Critiſcher, Poetiſcher,
und anderer geiſtvollen
Schriften,
des Urtheiles und des Witzes
in den Wercken
der Wohlredenheit und der Poeſie.
Bey Conrad Orell und Comp.1743.
Von dem Zuſtande der deutſchen
Poeſie bey Ankunft Martin Opitzens.
JCh habe die deutſche Poeſie des ſechszehn-
den Jahrhunderts in ihrem ſchoͤnſten Lichte
vorgeſtellet, ſo wie ſelbige in Sebaſtian
Brands und Johann Fiſcharts Gedichten ausge-
ſehen hat, wann man die Augen von den zuſammen-
geſchraͤnckten Woͤrtern, und dem holperichten
Sylbenmaſſe abwendet. Dieſe beyde ſind in dem
innerlichen Weſen der Poeſie von niemandem ih-
res Welt-Alters uͤbertroffen worden; ich rede von
denen, welche ſich durch eigene Schrifften einen
Nahmen gemachet haben, der Reinicke Fuchs,
der Froſchmaͤuſeler, der Muͤcken- und Ameiſſen-
Krieg kommen hier in keine Rechnung, weil ſie
bloſſe Ueberſetzungen ſind; und was das aͤuſſerli-
che anlanget, ſo haben die Verfaſſer dieſer letztern
Gedichte in der harten Sprache, und dem holperig-
ten Tonmaſſe vor jenen nichts, oder ein ſehr we-
niges zum voraus. Gegen dem Ausgange des
ſechszehnden Jahrhunderts, und beym Anfange des
naͤchſt darauf folgenden waren zu Straßburg und
Heydelberg, wo Opitz ſeiner Muſe die Erſtlinge
geopfert hatte, Paul Meliſſus, Peter Denaiſius
und Rudolf Wekerlein als geſchickte Poeten be-
kannt, von welchen man damahls glaubete, daß
ſie der deutſchen Poeſie eine beſſere Geſtalt gege-
ben haͤtten, als ſie in den Gedichten ihrer Vorfah-
ren gehabt hatte. Von dem erſtern ſind 1572.
die fuͤnfzig erſtern Pſalmen Davids ausgegangen,
A 2in
[4]Von dem Zuſtande der Poeſie
in welchen er Lobwaſſers Ueberſetzung, die ihm zu
waͤſſerig und zu hart vorgekommen, zu uͤbertreffen
geſucht, aber nach Opitzens Urtheil deſſelben Feh-
ler nicht vermeiden koͤnnen. Man kan von ſeinem
poetiſchen Vermoͤgen aus folgenden Liedern ur-
theilen, die ihn zum Verfaſſer haben.
Und
[5]bey Ankunft Martin Opitzens.
A 3Noch
[6]Von dem Zuſtande der Poeſie
6. Ach
[7]bey Ankunft Martin Opitzens.
Von Peter Denaiſius, einem Doctor der Rech-
ten von Straßburg, haben einige vorgegeben, daß
Opitz die Jdee eines reinen deutſchen Verſes von
ihm empfangen habe. Dieſer hat folgendes Hoch-
zeit-Lied auf Doctor Lingelsheimer verfertiget:
A 4Des
[8]Von dem Zuſtande der Poeſie
Wann
[9]bey Ankunft Martin Opitzens.
A 5Ru-
[10]Von dem Zuſtande der Poeſie
Rudolf Weckerlein wird von Philandern von
Sittewald mit vielem Lobe angezogen. Von ihm
iſt das Cartel des ehrwerbenden deutſchen jun-
gen Adels:
Das Sylbenmaß in dieſen Gedichten iſt gantz nach
der Frantzoͤſiſchen Manier. Man muß darinnen
keine Abwechslung der hohen und der tiefen Syl-
ben ſuchen, ſondern mit der richtigen Anzahl der
Sylben, dem Abſchnitte und dem Reime vorlieb
nehmen. Auf mehrers haben die Verfaſſer nicht
geſehen. Sie hatten nichts weniger in Gedan-
ken, als uns ein Tonmaß von eitel Jamben zu ge-
ben. Jhre Meinung war ohne Zweifel, daß der
Leſer
[11]bey Ankunft Martin Opitzens.
Leſer im Ausſprechen jeder Sylben ihren eignen
Klang laſſen ſollte, dadurch der Vers nicht allein
Jamben, ſondern daneben auch Trocheen, und Dac-
tyle bekoͤmmt. Nach dem Urtheile Frantzoͤſiſcher
Ohren vermieden ſie hiermit den Eckel, der von
der Monotonie beſtaͤndig gleichtoͤnender Fuͤſſe ent-
ſteht. Folgende vier Oden ſind auch von Weker-
leins Muſe; Sie haben nicht allein in dem Syl-
benmaſſe, ſondern auch in den Gedancken etwas
beſonderes und lebhaftes.
Tugend Unſterblichkeit.
Dieſe
[12]Von dem Zuſtande der Poeſie
Weiß-
[13]bey Ankunft Martin Opitzens.
Alſo
[14]Von dem Zuſtande der Poeſie
Das
[15]bey Ankunft Martin Opitzens.
Lieb,
[16]Von dem Zuſtande der Poeſie
Son-
[17]bey Ankunft Martin Opitzens.
[Crit. Sam̃l. IX. St.] BSeuff-
[18]Von dem Zuſtande der Poeſie
So
[19]bey Ankunft Martin Opitzens.
So fand Opitz die beſte Poeſie bey den Deut-
ſchen in kleinen einzeln Stuͤcken beſchaffen, als er
in die poetiſche Welt ankam. Er war damit ſehr
uͤbel zufrieden, die geradebrechte Sprache, das
Sylbenmaß, die gedrungene Reimen, die ſeltſame
Art zu reden, mißfielen ihm in der Seele. Und
in dem Jnhalt fand er auch den Geiſt und Ge-
ſchmack nicht, welcher vielmehr, als Tonmaß und
Reimen ein Gedicht poetiſch machet. Nach ſei-
„nem Urtheil hatten die Deutſchen undanckbar
„gegen ihrem Lande, undanckbar gegen ihrer al-
„ten Sprache, ihr noch zur Zeit die Ehre nicht
„angethan, daß die angenehme Poeſie auch durch
„ſie haͤtte reden moͤgen. Er ſcheuet ſich nicht zu
„ſagen, waͤren ihm nicht etliche wenige Buͤcher
„vor vielen hundert Jahren in deutſchen Reimen
„geſchrieben, zu Handen kommen, doͤrfte er zwei-
„feln, ob jemahls dergleichen bey ihnen uͤblich
„geweſen. Dann, ſagt er, was insgemein von
„jetzigen Verſen herumgetragen wird, weiß ich
„wahrlich nicht, ob es mehr unſerer Sprache zu
„Ehren, als Schanden angezogen werden koͤnne.
Durch dieſe alten Buͤcher, in welchen er die Poe-
ſie zuerſt in der deutſchen Sprache reden gehoͤret,
verſteht er keine andern, als die wenigen, die aus
dem Schwaͤbiſchen Welt-Alter uͤbrig geblieben.
Er gedencket derſelben in ſeinem Ariſtarch mit aus-
druͤcklichen Worten: Superſunt etiamnum, ſagt
er, non pauca, quæ Melchior Goldaſtus, vir in
commodum ac gloriam Germaniæ natus, eruit an-
te aliquot annos è ſitu \& publicavit. An demſel-
ben Orte hat er auch etliche Zeilen aus dem Mar-
B 2ner
[20]Von dem Zuſtande der Poeſie
ner zu einer Probe angefuͤhrt, was die deutſche
Sprache in der Poeſie vermoͤgte. Er urtheilet
davon, ejus eſſe amœnitatis, ut nos pœnitere ſer-
monis noſtri non debeat, er beweinet aber zugleich,
tam felicem poetandi Spiritum plane interceptum
fuiſſe. Er erwaͤhnet dieſer und einiger andern
Schrifften von dieſem Alter auch mit vielem Lobe
in ſeiner Proſodie.
„Ueber dies, ſagt er, ſind
„eines ungenannten Freyherrns von Wengen,
„Juncker Winsbeckens, Reimars von Zweter,
„der ein Pfaͤltziſcher von Adel, und bey Kaͤiſer
„Friedrichen dem Erſten, und Heinrichen dem
„Sechsten aufgewartet hat, Marners, auch
„eines Edelmanns, Meiſter Sigeherrens, und
„anderer Sachen noch vorhanden, die manchen
„ſtattlichen lateiniſchen Poeten an Erfindung und
„Zier der Rede beſchaͤmen.„
Und nach dieſen
Worten ſetzet er aus Walter von der Vogelweide,
Kaiſer Philippſen geheimen Rath, einen Ort, von
dem er ſagt:
„Es werde daraus leichtlich zu ſe-
„hen ſeyn, wie hoch ſich ſelbige vornehme Maͤn-
„ner, ungeachtet ihrer adelichen Ankunft und
„Standes, der Poeterey angemaſſet.„
Opitz fand vornehmlich zwo Urſachen, welche
die Deutſchen gehindert, daß ſie die Poeſie in ih-
rer Sprache zu treiben, ſo ſchaͤndlich verabſaͤumet
hatten. Erſtlich die Vorurtheile, von welchen ſie
eingenommen waren, daß die Poeſie eine eitele,
unnoͤthige und vergebliche Wiſſenſchaft ſey, welche
uͤber dies mit mythologiſchen Grillen, heydniſchem
Goͤttertand, verliebten Ausſchweiſſungen angefuͤl-
let waͤre. Hernach die Beſchuldigungen, daß
das
[21]bey Ankunft Martin Opitzens.
das Deutſche dermaſſen grob und hart waͤre, daß
es nicht fuͤglich in die gebundene Art zu ſchreiben
gebracht werden koͤnnte. Er meinte aber auch, daß
dieſe Vorurtheile und Beſchuldigungen zu zernich-
ten nichts weiters, als ein Mann vonnoͤthen waͤre,
der ſich der Poeſie in unſerer Mutterſprache mit
einem rechten Fleiß und Eifer anmaſſete; Und er
faſſete den großmuͤthigen Vorſatz, daß er ſelber ihr
dieſen Dienſt thun wollte. Er gab ſich in ſeinen
Vorreden, in ſeinem Ariſtarch, in ſeiner Proſodie
alle Muͤhe, die Vorzuͤge der Poeſie, ihre Schaͤtzbar-
keit, ihren Nutzen zu erweiſen, ferner die Tuͤchtig-
keit der deutſchen Sprache allen Zierrathen der
Poeſie, insbeſondere denen, die von dem Wohl-
klange und der Harmonie entſtehen, Statt und
Platz zu geben. Aber er zeigete dieſes zu einer
nachdruͤcklichern Ueberzeugung durch ſeine eigenen
Exempel, in welchen er die Jdee, die er ſich in ſei-
nem Gemuͤthe, von einer recht-beſchaffenen Poe-
ſie, und einem reinen Jambiſchen Verſe, entworf-
fen hatte, durch das Werck vor Augen legete.
Jn dieſem letztern Stuͤcke hatte ein deutſcher Edel-
mann, Nahmens Ernſt Schwabe von der Heide,
denſelben Einfall gehabt, und um dieſelbe Zeit
angefangen, die Vers-Arten von eitel Jamben
einzufuͤhren, ohne daß Opitz einige Gemeinſchaft
mit ihm gehabt, oder davon gewußt habe; Aber
er brachte es darinnen bey weitem nicht zu der Voll-
kommenheit, zu welcher Opitz nochmahls geſtie-
gen, nachdem er ſeine Jdee davon durch die Be-
kanntſchafft mit Daniel Heinſius, und durch Le-
ſung der Niederlaͤndiſchen Gedichte deſſelben aus-
gebeſſert hatte.
B 3Die
[22]Von dem Zuſtande der Poeſie
Die erſte Sammlung Opitziſcher Gedichte kam
1624. zu Straßburg durch Beſorgung Doctor
Zinkgraͤfen in 4to. zum Vorſchein, nachdem einige
davon ſeit 1618. einzel im Drucke erſchienen wa-
ren. Opitz hatte ſeine Einwilligung darein gege-
ben; und ſie mit einer eigenen Vorrede an den Le-
ſer begleitet, welche ich hier deßwegen ausſchrei-
ben will, weil das Buch ſich beynahe aus den Bi-
bliothecken verlohren hat, und die Vorrede ſelbſt
zu Bekraͤftigung verſchiedener Sachen dienet, die
ich oben angezogen habe.
