27.
Das erſte Hinderniß des Wohlſtands
und der beſſern Erziehung der armen
Kinder, — ihre eigne Muͤtter — oder
ſchlechte Weiber.


Er traf ſeine Stube voll Spinnerkinder an,
die bey ihm abredeten, morn zu Mittag
alle mit einander in einem Zug zum Junker
ins Pfarrhaus zu gehen, und ihm zu danken,
fuͤr den Sparhafen, und die zehndfreye Aeker,
wozu er ihnen verhelfen wolle.


Ehe ſie zu ihm kamen, hatten die meiſten
noch einen Kampf mit ihren Muͤttern daruͤber,
J 3
[134] denn als die Vaͤter mit dem Bericht vom Jun-
ker heimkamen, war unter zehen Spinner-
weibern kaum eine, die nicht den Kopf ſchuͤttel-
te. Weit die meiſten ſagten, der Junker ſey
ein Narr, daß er ſo etwas glaube, ſie aber,
naͤmlich ihre Maͤnner noch weit die groͤſſern,
daß ſie ſich es angeben laſſen. Was wollte
doch, ſagten ſie, ſo ein Herr auf einem Schloß,
wo alles vollauf iſt, von ihrer Ordnung wiſ-
ſen, und urtheilen koͤnnen, was in ihren Haͤu-
ſern, wo man ſich des Bettlens kaum erwehren
kann, moͤglich oder nicht moͤglich iſt? Wir
bringen ja manchmal, wenn wir uns nicht
wohl darnach richten, nicht einen Bazen zu
Salz fuͤr, und ihr doͤrfet es ins Maul nehmen
von Dublonen erſpahren zu reden; etliche,
und das von den allerliederlichſten ſagten gar,
wenn doch die Maͤnner nur nicht wollten von
der Haushaltung reden, ſie wiſſen uͤberall
nicht, was eine Haushaltung iſt? Dieſes Wort
iſt Bedeutungsreich im Maul von unordent-
lichen Weibern. Und die Weiber von Bonnal
widerſezten ſich dieſem zwey Bazen ſpahren aus
keinem andern Grund, als weil ſie der Unord-
nung gewohnt, ſich ſcheueten, etwas anzufan-
gen, das, wie ſie wohl ſahen, zur Ordnung
und zum Rechnung geben, fuͤhren koͤnnte, aber
ſie wurden diesmal nicht meiſter; die Maͤnner
hattens verſprochen und wolltens jezt haben.
[135] Es erklaͤrten ihnen viele mit Ernſt, daß es ſeyn
koͤnne, und ſeyn muͤſſe; und die Kinder hien-
gen ihnen allenthalben an, und baten, —
und baten, — ſie ſollen ihnen doch auch dieſes
thun. Sie haͤtten die Kinder lang beten, und
lang anhangen laſſen, aber ſie ſahen, daß es
ihren Maͤnnern Ernſt ſey, und daß es ſeyn
muͤſſe. Ihrer etliche gaben nach; da etliche
nachgaben, folgten bald mehrere, nach der
Regel, wann eine Gans gagget, ſo gagget auch
die andere. —


§. 28.
Das zweyte Hinderniß der gleichen Sach;
der Neid der Reichen. —


Die Freude der Kinder dauerte nicht lang.
Ihr Jauchzen und Weſen, that den Bau-
rentoͤchtern in Ohren weh. Ihren Muͤttern
wurmte es nicht minder, daß das Lumpen-
volk ſo juheye, und habe was es nur wolle.
Sie murrten unter einander, und haͤngten die
Koͤpfe.


Das haͤtten ſie wohl moͤgen, aber des Huͤgis
Weib that mehr. So bald ſie vernommen, was
das Juheyen in allen Gaſſen bedeute, ſo gieng
ſie in einem Sprung zu ein paar Nachbars-
weibern von ihrer Gattung, und ſagte, es
J 4
[136] fey eine Schand und ein Spott, daß ihre Maͤn-
ner alles gehen laſſen, wie es der Großhans
im Schloß gern ſehe; ſie allein traue ſich, wenn
ihr nur auch ein paar an die Hand gehen wol-
len, der verdammten Sache, die jezt im Thun
ſey, noch ehe eins von ihnen ins Beth gehe,
ein End zu machen. Sie ſagte, das Lumpen-
volk kann doch nicht ohne uns ſeyn, mehr als
einem Duzend hab ich muͤſſen zu Gevatter ſte-
hen und alle Augenblik ſtehet mir eine vor den
Fenſtern, oder vor der Thuͤre, und will etwas,
und euch wirds nicht minder ſo gehn; wir wol-
len ihnen nur kek unter die Augen ſtehen, und
ihnen ins Geſicht ſagen, was auf ſie warte,
wenn ſie ſo alles im Dorf fuͤr den Kopf ſtoſſen,
und dem Juheyen Leben nicht im Augenblik
ein Ende machen.


Die Weiber lieſſen ſich das nicht zweymal
ſagen; ſie ſuchten ſelber noch ein halb Duzend,
bey denen es hierzu auch nichts weiters brauch-
te, als daß man Zundel anzuͤnde, ſo hatten
ſie Feuer, und es gieng keine halbe Stund ſo
ſtuhnd in allen Gaſſen ſo ein dikes Weib und
machte den armen Spinnerleuthen Angſt.


Die Huͤgin war im Angeben das Vor-Roß,
und im Ausfuͤhren der Meiſter. — Sie war
gut fuͤrs erklaͤren, und konnte ſo viel Zeug und
Sachen ſagen, daß die armen Spinnerleuthe
bald glaubten es ſey ſo, wie ſie ſage. —


[137]

Sie behauptete ihnen unter die Naſe, es
feye die groͤßte Narrheit, was ſie abreden,
ſie koͤnnens doch nicht halten, ſie ſollen nur
auch denken, wenn heut die Kinder hungern,
und ſie ſelber Schuh oder einen Rok noͤthig
haben, und es Winter ſey, und kalt, ob’s ih-
nen denn moͤglich, das Geld ſo liegen zu laſ-
ſen, und nicht anzuruͤhren, und Mangel zu
leiden? Und ſollen doch auch nicht ſo einfaͤltig
ſeyn, und ſich dergleichen Sachen einbilden,
ſie wolle ihren Kopf dran ſezen, ſie koͤnnen es
nicht; aber denn habt ihr eine ſchoͤne Arbeit,
denket an mich. Zuerſt habt ihr euch das gan-
ze Dorf uͤber den Kopf gerichtet, und hinten
nach euere Kinder ſelber, und den Junker
auch. Fraget nur nach, er hat ſchon an der
Gemeind darauf gedeutet, und geſagt, wenn
die Sach verſprochen ſey, ſo wolle er dann auch
dabey ſeyn, und machen, daß ſie muͤſſe gehal-
ten ſeyn. — Es kann ſo kommen, — es kann
ſo kommen, Frau Gevatter! ſagten, faſt eh’
ſie noch ausgeredt, die Spinnerweiber, und
ſezten hinzu: Nein, nein, wir brauchen nie-
mand vor den Kopf zu ſtoſſen, wir haben deſ-
ſen gar nicht noͤthig, und denn euch auch gar
nicht, wir haben ſchon viel zu viel Gutes von
euch genoſſen. — Man hats uns auch ſo an-
gegeben, und wir haben gar nicht gewußt, daß
ihr das ſo uͤbel nehmet. — Hie und da ſeufzte
[138] wohl ein armer Mann, daß er jezt mit ſeinem
Wort und Hoffnungen hinten abziehen muͤſſe,
aber ins Geſicht widerſprach der Meiſter Ge-
vatterin keiner.


Ihr koͤnnt jezt thun, wie ihr wollet, aber
wenn ihr dem Lumpen Juheyen nicht auf der
Stell ein End machet, und euere Kinder heim-
kommen laſſet, und machet, daß ſie von dem
Zeug ſtill ſind, ſo ſehet denn was ihr angeſtellt!
Einmal mir komme denn keine mehr vor die
Thuͤre, es mag ihr aufſtoſſen was es will.—
Das war das Wort mit dem die Huͤgin immer
endete. —


Ja freylich, freylich, muͤſſen ſie heimkom-
men, und ſchweigen, war die Antwort der
Weiber und Maͤnner. —


Ihrer etliche lieſſen das Nachteſſen ob dem
Feuer anbrennen, und die Kinder in der Wiege
ſchreyen, und ſuchten uͤber Kopf und Hals,
wen ſie fanden, nach den Kindern zu ſchiken,
daß ſie heimkommen und ſtill ſeyen, weils mit
der Sparhafen-Sache nichts ſeye.


[139]

§. 29.
Die Geſchichte der Erloͤſung dieſer Kin-
der aus der Hand ihrer Feinde,
und aus der Hand ihrer Muͤtter.


Das Mareylj las den guten Kindern eben
den ſchoͤnſten Buͤndel Garn, den es im
Haus hatte aus, daß ſie morn dem Junker
auch etwas von ihrer Arbeit bringen und zei-
gen koͤnnen, als der Krummhaͤuslerin Chri-
ſtoͤffelj und des Haloris Bethelj uͤber Kopf
und Hals daherſprangen, und ſo bald ſie in
die Stuben hineinkamen, ihren Geſchwiſter-
ten ſagten, ſie ſollen geſchwind geſchwind heim
kommen, es ſey[e] nichts mehr mit dem Spar-
hafenweſen.


Es war den Kindern, die in der Stube
waren faſt wie wenn man ihnen ſagte, ſie
kaͤmen nicht in Himmel, als ſie das hoͤrten.


Das Mareylj ließ auch ſelber das Garn
ausſuchen. Jezt fragten die Kinder, was denn
daheim begegnet, daß ſie mit dieſem Bericht
kaͤmen. Der Chriſtoͤffelj ſagte, er wiſſe es
nicht, er ſey bey ſeiner Geiß geweſen, und
haͤtte lieber weis nicht was thun wollen als von
ihr weggehn, aber er habe muͤſſen in Eil kom-
men, dieſen Bericht zu ſagen.


Das Liſebethlj aber ſagte, ſeine Gotten, die
[140] geſchworne Aebin ſeye bey der Mutter geweſen,
und habe ihr Bachen und Mahlen abgeſchla-
gen, und gut Jahr und alles aufgekuͤndt, wenn
ſie nicht auf der Stell dem Sparhafenlerm
ein End mache, und ihren Kindern daruͤber
das Maul zuthuͤe. Das Mareylj fragte das
Bethelj noch, ob noch mehr dergleichen Wei-
ber wie die Aebin ſich in dieſe Sache miſchen?
Das glaub ich — ſagte das Bethelj, es iſt
wie wenn ſie es abgeredt, in allen Gaſſen ſtekt
ſo eine Geſchwornin; an der vordern Gaß, bey
der Aebin ſind ihrer zwo; — und es haben
ihnen ein ganzer Hauffe Spinnerweiber in die
Haͤnde hinein verſprochen, es muͤſſe nichts
aus der Sach geben; ſie ſtehen jezt noch bey-
einander, es iſt ein Gered, wie wenns im Dorf
brannte, und die Mutter hat geſagt, die Huͤ-
gin ſtelle ſich gar, wie ein Eidgenoß. —


Nun, nun, ſagte das Mareylj, wir wol-
leu denk ich mit einander, und den Eidgenoß
auch anſchauen.


Und die Kinder ſagten alle, ja aͤ bitte, aͤ bit-
te, komm doch auch mit uns, und mach daß
der Zug morn auch nicht untergehe, und hien-
gen ihm hinten und vornen an. —


Wir wollen jezt ſchauen, ſagte das Marey-
lj, und gieng denn mit dem ganzen Zug zu.
des Haloris Haus, wo der Haufe Leuth noch
bey einander ſtuhnd.


[141]

Sie hatten ein Weſen, ſie hatten ein Thun
die diken Weiber, ſo lang ſie niemanden ſa-
hen.


Aber als ſie das Mareylj und den Zug Kin-
der erblikten ſtuhnd ihnen das Mort im Maul
ſtill und ſie machten ſich hinter ſich, gegen das
Haus. —


Das Mareylj that wie wenn ſie nicht da
waͤren, ſtuhnd, der ganze Zug hinter ihm,
zu der Mutter des Bethelj und ſagte. —


„Was iſt doch auch das fuͤr eine unverſcham-
te Sache? In einer Viertelſtunde mit ſeinen
Kindern ſo hinauf und hinab zu machen?
Ich weiß wohl was darhinter ſtekt, und wenn
ichs gern thaͤte, ich koͤnnte denen, die Schuld
daran ſind, noch bey Tagsheitere, und ſie iſt
doch jezt bald aus, noch heiß machen. Das
iſt kein Spaß, wenn ein Junker etwas Gutes
im Dorf will, ihm auf eine ſolche Art Stein
in den Weg zu legen. Es braucht ſich aber
deſſen gar nicht, ich meyne ihr thuͤet mir wohl
den Gefallen und beſinnet euch des beſſern,
der Zug muß morn ſeyn, und ich thue es nicht
anderſt, und wenn ihr nicht wollt, und Un-
chriſten genug ſeyt, den Wohlſtand euerer Kin-
der mit Fuͤſſen von euch wegzuſtoſſen, ſo ha-
bet ihr es denn mit mir zu thun? Ich habe mein
Lebtag nie ſo geredt, aber wenn es gilt die
Sachen mit Gewalt durchzudruͤken, ſo will
[142] ich auch druͤken. Ich meyne, ihr gehet mich
mehr an als alle Baurenweiber mit einander,
und ich ſag es mit einem Wort, wenn eins
von euch iſt, das nicht will, was der
Junker fuͤr die Kinder angeordnet, ſo behalt
ich ihm alle Wochen zwey Bazen von ſeinem
Garn zuruͤk, und will ſeinem Kind dieſen Spar-
hafen ſelber machen. Lauft dann meinetwe-
gen mit dem Garn uͤber den Berg; einmal ſo
lang ihr mir arbeitet, ſo muͤßt ihr in die Ord-
nung hinein, die der Junker will, oder ſagen
warum? Und dann iſt noch ein Punkt —
ich will jezt nicht das Maul aufthun, aber
ihr verſtehet mich wohl, was ich meyne, und
was ich machen kann, wenn ich will, — und
denket an mich, ich thue was ich kann dem
Junker zu helfen zu dem was er will. — Er
will nichts als was fuͤr euer und euerer Kinder
Gluͤk iſt.


Die diken Weiber, die ſich hinter ſich gezo-
gen, ſo bald ſie ihns ſahen, machten ſich voͤl-
lig aus dem Staub, eh es zehen Wort geredt.
Die Spinnerweiber aber wußten nicht, wie
ſie ihm genug gute Worte geben wollten, daß
es nur wieder ſchweige.


Du haſt wohl recht, — es iſt nicht anderſt,
— und es iſt gewiß ſo, — wir haben nur nicht
dran gedacht, daß du dich der Sach anneh-
meſt, ſonſt haͤtten wir uns wohl gehuͤtet, und
[143] es muß ſicher ſeyn wie du willſt, ſie muͤſſen
den Sparhafen gewiß haben, und morn dem
Junker alle mit einander danken; und ſonſt in
allweg, es moͤchte ſeyn wie es wollte, wenn
dir etwas daran liegt, ſo wiſſen wir wohl,
daß wir das Brod von dir haben, und es
kommt uns gewiß keinen Sinn daran, daß
wir dir um jemands anderer Willen etwas
zum Verdruß thun, es moͤchte ſeyn was es
wollte.


§. 30.
Ein gutes Natur-Menſch, und ein auf
die rechte Art geſchuletes, neben ein-
ander, und hinter ihnen das Schik-
ſal der Meiſterkazen, und ihrer Maͤn-
ner Notharbeit.


Die junge Reinoldin ſtrekte, ſo lang es mit
den Spinnerweibern redte, den Kopf
ſo weit ſie konnte zum Fenſter hinaus.


Dieſe Frau iſt nicht weniger ein ſonderba-
res Menſch als das Mareylj, und vollends ſo
gut als es; der Unterſchied zwiſchen ihnen iſt,
daß die Reinoldin traͤger, und nicht ſo auf
die Arbeit und den Verdienſt abgerichtet, wie
das Mareylj; desnahen iſt ſie auch bey wei-
tem nicht ſo vorſichtig, aber hingegen gar
[144] viel wilder, ſie kann ſich gar nicht beſizen,
wenn ſie glaubt, es leide jemand unrecht, und
hat gar keine Ruh, wenn ſie meynt ſie koͤnne
jemand helfen, ſie richtet aber mit allem dem
viel weniger aus als das Mareylj.


Wenn ihr etwas in ihrem Sinn fuͤr recht
vorkommt, ſo achtet ſie es denn nicht Vater
und Mutter, Freund und Verwandte, und
wer es in der Welt iſt, wieder den Kopf zu
ſtoſſen.


Unter allem vorgeſezten Volk iſt ſie die ei-
nige der es auch recht von Herzen wohl iſt;
wenn ſie ein feißtes Taunerkind in einem recht
ſchoͤnen Rok ſihet.


Dieſe Reinoldin war ſchon laͤngſt des Nar-
ren Hochmuths ihrer Geſchwornen und des un-
flaͤtigen Unterſcheids muͤde, den etwa ein Du-
zend Bauren im Dorf zwiſchen ſich und den
andern machten, — und der keinen andern
Grund hatte, als daß ſie vom Vater und
Großvater her als ein Geſchwornen Volk im-
mer mehr Eide auf ſich, und mehr Ochſen im
Stall hatten als die andern Bauren.


Die Reinoldin ergriff dieſen Anlas mit
Freuden zu zeigen, daß ſie dieſes Ehren Un-
terſchieds halber, — Ochſen wegen und Ei-
den wegen, nicht denke wie ihre Verwandte,
und nachdem ſie die Urſach dieſes Weiberkriegs,
und die Art wie ihm das Mareylj ein End
gemacht,
[145] gemacht, vollends verſtanden, nahm ſie ihre
beyden aͤlteſten Kinder an die Hand, ſtuhnd
mit ihnen unter die Baumwollen-Weiber und
Kinder zum Mareylj zu, und ſagte ihm: da
haſt du jezt noch zwey Kinder an deinen Zug
auf Morgen. Wenn ſie ſchon nicht ſpinnen
koͤnnen, und Gottlob nicht noͤthig haben,
das zu treiben, ſo muͤſſen ſie dem Jun-
ker doch danken, daß er es ſo gut mit dem
Dorf meynet, und macht, daß es allen wohl
gehet.


Es haͤtte nichts begegnen koͤnnen, das das
Mareylj beſſer freute. Es ſchuͤttelte der Rei-
noldin ihre Hand, und wollte ihr fuͤr die Spin-
nerkinder danken; ſie aber ſagte ihm: du lacheſt
mich doch nur aus, daß ich ſo ein lebhafter
Narr bin, aber ich hab einmal jezt nicht an-
derſt koͤnnen.


Das Mareylj antwortete ihr, und ſchwur
dazu: Nein, das iſt ein Meiſterſtuͤk. —


Reinoldin. Es freuet mich, daß dir auch
einmal etwas recht iſt, was ich thue.


Mareylj. Das iſt jezt mich ausgeſpottet,
aber ich habe doch recht in dem, was ich mey-
ne, und worauf du jezt ſtichelſt; wenn du in
deiner Jugend dein Brod haͤtteſt verdienet,
wie ich, du waͤreſt gewiß auch nicht wie du
biſt: nein, es lehrt einen, wenn man’s nicht
hat, und nicht vermag, und doch auch wie
K
[146] andre Leuth durch die Welt kommen moͤchte,
nicht ſeyn wie du biſt.


Bin ich denn gar nichts rechts? ſagte die
Reinoldin, ihm die Hand immer haltend vor
allen Spinnerweibern.


Wohl freylich erwiederte das Mareylj, biſt
etwas Rechts. — Aber ich gehe doch nicht
zuruͤk, es kann niemand ſo etwas rechts ſeyn
wie du, auſſert er habe es wie du. —


Das iſt jezt nur dein Hochmuth, du meynſt
du braucheſt nichts dazu, als dich ſelber, zu ſeyn,
was du biſt, ſagte die Reinoldin. —


Und das Mareylj: — nein, freylich, ich
brauche das ganze Dorf dazu, was waͤre ich
ohne die Spinnerleuthe? —


Du Schalk, — du weiſſeſt den Unterſcheid
wohl, und thuſt, wie wenn du ihn nicht wuͤß-
teſt, ſagte die Reinoldin. — Denn redten
ſie wieder von den Meiſterkazen, die den guten
Kindern ihre Freude, wegen des morndrigen
Zugs verderben wollten. Beyde ereiferten ſich
wieder mit dem Haufen Spinnervolk, das
um ſie herumſtand, daß ſie ſich ſo leicht von
ihnen am Narrenſeil herumfuͤhren laſſen.


Dieſe Meiſterkazen waren ſchon laͤngſt fort,
aber es gieng ihnen nicht gut daheim.


Wenn gerathen waͤre, was ſie probiert, ſo
waͤren auf der Welt keine braͤfere, und kei-
ne geſcheidere Weiber geweſen, als ſie; aber
[147] weil es gefehlt, ſo war jezt der Teufel allent-
halben los.


Ihre Narren-Maͤnner, ſagten jezt alle,
es ſey ein dummer Streich geweſen, ſie haͤtten
wohl voraus ſehen koͤnnen, daß es ſo komme.


Etliche ſagten gar, warum ſie nicht zuerſt
mit ihnen Rath gehalten, und immer mey-
nen, daß alles auf ihren Donners verdammten
Weiberkopf heraus muͤſſe?


Es war nicht Zorn, es war nur Angſt,
warum ſie ſo redten; ſie foͤrchteten das Ma-
reylj, und meynten denn gar, die bliz Reinol-
din wigle ihns noch auf, und habe ihre Freude
daran, wenn ſie machen koͤnne, daß der Jun-
ker ihren Weibern etwann eine offentliche
Schand anthue.


Die armen Schelmen! Der Huͤgin und der
Aebin ihre Maͤnner, ſtuhnden bey einer halben
Stunde im Eck unten an der Gaß, zu ſehen ob
denn das Mareylj und die Reinoldin auch gar
nicht wollen aufhoͤren ihr Maul zu brauchen.
Je mehr ſie ſahen, je mehr verſpreiteten dieſe
zwey die Haͤnde, und ſchuͤttelten die Koͤpfe.
Das machte den Herren ſo angſt, daß es ih-
nen gieng, wie einer armen Maus, wenn im
heiſſen Land, das fern von uns iſt, eine Klap-
perſchlange, gegen ſie das Maul aufthut. Es
wird der armen Maus angſt, ſie wehrt ſich,
und zwirbelt, und muß der Schlange denn
K 2
[148] doch noch zum Maul hinzu laufen: ſo mußten
die armen Dikbaͤuch den zwey Weibern, noch
zum Maul hinzu laufen.


Ihr ſolltet die Troͤpfe ſehen, wie ſie dem
Mareylj jezt alle Guͤte ſagen; und ihns beten,
es ſolle doch auch nicht ſo gar thun. — Ihre
Weiber habens auch nicht gemeynt, wie mans
ihnen jezt auslege, und ſie moͤgen es gar wohl
leiden, was der Junker mache, und wenn er
den Spinnerkindern noch mehr ſchenken wolle,
als nur das, ſo gehe ſie das gar nichts an, ſie
moͤgen es ihnen von Herzen wohl goͤnnen.


Der Aebi, der duͤmmer war, ſezte hinzu,
wenn wir dem Junker noch mehr zu Gefallen
thun koͤnnten, als nur das, wollten wirs
gern thun.


Was bildeſt du dir auch ein? ſagte da das
Mareylj zu ihm, daß du ins Maul nehmen
darfſt, dem Junker einen Gefallen zu thun;
ich meyne, er thue euch einen Gefallen, und
nicht ihr ihnen.


Freylich, freylich; und ja, ja: — Es hats
niemand anderſt gemeynt, ſagten ſie beyde,
und was weiß ich, was ſonſt noch. —


Da hats jezt auch geheiſſen, ſchweig Herz,
und red Maul, ſagte die Reinoldin, ſo bald
die zwey den Ruͤken gekehrt.


Ich meyns auch, ſagte das Mareylj, —
und ſie ſind ja braun und blau worden, ſo ha-
[149] ben ſie daran worgen muͤſſen, erwiederte die
Reinoldin. —


Aber was machens, — ſagte der Huͤgj als
er weggieng, es iſt jezt ſo, man hat ja heut
an der Gemeind geſehen, wer im Dorf Mei-
ſter iſt.


Der Lumpen-Hans im Pfarrhaus hat dem
Kalberleder nur ein paar Wort geſagt, und
der arme Teufel hat uͤber Kopf und Hals den
Nußbaum umhauen muͤſſen, er haͤtte lieber
weiß nicht was gethan, als das, doch hat’s
ſeyn muͤſſen, ſo iſt es jezt.


§. 31.
Es iſt in allem ein Unterſchied.


Es wunderte den Pfarrer ſelber, als er
heimkam, und den Garten-Nachbar ſo
mit dem Kopf am Boden antraf.


Der Hans erklaͤrte ihm uͤber das Eſſen,
wie es zugegangen.


Aber wie haſt du auch das thun, und ihm
ſo drohen doͤrfen? ſagte der Pfarrer, da er
hoͤrte wie es zugegangen.


Es hat mich gedunkt, es ſeye gar recht ge-
weſen, ſagte Hans. — Und der Pfarrer,
nein, man muß nie jemand mit etwas in Forcht
jagen, wozu man kein Recht hat. —


K 3
[150]

Das iſt wohl ſo, ſagte der Hans, wie ihr
ſaget, und ich wollte mich in die Seele hin-
ein ſchaͤmen, wenn jemand der darnach iſt,
vor mir zu nur roth, weil geſchweigen blaß
wuͤrde, aber mit Leuthen von der Kalberle-
der Gattung, hat es ſeine eigne Ordnung.
Dieſe Gattung Leute bringt man nicht dazu,
ein Vater Unſer zu beten, geſchweige einen
Nußbaum umzuhauen, wenn man ihnen nicht
den Teufel vormahlet. —


Des Pfarrers ganze Weïsheit fand gegen
dieſe Erklaͤrung keine Antwort. —


Aber mich nimmt jezt gar viel mehr Wun-
der, was der halb Schurk mein Untervogt
mit ſeiner Schweſter geſprochen, als er heim-
gekommen.


So unterbrach der Junker des Hanſen, und
Pfarrers Kalberleder- und Nußbaums Ge-
ſpraͤch. —


Der Pfarrer antwortete ihm, es wuͤrde
euch denk kein gutes Blut machen, wenn ihrs
wuͤßtet. —


Er hatte recht, ſo bald der Vogt heimge-
kommen, und den Mantel ablegte, ſprang er
zu ſeiner Schweſter, und das erſte Wort, das
er zu ihr ſagte, war, ich haͤtte doch nicht ge-
meynt, daß du ſo eine Schweſter an mir waͤ-
reſt. Denn er hatte ſich ſchon bey der Ger-
trud, und noch mehr die Zeit auf dem Ried,
[151] wo er vor Herzklopfen und Maul aufthun,
wie blind und taub ware, in Kopf geſezt,
der Junker ſey mit Fleiß, ſo lang bey der
Gertrud geblieben, und habe aus keinem
Grund, als aus dieſem, ſo wider ſeine Ge-
wohnheit, Leuth und Vieh, auf ihn warten
gemacht, als weil er wohl denken koͤnnen, er
muͤſſe denn hinkommen wo er ſey; und es
ſeye kein Wort geredt worden, das ſie nicht
mit einander abgeredt.


In dieſem Wahn ſagte er dann zu ihr: ich
haͤtte nicht gemeynt, daß ich ſo eine Schwe-
ſter haͤtte. —


Was fuͤr eine Schweſter? ſagte die Meyerin,
die gar nicht wußte was er meynte.


Es braucht ſich nicht, daß du mich doppelt
fuͤr einen Narren halteſt, ſagte er, und klagte
fort, er habe doch nicht an ihr verdient, daß
ſie ihms ſo mache; — bis ſie zulezt uͤberdruͤßig
ihm ſagte: wenn er einen Rauſch habe, und
nicht reden koͤnne, daß man ihn verſtehe, ſo
ſolle er heimgehen, und dann morn wieder-
kommen.


Ich bin ſo nuͤchter als du, ſagte der Vogt;
und hatte Magenshalber recht, denn er hatte
nicht einmal ſeinen Abend-Wein getrunken,
da er von dem Ried heimgekommen, und zu
ihr gelaufen.


Endlich kam es doch ſo weit, daß er ſagte:
K 4
[152] weiſſeſt du denn gar nicht, was mir bey der
ſchoͤnen Frauen begegnet? Und auf weiters
Fragen erklaͤrte er, die ſchoͤne Frau, die er
meyne, ſey Gertrud. Die Meyerin ſagte
noch einmal, ich weiß kein Wort von allem.
Sie ward aber doch roth, ſo bald er den Nah-
men Gertrud nannte.


Er merkte es nicht, und erzaͤhlte ihr jezt,
was ihm bey ihr begegnet, und was ſie und der
Junker ihm zugemuthet.


Der Athem toͤnte der Meyerin, als er das
erzaͤhlte; aber ſie redete lang nicht, beſinnte
ſich. — Nach einer Weile ſagte ſie, und da,
was haſt du ihnen geantwortet?


Du kannſt wohl denken, ich hab es ihnen
muͤſſen verſprechen.


Meyerin. — Daß du dem Rudj bey mir
zum Beſten reden wolleſt?


Vogt. Ich habe wohl muͤſſen.


Meyerin. So, — aber wie iſt dir, was
ratheſt mir jezt?


Vogt. Du fragſt mich nicht im Ernſt. —


Meyerin. Wohl freylich, frag ich dich im
Ernſt. —


Vogt. Wenn du mich im Ernſt fragſt, ſo
weiſſeſt du wohl, daß meine Frau und ich, et-
was anders als das im Sinn haben.


Meyerin. Ich weiß es gar wohl, ihr ha-
bet ja erſt geſtern davon mit mir geredt, und
[153] es wird, denke ich, noch jezt euere Meynug
ſeyn.


Vogt. Du kannſt dirs wohl einbilden.


Meyertn. Ich bilde mirs freylich ein, aber
dann hingegen haͤtte ich mir nicht eingebildet,
daß du, weils ſo iſt, doch dem Junker etwas
anders verſprechen wuͤrdeſt.


Vogt. Zank jezt nicht mir, ich bin ja ſonſt
genug zwiſchen Thuͤr und Angel.


Meyerin. Man muß nur machen, wie
du, ſo iſt man denn bald zwiſchen Thuͤr und
Angel. —


Vogt. Was mache ich denn?


Meyerin. Du ſollteſt dich ſchaͤmen, ſo biſt
ein Tropf, ſeitdem du Untervogt biſt. Ich bin
ein Weibervolk, aber ich ließ mich vor keinem
Menſchen mehr ſehen, wenn ich ein einziges
mal zum Vorſchein kommen ſollte, wie du
jezt Thorenbub! —


§. 32.
Wenn die Milch kochet, und uͤberlaufen
will, ſo ſchuͤtten die Weiber nur ein
paar Tropfen kalten Waſſers darein.


Mit dem ließ ſie ihn ſtehen, und ſuchte ihre
Schuh zum Wandern; er aber ringgelte
indeſſen ſeine Ueberſtruͤmpf ein, und fragte ſie
[154] denn, wie iſt’s jezt? Du kannſt mirs wohl
auch ſagen, nimmſt den Huͤbel Rudj? Sie
antwortete ihm, ich will dir denn das ſagen,
wenn du einmal ein Mann biſt, jezt biſt du ein
Bub; — und lief in aller Hize von ihm weg,
und zur Gertrud.


Aber ſie gieng ihr nicht ins Haus hinein,
und rufte nur unter der Thuͤr, daß ſie herun-
ter komme.


Die Maurerin merkte an ihrem Ton an, im
Augenblik, daß des Untervogts Hiſtorie ſchon
in ihr koche, — und es war ihr nicht ganz
wohl bey der Sache; aber der Rudj, der eben
bey ihr war, erſchrak, daß er zitterte.


Der arme Mann hatte laͤngſt allen Muth
verlohren, und beſaß keine Art Staͤrke mehr,
als daß er ſich in alles ſchiken, und alles uͤber-
winden konnte.


Die Meyerin feuerte im Anfang, es ſeye
unverſchaͤmt und eſelkopfig, wie ſie es ihr ge-
macht. —


Gertrud ließ ſie in einem fortreden, dadurch
ward ſie nach und nach ſtiller. Endlich ſagte
ſie, warum redſt du nicht? Du wirſt mir doch
auch ſagen wollen, was begegnet.


Weiſſeſt du das noch nicht, und machſt ſo
gar? ſagte da Gertrud; freylich will ich dirs
ſagen, und erzehlte ihr denn, wie der gute
Junker mit des Rudis Kindern ſo freundlich
[155] geweſen, da ſie zu ihm zugeſtanden, und ihm
fuͤr die Kuh und die Matte gedanket, und wie
er das Naͤnnlj, ſie kenne es wohl, es ſey das
wo ſie von ihm geſagt, es gebe ein Engel,
wohl eine Viertelſtunde auf den Armen gehabt.
Ich habe auf der Welt nicht gewußt, wie ich
ihm thun will, ich haͤtte ihm gern etwas von
dir geſagt, und haͤtte es doch nicht gethan,
aber weils ſo in mir geſtritten, iſt da juſt dein
Bruder, wie wenn es haͤtte ſeyn muͤſſen, in
die Stube hinein gekommen, da hab ich mich
einmal nicht mehr hinterhalten koͤnnen, es
war wie wenn es mir jemand zum Maul hin-
ausgeriſſen, daß ich ſagen muͤßte, ja wenn
nur das gute Naͤrrchen auch wieder eine Mut-
ter haͤtte.


Meyerin. Du haſt aber mehr geſagt als
das. —


Gertrud. Freylich, der Junker hat mir
da zur Antwort gegeben, man ſollte meynen,
der Rudj, wie er es jezt hat, ſollte eine Frau
finden koͤnnen, wo er wollte; da gab ein Wort
das andere, bis mir in Gotts Nahmen zum
Maul heraus war, dein Bruder koͤnnte da am
beſten helfen.


Der Zorn war jezt der Meyerin ſchon hin,
und ihre Hize war vollends gegen ihren Bru-
der gekehrt, als ſie da fragte, — was ſagte
da er dazu?


[156]

Gertrud. Es ſoll an ihm nicht fehlen.


Meyerin. Hat er das geſagt?


Gertrud. Ja, und das mehr als ein, und
mehr als zweymal.


Meyerin. Und der Junker, hat er da
nichts mehr geſagt?


Gertrud. Wohl freylich, er hat noch ge-
ſagt, du oder wer des Rudis Frau werde,
doͤrfe darauf zehlen, daß er ſich dieſer Haus-
haltung annehme, ſo lang er lebe, — und
zu deinem Bruder hat er da noch geſagt, es
wuͤrde ihn freuen, wenn das dir ein Grund
ſeyn wuͤrde, daß du es deſto lieber thaͤteſt.


Meyerin. Hat er das alles ſo geredt?


Gertrud. Es ſind alle Worte wahr.


§. 33.
Eine ſonderbare Heyraths-Anfrage.


Da es ſo ſtillete, kam der Rudj hinter der
Thuͤr hervor.


Was — ſtuhnd der Rudj hinter der Thuͤr?
und hoͤrte zu, was ſie mit einander redten?


Ja wahrlich, — er ſtuhnd hinter der Thuͤre
und hoͤrte alle Worte, aber er iſt um deswil-
len doch der Rudj und bleibt der Rudj, der
er vorher geweſen. Er lief der Gertrud, die
Stiege hinab nach, nicht um hinter die Thuͤre
[157] zu ſtehen, ſondern hinaus zu gehen, und der
Meyerin zu ſagen, ſie ſolle in Gottes Nahmen
mit ihm machen, was ſie wolle, aber ſie ſoll
es einmal auch an der Gertrud nicht zoͤrnen,
und es ihr nicht nachtragen, daß ſie das ge-
than; aber da er ſie unter der Thuͤre ſo laut
reden hoͤrte, dorfte er nicht weiter, und war-
tete da bis es ſtillete, denn kam er hervor,
und ſagte ihr, was er vor einer Viertelſtunde
vor Schreken nicht konnte.


Die Meyerin zog den Fuß hinter ſich, und
ſah ihn ſo drey Schritt vom Leib bis zu den
Fuͤſſen an, da er ſo hinter der Thuͤre hervor,
und gegen ſie zu kam. Aber, was ſie nicht
denkte, der Mann der jezt ſo mit der Kappe
(Muͤze) in der Hand vor ihr ſtuhnde, und in
jeder Ader zeigte, daß er nichts hoffe, nicht
fuͤr ſich rede, nicht um ſeinet willen da ſtehe,
viel weniger hinter der Thuͤr geſtanden, gefiel
ihr ſo wohl, daß ſie jezt ganz ſtill ſtuhnd, und
den Fuß nicht mehr hinter ſich zog, ihn auch
nicht mehr vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an-
ſah, ſo nahe er jezt auch an ſie zu ſtuhnde.
Er aber achtete es nicht, weder, daß ſie nicht
mehr zuruͤk wich, noch daß ſie die Augen ge-
aͤndert, und ſagte faſt ohne zu denken, daß
es noch ſeyn koͤnnte, oder ſeyn ſollte, wie in
den Tag hinein, ſie ſolle ihm verzeihen, er
wiſſe wohl, daß es zu viel an ihm ſeye, daß
[158] er an ſie gedacht, aber er habe einmal auch
jemand rechter noͤthig. —


Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir
in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen.
Er ſah ihr da in die Augen und mit dieſem
Wort, und mit dieſem ihr in die Augen hin-
einſehen, kams dem Rudj faſt wieder wie von
neuem in Sinn, es waͤre doch gut, wenns waͤ-
re, — und mit jedem Augenblik dachte er jezt
wieder waͤrmer, und waͤrmer, wenns doch
nur auch ſeyn koͤnnte, und wenns doch nur
auch Gotts Will waͤre! Aber er ſagte nichts,
und dorfte nichts ſagen, und ſtuhnd da, wie
ein Menſch der hungert, und nicht ſagen darf,
daß er ein Allmoſen gern haͤtte.


Die Meyerin ſah wie durch ein Fenſter in
ihn hinein, und ſagte zu ſich ſelber, ſo einen
herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie
geſehen, vor mir zuſtehen; — zu ihm aber,
— pfuy, — wie du auch da ſteheſt; — es
iſt nicht anders, als du wolleſt ein Allmoſen
um Gottswillen.


Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor
jemand geſtanden, wie wenn ich bettelte, aber
ich ſpuͤhre wol, daß ich vor dir ſo da ſtehe,
wie du ſagſt. —


Meyerin. Da muſt eben auch vor mir
nicht ſtehen, wie wenn du bettelteſt. —


Rudj. Wie muß ich denn vor dir zuſtehen,
[159] und was muß ich machen, anſtatt Bettlens das
mich einmal jezt ankommt.


Meyerin. Du muſt meiner gar nicht in
Acht nehmen. —


Rudj. Dann will ich doch lieber noch fort-
fahren mit dem Bettlen.


Meyerin. Ja — ſo ſag ich dir dann helf
dir Gott! —


Rudj. Wenn du mir recht, Helf dir Gott,
ſagſt, ſo gehts mir nicht uͤbel.


Meyerin. Nun, — wenn du das willſt,
da haſts. — Helf dir Gott Rudj!


Rudj. Ja, — das iſt mir nicht das rechte
Helf dir Gott. —


Meyerin. Ae was waͤre dir denn das rechte
Helf dir Gott?


Rudj. Wenn du mir die Haͤnd darauf ge-
ben wuͤrdeſt, daß du mir auch helfen wolleſt,
das waͤre mir das rechte Helf dir Gott!


Meyerin. — So, — du biſt doch kein
Narr Rudj!


Rudj. Ich glaubs wohl, aber es hat doch
auch nicht bald einer ein Allmoſen ſo noͤthig.


Meyerin. Aber warum ſoll ich dir es ge-
ben? Du kannſt ja vor mehr Haͤuſern ſo bett-
len. —


Rudj. Das thue ich jezo nicht.


Meyerin. Nur, — nur, thue was du
willſt, aber gehe jezt wieder hinter die Thuͤre,
wo du hergekommen, und laſſe uns jezt allein.


[160]

Und hiemit nahm ſie Gertrud an Arm,
gieng mit ihr etliche Schritte, und wußte nicht,
was ſie ſagen wollte.


Gertrud ruͤhmte von neuem den Rudj, und
ſeine Haushaltung, und ſie hoͤrte zu wie in
der Kirche, fragte einmal uͤber das andere,
wie iſt jezt das? Was ſagſt du? am Ende
gieng ſie ſo freundlich von ihr heim, als ſie un-
freundlich zu ihr gekommen.


§. 34.
Wie ſich der Menſch an Seel und Leib
kruͤmmt und windet — wenn er etwas
will, und meynt — er wolle es nicht.


Und dann daheim ſaß ſie hinter dem Ofen,
machte kein Licht bis es ſtokfinſter war,
und als ſie ins Beth gieng, wollten ihr die Au-
gen nicht zu, was ſie auch machte, ſie mußte
nur an ihn ſinnen.


Sie meynte freylich, ſie koͤnne ihn nicht neh-
men, ſagte denn aber doch in ihrem Staunen:
ich wollte gern, ich koͤnnte ihn nehmen, aber
es kann nicht ſeyn, — ſo alt, — und ſo viel
Kinder, — es kann nichts draus werden; —
und doch ſtuhnd er ihr immer vor Augen, —
und es war ihr voͤllig, wie wenn jezo im Beth
ihr jemand vor den Ohren die gleichen Worte
wieder
[161] wieder ſagte, die er vorher zu ihr geredt, ſo leb-
haft kam ihr alles von ihm vor; und auch mit
dem, was der Junker geſagt, giengs ihr ſo.
Einmal ſagte ſie zu ſich ſelber, wenn ich ihn
nehmen wuͤrde, ſo muͤßte mir dieſer beym er-
ſten Kind zu Gevatter ſtehen, warum macht
er einem ſo lange Zaͤhne! —


Auch der reiche Vetter, den ihr der Unter-
vogt und ſeine Frau geben wollten, kam ihr
jezt vor, — und ſie hatt’, ſint dem man ihr
von ihm geredt, noch nie ſo viel an ihn ge-
dacht, als dieſe Nacht, und ſint dem er aus
der Fremde, ihn nur ein paar mal geſehen.
Das erſte mal an ſeiner Schweſter Hochzeit;
er ſaß gerade vor ihr uͤber und fraß Spek,
daß ihm das Fett davon auf beyden Seiten
herabtriefte. Das andere mal traf ſie ihn im
Dorf an, da er eben eine Sau mezgete und
ihr die Hand tief in Hals hineinſtekte, und
das warme Blut daruͤber herunter laufen ließ,
wie wenn es ihn freute.


Sie verglich jezt die beyden denn auch. Er
ſtuhnd ihr mit dem Spek an dem Maul, und
dem Blut an den Haͤnden, wie der andere mit
ſeiner Kappe ihr vor den Augen, und ſie ſagte
einmal, es iſt bald richtig; wenn ſie einen von
beyden haben muͤßte, ſo waͤr es ſicher eher der
Rudj, als das Wurſtmaul mit ſeinen Hang-
baken; und ein ander mal, nein, einmal wenn
L
[162] das ganze Dorf ſein waͤre, ich wollte ihn
nicht. — Aber es muß ja keiner von beyden
ſeyn.


Sie entſchlummerte erſt gegen Morgen,
und da traͤumte ihr noch von ihm, ſie ließ ei-
nen Schrey, wie wenn man ſie moͤrden wollte,
und erwekte das Kind, das neben ihr ſchlief,
mit ihrem Schreyen.


§. 35.
Die Mitternacht-Stunde eines Vaters
und eines Sohns.


Es war uͤberall kein gute Schlaf-Nacht,
der Rudi konnte es eben ſo wenig als ſie,
und die Leuthe, die am Morgen unter die Lin-
de mußten, konnten es alle auch nicht; —
am wenigſten der Junker.


Das Volk das nicht ſchlafen koͤnnte, lag
ihm auf dem Herzen. Er dachte den Urſachen
ihres Verderbens im Ernſt nach, und unter-
druͤkte den groſſen Gedanken, daß die Regierung
ſeines Großvaters die Urſache von dem Ungluͤk
dieſer verheerten Menſchen ſey, und daß uͤber-
haupt das pflichtloſe Leben der oberkeitlichen
Perſonen, und des herrſchaftlichen Stands
die Haupturſach der [Lebensverheerung] ſeye,
die in den niedern Staͤnden herrſche. Die-
[163] ſen groſſen Gedanken, der den Kindern des
Adels von der Wiege auf, als das erſte Wort
Gottes an ſie, eingepraͤgt werden ſollte, und
nicht eingepraͤgt wird, unterdruͤkte Arner in
dieſer ſchlafloſen Nacht nicht, er haͤngte ihm
vielmehr nach. Es iſt wohl wahr, ſagte er
zu ſich ſelber, was die liebe Ahnfrau noch zu
mir ſagte, die Zeiten ſind boͤſe, und waren
von meiner Kindheit an boͤſe; man macht
aus ſich ſelber alles, aus dem Volk nichts,
und achtet es nichts, daß Leuthe die einem
angehoͤren es ſchlimmer haben als die Thiere
des Felds. — Es nagte dem frommen Mann
am Herzen, daß ſein lieber Großvater aus
ſeiner Burg ein Schloß gemacht, wie ein Koͤ-
nigs Haus, und weit und breit die Felſen ab-
getragen, und die Huͤgel zu Gaͤrten gemacht,
aber ihm ein Volk hinterlaſſen, an das er
ohne Scham und Sorgen nicht denken darf.
— O Gott! ſagte er etliche mal zu ſich ſelber;
lieber, lieber Großvater! haͤtteſt du mir doch
meiner Ahnen Zimmerleere Burg, und mei-
ner Ahnen Schandleeres Volk hinterlaſſen!


Sein Carl der im gleichen Beth lag, hoͤr-
te ihn gegen zwoͤlf Uhr ſo beklemmt athmen,
und ſagte zu ihm, fehlt dir etwas Papa? daß
du nicht ſchlafen kannſt.


Nein, lieber! Es fehlt mir nichts, ſagte
Arner.


L 2
[164]

Wohl lieber Papa, es fehlt dir doch etwas,
gaͤll es iſt dir Angſt auf Morgen? ſagte das
Kind. —


Warum das, du Lieber? ſagte Arner.


Meynſt, ich wiſſe es nicht, es iſt allen Leu-
then ſo angſt wegen der Rechnung. —


Arner. Wer hat dir das geſagt?


Carl. Etliche Buben, aber einer gar, —
denk Papa! er war bey den andern Buben,
aber er hat gar nicht moͤgen luſtig ſeyn, und
iſt ſo herum geſtanden, daß man ihms ange-
ſehen, es fehl ihm etwas. — Da bin ich zu
ihm geſtanden, hab ihn bey der Hand genom-
men, und gefragt, warum er ſo traurig ſeye?
Zuerſt hat er mirs nicht wollen ſagen, aber
ich habe nicht nachgelaſſen, und da hat er
mir geſagt, ſeine Leuthe daheim, der Vater
und die Mutter, und die Schweſtern weinen
ſich faſt zu Tod, ſie ſeyen dem Vogt auch et-
was ſchuldig, und jezt muͤſſe die Schweſter
morn vor dich, mit ihm zu rechnen, aber ich
ſoll doch dir nichts ſagen, daß er mirs geſagt
habe, und denk auch Papa! Das Schreyen
iſt ihn da ſo angekommen, daß er ſich hat
muͤſſen umkehren, daß ihn niemand hoͤre, es
hat mir doch auch ſo weh gethan, und ich
bin mit ihm hinter den Haag gegangen, und
bey ihm geblieben, bis man es ihm nicht mehr
ſo angeſehen, daß er ſo geweinet.


[165]

Arner. — Das iſt brav Lieber! Wie
heißt der Bub?


Carl. — Er heißt Jakobli und iſt ein ſchoͤ-
ner Bub, — mit einem glatten weiſſen Haar,
und ein guter Bub, du kannſt nicht glauben,
wie gut! und wie lieb er mir iſt! —


Arner. Aber wem gehoͤrt er?


Carl. Er wohnt grad unten am Creuz-
brunnen, es ſind ſo drey Tritt vor dem Haus.


Arner. Aber du weiſſeſt nicht, wie ſeine
Leuthe heiſſen?


Carl. Nein: Aber gaͤll du biſt auch morn
nicht ſo gar boͤs mit ihnen, ſie haben jezt ſchon
ſint dem Sonntag nichts gethan als wei-
nen. —


Arner. Ich will mit allenſammen nicht
boͤs ſeyn, aber du Lieber! Ich muß mit ihnen,
wie mit dir, wenn ſie ſich etwas boͤſes ange-
woͤhnt, doch auch machen, daß ſie es ſich wie-
der abgewoͤhnen, und du weiſt wohl, wie
ſchwer das Abgewoͤhnen alle Menſchen an-
kommt, wenn man ihnen nicht den Ernſt zeigt.


Carl. Aber gaͤll! Wenn ſie es denn nicht
mehr thun, ſo biſt du denn auch wieder gut
mit ihnen?


Arner. Ach, — ich bin ſo froh, wenn
ich kann gut ſeyn. —


Carl. Ich weiß es wohl, ſagte Carl, und
entſchlief wieder bey dieſem Wort.



[166]

§. 36.
Der Anfang der Morgenangſt.


Arner ſtuhnd vor den fuͤnfen auf; er hatte
um dieſe Zeit den Weibel zu ſich beſchie-
den, und gab ihm da aus des Vogts Haus-
buch den Rodel, was fuͤr Leuthen er auf die-
ſen Morgen noch zur Rechnung bieten ſolle.


Indem er ihm das Papier in die Hand
gab, ſagte er, es iſt mir nur leid fuͤr die vie-
len Leuthe, denen dieſer Rodel Muͤhe machen
wird.


Der Weibel gab ihm zur Antwort: es ge-
ſchiehet ihnen nur recht, ſie habens ſo wollen,
und dachte nichts weniger als daß ſein liebes
Toͤchterlein oben an ſtehe.


Der Junker ſah ihn ſo an, ließ ihn gehen,
und er ſazte ſich dann daheim noch hinter den
Tiſch, um eine Taſſe Caffee zu trinken, eh er
den Lauf durchs Dorf antrette, und nahm da
erſt den Rodel in die Hand, zuſehen, wo er
eigentlich hin muͤſſe, — aber er verſchuͤttete
die Taſſe Caffee, als er ſein Kind darinn oben
an ſahe, und wußte nicht was er that, bis er
zum Haus hinaus war, ſo verwirrete ihn der
Name ſeines lieben Kinds an dieſem Ort.
Und da er zum Haus hinaus war, wußte er es
noch vielweniger, und mußte einmal uͤber das
[167] andere wieder in eine Gaß zuruͤk, wo er ſchon
ein und zwey mal geweſen, ſo gar wenn er
bey einer Thuͤre zu noch im Rodel geleſen, was
er in dem Hauſe zu ſagen habe, wußte er es
ſchon nicht mehr, wenn er in die Stube hinein
kam, und mußte ihn wieder aus dem Sak
nehmen, zuſehen, ob es den Hans oder den
Heirj antreffe! So nahms dem armen Mann
den Kopf, daß er ſein liebes Toͤchterlein alſo
im Sak herumtragen mußte. Er haͤtte es am
Morgen mit Fuͤſſen vertretten, wenns die Mut-
ter nicht im erſten Sturm hinter dem Heuſtok
verborgen, bis er zum Haus hinaus war. Wo
er hin kam, war den Leuthen das Herz groß,
aber doch troͤſtete es viele, daß ſein Toͤchterlj
es auch mithalten muͤſſe.


Aber ich kann nicht erzaͤhlen, wie viel ihm
allerley begegnet! doch hielt ihn Niemand ſo
lang auf als die Barbel, die die Fromme heißt.


Sie hatte ihre beyden Haͤnde auf der offe-
nen Bibel uͤbereinander, kehrte das gelbe
Weiß in den Augen um, wie ein Bok, wenn
man ihn mezget, und ſah gen Himmel, als er
ihr ſagte, warum er da ſeye. Um Gottes
Willen Weibel, antwortet ſie ihm, was denket
ihr auch, daß ihr zu mir kommet? b’huͤt mich
Gott dafuͤr, ich bin meiner Lebtag dem Vogt
weder viel noch wenig ſchuldig geweſen, es
L 4
[168] muß einmal jemand anders gemeynt ſeyn,
es heiſſen ja noch mehr Leuthe wie ich.


Der Weibel wußte nicht wer, ſie namſete
ihm aber ſo gleich das Spinnerbabelj — da
ſagte er, der Vogt haͤtte dieſem Bettelmenſchen
nicht 5 Bazen, geſchweige fuͤnf Gulden ver-
traut.


Was wiſſet ihr Herr Weibel! wie das hat
koͤnnen kommen, ihr werdet einmal muͤſſen
gehen und fragen, denn jezt ſeyt ihr einmal
bey meinem Gewiſſen am unrechten Orte.


Nun, ich kann wohl gehen, es wird ſich
denn zeigen, ſagte der Weibel. — Und das
Spinnerbabj gieng ſo bald es ihn von der from-
men Nachbarin die Gaß hinaufkommen ſah,
ihm entgegen, und ſagte, eh er ihns noch an-
redete, — ja ja, ich weiß was ihr wollet,
und es wird ſich wohl machen, ich will es ordeut-
lich kommen zu zahlen.


Aber biſt du dem Vogt ſo viel Geld ſchul-
dig? ſagte der Weibel. Was willſt jezt ſo viel
fragen, es iſt manchmal beſſer, man wiſſe
nicht gar alles, erwiederte das Babelj.


Du haſt recht, ſagte der Weibel, ich hab
heut auch nur ſchon zu viel erfahren. — Er
wußte aber doch was es war, und wie es kom-
men wuͤrde.


[169]

§. 37.
Ein Schaaf unter viel Boͤken.


