[][][][][][][]
Also
sprach Zarathustra.


Ein Buch
für
Alle und Keinen.


3.


Chemnitz: 1884.
Verlag von Ernst Schmeitzner.

Paris
W. Fischbacher
33 Rue de Seine.
St. Petersburg
H. Schmitzdorff
(C. Roettger.)
Kais. Hof-Buchhandlung.
5 Newsky Prospekt.
Turin
(Florenz, Rom.)
Hermann Loescher
via di Po 19.
New-York
E. Steiger \& Co.
25 Park Place.
London
William's \& Norgate
4 Henrietta Street,
Covent Garden.

[]

Druck von C. G. Naumann in Leipzig.

[]

„Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung
verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin.


Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben
sein?


Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht
über alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste.“


(Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. (I. p. 53.)
)
[][1]

Der Wanderer.

Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra
seinen Weg über den Rücken der Insel, dass er mit
dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: denn
dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda
eine gute Rhede, an der auch fremde Schiffe gern
vor Anker giengen; die nahmen Manchen mit sich, der
von den glückseligen Inseln über das Meer wollte.
Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte
er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von
Jugend an, und wie viele Berge und Rücken und
Gipfel er schon gestiegen sei.


Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte
er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht und
es scheint, ich kann nicht lange still sitzen.


Und was mir nun auch noch als Schicksal und
Erlebniss komme, — ein Wandern wird darin sein und
ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber.


Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle be¬
gegnen durften; und was könnte jetzt noch zu mir
fallen, was nicht schon mein Eigen wäre!


Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim
— mein eigen Selbst, und was von ihm lange in der
Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufälle.


[2]

Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor
meinem letzten Gipfel und vor dem, was mir am
längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg
muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste
Wanderung!


Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen
Stunde nicht: der Stunde, die zu ihm redet: „Jetzo erst
gehst du deinen Weg der Grösse! Gipfel und Abgrund
— das ist jetzt in Eins beschlossen!


Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine
letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr
hiess!


Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun
dein bester Muth sein, dass es hinter dir keinen Weg
mehr giebt!


Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir
Keiner nachschleichen! Dein Fuss selber löschte hinter
dir den Weg aus, und über ihm steht geschrieben:
Unmöglichkeit.


Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so
musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu
steigen: wie wolltest du anders aufwärts steigen?


Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein
eigenes Herz! Jetzt muss das Mildeste an dir noch
zum Härtesten werden.


Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt
zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was
hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und
Honig — fliesst!


Von sich absehn lernen ist nöthig, um Viel zu
sehn: — diese Härte thut jedem Berge-Steigenden Noth.


[3]

Wer aber mit den Augen zudringlich ist als
Erkennender, wie sollte der von allen Dingen mehr
als ihre vorderen Gründe sehn!


Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge
Grund schaun und Hintergrund: so musst du schon
über dich selber steigen, — hinan, hinauf, bis du auch
deine Sterne noch unter dir hast!


Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf
meine Sterne: das erst hiesse mir mein Gipfel, das
blieb mir noch zurück als mein letzter Gipfel! —“


Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit
harten Sprüchlein sein Herz tröstend: denn er war
wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als
er auf die Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag
das andere Meer vor ihm ausgebreitet: und er stand
still und schwieg lange. Die Nacht aber war kalt in
dieser Höhe und klar und hellgestirnt.


Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit
Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine
letzte Einsamkeit.


Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach,
diese schwangere nächtliche Verdrossenheit! Ach,
Schicksal und See! Zu euch muss ich nun hinab
steigen!


Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor
meiner längsten Wanderung: darum muss ich erst
tiefer hinab als ich jemals stieg:


— tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals
stieg, bis hinein in seine schwärzeste Fluth! So will es
mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit.


1 *[4]

Woher kommen die höchsten Berge? so fragte
ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere
kommen.


Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und
in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss
das Höchste zu seiner Höhe kommen. —


Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges,
wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Meeres
kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da
war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger
als noch zuvor.


Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das
Meer schläft. Schlaftrunken und fremd blickt sein
Auge nach mir.


Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich
fühle auch, dass es träumt. Es windet sich träumend
auf harten Kissen.


Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Er¬
innerungen! Oder bösen Erwartungen?


Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Un¬
geheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen.


Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat!
Gerne, wahrlich, möchte ich dich von bösen Träumen
erlösen! —


Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit
Schwermuth und Bitterkeit über sich selber. „Wie!
Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost
singen?


Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Ver¬
[5] trauens-Überseliger! Aber so warst du immer: immer
kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren.


Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein
Hauch warmen Athems, ein Wenig weiches Gezottel
an der Tatze —: und gleich warst du bereit, es zu
lieben und zu locken.


Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die
Liebe zu Allem, wenn es nur lebt! Zum Lachen ist
wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in
der Liebe! —


Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum
andern Male: da aber gedachte er seiner verlassenen
Freunde —, und wie als ob er sich mit seinen Ge¬
danken an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob
seiner Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der
Lachende weinte: — vor Zorn und Sehnsucht weinte
Zarathustra bitterlich.

[6]

Vom Gesicht und Räthsel.


I.

Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde,
dass Zarathustra auf dem Schiffe sei, — denn es war
ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der
von den glückseligen Inseln kam — da entstand eine
grosse Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra
schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Traurig¬
keit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen
antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that
er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg:
denn es gab viel Seltsames und Gefährliches auf
diesem Schiffe anzuhören, welches weither kam und
noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein
Freund aller Solchen, die weite Reisen thun und
nicht ohne Gefahr leben mögen. Und siehe! zuletzt
wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, und
das Eis seines Herzens brach: — da begann er also
zu reden:


 

Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer
je sich mit listigen Segeln auf furchtbare Meere
einschiffte, —


euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-
Frohen, deren Seele mit Flöten zu jedem Irr-Schlunde
gelockt wird:
[7] — denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem
Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, da
hasst ihr es, zu erschliessen


euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich sah,
— das Gesicht des Einsamsten. —


Düster gieng ich jüngst durch leichenfarbne Däm¬
merung, — düster und hart, mit gepressten Lippen.
Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.


Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein bos¬
hafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr
zusprach: ein Berg-Pfad knirschte unter dem Trotz
meines Fusses.


Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln
schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess:
also zwang mein Fuss sich aufwärts.


Aufwärts: — dem Geiste zum Trotz, der ihn ab¬
wärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere,
meinem Teufel und Erzfeinde.


Aufwärts: — obwohl er auf mir sass, halb Zwerg,
halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr,
Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd.


„Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um
Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch,
aber jeder geworfene Stein muss — fallen!


Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du
Schleuderstein, du Stern-Zertrümmerer! Dich selber
warfst du so hoch, — aber jeder geworfene Stein —
muss fallen!


Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steini¬
gung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, —
aber auf dich wird er zurückfallen!“


[8]

Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange.
Sein Schweigen aber drückte mich; und solchermaassen
zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem!


Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte, —
aber Alles drückte mich. Einem Kranken glich ich, den
seine schlimme Marter müde macht, und den wieder
ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. —


Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse:
das schlug bisher mir jeden Unmuth todt. Dieser
Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen:
„Zwerg! Du! Oder ich!“ —


Muth nämlich ist der beste Todtschläger, —
Muth, welcher angreift: denn in jedem Angriffe ist
klingendes Spiel.


Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit
überwand er jedes Thier. Mit klingendem Spiele
überwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz
aber ist der tiefste Schmerz.


Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an
Abgründen: und wo stünde der Mensch nicht an Ab¬
gründen! Ist Sehen nicht selber — Abgründe sehen?


Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt
auch das Mitleiden todt. Mitleiden aber ist der tiefste
Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so
tief sieht er auch in das Leiden.


Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der an¬
greift: der schlägt noch den Tod todt, denn er spricht:
„War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!“


In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel.
Wer Ohren hat, der höre. —

[9]

2.

„Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich
aber bin der Stärkere von uns Beiden —: du kennst
meinen abgründlichen Gedanken nicht! Den — könn¬
test du nicht tragen!“ —


Da geschah, was mich leichter machte: denn der
Zwerg sprang mir von der Schulter, der Neugierige!
Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es
war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten.


„Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter:
der hat zwei Gesichter. Zwei Wege kommen hier zu¬
sammen: die gieng noch Niemand zu Ende.


Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewig¬
keit. Und jene lange Gasse hinaus — das ist eine
andre Ewigkeit.


Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen
sich gerade vor den Kopf: — und hier, an diesem
Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der
Name des Thorwegs steht oben geschrieben: „Augen¬
blick“.


Aber wer Einen von ihnen weiter gienge — und
immer weiter und immer ferner: glaubst du, Zwerg,
dass diese Wege sich ewig widersprechen?“ —


„Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der
Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist
ein Kreis.“


„Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache
dir es nicht zu leicht! Oder ich lasse dich hocken,
wo du hockst, Lahmfuss, — und ich trug dich hoch!


Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von
[10] diesem Thorwege Augenblick läuft eine lange ewige
Gasse rückwärts: hinter uns liegt eine Ewigkeit.


Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen,
schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muss nicht,
was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal
geschehn, gethan, vorübergelaufen sein?


Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst
du Zwerg von diesem Augenblick? Muss auch dieser
Thorweg nicht schon — dagewesen sein?


Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge ver¬
knotet, dass dieser Augenblick alle kommenden
Dinge nach sich zieht? Also — — sich selber noch?


Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch
in dieser langen Gasse hinausmuss es einmal
noch laufen! —


Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine
kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und
du im Thorwege, zusammenflüsternd, von ewigen
Dingen flüsternd — müssen wir nicht Alle schon da¬
gewesen sein?


— und wiederkommen und in jener anderen Gasse
laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen
Gasse — müssen wir nicht ewig wiederkommen? —


Also redete ich, und immer leiser: denn ich
fürchtete mich vor meinen eignen Gedanken und
Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen Hund
nahe heulen.


Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein
Gedanke lief zurück. Ja! Als ich Kind war, in
fernster Kindheit:


— da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah
[11] ihn auch, gesträubt, den Kopf nach Oben, zitternd,
in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster
glauben:


— also dass es mich erbarmte. Eben nämlich
gieng der volle Mond, todtschweigsam, über das Haus,
eben stand er still, eine runde Gluth, — still auf
flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: —


darob entsetzte sich damals der Hund: denn
Hunde glauben an Diebe und Gespenster. Und als ich
wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich abermals.


Wohin war jetzt Zwerg? Und Thorweg? Und
Spinne? Und alles Flüstern? Träumte ich denn?
Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich
mit Einem Male, allein, öde, im ödesten Mondscheine.


Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund,
springend, gesträubt, winselnd, — jetzt sah er mich
kommen — da heulte er wieder, da schrie er: —
hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein?


Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich
nie. Einen jungen Hirten sah ich, sich windend,
würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine
schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng.


Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf
Einem Antlitze? Er hatte wohl geschlafen? Da kroch
ihm die Schlange in den Schlund — da biss sie
sich fest.


Meine Hand riss die Schlange und riss: — um¬
sonst! sie riss die Schlange nicht aus dem Schlunde.
Da schrie es aus mir: „Beiss zu! Beiss zu!


Den Kopf ab! Beiss zu!“ — so schrie es aus mir,
mein Grauen, mein Hass, mein Ekel, mein Erbarmen,
[12] all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei
aus mir. —


Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und
wer von euch mit listigen Segeln sich in unerforschte
Meere einschiffte! Ihr Räthsel-Frohen!


So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals
schaute, so deutet mir doch das Gesicht des Ein¬
samsten!


Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: —
was sah ich damals im Gleichnisse? Und wer ist,
der einst noch kommen muss?


Wer ist der Hirt, dem also die Schlange in den
Schlund kroch? Wer ist der Mensch, dem also alles
Schwerste, Schwärzeste in den Schlund kriechen wird?


— Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth;
er biss mit gutem Bisse! Weit weg spie er den Kopf
der Schlange —: und sprang empor. —


Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, — ein Ver¬
wandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte! Niemals
noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte!


Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines
Menschen Lachen war, — — und nun frisst ein Durst
an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.


Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an
mir: oh wie ertrage ich noch zu leben! Und wie er¬
trüge ich's, jetzt zu sterben! —


Also sprach Zarathustra.

[13]

Von der Seligkeit wider Willen.

Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen
fuhr Zarathustra über das Meer. Als er aber vier
Tagereisen fern war von den glückseligen Inseln und
von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz
überwunden —: siegreich und mit festen Füssen stand
er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete
Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen:


Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit
reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ist
Nachmittag um mich.


Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst
meine Freunde, des Nachmittags auch zum anderen
Male: — zur Stunde, da alles Licht stiller wird.


Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen
Himmel und Erde, das sucht sich nun zur Herberge
noch eine lichte Seele: vor Glück ist alles Licht
jetzt stiller worden.


Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch
mein Glück zu Thale, dass es sich eine Herberge
suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen.


Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht
hin, dass ich Eins hätte: diese lebendige Pflanzung
meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner höchsten
Hoffnung!


[14]

Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder
seiner Hoffnung: und siehe, es fand sich, dass er sie
nicht finden könne, es sei denn, er schaffe sie
selber erst.


Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen
Kindern gehend und von ihnen kehrend: um seiner
Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden.


Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind
und Werk; und wo grosse Liebe zu sich selber ist, da
ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich's.


Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten
Frühlinge, nahe bei einander stehend und gemeinsam
von Winden geschüttelt, die Bäume meines Gartens
und besten Erdreichs.


Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander
stehn, da sind glückselige Inseln!