WAnn ich mir, guͤnſtiger Leſer, gegenwaͤr-
tiger Zeit Gelegenheit, was die freyen
Kuͤnſte belanget, fuͤr Augen ſtelle, muß ich
mich hefftig verwundern, daß, da ſonſt wir
Deutſchen keiner Nation an Kunſt und Ge-
ſchicklichkeit bevor geben, doch biß jetzund nie-
mand unter uns gefunden worden, ſo der
Poeſie in unſerer Mutter-Sprache ſich mit ei-
nem rechten Fleiß und Eifer angemaſſet. Die
Jtaliaͤner haben erſtlich die Lateiniſche Sprach
zu unſerer Voreltern Zeiten wieder auf die
Beine gebracht, und doch darneben ihrer ei-
genen nicht vergeſſen. Der ſinnreiche Petrar-
cha hat mehr Lob durch ſein Toſcaniſch erja-
get, als durch alles das, was er ſonſten je-
mahls geſchrieben. Sannazarius, welcher der
Poeten Adler Virgilio ziemlich nahe gegraſet,
hat mit ſeiner trefflichen Arcadia allen ſeinen
Landsleuten die Augen aufgethan, und allen Roͤ-
mern
[23]bey Ankunft Martin Opitzens.
mern Trotz gebotten. Jn Franckreich hat der
beruͤhmte Ronſardt durch ſeine Poeſie die Ge-
muͤther wie faſt verzaubert, und iſt von ſei-
nem Koͤnig mit reichen Einkommen begabet
worden. Barthaſius hat durch ſein ſchoͤnes
und ſchweres Werck ſolch Lob eingelegt, als
waͤre er der vornehmſte Griechiſche oder La-
teiniſche Poet geweſen. Des Edlen Herrn
Sidney Areadia macht die Engellaͤnder faſt
ſtoltz mit ihrer Sprach. Wie hoch der Nie-
derlaͤndiſche Apollo, Daniel Heinſius, geſtiegen
ſey, kan ich mit meinen niedrigen Sinnen
nicht ergruͤnden, und will hier in Erwaͤhnung
ſeiner meine Feder zuruck halten, daß ich ſein
werthes Lob und Ehre, die er durch ſeine
uͤbernatuͤrliche Geſchicklichkeit verdienet, mit
meiner Zungen Unmuͤndigkeit nicht verkleinere.
So koͤnnen der Amſterdamer Achilles und
Polyxena, Theſeus und Ariadne, Granida
Gerhard von Velſen, Roderich und Alfon-
ſus, Griane, Spaniſcher Brabander, Lu-
cella, ſtummer Ritter, Jthys, Polyxena,
Jſabella, und andere faſt dem Seneca, und
Terentio dem hoͤflichſten unter allen Lateini-
ſchen Scribenten, an die Seite geſetzt wer-
den. Wir Deutſchen allein undanckbar ge-
gen unſerm Lande, undanckbar gegen unſerer
alten Sprache, haben ihr noch zur Zeit die
Ehre nicht angethan, daß die angenehme Poe-
B 4ſie
[24]Von dem Zuſtande drr Poeſie
ſie auch durch ſie haͤtte reden moͤgen. Und
waͤren nicht etliche wenige Buͤcher vor vielen
hundert Jahren in teutſchen Reimen geſchrie-
ben, mir zu Handen kommen, doͤrffte ich
zweiffeln, ob jemahls dergleichen bey uns uͤb-
lich geweſen. Dann was insgemein von jezi-
gen Verſen herum getragen wird, weiß ich
wahrlich nicht, ob es mehr unſerer Sprache
zu Ehren, als Schanden angezogen werden
koͤnne. Wiewohl ich keines Wegs in Abre-
de bin, daß viele ſtattliche Jngenia ſeyn moͤ-
gen, die unſerer Mutter-Sprache auch dieß-
falls wohl maͤchtig, und ſie nach Wuͤrden zu
tractiren wuͤßten. Warum aber ſolches biß
anhero zuruck geſtellet, kan ich eigentlich bey
mir nicht ermeſſen. Dann daß ich es der Poe-
ſie ſelber, als einer unnoͤthigen und vergebli-
chen Wiſſenſchafft zuſchreiben ſolte, glaube ich
nimmermehr, daß einiger verſtaͤndiger dieſem
unbeſonnenen Urtheil Beyfall geben koͤnne.
Dieſe fuͤrtreffliche Art zu ſchreiben iſt vor Al-
ters ſo hoch geſchaͤtzt worden, daß auch der
Weltweiſeſte Menſch, Socrates, an ſeinem
Ende ſie fuͤr die Hand zu nehmen ſich unter-
ſtanden, und vermeynt, er koͤnne die Un-
ſterblichkeit der Seelen eher nicht empfinden,
dann wann er durch die Poeterey, als naͤchſte
Stafel zu derſelben, dahin gelangte. Und
daß ich nicht beruͤhre, was Plato dießfalls
wei-
[25]bey Ankunft Martin Opitzens.
weiter erzehlet, ſo mit Verwunderung zu le-
ſen, wiſſen alle Gelehrte, wie von Anfang her
auf eben dieſe Kunſt ſo viel gehalten worden,
daß man die Poeten eine heimliche Zuſammen-
kunfft und Verbuͤndnuß mit den Goͤttern zu
haben geargwohnet, und ihre Schrifften als
Orackel und Propheceyungen gehalten hat.
Jtem, daß Homerus der Brunnen-Quell und
Urſprung aller Weißheit zu ſeyn geſchaͤtzet wor-
den. Daß der groſſe Alexander, deßgleichen
die Sonne nicht beſchienen, eben dieſes Ho-
meri Gedichte allezeit unter ſein Hauptkuͤſſen
gelegt, und auf ſo einem edlen Schatz wohl
zu ruhen vermeinet. Daß vorgegeben wor-
den, Orpheus, weil er durch dieſes Mittel die
noch unbezwungene und verwildete Hertzen zu
guten Sitten und der Tugend angewieſen,
habe die unbaͤndigen Thiere ſamt Bergen,
Wuͤſten und Waͤldern mit ſeinem Geſang be-
weget. Und was ſonſten hin und wieder bey
den Griechen zu finden. Bey den Roͤmern
auch iſt Virgilius in ſolch Anſehen kommen,
daß, wie Quintilianus, oder wer er iſt, mel-
det, als man etliche ſeiner Verſe offentlich ver-
leſen, das gantze Volck aus ſonderlicher Wuͤr-
digung aufgeſtanden, und daß ihm, wann er
gegenwaͤrtig geweſen, ſolche Ehr als Kaͤyſer
Auguſto ſelbſt widerfahren ſey. Daß ich des
weiſen Moyſis Lobgeſanges, der Pſalmen, des
B 5hohen
[26]Von dem Zuſtande der Poeſie
hohen Lieds Salomonis, und anderer Oerter
in Heil. Schrifft geſchweige, welche nicht weni-
ger poetiſch, und mit ſolcher Zierlichkeit ge-
ſchrieben ſind, daß ſie ſo weit uͤber alle welt-
liche Gedichte ſteigen, ſo weit die himmliſchen
Dinge alle irrdiſche Eitelkeit uͤbertreffen. Daß
der Heil. Geiſt auch zwar die Lehre der Hey-
den verworffen hat, aber nicht die Worte,
wie St. Ambroſius klaͤrlich erweiſet, und in
der alten Ueberſetzung der Bibel noch zu ſehen;
da denn Gigantes, Valles Titanum, Sire-
nes, filiæ Sirenum, Cocytus, πνεῦμα πῦ-
θωνος, und dergleichen, ſo von den Poeten ent-
lehnet, noch zu finden ſeyn. Ja daß offter-
mahls, wie Plutarchus gar recht berichtet,
durch Vulcanus, Bacchus, Venus und andere
Nahmen, nichts als das Feuer, der Wein,
die Liebe, und ihre Tugend oder Laſter zu er-
kennen gegeben wird. So habe ich der Goͤt-
ter hierinnen ſo zum beſten gedacht, daß ich
mir fuͤr meine Perſon ſolch Lob nicht begehre:
Wie ſie dann auch offte verhoͤnet werden von
ihren eigenen Scribenten. Welches Euripi-
des vor allen meiſterlich gelernet, bey welchem
das ſchoͤne berauſchte Buͤbichen Cyclops un-
ter andern vom Bacchus ſagt:
Θεὸς δ᾽ἐν ἀσκῶ πῶς γέγηϑ᾽ ὄικους ἔχων
Was fuͤr ein Gott mag der wohl ſeyn/
So wohnet in der Flaſche Wein?
Dar-
[27]bey Ankunft Martin Opitzens.
Daraus man wohl ſehen kan, wie gut ſie
es mit ihren Goͤttern gemeinet. Letztlich ach-
te ich auch nicht, daß bey uns einiger Menſch
mehr gefunden wird, der nicht ſiehet die groſſe
Blindheit, darinnen die armen Heyden ge-
ſteckt ſind, daß ſie auch ihre Suͤnden angebet-
tet, ihre Laſter fuͤr Goͤtter gehalten, Thiere
und Beſtien in Himmel geſetzt, zu welchen un-
ter andern auch Sileni Eſel, wie Aratus mel-
det, ſoll gelanget ſeyn. Wiewohl daſſelbe
nicht ſonderlich zu beklagen, weil ihr noch ein
ziemlich Theil auf der Erden blieben. Wel-
ches ich allein vor diejenigen ſetze, die mit der
Venus lieber umgehen, und ſie ſo lieben als lo-
ben; und vor die ſo ohne Wiſſenſchafft ih-
rem Urtheil folgen, wie ſie dann auch urthei-
len nach ihrem Verſtande. Jſt demnach die-
ſe ausbuͤndige Diſciplin aus ihrer eigenen
Schuld von uns nicht hindan geſetzt worden.
So kan man auch keineswegs zugeben, es
ſey unſer Teutſches dermaſſen grob und hart,
daß es in dieſe gebundene Art zu ſchreiben nicht
koͤnne fuͤglich gebracht werden: weil noch biß
auf dieſe Stund im Helden-Buch und ſonſten
dergleichen Gedichte und Reimen zu finden ſind,
die auch viel andere Sprachen beſchaͤmen ſol-
ten. Jhm ſey aber doch wie ihm wolle, bin
ich die Bahn zu brechen, und durch dieſen
Anfang unſerer Sprache Gluͤckſeligkeit zu er-
wei-
[28]Von dem Zuſtande der Poeſie
weiſen bedacht geweſen. Solches auch deſto
ſcheinbarer zu machen, hab ich einen ziemli-
chen Theil dieſes Buͤchleins aus fremden
Sprachen uͤberſetzen wollen; daß man aus
Gegenhaltung derſelben die Reinigkeit und
Zier der unſeren beſſer erkennen moͤchte. Wie-
wohl ich mich gar nicht gebunden; angeſehen
ſonderlich der alten Lateiner Exempel, die mit
dem Griechiſchen Weſen auch nicht anderſt
umgegangen. Warum mir aber mehr von
Liebes-Sachen, als andern wichtigern Mate-
rien anzuheben gefallen, achte ich nicht, daß
ich weitlaͤuffig erzehlen doͤrffe, weil ſonderlich
der Anfang jedwedern Dings von Freundlich-
keit und Liebe (welcher ein jeglicher durch
verborgene Gewalt der Natur, derer groͤſſeſte
Unterhalt ſie iſt, verbunden) muß gemacht
werden: Will nichts ſagen, daß nicht allein
die Exempel der edelſten Poeten von allen Zei-
ten her fuͤr Augen ſeyn: ſondern daß auch ge-
meiniglich die Unterrichtung von Weißheit,
Zucht und Hoͤflichkeit unter dem betrieglichen
Bilde der Liebe verdeckt lieget: daß alſo der
Jugend die Lehre der Tugenden durch dieſe
verbluͤmte Weiſe eingepflantzet wird, und ſie
faſt unwiſſend darzu gelanget. So hoffe ich
auch nicht, daß, die ſonſten von Geſchicklich-
keit der Poeten viel halten, ſie um dieſer ihrer
alten Freyheit willen verwerffen werden. Jſt
auch
[29]bey Ankunft Martin Opitzens.
auch Plato, der unter andern in ſeinen ſchoͤ-
nen Verſen ihm wuͤnſchet der Himmel zu wer-
den, daß er Aſterien genugſam beſchauen koͤn-
te, nicht zu verdammen: Jſt Cicero, der in
ſeinem Tuſculano von Liebes-Sachen ſoll ge-
ſchrieben haben: Jſt Plinius, der ſeine Carmi-
na (die er nichts weniger als ernſthafft zu ſeyn
bekennet) ſelber commentiret: Jſt Apulejus,
deſſen ausbuͤndige Buhler-Verſe noch vorhan-
den, ſamt ſo groſſen Helden, hohen Seelen,
weiſen und fuͤrnehmen Leuten nicht zu verſtoſ-
ſen, wie viel mehr ich, der ich angeſehen mei-
ne bluͤhende Jugend, die keuſche Venus mit
den gelehrten Muſis zugleich verehret habe?
Wo aber noch dieſe Entſchuldigung nicht gel-
ten mag; hoffe ich kuͤnfftig wohl zu erweiſen,
wie ſehr die irren, ſo aus dem Anfange von
kuͤnfftigem zu urtheilen ſich unterſtehen. Un-
beſonnene Urtheile habe ich jederzeit mehr zu
verachten als zu achten pflegen: und iſt niemand
unweiſer, als der auf eines jeglichen Gutſpre-
chen ſiehet, und wer er ſey, von andern er-
fahren will. Es werden vielleicht auch hier
nicht wenig Sachen gefunden werden, ſo dem
andern an der Guͤte der Worte und Erfin-
dung nicht gleichen, weil ſie zum Theil vor die-
ſer Zeit geſchrieben worden. Hoffe aber, ſie
ſollen doch nicht von allen verworffen werden.