Gegen den neunen kamen die Leuthe, die
er weibelte unter die Linde. Aber wer
will den Hauffen beſchreiben, und ſie abmah-
len; vom alten Meyer an, der uͤber 30 Jahr
beym Vogt ſaß bis auf des Halloris Kind, das
vor drey Wochen das Ungluͤk hatte ſeiner Mut-
ter den erſten Bazen zu ſtehlen, und ihn dem
Vogt zu bringen. Wer will dieſe 125 Men-
ſchen beſchreiben, Maͤnner, Weiber, und Kin-
der, und wer will den Unterſchied treffen zwi-
ſchen denen die Spek bey ihm aſſen, denen die
Brandtenwein ſoffen, und denen die Butter
ſchlekten, und Caffee tranken. Wer will es aus-
druͤken? wie ſie einander an Leib und Seel,
an Haͤnden und Fuͤſſen, an Naſen und Ohren
ſo ungleich, und dann wieder auf eine andere
Art einander gleich waren. —


Ich kann es nicht ſagen, wie gleich und wie
ungleich es einander war das Lumpenvolk da.
Die einten zahlten ihn mit Geld, die andern
mit Baumwollen, von denen einige ihm altes
Eiſen daran gaben, andere ihn mit Eiden und
Zeugniſſen und ihrer Seelen Heil dafuͤr zahl-
ten.


Ich eile mit dem Bild dieſer Stunde unaus-
[170] ſprechlich ſchnell vorbey, ſie druͤkt mich wie den
Junker, dem ſie vor Augen ſtuhnde.


Dieſer fragte noch ehe er unter die Linde
gieng den Pfarrer, was fuͤr Leuthe beym
Creuzbrunnen wohnen, und einen Buben ha-
ben, der Jakoblj heiſſe, und ſagte, es ſeyen
drey Tritt vor ihrem Haus.


Wenn der Pfarrer ſchon ſeinen Kragen auf
die Kanzel vergeſſen haͤtte, er haͤtte nicht mehr
koͤnnen betroffen ſeyn, als daß er er vergeſſen
mit dem Junker von dieſer Haushaltung zu re-
den, wie er ſich vorgenommen. Er ſagte es
ihm jezt und erzaͤhlte ihm, daß ihn keine von
den Leuthen, die unter die Linde muͤſſen, dau-
ren wie dieſe, weil ſie bis auf den lezten Winter
ſich vor allen Wirthshaus Schulden gehuͤtet,
die Frau aber ſeye vom Herbſt an bis auf den
Fruͤhling bettliegrig geweſen, und ihr Mann
habe ihr mehrentheils die ganze Nacht durch
wachen muͤſſen. Ihr koͤnnet wohl denken,
Junker, ſagte der gute Pfarrer, wie es dann
geht, die Naͤchte ſind lang, und wenn ein Mann
den Tag uͤber arbeitet, ſchlechte Speiſen hat,
und denn noch die Nacht durch wachen muß,
was will man daruͤber ſagen? wenn er auch
dann ein Glas Wein mehr geluͤſtet als er ſoll-
te.


Er ruͤhmte die Haushaltung gar, und ſag-
te: ſie ſeyen noch von dem alten Vogt Linden-
[171] berger her, und wo noch ein Bein von dem
Mann herſtamme, ſo ſey es ehrenveſter und
ſchamhafter als alles andere Volk im Dorf
— und die Tochter welche den Wein gereicht,
und ins Vogts Buch eingeſchrieben ſeye danu
ganz unſchuldig, ſie habe keinen Tropfen davon
getrunken, auch ſage ihr Vater alle Stund zu
ihr, ſie muͤſſe ihm die Schande nicht ausſtehen,
er ſeye ſchuldig, und er wolle unter die Linde,
aber ſie wolle ihn nicht laſſen, und bitte ihn
um tauſend Gotteswillen er ſolle das nicht
thun, — aber ſie habe dann doch vom Mor-
gen bis in die Nacht feuerrothe Augen vom
Schreyen.


O Gott! Wie waͤren dieſe Menſchen an-
derſt, wenn man anderſt mit ihnen umgegan-
gen waͤre, ſagte der Junker wieder zu ſich
ſelber. — Und auch dieſer Vorfall fuͤllte ſein
Herz mit Guͤte fuͤr dieſe Elende, und machte
ihm eine gute Weile den Anblik ertraͤglicher,
den er unter der Linde hatte.


§. 38.
Das reine landesvaͤterliche Herz meines
Manns.


Er bedaurte die Kinder am meiſten, er ließ
ihnen auch zuerſt ruffen, damit ſie aus
[172] der Angſt kaͤmen, und ſagte keinem viel mehr
als biſt du auch da? Etlichen bot er noch die
Hand, und ſagte ihnen mit Vaterguͤte, thu
doch das dein Lebtag nicht mehr! —


Aber das Ganze was ihm vor Augen ſtuhnd
war entſezlich. Der Fehler, um deſſentwil-
len ſie da waren, machte ihm nichts, aber das
Bild der Heucheley und Verſtellung, das allent-
halben hervorſtach, druͤkte und empoͤrte den
Mann.


Die meiſten Weiber thaten, wie wenn ſie
in Boden hineinſinken wollten. Er ſagte aber
ihrer etlichen, es iſt dir nicht halb ſo wie du
thuſt, — einer ſagte er gar, ich meyne, wenn
grad jezt ein Krug Wein bey dir zu ſtuhnde,
und du allein waͤreſt daß dich niemand ſaͤhe,
dein Jammer wuͤrde bald aus ſeyn.


Aber eine verſtellte ſich nicht; es war ein
Elend ſie anzuſehen, ſie weynte nicht, aber ihr
Athem toͤnte auf viele Schritte laut, ihr
Mund lag uͤber einander, wie wenn er zuſam-
mengewachſen, und wenn ſie redte, ſchnap-
pete ſie nach Luft. So ſtuhnd die Rabſerbaͤu-
rin vor ſeinen Augen.


Was iſt dir Frau? — biſt du krank, oder
was fehlt dir? ſagte der Junker. —


Sie konnte nicht reden, aber ſie fieng an
zu weynen, und mit dem war ihr leichter,
daß ſie hinten nach ſagen konnte, ſie ſey jezt
[173] 60 Jahr alt, und habe ihr Lebtag ſchinden
und ſchaben muͤſſen, wie eine Bettelfrau, und
ihr Mann mißgoͤnne ihr das Brod, und gebe
ihr nicht, wie recht iſt, zu eſſen, ſonſt waͤre
ſie, das wiſſe Gott im Himmel nicht in dieſem
Ungluͤk. —


Es machte den Junker blaß; er fragte links
und rechts ob dem ſo ſeye? und links und
rechts war die Antwort, es ſeye nicht anderſt,
und es habe der Frau ihrer Lebtag kein Menſch
nachgeredt, daß ſie ein Glas Wein zu viel ge-
trunken. Der alte Reinold ſezte hinzu, ſie
habe zwanzig Kinder gehabt die aber alle bis
auf zwey tod ſeyen, und die Frau moͤge die
rohen Speiſen, die ſie um ſeines Geizes wil-
len eſſen ſollte, nicht mehr erleiden, und ſonſt
ſey ganz gewiß unter der Sonnen kein Grund,
daß ſie ins geheim dann und wann ein Glas
Wein aus dem Wirthshaus kommen laſſen. —


Als der Junker dieſes gehoͤrt, ſagte er,
wenns ſo iſt Frau, ſo will ich dir helfen. Wenn
dir dein Mann nicht zukommen laßt, was
du zu deiner Leibsnothdurft braucheſt, ſey es
jezt Wein oder was es wolle, ſo ſag du nur
dem Pfarrer, in welchem Haus im Dorf du
den Reſt deiner Tage gern verleben moͤchteſt?
und ich will dann ſchon dafuͤr ſorgen, daß
dein Mann dir was du noͤthig haſt, ſicher in
dieſes Haus bringen wird.


[174]

Aber dieſe und die Lindenbergerin waren
auch die einzigen mit denen er von Herzen hat
gut ſeyn koͤnnen.


Es freute ihn frey als die lezte kam; ſie hub
kein Aug vom Boden und ſagte kein Wort zu
ihrer Entſchuldigung, da ſie ihm zu erſt ant-
wortete.


Der Junker ſagte zu ihr, Kind! Warum
haſt du nichts zu deiner Entſchuldigung, warum
du da biſt?


Auf dieſes Wort ſah ſie den Junker das er-
ſtemal an, aber redete nicht.


Nun wenn du es nicht ſagen darfſt, ſo will
ich es ſagen; ich weiß es, Euere Haushaltung
hat ſich bis auf den lezten Herbſt aller Wirths-
hausſchulden huͤten koͤnnen, und wenn deine
Mutter nicht einen ſo elenden Winter gehabt
haͤtte, ſo waͤret ihr auch keinen Heller ſchuldig.


So entſchlug der gerechte Landesvater vor
allem Volk diß gute Kind ſeiner Schande hal-
ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhoͤ-
ren, daß eines beſſer unter ihnen als ſie alle,
und es war kein Kruͤppel an Leib und Seele
unter der Linde, der nicht zu ſich ſelber ſagte,
ja, — wenn er wuͤßte wie ichs gehabt haͤtte,
er wuͤrde gewiß das und noch mehr auch zu
mir ſagen.


Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich
danke Gott, daß ihr wiſſet, wie wirs gehabt
haben.


[175]

Ich weiß noch mehr, ich weiß auch, daß
du keinen Tropfen von dem Wein getrunken,
um deſſen Willen du da biſt, und daß dein
Vater dich noch gebetten, du ſolleſt ihn ſich fuͤr
dich verantworten laſſen, aber du biſt ſo brav
geweſen, und haſt es nicht wollen.


Jezt nahm das Kind die Hand vor die Au-
gen, die ihm uͤberliefen, und ſagte ſchluchzend,
mein Vater, niemand als mein Vater, mein
lieber Vater hat euch das geſagt.


Nein, ſagte der Junker, dein Vater hat es
mir nicht geſagt; aber gruͤß mir deinen Bru-
der den Jakoblj, und ſag ihm, er ſoll am Sonn-
tag zum Carl ins Schloß kommen, zum Mit-
tageſſen, er iſt ihm gar lieb. —


Jezt wußte das Kind wer es ihm ausge-
bracht, und ſagte beim weggehen zu ſich ſel-
ber, der Liebe Gott hats doch auch gut mit
mir gemeynt, daß es ſo gekommen iſt.


§. 39.
Seine Kraft wider das freche Laſter.


Einige kamen jezt auf den Einfall, weil er
ſo gut ſeye, ſo laß es ſich vielleicht wohl
mit dem Laͤugnen probieren. Die Spekmol-
chin, die grad auf ihns folgt, that den Ver-
ſuch.


[176]

Sie ſtuhnd kek an den Tiſch, und ſagte,
der Hummel habe ſie wie ein Schelm und
Dieb aufgeſchrieben, ſie ſey ihm weder Heller
noch Pfennig ſchuldig, und ſie wuͤßte ſich bey
Jahr und Tag nicht zu erinnern, daß ſie das
geringſte mit ihm gehabt oder ihm nur ins
Haus hineingekommen.


Der Hummel antwortete, man ſolle nur ein
Tiſchtuch und ein Handtuch anſehen, die auf
dem Tiſch liegen, und die ſie ihm verſezt, es
werde ſich denn wohl zeigen, ob ſie nie im
Haus geweſen. Das machte ſie noch nicht
irr. Sie behauptete kek, ſie habe ihrer Leb-
tag dieſe Tuͤcher weder geſehen, noch in Haͤn-
den gehabt. Man fand ihren Namen daran,
das verwirrte ſie einen Augenblik, aber dann
ſagte ſie, ſie muͤſſen ihr geſtohlen worden ſeyn,
einmal das ſeye gewiß, und das koͤnne ſie be-
zeugen, daß ſie es ihm nicht gegeben habe. —


Der Junker aber machte es kurz, und ſagte,
er ſchike im Augenblik in ihr Haus, und wenn
ein einig Stuͤk von gleichem Tuch ſich darinn
finde, ſo laſſe er ſie 14 Tage ins Zuchthaus
ſperren, wenn ſie es nicht im Augenblik be-
kenne.


Sie erwaͤhlte das Beſſere. Und er machte
ſie dem Hummel vor allen Hunderten die da
waren, die Hand bieten, und laut und ver-
ſtaͤndlich bezeugen, er ſey deſſentwegen und
dießfalls,
[177] dießfalls, daß er ſie in ſeinem Buch aufge-
ſchrieben, ſie ſeye ihm ſo und ſo viel ſchuldig,
weder ein Schelm noch ein Dieb. —


Sie erſtikte ſchier, eh’ ihr dieſe Worte alle
zum Hals heraus waren, und man haͤtte mey-
nen moͤgen, die drey Finger, die der Henker
dem Vogt ſchwarz gemacht, bernnten wie
Feuer, ſo verzog ſie Augen und Maul, und
zuͤkte mit dem Arm wieder hinter ſich, da ſie
ihm die Hand langen mußte.


Im Weggehen ſagte ſie hinterruks zum Vet-
ter Weibel, ich haͤtte doch nicht geglaubt, daß
er es mir ſo machen wuͤrde, und er antworte-
te, und ich haͤtte nicht geglaubt, daß du ſo
dumm waͤreſt. —


§. 40.
Bettſchweſterarbeit wird mit Hexenarbeit
verglichen.


Bald nach ihr kam das Spinnerbabelj her-
vor. Aber der Junker ſah, daß jeder-
mann die Koͤpf zuſammenſtieß, und fragte die
Vorgeſezten, was das ſeye?


Der Weibel antwortete, man glaube, das
ſeye nicht die rechte Barbel. —


Das wird ſich etwann wohl zeigen, ſagte
M
[178] der Junker, und fragte den Hummel, was
das ſeye?


Dieſer erzaͤhlte, die rechte Barbel heiſſe die
Fromme, und ſey ſint dem Sonntag alle Nacht,
wenns ſtokfinſter geweſen, vors Haus gekom-
men, und habe ihm mit Spruͤchen aus der
Bibel, und weiß nicht was allem zugeſezt, daß
er um Gotteswillen auch ſo barmherzig ſeye,
und das Maul halte, wenn das andere Babelj
fuͤr ſie unter der Linde hervor komme, und
zahle. Er ſezte hinzu, er habe, damit er ih-
rer los komme, geantwortet, wenn niemand
nichts ſage, ſo wolle er auch ſchweigen.


Der Junker fragte darauf das andere Ba-
beli, aber was hat ſie dir Lohn gegeben, daß
du fuͤr ſie da herfuͤrgekommen?


Es antwortete, einen halben Gulden, und
ſezte hinzu, es ſeye ein armes Menſch, und
habe gedacht, es ſchade niemand nichts, wenn
es das thue.


Aber haſt du nicht gedacht? Es ſchade dir
ſelber, deinen guten Nahmen ſo an Lumpen-
tiſch hervor zu tragen, ſagte der Junker. —


Und es — ich habe gedacht, es glaube das
niemand. —


Der Junker mußte ob ihm lachen, uͤber die
andere lachte er nicht. Er rief dem Haſchier,
und befahl ihm den Augenblik, die rechte Bar-
bel aus dem Haus zu nehmen, und hieher zu
bringen.


[179]

Sie aber ſaß in dieſem bittern Stuͤndlein
der Truͤbſal ob dem Buch Hiob, und las das
Leiden des Manns, vom erſten Capitel bis
aufs lezte, und deutete alle Truͤbſal, die ihm
der Teufel und ſein Weib machten, nur auf
ſich, und ihren heutigen Jammer. — Aber
das Buch Job endete, und das Stuͤndlein ih-
rer Truͤbſal gieng leider erſt an. Ihre Dienſt-
magd und Mithalterin wartete indeſſen, daß
ſie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie
es unter der Linde ablaufen wolle, und ſah
nach langem Warten und Warten, daß das
Spinnerbabelj endlich zum Tiſch hervor wakle,
aber es ruͤkte nicht mit ihm, und es wollte auch
nicht wieder vom Tiſch weg wie die andern.
— Das duͤnkte ſie ſchon kein gutes Zei-
chen, aber da ſie jezt gar den Harſchier zum
Junker hervorkommen ſah, machte ſie ſich
was giebſt, was haſt, aus dem Staub, und
heim.


Sie war faſt auſſer Athem, und konnte der
Meiſterin kaum ſagen, was ihr vorſtuhnd.
Dieſe aber, ob ſie es gleich nur halb verſtan-
den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz
allein an ſich ſelber, und ſagte, Herr Jeſus!
— Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir
wohl muͤſſen in den Sinn geben, daß ich das
Menſch habe unter die Linden ſchiken muͤſſen;
M 2
[180] es hat mir es jezt in Gotts Nahmen noch ſel-
ber ausgebracht. —


Eine arme Hexe ſchwizt in der Mitter-
nachtſtunde bey ihrer ſtrengſten Arbeit, wenn
der Beelzebub um ſie herumrummelt, nicht
halb ſo ſehr, als die arme Fromme bey ihrem
athemloſen uͤber einander betten, hilf Helfer,
hilf! in dieſer Noth jezt ſchwizte. Es half
ihr nichts, ſo wenig als daß ihre Dienſt-
magd ihre Thuͤre verriegelte; der Harſchier
gab ihr, da man ſie nicht oͤffnete einen Tritt
mit den Schuhen, und hatte meine Fromme
nach Profoſenart, gar bald vom Buch Job
weg. Aber man muß den Basler Todten-
tanz im Kopf haben, wenn man ſich vorſtellen
will, wie ſie mit einander unter die Linde
giengen.


Ohne ein Wort mit ihr zu reden, ließ der
Junker ſie auf den ſteinernen Bank, neben den
Brunnen zu ſtellen, und da warten, bis nie-
mand mehr unter der Linde war, damit ſie
lehre ein andermal die Schand des Lumpen-
lebens nicht mehr ſo wohlfeil zu verkaufen.


[181]

§. 41.
Wider die Hoffart und wider Volks-Co-
moͤdien vor dem Halseiſen, (Pranger.)


Bald auf ſie folgte die Huͤrner Beth, die
trug vornen und hinten Sammetbaͤnder,
und am Kopf und Hals feines Zeug.


Arner kannte ſeine Eltern aus dem Allmoſen-
rodel, und fragte, biſt du des Huͤrner Jakobs?


Dieſe Frag gefiel dem Menſchen ſchon nicht,
es verlor ſchon ſeine Farb, da es ja ſagte.


Der Junker ſah ihns vom Kopf, bis zun
Fuͤſſen an, und fragte ihns da, wie kommſt
du zu Seiden und Sammet?


Erſchroken wie eine Diebin, der ihre Ar-
beit eben an Tag kommt, antwortete es nichts.


Der Junker aber ſagte wieder, wie kommſt
du zu Seiden und Sammet?


Und es brachte es unter Herzklopfen heraus,
ich hab verdient, was ich trage.


Ich will nicht fragen, wie? ſagte Arner,
ich will dich nur fragen, ob dir anſtehe es zu
tragen?


Es ſchwieg wieder.


Der Junker aber ſagte, wo keine Scham
iſt, da iſt keine Ehre, und ein Menſch, das
vom Allmoſen erzogen wird, und ſich vor ſei-
nem Dorf nicht ſchaͤmt, ſich koſtbarer zu klei-
M 3
[182] den, als Leuthe, die von niemand nichts ha-
ben, und von niemand nichts wollen, iſt ein
boͤſes Exempel, dem ich vorbiegen muß; und
einen Augenblik darauf ſagte er zu ihm, wie
viel Geſchwiſterte haſt du?


Es ſagte, fuͤnfe.


Und Er wieder: gehen ſie auch ſo hoffaͤrtig
daher?


Es ſchwieg.


Er fragte zum andernmal: gehen ſie auch
ſo hoffartig daher?


Da ſagte es nein.


Er fuhr fort: aber haben ſie Struͤmpf und
Schuh, und ganze Hemder?


Es zitterte und ſchwieg wieder. —


Und Er ſagte wieder: haben ſie Schuh,
Struͤmpf und ganze Hemder, deine fuͤnf Ge-
ſchwiſterte?


Es mochte wollen oder nicht, es mußte nein
ſagen.


Und der Junker fuhr fort, — aber dein
Vater, und deine Mutter, koͤnnen ſich die
vor Kaͤlte und Waͤrme ſchuͤzen, Kleidern hal-
ber?


Es ſchwieg wieder.


Ich ſehe wohl, auch das iſt nein, — ſagte
der Junker, und du ſchaͤmſt dich nicht, und
foͤrchteſt dich nicht der Suͤnde halber ſo daher
zu kommen. —


[183]

Dann befahl er ihm jezt heim zu gehen, und
Vater und Mutter, und alle Geſchwiſterte
auf der Stelle, wie ſie gehen und ſtehen hieher
zu bringen.


Das Elend ſelber, wenn man ihns abmah-
len wollte, koͤnnte nicht elender ſeyn als dieſe
ſieben Menſchen. —


Der Junker ließ ſie vor ſich zu, die Hof-
fahrts-Beth auf die einte, und Vater und
Mutter, und Geſchwiſterte auf die andere
Seite ſtellen. Da ſie denn vor ihm zu, ſo ge-
gen einander uͤber ſtuhnden, ſagte er zu dem
Menſchen. —


Iſt jezt das dein Vater?


Seine Lippen bebten ihm, ſeine Augen ſtuhn-
den ihm ſtarr, und ſeine hangende Haͤnde zit-
terten, als es jezt ja ſagte.


Er fuhr fort, und du biſt des Manns Toch-
ter?


Beth. — Ja. —


Junker. — Und der Frauen da ihr Kind?


Beth. — Ja.


Junker. — Und das ſind deine Geſchwi-
ſterte?


Beth. — Ja. —


Junker. — Sind dieſe Kinder mit dir un-
ter einem Herzen gelegen?


Es ſchluchzete.


Der Junker fuhr fort, und du laſſeſt ſie ſo,
M 4
[184] und Vater und Mutter ſo, und darfſt dich
dann ſo zeigen! Geh jezt mit deiner Mutter
wieder heim, und all die Lumpen, die ſie jezt
tragt vom Kopf bis zun Fuͤſſen leg du an,
und komm in dieſen Lumpen wieder hieher.


Erſchreklichers haͤtte der Hoffarths-Beth
nichts begegnen koͤnnen; ſie ſank faſt an Bo-
den, und Vater und Mutter baten vor ſie,
und die Geſchwiſtterte ſtengen an alle zu wey-
nen.


Der Junker aber ſagte, wenn er nicht das
halbe Dorf dem Hunger und Elend, und ei-
nem Leben das zum Ausſerben fuͤhre bloß ge-
ben wolle, ſo muͤſſe er machen, daß wer nicht
Brod habe, und ſich nicht deken koͤnne, auch
nicht Hoffarth treibe. —


Er war aber ſo freundlich und gut mit den
Eltern und Kindern daß ein paar Minuten
darnach die Mutter ſelber ſagte; er hat in
Gottes Namen recht, und ich hab dem unver-
nuͤnftigen Kind hundert und hundertmal ge-
ſagt, es koͤnne es nicht verantworten, wie
es ſeine Geſchwiſterte, von Vater und Mut-
ter wolle ſie nicht reden, im Elend laſſe, und
alles an die Hoffarth verwende.


Der weiſe gute Landesvater gab der ver-
nuͤnftigen armen Frau jezt ein Allmoſen, und
ſagte ihr, ſie ſoll nur getroſt ſeyn; Er wollte
nichts als das verirrete Menſch zur Vernunft
[185] bringen, und wußte ſelber, daß wenn er
ihns alſo unter die Linde kommen laſſen wuͤr-
de, er dadurch noch mehr die Sitten und das
Herz ſeines armen Dorfs verderben wuͤrde.


Es zeigte ſich deutlich. Er hatte auch ihm
nicht ſo bald dieſes befohlen, als alles Lum-
penvolk unter der Linde ſeine eigene Rechnung
vergaß, und ſich wie auf eine Hochzeit freuete,
die Hoffarths-Beth in ihrer Mutter Hudlen
unter die Linde waklen zuſehen.


Aber der Junker ſchikte, ſo bald ſie heim
war, den Harſchier nach, mit Befehl, niemand
zu ihrem Haus hinzu ſtehen laſſen, und vor
der Thuͤre zu warten, bis das Menſch in ſei-
nen Hudlen herauskommen wolle, und ihm
denn zu ſagen, es ſoll jezt nur daheim bleiben,
aber wenn es ſich noch einmal in einer ihm
nicht anſtaͤndigen Kleidung zeige, ſo laſſe er
ihns ohn anders zum Dorf hinaus fuͤhren.


Seit dieſer Stund iſt die Huͤrnerbeth ein
braves eingezogenes Menſch und hat am glei-
chen Tag alle Zeichen und alle Faden von Hof-
farth von den Kleidern die es hatte, abge-
trennt.


Hundert an eins iſt zu wetten, wenn er
die Comoͤdie, auf die das Lumpenvolk hofte,
mit ihm geſpielt haͤtte, es waͤre vor immer
verloren geweſen.


[186]

§. 42.
Wie, und wie weit Lumpenvolk, wenn
es ſich im Vortheil ſpuͤrt, das Maul
braucht.


Es iſt nicht zuſagen, was es alle Augenblike
vor Auftritte gab. Eine Kreblerin, die
ſchon mehr als vor einem halben Jahr ihres
Manns ſilberne Schnallen dem Vogt verſezt,
und damit er ſie nicht im Verdacht habe, ihre
Dienſtmagd, die allein im Haus war, als ei-
ne Diebin auf der Stelle fortgeſchikt, hatte
auch eine Jobs Stunde.


Die Ringgen lagen jezt unter der Linde auf
dem Tiſch, und des Joſen Conrad, der der
Bruder war von der Margreth, die ſie hat ſol-
len geſtohlen haben, kennte ſie im Augenblik,
und ſprang was giebſt was haſt heim, ſeiner
Schweſter zuſagen, was er fuͤr einen Fund
gemacht.


Das war ein Jubel fuͤr Bruder und Schwe-
ſter. So geſchwind als er heimkam, ſo ge-
ſchwind ſprangen beyde wieder gegen die Lin-
den dem Krebler und ſeiner Frauen jezt den
Meiſter zu zeigen.


Er aber roch Feuer, gieng ihnen noch zu
rechter Zeit entgegen, er traf ſie oben an der
Kirchgaß an, ſtellte ſich vor ſie hin, daß ſie
an ihn anſtoſſen mußten und ſagte. —


[187]

Sie ſollen doch einen Augenblik halten, wenn
etwas ungrades in ſeinem Haus vorgefallen,
ſo wolle er machen, daß ſie koͤnnen zufrieden
ſeyn.


Nein, nein, antworteten ſie, und er und
ſie: die Leuthbetriegerin deine Frau muß zu
ſchanden gemacht ſeyn, wie ſie es verdient, ſo
haͤngt ſie einandermal niemand mehr den Na-
men an, der ihr gehoͤrt.


Ja, ja ſagte die Margreth, ſie iſt eine Leuth-
betriegerin, eine Seelenmoͤrderin deine Frau,
ſo hat mir es in meinem Leben noch niemand
gemacht, und den Lohn dazu abgedrukt.


Sie thaten beyde wie wild, und die Mar-
greth noch oben drein, wie wenn ſie die Au-
gen troknen wollte. — Dieſe aber hatten das
gar nicht noͤthig, ſie waren ſo troken als wenn
ſie eben zum Ofen herausgekommen. — Das
andere Wort das ſie redte war, wie ungluͤk-
lich ſie jezt ſey, daß ſie ſo um Ehr und guten
Namen gekommen.


Thut doch jezt nicht ſo gar, ſagte der Kreb-
ler, ſie muß euch Ehr und guten Namen wie-
der geben; denn es machte ihm Angſt, daß
die Leuthe oben an der Kirchgaß alle es hoͤ-
ren, ſo laut redten ſie.


Ja, ja — es iſt bald geſagt; Ehre und
guten Namen iſt nicht ſo leicht wieder zu ge-
ben, wenn man es einem genohmen. Und denn
[188] oben drein, was ich fuͤr Schaden und Nach-
theil von dieſer Sach gehabt, iſt mit keiner
Zunge zubeſchreiben, ſagte das Menſch; und
ſein Bruder machte das Duͤpflj aufs j. Aber ſie
wollten nur Geld; und der Krebler, der wohl
ſah, daß hier nichts anders zu machen, als
den Sekel zu ziehen, ſagte endlich.


Nu was koſtet es denn? damit wir abein-
ander kommen.


Ja ſagte die Margreth, ich bin jezt bald
drey viertel Jahr auf mir ſelber geſeſſen, und
hab keinen Dienſt finden koͤnnen, weil ſie
mich ſo als eine Diebin zum Haus hinausge-
than, vom andern will ich nur nicht reden. —


Und ihr Bruder, — es iſt da nicht an
uns zu fordern, wenn du es alſo willſt ſo
kannſt du nur bieten was du geben wolleſt,
es wird ſich dann zeigen, was wir dazu ſa-
gen wollen.


Kurz ſie brandſchazten ihn vor 20 Gulden.
Als ſie aber die hatten, war weiter von Ehr
und gutem Nahmen keine Red. —


Den Sigriſt und Schulmeiſter ließ der Jun-
ker gar ſpat ruffen, damit ſie recht lang unter
den andern Wirthshaus Lumpen da ſtehen muͤſ-
ſen.


Dieſe wollten noch eine Predig halten, wie
es gekommen, daß der einte 5. und der an-
dere 7. Gulden ſchuldig.


[189]

Er ſagte ihnen aber, haltet das Maul! —


Auch der Kriecher wollte ſo predigen. —


Er ſagte ihm aber, ich kenn dich ja ſchon. —
Keiner machte es, ich moͤchte faſt ſagen ſo gut
als der alte Meyer, — der kam hervor, wie
einer dem noch viel herausgehoͤrte, und ſagte,
was ich ſchuldig, das will ich zahlen, und wei-
ter und ferner iſt es kein Schelmenſtuk, wenns
einer hat und vermag, wenn er trinkt, bis er
genug hat. —


Es iſt gar richtig, daß Saufen kein Schel-
menſtuk iſt, ſagte der Junker, aber es fuͤhrt
gern zu vielem.


Ich hab meiner Lebtag gehoͤrt, die groͤß-
ten Schelmen huͤten ſich vor dem Vollſaufen,
ſagte der Meyer.


Und der Junker mußte laͤchen. —


Aber bald alle Augenblike kamen Maͤnner,
Weiber, und Kinder, denen er geſtern Armuths-
halber das Geld fuͤr eine Geiß vorgeſchoſſen.
Es wunderte ihn, wie viel von dieſen zuſam-
men da ſeyen? und er befahl, daß wer immer
von den 27 Haushaltungen da ſeye, Maͤnner,
Weiber, und Kinder, die ſollen ſich zu einan-
der an einen Haufen ſtellen, und es fande ſich,
daß von den 27 Haushaltungen nicht drey
waren, aus denen nicht entweder der Vater
oder die Mutter oder ein Kind Wirthshaus-
ſchuldenhalber jezt vor ihm ſtuhnden.


[190]

Er ſagte ihnen, ihr habt doch ſcheints Ver-
moͤgen Schulden zu machen, wenn ſchon nicht
Vermoͤgen euch an Leib und Seel wie Menſchen
zu erhalten. Es zerſchnitt ihm faſt das Herz
wie die Leuthe alle ausſahen, aber er ließ ſie
gehen ohne ein Wort mehr zu ihnen zu ſagen.


Aber der Eindruk, den ihm der ganze Mor-
gen machte, war bedruͤkend, und er gieng faſt
ohne Hoffnung daß mit einem Volk unter wel-
chem ſo viel Lumpen ſeyen, noch etwas auszu-
richten, mit beklemtem Herzen von der Linde
ins Pfarrhaus.


§. 43.
Zwey Weiber meſſen ihr Maul mit ein-
ander, und die Kleine wird Meiſter.


An dieſem Morgen vernahm die Untervoͤg-
tin, waͤhrend ihr Mann unter der Linde
beym Junker zu ſaß, und das Maul offen hatte,
was ihm geſtern bey Gertrud wegen ſeiner
Schweſter begegnet.


Poz Schuͤmmel, poz Kolj *) — wie feuer-
te das Weib! Sie lief vom Melchen und Traͤn-
[191] ken weg zu ihrer Geſchwey (Schwaͤgerin) mit
ihr zu reden, was das dann ſey?


Zu warten bis ihr Mann von der Linde heim-
kaͤme, das war ihr unmoͤglich.



[192]

Sie hatte ihrem feißten Vetter verſprochen,
er muͤſſe das Menſch haben, ſo gewiß als die
Uhr ſchlagt, und jezt hoͤrte ſie das. Aber ſie
kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelſchlaf-
fen ſaß ihr noch auf der Stirn, und der Traum
uͤber den Feißten lag ihr noch rings um das
Maul.


Die Voͤgtin ſahs ihr beym Willkomm an,
und ſagte, es ſcheint du habeſt nicht gut ge-
ſchlaffen?


Eben

[193]

Eben hab ich nicht gut geſchlaffen, antwor-
tete die Meyerin, es hat mir von deinem ſchoͤ-
nen Vetter getraͤumt, und ich bin ab ihm er-
ſchroken, daß mir jezt noch alle Glieder weh
thun.


Ha du muſt doch nicht glauben, daß du voͤl-
lig mit einem Kind zuthun habeſt, ſagte die
Voͤgtin, ich kann mir gar wohl einbilden, wa-
rum du mir jezt ſo mit einem Traum kommeſt.


Die Meyerin erwiederte, meynſt etwann,
es ſey nicht wahr, frag nur das unſchuldig
Kind, das bey mir ſchlaft, was ich fuͤr einen
Schrey gelaſſen, und wie ich einsmal uͤber das
andere pfy Teufel, pfy Teufel geruffen.


Dieſes pfy Teufel ruffen uͤber ihren Vetter
brachte die Voͤgtin auſſert Faſſung.


Sie gab ihr zur Antwort, baͤtt du nur un-
ſern Herr Gott, daß du niemals mit offenen
Augen uͤber jemand ander pfy Teufel ruffen
muͤſſeſt, wie du ſagſt, daß du mit beſchloßnen
uͤber ihn geruffen.


Meyerin. — Was willſt jezt mit dieſem?


Voͤgtin. Ha, wenn du den Bettelbuben
nimmſt, ſo wirſt du wohl mit offnen Augen ge-
nug pfy [Teufel] zu ruffen haben. —


Meyerin. Meynſt etwa den Huͤbel Rudj?


Voͤgtin. Alles dieſen.


Meyerin. — So. —


Vogtin. Ja es iſt einmal eine Schande
N
[194] vor den Leuthen, daß du ſeinethalben nur
laſſeſt mit dir reden.


Meyerin. Schweſter verſchon mir uͤber
dieſes; denn ich muß dir uͤber dieſen Punkt
kurz ſagen; du biſt weder meine Mutter, noch
meine Großmutter. Dieſe Beyden ſind mir in
Gottes Namen geſtorben, und ich wuͤßte gar
nicht woher dir irgend ein Recht zukommen
ſollte, dich uͤber dieſen Punkt an ihre Statt zu
ſtellen.


Voͤgtin. Man darf doch etwa auch noch
ein Wort mit dir reden!


Meyerin. Es iſt ein Unterſchied mit einem
zu reden, und ein Unterſchied grad mit Bettel-
buben zu kommen, und mit Ungluͤksprophezey-
ungen herumwerfen.


Voͤgtin. Ha — du muſt jezt das nicht ſo
nehmen; aber ich meyne auch, wenn man koͤnne
das beſſere haben, ſo ſollte man nicht das
Schlimmre nehmen, und denn kann ich doch
auch nicht ſehen, was du gegen meinen guten
Vetter haben kannſt!


Meyerin. Ich hab nichs anders wieder
ihn, als daß mir ein paar Sachen an ihm zu-
wieder ſind, die du wohl weiſſeſt.


Voͤgtin. Meynſt wieder das Spekeſſen und
das Mezgen?


Meyerin. Du weiſt es ja wohl.


Voͤgtin. Es iſt doch auch nicht zu begreif-
[195] fen, daß ein vernuͤnftig Menſch wie du, aus ſo
einem Nichts etwas machen kann.


Meyerin. Ich bin einmal jezt ſo. —


Voͤgtin. Es ſind doch auch unſer ſo viel
Geſchwiſterte, und in unſerer ganzen Ver-
wandtſchaft wuͤßte ich einmal kein einziges,
dem ob ſo etwas grauſet. (ekelt.)


Meyerin. Du haſt mir ja das manchmal
geſagt, ich ſeye nicht aus deiner Verwandt-
ſchaft.


Voͤgtin. Das iſt jezt wieder ein Stich.


Meyerin. Nein, nein, es giebt derglei-
chen Verwandtſchaften, wo es den Leuthen
gar nicht ſo leicht grauſet. —


Voͤgtin. Ich moͤchte einmal nicht, daß ich
es darinn haͤtte wie du.


Meyerin. Ich glaub dirs wohl.


Voͤgtin. Aber du thuſt ihm doch unrecht,
er ißt auch nicht ſo viel Spek als du thuſt,
und gewiß nicht mehr als ein andrer.


Meyerin. Nein Schweſter, das iſt jezt
nichts, er mag entſezlich viel, und denn iſt es
noch ſo unverſchamt, wie ers hinein ſtoßt,
es iſt mir, ich ſehe in meiner Lebtag noch vor
mir zu ſizen; die andern haben mir Geſund-
heit getrunken, da er juſt das Maul voll hatte,
da iſt er mit ſeiner Geſundheit den andern
faſt eine Viertelſtund hinten nach gekommen,
weil er den Mundvoll nicht hat koͤnnen her-
N 2
[196] unterbringen, und ich bin mit dem Danken
fuͤr alle andere fertig geweſen, ehe er nur noch
das Maul abgewiſcht hatte.


Voͤgtin. Da ſieheſt jezt wie du redſt, wer
wollt auch koͤnnen glauben, es haͤtte eine Vier-
telſtund gedauret.


Meyerin. Nu — es kann etwas minder
geweſen ſeyn.


Voͤgtin. Und ſo kan der Mundvoll auch
kleiner geweſen ſeyn.


Meyerin. Nein, nein, fuͤr den Mundvoll
darf ich verſprechen.


Voͤgtin. — Aber — geſezt, — du
kannſt doch ſicher ſeyn, er ißt keinen Mundvoll
mehr vor deinen Augen, wenns nicht gern ſie-
heſt.


Meyerin. Das waͤr mir leid, es koͤnnte ihm
nicht wohl thun, wenn er gar viel verſtohlen
eſſen muͤßte.


Voͤgtin. Du zieheſt alles nur in Spaß.


Meyerin. Nein, im bittern Ernſt ich moͤch-
te nichts weniger, als ihm dieſes zumuthen.


Voͤgtin. Er thuts noch ſo gern. — Und
mit dem Mezgen ruͤhrt er dir gewiß auch kei-
nen Stich mehr an, wenn du nicht willſt.


Meyerin. Du machſt doch auch gar die
liebe Stund aus ihm, und er iſt ſo feißt.


Voͤgtin. Das Feißtſeyn wird ihn doch
nicht hindern zu thun, was du gern haſt.


[197]

Meyerin. Es weißt einer nicht, eine ge-
wiſſe Feißte hindert doch ſicher an vielem.


Voͤgtin. Du weiſt nicht, was du anbrin-
gen willſt, aber es iſt doch beſſer geſund und
reich und feißt ſeyn, als arm, mager, und
ſchwindſuͤchtig —


Meyerin. Das iſt gewiß wahr.


Voͤgtin. Aber du erkennſt es nicht, und
ich ſehe wohl du biſt am einten Ort blind,
und am andern ſiheſt mehr als da iſt.


Meyerin. — Aber wenn du etwa den
Rudj meynteſt, ſo iſt er doch weder ſchwind-
ſuͤchtig noch arm.


Voͤgtin. Ich moͤchte nicht reden, wenn
du ihm die Schwindſucht nicht anſieheſt.


Meyerin. Ich ſehe ſie ihm einmal nicht an.


Voͤgtin. Nu, ich kann dich nicht ſehen ma-
chen, was du nicht ſehen willſt; — aber mit
der Armuth, — wenn du etwa meynſt, ſeine
Matte ſey etwas, ſo muſt wiſſen: es ſind fuͤnf
Kinder da, und das Weibergut fort.


Meyerin. Die Matte iſt unter Bruͤdern
3000 Gulden werth, und es iſt nicht 500
Gulden Muttergut da geweſen.


Voͤgtin. Ich moͤcht von 3000 Gulden nicht
reden; wenn des Hummels ſeine Wirthshaus
und Mezgguͤlle (Jauche) nicht mehr auf die
Matte kommt, du wirſt ſehen, wie ſie ab-
N 3
[198] nimmt, und auch jezt im beſten Flor gaͤb ihm
niemand 2000 Gulden darum. —


Meyerin. Ich glaub nicht, daß er ſie feil
habe.


Voͤgtin. Um deswillen iſt ſie nicht deſto
mehr werth, — aber wir wollen jezt das
dahin geſtellt ſeyn laſſen, — gaͤll du nimmſt
ihn nicht?


Meyerin. Siehe Schweſter, wenn er
mich heute fragte, ob ich ihn wollte, ſo ſagte
ich ihm gewiß nein, aber weil du mich frageſt,
ſo ſag ich weder ja noch nein. —


Voͤgtin. Aber warum auch?


Meyerin. Ich hab dir es ſchon geſagt,
da will ich voͤllig und allein Meiſter ſeyn.


Voͤgtin. Willſt denn vom Vetter gar nichts
mehr hoͤren?


Meyerin. Hoͤren was du willſt, aber keine
Antwort geben, einmal jezt.


Voͤgtin. Das iſt ſo viel als nichts. —


Meyerin. Wenn du mir jezt mit 17 kaͤmeſt,
ſo gaͤb ich keine andere Antwort, und kann
nicht; mein kleiner Finger muß hierinn nicht
wiſſen was ich thue, bis ich es ſelber weiß.


Voͤgtin. Du weiſſeſt es ſchon. —


Meyerin. Nein wahrlich, in dieſer Sache
iſt halb wiſſen nichts wiſſen; und wenn ich es
recht weiß, ſo thue ich es denn grad.


Voͤgtin. Und ſagſt mir es denn auch, wenn
du es thuſt?


[199]

Meyerin. Ja freylich, ich ſags und thue
es denn miteinander.


§. 44.
Die Ueberwundene meiſtert jezt ihren
Mann.


Weiter konnte die Voͤgtin die Meyerin nicht
bringen, doch gab ſie auf dieſes Ge-
ſpraͤch hier die Hoffnung fuͤr den Vetter nicht
vollends auf, und wartete mit Ungedult wann
ihr Mann einmal von der Linde zuruͤkkomme.


Ihr denket vielleicht ſchon, wie ſie ihn em-
pfieng.


Du biſt nicht mehr ein Menſch, du biſt ein
voͤlliges Vieh wie du die Zeit uͤber Streiche
machſt, war das erſte Wort, das ſie zu ihm
ſagte, als er zur Thuͤr hineinkam.


Er wollte ſich entſchuldigen, und ſagte der
Junker, — der Junker. —


Du Narr! ſagte ſie, der Junker — der
Junker, — haſt du ihm nicht ſagen koͤnnen,
du ſeyeſt nicht fuͤrs kupplen Untervogt! und haͤt-
teſt du ihn nur an mich gewieſen, weil du ſo
ein Narr biſt, und nie weiſſeſt, was du thun
ſollteſt, ich wollte ihm gewiß die Naſe anderſt
gedrehet, und den Kopf dahin gekehrt haben,
wo ich ſie gern gehabt haͤtte.


N 4
[200]

Er ließ nach der Regel des goͤldenen A B C:


„Wenn jemand mit dir zanken will, ſo ſollt
„du dazu ſchweigen ſtill,“ — das alles gel-
ten, und fragte dagegen was ſie ihm zu Mit-
tag habe?


Wenn du nur zu freſſen haſt, ſo kann deinet-
wegen die Welt unter ob ſich gehen, ſagte das
Weib, ſtellte ihm aber doch etwas dar. —


Und er aß und ſchenkte ſich ein, und ſein
Weib, das ihn ſo in eine gute Haut hineineſ-
ſen ſah, ſagte zu ſich ſelber: er iſt nicht auch
wie ein andrer Menſch, man mag zu ihm ſa-
gen, was man will, es macht ihm nichts.


Einen Augenblik darauf ſagte ſie, er iſt ſo
geweſen, ſo lang ich ihn habe, aber das Beſte
iſt, er thut doch zulezt was man will; —
und denn zu ihm, — du Narr! Aber kannſt
du mir nicht bald einmal ſagen, ob du dann
meyneſt daß ſie ihn nehme? und wie es auch
zugegangen?


Vogt. Ja, ich weiß nicht, ob ſie ihn nimmt,
aber ich glaubs doch nicht.


Voͤgtin. Aber warum glaubſt du es nicht?


Vogt. Es hat mich einmal geſtern ſo be-
dunkt, da ich bey ihr geweſen, und mit ihr ge-
redet habe.


Voͤgtin. Was hat ſie dann geſagt, daß du
das meynſt?


Vogt. Nichts anders, — aber ich habe
[201] geſehen, daß ſie inwendig uͤbers Maurers Frau
wie wild worden; ſie hat nicht warten moͤgen,
bis ſie von mir weg war und iſt ſicher im Au-
genblik zu ihr gelauffen.


Voͤgtin. Es waͤre das beſte, wanns ſo kom-
men wuͤrde. Du haͤtteſt ſollen nachſchleichen,
und hoͤren wie es gehe.


Vogt. Ich haͤtte nicht koͤnnen, es war noch
faſt Tag.


Voͤgtin. Du kannſt nie nichts. —


Vogt. Es iſt deſto beſſer, daß du alles
kannſt. —


Voͤgtin. Du muſt doch noch einmal mit
ihr reden, und ſehen, was du mit ihr aus-
richteſt. Es hat mir einmal dieſen Morgen
auch geſchienen, es ſey noch nicht ſo gar ge-
faͤhrlich.


Vogt. Haſt du auch ſchon mit ihr geredt?


Voͤgtin. Ja freylich, und ſie hat gegen
den Vetter gar nichts anzubringen gewußt,
als was du ſchon weiſt, mit dem Spek und
mit dem Mezgen.


Vogt. Ich glaub bald ſie treib den Nar-
ren mit uns uͤber dieſe Puͤnkte. —


Voͤgtin. Nein, es iſt ihr gewiß Ernſt.


Vogt. Es iſt zulezt moͤglich, — ſie hat
ihr Lebtag ſolche Wunderlichkeiten gehabt, daß
ihr manchmal der oder dieſer ob etwas wied-
rig vorgekommen, das kein andrer Menſch
an ihm geachtet hat.


[202]

Voͤgtin. Wir wollen dann einandermal
ſprechen, geh jezt in Gottes Nahmen, und
ſieh, ob du etwas bey ihr ausrichten koͤnneſt?
Wann du zulezt nur ein Wort mehr kannſt aus
ihr herausloken, ſo iſt es das; aber es waͤre
uns doch auch ſo wohl wenn wir des Vetters
halber koͤnnten ruhig ſchlaffen.


Vogt. Ja, — aber wenn denn der Jun-
ker vernimmt, daß ich wieder den Rudj rede?


Voͤgtin. Du bleibſt ein Kind, wenn du
hundert Jahr alt wirſt, du ſollteſt ſie doch
auch beſſer kennen als ich, aber ich will mei-
nen Kopf zum Pfand ſezen, wenn ſie auch den
Rudj nimmt, und bey ihm im Bett liegt, ſie
ſagt ihm ihrer Lebtag kein Wort, daß dir
zum Nachtheil gereichen kann.


Vogt. Ich glaub das endlich auch.


Nun ſo geh einmal ſagte ihm die Frau,
und er mußte, wenn er ſchon noch zweymal
ſagte, es ſey morn am Morgen auch noch fruͤh
genug und dergleichen.


Zu ſeinem Gluͤk traf er ſie nicht bey Haus
an. Aber die Voͤgtin meynte, er ſey nicht
einmal da geweſen; er mußte ihr eine Weile
links und rechts Rechenſchaft geben, und er-
klaͤren, wie, wo, wenn, eh ſie ihm glaubte.


Und das war ihr noch nicht genug, ſie iſt
eine Zwingnaͤrrin wenn ſie ſich etwas in den
Kopf ſezt. Sie ſchikte noch dieſen Abend zur
[203] Meyerin, ſie ſoll doch noch einen Augenblik zu
ihr kommen, ihr Bruder habe etwas noth-
wendiges mit ihr zu reden.


Die aber ließ ihr antworten, ſie merke gar
wohl, was dieſes Nothwendige ſeye, aber ſie
wolle weder heut noch morn und auch in ein
paar Wochen nichts davon hoͤren, und bleibe
bey dem was ſie ihr ſchon geſagt.


Jezt wars aus. Die Voͤgtin ſah, daß ſie
nichts weiters machen koͤnnte, aber ſie haͤngte
doch das Maul, der Vogt hingegen zog es
herauf, denn er war froh, daß er heute und
morgen und vielleicht gar ein paar Wochen
dieſer Sach ſeiner Frauen halber Ruh, oder
wie er ſich ausdruͤkte, Galgenfriſt habe.


§. 45.
Folgen der Armuth, — und die Un-
gleichheit drey gleich guter Weiber.


Das war des Vogts Leben an dieſem Tag;
die Spinnerkinder hatten ein froͤhliche-
res.


Am Morgen ehe noch der Junker dem Wei-
bel den Rodel gab, ob dem er ſeine Taſſe Caf-
fee verſchuͤttet, und ſeinen Kopf verlohren,
rieffen ſie ihren Muͤttern aus dem Bett, daß
ſie doch aufſtehen, ſie auf ihren Zug zuruͤſten.


[204]

Und da ſie gehoͤrt, er koͤnne nicht leiden,
wenn jemand nicht ſauber gewaſchen, geſtrehlt
vor ihn komme, ſagten die guten Kinder es
eines dem andern, giengen mit ihren Muͤttern
zum Bach, und zum Brunnen, lieſſen ſich
Hals, Kopf und Haͤnde reiben, wie noch nie,
und ſchrien nicht, ſo ſehr ſie ihnen die ver-
wirrten wilden Haare rauften.


Und was ihre Muͤtter im hinterſten Win-
kel ſchoͤns und guts hatten, das mußten ſie
ihnen anlegen.


Es war nicht viel; ihrer viele hatten nichts
anders als ſchwarze Lumpen. Was will ich ſa-
gen, ihrer viele konnten ſie nicht einmal recht
ſtrehlen und waſchen.


Es kommt mir uͤbers Herz zuſagen, wie
weit es mit armen Leuthen kommt die, das
Jahr kommt und das Jahr geht, keinen Ehren-
und keinen Freuden-Anlaß haben, der ſie
auch etwann zur Ordentlichkeit und Saͤuber-
lichkeit aufmuntern koͤnnte.


Das machte, daß die Gertrud, die Reinol-
din, und das Mareylj vom Morgen da ſie das
Licht brauchten bis faſt Mittag ſo alle Haͤnd
voll zuthun hatten als vor Jahren die Muͤtter
in Zuͤrich am Baͤchtelj-(Neujahrs) Tag.


Die guten Weiber waſchten und ſtrehlten
ihrer viele noch einmal und entlehneten ihnen
Schuh, Struͤmpf, und Kleider, was ſie auf-
treiben konnten, daß der Zug ſchoͤn werde.


[205]

Aber wer ſonſt noch ſo gut mit ihnen war,
gab ihnen doch nicht gern etwas zu dieſem
Zug. Es forchtete ſich ein jedes vor dem Eifer
den es im Dorf abſeze, wenn es ihnen aus-
kommen wuͤrde.


Der Reinoldin ihre eigene Schweſter, da
ſie ihr einen ganzen Buͤndel Kinderzeug gab,
bat ſie, ſie ſoll doch machen, daß es Niemand
vernehme.


Das machte die Reinoldin ſo wild, daß ſie
in der erſten Hiz ihr den Buͤndel wieder an
Boden warf und ihr ſagte, auf dieſe Art brau-
che ſie nichts von ihr. — Einen Augenblik
darauf nahm ſie ihn wieder vom Boden, und
ſagte, wenn dir jemand den Kopf dafuͤr ab-
beißt, ſo will ich dir ihn wieder aufſezen.


Das Mareylj machte es nicht ſo, wenn es
nur brav Zeug bekam, daß der Zug recht ſchoͤn
wuͤrde, ſo lieſſe es denn dazu ſagen, was ein
jedes gern wollte, und gab wer nur Miene
machte, daß er ſich fuͤrchte, zur Antwort, es
iſt gar nicht noͤthig, daß jemand etwas davon
wiſſe.


Und beym obern Brunnen, wo es mit ei-
nem ſolchen Buͤndel unter dem Arm einen gan-
zen Haufen Bauernweiber antraf, gab es auf
die Frag, was es da trage, zur Antwort, ihr
wiſſet ja wohl was das Baumwollen Mareylj
alleweil herumſchleppen muß! Da glaubten die
[206] Weiber, es ſey Baumwollengarn, obſchon der
Buͤndel einem Baumwollenbuͤndel gar nicht
gleich ſah.


Gertrud entlehnte gar nichts, und ſagte,
man muß fuͤr niemand anders etwas entlehnen,
auſſer man habe es nicht zu achten, und koͤnne
es denn wohl zahlen, wenn es verlohren geht,
und zu Grund gerichtet wird; aber ſie gab was
ſie immer nur hatte, und konnte.


Bis um Neun Uhr hatte eine jede daheim
das Haus voll dieſer Kinder. Um 9 Uhr gieng
alles zum Mareylj, wo ſich der Zug verſam-
melte.


§. 46.
Das Kind eines Manns, der ſich ſelbſt
erhenkt; — und ein Ausfall wider das
Taͤndeln.


Sie waren kaum bey einander, ſo ſagte das
Mareylj, jezt haben wir auch ſchoͤn ver-
geſſen unſerm Zug eine Koͤnigin zu ſuchen, und
ſie einen Spruch fuͤr den Junker zu lehren.


So gehts, ſagte die Reinoldin, wenn jezt
unſer nur eins geweſen waͤre, ſo waͤr’s gewiß
nicht vergeſſen worden. —


Hand in Hand, ſtuhnden jezt alle drey zu
den Haufen Kinderen auf der Matte hinzu,
[207] und lieſſen ihre Augen herumgehen unter ih-
nen, eines davon auszuſehen.


Im Bliz ſagte die Reinoldin, ich weiß eins;
gleich darauf das Mareylj, ich auch; — und
denn die Gertrud, wenn wir jezt auch alle drey
das gleiche meynten?


Es war ſo; ſie nannten es alle aus einem
Mund. Es ſtuhnd da unter einem noch bluͤhen-
den Birnbaum, der noch nicht ausgewachſen.


Es war ſein Bild; es wußte es nicht, und
ſtaunte ihn an.


Der ganze Haufe ſah gierig den Weibern
ins Maul, wer Koͤnigin ſeyn ſollte! Es allein
ſtand neben aus, wie wenns ihns nicht angieng,
und hoͤrte ſeinen Nahmen nicht, da ihn die
Weiber jezt nannten.