Aber einstmals will ich sie ausheben und einen
Jeden für sich allein stellen: dass er Einsamkeit lerne
und Trotz und Vorsicht.


Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte
soll er mir dann am Meere dastehn, ein lebendiger
Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens.


Dort, wo die Stürme hinab in's Meer stürzen, und
des Gebirgs Rüssel Wasser trinkt, da soll ein Jeder
einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, seiner
Prüfung und Erkenntniss.


Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob
er meiner Art und Abkunft ist,— ob er eines langen
Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet,
und nachgebend also, dass er im Geben nimmt: —


— dass er einst mein Gefährte werde und ein
[15] Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustra's —: ein
Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln
schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung.


Und um seinetwillen und seines Gleichen muss
ich selber mich vollenden: darum weiche ich jetzt
meinem Glücke aus und biete mich allem Unglücke
an — zu meiner letzten Prüfung und Erkenntniss.


Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gieng; und des
Wanderers Schatten und die längste Weile und die
stillste Stunde — alle redeten mir zu: „es ist höchste Zeit!“


Der Wind blies mir durch's Schlüsselloch und
sagte „Komm!“ Die Thür sprang mir listig auf und
sagte „Geh!“


Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen
Kindern: das Begehren legte mir diese Schlinge, das
Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute
würde und mich an sie verlöre.


Begehren — das heisst mir schon: mich verloren
haben. Ich habe euch, meine Kinder! In diesem
Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein.


Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf
mir, im eignen Safte kochte Zarathustra, — da flogen
Schatten und Zweifel über mich weg.


Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: „oh
dass Frost und Winter mich wieder knacken und
knirschen machten!“ seufzte ich: — da stiegen eisige
Nebel aus mir auf.


Meine Vergangenheit brach ihre Gräber, manch
lebendig begrabner Schmerz wachte auf —: ausge¬
schlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-
Gewänder.


[16]

Also rief mir Alles in Zeichen zu: „es ist Zeit!“
Aber ich — hörte nicht: bis endlich mein Abgrund
sich rührte und mein Gedanke mich biss.


Ach, abgründlicher Gedanke, der du mein Ge¬
danke bist! Wann finde ich die Stärke, dich graben
zu hören und nicht mehr zu zittern?


Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn
ich dich graben höre! Dein Schweigen noch will mich
würgen, du abgründlich Schweigender!


Noch wagte ich niemals, dich herauf zu rufen:
genug schon, dass ich dich mit mir — trug! Noch
war ich nicht stark genug zum letzten Löwen-Übermuthe
und -Muthwillen.


Genug des Furchtbaren war mir immer schon
deine Schwere: aber einst soll ich noch die Stärke
finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf ruft!


Wenn ich mich dessen erst überwunden habe,
dann will ich mich auch des Grösseren noch über¬
winden; und ein Sieg soll meiner Vollendung Siegel
sein! —


Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren;
der Zufall schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts
und rückwärts schaue ich —, noch schaue ich kein
Ende.


Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes
nicht, — oder kommt sie wohl mir eben? Wahrlich,
mit tückischer Schönheit schaut mich rings Meer und
Leben an!


Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor
Abend! Oh Hafen auf hoher See! Oh Friede im Un¬
gewissen! Wie misstraue ich euch Allen!


[17]

Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische
Schönheit! Dem Liebenden gleiche ich, der allzu¬
sammtenem Lächeln misstraut.


Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich
noch in seiner Härte, der Eifersüchtige —, also stosse
ich diese selige Stunde vor mir her.


Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam
mir eine Seligkeit wider Willen! Willig zu meinem
tiefsten Schmerze stehe ich hier: — zur Unzeit kamst du!


Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm
Herberge dort — bei meinen Kindern! Eile! und
segne sie vor Abend noch mit meinem Glücke!


Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt.
Dahin — mein Glück! —


Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein
Unglück die ganze Nacht: aber er wartete umsonst.
Die Nacht blieb hell und still, und das Glück selber
kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen
aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte
spöttisch: „das Glück läuft mir nach. Das kommt
davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das
Glück aber ist ein Weib.“


2
[18]

Vor Sonnen-Aufgang.


Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du
Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor
göttlichen Begierden.


In deine Höhe mich zu werfen — das ist meine
Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen — das ist
meine Unschuld!


Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst
du deine Sterne. Du redest nicht: so kündest du
mir deine Weisheit.


Stumm über brausendem Meere bist du heut mir
aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet
Offenbarung zu meiner brausenden Seele.


Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine
Schönheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar
in deiner Weisheit:


Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner
Seele! Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Ein¬
samsten.


Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram
und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne
ist uns gemeinsam.


Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles
wissen —: wir schweigen uns an, wir lächeln uns
unser Wissen zu.


[19]

Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast
du nicht die Schwester-Seele zu meiner Einsicht?


Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten
wir über uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos
lächeln: —


— wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und
aus meilenweiter Ferne, wenn unter uns Zwang und
Zweck und Schuld wie Regen dampfen.


Und wanderte ich allein: wes hungerte meine
Seele in Nächten und Irr-Pfaden? Und stieg ich
Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich, auf
Bergen?


Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine
Noth war's nur und ein Behelf des Unbeholfenen: —
fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein
fliegen!


Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken
und Alles, was dich befleckt? Und meinen eignen
Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte!


Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen
schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen dir und mir,
was uns gemein ist, — das ungeheure unbegrenzte
Ja- und Amen-sagen.


Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den
ziehenden Wolken: diesen Halb- und Halben, welche
weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen.


Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel
in der Tonne sitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund
sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken be¬
fleckt sehn!


Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz¬
2*[20] Golddrähten festzuheften, dass ich, gleich dem Donner,
auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schlüge: —


— ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein
Ja! und Amen! rauben, du Himmel über mir, du
Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! — weil sie dir
mein Ja! und Amen! rauben.


Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und
Wetter-Flüche, als diese bedächtige zweifelnde Katzen-
Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten
alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde,
zögernde Zieh-Wolken.


Und „wer nicht segnen kann, der soll fluchen
lernen!“ — diese helle Lehre fiel mir aus hellem
Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen
Nächten an meinem Himmel.


Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager,
wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du
Licht-Abgrund! — in alle Abgründe trage ich da noch
mein segnendes Ja-sagen.


Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja¬
sagenden: und dazu rang ich lange und war ein
Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum
Segnen.


Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding
als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach,
seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig
ist, wer also segnet!


Denn alle Dinge sind getauft am Borne der
Ewigkeit und jenseits von Gut und Böse; Gut und
Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte
Trübsale und Zieh-Wolken.


[21]

Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern,
wenn ich lehre: „über allen Dingen steht der Himmel
Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr,
der Himmel Übermuth.“


„Von Ohngefähr“ — das ist der älteste Adel der
Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste
sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.


Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich
gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass
über ihnen und durch sie kein „ewiger Wille“ — will.


Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich
an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: „bei Allem
ist Eins unmöglich — Vernünftigkeit!“


Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weis¬
heit zerstreut von Stern zu Stern, — dieser Sauerteig
ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen
ist Weisheit allen Dingen eingemischt!


Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese
selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie
lieber noch auf den Füssen des Zufalls — tanzen.


Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist
mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-
Spinne und -Spinnennetze giebt: —


— dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche
Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche
Würfel und Würfelspieler! —


Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares?
Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?


Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich
erröthen machte? — Heissest du mich gehn und
schweigen, weil nun — der Tag kommt?


[22]

Die Welt ist tief —: und tiefer als je der Tag
gedacht hat. Nicht Alles darf vor dem Tage Worte
haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun!


Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender!
Oh du mein Glück vor Sonnen-Aufgang! Der Tag
kommt: so scheiden wir nun! —


Also sprach Zarathustra.

[23]

Von der verkleinernden Tugend.

I.

Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war,
gieng er nicht stracks auf sein Gebirge und seine
Höhle los, sondern that viele Wege und Fragen und
erkundete diess und das, also, dass er von sich selber
im Scherze sagte: „siehe einen Fluss, der in vielen
Windungen zurück zur Quelle fliesst!“ Denn er wollte
in Erfahrung bringen, was sich inzwischen mit dem
Menschen
zugetragen habe: ob er grösser oder
kleiner geworden sei. Und Ein Mal sah er eine Reihe
neuer Häuser; da wunderte er sich und sagte:


Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine
grosse Seele stellte sie hin, sich zum Gleichnisse!


Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spiel¬
schachtel? Dass doch ein anderes Kind sie wieder in
seine Schachtel thäte!


Und diese Stuben und Kammern: können Männer
da aus- und eingehen? Gemacht dünken sie mich für
Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die auch wohl
an sich naschen lassen.


Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach.
Endlich sagte er betrübt: „Es ist Alles kleiner
geworden!“
[24] Überall sehe ich niedrigere Thore: wer meiner
Art ist, geht da wohl noch hindurch, aber — er muss
sich bücken!


Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo
ich mich nicht mehr bücken muss — nicht mehr bücken
muss vor den Kleinen!“ — Und Zarathustra seufzte
und blickte in die Ferne. —


Desselbigen Tages aber redete er seine Rede
über die verkleinernde Tugend.

2.

Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen
offen: sie vergeben mir es nicht, dass ich auf ihre
Tugenden nicht neidisch bin.


Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage:
für kleine Leute sind kleine Tugenden nöthig — und
weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute nöthig sind!


Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Ge¬
höfte, nach dem auch die Hennen beissen; doch darob
bin ich diesen Hennen nicht ungut.


Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine
Aergerniss; gegen das Kleine stachlicht zu sein dünkt
mich eine Weisheit für Igel.


Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's
Feuer sitzen, — sie reden von mir, aber Niemand
denkt — an mich!


Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm
um mich breitet einen Mantel über meine Gedanken.


Sie lärmen unter einander: „was will uns diese
düstere Wolke? sehen wir zu, dass sie uns nicht eine
Seuche bringe!“
[25] Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das
zu mir wollte: „nehmt die Kinder weg! schrie es;
solche Augen versengen Kinder-Seelen.“


Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten
sei ein Einwand gegen starke Winde, — sie errathen
Nichts vom Brausen meines Glückes!


„Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra“ —
so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die
für Zarathustra „keine Zeit hat“?


Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl
auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist
mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.


Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende
stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will
er mehr beschenkt sein!


Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-
Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und
Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.


Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und
loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie
meinen Fuss überreden.


Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen
offen: sie sind kleiner geworden und werden immer
kleiner: — das aber macht ihre Lehre von
Glück und Tugend
.


Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden
— denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber ver¬
trägt sich nur die bescheidene Tugend.


Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und
Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln —.
Damit werden sie Jedem zum Anstosse, der Eile hat.


[26]

Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt
dabei zurück, mit versteiftem Nacken: dem renne ich
gern wider den Leib.


Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich
einander Lügen strafen. Aber es ist viel Lügnerei bei
den kleinen Leuten.


Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden
nur gewollt. Einige von ihnen sind ächt, aber die
Meisten sind schlechte Schauspieler.


Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen
und Schauspieler wider Willen —, die Ächten sind
immer selten, sonderlich die ächten Schauspieler.


Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen
sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist,
wird im Weibe das Weiberlösen.


Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am
schlimmsten: dass auch Die, welche befehlen, die
Tugenden Derer heucheln, welche dienen.


„Ich diene, du dienst, wir dienen“ — so betet
hier auch die Heuchelei der Herrschenden, — und
wehe, wenn der erste Herr nur der erste Diener ist!


Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl
meines Auges Neugier; und gut errieth ich all ihr
Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte Fenster¬
scheiben.


Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel
Gerechtigkeit und Mitleiden, soviel Schwäche.


Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander,
wie Sandkörnchen rund, rechtlich und gütig mit Sand¬
körnchen sind.


Bescheiden ein kleines Glück umarmen — das
[27] heissen sie „Ergebung“! und dabei schielen sie be¬
scheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.


Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am
meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen
sie Jedermann zuvor und thun ihm wohl.


Diess aber ist Feigheit: ob es schon „Tugend“
heisst. —


Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen
Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, — jeder
Windzug nämlich macht sie heiser.


Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger.
Aber ihnen fehlen die Fäuste; ihre Finger wissen
nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.


Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm
macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und
den Menschen selber zu des Menschen bestem Haus¬
thiere.


„Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte — das
sagt mir ihr Schmunzeln — und ebenso weit weg von
sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.“


Diess aber ist — Mittelmässigkeit: ob es schon
Mässigkeit heisst. —

3.

Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort
fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu be¬
halten.


Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste
und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch
nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!


Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre
[28] Klugheit noch zu witzigen und zu spitzigen: als ob
sie noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren
Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt!


Und wenn ich rufe: „Flucht allen feigen Teufeln
in euch, die gerne winseln und Hände falten und
anbeten möchten“: so rufen sie: „Zarathustra ist
gottlos“.


Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Er¬
gebung —; aber gerade ihnen liebe ich's, in das Ohr
zu schrein: Ja! Ich bin Zarathustra, der Gottlose!


Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es
klein und krank und grindig ist, kriechen sie, gleich
Läusen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken.


Wohlan! Diess ist meine Predigt für ihre Ohren:
ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht „wer
ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unter¬
weisung freue?“


Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich
Meines-Gleichen? Und alle Die sind Meines-Gleichen,
die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung
von sich abthun.


Ich bin Zarathustra der Gottlose: ich koche mir
noch jeden Zufall in meinem Topfe. Und erst, wenn
er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als
meine Speise.


Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu
mir: aber herrischer noch sprach zu ihm mein Wille,
— da lag er schon bittend auf den Knieen —


— bittend, dass er Herberge finde und Herz bei
mir, und schmeichlerisch zuredend: „sieh doch, oh
Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!“ —


[29]

Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren
hat! Und so will ich es hinaus in alle Winde rufen:


Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr
bröckelt ab, ihr Behaglichen! Ihr geht mir noch zu
Grunde —


— an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem
vielen kleinen Unterlassen, an eurer vielen kleinen
Ergebung!


Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer
Erdreich! Aber dass ein Baum gross werde, dazu
will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen!


Auch was ihr unterlasst, webt am Gewebe aller
Menschen-Zukunft; auch euer Nichts ist ein Spinnen¬
netz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt.


Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr
kleinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen
spricht die Ehre: „man soll nur stehlen, wo man
nicht rauben kann.“


„Es giebt sich“ — das ist auch eine Lehre der Er¬
gebung. Aber ich sage euch, ihr Behaglichen: es nimmt
sich
und wird immer mehr noch von euch nehmen!


Ach, dass ihr alles halbe Wollen von euch ab¬
thätet und entschlossen würdet zur Trägheit wie zur That!


Ach, dass ihr mein Wort verstündet: „thut immer¬
hin, was ihr wollt, — aber seid erst Solche, die wollen
können
!“


„Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch, —
aber seid mir erst Solche, die sich selber lieben


— mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen
Verachtung lieben!“ Also spricht Zarathustra, der
Gottlose. —


[30]

Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren
hat! Es ist hier noch eine Stunde zu früh für mich.


Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke,
mein eigner Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen.


Aber ihre Stunde kommt! Und es kommt auch
die meine! Stündlich werden sie kleiner, ärmer, un¬
fruchtbarer, — armes Kraut! armes Erdreich!


Und bald sollen sie mir dastehn wie dürres Gras
und Steppe, und wahrlich! ihrer selber müde — und
mehr, als nach Wasser, nach Feuer lechzend!


Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss
vor Mittag! — Laufende Feuer will ich einst noch
aus ihnen machen und Verkünder mit Flammen-
Zungen: —


— verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-
Zungen: Er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!


Also sprach Zarathustra.

[31]

Auf dem Oelberge.


Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu
Hause; blau sind meine Hände von seiner Freundschaft
Händedruck.


Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse
gerne ihn allein sitzen. Gerne laufe ich ihm davon;
und, läuft man gut, so entläuft man ihm!


Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe
ich dorthin, wo der Wind stille steht, — zum Sonnen-
Winkel meines Oelbergs.


Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin
ihm noch gut, dass er zu Hause mir die Fliegen weg¬
fängt und vielen kleinen Lärm stille macht.


Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke
singen will, oder gar zwei; noch die Gasse macht er
einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich fürchtet.


Ein harter Gast ist er, — aber ich ehre ihn, und
nicht bete ich, gleich den Zärtlingen, zum dick¬
bäuchichten Feuer-Götzen.


Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen
anbeten! — so will's meine Art. Und sonderlich bin
ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen Feuer-
Götzen gram.


[32]

Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als
Sommers; besser spotte ich jetzt meiner Feinde und
herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt.


Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu
Bett krieche —: da lacht und muthwillt noch mein
verkrochenes Glück; es lacht noch mein Lügen-Traum.


Ich ein — Kriecher? Niemals kroch ich im Leben
vor Mächtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe.
Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette.


Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches,
denn ich bin eifersüchtig auf meine Armuth. Und im
Winter ist sie mir am treuesten.


Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte
des Winters mit einem kalten Bade: darob brummt
mein gestrenger Hausfreund.


Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein:
dass er mir endlich den Himmel herauslasse aus asch¬
grauer Dämmerung.


Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens:
zur frühen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt
und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern: —


Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der
lichte Himmel aufgehe, der schneebärtige Winter-
Himmel, der Greis und Weisskopf, —


— der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft
noch seine Sonne verschweigt!


Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schwei¬
gen? Oder lernte er's von mir? Oder hat ein Jeder
von uns es selbst erfunden?


Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig, —
alle guten muthwilligen Dinge springen vor Lust
[33] in's Dasein: wie sollten sie das immer nur — Ein
Mal thun!


Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange
Schweigen und gleich dem Winter-Himmel blicken
aus lichtem rundäugichten Antlitze: —


— gleich ihm seine Sonne verschweigen und
seinen unbeugsamen Sonnen-Willen: wahrlich, diese
Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich gut!


Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein
Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu ver¬
rathen.


Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich
mir die feierlichen Warter: allen diesen gestrengen
Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschlüpfen.


Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten
Willen hinab sehe, — dazu erfand ich mir das lange
lichte Schweigen.


So manchen Klugen fand ich: der verschleierte
sein Antlitz und trübte sein Wasser, dass Niemand
ihm hindurch und hinunter sehe.


Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Miss¬
trauer und Nussknacker: ihm gerade fischte man seinen
verborgensten Fisch heraus!


Sondern die Hellen, die Wackern, die Durch¬
sichtigen — das sind mir die klügsten Schweiger:
denen so tief ihr Grund ist, dass auch das hellste
Wasser ihn nicht — verräth. —


Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel,
du rundäugichter Weisskopf über mir! Oh du himm¬
lisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muth¬
willens!


3[34]

Und muss ich mich nicht verbergen, gleich
Einem, der Gold verschluckt hat, — dass man mir nicht
die Seele aufschlitze?


Muss ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine
langen Beine übersehen, — alle diese Neidbolde
und Leidholde, die um mich sind?


Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten,
vergrünten, vergrämelten Seelen — wie könnte ihr
Neid mein Glück ertragen!


So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter
auf meinen Gipfeln — und nicht, dass mein Berg
noch alle Sonnengürtel um sich schlingt!


Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und
nicht, dass ich auch über warme Meere fahre, gleich
sehnsüchtigen, schweren, heissen Südwinden.


Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle:
— aber mein Wort heisst: „lasst den Zufall zu mir
kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!“


Wie könnten sie mein Glück ertragen, wenn ich
nicht Unfälle und Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen
und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück legte!


— wenn ich mich nicht selbst ihres Mitleids er¬
barmte: des Mitleids dieser Neidbolde und Leidholde!


— wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und
frostklapperte und mich geduldsam in ihr Mitleid
wickeln liesse!


Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner
Seele, dass sie ihren Winter und ihre Froststürme nicht
verbirgt
; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen nicht.


Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken;
des Andern Einsamkeit die Flucht vor den Kranken.


[35]

Mögen sie mich klappern und seufzen hören vor
Winterkälte, alle diese armen scheelen Schelme um
mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper flüchte ich
noch vor ihren geheizten Stuben.


Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob
meiner Frostbeulen: „am Eis der Erkenntniss erfriert
er uns noch!“ — so klagen sie.


Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz
und quer auf meinem Oelberge: im Sonnen-Winkel
meines Oelberges singe und spotte ich alles Mitleids. —


Also sang Zarathustra.


3*
[36]

Vom Vorübergehen.

Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam
hindurchschreitend, gieng Zarathustra auf Umwegen
zurück zu seinem Gebirge und seiner Höhle. Und
siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor
der grossen Stadt: hier aber sprang ein schäumender
Narr mit ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat
ihm in den Weg. Diess aber war der selbige Narr,
welchen das Volk „den Affen Zarathustra's“ hiess:
denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede
abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze
seiner Weisheit. Der Narr aber redete also zu Zara¬
thustra:


Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier
hast du Nichts zu suchen und Alles zu verlieren.


Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten?
Habe doch Mitleiden mit deinem Fusse! Speie lieber
auf das Stadtthor und — kehre um!


Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier
werden grosse Gedanken lebendig gesotten und klein
gekocht.


Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen
nur klapperdürre Gefühlchen klappern!


Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und
Garküchen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom
Dunst geschlachteten Geistes?


[37]

Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe
schmutzige Lumpen? — Und sie machen noch Zeitungen
aus diesen Lumpen!


Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel
wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! —
Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-
Spülicht.


Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie
erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klim¬
pern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.


Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei ge¬
brannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle
bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig
an öffentlichen Meinungen.


Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber
es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel an¬
stellige angestellte Tugend: —


Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und
hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen
Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern.


Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel
gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor
dem Gott der Heerschaaren.


„Von Oben“ her träufelt ja der Stern und der
gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder
sternenlose Busen.


Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine
Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt,
betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.


„Ich diene, du dienst, wir dienen“ — so betet
alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der
[38] verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen
hefte!


Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische:
so dreht sich auch der Fürst noch um das Aller-
Irdischste —: das aber ist das Gold der Krämer.


Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Gold¬
barren; der Fürst denkt, aber der Krämer — lenkt!


Bei Allem, was licht und stark und gut in dir
ist, oh Zarathustra! Speie auf diese Stadt der Krämer
und kehre um!


Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und
schaumicht durch alle Adern: speie auf die grosse
Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Ab¬
schaum zusammenschäumt!


Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und
schmalen Brüste, der spitzen Augen, der klebrigen
Finger —


— auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unver¬
schämten, der Schreib- und Schreihälse, der über¬
heizten Ehrgeizigen: —


— wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne,
Düstere, Übermürbe, Geschwürige, Verschwörerische
zusammenschwärt: —


— speie auf die grosse Stadt und kehre um!“ — —


 

Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden
Narren und hielt ihm den Mund zu.


„Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt
lange schon deiner Rede und deiner Art!


Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du
selber zum Frosch und zur Kröte werden musstest?


[39]

Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schau¬
michtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also
quaken und lästern lerntest?


Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest
die Erde? Ist das Meer nicht voll von grünen Eilanden?


Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich
warntest, — warum warntest du dich nicht selber?


Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und
mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem
Sumpfe! —


Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr:
aber ich heisse dich mein Grunze-Schwein, — durch
Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.


Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte?
Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: —
darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass
du Grund hättest viel zu grunzen, —


— dass du Grund hättest zu vieler Rache! Rache
nämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen, ich
errieth dich wohl!


Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst,
wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra's Wort
sogar hundert Mal Recht hätte: du würdest mit
meinem Wort immer — Unrecht thun!“


Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse
Stadt an, seufzte und schwieg lange. Endlich redete
er also:


Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht
nur dieses Narren. Hier und dort ist Nichts zu bessern,
Nichts zu bösern.


[40]

Wehe dieser grossen Stadt! — Und ich wollte, ich
sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt wird!


Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen
Mittage vorangehn. Doch diess hat seine Zeit und sein
eigenes Schicksal. —


Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Ab¬
schiede: wo man nicht mehr lieben kann, da soll man
vorübergehn! —


Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren
und der grossen Stadt vorüber.

[41]

Von den Abtrünnigen.

1.

Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch
jüngst auf dieser Wiese grün und bunt stand? Und
wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in
meine Bienenkörbe!


Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden,


— und nicht alt einmal! nur müde, gemein, bequem:


— sie heissen es „wir sind wieder fromm geworden.“


Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen
Füssen hinauslaufen: aber ihre Füsse der Erkenntniss
wurden müde, und nun verleumden sie auch noch ihre
Morgen-Tapferkeit!


Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine
wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in meiner
Weisheit: — da besann er sich. Eben sah ich ihn
krumm — zum Kreuze kriechen.


Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich
Mücken und jungen Dichtern. Ein Wenig älter, ein
Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler und Munkler
und Ofenhocker.


Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich
die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische?
[42] Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange umsonst
nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen?


— Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren
Herz einen langen Muth und Übermuth hat; und
solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest
aber ist feige.


Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der
Alltag, der Überfluss, die Viel-zu-Vielen — diese alle
sind feige! —


Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erleb¬
nisse meiner Art über den Weg laufen: also, dass
seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser
sein müssen.


Seine zweiten Gesellen aber — die werden sich
seine Gläubigen heissen: ein lebendiger Schwarm
viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige Verehrung.


An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz
binden, wer meiner Art unter Menschen ist; an diese
Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer
die flüchtig-feige Menschenart kennt!


Könnten sie anders, so würden sie auch anders
wollen. Halb- und Halbe verderben alles Ganze.
Dass Blätter welk werden, — was ist da zu klagen!


Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und
klage nicht! Lieber noch blase mit raschelnden Winden
unter sie, —


— blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass
alles Welke schneller noch von dir davonlaufe! —

[43]

2.

„Wir sind wieder fromm geworden“ — so bekennen
diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch
zu feige, also zu bekennen.


Denen sehe ich in's Auge, — denen sage ich es
in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid
Solche, welche wieder beten!


Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für
Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe
sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach,
zu beten!


Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der
gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen
und es bequemer haben möchte: — dieser feige Teufel
redet dir zu „es giebt einen Gott!“


Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art,
denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich
deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!


Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn
eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde
kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feier¬
stunde, wo es nicht — „feiert.“


Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für
Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd,
sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter-
und Leisebeter-Jagd, —


— für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle
Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und
wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nacht¬
falterchen herausgestürzt.


[44]

Hockte es da wohl zusammen mit einem andern
Nachtfalterchen? Denn überall rieche ich kleine ver¬
krochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein giebt,
da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von
Bet-Brüdern.


Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen:
„lasset uns wieder werden wie die Kindlein und „lieber
Gott“ sagen!“ — an Mund und Magen verdorben durch
die frommen Zuckerbäcker.


Oder sie sehen lange Abende einer listigen
lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber
Klugheit predigt und also lehrt: „unter Kreuzen ist
gut spinnen!“


Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an
Sümpfen und glauben sich tief damit; aber wer dort
fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch
nicht einmal oberflächlich!


Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen
bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen
Weibchen in's Herz harfnen möchte: — denn er wurde
der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens.


Oder sie lernen gruseln bei einem gelahrten
Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern wartet, dass
ihm die Geister kommen — und der Geist ganz
davonläuft!


Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr-
und Knurrpfeifer zu, der trüben Winden die Trübsal der
Töne ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und
predigt in trüben Tönen Trübsal.


Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter
geworden: die verstehen jetzt in Hörner zu blasen
[45] und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken,
die lange schon eingeschlafen sind.


Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern
Nachts an der Garten-Mauer: die kamen von solchen
alten betrübten trocknen Nachtwächtern.


„Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine
Kinder: Menschen-Väter thun diess besser!“ —


„Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um
seine Kinder“ — also antwortete der andre Nachtwächter.


Hat er denn Kinder? Niemand kann's beweisen,
wenn er's selber nicht beweist! Ich wollte längst, er
bewiese es einmal gründlich.“


„Beweisen? Als ob Der je Etwas bewiesen hätte!
Beweisen fällt ihm schwer; er hält grosse Stücke
darauf, dass man ihm glaubt.“


„Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube
an ihn. Das ist so die Art alter Leute! So geht's
uns auch!“ —


— Also sprachen zu einander die zwei alten Nacht¬
wächter und Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt
in ihre Hörner: so geschah's gestern Nachts an der
Garten-Mauer.


Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und
wollte brechen und wusste nicht, wohin? und sank
in's Zwerchfell.


Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich
vor Lachen ersticke, wenn ich Esel betrunken sehe
und Nachtwächter also an Gott zweifeln höre.


Ist es denn nicht lange vorbei auch für alle
solche Zweifel? Wer darf noch solche alte eingeschlafne
lichtscheue Sachen aufwecken!


[46]

Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu
Ende: — und wahrlich, ein gutes fröhliches Götter-
Ende hatten sie!


Sie „dämmerten“ sich nicht zu Tode, — das lügt
man wohl! Vielmehr: sie haben sich selber einmal
zu Tode — gelacht!


Das geschah, als das gottloseste Wort von einem
Gotte selber ausgieng, — das Wort: „Es ist Ein Gott!
Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!“ —


— ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger
vergass sich also: —


Und alle Götter lachten damals und wackelten auf
ihren Stühlen und riefen: „Ist das nicht eben Göttlich¬
keit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt?“


Wer Ohren hat, der höre. —


Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte
und welche zubenannt ist „die bunte Kuh.“ Von hier
nämlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass
er wieder in seine Höhle käme und zu seinen Thieren;
seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe
seiner Heimkehr. —

[47]

Die Heimkehr.

Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!
Zu lange lebte ich wild in wilder Fremde, als dass
ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte!


Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter
drohn, nun lächle mir zu, wie Mütter lächeln, nun
sprich nur: „Und wer war das, der wie ein Sturmwind
einst von mir davonstürmte? —


„— der scheidend rief: zu lange sass ich bei der
Einsamkeit, da verlernte ich das Schweigen! Das
— lerntest du nun wohl?


„Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du
unter den Vielen verlassener warst, du Einer, als
je bei mir!


„Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Ein¬
samkeit: Das — lerntest du nun! Und dass du unter
Menschen immer wild und fremd sein wirst:


„— wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben:
denn zuerst von Allem wollen sie geschont sein!


„Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause;
hier kannst du Alles hinausreden und alle Gründe
ausschütten, Nichts schämt sich hier versteckter, ver¬
stockter Gefühle.


„Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner
Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem
[48] Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier
zu jeder Wahrheit.


„Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen
Dingen reden: und wahrlich, wie Lob klingt es ihren
Ohren, dass Einer mit allen Dingen — gerade redet!


„Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst
du' noch, oh Zarathustra? Als damals dein Vogel über
dir schrie, als du im Walde standest, unschlüssig,
wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: —


„— als du sprachst: mögen mich meine Thiere
führen! Gefährlicher fand ich's unter Menschen, als
unter Thieren: — Das war Verlassenheit!


„Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf
deiner Insel sassest, unter leeren Eimern ein Brunnen
Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen
schenkend und ausschenkend:


„— bis du endlich durstig allein unter Trunkenen
sassest und nächtlich klagtest „ist Nehmen nicht seliger
als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?“
Das war Verlassenheit!


„Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine
stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb,
als sie mit bösem Flüstern sprach: „Sprich und
zerbrich!“ —


„— als sie dir all dein Warten und Schweigen
leid machte und deinen demüthigen Muth entmuthigte:
Das war Verlassenheit!“ —


Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!
Wie selig und zärtlich redet deine Stimme zu mir!


Wir fragen einander nicht, wir klagen einander
nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thüren.


[49]

Denn offen ist es bei dir und hell; und auch
die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im
Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als
im Lichte.


Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-
Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles
Werden will hier von mir reden lernen.


Da unten aber — da ist alles Reden umsonst!
Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit:
Das — lernte ich nun!


Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte,
der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu
reinliche Hände.


Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach,
dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem
lebte!


Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um
mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen
Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!


Aber da unten — da redet Alles, da wird Alles
überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken ein¬
läuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit
Pfennigen überklingeln!


Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu
verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr
in tiefe Brunnen.


Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und
kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch
still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?


Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und
was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und
4[50] ihren Zahn: heute hängt es zerschabt und zernagt aus
den Mäulern der Heutigen.


Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und
was einst Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer
Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern und
andern Schmetterlingen.


Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm
auf dunklen Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir:
— meine grösste Gefahr liegt hinter mir!


Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste
Gefahr; und alles Menschenwesen will geschont und
gelitten sein.


Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und
vernarrtem Herzen und reich an kleinen Lügen des
Mitleidens: — also lebte ich immer unter Menschen.


Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu
verkennen, dass ich sie ertrüge, und gern mir zuredend
„du Narr, du kennst die Menschen nicht!“


Man verlernt die Menschen, wenn man unter Men¬
schen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen,
— was sollen da weitsichtige, weit-süchtige Augen!


Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte
sie darob mehr, als mich: gewohnt zur Härte gegen
mich und oft noch an mir selber mich rächend für
diese Schonung.


Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt,
dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass
ich unter ihnen und redete mir noch zu: „unschuldig
ist alles Kleine an seiner Kleinheit!“


Sonderlich Die, welche sich „die Guten“ heissen,
fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller
[51] Unschuld, sie lügen in aller Unschuld; wie ver¬
möchten sie, gegen mich — gerecht zu sein!


Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen.
Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die
Dummheit der Guten nämlich ist unergründlich.


Mich selber verbergen und meinen Reichthum —
das lernte ich da unten: denn Jeden fand ich noch
arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens,
dass ich bei Jedem wusste,


— dass ich Jedem es ansah und anroch, was ihm
Geistes genug und was ihm schon Geistes zuviel war!


Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht
steif, — so lernte ich Worte verschlucken. Ihre Todten¬
gräber: ich hiess sie Forscher und Prüfer, — so lernte
ich Worte vertauschen.


Die Todtengräber graben sich Krankheiten an.
Unter altem Schutte ruhn schlimme Dünste. Man soll
den Morast nicht aufrühren. Man soll auf Bergen leben.


Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-
Freiheit! Erlöst ist endlich meine Nase vom Geruch
alles Menschenwesens!


Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden
Weinen, niest meine Seele, — niest und jubelt sich
zu: Gesundheit!


Also sprach Zarathustra.


4*
[52]

Von den drei Bösen.

I.

Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich
heut auf einem Vorgebirge, — jenseits der Welt,
hielt eine Wage und wog die Welt.


Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die
glühte mich wach, die Eifersüchtige! Eifersüchtig ist
sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen.


Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen
guten Wäger, erfliegbar für [starke] Fittige, errathbar
für göttliche Nüsseknacker: also fand mein Traum die
Welt: —


Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb
Windsbraut, gleich Schmetterlingen schweigsam, un¬
geduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum
Welt-Wägen heute Geduld und Weile!


Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu,
meine lachende wache Tags-Weisheit, welche über
alle „unendliche Welten“ spottet? Denn sie spricht:
„wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meisterin: die hat
mehr Kraft.“


Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche
Welt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend,
nicht bittend: —


[53]

— als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte,
ein reifer Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut:
— so bot sich mir die Welt: —


— als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger,
starkwilliger, gekrümmt zur Lehne und noch zum
Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt auf
meinem Vorgebirge: —


— als ob zierliche Hände mir einen Schrein
entgegentrügen. — einen Schrein offen für das Ent¬
zücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich
mir heute die Welt entgegen: —


— nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon
zu scheuchen, nicht Lösung genug, um Menschen-
Weisheit einzuschläfern: — ein menschlich gutes
Ding war mir heut die Welt, der man so Böses
nachredet!


Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich
also in der Frühe heut die Welt wog! Als ein
menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum
und Herzenströster!


Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein
Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei
bösesten Dinge auf die Wage thun und menschlich
gut abwägen. —


Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen:
welches sind in der Welt die drei bestverfluchten
Dinge? Diese will ich auf die Wage thun.


Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese
Drei wurden bisher am besten verflucht und am
schlimmsten beleu- und belügenmundet, — diese Drei
will ich menschlich gut abwägen.


[54]

Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer:
das wälzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch,
das getreue alte hundertköpfige Hunds-Ungethüm, das
ich liebe.


Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über ge¬
wälztem Meere: und auch einen Zeugen wähle ich,
dass er zusehe, — dich, du Einsiedler-Baum, dich
starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! —


Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt?
Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum
Niederen? Und was heisst auch das Höchste noch —
hinaufwachsen? —


Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere
Fragen warf ich hinein, drei schwere Antworten trägt
die andre Wagschale.

2.

Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr
Stachel und Pfahl, und als „Welt“ verflucht bei allen
Hinterweltlern: denn sie höhnt und narrt alle Wirr-
und Irr-Lehrer.


Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf
dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze,
allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und
Brodel-Ofen.


Wollust: für die freien Herzen unschuldig und
frei, das Garten-Glück der Erde, aller Zukunft Dankes-
Überschwang an das Jetzt.


Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift,
[55] für die Löwen-Willigen aber die grosse Herz¬
stärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der
Weine.


Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres
Glück und höchste Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe
verheissen und mehr als Ehe, —


— Vielem, das fremder sich ist, als Mann und
Weib: — und wer begriff es ganz, wie fremd sich
Mann und Weib sind!


Wollust: — doch ich will Zäune um meine Ge¬
danken haben und auch noch um meine Worte: dass
mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer
brechen! —


Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten
Herzensharten; die grause Marter, die sich dem
Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme
lebendiger Scheiterhaufen.


Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den
eitelsten Völkern aufgesetzt wird; die Verhöhnerin
aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und
jedem Stolze reitet.


Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche
und Höhlichte bricht und aufbricht; die rollende
grollende strafende Zerbrecherin übertünchter Gräber;
das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten.


Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht
und duckt und fröhnt und niedriger wird als Schlange
und Schwein: — bis endlich die grosse Verachtung
aus ihm aufschreit —,


Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen
Verachtung, welche Städten und Reichen in's Antlitz
[56] predigt „Hinweg mit dir!“ — bis es aus ihnen selber
aufschreit „hinweg mit mir!“


Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen
und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Höhen
steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne
Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt.


Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn
das Hohe hinab nach Macht gelüstet! Wahrlich,
nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten
und Niedersteigen!


Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame
und selbst begnüge; dass der Berg zu Thale komme
und die Winde der Höhe zu den Niederungen: —


Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugend¬
namen für solche Sehnsucht! „Schenkende Tugend“
— so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.


Und damals geschah es auch, — und wahrlich,
es geschah zum ersten Male! — dass sein Wort die
Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbst¬
sucht, die aus mächtiger Seele quillt: —


— aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib
gehört, der schöne, sieghafte, erquickliche, um den
herum jedwedes Ding Spiegel wird:


— der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer,
dessen Gleichniss und Auszug die selbst-lustige Seele
ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich
selber: „Tugend.“


Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt
sich solche Selbst-Lust wie mit heiligen Hainen; mit
den Namen ihres Glücks bannt sie von sich alles
Verächtliche.


[57]

Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht:
Schlecht — das ist feige! Verächtlich dünkt ihr der
immer Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer auch
die kleinsten Vortheile aufliest.


Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn,
wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen
blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer
seufzt: „Alles ist eitel!“


Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder,
wer Schwüre statt Blicke und Hände will: auch alle
allzu misstrauische Weisheit, — denn solche ist feiger
Seelen Art.


Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der
Hündische, der gleich auf dem Rücken liegt, der De¬
müthige; und auch Weisheit giebt es, die demüthig
und hündisch und fromm und schnell-gefällig ist.


Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich
wehren will, wer giftigen Speichel und böse Blicke
hinunterschluckt, der Allzu-Geduldige, Alles-Dulder,
Allgenügsame: das nämlich ist die knechtische Art.


Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten
knechtisch ist, ob vor Menschen und blöden Menschen-
Meinungen: alle Knechts-Art speit sie an, diese
selige Selbstsucht!


Schlecht: so heisst sie Alles, was geknickt und
knickerisch-knechtisch ist, unfreie Zwinker-Augen, ge¬
drückte Herzen, und jene falsche nachgebende Art,
welche mit breiten feigen Lippen küsst.


Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte
und Greise und Müde witzeln; und sonderlich die ganze
schlimme aberwitzige, überwitzige Priester-Narrheit!


[58]

Die After-Weisen aber, alle die Priester, Welt¬
müden und wessen Seele von Weibs- und Knechtsart
ist, — oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht
übel mitgespielt!


Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend
heissen, dass man der Selbstsucht übel mitspiele!
Und „selbstlos“ — so wünschten sich selber mit gutem
Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuz¬
spinnen!


Aber denen Allen kommt nun der Tag, die
Wandlung, das Richtschwert, der grosse Mittag:
da soll Vieles offenbar werden!