Es ſind viel Fruͤchte, von denen man zwar
nicht
[30]Von dem Zuſtande der Poeſie
nicht leben kan, dennoch aber werden ſie oh-
ne Luſt und ſondere Ergetzlichkeit nicht angeſe-
hen. Daß ich der Ungleichheit der Meinun-
gen nicht gedencke, daß dieſem jenes, jenem
dieſes gefaͤllt, und einer Roſen, der andere
Doͤrner lieſet. Jſt mein Fuͤrnehmen gera-
then, hoffe ich nicht, daß mich jemand tadeln
werde: wo nicht, ſo bin ich dennoch zu ent-
ſchuldigen, weil ich unſerer Sprache Wuͤrde
und Lob wieder aufzubauen mich unterfangen.
Die vornehmſten Gedichte in dieſer Samm-
lung ſind Dan. Heinſii Lobgeſang Jeſu Chriſti;
deſſelben Lobgeſang des Bacchus; die Luſt des
Feldbaues; Zlatna; an die deutſche Nation; an
die Jungfrauen in Deutſchland; Fruͤhlings Klag-
Gedichte; der gekreutzigte Cupido; ꝛc. Auch ſein
Ariſtarch iſt dazu gedruckt worden. Unter den
kleinern Stuͤcken iſt eine ziemliche Anzahl ſolcher,
die Opitz nachgehends weggeworffen hat, ſo daß
ſie in keiner von den folgenden Auflagen mehr er-
ſcheinen.
Dieſe Sammlung hat der Herausgeber mit
einem Anhange ausgeſuchter Gedichte anderer deut-
ſchen Poeten verſtaͤrcket, und ich habe diejenigen,
die ich oben von Meliſſus, Denaiſius, und We-
kerlein mitgetheilet habe, eben daſelbſt gefunden.
Zinkgraͤfe ſagt in einer kleinen Vorrede zu dieſem
An-
[31]bey Ankunft Martin Opitzens.
Anhange,
„er habe ihn, wie die freygebigen
„Verkaͤuffer, als eine Zugabe mitgegeben, zu
„einem Muſter und Vorbilde, wornach man ſich
„in der deutſchen Poeterey hinfuͤr etlicher maſſen
„zu reglieren habe.„
Alleine ſie ſind viel be-
quemer, den Vorzug der Opitziſchen Gedichte,
auch in deſſen allererſten Verſuche, durch den groſ-
ſen Unterſcheid, der ſich zwiſchen ſeinen und die-
ſen Gedichten befindet, vor Augen zu legen. Jch
verſtehe dieſes nicht alleine von denen Stuͤcken,
die von den eben erwaͤhnten aͤltern Scribenten ver-
fertiget worden, ſondern auch von den uͤbrigen,
die ſolche Maͤnner zu Verfaſſern haben, welche Opi-
zens Muſter naͤher vor Augen hatten, und ſeine
neue Manier poetiſch zu ſchreiben, und den Ton
der Sylben in Acht zu nehmen, aus ſeinem eige-
nen Mund vernehmen koͤnnen, Maͤnner, deren
Nahmen der Nachwelt durch Opitzens Gedichte
bekannter geworden ſind, als durch ihre eigenen.
Ohne Zweifel mache ich den Leſer mit dieſen Wor-
ten begierig, etwas von dieſen Gedichten zu ſehen,
damit ſie dieſe beruͤhmte Freunde Opitzens auch aus
den Wercken ihres Geiſtes kennen lernen.
Heinrich Alb. Hamilton, ein Daͤhne, dem
Opitz ſeinen Lobgeſang Jeſu Chriſti zugeſchrieben,
hat folgendes Gedichte auf die Naſe ſeiner Lieb-
ſten verfertiget:
Den
[32]Von dem Zuſtande der Poeſie
Wer Caſpar Kirchnern nicht kennt, muͤßte
Opitzen nicht kennen, der ſeiner an ſo vielen Oertern
gedencket, und doch nirgend mit einem feinern Lo-
be, als in dem Gedichte, das er auf ſeine Ver-
maͤhlung aufgeſetzet, wo er folgende Zeilen von ihm
geſchrieben:
Von dieſem iſt nun folgendes Gedichte:
Ein
[33]bey Ankunft Martin Opitzens.
[Crit. Sam̃l. IX. St.] C
[34]Von dem Zuſtande der Poeſie
Fol-
[35]bey Ankunft Martin Opitzens.
Folgendes von Balth. Venator kan ſich durch
ſeinen ſcharffſinnigen Jnnhalt fuͤr ſich ſelbſt em-
pfehlen, ohne daß wir es durch des Verfaſſers
Freundſchaft mit Opitzen ſchuͤtzen doͤrffen:
C 2Jch
[36]Von dem Zuſtande der Poeſie
Wir erkennen in dieſem Gedichte den Geiſt des
geſchickten Mannes, auf welchen Opitz ſich in fol-
genden Zeilen beruffen hat:
Die meiſten Gedichte in dieſer Sammlung ſind
von Zinckgraͤfen ſelbſt, dem Mann, von welchem
Opitz geſagt:
Das beſte darunter wird wohl die Vermah-
nung zur Dapferkeit ſeyn, die er nach Art der
Elegien des Tyrtaͤus geſtellt hat:
Sucht
[37]bey Ankunft Martin Opitzens.
C 3Jhn
[38]Von dem Zuſtande der Poeſie
Bey
[39]bey Ankunft Martin Opitzens.
C 4Wer
[40]Von dem Zuſtande der Poeſie
Tyrtaͤus hat etliche Gedichte verfertiget, wor-
innen er der Dapferkeit ein ungemeines Lob bey-
legete; er erhob die Liebe des Vaterlandes, und
die Unerſchrockenheit derer wackern Kriegesmaͤn-
ner, welche in dem Gefechte das Schrecken und
den Tod durch alle Glieder und Reihen mit ſich
fuͤhreten, bis in den Himmel. Er ermunterte
diejenigen, welche den Muth verlohren hatten,
auf ein neues, und belebete ſie mit neuer Hoff-
nung, wann ſie in etlichen Schlachten das Hertz
ſowohl als das Feld verlohren hatten. Er ſtellete
in ſeinen Gedichten die Vortheile vor, welche ein
Krieges Mann dem Vaterlande mittheilet, wann
er mit Verachtung aller Gefahr und des Todes
ſelbſt vornen an dem Heere dapfer ſtreitet.
„Ein
„ſolcher, ſagt Tyrtaͤus in einem Gedicht, bele-
„bet alle, die um ihn herum ſechten, mit einer
„großmuͤthigen Kuͤhnheit, und man ſieht gantze
„Regimenter vor ihm fliehen: Faͤllt er unter den
„Streichen des Feindes, was vor Ruhm em-
„pfaͤngt nicht daher ſein Vaterland, ſeine Mit-
„buͤrger, und ſeine Verwandten? Alte und Jun-
„ge beweinen ihn; Jedermann iſt in der Trauer,
„ſein Grab bleibt auf ewig beruͤhmt, und der
„Nachklang ſeiner großmuͤthigen Thaten koͤmmt
„auf die ſpaͤtheſten Nachkommen. Die helden-
„muͤthigen Thaten werden nicht in den Staub
„begraben, und der Tod ſelbſt wird dieſen uner-
„ſchrockenen Kriegern zu einem Gewaͤhrmann
„der
[41]bey Ankunft Martin Opitzens.
„der Unſterblichkeit. Wenn er ungeachtet der Ge-
„fahr, die das Leben der Kriegenden beſtaͤndig
„begleitet, das Gluͤck hat, ſeinen Sieg zu uͤberleben,
„ſo iſt niemand, der ihn nicht verehre, und er
„ſtirbt erſt nach einem Leben, worinnen er An-
„nehmlichkeit und Anmuth vollauff genoſſen hat.„
Man kan aus dieſer Probe von der Natur der
Gedichte des Tyrtaͤus urtheilen. Alle die kleinen
Stuͤcke, die davon uͤbrig geblieben, ſind dieſem
gleich, und es iſt offenbar, daß Zinckgraͤfe ſie vor
Augen gehabt hat.
[42]Martin Opitzens
Martin Opitzens
Verworffene Gedichte.
OPitz war mit der Straßburgiſchen Auflage
ſeiner Gedichte, die von Zinckgraͤfen be-
ſorget worden, ziemlich uͤbel zufrieden,
ungeachtet er ſeine Einwilligung darein gegeben,
und eine eigene Vorrede darzu geſchrieben hatte.
Eine Urſache deſſen mag die Unvollkommenheit
derſelben geweſen ſeyn, welche er mit zunehmendem
Erkaͤnntniß ſeiner unwirdig gehalten; eine andere
die ziemlich groſſe Freyheit, womit er in einigen
Stuͤcken von Liebes-Sachen geredet hat. Von
der erſtern berichtet er uns ſelbſt in dem fuͤnften
Capitel ſeiner Proſodie mit dieſen Worten: Mei-
ner deutſchen Poematum halber, die unlaͤngſt zu
Straßburg ausgegangen, und zum Theil vor et-
lichen Jahren von mir ſelber, zum Theil in mei-
nem Abweſen von andern ungeordnet und unuͤber-
ſehen zuſammen geleſen worden, bitte ich alle die,
denen ſie zu Geſichte kommen ſind, ſie wollen die
vielfaͤltigen Maͤngel und Jrrungen, ſo darinnen
ſich befinden, beydes meiner Jugend, (angeſehen
daß viel darunter iſt, welches ich, da ich noch faſt
ein Knabe geweſen, geſchrieben habe) und dann
denen zurechnen, die aus keiner boͤſen Meinung
meinen guten Nahmen dadurch zu erweitern be-
dacht geweſen ſeyn. Jch verheiſſe hiermit eheſtens
alle dasjenige, was ich von dergleichen Sachen
bey
[43]Verworffene Gedichte.
bey Handen habe, in gewiſſe Buͤcher abzutheilen,
und zu Rettung meines Geruͤchtes, welches wegen
voriger uͤbereilten Edition ſich mercklich verletzt be-
findet, durch oͤffentlichen Druck jedermann gemei-
ne zu machen.
Die andere Urſache, nemlich den Buhleriſchen Jn-
halt wird man hauptſaͤchlich in denen Stuͤcken wahr-
nehmen, welche er in den folgenden Auflagen lieber
ausgeſchloſſen, als ausgebeſſert hat. Er hatte zwar
die Licentz derſelben ſchon bey der erſten Ausgabe er-
kannt, und dafuͤr eine geſchickte Apologie in der Vor-
rede (an dem Ende derſelben) geſchrieben, womit er
die Sache gut zu machen verhoffet.
Allein dieſe Schutzrede mag nachgehends ihm
oder den ernſtlichern Leſern nicht zulaͤnglich geſchie-
nen haben; Das iſt gewiß, daß er nicht wenige
Stuͤcke von dieſem verliebten Jnnhalt ausgeſtri-
chen, und in allen folgenden Auflagen zuruckbe-
halten hat.
Jch habe mich dieſe beyden Urſachen nicht ab-
halten laſſen, die weggeworffenen Stuͤcke nach ei-
ner Zeit von 120 Jahren wieder hervorzuſuchen,
worzu ich mich durch folgende Betrachtungen ge-
nugſam berechtiget gehalten habe. Erſtlich halte
ich davor, es ſey des Verfaſſers Geſchmack, Rei-
nigkeit und Zaͤrtlichkeit, ſowohl was die Licentz der
Verſe, als der Gedancken anlangt, durch dieſe
Ausmuſterung, die er, ſo viel an ihm geſtanden
war, bewerckſtelliget hat, genugſam in Sicher-
heit geſtellt, und vor allem Tadel verwahrt
worden.
Durch
[44]Martin Opitzens
Durch gegenwaͤrtigen Druck kommen ſie auch
nur in weniger und meiſtens nur ſolcher Leute Haͤn-
de, bey welchen Opitzens Verdienſte auſſer al-
lem Streit ſind. Daneben ſind ſie hier ziemlich
verſteckt, und fallen unter einer ſolchen Menge
verſchiedener poetiſcher und critiſcher Schrifften
nicht ſo ſtarck ins Auge. Jn der neuen Auflage
von Opitzens poetiſchen Wercken, die in unſrer
Stadt vorgenommen worden, haͤtten dieſe jugend-
liche Verſuche deſſelben neben ſeinen reiffern und
ſtaͤrckern Gedichten eine deſto ſchlechtere Figur
gemacht. Man hat ſie mit denſelben nicht ver-
mengen, und doch auch nicht Urſache geben wol-
len zu klagen, daß man etwas von Opitzen hinter-
halten habe. Dieſes haͤtten uns Leute nicht ver-
zeihen koͤnnen, welche fuͤr Opitz eine ſo aberglaͤu-
bige Hochachtung haben, wie einige Catholicken
fuͤr ihre Heiligen, ſo daß ſie auch ſeinen Hut, ſeine
Feder, ſeinen Schreibzeug mit Gold erkauffen
wuͤrden.
Was den buhleriſchen Jnnhalt derſelben an-
langt, ſo hoffe ich, man werde ihn nur verliebt,
aber nicht zugleich ſchluͤpferig oder unzuͤchtig finden.
Diejenigen, denen man vorgegeben, daß ſein ſtaͤrckſter
Affect die Liebe zur Wolluſt geweſen, werden darin-
nen nichts finden, das dieſen boͤſen Verdacht recht-
fertige, man wolle dann alle Poeten, die in dem
Affecte der aͤuſſerſten Liebe geſchrieben haben, der
Wolluͤſtigkeit bezuͤchtigen.