Es war armuͤthig gekleidet; ſein weiſſes
Hemd war der Gertrud, und ſeine Schuh und
Struͤmpf der Reinoldin. Aber es war ſchoͤn wie
der Tag, ſein gelbes Haar rollte ſich auf der
hohen Stirne, und ſein blaues Aug glaͤnzte,
wenn es ihns vom Boden aufhielt, ſeine Haut
iſt zart, wie wenn es im Kloͤſter erzogen, und
ſeine Farbe friſch, wie wenn es ab den Bergen
kaͤme.


Es iſt das aͤlteſte von den zehen Kindern des
ungluͤklichen Manns, der an einem dunkeln
Abend mit dem Hummel gerechnet, ihn ins
Thal Joſaphat eingeladen, und dann in der
[208] Nacht, ehe die Sonne wieder aufſtuhnd, ſich
an einer Eiche erhenkt.


Man konnte das nicht genug anſchauen, ſo
ſchoͤn war es. Ein leichter Wind wehete die rei-
fen Bluͤthen vom Birnbaum, daß ſie wie
Schneegeſtober um ihns herflogen, und auf
ihns abfielen, wie wenn ſie ihns kleiden wollten.


Es war mit ſeinen Gedanken auch nicht
beym Birnbaum, es war bey ſeinem Vater. —
Es iſt immer bey ihm, ſeitdem er geſtorben;
aber es war euch ein guter Vater, und hatte
ihns innig lieb, und alle ſeine Kinder. Und
er iſt nur darum geſtorben, weil er in dieſer
dunkeln Stunde glaubte, — es ſey ihm un-
moͤglich die armen zehen Geſchoͤpfe vor tiefem
Elend zu bewahren.


Er war an der ungluͤklichen Nacht bis um
11 Uhr auf, und kam da noch in ſeines Ba-
belis Kammer, und wuͤnſchte ihm gute Nacht;
aber er wußte nicht, wie er thun wollte, war
ſo freundlich und ſo aͤngſtlich, und konnte nicht
von ihm weg, ſo daß es dem Kind ſelber vor-
kam, er mache, wie wenn er auf eine weite
Reis wollte, und nicht wiſſe ob er ihns wieder
ſehen wuͤrde.


Als er fort war, mußte es ein paarmal ſeuf-
zen, aber es denkte doch es ſey nichts anders,
er ſeye jezt ins Beth; aber ein paar Stunden
darauf, als die Mutter kam, und ſagte, er
ſey
[209] ſey nicht ins Beth gekommen, ſagte das Kind
im Augenblik, o mein Gott, — o mein Gott!
es hat gefehlt, und raufte ſich die Haare, und
konnte faſt nicht erzehlen, daß er gerad ehe es
eingeſchlafen, wie Abſchied von ihm genoh-
men, und vor ſchwerem Herzen faſt nicht mehr
zur Kammer hinaus koͤnnen.


Jezt traͤgt das arme Kind Tag und Nacht,
wo es gehet und ſtehet, den guten Vater im
Herzen, und wenn die Mutter um Mitternacht
meynt, es ſchlafe in ſeinem Beth, ſo iſt es in der
einſamen Wildniß bey ſeinem Grab.


Das liegt zwiſchen Felſen und Dornen; ob
ihm iſt eine ſteile Bergwand, und unter ihm ein
Abgrund. Ein ſchwarzer Bach mit grauem
Schaum rauſchet neben dem Grab hin, und
faͤllt unter ihm in ein Beken in Abgrund. Zwi-
ſchen alten Tannen und grauen Eichen, iſt der
weite Himmel hier eng, und die Morgenſonne
kommt erſt gegen Mittag von der Felswand
herab, und bald Nachmittag verbirgt ſie ſich
wieder hinter den Buchen. Da auf mooſigten
Steinen liegt das Kind ganze Naͤchte.


Und hat zwiſchen Dornen und Steinen auf
ſeinem Grab, und rund herum Blumen ge-
pflanzet, ſo viel und ſo ſchoͤn, als in dieſem
Schattenloch wachſen. — Blaue Veilchen,
blaſſe gruͤnlichte Tulpen, helle weiſſe Sternen-
blumen, blaſſe rothe Roſen; — in der Mitte
O
[210] ſteht eine groſſe Sonnenblume. Es ſtaunt oft,
wenn ſie bluͤhet, ihr hohes ſich neigendes Haupt
an; und an den vier Eken ſind die Paßions-
blumen, und das gute Kind kann ſich bey die-
ſen Paßionsblumen in Gedanken uͤber das
Schikſal ſeines Vaters verlieren, wie ein Schrift-
forſcher in heiligen Buͤchern uͤber das Schik-
ſal des Himmels und der Erde.


Rings um das Grab ſind dike Heken wie-
der das Wild, es legte ſie mit ſeiner Hand an,
und flochte die Dornen ſelber in einander, und
den einzigen Fußſieg fuͤr Menſchen hat es eine
lange Streke mit Dornen und wildem Ge-
ſtraͤuch uͤberlegt.


Allemal wenn es um Mitternacht kommt
thut es die ganze Streke, Dorn und Geſtraͤuch
wieder weg, und wenn es heimgehet, legt
es ſie wieder ſorgfaͤltig zu; auch hat noch kein
Fußtritt als der ſeine das Grab betretten.
Wenn es denn am Morgen heimkommt bringt
es duͤrre Reiſer und Kienholz, wie wenn es
darum am Morgen fruͤh in den Wald gegan-
gen waͤre; aber unter den Reiſern hat es den
ganzen Sommer durch Blumen, ſeine blaue
Veilchen, ſeine gruͤnen Tulpen, und ſeine blaſ-
ſen Roſen.


Und es wartet dieſer Blumen ab des Va-
ters Grab mit friſchem Waſſer am Schatten,
neben ſeinem Kaſten, und wenn ſie denn wel-
[211] ken, ſo ſammelt es noch ihre Blaͤtter und Sten-
gel. Seine ganze Bibel und ſein groſſes und
kleines Baͤttbuch ſind voll von dieſen Blaͤttern,
und die duͤrren Stengel hat es in ſeinem Ka-
ſten in einer Schachtel, in der es das einzige
ſchoͤne Halstuch das es von ſeiner Gotten her
hat, und nie tragt, verſorget. Es ſtehet oft
Stunden lang vor dem Kaſten, und nezet Hals-
tuch und Stengel mit ſeinen Thraͤnen.


Ich bin kein Veilchentaͤndler, und lobe
nichts wenigers, als daß der Menſch vor
Blumen ſchmelze, und ob Muͤken weyne. Sie
ſind vorbey die Tage meiner Thraͤnen, und
ich habe erfahren, daß der Menſch der ob Blu-
men ſchmelzt, ſein Brod nicht gern im Schweiß
des Angeſichts ißt, und daß ſein Weib nicht
gern Kinder gebihrt, das ſich abſchwaͤcht,
und Gottes Ordnung wiederſpricht. Darum
mag ich dieſes Geſchlechts nichts. Es gehoͤrt
nicht in unſre Welt, die Dorn und Diſtel
traͤgt, ſondern in eine, wo artige Engel mit
Himmelszauber fuͤr ſie den Boden bauen, und
zu den Steinen ſagen: „Werdet ihr Brod“,
damit die Muͤßiggaͤnger eſſen.


Aber auf unſerm Boden taugt es nicht, und
ich ſage es ſo gerade als ich es denke, ein Bau-
renkind, das eine Blumentaͤndlerin wuͤrde von
dieſer Art, wuͤrde ein armes elendes Menſch,
O 2
[212] und es waͤre ihm beſſer, es waͤre eine Zigeu-
nerin worden.


Aber das Babelj iſt nicht deren eine. Un-
ſchuld und Vaterliebe, und Gottes Fuͤhrung
ob ihm machten aus ihm was es war; und es
iſt, was es ſo iſt, im Verborgenen und in der
Mitternachtsſtunde.


Den Tag uͤber iſt es die Magd ſeiner Mut-
ter, die krank iſt, und die Mutter ſeiner Ge-
ſchwiſterte die unerzogen ſind, und du kannſt
weit und breit fragen, ob du eine kranke Frau
findeſt, die eine beſſere Magd, und unerzogene
Kinder die eine beſſere Mutter haben? Du wirſt
keine finden.


Erſt um Mitternacht, wenn alles im Bett
liegt und ſchlaft, ſchleicht es von ſeinem Spinn-
rad weg zum Fenſter hinaus, uͤber den Holz-
ſtoß, und wandelt zu des Vaters Grab.


Und wenn das Jahr ſich wendet, und der
Monat des Ungluͤks da iſt, ſo verbirgt es der
Mutter den Calender’ daß ſie den Jammer-
tag nicht bemerke, und treibt dieſe Woche alle
Arbeit zuſammen, daß ſie nicht Zeit habe zu
ſtaunen und darauf zu fallen.


Aber es ſelber vergißt ihn nie, und wuͤrde
es donnern und blizen, und Schloßen regnen,
die toͤdten, es wuͤrde nicht weichen und lieſſe
ſich toͤdten auf ſeinem Grab.


[213]

§. 47.
Noch einmal das Kind des Erhenkten.


Das iſt das Kind, das ſo unter dem Bir-
baum ſtaunte, und nichts hoͤrte, als
die drey Weiber ihns zur Koͤnigin machten.


Die Reinoldin ſprang hinten an ihns zu,
ſchlug ihns mit beyden Haͤnden auf die Achſel
und ſagte ihm, ins Ohr: du biſts. —


Es erſchrak, kehrte ſich feuerroth um, und
wußte, nicht was ſie wollte, bis es ſich erholete.
— Da umringte ihns alles, alles both ihm
die Hand, und freute ſich, daß es es ſeye.
Da ſchoſſen ihm Thraͤnen in die Augen, denn
ſeit dem ſein Vater tod iſt, dachte es nie mehr
in ſeinem Herzen, die Menſchen ſind gut; es
dachte nur immer, der Vater war gut, und
flohe die Menſchen. — Jezt dachte es wie-
der, die Menſchen ſind gut, und Thraͤnen
ſchoſſen ihm in die Augen.


Da nahm ihns die Reinoldin bey der Hand,
und ſagte, komm’jezt, ich will dich jezt ruͤſten,
wie eine Braut, und dich einen Spruch lehren
wie ein Pfarrer.


Aber als ſie ihm daheim das Gotten-Schaͤp-
peli (ein breiter groſſer Bauernkranz) auf den
Kopf legen, und ein ganz weiſſes Kleid anzie-
hen wollte, bat das Kind, ſie ſolle doch das
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[214] nicht thun, und auch denken was der Junker
und das ganze Dorf ſagen wuͤrde, wenn es
ſich ſo in der Hoffart zeigte.


Die Reinoldin gab ihm zur Antwort, laß
das jezt nur mich verantworten, es iſt fuͤr
den ganzen Zug, und des Junkers wegen, daß
du jezt muſt ſo hoffaͤrtig ſeyn, und nicht fuͤr
dich; und damit legte, ſie ihm den Rok an.


Es konnte ſeinen Spruch geſchwind, und
die Reinoldin kam bald mit ihm wieder in des
Mareylis Matten.


In ihrem Leben iſt ſie nie uͤber Kleider
ſtolz geweſen, aber jezt war ſie ſtolz uͤber das
Kleid in dem ſie das arme Kind als die Koͤni-
gin des Zugs unter den reichen Kindern hin-
einſtellte, die jezt alle Maul und Augen ob
ihm aufthaten. — Man kann aber auch keinen
Engel ſchoͤner mahlen als das Kind jezt ware.


Sein Kleid war weiß, wie ein gefallener
Schnee, und glaͤnzte wie dieſer, wenn nach ei-
nem Regen ſeine Oberflaͤche verhaͤrtet, und
dann die Sonne darauf ſcheint.


Ein breiter rother Guͤrtel umwand das
glaͤnzende Kleid, und flog in doppeltem Band
an ſeiner Seite bis an den Boden. —


Seine Goldzopfen wallten um und uͤber
ſeine gleiſſende Gotten-Crone; und zwey weiſſe
Sternenblumen glaͤnzten zwiſchen Roſen auf
den Baͤndern des Bruſttuchs, die weiß und
[215] roth waren, wie die Roſen und Sternenblu-
men.


So ſtellte die Reinoldin dem Zug das Kind
vor. Es ließ ſich aber fuͤhren, wohin ſie ihns
fuͤhrte, und ſtellen wo ſie ihns ſtellte. —


§. 48.
Wie ein Hund dem Zug das Geleit giebt,
und ſich tapfer haltet.


Der Zug war bald in der Ordnung, und
alles war beynahe fertig, als noch etli-
che Kinder ſagten, wenn wir jezt nur auch fuͤr
die groſſen Haͤuſer vorbey waͤren, ſie foͤrchte-
ten man werde ſie auslachen, und ihnen aller-
ley zu leid thun.


Als die Reinoldin das hoͤrte, ſagte ſie, war-
tet, ich weiß ein Mittel dagegen, mit dem
ſprang ſie heim, kam im Augenblik mit einem
kleinen Hund wieder, der hatte eine lange ſpi-
zige Schnoren, die faſt bis zu den Ohren offen
war, und die Reinoldin ſagte, der wird euch
ſchon das Geleit geben, wenn euch jemand
etwas thun will. Der Hund war abgerichtet,
wenn man ein paar Wort zu ihm ſagte, ſo ſieng
er einen Lerm an, und ein Bauzen, wie wenn
ihrer Sieben bey einander waͤren, und hoͤrte
O 4
[216] denn nicht auf, bis man ihm denn wieder et-
was anders ſagte.


Wenn euch jezt das geringſte begegnet, ſagte
die Reinoldin zu ihrem Aelteſten, ſo ruf du nur:
Diane, gieb du Beſcheid; und laß ihn denn nur
ſeine Sach recht machen, ehe du ihm wieder
rufſt, ſchweig jezt, du haſt genug geredt. —


Es kam ihnen wohl, daß ſie den Hund bey
ſich hatten, dann es war bey allen groſſen Haͤu-
ſern ein Kopfzuſammenſtoſſen, lachen, ausſpot-
ten und nachrufen, daß das Reinoldlj ſieben-
mal den Hund gehezt haͤtte, wenn ihm nicht
die Rikenbergerin immer zugerufen, es ſoll es
doch nicht thun, ſie wollen lieber geſchwind
vorbey und weiter. —


Aber bey des Kalberleders war ſeine Geduld
aus, der junge Bengel ladte eben Miſt, und
ſein Wagen ſtuhnd an der Straß als ſie vor-
beyzogen, da warf er eine groſſe Gabel voll ſo
ſtark daruͤber aus, daß er auf der andern
Seiten hinunter in die Gaß, und vollends ſo
an den Zug anftel, daß es keinen halben Schuh
gefehlt, des Krumhaͤuslers Bethelj waͤre uͤber
und uͤber voll Miſt worden.


Jezt rufte das Kind: Diane, gieb du da
Beſcheid, und zeigte ihm mit dem Finger den
Kalberleder, jenſeits des Miſtwagens.


Der kleine Hund wie ein Bliz, darunter
durch, ſprang den groſſen Bengel an. Er
[217] aber warf ihm die Miſtgabel nach, dann viele
Steine, und endlich ein Pflugsraͤdli, aber er
traf ihn nicht. Der Hund war wie ein Wind-
ſpiel, ihm alle Augenblik an den Beinen, und
alle Augenblike wieder davon; der Bengel aber
war wie raſend vor Zorn, daß er ihn nicht
traf, und rief mit einem Schaum vor dem
Maul, die Kinder an, rufet euern Hund zuruͤk,
oder ich ſchlage ihn todt.


Aber die Kinder lachten ob dieſem Todſchlag
noch lauter als der Hund bellte, und alle Fen-
ſter an der ganzen Gaß und alle Thuͤren wa-
ren offen, und alles ſah jezt nicht mehr dem Zug
ſondern dem Hund und dem Kalberleder zu,
denn es gieng gar lang. Das Kind der Rei-
noldin thats nicht, wenn die Rikenbergerin
ihns ſchon bat, es ſoll ihm zurukrufen, es ließ
ihn fort machen, bis er heiſcher war, erſt da
rief es, Diane, ſchweig jezt, du haſt genug
geredt.


Des Bengels Vater war ſo giftig darob,
daß er ihm, da er wieder in die Stube hinein
kam, eine Ohrfeige gab, und das that dem
Kerl faſt ſo weh als daß er mit dem Hund
nicht Meiſter worden. Er ſagte dem Vater,
du haſt doch auch zum Fenſter hinausgelacht,
da ich die Gabel hinuͤber geworfen und ich
habe ſo wenig wiſſen koͤnnen als du, daß ſie
ſo einen Kezerhund bey ſich haben.


[218]

Der Alte erwiederte ihm, halts Maul, du
Ochſenkopf; aber er hatte doch recht. — Wenn
zwey oder drey Kinder von dem Miſt voll wor-
den waͤren, und ſich der Hund gar nicht darein
gelegt haͤtte, ſo haͤtte der Alte ſich faſt zu tod
gelacht und dem Ochſenkopf ſtatt der Ohrfeige
ein Glas Wein aus dem Keller dafuͤr gereicht.
So gehts in der Welt! —


Er machte es nicht allein ſo, die meiſten
Leuthe unter den Thuͤren und Fenſtern, da
ſie ſahen daß der Hund Meiſter worden, lach-
ten den Buben aus, und ſagten, es geſchehe
ihm recht, warum er ſie nicht gehen laſſen.


Jezt gaben auch ein paar alte Frauen an
dieſer Gaß den Kindern uͤber den Haag, aus
ihren Gaͤrten Blumen, und viel alte Leuthe
erzehlten, ſie habens von ihren Vorfahren ge-
hoͤrt, daß in der alten guten Zeit unter einem
Junker der faſt hundert Jahr alt worden,
und der den Leuthen gar lieb geweſen, die
Kinder aus allen ſeinen Doͤrfern mit Creuz und
Fahnen, weil da noch alles Catholiſch gewe-
ſen, und mit allen ſeinen Pfarrern und Fruͤh-
meſſern alle Jahr einmal in die alte Burg ge-
zogen, und denn da mit dem Junker und al-
len ſeinen Leuthen den ganzen Tag uͤber Freud
gehabt haben.


[219]

§. 48.
Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelen-
Staͤrke gegruͤndet.


Arner war ſchon eine Weile von der Linde
weg, und ſtaunte in des Pfarrers Gar-
ten einſam dem Schrekenbild nach, das heute
vor ſeinen Augen geſtanden, und je mehr er
ihm nachſtaunete, je mehr erſchuͤtterte ihn das
Bild dieſer Menſchen die vor ihm ſtuhnden.
Er ſah nichts als Verderben uͤber Verderben,
und Verheerung uͤber Verheerung bis in ferne
Geſchlechter.


Am End des Gartens iſt eine dunkle Laube,
und unter dem Schattengewoͤlb ein Raſenbank,
auf den einer ſicher abſizt, wenn er mit ſchwe-
rem Herzen dazu kommt. —


Arner lag da mit ſeinem Angeſicht auf die
erhoͤhete Erde und nezte den Raſenbank mit
ſeinen Thraͤnen ob dem Bild der Verheerung
ſeines Volks, von dem er kein Ende ſah; und
der Schmerz ſeiner Hoffnungloſen Sorgen
ſtieg auf das hoͤchſte, als das Geraͤuſch dieſer
Kinder, die den Garten hinaufkamen, und
ſchon hinter ihm zuſtuhnden, ihn wie aus
dem Traum erwekte.


Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte ſich
um, und ſahe den Reihen Kinder den gan-
[220] zen Garten hinab, wie wenn er nicht aufhoͤrte,
und den Engel im weiſſen Kleide an ihrer
Spize, vor ſeinen Augen; und alſobald redte
das Kind ihn an.


Lieber Junker Vater!


Wir ſind arme Spinnerkinder von Bonnal,
und kommen euch zu danken, daß ihr ſo gut
mit uns ſeyt, und uns eine ſo groſſe Wohlthat
verſprochen, wenn wir zu dem Geld das wir
verdienen Sorg tragen, und es ordentlich auf-
ſparen. Lieber Junker Vater! Wir haben
gar eine groſſe Freude an dem was ihr uns
verſprochen, und wir verſprechen euch wieder,
weil wir jung ſind, und wenn wir alt wer-
den, recht zuthun, und was euch an uns freuet.
Gott vergelt euchs in Zeit und Ewigkeit was
ihr an uns thut! —


Und — Gott vergelt euchs in Zeit und Ewig-
keit was ihr an uns thut! — ſprach jezt der
ganze Reihe bis an das End des Gartens hin-
ab der Rikenbergerin nach.


Er war wie verſteinert; er wußte einen Au-
genblik nicht ob er traͤumte, er faßte die Kin-
der vom erſten bis zum lezten ins Aug, und
dachte waͤhrend die Rikenbergerin immer nur
redte, iſt das auch moͤglich? ſind das die Kin-
der der Menſchen, die heute vor meinen Au-
gen ſtuhnden? Er war wie verſtummt, und
es war, wie wenn er ihns nicht verſtuͤhnde.
So zeigte er im Auge keine Freude.


[221]

Und wundert euch nicht ihr Menſchen!
Wenn ein Vater den Liebling ſeines Herzens
und ſeinen Erſtgebohrnen unwiederbringlich
verlohren, mit ſeinem Angeſicht ſich auf den
Boden hinwirft und mit ſeinen Zaͤhnen ins
Gras beißt vor Verzweiflung, und dann ſeine
andern Kinder zu ihm kommen, ihn zu troͤ-
ſten, ſo empfindet er zuerſt auch keine Freude,
und wenn auch ihre Mutter an ihrer Spize,
kehrt er ſich doch von ihr weg, er ſchnappet
vor allem aus nach Athem und Luft; erſt denn
wenn es wieder leichter ums Herz, erſt dann
faͤllt er der Mutter an Arm, erſt dann ſezt er
ihren Unmuͤndigen auf ſeinen Schoos, und
fangt an, ſich ſeiner uͤbrigen Kinder wieder
zu erfreuen, und ſich wegen ſeines verlohrnen
Erſtgebohrnen zu troͤſten.


Arner mußte ſich jezt auch erholen, und
nach einigen Augenbliken, da er wie verſtei-
nert da ſtuhnd, erholte er ſich wirklich, und
gab der guten Rikenbergerin ſeine Hand und
ſagt zu ihm, Kind! weſſen biſt du? — Aber
er ſah noch ſo verwirrt aus und ſeine Sprache
war noch ſo hart, da er das ſagte, und ſo
voll Unruh, daß das Kind von ſeinem Anblik
gleich erſchroken wie von ſeiner Frage ſeine
Farbe verlohr, und mit Zittern antwortete
mein Vater — mein Vater — iſt —
denn konnte es nicht mehr, ſeine Lippen ſtarr-
[222] ten, und es dekte mit beyden Augen ſein An-
geſicht, das es tief gegen die Erde hinab bog.


Was iſt das? — was iſt das? — fragte
da Arner, und war faſt ſo erſchroken als das
Kind. Da ſagte ihm ein anders Kind, das
hinter ihm ſtuhnd, es gehoͤrt dem ungluͤklichen
Rikenberger.


Es that dem Junker ſo leid, er nahm ihm
ſeine Hand, und ſagte, es iſt mir leid, daß
ich dich das gefragt.


Das Kind aber hatte ſich auch wieder er-
holt und ſagte, verzeihet mir doch was mir
begegnet, ich hab einmal nicht anderſt koͤn-
nen.


Der Junker erwiederte ihm: es iſt brav,
daß dir dein Vater ſo lieb iſt, ich weiß aber
auch daß ers verdient, und daß er ein guter
Vater war, und ſo lang er mit ihm redte,
hatte er ſeine Hand in der ſeinen.


§. 50.
Der Mittelpunkt deſſen was Arner iſt.
Sein Vaterſinn, ohne den alles was
er thut nichts anders als Romanen-
Heldenſtreich ſeyn, und in unſerer Welt
nicht angehen wuͤrde.


Und ſo ſagte er dann dem ganzen Reihen.
— Ihr koͤnnet nicht glauben, Kinder!
[223] wie es mich freuet, daß ihr ſo zu mir gekom-
men! — Und ſezte ſich dann nach und nach
von ihrem Anblik erquikt, zu ihnen auf den
Raſenbank hin, machte ſie naͤher zu ihm zu
kommen, und die kleinſten hart an ihn zu ſte-
hen, dann nahm er von dieſen bald das eine,
bald ein anders auf ſeinen Schoos und wollte
mit ihnen ſprachen. Im Anfang gaben die
Kleinen ihm keine Antwort, und ſahen ihn
nur ſo an; bald aber ſiengen ſie doch an mit
den Augen und mit dem Kopf ja und nein zu
niken, druͤkten aber dabey die Lippen ſo feſt
uͤber einander, wie wenn ſie ſagen wollten,
ſie haͤtten kein Maul; andere verdekten das
Maul mit der Hand, wenn ſie reden ſollten. —


Aber des Rudis und der Gertrud Kinder
gaben ihm Antwort, ſo bald er mit ihnen redte,
und das that den andern bald auch das Maul
auf. Zuerſt antworteten ſie ihm nur ein Woͤrtlj,
dann zwey, dann drey, — dann ſo viel er
wollte, und bald darauf giengen ihnen die Maͤu-
ler wie eine Waſſerſtampfe.


Sie ſaſſen ihm jezt von ſelbſt auf den Schoos,
umfaßten ihn bald mit den Haͤnden um den
Hals, und thaten bald voͤllig mit ihm, wie
wenn ſie den Aettj unter den Haͤnden haͤtten.


Das Baͤren-Annelj machte auf ſeinem
Schoos gar wie wenn es eine Geiſſel in der
Hand haͤtte, huͤ — huͤ. — Er verſtuhnd
[224] ihns. Er hatte es ſeines Großvaters Lehen-
mann vor altem auch ſo gemacht, wenn er
ihn auf dem Schoos hatte, und wollte daß er
ihn reite. Er ſezte das Kind auf ſein Knie,
und machte mit ihm das Reuterſpiel. —


So reiten die Herren, die Herren,

So reiten die Bauern, die Bauern

So reiten die Knaben, die Knaben,

So reiten die Jungfern, die Jungfern.

Da giengs an ein Lachen und an ein Treiben
auf ſeinem Schoos. Er nahm ihrer mehr als
zwanzig alſo aufs Roß; ſie machten bald mit
ihm was ſie wollten. Wenn die Groſſen ihnen
denn abwehrten, ſo winkten ſie mit dem Kopf
nein, und ſagten ihnen leiſe, er hats nicht
ungern, und der Junker ſagte ihnen ſelber, ſie
ſollen ſie machen laſſen.


Sie hiengen ſich ihm an Ruͤken und Hals,
geriethen ihm hinter Haut und Haar, hinter
ſeinen Orden und hinter ſeine Uhrkette; ſie
boten einander ſeine Doſe herum, ſchnupften
ab dem beſchloſſenen Dekel, und thaten, wie
wenn ſie nieſſen muͤßten. Er wehrte ihnen
nichts, als den Degen, den ſie auch ausziehen
wollten. Mit unter fragte er ſie eint und an-
ders; einmal auch, ob die Kleider alle ihnen
ſeyen, die ſie hatten? Nein, nein, antwortete
ſie, zeigten ihm, wie dem Vater daheim, das
Hemd unter dem Halstuch, und den Strumpf
am
[225] am Bein, ſagten ihm alle Stuͤkgen, von wem
ſies haben, und erzaͤhlten ihm dann hinten-
nach, daß ſie alles zu Abend den Frauen wie-
der bringen muͤſſen.


Ihr muͤßt es ihnen nicht mehr bringen, ſag-
te da der Junker. Das iſt jezt nichts, ſagten
die Kinder, wohlfreylich muͤſſen wir es wieder-
bringen. Einige ſagten: wir brauchens ja
morn nicht mehr; du biſt ja morn nicht da.


Er ſagte noch einmal, ich will machen, daß
ihrs behalten koͤnnet. Aber ſie konnten es faſt
nicht glauben. Er taͤndelte ſo mit ihnen bis
der Lieutenant und der Pfarrer zum Eſſen heim
kamen, und beyde ſind verſaͤumt worden, und
kamen ſpat.


§. 51.
Wer Kraͤfte hat, wird Meiſter.


Der Lieutenant auf dem Ried, half den
Vorgeſezten, und wer da war, die Plaͤze
abzuſteken, wo Nachmittag die Hausvaͤter, die
Baͤume hinſezen ſollten, die der Junker ihnen
gegeben.


Die Vorgeſezten und Feißten unter ihnen,
da ſie gehoͤrt, daß der Herr darauf denke Schul-
meiſter bey ihnen zu werden, wollten es ein
wenig kurz mit ihm faſſen.


P
[226]

Iſts wahr? Sagten ſie zu ihm, daß ihr
unſer Schulmeiſter werdet? Und auf ſeine Ant-
wort, ey ja! ſahen ſie ihn an, wie ein Kaͤu-
fer auf dem Markt ein Juden-Roß, dem er
nichts gutes traut, und ſtengen dann bald un-
ter einander an, zuerſt halb und denn ganz
ihr Geſpoͤtt zu haben, und endlich uͤberlaut zu
ſagen: es werde muͤſſen eine neumodiſche Schule
abgeben; und dann fragten ſie ihn noch ob er
ſich mit dem alten Schul-Lohn begnuͤge? oder
wer ihm mehr gebe? Einige ſagten, er werde
wohl muͤſſen ihre Buben lehren in die Scheibe
ſchieſſen, und exercieren, und einer deutete
gar mit ſeinem Finger auf ſein Bein, und
ſagte, aber er denke, einmal doch auch nicht
tanzen.


Er ließ ſie eine Weile machen, zu ſehen, wie
weit ſie es trieben. Als er aber fand, es ſeye
jezt genug, ſtuhnd er auf, und ſagte mit dem
Stok in der Hand: an die Arbeit, ihr Nach-
barn! damit ich nicht verſaͤumt werde.


Sie thaten das Maul auf, und er ſagte zum
dikſten: komm her und trag das, und zum
groͤſten: geh hin und bring das! —


Und beym erſten, der nicht im Augenblik
that, was er ſagte, fragte er, wie heißt der?
und ſchrieb ihn auf. Das machte ſie folgen.
Die ſo ihn verſpottet, lehrnten ſtehen, wohin
er ſie ſtehen, und gehen wohin er ſie gehen,
und tragen, was er ſie tragen hieß.


[227]

So bald er ſie da hatte, war er wieder ſo
freundlich als je, und thate ihnen was ſie woll-
ten, und was er konnte. Er hatte auch die
Arbeit mit den Baͤumen ſo bald in Ordnung,
daß die Bauern nicht begreifen konnten, wie ge-
ſchwind er damit fertig worden, und brachte
es ſo weit, daß die ſo im Anfang die ſchlimm-
ſten waren, ganz zahm wurden, und daß ihrer
etliche zu ihm ſagten, es ſeyen im Anfang ſo
einige Worte gefloſſen, die er eben nicht auf-
nehmen ſolle, wie ſie gelautet. Andere ſagten
ihm, ſie muͤſſen jezt wohl ſehen, wie ſteif er
eine Ordnung habe, und wie er ſeinen Sachen
vorſtehe, und er ſolle nur mit ihren Buben ſo
eine Ordnung halten, ſo werde es wohl ge-
hen; und etliche Buben riefen uͤberlaut, der
kann auch etwas, und bey dem kann man auch
etwas lehrnen.


Es waren gar viele Buben da; ſie ruͤſteten
zu, was ſie auf den Abend ihre Baͤume zu ſezen
noͤthig hatten.


Der Lieutenant gieng mit ihnen in alle Eken,
und zeigte einem jeden wo ſeine Numer hin-
komme. Er war ſo freundlich mit ihnen, daß
ſie alle zu einander ſagten, er giebt gewiß ein
guter Schulmeiſter. Es giengen ihrer mehr
als ein Duzend Buben mit ihm vom Ried weg
heim, und er redte die ganze Zeit uͤber mit ih-
nen von ihrer Arbeit, und allem was ſie koͤnnen
P 2
[228] und lehrnen muͤſſen, daß ſie rechte Bauern
werden.


Nahe beym Pfrundhaus traf er den Pfar-
rer an, der von ſeiner Kranken kam, und eben
wie er ſich verwunderte, da er jezt mit ihm
am Kirchthurm ſah, daß es ſo viel uͤber die
Zwoͤlfe. —


§. 52.
Es iſt im Kleinen, wie im Groſſen.


Schon zu unterſt an der Kirchgaß hoͤrten
ſie das Lachen der froͤhlichen Kinder, er-
kannten die Stimme des Junkers im Garten,
und ſchlichen neben dem Pfrundhaag hin-
auf, ſtellten ſich dann hinter die Haſelheken,
und ſahen zu, wie die Schaar der Kinder
in ihrer Freud mit dem guten Vater umgien-
ge, wie ſie ihn mit Haut und Haar zurich-
teten.


Er haͤtte ſie auch noch lang nicht erblikt,
aber ein Kind, das er auf der Schoos hatte,
nahm ihn bey der Naſe, kehrte ihm den Kopf
gegen die Seite, wo ſie ſtuhnden, und ſagte
zu ihm, ſieh da, wer iſt da?


Da riefen ihm Soldat und Pfarrer: bravo,
bravo, Junker! Das geht gut; und als er auf-
ſtuhnd und ſie gruͤßte, wars ihm, die Herren
[229] ſeyen ihm ſeiner Lebtag nie ſo lieb geweſen;
eine ſolche Freude hatte er an den Kindern.


Dieſe wollten jezt heim, aber er ließ ſie nicht,
und ſagte, der Pfarrer habe Kuͤh im Stall,
und Brod im Haus, und die Frau Pfarrerin
macht euch gern eine Milchſuppe. Und es ge-
luͤſtete ihn jezt ſelber nicht zum Tiſch, und mit
den Kindern im Garten allein ihre Milchſuppe
und nichts anders zu eſſen; aber er ſah, da er
ſich das merken ließ, daß der Pfarrerin das
Maul ein wenig herab fiel, und das war ihm
Grund genug, daß er mit ihnen zum Tiſch
gieng.


Die gute Frau war aber auch den ganzen
Morgen bis nach den Zwoͤlfen beym heiſſen
Feuer in der Kuche, damit der Junker ein gu-
tes Mittageſſen bekomme. Er ſagte da ſeiner
Wirthin, er wollte eine Viertelſtund zuſizen,
aber dann verſprechet ihr nur, daß keines von
euch aufſtehen wolle, wenn ich dann zu mei-
nen Kindern fortſpringe.


Er blieb ein paar Minuten laͤnger, trank
auf ihre Geſundheit, ruͤhmte Suppe und Fiſch,
eh er aufſtuhnd, dann aber war er in einem
Sprung zur Thuͤre hinaus und die Stege hin-
unter.



[230]

§. 53.
Goldapfel, — Milchſuppe, — Dank-
barkeit, — und Erziehungsregeln.


Unter der Thuͤre traf er ſeinen Carl an. Der
gute Bub hatte bey des Lindenbergers
noch laͤnger als der Lieutenant auf dem Ried,
und der Pfarrer bey ſeiner Kranken das Mit-
tageſſen vergeſſen. Er war den ganzen Mor-
gen bey ſeinen Buben im Dorf, und im her-
umſpringen kam er gegen den Eilfen zum
Kreuzbrunnen; da ſtuhnd der Jakobli unter
dem Haus.


Und der Carl ſprang von den andern Buben
weg zu ihm zu, und fragte ihn, du, wie iſt es
doch auch gegangen? Gaͤll, der Papa iſt doch
auch nicht ſo gar boͤs geweſen?


Das glaub ich, das glaub ich, iſt er nicht
boͤs geweſen, ſagte der Bub; aber komm doch
auch mit mir in die Stube hinein, meine Schwe-
ſter muß dir auch ſelber ſagen, wie gut der
Papa mit ihr geweſen.


Das freut mich jezt auch, — das freut
mich jezt auch, ſagte der Carl, und ſprang
mit ihm in die Stube hinein.


Da zog der Vater die Kappe vor ihm ab,
und die Großmutter ſtuhnd von ihrem Stuhl
auf, gieng an ihrem Stab dem Buben etliche
[231] Schritt entgegen, ihm die Hand zu bieten
und zu danken.


Ich bin ja nicht der Papa, ſagte der Carl
zu der alten Frauen, und meynte gar, ſie ſey
etwa blind oder verirrt.


Aber da dankten ihm auch der Vater und
die junge Frau die krank war, und das Kind
das unter die Linde muͤſſen.


Und er kehrte ſich gegen den Jakoblj und
ſagte, du haſt mir ja geſagt, ſie wollen mir
nur erzaͤhlen.


Da nahm ihn das Kind, das unter die Linde
mußte, und ſagte: ja, ja, ich muß dir er-
zaͤhlen, wie gut der Papa mit mir geweſen,
und ſagte dann alle Worte die er mit ihr gere-
det.


Das freut mich auch, das freut mich auch:
ſagte der Bub einmal uͤber das andere; und
als es das vom Jakoblj erzaͤhlte, ſagte er:
ja, ich hab es doch dem Papa verboten, daß
ers ihm nicht ausbringe, es macht jezt aber
nichts, und gaͤltet, ihr verſprecht mirs jezt
auch, er muß am Sontag zu mir kommen,
weil ihn der Papa eingeladen hat! —


Indeſſen ſuchte ihm die Frau im Keller un-
ter dem Stroh ein halb Duzend Goldapfel,
die ſie von einem jungen Baͤumchen, das noch
nie getragen, und die ſchoͤnſten hatte, die im
Dorf wachſen, den ganzen Winter uͤber geſpart,
P 4
[232] und keinen einzigen davon geeſſen, und ſagte
dem Knaben, als ſie ſie ihm in Sak that; aber
iß ſie doch jezt auch ſelber und gieb ſie auch
nicht weg.


Wo biſt ſo lang geweſen? ſagte der Junker
zu ihm, da er ihn ſo unter der Thuͤre antraf.


Ja Papa, bey den Leuthen, wo ich zu
Nacht mit dir geredt habe. Ich weiß jezt alles
wie es gegangen iſt, und du mußt doch jezt
auch den Buben ſehen, wo du zu mir einge-
laden, er iſt noch eben da vor dem Thor auſ-
ſen. Hiemit ſprang er vom Papa weg, rief
dem Jakoblj zuruͤk, und ihn an der Hand er-
zaͤhlte er dann dem Papa, wie gut ſein Vater,
ſeine Mutter, Großmutter, und Schweſter
mit ihm geweſen, und das darum ſagte er,
weil du mit ihnen auch ſo gut geweſen, du
ſeyeſt uͤberall mit gar keinem einzigen ſo gut ge-
weſen, als mit ihnen; dann zeigte er ihm noch
die ſechs Goldapfel, die ſie ihm in Sak ge-
ſtoſſen.


Der Junker freute ſich den Jakoblj, der ſei-
nem Carl ſo lieb war, kennen zu lehrnen, und
ſagte ihm, er ſolle mit ihnen in Garten kom-
men, es ſeyen viel Kinder da, und ſie eſſen
eine Milchſuppe miteinander.


Der Jakoblj ſchaͤmte ſich und ſagte, er habe
ſchon zu Mittag geeſſen; Carl aber ſagte ihm,
du liegſt, du haſt noch nicht geeſſen, und mußt
[233] jezt kommen. Damit zog er ihn am Arm mit
ſich fort hinter dem Papa in Garten.


Als ſie kamen, brachte der Hans und die
Koͤchin eben die groſſen Schuͤſſeln voll Milch-
ſuppe und einen ganzen Haufen hoͤlzerne Loͤf-
fel. Sie hatten dieſe in der Nachbarſchaft ent-
lehnt, denn ſo viel hatten ſie nicht im Haus.
Sie brachten auch etliche ſilberne fuͤr den Jun-
ker und den Carl, die aber beyde nur hoͤlzerne
wollten; und der Carl warf gar in der Freude
uͤber den hoͤlzernen den ſilbernen, den ihm die
Magd anbot, weit weg, in den Garten; aber
da der Junker es ſah, und ihm winkte, mußte
er wahrlich von der Milchſuppe und den Kin-
dern weg aufſtehen, und den Loͤffel wieder
ſuchen, und vor dem Thor beym Brunnen
abwaͤſchen, ehe er ihn nur der Magd wieder
geben dorfte.


Die Kinder und die Magd wollten alle fuͤr
ihn gehen, aber der Carl wußte wohl daß es
aus dem nichts gebe, und ſprang, da der Papa
gewunken, wie ein Windſpiel mit dem Loͤffel
zum [Brunnen]. Da ſagten die Kinder zur lin-
ken und zur rechten dem Junker, du biſt doch
jezt auch nicht boͤs mit ihm um deswillen? Und
die ſo aus einer Schuͤſſel aſſen, wollten nicht
forteſſen, bis er wieder da ſeye. Aber der Jun-
ker ließ dieſe nicht warten, und ſagte zu den
andern, nein, Kinder! ich bin nicht boͤs mit
[234] ihm, aber er muß nicht unartig ſeyn und fol-
gen, wie ihr.


Als er wieder kam, ſchlich er dem Papa
hinten zu an Ruͤken, faßte ihn mit beyden Haͤn-
den um den Hals, legte ihm den Kopf uͤber
ſeine Schulter an die Augen, und ſagte ihm
denn, gaͤll Papa! du verzeiheſt mir auch?


Iſt es luſtig, ſo von der Milchſuppe weg
den Loͤffel zu waſchen? fragte ihn Arner.


Nicht ſo gar, aber verzeih mir es auch,
ſagte der Bub.


Und der Vater: ſiz jezt nur wieder zu deiner
Suppe und beſinn dich ein andermal was du
macheſt! —


Die Kinder hatten ihr Lebtag keine ſo gute
Suppe und kein ſo lindes Brod geeſſen. Sie
war halb Nidel und voll Eyer, das Brod da-
rinn vergieng wie Anken im Maul. Und
die Kinder ſagten unter einander, ob das Brod
doch jezt auch von dem gleichen Kernen ſey,
der bey ihnen wachſe?


Was denket ihr auch? ſagte ihnen der Carl;
es iſt nur reiner gemahlet, und mehr Kruͤſch
davon weggethan, — aber dann auch ſagte
er ihnen, er wollte die Suppe lieber, als was
man ihm ſonſt in der Welt aufſtellte, ſo gut
ſey ſie. —


[235]

§. 54.
Der Nahmenstag eines alten Junkers.


Eins mals hoͤrten ſie jezt Roß und Wagen.
O hoh, — ſagte der Carl, die Mama
kommt! die Mama kommt! ſprang von ſei-
ner Suppe auf, und lief ihr entgegen.


Es war Sie wirklich.


Der Junker ſtuhnd jezt auch auf, und alle
Kinder ſo viel ihrer da waren, liefen mit den
Loͤffeln in den Haͤnden hinter ihm her, der
Mama entgegen. Sie hatte den Rollenber-
ger und ihre zwey aͤltern Kinder bey ſich, und
kam den Papa wieder heim zu holen. Weit
und breit toͤnte jezt das Geſchrey der laufen-
den Kinder vom Garten, — die Mama —
die Mama, — die Mama, — und die Kin-
der in der Kutſche die es hoͤrten, rieffen zuruͤk,
der Papa, — der Papa, — der Papa! —
Und Thereſe ſtiege, ehe ſie noch bey ihnen zu
waren, aus dem Wagen aus, und war wie
wenn ſie flog, in Arners Arm. Sie fragte
im Augenblik hinter dem Kuß, was machſt
mit allen dieſen Kindern.?


Sie eſſen mit mir Milchſuppe, antwortete
Arner.


Alle mit einander? ſagte Thereſe.


Ja alle mit einander, erwiederte er, und
[236] komm nur, du muſt mit uns zuſizen, weil ſie
noch warm iſt.


Das gefiel ihr wohl, ſie ſprang an ſeiner
Hand den Garten hinauf, und der ganze Reihe
Kinder hinter ihr her.


Der Carl aber machte ſich an den Rollen-
berger, und erzaͤhlte ihm von allen Freuden,
die er gehabt, und wie viel Freud er im Dorf
habe, und wie lieb ihm die Buben ſeyen.


Sind ſie dir denn auch ſo gar lieb? ſagte
Rollenberger.


Das glaub ich, ſagte Carl.


Rollenberger. — Lieber als deine Schaͤf-
lein daheim?


Carl. — Ich moͤcht nicht reden.


Rollenberger. — Aber dein junger Eſel,
der iſt dir doch gar lieb, ich meyn ſchier, ſchier
lieber als die Buben da.


Carl. Was denket ihr auch? Ich wollte ei-
nen einzigen Buben lieber als hundert Eſel.


Rollenberger. Ich will denn ſehen, wenn
du daheim biſt beym Eſel, jezt biſt bey den Bu-
ben.


Mit dieſem Verglich der Eſel und Buben
neben einander, kamen ſie dann zur Suppe,
wo jezt alles zuſaß. Der Pfarrer, die Pfarre-
rin, der Lieutenant waren jezt auch da, und
alles ſaß mit einander an der Milchſuppe-Reihe.


Es mahnete Thereſe an den Nahmenstag
[237] den ihr Ahnherr alle Jahre feyerte, und von
dem ihr lieber Großvater ſelig ihr ſo viel er-
zaͤhlt hat.


Sie druͤkte Arner die Hand und ſagte ihm
das. Er erwiederte, ja du mußt uns erzaͤh-
len, wie das ein Feſt war!


Da erzaͤhlte Thereſe das Nahmensfeſt ihres
Großvaters, wie er denn mit allen Kindern ſei-
nes Dorfes zu Mittag geeſſen, und wie er Jahr
ein, und Jahr aus nie ſo froͤhlich geweſen
als an dieſem Tag.


Er trank denn das erſte Glas fuͤr ſeinen
Herzog, der ihm ſo lieb war, und das zweyte
fuͤr die Armen. Er war ſelber, ſagte Thereſe,
vor allen Kindern nichts weniger als reich,
hatte nur ein einziges Dorf; und wenn er denn
den Becher oben am Tiſch hoch in der Hand
hielt, ſagte er dann, Gott ſegne die hoͤlzer-
nen Schuͤſſeln, und die ſo daraus eſſen!


Dann giengs wie ein Rundgeſang um den
Tiſch. Zuerſt bot er der lieben Ahnfrau den
Becher, die hielt ihn dann hoch, wie der Ahn-
herr, und ſagte, es geht unſerm Herzog wohl,
und den Edlen im Land, wenn die hoͤlzernen
Schuͤſſeln geſegnet, und die ſo daraus eſſen.


Dann giengs hinunter bis zum Knecht, der
am Tiſch ſaß; alles mußte den Becher nem-
men, und ein Wort ſagen zum Lob des Bau-
ernſtands, und zum Troſt der Armen.


[238]

Und wer dann das ſchoͤnſte wort zum Lob
des Bauernſtands und zum Troſt der Armen
geſagt, der mußte hinaufſizen, oben an Tiſch
zum lieben Ahnherrn, und war ihm das ganze
Jahr durch wegen des Worts der liebſte.


Waͤhrend dem ſie ſo erzaͤhlte, nahm der Jun-
ker die beſte Flaſche die in der Laube ſtuhnd,
und das groͤßte Glas und ſchenkte einen Ro-
then ein, der dem Schweizerblut gleichet.


Und als ſie ausgeredt, hielt er ſein Glas
auch hoch wie der Ahnherr und ſagte, Gott
ſegne die hoͤlzernen Schuͤſſeln, und die ſo dar-
aus eſſen!


Dann bot er Thereſen den Becher, und ſie
hielt ihn auch hoch auf wie die Ahnfrau, und
ſagte: es geht dem Herzog wohl, und den Ed-
len im Land, wenn die hoͤlzernen Schuͤſſeln
geſegnet, und die ſo daraus eſſen.


Dann both ſie ihn weiter, und ein jedes
mußte ein Wort ſagen, zum Lob des Bauern-
ſtands und zum Troſt der Armen.


Der Pfarrer ſagte: ſtark und braun wird
der Bub der aus Holz ißt, und rund und ſchlank
wird das Maͤdchen, das keinen ſilbernen Loͤf-
fel wuͤnſcht.


Denn die Pfarrerin: die Milch macht feißt,
und das Brod macht ſtark, die Schuͤſſel und
die Loͤffel ſind nichts.


Der Rollenberger ſagte: wer ohne Sor-
[239] gen ſchlaft, und ohne Kummer erwachet, der
wuͤnſchet nie viel. —


Der Lieutenant: — ja, wenn der aus Sil-
ber ißt, ſorget, daß der aus Holz ißt, wohl
ſchlafe, ſo iſt der ſo aus Holz ißt, gewiß gluͤklich.


Ja, ſagte der Claus, unten am Tiſch, wenn
der Silbermann ihm nur nicht die hoͤlzerne
Schuͤſſel vertrittet, und der Goldherr ihm nicht
den hoͤlzernen Loͤffel noch aus der Hand reißt.


Und wo iſt, ſagte des Pfarrers Koͤchin, wo
iſt der Silbermann und der Goldherr, der
weiß, daß an der hoͤlzernen Schuͤſſel, und am
hoͤlzernen Loͤffel ſo viel gelegen? —


Da nahm ihr der Hans das Glas aus der
Hand, und hielt es hoch gegen den Junker,
und ſagte: ich kenne einen der’s weißt, er iſt
nicht weit von uns, Gott im Himmel geb ihm
den Lohn!


Im Augenblik klatſchte wer da war, und
der Pfarrer, der Lieutenant, die Kinder und
alles was da war, ſtuhnd auf, wandte ſich ge-
gen den Junker, und alle wiederholten des
Hanſen Wort.


Er iſt da, er iſt da bey uns! Gott im Him-
mel geb ihm den Lohn! — Und aus einem
Munde ſtimmte alles, denn Hans hat das beſte
Wort geredt.


[240]

§. 55.
Der Vater-Nahme.


Thereſe im hohen Fuͤhlen, daß ſie einen Mann
habe, der ein Herr iſt, wie die beſten al-
ten Herren waren, wandte ſich um, und ſah
erſt da die Rikenbergerin, die bis jezt hinter
den andern Kindern wie verborgen da ſtuhnd.


Und ſie vergaß des Hanſen Wort, und den
beyſtimmenden Reihen, und die Freude uͤber
ihren Mann, der ein Herr iſt, wie die beſten
alten Herren waren, und fragte Arner, was
iſt das fuͤr ein Engel?


Er verwunderte ſich, daß ſie ihns noch nicht
geſehen, und erzaͤhlte ihr was er von ihm wußte.


Waͤhrend dem er erzaͤhlte, entzog ſie dem
Kind kein Aug, und als er fertig war, gieng
ſie zu ihm hin, nahm ihns bey der Hand, und
ſagte, es ſolle ihr doch den Spruch wiederholen,
den es dem Junker gehalten. Aber ſie konnte
ihns faſt nicht mehr fort reden laſſen, als es
anfieng: “Junker Vater”! ſo freute es ſie,
daß das Kind ihrem Mann den alten ſchoͤnen
Titel, “Junker Vater” wieder gegeben, und
als es fertig, nahm ſie den bunten rothen Guͤr-
tel den ſie um den Leib hatte, band ihn um
das weiſſe Kleid dieſes Engels, ſtekte ihm ih-
ren groſſen Blumenſtraus auf Kopf und Bruſt,
und ſagte ihm dann: —


Nihm
[241]

Nihm das zum Pfand, daß die Frau deines
Junker Vaters, deine Mutter ſeyn wird, ſo
lang du lebſt!


Arner hatte das Wort Junker Vater im er-
ſten mal faſt nicht verſtanden, ſo ſehr uͤber-
nahm ihn der Anblik der Kinder, da er ſich
noch mit naſſen Augen gegen ſie umkehrte. —


Aber jezt gieng ihm der alte Vaternahme
innig zu Herzen, und er ſagte zu Thereſe und
zum Pfarrer, ich haͤtte dieſen Titel ſeit meiner
Jugend immer wieder gewuͤnſcht, aber ich haͤtte
mich geſchaͤmt, es zum Mund heraus zu laſſen.


Nun! — Gottlob, du haſt ihn einmal jezt
wieder, und der Pfarrer und ich gebe ihn euch
einmal auch. —


Ihr denket wohl, Vater Pfarrer! daß er
mich von niemand mehr als von euch freut,
aber ihr muͤßt ihn zuerſt von mir haben. —


Der Pfarrer kuͤßte ihm mit naſſen Augen
die Hand.


Und der Junker ſagte, auch der Lieutenant
muß Vater Schulmeiſter heiſſen, fuͤr die Arbeit,
die er jezt annimmt.


Das giebt mir einen ganzen Haufen Vaͤter.
Wenn ihr dann nur Sorg tragt, daß ihr nicht
viel Wittwen und Wayſen hinterlaſſet! ſagte
die Pfarrerin.


Arner hub ſein Aug auf, da ſie das ſagte,
und ſah ſie an.


Q
[242]

Thereſe ſah den Blik, und ſagte was iſt das?


Nichts, mein Kind, ſagte Arner; aber ſein
Herz ſchlug.


Der Pfarrer, der das nicht ſahe, ſagte;
wir wollen den Vaternahmen feyern.


Das wollen wir, ſagten alle; und alle Kin-
der die da waren, von des Junkers Carl an,
bis auf des Kuͤhhirten Elſt, mußten jezt im
Reihen zu ihnen hinzu, ihnen die Hand geben,
und ihnen Vater und Mutter ſagen. —


Wenn da kein Engel dieſe Eltern und Kin-
der umſchwebt, ſo umſchweben nie keine En-
gel den Menſchen, er mag reines und heiliges
auf Erde thun was er will.


§. 56.
Auch hierinn ſind Grundſaͤze der wahren
Volkserziehung.


Die Freuden der Feyer dieſes neuen Nah-
mens wurden ihnen von den Buben im
Dorf unterbrochen.


Junges und Altes hatte im Garten vergeſ-
ſen, daß der Junker um zwey Uhr auf das
Ried zu kommen verſprochen. Aber die Buben
im Dorf vergaſſen es nicht, und die Bruͤder
von den Spinnerkindern machten den Anſchlag,
mit ihren Baͤumen auf der Achſel, und den
[243] Geiſſen an der Hand, ihre Schweſtern im
Pfarrhaus auf das Ried abzuholen; geſagt, ge-
than. Es ſchlug nicht ſo bald zwey Uhr, ſo
ſtuhnden ſie vor dem Garten.


