Komm, die meine Seele mir oft, mit ſanfterer Wehmut,
Und mit ihrer großen Erwartungen Schauer erfuͤllte,
Komm, Betrachtung der kuͤnftigen Welt. Die kuͤnftige Welt war
Auf der Erde, da das, wovon ich ſinge, geſchahe.
Denn die Todten erſchienen den erſten Chriſten, zum Himmel
Sie zu berufen, zu weihn die Bruͤder zum ewigen Leben.
Klein war nur die ſelige Schaar; doch aus dieſer Wurzel
Wuchs, ein Schatten verbreitet in allen Himmeln, ein Baum auf,
Voll von dichten Zweigen: Die Hundert und vierzig Tauſend,
Alle Verſoͤhnte! Das Heer ohne Zahl am kryſtallenen Meere,
Alle Verſoͤhnte! Die Schaar der Hundert und vierzig Tauſend
Sangen, als ſie der Himmliſche ſah, der bis ans Gericht blieb
Ueber das Schauthal, ſangen das neue Lied vor dem Throne,
Welches keiner zu lernen vermag. Sie waren erkaufte
N 3Von
[198]Der Meſſias.Von der Erde, von keiner Liebe des Eiteln beflecket,
Folger des Lamms, wohin es auch ging, die Erſtlinge Gottes,
Und des Lamms, unſtraͤflich vor Gott, in Worten, und Thaten!
Siehe das Heer ohne Zahl, da der Zeuge des Herrn es erblickte,
Rief, wie es war, aus allen Geſchlechten, und Sprachen, und Voͤlkern,
An dem Throne verſammelt, in weißem Gewand’, in den Haͤnden
Palmen, es rief mit der Stimme des lauten Jubels: Dem Herrſcher
Auf dem Throne ſey Heil! Heil unſerm Gott, und dem Lamme!
Und da fielen aufs Antlitz die Engel, und Aelteſten nieder,
Und da rauſchte das Meer, da wehten die Palmen der Sieger.
Denn gen Himmel hinauf, aus großer Truͤbſal gen Himmel,
Sind ſie gekommen, ſie haben gewaſchen ihre Gewande,
Hell ſie gemacht im Blute des Lamms, die ſeligen Dulder!
Aber itzt war die kleinere Schaar, die Wurzel des Baumes,
Noch nicht einmal berufen. Sie ſchliefen noch unter den Huͤllen
Jhres Geſetzes. Es ſollten zum erſtenmal ſie Erſtandne
Wecken, dann Kephas in ſeiner Rede der Salbung von Chriſtus!
Und zu deren Gemeine, die ſelig wurden, hinzuthun
Sie dreytauſend auf Einmal. Noch ſchlummerten ſelbſt, die von ihnen
Sollten Erſtlinge werden, verſtanden noch nichts von dem neuen
Ewigen Liede der Wonne; Noch ſchliefen die anderen Sieger,
Ohne Palmen, und hellgemachte Kleider im Blute.
Ach! noch ſchlafen wir Letzten der Erde! Werden wir Armen
Auch erwachen vom Schlafe, damit uns Chriſtus erleuchte?
Siehe! das Werk des Erſtandnen begann. Die verklaͤrten Gerechten
Schwebten Tabor hinab, zu erſcheinen den kuͤnftigen Chriſten.
Aber eh noch der Erſcheinungen Schaar nach Salem hinabſtieg,
Sam-
[199]Funfzehnter Geſang.Sammelt’ um ſich ſie herum der Auferſtandnen, der Todten,
Und der Sterblichen Vater, und ſprach: Nun ſind ſie gekommen,
Freut euch, Kinder, nun ſind des Heiles Stunden gekommen,
Da wir gewuͤrdiget werden, die erſten Winke zu winken,
Nach dem ſchmalen Wege! den erſten Durſt zu entzuͤnden,
Nach der Quelle des Lebens! Der Stifter der himmliſchen Kindſchaft
Hat es eurem Gefuͤhl, und Erforſchungen uͤberlaſſen
Auszuwaͤhlen, wie es euch duͤnkt. Jhr waͤhlet, die Kinder
Werden, und Erben! ihr waͤhlt der Vorbereitungen Weiſe.
Doch nicht allein, die ihr der hohen Erſcheinungen wuͤrdigt,
Sind zu dem Heile berufen. Und wenn ihr beriefet, die Gott nicht
Auch berufet; ſo wuͤrden der Thronen Engel euch warnen.
Eilt denn, genießt den Wonnegedanken, euch Bruͤder zu waͤhlen
Zu dem Erbe des Lichts! Jch ſeh, die werdet ihr waͤhlen,
Welch’ in ihrer Finſterniß ſchon, die Gnaden empfingen,
Daß ſie, wiewohl mit Straucheln, den Wandel im Himmel begangen;
Und ihr werdet ſie kennen, die dieſe Gnaden empfingen.
Tiefſinn war in der Seele des Knabens geblieben, den Jeſus
Unter die Hoͤrer geſtellt, und geſegnet hatte. Nephthoa
Nach der Quelle genannt an Ephrons Graͤnzengebirge,
Liebte minder ſeitdem die Geſpielen, und Einſamkeit war ihm
Suͤßer, als alle Freuden der frohen Jahre geworden.
Bluͤte trug er, und Frucht, in beginnendem Lenze des Lebens
Reif wie Juͤnglinge, voll Verſtandes, und goͤttlicher Gnade.
Sieben Jahr’ entflohen ihm erſt, und er hatte das letzte
Betend verlaͤngert, ein Jahr voll reicher Saaten, unkennbar
Denen, die kleine Dinge, verwebt in das Eitle, nur dachten;
N 4Aber
[200]Der Meſſias.Aber mit Segen von Gott zu der Ewigkeit Erndte geſegnet.
Auch in dem achten ſaͤte Nephthoa der Erndte. Das hatt’ er
Mit dem ſtrahlenden Tage der Auferſtehung begonnen.
Und er betete jetzt in der Abenddaͤmmrung, geſunken
Auf ſein Knie in den Staub, in einem Winkel des Hauſes,
Wo er wußte, daß keiner ihn faͤnde. So flehte der Knabe:
Herr, du hoͤrſt mich gewiß, ob ich es gleich nicht erfahre,
Daß du mich hoͤrſt. Stets komm ich von neuem, und flehe von neuem,
Daß du mich hoͤren moͤgeſt, o aller Kinder im Himmel
Vater, und aller auf Erden! Vor deinem leuchtenden Throne
Knien wir Alle: wir Armen auf Erden, denen ihr Erbe
Thraͤnen ſind, wir knien in Staube; die ausgeweinet
Haben, auf ſchimmernden Wolken; und jene, die niemals weinten,
Jn den Strahlen der Sterne, die ungefallnen Engel.
Alle flehen von dir mehr Seligkeit; aber mit Ruhe
Flehen ſie jene dort oben. Denn ſie labt Fuͤlle der Freuden.
Wir, wir flehen weinend dich an, um Erloͤſung vom Boͤſen,
Ach Erloͤſung vom Elend, und Segen zum ewigen Leben.
Unvollendet kann der nicht bleiben, den uͤber mich ausſprach
Dein erhabner Prophet in jener ſeligſten Stunde
Meines Lebens, als er in die große Verſammlung mich ſtellte.
Wuͤrd’ er vollendet, wenn er vergaͤngliche Dinge nur gaͤbe?
Nur Verſorgung des Lebens, das ſchnell, wie die Blume verbluͤhet!
Nein, du ſteigeſt hinauf in die Ewigkeit, himmliſcher Segen
Deſſen, den Gott nicht nur, die Kranken zu heilen, geſandt hat;
Auch zu heilen die Suͤnder, hat ihn der Erbarmer geſendet.
Ach ich kenn’ ihn noch nicht den Segen zum ewigen Leben,
Weis
[201]Funfzehnter Geſang.Weis es noch nicht, wie mich, der einſt mich ſegnete, leiten,
Welchen Weg er zu gehn, mir gebieten wird. Aber ich will mich
Doch auf Gott verlaſſen. Dein Wille, nicht meiner, geſchehe!
Ach, noch iſt mir kein Tag in meiner Seele geworden
Jener großen Erkenntniß des Ewigen! Aber ich will mich
Dennoch verlaſſen auf dich! Herr, Herr dein Wille geſchehe!
Lieſſeſt du leuchten auf mich, Gott, deines Antlitzes Freuden;
O ſo truͤg’ ich leichter die Laſt des Jrrens im Dunkeln:
Aber ich will mich dennoch auf dich, auf dich verlaſſen!
Ach das kurze, das fliehende Leben, die Knoſpe, die aufbluͤht,
Wegzuwelken! Wenn welkt, mit wenig Erde beworfen,
Und verborgen zu werden, auch meins? Was treibt mich vor Unruh,
Jmmer Erkenntniß, und Freude, durch Gott zu ſuchen? Jch ſollte
Still erwarten, bis ich mich niederſenkte, zu welken,
Und verpflanzt ins Gefilde des Lichts und der Ruhe zu werden;
Hier iſt doch kein Erkenntniß, und keine Rettung ins Helle,
Aus der deckenden Nacht, die unſre Seelen umhuͤllet.
Sind ſie nicht zahllos die Dinge, die ich nicht kenne? Sie werden
Noch unzaͤhlbarer ſeyn, wenn erſt mein Geiſt ſich erweitert,
Und ins Hoͤhere ſchwingt, von reiferem Alter erhoben.
Doch ſey ruhig, mein Herz! Den Durſt nach ſeiner Erkenntniß
Stillet gewiß, der dich hat mit dieſem Durſte geſchaffen.
Wenn ich, vergoͤnnſt du es mir, der mich zu dem Ernſte geweckt hat,
Und dem Blicke des Knabens nur ſanftes Laͤcheln gelaſſen?
Wenn ich zuruͤck zu meinen Geſpielen kehrte? mit ihnen
Bluͤhte, wie Roſen? mit ihnen von leichten Dingen nur ſpraͤche?
Nicht von der kuͤnftigen Welt, und jener großen Erkenntniß?
N 5Und
[202]Der Meſſias.Und ſo wartete, bis mit Weisheit von oben der Vater
Alles Lichts mich erleuchtete? Jeſus fand mich ja alſo,
Da er mich in die Verſammlungen rief, und ſegnend mich aufnahm.
Alſo betet Nephthoa. Sein Engel, der neben ihm ſchwebte,
Hoͤrt’ ihn beten, und ſchrieb mit unausloͤſchlichen Zuͤgen,
Flammenſchrift in ſein Buch, ein Buch des Lebens, das alles,
Was mit Gnade vernahm der große Hoͤrer des Himmels
Jn des Knabens Gebet. Jndem die ſchimmernde Schrift flog
Mit der Hand des Unſterblichen, kam Benoni, und nahte
Sich dem Beter, und ihm. Willſt du ihm erſcheinen, Benoni?
Rief mit Entzuͤckung der Engel, und reicht’ ihm das wehende Buch hin.
Und der Erſtandne las. Der Jmmerunſterbliche haͤlt ſich
Jn der Freude nicht mehr, und umarmt den himmliſchen Juͤngling.
Ach Erhoͤrung, Erhoͤrung, von Gottes Throne geſendet,
Rief der freudige Seraph, du biſt ſchon heute gekommen!
Und Benoni nahete mehr. Noch kniete Nephthoa
Und begann von neuem zu beten. Mit herzlicher Frende,
Junigem, ewigem Dank ſeyſt du, o Vater, geprieſen,
Der der Gnaden ſo viele mir gab. Wie haſt du mit Huld mich
Ueberſchuͤttet! Du warſt es, du haſt mir des groſſen Propheten
Segen, du Vater der Ewigkeit, zugeſendet, du Vater
Aller Kinder im Himmel, und aller Kinder auf Erden!
Wer beginnet, und wer vollendet, genung dich zu preiſen,
Herr der Herrlichkeit, dem ich dieß Auge voll Thraͤnen erhebe?
Jn der Saͤuglinge Munde ſo gar haſt du dir bereitet,
Herr, dein goͤttliches Lob. Jch will, wills nicht verſchweigen.
Denn du haſt dir auch Lob in der Kinder Munde bereitet.
Erſt
[203]Funfzehnter Geſang.Erſt wollt’ ihm Benoni, wie einer der Pilgerknaben,
Die zu dem Feſte wallten, erſcheinen. Doch als er des Preiſes
Freudenthraͤnen erblickte, vermocht’ er ſich ſo nicht zu halten,
Und er erſchien Nephthoa in ſeiner Herrlichkeit. Strahlend
Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Fruͤhlings.
Und Nephthoa erſchrack nicht. So war die Seele des Knabens
An die Bilder gewoͤhnt, die ihm von dem Himmel kamen,
Oft in Traͤumen, und oft in faſt erwachendem Schlummer.
Und er lockte das Haar des himmliſchen Juͤnglings, und redte
Mit ſchnellfliegenden Worten. Dich hat der Prophet mir geſendet!
Salems Juͤngling, wo ſchwebeſt du her? dich hat mir geſendet
Jeſus! Du biſt ein Bote des Segens, des Friedens, der Wonne!
Rede, ſings in die ſchimmernde Harfe, worauf du dich lehneſt,
Sage, wo ſchwebeſt du her! Erzaͤhl, erzaͤhle von Gott mir,
Sohn des Lichts! erzaͤhle von meinen Todten mir, Erbe
Jhrer Freuden, von meiner entſchlummerten Schweſter voll Unſchuld,
Die mir bey Roſen entſchlief, in der Morgendaͤmmerung Duften,
Eine Bluͤthe ſie ſelbſt, da ſie nun lange ſchon todt war.
Bringſt du mir keinen himmliſchen Gruß von Dimna Kedemoth?
Oder wie ſonſt im Himmel ihr neuer Namen jetzt heiſſet;
Und was ſagte ſie dir? Vielleicht: Der Herr ſey geprieſen,
Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird ſterben?
Nimm mich mit dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, du Bewohner
Jener Huͤtten, daß ich es wagte, ſo lange zu reden.
Ach, du ſchweigſt mir, Bote von Gott! Jetzt redte Benoni.
Daß ich, Nephthoa, dich ſeh’, und deiner Freuden Entzuͤckung
Hat mich ſchweigen gemacht. Der Herr hat dir mich geſendet.
Jeſus
[204]Der Meſſias.Jeſus war todt, das wußteſt du nicht! und iſt ſchon erſtanden
Aus dem Grabe. Bald wird er hinauf in die Herrlichkeit gehen!
Seine Geliebten werden alsdann in Jeruſalem zeugen,
Von dem Tode, der Auferſtehung, und von der Erhebung
Jeſus Chriſtus! Die hoͤre. Sie werden von Gott dir erzaͤhlen,
Was, als einem Sterblichen dir, zu wiſſen, vergoͤnnt iſt.
Deine Schweſter empfaͤngt dich dereinſt in der Lebensbaͤume
Duftenden Schatten! … Doch, nun muß ich Nephthoa verlaſſen.
Ach noch nicht, du Himmliſcher, bleib noch, du Fremdling aus Salem,
Wende noch nicht von dem Sterblichen weg dein ſchimmerndes Auge,
Dieſe Morgenroͤthe der Wangen, dieß Laͤcheln der Wonne.
Aber Benoni verſchwand. Nephthoa blieb mit Entzuͤckung
Stehn, und mit ausgebreiteten Armen, das Bild zu umfaſſen
Seines himmliſchen Freundes, das zwar von Schimmer entkleidet,
Aber vor ihm, ſo dacht’ er, noch ſtand. Auch dieſes verſchwand ihm,
Und ihm ſanken die Arme nieder. Da faltet’ er betend
Seine Haͤnd’, und blickte gen Himmel, und laͤchelte weinend,
Nicht ſo einſam, wie es ihm dauchte. Noch hatt’ ihn ſein Engel
Nicht verlaſſen, noch nicht der unſichtbare Benoni.