Endlich duͤncket es mich fuͤr den Poeten ein
beſonderer Ruhm, daß er den Muth gehabt, beſ-
ſere Gedancken zu verwerffen, als viel andere die
ihn
[45]Verworffene Gedichte.
ihn verachtet, geſchrieben haben; und fuͤr den Le-
ſer eine angenehme und nuͤtzliche Bemuͤhung, die er-
ſten Grade ſeines Zunehmens in der poetiſchen Kunſt
zu beobachten, und den abſonderlichen Fehlern
nachzudencken, welche ihn in jeglichem Stuͤcke be-
wogen haben moͤgen, daſſelbe zu verwerffen.
aus Dan. Heinſii Monobiblo.
Wie
[46]Martin Opitzens
Jgfr. Anna Namßlerin Hochzeit.
Die
[47]Verworffene Gedichte.
Das
[48]Martin Opitzens
Das
[49]Verworffene Gedichte.
[Crit. Sam̃l. IX. St.] DUnd
[50]Martin Opitzens
Das
[51]Verworffene Gedichte.
D 2Jhr
[52]Martin Opitzens
Stets
[53]Verworffene Gedichte.
D 3Geht
[54]Martin Opitzens
rum vom Rheinſtrom wolle treiben, 1620.
Es
[55]Verworffene Gedichte.
Aus dem Lateiniſchen Adeodati Sebaͤ.
D 4Die
[56]Martin Opitzens
Gluͤck-
[57]Verworffene Gedichte.
Oden und Lieder.
D 5Vor
[58]Martin Opitzens
Vor
[59]Verworffene Gedichte.
Gaislerinne Hochzeit.
Gaislerinne
Die Buchſtaben verſetzt:
Ein rein Glas:
Was
[60]Martin Opitzens
Drum
[61]Verworffene Gedichte.
Und
[62]Martin Opitzens
Wann
[63]Verworffene Gedichte.
Ward
[64]Martin Opitzens
Biß
[65]Verworffene Gedichte.
[Cr[i]t. Sam̃l. IX. St.] ESie
[66]Martin Opitzens
Auf die Weiſe: Angelica die Edle.
Kein
[67]Verworffene Gedichte.
E 2Ad[ie]
[68]Martin Opitzens
Ueberſchriften.
Aus
[69]Verworffene Gedichte.
Die Buchſtaben verſetzt:
Kein Freund treu, ohn Gott:
E 3Fleuch
[70]Martin Opitzens
An die ſo ſich ſchmincken.
Er-
[71]Verworffene Gedichte.
E 4Die
[72]Martin Opitzens
Jezt
[73]Verworffene Gedichte.
E 5Der
[74]Mart. Opitz. Verworff. Gedichte.
Du biſt Helena, gar eben eine
Krone.
[[75]]
Genaue
Pruͤffung
Der
Gottſchediſchen Ueberſetzung
Horazens
Von der
Dichtkunſt.
[[76]][[77]]
Vorrede.
ES iſt zwar eine eckelhafte und verdruͤß-
liche Arbeit, in einer uͤberſezten Kunſt-
ſchrift, die nichts anders iſt, als ein Gemiſche
von Fehlern, alle verkehrten Ausdruͤckungen,
und regelloſen Abweichungen ſowohl in den Be-
griffen als derſelben Verbindung genau aufzu-
zeichnen, und ſo deutlich aus einander zu ſetzen,
daß man zugleich die Ordnung und die Schoͤn-
heiten der Grundſchrift empfindlich macht:
Aber wenn ein geſchickter Mann ſich dieſe Muͤ-
he nimmt, ſo iſt es von vortrefflichem Nuzen;
zwar nicht fuͤr den, der gepruͤffet wird, als der
zu dergleichen Empfindung kein Naturell hat,
ſondern fuͤr diejenigen unbefeſtigten Koͤpfe, die
durch das praleriſche Geſchwaͤze des Ueberſe-
zers von den geſunden und natuͤrlichen Begrif-
fen des Originals auf hundert Jrrwege abge-
fuͤhrt worden. Jn dieſer Betrachtung verdienet
der Verfaſſer folgender Pruͤffung des Gottſche-
diſchen Horazens allen Danck, daß er ſeine Ge-
duld, die zu Aufraͤumung dieſes Chaotiſchen
Schuttes noͤthig war, bis auf ein Hundert Verſe
unterhalten hat. Er hat mir bekennet, daß ihm
dieſes nicht moͤglich geweſen waͤre, wenn er ſeinen
arbeitſamen Fleiß nicht bald mit der Jronie,
bald mit einer andern Figur belebet und aufge-
muntert haͤtte: dennoch ſey ſeine Geduld mit
dieſen hundert Verſen voͤllig zu Ende gegangen,
und er zweifle, ob er ſobald wieder eine gnug-
ſame Doſe neuer Geduld werde ſammeln koͤn-
nen,
[[78]] nen, als er noͤthig haͤtte die Pruͤffung des zweyten
Hunderts des Gottſchediſ. Horazens vorzunehmen,
oder wie er wohl ehe in Gedancken gehabt, deſſelben
Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen in die Elemente,
woraus ihre Subſtantz beſtehet, aufzuloͤſen.
Jndeſſen wird man in gegenwaͤrtiger Pruͤffung
den Verdacht bekraͤftiget ſehen, der in den neuen
Vorreden zum deutſchen Longinus erwecket wor-
den, daß Hr. Gottſched aus Ueberſezungen uͤber-
ſeze, und insbeſondere das Latein nicht verſtehe;
Er kennet wahrhaftig den Horaz nebſt den andern
groſſen Maͤnnern, die er vor die Vaͤter ſeiner Kin-
der ausgiebt, nur von weitem uud obenhin.
Man darff nur den Vorbericht, womit er ſeine Ue-
berſetzung einfuͤhret und anbefiehlt, einſehen, ſo wird
man ſolche haͤmiſche und widerſinnige Urtheile von
dem Werthe dieſer Horaziſchen Grundſchrift an-
treffen, dergleichen in keinem andern als des Ueber-
ſetzers Kopf Platz haben koͤnnen, in welchem die Be-
griffe von Unordnung und Schoͤnheit ſich gar
wohl mit einander vertragen. Es war nur ſeine
Liſt, daß er Horazens Dichtkunſt vorne an ſeiner eig-
nen gedruckt hat, der Leſer ſollte ſich daher eine ge-
naue Bekanntſchaft zwiſchen ihnen beyden einbilden,
und die Guͤtigkeit haben, daraus zu ſchlieſſen, daß
die Gottſchediſche Dichtkunſt mit der Horaziſchen
auf einerley Natur, einerley Geſchmack und Grund-
ſaͤtze aufgefuͤhret waͤre. Nun mag zwar vordeſſen
ein halbes Dutzend leichtglaͤubiger Magiſter ſich ha-
ben verfuͤhren laſſen, Hrn. Gottſchedens verwirrtes
Miſchmaſch und ſeichtes Geſchwaͤtze vor Horaz in
flieſſendes Deutſch uͤberſezt anzunehmen, aber
kuͤnftig hat es keine Gefahr mehr, daß jemand den Horaz oder
ſonſt einen guten Scribenten mit dergleichen leichtſinnigem
Wahn beſchimpfen werde, nachdem die Lehrſchriften des
Hr. Profeſſors der Dichtkunſt ſo wacker ausgeklopfet worden,
daß ſie izo durch und durch geſehen werden koͤnnen.
[79]
Pruͤffung der Ueberſetzung
von Horazens Dichtkunſt.
Auf
[80]Pruͤffung der Ueberſetzung
2
Note: V. 1. Es ſteht ein Menſchenkopf)
Horatz ſtellet euch einen Mahler vor, der vor euern
Augen ein abentheurliches Bild von Stuͤcke zu Stuͤcke ver-
fertiget: Jhr ſehet, wie er bey dem Kopf eines Menſchen
anfaͤngt, demſelben einen Pferdehals unterſetzt, dieſen an-
ſtatt der Maͤhne mit bunten Federn ausſchmuͤcket; her-
nach die Glieder von verſchiedenen Thieren in einen Leib
zuſammen verbindet, und endlich da er bey einem ſchoͤ-
nen Weiberangeſicht das Gemaͤhlde angeleget hatte, es mit
einem Fiſchſchwantze beſchlieſſet. Hr. Gottſched hingegen
ſtellet euch dieſes abentheurliche Bild als wircklich fertig
vor Augen, und damit ihr in Betrachtung deſſelben nicht
irre werdet, ſo bemuͤhet er ſich euch ein Stuͤck nach dem
andern gleichſam mit dem Finger vorzuweiſen; dahin die-
nen die eingeſchalteten Flick-Formeln: Es ſteht ‒ ‒ den
Kropf bedeckt ‒ ‒ hernach erblickt man ‒ ‒ von oben
zeigt ‒ ‒ von unten wirds. Wodurch er die Zuſchauer
dieſes Gemaͤhldes zwingen kan, daß ſie eben dasjenige ſe-
hen muͤſſen, was ſie wircklich ſehen. Da hingegen Ho-
ratz durch das jungere ſi velit, ſo unbarmherzig iſt, daß
er auch den bloſſen Vorſatz eines ſolchen Mahlers ſchon
als laͤcherlich verurtheilt.
Auf
[81]von Horazens Dichtkunſt.
Jndeſ-
[Crit. Sam̃l. IX. St.] F.
[82]Pruͤffung der Ueberſetzung
Dafern
8
[83]von Horazens Dichtkunſt.
Und
11
F 2
[84]Pruͤffung der Ueberſetzung
Ein
14
[85]von Horazens Dichtkunſt.
Ganz
16
F 3
[86]Pruͤffung der Ueberſetzung
Kein
18
[87]von Horazens Dichtkunſt.
Doch
20
F 4
[88]Pruͤffung der Ueberſetzung
Dort
[89]von Horazens Dichtkunſt.
Der
26
F 5
[90]Pruͤffung der Ueberſetzung
Dein
29
[91]von Horazens Dichtkunſt.
Die
32
[92]Pruͤffung der Ueberſetzung
Und
34
[93]von Horazens Dichtkunſt.
Und
35
36
[94]Pruͤffung der Ueberſetzung
So
[95]von Horazens Dichtkunſt.
Da
41
[96]Pruͤffung der Ueberſetzung
Und
43
[97]von Horazens Dichtkunſt.
Als
[Crit. Sam̃l. IX. St.] G
[98]Pruͤffung der Ueberſetzung
Mich
[99]von Horazens Dichtkunſt.
Wenn
49
G 2
[100]Pruͤffung der Ueberſetzung
Jn
[101]von Horazens Dichtkunſt.
Doch
53
G 3
[102]Pruͤffung der Ueberſetzung
So
[103]von Horazens Dichtkunſt.
Ein
58
G 4
[104]Pruͤffung der Ueberſetzung
So
62
[105]von Horazens Dichtkunſt.
64
[106]Nachricht von einigen
Nachrichten von einigen neuen
Schrifften.
FOlgende Schrifften, von denen mir zwar mei-
ſtens nur die Titel mitgetheilet worden, ſchei-
nen mir von einer Natur zu ſeyn, die mit den Ab-
ſichten gegenwaͤrtiger Sammlung allerdings uͤber-
einſtimmt. Jch will ſie dem Leſer in der Hoff-
nung ankuͤndigen, daß die Verfaſſer mir ſelbige
anvertrauen und vergoͤnnen werden, ſie kuͤnfftig
nach und nach in dieſer Monatſchrift an das Licht
zu ſtellen.
Der Antichriſt des Witzes, oder die Geſchich-
te von der geiſtlichen Hierarchie in Dingen, die
Geiſt und Witz anbelangen. Jn dieſem Wercke
werden die Mittel und Staats-Regeln erzehlet,
durch welche die herrſchenden Poeten ſich uͤber den
Verſtand und das Urtheil erhoben, durch was vor
Anſtalten und Verfaſſungen ſie ſich bey der Herr-
ſchafft erhalten, und wie dapfer ſie den Nachſtel-
lungen und Ueberfaͤllen ihrer Gegner widerſtan-
den haben.
Von der Geburt, dem Wachsthum und dem
A [...]ter der Grillen, oder phyſicaliſche Beſchrei-
bung, wie die Grillen erſtlich gleich dem Froſch-
le [...]che mit einem halben Leben in dem Kopfe des
Dichters als Embryones liegen; wie man ſie
gleich nach ihrer Geburt ſchreyen lehret; wie ſie her-
nach, wenn ſie halb ausgewachſen ſind, in den
Rei-
[107]neuen Schrifften.
Reimen zu paaren in Ordnung geſtellet werden,
und auf poetiſchen Fuͤſſen dem Boden nach krie-
chen lernen; endlich wie ſie nach einem dreytaͤgi-
gen Leben durch ihre eigene Bloͤdigkeit einfallen,
und Angeſichts verſchwinden.
Die neueſte Art der Complimente mit nach-
druͤcklichen Exempeln aus den Schrifften Gottſch.
Schwab. Schwartzens, und anderer hoͤflicher Leu-
te belebet.