Der Carl, der immer die Augen in allen
Eken hat, ſah ſie zuerſt, ſprang zu ihnen hin-
aus, fragte ſie, was ſie mit den Geiſſen wollen?
Sie ſagten ihm, ſie muͤſſen auch mit ihnen auf
das Ried, ſie koͤnnen ja denn weiden, wenn
ſie ihre Baͤume ſezen. Denn baten ſie ihn, er
ſoll jezt auch machen, daß es gerathe, daß der
Papa und ihre Schweſtern auch bald kommen.
Sie wollen jezt mit den andern, und mit den
Geiſſen einen Zug anſtellen, es gebe einen
groſſen, und einen ſchoͤnen; ſie haben eine
Trommel und eine Pfeife bey ihnen.


Und ich hab meinen Fahnen auch noch, und
es muß jezt gewiß angehen, ſagte der Carl;
ſprang denn in den Garten, rief den Kindern:
He! He! Loſet, was ſoll ich euch ſagen? Euere
Bruͤder ſind da, und haben ihre Geiſſen bey
ihnen. — Und Papa, — loſet, was ſoll ich
euch ſagen? Die Glok die hat zwey Uhr ge-
ſchlagen, und gaͤllet, wir muͤſſen jezt aufs Ried?


Ich hab es faſt vergeſſen, ſagte der Junker.
Die Kinder aber liefen jezt zu ihren Bruͤdern,
und fragten ſie, habet ihr auch unſere Baͤume
bey euch? Ja, das haben wir, ſagten dieſe,
und zeigten ihnen die Baͤume auf der Achſel.


Q 2
[244]

Und der Carl kam auch mit ſeiner Geiß aus
dem Stall, und der Junker und der Pfarrer,
und wer im Garten war, gieng auch fuͤrs Thor
zu ſehen, wie die Kinder einen Zug anſtellen
wollten.


Sie hatten einen Lerm, daß man ſein eigen
Wort nicht mehr hoͤrte, und der Zug wollte
doch nicht recht in Ordnung.


Da trat der Lieutenant ins Mittel; er rief
ihnen, ſtill! — ihr Buben! ſagte dann, wie
es ſeyn muͤſſe, und hatte den Zug im Augenblik
in der Ordnung.


Er ſtellte nicht die Groſſen, wie heut am
Morgen die Weiber, ſondern die Kleinſten vor-
an, und ſagte, es ſey ein Unterſcheid nur einen
Buͤchſenſchuß weit, oder eine Viertelſtund weit
zu marſchieren, die kleinen kaͤmen ihnen in die
Weite nicht nach, oder die Groſſen muͤßten ih-
nen alle Augenblik ſtill ſtehen.


Carl war jezt der erſte mit ſeinem Fahnen,
hinter ihm ein Bub, der ihm ſeine Geiß fuͤhrte,
und ſeinen Baum trug, denn folgte der Trom-
melſchlaͤger, und der Pfeifer, dann die Riken-
bergerin in ihrem weiſſen Kleid, zwiſchen des
Junkers beyden Toͤchterchen; hinter ihnen des
Pfarrers Kinder, dann der ganze Zug; alle-
mal ein Bub, der trug auf ſeiner Achſel ſeine
zwey Baͤume, und das Kind, deſſen Baum er
auch trug, das fuͤhrte auf der linken die Geiß.


[245]

Des Junkers Caroline und Julie freuten
ſich, daß ſie gerad hinter der luſtigen Trom-
mel ſeyen. Aber die Rikenbergerin ſagte, ſie
wollte lieber, ſie waͤr weiter hinten, ſie toͤne
ihr zu laut.


Des Junkers und des Pfarrers waren alle
zu hinterſt am Zug, beſahen ihn jezt da er in
der Ordnung ſtuhnd.


Aber es war eine Schand wie garſtig die
Buben gegen die Maͤdchen ausſahen.


Man ſollte weiß Gott den drey Weibern vor
den Haͤuſern danken, ſagte Thereſe, als ſie die-
ſen Unterſchied alle bemerkten.


Du haſt recht, ſagte der Junker zur The-
reſe; und zu den Kindern: wie iſts, wollet ihr
den drey Weibern, die heut ſo viel Muͤhe mit
euch gehabt haben, wenn wir bey ihren Haͤu-
ſern vorbeyziehen, nicht auch danken?


Das war ein Jauchzen, — das war ein
Ruffen! — Ja, ja, — das wollen wir.


Die Rikenbergerin, ſagte da der Junker,
muß dann mit meinen zwey Kindern zu dieſen
drey Weibern ins Haus gehen, und fuͤr uns
den Dank ausrichten.


Das will Ich thun, ſagte Thereſe.


Deſto beſſer ſagte der Junker! — rufte
dann dem Carl, der vornen am Zug war,
und ſagte ihm, du muſt vor des Mareylis, der
Gertrud, und der Reinoldin Haus mit dem
Q 3
[246] Zug ſtill halten, und dann den Fahnen ſchwin-
gen, und trommeln und pfeifen laſſen, ſo viel
ſie koͤnnen und moͤgen, und wenn denn eine von
den Frauen, welche es iſt, mit der Mama zur
Thuͤr hinauskommt, ſo muſt du aufhoͤren, mit
trommeln und pfeifen, und den Hut abziehen,
und laut mit allen Kindern rufen; es lebe die
gute Gertrud! oder Reinoldin! oder Mareylj!
welche es dann iſt.


Nun gieng der Zug an, und die Kinder
hatten jezt vor allen Haͤuſern gute Ruhe. Eine
Menge Bauernkinder weynten, daß ſie nicht
auch wie der Reinoldin Kinder mit ihnen doͤr-
fen; und der Kalberleder, der wieder Miſt
ladte, lief ſo bald er den Zug unten an der
Gaß erblikte, von ſeinem halbgeladenen Wa-
gen weg und ließ ſich eine halbe Stunde nicht
mehr vor dem Haus ſehen.


Der Diane riechte ihn noch, da er wieder
zur Miſtgrube kam, ſprang ihm unter dem
Wagen durch bis zur Hausthuͤr, die aber zu
war, nach, und es mußte alles, ſelbſt der Jun-
ker lachen, da ſie den Hund ſo ſahen an der
Thuͤre ſcharren, und ihn, ſo zu ſagen, ſeinen
Mann herausfordern.


Das Mareylj hatte ſeine Stube voll Spin-
nerweiber. Einige brachten ihm Garn, an-
dere waren da, ihm zu danken, daß es ſich ih-
rer Kinder ſo angenohmen.


[247]

Sie ſtekten alle die Koͤpfe unter die Fenſter,
als der Zug die Gaß hinauf kam, das Mareylj
allein nicht; es wog der Rebhaͤuslerin ihren
Buͤndel Garn wie ſonſt fort, und ihre Baum-
wollen dagegen, und zaͤhlte ihr den Lohn noch,
eh es auch ans Fenſter wakelte. Es hatte
kaum die Naſe darvor, ſo toͤnte die Trommel,
die Pfeiffe pfeifte, die Fahne wehte, und der
Zug hielt ihm vor den Augen ſtill. Es ſagte,
was iſt jezt das fuͤr ein Narrenſtuk?


Das iſt jezt dir zu Lob und zu Ehren, ſag-
ten die Weiber; und die Junkerin ſtand hinter
ihm zu, eh es ſich umkehrte, und ſagte, wo iſt
jezt das Mareylj? Da kamen die Koͤpfe zum
Fenſter hinein, und es, und alle Weiber tha-
ten Maul und Augen auf.


Die Junkerin aber ſagte, ſo bald ſie ihns
ſah, du biſts! gab ihm die Hand, dankte ihm
dann im Namen des Junkers, und des Pfar-
rers, und des ganzen Zugs, daß es ſich der ar-
men Kinder ſo angenohmen. Das Mareylj
wußte nicht, was es ſagen wollte, druͤkte der
Junkerin die Hand, die ſie ihm immer hielt,
und ſagte, das hab ich nicht verdient und ihr,
ſeyt etwann doch nicht um deswillen da?


Wohl Mareylj! ſagte die Junkerin, ich bin
um deswillen da, und du muſt wiſſen, du kannſt
mir und dem Junker nichts angenehmers thun,
als wenn du uns ſo hilfſt zu machen, daß es
Q 4
[248] den armen Leuthen im Dorf je laͤnger je mehr
wohlgehet!


Ich wills gewiß dem lieben Gott und euch
thun, ſo lang ich lebe. Aber es braucht ſich
doch auch nicht Frau! daß ihr mir dankt, ſagte
das Mareylj.


Wir werden dir danken, ſo lang ein Athem
in uns iſt, ſagte die Junkerin.


Im fortgehen faſt bey der Thuͤre, ſagte
das Mareylj: es hat mich uͤbernommen, ich
hab euch nur nichts von dem ſchoͤnen Tuch
ſagen koͤnnen, wo ihr mir geſchikt; ich dank
euch doch auch tauſendmal davor. —


Es ſtand ſchon unter der Thuͤre, und ehe
die Junkerin antworten konnte, hoͤrte die
Trommel auf, und der Carl zog den Hut ab,
und rief und mit ihm der ganze Zug, daß es
die ganze Gaß hinauf und hinab toͤnte. “Es
lebe das gute Mareylj”!


Es aber lief von der Thuͤre, und von der
Junkerin weg, und kam feuerroth in die Stube,
ſo ſchaͤmte es ſich, daß ihm das unter der Thuͤr
begegnet.


Aber die Weiber in der Stube brachten ihns
bald wieder zu recht; ſie ſagten ihm: warum
biſt du auch ſo von der Thuͤre weggelaufen?
und nein, nein, das iſt doch auch eine Ehr. Und
du haſt ſie doch auch gewiß verdient. Das
machte, daß es ihm bald auch kam, wie wenn
es ihns freute.


[249]

§. 57.
Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde.


Die Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter
Streit, als der Zug ihr fuͤrs Haus kam,
ſie zankte ſchon ein paar Stunden mit ihr,
daß ſie ſich dieſes Lumpenzugs alſo angenom-
men, und ihre Kinder mit dem Bettelgeſindel
mit laufen laſſen, und denn gar, daß ſie bey
ihren Schweſtern Hemder, und Struͤmpf, und
Schuh dafuͤr entlehnt.


Meynſt du, ſagte ſie zu ihr, ich hab nicht
genug, daß du ſo ungerathen biſt, und dir
alle Leuthe uͤber den Kopf richteſt? willſt jezt
auch noch deine Schweſtern ins Geſchrey brin-
gen, daß ſie ſeyen wie du? und machen, daß
ſie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath
finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr
waͤre, oder Straf verdient haͤtte, er haͤtte dich
gewiß auch nicht genommen, ſo hat er eine
Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott
mit den andern Kindern nicht ſo gehen. —
Was haſt auch vom Junker? und was geht
dich auch der Narr an? warum begreifſt doch
auch nicht, daß wer im Dorf iſt, es mit dem
Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf
etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk?
Aber du thuſt mir das nur zu leid, du weiſſeſt
[250] daß es mir Verdruß macht, und wenn du
mich koͤnnteſt mit deinem Lezkopf ins Grab
bringen, du wuͤrdeſt es nicht ſparen, du haſt es
dein Lebtag ſo gemacht.


So giengs in einem fort, bis die Trommel
in der Gaß toͤnte, und die Junkerin gegen dem
Haus zu kam. Da ſchwieg die Alte; ſie ſah
ſie zu erſt, und ſagte: was will doch jezt dieſer
Pfau hier? Einen Augenblik darauf aber zu
ihrer Tochter, wiſch dir die Augen ab, und
zeig nicht jezt auch dieſer noch, daß du ein
Narr ſeyeſt! —


Sie wiſchte ſie ab, — aber es war gleich
viel. Als die Junkerin in die Stube trat, ihr
die Hand bot, und dankete wie dem Mareylj,
konnte ſie kein Wort hervorbringen.


Die Alte biß die Zaͤhne uͤber einander, ihre
Augen gluͤheten vor Zorn gegen die Tochter,
in dem gleichen Augenblik als ſie fuͤr dieſelbe
das Wort nahm, und mit einem Laͤchlen das
ſie erzwang, fuͤr die Ehre, die ſie ihrer Toch-
ter erweiſe, dankte und hinzu ſezte, ſie ſolle ihr
verziehen, es ſeye einmal jezt ſo ihrer Tochter
Natur, daß wenn ſie etwas uͤbernemme, es
moͤge Freud oder Leid ſeyn, ſo koͤnne ſie ſich
nicht leicht faſſen; aber die Junkerin habe gar
zu viel Muͤhe genommen fuͤr ſie, ſie habe nichts
anders gethan, als was ihre Schuldigkeit ge-
weſen, und moͤchte nur wuͤnſchen, daß ſie mehr
[251] Gelegenheit haͤtte ihr oder dem Junker zu die-
nen.


Das iſt eine Glatte, die es kaum meynt, wie
ſie es ſagt, dachte Thereſe, ſo bald ſie das Maul
aufthat, ſah ihr auch ſo lang ſie redte unver-
wandt auf Maul und Augen und hatte auf der
Zunge ihr zu ſagen, ſie ſeye nicht um ihret-
willen ſondern um der Tochterwillen da. Sie
ſagte es nicht, aber auch nichts anders, ſon-
dern wandte ſich wieder an ihre Tochter und
ſagte dieſer, der Junker erwarte ſie mit der
Gertrud und dem Mareylj dieſen Abend noch
im Pfarrhaus, wenn er vom Ried heimkomme.


Die Alte that gar nicht, wie wenn ſie es
achtete, daß ſie die Junkerin ſtehen ließ, und
unter der Thuͤre als der Carl den Hut ſchwang,
und er, und der ganze Zug mit ihm, rief: „Es
lebe die gute Reinoldin”! ſtuhnd ſie ſo weit vor
das Haus hinaus als ſie nur konnte, und nikte
dem Zug mit Kopf und Haͤnden ſo weit ſie ihn
ſah, nach, indeſſen die Junge wie ein Pfeil in
die Stube hinein ſprang und hinter dem Ofen
mit den Fuͤſſen uͤber ihre Mutter ſtampfte.


Dieſe aber gieng erſt, da ſie kein Bein mehr
vom Zug ſah, wieder hinein, und ſagte die
Stubenthuͤr noch in der Hand haltend zu ihrer
Tochter: du haſt dich aber einmal ſchoͤn auf-
gefuͤhrt, mit dem alten Zuſaz, du thuſt es mir
nur zu leid, und haſt nichts damit geſucht,
als mich zu Schanden zu machen.


[252]

Ich moͤchte nur wiſſen, antwortete die Toch-
ter, was ich auch in der Welt thun muͤßte,
von dem ihr nicht ſagtet, ich thaͤte es euch zu
leid, wenns euch darnach im Kopf iſt.


Ja — ja, — du biſt ein ſchoͤnes Menſch,
ſagte die Mutter, — red nur viel. —


Die Tochter aber war erhizt und erwiederte
ihr, — ja — ich muß reden, ich wollt
lieber ihr haͤttet mir die Hand ins Maul ge-
ſchlagen, daß mir alle Zaͤhne in Kragen hin-
untergefallen waͤren, als daß ihr der Junkerin
vor meinen Augen ſo gute Wort gegeben, da
ihr doch den ganzen Morgen bis auf dieſen Au-
genblik mit mir ob dieſer Sach gehauſet, daß
es moͤcht gemahlet am Himmel ſtehen; haͤttet
ihr es ihr nur jezt ſelber geſagt, es waͤre beſ-
ſer geweſen als ſo.


Das iſt jezt der Lohn fuͤr die Muͤhe die ich
gehabt? da du da geſtanden wie der Ochs am
Berg! aber hab ich auch in meinem Leben ein
gottloſeres Menſch geſehen? ſagte die Mutter.
Und die Reinoldin erwiederte: ihr koͤnnt mir
jezt ſagen was ihr wollet, es waͤre doch beſſer
geweſen, ihr haͤttet mich ſtehen laſſen, wie ſie-
ben Ochſen am Berg, als daß ihr ſo falſch
vor mir mit der Junkerin geredt. Ich kann
und weiß das nicht auszuſtehen.


Mich, mich, kannſt und weiſt du nicht aus-
zuſtehen? und das deiner Lebtag, ſagte die Mut-
[253] ter, gieng dann fort, und erzaͤhlte daheim ih-
ren Schweſtern, was das auch fuͤr ein Menſch
ſey! wie gottlos ſie mit ihrer Mutter umgehe!
und fragte endlich ob ſie jezt auch glauben,
ſo ein Kind koͤnnte in Himmel kommen, wenns
ſtuͤrbe?


Die Kinder antworteten, ſie wollen das
Beſſere hoffen. —


Die Mutter aber erwiederte: es wird ein-
mal ſchwer halten, glaubet mirs nur.


Von der Reinoldin weg kam Thereſe zur
Gertrud. Dieſe war ganz allein in der Stube,
ihre und des Rudis Kinder waren alle am
Zug. Sie hatte ihr kleines allein im Haus, und
kam eben von ihm aus der Nebenkammer, als
die Junkerin zu ihr kam. Sie gab ihr auf das
was ſie ſagte, ſichtbar erroͤthend und mit einer
Stimme wie wenn ſie es nicht ſagen doͤrfte,
zur Antwort: — der Junker hat mir und
meiner Kindern ihrem Vater und uns allen
und ihm damit ein gluͤkliches Leben wiederge-
geben; jezt kommt ihr mir zu danken, daß
ich ein paar Kindern etwas armſelige Kleider
geliehen! —


§. 58.
Man ſezt Baͤume.


Von ihr weg giengs aufs Ried. Es war
ein frohes Getuͤmmel den Berg hinan.


[254]

In der hohlen Gaß oben am Dorf, beym
groſſen Echo, das wie ihr wißt, rund um den
Berg lauft, und dann durch das Thal hinab
ſich wiederholt, iſt der Junker und der Pfar-
rer ſtill, der Zug merkte warum? Da jauchz-
ten die Buben ſo laut ſie konnten, Trommel
und Pfeiffen toͤnten, ſo laut ſie konnten, es
war wie wenn ſelber die Geiſſen lauter may-
geten, und das frohe Getuͤmmel daurte, bis
ſie an den Plaz kamen. —


Da gaben die Buben ihren Schweſtern die
Geiſſen ans Seil, ſuchten ihren Vater, und
ein jeder fuͤhrte da den ſeinen an der Hand an
den Plaz, wo er den Baum, den er auf der Ach-
ſel trug, ſezen mußte.


Aber ſie waren nicht ſo bald an der Arbeit,
ſo ſah der Rollenberger, daß die Bauren in
Bonnal vom Baumſezen ohngefehr ſo viel ver-
ſtuhnden, daß ſie ihn nicht bey den Aeſten ſon-
dern bey der Wurzel in Boden hinein thun
muͤſſen, aber nicht mehr. Da zog er ſeinen
Rok aus, ſprang von einem Eken zum andern,
zeigte ihnen was ſie nicht konnten z. E. auf
welche Seite ſie ſie kehren muͤßten, damit ſie
gegen die Sonne kommen, wie vorher und der-
gleichen. Er vertheilte ihnen die Wurzel,
ſchnitt das Unnuͤze und Schadhafte ab, wie ein
Gaͤrtner, er machte ihnen den Herd rein, zeigte
ihnen, wie ſie ihn in die Ordnung zulegen,
[255] und andruͤken muͤſſen; denn wie ſie ſelbe gegen
Wind und Wild ſicher ſtellen muͤſſen.


Die Bauren thaten aufs Haar, was er ſagte,
und alle Augenblike ſprang ein Bub nach dem
andern zu ihm her, und ſagte ihm lieber Herr!
wollt ihrs meinem Vater nicht auch zeigen?
So wenig iſt wahr, daß die Bauren von den
Herren im Feldbau nichts annehmen! Sie wol-
len nur, daß die Herren es ihnen nicht bloß
mit dem Maul ſondern auch mit den Haͤnden
zeigen.


Der Junker ſah ihm freudig zu bey dieſer
Arbeit, und ſagte zum Pfarrer, mein Haus-
lehrer zeiget mir auch damit, daß mein Bub
unter guten Haͤnden iſt.


Sein Carl ſprang eine Weile herum zu ſe-
hen, wie es gehe? Dann gab er die Geiß auch
ſeinen Schweſtern, ſtellte mit ſeinem Baum
auf der Achſel ſich fuͤr ſeinen Papa zu, und
ſagte ihm, wenn du mir jezt helfen willſt, ſo
komm!


Das will ich, ſagte der Junker, gieng ihm
an der Hand an den Plaz, den der Lieutenant
ihm fuͤr ſeinen Baum abgeſtekt.


Dieſer Plaz war in der Mitte des Rieds,
auf einer leichten Hoͤhe, und die andern zwey-
hundert und fuͤnfzig kamen alle rund um ihn
herum, in zwoͤlf langen Reihen, die ſich alle
bey dieſem Mittelbaum anhuben.


[256]

Da der Carl das ſah, ſagte er zum Lieute-
nant, — das iſt auch ein ſchoͤner Plaz. Habt
ihr mir jezt das zu gefallen gethan?


Ja das hat er, du kannſt ihm nur danken,
ſagte der Junker.


Da ſprang Carl an ihn hin, und kuͤßte ihm
die Hand fuͤr den ſchoͤnen Plaz ſeines Baums.


Dann nahm der Junker den Karſt, der
ſchon da lag, in die Hand, und machte dem
Baum ſeines Carls ein Loch in den Boden,
und haket den Herd ſo leicht auf, wie wenn
er nichts thaͤte.


Alles was da war, wollte an dieſem Baum
helfen.


Der Rollenberger ſprang von dem hinterſten
Eken hinzu, und der Lieutenant, der Pfarrer,
die Frauen, des Carls Schweſtern, und die
Kinder im Pfarrhaus, alles kam herbey, und
wollten alle helfen, ſo daß der Carl, der ſeinen
Baum gern mit dem Papa allein geſezt haͤtte,
ein paar mal halb murrete, und ſagte: ihr laſ-
ſet mich doch auch gar nichts machen, und es
iſt doch auch mein Baum.


Er hat doch recht, ſagte wer da war, alles
machte ihm Plaz, und er half dem Papa ſo
fleißig, daß er ſchwizte. Und da er fertig war,
ſtampfte er noch rund um ihn her, mit ſeinen
Fuͤſſen, daß der Herd ſich recht ſeze; dann
ſprang er wieder zu den andern Buben, die
noch
[257] noch nicht fertig waren. Und da die meiſten,
wenn ſie ihre Baͤum geſezt, noch den Hut ab-
zogen, und “das Walt Gott!” ſagten, ſprang
der Carl auch wieder zu ſeinem Baum, zog
auch den Hut ab, und ſagte: “das Walt Gott!”
du liebs Baͤumchen!


Das freute den Junker und den Pfarrer,
beyde zogen auch den Hut ab, und ſagten:
“das Walt der liebe Gott”! Und von allen
Bauern die um ſie her ſtanden, war nicht ei-
ner der’s nicht wiederholte. —


§. 59.
Von Volks-Feſten, und vom Holz-
Mangel.


Das Volk gieng dann heim. Der Junker
aber rief dem Lieutenant, und den Frauen,
die ein paar Schritt voraus waren: “Wir
wollen gleich nachkommen”! Und kehrte ſich
dann wieder mit dem Pfarrer gegen die eben
geſezten Baͤume, und war voll von den Ge-
danken, daß einſt ſein Bonnal unter ihrem
Schatten das erſte Feſt feyern werde, deſſen
Stiftungsbrief er im Sak hatte.


Dann nahm Er dieſe Urkunde hervor, und
ſagte zum Pfarrer, er wolle ſie auf den Fall
ſeines Todes in ſeine Haͤnde legen, und wuͤn-
R
[258] ſche in dieſem Fall, daß ſie in dem Augenblik,
da man ihn in den Boden hineinlege, geoͤffnet,
und ſeinem Volk bekannt gemacht werde. Wenn
ich aber lebe, ſezte er hinzu, ſo muß das erſt
in den neunziger Jahren geſchehen; dann ich
will nichts weniger als mit einer ſolchen Hand-
lung unter einem unverſorgten und ungluͤkli-
chen Volk bey meinem Leben eine Comoͤdie
ſpielen.


Der Pfarrer verſtuhnd kaum halb was er
ſagte, ſo ſehr uͤbernahm ihn die ernſte Art wie
er von ſeinem Tod redte.


Er nahm ihm den Brief zitternd ab, und
ſeine Lippen ſtuhnden faſt ſtill, als er ihm ant-
wortete: aber Sie ſind doch nicht krank, daß
Sie alſo reden?


Ich bin nicht krank, lieber Pfarrer! aber
auch nichts weniger als geſund; mein Blut ja-
ſtet und wallet ſeit einiger Zeit in mir, und es
geht mir alles ſo ungewohnt ſtark nahe, daß
ich mich nicht enthalten kann mir vorzuſtellen,
es ſteke eine Krankheit in mir.


Es wird, wills Gott, doch auch nicht ſeyn,
ſagte der Pfarrer wie vorhin mit halbſtarrer
Lippe.


In dieſem Augenblik kam des Junkers For-
ſter durch einen Fußſteig an ſie an, und der
Junker um das Geſpraͤch auf etwas anders zu
lenken, fragte ihn, wie es im Wald gehe?


[259]

Es wird eben immer viel gefrevelt, war die
Antwort des Manns.


Aber warum wird ſo viel gefrevelt? ſagte
der Junker.


Was machen? ſagte der Forſter, eh die
Leuthe den Winter uͤber verfrieren, nehmen
ſie in Gottes Nahmen Holz, wo ſie finden,
und eignes haben ſie keins.


Der Junker ließ ihn gehen, und ſagte zum
Pfarrer: auch dieſes zeiget, wie weit wir noch
davon weg ſind, vernuͤnftiger Weiſe ein Volks-
feſt zu ſtiften.


Aber wenn iſt man da? ſagte der Pfarrer
wie halb im Traum.


Der Junker erwiederte ihm. Es dunkt
mich, die Zeit an ein Freudenfeſt fuͤr das Volk
zu denken, ſeye da, wenn die Hausordnung im
Allgemeinen bey ihm auf einem ſolchen Fuß
ſtehet, daß man auf keine Weiſe mehr zu ſor-
gen hat, der ehrliche Mann im Land koͤnne
durch allerley Umſtaͤnde an denen er nicht ſchul-
dig, leicht ungluͤklich werden.


Und dann fuͤr den ſo ein Feſt ſtiften will,
duͤnkt mich, ſey dieſe Zeit erſt dann da, wenn
er die Thraͤnen der Ungluͤklichen vorher ge-
troknet, und ſeiner ſelber ſicher iſt, daß er we-
der durch Lebens- noch durch Standesfehler
werde Ungluͤk in die Eingeweide des Volks
R 2
[260] hineinbringen, indeſſen daß er ihns durch ſol-
che Feſte ſo zu reden zum Tanz fuͤhrt.


Er ſezte hinzu; er halte dafuͤr, es ſeye alle
natuͤrliche Ordnung der Dinge verkehrt, wenn
man nur daran ſinne unter einem Volk Tugend
und Freudenfeſte zu ſtiften, unter dem ein gu-
ter Menſch noch durch ein unvorſichtiges Wort
um Hab und Gut oder gar auf die Galeere
kommen koͤnne.


Und ſagte: er wolle ſich disfalls auch an die
gute Regel des Dorfſchulmeiſters, der ihn das
A, B, C, gelehrt, halten. Dieſe Regel ſey
geweſen, du muſt nicht zum C wollen, bis du
das A recht kannſt. Und ſo lang alſo der Man-
gel von einer allgemeinen Volksverſorgung in
meinem Dorf noch auffaͤllt, und Elend und
Verbrechen ſich noch durch einander winden,
ſo will ich die Verwirrung nicht noch durch
ſolche Comoͤdien groͤſſer machen, und ſo lang
ich noch Steine zum Fundament meines Hau-
ſes zuſammentrage, muß ich nicht jauchzen,
wie wenn ich es ausgebauet.


Dann kam er wieder auf den Holzmangel;
man muß ſich unſerer Zeit, oder vielmehr de-
rer, die darinn Ordnung machen, ſchaͤmen,
wenn man ſieht, wie dieſer Mangel alle Tage
mehr zunimmt, da es doch ausgemacht iſt, daß
das Volk im Land durch nichts, alſo innerlich
und aͤuſſerlich herunter gebracht, und zum Ge-
[261] ſindel herabgewuͤrdigt wird, als wenn es ihm
an der nothwendigen Feuerung mangelt, und
die armen Leuthe an manchem Ort, wenn ſie
eine Suppe kochen, oder eine warme Stube
haben wollen, das Holz dazu wie Schelmen
und Dieben im Wald frevlen muͤſſen.


Am Ende ſagte er, er wolle in ſeiner Herr-
ſchaft dem Holzmangel, und dem Unverſtand
der daran Urſach mit der naͤchſten Neujahrs-
Gemeind ein Ende machen, und an derſelben
in allen Doͤrfern ohne weiters die Bergweyden
allen Bauren, die Guͤter im Thal haben, und
Klee pflanzen koͤnnen, verbieten, und uͤberall
alles Land das in ſechs Jahren weder geakert
noch geheuet wird, nicht mehr zu Weyden reu-
ten laſſen, ſonder die Bauren, die ihren Vor-
theil nicht rechnen wollen, zwingen, daß ſie
das Holz, das von ſich ſelbſt in dieſen Weyden
treibet, aufwachſen laſſen muͤſſen. Und ich bin
ſicher, ſagte er da, daß auf dieſe Art viel hun-
dert Jucharten Land in meiner Herrſchaft
dieſen Leuthen in 20-30 Jahren eine 30-
40 mal ſtaͤrkere Nuzung bringen, als die, in
deren ſie gegenwaͤrtig ſtehet.


Der Pfarrer aber kam noch einmal auf ſei-
ne Geſundheit, und obgleich der Junker ihm
wieder antwortete, es ſeye vielleicht nichts als
ſchwarzes Blut, das ihm ſolche Vorſtellungen
mache, ſo war der gute Mann doch den gan-
R 3
[262] zen Abend daruͤber aͤngſtlich, wie wenn ihm
das groͤßte Ungluͤk begegnet.


§. 60.
Man muß im Innern hohen Adel haben,
um ohne Gefahr Baurenleuth ſo na-
he an ſich zu abſizen laſſen zu doͤrfen.


Die Reinoldin, das Mareylj und die Ger-
trud waren ſchon eine Weile im Pfarr-
haus als die Herren heimkamen.


Und Thereſe und die Frau Pfarrerin gaben
den Baurenweibern von ihrem Thee und tha-
ten ihnen Nidel und Zuker darein, dreymal
mehr als ſie einer Stadtfrau haͤtten darein
thun doͤrfen und, weil ſie es tranken, fragte die
Junkerin, ob ſie dergleichen auch ſchon gehabt?
Ihrer zwo ſagten, nein; aber Gertrud: der
Junker habe ihr und ihrem Kind unter der
Linde, als ſie das erſtemal ins Schloß gekom-
men, gegeben. Sie ſezte hinzu, ich denke mein
Lebtag daran, wie wohl es mir auf dem Heim-
weg gemacht! —


Die Reinoldin fiel ihr ins Wort, und ſagte:
nein, du biſt gewiß verirret, es hat dir etwas
anders auf dem Heimweg ſo wohl gemacht!


Du haſt recht, ſagte Gertrud, aber das hat
mir doch auch wohl gethan, und meinem Klei-
nen darzu.


[263]

Da ſagte Thereſe, ſie ſolle ihr ihns doch
bringen, der Junker habe ihr viel von dieſem
ſchoͤnen Kind geredt, daß es eine Schande,
daß ſie dieſen Abend bey ihr geweſen, und ihm
nicht nachgefragt habe.


Wenns jezt nur auch erwachet iſt, daß ihr
nicht eine Briegerin (weinendes Kind) zu ſe-
hen bekommt, ſagte Gertrud im weggehen.


Thereſe erwiederte ihr, wek es einmal nicht
auf, es koͤnnte ihm nicht wohl thun.


Gertrud fand ihns wachend, und ſprang
mit ihm auf dem Arm in der Reinoldin Haus,
nahm den kleinen Pfausbaken, der auch er-
wachet war, zur Wiege hinaus, troknete ihn,
faͤſchete ihn ein, machte ihn ſchoͤner noch als
ihren eigenen, und brachte dann ſie beyde auf
ihren Armen ins Pfarrhaus.


Die Reinoldin ſprang auf gegen ihren klei-
nen, als ſie ihn ſah, und die Junkerin nahm
ihr beyde ab dem Arm, und behielt ſie auf ih-
rem Schoos, bis der Junker heimkam; wenn
ſchon die Weiber einsmal uͤber das andere
zu ihr ſagten, ſie machen ſie naß, und verder-
ben ihr den ſeidenen Rok.


Als er heimkam, machte ſie ihn rathen,
welcher der Reinoldin und welcher der Ger-
trud ihrer ſeye?


Der Dike da, der ſo eine Fauſt macht, und
das Maul zuſammenhalt, iſt der Reinoldin —
R 4
[264] und der wo ſein Maul, und ſein Haͤndlj ſo of-
fen hat, und die Finger von einander iſt der
Andern.


Getroffen ſagte die Junkerin. Aber ſag
mir jezt auch welcher iſt in deinen Augen der
Schoͤnere?


Der Junker ſah ſie eine Weile an, und ſagte
dann, ich koͤnnte es, weiß Gott, nicht ſagen,
ſo ungleich ſie einander ſahen.


Die Junkerin ſagte, es gehe ihr eben ſo.


Und er fieng denn mit den drey Weibern an,
und ſagte ihnen, ſie muͤſſen den Spinnerkin-
dern die Kleider, die ſie ihnen geliehen, laſ-
ſen, und er wolle ſie ihnen zahlen.


Das waͤr bald richtig, ſagte die Reinoldin,
wenn ſie nur unſer waͤren, aber wir haben
das meiſte entlehnt.


Das Mareylj ſezte hinzu, und die ſo es
uns gegeben, foͤrchten ſich vor dem Eifer im
Dorf, und haben nicht gern, daß es ihnen aus-
komme, ſie haben ſich des Zugs angenommen.


Wenn es ſo iſt, ſo nehmet dann was ihr
entlehnt zuruͤk, aber kaufet ihnen dafuͤr neues,
und ich will euch dann das Neue, und was
euer iſt zahlen, daß ihr zufrieden ſeyn muͤſſet,
ſagte der Junker. —


Wir ſind ſonſt zufrieden, ſagten die Weiber,
und ſezten hinzu: nein, was unſer iſt, muͤſ-
ſet ihr nicht zahlen, ihr muͤſſet uns die Freude
laſſen, ihnen auch etwas zugeben.


[265]

Ich will euch dieſe Freude gern laſſen, er-
wiederte der Junker.


Ja, ſagte die Reinoldin, wir haben heut
ſchon im Sinn gehabt, ihnen zu laſſen was
unſer iſt. — Aber wir haben gemeynt, weil
die Kinder ſo unordentliche Eltern haben,
ſo ſeye es ihnen beſſer, wir machen ſie alles
wieder zuruͤkbringen, damit wir dazu ſehen
koͤnnen, daß ſie es in der Ordnung halten,
aber wir haͤtten, es ihnen doch an den Son-
tagen, oder wenn ſie es ſonſt brauchen, wie-
der gegeben.


Aber wollet ihr mir es nicht auch ſo machen,
wenn ich ihnen etwas neues kaufe? ſagte der
Junker.


Warum das nicht? ſagten die Weiber.


Und der Junker: — es iſt zehenmal mehr
werth, als alles was man ihnen geben kann,
wenn ihr ſie lehret Sorge dazu zu tragen.


Dieſe Sorgfalt ruͤhrte den Junker. Er
ſagte den Weibern, ich bin euch Dank dafuͤr
ſchuldig, aber es iſt faſt eine Schand, wenn
man Leuthen, die von ſich ſelber etwas gutes
thun, viel dafuͤr danket. Aber dieſes kann
und muß ich euch doch ſagen, daß ich alles,
was ihr fuͤr die Armen in euerm Dorf thut,
ſo aufnemme, wie wenn ihr es mir und meiner
eigenen Haushaltung, und da dem lieben Bu-
ben thun wuͤrdet.


[266]

Mit dem nahm er ſeinen Carl, der neben
ihm ſtand, auf den Schoos, und ſagte ihm:
gaͤll, die Frauen ſind dir auch lieb, daß ſie ſich
der armen Kinder ſo annehmen? ihnen ſo zu
Kleidern helfen, und noch dazu Sorg tragen?


Ja gewiß Papa ſind ſie mir lieb; die ar-
men Kinder haben nicht ſo eine Mama wie
ich, die ihnen dafuͤr ſorget.


Dieſes Wort lupfte die Reinoldin vom
Stuhl auf, ſo freuete es ſie, an dem Buben;
ſie gieng mit beyden Armen auf ihn zu, nahm
ihn bey der Hand, und ſagte: wenn du ein an-
derer waͤreſt, ich moͤchte dich fuͤr das kuͤſſen.
Arner bot ihr ihn lachend; da erdruͤkte ſie ihn
faſt; er ſchuͤttelte den Kopf als ſie ihn ſo hielt
und ſagte, als ſie endlich nachließ: du kuͤſſeſt
doch doch auch gar hart!


Du magſt es wohl erleiden, ſagte die Rei-
noldin, und bot ihn der Gertrud vor, die auch
beyde Haͤnde gegen ihn ausſtrekte. Dieſe aber
ruͤhrte ihn kaum an mit dem Mund; und er
gab der Reinoldin, die ihn fragte: kuͤßt jezt
die auch hart? zur Antwort, nein: die kuͤßt
nicht hart.


Dieſe gab ihn dann dem Mareylj, und die
Reinoldin fragte ihr wieder, wie iſt dirs jezt
bey der gegangen? und er antwortete ihr,
einmal nicht ſo hart wie bey dir.


Die Weiber wurden nach und nach ſo traut
[267] in dieſer Stube, daß ſie frey ſagten, und tha-
ten was ſie wollten.


Ihre Freude machte den Junker ſo munter,
als er bey Monaten nicht geweſen, und als
er auf das ernſte Geſpraͤch mit dem Pfarrer
ſelber nicht geglaubt hatte, daß er noch heute
werden wuͤrde. Er ſpaßte mit, da die Rei-
noldin wirklich muthwillig wurde, und ſie muß-
te ihm den Diane, der dem Kinderzug ſo gut
Geleit gegeben, in die Stube hineinrufen.


Das war fuͤr den Meiſter Carl und Kinder
auch eine Freude! Der Hund mußte ihnen alle
ſeine Kuͤnſte vormachen.


Und der Junker fragte die Reinoldin: —
aber wie biſt du auch darauf gefallen, ihn auf
die Worte: gieb jezt du Beſcheid, und du haſt
jezt genug geredet, abzurichten?


Sie erwiederte ihm: ich habe ein paar
Nachbarsweiber, die wo ſie einem den Kopf
ſehen, einem die Ohren voll ſchwazen, und
mich ſo manchmal geplagt haben, ob jedem
Nichts bey Stunden mit ihnen zureden, daß
ich lang nicht wußte, wie ich ihrer los wer-
den koͤnnte? bis ich endlich dieſen Hund gekauft
habe, und mir da in Sinn gekommen, ich
wolle ihn auf dieſe Worte abrichten. Es iſt
auch gut gegaugen, die Weiber haben es ordent-
lich auf ſich gezogen, und laſſen mich ſeitdem
gar ruhig. Jezt wiſſet ihr alle Wahrheit.


[268]

Ich koͤnnte an Ort und Stell auch ſo einen
Hund brauchen, ſagte da Arner, und lachte
gegen Thereſen.


Sie antwortete, ich wollte jezt auch wetten,
ich wuͤßte, wo du meyneſt. —


Als der Junker einmal meynte, es achte
es niemand, fragte Er die Gertrud, wie es
mit der Meyerin gehe? Sie antwortete, ſie
hoffe nicht uͤbel; aber die Reinoldin die es merk-
te, ſieng an zu lachen, und ſagte, ja wenn
nur dieſer nicht waͤre, und hiemit machte ſie
Pfausbaken und ein Hangmaul ſo groß ſie
konnte.


Was iſt jezt das naͤrriſches? ſagte der Jun-
ker.


Und Gertrud, — der Schalk will euch den
Sonnenwirth abmahlen, der dem Rudj im
Weg ſteht. Aber ſie macht es auch gar zu ſtark.


Darfſt jezt auch das ſagen? erwiederte die
Reinoldin, ich kann nicht einmal ſo ſtark ma-
chen, als es wahr iſt.


Wenn es nur halb ſo iſt, ſo iſt es zu viel,
ſagte der Junker.


Ja halb, ich moͤchte nicht reden, erwiederte
die Reinoldin.


Und alle drey ſagten, ſie glauben einmal
auch nicht, daß ſie dieſen nehme.


Es freuete den Junker.


Aber der Pfarrer war den ganzen Abend
[269] nicht bey ihnen; er blieb immer auf ſeiner
Stube, unruhig uͤber das Wort, das der Junker
bey ihm hat fallen laſſen, und dieſer gieng end-
lich, da er gar nicht kam, zu ihm auf ſeine
Stube, erzaͤhlte ihm was vor Freude ſie mit den
drey Weibern uͤber unten gehabt, und bat ihn
noch einmal, er ſolle jezt auch nicht mehr un-
ruhig ſeyn, und das aus dem Kopf ſchlagen, es
koͤnne ja gar wohl ſeyn, daß er ſich ſeiner Ge-
ſundheit halber irre. Er ſezte hinzu: lieber
Herr Pfarrer! Ihr muͤſſet mir heute noch lu-
ſtig ſeyn, oder ich gehe nicht von euch weg.
Er blieb auch wirklich aus dieſem Grund bey
ihm zum Nachteſſen, und reißte erſt nach 9
Uhr mit ſeiner Haushaltung aus dem lieben
Pfarrhaus weg.


§. 61.
Scenen beym Mondſchein die ſich mah-
len laſſen; — und ein blutiges Ueber-
nacht-Beten.


Als die Koͤnigin des Kinderzugs beym heim-
gehen, unten an der Gaß war, ſahe ſie
ihre Mutter, und dieſe gieng ihrem Babelj
in ihrer Freude, an der Kruͤken bis vor die
Gartenthuͤr hinaus entgegen. Die alte Frau
iſt ſint ihres Mannes Tod noch nie ſo weit vor
[270] ihre Hausthuͤr hinausgekommen. So bald
ſie das Babelj erblikte, ſprang es von den Kin-
dern weg, war im Augenblik bey ſeiner Mut-
ter, und fiel ihr auf der offenen Gaß an den
Hals. Sie konnten beyde nicht reden, und
eilten beyde mit einander unters Dach. Da
gliche das Weinen ihrer innigen Freude dem
ſtummen Schmerz der an ihrem Herzen nagte.


Aber ſeine Bruͤder und Schweſtern hiengen
ihm auf allen Seiten an ſeinem weiſſen Kleid,
und zogen ihns faſt der Mutter vom Hals weg,
ſo hatten ſie Freud mit ihm. Es gab ihnen
ſeine Baͤnder und Blumen, und die Gotten-
Cron ab dem Kopf, und den Guͤrtel ab dem
Leib. — Denn zog es noch ſeinen Rok ab, und
gieng der Mutter und den Kindern ihre Suppe
und ihre Bether zu machen.


Seine Thraͤnen floſſen auf den Feuerheerd,
und auf die Bether die es machte; es aß auch
keinen Mundvoll zu Nacht, ſagte zur Entſchul-
digung, es habe zu viel zu Mittag geeſſen, und
eilte dann mit den Kindern ins Beth. Die
Mutter gieng auch bald, und loͤſchte das Licht;
da gieng es in ſeine Cammer, that das Fenſter
auf gegen dem Mond, ſezte bey ſeinem Schim-
mer ſeine Gotten-Cron wieder auf, umwand
ſich ſeinen ſeidenen Guͤrtel, und eilte ſo mit ei-
nem Tuche unter dem Arm auf ſeines Vaters
Grab; da ſpreitete es ſein Tuch auf den Bo-
[271] den, damit das thauende Gras und die feuchte
Erde ſein weiſſes Kleid nicht befleke. Und als
es ſo in der Einoͤde des Bergs auf dem Grab-
huͤgel lag, hoͤrte es unten im Thal Wagen und
Pferde, und erkannte nach einer Weile die
Stimme des Manns und der Frauen, deren
Pfand, daß ſie ihm Vater und Mutter ſeyn
wollen, es jezt auf dem Grab ſeines Vaters
um ſeinen Leib trug, und es toͤnte zu ihm hin-
auf wie aus dem Abgrund, ihr Loblied an
Gott, der den Mond und den Menſchen er-
ſchaffen.


Himmel und Erde, Mond und Sterne ſchie-
nen dem Kind jezt ſchoͤner, und die Blumen
auf des Vaters Grab dufteten ihm Wohlge-
ruch, wie ſie ihm noch nie dufteten.


So erquikte der Wagen des Vaters und der
Mutter unten im Abgrund, und ihr Nachtge-
ſang an Gott, der den Mond und den Men-
ſchen geſchaffen, die Sinnen des Kinds, das
ihnen unwiſſend ob ihrem Haupt in der Einoͤde
kniete.


Sie fuhren beym ſtillen Mondſchein, das
Kutſchendach hinter ſich liegend alle mit ein-
ander langſam an der vollen Nachtluft, —
ſie erfriſchte ihr Blut, und ihr Geſang toͤnte
lang und laut hinauf, an die Jammerſtell ob
ihrem Haupt.


Das gute Kind mußte nur weynen, ſeine
[272] Thraͤnen durchnezten ſein Tuch, und floſſen
ſo lang es einen Laut von dem Lobgeſang hoͤrte,
das unten im Abgrund zu ſeiner Jammerſtelle
hinauf toͤnte.


Als es ſie nicht mehr hoͤrte, wurde ihm im
Innerſten heiter, ſo heiter, als es ihm auf
ſeines Vaters Grab noch nie geweſen. Es
redete da mit ihm, wie wenn er vor ihm ſtuͤhnde.


Mein Vater! mein Vater! ſagte es zu ihm,
daß du auch ſterben muͤſſen, ehe du ihn kann-
teſt! den Vater des Landes und meinen —
der unten durch fuhr und Gott gelobet, der den
Mond geſchaffen, und dich! —


Mein Vater! mein Vater! wenn er da ge-
weſen, ſo waͤreſt du nicht geſtorben! Nein wenn
er da geweſen, und du ihn gekannt, ſo waͤreſt
du nicht geſtorben!


Er iſt wie du, und ſeinem Volk, was du
uns? Er fuͤhrt ihns anderſt und beſſer als
niemand, und du haͤtteſt auch deine Kinder an-
derſt und beſſer erzogen als niemand, wenn du
haͤtteſt leben koͤnnen! —


So redte das Kind die Nacht durch mit
dem Vater auf ſeinem Grab, und der Auf-
gang grauete hinter den Bergen, als es auf-
ſtuhnd von ſeiner Stell, und das naſſe Tuch
wieder von dem Boden unter ſeinen Arm
nahm.


Es war nicht allein. Eine Menge Kinder
dachten
[273] dachten in dieſer Nacht an dieſen neuen Va-
ter, traͤumten von ihm, und ihr. Alle die
von des Rudis und der Gertrud Kindern gehoͤrt,
daß ſie am Abend und am Morgen fuͤr ihn,
wie fuͤr Vater und Mutter beten, baten ihre
Eltern, eh ſie ins Bett giengen, ob ſie nicht
auch ſo fuͤr ihn beten doͤrfen? Es ſchlugs ih-
nen endlich niemand ab, ob es ſchon vielen
Leuthen wunderlich vorkam.


Selbſt der Kriecher murrete nur, als ihm
ſeine Liſe es auch ſagte, und antwortete doch,
du kannſt meinetwegen thun was du willſt! —
Aber da es mit ſeinen Geſchwiſterten uͤber-
nacht betete, und in voller Freude, mit lau-
ter Stimme anhub „behuͤt mir Gott mein
lieber Junker, und mein lieber“ — lag es
bey dieſem Wort am Boden, und blutete aus
Maul und Naſe.


Der Vater hinter ihm gab ihm mit den
Schuhen ſo einen Stoß, daß es mit ſamt
dem Stuhl, auf dem es ſaß, umfiel.


Was hab ich auch gemacht? Was hab ich
auch gemacht? ſagte das Kind ſchluchzend
durch die Finger; denn es hielt beyde Haͤnde
vor dem blutenden Maul und der blutenden
Naſe.


Du weiſſeſt jezt ein andermal, ſagte der Va-
ter, fuͤr wenn du zuerſt beten mußt, fuͤr mich,
S
[274] oder fuͤr jemand der dir ſein Lebtag noch kein
Mundvoll Brod gegeben hat?


§. 62.
Der alte Junker will in kein Horniſſen-
neſt hinein greiffen.


Ueber morn auf dieſen Freytag ſtellte der Jun-
ker den neuen Schulmeiſter der Gemeind
vor.


Der Pfarrer predigte an dieſem Sontag
nicht. Er hielt das ſtundenlange Reden hal-
ten auf der Canzel und darneben, zur guten
Fuͤhrung der Menſchen gar nicht fuͤr ſo noth-
wendig, als man es gemeiniglich dafuͤr anſieht.


Er hatte vielmehr groſſe Einwendungen ge-
gen daſſelbe, und behauptete, man ſollte wenig-
ſtens keinen Menſchen ſo ſtundenlange Reden
ans Volk halten laſſen, der nicht als ein er-
probter Rathgeber und Wegweiſer der Men-
ſchen erfunden worden waͤre; und dergleichen
erprobte Rathgeber ſeyen rare Menſchen, und
in den meiſten Faͤllen juſt nicht die, welche wohl
lange Reden halten koͤnnen.


Den andern Geiſtlichen, meynte er, ſollte
man von Wort zu Wort vorſchreiben, was ſie
dem Volk offentlich vortragen doͤrften? Er
ſagte, wenn man ſo ſorgfaͤltig erforſchte und
[275] ſtudierte, was die Menſchen ſind, und was
die Menſchen noͤthig haben, und wie man mit
ihnen umgehen muͤſſe, daß ſie truͤhen, (gedeyen)
als man, er wolle nicht ſagen bey Roſſen und
Kuͤhen, ſondern auch nur bey Krotten und
Froͤſchen, und Eidexen forſchet, und ſtudieret,
was ſie ſeyen, und wie man mit ihnen umgehen
muͤſſe, daß ſie truͤhen, ſo wurde man es ſicher
nicht einem jeden Stubenbruͤter uͤberlaſſen,
Jahr aus und Jahr ein Stunden lang vor
dem Volk Reden zu halten, und nicht geſtat-
ten, daß der guten Menſchenheerde Sachen,
die ihr als wichtig vorgetragen werden, von
dem einen deutſch, von dem andern welſch,
von dem einen links, und von dem andern
rechts, von dem einen kraus, und von dem
andern glatt, von dem einen hoh, und dem
andern nieder vorgetragen werde.


Und was man ihm auch immer dagegen
einwandte, ſo ließ er ſich nicht ausreden, das
Predigen ſey an das Maul brauchen und Maul
waͤſchen, gegen welches die Menſchen als ge-
gen ihr Todgift auf der Hut ſeyn koͤnnen, wie
angebunden, und ſehe ohne weiters, beſonders
wie es jezt getrieben werde, zu bunt, zu viel-
faͤrbig, und Seelenlos aus, als daß man nur
daran denken dorfte, daß es beym Volk eine
gleiche feſte allgemeine und einfache Wirkung
zu ſeinem Wohl hervorbringen koͤnne.


S 2
[276]

Daß aber die Erloͤſung der Menſchheit von
ihren Uebeln, von Gottes wegen ſo ſtark an
das gebunden ſeye, als man es zu glauben
ſcheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache anſah,
vollends eine Laͤſterung.


Der gute Mann war aber allem viel Wort
machen uͤberhaupt im eigentlichen Verſtand
uͤbel an, und hatte mit ſeiner lieben Frauen
ob nichts in der Welt Streit, als wenn ſie ihm
mit zehen Worten anbrachte, was ſie mit
zweyen haͤtte ſagen koͤnnen.


Um die Wahrheit zu geſtehen, ſo war dieſer
Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni-
ger als pure reine Weisheit in meinem Mann,
ſondern ſo etwas, das man ſonſt an den Leu-
then ihre Menſchlichkeit heißt; es artete auch
manchmal wirklich in eine Unduldſamkeit, und
Ungefaͤlligkeit aus, die nebſt dem Sonderba-
ren und Unachtſamen in ſeinem Aeuſſern die
linke Seite des Manns ausmacht, und daher
kam, daß in ſeiner Jugend ſein Herz ohne Er-
fahrung und Menſchenkenntniß gelaſſen wor-
den, und er daher lange von einem jeden, der
ſein Maul wohl brauchen konnte, am Seil
herum gefuͤhrt wurde, und in ſeinen zwanzi-
ger Jahren um ſein Brod, um ſeine Braut,
und um die Freuden ſeines Lebens gekommen.


Wer ihm alles raubte, war ein Geiſtlicher,
der eben dardurch, daß er vortreflich predigen
[277] konnte, und zur Verwunderung auf ſeiner Can-
zel da ſtuhnd, den Raub davon trug; und der
Bube trieb es ſo weit, daß das Elend des Manns,
ehe er auf Bonnal kam, ſo groß geworden,
daß ſieben bis acht Jahr kein Betler mit ihm
getauſcht haͤtte, und ein Bauer, bey dem er
ſich einige Zeit aufgehalten, und ihm das eint
und andere von ſeinen Umſtaͤndrn erzaͤhlt, ihm
zur Antwort gegeben, er wollte ſich lieber hen-
ken laſſen, als es nur eine Stunde haben, wie
er! — Jezt kennt ihr den Stachel, der wie-
der das Predigen, und wieder alles Maul brau-
chen in ſeinem Innerſten liegt! —


Er danket zwar das Gluͤk ſeines Alters, und
alles was er jezt iſt, dieſen Leiden ſeines Lebens;
aber ſie haben doch eine Seite ſeines Innwendi-
gen tief verwundet, und er wird die Brandmale
ſeiner Wunden tragen bis ans Grab.


Der Menſch traͤgt die Wahrheit und die
Weisheit in einem irrdiſchen Gefaͤß, und wenn
er beſonders in den Tagen ſeiner bluͤhenden
Staͤrke zu Boden gedruͤkt wird, und das Gold
ſeines Lebens vor ſeinen Augen ins Koth aus-
geſchuͤttet ſiehet, ſo achtet er denn den uͤbrigge-
bliebenen Laim ſeines Daſeyns nicht mehr viel;
er wird ſtolz gegen die Gluͤklichen und ſo un-
aufmerkſam und gleichguͤltig gegen das, was
dieſe von ihm fordern, wie gegen ſich ſelber,
und druket ſich uͤber das was ihn wahr und
S 3
[278] gut dunkt, anderſt und roher aus, als Men-
ſchen, die die Tage ihres Lebens ruhig haben
nachdenken koͤnnen, wie ſich alles am beſten ſa-
gen laſſe.