Und ſie hoͤrten den Knaben den Namen des Gnaͤdigen preiſen,
Jhn aus inniger Seele dem Allbarmherzigen danken,
Der die Erſcheinung ihm gab, und die Hofnung der groſſen Erkenntniß.
Dilean war der einzige Freund, den er hatte, geſtorben,
Und die Geliebte dazu. Er kannte Gottes Propheten,
War, mit brennendem Durſte, gewiß zu werden, in Salem
Lange geirrt, und hatte geforſcht: Ob Jeſus erwacht ſey?
Oder noch todt? Die Nacht hing uͤber ſein Haupt, die Stroͤme
Gingen
[205]Funfzehnter Geſang.Gingen ihm bis an die Seele. Beruhigung ſucht’ er, und fand ſie
Auch nicht auf den Gefilden voll Fruͤhling. Jtzt kehrt’ er verſpaͤtet
Zwiſchen den Graͤbern am Oelberg um. Verirrendes Dunkel
War ſein Fuͤhrer. Er ging in den tiefen Kruͤmmen, und ſuchte.
Jſt das Kidrons Geraͤuſch? und jenes Wehen, der Palmen
Jn Gethſemane? Nein! das iſt ein Brauſen in Kluͤften.
Sind das Menſchenſtimmen? Jndem erblickt’ er ein Schimmern,
Das beynahe verloſch, geweht vom Winde. Dem folgt’ er.
Und er kam an ein Todtengewoͤlb’, aus welchen ſie Leichen
Trugen. Ein Reicher erkaufte den Felſen von einem Armen.
Und ſie trugen ein ganzes Geſchlecht, des duͤrftigen Vaͤter
Aus dem Gewoͤlbe. Dilean blieb an der Oeffnung des Grabmaals.
Und ſie gingen mit aͤchzendem Schritt’ heraus, mit verdroßnem
Langſam wieder hinein, bewundne Gebeine zu hohlen.
Gluͤckliche ſinds, die ihr tragt! Gebt mir der Todtenfackeln
Eine, damit dort hinten ich ſie bey den Leichen euch halte.
Und ſie gaben ihm eine, da ging er hinter ins Grabmaal.
Und er hielt die Flamme, gelehnt an den Felſen, und dachte:
Gluͤckliche, gluͤckliche Todte! … Die ſeyd ihr auch, ihr Geliebten,
Die mich verlieſſen. Wenn erſt auch eure Leichengewande
Einſt veralten, wie dieſer, ſo bin ich, wie ihr, auch gluͤcklich!
Aber nun … Euch hab ich Verlaßner verloren, ihr Lieben,
Meine Seligkeit hier! … und, meine Seligkeit kuͤnftig,
Gottes Propheten, verlor ich auch! … Jſt eine nun kuͤnftig,
Da er Tyrannen erlag? Sorgt Gott, ſie ewig zu machen,
Ach fuͤr die, bey denen die Beſten den Schlimmſten erliegen?
Bin ich ewig? oder verſtaͤub’ ich? Erſtand er? verweſt er?
Dieſe
[206]Der Meſſias.Dieſe ſind die bebenden Fragen, die Keiner mir aufloͤſt,
Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr muͤſſet es koͤnnen, wofern es
Jrgend ein Endlicher kann. Nicht dieſe Gebeine vermoͤchtens;
Aber der Geiſt! Wo ſeyd ihr, ihr abgeſchiednen Genoſſen
Dieſer Leichen? Jſt euch des Lichtes Wohnung der Freude
Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Geſchlechte
Sich mit dieſen Zweifeln die Seele martert? Er dacht’ es.
Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengraͤbern
Leer! Kaum merkt’ er es. Endlich erweckt’ ihn die tiefe Stille.
Siehe, nun bin ich allein! Jhr abgeſchiednen Genoſſen
Eurer Leichen, wer ſeyd ihr? Eliſa Gebein erweckte
Einen Todten. So war ja bey dieſem Gebeine die Seele!
Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier iſt:
Komm, du Eine! damit ich lerne, was kuͤnftig mein Loos ſey!
Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, entſetzen.
Auf! ich beſchwoͤre dich, Seele, bey deinem letzten Erſeufzen,
Als du rangſt mit dem Tode! bey deiner Hofnung, unſterblich,
Oder bey deiner erſchuͤtternden Angſt, vernichtet zu werden,
Als du rangſt mit dem Tode! So rief er, und ſah in das Grabmaal.
Thirza war ſchon um ihn, der ſieben Maͤrtyrer Mutter,
Mit den Seelen des Freundes, und ſeiner Geliebten geweſen.
Dieſe hatten ihn ſchon durch das Thal der Graͤber begleitet
Bis zu dem Felſen, in welchem er war. Darf ich ihm erſcheinen?
Fragte die treue Geliebte. Doch wuͤrd er ſich nicht entſetzen,
Wenn er mich ſaͤh? Jch will ihm erſcheinen! erwiederte Thirza.
Ohne Hofnung, zu ſehn, wornach er verlangte, bemuͤhte
Dilean ſich zu ſchlummern, und alſo ſich zu entlaſten
Von
[207]Funfzehnter Geſang.Von den truͤben Gedanken, die ihn, wie Wolken, bedeckten.
Aber er ſucht’ umſonſt die kurze Ruhe vom Elend.
Wehmuth fuͤllte von neuem ſein Herz. Euch hab ich verloren,
Meine Freunde! dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung!
Ach ihr ließt mich zuruͤck. Nun bin ich allein auf der Erde!
Bin … Wer tritt da herein? Wer biſt du, der ſich mir naͤhert?
Und er ging der dunkeln Geſtalt entgegen. Auf Einmal
Ward zur Unſterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd
Stund er. So ſchnell iſt der Wink, ſo ſchnell ermannt’ er ſich wieder,
Ging, und betrachtete ſchweigend die Strahlengeſtalt, und redte
Bald ſie an. Wirſt du mein Danken, Erſcheinung, verſtehen?
Oder biſt du ein Dunſt der Nacht, den Flammen beſeelen?
Oder ein Bild in meinem Gehirn? … Jhm laͤchelte Thirza
Sanft mit der Himmelsgebehrde, mit ſo viel Seel’ in dem Auge,
Daß er den flammenden Dunſt vergaß, und das Bild im Gehirne.
Laut, mit Schnelligkeit, rief er: Erſcheinung, Erſcheinung, wer biſt du?
Und melodiſch erſcholls in dem wiederhallenden Felſen:
Wer ich ſey, vernimmſt du hernach. Jetzt lerne, Begluͤckter!
Halt dich nicht vollkommner, als Andre, weil du die Gnade
Dieſer Erſcheinung empfaͤhſt. Nicht unvollkommner, als Andre,
War der Blinde von ſeiner Geburt, dem Jeſus den Tag gab.
Daß er ein Zeuge der Herrlichkeit Jeſus wuͤrde, bedeckt’ ihn
Blindheit lange! Daß du, wie er, zu zeugen vermoͤchteſt,
Sandte mich Jeſus zu dir, der Auferſtandne vom Tode.
Nicht, weil du mir riefſt, dich zum Zeugen zu machen! erſchein’ ich!
Waͤre dir ohne dein Rufen erſchienen! Dein Zweifeln verdiente
Zwar
[208]Der Meſſias.Zwar Vergebung, allein Belohnung nicht! Und Belohnung
Waͤr ich, Dilean, dir, waͤrſt du nicht zum Zeugen erkohren.
Was geſchehn ſoll, geſchieht; ihr zweifelt! oder ihr leugnet!
Zweifelte gleich das ganze Geſchlecht der ſterblichen Suͤnder
An der kuͤnftigen Welt; ſie wuͤrden dennoch erfahren,
Daß geſchieht, was geſchehn ſoll! erfahren, daß uͤber den Graͤbern
Leben wohnt; wie verwundernd ſie auch die Erfahrung erfuͤhren.
Bleich ſtand Dilean, als die Erſcheinung endete. Nein, ich
Unterwinde mich nicht, noch mehr zu fragen? Jch beuge
Mich im Staube vor dem, der dich mir geſandt hat, Erſcheinung!
Und er kniete nieder, und wandte ſich weg von Thirza.
Herr der Herrlichkeit, du, der erſtand! vergieb mir mein Zweifeln!
Meine Thraͤnen dazu! Du wuͤrdeſt, Goͤttlicher, wiſſen,
Was ich bete; vernaͤhms auch dein Bote nicht! den du mir ſandteſt!
Herr der Herrlichkeit, laß das große Ziel mich erreichen,
Das du durch dieſe Sendung mir zeigſt; ſo wall’ ich in Frieden,
Wenn ich ſterbe, zu dir hinauf und den Meinen im Himmel!
Und er richtet ſich auf. Noch ſchwebte vor ihm die Erſcheinung.
Alſo floß mit lieblichem Wehn der Unſterblichen Stimme:
Siehe, du unterwandeſt dich nicht zu fragen! ich aber
Will antworten. Jch bin der ſieben Maͤrtyrer Mutter,
Thirza. Bey dieſem Felſen ſchwebt die gluͤckliche Seele
Deiner Geliebten, an jenem des Freundes, die liebend dein warten.
Aber vernimm der Seligkeit mehr. Der Meſſias erſcheinet,
Eh er zum Throne ſich ſchwingt, in Galilaͤa den Schaaren
Von fuͤnfhundert Bruͤdern auf Einmal. Da wirſt du ihn ſehen!
Mit
[209]Funfzehnter Geſang.Mit dem Worte verſchwand die erhabne Thirza. Jhm deucht es,
Als ob er dreyer Unſterblichen Rauſchen von ferne vernaͤhme.
Und er kam der Sonne, die jetzt aufging, aus der Hoͤhle
Freudeweinend, entgegen. Noch blieb er dankend am Eingang,
Daß du ihm Fuͤlle der Herrlichkeit gabſt, und des Himmels Vorſchmack,
Ewiger Quell des ewigen Lichts, da er durſtet’ im Elend!
Daß du ihm halfſt, da ihm Menſchen nicht mehr zu helfen vermochten.
Mit nachahmender Hand Gemaͤlde von Seide zu ſticken,
Saß an einem tyriſchen Purpurteppich erfindend
Tabitha. Fruͤhwegbluͤhende Mutter Benoni’s, dein Grabmaal
War ihr ernſter Geſchaͤfft, als ſonſt vielfarbige Faden
Unter weiblicher Hand. Sie dachte beym Spiele der Nadel.
Auf dem Grabe ruhte die bleiche Rahel. Benoni
Kniete bey ihr, und ſtieß mit weggewendetem Auge
Einen Dolch ihr ins Herz. Jetzt eben rannen am Dolche
Blutige Tropfen herab, da vom Purpur Tabitha aufſprang,
Eilet’, und, die Ermattete lief zu empfangen, die ankam.
Jn dem Gewande der Leichengefolge, mit blaͤſſerer Wange,
Trat die Unbekannte zu ihr. Doch die Leiden der Freundſchaft
Hatten nicht jede Schoͤnheit der jugendlichen Debora
Auszuloͤſchen vermocht. Gleich einem truͤben Morgen
War ſie, doch einem Morgen des Fruͤhlings. Jch komme, ſo ſagte
Sie zu Tabitha, hier von dem ſchweren Gange zu ruhen;
Denn ich vermochte nicht weiter zu gehn. Ach meine Geliebte
Ruht nun beſſer, als ich, die Geliebteſte meiner Geliebten.
Bleib du bey deinem Geſchaͤfft; laß mich nur ruhen, und weinen.
IIIBand. OUnd
[210]Der Meſſias.Und ſie ſaß, und lehnte ſich ſanft auf eine Harfe,
Der ein weinender Laut entklang, indem ſich Debora
Auf ſie lehnt’. Umſonſt ward Tabitha dieſer Betruͤbten
Troͤſterinn. Laß mich allein, und jene Wunde da bluten!
Meine blute fuͤr ſich. Und Tabitha ging zu den Schmerzen,
Die ſie nun weniger ruͤhrten, zuruͤck, und verſuchte zu ſticken.
Aber jetzo ergriff die Unbekannte die Harfe,
Und wie ein fernherweinender Bach, wenn vor dem Gewitter
Todesſtille die Waͤlder beherrſcht, erklangs in den Saiten
Und die ſinkende Hand der grabverlangenden Freundinn.
Tabitha hoͤrete nur, und vergaß der Leidenden Thraͤnen,
Als ihr Geſang, die Seele der Saiten, mit ihnen ertoͤnte.
Gott der Goͤtter, belohne du nun die vollendete Todte.
Doch ſind Leiden der Zeit der Herrlichkeit wuͤrdig, zu der du
Gott, Belohner erhebſt? Sie ſtarb in der Bluͤte des Lebens!
Aber was iſt die Blume, die ſank von Sturme gebrochen,
Gegen die Ceder Gottes, die oben auf Golgatha ſtuͤrzte?
Die vom Himmel herab des Allmaͤchtigen Wetter zermalmte,
Daß die Felſen umher, und die Graͤber der Todten erbebten?
Wie von dem Bilde geſchreckt, verſtummte Debora. Nur einzle,
Starke Schuͤttrungen rauſcheten noch durch die Nerven der Harfe
Weit herunter, bis endlich, die hohe Seele der Saiten,
Bis der Geſang, von neuem begann. Das Leichengefolge
Deß, der auf Golgatha ſtarb, war ein kleiner weinender Haufe
Sterbliche; waren, verloſchen an Schimmer, Himmelsbewohner!
Und der Todtengeſang der unſichtbaren Begleiter
Scholl, wie der Storbenden Weinen am ſiebenarmigen Strome,
Als
[211]Funfzehnter Geſang.Als von der niedrigſten Huͤtte der Wuͤrger hinauf zu dem Thron ſtieg!
Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann!
Hoͤrerinn ihres Geſangs war nicht die Erde; die Sterne
Waren Hoͤrer! Orion und du, des Richtenden Wage!
Die vernahmen ſie nur. Da ſchloß ein gewaͤlzter Felſen
Dumpferſchuͤtternd ſein Grab! da ſtieg mit des ſinkenden Felſen
Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte.
Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte
Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht’ er!
Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr,
Du Orion, und du, des Richtenden Wage, geſtiegen,
Als er erſtand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen,
Daß er erſtand! Und die auf dem einſamen Grab’ hier blutet,
War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz ſtoͤßt.
Waͤhneſt du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verweſenden ewig,
Daß auf immer daure der Schlummer im Schooſſe der Erde?
Tabitha ſah zur Prophetinn hinauf, und verſtummte zu fragen.
Jrr’ und wundernd hielt ſie ſich an dem Rahmen des Teppichs!
Aufſtehn wollte ſie, wollt’ hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht!
Und Debora ſtuͤtzete ſich auf die Harfe. So ſprach ſie:
Lerne! Denn viel mußt du von der Auferſtehung der Todten
Lernen! Du brauchſt viel Troſt des Todes, denn, Tabitha, zweymal
Jſt dir zu ſterben geſetzt. Der Erſtgebohrne der Todten
War, und iſt dereinſt der Entſchlafnen allmaͤchtiger Wecker.
Nur mit leiſer Klage, daß du zu der Erde zuruͤckkehrſt,
Und mit ſuͤſſem Erwarten der zweyten Schoͤpfung aus Staube,
Mußt du nieder dich legen, und ſterben. Den ſchreckt nicht des Grabes
O 2Offne
[212]Der Meſſias.Offne Nacht, nicht Erd’ auf den Leichnam mit dumpfem Getoͤſe
Niedergeworfen, nicht Stille verlaßner einſamer Graͤber,
Noch der Verweſung Bild wer, wenn dieß alles ſein wartet,
Weis, daß Gott ihn dereinſt in ſeinen Himmel hinaufruft,
An dem Tage der groſſen Geburt in das Leben der Engel.