Von dem Regimente des Storchen uͤber die
Froͤſche. Dieſes Werck iſt voll politiſcher Grund-
regeln, die in einer hiſtoriſchen Form vorgetra-
gen werden. Es wird umſtaͤndlich erzehlt, wie der
Storch auf den vortrefflichen Einfall gekommen,
bey dem Volck der Froͤſche gantz willkuͤhrliche
Geſetze einzufuͤhren, welche keinen Grund in dem
Wohlſeyn, oder der Beduͤrfniß derſelben haben,
ſondern eine bloſſe Erfindung des Gehirns und des
Eigenſinns ſind: und was vor groſſer Nutzen
daher fuͤr die Perſon des Regenten entſtanden,
wie er dadurch in den Stand gekommen, der Un-
terdruckung einen Titel zu geben; der Tugend des
Gehorſams Gelegenheit gegeben, in ihrem ſchoͤn-
ſten Lichte zu erſcheinen, und neue Rechte erlan-
get, ſeine Tafel-Guͤter zu vermehren ꝛc.
Unterſuchung eines Gewiſſensfalles, wie eine
geſchickte Freundin ſich zu verhalten haͤtte, falls
ſie die Unordnung und das Elend in den Schriff-
ten ihres Freundes, theils durch die Kraft ihres
eigenen Verſtandes, theils aus den Straff- und
Lehrſchriften ſeiner Gegner erkennete; ob ſie die
Par-
[108]Nachricht von einigen
Partey der Wahrheit oder der Freundſchafft er-
greiffen ſollte.
Die elenden Poeten Deutſchlands auf einem
Gaſtgebothe mit Apollo, dem Momus, und dem
Silenus.
Beweis, daß eine artige Luͤgen erlaubt ſey,
wann der Ruhm und das Anſehen eines herrſchen-
den Dichters damit gerettet werden kan; daß man
im uͤbrigen alle Falſchheit vermeiden, und Treue
und Glauben halten muͤſſe.
Vollſtaͤndiges Verzeichniß der Spottnamen
und Scheltworte, welche den ſchweitzeriſchen
Kunſtrichtern von denjenigen angehaͤnget worden,
welche ſie befliſſen geweſen waren, verſtaͤndiger zu
machen.
Kurze Liſte derjenigen deutſchen Poeten, wel-
che nicht um das Brod, noch aus Schuldigkeit,
ſondern krafft ihres Naturells und um die Ehre
geſchrieben haben.
Beweis, daß es keine Schande ſey, die deut-
ſche Sprache nicht zu verſtehen. Es wird aus dem
Hauptgrunde bewieſen, weil ſo viele Ertzvaͤter,
Propheten, Weltweiſe, Heilige und Helden ſie
nicht verſtanden haben.
Unterſuchung, wie viel ein Beweis, der in der
ſchweitzeriſchen Mundart abgefaſſet iſt, dadurch
von ſeiner Buͤndigkeit verliehre.
VIN-
[109]neuen Schrifften.
VINDICIÆ HALLERIANÆ, oder Rettung der
Sprache Hr. Hallers, die von gewiſſen Sprachrich-
tern der Haͤrtigkeit, der Zweydeutigkeit, und der
Dunckelheit angeklaget worden.
Die Muͤtze, eine Erzehlung aus dem Lande
der Feyen. Die Nymfe Nefeline hatte den Koͤ-
nig Laurin mit einer Muͤtze beſchenckt, ſo die Tu-
gend hatte, daß ein jeder, der ſich damit den Kopf
warm machete, in eine hertzliche Zufriedenheit mit
allen ſeinen Einfaͤllen verzuͤcket ward. Eine ande-
re Nymfe, Nahmens Guſtoſa, nahm ihm dieſe be-
truͤgliche Kappe, und gab ihm fuͤr dieſelbe eine ande-
re, die von der Kraft war, daß ſie den Kopf von
abgeſchmackten Einfaͤllen und falſchen Gedancken
reinigte. Dem Koͤnig Laurin ſchmeckete izo keine
Zeile mehr von ſeinen vorigen Geburten, er war
mit ſeinen beſten Gedancken niemahls zufrieden, er
arbeitete langſam, und ſtrich mehr Verſe wieder
aus, als er behielt. Jndeſſen hatte die neue
Muͤtze nur den Geſchmack geheilet, das Hertz war
verderbt geblieben. Er bedaurete den Verluſt ſei-
nes Jrrthums, und verlangete nach ſeiner vori-
gen Gluͤckſeligkeit. Guſtoſa fand ſich dadurch be-
leidiget, und warff ihm ſeine alte Muͤtze wieder zu.
[[110]]
Laß mir das eine treffliche Ueberſetzung ſeyn, wenn die
erſte Zeile ſchon einer Entſchuldigung bedarff! Hr. Gott-
ſched hat ſelbſt vor noͤthig erachtet, dieſen Zuſatz von ſei-
ner Erfindung in folgender Anmerckung zu entſchuldigen:
„Dieſe Worte hat der Grundtext nicht. Horaz faͤngt
„gleich an, ſein Gleichniß von einem ſeltſamen Gemaͤhl-
„de vorzutragen. Allein da ſichs im Deutſchen nicht in
„einen eintzigen Satz bringen ließ, und alſo zertrennet
„werden mußte; ſo macht dieſer Anfang den Leſer auf-
„merckſam, und ſagt ihm kurtz, was er zu gewarten habe.„
Er haͤlt dieſes eingeflickte Hemiſtichium um ſo viel unſtraͤfli-
cher, weil ſich das Horaziſche Gemaͤhlde doch in der Ue-
berſetzung nicht wohl in einen eintzigen Satz haͤtte zwin-
gen laſſen, und alſo zertrennt werden muͤſſen. Das iſt,
er moͤchte gerne die Freyheit ſeiner Ausſchweiffungen mit
dem ungezwungenen Weſen der deutſchen Sprache bemaͤn-
teln. Geſetzt aber, es waͤre mehr der Natur der deutſchen
Sprache, als dem Unvermoͤgen des Ueberſetzers zuzu-
ſchreiben, daß das Horatzianiſche Gleichniß-Bild in dem
Verfolge in verſchiedene Abſaͤtze zertrennt worden; was
giebt ihm dieſes fuͤr Freyheit ohne Noth noch weiter aus-
zuſchweifen, und dem Gemaͤhlde neue Lappen anzuflicken?
Haͤtte ihn dieſe nothwendige Abweichung von der Grund-
ſchrift, die in der verſchiedenen Art beyder Sprachen ge-
gruͤndet war, nicht deſto behutſamer machen ſollen? Al-
lein Hr. Gottſched begnuͤget ſich mit dieſer kahlen Ent-
ſchuldigung nicht, ſondern behauptet, daß dieſer Zuſatz,
den er der Horatziſchen Vorſtellung geliehen, die verbor-
gene Kraft habe, die Leſer recht aufmerckſam zu machen,
ten haben. Es iſt nemlich ein geheimer Kunſtgriff dieſes
Lehrers und ſeiner Schuͤler, daß ſie aus einem billigen Miß-
trauen in die Kraft ihrer Vorſtellungen, und aus Mitlei-
den fuͤr die bloͤde Einſicht ihrer Leſer gemeiniglich vorher
ankuͤndigen, was man zu gewarten habe, und was ihre
folgenden Vorſtellungen fuͤr einen Eindruck machen ſollen.
Auf ſolche Weiſe bekoͤmmt jeder Redeſatz ſeine eigene Pro-
poſition. Sie werden ihre Erzehlungen insgemein mit die-
ſen und dergleichen Formeln anheben: Jch will euch nun
eine recht ſeltſame und abentheurliche Geſchichte erzehlen!
Sehet da ein wunderbares und laͤcherliches Bild! Ecou-
tez un bon mot! Sie ſagen euch allezeit vorher, was ſie
ſagen wollen: welches unfehlbar die Wuͤrckung haben muß,
daß es die Aufmerckſamkeit reitzet, zumahl bey ſo dummen
Leſern, die etwas dannzumahl noch kaum recht faſſen koͤn-
nen, wenn man es ihnen gleich zweymahl geſagt hat.
Dieſes iſt wiederum ein Gottſchediſcher Zuſatz, der ſei-
nen zureichenden Grund darinne hat, weil ihm Horazens
Bild noch nicht abentheurlich genug vorkam.
Dieſer vollſtaͤndige poetiſche Ausdruck verdunckelt das
einfaͤltige Horatziſche varias plumas ungemein: Man muß
es nicht dahin mißdeuten, als ob es einen bunten
Schmuck aus lauter weiſſem oder aus gleichfarbigtem Ge-
fieder geben koͤnnte: Das farbigt hier iſt ein poetiſches
Beywort, welches dienet den poetiſchen Begriff und zu-
gleich das Sylbenmaß des Verſes recht vollſtaͤndig zu
machen.
Dieſes haͤtte Hr. Gottſched durch ein Kupfer erklaͤren
ſollen.
Wir wollen mit Geduld des Malers Thorheit ſchonen.)
Dieſes gibt Horaz nur ſchlechtweg:
Spectatum admiſſi riſum teneatis amici!
Hr. Gottſched hingegen hat neben der kernhaften Ueberſe-
zung annoch vor noͤthig erachtet, dieſe Stelle mit einer
Anmerckung zu beleuchten, wo er euch ein Geheimniß aus
Hr. Gottſched bezeuget in dem Vorbericht zu dieſer
Horatziſchen Dichtkunſt, er habe bey ſeiner Ueberſetzung
die Regel ſtets vor Augen gehabt: Ein Ueberſetzer muͤſſe
kein Paraphraſt oder Ausleger werden. Eine uͤberzeugen-
de Probe davon kan uns gegenwaͤrtige Stelle an die Hand
geben, wo er das Horaziſche Credite mit vollem Nachdruck
alſo uͤberſetzet:
Jndeſſen glaubet mir ....
Dafern mein Wort was gilt. ....
Denn dieſes iſt insgemein die wahre Urſache des Unglau-
bens, daß man nicht gleich eines jeden Wort bey ſich was
lern unbekannt ſeyn mag: „Nemlich, daß die Alten ihre
„neuverfertigten Stuͤcke zur oͤffentlichen Schau ausgeſtel-
„let haben, um die Urtheile der vorbeygehenden daruͤber
„zu vernehmen.„ Wobey er, ſeine unerhoͤrte Anmer-
kung glaubwuͤrdig zu machen, ſich auf die Hiſtorie vom
Apelles und dem Schuſter beruffet. Es iſt nur Schade,
daß ſich dieſe geheime Anmerckung aus dem entfernteſten
Alterthum mehr auf ſeine eigene Ueberſetzung, als auf Ho-
ratzens Grundtext gruͤndet: Denn ich wollte wetten doͤrf-
fen, daß Hr. Gottſched der erſte waͤre, dem bey Anlaß
dieſes lateiniſchen Verſes Spectatum admiſſi \&c. Apelles
und der Schuſter in den Sinn gekommen. Doch ich ver-
ſtehe erſt recht, was die Worte in dem Vorbericht zu die-
ſer deutſchen Ueberſetzung ſagen wollen: Daß ihm unter
anderm auch die von Horaz angebrachten Alterthuͤmer
die Arbeit der Ueberſezung recht ſauer gemacht.
Denn es kan ohne recht ſaures Nachdencken nicht zuge-
hen, aus dem Horaziſchen Spectatum admiſſi Amici den
Griechiſchen Schuſter heraus zu bringen, oder zu beweiſen,
daß die alten Maler ihre Gemaͤhlde zur oͤffentlichen Schau
ausgeſtellt haben. Sonſt iſt die deutſche Ueberſetzung:
Wir wollen mit Geduld des .. Thorheit ſchonen.
eine neue Probe von dieſes Kunſtrichters critiſcher Gefaͤllig-
keit und Geduld auch mit dem aͤrmſten Stuͤmper.
Hr. Gottſched iſt in der Anwendung der geſchickteſten
Beywoͤrter gar nicht karg: und er weiß dadurch allemahl
dem Beduͤrffniß ſeiner Leſer geſchickt vorzukommen. Beym
Horatz muß man erſt aus der Beſchreibung, die er von
einer ſolchen Schrift machet, ſchlieſſen, daß ſie eine tolle
Schrift ſey. Der Hr. Ueberſetzer aber iſt ſo guthertzig,
daß er uns davon zum voraus berichtet, und uns die Muͤ-
he uͤberhebet, dergleichen Schluͤſſe durch eigenes Nachden-
ken heraus zu bringen. Wobey ich nicht unerinnert laſſen
kan, daß durch die beygefuͤgte Anmerckung uͤber das Wort
Schrift, die Zweydeutigkeit, die in dem lateiniſchen Aus-
druck ſtecket, wo das Wort Liber gebraucht wird, aus der
Antiquitaͤt vollkommen erlaͤutert wird.
zuſammen trifft.)
Horaz redet de fictis vanis ſpeciebus, d. i. von ſol-
chen erdichteten Bildern und poetiſchen Gemaͤlden, die kei-
ne Wahrſcheinlichkeit haben, und daher gantz abentheur-
lich ausſehen, ut nec caput nec pes uni reddatur formæ,
wo die Glieder eines ſolchen Bildes aus gantz verſchiede-
nen Stuͤcken, von einer regelloſen Fantaſie ohne Abſicht,
und nicht etwann nach einem gewiſſen Urbild oder Muſter,
ſondern gantz willkuͤhrlich in einen Leib zuſammen ver-
bunden werden. Horatz ſiehet damit zuruͤck auf das
Deſinit in piſcem mulier formoſa ſuperne.