Es macht nichts, wenn ſolche Menſchen
ſchon roher und harter reden, als es der Brauch
iſt.


Die Wahrheit wirket ſelten, als wenn ſie
ſchreyt, das iſt, ſo roh und hart, und ungedul-
tig, aber auch ſo beſtimmt und heiter ausge-
ſprochen wird, als nur Noth und Elend den
Menſchen ausſprechen lehren.


Und denn alles Menſchliche abgerechnet,
was der Wiederwille des Pfarrers in Bonnal
gegen das Maul brauchen uͤberhaupt, und
gegen das Predigen- und Kinderlehrſchelten
beſonders hatte, ſo iſt gewiß, daß der Schade
des Predigens im Lande, wenn es einer iſt,
einer von denen iſt, die ſchreyen muͤſſen, wenn
ihm ſoll abgeholfen werden.


Mein guter Pfarrer hat ſchon vor 20 Jah-
ren, da er in vollem Feuer uͤber dieſe Mey-
nung war, einmal den Kopf damit an die
Wand geſtoſſen.


Dann das erſte mal, daß er nicht predigte,
verklagten ihn ſeine Bauren dem alten Junker.
Dieſer war ihm damal gewogen, und als er
auf ihre Klag antwortete; er wolle ihnen alle-
mal predigen, wenn er ihnen etwas zu ſagen
[279] wiſſe, und wenn er ihnen nichts beſonders zu
ſagen habe, wolle er ihnen ein Capitel aus der
Bibel oder ſonſt aus einem Buch, und ſicher
allemal etwas weit beſſers vorleſen, als das
was er ihnen dannzumal ſelber haͤtte ſagen koͤn-
nen; ſagte ihnen der Junker, was wollet ihr
mehr?


Die Bauern antworteten ihm: predigen,
predigen, wollen wir, daß er thue. Nicht
wann er uns etwas zu ſagen hat, er muß uns
predigen, wenns laͤutet und der Brauch iſt. —
Und wenn er nicht will, ſo wollen wir ſchon
einen andern finden um ſeinen Lohn.


Der Junker ſagte ihnen freylich: ihr ſeyt
Kaͤlber, und pakt euch zur Thuͤr hinaus, aber
als ſie drauſſen waren, ſagte er dem Pfarrer:
ich kann euch nicht helfen, Ihr werdet wohl
den Narren predigen muͤſſen, wenn ſie ſo wol-
len. Ich weiß nichts beſſers, als ſaget ih-
nen, was ihr wollet, und machet’s frey kurz.
Damit mußte er abziehen, denn als er weiter
davon reden wollte, ſagte ihm der Junker,
verſchonet mir Herr Pfarrer! Ich mag in kein
Horniſſen-Neſt hineingreifen.


Und in des Hummels Zeit gab es da ſo viel
andere Sachen, daß der gute Mann ſich an
die aͤuſſerliche Handwerks-Ordnung ſeines
Berufs, und folglich ans Predigen-muͤſſen,
wenns laͤutet, wie ein Sclav anbinden mußte,
S 4
[280] wenn er ſich nicht alle Augenblik den oͤffentli-
chen Beſchimpfungen des Junkers, der ihn
hernach haßte, ausſezen wollte, ſo daß es ihm
bey 20 Jahren nur nie mehr in Sinn gekom-
men, auch nur eine halbe Viertelſtund weni-
ger lang auf der Canzel zu reden, als es Lands-
brauch und Recht iſt.


Doch in allem Druk in dem er war, hat er
noch dieſes gethan, daß er fuͤnf Predigten wider
das Predigen gehalten, und ſie ſind die ſchoͤn-
ſten, die er in ſeinem Leben aufgeſezt, aber
ſeine Bauern haben ſie nicht verſtanden.


Sie ſind uͤber die Worte: “die Zunge iſt
„ein kleines Ding, aber ſie richtet groſſe Dinge
„an.” Und er zeigte in demſelben aus dem
taͤglichen Leben, was das Maul brauchen, und
einander mit Worten abſpeiſen in der Welt al-
lenthalben fuͤr Ungluͤk anrichte. Er ſagte aber
freylich in allen fuͤnfen kein ausdruͤkliches Wort
wider das predigen; aber ſtellte darinn alle Au-
genblike Sachen vor Augen, bey denen man
nicht anderſt konnte als denken, es ſey mit dem
Predigen und Kinderlehr halten vollkommen
auch ſo, wenn ers jezt ſchon nicht ſage.


Auch dieſe Manier danket er dem Ungluͤk
ſeines Lebens und der Nothwendigkeit hundert-
mal, wenn er auch im Rechten war, mit dem
Maul hinter ſich zuhalten.


Jezt unter Arner war es, wie wenn der
[281] Mann ſich wieder erneuere; die alten Plaͤne
ſeines Lebens kamen ihm wieder wie im Traum,
und waren jezt durch die Erfahrungen ſeines
Lebens gereifet.


Doch trugen auch jezt die Umſtaͤnde und be-
ſonders die Bekanntſchaft mit dem Lieutenant
noch unendlich viel dazu bey, die voͤllige Reifung
dieſes Manns, der ſo lange im harteſten Druk
gelebt, zu Stande zu bringen.


§. 63.
Der neunzigſte Pſalm, und hinten darein
ein Schulmeiſter der ſtolz iſt.


Wie geſagt: Er las heute anſtatt zu predi-
gen, etliche Capitel aus der Bibel und
zum lezten den neunzigſten Pſalm.


Ein Gebet Moſis, des Manns
Gottes.


  • 1. O Herr! Du biſt unſere Zuverſicht ge-
    weſen von Anfang der Welt her.
  • 2. Ehe dann die Berge worden, und du die
    Erde und die Welt geſtaltet haſt, wareſt du
    Gott von Ewigkeit in die Ewigkeit.
  • 3. Du aͤndereſt den Menſchen, bis er zer-
    bricht, und dann ſprichſt du: Kommet wieder
    ihr Menſchenkinder.
  • 4. Dann tauſend Jahre ſind vor dir, wie
    [282] der geſtrige Tag, der vergangen iſt, und wie
    eine Nachtwacht.
  • 5. Du laſſeſt ſie zerflieſſen: Sie ſind ein
    Traum: Morgens ſind ſie wie das Gras, das
    verdirbet.
  • 6. Das am Morgen bluͤhet, und dahin
    gehet, zu Abend wird es abgehauen und ver-
    dorret.
  • 7. Dann wir werden durch deinen Zorn
    verzehret, und wir werden durch deinen Grimm
    erſchrekt.
  • 8. Du ſtelleſt unſere Miſſethaten fuͤr dich,
    unſere Heimlichkeiten in das Licht deines An-
    geſichts.
  • 9. Darum ſchleichen alle unſere Tage da-
    hin, durch deinen Zorn; wir bringen unſere
    Jahre zu wie ein Geſchwaͤz.
  • 10. Die Tage unſerer Jahre ſind ſiebenzig
    Jahre, und wenn ſie hoch kommen ſo ſind es
    achzig Jahre, und das herrlichſte in denſelben
    iſt Muͤhe und Arbeit, dann es wird ſchnell ab-
    gemaͤhet, und wir gehen dahin.
  • 11. Wer kann die Macht deines Zorns er-
    meſſen, und deinen Grimm, nachdem er zu
    forchten iſt?
  • 12. Lehre uns, daß wir unſere Tage zaͤhlen,
    und weislich zu Herzen faſſen.
  • 13. Ach Herr kehre dich doch wieder, wie
    lang verzeuͤheſt du? Und ſey gnaͤdig deinen
    Knechten.

[283]
  • 14. Erſaͤttige uns fruͤh mit deiner Gnad,
    ſo wollen wir frohloken, und uns freuen unſer
    Lebenlang.
  • 15. Erfreue uns wiederum, nachdem du
    uns ſo lang geplaget haſt, nachdem wir ſo viel
    Jahre lang Ungluͤk erlitten haben.
  • 16. Laß deinen Knechten dein Werk ſchei-
    nen, und deine Herrlichkeit ihren Kindern.
  • 17. Und die Lieblichkeit des Herrn unſers
    Gottes ſeye ob uns. Foͤrdere das Werk unſerer
    Haͤnde bey uns: Ja foͤrdere das Werk unſrer
    Haͤnden.

Nach dieſem ſagte er: warum es zu thun
ſeye!


Dann nahm der Junker den Lieutenant bey
der Hand, und ſagte ihm, er ſoll jezt der Ge-
meind ſelber ſagen, was er an ihren Kindern
thun wolle! —


Der Lieutenant, nachdem er ſich gegen den
Junker, den Pfarrer, und dann gegen die
Gemeind gebogen, ſezte den Hut auf, lehnte
ſich an ſeinen Stok, und ſagte: —


Er ſeye mit Edelleuten erzogen worden, und
ſeye ſelber ein Edelmann, er ſchaͤme ſich aber
um deswillen nicht Gott und ſeinem Neben-
menſchen in jedem Stand, wozu ihn die Vor-
ſehung rufe, zu dienen, und danke ſeinen lieben
Eltern unter dem Boden fuͤr die gute Erziehung
die ſie ihm gegeben, und die ihn jezt in Stand
[284] ſtelle, ihre Schule auf einen Fuß einzurichten,
daß man es ihren Kindern wills Gott ihr Leb-
tag anſehen werde, daß ſie in einer Schul ge-
weſen.


Uebrigens aber ſeye es nicht ſeine Sache,
lange Reden oder Predigten zu halten, ſon-
dern er wolle Wills Gott Morgen mit der
Schul anfangen, wo ſich denn alles ſchon zei-
gen werde. — Nur das ſezte er hinzu, muß
ich noch ſagen, daß ein jedes Kind ſeine Haus-
arbeit, ſie mag in Naͤhen oder Baumwollen-
ſpinnen, oder ſonſt worinn es iſt, beſtehen,
bringe, und die Werkzeuge dazu, bis der Jun-
ker ſolche fuͤr die Schule wird angeſchaft haben.


Was will er doch mit Spinnraͤdern und
Spizdruken in der Schul machen? fragten
Maͤnner und Weiber in allen Stuͤhlen, und
einer hinter ihm zu, ſo laut daß er es verſtuhnde.


Er kehrte ſich um, und ſagte ihm auch laut:
nichts als machen, daß euere Kinder reden und
reiten mit einander lehrnen.


Es wollte den Bauren doch nicht in den
Kopf, wie das moͤglich! und wie man in der
Schul reiten und reden mit einander lehrnen
koͤnne?


Ihrer viele ſagten ſchon unter der Kirch-
thuͤre, es wird ihm damit gehen, wie dem al-
ten Junker mit dem Grapp-Pflanzen, und den
ſchoͤnen Schaafen, die er 200 Stund weit
[285] herkommen, und da bey ſeinem Futter crepie-
ren laſſen.


Doch ſagten auch einige beſtandene Maͤnner,
der Mann ſieht dem alten Grapp-Pflanzer
gar nicht gleich, und es hat gar nicht die Gat-
tung, wie wenn er in den Tag hinein ſchwaze.


Er gienge an dieſem Abend noch in ſeine
Schule, und machte gerade vor dem Ort wo
er morndes das erſte mal ſizen wollte, einen
ſchoͤnen Kupferſtich auf. Es war ein alter
Mann mit einem langen weiſſen Bart, der mit
geruͤmpfter Stirn und groſſen offnen Augen
ſeinen Finger aufhielt.


Der Junker und der Pfarrer fragten ihn,
was der da machen muͤſſe? Er antwortete ih-
nen, er muß zu mir ſagen, Gluͤphi ſchwoͤr
nicht, wenn du vor mir zuſizeſt! —


Und die Herren ſagten, den wollen ſie ihm
nicht wegreiſſen, er ſey denn gar wohl da! —


Der Schulmeiſter erwiederte: ich habe es
ſelber auch gedacht.


§. 64.
Schul-Einrichtungen.


Morndes gieng dann die Schul an.


Ich moͤchte aber nicht leicht einem an-
dern Schulmeiſter rathen, zu thun, was dieſer
[286] gethan hat, und nach einer ſolchen Sonntags-
ankuͤndigung die jedermann ſtolz fand, ſich dann
am Montag die Schul von einer Bauern-
Frauen einrichten zu laſſen.


Doch wenn einer ein Gluͤphi iſt, ſo mag ers
auch thun, es wird ihm nichts ſchaden, — aber
ich meyne, ein rechter Gluͤphi, und nicht ei-
ner in der Einbildung.


Er ließ die Gertrud mit ſeinen Kindern eine
Ordnung machen, wie wenn ſie ſelbige Daheim
haͤtte.


Sie ſonderte ſie nach ihrem Alter, und nach
ihrer Arbeit, wie ſie ſich zuſammenſchikten,
ſezte allenthalben vertheilt, ihre und des Rudis
Kinder, die ihrer Ordnung ſchon gewohnt wa-
ren, zwiſchen die andern hinein.


Zu naͤchſt am Tiſch und vornen an den an-
dern ſezte ſie die Kleinen, die das A, B, C,
noch nicht konnten.


Hinter dieſen, die ſo buchſtabieren ſolten. —


Denn die ſo halb leſen konnten. —


Endlich die ſo es ganz konnten: —


Stekte dann dem erſten Reihen fuͤr dieſen
Morgen nur drey Buchſtaben an eine ſchwarze
Tafel und machte eines von dieſen Kinderen
aufſagen. — Wenn es ſie dann recht ſagte,
ſo mußten ſie die andern ihm nach ſagen, —
dann veraͤnderte ſie die Ordnung dieſer Buch-
ſtaben einsmal uͤber das andere, ſtekte ſie ih-
[287] nen bald in kleinerer bald in groͤſſerer Form
an die Tafel, und lieſſe ſie ihnen den ganzen
Morgen ſo vor den Augen.


Eben ſo verſezte ſie mehrere Buchſtaben
denen ſo buchſtabierten. —


Und die ſo halb leſen konnten, mußten mit
dieſen buchſtabieren. —


Dieſe aber und auch die ſo leſen konnten,
mußten ihre Buͤcher bey dem Spinnrad vor
ſich offen halten, und immer dem, das etwas
laut vorlaſe, daſſelbe halb laut nachſprechen.


Und keines war eine Minute ſicher, daß ſie
nicht rufe, fahr jezt du fort! —


Fuͤr die Handarbeit hatte ſie eine Frau mit
ihr genohmen, die Margreth hieß, und die
nun alle Tage dafuͤr in die Schule kommen
ſollte; denn Gertrud war dieſes nicht moͤglich.


Die Margreth war ein Menſch fuͤr dieſes,
daß man nicht leicht ihres gleichen finden
konnte.


So bald ein Kind eine Hand oder ein Rad
ſtill hielt, ſtuhnd ſie bey ihm zu, und gieng
nicht von ihm fort, bis Hand und Rad wie-
der in Ordnung waren.


Die meiſten Kinder brachten auch ſchon
an dieſem Abend eine Arbeit heim, daß die
Muͤtter ihnen nicht glaubten, daß ſie ſelbige
allein gemacht haͤtten.


Aber viele Kinder gaben ihnen zur Ant-
[288] wort: jaͤ es iſt ein Unterſcheid, wie es die
Margreth einem zeiget; du einmal kannſt es
nicht ſo.


Sie ruͤhmten den Lieutenant nicht minder;
denn Nachmittag fuͤhrte er die Schul, und
Gertrud ſah ihm dann zu, wie er ihr am Mor-
gen, und es gieng ſo gut, daß ſie zu ihm ſagte,
wenn ich gewußt haͤtte, daß ich in zwey Stun-
den mit allem fertig wurde, was ich euch zum
Schuleinrichten helfen kann, ſo haͤtte ich mich
am Donſtag nicht ſo geſperrt.


Es freute ihn auch, daß es ſo gut gieng,
er gab dieſen Abend allen Kindern die uͤber
7 Jahr alt waren, ein paar zuſammengeſto-
chene Boͤgen Papier heim, und ein paar Fe-
dern, und jedes Kind fand ſeinen Nahmen
auf dieſen Boͤgen ſchoͤn wie gedrukt geſchrieben.
Sie konnten ſie nicht genug anſchauen, und
fragten ihn einmal uͤber das andere, wie man
das auch mache? Er zeigte es ihnen, und ſchrieb
ihnen wohl eine Viertelſtunde lang ſo groſſe
Buchſtaben, die wie gedrukt ſcheinen. Sie
haͤtten ihn bis am Morgen ſo ſchreiben laſſen,
ſo ſchoͤn duͤnkte ſie das; und es wunderte ſie ſo
gar, ob ſie es auch ſo lehrnen muͤſſen?


Er gab ihnen zur Antwort, je ſchoͤner ihr
ſchreiben lehrnen wollet, je lieber iſt es mir!
ſagte ihnen denn noch beym fortgehen, ſie
ſollen zu ihrem Papier Sorg tragen, und ihre
Federn
[289] Federn mit dem Spiz in faule Apfel hinein-
ſteken, ſie bleiben darinn am beſten.


Viele Kinder gaben ihm darauf zur Ant-
wort: — jaͤ wenn wir jezt grad ſo faule Apfel
haͤtten, — es iſt ja nicht mehr Winter.


Er lachte daruͤber und ſagte ihnen, wenn
ihr keine habet, ſo kann ich euch vielleicht brin-
gen, ich denke, die Frau Pfarrerin hat noch
mehr als ihr lieb iſt, faule Apfel.


Andere Kinder aber ſagten, nein, nein, nein!
wir wollen ihnen ſchon bringen, wir haben
auch noch.


§. 65.
Fortſezung der Schuleinrichtung.


Sie ſprangen dann alle heim, ihren Eltern
geſchwind, geſchwind ihre ſchoͤne Schrif-
ten zu zeigen, und ruͤhmten den Schulmeiſter
und die Margreth was ſie konnten und moch-
ten.


Aber ihrer viele gaben ihnen zur Antwort:
ja, ja, die neuen Beſen wiſchen alle wohl, —
oder ſonſt ſo ein wunderliches Wort, daß die
Kinder nicht wußten, woran ſie waren.


Aber das that den guten Kindern weh; —
aber ſie gaben um deswillen ihre Freud noch
nicht auf, und wenn ihre Eltern nicht Freud
T
[290] mit ihnen hatten, wie ſie gern wollten, ſo zeig-
ten ſie ihre ſchoͤnen Schriften wem ſie konnten,
bis auf dem Bruͤderli in der Wiege, und der
Kaz auf dem Tiſch, und trugen dazu Sorg,
wie ſie ihrer Lebtag zu nichts Sorg getragen.
Wenn das Bruͤderli mit dem Haͤndli, oder die
Kaz mit dem Maul darnach langen wollten,
ſo zogen ſie es im Augenblik zuruͤk, und ſagten:
du muſt nur mit den Augen ſehen, und es nicht
anruͤhren; ihrer etliche verſorgten es in die Bi-
bel. — Andere ſagten, ſie koͤnnen denn das
groſſe Buch nicht aufthun, und legten es in
den Kaſten, zu dem was ſie am ſchoͤnſten hat-
ten, und die Freude wieder in die Schul zu
gehen, trieb ſie ſo, daß morndes ihrer viele
faſt vor Tag aufſtuhnden, ihren Muͤttern zu
rufen, ſie ſollen doch machen, daß ſie bald zu
eſſen bekommen, damit ſie zu rechter Zeit in
die Schul kommen. — Am Freytag wars
denn gar, da die neuen Schreibbaͤnk die der
Junker ihnen machen laſſen, fertig waren. Es
wollten alle in der erſten Stunde mit einander
anſizen; aber der Lieutenant theilte ſie in vier
Theile ab, damit ihrer nicht zu viel ſeyen, und
ihm nie keine Hand entgehe, und keines ihm
auch nur einen Zug machen koͤnne den er nicht
ſehe.


Er kam auch hierinn mit den meiſten gar
wohl fort. Einiche griffen es ſo gut an, daß es
[291] ſchiene, es komme ihnen wie von ſelbſt; bey
andern aber gieng es darum gut, weil ſie ſonſt
ſchon mehr als andere in den Haͤnden gehabt,
wozu es Aufmerkſamkeit brauchte.


Aber einigen, die noch nicht viel anders in
Haͤnden gehabt als den Loͤffel mit dem ſie das
Eſſen zum Maul hinaufbringen, kam es ſchwer
an. Das Rechnen lehrnten einige ſehr leicht,
die zum ſchreiben gar ungeſchikt thaten, und
die Federn, wie wenn ſie lahm waͤren, in die
Hand nahmen; und es kamen wirklich etliche
ſolche Loͤffelbuben, die in ihrem Leben faſt noch
nichts gethan, als auf den Gaſſen und Weiden
herumziehen, hierinn den andern allen ſchnell
und weit vor.


Es iſt natuͤrlich: das groͤßte Lumpenvolk hat
die groͤßten Anlagen, und laͤßt meiſtens das
Arbeitsvolk Kopfs halber weit hinter ſich zu-
ruͤk, auch findet man faſt immer den Bauren-
rechner im Wirthshaus.


Ueberhaupt fand der Schulmeiſter dieſe ar-
men Kinder Kopfs- und Haͤnden halber viel
geſchikter als er es erwartete; auch das iſt
natuͤrlich.


Noth und Armuh macht dem Menſchen
gar viel durch Kopf und Haͤnde gehen, das er
mit Gedult und Anſtrengung darinn herum-
drehen muß, bis er Brod darausziehen kann;
und Gluͤphi bauete auf dieſes ſo ſehr, daß er
T 2
[292] in allem was er in ſeiner Schul that, und bey-
nahe bey jedem Wort das er darinn redte,
ſich feſt in Sinn nahm, dieſen Umſtand, den
die Natur ſelbſt zum Fundament der Erziehung
der Armen und des Landvolks gelegt hat, zu
nuzen und zu brauchen.


Er hielt ſelbſt ſo viel auf dem Schweiß der
Tagesarbeit, und dem Muͤde werden, daß er
behauptete, alles was man immer dem Men-
ſchen beybringen koͤnne, mache ihn nur inſo-
weit brauchbar, oder zu einem Mann auf den
und auf deſſen Kunſt man bauen koͤnne, inſo-
fern ſein Wiſſen und ſeine Kunſt auf dieſen
Schweiß ſeiner Lehrzeit gebaut ſeye; und wo
dieſer fehle, ſeyen die Kuͤnſte und Wiſſenſchaf-
ten der Menſchen wie ein Schaum im Meer,
der oft von weitem wie ein Fels ſcheine, der aus
dem Abgrund emporſteige, aber verſchwinde,
ſo bald Wind und Wellen an ihn anſtoſſen.


Daher ſagte er, muͤſſe bey der Erziehung
des Menſchen die ernſte und ſtrenge Berufs-
bildung allem Wortunterricht nothwendig vor-
hergehen.


Und genau mit der Berufsbildung verband
er auch die Sittenbildung, und behauptete, die
Sitten eines jeden Stands und Gewerbs, und
auch des Orts und Lands in dem ein Menſch
wohne, ſeyen fuͤr ihn ſo wichtig, daß ſein Gluͤk,
und die Ruh, und der Friede ſeines Lebens,
[293] wie 1000 gegen eins darauf ankommen, ob er
ein ungetadeltes Muſter dieſer Sitten ſey.


Die Erziehung zu den Sitten war alſo auch
ein Hauptſtuk ſeiner Schuleinrichtungen.


Die Schulſtube mußte ihm ſo reinlich ſeyn,
als eine Kirche. Er duldete nicht, daß nur
eine Scheibe am Fenſter mangle, oder ein Na-
gel am Boden nicht recht eingeſchlagen ſeye,
vielweniger, daß die Kinder das geringſte an
Boden werfen, oder waͤhrend dem Lehrnen eſ-
ſen, oder ſo etwas machten. Es mußte ihm
alles wie an der Schnur und bis ans aufſte-
hen und niederſizen, ſo in einer Ordnung ge-
hen, daß nur keins an das andere anſtieß.


Wenns kothig war, mußten ſie ihre Schuhe
bey der Thuͤre abſtellen, und in den bloſſen
Struͤmpfen an ihre Tiſche ſizen.


Auch die Roͤke wann ſie kothig waren, muß-
ten ſie ihm, wo es ſich ſchikte an der Sonne
oder am Ofen troͤknen und ausreiben.


Er ſchnitte ihrer vielen mit ſeinem Scherlj
die Naͤgel ſelber an den Haͤnden ab, und faſt
allen Buben die Haare auf dem Kopf in Ord-
nung, und allemal wenn eins vom Schreiben
zur Arbeit gieng, mußte es zuerſt zum Waſch-
beken ſeine Haͤnde zu waſchen, auch das Maul
mußten ſie ihm ausſpuͤlen, und zu den Zaͤhnen
Sorg tragen, und zum Athem, daß er nicht ſtin-
kend werde. Alles Sachen, von denen ſie nur
T 3
[294] gar nichts wußten, und beym ſtehen, ſizen,
ſchreiben und arbeiten, mußten ſie ſich ihm im-
mer ſo grad halten als eine Kerze.


Und wenn ſie in die Schul kamen und draus
giengen, mußte eines nach dem andern vor
ihm zuſtehen, und ihm b’huͤt Gott ſagen. Er
ſah ſie denn vom Kopf bis zu den Fuͤſſen an,
und konnte Augen machen, daß ein jedes,
wenn er auch kein Wort redte, es ihm gleich
anſah, wenn es etwas an ſich hatte, das nicht
in der Ordnung war.


Wenns aber denn auf das hin, daß er es
ihm mit den Augen zeigte, nicht beſſerte, ſo
ſagte er es hernach mit dem Maul.


Wo er ſah, daß die Eltern daran ſchuldig,
ließ er es ihnen ſagen, und es war gar nichts
ſeltenes, daß ein Kind mit dem Bericht zu ſei-
ner Mutter heimkam: — du, der Schulmei-
ſter hat geſagt, er laß dich gruͤſſen; — und
ob du keine Nadlen, oder Faden habeſt? —
oder ob das Waſſer theuer ſey bey dir? und der-
gleichen.


Und die Margreth war wie dazu gemacht,
ihm in dieſen Sachen an die Hand zu gehen.


Wenn ein Kind ſeine Haare nicht recht ge-
flochten hatte, ſezte ſie ihns mit dem Spinn-
rad vor ſich zu, und flochte ihm daſſelbe waͤh-
rend dem es lehrnte und arbeitete. Die meiſten
konnten nicht einmal ihre Schuhe recht ring-
[295] gen, und ihre Struͤmpfe recht binden; ſie zeigte
ihnen alles, machte ihnen ihre Halstuͤcher und
Fuͤrtuͤcher zurecht, wenn ſie ſie krumm anhat-
ten, und wo ſie ein Loch an einem ſah, nahm
ſie Nadlen und Faden aus dem Sak, und
naͤhete ſie ihnen zuſammen. Wenn die Schul
bald aus war, machte ſie denn allemal in der
ganzen Stube den Kehr, und ſagte einem je-
den ob es heut brav, oder nur halb brav, oder
gar nichts nuͤz gearbeitet.


Dann dorften die ſo brav geweſen, zuerſt
hervor zum Schulmeiſter, ihm b’huͤt Gott euch,
zu ſagen.


Die ſo nur halb brav geweſen, mußten
denn mit den andern zu ihm hervor.


Die uͤberall ſchlecht geweſen, mußten vor
den andern zur Stuben hinaus, ohne daß ſie
zu ihm hervor doͤrften.


Er bot denn den erſten die Hand, und ſagte
einem jeden behuͤt dich Gott, du liebes Kind!


Den andern bot er die Hand nicht, und
ſagte ihnen nur b’huͤt dich Gott! —


Wenn eins zu ſpath kam, ſo war die Thuͤr fuͤr
ihns zu, wie die Pforte einer Feſtung, wenn ſie
zu iſt; ob ſie denn weinten oder nicht, das war
gleich viel, er ſagte ihnen kurz, ſie ſollten jezt
nur heimgehen, es thue ihnen nur wohl wenn
ſie lang daran ſinnen, — daß man alles, was
T 4
[296] man in der Welt thun muß, zu rechter Zeit thun
muß, oder daß es ſonſt wie nicht gethan iſt.


§. 66.
Gottes Wort iſt die Wahrheit.


So zielte jedes Wort, das er redte, dahin
ſeine Kinder durch feſte Angewoͤhnung
an alles das, was ſie einſt ſeyn und koͤnnen
muͤſſen, zur wahren Weisheit des Lebens zu
fuͤhren, indem er mit jedem Wort in ihrem
Innern das Fundament zu derjenigen Gleich-
muͤthigkeit und Ruhe zu legen ſuchte, welche
der Menſch in allen Umſtaͤnden des Lebens be-
ſizen kann, wenn ihm die Beſchwerlichkeiten
ſeiner Laufbahn fruͤh zur andern Natur ge-
macht worden.


Und hier iſt der Mittelpunkt des Unter-
ſchieds ſeiner Kinder Auferziehung und des
gewoͤhnlichen Unterrichts, den dieſelbige unter
andern Schulmeiſtern genieſſen.


Der Erfolg, mit welchem er arbeitete, uͤber-
zeugte den Pfarrer von Bonnal ſchnell von der
Wichtigkeit dieſes Unterſchieds, und machte
auch ihn einſehen, daß aller woͤrtliche Unter-
richt, in ſo fern er wahre menſchliche Weis-
heit, und das oberſte Ziel dieſer Weisheit wahre
menſchliche Religion erzweken ſoll, den feſten
[297] Uebungen zu guten haͤuslichen Fertigkeiten ohne
anders untergeordnet ſeyn, und nachgehen
muͤſſe, und Maulreligion, an welche ſie alles
Gute was ſie ſind und werden ſollen, wie an-
gebunden haben, aus dem Sinn fallen laſſen
doͤrfe, — nehmlich erſt dann, wenn durch
feſte Uebungen in guten Lebensfertigkeiten in
ihnen ein beſſeres Fundament zu guten und
edeln Neigungen, das iſt zur wahren Weisheit
und zur wahren Religion gelegt worden. —


Aber er ſah auch, daß er ſelber uͤber dieſen
Punkt zur Fuͤhrung der Menſchen nichts tauge,
und daß der Lieutenant und ſelber die Mar-
greth mit einem Wort bey ihren Kindern mehr
zu dieſem Endzwek ausrichten, als er wenn
er Stunden lang predigte, oder ſonſt thaͤte
was er koͤnnte. Er ſchaͤmte ſich vor ihnen,
aber er nuzte ihr Daſeyn, lehrnte von ihnen
was er konnte, und bauete in allem, was er
ſeine Kinder lehrte auf das, worinn der Lieu-
tenant und die Margreth ſie uͤbten. Es fuͤhrte
ihn weit, nehmlich ſeinen Wortunterricht in
dem Grad zu verkuͤrzen als dieſe zwey Men-
ſchen ſeinen Kindern nuͤzliche Fertigkeiten an-
gewoͤhnten.


Er haͤtte das ſchon laͤngſt gern gethan, aber
er wußte nicht, wie es anſtellen, und worauf
denn bauen.


Es traumte ihm wohl von dem, was der
[298] Lieutenant und die Margreth jezt thaten, aber
auf das bloſſe Traumen von Sachen die er nicht
naͤher kannte, war er zu ehrlich das Gute das
der alte Unterricht doch auch noch hatte, ſeinen
Kindern zu entziehen.


Aber jezt, da die beſſere Wahrheit und die
Vorzuͤge der Uebungen im Thun, vor den Ueb-
ungen im Reden vor ſeinen Augen ſtuhnden,
folgte er dieſer beſſern Wahrheit und that in
ſeinem Alter Rieſenſchritte in der Abaͤnderung
ſeines Volks-Unterrichts.


Er ließ von nun an ſeine Kinder gar keine
Meynungen mehr auswendig lehrnen, mit Na-
men nicht die Zankapfel-Fragen, die ſeit zwey
hundert Jahren das gute Volk der Chriſten
in viele Theile getheilt, und gewiß dem Land-
volk den Weg zum ewigen Leben nicht erleich-
tert; und beſonders die Ehr- und nothfeſte Frag,
die noch vor zwey Jahren in ſeiner Gemeind
einen Todſchlag veranlaſſet, verkleibte er in
allen Lehrbuͤchern ſeinen Kindern mit Papen,
und er achtete es gar nicht daß unten und
oben in dieſem verkleibten Blatt noch allerhand
Sachen ſtuhnden die ganz gut waren; denn
er war jezt alle Stund mehr uͤberzeugt daß
der Menſch wenig oder nichts verliere wenn
er Worte verliere.


Aber indem er mit Gott, wie Luther ſei-
nem Volk, durchſtrich den abentheurlichen Wort-
[299] kram ſeiner groſſen Maulreligion, tiſchte er
ihm nicht anſtatt des alten einen neuen, ſtatt
des feurigen einen waͤſſerigen, anſtatt des frem-
den, mit Gunſt ſeinen eigenen auf, ſondern ver-
einigte ſeine Bemuͤhungen mit dem Lieutenant
und der Margreth, ſeine Kinder ohne viele
Worte zu einem ſtillen arbeitſamen Berufsle-
ben zu fuͤhren, und durch feſte Angewoͤhnung an
eine weiſe Lebensordnung, den Quellen unedler,
ſchandbarer und unordentlicher Sitten vorzu-
biegen, und auf dieſe Weiſe den Grund der
ſtillen wortleeren Gottesanbetung und der
reinen thaͤtigen und eben ſo wortleeren Men-
ſchenliebe zu legen.


Zu dieſem Ziel zu gelangen band er jedes
Wort ſeiner kurzen Religionslehre an ihr Thun
und Laſſen, an ihre Umſtaͤnde und Berufspflich-
ten, alſo daß wenn er mit ihnen von Gott und
Ewigkeit redte, es immer ſchien, er rede mit
ihnen vom Vater und Mutter, von Haus und
Heimath, kurz von Sachen, die ſie auf der
Welt nahe angehen.


Er zeichnete ihnen mit eigner Hand die weni-
gen weiſen und frommen Stellen, die ſie in
ihrem Lehrbuch noch auswendig lehrnen dorf-
ten aus; von dem uͤbrigen weitlaͤuftigen Zank-
kram, den er aus ihrem Gehirn ausloͤſchen
wollte, wie der Sommer den ferndrigen Schnee
ausloͤſcht, redte er kein Wort mehr, und wenn
[300] ihn jemand fragte, warum er dieſe Sachen ſo
liegen laſſe, wie wenn ſie nicht da waͤren, ſagte
er, eben ſehe er alle Tage mehr ein, es gehoͤre
nicht fuͤr den Menſchen ſo viel Warum? und
Darum in ſeinen Kopf hinein zu moͤrden, und
die taͤgliche Erfahrung zeige, daß die Menſchen
in dem Grad ihren natuͤrlichen Verſtand, und
die Alltagsbrauchbarkeit ihrer Haͤnden und
Fuͤſſen verlieren, als ſie viel ſolche Warum?
und Darum im Kopf herumtragen. Er ließ
auch nicht mehr zu, daß ein Kind irgend ein
langes Gebet auswendig lehrne, und ſagte
es laut, es ſeye wieder den ausdruͤklichen Geiſt
des Chriſtenthums und die heiterſte Vorſchrift
die der Heiland der Menſchen je ſeinen Juͤn-
gern gegeben, — „wenn ihr aber betet“ u.
ſ. w.


Und das lange Gebeter-machen komme auch
nirgend als vom Predigen her, indem Leuthe,
welche einmal ſich daran gewoͤhnt vor ihren
Mitmenſchen ſo oft und viel Stunden lange
Reden zu halten, natuͤrlich auch dem lieben
Gott ihre Angelegenheiten ſo in langen Re-
den vorzutragen belieben.


[301]

§. 67.
Um ſo gut zu ſeyn als Menſchenmoͤglich,
muß man boͤs ſcheinen.


Das ſchoͤnſte an ihm iſt, daß er bey allem
was er jezt that, gerade zu heraus ſagte,
wenn er den Lieutenant und die Margreth
nicht in ihrer Schulſtube, mit den Kindern
nach ihrer Art umgehen geſehen, ſo waͤre er
mit ſeinem Kinderunterricht bis ans Grab
ohne Aenderung der alte Pfarrer in Bonnal
geblieben, der er 30 Jahre geweſen, — und
noch mehr, er geſtuhnd ſelber, daß er auch jezt
noch nicht im Stande ſey in den Hauptſachen
der wahren Fuͤhrung dieſer Kinder Hand zu
bieten, und daß alles, was er dazu beytragen
koͤnne kaum in mehrerem beſtehe, als daß er
mit ſeiner Einmiſchung der Arbeit des Lieute-
tenants und der Frauen keine Hinderniß in
den Weg lege.


Er hatte faſt ganz recht, er wußte von den
Berufsarten der Menſchen und von den mei-
ſten Dingen auf welche der Lieutenant baute,
ſo viel als nichts. —


Er kannte die Menſchen, und kannte ſie
nicht. —


Er kannte zwar ſie, daß er ſie beſchreiben
konnte, daß man ſagen mußte: — Sie ſind
ſo! —


[302]

Aber er kannte ſie nicht, daß er mit ihnen
eintretten, und etwas mit ihnen richten und
ſchlichten konnte. —


Auch ſagte ihm der Lieutenant oft unter die
Augen, er ſeye nicht im Stand, etwas rechtes
aus den Menſchen zu machen, er verderbe ſie
nur mit ſeiner Guͤte! Denn ſo gut ihr den
Lieutenant allenthalben erfahren, ſo hatte doch
nicht leicht jemand ſtrengere Grundſaͤze uͤber
das Auferziehen als er.


Er behauptete laut, die Liebe ſey zum auf-
erziehen der Menſchen nichts nuz als nur hin-
ten und neben der Forcht; denn ſie muͤſſen lehr-
nen Dornen und Diſteln ausreuten, und der
Menſch thue das nie gern und nie von ihm
ſelber, ſondern nur weil er muͤſſe, und wenn
er daran gewoͤhnt werde. Wer immer etwas
mit den Menſchen ausrichten, oder ſie zu et-
was machen will, ſagte er, der muß ihre Bos-
heit bemeiſtern, ihre Falſchheit verfolgen, und
ihnen auf ihren krummen Wegen den Angſt-
ſchweis austreiben, — und behauptete das
Erziehen der Menſchen ſeye nichts anders als
das Ausfeilen des einzeln Glieds an der groſſen
Kette, durch welche die ganze Menſchheit un-
ter ſich verbunden, ein Ganzes ausmache, und
die Fehler in der Erziehung und Fuͤhrung des
Menſchen beſtehen meiſtens darin, daß man
einzelne Glieder wie von der Kette abnehme,
[303] und an ihnen kuͤnſteln wolle, wie wenn ſie allein
waͤren, und nicht als Ringe an die groſſe Kette
gehoͤren, und als wenn die Kraft und Brauch-
barkeit des einzeln Glieds derſelben daher kaͤ-
me, wenn man ihns vergulden, verſilbern,
oder gar mit Edelſteinen beſezen wuͤrde, und
nicht daher, daß es ungeſchwaͤcht an ſeine naͤch-
ſte Nebenglieder wohl angeſchloſſen zu dem
taͤglichen Schwung der ganzen Kette und zu
allen Biegungen derſelben ſtark und gelenkig
genug gearbeitet ſeye.


So redte der Mann, deſſen Staͤrke darinn
beſtuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem
Prieſter, deſſen Schwaͤche darinn beſtuhnd,
daß er ſie nicht kannte.


Es war aber auch die Arbeit ſeines Lebens,
die Menſchen kennen zu lehrnen, und er dan-
ket es ſeinem Vater unter dem Boden, daß er
dieſes von fruͤher Jugend auf, zu ſeinem Au-
genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men-
ſchen gut, die er hinten nach boͤſe erfahren,
und der Gram daruͤber brachte ihn ums Leben.


Wenige Tage vor ſeinem End ließ er ſeinen
damals eilfjaͤhrigen Gluͤphi vor ſein Beth kom-
men, und ſagte ihm: Kind! trau niemand
in deinem Leben, bis du ihn erfahren.


Die Menſchen betriegen, und werden be-
trogen, aber ſie zu kennen iſt Gold werth.


Gieb auf ſie Acht, aber trau ihnen nicht,
[304] und laß es dein taͤgliches Werk ſeyn, alle Abende
von einem jeden Menſchen, mit dem du umge-
heſt, aufzuſchreiben, was du an ihm geſehen,
und von ihm gehoͤrt, das etwann ein Zeichen
ſeyn mag, wie es innwendig mit ihm ſtehe.


Wenn du das thuſt, ſo wird es dir nicht ge-
hen wie mir, und du wirſt das Ungluͤk nicht
ertragen, daß ich dich ohne Vermoͤgen und
ohne Hilf, auf dieſer armen Erde zuruͤk laſſen
muß.


Mit dieſem quollen die lezten Thraͤnen aus
den Augen des Manns, die nun bald erloſchen.


Und von dieſem Tag an hat Gluͤphi keine
Nacht unterlaſſen, zu thun was ihm ſein Va-
ter befohlen, eh’ er geſtorben.


Er hat noch jezt dieſe Papiere von ſeiner
Jugend auf, bey einander.


Sie ſind ein Schaz von Menſchenkenntniß,
und wenn er davon redt, ſo heißt er ſie nur
das gute Erb von ſeinem lieben Vater ſelig,
und nezt ſie oft mit Thraͤnen. Sie machten ihm
tauſend ſchwere Stunden leicht, und waren
ihm auch in ſeiner Schul ein Leitfaden der ihn
ſchnell hinfuͤhrte, wohin er wollte.


Er kannte ſeine Kinder in acht Tagen beſſer,
als ihre Eltern ſie in acht Jahren nicht kann-
ten; und brauchte dieſes ſeinen Grundſaͤzen
getreu, ihnen den Anſtſchweiß auszutreiben,
wenn ſie ihm etwas verbergen wollten; — und
uͤberhaupt
[305] uͤberhaupt immer ihr Herz vor ſeinen Augen
offen liegend zu halten.


§. 68.
Wer Rechnungsgeiſt und Wahrheitsſinn
trennet, der trennet was Gott zuſam-
men gefuͤgt.


So wie er fuͤr ihr Herz ſorgte, ſorgte er
auch fuͤr ihren Kopf, und forderte, daß
das ſo hinein muͤſſe, heiter und klar ſeye, wie
der ſtille Mond am Himmel.


Er ſagte: nur das heißt lehren, was ſo hin-
einkommt, was aber dunkel iſt und blendet,
und ſchwindeln macht, das ſagte er, iſt nicht
lehren, und heißt nicht lehren, ſonder Kopf
verkehren.


Und er bog dieſem Kopfverkehren bey ſei-
nen Kindern dardurch vor, daß er ſie vor al-
lem aus genau ſehen und hoͤren lehrte, und
durch Arbeit und Fleiß die kaltbluͤtige Auf-
merkſamkeit uͤbte, und zugleich den geraden Na-
turſinn, der in jedem Menſchen liegt, in ihnen
ſtaͤrkte; hauptſaͤchlich machte er ſie in dieſer
Abſicht viel rechnen. Er brachte es auch darmit
innert Jahr und Tagen dahin, daß ſie vor
langer Zeit gaͤhnten, wenn jemand vor ihnen
von den ſieben Sachen, womit das Hartknop-
U
[306] fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut
ſo leicht warm machet, ein Wort verlohr.


So wahr iſt es, daß man die Menſchen vom
Irrthum abzufuͤhren, nicht die Worte der Tho-
ren widerlegen, ſondern den Geiſt ihrer Thor-
heit in ihnen ausloͤſchen muß.


Es hilft nichts zum ſehen, die Nacht zu be-
ſchreiben, und die ſchwarze Farbe ihrer Schat-
ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzuͤn-
deſt, kannſt du zeigen was die Nacht war, und
nur wenn du den Staaren ſtichſt, was die Blind-
heit geweſen.


Recht ſehen und hoͤren iſt der erſte Schritt
zur Weisheit des Lebens; und Rechnen iſt das
Band der Natur, das uns im forſchen nach
Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die
Grundſaͤule der Ruhe und des Wohlſtands,
den nur ein bedaͤchtliches und ſorgfaͤltiges Be-
rufsleben den Kindern der Menſchen beſcheret.


Daher war meinem Lieutenant auch nichts
ſo wichtig, als ſeine Kinder wohl rechnen zu
lehren, und er ſagte: der Kopf gehe dem Men-
ſchen nicht recht auf, wenn er nicht entweder
durch viele groſſe Erfahrungen oder durch Zah-
lenuͤbungen, welche dieſe Erfahrungen zum
Theil erſezen, eine Richtung erhalte, die dem
Faſſen und Feſthalten deſſen was wahr iſt, an-
gemeſſen.


Aber die Art wie er ſie rechnen lehrte, iſt
[307] zu weitlaͤufig, als daß ich ſie euch umſtaͤndlich
zeigen koͤnnte.


Sein Einmal Eins hatte dieſe Form.


Und war ſo ausgeſprochen.


  • 2 und 2 ſind 4
  • 2 mal 2 ſind 4
  • 2 in 4 geht 2 mal

und denn fort:


  • 2 und 2 ſind 4 und 2 ſind 6
  • 3 mal 2 ſind 6
  • 3 in 6 geht 2 mal
  • 2 in 6 geht 3 mal.

— Und ſo machte er ſie das ganze Einmal
Eins mehr ſtudieren, als auswendig lehrnen.


— Er ſuchte ihnen alle Arten Zahlenver-
aͤnderungen dahin heiter zu machen, daß ſie
vor ihren Augen als ein einfacher gerader
Vor- und Rukmarſch der 10 erſten Grund-
zahlen erſchienen.


U 2
[308]

— Und hatte zu dieſem Endzwek verſchie-
dene Tabellen verfertiget.


Z. Ex. Erſte Veraͤnderung der zehen Grund-
zahlen mit 1.


das gleiche abgezogen:


Dieſe Tabelle lief denn gleich fort durch alle
10 Grundzahlen.


Denn folgte eine mit gedoppelten Zahlen,
und lief wieder durch alle Zehner wie die erſte
durch alle Einer.


Hinter dieſer hatte er eine ſehr groſſe Ta-
belle die in jeder einzelnen Grundzahl bis auf
100 fortſchritt, und deren Form folgende war:
[309]

U 3
[310]

So tabellariſch er aber im Anfang zu Werk
gieng um das Verhaͤltniß der Zahlen gegen
einander ihnen ſo einfach und heiter, und un-
verwirrt als moͤglich in den Kopf zu bringen;
— ſo feſt und anhaltend uͤbte er dann hinten
nach ihre Aufmerkſamkeit, dieſe Zahlenver-
haͤltniß auſſer dieſer Tabellenordnung in jeder
andern Ordnung wieder zu finden.


§. 69.
Ein bewaͤhrtes Mittel wider boͤſe luͤgen-
hafte Nachreden.


Er machte auch hierinn aus ſeinen Kindern
was er wollte, und es konnte nicht an-
derſt ſeyn, als daß ein Mann der ſo viel an
dieſen that, nicht vielen Leuthen lieb werden
mußte.


Und doch war bey weitem auch nicht jeder-
mann mit ihm zufrieden.


Das was man zu allererſt an ihm ausſezte,
war: er ſey zu ſtolz zu einem Schulmeiſter,
und moͤge den Leuthen das Maul kaum goͤnnen.


Er ſagte dieß und das ſich auszureden, und
wollte ihnen begreiflich machen, er brauche ſei-
ne Zeit und ſein Maul fuͤr ihre Kinder. —


Aber die Bauern meynten, bey allem dem
koͤnnte er doch noch auch ein paar Augenblik
[311] ſtill ſtehen, wenn man etwas mit ihm reden
wollte; — und wenn ihn nicht der Hochmuth
ſtechen wuͤrde, ſo wuͤrde ers thun.


Zwar widerſprachen alle Kinder hierinn ih-
ren Eltern, und ſagten er ſey gewiß nicht hoch-
muͤthig.


Aber das half nichts, dieſe antworteten ih-
nen: wenn er ſchon mit euch gut iſt, ſo kann
er um deswillen doch hochmuͤthig ſeyn.


Aber das Regenwetter, das in der dritten
Woche, da er Schul hielt, einfiel, richtete bey
den Leuthen fuͤr ihn aus, was die guten Kin-
der mit allem ihrem Reden nicht fuͤr ihn aus-
richteten.


Es iſt eine Ordnung in Bonnal, daß ſint
20 Jahren ein verfauleter Steig vor dem
Schulhaus nicht einmal wieder gemacht wor-
den; und die Kinder, wenns ein paar Tag
nach einander geregnet, faſt bis an die Waden
hinauf naß werden muͤſſen, wenn ſie uͤber die
Kengelgaß in die Schul wollen.


Aber das erſte mal, da der Gluͤphi die Gaß
ſo voll Waſſer ſah, ſtuhnd er, ſo bald die Kin-
der anftengen zu kommen, in vollem Regen in
die Mitte der Gaß hinein, und lupfte eines
nach dem andern uͤber den Bach.


Das dunkte ein paar Maͤnner und Weiber,
die gerade vor der Schul uͤber wohnten, und
juſt diejenige, die am meiſten klagten, er moͤge
U 4
[312] den Leuthen vor Hochmuth kaum guten Tag
und gute Nacht ſagen, gar luſtig.


Sie hatten eine rechte Freude daran zu ſe-
hen, wie er in ſeinem rothen Rok durch und
durch naß werde, und bildeten ſich ein, er moͤ-
ge es keine Viertelſtund erleiden, und werde
ihnen augenbliklich rufen, ob ihm dann Nie-
mand helfen koͤnne?


Aber da er fortmachte, wie wenn keine Kaze,
geſchweige ein Menſch um ihn herumwohne,
der ihm helfen koͤnnte, und Haar und Kleid,
und alles an ihm tropfte, und er immer noch
keinen Schatten Ungeduld zeigte, und immer
noch ein Kind nach dem andern hinuͤber lupfte,
fiengen ſie doch an hinter ihren Fenſterſcheiben
zu ſagen: — er muß doch ein guter Narr
ſeyn, daß er ſo lang fort macht, und wir muͤſ-
ſen uns, ſcheint es doch, geirret haben; wenn
er hochmuͤthig waͤre, ſo haͤtte er ſchon lang
aufgehoͤrt.


Endlich krochen ſie gar aus ihren Loͤcheren
hervor, ſtuhnden zu ihm zu, und ſagten, ſie
haben es nur nicht eher geſehen, daß er ſich ſo
viel Muͤhe mache, er ſolle doch heimgehen,
und ſich troknen, und ſie wollen die Kinder
ſchon hinuͤber lupfen, moͤgen es eher am Re-
gen erleiden als er, ſie ſeyen ſich eher gewohnt.


Noch mehr, ſie wollen noch, eh die Schul
aus ſeye, ein paar Tannen zufuͤhren, daß wie-
der ein Steg ſey, wie vor altem.


[313]

Sie ſagten es nicht bloß. Eh es 11 Uhr
laͤutete, war wirklich ein Steg da, daß die Kin-
der nach der Schul trokenen Fuſſes uͤber den
Bach gehen konnten.


Und auch die Klage uͤber ſeinen Hochmuth
verlohr ſich, jezt da die zwey Nachbarswei-
ber, die am ſchlimſten uͤber dieſen Punkt uͤber
ihn klagten, das Lied daruͤber anderſt anſtimm-
ten.


Wenn dich das viel dunkt, Leſer! oder un-
glaͤublich, ſo probiers nur ſelber, und ſtehe
auch einmal fuͤr andrer Leuthen Kinder, ohne
daß dich jemand heißt, und ohne daß du etwas
davon haſt, in den Regen hinaus bis du trop-
fend naß wirſt, und ſieh denn, ob die Leuth,
die die Kinder etwas angehen, dir nicht gern
auch liebes und guts nachreden, und liebs und
guts thun, und gewiß auch boͤſes nicht mehr
von dir ſagen werden, als was gewiß boͤs,
und recht boͤs, oder was ſie einmal nicht an-
derſt anſehen, oder begreifen koͤnnen.


§. 70.
Narrenwort und Schulſtrafen.


Aber es gieng nicht lang, ſo hatten die Leu-
the wieder etwas uͤber ihn zu klagen, und
noch etwas viel haͤrters.


[314]

Das Hartknopfen Geſchmeiß im Dorf fand,
er ſey kein rechter Chriſtenmenſch, und fieng
unter der Hand an, guten und einfaͤltigen
Leuthen im Dorf das in Kopf zu ſpinnen. Ei-
ner der erſten, dem dieſes Gemurmel behagte,
und der eifrigſten, die es auszubreiten ſuchten,
war der alte Schulmeiſter. Er konnte nicht
leiden, daß die Kinder den neuen Mann alle
ſo ruͤhmten und liebten. Ihn hatten ſo lang
er Schulmeiſter war, alle gehaſſet und alle ge-
ſcholten, und er war deſſen ſint dreyßig Jah-
ren ſo gewohnt, daß er meynte, es muͤſſe ſo
ſeyn, und behauptete, Kinder die noch ohne
rechte Erkanntnuß ihres Heils ſeyen, haſſen
von Natur die Zucht, und folglich auch alle
Schulmeiſter. Aber jezt kam er mit dieſer
Einbildung nicht mehr recht fort, und es dunk-
te ihn, die Leuthe werden ihm ſagen, die Kin-
der lieben jezt ja den Schulmeiſter, weil er
gut ſey.


Das machte ihn haͤßig, dann er ward ſein
Lebtag immer haͤßig, wenn man ihm darauf
deutete, ſein Schalknarrenweſen ſey die Urſach,
daß ihn die Kinder nicht lieben.


Und doch wars die reine Wahrheit, und
konnte nicht anderſt ſeyn; wenn ſie das Ge-
ringſte thaten, das ihm zuwider, ſo war ſein
erſtes Wort, — ihr bringet mich um Leib
und Seel, und noch dazu ins Grab. — Oder
[315] wenn ihr die Hoͤlle um nichts verdienet, ſo ver-
dienet ihr ſie ob mir, und dergleichen.


Wenn man ſo mit den Leuthen redt, und
inſonderheit mit Kindern, ſo macht man ih-
nen nichts weniger als gut Blut, und ſie muͤß-
ten wohl mehr als Kinder ſeyn, wenn ſie ei-
nen Narren, der alle Augenblike ſo ein Wort
zu ihnen ſagt, noch lieben koͤnnten.


Sie wußten aber beynahe voͤllig, mit wem
ſie zuthun hatten, und wenn er auch am laute-
ſten that, ſagten ſie zu einander: — wenn
wir jezt bald wieder mezgen und ihm Wuͤrſt
und Fleiſch bringen, ſo kommen wir denn nicht
mehr in die Hoͤll hinab, ſo lang er davon zu
Mittag hat.