Alſo ſagte Debora, und nahm die Harfe von neuem,
Und ſanftlispelnder Laut, und unſterbliche Stimmen entfloſſen
Jhrer fliegenden Hand, und ihrem laͤchelndem Antlitz.
Was empfand ich, als nun das neue Leben mich aufhub
Aus der blumigen Gruft! mein Staub Unſterblichkeit wurde!
Aus den Choͤren der Engel zu mir die Verklaͤrung herabſtieg!
Wie erbebt’ ich! (Sie bebte von neuem, und wurde zu Schimmer.)
Welcher Seligkeit Schauer durchſtroͤmte mein innerſtes Leben!
Welcher Glanz war mein Glanz! Jn welcher Herrlichkeit Lichte
Wohnte mein ewiger Geiſt! Jch wandte mein Antlitz, und ſuchte
Deſſen Thron, der von neuem mich ſchuf. Er war mir nicht ſichtbar.
Leiſes Wehn nur, und Saͤuſeln der Gegenwart Gottes umgab mich.
Jhre Himmelsſtimme verlor ſtets ſanfter dem Ohre
Sich, dem Auge der Schimmer. Da blieb voll Blaͤſſe der Freude
Tabitha ſtehen; und nun ſchwieg auch der Harfe Nachlaut.
Gedor von ſanftem Herzen, und gleich empfindlich der Freude
Und der Traurigkeit, aber auch feſten Entſchluſſes, dem Geber,
Ruhe gaͤb er ihm, oder Schmerz, ſich zu unterwerfen;
Gedor lebte verborgen, und gluͤcklich mit der Gefaͤhrtinn
Dieſes Lebens nicht nur, auch jenes ewigen Lebens.
Wie ſie ſich liebten, wußten nur ſie, und wenige Freunde.
Weggewandt von dem Leben am Staube, beſprachen ſie oft ſich
Von
[213]Funfzehnter Geſang.Von der kuͤnftigen Welt, und von der naͤheren Trennung,
Oder noch fernen, auf ihrer Reiſe zur Heimath im Himmel.
Liebend wuͤnſchten ſie ſich; doch wagten ſie das nicht zu hoffen,
Was ſo wenigen ward, mit einander hinuͤber zu wallen.
Herr! ihn hattſt du erſehn, zu des dunkeln Thales Eingang
Sie zu geleiten. Sie lag zu ſterben. Das glaubt’ er zu ſehen;
Aber er wußte, daß du aus groſſen Gefahren erretten,
Toͤdten koͤnnteſt in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam
Naͤher, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel
Ernſt ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter,
Wieder gen Himmel von ihm. So erhub ſie zweymal ihr Auge.
Niemals ſah er Blicke, wie dieſe, nie wurden ihm Blicke,
Wie die ihrigen waren, beſchrieben, voll feyrlichen Ernſtes,
Und der innigſten Wehmut, und maͤchtiger Ueberzengung
Jenes ewigen Lebens. Jch ſterbe! verlaſſe dich! gehe
Zu der namloſen Ruh! wars, was ſie redeten! wars nicht!
Staͤrker wars, unausſprechlich! Hier mußt’ er der Menſchheit erliegen,
Oder ihn mußte mit maͤchtigem Arme der Helfer erheben.
Und der Erbarmende thats. Der ſchwache Sterbliche fuͤhlte
Sich der Erde gewaltig entriſſen, und nahe dem Eingang
Zu der Herrlichkeit, welcher ſich ſeiner Cidli ſchon aufthat.
Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;
Legt’ auf ihre Stirne die Hand, und begann ſie zu ſegnen:
Wandl’ hinuͤber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war,
Jſaks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers!
Ja ſein Wille geſcheh, es geſcheh ſein gnaͤdiger Wille!
O 3Und
[214]Der Meſſias.Und ſie ſprach mit der Stimme der Zuverſicht, und der Freude:
Ja, Er mach es, wie Er es beſchloß! Gut wird Ers machen!
Gedor hielt ihr die Hand: Wie ein Engel haſt du geduldet!
Gott iſt mit dir geweſen! Mit dir wird Gott ſeyn! Geweſen
Jſt mit dir der Allbarmherzige! Dank ſey, und Preis ſey
Seinem herrlichen Namen! Er wird dir helfen! Ach waͤr ich
Elend genung, ihm nicht zu dienen; ſo dient’ ich ihm heute.
Sey mein Engel; laͤßt Gott es dir zu! … Du wareſt der meine!
Sagte Cidli … Sey nun, du Himmelserbinn, mein Engel,
Laͤßt der Herr dir es zu. Und liebend erwiederte Cidli:
Gedor, wer wollt’ es nicht ſeyn? Voll Mitleid, mit freudigem Tiefſinn,
Schwebte Rahel um ſie, die Geliebte des Pilgers aus Kanan,
Und die Mutter des Sohns der Schmerzen. Noch war ſie dir, Cidli,
Unſichtbar. Doch als nun dein Haupt zu dem Tode dahinſank,
Sahe dein laͤchelndbrechender Blick die Unſterbliche ſtehen;
Und du machteſt dich auf, zu deiner Geſpielinn zu kommen.
Doch mir ſinket die Hand, die Geſchichte der Wehmut zu enden! …
Spaͤte Thraͤne, die heute noch floß, zerrinn mit den andern
Tauſenden, welch ich weinte. Du aber, Geſang von dem Mittler,
Bleib, und ſtroͤme die Kluͤfte vorbey, wo ſich viele verlieren,
Sieger der Zeiten, Geſang, unſterblich durch deinen Jnhalt,
Eile vorbey, und zeuch in deinem fliegenden Strome
Dieſen Kranz, den ich dort am Grabmaal von der Cypreſſe
Thraͤnend wand, in die hellen Gefilde der kuͤnftigen Zeit fort.
Unter den Schatten Moria erhub ein ſchallendes Haus ſich
Ueber die andern empor, einſt fuͤrchterlicher zu ſtuͤrzen,
Jenen verkuͤndeten Tag der groſſen Adlerverſammlung!
Auf
[215]Funfzehnter Geſang.Auf den ſtilleren Soͤller war jetzt der reichen Bewohner
Einziger Sohn geſtiegen. Er war in der Blume des Lebens,
Aber ein Juͤngling voll Ernſt, die Freude ſeiner Geſpielen,
Seiner Mutter Entzuͤckung! Der Mond, enthuͤllt vom Gewoͤlke,
Ging jetzt uͤber der hohen Jeruſalem, und Moria
Ruhig einher, und ſchimmerte ſanfte Gedanken herunter
Denen, die noch in Schlafe, dem taͤglichen Tode, nicht lagen,
Dir vor allen, o Stephanus, Juͤngling voll Tiefſinn. Er wallte
Leiſ’ in den Labyrinthen herum, die des Sehers Geſchichte,
Welchen Bethlem gebar, um ſeine Seele, je mehr ſie
Forſchte, je groͤſſer, und unausgaͤnglicher herzog.
Lockicht lag ſein dunkleres Haar auf dem leichten Gewande,
Das ihn umfloß, und auf der gedankenſtuͤtzenden Rechte.
Als er ſo nachſann, trat ein Fremdling herauf: Sie haben
Mir die Quelle geſchoͤpft, mich geſalbt, (Arabiens Stauden
Duftet’ er) haben mich ſchon durch leichte Speiſen erfriſchet.
Keiner Erquickungen mehr, nur dieſes heiteren Abends,
Dieſer Ruhe bedarf ich noch. … Sey mir, o Pilger, geſegnet!
Unſrer Huͤtte Friede ſey dein! .... Geliebterer Aeltern
Einziger Sohn, ich bin heruͤber vom Meere gekommen,
Habe vieles erlitten. … Eh du mir, redlicher Fremdling,
Was du litteſt, erzaͤhlſt, muß ich dich fragen: Vernahmſt du
Schon von Jeruſalems groſſen Propheten die ernſte Geſchichte?
Jhm antwortet Jedidoth mit ſchneller gefluͤgelter Stimme:
Ach von Jefus dem Dulder, der wegen der Wahrheit geſtorben,
Wegen der hoͤheren Wahrheit, die Er, nicht Moſes, uns lehrte.
O 4Der,
[216]Der Meſſias.Der, denn eilender ſtets verbreitet in Salem der Ruf ſich!
Von den Todten erſtand, noch maͤchtiger ſie zu beweiſen!
Fremdling, Erſtaunen befaͤllt mich bey deiner Rede. Der Wahrheit
Maͤrtyrer waͤr er geſtorben? Das ſagſt du, und kommſt doch von fern her,
Kommſt ein Waller des Meers. Wurd euch denn, was er uns lehrte,
Auf den Jnſeln erzaͤhlt? … Wo, was er lehrt’, uns erzaͤhlt ward,
Sag ich hernach. Jetzt laß mich dich auch, o Stephanus, fragen:
Wenn du nun wuͤßteſt, daß er, nicht nur ein Zeuge der Wahrheit,
Daß er, ein Groͤſſerer noch, ein Verſoͤhner der Menſchen, geſtorben,
Und von dem Tod erweckt ſey; o wuͤrde dein bluͤhendes Leben
Dann zu theuer dir ſeyn, die groſſe Wahrheit zu zeugen?
Wuͤrdeſt du, bis an den Tod, wenn unſre ſilbernen Haͤupter,
Durch die leiſe Hand der Natur, zum Grabe ſich neigen,
Wuͤrdeſt du dieß dein Leben, ſo lang, o Stephanus, lieben?
Oder es fruͤher, fuͤr den, der zuerſt geſtorben war, geben?
Was ich thaͤte, weis Gott! was ich aus innigſter Seele,
Und mit jedem entflammten Verlangen, wuͤnſche, das weis ich!
Und was wuͤnſcheſt du denn, du edler Juͤngling? … O nenne
Mich, den ſchwachen und ſuͤndigen Juͤngling, nicht edel, du Pilger,
Der ſo erhabne Dinge mich fragt: Wie ich den Erretter
Lieben wolle? wie ich entſchloſſen ſey, zu beginnen
Jenes ewige Leben? Ach der mein Herz mir erſchuͤttert,
Meine Seele beſeelt, du Wunſch voll ſuͤſſer Entzuͤckung,
Wuͤrdeſt du mir gewaͤhrt; ſo ſtroͤmte, von Jeſus zu zeugen,
Dieß mein jugendlich Blut aus allen Quellen des Lebens!
Nicht dich mehr zu entflammen, ach, dich zu belohnen, du lieber,
Kuͤnftiger Maͤrtyrer, hoͤre des ſiebenten Juͤnglings Geſchichte.
Jhn,
[217]Funfzehnter Geſang.Jhn, ihn lockt’ Epiphan, mit jedes Gluͤckes Verheiſſung,
Mit den Groͤſſen der Welt, umſonſt! Er ſandte vergebens
Seine Mutter, die Heldinn, zu ihm. Die ſprach zu dem Sohne:
Ach! du Lieber, du Juͤngſter, du einziger Uebriger, den ich
Unter meinem Herzen getragen, geſaͤugt drey Jahre,
Muͤtterlich muͤhſam erzogen, mein Sohn, erbarme dich meiner!
Und, o ſchau gen Himmel empor, herab auf die Erde!
Alles dieß hat der Herr, er hat den Menſchen geſchaffen!
Darum erbarme dich meiner, und ſtirb! … Entſchloſſen zum Tode
Rief er, als ſeine Mutter noch redte: Was harret ihr, Wuͤter?
Und, Epiphan, du entſetzlicher Mann! wirſt du dem Gerichte,
Du dem Allmaͤchtigen denn entkommen? Das ewige Leben
Haben meine Bruͤder nun ſchon, die kurz, und wenig
Litten! Er ſtarb. … Dem Erzaͤhlenden waren ſein Angeſicht Schimmer,
Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert’, und weinte.
Werth ſind deine Thraͤnen mir, Juͤngling! Jch zaͤhlte ſie alle!
Eines Suͤnders Thraͤnen? ſo rief der Juͤngling, und bebte.
Eines Suͤnders, allein den Jeſus Opfer entſuͤndigt,
Und in das Allerheiligſte fuͤhrt. Jetzt blickt’ auf die Beyden
Jeſus, der Auferſtandne, vom hohen Tabor herunter,
Sah den Sterblichen ſtehn im Schimmer des Mondes, im eignen
Dich, Unſterblicher. Schnell, als Stephanus ſinken wollte,
Und der Erſcheinung erlag, rief noch Jedidoth heruͤber:
Himmliſcher Bruder, ich wars, der ſich der Mutter erbarmte.
Dort, (ſchon ſchwebt’ er empor,) dort lernt’ ich, was Jeſus euch lehrte.
Und er ſtieg gen Himmel hinauf, und verſchwand in den Wolken.
Barnabas Joſes, ein Levi von Cyprus fernem Geſtade,
O 5Ging
[218]Der Meſſias.Ging zu dem Jordan hinab, den Acker, den dort er hatte,
Anzuſehen, wie weit den Keim der Fruͤhling getrieben;
Welcher Fruchtbarkeit Hofnung die ſchwellenden Saaten ihm gaͤben.
Und er wallet’ allein. Nicht lange, ſo kamen Sapphira
Und Ananias zu ihm, und wurden ſeine Gefaͤhrten.
Auch ſie rief die keimende Saat in des Jordans Gefilde.
Und ſie kamen zum Cedernbache. Die ſchoͤne Sapphira
Setzet ihren verſuchenden Stab mit wankenden Haͤnden
Oft an die glatten Kieſel, eh ſie hinuͤber zu gehn wagt.
Und ſchon ruhet ſie aus, auf einem Stein an dem Bache.
Neben ihr ſaß Ananias auf einem andern, und Joſes
Stand vor ihnen. Sie ſaſſen an ihren kuͤnftigen Graͤbern.
Ach, ihr wußtet es nicht, daß bald nun auf dieſen Steinen
Eurer Leichname Traͤger, erſchrockne Juͤnglinge, ruhen,
Weggehn wuͤrden, ohn’ euch zu der Auferſtehung zu ſegnen.
Aber er wußt es, der jetzt, mit dem groſſen Taͤufer des Mittlers,
Schwebend neben euch trat, Eliſa. Er ſtand ungeſehen
Mit Johannes bey ihnen. O waͤr, im Wehen des Kidron,
Seine Stimme gekommen, und haͤtte die Armen gewarnet;
Haͤtt’ er die Donnerworte des hohen Apoſtels gerufen:
Menſchen habt ihr nicht, Gott habt ihr gelogen! ſo waͤre
Hier vielleicht ihr Grab nicht geweſen! Doch, Huͤlle der Zukunft,
Siehe du haͤngeſt herab, und dich hebet einſt das Gericht nur.
Ruhend brach Sapphira von ihrem Grabe, des Fruͤhlings
Erſte Blumen, und gab ſie dem erndteſinnenden Manne.
Und ſie kamen hinab zu ihrer Saat. Ananias
Sprach von der Fuͤlle der Aehren, und ihrer Fruchtbarkeit Werthe.
Joſes
[219]Funfzehnter Geſang.Joſes freuete ſich der Erndter Freuden, wenn ihnen
Endlich der Abend laͤchelt, und ſie in der Kuͤhlung ſich letzen,
Wenn ſie mit blauen Kraͤnzen, die unter dem wankenden Halme
Wachſen, bekraͤnzt, in mutigem Reihn, beſchattet vom Oelbaum,
Jauchzen, daß ſie die Laſt, und des Tages Hitze getragen;
Und Johannes begann: Auf, laß uns ihnen erſcheinen!
Jhm antwortet Eliſa: Wem willſt du erſcheinen? Der groſſen
Felder Beſitzer? oder des ſchmalen ſteinigen Ackers? …
Beyden! … Und ich, antwortet’ Eliſa, erſcheine nur Joſes,
Dem in bergigtem Acker die Saat der Kieſel erdruͤcket.