Aber unſer Ueberſetzer iſt weit kuͤhner, er ſchreibet nach
ſeiner ungebundenen poetiſchen Freyheit ſo gar der Schrift
ſelbſt ein Haupt und einen Schwanz zu. Und weil er
dem vorhergehenden durch das Zeitwort Jndeſſen nicht
aus der Acht zu laſſen.
Horaz ſagt: Einem ſo abentheurlichen Gemaͤhlde, als
er oben eingefuͤhret, ſey eine Schrift vollkommen aͤhnlich,
in welcher ſolche unwahrſcheinliche Bilder erdichtet wer-
den, dergleichen die verwirrte Phantaſie eines Krancken in
dem Schlafe aushecket, wo weder Haupt noch Fuß nach
einer gleichen Zeichnung geſtaltet, oder nach Einer Abſicht
zuſammen geordnet worden.
Dieſes iſt wiederum ein Zuſatz von Gottſchediſcher Er-
den laſſen, daß dieſe poetiſche Dichtkunſt ohne alle Ord-
nung geſchrieben ſey, ſo hatte er deſto weniger Urſache
ſich Bedencken zu machen, in ſeiner Ueberſetzung die Ho-
raziſchen Saͤtze nach Belieben, und wie es die Nothdurft
der ſo heilig beobachteten Sprachrichtigkeit und Reinig-
keit im Sylbenmaſſe und in den Reimen jedesmahl
erfoderte, zu vermiſchen und zu verwerffen, damit auch in
dieſem Kunſtgriffe der unordentlichen Vermiſchung ſei-
ne Ueberſetzung einen Vorzug uͤber die Grundſchrift erlan-
gen moͤchte. Und es wird nicht fehlen, die groͤſten Be-
wunderer der Gottſchediſchen Poeſie werden ihm das Ge-
genrecht wiederfahren laſſen, und ihm einmuͤthig das Lob
zugeſtehen, daß ſeine Ueberſetzung ohne alle Ordnung
geſchrieben ſey, er habe ſich an keinen Zwang einer
philoſophiſchen oder vernuͤnftigen Einrichtung binden
wollen, ſondern als ein Poet nach Veranlaſſung ſei-
ner Einfaͤlle bald dieſes bald jenes wider den Sinn ſei-
ner Grundſchrift verſetzet und vermiſchet: Doch alles, was
er ſage, ſey hoͤchſt vernuͤnftig, auch die Unordnung
und Vermiſchung ſelbſt nicht ausgenommen.
Quidlibet audendi ſemper fuit æqua poteſtas.’
Giebt Hr. Gottſched mit dieſen Verſen:
Der lateiniſche Poet ſagt in fremdem Nahmen nach einem
damahls herrſchenden Vorurtheile: Es ſey doch jederzeit den
Poeten, ſowohl als den Mahlern, erlaubt geweſen, die
gemeine Ordnung der Dinge zu verlaſſen, und durch kuͤh-
der aber vortrefflich dienet den folgenden Einwurff, den
Horaz nur plattweg ohne eine Vorrede beyſetzet, geſchickt
einzufuͤhren. Vielleicht muß dahin gedeutet werden, was
an dem Ende der beygefuͤgten Anmerckung mit dieſen Wor-
ten ausgedruͤcket wird: Dieß ſind nicht Horatii (oder wie
in der neueſten verbeſſerten Auflage geleſen wird: Hora-
zens) ſondern eines Stuͤmpers Worte. Hr. Gott-
ſched weiß, was die Leute glauben, und er hat dabey die
Gutheit, daß er eben kein Geheimniß daraus machen
will. Jch bitte aber, man wolle dieſen Vers nicht ſo faſt
in Abſicht auf die Gedancken, als auf den Wohlklang,
und die ungezwungene Fluͤſſigkeit betrachten; ſo wird man
mir geſtehen muͤſſen, daß er einer von denen iſt, die man
bey aller ihrer Unvernunft und Niedertraͤchtigkeit
der Gedancken fuͤr ſchoͤn halten muß, und man wird
daraus erkennen, wie befliſſen Hr. Gottſched geweſen, ſich
vor dem Eckel der zaͤrtlichſten deutſchen Ohren zu
huͤten. Man ſehe den Vorbericht nach.
Beym Horaz heißt es: Sed non ut placidis coëant im-
mitia. d. i. Man ſoll nicht zahmes und wildes, hiemit
Hr. Gottſched hergegen fuͤhret einen Stuͤmper redend ein,
dem giebt er folgenden Ausſpruch in den Mund: „Ein
Mahler und ein Poet folge ſeinem eigenen Kopf, er mahle
oder dichte, wenn ihn die Luſt ankoͤmmt; und erkuͤhne ſich
auf eine geiſt- und ſinnreiche Art hervor zu bringen, was
ihm nur immer beliebt;„ Allein der Gottſchediſche Stuͤm-
per muß ſeinen Horatz nicht recht gefaſſet haben, der in
ſeinem lateiniſchen Text durch die poteſt[o]rem quidlibet au-
dendi, die Kuͤhnheit in der Dichtung oder das Ungemeine
und Wunderbare verſtehet. Doch wer wollte ſolches einem
Stuͤmper nicht zu gute halten: zumahlen da Hr. Gottſched
in ſeinem Vorbericht rund bekennet: Es iſt nicht eines
jeden Werck, ſich mit dem Latein der alten Poeten
ſo bek mit zu machen, daß er ſeinen Horaz ohne
Muͤhe verſtehen, geſchweige dann mit Luſt leſen
koͤnnt. Jch kan mich nicht entbrechen, hier des Hrn.
von Eckards Ueberſetzung dieſer Stelle annoch beyzufuͤgen;
und mit Hrn. Gottſched in dem Vorberichte auszuruffen:
Welcher es nun beſſer oder ſchlechter getroffen habe,
mag der geneigte Leſer ſelbſt beurtheilen: Doch ſoll
man wiſſen, daß die genaue Kenntniß der Eckardiſchen Ue-
berſetzung den Hrn. Gottſched vornemlich vermoͤgen hat, ei-
ne neue zu wagen. Beym Eckard heißt es:
Der groͤſte Fehler dieſer Ueberſetzung in Vergleichung mit der
Gottſchediſchen mag wohl die allzu groſſe Deutlichkeit ſeyn.
Schlangen.)
Dieſer Gottſchediſche Imperativus hat ſeine Beziehung
nicht auf die Natur, ſondern auf die Schrift eines Poe-
ten: Denn Gottſched will nicht den Thieren, ſondern den
Poeten Maßregeln fuͤrſchreiben. Jn der nachlezten Aus-
gabe lieſet man zeugt, heckt. Aber ſeit einigen Jahren
iſt dem Ueberſetzer der Imperativus gelaͤuffiger worden.
Jn dem Grundtext wird dieſe Verbindung widerwaͤrtiger
Thiere durch das geminentur gar deutlich dem Poeten zu-
geſchrieben.
den, und alſo bey dem Wunderbaren in der Dichtung die
Wahrſcheinlichkeit nicht gaͤntzlich aus den Augen ſetzen:
Und dieſen allgemeinen Lehrſatz erlaͤutert er hernach mit
zwey Beyſpielen:
Serpentes avibus geminentur, tigribus agni.’
Weil nemlich in der Natur, und darum auch in wahr-
ſcheinlichen Fabeln, ein Tiger und ein Lamm, eine
Schlange und die Voͤgel, ſich nicht wohl mit einander ver-
tragen, und niemals in Freundſchaft mit einander leben.
Der deutſche Ueberſetzer hergegen verwandelt den Lehrſatz
in ei[n] ganz abſonderliches Exempel, von unbeſeelten Dingen,
die ob ſie gleich gantz widerwaͤrtiger Natur ſind, gleich-
wohl taͤglich zuſammen vermiſcht werden. Das Feuer
wird in das Stroh gemiſchet, wenn man das Stroh an-
zuͤndet: Will nun Hr. Gottſched verbieten, daß man kein
Stroh mehr anzuͤnde, oder den Dichter einer Kuͤhnheit
bezuͤchtigen, der erzehlet, man habe Stroh angezuͤndet,
welches ja auf keine andere Weiſe moͤglich iſt, als daß
man Feuer in das Stroh miſche.
angefangen.)
Der lateiniſche Poet koͤmmt hier auf die ſtolze Vermeſ-
ſenheit derjenigen Dichter ſeiner Zeit, die in ihren Ge-
dichten nicht nach einem Plan, oder nach Abſichten gear-
beitet, ſondern ſich eingebildet, es ſey in der Poeſie alles
willkuͤrlich, das vornemſte komme darauf an, daß man
etwas wagen doͤrffe, und ein wenig prahlen und groß thun
koͤnne, das ſind die Incœpta gravia \& magna profeſſa:
Od man nun was dergleichen aus der Ueberſetzung errathen
koͤnne, das will ich dem Urtheil des Leſers uͤberlaſſen.
Waſſerwogen.)
Das heißt in dem Lateiniſchen gantz einfaͤltig Aut flumen
Rhenum. Aber den vorhergehenden Vers,
in welchem der Poet die kuͤnſtliche Beſchreibung einer Ba-
che ausfuͤhrlich nachahmet, hat unſer deutſche Ueberſetzer
gaͤntzlich weggelaſſen, doch ſo geſchickt, daß es niemand
leicht mercken kan, der nur die deutſche Ueberſetzung
lieſet.
nicht her.)
Es iſt freylich an dem, daß Horaz die poetiſchen Schil-
dereyen fuͤr ſich ſelbſt betrachtet hier nicht tadelt; ſondern
Wenn ich nicht irre, ſo will Horaz ferner zeigen, daß
die Kunſt der poetiſchen Schildereyen, ſonderlich in patheti-
ſchen Stuͤcken, wo man den Affect erregen ſoll, den Poe-
ten leicht zu Ausſchweiffungen verleiten koͤnne, wenn ſie
nicht ſehr behutſam und mit vielem Verſtand gebraucht wer-
den: Als wenn z. E. einer um Geld gedungen waͤre, die er-
littene Noth eines Menſchen in einem Schiffbruch ſo beweg-
lich vorzuſtellen, daß ſie bey jedermann Mitleiden erwecken
ſollte; Dieſer aber wuͤrde ſeine gantze Kunſt in Beſchrei-
bung angenehmer Gegenſtaͤnde, als etwann eines Cypreſ-
ſenwalds, bey dem der Nothleidende endlich ans Land ge-
ſtiegen, erſchoͤpfen, anſtatt daß er alle die beſondere die Ge-
fahr des Schiffbruchs vergroͤſſernden Umſtaͤnde gantz lebhaft
und beweglich ausdruͤcken ſollte. Es iſt beynahe eben das,
was Perſius in ſeiner I. Satyre v. 88. angemercket hat:
Protulerim. Cantas, cum fracta te in trabe pictum
Ex humero portas?’
Es mag freylich wohl ſeyn, daß Horaz durch die Cypreſ-
ſen hier insgemein etwas habe andeuten wollen, das eben
ſtehen: Sed nunc non erat his locus: Angeſehen er in
dieſer Dichtkunſt ſelbſt nicht nur die Aehnlichkeit zwiſchen
der Mahlerkunſt und Poeſie vietfaͤltig treibet; ſondern ſich
auch als einen geſchickten Mahler wircklich erwieſen hat.
Wie ferne im uͤbrigen die poetiſche Schilderkunſt zu dem
Weſen der Poeſie mitgehoͤre, das hat Horaz hier eben ſo we-
nig entſcheiden wollen, als der deutſche Ueberſetzer geſchickt
geweſen, ſolches zu eroͤrtern. Leſet ſeine Anmerckung nach.
Horaz fodert weit mehr durch das Si fractis navibus
exſpes enatat: Da er eben durch das einzige Beywort
exſpes alle die Gefahr vergroͤſſernden Umſtaͤnde in eins zu-
ſammen faſſet; und will, daß der poetiſche Mahler durch
ſeine bewegliche Vorſtellung der Gefahr, dem Leſer alle
Vermuthung einer moͤglichen Rettung abſchneide. Der
Hr. von Eckard hat dieſes weit gluͤcklicher und geſchickter
ausgebildet, wenn er ſagt:
ner Noth, mit Fleiß bey dir beſtellt.)
Beym Horaz heißt es einfaͤltig: Aere dato qui pingitur.
Hergegen hat der deutſche Ueberſetzer hier abermahl gewie-
ſen, wie man ohne eine paraphraſtiſche Kaltſinnigkeit, den-
noch ohne Noth plauderhaft ſeyn koͤnne. Gewiß iſt, daß
ſchreibung eines Schiffbruchs haͤtte: Doch laͤßt ſichs nicht
wohl begreiffen, daß ſie gar keine Beziehung auf den Schiff-
bruch haben ſollten, oder daß die getroffene Wahl unter ſo
vielen andern Dingen, die eben ſo wenig mit einem Schiff-
bruch in Verbindung ſtehen, auf die Cypreſſen ohne eini-
gen Grund ſollte gefallen ſeyn. Hier haͤtte demnach der
deutſche Ueberſetzer wenigſtens in einer beygefuͤgten Anmer-
kung die Gruͤnde dieſer Wahl aus dem Alterthum erklaͤ-
ren ſollen: Nunc erat his locus. Allein wo ihn ſein Bond,
und die deutſche Acerra verlaͤßt, da waget er es nicht bald
uns geheime Nachrichten aus der Antiquitaͤt mitzutheilen.