Jezt wars anderſt, das ſtaͤrkſte, das der Lieu-
tenaut zu ſeinen Kindern ſagte, wenn ſie fehl-
ten, war: „du biſt ein ſchlechter Kerl, oder
aus dir giebt nichts.


So wenig als das war, ſo wuͤrkte es; denn
es war wahr.


Was der andere ſagte, war eine Luge, und
wuͤrkte darum nichts.


Und denn brauchte er bey ſeinem Strafen
auch das Narrenholz ſelten, das der Alte im-
mer in Haͤnden hatte, und in den Haͤnden des
Alten war es ſicher ein Narrenholz.


Die Art hingegen wie der Gluͤphj ſtrafte,
beſtuhnd mehrentheils in Uebungen, die dem
[316] Fehler den er beſtrafen wollte, durch ſich ſelber
abhelfen ſollten.


Wer aus Traͤgheit fehlte, mußte ihm zu der
Schuͤzenmauer die er den groͤſſern Buben bey
der Sandrieſi machen wollte, Stein tragen,
oder Ofenholz in Vorrath ſpalten.


Der Vergeßliche mußte ihm Schulbott ſeyn,
und 3-4-5 Tag je nachdem er fehlte, ihm im
Dorf ausrichten, was er darinn auszurichten
hatte.


Er war mitten im Strafen gut mit den Kin-
dern und redte faſt nie mehr mit ihnen, als
waͤhrend ſie ihre [Strafe] litten.


Iſts dir nicht beſſer, ſagte er denn oft zu dem
Vergeßlichen, du lehreſt auch deine Sinnen
bey dem was du thuſt, beyeinander halten,
als daß du alle Augenblike alles vergeſſeſt,
und denn alles doppelt thun muͤſſeſt? Und
man ſah dann manchmal Kinder mit Thraͤ-
nen ſich an ihn anſchmiegen, und ihre zitternde
Hand in der ſeinen, ja! Lieber Herr Schul-
meiſter! zu ihm ſagen. Gutes Kind, antwor-
tete ihm dann der Mann, weyne nicht! aber
gewoͤhne dich anderſt, und ſage deinem Vater
und deiner Mutter, ſie ſollen mir helfen, dir
deine Vergeßlichkeit oder deine Traͤgheit auch
abzugewoͤhnen.


Ungehorſam, der nicht Vergeßlichkeit war,
ſtrafte er darmit daß er 2-3 und 4 Tag mit
[317] einem ſolchen Kind nicht redte, und ihns auch
nicht mit ſich reden ließ.


Auch freche Worte und alle Unanſtaͤndigkei-
ten beſtrafte er auf dieſe Art.


Bosheiten hingegen und das Liegen beſtrafte
er mit der Ruthe, und ein Kind das mit der
Ruthe beſtraft ward, dorfte eine ganze Woche
nicht mehr in die Schul kommen, und ſein
Nahme ſtuhnd dieſe Woche uͤber an einer ſchwar-
zen Tafel an der Stud die in der Mitte der
Schulſtube iſt.


So groß war der Unterſcheid der neuen
und der alten Schulordnung.


§. 71.
Das Elend und die Leiden dieſes Nar-
ren.


Aber das Gute, das der Alte alle Tage mehr
davon hoͤrte, brachte ihn faſt von Sinnen.


Er war in aller Abſicht das, was das Schul-
meiſter Handwerk aus einem erzſchwachen und
dabey einbildiſchen Menſchen nothwendig ma-
chen muß.


Im Anfang that er dik und ſtolz; er hielt
den neuen Mann fuͤr nichts anders als fuͤr
eine Art Soldatenbetler, dem die Allfanze-
reyen, die er um des Junkers Suppen willen
[318] in der Schul treibe, nur gar zu bald von ſich
ſelber erleiden werden, und verglich das ganze
Weſen, wo er hin kam dem ſchwangern Berg
in der Fabel.


Aber da es nicht gerade in der andern Woche
kam, wie er meynte, ſondern ihm vielmehr
ſeine beſten Leuthe Tag fuͤr Tag mehr mit dem
Bericht kamen, es ruͤhme ihn bald jedermann,
und es ſey wie verzaubert und wie wenn ers
den Kindern anthun koͤnne, ſo richte er mit
ihnen aus was er wolle; ſo ward ihm daruͤber
ſo angſt, daß er mit ſeiner Fabel vom ſchwan-
gern Berg ganz ſtille ward. Die Maus die
daraus hervor kam, duͤnkte ihn jezt ein Ele-
phant, und nahm ihm den armen Kopf ſo ein,
daß er auf das Wort hin, „es ſey wie ver-
zaubert“, ſich vorſtellte, es koͤnne gar wohl
ſo etwas darhinter ſteken, und bey Nacht und
Nebel anderthalb Stund weit zum Senn im
Muͤnchhof huͤlpete, und ihm Geld anbot, wenn
er dem Schulmeiſter dafuͤr thun koͤnne.


Dieſer aber traute ſich nicht, und ſagte,
wenn es Kuͤh oder Stieren oder Roß antref-
fen wurde; ſo wollte er ihm wohl helfen, aber
an einen Schulmeiſter der etwas koͤnne die
Kinder zu lehren, moͤge er ſich nicht wagen,
er habe den Fall noch nie erlebt.


So ungetroͤſtet vom Muͤnchhoͤfler wußte
er ſich ein paar Tage nicht zu rathen, bis das
[319] Hartknopfen Gemurmel: der neue Schulmei-
ſter ſeye kein rechter Chriſtenmenſch, und das
ewige Heil der armen Kinder ſey in Gefahr,
wenn ſie unter ſeinen Haͤnden bleiben, ihn wie
aus dem Schlaf wekte, und ſeinen Sinnen wie
wieder neues Leben gab. Es war ihm jezt
nicht mehr, der neue Mann ſey wieder ihn,
es war ihm, er ſey wieder den lieben Gott.


Und das macht einen Unterſchied in einem
ſolchen Kopf; er kehrte von nun an alles auf
dieſe Seite.


Er hieß ihn einen Heidenmann, ſeine Schul
eine Heidenſchul, und verglich das was man
darinn trieb der Kaufhausarbeit im Tempel
zu Jeruſalem, das mit ſamt dem Schulmei-
ſter nichts beſſers verdiene, als daß ihm gehen
ſollte, wie es der liebe Heiland den Dauben-
verkaͤufern und den Geldwechslern gemacht
habe. — In dieſem Ton redte er jezt uͤber
alles. —


Das nicht mehr Auswendiglehrnen des un-
verſtaͤndlichen und verwirrten Wortkrams,
das der Pfarrer nicht mehr wollte, hieß er
eine Verlaͤugnung des wahren Glaubens. —


Und das Verkleiben der Streitfrage die dem
Michel Juk das Leben gekoſtet, eine Verſtuͤmm-
lung des geoffenbahrten Willens Gottes, mit
dem Zuſaz: wenn man eine jede Frage ver-
kleiben wollte, die einen Todſchlag veranlaſſet
[320] haͤtte, ſo ſolle man in der ganzen Chriſtenlehr
die Frage zeigen, welche man denn nicht ver-
kleiben muͤßte.


Doch redte er nur ſo, wenn er allein war.


Denn er war nicht von der alten Art der
muthvollen ehrlichen Phantaſten, die Leib, Ehr,
und Blut, von Brod will ich nur nicht reden,
an das ſezten, was ſie fuͤr Gottes Sach an-
ſahen, ſondern vielmehr von der Art der neuen
Muthleeren und aͤngſtlichen Zuker- und Caffee-
Phantaſten, die ihrem Leib und Blut, und
auch ihrem Brod nothwendig ſo viel Sorgfalt,
auch noch mehr als die Nichtphantaſten, an-
gedeyen laſſen muͤſſen; weil ſie mehrentheils
wie der Schulmeiſter von Jugend auf verderbt,
ſchwaͤchlicher Natur ſind, und alſo zu reden
Leibs halber nicht ehrlich ſeyn koͤnnen, oder
wenn das zu viel geſagt iſt, doch ſicher Leibes
halber groſſe Schwierigkeiten haben, auf die
Art ehrlich und muthvoll zu ſeyn, wie ſie leh-
ren, daß man gegen Gott und Menſchen es
ſeyn ſollte.


Er redte alſo nur, wo er allein war, und
wo er trauen doͤrfte, alſo, und trug alle Sorg,
daß der Junker es nicht etwann erfahre, und
ihm dafuͤr das Fronfaſten-Geld nehme, wel-
ches er ihm gelaſſen, wenn er den Schulmei-
ſterdienſt ſchon nicht mehr verſehen muͤßte.


Aber es that ihm ſo weh, daß er ſein Herz
ſo
[321] ſo wenig erleichtern und ſeine Geſinnungen und
Empfindungen daruͤber ſo grauſam verſchluken
mußte; daß er manchmal wie ein Narr darob
ward, und ſo gar etliche mal in der Mitte der
Nacht aufſtuhnd, und mit einer Geiſſel in der
Hand an Stuͤhl und Baͤnken probierte, wie
es auch kaͤme, wenn einer, wie der Heiland im
Tempel, die Spinnraͤder und Schreibtiſch in
der Schulſtuben ſo unter und uͤber ſich kehrte,
und mit ſamt dem Heidenmann die Stege hin-
ab, und aus ſeiner Schul hinausjagte.


Zwar gab er auch da bey ſich Acht, daß
Thuͤr, Fenſter, und Laͤden beſchloſſen ſeyn.


Aber ſeine Schweſter, des Sigriſten Frau,
die unter dem gleichen Dach wohnte, ſtuhnd
einmal, da er ſo ein Gepolter machte, in der
Nacht auf, und ſah ihm durch das Schluͤſſel-
loch zu, was er machte.


Es duͤnkte ſie nicht anderſt, als er muͤßte
hinterfuͤr im Kopf ſeyn; ſie wekte ihren Mann
zur Stund auf, ſagte ihm, was ſie geſehen,
und Morndes fragten ihn beyde, was es doch
auch ſeye? Er geſtuhnd es ihnen, es wandle
ihn manchmal ſo an, daß er nicht ſchlafen
koͤnne, bis er ſeinen Eifer gegen den Heiden-
kerl, der ihn ſo aus ſeiner Schul verdrungen,
auf eine Art, wie er koͤnne, abgekuͤhlt.


Es iſt ſo traurig, ſagte ſein Bruder, und
X
[322] biß auf die Zaͤhne, daß du ihn nicht an ihm
ſelber abkuͤhlen darfſt.


Ja, ſagte der Schulmeiſter, ich habe ſchon
manchmal daran gedacht, wenn nur das ver-
fluchte Fronfaſtengeld nicht waͤre, ſo weiß ich
ſchon, was ich thun wollte; — und nach ei-
ner Weile ſezte er hinzu, wenn mich etwas in
meinem Glauben irre machen koͤnnte, ſo waͤre
es das: wie der liebe Gott es zulaſſen kann,
daß ſeine treue Diener ihren wohlverdienten
Lohn und ihr taͤgliches Brod aus der Hand ſol-
cher Heidenkezern ziehen ſollen, denen ſie ſo
tauſendmal um deswillen ſchweigen muͤſſen,
wenn ſie noch ſo groſſes Recht gegen ſie haben.


Seine Frau ſagte, ſie ſeye einmal froh,
daß er nicht hinterfuͤr ſeye.


Der Siegriſt antwortete ihr: er koͤnmte es
aber doch werden, wenn er ſo weder Tag noch
Nacht keine Ruhe habe.


Und ſie riethen ihm beyde, er ſolle in Got-
tes Nahmen die Sachen nicht ſo zu Herzen
nehmen, und einmal des Nachts nichts mehr
dergleichen thun, man wiſſe doch nicht, was
einem dabey begegnen koͤnnte. —


[323]

§. 72.
Allerley wunderliche Wirkungen die vom
Duͤrſten herkommen koͤnnen.


So verwirrte es dieſen Mann, daß das
Schulhaus fuͤr ihn zu war.


Andere und mehrere verwirrte es, daß das
Wirthshaus fuͤr ſie zu war.


Arner hatte es nemlich, ſeit dem der Teufel
den alten Wirth nehmen wollen, beſchloſſen,
und nun gab es alle Tage mehr Leuthe, denen
das nicht recht lag, und die auf dieſe oder jene
Art anftengen ſich herauszulaſſen, der Miß-
brauch einer Sache hebe den guten Gebrauch
derſelben nicht auf; und der Wein ſeye eine
Gabe Gottes, die er ſelber den armen Bau-
ren, die doch auch ſonſt ſo wenig in der Welt
haben, wohl goͤnnen moͤge, wenn ſie ihn nur
mit Beſcheidenheit brauchen, und ſo, daß ſie
darbey beym Verſtand bleiben.


So redten jezt Leuthe, von denen kein Menſch
geglaubt haͤtte, daß ſie jemals dem Wein oder
dem Wirthshaus das Wort reden wuͤrden.
Andere die ſich weniger ſchaͤmten, zu zeigen,
warum es ihnen zu thun ſey, fuͤhrten dann
noch eine andere Sprache, und denn daheim
in ihren Haushaltungen ein Leben, daß es ein
Grauſen, ſo daß einiche Weiber und Kinder
X 2
[324] im Dorf den groͤßten Jammer hatten, und
die wunderlichſten Reden daruͤber im Dorf her-
umgegangen.


Die Muͤggerin ſagte in den erſten acht Ta-
gen bey dem offenen Brunnen: es wuͤrde den
Junker wohl lehren das Haus wieder aufthun,
wenn er nur ein paar Tage ſo eingeſperrt ſeyn,
und es haben muͤßte wie ſie bey ihrem Mann,
ſeitdem daſſelbe zu ſeye.


Des Aebis Elſi ſagte gar: ſie wollte lieber
in die Hoͤlle als es ein halb Jahr ſo haben,
wie jezt, ſeitdem ihr Mann nicht mehr ins
Wirthshaus koͤnne.


So klagten viele Weiber uͤber ihre Maͤnner.
Andere aber klagten wie dieſe uͤber das beſchloſ-
ſene Haus. — Die Rhynerin mit der rothen
Naſe machte von deswegen das ſchoͤnſte Kalb
ſterben, das im Dorf war; ſie gab ihm ſeit
dem Tag, da das Haus zu war, ſeine Sache
nicht mehr in der Ordnung, und noch dazu
Ribbſtoͤſſe, wenn es nicht im Augenblik recht
wie ſie wollte, zu der Kuh zuſtuhnd. — Wenn
mans ſo macht, ſo iſts mit einem Kalb und
mit einem jeden jungen Geſchoͤpf bald aus.


Es gieng auch manches darauf. — Was
will ich ſagen? ſelber ihre Kinder empfanden
beym Strehlen und anderm mehr, daß ihren
Muͤttern ganz gewiß etwas nicht recht liegen
muͤſſe. — Und der Leuͤppi machte auf ſeinem
[325] Todbett um deswillen nicht wie ein Chriſten-
menſch, und gab dem Pfarrer, da er zu ihm
kam und ihn fragte, wie es auch gehe? zur
Antwort, es ſey am Einpaken, wenn er mit
wolle. Der gute Pfarrer ſchuͤttelte den Kopf,
und ſagte, was das auch fuͤr eine Rede ſey in
ſeinen Umſtaͤnden? Der Kerl aber fuhr in ſei-
nem Ton fort — es ſey kein Wunder, daß er
ſo rede, es gebe ja einem nur niemand mehr
kein Glas Wein auf den Weg — wenn man
vor Durſt erſtikte; — und hiermit kehrte er ſich
um, und murrte gegen die Wand, und der
Pfarrer, der ſah, daß er jezt minder bey ihm
nuͤze als bey einem Haupt Vieh, gieng von
ihm fort, ſchikte ihm eine Flaſche Wein; er
leerte ſie aus und ſtarb.


Laßt euch das nicht aͤrgern; es geſchieht gar
zu viel dergleichen unter dem Mond, ihr muͤſ-
ſet denken, ihr Menſchen, wenn der Mann eine
Viertelſtund ehe der Pfarrer zu ihm gekommen,
ein Glas Wein gehabt, ſo haͤtte er auch wie ein
anderer Chriſtenmenſch auf dem Todbett abge-
hoͤrt, was er zu ihm geſagt und mit ihm gebe-
tet haͤtte. —


Aber jezt giengs einmal ſo. Der boͤſe Durſt
brachte gar viele Leute zu Sachen, die ſie ſonſt
nicht gethan haͤtten. Ihrer viele, z. Ex. die
bey Jahren keinen Tropfen Milch getrunken,
lieſſen jezt alle Tage ein paar Beken ſauer wer-
X 3
[326] den, damit ſie doch auch etwas haben, das ſie
auf der Zunge und im Hals an den Wein
mahne.


Mit dieſem kam in vielen Haushaltungen
das einige Gute, das dieſe Lumpen Weib und
Kindern ſonſt noch lieſſen, das lezte Beken
Milch auch noch fort.


Der Kriecher und ſeines gleichen giengen
jezt am Morgen und Abend ſelbſt in Stall zu
melken, und ſperrten ihre Geißmilch auf den
Tropfen ein, damit kein Kind davon trinke,
weil ſie noch ſuͤß ſey.


Das, und hundert und hundert dergleichen
Sachen, machten Kreuz und Jammer in vie-
len Haushaltungen auf das aͤuſſerſte ſteigen,
ſo daß alle Tage mehr Leuthe anfiengen zu ſa-
gen, es dunke ſie in Gottes Namen bald, es
waͤre noch beſſer, wenn’s wieder waͤre wie vor
Altem; doch war auch nicht alles dieſer Mey-
nung. Wer am lauteſten dagegen redte, und
am meiſten dawider eiferte, war das Baum-
wollen-Mareilj.


Es gab ſeinen Spinnerweibern allemal,
wenn ſie in ſeiner Stube ſo anfangen wollten
zu klagen: der Junker haͤtte vielen Suͤnden und
Schanden, und vielem Fluchen und Schwoͤren
vorbiegen koͤnnen, wenn er das Haus offen ge-
laſſen, deutſch zur Antwort: ſie ſeyen Narren,
und reden nur vom Fluchen und Schwoͤren;
[327] aber an die Hauptſache, von der das Fluchen
und Schwoͤren herkomme, und die der Junker
in die Ordnung machen wolle, an dieſe denken
ſie nicht.


Ich moͤchte, ſagte es ein andermal zu ihnen,
um das Fluchen und Schwoͤren nicht die Hand
umkehren. Wenn die Leute in der Unordnung
ſind, und boͤs und verderbt, ſo iſt es noch beſ-
ſer, ſie zeigen ſich wie ſie ſind, als daß ſie es
verbergen, und man nicht wiſſe, wo man mit
ihnen zu Hauſe. — Wieder einmal ſagte es:
es iſt ſicher beſſer, ſie zanken jezt mit einander
vor Durſt, als ihre Kinder freſſen einmal ein-
ander vor Hunger. — Einer diken Frau, die
ihm klagte, ihr Mann bringe ſie noch unter den
Boden, nahm es einen Fuͤnfbaͤzler aus dem
Sak, und ſagte ihr, willſt du das mit mir wet-
ten, du erlebſt noch, daß du mit deines Manns
Beinen Nuſſe hinabbengeln kannſt?


Andere, die im Ernſt litten, troͤſtete es wie
es konnte, und redte mit etlichen Maͤnnern ſo,
daß ſie aus Forcht vor ihm daheim zaͤhmer
thun muͤſſen.


Und immer wies es die Leuthe auf den Jun-
ker, und behauptete kek: er werde dieſes gewiß
nicht in die Laͤnge ſo gehen laſſen, ſondern auf
die oder dieſe Art dafuͤr ſorgen, daß es anderſt
komme.



[328]

§. 73.
Hauptſachen fuͤr Leuthe, die ſich einfallen
laſſen, ſie koͤnnten ein Dorf regieren.


Es hatte recht. — Er war nicht der Mann,
der um eine Unordnung abzuſtellen, eine
neue anrichtete, und denn dieſe ſorgenlos ih-
ren Weg gehen ließ. — Sobald er vernom-
men, was die Wirthshauslumpen daheim fuͤr
ein Leben fuͤhrten, dachte er auf Mittel, ſie
den Tag uͤber aus ihren Haͤuſern wegzuloken,
und oͤfnete zu dieſem Endzwek wenige Tage
darauf die Torfgruben, die er in der Naͤhe von
Bonnal hatte. Dadurch gab er mehr als 50
Tagloͤhnern einen guten Verdienſt, und die mei-
ſten Wirthshauslumpen ſtuhnden wegen der
Langenzeit, die ſie daheim hatten, und auch
wegen dem Abendtrunk, den er dieſen Arbei-
tern der Woche zweymal verſprechen ließ, an
dieſe Arbeit. — Und ſo kam er dahin, auf der
einten Seite einen groſſen Theil dieſer Dorf-
leuthen dadurch, daß er ſie zu einer beſtimmten
Tagsarbeit brachte, nach und nach im Grund
zu andern und zu beſſern, und Hausſitten anzu-
ziehen — und auf der andern Seite eben ſo
dem Hauselend, das er mit dem Beſchlieſſen
des Wirthshauſes veranlaſſet, abzuhelfen, und
die armen Weiber, die ſeither eine ſolche Roth
[329] mit ihren Saufmaͤnnern hatten, den Tag uͤber
von ihnen zu erloͤſen. Auch erkannten die Wei-
ber, was er ihnen dadurch Gutes gethan. —


Und die Geſchlagenſten unter ihnen konn-
ten, wo ſie einander antrafen, nicht genug ruͤh-
men und ſagen, wie gut es ſey, daß der liebe
Gott ihm das in den Sinn gegeben.


Aber wenn er heut einer Unordnung abhalf,
ſo gabs morn eine andere, und wenn er heut
eine Schwierigkeit beſiegte; ſo fand er morn
eine neue im Weg.


Es iſt natuͤrlich; es braucht etwas ein gan-
zes Dorf in eine andere Ordnung zu bringen,
und denn war noch bald in einer jeden Gaß
jemand, der einem jeden Schritt, den er dazu
that, wie mit Fleiß Hinderniſſe in den Weg
legte.


So wie die zehndfreyen Aeker den Spin-
nerkindern mit jedem Tag ſicherer und uͤber-
haupt die Hausordnung, und die Umſtaͤnd der
Armen beſſer wurden, ſo ſtieg die innere Unzu-
friedenheit der neidigen Reichen, und ihrer
Weiber, und ihrer Toͤchter, — und ihrer Soͤhnen.


Und denn hatten ihm die Vorgeſezten noch
nichts weniger als vergeſſen, daß er ſie ob Sa-
chen, die ſie nicht anderſt gemacht als ihre Vaͤter
und Großvaͤter, dennoch als wenn ſie die faͤulſten
Schelmen geweſen, vor einem halbdozend Bet-
telbuben niederknien und abbitten gemacht.


[330]

Am meiſten aber machte das: die Reichen
waren bis jezt gewohnt die Armen als eine
Art Knechte anzuſehen, die wie dazu gebohren
ſeyen ihnen um den halben Lohn, den ſie an-
derſtwo haben koͤnnten, alle Arten Dienſte zu
thun, und es machte z. E. einer ſolchen diken
Frauen gar nichts, ihre arme Gevatterin einen
ganzen Nachmittag bey ihr arbeiten zu machen,
und ſie denn am Abend vor dem Nachteſſen
mit einem Stuͤk Brod, und etwann einer ab-
genommenen Milch heimzuſchiken.


Aber es iſt vorbey, — Gevatterin hin,
und Gevatterin her: die Armen wollen das nicht
mehr ſo verſtehen, und kommen ihnen nicht
mehr, auſſer ſie geben ihnen ſo viel Lohn als
ſie daheim oder anderſtwo in der gleichen Zeit
verdienen konnten.


Darinn haben ſie auch ganz recht.


Aber darinn haben ſie unrecht, daß ſie, ſo
bald ſie einen Eken blauen Himmel ſahen,
frech und unverſchaͤmt wurden, und Leuthen,
bey denen ſie nur vor ein paar Wochen gebet-
telt, jezt die unverſchaͤmteſten Antworten ga-
ben.


So ließ die Huͤrnerbeth der Huͤgin, die ge-
wiß wenn je eine im Dorf eine gute Frau iſt,
da ſie ihr bey einem ſtarken Reger ſagen ließ,
ſie ſoll doch zu ihr kommen, und ihr helfen das
Waſſer das ihr gegen den Keller laufe ablei-
[331] ten, zur Antwort ſagen: was ſie auch denke,
daß ſie ihr ſolche Botten ſchike? Es ſey nicht
mehr die alte Zeit, ſie habe jezt auch ihre Ge-
ſchaͤfte, und ihre Haushaltung, und koͤnne ihr
nicht mehr zu Gebott ſtehen wenn ſie wolle. —
Und dergleichen Antworten gab das Bettelvolk
jezt bald alle Tage, und brachte die Reichen
dadurch natuͤrlich gegen ſie in Harniſch, und
denn auch gegen Arner, deſſen Wohlthaten an
der Aenderung ihrer Umſtaͤnden ſchuldig.


Es iſt traurig, — man kann nicht anderſt,
wenn man ſo etwas hoͤrt, man muß an das
Thier denken, das kriecht und waͤdelt wenn es
hungert, und die Zaͤhne zeigt, wenn es den
Wanſt voll hat.


§. 74.
Fortſezung aͤhnlicher Hauptſachen fuͤr die
gleichen Leuthe.


Aber auch Leuthe, die ſich nicht mit dieſem
Thier vergleichen laſſen, und ſolche die dem
Junker gar nicht zuwider waren, machten
Nachrichten, die dem Guten, das er im Dorf
betrieb, den groͤßten Schaden thaten.


Selbſt ſein Huͤnertrager Criſtoff machte ihm
ſo einen Streich, und rief einmal, da er mit ei-
nem halben Rauſch uͤber den Berg kam, vor vie-
[332] len Haͤuſern in Bonnal anſtatt „jung Dauben“,
jung Dauben. —


Wer hat jung Dauben feil?

Jung Teufel, —

Jung Teufel: —

Wer hat jung Teufel feil?

Das machte den Leuthen in den meiſten Haͤu-
ſern boͤſes Blut; ſie meynten nemlich, er ſtichle
auf ihren dummen Teufelsglauben, den ſie mit
dem Allment theilen ſo theuer zahlen muͤſſen: —
und noch dazu, er ſey aufgewiegelt; und wer
den Junker haßte, und dem was er wollte gram
war, trieb dieſes ſo hoch er konnte. Die Vor-
geſezten und das Hartknopfenvolk redten nicht
anderſt, als wie wenns eine ausgemachte Sache
ſey, daß der Junker darhinter ſteke; und es
gab Leuthe die mit troknen Worten heraus ſag-
ten: — ein Mann, dem vom Catechismus
an bis zum Wirthshaus nichts recht liegt, was
die Alten machten, iſt nicht zu gut hiezu. —


Der Huͤnertraͤger vernahm ſelber, und noch
an gleichem Abend, wie man das Narrenwort
aufnehmen und erklaͤren wollte. Das machte
ihm, wenn er ſchon halb betrunken war, ſo bang,
daß er die ganze Nacht darob nicht ſchlafen konn-
te, und am Morgen, ſo bald er ins Schloß kam,
und ſeinen Korb in der Kuͤche abgeſtellt, den
Junker ſuchte, und ihm erzaͤhlte, was ihm
geſtern im Rauſch fuͤr ein Narrenſtreich ent-
wiſcht.


[333]

Er haͤtte nicht leicht etwas thun koͤnnen,
das dieſen verdruͤßlicher machen koͤnnen. Er
befahl ihm auf der Stell wieder nach Bonnal
zu laufen, und bey allen Haͤuſern, vor denen
er ſo Teufel ausgerufen zu ſagen, daß wenn
er noch einmal nuͤchtern oder im Rauſch ſo ei-
nen Streich ſpiele, ſo habe er fuͤr den Junker
ſeiner Lebtag genug jung Dauben und jung
Guͤggel ausgerufen und eingekauft.


Auch bey den Torfgraͤbern erfuhr der Jun-
ker, daß die ſo es mit ihm hielten und ſo zu reden
ſeine Parthie ausmachten, dem ſo er ſuchte die
groͤßten Hinterniſſe in den Weg legten.


Von der erſten Stund an, die er bey dieſen
Arbeitern zubrachte, zeichneten ſich ihm zwey
Bruͤder bey jedem Anlaß als die arbeitſamſten
ordentlichſten und gutmuͤthigſten vor allen an-
dern aus; und er ſuchte wie natuͤrlich gegen
ſie beſonders liebreich zu ſeyn, aber ſie wurden
allemal beyde roth, wenn er nur ein Wort zu
ihnen ſagte.


Er wußte lange nicht, was das bedeute?
Endlich erfuhr er, ſie ſeyen dem Siegriſt und
dem Schulmeiſter verwandt, und erſchreken
darob, wenn er nur ein Wort zu ihnen ſage,
weil ſie glauben, er wuͤſſe nicht, daß ſie in eint
und anderm nicht ſeiner Meynung.


Der Junker verdoppelte auf dieſen Bericht
ſeine Freundlichkeit gegen ſie, ſie wurden aber
[334] immer gleich roth. Und die andern, wenn ſie
ihn ſo freundlich gegen ſie ſahen, ſtoßten auch
immer die Koͤpfe zuſammen, und ſagten ſich
dies und das daruͤber ins Ohr; er that aber,
als ob er nichts merkte. Endlich ſagte ein-
mal einer ſo nahe an ihm zu, daß er es deut-
lich verſtuhnd, wenn er wuͤßte mit was fuͤr ei-
ner Partie ſie es halten ſo lieſſe er ſie ſicher
mit ſeiner Freundlichkeit ungeſchoren. Da
kehrte er ſich um, und ſagte dem Mann, er
ſolle jezt die gleichen Worte noch einmal und
das uͤberlaut ſagen. Er mochte wollen oder
nicht, er mußte. Da ſolltet ihr die Tagloͤh-
ner geſehen haben, wie ſie den Kopf ſtrekten,
und die Ohren ſpizten, was der Junker daruͤ-
ber ſage.


Die zwey Bruͤder aber wurden beyde ſo blaß
wie der Tod, und hielten das erſte mal, daß
es Arner ſahe, mit einander die Haͤnde ſtill.


Arner ſah dann die Tagloͤhner, die ſo die
Haͤlſe ſtrekten, mit ein paar Augen an, die ſo
viel redten, daß er haͤtte ſchweigen koͤnnen,
man haͤtte ihn gleichwohl verſtanden. Aber er
redte doch und ſagte dann, wie lang wollet ihr
mich doch nicht kennen? und was habe ich auch
gethan, daß ihr alſo von mir urtheilet, und
glauben koͤnnet, ich ſey im Stand Leuthen um
deswillen, daß ſie anderer Meynung ſind als
ich, unfreundlich zu begegnen?


[335]

Nach dieſem gieng er gegen die zwey Bruͤder,
die etliche Schritte von ihm wegſtanden, zu,
bot ihnen beyden mit einander die Haͤnde, und
ſagte zu ihnen: — Und ihr? koͤnntet ihr das
auch glauben? Sie ſahen ihn einen Augenblik
an ohne zu reden; bald darauf ſagte der Aeltere:


Ja Junker! wir habens geglaubt, und ich
will euch den graden Weg ſagen, was daran
die Schuld iſt.


Da klagte er ihm, die Hand immer in ſeiner
haltend; es gaͤbe Leuthe im Dorf, die ſich groß
damit meynen, einen jeden, der mit einem
Wort ſich verlauten laſſe, als wenn er uͤber
etwas anders als der Junker und der Pfarrer
denke, ſo unverſchaͤmt anzufahren und zu be-
gegnen, daß man ſich bald mehr forchten muͤſſe,
uͤber etwas ſo zu reden wie man daruͤber denke,
als weis nicht was zu thun.


Der Junker war betroffen, und ſagte, man
kann nichts thun, das mehr wider mich iſt, und
wider das ſo ich ſuche — als juſt das. —


Und doch thuns Leuthe, die nichts weniger
glauben, als daß ſie euch zuwider handeln,
ſagte noch einmal der Chriſtoff, ſo hieß der aͤl-
tere der Bruͤder.


Und da die andern ſahen, daß es der Junker
nicht uͤbel aufnehme, gaben ihm ihrer eine Men-
ge Beyfall, und etliche die mehr als halb hart-
knoͤpfiſch waren, trieben es noch weiter, und
[336] ſagten laut: ja es meyne bald ein jeder Geiſſen-
bub, er doͤrfe ſich nur hinter den Junker verſte-
ken, um ſein Maul uͤber alles zu brauchen wie
er wolle.


Das Wort, Geiſſenbuben, brachte etliche von
des Junkers Parthie in die Hiz, und die Augen
gluͤheten einem jungen Mann, der ſich da ſtellte
und antwortete: Man muß unpartheyiſch ſeyn,
und die Sachen auf beyden Seiten ſagen, wenn
man davon reden will; und es iſt ſo, wenn Nar-
ren von dieſer Gattung dergleichen thun, ſie
haben den Junker zum Ruͤken, ſo thun Narren
von der andern Gattung dergleichen, ſie ha-
ben den lieben Gott zum Ruͤken, und ich meyne
das ſeye noch viel das ſchlimmere.


Der Junker mußte jezt daruͤber lachen, und
ſagte: ich kann nichts daruͤber ſagen, als ſie ſind
alle beyde Narren.


Der Chriſtoff widerſprach das auch nicht,
und ſagte vielmehr, er moͤchte nichts weniger,
als daß man meynte: er glaube, alle Leuthe die
dem Junker und dem neuen Weſen zuwider,
ſeyen um deswillen recht und brav, und gehen
in den Sachen zu Werk wie ſie ſollten; es ſey
ihm genug, daß er jezt ſehe, daß der Junker
den geraden Weg gehe, und einem jeden ſeine
Freyheit laſſe.


Der Junker ſagte ihm hieruͤber: Es geht mir
hierinn vollkommen wie dir; — ich moͤchte
ſicher
[337] ſicher auch nichts weniger als denken, daß Leu-
the die meine Brille auf die Naſe ſezen, um
deswillen um ein Haar braͤver ſeyen als Leuthe
mit andern Brillen. Und es freuet mich gewiß
auch, daß ich ſehe, daß du eben ſo natuͤrlich
den geraden Weg geheſt, und andern Leuthen
die Freyheit, die du ſelber gern haſt, auch gern
laſſeſt.


Und ich kann nicht ſagen, erwiederte der
Chriſtoff, wie es mich freuet zu ſehen, daß wir
in dieſen Stuͤken ſo nahe bey einander.


Lieber Chriſtoff! nimm das fuͤr immer an, —
Leuthe, die es gut meynen, ſind im Grund nie
weit von einander, und finden ſich immer, ſo-
bald ſie ſich nur gegen einander erklaͤren, ſagte
der Junker.


Dieſes Wort und ſeine Guͤte gegen die zwey
Bruͤder, und wie er ſich gegen ſie erklaͤrt, und
wie ſie ihn begriffen, ward am gleichen Tag
dem ganzen Dorf kund.


Und es ſchwaͤchte, wie noch nichts, den blin-
den Eifer, den das Hartknopfen-Volk einer
Menge Leuthen im Dorf gegen den Junker, und
alles was er machte, ins Herz gebracht hatte.


Dieſer Eifer iſt von jeher das, wodurch in
Sachen die im Streit ſind, der ſo unrecht hat,
ſein Unrecht am leichteſten bedeken kann.


Auch hatte das Hartknopfen-Volk Naſe ge-
nug, es zu riechen, daß es ihm ans Herz gehe,
Y
[338] wenn der Eifer gegen dieſen Mann im Dorf
aufhoͤren ſollte, und ſie thaten alles moͤgliche,
daß das nicht geſchehe; ſie verſchreyten die zwey
Bruͤder, die ſich haben von ihm einnehmen laſ-
ſen, als Mameluken, die den Mantel nach dem
Wind haͤngen, und bewegten, ſo zu reden,
Himmel und Erden, ihre Blinden zu warnen,
um in ihrer Sprache zu reden, daß ſie die Au-
gen nicht aufthun, die Freundlichkeit der Hei-
den zu ſehen, die wider Gott ſey.


Aber es half nichts; ſie konnten nicht hin-
dern, daß nicht alle Tage mehr Leuthe anften-
gen zu ſehen, wie freundlich und gut Junker
und Pfarrer und Schulmeiſter ſeyen, und es
in allweg meynen.


Und mit dem kam das Volk in Bonnal auf
den Punkt anzufangen, mit Angelegenheit ſel-
ber nachzuforſchen, was dann auch eigentlich
das Streitige in dem neuen Weſen ſey, davon
man ſo viel Aufhebens mache.


§. 75.
Ein Schritt zur Volkserleuchtung, die
auf Fundamenten ruhet.


Der Lieutenant hatte ſeine Bonnaler immer
auf dieſem Punkt erwartet, um mit ih-
nen uͤber dieſe Sachen mit der ganzen Deut-
[339] lichkeit, die er in alles hineinbringen konnte,
was er mit Angelegenheit uͤberlegt hatte, zu
reden.


Er hatte von nun an alle Abende ein halb
Dozend und mehr junge Leuthe bey ſich, denen
er ſtundenlang mit ſeiner unnachahmlichen Ge-
dult links und rechts in den Kopf hineinzubrin-
gen ſuchte, was der Junker und der Pfarrer
im Grund ſuchen, und worinn und warum
man ſie unrecht verſtehe?


Unter den jungen Leuthen, mit denen er ſo
redte, war ein Lindenberger, der ganz auſſer-
ordentlich in alles hineindrang. Es war vol-
lends, wie wenn alles ſchon vorher in ſeiner
Seele gelegen, ſo brauchte es nur einen Wink
es aus ihm herauszubringen.


Wenn er nur eine Viertelſtunde hernach von
dem redete, was der Lieutenant eben erklaͤrte,
brauchte er ſchon kein Wort mehr von ſeinen,
ſondern hatte ſchon eigene Bilder und Ausdruͤke,
welche zeigten, daß er, was er ſage, ganz aus
dem Seinigen nehme.


Auch ſagte der Lieutenant, da er ihn kaum
ein paar mal reden hoͤrte, zum Pfarrer: dieſer
Mann wird dem Hartknopfen-Geſchmeiß den
Kopf zertreten.


Er irrete ſich nicht, er zertrat ſie wie Wuͤr-
mer, ſobald er anfieng uͤber ihre Meynungen
das Maul aufzuthun.


Y 2
[340]

Das ſchreklichſte fuͤr dieſes Geſchmeiß, deſ-
ſen ganze Kraft im Maul und in leeren unver-
ſtaͤndlichen Worten beſtuhnd, war des Manns
ſeine Kuͤrze, und daß ihn jedermann verſtuhnd
und verſtehen mußte.


Sie konnten ihm nicht antworten; man ver-
ſtuhnd ſie nicht mehr, weil man ihn verſtuhnd,
oder vielmehr man begriff, weil man ihn ver-
ſtuhnd, daß man ſie nie verſtanden.


Er verglich das Auswendiglehrnen der Re-
ligion, das der Pfarrer nicht mehr haben wolle,
dem Unſinn eines Bauern, der ein Pferd oder
einen Ochs mit ſtarken Ketten an allen vier Fuͤſ-
ſen anbinden, und ſo am Bahren lahm ma-
chen wuͤrde, damit er ihm nicht weglaufe.


Das Verkleiben der Mordfrage verglich er
der neuen verleſenen Giftordnung.


Und auf den Einwurf: die Leuthe koͤnnten
ja auf dieſe Art die Religion ſelber und alles
was ſie Gutes wiſſen und haben, verlieren,
gab er zur Antwort: es duͤnke ihn, das ſey juſt
ſo viel als wenn man ſagen wuͤrde, Bauern-
kinder koͤnnten ihres Vaters Aker und Matten
verlieren, wenn er ſie nicht auswendiglehrnen
laſſen wuͤrde, wo ſie liegen? an wen ſie anſtoſ-
ſen? was man das Jahr darauf thun muͤſſe?
und ſezte hinzu: wuͤrde nicht jedermann ſo ei-
nem Bauern ſagen: du Narr! das beſte Mit-
tel, daß deine Kinder ihre Guͤter nicht verlie-
[341] ren, iſt daß ſie brav darauf ſchaffen — und
wenn du ſie am Morgen fruͤh und am Abend
ſpath darauf hinausjagſt, ſo wird ihnen beſſer
als mit dem Auswendiglehrnen in Kopf kom-
men, wo ſie ſeyen?


Die Roß an ſeinem Zug ſind nicht ſo ſtark,
und die Furchen, die er mit ihnen ins Feld zie-
het, ſind nicht ſo grad, als die Ausdruͤke und
Bilder die er brauchte; aber wenn er in Eifer
kam, ſo wurden ſie auch ſo ſchneidend wie ſein
Pflug, mit dem er vom Morgen bis am Abend
ſein Land wie nichts umlegte. Und wenn er
Schurken vor ſich ſah, ſo war er denn bald
im Eifer.


Der Staͤndlj-Saͤnger Chriſten erfuhrs auf
eine ſchrekliche Art. Er ließ ſich durch Eſſen
und Trinken verfuͤhren, daß er ihm im Bart-
haus wiederſprach, und Gotteswort und der
Seele Heil, und was man beym Kinderlehren
in Acht nehmen muͤſſe, ins Maul nahm.


Der Lindenberger zog ſein Geſicht in Falten,
ſo wie der Himmel ſich vor einem Wetter in
Falten zieht, ſobald der Kerl nur das Maul
aufthat, und antwortete ihm denn: Du, es
muß einer nuͤchtern ſeyn an Seel und Leib,
und nicht lahm, und nicht ausſaͤzig wie du,
wenn er das Wort Gottes und der Seele Heil
ins Maul nehmen, und davon reden will, wie
man Kinder erziehen und zu Menſchen machen
Y 3
[342] ſoll, die, behuͤt uns Gott davor! einmal dei-
nen nicht gleich ſehen.


Es muß einer kein Vater ſeyn, wenn er nicht
lieber vom Donner erſchlagen ſeyn wollte, als
von ſo einem Wort getroffen. Auch zitterte der
Staͤndlj-Saͤnger, dem man ſonſt Lumpenhund,
und alles was man wollte, ſagen konnte, ohne
daß ers zoͤrnte, jezt am ganzen Leib; es war
aber auch zu erſchreklich, denn es war ganz
wahr; er konnte es darum auch nicht aushal-
ten, und mußte fortgehen.


Aber da er zur Thuͤre hinaus war, ſagte
doch ein alter ehrlicher Uhlj: Jaͤ — Linden-
berger, das iſt doch zu hart! und ich muß dir
ſagen, es iſt mir einmal noch nicht, daß du in
allen Stuͤken recht habeſt; gerade z. Ex. will es
mir gar nicht in Kopf, daß es mit dem Aus-
wendiglehrnen der Religion juſt ſo ſey, wie du
behaupteſt.


Noch immer in der Hiz, antwortete der Lin-
denberger: lieber Uhlj! es toͤnt freylich hart,
wie ichs ſage, aber nur weil wir von Jugend
auf gewohnt ſind, es anderſt zu hoͤren. Oder
iſts nicht ſo? uͤberlegs, und gieb mir dann eine
Antwort.


Wenn einer einem Kind eine Heiden- und
Zigeunerreligion in Kopf bringen wuͤrde —
wie es dann kaͤme? — Sez, er wuͤrde das
Duͤmmſte, das du nur erdenken koͤnnteſt, ihm
[343] alſo beybringen: z. Ex. die Sonne ſey der liebe
Herrgott, der Mond ſeine Frau, und die Ster-
ne ſeine guten artigen Kinder, und nimm denn
an, es waͤren viel dike groſſe Buͤcher in der
Welt, in denen viel hundert und aber viel hun-
dert Menſchen ſich ſeit hundert und aber hun-
dert Jahren Muͤhe gegeben, dieſen Zigeuner-
glauben zu erklaͤren, und vernuͤnftig und gut
aufzumuͤzen, und tauſend Gruͤnde aufzuſuchen,
warum man ihn annehmen muͤſſe, und wie
man zeigen koͤnne, daß er wahr und gut ſey,
und man antworten koͤnne; wenn jemand ſag-
te, er ſey nicht wahr und nicht gut. Und denk’
denn, dieſer Mann wuͤrde ſeinem Kind, ehe
es wuͤßte was rechts oder links iſt, die Haupt-
ſachen dieſes Zigeunertraums einpraͤgen, ihm
ſeinen Glauben am Himmel zeigen, und ihns
machen Freud daran haben, und Thraͤnen dar-
uͤber weynen, und Lieder daruͤber ſingen, und
denn, wenn es anfienge zum Verſtand zu kom-
men, ihns das Geſcheidſte und Beſte, das es in
dieſen Buͤchern uͤber ſeine Himmelsreligion fin-
den wuͤrde, auswendig lehrnen lieſſe, und ich
mag nicht reden, weis nicht was noch mehr
thaͤte, um ihm Kopf und Herz fuͤr ſeine Sonn-
und Sternenreligion einzunehmen. Kannſt
du denn finden, ſo ein Kind muͤßte uͤber dieſen
Punkt im Kopf und an der Seele nicht wie
Y 4
[344] lahm werden? und wenn du dieſes findſt, ſo
findſt du alles, was ich habe ſagen wollen.


Solche Blizworte waren freylich fuͤr die mei-
ſten Leuthe zu ſtark, aber ſie zuͤndeten doch Licht
an, und ſezten hie und da Leuthen daruͤber den
Kopf auf den rechten Flek, die denn weniger
Feuer hatten, und ſtiller und ſanfter daruͤber
redten.


Das Eis war ſo gebrochen, die Angſt fiel
alle Tag mehr weg, die man ehedem hatte,
von dieſen Sachen nur zu reden; und ſo wie
die Angſt wegfiel, regte ſich die Neugier, und
trieb ſelber die alten Großmuͤttern, wenn ihre
Enkel vom Lieutenant heim kamen, und denn
von dieſen Sachen redten, hinter dem Ofen
hervor zu hoͤren, was es denn auch mit dem
neuen Weſen ſeye, von dem man die Zeit her ſo
viel murmle. Und je mehr man ſo dem Grund
der Sachen nachforſchte, je heiterer kams na-
tuͤrlich heraus, es ſey einmal nicht ſo ſchlimm,
und nicht ſo boͤs darmit gemeynt, als man im
Anfang habe ausſtreuen wollen.


Auf der andern Seite aber klagten denn
auch viele Leuthe, es ſey ein ſo groſſes Uebel,
man wiſſe gar nicht mehr, woran man ſich hal-
ten kann, und was man glauben ſoll, weil die
Leuthe bald alles und ſelbſt das Wort Gottes
der eine ſo und der andere anderſt erklaͤre.


Viel wußten ſich uͤber dieſen Einwurf gar
[345] nicht zu helfen; aber das Baumwollenmareylj,
das doch weder ſchreiben noch leſen kann,
fand ungeſucht die rechte und die einige Ant-
wort, die man uͤber dieſen Punkt geben kann.
Es ſagte ſeinen Spinnerweibern, die ihm auch
ins Haus kamen uͤber dieſen Punkt zu klagen:
es hat ſchon gefehlt wenns einem uͤber das
was Gottes Wort ſagen wolle oder nicht ſa-
gen wolle aufs erklaͤren und das was andere
Leuth dazu ſagen, ankommt!


Aber wie machſt du es dann, wenn es dir
nicht aufs erklaͤren ankommt?


Wie ich das mache? Ihr guten Leuthe,
ihr ſolltets wohl wiſſen, es ſind ja genug Sa-
chen in der Welt, die von Gott ſelber ſind,
und ob denen man nicht verirren kann, was
Gott wolle, daß ein jeder Menſch in der Welt
ſeye und thue.


Ich habe ja Sonn, Mond und Sternen,
und Blumen im Garten, und Fruͤchte im Feld,
— und denn mein eigen Herz. — Und
meine Umſtaͤnd, ſollten mir die nicht mehr als
alle Menſchen ſagen, was Gottes Wort ſeye?
und was er von mir wolle? — Nehmet nur
grad ihr ſelber, wann ihr vor mir zuſtehet,
und ich euch in Augen anſehe, was ihr von
mir wollet, und was ich euch ſchuldig: —
und denn da die Kinder meines Bruders, fuͤr
die ich verſprechen muß, ſollten die nicht das
[346] eigenthuͤmliche Wort Gottes an mich ſeyn?
das auf eine Art an mich gerichtet iſt, und
mein eigen gehoͤrt, wie es an keinen andern
gerichtet, und keinem andern gehoͤrt; und das
iſt gewiß von Gott, und ich kann mich gewiß
nicht verirren, wenn ich mir das andere Wort
Gottes durch nichts in der Welt als das, er-
klaͤren laſſen will.


Und die Spinnerweiber konnten ihm nicht
abſeyn, daß Sonn und Mond und Sternen,
und des Menſchen Herz, und ſeine Umſtaͤnde
einem jeden Menſchen das Wort Gottes fuͤr ihn
recht und unverirrlich und genugſam erklaͤren.


§. 76.
Vom Aendern alter Maſchinen, und vom
Aufweken von den Todten.


So faßte von Tag zu Tag der Saame des
Guten und Wahren in Bonnal immer
mehr Wurzel. Doch waren die Fruͤchte ihrer
Arbeit nichts weniger als allgemein; das alte
Volk, das im Sumpf des vorigen Lebens grau
geworden, kam mit Kopf und Herzen nicht
mehr nach.


Der Pfarrer hatte ſich auch an die ſchlimm-
ſten gewaget, aber wenn er denn alle Muͤhe
und Arbeit verſchwendet; ſo wars am End
[347] immer nichts. So lang er neben ihnen zu-
ſtuhnd, ſchienen ſie wohl einem Anlauf zu neh-
men, aber mehrentheils giengs keine 14 Tage,
bis er ſahe, daß ſie noch die Alten ſind, und
die Alten bleiben werden.


So giengs ihm mit dem Triefaug. Er hatte
kaum ſich von dem Schreken erholet, und ein
paar mal wieder wohl geſchlafen, ſo war ihm
ſchon alles aus dem Kopf, was ihm vor der
Voͤgtin Todbett das Herz ein wenig, vor ein
paar Tagen, weich gemacht hatte.


Und ſo wie dieſes wegfiel, wuchs in ihm
wieder die Bitterkeit uͤber den Junker, daß er
ihn ſo auf der Tragbahren im Bett uͤber den
Kirchhof unter die Linde tragen laſſen, und
ihm einen Schimpf angethan, wie man keinem
Hund anthun ſollte. Er war wie raſend daruͤ-
ber, wenn er daran denkte, daß er einmal uͤber
das andere in Keller lief, ſeine Wuth zu ver-
treiben, und es kam ihm kein Sinn mehr dar-
an, das, was er dem Pfarrer mit dem Doktor
Miller verſprochen, zu halten.


Zwar ſchlug er es ihm nicht in den Bart hin-
ein ab; aber er hatte immer einen Vorwand,
wenn dieſer davon redte.


Bald mußte er noch Schriften und Papier
zuſammen ſuchen, ehe er es thun koͤnnte.


Bald es ſey noch die Frage, ob dem Doktor
Miller damit gedient ſey?


[348]

Bald, es ſey nur Waſſer in See getragen,
und der Miller habe ja ſtudiert, und wiſſe am
kleinen Finger mehr, als er am ganzen Kopf; —
und wieder, wenn der Herr Doktor etwas mit
ihm wolle, ſo wiſſe er ja wohl wo er zu Hauſe
ſey?


Aber es ſtuhnd dem Doktor Miller auch nicht
an, ihm dafuͤr nachzulaufen. Er ſagte dem
Pfarrer deutſch: er glaube nicht, daß er et-
was wiſſe, und noch weniger, daß er ihm et-
was ſage; und denn muͤſſe er geſtehen, moͤge
er nicht, daß man ihm nachrede, daß er ihm
dafuͤr nachgelaufen, und ſich dafuͤr habe zum
Narren halten laſſen.


Aber der Pfarrer, der immer bis zur Ein-
falt ſeinem guten Herzen folgte, ruhete nicht,
bis er ſie einmal bey einander hatte, und brachte
es endlich bey einem Mittageſſen im Pfarrhaus
dahin.


Der gute Mann gab das Beſte, was er in
der Kuͤche und im Keller hatte, und that alles
was er konnte, den Henkerskerl in gute Laune
zu bringen; er ſezte ihn oben an, trank zuerſt
ſeine Geſundheit, und ſagte beym erſten Glas,
ſie wollen naͤchſtens mit einander ins Schloß,
der Junker werde ihnen dann einen andern ein-
ſchenken als dieſer ſey, wenn er hoͤre, daß ſie ſo
mit einander gut Freund worden.


Der Miller ließ ſich das Untenanſizen und
[349] alles gefallen, weil ſonſt niemand da war, und
der Pfarrer ihm vorher das Ehrenwort gethan,
er ſoll es doch nicht achten, er richte ſonſt mit
dem alten Narren nichts aus.


Es hatte im Anfang auch den Anſchein, wie
wenn es dem Pfarrer nicht fehlen wollte.


Das Triefaug ſoff drauf los, und ſieng an
ſo geſpraͤchig zu werden, daß dieſer meynte, er
werde, ehe er vom Plaz aufſtehe, auskramen,
was er im hinterſten Winkel wiſſe.


Es war nichts weniger; er redte kein wahres
Wort, und ſchnitt auf, daß der Miller, wenn
ihm ſchon der Pfarrer einmal uͤber das andere
winkte, und ihn noch mit den Fuͤſſen unter dem
Tiſch ſtoßte, daß er ſchweige, ſich doch nicht
mehr halten konnte, und ihm wiederſprach.


Nun wars aus; das Triefaug ſieng jezt an
ihn anzuſchnauzen: wenn ers beſſer wiſſe, ſo
ſolle er reden, und er wolle ſchweigen; doch
ſah er, ſo ſehr er einen Rauſch hatte, es dem
Pfarrer an, wie wehe es ihm gethan, daß es
ſo gehe; aber es machte ihm ſo viel als einer
Kaz, wenn man ihr kaltes Waſſer angeſchuͤttet.
Er blieb nur noch um die Glaͤſer zu leeren.


Das war ſchon laͤngſt tod in ihm, was den
Menſchen warm macht, wenn ſie ſehen, daß
ſie jemand kraͤnken; — das plagte ihn nicht
mehr.


Was ihn plaget, iſt die Langezeit, die er
[350] hat, ſeitdem die Tragbahrenhiſtorie ihm ſeine
Kundſame vertrieben.


Er klagte auch einem jeden alten Weib, das
bey ihm ſtill ſtuhnd, wie ihn das plage!