Und wer das Ich heil und heilig spricht und die
Selbstsucht selig, wahrlich, der spricht auch, was er
weiss, ein Weissager: „Siehe, er kommt, er ist
nahe
, der grosse Mittag!“


Also sprach Zarathustra.

[59]

Vom Geist der Schwere.

1.

Mein Mundwerk — ist des Volks: zu grob und
herzlich rede ich für die Seidenhasen. Und noch
fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und
Feder-Füchsen.


Meine Hand — ist eine Narrenhand: wehe allen
Tischen und Wänden, und was noch Platz hat für
Narren-Zierath, Narren-Schmierath!


Mein Fuss — ist ein Pferdefuss; damit trapple
und trabe ich über Stock und Stein, kreuz- und quer¬
feld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem
schnellen Laufen.


Mein Magen — ist wohl eines Adlers Magen? Denn
er liebt am liebsten Lammfleisch. Gewisslich aber ist
er eines Vogels Magen.


Von unschuldigen Dingen genährt und von
Wenigem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davon¬
zufliegen — das ist nun meine Art: wie sollte nicht
Etwas daran von Vogel-Art sein!


Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind
bin, das ist Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind,
urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon
meine Feindschaft!


[60]

Davon könnte ich schon ein Lied singen — —
und will es singen: ob ich gleich allein in leerem
Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss.


Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das
volle Haus erst ihre Kehle weich, ihre Hand ge¬
sprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz wach: —
Denen gleiche ich nicht. —

2.

Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat
alle Grenzsteine verrückt; alle Grenzsteine selber
werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu
taufen — als „die Leichte.“


Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste
Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in
schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen
kann.


Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so will
es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden
will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: —
also lehre ich.


Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und
Süchtigen: denn bei denen stinkt auch die Eigenliebe!


Man muss sich selber lieben lernen — also lehre
ich — mit einer heilen und gesunden Liebe: dass man
es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife.


Solches Umherschweifen tauft sich „Nächstenliebe“:
mit diesem Worte ist bisher am besten gelogen und
geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die
aller Welt schwer fielen.


Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und
[61] Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen
Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduld¬
samste.


Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut
versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne
am spätesten ausgegraben, — also schafft es der Geist
der Schwere.


Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere
Worte und Werthe mit: „gut“ und „böse“ — so heisst
sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man
uns, dass wir leben.


Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen,
dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben:
also schafft es der Geist der Schwere.


Und wir — wir schleppen treulich, was man uns
mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge!
Und schwitzen wir, so sagt man uns: „Ja, das Leben
ist schwer zu tragen!“


Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen!
Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen
Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und
lässt sich gut aufladen.


Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehr¬
furcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und
Werthe lädt er auf sich, — nun dünkt das Leben ihm
eine Wüste!


Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer
zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der
Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer
erfasslich —,


— also dass eine edle Schale mit edler Zierath
[62] fürbitten muss. Aber auch diese Kunst muss man
lernen: Schale haben und schönen Schein und kluge
Blindheit!


Abermals trügt über Manches am Menschen, dass
manche Schale gering und traurig und zu sehr Schale
ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird nie errathen;
die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker!


Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig
fetter, ein Wenig magerer — oh wie viel Schicksal
liegt in so Wenigem!


Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich
selber noch am schwersten; oft lügt der Geist über
die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.


Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht:
Das ist mein Gutes und Böses: damit hat er den
Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht
„Allen gut, Allen bös.“


Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jeg¬
liches Ding gut und diese Welt gar die beste heisst.
Solche nenne ich die Allgenügsamen.


Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss:
das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die wider¬
spänstigen wählerischen Zungen und Mägen, welche
„Ich“ und „Ja“ und „Nein“ sagen lernten.


Alles aber kauen und verdauen — das ist eine
rechte Schweine-Art! Immer I-a sagen — das lernte
allein der Esel, und wer seines Geistes ist! —


Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es
mein Geschmack, — der mischt Blut zu allen Farben.
Wer aber sein Haus weiss tüncht, der verräth mir
eine weissgetünchte Seele.


[63]

In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Ge¬
spenster; und Beide gleich feind allem Fleisch und
Blute — oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack!
Denn ich liebe Blut.


Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo
Jedermann spuckt und speit: das ist nun mein Ge¬
schmack, — lieber noch lebte ich unter Dieben und
Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde.


Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker;
und das widrigste Thier von Mensch, das ich fand,
das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben
und doch von Liebe leben.


Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben:
böse Thiere zu werden oder böse Thierbändiger: bei
Solchen würde ich mir keine Hütten bauen.


Unselig heisse ich auch Die, welche immer warten
müssen, — die gehen mir wider den Geschmack: alle
die Zöllner und Krämer und Könige und andren
Länder- und Ladenhüter.


Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von
Grund aus, — aber nur das Warten auf mich. Und
über Allem lernte ich stehn und gehn und laufen und
springen und klettern und tanzen.


Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen
will, der muss erst stehn und gehn und laufen und
klettern und tanzen lernen: — man erfliegt das Fliegen
nicht!


Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster er¬
klettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe
Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen
dünkte mich keine geringe Seligkeit, —


[64]

— gleich kleinen Flammen flackern auf hohen
Masten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein grosser
Trost für verschlagene Schiffer und Schiffbrüchige! —


Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner
Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg ich zur Höhe,
wo mein Auge in meine Ferne schweift.


Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, —
das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber
fragte und versuchte ich die Wege selber.


Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen:
— und wahrlich, auch antworten muss man lernen
auf solches Fragen! Das aber — ist mein Geschmack:


— kein guter, kein schlechter, aber mein Ge¬
schmack, dessen ich weder Scham noch Hehl mehr habe.


„Das — ist nun mein Weg, — wo ist der eure?“
so antwortete ich Denen, welche mich „nach dem Wege“
fragten. Den Weg nämlich — den giebt es nicht!


Also sprach Zarathustra.

[65]

Von alten und neuen Tafeln.

1.

Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln
um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln.
Wann kommt meine Stunde?


— die Stunde meines Niederganges, Unterganges:
denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen gehn.


Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die
Zeichen kommen, dass es meine Stunde sei, — nämlich
der lachende Löwe mit dem Taubenschwarme.


Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir
selber. Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir
mich selber. —

2.

Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie
sitzen auf einem alten Dünkel: Alle dünkten sich lange
schon zu wissen, was dem Menschen gut und böse sei.


Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden
von Tugend; und wer gut schlafen wollte, der sprach
vor Schlafengehen noch von „Gut“ und „Böse“.


Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte:
was gut und böse ist, das weiss noch Niemand:
— es sei denn der Schaffende!


5[66]

— Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel
schafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Zu¬
kunft: Dieser erst schafft es, dass Etwas gut und
böse ist.


Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen,
und wo nur jener alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess
sie lachen über ihre grossen Tugend-Meister und
Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser.


Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen,
und wer je als schwarze Vogelscheuche warnend auf
dem Baume des Lebens gesessen hatte.


An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und
selber zu Aas und Geiern — und ich lachte über all
ihr Einst und seine mürbe verfallende Herrlichkeit.


Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie
ich Zorn und Zeter über all ihr Grosses und Kleines,
— dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bösestes
so gar klein ist! — also lachte ich.


Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus
mir, die auf Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit
wahrlich! — meine grosse flügelbrausende Sehnsucht.


Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg
und mitten im Lachen: da flog ich wohl schaudernd,
ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzücken:


— hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum
noch sah, in heissere Süden, als je sich Bildner
träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich aller Kleider
schämen: —


— dass ich nämlich in Gleichnissen rede und
gleich Dichtern hinke und stammle: und wahrlich,
ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein muss! —


[67]

Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-
Muthwillen dünkte, und die Welt los und ausgelassen
und zu sich selber zurückfliehend: —


— als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen
vieler Götter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-
Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören vieler Götter: —


Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augen¬
blicke dünkte, wo die Notwendigkeit die Freiheit
selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit
spielte: —


Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind
wiederfand, den Geist der Schwere und Alles, was er
schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck
und Wille und Gut und Böse: —


Denn muss nicht dasein, über das getanzt, hinweg¬
getanzt werde? Müssen nicht um der Leichten,
Leichtesten willen — Maulwürfe und schwere Zwerge
dasein? — —

3.

Dort war's auch, wo ich das Wort „Übermensch“
vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei,
das überwunden werden müsse,


— dass der Mensch eine Brücke sei und kein
Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und
Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen:


— das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage,
und was sonst ich über den Menschen aufhängte,
gleich purpurnen zweiten Abendröthen.


5*[68]

Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn
sammt neuen Nächten; und über Wolken und Tag
und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein
buntes Gezelt.


Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in
Eins zu dichten und zusammen zu tragen, was Bruch¬
stück ist am Menschen und Räthsel und grauser
Zufall, —


— als Dichter, Räthselrather und Erlöser des
Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft schaffen, und
Alles, das war —, schaffend zu erlösen.


Das Vergangne am Menschen zu erlösen und
alles „Es war“ umzuschaffen, bis der Wille spricht:
„Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen —“


— Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein
lehrte ich sie Erlösung heissen. — —


Nun warte ich meiner Erlösung —, dass ich
zum letzten Male zu ihnen gehe.


Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen:
unter ihnen will ich untergehen, sterbend will ich
ihnen meine reichste Gabe geben!


Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht,
die Überreiche: Gold schüttet sie da in's Meer aus
unerschöpflichem Reichthume, —


— also, dass der ärmste Fischer noch mit goldenem
Ruder rudert! Diess nämlich sah ich einst und wurde
der Thränen nicht satt im Zuschauen. — —


Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn:
nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln
um sich und auch neue Tafeln, — halbbeschriebene.

[69]

4.

Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind
meine Brüder, die sie mit mir zu Thale und in
fleischerne Herzen tragen? —


Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten:
schone deinen Nächsten nicht! Der Mensch ist
Etwas, das überwunden werden muss.


Es giebt vielerlei Weg und Weise der Über¬
windung: da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser
denkt: „der Mensch kann auch übersprungen
werden.“


Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten:
und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du
dir nicht geben lassen!


Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun.
Siehe, es giebt keine Vergeltung.


Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen.
Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch
Viel, dass er sich auch gehorche!

5.

Also will es die Art edler Seelen: sie wollen
Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.


Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir
Anderen aber, denen das Leben sich gab, — wir
sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen
geben!


[70]

Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede,
welche spricht: „was uns das Leben verspricht, das
wollen wir — dem Leben halten!“


Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht
zu geniessen giebt. Und — man soll nicht geniessen
wollen!


Genuss und Unschuld nämlich sind die scham¬
haftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein.
Man soll sie haben —, aber man soll eher noch nach
Schuld und Schmerzen suchen! —

6.

Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird
immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.


Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir
brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder.


Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen
Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-
Fell: — wie sollten wir nicht alte Götzenpriester
reizen!


In uns selber wohnt er noch, der alte Götzen¬
priester, der unser Bestes sich zum Schmause brät. Ach,
meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!


Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die,
welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden
liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn
hinüber. —

[71]

7.

Wahr sein — das können Wenige! Und wer es
kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber
können es die Guten.


Oh diese Guten! — Gute Menschen reden
nie die Wahrheit
; für den Geist ist solchermaassen
gut sein eine Krankheit.


Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich,
ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht: wer aber
gehorcht, der hört sich selber nicht!


Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen
kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine
Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?


Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen,
das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in's
Lebendige — wie selten kommt das zusammen! Aus
solchem Samen aber wird — Wahrheit gezeugt!


Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles
Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden,
die alten Tafeln!

8.

Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und
Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet
Keiner Glauben, der da spricht: „Alles ist im Fluss.“


Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm.
„Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken
und Geländer sind doch über dem Flusse?“
[72]Über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe
der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles „Gut“ und
„Böse“: das ist Alles fest!“ —


Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thier¬
bändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen;
und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann:
„Sollte nicht Alles — stille stehn?“


„Im Grunde steht Alles stille“ —, das ist eine
rechte Winter-Lehre, ein gut Ding für unfruchtbare
Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und Ofenhocker.


„Im Grund steht Alles still“ —: dagegen aber
predigt der Thauwind!


Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender
Stier ist, — ein wüthender Stier, ein Zerstörer, der
mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber — —
bricht Stege!


Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse?
Sind nicht alle Geländer und Stege in's Wasser ge¬
fallen? Wer hielte sich noch an „Gut“ und „Böse“?


„Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!“ —
Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!

9.

Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und
Böse. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich
bisher das Rad dieses Wahns.


Einst glaubte man an Wahrsager und Stern¬
deuter: und darum glaubte man „Alles ist Schicksal:
du sollst, denn du musst!“
[73] Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern
und Sterndeutern: und darum glaubte man „Alles
ist Freiheit: du kannst, denn du willst!“


Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist
bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden: und darum
ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht
gewusst worden!

IO.

„Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todt¬
schlagen!“ — solche Worte hiess man einst heilig; vor
ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die
Schuhe aus.


Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber
und Todtschläger in der Welt, als es solche heilige
Worte waren?


Ist in allem Leben selber nicht — Rauben und Todt¬
schlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde
damit die Wahrheit selber nicht — todtgeschlagen?


Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig
hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth?
— Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten
Tafeln!

II.

Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen,
dass ich sehe: es ist preisgegeben, —


— der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes
Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was
war, zu seiner Brücke umdeutet!


[74]

Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein ge¬
witzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade
alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm
Brücke würde und Vorzeichen und Herold und
Hahnenschrei.


Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres
Mitleiden: — wer vom Pöbel ist, dessen Gedenken
geht zurück bis zum Grossvater, — mit dem Gross¬
vater aber hört die Zeit auf.


Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn
es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde
und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.


Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen
Adels
, der allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen
Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort
schreibt „edel“.


Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei
Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im
Gleichniss sprach: „Das eben ist Göttlichkeit, dass es
Götter, aber keinen Gott giebt!“

12.

Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu
einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Züchter
werden und Säemänner der Zukunft, —


— wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen
könntet gleich den Krämern und mit Krämer-Golde:
denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.


[75]

Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin
eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und
euer Fuss, der über euch selber hinaus will, — das
mache eure neue Ehre!


Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient
habt — was liegt noch an Fürsten! — oder dem, was
steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stünde!


Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch
wurde, und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo ähnlich,
lange Stunden in flachen Teichen stehn.


— Denn Stehen-können ist ein Verdienst bei
Höflingen; und alle Höflinge glauben, zur Seligkeit
nach dem Tode gehöre — Sitzen-dürfen! —


Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen,
eure Vorfahren in gelobte Länder führte, die ich
nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Bäume wuchs,
das Kreuz, — an dem Lande ist Nichts zu loben! —
— und wahrlich, wohin dieser „heilige Geist“
auch seine Ritter führte, immer liefen bei solchen
Zügen — Ziegen und Gänse und Kreuz- und Querköpfe
voran! —


Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel
schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt ihr sein
aus allen Vater- und Urväterländern!


Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei
euer neuer Adel, — das unentdeckte, im fernsten Meere!
Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!


An euren Kindern sollt ihr gut machen, dass
ihr eurer Väter Kinder seid: alles Vergangene sollt
ihr so erlösen! Diese neue Tafel stelle ich über euch!

[76]

13.

„Wozu leben? Alles ist eitel! Leben — das ist
Stroh dreschen; Leben — das ist sich verbrennen
und doch nicht warm werden.“ —


Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch
als „Weisheit“; dass es aber alt ist und dumpfig
riecht, darum wird es besser geehrt. Auch der
Moder adelt. —


Kinder durften so reden: die scheuen das Feuer,
weil es sie brannte! Es ist viel Kinderei in den alten
Büchern der Weisheit.


Und wer immer „Stroh drischt“, wie sollte der
auf das Dreschen lästern dürfen! Solchem Narren
müsste man doch das Maul verbinden!


Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts
mit, selbst den guten Hunger nicht: — und nun
lästern sie „Alles ist eitel!“


Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist
wahrlich keine eitle Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir
die Tafeln der Nimmer-Frohen!

14.

„Dem Reinen ist Alles rein“ — so spricht das
Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles
Schwein!


Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger,
denen auch das Herz niederhängt: „die Welt selber
ist ein kothiges Ungeheuer.“
[77] Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes;
sonderlich aber Jene, welche nicht Ruhe, noch Rast
haben, es sei denn, sie sehen die Welt von hinten,
— die Hinterweltler!


Denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht
lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen,
dass sie einen Hintern hat, — so Viel ist wahr!


Es giebt in der Welt viel Koth: so Viel ist
wahr! Aber darum ist die Welt selber noch kein
kothiges Ungeheuer!


Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt
übel riecht: der Ekel selber schafft Flügel und quellen¬
ahnende Kräfte!


An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der
Beste ist noch Etwas, das überwunden werden muss! —


Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass
viel Koth in der Welt ist! —

15.

Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler
zu ihrem Gewissen reden; und wahrlich, ohne Arg
und Falsch, — ob es schon nichts Falscheres in der
Welt giebt, noch Ärgeres.


„Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider
auch nicht Einen Finger auf!“


„Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen
und schneiden und schaben: hebe dawider auch nicht
Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt
absagen.“
[78] „Und deine eigne Vernunft — die sollst du selber
görgeln und würgen; denn es ist eine Vernunft von
dieser Welt, — darob lernst du selber der Welt ab¬
sagen.“ —


— Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder,
diese alten Tafeln der Frommen! Zersprecht mir die
Sprüche der Welt-Verleumder!

16.

„Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Be¬
gehren“ — das flüstert man heute sich zu auf allen
dunklen Gassen.


„Weisheit macht müde, es lohnt sich — Nichts;
du sollst nicht begehren!“ — diese neue Tafel fand
ich hängen selbst auf offnen Märkten.


Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir
auch diese neue Tafel! Die Welt-Müden hängten sie
hin und die Prediger des Todes, und auch die Stock¬
meister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur
Knechtschaft! —


Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und
Alles zu früh und Alles zu geschwind: dass sie schlecht
assen, daher kam ihnen jener verdorbene Magen, —


— ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist:
der räth zum Tode! Denn wahrlich, meine Brüder,
der Geist ist ein Magen!


Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem
der verdorbene Magen redet, der Vater der Trübsal,
dem sind alle Quellen vergiftet.


[79]

Erkennen: das ist Lust dem Löwen-willigen! Aber
wer müde wurde, der wird selber nur „gewollt“, mit
dem spielen alle Wellen.


Und so ist es immer schwacher Menschen Art:
sie verlieren sich auf ihren Wegen. Und zuletzt fragt
noch ihre Müdigkeit: „wozu giengen wir jemals Wege!
Es ist Alles gleich!“


Denen klingt es lieblich zu Ohren, dass ge¬
predigt wird: „Es verlohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht
wollen!“ Diess aber ist eine Predigt zur Knechtschaft.


Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt
Zarathustra allen Weg-Müden; viele Nasen wird er
noch niesen machen!


Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und
hinein in Gefängnisse und eingefangne Geister!


Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre
ich. Und nur zum Schaffen sollt ihr lernen!


Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir
lernen, das Gut-Lernen! — Wer Ohren hat, der höre!

17.

Da steht der Nachen, — dort hinüber geht es
vielleicht in's grosse Nichts. — Aber wer will in diess
„Vielleicht“ einsteigen?


Niemand von euch will in den Todes-Nachen ein¬
steigen! Wie so wollt ihr dann Welt-Müde sein!


Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte
wurdet ihr! Lüstern fand ich euch immer noch nach
Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Müdigkeit!


[80]

Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab: —
ein kleiner Erden-Wunsch sitzt noch darauf! Und im
Auge — schwimmt da nicht ein Wölkchen unvergessner
Erden-Lust?


Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die
einen nützlich, die andern angenehm: derentwegen ist
die Erde zu lieben.


Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da,
dass es ist wie des Weibes Busen: nützlich zugleich
und angenehm.


Ihr Welt- Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch
soll man mit Ruthen streichen! Mit Ruthenstreichen
soll man euch wieder muntre Beine machen.


Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte,
deren die Erde müde ist, so seid ihr schlaue Faulthiere
oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt
ihr nicht wieder lustig laufen, so sollt ihr — dahin¬
fahren!


An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen:
also lehrt es Zarathustra: — so sollt ihr dahinfahren!


Aber es gehört mehr Muth dazu, ein Ende zu
machen, als einen neuen Vers: das wissen alle Ärzte
und Dichter. —

18.

Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Er¬
müdung, und Tafeln, welche die Faulheit schuf, die
faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch
ungleich gehört sein. —


[81]

Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine
Spanne weit ist er noch von seinem Ziele, aber vor
Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt:
dieser Tapfere!


Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel
und sich selber an: keinen Schritt will er noch weiter
thun, — dieser Tapfere!


Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken
nach seinem Schweisse: aber er liegt da in seinem
Trotze und will lieber verschmachten: —


— eine Spanne weit von seinem Ziele ver¬
schmachten! Wahrlich, ihr werdet ihn noch an den
Haaren in seinen Himmel ziehen müssen, — diesen
Helden!


Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich
gelegt hat, dass der Schlaf ihm komme, der Tröster,
mit kühlendem Rausche-Regen:


Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, —
bis er von selber alle Müdigkeit widerruft und was
Müdigkeit aus ihm lehrte!


Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von
ihm scheucht, die faulen Schleicher, und all das
schwärmende Geschmeiss: —


— all das schwärmende Geschmeiss der „Ge¬
bildeten“, das sich am Schweisse jedes Helden —
gütlich thut! —

19.

Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen;
immer Wenigere steigen mit mir auf immer höhere
6[82] Berge, — ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren
Bergen. —


Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh
meine Brüder: seht zu, dass nicht ein Schmarotzer
mit euch steige!


Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes,
geschmiegtes, das fett werden will an euren kranken
wunden Winkeln.


Und das ist seine Kunst, dass er steigende Seelen
erräth, wo sie müde sind: in euren Gram und Unmuth,
in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest.


Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist,
— dahinein baut er sein ekles Nest: der Schmarotzer
wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat.


Was ist die höchste Art alles Seienden und was
die geringste? Der Schmarotzer ist die geringste Art;
wer aber höchster Art ist, der ernährt die meisten
Schmarotzer.


Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat
und am tiefsten hinunter kann: wie sollten nicht an der
die meisten Schmarotzer sitzen? —


— die umfänglichste Seele, welche am weitesten
in sich laufen und irren und schweifen kann; die noth¬
wendigste, welche sich aus Lust in den Zufall stürzt: —


— die seiende Seele, welche in's Werden taucht;
die habende, welche in's Wollen und Verlangen will: —


— die sich selber fliehende, die sich selber im
weitesten Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher
die Narrheit am süssesten zuredet: —


— die sich selber liebendste, in der alle Dinge
ihr Strömen und Wiederströmen und Ebbe und Fluth
[83] haben: — oh wie sollte die höchste Seele nicht
die schlimmsten Schmarotzer haben?

20.

Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber
ich sage: was fällt, das soll man auch noch stossen!


Das Alles von Heute — das fällt, das verfällt: wer
wollte es halten! Aber ich — ich will es noch stossen!


Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen
rollt? — Diese Menschen von heute: seht sie doch,
wie sie in meine Tiefen rollen!


Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine
Brüder! Ein Beispiel! Thut nach meinem Beispiele!


Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir —
schneller fallen! —

21.

Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-
Degen sein, —man muss auch wissen Hau-schau-Wen!


Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an
sich hält und vorübergeht: damit er sich dem
würdigeren Feinde aufspare!


Ihr sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind,
aber nicht Feinde zum Verachten: ihr müsst stolz auf
euren Feind sein: also lehrte ich schon Ein Mal.


Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt
ihr euch aufsparen: darum müsst ihr an Vielem
vorübergehn, —


6 *[84]

— sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die
Ohren lärmt von Volk und Völkern.


Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider!
Da giebt es viel Recht, viel Unrecht: wer da zusieht,
wird zornig.


Dreinschaun, dreinhaun — das ist da Eins: darum
geht weg in die Wälder und legt euer Schwert schlafen!


Geht eure Wege! Und lasst Volk und Völker
die ihren gehn! — dunkle Wege wahrlich, auf denen
auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet!


Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was
noch glänzt — Krämer-Gold ist! Es ist die Zeit der
Könige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, ver¬
dient keine Könige.


Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den
Krämern gleich thun: sie lesen sich die kleinsten
Vortheile noch aus jedem Kehricht!


Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas
ab, — das heissen sie „gute Nachbarschaft.“ Oh
selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: „ich will
über Völker — Herr sein!“


Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen,
das Beste will auch herrschen! Und wo die Lehre
anders lautet, da — fehlt es am Besten.

22.

Wenn Die —Brod umsonst hätten, wehe! Wonach
würden Die schrein! Ihr Unterhalt — das ist ihre
rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer haben!


[85]

Raubthiere sind es: in ihrem „Arbeiten“ — da ist
auch noch Rauben, in ihrem „Verdienen“ — da ist auch
noch Überlisten! Darum sollen sie es schwer haben!


Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere,
klügere, menschen-ähnlichere: der Mensch näm¬
lich ist das beste Raubthier.


Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden
abgeraubt: das macht, von allen Thieren hat es der
Mensch am schwersten gehabt.


Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn
der Mensch noch fliegen lernte, wehe! wohinauf
— würde seine Raublust fliegen!

23.

So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den
Einen, gebärtüchtig das Andre, beide aber tanztüchtig
mit Kopf und Beinen.


Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal
getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit,
bei der es nicht Ein Gelächter gab!

24.

Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein
schlechtes Schliessen sei! Ihr schlosset zu schnell:
so folgt daraus — Ehebrechen!


Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehe¬
lügen! — So sprach mir ein Weib: „wohl brach ich
die Ehe, aber zuerst brach die Ehe — mich!“
[86] Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimm¬
sten Rachsüchtigen: sie lassen es aller Welt entgelten,
dass sie nicht mehr einzeln laufen.


Desswillen will ich, dass Redliche zu einander
reden: „wir lieben uns: lasst uns zusehn, dass wir
uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein
Versehen sein?“


— „Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir
zusehn, ob wir zur grossen Ehe taugen! Es ist ein
grosses Ding, immer zu Zwein sein!“


Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre
denn meine Liebe zum Übermenschen und zu Allem,
was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete!


Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern hinauf
— dazu, oh meine Brüder, helfe euch der Garten
der Ehe!

25.

Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der
wird zuletzt nach Quellen der Zukunft suchen und
nach neuen Ursprüngen. —


Oh meine Brüder, es ist nicht über Lange, da
werden neue Völker entspringen und neue Quellen
hinab in neue Tiefen rauschen.


Das Erdbeben nämlich — das verschüttet viel
Brunnen, das schafft viel Verschmachten: das hebt
auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an's Licht.


Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im
Erdbeben alter Völker brechen neue Quellen aus.


[87]

Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für
viele Durstige, Ein Herz für viele Sehnsüchtige, Ein
Wille für viele Werkzeuge“: — um den sammelt sich
ein Volk, das ist: viel Versuchende.