Wird Ananias ein Chriſt? das frag ich dich, theurer Eliſa.
Ja das wird er! … Wohlan, laß uns dem Chriſten erſcheinen!
Denkt er weniger gut; ſo bedarf er, geleitet zu werden,
Mehr, als Joſes …, Jch ſah: Er wurde gewogen! und ſahe
Seine Waagſchal fuͤrchterlich ſinken. Wir wuͤrden ihm haͤufen
Seine Gerichte, zum groͤſſeren Zorne Gottes ihm werden,
An dem Tage der ſchreibenden Hand; wenn wir ihm erſchienen!
Wuͤrden wir ihn nicht erretten? erwiederte leiſe Johannes.
Komm denn, ſprach Eliſa, und laß uns den Chriſten erſcheinen;
Aber nicht, als Erſtandne des Herrn. Sie ſchwebten nach Salem.
Und Ananias und Joſes, und ihre Begleiterinn gingen
Auch nach Salem zuruͤck. Da ſahn ſie nah an dem Tempel
Einen Blinden, und Lahmen in ſtiller Traurigkeit ſitzen.
Und die Armen redten ſie an, zwar voll von Wehmut,
Aber nicht mit Ungeſtuͤm, mit Wuͤrd’ in der Bitte.
Sanft gab Joſes, und ließ die Gabe die Linke nicht wiſſen;
Mehr Ananias, und weniger doch. Das Mindere warf er
Noch
[220]Der Meſſias.Noch dazu mit Verdruß vor den Fuß der leidenden Armen.
Und ſie waren voruͤber gegangen. Du ſiehſt nun, ſo ſagte
Zu dem Lahmen der Blinde, daß er der Erſcheinung nicht werth iſt.
Und der Groͤßte von denen, die Weiber gebahren, der Groͤßte,
Weil er der Menſchlichſte war, als er Eliſa vernommen,
Schwieg! … Jetzt hatt’ er vollendet des furchtbaren Schweigens Urtheil,
Und er ſprach zu Eliſa: Du ſahſt ihn waͤgen! was ſahſt du?
Chriſten ſah ich verſammelt, und Kephas unter den Chriſten.
Jeder der himmelnahen Verſammlung verkaufte ſein Erbe,
Gab es zu Aller Gebrauch. Und Joſes war einer von ihnen.
Und er verkaufte den Acker, den wir geſehen, und legte
Zu der Apoſtel Fuͤſſen das Silber. Auch kam Ananias;
Aber er brachte nicht Alles. Da ſprach, zu dem Taͤuſchenden, Kephas:
Warum erfuͤllte Satan dein Herz, Ananias, dem Geiſte
Gottes zu luͤgen? und etwas vom Silber des Ackers zu nehmen?
Dein war er, und du haͤttſt ihn behalten koͤnnen; verkauft war
Auch das Silber noch dein. Warum erkuͤhnte dein Herz ſich
Dieſer That? Nicht Menſchen haſt du, Gott haſt du gelogen!
Als Ananias von Petrus die Donnerworte vernommen,
Stuͤrzt’ er nieder, und ſtarb. Und Schrecken befiel, die es ſahen.
Juͤnglinge nahmen ihn auf, und trugen ihn weg zum Begraben.
Wenige Stunden, da kam das Weib Ananias, Sapphira;
Und ſie hatte von dem nicht gehoͤrt, was vor kurzem geſchehn war.
Petrus befragte ſie: Habt ihr das Feld ſo theuer verkaufet?
Ja ſo theuer! erwiederte ſie. Da ſprach zu ihr Kephas:
Warum verbandet ihr euch, den Geiſt des Herrn zu verſuchen?
Siehe,
[221]Funfzehnter Geſang.Siehe, der Juͤnglinge Fuͤſſe, die deinen Mann begruben,
Sind vor der Thuͤr’, und bereit, auch dich zum Grabe zu tragen.
Sterbend ſank ſie vor Kephas nieder. Die Juͤnglinge kamen,
Fanden ſie todt, und trugen ſie weg, daß ſie neben dem Manne
Sie begruͤben. Entſetzen befiel die ganze Gemeine,
Und wem ſonſt die Geſchichte der ernſten Gerechtigkeit kund ward.
Joſes hatte ſich jetzt von ſeinen Gefaͤhrten geſondert.
Und er eilte zuruͤck nach ſeinem Hauſe. Johannes
Kam in Gehen zu ihm. Woher bringt, Joſes, dein Weg dich?
Von den Saaten am Jordan. Jch habe dort Acker. Sie traten
Mit den Worten ins Haus, Und an des kommenden Vaters
Halſ’ und Armen hingen die Kinder. Auf, ſegne die Meinen!
Sprach der Vater zum Fremdling, und bracht ihm die freudigen Knaben.
Dieſer wendete ſich zu den Knaben mit einer Hoheit,
Die mit Bewundrung das Herz des ernſten Vaters erfuͤllte.
Seyd auch Zeugen des Herrn, ihr Kinder Joſes! Dein Acker
Wird von jetzt noch weniger Garben der Erndte dir geben!
Wird mich der Herr denn verlaſſen? und dieſe Waiſen verlaſſen? ..
Das iſt ferne von Gott, der mehr, wie das ſterbliche Leben
Nur erhaͤlt. Er giebt, und nimmt von dem Jrdiſchen! nimmt nicht,
Ewiger Theil, von dir. Der Taͤufer ſprachs, und erhabner
Wurde ſtets ſein Anſehn. Joſes hatte noch Blicke
Nie, wie dieſe, geſehn, noch keine Stimme vernommen,
Die mit dieſer Feyerlichkeit von Gott ſprach. Schweigend
Hoͤrt er ihn reden. Und alſo begann von neuem Johannes:
Der, du kannteſt ihn doch? zu deſſen Fuͤſſen Maria,
Lazarus Schweſter, den beſſeren Theil, die Ewigkeit waͤhlte!
Der
[222]Der Meſſias.Der Jairus Tochter, im Tode ſchlief ſie! der Nains
Todten Juͤngling, und dann der ewigkeitwaͤhlenden Schweſter
Himmliſchen Bruder erweckte, der iſt nun ſelbſt von den Todten
Auferſtanden! Sein Zeuge bin ich! Sein Zeuge ſollſt du nun
Bald auch werden! Er ſprachs mit Hoheit, die zur Verklaͤrung
Sich zu erheben begann. Schon bin ich ſein Zeuge geweſen,
Als er hinab in den Strom, auf ihn vom Himmel der Geiſt ſtieg!
Als von ihm die Stimme des Vaters ſcholl in den Wolken!
Und er ſprach die Worte mit einem ſo himmliſchen Anſchaun,
Daß ihm ein kurzer Uebergang zur Verklaͤrung nur fehlte.
Eilend wandt’ er ſich um, und ging, und von dem Gewandten
Kamen Schimmer, die wurden blaͤſſer, entfernten ſich, ſchwommen
Wie in Daͤmmrung dahin. Jetzt war die Erſcheinung verſchwunden.
Vater, riefen die Knaben, es blitzte! da ſank an den Stufen
Daͤmmrung hinab! Wo aber iſt der, mit dem du hereinkamſt?
Und der fuͤnfte nach dir, du Morgen der Auferſtehung,
Stieg, des ſchoͤnſten Tages Verkuͤndiger, uͤber die Huͤgel
Juda, roͤthlich empor, und Portia wachte mit ihm auf,
Mehr von Traͤumen, als Schlafe. Sie ging hinab zu der Blumen
Fruͤhen Geruͤchen; allein ſie dufteten ihr vergebens.
Wieder ein Morgen erlebt, ein Tag der Erde! Doch truͤb’ iſts
Jmmer in meiner Seele noch, immer noch Nacht, da erwachet,
Geber des Lebens, kein Tag! Jch traͤume noch immer in Dunkeln,
Lieg’, und ſchmachte, dich zu erkennen, und den zu erkennen,
Den wir in ſeinem Grabe nicht finden. Ach wenn die letzte
Meiner Sonnen nun kommt, wirds Nacht auch dann noch in mir ſeyn?
Tag erſt, wenn ſie hinab in die Oceane ſich ſenket?
Oder
[223]Funfzehnter Geſang.Oder gar noch truͤbere Nacht? Das Volk der Erwaͤhlung
Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch ſie ſich entſetzen,
Einen Weg durch ein finſteres Thal. So tragen denn Alle
Jhre Laſten, die Gott erleuchtet, und die er ſich ſelbſt laͤßt?
Aber laß mich nicht mir, und erleuchte mich! Schrecken des Todes
Schrecken mich nicht, wenn du mit deinem Lichte mir leuchteſt.
Nun du Fels in Meer, in tiefem Meere der Zweifel,
Du Gedanke: Der Wille des Erſten der Weſen geſchehe!
Sey auch jetzt, wie du oft ſchon warſt, mir Geaͤngſteten Zuflucht!
Werde denn ſanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Duͤfte,
Und, ihr Farben des Fruͤhlings, mich auf! Doch neben dem Grabe
Deſſen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr ſchlummert,
Laͤchelt der Fruͤhling ja auch. Was ſaͤum’ ich, mich dort zu erfriſchen,
Wo ein wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa
Einer, der dort um ihn weinete, zeigt. So denkt ſie, und winket,
Jhr von weitem zu folgen. Sie ging ſchon gegen das Grabmaal
Aus der thuͤrmenden Stadt. Sie ſahen heruͤber zum Felſen
Rahel kommen, und Jemina, Hiob des Ausgepruͤften,
Und des Wiedergeſegneten Tochter. Die Seligen ſprachen
Untereinander: Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel,
Die gen Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet!
Laß ſie uns leiten. Dein fuͤhrender Engel, Portia, ſah ſie,
Menſchen werden, wie wir, zwo Pilgerinnen des Feſtes.
Griechinnen ſchienen ſie, und waren heruͤber gekommen
Von den Jnſeln, der Toͤchter des Archipelagos Einer.
Und ſie kamen einher, mit leichten Staͤben, und Purpur
Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Roͤmerinn langſam,
Und
[224]Der Meſſias.Und in Gedanken vertieft, voruͤber. Doch Portia wandte
Sich nach ihnen herum, und ſprach: Verweilt, wenn ihr duͤrftet,
Pilgerinnen. Jhr irrtet an dieſem Grabe mit Tiefſinn.
Kanntet ihr, den es vor wenigen Tagen noch deckte? … Wer biſt du,
Die du uns fragſt? Du ſcheinſt mir der Jſraelitinnen keine.
Biſt du vom Kapitol, dem ſchrecklichſten Huͤgel der ſieben,
Eine der Herrſcherinnen, ſo laß uns, und ſpotte nicht unſer,
Roͤmerinn! … Deſſen ſpotte der Hocherhabne des Himmels,
Welcher ſich unterwindet zu ſpotten der redlichen Unſchuld!
Kennt mich mehr! Zwar bin ich Pilatus Vermaͤhlte, doch wuͤrd ich,
Tief erniedrigt mich ſehn, wenn ich euer zu ſpotten vermoͤchte.
Seyd ihr nicht, anzubeten, von fernem Meere gekommen?
Und ich ſollte, mit kriechendem Spott, die Froͤmmigkeit lohnen?
Redet mit mir, damit ihr mich kennt. Dieß Grab des Todten,
Ueber eure Vermuthungen, iſt mir es theuer, und heilig!
Kam der Ruf auch zu euch: Er ſey erſtanden vom Tode,
Den es deckte? … Du denkſt von Jeſus, Jemina redte,
Als wir keine von euch, die Goͤtter glauben, noch fanden!
Und verdieneſt von uns, daß wir, mit der offenſten Einfalt
Zu dir reden, und ruhig erwarten, wie du es urtheilſt.
Mehr noch kam, wie nur Ruf, zu uns. Und meine Gefaͤhrtinn
Hier hat Eine der Frommen geſehn, der war er erſchienen.
Red’, o Gluͤckliche, welche die mehr noch gluͤckliche Fromme,
Seine Begnadete, ſah. Jſt ſie noch im Leben des Elends?
Hat er ſie nicht hinuͤber ins beſſere Leben genommen?
Magdalena Maria, ſo heißt der Begnadigten Name,
Lebet noch hier. Sie ſucht’ ihn im offenen Grabe vergebens,
Jrrt’,
[225]Funfzehnter Geſang.Jrrt’, und weint’, und erblickte, wie ihr es dauchte, den Gaͤrtner,
Denn die werdende Morgendaͤmmrung bedeckte die Baͤume.
Aber, wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beſchreiben?
Sieh, er wandte ſich um, und nennte mit himmliſcher Stimme
Sie, bey ihrem Namen, mit ſeiner Stimme: Maria!
Nieder ſank ſie zur Erde, Rabbuni! bebte ſie ihm zu,
Lag, und hielt mit Thraͤnen, und kuͤßte des Goͤttlichen Fuͤſſe,
Und er gab ihr Befehl. … Hoͤr’ auf, mir werden der Freuden
Sonſt auf Einmal zu viel, und ich unterliege! … Du ſieheſt,
Rahel, ſie bebt, hoͤr’ auf! … Jſt der dein Name, Geliebte?
Rahel, ſo heiſſeſt du? Rahel, wie haſt du mein Elend gelindert!
Ach erſchienen! Maria bey ihrem Namen genennet,
Und mit himmliſcher Stimme, die Auserwaͤhlte der Wonne!
Wer empfindet ihr nach, wie ſelig er ſie gemacht hat!
Bringt ſie mir her, damit ich zu ihr, aus meinem Schmerze,
Mein ermuͤdetes Haupt erheb’, und ſie weinend bewundre,
Weinend! Denn von der Quelle der Ruh, die uͤber ſie ſtroͤmte,
Wird kein Tropfen mich kuͤhlen! Zu Abrahams Volke gehoͤr’ ich
Heidniſche Roͤmerinn nicht, viel minder zu jenen Geliebten
Unter den Toͤchtern Jeruſalems, denen der Sieger erſcheinet,
Siehe der groſſe Sieger des Todes! O warum belohnt ihn
Kein Triumph? kein hoher Triumph, daß Jeruſalem halle!
Daß der Sion davon, und des Tempels Woͤlbungen beben!
Warum tragen ſie nicht vor ihm her die Bilder der Vaͤter?
Ganz Judaͤa, auf goldenen Staͤben, Abrahams Bildniß,
Daniels, Hiobs, und Moſes, und deins, der Juͤnglinge Kuͤhnſter,
Der zu der Erde den Rieſen, vom Nacken der Seinen, das Joch warf!
IIIBand. PWarum
[226]Der Meſſias.Warum weint ihm nicht nach, wer lahm war, und gehet? wer taub war,
Hoͤret? blind war, und ſieht? dem Wunderthaͤter, wer todt war,
Und nun lebet? daß nie ein Triumph, wie der Seine geſehn ſey!
Keiner, der ſtolz die ſiegenden Huͤgel umzog, und den Lorbeer
Nieder im Capitol, bey dem Donner Jupiters, legte!
Doch wo verlier’ ich mich hin? Sein Reich, das hoͤrt’ ich ja ſelber,
Jſt von dieſer Welt nicht. … Entſunken dem ſchwellenden Wunſche
Nach Triumphen, wie jenen die Blutvergieſſer belohnten
Schwung ſie ſich auf, in erhabnere Hoͤhn, und ſchwieg, voll Betrachtung
Eines Reiches der kuͤnftigen Welt. Da ſie Jemina ſahe,
Wie ſie in dieſe Betrachtung verſank, mit des freudigen Ernſtes
Hellen Gebehrde; vergaß ſie beynah in ihrer Entzuͤckung,
Daß ſie, bey einer Sterblichen, eine Sterbliche ſtuͤnde.