Jch muß faſt glauben, daß Hr. Gottſched befuͤrchtet habe,
die figuͤrliche Vorſtellung ſeines lateiniſchen Dichters moͤgte
fur ſeine deutſchen Leſer zu unergruͤndlich ſeyn: Und daß
er folglich aus bloſſer Guthertzigkeit das emblematiſche
Bild in ſeine Elemente aufgeloͤßt, und darinnen von Hrn.
Eckart, dem er doch oͤfters, als Horazen folget, abgewi-
chen ſey.
einfach ſeyn.)
Dieß iſt der Schluß, womit Horaz, als mit einer Haupt-
Regel ſeine bisherige critiſche Vorſtellung beſchließt:
Simplex, d. i. unvermengt, nicht aus vielen ungleichen
Stuͤcken zuſammengeflickt: et unum, d. i. nach einem
Plan und nach einer Haupt-Abſicht ausgefuͤhrt. Denn ob-
gleich ein jedes Gedicht aus verſchiedenen beſondern Stuͤcken
beſtehet, ſo muß dennoch je eines in dem andern, alle zu-
ſammen aber in der Haupt-Abſicht gegruͤndet ſeyn, damit
ſie nur ein gantzes ausmachen. Es iſt mithin eine rechte
Luſt zu ſehen, wie Hr. Gottſched dieſe Horaziſche Grund-
Regel in einer beygefuͤgten Anmerckung bald auf den Wohl-
ſtand in der Kleidung, bald auf die Fabel in einem Helden-
gedichte, oder Schauſpiele zuzueignen gewußt hat: Unge-
achtet Horaz hier mehr auf die Wahl und die geſchickte Zu-
uͤberſtanden haͤtte, ſondern in dem Schifbruch zu Grund
gegangen waͤre, kein Gedicht mehr zu verarbeiten wuͤrde be-
ſtellt haben.
Hier hat Hr. Gottſched Horazens Sinn nicht ſo faſt durch
die Ueberſetzung erklaͤren, als vielmehr mit einem Exempel
erlaͤutern wollen: Es iſt auch in der That dieſe Ueberſetzung
ziemlich dunckel und zweydeutig: Denn man moͤgte ſie leicht
dahin mißdeuten, als ob Hr. Gottſched von einer gar kur-
zen Statur, und faſt zwergemaͤßig, dabey aber corpulent
und volleibig waͤre: wenigſtens koͤnnten diejenigen ſpitzfuͤndi-
gen deutſchen Leſer, welche das bekannte Spruͤchlein: Me-
caͤnaten haben allzeit ihre Maronen gefunden, von
welſchen Caſtanien verſtanden haben, nach ihrer Hermeneu-
tick dieſes Hemiſtichium nicht wohl anders aufnehmen. Es
wiſſen Zeichnung und Abſicht uͤberhaupt, als auf die be-
ſondere Form eines Gedichtes ſein Abſehen gerichtet hat.
Dabey aber iſt gantz unerhoͤrt, daß dieſe horaziſche Regel
einen Grund an die Hand geben ſollte, des Ovidius Buͤ-
cher von den Verwandlungen, als allzu bunt und kauder-
welſch durch einander gemiſcht, zu verwerffen, darum weil
darinne wohl etliche hundert Fabeln ſtehen: Gerade
als ob des Aeſopus oder Phaͤders Fabeln darum nichts
taugten, weil dieſe ſinnreichen Dichter mehr als eine gedich-
tet haben: Da doch eine jede Fabel fuͤr ſich ſelbſt ein Ganzes
iſt, obgleich derſelben etliche hundert in einem Buche bey-
ſammen ſtehen. Was aber das in der neuen Auflage hin-
ten angeflickte haͤmiſche Urtheil von Miltons Paradies be-
langet, welches beynahe das einzige iſt, ſo dem Verfaſſer in
der gantzen Critiſchen Dichtkunſt als eigen zugehoͤret, ſo iſt
daſſelbe eine Wirckung von einem gewiſſen Morbo chronico,
der ihn erſt ſeit An. 1740. uͤberfallen hat, und ihm unter-
weilen das Gehirn ſo uͤbel zerruͤttet, daß er meynt, er ſehe
geiſtlich und weltlich, Chriſtlich und Heidniſch, alt und
neu, ſehr ſeltſam durch einander lauffen, ja gar Himmel,
Erden und Hoͤlle gantz unter einander vermiſcht. Auch die-
ſen Vers hat Hr. von Eckard nicht uͤbel getroffen:
Eins wehle, wenn du ſchreibſt, auf eins muß alles gehn.
der zweyten Auflage ſeines Verſuches einer Critiſchen Dicht-
kunſt fuͤr die Deutſchen den Lateiniſchen Text des Horatius
gleich gegenuͤber beydruͤcken laſſen, damit diejenigen Leſer,
denen das Latein noch eben ſo gelaͤuffig iſt als ihm, ſeine
Ueberſetzung daraus verſtehen lernen. Er muß auch ſelbſt
gefuͤrchtet haben, es moͤgte dieſer zweydeutige Ausdruck ſei-
nem majeſtaͤtiſchen Anſehen in der Einbildung vieler Leute
nachtheilig ſeyn, er hat deßwegen in der dritten Herausgabe
dieſen Vers gantz umgegoſſen!
Streb ich der Kuͤrze nach; mein Vers wird dunckel
klingen.
ſingen.)
Alſo heißt es in der letzten Auflage. Allein das Horazi-
ſche Lenia oder Lævia geht nicht auf die Sachen, ſondern
auf die Rede oder den Ausdruck, und bezeichnet eine an-
genehme leichtflieſſende Schreibart, die durch nichts rauhes
und harttoͤnendes unterbrochen wird: Nervi deficiunt ani-
mique, will nicht ſagen niedertraͤchtig; ſondern matt,
ſeicht, ohne Nachdruck und Leben. Es iſt daher dieſe
verbeſſerte Ueberſetzung minder ertraͤglich, als die erſtere:
Man will natuͤrlich ſingen und leyret lahm und matt.
So ungluͤcklich aber Hr. Gottſched geweſen iſt, Horazens
Sinn in ſeiner Ueberſetzung zu treffen: So gluͤcklich iſt er
hingegen, dieſe Horaziſche Anmerckung durch ſein Exempel
zu bekraͤftigen: Er macht ſich allerorten, inſonderheit
auch in dem Vorberichte zu dieſer Dichtkunſt die groͤſte Ehre
davon, daß er in die Zunſt der Sectantium lenia und
levia mitgehoͤre, und faſt alle ſeine Reimen, die er doch
den angehenden deutſchen Poeten als Muſter von ſeinen
Regeln anpreiſet, zeugen genugſam, quod nerv deficiant
animique. Perſius hat von dieſem Gottſchediſchen Ge-
ſchmack geprophezeyet:
Nunc demum numero fluere, ut per læve ſeveros
Effundat junctura ungues.’
daß er gar am Staube kleben bleibt)
Hr. Gottſched mahnet mich hier an die plauderhaften Troͤ-
delweiber, die ihre Erzehlungen mit der ſo beliebten Formel:
Was geſchieht! verknuͤpfen. Dieſe Formel ſo geſchieht
es daß dienet aber vornemlich den Vers leichtflieſſend zu
machen, und den Eckel der zarten deutſchen Ohren zu ver-
huͤten: Man laſſe dieſe Formel weg, ſo wird ein jeder der Oh-
ren hat, bald verſpuͤren, wie holpericht der Vers klinget.
Eckart, deſſen Ueberſetzung doch die Gottſchediſche veran-
laſſet hat, giebt dieſes viel nachdruͤcklicher:
Traut man ſich gar nichts zu, ſo kriecht man auf der
Erden.
Man wuͤrde faſt glauben, daß dieſe beyden Ueberſetzer beym
Horaz geleſen haͤtten:
Serpit humi cautus nimium, timidusque procellæ.
Allein da Gottſched in ſeinen beyden Editionen lieſt tutus
nimium, ſo muß ich es einer ſtraͤfflichen Nachlaͤßigkeit zu-
ſchreiben, daß er ſeinen deutſchen und verkleideten Horaz
ſo ſehr ſtuͤmmlet: Er wird ja nicht glauben, daß tutus
nimium eben daſſelbe ſey, was timidus. Horaz will hier-
mit anzeigen, daß eine kriechende und niedertraͤchtige
Schreibart ſowohl von einem allzugroſſen Vertrauen auf
ſich ſelbſt, und daher entſtehender Nachlaͤßigkeit, als von
einem allzugroſſen Mißtrauen und verzagter Furchtſamkeit,
da man gar nichts wagen darf, entſtehen koͤnne.
ſtellen.)
Rem prodigialiter variare, heißt nicht bloß, etwas
vielfach vorſtellen: Sondern es gehet auf das Ungemei-
ne und Wunderbare; da man eine und eben dieſelbe Sa-
ſich bemuͤht,
Von Fehlern frey zu ſeyn, daß ſich der Kiel verſieht.)
Es braucht in der That eine feine Kunſt und groſſe
Geſchicklichkeit, wenn man kurtz ohne Dunckelheit, flieſſend
ohne Mattigkeit, erhaben ohne Schwulſt, behutſam ohne
Niedertraͤchtigkeit, und ungemein ohne Verletzung der
Wahrſcheinlichkeit ſchreiben will: Warum? Dieſe Fehler
graͤnzen mit den Tugenden gar nahe zuſammen, und eine
angſthafte Behutſamkeit ſelbige zu vermeiden, wenn ſie nicht
durch die Kunſt geleitet wird, ſtuͤrzet uns nicht ſelten mit-
ten darein: Das iſt Horazens Meinung mit dem Verſe:
Hr. Gottſched hat das ſi caret arte als uͤberfluͤſſig gaͤntz-
lich weggelaſſen, und den Horaz nur dahin erklaͤrt, als ob
er ſagen wollte: Daß ein Poet, aller Behutſamkeit unge-
achtet, gleichwohl nicht ohne Fehler ſeyn koͤnne. Aber
dieſes heißt vielmehr einem andern ſeine Meinung andich-
ten, als eines andern Meinung durch eine treue Ueberſe-
zung erklaͤren.
gieſſen.)
Jch kan gar nicht errathen, was Hr. Gottſched geſehen
haben muß, als er dieſen und die vier folgenden Reimen
len moͤchte, maſſen das Kindiſche und Froſtige, wie Longin
ſchon angemercket hat, eben aus einer Begierde allzeit
etwas neues und ungemeines zu ſagen entſpringt. Der
Hr. von Eckard hat dieſes wiederum nicht uͤbel getroffen:
Wer ſtets entzuͤcken will, und viel auf Wunder haͤlt,
Stellt leicht den Stoͤhr ins Holz, den Ochſen in den Belt.
Wollte jemand fragen, ob denn ungues nur die Naͤgel
an den Fuͤſſen, und nicht eben ſo wohl die an den Haͤn-
den bezeichne? So kan ich nur ſo viel ſagen, daß die
Fuͤſſe hier ihren zureichenden Grund in dem Reinwort
gieſſen haben.
wenn er nicht mercken kan, daß Horaz von einem Gieſſer
redet, der circa Ludum Aemilium gewohnet hat, dem er
zwar das Lob beyleget, daß er die Naͤgel und die weichen
Haare an einem Bild gar kuͤnſtlich und natuͤrlich ausdruͤ-
ken koͤnne, dabey aber nicht im Stande ſey, ein ganzes
Bild in ſeiner rechten Symmetrie aufzuſtellen. Sein Bond
haͤtte ihn dieſes lehren, und Hr. von Eckard haͤtte ihn vor
einem ſolchen Schnitzer, der kaum einem Schuͤler zu ver-
zeihen iſt, verwahren koͤnnen. Dieſer giebt den Vers:
Aber Gottſched wollte kurzum einen Stuͤmper haben, und
muß das Lateiniſche ſo verſtanden haben, als ob es ſtuͤhn-
de: Faber, qui circa ludum ab Aemilio datum ære ex-
primendum occupatur. Es iſt darum auch das Bekaͤnnt-
niß, welches er wegen dieſes Fehlers in der Vorrede zu
der zweyten Auflage ableget, deſto merckwirdiger, weil er
daſelbſt die Offenbarung dieſes Schnitzers einem werthen
Freunde und groſſen Kenner des Alterthums verdan-
ket, auch dabey erinnert, daß es heiſſen ſollte:
Und doch ungeachtet dieſes Bekaͤnntniſſes, welches in der
neuen Auflage gantz feyrlich wiederholet worden, hat man
in der Ueberſetzung den alten Schnitzer wieder ſtehen laſ-
ſen; woraus man gantz ſicher ſchlieſſen kan, wie viel Sorg-
falt auf die Ausbeſſerung dieſer Ueberſetzung von Zeit zu
Zeit verwendet worden.
gedruͤckt)
Hr. Gottſched hat hier ſeine Ueberſetzung ſo einrichten muͤſ-
ſen, damit er Anlaß haͤtte die luſtige Anmerckung, die an
dem Rande ſteht, beyzufuͤgen: Denn was Horazen belan-
get, ſo tadelt er die kuͤnſtliche Ausdruͤckung der Naͤgel und
der Haare nicht als nichtswuͤrdige Kleinigkeiten; ſondern
er will nur ſo viel ſagen, daß die Kunſt eines ſolchen Gieſ-
ſers noch ſehr unvollkommen ſey. So iſt auch der lateini-
ſche Ausdruck \& molles imitabitur ære capillos gantz
poetiſch, und fuͤr den Gieſſer ſehr ruͤhmlich: Da insbeſon-
dere das Beywort Molles von groſſer Deutlichkeit iſt, und
anzeiget, daß der Gieſſer die Haare ſo kuͤnſtlich in hartem
Erzt auszudruͤcken wiſſe, daß man ſich faſt verreden ſollte,
die Haare waͤren natuͤrlich und weich.
ungeſchickt. ꝛc.)