Wer befehlen kann, wer gehorchen muss — Das
wird da versucht
! Ach, mit welch langem Suchen
und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-
Versuchen!


Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch,
so lehre ich's, — ein langes Suchen: sie sucht aber
den Befehlenden! —


— ein Versuch, oh meine Brüder! Und kein
„Vertrag“! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der
Weich-Herzen und Halb- und Halben!

26.

Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die
grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht
bei den Guten und Gerechten? —


— als bei Denen, die sprechen und im Herzen
fühlen: „wir wissen schon, was gut ist und gerecht,
wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch
suchen!“


Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen:
der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden!


Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder
thun mögen: der Schaden der Guten ist der schäd¬
lichste Schaden.


[88]

Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah
Einer einmal in's Herz, der da sprach: „es sind die
Pharisäer.“ Aber man verstand ihn nicht.


Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht
verstehen: ihr Geist ist eingefangen in ihr gutes Ge¬
wissen. Die Dummheit der Guten ist unergründlich
klug.


Das aber ist die Wahrheit: die Guten müssen
Pharisäer sein, — sie haben keine Wahl!


Die Guten müssen Den kreuzigen, der sich seine
eigne Tugend erfindet! Das ist die Wahrheit!


Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land,
Herz und Erdreich der Guten und Gerechten: das
war, der da fragte: „wen hassen sie am meisten?“


Den Schaffenden hassen sie am meisten: den,
der Tafeln bricht und alte Werthe, den Brecher —
den heissen sie Verbrecher.


Die Guten nämlich — die können nicht schaffen:
die sind immer der Anfang vom Ende: —


— sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue
Tafeln schreibt, sie opfern sich die Zukunft, — sie
kreuzigen alle Menschen-Zukunft!


Die Guten — die waren immer der Anfang vom
Ende. —

27.

Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort?
Und was ich einst sagte vom „letzten Menschen“?


Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-
Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten?


[89]

Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und
Gerechten
! — Oh meine Brüder, verstandet ihr auch
diess Wort?

28.

Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert
vor diesem Worte?


Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zer¬
brechen hiess und die Tafeln der Guten: da erst
schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See.


Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken,
das grosse Um-sich-sehn, die grosse Krankheit, der
grosse Ekel, die grosse See-Krankheit.


Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten
euch die Guten; in Lügen der Guten wart ihr geboren
und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen
und verbogen durch die Guten.


Aber wer das Land „Mensch“ entdeckte, entdeckte
auch das Land „Menschen-Zukunft“. Nun sollt ihr
mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame!


Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder,
lernt aufrecht gehn! Das Meer stürmt: Viele wollen
an euch sich wieder aufrichten.


Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan!
Wohlauf! Ihr alten Seemanns-Herzen!


Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, wo
unser Kinder-Land ist! Dorthinaus, stürmischer
als das Meer, stürmt unsre grosse Sehnsucht! —

[90]

29.

„Warum so hart! — sprach zum Diamanten einst die
Küchen-Kohle; sind wir denn nicht Nah-Verwandte?“ —


Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage
ich euch: seid ihr denn nicht — meine Brüder?


Warum so weich, so weichend und nachgebend?
Warum ist so viel Leugnung, Verleugnung in eurem
Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke?


Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbitt¬
liche: wie könntet ihr mit mir — siegen?


Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden
und zerschneiden will: wie könntet ihr einst mit mir
— schaffen?


Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit
muss es euch dünken, eure Hand auf Jahrtausende
zu drücken wie auf Wachs, —


— Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden
zu schreiben wie auf Erz, — härter als Erz, edler als
Erz. Ganz hart ist allein das Edelste.


Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über
euch: werdet hart! —

30.

Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth, du meine
Nothwendigkeit! Bewahre mich vor allen kleinen Siegen!


Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal
heisse! Du In-mir! Über-mir! Bewahre und spare mich
auf zu Einem grossen Schicksale!


[91]

Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir
für dein Letztes auf, — dass du unerbittlich bist in
deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem Siege!


Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser
trunkenen Dämmerung! Ach, wessen Fuss taumelte
nicht und verlernte im Siege — stehen! —


— Dass ich einst bereit und reif sei im grossen
Mittage: bereit und reif gleich glühendem Erze, blitz¬
schwangrer Wolke und schwellendem Milch-Euter: —


— bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten
Willen: ein Bogen brünstig nach seinem Pfeile, ein
Pfeil brünstig nach seinem Sterne: —


— ein Stern bereit und reif in seinem Mittage,
glühend, durchbohrt, selig vor vernichtenden Sonnen-
Pfeilen: —


— eine Sonne selber und ein unerbittlicher
Sonnen-Wille, zum Vernichten bereit im Siegen!


Oh Wille, Wende aller Noth, du meine Noth¬
wendigkeit! Spare mich auf zu Einem grossen
Siege! — —


Also sprach Zarathustra.

[92]

Der Genesende.

1.

Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr
zur Höhle, sprang Zarathustra von seinem Lager auf
wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und ge¬
bärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager läge,
der nicht davon aufstehn wolle; und also tönte
Zarathustra's Stimme, dass seine Thiere erschreckt
hinzukamen, und dass aus allen Höhlen und Schlupf¬
winkeln, die Zarathustra's Höhle benachbart waren,
alles Gethier davon huschte, — fliegend, flatternd,
kriechend, springend, wie ihm nur die Art von Fuss
und Flügel gegeben war. Zarathustra aber redete
diese Worte:


Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe!
Ich bin dein Hahn und Morgen-Grauen, verschlafener
Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach
krähen!


Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche!
Denn ich will dich hören! Auf! Auf! Hier ist Donners
genug, dass auch Gräber horchen lernen!


Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde
aus deinen Augen! Höre mich auch mit deinen
[93] Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für
Blindgeborne.


Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach
bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmütter aus
dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse — weiterschlafen!


Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf!
Nicht röcheln — reden sollst du mir! Zarathustra ruft
dich, der Gottlose!


Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der
Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises
— dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken!


Heil mir! Du kommst — ich höre dich! Mein
Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's
Licht gestülpt!


Heil mir! Heran! Gieb die Hand — — ha! lass!


Haha! — — Ekel, Ekel, Ekel — — — wehe mir!

2.

Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte ge¬
sprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten
und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder
zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb
liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.
Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine
Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht,
es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen.
Und was er holte und zusammenraubte, das legte er
auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich
unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosen¬
[94] äpfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen
lag. Zu seinen Füssen aber waren zwei Lämmer ge¬
breitet, welche der Adler mit Mühe ihren Hirten ab¬
geraubt hatte.


Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zara¬
thustra auf seinem Lager auf, nahm einen Rosenapfel
in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch
lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei ge¬
kommen, mit ihm zu reden.


„Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon
sieben Tage so, mit schweren Augen: willst du dich
nicht endlich wieder auf deine Füsse stellen?


Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet
dein wie ein Garten. Der Wind spielt mit schweren
Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle Bäche
möchten dir nachlaufen.


Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben
Tage allein bliebst, — tritt hinaus aus deiner Höhle!
Alle Dinge wollen deine Ärzte sein!


Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine
saure, schwere? Gleich angesäuertem Teige lagst
du, deine Seele gieng auf und schwoll über alle ihre
Ränder. —“


— Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra,
schwätzt also weiter und lasst mich zuhören! Es
erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo geschwätzt
wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten.


Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da
sind: sind nicht Worte und Töne Regenbogen und
Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem?


[95]

Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede
Seele ist jede andre Seele eine Hinterwelt.


Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein
am schönsten; denn die kleinste Kluft ist am schwersten
zu überbrücken.


Für mich — wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt
kein Aussen! Aber das vergessen wir bei allen Tönen;
wie lieblich ist es, dass wir vergessen!


Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt,
dass der Mensch sich an den Dingen erquicke? Es ist
eine schöne Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der
Mensch über alle Dinge.


Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der
Töne! Mit Tönen tanzt unsre Liebe auf bunten Regen¬
bögen. —


— „Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere,
Solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber:
das kommt und reicht sich die Hand und lacht und
flieht — und kommt zurück.


Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das
Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf,
ewig läuft das Jahr des Seins.


Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut
sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet,
Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der
Ring des Seins.


In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier
rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall.
Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.“ —


— Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln!
antwortete Zarathustra und lächelte wieder, wie
[96] gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen
musste: —


— und wie jenes Unthier mir in den Schlund
kroch und mich würgte! Aber ich biss ihm den Kopf
ab und spie ihn weg von mir.


Und ihr, — ihr machtet schon ein Leier-Lied
daraus? Nun aber liege ich da, müde noch von diesem
Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen
Erlösung.


Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine
Thiere, seid auch ihr grausam? Habt ihr meinem
grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen
thun? Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier.


Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen
ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden;
und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das
sein Himmel auf Erden.


Wenn der grosse Mensch schreit —: flugs läuft
der kleine hinzu; und die Zunge hängt ihm aus dem
Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein „Mit¬
leiden.“


Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter — wie
eifrig klagt er das Leben in Worten an! Hört hin,
aber überhört mir die Lust nicht, die in allem An¬
klagen ist!


Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das
Leben mit einem Augenblinzeln. „Du liebst mich?
sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe
ich für dich nicht Zeit.“


Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste
Thier; und bei Allem, was sich „Sünder“ und „Kreuz¬
[97] träger“ und „Büsser“ heisst, überhört mir die Wollust
nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!


Und ich selber — will ich damit des Menschen
Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte
ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig
ist zu seinem Besten, —


— dass alles Böseste seine beste Kraft ist und
der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und
dass der Mensch besser und böser werden muss: —
Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass
ich weiss: der Mensch ist böse, — sondern ich schrie,
wie noch Niemand geschrien hat:


„Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach
dass sein Bestes so gar klein ist!“


Der grosse Überdruss am Menschen — der würgte
mich und war mir in den Schlund gekrochen: und
was der Wahrsager wahrsagte: „Alles ist gleich, es
lohnt sich Nichts, Wissen würgt.“


Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine
todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit
gähnendem Munde redete.


„Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde
bist, der kleine Mensch“ — so gähnte meine Traurig¬
keit und schleppte den Fuss und konnte nicht ein¬
schlafen.


Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde,
ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir
Menschen-Moder und Knochen und morsche Ver¬
gangenheit.


Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern
und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und
7[98] Fragen unkte und würgte und nagte und klagte bei
Tag und Nacht:


— „ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine
Mensch kehrt ewig wieder! “ —


Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten
Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich
einander, — allzumenschlich auch den Grössten noch!


Allzuklein der Grösste! — Das war mein Über¬
druss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch
des Kleinsten! — Das war mein Überdruss an allem
Dasein!


Ach, Ekel! Ekel! Ekel! — — Also sprach
Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er er¬
innerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber
seine Thiere nicht weiter reden.


„Sprich nicht weiter, du Genesender! — so ant¬
worteten ihm seine Thiere, sondern geh hinaus, wo
die Welt auf dich wartet gleich einem Garten.


Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Tauben¬
schwärmen! Sonderlich aber zu den Singe-Vögeln:
dass du ihnen das Singen ablernst!


Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde
mag reden. Und wenn auch der Gesunde Lieder will,
will er andre Lieder doch als der Genesende.“


— „Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so
schweigt doch! — antwortete Zarathustra und lächelte
über seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost
ich mir selber in sieben Tagen erfand!


Dass ich wieder singen müsse, — den Trost er¬
[99] fand ich mir und diese Genesung: wollt ihr auch
daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?“


— „Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals
seine Thiere; lieber noch, du Genesender, mache dir
erst eine Leier zurecht, eine neue Leier!


Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen
Liedern bedarf es neuer Leiern.


Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit
neuen Liedern deine Seele: dass du dein grosses Schick¬
sal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war!


Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra,
wer du bist und werden musst: siehe, du bist der
Lehrer der ewigen Wiederkunft
—, das ist nun
dein Schicksal!


Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst,
— wie sollte diess grosse Schicksal nicht auch deine
grösste Gefahr und Krankheit sein!


Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge
ewig wiederkehren und wir selber mit, und dass wir
schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge
mit uns.


Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens
giebt, ein Ungeheuer von grossem Jahre: das muss
sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem
umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: —


— so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind,
im Grössten und auch im Kleinsten, — so dass wir
selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich sind,
im Grössten und auch im Kleinsten.


Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra:
siehe, wir wissen auch, wie du da zu dir sprechen
7 *[100] würdest: — aber deine Thiere bitten dich, dass du
noch nicht sterbest!


Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr auf¬
athmend vor Seligkeit: denn eine grosse Schwere und
Schwüle wäre von dir genommen, du Geduldigster! —


„Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen,
und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so
sterblich wie die Leiber.


Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in
den ich verschlungen bin, — der wird mich wieder
schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der
ewigen Wiederkunft.


Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser
Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange — nicht
zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder
ähnlichen Leben:


— ich komme ewig wieder zu diesem gleichen
und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten,
dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, —


— dass ich wieder das Wort spreche vom grossen
Erden- und Menschen-Mittage, dass ich wieder den
Menschen den Übermenschen künde.


Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem
Wort: so will es mein ewiges Loos —, als Verkündiger
gehe ich zu Grunde!


Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich
selber segnet. Also — endet Zarathustra's Unter¬
gang.“ — —


Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten,
schwiegen sie und warteten, dass Zarathustra Etwas
[101] zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra hörte nicht,
dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, mit ge¬
schlossenen Augen, einem Schlafenden ähnlich, ob er
schon nicht schlief: denn er unterredete sich eben mit
seiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als
sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, ehrten die
grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon.