Und da ſein Vetter von Audorf, dem er ſonſt,
wenn er ihm nur den Schatten ſah, immer
ruͤhmt, wie gut ers habe, und wie ein groſſes
Gluͤk es fuͤr ihn ſey, daß ſein Großvater ehrlich
worden, jezt auf einer Reiſe ins Oberland bey
ihm zuſprach, ſieng er an die hellen Thraͤnen zu
weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt
gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen
keine lebendige Seele in ſeiner Stube ſehe.


Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er
ſolle nur zu ihnen hinabkommen, und da ſoll
er den ganzen Tag Leute genug und alles ha-
ben, was er nur wuͤnſche.


Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam
ihm uͤbers Herz, ſo aller Ehre gute Nacht zu
ſagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er
fand, es ſey ſchon aller Ehre gute Nacht ge-
ſagt, entſchloß er ſich innert 14 Tagen das Haus
zu beſchlieſſen, und ins Land hinunter zu zie-
hen, zum Meiſter Johannes, dem Henker in
Audorf.


Mit dem Hu[m]el kams auch nicht viel anderſt;
da ſich der Jaſt, in dem ihn der Pfarrer die erſten
paar Wochen erhalten, nach und nach ſezte, ſo
zeigte es ſich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm
[351] werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern
wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom
alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der
andern Seite wie geroſtet war, und keinen
Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber,
und wenn er davon redte, brauchte er den Aus-
druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit
einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn
ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe
noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber
nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich
wieder die abgeſtandene Luͤren.


Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte
ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen
als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß
er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube
ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er
verruͤkt waͤre.


Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es
war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner
Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu-
ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der
Religion gar nichts annehmen, ſondern auf
ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch
ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli-
cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro-
bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme,
wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte
es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm
[352] in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab
weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe
Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel,
ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich
alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,
und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge-
ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er
kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-
mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular-
beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt,
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.


Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen
allem Volk, das auf Maulſachen und Ein-
bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn-
den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht
wohl.


Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn
eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs
aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih-
rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat
jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt
ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der
einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens
und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.


Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie-
der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben
koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten,
die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle
Tage
[353] Tage einige Loͤffel Milch, da ſie vorher bey
Wochen gar nichts gegeſſen hatte. Sie ward
auch noch uͤberall anderſt, nahm an allem, was
vorfiel, Antheil; und was ihr gutes begegnete,
und die Liebe ihres Manns und ihrer Kinder
machten ihr auch wieder Freude, und die Hoff-
nung, wenn ſie im Grab ſeye, werde ihre
Haushaltung gluͤklicher ſeyn, und ihre Kinder
vernuͤnftiger handeln lehrnen, als ſie in der
Welt nicht gehandelt, brachte auf ihrem Tod-
bett eine Ruhe und Heiterkeit in ihr Herz, die
ſie in ihrem Leben nie hatte, und die ihrem ge-
beugten Mann und ihren Kindern oft Freuden-
thraͤnen auspreßten. Auch wars zu Thraͤnen
bringend, wie die guten Leuthe dem Pfarrer
oft dankten, daß er dieſe Frau vor ihrem Tod
noch zu einem ſo guten Muth gebracht.


Er hatte dieſe Freude ſo wenig, und es that
ihm ſo weh, wenn er nach aller Arbeit nichts
ausrichtete, und nach langen vergebenen Hoff-
nungen ſehen mußte, daß mit einem Menſchen
gar nichts zu machen.


Er war wuͤrklich daruͤber zu ſchwach. Man
muß es auch koͤnnen, den Menſchen verlohren
geben, wenn er verlohren iſt. — Man muß
ihn ja auch todt laſſen, wenn er todt iſt; —
und es iſt umſonſt daß man ſeinen Leib aus
dem Grab ruft. — Aber es iſt nicht minder
umſonſt, daß man ſeinen getoͤdeten innwendi-
Z
[354] gen wieder zum Leben ruft; weh thut es freylich,
und alle gute Menſchen haben dieſes Leiden.


Auch der Lienert hatte ſeinen Theil davon.
Er that ſeinen Tagloͤhnern von dem erſten Tag,
da ſie bey ihm ſchaften, was er konnte, ſie zu
gewinnen, und hatte eine Geduld und eine Nach-
ſicht mit ihnen, und eine Sorgfalt fuͤr ſie,
daß man haͤtte glauben ſollen, wenn ſie auch
wilde Thier geweſen waͤren, ſie haͤtten ihm
muͤſſen anhaͤngig werden. Aber ſie ſind nicht
wilde Thier — ſie ſind verderbte Menſchen.
Es wirkte juſt das Gegentheil von dem, was
er ſuchte, auf ſie. Und es geht nicht anderſt,
wenn ein Menſch zu gut iſt, und mehr gut iſt,
als er ſollte, ſo giebt er Schurken gegen ſich
das Meſſer in die Hand, und der ſchlechteſte
Kerl kan ihm blizſchnell alſo uͤber den Kopf
wachſen, daß er, ſobald er ihm einmahl etwas
abſchlagen, und zu etwas nein ſagen muß,
denn die groͤßten Unverſchaͤmtheiten gegen ihn
wagt, und ſo gar Rache an ihm ausuͤbt, bloß
weil er ſich nicht von dem verwoͤhnten Purſchen
aufs aͤuſſerſte treiben laſſen will.


Der arme Lienert kam juſt in dieſen Fall.
Die Hauptlumpen von ſeinen Tagloͤhnern hat-
ten kaum vernommen, der Junker gebe den
Torfgraͤbern zwey mal in der Woche einen
Abendtrunk; ſo murmelten ſie unter einander,
es gehoͤre ihnen auch, und es ſey niemand ſchuld
[355] als er, daß ſie ihn nicht bekommen: es brauchte
nur, daß er ein paar Wort davon beym Jun-
ker fallen laſſen wuͤrde, ſo haͤtten ſie ihn ſicher.


Was ſie am erſten Tag hinter ihm brummel-
ten, das ſagten ſie ihm morndes ins Angeſicht;
und da ers ihnen abſchlug, und antwortete: ſie
ſollen denken, daß es ein Unterſchied ſey, den
ganzen Tag im Waſſer zu ſtehen und zu arbei-
ten, und am Morgen und am Mittag eine hal-
be Stunde weit an ſeine Arbeit zu gehen, wie
es die Torfgraͤber muͤſſen; und hingegen, ſo zu
reden, unter ſeinem Dach und vor der Haus-
thuͤre zu ſeinen Taglohn zu finden, wie ſie es
haben; ſo wurden ſie auf dieſe Antwort ſo wild
uͤber ihn, daß ſie, wie wenn er ihnen das groͤſte
Unrecht angethan haͤtte, alle Unverſchaͤmthei-
ten wagten, und ſogar von Stund an Rache
an ihm auszuuͤben, und ihm alles moͤgliche zu
leid zu thun trachteten; auch wenn er nicht den
Michel an der Hand gehabt haͤtte, ſo haͤtten ſie
ihm die groͤſten Unordnungen mit den Geſellen
und mit der Arbeit angerichtet.


Aber dieſer, der uͤber dieſen Punkt ſein rech-
ter Arm war, nahm den Kriecher und den
Marx, da er eben dazu kam, daß ſie ihm ein
paar Geſellen aufwiegelten, ſolchergeſtalten ab-
ſaz, daß ihnen die Luſt nach fernerm Aufwie-
geln und ſogar nach fernerm Arbeiten auf dem
Kirchhof vergieng, und ſie noch vor dem Nacht-
Z 2
[356] eſſen ihren Plaz mit ein paar Torfgraͤbern
tauſchten.


O! wenn ich doch nur machen koͤnnte, daß
dieſer Mann noch mehr guten Leuthen in der
Welt, die es wie der Lienhard noͤthig haͤtten,
der rechte Arm ſeyn, und mit Schelmen und
Heuchlern fuͤr ſie herumſpringen koͤnnte, wie
er mit ihnen herumſpringen kann, was wuͤrd’
ich doch fuͤr Gutes ausrichten?


Er hat die Seele der Schurken in ſeiner
Hand, weil er ſie kennt, und wenn er mit ih-
nen zu Red kommt, ſo kann er ſie zerreiſſen,
daß man meynt, man ſehe ſie zwiſchen ſeinen
Zaͤhnen.


§. 77.
Gluͤk und Arbeit wider Teufelskuͤnſte.


Ich moͤchte die neue Untervoͤgtin ſo zwiſchen
ſeinen Zaͤhnen ſehen.


Es iſt nicht minder. Sie probierte, damit
ſie den Hubelrudj der Meyerin aus dem Kopf
bringen, und denn deſto eher mit ihrem Vetter
zurechtkommen koͤnnte, den Grauſen (Ekel),
den ſie an der Meyerin kannte, bey ihr wider
den Rudj zu reizen, und zu machen, daß ihr
Ekel ſie anwandle, wenn ſie nur an ihn denke:
und ſobald ſie dieſes im Kopf hatte, ſo ent-
ſprangen, ohne daß man wuͤßte wie? und wo-
[357] her? auf einmal die wunderlichſten Geruͤchte
uͤber dieſen Mann.


Man ſagte ſich im ganzen Dorfe die ſchand-
barſten, unflaͤtigſten Dinge uͤber ihn ins Ohr,
ſchonte weder der Frauen unter dem Boden,
noch der unmuͤndigen Kinder. Ich darf nicht
ins Maul nehmen, was man alles ſagte, und
erzaͤhle das einige davon. Man ſagte uͤber die
Frau ſelig, ihre Gichter ſeyen, behuͤt uns Gott
davor! eine Art Weh geweſen, das den Kin-
dern ſelber noch im Blut ſteken koͤnne; und das
Liſeli mache in Gottsnamen Augen, daß man
ſo etwas foͤrchten muͤſſe, wenn man ihns nur
anſchaue. Der Teufel haͤtte nichts erfinden
koͤnnen, das ſchlauer ausgedacht geweſen, den
guten Rudj in ſeinen halben Hoffnungen zu
prellen.


Es erſchuͤtterte die Meyerin, da es ihr zu
Ohren kam, durch und durch, und wenn ſie
nur eine Viertelſtund gewartet, daß der Schre-
ken ſich ſezen, und ihr Ekel Fuß greifen koͤnnen,
ſo waͤre der Untervoͤgtin ihr Abſehen wie gewiß
wenigſtens ſo weit gerathen, daß ſie den Rudj
auch nicht mehr haͤtte heurathen koͤnnen, wenn
ſie hinten nach ſchon zehn mal vernommen,
daß an allem nichts wahr waͤre.


Aber ſie ſprang in allem Feuer auf das erſte
Wort, das ſie hoͤrte, zur Gertrud. Sie redete
mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den ſie ſicher
Z 3
[358] gefaſſet haͤtte, wenn ſie ſich gemaͤßiget haͤtte,
nicht Plaz gabe. Das rettete den guten Rudj.


Sie ſtampfte in der erſten Minute, in der
dritten hatte ſie Thraͤnen in den Augen.


So lang ſie ſtampfte, ließ ſie Gertrud fort-
reden; da ihr aber Thraͤnen in die Augen ka-
men, nahm ſie ſie bey der Hand, und ſagte: du
dauerſt mich, aber du biſt betrogen!


Wer wollte doch auch Satans genug ſeyn,
den graden Weg ſo etwas zu erſinnen? ſagte
da die Meyerin.


Ich will nicht ſagen, wer? erwiederte Ger-
trud, und ſah die Meyerin bey dieſem Wort ſteif
an; — aber Jemand, fuhr ſie fort, hats ge-
than und erfunden, das iſt gewiß, und du kannſt
es draus abnehmen, daß man von allem dieſem
uͤber den Rudj kein Wort erzaͤhlt, ſo lang er
ein armer Mann war, und von dir nichts
wußte, und es aber jezt herum trommelt, da
man hoͤrt, daß er dich bekommen ſollte.


Bey dieſem Wort kam der Meyerin wie ein
Bliz in Sinn, die Untervoͤgtin koͤnnte dahin-
ter ſteken.


Gertrud ſahe ihr den Gedanken in den Au-
gen, und hatte genug. Sie fuhr ruhig fort,
und ſagte: an deinem Plaz wuͤrd’ ich jezt die
ganze Hiſtorie mit kaltem Blut anſehen, und
auf der einen Seite mit Ernſt nachforſchen,
ob das geringſte daran wahr ſey; auf der an-
[359] dern Seite aber mir auch nichts aufbinden laſ-
ſen, das faul und falſch iſt.


Die Meyerin erwiederte: du biſt doch unpar-
theyiſch, und ich thaͤte nicht recht, wenn ich dir
nicht wuͤrde folgen.


Ich bin gewiß unpartheyiſch, und behuͤt
mich Gott dafuͤr, daß ich dir jemand moͤchte
zu einem Mann rathen, der dir hinten nach,
ſo wie du biſt, auch wenn er es nicht verdiente,
zuwider werden muͤßte.


Die Meyerin druͤkte der Gertrud die Hand,
und ſagte: ich ſehe dir an, daß dir iſt, wie du
ſagſt; und ſezte hinzu: du biſt doch immer brav.


Wenn ich dir nur lieb bin, erwiederte Ger-
trud; und nach einer Weile: — Aber gell,
du laſſeſt dir das doch jezt auch nicht ſo in den
Kopf hineinwachſen, daß es dir etwann mit
dem armen Rudj gehet, wie mit demſelben
andern?


Was meynſt? ſagte die Meyerin.


Und Gertrud: — Ha! daß du etwann
auch wie ob Jenem im Traum ſo pfy Teufel
rufen muͤſſeſt!


Nein! das muß mir ſicher nicht begegnen,
ſagte da die Meyerin, und mußte lachen.


Mit dieſem Lachen aber war ihr das,
was die Untervoͤgtin ſuchte, wie aus der
Seele weggewiſcht. Der Grauſen (Ekel),
Z 4
[360] worauf dieſe zaͤhlte, griff nicht mehr Plaz, und
konnte nicht mehr Plaz greifen.


Aber Unwillen uͤber den Teufel, der den ar-
men Mann um ihrentwillen ſo anſchwaͤrzen
konnte, und Verdacht gegen die Voͤgtin herrſch-
te in ihrer Seele, als ſie von der Gertrud weg,
langſam mit geſenktem Haupt wieder heim-
gieng.


Sie war noch nicht weit, und ſtieß auf die
Suſann, von der ſie wußte, daß ſie die Ge-
ruͤchte wider den Rudj ausgeſtreuet.


Es ſtellte ſie ſtill, da ſie ſie ſah; — aber ſie
erholte ſich bald, machte ſich da blizſchnell hin-
ter das Menſch her, und brachte mit Vernunft
und 20 Bazen heraus, was ſie ahndete.


Aber ſo ſehr ſie die Ausſag der Waͤſcherin zu-
frieden ſtellte, ſo wurmte ihr dennoch, es koͤnn-
te, wo nicht viel, doch etwann wenig dahinter
ſteken. Das Spruͤchli der Alten vom Raͤuchlj
und vom Feurlj wollte ihr nicht aus dem Kopf.


Sie konnte nicht anderſt, ſie mußte noch
lange und auf alle Weiſe nachforſchen, ob denn
gar nichts dahinter ſteke?


Es fand ſich gar nichts.


Selber die rauhe Hallorin, die zehn Jahre
mit ihm unter einem Dach gewohnt, und ihm
und ſeiner Frauen beſtaͤndig nicht wohl gewe-
ſen, ſagte: ſie koͤnne nicht ſagen, daß nur das
geringſte von dieſem wahr ſey; und ſezte hinzu:
[361] es waͤre etwas anders, wenn man ſagte, ſie
ſey eine liederliche Frau geweſen, und ein Narr,
und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß
es in der Welt anderſt gehe, als es geht, —
und dergleichen. — Aber daß ſie ein Weh an
ihr gehabt, oder uͤber ihren Mann ſolche Kla-
gen gefuͤhrt, und daß er ein Unflath ſey, wie
man jezt ſage, das ſey hundertmal nicht wahr,
wenn mans auch hundertmal ſage. — Und ſo
wars allenthalben, es kam nichts heraus, als
daß es Luͤgen ſeyen, und aber Luͤgen. —


Hingegen vernahm ſie durch ihr Nachfor-
ſchen alle Tage neue Umſtaͤnde von ſeinem al-
ten Elend, von ſeiner Gedult und ſeiner Gut-
muͤthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden
Tag naͤher ans Herz.


Auch merkte die Voͤgtin allem was ſie von
ihr hoͤrte, deutlich an, daß es ihr innwendig
nicht kommen wollte, wie ſie meynte, und daß
es uͤberall mit dem Meiſterſtuͤk, das ſie fuͤr ih-
ren Vetter probiert, ſo wenig gehen wolle als
nichts.


Der feißte Menſch hatte bis jezt nur noch
nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den
Weg kommen ſollte. Endlich da es alle Leuthe
wußten, kams einmal auch ihm, da er eben
unter der Thuͤre ſtuhnd, zu Ohren. Er blieb
da wohl eine Viertelſtund unter der Thuͤre ſte-
hen, und hatte das Maul vor Verwunderung
[362] offen; denn er konnte nicht begreifen, wie es
moͤglich, daß ein Menſch, dem er mehr als
einmal, wenn er in ſeinem Dorf gemezget,
etwas abgehendes zum Allmoſen gegeben, ihm
Heurathens halber in den Weg kommen koͤnne.
Als ihm aber endlich das Maul wieder zufiel,
wurde er ſo wild, daß er eine Weile nicht
wußte, was er machte, und ſich, damit er
wieder zu ſich ſelber komme, zum Eſſen und
Trinken hinter den Tiſch ſezen mußte; dadurch
brachte er ſich wieder ſo weit zu ſich ſelber, daß
er zu dem Schulmeiſter gehen, und ihm dann
folgenden nachdruͤklichen Brief an die Unter-
voͤgtin angeben konnte.


Gott zum Gruß und Jeſum zum Troſt —
Herzvielgeliebte Frau Bas Voͤgtin!

Ich muß mich wie ein Hund ſchaͤmen, und
moͤchte wild werden vor Zorn, was uͤber euere
Geſchwey (Schwaͤgerin) hier ein Gerede geht.
Die ganze Kilchhoͤri (Ort) weist, daß ich ein
Aug auf ſie habe; ihr ſeyd allein ſchuld daran,
ſonſt kein Menſch; ich waͤre ſchon laͤngſt ver-
ſorget, wenn ihr mich nicht mit ihr aufgehal-
ten haͤttet, und ich will wenig ſagen, zehen und
zwanzig Meitlj, die eben ſo huͤbſch und noch
huͤbſcher, und mit dem Geld denn ganz anderſt
beſtellt ſind als dieſe, wuͤrden die Finger nach
[363] mir leken, wenn ich nur Ja ſagte; und ich
weis gar nicht, was dieſe ſich einbildet, und
was ſie meynt, daß ſie beſonders habe, und
warum ich leiden ſollte, daß ſie mich aufzieht;
und ich wuͤrde mich keinen Augenblik beſinnen
ſie hoken (ſizen) zu laſſen, wie ſie hoket, inſon-
derheit auf das hin, was man mir jezt von
ihr erzaͤhlt; und nur allein euch zu gefallen,
weil ihr es ſo gern haͤttet, und ſchon ſo viel
Muͤhe damit gehabt hattet, will ich doch nicht
grad voͤllig von ihr abſtehen, und glauben,
wenn es ſchon faſt nicht zu glauben iſt, es ſey
nicht wahr, was man von ihr erzaͤhlt. Aber
lang will ich das doch nicht mehr ſo haben;
und ihr koͤnnet es ihr nur ſagen, wenn ſie dieſes
wolle, oder es mit dem Bettelbuben ſey, wie
man redet, daß ſie ihn neben mich ſtelle, ſo
ſolle ſie ſich meiner nur kein Acht mehr nehmen.


Dieſes hab ich nicht unterlaſſen koͤnnen, euch
zu ſchreiben. Womit, in den Schirm Gottes
wohl befohlen, verbleibe,


Herzvielgeliebte Frau Bas Untervoͤgtin,
Euer getreuer Vetter,
Hans Ulrich Ochſenfeißt,
Mezger und Sonnenwirth.


[364]

§. 78.
Vom Rathen, Helfen, und Allmoſen-
geben.


Ich verliere mich im Labyrint des groſſen
Bilds das ich machte, lege den Pinſel ab,
und faſſe meinen Traum im Ganzen.


Wormit will ich Arners Thun vergleichen?
— Es iſt gleich dem Regentropfen, der von
der Rinne faͤllt, und den Felſen hoͤhlet. —
Aber wer kann die Tropfen zaͤhlen unter der
Rinne am Dach, und ihre Kraft beſchreiben,
die den Felſen hoͤhlt? Ich kann es nicht, ich
kann nur die Hoͤhlen zeigen im Marmor unten
an der Rinne, und ſagen, ſie ſind vom Reiben
der Tropfen, die von ihr herabfallen: — ge-
nug — das Fallen der Tropfen hoͤhlte den
Felſen, wo er am haͤrteſten war.


Der Eifer mit dem Spargeld in den Spin-
nerhaͤuſern brachte eine Menge Leuthe in eine
beſſere Ordnung, die ſich ſonſt durch nichts da-
zu bringen lieſſen; und man ſah mit jedem Tag
mehr Maͤnner und Weiber Theil an dem neh-
men was er wuͤnſchte, und ſuchte, und ihm ſo
zu ſeinem groſſen Ziel helfen.


Die Reinoldin, es iſt die ſo ſeinen Carl ſo
hart gekuͤßt, und dem Kinderzug ſo luſtig vor
den groſſen Haͤuſern vorbeygeholfen, dieſe lieſ-
[365] ſe keinen Tag vorbey, daß ſie nicht den Spin-
nerweibern in ihrer Nachbarſchaft, bey ihrem
Eifer fuͤr die neue Ordnung mit Rath und That
an die Hand gieng. Sie war von jeher wohl-
thaͤtig, aber jeh da ſie ſah, daß der Arbeits-
luſt, und die Anfuͤhrung zur Ordnung und zum
ſparen den armen Leuthen in einer Woche mehr
aufhilft als man ihnen mit keinen Allmoſen
bey Jahren aufhelfen kann, ſo aͤnderte ſie zur
Stund hieruͤber ihre Art, und ſchlug auch der
beſten Gevatermeiſterin einen Mundvoll Brod
ab, wenn ſie nicht mit ihr auf den Grund ge-
hen, und ihr lauter und klar zeigen wollte, wie
ſie ſtehe? Was ihre Haushaltung der Woche
durch verdiene? wie ſie das abtheile? und wa-
rum ſie nicht damit auskomme?


Ihre erſte Antwort, wenn ihr jemand eine
Noth klagte, war jezt, ich muß mit dir heim,
und in deiner Stube ſehen, wo es dir eigentlich
fehle, und wie dir zu helfen?


Das behagte freylich vielen Leuthen, die ihr
bis dahin ins blinde hinein bettelten, nicht. —
Andere lieſſen ſich helfen; an dieſen that ſie was
eine Mutter; aber auch hatte ſie erſt, ſeitdem
ſie ihre Art hierinn geaͤndert, Freud an ihren
Allmoſen.


Bis jezt that ſie dieſelbe als eine Art Schul-
digkeit, ſo ohngefehr wie rechte Leuthe Zoll und
Zehnden abſtatten, gern und willig, aber ihr
[366] Herz war nicht darbey, und ſie denkte nichts
dabey; jezt wurden ſie ihr zur Luſt des Men-
ſchen, der einem Kind aus dem Elend, das Gluͤk
ſeines Lebens gruͤndet.


Sie thut das, und giebt jezt ihren Armen
nicht mehr nur Brod und Geld, ſondern ſich
ſelber, und ihre Zeit, ihren Verſtand, ihr An-
ſehen und alles, ſo gar ihren freudigen Muth,
ihnen alſo zu helfen, daß ihnen wuͤrklich gehol-
fen.


Aber mitten indem ſie ihnen hilft, legt ſie
ihnen auch Zaum und Gebiß in den Mund,
daß ſie gegen eine gute Hausordnung, auf die
ſie ihre Huͤlfe jezt baut, nicht aufſchlagen doͤrf-
ten, und legt nie keine Hand an, ſo lang ein
Armer einen Krebs im Buſen verbergen will,
der ihre Huͤlf vereiteln, und was ſie immer an
ihm thaͤte, ihn doch zum Tod bringen wuͤrde.


Man mag daruͤber ſagen, was man will,
gewiß iſt nur das ein wahres Allmoſen, wenn
man macht, daß der ſo es empfangt, nicht fer-
ner betteln muß. — Das iſt wahr, oder
das Allmoſen iſt nicht ein Opfer der Weisheit
und Guͤte ſondern etwas ganz anders.


Ihre Mutter iſt jezt auch wieder gut mit ihr.
Da ſie ſiehet daß der Junker mit ſeinen Sachen
Meiſter wird, ſo iſt ihr jezt auch recht, daß
ihre Tochter ihm hilft.


Sie iſt ein ſonderbares Menſch, dieſe Mut-
[367] ter. Bey allen Fehlern die ſie hat, ruͤhmen
ſie viele Leuthe gar, und ſagen, ſie koͤnnte ein
Koͤnigreich regieren, aber von allen, die ſie ſo
ruͤhmen iſt nicht einer der behauptet, ſie koͤnnte
einen Menſchen, der mit ihr unter einem Dach
wohnte, gluͤklich machen.


Eben ſo viel als die Reinoldin, und noch
mehr that auch das Baumwollenmareylj, der
Hausordnung im Dorf aufzuhelfen, und es
war ihm noch gar viel leichter. Seiner Leb-
tag mit den armen Leuthen und ihren Umſtaͤn-
den bekannt, war es bey ihnen ſo daheim,
daß es in ſeinem eignen Haus nicht mehr da-
heim war, und hatte darum nicht noͤthig,
wie die Reinoldin in ihren Haͤuſern nachzufor-
ſchen, wie es mit ihrer Ordnung ſtehe, es ſah
es ihnen im Augenblik ſonſt an, und merkte
es an jedem Wort das ſie redten, an jedem
Buͤndel Garn, den ſie ihm auf den Tiſch leg-
ten.


Es hat ſchon ſeitdem es Baumwollen aus-
giebt, an vielen Leuthen mit Rath und That
das gleiche thun wollen, aber unter dem alten
Junker iſt dieß umſonſt geweſen. Ein Rath,
ein gutes Wort hat da ſo viel genuzt, als eine
Thrane im Krieg. Es iſt umſonſt unter einer
Oberkeit wie der alte Junker den Menſchen zu
rathen. Nur da, wo eine Oberkeit iſt, die
zur Hausordnung Sorg tragt, und ſelber
[368] Hausordnung hat, nur da kann man das thun.


Es war auch fuͤr das Mareylj, wie wenns
nicht mehr im alten Dorf lebte, ſo fand un-
ter dem neuen Junker ein jedes gut gemeintes
Wort bey den Leuthen ſo gute Statt, und
ſeitdem der Eifer auf Spargeld zu ſpinnen in
ſie hineingebracht worden, richtete es faſt mit
allen Haushaltungen, die ihm ſpinnten, in die-
ſer Abſicht aus was es wollte.


§. 79.
Von der Wahrheit und vom Irrthum.


Es fiel bald jedermann in die Augen, daß
es ſich im Dorf allenthalben aͤndere; denn
auch von den ſchlechteſten Leuthen kamen bald
in dieſer, bald in jener Gaß einige ſichtbar in
eine beſſere Ordnung, ſo daß wo die Weiber
zuſammenkamen, beym Brunnen auf dem
Kirchweg, und im Barthaus, wo die Maͤnner,
ſeitdem das Wirthshaus zu iſt, ihr altes und
neues zuſammentragen, daß immer von nichts
anderm die Red war. Aber viel und lang hiel-
ten die meiſten die neue Beſſerung der Leuthen
fuͤr eine Art von Baͤttags- und Feſtfrommkeit,
die ſo lang dauren werde, bis etwann eine Faß-
nacht, oder Kirchweih auf die heilige Zeit fol-
ge, die denn den Baͤttagsgeſichtern ein End
machen
[369] machen werde. Ihrer viele ſagten daruͤber:
es waͤre wohl gut, wenn man die Leuthe, ſo
wie einen ledernen Handſchuh umkehren koͤnn-
te! aber wenn es moͤglich waͤre; ſo waͤre der
Junker gewiß nicht der erſte geweſen, dem es
in Sinn gekommen, er werde auch nicht der
erſte ſeyn, dem es gelinge.


Im Anfang hatten ſie auch nur ihr Ge-
ſpoͤtt daruͤber, und verglichen es dem Grap-
pflanzen des alten Junkers, und der Arbeit
mit ſeinen fremden Schaafen, und dem aller-
hand andern Zeug, das er in ſeinem Alter auch
ſo an Menſchen und Vieh probieren wollen,
aber es bald gut ſeyn laſſen.


Einer ſagte einmal gar: es ſeye ja nur eine
Hundsordnung, und erklaͤrte ſich dann, wenn
des Schaͤrers Hund dem Hummel ſein gelbes
Waſſer nicht unter dieſem Tiſch aufgelappt, ſo
wuͤrde glaͤublich die neue Ordnung in den Haͤu-
ſern, und aller Lerm den ſie anrichte, ſich nur
niemand traͤnmen laſſen.


Einige Wochen ſpaͤter aber ſpotteten ſie
nicht mehr, ſondern ſiengen an, allerley Gruͤn-
de zuſammen zu ſuchen, warum ſie recht haben?
und warum das neue Weſen nicht Beſtand ha-
ben koͤnne?


So iſt der Menſch, ſo lang ihn das, was er
nicht gern hat, auch nicht wahr dunkt, ſo ſpot-
tet er nur daruͤber; wenns ihm aber ahndet
A a
[370] es koͤnnte doch wahr ſeyn, ſo fangt er an Gruͤn-
de zuſammen zu leſen, warum es nicht wahr
ſeyn kann.


Und uͤberall, was ihm ganz wahr iſt, dafuͤr
braucht er keine Gruͤnde, und ſucht keine. Erſt
wenns ihm ahndet, er koͤnne ſich irren, geht er
auf das gefaͤhrliche Jagen nach Gruͤnden, auf
welchem er ſo oft in die Labyrinthe des Irr-
thums gerathet, wo fuͤr ihn keine Auswege
mehr ſind.


Warum iſt er ein Narr, und thut das?
Was will der Menſch mit dem Jagen nach vie-
len Gruͤnden? — Die Wahrheit ruhet auf
ihrem Felſen als auf ihrem einzigen Grund.
Die Unwahrheit hingegen hat ihre Lage immer
hinter vielen Gruͤnden, und verbirgt ſich hin-
ter ihnen, wie hinter einem Haufen zuſammen-
geleſener Kieſelſteinen. — Von da bringt ſie
aus den Schlupfwinkeln ihres Sizes den ar-
men Jaͤgern nach Gruͤnden, Steine aller Art
und Gattung und Farbe, wie ein jeder von ih-
nen ſich den Felſen der Wahrheit an Art und
Farbe und Gattung in ſeinem Kopfe vorſtellt,
hervor. Die Schlange tragt die glaͤnzenden
Steine zwiſchen ihren Zaͤhnen auf ihrer Zun-
ge, und beleuchtet ſie mit dem Glanz ihrer
Augen.


Aber das Schooskind der Wahrheit, die
ruhende Einfalt, kennt das Klappern ihres
[371] Nakens, und nahet ſich den Huͤgeln nicht, wo
ſie ihren Siz hat; denn ſie weis wie das ſchlaue
Thier, die Naſeweisheit, den Menſchen bethoͤrt,
und die armen Jaͤger nach vielen Gruͤnden un-
ter den Knochen des Zaubergewildes, dem ſie
nachſtreben, begrabet.


Noch einmal, was will der Menſch mit
vielen Gruͤnden? — Die Wahrheiten, deren
Nichtwiſſen Schaden bringt, brauchen nicht
viel Erklaͤrens.


Aber der Menſch glaubt gern Narrenſachen,
und thut gern Narrenſtreiche, und moͤchte denn
doch, daß das, was er als ein baares Vieh glaubt
und thut, ſo vernuͤnftig waͤre, daß ihm Engel
und Teufel nichts dagegen ſagen koͤnnten. Da-
rum muß er auch ſo oft und viel auf die ar-
me Jagd nach Gruͤnden, auf der jezt auch die
Bonnaler waren. Dieſe fanden auf ihrer Jagd
fuͤr ihre liebe Meynung, daß dieſes neue We-
ſen keinen Beſtand haben werde. — Gruͤnde
wie Steine.


Zwey beſonders leuchteten ihnen gar ein. —
Der erſte — die lahme, und alles laͤhmende
Rede: es ſeye mit den Menſchen gar nichts zu
machen. — Sie gluͤklich zu machen, und zu
beſſern, und in Ordnung zu bringen, ſey ſo
lang die Welt ſteht, Traum geweſen, und
werde ſo lang die Welt ſteht, Traum blei-
ben.


A a 2
[372]

Das iſt ſo lang die Welt ſteht, das Wort
geweſen, womit dumme und ſchlaue Leuthe
Hand in Hand einander geholfen, den Bogen
abzuſpannen, wenn etwas Gutes, das man
mit den Menſchen machen wollte, nicht in ih-
ren Kram diente; — und es iſt kein Wort in
der Welt, womit man ſicherer unter der Deke
alles hindern, und dem Menſchen in allem was
er Gutes thun ſollte, die Augen ausbohren kann,
als dieſes.


Der andere Grund iſt der gleiche, aber auf
eine andere Manier. Es brachte ihn ein Mann,
der die Waſſerſucht hatte, und in ſeiner Krank-
heit Jahre lang Zeit hatte, hinter dem Ofen
allem nachzuſinnen. Dieſer verglich das ganze
Weſen der Lufterſcheinung zu den Zeiten ihrer
Großvaͤter, da einmal drey Sonnen mit ein-
ander am Himmel geſchienen, aber in einer
Viertelſtunde darauf wieder zu einer einzigen
geworden.


Dieſe Erklaͤrung behagte ihnen ſo wohl, und
machte ſie ihre liebe Meynung ſo vernuͤnftig
finden, daß ſie glaubten und ſagten: ſieben
Pfarrer mit einander koͤnnten es ihnen nicht
beſſer erklaͤren.


Sie faßten ſie auch in Kopf, daß alles, was
ihnen dagegen vor Augen ſtuhnd, ihnen ſo zu
reden zu nichts war.


Es iſt aber auch nichts, das mit dem Men-
[373] ſchen und ſeinem Kopf ſo uͤbel fahrt, als eine
unrichtige Erklaͤrung, an die er glaubt.


Auch ſahen die Bonnaler, die jezt neben der
Liebe zum Sich-nicht-angreifen zu muͤſſen,
dieſe Sonnenerklaͤrung wie ihren Catechismus
in Kopf gefaßt, vergeblich mit ihren Augen die
neue Hausordnung alle Tage mehr Fuß grei-
fen und mehr Beſtand zeigen.


Doch daͤmpfte ihnen ein Lindenberger die
Hize, mit deren dieſe Sonnen in ihren Koͤpfen
brannten. — Er war noch ein Neuling im
Wiederſpruch gegen ſeine Bonnaler, die Traͤu-
merſchelmereyen mit gleicher Hize liebten. —
Und es waren viele Wochen, ehe er dem Lieu-
tenant, wie ich ſchon erzaͤhlt, unter die Haͤnde
kam. Aber er fand dieſes Gleichniß doch jezt
ſchon nicht ſtichhaltend, und antwortete ihm
das erſte mal darauf: die Schul, und das
Wirthshaus, und das Baumwollenſpinnen laſſe
ſich ſo wenig mit Erſcheinungen am Himmel
vergleichen, als ſich ein Kalberbraten mit ei-
ner Krautſuppe vergleichen laſſe.


Aber die ganze Schaͤrſtube wiederſprach ihm
das, und ſagte: es vergleiche ſich gar wohl,
eines ſey ſo unerhoͤrt als das andere.


Er erwiederte ihnen: am einten Ort und in
einem Kopf ſey etwas unerhoͤrt, das in einem
andern Ort und in einem andern Kopf gar
wohl erhoͤrt und voͤllig im Brauch ſey: z. Er.
A a 3
[374] koͤnne es nicht anderſt ſeyn, es muͤſſe noch viel
unerhoͤrter geſchienen haben, den erſten Pflug
ins Feld zu ſtellen, und den erſten Baum zu
zweyen, als alles was der Junker bis jezt an-
gefangen habe. Und nun ohne Gleichniß und
Spruͤchworte zu reden, ſo muͤſſe eine Oberkeit
entweders die Leuthe uͤberall laufen laſſen, wie
ſie laufen, oder koͤnne ſich unmoͤglich, wenn ſie
ein Land von der Liederlichkeit und Unordnung
abgewoͤhnen wolle, damit abſpeiſen laſſen, es
ſey unerhoͤrt, die Leuthe arbeiten und in der
Ordnung leben zu laſſen; eben ſo wenig als mit
dem, es ſey ein boͤſer Traum, etwas mit den
Menſchen auszurichten.


So deutlich das war, ſo blieben dennoch
immer viele Leuthe auf der alten Meynung.


Einige, die geſtehen mußten, die neue Ord-
nung griff wirklich mehr Fuß, kamen jezt mit
dem “ſie koͤnnen nicht begreifen, wie es komme,
„daß es ihm ſo gehe wie er wolle! —„ Und
es war nur niemand, der ihnen ſagte, es ſey
nichts daran gelegen, ob ſie es begreifen oder
nicht. Hingegen ſagte ein Kienholzer, er be-
greife es gar wohl, der Junker brauche die
zwo Pfeifen, mit denen man ſeitdem die Welt
ſteht, alles ausgerichtet: die Brodpfeife und die
Freundlichkeitspfeife. Wer da war, ruͤhmte
die zwo Pfeifen, und ſagte, es ſey wahr, der
Junker brauche ſie wie ein Meiſter.


[375]

Aber ein Rapſer ſagte daruͤber: wenn ſie
ihm dieſe Pfeifen noch ſo ſehr ruͤhmen, ſo wolle
es ihm doch nicht in den Kopf, wie er etwann
ein Duzend ſeiner Tagloͤhner dazu bringen koͤn-
ne, daß ſie ihm vom Morgen bis am Abend in
ſeiner Torfgrube aushalten. Es ſind keine zwey
Monat, ſezte er hinzu, ſie haͤtten einem, wenn
der Henker auch mit dem bloſen Schwert vor
ihnen zugeſtanden waͤre, auch bey der leichteſten
Arbeit nicht ſo ausgehalten.


Ihm antwortete der Huͤgj: red’ doch nicht
vom Henker, der iſt ein bloſes Narrenwort ge-
gen dieſe zwo Pfeifen, wenns die Rede iſt, die
Leuthe tanzen zu lehren, wie man will, daß ſie
einem tanzen.


Einmal kamen ſie ſo an einem Samſtag dar-
auf, was der Junker auch bey allem ſuche?
und fielen zuerſt auf den Hochmuth. Sie ſag-
ten: er wolle mit ſeinem Dorf, denken ſie, auch
etwas beſonders haben, wie es unter ihnen
manchmal auch Leuthe gebe, die ſo etwas be-
ſonders haben wollen, wenn ſie nur ein Tenn-
thor aufrichten.


Aber viele fanden, daß das ein theurer Hoch-
muth, und ſagten, das Geld wuͤrde ſie dazu
reuen.


Ihnen wiederſprach ein Ruflj, und ſagte:
aber er meyne doch nicht, daß er Geld dabey
verliere.


A a 4
[376]

Denn muß er doch, antworteten die Bauern,
mit dem Sak geſchlagen ſeyn, oder er fuͤhrt
keine Rechnung.


Es duͤnkt euch jezt ſo, erwiederte der Ruflj;
aber wenn ihr rechnet, was die 90 Jucharten
neues Mattland ihm nur an Kornzehnden mehr
eintragen muͤſſen, und denn was er mit dem
Eifer fuͤrs Arbeiten und Sparen, den er in alle
Haͤuſer hinein bringt, nur in zehn Jahren aus-
richten muß, ſo kommet ihr gewiß auch dar-
auf, daß ihm das Geld, ſo er jezt anwendet,
mit der Zeit einen groſſen Zins tragen muß! —
Er ſezte hinzu: es iſt ja kaum mehr ein Bettel-
kind im Dorf, dem es nicht bald alle Nacht
von einem halben Bauernhof traͤumet.


Das ſummte den reichern Bauern wie ein
hoͤhnendes Scheltwort ins Ohr, daß ſie auf die
Lippen biſſen und ſchwiegen. Aber die Armen,
die es merkten, trieben nun das Geſpraͤch deſto
laͤnger, und ein krummer Humbel, der nur
keinen guten Schuh am Fuß hatte, ſagte gegen
die Dikbaͤuch, die oben ſaßen, und nichts mit
ihm hatten, hinaufgrinzend ſo laut er konnte,
und durch die Naſe: ja, wenn einmal meine
Kinder ſo fortſpinnen, und mir alle Wochen ſo
viel Geld heimbringen als den lezten Samſtag,
ſo gehet es keine zehen Jahre, ich kaufe einem
Bauern, welcher es iſt, wenn er ein Hagelwet-
ter hat, oder ſonſt Geld braucht, ſeine beſte
Matte fuͤr baar Geld ab.


[377]

Das war zu rund, und der Kerl zaͤhlte nicht
darauf, daß ihm jemand anderſt als mit dem
Maul Antwort geben wuͤrde. Zu ſeinem Un-
gluͤk war einer da, der das that, und ihn an
Maul und Naſe blutend zur Stube hinaus und
die Treppen hinabſchikte. — Das Hagelwet-
ter hat ihm den Hals gebrochen, es dorfte ihm
niemand das Wort reden, und auch die Armen
ſagten: wenn er ſchon auch ein Wort haͤtte re-
den wollen, wenn er nur nicht mit dem Hagel-
wetter gekommen waͤre.


§. 80.
Allerley Narrenlohn.


Im Grund aber hatte ihm der Kienaſt ſeinen
Baͤrentazen nichts weniger als um deswil-
len vors Maul geſchlagen, ſondern ſicher nur
vor Aergerniß, daß die Armen alle Tage mehr
das Maul brauchen doͤrfen.


Auch zeigte das Lachen der Dikbaͤuchen aller,
da das Blut ihm alſo zu Maul und Naſe her-
ausſchoß, daß ſie dabey an etwas ganz anders
denken, als an ſein Hagelwetter.


Sie gewannen zwar nichts dabey. Alle
Samſtag ruͤhmten mehrere Leuth wie es faſt in
allen armen Haͤuſern ſo viel beſſer gehe. Doch
thut ſo etwas auch dergleichen Leuthen fuͤr den
Augenblik wohl.


[378]

Ein andermal gab ein alter Aebj dem jun-
gen Reinold, der auch ſo an den Fingern die
Haͤuſer abzaͤhlte, die in allen Gaſſen immer
mehr in Ordnung kamen, zur Antwort: „Wart
jezt nur noch bis die andere Woche an den Hir-
zener Markt, und ich will denn ein Narr ſeyn,
wenn ich dir denn nicht aus mehr als 20 Haͤu-
ſern, die du jezt ſo ruͤhmſt, Leuthe zeigen will,
die voll und toll heimkommen.


Er hatte darinn recht. Der Morgen die-
ſes Maͤyenmarkts war ſo ſchoͤn; die Sonne
gieng wie ein pures Gold auf, und die Even
in Bonnal ſahen fruͤhe unter ihren Thuͤren und
Fenſtern nach der ſchoͤnen Sonne, und nach
dem Weg, der ihnen alſo hinab ins Dorf in die
Augen ſchiene, und ſagten bald uͤber Gaſſen
und Gaͤrten hinuͤber zu einander, wie ſchoͤn
das ein Tag ſey! — und wie luſtig es waͤr,
wenn ſie auch doͤrften — —


Aber der Pfarrer hatte in der Kirche gewar-
net, der Aebj im Barthaus gewettet, der Lieu-
tenant allerhand daruͤber in der Schul geſagt,
und geſtern giengen ſie alle mit dem Vorſaz ins
Bett den Markt Markt ſeyn zu laſſen; aber
heute wars ihnen nicht wie geſtern. So wie
die Sonne ſtieg und warmte, ſo ſtieg und warm-
te in den Maͤnnern und Weibern von Bonnal
der Geluſt nach dem Markt.


Wir ſind doch keine Kinder mehr, und koͤn-
[379] nen uns ja huͤten, ſagte bald dieſes bald jenes
— und denn, — gell alter, du ſaufteſt doch
nicht? — Nein — nein, — gell junge
du kramteſt doch nicht? — Nein — nein,
— und du ſpielteſt doch nicht? — Ich ruhrte
keine Karte an. — So naͤherte es mit jedem
Wort dem lieben Gehen, das denn bald kam.
— Ihrer wohl 40 Maͤnner Weiber und Kin-
der nahmen den Entſchluß, ſie wollen es einmal
wagen, es werde nicht alles gefehlt ſeyn. —


Und hin war mit dieſem Wort und wie
aus dem Kopf weggewiſcht, was ſie mitein-
ander vom ſparen, Sorg haben, und derglei-
chen an der Sonne geſchwazt. Sie waren
nicht ſo bald bey einander, ſo hatten ſie ein
Leben und ein Jauchzen, daß es im ganzen Dorf
toͤnte, — und denn lang noch vom Berg hin-
ab; — und auf dem Markt kauften, tanz-
ten, ſoffen, und ſpielten ſie wie wenige Leuth
die auf den Markt kamen.


Aber die Leuth hatten einen Vater daheim
der auf das Spielen ſeiner Kinder ein Aug hatte.


Er vernahm ihr Marktlaufen, eh ſie in Hir-
zau waren, und befahl ſeinem Claus der an
dieſem Abend den Pfarrer von Bonnal heim-
fuͤhrte, er ſolle beym Ruͤkfahren am Scheidweg
unten am Berg auf ſie warten zu ſehen, wer
ſie ſeyen? und wie ſie zugerichtet? — Aber
ſie kamen nicht bis in die ſpaͤte Nacht. — Er
[380] wartete ſie aus, und ſaß da in der ſtokfinſtern
Nacht mit ſeiner Pfeifen im Maul zwiſchen
ſeinen zwey Kutſchenlichtern wie ein wahres
Geſpenſt. — Endlich gegen 10 Uhr hoͤrte
er ihr wildes Getuͤmmel, und ſie ſahen von fer-
ne ſeine Lichter, das machte ſie ſtill; je naͤher
ſie kamen, je groͤſſer ſchienen ihnen die Feuer,
und je mehr dunkte es ſie, es ſeyen nicht rech-
te Feuer, und es ſteke etwas unrichtiges dar-
hinter. — Sie wurden ſo ſtill, daß man
bald keinen einzigen von ihnen mehr hoͤrte; —
auch ihre Tritte wurden leiſer, ſo daß es bald
war, wie wenn kein Menſch mehr vom Berg
herabkomme. Und in dieſer Stille ſagte ein
Kind das nicht wie die andern getrunken:
dieſe zwey Feuer ſeyen in Gottes Namen mit-
ten in dem Weg, wo ſie vorbey muͤſſen, und
es ſey ein wunderliches vierekigts Ding, das
groß ſey wie ein Haus und Kohlſchwarz, und
doch manchmal wie lebendig ſchiene gerad hin-
ter den Feuern.


Das machte die volle Heerde ſo aͤngſtlich, daß
ſie faſt Athemlos und wie mit einem Auge ge-
gen die Feuer hinſtarrten; und nun bewegte ein
Zufall die Kutſche, mit ihr ſchwankten die Lich-
ter, und die volle Heerde meynte, ſie ſahe die
Feuer Kirchenthuͤrm hoch hinauf und hinab
ſpringen.


Behuͤt uns Gott! und ſegn’ uns Gott! wie
[381] war das ein Schreken. Die Alten verſtumm-
ten und die Kinder huben ein Zettergeſchrey
an, und lange wußte niemand was rathen,
was helfen? — Endlich nach einer Weile
daͤmpfte das Beben des Schrekens bey einigen
den Wein, daß es war wie wenn ſie ihre Sin-
nen wieder bekaͤmen, — und ein Leuͤpj kam
dazu, daß er wie vernuͤnftig ihnen den Rath
geben konnte, ſie ſollen Strohhalme ſuchen,
und ſie Kreuzweis uͤber einander in die linke
Hand nehmen, und ſo wollen ſie eins dem an-
dern feſt anhangend in Gottes Namen auf dem
Fußweg neben dem Waſſergraben bey dem Ge-
ſpenſt vorbeygehen, und denn wenn ſie gerade
vor ihm uͤber, ſo ſoll ein jedes die Worte aus-
ſprechen „alle gute Geiſter loben Gott den
Herrn.„


Die arme Heerde folgte ihm ſo gern als
forchtſame Schaafe dem Hund, wenn er den
Wolf ſchmekt und ſie zuſammenjagt, daß ſie deſto
ſicherer neben dem Wald vorbeykommen.


Sie ſchikten ſich im Augenblik an, an den
Stauden neben dem Weg Strohhalme zu ſu-
chen. Als ſie deren hatten, zerbrachen ſie die-
ſelben, machten Kreuze daraus und legten ſie
den kleinen und jungen noch in die Hand, daß
ſie ihnen recht kommen, denn lehrten ſie ſie
noch die Worte ausſprechen „alle gute Geiſter
loben Gott den Herrn.”


[382]

So traten ſie den Weg an, aber ihre Knie
ſchwankten, ihre Haͤnde bebten, und ſie zogen
aneinanderhangend fort, wie wenn ſie nicht
giengen. So kamen ſie endlich ſo langſam fort-
treibend gerade neben die Feuer voruͤber, und
wollten eben ihre Nothwort „alle gute Geiſter„
uͤber ihre ſtarren Lippen herauslaſſen, als in
dieſem Augenblik der Claus ſein Leitſeil zog.
Da ſtampften die Roß, die Raͤder klirten, die
Feuer ſprangen, und wie wenn die Erde un-
ter ihnen gewichen, lag die Heerde miteinan-
der im Graben, und meynte nichts anders als
der Teufel habe ſie alle miteinander ſo auf ei-
nen Klapf uͤber Bord geworfen.


Jezt erhub ſich ein Schreyen das dem Claus
auf dem Bok ans Herz gieng; denn es war wie
das Schreyen aus brennenden Haͤuſern. —
Er fieng an, ihnen was er aus dem Hals ver-
mochte zuzuſchreyen: — ihr Narren, ihr
Narren, was iſt das fuͤr ein Schreyen? Kal-
berleder, du Ochs? — Siegriſt! Huͤgj! —
ihr Hornvieh, und du, Leuͤpj, du Narrenfuͤh-
rer! wofuͤr haltet ihr mich? —


Da erkennte die Heerde im Koth die Stim-
me des Kutſchers, und ſie war ihr wie die
Stimme eines Engels! — biſt du es Claus?
— biſt du es Claus? Gottlob daß du es biſt!
antwortete aus dem Graben, was noch reden
konnte; denn fragten ſie ihn bald, was doch
[383] auch das vor Feuer? und ob er dabey ſeye?
— Und das Wort, es ſeyen ſeine Kutſchen-
lichter, richtete ſie auf, wie das Wort „es ſeye
Pardon da„! arme Teufel unter dem Galgen
aufrichtet. Es war nicht anderſt als wenn es
ſie aus dem Graben herauslupfte.


So wieder auf den Beinen, kamen ſie nach
und nach wieder auf die Hauptſtraße, wo der
Claus mit ſeiner Kutſche wartete.


Die meiſten hatten Schuh und Huͤt, und
was ſie in Hirzau gekramt, verloren, und alle
ihre Lichter waren verloſchen. Er aber war
gar freundlich mit ihnen, und zuͤndete ihnen ihre
Lichter wieder an. — Aber mit dem ſah er auch
— wer ſie ſeyen? Das verdroß den Stieren-
bauer, der boͤſen Wein trinkt, und wenn er nur
eine halbe mehr als er gewohnt, im Leib hat,
nie ſein Maul halten kann, der fieng zuerſt an
zu murren: es brauche ſich nicht, daß er jezt
noch ihnen ſo unter die Naſe zuͤnde; — er habe
wohl bald etwann Bosheiten genug getrieben.
— Dann bald ſagte er ihm alle Schand und
Spott, und bruͤllte laut: wenn er ſieben mal
des Junkers Knecht und ſeiner Roſſen Kutſcher
ſey, ſo ſeys doch nicht recht und nicht brav,
und ein ehrlicher Kerl machs nicht ſo, und der-
gleichen.


Das aͤngſtigte die vollen Maͤnner und Wei-
ber, daß ſie ihn mit Gewalt vom Claus weg-
[384] zerrten; ſeine Frau hielt ihm ſogar ein Tuch
fuͤrs Maul, daß er ſchweigen mußte.


Das volle Volk aber, das noch nicht ſtehen
konnte, wollte dem Claus jezt doch dies und
das ſagen, er ſolls nicht uͤbel nehmen, und der-
gleichen; aber er ließ ihnen nichts darausgehen,
und erwiederte ihnen: ſie denken das alle auch,
was er geſagt habe, und er ſey wohl ſobald der
ehrlichſte unter allen.


Und mit dieſem Wort verwirrte er die Kerl
ſo, daß man ihre Sprach nicht mehr verſtuhnd;
halb ſollten ſie lachen, halb wollten ſie derglei-
chen thun, es ſey ihnen Ernſt, daß ſie das nicht
denken. Das einte dorften ſie nicht, und thaten
es doch, das andere konnten ſie nicht, und woll-
ten es doch, und dies machte ein Durcheinan-
der, das unbeſchreiblich; ſie ſtaggelten und gag-
gelten, wie wenn der Rauſch durch das Wort
des Clauſen wieder doppelt worden.


Hinter allen, erſt nach dieſem, kam die Spek-
molchin aus ihrem Graben, dieſe, die den Wein
noch ſtaͤrker als alle andere im Kopf hatte, hielt
den Claus, von dem ſie reden hoͤrte, vor einen
ganz andern, lief mit offnen Armen auf ihn zu,
und rief ſchon von Ferne einmal uͤber das an-
dere: mein lieber Claus! mein lieber Claus!
biſt du da? biſt du da? und wie waͤrs uns auch
gegangen, wenn du nicht da waͤreſt? — Aber
der Claus verſtuhnd es nicht ſo, und zog, ſobald
ſie
[385] ſie nahe an ihm war, das Thier, bey dem er
zuſtuhnd, am Zaum, daß ſein Kopf juſt zwi-
ſchen ihn und die Frau hineinkam, da ſie eben
meynte, ſie falle ihrem Claus in die Arme. Als
ſie aber jezt merkte, daß es ein Roßkopf, ließ
ſie einen ſolchen Schrey, daß das Thier erſchrak,
auffuhr, und die Frau, die an ihns angeklam-
mert war, mit ſich vom Boden auflupfte.