Denn die Schoͤne der Abendroͤthe glaͤnzt’ auf der Wang’ ihr,
Und ihr Laͤcheln im Blick. Doch als ſich Portia wandte,
Und ſie zu ſehen begann, verließ ſie der Schimmer, ſie wurde
Schnell zur Pilgerinn wieder, und lehnte ſich ruhebeduͤrftig,
Auf den ſtuͤtzenden Stab. Doch ließ die himmliſche Wonne,
Aus der ſie in Muͤdigkeit ſank, in Portia’s Seele,
Ein Erſtaunen zuruͤck, daß ſie zu fragen verſtummte,
Sanftes Erſtaunen, und Zittern, und ſchnelleres Athmen, und Tiefſinn,
Und noch redte ſie nicht. … Wie freut ich mich deiner Betrachtung
Ueber das Reich der kuͤnftigen Welt, und daß dir Triumphe
Dieſer Erde zu klein, fuͤr den Herrn der Herrlichkeit, waren!
Du, die traurig nicht mehr, nicht mehr ein Spiel der Verirrung
Seyn, die ſich freuen ſollte, daß wir dir ſagen, der Todte
Sey
[227]Funfzehnter Geſang.Sey erſtanden! und dir vielleicht die Zeuginnen ſelber
Sagen werden, ſie haͤtten den Herrn des Todes geſehen!
Jemina ſprachs, und ſah ihr mit glaͤnzendem Laͤcheln ins Antlitz.
Mir? … So athmete Portia ſanft, mit leiſerem Laute.
Weichet, Zweifel, von ihr! Der Ewigkeiten Beherrſcher,
Der von Anbeginne das Reich der Himmel beſeligt,
Sey dein Gott! Er, der dich geſchaffen hat, ſey dein Erbarmer!
Denn du brachſt mir mein Herz, Jehova ſey dein Erbarmer!
Thraͤnen ſtuͤrzten, daß ihr die Stimm’ erſtarb, von ihr nieder,
Als ihr auf die Stirne die Hand die Unſterbliche legte,
Und ſie ſegnete. Portia ſprach, da die Stimm’ ihr zuruͤck kam:
Leite mich, wer du auch biſt, der begnadeten Sterblichen Eine,
Oder Eine der Himmliſchen, welche den Menſchen erſcheinen,
Leite, was ſoll ich thun? o fuͤhre du mich zu Gott hin!
Hoͤrteſt du, Portia, ſchon, daß Todte mit Jeſus erſtanden?
Fragte Rahel mit ruhiger Stimme, mit ſchneller die Heidinn:
Ach was ſageſt du mir? Erſtanden Todte mit Jeſus? …
Ja, der Ruf beginnt zu erſchallen, es haͤtten, mit Jeſus,
Todte die Graͤber verlaſſen, und die erſchienen den Frommen,
Die den Goͤttlichen liebten. … O laßt mich meinem Erſtaunen
Mich entreiſſen, und mich beſinnen! Zu viel der Entzuͤckung
Schwindelt um mich! Erſtanden iſt er? erſtanden noch Todte?
Er erſcheinet, und ſie? O Tag des Lebens, an dem ich
Dieſe Wunder Gottes erfahre. … Wir wollen dich leiten,
Portia. Suche ſie nicht, die Chriſtus ſehen, du findeſt
Doch ſie nicht auf. Er wird, wen er dir ſenden will, ſenden,
Daß ſie dir zeugen von ihm! Jn Galilaͤa erſcheint er,
P 2Auſſer
[228]Der Meſſias.Auſſer den Erſten der Zeugen, noch andern; in Salem nur ihnen.
Dieſe geheiligten Erſtlinge werden in allen Landen,
Was er that, und lehrte, verkuͤndigen, werden ihr Zeugniß
Freudig mit ihrem Blute beſtaͤtigen, dann der Treue
Ewigen Lohn an dem Throne des groſſen Belohners empfangen!
Eile nach Galilaͤa. Wenn du ihn ſelber nicht ſieheſt,
Wird er dir doch, von denen, die er begnadete, ſenden!
Und nun muͤſſen wir dich, (ſie laͤchelten Liebe,) verlaſſen.
Jch beſchwoͤr’ euch bey Gott, der auch mich begnadete, bleibt noch,
Ach verlaßt mich noch nicht, und ſagt, o ſaget: Wer ſeyd ihr?
Zwar ein Gefuͤhl, wie keins mir noch ward, erfuͤllt mich mit Ahndung,
Hebt mich empor, umgiebt mich mit ſuͤſſer Vermutungen Schimmer,
Daß ihr Unſterbliche ſeyd! Allein ach ſagt mir es ſelber,
Daß ihr es ſeyd! damit auch nicht Ein Woͤlkchen mir bleibe,
Welches den werdenden Tag in meiner Seele verdunkle.
Gott belohn’ euch dafuͤr, mit ſeines Himmels Gewißheit!
Und ſie blickten vor Freude ſich an, und blieben. Wir wollen
Beten dich lehren! … und knieten mit ihr an das Grab des Erſtandnen.
Unſer Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt.
Zu uns komme dein Reich! Jn dem Himmel geſchehe dein Wille,
Und auf der Erde! Verleih uns unſere taͤgliche Nahrung!
Wie dem Schuldiger wir vergeben, vergieb uns die Schulden.
Fuͤhr uns nicht in Verſuchungen, ſondern erloͤſ’ uns vom Boͤſen!
Denn das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit. Amen!
Als ſie endeten, und: Dein iſt die Herrlichkeit! riefen,
Und dabey die gefalteten Haͤnde gen Himmel erhuben,
Wurden ſie ſchnell in Schimmer gehuͤllt, und entſchwebten dem Grabe,
Leicht
[229]Funfzehnter Geſang.Leicht in den Schatten der Baͤume dahin. Sie ſahen mit Laͤcheln,
Oft ſich noch um nach Portia, wonnevoll uͤber der Heidinn
Sprachloſen Freude. Sie blieb im Staube knieen, und ſtreckte,
Unvermoͤgend ſich aufzurichten, nach ihnen die Arm’ aus.
Jemina war, und zuletzt auch Rahel verſchwunden. Vom Auge
Portia rann die Freude nun uͤber die roͤthere Wange,
Und ſie erhub ſich, leicht wie ein Laub, das Athmen der Luft hebt.
Vater, das Reich iſt dein, und die Macht, und die Herrlichkeit! Amen.
Alſo eilte ſie betend hinab zu Jeruſalems Thoren.
Eine der ſchmermuthsvolleren, und zu empfindlichen Seelen,
Die, des Guten, das ſie empfingen, ſchnelle Vergeſſer,
Und Vergroͤſſerer, oder auch gar Erſchaffer des Elends,
Dieß nur denken, in dieß, mit gruͤbelndem Ernſt, ſich vertiefen,
Beor hatte ſich von den Menſchen geſondert, und lebte
Jn der Einſamkeit. Wie der Freudiggeſchaͤftige gerne
Mit dem kommenden Tag aufwacht, ſo ſcheucht’ er den Schlummer
Gern um Mitternacht. An der Huͤtte fernen Eingang
Naͤhrt’ er ein wenig Schimmer, wie Todtenlampen in Graͤbern.
Jetzo hatt’ er ſein Brodt gegeſſen, ſein Waſſer getrunken,
Sich zu dem Gruͤbeln geſtaͤrkt! … So komm dahin denn wieder,
Wo du ſo oft ſchon wareſt, hinab, zerruͤttete Seele!
Muß nicht Elend ſeyn? und muͤſſens nicht Einige tragen?
Ja, es muß, weil es iſt! Und muͤßtens die Himmel nicht tragen!
Laͤgs nicht auf uns? Denn da muß es ſeyn; ſonſt waͤrs nicht geworden!
Aber warum? … So oft ich frag’, antwortet mir keiner,
Weder im Himmel, und weder auf Erden; und ſo verſchwindet
Mir der Troſt, daß es ſeyn muß! Allein bey dem wankenden Troſte
P 3Darf
[230]Der Meſſias.Darf mein belaſtetes Herz doch ringen nach dieſer Antwort:
Warum ſondert es einige Menſchen ſich aus, und faßt ſie
Eiſern an, und hebet ſie hoch aus dem Strom’, und trift ſie
Mit zermalmendem Arm? mich, mit zermalmendem Arme?
Ward ich nicht blind gebohren? und lebt’, ein Blinder, ſo lange?
Zwar gab Er dem Auge den Tag, auch meiner Seele
Einige Daͤmmrung von ſich; doch Nacht iſt dieſe geworden,
Denn er iſt todt! … entſetzliche Nacht! Was hilft mir des Auges
Kurzer Tag, da in Dunklerem wallt, als ſelber des Todes
Thal iſt, meine Seele? Des Auges Blindheit, o kehre
Du nur wieder! Jch kann mich nicht mehr des Anblicks der Schoͤpfung,
Nicht des Strahls mehr freuen, der Sarons Blume beſeelet,
Und die Ceder Gottes! Die Abenddaͤmmrung verſenkt mich
Nicht in Empfindungen mehr, die ſanft, wie ſie ſelber waren.
Der bin ich geworden, obwohl aus dem naͤchtlichen Grabe
Meiner Blindheit erwecket? Ja, der bin ich geworden!
Denn umnachtet iſt mir die noch viel blindere Seele,
Als mein Auge ſonſt war! Denn ach, ihr Engel! (verdankt es
Unſerm Geſchlechte, daß wir die Ungluͤckſeligen wurden!)
Denn, ihr Engel! iſt Er nicht todt? … Ein ermuͤdeter Greis trat
Zu dem Klager herein. Gib mir, o Beor, den Becher.
Jch bin aͤlter, als du, und litt viel groͤſſere Leiden!
Groͤſſere Leiden, als ich? Viel aͤlter biſt du. Da nimm dir
Meinen Becher. Jch kann zur Quelle leichter mich buͤcken.
Haſt du auch Speiſe fuͤr mich, mein ſchwaches Alter zu laben? …
Nimm den Broſam, und iß. … Du biſt, deß freu ich mich, Beor,
Gegen Andre nicht hart; nur gegen dich ſelber verhaͤrteſt
Du
[231]Funfzehnter Geſang.Du dein Herz, und willſt dich nicht troͤſten! Dich ja nicht zu troͤſten,
Forſcht dein Verſtand, und ſtrebet dein Herz. Jch kenne dich, Beor,
War zugegen, als du die Schoͤpfung das erſtemal ſaheſt.
Weñ du mich keñſt, ſo keñſt du den Schwermuthsvollſten der Menſchen!
Deſto ſchwermuthsvoller, je mehr die Kraft mir verſagt iſt,
Das in mir zu beherrſchen, was mich zu der Traurigkeit hinreißt.
Aber waͤhne nur nicht, daß mirs an des Traurens Urſach
Mangle. Den Heiterſten ſtuͤrzt’ ein Elend, wie meins, zu der Erde!
War ich nicht blind ſeit meiner Geburt, und lang’, und des Lebens
Beſte Zeit? Bin ich nicht an Einſicht blinder, den groſſen
Goͤttlichen Mann zu erkennen, der Wunder zu wirken, von Gott kam?
Und wird etwa ſein Tod, zu neuem Erkenntniß mir Licht ſeyn?
Kenneſt du nun ein Elend, wie meins iſt? und muͤſſen nicht fuͤrchten,
Jmmer elend zu ſeyn, Elende von ihrer Geburt an?
Jſt nicht unablaſſende Pein der kuͤnftigen Bote?
Ach beſtraft der Gerechte nicht mehr, als Anderer Suͤnden,
Meine Suͤnden? Jch fluche dem Tage meiner Geburt nicht,
Aber ich wuͤnſche beynah, nicht zu ſeyn! Hier endete Beor.
That er dir nicht auf Einmal, als du es am wenigſten hofteſt,
Seines Allerheiligſten Vorhof, die herrliche Welt, auf?
Jhre Fuͤlle der Segen, von ſeiner Sonne beſtrahlet?
Freuden hatteſt du da, wie der Jmmerſehenden keiner
Jemals empfand! Und oͤfnet’ er dir in die kuͤnftige Welt nicht
Einen Blick, als er ſich den Sohn des Ewigen nannte?
War dieß, Beor, auch Elend? auch Strafe der Suͤnde? Die Suͤnde
Straft er an dir nicht mehr, wie an Andern. Die Herrlichkeit Gottes
Wollte ſtrahlend an dir, du Elendbeſeligter, Jeſus
P 4Offen-
[232]Der Meſſias.Offenbaren. Du warſt, ihr Zeuge zu werden, erkohren
Schon vor deiner Geburt. So dachte der Ewige deiner!
Beor rief: Du verfuͤhrſt mich in neue Tiefen des Gruͤbelns!
Laß mich! da, wo ich lieg’, iſt es tief genung! mein Abgrund
Tief genung! Ha waͤrſt du ein Engel des Lichts, und ſpraͤcheſt,
Wie du ſprichſt; doch fragt’ ich dich: Wie, was Gott im Geheimſten
Seiner Verborgenheit thut, du, obgleich ein Unſterblicher, wuͤßteſt?
Denn erſinne mir etwas, das weiter aus dem Geſichtskreis
Aller Erforſchungen laͤge, das mehr der Herrſcher verbuͤrge,
Als: Elende zu machen, um herrlich durch ſie zu werden! …
Und wie weißt, du Sterblicher, denn, des Ewigen Rath ſey
So zu handeln? Wofern ein Engel mirs ſagte, ſo glaubt’ ichs:
Aber, er ſchau hinab in die ganze Tiefe! das wuͤrde
Selbſt ein Engel umſonſt mir ſagen! Jetzt redte der Alte:
Jſt denn kein ewiger Lohn, du Zweifler? und ſind denn nicht Stufen
Dieſes ewigen Lohn, die hinauf in die Himmel der Himmel
Steigen? Und kann, wen Er um ſeinetwillen betruͤbte,
Den denn Gott nicht belohnen? der unerſchoͤpfliche Geber
Aller Seligkeit, nicht auch den? Du ſteheſt am Meere;
Sieh Ein Tropfen kann dich, du Staub, mit Fuͤlle beſtroͤmen!
Du erquickeſt mein Herz, ehrwuͤrdiger Alter. Doch wenn auch
Gott ſo handelt; wie darf ſo hoch ich waͤhnen, ich waͤre
Der Gluͤckſeligen Einer, die Gott mit Elend belaſtet,
Sich zu verherrlichen! ſie mit ewigem Lohn zu belohnen!
Einer von dieſen biſt du! Das weis ich. Mit Ueberzeugung
Wirſt auch du nun bald es erfahren. Denn Tag in der Seele
Wirds dir, freue dich, werden! Der Morgenroͤthe des ſchoͤnen,
Lichtvollen
[233]Funfzehnter Geſang.Lichtvollen Tages, ich ſeh ſchon ihre Schimmer von ferne.
Laß, eh er kommt, uns beten, damit er betend dich finde,
Gottes Tag … Sie ſanken hin, und knieten in Staube,
Hiob vorwaͤrts an Beor. Und Beor ſtammelte weinend:
Herr, Herr/ Gott, barmherzig, und gnaͤdig, bin ich der Erkohrne,
Elend zu ſeyn, damit du noch mehr dich meiner erbarmeſt:
So erheb’ ich mein Haupt, mit Danke, mit Danke gen Himmel,
Daß du dem Auge Blindheit, und Nacht der Seele voll Schwermuth,
Dieß, Erbarmender, gabſt, mit ewigem Danke! denn ewig
Soll mein Jubel erſchallen, daß Gott, Gott ſo ſich erbarmt hat!
Huͤter des Menſchen, iſt ſie nun bald voruͤber der Seele
Nacht? O Hofnung, du neue, du himmelerhebende Hofnung,
Dich empfang’ ich vom Herrn! Geprieſen, mein Vater, geprieſen
Sey dein herrlicher Name, des Gnadenvollen Erbarmung,
Dieſe Mutter des huͤlfloſen Kindes! Und wenn ſich des Sohnes
Auch das Weib nicht erbarmte, ſo wird doch Gott ſich erbarmen!