Jn der neueſten Auflage heißt es: Die ganze Bildung
nur ꝛc. Von welcher Aenderung man zweifelsfrey den Grund
in den verwehnten Ohren des Ueberſetzers ſuchen muß:
Geſtalt Summa operis noch eher die Bildung, den rohen
Plan, und die Form des Wercks uͤberhaupt bezeichnet,
als das gantze wircklich ausgearbeitete Werck: nam pone-
re totum opus neſciet. Gottſched, wann er dieſe Worte
alſo uͤberſetzet:
Weil Ordnung und Geſtalt und Stellung gar nichts
taugen,
erkuͤhnet ſich demnach von einem Wercke zu urtheilen, das nie-
mahls zur Welt gekommen iſt.
ſeyn.)
Wenn dieſe Stelle einen Verſtand haben ſoll, ſo muß
man hier durch einen Vers ein gantzes Gedicht verſtehen:
Wer ſiehet aber nicht, daß dieſe Figur hier gantz ungeſchickt
angebracht worden? Sonſt gehet die Vergleichung Hunc ego
me, ſi quid componere curem, non eſſe velim, nicht
auf das Bild, quod totum nunquam poſitum eſt; ſondern
auf den Fabrum ſelbſt: Horaz ſagt; Wenn er je ein poeti-
ſches Werck auszufuͤhren gedaͤchte, ſo moͤchte er in der
Kunſt dieſem Gieſſer nicht aͤhnlich ſeyn; eben ſo wenig
als einem Bilde, das neben ſchoͤnen ſchwarzen Haaren und
Augen eine ſcheußliche und ungeſtalte Naſe hat, die das
gantze Angeſicht verſtellet.
wohl verſteht.)
Es iſt eben das, was Hr. von Eckard ſchon zuvor noch
kuͤrzer gegeben hat:
Es iſt aber dieſe Art des Ausdrucks zu unbeſtimmt. Ho-
raz ſagt viel einfaͤltiger: Jhr Dichter, wehlet euch eine Ma-
terie, die ihr geſchickt auszufuͤhren vermoͤget: damit es euch
nemlich nicht gehe, wie dem oben eingefuͤhrten Gieſſer.
ten weder Kunſt, noch Licht, noch Ordnung fehlen.)
Die Ueberſetzung haͤnget hier gar uͤbel zuſammen; es iſt in
dem vorhergehenden gar kein Wort von einer Wahl geredet
Gottſched hat nur gewarnet, die Dichter ſollten nicht alles
unterfangen, ſondern ihre Kraͤfte zuerſt pruͤffen, und die
Sache reiflich uͤberlegen. Nun will ſich die Folge: So
wird nach klugem Wehlen: ꝛc. mit dem Vorderſatz gar
nicht reimen. Daneben ſchreibt er den Vortheil, der aus
einer guten Wahl natuͤrlicher Weiſe herflieſſen ſoll, nicht
dem Poeten, wie Horaz, ſondern der Schrift ſelbſt zu, die
doch in dieſem Fall noch als ungebohren betrachtet werden
muß: Und endlich zertrennet er den doppelten Vortheil, den
Horaz anfuͤhret in drey Abſaͤtze. Horaz redet nur de facun-
dia, welches unſtreitig auf die Worte und einen geſchickten
Ausdruck gehet; und de ordine lucido, d. i. von einer ſol-
chen Verfaſſung der Materie, wodurch dieſelbe in ihr rechtes
Licht geſetzt wird. Der Hr. von Eckard, den er doch ziem-
lich veraͤchtlich tractirt, und weit uͤbertroffen zu haben
glaͤubet, hat dieſe Fehler groͤſtentheils gluͤcklich vermieden,
und den Verſtand nicht uͤbel ausgedruͤckt:
Es iſt auch die Verwirrung, die Gottſched in ſeine Ueber-
ſetzung gebracht hat, um ſo viel ungeſchickter, weil ſie uns die
Eintheilung und Verknuͤpfung der folgenden Saͤtze des
Horazen, die ſich auf dieſen doppelten Vortheil gruͤndet,
gaͤntzlich aus den Augen ruͤcket; Maſſen er erſtlich von dem
Nutzen einer guten Ordnung, und dann von dem, was bey
dem Ausdruck und dem Gebrauch der Woͤrter fuͤr Behutſam-
keit zu beobachten ſey, unterſchiedlich handelt. Jch bin
allzeit angeſtanden, ob das rem potenter legere in dem
Sinn, wie es gemeiniglich genommen wird, mit dem latei-
niſchen Gebrauch uͤbereinſtimme: Denn man ſagt wohl pru-
denter eligere; aber potenter iſt ganz ungewoͤhnlich: Jch
bin darum auf die Gedancken und die Vermuthung gefallen,
res potenter lecta bezeichne hier, was man wohl geleſen
und fleißig ſtudiert hat.
ſchweigt, doch raͤthſelhaft entdeckt)
Es iſt ſo ferne, daß man aus dieſem Stuͤcke der ſo ge-
nannten deutſchen Ueberſetzung ſollte errathen koͤnnen, wel-
che Lateiniſche Verſe dadurch ſollten erklaͤrt worden ſeyn;
daß man nicht einmahl wiſſen kan, was der Ueberſetzer habe
ſagen wollen. Es laͤßt in der That nicht bloß raͤthſelhaft,
ſondern gantz wiederſinnig, dasjenige was man ver-
ſchweigt raͤthſelhaft entdecken. Jn der beygefuͤgten An-
merckung, wo er ohne Grund dieſe Horaziſche Stelle auf
das Epiſche Gedichte und die Tragoͤdie insbeſondere ziehen
will, (da doch offenbar iſt, daß Horaz von der Ordnung
uͤberhaupt redet) ſtoͤßt er ſeine Ueberſetzung wieder voͤllig
uͤber einen Hauffen, wenn er anmercket, daß man in ei-
nem Epiſchen und theatraliſchen Stuͤcke gleich von
vorne, obgleich nur dunckel melden muͤſſe, wovon
es handle; da inzwiſchen die voͤllige Aufloͤſung der
ganzen Verwirrung ganz aufs letzte bleiben muͤſſe.
Es waͤre denn Sache, daß etwas verſchweigen, und es
wiewohl nicht ausfuͤhrlich melden gleichguͤltige Redens-
arten waͤren. Zwar kan man endlich noch aus der abſon-
derlichen Zueignung dieſer Stelle auf das Epiſche und Thea-
traliſche Gedichte wohl mercken, wohin Hr. Gottſched mit
ſeinem raͤthſelhaften Ausdruck zielet; er will nemlich eben das
zu verſtehen geben, was Horaz unten von Homers Gedichte
allen Epiſchen Dichtern zum Beyſpiel angemercket hat:
Allein ſo gehts, wo man ſich einmahl dergleichen ſeltſame
Traͤume in den Kopf geſetzet hat, als wir von Hr. Gottſched
angemercket haben, da er nemlich in dem Vorbericht zu die-
Jch bitte hier nur anzumercken, wie die Metapher, deren
ſich der Lateiniſche Poet bedienet, ohne Vergleichung geſchick-
ter iſt, als der Gottſchedianiſche Woͤrter-Bau: Er ver-
gleicht die Woͤrter mit dem Saamen, der ausgeſtreuet wird,
und will, daß die neuen Woͤrter in einer Schrift nur duͤnne
und mit Behutſamkeit geſaͤet ſeyn ſollen. Sonſt iſt dieſe gan-
ze Stelle bis auf den 67. Vers in dem IIten Theile der Criti-
ſchen Dichtkunſt Hrn. Prof. Breitingers auf dem 213. Blat
u. f. in ein helles Licht geſetzt worden.
erklaͤren)
Dieſes iſt eine ſo ſeltſame und unerhoͤrte Regel, an die Ho-
raz wohl nicht gedacht haben mag, und deren Erfindung wir
lediglich der philoſophiſchen Einſicht Hrn. Prof. Gottſcheds,
als eines oͤffentlichen Lehrers der Welt-Weißheit und Dicht-
kunſt zu dancken haben.
derer Horazens geſtehen, daß dieſes Werckgen ohne
alle Ordnung geſchrieben ſey. Es iſt freylich an dem,
daß die Lateiniſchen Verſe nicht ohne alle Schwierigkeit ſind,
und daß es unter den Criticis noch nicht ausgemachet, wie man
dieſe Verſe eigentlich eintheilen und abſetzen ſoll: Doch iſt
ſo viel gewiß, daß Horaz hier nichts anders lehren will, als,
man muͤſſe eben nicht alles ſagen, was man ſagen koͤnnte,
ſondern allemahl nur ſo viel, als ſich zu unſerm Vorhaben
ſchicket, und das mehrere auf eine andere Gelegenheit ver-
ſparen: welches der Hr. von Eckard wiederum nicht uͤbel ge-
troffen:
Sag was du ſagen muſt: doch halt auch viele Stuͤcke
Die du wol ſagen kanſt, vors erſte noch zuruͤcke.
gewaͤhren.)
Jn dieſer Ueberſetzung kan ich wiederum nichts von dem
philoſophiſch-poetiſchen Ausdruck des lateiniſchen Dichters ge-
wahr werden:
Indiciis monſtrare recentibus abdita rerum.’
Er betrachtet die Worte als Zeichen der Gedancken und Sa-
chen; und achtet gar nicht vor noͤthig hier zu lehren, wie neue
Sachen koͤnnen entdeckt werden.
Wie unbeſtimmt und kahl iſt dieſes gegen dem lateiniſchen:
Si græco fonte cadant parce detorta.
gelten.)
unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.)
Man darff nur das Lateiniſche zu Rath ziehen, ſo wird man
bald ſehen, daß dieſes eine elende Translatio puerilis ſey: Ho-
raz ſagt auf eine recht poetiſche Art:
Jn dieſem gantzen Stuͤcke von dem 75. bis auf den 100. Vers
hat ſich Horaz als einen geſchickten poetiſchen Mahler erwie-
ſen, und den Satz von der Unbeſtaͤndigkeit und leichten Ver-
aͤnderung der Sprachen und Woͤrter mit praͤchtigen Bildern
in Abſicht auf den Unbeſtand aller menſchlichen Dinge aus-
geſchmuͤckt. Dieſes poetiſche Stuͤck hat er mit der Verglei-
chung von dem Laube der Baͤume, welches alle Jahre abfaͤllt,
eingefuͤhrt; und in dem Nachſaze dieſer Vergleichung den Le-
ſer durch die kraͤftigſten Ausdruͤckungen zu der folgenden poe-
tiſchen Erweiterung vorbereitet. Allein dieſes ſind lauter un-
erkannte Schoͤnheiten fuͤr unſern Ueberfetzer, angeſehen er
dieſes gantze Stuͤck ſo matt und nachlaͤßig uͤberſetzet hat, daß
es zu erbarmen iſt: welches um ſo viel ſtraͤfflicher iſt, da ſein
Das Wunderbare, welches in dem Lateiniſchen herrſchet,
iſt hier gaͤntzlich verwahrloſet.
und ſchraͤnckt die Fluthen ein.
Das curſum frugibus iniquum iſt gaͤntzlich ausgelaſſen,
und das Doctus iter melius gantz geſchwaͤcht. Das letzte
giebt der Hr. von Eckard:
ſtehen?
Auch dieſe Stelle hat der Hr. von Eckard nicht ungluͤcklich
uͤberſetzt:
poetiſchen Munterkeit recht lebhaft ausgedruͤcket hat: als z. E.
heit meſſen.)
Neben dem, daß der deutſche Ausdruck ziemlich undeut-
lich iſt, ſo iſt auch dieſer Vers mit eben dem Fehler behaf-
tet, daß er den Nachdruck der Grundſchrift gaͤntzlich verwahr-
loſet. Jch darf mich nicht ſcheuen, des Hrn. von Eckards
Verſe auch hier den Gottſchediſchen an die Seite zu ſetzen:
.... Man wird nach unſern Tagen
Viel wiederkommen und auch viel verfallen ſehn,
Die izt bey jedermann in vollen Ehren ſtehn;
Wenn dem gemeinen Brauch, der hier Geſeze giebet,
Und Oberherrſcher iſt, es dermahleinſt beliebet.
Daß man ſie uͤberlebt? .....
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- Kolimo+
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- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bk2q.0