[102]

Von der grossen Sehnsucht.

Oh meine Seele, ich lehrte dich „Heute“ sagen
wie „Einst“ und „Ehemals“ und über alles Hier und
Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen.


Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln,
ich kehrte Staub, Spinnen und Zwielicht von dir ab.


Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und
die Winkel-Tugend von dir ab und überredete dich
nackt vor den Augen der Sonne zu stehn.


Mit dem Sturme, welcher „Geist“ heisst, blies ich
über deine wogende See; alle Wolken blies ich davon,
ich erwürgte selbst die Würgerin, die „Sünde“ heisst.


Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu
sagen wie der Sturm und Ja zu sagen wie offner
Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst
du nun durch verneinende Stürme.


Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück
über Erschaffnes und Unerschaffnes: und wer kennt,
wie du sie kennst, die Wollust des Zukünftigen?


Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten,
das nicht wie ein Wurmfrass kommt, das grosse, das
liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es
am meisten verachtet.


Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden,
dass du zu dir die Gründe selber überredest: der
[103] Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe
überredet.


Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen[,]
Kniebeugen und Herr-Sagen; ich gab dir selber den
Namen „Wende der Noth“ und „Schicksal“.


Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und
bunte Spielwerke, ich hiess dich „Schicksal“ und
„Umfang der Umfänge“ und „Nabelschnur der Zeit“ und
„azurne Glocke“.


Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle
Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle
unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.


Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich
und jede Nacht und jedes Schweigen und jede
Sehnsucht: — da wuchsest du mir auf wie ein
Weinstock.


Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du
nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und
gedrängten braunen Gold-Weintrauben: —


— gedrängt und gedrückt von deinem Glücke
wartend vor Überflusse und schamhaft noch ob deines
Wartens.


Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele
die liebender wäre und umfangender und umfänglicher!
Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher beisammen
als bei dir?


Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine
Hände sind an dich leer geworden: — und nun! Nun
sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: „Wer
von uns hat zu danken? —


— hat der Geber nicht zu danken, dass der
[104] Nehmende nahm? Ist Schenken nicht eine Nothdurft?
Ist Nehmen nicht — Erbarmen?“ —


Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner
Schwermuth: dein Über-Reichthum selber streckt nun
sehnende Hände aus!


Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und
sucht und wartet; die Sehnsucht der Über-Fülle blickt
aus deinem lächelnden Augen-Himmel!


Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein
Lächeln und schmölze nicht vor Thränen? Die Engel
selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte
deines Lächelns.


Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen
und weinen will: und doch sehnt sich, oh meine Seele,
dein Lächeln nach Thränen und dein zitternder Mund
nach Schluchzen.


„Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles
Klagen nicht ein Anklagen?“ Also redest du zu dir
selber, und darum willst du, oh meine Seele, lieber
lächeln, als dein Leid ausschütten


— in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid
über deine Fülle und über all die Drängniss des
Weinstocks nach Winzer und Winzermesser!


Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen
deine purpurne Schwermuth, so wirst du singen
müssen, oh meine Seele! — Siehe, ich lächle selber,
der ich dir solches vorhersage:


— singen, mit brausendem Gesange, bis alle
Meere still werden, dass sie deiner Sehnsucht zu¬
horchen, —


— bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen
[105] schwebt, das güldene Wunder, um dessen Gold
alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hüpfen: —


— auch vieles grosse und kleine Gethier und
Alles, was leichte wunderliche Füsse hat, dass es auf
veilchenblauen Pfaden laufen kann, —


— hin zu dem güldenen Wunder, dem frei¬
willigen Nachen und zu seinem Herrn: das aber ist
der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser
wartet, —


— dein grosser Löser, oh meine Seele, der
Namenlose — — dem zukünftige Gesänge erst Namen
finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach
zukünftigen Gesängen, —


— schon glühst du und träumst, schon trinkst du
durstig an allen tiefen klingenden Trost-Brunnen,
schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit zu¬
künftiger Gesänge! — —


Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch
mein Letztes, und alle meine Hände sind an dich leer
geworden: — dass ich dich singen hiess, siehe,
das war mein Letztes!


Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich:
wer von uns hat jetzt — zu danken? — Besser aber
noch: singe mir, singe, oh meine Seele! Und mich lass
danken! —


Also sprach Zarathustra.

[106]

Das andere Tanzlied.

1.

„In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben:
Gold sah ich in deinem Nacht-Auge blinken, — mein
Herz stand still vor dieser Wollust:


— einen goldenen Kahn sah ich blinken auf
nächtigen Gewässern, einen sinkenden, trinkenden,
wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn!


Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du
einen Blick, einen lachenden fragenden schmelzenden
Schaukel-Blick:


Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit
kleinen Händen — da schaukelte schon mein Fuss vor
Tanz-Wuth. —


Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten,
dich zu verstehen: trägt doch der Tänzer sein Ohr —
in seinen Zehen!


Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor
meinem Sprunge; und gegen mich züngelte deines
fliehenden fliegenden Haars Zunge!


Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen:
da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll
Verlangen.


[107]

Mit krummen Blicken — lehrst du mich krumme
Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss —
Tücken!


Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine
Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: — ich
leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!


Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren
Flucht bindet, deren Spott — rührt:


— wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin,
Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer
liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, winds¬
eilige, kindsäugige Sünderin!


Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Un-
band? Und jetzt fliehst du mich wieder, du süsser
Wildfang und Undank!


Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer
Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen
Finger nur!


Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns
verirren! — Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen
und Fledermäuse schwirren?


Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen?
Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess
Heulen und Kläffen.


Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein,
deine bösen Augen springen gegen mich aus lockichtem
Mähnlein!


Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin
der Jäger, — willst du mein Hund oder meine
Gemse sein?


Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte
[108] Springerin! Jetzt hinauf! Und hinüber! — Wehe! Da
fiel ich selber im Springen hin!


Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade
flehn! Gerne möchte ich mit dir — lieblichere Pfade gehn!


— der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche!
Oder dort den See entlang: da schwimmen und tanzen
Goldfische!


Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und
Abendröthen: ist es nicht schön, zu schlafen, wenn
Schäfer flöten?


Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass
nur die Arme sinken! Und hast du Durst, — ich hätte
wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken! —


— Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange
und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin? Aber im Gesicht
fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe!


Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter
Schäfer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bisher ge¬
sungen, nun sollst du mir — schrein!


Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir
tanzen und schrein! Ich vergass doch die Peitsche
nicht? — Nein!“ —

2.

Da antwortete mir das Leben also und hielt sich
dabei die zierlichen Ohren zu:


„Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchter¬
lich mit deiner Peitsche! Du weisst es ja: Lärm
[109] mordet Gedanken, — und eben kommen mir so zärt¬
liche Gedanken.


Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und
Thunichtböse. Jenseits von Gut und Böse fanden wir
unser Eiland und unsre grüne Wiese — wir Zwei
allein! Darum müssen wir schon einander gut sein!


Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus —‚
muss man sich denn gram sein, wenn man sich nicht
von Grund aus liebt?


Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das
weisst du: und der Grund ist, dass ich auf deine
Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle alte Närrin
von Weisheit!


Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach!
da liefe dir schnell auch meine Liebe noch davon.“ —


Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter
sich und um sich und sagte leise: „Oh Zarathustra,
du bist mir nicht treu genug!


Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest;
ich weiss, du denkst daran, dass du mich bald ver¬
lassen willst.


Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke:
die brummt Nachts bis zu deiner Höhle hinauf: —


— hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde
schlagen, so denkst du zwischen Eins und Zwölf daran —


— du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es,
dass du mich bald verlassen willst!“


„Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es
auch —“ Und ich sagte ihr Etwas in's Ohr, mitten
[110] hinein zwischen ihre verwirrten gelben thörichten
Haar-Zotteln.


Du weisst Das, oh Zarathustra? Das weiss
Niemand. — —


Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne
Wiese, über welche eben der kühle Abend lief; und
weinten mit einander. — Damals aber war mir das
Leben lieber, als je alle meine Weisheit. —


Also sprach Zarathustra.

3.

Eins!
Oh Mensch! Gieb Acht!


Zwei!
Was spricht die tiefe Mitternacht?


Drei!
„Ich schlief, ich schlief —,


Vier!
„Aus tiefem Traum bin ich erwacht: —


Fünf!
„Die Welt ist tief,


Sechs!
„Und tiefer als der Tag gedacht.


Sieben!
„Tief ist ihr Weh —,
[111]Acht!
„Lust — tiefer noch als Herzeleid:


Neun!
„Weh spricht: Vergeh!


Zehn!
„Doch alle Lust will Ewigkeit —,


Elf!
„— will tiefe, tiefe Ewigkeit!


Zwölf!

[112]

Die sieben Siegel.

(Oder: das Ja- und Amen-Lied.)


1.

Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes
wahrsagerischen Geistes, der auf hohem Joche zwischen
zwei Meeren wandelt, —


zwischen Vergangenem und Zukünftigem als
schwere Wolke wandelt, — schwülen Niederungen
feind und Allem, was müde ist und nicht sterben,
noch leben kann:


zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum er¬
lösenden Lichtstrahle, schwanger von Blitzen, die Ja!
sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen Blitzstrahlen: —


— selig aber ist der also Schwangere! Und
wahrlich, lange muss als schweres Wetter am Berge
hängen, wer einst das Licht der Zukunft zünden soll! —


oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit
brünstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der
Ringe, — dem Ring der Wiederkunft!


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

[113]

2.

Wenn mein Zorn je Gräber brach, Grenzsteine
rückte und alte Tafeln zerbrochen in steile Tiefen rollte:


Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies,
und ich wie ein Besen kam den Kreuzspinnen und
als Fegewind alten verdumpften Grabkammern:


Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Götter be¬
graben liegen, weltsegnend, weltliebend neben den
Denkmalen alter Welt -Verleumder: —


— denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe
ich, wenn der Himmel erst reinen Auges durch ihre
zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich gleich
Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen —
Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe,
— dem Ring der Wiederkunft?


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

3.

Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schöpferischen
Hauche und von jener himmlischen Noth, die noch
Zufälle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen:


Wenn ich je mit dem Lachen des schöpferischen
Blitzes lachte, dem der lange Donner der That grollend,
aber gehorsam nachfolgt:
8[114] Wenn ich je am Göttertisch der Erde mit Göttern
Würfel spielte, dass die Erde bebte und brach und
Feuerflüsse heraufschnob: —


— denn ein Göttertisch ist die Erde, und zitternd
von schöpferischen neuen Worten und Götter-Würfen: —


Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, —
dem Ring der Wiederkunft?


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

4.

Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem
schäumenden Würz- und Mischkruge, in dem alle
Dinge gut gemischt sind:


Wenn meine Hand je Fernstes zum Nächsten goss
und Feuer zu Geist und Lust zu Leid und Schlimmstes
zum Gütigsten:


Wenn ich selber ein Korn bin von jenem er¬
lösenden Salze, welches macht, dass alle Dinge im
Mischkruge gut sich mischen: —


— denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bösem
bindet; und auch das Böseste ist zum Würzen würdig
und zum letzten Überschäumen: —


Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, —
dem Ring der Wiederkunft?


[115]

Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

5.

Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was
Meeres-Art ist, und am holdesten noch, wenn es mir
zornig widerspricht:


Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach
Unentdecktem die Segel treibt, wenn eine Seefahrer-
Lust in meiner Lust ist:


Wenn je mein Frohlocken rief: „die Küste schwand,
— nun fiel mir die letzte Kette ab —


— das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glänzt
mir Raum und Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!“ —


Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, —
dem Ring der Wiederkunft?


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

6.

Wenn meine Tugend eines Tänzers Tugend ist,
und ich oft mit beiden Füssen in gold-smaragdenes
Entzücken sprang:
8 *[116] Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist,
heimisch unter Rosenhängen und Lilien-Hecken:


— im Lachen nämlich ist alles Böse bei einander,
aber heilig- und losgesprochen durch seine eigne
Seligkeit: —


Und wenn Das mein A und O ist, dass alles
Schwere leicht, aller Leib Tänzer, aller Geist Vogel
werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! —


Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, —
dem Ring der Wiederkunft!


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!

7.

Wenn ich je stille Himmel über mir ausspannte
und mit eignen Flügeln in eigne Himmel flog:


Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm,
und meiner Freiheit Vogel-Weisheit kam: —


— so aber spricht Vogel-Weisheit: „Siehe, es
giebt kein Oben, kein Unten! Wirf dich umher, hinaus,
zurück, du Leichter! Singe! sprich nicht mehr!


— „sind alle Worte nicht für die Schweren ge¬
macht? Lügen dem Leichten nicht alle Worte! Singe!
sprich nicht mehr!“ —


Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brünstig
[117] sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, —
dem Ring der Wiederkunft?


Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder
mochte, es sei denn dieses Weib, das ich liebe: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!


Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!


[][119]

INHALT.

  • Der Wanderer  1
  • Vom Gesicht und Räthsel  6
  • Von der Seligkeit wider Willen  13
  • Vor Sonnen-Aufgang  18
  • Von der verkleinernden Tugend  23
  • Auf dem Oelberge  31
  • Vom Vorübergehen  36
  • Von den Abtrünnigen  41
  • Die Heimkehr  47
  • Von den drei Bösen  52
  • Vom Geist der Schwere  59
  • Von alten und neuen Tafeln  65
  • Der Genesende  92
  • Von der grossen Sehnsucht  102
  • Das andere Tanzlied  106
  • Die sieben Siegel  112
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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 2. Also sprach Zarathustra. Also sprach Zarathustra. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bmkp.0