Herr, Herr, Gott barmherzig, und gnaͤdig, geprieſen auf ewig
Sey dein herrlicher Name, daß du mir von der Geburt an,
Blind zu ſeyn geboteſt! daß du mir Leiden die Fuͤlle
Gabſt, und Thraͤnen, und deinen goͤttlichen Boten, das Elend,
Mich zu lehren, mir ſandteſt! mir Zweifel, und Schwermuth der Seele
Sandteſt, damit ich, wie ſehr ich deiner Huͤlfe beduͤrfe,
Tief ins Leben hinein, in meinem Jnnerſten, fuͤhlte! …
Aber ſoll ich nicht dir auch danken, Geſendeter Gottes,
Helfer in Juda? Allein (hier wurde die Stimm’ ihm ſchwaͤcher)
Er iſt todt! … Er lebt! Es ruft’s mit gewendetem Haupte,
Und mit ſtrahlendem Angeſicht, Hiob, er lebt! und mit Eile
P 5Stand
[234]Der Meſſias.Stand er auf, und war ganz Herrlichkeit jenes Lebens.
Sieh, er iſt nicht todt mehr, er lebt! uud Einer der Zeugen,
Daß er lebe, bin ich, den er vom Tode geweckt hat,
Hiob! Jch litt, das glaubſt du doch nun? viel groͤſſere Leiden,
Als du litteſt! allein wie hat er auch mein ſich erbarmet!
Beor wollte die Haͤnde gen Himmel falten, vermochts nicht.
Wie ſie Moſes, am Tage der Schlacht, die Haͤnde gen Himmel
Hielten, geſunken brachten ſie Tod! und Leben! erhoben;
Alſo hielt ſie ihm Hiob empor. Jetzt ſchied er mit Wonne
Von dem Erſtaunenden, welcher ihn blaß und ſprachlos anſah.
Siehe, der Todte, der ewig lebt, und bald nun hinaufſteigt
Jn die Hoͤhe der Hoͤhn, (Er wies mit der glaͤnzenden Rechte
Feyrlich gen Himmel) er ſelbſt hats uͤber dich ausgeſprochen:
Nicht der Blinde, noch die ihn gebahr, noch der, der ihn zeugte,
Haben geſuͤndigt! Er iſt ein Zeuge der Herrlichkeit Gottes!
Alſo verließ er Beor, der kaum den Abſchied aushielt.
Abraham ſchweben und Moſes am hohen Tempelgewoͤlbe,
Schaun auf des Feſtes Feyrer hinab, und forſchen betrachtend,
Einen darunter zu finden, der ihrer Erſcheinungen werth ſey;
Und ſie ſuchen lange vergebens. Endlich erblicken
Sie, an einem der palmenbewundenen Pfeiler! voll Ernſtes
Einen Juͤngling, und voll der tiefanbetenden Andacht.
Feuer ſtroͤmt’ ihm herab aus jedem Blicke, gewidmet
Dem, deß groſſen Namen die hohe Poſaune jetzt hallte,
Sie der Schlacht, des Triumphs, und der Halleluja Gefaͤhrtinn.
Milder wurde ſein Blick, und von werdenden Thraͤnen beſchimmert,
Als ihr Donner ſchwieg, und nun mit ſanftem Gelispel
Korahs
[235]Funfzehnter Geſang.Korahs Githith erklang, und Davids Geſpielinn, die Harfe,
Und die Stimme des Menſchen, vor allen Saiten und Erzten
Unerſchoͤpflich, die maͤchtigſte Herrſcherinn uͤber die Herzen.
Alſo ſcholl es hinauf in den himmelſteigenden Tempel:
Auf den heiligen Bergen iſt ſie die feſte gegruͤndet!
Sions Thore vielmehr, als alle Wohnungen Jakob,
Liebt ſie der Herr! Jn dir, du Stadt des Allmaͤchtigen, werden
Herrliche Dinge verkuͤndet! verkuͤndet herrliche Dinge!
Mit anhaltender Andacht Ernſt, erhoben zum Geber
Aller Gaben, zu dem, der ewig lebet, und herrſchet,
Kniete Saulus. Und, aus der groſſen gedraͤngten Verſammlung,
Kohr ihn Moſes ſich aus, und Abraham, ihm zu erſcheinen.
Als der Jubel ſchwieg, und die Feyrer des Feſtes zerſtroͤmten,
Schwebten ſie, ihn zu geleiten, ihm nach. Mit Eile, die ſtrahlte,
Kam, da ſie folgten, herab von Tabors wolkiger Hoͤhe,
Gabriel ihnen entgegen, und ſchnell erflog er ihr Schweben.
Vaͤter, erſcheinet ihm nicht, der Herr will ihm ſelber erſcheinen!
Bote Gottes! wer iſt der erhabne Sterbliche, dem wir
Nicht erſcheinen duͤrfen, dem Jeſus ſelber erſcheinet?
Dort erblickt ihr Damaskon. Er eilt in dieſen Gefilden
Dein entflammter Verfolger, Gemeine Gottes. Er wuͤtet,
Sammelt Schaaren um ſich, die wuͤten wie er, und morden!
Aber ploͤtzlich umſtrahlt ihn ein Licht von dem Himmel, zur Erde
Faͤlt er nieder, und hoͤrt in der hohen Wolke die Stimme:
Saulus, was verfolgſt du mich, Saulus? Da ruft er gen Himmel:
Herr, wer biſt du? und ihm antwortet die ſchreckliche Stimme:
Jch
[236]Der Meſſias.Jch bin Jeſus, den du verfolgſt! Schwer wird dir es werden,
Wider den Stachel zu lecken! Er ſpricht mit Zittern und Zagen:
Herr, was gebeutſt du, was ſoll ich thun? Der Wecker vom Himmel
Jeſus, der Thronende zu der Rechte des ewigen Vaters,
Giebt ihm Befehle. Die thut er, obgleich geſchlagen von Blindheit.
Sieh! ihn leiten ſeine Gefaͤhrten, die neben ihm zagen,
Nach Damaskon zum Seher. Ein auserwaͤhltes Ruͤſtzeug
Jſt er dem Herrn! Verkuͤndigen ſoll er des Goͤttlichen Namen
Unter den Heiden, und ihren Beherrſchern, und Jſraels Soͤhnen!
Zeigen will ihm der Herr, wie viel er um Seinetwillen
Leiden ſoll! Er empfaͤht den heiligen Geiſt, und die Blindheit
Laͤßt ihn. Er wird getauft, und predigt den Namen des Mittlers,
Daß der ſey des Ewigen Sohn, der todte Meſſias,
Der erſtandne, verherrlichte, himmelerhabne Meſſias!
Gabriel ſchwieg. Und Abraham rief mit gefalteten Haͤnden:
Daß du biſt der Vollender vom Anbeginne der Welten!
Daß ſich beugen ſollen, in deinem Namen, die Kniee
Aller im Himmel, und Aller auf Erden, und unter der Erde!
Aller Zungen bekennen, des Erſten am ewigen Throne,
Und des Letzten am Grabe: Du ſeyſt zu der Ehre des Vaters
Herr! du Eingebohrner zur Herrlichkeit, Halleluja!
Und ſie ſchwiegen lange vor inniger Wonne. Zuletzt ſprach
Moſes, und weihete ſo den ernſten Juͤngling: Die Liebe
Chriſtus dringe dich, und der Bruͤder! Sey denn geruͤſtet,
Niederzuſtuͤrzen die Hoͤhn, die gegen den Herrn ſich erheben!
Lehr ihn, ein Redner, wie Menſchen, und lehr ihn, ein Redner, wie Engel;
Aber habe die Liebe zugleich, die Liebe Chriſtus,
Die
[237]Funfzehnter Geſang.Die den Geliebten der engen, der dunkeln Wiſſenſchaft vorzieht,
Und der Bruͤder Liebe, die freundliche, duldende, ſanfte,
Die nicht eifert, nicht ſpottet, von keinem Stolze ſich aufblaͤht,
Die kein Zorn entſtellt, die nicht das ihrige ſuchet.
Nie zu erbittern, trachtet ſie nie, dem Bruder zu ſchaden.
Ungerechtigkeit freuet ſie nicht, ſie freuet die Wahrheit!
Alles glaubt ſie, ertraͤgt ſie, und hoffet alles, und duldet
Alles! iſt nie zu ermuͤden! ſie dauert ins ewige Leben!
Dieſe Liebe ſey dein, du Juͤngſtgebohrner der Gnade
Unter den heiligen Boten, dem Jeſus ſelber erſcheinet!
Denn die, welche du liebſt, ſind Glieder der hohen Gemeine;
Und ohne Flecken, und Tadel iſt die hohe Gemeine,
Jſt des Braͤutigams Braut, und in ſeinem Blute gewaſchen,
Jenem, das lauter rufet, als Abels, und nicht um Rache!
Heil euch! und lauter, als rief, von dem Berge des Schreckengeheges,
Sina, der Donner, der Chernbim Schaar, die Poſaun’, und um Fluch nicht!
Hinter Stephanus, ging von dieſer Weihe begleitet,
Saulus hinab. Die Heiligen ſchwebten nach Tabor hinuͤber.
Simeons Bruder Elkanan, mit ihm ſein kindlicher Leiter,
Waren zu Samma hinein den traurigen Abend gegangen,
Da ſie das alternde Grab voll ſtillen Mooſes verlieſſen.
Samma hielt ſie bey ſich, ſuͤßuͤberredend, ein heitrer
Freundlicher Wirth, obwohl viel Schmerz die Seel’ ihm bewoͤlkte,
Jetzt der neue, todt ſey Chriſtus, und ſeines Erwachens
Ruf bezeuge noch keiner! Das klagt’ auch Elkanan, und Boa,
Joel, mit dir. Sie ſandten umher, und konnten die Juͤnger
Deß, der leben ſollte, nicht finden. Sie ſaſſen in Joels
Duften-
[238]Der Meſſias.Duftender Laube, die ihm ſein Vater im Garten gegeben.
Nur der wandelnde Mond war, wie ſie glaubten, der Hoͤrer
Jhrer Klagen; allein auf einer ſilbernen Wolke,
Die ihn leiſe bedeckte, verſammeln ſich andere Hoͤrer,
Andere Zeugen, wenn ihr Geſpraͤch in Schmerze verſtummte,
Simeon, und Benoni, und du, vollendete Fromme,
Lazarus Schweſter, Maria. … Nun kann ich mich laͤnger nicht halten!
Muß mich meinem Vater, mich meinem Bruder entdecken!
Sag es, Simeon, ſelbſt: Sind ach nicht genung des Jammers
Thraͤnen geweinet? genung der bittern Kelche getrunken
Jhrer Leiden? Jſt nicht die Pruͤfung am Ziele der Laufbahn?
Wollen wir ihnen die Krone nicht bringen? … Wir wollen, Benoni.
Folg’ unſichtbar uns nach, und geneuß der Wonne, Maria,
Jhre Freuden zu ſehn! Und du, Benoni, enthuͤlle
Dich in der Ferne mit milderem Glanze, daß ſie der Erſcheinung
Nicht erliegen. … Sie ſchwebten hinab. … Bey meines Benoni’s
Grabe war ich, bey Simeons du, ach! waͤren wir Armen
Auch bey Jeſus Grabe geweſen; ſo haͤtten wir ihn dort
Auferſtehn vielleicht, iſt er auferſtanden, geſehen!
Haͤtten … O Gott der Goͤtter! was ſchimmert in jener Ferne! …
Samma ſank, rief: Herr, Herr Gott, barmherzig und gnaͤdig!
Sieh, ein Bote des Himmels! … Was ſahſt du, Knabe? was ſahſt du,
Samma? Fuͤhret mich hin, daß ich der Erſcheinung begegne,
Mit ihr rede. … Wir beben, Elkanan, und koͤnnen nicht fuͤhren! …
Fuͤhrt mich! Boa, was ſiehſt du? Auf, fuͤhre du mich! … Der Knabe
Hielt ſich erſtarrt an der Huͤtte! … So redet denn, ſaget: Was ſeht ihr? …
Eine
[239]Funfzehnter Geſang.Eine lichte Juͤnglingsgeſtalt, die unter Benoni’s
Baͤumen wandelt, und gegen uns laͤchelt! … Erſcheinung, Erſcheinung!
Rief Elkanan, wer biſt du? Melodiſch erſcholls in der Laube:
Einer Seligkeit Bote, die groͤſſer, als ihr vermuthet,
Viel entzuͤckender iſt. … Ach! weſſen Stimm’ iſt die Stimme?
Rief jetzt Joel, und weſſen Antlitz des Nahenden Antlitz?
Gott der Goͤtter! Benoni! … Er ſank. Schon hielt ihn Benoni’s
Helfender Arm, und richtet’ ihn auf. Mein Bruder! … Benoni
Riefs in der Wonne. … Mein himmliſcher Bruder! ſtammelte Joel.
Sam̃a mein Vater! … und ſank ihm ans Herz, und erhielt ihm das Leben,
Daß der Greis in der ſtuͤrmiſchen unnennbaren Empfindung
Nicht entſchlummerte, nicht in der thraͤnenloſen Entzuͤckung
Jn die Nacht des Todes ſein Aug’ hinſtarrte. Nun leitet
Er den verſtummenden Alten zu einem mooſigem Sitze.
Bring Elkanan zu mir, ſprach er zu Boa, damit er
Naͤher mich hoͤre. … Nun wall’ ich hinab mit Ruhe zum Grabe!
Sprach Elkanan, denn ob mein Auge dich gleich nicht geſehn hat,
Hat dich mein Ohr doch gehoͤrt, Unſterblicher! Rede denn, lehr’ uns,
Bote von Gott! … Euch wird ein Groͤſſerer lehren, ſo bald ihr
Ruhiger ſeyd, und zu tragen vermoͤgt des Erſcheinenden Ankunft!
Joel hatt’, indeß da er ſprach, ſich ſtille genaͤhert,
Blumen gekuͤßt, und ſie in des Bruders Tritte geſtreuet.
Sagt, vermoͤgt ihr (er ſah mit dankenden Blicken auf Joel)
Auszuhalten, daß Simeon komme? … Simeons Seele,
Rief Elkanan, ſchwebet um mich? ach! laß ſie erſcheinen,
Bote der Wonne! Seyd ſtark, du, Samma, und Joel, und Boa,
Hindert ſie nicht. Schon hoͤrt dir mein Ohr, mein Bruder, entgegen.
Simeon,
[240]Der Meſſias.Simeon, Simeon, komm! Mein Auge wird dich nicht ſehen,
Theurer Bruder, allein nicht lange, ſo werd ich dich ſehen,
Wenn die Nacht des finſteren Thals zu dem Lichte mich aufweckt.
Simeon kam in Schimmer des Mondes, mit himmliſchem Glanze
Ueberkleidet, einhergegangen. Mit ſanfterem Schrecken,
Als Benoni’s unangekuͤndetes Schimmern, erblickten
Sie die Strahlengeſtalt; allein mit groͤſſerem Staunen.
Alſo floß von der Lippe des hohen Engels die Stimme:
Jeſus Chriſtus iſt auferſtanden! Viele der Frommen
Haben, auf ſeiner Allmacht Wink, die Graͤber verlaſſen!
Er erſcheinet, und wir erſcheinen. Jhn ſehn nur die Zeugen,
Die er zu lehren beruft, und Wunder zu thun, und zu bluten!
Derer die Kronen der Erſtlinge warten, und Palmen im Himmel!
Und ein Thron im Gericht! Doch eh der Mittler zu Gott geht,
Eh mit Jauchzen, und heller Poſaune, gen Himmel er auffaͤhrt,
Werden auf Einmal ihn noch fuͤnfhundert Glaubende ſehen.