§. 81.
Erziehung, und nichts anders, iſt das
Ziel der Schul.


Mit dem allem war doch nichts weniger als
bewieſen, daß das neue Weſen im Dorf,
und die groſſe Aenderung in allen Haushaltun-
gen gar keinen Beſtand haben werde. Der Vor-
fall wirkte vielmehr wirklich zum Gegentheil,
und machte, daß die Marktleuthe, die ſich ſchaͤm-
ten, was ihnen begegnet, wie wild hinter ihre
Arbeit hergiengen, und allen ihren Kraͤften
aufboten, die Scharte wieder auszuwezen.


Im uͤbrigen aber baute der Junker in ſeiner
Meynung, das Dorf zu aͤndern, gar nicht auf
das alte Volk, ſondern auf die Jugend und ſeine
Schul. Diesfalls aber zaͤhlte er auf nichts
weniger als auf ein Geſchlecht, das dem naͤch-
ſten, von dem es abſtammt, ſo ungleich ſeyn
B b
[386] wuͤrde, als Tag und Nacht einander ungleich
ſind.


Er zaͤhlte aber nicht darauf, weils ihm da-
von traumte, ſondern weil er ſah, daß der Lieu-
tenant es machte; — denn das that er — und
das mit einer Einfalt, daß wenn man in ſeiner
Schul alle Augen ausſah, zu forſchen, was er
beſonders mache, man nichts fand, das nicht
ſo zu reden ein jeder glauben wuͤrde, es ihm
nachmachen zu koͤnnen.


Und es iſt wirklich ſo leicht, ihm ſeine Schule
nachzumachen, daß ſicher ein jeder recht ver-
ſtaͤndiger Bauersmann, wenn er nur ſchreiben
und rechnen kann, in Hauptſachen eben ſo viel
ausrichten koͤnnte, was er, wenn er nur etliche
Tage die Ordnung geſehen, die er und Mar-
greth mit ihren Kindern haben. Es brauchte
nicht einmal, daß ſo ein Mann nur ſelber rech-
nen koͤnnte; und ich habe mit meinen Augen
einen Mann geſehen, der ſeine Rechnungsta-
bellen mit einer ganzen Stuben voll Kinder ge-
braucht hat, und vollkommen damit fortge-
kommen, ohne daß er ſelber rechnen koͤnnen.
Seine Kinder haben dieſe Zahlreihe in Kopf ge-
faßt, daß ſie wie nichts auf alle Art darinn
herumgeſprungen, da indeſſen der Mann, der
ſie lehrte, das Papier, auf dem er dieſe Zah-
lenreihen aufgeſchrieben, keinen Augenblik aus
den Haͤnden laſſen dorfte, um nicht alle Minu-
ten ſelber zu verirren.


[387]

Ein Beweis, wie weit die Kinder im Dorf
gekommen, iſt auch das: wenn des Junkers
Carl die Zeit her von Bonnal heimkam, ſagte
er immer: die Buben in dieſem Dorf ſind ganz
anderſt als andere Bauernbuben, und es meynte
einer, ſie waͤren Junkern gegen den andern, ſo
wenig ſcheuch (ſchuͤchtern) ſind ſie, und ſo viel
wiſſen ſie gegen den andern. Ich erzaͤhle das,
wegen dem Nichtſcheuſeyn; der Lieutenant
baute den ganzen Erfolg ſeiner Erziehung auf
den Grund dieſes Nichtſcheuſeyns, nemlich auf
ein unverſtelltes Inneres, und ſagte 100 mal
zu ſeinen Kindern: „ich verzeihe euch alle Feh-
„ler; aber wenn ihr anfangt euch zu verſtel-
„len, ſo ſeyd ihr im Grund verloren, und es
„giebt fuͤr immer nichts als elende verdrehete
„Kruͤppel.„ — Auch durchſtach er ſie mit
ſeinem Falkenblik, wenn er im geringſten ſo et-
was merkte, und jagte denn darauf los, druͤkte
darauf zu, preßte es ihnen aus, daß der Angſt-
ſchweiß ihnen ausgieng; auch foͤrchteten ſie das
Wort: was machſt du fuͤr ein Geſicht? oder
fuͤr Augen? von ihm wie ein Schwert; dann
ſie kannten ſeine Strenge, ihnen alle Arten des
verſtellten Weſens auszutreiben. Aber wie ge-
ſagt, er baute auch hierinn auf Fundamente.


Er machte ſie bedaͤchtlich, damit ſie offen ſeyn
koͤnnten. — Er machte ſie vorſichtig, damit
ſie nicht mißtrauiſch ſeyn muͤßten. — Er mach-
B b 2
[388] te ſie erwerbſam, damit ſie nicht nachſuͤchig ſeyn
muͤßten. — Er machte ſie treu, damit ſie Glau-
ben faͤnden. — Er machte ſie vernuͤnftig, da-
mit ſie ſich trauen doͤrften; und legte auf dieſe
Art den Grund zu dem heitern offenen Weſen,
das er von ihnen forderte, wenn ſie ihm vor
Augen kamen. Kurz er lehrte ſie als ein Mann,
der etwas iſt, wo man ihn hinſtellt, und ma-
chen will, daß auch ſie etwas ſeyen, wo man ſie
hinſtellt. Und das heißt freylich, er lehrte ſie
ganz anderſt, als Leuthe lehren, die nur mit
dem Maul etwas ſind, und auf dem Papier
etwas koͤnnen.


Er hatte auch das, daß er den Kindern ſeine
Liebe ſo lang und ſo viel er wollte, verbarg, und
ſie ihnen nur zeigte nach Maßgebung, als ſie
alle Kraͤfte anſpannten, das zu werden, was
ſie einſt ſeyn ſollten. Und es iſt unglaͤublich, was
er damit ausrichtete. Sie wußten im Grund,
daß ſie ihm lieb waren, und ſeine Kaltbluͤtig-
keit war ihnen wie ein Vorwurf, daß ſie nicht
ſeyen, was ſie ſeyn ſollten; ſie konnten ſie nicht
ausſtehen, und verdoppelten ihre Kraͤfte, bis
er ihnen zeigte daß er mit ihnen zufrieden.
Auch gieng ihnen der Kopf unter ſeinen Haͤnden
auf, daß es unglaͤublich war.


Das zeigte ſich nicht blos in ihren naͤchſten
Berufen. Wenn ſie Zeit hatten, war ihnen bald
auch das Fremdeſte nicht mehr fremd, und von
[389] was ſie immer unter Menſchenhaͤnden ſahen,
dachten ſie nicht mehr, daß ſie es nicht auch in
ihre nehmen doͤrfen.


Es iſt zum Exempel ein Meiſter Enger, ein
Uhrenmacher im Dorf, der bey 20 Jahren da
geſeſſen, ohne daß je ein Bauerbub in ſeine
Werkſtatt gekommen, dieſes oder jenes darinn
zu betrachten, oder etwann ſelber anzugreifen
und zu probieren.


Aber jezt ſeitdem der Gluͤphj ihnen beyge-
bracht, daß ſie Haͤnd, und Ohren und Naſen
haben vollends wie andere Leuthe, ſteken ihrer
mehr als ein halb Duzend Nachbarsbuben dem
Meiſter alle Abend im Haus, und laſſen ihm
keine Ruh, bis er ſie dies und das in die Hand
nehmen und probieren laͤßt.


Die Buben griffen es auch alle mit einer Art
an, daß der Meiſter ſich nicht genug verwun-
dern konnte, und dem Schulmeiſter ſagen ließ:
wenn alle Bauerbuben in der Welt alſo gezogen
wuͤrden, ſo waͤre kein Handwerk, wo man ſie
nicht dazu brauchen koͤnnte, ſo gut und noch
beſſer als die Stadtbuben.


Nicht nur das. Er hat gleich geſehen, daß es
ſein Vortheil waͤre, zwey der [angereiſten] von
dieſen Buben zu ſich in die Lehr zu nehmen, und
hat ihnen wirklich anerbotten, ſie ſein Hand-
werk zu lehren, ohne daß es einen Heller koſten
muͤſſe.


B b 3
[390]

Das ſind Buben, die kein Land und ſonſt
nichts haben, und ohne das ihrer Lebtag Knechte
und Tagloͤhner haͤtten ſeyn muͤſſen.


Die Buben ſind vor Freuden in alle Hoͤhe
geſprungen, als er ihnen das anerbotten, und
dann zum Schulmeiſter, ihm zu danken.


Noch nichts nahm dieſen lezten ſo ein, wie
der Dank dieſer Knaben, als ſie mit Thraͤnen
in den Augen vor ihm zuſtuhnden, und er ihre
zitternde Hand in der ſeinen hatte. Sein Herz
ſchwellte, hinauszuſehen in die Zukunft, in der
alle ſeine Schulkinder verſorget ſeyn wuͤrden.


Er ſtuhnd in ſtillem Staunen vor ihnen zu,
traumte ſich den Segen ſeiner Laufbahn, —
und das Konigreich — wornach edle Bettler
ſtreben — und wornach auch meine Seele duͤr-
ſtet — mit der Krone weiſſer Haaren, der Se-
gen der Menſchen zu ſeyn, die ihn umgeben.


Das Druͤken der Knaben, die ſeine Hand in
der ihren hatten, wekte ihn aus ſeinem Traum.
Er gieng denn mit ihnen zu ihrem Meiſter, und
machte ihnen einen ſo guten Accord, wie ſicher
noch keine Knaben ohne Lehrgeld bey einem
Uhrenmacher bekamen.


Der Lieutenant verſprach dem Meiſter, ſie
forthin als ſeine Schulerknaben anzuſehen, und
ſie im Zeichnen und in der Mathematik alles
das zu lehren, was ihnen in ihrem Handwerk
davon dienen koͤnne.


[391]

Das war dem Meiſter Enger ſo wichtig, daß
er um deswillen den Knaben einen Accord mach-
te in allen Stuͤken, wie der Lieutenant wollte.


Er ſagte ihm ſogar, wenn er das an ihnen
thue, ſo werdens die Knaben gar viel weiter
bringen, als er es gebracht.


Der Lieutenant ſpuͤrt aber auch, ſeitdem er
Schulmeiſter iſt, was er darinn kann, und iſt
vollends ſeine Liebhaberey worden, darauf zu
denken, diejenigen von ſeinen Buben, die kein
Land haben, zu Handwerken zu beſtimmen.


Er fuͤhrt ſie auch, wenn er immer eine muͤßige
Stund hat, in alle Werkſtaͤtte, die im Dorf
ſind, ſiehet ihnen bey Stunden zu, wie der einte
das und der andere dies angreife, und forſchet
ſo von ferne, was aus einem jeden zu machen.


Lebt er, ſo wird das, was er damit ausrich-
tet, die Umſtaͤnde der Armen in Bonnal noch
viel mehr veraͤndern, als das Weydvertheilen
und die zehendfreyen Aeker, die der Junker ih-
nen verſprach.


Eben ſo viel thut er an den Maͤdchen.


Die Laſter der Eltern zerreiſſen ihr Inner-
ſtes nicht mehr. Sie ſizen vom Morgen bis am
Abend ungekraͤnkt in der Stube eines frohen
und weiſen Manns. Ihre Haͤnde ſind nie ſtill.
Keine Art Geſchwaͤzwerk verwirret ihren Kopf
und verhaͤrtet ihr Herz.


Darum zarten ihre Wangen, und ihre Scham-
B b 4
[392] roͤthe wachet in ihnen auf, wie Muth und Freu-
de in ihren Augen.


Ihre Fuͤſſe huͤpfen zum Tanz, ihre Haͤnde
werden biegſam zu jeder weiblichen Arbeit. Ihr
Aug oͤffnet ſich der Schoͤnheit der Natur und
des Menſchen; und Fleiß, und Sparſamkeit,
und Hausordnung, dieſe Seele des Lebens, und
dieſer Schirm der Tugend, der kein Tand iſt,
wird ihnen unter Gluͤphj Haͤnden zur Natur.


O Gott! was waͤren ſie worden unter der
alten Regierung?


Im Sumpf des Elends wird der Menſch
kein Menſch.


Ohne Vaterfuͤhrung wird der Knab kein
Mann.


Weniger noch wird das Maͤdchen unter der
Hand einer Lumpenmutter und unter dem
Schulgewalt von Ochſenkoͤpfen ein Weib.


Aber unter Gluͤphj Haͤnden wuchſen Kna-
ben und Maͤdchen auf, Maͤnner und Weiber
und das zu werden, was Maͤnner und Weiber
auf Erden in Zwilch und in Seiden ſeyn koͤn-
nen.


Bauet dem Mann Altaͤre!


Bis auf die Blume, die im Garten wachst,
braucht er alles, die Seelen ſeiner Maͤdchen
hoͤher zu ſtimmen und durch ſie kuͤnftige Ge-
ſchlechter von Menſchen im niedrigſten St[a]nde
gluͤklich zu machen.


[393]

Es wohnt in Bonnal ein Weib, das aus
einem fremden Dorf dahin geheurathet, das
pflanzet ſeit 20 Jahren ſchoͤne Blumen, zar-
tes Gemuͤß, und feines Obs auf harten Stam-
men. Bonnals rohes Geſchlecht ſtahl ihr frey-
lich alle Jahr Blumen und Koͤhl und Virnen
und Apfel, und was es nicht ſtahl, das bettelte
es auf Hochzeiten und Kindstaufen.


Aber ihr nachzuahmen, und ihre Blumen
und ihren Koͤhl und ihre Apfel und ihre Bir-
nen auch zu pflanzen, daran kam ihnen kein
Sinn. Sie verſchreyten, verleumdeten viel-
mehr das Weib und ſagten, ſie ſey keine Haus-
haͤlterin, daß ſie ihre Zeit und ihren Miſt an
ſolche Narrenſachen wende, die ihr denn noch
alle Jahr geſtohlen werden.


Aber die Kinder des rohen Volks waren
nicht manche Woche in Gluͤphj Stuben, ſo
ſtuhnden ſie am Morgen und Abend vor dem
Garten der alten Frau, und ihren Blumen
und ihrer Ordnung, um ſie zu fragen, wie ſie
dieß und das mache, daß es ſo ſchoͤn werde.


Die Alte ſtuhnd bey Stunden an ihrer Hauen
bey ihnen ſtill, zeigte ihnen alles, gab ihnen
Blumen mit heim, und verſprach ihnen Sez-
linge und Saame und Schoß, wenn ſie auch
ſo Gaͤrten machen wollen.


Und die Kinder brachten einmal ſolche Meyen
(Blumen) in die Schul, zeigten ſie ihrem Gluͤ-
[394] phj, und fragten ob er nicht meyne, ſie koͤnn-
ten daheim auch ſo Gaͤrten machen, wie dieſe
Frau?


Warum das nicht? erwiederte ihnen der
Schulmeiſter, wenn ihr nicht zu faul ſeyt, und
fuͤhrte ſie demnach ſelber alle miteinander zu
dieſer Frau in ihren Garten.


Die Freude der Alten iſt nicht auszuſpre-
chen.


Sie ſagte dem Lieutenant: es ſey ihr, ſie
ſey ihr Lebtag noch nie in Bonnal daheim ge-
weſen, wie heut, da er mit ſeiner Schul in
ihren Garten komme.


Und die Kinder riefen daheim bey ihren
Muͤttern, ſie muͤßten ihnen Land geben Gaͤr-
ten zu probieren und zu machen, wie die Frau
ihnen ſagte, daß man ſie machen muͤſſe.


Richts, das fruͤh oder ſpaͤth ihnen nuzlich
ſeyn konnte, hielt er auſſer dem Kreis ſeiner
Schularbeit; denn er fuͤhlte ſich Vater, und
glaubte ſeine Arbeit ſeye nichts minder als das
Erziehen der Kinder, und was immer ihr gan-
zes Erziehen erfordere, das ſey alles im Kreis
ſeines Berufs.


Desnahen brachte er auſſer den Schulſtun-
den faſt alle Abende mit ihnen zu, und nachte
denn mit ihnen was ſie nur wollten. Manch-
mal ſchnitt er mit ihnen Holz, manchmal nach-
te er mit ihnen Figuren aus Wachs, Men-
[395] ſchen und Thiere, Kopf und Haͤnde, oft Haͤu-
ſer und Muͤhlen, und Saͤgen, und Schiffe.


Zu Zeiten war die Schulſtube voll Hand-
werksgeſchirr und Spaͤne wie eine Werkſtatt;
aber eh ſie fortgiengen war ſie immer wieder
ſo ſauber als eine Fruͤhlingswieſe, wenn ſo eben
das Wintergeſtraͤuch von ihr abgerechet.


An ſchoͤnen Abenden gieng er mit ihnen un-
ter den Schulnußbaum oben in der Matten.


Es iſt, wie wenn die Alten ihn darum dahin
geſezt haben, daß die junge Nachwelt ſich da
unter ſeinem Schatten verweile, dem Sonnen-
untergang, der ſich nirgend im Dorf ſo ſchon
durchs ganze Thal hinab zeiget, zu zu ſehen.


Unter dieſem Baum redte er dann bey Stun-
den mit ſeinen Kindern uͤber ihren Beruf und
ihre Umſtaͤnde.


Er machte ihnen da eine kleine Geſchichte
von ihrem Dorf, und erzaͤhlte ihnen: wie vor
ein paar 100 Jahren nur noch wenige Haͤuſer
da geſtanden, und wie die Einwohner das Land
nicht genugſam haben warten koͤnnen, und ſie
desnahen mit ihren Weyden und Zelgen Ein-
richtungen haben machen muͤſſen, die jezt bey
dem mehrerem Werth der Guͤter, und bey den
vielen Haͤnden die im Land ſind, das Dorf un-
gluͤklich, und aͤrmer, und liederlicher machen,
als es war, wenn dieſe alten Ordnungen nicht
waͤren.


[396]

Er zeigte ihnen wie das Baumwollenſpin-
nen Geld ins Land gebracht, und wie dardurch,
wer immer nicht auf das Geld geachtet, nicht
damit umzugehen gewußt, zu Grund gegangen.


Und wie viel Bauern vergantet worden,
die im Grund 10 mahl mehr beſeſſen als die
ſo ihre Guͤter erſtanden, aber durchs beſſere
Anbauen von kleinen Stuͤken derſelben in we-
nig Jahren in zehenfachen Werth gebracht.


Das Ende ſeiner Dorfgeſchichte war die
groſſe Lehre: — Wie viel genauer man in un-
ſern Zeiten ſey; wie viel ſorgfaltiger man auf
alles ſchauen, alles ausrechnen und ausſpizen
muͤſſe, und wie viel groͤſſere Ordnung und
Bedaͤchtlichkeit es in allem brauche, wenn der
Menſch ſo zu einem geſunden und freudigen
Alter, und ſeiner Kinder wegen ſo ruhig unter
den Boden kommen wolle, als es vor Alton bey
ſo wenig Leuthen, ſo wenig Geld, und bey einem
ſo einfachen Leben ſo leicht moͤglich geweſen.


Und wenn die guten Kinder am Abend Stuͤke
aus ihrer Dorfgeſchichte und aus ſeinen Lehren
mit heimbrachten, ſo konnten ihre Eltern nicht
begreifen, wie der Schulmeiſter ſelber dazu ge-
kommen, was ſie zum Theil ſelber erlebt und
erfahren, und doch nicht erzaͤhlen konnten, wie
er. — Und denn gar, wie er das den Kindern
ſo in den Kopf hineinbringe, daß ſie es in hrem
Alter ſo begreifen und ſo erzaͤhlen koͤnnen —


[397]

Wer am meiſten daraus machte, war ein
Renold, ein Mann, der gegen neunzig gieng.
Er hatte mit kaltem Blut und mit offenen Au-
gen ſo lang gelebt, und wußte die Veraͤnderun-
gen des Dorfs hinauf bis ins vorige Jahrhun-
dert.


Dieſer Greis hatte einmal nach alter Uebung
ſeine Kinder und Enkel am Sonntag Abend
zum Nachteſſen.


Und als der Großſohn, an dem die Ordnung
war, zuerſt ſein Capitel aus der Bibel geleſen,
und der lange Reihe des geſegneten Hauſes am
Tiſch ſaß, ſo ſah der Alte mit frohem nikenden
Weſen hinab zu der lieben Jugend unten am
Tiſch, und ſagte: Kinder! was macht auch euer
Schulmeiſter? iſt er auch geſund und wohl?
Laut und freudig erwiederten die Kinder dem
Alten: Ja! ja! Großvater! er iſt Gottlob ge-
ſund, er iſt Gottlob geſund, der liebe Herr
Schulmeiſter! Da ſagte der Alte: ich wollte
jezt nichts lieber, als daß er auch da waͤre, und
wir alle mit einander dem braven Mann, den
uns wohl der liebe Gott gegeben, auch danken
koͤnnten.


Dann fieng er an, und ſagte: — ihr wiſſet
nicht, was er an euch thut, und was er euch
iſt, aber ich weiß es, und will euch jezt ſagen,
was ihr ihm zu danken habet.


Kinder! unſer armes Dorf iſt wie eine zer-
[398] ruͤttete Haushaltung worden, und hat in die 40
Jahre wie ohne einen Vater gelebt; in dieſer
Zeit haben ſich die Umſtaͤnde uͤberall geaͤndert,
und die Menſchen in der Welt, wie ſie jezt iſt,
muͤſſen erzogen und gelehrt werden in der Ord-
nung, die jezt iſt, ſo fortzukommen; wie die Al-
ten in ihrer Ordnung, zu der ſie gewiß recht
erzogen worden, fortgekommen ſind.


Und das thut euch jezt der Mann, der macht,
daß ich mit Ruhe uͤber das Grab hinaus denke,
das ich in Gottes Namen bey 20 Jahren nicht
mehr dorfte, weil es mir tief am Herzen lag,
ihr armen Kinder werdet, weil niemand da iſt,
der euch nach den Umſtaͤnden zu dem anfuͤhret,
was ihr ſeyn und werden muͤſſet, vielleicht auch
mit der groͤſten Unſchuld mit dem Strom der
neuen Unordnung mit hingeriſſen, in kurzen
Jahren faſt nothwendig ungluͤklich. Das forch-
te ich nun nicht mehr, und danke dem Mann,
daß ich daruͤber in meinen lezten Tagen noch
ruhig ſchlafen kann.


Nachdem der Alte ſo geſchwazt, trank er
dann auf des braven Manns Geſundheit. —
Seine Kinder, die ihm in die Schule giengen,
ſchlugen ihm mit Jauchzen an. — Und er
hatte eine Freude, daß er ſelbſt dem juͤngſten
Enkel, der auf ſeiner Schoos ſaß, einen Trop-
fen auf ſeine Lippen goß, und ihn den Namen
des Manns nachſtammeln machte.


[399]

Nein! bauet dem Mann keinen Altar.


Der Saͤugling auf dem Schoos des Grei-
ſen, und der zitternde Tropfe auf den Lippen
des Kinds, das ſeinen Namen ſtammelt, iſt
mehr als Opfer und Altar! —


Es wird mir aber warm. Bald komme ich
in meiner Einfalt nicht mehr fort.


Aber es muß ſeyn.


Unter den Freuden, die er mit ſeinen Kin-
dern hatte, war auch dieſe, daß er zu Zeiten eine
Ankenbraut (Butterſchnitte) mit ihnen aß.


Es iſt nemlich auch in Bonnal der Gebrauch
daß die Bauern, wenn ſie etwas Gutes haben,
ihrem Schulmeiſter dann und wann auch da-
von ſchiken.


Dieſer Gebrauch war dem Gluͤphj im Her-
zen zuwider; er nahm ihnen auch faſt gar nichts
ab, und brauchte, ſie nicht boͤs zu machen,
die Entſchuldigungen, er habe keine Frau und
keine Haushaltung, und koͤnne desnahen mit
dergleichen Sachen faſt gar nichts thun.


Damit ſie aber nicht glauben, es geſchehe
aus Hochmuth, und er ſchaͤme ſich ihnen etwas
abzueſſen, ſo nahm er einem jeden der Kuͤh im
Stall hatte, und ſeine Kinder zu ihm in die
Schul ſchikte alle Jahr eine Ankenbraut ab,
aber ſie mußte nicht uͤber 2 Pfund ſeyn. So
[400] bald eine kam, ſagte er es den Kindern und
aß ſie denn Morndes am Abend mit ihnen in
der Schul. Er kaufte ihnen denn allemal ein
halb Duzend Brod und die Frau Pfarrerin
gab ihm mehrentheils denn noch eine Schale
Honig dazu, denn ſie hatte deſſen genug, und
mehr als 30 Imben (Bienenſtoͤke.)


So machte er den Armen aus ſeinen Kin-
dern damit gar manchmal im Jahr eine gute
Stunde, mit etwas das ſie daheim nie hatten.


Und nuzte dieſe Abendeſſen beynahe mehr
als ſeine Schulſtunden. Sie waren ihm wie
ein Probierſtein uͤber ſeine Kinder, und er ſpaͤ-
hete mit Falkenaugen umher, wie ſie mit dem
Anken (Butter) und Brod und Honig umge-
hen! was ſie fuͤr Augen und Maͤuler dazu ma-
chen? und was! weiß ich, worauf er alles Acht
gab. — Genug er ſagte ſelber: bey dieſen
Abendeſſen werde ihm allemal heiter, was er
uͤber jedes ſeiner Kinder ahnde.


Der Pfarrer und ſeine Frau und ihre Kin-
der kamen gar oft zu dieſen Abendeſſen, und
das braͤfſte unter den Kindern dorfte denn ih-
nen und dem Herr Schulmeiſter ihre Anken-
braut *) machen.


An dem Sonntag, da es mit der Kienaſtin
umſchlug,
[401] umſchlug, hatten ſie auch eine Ankenbraut, und
da war des Maurers Heirlj der braͤvſte.


Der Schneiderin Annelj (die Kinder ſagen
ihm nur den Namen Schwarbel Annj) hatte
ihm zwiſchen den Tiſchen, an die es geſtoſſen,
die Hand verklemmt, daß ſie aufſchwoll wie ein
Kuͤſſen, und blutete. Der gute Bub aber uͤber-
wand ſich, ſobald es anfieng zu ſchreyen, und
ſagte, es habe es nicht mit Fleiß gethan, und
ſuchte den ganzen Morgen die geſchwollene Hand
vor dem Schulmeiſter und der Margreth zu
verbergen, damit das Kind nicht eine Strafe
ausſtehen muͤſſe, und daheim dann noch geſchla-
gen werde. — Es that ihm aber ſo weh, daß er
mit dem Spinnen nicht fortkam, und die Mar-
greth auf dieſe Art endlich es merkte.


Dafuͤr war er heute der braͤvſte, und hatte
dieſe Freude mit der Ankenbraut. Diesmal kam
der Junker ſelber zu ihrem Abendeſſen.


Heute mußte der Waſſergraben zu der neuen
Matten, die er anlegen wollte, endlich abgeſto-
chen werden.


Die Quellen im Moosgrund waren nun vol-
lends aus und zuſammen gegraben, und ihr
Waſſer floß in diken Stroͤmen uͤber die Felder,
die alle gruͤnten, wo es hinfloß.


Der Lieutenant nahm auch zu dieſer Arbeit
etliche von ſeinen Buben mit ſich, und ſagte, eh
er mit Feldtiſch und Viſir an ſeine Arbeit gieng,
C c
[402] zu ihnen: Probieret, Buben! ob ihr die Linien
findet, wo der Bach jezt hingeleitet ſeyn muß,
wenn man ſo viel Land als immer moͤglich mit
ihm uͤberwaͤſſern will.


Die Buben ſprangen wie gute Jagdthiere von
ihm weg, links und rechts, kreuz und queer, wo
das Waſſer hin muͤſſe? Aber ſie wurden nicht ei-
nig, und kamen, in ihrer Meynung getheilt, zuruͤk.


Die einten meynten, man muͤſſe den Graben
zuerſt links fuͤhren, gegen den Tannen-Eken,
und von da erſt wieder zuruͤk gegen den Feldern,
die rechts liegen.


Die andern glaubten, wenn man ihn gegen
den Tannen-Eken fuͤhre, ſo bringe man ihn nicht
mehr auf die Hoͤhe vom Mooshuͤbel, der dann
troken bleiben muͤſſe.


Es hats keiner getroffen, ſagte der Lieutenant,
und ſezte hinzu: der Graben muß zuerſt uͤber
den Vorhuͤgel vom Moosweg, und dann erſt
herum zum Tannen-Eken.


O ho! wenn das Waſſer uͤber den Mooshuͤbel
gelaufen, ſo bringt ihr es nicht mehr auf die Hoͤ-
he zur Tannen, erwiederten die Buben.


O ho! erwiederte der Lieutenant: man fuͤllt
nur die Tiefe, die zwiſchen dem Huͤbel und dem
Eken iſt, ein Schuh, drey oder vier hoch aus,
dann laufts, meyne ich, wieder zum Tannen-
Eken.


Dann wohl, dann wohl, ſagten die Buben.


Aber der Pfarrer war heut den ganzen Tag
[403] nicht bey ihnen. Er war bey der Kienaſtin, de-
ren Tod nun ſichtbar nahete; doch war ſie noch
immer bey ſich ſelber, und nahm nun das lezte
mal bey den lieben Ihren Abſchied.


Als man ihr das Kleine auf das Bett legte,
ſtaunte ſie ihns eine Weile an, und ihre lezten
Thraͤnen fielen auf ihns hin, das Kind aber laͤ-
chelte auf ihrem Schoos, ſtrabelte mit Haͤnd
und Fuͤſſen, und warf den Kopf ſo froh und
muthvoll umher, daß es die Sterbende erquikte!
Sie laͤchelte noch auf ihns herunter, und ſagte zu
ſich ſelber, warum kann ich nicht ſeyn, wie du?


Sie redte noch mit allen Kindern.


Am meiſten mit dem Vater, und das faſt nur
von dem Suſannelj, und ſagte: es lieg ihr auf
dem Herzen dem Kind noch zu ſagen, daß ſie es er-
kenne, ihre Fehler haben ihns nach und nach ſo
hart gemacht, als es worden. Sie habe ihm ihre
Haushaltung aufgebuͤrdet, die man einem Kind
nie aufbuͤrden ſollte, und er ſoll ihm ſagen, wenns
an ihr ſtuͤhnd ihr Leben noch zu aͤndern, ſie wollte
gewiß ihre Mutterpflichten thun, und ihm nicht
mehr zur Laſt fallen; aber das ſey jezt nicht
mehr moͤglich; und darum ſoll es ihr verzeihen,
und wiederkommen, und ihm und den Kindern
als Mutter und Schweſter an die Hand gehen,
ſo lang es lebe und ſo lang es noͤthig.


Dann wollte ſie auch ihn um Verzeihung bit-
ten, daß ſie nie keine Frau gegen ihn geweſen,
C c 2
[404] und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort
erſtarrte ihr auf den Lippen, und ſprachlos, wie
ſie, lag er eine Weile auf ihrer Deke.


Denn rafte er ſich wieder auf, ſah den Pfar-
rer an, und fiel auf ſeinen Schoos.


Die Sterbende ſah ihn liegen, und ſagte: ſo
wohl kann er nirgend ruhen; und ach, ſo wohl
ruhete er nicht bey mir!


Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus-
ſtammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber
gab ihr dieſen Troſt ins Grab, indem er noch
ſeine warme Hand auf den grauen Haaren ihres
Manns, der noch auf ſeinem Schoos lag, hielt.


Frau! die Fehler deines Lebens ſind nicht ſo
wohl dir als denen zuzuſchreiben, die es dulden,
daß man die Religion auf eine Art lehre, daß
ſie den Menſchen den Kopf alſo einnehme und
fuͤlle, als ob ihr Wiſſen alles in allem waͤre, und
der Menſch denn ſeine Haushaltung und ſein
Handwerk, und alles was er ſeyn und koͤnnen
muß, koͤnne und ſeye, wenn er ſie verſtehe.


Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann
mein Buch nicht ſchreiben!


Der Blik der Frauen auf dieſe Rede machte
dem Pfarrer das Wort im Maul erſtarren.


Wenn ich dieſen Blik mahlen koͤnnte, daß
man ihn ſaͤhe, wie ihn der Pfarrer ſah, ich bin
wie meines Lebens ſicher, man wuͤrde lieber den
Mund beſchlieſſen.


Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen.


[405]

Ich erliege unter der Laſt unausdrukbarer
Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir
ſtehen.


Es glich ihr Klagblik im erloͤſchenden Aug —
dem Blik des ſterbenden Lamms, das unter den
Haͤnden des Wuͤrgers verblutet. —


Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, —
er glich — ich kan nicht ſagen was, — koͤnnte ichs,
man wuͤrde nicht mehr Abgoͤtterey treiben mit
Gott — und den Menſchen thun laſſen, was
ſeine Sach iſt.


Ihr Blik durchſchnitt dem Pfarrer das Herz,
und der Gedanke, ſie iſt das Opfer der Thorheit.
Die Lehre von Gott, den Menſchen wie ein
Meſſer an Hals zu ſezen, machte ihn zittern. Er
fuͤhlte das Elend der Menſchen, die an dieſem
Meſſer verbluten, und nicht minder die Gefahr
derjenigen, die ihm entfliehen.


Es legte ihn ungeſchlafen, und noch morndes
ſtuhnd ihr Bild vor ihm, alſo daß er an dieſem
Morgen beynahe unvernuͤnftig predigte, denn
er redte uͤber etwas ganz anders, und wußte die
halbe Zeit nicht was er ſagte.


Zu Mittag hingegen hatte er ſeine Sinnen
wieder bey einander, denn er redte da nur von
dem, was ihm auf dem Herzen war.


Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins
Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tiſch
aufſtehen, und bald wieder in die Kirche wollte.
C c 3
[406] Er vergaß alle Form und Ordnung der Kin-
derlehr, und redte faſt nur von der Frauen, und
den Urſachen, die ſie ſo elend machten.


Eine Kinderlehre.


Aber er war ſo im Eifer, daß ihm die Sa-
chen oft durch einander kamen, und er manch-
mal nicht deutlich ausdruͤkte, was er meynte.


Doch laͤßt ſich das eint und andere, was er
ſagte, mit ſeinen Worten nachſagen.


Er verlas einmal das andere Gebott. —


Und ſagte dann: hart in Kopf eingegrabene
Bilder von Gott ſind im Grund um kein Haar
beſſer und der menſchlichen Natur um kein Haar
weniger ſchaͤdlich, als die ſteinernen und erzenen
Goͤzen, die ſich die rohern Menſchen ſchnizeln.


Und behauptete: alle leidenſchaftliche, in die
Sinnen fallende, und den Kopf der Menſchen
anfuͤllende Anhaͤnglichkeit an irgend eine Vor-
ſtellung von Gott und goͤttlichen Dingen, ſey
nichts anders als wahre Abgoͤtterey, die den
Menſchen darum bis in das dritte und vierte
Geſchlecht verderbe, weil ſie wider ſeine Na-
tur ſey.


Er erklaͤrte ſich daruͤber alſo. Die meiſten
Menſchen die die Religion mit einem Feuer und
einer Staͤrke in ihren Kopf hineinbringen, das
nicht verhaͤltnißmaͤßig iſt mit der Staͤrke und
dem Eifer womit ſie andere Sachen in ihrem
[407] Kopf herumtragen, werden einſeitig und froͤm-
melnd.


Und weil die Menſchen uͤberhaupt ſchwach
ſind und ein bloͤdes Geſchlecht, und nichts anders
ſind als was ſie ſind, ſo macht das Ueberziehen
dieſes Religionspfundes, daß ſie auf der einten
Seiten ſorglos, unaufmerkſam, Gedankenleer,
und darum blind; auf der andern Seiten er-
ſtaunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich,
voller Anſpruͤche, und dabey in ſich ſelbſt ge-
kehrt, zu einem krummen, geheimen, verſchla-
genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na-
men des Herrn gewaltthaͤtig.


Und es braucht nicht mehr als dieſes, um die
Menſchen in allen menſchlichen Verhaͤltniſſen
unzuverlaͤßig und unbrauchbar und zu abhaͤng-
lichen, ihrer Nothdurft und Umſtaͤnden nicht ge-
nug zu thun, faͤhigen, und dabey ihre Wuͤnſche
immer uͤberſtimmenden armen Bettelgeſchoͤp-
fen zu machen. — So, wiederholte er, liegt
die Drohung Gottes das Kind des Schwaͤrmers,
der ein Bild von Gott in den Haͤnden oder im
Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geſchlecht
die Miſſethat des Vaters empfinden zu laſſen, in
unſerer Natur.


Denn fuhr er fort.


Gott hat ſich den Menſchen verborgen und
die Geheimniſſe der Zukunft fuͤr ihn in undurch-
dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in
ihrer Huͤlle wohl ſey.


C c 4
[408]

Aber der Nebel, der um uns iſt, iſt von Gott,
und Segen unſerer Natur, wenn wir darinn
ruhen.


Und wir verheeren unſer Inners, wenn wir
dem Schatten entweichen wollen, den Gott um
uns gelegt hat.


Gott hat die Nacht gemacht wie den Tag,
warum willt du nicht ruhen in Gottes Nacht,
bis er ſeine Sonne dir zeiget, die ewig kein Trau-
men hinter den Wolken, hinter denen Gott ſie
verborgen, hervorrufen wird.


Einmal ſagte er: Gott iſt fuͤr die Menſchen
nur durch die Menſchen der Gott der Menſchen.


Der Menſch kennt Gott nur, inſofern er den
Menſchen, das iſt, ſich ſelber kennet. — Und
ehret Gott nur, inſofern er ſich ſelber ehret, das
iſt, inſofern er an ſich ſelber und an ſeinem Ne-
benmenſchen nach den reinſten und beſten Trie-
ben, die in ihm liegen, handelt.


Daher ſoll auch ein Menſch den andern nicht
durch Bilder und Worte, ſondern durch ſein
Thun zur Religionslehre emporheben.


Denn es iſt umſonſt, daß du dem Armen ſa-
geſt: es iſt ein Gott, und dem Wayslein, du haſt
einen Vater im Himmel; mit Bildern und Wor-
ten lehrt kein Menſch den andern Gott kennen.


Aber wenn du dem Armen hilfſt, daß er wie
ein Menſch leben kann, ſo zeigſt du ihm Gott;
und wenn du das Wayslein erzieheſt, das iſt, wie
wenn es einen Vater haͤtte, ſo lehrſt du ihns den
[409] Vater im Himmel kennen, der dein Herz alſo
gebildet, daß du ihns erziehen mußteſt.


Ein andermal.


Die Religion iſt nichts anders als das Beſtre-
ben des Geiſts, das Fleiſch und Blut durch An-
haͤnglichkeit an den Urheber unſers Weſens in
der Ordnung zu erhalten.


Und der Menſch gelanget zu dieſer Herrſchaft
des Geiſtes uͤber das Fleiſch nur nach Maaßgab
als er von Jugend auf in den Muͤhſeligkeiten ſei-
ner Beſtimmung und Lebensart geuͤbt, was ſei-
ne Pflicht und ſein Vortheil in der Welt iſt, mit
Leichtigkeit, und ohne daß es ihn viel Muͤh und
Anſtrengens fordert, thut und erfuͤllt.


Und das zeiget deutlich, in was fuͤr Fertigkei-
ten ein Menſch muͤſſe geuͤbt ſeyn, wenn ihm die
Herrſchaft des Geiſtes uͤber das Fleiſch und ein
wahrhaft der Religion und ſeinen Umſtaͤnden
gemaͤſſes Leben ihm leicht und natuͤrlich werden
ſoll.


Ihr denket wohl, es gab auch wieder einen
Ausfall wider das Predigen und Maulbrau-
chen, — es konnte nicht fehlen.


Er ſagte: Sehet um Gotteswillen in allen
euern Angelegenheiten, wo es euch um etwas
zu thun iſt, das gemacht ſeyn muß, und ihr wol-
let zu einem Ziel kommen, iſts immer euere
erſte Regel, nicht viel Worte, und kein Predi-
gen! — Und die Lehre von Gott und der Ewig-
keit, die allein ſoll dem Menſchen, ob es ſchon
[410] in allen andern Dingen wider ſeine Natur,
durch viele Worte und durchs Predigen in Kopf
und ins Herz hineingebracht werden.


Dann brach er ploͤzlich ab, und ſagte: aber
was ſoll ich denn thun? ſoll ich euch von Gott
ſchweigen? das ſey ferne! kommt mit mir in die
Huͤtte des Armen und zu den Thraͤnen der Way-
ſen, da lehrnet ihr Gott kennen, und gut ſeyn,
und Menſchen werden. Kommt! in dieſer Stund
ſind in euerm Dorf zehen neue Wayſen worden,
ſie ſind euere Geſpielen und an euerer Seite auf-
gewachſen, ſie haben keinen naͤheren Naͤchſten
als euch. Kommt! zeiget ihnen, daß ihr Men-
ſchen ſeyt, und an dem was euerm Naͤchſten
begegnet, Theil nehmet! —


Ich war auch ein Wayſe, und erinnere mich
jezt noch, wie wohl es mir gethan, und wie es
mich Gott erkennen machte, da ich hingeſtuͤrzt
auf meines todten Vaters Bett lag, und faſt
ohne Sinnen, keinen Gedanken mehr hatte als
— “ich habe jezt auf Gottes Erdboden keinen
Menſchen mehr der ſich meiner annehme! —„
Und da ſind, weil ich ſo da lag, und meine Haͤn-
de ſich im Krampf zuſammen zogen, und ich mit
den Zaͤhnen knirſchte und zitterte, zwey Nach-
barn zu mir in die Stube hineingekommen, und
faſt auf mich niedergefallen, und haben vor
Schluchzen kein Wort reden koͤnnen. Ich weiß
noch, und weiß es noch bis ins Grab, wie mir
[411] das wohl gethan, und wie es mich gemacht
Gott erkennen! —


Denn ſtuhnd er auf, wie wenn er nicht wuͤßte
wo er war, und ſagte, Kinder! Kinder! kommt,
wir wollen gehen zu dieſen Wayſen! Die Kinder
draͤngten ſich an ihn an, hatten Thraͤnen in den
Augen, und ſuchten ſeine Hand.


Dann trat der Junker aus ſeinem Stuhl,
und ſagte, ich will bey euch ſeyn bis dieſe Kin-
derlehr aus iſt, und nun folgten die Vorgeſezten,
und alles Volk das in der Kirche war, dem Pfar-
rer in das Haus des Kienaſtes.


Der Vater und die Kinder ſtuhnden alle um
das Bett der Todten, als der Junker und der
Pfarrer in die Stube hineinkamen.


Dann giengen ſie zuerſt allein und machten
die Vorgeſezten und Kinder, und wer mit ih-
nen kam, unten im Tenn und vor dem Haus zu
warten, bis man ihnen riefe.


Der arme Alte ſagte mit gebeugtem Haupt
zu ihnen: es hat in Gottes Namen eine Aende-
rung gegeben, ihr Herren!


Wir wiſſens, lieber Alter! erwiederte der
Junker, und ſezte nach der Bauern Weiſe hinzu:
Gott troͤſt euch im Leid! denn machte er den zit-
ternden Mann abſizen mit dem Pfarrer auf ſei-
nen Ofenbank, neben ihn zu, und hielt ſeine
kalte Hand in ſeine warme.


Das machte den Alten bald traulich, daß er
konnte anfangen reden, danken, und dann er-
[412] zaͤhlen; wie die Geiſſenmilch ſeiner Frauen ſelig
noch ſo wohl gethan, wie ſie die lezten fuͤnf Wo-
chen gar nichts mehr genoſſen als alle Tage et-
liche Loͤffel voll davon, und denn wie ſie Gottlob
noch zu ſich ſelber gekommen, und auch wieder
Antheil an allem genommen was begegnet, in-
ſonderheit auch an dem neuen Weſen in der
Schul, dem ſie alle Tage bey den Kindern nach-
gefragt. — Aber dann habe ſie auch einmal
mit einem tiefen Seufzer geſagt: mein Gott!
wenn ich in der Schul auch ſo Spiztruken und
Spinnraͤder haͤtte in den Haͤnden haben muͤſſen,
ſo waͤre ich gewiß nicht ſo worden.


Sie habe da, ſagt er, hinzugeſezt: es iſt in
Gottes Namen das! — Und zu den Kindern:
— Gottlob! daß es euch jezt anderſt geht. —


Das gieng dem Junker und dem Pfarrer zu
Herzen, daß ſie die Thraͤnen faſt nicht zuruͤkhal-
ten konnten.


Da ſie in die Stube kamen, hatten ſie das
Suſannelj zwiſchen dem Vater und allen Kin-
dern vollends wie eine Mutter da ſtehend ange-
troffen.


Es entrann aus ſeinem Stadtdienſt, und kam
noch eine Stunde, ehe ſie verſchied, zu ihrem
Sterben, warf ſich wie von Sinnen auf ihr
Bett, und bat in unverſtaͤndlichem Schluchzen
um Verzeihung und um ihren Segen.


Die Mutter konnte nicht mehr reden; —
aber noch oͤffnete ſie ihre Augen, deutete auf das
[413] Ohr, daß ſie noch hoͤre, und auf den Mund,
und dann gegen den Vater.


Er verſtuhnd ſie, verdruͤkte ſeinen Schmerz,
daß er reden koͤnne, und ſagte dann mit ſtam-
melnden Worten — wie die liebe Mutter auch
gegen ihns ihre Fehler erkennt, und ihns noch um
Verzeihung gebeten! — aber denn auch, daß es
bey ihnen bleibe, und ſie nicht mehr verlaſſe.


Bey jedem Wort des Vaters zitterte das
Kind, ſank ſprachlos zwiſchen ihn und ſie hin,
und lag ſo da, bis ſie erloſchen. Da wars mit
ihrem Erloͤſchen, wie wenn es erwachte, zu zei-
gen, daß es fuͤr ſie Mutter und Schweſter ſey
und bleiben wolle, ſo lang es noͤthig. Im Glau-
ben an ihns, ſtuhnden Vater und Kinder um
ihns her und an ihns an, wie ihns Arner er-
blikte, da er die Thuͤre aufthat.


Er rief ihns jezt beyſeits, und fragte ihns:
Habet ihr auch zu eſſen? — Es that ein wenig
die Augen gegen ihn auf, und ſagte halblaut: Ja!


Es war aber Nein; und er verſtuhnds, und
ſagte: Habet ihr Anken im Haus?


Das nicht, ſagte das Kind.


Und der Junker: — Ihr muͤſſet haben, und
du mußt machen, daß dein Bater wieder zu
Kraͤften kommt, und ihm darnach kochen. Da
haſt du etwas, thu ihm Anken zu und ein Glas
Wein. Ich will ihn aber bald wieder ſehen.


Mit dem war er von ihm weg.


Indeſſen hatten die Vorgeſezten im Tenn ab-
[414] geredt, damit der Junker und Pfarrer ſehen,
daß ſie auch Mitleiden haben koͤnnen, dem Kien-
aſt, ſo lang er lebe, alle Burgerdienſte zu ſchen-
ken, und ihm ſein Burgerholz ohne ſeine Koͤſten
machen und zufuͤhren zu laſſen.


Und nun rief der Pfarrer ihnen und den Kin-
dern in die Stube. — Das uͤbrige Volk, das
aus der Kirche mitkam, blieb unter der Thuͤre
und vor den Fenſtern.


Aber es war dem Kienaſt, wie wenn ers nicht
glauben koͤnne, da ihm die Vorgeſezten ſagten,
was ſie abgeredt. Denn obwohl ein Herkommen
im Dorf iſt, daß immer ſieben arme alte Maͤnner
ſo frohnungsfrey ihren Burgergenuß beziehen
ſollen, ſo kam das bey Mannsdenken doch nie
an jemand andern, als an Lumpen, die ihnen
verwandt, oder an Schelmen und freche Purſch,
deren Maul ſie foͤrchteten.


Die Kinder aber umringten, in Haufen ge-
theilt, die Wayſen nach ihrem Alter; ein jedes
draͤngte ſich zu demjenigen, ſo es am naͤchſten
kannte. Sie druͤkten ihnen die Hand, und ſag-
ten ihnen: “Gott troͤſt euch im Leid!„ Denn
herrſchte ein ſtummes Schweigen, und aller
Augen waren in Thraͤnen.


Da nahm der Pfarrer das Wort, und ſagte:
Kinder! Gott iſt nahe, wo die Menſchen einan-
der Liebe zeigen. — Denn fuͤhrte er eines nach
dem andern an der Hand zu der Todten, die da
lag wie das Bild des uͤberſtandenen Elends, und
[415] ſagte einem jeden ein Wort fuͤr ihns in ſeine
Seele.


Es war ein Unterricht wie der Unterricht
eines Heiligen.


Denn fuͤhrte er ſie wieder, eines nach dem
andern, zu den Wayſen, daß ſie ihnen die Hand
geben, und ſagte ihnen noch: bleibet Geſchwi-
ſterte, und denket an dieſe Stunde, wenn ihr an
Gott denket! Mit dem Wort ſtuhnd er auf, wie
wenn er noch in der Kirche, und ſeine Kinder-
lehr endete, und ſagte mit gefalteten Haͤnden
zum Volk: — “Der Herr ſegne und behuͤte
euch! Der Herr laſſe ſein heiliges Angeſicht uͤber
euch leuchten, und ſey euch gnaͤdig! — Nun
gehet hin im Frieden des Herrn, haltet chriſtli-
che Zucht und Ehrbarkeit, und liebet einander
wie uns Chriſtus Jeſus geliebet hat! Amen.„


Nun gieng die Gemeind von einander und
aus einem Munde toͤnte, es war doch ſchoͤn!
Und Vater und Mutter ſagten zu einander: die
Kinder muͤſſen angenehm werden vor Gott,
wenn man ſie alſo lehrt, es iſt nicht anderſt moͤg-
lich.


Und auf allen Zungen lagen die Worte: “wir
moͤchten ihm danken„! Einer ſprach ſie aus, und
ja! — ja! und naſſe Augen waren die Antwort
aller.


Da ſtand das Volk zehen Schritt von des
Kienaſten Haus ſtill, und als der Junker und der
Pfarrer heraus kamen, trat der alte Reinold, den
[416] die andern dafuͤr gebetten, hervor, und dankte
im Angeſicht des Volks das ſich immer ſtaͤrker
vor dem Haus verſammelt, ihnen, dem Jun-
ker und dem Pfarrer mit dem Ausdruk: “ihre
Herzen ſeyen voll, und ſie koͤnnen nichts anders
ſagen, als daß ſie ihnen an Gottes Statt ſeyen!„


Das ſtille Schweigen der Menge, und die
Menſchlichkeit des ganzen Anbliks riſſe den Jun-
ker und den Pfarrer hin, daß ſie einen Augenblik
nicht antworten konnten.


Nach einer Weile ſagte der Junker, wir moͤch-
ten wohl gern, wenn wir nur koͤnnten euch gluͤk-
lich machen!


Und das Volk erwiederte dem edeln Vater,
wir ſehens Gottlob, und erkennens!


Er redte nichts mehr. Das Volk zerſtreute
ſich ſtill. — Er aber nahm da noch dem Pfar-
rer die Hand, und ſagte zu ihm: wir ſind Gott-
lob um einen Schritt weiter mit dem Dorf als
wir ſelber geglaubt. —

[figure]
[][][]
Notes
*)
Anmerkung) Poz Schuͤmmel poz Kolj — an-
ſtatt poz Himmel poz Hoͤlle, — eine Nachah-
mung der unter den verdreheteſten Bauern uͤbli-
*)
chen Manier anſtatt der Woͤrter des Schwoͤ-
rens und Fluchens aͤhnliche Toͤne, und nicht die
Woͤrter ſelber zu gebrauchen, und z. E. anſtatt
beym Donner, beym Tummel, anſtatt beym Ke-
zer, beym Kaͤzli, — und anſtatt beym Sakra-
ment, beym Sakerſtrenz zu ſagen.
Es giebt Leuthe welche ſolche Dummheiten
beſchoͤnen, und behaupten, es ſey doch beſſer als
unbemaͤnteltes Fluchen.
Ich bin unverholen ganz der gegenſeitigen Mey-
nung, und finde daß es weit ſchlimmer iſt. —
Die Natur der Sache zeiget es auch ganz klar.
Das Fluchen an ſich ſelber iſt glatterdings nichts
als ein leerer Ton, man braucht nur die Woͤrter
nicht zuverſtehen, ſo iſt es ſo viel als huͤſt und
hott — und nichts anders als ein lauter Schrey,
der an ſich weder im Himmel noch auf Erden,
noch unter der Erden niemand weder wohl noch
weh thut; es wird aber etwas, ſchlimmes in ſo-
fern wir mit dieſen Toͤnen Begriffe verbinden
oder erregen, die in uns oder andern die Achtung
verlezen, die wir dem Urheber unſerer Natur,
und allem was uns an ihn erinnert, ſchuldig ſind.
Es iſt in eigentlichem Verſtand ein Ungezogen-
heitsfehler, und je mehr dieſer unuͤberlegt, Ge-
danken, und Aufmerkſamkeits leer iſt, je mehr iſt
er ſeiner Natur nach zu entſchuldigen. — Je
mehr er hingegen an Ueberlegung angeknuͤpft und
abgemeſſen wird, deſto mehr verliert er das ent-
*)
ſchuldigende ſeiner Natur, und wird aus einem
Ungezogenheitsfehler ein Niedertraͤchtigkeitsfeh-
ler. Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſen Grund-
ſaz voͤllig, und wird uns die Kaͤzli und Saker-
ſtrenz Flucher immer cœteris paribus niedertraͤch-
tiger und verdreheter darſtellen, als die ſo ihren
Kezer und Sakrament grad herausfluchen.
Die Sache iſt in einem allgemeinen Geſichts-
punkt ſehr wichtig, die Schwaͤchen und Fehler
des menſchlichen Lebens werden genau dadurch
giftig, daß man mit ſich ſelber kuͤnſtelt, an dem
zu ſau gen, was man ſich nicht getraut gerade her-
unter zu ſchluken. Je ſchwaͤcher, ſinnlicher und
chineſiſcher die Menſchen werden, je mehr ma-
chen ſie es ſo, und wir erhalten durch dieſes Bede-
ken aller roher Aeuſſerungen unſers innern Sinns,
und durch die immer ſteigende Kuͤnſte an dem zu
ſaugen, was wir nicht freſſen doͤrfen, eine Art
Menſchen, unter denen es nach dem Ausdruk
eines Weibs, zum verbrennen ſchoͤne Kezer, und
zum Kuͤſſen gute Teufel giebt.
*)
Schweizerausdruk der ſo viel iſt als der But-
ter auf die Brodſchnitte ſtreichen, die ſie aſſe[n].

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 2. Lienhard und Gertrud. Lienhard und Gertrud. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmkx.0