Jeſus ſegn’ euch, und nenne, mit dieſer Begnadeten Namen,
Eure Namen! Ja ſegne ſie, Herr, mit dieſer Erbarmung!
Simeon, auferſtanden biſt du vor dem Tage der Tage?
Ach! wie duͤrſtet mein Herz, dich zu ſehn! doch ich wuͤrde ja Jeſus
Selber nicht ſehn! Nie hat mich ſchwerer die Blindheit belaſtet!
Schmerz, verſtumm du! die heilige Stunde, da Simeon mich ſieht,
Jch ihn reden hoͤre, ſoll keine Klage bewoͤlken,
Da er von Jeſus mit mir und ſeiner Herrlichkeit, redet!
Ach! fuͤnfhundert auf Einmal! Wofern ich zu ihnen gehoͤrte,
Wuͤrd ich dennoch mich freun! Sie wuͤrden Entzuͤckungen reden!
Darfſt du von eurem Himmel, und ſeinen Geheimniſſen ſprechen,
Simeon?
[241]Funfzehnter Geſang.Simeon? … Nicht zu Bewohnern des Staubes! So hat es geordnet,
Der auf Stufen erhoͤht, und nach der Pruͤfung, belohnet!
Der die Welten geſondert von Welten, und dennoch vereint hat!
Der, in ſeinem unendlichen Plane der Seligkeit Aller,
Alle Grenzen, und Arten der Seligkeiten vereint hat!
Gegen dich, lichtheller Entwurf des Gluͤckes der Geiſter,
Jſt die ſinnliche Schoͤpfung nur Schatten. Er bauet auf Elend
Freuden empor, die keiner der Jmmergluͤcklichen kennet.
Lernet noch dieß: Nichts Groͤſſeres haben die Ewigkeiten,
Nichts, das unerforſchlicher, unempfindbarer waͤre,
Als, daß eine der Hoͤhn der groſſen Erhebung des Mittlers,
Auf der Erniedrigung, ſteht! … Der ernſte Gedanke vertieft euch.
Sinnt ihm zu eifrig nicht nach. Er iſt ſelbſt Engeln Erſtaunen!
Kennet eure Seligkeit ganz, die hier ſchon euch Gott gab!
Nicht nur wir ſind um euch; die ſchoͤne Seele Maria,
Lazarus Schweſter, iſt auch in dieſer heiligen Huͤtte.
Siehe, ſie freuet ſich eurer Freuden! … Da riefen ſie alle:
Lazar us Schweſter iſt todt? … Und freut ſich unſerer Freuden!
Setzte Samma hinzu, Wir freun uns der deinen, Maria!
Ach! wie trockneſt du meine Thraͤnen, o Vater des Schickſals!
Meinen Benoni ſendeſt du mir; Elkanan den Bruder …
Und auch Joel den Bruder! ſo ſprach der zaͤrtliche Joel.
Gott! wie haſt du mein Schickſal geendet! Wie konnt ich es wagen,
Das zu hoffen, als meine verfinſternde Schmermut, dieß Elend
Ueber alles Elend, begann, ich mir mein noch bewußt war!
Und nur Naͤcht’ erblickt’ um mich her, Labyrinth, und Abgrund!
Nichts im Kuͤnftigen ſah, als ſchwarze Schrecken! Nun wich mir
IIIBand. QMeine
[242]Der Meſſias.Meine Vernunft! ich zermalmte dich, Sohn, an dem blutigen Felſen,
Ach, zu durchweinen, ſo dacht ich bis heut, mein uͤbriges Leben!
Und dieß alles endiget ſich, mit Wonne der Himmel!
Mit dem ſuͤſſeſten Wiederſehen, das jemals erlebt ward!
Sohn, Benoni, mein Sohn, an dem blutigen Felſen zerſchmettert,
Wie hat der dich begnadet, der mein, durch dich ſich erbarmt hat!
Sieh, ich weis es, du geheſt von mir; doch ſoll mirs kein Abſchied,
Geheſt du, ſeyn! Jch werde vor mir dich immer erblicken,
Wie du, ein Erbe des Himmels, in deiner Herrlichkeit daſtandſt!
Kaum, daß es Wiederſehen genannt darf werden, wenn druͤben
Ueber den Graͤbern ich dich in deiner Herrlichkeit ſehe.
Eins noch bitt’ ich dich: Gieb mir deinen Segen, Benoni,
Eh du dich wendeſt. … Jch, Samma, dich ſegnen? der Sohn den Vater?
Und dein juͤngſter? … Mein Erſtling nun! und aͤlter, als ich bin!
Alt an Tagen der Ewigkeit! Sie iſt wirkliches Leben!
Dieſes Leben iſt Schlaf, aus dem ein letzter uns aufweckt!
Und Benoni erhub die feſtgefalteten Haͤnde,
Ward, indem er redete, ſtrahlenvoller, und ſagte:
Bald denn komme dein letzter, und ſanft, wie Simeons Tod kam,
Theurer Vater! So ſegnet’ er ihn. Jetzt redete Joel.
Ach! ich baͤte dich auch um deinen Segen; allein ich
Fuͤrchte, Benoni, daß du mit langem Leben mich ſegneſt.
Juͤngling, du fuͤrchteſt groͤſſeren Lohn! Je tiefer des Guten
Leben hier wurzelt, je hoͤher erwaͤchſt ſein Wipfel im Himmel,
Und je ausgebreiteter ſchatten die volleren Zweige.
Soll ich nun, mein Bruder, mein Joel, dich ſegnen? Da kniete
Joel nieder vor ihm. Benoni legte die Hand ihm
Auf
[243]Funfzehnter Geſang.Auf die gluͤhende Stirn. Nimm hin den Segen der Segen,
Und das ewige Leben! Der Gott, der Jeſus erweckt hat,
Fuͤhre zu Jeſus dich! … Sie verſchwanden der Betenden Auge.
Schnell rief Boa: Sie ſind verſchwunden, Elkanan! und Joel
Richtet ſich auf, und ſagt mit dem ſanften Laute der Freude:
Wenn du hier noch verweilſt, du ſchoͤne Seele Maria,
O ſo bringe du ihnen von uns, den ſtaͤrkſten, den beſten,
Feurigſten Dank, daß ſie der Erſcheinung gewuͤrdigt uns haben,
Jhrer Geſpraͤche von Gott, und ihrer himmliſchen Segen!
Alſo ſagte der Juͤngling, und ſank in die Arme des Vaters.
Chriſtus Mutter ſaß auf dem hohen Soͤller. Die Sonne
War geſunken; der Abendſtern entſtrahlte dem Himmel.
Neben ihr ruhte die Tempelharfe. Sie ſahe, das daucht ihr,
Ueber den Bach der Pilgerinnen eine, nicht gehen,
Sah ſie ſchweben, und werden, indem heruͤber ſie ſchwebte,
Himmelsgeſtalt. Alſo wird That ein groſſer Gedanke!
Und ſchon ſtand die lichte Geſtalt bey ihr auf dem Soͤller.
Chriſtus Mutter ſtaunte nicht mehr. Es war ein Erſtandner,
Oder ein Engel. Sie hatt’ erſtanden vom Tode geſehen
Jhren Sohn! … Jch verhuͤlle vor dir mich, Mutter des Herrn, nicht.
Warum ſollt’ ich? Du ſtrahleſt mit mir nun bald an dem Throne!
Mirjam, auch ich bin Mutter! … Vielleicht des gehorſamen Opfrers?
Oder deß, der das Grab nicht kannte, des himmliſchen Henochs?
Abrahams auch, und Henochs! Jch bin, o die der Unſchuld
Wiederbringer gebahr, ich bin die Mutter der Menſchen!
Dich, dich ſeh’ ich! O Wonne des offnen Himmels! die Mutter
Abels ſeh’ ich! … Auch Kains. Jch bin heruͤbergekommen,
Q 2Daß
[244]Der Meſſias.Daß ich mit dir den Sohn, den Mann Jehova, o Mirjam,
Preiſe mit dir! Wohlan, laß unſre Harfen beginnen!
Jch mit dir, der Unſterblichen! ich mit der Mutter der Menſchen,
Die ich ſterblich noch bin? Allein wir ſingen dem Mittler!
Eva, beginn, und lehre mich dem Erhabenen ſingen!
Zweymal ward ich geſchaffen! Er rief mich zweymal ins Leben,
Den du, Mirjam, gebahrſt! O Mutter, er wurde gebohren,
Der dich ſchuf, und mich, der alle Himmel gemacht hat!
Der die Sonne, den Mond, der alle Sterne gemacht hat!
Der dich ſchuf, und mich, er wurd’, o Eva, gebohren!
Haſt du den hohen Geſang der Engel Gottes vernommen,
Die ihn ſangen, als er gebohren ward in der Huͤtte?
Da nach Sion zuruͤck des Preisgeſanges Triumph kam,
Bebten vor ſeinem Donner die Wipfel der Lebensbaͤume!
Sanken, wo er toͤnte, die Himmliſchen vor dem Gebohrnen!
Und er weinet’ in Bethlehems Krippe. Doch hatten ſchon Engel,
Eh er weinte, den Namen des Wiederbringers genennet!
Jeſus! … hatte die Ceder, die Palme, Jeſus! … gehoͤret,
Jeſus! … Tabor, Jeſus! … Jeſus! … ach Golgatha, Jeſus! …
Nennen hoͤrte den Gottesgeſalbten der Thron, von dem er
Niederſtieg, die Heere des Himmels, den Gottesgeſalbten!
Haſt du ihn ſterben geſehen? … Jch hab’ ihn ſterben geſehen! …
Haſt du die blutige Krone der Schmach um die Schlaͤfe des Mittlers
Triefen, o Mutter Abels, geſehen? … Jch ſahe die Krone
Um ſein Haupt! und ſah in Daͤmmrung erloͤſchen der Engel
Antlitz, in truͤbere derer Antlitz, die er verſoͤhnte!
Haſt
[245]Funfzehnter Geſang.Haſt du die Todesſtimme des Gottverſoͤhners vernommen?
Jene, da Chriſtus rief: Es iſt vollendet! und jene:
Vater, in deine Haͤnde befehl’ ich meine Seele!
Ach, ich habe vernommen die Worte des ewigen Lebens,
Habe wie Pſalme gehoͤrt der Harfenſpieler, wie Choͤre,
Als ob ſie an dem Throne dem Hocherhabenen ſaͤngen,
Da er ſein Haupt emporhub, rief: Es iſt vollendet!
Da ſein Auge ſchaute mit Gottesblicken gen Himmel:
Vater, in deine Haͤnde befehl’ ich meine Seele!
Und doch litt ich, die Sterbliche, wie die Mutter Abels
Niemals litt! Allein Preis ſey dem Sohne, des Leidens
Geber! denn ach! wie erhoͤhet mir nun die naͤchtliche Stunde,
Siehe, die Stunde der Angſt, die Stunde des Schwerts in der Seele,
Meine Wonne! … Jch habe, wie du nicht gelitten, ob Abel
Gleich zu der Erde geſtuͤrzt, ich liegen ſahe, der Todten
Erſten, und meinen Sohn! die Stirn’ ihm zerſchmettert, des Fluches
Fruͤhes Opfer! in Blut! und meinen Sohn! Es vergingen
Erd’ und Himmel um mich! ſo ſchreckte der Todte die Mutter!
Arm des Allmaͤchtigen! du, ja du nur hielteſt mich, Gottes
Arm! da hinaus in die Nacht vom Gerichtsaltare der Sohn rief:
Mein Gott! Mein Gott! warum haſt du mich verlaſſen?
Mutter Chriſtus, ich hoͤrts den Geopferten rufen! Jch ſah dich
Nun nicht mehr! … Heil dir, o Mutter der Menſchen, du wareſt
Da bey dem Kreuz, als Chriſtus das tiefe Geheimniß zu Gott rief.
Selig bin ich! Jch habe den Mittler Gottes gebohren!
Selig auch du! Du biſt die Mutter ſeiner Verſoͤhnten.
Q 3Selig
[246]Der Meſſias.Selig bin ich! Es ſchuf mich aus Adams Gebeine der Schoͤpfer
Jn dem Paradieſe! mich ſchuf aus Verweſungsſtaube
Tief in des Paradieſes Truͤmmern der Auferwecker.
Heil mir, ich bin die Mutter ſeiner Verſoͤhnten, und, Mirjam,
Deine Mutter. … O du, die Eden zweymal gebohren!
Tochter der Schoͤpfung, (ihr Leben verging!) der Auferſtehung
Tochter zum ewigen Leben! ach Eva, er ſtammet von dir auch
Der von Ewigkeit iſt! und den die ſterbliche Mirjam
Jn der Huͤtte gebahr! O du der Gebaͤhrerinn Mutter,
Himmelsfreuden ſind die Freuden, die uͤber mich kommen,
Und die dennoch, wie tief ſie auch oft in dieſes Lichtes
Stroͤmen verſinkt, zu empfinden vermag die ſterbliche Mirjam.
Segne zum ewigen Leben, ich bin des Bundes Erloͤſte,
Eva, ſegne die Himmelserbinn zum ewigen Leben.
Zwar biſt du noch ſterblich, und ich unſterblich, doch kann ich
Dich nicht ſegnen! Es hat dich ſchon der Stifter des Bundes,
Siehe das Todesopfer auf Golgatha’s blutigem Altar,
Seine Mutter, zum ewigen Heil, der Vollender geſegnet!
Eh am Throne mein Lied von dem Segen des Liebenden ausſtroͤmt,
Werd ich noch Einmal ihn ſehn hier in der Graͤber Gefilden!
Gabriel ſtand, und ſtrahlt’, und verhieß, wir ſollten noch Einmal
Chriſtus ſehn! O ſinge mir Abrahams Mutter, und meine,
Von der Auferſtehung des Sohns, da am hohen Kreuze
Nun nicht mehr in die Nacht ſein Haupt ſich ſenkte, die Augen
Jhm nicht mehr verloſchen, nicht mehr die Krone von Blute
Ueber ſein Antlitz trof! da den Donnergang der Entſcheidung
Gott ging! … Alſo ſcholls: Es werde Licht! und das Licht ward!
Alſo
[247]Funfzehnter Geſang.Alſo erſtand er! Uns ſanken die Harfen! die Palmen ſanken!
Jubel ruften wir aus! So ſingen die Lieder am Thron nicht,
Meere rauſchen, wie wir das Halleluja dem Mittler
Gottes ruften. Doch ſchnell ward Alles ſtaunende Stille!
Himmel und Erde ſchwiegen, und wir, bis endlich Triumphe
Maͤrtyrer ſangen, bis endlich zum Mittler Adam herabkam,
Laut ausrief: Jch ſchwoͤre bey dir, der ewig lebet,
Daß nun Tod nicht mehr der Tod iſt, und daß an dem Tage
Deiner groſſen Vollendung ſie Alle, die ſchlafen, erwachen!
Ach ſein Wonnausruf durchdringet die Mitgenoſſinn
Seines Erbes! Beſtreuet mein Grab mit Blumen der Erndte.
Saat, dich ſaͤte der Herr! Jch hoͤr’, ich hoͤre das Rauſchen
Deiner Aehren! Jch hoͤre vom Himmel das Rufen der Erndter!
Lege bald zu dem Schlafe des Todes, o Mirjam, dich nieder,
Daß ich die Mutter des Herrn im Thale des Friedens empfange.
Daß wir ſingen dort in dem Thale des Friedens dem Sohne,
Wenn er nun an dem Thron die Thraͤnen der Chriſten trocknet,
Und zu verſtummen gebeut der ſanften Klage der Wehmut.
Siehe, der trug die Suͤnde der Welt, iſt die Liebe! der Adams
Laſten nahm, und hinauf nach Golgatha ging, iſt die Liebe!
Der die Liebe, der nicht gekennet, ach ungeliebet,
Sich, da die Himmel der Himmel ſchwiegen, erkohr, ſich hingab
Dieſem ſchrecklichen Tode zum Opfer! … Zum Opfer, zum Opfer
Fuͤr die Suͤnde! da ſelbſt Erzengel verſtummten, die Hoͤlle
Laut anklagt’, und zu wandeln, den eiſernen Tritt der Gericht hub!
Alſo ſang ſie, und wendete ſich. Jhr ſahe Maria
Lange nach, da ſie ſchwebt’ im Himmelsglanze gen Tabor.
Q 4Jetzo
[248]Der Meſſias.Jetzo begann der Heiligen Schaar zuruͤckzukehren
Nach der Verklaͤrung Gebirge, ſich dort mit einander der Freuden,
Die ſie den Auserkohrnen erſcheinend gaben, zu freuen.
Und ſie ſtrahlten herauf von Jeruſalem. Viele der Wonne
Voll, die ſie hatten gegeben, und viele der kuͤnftigen Wonne,
Die, noch verborgen im bruderliebenden Herzen, itzt keimte,
Trieb, arbeitet’, und wuchs, zum Schatten der Ruhe zu werden,
Ueber der Wanderer Haupt im heiſſen Pfade des Elends.
Wie ein Stern, und noch einer, und wieder einer hervorgeht
Aus der graͤnzloſen Tiefe der ſchauererfuͤllenden Schoͤpfung,
Wenn der kommenden Nacht die Abenddaͤmmerung weichet:
Alſo verſammelten ſich die Erſcheinenden Gottes auf Tabor;
Wenige Spaͤtere nur empfing noch der heilige Berg nicht.
Cidli, die Tochter Jairus, ſaß vor der Laube des Soͤllers,
Jn dem Schimmer der Morgenroͤthe. Sie ſah den Geliebten,
Seit er zu ſeinem Grabe von ihr in der Traurigkeit eilte,
Jhren Semida nicht. … O Liebe voll Unſchuld! ich darf dich,
Meine Liebe, ſo nennen! wenn wirſt du mich endlich verlaſſen?
Wenn wegrufen den Schmerz, der alles in truͤbe Bilder,
Alles um mich in Thraͤnen verwandelt! Gehoͤr ich der Erde
Viel zu wenig, ihr ſterbliche Soͤhne zu geben; erſtand ich,
Gott mich auf dieſe Weiſe zu widmen; was weileſt du, Liebe,
Zwar mir bitterer Schmerz, doch Liebe voll Unſchuld, was weilſt du
Unnachlaſſend in mir? Doch wenn dein Weilen mir zeigte,
Daß ich, alſo dem Herrn mich zu widmen, vom Tode nicht aufſtand?
Ach wer fuͤhrt mich heraus aus dieſer Tiefe des Schmerzes?
Dieſer Jrre des Gruͤbelns heraus? Zwar bin ich erſtanden;
Aber
[249]Funfzehnter Geſang.Aber ſterblich bin ich! Jch leb’, und leide, wie Andre!
Leide viel mehr, wie Andre, die ſo voll Unſchuld nicht lieben!
Waͤr ich nur ſterblicher auch! … Du Klage, wareſt zu heftig!
Sterblicher will ich nicht ſeyn! … Sie erhebt ſich, und trocknet mit Eile
Jhre Wange. Da ſtieg der Pilgerinnen des Feſtes
Eine den Soͤller herauf, von Cidli’s Mutter begleitet.
Lange wallt’ ich umher, Jairus Tochter zu ſehen;
Endlich find’ ich dich auf. Du haſt doch von deines Erweckers
Hohem Triumphe gehoͤrt? Jch habe von meines Erweckers
Hohem Triumphe gehoͤrt; doch ſeiner Herrlichkeit Zeugen
Hab ich noch nicht geſehen. Maria, Lazarus Schweſter,
Denn ihn kennſt du wohl auch, da du mich zu ſuchen herumwallſt?
Jſt entſchlafen! und ob die Mutter des Goͤttlichen lebe?
Weis ich auch nicht. … Sie lebt, und hat den Erſtandnen geſehen!
Hat ein Engel dich mir, o Pilgerinn, zugeſendet,
Daß du mir dieſe Botſchaft von Jeſus Herrlichkeit braͤchteſt,
Und den Freuden der Mutter? … Jch ſuchte der Auferſtandnen
Eine, von denen eine, die Jeſus Herrlichkeit zeugten,
Als er noch in der Niedrigkeit war. Vernahmeſt du, Cidli,
Nichts von den neuen Zeugen, und Zeuginnen, nun, da er herrſchet
Maͤchtiger uͤber den Tod, als da er den Bruder Maria,
Und den Vaterloſen aus Nain, und dich erweckte?
Kam der Ruf nicht zu dir: Viel Heilige waͤren erſtanden,
Als er am Kreuz entſchlief, und die erſchienen den Frommen,
Die ihn liebten? … Jch lieb’ ihn, ich lieb’ ihn, o Pilgerinn! rede,
Jſt der Ruf denn gewiß? … Nicht lange, ſo wird es ſich zeigen.
Viel erzaͤhlen, daß ſich die auferſtandnen Gerechten
Q 5Auf
[250]Der Meſſias.Auf der Verklaͤrung Gebirge verſammlen. Auf Tabor zu ſteigen,
Jſt daher mein Entſchluß. Doch in einer Erſtandnen Begleitung
Wallt’ ich lieber dahin, als allein, zu den neuen Erſtandnen.
Pilgerinn, zwar bin ich auferweckt von dem Tode, doch bin ich
Sterblich, wie du. Die Erſtandenen ſind vollendete Fromme,
Wenn ſie erſcheinen. Doch geh ich mit dir, wofern du mich leiteſt,
Und die Sinkende haͤltſt, wenn wir Erſcheinungen ſehen.
Und ſie machten ſich auf, nach Tabor zu gehen, die Mutter,
Und, mit Cidli, die Pilgerinn. Aber der Juͤngling aus Nain,
Semida hatte ſo viel von deinem Erwachen, Verſoͤhner,
Endlich erforſcht, daß er ſein Herz beruhigen konnte,
Glauben konnte, du ſeyſt wahrhaftig vom Tod erſtanden!
Nun erwachten von neuem mit tiefverwundender Wehmuth
Seiner Liebe Schmerzen in ihm. Noch war fuͤr ihn immer
Cidli geſchaffen. Das fuͤhlt’ er zu maͤchtig! Unuͤberwindlich
War der Sieger, dieß ſtarke Gefuͤhl, in dem innerſten Herzen.
Nacht vor mir! wer fuͤhrt mich durch dich? wer hindurch zur Gewißheit,
Ob, die ich mir fuͤr die Ewigkeit waͤhlte, wieder mich liebe?
Oder auch nicht? Wer bringt mich hinauf in die Hoͤhen der Freude?
Oder hinab in das ſinkende Thal der bitterſten Schmerzen?
Auferſtanden bin ich, doch nicht unſterblich geworden!
Waͤren wir dieß; ſo waͤren wir lang hinuͤbergegangen
Jn der Ruhe Gefilde, wo nichts die Liebenden trennet!
Und dort liebte mich Cidli gewiß! O Cidli, Gewaͤhlte,
Die ich liebe, wie wenige nur zu lieben vermoͤgen!
Doch verſtumme du, Schmerz! Noch ſterblicher machſt du mich, truͤber
Bitterer Schmerz. Wie, ſonderbar iſt mein Schickſal! Ein Juͤngling
Munter,
[251]Funfzehnter Geſang.Munter, und freudig, der war ich, und ſtarb! und kam aus Gefilden
Dunkler Empfindungen, aber die Freude waren, zuruͤcke!
Wurde, was wurd ich? mich dauchts bey dem Wiederkommen, ich waͤre
Nun ein Unſterblicher; aber wie bald empfand ich, ich waͤre
Wieder ſterblich, und was ich vor meinem Tode noch nicht war,
Elend! … Elend dadurch vor allen, daß ich die Wonne
Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war, und lebet,
Nicht, wie ich ſollte, genung mir machte zur Saat fuͤr die Zukunft,
Dann zu erndten, wenn nun das erſte Leben entflohn iſt!
Herr! von dem Tod’ Erſtandner! eh du zu dem Vater hingehſt,
Rufe zu dir mich, damit ich von dir, das Eine, das noth iſt,
Mehr noch lerne! So dacht er, und ſchwieg mit gefalteten Haͤnden.
Und zu ihm trat ein Fremdling herein. Du kannſt mir, o Juͤngling,
Helfen, wofern du willſt. An dem Fuſſe von Tabors Gebirge,
Liegt ein verwundeter Mann, den haben Moͤrder verwundet!
Auf dem Wege zu dem, ſitzt einer, der blind iſt, und durſtet.
Keine Quelle war da. Er wußte mir keine zu nennen.
Sieh, er durſtet, und ruft nach Huͤlfe, die ihm verſagt wird.
Auf dem Wege zu ihm, wehklagt ein ermatteter Alter
An die Felſen geſunken. Jch konnt’ ihn nicht fuͤhren, und laben
Konnt’ ich ihn auch nicht. Jch ſelber ach! bin duͤrftig und kraftlos.
Semida rief mit Schnelligkeit: Nimm, und ſtaͤrke dich, nimm dann
Dieſes fuͤr ſie, und dieſes. Jch nehme das andre. Sie gingen,
Kamen zum Greiſe. Geh du voraus mit dieſem zum Blinden.
Nimm, mein Vater, und iß, und trink dieß Labſal der Traube!
Sprachs, und kam dem Pilger zuvor, und fruͤher zum Blinden.
Den
[252]Der Meſſias.Den die Sonne nur waͤrmt, o nimm die Staͤrkung, ich komme
Wieder zuruͤck, dann gehſt du mit mir nach Jeruſalem. Eilend
Ging er weiter. Die Sonne begann, ſeitdem ſie die Thore
Salems verlieſſen, das erſtemal uͤber die Berge zu ſteigen.
Und ſie eilten dahin, wie der Athem der kuͤhlenden Fruͤhe
Leicht. Da ſie Tabor ſich nahten, erblickte Semida Cidli
Zwiſchen der Pilgerinn, und der Mutter. Schrecken der Freude
Stuͤrzten auf ihn, allein er blieb bey dem fuͤhrenden Fremdling.
Und ſie kamen zum Manne, der bleich, als ſtuͤrb’ er, in Blute
Lag. Sie verbanden ihm ſorgſam die Wunden, und legten ihn ſchonend
Auf ſanftkuͤhlendes Moos. Da wandte ſich Semida endlich,
Und ſah Cidli herum an dem Berge kommen, doch ferne.
Jetzo kamen ſie naͤher, und ſahns, und ſtanden erſchrocken.
Aber als ſie erkannten, daß jenem Verwundeten Huͤlfe
Durch die Maͤnner geſchaͤhe, ſo wagten ſie, weiter zu gehen.
Semida ſaͤumte nicht lang. Er lief mit zitternder Eile
Cidli entgegen. Doch nah verſtummten ſie beyde vor Freude,
Und vor Wehmut. Die Pilgerinn bat, nicht lange zu weilen!
Denn ſonſt wuͤrd an dem Berge ſie noch der Strahl des Mittags
Treffen. … So nehm’ ich von dir ſchon wieder Abſchied! auf immer,
Meine Cidli? Sie weint’, und folgte der fuͤhrenden Fremden.
Semida blieb bey dem Kranken mit ſeinen Gefaͤhrten, und ſtaͤrkt’ ihn.
Als ſie ſich unterredten, wohin ſie ihn braͤchten, erreichten
Sie zween Maͤnner. Die waren des armen Leidenden Bruͤder.
Und nun ſchieden die Fuͤnfe mit Dank, und Ruh von einander.
Wenn du mich uͤber Tabor begleiteſt; ſagte der Fremdling,
Gehet dort ein kuͤrzerer Weg, als jene ſich waͤhlten,
Und
[253]Funfzehnter Geſang.Und wir kommen zu ihnen, ſo bald ſie den Gipfel erreichen,
Denn der kleinere Weg fließt mit dem groſſen zuſammen.
Ja, ich bin dein Gefaͤhrt; doch kehrſt du mit mir zuruͤcke. …
Nicht zuruͤcke mit dir. … Welch iſt die Heimath, o Pilger,
Die dein wartet? … Mein warten in meiner gluͤcklichen Heimath
Himmliſche Freunde. … So biſt du nicht arm, wenn redliche Freunde
Dir dein Leben erheitern. O nenne mir ihre Namen.
Jhre Namen? Du wuͤrdeſt erſtaunen, daß ihrer ſo viel ſind. …
Viele Freunde! das macht mich erſtaunen; doch nenne ſie. … Freudig
Sah der Pilger ihn an, und begann die Namen zu nennen.
David! Abraham! Noa! Melchiſedek! Jſaak! Hiob!
Rahel! Joſeph! Debora! … und Semida ſah ihn erſtaunt an.
Doch bald ſtaunt’ er noch mehr. Des Pilgers Angeſicht wurde
Roͤthlich, und ſchimmernd, doch wars erſt wenig Daͤmmrung von Schim̃er.
Auch ſchien Jonathan ſchwebend zu gehn. Je heller er wurde,
Deſto blaͤſſer vor Freud’ und vor Furcht ward Semida’s Antlitz.
Aber ihn ſtaͤrkte ſein Freund, und fuͤhrte den Bebenden weiter.
Auf dem anderen Wege ſtand auf Einmal der Reiſe
Frohe Gefaͤhrtinn, die Pilgerinn, ſtill, und ſprach zu der Mutter:
Weiter folge du nicht. Die Auferweckte des Mittlers
Sieht die hoͤhern Erſcheinungen nur. Sie glaͤnzte verwandelt.
Nimm jetzt Abſchied. Sie ſagt’ es der ſinkenden Mutter, und hielt ſie.
Abſchied von meiner Cidli, von der ich niemals mich trennte?
Komm bald wieder, o himmliſche Tochter, und ſage mir Armen,
Was du ſahſt. Gott ſegne zu dieſer Erſcheinungen Heil dich!
Geh nach Salem hinab, ſo ſprach zu der Mutter Megiddo,
Denn du ſieheſt ſo bald die gluͤckliche Cidli nicht wieder!
Meine
[254]Der Meſſias. Funfzehnter Geſang.Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter!
Himmliſche Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!
Und ſie verlieſſen die Arme, die weinend ihnen nachſah.
Als ſie die Hoͤhen erſtiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte,
Sahe ſie fern in den Cederſchatten Semida kommen
Mit dem Pilger, der nun in ſeinem Schimmer auch glaͤnzte.
Semida ſah auch ſie. Die beyden Sterblichen ſtanden,
Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen
Strahlengeſtalten um ſie zu ſchweben, und ihnen zu laͤcheln.
O wie glaͤnzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde,
Und der verwundete Mann, und ſeine kommenden Bruͤder!
Jmmer wurden der Himmliſchen mehr, und leuchtender immer.
Wer vermag die Entzuͤckungen alle mit Namen zu nennen,
Welche die beyden ergriffen. Wie ſie mit gefalteten Haͤnden,
Staunend ſich umſahn, wieder den Blick zu der Erde ſenkten!
Fragen wollten, und in der bebenden Frage verſtummten!
Wie von den Strahlen umgeben der nahen Unſterblichen, wie ſie
Dann von dem Schimmer, und ſanftzulispelndem Segnen umgeben,
Freudig waren, und bang! … Sie kamen ſich naͤher. … Da ſchwanden
Jhre Gedanken! und ſie, die beyden Gluͤcklichen wurden
Schnell verklaͤrt! Sie ſchwebten daher, und umarmten einander,
Ach das erſtemal dort, und nicht in den Huͤtten der Trennung.
Wiederſehen, o du der Liebenden Wiederſehen,
Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,
Selbſt der Gedank’ an dich iſt nur ein Traum von Cidli’s
Freuden, nun weinten ſie andere Thraͤnen, und Semida’s Freuden!